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Full text of "Die Gegenwart. Wochenschrift Für Literatur, Kunst Und Öffentliches Leben 16.1879 Wisc"

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Ulniversits of Wisconsin 


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I^oc^enfc^riff 


für 

and tff|*ntli*lt*$ 


§erau 3 gegeben 

oon 

'gfauf Jlittbau. 



&ec^el)nter fiaitb. 



Verlag oon Georg StUke. 

4 Seitens Strafe, 


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1 


£rucf öon ib. ©. Seubner in ücipniq. 




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e g t fl e x 


123336 

OCT 17 1903 



I 6 


/ l 


■: 7 : 


«ei^eljttter Sank. 


1. J» 0 l«tr#e itnD inrüHfifte 3üipij*. 
Allgemeines. 

Seite 


Dal (Grunbeigentbum. ©on 93(untfc^lt.33 

©efammteigentbum unb pribateS Gigentbum. ©on bemfelben . . 65 
DaS Grbredjt unb bie Reform beS GrbrecbtS. ©on bemfelben 97. 145 
„Die Gntmünjung beS Silbers als angeblich alleinige Urjadje beS 
©ücfgangcS beS SBoblftanbeS." ©on Äarl ©raun .... 129 
Die notbroenbige Reform bet ©olfSttrirtbfcbaftSlebre. ©on £ubmig 

Giftet.177 

lieber Gifenbabntarife. ©on £>. 33. Oppenheim.209 

DljomaS bon Aquino unb baS römifcb'latbolifdje Dogma. ©on 

Gart Meters.257 

SRufjlanb, Gngtanb unb bie europäifdjeit SRittelmäcbte. ©on Äarl 

©Hnb.273 

SRu&Ianb bor unb nadj bem Kriege. ©on g. §. (G.290 

3 nlanb. 

Die ©opularifirnng beS fKcc^tS. ©on $aul tapfer. 1 

Der ©rocefc 93afiletuitfc£> unb bie Aufhebung ber ©erufung in Straf= 

fachen. ©on ©. $.19 

Die preu&ifcben £anbtagSroablen bom 7. October 1879. ©on 

SB. SBadernagcl.241 

Daö 8 tec$t ber ^Ictiengefeüfc^aft unb bie Reform bemfelben. ©on 

§. 33. Oppenheim.305 

Die beutfdjen $anbelSbesiebungen ju ben Sübfeeinfeln. ©on 

b. Sp.409 


AuSlanb. 

Der ©rins bon Oranien. ©on©atabuS.17 

Ceftreidj nach ben SReicbSratbStoablen. ©on einem GiSleitfjanier . 49 
DaS GoalitionSminifterium unb bie ©erfaffungSpartei. ©on 2Bb. 161 

Italicae res 193 

Slabifdje SBecbfeltoirfungen. ©on g.41 

Die SBefprfraft gtalienS. ©on ©elatuS.227 

Die einfachen Elemente ber orientalifdjen grage. ©on Ab. 9Ba^r = 

munb.322 

Sin OppofitionSfübrer in Gnglanb. ©on Äarl 331inb . . . .337 
Gnglanb unb bie irifc^en Parteien. ©on bemfelben . . . 393. 411 

2 * Uatunui|fenr 4 japlWre$ unb ©cograpjjirrijfs. 

©rebmS Dbierleben. ©on Start 33ogt. 200 

Gin Sonntag in Verona. ©on § er man n Sing g.24 

^interinbifcbeS. ©on granjGinfiebel.40. 59 

Die ^bbfiognomie beS 9J7onbeS. ©on bemfelben.124 

Der interoceanifdje Ganal. S3on (Georg $ollm . . . . 81.100 

Die ©r$iel)ung ber menfdjlidjen Sinne, inSbejoitbere beS gar ben- 

finnS. S3on S. ßalifeber.93 

Die SSegetarianer unb itjre fiepre. ©on A. §ofacuS . . . .109 
Sommertuanberungen in granfreidj. ©on ©aul b’Abrcft 139. 171 

AfrifanifdjeS. ©on bemfelben.417 

S3on Sbulefpeare bem D^ierfenner. SSoit g. $ücbenmeifter . . 134 
Sübamerilanifdje Buftönbe. ©on g. ®ellcr=£en$inger . . . 244 

©ulgarifcbeS. ©on Äarl ©raun = SBieSbaben.265 

Geopbagie. ©on SBilbelm bon §amm. 276. 294 

Die neueften Gsperimentatunterfucbungcn über bie Seele. 33on 

9R. 33ictor.313 

§err ©iebarb SBagner unb bie ©ibifectionSfrage. 33on 21. ®Ulen¬ 
burg . 373 

Die beutfdjen §anbel3be$ieljungen 511 ben Sitbfeeinfeln. ®on 

b. Sp.409 


3. tormiptp* 3tufT^ 

Seite 

Sommerlit^e ©riefe, (^etn 8 teifebrief.) ©on $aul ßinbau . . 87 
Sommerlidje ©riefe. (DaS nationale Drama.) ©on bemfelben . 107 
#erbfttid)e ©riefe. (#agen3 jmeiter Streif.) ©on bemfelben . . 205 
©erljanblungen über Grridjtung eines ©ren^olleS auf ben SReidj3= 


tagen bon 1523 unb 1524. ©on Grnft SGBüldej: .... 3 

Seit $eljn Sauren, ©on Gbuarb bon ©artmann .... 7 . 26 

ftarl ©upfoto. ©on ftarl©oebe!e.394 

©erlin in ©Iütlje. ©on 3 ofj. Drojan. 12 

Um SBeiljnadjten. ©on bemfelben. *.398 

©einridj SBil^elm Dobe. ©on $art©ruf|n3. 20 

Drei ©riefe bon (George Sanb unb griebrid^ Gljopin an 2lbolp^ 

©utmann. SDlitget^eitt bon ©. Stabeno».28 

©einridj Seut^olb. ©on Äarl©artfcb.36 

Gin SRitterfdjaufpiel in Dirol. ©on bemfelben.135 

Start SRofenfranj. ©on 2llef. gung.53. 72 

8 u ©ottlieb Sc^idS 100 . (Geburtstag, ©on ©. Äinbt . . . . 76 
DaS ©lutgerüft in Soeft. Gine red)tS= unb culturgefdjic^lidje Slijje 
aus SBeftfalen. ©on Starl ©raun = SBieSbaben .... 84 

Die gamilie Gairoti. ©on GJnftab Danne^l.118 

©on Sfjafefpeare bem Dbierfenner. ©on g. Stüdjenmeifter . . 134 

Gmite be (Girarbin. ©on G. Sdjntibt^SBeibenfelS.149 

2luf ber Stronenfudje. ©on g. 3JI.155. 173 

SBitliam Stopb Garrifon. ©on Ubo ©radjbogel.168 

SlmertfanifdjeS Stubentenleben. ©on Otto Groß . . 187. 200 . 297 
Starl Witter jum Gebäcbtnig. ©on 2(tbredjt fireb^off ... 195 
SecbSbunbert Gorrefponbenten. ©on (Georg ©üdjmann . . .198 

Gine fReifebegegmutg. ©on SB.217 

Gin (Gebebter, ©on gul. Stettenbeim.254 

Subtoig Spacb jum ^ebäcbtnig. ©on grbr. bonSBeecb . . . 262 

2tuSflelliingSlotterie. ©on 2llbert©rorfb°ff.286 

Drei Stammbucbblätter. Sttitgetbeilt bon Subrnig greiberrn 

b. Ompteba.291 

Dbeobalb ferner unb feine Dichtungen, ©on G. Sdjntibt: 

SBei&enfelS.292 

Utorib §aupt. ©on G. Db- .308 

DaS ©egräbntfj beS Dieters ^ßufcfjtin. ©on ©orealiS. . . . 310 
Qobn ©ladtooob. ©on 3iubolpb8inbau.328 

4. ITtterarifibe ^lupi|e* c 

a. ©ebiebte. 

„Regentage." © 01 t ßubmig^lnj engruber.51 

„3roei Glegien ber üiebe beS Obib." Deutfcb bon § ermann 

Oelfdjlüger. II. 6 

„In desertis.“ (äufunftSjuftij). ©on gob3. Scbcrr. 68 

„SufunftSfdjule." (2tuS bem ,,©udj ber Dborbeit".) ©on bem= 

felben.230 

„2tuf bem SnfelSberge." ©on 2tlbertDräger.104 

„SBibmung." ©on §anS §opfen.116 

„Sttaremmenibplle." 2luS bem gtalienifcben beS (G. Garbucci über^ 

tragen bon ©.3 .134 

„Die ©afjufiation." ©on benfetben.324 

„gorm unb Stoff/' ©on ©iSbert ©inefe.148 

„Sommerlieber/' ©on 9ßartin(Greif.162 

„©ergfeuer." ©on ^ermann ßingg. iho 

„GiS." ©on bemfelben.413 

„^erbft^bafel/' ©on Gm ft Do bm. 211 

„Gin 9Jläbcbenlieb." ©on ü. t.247 

„Die Gntbedung ber Seele." © 01 t SutiuS Stettenbeim . . . 271 


b. ©ffa^S. 

2lnjengruber als Grjäbler. ©on ©aulSittbau . . 247. 263. 277 
3ft ber ^effimiSmuS f^äblicb? ©on Gb. b. ^artmann. . 211. 233 


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Ueber bic Siele beS Schulunterricht*. ©on 3* Bergmann. 113. 131 
granjöfifcbe Sitten be$ XVIII. 3abrbunbert8. ©on SBitljelm 

Slrnolb.181 

$ramnot. ©on 3- 3- fconegger.230 

ßorb ©eaconSfietb als SRomanfcbriftfteller. ©on $. Simmern. 

249. 267. 280 

$ie Xöcbterfcbulen in granfreicb. ©on 8 . Scbneegan« . 363. 376 

3uan ©atera. ©on ©Htbelm ßaufet.340 

gerbinanb greiligratb* ©rßlinge. ©on ©Ulbetrn Sudaner. 366 

378. 396. 416 

©)er Stabreim in ©nglanb. ©on $arl ©linb.44 

• c. ßiterarifcfye ®ritif. 

„$ie gamilie 2Renbet$fobn", bon S. #enfel. ©efprod&en bon 

gerbinanb filier.9 

„ 2 lu 8 bem 9iadbtaffe Schön*." ©on einem Ofl^rcufeen. ©efprocben 

bon ®. grauenjtebt.37 

„©rebm* ^ierleben/' ©efprocben bon Äart ©ogt.260 

„©efdjicbten be* ©tajor*", bon $an* Hopfen. ©efprocben bon 

©aul ßinbau.163 

©oetbe* „gauft" ^erauSgegebeit bon ©. b. ßoeper. ©efprocben 

bon bemfelben. 221 

„Briefe ©oetbe* an Sophie bon ßa Stocke k." ©efprocben bon 

bemfelben. 222 

gur ©toli&reliteratur. ©on bemfelben ..223 

„gtaliemfdje Stubien", bon $ernt. Lettner. ©efprocben bon 211 fr. 

SBoltmann ..214 

„SRacb 0 lpntpia", bon ßubmig ©ietfcb- ©efprocben bon $ljeobor 

•gontane. 66 

„Ublanb* ©allaben unb IRomanäen", bon §. ©)ünper. ©efprocben 

bon ß. Sdj. 111 

„2luS ber beutfcben Ur$eit", bon 2B. 2lrnolb. ©efprocben bon ©. 142 
„©riefe an ßeffing." §erau*gegeben bon ©. ©br. 9Rebticb. ©e- 

fprodjjen bon ßubmig ©etger.69 

„gu ©oetbe* 130. ©eburtStag." ©on ®. SB. SabeH. ©efprocben 

bon bemfelben.311 

„©out Urfprung ber menfdfjltd&en ©rfenntnifi", bon SRob. ©rocl&. 

©efprocben bon 2B. ©olin..318 

,,©)a* Siedet ber Äctiengefelljcbaften", bon §. ßoetoenfelb. ©efprocben 

bon $. ©. Oppenheim.306 

„föufjtanb bor unb nach bem Kriege." ©efprocben bon g. §. ©.. 290 

;/ 5 ^eobor bon ©ernljarbiS bermif^te Schriften/' ©efprocben bon g. 330 

„Serbien unb bie $ür!ei im 19. 3abrbunbert", bon ß. bon fRanfe. 

©efprod&en bon ©eorg ©Unter. 361 

„2luS meinem ßeben", bonßoni* Sdfjneiber. ©efprocben bon ©eorg 
Iporn.377 

d. Siiljne unb öü^nenfriti!. 

Su gelij $abn* Sdfjaufpiel „Sühne". ©on SR. bon Spring . 107 
„SRofenfranj unb ©ütbenflern", ßuftfpiel bon 9R. fttapp. ©efprodjen 


bon $aul ßinbau.77 

3)te SSiener ©äfte. ©on bemfelben.78 

$>a* SReftben$tbeater unb ©mit ©läar. ©on bemfelben .... 78 
„Unfer gtgeuner", Schwan! bon 0Scar 3uftinu*. ©efprocben bon 

bemfelben.158 

„Sobom unb ©omorrba", Schwan! bon Sranj bon Scböntban. 

©efprodben bon bemfelben.158 

„SRolf ©ernbt", Sdbaufpiel bon ©. ju ©utlip. ©efprocben bon bem* 
felben.203 


„SBobltbätige grauen'', ßuftfpiel bon Stbolf ß’Slrronge. ©efprodben 

bon bemfelben . . . 300 

$a* ©ubltcum unb ba 8 Sdbaufpiel „©ine @be bon b e ut". ©on 

bemfelben.314 

„$er $er$og bon ©taitanb", Xrauerfpiel bon $btftyp ©ta^inger. 

©efprocben bon bemfelben.345 

„ 2 )ie ^eje", Xrauerfpiet bon Strtbur gitger. ©efpro(ben bon bem= 

felben. 400 

Sarab ©embarbt. ©on 3obu ^aulfen.90 

Unfer ^beater. ©ine bramaturgifdje Klauberei, ©on gebor 

2Bebl.104. 120 

©in ©itterfcbaufpiel in $irol. ©on ^art ©artfcb.135 

©erliner Xb^^ 1 - Unfritiftbe ©emerlungen bon k. ©.332 

©on ben £b ea * er n- (Sofepbine ©attmeper.) ©on 3. #.363 

5. tiübenbe Mnfte. 

3)eutf(be 9ienaiffance. ©on ©Hlbelm ßüble.359 

ßidbtbrucftoerfe. ©on bemfelben.382 

Äupferftid) unb 8 iabirung. ©on bemfelben.414 

©ottfrieb Semper al 8 ©egrünbet ber funftgetoerblicben Reform, ©on 

©runo ©ueber. 324. 344 

8 ur Sßoputarifirung ber Äunft. ©on ©torij ©arrtere .... 380 

©)ie internationale Ihtnfiauaftellung in SWönd^eit 1879. ©on 

©uftab gioerfe. 116. 131. 152. 166. 186. 235. 252 

3)ie ©erliner ©enjerbeauSftellung. ©on Xb- S.13. 61 

3)ie 53. 9lu8ftellung ber Äöniglttben Sllabemie ber fünfte ju ©erlin. 

©on bemfelben. 206. 219. 269. 302. 316. 347 

2lu3 ben ShmftauBftetlungen. ©on ***.31 

$ie $unft in ber 9Rarf ©ranbenburg unb ihre SBiirbigung. ©on 
©aul ßebfelbt.283 

6 . jnnfttt» 

©aal X’giUab a (8 ber praftifdfje ©orbeter, bon Slbrabam ©aer 
(Sammlung gotteäbtenfilicber ©efänge). ©efproepen bon 

gerbtnanb filier.421 

3Rufilalifcbe$ au 8 ©erlin. ©on §ermannfrigar.238 

&u 8 bem ©oncertfaat. ©on bemfelben.333 

„$ie Königin bon Saba," Dper bon £art ©olbmarl. ©efproepen 

bon bemfelben.384 

„Heinrich ber ßötoe", Oper bon ©bmunb Äretfebmer. ©efproepen 

bon ©aul ßinbau.190 

„©occaccio", ©uffo=0per bon g. bon Supp<5. ©efprodben bon bem= 

felben. 204 

„SRabame gabart", 0 perette bon 3 . 0 ffenbacp. ©efprocben 
bon ***.•.126 

7* Wottfen. 


15. 111. 255. 271. 287. 303. 318. 319. 334. 350. 351. 364. 365. 366. 
386. 386. 387. 402—407. 421—423. 

8* ©ffene örtefe unb Äittmorten %t* 

©on ©. Scplaeger 31. ©on g. ©ofanuS 46. ©on ß. 9 Iotr^ 
47. ©on 3ob- Storbmann 47. ©on 2llbre(bt SSebefinb nnb 
gj. Sanbrofj 47. ©on Xantbippu8 79. ©on ©ertpolb 
2luerba(b 63. ©on 2tlfreb 9ReiJner 111. ©on genfeb 174. 
©on @. ©alper 175. ©on 21. ©. SBieSner 303’. ©on Daniel 
SanberS 335. ©on ©atton 335. 2lntmort barauf 367. ©on 
©ebrüber Fröner 388. ©on 3ufiu3 423. ©on ©oo! 423. 

9» tiibliograpbie* 

95. 111. 128. 143. 175. 223. 239. 


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X 27 . 


Statfttt, ben 5. 1879. 


Band XVL 



P t 6c0emunrt 

äöodjenfchrfft für Literatur, $unft unb öffentliches fieben. 


Herausgeber: ^fattf o£ittb<tU in Verlin. 


|a» $uuitü trföräd riu |uuut. 

Ar belieben burdb alle 9ud>banblun«en unb *oftanftalten. 


Beileget: öeorg Stille in Berlin. 


Jens pi ®mt*l 4 Jtok 50 ff. 

3nf crate iebet Äti bro Sgefpattenc $etit&eile 40 9t. 


S)tc Sßojmlarifirung beS Re$t$. Ron Raul fta^fer. — Rerljanblungen über (Errichtung eines ©ren^otteS auf ben Reichstagen oon 
c rx 1623 unb 1624. Ron (Ernft XBülcfer. — ßiteratnr «nb ftnnft: 8 ®« (Elegien ber Siebe beS Ooib. Teutfd) öon Hermann £)el = 

malt : fdjiäger. n. Tie Ungetreue. — 6 eit $ebn Sagten. Ron (Ebuarb öon fcartmann. — Tie Familie äRenbelSfobn. 1729—1847. 

Rach »riefen unb Tagebüchern. Ron ©. $enfel. Reforodjen öon fjerbinanb ©Hier. — Än$ ber ftattjitftobt: Rerltn in Rlüthe. 
Ron 3- Trojan. — Tie Rerliner @etoerbes8(uSftet!ung. Ron Th- & n. — Rotijen. — 3nferate. 


Oie popttlariftnrng bes Beists. 

3Rit beut 1. October 1879 Bolljieht fich int beutfdjen 
Steidj nicht nur ein Umfdjwung in ber StedjtSübung, fonbem 
eS beginnt auch e i ne neue ©poche für bie StedjtSentmicfelung, 
fo ba| bei ber ©inführung ber großen SteichSprocejjorbnungen 
ber VerufSjurift in geringerem SRafj, als baS Volf im ©anjen 
betheiligt ift. Ser VerufSjurift ift burch bie ©efefcgebung beS 
lebten VierteljahrhunbertS unb befonberS beS lebten Sahrjehnts 
nicht oerwöhnt worben. Unfere politifche ©ntwicfelung machte 
jo oiele Steuerungen im Stedjtsleben nothwenbig, bafj Xtyoxt- 
tiler unb ißraftifer fein ©raufen mehr empfinben, wenn ein 
„Stücf ber ©efefcfammlung" ober beS „SteichSgefejjblattS" ben 
gewöhnlichen Umfang weit überschreitet. StichtSbeftomeniger 
hercfdjt gerabe in ben technifchen Greifen eine h°th9 e h en be, 
geiftige ^Bewegung, bie fchon Bor ber eigentlichen Änwenbung 
fich bemüht, ben ©eijt ber neuen ©efefce ju burdjbringen 
unb fie ju beherrfchen. 3n ben übrigen Äreijen beS Volts 
bagegen hot baS Sntereffe für bie Suftijreform fchon mit 
bem ©nbe ber parlamentarifchen Äätnpfe f<|einbat feinen Ab* 
fdjlujj erreicht. Auch währenb berfelben trat in ben Äugen 
ber fiaien oorjugsmeife ber nationale ©efichtspunft in ben 
Vorher grunb; ihnen frfjien bie ©rreichung eines einheitlichen 
Verfahrens im ganjen Steid) baS $auptjiel ber Steform unb 
nur einmal, als es fich barum hanbelte, bafj bie S<hmurge= 
richte aufgehoben unb burch üie großen Schöffengerichte er* 
e|t werben foQten, trat namentlich in Sübbeutfd)lanb eine 
)ie weiteften Schichten ber Veoölferung ergreifenbe ©rregung 
ür bie Äufredjterhaltung ber Schwurgerichte heroor. Vejiefjt 
ich We ganje Steform auch nur auf bie neue un ^ dleid^e @e= 
tcrftnng beS Verfahrens im beutjdjen Steid), fo bietet fie bo<h 
>urch bie weitaus reichliche Vettjeiligung beS ßaienelements 
in ber Stedjtfprechung eine Quelle, aus ber fich Me ganje ©nt* 
micfelung oeS Sted)tS in neue Vahnen unb Ströme lenfen 
wirb. 2)ie Uebung beS HanbelSred)t8 ift burch bie neu ju 
errichtenben Kammern für HanbelSfachen bei ben tünftigen 
Sanbgerichten in bie $änbe betheiligten taufmännifchen 
unb inbuftriellen klaffen gelegt, bei ber Uebung beS Straf* 
rechts tritt numerifch baS VerufSjuriftenthum jurücf unb be* 
hält bie ©ntfeheibung nur in ben mittleren Straffällen, währenb 
bie leichten unb fchweren ben Schöffen; unb Schwurgerichten, 
b. h* bem Saientbum überwiefen finb. äBäljrenb feit Saht* 
hunberten in $)eutfd)lanb baS Volt Bon ber eigentlichen Vitbung 
beS SRedjtS entfernt war unb biefes nur in ben VerufSjuriften 


feine Urheber fanb, wirb fortan baS SRedjt popularifirt werben. 
SaS SRedjt wirb, wie bieS fchon in ben 3*iten beS erften 
Auftretens ber ©ermanen in ber ©efchichte ber g fl H ge= 
wefen, in SBahrheit ein ©emeingut ber Station werben. Vor* 
jugsweife gilt bieS non bem Strafrecht, auf welches bie nach= 
fteljenbe ^Betrachtung befonbere SRücffidjt nimmt. 2)ie Vopu» 
iarifirung beS SRechtS, b. h- bie ©rjdjeinung, wonach ber Vefi^ 
ber SRechtSfenntniffe nicht ber au8fchlie|liche Vorjug einjelner 
Stänbe ober Älaffen ift, fonbern in bem Schote ber ganjen 
Station ruht, ift eine urbeutfdje ©igenthümlichfeit. äBährenb 
faft bei allen Völfern baS Stecht in ben ätteften 3«iten in 
einer gewiffer Abhängigfeit Bon ber Steligion fteljt, finbet es 
ftch in ben hiftorijehen bei ben Stömern, bem unioerfalen 
StechtSBolf, in ben Hänben ber Vatrijier, bei ben SBeutfdjen 
in benen beS ganjen VolfeS. @S ift wohl fein 3nfall, ba| 
bie Stömer Stecht unb SRacht mit ben gleichen Vuchftaben 
fchrieben (ius — uis); benn baS SledEjt ift nicht bloS eine 
ibeelte SRacht, fonbem ein ftarfeS materielles Vefi^thum. Vei 
ben Stömern mar baS Stecht auch noch nach ber SoStöfung 
beSfelben Bon ber Steligion in ben Hcinben ber Vatrijier ge* 
blieben, bie mit biefem Vefifc fich andj t>i e höchffen ©emalten 
im Staate, ju beten Functionen bie Ste^tsübung gehörte, ju 
erhalten fuchten. ©rft in Berhältniümäüig fpäter ßeit (gegen 
300 Bor ©hr.) BeröffentUchte ©naeuS FlaoinS, ein ungetreuer 
Schreiber beS AppiuS ©taubiuS, bie Formulare für bie Sted)tS= 
hanblungen ber freiwilligen unb ftreitigen ©erichtSbarfeit nebft 
einem Äalenber für baS ganje Saht über bie rechten ©eridjts* 
jeiten unb machte burch biefe Untreue baS Stecht jum ©emein* 
gut beS ganjen VolfeS. ©rft Bon biefer 3eit an erhalten bie 
bereits eingeführten ©efchworenengeridjte eine ganj anbere®runb= 
tage. Au^ biefe teueren Berbanfen eigentlich erft ber großen 
SerBianifchen Steform ihre ©ntftehung. ®ie ®eutf<hen traten 
bagegen fchon nach ber über fie im XacituS gegebenen Vefdjrei* 
bung in uotlem fRechtSbefi|e in bie ©efchichte ein; baS Stecht 
ift fein ©eljeimnifj Vöeniger, fonbem wirb gleich twn Anfang 
an Bon ber ganjen VolfSgemeinbe geübt, an beren Stelle im 
Üaufe beS SRittetalterS ÄuSfchüffe (Schöffen) treten. 3e mehr 
fich nun baS Stecht auf ©injetne juücfjieht, befto mehr beginnt 
fich ein gewiffer F°rmaliSmuS hctauSjubilben. ©reift aber 
ber Untere weiter um fich, öann bebarf es ju feiner Veherrfchung 
halb eines ganjen StubiumS unb bann finb eS fortan bie tedj* 
nijdjen VerufSjuriften, welche bem Stecht feine Valjnen anweifen. 

3e nachbem nun beS Voll felbft an ber StechtSübung 
Xheil nimmt, ober biefelbe lebiglid) burch VerufSjuriften Ber* 
treten wirb, ift bie StechtSfpra^e eine anbere, finb bie Stechts 


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2 


Sie ©egenwart. 


Nr. 27. 


begriffe oerfdjiebene. ©8 wirb fdjwerlid) Semanb auftreten, ber 
nic|t bie größte ^o^ac^tung oor ber feharffimtigen ©afuiftif 
bat, bie fid| in ben Quellen bet römifchen SRecf»t& oorfinbet. 
SJtit einer ©rftaunen errejenben ©ewanbtheit werben bie fdjmie? 
rigften Probleme gelöft unb ber bon sens bet ptaftcfdje» 
Scannet weife fid) auch aut ben uerwicteltften SBirrmffett 
Ijerautjufinben. Droh biefer öotjikge jeigt fid) bei beit Stömer* 
ein Mangel an ©qftematif, ja bie Siechttbegriffe, bie fogenannteff 
Legalbefinitionen, fittb aflju oft bei genauer Prüfung un= 
richtig. Den ©runb feieroon bürfte man üieUeit^t nidjt jum 
wenigsten barin fucfeen, bafe in ber Kaffifcfeen ßeit bat Siecht 
auf bie Uebuitg burd) bat Latentfjum jugefcfenitten war. gür 
biefet würben feine, fdjulgeredjte unb in allen fünften un? 
erfdjütterlidje Definitionen unbrauchbar unb oerwirrenb ge? 
wefen fein. Dat Sott bebarf nur allgemeiner ©efidjttpuntte; 
mit guten ©ewiffen unb praftifcfeen ©inn finbet et im ©injel? 
falle bat Süchtige feeraut unb gibt in feinem Urtfeeil ben 
Slutbrucf ber allgemeinen Slechttüberjeugung. Sludj bie Stedjtt? 
begriffe, welche fidj in ben altbeutfdtjen Quellen »orfinben, 
finb burchaut oerf^wommene, nidjttbeftoweniger treffen bie 
noch üorhanbenen Urtfeeile in Stabt unb Laub, bie Sprüche 
ber Qberhöfe, wie bie SBeitthümer ber Säuern innerhalb 
biefer weitgejogenen ©renjen ftett ben Stagel auf ben Äopf. 
SBie aber bei ber falfchen Sluffaffung ber beutfchen SJliffion 
mit bem römifchen Steid)tgebanfen auch öat römifch 
würbe, ba änberten fich nicht blot bie Stedjttbegriffe, fonbern 
auch bie Stedjttfpradje unb erft griebtidj ber ©rofee mufete in 
in feiner berühmten Äabinettorbre am 14. Slpril 1780 an ben 
©rofetanjler oon ©armer auf bie „Unfdjidlichfett" aufmertfam 
machen, „bafe bie ©efefce gröfetentljeilt in einer Sprache ge? 
fchrieben finb, welche biejenigen nid)t oerftefeen, benen fie boch 
alt Süchtfdjnur bienen foüen". ©ben beiwegen bediente fid) 
griebrid) bei feiner ©efeggebung einer populären äutbrudt? 
weife, bie — unb nicht mit Unrecht — alt ein üRangel 
unferer lanbrechtlichen Sotf driften empfunben wirb. Der Sor* 
Wurf trifft oorjugtroeife bat ©ioilredjt unb ift in bem Um? 
ftanbe begrünbet, bafe bat ®efe| lebiglid) non redjttgelehrten 
Züchtern angewenbet wirb, bie juriftijd) erjogen bem ©efefcet* 
wort auch eine tecfenifcfee Sebeutung beijulegen gewohnt finb. 
Sn ber fßräcifion ber Segrifftbeftimmungen liegt aber für bie 
$eit ber abfoluten 3Jionarcf)ie eine grofee ©arantie für bie 
Siechttfidjerljeit, ba ber ©runbfafe noch nicht gilt, bafe Sliemanb 
feinem orbetttlidjen Stifter entjogen werben bürfe, unb ba bie 
©mennung oon Specialcommiffionen unb bie §anbh<tbung oon 
Stabinettjuftij felbft in ben Staaten bet grofeen Steufeenfönigt 
nicht ju ben Seltenheiten gehörte. Son ben neueren grofeen 
©efefeen hat eigentlidh erft bat ©trafgefefebudj für ben Storb? 
beutfchen Sunb feine Spraye unb feine Begriffe mit Slüdftdjt 
auf bie Änwenbuug burdf Laienrichter gebilbet. SJtit Siecht 
hat et bafeet bie Seftimraungen über oerbred)erifd|e Äbfidjt 
unb ßtotd, über Sorfafe, Ueberlegung, Serfcfeulben u. bgl. m. 
oermieben; et finb bie« Begriffe, beren geftftellung in ber 
SBiffenfehaft ju ben fehwierigften ©ontrooerfen Slnlafe gab unb 
beren ©ntfcheibung jefet lebiglich bem gefunben ÜJtenfd)enoerftanb 
ber Uttheütfinber, welche nicht feiten Laien finb, überlaffen 
wirb, ©o ift auch feine gefe|li<he Definition bet Sergefeent 
ber „Seleibigung" gegeben, weil im einzelnen gaü wohl faum 
ein ßweifel über batjelb» beftehen wirb. Slber biefe ftrafbare 
Hanblung wirb nicht in feiner gefefelicfeen Unbeftiramtheit ber? 
einjelt bleiben; ft mehr bie ©trafurtfeeile oon Laien gefunben 
werben, befto mehr werben bie compenbiöfen Definitionen aut 
ben ©trafgefefebüchern oerfdhwinben unb, wie ich glaube, nicht- 
jum Schoben ber fRe^ttfrchierheit unb bet materiellen Stecht«, 
©in Betfpiel bitbet brr nenefte englifdje ©ntwurf einer ©riminal 
©obe (ioüictable offences) BiU oom 3. Slprit 1879. Sn 
biefem fmben fid) j. B. über ^ocfeoerrath unb über bie ©chürung 
oon $aff unb Serachtung gegen bie Stegierung ber Königin 
ober ber Seoötterungtflaffen untereincmber Seftimmunaen oon 
einet Dehnbarfett bet Xhatbeftawbet, für weld£|e ber Stutbrud 
Äautfchnfpatagraphen noch ein gelinbcr ja fein fcfeeint. gür 


anbere ftrafbare Handlungen wirb überhaupt feine Definition 
gegeben, fonbern ihre geftfteHung alt question of fact lebig= 
lieh ben Ur theilt finb er überlaffen; fo ift biet bei ber Se= 
leibigung (übel), ber ©ottetläfterUttg unb ber Serbreitung 
unaichÄger ©chriften uttb DarfteKungen ber galt. Diefe @r= 
fchetnemg Bietet ben ©efefgebern auch bet ©ontinentt, wo jefet 
bi« Laienric^er überwiegen werben, ein bebeutenbet Seifpiel. 
@t jeigt ftcb aut berfelben einmal, bafe bie Sluffaffung, wonach 
bie Siedjttftcherheit lediglich in einer compenbiöfen unb mit 
allen ©autelen oerfefeenen Seftimmung bet ftrafgefe|li«hen S8e= 
grifft gefunben wirb, eine fleinliche unb gegenüber bem Laien= 
richtertfeum nidht fti^h Q li'9 e ift- 8 ut ©ntfcheibung über bie 
ftrafbare ©djulb einet- SDienfchen bebarf et nach e i nem 2t uä: 
fpruche Siapoleont I. nur bet fechften ©innet, bet ©ewiffent. 
Diefet aber läfet fich bei Laien burch feine Definition in 
geffeln f^lagen. 3Bo eine wirfliche ©djulb oorljanben ift, 
ba wirb ber oerftänbige unb felbftbewufete Laienrichter auch 
bie Serurtljeilung autfpre^en. SBoEte man j. S. einen ge= 
glichen Segriff ber ©ottetläfterung geben, fo würbe ber 
Streit unter Dheotogen unb guriften ju feinem gedeihlichen 
©nbe gelangen, nichttbeftoweniger glaube idjr bafe im einjelnen 
galt jeber befonnene unb ehrenwerthe Sürger bie richtige @nt= 
fefeeibung wirb treffen fönnen. Slnbererfeitt ift aber auch bie 
Behauptung, bafe ohne jene haarfefearfe Definition bet ®e= 
fefcet eine Serf^iebenfeeit in ber rechtlichen Beurteilung ein= 
treten unb bafe lebiglich bie fubjectioe ©mpfinbung bet Ur= 
tfeeilert entfteiben mufe, nur jum Dfeeil richtig* B5ie mifelidj 
unb unmöglidh et ift, bat Sorhanbenfein einer gewiffen lieber? 
jeugung, alfo auch bet ©djulbfptud)«, oon ber ©rfüHung be? 
ftimmter Beweitregeln abhängig ju maten, bebarf feiner Stut? 
führung mehr, ©efefee, welche oorfdjtieben, wenn eine Dhat? 
fache für erwiefen unb wenn fie für unwahr ju halten fei, haben 
längft giatco gemacht, ©t®« jc^t enfeheibet in biefer wichtigen 
grage lebiglich bie fubjectioe SReiuung bet Slichtert, ober oiel* 
mehr, Wie bie granjofen et ftönet autbrüden, et entfeheibet 
feine conviction intime. Die Stechttfidjerheit liegt heute nach 
einer ganj anbtren SHdjtung, fie beruht auf ber Schaffung 
einet gefinnungttüchtigen unb nach °b<n unb unten uubeein? 
flufeten wie unabhängigen Südjterftanbet. SBat in biefer Hin? 
ficht in Deutfdjlanb feit ber Serleiljung ber Serfaffungtur? 
funben noch gefehlt hat, bat ift burch bat neue ©erichttoer? 
faffuttgtgefeh na^geholt worben. 3BiH man aber bat fubjectioe 
©rmeffen aüju eng einfehnüren, fo gelangt man ju Slefultaten, 
bie man am allerwenigften erwartet hat. Die greiheit bet 
Snbioibuumt wirb freilich gefihüfet, aber nur jum Stadjtheiie 
ber ©efammtljeit, benn jene compenbiöfen unb oorforglichen 
Begrifftbeftimmungen geben bem gefefeidteren Uebeltljäter bie 
beften gingerjeige für bie Umgehung bet ©efefeet unb et gefet 
ftraftot aut, wat materiell alt bie gröfete Uebeltfeat empfunben 
wirb. Der. gelehrte fRidfeer jieht auch wirflidj bie ©onfecfwenj 
unb fagt, wenn auch ©chmerj: „Fiat justitia, pereat 
mundu8.“ Der Laienrichter wirb biet niemalt thun, unb 
Beifpiele aut ber fßrajeis fönnen biet ohne $weifel beftätigen. 
2öiE man alfo bat ©ewiffen bet Laienrichter« mit bem ©efefe 
nicht in ©onflict bringen, fo wirb bie gaffung betfelben 
eine anbere »erben müffen, man wirb fich bemühen ntnffen, 
in bemfelben nicht fowohl bie DarfteHung bet einjelnen Xljcrt? 
beftanbet, alt oielmehr bie gefehgeberifefee Slbficfet unb ben 3wed 
jum Slutbrud ju bringen. 3m Uebrigen wirb man fW) eben 
auf ben praftif^en Sinn unb bie ©harafterftärfe feiner SHcfeter 
oertaffen müffen. Die neuen ©efefee, welche mit bem 1. Cctober 
in ßraft treten, haben ben Borjug, bafe fie nicht bi« Stecht? 
fpredjung lebiglich Laien anoertrauen, fonbern in einer glüd? 
lieben Bermifefeung bat gelehrte Siichterthum mit bem LaienetemeM 
jufermmenbringen; biefet gemeinfame SBirfen wirb aber nur 
ein fegentrei^et fein, wenn bie gaffung bet ©efefeet bie ÜRög? 
lichwit gibt, bafe ber gelehrte Stifter mit feiner ©rflirungi 
betfelben bei feinen LaiencoQegen Berftänbnife finbet Bh« 
alfo andj nach nationaler ©eite bie neuen Snfeijgefehe ©Ute« 
bewirfen mögen, fie eröffnen für b« Berbreittcng unb* gort* 

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Kr. 27. 


Bi* 


3 


bilbung beS SRedjtS eine neue Sßerfpectitie, baSfelbe wirb immer: 
meljr ©tmeingut bet Station Werben unb eS wirb bietteicfit 
eine 3eit lomltten* Wo fcfidtt ber 3 weif et, ob title §anbtung 
eint geregte ober ungerechte ift, fetjon ein Unrecht barftellt. 

4 pauI ttayjer. 


DtrhanMtingen über (Errithtottcj eines ®rtnjjolles auf 
ben Ketthstagen non 1523 nnb 1524. 

58on <Ernjl IPülcfer. 

®aS fchtibenbe fünfjeljnte 3ah*h u nbert unb baS beginnenbe 
fechjehntc hoben unferm beutfehen Vaterlanbe jwei wichtige Staats* 
einrichtungen gebracht: baS fReidjSfammergericht ünb baS SReichS; 
regiment. Erfteres, befannttich öon ÜJtajimitian im Saljre 1495 
in Srattffurt jufammettberufen, war beffimmt, ben ewigen ßattb* 
trieben, ber batttalS juerft öffentlich Derfünbet würbe, ju fc^ü^en 
uüb fettte ein unabhängiges (Bericht fein, frei befonberS Don 
faiferticher Seeinflnffung. 5)aS VeicfjSregiment war jwar auch 
fchoit ju Seiten ©tajimilianS geplant Wörben; aber erft unter 
Sari V. gelang es ben beutfehen dürften, es mittels ber 90Baf)£= 
capitutation bem Kaifer aufjubrängen unb erft in bem Ütbfchiebe 
beS betühmten SBormfer SReicfjStageS (1521) finben Wir eine 
SegimetttSorbnung beigefügt. töiefeS Snftitut, tortäufig nur ein* 
gefegt füt bie Seit, ba ber Kaifer abwefenb war, fotlte Derhanbetn 
uUb befchlitßert über Stecht unb Trieben im Steife, über $anb= 
habung unb Volijiehüttg ber Dom Kammergerichte auSgefptocfjenett 
©trafurtljeite, über SBiberftanb gegen äußere Stnfedjter beS 
SReidjSfriebenS unb fotlte ettbtich bie retigiöfen Streitigfeiten 
infitthalö btS SteicheS beijutegen füllen. 3)a8 Regiment War 
atfo eitt ©entrülorgatt für innere Verwaltung unb jugleidj h ö <hfte 
Ejtcutingewdft. 5)aS Kamntetgericht warb ihnt unterteilt ünb 
ein StufftchtSrecfjt ihm übertragen; baS ^Regiment bilbete jugteich 
einett Stppetthof für baS SfteichSgertdfit. 2Bar aud) feine Xhätigi 
feit juttfiehft auf baS innere gerichtet, fo führte eS boch bie 
BefHtümung über ben SBiberflanb gegert 9teid)3feinbe urtb bie 
retigiöfen fragen auf baS ©ebiet auswärtiger tßotitif, benn 
Berührungen mit fremben ©lachten unb mit ber Surie waren 
hier nicht ju umgehen. 

3>n feifter Stellung jum Kaifer fotttt baS Regiment, wie 
auch baS ®ericf)t, eigentlich gänj unabhängig fein. Sem Ober* 
herrrt war urfptünglieh nut eine Vertretung atS Vorftanb feinet 
Erblanbe jugeftanben, als erftem SteidjSftanbe war ihm außer* 
bem bie SBdht beS Vorfijjettben überttagen. Stber ber Kaifer 
fegte foWoht hier atS beim Dbttgtrid)te burh, baß ihm in feiner 
Eigenfdjaft als Kaifer ttöch je jwei Stäthe jugeftanben würben, 
©o beftanb benn bas Regiment aus bem Statthalter unb jweU 
unbjwdttjig fßerfonen, nämlich oier fäiferlithen Stäthen, fecfjS 
furfürftlichen Vertreter«, jwei fürftlichen, einem Vertreter btt 
Brälattrt, einettt bet ©rafett, jWei ber ©täbte unb fed)8 Vers 
tretern, bie aus ben ©eicljSfreifttt gewählt Waren — wäljrenb 
bas Kamlnergetichf freh auS einem Vorftger unb ädjtjehn Bei* 
figern jufammenfegte. 

Sie Vejahlürig ber ©titglieber foWie ber fönftigen Koften 
beiber Snftitutt Wutbttt junächft buref) ©iätricularbeiträge be4 
SteicheS gebeeft. @8 ift übet befattnt, wie fhtoierig, ja unmög* 
lieh bie ttöüftättbige Beitreibung bitter Auflagen War, bei 
Dielen bet ©tänbe fehlte bet gute SEBitte bes SahtenS, bei 
manchen, bie ütlntähtlch Dtthtmt aber imntet noch nach ätttni 
«nfage ättgefchlägen Wart«, bit gäljtgfeit. Uttb fb begegnen 
uns bfenu Dbm Anfänge bes Befteh<rtS beibet Behörben an bie 
Dielfältigften Stagen übet tücfftättöigb Siäte«. Sie Briefe beS 
©tgimentSdbgedtbttetett für Kütfachfett, 0. fplanig, geben ttnS manch* 
mal eilt lebhäfteS Bllb Dbtt btt pecuniäien Bebrättgniß, in bei 
fich tirtjeltte ©titglitbet befanben, fie fchitbetn UttS bert SÖSett* 
ftreit ber Einjelntrt unter elnanber, wer ben beftbegrfinbeten 
Ärtfprttth auf bie Junächft tingthenbeh ©eibet habe u. f. W. 
Solche ©tißftättbe hatte, wie eS fdjeitit, ber Reichstag oorauSs 


gefehert, benn gleichseitig mit ber ©infehung beS Regiments finben 
wir im Slbfäjiebe bemerft, bah „ftatthalter vnd regiment als¬ 
bald mit fieis betrachten sollen, wie hinftlro dem regiment 
► vnd cammergyicbt ein beftändige vnderhaltung fargenomen 
werden möge . ©teidjeS gefchieht auch uod) auf bem SReühö 5 
tage ju Nürnberg 1522 (8. ©lai), wo ber Beitrag burch SDlatri- 
ci^arttnfchtäge biS ju SJlidhaeliS 1523 Dertängert wirb. 

Sa8 fRefultat ber fteifeigen Betrachtungen feitenS beö Statt; 
halterS unb beS Regiments war: ba| man einen Saß an bei 
©renje beS fRet^eS auf beit ÜBaarenejport ju legen, bie 3Ratri= 
cularbeiträge aber aufjuf)eben fich entfchlo|. Ser Öaifer aber 
fchtug oor, auch ben Import ju Derjolien unb befahl, baff eine 
©ommiffion, auS ber ©litte beS ^Regiments erwählt, unterfuche, 
welche SBaaten mit Soll ju belüften feien. 

2Rit bem Entwürfe biefer ©ommiffion würbe tm Sommer 
beS SahteS 1522 ein ©efanbter an ben ^atfer gefdjicft,. ber 
benfelben um bie ©enehmigung etfuchen foute, J fonberbarer 
SSUfe erfolgte ater feine Antwort unb fpäter erfuhr man, bie 
©aplere feien «erlegt wötben. 9leue Boten an ben Äaifer ju 
fenben war leine Seit mehr, benn am ©nbe beS 3ah*e8 Der= 
famtaetten fich wieberum bie dürften unb beren ©efanbten ju 
Nürnberg auf einem neuen Sage, in ber Hibftcht, nochmals über 
ben Entwurf ju berathen. Um nun in biefer Bejieljung halb; 
mögliihft um einen ©chtitt DorwärtS ju fommen, legte ©rjherjog 
fferbinanb ben Soüptan, obwohl er noch nicht beö ftaiferö @e= 
nehmigung hatte, bem ^Reichstage Dor. 

Sehen wir Uns nun ben Entwurf etwas näher an. S U: 
nächft wirb batin erftart, man wbUe genügenbe Einfünfte für 
bie BeichSinftiiute f^affen, ohne ba| ber gemeine ©lann baburd) 
bebrüeft wetbe unb fo habe man behrt ju einem Soße gegriffen. 
SerfetBe föfle aber hur auf fotdje ©egenftänbe ftch erftrecJen, 
bie nicht jur gewöhnlichen fRofhburff beS ÖebenS gehörten: ©e= 
treibe, Sein, Vieh, wäfe, Satj, Sdjmatj, Butter, Jüeber, ©lalj, 
Bier, Hopfen, gefallene Sifche foflett bom 3oEe gänjiidj unberührt 
bleiben. Bott ben genannten ©egenftänben heißt eS in ber Vor; 
läge: „(diese dinge) sollen darümb, das solche stugk zu aynes 
jeden gebrauch, er 6ey reich oder arm, noturftig sein vnd 
derselbn nit entbern kann, in obgemeltem gemainen reichs 
zoll dermassen außgescHlossett sein, das solcher zcol von allen 
vnd itzgemelten ausgeschlossen stugk nit gefordert, genomen 
oder gegeben werden fol“. Sitte anbern haaren, aÜeS fiauf; 
mannSgut fofle DerjoKt Werben. E8 hanbett jt<h hier aber um 
reine ginanjjölle, ber ©ebanle beS Schu^jotteS tag jener Seit 
fern, unb bie obigen fttuSncihmen abgerechnet war eS bottfommeh 
gleichgültig, wörauS bie Dertriebene SBaare beftanb. Sie paffirenben 
©üter Werben gleid^tna^ig nicht nach bem ©ewidjte, fonbern 
nach ihrem Sttevthe befteuert unb jWar mit 4 V r ocent. Ünb 
wenn etliche Saufleute, he*Bl & weiter, geltenb machen wollten, 
ba| fie mehr, als anbre BebötferungSflaffen, bUrd) folgen Sott 
bejdjwert würben, fo ift ihnen ju entgegnen: ba| nicht ber ßauf; 
mann, fonbern auch ber Käufer ben Sott ju tragen hat, fötefjen 
aber, 5ie ba einWenben, baff ber $aiibet leiben werbe, ift Dor; 
juhalten, ba| man ben Soll Snftituten jufommen taffe, bie 
fRecht unb Trieben aufrecht hätten follen uttb fomit bem $anbet 
Vorfdjub geteiftet würbe, ffiaum fei anjttnehmen, bah ber Käufer 
fich an ber Dbrhättni|mä|ig geringen Stuflage fto|eti werbe, 
benn wer einnial etwas für 25 ©utben faufen wolle werbe 
es nicht im Stiche laffin, wenn eS 26 ©utben lofte. Ünb 
urit fb erträglicher Werbe bie Auflage Wörben, als man biS= 
her gebulbet habe, ba| reiche Kaüfleute unb KaufmannSge; 
fettfehaften tßaarett in ©taffe auf tauften unb bann ben JfkeiS 
in bie $ö£|e trieben, jefct aber biefeS ©tonöpolifiren ber Sßaaren 
ftreng Derbieteh Wolle uttb baburch Diele ©egenftänbe bebeutenb 
billiger als früher ftetlen tönne. ©Sem aber trofebem bie Be* 
fteuerung ju hoch örfcheine, ber tönne fich immerhin ber feuern 
©enfijfe enthalten, ba baS jur Sebfu$t unmittelbar ©othwenbige 
unDerjottt bleibe. $uct) fatte nicht bie ganje Schwere beö SotteS 
auf ben beutfehen Kaufmann, auch ber gtemoe, btt Sßaaren 
importire, helfe birect ben 3o0 jü trage« unb bie nidjitbeutjchen 
Kaufleute würben gewiß nicht ben beutfehen ©tarft in Sulunft 


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4 


Nr. 27. 


Sie «egenamrt. 


meibett, bentt biefeS Abfafjgebiet fei iljnen Diel p mistig, um 
beSfelben enträtselt ju,tonnen. — Ter fotgenbe Abfhnitt beS 
©ntwurfeS' befhäftigt fidj mit bei Aufteilung bet SeihSgrenje 
unb berjenigen Drte, bie p Boflftätten in AuSfiht p nehmen 
finb. ©egen Ungarn ift bie ©renje burch dli&Sburg, 2Bien, 
©rag, SSillatS unb Xeroifo beftimmt, gegen granfreicf) burch 
Aachen, dRefc, Trier, ©aarbrücfen, Speyer unb Strasburg, gegen 
Stalien-, burdi) Sittah, Xeroifo, Orient, SnnSbrud, gelbfic*h 
unb ©hur, Segen ben mailänbifhen £anbel burdf bie ©hweij: 
burch Thann im Dberelfafj, DtmarSheim unb $apSheim, gegen 
ben portugiefifhen unb englifc^en $anbel burch Staren, Köln, 
Utrecht, dliebetwefel, üujemburg, Antwerpen, Sergen op Boom, 
Srügge, Torbreht, enblicE» gegen Tänemarf unb Solen burd) 
Hamburg, üübed, Softod, ©tralfunb, ©reifSWalb, Stettin, Kol: 
berg, Tanjig, Königsberg, grauffurt unb Setfhau in ber Saufifc. 
Tiefe ©renjen fotlen aber erft nochmals bereift toerben, ehe 
befinitoe Seftimmungen aufgeftettt werben. 

Ter größte unb roihtigfte Xheil beb ©ntwurfeS befhäftigt 
fi d) mit ber grage, wie bie Boderhebung einjuri^ten unb ©Sport 
unb 3mport p überwachen fei. Sei ber Seurtfjeitung ber alten 
SerlehrSoerhättniffe bürfen wir atterbingS nicht ben dRafjftab 
beS S eut *8 en Transportes anlegen. Tie heutigen SertehrSmittel 
beftanben natürlich noch nicht ober nur fehr unootttommen. TaS 
Softwefen lag in feinen attererften Anfängen, hotte hoch erft oor 
fechS Bahren Kaifer dRajimilian burch granj öon XajiS bie 
erfte (Srief=)Soft pr Sereinigung feiner fo weit getrennten 
Srooinjen jwifchen dBien uub Srüffet anlegen taffen. Som 
SBaarenoerfehr burch bie Soft war bamalS natürlich gar nicht 
bie SRebe, ber $anbwerfer arbeitete ftitl p $aufe, ber Kaufmann 
fammelte SSaaren unb bejogj aisbann mit bem beften Xheile 
beS SBaarenlagerS bie dReffen.^.Um ungefährbet auf biefeiben 
gelangen p tonnen, fammelten (ich bie Seifenben. ©teich einer 
Karawane jog ber äßaarenjug prn Drte ber Seftimmung, ge- 
fchüftt burch ein gähnlein Seifige. Tenn bamalS war bie Un: 
ficherheit, befonbers in Teutfchtanb, eine fehr grohe. Ta fich 
alfo ber SBaarenoertrieb auf einige Beitpunfte befchränfte, fo ift 
eS natürlich, baff auch ber SBertj) beS TranSportirten ein ganj 
bebeutenber war unb bah eS ber Kaufmann für ber dRühe mertt) 
fanb, bie ©enbung entweber felbft p begleiten ober feinen gactor 
mitjufchicfen. gür Heinere ©efhäfte übernahmen ©ommiffionäre 
bie SSaaren oerfhiebener ginnen. Sei foldjen Iransportoer: 
hältniffen ift eS nun nicht Schwierig, bie folgenben Bod: unb 
ßontroleoorfhläge p oerftehen. ©obalb, helfet eS in ber Sor= 
läge, äBaaren bie ©renje paffiren fotten, h at ber Kaufmann fich 
bei bem ihm nächften Bodoorftanbe p melben unb fich über feine 
Serfon auSpmeifen, fowie anjugeben, auf Weffen Sifico er honbele. 
hierauf hot ber äBaarenführer einen ©ibfchwur p leiften, bajj 
er alle haaren an bie richtige Bottftätte bringen unb bie ihm 
Dom Büdner angegebenen ©ummen innerhalb oier SBodjen jaljlen 
wolle. @r hot, wenn er feine eignen SBaaren führt, ein eigen« 
hänbigeS Setjeichnih, ober für ben gatt, bah ev iw Aufträge 
Anbrer geht, eine Don feinen Auftraggebern glaubhaft auSge= 
ftettte Tedaration feiner äBaaren oorjujeigen unb p fhwören, 
ba| « uur in bem genannten Aufträge reife unb Weiter feine 
©üter führe. Ueber folche ©ibteiftung wirb eine Urfunbe auf: 
genommen, bie für ben Setreffenben in fpäteren gäden binbenb 
unb legitimirenb bleibt. SBenn aber Weber Kaufherr noch 
gactor ben äBaarenpg begleiten, fo fod ber Kaufmann bem 
guhrmann ober Schiffer einen beglaubigten Ausweis mitgeben, 
worin er bie Bohl ber aufgelabenen Saden angibt unb erflärt, 
im Serlaufe eines dRonatS felbft pr Bodftation p fommen 
unb ben Bod p erlegen. Ter Büdner fod bie SBaaren na<h= 
jäljlen unb bezeichnen, wieoiel et p forbern höbe. — äBeiter 
hot ber Kaufherr ober fein gactor bei bem Büdner eiblich an= 
pgeben, wie hoch ber äBerth feiner äBaaren geftanben höbe pr 
Beit ber Serlabung. Tarnach fod man bann ben Bod bemeffcn. 
©S ergibt fich auch auS anberen Serhanblungen, bah h'^ eine 
Unterfnchung ber SBaaren pr ßontrole ftattfinben ober wenigftenS 
geftattet werben fodte. 3m gade eines SetrugS wirb mit äBeg« 
nähme ber gefdjmuggelten ©üter gebroht unb ber §anbetSf)err | 


hot ben ©hoben p tragen. — Ter Büttner aber fott Such über 
bie paffirenben SBaaren führen junb Tatum unb Samen beS 
Sefi^erS oerjeichnen. Bu feiner ©ontrole wirb ihm mit gleichem 
Aufträge ein ©egenfdjreiber gegenübergeftettt. ^Seiber Sehnungen 
fotten aisbann gelegentlich ber Ablieferung beS ©elbeS oer* 
glihen gerben. * 

An ber ©pi^e biefeS ganjen BottWefenS fotten fehü Bott: 
einnehmer fielen, bie aber niht lebenslänglich erwählt finb, 
fonbern jeberjeit erfefct werben tonnen. TaS ©ottegium biefer 
Seamten fod jufammengefeht werben auS je einem ©rwählten 
beS Kaifers, ber Kurfürften, ber gürften, ber Saaten, ber 
©rafen uttb Herren unb bet ©täbte. Tiefe Dberjodbehürbe fod 
beim Segimente oerjammelt fein, fod unter beS lefeteren Se- 
fehle ftehen unb bemfelben Sehenfhoft über ©innahmen unb 
Ausgaben oblegen, baS Regiment hot bie Setfügung über bie 
©intünfte. Büdner unb ©egenfdjniber fotten an Quatember mit 
ben Bottoorftehern abrehnen. — Tie ©innahmen bürfen nur 
oerwanbt werben pr Unterhaltung beS SegimentS, beS Kammer: 
gerihts, ber Kreishauptleute unb KreiSräthe, pr Sottjiehung 
ber gefprodjenen KammergerihtSurtheile, pr Aufrehterhaltung 
beS ©eleiteS unb ©rftattung ber ©eleitsbrühe, pr ©rrihtung 
ber Bodftätten unb ©rljaltung ber Boflbeamten. Sier Bottbe: 
reitet fotten unaufhürlih bie ©renjen bereifen unb mit bem 
Sathe ber ©täbte, in benen ber Bott errichtet ift, pfamtnen bie 
Bütte reoibiren. TaS Regiment enblih hot bem SeihStage Sebe 
unb Antwort über ©innahmen unb Ausgaben ber ©intünfte p 
ftehen, ber Seihütag bedjargirt baS erftere. Aenbemngen an 
ber Bodorbnung bürfen nur oom Segimente auSgehen. 3« ben 
folgenben Abfhnitten befahl fih bet ©ntwurf mit ber Art unb 
SBeije, wie bie ©eleitsbrühe, b. h- bie burh Saubanfätte auf 
geleitete Kaufleute entftanbenen ©höben p erfejjen feien unb 
beftimmt, bah ein Xheit beS ©habenS ooh ben gürften, unter 
beten ©eleit ber Seraubte geftanben, ein Th e ^ burh baS 
Regiment p tragen fei. Weiterhin wirb feftgefeftt, bah * e » n 
©tanb Dom Bode auSpnehmen ift, ber Bott felbft aber ben 
Samen: „römifcher kaiserlicher majestat und deß heiligen 
römifchen reiche gemejner ftend zoll“ tragen fode. Ueber bie 
Beit beS SeginnS ber Botterhebung fott noch berhanbelt werben, 
febenfatts foUe, ehe er in Kraft trete, in ben gewerblichen ©töbten 
eS angefhlagen unb öffentüh oerfünbet werben. 

©oroeit ber ©ntwurf. AIS ber ©rjherpg gerbinanb ihn 
bem Seihätage oorlegte, muhte er jugeben, bah er gegen ben 
SBitten ber ©täbte oerfaht fei. Tie ©täbte, weihe Kaufmann: 
ftanb unb $anbwerf gan§ allein oertraten, waren, jumal fie in 
lehter Beit burh dürften unb Herren oielfah gefränft worben 
waren, in feiner SBeife gefonnen, fuh ben Bott gefallen p taffen. 
3eboh war für fie, bie im Stegimente unb SteihStage burhouS 
in ber dRinberheit blieben, fein anberer SBeg Dorhonben, baS 
©efürhtete p hintertreiben, als ber, ben Kaifer p bewegen, 
ber Sorlage feine Buftimmung p üerfagen. Auf bem SteihS: 
tage, ber in\ Tecember 1522 pfammentrat, erHärten fie baher 
ihr dRihfaden am Sorgefhfogenen, legten aber bie ©ntfheibung 
in beS KaiferS $anb, ber junähft nohmalS p fragen fei. 3m 
SeihStagSabfhieb gab man bieS p unb berief eint neue Ser: 
fammlung pm 13. Soli 1523. 

Unb nun begann hinter ben ©onliffen eine dBettbewerbung 
um beS Kaifers Buftimmung. Tie gürften fanbten ihm ben 
©ntwurf ein, bem er fih geneigt jeigte. Aber bie ©täbte liefen 
ben Herren ben Sang ab: auch fie fanbten eine Sotfdfaft an 
ben Kaifer, bie im Auguft in Sattabolib anlangte unb ihr ge: 
lang es, mit weihen dRitteln bleibe bahingeftedt, ben hohen 
sperren umpftimmen. 3m Tecember traf bie ©efanbtfhaft 
wieber in Sümberg ein. ©erabe eben hotte man fih p einem 
neuen Tage bafelbft oerfammelt, bie Bufammenfunft im 3«li 
war niht p ©tanbe gefommen. SBieberum brachte ber ©tatt: 
haltet beS Kaifers in ber SeihStagSpropofition ben Seihüjott 
in Anregung, nohmalS legte er ben ©ntwurf beS nötigen SeichS: 
tagS oor. ©r melbete, bah nnt dRihoeliS ber Termin, bis p 
welchem ber Seihütag bem Segimente unb Kammergerihte Bu« 
fhüffe jugeftanben, abgelaufen gewefen fei, bah man bie 3nfti= 

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Nr. 27.' 


Sie «Segeitntjtri 


5 


tute in ben lefcten SRonaten auf eigene Soften erhalten pabe 
unb nun bet taiferlidjen Botfdjaft entgegenfepe, bie bie (Ent= 
fcpeibung bringe. Die ©täbte aber im Bewufftfein ipre8 foeben 
am laiferlicpen $ofe erfochtenen Sieges traten in lebhafter 
Oppofition ben gürften unb Herren entgegen unb reiften eine 
auSführlidje (Erwiberung ein. Diefelbe ift fepr heftig gehalten, 
oerwirft ben ißlan bet Befteuerung burdjau3 unb beginnt fo= 
gleich: „der furschlag dieses zolls ist sogar beschwerlich, vn- 
traglich vnnd ynleidlicb, das er, wo er in wurkung vnnd Voll¬ 
ziehung komen sollt, dem grosen teil der ftannd, zuuor aber 
der erterrn frey vnd reichstet ganntz verderblich sein wurde, 
wir achtenn auch für vuzweifenlich, ob woll sollicher hoch 
beschwerlicher zoll furgenomen vnd angefaugt werden sollt, 
das der aus villerley vntreglichen vmbstennden nit hpftenn, 
sonder mit nachtail, schadenn, spot vnnd schimpf des heiligenn 
reiche nachvolgend aus der not widrumb verlassen werdenn 
must.“ — Der erfte (Einwanb ift ber, bah eS überhaupt in 
Deutfdjlanb genug Böße gebe, bom 2ecp bis nach Antwerpen 
habe man ungefähr 40 3<>Hf f ationen jn paffiren, alfo fei eine 
äftinberung, nicht eine üfteprung oorjunepmen. ©erabe im lebten 
Baprjepnt« feien am Rheine, in ber Bfalj, in ber 3Jtarl, in 
$effen unb kapern biele neue 3öße errichtet worben. Der ge- 
meine SRann fei bermalen feljr erbittert über bie ihm auferlegten 
Saften, nur Wenig gehöre baju unb eine groffe Empörung lönne 
entftepen. So Werbe nicht (Einigfeit, noch Trieben burch bie 
neue Auflage, fonbem Unruhen unb 3wicfpalt im Reiche wach- 
gerufen werben. — ©er benft piet nicht an bie ©ocialbemofraten 
beS 16. BaprpunbertS, an bie Säuern, in beten Greifen, bei 
untlaren potitifdjen unb religiöfen ^been über einen ju be= 
grünbenben 3«t«nftöftaat, eS bamalS gerabe gewaltig gäprte? 
Unb wer hält bie Befürchtung ber ©täbte unbegrünbet, bie ba 
Wähnen, baff burch ben 3oß Biele in baS Saget ber Unju: 
friebenen getrieben unb gewaltfame Mu3brücpe ber Seibenfdjaft 
gejeitigt würben? — 3öße auf ben Import non ©aaren, f»eifet 
eS Weiter, würben möglicher ©eife SRepreffalien frember gürften 
petborrufen, bie in ihren Sänbern bie Einfuhr aus Deutfeh: 
lanb auch bejteuern würben. Unb wenn man eS bann auch > n 
ber #anb habe, ben ReidjSjoü wieber balb aufjupeben, fo fei 
ei aisbann boep fraglich, ob bie fremben Regierungen ihren 3oß 
wieber abfteüen würben unb ob nicht bauentber ©djaben b.em 
$anbel erwücpfe. Den hanbeltreibenben Deutfchen aber, bie in 
fremben Sänbern angefeffen, fdjaffe man eine fchlimme Sage, 
inbern man fie ber Raclje ber burch ben 3oß beeinträchtigten 
gremben auSfefce. — Der §anbel, ber bisher nach Deutfchlanb 
getrieben worben, werbe möglicher ©eife aufhören, bie fremben 
Saufleute würben genöthigt fein, neue BerfeprSwege ju fudjen, 
um ben 3»ü ju umgehen. BefonberS gefährbet fei ber Dranfit« 
hanbel, ba man bei ben gortfchritten, ber Schifffahrt alle £>e= 
bentenberen Sänber ju ©affet ju erreichen im ©taube fei unb 
an alle $aupthanbel8pläpe tommen tönne, ohne ba3 Reich ju 
berühren, Bn biefer Richtung pabe man am Rhein unb an ber 
Donau in tleinerem SRaffftabe fchlimme (Erfahrungen gemacht, 
wo man bie Saufleute burch 3öDe berfdjeucpt unb fpäter nur mit 
8Rüpe ben alten Bertehr wieber perbeigejogen habe. — gebeS* 
falls würbe eine feljr bebeutenbe Betreuerung ber ©aaren ein: 
treten, entweber baburcp, bah bie $anbelsleute ben Boß auf bie 
Staate fdjtügen ober baff überhaupt fein birecter $anbel mehr 
nach Deutfchlanb getrieben würbe unb bie Deutfchen burch Unter: 
pänblet p taufen genöthigt würben. Um bie Bertheuerung ber 
©egenftänbe p beweifetr, Werben einige Beifpiele gewählt. (SinS 
ift bem ©eberpanbwerle entlehnt: einer ber bißigften $anbel8= 
gegenftänbe, peifft e3, fei bie ©olle. Sauft nun ein ©eher für 
28—34 (Hülben rohen Stoff, ben er fpinne unb p Barchent 
mache, fo erhalte er einen fogenannten garbeH. (Sin garbeß 
Ulmet Barchents werbe bis p 100 (Hülben bepljlt. ©erbe 
nun bie ©oße eingeführt, fo tofte fie p 34 ©ulben berechnet 
1 Vs ©ulben Bott, werbe ber garbeß Barchent auSgeführt, fo 
japle er 4 ©ulben ©teuer, alfo werbe bie ©aare um 
5V S ©ulben »erneuert u. f. w. — Die meiften Saufleute befuchten 
oon auswärtigen äReffen bie ju Spon, Benebig, glorenj unb 


©enua. Mn aß biefen Orten feien jährlich jwei SRärfte, fo 
hätten alfo bie Sauflette für ausgeführte ©aaren jährlich 
minbeftenS 16 fßrocent p japten. — Der Import werbe aber 
gewiff auch gefdjäbigt Werben: ©adjS, RaucpWaaren, fdjwebifcpeS, 
ungarifcpeS unb böpmifcpeS Supfer, ©olle unb Binn aus (Eng= 
lanb würben fichetlich nur noch in geringer Stenge eingeführt 
werben. Bei folgern Rüctgang beS §anbels würben bie ftreb: 
fameren #anbwerfer unb Saufleute ein Sanb oerlaffen, bas fic 
fo befchränte, bei ber Bertheuerung oieler ©aaren aber auch 
ber gemeine Stann leiben, benn bas Duch p feinen Sleiberit, 
bie ©pejereieu p feiner Soft unb Mrjnei unb oieleS MnbereS 
müffe er theurer bejahten. — Mnbere Böller hätten auch Böüe 
errieptft, aber nur für frembe ©aaren (©djupjotl!), bem in= 
länbifdjen Saufmanne einen Boß aufjulegen, ohne bah bie 
anberen BeüöIferungSflajfen ganj glei^mä|ig mit befteuert würben, 
fei nur in bem gatte erlaubt, Wo bie ©inlünfte ju ^»anbelS- 
jweefen benupt würben, b. h- jut ^erftcllung oon BerfeljrSmegen 
unb jur Befferung beS ©eleiteS. Der ©ntwurf berühre ja 
auch bie grage beS ©eleiteS unb beS SrfapeS ber ©eleits-- 
brüche, aber er biete leinen Bortheil gegen früher. Beber 
SanbeSperr fei oerpflichtet, in feinem ©ebiete ©eleit ju geben 
unb Stäben burch ©eleitSbrudj ju erfepen. Ob nun bet 

'SanbeSfürft bem Regiment einen feiner Sorge übertrage 
ober nicht, fei im (Effect einerlei unb für ben Saufmann gleich 1 
gültig. Rach ü?ie bor müffe man ben SanbeSperren ©eleitSgelb 
japlen, Woju alfo noep bie ReicpSabgabe? Bielmepr würben 
bie bispet jiemlicp einfachen Berpältniffe burch bie Abmachungen 
im Regimente nur Oerwidelter unb ber (Erfap etwaiger Ber: 
lüfte jweifelpafter. Durch bie Betanntgebung beS BeftimmungS: 
orteS ber ©aaren werbe auch ben Drängern unb Bladent 
ber ©eg gewiefen, auf bem fie biefelben fidjer fänben. — Bebes- 
faßs würbe auch bie ©röffe beS Reiches bas ganje Unter: 
nepmen äufjerft loftfpielig machen. Deutfchlanb fei leine Srtfel, 
beren Mbfperrung leicpt fei. Dem Schmuggel unb Betrug würben 
Dpor unb Spür geöffnet fein. — 3« fagen, ber Deutfdje tönne 
eper bie ©aaren bet gremben, als biefe baS ©elb ber Deutfchen 
entbehren, fei eine tpöriepte Bprafe. Das Umgeteprte fei auep 
ber gaö: benn gerabe oom $anbel mit ben gremben hänge bie 
(Ejriftenj oieler B^länber ab, fie werbe in grage gefteßt, wenn 
ber $anbel eingepe. — Daff MUeS unbefteuert bleibe, was jur 
täglichen Rotpburft gepöre, baS fei „an im selbst aller vemunft 
nach pillich vnnd recht“; aber bie gürften unb fperrn pätten 
ja gewiff reept wopl gewufft, warum fie biefe ©egenftänbe auS: 
napmen, weil bei ber Bertheuerung beS Rotpwenbigften burep 
3öße bie ©teuetfäpigltit ber Untertpanen gegenüber bem SanbeS: 
perten geminbert würbe. ÜJtan täuföpe fiep aber, wenn man 
glaube, baff unter ben neuentftepenben Berpältniffen ber Sauf: 
mannftanb aßein gefepäbigt würbe, es werbe oielmepr, wenn 
bem groffen, mitttern unb tleinen §anbelSmanne ber Berbienft 
gefcpmälert würbe, wenn bie tüchtigeren Sräfte fiep jur MuS: 
wanberung gejwungen fäpen, baS ganje StaatSwefen einen fcpweren 
©cplag erleiben unb bie 3oßotbnung jur Berrüttung alles $anbels 
unb ©anbels führen. Audj ber gürften ffiinlommen, foweit es 
in 3ößen, SRautpen unb Muffdjlägen beftepe, müffe fiep minbern 
unb ber Reidjtpum unb baS Betmögen werbe Oon Deutfdjlanb 
auf anbere Böller übergepen. Die Bewopner beS heiligen römifepen 
ReicpeS würben, in biefer ©eife ju ©runbe gerichtet, niept mepr 
fähig fein, ihren Berpfficptungen gegen Saifer unb Reich na( P' 
julommen unb ©mpörung unb Uneinigleit würben beS BofleS 
golgen werben. „DieweU nun,“ fdpliefft bie ganje (Entgegnung, 
„die jhenen als die ftet, fo fich des reichs vnnttertenigkait 
vnnd gehorsam dinsllich vnd erschießlich yedesmals erzaigt 


haben vor verderben vnnd schaden (welchs dann nit mynnder 
kayserlicher majestat vnnd dem reich auch zu nachteyl raichen 
würde) verhuet vnnd bewart werden sollen, fo ist der stet 
vnntertenigst zuuersicht, kayserliche majestat vnd annder reich- 
stennde werden die zurtrennung vnd den merklichen nachteyl 
des heyligen reichs der auß diesem vber beswerlichem ver¬ 
derblichen zoU gewießlich eruolgen wurdt mit den gnaden 
zu hertzen furen, das sollicher vnwiderbrengUcher gewieser 


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6 


. Nr. 27. 


i 


9 


ID i t (SStgengrart. 


schad vnd also die stet vor sollichem vnzweyfenlichen ver¬ 
derben verwart vnd fieschirmbt werd§n.“ 

(Diefe öntgegnung ber Stabte be}eidjnet ben entfcfjeibenben 
©Senbepunft in ben SReidjStagSoerhanblungen über biefe grage. 
(Sine Sleplif feiten? bpr grepnbe be? fdjeint nic^t oer= 

fucht worben }p fein. 3e^t trqf btelmehr ber ©otfcijafter beä 
Äaiferd mit ber längfterwarteten ©ntWQpt feinet §errn h«öor. 
@8 Wat 3<>hon? $annart, ber im ©uguft 1523 Oop JBaflabplib 
au8 nad) (Deutfdjlanb abgefertigt worben war unb ber nun in 
Nürnberg por ben Stpnben erfdjien. Sn feiner Softruction 
hiefj e?: ber Saifer habe atlerbipgl ftfjr gewännt, bem Stegimente 
unb SteidjSgepichte burd) eine fefte ©innahptequefle eine gefiedertere 
Stellung }u o erraffen, bodj lange ihn feiten? ber Stabte 
glaublich an, baff ber 3°ß ein Verderb für allen $anbel fei 
unb ©Biber Wille, ©ufruhr nnb ©mpörung burd) ihn entfielen 
werbe. Sr aber at? ftaupt bei Steichf? |abe badin }u ipirfen, 
ba| Siede, ©inigfeit unb greunbfdjaft unter ben ©liebem be8 
9teid)e8 erdalten werbe, brum habe er 3- fjannart gefanbt, um 
in ben fedwebenben fragen ju oerdanbeln. Sßor ödem foQe 
man über die ©rt unb 9Beife nadjbenfen, wie Regiment unb 
ffammergeriedt auf eine ©Seife tönne erdalten werben, bie allen 
Stänben leiblich fej. Sem oorgelegfpp 3oüentwürfe, ber ben 
Stübten unleiblidj erftdien, Oerfagp er feine ©eiftimmung. 

So war ber ©lan eine? 9teicd?grenjioHe? an ber Dppo= 
fition ber ßattfmapnfchaft geheitert. Steue ©orfchläge in gleicher 
ober in anberer Sichtung, bie bie feKflftänbigere (Srdaltung ber 
Seicdlinftitnte bejwecften, tarnen nicht jur ©erathung. ©tan 
blieb bei ber bisherigen SDtatricutarumlage fteden, die man auf 
Inifer und Stände bertdcilte. Unb fo lautet benn bie au? bem 
SteichStagSabfdjiebe oom 18. Stprit 1524 dergedörige Stelle: 
„nach dem vns auß yiel beweglichen vrsachen vnd ansuchen 
nicht ftlr gut vnd fruchtbar angesehen hat, daß wir den ge¬ 
meinen fürgenommpnen reichszoll, zu Vnderbaltung friedens 
vnnd rechten;, dfßmals auffrichten lassen sotten, so haben wir 
durch obgedachten ynsem gesandten oratorn an churfursten, 
furften, prelatep, graffpn vnnd stünde gnSdiglich begehren 
lpssen, andere mittel vnnd weg zu vnterhnltung regimeuts 
vnnd cammergerichts zu suchen vnnd zu bedencken. Dieweil 
sie aber nach vielgehabtem fleiß, dißmals keinen ziemblichen 
fuglichen oder leidlicberp weg finden mögen, fo haben fich 
gedachte vnser Statthalter vnser orator auff vnsern ihnen ge¬ 
gebenen gewalt. vnd befehl mit vnsern deß reichs churfursten, 
furften vnd stunden nachfolgender vnderhaltupg regimpntp vnd 
cammergerichts, zwey jahr lang, die nechften freundlich vnd 
gutwillig verglichen vnd vereiniget, nemlich «faß churfursten, 
furfteq vnd stunde vns zu freundlichem vnd vpterthfinigpm 
gefallen die vnderbaltung vnsers regiipents vnd cammerge¬ 
richts im heiligen reich durchauß zum halben theyl, die ob- 
gedachfen zwey jahr auß vn4 wir als rögnfeher kw ser deu 
andern halben theyl regiwents vnnd cammergerichts, darinn 
vnser büufer, Oefferveich vnnd Burgund, mH ihrer gebllrlfchen 
aufflegung gerechnet werden» yndemftlten vnd verlegen gellen 
vnnd wollen.“ 


Literatur mtfc 


3wei Siegten Der liebe Des <M. 

®cut(cf) Don ßermann ©elfdjläger. 

n. 

Die Ungetreue. 

gort piit ben ©feilpn, fupibp! $>a8 hat feine Sieb? Otrbiept noch, 
$aff ptan fp oft nnb fo beih wünfcj)te jn fterhen bamm. 
%flno<h ift Sterben mein ©Bunfd), wann immer ich beine? gebenfe, 
SRäbchen, geboren bn mir nur an beftänbigem Seib. 


3tidjt ein ©rief, ber' }ur £anb mir fam, b fl t bid), galfd)e, oer= 

'• ratfien, 

9tid)t ein geheimes ©efdfenf hat heine Schulb mir bejeugt. 
©Bär’ mein SeweiS bod) fo nichtig! ©ern gab’ ich bie Sfr>gc 

nerloren! 

©Sei)’ mit* ©rinen — warum bin ich fo fel)r auch im Siecht? 
©lüdlid) ift, ber bie ©eliebte auch offen oertheibigen fann unb 
(Cent fie }u fagen nur braucht: „Sefter, i^ hab’8 ni^t gethan!" 
Sifern aber ift bet unb im ©rimm nicht feiner mehr mädjtig, 
2)er fich nach blutigem Sieg über bie Schulbige fef(nt. 

Sah *d)’ ä mit nüchternem Äug’ hoch, ich ®rmet (bu glaubteft 

mich fchlafenb),* 

SBaS ihr beim funfelnben SBein frech unb »erbredjerifch triebt: 
SEBie ihr fo ©ieteä euch fagtet, bie ©rauen bebeutfam bewegenb, 
SOTe ihr bie ©Sorte berebt legtet in 3eidjen unb SEBint. 

Saut au^ fprachen bip ®ugen, e8 fprach felbft ber lifch, ben 

mit SBein ihr 

gfpijjig befchriebt, unb ich f a h Settern, oom ginger gemalt. 
Unb fo oerftanb ich 9° r mohl bal ©efagte, fo fein es gefagt war, 
Unb ben heimlichen Sinn, ber burd) bie ©Sorte fiel) jog. 
Spät fd)on mar el; Oom Sifth war ütRandjer ber ©äfte gegangen, 
©actfjuS auch h°tte bereits 3Ranchen in 6<htumrfter gefenft. 
S)a npn fühlet ihr euch, *h r Stechen; ich f°h feine Sippen, 
SRücfwärtS gebogen bein $aupt, feft auf bie beinen geprefjt. 
Sticht, wie Schweflern oott Siebe ben ©ruber, ben ernfteren, füffen, 
Stein, wie ben buf)lenben SDtann lüffern bie Siebfte umfdjlingt. 
Sticht, Wie bie feufdje ®iana ben leud^tenben Jüngling ©poüo, 
©ber wie ©enuS ben SDtarS ficher recht häufig gefügt. 
„$alt!" auffdhrie ich, „»a* tl)uft bu? SBem opferft bu greuben, 

bie mein fiqb? 

Sch bin ber £>err unb bie $anb leg’ ich au f meinen Scfifc. 
3)ie8 ift gemeinfameS ©ut, ift mein fo gut wie eS bein ift, 
Unb fein (Dritter fürwahr bränge fich fteoelnb hier ein!" 
©Ifo fpradj ich unb mal ber Sdjmerj fonft Weiter mir eingab; 

©ber ber Sünberin trat purpurn bie Scham ins ©eficht. 
So, wie ber Fimmel erglüht, bon ©ntoraS Strahlen getroffen, 
Dber bie ©raut, bie fdjeu ihren ©erlobten umarmt; 

So wie bie Stofen erglülj’n unter Silien, ober wie SunaS 
glamntenbeS 3aubergefpann fteigt in ben ©ether empor; « 
Dber wie ©Ifenbpin, baS, eh’ mit ber 3«it es oergelbe, 

‘ ©ine ptäonifdhe grau forglich mit ©urpur gefärbt. 

©an} fo ober bodh einer ber garben höchft ähnlich, fo ftanb fie 
Unb ich hülle noch nie, nie noch fie fchöner gefeh’n. 
©rbwärts fchlug fte ben ©lief — wie be}aubernb, Ooü Stege unb 

©nftanb! 

Schmer} umfloh fie — wie feljr h“l boch ber Schmer} fie 

oerfdjöntl 

Sieblich umwallten ihr }arte8 ©eficht bie geringelten Soden — 
Soden unb ©langen — fd)on h°b brohenb bie ^anb ich 

nach euch- 

(Doch als ins ©ntlif} ich f a h ber fo $olben, ba fanfen bie ©rme 
Unb mit ber eigenen ©Sehr hotte fie gut fich befdjüfct. 

Sch, noch eben ergrimmt, ich fatn bemüttjig unb flehte: 

„@ib nur, o ©eftc, b gib fchlechtere ®üffe nicht mir!" 

Upb fie lachte unb gab mir oon §er}en bie beften: für foldje 
©äbe ber }ornige 3euS felbft feine ©lifce bahiu. 

(Doch jefet quält mi^ bie ©ngft, es habe auch Scner fo füfie 
Äüffe empfangen — ich miß, Witt eS nicht haben, beim 3<u8! 
(Denn oiel beffer, als,felbft ich ft e Ith 1 ^» maren bie Äüffe 
Unb was SteueS, fo fdjien’S, h°be Jba}u fie gelernt. 

(Dah fie }u fehr mir gefielen, ift fchlimm, auch, bah beine Sippen 
©an} in ben meinen nnb gan} meine in beinen geruht. 
(Doch üid)t beflag’ kh bie Äüffe allein, bie fo }ärtlich bu fühteft, 
©Senn id> auch flage, ba| bu alfo }u füffen gelernt; 

Stein, boch Söffe, wie bie, bie lernen im Sdfoh nur ber Stacht ftd) — 
©3er benn als Sehrer empfing, fage, fo töfttichen Sohn? 


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Nr. 27. 


3D t e (Segen wart. 


7 


5eit jeßtt 3a))r(n. 

Sou €buarb pott Rartmanu. 

I. 

Stts ich im Sanuar 1875 auf äBunfcß bei fRebaction in 
biefen Spalten eine autobiograpßifcße Sfigge Veröffentlichte, glaubte 
id? über baS ©rfcßeinen meinet erften Hauptwerk 1868—69 
nicht ßinauSgreifeu gu foßen, weil bie burd) baSfelbe ßccborgeru* 
fenen literarifdjen Streitigteiten mit meßr ©ürgfdjaft für 0b= 
jectieität bon britter Hanb erörtert werben (önnten. ®ieS ift 
benn auch «euerbingS gegeben, foweit eS im ataßnien eines ©ffaßS 
möglich war*); wa$ aber ber Sefer biefes ©uffaßeS bermiffen 
bürfte, ba? ift »ine gufantmenfaffcnbe Äennjetdinung ber Stellung* 
nähme ber perfcßiebenen Parteien unb ©eifteSricßtungen gu meiner 
©ßilofophi», Wie fie fich als ©rgebniß biefer meift recht uner* 
quidltcßen ©olemif bis jum gegenwärtigen 3cttpunft geftaltet hot, 
unb eine Sfijjlrung ber Umgeftaltung, welche fich in ber geifti* 
gen IßhhfWünpmie ber Umgebung im Verlauf beS lebten ®ecen= 
ninmS boUjogen hot. ®enn bie beränberte Stellungnahme ber 
©egenwart gu meiner ißhilofophie ift ein ißrobuct aus jwei gacto* 
reu: auS ber ©ntwidlnng unb ®urcßbilbung, welche meine ©ßilo* 
fopßie ingwifcßen burch meine fortgefefetc fchriftfteÜerifche Xßätig* 
feit unb burch bie aus ihr erwacßfene ©olemil unb ©pologetif 
erhalten hot, unb aus ber ©eränberung in ber geiftigen Situation 
ber Umgebung; fie ift ein ©robuct aus ben flRobificattonen, bie 
im ©egenftanbe ber Äritil unb bie in ben ®iSpofitionen ber 
Äritifct botgegangen finb. ©S fei mir geftattet, in bem golgen* 
ben einen ©etfuch gn machen, burch Darlegung biefer ©erhält* 
niffe, Wie fie aus meinem ©efidjtspunft erlernen, jur Orien* 
tirung übet bie philofophifchen 3uftänbe ber ©egenwart einen 
geringen ©eitrig gu liefern, wobei ich fteiüch genötßigt bin, um 
SRachficßt &u bitten, wenn bie ©ertßeibigung ber eigenen Sache 
mir ben SRaßftab einer objectiocu ©ewrtßeilung ber gegebenen 
®hotfa<hen oerrüden foKle. 

Schon in bem Schlußwort meiner „©efammelten Stubien 
unb ©nffäße" hotte ich beftimmt auSgefprocßen, baß ich nur 
barurn ein Schopenhouerianer ber 70er 3aßre heißen Iönne, weil 
i$ zugleich ein Hegelianer unb Schellingianer ber 70er Söhre 
fei unb umgelehrt. ®iefe anfangs nur bon ©Wenigen erfannte 
Xßatfadje hot ingwifcßen mehr unb mehr ©erftänbniß gefunben. 
©m nadjbrüdlicßften trat juetft ©rofeffor ©bolf Siaffon gegen bie 
Ueberfcßäßung meiner ©erwanbtfchaft ju Schopenhauer ein**) 
unb betonte, baß meine ©ßilofopßie in tßcen ©runbtenbengen 
oon ben fpeculatinen Shftemen ScheUiitgS unb Hegels nicht wefent* 
ließ oerfeßieben fei, wenn fie fich auch in tnoberneret unb inbi* 
oibueUer gär&ung präfentire. Sn erhöhtem SRaße ift biefe ©r= 
(enntniß burch bie ©eröffentlicßung meiner „©ßänomenologie beS 
fittlicßen ©ewußtfeinS" beförbert worben; fo fanb beifpielSweife 
SRubolf non ©ottfchotl in ihr „bie Signatur eines geläuterten 
Hegelianismus" unb begrüßte fie als eine mobetne ©Sieber* 
belebung beS faft gum SRßtßuS geworbenen, »ergebenen unb oer* 
achteten Hegelianismus.***) Unb in ber ®ßat ift bie Hegel'fche 
©ßitofoßßie jeßt netgeffener als itgenb eines ber Spfteme, bie 
ihrer 3eit nicht entfernt an fRußm mit ihr fich meffen tonnten. 
SBäßrenb bie nerftümmelten gragmente jener borfofratifeßen ©3ei= 
fen, bie gum erften 3Ral ftammelnbe ©erfueße machten, bie poeti* 
fdjen gormen ber ßeüenifcßen Sprache mit pßilofopßifchem ©e* 
banfeniuhalt ju füllen, immer non Steuern bureßforfeßt unb 
gruppirt Werben, flehe« bie ©Serie HefletS unberührt in ben 
©ibliothefen, obfdjon ißröeift unfere ©efcßicßtSforfchuug, unfere 
Rheologie unb unfer öffentliches Seben als beftimmenbeS SWo* 
ment unbewußt bureßbringt. ®aß unfere Stubenten gar nicht 


, *) „®ie ©Jilofoph« b»S Unbewußten unb ihre ©egnet" tu „Un= 

ln« Seit" 1879, l. SKätjßeft @. 321-346. 

**) Sn einem (Effap in ber Zeutfcßen SRnnbfdjau 1875, Septemberheft. 
. **•) «Wtter für litetatijcße Unterhaltung 1879, 9!r. 21. 


baran benfen, in Hegels ©Serien gu lefen, barüber braucht man 
fich «<41 5« Wuubetn, wenn man bebentt, baß, abgefehen non 
bem ißhilofophietjiftoriter Äuno gifeßer unb bem ©efthetiler Sar* 
riete, bie noch nicht ©reifeuhofteu unter unfern ©ßitofophie* 
profefforen felber woßl hüchftenS einen gelegentlichen ©lief ber 
©uriofität halber h>neingeworfen hoben uub baß bie jüngere 
©eneration berfelbeu*) taum noch bie nöthtge philofophifcße ©or* 
bilbuitg befigt, um Hegels Schriften, falls fie biejelben lefen 
wollte, }u berftehen. ®enu ber ©eß^tStretS ber le|teren hört 
gewöhnlich bei ßanLauf, wenn er nicht gar feßon bon englifcßem 
©mpiriSmuS unb StepticiSmuS umgrenjt ift; ber Uebetgang bon 
^ant |x gießte unb ben biefem gu ScßeUing liegt aber fießer 
außer ißrem Hotijont, baßer benn natürlidh Hegels Stanbpunft 
ißr ein ©ueß mit fieben Siegeln bleibt. ®aS ©efdjämenbe 
unb traurige folcßer Bnftänbe, foteßer erfeßredenben Unbetannt* 
fdßaft ber berufenen Seßrer ber Sugenb mit ben ßöcßften natio* 
nalen ©eifteSf(ßä|en bebarf leinet ©etonung. ®a bürfte eS nach* 
gerabe als geitgemäß erfdjeinen, wenn eine oon ber fdjotaftifchen 
Hülle befreite ©Siebeterwedung beS Heget’fcße« ©eifteS in einer 
allgemein berftänblidjen mobemen gorm folcßen betlagenSwerthen 
Buftänben abhilft, inbem fie ben oon bem birecten ©erftänbniß 
ber Hegel’fchtn ©hilofophie oUguweit entfernten Sllobemifern ben 
©inblid in biefelbe auf einem ihnen gugänglidjen ©Sege eröffnet 
unb burch foldjeS ©orhalten beS gu erreidjenben ßieleS ben gort* 
gang beS ©mpiriSmuS, StepticiSmnS unb fReufantianiömuö burch 
ben 9teufichteaniSmuS ßinbureß gum SieuhegelianiSmuS anbahnt.**) 
Sowohl gum ÜReufidjteaniSmuS als gum IReuhegelianiSmuS 
tann bet SteutantianiSmnS feßr leicßt werben, infofern er fub* 
jectioer ober tranScenbentaler SbealiSmuS (mit ©uSfcßeibung ber 
tealiftifdjen ©lemente ber ^antifeßen ©rfenntnißtßeorie) bleibt; 
boUenbet er fieß hingegen gu bem, was er fein will, gum echten 
®riticiSmuS, fo muß er fteß gugleicß bom fubjectiben SbealiSmuS 
gum tranScenbentalen SUealiSmuS umgeftolten, unb ein folcßer 
geßt in ertenntnißtheoretifeßer unb metapßhfifcßer Hioßcßt über 
ben abfoluten SbealiSmuS Hegels ebenfogut hinaus wie biefer 
über ben fubjectiben SbealiSmuS gicßteS unb ben objectiben 
SbealiSmuS ber ScßeUing’fcßen Staturphilofopßie. ®ie ©ntwid* 
lungSftufe in ber ©efeßießte ber beutfeßen Speculation, welche 
biefem leßten Scßritt entfprießt, ift eingig unb allein bie pofitibe 
©ßilofopßie beS alternben SdßeHing, obwohl biefe meßr baS Ser* 
bienft ßat, bie Stotßwenbigteit ber Ueberwinbung H e 0 e lö unb bie 
allein mögliche ütießtung biefer Ueberwinbung ertannt gu haben; 
als baß ße biefelbe Wirtlicß boDgogen ßätte. Sollte eS in einem 
ober gwei Saßrgeßnten in ®eutfcßlanb gu einem Steußegelianis* 
muS tommen, ber einen annäßernb fo breiten Stamn in ©nfprueß 
näßme, wie jefct ber IReulantianiSmuS, fo würbe biefer leßte 
Scßritt bon Hegel gu ScßeüingS pofitiber ißhilofopßie bei weitem 
bet feßwerfte fein unter allen biefen Uebergängen, weil er bem 
©ebanten ben rabicalßen Umfcßwung gumutßet; gerabe biefe 
Sdßwierigteit aber wirb im ©orauS babureß geebnet, baß meine 
SBieberetwednng bet Hegeffcßen ©ßilofopßie bereits eine fol^e 
bom Stanbpunft eines geläuterten SRenfcßellingianiSmuS ift, 
welcße alfo H«gdS ©ßilofopßie nidßt meßr als abfoluten Sbea* 
liSmuS erneuert, fonbern als einen im tranScenbentalen fRealiS* 
muS aufgeßobenen SbealiSmuS ber abfoluten Sbee. Unb biefe 
©ufßebung gefeßießt nießt bloS in metapßhfifcßer ni«fi<ßt, fo«bern 
fie wirb bon bornßerein borbereitet burdß bie ertenntnißtßeore* 
tifeße ©runblegnng beS tranScenbentalen IRealiSmuS, welcße felbft 
wieber in formeller Hinficßl bie waßre ©vfüüuug beS bon fiant 
angeftrebten ÄriticiSmuS ift.***) 

©Senn meine Stellung gum H e 8<l>aniSmuS fuß naeßgerabe 
für baS ©erftänbniß ber 3«*tge«offen gu Hären beginnt, fo ift 


*) «aeß bem Zobt bon ©aul ©SmnS bürften ©bolf Saffon unb 
3oß. Soltelt bie ringigen ßegelifcß gebilbtten Zocenten f«in. 

») «gl. meine ©cßrift: ,,«eutantiani*mu8, ®(ßopenha«eriflui»mu8 
unb Hegeltain<mu8", 2. ©ufl. ®. 92—96. 

***) «gl. „«eutantianiSmnS, ©cßopenhauertoniSmuS ui* Hegetia* 
■UmnS", 2. ©uß. ®. 46-81, uub „Utitifcße ©nmblegung be« tranScen* 
beutalen StealiSmuS", 2. ©ufl. 


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8 


51 i e (Segenwart. 


Nr. 27. 


bagegen mein ©erßältniß ju Stelling für ißte Augen noch in 
jientließ biente Soleier gebüßt. SEBemt j. 8. 91. bon ©ottfeßaß 
am angeführten Ort auch bom leßteren rebet, fo hat er babei 
lebiglicß meine ©ejießungen auf ScßeflingS Sugenbfpftem unb auf 
bie ©ebeutung beS „Unbewußten" in bemfetben ins Äuge gefaßt, 
berührt aber in feiner SEBeife meine ©ejießungen ju ber lebten 
©ßafe ber ©eßeUing’fcßen ©peculation, welche eben nach meiner 
Meinung über $eget8 a&foluten 3bealiSmu3 ^inauönjeift. Hegel 
hatte eine große ©<hu(e gebitbet, in welcher Zentrum, Blechte 
unb Sinfe ju unterfeßeiben waren; fleht mambon wenigen hoch' 
betagten BRännern ab, fo gehören gerabe bie lebenben Hegelianer 
überwiegenb jur linlen ©eite ber Hegel’feßen Schule, ©cßeßingS 
pofitibe ©ßilofopßie hat hingegen nur einige recßtSfeitige jünger 
unb gortbilbner gefunben (ffieiße, Blotße, jum X^eil auch 3. H- 
Sichte), ohne einer Ausführung nach *entgegengefe|ter Bticß= 
tung auch nur für fähig erachtet ju werben. ®ht SinfSßegelia: 
niSmuS ift bähet ben Unterrichteten geläufig; ein Sinföfcßeüingia: 
niSrnnS gilt ihnen hingegen als ein parabojer ©egriff, an beffen 
lebenbige ffierwirflicßung fie junäeßft nicht glauben fönnen. Hier: 
bei ift noch ja beamten, baß fich bie (Elaffificirung einer p^ilo= 
fopßifdjen Scßule nach rechts unb lints feineSwegS aus pßilo-- 
fopßifcßen BRaßftäben herleitet, fonbern auSfeßließlicß nach cßrift: 
lidptßeologifcßen 9lücffichten beftimmt wirb. SEBäßrenb ber Hege: 
lianiSmuS in feiner fiinfen felbft bie mudjtigften Schläge gegen 
ben ©eftanb ber Geologie führte, fammelte fich baS Meine Häuf: 
lein ber Scheßingianer wefentlicß beShalb um bie Sahne Sehet: 
lingS, weil es unter biefem Reichen am mirffamften für ben 
eßriftiießen IßeiSmuS fechten ju fönnen meinte. @3 ift baher 
fein SBunber, baß ber ScheßingianiSmuS bei ben SinfSßegelia: 
nem unb ihren Ausläufern (j. 8. ben geuerbadjianern Äarl 
©tun unb ©ugen $üßring) gewiffermaßen in ffierruf gefommen 
ift, unb baß oon biefer Seite her jeber 8erfu<h einer SEBieber: 
erweefung beS ©cßeflingianiSmuS bureh ben ©erbaißt eines mßfti: 
feßen ObfcurantiSmuS biScrebitirt wirb, unbefümmert barum, ob 
bie ©teflung beSfelben jum eßriftiießen XßeiSmuS eine pofitive 
ober negative fei; ebenfo natürlich ift eS aber auch, baß jebent 
©ßilofopßen, ber auf ©eßefling als auf einen ber Sahnenträger 
beS christlichen E£ßei3muS mit ©eteßtung blieft, ein Bleufeßeßingia: 
niSmuS, ber fich öom ©ßriftentßum loSfagt, als ein berftümmel: 
ter BleufcheßingianiSmuS erfcheinen muß. So urtheilt beifpielS: 
weife ©rof. Biubotf Seßbel über meine ©ßilofopßie: „©ic ift ein, 
biefer inbioibueßen (Sntfteßung unb 3eitftimmung angemeffen, 
oerftümmelter BleufcheßingianiSmuS, aber befreit zugleich bon 
ben ortßobogen unb mßftifcßen (Elementen, welche biefeS Sßftem 
namentlich in feinen lefeten ffirfcßeinungSpßafen entfteßten" (®renj= 
boten 1879, Btr. 16, @. 108). ®ie ©efreiung bon ben entfteflen= 
ben mßftifcßen unb ortßobojen Elementen erfennt alfo Seßbel 
als berechtigt an, aber baß ich tiefer fchneibe unb ben ^ßeiSrnnS 
ber lebten ©ßafe ScheßingS in ben BRoniSmuS feiner erften 
©ntwieflungSpßafe jutüdwanblc, baS macht meinen Bleufeßeßingia* 
niSmuS ju einem berftümmelten. ©e ftoßen fi<ß bie (Einen 
baran, baß meine ©ßilofopßie überhaupt ein BleufcßefiingianiS: 
muS ift, ohne ju beachten, baß eS ein geläuterter fei; bie 
Änberen aber, benen ber BleufcheßingianiSmuS feßon recht wäre, 
unb bie auch eine gewiffe Säuterung beSfelben für juläffig unb 
unb wünfchenSWerth halten, nehmen wieber Änftoß baran, baß 
bie Säuterung ihnen ju rabical auSgefaßen ift unb vom 
djrifttidjen XßeiSmuS nichts übrig läßt ®ie (Einen ftolpern 
alfo über pßitofopßifcßen, bie Anbern über tßeologifeßen ©ot* 
urtheilen, bebor fte ju einer objectiben Äuffaffung unb unbe* 
fangenen ©eurtheilung meines ©tanbpunfteS ßinbureßgebrun: 
gen finb; aber beibe ®ßeile arbeiten boefj einer folcßen bor, 
inbem fie junächft baS ©ubticum mit bem ©ebanfen an bie 
SRöglicßfeit vertraut machen, baß ein Sßftem in oberfter unb 
le|ter Suftaiq BleufcheßingianiSmuS fein fönne, welches mit 
gleichem Blecht als ber voßenbete ®urcßbrucß beS ©cßopenßaueria: 
niSmuS im mobernen 3*itgeift unb als bie BBiebererwedung eines 
geläuterten H c 9 e lianiSmuS eßarafterifirt wirb. 

Auch bon ©eiten ber Scßopenßauerianer ßat fieß ein nießt 
unerheblicher Umfcßwung in ber ©teßung ju meiner ©ßilofopßie, 


freilich in umgefeßrtem Sinne wie bon ©eiten ber Hegelianer 
boßjogen. ©cßon in bem oben erwähnten Schlußwort ber ,,©e: 
fammelten Stubien unb Äuffäße" (©. 724—725) hatte ich barauf 
ßingewiefen, baß biefelben mieß bei meinem erften Auftreten 
fcßlecßtweg als einen ber Sßrigen betrachtet hatten, baß aber 
etwa bon ber 4. Auflage ber ©hü- beS Unb. an ftdß baS ©er: 
ftänbniß bon ber Svcigfeit biefer Annahme ©ahn brach unb 
namentlich in Oeftreich ft<ß eine feinblicße Bleaction gegen meine 
©ßilofopßie entwiefelte. ®iefe Bleaction ßat feitbem auch in ben 
Greifen ber beutfeßen Sdjopenßauerianer um fieß gegriffen, unb 
namentlich bie in ben faßten 1877—78 bon mir veröffentlich= 
ten BBerle („BleulantianiSmuS, ©cßopenhauerianiSmuS unb Hege- 
lianiSmuS in ißrer ©teßung ju ben pßilofopßifchen Aufgaben 
ber ©egenwart" unb „©ßänomenotogie beS Sittlichen ©ewußt 
feinS") haben ben ©cßopenhauerianiSmuS ju einem mir feinb: 
ließen H«rlager gemacht. Xßeilweife ßaben bie ©cßopenßaueria: 
ner ißr anfängli^eS BJiißoerftänbniß meiner Sntentionen mit ber 
©eßauptung ju nerbeden gefueßt, als ob icß meine ©teßung ju 
Schopenhauers ©ßilofopßie in ben nacßfolgenbei^ Auflagen ber 
©ßil. beS Unb. unb in meinen fpäteren BBerfen geänbert unb 
mieß erft bureß bie unerwarteten (Erfolge hätte verleiten taffen, 
bie Bloße eines fetbftftänbigen ©ßilofopßen fpieten ju woßen, an: 
ftatt mieß gleich ißnen mit bem Btußrn eines treuen SüngerS beS 
gemeinfamen BReifterS ju begnügen, ©on ber gänjlid^en Un= 
triftigfeit biefer Unterfteßung fann fich 3eber überjeugen, ber 
fuß bie BRüße gibt, bie erfte Auflage ber ©ßil. beS Unb. ju 
burcßblättern, benn bort iß neben ben gemeinfamen ©unften 
aueß bie ooße ©egenfäfclicßfeit meiner ©ßilofopßie gegen bie 
Scßopenßauer’fcße in aßen entfeßeibenben fragen jwar lurj aber 
unjweibeutig auSgefprdcßen, unb afle meine fpäteren (Erörterungen 
über biefen ©egenftanb ftnb nur breitere Ausführungen ober un- 
abweiSbate ©onfequenjen beS anfangs präcifirten StanbpunltS. 
AnbererfeitS ßabe icß aber aueß an ber erwähnten Steße aner^ 
fannt, baß jenes BRißberftänbniß nicßtS ÄuffaßenbeS ßat, weil 
beim erften oberflächlichen (Einbrucf bie formeße ©erwanbtfcßaft 
mit Schopenhauer fieß entfeßieben in ben ©orbergrunb brängt; 
aueß iß erllärlicß, baß in ber erften greube ber Scßopen= 
ßauerianer über einen ftäßig aufftrebenben Schößling aus ge: 
meinfamer BBurjel ißre Äritif über baS BRaß feines organifeßen 
BufammenßangS mit bem älteren ©aum borläußg nießt ganj ju 
ißrem Blechte lam. $er feit einem Suftrum in waeßfenbem BRaße 
fteigenbe Btüdfcßlag iß woßl pfpcßologifdh erllärlicß, fdjießt aber 
Sa^licß ebenfogut über baS 3iel ßinauS, inbem je|t bet Unter: 
feßieb gleich feßr überfcßäßt wirb wie borßer bie Aeßnlicßteit, 
unb baS ©erßältniß ju mir nun als ein bloßer ©egenfaß auf= 
gefaßt Wirb Wie borßer als bloße Uebereinftimmung. ©ine rußi: 
gere unb unbefangere ©rwägung wirb mit ber 3eit von felbft 
baS ©leicßgewicßt beS UrtßeilS wieber ßerßeßen, woju aßerbingS 
bie ©inßcßt erforbertieß ift, baß ber ©cßopenhauerianiSmuS nicht 
bie abfolute ©ßilofopßie ift, fonbern wie aßes BRenfcßenwerf nur 
einen relativen SBertß ßat. SEBenn ber ©cßopenhauerianiSmuS 
meinen $anf bafür berbient, baß feine Unterßüßung anfangs 
bon erßeblicßem ©inßuß für baS rafeße ©elanntwerben meiner 
©ßilofopßie war, fo glaube icß boeß anbrerfeits ben ®ant nießt 
fcßulbig geblieben ju fein, infofem baS Anfeßen unb bie ©er: 
breitung, Welche meine ©ßilofopßie gewann, von ber günftigften 
Blücfwirfung auf baS Anfeßen unb bie ©erbreitung ber ©cßopen: 
ßauer’fcßen ©ßilofopßie gewefen finb.*) 


*) ®en ©eweiS hierfür liefert ber bom 5tübial)r 1870 an, wo bie 
l. Auflage ber ©ßü- be* Unb. in ber pöße oon 1050 Sjemplaren auS= 
verlauft war, rapibe fteigenbe Abfap ber Schriften Schopenhauers, beffen 
Hauptwert (nach ben Angaben ber ©erlagSbuchßanblung in: ..ffriebtief) 
Arnolb ©rodhauS", Seipjtg 1876, 99b. II, S. 359—364) in ben beiben 
erften Auflagen jufammen in einer 3 a hl bon höcßftenS 760 Sjcanplaren 
ins ©ublicum gelangt war, unb beffen 3. Auflage .in bem Scitraum von 
1858—1870 erft jum Ißeil abgefept war, wäßrenb nachher in turjem 
Intervallen mehrere Auflagen nießt nur beS Hauptwerts, fonbern aueß 
ber „fämmtlicßen Serie" oertauft würben. 


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Nr. 27. 


3Dic (Gegenwart. 


9 


II. 

®ucp bie 3unftppi(ofophie jeigt heute ein wefentlicp anbereS, 
aber fcpmerlicp BortpeilpaftereS StuSfepen als biejenige beim erften 
Erfcbenten ber ©pil. beS Unb. Damals waren noch bie meiften 
Stetten mit älteren Herren befefct, Bor benen man fcpon ipteS 
SUterS wegen ©efpect paben tonnte; jept bat eine jüngere 
©eneration bie äReprgapl ber fieprßüplc in Seffp genommen, 
ber ein folcper ©ecptStitel nicht gur Seite ftebt. Damals waren 
jene maßgebenben ©epräfentanten ber UniBerfitätSphilofoppie 
menigßenS mehr ober minber mit ber Entwidlung ber bentfcbcn 
©pilofoppie bertraut unb batten für ben »on ihnen bertretenen 
Stanbpuntt eine geWiffe ©Bärme unb ©egeißerung, bie fie auch 
wohl ber Sugenb eingupaucpen oerßanben; je|t thront auf bem 
Katpeber bie gefliffentUche Unbefanntfcpaft mit ben bisher für 
unerläßlich gehaltenen ©erufsfemttniffen, bie fi<b gu Bornepm 
bünft, auf bie ©Borte irgenb welches SReißerS gu fchwören, unb 
es hoch nie gu irgenb welchem eigenen Stanbpuntt bringt. Da= 
mal« perrfdjte ber Dogmatismus ber oerfcpiebeneu, tpeilS Bor; 
fantifchen, tpeilS nachtantifchen Sqßeme, ber bo<h bou ber Ent= 
ftehung berfelben her noch ein gewiffeS 3Raß Bon (wenngleich 
btoö auf Sriafcpen gezogenem) Spiritus conferoirte; jept ift ber 
le|1e ©eft Bon Spiritus Berflogen* unb bloS bas „©plegma" 
(b. p. ber nicht mit verflüchtigte ©Baffergufaj}) geblieben. Da« 
mats fuchte man noch ben (Seift, ber lebenbig macht, wenn auch 
oft genug auf recht beftaubten SBegen; heute oerpöpnt man jeben 
Junten Bon ©eiß als unwiffenfcpaftliche ©pantafterei unb erfticft 
bie^SBifjenfcpaft in ber ameifenartigen Slfribie eines geifttöbten= 
ben philologif^ien ©ucpßabenbienßeS unb nactten entpirifcpen 
DpatfacpencultuS. Die Dbjectioität biefer Herren ift fo bewun; 
berungSwürbig, baß fie ihre Subjectioität faß gang abgußreifen 
oermocpt haben, bie £>öpe ihres Stanbpunttes fo erhaben, baß 
er fich mit feinem Spßem mehr berührt. Sie finb fo überaus 
fritifcp, baß atteS ©ofitioe nur noch als Object bet ftritif ein 
Sntereffe für fte hat, unb Biel gu objectiB fühl unb Bornehm, 
um fich für irgenb eine 3bee noch erwärmen gu fönnen. Die 
entfdjiebene Darlegung einet eigenen ©nficpt perhorreSciren fte 
als ©ücffatt in überwunbenen Dogmatismus, ben Sßerfuch einer 
Spftembilbung oerpöpnen fie als unfritifcpc Ausgeburt ber ©pan« 
taße; ihre Dpätigteit erfchöpft fich iw ©eferiren, Kritiken unb 
ppilologifcpen Sonjecturiren. 2Ran grünbet Sournale, tn benen 
oon allem KRögticpen gehanbett wirb, nur nicht Bon ©pilofoppie 
im eigentlichen Sinne beS SBorteS, b. p. »on fpftematifcper ©pi= 
foppie, welche bie philofophifchen Unterfucpungen auf ben Ber; 
fchiebenen ©ebieten ber Statur unb beS ©eißeS gur metapppß; 
fcpen Einheit gufamtnenf aßt; man glaubt, eine mobente Errungen; 
fcpaft bejubeln gu tönnen, wenn alle bisher in fpftematifcper Sorm 
gehaltenen ©orlefungen in rein piftorifcpe Senate umgewanbelt 
werben, ohne gu bebenten, baß bie ©efcpichte einer SBiffenfcpaft 
boch nur bann irgenb weichen SScrtp beanfprudjen tann, wenn 
biefe SBiffenfcpaft eine Wirtliche unb mögliche SBiffenfdjaß ift, 
baß aber bie ©efcpicpte „einer jefct gottlob überwunbenen Epi« 
märe" ohne allen wiffenfcpaßlicpen SBertp fein muß. 

SBaS heute Bon ber ©pilofoppie noch übrig bleibt, wenn 
man bie ©aturppüofoppie, ©fqcpoiogie unb ©eßpetit auf Statur; 
wiffenfchaft, bie ©edjtsppilofoppie unb Etpit auf Socialwiffen; 
fchaft unb Statiftit gurüdgefüprt hat, unb bie ©efchichte ber 
©pilofoppie eigentlich nur noch als wamenbe ©eifpielfamm« 
lung gur ©bfcpredung für baS metapppfifcpe ©ebürfniß gufünf; 
tiger ©enerationen cultioirt, iß lebiglicp bie Ertenntnißtpeorie, 
bie aber felbß eine rein negatioe Sebeutung haben unb uns leh : 
ren fott, baß unfer empirifcpes ©rfennen gu feiner SBaprpeit 
führt, ein anbereS als baS empirifdje Erfennen aber unmöglich 
iß. So fcßrumpft bie gange ©pilofoppie i u einer negatiben Er; 
fenntnißtheorie, b. p. gu einer Sporangtpeorie gufammen; baS 
SBißen unb ©efemten ber eigenen Unwiffenpeit bleibt bas ein; 
gige, worauf man als ©pilofopp flolg gu fein Urfaöpe hat, wäh; 
renb alle pofitioe Ertenntniß nicht oon ber ©h^afophte, fonbern 
nur Bon ben fpecietten empirifchen SBiffenfchaften geliefert wer; 
ben tann. Der philofophißhe ©ebante in biefem Stabium beS 
DentoerjichtS unb bet Slbbantung blicft natürlich mit fouoeräner, 


fpöttifcher Erhabenheit auf alle bie metaphhßjchen Dräumer per= 
nieber, welche noch nicht ju biefer f^winbelnben $öhe ber ab; 
foluten Stanbpunttloßgfeit emporgetlommen waren, unb Weiß 
bie 3umutpung oerädjtlich Bon fich/ bereu ©h^afophiren „emft; 
hQft" ju nehmen ober gar ihre ©ebanfengänge bis ins Einzelne 
ju oerfotgen, ba baS Enburtpeil ja boh Bon Bornherein feftßept 
unb für jebe mögliche ©ariante einer Wirtlichen ©h^ofophie baS; 
felbe bleibt. SBie bie praftifche ©laßrtheit bie Empfönglichfeit 
für bie höheren ©enüffe beS ©emiitpS unb ©eißeS am ßärtften 
abßumpft, aber biejenige für ben grob reatiftißhen Sinnengenuß 
(j. ©. ber Dafel) berhältnißmäßig wenig beeinträchtigt, fo ertöbtet 
bie theoretifdje ©laßrtheit am Bottßänbigßen bie ffäljigfeit jur 
SSürbigung jebes höh eten ©eißeSauffcpwungS unb läßt bem 
ttltenfcheu nichts übrig als baS $aßen an ber nactten empirifeßen 
Dhatfächlicpteit. Die Smpotenj in probuctiner fjinßcpt würbe 
fiep 5 U gebrüeft fühlen, wenn nicht bie fritifepe Ueberpebung ipr 
baS wittfommene SluSfunftSmittel barböte, bie fubjectioe ©renje 
ber eigenen ©erftänbniß; unb SeißungSfäpigleit bogmatifcp für 
bie allgemeine ©renje beS menfchlicpen ^ntettects überhaupt auS; 
jugeben unb an biefem ©runbfafe ben Kanon jur unbefepenen 
©erfepmung jeber ber ihrigen überlegenen Denftpütigfeit ju ge= 
winnen. 

Der ftubirenben Sugenb, welche heute opnepin p tenntniß; 
lofem Slbfprecpen neigt, muß natürlich eine fiepte ungemein im; 
poniren, bie in bet Stegation aller bisherigen poßtioen ©ebanten; 
entwicflung unübertroffen baftept; baS ©efennen gu einer folgen 
fiepte ma^t es ipr ja fo bequem, wie fein emftpaßeS Stubium, 
fiöp auf bas pope ©ferb gu fepen, unb mit guoerßcptticpem 
©oepen auf bie alleinige SBiffenfcpaftlichleit ipreS Stanbpunttes 
müpeloS bie ©eißesarbeit Bon 3faprtaufenben gu oerachten unb 
gu Berpöpnen. Die EntwicflungStpeorie läßt man gwar für Kaul; 
quabben unb Slffenmenfcpen gelten, aber nimmermehr für bas 
©eich beö ©eißeS, unb oon allen ppilofoppifcpen Spßemen gilt 
barum ‘baSjenige als ber UrtppuS metapppfifcpA: ©erfeprtpeit 
unb ©erboprtpeit, welches in aller ©ebantenarbeit oergangener 
unb gegenwärtiger feiten bie retatioe SBaprpeit als EntWidlungS; 
ftufe ber Bollen ÜBaprheit gu begreifen bemüht iß, baS peißt bas 
.fpegef fepe, — in taum geringerem ©rabe aber auch baS meinige, 
welcpeS ja gerabe biefe Seite beS ^egel’ßpen SpftemS als feine 
bleibenbe SSBaprpeit gut ©nerfennung gu bringen fuept. 

©atürlicp pulbigen niept alle jüngeren Stfabemifer fo ejtre; 
men Slnßcpten; aber abgefepen Bon ben rühmlichen StuSnapmen, 
bie bei jeber allgemeinen Eparatteriftif felbftBerftanblich un= 
angetaßet bleiben, beßnbet fi^ boep ipre 3Reprjapl in bem ffapr; 
waffer biefer niept nur unppilofopifcpen fonbern gerabegu anti; 
ppilofoppifcpen Dentweife. Slicpt alle maepen ßcp bie Eonfeqnengen 
iprer ©runbfäpe Har, niept atte gehen in ber Darlegung biefer 
Eonfequengen gleich weit, aber faß atte treiben bewußt ober 
unbewußt mit einem Strome, ber ße über turg ober lang an 
baS eben eparatterißrte, Bon ben rüftigeren Schwimmern bereits 
erreichte unb triumppirenb Berfünbete ßiel führen muß. Eine 
folcpe §errfcpaft einer ßcp felbß aufpebenben ©ieptung bet ©pi; 
lofoppie auf ben Unioerfitäten iß eine gu auffällige Erfcpeinung, 
als baß man niept nach ihren ©rünben gu forfepen oerfuept wäre, 
unb glaube icp ben pauptfäcpticpßen in einem gang äußerlichen 
unb gufättigen 3ufammenpang gu erfennen. 

(Stfjlufe folgt.) 


Die /flmtlie JUenbeidfo^it. *) 

1729 — 1847. 

$on jerbtnanb Ifiller. 

Der trefflicpe ©erfaffer, Sammler, Sichter, ©earbeiter, $er; 
auSgeber biefer fo angiepenben ©änbe fpriept ben SBunfcp auS: 


*) 9tacp ©riefen unb Tagebüchern, ©on S. $>enjel. 3 ©änbe. 
8. X, 427, 288 u. 261 6. mit 8 ©orträt« naep 8eühnungen oon ©rof. 
398. $enfe(. ©etHn 1879, ©. ©epr’S ©ncppanblung (@. Bod). 


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10 


ffl t e ©egenwart. 


Nr. 27. 


„baS Buch möchte als ©hronit einer guten beutfehen Bürger: 
famifte betrautet »erben", ©et)en Wir uns um unter beten 9tn* 
gehörigen! 

Die gange beutle Siteratur t)«t fdjwertidj einen SRann 
aufguweifen, ber im Bert)ättnit gu feinem 9luSgangSpunlt ein 
3iel erreichte, wie SRofeS SJtenbelSfoljn, bet ©rünber beS Kaufes, 
©in armer, einfamer, budeliger Subenjunge, ber erft in feinem 
16. Satire anfängt, bas Deutfdje als ©chriftfprache gu erlernen, 
»irb nicht nur gu einem ber bebeutenbften ©chriftfteßer feiner 
@pod)e, er geminnt nicht nur bie Siebe eines Seffing (ber bem 
SDtenfd&en SRenbelSfohn öietteiebt nte^r Derbgnlt, afS biefer bem 
genialen ©eifte beS greunbeS) — er »irb gurn geiftigen Be» 
freier eines unwürbig gelnedjteten Bottes unb legt fo auch ben 
©rujtb gu beffen fpäterer bürgerlicher unb politischer ©rljebung. 
Unbegreiflich ift eS, ba§ bie Berliner Snben, getaufte unb un= 
getaufte, bie gelegentlich fo nie! ©nthufiaSmuS unb jo tiiet ©etb 
auSgeben, ihm nicht längjt eine ©tatue gefegt hoben —, feine 
Büfte toenigftenS mühte in ber fjauptftabt beS beutfehen Reiches 
überall gu finben fein — in ben Äabineten non ©eheimräthen unb 
BolfSoertretem toie in ben Stebactionen angefeljener ^ettfehriften 
— in ben ©tätten ber ffunft »ie ber SBiffenfdjaft — ba, wo 
jübifthe Stabbiner beutfeh prebtgen unb »o femitifche Dheoiogen 
baS ©hriftenthum öertheibigen. Berbanlt nicht fogar nufer Dljeater 
feinen „Stathan", biefe herrliche Schöpfung, wenn auch nur 
mittelbar; jenem erften Deutfdjen unter ben Snben unb erften 
Suben unter beit Deutfdien? 9lber er glaubte als Deutfcher, 
Sube bleiben gu bütfen, »äljrenb Diele ber burch ihn Weran* 
gereiften fich gegwungen fühlten, ihr $eutfd)tf)um burch baS 
©hrijtenthum gu befiegeln, bie ©inen aus Uebergeugung, bie 
9tnbern um jenem Despotismus, ben man bie SRadjt ber Ber: 
hättniffe nennt, Rechnung gu tragen, ©in „Stathan ber SBeife" 
»irb aujjerhalb ber Bühne »ie auf berfelben ftetS eine feltene 

©rfdjeinung bleiben.-©o »unberbar es auSfieht, boch 

mag’S nur eine togifdje ©onfequeng ber Befreiung bürd) ben 
gmeiten großen SKofe gewefen fein, »enn ber ©ine feiner ©nfet 
ben RauluS componirte, ber Slnbere bie beiben SRarien am ©rabe 
beS ©rlöferS malte, g»et ber herrlichften SBerfe, bie bie neuere 
chrifttiche Sunft in SRufil unb SRalerei aufguweifen hat —. ©djon 
bie ältefte Doc£>ter SRenbelSfohnS, Dorothea, ein SBeib Doller ©eifl 
unb ©emüth, fpielt leine Stolle in bem Steife ber Stomantiter unb 
wirb, als ©attin griebridj ©Riegels, gur brünftigen Satholilin. 
9113 ©reifin fah ich fie n°d) i» Wauje ihres berühmten ©ohneS, 
beS SRalerS Bhilipp Beit, unb bie ft)bißenhaft=ergreifenbe SBBeife, 
mit welcher fie fich, angeregt burch SRenbelSfoljnS Drgelfpiel, 
über baS SBunber beS SRe&opferS erging, ift mir unDergefclicf) 
geblieben. 

Sofeph, SRofeS ältefter ©ohn, war nach bem Beugniffe 9lfler, 
bie baS ©lüd hatten, ihm näher gu treten, ein SRann beS 
höchften geiftigen ©trebenS, — baneben »urbe er ber ©rünber 
beS Berliner ober beffer beS eutopäifchen BanquierljaufeS. Die i 
innigfte greunbfehaft Derbanb ihn Don frühefter 3«genb her mit 
9llejanber Don Wuntbolbt. Bon feinen beiben ©öhnen »urbe ber 
eine, 9tleganber, ber geehrte ©h e f beS BanlhaufeS, bet anbere, 
Benno, lebte als geachteter Sßrofeffor an ber Berner $odjf<hule. 
Des Sefeteren ©chrift: „DaS germanifche ©uropa", foß gut Seit 
ungemeines Stuffehen gemacht haben. — 3Bie Diel ©eift unb 
©üte unb echtes reines ÜDlenfdjenthum Stbraham, bem gweiten 
©ohne beS Rhilofophen, innewohnte, geht fchon aus manchen 
feiner Briefe tjeroor, beten uns fchon früher unb jefct toieber , 
eine 9tngal}l mitgetheilt worben finb. ©r War babei reigenb I 
liebenSwürbig, Dofl Weiterleit unb Saune unb befdjeiben gc= 
nug, ohne eine ©pur Don @mpfinblid)leit, bie SRittelfteßung 
fich gefallen gu laffen, bie ihm als ©ohn eines großen BaterS 
unb als Batet eines großen ©ohneS gufiet. ©ein ©chwager, 
ber ©onful Bartljotbh (auch bie angeheiratheten Berwanbteu ! 
in biefer gamilie oermehren ihren ©lang!) ift bei ©rfte, ber 1 
ben ©rteeefern ber neuen beutfehen Sunft »ürbige anregenbe 
Aufgaben {teilt, unb fein WauS, bi? berühmt geppogbene Casa 
Bartholdy iu Sto.pt, burch ©ornetiuS, Beit, ©cijabo» u. 91. 
mit herrlichen greSlen fchmüden läfjt. Die ältefte Dod)ter 


9lbrahamS, Sannt), — ©omponiftin, Rianiftin, faft Sapefl* 
meifterin, mar eine ber bebeutenbften SRu fiter innen, bie eS Diel: 
leicht je gegeben, — bie gweite hat bie Bitbung Dornehmer Damen 
aus ber Seit .ber Stenaiffance unb lieft ben Rtato im Originale, 
gamtp gewinnt bem mertwürbigen gamilienlreiS in ihrem ©atten 
Wenfel einen auch poetifch begabten tatentbollen SRaler, — Ste* 
betla in bem SRanne ihrer 2ßaf)l, Dirichlet, einen ber erften 
SJtathematifer ber Steugeit. Die Dante Wenriette, ©rgieherin 
ber Dodjter beS frangöfifchen äRatfdjaflS ©ebaftiqni, geigt fich 
als eine wahrhaft ibeafe grauengeftalt. gelig brauche i$ nicht 
gu nennen, — fein jüngerer Bruber, Rani, muff jebodj um fo 
mehr genannt'werben, als er in bejdfeibenjter, anfprudhlofefter 
SBeife nach aßen ©eiten hin ©uteS wirlte unb fchliefttidj bem 
beutjhen Bolle burch bie WerauSgabe ber „Steifebriefe" ein fo 
hetrlidjeS ©ef^enl gemacht h fl t- „®ine gute beutfdht Bürger* 
famitie?!" Stein, ein im fd^önften ©inne echt jürftlidjeS ©e* 
jchledit- — ®afj bemfetben jebodh bie hö<hfi«n bürgerlichen — 
ober fagen Wir bodj lieber, meufchlichen ©igenfehaften nicht fehlten, 
bie beS ©emütheS unb WrrgenS, wirb für 9lße, bie eS nicht 
wüßten, aus ber Secture beS gu befprechenben Budje§ gWeifeßoS 
heroorgehen. 

Wert ©ebaftian Wenfelg ein Utenlel beS im Sah« 1?29 
geborenen ©tammDaterS, gab bem Don ihm Deröffentlichten Sßerle 
mit boflem Stecht ben Ditel: „Die gamilie SRenbelsjohn" unb 
that fein BefteS, aßen ©liebem berfelben gleichmütig gereiht gu 
werben. Die im einfachen ©inne beS Bhüofophen bortrefflidj 
gefdhriebene Biographie beSfelben, entfpricht um jo mehr ben^tn* 
{prüfen, bie hier gu machen ftnb, als Sebem, ber mehr gu er* 
jahren wünfeht, bie SBerle SJtenbelSfohnS unb bie ©efchichten 
unferer Siteratur gur Benufcung offen ftehen. ©chabe, bat 
Werrn Wenfel für bie immerhin lebenbige ©djilberung SofephS 
leine ergiebigeren Dueßen gu ©ebote ftanben; bie reigenben 
9teu&erungen ber SJtutter beS getij unb beffen ©chwefter 8te* 
bella über biefen grot angelegten Btann, machen ben SBunfcf) 
um fo reger, ihm perfönlich näher gu treten, fei es auch nur 
bur^ einige Briefe. Sticht nur DerehrungSWürbig, auch Wahrhaft 
glüdlid) fdieint er gewefen gu fein — eine Dugenb, bie weniger 
beneibet unb mehr anerlannt werben foßte, benn fie erforbert 
bebeutenbe ©igenfehaften, unter welchen ber SJtuth nicht bie ge* 
ringfte pilbet. 9tbraham SJtenbelSfohn, ben Batet beS ©omponiften, 
hatten wir fchon früher auS Briefen an lefcteren lennon lernen* 
bie ihn als einen ebenfo fdjarf wie frei bentenben SltdHn geich* 
neten. 3« ben oor uns liegenben Bänben entwidett er jidh in 
ber gangen güße feiner reichen Statur, wie ich f<h° n oben an* 
gebeutet. Den fdjönften ©lang gibt ihm aber bie unenblidje 
unwanbelbare Siebe unb Berehtung feiner ßinbet. gelij folgte 
unbebingt feinem Stathe, unb gum SRanne gereift, fah er in ihm 
nicht nur baS Sbeat beS BaterS, fonbern auch beS greunbes. 

DaS Bilb unfereS groten DonbichterS, beffen Seben burch 
mannichfache Beröffentlichungen fchon fo llar unb fchön Dor uns 
liegt, gewinnt burch baS Wenfel’fche Buch wieber Dermehrte Deut* 
tidjleit, neuen Steig unb glängenbe grifdje. ©eine wnnberbare 
Sugenb, bie früh« naioe Steife feines ©eifteS unb DalenteS, feine 
liebenSwürbige Weiterleit, bie SBärme' feines WergenS, bie hi« 5 
gebenbe Siebe für bie ©einen, bie Bieberleit ber ©eflntmng 
geigen fich “nS in taufenb reigenben Sügen, in SRittheilnngeit 
aßet 9trt, in Briefen unb ©rgählungen. ©int boßftänbigere %n* 
f^auung feines SebenS, Schaffens unb SBuplenS, wie wir fie aus 
ben porliegenben Documenten unb feinen früher publicirten Briefen 
gewinnen, ift laum benlbar — ein an aßem ©nten unb Schönen 
reicheres, nach aßen ©eiten hin anmuthenbereS Donlünftlerleben 
ift wohl laum bagewefen. Unb baS Befte ift, bah Sehet, ber 
baS Werg auf bem rechten Siede hat, eS bem ©lüdlichen, ber eS 
burdjlebte, Don Wergen gönnen muh. 

BhÜifÜ> Beit, ber eble, finnige SRaler, war, Wenn auch nicht 
ben SJtenbelSfohn’jchen Stamen tragenb, burch feine SRutter boch 
nicht Weniger als geüj, ber echte ©ulet beS Reformators, ©r 
ftanb jebo^ bem Berliner gamilienlreife Wohl im Rßgemeinen 
jem unb fo erfahren wir burch W*rtn Wenfel nichts StähcreS 
über ihn. ©ein Retter Selig nennt ihn in ben hier mitgetheilten 


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Nr. 27. 


J3 t e ©egen wart. 


4 


11 


©liefen „einen bet präditigßen ©tenfehen, bie il)m je üotgefoutmen", 
unb greift ihn als Zünftler. 3d| ^atte in granffurt, wo et längere 
Satire als directot bet Stäbel’fchen fiunßafabemie lebte, öfter« 
ba« Slücf mit iljm ju berichten. ©ine fdjöne, impofgnte, batet 
milbe, burdjau« gewinuenbe ©erfönlidjfeit! ©Sährenb et an feinem 
großen greäcogemälbe bort arbeitete, führte ich ©offini ju it>m 
unb wäre gern fetbft ©taler gewefen, iyn bie intereffante «Scene 
feftjuhalten: ©eit oben auf feinem Serüße ntafenb unb bat bc= 
rühmte ©taeftro unten ju ihm ^tteauff^tec^enb. den Reitern 
dialog, ben bie beiben auSerlefenen ©tänner im reinfteu Sta* 
lienißh iufommen fif^rten, hätte ich freilich butch gopben nidjt 
ju fijiren üennodjt. ©inem Säten, wie ich e« bin, lammt e« nicht 
ju, übet bie $öhe bet fünftlerifchen dhätigfeit ©eit« ein Urtheit 
ju falten. ©Senn aber ©orneliu« in bet ©eformation«gejdbidhte 
beutfdhet ©talerei üiefleid)t etwa« non bem ©Sefen Suttjer« jeigt, 
fo bürfte ©eit Wohl at« bet ©telandfjthon biefet Stera bejeidjuet 
werben bütfett. 

©on bet Hat bentenben, ruhig tebenben, ruhig gefdhäfßgeu 
unb regierenden ©tutter be« donbid)ter«, gibt un« §err J§enfet 
einige wenige, aber höchft djarafterißrenbe ©riefe, ©ine größte 
Sfnjaht auch ftoffHcfj intereffanter ©tittheilungen feiten« bet in 
©nri? tebenben, fo anjiehenben Xante Henriette wirb un« ge- 
boten; bie ©riefe bet Schweftem gannu unb ©ebeffp hüben 
jeboch ben wefenttichften Snhatt bet beiben le|ten ©änbe. Sin 
Staifenbriefen fehlt e« nicht, Wie man fieht — fie geben aber 
auch bem ©ud)e feine größte SInjiebungSfraft unb piüffen bie 
attgemeinfte dheilnaljme in Slnfprucfj nehmen. 

©igenttich haben nur Stauen bie gäbigfeit ©tiefe ju {^reiben 
— benn nur jWecflofe ©riefe finb echte ©riefe, wie fie ©tännern 
fetten getingen. Schiller fdjicfte feinem großen greunbe äfthetifche 
©bljanbtungen burcfj bie ©oft ju — fie finb unfterblid), aber e« 
ßnb feine ©tiefe. ©Senn ©tänner nur erjähten, geht e« fchon 
eher, aber ftet« bfeibt ihnen ba« ©titjutheilenhe wichtiger at« 
ba« ©ichmittheiten.. grauen aber, wenn fie auch noch fo gewißen* 
bnft, auöfühtiich unb faßlich berichten, geben bodh immer, üieHeidjt 
ohne e« ju tpiffen, oor ©Hem fi<h fetbft, unb ba« ©Sefenttidjftc 
bfeibt ben grauen ba« geiftige Sufamntenfein mit denjenigen, 
ju wetten fie fptedhen — ba« ift aber auch ba« ©Sefentlidfjftc 
am ©Jefen be« ©riefe«, da« ßurücftreten be« ©hhfif^ ; © er f ön = 
liehen, Wenn ich fo fagen barf, wirft babei oft wunderbar, — 
unb grauen, bie ju beleihen finb ober ju fchüdjtern, ober mit 
bet 3unge nicht gewanbt genug, um fid) mündlich mit ©etjagen 
an«jufprechen, überrafchen butch bie fdjöne greiheit, bie fte ge= 
Winnen, wenn fie bie gebet ergreifen, mäfjrenb anbere, bie fich 
ihrer perfönUdhen ©facht bewußt finb, e« entweber nicht für bet 
SEühe werfh hülfen, ober nicht ©uh e genug befifcen, um e« ßhriftlich 
äußerlich weniger ©enorjugten gleich ju thun. Selbftberftänblich 
wirb ba« Sntereffe gernftehenber, noHenb« ba« eine« geehrten 
©ubticum«, abhängen non bem Srabe bet Seift* unb #erjen«* 
bitbung bet Schreiberinnen, wenn auch naipfte Steußernngen ju* 
weiten fehr fhmpathifdj berühren fönnen. ©on großer ©Sidjtigfeit 
ift aber aud) ba« ©erhättniß ber Schreibelußigen jn ben @m= 
pfangenben: je reiner, je unegoiftifcher, — je fchöner; je gleich* 
ftehenber bie ©erföntichfeiten, je wahrer wirb bie briefliche ©tü= 
tfjeitung fich gehalten. 

©un werben un« hier bie fchrifttidjen ©tgüffe non jwei 
Schwerem geboten, bie fi<h treu unb herjlidh lieben — bie aHen 
Stunb haben fich gegenfeitig ju achten — bie gleichmäßig hoher 
©ilbnng theithaftig fjub, unb übereinftimmen in ber Siebe, 
in ber ©erehrung afle« Schönen unb $of)en — bie freien Seifte«, 
warmen $erjen«, auch äußerlich unabhängig genug gefteHt waren, 
um non ben petites misöres be« Seden« nicht mehr gl« biüig 
erreicht jn werben — welchen, ba halb bie ©ine, halb bie ®n* 
bete auf ©eifen fuh befinbet, auch non ©ußen her bjelfättigßer 
Stoff jnt ©tittheilung jugeht. die reiche ©uöbitbung, bie ihnen 
geworben, hat nur baju beigetragen, bie ®igenthümlidbl?tt ihre« 
©Sefen« ju betfdhärfen, ihre Snbiöibualität fefter ju pegrünben — 
ihr noQftänbige« gegenteilige« ©ertrauen fpricht fich in jeber Seite 
au«. So wirb ba« 23er, ba« 23ie, ba« ©onwern, ba« ©nwen 
in biefen ©riefen gleichmäßig anjiehenb. Sa, über bem Supalt 


be« dargebotenen gewinnt bie ©eigung ju ben Schreibenben bie 
Dberhanb, bon welchen halb bie ©ine, halb bie Slnbere un« in 
höherem Stabe beßidjt. Unb ift man einmal bon biefen mas 
gifdjen ©anben gefeffett, bpnn witb auch Gtoiugfte intereffant 
unb man erfreut fiep nicht aftein an ben geiftreidhen ©eußerungen 
über SRatnr unb $uuft, über ©fenfehen unb Sänber — auch bie 
©rjählungm au« ber $au«hattung, au« ber ftinberftube — bie 
Sdjierjt, bie bem bertrautidjften gamifienfreife, bem dolce far 
niente am dheetifcp ihren Urfprung oerbgnfen, fie ergäben, ja 
ße erfrifchen un«. 

©3enn ber $elb ber fich in biefen ©riefen aufbaueRben 
©rjähtung (ße erhält hie unb ba faß eine romanhafte gärbung) 
©teifter gelij iß unb bleibt, fo ftrahlt neben ihn, in anberem 
aber nicht minbet Ijetlem Slanje, ba« 2anb unferer Sehnfuchh 
Stalien, al« ber Schauptab, auf welchem aUe Sefdhwifter ju oer* 
fchiebenen Seiten leben, au^ wohl leiben, aber bodh glüdfetigße 
Xage oerfchwärmen. geben bem ber ©orjug ju dheit geworben, 
biefe« löftüchße aHer Sänber fennen ju lernen, wirb e« auf« 
dieffte berühren, beffen §errlichfeiten au« bem ©tunbe fotch ebter 
grauen gepriefeu ju hören, ©lit ihnen Stäbte ju bureßwanbern, 
&unftwerle ju bewunbern, feine Seele mit ben ©rinnernngen 
baran auf« ©eue ju prfüHen, wirb ihn begtücfen un^ wenn jene 
ber Setigteit ©Sorte ju oerleihen fuchen, welche un« arme ©tenfehen 
be« ©otben« bort oft genug erfüOt, fo wirb auch auf ben alte* 
ften Sippen ba« Sieb ber ©Ugnop teife fchweben. Sß e« fchlint* 
mer Stalien nie gefehen ju haben, ober ni^t batjin jurücflehren 
ju fönnen? ©ine offene grage! 

©iete bebeutenbe ©tenfehen gleiten in biefen ©titttjeilungen 
au unferem inneren ©uge borüber, mehr ober weniger ßhatf be= 
leuchtet, aber faft nie ohne UtbioibueU heroorjutreten. Königin 
©ictoria, grtebri^i 28ilhelmIV., ©tinj ©tbert — Soethe, §umbolbt, 
©ornetin« — Suimermann unb $eine — ©tjerubini unb Spontini 
— dtjorWalbfen, ©ernet u. ©. m. ©tauche lernen wir in ihrer 
Sugenbjeit fennen, bie e« feitbem Weit in ber ©Jett gebracht, Wie 
unfer funfterfüHter .©otfdjafter in ©om, #err o. fteubeü, ober 
ber erße ber je$t tebenben franjößßhen ©omponiften, ©harte« 
Sounob. ©alb ift e« ein in wenigen ©Sorten erftaunlich präg* 
nante« Urtheil, wa« un« frappirt, halb ein trefflich wieber* 
gegebener eigenthümlicher Sug ber in ©ebe ftehenben ©epfönli^* 
feiten; ein h^He«, tief fehauenbe« ©uge fcheini aHen ©tcnbei«fohn« 
gegeben gewefen ju fein, ben ©tenfehen wie ben dingen gegenüber. 

©tit bem gab« 1847 fdjließt |>err §enfel feine ©tit* 
theilungen ab — e« war ein tragißhe« Saht für ba« hoho §au«; 
im ©tai ßarb gannp, im ©obember folgte gelij ihr nach; bie 
glänjenbften ©epräfentanten ber gamilie waren bahin. „Sie 
waren ber jufammenhattenbe ©tittelpunft ber gamilie gewefen, 
bie fich feitbem weithin jerftreut hat," äußert ber Sohn unb ©effe 
in ber ©orrebe — aber trofcbem wünfehen wir mehr ju erfahren. 
©Hju ungern trennen wir un« namentlich bon ©ebeffa diredßet, 
ber fo ebet empßnbenben unb babei fo wifeigen, humorißifdjen 
jüngften Schweflet be« donbießter«, unb auch ber im $int«rgtunbe 
fich f° bornehm unb heiter bewegenbe ©tathematifer, ihr Satte, 
hat un« aHju fehr gefangen genommen, um ihn fo ßhneH au« 
ben ©ugen oertieren ju mögen, ^öffentlich Wirb bie große ©er* 
breitung, bie $errn Teufel« ©nch ßnben muß, e« ihm halb möglich 
machen, unferer ©Ute um „mehr utib immer mehr" ju mißfallen. 

Sn einem gugenbbriefe erwähnt bie 17 jährige gannp be« 
Schreiber« biefer Seiten al« eine« 9 jährigen finaben (er War 
freilich bamat« fchon 10 3®hr? alt), ©in höhet gebilbeter 
©echner würbe wohl ba« mathematifdje Sefeh feftfteHen fönnen, 
nach welchem ber Untetfchieb bet Saljre in feiner gefeHfchaß* 
liehen ©Sirfung eben fb obnimmt, wip biefe juneljraen. @o ftgnb 
ich benn auch fpäter ber eminenten grap, ftet« in berfetben ©er* 
ehruug, aber boch at« boHflgnbiger ©lter«genoße gegenüber. 
Uub heute (ift e« ein Sorjug, beßen ich theilhaftig geworben 
bin?) muß ich ^ecennien jurüdbenfen, um JU ben Seiten ju 
gelangen, in meldjeu gef iE, gunuU unb ©ebeffa, biefe herrliche 
Sefchwißertria«, lebten unb wirften, ©ad) wefdien Sefehen be* 
ftimmt ßch bodh bie dauet unfere« Seben« 


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12 


Sie «egenwurt, 


Nr. 27. 


Jltt$ bet <$ottptfi<tM. 
ßerlitt in ßltttye. 

©Benn in ber $tit bon ©nbe 3Rai bis Anfang 3uli Seute aus ben 
Weigert ober born Secftranbe ßch auf bie {Reife nach {Berlin malten, lebig« 
ließ $u beut 3®«*, um iß*« Äugen an {Raturfdjönbeiten $u weiben: fie 
würben bon Sielen auSgelacßi werben, aber unbefriebigt in bie Heimat 
äurüdlebten würben fie nicht. ©Begen beS ÄuSgelacßtwerbenS lönnten fie fich 
bamit tröften, baß eS baS Scßtdfal aller glücflicken ©ntbederiß, wenn fie 
{(beinbar ins Ungewiffe ßinauSfegeln, bon ben auf ben ©olImerTen beS 
Hafens fie^enben müßigen Gaffern bereut unb berfpottet $u werben, 
©eben ftc mit reich belabenen ©aleeren im ^eimifc^en $afen wieber bor 
Änler, fommt an fte bie Steife ju lachen. 

©etlin genießt ja im {Reich beS {Rufes, mitten im Streufanb $u 
liegen. 9RU Späßen ber ©egetation ift es, gemeiner Ännabme nach, 
überaus ftiefmütterlicb auSgeftattet. 3u ©erlin — erzählt man fich 
braußen — werben ©renneffeln unb ©Begeblatt, weil man nichts ÄnbereS 
bat, in {ßorjettantöpfen gezogen; ©räfer, bie anberwörtS jwifdjen ben 
©ßaßetßeinen Waffen, nummerirt man unb binbet fie mit Seibenbanb 
an bergolbet^ Stäbchen. Unb nicht beffer auch* fall eS mit ber Sauna 
beßettt fein. ©Bie man in Oßpreußen bon bem leßten in ben tiefften 
©Bälbem erlegten ©ären ober ©Bolf fpricßt, fo fprächc man in ©erlin 
boit bem lepten Seofth, ber bor aeßn 3°b*en als lange bor ibm {(bon 
entfcßtounbenen Singbogel noch im Sanbwebrcanal gefeffen unb gequält 
habe. Äudj ber habe entweber baS 3eitliche gefegnet ober fei in be* 
glüdtere Qonen auSgewanbert. 

©Benn mau bocb Seute, bie folcbe Unbittge er^äßlen unb berbreiten, 
um bie Seit, bon ber ich oben fpracß, in ©erlin haben unb umberfübren 
lönnte! {Rein, icb würbe fie nicht umberfübren, id) würbe $u ihnen nur 
fagen: ©eßet lßu unb febt! Unb Wenn i(b fie ÄbenbS bei -Sanbbogt 
wieber träfe, wäre ich gewiß, baß ihre erften ©Sorte lauteten: ©Sir finb 
tief befcbämt unb haben unfere Änfidßen gänzlich geänbert. 

Unfer dbiergarten allein Mietet tm S r übjabr Tinen Änbtid bar, ben 
$u genießen auch eine lange unb bef(bwerli(be ©abnfabrt berlohnte. Säge 
ni(bt in feiner unmittelbaren {Räße baS berrufene ©erlin, aus wie bielen 
©efcbreibungen fcbon hätten wir bernommen, wie entyüdenb ber Schmeiß 
beS tttofenS, wie unbergleichlich bie Fracht beS SaubeS, wie imponirenb 
ber ©Bu<ßS einzelner ©äume, wie bewunbentSwertb bie Änlage beS ©anjen 
fei. daß bon ihm nicht biel gerebet wirb, bringt denjenigen, bie in 
aller Stille feiner Schönheit fich freuen, feinen Schaben; aber er betbient 
eS hoch / baß er bor ben SRenfcßen gelobt werbe. ©r ift fchön in jeber 
3ahreS$eit, auch tm hinter; um bie Seit aber, ba bie ©icßen eben ihre 
©lätter entfaltet haben, ift er unbergleicßlicb pracßtboll. Um bie Strauch* 
blütbe prangt auch ber SriebrichShain mit Ättem, was reijenb ift. ©Ber 
Sinn hat unb Äugen für baS, was um biefe 3«it in Stern*, ©ecbet*, 
©loden* unb Schmetterlingsform aus ftnoSpen betworbricbt, bem wirb 
ber ©efucb biefeS ©aineS ein großes ©ergnügen gewähren. 

der botanifche unb ber joologifcße ©arten flnb $wei Schmudfäftchen 
bon unf<hä|barem ©Berthe. ©Senn ber joologißbe ©arten an einem betten 
dage §ur Seit beS jungen ©aumlaubeS bon buntem SRenfcßenbolle be= 
lebt tft: ein bübfchereS ©üb möchte weit unb breit fetter $u ftnben fein. 

So anmutbige, fo buftige Sußwälbcßen, wie bie fanbigen Äbbänge 
beS JfreujbergeS um bie 3eü ber Äla^ienblütbe fie tragen, trifft man 
auch nicht an jebem Orte ber ©Seit an. 3a, felbft in ber ^afeußaibe, 
wo um bie fleinen ßiegenben ©Surftftichen herum bie Stage: „©Bo bienen 
Sie?" fo oft geßellt unb beantwortet wirb — felbft in ber ©afenßaibe 
am SRanbe ber ©Süfte blühen noch bie SRofengärten non ©Senbt unb ©berS, 
bie ßcß * ox §<$itaS nicht fchämen bürfen. 

©Sie ent^üdenb nehmen fich im S^ühi°mmer einzelne woblgepflegte 
Schmudpläbe in ber Stabt aus, ber Suftgarten, ber ©SilheImSp(a|, bie 
Anlagen um bie Siegesfäule herum unb oor allen dingen ber £eip$iger 
©laj mit feinen föniglichen SinbenbäumenI ©Selch einen angenehmen 
Änbtid gewähren um biefe 3eü einzelne Strafen oor bem ©otSbamer 
dbor, bie nodh reich an ©ärten ftnbl ©Selch ein ausgewählter ©lumen= 
flor entfaltet fich bann in bielen ber fleinen ©orgärten! ©in wahres 
©lüd, bah in biefen bie ^etlfofe ^ugelafa§ie burch ben rothblühenben 
dorn oerbrängt worben ift. 

Unb bie weitere Umgebung bon ©erlin, beftebt fie wirflich burcbmeg 


aus Streufanb? Sanb gibt eS atterbingS b^ unb ba unb er nimmt 
fich; ®*nn er oom ©Binbe bübfch geträufelt unb lpe unb ba mit einer 
ftrauchartigen tiefer, fogenannten „fufchel" befefet ift, gar nicht fo übel 
aus. ©orwiegenb aber finb ©rün unb ©Baffer. Ober ift baS nicht ber 
Satt an Spree unb $aoeI, wo in großen bunfeln ©Safferflächen ber ©Salb 
ftch fpiegelt? 34 ®ciß nur, wenn man in $otSbam grembe auf ben 
^ftngftberg ober auf ben örauhauSberg führt, fo werben fte unwillig 
unb ärgerlich* barübet, in ber tttäbe bon ©erlin ÄuSfubtSpuntte gu ftnben, 
Wie hoch eigentlich nur eine gan$ renommirte ©egenb fte barbieten bürfte. 

©on großem natürlichem ttteij ift bie Sanbfchaft an ber oberen Spree. 
Sie §eigt meiftenS einen ernften unb fchwermüthigen ©barafter, aber hoch 
ift fie nicht arm an Iacbenben ©Siefen. 3®U4 en öca ©Siefen binburcb 
führt bic unb ba ein ©anal, ben man mit einem ©oote befahren fann; 
bann ftreifen bie b*>b*u ©räfer ju beibett Seiten baS ©oot. ©Seite gläcben 
ber ©Siefen finb mit bem garten ftofa ber ^ufufSnelfe berart übermalt, 
baß barunter baS ©rün gan$ berfcßwinbet. ©tan erfennt, was ber 
dichter meint, wenn er bon ber 3*it flicht, ba „ber ©Balb grünt unb 
bie $aibe fich tötbet". 3« anbern höbet Iiegenben Stetten ber „ge= 
blumten Äu" hat ber Sttobn große blutrothe Siede hiweingewirlt. dann 
finb Sdjilfbrttcbe ba, belebt bon SRobrfperlingen unb Äiebijen unb be- 
fucht bom Sieiber. ©toore finben fich, in benen bie jterlichften aller 
©flanjengeftalten ju ©aufe finb. Unb enblich ift ba ber frifche, buftige 
©Balb, „wo bie müben ©öglein lodenb fchlagen^. das ÄtteS aber ift 
bon ©erlin aus leidet unb fchnett ju erreichen. 

Unb um biefe Seit, ba ©erlin fo fchön ift, beulen fo biele ©erliner 
baran, ihren reijbotten ©Bobnort ju berlaffen. ©S ift erftaunlich, aber 
es ift wahr. Schot} finb einzelne Samilienbäter borauSgeflogen, um an 
ber $üfte ober im ©ebirge einen Ort auSjufuchen, ber fich Sur Sommer^ 
frifd^e für bie Ängebörigen eignet. Ärme ©erfuchSreifenbe! Schwer unb 
bornenboll ift euer Ämt! Än einem Ort angelommen, bürft ihr nicht 
rubn unb raften. den euch bon §aufe mitgegebenen Stage^ettel in ber 
£>anb, müßt ihr erlunben unb erforfchen, wie es um daufenberlei bon 
dingen beftellt ift: wie bie ©tilchberbältniffe fich barfteflen, Welche ©in= 
richtungen für ©Säfdfje borhanben ftnb, ob ©läfer unb daffen mitgebracht 
werben müffen. dabei tritt im $aupt beS SantilienbaterS febr leicht 
eine gewiffe ©erwirrung eyt. Statt ber Sttilch 5 . ©. prüft er ©Bein unb 
©ier, ober er hält einen jablreichen ©fcüdenftanb für etwas ©ünftigeS, 
ober er trägt in feine Schreibtafel bie für bie Samilie gleichgültige 
Woti$ ein, baß ber ©Birth unb Oberförfter gewiegte Scatfpieler finb. 
3ebenfaÜS bat er Unglüd beim ©iietben. ©on 100 Samilienbätem, 
welche bie ©erfuchsreife machen, lehren entfliehen 99 mit ber Ueber* 
jeugung jurüd, bie fchlechtefte ©Bohnung im ganjenOrt gemietbetju haben. 

©Bie bem auch fei, ben einzelnen ©orläufem wirb balb ber große 
Schwarm an bie See ober auf bie ©erge nachfolgen unb folgt ihnen 
fcbon, wenn biefe 3*Üen gebrudt finb. Unb was treibt uns baju, ©erlin 
um bie Seit $u berlaffen, ba alle feine ttteije ihren ftöbenpunlt erreicht 
haben? ©in wenig bietteicht ber Umftanb, baß ber ^öhenpunh erreicht 
ift. ©S ift bie 3«ü jefjt, ba im ©Salbe — ach wie fo balb — ber holbe 
{Reigen berftummt, ba auf ben ©Biefen alle bie jabllofen anmutbigen 
Häupter ber ©lumen unter ber Senfe fallen. 

Äm Äbenb beS 26. 3«ni erfchloffen bie ßinben auf bem Seipjiger 
$lap ißre erften ©lütben. ©Benige dage noch, unb auch biefeS häßliche 
iß borüber. dann wirb baS £aub fahl, ber ©Sinb wirb träge unb 
Sdfjtoüle lagert ßch über bie Stabt. Sttinttfhin bleiben uns noch bun* 
bert 9lachmittagSauSßüge ber angenehmßen Ärt — unb tro|bem bleiben 
wir nicht in ©erlin. ©S muß an ber fRubeloßgteit liegen, bon ler baS 
jefct lebenbe ©ef(blecht befeffen iß. Unb bann ßette ich mir bor, lann 
eS für einige Seute einen gemiffen fReij haben, mehrere borgen hinter* 
einanber an einem Ort ju erwachen, wo nicht fogieich baS Ätttägliche, 
©ewöhnliche wieber ruß, befdjäftigt unb quält, wo — um einen be= 
ßimmten Satt anjuführen — lein druderjunge fein mübeS ©aupt an 
bie Slurwanb lehnt. 

3n ber ©eWerbe=ÄuSßettung aber finbe ich bei ben ©bemüern eine 
©ffen$, welche „9tabelwalbluft" genannt wirb. ©S berlohnte ßch 
wohl, einmal eine {ßrobe bamit anjußetten. ©Senn ein paar dropfen 
baoon genügen, um uns $ar$burg, 3l mcn au unb JpeeringSborf auf baS 
Sintmer ju jaubem, bann werben wir uns wohl bäten, «tue Sommer* 
reife $u machen unb für bieleS ©elb eine fo lange {Reihe bon Unbe* 
quemlichleiten §u laufen. 3 * Crojan. 


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Nr. 27. 


13 


Sir ®r(jennmrt. 


Sie Serlimr ö&ta)trbt-3lHBfUUttni!}. 

11. 

(£Äi Ijalbnwgä ptattijdj gerichteter Sinn wirb (ich Don bet Betrach- 
tung ber „SetleibungSgegenftänbe" nur fd^toex fortwenben. Xie Au3= 
fteüung gewährt pier ein Silb.oon abgefcptoffener ©inpeitlicpteit, unb 
idj glaube, ba& eS au<p auf bie Sßpaniafie feinen ©inbrud nid)t oer= 
fehlen Kann. SRupt nur bie Äleib^r ziepen in Oteip unb ©lieb an unferem 
Singe oorüber, fonbem au4 bie Leute, bie fte machen, an unferem ©eifte. 
©tanb, ©efcplecpt, Lebensalter, Alles pat in richtigem Serpältnifj feine 
Serüdftcptigung gefunben oom ©Reitel bis zur ©ople. 34 pflege mei= 
nen 2Seg non bei ©ople in auf jieigenbet Stiftung §u neunten unb ratpe 
jebem dft^etifc^en Setra4ter zu gleichem Serfapren. 

Xa tritt uns juerft bie aiteprwürbige Setliner ©4upma4et:3 nn ung 
mit ihren Sßrioilegten unb 3ufignien, oom 3up*e 1284 beginnenb, in 
einer impojanten ©ollectiüsAuSftellung entgegen, ©oweit bie $robe beS 
XragenS nüpt entje^eibenb ift, barf man oon bem ©ebotenen bie gün= 
ftigpen ©eplüffe ^ie^en. S5on ben dttmrobSftiefeln peiab bis zu ben 
Pantoffeln beS SBeuplingS, oon ben Prunfftücfen bet Xpeaterbame bis zu 
ben teuften Umhüllungen beS weiblichen gujjeS comme il faut, oon 
ben ©anbwertSzeugen, beffeit [ich ber 3üuger ©ans ©acpjenS bebient 
unb ben Leiften, bei benen er wohlweislich bleibt, bis zu ben neueften 
3Ritteln, bie ben ©lan$ beS ÄunftwerfS mit gleichem ©rfolg bei Änaben 
unb Stäbchen, wie äBacpSfigura jeigt, an jebem borgen erneuen, 
ftettt fiep Alles im ©epeine joliber Arbeit unb guten, nur feiten oon 
©jcentricitäten getrübten ©ef$madS bar. ©elbft ber rotpe Alpenftiefel 
erwedt in feiner robuften Ar4itettur bie ©epnfucpt nach pöperen 
gionen. 

Xann folgt, nicht minber ehrtoürbig mit ben prioilegten oon 1288 
unb 1640, bie 6cpneiber=3nnung. Xie bewäprieften girmen, benen bie 
jeunesse dor£e feit 3up«u mit immer toachfenbem SRefultate bie Xra= 
pirung ihrer natürlichen Sorzüge anoertraut, paben auSgefteüt. Xie 
©leganj ber ©toffe, bie faltenloje Söölbung über ber Sruft beS manne- 
quina, bie fubtile Sepanblung beS SRäpteWerfS unb ber ©infajfungen 
Wunen auch öem Slide beS Laien nicht entgehen. 34 toünfche nur, 
bafc pie unb ba ein tftod aus ben ©änben beS genialen 3itf<hnetber3 
heroorgegangen fein möchte, ber mit ficherem Auge bie Kargheit ber 
Siatur an rechter ©teile ju faffen unb ber Söelt ju entziehen weif}. Au4 
bie richtige piacirung beS ©enteis macht mir ©orge. SBer nicht fein 
Augeumert jum erflen Slal auf folche Xinge richtet, oerfteht ben ©runb 
baoon. Sin ben ©cplaftöden fomuie ich nur mit SDtifjbepagen oorüber. 
©oUte biefe ftnnloje Anhäufung Oon grellen garben, biefe Ueberlabung 
mit bem LujuS oon parabirenben ©toffen wirtlich baS 3& e< U f*iu, nach 
bem fich bie ©eele bei ihrem ©rtoachen jepntv ©chlimm genug, wenn 
baS leicht oertäufücp ift. 34 toiU glauben, bafj hier ber AuSfteUungS- 
eprgeiz — ein gefährdet Xeufel — irre geführt pat. 

Aucp unter ben Xrägetn beS unentbehrli4ften ÄleibungSftüdeS mahnt 
bie oerftntenbe Xrabition noch mit böfem 3ei4en. Photographif4 e Pifiten= 
Karten beS beutfepen ÄaiferS unb ber Ätonprinzejfin über ber Unten unb 
ber Äaiferin unb ihres erlauchten ©ohneS über ber rechten ©4ulter als 
ornamentaler ©chmuct ber tragenben Sänber - baS ift ein unf4ictli4er 
AuSbtud oon Lopalität, unb ©tillofigteit ein oiel zu oornehmer AuS 
bruct für bie tinbijepe ©pielerei. 

Xocp unfere voyage eu zig-zag bulbet teinen Slufenthölt. Söie 
S^ebelbilber jiehts an uns oorüber unb erfüllt Sluge unb Phantafie. 
$ier feffeln bie $anbfchuhe, bie hiuaufgehen bis unter bie Sl4f^lh^^ e 
unb in ber Ueberorbttung oon 18 knöpfen fidlerlid) noch ni4t iht Sid 
ertennen. 3)en garben fehlt hi e unb ba 9iobleffe beS XonS. $ajj bie 
Daumen ni4t ju lang finb, nehme ich uuf Xreu unb ©lauben an. 
Xann folgen Xücher oon h^nlichfter ©pipenarbeü, in ber mir nur baS 
Körperliche $eiau3treten ber &ofeu bebentlich (4^int. klareres ©til= 
bewu|tfein unb felbftfchöpferifche ©ompofition treten wohlthuenb ju 
Xage. 3ut fc^roffften XichtigteitSgegenjap baju fteUen fich gegenüber bie 
toafferbichten ÄleibungSftüde bar, neben benen wieber bie wilblebemen 
JöerwanbteS unb jepr £eher$igenSWertheS bietet}, ©tidereien oon grauen 
panb entfalten, oom beften ©eifte geleitet, eine £um Xpeil gan§ über= 
rajepeuoe praept unb faft ausnahmslos wohltpuenbe Harmonie. Xann 
gelangen wir $u ben Slttributen beS SOtilitarS, bem bie Pesliner 3«’ 
buftrie oon bem ^JtarfchallSftab bis ju bem ©tabe beS XambourmajorS 


herab, oon bem ©lanj ber Xreffen unb 9fiaupen bis ju bem Prooiant- 
unb Leibpropfad leine gorberung f4ulbig bleibt. 3Jtan mache fi4 
biefe gorberungen nur Klar, um ben Umfang unb bie $3ebeutung biefer 
Stbtheitung ju ermeffen. 9U4t3 SlppetitU4ereS beifpielSweife, als biefer 
©4rant mit einer ©ottedion fümmtli4er SitterimSmüpen. Slucp ber 
Xreünafter beS uniformirten ©eheimratpS gebeipt prä4tig auf mür!tf4em 
Poben. 2öer follte nicht biefe erfepöpfenbe ©ammlnng oon knöpfen, 
Silles bietenb, was jwif4en bem buntlen (t^renbteifnopf bis ju bem 
prächtig bewappneten Leib unb ©eele jufammenhält, mit gntereffe ftu= 
biren! Xie Xe4nit barf fi4 f4° n au fö ^orn nehmen laffen unb beim 
©ef4made ift ber gabritant ja Ähtecpt. $ier fabricirt ein ©pecialift 
nur ^otarben unb „was man an ben #ut ftedt", ein anberer nur ^ut= 
futter, ein britter nur ^utleiften, ein oierter bie SÖunber iprer ©attung, 
ben Perliner Änobelput, b. p. $ut, SBürfelbecper unb «bepälter juglei4 
unb ben £ut, ber ein ganzes Steceffaire in ft4 birgt. Slucp ber ©eiben= 
felbel Kommt ni4t mepr oom SluSlanbe, unb aüeS #anbwert§eug, baS 
ber §utma4cr gebrau4t — in ber SRafcpinenhalle arbeitet eine SBerfftatt 
oor ben Slugen beS PublicumS — tauft er an Ort unb ©teile. 9htn 
betreten wir ben ©arten ber tünftlicpen Plumen, bereu 3nbuftrie einett 
ganj mä4tigen Sluff4wung genommen pat unb feine auSlänbif4c ©on= 
currenj mepr f4eut. Slu4 hier intereffirt bie SluSfteüung ber SSertjeuge; 
i4 ma4e* namentli4 auf bie ^oplformen jur Anfertigung ber Laub= 
blätter aufmerffam. Xag fi4 in ber Orbnung unb garbenbepanblung 
0erf4iebene ©ef4madSgrabe bemertlicp maepen, oerftept fi4 öon felbft. 
Ueber ein beftimmteS Stioeau pat fkp bet ganje 3nbuftriejweig 
triumppirenb erhoben. $ier fei gleich auf baS te4nif4e SKeifterftüd 
eines ©ewinbeS oon ©laSblumen pingetoiefen, we(4eS uns in ber 
©ruppe V begegnet. Sticpt minber ftattli4 tritt unS baS Sürf4«er- 
panbwerf entgegen. Pepanblung beS Materials naep ftüiftifcp reineren 
©runbfäpen, Äoftbarteit unb SRannicpfaltigteit ber gelle, ©efepmad in 
ber Aufteilung, bie baS Auge bis po4 ins Xa4 jiept unb bort noep 
ein fo foftbareS ©4auftüd oon allerbingS relatioer 3 n ’dtmci^igteit wie 
ben 3 tt,ö lff u 4S* c Wi4 finben lä|t, werben jeben Pef4«J« bwn Per= 
weilen nötpigen, beffen Auge für baS wopltpuenbe Li4tfb* cI 
wert ©efüpl pat. 

Xurcp bie luftigeren Siegionen beS feinen Linnens oorbei an ben 
grifuren unb perrüden, in beren Släpe auep baS Künftig $aar* 
mittel feinen bere4tigten pia| gefunben pat, Oorüber an ben weiepeu 
©4wingungen unb bem an$iepenben Luftre ber ©orfetS, an bem be= 
merfenSwertpen ©4tante, ber nur flleiberftöde probucirt, an einem 
Äinberanjug, ber ni4t aus (Stoff, nein aus 140 SReter Sorbe jufammen* 
genäpt ift, oorüber, gan^ f4neü oorüber an ben SBacpSfiguren in Xrauer, 
— unb wir befinben unS an bem SBallfaprtSpunft aller ©4önen, bem 
tfleoier ber fertigen Xamentoiletten. Äein guter ©eitiuS pat über ipneit 
gewaltet. $ier f4einen fi4 no4 — i4 ertenne eine fepr erpeblicpe 
An 5 apl befferer unb oorjügli4er Seifpiele gern an — Äunft unb ©e- 
werbe §u fliepen. Xer jugenbli4e Arcpitett pat feinen J4ön regelnben 
©inn ber pöcpften Aufgabe, bem ©cpmud weibli4er Anmutp no4 ni4t 
jugewenbet. Aber icp bin gernifs, baft au4 biefer 3dt^>unft ni4t mepr 
fern ift. SeifereS Ptafi in ber Serwenbung ber Spaten, p e jj eter 
garbenfinn, beffen ©tärtung au4 auf ben fiegrei4 oorgebtungeiten @e* 
bieten no4 immer unfer §auptaugenmert fein mu|, unb ber fiep nament- 
Ii4 in ber oft ganj unglüdli4en gufammenfiellung einfarbiger mit 
mille fleurs5©toffen oermiffen läfet, ©til, (Stil unb wieberum ©til tpun 
notp. 3m Uebrigen oertenne icp ni4t, ba| bie ©tlaoerei bet $ur %tit 
befonberS abirrenben SRobe unb bie Serfüprung, Auffepen §u erregen, 
ben ©tanb ber LeiftungSfäpigteit pier mepr als anberSwo oerbunteln. 

§ätte ©müe 3ola bie Serliner ©ewerbe AuSfteHung ju fepilbern, 
et würbe an ber ©teQe, bie wir jept betreten, längeren ©alt maepen, 
wie er jebeS 9Ral tput, wenn fein ©eru43finn mä4tig erregt wirb. 
2Bel4e Siaturfhmbolit tönnte uns ber ©tilift beS 8leaiiSmuS in bem 
Kampfe beS Sitterteit auSpaucpenben LeberS unb fteepenben ©uttaper4aS 
mit bem wei4cu, erf41affenben Xuft beS 9Jlaiglöd4cnbouquetS unb bem 
härteren beS „Serliner 3BafferS", mit ben punbertfältigen ©jpalationen 
ber frpftallif4en ©ifte unb ©al^e entpüßen! UnS ärmeren Naturen, 
we!4e wir baS pöpere Leben in bem zweifelhaften ©eruep ni4t ju apnen 
oermögen, bient er wenigftenS als SBegweifer jur ©ruppe II. Son 1660 
©auptbetrieben paben 41 auSgeftettt. SBir bürfen baper nur fepr be> 
putfam ©cplüffe ziepen. Xie Arbeiten ber ©erber, wet4e bei anberen 
©elegenpeiten fepon in weit auSgebepnterem Umfange 8te4enf4aft ab* 


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14 


Ule 


Nr. 27. 


gelegt Ijaben, bemtifett, b«8 Kitt g*H fo Ättf ifl, ein SSerlitter IBnntt eS 
nid^t gefepmetbig nta<p*Ä; ©ei bem gell eirteS frdfüg Sal= 

rogeS gehören freilicp brei Stifte betju. Stntt ift einet gdbtif RÄt# 
oft ftur an eirteth einigen Rlemeü pflügt, fo gnbet tttdn piet ®£empldte, 
Me \ii bte ©tfftlltittg Oiefet Rttfgd&e fepon bitrffj ipr gtamnte4 Rnfepen 
©aremtie bitten. Äbet an<p bte fnbfiietett Sfafptihpe ber Sännet be= 
friebigt bte ©erlittet SeberfabrifdHbtt unb Brandt ftd) bte Oeftreicper, 
Muffen unb gtanaefeft üiept me!)t ootpaltett jtt lagen. ©cpöne £eber= 
mojaitett, ja ©alantetiewäarett oerwtübet, ftnben gtp fcpdn piet, Wo 
mir eS ttiept etwartett. ©pectalitftfen teijen uttfere SBigBegiet in ber* 
Bältittgm&gig gt&get ffnaapl unb mit ©enugtpünng bemetten mit bas 
oetgätfte ©fügt beb ©umittirabeS. Stab Raffinement in btt ©tabatiön 
ber Retfeloffer lägt leine Saune ber unoerganbenert graü, bie im ©abe 
befftteb ©etgftnbnig a u gitben Bogt, Unberüdficpftgt. 

©om Seber jum ©apier ftttb ttur ein paar ©tufen. S>ie ©ruppe III 
Bat in einet ©pecialauSgeflüng ©elegettpeit geprtbt, ipte ©tflrfe ju er« 
weifen unb glaubte wo# auf tpten Sotbetrn rupen jtt löttnett. ©ott 
ben Seiftungen bet Sapetenfabrittttion, bie ipre pödjge Wrtfpannnng attf 
bab ©ortBellpaftege Belunbet, aber eilt ©urcBfcpnittSBilb feputbig bleibt, 
erpalteit Wir noep an bielen jerfttetttett ©teilen bie auSgeaeicpnetgen 
groben. S)iefer gwetg befirtbet fiep im flemäBtleiftertben ©ofltact mit 
ben tegierenben Säcpten beb ÄünggewerbeS. Stam Rüge am auffätlig= 
ften ^ebucirt fiep bet gabtilationSaweig ber ©pipenpapiere, ©ouquet* 
mattfepetten unb Sortenfragen. Sir Baben eb Biet offenbar mit einer 
bebeutenben ©pccialität anf gefunber ©afiS $u tBun. Rucp taffe man 
nicBt unbemetlt, in wel(B natttat Seife ber finblicpe ©imt über* 
feeijcBer Rationen burep bie bunten ©tlbcpen beb ©etliner ®£pörts Be- 
friebigt wirb. 

Sir gepen jept oor bet ©ettaeptmtg eittet ber wertBooflgen ©nippen 
ber RuSgeHung, welche unter bem UttfirtnlitBen ©egrtff ^ola^rtbuftrie 
bie ©rad)t iBter ©dpapfammetn ni(Bt ftBnen lägt. 34 gebrdtteBe biefen 
Ruibtud nicBt al4 Rcbegosfcl. S)et eingeweibte Sefer töeig, bag icB 
bamit auf bie ftatitid^e Retye btt „# ojett" Birtbeutc, irt beiten bab &ung* 
gewerbe viribne unitis feittt ©ouoerättetät gabilift Wie ehie roeber 
de bronze. 

S)ie ©efcBi(Bte bet lurjen (g^otBe, »el<Be bab ©erlittet $attbwerl in 
feinet fänftlerifdEjen ©etBätiguttg oon engen ÄnfcBanungen unb ©ot= 
urtBeifen befreit, jur ©elbftetlenntnig jurüdfüBrt, jum RacBeifhf frember 
begeret Seiftungen anfpornt unb enblid) 5U fcBöpferifcBer ©elbgfWnbigfeit 
erBebt, liegt flar bor mir. 3Bt Eubgartg B^ngt mit bet gewaltigen 
SBirlung aufammen, weicBe ©empetb „©fir' auf jüngere Kräfte unter 
ben ftrdjiteflen übte, bie lange gefüBU, wab bet alb ©taftifer unb 
$Beoretilet gleich gtoge ©lantt in Starte fagte. 3)iefe Sntegitugen 
fanben RaBtung in ben SBeltaubgellungen. 3tt bie etge Hälfte ber 
fecBaiget gaBte fällt bab Sitten ©emBatb ftoifcBetb, ber, unb fruB ent= 
riffen, lange genug gelebt Batte, um UnbetgänglicBeb ju teigen. Sir 
begruben iBn, alb taum bab ©eWetbe=SRnfeum feine fcBücBtetnen SeBr= 
oerfucBe begonnen Batte. Sie glfldlkB Wäre et gewefett, aub biefen 
fcBwacBen Anfängen einen monumeutatett ©au im w&rtli^en wie bilb= 
ticBen ©inne B^ttorgeBen au f«Bttt, wie Bütte et eb berbient, einer ber 
SüBrer au fein. ®r trat für bie Sieberbetebung beb ©(BmiebeBanbwerfb, 
für bie !üngletif(Be ©egaltung bet eblett Setalle; für bte ftilbotte ©e= 
Banblung oon Riöbet unb $anbgetätB ein. ©t wagte genau, wab an? 
berb werben follte unb lonrtte, uttb uUbanfbat Wäre eb, fehte Seigungen 
nur abfotut au meffen. S)ann tarn bet franaägfdje Jkieg mit feinen 
entfcBeibenben Sithmgen. ©ertin wöt itic^t meBt bie $auf)tgabt ©teus 
genb. S)ie fcaugtgabt beb beutftBcn Äaiferret(Bb abflf junge, eBtgeiatge 
Kräfte mäd^tig an. S)ie Sunft würbe bnr(BbtocBett> unb Beute grünt 
unb blüBt eb unter ber $gege waeferer ©ärtner, fdWeit ber ©lid teid^t. 
Sag bocB ber eine trobifcBe ©ganaen acclimattfiren, M attbete Selb- 
blumen oerebeln, Wir wollen geben in feinem Streben, föfetrt eb etng 
ig, adgen unb mit ©ergleitBen unb ägBettfdjfdn ©ebenfert ben friWen 
Sug, ber bnt<B bab ©änae WeBt, nicBt Bemmen. 

Unb mit folgen ©m^gnbungen trete tdj( betilt Sitwerben gegenüber, 
welcBeb ficB in ber RetBe bdt SimmeteinricBtungen beraufegenb ent= 
faltet, ©b gilt mir nicBt bab ©ege bem ©efferett entgegenangeien, 
nur bab ©efüBt gegenüber bet güüe oon ©d^önBeit, bie unb B^et er= 
Wartet, au orientiren. 

SHe Objecte, um welcBc eb ficB Baubelt, gnb btr SeBtaaBl nacB 
©ottectiO'RubgeUungen, b. B- burcB bab Sufammenwirfen uerfcBtebener, 


auf ben oerfcBiebengen ©ebieten tBätiger Kräfte inb Ser! gefe&t. S)ie 
3aBt ber S^BeijüeBmtt ftbetfteigt bei etttaelndü bab S)Ugeub. g<B lann 
baBer nicBt alle namBaft macBen, bie eb oerbienen, ©eim $urcBblättern 
beb Äatalogb fällt ein Ramenbpaat burcB feine Büugge Sieberl^r bor 
atibeten auf. S)ie RtcBttelteü 3Büe Unb ©tegmüller Baben ber 2tuS= 
ftellüng eine fcBött bütä^ äügeren Ümfang 3l<Btung gebietenbe ©umme 
odtt Rrbtit au^menbdf, äßet ge feigen fid^ aucB unfereb RnfBeilb burcB= 
weg metlB, mdrtü Wit tBre fediguttgen im ©ittaelnen prüfen. Sfünf 
äimmdteinricBtüngen üetbanlen iBten Entwürfen bie fünftlerifc^e Rn- 
orbitüng. Uttier ben ftei aufgegeXfteit Söbeln gnbert wir na<B iB^er 
geicBnüttg einen Äapttalf^ranf, ber bie ©egenjage amigB e u ber liebe= 
ootten RttbfüBrung beb dltbeutfcBett ^anbwerlb unb ber flüchtigen 
Routine beb thobertten dufauBeben fcBeirtt. S)er etferne gumelenfd^ran! 
aub bem Sltelier Oon ©entterfe, gldicBfdllb bab Setf iBrer ©rgnbung, ift 
bab dgentllcBd ÄaBinetbftÜd ber ÄubfieKung, unb gewig entzieht gcB bei 
mamBett ©egengänben iBte ^BeilnaBmd ber ©eacBtung. 3^ utöcBte ber 
unter btto Ramert oon ©dbtttbet 3)anfterg aubgegeUten 3imrnereinricB= 
tuttg bdrt $reib Üdr ben aitbeten btei — bab ©cBlafaimmer fteBt a u ' 
näcBft nttgerBdlB ber ©oncurtena — auerfennen. Star ©egenfag beb 
BlaugrünlitBett ©UBertonb ttött bdtt bominirenben ©togen au bet übet 
bem ©ettfjegmb aufgeigenben fldrbraunen Sebertapefe mit ben matten 
©olbBudelrt etaielt einen aüb ötigineUget garbenempgnbung gefcBöpgen 
S)ecotation^egeet. Unb in ber ©elbgftänbigfeit ber cotorigifcBen Gattung 
gnbd ich aucB bab WefentlicBe ©erbieng beb guterieurb oon Rofenfelb 
unb griebläitber. 34 miH nur gleich/ auf bie ©efaBt Biu bet grengeren 
RicBtetrt anaügogen, befennen, bdg mir aucB bab erficre gana auger= 
orberttlicB gefällt. S tab guoiel empgnbe id^ fcBon bötin, aber folcB ein 
üppig betaufcBenbeb ©piet ber garben gelingt bem pBantafiebolIen Surf 
nur einmal unb erfüllt bie Räume mit ber Romantil geBeimntgüolIet 
©orgärtge. Stab gimrner im ©tile beb 17. 3aB*Buribertb enblicB, wel* 
cBeb mit feilten !atmiu=ainubbetrotBenSöbetftogen nnb bem breitBciligeu 
genger dlb Slbfdfjlttg beb Btetten, etfdrartigen Rubbaub feinen ©eig Oon 
ben SntetidUtb eineb SerbdtcB Urtb Setfu empfängt, Will wieberBott ge= 
feBett fein. J)i t ©egenfägd amifdBert ©rün imb RotB mögen bem ge= 
jcBmä(Btert mobetnert ©lief tooBl auerg etwab Bart erfcBeinen. ©ei ben 
SöBeltt, ben ©etailb bet Äamine unb oielen anberen ©pecialitaten, 
bendtt bie ©eacBtung biefer Zünftler ftetb mit gleicher Siebe augewenbet 
ig, beunruhigt rtticB eine ficB nie genugtBuenbe S)ecorationblug, fo feBr 
ihr bie ©oKenbüttg im ©inaelttert bab Sort rebet. SlucB bie oon ©. Rieht 
aubgegetlte 3iuimeteinricBtung gellt bab ©erbieng beb genannten Rrd)i s 
teftett urtb iBter SitatMter in ein feBr günftigeb SidBt. 

Sie man duf gana nnberen Segen au gleich BoBeu ©rfolgen ge= 
langen fantt, ^eigt bie unter bet fünglerifcBen gtiBrurtg obn Äapfcr unb 
oon ©togBehtt oerangaltete ©oUectio^ubgelfnttg. S)ab ttu ©tile ber 
bentfcBen Renaigance gebadBte 3imnter empfängt feinen ernftert ©runbton 
oon bdt gatbe beb ^olagetäfelb unb ber Iräftig fcBlicB^u ©allenbede, 
weicBe neben ben etwab üppig wuepembett SßracBtbeedtdtionen ber ©at* 
tung befdnbere ©eaeptung öerbient. ©in auf güte gemalteb, trefflich 
gitigtteb S)igeimuger tn gumpfem SecBfel Oon ©rün, Rofa unb Seig, 
alb SaubbefleibUttg über bem hotygetäfel aur Stade duffteigettb, bie an 
garbe trüb Orrtdment frei wecBfelnben SJtöbelgoge uttb Biet unb ba eine 
frettttbüdB anntutBenbe SRalerei auf B^m ©olagtUrtb Batmonigren in 
grenger SRägignng bert marfigen cantus firmus ber $olabelleibung, 
weicBe in ber präcBtigen ©äulenbecoration ber SB^te bie geffeln ab= 
wirft unb fleh nt ffibltdjer UngebunbenBeit ergeBt. 3Rit bem portal 
tBeilt ber gegertüberliegenbe, lüBn im ©egenfag oon ©4mara unb Seig 
gebaute famin, bie Aufgabe ben ©ruft au beleben, ber burcB ein au§ 
bem ^albbttnlel geBehnnigOött Betau4fcBauenbe3 ©ilb eines alten gäl= 
fcBerS oon ©ugowS garfer $anb OteüeicBt meBt als nötBig erhöht wirb. 
Rber wenn ben voyageur autour de aa chambre ber ©raubatt ba 
oben fottfcBettcBt/ fo lodt iBn bafür mit ttnmibetgeBlici)er SraulidBfeit 
bet fonrtige ©rfer bie ©tufert empor uttb umgibt iBn mit einer gütfe 
reiaooHfter Äleirtlung nutet bem woBltBitenben SicBte beS mtlb colorirten 
gengerS. ©aS ©erätB geichnet gcB burcB jene meBt breite, ber glätBe 
iBr Recpt laffenbeS unb gtoge einfache gormen angrebenbe ©eBanblung 
aus, welcpe ber Serlftatt oon SWaj ©cpula ipre ©eibftgänbigfeif toaptt. 

gep weile autp gana befonberS gern Oor bem SoBufaldn Oon S. 
©ernau, begett ©erbieng bem genannten 3)eeorateur auSfcBlieglicp auau= 
lontmett gpthit. S)iefeS gutetieür ig oiedeiept baS ftimmungSfäBigge 
unter bem ftecpfd ber SageSaeiten. S)ie lüpue Paarung beS olioen= 


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Nr. 27. 


Sie ®*ge nnrari 


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ßrttwi wt flötWj warnen Neffen mit bem «ifbttflfnttj ; 

•er gefrahjfch Sorbett bon hellblauer Seibe, ein ©egeufap bei* in ben 
Stypeloorpängen fein unbebingteS Nedjt beweift, entfaltet unter beit 
©iüwirlungen beö roanbernben ßicptS ein getabeju gauberifc^eS Spiel. 
SokWifcpen fiept, mit Pofnepinem ©tttj! mobetirenb, baS fatte Samara 
•el Holkwerfs. 

$a$ 3)amentoopnkimmer beS Srcpiteften Shtpn wtb ^ NialerS 
§. Hübner empfängt feinen befonberen Neik oon bem ©laSfenjter Seffel« 
ila^ ©walbS ©arton, ben £)riginalarbeiteit eines Neinpolb VegaS unb 
tikfe unb einem anfterorbentlicp artaiebenben Vilbe ton SMelifc, bie §alb= 
flgtr einer frönen grau im Nenaiffancecofiüm barftellenb, aber eS wirft 
<tu$ burch bie parmonifcpe unb ben ©djein bc$ giifäfligctt gut waprenbc 
iJrtppirung üppiger Stoffe unb bietet in beit leidjt gebauten orienta= 
lii4 empfunbenen unb mit ben Ornamenten beS DccibentS gefcpmudten 
9tibe(n Pon rotpern ßacf mit ©olb* unb ©ilberpreffung ein treffliches 
»efftrfrt jattj tmabpängtöen ©d)äffett*. 

Slucp bet Hugo £icpt werben wir nicht Pergeblicp nach auSgekeicp-- 
neten Details fuepen. $ie treffliche Stede, bie glügeltpür in $ienenpolk 
mit mufterpafter ©cplofferarbeit, ber $amin, ber burch ben SuSjcpluf$ 
ber ©lafur meinem Äuge gank befonberS wopliput, oor Sllem aber ber 
Ofen nach •rn Lobelien beS raftloS unb petS mit Erfolg thätigen Otto 
fiefpng, mit ben fid) bem $ad)etmert fo äufjerft glüdlich anfügenben 
SKetalltheilen ooij geflanktem SNejfing aus ber Sterlftatt bon Meters, 
empfehle ich brnen ju gank befonberer Beachtung, welche ber Sftangel 
an frappirenber ©efamtntwirfnng ja fcpnell Porübertreiben lönnte. 

gingerling geht einen gank eigenen Steg unb ich benfe, cS wirb 
ihm nicht leicht ©iner ben ©lüdwunfd) ba^u Perfageit. Gr fept bie 
SBirfung feiner 2)ecoration lebiglid) auf bie heiter fpielenbe $unft beS 
3RalerS (S. ©obotta), bem nur hie unb ba ein architeftomfcpeS ©lieb 
tn Pontepmem ©rau mit leichter Vetgolbung bie ©epranfe weift. $>ie 
^^antafte pnbet ben toeitepen Naum, fich k« ergehen, fein farbiger ©toff 
fommt ihrer Srbeit &u Hülfe, unb wa$ fie hier erreicht, hat meine Polle 
©hmfKipte SBaft bergeffe nicht trnb beperktge baS auch bei ben meipttf | 
anbetdft Sttt^rieur^, baß erjt bie Stepnung beS Raumes, beffen ©rmrb* 
fläche ju ber Hope nur bei wenigen in bem Verpältnifj ber SSirflicpfett 
ftept, ttti abjcpltepenbeS Urfheil geflattert famt. Nirgenb ift baS fühl- 
batet dfs bei bem Sßalaffkimmer bon $rieg unb ©oerfe, welches Pott len 
Ärcpifeflen ©cpüp unb 9K. teurer feine geizigen Smpulfe empfangen 
hat unb fich befdpeiben „ein ©peifekimmet" nennt. 2ftir ift s, als hätten 
übetirbifche SRächte aus einem alten ^alaft SSenebigS btefen ©aal mit 
feinem betaufchenben Inhalt übet 9iacht auf bie berliner 5luSpeüung 
gef^afft $ier mup ich aw^h ber Sftajolifen Pon SB. Xintm gebeuten; 
ich lonnte Ol fc^ört frühet thrnt; biefe beiben orientaltfd^eK ßöpfe gieren 
gank befonberS an. 2)er Zünftler fcheint berufen, bie fdhöne $itnp, bte 
fo btelfach tn mtjjperftänblichet Nachahmung befangen ip, für Berlin in 
felbppäitbiget gorfentwicflung ku erobern. Qm ©ingaug meines nächpen 
unb lepten SlrtifelS bleibt mir noch einiger fehr Perbienfitwßet ßeipungen 
ju gebenfen. £. 


^otijen. 


S5ie itit Orient Wie im Slbenblanb fchwebenben politifchen $ r ö = 
b lernt finb nunmehr mit bem ©eginn ber gewöhnlichen gerienkeit 
theilS gelöft, theilS ihrem Slbfchlnp nahegerüeft. Natürlich nur bie wich¬ 
tigen. ©S bleibt ftetS ein Neft, unb baS SBort: II n’y a pas de der- 
nJ^re affaire! behält auch bieSmal feine ©eltung. Slber fo Perworren 
Wie noch Por wenigen SGBochen nehmen fich bte meipen gragen hoch 
nicht mehr auS. $er banfrotte unb Wortbrüchige SSicefönig Pon ©gppten 
ip oor bie Xhür gefept. ©ein ©olju erweeft Hoffnungen, bie unter ge* I 
bfthtenber weftmächtlicher unb europäifdjer Nufficht ftch wohl erfüllen 
werben. SBemt ein ©taatswefen burch Xreulofigfeit unb ©orruption ber 
leitenben Greife grünblich verfahren ift, bietet ein ^erfonenwechfel wenige 
penS bie Ntöglichfeit ber ^efjernng. 5)aS burch S^tnail $af^)a an ben 
Nanb beS ttbgrunbS gebrachte ßanb ber fßh ata °nen tann jept ein neues 
ßebenSblatt umfchlagen unb fehen, ob ihm bie junge Sera nicht Wieber i 


auf bie güpe httft- ^olitifch betrachtet, h a ^ cn P^ sahffofe ^tophe* 
keiungen Pon ber S^tefpältigfeit ©nglanbS unb grantreichS, fowie bem 
unbermeibtichen giaSco ber beiben fi'abinete einmal wieber als ha^loS 
erwiefen. ^ie rafche ßöfung ber grage befreite manche XageSpolititer 
aus einer peinlichen SSerlegenhcit. SBährenb einiger 3*it hatten fie nicht 
gewupt, ob fie baS beutfehe SSorgehen als SuSgangSpuntt ber in Äairo 
fiegreichcn Setion ber SBcftmächte preifen follten ober nicht. Ntiplang 
bie leptere, jo hätten fie ja bie eigene Negierung in bie biplomatifche 
Nieberlage mit PerWicfelt unb fich ouperbem beS gewöhnlichen Vergnügens, 
über ©nglanb bejpectirlich k u raifonniren, beraubt. $aher ein Porfich^ 
tigeS SaPiren unb eine ©prad)e, bie je nach bem ©reignip in Sob ober 
Xabel auSlaufen fonnte. 2)ie VorauSfepung übrigens, granfreich unb 
©nglanb würben ftch öon bem ruinirten ©peculanteii unb ©rünber am 
Ufer beS Nil bie Stege weifen laffen, h a Ue wie in anbern gätlen gc= 
keigt, bap bie ßeute, wenn fie fich in ihren Pier SBänben einer faljcfjen 
©ebanfenrichtung überlafjen unb benfelben Unfinn täglid) wiebcrholt 
haben, fchlieplich felbp bar an glauben, ©ank ähnlich Wunberten fid) 
poriges Sahr einige weife ruffenfreunbliche Organe, Warum baS märt)- 
tige ©karenreich fid^ um bie folbatenarmcn ©ltglänber Piel flimmere unb 
Por ben Xh 0 ^ ©onftantinopelS mad)e. SBären biefelben Vlätter, 
als VeaconSpelb unb SBabbington bie Unterpüpung ber ©epritte gegen 
ben ^^ebiöc bei ben anberen Negierungen nad)fud)ten, um ihren Nath 
befragt worben, fie hätten ohne änmfel bringenb empfohlen, bap man 
bie beiben oerhapten Niiniftcr, namentlich ben englifchen, bie golgen 
ihrer rafepen 3nitiatipe foften laffe. ©lüd Werben jene Orafel bei 

folcpen Gelegenheiten in ber Ncgel niept befragt, unb bie europäifche 
Ntitwirhmg blieb bei ber iu ©gppteu nothwenbigen Ncform Porgefehen. 
©o h a * bie pon bem perriieften Treiben beS Ähebipe h erau f= 

befcpworene ErifiS ihren acuten ©ho ra ^ ct Floren unb wirb bie ©ommers 
frifepe beS politijirenben ^ublicumS ni^t mepr ftören fönnen. Sucp am 
Valfan fcprt naep unb naep bic Nupe ein. 2)er gürft Pon Bulgarien 
mup fiep balb mit feiner ©inrieptuug bejepäftigen unb Slefo VogoribeS 
fuept baS 3Niptr<ttien k« k et f^ clietl / Weites fein erfteS Suftreten Peran* 
lapt patte. Vleibt noep bie griecpijd)e grage, bie fiep mit einiger unum= 
gänglid)en Ncfignation auf beiben ©eiten, wenn nidpt aus ber SBelt 
[ fepaffen, boep palbwegS Pertufcpen unb Pertagen laffen wirb. 3m Oc= 

! cibent gibt eS für ben Sugenbltcf faft feine brennenben Probleme. 3)er 
1 ©treit, ob ber VouapartiSmuS tobt ober auferftepungSfähig fei, pat felbp 
für bie graukofen unb natürlich nodp mepr für unS einen afabemifepen 
! ©parafter angenommen. ©S wirb fiep barüber Niemanb mepr erpi^en. 
©ambetta foll bem XimeScorrefponbenten kufolge ben Xob beS trinken 
beSWegen bebauert paben, Weil bie wenn auep trügerifepe SNöglicpfeit 
eines bonapartiftifepen ©taatSftreicpeS bie Nabicalen k«t SNäpigung er= 
mapnte itnb pon parlamentarifdpen ©jeeffen kurüdpielt. Sn irgenb einem 
äpnlicpen ©(precfmittel wirb eS in ^fariS auep Weiterpin niept feplen. gür 
unS patte bie jeweilige ftofetterie mit bem SBonapartiSmuS nur ben 
©inn, bap eine fran^öfifepe Partei mepr bie dtiberen im ©epaep palten 
l fonnte. Von einer fpäteren Verpanblung wären bie Napoleons ia boep 
burep bie Venebettifcpen ©puren abgefepredt worben. ®er praftifdpe $oii= 
tifer Wirb baS bonapartiftifepe ©lement bis auf SteitereS fcpwerlicp in 
ben ÄreiS feineT Berechnungen aufnehmen unb lieber ber journaliftifcpen 
©ppäre übetlaffen, wo beffen Vefpredjung immerhin nüfclicpe 2)ienfte 
leiften mag. ©S ftänbe alfo für bie Neifekeit faft nur itod) bie ©rlebi= 
gung einiger inneren ©treitpunfte auS. 3e weniger pon biefen gefproepen 
wirb, befto beffer. 2)aS ©rgebnijj wirb faum niept ber 

fdjeinbar fiegreicpen Partei, eine erpcblid)e greube bereiten. Ntancpcrlei 
Wirb opnepin in ber ©cpwebe bleiben unb fiep hoffentlich im Herbft, 
Wenn niept gank opne 3om unb ©ifer, boep mit freiem Vlid unb er= 
frifepten Neroen biScutiren laffen. 


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16 


lie (Stgtitnnirt 


Nr. 27. 


$nfeY«te. 


äfomufcripte 

jeb*r Vitt »erben auf bie forgfältijjfte unb 
bifligfte SEBeife iu fünfter Qeit oerotelfältigt. 
RähereS sub J. R. 8987 bei OlutlDlf Stoffe, 
Berlin W., griebrichftt. 66. 


3m Berlage oon (EikcrUtn in feipjig, 
SBeftftrafje 37, erfreuen unb fmb burd) alle 
Söu^anblungen 511 begehen: 

§taat 5 ®idljfrf)nftli^e JUtipfalniigfii 

herau&gegeben non 

Dr. 'gl. $. geyffextfy. 

3äbrlidh erfdjeint eine Serie oon 10 heften 
jum greife oon 1 JL per $eft; jebeS^eft »irb 
aud) einzeln abgegeben Bis je^t erfeijieuen: 
Jpeft 1 unb 2; §eft 3 befinbet fich unter ber treffe. 

$>ie brei erften §efte enthalten unter anberen 
folgenbe 9lrtilel: Unfer Programm. ~ 3ur 
©ijenbahnfrage. — Bie ©etoinnbetheiligung 
ber Arbeiter. — ©olonifation unb 9fo8»an- 
berung. — Steuern unb Solle. — Ber mo= 
berne BerfaffuitgSftaat als RechtSftaat. — 3n = 
t er nati onale Arbeiter gef efcgebung —unb 
jablreiche Befptedjungen neuer SBerte. 

Bie folgenben $efte »erben u. 91. enthalten 
Ruffäfce über: 9lrbeiteroer jidjerung. — 
3nnung3frage — 9lrbeiterfd)u| auf bem 
Sanbe. — Xab afft euer unb Monopol u.f.». 

Sie „$taats»irthfi|aftli<|en IbhanMangen“ 
»erbe« alle« bene« »arm empfohlen, »eldje 
fH für eine ftefintt ber fokalen ©erpaltniffe 
intereffiren. 


ßeife* unb S&abe^lCeftfite. 


3m Verlage von 98. 98cKermann in ITIüns 
djen erfdjetnt foeben unb ijt in allen Sud?-- 
panblungen oorrättfig: 

m bftüljitm §d)»toiif«. 

5euilletontfüfd?e Karrifaturen 

oon 

JBfietljatb iuftab jldjarft. 

Ausstattung, (ßröfje unb Stärfe tuie 
„ttlautljner, Hadj berühmten ^Huftern“. 
preis 1 JL 50 
3ntyalt: 

1) [paul %yfe.] Das oerlorene parabies, ((Eine 

Kfinftlernooelle,) 

2) [3<>b<Hines Sdjerr. J Der Aberglaube im <£ub 

turfgmpf mit ber IDeitgefd^id^te. 

3) [friebridj Bobenftebt.J Der Qofenfd^neiber 

non Kafdfintr. 

4) [Die (Sartenlaube.] 3nfHnft ober Ueberlegung. 

5) [<E. IHarlitt.] 3m fjanfe bes Dompfaffen. 

6 ) [(fr.cSerftärfer.] (Ein Kampf mitBeuteltljieren. 

7) laffaüe.] Aus bem ZHufterbrieffteller für 
üebenbe. 

8 ) [ID. filtern.] Alpettrösdyen, 

9) ufnfc Heuter.J Krifdjan piepenbecfel un 

(DU Bräßg jten Katt. 


$ie Gartenlaube 

1 SRart 60 

bringt im britten Quartal bie gortfepung ber mit großem Beifall aufgenommenen 
©rjählung „$« SihifHngsßof“ oon (f. fltarlttt, ferner „Ans nergeffetim Jicfen“, 
eine ©riminalgefchichte oon fans tBlura, eine Reibe oon Rrtifelu aus bem Seben 
ber Qeit, Jo»ie zahlreiche unterßaltenbe Rufjftpe aller 9lrt. , 

Sie SBerlag^anblung oon (£rn|i Reil in Seipgig. 
Rlle Sßoftämter unb Buchhanblungen nehmen Beftellungen an. 


Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig. 
(Zn beziehen durch jede Buchhandlung.) 


Thomas H. Huxley’s 
in Amerika gehaltene wissenschaftliche Yorträge, 

nebst einer Vorlesung über das Studium der Biologie. 

Autorisirte deutsche Ausgabe von Dr. J. W. Spengel. 

Mit in den Text eingedruckten Holzschnitten, gr. 8 . geh. Preis 3 JL 


Vertag oon 3 . üuttentag ($. Gattin) i. Berlin. 
(3» bejie^en burdß alle Buchhanblmtgen.) 




©oebeit erfeßien: 



Ijiumndlt üomäliitn 


oon 

iSubalpff (J5en6c. 


@rfte§ ©änbepett: 

Shirdj! — ©tephpÖJirarb. — @^eftanb9=@^erjitien. 
— Xruffalbino (nach ÖJolboni). — 2)a9 heifje 
@ijen (na^ §an9 8ach9). 

8 . <ßrei3 2 .fL 60^. 

9 tacpbem bie beibeu belannten unb beliebten 
2 uftjpiele „^urch!'' unb„ ©heftanb9=®jeraitien # ' 
längft auf ben ©ühnen unb ßiebljabertheatem 
eingebürgert jtnb unb in ber @in$elau3gabe 
toieberholte Auflagen erlebt f^ben, treten bie= 
feiben in bem oorliegenben Sanbe — „®heftanb3= 
©jerjitien^ in et»a9 oeränberter gorm — oon 
feuern an bie ßeffentlidjleit Son ben brei 
anberen ©tüden, »eiche biefer 93anb aufcerbem 
enthält, h^ben jwei, „2)a9 h*ifie ©ifen^ unb 
„©tephh ©irarb", ben SBeg über ^ah^dche 
kühnen genommen unb ba$ leptgenannte hot 
fich auf bem Repertoire be9 berliner Äöniglichen 
©^aufpielhaufeS bauernb ju behaupten ge»ufjt. 
„Xruffalbino'' nach ©olboni erscheint tytx §um 
erften SRale in einer für bie beutfdfje 93ühne 
paffenben Bearbeitung. 

2 )en greunben ber bramatijehen Rtufe, ben 
Bühnen,unb Siebhabertheatern feien bie Romöbien 
©en^eS »arm empfohlen. 


$itrch jebe Buchhonblung 511 beziehen: 

«euter’ö Himmelfahrt ober: SSBat 
fict ©iinbag, ben 12 3uli 1874 in’n Fimmel 
tobrügen bäh- 4. 9lufL $reiS mir 10 -V 
Bei dinfbg. o. 16 A tn SRarfen bircct franco. 
3ntereffant für jeben Berehrer Reuters. 

äßurjer, ©u^üonberbetttf^en^lotte. 

$rei9 50 gür jeben greunb unf. SRarine, 
für jeben, ber bie SRarines(£arriere ergreifen 
»itt, unentbehrliA. Bei ©infbg. 0 . 60 ^ 
in Rtorfen Street franco. 

RüUnuntit & Geartet* ttaihf., Darei. 


| Hnmonftifdje Bonität! 

♦ Soeben erjd^ienen: 

g>cHufhe u. Füller 

auf ber 

berliner . 

GetoerbcaugfteUnng. \ 

Immoriftifche ©hjjen mit Beiträgen i 
oon + 

3. «rojau, 3ulius Stetteuljetm u. X ♦ 

Sßuftrirt non ^c^oCa. X 

3 n garbenbrudum{(htag. % 

1 B*rei9 l JL J 

4 Berlag 0 . R. gofmanu & Ra. in Berlitt W., ♦ 
J Rronenftraße 17. T 


Bestellungen auf die 

zum XV. Bande der „Gegenwart“, 

sowie zu den früheren Bänden elegant in Leinwand mit blinder 
und vergoldeter Pressung zum Preise von a 1 Mark SO Pf., 

werden in allen Buchhandlungen entgegen genommen. 



ffUdta, »frei« N.W 1 Jtronprisiftemifer 4 


Sfßf bif ftebaction bnanttoortlicß: #rarg ßtiUe in »erfio. fxpfMtia«, »n(i«i W., ßurfütfienftca§f 73 

non ». fmlwrr in 


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M 28 


Ilern», be» 12. 1879. 


Band XYI. 



6c0ciitunrt. 


äBodjenfdjtfft für Siteratur, Äunft unb öffentlidjeS ßeben. 


Herausgeber: |f(Wf o^^au in SBertin. 


Jda Jnnitit ntytiat eh» gnmn. 

bniebm burrfi olle fiudibanMunften unb Softanftalteii. 


Serteger: Georg Stille in Berlin. 


ftm p$ tyntiil 4 |ni 50 ff. 

3 nierate ieber Brt pro Sgefpaltene $etit}cilr 40 


3 n 0 aft: 


%et Sßrtna ^ on Oranien. 2$on Batavus. — %tx $toce& ©afiletmtfdj unb bie ftuftebuitg ber Berufung in Strafjadjen. $on Ä. 
— Literatur nufe ihmfl: §einridj SBif^elm 2)ooc. ®on $art 93rubu3. — @in Sonntag in SBerotia. $$on ^crmannBtngg. — 
Seit 3*$**«- $on ©buarb oon $artmann. (Sdjlufj.) — $ret ©riefe oon George Sanb unb ftrtebrid) Söopiti an fcbolf 
©utmarnt k. ©on ©ernljarb Stabenoto. — Ätt* bet #§»|rtfiafct: 2lu$ ben Äunftaugfteüungen. ©on ***. — Cffene ©riefe unb 
ttnttoorten. — 3nferote. 


Oer prinj oon dranien. 

borgen wirb fid^ bie Familiengruft ber Dränier in Seift 
über ben fterblichen Ueberreften eine« ©rin}en fchliefjen, bem 
non 3ugenb «uf baö heitere Scf)icffal lächelte, einmal einen 
Xhron befteigen ju bürfen, ber, unberührt oon ben wechfeloollen 
©erwidlungen im übrigen ®toropa, feinem Staber bie ooHe 
Freiheit gegeben hätte, ein ibpflifcheS Safein, wie weilanb König 
Senfe mit feinem ßiebeShofe, ju führen. Ser Senfenmamt hat 
im otanifdjen $aufe währenb ber lefeten }ebn 3af)re eine reich 5 
liehe örnte gefchnitten: im Januar 1871, währenb ber fönigtidje 
©ruber mit bem beutfdjen §eer ©aris belagerte, fanb bie ©rin; 
jeffln ßouife, bie (Sattin beS h°$berehrten ehrwürbigen ©rin}en 
griebrich, i^re lepte ©upeftätte in Seift; ein ^apt fpäter öffnete 
fi<h bie ©ruft wieber für eine beutfdpe Fürftentochter, für bie 
©tin}effin Ämalie oon Sacbfen;2Beimar=6ifenücp, bie mit bem 
©ri«}en Heinrich, bem ©ruber beS Königs, eine neun}epnjährige 
glürflich« ®h« geführt hohe; im 3uni 1877 ftarb bie Königin 
Sophie, im Secember 1878 ber ©rin} Heinrich, ber ßiebling 
beS ffiotleS, nachbem er nur wenige Stonate mit feiner anmuthigen 
©attin oereinigt gewefen war, unb jept, nachbem laum ber Feft= 
fubel, mit bem bie SBieberoetmäblung beS Königs mit ber liefe; 
tei}enben ffimma oon ffiatbeel;©hrmont baS ßanb erfüllte, ber; 
Hungen ift, tommt aus ©atiS bie erfchüttembe Kunbe, ba| ber 
präfumtioe Zhronerbe, ©rin} SBilpelm ©ilotauS Jtlejanber Frieb* 
rieh Karl Heinrich, 39 3apre alt, an ber ßungenent}ünbung 
oerfhirtten ift. 

Sehr gemifdjte ©efühte rief bie Zrauerfeotfchaft im ßanbe 
heroor. 2tuf ber einen Seite War man fieh ber Xpatfacpe wohl 
bewußt, bafj baS HauS Dranien jept nur noch auf JWei Slugen 
ftehe, bie burchauS nicht fo lebenSooQ unb }uöerfief|tlich in bie 
Bufunft blicfen, bafj jebet Bweifel an bem gortfeeftanb ber 
btrecten ßinie oerfchtoinben muff, anbererfeitS aber patte ber 
oerftorbene ©rin} bem ©olle, baS er cinft regieren foHte, 
weprenb ber lefcten fünf 3apte oöllig fremb gegenüber ge= 
ftanben; nur }um ©egräbnifj feiner Slutter war er oon ©aris 
hetbeigeeilt, um bann fofort wieber in bie ffleltftabt an ber 
©eine ab}ureifen, bort }u bleiben unb }u — fterben. ©on ben 
©ermählungSfeierlicpleiten in ©erlin hatte er fich in }iemlich 
bemonftratioer Seife femgehalten unb als fein ©ater, ber 
fech}igi&hrtge ©ret«, bie }Wan}igjährige ®mma heimführte, blieb 
er fchmoOenb in ©arife. Ser lepte ©ericht, ber in ben h*eftgen 
©t&ttern }u lefen war, enthielt bie }um fo unb fo oielften 
Stal aufgetragene ©nte oon einer beoorftehenben ©ermählung 
bei ©rin}en, wobei bebeutfam }u oerftehen gegeben würbe, ba| 


Die Sache biefei Stal etwas mehr, als ein bloßes ©erücht fei. 
Sie ©eftätigung blieb aber aus unb baS ®in}ige, was man feit 
biefer Seit noch hörte, war ein oom „Figaro" ausführlich er* 
jählter ©arifer ®hef<heibung8proce&, in bem ber ©rin} bie 
.'pauptroüe fpielte. 

®S ift gewiü ein feltfameS Schaufpiel, baft ein ©rin}, ber 
jeben Sugenblid }ur Zhtonfolge berufen werben lann, eS oor= 
}ieht, in ber oorberften Seihe ber ©arifer jeunesse dorfee feine 
Beit mit Zrinfgelagen, grauen unb ©ferben }u oergeuben, ftatt 
im eigenen ©aterlanbe actiben Mntheil an ben StaatSgefchüften 
}u nehmen, unb bei oerfchiebenen ©elegenheiten würbe eS auch 
laut genug auSgefprochen, bag es bem nieberlänbifchen ©olle 
leineSwegS gleichgültig fein lönne, wenn fein }utünftiger Honig 
fich ih“* i» fo bemonftratioer SBeife freiwillig entfrembe. Sicher 
finb derartige Stimmen auch nac h ©ariS gebrungen unb mögen 
in ben Zaumelbedjer, ben ber HönigSfohn bis auf bie steige ge« 
leert h Q t, Wohl manchen bittern, unangenehmen Stopfen ge= 
wotfen haben, eS ift auch möglich, baff oon oüterticher Seite 
nichts unoerfucht gelaffen würbe, ben groüenben Sohn }u oer= 
föhnen unb SBilhelnt III. hot babei oieüeicht mehr als ein Stal 
fchttter}lich ber 3cit gebacht, wo auch er , }erfaKen mit bem eige= 
nen ©ater, auf engtifchem ©oben bie ©achricht oon beffen 
Zobe erfuhr. 

9HS ©runb ber @ntfernung beS Hronprin}en aus feinem 
©aterlanbe wirb allgemein ber angegeben, baü im Soh 1 1874, 
als SBilhelm III. fein 25jahrigeS ©egierüngSfubiläum feierte, 
ber ©rin} barüber ungehalten gewefen fei, bafe nicht ihm, fom 
bem bem Schwager beS HönigS, bem ©ro|her}og oon SBeimar, 
ber ®hrenplah an ber Seite beS Königs eingeräumt Worben fei 
unb bah es bann }Wifchen ©ater unb Sohn }u einem 8Bort; 
wechfel gelommen, in golge beffen ber ©rin} nicht nur leinen 
weiteten Untheii an ben übrigen geftlichleiten genommen, fonbern 
fogat baS ßanb geräumt habe, ©ach ein« anbera ©etfion fott 
ein §eirath3project, }u bem ber ©ater bie 3uftimmung nicht 
geben wollte, ben StuSfchtag gegeben haben. SBie bem aber audh 
fein möge, jebenfalls mu| ber ©runb beS 3erwürfniffeS }Wif<hen 
©ater unb Sohn ein fehr tiefer gewefen fein; benn ber ©rin} 
muffte recht gut, welche ©erpflichtungen er feinem ßanbe gegen; 
über hatte, unb wenn alfo baS ©efüljl ber ©erantwortlichleit 
unb ber ©flicht in biefer SSeife }um Schweigen gebracht würbe, 
bann lag gemifj etwas SnbereS oor, als eine oorübergehenbe 
ßaune ober oerle|te ®itelleit. 

3u Welch frönen Hoffnungen berechtigte nicht biefer ©rin}! 
3eitgenoffen erinnern fid) noch lebhaft beS SubetS im ganjen 
ßanbe, als bem alten SBilhelm I. ein Urenlel geboten würbe; 
ber Heine ©rin}, als Knabe baS ©benbilb feines ©rofjoaterS, 

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18 


Die ©röfttiönrt. 


Nr. 28 . 


bei Könige SBilpetm »on SBürttcmberg, war eine tieblipf/ perj: 
getninnenbe Stfdjeinung unb nop peute bewaprt ber ©olllmunb 
öerfcbtebene Anecboten übet bie ©utmütpigleit unb einnepmenbe 
Siebenlwürbigteit bei töniglipen ©rinjen. All er »ofljäprig 
geworben war, burgreift« er mit feinem ^ofmeifter ba! Sanb 
unb ber aßentpalben fid^ funbgebenbe dntpufialmul bewies 
aufä Sleue, wie innig bai ©anb war, bai bie Nation unb bai 
$aul Dranien umfplang. Xie 3eit, Welche ber ©rin} an ber 
Unioerfität Serben pbrapte, fpeint er fepr gut angewenbet ju 
paben; benn nicht nur befucpte er pünttlicp unb eifrig bie ©or: 
lefungen, fonbern er entwidelte auch » n feinen» ©tubium eine 
©clbftftänbigteit, bie manchen feiner Seprer in ßrftaunen fefcte. 
SBenn auch bie oon einem Journal behauptete Xpatfape, bah 
ber ©rin} fertig tateinifch gefpropen unb für einen wirtlich ge: 
lehrten ißrinjeit gegolten ^abe, einen ftarf bpsantinifpen Sei: 
gefchmacf hat, fo fteht jebenfaßl feft, bah er pinfiptlip feiner 
fenntniffe hinter feinem europäifpen ©rinjen jurüdftanb. Slatür: 
lieh blieb auch bei ihm, Wie bei jeber gefunben Statur, bie 
©türm: unb Xrangperiobe nicht au! unb wenn über bai Sehen 
unb Treiben bei ©rinjen, ber im £>aag nun feine eigene $of: 
haltung hatte, auch manpe ungeheuerliche ®inge in bie Deffent: 
(ichfeit traten, fo trage ich fein ©ebenlen, unbebingt all fein 
©ertpeibiger aufjutreten, er mar nicht beffer unb nicht fcplechter, 
all jeber ähnlich fituirte junge SJlann unb ei »erfleht fip »on 
felbft, bah in einer fo Keinen Stefibenjftabt bem neuigfeiti= unb 
ftanbalfüptigen publicum bai ©riöatteben bei $ofe! bii in fein 
fleinftei Detail in einer SBeife offen liegt, bie man fidh in 
gröberen ©täbten nur ferner »orfteßen Eann, ganj abgefepen 
baoon, bah ber SDtunb ber gama an fiep unbebeupenbe X)inge 
fotoffale Xintenfionen annehmen läht unb ein »ereinjelte! ©or: 
tommnih bupenbfap muttiplicirt Xlafj er fip ber ©flipten, bie 
feiner fpäter warteten, bamali feht wopl bemüht war, bemeift 
feine eifrige Xpeilnapme an ben Arbeiten bei ©taatirathei, 
bejfen SJiitglieb er mit feiner ©oßjäprigteit geworben war; bie 
SRitgtieber beifelben, ehrenhafte unb unabhängige SRännet, bie 
gemih feine ©eranlaffung ju irgenb welcher Augenbienerei unb 
©pmeipetei hatten, rühmten auinahmitoi bie pflichttreue, bie 
Srbeitltuft unb bie ©ewiffenpaftigteit bei ©rinjen, womit er 
bie ihm übertragenen Steferate erlebigte; in einjelnen Serwal: 
tungljweigen, namentlich im SBafferbau: unb Xeipwefen, hatte 
er ftp grünbtiche, bii ini geringfte Xetail gehenbe fenntniffe 
angeeignet. 

®ah bie Siebhaberei aller dürften, bet militärifche Seruf, 
ebenfaßl jur »ollen ©eltung tarn, »erfteht fich »on felbft, unb 
napbem er bie »erfchiebenen (Epargen burplaufen hatte, fofite 
ihm bai Sapr 1870 bie Gelegenheit geben, feine miütärifpen 
Äenntniffe ju oerWertpen. Obgleich ber $of feine franjöfifpen 
unb bonapartiftifchen ©putpathien fepr beutlich jur ©epau trug 
unb man fiep an atlerhöchfter ©teile eine Seit lang fogar mit 
bem ©ornepmen trug* ©teuf»eir ben gepbepanbfpup pinjuwerfen, 
fo »erlangte bie öffentliche SReinung unb bai SBopt bei Sänbei 
natürlich bie Setoaprung ber ftricteften Neutralität, welcpe jeboep 
eine träftige Xedung unb ©ertpeibigung ber ©renjen leinei= 
Wegi aulfptofj. Xer ©rinj »on Dranien Würbe jum Ober: 
befepllpaber ber niebertänbifepen Armee ernannt, bie in aller 
(Eile mobil gemacht worben war, unb niept nur gelang ei ipm, 
bai Vertrauen unb bie ©pmpatpie ber Dffijiere unb ©olbaten 
in merfwürbig turjer Seit ju erwerben, fonbern er legte auch 
taftifepe unb ftrategifpe fenntniffe au ben Xag, welcpe feine 
©eneralftabloffijtere in (Erftaunen fepten. (El braucht Wopl 
taum aulbriidiip bemertt ju Werben, bah feine (Ernennung p 
biefem wichtigen ©often in allen Greifen bei ©otlel mit einem 
Gefühl ber ©efriebigung unb ©erupigung aufgenommen Würbe. 
SRititärifpe Sorbeeren foitnte pp ber ©rin} natürlich niept er: 
werben, aber bie Xpatfape, bah er wäprenb oerfpiebeper SKonate 
in ununterbrochenem ©ertepr mit ber Armee ftanb, »erfpaffte ipm 
eine SRenge Xetailtenntniffe unb eine Ueberficpt über bai ©anje, 
bie bem Sanbe oießeipt fpäter einmal trefflicp p ©tatten ge: 
lommen wären; bai Sanb hätte ben fönig fieper mit greuben 
begrüpt, ber enblicp einmal mit ftarter energifeper ^anb bem 


©arlamentarilmul, ber ft cp baju fepon längft ali impotent ge: 
jeigt hat, bie notpwenbige Steorganifation bei $eerel aui ber 
$anb genommen unb auf eigne §aufi bnrcpgefüprt pätte. 

®a| ber ©rinj in ber auiwärtigen ©olitif leine irgenbwie 
pertoorragenbe Solle fpielen lonnte, ergibt fiep aui ber Stellung 
ber Slieberlanbe »on felbft unb fein nüchterner, gefunber ©erftanb 
lonnte ei ipm fiepertiep niept wünfepeniwertp erfepeinen laffen, 
bie Slieberlanbe aui iprer gtüdlicpen, ben europäifchen $änbeln 
entfrembeten Slbgefcpiebenpeit in ben ©trubel ber politifepen ©er-- 
Wirrungen $u reihen, dagegen maepte er aui feinen ©pmpatpien 
unb Slntipatpien lein §epl unb Wie ber ©rinj »on SBalei ober 
ber rufftfepe Xpronfolger war er bei Stuibrucp bei ßriegei im 
Sapre 1870 mit Seib unb Seele granjofe. 3»»fällig gefunben 
patte er biefe ©efinnung fieper niept, fte entfprang auep niept 
bent ©runbfape ber popllöpfigen jeunesse doree in $aag, „bah 
man ftep in ©arii am beften in ber SSett amüfire," fonbern ben 
$ah gegen ©reupen patte er im eigentlichen Sinne bei SBortei 
mit ber SJluttermit^ eingefogen. SRan erinnert fiep wopl noep 
jenei famofen ©riefei, ben Königin ©oppie im 3apre 1866 an 
Slapoleon III. gefeprieben, in bem fie ipn lurjweg aufforberte, 
über ben Stpein ju raarfepiren unb ©renhen anjugreifen, ba fie 
nicht mit anfepen tönne, wie eine ©aepe, bie ipr fo tpeuer fei 
(b. p. bet ©onapartiimui), mutpwiflig unb faprläffig ju ©runbe 
gerieptet werbe. ®er ©rief würbe wäprenb ber Ipcrrfepaft ber 
Sommune in ben ®uilerien gefunben unb maepte bamali bie 
Stunbe burep bie europäifepe ©reffe, ©elanntli^ war Königin 
©oppie niept bie einzige unb erfte beutfepe gürftentoepter, bie, 
auf einen fremben Xpron berufen, leine Gelegenheit »orbeigepeu 
lieh, unt ber ©Seit mit Dftentation ju {eigen, baff fie ipr ®eutfcp: 
tpum »oßftänbig abgelegt pabe, unb bie Königin, »on |)oflanb, 
bie »ießeiept in biejem einzigen ©unlte mit bem ipr eutfrembe: 
ten ©emapl parmonirte, war in ipeem Auftreten, in iprer ®enh 
unb Slnfcpauungiweife fo burep unb burep franjöfifcp:bonapar: 
tiftifcp, bah man fiep oft »erfuept füptte ju glauben, fte ergiepe 
fidp in ®anlbarteitibejeugungen gegen ben Neffen, weil beffen 
Dpeim ihrem ©roftoater eine ßönigitrone gefepentt patte. @o 
brauept uian fi^ niept }u wunbern, wenn ber ©rinj »ou Dranien 
auep in biefer ^infiept bem ©eifpiele ber oon ipm poepoereprten 
SRutter folgte unb im 3apre 1870 mit »erbiffenem ©roß bai 
©lüd bet beutfepen SBaffen unb ben Untergang ber Slapoleonifcpen 
^errf^aft anfap. Unb pierin fanb er fiep ja in »oßem ©inllang 
mit ber $aag’fcpen Slriftolratie, mit ber alten fowopt, bie noep 
aui ber Seit ber Stepublif flammte, all auep mit bet neugebade: 
nen, bie ipren ©tammbaum nur bii jum 3apre 1815 pinauf: 
leiten lann, Wäprenb er fiep weiter rüdwärtl in bie Siegionen 
»ertiert, beten ©ertreter bai golbene falb angebetet pabeu. 

®er erfte ©runb ber ©ntfrembung jwifepen bem ©rinjen 
unb einem groben Xpeite bei ©olle! würbe meinel Sßiffenl im 
Sapre 1872 gelegt, all bai 300jäprige ©rinnerunglfeft an ben 
but^ bie ©innapme ©rieflel begonnenen greipeitltampf gegcif 
Spanien gefeiert würbe. SBäprenb ber fönig felbft an ben geft: 
liepleiten perfönlicp Xpeil napm unb in ©rieße taut aulfpracp, 
bap bie ©älter niept um ber gürften, fonbern bie gürften um 
ber ©öltet wißen »orpanben feien, pielt fiep ber fronprinj »aß: 
ftänbig fern. „34 gebe niept! um nationale (Erinnerungen," 
foß ber Siacptomme bei groben ©cpweigerl bei biefer ©etegen: 
heit gefagt paben. 

SBenn ber ©rin{ el gefliffentlicp barauf angelegt pätte, fiep 
um bie Suneigung uub bie Siebe feiner {utünftigen Untertpanen 
ju bringen, fo pätte er taum anberl panbetn tönnen, all er in 
ben lepten fünf Sapren feine! Sebenl getpan pat. 34 wüpte 
leine einzige Xpnaftie in ©uropa ju nennen, bie »on iprtnt 
©olle mit fo grenjentofer Siebe auf ben §änben getragen wirb, 
all bie ber Dränier, unb fiigti4 lann bie aüf ben erfteu Slnbtid 
paraboj ttingenbe ©epauptung aufgefteßt werben, bah bie Sn: 
pängti4leit bei ©olle! in bemjetben Sftafje Wä4ft, in wel4em 
bie Sngepörigen ber lönigti4en gamitie bai 3pr»ge tpun, um 
fie }U »erf4erjen. SBie tief ging ber ©4wer{ bur4 afle flaffoi 
bev ©eöölterung, all ber ebie, menf4enfreunbli4e, nur auf ba! 
SBoplergepen bei Sanbe! 6eba4te ©riuj ^»einriep im ©ptoffe 

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Nr. 28. 


Dir (6 fgeiramrf. 


19 


ffiolferbange in ßujemburg (ein ßeben au«l)aud)te, unb roeldje 
©eflürzung matte fich auf allen @efid)tern, al« fidj bie ©Freden«; 
funbe non bent ?lbleb.en be« ^ringen non Dranien oerbreilete! 
Ricmanbem fiel eg ein, in biefent ülugenblide mit ihm in« ®e= 
rufft ju geljen aber iljn nadj allgemein menfd)lidj : fittlidjem 9Jlnß; 
(labe ya meffen, man erinnerte fidj feiner glänjenben ©igcu= 
{(haften unb ftatt fein wüfte«, anftößige« ßeben ju öerbammcn, 
bettagte man bie ju ©rabe getragenen Hoffnungen unb bic 
forgenfdjwangere Zufunft ber Stynaftie. {Ran öcrgaß e«, baß 
er 3a^re lang ©cf)ulben auf ©djutben häufte, baß er ba« oon 
feiner SRutter ererbte Vermögen in loderer ©efettfdjaft oergeubetc, 
unb e« mar {ebenfalls eine eigenttjiimtidje 3ronie be« ©djidfal«, 
baß bie diamanten, bie er oon feiner SRutter geerbt unb oer- 
fauft hotte, in bem pradjtoollen HalSbanb fdjimmerten, ba« bie 
©tabt SIntfterbam ber jungen Königin ©mma, welche ber ©rinz 
zu feljen beharrlich verweigerte, jum Slnbenfen an ihren fefttidjen 
©injug in bie große ^>anbeldftabt fchenfte. 2Bir glauben aber, 
er h<*t bie Fehltritte ber lefcten fünf 3°h r e mehr al« hört, ja 
graufam gebüßt: bet burch SluSfcßweifungen gefcßmächte Körper 
tonnte ber an unb für fidj nicht töbtlidjen Stanttjeit nicht mehr 
miberftehen unb an feinem ©terbebetfe ftanb Riemanb, alb ein 
treuer Wiener. ®er reformirte ©ciftlidje ©erfier, ber ben Irauer- 
gotteSbienft im nieberlänbifchen ©efanbtfchaftsljotel in ©ari« Ijwtt, 
fprad) am ©arge oon ben fdjlüpfrigen ©faben, auf benen faft 
3eber, auch bie Stoffen ber ©rbe, hinabgleiten, fobalb fie (ich 
in ben beraufchenben ©trubel be« ßeben« einer ©eltftabt wie 
©ari« wagen. ®er würbigc {Kann hotte mit feinem Xaftgefüljl 
unb eleganter 2Benbung eine ©aite nur ganj leife angerührt, 
bie mit bem lobe ooHftänbig auSgettungen ift. 28er unter un« 
ohne Fehlt 1 ift, werfe ben erften ©tein auf ihn. 

Sch fann biefe Seilen nicht fchliefien, ohne eine ttngefd)id= 
lieh feit — «8 ift bie« ftcher ber milbefte SluSbtud bafür — ju 
rügen, ber man fidj bem ©erftorbenen gegenüber häufig unb je^t, 
nachbem berfetbe faum bie klugen gefd)loffen, auch gegen ben 
©rinjen Sltejanber, ben nunmehrigen Thronerben, fchuüng ge= 
macht hot- SJlit einer naiben Unverfrorenheit erging man fidj 
über bie Frage ber Sljronfolge, al« ob ber ©rinz oon Dranien 
fdjon abgebanft hätte, unb laut fprad) man bei ber Heirath be« 
{ßrinjen Heinrich mit ber {ßrinjeffin SRarie oon ©reußen bie 
Hoffnung au«, baß ber oranifche ©tamrn neue ®no«pcn trei6en 
unb Früchte tragen werbe. SRan oerurtheilte fo ben fßrinjen, 
bet fi<h über biefe Frage noch gor nicht näher au«gelaffen hotte, 
einfach unb furjweg ju einem lebenslänglichen ©ölibat. Unb 
faum war bie ©rauerfunbe in bie Rieberlanbe gelangt, al« ein 
©latt ganz offen bie ©rbfotgefrage biäcutirte, babei ben {ßrinjen 
2llejanber ganz einfach jum ehe* ober finberlofen Slbfterben oer= 
urthtiltc unb auf bie tReoifion be« bi«her geltenben (Erbfolge; 
gefefce« brang, bamit nicht — bie« würbe natürlich nicht offen 
auSgefprodjen — ein beutfeher ©rinj ben ©h ron ber Dränier 
befteige. SBenn auch nicht Taftgefühl, fo foQte hoch wenigsten« 
Zartgefühl unter ben jefcigen Serljältniffen bie ©efpreefjung biefer 
Frage oerbieten. 

Haag, 26. 3uni 1879. Batavus. 


Der JJrocefi DafUeniitfd) unb bie ^ttftebtmg ber 
ßerofttttg in Straften. 

®ie Serurtheilung eine« ruffifdjen ©arbeoberften, ber oon 
bem erften ©otfchaftäratlj ber ruffifdjen ©otfdjaft in.©erlin unb 
oon bem ßeibarjt be« beutfdjen ffaifer« ba« befte ßeumunb«; 
Zeugniß erhält unb fich in ben günftigften ©ermögen«oerhält= 
niffen befinbet, wegen gemeinen Xafdjenbiebftaljl«, mußte ein 
Äuffehen erregen, welche« bei weitem bie ©Seidjbilbgrenje ©erlin« 
überfeßritt. 28er nicht an bie geifte«franfe Reigung jum SDieb; 
ftahl glaubte, ber ftanb in ber ®h°t ®°r einem pftjdjologifdjen 
Räthfel, welche« nicht löfen ju fönnen auch ba« erftriihtertidje 
Urtheil erflärt hot. ®ie öffentliche SReinung War oon Anfang 


an auf ©eiten be« 2tngeflagten unb fetten hot wohl eine Frei- 
{pre«hu«g eine größere Senugthuung heroorgerufen, al« im oor= 
iiegenben Fod. ßtuf eine Äritif be« erftrichterlichen ©rtenntniffe« 
einjngehen wäre ein Unternehmen, ba« fich uidjt al« .ein gerechte« 
bezeichnen ließe. 28er nicht felbft ben ©erhanblungen oon 2tw 
fang bi« ju Snbe beigewohnt hot, fann ftch fein richtige« ©ilb 
ma^en. Tic Zeitungsberichte, felbft bie beften, finb mangelhaft 
unb um (o mehr, al« bie {Reporter meiften« technifdj unfunbige 
ßeute finb, bie ba« auffchreiben, wa« ihrem Sef^made al« intereffant 
erfdjeint unb man<he ©orgänge gar nicht, anbere falfch oer- 
fteljen. ®a« ift ein Kapitel, ba« nicht mit biefen paar ©äfcen 
abgethan werben follte. 21He ©orwürfe, bie man bedholb in ziemlich 
billiger 2Beifc auf ba« erfte Urtheil fchteubern ju fönnen glaubt, 
entbehren baljer einer wirtlichen Srunblage. Sn ©aranthefe will 
ich uur bemerfen, baß ich bon Anfang an nicht jugeftimmt hätte, 
weit, wenn ich ba« ©orhanbenfein .eine« pfpchologifchen Käthfel« 
feftjuftetlen glaube, ich wich oon einer ©djulb nicht überzeugen 
fann. 2tber wie bem auch fein mag, Fälle, baß iber eine {Richter 
freifpridjt, ber anbere oerurtljeitt unb umgefehrt, finb immer 
oorgefommen, fo oft baß fich bie ab unb zu aufgeregte öffentliche 
fKeinung halb wieber befchwi<htigt hot. Allein bie«mal berfehlt 
bie fßreffe nicht, auf ben Umftanb aufmertfam zu machen, baf, 
wir oom 1. Dctober b. 3- ob in ben tanbgeridjtliihen fogenannten 
mittleren ©traffällen eine ©erufung überhaupt nid)t haben werben, 
baß alfo ein Unfd>utbiger, in erfter Suftanz Oerurtheitt, leine Äu«- 
ficht hätte, feine Unfdjulb burch ben zweiten {Richter wieber Ijer-- 
ftellen z u fönnen. 3o in einer Seitung ta« ich fogor, baß ber 
{ßroceß Safilewitfih öot bem Suftanbefommen ber 3uftizgefefce 
nicht ohne ©influß auf bie Seftattung be« ©trafoerfahren« ge= 
wefen Wäre. Fällt baher f<hon oor bem Sufrafttreten ber neuen 
©trafproeeßorbnung ein ©chatten oon fKißtranen auf bie @üte 
berfelben, fo erßheint e« Pflicht, ben hier angeregten ©erbacht 
ZU zerftiauen. 3unädjft ift zu erwägen, baß wir bei Urteilen 
ber ©olf«gerichte überhaupt bie ©erufung nicht fennen, weil bie 
Sinnahme, baß ein zweite« Solf«gericht beffer unterrichtet fein 
tönnte, al« ba« erfte, burch nicht« gerechtfertigt ift. ®aljer fommt 
e«, baß mir gegen ©ntfdjeibungen ber Schwurgerichte eine ©e= 
rnfung niemat« gehabt haben unb auch nicht hobelt fönnen, ob= 
wohl Fälle eine« Srrthum« ber Sefchworenen nodh biel häufiger 
bargethan Werben fönnen. ©in folche« Rechtsmittel wäre be* 
griffäwibrig unb unlogifch. 

@8 ift baher nicht abzufeljen, We«halb bie Urtljeile ber 
beamteten Richter, welche ebenfalls ihre Ueberzeugung nur au« 
ber oor ihnen geführten münbli^en ©erljanblung fchöpfen fönnen 
unb an feine anberen Regeln, al« an bie ©timme ihre« @e= 
foiffen« unb ihrer ©rfahtung gebunben finb, anberS behanbelt 
werben follen, al« bie Sprüche ber ©efdjworenen. So erwägt 
man ferner, baß bie 2lu«fagen bet Zeugen in zweiter Suftanz 
ihre Urfprünglichfeit fd)on Oertoren hoben, baß fie auch im beften 
©tauben burdj bie ganze ©rörterung ber Sache Oor ©eriiht, 
burch t>o« Slnhören ber {ßlaiboper« unb bei causes celöbres 
burch bie öefpredjungen feiten« ber ©reffe unwidfürlich beein= 
flußt werben müffen, fo ftellt ftch bie zweite Suftanz Wieberum 
begriff«: unb erfahrungsmäßig al« ein feljr fdjtedjte« {Kittel zur 
©rforfdjung objectioer SBahrheit herau«. Tiefe ©rwägungen Oer= 
anlaßten ben ©ntmurf zu unferer Reich«ftrafproceßorbnung, bie 
©erufung überhaupt au« bem ©trafoerfahren h^au«zun>eifen. 
ÜWein in ber Reich«tag«commi$fion erhoben fich hit r 9 * 8 *u bie 
erhebli^ften ©ebenfen unb alle ©rünbe, welche jefct in ber ©reffe 
bei ©etegenheit be« ©toceffe« ©afitewitfeh h ett w* 9 e fudjt werben, 
haben fihon bamal« feiten« ber ©otfSOertretung ihre 28ahr= 
nehmung gefunben. Zutefet einigte man fich baljin, baß man 
bei Schwurgerichten, Wie bisher, bie ©erufung auSßhloß, ebenfo 
bei ben lanbgerichtlidjen (mittleren) ©traffällen unb fie nur gegen 
bie-Urtljeile ber Schöffengerichte in geringfügigen Sachen zuließ. 
®a« läßt fid) logifdj faum rechtfertigen, e« ift eben ein ©om= 
promiß ober, beffer gefagt, ein ©erfudj, ben ber ©efefcgeber 
madhen will unb beffen «n«faH erft fpäter über ba« ganze 
©djidfal ber ©erufung in ©traffadjen entfeheiben foU. Tabei 
hat aber bie neue ©trafproeeßorbnung nicht oerfäumt, an ©teile 


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20 


• ie Gegenwart. 


Nr. 28. 


ber Berufung biel beffere Garantien ju Raffen, $ierju gehört 
bie größere Anjaf)l ber Sinter (fünf ftatt brei), fowie bie Vor« 
fdjrift, baff jur Stulbbejahung ttidjt bie abfolute SRajorüät 
gehört, fonbem jtoei drittel. @8 ift ferner bem Veftutbigten 
bereits geftattet, fit in ber Votunterfucijung eines VertheibigerS 
ju bebienen, melier ben Vernehmungen ber 3eugen beiwohnen 
unb fomit auf bie ganje ©eftnltung unb ©nttoidelung beS Ver« 
fahrenS einwirten tann. ©in ^muptfchufcmittel gegen bie ffir« 
ijebung mangelhaft oorbereitetcr AuHagen befteht aber barin, 
baff baS ©eridjt über bie Antlage beS Staatsanwalts nicht eher 
ben Veftlufi, ob baS fpauptoerfahren ju eröffnen fei, fafjt, als 
bis ber AngeHagte gehört ift. Diefer hat atsbann baS Stecht, 
bie Vornahme einjelner Veweishanblungen ober bie güljrung 
einer förmlichen Vorunterfudjung ju beantragen unb tann feine 
©inwenbungen überhaupt gettenb machen. DaS ift ein nicht ju 
unterftäfcenber Vortheil, benn wührenb bie Appellation bejwectt, 
eine frühere Verurteilung wiebet aufjuljeben, erfpart baS oor« 
gebaute Verfahren bem Angeftulbigten, wenn er feine Unftulb 
bargetljan, bie Stanbe, auf bie AnHageban! gefteüt ju werben, 
bon ber in ben Augen ber Seit semper aliquid haeret. ©nbtich 
aber gibt bie neue Strafprocefjorbnung auch noch t>« SRöglit« 
feit, felbft ein red)tSfräftig geworbenes Urtheil, fogar noch nat 
bem Dobe beS Verurteilten, falls feine Angehörigen fein An* 
benfen wieber bestellen Woüen, aufjuljeben. Die SBieberauf« 
nähme beS Verfahrens ift ber Siegel nat geftattet, wenn neue 
Ihatfachen ober ©eweife beigebracht werben, weite allein ober 
in Verbinbung mit ben früher erhobenen Veweifen eine grei« 
fpretung ober bie Anwenbung eines milberen ©efefceS ^erbei= 
jufüfjren geeignet finb. 

SRan fieht hieraus, bah ber V roce fe Vafilewitft an biefen 
Gingen nittS geänbert hätte, bah oielmehr gäHe, wie biefer, 
ben ©rwägungen ju ©runbe gelegen haben unb bah fein Aniah 
ju ber Vefürttung oorliegt, als ob nat ber neuen Strafprocefj« 
orbnung für bie SlettSfiterljeit unb greiljeit ber Staatsbürger 
weniger geforgt wäre, als jefct. So lange aber baS menftlit e 
SBiffen Stüctwerf ift unb |>erj unb Stieren in ihren lebenbigen 
gunctionen ber menfttiten Prüfung entjogen finb, Werben gälte 
ritterliten grrthumS aut trofc ber gröfjten ßautelen nitt ber; 
mieben werben fönnen. gm V r ocefj Vafilewitft hat ihn ber 
Angeflagte burt fein auffaHenbeS Venehmen felbft berfdjulbet. 
Die SRittel, fotte grrthümer ju oerhinbem unb gut ju maten, 
fehlen aber aut in ber SteitSftrafprocejjorbnung nitt. 

p. K. 


cfifrttttttt unb <gtimß. 

IJeinrit Wilhelm Dose. 

Von Karl Sruljns. 

fjeinrit SBilhelm Dooe Würbe am 6. Dctober 1803 in 
Siegnifc in Stlefien als jüngfteS Kinb beS bamalS 50jährigen 
Kaufmanns V. SB. Dooe, ber fit jum jweiten SRale oerehelitt 
hatte, geboren. Von. ben jaljlreiten ©eftwiftem unb SÜef« 
geftwiftern finb nur ein V fl ar rechte Stweftem mit ihm bis 
in bie höhnen gahre aufgewatfen. Der Vater war für bie 
bamalige 3eit Wohtabenb, aber fein ©runbbefifc, beftehenb auS 
mehreren Raufern in Siegnifc, War fein Stuin; benn in ber 3«t 
ber Stapoleoniften Kriege, befonberS feit 1807, würbe bet ©runb« 
befifc übermähig belaftet, unb ber $anbel war nitt nur burt 
ben Krieg, fonbem mehr not burt bie ©ontinentalfperre faft 
lahm gelegt. Der bebrängte unb befümmerte Vater ftarb fdjon 
im gahre 1810. Die hinterlaffeue SBittwe behielt ein |)auS 
am Slinge, fefcte bie ^»anblung fort unb war ganj befonberS 
beftrebt, ben jahlreüijen Kinbent eine gute ©rjieljung ju geben. 

So würbe troff ber harten 4>einrit SBilhefm Dooe 
jum Stubium erjogen unb tarn mit bem 12. gaffte auf bie 
Stitteralabemie, wo er fit unter feinen SJtitftülern rüljmtitft 


auSjeitnete, fo bah biefelben ihm halb ben Veinamen „ber 
fteine fßrofeffor" gaben. AIS fßrimaner ertheitte er mit grobem 
ßobe feiner Seiftet fton Unterritt, befonberS in ber 9Ratljemaül, 
unb erlangte bie Steife für bie Unioerfität mit bem 17. gahre. 

Da er feine früljefte gugenb in ber KriegSjeit oerlebte, 
blieben ihm batauS mante ©rinnerungen, weite er not io 
feinen fpäteren gahre mit grober greube erjälftte; wie er j. V. 
ben franjöfiften ©renabieren habe ooreffen müffen, weil bie« 
felben gurdjt oor Vergiftung hatten. Die Dljaten ber VefreiungS« 
fahre 1813—15 prägten fit tief feinem ©ebättniffe ein. 

Dftern 1821 bejog er bie Unioerfität in VreSlau, wo er 
fetS Semefter oerweilte unb fit Anfangs pljifologiften Stubien 
wibmete. gn VreSlau wirfte bamalS ein SRann, beffen Vor« 
lefungen auf bem ©ebiete ber SRathemaül, Aftronomie, 
unb SReteorologie bebeutenbe S«8^aft auSübten unb anregenb 
Wirften, inbem biefelben fit nitt nur burt ih ren gnhalt, fonbem 
aut burt ihre fdjöne gorm auSjeitneten. Diefer SRann war 
$einrit SBilhelm VranbeS, ber in VreStan oon 1811—26 
bie fßrofeffur ber SRatljematil belleibete unb, gerabe als DoOe 
bie Unioerfität bejog, „Veiträge jur SEBitterungSlunbe" (Seipjig 
1820) herausgegeben unb Vorftläge ju SBitterungSbeobattungen 
gemacht hatte. Die Vorlefungen oon VranbeS wirften fo nat' 
haltig auf Dooe, bah er bie Philologie »erliefe unb fit ganj 
bem Stubium ber StaturWiffenftaften hingab. 

Dot in VreSlau foüte er feine Stubien nitt OoHenben. 
Unter ber atabemiften gugenb war bamalS ein reges ßeben; 
baS SBartburgfeft 1817 war bie Veranlaffung, bah bie SRefjrjahl 
ber Stubenten fit ber Verbinbung anfttofe weite fit beutfte 
Vurftenftaft nannte, unb obwohl biefelbe fton im gahre 
1819 nat ber freoethaften ©rmorbung ftofeebueS oerboten würbe, 
beftanb fie im ©eheimen bot fort. Vei DobeS Doctorjubiläum 
im gahre 1876 teilte ber löniglit preufjift* SRinifter ber 
geiftliten, Unterritts« unb SRebicinal«Angelegenheiten, Dr. gal! 
mit, bah fein Vater unb Dooe fomof)l gleitjeitig Vrimaner, als 
aut gemeinfame Vurftenftafter gewefen wären, unb währenb 
gatf etwas oon ber geftungSjeit erlebt habe, fei Dooe mit 
ber Stelegation baöon gefommen. @t Wanbte fit nat Verlin, 
um feine Stubien fortjufefcen. ^»auptfätlit härte er Vhhfi* un b 
würbe näher mit bem bamaligen erften Vertreter biefer SBiffen« 
ftaft an ber Verliner Unioerfität, bem ^rofeffor ißaul ©rman, 
belannt, ber ihn foWohl in feine gamilie, als aut in befreunbete 
ßreife einführte. Dooe härte aut fleifeifl bei $egel ^P^tlofop^ie, 
felbft beffen Staturphilofophie, bot geftanb et offen, bah et fit 
mit ber |>egefften Vh'iofophie nie h“be befreunben lönnen. @r 
ftlofe feine Stubien ab mit feiner Promotion am 4. SRärj 1826; 
feine Doctor«Differtation hat ben Ditel „De barometri muta- 
tionibus“ unb hier jeigt er fit als SReteorolog, hier gibt er 
juerft feine SebenSrittung funb. 

Äurj oorher hatte er ben groben Stmerj, bie theure SRutter 
ju oerlieren unb ber 22 jährige güngling war nun ooüftänbig 
auf fit felbft angewiefen, ba leinet feiner Vrüber ihn in feinen 
gelehrten Veftrebungen unterftü|en fonnte. ©r oerlieh Verlin 
unb habilitirte fit fton im gahre 1826 in Königsberg für 
phhfilalifte SBiffenftaften. gm erften Semefter 1826/27 lün« 
bigte er an publice: Ueber SBärme, prioatim: ißrincipien ber 
allgemeinen Vhhfi^ unb Dptil mit ©jrperimenten. ©S finb biefeS 
gerabe biejenigen gäter, weite er fpäter oertreten unb in benen 
er befonberS gearbeitet hat. 

©ine Heine ©pifobe, weite ihm als Vrioatbocent p a f|trt 
fein fott unb bie $elmhoi| in einem Doafte bei ber 50jährigen 
gubelfeier ber Vromotion erjählte, mag hier erwähnt werben. 
Dooe War bamalS 23 gahre alt unb feine nitt grofie, etaftifte, 
faft jierlite ©eftalt lieh »h n not jünger erfteinen. AIS er 
Oor bem ftmarjen Vrette ber Unioerfität in Königsberg, oieHeitt 
in füllet greube, feinen erften Anftlag falj, Hopfte ihn ein alter 
Vurft auf bie Achfel mit ben Sorten: „fRa giitSlein, haft Du 
Dir fton bie ©otiegia auSgefutt, bie Du hären miüft?" — 
„ga," antwortete Dooe fterjenb, „it will bei Dooe hören." — 
„Sta, baS ift man gut, ba wirft Du wohl alle feine Seisheit 


allein geniehen." 

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Nr. 28. 


3D i e Gegenwart, 


21 


(Doüe hatte in Königsberg als junger (Docent in ben bortigen 
Profegorenfreifen niete geiftige Anregung; fo erzählte et mit 
Vergnügen, wie BegelS lebhaftes unb geiftreic^ed ffiejen iljn 
angezogen ljabe. SBei Begel faf) er auch ben Setter feiner ju- 
tünftigen grau, Slbolf ©rman, ben fpäteren ©djwiegerfoljn BeffelS, 
unb fnüpfte mit bemfelben ein greunbghaftSbanb, welkes, als 
Beibe in Berlin waren, ju lebhaftem Berfehr Beranlagung gab. 
Sluef) K. @. 3- 3acobi, bem fpäter fo berühmten Statljematifer, 
trat er nage, benn berfetbe, ziemlich in gleichem Sitter mit Sone, 
batte geh 1824 babititirt; ebenfo bem befannten matberaatifdjen 
Phqgfer 3- ®- Seumann, jeit 1826 (Docent in Königsberg; ferner 
lernte er ben fpätern Phhfifer SJtofer tennen, mit meinem er 
audj WigenfefjaftUch jufammen gearbeitet bat. 

(Dooe fa§ in biefer 3eit jebotb nicht immer im ©tubier= 
Zimmer, er lebte auch öiet im greien, lief eifrig ©djlittghulj unb 
fubr ©dritten auf bem $aff, beobachtete baS SBetter in natura 
unb fott fchon bamals auf baS nach ihm benannte $re1jung8; 
gefefc ber SBinbe gefommen fein. 

Berlin mar jeboch bei ihm in ber angenebmften (Erinnerung 
unb bortbin ging er, als unter Sllejranber oon $umbolbtS oberfter 
©efdjäftsfühtung im Sabre 1828 bie SJtaturforfdjeroerfammlung 
bafetbft tagte. $umbolbt ertannte fein (Talent, eS entftanb baS 
freunbfdjaftliche Berljältnig, welches bis pm lobe §umbolbt8 
fortbauerte, benn (Dooe war ganz ber Stann für tpumbotbt, 
würbe fofort für bie magnetifchen Beobachtungen im magnetifcben 
§aufe beS StenbelSfoljn’jchett ©artenS gewonnen unb fcbrieb 
über bie oon $umbotbt angeregten gleichzeitigen magnetifchen 
Beobachtungen in Berlin, greiberg, Petersburg, Kafan, Sifolajew 
ben erften Bericht. 

(DaS Saht 1828 mar noch < n anberer ^ingdjt für ®oüe 
ereignisreich; taurn 25 Sabre alt oertobte er fidj mit ber (Tochter 
beS bamatigen Stajor» D’@get, fpätern ©eneralS o. ©feel, Suife, 
unb biefe Beziehungen waren eS, welche halb, nacbbem er noch 
ein ober jwei ©emefter in Königsberg getefen, bie befinitioe 
Uebetgebelung nach Berlin mit fidj brachten, too er fich im 
October 1830 oerfjeiratljete. (Da er geh in Berlin miber ben 
Sillen beS StinifterS Slltenftein niebergelagen, unb berfelbe ihn 
nach Königsberg prücf traben wollte, ift eS begreiflich, bag er 
lange 3eit nicht mit befonberer ©unft oon minifterieder ©eite 
behanbett mürbe. Obwohl auS bet herben Sugenb an ©infadjljeit 
gewöhnt, muffte er bodj trog feiner Bebürfniglofigfeit oerfd)iebene 
©teilen annehmen, um fich «nb feine gamitie ju erhalten, 
©lüdlicpermeife fehlte eS in Berlin nicht an ©teilen, welche ihm 
angeboten würben; lange Seit mar er Seljrer ber Phhfif am 
Serber’jchen ©qmnafium, fpäter in gleicher ©igenfdjaft am 
griebrich'SithetmS ©pmnafium, ja er gab felbft Unterricht in 
einer höheren Stäbdjenfd)ule, bem Suifenftift; fpäter würbe er 
fielet für Phhfif am ©emerbeinftitut, an ber Strtideriefdjule unb 
nach ffirmanS Slbgang 1841 an ber KriegSfchute. ©3 ift faum 
begreiflich, wie er bei biefer Xhätigleit noch Seit ju Wiffenfcf)aft= 
liehen gorfdjungen unb Arbeiten finben tonnte. 

Stach unb nach fam er in höhere Stellungen; 1837 am 
5. Sanuar würbe er orbentlicheS Stitglieb ber Slfabemie, 1845 
orbentticher Ptofeffor ber Phhfif an ber Unioerfität, 1848 er= 
hielt er bie wigenfdjafttidje Seitung ber meteorologifchen Stationen 
in Preugen. (Dodj ade biefe Slemter brachten nidjt fo oiel ein, 
bag er mit feiner zahlreichen gamilie hätte ejiftiren tönnen; er 
behielt baher ben Unterricht am ©emerbeinftitut bis in bie 
fechziget 3ah re , ben an ber KriegSfcfjute bis 1877, turz oor 
feinem (Tobe. ({liefe ledere ©teile war ihm noch baburch lieb 
geworben, bag er burd) ge eine Sognung in ber KriegSfchute 
(Burgftrage 19) erhielt, bie ihm, obwohl im britten ©tode 
gelegen, bodj fegt angenehm war unb oon ihm bis an fein ©nbe 
behalten werben tonnte. 

©eine wigenfdjaftlichen Seiftungen erftredten fich au f °er= 
fegiebene ©ebiete ber Phhfif, tjauptfädjtidj auf bie Dptit, ganz 
befonberS aber auf bie Steteorologie. 2118 Seljret am griebridjSs 
©pmuagum auf bem SBerber fchtieb er 1833 ein ©chutprogramm: 
„Ueber Stag unb Stegen", worin er in aller Kürze bie natür= 
liehen unb conoentioneden Stage, bas Berhättnig ber einzelnen I 


Stage zu einanber, bann bie Stethoben beS birecten unb in= 
birecten Stegens oon Seit, Staunt unb Siaterie behanbett unb 
bie bis bafjin erhaltenen Stefuttate mit genauer Eingabe ber 
Duellen zufammenftedt; eine zweite Stuflage 1835 war ber ©r= 
folg biefer inhaltreichen Schrift. 

Sn einem anberen ©chutprogramm 1838 behanbette er 
„(Die neuere garbentehre, mit anberen djromatifdjen (Dljeotieu 
oerglichen", welche er, als biefetbe oergrigen, 1853 unb fpäter 
mit feinem Porträt oon Steuern herauSgab. (Die in ber erften 
StuSgabe enthaltene Berüdfichtigung ber oon ©oethe gegen bie 
Stemton'fchen Borftedungen über bie Statur beS SBeig erhobenen 
©inwürfe gab er auch iu ber zweiten Stuftage, benn obwohl bie 
Bebenlen (1853) als oodfommen befeitigt anzufeljen waren, zeigt 
bodj „bie ©efdjidjte ber SBigenfcgaften, bag ber confequenten Slb; 
leitung ber optifegen ©rfegeinungen auS ben Principien ber SEBeden= 
tljeorie gegenüber eS zu aden 3eiten nicht an ©otchen fehlen 
Wirb, für welche ber Pater ©aftel eine grögere Slutorität ift, als 
#uhgljenS, Stemton, greSnel unb graunhofet". 

Unmittelbar an bie garbentheorie fnüpfen fich bie optifchen 
Unterfuchungen unb führten ihn biefelben zu Oerfdgebenen ©r= 
gnbungen unb ©ntbedungen; fein PotarifationSapparat, fein 
BotationSpotariffop gnben geh in aden phhgtntifdjen ©amm= 
tungen; feine eteftrifchen Unterfuchungen führten ihn zur #er= 
ftedung eines (DigerentialinbuctorS, ber ebenfalls bie Kabinete ziert. 

(Die optifchen Slrbeiten führten ihn auf bie (Theorie beS" 
BinocutarfeljenS, auf bie ftereoffopifchen Slpparate, oon welchen 
er eine Slnzaljt mit unb ohne Prismen, mit ©piegel unb gem= 
rohr u. f. w. felbft neu conftruirte. Stit feinen Unterfudiungen 
über bie Slnwenbung beS ©tereoffops, um einen (Dtud ooit 
feinem Stachbrud, überhaupt ein Original oon feiner Kopie zu 
untergheiben, fteljt eine Heine 1859 erfegienene Schrift im 3u= 
fammenhange: „(Die Slnwenbung beS ©tereoffops, um fatfdjes 
oom echten Papiergelb zu untergheiben", welche barin begeht, 
einfach einen echten unb ben falfdjen Papierfdjeüt neben einanber 
ZU legen unb beibe gleichzeitig burd) ein ©tereoffop zu betrachten. 
3wei echte Scheine zeigen bie @djrig in gleicher ©bene, mährenb 
bei jebem falfd(en Scheine bie ©dhrift beS tefctern gegen bie beS 
echten Scheines tjeroor* ober juriieftritt. (Die (Dooe’fcge Siethobe 
ber Unterfuchung beS PapiergetbeS fod an ben 3“hWghen ber 
Banfen, bei ber föuigtich preugijehen (jeßt 9teid)S=) Baut unb 
bei ber ©eeganbtung üblich fein. 

(DooeS f^arfer Beobachtungsgabe entging es nicht, bag bei 
ber Begütigung mifroffopifcher Photographien unter bem 
Slifroftope oft bei geringer (Drehung beS BeleuchtungSfpiegelS 
baS bunfte Object auf hedem ©runbe in ein (jedes Object auf 
bunttem ©runbe überging; bie Urfache liegt in bem Berljältnig 
ber Sutenfität beS oon oben einfadenbett Siebtes zu bem oon 
bem BeleuchtungSfpiegel zurüdgeworfenen. Sadjbem er bie Ur= 
fache erfannt, war baS Slifroffop zu einem Photometer geworben, 
begen Slnwenbung zur Beftimmung ber $edigfeit oon Sicgtqueden, 
Sichtftärfen oon gernröhren, ^edigteit oon Säumen u. f. m. er 
ber SHabemie am 16. Slai 1861 oortrug. — (Die optifdjc 
(Täufcgung bei ber erften galjrt auf einer ©ifenbahn, weiche 
barin begeht, bag bie ©egenftänbe, an benen man Oorüber fährt, 
fo ftein erfd)einen, erllärte er, als er einft in einem grogen 
Blagen burd) enge $)urdjf<hnitte eines Kohlengebirges fuhr unb 
eine ähnliche ©rgheinung nur in anberer (Dimenfion wirfenb 
wahrgenommen hatte. 

So fönnten noch oiete Unterfuchungen, heroorgegangen aus 
plöfclidj auftau^enben ©ebanfen bei ber SBaljrnebmung tagtäg- 
iicher ©rfegeinungen, aufgeführt werben; wir mügen ®ooe oor 
Stdem aber begleiten auf baS ©ebiet, in welchem er ber Steiger, 
ja man fanti fagen ber Batet würbe: baS ift bie Steteorotogie. 

SEBoden wir in unferer 3eit, in ber bie Steteorotogie eine 
ganz ueue ©eftalt angenommen hat, (DooeS meteorologifdje Slrbeiten 
ood unb ganz Würbigen, fo ig eS unumgänglich nöthig, fich Öen 
Suftanb biefer SBigenf^aft am Slnfange unfereS 3ah r huubertS 
ZU oergegenwärtigen. Baib nach ©rgnbung beS (Thermometers 
unb Barometers würben hier unb ba Beobachtungen über bie 
Beränberungen ber (Temperatur unb beS SuftbrudS angeftedt; 


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22 


®tt Oiecjenwurt. 


Nr. 28. 


ober erft burd)' bie oom Kurfürften Karl Theobor oon ber 
©folg geffifte Societas meteorologica Palatina gu Mannheim ift 
bte Meteorologie ouf eine breitere unb festere ©runblage gefteßt, 
inbem biefe ©efeflfdjaft nach oieleit Orten Teutfdjlanbs unb beS 
StuSlanbeS meteorologifche Snftrumente oerfenbete unb bie 3t«= 
fteßung oon SBitterungSbeobadjtungen nach einem gemeinfanien 
©lane oeranlaßte, wobutdj ja oflein oergteidjbare SRefultate ge= 
Wonnen werben tonnten. Tie ©rgebnifje biefer ©eobad)tungen 
würben in ben Mannheimer „©phemeriben" oon 1781—92 oer= 
dffentTid^t. Tie nädjfte ltiadjtige ffötberung erfuhr bie Meteo= 
rologie burd) Sllejanber oon H*****bolbt, beffen umfaffenbem 
Streben unb immer auf baS ©anje gerichteten ©lide bie ©hhfif 
ber ©rbe überhaupt ben größten Sluffdimung oerbantt. Unter 
feinem ©influffe entftanben gasreiche ©eobadjtungSftationen in 
bent weiten ©ebiete beS ruffifchen unb englifchen Reiches unb 
ermöglichten ihm eine erfte große Ueberficht über bie 3Bärme= 
oertheilung auf ber ganzen ©rbe. 

3h«* folgte unb ihn überragte in biefer SBiffenfcfjaft Tooe, 
ber burch bie Unterfudjung ber SBärmeoerhältniffe aller Bonen 
ftch bie bleibenbften ©erbiettfle erworben unb beffen Temperatur: 
tafeln ben gegenwärtigen Meteorologen al8 ©orbilber bienen. 
SBäljrenb $umbo!bt baS unbeftreitbare SJerbienft hat, baß er 
ben Unterfdjieb be8 folaren unb realen Klimas gur ooßen Sn: 
erfennung brachte, unb gwar babutd), baß er bie oon $alleg für 
ben Magnetismus ber ©rbe angewanbte TarfteflungSnrethobe, ba8 
©teilte burch Sinien gu oerbinben, auf bie Verbreitung ber SBärme 
auf ber Oberfläche ber ©rbe anwanbte unb nacfjmieö, baß bie 3fo= 
thermen unter bebeutenben SBinfeln bie ©rettenfreife fdjneiben, 
welche für ba8 folare Klima eben bie Sinien gleicher SBärme fein 
würben, war e8 Tooe, weichet für aße Monate beä Jahres bie 
Orte gleicher SBärme auf ber ©rbe mit einanber oerbanb unb bie 
Monat8:3fothetmen conftruirte, wogu er ein ungemeines Material 
oerwenben mußte. ©ebenft man, baß biefen ©onftructionen Diele 
Taufenbe oon Bahlen g U ©runbe liegen, beren Meljrgahl noch 
mit ©orrectionen gu oerfehen war, um fie unter einanber oer= 
gteicßbar gu machen, fo begreift man, welches Maß oon 3lrbeit 
in biefen fcheinbar einfachen Karten niebergelegt ift. 

3n Teutfdjlanb waren bie oon ber Mannheimer ©efeß: 
fdjaft angeregten meteorologifdjen Beobachtungen größtenteils 
wieber eingefteßt; ebenfo ging es mit Beobachtungen, welche 
Sohrmann in Sachfen 1828 angeregt unb eingeleitet hatte. 
SBenn auch an eingelnen Orten bie ,Beobachtungen föttgefefct 
Würben, fehlte boch ein gufammenljängenbeö 9tefc meteorologifchtr 
Stationen. 

SBieberum war es H**mbotbt, bet biefe Sücte auSgufüflen 
fuchte. 

Sm 13. Suguft 1844, halb nadjbem Tieterici Tirector 
be8 töniglich preußifdjen ftatiftifdjen ©ureauS geworben mar, 
fchrieb ^umbolbt an benfelben: „Möge man 3h nen bie Mittel 
gewähren, iljte Tßätigfeit gu entfalten. ©He traurig g. ©., baß 
man feine regelmäßigen, fleh in 3h rem Bureau concenttirenben 
Snftalten hat, um in gleichmäßiger fform, was für ben Scferbau 
unb bie Schifffahrt fo wichtig wäre, bie mittlere Temperatur 
ber Monate in Sommern, Udermarf, ©ofen, ja Sltjeinlanbe gu 
haben. 20 ©arometer unb befonberS Thermometer, gut oertljeilt 
an ßth ete ©erfoüen, würben merfmürbige ©ontrafte geigen; an 
Dielen ©unften wirb feßon beobachtet aber nicht berechnet, unb 
SfleS bleibt in TageSfchriften gerftreut." 

Humbolbt nannte gugleid) ben Dr. Mahlmann als ben 
tüchtigen Mann, ber für eine geringe ©efotbung gu gewinnen 
fein würbe, um im ftatiftifeßen ©ureau foldje 3*t*acfe gu «er¬ 
folgen nnb bie ©earbeitung gu übernehmen. 3m 3aljte 1846 
würbe Mahlmann angefteßt; er traf bie erften Einrichtungen für 
bie meteorologifdjen Stationen, würbe aber auf einer SteoifionS: 
reife am 9. Tecember 1848 in ©reSlau oom Tobe ereilt. 

„Tem ©rofeffor Tooe ift hierauf," fo fagt Tieterici 
in ber ©inleitung gum erften ©erid)t über bie meteorologifchen 
Stationen, „bie wiffenfdjaftliche Seitung beS 3**ft*tuts 
übertragen worben; fein Slame wirb h* nt ei<hen, bie 
SBaljl gu rechtfertigen." 


Tooe hat als Seiter beS SnftitutS aße ©erichtc über baS 
preußifdje meteorologifche ßteft herausgegeben unb auch aße älteren 
gugänglidjen unb irgenb brauchbaren ©eobadjtungen bearbeitet, 
unb haben g. ©. bie Seobachtungen oon Serlin oom 3ah*e 1719 
an mehrfach als ©runblage ju Unterjochungen gebient. Tie 
3aß 1 ber Stationen war ©nfangS feine große; in bem erften 
Ste^e oon 1848 finb nur 31 Stationen enthalten, aber bie 3ahl 
oermehrte fidj oon 3ah« gu 3al)r, bteißig 3®hre fpäter, nadj= 
bem oetfehiebene beutfehe Staaten mit neuen Stationen fich au« 
gefchloffen hatten, gab es 153 Stationen. 3m lefcten oon Tooe 
oeröffentlidjten ©ericht oom 3ahte 1878 finben wir fein ©orträt 
unb bie Titel ber oielen oon ihm oeröffentlicßten 3ohrg&ngc 
ber meteorologifchen SRefultate. 

TooeS reger Thätigfeit oerbanfen wir bie Kenntniß faft 
afler meteorologifchen ©lemente unb oon ihm ift noch bis jejjt 
ber Meteorologie ber größte Tljeit ber SBärme:, Stegen: unb 
anberer ©erhältniffe beS SuftfreifeS geliefert. ®r behanbelte 
nicht nur bie periobifdjen ©eränberungen, fonbern auch bie 
nidjtperiobifchen unb gu biefem gweefe führte er baS Spftem 
ber fünftägigen SBärmemittel ein. ©r tljeilte nämlich baS 
3aljv in 73 ©entaben, welche oon bem erften internationalen 
Meteorologencongreß im 3®h« 1873 audh für bie Sufunft hei: 
guhehalten hefchloffen würbe. Turch feine Unterfuchungen fteßte 
er feft, baß bie $errfcfjaft ber brei geftrengen Herren ober 
©iSmünner: Mamertus, ©ancratiuS unb SeroatiuS (ll. 
bis 13. Mai) nicht foSmifchen UrfprungS ift, wie Oietfadj bc= 
hauptet würbe; benn währenb für eine Steilje oon Sahnen im 
nörblichett Teutf^lanb bie genannten Tage eine Temperatur: 
erniebrigung geigen, fennt man in 3talien unb anberen Sänbern 
biefe Tage ni^t als gefürchtete. Tie ©rfdjeinung ift nach Tobes 
©rflärung bie Stüdwirfung eines total falten ©ebieteS auf ein 
baneben liegenbeS erwärmtes, unb bie SBirfung ift eine um fo 
bemerfbarere, weil fie in bie Seit ber Knospen: unb ©lütljen: 
entwidelung faßt, in welcher befonberS bie Temperaturen in ber 
■Jtähe beS ©efrierpunfteS ber Vegetation fo feljr oerberblich finb. 
,,©S ift baljer natürüdh, baß bie Stücfföße ber Kälte im Srül) 5 
linge eben beSwegen in unferen ©egenben eine befonbere Stufmerf= 
famfeit erregen, weit fie oft in einer eingigen Stacht Hoffnungen 
oerni^ten, welche für eine gefegnete ©rnte bereits gegrünbet et: 
fchienen. ©erbinbet fich m *t «*ner folgen ©rf^einung noch bie 
©rinnetung an eine bebeutenbe ©erfönlicßfeit, wie in ©egiehung 
auf Mamertus, ©ancratiuS unb SeroatiuS, burch ©rfnerung ber 
Orangerie in SanSfouci an griebrich ben ©roßen, fo er* 
fcheint ber ©laube an bie „geftrengen Hm***" bei uns ge= 
rechtfertigt, ba felbft ein fo großer Mann ftch 001 i^nett gebeugt, 
Währenb man in ©nglanb fie nie beobachtet hat-“ 

Tooe befdjäftigte fich ***** Vorliebe mit ben Suftftrömungen, 
unb bei bem großen Sturme am 24. Tecember 1821, welchen 
auch fein Sehrer ©ranbeS bearbeitet hat, erregte ber Madjweis, 
baß bieS ein wahrer SSirbelfturm, aus ben Tropen fommenb, 
gemefen fei, gerechtes Sluffeßen. 311s man für bie Stürme ber 
tropifchen Meere ben gleichen ©ijarafter fanb, Würbe ber ©pclonen: 
tljeorie gegen bie ©entripetattljeorie nach hartem Kampfe ber 
Sieg oerfchafft. Stuf biefe Sturmtheorie grünbete Tooe für bie 
Seefahrer eine 3tngal|I oon praftif<hen Siegeln, burch toelche fie 
aus ben oerberblichen Kreifen ber SBirbelorfane redjtgeitig ent« 
fliehen fönnten. 

Tie Tooe’fchen Siegeln bebütfen nach neueren Unter: 
fudjungen aber beträchtlicher Slbänberungen unb wefentlicher 
Mobificationen; ja baS geftljalten baran ift, wie Melbrum unb 
anbere Meteorologen mit Siecht behaupten, in ber ©rajiS ae-- 
fährlich- ©S barf bieS nicht SBunber nehmen, benn bie SBiffen' 
fchaft ift feitbem fortgefdhritten; TooeS Sluhm wirb baburch 
nicht gefdjmälert, benn bie Slachfolger ftefjcn auf feinen S^ultern. 

Tooe hatte baS ©efefj ber SBirbelftürme nachgewiefen, aber 
entfliehen erllärte et fich 9 e 9 e ** bie Slnßcht, jeben auftretenben 
Sturm als einen SSirbelfturm gu betrachten. Turch ben Kampf 
beS ©olarftromeS mit bem Slequatorialftrome entftehen nach ihm 
bie fogenannten Stauftürme, unb wo beibe gufammentreffen, ent: 
fteht ein barometrifcheS Majimum, „Hohe SBärme mit heftigen 


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Nr. 28 . 


Die (Scgenwart. 


I 


23 


Stieberfchtäge« wirb bann nörbtich begrenjt oon retatio inten; 
ftoer Kälte, bidjter Siebet bejeichnet bie Stelle, wo beibe ein; 
onbet begegnen unb wirb ber ©otarftrom jum 3utücfroeic^en 
gegwungen, jo folgt in bem Köttegebiete bem oorherrfdjcnben 
Stoff ein plöfcliche* Dhauwetter. Äber in bem gurfidgebrängten 
©otarftrome, wenn er Schritt für Stritt Weicht, ftörft fiel) bie 
SEBiberftanbdfö^igfeit burch ©erbidjten, währenb bie be* Äequa; 
torialftrome* burch VerauSfaflen be* SBafferbampfe* immer mehr 
getötet wirb; in biefe bringt ber ©otarftrom unwiberftefjlid) 
ein. Die ©dpieebede, welche non korben her immer weiter bcn 
ßampfplafc bebedt, begeidjnet bie Stieberlage beffen, für ben ber 
Steg guerft ftc^ gu entfdjeiben fdjien." 

Süt ben Schweiger 3öl)n fteßte er als bie $eimat 9SBeft= 
inbien auf unb et Härte, bafj ber in ber Dftfchweig beobachtete 
Sb^n feine Drodentjeit nicht ber SBüfte ©ahara oerbanlen lönne, 
weil er in bet SBeftfdjweig, in ber er guerft auftritt, als feucht 
beobachtet wirb. 

Enblidj ift noch ber- Vauptentbedung Dobe* gu ge; 
benfen, be* in aßen Säubern befannten Drehu«0*gefefce* 
ber ffiinbe, nach weichem in bet äberwiegenben SRehrjal)! 
ber Säße auf ber nörbtichen Valbfuget, befonber* in SRittel; 
europa, bie ©eränberung ber Dichtung be* SBinbe* in ber SBeife 
oor ftd) geht, bah fid) ber SBinb in bem ©inne non ©üb nach 
SBeft, Storb, Oft, ©üb burch bie SBinbroje breht, unb ba| ber 
SBinb gwiföen ©üb unb SBeft, gwifdjen Storb unb Oft häufiger 
jurüdfpringt, als jwifchen SBeft unb Storb unb Oft unb ©üb. 
Stuf bet (üblichen Vatblugel erfolgt bie SRichtungSänberung im 
entgegengefefeten ©inne. „SRit ber 3h ntn eigenen Siebe gut 
©efdjidjte ber SBiffenfchaft," fo tjeifit e* in bet ©ertiner Äbreffe 
gum 50 jährigen Doctorjubitäum, „haben ©ie e* in zahlreichen 
ÄuSfprüchen bi* ju ÄriftoteteS gurüdberfotgt. Die* Älter 3f)te* 
©efejje* erhöht nur Shten SRuf)m. 2000 3«h re lang hat man 
bet fcheinbar ber ©onne folgenben Drehung be* SBinbe* gu= 
geflaut, ohne beren ©inn gu begreifen." 

©eine Unterfuchungcn über ba* DreljungSgefej} fielen in 
©oggenborff* Ännalen im Saljre 1827, in ben meteorologifchen 
Unterjuchungen, Sertin 1837, in ben ftimatotogifchen ©eiträgen, 
2 Dheite non 1859—1867, in bem ©efefc bet ©türme, welche* 
1874 bie Oierte Äuftage erlebte unb auch in englifdjer unb 
franjöfifcher Ueberfefcung erfchien. 

©Chon angebeutet ift, bah bie meteorologifchen Erfcheinungen 
oon Dobe unter einem ©efichtspunlte aufgefafjt finb, Weidner 
heutjutage nicht mehr at* ber aßein mahgebenbe angefetjen wirb. 
Die Erweiterung ber Vabtep’fchen ©affattheorie, welche Dobe 
feinen Unterjochungen ju ©tunbe legte, entfpridjt nicht im ooßen 
Umfange ben Erlernungen ber Statur; bie SBirbelftürme ber; 
banfen ihren Urfptung bielfach ber totalen hohen Ert)ifcung bon 
jehr feuchter Suft, Woburch ein auffteigenber Suftftrom erzeugt 
wirb, nach welchem bon aßen ©eiten am ©oben Suft htnftrömt. 
Über ba* berringert nicht bie ©erbienfte bon Dobe, bie SBiffen; 
fChaft fchreitet fort unb er ift unb bleibt ber ©ater ber gegen; 
Wärtigen SReteorologie. 

©on anberer Dljätigleit muh noch erwähnt werben, bah 
Dobe fidj an bie ©pifce ber Verausgabe be* au* 8 ©änben be; 
ftetjenben fRepertorium* ber ©hhfit, ©erlin 1837—1846, eine* 
jebem ©hhfiler nothwenbigen Stachfchtagewerfe*, fteßte; bei bem 
erflen Sanbe war ber ©hhfifer Subwig SRofet in Königsberg 
SRitrebacteur, bom gweiten an Dobe gang aßein. Er übernahm 
batin bie ©erichterftattung über ©egenftänbe au* ber aßgemeinen 
©hhfitr au* ber SBärmetehre, Dptit unb SReteorologie. 

SBir haben bisher Dobe al* gelehrten fforfcher unb Äfa= 
'bereiter betrachtet, fehen wir, wa* er al* Seljrer fowohl an 
ben ©pmnafien, al* auch an ben berfchiebenen Snftituten unb 
an ber UnioerfUät geleiftet hat. 

Äuf bem ©pmnafiutn Itug er ntyt aßein übet berfchiebene 
Dheite au* ber aßgemeinen ©hhfit in wöchentlich 8 bi* 12 
©tunben für aße Klaffen bon ©rinta bi* Ouarta oor, fonbem 
er hatte eine 3«it lang noch eben fo biete ©tunben in SRathe; 
matit ju unterrichten, er lehrte ebene unb fphärifdje Drigono; 
metrie, bie Dljeorie ber Kegelfdjnitte, entwidelte ben binomifchcn 


Sehrfafc unb hielt geometrifdje Uebungen. 3n ber Ärtißerie; 
unb Kriegsfälle, auf bem ©ewerbeinftitut unb an bet Unioerfität 
war feine hauptfädjlichfte ©orlefung: Eiperimentalphhfif, welche 
er auf btr Uniberfität gewöhnlich SRittwoch* unb ©onnabenbö 
StaChmittag* Oörtrug; bielfach la* er auch Cptit unb faft 
jeben SBinter Dienftag* Äbenb* SReteorologie. ©eine 3u= 
höret auf ber Uniberfität jäfjlten nach Vunberten, unb in ber 
SReteorologie war ba* gröfjte Äubitorium bi* auf ben testen 
©Iah nicht nur befeht, fonbem e* ftanben noch biele $ u höcer 
au* aßen ©tänben in ben SRittel; unb ©eitengängen. „Vunbert 
UniberfltätSfemefter fahen an ©rege! unb Spree eine fRei^c oon 
Schülern ju 3h ten Sühen fihen, beren fRuhm fpäter ben 3h { ißeu 
berfünbet hat. fRicht leidjt hat fo Wie ©ie ein Sehret auf bem 
Katheber empfänglichen Staturen gleichfam burch geiftige Drau*; 
fufion feine eigene h<>h e $enlart eingeflö^t; unb nicht leicht traf 
in ber beutfehen Sprache einer bejfer al* ©ie ben Don aß; 
gemein fafjliCfjen, h e ‘ tcr belehrenben ©ortrag*," fo fagt bie oben 
erwähnte Äbreffe unb e* ift nur noch hiajujufügen, bah ®ooe felbft 
feine SRühe unb SIrbeit fcheute, wenn er burch ©Sperimente 
einen Eegenftanb flar machen tonnte; in einem SRarfttorbe lieg 
er bon einem Äubitorium gum anbern bie meiften ihm perfönlich 
gehörigen Äpparate tragen, ober brachte fie felbft in ber Vanb 
au* feiner SBohnung mit. Ueberaß, Wo er tonnte, war er feinen 
Schülern ein bäterlidjer jjrreunb. 

Dobe War SRitgtieb ber ©erliner ©efellfchaft für 
Erbtunbe unb wechselte mit fRitter oielfa^ in bem ©orjihe 
ab, ebenfo mit ©arth, nach beffen Dobe er ber Vauptteiter be* 
©erein* war. ©ei bem 45jährigen Qubelfefte würbe er gum 
Ehrenpräfibenten ernannt. Er erfreute ben ©erein bielfach burch 
lehrreiche ©orträge, bei ben @tiftung*feften waren feine ®n; 
fprachen ben Kern treffenbe, babei erheiternbe fReben unb gu 
ben ©eröffentlichungen be* ©erein* hat er eine grofje Ängaht 
bon ©eiträgen geliefert. 

©on ber fRegierung würbe er bielfach mit Delegationen be; 
auftragt unb ba* Steifen war für ihn eine Erholung, ©eine 
auSgegeichnete Kenutnifs ber mobernen Sprachen berfchaffte ihm 
3utritt gu aßen ©efeßfdjaften unb wir fehen ihn fdjon 1830 
gur ßt)olerageit in SBarfdjau, 1845 auf einer grofcen Urlaub*; 
reife in ffrantreich, Englanb unb ©^ottlonb, wo er gu ben erften 
©eiehrten in nähere ©egiehung trat. Äuf ben SBeltauSfteßungen 
in Sonbon 1851 unb 1861, in ©ari* 1856 unb 1867 gehörte 
er gu ben ©reiSrichtem, 1868 War er in Dberitatien, ebenfo 
1869 oon 3nn*brud au*; bielfach befugte er bie beutfehen Statur* 
forfcherberfammtungen, 1864 auch Me fdjweigetifche in Bürich, 
wo über ben Urfprung be* Söhn bebattirt würbe; aßjährli^ 
machte er meteorologifche StebiftonSreifen, Änfang* nur in Storb; 
beutf^lanb, fpäter auch ’ n ©übbeutfdjlanb. Bweimal hatte ber 
©erfaffer ba* ©ergnügen, ihn al* ©egleiter auf ben meteoro; 
logifchen Slebiftonäreifen in ©adjfen gu haben, 1871 befuchte er 
bie meteorologifchen Stationen im Elfafi. SRehrfach war er mit 
tfamiliengliebem unb aßein in ©äbem, fo in @d)tangenbab, in 
Sanbed u. f. w. 

Äße Ehren unb SBürben, welche ein ©elehrter erlangen 
fann, würben ihm nach unb nach gu DheiL ©eine Uniberfität*; 
coßegen wählten ihn gum Decan unb gum SRector, bie fRegierung 
ernannte ihn gum ©eheimen fRegierungSrath- ©ämmttidje be; 
bentenbe Äfabemien ertöten ihn gu ihrem SRitgliebe, fo bie ge; 
lehrten ©efeßfdiaften in Ämfterbam, ©ofton, Dublin, 8uba;©eft, 
©öttingen, Sonbon, SRoStau, SRüncheti, ©ari*, ©eterSburg, ©rag, 
Upfala, SBien u. f. w. Unter ben Drben erwähnen wir nur, 
ba| er bei feinem Doctorjubitäum ben Stern gum rotljen Äbter; 
orben II. Eiaffe erhielt, auch »at er Dffijier ber Ehrenlegion. 
1860 Würbe er SRitgtieb be* Drben* pour le merite unb butdh be= 
fonbere ©unft feine* hohen ©önner*, be* Kaifer* unb König*, 
1867 ©icetangler ber ffriebenStlaffe biefe* Drben*. ©ei $ofe 
war et gern gefehen, unb fobalb ein Kreis oon ©eiehrten in 
bem tönigtidjen ©alai* oerfammelt würbe, fehlte Dobe faft nie. 

©eine häuslichen ©erljältniffe waren feht glüdti^e, oon acht 
Kinbem (oier ©öhneft unb oier Dörfern) ftarb nur ein jüngerer 
©ohn ©ernharb im 3uli 1874 an bet ©chwinbfud)t in «folge 


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24 


®i t ® egettwart. 


Nr. 28. 


bet Ktieg«ftrapazen; zwei Söftne faft er in Profeffuren in Söttin« 
gen unb Bredtau unb beibe oerfteiratftet, eine lodetet oerbeiratbet 
nach Sleganbrien. @r war ein aufmerffamer Satte, liebeooöer 
Bater unb babei felbft btt befcfteibenfte anfprucft«Iofe Stann, 
welcher unter feinen Büeftern ftftenb fieft glüdltcft füllte unb ba« 
einfache Stobitiar, woran er in feiner Sugenb gewöhnt, bi« an 
fein ©nbe behielt. 

Hm Bormittage war er, wenn er nicht }u lefen hotte, ju 
$aufe unb für Sebermann zugänglich; am Nachmittage ging er 
in früheren Stohren gern in bie Sonbitorei oon Steftelg in bet 
©ftarlottenftrafte, um furje 3ett 8«tungen ju tefen unb eine 
Xaffe Kaffee }U trinfen; in ben testen Saftren feine« Sehen« ging 
er Wenig au« unb befcftränfte feinen Betfeftr auf ben mit einigen 
alten greunben. 

Bon Statur War er mittlerer Sröfte, eher mager at« cor* 
pulent, lebhaft in feinen Bewegungen, in feiner Unterhaltung 
wijjfig, lehr-- unb geiftreich- 

Schon oor feinem 50jährigen Xoctorjubitäum am 4. ÜJtärj 
1876 hotte er einen ScftlaganfaH gehabt, hoch erholte er ftdj 
wieber unb tonnte bie ihm ermiefenen Bezeugungen bet Verehrung : 
unb Siebe mit ootter geiftiger unb törperticher Kraft entgegen« | 
nehmen; hoch fcfton 1877 tarn wieber Kranffteit, unb ber lob 
ber Sattin am 31. Stai 1877 nach über 46jähriger ©fte war 
für ihn ber fcftmerztichfte Berluft. @r gab eine SeftrerfteHe nach 
ber anbern auf unb befdftäftigte fieft au«fcftlieftlicft noeft mit feinen 
meteorotogifchen Stationen unb ben meteorotogifchen Xabetlen, 
woran mit ihm fein mehrjähriger Sffiftent unb früherer Beobachter 
in Xorgau, ber Ptofeffor Strnbt arbeitete. 

Nm 4. Nprii 1879 fchieb er au« biefem Seben; bie SEBiffen« 
fchaft oerlor einen ihrer eifrigften gotfdjer, bie Sleteorologie 
ihren berühmteften Nepräfentanten, ba« Baterlanb eine feiner 
fdjönften Sirrben. Sein ttnbeitlen wirb bleiben, fo lange e« 
noeft eine pfthfifalifcfte SBiffenfeftaft gibtl 


(Eilt Sonntag in Verona. 

Bon fjermann Singg. 

Bierzig Softte mögen e« her fein, feit ich Berona jum erften 
Stale gefeften. SBenig hot in biefem langen Seitraume ba« ?lu«« 
feften bet alten Stabt fich oeränbert. Sin ben öffentlichen Se« 
bäuben fieht man ba« piemontefif<he Kreuz be« italienifchen 
Königreiche« ftatt be« jweilöpfigen Slbler«, in ben Kaufläben 
finbet man bie neueften Parifer unb SEBiener Slrtitet, unb bie 
franzöfifefte Stöbe hot, Wie überall hin, auch hierher ihre $err« 
fchaft auSgebreitet unb feit bamal« bebeutenb mehr bie natio« 
nale Xraeftt jurüdgebrängt. NiefttSbeftoweniger bemerfte ich nocft 
hier unb ba eine Siatrone mit bem fchwarjen Spiftenfeftleier über 
bem greifen Raupte, unb manche« Stäbcften au« bem Bolle, ba« 
in feinen Pantoffeln über bie Strafte flapperte, trug auch noch 
bie attoeronefifche Belleibung, oietleicftt nur barum, weil fie 
mehr al« bie moberne ein ftübfcfte« Sefieftt heroorhebt. Stancfte 
wuftten auch Beibe« ju oereinigen unb hatten ben mobernen Kopf« 
puh fo gefeftidt um, baft babureft bie gröftte fteftnlicftfeit mit ber 
früheren Xraeftt jum Borfeftein fam. — Sn allem Uebrigen ift 
ba« Steifte oom ©ftarafteriftifdften ber alten 3eit geblieben, nodh 
wie bamal« betäuben ba« Dftr bie effectootten S(u«rufe ber gifdft« 
unb Semüfe«Betfäufer, ba« drängen unb Xreiben auf Piazza 
bette ©rbe ift ba«felbe, bie Kaffeeftäufer mit ihren Strohftühten 
unb oergilbten Borhängen, bie Buben unter ber Slrena, bie Stille 
baoor, bie tßaläfte unb Straften, Stile« ift noch wie ehebem e« 
war. 3<h li«be Berona, e« ift eine jener zauberhaften Stäbte, 
wie Benebig, bie in jebem Stugenbtid unfere Pftantafie mit neuen j 
Bitbem beschäftigen, unb wer ftch biefem 3auber hingibt, ber j 
erwacht wie au« einem Xraume, wenn er nach ein paar Xagen i 
wieber ben Bahnhof oor Porta nuooa betritt, unb burch bie 
rauchenben Socomotioen au« ber blenbenben Nomantif in bie 
SBirtticftfeit be« neunzehnten Sohrhunbert« znrüdgerufen wirb. 
#eute an biefem wunberooüen Sonntag wiO ich ntich ganz beiner 
Bergangenheit weihen,, eble« Berona, bein reftaurirter Palazzo 

/ 


bei Signori unb ba« neue Stanbbilb Xante« foUen fie mir nur 
noch wehr beleben, noch wehr in beine oerfdjwunbenen Xage 
mich oertiefen laffen! £>etle muntere Stodenllänge ftimmen in 
bie heitere Suft be« blauen $immel« mit ein unb z u ben 
Schaaren ber feftlich gepulten Kirchgänger. Bon beit genftern 
hängen Xeppicfte unb Kränze, hier unb ba ift ein Stttar auf 
offener Strafte errichtet. SBahrfcfteinlicft gilt e« eine befonbere 
geier unb bie weiftgefteibeten Stäbchen mit ben Btumenfträuften 
in ber $anb laffen mich oermuthen, baft e« fich um ben weifte« 
Dollen Slot ber girmung ftanbelt. Sn bem mtjftifcften Xunfel 
ber Kircfte oon St. 8eno werben in ben Xiefen ber Krftpta unb 
über ben SUtären bieftt übereinanber bie Kerzen angezünbet, Orgel« 
töne braufen ab unb zu, unb ber Bifeftof wirb oon ben Seift« 
tieften ber Pfarrei abgeftolt unb feierlich umfterbegleitet. @r 
fefteint ein gtember zu fein, unb fieft nebenbei bie Sterfwürbig* 
feiten ber Kircfte zeigen zu laffen. Snbeft ift au« einer Seiten« 
lapeüe bereit« eine anbere Proceffton gefommen, bie Sloden fan« 
gen neuerbing« an zu läuten, bie Orgel tönt unb bie Scftaar 
ber Stnbäcfttigen wallt oon bem einen Stttar zum anberen. Seft 
begreife jeftt, wie ba« Seben im Stittelalter ganz aufging in 
folcftem religiöfen Xienfte. Steffen, Befpern, Umzüge füllten bie 
Seit au«, al« e« noeft wenig Büdfter unb feine 3 £ üungen gab, 
Buftübungen, wenn bie Stetten ruftten, unb Betrachtungen über 
bie Seiben bet ^eiligen, wenn gotterfammern unb Salgen leer 
ftunben. $atte man bie Storgenftunben mit Beten unb Sefang 
Zugebracftt, fo traf man fieft zu traulichen Befprecftungen in ber 
Sacriftei. Sn biefem tüftten Saume, ber gewiffermaften ba« 
gamiliäre, bie $äu«licftfeit bet Kircfte barftellt, wie angeneftm 
unb finnreieft mag ba manefte Unterhaltung gewefen fein, weldfte 
$erzen«gefteimniffe würben ba geftanben unb errafften! SBoftl 
mandft blutige Befper ging oon ba au«,, unb in näcftfter Säfte 
be« SUletfteiligften traf Störberfauft iftr Opfer, ba« Opfer ber 
Parteiwutft, ber Siferfucftt. Bor ftürmenber Swietra^t unb geftbe 
waren aueft bie Srüfte ni^t ftefter, unb e« fommt mir oor, al« 
entflamme bie Sitte ber in ben §öften angebrachten Sarfopftage 
bem Sefüftte ber gureftt, noeft im Xobe beleibigt zu werben. 
Xa ftoeft oben im Xom war wenigften« ber Staub fiefter Oor 
ber rucftlofen $anb be« Berfolger«, fiefterer al« unter ber @rbe, 
Bilb unb Namen wenigften« blieben unangetaftet. 

Sin rüftrenb feftöner Sebanfe ift e«, baft im Sewölbe ber 
Nifcfte, worin ber Steinfarg ruftt, ber Sternenhimmel abgebilbet 
ift unb muficirenbe Sngel barübet feftweben. ®a« Xenfmal ber 
Scaliger ftellt biefen Brauch gewiffermaften al« an unb für fieft, 
al« felbftftänbig bar, e« ift eine Burgfapede mit ber Srabftätte 
be« Sef^lecftte« mitten in ber Stabt, bie e« befterrfeftte. SBenn 
man biefe altersgrauen Steinbilber mit ber baftinter fteftenben 
Kircfte reeftt betrachtet unb ben barüber ruftenben blauen $im« 
mel, bann wirb einem auf einmal bie 3eit Xante« oerftänblieft 
unb lebenbig. Sticft überfam ein Scftauer plöftlicfter ©infam« 
feit, ein Ueberbämmertwerben be« Sefüftl«, baft mir war, al« 
Zöge mieft wa« zurüd in jene finfterfromme, furchtbar ernfte 
Bergangenfteit. ?llle« wa« nieftt meftr ift, fieftt un« fo er« 
barmenSmertft an, unb wenn wir bem Nbgef^iebenen nafte fom« 
men, fo überläuft nn« ein Schauer oor ber Slrmutft be« Se« 
wefenen zugleich mit einem heimlichen Surüdfeftnen, al« ftätten 
wir aueft bamal« fefton gelebt. Sign erfäftrt eine Nftnung oon 
ber Unoergänglicftfeit alle« Sein«, be« in allem SBanbet Nuften« 
ben unb ^gegenwärtigen. — Sw ^aufe biefer mächtigen Herren 
Scaligeri fanb Xante Suflucftt in feiner Berbannung. SBie feftt 
fcftmerzlicft e« iftm warb, trofc aller 9tu«jeicftnung, bie iftm zu Xfteil 
würbe, ba« Brob ber grembe zu genieften, iftm, ber bureft ben 
Sieg feiner geinbe Heimat unb ©igentftum oertoren hatte, ba« 
fagen bie Berfe, bie Woftl bamal« entftanben fein mögen, in benen 
er ttagt, wie ftart e« fei, frernbe Stiegen zu fteigen, unb wie 
oerfalzen ba« Brob am^fremben #erb feftmede. Xie Bitterfeit 
biefer 9Borte wirb nieftt bureft bie in ber folgenben Strophe 
bargebraeftten $ulbigung un ben „fterrlicften Sombarben" auf« 
gewogen. SBel^e Xemütftigungen moeftte ber Stolz be« Xicftter« 
erlitten haben! ©in Bewei« bafür ift bie befannte Nnecbote, 
baft iftn einft beüa Scala, wäftrenb bie Späfte eine« Poffen« 


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Nr. 28. 


fl) i e (Segettnrnrt. 


25 


reifterS bie Stufmertfamfeit beS gangen .fjofeS auf ftd gogeu, 
gefragt höbe, wie fommt eS, baft ber ©aufler Sitten beffer ge= 
fällt, als bu, ber SBeife? Unb Sante fott geantwortet haben: 
SBeil ©leides ©leidem gufagt. ©ine fcfjr oerftimmte Antwort! 
Sa bie ©caliger ©efifcungen am ©arbafee unb im ©tfdthale 
Ratten, fo ift ei waf)rideiulid, baft Sante mäljrenb feines SSec= 
weilenS bei ihnen aud bie ©dlöffet befugt habe, bie itjnen 
gegarten, unb baft bie ©djilberung eine« burd einen ©ergfturg 
entftanbenen gelSabftangeS bamalS entftanben fei. Stad 3aljr* 
hinderten nod ridjtet fid bet ©tief ber ©tenfden auf jene 
©unfte, um melde baS Slnbenfen an eine bebeutenbe ©erfönlüf): 
feit lebt, befonbetS wenn biefe litt ober im Kampf mit feinb= 
tigern ©dicffal ein unbeugfameS §erj bewies. Unb ein hartes 
©efdict war es, baff bem Sinter biefelbe ©ptade, bie er mit 
aller $oljeit beS ©eifteS, allem ©lang feiner ©hantafie, bem 
ganzen SBobllaut feines 3nnerften fdmücfte, nur als StuSbrud 
beS paffes entgegengefteüt würbe, im 3ifd«n ber ©erleumbung, 
in SerbannungS = unb SobeSurtheiteu. SBetd ei« Sd mcr i, 
wenn er fühlte. Wie ftd SWeS aufthürmte unb gufammenballte, 
um ih® bie Siebe gum ©aterlanbe aus ber ©eele gu reiben! 
3b® fehlte bann freilich aud nicht ber Sonner gerechter ©nt: 
rüftung unb bie ©chneibe grimmigen $obneS. Sich, gerabe bie 
©erbannung, ber $aft feiner ©egner war eS, was SanteS 
grober Sichtung bie eigentümliche ©lutb unb Kraft oerlieb. 
3m Satt auch bie ©rgäljlung wahr fein fottte, bab Wäbrenb ber 
ßerftörung feines Kaufes bie erften ©efänge ber Diyina Commedia 
burch feine ©attin gerettet tourben, alfo oor ber ©erbannung 
fdon Wären gefdjrieben gewefen, fo erhielt baS ©ebiebt boef) 
gewib erft burch bie ihn. gunädft betreffenben politifden ©reig= 
niffe jene polemifde unb granbiofe Signatur, bie feine ©röfte 
unb Unfterblidleit auSmadt. ©tir ift, id febe ihn auf jener 
Steife nad einer ber ©utgen im ©tfdthale burd ben ©ngpaft 
ber ©eronefer Klaufe reiten, wo ftd jenes gelfenthor oor ihm 
öffnete, baS gu ben ©dtünben unb Slbgrünben ber Sllpen führte, 
redt als ein #öllenthor, wie er es im 3nferno befdreibt. ©3 
ift Stbenb unb bie bunfte ©eftalt beS hagern braunen ©tanneS 
erfdeint gwifden feinet bewaffneten Segleitung, ernft unb 
traurig wie baS SluSfehen ber Sanbfdaft, bie ihn umgibt, 
©leid bi«t« bem ©ab, wo bie Stfd ftd burd bie fteilen 
gelfenWänbe brängt, ift ein @ee unb aus biefem ragt ein 
finftreS ©dtob auf fteilem Sergfeget empor, einfam ift SltleS 
umher, bunlet unb fdweigenb, nur brauften oor bem ©ingang 
beS gelfentljoreS leuchtet nod ein beögolbner Streif am $origont, 
et leudtet auf bie Stebhügel unb ©flangungen biefeS gefegneten 
SanbeS, baS er oertäbt, feines ©atertanbeS. — ©iete ber ©aläfte 
in Setona erinnern an ©enebig; feit eS legerem untertban 
würbe, bauten bie ©eamten ber Stepublit, bie meiften wohl 
aus oomebmften ©efdtedtern, ihre Raufer nad ben ©orbilbern 
ber ©aterftabt. genfter unb ©allone erinnern baran, unb 
hier unb bort ber ©tartuölöme, bab übet ©erona bie Königin 
ber ©teere gebot. Stod in Srient unb weiter hinauf bis ©rtjen 
unb in ben Ihälern Tirols geigen fid bie ©puren oenetianifder 
©auart 3a, felbft ber hob* Storben, Sangig, geigt ber ©ee= 
flutb ben @d®ud füblidjer Kunft. ©o wanbert was baS 
©leibenbfte fdeint, aud ber Stein in ben gornten, bie ihm 
ber ©tenfd gibt, aHmählid über bie ©rbe, mit teifern ©orrüden 
äbnlid bem ber ©tetfder. SlnbeteS bagegen fdeint feine einmal 
eingenommene Stellung bartnädig gu behaupten, gefte ©unfte, 
Orte bet Anbetung, £>auptplä$e einet ©tabt änbern ©amen, 
©egenftanb beS Kultus, bleiben aber in ihrer ©eftimmung. 3d 
tann mid im ©iarbino ©iufti beS ©ebanfenS nidt erwehren, 
ba| ba fdon einer römifden ©iHa ©artenanlage geftanben habe. 
©S ift etwas in ben ©rotten, ben ©lauern unb Statuen, was 
gar febr an bie alte SBeit erinnert, ein beibnifdeS feligeS 
Sädeln, eine füfte ©anSruhe fdtoebt über biefen Stäumen. Stun, 
bie ©ppreffen wenigftenS reiden in ein ungweifelbaft fyotyi Sllter 
hinauf, ©oettje fdon auf feiner italienijden Steife fdäfcte fie 
auf mehr als breibunbert 3ahre, unb eines ift feitber bereits 
toieber oetfloffen. Sie ba fteben fönnten nod Don ihren ©roft-- 
eltern gehört hoben, was man über Sllboin unb Sietrid t>on 


©ern fang. Sab als beS Befjteren §auö baS römifde Sluiphi 5 
tbeater genannt würbe, ertläre id mir bafter, baft biefe Sage 
in einer 3eit entftanb, ba alles ©rofjc unb ©igantifde jenem 
gelben gugefdrieben würbe, wäbrenb baS SBiffen oon ber eigent¬ 
lichen ©eftimmung beS StiefenbaueS beim ©ölte längft erlofden 
war. ©ieüeidt b nt er aber felbft nod Sbierbehen barin abgc= 
halten unb baS ©ilb am Kirdenportal gu ©t. 3*no, baS ihn 
als wilben 3äger barfteUt, fönnte barattf ©egug buben. 

SBeniger großartig unb länblider liegt ber ©arten, in 
weldem baS ©rabmal ber 3ulia gegeigt, wirb, eine ©laueroer; 
tiefung unb barin ein ©arg ober Srog — ein Xifd mit grentbeii: 
bud — unb baüor, nur burd ein ©itter getrennt, redt wie 
gut ©erböbnung aller Seidtgläubigteit unb alles falfden 3bea= 
liSmuS — eine Kegelbahn! — ©onft aber blühte ber ©arten 
in füfjer träumerifder ©iittagSftiUe unb ©dmetterlinge Wiegten 
fid) auf ben ©lumen. 3®ei hübfd e Äinber waren unS am 
©ingang beS ©artenS entgegengefprungen — fie blidten uns 
mit ihren fdwargen Slugen fo luftig unb berauSforbernb an,* 
bafe eS ©ünbe gewefen wäre, fte nidt gu befdenten. Db= 
wohl fie oon einem älteren ©ianne oerfdeudt würben, oieC 
leicht war eS ber Sefiferr, fo tarnen fie als wir gingen 
bod wieber — unb erhielten wieber etwas, ©ie tonnten 
„ütomeo unb 3ulie auf bem Sorfe" oorfteHen. Slber um bie 
©abe hätten fie fid beinahe entgmeit, fie füllten tbeilen, unb ber 
Knabe wollte SltleS allein behalten. @S tarn jebod fdliefelid) 
gu einem gütliden Sergleid unb baS ftunb ihnen wieber fo gut 
an, wie oorher baS Sitten, ©hüifto ärgern fid über bie 
Slrmuth auf ber ©trafee, fie nennen eS, wenn man um ein 
Sllmofen angefptoden wirb, beläftigt werben, id meinte, Wo 
einem foöiel ©döneS reiden @enu| bietet, ba fottte man froh 
fein, aud etwas geben gu tönnen. SBahr bagegen ift, bafe ber 
häufig oorfommenbe Slnblid oon ©erftümmelten unb ©erfrüp= 
pelten gar gu abftofjenb wirft, unb man wünfdte bem Banbe 
redt oiete unb fo trefftide orthopäbifde Slnftalten, wie wir fie 
in Seutfdlanb haben. 3unehmenber SBohtftanb unb oor Sldent 
Silbung unb Unterridt werben aud hier hetfen. Ser Slermftc 
muh einfehen lernen, bah gefunbe ©lieber hoben unb arbeiten 
beffer ift, als oon ber Sreigebigfeit reider §änbe leben. ©or= 
gugSweife finb eS bie Kirdenthore, weide oon ©tenb unb Sllter 
umlagert werben, benn hier wirb ftd ©lilbthätigteit am ehefteu 
offenbaren, unb bie ©höre beS $odomteö oon ben lieblidftcn 
Stimmen, wie oon ©ngeln gefungen, mögen bod oud eine 
©penbe beS SrofteS fein. 

3n ben erften ©admittagsftunben, bie Sonne brannte fehr 
heih, burdwanberte id bie faft oeröbeten ©traften — h' er unb 
ba rollte ein SBagen heran, ber eine fröljtidr ©efeQidoft, wahr: 
fdeinlid oufS Sanb bradte, hier unb ba fanb fid eine ©ruppe 
junger Beute gufammen, bie wohl gleidfaüS eine Banbpartie 
oerabrebet hotten, Kinber, bie im $ofe eines alten ©alafteS 
fpielten, alte grauen, bie im ©datten ber Käufer nad e i ner 
Kirde hiofdüd en , baS mar SltleS — id ging mitten in ber 
brennenben Strafte; wie wohl warb mir, mir war, als müfttc 
id mid fä r ben langen SBinter nun entfdäbigen, unb id tränt 
in ootlen SBomtegügen aus bem golbenen ©eder ber Sonne bie 
Strahlen in mid- 

3m Slmphitheater würbe heute wieber in ber barin auf: 
gefdlagenen ©retterbube gefpielt, ein fleineS Segment bet alten 
3ufdouerräume füllte ftd mit ladluftigem ©ublicum, eS war 
auf ber ©teile beS blutigen KampfplafceS, wo nun bie hortn: 
tofefte ©offe aufgeführt würbe. SBie abfdeulid fom mir biefer 
©au oor, unb mag er aud bamatS mit ©Sarmor unb ©urpur 
gefdmücft gewefen fein, wer in bie finftern ©emötbe hineinfah, 
ftd bort bie gum Sobe ©eftimmten badte, unb in bie Käfig: 
löder ber wilben %f)iexe bliefte, ben tonnte nur ©raufen unb 
Slbfdeu erfüllen. „@S waren nidt immer nur gemeine ©erbre: 
der, ©törber unb Stäuber, bie hier gerfleifdt würben, aud t)ie 
Serfdwörer gegen baS Beben beS 3®peratorS, feine geinbe, et= 
litten hier bie gtaufame XobeSftrafe." ©tit biefen ©Sorten trat 
ein ©tann auf mid P, unb id erwiberte ihm: „Unb wie oiele 
barunter mögen fälfdßd Slngetlagte gewefen fein, Stänner, beren 


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26 


JD i e (Sifgenujart. 


Nr. 28 . 


Steidjthum, eble ©eburt, bereit Sreimutl) uttb £>ohfinn bie £>ab= 
fuefjt uttb ben £>aß ber Singeber gereizt Ratten!" 3» biejem 
Augenblide f)örte ich wilben, wüften Särm hinter mir. 3Ba$ 
war gefheljen? ©3 hatte fich ein armer Jeufel eingefhlidjen, 
um ba3 ©offenfpiel unentgeltlich mitartjufehen, war ertappt 
worben unb würbe jefjt unter ©efhrei unb Schimpfen nach ber 
©olizei gebracht. So rafch ging e3 auch bamalS h er ' ®ie 
genier hatten e3 eilig — unb war ber Ungliicfliche aus feinem 
Werfer heraus, fo ftanb er im nächften Moment nach langem 
Aufenthalt in ber Öinfterniß jum erften 2Ral wieber im Ange= 
ficht be3 leuchtenben JageS unb einer unzähligen SRengc über 
ihm, bie tior 93egierbe brannte, ihren SRitmenfhen bluten unb 
fterben ju fchen, unb im nächften Slugenblicf lag er unter ben 
ffrafle» be3 XigerS. Sh eilte fort, fonnte aber bie3 unheim¬ 
liche Silb lauge nicht lo3 werben. Jie Suft, an ben Qualen 
eines Anbern fidj ju weiben, hatte tion jeher eine bämonifche 
9Ha<ht über ben SRcnfhen, fein ©efefcbud), feine Religion hat 
* fie ju befiegen »ermodjt, üiefleidjt gelingt e3 einft noh ber @r- 
femttniß unb bem immer mehr erftarfenben ©ngel be3 SRitleibeS. 

Sh wollte niht oon ©erona fcheiben, ohne meinen Sieb= 
ling3bau, ben ©alajjo bei ©onfiglio noch einmal gefefjen ju 
haben. @3 liegt ein 3auber, etwas fo woljlthuenb ©erufjigens 
beS in biefen eblen, einfach fernen ©erhältniffen! ®ie farbigen 
unb öergolbeten ©erjierungen finb hi« mit »ollem Siecht anges 
bracht, ber Schönheit gebührt ihr Sdjmucf. 

AbenbS war SRilitärmufif auf ©iajja ©ittorio ©mntanuele, 
ehemals ©iajja ©rä. S)a3 Programm enthielt ein ©otpourri 
aus SRephiftopljeleS, ber neuen Oper ©oitoS.*) Sh War fehr 
gefpannt barauf, muß aber befennen, baß eS mir etwas ju lang 
bauerte unb ich mich zuweilen fjeezlih »ach ben SRetobien ber 
nächften ©iece ju fehlten begann, bie SRigotetto h>eß- SRädjtig 
jebodh unb beutliche Interpreten beS lejteS waren biefe Höne, 
man hörte auS ihnen ben titanifhen Ungeftüm, bie »erjWeifelnbe 
Unfchulb, ben teuflifchen £ohn heraus, ja, wenn ich ben ©lief 
hinüber wanbte nach ben alten SJlauern beS Amphitheaters, fo 
fchien mir, als flimmre unb Jude eS hier unb bort in ben 
hohen ©ogenwölbungen, ber ganze ©ircuS erhellte fich, eine 
flafftfche SSalpurgiSnadht »ofl SRorb unb ©lutgelächter beginnt 
unb in ber Soge ber ©äfaren fifct 2Repf)ifto unb „grinft ge= 
laffen über baS ©lenb »on Jaufenben hin". 

®ie Schwüle beS JageS beenbete inbeß ein leichter, er= 
frifdjenber Siegen, unb im @aftf)of auf meinem Bimmer ange-- 
fommen, bachte ich nor Adern gern wieber an ben ibpflifdjen 
©arten Julias. Tie Slofen barin bufteten wieber fo hintmlifh 
unb befonberS ein Strauch mit weißen Siofen war eS, über ben 
hin baS Seudjtcn ber ©lifce fuhr unb ihn magifch erhedte. $a 
hob ftöh mitten aus ihnen, Wie auS einem Kranze, baS $aupt 
unb bie ©eftalt eines SRäbhenS in Weißem Schleier, fie richtete 
fich auS einem Sarge empor unb btidte fo fehnfüdjtig umher, 
©löblich roßte eS braußen wie Jonnet, unb bie Segetfpieter 
geriethen in Streit — ich f a h XpbaltS Siegen blifeen unb Stomeo 
auf ihn einbringen, ich hörte bie Stimme SRercutioS, ja er war 
eS, et trat auf mich ju unb fagte lacfpnb: „Sch fehe wohl, Stau 
SRab hat euch befucht." 


5eit jeljn Jahren. 

©on €buarb oon Bartmann. 

(6cf|Iu6.) 

S)aS finfenbe Anfehen ber ©hilofophie int zweiten ^Drittel 
biefeS SahrhnnbertS hatte im ©erein mit ben überaus ungünftv 
gen ©hancen beS phitofophifchen ©rioatbocenthumS ben Stach* 
wuchs beS ÄatheberS zu ©nbe ber 60ger Sah« auf ein SRinimum 
befchränft. AIS nun plöfclih eine größere 3»hl bau Steden 
»acant würben, unb eS an geeigneten ©anbibaten zu ihrer 333ieber- 
befefcung mangelte, ba nahm man ben ©rfaj}, Wo man ihn fanb. 

*) SBithelm Sübte h«t baS mertmürbige SBert in Sb. XV, 9lt. 19 
ber „©egentoart" etngeheicbcrer ©efprcdjung gettmrbigt. S). 31. 


©ribatbocenten, bie eS unter anbern.Umftänben wohl faum zu 
einer außerorbentlidjen ©rofeffur gebracht hätten, rüdten in 
i orbentlidje Sehrftühle ein, ja fogar ©htnnafidllefjrer Würben ju 
j ©hilofophieprofeffoten ernannt. SiiefeS plöhticfj Z u $age getreu 
| tene ©anbibatenbebürfniß unb bie AuSficht, auf biefem SBege 
' rafch unb leicht ©arriere mähen ju fönnen, »ertodte nun wies 
i berum eine größere Anzahl jüngerer Seute, meift ©hilologen 
| unb Theologen, ohne inneren ©eruf zur ©hilofophie ftd) boh 
als philofophifhe Tocenten zu habilitiren, unb ba unter ben 
alten Herren noh mehrere Sah« ftarfer Abgang war, fo he- 
Währte fich biefe Speculation nicht fdjleht. S)ie fo zum Amte 
gelangten ©rofefforen im treuen ©erein mit bem neueren Stad) 5 
muh« an Slocenten beherrfdjten jefct in ber $auptfahe bie Unis 
»erfitätSphilofophie; benn wäljrenb bie Alten immer älter ge* 
worben finb, haben jene bie Stüfprigfeit ber Sugenb »otauS. 
Ohne ©eruf zur Sähe unb ohne rechte philofophifhe ©orbils 
bung hereingefommen, in einer 3eit ber ©erad)tung bet ©hi* 
lofophie unb ber ^odjfhäfcung ber naturwiffenfhaftlihen unb 
gefhihtlihen SliSciplinen aufgewahfen, gelangten fie naturgemäß 
bazu, ben eigenttihen ©eift ber ©hilofophie S u »erfennen unb 
bie ©ntwidlungSftufen, in benen et fiel) om großartigften offen= 
hart, zu »erachten, ja gerabezu bie ©öttin z» »erleugnen, beren 
Altarfeuer fie nähren foßten, unb ftatt beffen fie zur SRagb ent* 
Weber ber Staturmiffenfhaft ober ber ©hilologie herabzuwürbigen, 
Wie baS SJtittelalter fie zur SJtagb ber Xljeologie begrabirt hatte. 
3« früherer 3eit, als noh beftimmte Schulen fjerrfhenb waren, 
empfahl bie Autorität beS SJteifterS ben betreffenben StaatSs 
beljörben feine treuen Sänger; als folhe Autoritäten niht mehr 
»orhanben waten, trat eine gemiffe »erlegene Stathlofigfeit ein. 
Se^t fonnte baS Sefennen zu einem beftimmten Si)ftem niht 
me|r als ©orzug, fonbern eher als Stadjtheil gelten; »ielmehr 
würbe bie abfolute Stanbpunftlofigfeit eines ©anbibaten zur 
nühlidjften aßet Qualitäten. Slenn je^t mußte AßeS barauf 
anfommen, feiner »on aßen ben zahlreichen bei ber ©erufung 
i mitfprehenben ©erfönlihfeiten mißliebig ober anftößig zu fein, 

! unb biefe ©ebingung würbe offenbar am beften »on bemjenigen 
! ©anbibaten erfüßt, »on welchem (wie »on bet tugenbhaften Srau) 
am mentgften zu fagen war, Weiher entweber noh 0ar feine 
; ober boh nur eine fdjtehthin farblofe philofophifhe ßeiftung 
probucirt hatte, welcher aber jebenfaßS niht mit entfhtebenen 
SReinungSäußerungen ober gar mit fpftematifhen Serfuhen h«t ; 
»orgetreten fein burfte, ba folhe irgenbmo anzuftoßen ßher finb. 
i So erflärt eS fih, baß bie Stanbpunfttofen uub Armen im 
©eifte überafl ihren beftimmt nüancirten SRitbewerbern ben Slang 
abtaufen mußten unb je^t baS große SSort führen fönnen. SBenn 
fhon aßerwärtS baS geiftlofe Streberthum am weiteften fommt, 
fo ift baS nirgenbS in höherem SRaße wahr als in ber ©hilo* 
fophie, Wo gegenwärtig unter ben bei einer ©erufung mitfpres 
henben ©erfönlihfeiten bie »erfhiebenften Stanbpunfte »ertreten 
Zu fein pflegen. 

3« bet Slaturmiffenfhaft ber ©egenwart unterhält bie 
jüngere 3unftphilofopljie ein reht freunbUheS ©erhältniß; bie 
erftere läßt ßh nämtih bie ^ulbigungen ber lehteren aßer* 
j gnäbigft gefallen, Weil fie geeignet finb, ihr Selbftgefüfjl zu er» 
höh e n. ©ine ©hilofophie, weihe ihre Arbeit Wefentlih in bem 
; SlahWeiS erfhöpft zu haben glaubt, baß aße bisherige ©hilos 
| fophie leere $irngefpinnfte biete, baß namentlich bie Teleologie 
j bie öerberbtihfte, finnberwirrenbfte Ausgeburt ber ©hantafie fei, 

! tann ber materialiftifhen ober boh wenigftenS mehaniftifhen 
, Slaturmiffenfhaft unferer 3:age nur miflfommen fein, unb aus 
! banfbaret ^öftidjfeit wirb biefelbe ihr niht gerabe tnS ©efiht 
’ jagen, baß fie fetbft ebenfo überpffig fei, wie aße anbere ©hi= 

| lofophie. Sm ©egentheit, ba bie SGSett boh einmal noh niht 
1 fo weit fortgefhritten ift, aße ©hilofophie für Unftnn zu halten, 
i fann eS nur im Sntereffe ber Slaturmiffenfhaft liegen, biejenige 
©hilofophie zu empfehlen unb zu unterftüfcen, Weihe aße biSs 
herige SRetaphhfif unb Xeteologie für überwunbene Stanbpunfte 
erflärt, minbeftenS fo lange, bis auh biefe Ueberläufet auS bem 
feinblihen Säger ihr entbehrlich werben, freilich ift eS auh 
möglich, baß bie Slaturmiffenfhaft zur ©efinnung barüber ge= 


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Nr. 28. 


Sie ©egenwurt. 


27 


langt, bafj if)re Oppofttiott gegen bie ©fjilofoppie, befonberS ihre 
antiteleologifche medjoniftifche Gattung, nur oon ihrer materia= 
lipifdjen Sergangenljeit herrüf)rt, welche felbft toieber nur aus 
ber Dppogtion gegen bie übermunbene ©Ijafe eines überfpanns 
ten p^ttofop^ifc^en BbeoliSmuS entfprang. @8 ift möglich, bap 
ttjr oor ihrer empirifdjen ^errtic^feit bange toirb, unb jie in 
nicht ju langer Bett jufrieben fein toirb, geh mit einer Sß^tlo- 
fophie oerbinben jn fönnen, meiere allen ihren berechtigten Stn- 
fpritchen ooHe ^Rechnung trögt. 3n folgern gatt hat ebenfalls 
ein bloS negatioer SriticiSmuS ihr nichts mehr ju bieten, aber 
an ©teile feiner Unphilofopljie toürbe bann nid)t bas SRidjtS, 
fonbern ein pofitioeS philofophifdjeö ©hftem treten, ein ©pftem, 
baS mit ben mefeittlichen SebenSbebingungen unb ©ebürfnigen 
ber fRaturmiffenfcfjaft genaue Höhlung hat unb biefelben Oon 
zufälligen polemifchen unb negatioen Beitftrömungen ja untere 
fcheiben meifj. Dag ber SReufanttaniSmuS unb ber ibealiftifc^e 
SfepticiSmuS folgen Slnforbetungen nicht genügt, bah aber meine 
©hilofophie ihnen öotlftänbig ^Rechnung trägt, habe ich roieber^ 
tjolentlidj bargetljan*), am burchfchlagenbften aber gobe ich eS 
burch bie 2. Slufl. ber ©chrift: „Das Unbewußte oom @tanb- 
punfte ber ©hhfiologie unb DeScenbenjtheorie" betoiefen. SBcnn 
oor bem ©rfdjeinen biefer Auflage im Frühjahr 1877 öfters 
oon SRaturforfchem ©emerfungen über unb gegen meine ©ijilo; 
fophie laut mürben, mel<he gemöhnlich burch «ine ©erufung auf 
bie erfte (anonpine) Auflage meiner genannten ©chrift unterpüfct 
mürben, fo ift feitbem bie 9taturmijfenfcf)aft mie anf ftittfehweis 
genbe Uebereinfunft in ein berebteS Sdjmeigen oerfallen, ©egen 
meine ^Befähigung jum SRitfpredjen über naturmiPenfdjaftlidje 
©robleme !ann man nichts mehr fagen, nachbem man fidj fetbft 
burch baS meiner anonhmen ©elbftlritif gejollte £ob bie Hünbe 
gebunbtn, nnb gegen ben oon mir oertretenen philofophifefjen 
©tanbpunft meig man nichts triftiges mehr ju fagen, nadjbem 
ich beffen Ueberlegenheit über ben naturmiffenfchafttichen ©tanb= 
punft burch bie gelungene Imitation beS legieren in ber 1. Slug, 
unb burd) bie SBibertegung beSfelben in ber 2.5tufl. fo jtoeifel= 
frei ad oculos bemonftrirt habe. Ohne bie nötljige phiiofophifdje 
©icherheit ferner ins ©laue mit mir ju bisputiren, bloS um 
©echt jn behalten, baoon mag mohl SRandjen baS marnenbe 
©eifpiel jurücfljaltett, bas ich im Anhang jener 2. Sufi, an ben 
gebanflich oberflächlichen unb faßlich unbegrünbeten Singriffen 
beS ©rof. Oscar Schmibt**) aufgeftetlt habe. DaS ©chmeigen 
mar unter folgen Umftänben baS fflügfte unb hat mohl auch 
bie SBirfung gehabt, bag bie ermähnte 2. Slufl. unb bie ange= 
hängte Slbfertigung beS ©rof. ©chmibt in ÜRaturforfeherfreifen fo 
menig als möglich befannt gemorben ift. Dag es nicht allju 
freunblidje ©efühle finb, oon benen jenes ©erftummen bet ©atur= 
forfcher gegenüber meiner fo nacgbrüdlichen §erauSforberung, 
nun enblich einmal in eine OorurtgeilSlofe Sritif meiner ©hilo= 
fophie einjutreten, begleitet ift, barüber gebe ich mich feiner 
Däufdjung hin; ich weil ganj genau, bah ich mir baburch ©iete, 
bie oother noch jwifchen ©hmpathie unb Slntipathie fchmanften, 
ju jmeifellofen geinben gemacht habe. Snbeffen bie SBahrgeit 
nnb ihr ©ieg fteljt mir höh* r als bie greunbfehaft unb ©unbeS= 
genoffenfehaft jefct lebenber fRaturforfdjer, unter benen boch mohl 
auch manch einer, ber leinen Slnlag fühlt, feine Stimme ju 
erheben, fidj freuen mag über eine ©ieberlage ber einfeitig mate= 
rialiftifchen unb mechaniftifchen Sichtung, unb ber Bufunft mirb 

*) Sgl. inSbefonbexe „Steufant. u. f. w." ©. 60—65; ,,©bil. beS 
Unb." 8. «ug, Sb. I, ®. 462—465 unb 449—451; „firit. ©runbl. bei 
tranSc. SRealiSmuS", 2. Slufl., ©. 90—96; „SBafjrljeit unb Srrtljuni im 
DartointSmuS", Slbfchn. VII. (Septere ©chrift ift auch in franjöfifcher, 
englifdjet unb fpanifcher Ueberfepung erfdjienen.) 

**) „Sie naturtoiffenfchaftlid^en ©runblagen ber ©hü- beS Unb." 
(Ceipjig 1876/77). Herr ©chmibt hat pd) baburch nicht abhalten laffen, 
feine Srofdjüre in unoeränberter Ueberfepung noch einmal franjBfifdjen 
Sefem oorjnlegen in ber Hoffnung, bah biefe nichts baoon erfahren 
werben, nie ich feine Sintoenbungen gegen bie „naturmiffenfebaftltdjeit 
CBrunbtagen" meiner ^3^iIofop^ie burch Shatfachenbetoeife unb ununt: 
ftöglidje Quellenangaben ©untt für ©untt entträftet habe. 


meine Slrbeif jmeifello# auch auf biefem Selbe ju ©ute fommen, 
ba perfönlidje ©mpftnblichfeiten oergehen, aber bet fachliche ©*= 
minn bleibt. 

III. 

3mifchen ber ©aturmiffenfehaft unb ber Xheologic, 
jmifchen bet mechaniftifdhen unb ber theiftif$en 935elt= 
anfehauung, fteht meine ©fjilofopljie mie eine Seftung, bie oon 
jtoei ihr gleich feinblkhen feeren berannt mirb. ©on erfterer 
im ©unbe mit HRaterialiften, Slthciften, rabicalen Hegelianern 
unb Seuerbachianetn, mirb fie als mpftifcher ObflnrantiSmuS be= 
fämpft, oon lehterer mirb ihr ber ©orrnurf eines beftructioen 
©abiealiSmnS, SltfjeiSmuS unb ©ihiliSmuS gemacht. ®ie ©eu= 
fantianer, beren ©hilofophie ä deux mains ju gebrauchen ift, 
flehen babei theilmeife auf beiben Sägern jugtetch, unb merfen 
mir oor, ba| ich nicht mie fie ju gleicher Beit miffenfchaftlicher 
Sltljeift unb ©taterialift unb frommer, gläubiger ©heift ju fein 
oerftehe. Der liberale ©roteftantiSmuS fchreit Beter über ben 
©erfaffer, ber „©elbftjerfehung beS ©heiftenthumS"; ber politifcfje 
SiberaliSmuS befreujigt fich oor einem ©hilofophen, ber bie ©er= 
logenheit beS ©arlamentariSmuS unb bet freien ©reffe aufbeeft 
unb ben ©ulturfortfchritt nur in ber Steigerung ber Unfreiheit 
unb Ungleichheit erblicft. Sille jufammen rufen SSehe über ben 
©effimiften, ber burch fein ©ift bie §ugenb oerführt unb ben 
©olfsgeift oerbirbt, unb bie ©chopenljauerianer, anftatt ihn ju 
oertheibigen, helfen ben oermeintlicljen Slbtrünnigen oerbammen. 
©in Dheil ber Siteraten unb f$ournaliften blidt mit nicht allju 
fteunblichen Slugen auf einen ©hilofophen, beffen Hcmptmerle 
über ben miffenfchaftlichen ©rfolg hinctuS auch noch einen lite= 
rartfehen errungen hoben, unb ben pe beSljalb als ©oncurrenten 
betrachten; pellen fte fich ouch nicht gerabe feinblich ju mir, fo 
fühlen fich boch bie SCBenigften bemogen, ben gefieberten Stuf eines 
DenlerS, bem fte bei feinem erften Auftreten gern ihre ©rotection 
hätten angebeihen laffen, nachträglich oergröpern ju helfen, um 
fo meniger, als eine nationale (Ehrenpflicht ber Qournale jut ©es 
fprechuitg neuer ©ublicationen eines renommirten SanbsmonneS 
i in Deutfchlanb nicht mie in anbeten ©ulturlänbern anerlannt 


mirb. ©inige finb auch ouS eifrigen Sötberern meiner Sache 
gerabeju meine perfönli^en Seinbe gemorben, fei es, ba| ich 
ihren fftomanen meine ©mpfehlung oerfagte, fei es, ba| ich mich 
auper ©tanbe fühlte, bie SBahrheit meines philofophifdjen ©hpemS 
baburch ju erhärten, bap i^ aus beffen ©rincipien ihre lefete 
Dragöbie als baS Rnnpmerf *ut bebucirte. 

Unter fo bemanbten Umftänben tönnten Uneingemeihte auf 
ben ©ebanlen fommen, fich barüber ju munbern, bafj ich, un= 
gepüftt oon afabemifchem ©influp unb literarifchen ©liquen, in 
meiner ifolirten Stellung nicht längfl unter ber oereinigten SBucht 
foldjer ©egnerfchaften erbrüeft bin. Der ftunbige freilich meife, 
bap ©ücher unb ©<hriftfieOer mohl tobtgefchmiegen, auch uo hl 
tobtgelobt, aber niemals tobtgefchrieben unb tobtgefdjolten merben 
fönnen, bah meinen Schriften gegenüber ber Serfuch, fte jefct 
noch tobtjufchmeigen, auspdhtslos erfreuten mü|te, unb bap afle 
gegnerifdje SPritif baS ©egentheil ber beabfichtigten ©ernichtung 
erreicht, nämlich bie Steigerung beS öffentlichen BntereffeS. @8 
bürfte beSljalb bie ©erficherung überflüfftg erscheinen, bap eS in 
ben oorangehenben, ber Drientirung beS SeferS gemibmeten @r= 
örterungen mir fern lag, mich perfönlidj beflagen ju motten; 
bieS ift felbft ba nicht ber Satt, mo ich fachlich* Slnflage ju 
erheben hotte. Dag ich trofc ober oiellei^t auch wegen aller an: 
geführten ©egnerfchaften mich 8 fl nj mohl in meiner Stellung be= 
finbe, bafür fann ich mir ben SemeiS erfparen, benn er liegt 
in ber Dljotfoch*, bog biefe meine Stellung noch ©iemanbem 
©titleib ermeeft hot. Sehlt es mit an einer Schule, meldje für 
meine ©hilofophie ©ropaganba macht, fo fehlt eS mir bodh * n 
ben oerfchiebenften ©etufsfreifen unb ©arteien (felbft unter ben 
©hilofophieprofefforen) nicht an einer erheblichen Bohl relatioer 
©egner, meldje auch relatioe greunbe meinet ©eftrebungen pnb, 
unb beten eingefdjränfte Slnerfennung auf ber ©aps grunb= 
fäfclHjer Dioergenj in ben Slugen Unparteiifdjer mehr ©emicht 
hat, als bie uneingefchränften SobeSerhebungen übereifriger Sln= 


Ijänger irgenb hoben tönnten. 

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Hobe ich iw ©otertanbe neben 

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28 


Ui t <Seg*nnnirt. 


Nr. 28. 


überfeßäßenbet Änerlemtung ein Uebermaß ßerabwürbigenben 
fpoßneS uttb feinbfeliger ©eßäffigfeit p foften belommen, fo hat 
bie auSlättbifcije ßritif oon Anfang an einen feßr acßtungSOolIen 
Ion angefcßlagen, ber ni<ßt ganj oßne ERüdwirfung auf bie öffent= 
ließe 9Reinung in Deutfcßlanb bleiben bürfte. 

©anj trrtßümlicß wäre eS, p glauben, als ob ich barnacß 
ftrebte, meine ©ßilofopßie pt allgemein anerlannten, allein ßerr* 
jcßenben ber 3cit werben p feßen, etwa in bem Sinne, wie bie 
Iwgel’fcße ©ßilofopßie öor einem falben Saljrljunbert bafiir galt. 
Sin joteßeS 3i«l fann nur ba inS Äuge gefaßt werben, wo ent* 
webet ber ©taube an bie befinitioe, abfolute SBahrßeit beS eigenen 
SpftemS befteßt, ober wo bie Sitelfeit nach äußeren Srfolgen 
bafcbt trofc ber Sinficßt in ihre ©ergänglicßfeii 2BaS ßot ' )er 
#egel’feßen ©ßilofopßie ißr eifriger unb jaßlreießer SüngetfreiS 
geholfen? könnte fte beute oergeffener unb oeracßteter fein als 
fic ift? gortleben fann eine ©ßilofopßie bo<b nur baburcb, baß 
fie fortgebilbet wirb; bieS gefcbiebt aber niemals »on Jüngern, 
bic auf ihren äReifter fcßwören, fonbern oon felbftftänbigen Denlern, 
bie außerhalb ber ©eßute im engeren Sinne beS SBorteS fteben. 
3<ß faffe bie Äufgabe eines phitofophifeßen ©ßftemS ganj anberS 
auf; ieß febe fie ni(bt barin, gläubige Sünger p werben, fon* 
bem möglitbft oiele ©eifter oon ©orurtßeilen p befreien, p 
jclbftftänbigem Denfen anpregen, ihnen neue ©erfpectiöen p 
eröffnen, ben ©eficßtSfreiS ihrer 2Beltanfdjauung p erweitern 
unb baS geiftige ERioeau berfelben ju erhöben, enblicß aber, was 
baS SBicßtigfte ift, ben Samen p ftreuen, aus welkem, wenn 
er auf fruchtbares Srbreicb fällt, neue unb habere «formen beS 
pbilofopbifcben ©ebanfenS ficb entwicteln fönnen. Sitte biefe Äufs 
gaben fönnen nur in bem SRaße erfüllt werben, als bet Sefer* 
(reis ber Darlegungen beS ©ßftemS eS pläßt; je weiter ber 
©amen oerftreut wirb, befto mehr Wäeßft bie ÄuSftcßt, baß er 
auch auf fruchtbaren ©oben trifft unb einer neuen reicheren Smte 
entgegenreift. 

SBenn fpierongmuS Sotm in ERr. 22 biefeS SlatteS meine 
©ßilofopßie mit einem einfamen £>aufe oergleicbt, baS oon jaßl* 
lofen ©efcßauern beficbtigt, angeftaunt unb — oerlaffen Wirb, 
ohne batin SEBoßnung p nehmen, fo barf ich nunmehr fagen, 
baß ich mich glüdlidj fchäfee, bisher feine Äftermietßer, feine 
„fjartmannianer" in meinem Sauwerl haben aufnehmen p ntüffen. 
SBenn bie SJtenge, bie p meinem $aufe wallfahrtet, ungemöhn* 
lieb groß ift, fo barf man ficb ni«ßt wunbern, baff bie große 
Etttehrjahl berfelben aus bloßer EReugiet fornmt unb geht, ohne 
nennenSwerthe Sinbrüde mitpnehmen. Die tunftoerftänbige 
ttRinberßeit fcheibet bielleicbt boeb nicht ganj ohne ©eteießerung 
ihrer Stnfdjauungen unb bie wenigen Saumeifter ober ©au* 
befliffenen unter ihnen finben wohl ©etegenheit, bei ihren fünf* 
tigen Ärbeiten etwas oon bem ©efebenen ju oerwenben, fei es 
nun ber ©runbriß, ober bie gaijabe, ober auch nur ein ©tüd 
innerer Sinrießtung, ober eine befonbere ©ewötbeconftruction. 
Solche felbftftänbige ©erwertbung ber oon mir empfangenen 9ln= 
regungen oon ©eiten origineller Denfer unb ©eßriftftetter ift mir 
unenblicb Oiel wertßootter, als eS bie fflaoifeße ERaeßaßmung 
meines SBerfeS in febülerhaften SBieberhotungen irgenb fein fönnte; 
baß aber in erfterem Sinne meine ©eftrebungen febon nach fo 
furjer 3«it, unb obwohl ich bie SpecialbiSciplinen beS ©ßftemS 
faum p bearbeiten begonnen ^abe, grüeßte getragen haben, 
baoon fegen bie werthootlen neueren SBerfe oon ©rof. Dr. Smft 
Stopp, ©eneralconful griebrieß groebel, Sajar Saton o. fetten* 
hach, Dr. Äarl greißerr bu Eßrel, ©rof. Dr. EDtoriß ©enetianer 
unb Änbere mehr hinlängliches 3 £ ugniß ab. 

Die fünften äBünfeße eines Eßßtlofopßen lönnen bemünftiger 
SBeife nicht ßinauSgeßen über bie |>erau3bilbung einer barin 
übereinftimmenben öffentlichen SReinung, baß Seiner, bem eS um 
ernfte pßilofopßifcße Stubien p tßun fei, bie grünblicbe Seetüre 
feiner SBerfe oerfäumen bürfe; benn auS einet foldjen Stellung* 
nähme ber öffentlichen SReinung mug ficb bie größtmögliche 
SBirtung, beren biefelben überhaupt fähig finb, ganj oon fetbft 
ergeben. Solche SEBünf^e haben aber mit perfönlidjer Sitelfeit 
gar nichts p tljun, im ©egent^eil enthält baS ©ewußtfein, ben 
testen unb böcbften 3wed ber eigenen Slrbeit in ber ©orberei* 


tung ihrer fünftigen Ueberwinbung p feßen, bie benlbar 
größte 3“rüdfeßung beS peinlichen §ntereffeS unter baS fadj ä 
li^e, unb ber Äampf für bie oertretenen 3been erwedt nur ba* 
burd} ben fallen Schein einer ©ertßeibigung ber perfönlichen 
3ntereffen, baß bie ©erfon genöthigt ift, ftch fetbft für bie oer* 
tretene Sache mit einpfeßen. SBcil bie Sache ber ©ertßeibigung 
bebarf, weil bie ©ertheibigung unter Umftänben fad^tic^e ©flicht 
ift, muß ber Xräger ber 3bee für biefelbe eintreten, wo lein 
Änbrer für ße eintritt, unb muß fid) bem fo leidet erhobenen 
©orwurf ber perfönlichen Ueberhebung ausfeßen, wo eS ©errath 
an ber Sache wäre, aus falfcher ©efi^eibenheit ben SBerth bet 
oertretenen 3bee ber feinbli<hen §erabwürbigung p übertaffen, 
anftatt ihn energifcß in baS rechte Sicht p rüden. SBo oon ben 
©egnern bie angegriffene Sache mit ber ©erfon ibentißeirt 
Wirb, ba ift es unmöglich, bie Sache h°<h 8« halten ohne Sr* 
wedung beS Scheins, baß man eigentlich bodj nur bie eigene 
©erfon erhöhen wolle, unb gerabe ber furdjtlofe unb mutige 
Siämpe ber 3bee gibt fieß h* er unbetümmert Stößen, bie ber 
feige unb oorfießtige Streber gefeßidt p oermeiben weiß, ©tänbe 
mir ber perfönlicße Srfolg höher als bie Sacße, fo würbe ich 
mieß aller SBahrfcßeinlichfeit nach baoor gehütet haben, bureß 
rüdficßtslofe Übertretung meiner Sacße mir naeß rechts unb 
linfS, naeß °ben unb unten perfönlicße ffeinbe p machen, unb 
würbe ftatt beffen längft barnaeß geftrebt haben, bie ifotirte, un* 
abhängige Stellung beS ScßtiftftellerS mit bet perfönlicß fo oiel 
einflußreicheren, aber aueß oon allerlei fRüdficßten eingeengten 
afabemifeßen Seßrtßätigleit p oertaufeßen ober p oereinigen. 


Drei Briefe oon (ßeorge Janb nnb iriebrid) Äßoptn 
an 3ibolf (Entmann etc. 

Sou Bernt)arb Staoenoto. 


3m «frühiaßr beS 3aß«ö 1847 ging ©eorge ©anb oon 
©ariS, wo fie mit «Sriebticß Sßopin in ißrem ^aufe am 
Squarre d’ Orleans, rue St. Lazarre jufammengewoßnt ßatte, naeß 
ißrem Sanbfiß ERoßant priid, um bafetbft ißre locßter Solange 
p oerheiratßen. 

Sßopin Wäre gern mitgereift, feßon auS ©efunbßeitSrüd* 
fießten, ba ißm bie frifeße, reine Sanbtuft bei feinem fränlelnben 
3uftanb gewiß juträgtießer gewefen fein würbe, als bie bumpfe 
Ätmofpßäre ber 3Retropole. Äüein, Weil ju ber $ocßjeit bie 
©egenwart beS SaronS IDubeoant, beS gefeßiebenen ©emaßlS 
ber ©eorge ©anb, in ERoßant notßwcnbig War, mußte Sßopin 
in ©ariS bleiben. 

#ier warf ißn ein böfer ERüdfatI feiner erft fürjticß über* 
ftanbenen ftranfßeit, waßrf^eintieß ßerbeigefüßrt bureß bie ©eßn* 
fueßt naeß ber geliebten «jrrau unb bureß eine unoorfüßtig ßer* 
beigejogene Srlättung, auf baS Äranfentager prüd, unb längere 
3eit füreßtete man ernfttieß, baß er eS halb mit bem ©arge 
oertaufeßen würbe. EDocß einer feiner beften greunbe, pgteieß 
fein SieblingSfcßüter, Äbotf ©utmann, pflegte ißn mit ber 
größten unb aufopfernbften Sorgfalt. Unb ®anl biefer un* 
ermübtießen ©flege beS treuen greunbeS, fowie ben ©emüßungen 
beS ÄrjteS, Dr. ElRoutin, gelang eS, Sßopin enblicß p Änfang 
beS EIRai fo giemlicß wieber ßerjufteüen. 

„3ft ©utmann aueß nießt mübe?... SEBirb es ißn nießt 
p feßr anftrengen, baß er no^ weiter bei mir Wacße? ... Äcß, 
icß wöcßte ißn nießt fo plagen, unb boeß möchte ich leinen Än* 
bern fo oiel um mich haben, wie ißn!" Dies waren faft bie 
einzigen SEBorte, bie Sßopin wäßrenb feiner Äranfßeit fpraeß unb 
bie pr ©enüge beweifen, wie lieb ißm gerabe biefer greunb war. 

©utmann hatte feßon lange ben SEBunfcß, ein ©ilb feines 
früheren SeßrerS unb fefcigen greunbeS Sßopin p befißen, unb 
ber berüßmte SRaler granj SEBinterßalter, mit bem ©utmann 
aueß feßon lange 3cit intim war, woüte ißm baS ©orträt fer* 
tigen; allein Sßopin befaß einen förmlich inftinctiöen SSBiberwillen 
gegen baS Sißcn, unb fo war biSßer immer noeß nicßtS auS ber 


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Nr. 28. 


ffltf Qt$tnwnvt 


29 


©erwirfltdjung oon ©utmann* SQBunfd^ geworben. 3efct enblic^ 
fofltc berfelbe in Erfüllung gehen. 211* nämlich Chopin nun toäty 
renb ber ©efferung einmal Staats mit ©utmann traulich ptauberte 
unb ihm feine Srfenntlicfjfeit für bie aufopfernbe pflege banfenb 
auSfprach, benufete ®utmann bie ©etegenheit, oon Ehopin ba* 
©erfprechen zu erhalten, zu einem Porträt fifcen zu motten. 

©$on am 2. ERai citirte er barauf SBinterhatter mit Eitlem, 
»w* zur Einfertigung eine* ©ilbe* nöt^ig ift, zu Ehopin unb 
SBinterhalter fertigte ba* üietteicht einzig ejriftirenbe, nach bem 
Seben gezeichnete Porträt oon Ehopin, welche* neben feiner Untere 
färift ba* ®atum bom 2. ERai 1847 trägt unb noch heute nebft 
anberen SReliquien unb Erinnerungen in ©utmann* ©efifc ift. 

®ie ©eorge ©anb bantte bemfetben für feine aufopfernbe 
©flege Chopin* in folgenbem ©riefe, ben ich tu ber ölücfli^en 
Sage bin, juerft ber Oeffenttichfeit übergeben ju fönnen. Er 
lautet: 

„Nohant, 12. Mai 1847. 

Merci, mon bon Gutmann, roerci du fond de mon coeur pour 
les aoins admirables que vous lui prodiguez. Je sais bien que 
c est pour lui, pour vons-nteme, et non pour moi, que vous agiasez 
ainsi, maia je n’en 6prouve pas moins le beaoin de vous remercier. 
J ai bien du malheur que cela arrive dans un moment comme celui 
oü je me trouve. Yraiment c’est trop d’anxietes ä la fois! Je serais 
devenue folle, je crois, si j’avais appris la gravite de son mal, 
avant d’apprendre que le danger £tait passe. II ne sait pas que 
j en ai connaissance, et, a cause, gurtout, des embarras oü il sait 
que je me trouve, il veut qu’on me le cacbe. II m’a 6crit hier, 
comme si rien ne s’etait pass£ et je lui ai rdpondu — comme si je 
ne me doutais encore de rien. Ne lui dites donc pas que je vous 
äcris et que j’ai mortellement soutl’ert pendant 24 heures. Grzymala 
m’ecrit sur vous de si bonnes paroles, a propos de la tendresse 
avec laquelle vous tous m’avez reraplaces aupres de lui, et vous sur- 
tout, que je veux vous dire que je le sais et que mon coeur vous en 
tiendra compte s&rieusement et a jaraais*).. 


A revoir donc, bientöt, mon eher enfant, et rectevez tna bene- 
diction matemelle. Puisse-t-elle vous porter bonheur comme je le 
souhaite! George Sand.“**) 

, ®iefet ©rief attein zeigt fchon zur ©enüge, bajj ber ooCD 
ftänbige ©ruch ber ©eorge ©anb mit Ehopin niefjt im Einfang 
be* 3ah re 3 1847 oor ber Elbreife ber berühmten ©chriftftetterin 
nach Etohant erfolgt ift, Wie in ben bisherigen ©iographien ©hopin* 
überall unrichtig angegeben. ®er ©ruch itvifäen ©eiben erfolgte 
nielmehr erft nach bem Eoncert, welche* Shopin Slnfang 1848 
im saile Pleyel gab, furz nor feiner Elbreife mach ©rofjbritannien. 
3u biefer englifchen Steife hatte fich Ehopin, beffen Suftanb im 
SBinter non 1847 zu 1848 toieber ein fehr fchtnanfenber ge* 
worben, entfchloffen, meil ber Slufenthalt in Pari* ihm jefct burch 
bie Politiken Unruhen unb anbere Urfadjen, hauptfä^lich eben 


*) £ier einige Strafen über Samilienoerljältniffe, bie mir auf fpe= 
ciellen »unfeh fortlaffen. 

**) 3)anl, mein guter ©utmann, 2)an! au* bem ©runbe meines 

Sperjen* für bie bewunberungSwürbige pflege, bie Sie ihm fpenben. 
»ohl weift ich, baft ©ie nicht meinetwegen, fonbern für ihn allein, ja 
um 3hret felbftwitlen fo haubein, aber nichtSbeftoweniger empfinbe ich 
ba# ©ebürfnift, 3h nen Z u banfen. ES ift mir höchft fchmerzlich, baft 
bied gerabe jept über mich hereinbricht. $a* ift wirtlich auoiel 
Kummer auf einmal! $ätte ich bie Nachricht non ber ©ebeutung 
feiner Äranfheit eher empfangen, als bie ©ewiftheit, bab bie ©efahr 
notüber, ich fllaube ich hätte eS nicht ertragen. Er weib nicht, bab ich 
Äunbe banon betommen habe, unb er will, bab man mir SltleS 

nerheimliche, befonberS unb weil er bie ©erwidlungen fennt, in benen 
ich mich befinbe. Er fchrieb mir geftern, als ob nichts norgefatlen wäre, 
unb ich habe ihm geantwortet, als wenn ich uoch bon nichts eine 

SUpiuna hätte. Sagen Sie ihm baher nicht, bab ich 3huen gefchrieben 

unb ba| ich mährenb 24 Stunben unenblich gelitten, ©rzbmala fchreibt 
mir foniel ©uteS über Sie, inbem er non ber Eingebung fpricht, mit 
ber fie meine Stelle bei ihm oertreten haben, unb nor Slllem Sie; ich 
mub 3huen baher fagen, bab ich &te$ mei&, unb bab mein §erz cS 3hnen 
eingeben bleiben wirb auf baS Snnigfte unb in alle Ewigteit. 

Sluf balbigeS ©ieberfehen benn, mein liebes Äinb, unb empfangen 
Sie meinen mütterlichen Segen. ERöge er 3huen fo niel ©lücf bringen, 
al# ich tS wünfehe. ©eorge Sanb. 


wohl burdj ben ©ruch mit ber ®eorge ©anb, unangenehm ge* 
worben war, unb weil überbieä Diele mohlwottenbe, lie6enSwürbige 
^ßerfonen jenfeits beS EanalS ihn aufs ^erzlichfte zu fich eins 
geloben huU^u* Wnb fo reifte er benn im Slpril '1848 nach 
| ©robbritannien ab, währenb ©utmann berweilen eine Steife nach 
j §eibelberg, feiner ^eimatSftabt, machte, um bort feine EJtutter 
| unb ©erwanbten nach Dierzehnjähriger Trennung zu befugen. 

3n Englanb hatten fchon lange EhopinS Eompofitionen bie 
! oerbiente Popularität erlangt; eS ift baher ganz natürlich, bab 
ber EJteifter überall, wo er fich Zeigte, mit grober Sichtung unb 
jener h^itiih^n ©pmpathie empfangen würbe, bie ber fünfte 
2ohn beS ®ichterS unb Zünftlers ift. 

©in ©rief ©hopinS aus jener 3*it an ®utmann, ben wir 
hier auch jum erften ERale ber Deffentlidjfeit übergeben, lautet 
Wörtlich: 

„48. Dover-Street. 48. 

Picadilly. 

Samedi, 6. mai 1848. 

Clier ami, Me voila enfin installö dans ce gouffre de Londres. — 
Je respire seulement depuis quelques jours; car ce n’est que depuis 
! quelques jours que le soleil s’est montr^. J’ai vu Mr. D’Orsay, et 
j malgr^ tout le retard de ma lettre il m’a tres bien re^u. Remercie, 

'* je te prie, la Duchesse de ma et de sa part. Je n’ai pas encore 
! fait toute8 mes visites; car beaucoup de personnes auxquelles je 
i suis recommande ne sont pas encore ici. — Erard a &t£ charmant, 

| il m’a fait poser un piano. J’ai un de Broadwood et un de Pleyel, 
ce qui fait 3, et je ne trouve pas encore le temps pour lea jouer. 
J’ai beaucoup de visiteurs et mes journees passent comme des 
Eclairs, — je n’ai meme pas eu un moment encore pour 6crire a 
Pleyel. Donne - moi de tes nouvelles. Comment te trouves tu 
d’esprit? Comment vont les tiens? — Chez nous cela ne va pas 
bien. Je suis bien tourmente de ce cöte lü. Malgte cela il faut 
penser a se faire entendre; on m’a propos^ de jouer au Philhar¬ 
monie, mais j’aimerais mieux non. — Je finirai apparemment apr^s 
avoir jou^ chez la Reine, par donner une matinöe limitee a un 
nombre de personnes, dans un hötel particulier. Je voudrai que 
cela se termine comme cela. Mais ces projets ne sont que des 
projets en l’air. — Ecris-moi de toi beaucoup; tout a toi 

mon vieux Gutt 

Chopin. 

P. S. J’ai entendu M Ue Lind dans la Somnambula l’autre soir. 
C’^tait tr^s bien; j’ai fait sa connaissance. M me Viardot est venue 
me voir aussi. Elle fera ses döbuts au th^ätre rival, ausai par la 
Somnambula. Tous les pianistes de Paris sont ici. Prudent a jouö 
au Philharmonie son concerto avec peu de succ&s, car il faut leur 
jouer la-bas du classique. Thalberg eat engage pour 12 concerts 
au theätre oü est la Lind. Halte va jouer du Mendelsohn au th&Ltre 
rival.“ — *) 


*) Sieber gteunb, enblich habe i(h mich in biefem Sonboner $>5Qen= 
fchlunb häuslich eingerichtet. — Erft feit ein paar Xagen athme id^ auf; 
benn feit wenigen %agen erft jeigt fich bie ©onne. 3<h habe 4>errn 
2 )’Drfah befucht, unb tro| ber bebeutenben ©erfpätung meines ©riefe* 
hat er mich fehr gut empfangen, ©itte, bante ber ^erzoain in meinem 
unb in feinem tarnen. 3ch ha&e noc h nicht alle meine ©efuche gemacht, 
benn Diele oon ben Seuten, an welche ich Empfehlungen habe, finb noch 
nicht hier. — Erarb war fehr liebenswürbig, er hat mir ein $iano zur 
Verfügung geftellt. 3^ habe ein* oon ©roabwoob unb ein* üon $lepel, 
ba* macht 3, unb ich finbe noch immer nicht bie Seit, fie za fpielen. 
3 <h belomme fehr oiel ©efuch unb meine Xage oerfchwinben wie ber 
©life. — 3ch habe felbft noch nicht einmal einen Elugenblicf Seit gehabt 
an ißlehel zu fepreiben. 2a6 etwa* oon 3)ir hören, »a* machen 2)eine 
©ebanlen? »ie geht e* ben deinenV — ©ei un* geht e* nicht gut. 
3th werbe oon biefer Seite oiel gequält. Xro£bem mub man baran benten, 
fich hören zu lajfen; man hat mir oorgef^lagen in ber Philharmonie 
Zu fpielen, ich möchte lieber nicht. ©djlie&Uch werbe ich wahrfcheinlich, 
nachdem ich bei ber Königin gefpielt habe, eine gefdjloffene ERatin^e 
geben oor einer beftimmten Anzahl Perfonen, in einem Prioathau*. 3«h 
wünfehte, bafe e* barauf hinau* tarne, aber biefe Pläne fchweben eben 
alle noch in ber 2uft. — Schreibe recht oiel oon $ir; ganz ber 2)eine 
mein alter ©utt. Ehopin. 

P. S. 3ch habe gräulein £inb neulich 9lbenb in ber Somnambula 
gehört. E* war ausgezeichnet, ich habe fie lernten gelernt. ERme. öiarbot 
hat mich auch bejucht. Sie wirb ebenfall* al* Somnambula auftreten. 


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ao 


311f (Segfümart, 


Nr. 28. 


9ladjbetn Gfjopin bei bet fterjogitt twn Sut^ertanb bei 
Königin ©ictoria üorgeftellt worben war unb bei $ofe gezielt 
batte, erhielt er Xag für 2ag (Sintabungen in bie erften Käufer 
(SnglanbS, unb überall würbe er mit (St^enbejeuguugen unb als 
ertlärter Siebling empfangen. 

3ebodj biejer Zrubel, bie fpäten Sbenbgefellf(haften unb 
bie Un&equemtidjfeiten be« ©alonlebend waren ber angegriffenen 
©efunMjeit be« (gefeierten nicht juttäglich, weshalb biefer, um 
ruhiger ju leben, einer (Sinlabung nadj @<hottlanb ®ef)ßr gab. 

©on hier and f<hrieb er an ©utmann folgenben ©rief, ben wir 
hiermit ebenfall« jum erften SRale ber Oeffentlichteit übergeben: 

„Calder House. 16. ocfcobre 1848. 

(12 Miles d’Edinbourgh.) 

Träa eher ami, que fais-tu? Comment vont les tiens? Ton 
paya, ton art? — Tn me tiens rigueur injuatement, connaisaant 
mon infirmit^ en matiöre dpistolaire. J’ai bien pens£ ä toi et l’autre 
jonr en lisant qu’il y avait du bruit ä Heidelberg, j’ai essayd une 
trentaine de brouillons pour t’envoyer un mot qui a fini par Stre 
jetä an feu. Cette page t’arrivera pent-etre et te trouvera heureux 
auprfcs de ta bonne mfcre. Depnia qne j’ai eu de tea nouvelles, je 
aui8 en Ecosse, dana ce beau payB de Walter Scott, a taut de sou- 
venira de Marie Stuart, des Charles etc. etc. Je me tralne d’un 
Lord ä un autre, d’un duc k un autre. Je trouve partout, outre 
l’extrSme bienveillance et une hospitalitä 8ana bornes, des ex- 
cellent8 pianoa, de beaux tableaux, des bibliothöques choisies; il y i 
a au8ai des chasaea, de chevaux, des chiens, des dtners inter- | 
minables, de8 cavea dont je profite moins. On ne se fait pa8 i’id^e 
de tout le comfort recherch^ qui regne dans les chateaux anglaia. 

La reine ayant passe quelques semaines cette ann^e en EcoBse, 
tonte l’Angleterre l’a suivie tant par courtoiaie que par l’impossi- 
bilitö d’aller sur le continent troublä. Tout ici a doublt de spien- | 
deur exceptd le soleil qui n’a rien fait de plus qu’ä son ordinaire; | 
au88i l’hiver s’avance et je ne sais pas encore ce que je deviendrai. 

Je t’öcria de chez Lord Torphichen. Dans ce ebateau au deBsous 
de mon appartement J. Knox, le räformateur öcoaaaia, a fait aa 
premi&re eene . Tout y prete ä l’imagination, un parc avec des 
arbrea a^culairea, des precipices, — des murailles du chäteau en 
ruine, des corridors aans fin, avec de vieux ancetres aana nombre, 

— il y a mßme un certain bonnet rouge, qui s’y promfcne a minuit. * 
J’y promene mon incertitude. 

Le chol^ra arrive; il y a brouillard et spieen k Londres, pas 
de pr^sident ä Paris. N’importe oü j’irai tousser et ätouffer, je 
t’aimerai comme toujours. Presente a ta m&re mes respects et tous 1 
ines souhaits pour votre bonheur k tous. Ecris moi un mot k 
l’adresae: D r Lishinsky, 10 Warriston Crescent, Edinburgh, Scottland. 

Tout k toi de coeur 


Chopin. 

P. S. J’ai jouä k Edinbourgh, la noblesse des environs y est 
venue; on dit que c’etait bien, un peu de succ&s et d’argent. Il y 
avait cette ann£e en Ecoase la Lind, la Grisi, la Alboni, Mario, 
Salvi — tout le monde.“*) 


Slfle fßarifer fßianiften finb hier. fßrubent hat fein doncert in ber 
^Philharmonie mit menig (Erfolg gegeben, beim fie verlangen bort 
ftlafftfche«. Ifjalberg ift für zwölf doncerte an bemfelben ©heater, bei 
bem fid) bie ßinb befinbet, engqgirt. wirb 9Äenbel«fohn fpielen. 

*) ©heuerfter greunb, ma« treibft ©u? SBie geht e« ben deinen? 
SBa« macht bie Heimat, ©eine ftunft? — ©u groUft mir ungerechter 
SSBeife / lennft ©u hoch meine Unzuoerläffigleit im ©riefefchreiben. geh 
habe Diel an ©i<h gebaut unb al« ich neulich non ben Unruhen in 
fteibelberg la«, ^obe ich rin hal&rS ©d)od Entwürfe gemacht, um 
©hr §u fchreiben unb ^abe fie aQe fd)lieftlich in« geuet geworfen, 
©iefe feilen werben Hoffentlich au ©ir gelangen unb ©ich gltidlich an 
ber Seite deiner guten äftutter ftnben. Seit deinen lefcten Nachrichten 
bin ich in Schottland in jenem frönen ßanbe be« SBalter Scott, *nrifd)en 
aß ben (Erinnerungen an Ntoria Stuart, bie ftarl« ic. :c. 3<ft ätehe non 
einem ßorb pm anbern, non einem Herzog jum anbern. Ueberaß finbe 
ich aufter bem größten SBohlwoflen unb einer grenjenlofen (ftaftfreunb; 
jehaft au«gepichnete $iano«, fchöne ©über, au«gemählte ©ibliothelen; 
auch gibt e« 3)inge. non benen ich toeniger habe, al« Sagben, ©ferbe, 
5 >unbe, «nenbliche ®iner«, ©einteßer. ®can fann ftch leine Sorfteßung 
machen non aß bem anSgefuchten £ugu$, melcher in ben englifd^en 
Schlöffern h«^^t. S)a bte Königin einige SBodjen biefe« 3ahre« in 
8 chottlanb jugebracht hat, ift ihr gan$ (Englanb nachge^ogen, theil« toeil 


Seiber mirfte, mie norau^jufehen, ber Stuf enthalt in bem 
rauhen filtma ©chotttanb« nachtheitig auf bie ©efunbheit ©hopinä. 
®ie bort herrf^enben Siebet, nerböfett SRenfchen befonber« fc^äb- 
lieh, beeinflußten feine ©emöth^ftimmung unb erjeugten hon 
Neuem jene tnitben $h a ^aften unb ©ebanfen, bie ihn fd^on 
früher nmhrenb feiner ßranfheiten fo feljr gequ&tt hatten. 

Anfang be« 3ah*e$ 1849 lehrte ®h°ptn nach $ari$ jurüd, 
mo er gar batb nach feiner Stnlunft einen ferneren SSertuft er¬ 
litt. Nämlich Dr. SKoutin, ber Strjt, beffen Sorgfalt ber teibenbe 
ffiünftler bie Sertängerung feine« ßeben« bet feinen früheren 
föranfheiten ju nerbanfen hatte, fiarb ptö^tich. 

®on biefer 3eit an ergriff ben tiefbetrübten Patienten nun 
bottftanbige ©erjmeiftung, unb feine ^ranlheit machte rapibe 
gortf^ritte. 3n ben erften lagen be« Dctober lonnte er fchon 
nicht mehr aufrecht ftfeen. 

©nbtich nahte bie Stunbe ber Sluflöfung. Seine Schtnefter 
Suife unb fein treuer Schüler ©utmann nertießen ihn leine 
SNinute. 2)ie $anb be« Settern htett ber Seibenbe faft be« 
ftänbig in ber feinigen. 

Stm 15. Dctober hatte fchon bie Sprache ihren ©lang Oer* 
toren, unb am 16. nertangte ber Scheibenbe bie te|te Detung, 
bie ihm ein polnischer ^riefter in Stnmefenheit ber ^rinjeffin 
5lbam ®prtori«ta, ber ©räfin 5ßotoda, SNiß Stirling u. f. tu. gab. 

SEBährenb ber ^riefter ba« ©ebet ber Sterbenben ta«, ruhte 
©hopiit auf ©utmann« Sdhutter mit gefchtoffenen Stugen. 811« 
aber ba« ©ebet ju ©nbe mar, öffnete ber Sterbenbe plöfetich 
feine ßiber unb fprach mit Harem 83Ud unb lauter beutticher 
Stimme ba« „Simen". 

Dann fiel er mieber in feine Starrheit jurücf, bi« er 
Nacht« um einen £runt 3Baffer bat, ben ihm ©utmann reichte. 
Nachbem ber Scheibenbe feine ßippen bamit genefet hatte, hob 
er ©utmann« #anb gegen feinen SJtunb, lüßte biefetbe unb 
hauchte mit ben SBorten: „Cher ami! u feine Seele in ©ute 
mann« Slrmen au«, at« eben bie Uhr bie britte SWorgenftunbe 
be« 17. Dctober nertünbete. $er Schmerj be« greunbe« mar 
fo unbefchreiblich, baß ©raf ©rjpmala genötigt mar, benfetben 
au« bem ßimmer ju bringen. 

®a« ©ta«, au« meinem griebrich ©ho^tn ben testen 
Irunl genoffen unb an bem man noch h e ß* c bie Spuren feiner 
ßippen mahrnimmt, hat ©utmann forglidj aufbemahrt. SSBie ei* 
mir untängft in glorenj, mo er jefct mohnt, mittheilte, mirb er 
ba« ©la« fammt bem fchon oben ermähnten Porträt ber Sater* 
ftabt be« großen ®ahingef^iebenen, SBarfchau, al« Neltquie oer^ 
machen. 


c« bie ©ofßtte fo miß, theil« meit bie Unmöglichleit norliegt, ba« auf: 
geregte geftlanb §u betreten. 8lße« hat h ic r feinen ©lanj nerboppelt, 
au«genommen bie Sonne, toelche nicht« Nnbere« gethan hat, al« tna« fie 
immer thut; auch iornrnt ber SBinter heran unb ich Keift noch nicht, toa« 
au« mir wirb, geh fdjreibe $ir bei ßorb $orphi«hen. 3n biefem 
Schlöffe gerabe unter meinem gimmer, hat 3- ^noj, ber fchottifdje Ne- 
formateur, jum erften 2Kal ba« Slbenbmahl gereicht 

8 (ße« leiftet hier ber ©inbilbung ©orfchub, ein $arl mit hnnbert' 
jährigen ©äumen, Slbgrünben, — ruinenhafte Schloftmauem, dorribore 
ohne ®nbe mit unzähligen Slhnenbilbetn — e« gibt fogar ein gemiffe« 
Not^läppchen, ba« bariit um SRitternacht umgeht. 3<h führe bort meine 
3 tneifel fpajieren. 

$ie dholera lommt; e« gibt Nebel unb Schnee in ßonbon, leinen 
$räfibenten in $ari«. 5)och mo ich nun aud) hingehen rnerbe zum 
$ußen unb znm drftiden, meine ßiebe für 3)ich mirb ftet« biefelbe 
bleiben, ©rüde ©einer Ntutter meine ©erehrung unb meine herzlichen 
©ünfehe au« für (Euer aßfeitige« ©lüd. Schreibe mir ein ßBort an bie 
«breffe: . . . 

©on ganzem $et«en 

©ein &hopin. 

P. S. 3ch habe iu (Ebinburgh gefpielt, bie ganze nornehnte ©>e(t 
ber .Umgegenb ift hingelommen; man fagt, e« fei gut gemejen, ein 
©i«chen (Erfolg unb ©elb. Qn biefem 3ahre maren in Schottlanb bie 
ßinb, bie ©rifi, bie SUbani, Ntario, Salni — bie ganze ©eit. 


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Nr. 28. 


Die Äfgfunmrt. 


31 


Jlu0 bet 


^»8 ben ÄunfiauöfieUttngen. 

3n bet permanenten AuSftefiung jieljt ein ©oflectio*©orführung oon 
Arbeiten gichh& bie ©eadjtung auf fld^. Xer künpler, Ungar oon 
Geburt, lebt feit Sauren in Paris unb ift lein Neuling. 2Bir finben i 
ein Oel&ilb, farbige ©artonS, Aquarellen unb geichnungen. ©in mar* 
tirleS Xalent, baS in problematifdjer Unruhe nicht §ur Steife gelangte. 
AnfpruchSOofie Xenbenz= unb ©ebanfenmalerei fteht im ©orbergrunbe. 
2)ai Pathos ift gefpreigt unb babei conüentionell; kauibadj inS 
gtänfiphe übertragen. Äepergerichte, fiutljer mit bem Xinteufaß gegen 
bie teuflifdje Schaar, ©fpripuS als ©efdjüper ber für ihre Ueberzeugung 
bulbenben SJtönner gegen ben gefrönten unb mächtigen $ochmuth, 
wadelub* Xhrone mit ftür^enben päpfien, — für bie Äunft recht un* 
ergibige Xinge. SBeit erfreulicher finb bie fitten* unb unfitten=bilblicheit 
Xarßeflungeu, auch Wo fie (ich biftortf<^ auSftafpren; eine gerabezu 
meifterhafte ^eiftung ber „phottißhe gacfeltanz", ooßer Sebcn unb 
richtiger ©ewegung, in ber gar&e eine Pafteßzeichnung beS oorigeit 
SafchuuberiS, bei ber fich blau unb roth burchgefreffen, mit Aquarell 
trefflich imitirenb. Auch &i* großen ©artonS mit ben ©belfnaben twr 
einer golbtönigen unb bie SJläbchen bor einer filberhelten Xapete, wohl 
}iir Xecoration eines SpeifefaalS beßimmt, [teilen bem ©ermögen beS 
känßlerS ein fefjr günßigeS geugniß aus. ©ie woßen in meiteftem 
Abftanbe gefehen fein. Xann lichten fich bie trüben köpfe auf unb 
werben nach unb nach förperlich runb. Xie auf ben gauneu reiten* 
ben Stpmphen pnb oofl gefunbeu #umorS, ber bem ©ouper unter 
Heinrich II. trop fräftiger altmeifterlicher güge fehlt. Xer (gefangene 
wiegt nicht fehler unb jeigt nur ben künpler mit einem einfeitigen 
effcct bet ©elmaleret genügenb oertraut. 3 « ber geichnung „Staphael 
unb fein SJtobefl" fpricht fich bit StücffichtSlopgfeit beS mobemen Stea* * 
liSmuS in fraffefter SBeife aus. gichh führt ben ©tift mit fefter unb I 
foraibewußter #anb. ©ei größeren Ximenfionen oerfällt er leicht in 
mollige Weichheit. 

„2la<h bem ©alle" oon %an üan ©eerS. SBohl nach einem ©all, 
ju bem Xamen fein ©ntrde befahlen. Stabicale weibliche Stadtheit in 
lujuriöjet Umgebung ruhenb. griool, aber pifant unb lebenSooß. Xrop 
jarter gormen liegt ber ©(htoerpuntt im ©innlicheu. ©ieBeidß wirb i 
aud) burch* fie gerabe* ber ©inbruef einer aufreibenben ©jiftenz bebingt, 
ben bie Anbeutung füuftlicher ©erphönerungSmittel im totetten Köpfchen 
fteigert. Xie Xechnif ift glän^enb, bie Ausführung in ben ©toffen un* i 
gleich- ©ei ooßßänbtg aufgelöften ©chatten empfängt man bie ©3irfung I 
oon h^m XageSlicht, baS ber Situation nach nidht bertfbar. ©inzet* I 
heilen erscheinen ber unbebingteften Anerfennung Werth. Xer lichte 
Xon ift oon außecorbentlichem Sleiz, wenn auch mit ber Statur nicht 
gar §« ftrtng abgerechnet toirb. ^nimer^in eine Setjhntg, ganz baS, 
roaS fie jein miß. ©ie gibt uns oon bem SBejfen beS künßlerä einen 
weit Ooriheiihafteren ©egriff als ber erfdjlagene Arteoelbe am gaune. 

gräufelS Hdtel des venies bebütipt mit einer Ueberfchtoemmung 
oon ©cherreS. ©ie fteht neben bem ©ilbe ber Slationalgalerie, ohne 
ihm etwas abjuborgen; ja in ber ©eröbuug menfchlicher Kultur burd) 
baS erbarmuugSlofe Element befchwört pe eine noch großartiger büjtere 
Stimmung hewuf, bie oon bem burchbrechenben Stoth ber finfenbeu 
©oune baS oerföhnenbe ©leichgewicht empfängt Auch $wei fleine fianb^ 
^haften in feiner belannten unb beliebten Art, ans ber oon ben ©linben 
noch nngefchauteu herrlichen Umgegenb ©erlinS, geigen ben Zünftler auf 
ber $$h e feines ©chapenS. Xort hot auch SBennewip oon ^oefen eine 
feiner neuepen Sanbjchajten auSgeftellt SJtit jebem ©ilbe wirb ber 
Ateiper liebenSwürbiger. ®S ip nicht mehr zweifelhaft, baß er fich 
einer ihm ebenen öligen Xrübe ju abfoluter Älarheit burchringt. An 
aaioer unb wohlthuenbper 9iaturanfchauung hot eS ihm nie gefehlt. 

Unter ben bem taiferlichen Tipaare jur geier ber golbenen §ochjeit 
überreichten ©efehenten ift an biefer ©teile ber ÜRebaiHe ©iemeringS ju 
gebenten, welche berfelbe im Aufträge beS ©enatS als beffen Sttitglieb 
nach Oorgängiger Concurrenj für bie Atabemie ber fünfte mobeüirt hot. 

3n ibeal-fpmboltfdher Auffaffung zeigt ber SReüerS baS junge $aar, ben 
(thebunb im 3 a h^ 1029 phüeßenb. hinter ben mit ineinanbergelegten 
$inben tnieenbeu ^orträtgepalten in mittelalterlicher Xracht fchwebt ein 
jegnenber ©enittS empor, beffen glügel p^ fdhüpeub auSbreiten. ®ine 
@lorie oon gepügelten GngelSföpfen füllt ben $intergrunb. 3*w uuieren 
©ogenabfdhnitt bie SBappen Preußens unb SßeimarS Oon §elm unb < 


^önigSfrone überragt, in ben gwicfelu zu beiben ©eiten güHhömer 
burch 93änber oerbunben, auf welchen zwifhen ben SBappen bie 3 a h rcgi 
Zahl 1829 pchtbar. Auf bem AüerS bie ^roplbtlber beS ÄaiferS unb 
ber $aiferin, z^ifchen beneit h'nto einem zum gluge anfcljeuben Aar 
ein aftt)tthenbaum emporwächft. Oben bie fchwebeitbe Äaiferlrone mit 
©änbern. ßegenbe oon aufgenagelten SHetaUbuchpaben: „gum 11 . 3 uni 
1879 bie königliche Afabemic ber künfte zu ©erliit." ©tiloolle unb 
wurbige Arbeit. 

Xie beutfehen gürften unb freien ©täbte überreichten ben Entwurf 
ZU einem Xenfmaf, oon (£arl SBeißbach unb 3&h- (Bd^iUing, baS zwifchen 
©ibliothel unb Opernhaus Aufteilung pnben foH. Ueber einem ©ocfel 
erheben pch z^ mächtige ©äulen, ztuifchen benen baS Sßebaillonbilb 
beS !aiferli(hen ^aareS monftranzartig auf einem Altärcheu erjcheiitt. 
£>ie ©ebälf 6 etrönung trägt einen ppeuben ©eniuS mit auSgebreiteten 
glügeln, ben ber ganze gauber ©chtHing’fcher kunft umgibt. Ob es bei 
ber Ausführung gelingen wirb, baS 2ftißüerhältniß zachen §aupt= 
unb Siebenfachen unb einen gerabe hier nic^t wohlthuenben Anflang an 
ben gefuitenftil zu überwiitben, fteht bahin. 

Unter ben Abreflen neben einzelnen oon großer Auszeichnung üiel 
SJlittelmäßigeS. Am normalften unb würbigften löft §erm. ©oep in 
karlSruhc bie Aufgabe, am pifanteften unb reizoollpen Sari ©mtl 
Xoepler ber güugere. ©ehr gut oertreten finb bie ©tabt königSberg 
burch Sleibe unb knorr (auch §et)bed foll betheiligt fein), Xüffelborf 
burch ©ehrtS, Schleswig - ^olftein burch 9iub. kod). SaSpar Scheuten 
lieferte brei ©lätter, beren Sftomantit auS oergangeneti Xagen freunblich 

gemahnt, währenb bie gärbung fich in beS ©ebantenS ©läffe oerliert. 

*** 


Offene prtefe unb Jintoorten. 

©eehrte Slebactton! 

Am 4. 3«ni fanb in SolumbuS ber Parteitag ber Xemotraten beS 
Staates Ohio Patt, auf Welchem u. A. eine gorberung in baS Partei¬ 
programm aufgenommen würbe, welche in ©ezug auf ben ©tanb ber 
grage oon 3»terePe ift, welche in Sir. 24 ber „©egenwart" oom Unter* 
Zeichneten einem gefdpchtlichen Slüd* unb ©orblicf unterworfen würbe. 
35ie europäifchen gettungen oom 5. 3uni enthielten eine furze kabel* 
bepefche über ben ©organg in SolumbuS. 3cfet liegt ber SBortlaut beS 
©ejcpluffeS oor, ber fich in ber Ueberfejjuug folgenbermaßen lieft: 

„©S ift bie Pflicht unfercr ©imbeSregicrung, bem ©runbfap nach 
allen Slichtungen ©eltung zu üerfchapen, baß S^ber feinen Söohnfip üer* 
änbern unb ©ürger eines anberen SanbeS werben fann. Unfere natura* 
lifirten ©ürger müffen in allen Xh^^u ebenfo gefchüpt werben 

wie unfere im Sanbe felbft geborenen ©ürger. Alle ungehörigen An* 
jprüdje, welche gegen fie ooit ©eiten ber Staaten erhoben werben, benen 
pe nicht mehr angehören, müffcit zuritefgewiefen werben. SBir oer* 
langen, baß bie beftehenben ©ertrüge mit aüen auswärtigen Staaten 
ftreng beobachtet unb baß balbige Schritte gejehehen, um oon bem 
Xeutfdjen St eich eine ooüftänbige Anerfennung beS StechteS, feine 
©taatSangehörtgfeit zu üeränbern (expatriation), fowie ber Siechte 
itnferer naturalifirten ©ürger, welche borthin zurüeffehren ober ©igen* 
thurn bort befipen, mittelft einer Abänberung beS beßehenben 
©ertragS zu erzielen." ' 

Xaß bie Xemofratie' beS Staates 01)io mit bem obigen ©efchluß 
eS auf bie ©ewInnung beutjdpamerifamfcher Stimmen in einem ÄJahl* 
fampfe üon ungemeiner ©ebeutung unb zweifelhaftem AuSgang abge* 
fehen h«t, ift zujugeben. ©ie würbe ihn jeboch nicht aufgefteßt ha^cn, 
wenn nicht eine thatjächltche Unzufriebenheit mit bem ©ertrage oon 1868 
in weiten kreijen fich feit üorigem 3 a h^e funbgegeben hätte. Xer ©e= 
fchluß ftimmt in ber §auptfache mit bem ©tanbpunft überein, welchen 
bet Unterzeichnete in Sir. 24 ber „©egenwart" Oertreten. Xie unbe* 
bingte Anerfennung beS Sled)tS, feine SraatSangehörigfeit zu oeränbern, 
wirb oerlangt, aßen Anjprüchen auf ©rfüßung oorgcblicher (latenter) 
Xieuftppicht baS Siecht abgefprochen, auf ftricte ©eobachtung beS be* 
pehenbtn ©ertrageS gebrungen unb um jeben gwetfel zu heben unb bafür 
Zu forgen, baß X)eutfch=Amerifaner genau ebenfo im AuSlanbe gefchüpt 
unb geachtet werben wie geborene Amerifauer, foß eine Abänberung beS 
©ertragS mit Xeutfdpanb balbigp angeftrebt werben. Xer ©eweiS, baß 
bie grage früher ober fpäter wieber in ben ©orbergrunb treten werbe, 
ift bamit zum Xheil bereits erbracht. SBie gereift aud^ in beutfeh- 
republifanifchen ßreifen noch oor einigen SJlonaten bie ©ttmmnng war, 
bafür zeugt folgenber Schluß eines SeitartifelS ber „gßiuoiS Staats* 
Zeitung" oom 7. Xecentber 1878: „An unblutigen gwangSmitteln gegen 
preußen*Xeutfchlanb fehlt eS ben ©ereinigten Staaten nicht, ©in ein* 
fadjer ©ongreßbephluß, baß bis auf SBeitereS feine Söaaren in Schipen 
unter beutfeher glagge eingeführt werben Oürfen, würbe ooßftänbig ge* 
nügen, um bie preußifch - beutfd^e Stegieritng zur ©ernunft zu bringen." 

$od)achtung3ooB 

©erlin, 30. 3uni 1879. <£. Sd?laeger. 




32 


lic (legtitttfirt 


^nferste. 


iFiir ben 5tU>Mltnterrid)t. 

3n unferem Verlage finb erfdjienen: 

B. 9teue Sttetljobe pr fchneflen unb 

leisten Grlermmg ber engliftleii (spräche. 

1. Gurfua. 9. Rnflage. $reia l JC 80 5, 

2. s 8. * $reia 2 JC 80 b 

(Schlüffel pm 1. Gurfua. '.ßreia 76 % 

©. Reihet#, 97eue Wethobe pr fchneflen unb 
leichten (Erlernung ber fran$öfif:n @j>radje. 

1. Gurfna. 11. 9litfl«ge. Rreia l JC 60 % 

2. 8. Rreia l JC 60 $ 

3>iefe Lehrbücher eignen fith ganj üorpglieh 

für ben SeI6ffoaterrii}t unb ftnb burch alle 
Budjhanblungen p beziehen. 

Berlagabuchhunblung non 

Sfrtuitb & 3erfel in Berlin. 


\l Soeben erfdjien: \ 

i Der alte 8e|iijiul|(. 

f»rueii(d|a)Hid|t Jlrieit. — JkktKt fi|ti}rii. 

< > ■ ©rjä^fungen 

o #on 

< ► £8. ga&t&nbtx. 

n ürodj. JC 6.—, elefl. geb. JH 6.— 

j: ^e^tc ^lowetten 

i ► Don 

i5- SB* $atf(antoer. 

< ► SWii #acflänbera Rortrait unb feinem erften 

4> llterarifd^en Berfuch. 

o brod). JC 6.—, eieg. geb. JC 6.— 

X »erlag oon (Carl Ärabbe in Stuttgart. 


3m Verlage üon (B. Reimer in {Berlin ift 
erft^ienen mit) burdfj jebe Budjhanblung p be¬ 
gehen: 

Sermifdjte 

oon 

$0eobor f von jSmtljarbt. 

.8 to e t SBänbe. 

$rei 8 : 14 jh 

9iatnrlidje , 

3<pj>fnngsgefd)id|tt. 

Glemeinüerftänbfiche rotffenfc^aftlic^e Vorträge 
über bie 

Öcntmiifeeliutijslelfre. 

Bon 

Dr. ftrnfl $aeife(. 

Siebente, umgearbeitete unb üermehrte Ruflage. 
Rreia: 10 »IC 


HELGOLAND, FÖHR & SYLT. 

Verlag von Otto Meissner in Hamburg: 

Ml&@®&UF©e 

Von E. Hallier. Geb. 3 JC 

Die nordfriesischen Inseln. 

Von G. Weigelt* 

2. Auflage. Mit 2 Karten. Geb. 3 JC 75 


ReNcflen, Rerft* N.W., trpnpriiijrnuffT 4. 


Berfog üon Cfcmi* S$leent| in geizig. 

Stabtet Uber 

üon &ri% 3&enticft. 

i. Söanb: SRom, ^ßaria, Sonbon. 6 JC 
II. »onb: Gonftantinopel, Rtljen, Cetera- 
bürg, Sftoafau, Rtorfdjau. 3 JC 
Schief. 3tg.: SBeroid phlt p ben beften 
lebenben geuifletoniften. 

Äöln. 3 tg.: SBemidf ift SReifter in ber 
Darlegung fulturgefd^td^tUd^er 35aten. 


3 n ber gafta’fchen Buchhanblung in gaaitiler 
erfdjienen unb finb burch alle ©u(b^anblungen 
ju beziehen: 

2ns nnftrer Jett. 

Sßoetifcfieä ©emälbe »on t$ricbrid) Suffe. 

ffirfteS Sud). Da«en=S. 3 JC 

ä>fimofb, 3 . j»., Zuleitung jur Jtunßfc*uer> 
«•ft, ober bie föinji in brei Stunben ein 
Ännfttenner ju »erben. Dritter unberänberter 
Hbbrud. 8. elegant geheftet. 1879. l JC 60 A. 


3 m SS erlag bon griebr. «nbr. fert|e« in 0ot|a erf^ien foeben: 

@inc rät^Tei^afte ^afapiropipe. 

9?ooene 

[?rei 8 brot^. JC 4.] oon f^reiS geb. JH 5. 

_ »n jhngjUgr. _ 

» Ü 2 «, ® ic er f te fiiefemng biefe« SSerte« mit 4 grojjeu Porträt« auf 

qf t.S Äupferbrudpaptcr: Jean Paul, Ludwig Tieck, Grillparzer, Georg « * 
2SÖ« Rbers, in itluftrirtem Umftfifag unb mit Snitialett oon Jnl. Schnorr, ^ S 
= ra S a ift foeben crjdjienen. $rei3 1 JC £ * 

2 t.gs 3" biefer ^anbli^en gorm,biefer eleganten «tuäftattung unb ^ -S 

0 S2| «u fo billigem greife ejiftirte bisher not^ leint ©eftbidite ber § ® 
S • beutfrfien Wationallitteratur be8 neunje^ntenQa^unbert«. Die flare > - 
* 'S -M ü * >ar fe? l, "t ,,nb überfidftlidje «norbnung be8 großen SKateriatS machen m> . 
2 S S « ba ® 28ert für Qebermann oerftänblic^. Daffelbe erfdbeint in ca. 8 Sie= •£ ~ 
^ | « ferungen bon 3 —4 ©ogen ä 1 JC. 6 * 

® 10 MC* beziehen durch jede Buchhandlung. 


3m ©tjlage bon «bntr & Stöbert in Stuttgart er«ien foeben: 


AUgtmcints gün(lltt-Cf|ikou 

ober 

Jfeßert un 6 "§5 er He 

ber beriifjmteften btlbenbett ÄünfUer. 

3»eite «nffage. 

Umgearbeitet unb ergänzt üon W. Seubert. 

3 SBänbe. fiej- 8 . «Preia broc^irt JC 41.40. 
3ül)ibarer 9Range( einea berartigen SBertea 
fabelt ben ^erauageber beftimmt, bie fett 3 a^n 
üergriffene unb faum me^r antiquarijd^ p be? 
fc^affenbe erfte Ruagabe biefea ßejifona gän§lid) 
nmjrarbeitet unb fia auf Die (Begenfeart fort» 
geführt neu aufplegen. 

. Sebem ßunftfreunbe wirb bafjelbe ala prat= 
tifebea Stadjfcfilftgebudj in feiner banblicben gorm 
ttriflfommen fein unb baa 3 ntereffe für Äunft 
toefentlicb unterftü^en. 


<|(fd)id)t( ber kutfdjtn Di^tuig 

oon ben 

älteften ®enfmälern big auf bie ffteujeit 
öon ©tto Ufroquette. 
dritte burtbgefebene Ruflage. 

2 öänbe. Sej.= 8 . 

$*eia broebirt ^7.20. dlegant gebgnben JC 9. 

$Bei frifd^er unb lebenbiger 3)arftellung führt 
btefea ^onbbucb in ftnniger u. geiftüoller SBeife 
in bie Literatur ein. Ga bebanbelt bereu 2 )ent= 
mäler anregenb unb ohne gelehrte $$orauafefenng 
für jeben ©ebübeten leicht üerjtänblid^. 

2 )er §err ®erfaffer ift bemüht getoefen, bem 
«Berte bureb Jioecfmä^ige ^erbefjerungen er= 
^ö^ten SBertt p üerleiben unb baburdE) bie 
allgemeine Beliebtheit beffelben aufa Reue 
MbefefHgen. 



petjt angenblirflid} in feinem 3. Semefler nnb 
erfdbeint tn jnonatfßrften (am ^5. jeben Blonats 
\ ^eft) reid? iOnflrirt mit QfrartaUUbonnement. 
Ubonnementsfreis: JC (.80 (3 6efte). preis 
fär ( ^eft: 75 


gjTmi 

mmm 










amiuf'üinag aiigiLaisii 





en. Bei .franco« 


einfenbnwg bes Betrages oerfenbet ber Derla 


aud? birect franco »er Krenjbanb. 


21n ben 5d)molIis « Berla 


Bas Abonnement fann man mdtfrenb bes 
ganjen 0?nartals bewirten, ba bei fpdteren 
Be^eQnngen gets »on ^eft ( bes laufenben 
Quartals an geliefert wirb. 

Ber 3nf)alt biefer ^eitfdjrift be#ei)t burd^« 
aus nidjt aus „Bierwigen^, fonbem bietet bas 
Befte auf t^umorifHfdjem (gebiete. „Bierjeitung" 
tg eben nur als afabemif^er terminns tedjnicus 
anjufet^en. 





flfftr bie Kebaction berantwortli^ : *eorg Stift« in Merfi«. 
9rutf von iß. #• ft*Htr in 


rbitiou, Ikrfin W., Jhtrfürftfnfhrafi« 78. 


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M 29. 


Staff«, ben 19. $«ft 1879. 


Band XVI. 


Pe 6f0emonrt. 

SBothenfchrift für Literatur, Äunft unb öffentliches ßeben. 


Herausgeber: 'gfttttl ^tttbrttt in Berlin. 


Jtkn jSemtni rtfipM ttu 

gif beriefen burdj alle ©ueöbanblungeit unb ©oftanftalten. 


SBerteger: @forj ©tüte 411 ©erlitt. 


fttts pt ^urtil 4 |tti 50 9f. 

Snferate jebet litt pro Sgefrattrae $etit*ctfe 40 ©f. 


3u5aft: 


Xa* ©runbcigent^uin. Son ©luntfdjli. — ßiteratttr unb tut#: §eintidj Seutljolb. $on $arl ©artfdj. — bcm Sfcadjlaffe 
@djön&. ®on (E. grauenftebt. — fiintertnbifd>e$. ®on gran^ (Etnfiebel. — Xet Stabreim in (Englaitb. ®on Äarl ©Unb. 
— Offene ©riefe unb Sfaimorten. — gnferate. 


Bas ®runi)eigentl)iitn. *) 

©on Bluntfdjli. 

(Angriffe auf baSfelbe. Xfjeofratifdje (ünioenbung. (Befahr bec Sati- 
funbien. ®bfolute 8 unb relatioeS (Sigentfjum. <SJro&gnntbbefi| unb 
bäuerliches ©runbeigentbum. Xie gorberung, ba| ba§ priüate (Srunb= 
eigent^um in ein gejeüfchaftlic&eS umgemanbelt werbe.) 

3n neuerer $eit wenben fich bie Singriffe ber Socialiften 
oorjugStoetfe gegen baS ©runbeigentbum. Sem ©igentbum 
an beweglichen Soeben ift nicht fo leicht beijufommen. Sie 
©igentbümer rönnen igr bewegliches Vermögen fd^en, inbent 
fte eS öerbergen unb oor SBegnabme retten, inbem fie es in 
anbere Sauber oerfenben ober wegjieben, in welchen baS 
©igentbum geachtet wirb. Slber baS ©runbftücf läfft ftd) nicht 
»«bergen noch wegtragen. Sie Uebermacbt fann eS jeberjeit 
ergreifen unb an ftcb sieben. 3n ber älteren noch barbarifcben 
Seit b“f>en fo erobembe 33511er oft baS ©runbeigentbum 
ganjer Sönber an ftcb fleriffen. 

3cb tonn bie ©efabr, ba| ©mft gemacht werbe mit ber 
33erneinung beS prioaten ©runbeigentbums unb baff baSfetbe 
burch ein gefeUfcbaftlicbeS ober ftaatlicbeS ©runbeigentbum 
oerbrängt werbe, an welchem ben baS Sanb bauenben gamilien 
nur ein StufcniefjungSrecht oerftattet würbe, nicht febr hoch 
anfchlagen. Sie ©runbeigentbümer, wenigftenS in Seutfchlanb, 
in Jranfreich unb in ben weiften europäischen Sänbem, finb 
fo jablreich, fo träftig, fo entfchloffen ihr ©igentbum nötigen* 
faUS mit bewaffneter H a nb ju oertbeibigen, baff leine fRegie= 
rung eS wagen würbe, eS ihnen ju entreißen unb bie heutigen 
Heere, in benen bocb grofjentbeils Söhne oon ®runbbefi|ern 
unb oon ^Bauern lämpfen, auch P einem fo wabnftitnigen 
Unternehmen fich nicht begeben würben. 3lber felbft wenn 
ht einer neuen furchtbaren fReoolution bie befifclofen gübrer 
ber Socialbemofratie für lutje ßeit bie ©ewait an fich 
brächten unb ihre ÄrbeiterbataiHone wiber bie 33auem ins 
Selb rüden liefjen, felbft bann würben fie fdjwerlich ben 
SBiberftanb brechen. SaS gute ©ewiffen, baS feftgewurjelte 
fRechtSbewufjtfein, bie Sntereffen ber ©ultur unb ber Btlbung 
würben baS Säger ber ©runbbefiger mächtig oerftärlen. Sie 
©efahr alfo ift Weber febr nabe noch grofj. 

Sennoch - ift eS b°b e 3 e it, hafj aucf) ben ^3bttofop^ert, 
Stationalöfonomen unb ben Socialbemofraten gegenüber, 
welche oorerfi in ihren 3bealen, Sbeorien unb 2Bünf<f|en baS 
prioate ©runbeigentbum oerurtbeilen unb untergraben, bie un= 


*) 89 t „#egenroart" 1878, 9tr. 61 unb 1879, Sir. 1 . 


ermefjliche 33ebeutung biefer Snftitution unb ihre 9totbwenbig= 
feit für unfere ganje ©ioilifation wieber nachbrüdlich heroor* 
gehoben werbe. SaS wirb aber um fo wirffamer gefdjehen, 
wenn gleichseitig bie ÜRänget berfelben aufgebecft unb bie un- 
.erläfjlicben ^Reformen ohne fRücfbalt jur Sprache gebraut 
werben. 

Uralt ift ber ©inwanb, ben einige fßbilofopljen oon beute 
bem priöaten ©runbeigentbum entgegen fefcen, bte fefte Dber= 
fläche ber ©rbfugel fei im ©runbe ebenfo allen ÜRenfchen ju 
gemeinfamem ©ebrauche unb f^ruchtgenuffe oon ber fftatur oer= 
lieben, wie bie SReere allen SRationen ju ber freien Schiff- 
fahrt. Sie alt--afiatifche religiöfe Seltanficht formulirte biefen 
©inwanb fo: Sie ©rbe ift ©otteS ©igentbum, bie äJienfchen 
haben nur SRiefjbraucb baran. Sie mofaifche ©efepgebung 
ruht auf biefem ©ebanfen. H eute n0< § be^fthi biefer ©laube 
in ben fReichen unb Sänbern ber ÜRobammebaner; nur tritt 
hier ber ßalife ober ber Sultan als Statthalter ©otteS an 
beffen Statt. 

güt unfere moberne Senfweife bat biefe 3lnficbt feine S3eweiS= 
fraft mehr. Sluch ft^ e SRetaHe, aus benen wir unfer ©elb prägen, 
auch fti e ^ßferbe unb Hunbe, bie wir befi^en, auch ftit H°4 er / bie 
wir jimmern unb ju ©erätbfchaften bearbeiten,, unb bie Steine, 
bie wir bauen unb meifjetn, bie SBolIe unb bie SaumwoUe finb 
in ihrem Stoffe nicht SBerfe ber menfchlicben Arbeit, fonbern 
©aben ber fRatur; unb bennoch bejweifelt iRiemanb, bap fie 
geeignete Sachen für ben Sonberbefifc unb baS inbioibuelle 
©igentbum feien. $118 bie SRenfchen baS iRomabenleben auf: 
gaben, fefte Sßobnfifce wählten unb befefjten, ben wilben 83oben 
mit ihrem fßfluge burchfurcbten, bie gefammelte Saat, aus« 
ftreuten unb ber ©rnte warteten, als fie äßiefen anlegten unb 
mit ber Senfe baS ©ras fchnitten, Dbftbäume pflanjten, 3Bein= 
reben eingruben, ba übten fie ihre persönliche Sbätigfeit unb 
aÄadjt aus über ben eingenommenen Sbeil beS 33obenS. Sa 
war bie Stätte bereitet für bas ©runbeigentbum unb baS 
gunbament gelegt für einen feften Staatsbau. Sie Stiftung 
beS ©runbeigentbumS unb bie ©rünbung freien StaatSwefenS 
finb unauflöslich an einanber gebunben. Sie ooHe ftaatii^e 
Freiheit entwicfelte fich ju.erft in bem ftoljen Selbftgefüble ber 
©runbeigentbümer unb fortwäbrenb fanb bie perfönliche 5rei^ 
beit fräftigfte Stü|en in ber Heimatsliebe unb ber Sapferfeit 
ber ©runbbefiper. Obwohl ber SRenfcb feine perfönliche ®eifteS= 
unb ftörperanlage ebenfalls oon ber Statur, baS b«i|t oon 
©ott empfangen unb nicht felber gefchaffen hat, fo ift er trof}= 
bem als fßerfon ju inbioibueßer Freiheit berufen unb befähigt. 
3n berfelben SEBeife ift auch ft* e ®rboberfläche, wenngleich fte 
eine ©abe ber allgemeinen Statur J|t, geeignet, ftüdtoeife oon 

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34 


®i e ©rgenroart. 


Nr. 29. 


bent perföittidjen ßeben ber SJienfchen ergriffen unb beniest ju 
werben als ©egenftanb beS ©igenthumeS. 

Sebenflicher ift eine anbere ©inwenbung, welche in 
fdjärfftem AuSbrucf non bem ©nglättber Herbert Spencer 
wiber ba£ prioate ©runbeigenthum erhoben worben ift, benn 
fie enthüllt allerbingS einen fehler beS abfotuteu ©igenthumS* 
begriffet. Spencer fdjreibt in ber non ßaoetepe mitgetheilten 
Stelle: „SEBenn ein %ty\\ ber Srboberfläcbe gerechterweife in 
ben ©efi| eines ©injelnen übergeben unb oon ihm ju feinem 
befonberen ©ebraud) unb ©ortheil behalten werben fann als 
eine Sache, auf welche er ein auSfchliefjlicheS Stecht bat, bann 
fönnen auch anbere ber ©rbe fo behalten werben unb 

unfer ganjer planet fann auf biefe SBeife gänjlich in prioate 
jpänbe gelangen. ©ead)te man nun baS Dilemma, auf welches 
bieS hinführt. ©orauSgefejjt, bie ganje bewohnte Srboberpche 
wäre fo oon ©rioateit angeeignet, jo folgt barauS, baff wenn 
bie ßanbeigentljümer ein ootleS Siecht haben, Sille, welche nicht 
ßanbbefifcer finb, überhaupt fein Stecht auf bie ©rboberfläcbe 
haben unb bah fie nur auf ber ©fbe gebulbet finb. Ohne 
©rlaubnifj ber ©runbherren haben fie nicht ben Staunt, auf 
ben fie bie Sohlen ihrer güjje fefjen fönnen. giele es ben 
©runbherren ein, ihnen eine Stelle, wo fie bleiben fönnen, ju 
oerweigern, fo fönnten biefe lanblofen ßeute alle jufammen 
oon ber ©rbe oertrieben werben." 

Sn ber Xh Q t/ wenn man baS prioate ©runbeigenthum 
nach Art ber römifchen Suriften als baS Stecht abfotuter 
^perrfchaft einzelner Snbioibuen oerfteht, fo fann man biefer 
folgerichtigen Ausbreitung ber ^errfd^aft Einiger nicht 
wiberftehen. Xamit aber wäre fchliefjtich bie gefammte StedjtS* 
orbnung auf ben Äopf geftellt, benn Stecht ift nichts AnbereS 
als bie nothwenbige Orbnung ber 9Sert>ältniffe, welche baS 
pieblidje Stehen- unb SJlitemanberleben ber SJienfchen 
fiebert. @8 wäre bie perfönliche Freiheit ber ungeheuren SJleljr* 
jafjl ber SJienfchen oemichtet, benn über alle würben fchranfen= 
loS fraft ihres auSfcbliefjlicben ©runbbepfceS bie wenigen 
©runbherren h etr f<h en - SWit ber Freiheit beS ©olfeS wäre 
auch bie Straft beS Staates gebrochen unb feine ©jiftenj ber 
Selbftfucht Weniger geopfert. 

©8 fann uns auch nicht bie richtige ©emerfung tröften, 
bah eine folche ^»errfchaft SBeniger über bie ganje ©rbober* 
fläche überaus unwahrfcheinlich unb bie ©inbilbung einer jügel= 
lofen ©bantafie fei. £)enn unbeftreitbar hat gerabe biefe oon 
Spencer gejdjilberte ©eftalt in manchen Säubern eine leibhafte 
©eftalt angenommen unb oiele oerberblidje Sßirfungen Ijeröor* 
gebracht. Sn ©engalen haben in folcljer SBeife bie geminbare 
fich beS SobenS bemächtigt unb bie einheimifche öeoölferung 
in eine oöttig abhängige Stellung niebergebrücft. Sn Aegppten 
ift fo baS gefegnete Stilthal gro§entbei(8 ©igentljum ber Sfönige 
unb ber ©riefter geworben unb finb beShalb bie armen geüabS 
in eine unerträgliche Snechtfchaft gerathen. Sogar bie ftolje 
römifche 2Beltma<ht ift grofcentbeilS beShalb untergegangen, 
weil ber ©oben StalienS jule|t als auSfchliefjlicheS ©runb* 
eigenthum an einige reiche Magnaten gefommen war unb bie 
lanblofe Seoölferung unb bie hofhörigen ©olonen fein erheb* 
licheS Sntereffe mehr fanben, ben ©inbruch ber ©ermanen ab* 
juwehren. XaS befannte SBort: „Xie ßatifunbien haben Stalien 
ruinirt", oerbient auch h eu tc noch als eine ernfte SBarnung 
beachtet ju werben, ©nglanb hat ebenfalls ben gefährlichen 
SGBeg ber ßatifunbien bejdjritten. SBenngleid) bie englijchen 
^Sädhter noch eine fräftige, wohlhäbige unb freigefinnte ©e* 
oölferuug finb, fo ftehen fie bennodj an gefiebertem Siechte 
hinter unferen freien beutfehen ©auero jurücf unb wirb baS 
Uebel ungeheurer fjerrengüter hoch felbft ba fchon empfunben. 
Sn Srlanb aber hat baSfelbe Spftem bie tiefe ©erbitterung 
ber eigenthumSlofen unb in ihrer ©acht unficheren irifchen 
Urbeoölferung fo gefteigert, bah ber £>afj ber Sten gegen bie 
englifchen ©vunbherren in gönn einer allgemeinen ©etfehwörung 
fid) im ©erborgenen ausbreitet unb gelegentlich in SJlorb unb 
©ranbftiftung loSbricht. 

Sn ber Xbat, p a s j^ranfenlofe, abfolute ©igenthum ift 


ein falfcher, unfittlicher unb wiberredjtlicher ©egriff, ben bie 
©efefcgebung burchauS nicht gutljeifjen barf. AbfoluteS ©igen* 
thum führt jur abfoluten |>errfchaft ©injelner, nicht allein 
über Sachen, fonbera ebenfo über bie anberen SJienfchen. Abfo* 
luteS ©igenthum ift unbegrenzte SJlacbt beS inbioibnetten ©igen* 
willens, julefct auch mahnfhtniger ßaunen. @S erhebt bie 
Selbftfucht unb ben Uebermutlj ©injetner jum ©ott, ber will* 
fürlidh bie Freiheit Silier jertritt. 

©8 ift baS Siecht unb bie ©flicht beS Staates, biefen 
falfdjen ©igenthumSbegriff feiner angemafjten Abfolutbeit ju 
entfleiben unb benfelben fo ju befchränfen, bah er mit bem 
natürlichen Siechte Silier unb ber ©eftimmung beS Staates in 
Harmonie bleibt. 

3)er SJienfch ift nicht ein Snbioibuum, baS nur für fich 
lebt unb auSfchliefjlich thut, was ihm behagt I)er SJienfch ift 
jugleich ein ©attungSwefen, baS auch ©fli<hten hat gegen 
anbere SJienfchen. 

S)er SJienfch ift oon Siatur ein S)oppelwefen. Seber ift 
einmal ein Snbioibuum, baS feine befonbere Slnlage unb 
feine eigenthümlichen ©ebürfniffe hat Snbem baS ©igenthum 
wefentlich bie Aufgabe hat, bie ©ebürfniffe ber Snbioibuen ju 
befriebigen, bient eS oorjugSweife bem inbioibueHen ßeben. 
Snfofern wirb es auSfdhliehlifh; benn an bie ©erfon, bie ihren 
befonberen fiörper hat, f^lieht fich bie oon ihr beherrfchte 
Sache unmittelbar an. 2)a bie Snbioibuen unter einanber 
fehr oerfchiebett finb, in ber Xt)at fo oerfchieben, wie bie 
mancherlei ^hiergattungen finb, in welche bie Xhierwelt jer* 
fällt, fo muh audh baS ©igenthum im ffiinjetnen mannichfaltig 
fein, benn immer fod eS bie inbioibueüen ©ebürfniffe be* 
friebigen. Snfofern aber trofe biefer unermehlidhen SJiannich* 
faltigleit aüe Snbioibuen wieber als SJienfchen biefelbe Siatur 
haben, infofern ift auch baS ©igenthumSbegriff für Sitte baS* 
fetbe. XaS ©enie unb ber Xummlopf, ber talcntbegabte 
unb ber talentlofe SJienfch, ber fjlei^ige unb ber Xräge, ber 
©ute nnb ber ©öfe ftehen fich als ©igenthümer einanber in 
gleicher SBeife felbftftänbig gegenüber unb üben biefelbe SJlacht 
aus über ihre Sachen, wenngleich ber Umfang unb bie Strt 
ihrer ^errfchaftsübung unenbli^ oerfchieben finb. ©in gewiffeS 
unb fogar ein oolleS SJlah inbioibuetter Söitltür ift aller* 
bingS mit bem ©igenthum ber Snbioibuen nothwenbig Der* 
bunben. Such ber ©goiSmuS hat hi et einen gefi^erten 
Spielraum feines SSirfenS. 

Stber biefer ©goiSmuS, bie Selbftfucht barf hoch nicht 
fchranlenloS walten. SBir müffen uns baran erinnern, bah 
ber SJienfch, ebenfalls burdj feine Siatur auf bie ©erbinbung 
mit anberen SJienfchen angewiefen, bah er felber ein ©lieb 
weiterer ßebenSlreife, bah er ein gefettigeS SBefen ift. 2)eS* 
halb muh feine SBittlür unb baher auch ber ©igenthumSbegriff 
infoweit befchränft werben, als eS bie Stücfficht auf biefe 
weiteren ©erbänbe, als eS bie ©flirten gegen Slnbere er* 
forbern. 

XaS Sinb wirb in ber ffamilie geboren unb erjogen unb 
bebarf ber $ülfe unb beS S<hu$e£ ber ©Itern. XaS Snbi* 
oibuum tritt als ©lieb einer ©enteinbe unb Angehöriger eines 
Staates in bie 2Selt unb empfängt feine ^eimat, einen großen 
Xhcil feiner Sprache, feine Sitten, fein Siecht, feine ©ioili* 
fation oon biefem ©erbanbe, benen eS jugehört. XarauS ent* 
fpringen nothwenbige ©flichten beS ©imetmenfehen gegen bie 
gamilie, bie ©emeinbe, ben Staat Xiefe ©pichten ergreifen 
unb befchränfen baher mit ©edp wie bie ©erfon felber fo ihr 
©igenthum. 

XBürbe baS Siecht einfeitig unb auSfchliehltch bie SBittfür* 
macht ber Snbioibuen frühen, jum Sla^theile ber ©efammt* 
heit, jum Schaben ber ©emeinfehap, fo würbe eS unfittlidj 
unb bann Unrecht werben. Ohne ben ftarfen Xrieb beS inbi* 
oibuetten ©erlangenS unb SirebenS, welcher in bem ©rioat* 
eigenthum ©epiebigung fucht, wäre bie unüberfehbare gütte 
oon ©ütern, beren fich h eute ber cioiliprte SJienfch erpeut unb 
bie baS ßeben wertljootter unb genuhreicher machen, nicht her* 
oorgebracht unb nicht überliefert worben. Aber biefen ge« 


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Nr. 29. 


Sie (Gegenwart. 


35 


wattigen Trieben mug bocp ber Züflel ber ©flicpt gegen 
bie ©emeinfcpaft angelegt »eiben, bamit fie niept gefäprlicp 
unb jerftörenb auSfcpweifen. 

Siefe notpwenbige ©efcpräntung würbe non bein 
römifcpen Siebte migacptet, ba eS bem (ßrioateigentpümer 
eine unbegrenjte Serrfcpaft über bie Sache jufcprieb. Ser 
beutfcpe ©egriff be« ©runbeigentpum« ift non Anfang an 
moralifcper, tnbem bie ©ermanen bie Pflichten be« ©runb= 
eigentpümer« gegen bie gamilie, bie ©emeinbe (bie (Racf): 
barfcpaft unb bie Sorfgenoffenfcpaft) unb ba« Sanb (©au= 
oerbanb, ©ollSoerbanb) {ehr energifch gettenb machten unb 
bemgemäg bie $errfcpaft be« ©rioateigcntpümer« wie bie ihrer 
gürften nur als eine befcpränfte, retatine anerfannten. 

©efcpiept bieS, fo ift auch i* er ©iifjbraucp ber Satifunbiep 
wohl ju hemmen, ohne ©erjicpt auf baS (ßrioateigentpum. 

3m dRittelalter haben wir auch in Seutfcplanb baS 
bebroplicpe (BacpStpum ber großen Herren, f (öfter unb (Ritter: 
guter erfahren, welche« wäprenb Saprpunberten wuchemb um 
fiep griff, bie Heineren Sauergüter maffenhaft nerfchtang, bie 
alten freien ©runbeigentpümer ju erbunterthänigen, pofpörigeu 
ober bocp fchwer belüfteten unb ihrer greipeitSrccpte beraubten 
Seuten perabbrüdte. |>eute finb unfere ©runbeigentpumSoer: 
hättniffe fehl nie! beffer geworben. (Bit haben noch, wie e« 
eine grofje gebitbete (Ration bebarf, eine genügenbe Slnjaht 
groger öerrengüter, geeignet ooranjugepen unb oorju: 
leuchten in jeber SerooMommnung ber Sanbwirtpfcpaft unb 
al« höh«e ©runblage unb auSftattung ju bienen für ben 
freien unb gemeinnüpigen ©eruf einer eblen ©runbariftolratie. 
Hber wir haben nun auch, wa« für bie ©efunbpeit unb 2Bot)l= 
fahrt ber (Ration noch ®tel wichtiger ift, eine überwiegende 
dReprjapl oon felbftftänbigen mittleren unb Heineren 
Sanbwtrtpen, welche ihre ©üter al« freie (Sigentljümer felber 
mit ihren Familien bebauen unb vollberechtigte ©ürger ber 
©emeinbe unb be« Staate« finb. Sie Störte, bie (Raturfrifdhe, 
bie Unoerwüftlichteit, bie Unüberwinblichteit ber beutfcpen 
(Ration hat ihren pauptgrunb in biefem maffenhaften Stanbe 
ber ©auern, ober wie wir heute lieber fagen, ber (Dienge felbft» 
ftänbiger fcplicpter Sanbwirtpe. 

Siefe« gefunbe ©erpältnig »on Serrengütern unb Sauer-- 
gütern, ber ©roggrunbbefiper unb ber gewöhnlichen ®runb= 
eigenthümer ju erhalten unb oor neuen heftigen Schwantungen 
ju bewahren, ift eine unabwei«licpe Aufgabe ber ©efepgebung. 
Sie wirb bie gortbauer ber beiben arten beä priemten ©runb: 
eigenthum« am beften baburch fieper {teilen, bafj fie einerfeit« 
ben ariftotratifepen ©roggtunbbefipern e« möglich macht, ipre 
©üter jufammen ju palten unb auf wenigften« einen ber (Rad)- 
tommen ju oererben, unb anbrerfeit« ben Heineren Sanbwirthen 
in ber Sanbgemeinbe unb burch ba« Steuerfpftem bie ©ebingungen 
fiepert, unter benen fie ipr ©igentpum behaupten tonnen, ärn 
beften helfen fich heibe Älaffen ber ©eoölterung felber. 

(Benn aber eine grofje ©efapr wieberfepren fotlte, bafj 
ba« ©rogfapital ben länblidpen ©efip felbftftänbiger Sanbwirtpe 
aufjepren möcpte, unb bie Sanbwirtpe ju fcpwacp wären, (Biber: 
ftanb ju leiften, bann ftönbe tein recptlidjeS §inbernig einer 
©efepgebung im (Bege, mit Strenge bie Zusammenlegung Dieter 
©auergüter ju einem $errengute ju unterfagen ober bocp an 
©ebingungen ju binben, welcpe biefe (Rüdbilbung in mittel: 
alterlicpe 3 u ftönbe ernftlicp erfepwerten. 

©in anbere« URittel, ber gefährlichen atteinperrfepaft 
(Beniger ju begegnen, bietet ber mobeme ©runbfap ber ffij= 
propriation bar, b. p. ber jwangSweifen ©nteignung au« 
©rünben ber öffentlichen (Boplfaprt gegen ©ntfcpäbigung ber 
(ßrioaten, welcpe ipr ©igentpum an bie ©emeinfcpaft abtreten 
müffen. Siefer ©runbfap ift eine ©efepränfung be« inbioibuellen 
ßigentpum«, aber eine ooQfommen berechtigte, benn fie folgt 
au« ber ©flicpt be« ©injelnen gegen ben weiteren Serbanb 
unb bie grögere ©emeinfcpaft, benen er angepört. Selbft bie 
(Römer patten ipr abfolute« ©runbeigentpum bocp bem Staat«: 
gefepe unterworfen unb burep befonbere« StaatSgefep auch bie 
©igentpümer genötpigt, Stüde ipre« ©igentpum« an ben Staat 


abjutreten. Cpne ein folcpeS Zwangsmittel hätten fie ipre 
prächtigen, fepnurgeraben Seerftragen niept bauen fönnett. Sie 
heutige ©ioilifation orbnet bie egoiftifepe (Bitltür ber ©runb-- 
eigentpümer noep unbebenHicper Bern ©ebürfnig be« ©efammt: 
leben« unter. 

ferner erheben eine ©infpraepe gegen ba« inbioibuelle 
©runbeigentpum manche (Rationalölonomen, wie inSbefonbere 
ber ©eigier ©mile be Saoelepe (Sa« Ureigentbum, über- 
fept oon St. ©üeper, Seipjig 1879) unb ber Seutfcpe abolf 
Samter (©efelljcpaftlicpe« unb ©rioateigentpum, Seipjig 1877). 

Saoelepe führt au«, bafj ba« ©efammteigentpum 
ober, wie er eS meiften« nennt, ba« collectioe ©igentpum 
be« ganjen Stamme« an ©runb unb ©oben bie gemeinfame 
©ewopnpeit ber ©ölfer in ber Urjeit gewefen fei unb bafj ba« 
inbioibuelle (ßrioateigentpum eine oerpältnifjmäfjig neue @in= 
rieptung fei. ©r empfieplt bje (Rüdfepr ju bem älteren, natür: 
licperen ©oUectioeigentpum. ©r fiept barin bie befte ©arantie 
für bie ^reipeit aller wie für bie SBoplfaprt aller unb bie 
©rfüüung ber auSgleicpenben ©ereeptigteit. SQSeun er fiep aber 
auf §egel beruft, welcher oerlange, ba| 3eber ©igentpum pabe, 
unb auf ScpiHer, ber benfelben ©ebanfen poetifcp auSgebrüdt pat; 

„Stma« mufj er fein eigen nennen, 

Ober ber SRenfdj wirb ntorben unb brennen", 


fo baepten biefe beiben autoren niept an collectioe«, fonbern 
an inbioibuelle« ©igentpum unb feineswegö auSfcpliefjlicp an 
©runbeigentpum. 

Samter behauptet, ba« ©runbeigentpum eigne fiep be«= 
palb oorjugSweife für ba« gefeUfcpaftlicpe ©igentpum, weil in 
ipm bie probuctioe Straft ber (Ratur pauptfäcplicp wirtfam fei, 
bie menfcplicpe arbeit nur in untergeorbnetem ©tage in ©etraept 
fontme, (obann beSpalb, weil ba« ©runbeigentpum niept be: 
liebig oermeprbar, fonbern ebenfo oon (Ratur begrenjt wie für 
bie ©ntäprung aller beftimmt fei. ©nblicp maept er barauf 
aufmerffam, bag ba« ©runbeigentpum bie Senbenj pabe, bei 
fortfepreitenber ©efeüftpaft im SEBertpe ju fteigen, bag e« aber 
billig fei, bag biefe« äBacpStpum be« SBertpe« auep ber ©efeQ: 
fepaft unb niept ben Snbioibuen ju ©ute tomuie, welcpe niept« 
für baSfelbe geteiftet paben. 

auep ©uniter ift jeboep genötpigt, ein Znbioibuoleigentpum 
an ben äBopnpäufern jujugeftepeu, bie bocp niept oon ber 
(Ratur fonbern oon ben RRenfcpen gebaut werbet} unb beftimmt 
finb, bie inbioibuellen ©ebürfttiffe be« $au«perrn unb feiner 
Familie ju befriebigen. ©erabe an Sau« unb $of, felbft be« 
©auern, paben unfere germanifepen ©orfapren ba« oolle freie 
Snbioibualeigentpum juerft begriffen unb anerlannt, mepr al« 
an allen anberen Sadpen. 

auep bie gabrilgebäube will Samter bem 3nbioibual= 
eigentpum oorbepalten, wie bie ÜRafcpinen, weil bie Snbuftrie 
inbioibuell betrieben werben müffe. 

Sagegen oerlangt er, bag bie länblicpen (Bopngebäube 
al« ©eftanbtpeile ber Sanbgüter bepanbelt unb bem gefeit: 
fcpaftlicpen ©igentpum wie biefe« felber auSfcpIieglicp jugetpeilt 
werben. 

©raHif^ betrachtet wäre ber Unterfcpieb niept grog jwifcpeit 
ber Umwanblung be« prioaten ©runbeigentpume« in ©efeH: 
fcpaftSeigentpum unb ber aufpebung be« ©runbeigentpume« 
überhaupt; benn auep bei biefer will (Riemanb ben ©oben ber 
menfcplicpen ©enupung entjiepen, fonbern nur bie au«fcplieg= 
liepe ©enupung ber heutigen ©igentpümer burep eine gemein: 
fame RBirtpfcpaft aller erfepen. 3n ben (Borten Hingt ber 
©orfcplag, jumal wenn er erft naep bem Sobe ber iepigen 
©runbeigentpümer jum ©olljug gelangte, weniger reoolutionär, 
al« ber «ngriff gegen ba« ©igentpum überhaupt, aber faep: 
liep würbe berfelbe ebenfall« auf eine Zacftörung be« ©runb 
eigentpume« austaufen. Saper werben fiep bie ©runbeigen¬ 
tpümer bemfelben gerabe fo entfliehen wiberfepen, wie bem 
brutalen (Raube. 

(Bopl aper oerbient ber wieber jur Sprache gebrachte 
Unterfcpieb jwifepen ©efammteigentpum unb Sonber> 


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36 


Die (Segenmart. 


Nr. 29. 


eigentpum ober, »nie 3Äancpe heute jagen, gejellfc^aft= 
tigern unb prioatem ©runbeigentpum, ben bie heutige 
3uri3prubenj allju lange oergeffen unb oertamtt pat, einer 
erneuerten forgfältigen ©eaeptung. ©uep pier wirb ein entfteS 
(Gebrechen unferer feurigen ©ertpeilung unb ©eperrfepung beS 
©obenS offenbar, roelcpe8 auf ©erbefferung brängt. 


dtteratur ttttb iimtß. 


Ijeinrid) fentpolli. 

3$on Karl Sartfdj. 

©18 tep eben iih ©egriff war, bie Sefer ber „(Gegenwart" 
auf bie in biefem Sapre erfepienenen „(Gebicpte oon Heinrich 
Seutholb" (ffrauenfelb 1879) aufmerffam gu machen, fam mir 
bie erfepütternbe Sunbe oon bem $infcpeiben beS Sichters gu. 

3ft eS an fiep fcpon fcpmergltcp, einen 3Jtann in ber Slütpe 
feiner äRanneSjapre bapingerafft gu fehen, fo ift eS hoppelt 
fcpmerglicp, wenn ber Sob oon fo befonberS traurigen Umftänben 
begleitet ift wie hi«- @in oon ©Sahnftnn umnadjteteS Seben, 
oon fdjweren förperlidjen Seiben hoffnungslos umringt, — ba 
muffte ber lob wie ein Stlöfer erfcp einen. @8 ift ein neuer 
Seleg gu ben oielen in ber (Gefiepte unferer ©oefie, bah po<P : 
begabte unb tiefangelegte Sicpternaturen bem furchtbaren ©er: 
pängnifj bet (GeifteSgerrüttung oerfallen. 

Heinrich Seutpotb würbe im 3apre 1827 gu ©Sepiton im 
(Danton Büricp geboren. ®r hatte fchon in früher Bugenb ben 
Santpf mit Srang unb iRotp beS SebenS gu beftepen. 9tur müp= 
fam gelang eS ihm, biejenige ©orbilbung gu erwerben, bie ihn 
befähigte, bie Unioerfität gu begiepen. @r ftubirte bann, nomi= 
ned, bie ©echte auf ben brei Unioerfitäten ber Sepweig; feine 
©eigung aber führte ihn fehr halb auf ba8 äftpetifepe unb tite- 
tarifdje (Gebiet. 3n ©afel befonberS waren in biefet §tnficf|t 
Sacob ©urdparbt unb ©Silhelm ©Sadernagel oon nachhaltigem 
(Sinfluh auf feine fftieptung unb (Sntwidelung. 

©achbem er bie Unioerfität oerlaffen, bot fich ihm in einer 
Stellung als (Grgieper bie erwünfehte (Gelegenheit gu ©eifert ins 
©uSlanb; er oerweilte längere Seit in bet frangöfifepen Schweig, 
im füblicpen jfrantreiep unb in Italien. 1857 finben mir ihn 
in ©tünchen, in jenem Greife oon Richtern, welchen fföntg 9 Rüe 
an feinen $of gu feffeln oerftanb. Surcp biefen ©ertehr würbe 
bie 2eutpolb3 ©egabung entfpredjenbe ©eigung für bie litera= 
rifche Saufbahn mehr unb mehr beftimmt. ©aul $epfe unb 
(Gmanuel (Geibel namentlich waren e8, bie ba8 bebeutenbe biep: 
terifdje latent SeutholbS erfannten unb feine ©eftrebungen för= 
betten unb ermuthigten. 

©Säte ihm bamal8 ein forgenfreieS Seben befchieben ge= 
wefen, fo hätte fein latent fich harmonifcp nnb frf)ön entwidelt. 
©ber fo gut würbe eS ihm nicht; er hatte auch jefct immer mit 
©oth unb Sorge gu lämpfen. Um feine ©giften; gu friften 
würbe et 3eitung8correfponbent unb fdjrieb Speater: unb ftunft-- 
fritifen, ohne in biefer Spütigteit ©efriebigung unb (Gefaflen gu 
finben. ©erfönlicp befreunbet mit ftarl ©ratet, bem er in einer 
Obe ein fchöneS bi<hterif<heS Senfmat gefegt hat, betheiligte er 
fich feit 1860 an ber oon ©ratet perauSgegebenen „Sübbeutfcpen 
Seitung" nnb fiebelte mit berfetben nach ffranffurt über. 

2)er lob eines $albbruber8, ber im Spätperbft 1862 auf 
tragifche ©Seife in ©tünchen oerunglüdte, wirlte erfepütternb auf 
SeutpolbS <Gemütp ein; er gab feine Stellung auf unb machte 
mitten im ©Sinter eine ffufjreife nach ber Schwei}. Saburcp 
legte er ben erften (Grunb }ur (Sntwidelung beS SungenleibenS, 
}u welchem er ben Seim bereits in fich trug. 

1864 fehen wir ihn an ber bamatS gegrünbeten „6cpwa: 
bifchen Seitung" in Stuttgart bejepäftigt ©bet, nur oorüber= 
gehenb; fchon im folgenben Sapre war er wieber in ©tünchen 


unb lebte hier fehr gunidgegogen, mit literarifcpen Ärbeiten be= 
fdjäftigt unb bem Stubium ber antifen ©oefie }ugemenbet 8«= 
nehmenbeS förderliches Seiben machte ihn oerbittert, menfcpen= 
fcheu unb mitunter wochenlang }ur ©rbeit unfähig. 8u bem 
Sungenleiben gefeilte fiep fpäter ein beginnenbeS ©üdenmarfs- 
leiben, unb babei hatte er immer mit ©oth P lämpfen unb 
tonnte mit ©tühe nur fein Seben friften. Sa tarn bie Sata= 
ftrophe — ber ©rme hat in ber Büricher Swnanftalt geenbet. 

SBahrlich, ein Seben, bornen= unb fchmet}enreich wie wenige. 
3Bie oiel Schulb baran bie ©erhättniffe, wie oiel beS 2)ichterS 
eigene, auf ©ta| nicht angelegte ©atur trug, baS wirb fchwer 
gegen einanber ab}uwägen fein. 

<£rft als ber dichter fchon unheilbar tränt war, würbe ber 
Schah feiner ©oefie auch weiteren Steifen jugänglid) unb er= 
fdjtoffen. Seutholb felbft hatte, oieUeicht weil er, ber übet bie 
Seiftungen ©überer aQerbingS ftreng genug urteilte, auch an ft<h 
bie haften ©nforberungen machte, mit ber Verausgabe feiner 
(Gebiete ge}ögert — bis eS }u fpät war. 3h m naheftehenben 
ffreunben finb wir ben 2)ant für baS geiftige Serntächtnif} fchul= 
big; hauptfächlich SuliuS ©aechtolb, nicht, wie in mehreren 
©lättern geftanben, ©ottfrieb Seiler. Seutholb felbft hat bei 
feinen 2eb}eiten nur bie mit Smanuel (Geibel jufammen über: 
festen „günf ©ü^et ftan}öfifcher Sprit" (Stuttgart 1863) ti- 
fcheinen taffen, eine Seiftung, in ber fich bereits fein fprad)= 
unb formbeherrfchenbeS latent tunbgibt. 

3)aS gleiche formale Talent fpricht ftch, unt bieS }unächft 
}u erwähnen, auch in ben „(Gebieten" aus. Sübromanifche unb 
fran}öfif^e, orientalifche unb antite, englifche unb beutf^e 3or= 
men beherrfcht ber Sichter gleidhmähig. ©eine Sieber haben 
emfchmeichelnben ©Sohllaut, halb ben einfachften Stil ber ©ottS; 
lieber, halb ben reicher entwickelten ber Sunftlprit an fich tra= , 
genb. Sonett unb ^hafet Oerrathen unter feiner ^anb nirgenb 
ben Bwang, welchen biefe formen fo leicht bem Ungeübten unb 
bem Stümper auferlcgen. Ser Sichter barf eS in ledern Ueber= 
muthe Wagen, bie tünftliche Sonettenform fogar no^ }u über: 
tünfteln in ber „metrifchen ©pmnaftif", bie freilich einen halb 
fatirijehen ©haraiter trägt. 

©efonberS ^et»c ich bie in antiten Obenformen oerfafjten 
(Gebiete h« 001 - Sie altäifche, fapppifche unb aStlepiabeifdje 
Strophe werben oon ihm mit einer ungewöhnlichen ©teijterfchaft 
gehanbljabt. Sie finb fämmtlich aus feinet reifften Beit, h« : 
oorgegangen aus einbringenbem Stubium ber ©lten unb mit 
ihnen metteifernb. SCBir tönnen es nur loben nnb freuen uns, 
bah Seutholb biefe in unferer 8«t mit Unrecht gurüdgefepten 
formen, bie früher einmal freilich wehr als billig in ber beut: 
fehen Siteratur herrfdjten, wieber cultioirt hai 'Sie antite Dben= 
form oerlangt in oiel höherem ©ta|e als unfere ©eimpoefie ein 
für bie Reinheit beS ©hpthwuS empfängliches Ohr. ©on ben 
©Sogen beS ©hpthmuS getragen, wirten folcpe Oben gar mächtig; 
nur müffen fie oorgelefen, unb gut oorgelefen werben, ftc oer= 
tragen nicht ein Sefen mit ben ©ugen, baS Ohr muff bie tjar- 
monifdjen ©ppthmen in fich aufnehmen; erft bann erfüllen fie 
ihren eigentlichen Bwed. 3<h ftehe nicht an gu behaupten, bah 
SeutholbS fapphifdje Oben (i^ nenne biefe fform, weil ich fi e 
für bie fchwierigfte im Seutfcpen palte) wopUautenber, weil bem 
(Geifte ber beutfdjen Sprache gemäher finb, als felbft biejenigen 
©latenS. Samit will ich niept gejagt haben, bah baS @Sepeim= 
nih biefer ßunftform, wie fie im Seutfcpen gepanbpabt werben 
muh, nm bie antifen ©orbitber annäpernb }u erreichen, bem 
Sichter überall unb burcpauS ftar geworben ift; aber mit riep: 
tigern Satt unb @efüpl pat er in ben meiften Süden baS ge« 
troffen, was ben ©Sopllaut antiter «form im beutfepen (Gewanbe 
bebingt. 

©ber niept bloS formgewanbt unb formenrein ift biefer 
Sichter, fonbem, waS mepr wertp ift, reiep an innerem Seben, 
wie eS wenige unter ben heutigen ©oeten finb. $ier ift nichts 
(Gemachtes, nicptS ©efucpteS; man füplt jeber Beile ben warmen 
$ergfcptag an, man fpürt, eS ift adeS innerli^ft erlebt, ent: 
fprungen aus bem Srange ber Seele, ffreilicp ift ber (Ginblid 
in biefe Seele niept feiten ein traurig ftimmenber. Sen pei: 


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Nr. 29. 


Sie «ejenwart 


87 


teren Älängen gegenüber Rehen nur $u oft bie büfteren, unb biefe 
berühren um fo fchmerjlicher, »eit man füfjlt, bafj auch ba« 
Seib lein gemadjte«, fonbern ein tief empfunbene« ift. ßein 
SBeltfdjmerg, feine Sentimentalität, fonbern ba« ®ef) einer 
SRanneäfeele, ba« batb in elegifdiem Bone auStlingt, batb bie 
«form be« fdineibenben Spottet, bet Satire annimmt. 

Sie vor fdjweten Ungewittern 
Bange 9Ujttung lähmt ba« Sehen, 
güljf ich mit geheimem Beben 
Biefen bittern 

Schmer* burdj meine ©eele jittem. 

3*nen @ram, ben nimmerfatten, 

@u«bt’ id) op mit fanftem ©treideln 
dinjuphläfern, wegjufdjmeidjeln, 

8u bepatten; 

Bodj er folgt mir wie mein ©djatten. 

2a|t ben Broft! ei ift vergebens; ! 

Benn tcf) fünfte, wa« fo bange 
Stich befehlett^t fogar im Brange | 

Seine« Streben«, 

3ft ber ©«bmerj »ertönten Seben«. 

8« ift eine gtühenbe, teibenf«f)afttid|e, oft ftnnlidje {Ratur, 
bie unverhüllt, aber immer fräftig, immer gefunb unb ftier ent= 
gegentritt <St hat oiet geliebt unb Piel gelitten. SRan fteljt 
oft bot SRätljfeln, bie nur ein tieferer ©inbtid in ba« Seben ber 
Bieter ju Iöfen vermöchte. Hber man fühlt ftcfj mächtig t)in- 
gejogen, unb gefeflelt in bem Streben, ftth in biefe reiche, jum 
©lüde berufene, unb hoch fo fteub; unb friebtofe SRatur ju 
oerfenfen. 3n jenen „Siebern öon ber SRiviera", bie ber 
breiftigjähtige Bidjter verfafjte, athmet ©lüd unb Seligfeit, aber 
auch fit Hingen aub in bab bittere ©efüljf ber ©nttäufthung, 
»erlornen ©lüde«, »errathener Siebe. 

Bon merfwürbiger griffe, menn auch nicht gan* ohne einen | 
3ug öon ftRanier, finb bie „BrinHieber", bie meiftenb einer 3eit ! 
entflammen, in welcher ber frohe SRuth fdjon gebrochen unb i 
einer büftern Stimmung unb Sebenbanfchauung gewichen War. i 
Bie Böne beb antifen $orajifchen Brinfliebeb mifchen ftch h'« | 
mit benen beb mittelalterlichen, bolfbthümlichen Bagantenliebe« 
in eigenthümlidier Seife. 

Bie „Seitgebidjte" finb ebenfalls gröfitentheits aub ber 
lebten Beriobe feineb bidjterifdjen Schaffenb. (Sin mannhafter 
Sinn fpricht aub ihnen. Ber Bidjter hat bab wiebererften: 
bene Beutfchlanb, bie Hufrichtung beb neuen 9teidje« fteubig 
begrüfct, unb er burfte eb, ba er felbft 

für Beutfchlanb« BeuBelebung 
3m Stitteltreffen ftanb feit 3ahren. 

(freilich öermochte auch biefe ©rfüOung lang gehegter Hoffnungen 
nicht auf bie Bauer feine öerhitterte Stimmung ju heben. (Sb 
war and) jefct noch genug Unerquidlicheb in ben 3uftänben, mab 
ftch ifjw fühlbar machte. Sehr fdjarf ift bab, gewiffe literarifche 
Berljältniffe ber (Gegenwart beleuchtenbe ©ebidjt „auf ©egen: 
feitigfeit", bab ich hwfefcen Will. 

Sir leben in einer prattifdjen Beit 
Unb OTe« treibt fich gewerblich, 

Bermittelp ©egenfeitigleit 
Sirb jeber Sump unftetblich. 

Brum, wenn bu meinem ©tem »ertraup, 

@o wollen wir unb Vereinen, 

Unb wenn bu meinen 3uben paup, 

©o h«u’ '<h bir ben beinen. 

Senn bu recht emftg barübet ftreichP, 

@o ähnelt bem ®o!be ba« Btefftng; 

Unb wenn bu mich mit (SSoetpe »ergleicbft, 

Bergleich’ ich bich^mit Sefpng. 


9Bie in ben 3eitgebidjten bie beutfehen 3uftänbe ben 2Kittel= 
punft bilben, fo in ben „ Batertänbifdjen ©ebichten" bie feine« 
engeren Baterlanbe«, ber Schwei). Ber Bidjter etfcheittt auch 
hier al« guter, warmfühlenbet fßatriot. 

Bie wenigen in bie Sammlung aufgenommenen fRomanjen 
befunben bie gäljigleit Seutholb«, bie verfdjiebenen Bonarten biefer 
©attung anjufefftagen. SBährenb in ber bem Schottifchen nach' 
gebilbeten SRomanje „Ber Bljan öon Bunbear" unb in „Heinrich 
öon Boggenburg" ber Stil ber volfömäftigen Batlabe gut ge= 
troffen ift, ift ba« ©ebidjt „Bor ffiremona", übrigen« unter ben 
breien wohl ba« am wenigften gelungene, in ber Seife fßlaten? 
fcher Stomanjen gehalten. 

Bon umfaffenberen epifchen Bichtungen finb im Hnljang 
gragmente mitgetheilt: au« einem unöotlenbeten Stomanjencpclu« 
„Hannibal" (au« bem Saljte 1871); unb öiel umfänglichere an« 
„Benthefileia" (1869), beibe au« ber Befdjäftigung antifer ^ßoefie 
erwachfen. lieber „Hannibal" läfjt ftch nach bem furjen grag= 
ment faum ein Urteil abgeben; „Bentljeftleia" öereinigt alt: 
griechifdjen epifchen Stil mit moberner gorrn. 3<h fürchte nur, 
bafs bie gewählte gorm (gereimte Hnapäften), fo fchön unb 
wohllautenb fte an ftch ift/ bei bet Burdjführung in einem um: 
fangreichen ©ebidfte hoch etwa« ffirmübenbe« hat. ©leidjwohl 
oerräth auch biefe Bietung ein ungewöhnliche« Balent, unb man 
batf ber Beröffentlichung be« gangen SBerfe«, ba«, Wie ich er: 
fahre, öotlftänbig im ÜRanufcript öorljanben ift, mit Spannung 
entgegenfehen. 

Ber Bidjter hat be« (Srfolge«, ben biefe erfte, jefjt naheju 
vergriffene Sammlung feiner ©ebichte errungen, ftch nicht mehr 
erfreuen lönnen. 3« bie 3eHe be« ©eifteSumnadjteten fiel lein 
erwärmenber Strahl jene« mutljbetebenben Beifall«, ben ber 
Bichter bebatf. Boch er hat errei^t, wa« er in einem feiner 
Sieber erfehnte: 

Bie gange ©cpöpfung fteljt in Brauet; 

Ba« Saub ber Bäume färbt fidj gelber, 

Unb ach! mir ift, al« fühlt’ ich felber 
3m Herjen lalte Sinterfchauer. 

Sie ringsum Müe« ftirbt unb enbetl 
Bei biefem Seifen unb Betberben 
gleh’ i<h : ° @ott, lap mich nicht perben, 

Sh’ i<h ein fchöne« Setf »oOenbet! 


JluB ben btadflaffe ädptts. 

SBir haben (Sulturgefchichten, welche uns bie wirthfthaftlidjen 
3uftänbe vergangener 3eiten in einem ©efammtbilbe fchilbern, 
aber eine Specialgef<hi<hte beutfehen SBirthfchaftäleben« am 2Benbe= 
punfte ber beiben für unfet Kulturleben wichtigften 3aheh u aberte, 
ein SBenbepunft, welcher burch bie erfte franjöftfdje Beöolution 
feine Signatur erhielt, bie fehlt un« noch «ab boch wäre fte 
eminent wichtig jur (Srlenntnift, welche Wunberbaren gortfdjritte 
Wir feitbem auf culturetlem ©ebiete gemacht haben. 3uft jur 
rechten Stunbe haben foeben bie fjkeffe verlaffen bie„Stubien: 
reifen eine« jungen StaatSwirtlj« in Beutfthlanb am 
Schluffe be« vorigen 3ahthunbert«. Beiträge unb 
Ptachträge ju ben papieren be« SRinifter« unb Burg: 
grafen von SJtarienburg, Bheobor öon S^ön."*) 

9Ba« Schön al« Staatsmann in ber 3 e >t ber tiefften ©t* 
niebrigung be« preuftifchen Staate« geleiftet hat, bajj er bie Seele 
jener großartigen 3teformgefe|gebung War, welche fid) an bie 
fRamen Stein unb narbenberg fnüpft, ba« fe|en wir al« belannt 
öorau«. ©nergie unb Kühnheit hätten allein ben Staat nicht 
vom Untergange ju retten vermocht, erft burch weife {Reformen 
ift ba« Samenlorn gelegt worben, bie e« bem verarmten, tief 


*) Bon einem Oftpteujjen. 8. X u. 677 ©. Seipjig 1879, granj 
Bundet. SR. 14. 


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38 


Hie ©cgettwart. 


Nr. 29. 


gebemiitßigten Staate mögtieß maeßten, bie napoTeoitifd^e 3wing= 
ßerrfcßaft brettert ju Reifen. Sie Koncepte biefer SReformentwürfe, 
welche bett Namen „Stein" tragen, finb noch ermatten unb aus 
ißnen ift ju erfeßen, bai fie bem fdjöpferifcßen ©enie Xßeobot 
oon ScßönS entfproffen finb. Sa3 oerfleinert ja nicht bie Ser* 
bienfte beS großen Staatsmann Stein, eS ehrt ihn nietmehr, baß 
er fuß mit ben 3been beS jüngetn Sollegen ibentificirte unb fte 
als Staatslanjler mit feiner Verantwortticßfeit bedte. Schön 
War gewiffetmaßen präbeftinirt jum Staatsmann, benn mit bem 
Neicßtßum ber Sbeen oerbanb er feßon in jungen 3aßten fefte 
Ueberjeugung unb Sßatfraft. Stber fetbft bei großen Scannern 
ftnb 3been nicht immer ettoaS jufäflig SlngeftogeneS, fonbern 
müffen burch Stubium, (Erfahrung unb Nacßbenfen erworben 
werben unb bem 3ufammenwirfen biefer brei Factoren banft es 
Schön, baß feine Reformen fieß, ats er in baS ERinifterium be= 
rufen Würbe, mit fiegenber ©ewalt Vaßn brachen, Sahn brachen 
trofc ber Vorurtßeite, welche bie urtheitstofe ERenge ihnen ent= 
gegenbrachte. (Es ßat ja fchon Voltaire gejagt: „SEßaS ©roßeS 
in ber ESelt bewirlt wirb, entfpringt faft immer ber geftigfeit 
unb bem ©enie weniger ßeroorragenber ©eifter, welche gegen 
bie Sorurtheite ber ERenge anjufämpfen haben ober ihr Sor= 
urtheite beibringen." Saß mittelmäßige ©eifter gewöhnlich Stiles 
oerbammen, was über ihren Horijont geht, ift ein atter (Er= 
faßrungSfafc. 

Stubium, eigenes Nacßbenfen unb (Erfahrung wirlten, unters 
ftüfct burch e * net * lebhaften, forfchenben ©eift, bei Schön jus 
fammen, um aus ihm ben bebeutenben Staatsmann unb Kultur* 
fötberer ju machen, ber er geworben ift. Ser Untergrunb, Schärfe 
beS SenfenS unb UeberjeugungStreue, würbe bei bem großen 
KönigSberger Vßilofophr« 3mwanuel Kant gelegt, beffen Sieb* 
tingSfchüter er war. Stucß ber ©roßmeifter beutfeßer ©efeßießts* 
forfeßung ßeopotb oon Nante rühmt eS an Schön, baß er, 
wenn auch «ti<ßt wiffenfcßaftlicß, boch praftifch Kants größter 
Schüler gewefen fei. Sie ßogif allein macht aber noch ni<ßt 
ben Staatsmann, Kant brachte Schön jwar bie StaatSibee bei, 
ben Organismus beS Staates unb bie wirthfchafttichen Sßfteme 
lernte bet junge SRamt jeboch erft butdj bie geiftooflen Sorträge 
beS ißrofeffor Kraus in Königsberg fennen unb baS Stubium 
ber Schriften beS großen Nationatöfonomen Stbam Smith, ber 
bamats unb fetbft jehn 3aßre fpüter in feinem Satertanbe (Eng* 
tanb noch ein homo ignotns war, feffette ben jungen Stubirenben 
fo, baß er tief in ben ©eift ber Beßren Stbam Smitß8, bie be= 
ftimmenb für feine ganje fpätere Nicßtung unb ßaufbaßn würben, 
einbrang unb fie ooE unb ganj in fi<h aufnahm. Schön hatte 
eben erft fein jwanjigfteS ßebenSjahr jurüdgetegt, als er als 
NeferenbariuS in ben Staatsbienft trat, unb ber Herausgeber 
ber „Stubienreifen" gibt in biefer Schrift auf ©runb ber Sage* 
büdjer SdjönS ein anjiehenbeS, aber wenig erfreuliches Vitb oon 
bem oerfnöcherten ©eift, ber nach Friebricß beS ©roßen lobe 
in ber preußifeßen Vermattung. ßerrfeßte. Ser Dberpräfibent, 
fpätere Staatsminifter o. Scßrötter feßidte ben jungen Nefeten* 
bariuS, an bem et befonbereS 3«tereffe nahm, auf eine fönig* 
liehe Somäne, um als Vorbereitung für ben ßößern VermaltungS* 
bienft praftifch bie ßanbmirtßfcßaft ju lernen. 3ut Kammer nach 
Königsberg jurüdgefehrt, war eS Schön ßßtoer, bie oon ben 
Steten aufftiegenben Staubwolfen ju ertragen, bie ben fleinen 
guten Kern oerhüEten, ber in ber Verwaltung noch Oorßanben 
War. Etur ber Dberpräfibent, bet mit Kant, Kraus unb $ippet 
eifrigen Umgang pflegte, burfte fich eines höheren ©ebanfenflugeS 
rühmen. 3« ber Sphäre gebantenlofer Noutine, bie bei ber 
KönigSberger Kammer herrfchte, fanb Schön webet Vefriebigung, 
noch Nuße. (Er befeßtoß, um fpäter feine EBiffenfcßaft im ©roßen 
anmenben ju fönnen unb anbere ßänber unb ßeute in ihren 
Kütturbeftrebungen fennen ju lernen, ju reifen, unb ber Ober* 
präfibent o, Scßrötter, ber halb barauf SRinifter würbe, ani* 
mirte ißn baju unb oerfpraeß ißw jegtießen Veiftanb. 3uoor 
mußte aber erft noch baS Stffefforejamen in Verlin abfotüirt 
werben. 

SEBie fieß bie SQSelt in ben Stugen beS breiunbjwanjigjäßrigen 
jungen Kamnteraffeffors abfpiegette, als er im Frühjahr 1796 


feine grand tour, bie beinahe oier 3aßte Währte, antrat, baS 
ift fehr intereffant ju lefen. Sie poftatifeßen (Einrichtungen, bie 
eingeßenb gefeßitbert Werben, Waren fo erbärmlich, baß Schön, 
trofcbem et mit föniglicßen Vorfpannpferben fuhr, jet)n- Sage 
brauchte, um Oon Königsberg nach Veriin ju gelangen. Unter: 
wegS entging nichts feinem feßarfen Vlid. Straßenpftafter, 
SBohnungSeinricßtungen, SlderbefteEung unb was fonft in Ve: 
jießungen jum wirtßfcßaftticßen ßeben fteßt, würbe auf jeber 
Station gewiffenßaft ins Sagebuch eingetragen. Sa bie Kenntniß 
rationeüer Volfswirthfcßaft fieß aus SetailS jufammenfefct, fo 
erfeßien ißm nicßtS, was er erfeßaute, ju geringfügig. Sie Notijen, 
bie er fieß über feine Neifebeobacßtungen machte, faßte er in ein 
Sßftem, unb anfnüpfenb an feine (Erfahrungen braeßte er bie 
burdf bie Franjofenfriege oerarmten tßrooinjen Dfts unb SBeft* 
Preußen fpäter als Dberpräfibent ju einer Kultur, bie ßeute noeß 
in Slnbetracßt beS raußen Klimas unb tßeilweife fterilen VobenS 
muftergültig ift. SBäßrenb beS SlufentßattS in Verlin ftnbirie 
Scßön baS Sabritwefen unb babei ging er fo gewiffenßaft ju 
SBerfe, baß er fieß nießt genügen ließ an ber Veficßtigung bet 
Fabrifeinricßtungen; er unterrichtete fieß auch übet ben SlrbeitS* 
toßn, bie VejugSgueEe ber Noßftoffe unb beten ißreiS, über bie 
Slbfaßoerßättniffe, unb berechnete fieß aus ben ju ißapier ge* 
braeßten ERittßeilungen ben Nettogewinn eines {eben ©tabliffe: 
mentS. ©nqueten, wie fie ßeute mit einem großen Stufwanb Oon 
Koften unb ßödßft unjuoerläffig angefteüt Werben, maeßte er fuß 
oßne Fragebogen aEein; babei fam ißm freilich feine grünblicße 
Kenntniß ber Nationalöfonomie unb Votfswirtßfdßaft, fein tiefes 
©ingeßen in jebe SOtaterie beS Kulturlebens unb bie feltcne 3äßig= 
leit ju Statten, StEeS, was er wiffen woEte, ßerauSjußoten aus 
benen, bie er befragte, unb in ißren 3been!reiS einjugeßen, unb 
er forfdßte nießt bloS bei Solalbeamten, bei Fabrifanten, Kauf' 
leuten unb Sanbwirtßen, fonbern aueß bei VoftiEonen, Vauent 
unb Arbeitern, um aEe Sicßt-- unb Schattenfeiten wirthfdjaftticßer 
unb commerjieflet ©inrießtungen fennen ju lernen. Sie Verießte, 
bie er bem SJtinifter o. Seßrötter als Frucßt feiner iReifeftubien 
jugeßen ließ, waren fo einjig, baß biefer feßon naeß jwei faßten 
ben jungen Kammetaffeffor, ber eigentlich noeß gar nießt praltifcß 
im Staatsbienft tßätig gewefen war, außer ber Sonr jum tRatß 
beförberte, in einem älter, wo oiele junge ÜRänner erft bie Uni* 
oerfitat oertaffen. Scßön War eben ein ©enie. 

3m Frühjoßr 1796 trat ber junge Staatswirtß feine 
Stubienreife an. Ser ERinifter hatte bie preußifeßen Veßörben 
angewiefen, ißm jegtießen Veiftanb ju leiften. 3» tjßotsbam würbe 
bie fönigtieße ©eWeßrfabrif befteßtigt unb reeßt erbärmtieß ge* 
funben, in Vranbenburg baS Sanbarmen* unb 3noatibenßauS, 
in anbetn Stäbten bie 3“cßt: unb EtrbeitSßäufer, bie pgteidj 
ülrmenßäufer waren; an manchen Drten waren fogar 3rrftmtige 
mit Verbrechern unter einem Sacße untergebracht. @3 mag bieS 
aus ölonomifcßen ©rünben gefeßeßen fein, aber bie Verteßung 
ber Humanität, bie in fotdßer 3ufammenfoppetung aEer ber öffent* 
ließen Fürforge bebürftigen V cr fonen liegt, empörte Scßön fo 
feßr, baß er bas Stubium ber (Einrichtungen folcßer Elnftatten 
fieß jur befonbern Stufgabe maeßte. Sunäcßft ging er nach ERagbe* 
bürg, wo ber junge Staatswirtß ben Sißungen ber Kammer bei* 
woßnte, um fieß über Verwaltung unb Kulturleben ber fßrooinj 
Sacßfen ju unterrichten unb oon ba aus bie länbliißen ERufter* 
Wirtßfcßaften auf ben föniglicßen Somänen, bie Salinen unb Vraun* 
foßtengruben ju befueßen. Stucß ben bäuerlichen SBirtßfcßaften 
würbe bie gebüßrenbe Slufmerffamfeit gefeßenft. KS genügte ißm 
nießt, ficß bloS mit bem 8SSirtßfcßaftsbetrieb eingeßenb ju befcßäftigen, 
er ging aüdß ben Urfacßen auf ben ©runb, warum bie Sanbwirtß* 
feßaft in ber ißrooinj Sacßfen unb in Slnßatt fieß fo oortßeilßaft 
oor ber in ben preußifeßen ijSrooinjen reeßts oon ber Ktbe aus* 
jeießnete unb fanb fie barin, baß eS im SRagbeburgifcßen nur 
wenige ^Rittergüter unb leine erbuntertßänigen Vauern gab; baß 
ber Somänenpäcßter föniglicßer Veamter unb ber Sanbmann freier 
Vefifcer feines VauernguteS war; baß feine Koften gefpart würben 
jur Verbefferung ber SBirtßfcßaft unb jur Krßößung beS Körner* 
ertrageS; baß bie Somänenpäcßter inteEigente Seute waren, 
weteße nießt bureß SBirtßfcßaftSinfpectoren bie ©efcßäfte befolgen 


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Nr. 29. 


J)te ©rgtitmurt. 


89 


Iie§m, fonbern beit Stder jetbft bebauten, wägrenb ber groge 
abelige Grunbbefiget bon einiget ©ilbung ftch bem Staate-- unb 
©Hlitärbienft roibmete unb eS ju fleinlicg fanb, fieg mit bem 
Setail bet fianbwirtgfegaft ju befaffen. 

Ser Kantianer Scgön Ijatte aber niegt allein für Staate 
wirtgfcgaft, fonbetn aueg für bie fpeculatioen SBiffenfcgaften, für 
fdjöne ßiteratur unb Kuttft ein lebgafte# 3ntereffe unb oerfäumte 
feine Gelegenheit, bie ©efanntfegaft gelehrter unb gocggebilbeter 
©tönner ju machen. 3u Halberftabt, mo t>iel literarifcge# Seben 
War, oerfegrte er befonber# mit bem Siegtet Gleim unb lernte 
bur<h ihn bie gebilbete Gefedfcgaft ber alten intereffanten Stabt 
fennen. 3n fmde bewegte er flcg borjugämeife in ©rofefforen; 
fteifen UHb ergötzlich finb bie ©egilberungen, bie Scgön bon einigen 
gelehrten Häuptern macht, benen ber 8°pf noch hinten hing. 
Sa gab es gar ©iancgen, ber bon Gelehrfamleit ftrogte unb bem 
hoch aller natürlicher Serftanb abging. ©un ift ei ja wahr, 
bag bie Srrthümer eine# grogen Geifte# oft belegrenber ftnb al# 
bie fBahrheiten eine# fteinen, aber ©chßn mit feiner unerbitt; 
liegen Kant’fcgen ßogit ging, fo jung er mar, in ber SiScuffion 
ben Wiffenfdjaftlicgen 3rrthiimern ber Hade’fcgen ©ationalöfonomen 
alter Sdjute fcharf ju ßeibe unb ftatt Oerblüfft ju werben, oer= 
bläffte er bie alten Herren. 3« feiner ©elbftbiograpf)ie macht 
©<hön übrigen# ba# Sefenntnig, bag er trogbem bon Stilen etwa# 
gelernt gäbe. ©on groger SBicgtigfeit würbe für ben jungen 
StaatSWirtg «in ©efudj bei bem ©achter Sind in Göfig bei Göthen, 
ber al# Scgafzüdjter einen grogen ©uf genog. Sie beerbe, 
feinfter fpanifeger Gtectoratftamm, erregte feine ©ewunbetung unb 
ba ba# bon Sriebricg bem Grogen eingeführte ©rogibitiofpftem 
unb ba# ©erbot ber Ginfuhr ebelfter Schafe ber Gntwidelung 
bet Schafzucht in ©reugen nachtheilig war, fo fam Schön ber 
Gebanfe, bag bie feine Schafzucht für ©reugen eine Quelle be# 
SBoglftanbe# werben fönne. Gr beranlagte ben ©linifter b. ©chrötter, 
bie ffrineffege Stammheerbe z« laufen unb auf ber Domäne 
Subtau bei Sirfegau unterzubringen, ben alten Sind aber in 
ben preugifegen Staat#bienft zu ziehen. G# gefegah unb Wenn 
bje berebelte Schafzucht in ©reugen zu goger ©lütge gelangte, 
fo ift bie# ber 3nitiatiöe ScgönS zu berbanfen. 

5)er Herausgeber ber „Stubienreifen" gibt bem fünften 
Kapitel be# SBerfe# bie ben ©agel auf ben Kopf treffenbe Ueber; 
fegtift: „Kurfacgfen, fegr belegrenb, aber niegt gerabe erfreulich." 
Kurfacgfen war bamal# eine# ber am fcglecgteften regierten unb 
berwalteten ßänbet in Seutfcglanb, felbft in ben geiftlicgen Kur; 
fürftentgümem war e# weniger fcglimm befteUt unb nur in ©falz* 
bagern War bie Stigwirtgfcgaft noeg gröger. 3 n Kurfacgen lernte 
Sigön, wie niegt berwaltet werben foH, unb aueg ba# ift fegr 
belegrenb. ©on SreSben fagt unfer ©eifenber: „Santal# gab 
e# öielleicgt feinen Ort in ber SBelt, wo ber göcgfte Gefcgmad 
fo biegt neben pebantifeger Gefcgmadloftgleit ftanb." Sen Kur; 
fürften fegitbert Scgön al# einen äugerft fimplen unb im göcgften 
Grabe bigotten ©lenfegen, al# ©egent fo fegwaeg, bag er gar 
niegt auf bie ©efolgung ber Gefege fag. Sa# fpanifege $ofceremo= 
nied würbe auf# Genauefte beobachtet, bager aueg ber Kurfürft 
niemal# zu 3ug auf ber ©trage ging unb fid) überhaupt nur 
bei öffentlichen Gelegenheiten öom ©olle fegen lieg, ©riefe be* 
antwortete er gar niegt ober boeg nur feiten, überhaupt War er fo 
unfelbftftSnbig, bag er fieg in allen Singen oon feinem ßiebling 
Graf SRarcolini leiten lieg, ©ei Hofe war Sille# ejtraorbinär 
fteif, man agmte ztoat bie franzöfifegen ©loben naeg, war bamit 
aber immer um breigig Sagte zurüd. Sie SeSpotie unb bie Sin* 
magung be# Kurfürften gingen reegt weit. Sa# ©ublicum mugte 
in bet Oper fo lange ftegen, bi# er fieg nieberfegte, unb Wenn 
er aufftanb, mugte e# ebenfall# aufftegen. Selbft beim Kircg= 
gange mugte ber Kurfürftin, allen Hofbamen unb Kammerfrauen 
bie Scgleppe oon ©agen naeggetragen werben, ©ur ber Slbel 
galt etwa# unb bager fing in Sacgfen ber ©ienfeg aueg erft beim 
©aron an. Sille ©eamtenpoften oom ©atg aufwärt# Waren 
©frftnben für abelige ©erfonen, bie ©ecretäre mugten bie Strbeit 
oerriegten. ©lit ber ©igotterie be#! Hofe# oertrug fieg bie 
grioolität wunberbar gut unb in ben Seitengängen ber SteSbener 
Höflinge profnenirten, Wenn Furfürftlicge S,urcglau<gten bie ©lege 


befuegten, ganz ungenirt bie ftreubenmäbdjen mit igren Galancu, 
aber wenn ein grember gerumgegen wollte, um fug bie Kircge 
. Z u befegen, würbe er oon ben gatonirten Schweizern barfeg 
Zurüdgewiefen. Sie Gelbgefcgäfte, Welcge ber Kurfürft in feinem 
perfönlicgen ©ugen al# abfoluter ©lonarcg maegte, um feine 
©eoenuen zu ergögen, waren niegt gerabe reinlich, ©lit Staat#; 
fdjulbfcgeinen im ©etrage Oon ein Sgaler unb barüber würbe 
bet Gegalt ben ©eamten bezaglt; ge fonnten bie ©egeine freilieg 
bei ben furfürftlicgen Kaffen gegen Silber urnmeegfeln, aber bann 
mugten bie Gmpfänger neun ©fennige auf jeben Igaler Slgio 
Zagten, bie in be# Kurfürften Xafege floffen. Slucg fämmtticge 
inbirecte Slbgaben mugten um be# Slgio# willen zum britten Sgeil 
in StaatSfcgutbfcgeinen bezaglt werben. Scgön macht in feinem 
©eifetagebuege bei einem ©efuege oon ©idnig bie etwa# boSgafte 
©emerfung, bag, bamit bie Sonne niegt bie furfürftlicge ©afe 
befegeine, läng# ber Glbe ein 3eltbacg gefpannt War. Dgne 
©fticgtgefügl unb oon ßangeweite geplagt, fpielte ber Kurfürft 
mit feinem ßiebling. ©larcolini ben ganzen Sag ©ad unb oerlor 
an benfelben ba# Gelb, ba# bie Untertganen aufbringen mugten, 
ober er lieg Gebäube erriegten, um bie Seit reegt bequem tobten 
| zu fönnen. Sie alte fatgolifcge Kircge in SreSben, bie reegt 
! gut z u einem Strmengaufe gätte eingerichtet werben fönnen, 

! Würbe al# ©adfpielgau# benugt. „Uebergaupt," fagt Scgön, 

! „weig ber Kurfürft niegt einmal, wa# er al# ©lenfeg fod, bager 

! no^ weniger, wa# er al# ffürft mug. Sie# gab mir auch bie 

! Grflärung bafür, bag ber ßafai auf ©rofeffor Sufob# fjrage, 
ob eine ©ibliotgef gier fei, mit „©ein" antwortete." 

©on Sacgfen au« würbe bie ©eife naeg Sgüringen fort; 
j gefegt. Sa waren bie Suftänfce aueg niegt erfreulich, aber boeg 

| beffer al# in Sacgfen unb bie regierenden dürften Wenigften# 

i fparfame ßanbe#oäter, bie fieg in enger güglung mit bem ©olfe 
! hielten unb naeg igrem befegeibenen SEBiffen für baäfelbe forgten. 
j 3« Grfurt maegte Scgön bem geiftlicgen Statthalter unb für; 
fürftlicgen Goabjutor ©aron Saiberg, zegn 3«gte fpäter 
©geinbunb#fürft oon ©apoleon# Gnaben, feine Slufmartung. Sal= 
berg ftanb bamal# al# Scgöngeift unb oolfsmirtgfcgaftlicger 
©cgriftfteüer im ©ufe eine# ausgezeichneten ©lanneS, aber feine 
üolfSwirtgfcgaftlicgen Stnficgten u. 81., bag e# bie äugerfte Spige 
j be# politifegen Galcül# fei, bie fforftbiebftägle etatSmägig zu 
■' maegen, erfegienen bem jungen StaatSwirtg boeg etwa# antiquirt. 

I ©on ben literarifegen Grögen in SBeimar lieg fieg nur 23ie; 

| lanb fpreegen. Sa# Geficgt be# alten ©lanne# oerrietg gerabe 
| niegt megr ben grogen Geift, ba# Sllter maegt ginfällig. G§ 
würbe oiel über Kant gefproegen unb SBielanb maegte bie ©e= 

J merfung, bag Kant, wenn et fieg in jüngeren Sugien auf# 
Siegten gelegt gätte, ein ooUtommener Siegtet geworben wäre. 
3n 3ena ging Scgön fogteieg z« feinem Sntimu# Siegte, mit 
bem er Oon ber Königöberger ©tubienzeit ger in ben freitnb; 
liegften ©eziegungen ftanb. Ser junge ©gilofopg gatte furz bor; 
ger eine niegt gübfege aber fluge grau gegeiratget unb ftanb 
etwa# unter bem ©antoffel; um fo tapferer ftritt er fieg mit 
Godegen gerum unb maegte fieg bureg beigenbe SarfaSmen 
manegen fteinb. Slucg Scgilter würbe befuegt, war aber, ba 
Scgön igm üödig fremb war, fegr zurüdgaltenb in ber Unter; 
galtung unb oorfiegtig in feinen ©aifonnement#. 

- Scgön ging oon bem Grunbfag au#, bag man bei Stdem, 
wa# in bie SBett ber Grfcgeinung tritt, zu fragen berechtigt ift, 
Zu wa# e# gut unb brauchbar fei, welcge materieden unb in; 
tedectueden ©ebürfniffe e# befriebigt. ©ei feinem SBiffenöburfte 
burfte er fieg fagen, bag er ba# erfte SBanberjagr nüglicg an; 
gewanbt gäbe; im zweiten 3®g*e feiner ©eife, ba# er in ©cglefien 
oerlebte, war er fegon fein ßernenber megr, fonbern ein ßeg; 
renber, unb al# er naeg Slblauf be# legten SBanberjagre# bon 
feinem einjährigen Slufentgalt in Gngtanb in bie Heintat zuriid= 
fegrte unb wieber in bie bienftliege Sgätigfeit trat, war er 
eigentlich mit feiner ©itbung fegon fertig unb erprobte nur 
praltifeg, Wa# er fieg bureg eigene ©eobaegtungen tgeoretifeg an= 
geeignet gatte. Sie erften ©ionate be# Sagte# 1797 würben 
in ©re#tau Oerlebt, um ft cg auf bie ©eife burdy Sdjlefien oor= 
Zubereiten, unb aderbing# waren bazu ©orftubien nötgig, benn 


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40 


Ott <5 1 gfitnun:t. 


Nr. 29. 


Dberfcblefien, je|t in jwei ©tunben non Breslau erreichbar, war 
bamats ben Breslauern nod) ein unbetannteS Sanb, eine ©traf: 
cotonie gleich (Sibirien, wohin man nut reifte, nad)bem man 
Dotier fein Deftament gemalt batte. 

Der Abel in ©cblefien lebte abgefcbloffen für fid) unb auch 
ber Bürget nur mit feinedgleidjen. SRur in BreSlau, wo baS 
Sßatriciat einen regen ©inn für Sßoefte, Äunft unb ÜBiffenfdjaft 
befafj unb an SBiffen bie geiftig befdjränften unb abelSftotjen 
fd)lefif<ben Magnaten weit überragte, gab eS einen gebilbeten 
Sürgerftanb, auf bem Sanbe fanb man nur ©bedeute unb erb« 
untertänige Bauern. (Selbft in ben SDtebiatftäbten war bie 
©inwobnerfdjaft bem ©djlofiberrn erbuntertbänig unb ob ber 
<Sof)n eines ©rbuntertbanen ein angefebener gabrilant unb 
SDHDionär ober gar SRegierungSbirector würbe, er blieb erbunter: 
tfjänig. 3« ©Rieften machte fd)on bie Suft erbeigen unb baS 
auf einem SRittergute geborene ®tnb oon unabeligen ©Itern war 
©rbunterttyan. 28eld)e üble folgen bie ©rbuntertbänigleit für 
baS ©ulturleben ber Sßroüinj batte, fd)itbert <Sd)ön febr braftifcb 
unb ein Decenntunt fpäter war ei als SRitglieb ber ©taatS: 
regierung eine feiner erften Hanblungen, baS ©efefc oom 
9. Dctober 1807 über bie Aufhebung ber ©rbuntertbünigleit 
auSjuarbeiten. Auch fonft War ei unter ber BerWaltung beS 
birigirenben SßroüinjialminifterS ©raf H°pin in BreSlau febr 
übet in ©cblefien befteüt unb bie ©orruption fcboft üppig ins 
traut. @o mufterbaft nach bamatigem Begriffe bie BerWaltung 
in Oft: nnb SBeftpreujsen unb in ber Sßrooinj ©adjfen war, fo 
erbärmlicb war fie in ©cblefien unb ©übpreufjen, wo Höhnt als 
Bicetönig regierte. 

©S gab immerbin für ben jungen ©taatSwirtb in ©cblefien 
oiet ju lernen. SBenn auch bie b e ute fo btübenbe SRontan= 
inbuftrie no<b febr im Argen lag, Wenn bie Sorftcultur, Biep- 
unb ©cbafjucbt, AderbefteHung ic. noch oiel ju wünfcben übrig 
liefjen, fo gab es bo<b eine bocbentwidelte Deftilinbuftrie. 3e 
tiefer er in bie Details berfetben einbrang, befto mehr über: 
jeugte ficb @d)ön oon ben fcbäblidjen SBirtungen beS bertfcbenben 
©djubjoll: unb SßrobibitiüfpftemS, unb Wenn er ju einer 3*it, 
als in Deutfdjtanb nod) SRiemanb an Sreibanbel bad)te, ein 
erltärter Anhänger ber ^anbetSfreibeit würbe, fo gefcpab bieS 
tbeoretif(b burd) baS ©tubium beS ©pftemS oon Abam ©mitp 
unb beS BudjeS Oon Sorb Sauberbale über bp SRationalwoblftanb, 
praftiftb' aber butcp bie im fcblefifdjen ftabrilbetrieb unb fpäter 
in ©ngtanb gemachten ©rfaprungen. ©erabe biefe Sßartie ber 
©djön’fcben „SReifeftubien" ift je|t, wo bie beutfdje SBirtbfcbaftS: 
poütif an einem oieUeidjt berbängnifjoollen SBenbepuntte ftet»t, 
febr lehrreich, ©cbön war eben als ©taatswirtb flinet Seit 
weit oorauSgeeilt unb febr BieleS üon bem, waS er fagt, Oer: 
bient noch beute ooüfte Beachtung. 

Bon ©cblefien ging ©cbön noch einmal nach ©öttingen, 
wobin er bereits im 3abte 1796 oon §alberftabt gegangen 
war, um bie SRufterwirtbfcbaft nach englifcbem Borbilb auf bem 
Dominium SBeenbe fennen ju lernen, bieSmal aber, um ficb 
tbeoretifcp für bie ©tubienreife nach ©nglanb oorjubereiten. 
Obwobt fdjon triegS: unb Domänentammerratb liefe er ficb bocb 
als ©tubent in ©öttingen immatriculiren, um an ber ©eorgia 
Augufta Bottefungen über ©taatswirtbfcbaft, Agronomie, Sßbhft 
©bemie unb englifche Siteratur ju böten unb ficb *>on bem Ober: 
commiffar SBeftfelb in SBecnbe über engtifcbe wirtbf^aftti^e 
Suftänbe inftruiren ju taffen. Bor ber Abreife nach ©nglanb 
via Hamburg ging ©<bön noch junt SRaftatter ©ongrefj, um bie 
Herren Diplomaten im Brillantfeuer ftrabten ju feben. 

©S Wäre überflüffig, noch etwas jur ©mpfebtung biefer 
„SReifeftubien" ^injujufitgen. Der reiche Inhalt biefeS auS= 
gejeidjneten BucpeS, baS ein OueDenwerl erften SRaitgeS jur 
tenntnif ber beutfdjen ©ulturpftänbe am ©nbe beS 18. 3nb t; 
bunberts ift, fpridbt für ficb felbft unb baS ftaatSmannifcbe ©enie 
beS jungen ©cpön erfcbeint in einem glänjenben Siebte. 

C. ^ranenjtebt. 


^ittterinbiftbeB. 

Bon ^ranj «Hirtfiebel. 


Da| ^interinbien, bie 35,000 öu.:3R. grobe, fruchtbare, 
wobtgelegene fübafiatifebe §atbinfel in baS Siebt berjenigen ffielt» 
gefehlte p treten beginnt, in welcher ben europäifeben SRationen 
bie Hauptrollen pgefaHen, ift eine ber folgenreicheren Dbatfacben 
unferet Seit unb boppelt bebeutfam in einer Beriobe nie bagewefenen 
SluSbreitungSbrangeS unferet gröberen Böller unb waebfenber 
Sßettbewerbung aller potitifcb unb wirtbfcbnftticb actioen RRä^te. 
®S ift in Sljten baS tepte grobe unb oon SRatur begünftigte @e= 
biet, baS unter f<bwacben einbeimifeben nod) in bem 

3uftonbe oon ©ebwäcbe oerbarrt, ber bie ©tarieren nnb Unter: 
uebmenben pr ©olonifation unb Ausbeutung aufforbert. Shit 
jroei peripberifebe ©tücte in Birma unb ©ocbin$ina finb, baS 
eine üon ben ©nglänbem, baS anbere oon ben Sranjofen in 
Befip genommen. äBiewobt bie Sßortugiefen fcbon halb nach ber 
©roberung oon SRalalla (1511) mit ben bamats in Hinterinbien 
bominirenben SRäcbten ©iam unb Sßegu ^»anbelööer&inburtgett 
anlnüpften unb feit ©nbe beS 16. 3<>btbunbertS bie tbätigen 
HoQänber auch biefe ffirbfcbnft ihrer Borgänger unb Dobfeinbe 
antraten unb nach Äräften auSjnbeuten fuepten, fo b«t fi<b bocb 
webet mit biefen noch mit ben anberen binterinbifeben äRäebten 
ein bauernber Berlebr entwiclelt. Annam unb Xongting blieben 
ben ©uropäetn, mit Ausnahme einiger SRiffionäre, officieH oer= 
fcbloffen, bis jur Anlnüpfung ber Bejiebungen ju granheicb 
bureb franjöfifcbe SOtiffionäre am ©nbe beS üorigen 3 a b r b un bertS. 
Aber noch 1821/22 fanbte bie brittifcb' inbifebe SRegierung oer= 
geblicb eine ©efanbtfdjaft nach Hufe- um 3ulai in biefen ©ebieten 
ju erlangen. DaS einjige, atterbingS febr Wertbooße SRefultat 
berfetben waren bie SReifewerle oon 3- ©rawfurb unb ginlapfon, 
welche uns überhaupt bie erfte genauere Äenntnifj beS öfttitben 
HinterinbienS üermittelt hoben. Die Berfolgungen ber SRiffio: 
näre unb ihrer Anhänger, welche feit 1830 nicht aufbörten, bis 
ihnen granlretcb unb Spanien 1858 mit ©ewatt ein ©nbe festen, 
geben 3eugni| oon bem geringen SBunfcbe, mit ©uropäem ju 
oertebren, bet hier wenigftenS bie SRegierungen befeelt. ÜebrigenS 
copirten Annam unb Dongfing in biefem Srembenbafj nur 
wieber ©bina, biuter bem fie aber auch bi** U)ie in allem 
Anberen um eine lange ©trede jurüd waren. Amtam öffnete 
enblicb bem 3wange gepotebenb einige Höfen 1858, in Dongling 
finb mehrere 1876 anfgefebloffen worben, unb fjranfreicb, baS 
an ber 9Relbong:3Rünbung ftcb einen wobtgelegenen ©trieb SanbeS 
oon über 1000 ÖU.--9R. abtreten lieb, hält jept feine Honb über 
bie ganje Dftbälfte oon H*nterinbien. ©iam ift üon Anfang an 
, weniger auSfcbtiebenb gegen bie ©uropäer oerfabren. ©S hotte 
nicht baS f^äblicbe Borbilb ©binaS oor Augen, Wie eS ber 
grünblicb ebinefiftrien Dftbälfte oorfebwebt, unb bie ©iamefen 
finb an ficb ein mitbeS, nicht übermäßig principienftrengeS, neu: 
gieriges, f^walbofteS Boll, alfo jum ftrembenoerlebr eigentlich 
ganj gut biSponirt. Hier hoben es ficb aber bie ©uropäer felbft 
oerborben. Bis in bie jwanjiger 3of»re beS 17. 3abrbunbertS 
trieben bie Sßortugiefen unb H°Hönber Honbel mit ben ©ia: 
mefen unb bie erfteren hotten fogar baS Stecht ber Anftebelung 
unb SletigionSübung erhalten. Aber ihre Uebergriffe brachten 
eS babin, gerabe wie in 3opan, bafi ihnen baS Sanb oerboten 
würbe. 1688 brachte ein franjöfifcber Abenteurer, ber am H°f 
eine Stellung ju gewinnen gewufjt, franjöfifcbe Druppen ins 
Sanb, bie ficb balb wieber jurüdjieben muhten. SRun Würbe 
nur noch mit ben H°Uönbern ein febr geringer Honbel fort: 
betrieben, ©rft oon 1820 an würben Don anberen SRädjten 
wieber Berfudje gemocht, mit ©iam in geregelte Bejiebungen ju 
tommen, aber eine Aera nübtidjer Berträge bot erft mit bem: 
jenigen begonnen, ben 3- Bowring 1855 für ©nglanb febtofi 
unb ben anbere SDtäcbte feitbem naebabmten. ffiit werben auf 
ihn unb feine febr interefßinten folgen juriidfommen. 

Birma, baS in ben lepten SRonaten wieber fo oiel oon 
ficb teben machte, ift. berjenige binterinbifebe ©tobt, mit bem 


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Nr. 29. 


Oie Eegrnwurt. 


41 


nacf) feinet ganzen Sage bie Europäer am eljeftcn in ©erüßruug 
tommen mufften. 3 $ meine bamit nußt nur baS heutige, auf 
baS Sinnenlanb gurüdgebrängte Sirma, fonbetn baS mächtige 
Sirma, ttrie es not 1824 war, alfo mit bem Küftenftricß oon 
ber EangeSntünbung bis gu bet beS Salwin, Worin baS einft 
weit berühmte Sßegu mit inbegriffen iß. Ser europäifcße fpanbel 
mit Segu foH im 16. unb 17. Saßtßunbert geitweitig in Stütze 
geßanben ßabdn, war aber bei ben gaßllofett inneren Kämpfen 
ßet$ nur meßr gufäüig unb ungeregelt. 3a^rje^nte würbe er 
gang auSgefeßt. Solitifdße Serbinbungen terfucßten oßne Erfolg 
bie Engtänber guerß burcb ©pmeS (1795) aitgufnüpfen, ge« 
naueren Embtid in bie inneren Serßältniffe gewährten aber erft 
bie Stiege non 1824/26 unb 1852/53, bie jebocß allem Slnfdjeine 
nach hießt fo auSgebcutet würben, wie es im JJntereffe ber 
bauemben Unfdjäblicßmacßung beS nid^t unbebentticßen Sacßbarn 
gu wünfcßen gewefen wäre. Socß hat feit bem erften Kriege 
Engtanb wetrigßenö einen SReßbenten bei ber birmanifcßen ©es 
gietung. @0 wirr bie politifcßen Serßältniffe auch in ben anberen 
füb« unb oßaßatifcßen Staaten liegen mögen, eS iß bocß feiner 
in ben testen gwei SRenfcßenattern burcb folcße SBirbel unb 
Strubel geführt worben. Sie Sflege innigerer |>anbel 8 begießungen 
war bei ben beßänbigen Unruhen faß nicht möglich. Ser burch 
ben ^rieben ton 1826 gebemüthigte König würbe fchwachßnnig 
unb als feine Stau, bie 00 m Soll als Bauherrn terfdßrien war, 
in Eemeinfdßaft mit ihrem Stüber gu fchlecht regierte, trat bet 
Stabet beS erßeren bie Regierung an, wüthete aber wie ein 
SoOßäuSter in unerhörter Eraufamleit. ®uch er mußte 1846 
erfeßt Werben, unb gwar trat an feine Steße fein Sohn, ber 
inbeffen fogleicß feinen Srubet unb 80—100 weitere Serwanbte 
erworben ließ unb 1853 ebenfalls gut Hbfeßung reif war. 
Etß jeßt fam wieber ent menfcßlicßer äug in bie maßttßnnige 
Spnaßie. Sie 3«it bon 1853—66 war eine ber ruhigften unb 
gtüdticßßen Epoche, bie bie Eefdjicßte SirrnaS aufguweifen hat. 
Sach b«m testen Kriege mit Engtanb, ber 1853 mit ber SoS« 
löfung ton ißegu unb bamit ber tößigen Burüdbrängung in$ 
Sinnenlanb enbigte unb nach t>er Entthronung beS gleichfalls 
halb wahnßnnig geworbenen Königs burch feinen Sruber, ben 
äRenbun« König, wie berfelbe nach feiner früheren fßrobing ge« 
nannt warb, machte ßdß auch in Sitma bie gäßrungSerregenbe 
fflirfung bet Eulturfeime geltenb, welche nicht bto 8 au 8 ben im 
SBeften unb Süben ba 8 Königreich umgebenben brittifcßen ©ros 
tingen herüberwehten, fonbern burch europäifcße SRifßonäre, Kauf: 
teute unb Stbenteuerer bi 8 an ben $of getragen würben, wo ße 
bei bem König guerß günßige Aufnahme fanben. 

E 8 trat jeßt hier eine Entwidelung ein, bie im Saufe 
unfereS Saßrßunberts faß in aßen ben ßatbbarbarifcßen Staaten 
Üßen 8 angefeßt unb überaß gu metfwürbigen, aber feht ter« 
fchiebenen Ergebniffen ßcrangereift ift. 3u Eutern hat fie bisher 
eigentlich nur bort geführt, wo jene Eulturfeime auf einen bereits 
burcßgearbeiteten Soben, einen alten Eulturboben ßelen, wie in 
Eßina unb Sapan, unb auch felbft biefeS Eute war belaimtlicß 
gar nicht ungemifdjt. Sbet biefe S&nber haßen burch ben Ser« 
toßr mit ben Europäern ihre Eüterergeugung unb ihren $anbel 
außerorbentlich geßeigert unb haben fidß, was für bie Bntunß 
meßt heißen wiß, fähig gegeigt, wichtige Errungenfehaßen ber 
europ&ifdjlen Euttur aufgunehmen unb gu hanbhaben. Sn biefet 
Segießnng iß torgüglicß Sapan mit beifpiellofer Entfcßloffenßeit 
unb Selbßterleugnung torgegangen, ©oß unb Selegtapß unb 
manche Snbuftrien fönnen bort jeßt als angeeignet gelten unb 
Eifenbaßnen unb Sampfboote werben ebenfaßs bereits non Sa« 
panem geleitet, wenn auch noch nicht gang felbftftänbig. Eßina 
hält meßr gutüd, eS iß burch feine uralte Stacht« unb Euttur« 
ßeßung in biefem Sßeite ber Erbe unb woßl auch burch bie 
EeißeSanlage feiner Setölferung ßolger, ableßnenber gegen baS 
non außen Kommenbe unb confertatiner gegenüber Slßem, was 
ton ben Sätem ererbt iß. 3tber waßtfcßeinlicß wirb es gerabe 
babttwß ßcß mit ber Beit ber ßoeßwirffamen SBerfgeuge euro« 
päifdjer Erßnbung, tot Stflem berer, bie Erwerb unb Serleßt 
förbern, mH um fo bauernbetem Erfolge bemächtigen. 

Sn Sapan ßnb bie, welche feit gwei Saßrgeßnten bie SRacßt 


haben, bieDeicßt gu rafcß torgegangen, um ieben Sütffcßlag außer 
Stage gu ßeßen, bie SJtaffe ber Setölferung ift ißnen jedenfalls 
nießt gefolgt unb man muß fieß fragen, ob bie SeiftungSfäßigfeit 
bes SanbeS, wie ße heute iß unb für Saß« im SEBefentließen 
bleiben wirb, bem ßeigenben Äufwanbe Eenüge gu leißen termag, 
ber ton ben neuen Einrichtungen nicht gu trennen ift. SapanS 
fßrobuction geigt feit Saßren wenig Bunaßme. EßinaS $ütfs« 
quellen ßnb größer unb weniger leicht gu erfeßöpfen. Es war 
gang <ßineßfcß:praltifch, baß non aßen europäifdjen Steuerungen 
bie Boßterwaltung guerß unb am 'rüdßdjtstofeßen eingefüßrt 
Würbe. Eine ßeßere unb große Einnaßmequeße iß babureß ge« 
fcßaffett, an bie ßcß SBeitereS anlnüpfen läßt Sei feiner großen 
ttuSbeßnung unb feiner gewaltigen SotfSmaße rußen bie Unter« 
neßmungen, in bie Eßina eintreten mag, auf tiel breiterer unb 
ßeßererer Eruttblage als in Sapan, unb jeber Schritt, ber hier 
gemaeßt Wirb, Wirb ton tiel Weittragenberer Sebeutung fein als 
bie füßnen Experimente in bem rings abgefcßloßenen Snfel« 
reieße, feßon weil Eßina mit bem gangen übrigen fttfien politifcß 
unb cultureß aufs Snnigfte gufammenßängt. ©elcßeS inbeßen 
auch bie Unterfcßiebe ber neueren Eulturentwidelung in biefeit 
beiben oftaßatifeßen Staaten fein mögen, fo haben ße baS @e« 
meinfame, baß biefelbe nießt einem fleinen Sru^tßeit ber Se« 
tölferung gu Eute tommt, nämlicß bem ßerrfeßenben, fonbern 
baß im Eegentßeil ein großer Xßeil berfelben fo tiel $äßig« 
feiten gu biefem neuen Setleßre mitbraeßte, baß er Stupen aus 
bemfelben gießen tonnte. Sß nun aueß biefet Stufcen gunäcßft 
faß nur materießer ®rt, fo iß boeß nidßt gu leugnen, baß in 
Eßina wie in Sapan mit ber 3«* immer größere Xßeite ber 
Setölferung burch bie Aneignung europäifeßer Eulturerrungen« 
fünften auf ßößere Stufen gehoben werben. 

SBenn es in anberen aßatifcßen Sänbern anberS iß, fo liegt 
ber Unterfeßieb ßauptfäcßlich in ber gang anberen Wrt unb $ößen« 
ftufe ißrer Euttur. Eßina unb Sapan waren aueß Despotien 
wie Sirma, Siam unb Sinn am, aber aufgettärte, in maneßen 
Segießungen tiel milber unb beforgter für baS aßgemeine Seßc 
als tiele europäißhe Despotien bes 18. SaßrßunbertS. ®er 
Untertßan erfreute ßcß in ißnen ausgiebigeren ScßußeS, größerer 
Süße unb freierer Sewegung, feine gäßigfeiten erßidten nießt 
unter einer Unterbrüdun^, bie ißn gum Sflatentßum berur« 
tßeilte unb feinen Seßß ißm auSpreßte, fobalb berfelbe groß 
genug geworben, um begeßrenSwertß gu erfeßeinen. 3» biefen 
Sänbern gab eS nießt bloS einen ^errfeßer unb eine blinb ge« 
ßoreßenbe faß unterfeßiebstofe Untertßanenmaße, fonbern baS 
Soll feßte ßcß aus Snbitibuen gufammen, bie in terßältniß« 
mäßiger Smßeit ttn ß Selbftftänbigleit für ßcß unb ben Staat 
arbeiteten unb erwarben. S)ie Serüßrung biefer Söller mit 
ben Europäern fonnte baßer burch meßr ober weniger gaßlreicße 
Snbibibuen ßcß bermifteln unb bie barauS refultirenben SEBir« 
Jungen termoeßten ßcß langfam wie burch Saugäbercßen in bem 
SoUSförper gu terbreiten. So feheint, um ein Seifpiel gu 
nennen, in Eßina bie Kartoffel gang oßne B u lßun ber Eentral« 
regierung ßcß eingefüßrt gu haben, ebenfo ber SKaiS unb ber 
Sabal, unb ber tom Sßeeßanbel ßerrüßrenbe Seicßtßum ßat in 
erßet Sinie bie tßeeergeugenben ©rotingen unb bie $anbet 8 « 
ßäbte Sßangßai, Sutfcßau u. bgl. aber nießt ben taifertießen 
Scßaß gefüllt. 

Sirma bietet im SRoment, wo eS 1853 einen bem Sott« 
feßritt nießt gang abgeneigten HRonartßen gum Könige erßält, 
ein Silb, metcßeö bon bem eben gegeießneten giemlicß in allen 
©unften baS Eegentßeil iß. ®a 8 Sanb iß nidßt bloS formell 
mit SRenfcßen unb allem Anberen Eigentßum beS fjertfcßerS, 
fonbern biefeS EigentßumSredßt wirb tßatfädßlidß auSgenüßt mit 
tollem Sewußtfein bes SortßeileS, ben eS ben paar $u|enb 
Oberen gu gewähren termag, unb mit rüdßdjtstofer Eewalt. 
Ser König ift $etr über ßeben unb Eigentßum feines SolfeS 
im weitgeßenbßen Sinn. Sor biefem Secßte terfeßwinben bie 
Unterfcßiebe bet Stänbe unb Serufe unb nur ber ©riefterffanb 
beßält ein gewiffeS Stnfeßen, wenn aueß feine Unterleßlicßfeit 
in bet Segel nur in jenen Saßten beS ^errfcßerS einigermaßen 
anerfannt gu werben pflegt, in benen biefet ßcß feinem Enbe 


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Die ttfgMtfiHtri. 


Nr. 29. 


näget gelomnteu mägnt unb nun mit |>ülfe fügnfräftiger Opfer 
atte Stuflofigfeiten auSlöffen möchte, tiefer Dgeorie entfliegt 
im ©eifte eines birmaniffen Königs oon altem ©flag feine 
anbere »nmenbung, als bag er foif e tmbefftänfte $errffaft 
benugt, um naf allen Stiftungen nur baS ju tgun, toaS feine 
Suft unb fein SBiDe ift. Da man nun baju auf in ©irnta 
(Selb brauft, fo befielt bie StegierungSfunft mefentlif in ber 
Kung, ben Untertganen auSjupreffen, maS ge gaben, mägrenb 
folgeriftig bie Kung, unter fotfen ©ergättniffen als Untertgan 
nift ju ©nmbe ju gegen, barin beftegt, entmeber bie ©eamten 
ju beftefen, ober fif mit 2ift ober bemalt tgrer #anb ju 
entgegen. Die »erntet tourben an bie SSftrbenträger oertauft 
unb jmar in ber SBeife, bag baS 2anb in ©rooinjen unb biefe 
mieber in groge unb fteine ©ejirfe getgeilt mürben, beren jebe 
ober jeber einem ©eamten „jum egen" übertragen mürbe. St 
nägrte gf baOon unb gab naf Uebereinfunft ben Steg naf 
oben ab. @o ging eS Oon oben bis unten, unb ber unterge 
„ag" einen Dgeil eines Dorfes ober ein paar gamüien, unb 
mürjte fein ©tagt mit bem Ertrag aus bem ©erlaufe ber @e= 
reftigteit. Denn eS gab fein ©erbrefen, fo ffmer eS fein 
mofte, für baS bie ©träfe nift abgefauft merben tonnte. 

»18 ber ©tenbunfönig bie Stegierung antrat, fanb et fein 
2aitb oermüftet unb entoölfert, benn ein groger Dgeil ber 
©eoötferung mar naf bem brittiff eu ©irma auögemanbert, mo 
gereftere fpänbe ber Stegierung matteten, anbere in bie ©ebirge 
ju ben galb unabgängigen ©renjgätmnen geflogen. Sr foü ein 
©tarnt oon gartem Sgarafter unb oon Singft gemefen fein, 
©ule, begen ©tiffion in »marapura (1855) unS mit bem beften 
SBetfe beffenft gat, metfeS mir über ©irma beggen, entmirft 
ein gängiges ©ilb oon igm. „©eine gemigengaften »nftrengungen, 
©ereftigfeit auSjutgeilen, gaben ju oöttiger ©erugigung beS 
2 anbe8 gefügrt", ffreibt er oon igm, unb ägnlif anerfennenb 
fprefen anbere Steifenbe, bie ign fennen lernten, mie Sgtfe 
unb ©agian. Sr gagte bie ffrremben nift, fonbem fufte oon 
igneii ju lernen unb igre Sänfte obeb SBigen für fein 2anb ju 
oermertgen. Sr gob baS „Sgfgftem" ber bisgerigen ©egeuerung 
bej. »uSpreffung ooDftänbig auf unb bereinigte burf eine Kopf* 
fteuer bie ©ummen „ metfe nötgig maren, um ©egalle auSju* 
jaglen. Das mar freitif in ben ergen tagten für baS ©olt 
oielfaf nif ts »nbeteS als eine ©erboppetung ber ©teuerff raube, 
benn bie Sgbegier unb Sggemogngeit ber ©eamten mar nift 
fofort einfaf aufjugeben. 3m ©egentgeil gnbet gerabe gieran 
ber unbeffränftefte orientatiffe Despotismus feine ©franfen, 
bag er feinen SBerfjeugen bie ©efriebigung, fetbft Despoten ju 
fein, menn auf fteinften Kalibers, nift rauben barf, ogne gf 
fetbft ju gefägrben. Die Dauer biefer ©taatsform berugt ja 
fag nur auf ber Srgaltung beS 3ntereffeS, baS igre SBerfjeuge 
an igr gaben. Ss maren alfo junäfg magrffeinlif nur bie 
bis bagin ebenfalls mit 2anb= unb ©tenffenportionen jum 
„Sgen" bebaften meigen Slepganten, metfe begeren ©runb* 
fügen Staum geben mugten, oieQeif t auf nof bie ber birecten 
Sinmitfung beS Königs am egeften jugänglifen KebSmeiber unb 
©alafttän jerinnen, bie gleiffaHs su ben „Sffenben" gegärten, 
»ber bie ©eamten tonnten nur baburf langfam an baS neue 
©gftem gemögnt merben, bag man igren ©egalt ben ©ummen 
entfprefen lieg, melfe ge bem fänigtifen ©fage jufügrten. 
©ie gatten eS alfo in ber $anb, burf ffärfcreS »njiegen ber 
©fraube igren eigenen ©egal! ju ergögen. Dof gab baS 
natürlif nof gar feine ©emägr, bag ge beSgalb einem begeren 
©rhtcip ju 2iebe igre fräftigen, eggemognten ©teuerfinnbaden 
in Siuge berfegten. ©irma liegt jmiffen 19 unb 27 0 n. ©r., 
ig ein feuftgeigeS, eft tropiff üppiges 2anb: ba gibt es oon 
Statur nift oiet Stefpect Oor ©runbfägen, fomeit ge nift mit 
©ambuSrogren eingebläut merben tönnen. Sgrlife ©elbft* 
beffräntung ig eine ©ganje, bie in biefer teibenffaftlifen 
3one erg afttimatifirt merben mug, unb baS tann nur burf 
auSbauembe Strenge geffegen. Der König mägtte bafür ein 
fettfameS »Rittet, ©etbft aus ber träggeiiatgmenben, ffmülen 
Stille eines KlogerS auf ben Dgron qegolt, gatte er innige 
©ejiegungen ju ©eiglifen unb ©tönfen auf in biefer gogen 


meltlifen Stellung immer fortgepgegt. Stun ftigete er eine 
Oefetfffag oon galb mönfiffen 2aienbrübern, bie gf bie 
„©abbatggeiliger" nannten unb im 2anbe umgermanberten, mo 
ge gemiffermagen als ©pione bes Königs über bie fteuer* 
ergebenben ©eamten maften. »uf bie eigenttifen ©riefter 
nagmen an biefer gmtction Dgeil, unb eS fott burf biefe eigen* 
tgümtif e Sontrote in ber Igat bie 2age bes ©otfeS gf mefent* 
lif gebeffert gaben. Daju galf, bag biefer König, mie gefagt, 
Oon Statur fein fflefter Sgarafter mar. SRan beriftet Oon 
igm feine ber milben Sjcege, burf bie fag alle feine ©otgänget 
ben birmaniffen Dgron begecften. St mar mogl eiferfüftig 
auf feine ©taft, aber nift oon ber ©raufamleit, bie bei bet 
burf geffelloggfeit in ber Siegel galb magngnnigen ©gantafie 
folf er unumffränften Despoten ju gräglif en Dgaten ju fügten 
pgegt. Sr entfernte alle felbftftänbig Denfenben unb »tte, bie 
bie ©pur eines SiBillenS jeigten, auS feiner Stäge, aber et 
mäglte baju nift immer baS bort fong felbftOergänblif e SJlittel 
ber Däbtung. ©elbft eine Stebetlion, bie im 3<f« 1866 oon 
einem feinet ©ögne unb feinem ©ruber gegen ign angegiftet 
mürbe unb 1870 gf miebergolte, mafte ign, als er ge nieber* 
geroorfen, nift mefentlif fflimmer. 

»uf bem 2anbe begann feine $anb erft ff merer ju lagen, 
als ign bie SRanie groger Unternegmungen unb ©auten befiel. 
SBägrenb er felbft für gf unb feine Umgebung auf ©parfamfeit 
unb einfafeS 2cben gielt, gab er unoemünftige ©ummen für 
Dampfer, »Raff inen, ©efeftigungen unb Dempelbauten aus. »ber 
bie SOlaff inen blieben in ©tücfen liegen, mie fie getommen, unb 
bie ©efeftigungen lieg man ogne ffanonen. ©on einem ©ranit* 
bamm, ff rieb oor einigen SRonaten ein Snglänber, bet ©irma 
befufte, ftredt gf melanf oliff ein Dampffran naf ber Stelle 
ginauS, mo einft ber Swmabbg gog, gart babei ftegt in einem 
©erfftag ein jegntönniger Jammer. 3n anberen ©erfflägen 
liegen bie ©tüde oon ©f meljöfen, nur tgeilmeife jufammengeftetlt. 
Slie ift ein 2otg Sifen gier geff raoljen morben. »n ©teile beS 
3 ramabbg ig geute ein Sumpf. Der König lieg ign in Setfol* 
gung irgenb eines anberen ©laneS mieber oon bem Damme meg* 
leiten. 3» Dggain, nage ber öauptgabt, bietet eine ftolje Steige 
oon Sifenmerfen ein melanf oliff es ©f aufpiel. ©ie gnb in grog* 
artigem ©taggabe auSgefügrt unb menig engliff e SBerfe bürgen 
ignen gfeiffommen. Sngliffe »rbeiter leiteten igre »ugteflung 
unb roarteten auf igre ©oüenbung. »ber bie Sagnräbet feglten, 
auf melfe eine ©ant in Slangun ©efflag gelegt gatte, ber König 
rnodte beren Sorberung ntf t erfüllen unb ber ganje ©lan blieb 
bamit ein tobtgeboreneS Kinb. Sine ©agobe, bie er in ben 
legten 3ag«n baute, unb bie er nift megr gßger als bis ju 
10 ffug ju förbem oermofte, gatte ign bis bagin bereits 
4 SRiH. Stm. getoftet. 3« ©erfolgung biefer ©fernen matf ber 
alternbe, launiff unb unberefenbar gemorbene König mieber 
»lies um, maS er in frügeren 3<f r en mit SKüge aufgebaut 
gatte. Um möglifft oiel ©elb ju mafen, mürbe baS ganje 
2anb in eine einjige Domäne oertoanbelt, ägnlif mie »eggpten, 
beffen ^etrffer in feiner ©erffmenbung unb feinen grogen, 
leift oetgüf tigten ©tönen einigermagen an ben SRenbuntönig 
erinnert. DaS ©oll gatte gteif ben ffetlags biefe Domäne ju 
bebauen, ge ergielten ©orffüge auf oorgeffriebene Stuten, bie 
ge ju oorgeff»ebenen ©reifen an ben König ju oerfaufen gatten, 
©tatt ©elb ergielten ge SBaaren. Diefer gat j. ©. feit 3»gnn 
ben ganjen ©aummoüenganbel bes 2anbeS monopoligrt. Drog 
feiner anfänglifen Steformen gat er magrffeinlif fein ©olf 
ebenfo arm oerlaffen, als er eS angetreten, oieüeift nof ärmer, 
benn feine grogen Unternegmungen oerff ludten megr ©elb als 
ber feiner Statur naf immer beffränttere roge orientatiffe 
2up8, ber menigftenS einen grogen Dgeil beS ©elbes im 2anbe 
felbg oerff leubert. 

Das ©efte, maS feinet Stegierung bis jum Snbe blieb, 
maren bie frieblifen ©ejiegungen ju ben Siafbarmäften unb 
oor ȟem ju Snglanb. Sr mar geffeibt genug, um feinem 
i ©fmerje über ben ©erlüg ©eguS unb ber Küftenprooinjen, 
I ben er tief empfanb, feinen feinbtif en »nSbrud ju geben. SBenn 
biefer ©eftgegagte unter feinen Staf batn eine Sorberung ergob, 


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Nr. 29. 


Hie (Segrnmart. 


43 


bemidigte man fie in Simta in ber Siegel nicpt fofort, aber 
wenn boranf beftanben würbe, gab ber König nach- ®r patte 
in biefet 8ejiepung weitergepenbe ©läne, bie nicpt für ben 
ftugenblid reif waten, urtb tä ift bernerlendmertp, baf er mit 
einem ©ifer, ber ben Herfommenbeiten be8 pintermbifcpen ©etbft* 
perrfchertbumS ftrad« entgegenläuft, Serbinbungen mit anberen 
eutopäifcbett ©lädpten anjulnüpfen fucpte, fo mit Italien nnb 
Stanfreidp, mit benen er Verträge fcplof. 6t badpte wopl ©egen; 
gemixte gegen bie eiferne $anb ju fcpaffen, bie feit 1852 ©irma 
öan ßpittagong bis ©lartaban feft umfdploffen pielt. Daf bie 
Snrftdbrängung feine« Steife« non ber See ben 6nglönbern 
bie ©ontrole fogar über ben SBaffenbejug ©irma« gab, empfanb 
er fernerglichet al« ade« Anbere nnb würbe e«, wenn er ge; 
tonnt pötte, geänbert paben. Ab?r bie 6nglänber iprerfeit« waren 
Mag genug, ihn nicpt unnötig ju reijen; fie malten öfter« 3 U ‘ 
geftänbnijfe, bie ihnen nicpt leicht fielen unb bequemten fiep fogar 
baju, mir fchuplo« nnb fnienb not ba« Antlip be« „Herren be« 
ffieltad«" }u tommen. Huf biefe SBeife erlangten fie 1862 einen 
Hanbelsoertrag unb 1867 bie ©infepung eine« engtifdpen ®on= 
fularagenten in ©pamö, ber für ben ©binapanbel wichtigen 
©tabt am oberen Stowabba. 

Soft man Ade« jufammen, wa« biefer König getpan pat, 
fo ift betfelbe für einen birmanifdpen Herrfcper noch einer ber 
beften gewefen. Die Hauptfacpe: er bat feinem Sanbe ben Trieben 
erbalten nnb bat ben ©runb gelegt ju einer befferen ©erwaltung 
unb SBirtpfdpaft, al« fie früher gewefen; er bat ben Hanbet«* 
»erlebt befonber« mit Spina, ber nadb feinem ©egierungSantritt 
in Solge be« ©antbapaufftanbe« ganj bamieberlag, wieber ju 
beleben gewußt. Die 3öde haben in ben lefeten fahren burdp* 
fcpnittlicb 30 ©lidionen ©m. abgeworfen, für ein Sanb t>on 
3 ©Unionen Seelen nnb oon biefet ©teueriaft eine mehr al« 
refpectable Summe. Aderbing« würbe beren Höbe teine fo be- 
beutenbe fein, wenn nicht ba« gange 3odwefen in einer nichts 
birmanifchen $anb bereinigt wäre. Aber auch fo liefert fie einen 
glänjenben ©ewei« für bie Wirtbfdbaftlidbe ©lütpe be« Sanbe«. 
Diefe beftätigt auch Ardjibalb Sorbe«, ber betannte englifche 
3eitung«correfponbent, ber Anfang biefe« gabre« nodb bie Seife 
oon SRanbalet) nadb ©rome machte. „Sn ©irma wirb jebe 
Dpätigleit, bom ©egieren bi« jum Koplbau, in einer gewiffen 
nebenläufigen, jufädigen, fpietenben Steife betrieben unb mit 
einer Säffigleit, al« ob „tempas ineiorabile“ eine nicht ejriftirenbe 
6inbilbung fei unb boep fiept man überall ©ebeipen, Sülle lacht 
bon jebem Dorfe, ba« man paffirt, unb Suftiebenpeit bon jebem 
©eficbt. Siet Hanbel fcheint bon benen, bie ihn betreiben, al« 
ein gelegentlicher ©eher; betrachtet ju werben unb boch finben 
bie Stawabbbboote Sabung genug bei jebem Dorfe, mäbrenb bie 
3öüe auf er ben ©lonopolartiletn, bie jodfrei, jährlich über l l / 2 
©UQionen ©f. @t. abwerfen. Sn ben ©trafen bon ©irma bes 
läftigen bich leine ©ettlerfcpaaren mit ihrem ©ewinfel unb ihren 
elelpaften ©chauftedungen, wie fie jebe ©tabt bon brittifdb Snbien 
burdpfdpwätmen unb fetbft in unferem eigenen begünftigten ©ilanb 
nicht feiten finb. Dem oberflächlichen ©eobadbter lommt ba« Sanb 
wahrlich wie ein orientalifche« Atlabien bor, nur etwa« mit 
©dptedptigteit gewürgt unb mit ein haar ©ladereien gebämpft. 
SBenn man bon einer 3eitung mit ben Sommergefcbidpten bom 
Ärbeiterelenb in ©beffielb weg binüberfchaut nach ber ©tromfeite 
eine« birmanifchen Dorfe« mit ben gefunben Kinbergruppen, bie 
im ©anbe fpielett unb ben ladpenben SBetbern, bie jurn ©ab 
berunterlungern, gewinnt man ein ©ontraftbitb, ba« momentan 
unferen ©lauben an bie Segnungen ber ©uttur ju erfdbüttern 
oermöchte." ©lan wirb bei biefem heiteren ©ilbe ficb freilich 
lagen, baf ba« Srawabbhtbal, eine ber frudbtbarften Sanbfcpaften 
in ganj Apen, ber befte Dpeil bon ©irma unb baf e« auch 
fo wofl noch etwa« in« ©ofige gemalt ift. Slber jebenfaQ« muf 
man fiep gefiepen, baf biefe Dropenlinber, wenn fie noch fo 
Idplecpt regiert werben, bon ber ©atur ifre« Sanbe« unb ihrer 
eigenen naibs leichtfinnigen ©emütb«art boch immer wieber ents 
jepäbigt finb. ©Ut ihrer Debife „Seicht fommen, leidbt geben" 
oertrug pdp offenbar ganj gut ber bleipänbige Despotismus be« 
SRenbufönig«. Natürlich gehört ju biefem ©ebagen auch bie bers 


bättnifmäfig noch fept bünne ©eböllerung bon ©irma. ©lan 
lann ficb bort noch regen, ©ei foldben ©dhilbemngen, wie fie, 
beiläufig gefagt, in allen ©eifewerten über ba« Srawabbplanb, 
auch ben älteren, wieber lehren, begreift fidb übrigen« auch ber 
in Snbien febt allgemein oerbreitete SBunfcp, ©irma lurjweg 
einguberteiben, ben ber DimeScorrefponbent in ©alcutta [dpon 
öfter« fo lebhaft ju tabeln batte. Saft möchte man glauben, baf 
auch biefe ©djitberung Sorbe«’ bon einem jutunftSmufilalifcben 
Don biefer ©attung burcfflungen werbe. Sebenfafl« gibt e« gar 
leine Disharmonie, wenn man binjnfefet: Da« ift ®Qe« fo fefön 
unb gut, baf man e« gleich einfteefen möchte. 

©ei biefem manchen ©Uten, ba« ber ©tön<b«lönig gemirft 
bat, böwflt leiber boch ber ganje gefährliche 3“ftanb be« b eUi 
tigen ©irma an einem eigenfinnigen ©ntfcfjluffe, »on bem er 
nicht abjubringen gewefen. 3« ©irma gibt e« leine ©rbfolge» 
orbnung; bie Dbeorie ift aderbingS, baf ber föönig einen feiner 
©öfne ober fonftigen näheren ©erwanbten ju Dbronfolgern er« 
nemtt, aber in ber ©raji« ift e« ba« Schwert unb jWar meift 
baSjenige be« genier«, ba« bie Sache entfdjeibet. ©lan be* 
bauptet, ber »erftorbene Äönig (officieU ift ber 1. Dctober al« 
fein DobeStag genannt, aber er lann auch ebenfo gut ein paar 
9Bodben ober ©tonate borher geftorben fein, feine Seichenfeier 
fanb am 7. Dctober ftatt) b n &e au« Scheu, frübjeitig ©brgeij 
im $erjen einer feiner ©öbne ju erweden unb SamilienjWifte 
anjufacben, fidb geweigert, ber alten ©itte ju folgen unb einen 
feiner jablreichen ©öbne jum Dbronfolger ju ernennen. 6« 
mögen auch innere ©rünbe ihm bie SBabl fdbwer gemacht hoben, 
©eine Siebling«lönigin, bie ©abmabbaupbra, gleichzeitig feine 
^albfdbwefter, ftarb ohne ©achtommenfchaft. ©ein ©ruber mtb 
ein ©obn fielen in ber ©ebedion bon 1866. Die jWeite Königin 
batte nur Döcfter. Unter ber ganjen ©cfaar ber ©öbne bon 
ben anberen SBeibern festen leinet begünftigt, aber man glaubte, 
er werbe einen bereit« 34 Sobre alten ©obn ©pungpan er* 
nennen, ber ber popnlärfte bon allen War unb gute Hoffnungen 
erwedte. Die Königin unb bie ©linifter hotten aber ihre Slugen 
auf einen anberen erft 19 3®bre alten ©obn geworfen, jene, 
fagt man, weil eine ihrer Dächtet ficb fterblicb in ihn »erliebt 
batte, biefe, weil fie glaubten, in feinet ©erfon, bie noch »id* 
fäbrig genug fdfiien, ben abfoluten Despotismus brechen ober 
minbeften« burch ein ©emifdj bon Übel«* unb ©riefterberrfebaft 
mäfigen ju lönnen. Der ©rmäplte biefer beiben ©arteien war 
ber ©rinj Dpibo, ber al« ruhig, berfdjloffen, fafbionable unb 
fromm gef^ilbert würbe, man wufte, baf er bei ‘ben ©rieftern 
beliebt, bor Uttem aber, baf feine ©lütter ebenfad« oon lönig* 
licpem ©lute war. UebrigenS war Dbibo in einer bon dbrift* 
liehen ©Hfftonären geleiteten ©<hule unterridbtet worben unb foU 
einen Knflug europaifeper ©itte hoben. Dafür fpridpt aderbing« 
u. 11. feine häufige ©etrunlenpeit, bie er felbet bem englifdjen 
©efibenten gegenüber für bie ©ehanbtbaten feine« ©egierung«; 
anfange« oerantworttich machte. Die Königin unb bie ©linifter 
ergriffen, um ihren ©lan jut Ausführung ju bringen, ba« ein* 
fa^e ©littet, ade in ©lanbaleb bamal« borhanbenen ©rinjen 
iöniglicpen ©eblüte« in ben ©ataft ju berufen unb fie bort ge* 
fangen ju nehmen, ©ur jWei, jener ©pungpan unb ein jüngerer 
©ruber oon ipm, patten früp genug SBitterung bon bem ©lan 
unb flopen in ba« HouS p e g brittif^en ©efibenten, ber gefepidt 
genug war, fie noch 3«ten nach Solcutta in ©ieperpeit ju 
bringen. Da »on früper noch JWei anbere bitmanifepe ©ringen, 
gleicpfad« tpronfäpig, nnter englifcpem ©cpupe fiep befinben, fo 
finb e« alfo jept hier, bie auf brittifdpnnbifcpem ©oben ben 
©ang ber Dinge in ©lanbalep abwarten. ©ine bebenllicpe Saft, 
bie aber freilich bei biefen epronifepen Dpronftreitiglciten bon 
jeber ©lacpt getragen werben muf, welche orientalifche ©otitif 
madpt. ©cflücptete Dpronfolger pat ja faft jeber bon biefen 
afiatifepen Staaten einen ober meprtre. ©inige Dage na^ biefem 
©taatsftreiep, am 19. September, erfepien ein ©rlaf be« König«, 
ber ben Dpibo jum Dpronfolger ernannte, aber man behauptete 
natürlich, baf er nidpt bei gefunben ©innen oon bem bereit« 
tobtlranten Herrfcper oerfaft, fonbern »on bet ©amarida er* 
feptiepen fei. Sn einem lidpten Augenblid fod ber König biefen 


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lie «fgenmort. 


Nr. 29. 


6rla| ööütg oerleugnet unb jugteidj befohlen Ijaben, ba| bie 
gonje gefangen gefegte föntglidje 33ermanbtfdjaft ifyret Ueffeln 
entlebigt unb ba| feine ©öljne mit Sletfegelb auSgeftattet jeber 
nadj feiner Ißrooinj gefanbi »erben füllten. Sine Sßiertelftunbe 
barauf mareit fie in Steifheit, aber nur fo lange, als bie mit 
ber Königin intriguirenben EJUnifter unb ftofleute ttötjjig Ratten, 
um fid) »on biefer Ueberraft^ung ju erholen. @teidj barauf 
mürben fie tteuerbtngS in ©ifen gelegt unb, 20 an ber 3°^» 
einem bunfeln ßodje anoertraut, oon bem bas ®erüdjt ging, 
ba| Seiner einige 3eit in iljm oermeile, ofjne ftd) in ber Iid)t= 
tofen SKoberluft ben Xob ju fyoleit. (Sleidfjeitig mürben auch 
bie SRütter unb SBeiber biefer Uttglüdlidjen feftgenommen unb 
mit ganj unorientalifc^er, gemijj nur burdf ben Xrang ber Ijödjft 
au|ergemö^nli(^en Umftänbe ju erflarenber <Sefdjminbig!eit, ber 
@rlajj bes Königs in allen fptooinjen tunbgegeben unb überall 
angefangen, im Flamen beS neuen Srottprinjen unb Regenten 
ju regieren. Den Xob beS Königs, behauptet man, fyat bie 
Sntrigue fo lange oerfdjmiegen, bis Xljtfio auf feinem erfdjtidjenen 
Xljrone feft gemadjt mar, man lieg ifyn barauf oerfünben als 
am 1. Dctober gefdjeljen unb rief X^ibo am fotgenben Xage 
jum Könige aus. ERan !ann fid| mol)t benfen, baff unter biefen 
®ert)ältniffen baS „Le roi est mort“ unb baS „Vive le roi“ 
im EKrmanifdjen mit etmaS bebeutungSooHerer Betonung bem 
Solle jugerufen merben, als in unferem meljrentbeilS bod) nod> 
ein SiSt^en gefeilteren unb gefeiteren 91lt»@utopa. 

(SdiluS folAt.) 


Her Stabreim in (£nglattb. 

3« meiner Slbhanblung über „©haffpere* (Sc^icffaldfd^toeftern 
bie greiljerr $an* Baul oon Wolpgen in ber „©egenwart" oom 7 . 3«ni 
pm ©egenftanbe eine» Briefe* genommen hat, ernannte ich fur$ an; 
beutenb be* englifchen (Stabreim*. f>eute fnüpfe ich eine genauere, wenn 
aud) feineSweg* erfchöpfenbe Befprechung baran an. SluS ihr toitb fich 
ergeben, baß ba* ©runbgefep ber gemtanifchen BichtungSart, obwohl 
einfl au$ hier im Wefcntlichen gültig, fchon feit älteren 3 eiten nid)t 
mehr genau auf ben englifchen ©tabreim pafjt, unb bafj bie Regeln 
ber „germanifchen ©fanbirung" unb Betonung burdjau* nicht einfach 
auf bie engltfche ©prache angetoanbt »erben lömten. Barnach »irb jich, 
glaube id), bie Wolpgen’fdje Berichtigung berichtigen. 

Wan fept bie 3eit, innerhalb beren ber ©tabreim fyitt in mehr 
ober »eniger regelrechter ©eftalt blühte, gewöhnlich oom Beo=Wulf 
(»enn wir bie* §elbengebicht nicht lieber pm beutfehen ©chriftthnm 
{teilen wollen) unb oon ©aebmon an, ber im ftebenten Qahrhunbert 
fang, bi* pr Witte be* {ersehnten. ©S gibt noch einige fpätere Bid}= 
tungen, wie bie „Sitten ©djottifchen WeiSfagungen" (Ancient Scottish 
Prophecies), in benen ber ©tabreim, aber oft feljr wenig fchulgemäfs, 
burchttingt. Sillmählich oerliert fich bann ba* Bewufjtfein be* urfprüng; 
lieh ftrengeren ©efepe* mehr unb mehr. Sluf bie Hebung wirb nun 
beim ©tabreim nicht mit ber früheren ©enauigteit geachtet: ber Buch' 
ftaben=Slnflang trifft je|t hauptfächlich ba* &h r ; ober & mifchen fich 
bie beiben grünten fo, bafj bie alte Begel unfenntlidj wirb. 

3 um Xheil hangt bie*, wie mir bünft, bamit pfammen, bah bie 
einstige fcharfe, flar auf; unb abfehwingenbe Betonung*weife unferer 
Borfahren, bie bie* Sanb eroberten, im Saufe ber 3^1 bei ben ©ttg; 
läitbem eine fchwanteitbe warb. 

3 m ©übeh, wo ©haffpere bichtete, oerfiel ber ©tabreim perft 
p fchwächerem ©efüge. länger erhielt er fich in feiner Feinheit in 
Borb;©nglanb, wo ba* fpätere $erüberbringen frifcher flanbinaoifther 
©tämme, bie bi* in* breipljnte 3 altthnnbert bauernbe Borweger;§err= 
fchaft, unb 3*fonb* Bähe, einen ftarfen erhaltenben ©influfj übten, 
©chon ®h au cer f^gt in „Be* Bfarrer* ©rjählung", unter Slnwenbung 
eine* fpöttifch, aber auch unregettnäfeig pabreimenben Breiflang*: er fei 
ein {üblicher Wann, barunt biefer Ber*art nicht mächtig: — 

Bat trusteth wel, I am a suthern man, 

I can not g^ste, rim, ram, ruf, by letter. 

Stach SBilhelm ^erpberg* tteberfepung: 


j Boch ich fein au* bem ©üben, benft baran. 

| 3«h *ann in „Bum, Barn, Buff" mein Wort nicht fleiben. 

Unregelmäftigfeiten, wie 5 . B. bie Berlegnng be* ©tabreim* auf 
, ba*, wa* wir bie ©enfung nennen, fommen fdjon in ber ältern eng« 
lifchen Bichtung anherorbentlich oft oor. @0 in Bier* Blowman, 

| im „SBilltam anb the Werwolf", unb manchen anberen. 3^« 
| Beifpiete feien wenigften* au* ben beiben angeführt: 
j And 6ndef> as Ich seide 

I in pröfitable Werkes. 

I Ober: 

And fettest of alle fason 


for dny riche holde. 


Wan wirb fich barnach faum wunbern, wenn etwa jweihunbert 
| 3 ahrc fpater, p ©halfpere* 3 «ten,'blo|e Beziehung*' ober ©efchlecht*« 
| Worte pm ©leichttang gebraucht würben. 

Brof. ©teat, einer ber er^en, wenn nicht ber erfte unter ben leben; 
ben englifchen Kennern be* älteren ©chriftthum* feine* Sanbe*, ber ben 
ttehrftuhl be* Slngeljächfifchen in ©ambribge einnimmt, fagt: „e* habe 
ihn ba* beftänbige unb wieberholte Sefen oon taufenben oon ©tabreim; 
Berfen überzeugt, bah bie alt^englifchen Bieter folche unb anbere Bu*; 
fchreitungen oon ber Begel für ganj erlaubt hielten." 

Wie wenig ba* ftrenge ©efep ber germanifchen Bichtung fchon in 
früher 3eit hier beachtet würbe, ergibt fich auch au* folchen Ber*pilen, 
bie, weil nur in ber einen ober anberen ftanbfchrift oorhanben, mög= 
licherweife oon einer etwa* fpäteren ©infehiebung flammen. Bafür 
laffen fich ebenfall* htttreichenb Beifpiele au* ben alt^englifchen Bichtem 
beibringen. 

©chon biefe Borbemerfungen bürften vielleicht SBolpgen ben ©e? 
banfen nahelegen, bah auf englifehern Boben bie ftrenge Begel felbft 
innerhalb ber Blütlje; unb ©djuljeit ber erwähnten Ber*form nicht un* 
bebingt gilt. Wäre e* nötljig, fo tönnte ich tnit ßeichtigleit Beifpiele 
au* ber ©bba*Ueberfepung ©imroef*, be* groben Weifter* in ber $anb* 
habung unferer ©prache im ©tabreim, anführen, um p geigen, bah auch 
er fich ntehrmal* mit bem blofjen Stnttang oon in ber ©entung befinb; 
liehen ©ilben begnügte. 

Wa* nun aber Hebung unb ©enfung felbft betrifft, fo liegt ber 
, SraH für bie englifche ©prache in ihrer feit oielen 3 ah*h u, tberten gewor? 
benen Betonung*weife nicht fo einfach, wie man e* nach Woljogen* 
Brief glauben fönnte. ©S ift nicht ohne ©runb, bah man h^* 

1 eigene Sange für ben ^ejameter unb anbere flaffifche Ber*mahe wenig 
geeignet h&tt- ^ ftc f icn Kenner erflären bie Bejeichnungen „für 5 " 
I unb „lang" für oöQig untauglich bei ber englifchen ©ilbenmeffung, 

| unb meinen: „bie gan§e Shmftfprache fei in biefer Begehung erft noch 
j p erfinben". 3«h aerweife hier auf Dr. ©ueft* Buch über „©nglifche 
Bhpthmen"; auf Dr. Äatham, ber algebraifd)e 3^^« anpwenben 
oorfchlägt; auf B*of. ®feat, ber ftatt BrodjäuS „Bonic", ftatt 3 ambu* 
„Betum", ftatt Bactplu* „Bominant", ftatt Bnapäft „SlrabeSque" ober 
„©olitaire" fepen will. „ 3 <h ^ überzeugt," fept ©feat hm*«; /;bah, 
bi* eine neue Slu*brucfSweife biefer Slrt erfunben ift, bie über bie eng; 
lifche Sehre oom BerSbau ©d)reibenben fiet* etwa* Slnbere* Jagen werben, 
al* fte eigentlich meinen." 

Berfelbe ©chriftfteüer bemerft: „e* feien bie angelfäd)fifchen unb 
alt^englifchen ©tabreim;©ebichte, obwohl bem iSlänbifdjen gornprbalag 
nahe im Bau oerwanbt, hoch oft viel »eniger regelrecht. 3m oier= 
zehnten unb fünf$el)nten 3 a hrh u nbert aber treffe man auf Berlepungen 
felbft ber wichtigften ©runbgefepe. Ben Begeln be* i*länbifchen Ber*; 
baue* werbe burch Slu*fchreitungen pwiber gehanbelt, bie oon bem ©tanb; 
punfte be* lepteren au* faft unerträglich fcheinen." 

Wan wirb alfo ganj gewih nicht bei ©halfpere nach bem alten 
ftrengen ©efep p fuchen haben. 

| ©chon Dr. ©ueft erhob fogar bie 3*age: ob biefelben Begeln auf 
I ben angelfächfifchen, wie auf ben iSlänbifchen Ber* paffen; unb 
j er wirft BaSf oor: e* fei eine #aitbfchrift oft nach bem oon biefem auf; 
I geftettten ©efep in eine anfd)einenbe Begelmähigfeit hinein p martern 
l oerfudjt worben (tortured into orthodoxy). Dr. ©ueft fagt Weiter: ber 
j ©tabreim, al* eigentliche* Sehrgebäube, fei fchon früh n <*$ & em Bor* 
| ben oon ©nglanb oerbannt worben; aber nach einem Bnflang ber Sin; 
I fang*; ober ©nbbuchftaben f)abt man immer gefugt. Bie nicht ftarf 
[ betonten ©ilben hätten barum ebenfall* in Slnfpruch genommen werben 
müffen. 


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Nr. 29. 


Air (Sejrttnmrt, 


45 


$Tof. Heinrich ©orlep, einer ber erftett Schriftfieller über eng= 
lifche Spraye unb Literatur, ber ben Beljrftuhl am Bonboiter Unioerfitp 
Sollege einnimmt, jagt in einem feiner betreffenben ftauptwerfe über ben 
Stabreim in Snglanb: 

*ffiaS immer bie Aufmertfamleit auf ein ©ort zieht, fei eS Hebung 
ber Stimme, ftuijepuntt, ©ieberteljr non Sdjluhtönen ober beS Anfangs* 
buthfabenS, baS erzeugt 9iad)brucf. Über für gutes Schrifttum ift es 
nßthig, bah bie fo ber Aufmertfamteit empfohlenen ©orte jene feien, 

bie burch ihren Sinn am meiften beffen bebürfen. 3h re eigenen 

3tabreim=8iegeln haben bie angelfächfifchen dichter freilich nicht immer 
ftreng befolgt, obwohl fie [ich oft genug an ben ©ucpftaben halten, um 
ben (Brunbfa| für bie Tarftellung p Wahren." 

©rof. Steat oertoeift u. $1. auf §pbe Startes „Snglifdje Sprach' 
lehre" als auf ein ©ert, baS für ben Stabreim als Duelle nadjplefen 
ift. Um nun greiherm oon ©olpgen p zeigen, wie biejer burch oiel* 
feitige Sptachforfchungen betannte SdjriftfteHer bie in Snglanb allmählich 
getoorbene Stabreim*gorm barfteüt, mögen hier aus $pbe Startes ©ert 
einige oon ihm felbft in nnchftehenber ©eife bezeichnten groben mit; 
getheilt »erben. 

AuS Spenfer, alfo auS ber ^eit, um bie auch Shatfpere bich* 
tete, gibt §pbe Starte u. A. folgenbe Stellen: 

And other whtles, with amorous deltghts 
And pleasing toys, he would her entertain; 

Now Sin ging Sweetly to Surprtse her Sprights, 

Now moking Lays of Love and Lover’s pain, 

Bransles, Ballade, virelays and verses vain. 

§ier ift ber ©leichllang ber ©uchftaben ohne Biücffic^t auf fcebung 
angebeutet. 3a, eS toirb fogar auf ben Sieidjflang oon Selbftlauten 
inmitten einiger ©orte ljingewiefen unb auch bieS noch pr Allitera* 
tion gerechnet, wie fie allmählich in Snglanb geworben. 3d) mache greis 
hernt oon ©otpgen barauf aufmertfam, bah i« ber lepten 3 e üe biefer 
fambifchen ©erfe (bie fcheinbar trochäifch beginnen) bie $auptbetonung 
in „Bransles“, „Ballads“, unb thcilmeije auch i n „virelayB“, ehemals 
onberS lag, als heute. SJton fprach früher „Balläd“. fteute fagt 
man: „Ballad“. Sine ©enge englifcher ©orte haben in gleicher ©eife 
ben Ton gemechfelt.*) ©unbartlich laffen ftd) folche Schwantungeu unb 
©erfdjiebenheiten noch jefet vielfach oerfolgen, ©an tarnt Beute ber 
gebilbeten, gelehrten Stänbe — um nur ein, höd)ft auffatlenbeS, 
©eifpiel p geben — halb „indfcating“, halb „indicating“ fagen hören. 
Such biefer Umftanb wirb bap betgetragen haben, bah in Snglanb ber 
hrengere Stabreim allmählich mehr pm ©ucpftabengleichflang würbe. 

jftur beiläufig, um biefen Segenftanb nicht aüp weit auf oerwanbte 
Sebiete auSpfpittnen, fei bemertt, bah f<hon oom Anfang beS fünfzehn* 
ten gahrhunbertS an hetoorragenbere dichter in ber auffälligften ©eife 
felbft beim Snbreim nicht im minbeften mehr auf bie Hebung achteten, 
oielmehr bloS bie fchwächften Senfungen pfammenreimten, wie bieS 
bie granpfen noch heute thun. 

Atfo zum ©eifpiel: 

Right true it is and said full yore ago, 

Take heed | of him | : that by | the back | thee claw|efh, 

For none is worse than is a friendly foe. 

Though thee | seme good | : all thing | that thee | deli|£eM, 

Yet know it well | : that in | thy bos|ome crep|e<Ä; 

For man|y a man | : such fire | oft times | he kind|fe£/i 
That with | the blase: | his beard | himself | he sing|etÄ. 

©enn bieS nun mehr romanifch als germanifch ift, fo ift berienige 
nicht bafür oerantwortlich, ber es tieft unb oemimmt, fonbem ber 
dichter felbft. 


*) Ta bie Srörtcrung biefeS fünfte* allp weit führen würbe, fo fei 
hier mir noch auS Dr. BathamS „fcanbbucp ber englifchen Sprache" er* 
wähnt, bah er &ei ©efpredjung ber wefentlichen Unterziehe in ber ©e* 
tonung ber englifchen unb ber tlaffifchen Sprachen fagt: „gür einen 
Körner beftanb baS ©ort „monnment“ auS jwei furzen unb einer 
Umgen Silbe; für einen Sngtänber enthält eS brei für je Silben." 
Ter Unterfchieb zwifepen ber englifchen unb ber mit ber römifchen gleich' 
Uuitenben ©etonung anberer germanifcher Sprachen fpringt h^er fofort 
in bia.Augen. 


3 n ber möglichft wenig fchutgerechten gorm §ieht ftch ber (Bleich* 
flang burch oiele Stellen in neueren Richtern bis auf ©pron unb 
Swinburne herab. AuS ©pron führt $pbe Starte an: 

Bear object of defeated care, 

Though now of love and thee bereft, 

» To reconctle me with despair 

Thlne image and my tears are left. 

Auch hier hört baS Dh r eines englifchen flemterS als Abficht her* 
auS, WaS Anbere 3ufall nennen unb für regellos erflären würben. 3<h 
Will hier feine eigene ©einung auSfpredjen, fonbem führe DbigeS lebig* 
lieh an, um p zeigen, wie bie Sngtänber hüten. TaS ift aber wohl 
ein ©unft, ber bei ©eurtheilung eines TicpterS in ©etraept lommt — 
fei eS nun, bah biefer mit öoltem ©ewufjtfein einer SRegel, ober mehr 
nach bunlelm Trang oerfuhr. 

©rof. Steat bemertt, bah auch bie ungebunbene SRebe beS alt* 
englifchen SchriftthumS burch ben Stabreim fiart beeinfluht worben fei. 
TaS Gleiche gilt noch heute für Schrift unb tägliche Sprache ber Sng* 
länber. Tie althergebrachte ©ermählungSformel gibt Jpert $pbe Starte 
in folgenber ©eife: 

With this ring I thee wed. 

With my body I thee worship. 

With all my worldly wealth I thee endow. 

I Take Thee To be 
my Wedded Wtfe; 

To have and To hold 
from this day /roward, 
for better, for worse, 
for richer, for poorer 
in sickness, in health, 
to love and to cherish, 

Till death. do us part; ' 

And thereto I plight thee my troth. 

$pbe Starte weih eben fo gut, wie geber, ber ftch utit bem Segens 
ftanbe befaht h°t, bah — um in feinen ©orten p fprechen *— beim 
früheften Stabreim bie ©iebertehr beSfelben ©uchftabenS in ber ftart 
betonten Silbe nöthig war. Sr fieht, hört unb gibt aber ben Stab» 
reim in ber obigen ©robe in einer ©enge ©orte, beren Sleichtlang im 
^nfangSbuchftaben burdjauS nicht bem Sefep entfpriept. Sr hebt fogar 
bei „My Wedded Wife“ niept bloS ben hoppelten W-Baut, fonbem auch 
ben hoppelten I- (ober Ei ) Baut IjetOor, womit wir eigentlich fopfagen 
jum inneren 9ieim gelangen, im Segenfap pm Stab- unb Snbreim. 

SS würbe p weit führen, wollte ich auf Stellen hinweifen, in benen 
oon SchriftfteQern wie §pbe Starte felbft ber 3ufammenhang innerer 
©uchfiaben in ber ©ibelüberfepung, wie 5 . ©. in Stüden auS bem $ohen 
Biebe SalomonS, in biefer ©eife heroorgeljoben wirb: 

His left hand is under my head, 

And his right hand doth embrace me. 


Ohne auch hi er ^ine ^nficpt meinerfeitS auffteHen p wollen, will 
ich bloS barauf aufmertfam machen, bah, wie bie Sngtänber überhaupt, 
b. h* Beim guten Sprechen, bie einzelnen öuehftaben ttar h^^ortreten 
laffen, fo auch ihr „nd“ getrennter tautet, als baS unfrige, unb bah 
fte bei ihrer gleichzeitigen bumpfen tluSfprpche oon Selbftlauten — wie 
j. ©. in „hand“, „under“, „land“ — fehr Oerfchiebenartige lonbeugung 
in ein folcpeS ©ort zu legen wiffen, je nach Sebürfnih öeS 3ufammen» 
hangS. S)iefe Tonmalerei tommt bei ben Snglänbem theilS im gewöhn^ 
liehen Sefpräch oor, wo fie uns oft brollig anmuthet, ober in ber öffent= 
liehen Siebe, wo biefe Tonmalerei oft fehr auSbrucfSOoll wirft. 

TaS ©orftehenbe wirb oieüeicht greiherrn oon ©olzogen über= 
zeugen, bah ich teineSwegS wiHtürlich oerfuhr, als ich *> en Stabreim in 
ben auf bie SdjicffalSfchweftern bezüglichen Stellen im „©acbeth" nach 
ber oon mir bezeichnten ©eife h^oorhob. Ten Stabreim nach bem 
Smnbgefep ber germanifchen Tichtung bei Shatfpere fuepen zu wollen, 
halte ich aud Öen oben turz entwidelten Urfachen für falfcp. Stach bem 
Sleichtlang ber ©udjftaben, ber feit langer Qeit mehr unb mehr an bie 
Stelle beS ftreugen Stabreims in Snglanb getreten ift, fuepte ich uiept: 
ber Sleicptlang ftept oielmehr beutlich ba; unb nach mehr als fecpSunb» 
zwanzigjährigem Aufenthalt in Snglanb tann ich nicht umhin, ihn beim 
Sefen zu fehen unb geiftig zu h^ c n. 


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46 


Ste (legen «Mir t. 


Nr. 29. 


©ie Siegel iß bei ©ßatfpere nidjt bie iSlänbij4f; aber eine ge* 
toiffe Siegel unb Äbfic^tltcbteit iß unberfennbar. ©ie „germanif4e 
©fanbirung", non ber ©oljogen fpri4t, fann meines ©ra4tenS bur4 s 
auS nidjt fo unbebingt als maßgebenb begeidjnet merben, toenn eS ft4 um 
einen fo fpäten engliföen ©i4ter ßanbelt. ©ie ©pra4e biefeS fianbeS 
ßat bur4 baS §ereinbringen eines romanifirien ©tammeS eine bebeu*. 
tenbe ©anblung erlitten. Unb fann man aud) ßeute noch, toenn man 
mitl, ganje ©lätter mit englifdjen ©orten rein germanifc^en ©tammeS 
füllen, fo mirb bo4 3*&«, ber ©nglänber unb ©eutf4e auf eine ©nt* 
fernung, in ber bie einzelnen ©orte unt>erßänbli4 bleiben, reben ßbrt, 
fofort am Tonfall bie bemerfenSmertße ©erf4iebenßeit ertennen. 

3n ben ^ej:en=2Cuftritten im „SJtacbetß" me^felt baS ©erSrnaß 
oom 3ambuS jum ©i;o4äuS — b. ß. menn biefe Öe$ei4nungen, mit 
©rof. ©feats ©erlaub, auf bie englifdje ©pra4* überhaupt anmenbbar 
mären. ©Kr f4eiuen bie ©ingangSmorte („When shall we three meet 
again“), trop ißrer äußeren jambifc^en ©eßalt, meber ftreng jambif4, no4 
trocpäifcp, oiel eßer mefentlicb fponbeXfcß gefproepen merben gufoüen. Unb 
id? geße meiter unb fage: baß baS ,,©ann" hnb baS ,,©it" in 
biefem gatte ß54ß finnoolle, ja mefentlicp ju betonenbe ©orte finb. 
@S ßanbelt ß4 ja um bie Qufunft, in beren ©4ooß fo Zieles liegt; 
unb baS $eroorßeben beS ,,©ir" ift für bie ©ejei4nung ber ©epiefs 
falsfcpmeftern als ber entjdjeibenben Kräfte no4 mistiger, als baS 
oerßäftnißmäßig meniger fagenbe ©ort: ,,©rei". ©erben bo4 gleicp 
ein paar 3eilen meiter awß ©rap*2ttalfin unb ©abboef als mit= 
mirfenbe ©elfter ber Obermelt ermähnt. 

Um inbeffen über biefen ©unft mit einem anberS Urtßeilenben ins 
ftlare $u tommen, müßte man nid)t {(^reiben, fonbern fpre^en unb 
ßören. 34 toeiß nüßt, mie oertraut greißerr oön ©otogen mit ber 
lebenbeit englij^en öetonung iß; aber baS mirb er fc$on nach ©featS 
©emerfung jugeben, baß bie ©erßältniße auf englifeßem ©oben feit 
oielen 3aßrßunberten nhßt fo liegen, mie in anberen Säubern germa* 
mifeper gunge. ©o mie er ß4 bie ©orte oieüei^t gefprodfjen benft, 
mürben biefelben ben ©inbrudf ma^en, als fpräcpe ße ni$t ein ©ng* 
länber, fonbem ein grember. 

34 gebe Dottfommen $u, baß man einen mirtlicpen ©tabreim im 
alten ©inn in bem th ßnben fann bei jener ©ingangSftette: 

When shall we three meet again 
In thnnder, lightning, or tn rain. 

34 bin aber ber Meinung, baß im ©emußtfein beS ©i4terS n©4 
üiel eßer ber ©u4ßaben*©lei4tlang beS hoppelten „W“ unb „I“ per* 
oortrat — ebenfo oieüeidjt au4 ber in biefem gatt ftarf tonmalenbe 
N-Saut. Sftit ©oljogen neßrne idj an, baß baS „W“ bem #in* unb 
fcermeben, bem 9iebelßaft=©attenben ber ©pufgeßalten entfpriept. fcber 
idj fepe ßinju, baß bie ©cpärfe beS hoppelten I=£auteS, obmoßl berfelbe 
einem einfachen ©egießungSmorte angeßört, gemijfermaßen bie getrennt 
umßergießenben ©4icffalSf4toeßern mit einem ffluef mieber ju ent- 
fepeibenber ©erat^ung pfammenfü^rt. 

34 8 e & e ebenfo p, baß man, mie ©olpgen eS tßut, bei „Wh<*re 
the place ? Upön the häath“ ben $s£aut als ©tabreim mag ^erüor= 
treten laßen. Mein i4 ma4e ipn barauf aufmerffam, baß mir, ba baS 
„p“ in „npon 4< pr ©tammfilbe „up u gehört, babur4 auf einen gemiß 
ni4t regelre4ten ©tabreim fommen. $iel ri4tiger märe ja, ba ber 
$on peut^utage auf 6n gelegt mirb, baß baS „0“ als ber maßgebenbe 
Saut bepanbelt mürbe. 

3Kan pat alfo im ©runbe bie ©apl; unb i4 pg baper oor, in 
ben gegebenen groben benjenigen ©(ei4Uang peroortreten p laßen, 
ber fi4 bem englif4en Dpr jept mopl no4 am meißen empßeplt. 3m 
Uebrigen bin i4 3teiperrn oon ©otogen für fein freunbli4eS ©41uß= 
mort oerbunben, unb bebauere nur, baß mir feine „$oetif4e Saut= 
©pmbolif^, auf bie er oermeiß, pier ui4t sugängli4 toar. 

Karl Blinb. 


©ffette Briefe uttb Jlitiittotrteit. 


©eeprte Siebactton! 


3n bem «üffap über bie italienifdfjen ^eineüberfeper in9tr.23 betont 
ber Seffaßer, §err ©reitinger, befonberS bie ©4»oierigfeiten, mit benen bie 
romanif4e ©pra4e unb ©enfmeife beim Uebertragen beutf4er 2)t4tungen 
jn fämpfen pat. Opne biefe ©4toierigfeiten, bie ß4 päußg genug pr 
Unüberfepbarfeit ßeigern, p oerfennen, m54te t4 bo4 behaupten, baß 
mit ein menig mepr gleiß unb ©ertiefen in ben ©imt beS ©ebi4teS 
ft4 fo man4e Serfe getreuer miebergeben ließen, als eS bei ben frau* 
$öfif4en Ueberfepem übli4 iß- 3)aS oon $erm ©. fpeeieü angefüprte, 
attbefannte fleine grüplingSlieb beifpielSmeife, befien meißerpafte Ueber* 
tragung ins 3talienif4c bnr4 S^brint in ber ermäpnten Arbeit mit 
abgebrudt iß, märe benn bo4 etmaS getreuer im gran$5ßfcpen mieber« 
augeben. 

©fit meinem einfa4en ©orratp oon ©ocabeln, mie ße jebem $ri= 
maner aur Verfügung ßepen — benn i4 patte nur ein franaöfif4 s beutf4«S 
Sejicon jur $anb — ma4te i4 mi4 an bie Krbeit unb tpeile Spnen 
mit 3prer ©rlaubniß baS Siefultat berfelben gern mit. ttuf befonberS 
feines granaößf4 ma4t bie Ueberfepung felbßoerßänbli4 feinen Knfpru4- 
9tu4 bie Siegeln ber ©rofobie merben gemiß ni4t ftrict befolgt fein, 
ba i4 nur bie oberßä 41 t 4 ß« ßenntniß baoon befipe. ©in granaofe, 
ber natürli4 über einen oiel rei4eren ©örterf4ap gebietet unb ber a^ 
glei4 ber beutf4rn ©pra4c ooüfommen mä4tig märe, fönnte gemiß oiel 
SeßereS liefern. 

©rße ©erfion. 

1. Par mon fime doucement (caressant) 

Sonnent des cloches lointaines. 

Chansonette de printems, 

Que la brise (le vent) t’emmöne. 

2. Qu’eile (qu’il) t’emm^ne auprös du toit, 

Oü la vigne fleurit. 

Si une rose tu aper 9 ois 

(Rends) Porte lui mon (mes) salut(8). 

Ober, ßatt beS a»eiten ©erfeS, inbem i4 ben erßen mit einem Äomma 
f 41 ieße: 

2. Oü, autour d’une hutte de bois 
Croissent (poussent) les germandr&s. 

Si une rose tu aper^is, 

Porte lui un (mille) baiser(8). 

gmeite ©erfion. 

1. Par (dans) mon ftme passe (sonne) doucement 
Tintement gracieux. 

Va, envole toi dans (par) les ebamps, 

Chant printanier. 

ober: 

1. Par (dans) mon &me doucement 
Passe (sonne) un air gracieux. 

Va t’envoler dans (par) les champs, 

Chansonette de mal 

2. Va r&onner pr^s du toit 
Oü la vigne fleurit, 

A la rose, si tu la voies 
Porte mon (mes) salut(s). 


©iS baßin, mie ©ie fepen, mar üß gepmngen, für bie buftenben 
grüplingSboten, bie $eine um baS $auS fprießen läßt, anbere ©at* 
tungen fubßituiren. ©inmal mäßlte i4 bie ©lütpe beS ©einßods, 
ba üp bo4 ni4t gut ©eikßen bis unterS 3)a4 ma4fen laßen tonnte, 
©ann mieber griß i4 5 u bem blauen ©ergißmeinnüßt, meil eS mir fo 
in ben Sfeim paßte, ©ie ©ei!4en mit in ben ©erS $u smängen, moüte 
mir lange ni4t gelingen. ©41ießli4 ging eS bo4. Stur mußte i4 
mein „fleineS grüplingSlieb^ mit ,,©i t“ babei anreben. ©o entßanb 
bie brüte, unb na4 meiner SlnfUpt au4 treueße ©erfion. 

©ritte ©erfion. 

1. Par mon äme passe doucement 
Tintement gracieux. 

Retentissez dans les champs, 

Petite chanson de mai. 


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Nr. 29. 


fl) i * ®*g*namrt. 


47 


2. Si, oü pr&s d’une hutte (ferme) cachäe 
Poaegent les violettes, 

Vons une rose apercevrez, 

Mes saluts lui faites. 

Eannoner, ben 27. 3uni 1879. £ H. Cofanus, 

* 

* * 

©eeprte Siebaction! 

SSenn eine 3bee in bem geitbewußtfein gereift ift, bann gibt eS 
lattm etwa», was iprer Verbreitung nüplicper ift, als bie wütpenben 
Angriffe unb blinben Verteuerungen non ©eiten berer, bie oermöge iprer 
©eifteSfrdfte ober iprer ©eifteSricptung niept im ©tanbe finb, biefelbe 
in oerftepen, beren Urtpeil bentnaep in ber ©eele beS unbefangenen SeferS 
unmittelbar eine ©egentritil perüorruft unb fo bem lepteren §um bemühten, 
felbftammgenen Eigentpum rnaept, waS er anfangs nur als eine „neue, 
gcijhreicpe EWotp*fe" fc^a^te unb mit 3ntereffe beamtete. 

V«t biefern ©eficptSpuntte aus wäre icp 3$nen perjlicp bantbar, 
®enn ©ie folgenbe in ber englifcpen ppilofoppifcpen geitfeprift Mind 
(XV, July 1879) fo eben erfepienene Äritil meiner auep ins Englifcpe 
überfepten (non Longmans, Green & O perauSgegebene) Vrofcpüre: 

SRüller unb bie ©ptacpppilofoppie"*) in 3ptent 
Vlatte reprobuciren toollten. 

SWit Ooraüglicpfier ^od^ac!§tung 

3pr fepr ergebener 

fnbmig Zloir*. 

$ie erwäpnte Äritil lautet in getreuer Uebertragung: 

Max Müller and the Philosophy of Language. By Ludwig 
Noirü. London: Longmans 1879. 

3n feinem „Urfprung ber ©praepe" glaubt $err Koire „ben großen 
Verbunden 9ftaj SRüEerS" niept geregt geworben |u fein unb er fepreibt 
bte gegenwärtige Vrofcpüre als eine ^alinobie. Er beginnt mit einem 
Kapitel über „Darwin unb 3Raj SRüEer", in welkem er mit gefperrter 
©t^rift fagt, baß SWaj SJiüEer non aEen, welche bisher bie ülrena betreten, 
ber eitrige geworfene, wenn nid^t überlegene Gegner Darwins ift. 

®r citirt fobann einige bogmatifepe Vepauptungen beS Offorber 
^ßrofefforS unb fäprt folgenbermaßen fort: 

„SRit biefen gewichtigen Argumenten fteHte fiep ber unerjeprodene 
SWann nor bie burep bie heftigen Angriffe ejtremer Darwiniften fcheinbar 
ixt ihren ©rmtbfefien erfchütterle ©renamauer unb fagte entfcploffen: 

»§iet ift Vernunft, hier ©prache, hier ber SJtenfcp. deiner JoE hier 
hetüberlomtnen, feiner in baS ®eiligthum einbringen, wenn er mir 
nicht öorher fagen fann, wie Vernunft, wie ©prache entftanben ift.« 

Unb bie mit lautem §urrah noranbringenben ©chaaren oerftummten, 
benn fte patten leine Antwort." 

Die hier fo heroifch eparatterifirte, nicht beantwortete grage ift baS 
alte Kätpfel: „Äeine ©prache ohne Vernunft, leine Vernunft ohne ©prache", 
welchen ©ap.fterr KoirS als ERotto auf fein Titelblatt brudt. SBeber 
er, noch $wfeffot ERüEer lönnen jemals einen ^unb gehalten paben, 
benn, wie ERr. SeSlie ©tephen richtig bemertt: „Kiemanb, ber bieS that, 
tann baran jweifeln, baß in ber ©eele beS XpierS fiep bie wefentliehen 
Vroceffe beS VernunftbenlenS ooflaiepen." An einer anbereit ©teile citirt 
ber Verf. bie Definition SangeS: „Ding nennen wir eine ©rappe oon 
Etfcpeinungen, welche wir unter Abftraction oon entfernteren Ve|iepungen 
unb inneren Veränberungen einheitlich |ufammenfaffen unb begreifen," 
unb fügt pinau: „AuS biefer Definition folgt iweifelloS, baß eS für bie 
Xpiete leine Dinge gibt; benn felbft ber estremfte Darwinift wirb taum 
behaupten wollen, baß ein Tpier einer folcpen Seiftung fähig fei" 
Bauliche unbegrunbete Vepauptungen finben fiep auf jeber ©eite; wie 
wenig $ert SRoirä befäpigt ift, über ben ©egenffcaub, ben er erwählt 
pat, |u fepreiben, gept auS folgenbem ©ape peroor: „Die geiftige Ent* 
widelung ... wirb in ber neueren ©cpule ber Eoolutioniften faft gan§ 
ignorirt ober nur nebenher erwähnt." Offenbar pat er nie etwas gehört 
non ERx. ©pencerS „Principles of psychology u . 

Der ©djwexpunft beS VucpeS fdpeint in ber popen Anerfennung beS 
VerbienfteS ERaj ERüEerS um bie Vefeitigung ber Vau*SEBau unb Vup* 
$up Dpeorien |u liegen, ^err Stoird bemerlt niept, ba& feine eigene 

*) guerft erjepienen in ber SWonatSjcprift „Storb unb ©üb", 7. Vb. 


Sepre nicptS SlnbereS ift, als bie leptere (©up=©up=) Dpeorie, eingepüttt 
in eine fepr metapppfifepe unb mpftifepe Terminologie, ©r pat einen 
guten Dienft geleiftet, inbem er biefe Theorie üertpeibigte unb illuftrirte; 
i aber er pat gewifj lein neues unb unabhängiges Sßrincip an ipre ©tette 
gefept. 3n ppilofoppifcper ^infiept bietet er nicptS als einige mpfteriöfe 
Einbeulungen auf eine große 3öee, welcpe er fiep hütet, auSjufprecpen. 
3n wiffenfcpaftlicper $'«^1 offenbart er feine SIcptung üor ben Tpat= 
faepen in folgenbem ©ape: „SCBenn wir in neueften naturpiftorifepen 
Serien oon aeferbautreibenben 5lmeijen lefen, welcpe ipre ©aaten auS= 
[treuen unb gebulbig abwarten, bis fie gereift finb, fo ift bie gelinbefte 
Ve|eicpnung für jolcpe ^pantaftereien: wiffenfcpaftlicpe Xoflpeit." 2lber 
bie meiften Seute werben ©ir 3opn Subbod für ebenfo oernünftig palten, 
als E*mt 9toir^. 

* 

* * 
tBertpoUk ^urrbaep. 

Vereprter unb lieber gteunb! 

3n ben lepten Tagen fanb icp Dein neuefteS Vucp unter bem Titel: 
„Unterwegs" angelünbigt, baS mir gewiß gleich Ottern, waS Du ge= 
fepaffen paft, bie per|paftefte greube bereiten wirb. 2ln Deinem neuen 
Vucpe gefällt mir fepon ber Titel, als ob icp biefen felber erfunben patte; 
unb baS fepeint mir auep ein Hein wenig ber gatt ju fein, foferne man 
überhaupt auf eine folcpe Priorität Slufprucp erpeben barf, naepbem man 
burep |epn gapre unter biefern Titel $lüeS, was man auf feinen 2Ban= 
berwegen aufgelefen, in einem Vlatte wie bie „SReue greie $reffe", bie 
fiep boep einiger Verbreitung erfreut, oeröffentlicpt pat. gtp uiacpe Dir 
barauS leinen Vorwurf, baß Du mir, meinen Titel für Dein neues Vucp 
|u aboptiren, bie @pre erwiefen paft; um ©ineS aber muß icp Dicp 
bitten, baß Du mir geftatten mögeft, naep wie oor meine SBanber=(5in= 
brüde unter jenem Titel, ben Du an $inbeSftatt angenommen paft, oer= 
öffentlichen |U bürfen. SBaS Du, pat fepon früher ein anberer greunb 
getpan; erft in Deinem SBieberpolungSfatle wottte icp bie ©aepe leicptpin 
unb opne lebe 5Rüge befpreepen. 3<P bringe ©uep Veiben eine tei|enbe 
©efepiepte in Erinnerung, bie frei naep gelter auf eine ©traßenfeene in 
3EBien ipre jpätere Änwenbung fanb. Ein luftiger 3 un 9* ging feines 
SBegeS unb pfiff fiep ein ©tüdlein aus ber neueften Oper; ein älterer 
Eerr, ber hinter ipm ging, burep bie Unart biefeS VfeifenS angeftedt, 
feßte baS ©tüdlein fort unb btaepte eS glüdlicp |u Enbe. Der 3unge, 
etwas geärgert, pfiff nun eine neue SRelobie aus ber nämlicpen Oper, 
bie ipm, taum angefangen, wieber burep ben alten Eerrn oom 3Runbe 
weggefepnappt würbe. Das war ipm |u üiel unb er fagte, fiep um? 
wenbenb, |iemlicp erregt: „SEBemt ©ie fiep ein anbereS 2Ral Etwas 
pfeifen wotten, fo fangen ©ie’S fiep gefättigß felbft an!" Vereprter 
greunb, wenn icp Dir mit biefer 9ieminifceu| ein Säcpeln abringe, foü 
es mir lieb fein, unb ber beregte SRecptStitel barf leine ©törung in 
unjeren Ve|iepungen peroorrufen. Ufo nicptS für ungut! 9ftit ben 
per|licpften ©rüßen Dein ©etreuer 

SEBien, 2. 3uli 1879. 3opannes tlorbmann. 

. * * 

Eocpgeeprter 

SBürben ©ie bie große ©üte paben, burep 3p™ gefepäpte „©egen« 
wart" ben lünftlerifcpen unb fonftigen greunben ber © ab in a betannt 
Iu geben, baß wir bie ftbficpt paben, |ur anftänbigen SuSftattung ber 
betannten Eafa Valbi in Oleoano etwas bringenb ©eboteneS |u tpun? 
©epon put Äanolb auS Vforapeim uns einen Veitrag ba|u gefanbt. 
3Bir finb überjeugt, baß eS für Viele nur biefer 9toti| bebarf, um fie 
|u ßlepnlicpem &u oeranlaffen unb überpeben uns jeber näperen Darlegung. 
ES oerßept fiep, baß baS an§ufcpaffettbe 3noentar oor Enteignung unb 
Verfcpleuberung geficpert werben wirb. Veitrüge erbitten 

Ufbrecpt tPebefinb, V. della Gatta 8, 
(Jran 3 Sanbooß, Pal. Cafiarelli. 

9tom, ben 27. 3uni 1879. 


Ein unerwartet eingetretenes Etobemiß nötpigt unS, ben für biefe 
Kummer beftimmt gewefenen Vericpt über baS oon ungewöpnlicpem Er* 
folge begleitete ©aftfpiel ber SBiener Eofburgfcpaufpieler unb bie oon 
ipnen oorgefüprten Koüitäten, erft in näcpfter Kummer erfepeinen ju 
Iaffen. D. Keb. 


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48 


Sie Gegenwart 


Nr. 29. 


9 <tfer«te. 


JLs fcit fern« Jritmgsmlfgtr! 

3$ §eige an, Öa& id) ben non ber Academie 
fran^aise in »ariS mit brm gfirmpreis non 
25,000 grauten gedräute« fliomau Rector 
Mfolot’S 

„Sans famille“ 

mit audfd)lie&üd)er Sutorifation für bie beutjdje 
Ausgabe ertoorben l)abe. 

©efällige Offerten auf ben erften Äbbrud ber 
foeben noUenbeten forgfültigen Ueberfepung er= 
bitte ic$ umgefjenb. 

Hamburg, im Suli 1879. 

Dr. JJottacsek’a 

8 itctarif 4 < « 0 tut#r. 


Soeben erfdjien: 

$er alte £e(jufluf)l. 

«tNriifdpftltyt JrtttL — griut fi|ngrii. 

ffitjäljümgen 

oon 

p. Äaifiränbet. 

brodj. Jth.—, eieg. geb. JL 6 .— 

c Sterte **$Lox>eftexx 

oon 

%. SB. $ödlänber. 

3Kit $adlänber« »ortrait unb feinem erßen 
literarifdjen »erfuep. 
brodj. JL b.— t eleg. geb. JLb.— 
»erlag oon Carl Uralte in Stuttgart. 


Verlag von L. Rosner in Wleu. 

Zehn Jahre 


Oesterreichischer Politik 

1859-1869. 

Tagebuch zur Zeitgeschichte 

von 

0. Bernhard Friedmann. 

Erster Band. 27 Bogen gr. 8. Preis JL 7.20. 

Dieses Tagebuch, von den Ereignissen selbst 
dem Verfasser in die Feder dictrt, gibt eine 
lebendige Darstellung der wichtigsten Periode 
im Staatsleben Oesterreich-Ungarns, und zwar 
in Charakteristiken, Randglossen und Studien, 
welche in chronologischer Reihenfolge ge¬ 
ordnet, ein anschauliches Gesammtbild dieser 
zeitgeschichtlichen Periode geben. Die Sicher¬ 
heit des Urtheiles, womit der bekannte aus- 

f eseichnete Publicist in freimüthiger Weise 
ersonen, Zustände und Begebenheiten unserer 
Zeit kennzeichnet, hat in der historischen 
Entwicklung und in den factischen Verhält¬ 
nissen sich vollständig bewährt. 


»erl. oon I. gterfagj gudft. in Steile». 


■gleue (6e6tdj>fe 

bon 

4)ifr0ttijtnus farm. 

©leg. brad). JL 2. 

©leg. geb. JL 3. 


B/EDEKER’S REISEHANDBÜCHER. 

Belgien und Holland. 14. Aufl. 1878. 5 JL — Mittel- und Norddeutschland. 

18. Aufl. 1878. 6 JC — Berlin, Potsdam und Umgebungen. 1878. l JL 60 3 — 

Sfiddeutschland und Oesterreich. 18. Aufl. 1879. 7 JL — Oesterreich. Ungarn und 
Siebenbürgen. 17. Aufl. 1878. 5 JL — Sttdbaiern und die österr. Alpenländer: Tirol, 
Salzburg etc. 18 Aufl. 1878. 6 JL — Oberitalien. 9„ Aufl. 1879. 6 JL — Mittel - Italien. 
5. Aufl. 1877. 6 JL — Unter-Italien. 5. Aufl. 1876. 6 JL — London. 6. Aufl. 1878. 6 JL — 
Paris und Umgebungen« 9. Aufl. 1878. 6 JL — Rheinlande. 19. Aufl. 1876. 5 JL (Neue 
Auflage Anfang August.) — Schweiz. 18. Aufl. 1879. l JL — Unter-Aegypten. 1S77. 
16 JL — - Palästina und Syrien. 1876. 16 JL — Schweden und Norwegen. 1879. 8 JL 

Durch, alle Buchhandlungen zu beziehen. 


»erlag oon Senil ©erfftel in Merlin SW., 
32. 2Bil$elmftrafje. 

' m 

.taifer iöilfyelm 

jung trat. 

$reu{jijcf)e §of= unb $erjen3gefdji(f|ten 
oon jUmofb 28e!Tmet. 

(Srfier »anb. »reis gef). 5 JL, eleg. geb. 6 JL 
©erabe biefe gugenbjeit mar in allen ®io= 
grapsten ftaijer ttu|elm§ big jept fef>r bürftig 
beljanbelt. Unb ba Hellmer folcfye „§of= unb 
$er*cnagefdjicf)ten" belanntlidj üortreffltdj, in= 
tereflant unb anmutig, Reiter unb rüljrenb $u 
erjäblen rneifi, fo toirb bie$ ®ud) in ben toeiteften 
Greifen Sefer ftnben, wie e$ ja fdjon in ben 
erften Xagen feines ©rfc$euien3 einen englijdjen 
unb franjöfifdjien Ueberfeper gefunben ljat. ßtoei 
Sugenbbtlber, be« ftaiferS unb ber Äaiferin, 
oon Snblnig Bürger gieren ba£ fdfjön aus« 
g eftattete Herl. _ 


Verlag von W. Werther in Rostock: 

Richard Hamei, 



Motto: Ich besaaa ea doch einmal, 
Wm io kOatlioh ist. 

Preis brochirt 3 JL , eleg. geb. 4 JL 


Eine junge Ehe veranlasst den Antor die 
mannigfaltigsten Stimmungen und Gedanken, 
die höchsten Fragen des Lebens berührend, in 
prosaischer und poetischer Form auszusprechen 
— „ein Werk voll Geist und hoher Poesie“. 
Alexander Jung nennt den Autor „einen 
Dichter und Denker ersten Ranges“. Geihel 
nannte sein Talent ein originales, Bodenstedt 
ein entschiedenes. Das elegant ausgestattete 
Buch sei namentlich als Hochzeits- und 
Brautgabe empfohlen. 


3u belieben butd) ade ©ud)banbiungeit: 

5)te 

Intern frit In IrfarMBtuit 

mit befortberer ©erüctflibtigung 
6er @ufturgeTc^tc^fe 
oon Dr. ^Frtebrtdf oon Uetrif, 

©robberjogL ©abifftem Okbeimen Krt&ibratb. 

®tit Dielen ©orträt« unb jabireitben ©oObilbern. 

4. geb. JC 10.20, eleg. geb. JC 12.— 

6e. SXaieft&t bet beuljdje «aifer bot bie Ueberfenbung 
eine« ttjemplar« mit folgenbem ©(treiben beantwortet; 

3$ f)abe burd& Steinen ©efjeimen ÄabinetS- 
ratlj baS bcmfelbcn unter bem 21. o. 3JL für 
SJttdf) überfanbte ©jeemplax tyxtö SSBerteg „Mie 
3)eutj(^en feit bet flteformation mit befonberer 
B eidn d; tiaung ber ihilturgefcfpdjte" empf angen 
unb unterlane ntept, 3 ^ 0 , mitbemÄuSbrucf 
kleines »eifalll über 3fj*e glütfltc^e, 
oolfSt^ümfid^e ßöfung einer aner' 
fennenSmert^en Aufgabe, für bie $>ar= 
reid^ung bei »ud^el freunblic^ft $u banlen. 

«etlin, io. §ebr. 1879. ( ge g.) ©tl^elm. 

An ben (Bro&b<tsogL ©abtfAen (Beb- OcdiiDtatb 
Dr. ft. oon SBeecb in ttarUtube. 

Da« ©ueb bejfen $tei« bei eleganter UufUattung ein 
Sufeeril billiger ift (^10.20 für 554 Drudfeiten in 4° mit 
febr sablrricben 3Duftrationen) ift al« eine bcvtwrvagenbe 
unb miibtige drf^einung ber bopulüren beutfdjen Biteratur 
aüfeitig mit grobem ©eifaQ aufgenommen motben. 

»erlag oon ti. »eubner in Betpbtg. 

In allen Buchhandlungen za haben: 

Neues Werk von Alphonse Daudet. 

Verfasser von 

„Fromont jeune et Risler aine, le Nakah“, etc. 

PnmifaMe GtscUchtu 

von Alphonse Daudet 
Autorisirte Uebersetzung mit einer kurzen 
Charakteristik Daudet’s v. Prof. St Born. 

8. Geh. JL 3.20. 

Diese farbenprächtigen, künstlerischen Ge¬ 
schichten werden den Leser von Entzücken 
zu Entzücken führen. 

Basel. Benno Schwabe, Verlagebuchh. 


3m Sdjmoüis * Derlag 311 SHteuburg 

(Sad^fensintenburg) erfebeint: 


Illnprirtt Sinjntini 


^ ^ fämmtlid^er 5acultäten. % 
Herausgeber: w tßflnöfdÖEr. 


ÄArif fllflfiiS »in flfaDrmlf^^iimos 
^U>mUUISI f nfHfib« Sammelwetf, 
ftet)t augettblicfiidj in feinem 3. Semeger unb 
erfebeint tn JSUmst^beftfii (am (5. jeben UTonats 
\ $ef*) »W? iUn^rirt mit (puartaUUbonnement. 
Ubonnementspreis: JC t. 80 (3 ^efte). prei* 
fart^eft:75X 

olle ‘gudrtjsnDlungen unb 1Nft«n<«iten I 
be£ gn« unb $6uütnbe< m bestellen. Bei franco* | 

einfetibuwg bes Betrages perfewbet ber Perlag 
and? birect franco per Kreujbflnb. (Mbteffet 
Un ben Sd?moPiss Perlag, Ultenbnrg, S.g2t.) 

Das Hbonnemtnt fann man n>di?renb bes 
ganjen (Quartals bewirten, ba bei fpdteren 
Begeünngen ßets oon ßeft ( bes laufenben 
Quartals an geliefert wirb. 

Der 3nl)alt blefer ^eitfd?rift behebt burd?' 
aus nid?t aus „Dierwigen^, fonbern bietet bas 
Be^e auf t?umortfhfd?em Gebiete. „Bierzeitung" 
ig eben nur als afabemifdjer terminus ted?nicus 
an 5 ufet?en. 


ydKtinii Mffttu K.¥ n ftronoriitgeitufer 4. 


Üftr bie «ebaction Derantmortlicb: #eorg StitAe in Dertt». fspebUiun, Berti» W n fhirfürftengrube 73, 

ftnttf non B* #• Ittlta in Jeifitg. 


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Google 



















X» 30 . 


ben 26. $vti 1879. 


Band XYI. 


P t #egeimmrt 

äSßdjenfchrift für ßitcratur, Äunft unb öffentliches ßeben. 


Herausgeber: "gfauf ^iuböU in SBerltn. 


J*‘« $nntnk r#M ent |h« Erleger: gtüle in SerIin fms jrar ftuutil 4 i«k 50 ff. 

Bit Rieften butt$ alle »lubbonblunflen unb SoftanftaltetL Snferate iebet «rt pro Sgefbaltene «etitfeile 40 $f. 


•Oeftreid) nadj ben Stci^SratWwa^en. ©on einem GiSleitfjanier. — Literatur ttttb ftmß; Regentage, ©on Suj&toig Slnjengtuber. 
ftltfirtff * “ ® arI ^ofenfran§. ©on mejanber 3ung. — 9*ad) Dtympia, SReijebriefe oon 2. $ietjd). ©efarodjen non ft). gontane. — 
^mruu • §interinbifdje3. ©on gxaitj ®infiebel. (©dtfufe.) — Äu$ bet öttuptflabt: $ie berliner ©emexbe=91u3ftellung. ©on ZI). 2. 111. 
(©d>lu|.) — Offene ©riefe unb 5tnttoorten. — Snfexote. 


©erreich ttad) ben Reidinrot^mablen. 

Aon einem teisteittjanier. 

Der 3. 3uli h ot bieSmal in Deftreich wie in Deu,tfcf)lanb 
ben liberalen Parteien ein magres ftüniggräfc gebraut. Der* 
felbe lag, ber ben (Riicftritt ber brei preußifchen SRinifter ent; 
fcCfieb, marlirte auch ben EBenbepunH in ben SReic^ätat^Stoa^Ien, 
inbem bie öerfaffungStreue SRajorität beS böhmifdien ©roß; 
grunbbeßpeS ß<h auf höheren EBunfcf) entfcplof?, bie Heinere Hälfte 
ihrer ERanbate an clerilale HodßorieS abjutreten. Der rein 
äußerliche ESedjfel jwifdjen bem alten unb bem neuen Abgeorbneten 
häufe ift nun aßetbingS fo groß wie nur benfbar. Sette Ser* 
faffungSpartei, bie noch im Octobcr, ja noch im Januar, bei 
Gelegenheit ber bie OccupationSpolitif oerbammenben Abreffe 
unb bei Serwerfung ber minifterieflen Anfid)t, baß ber Sietd^ö 
rath ben ©erlittet Vertrag nur jur ttenntniß ju nehmen, nid^t 
in bißigen hübe, über eine impofante 3toeibrittelmajorität der* 
fügte, iß iut ERinorität geworben. EBenn wir iur neuern 
Sinlen äße rechnen, oon benen man erwarten tann, baß fie fid) 
abermaligen GoncorbatS* unb gunbamentalartifeWäjperimenten 
wiberfepen Werben, fo ßetjen etwa 174 Siberale 179 Ser* 
faffungSfeinben gegenüber. Die ERehrljeit ift nicht groß, aber 
eS wirb ßdjerlich baS crescit eundo oon ihr gelten. Denn 
wenn man gerabe lein Sfeptifer fein muß, um Btoeifel an bem 
SiberaliSmuS beS H errn oon Dfenheim iu h e Q ei ' ; fo h at c - bo<h 
auch feine ©ebenten, AnbrafftjS gactotum in ben boSnifdjen An* 
gelegenheiten, ben Hofrath Saron ©djwegel, einer Partei ju 
jujälßen, bie jwar oielfadj jerfplittert iß, beren Hauptphalanj aber 
immerhin bie ©egnerf<haft gegen aße Gonfequenjen beS berliner 
©ertraget auf ihr Panier geßhrieben. Die ERinberljeit ber 174 
umfaßt eben äße, bie man leinen Grunb hat, unter bie Sd)Warjen, 
bie Anhänger beS „hiftorifchen AbelS" ober bie föberaliftifdjen 
„Etationalen" iu rechnen. Die confeffioneßen ©efe§e, ju beren 
Seoißon eine einfache ERajorität genügt, erßheinen mithin aufs 
Eleußerße gef ährbet; 2eo XIII. lönnte feine @ntfcf)äbigung für 
gerrpS Untertid)t8gefehe nur ju halb erhalten. Siel weiter ab 
ßnb bagegen bie „^Rationalen" oon ber Grfüßung ihrer föbera* 
lißifchen EBünfcpe, bie in nur palbwegS ausgiebiger SSJetfe nicht 
ohne bie unerläßliche 3t»eibrittelmehrheit erreicht werben lönnen. 
3eberleicht wiegt ber Droft, baß Solen unb Dfchechen; wenn fie 
ihre Autonomie^Sorberungen nicht burchfehen, auch ben 9töm= 
(engen unb Gaugrafen nicht helfen werben, eine einfach reactio* 
näre Sßenbung im ftaatliChen unb tirdßichen Seben herbeijuführen. 
Sie werben nach Nie oor ihrem hißorifchen Abel unb Sfjiflopate 
gehorfam bie Schleppe nachtragen unb fidf Wie immer mit ben 
©rofamen begnügen, bie babei für baS „nationale" Slement ab= 


faßen. Die 3bee, baß auch bie ERaffe ber tfchedjifdjen unb pol* 
nifchen Seoölferung oiel beffer fahren würbe, wenn fie mit ben 
freifinnigen Deutfdjen, ftatt mit ben eigenen prioilegirten Saßen 
pactirt, ift fet)r fd)ön unb fehr gefcheibt; nur leiber, nach fiebjehn* 
jähriger Verbitterung hoppelt unbutdiführbar. Die Hoffnung, 
I unfere confeffioneßen Gefefce ju wahren, ruht alfo nur auf bem 
I H^rrenhaufe, baS fid) bisher bewußt war, „feine Popularität 
; feiner freifinnigen imUung in firchltchen Dingen ju banlen". 

Ganj anberS fteljt eS mit ben SerfaffungSfragen. Sott 
j jener 3toeibrittetmehrheit ber 236 Stimmen, bie ju einer ®r* 
I neuerung ber föberalißifchen ©jperimente gehören, ßnb bie Sieger 
tro| ihres DriumpheS noch weit genug entfernt. ©S ift eine 
| linbifche fRenommage, wenn bie geubaten fchon wieber ihr altes 
j Stichwort aus ben Dagen SelcrebiS, SotodiS unb H°h e nwartS 
oorfuchen: „gm SSBinter SeichSrath, im Sommer Ausgleich!" 
Auch lonn ich — oon bem DageSbebürfniffe ber 3«tungen ab* 
gefehen, in ber Saurengurlenjeit ihren SenfationSfafl ju haben — 
nicht fo recht begreifen, worin bie politifdje SBeiSheit liegen fofl, 
wenn bie liberalen Plättern ihren ßefem einen Hößenbreugljel 
an bie SBanb malen, als wäre wirtlich e ' n£ jweite gunbamental* 
artilel*Aera im fchneflften Anjuge. Gefcheibter wäre eS oielleicht 
gewefen, wenn biefeiben Organe, bie heute über baS bellagenS* 
werthe Etefultat ber SSahlen ben lanteften Alarmruf erheben, 
nicht burch eine finnlofe gortfchrittShehe reblich baS 3h t£ bei* 
getragen hätten, eben jenes ©rgebniß herbeijuführen. „Siel’ 
geinb’, oiel ©h 1 ’!“ iß ein recht fdjöneS SBort, aber wenn man 
fieht, wie eS bie Sinle bei ber 2Baf)lagitation interpretirt hat, 
wirb unwißlütlich an jenes anbere Dictum erinnert,- baß oom 
©rljabenen jum Säuerlichen nur Gin Schritt ift. 3n fich jer* 
fplittert burch bie Ausgleichs* wie burch bie Drientfrage, ba ber 
Großgrunbbefij} immer mehr jur (Regierung abfehwenfte unb 
bie gortf^rittSclubS fich J u einer rabicaten Dppofition umge* 
ftalteten, mußte bie SerfaffungSpartei ßch Har bewußt fein, baß 
ber Grunbjug ihres Programmes, ber EBiberßanb gegen bie 
Dccupation, ße in bem empßnblichften Punlte in birecten Gegen* 
fah jur Srone felber gebracht. Das EBort beS SaifetS an Sennpep: 
„Sie fptechen ba immer oon ber Potitil beS Grafen Anbraffp; 
oergeffen Sie nicht, lieber Saron, baS iß meine Politil!" Dies 
SBort, ob wahr ober erfunben, lennjeichnet genau bie Situation. 
3n biefer Sage nun gleichseitig noch ben Großgrunbbeßhern 
burch Angriffe auf bie Gurienwahl unb auf bie „Grafenbanf" im 
Unterhaufe, fowie ben Ungarn burch eine Attade auf ben AuS* 
gleich, ben Dualismus unb bie Delegationen ben geljbehanbfchuh 
pinwerfen, baS beweift aflerbingS einen folgen Ueberfchuß an 
ERuth, Wie er nur bei Unblichßet Elaioetät benfbar iß. Unb nur 
mit einer foldjen Unbefangenheit beS GemütheS auch ffub bie 
Elieberlagen ber oier ERinißet ju erllären — ein Greigniß, ba? 


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50 


Sie ©egeitwart. 


Nr. 30. 


fonft einfach für einen ©fanbal unb einen Beroeia politifcher Un« 
münbigfeit gelten mugte. Sin ©lajer, nod) baju in bera Snneren 
bet Stabt (EBien, alfo not bet intedigenteften SBahtförperfehaft be8 
SReidjea; eiu ©tremagr in (einem altangeftammten SBa^lbejitf bet 
fteitijchen Heimat muffen oödig namenlojen (ß^tajeurä bet con« 
fufeffen ©otte meinen! ©ttemagr, bet mit einet neunmonat« 
ticken Unterbrechung bet Sleta $ohenroart feit Öebruar 1870 bem 
Eultua« unb Unterrichtabepartement öorgeftanben; bet unter 
(gotodi bie internationale, bann unter Slueraperg bie legia« 
latorifche Aufhebung be8 Soncorbatea oofljogen; bet nicht nur bie 
confeffioneßett dRaigefefce oon 1868, (onbern auch (eine eigenen 
oon 1874 mit fo fieberet unb ftetiger $anb, aber hoch in fo 
fgmpatbifcben unb oetbinblichen (formen gegen baa Spiffopat 
einjubürgetit oerftanben, bag mit oon einem Sultutfampf öer« 
fdjont blieben unb (enet Sldtagafpectafel beä ©treitena mit bet 
(tteitbaren Kirche oödig oerftummte, bet beu erften (Ragel pm 
©atge bea Bürgerminifteriuma bilbete! (Shlumegig aderbinga 
roarb nicht eigentlich oon (einen SBägiern im Stiche gelaffen; 
in (einem mährijehen SBahlbejirfe fiegte bieamal bet flamifche San« 
bibat. Schlimm genug aber, baff bie Berfagungapartei füt ben 
ÜRann leinen anbetn Ißlaj} fanb! ©chlimmet noch, bag ©eneral« 
majot Baron Jporft im oberöftreichijehen ©roggrunbbefifce einem 
äRanne meinen mugte, beffen SBiebetmahl bie Bürgerfchaft oon ßinj 
perhorreacitt, meil er ju ben ©rünberit bet bottigen Sommercial« 
bant gehört, beten Stach 1873 ben ©emerbeftanb bort an bet bau 
rifchen ©renje ruiuirt hotte, unmittelbat nachbem bie Dachauer 
Santen bet Slbele ©pifcebet ebenbort, unter bem Beiftanbe bea 
oielfachmitbettogenendlerua, bieDajdjen be8ßanboolfeaau8gefädelt. 

Damit hotten mir benn aber auch bie miglichfte Partie in 
bem SRiebergange bet Berfagungapartei erfchöpft. Sin einet 
günftigeren Sehrfeite fehlt ea bet SRebaide feineamega. ©o ift 
oot Sldem nicht ju oetgeffen, bag jener numerifche (Riebergang 
im fReicharatlje nadjmeiaiich nicht im ©etingften einen Umfchmung 
in bet Stimmung bet Seoölferung conftatirt, unb baff bem Soll 
auch e >n ganj refpectablea $aben gegenüberfteht, inbem nun auch 
bet lefcte (Heft, zugleich bet eigentliche Sern bet (taatatechtlichen 
Dppofition ben paffioen SBiberftanb aufgibt. Die geubaien unb 
bie Dfchechen Böhmena etfeheinen miebet in bem „Schmerlings 
theater", bem (ie 1862 nach anberthalbjähriger Slnmefenheit ben 
(Rüden gefehrt. Daa ift benn boch ein Sieg, nicht bet Sets 
faffnngapartei, mohl aber bet Berfagung felbet. @el|t betfelbe 
nur ohne Singriffe in bie ©taatagrunbgefejje ab, fo macht er 
Bietea mett, benn bag bie egclufio bominitenbe Stellung bet 
Berfagungapartei ala folget fchon einen (Rig erleiben muffte, 
rnenn bie 35 Dfchechen, bie bialjer fteta ihre dRanbate caffiten 
liegen, ihre ©ifje mittlich miebet einnehmen, baa hot ja boch 
alle dBelt oothet gemufft. Sa ift baa auch gar lein Unglücf, 
benn mehr ala Sluagteich unb Orient h at baa ©efüljl ber 
abfoluteften Sicherheit, in bem bie Stnfe fich miegte, meil 
fie fo ganj unter fich mar, jur Sltomifirung ber Serfagunga« 
Partei in. nidganufeige (fractiönchen beigetragen, bia fie oöllig 
aujfer ©tanbe mar, eine (Regierung fei ea p ftüfcen, fei ea ju 
ftürjen. Dag ber (Reicharath übtigen8 im ©erbft complett 
mirb, betrachten mir, tro| aller $in« unb fterrebereien, al8 eine 
anagemachte Sache. Der „hiftorifche Slbel" ift fchon burch feine 
Slbmadjungen mit bem J£»ofe unb bem ©rafen Daaffe, fomie 
burch bie Sonceffionen, bie et oou ©eiten bet eigenen Sunbeö« 
genoffett entgegengenommen, gebunben. Sluch roitb e8 ihm eine 
ßehre fein, ben Sogen nicht adju ftraff p fpannen, baff bie 
„(Rationalen" ihn mit einet Slu8nahme abfolut oon ihren San« 
bibatenliften auagefchloffen. Den Strafen Sgbert Selcrebi, Slam* 
dRartinij}, ber fich „(Regierer oon ©meena" fchreibt u. f. m., 
fteht fomit gar feine anbete Dljüre pm SBiebereintritte in ben 
(Reicharath mehr offen, al8 bie ihnen baa SBohlmoden ber eigenen 
©tanbeagenoffeu in ber @roggrunbbefi|er« Surie Söhmend ober 
(Köhrena öffnet. (Riegera SlUtfchechen aber, roie ungeberbig 
unb trofcig fich bieje „Declaranten" par excellence auch no( h 
rnefroeife anfteden, mirb, nach rinem geflügelten (Sorte Daaffea, 
baa Solf mit bet (Jkitjche ina Parlament jagen, menn fie feine 
Sernunft annehmen. Die jogenannten „liberalen" SuHgtfchedjen, 


bie freilich fchon heute beu bebingungalofen Sintritt proclamireu, 
phlen auch hierbei faum mit. Der „ßjech" bea Sarbinal ©chmarjen« 
berg fagte ihnen fchon runb hetan8: für heute habe man ihnen noch au8 
Srbarmen oier dRanbate gelogen; in Sufunft roerbe ber „confetoatibe 
Heerbann" aufgeboten metben, um au8 ber Sertretung Böhmena 
Slde „fortpfegen", bie fich jemala gegen bie heilige Sirche oetgangen. 
Sluger jenet #urücfbrängung ihrea Uebetgemichtea, bie in bem 
biogen Eintritte ber Dfchechen liegt, hat bie Berfagungapartei nun 
abet auch naljeju ein holbea ^mnbert früher behaupteter ©ifje 
effectio oerloren. Sine fchmere Sinbuge, geroig, an bet inbeffen 
bei näheret Betrachtung boch oiel oon ihrer Sebeutung fegminbet. 
Beinahe bie $älfte ber oertorenen ©i|c entfällt auf bie Sutie 
ber ©roggrunbbefifcer, hat bager mit ber ©timmung ber Be« 
oölferung gar nichta p thun. ©raf Daaffe mar in ber glikf« 
liehen Sage, ben einflugreichften (ßerfönlichfeiten biefer Surie, 
bem dürften Sarloa Sluerapetg für Böhmen, bem ©rafen dRittroOöfg 
für dRähren, anjeigen p fönnen, bag „maggebenben Orted" ein 
„patriotifdjea Opfer" oon ©eiten ber oerfaffungatreuen dRajorilät 
geroünfeht merbe, um bem „hiftorifegen Slbel" eine gplbene Stüde 
für bie Umfehr in ben (Reicharath p bauen, ©o gab benn bie 
ÜRehrljeit in (ßrag 10 oon ihren 23, in Brünn gar ade 9, in 
(Rieberöftreich menigftena 2 ihrer 8 SRanbate an bie' ©egner. 
Sur}, mährenb früher eigentlich nur bie 20 polnifdjen ©rog= 
grunbbeghet p ben geubalen jählten, finb je|t ad nutum prin- 
cipis aua biefer Surie 46 reactionäre unb nur 39 liberale 9lb= 
georbnete entfeitbet. Dag mirflich nur ber SBunfch be8 $ofeä 
ben Sluafcgtag gegeben, jeigte geh am beutlidhften itt 3Räf)ren, 
roo biefeiben Herren, unmittelbar nachbem ge 9 Oeubale in ben 
(Reicharath gefchidt, einen erlebigten Sanbtagafifc an einen Set: 
faffungdtreuen oergaben, ba hierbei fein Drnd oon oben maltete. 
Ob ber ©roggrunbbefi| auf biefe SBeife gerabe ber SRahttung 
^ohenmarta nachfommt, fich bie ihm gebügrenbe ©tedung ata 
felbftftänbiger Sactor unb. auagleichenbea Slement im ©djoge 
bea (ßarlamentea p erringen, barf man bejmeifeln. Det Bor= 
gang liefert im ©runbe blo8 einen neuen Beleg bafür, mie 
leicht ea ben „höheren Stegionen" ift, in biefer ergen Sutie 
©timmung p machen unb im $anbumbtehen bie dRajoritäten 
p mechfeln, mie mit ja baa fchon miebetholt, manchmal im 
Zeiträume oon menigen SBodjen, fobalb bet SBinb oben umge= 
fchlagen, unter Selcrebi unb Beug, bann unter (ßotodi unb 
Sluerapetg erlebten. Dap aber fommt bet (EBahlmobua, bet ba8 
fcheinbate (ßatabo£on rechtfertigt, bag in gemiffem Sinne auch 
hier bie ©tärfung bet Berfaffung oon einet numerifdjen 
©chmächnng bet Berfagungapartei ganj unjertrennbar mat. 
Unfer gefammtet SBahlmechaniamua fennt, mit ganj oereinjelten 
Sluanahmen in ein paar gtogen ©täbten, nur ein Sttronbigementa* 
©ctutinium, fo bag jebet SBahlbejitf einen, höchgena jmei Slb= 
georbnete ernennt. Der ©toggtnnbbefi| aber mählt überad in 
Sinem SBahlgange im fiiften=©ctutinium bie ganje 3®^ bon 
Sanbtagas ober (Reichatagabeputirten, bie in bem betreffenben 
Sronlanbe auf biefe Sutie entfaden. Die ttnnatnt bieje8 Ber« 
hältniffea geht fo rneit, bag j. B. bie „maggebenbe ©tede" übet 
ben böhmifchen unb mähtifegen ßanbtag einfach betfügt, fianb« 
unb ©tabtfige finb bort, mit ganj feltenen Sluanahmen, in fegen 
$änben; je nachbem nun ber ©roggrunbbegfc in (gtag bie Sifte 
mit ben 85 feubalen, ober bie mit ben 85 beutfehen Sanbibaten 
acceptirt, hoben Berfa gungatreue ober ©taataredjtler bie 3mei« 
brittelmajorität. ©anj ebenfo oerfügt bie 9iegierung über ben 
Btünner ßanbtag, unb füt ben (Reicharath bringt natürlich genau 
berfelbe 23ahlmobu8 eine ganj ähnliche SBirfung heroot. Sine 
Slenberung mug hier jebet (ßattei ermünfeht fein, ba jebe im 
(Parlament anftreben mug, bag ge feine 3Rodu8fe ift, fonbetn ein 
eigenea (Rüdgrat hot; bamit gnb benn abet auch unmibertuflich 
bie 3eiten ootüber, mo je miebet bet ganje ©roggrunbbeg| 
augerljalb ©alijiena oerfagungatreue Bertreter entfenbet. 

Slber freilich, hotte ber unjeitige Stnfturm bet gortfchrittler 
gegen bie Surientoahl bie ©toggtunbbefiher nicht überhaupt 
ftufeig unb füt ihr ©tanbeaprioilegium beforgt gemacht, fo mürbe 
bet Slu8gieich mit bem higorifchen Slbel (ich unter anberen, bet 
Berfaffungapartei oorth.eilhofteren Bebingungen oodjogen hoben. 


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Nr. 30. 


Hie tSeßenwurt. 


51 


©ie Parteitage Bon ©raj unb Sanft Pötten haben eS oer= 
frijutbet, baff au4 bie freifinnigen Hriftofraten nur nodj beS 
$aftenintereffeS gebauten unb baS bet Partei in ben hinter; 
grtmb {teilten. So fant eS, bah fi4 nun bie beiberfeitigen 
®lan:$äupttinge oerftänbigten unb in Prag j. SB. bie bürgen 
liefen ©rohgrunbbefiher, naljeju ein ©rittet ber ©urie, fi4 bet 
Sbftimmung Aber bie „©ompromihlifte“, in geredjtcr ©rbitterung 
gauj enthielten! So hoben bie ©eutfdjtiberaten benn auch nidjt 
btoS in (Böhmen unb HRähren 19 ©i^e biefer ©urie oerloren, 
jie müffen fich überbieS gewärtigen, ba| aud) bie Inhaber ber 13 
anberen ßRanbate eine Stellung „fühl bis ans £erj h' nQn " 
jnr BerfaffungSpartei einnehmen werben. ©ie Gattung ber 
gortf4rittler ift um {o weniger begreiflich, als bie ülbfdjaffung 
ber SurienWahl, Wenn e8 gleid) einmal baju wirb lontmen 
m Affen, h eute nodh ein jweif4neibigeS Schwert wäre, mittet ft 
beffen elf ßRißionen Staoen, im Bereine mit ben „Schwaben" 
unter ben 9 ßRißionen ®eutf4en, gar leicht einmal wieber einen 
träftigen Stntauf nehmen würben, „bie 3Ronar4ie auf bie ftaoifche 
BafiS ju fteßen". ©rflärt nun bie Steßung beS ©rofjgrunb: 
befifceS bie ©inbufje ber BerfaffungSpartei jur §ätfte, fo fällt 
baS britte Biertet ber ihr entriffenen Sifce auf ©alijien unb ©at= 
matien; eS begreift ebenfafls nur Buthenen unb Italiener in ficfj, 
bie nicht eigentlich jur ßinfen gehörten, fonbern bloS.in aßen wich¬ 
tigen gragen, auSSorn über ben ©erroriSmuS bet Polen unb Süb= 
flauen ju §aufe, mit ihr gingen, ©atmatien Wirb fortan nur burdj 
„(Rationale" unb ©lerifale oertreten fein; unb in ©alijien 
fittb bie ruthenifchen fowie bie beutf<hjübif4en (Abgeorbneten 
förmlich wegefegt. ©ie 3fraetiten, bie bort bie rührigften SBaht* 
agenten bitben, glaubten 1873 bei ihrer Sflianj mit ben Buthenen 
Aberbortheilt ju fein unb oerbanben fi<h bieSmal mit ben Polen, 
bie ihnen bann more patrio lohnten. @8 trifft auch biefer 9Ser= 
tuft bie BerfaffungSpartei fchwer; aber jur Saft legen fann man 
ihn ihr hoch eigentlich nicht. So bleibt nur etwa ein ©ufeenb 
ftäbtifdjer unb länbticher URanbate übrig, bas in ben alten 
PunbeSlänbern ber Partei entrifjen ift — unter einem SAuS= 
gleichöminifter als ßeiter ber (Sohlen nicht eben Biet, unb ge= 
wih nicht genug, um Bon einem Umfchwunge ju fpredijen. ©er 
moratifch fchmerjtichfte Berluft ift ber afler brei Stäbtemanbate 
in ßrain! ©aS ßanb, baS Bor jwei ©ecennien in 9lnaftafiu3 
©rttn feinen politif4en gühret Berehrte unb, nach BetcrebiS 
Staoifirung, unter (Auersperg ber ©ultur Wiebergewonnen festen, 
wirb je|t burch acht tieffdjwarje Slooenen unb nur burch jwei 
oerfaffungStreue ©rofjgrunbbefifcer im Parlament oertreten fein! 
3m Uebtigen finb ber Partei nur nodh jwei ftäbtifche ÜRanbate, 
je eins ht ßinj unb in (Bojen, lebigtich in golge totaler ®ifer= 
füchteleien, Berloren gegangen; bet in ßinj ©ewäljlte proteftirt 
auch nodh bagegen, baff er ein ©terifater fei. (Bon länblidjen 
Stfce» h»t bie ßinfe brei in Dber= unb SRieberöftreidh an ©teri* 
fale, unb fechS in ben Srontanben mit gemachter Beoölfetung an 
©frechen unb Slooenen abgegeben, bafür aber einen in Schlefien 
ben Polen abgenommen. ©aS ift bo<h wahrlich feine Bieber* 
(ege, um bie glinte ins ftorn ju werfen? 

güt ben ©rafen ©aaffe wie für bie BerfaffungSpartei hanbett 
eS fich ie|t um bie Beantwortung ber gtäge: waS nun? ©er 
ßRinifter ift, fo weit wir fehen fönnen, Boßfommen mit fi4 barüber 
im Beinen, baff er — nach feinem ©riumphe bei ben SBahlen — 
oor aßen ©ingen Sorge tragen muff, nicht ju fehr gefiegt ju 
haben, ©ewif), bie BerfaffungSpartei foß mürbe gemacht Wer* 
ben, bis fie bie gottbauer beS abtaufenben SBehrgefefceS für ein 
weiteres ©ecennium ootirt unb ber Regierung nicht mehr afle 
erbentlichen Schwierigfeiten macht bei gortfefcung ber Dccupa* 
tionSpotitif im Sanbfchaf BoOibajar unb au delü de Mitrovitza. 
Sehrt fich ©taf (Anbrafft) auch nicht im dRinbeften an biefe 
Schwierigteiten, fo trägt er hoch auch gerabe fein Perlangen 
nach einer jweiten ©etegationSfeffion oom Saliber ber nötigen, 
©afflr ift nun auch jefct bereits geforgt; ba bie 40 ©elegirten 
beS HbgeorbnetenljaufeS Bon ben ©eputirtengruppen ber einjelnen 
Srontänber ernannt werben, fieht es fdhon f»eute feft, bah ber 
ßRinifter auch unter biefen bie ßRajorität haben wirb. $erbfts 
Botwurf wirb ihn nicht mehr treffen, bafs ihm nur bie 20 Ober* 


hauSbeputirten in Perbiubung mit ben Abgeorbneten Bon ein 
paar paffiBen Prooinjen, nicht bie wahren ©rwähtten beS 
PotfeS, bie wirflichen Bepräfentanten ber Steuerjat|ter, bie 
boSnifdjen ©rebite bewißigen. ©ie 3eiten finb bahin, wo bic 
20 ©elegirten Böhmens, SJtährenS, ber beiben Deftreich unb 
SchlefienS wie ©in 2Jtann gegen bie Dccupation ftimmten. 8«m 
SSehrgefehe bagegen, baS einen Berjicht auf bie fährlidhe ®iS= 
cufjton beS ©ontingenteS in fich begreift, ift eine 3weibrittel= 
maforität nothwenbig; ©raf ©aaffe wirb biefetbe erlangen woßen 
um feben Preis, aber er wirb ütfleS auf bieten, um bieS 3«l 
ju erreichen, ohne bafi er bie 3«mürbung ber ßinfen bis jum 
offenen Bruche mit ihr treibt, ©afj baS nur ein pprrhuSfieg 
für ihn fein Würbe, beffen ift er fich Boßfommen bewußt, weil 
er bann fofort ben finfteren Brächten beS ©oncorbateS unb ber 
gunbamentatartifet oerfaßen wäre, bie mit ihm felber wenig 
Aufhebens machen würben, ©ah baS Sftinifterium Stremapr, 
unter bem ©inbrudfe beS tfuSfaßeS ber SBahlen tagtäglich, bem 
©eifte nach, mehr unb mehr ein Btinifterium ©aaffe wirb, ift 
felbftoerftänbtich. 3m Uebrigen aber jeigt ©raf ©aaffe auf jebc 
SBeife, bah ih m baS Perbleiben feiner gegenwärtigen ©oßegen 
im Sabinet ljöd)ft wiflfommen ift, bamit nicht bie feubalen ©och : 
torieS nach- unb halb ihn felber aus ber Begierung hinaus 
brängen. Stremapr, ber ben gefährbetften unb ejponirtcfter. 
Puntt, nicht fowohl für bie PerfaffungSpartei, als oietmehr 
gegen ben Slnfturm ber ©oncorbatSritter haften foß, h a * ber 
SluSgleichSminifter bereits ein Btanbat in ber Bufowina öerf^afft, 
baS bort fieben ©onfiftorial= unb &lofterbeooßmäd)tigte als geift 
liehe gibeicommihbefifeer ju bergeben haben, ©er ßanbeödhef 
Bitter bon ßllefani hat bie Sinnahme abtehnen müffen, unb §erv 
B. Stremapr ift batauf „©inftimmig" — man benfe! — gewählt. 
SRit biefem Siebenmänner:SBanbate oon ©aaffeS ©naben fann 
Stremapr — nachbem ihn bie SBähter Bon ßeibnih unb ber 
fteirifdhe ©rohgrunbbefih perhorreScirt — natürlich bem ©rafen 
nicht mehr gefährlich werben, wohl aber ein fehr brauchbarer 
Slßiirter gegen ßeo ©ffun unb ©enoffen fein, ©benbort foß aud; 
SRinifter §orft in Sucjawa einen par(amentSfi| ethalten, aut 
bem ber bafetbft gewählte BejirfShauptmann renonciren muh 
©hlume^fh unb ©tafer fudjt ©aaffe burch birecte ©inwirfung 
ber Stone jum Bleiben ju oermögen, ©ie (Aufgabe ber Per 
faffungöpartei Wirb nun fein, fich ih ret f e * ts ä u überlegen, quid 
valeant humeri, quid ferre recusent? Bein prattifch genommen, 
fteht fie wohl Bor ber Sllternatioe: ob fie baS alte SEBehrgefet 
mit oerfaffungSmähigem Begime, ober mit einem föberaliftifchen 
geubat: unb SoncorbatS^ßRinifterium oorjieht? ©er ffiinwurf. 
bah f ,e eS überhaupt nicht wiß, Wirb mit berfetben fouoeränen 
Bichtachtung abgelehnt, womit ber ftodj bie Slntwort ber fpühnev 
abfertigte, bah fie Weber gefotten, noch gebaefen Werben Woßten: 
„Slber bas fteht ja gar nicht in grage!" 


c£iterrtt»r «Hb ^uitft. 
Regentage. 

SBon tnbroig Jlnjengruber. 


©aS war an einem Begentag, 

©in ©iefjen, ein Stürmen, ein Schauern, 
©aS (Setter hielt mich feftgebannt 
3n falten, unwirtlichen ßRauern. 

(Sir wohnten juft jur felben Seit 
greunbnadhbarlidj Stübchen an Stübchen, 
3<h trat gar fdhüdhtern bei bir ein, 

©u jeigteft bie (ädhetnben ©rübchen, 

©ein glanjooß’ (Auge fah nach mir, 

©S warb mir ein wenig beflommen, 

34 war faum ba unb wünfdjte faft 
34 wär’ lieber gar ni4t gefommen. 


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52 


ID 1 r ©egfumart. 


Nr. 30. 


34 wähnte bi4 mein 3beal, 

34 tjatte oot fämmtli4en Stauen 
Sefjt Diel Slejpect unb man4mat gar 
Sin füfe anbädjtigeS ©rauen. 

0 3ngenbtraum, id) brätst’ e3 nidjt 
3uroege, bafe i4 bid» »ertaste, 

Sur4 ben i4 meine frohfte Seit 
3n reinfler ©efeßf4afi »erbrachte. 

34 faß ganj felig neben bir, 

©anj felig, bo4 freilich au4 fturam, 

Su baft ein paarmal ftiß fär bi4 
©elädjelt, i4 roeife jefet, roarum. 

SJlir galt mein @4meigen für berebt 
Unb jegti4e3 SBort für bermeffen, 

34 War ein SInb’rer bajumat 
2118 i4 bir jur ©eite gefeffen. 

SBie tauljinroeh’nbe grüljtingSluft 
©o fä4e(te mi4 no4 baS Sehen 
Unb 2lße8 f4tnamm in garb’ unb Suft. 
Sie 2Mt mar mir eigen gegeben, 

SJlir eigen ganj, fo bafe fie mi4 
3n all’ ihrer gülle entjüdte, 

Safe fie lein 933unf4 unb fein ©egehr’ 
©ntfeeitigte ober jerftücfte. 

3n biefem ©anjen t»aft au4 bu 
2113 rofige glode getrieben, 

34 baf4te in ©ebanfen bi4, 

So4 ift’3 beim ©ebanfen geblieben; 

Senn menn i4 bir au4 greibeit tiefe, 

©o btft bu mir bo4 ni4t entronnen, 

@3 feieft büfe ja ba8 glei4e Slefc 
SJlit fonnigen gäben umfponnen. 

So4 fann i4, menn bein Äug’ mi4 traf, 
Ser SRebe heßla4enbe Söne, 

SBie bu oermo4teft ba ju fein 
3n aß’ fo!4er Slnmutb unb ©4öne?! 

Unb i4 entf41ofe mi4 ohne Saut 
Sie Suft beineS 2lnbtid3 ju tragen, 

SBa3 mi4 bemegte, fonnte i4 
3n SBorten bir nimmermehr fagen. — — 
@3 bunfelte unb Si4ter ring3 
©rfeeßten aflmähli4 bie ©trafeen, 

Sa rüdteft bu ben Stuhl unb fpra4ft: 
„£>err Sladjbar, i4 mufe ©ie oerlaffen!" 

Unb mieber roar’8 ein Siegen tag, 

Sa fab i4 jur ®ir4e bi4 fahren 
3« meifeem ®leib, ben SJtprthenfranj 
Stuf beinen rei4maQenben paaren. 

63 fiel ein fünfter Siegen nur 
3n fprüljenben Stopfen jur ®rbe, 

©3 ma4te bi4 uerbriefeli4 unb 
Su fagteft: „3Jli4 jammern bie ißferbe!" 
2118 man bir au3 bem SBagen half, 

Sa jogft bu ba3 güfe4en jurüd, 

Sie ©affer ringsum la4ten laut: 

Ser Siegen ber brä4te ja ©lud! 

2üt einem Pfeiler lehnte i4 
Unb übte mit grimmem ©eljagen 
9Jli4 in ber S'unft, fo auSjufeh’n, 

2118 hätt’ i4 ba8 ©djmerfte ju tragen. 

63 f4ien mir ein ©errat!), fo arg, 

SBie jemals nur einer gefartet, 

Safe büfe ein 2lnb’rer nahm jur grau 
Unb bu ni4t auf mi4 h a ft geroartet. 

So4 als ich nach ber Srauung @4tufe 
Si4 bur4 baS ©ebränge, ba8 bi4te, 

2lm 2lrat be8 ©atten nahen fah 
SJlit freubigem, frohem ©efi4te, 

Sie SBange leife angehau4t 


SBie eine erblühenbe Slofe, 

Sa fuhr am Pfeiler i4 empor 
2lu8 meiner meitf4tnerjli4en fßofe 
Unb trat heran unb münf4te ©lüd, 
34 traf e8, barein mi4 ju f4iden 
SBie 21nbere, bo4 f4*en es mir, 

Su banfteft mit märmeren Süden. 


2113 mir barna4 uns mieberfah’n, 

Sa8 mar erft na4 3ahren unb Sagen, 
Sa hat ber §immet fidj in ©rau 
Unb bu bi4 in Srauer getragen. 

63 mahnte mi4 non fern bein ©4ritt, 
34 fannte bi4 halb an bem ©ange. 

SaS f4marje ffleib e3 hob ben @4nee 
Se8 SladenS, bie ©taffe ber SBange, 

63 brannte bur4 ben bunften glor 
Sein 2tuge fo feurig mie immer 
Unb unter f4toarjer Äraufe tag 
SaS $aar in Ijeßgotbigem ©4immer. 

3n 3Jlan4em gabft bu freier bi4, 

3n 21nberem mieber gebunben, 

34 h°üe bi4 fo f4ön mie je, 

SBeitn ni4t gar noch f4öner gefunben. 

Su miefeft auf bein Srauerfteib, 

Sa8 fage mir mohl jur ©enüge, 

SBel4’ f4merjli4er ©erluft bi4 traf. 

Si4 munb’re nur, mie man’d ertrüge! 

Ob i4 es mohl entfernt geba4t, 

Si4 fo!4erart mieber ju finben? 

Su ftünbeft nun afiein mie einft, 

So4 müfeteft bu jefet e8 empftnben. 

68 mürbe bir baS 2luge feu4t, 

34 brüdte bir tröftenb bie fpänbe, 

2113 bu erjählteft, mie bein SJlann 
©eütten gar f4mer bi3 an8 ®nbe. 

®r mar ber ©efte oon ber SBelt, 

3nbeffen bu habeft ni4t ^>et)le, 

Safe er nüljt ganj ooüfommen mar, 

®r hatte au4 etli4e gehle. 

So4 ma8 man ©lüd ju nennen pflegt, 
©emeffen mir ftetS nur perfönli4, 

SJlan tlage nicht, bafe man getäuf4t, 

SJlan täuf4e fi4 felber gemöhnlich- 
Senn mer ber greuben glü4tigfeit, 

Ser ©orge ©eljarren empfunben, 

Ser habe für baS Beben mohl 
Sie thöri4te Siebe bemunben. 

SJlan trete in ben BauberfreiS 
Slur einmal mit freubigem hoffen, 

So4 freili4 hätteft bu — mer roeife! — 
©ießei4t e8 einft beffer getroffen! 

Su f41ugft ben ©lief oermirrt jur 6rb’, 
SBorauf bu jum ©eben bi4 manbteft 
Unb mir mit raf4en ©4ritten halb 
3m ftrömenben Siegen entf4manbeft. 


Unb heute mar ein Siegentag, — 

©in ©iefeen, ein ©türmen, ein ©4auern, — 
Ser füllte mir bie Seele ganj 
SJlit tiefem, herjmehem Stauern. 

Sa mürbe aus ber ©tube i4 
Stuf menige SBorte gebeten, 

63 ftünbe außen eine grau 
Sie miß ni4t bie Siele betreten. 

34 tot hinaus unb fah ein 2Beib 
3n ärmlichen, triefenben ge|en, 

34 lenn’ fie n«ht, bu nenneft bi4, 

34 ftarre bi4 an mit 6ntfe|en. 

SEBre glanjloS blidt baS bunfte 2Tug’, 


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Nr. 30. 


51 i e ©egenwart. 


53 


Die $aare fie gongen in Siebten, 

Du langft na4 meinen $änben mit 
Der lageren, gitternben SRedjten. 

©ift bu eS benn? Unb palt gur ©tunb’ 

Sein quälenber Draum raict) gefangen?! 

Dann fommft bu, eine Settierin, 

3um ärmeren ERanne gegangen. 

Die SBelt, bie einft mir eigen toar, 

Serfudjt 1 i4 gu Ratten DergebenS, 

Sie nmd)3, inbeft bie 2lrme mir 
©Kaputten im Kampfe beS SebenS. 

2Ba8 oor mir tag, baS fap fo fc^aal. 

34 märe bantrott in bem Innern 
©cpon tängft geworben, wenn i4 nid)t 
©egeprt oon meinem (Erinnern. 

3u bem Setgang’nem pabe i4 
@eflü4tet im trüg’rif4en SBäpnen, 

3Ran lönne mir nidjtö rauben Dom 
Sergangenen Dräumen unb Seinen! 

Da ptö|li4 fet)’ i4 bic^ oor mir, 

Som Jammer ba$ Sluge gefeuchtet — 

DaS über meiner 3ugenbgeit 
3n fonniger 3rif4e geleuchtet — 

Unb eingefchrumpft bie Keine §anb, 

Die einft mir bie Sarbe gefchlagen, 

SBie htöchern ift ber Ringer bo<h, 

Sin bem bu baS Ringlein getragen! 

SBie weit ber ERunb, beff’ 3aubermort 
«Rach 3 a h retI befprocpen ben ©4aben 
Unb toieber mir baS $erg begabt 
SRit aller ©rinnerung ©naben! 

Du ftehft öor mir als Settierin 

Unb ahneft nicht, was in bie {tänbe 

34 bir nun lege, wenn auch mit 

Der Heinften, ber ärmlichften ©penbe! — — 

SBie ift bie gange ©eele mir 

©rfüflet mit hergwepem Stauern. 

Serroeil’, oermeile Regentag 
SRit ©ieften unb ©türmen unb Schauern! 
Sur je|t, ihr SBolten, Iaht euch nicht 
Som tofenben ©türme gerreiften, 

Sur jefct Don feinem ©onnenbtic! 

Da3 Düfter beS DageS bur4gteiften, 

Daft nicht gum #opne, nicht gum ©pott 
3n golbenen Schimmer fich Ileibet 
Die ärmliche ©eftalt, bie bort 
©ebrochen bie Strafte befchreitet. 


fiarl Ro|tnhranj. j 

SSon | 

2Jlejanber 3ung. | 

©ine #anbbewegung, bie mir meftr gufäEig machen, unb j 
boch, um nach einem Suche, einem Dor unb liegenben Riefte gu j 
greifen, fann bisweilen in unferm Seben einen elettrifchen Strom I 
entgünben, ein Sauffeuer Weden, welches bis gum lebten unferer ! 
Dage reicht. 34 hielt mi4 am Anfänge ber breiftiger 3apre ! 
unfercS 3aprhunbertS für furge 3eit in einer Keinen ©rooingial; 
ftabt auf. 34 hatte eines ber groftartigften SBerfe ber beutf4en 
Bpitofoppie mohlmeiSli4 mitgenommen, $egel3 Bpänomenologie, 
wenn au4 ni4t, um aufs Seue eS gu lefen, nur um eS oor 
mir liegen gu fehen unb barüber bie Seflommenheit gu oer= | 

geffen in bem unanfepnlüpen Stor4nefte Don ©tabt, obwohl bo4 
au4 bet ©tor4 ein SBeltgänger ift, ba er gu uns aus Slfrifa 
tommt 34 * ftredte bie #anb na4 einem fpefte aus, baS ni4tS 
©eriftgereS als einige Summern ber Serliner 3aprbü4er für 
wiffenf4aftli4e Kritil enthielt, mel4e betannttt4 bie #egel’f4e 1 



©4ute hetauSgab, unb Wel4e bamalS Diel Don fi4 fpre4en 
ma4ten. 34 blätterte unb ftieft auf eine Kritil ber ©Triften 
beS SRpftilerS $einri4 ©ufo, mit einer {Einleitung Don 3- ©örreS. 

34 begann bie Kritif gu lefen. ©ie feffelte mi4 Don ©eite 
gu ©eite ftärfer. SBel4e Klarheit, grif4e, ©ebanfenfüHe, ®e= 
biegenheit, wet4er ©til! SBer oermag fo gu f4reiben? 34 
tonnte mi4 ni4t loSreiften, unb bo4 — einen Slugenblid, ja! 
34 h a f4ie na4 bem Setfaffer am @4luffe unb laS: Karl 
Sofenirang. 34 beenbete bie Seetüre mit fteigenber Se= 
munberung. SRein ©nthufiaSmuS für Sofenfrang ftanb in 
flammen. 

$at es baS ©4idfat oft barauf abgegiett, uns mit f4aben= 
froher SRiftgunft fort unb fort gu oerfotgen, fo ma4t eS uns 
auch wieber jum Siebtinge feiner Sügungen. Doch, maS ©4id= 
fal? Sein, jept, ba fi4 2lüeS gu unfern ©unften geftaltet, ift 
eS offenbar ein gang anberer Senf er ber ©reigniffe, ber mit 
3ebem Don uns feine gang befonbere Slbfütjt hat. Dies foEte 
fi4 in all meinen (Erfahrungen oollftänbig bewähren. 34 war 
ingmif4en na4 Königsberg gurüdgetehrt unb erfepe eines DageS 
aus ber 3eitung, Karl Sofenfrang, bis bapin Docent an ber 
UniDerfität gu $aße, fei als orbentti4er unb erfter fßrofeffor 
ber fßhüofoppie na 4 Königsberg berufen, als Sa4fotger $er= 
bartS. 34 jau4gte auf oor Sreube unb Ueberrafcpung. 34 
höre, er ift bereits angelangt. @r wohnt auf ber 3afei S3e= 
nebig, f4on bem Klange na4 wettgängerif4 genug. DaS Soll 
hier begnügt fi4 freilktj bamit, unb gwar ftor4winfelig genug, 
bie ©egenb Klappermiefe gu nennen. Sofort begab i4 müh 
na4 ©enebig. @s war gegen bie SRittagSgeit. Ülngemetbet, Oor= 
gelaffen. @S trat mir ein #err entgegen, groft, f4lanf, oon 
jugenbti4em SluSfepen. 34 hätte ihn für einen Säugling nehmen 
mögen, unb bo4 f4on berufen auf ben Katheber Kants! ©eine 
©timme war Don urtenbli4em SBopllaut, ©emanbtheit in jeber 
feiner ^Bewegungen. 34 fpraep etwa fo: Stein 33cfu4 gilt gu- 
nä4ft bem ©eurtpeiler ©ufoS. — ©ie meinen ben in beit 
Serliner 3ahrbü4ernV — Den meine i4, unb bin ein 8e= 
munberer beSfelben KritiferS. — |>at ©ie bie 4?egel’f4e Dia= 
leftif ni4t abgef4redt? — Die hab’ i4 einft aus ber Quelle 
gef4öpft, unb Würbe baoon beraufept. — SBaS, ©ie haben §egel 
gehört? — 2lu4 baS. — 3ft’3 3hnen, mein $err, re4t, wenn 
mir atfoglei4 einen ©pagiergang ma4en, unb gwar hier gattg 
in ber Sähe, auf bem fßhii°f°bhenbamm, ben au4 ber alte Kant 
tägtüh bef4ritten? — Si4tS ©rmünfdjtereS fönnten ©ie mir 
anbieten. — — @4on gingen mir burd) eine ber Doübelaubten 
SlEeen, ohne baft au4 nur eine ©efunbenpaufe in unferm ®e= 
fprä4 entftanben wäre. 

©rgählen ©ie mir einige 3h re r SebenSfata; i4 werbe 3h n en 
mit ©lei4era bienen, lieft fi4 mein «fßrofeffor Derneftmen. — 34 
ermiberte: ’ 3uerft Dheologie ftubirt. — 34 au4- — Dann 
fßhifofobhw» unb gwar bie §eget’f4en Dionpfien oollftänbig mit» 
gemacht, auf mi4 felbft gurüdgeworfen, faft erlegen metaphhfif4en 
3weifeln unb Kämpfen. — Stein fperr, mein ffreunb, ©ie f4'l 2 
bern mi4 felbft. 2lu4 mir hat bie Dheologie ftarf gugefept, 
oor ®ßem bie SBiebergeburt. — 3ft’S mögli4? fiel i4 ins 
SBort, mit ber unb um bie hab’ i4 in Serlin bis auf Seben 
unb Dob gerungen. Do4, fahren ©ie fort, $err fßrofeffor! — 
34 ftürgte mi4 in bie fßhilofophte, fanb feften ©oben, ohne je 
ber Dheologie uneingebenf ober gar untreu gu werben. Unb ©ie? 
— 34 bagegen flüchtete mi4, um ben ^egelrauf4 loS gu Werben, 
obwohl i4 nie Dergeffe, maS i4 |>egel Derbanfe, na4 Königs= 
’berg gu .v>erbart. — 3ntereffant, fehr intereffant! SBaS fanben 
©ie ba? —' ©ine Dafel Dom eteganteften atter ©runnenärgte 
felbft feroirt, aber au4 ftrengfte Diät oorgef4rieben, attc ©ac4a= 
nalien, jeber SBein aufs @ntf4iebenfte oerboten. ©in neuer 
©prubel beS heEften KrpftaEwafferS Derfolgte uns ©atienten bei 
jebem ©iffen. 34 geftepe, f4on na4 einigen Dagen fühlte i4 
müh erleüijtert, aber au4 entfepli4 nü4tern. Unb benno4, 
eins patte no4 in mir baS frühere fjeuer: mein ©laube. — 
Slu4 an perfönli4e Unftetblicpleit ber menf4ü4en ©eele? — 
Su4 an biefe bis gut wiffenf4aftli4en ©ewiftpeit! — SBiffen 
©ie was, mein füieunb? wir finb gu einanber berufen, wir 


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54 


Ute (Gegenwart. 


Nr. 30. 


werben unfern Umgang ohne jebe Unterbrechung, es ntufete benn 
ber Tob bajwif4en treten, fortfefcen. ©Sir werben hier am Orte 
fogar brieflich correfponbiren. 3», wiffen ©ie, was ich noch 
mehr bringenb wünfdje? Schreiben ©ie eljeftenS an mich einen 
©rief, in bem ©ie ausführlich 3h re ©rünbe für bie Unfterbltd)-- 
feit ber menfchlichen Seele jur Tarfteßung bringen. — 3<h 
fagte meinem neugewonnenen greunbe ju. ©chon am folgen; 
ben Sage oerfafete ich meinen Srief mit hö<hfter ©egeifterung, 
aber anch mit philofophif4ee Begründung beS-@egenftanbeS, unb 
fchidte meine 3uf4 r ifi mtberjüglüh ab. 

©3 mochten brei bis hier Jage oergangen fein, ba Hopfte 
eS an bie ©tubenthür. herein trat Karl Nofenfranj. Sr war 
— man fah es ihm an — bewegt, er war tief ergriffen. — 3h r 
©rief h Q i für mich einen unenblichen ©ehatt, er ift ein für aflc 
©tat entfcheibenb für unfer ©ertjältnife, er ift baS unwanbelbare 
gunbament unferer greunbf4aft, baS wirb einen Stufbau geben, 
beffen fe4 wenige ber Sterblichen ju rühmen haßen. gortan 
hatten wir es fo. 34 h°le fie jeben ©omtabenb Nachmittag, ob 
es bti|t nnb bonnert — ich erfetjc auS ihrer Sriefejpectoration, 
©ie lieben wie ich bie ©ewitter — ob es ftürmt ober friert, 
jum ©pajiergange ab. — ©Siffen ©ie, was mich beforgt macht? 
mein liebenswürdiger greunb, erwiberte ich- — SSaS benn? — 
Tafe ©ie bei ihrem jarten Körperbau, bei Sh rer » wie wir f4eint, 
trofc SNagbetmrgS, fübtichen Natur, auf bie Sänge unfer norbi= 
fcheS Klima nicht auShatten werben. — ©eien ©ie unbeforgt, baS 
macht mir nij. 34 bin abgehärtet gegen jebe Temperatur. 
©Sir wollen uns ©eibe ferner abhärten, ©ie fdjreiben mir jwar 
in ihrem ©riefe: fchwüle tropifche $i|}e fei baS fruchtbarfte ®(e= 
ment für ihre ©ebanten. Stuch ich bin nicht ungefegnet geblieben 
Oon tropifchem Sommer in meinem geliebten $eibetberg, aber 
uns Werben ©ebanlen nie einfrieren, wir bürgen uns Seibe ba= 
für. — Tiefe ©ropljejeiung meines ift genau ein; 

getroffen. Nach Weitern, hödjft Wichtigen ©emerlungen über Uns 
fterblidjfeit oerliefe er mich wit ben ©Sorten: Sllfo nächften Sonn- 
abenb finb ©ie mein ©efäferte auf unferer ©romenabe. 

©Sie mich in obiger Nebewenbung ber StuSbrud: Nij, ftatt 
beS bei uns gebräuchlichen, froftigen Nichts eleftriftrt hatte, wie 
biefeS Nij ihm fo lieblich ftanb! ©S Wat für mich «in ntufifa; 
lifd^er SuSlaut. 3<h h°be folchen wohl fpäter erft in Deftreüh 
wieber Oernommen, obwohl ber 0eftteid)er nicht minber meto; 
biöS lieber nit wählt. ©u4 mein greunb gewöhnte fich, ju 
meinem Bebauern, nachmals an unfer norbbentfcheS Nichts; ich 
hätte lieber gefelfen, er wäre beim Nij geblieben. 

Unfere ©pajiergänge ©onnabenbs würben nun regelmäfeig 
fortgefefet, burch SNonate, 3ah*e; fie würben uns ein förmlicher 
nttb boc| fo freier SebenS;©ultuS. ©ie würben nur bann unter; 
brocljen, wenn Nofenlranj, ber jefet in ber ©rüfungScommiffton 
war, ein ©jcamen abjuljalten hatte, ober burch Kranfheit, nie 
burdf Ungunft beS ©Setters, am längften feboch, ju meinem in; 
tenfioften ©cfemetj, als Nofenfranj in ben oierjiger 3ah*eu nadh 
©erlin ins SNinifterium berufen würbe, fogleidj aber fortgefefet, 
als er nach Königsberg jurüdfeljrte. ©ufeerbem nahmen meinen 
greunb hierorts grofee ©efeßfchaften oft in Shtfprudj. ©BeS geijte 
nach ihw, ba er aßerbingS ber feinfte, änmuthigfte, unerfd)öpf= 
lichfte ©efeflfdjafter war, ben ich i e erlebt habe. Unb boch, wie 
oft geftanb mir Nofenlranj: Sich, 3ung, ben Umgang mit 3hwen 
erfefct mir leine anbere ©efeHigleit; haben wir einmal einen 
©onnabenb ausfaßen taffen, fehlt mir etwas! Ter ©ang mit 
3h«en SamStagS hat für mich etwas unenbtich ©eruhigenbeS. 
34 arbeite am Sonntage barauf oiel frifcher, begcifterter, wenn 
wir TageS Oorljer unfre ©leuftnien begangen haben: — ©Sie foß 
ich bem Sefer auch nur entfernt Oergegenwärtigen, welchen Neij 
biefe ©Sanberungen, ©iebeteien für uns hatten? ©oß ich fl* *>er= 
gleichen mit ben ©elbftunterhaltungen 3ean SacqueS NouffeauS 
auf einfamen ©pajiergängen? Tie unfern waren ja jweifam, 
an ©ntjüdungen faft no4 reifer, weil es geteilte greube war. 
Unb boch jener ©ergteidj wäre nicht ganj unpaffenb. ©elannten 
(Confessions), oertrauten, ja beichteten wir einanber boch ®ßeS 
unb SebeS, was bie SBBoc^e unS im ©eufeern, mit ©infdjlufe aßer 
Siteraturen, wie im tiefften 3unern gebracht hatte, lagerten in 


einanber ab bie oerborgenften ©etjeimniffe, Oott benen wir wufeten, 
bafe fie ewig in uns oerblieben. Unb biefe gerabeSwcgS ent; 
jüdenbe ©ßgegenwart ber greunbf4aft! ©Säljrcnb wir bie 
eigenartigen ©ebanlen auStaufchten, accompagnirte unfere ©e; 
fpräche ficht; unb hörbar bie Natur. Keine ihrer Schönheiten, 
Schauer, ©rfjabenheiten entging uns, ebenfo wenig wie wir bie 
©rbeiten, bie ©nfiebelungen ber ©tenfdjen ba braufeeu unbeachtet 
liefeen. ©o fehritten wir meilenweit burch bie ©uen, burch; 
wanberten Thalfchluchten, bichte ©Sätber — bie eS bamals noch 
gab —, folgten bem murmetnben ©aefee, währenb bie Serdje 
broben jubilirte, tarnen (nie bergefe ich’«) an einem Räuschen 
oorbei mit heßblauen genfterläben. — Sehen ©ie, rief mein 
©egleiter, in bem ba müffen gtüdlidje 3Renf4en wohnen! — 
Nun wählten wir, ohne mübe ju fein, aus reinem ©ehagen, einen 
Nuheplafe auf ber ©aut beS erften beften, ©aftljofeS Hingt ju 
oornehm, SanblrugeS, liefeen uns Kaffee geben, auSnafemSWeife 
©unfeh, raubten eine ©igarre. 3e|t ging unfer Tialog bet 
Seite nach in bie Unermefelidjleit, liefe aber auch baS tleinfte 
Tetail ber ©Siffenfcfeaft, Kunft, beS öffentlichen SebenS, ber 
realften ©Sirllühteit als folcher, nicht unbeachtet. 34 weife nicht, 
Was hühern ©uffefewung in uns nahm, bie ©oefie ber ©er; 
gangen heit, ©egen wart unb Butunft — auch Nofenlranj hatte 
feine ber Nomantit gehabt — ober bie ©hilofophie, baS 
©hilofophiren in gewagtere, oullanifchere Tiefen ber ©peculation 
mit ©mpebotleS, bie ©hilofophie aßer Seiten unb Söller bis 
auf unfre eigenften, lühnften ©hitofopheme ohne ©ntfefcen, aber baS 
weife idh, bafe wir auf unfern ©ängen wie ©ifeungen, Selten unb 
©Seltfbfteme bur^gefprochen haben. Nofenlranj war bewanbert auf 
aßen Selbem ber ©Siffenfcfeaft, obwohl natürlich ©hilofophie feine 
Siebiingöfcienj war, Wie bie meine. (Sr war einheimisch in aßen 
TiSciplinen ber Theologie, ber Ned)t8= unb ©taatöwiffenfehaft, 
ber ©eographie bis auf jebe tleinfte 3«fel im Dcean, er war 
bewanbert in ben Naturwiffenfchaften, wo unS benn baS neuefte 
Icppothefengewimmel, biefe fabelhafteften, ledften SluSfagen oon 
ben ©tonten, SNolecülen, oom ©ether, oon ©ett)er= unb Sicht; 
weßen fyöfyüd) ergöfeten unb ju unenbUchem Sachen erregten. 
SSie benn überhaupt in unferm Umgänge baS Komifdje, bet auS; 
gelaffenfte |»umor, wie ber ©rnft unb baS ©rhabene bie leb; 
haftefte Noße fpieiten. Nofenlranj entbedte in mir bie jweifel; 
lofefte ©nlage jur 3eonie, jur Satire, jum £>umor, jum fchärfften 
SatlaSmuS, unb brang in mich, fie boch ja ju cultioiren. 34 
habe baoon mit ©rfotg ®ebrau4 gema4t, unb jwar in breien 
meiner ©Jerle: im NoSmarin, Tarwin, in ©anacee unb Theo; 
bicee*), in ©eftaltungen wie Dr. ©purjheim, SNt. Sofenfon, 
im Uropapa unb ber ©pectralfpnthefe, in ben ©aricaturen, 
©Serie, wel4e Nofenlranjen unb oielen ©nbern heitere ©tunben 
bereiteten. ©4on lange oorher entf4ieb Nofenlranj für mein 
ganjeS Seben in golge eines meiner SNanufcripte, bafe i4 für 
ben ©utorftanb berufen fei, bafe i4 nur bur4 ©robuction unb 
immer neue in ©oefie unb ©rofa, §immel unb $öße in mir 
oerföfenen, in meinen metaphhfif4en Kämpfen ben Sieg baoon 
tragen werbe. 3um ©eamten als fol4em fei i4 oiel ju ferupu; 
lös. — To4 weiter im Obigen: Nofenfranj war einheimif4 i« 
aßen Siteraturen, in ber franjöfif4en überaß ju §aufe. SBer 
hat Tiberot unb fein 3eitalter fo meifterhaft jur Tarfteßung 
gebra4t, wie er? Keiner! Tur4 bie ©4rift über Soltaire oon 
Taoib ©traufe war er bur4auS ni4t befriebigt. Tafe Nofen; 
Iranj baS ©Jefen ber granjofen fo ganj unb gar ju treffen oer; 
mo4te, würbe au4 babur4 oermittelt, bafe in feinem Natureß 
felbft ein franjöfif4eS SngrebienS fid) bemertbar ma4te, ba 
er, ob au4 nur entfernt, aus ber franjöfif4en ©olonie ftammte. 
©lei4wohl war er bur4 unb bur4 eine germanif4e Natur, 
nnb wenn er, au4 int Umgänge wie in feinen Süchern, e4t 
beutf4en ©eift, in beffen ganjer Tiefe unb §öf)e mit ber ©nmutfe 
unb ©rajie beS ©fprit ber granjofen oerbanb, fo war er bo4 
©ermane im üoßften Sinne beS ©SorteS. Nofenfranj, ber ©feilo; 
foph, ift leineSwegS bamit 4aralterifirt, bafe man ifen baS 


*) „NoSmarin", ein Noman 6 ©bt. (©todbauS), „Tarwin", Noman 
3 ©be. ((Softenoble, Qena), „©anacee unb Theobicee", 2 ©be. (BrocHjauS). 


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Nr. 30. 


ffl i e törßettwurf. 


55 


Gentrum bcr £>egel’jtßen Scßule genannt ßat. Slflerbingd ßielt 
er ed Weber mit ber rechten noeß mit ber linfen ©eite, aber er 
War aucf) feinedWegd öoßftänbig einöerftanben, Weber mit bcr 
ganjen ©ncßflopäbie unb bem ©efammtorganidmud bei ^egel’jcßen 
©Aftern«, noeß baß biefed ißm je, wie teiber fo Sieten, etwa« 
anßaben tonnte, ißm feine urwücßfige Originalität unb fpeciefle 
©igentßümlicßfeit ju feßmälern. $eben wir nur bad (Sine ßer: 
öor, baff nitfer (Benfer in ber Slftronomie oietfac^ öon feinem 
Seiftet — ben er nie uerleugnet — abmeießt, jumal in ber 
fpecießen Slnficßt öom Sefen ber Sterne, aber aueß in ber 
jotalauffaffung unb ber Slnfcßauung bed Sternenßimmetd. 8u<ß 
war ber Poet, außerhalb ber Siffenfcßaft, ftetd in ißm tßätig, 
unb, obgleich er ber größte ©ewunberer ber Sleftßetif £egeld 
war, fo war er aueß einer ber größten Sleftßetifer für fieß fetbft 
mit bem feinften, umfaffenbften Äennerblicf für bad Statur* unb 
fiunftfeßöne. Sn feiner ganjen Sebendorbnung trat biefeö ßet* 
öor, in feiner eigentßümlicßften Sebendmeife. ©r pflegte bie Sunft 
in einem Umfange, wie ed wobt Senigen naeßgerüßmt werben 
fann- ©r war im Sefißt ber foftbarflen, wertßöoßften fiüpferfticß* 
fammtungen ber inbifeßen, ägßptifcßcn, grieeßifeßen unb römijeßen 
Sltertßümer. Sn ber Stetigion mar er ein bentenber unb ßöcßft 
gemiffenßafter Gßrift. (Ber Seife unb bcr ©ßrift waren in ißm 
ööflig mit einanber audgefößnt unb atfo immerbar ein#. 

(Biefe 3wif<ß'enbemerfungen waren nötßig, um bad ftolgenbe, 
in bem ei fieß oft um bie tiefften Ptßfterien bed menfeßtießen 
Sehend ßanbelt, in bad richtige Siebt treten ju taffen. 3<ß feßte 
hier ju bem Obigen Wieber jurüd. 

Unfere (Sänge würben auch Saßrten. Sir batten Sefannt* 
fdjaft mit gebitbeten ®utdbefi|ern in ber Umgegenb gemalt, 
empfingen ©intabungen, ßietten und an fotzen Orten in ben 
Serien oft Soeben ßinbureß auf, wo bann Stofenfranj SIfled an 
ßcß jog, wad in feine Stäbe (am. SJtan taufdbte feinem SJtunbe, 
ftnb hätte ißn fort unb fort fpreeßen bäten mögen, Slber aud) 
hier beobachteten Wir unfere alte Drbnung. Sir »erließen öon 
3eit ju Seit bie ffamitie, bie ©efeßfeßaft, unb traten wieber 
unfere Sanberungen ind Seite an. (Biefe greijügigfeit, Ungenirt* 
beit batte nach Ooraudgegangener, lebhafter Unterhaltung in bem 
audgefudßteften Greife auch wieber etwad Steijenbed unb jwar Sbßl* 
lifcßed, nicht etwa im Sinn XbeofritS, fonbern $omerd ba, wo er und 
in feiner Scbitbernng Urjuftänbe ber SJtenfcßßeit öergegenwärtigt. 
Stadj ber Stabt jurücfgelebrt, festen wir bann am Sonnabenbe 
unfre Prontenaben fort. 33) brauchte eine Steiße öon 93üdber= 
bänben, um unfere ©efpräcße ber ©ergeffenßeit ju entreißen. 
Sch erftaunte jebed einjetne SJtal, wo Stofenfranj biefe SJiannicß* 
faltigteit bed Spracbftoffd ßernaßm, bie am ©nbe jeber Sodße 
eine anbere war, einen Steidjtßum ber ©efteßtdpnnfte, ber ©ebanfen, 
ber ©tegreifdbejeidßnungen, ber Slugenblicfdfcßöpfungen, wäßrenb 
icß — bie Sabrßeit jwingt mir biefed ®eftänbniß ab — boeb 
öor Süße beffen, wad icß bem ffreunbe anöertrauen wollte, midß 
ebenfalld nießt ju (affen wußte, benn hätte man ed für adßt 
Sage auffeßieben wollen, fo märe ed fdßon wieber bureß anbere 
Unjäßticbfeiten öerbrängt gewefen. Sn Welchem ©rabe Stofen* 
tranj original, urfcßöpferifcß ju fein »ermodßte, bad ßabe icß auf 
biefen ©ängen in ©rfaßrung gebracht. (Bann ftaunten wir über 
biefe plößließ ßeröorbrecßenbe Sßmpatßie jWifcßen und, über 
biefed 3ufammentreffen auf ben punft, in bem, worauf ed antam, 
fo baß mein ©efäßrte bann geftanb: Sir nehmen und badfeibe 
Sott aud bem SJtunbe! —> @d bleibt mir felbft in biefer (Bar; 
fteflung nießtd übrig, ald aud bem, wad Scgion unb wieberum 
Segion ift öon ©injeljügen ber ©igentßümlicßfeit, öon Siebe* 
menbungen, Studbrücßen bed $etjend, ßöcßfter Segeifterung, brol* 
ligem, erjfomifcbem ©infafl unb fortreißenber ©rßabenßeit, groß: 
artigen Sbeen, auf gut ©lücf einige (Bctaild ßetaudjugreifen. 
®r, ber jebed Sort überwachte, öom feinften gefetligen Saft, bet 
ftrengften pflichttreue, ber felbftlofeften ©enügfamfeit, ber nobelften 
Umgangdfitte mar, bem ber eble Studbrucf jur anbern Statut, 
organifeß geworben, er fonnte fteß aueß, wo ed galt, fieß eined 
heiligen Swned entlaben, befonberd wo ed auf Stecßt unb Un* 
reeßt aitlam, jebem Stanbe unb Stange gegenüber oßne SJtenfcßen* 
furcßL So waren wir einmal auf einem unfrer weiteften 


' ©änge in bie wießtigften, anjießenbften ©efpräcße öertieft unb 
jwar auf ber Sanbftraße, ba (am ein $err, ben ich noch bnjit 
fogleicß erfannte, unb jwar ein fperr öon Slang ju Stoß einßer* 
gejagt, oßne einen Samungdruf an und ergeben ju laffen, aud: 
, juweießen. SJtit genauer Stotß feßwenften wir und jur Seite. 

Sa ßätte man meinen ©efäßrten feßen fotten, in wel^ed ffeuer 
; er gerietß, fo baß befagter Steiter nießt wußte, wie er in wilbefter 
©atriere baöon (ommen fottte, ald ißm Stofenfranj naeßrief: 
(BonnerWetter, mein $err, wie tönnen Sie fo gegen bad ©e= 
feß freöeln? Oßne einen Saut öon fieß ju geben auf bie ©efaßr 
ßin, jwei Sßr« Stebenmcnfcßen überjureiteu! — ?(ucß biefed 
(Bonnerwetter! (leibete ißn präeßtig; icß ßätte biefed ©ewitter« 
i nießt entbeßren mögen auf unfrer Sanberung. 2(ucß nießt unter 
anbern Umftänben. Senn bewunberte Stofenfranj eine Schön* 
ßeit in SJtenfcßengeftalt ober in ber (Biction, in Profa ober 
Perd, ober erjäßlte icß ißm, Wie icß mich angeftrengt, um in 
fürjefter 3fit jeßt eine Arbeit meinet Seber öottenbet ju ßaben, fo 
pflegte er aüertiebft audjurufen: Sonnermetter! Unb wieber: 
(BonnerWetter! wenn Scwanb fieß ind Seine geworfen ßätte, 
in eleganterer Reibung ißm entgegentrat; welcßer Pracßtruf 
aueß 3ewpiß gab nießt blöd öon feiner unbefangenen, frifeßen 
Statur, fonbern aueß öon feiner reinen, unfcßulbigen Äinbließfeit. 
— Dbwoßl ber Srefflicße midß ftetd überwachte, fo ju fagen: über- 
öäterte, meinen ©ntßufiadmud jügette, ftetd, wo icß, im Saß bie 
föftlicßfte Unterhaltung mich ßinnaßm, ßätte maßlod werben 
fönnen, unb afle 3ett öergeffen ßätte, fo würbe boeß aueß er in 
unfern (Bialogen, ganje Selbgebreite ßinburÄ, tief in ben Slbenb 
ßinein, oft öon einer ©lutß, einer Segeifterung erpaeft, baß icß 
öon ißm felbft noeß meßr entjünbet, noeß ftärfer ergriffen würbe. 
So (eßrten Wir einft fpät — ed war tängft finfter — naeß ber 
Stabt jurüdf. Ser (Bonati’fcße dornet glänjte ßodß am #immel 
in aßet Pracßt über und. Stofenfranj ftanb ftiß, mied mit ber 
reeßten £anb naeß Oben unb rief: 3“ng, wenn wir ©eibe 
und bermateinft nießt wieber finben bort oben, bann 
gibt ed fein Sieberfeßen! 

@d gab aber aueß ftarfe Sifferenjpunfte jmifdßen und, wad 
Hnficßten, fogar pßilofopßifcße Stefultate betraf, weldße unfern 
Umgang noiß meßr anfeuerten, ald ed bloße Uebereinftimmungcn 
in Slflem unb Sfbem öermoeßt ßätten, unb fteße ba, in SSieten 
einigten wir und wiber ©rwarten feßneß, in Stnbern Wicßen wir 
utioeränbert in unfref Seltanfcßauung, aueß fogar ba, wo ed 
fieß um Wiffenfcßaftlidße Söfung gewiffer ßoeßmießtiger Probleme 
ßanbelte,- jeittebend ab, wad Wir ©eibe aber aueß reijenb be* 
fanben. Stofenfranj ßätte fteß öiel meßr in ber Unterhaltung 
in feiner ©ewalt, ald ieß, bann fonnte aber aueß er aufbraufen, 
ftürmen, uub auf einem heiligen 3ornfeuer baßin faßren. @r 
ßätte mieß fo gern, roenn icß in feinem 3immer auf* unb ablief 
unb wetterte, büßte, bonnerte. Sann würbe aueß er ein ©e* 
witterer, baß ieß jufammenbebte. Set und in ber Stebenftube 
bernommen, ßat geglaubt, Wir wären in ßeftigfter 3wietraeßt be* 
griffen. Ptit nieten! Sir feierten Wieber ci|mat (Bionpfien, 
wir feßwelgten in Seligfeiten. 

Sm Saufe ber Soeße waren Stofenfranj unb meine Senig* 
feit unermübet tßätig; unb jwar unmittelbar praftifeß wie pro* 
bueäö. ®d ßat nie einen gewiffenßafteren, begeifterteren (Bocenten 
an ber Unibctjttät gegeben ald Stofenfranj. @r war aueß ßier 
ein Sobfeinb aßer bloßen Sieberßolung. bed grüßem, jener ein 
für afle ©tal, Saßr aud S°ßr ein ju befaßrenben ©leife. @r 
war bemüßt, feine ©orlefungen mit einanber in öoflen ©inflang 
ju bringen, unb boeß ßdß immer neue Pläne für aße fünftigen 
ju erftnnen, für jebed Semefter fieß neu ju entpuppen, ©r maeßte 
Stubien auf ben öerfißiebenften ©ebieten. @r war aueß barin 
eine glänjenbe Sludnaßme in unfrer 3 c 't» baß er bie tßeuerftcn 
©üeßer fieß felbft anfeßaffte, aueß ßier nie eine Sludgabe feßeute; 
feine Sibliotßef war überreich unb öoflftänbig befeßt, Slfled unb 
Sebed würbe fogleicß gebunben; et maeßte überaud feiten ©ebraneß 
öom ©ü^erleißen, jebed Sueß beßanbelte er mit einer Sauber* 
feit oßne ©leießen, unb wenn et einmal ein itnb bad anbere 
ließ, fo gab er ed feßr halb, aueß barin ßöcßft gewiffenßaft, 
wieber jurüef unb nie oßne Umfeßlag. Sin maneßem anbern 

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56 


Die töegenmart. 


Nr. 30. 


©ücperleiper pat er bie abfcpeulidpften ®rfaprungen erlebt, unb 
nie baS ©erliepene jurüdbeforamen. ®S ift befannt, bafe Stofen; 
franj einer bet frueptbarften ©epriftftefler unfrer Siteratur ift. 
Darf ict) nun auep non mir in obigen ©ejiepungen ettoaS auS; 
fagen, fo patte icp auep meinerfeitS baS ©ebürfnife, toie leiben; 
fcpaftlicp icp ber Literatur ergeben toar, praftifcp mief) ju be; 
tätigen. Die Xtjätigfeit, bie icp gegen etwa breifeig ber 3ap*e 
auSübte, toar eine päbagogifdpe, opne bafe ict» jeboep ^Beamter mar. 
Die ©robuctioität auf bem ©ebiete ber Siteratur naprn auep 
meinerfeitS jept immer mepr ju in ©rofa unb in ©erS, mie icp 
benn fepon in ©ertin, mag ben leptern betrifft, eine reiche 
©eriobe gehabt batte. ©ofenfranj begleitete auch meine litera; 
rifdpe SBirffamfeit mit ber unmanbelbarften Dreue unb Auf; 
merffamfeit. Sitte meiner erften fleinern Seiftungen, bie fepr 
beifällig aufgenommen mürbe, maten „AuSfteßungen über $eine" 
im SKunbt’fcpen „SobiacuS". ©ofenfranj trat eines ©onnabenbS 
in mein 3intmer, legte ein ©ofabücplein mir ju Rauben auf ben 
Xifcp. ®S mar, unoergefelicp, Sari ©upfornS „SBaflp". ©lein 
greunb moflte bamit fagen: Da ift etrnaS für 3P*e Sritit. — 
©erabe oon fritifeper ©eite per patte miep ©upfom juerft fepr 
für fiep eingenommen burep jene niept bloS genie=, fonbern 
titanenhaften Srititen im „©pöniE". SEBolfgang SJlenjel patte 
©upfom nidpt allein angegriffen in einer ©ecenfion, fonbern 
Oerbäcptigt, ja benuncirt. 3<P fas SBaHtj, erfreute miep fepon 
am ©til, ber in ber Dpat ganj neue SBenbungen, eine ganj 
neue grifdpe unb Süpnpeit in bie Darfteflung braepte, fo bafe 
icp bereits bamalS ben ©eniuS in ©upforo ertannte, ber fitp 
reidplidpft bemäprt pat, obmopl icp fepr abmeiepenbe Anfiepten 
oom ©priftentpum pegte, mie fie bie 3 1D eiflerin SBaHq !unb 
gab. Aber SJlenjel, ber fiep fepon an ©oetpe oergangen patte, 
empörte mi<p. ©o entftanb meine erfte felbftftänbige ©dprift: 
„©riefe über bie neuefte Siteratur" (’fpoffmann unb ©ampe, 
1837), in ber bie „gragmente über ben Ungenannten" bie 
©ertpeibigung ©uptoms gegen SJlenjel entpalten. ©upforo felbft 
pat in ber 3«tfdprift „Ster Selegrapp", mie fdpmierig bie 
Aufgabe für ipn mar, meifterpaft mein ©udp beurtpeilt, mit 
maprpaft feurigem Dan!, er pat miep bamalS in bie Siteratur 
eingefüprt, mit einem ©eproung unb einet grifepe ber ©oefte, 
meldpe grofee Hoffnungen auf midp fepte. ©ofenfranj unb idp 
oerfolgten nun ©upfotoS ©ntmidelung unb Saufbapn oon ©epritt 
ju ©epritt. ®S mar für raiep ein gemaltiger ©cpmerj, bafe 
fpäter ©ofenfranj unb ©upfom ganj mit einanber jerfielen. 
®S ging ©ofenfranj äpnlicp mit ©epeßing, unb benjtodp blieb 
fidp ©ofenfranj immer gleicp in bemunbembet Anerfennung 
jener ©eiben. Auf unfern ©pajiergängen maren mir uner; 
fepöpfliep an Sermutpungen, mie fidp ©upforo unb ©cpelling 
meiter fortgeftalten mürben. 

(©djtufe folgt.) 


Wad) ®lpmpta. 

Das gntereffe für Olpmpia, ©epritt paltenb mit ben ©e; 
fultaten fortgefept ftattfinbenber Ausgrabungen, ift berartig im 
SBaepfen begriffen, bafe bie oor furjem unter bem Xitel „2Baß; 
faprt naep Dlpmpia"*) erfepienenen S. ©ietfcp’fcpen Steifebriefe 
fiepet fein bürfen, einer freubigften Aufnapme beim publicum 
ju begegnen. Um fo mepr als fie ju bem ©adplicpen, ju bem 
unfl ©infüprenben unb Auffcplufegebenben, auep noep ben Steij 
jener plaftifdpen Anfcpauliepfeit unb funftbotl roeepfelnben ©cenerie 
gefellen, ben neben bem angeboren fünftlerifcpem Auge nur eine 
reidpe ißrajiS oerleipt. Denn mie baS Steifen gelernt fein miH, 
fo audp bie Steifebefcpreibung. 3<P fomme meiterpin auf biefeit 
©egenftanb juriief. Hier nur baS: eS ift bie Sunft, oom Sieben; 
faeplicpen abjufepen, unb baS Auge lebigliep auf baS ©paralte-- 
riftifepe pin ju riepten, auf jenen einen ©unft, auf ben es an; 

*) Sallfaprt naep Olpmpta, Aeifebrtefe Oon SJ. ©ietfep. i 
©ttlin 1879, Setlag oon griebriep Sudparbt. 


tommt. AIS einen SJteifter in biefer Sunft — bie, beiläufig 
bemertt, am allerglänjenbften oon bem Senter unb Seiter unfeter 
politifepen Angelegenheiten in feinen „Steifebriefen" geübt morben 
ift, fo glänjenb, bafe ein titerarifeper greunb auSrufen burfte: 
„®in ©tüd für uns, bafe er niept audp ©cpriftfteQer gemorben 
ift" — als einen SDteifter in biefer Sunft nenne idp neben jenem 
„©anSpareil" autp unfern S. 5ß. 

golgen mir ipm junädpft auf ber Hi nre *f e - 
Der SEBeg, ben er pielt, mar ber an ber italifcpen Oftfüfte 
pin bis ©rinbifi. ©on Senebig aus füblicp überrafept ipn bie 
geringe ©ipönpeit ber ©cenerie. „Die lanbläufigen ©orfteüungen 
oon italienifcper Slatur, mie fte bei ber SStenge burdp baS fpfte; 
matifepe Sügenfpftem bet SJtaler, ber ©oeten unb ber fepmär; 
merifipen Douriften peroorgetufen finb, biefe ©orftettungen ju 
miberlegen, baju gibt eS fein geeigneteres SJtittel, als eine 
@ifenbapnfaprt oon Senebig bis ©rinbifi. gtalienS ©(pönpeit 
ift über bie SBeftfüfte auSgefdpüttet. An ber öftlicpen oerfupr 
bie Slatur mit offenbarem ©eije. ©on SJteftre bis ©ologna ein 
ermübenbeS einerlei beS ©ilbeS, barüber ein trüber, grauer, 
fonnenlofer Himmel, unb eine talte, jebem ©ertiner SJtürjtage 
®pre maepenbe SufL" SBeiterpin belebt ft<p bie Sanbfcpaft auf 
eine furje ©trede, aber uur um abermals einer müften glätpe 
©lap ju maepen, bie !aum pier unb ba burep eine armfelige 
©epafpeerbe belebt mirb. „©egen foldpe italienifdpe Sanbfdpaft 
ift bie öbefte ©teile ber SJtarl ein üppiges ©arabieS." ®rft 
meiter gegen ©üben pin beffert ficp’S, unb „ber ungepeure 01iüen= 
garten beS SanbeS fdpiebt fidp meilenmeit in biefe troftlofe Slacp; 
bilbung ber Süneburger H fl ibe pinein". 

gn ©ari finbet unfer Steifenber ©efettfdpaft. ®in älterer 
Herr mit fepr auffattenben licptblauen Augen, beten ©tern ben 
unteren Stanb beS oberen SibeS taum berührte, mar eingeftiegen. 
„SDSir fupren allein, einige oon ipm gemadpte fpracplicpe Saft; 
oerfuepe füprten alsbalb ju ber frop überrafepenben Sntpüllung 
beiberfeitigen DeutfcptpumS. 

SBopin gepen ©ie? fragte er. 

Slacp ©rinbifi unb ®orfu. 

Unb oon ®orfu? 

©a^ ©atraS. 

Unb oon ©atraS? 

©a^i Dlpmpia. 

SBunberlicp; baS Alles miü idp auep. 

®ine miütommenere SteifegefeUfcpaft pötte fiep niept finben 
laffen. es mar Dr. ©ittner, geborener Dejtreicper, ber in allen 
Sänbern europaS unb im Orient ju H au f c * ulS ein allerer; 
faprenfter Steifenber aUe ©praepen gleidp meifterlicp beperrfdpte. 
Die Italiener, mie icp midp fpäter überjeugte, moQten nidpt 
glauben, bafe er tein gtaliener, bie ©öpne AlbionS, bafe er fein 
englänber, bie ©riedpen, bafe er fein ©riedpe fei. Unb baS 
reidpfte Seben lag hinter ipm. ©edpSunbbreifeig 3apre Seibarjt ber 
Herjogin oon ©errp, mit Heiomcp V. feit beffen jtebjepnten 3«pre 
befannt unb üertraut, mar er ein lebenbiger Dpeil unb bie in; 
tereffantefte, eingemeiptefte Spronif beS legitimen franjöfifcpen 
^önigSpofeS ju ©euftabt, ©enebig unb gropSborf. SBie oieles 
Unbegreifliche in bem ganjen potitifepen ©ebapren beS ©rafen 
epamborb fepten mir feine ©tittpeilungen in ein fo ganj anbereS 
unb fiepet in baS ridptige Sicpt. SBeldpe gütte föftlicpen 
SStemoirenmaterialS fap unb apnte icp in biefeS trefftiepen Doc; 
torS Äopf aufgefpeidpert! SBaS pat er erlebt unb gefepn, morin 
ift er eingemeipt gemefen, er, ber ber S©utter beS lepten fran= 
jöfifepen ©ourbon bie Augen jubrüden burfte! 3« bem lebpaft 
angeregten feffelnben ©efprädp mit biefem ©eifegenoffen floffen 
bie lepten ©tunben ber langen gaprt rafcp bapin." Dr. ©ittner, 
mie pier eingefcpaltet merben mag, ftarb fepon baS 3“pr 
barauf, 1877. 

Unb nun mar ©rinbifi erreicht, Oon bem feit ®röffnuitg 
beS ©uejcanateS proppejeit morben ift, bafe ipm bie Seiten Oon 
„©runbufium" in altem ©lanje miebererftepen mürben, jene 
Beiten, mo bie glotten ©omS mit aßen ©cpäpen, mit aßem 
©aube bet Sänber ber befannten ©Seit belaben, pier Anfet 
marfen unb bann friegS; unb pradptgerüftet aufs ©eue ausliefen, 


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Nr. 30. 


57 


JDie <S»fgenamrt 


um neue SReichtpümer gur ©tiflung beS ungemeffeiten ©olb«, 
3Racht« unb ßuftoerlangens peimgubringen. Aber jene ©toppe« 
geiungen fcpienen nicpt in ©rfüflung gehen gu foflen, „oiel be¬ 
lebter als bie ßagune oon ©enebig erwies fiep baS ©eden oon 
©rinbifi nicpt, toäfjrenb bie Stabt fetbft eins bet armfetigften 
heftet barfteflt". 

@ine8 langen SBeilenS innerhalb bet ©lauern biefes „StefteS" 
fap fiep mtfer Sfteifenber überpoben; noch in betfelben 9tadjt 
brach bet Heine Dampfer auf, um feinen Änfer erft nach etwa 
breiftigftünbiger gaf)rt, im Hafen non ©orfu wieber faßen gu 
laffen. Zem Aufenthalte auf biefem „©ilanbe ber ©päaten" ift 
eins bet reigenbften ft'apitet beS ©ucpeS gettibmet. 2Bie fdpön 
bte nacpftepenbe furge ©dfjilberung: ,,©or einem ber oereingelten 
weiften, weinlaubumranften ©auernpäuScpen fafjen auf bet ©tein« 
ban! gtoei SRänner mit tiefbtaunen ©eficfjtern unb bunlelglüpenben 
Äugen. Sföit natürlicher liebenSwürbiger greunblicpleit luben 
fie uns ein, bei ihnen auSgurupen, wenn wir unS ringsum fatt 
gefehen hotten. AIS wir eS gethan, fdjätte uns ber Hauswirt!) 
bie eben gepflüdten golbigen Drangen, mifd»te uns SEBaffer mit 
3Ri8bta=ßtqueur unb reichte unS mit biefen erquidenben ©aben 
reine Zücfjer für bie Hänbe. Zer Zoctor plauberte, währenb 
wir uns bie föftlidhen grüßte munben liefen, im beften 9teu« 
griecptfcp mit ben SJlämtern, als gwei junge ßJiäbcpen non oier« 
gepn unb fünfgepn Sapren in fchwarjen Kleibern unb mit groften 
fcptoargbraunen Augen perangefprungen tarnen. Zie eine, bie 
Zoster unfereS ©aftfreunbeS, blieb oerfcpämt oor ben gremben 
ftepn. SEBir fragten fte nach ihrem ßiarnen. „Äpprobite!" Uns 
©eiben würbe wunberlich gu SRutp. ZaS ÄßeS War fo eigen, 
fo mörchenhaft, unb bodp fo gang bie holbefte SBirHicpteit. SBir 
ftpieben in eigenthümlidher ©ewegung oon biefen Wonnigen, buft« 
reichen ©pielptäpen ÜRaufitaaS unb werben ihrer nicht leicht 
oergejfen." 

Zer Aufenthalt in ©orfu hatte gwei Zage, Dfterfonntag 
unb Dftermontag gewährt; am Zienftag früh ««hm bie Steife 
ihren gortgang unb führte, mit furgen Anläufen in S'e^atonia 
unb Baute, in Wenig länger als oietunbgwangig ©tunben nach 
©atraS, ber nädhften petoponnefifchen ^afenftabt hinüber, ßtod) 
im testen SKoment waren neue ©aftagiere bem Zampfer gu= 
geführt worben, ß. ©. befchreibt fie wie folgt, „©eiten habe 
ich einen fo tragifomifcpen Änbtid gehabt, ©ine Heine italienifche 
©änger« unb SDtimentruppe, bie nach ©prgoS engagirt gu fein 
ftpien, beftanb gunäcpft auS brei Zamen oon oerfchiebenen 
AlterSftufen, etwa gwifdjen 23 unb 48. Zanadj oariirten 
benu auch bie ’SeibeSumfänge. Zie ©rimabonna hatte fiep 
wenigftenS ein ©aar fcpöne Äugen auS bem ©chiffbruch beS 
ßebenS gerettet; bie Ältiftin trug ihr ©ambino auf bem 
Arm, baS fie mit rüprenber Bärtlicpfeit oerpflegte. Aber 
aße an ben kleinen geleisteten ßiebesworte liefen nur gu beut« 
lieh bte gange Ziefe beS 3ammer8 jener gefänglichen ffunft« 
genüffe ermeften, bie bem ©ublicum oon ©prgoS bemnäepft be« 
oorftanben. Zer ©rimohuomo, ein junger Zreiftiger, bem man 
ben ehebem geübten ©arbierbetuf an bem Heinen ©chnurrbärtchen 
unb ben büntten, naffen, glatten, langen unb blonben Haarfträpnen 
angufepen meinte, trpg eine graue Zede malerifch brapirt über 
bie Schulter geworfen unb jwei grofte SRitterfcpwerter, forglich 
in ©apiet gewidfelt. Zer erfte ©öfewiept, Zuca unb Zprann, 
ein gelber, fdpwargbärtiger, hagerer Sago oon ßtatur, hatte 
einen graucarrirten ©laib um ©ruft unb ©chuttern arrangirt unb 
feine güfte bereits in oielfaltige, pope, weiche ßtitterftiefetn ge« 
fteeft. SRit ihren Soffern, Siften unb ©etten ridjteten fie fiep 
auf bem 3u>if<henbed für bie Stacht ein. Um SOtitternacht, als 
ber „©ambino" fcijlief, fa^en Aße oereint auf ber ©ant am 
©teuerrabe, bie ©teroe blidten über ihnen unb ich hörte fte mit 
ihren bünnen, arg mitgenommenen Stimmen, aber mit ed)t 
itatienifdjer ©olubilität leife ZuoS unb DuattroS auS ©erbi’fchen 
Opern tntoniren." 

An ben Stifetn, enblidh an SDtiffolunghi oorüber ging bie 
gahrt unb ju guter Beit würbe ©atraS erreicht, wo ©onful 
Hamburger fich mit Stath unb Zhat behülflidh geigte. Zer ©tan 
toar bahin gegangen, bie gahrt oon ©atraS nach ©prgoS — ber 


testen ©tappe oor Dlpmpia — ju SBagen ju machen; ©onfut 
Hamburger empfahl aber, eine fich gufäßige bietenbe Zampf« 
fcpiffSgelegenheit nach Sataloto (nahe bei ©prgoS) gu benu|en. 
Ziefern Stathe würbe gefolgt unb baburch an 3eit unb ©equem« 
lichfeit ein ©rhebtidheS gewonnen, trohbem bie ZagS oorljer 
gurüdgetegte gahrt in ihrer {weiten Hälfte noch einmal gemacht 
werben muffte, ß. ©. lernte baburch Bante, „bie ©lume ber 
ßeoante", näher fennen, oertieft üierunbjwanjig ©tunben fpäter in 
Satatoto baS Schiff, Warb am Ufer feitenS eines „©aftfreunbee" 
empfangen unb gteiS barauf nach ©prgoS geführt, oon bem aus er 
anbren Zages ben 3titt nach Dlpmpia antreten burfte. „Sühle 
Äbenbfchatten breiteten fich über bie Zhäler. ©nblidh toar ber 
Samm ber ©erglette erreidjt, bie mich uod) oon meinem Zages« 
unb SReifegiele trennte, unb oor mir öffnete fich i e fe* «u breites, 
grünes gtuftthal, burchftrömt oom ÄlpheioS, beften gefchtängelter 
ßauf ben testen Äbenbfchein beS erbteiSenben Rimmels fpiegetnb 
jurüdwarf. Zünfte, bewatbete ©ergeSfetten ftiegen jenfeitS auf. 
Unb fietje, gwifdhen oereinjetten, unregelmäftigen, nieberen ©tein« 
hätten hinburS, oor benen fich fdfjtoarje Schweine unb fchmufeige 
Sinber wätgten, an ©ruppen oon ßanbteuten unb SBeibern oor« 
über, hielten wir je|t auf ber tjöchften §öhe, hart am bufeftigen 
Abhang beS ©erggugeS, oor bem ©artengitter eines gröfteren, 
anftänbigeren, einftödigen ©ebäubeS, ber SEBohnung unferer ,,©om« 
miftäre". ©in junger 3Rann oon Heiner, wohlgebauter gtgur, 
mit bunfelbraunem .paar unb heßetem ©arte, teudhtenber ©tirn, 
baju mit oon ©eift, Slugljeit, geuer unb ßeben wahrhaft fprüljen« 
ben nnb jugteidh fanften unb freunbliihen, braunen Augen unb 
blifcenben, weiften Bähaeo» in jeher ©ewegung SRaftlojigfeit, 
elaftifcfte ©nergie unb ©räcifion, fam mir mit fdjneflen ©«^ritten 
entgegen. ©8 war Dr. ^»irfcftfetb, baS $aupt ber ©ommiftätc. 
„ffiißfommen in Dlqmpia! Sie finb uns fdjon angefünbigt, unb 
Spr Duartier, ift bereit, ©iel ©omfort wirb eS 3h nen ni'hi 
bieten." ZaS traf nun freilich gu. S« einem ©auernhaufe — 
in ber Stähe beS „ZeutfSen fpaufeS", baS üon ben ©ommiftären 
bewohnt wirb — waren mir unb anbern ©äften einige ©ieceti 
angewiefen. hinter biefen ©iScen lag baS als Südhe, SBopn«, 
©chtaf« unb Sinberftube bienenbe ^muptgemneh. Zie Schweine« 
ftäße, fchon ein grofter gortfdjritt, waren ins ©rbgefchoft oertegt 
worben; mein ßager ein überbedteS Srett, bie genfter einfache 
Ipotgläben. Zie nächtliche ginfternift, wenn biefe ßäben ge« 
fchtoffen würben, würbe wohltätig burch jenes freunblidhe |>alb« 
iidht erheßt, weldheS burch hutibert ßüden beS Zaches über mir 
hereinbrach, gum Zljeil auch burch heu fchwadjen @d)etn beS 
ßämpchenS oor ben §eitigenbiibern in ber einen ©de. ZaS 
SBafdfjgeräth ein irbener, flacher Zefler unb ein Heiner ©lech« 
topf. Aber 4 la guerre comme a la guerre. Auch biefe pöhe 
beS ©omforts Würbe oor Sähe «ob Zag im Zorfe Zruwa« 
Dlpmpia nicht gu finben gewefen fein." 

©ine ©tunbe fpäter oerfammettc fich i« 1 weiftgetünchten 
i ©peife« unb ©ibtiothefgimmer beS „Zeutfchen Kaufes" eine gabt 5 
I reiche Zafelrunbe: bie Hausherren Dr. Hitf^felb unb Ärchi« 
tett ©öttidher, ©rofeftor Äbler, Dr. SBeit, ©rofeftot ßöff« 
ftebt oon Upfata, ein ©aar oon ©atraS gefommene ©hotograptjen 
unb ß. ©. ©täne unb ©dhüberungen gaben bem teueren halb 
eine Hare Anfchauung ber Aufgabe, beS ©rreidjten fowoht wie 
beS noch gu ßöfenben. 9?ei<h unb unerf^öpfli^ war baS ©e« 
fprädj Wie ber gute tiefröthlidhe grie^ifdhe SBein, beften gefüßte 
gtafchen ftdh ununterbrochen auf bem Zifche ablöften. @o fchlieftt 
i ber erfte Zag in Dlpmpia. 

I Zie fünf fotgenben Sapitet beljanbeln nun ben Aufenthalt 
i an Drt unb ©teße; ber Herr Serfafter h«t *h« en bie Ueber« 

1 fchrift „Am B‘*l" gegeben. @r fdhitbert bartn gunächft bie 
I ßanbfchaft, wie fie fich h e «tt bem ©eifenben barfteflt, greift bann 
; hiftorifth auf bie 3«t ber olpmpif^ien Spiele gurüd, ergählt bie 
| fpäteren ©djidfale DtpmpiaS unb gibt guleftt ein ©ilb beö 
1 „ZtümmerfelbeS", baS bie Stätte begeiepnet, wo Dthmpia ftanb. 

Zaran reipt fiep weiterhin eine Aufgäptung bet 3nfcpriften unb 
I ©fulpturenfunbe ber erftenSampagne. ©nbtidp fchlieftt ©enrepafteS, 
in bem baS ßeben ber „©rüber oom Zeutfchen Haufe" fttggirt 
’ wirb, ben Äbfdjnitt ab. „Zie Zugenb ber ©aftlicpfeit gu üben," 


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58 


3D i e ® 131 ii ur« r t. 


Nr. 30. 


heiftt eS an biefer ©teile, „wirb ben ©rübern feit Seginn beS 
gtühjahrS immer reichlicher ©elegenheit geboten. gebe SSßod^e 
bringt neue ©efudjer. ©ouriften nur feb»r auSnahmSweife; übers 
toiegenb ©ete^rte, SllterthumSforfdjer, ©Ijitologen, barunter einige 
non Weit oerbreitetem Stuf, noch häufiger jene jugenblicften 3ög= 
tinge ber beutfchcn archäoiogifdjen Snftitute öon Sitten unb Stom, 
Welche ihre pflichtfchulbigen wiffenfdjaftlichen SBanberungen über 
ben flafftfdjen ©oben beS ©eloponneS, natürlich aud) auf bie 
gegenwärtige $auptftation Olympia auSbeljnen. SDteift liebenS-- 
würbige junge ßeute, gefdjeibt unb non gentlemäunifchem SBefen. 
Sie lernten burdjweg baS flafftfche Sllterthum berartig „auSwenbig", 
baft einem armen greifdjärfer auf biefen ©ebieten angft unb bange 
Wirb. Slfle haben „fdjrecflich niel getefen" unb gelernt, unb ein be= 
neibenSWertljeS Vertrauen nicht bloS in ihre SBiffenfcftaft, fonbern 
auch in i^r eigenes Selbft fdjwettt meiftenS ihren ©ufen. Stur baSUr: 
theit über Schöpfungen. ber bilbenben Äunft fcheint guWeilen nicht 
gang unfehlbar gu fein. Sich, wie wahr! Slber auch anbere ©efucher 
tommen, felbft fotc^e, bie non „tühnen ©attinnen" begleitet werben. 
©aS führt bann oft gu wunberlichen ©eenen, ©in SSolfen-- 
bruch im 2ha 1 ift auf bie fdjönen Steifenben niebergebrochen unb 
nun erfcheinen fte, 3uflucf)t fuchenb, im „©eutfdjen §aufe", um 
hier burch @atten= ober 3ofenljülfe umgetleibet unb getrodnet, 
ober auch Wohl mittelft ftarfer ©hininbofen bem ßeben wiebers 
gegeben gu werben, ©nblidj folgt, ihnen gu ©hreit, ein gafts 
licheS Stahl, ©amt weicht plöfclich baS bis gum lebten ©rabe 
ber Sdjäbigteit abgebrauchte, rauhe ©ewanb ber Arbeit oon ben 
Schultern ber §auSgenoffen bem anftänbigen, fledern unb riffe= 
lofen Stocf, unb ber Weifte tpembfragen fcftmüctt mit feiten ge-- 
fehenem ©lang ben §alsfaum beS SBoflenhembeS, unb waS nur 
an gefefliger Stnmuth, an SBife unb ©fprit burch Seben auf= 
gubringen ift, rauft heron, uw twr bem garten ©afte gu brifliren, 
baft berfelbe an ©eift erquidt unb burchfonnt, wie an ffiteibern 
unb $aut getrodnet unb erwärmt, oon bannen gielje, bantbar 
ben Segen beS ©aterS 3euS auf bie Herren oom „©eutfdjen 
ftaufe" hetabßehenb." 

©er lefcte unb umfaffenbfte, in feinen Schilbetungen oiels 
leicht auch glängenbfte Slbfdjnitt beS Suchet führt bie ©efammts 
überfchrift: „£tuer über ben ©eloponneS." ©er #err Sers 
faffer hatte fü er Wohl baS ©efühl ©inge gu betreiben, bie oor 
iftra nur in wenigen SluSnahmefäßen befchrieben worben finb, 
unb aus biefem ©efühl erwuchs ihm eine befonbere greubigfeit 
beS Schaffens. ©aS betreten jungfräulichen ©obenS, auf welkem 
©ebiet eS immer fei, fteigert unfre ßuft unb ßiebe unb mit 
ihnen unfre Äraft. ©aS gute ©ewiffen eines befonberen StechtS 
oerleiftt uns föraft unb Sicherheit. ©et Stitt ging gunäChft nach 
'ßnbrihena, gum reichen ©aftfreunb SachaugpuloS, oon hier 
aus feitwärts nach Saffais©higalia, um bem 430 o. ©fit. feitenS 
ber ©higalener bem ©IjöboS Slpoßon inmitten einer Klippen* 
wilbnift errichteten borifchen lempel einen ©efudj gu machen, 
bann nach ®nbrifcena gurüd, um wieber bie grofte Strafte gu 
gewinnen. ©arauf oon Slnbtifeena nach SDtegalopoliS, ber 
Stabt beS ©paminenboS, bie nach bem Siege oon ßeuttra als 
eine ®rt „©rufcs Sparta" errichtet wnrbe. ©on SOtegalopoliS 
nach 2ripoli|a, oon ©ripotifca nach Stauplia, oon Stauplia 
nach Stptenä unb Korinth- ©nblidj nach Stiften. 

SluS ber Steifte beS in biefem Slbfcftnitt ©ebotenen gebe ich 
nur baS gotgenbe. 

ß. iß. War in SOtegalopoliS in einem £>aufe untergebracht 
worben, baS et für ein ®ftani ober ©aftftauS nahm. . ®ie 
Steugier aßer SOtitbewohner Würbe ihm ftörenb, noch ftören: 
ber, baft er auf feine Stbenbmafttgeit langer warten muftte, 
als {ich mit feinem junger unb feinen Slnfcftauungen oon 
prompter ©ebienung Oertrug, „©nblich erfChien eine f<hwarg= 
äugige ©ame, breitete ein blaugewürfeltes Such über bie freis 
gemachte Xifchplatte, trug gwei ©etter, ®rob, 9Bein, fogar ©läfer, 
ja fogar eine ©abel auf, unb fe|te eine grofte ©Chüffel ooß ge= 
locfttem ^ammelßeifch unb eine grneite mit oortrefflichem frifcftem 
Salat in bie SDtitte. ©er bärtige ^muSljerr forberte nunmehr 
bie gefammte Sugenb auf, fidi, mit ber SRutter gu entfernen 
unb fteflte fich mir, als er fi^ auf einen Schemel niebergelaffen 


unb oon bem ^ammelfleifCh mir ein ©rßedliChcS oorgelegt hatte, 
als ißaterfamitiaS Oor. ©r war nod) jung, erft 35. Ülber 
mit funfgehn fahren fChon Oerheirathet, war er mit fiinfunb; 
breiftig bereits SSater oon aCht Sinbern, barunter ein neungehn: 
jähriger Sohn. ®r imponirte mir in feiner ruhigen h^ttren 
liauSherrenwürbe ungemein, unb ich nahm aß meinen S3ofabet= 
befife, auch aß meine mimifChen ©alente gu ^ülfe, um ihm 
bie S3ewunberung eines auf biefem ©ebiete !aum minber er: 
fahrenen ©eutfdjen auSgubrüden. Stach beenbetem SDtahle breitete 
er eine Ärt h«te SOtatte, einen groben ©eppich unb ein reines 
ßeintuch barüber auf bem ©iclenboben aus unb entfernte fich 
mit beften SBünfchen für bie Stacht, ßeiber forgten bie oet: 
fdjiebenen ©enoffen beS StaumeS: Schwalben, junge $ühner 
unb waS fich fonft noch, wenn auch lautlofer als fte, über rniih 
hinbewegte, bafür, baft jene SBünfdje fich nut f e h* eingefChränft 
erfüßten. groß beS erften, burch ©adj unb ßäben einfaflenben 
SOtorgenliChtS, fprang ich auf, um auf einen bretternen 83atlon 
hinauSgutreten unb bie frifche Fühlung eingufaugen. ©a übet: 
rafeftte mich ein wahrhaft rührenbeS gamilienbilb. ®uf biefem 
fchwaitten Sretterboben lagen, bicht nebeneinanbet gereiht, noch 
im tiefen füften Schlaf, ber Hausherr mit feiner gangen männ: 
liehen Stadjfommcnfchaft, afle in ooßer ©arberobe, eine alte 
ißferbebede über fich auSgebreiteL Um bem „®aft" (benn es 
eS war lein SBirthShanS unb aus gutem bergen hotte man 
mich aufgenommen) baS 3immet ungeftört gu überlaffen, hotte 
man fich auSquartiert unb bie Stacht unter freiem $immel ge: 
fchlafen." 

SIm 12. SDtai war unfer Sieifenber in Slthen, unb SlngeftchtS 
beSfelben, als bie SllropoliS oon bet StadjmittagSfonne plaftifch 
mobeßirt, in aß ihrer £>errlid)feit auf tauchte, burfte er bie 
SBorte nieberfchreiben: „3h r eS ©leidjen hob’ ich nie unb 
nirgenb gefunben; biefeS SilbeS emfte ißracht, wie oiel beS 
Schönen ich gefehn, hot nichts SnbreS gu befiegen unb gu Oer: 
brängen Dermocht. Sei mir gegrüftt! Unb banlbar gepriefen 
fei baS gütige Sdjidfal, welches mir baS Stiegehoffte gewährt 
hat, bidj, Slthen, noch einmal miebergufehn unb biefen heiligen 
©oben noch einmal gu betreten, „ehe ben ftiehenben guft f<hauer= 
lieh S et he mir ne|t"." 

©nbe SDtai war ß. iß., nach etwa gweimonatlicher Stbwefen: 
heit, in Berlin gurüd. ©in lurger, rein faßlich gehaltener 
Seri^ht über bie beiben folgenben SluSgrabungS:©ampagnen ift 
ben SReifebtiefen beigegeben. 

Ueber ben wiffenfehaftlidjen SEBerth biefer^ ©riefe fteht mit 
fein Urtheil gu, auth Wirb eS nicht bie SIbficht beS §errn Sßerf. 
gewefen fein, mit Strad, ©öttidjer, SEtbler, unb anberen noch 
fpecießeren 01hmpia:©erühmtheiten, in irgenb Welche ©oncurreng 
gu treten. SBaS biefen Schilberungen ihren Steig unb ihren 
SBerth oerleiht, baS ift, wie fchon ©ingangS angebeutet, ihre 
ergäljterifche Seite, baS ift ber Umftanb, baft StfleS barin mit 
einem SDtalerauge gefehen würbe. Slber au^h baS brüdt bie 
©orgüge biefer unb ähnlicher ©eröffentlichungen ©.S, wohin ich 
beifpielSweife fein S9tarofto:©udh unb fein ©uch über ben beutfd): 
frangöfifeften Srieg rechne, nur erft fehr annähernb auS. ©aS 
SDtalerauge, baS richtig gu feljen, unb weil eS richtig falj auch 
richtig, Har unb anfdjaulich oufgubauen weift, hoben fchlieftlich 
©iele, ja bieS Sluge, wenn nichts hiogu lömmt, wenn eS fich 
auSfchüeftlich geltenb macht, fann gefährlich werben. Such f)i et 
fnüpft fich ber Segen an bie Sebingung: „wenn eS ber SKenfch 
begähmt, bewacht", währenb es umgeiehrt auch bon beS 
SDtaleraugcS unbegähmten ©ewalten h e i6 t; „Wehe, wenn 
fie loSgelaffen". ©aS bloftc gute Schilbern fann unter Um: 
ftänben ebenfo fehr ein Schtednift wie eine SEBohltljat fein. 
333er immer wieber fdjilbert, unterfcftiebloS, erbarmungslos, 
unb bei bem $uttbettmal=®agewefenen mit berfelben ©rünblich« 
feit unb ßiebe oerweilt, wie bei bem ©igenartigen unb ©h ara l- 
teriftifchen, baS nur ihm gu fdjauen oergönnt würbe (unb bieS 
ift ber Sßuntt auf ben eS anfommt), ber wirb mit aß feinem 
SdjilberungStafent fehr halb ermüben ftatt gu erquiden. ©aS 
befahrene Üünftlerauge wirb aber aßemal auch ein fritifcheS 
Sluge fein, unb nicht bloS baS-Unwichtige oom ©Sichtigen aus* 

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Nr. 30. 


59 


Hit Gegenwart. 


jnfdjeiben, fonbern auch unter bem SBidjtigen nod) wieber eine 
UuSwaljl ju treffen wißen. ©or Udern wirb e§ butcf) Unters 
bredjungen, burdj ©edjfet beB ©egenftanbeB ju wirten oerftepn. 
Sie nerüöB organißrte, mit ihrer Sahöterfdjaft in Rapport 
bteibenbe ©rofeßoten ein Sdfjwinbett ber Slufmertfamteit, ober 
and} nur bie bropenben Unjeicpen babon, feinen ©inneB heraus? 
füplen oermögen, unb ftd^ nun befliffen unb gefcpidt jeigen, burdj ein 
eingeftrenteB ©onmot, eine glänjenbe Stebenbeibemerfung baB pin? 
fdjmhtbenbe Sntereffe neu ju beleben, fo muß and) ber mit bem 
Künßlerauge bewaffnete ©dpilberer, wenn et in (Geltung bleiben 
»in, ben 3eitpuntt ttug ertennen, Wo überhaupt sticht mept ge» 
ßpilbert »erben barf, unb wo oudj baB ©efte feiner ©attung 
ben Sienft berfagt. ©er biefeB ©aprnepmungBoermögen ent? 
beprt, bet fdpitbert feine Sefer in bie pede ©erjweißnng hinein, 
ber gegenüber eB gleichgültig bleibt, ob baB Gebotene lefcten 
ober erften StangeB ift. (Denn er pat ben UbbredpungSmoment 
oerfäumi 3» ©rfenneu biefeB SRomentB ift unfer 2. ©. ein 
SReißer. (Sr übt bie Kunft be§ „©toßwcdjfelB", ber bunten 
Hnfeittanberfolge, unb nicpt nur ©enreljafteB löft in feinen ©cpil= 
berungen bie 2anbfcpaft ab, aucp $>idptung, Sage, |>iftorie wer? 
ben gefdjidt perangejogen, um baB ©djlimmfte für ein 93uc^: 
bie SRonotonie ju oermeiben. 

(Sin dpatafterißifdper 3ug biefeB Dlpmpia?©ucpe8, um we= 
nigßenS auf eine ©eite, eine aderfeinfte, biefer StüancirungB? 
unb ©ariirungBlunft aufmertfam ju machen, ift bie gelegentliche 
©erwenbung ber „peroifcpen Sanbfdfjaft". SRandje ©cenerien aus 
bem Ubfdpnitte „Ouer burd) ben ©elopomteB" wirten, ,wenn 
Kleineres mit ©röterem berglidjen werben barf, wie ©ouffin. 

3<h pabe bas ©orftepenbe um fo lieber, unb wenigftenS 
meinem ©nnfcpe nach um fo einbringlidber niebergefdjrieben, 
weil eB mit erfdjeinen will, al8 ob ba8 journaliftifcpe latent, 
ba8 »ir fo gtüdüdp ßnb in 2. ©. ju befifcen, nicht boll ntup 
feinem ffiertpe gewürbigt wirb, ©erlitt pat belanntertnaßen eine 
Steigung alle Kräfte, bie für ba8felbe tbätig ßnb, herunter? 
jubrüden, ihnen eine mehr al8 befcbeibene ©tedung anjuweifen, 
unb fdjon bie Stabe! burfte fagen: ,,©enn ber ©apft nach ©erlin 
tommt, fo hält er ftdb teine ©ocpe; ben fiebcnten lag rangirt 
er mit ©rinj Stuguft ober ber Kenebed." Unb um ein öer= 
wanbteB dictum aus unferen eigenen Sagen ju citiren: „(SB 
bebeutet fchon ’waS, jepn Sabre lang in ©pree?Uthen blo8 mit? 
gefch»ommen ju hoben." ©olcpe geflügelten ©orte cparalterißren 
ben ju ©leidjgültigfeit unb Stbfad geneigten Unbant, an bem 
nnfere ©tabt laborirt, unb ber unter Unberem auch bafür forgt, 
bie literarifche Ipätigleit 2. ©.8 als etwas blo8 „©elbftoer? 
ftänblicheB" pinjunepmen, etwa fo felbftoerftänblidp Wie baß ad? 
Btorgenblich bie ©oßifdje 3«tung auf unfrem SrüpftüdBtifcpe 
liegt. Solche reiche ©egabung ift aber teineSwegS etwas ©elbft? 
öerftänblidpeB, fonbern umgetebrt fo feiten Wie möglich- 3eber 
bat fein SRaß oon ©egabung, wie jeber fein SRaß non ©er? 
mögen bot, aber ber ©rab entleibet, unb neben ihm bie Siel* 
feitigftit, ber Weite $orijont. 3m ©injelnen wirb 2. ©. üiet* 
fach übertroffen, oon biefem an ftitooder Kunft, oon jenem an 
Sifc, oon biefem an ©efdpmad, oon jenem an ©eleprfamfeit, 
aufs ©anje bin angefebn nehme ich «‘«hi Snftanb, ihn, auf 
bem nidptpolitifcpen ©ebiete, für baB größte journaliftifcpe latent 
ju halten, ba8 ich lernten gelernt habe. Unb ich höbe üiele tennen ge? 
lernt. Unb nicht bloS in (Deutfdjtanb. ©ir bürfen unB freilich nicht 
bnrdhben bloßenKlang franjöfifdjer unb englifdper©amen blenben 
laßen. SJtan oergleidfje 2. ©. beifpielsweife mit ©iUiam Stuffel, 
einem ber beften unb begabteften bie ba8 «uBlanb bot. Unb 
hoch wie befchräntt in feiner ©egabung! ©a8 2. ©. befifct, 
ift nicht nur ein ftupenber Stei^tbum an Unf^auungen inner? 
halb aller ©ebiete bis 2eben8 unb ber Stunft, nein, er bebetrfdjt 
biefen ©efife auch berartig, baß er jeben Ülugenblict mit größter 2eid|? 
tigteit barüber Serfügung bot. ©pielenb entlebigt er fidj feinet 
Unfgaben unb weiß jeber Srage, jebem ©toff eine neue, glän? 
jenbe ©eite abjugewinnen, ben fdjwierigften Stoffen aber am 
ebenen nnb am glönjenbften. 3<h erinnere nur an einen oor 
etwa fedbB ober fieben 3abren gefcßriebenen fürtilel, worin ihm 
oblag, ben 2efern ber ©offifchen Leitung bie ©erönberung beB 


3ormatB biefer Seitung plaußbel ju madjen. 3« gefchidtter ©e? 
Wältigung folcher fd^einbar Keinen Stufgaben geigt fleh baB 
eigentlich große Talent. Ueber ßarl V. unb bie ©flacht bei 
©aoia lann 3eber fdbreiben. 

5)a8 01pmpia?©uch 2. ©.8 aber ift ein neuer SeWeiB feinet 
leicht unb gtüdticb geftaltenben $anb. 

(Cb> Jontane. 


Ijinterittbifibes. 

8on ^ranj (Einfiebel. 

(Sd|tu6.) 

5)a8 birmanifche 3otriguenftüd — bie ©irmanen, bo<b nttb 
nieber, finb leibenf^aftliche greunbe bom ©dbaufpiel — hotte 
nun feinen erften Stet auSgefpiett. ©tan muß gefteben, baß eine 
•alte 2uft in bemfelben webt, ©in harter, eigenwilliger, aber 
oon manchem guten ©iDenStrieb befeelter ftönig oereinfamt auf 
feinem lobtenbette, eine intriguante Königin, bie mit felbftfüdbtigen 
SJtiniftern unter einer ®ede fpielt, in lobeBangft entflohene 
©ößne, eifenbelabene, eingeferlerte ©erwanbte — baB fleht wie 
ber Anfang einer Xragöbie auB. Slber nun lam ein heiteres 
3mif<benfpiel. ®ie SRinifter fudjten {ich i u ß^ern gegen eine 
©ieberlehr ber abfolutiftifchen Stegierung, wie ber oorige fiönig 
fte geübt batte. 2)aB war ja mit ber 3med ihrer Umtriebe ge? 
rnefen. 3h 1 ouB oier ©taatBminiftern beftebenbeB ©oüegium jog 
einen in SRanbaleh angefeffenen unb bort mobtangefebenen eng? 
lifchen Kaufmann, SRr. ©iUiamfon, ju Stathe, ber ihnen einen 
allgemeinen Slbriß ber englifchen ©erfaffung geben fottte. ®r 
conftituirte ßdb bereitwillig alB bie ©geria ber birmanifchen Sie? 
gierung, bie benn auch in ihrem neuen DrganifationSptan für 
eine StegierungBform, welche für alle 3ulunft eine ju große ©e- 
febräntung ihrer SRacht oerbinbern fodte, feine ©orfdiläge be? 
berjigte. Siefen fünf Köpfen ber SRinifter unb beB 3Rr. ©iUiamfon 
entflieg nun folgenbe ©erfaffung: SaB SRiniftercoHegium ($lwotban), 
ber geheime Slath beB Königs (©pabeit), bie beiben ©tabthaupt? 
münner ber Steßbenj unb bie jrnei böchften Dfßjiere ber Urntee, 
jwölf SRänner jufammen, bilben einen hüchften Stath, an beffrn 
3uftimmung ber König in adern feinen Spun gebunben, foweit 
eB Staatsangelegenheiten betrifft, ©r banbeit in ©taatBangelegen? 
beiten immer nur alB „König im Stath", nichts tarnt an ihn ge? 
langen, baB nicht biefen ©raben paffirt, ber um ihn gejogen; 
fogar baB Stecht ber ©etition an bie Krone, baB nnS jurüdge? 
bliebenen ©uropäem noch anhaftet, ift bem ©irmanen genommen, 
er wirb beftraft, wenn er eB auBiibt. 3eber ©rlaß muß gegen? 
gejeießnet fein. 2)aS war bie birmanifche 0ctober?©erfajfung, ttm 
bie freilich baB ©oll, man muß biefeB 3eugniß feinem wunfeh? 
lofen Untertbanenoerftanbe auBfteden, fieß nicht im ©eringften 
fümmerte. Kümmerte ßcp aber 3entanb um biefelbe, fo wirb 
eB taum anberB alB auf ©rnnb ber ©ereepnuttg gewefen fein: 
©enn uns ber König, baB eine §aupt, allein fchon bis aufs 
©lut gepreßt hot, wie wirb eB gehen, wenn bie jwölfhüuptigc 
Schlange biefer Stegierung fi<h um ©irma fdjlingt? fflirb ße uns 
nicht erbrüden? Uber politifch nachbenfliche 2eute ßnb in ©irma 
feltene ©ögel unb im Udgemeinen wirb eB wohl wahr fein, 
was ein jufdjauenber ©nglönber, ber eB liebt, ßch beutltch auB? 
jubrüden, oon biefer ©oltsßimmung fpradp: ,4t didn’t care two 
damns“. ©elbß ber König fchien nicht mehr als foOiet für biefe 
Steuerung übrig ju hoben; er befchwor ße anfdjeinenb leichten 
$erjen8 uhb ließ eB ebenfo gefdjebmt, baß bie ©eamten nicht ihm 
adein Xreue fchworen, nicht bem einfam ftrahlenben Könige auf 
ber ßeilen $ölje feiner ©otteBgnabenfcbaft, fonbern bem König, 
ben wie einen jum ©dfu^e ber Umgebenben eingehegten tiger, 
ber ©ad unb ©raben beB StatljeS umgab. Sie fchworen nicht 
bem König, fonbern bem König in feinem Stathe. $>ie Ser? 
faßung ßng fogar fchon an ju arbeiten, feudjenb unb ächjenb 
jwar, wie eine neue SCRafchine, aber ße machte ßch fühlbar. $ie 
tropifdfje ©ilbniß oon Steuern unb Ubgaben mannidhfaltigßer 
Ärt, bie im 2aufe ber 3oh te immer weiter gewuchert hotte, 

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60 


Hie ®egenrourt 


Nr. 30. 


Würbe gelistet unb man liefe bloS bie ^öd^ftcn unb ftärtften 
©teuerbäume ftegen, bie ftar! genug waren, baS Da<g beS bir= 
manifcgen ©taatSwefenS ju tragen. ®ucb baS täftige 3teffel= 
geftriipp beS fiScalifcgen fjmnbelS, an bem ©ingeimifche nnb 
Frernbe fid) fo oft bie fjänbe oerbrannt, eS mürbe rücffici^tloö 
niebergegauen. ©etbft ba8 unpolitifcge Sol! begann ju fällen, 
bafe eine ffirleicgterung fid} in ben oberften Legionen beS ©aug= 
apparateS, genannt Serwaltung, oottjiege, es festen etwa« mehr 
{Recgt auf feinen eigenen Seftg unb ©twerb ju gaben unb bie 
geblümten «Sitberbtecge beS birmanifdjen ©elbeS waren nicE)t nteljr 
fo flügg wie bisher. Der König fafe ruhig im Greife feines SRatgeS, 
nur etwas ju rugig f er fott faft taub unb ftumm bei ben fßlänen 
gewefen fein, mit benen bie SRinifter ign umqualmten, {ßlänen, bie 
wohlgemeint unb flug, aber freilich bei allen frönen Ijßetfpectioen 
hoch immer !ein SBeigraucg Waren. 

SRan fott bem Seweigräucgertwerben noch fernerer entfagen 
lönnen als bem ©elbftraudjen unb fo ein Sirmanenfönig oon 
20 hagren ift fchwer ju berechnen. Die SRinifter fegeinen nicht feine 
Fteunbe gewefen ju fein. Stun wiffen wir aus unferen boch gewife 
fooiel cioilifirteren Sergältniffen jur ©enüge, welche grofee Scbeu= 
tung bie perfönlichen ©efügle in ben Srüften ber {Regierenben unb 
SRitregierenben für ben gebeihlichen ©ang ber ©taatSmafchine haben. 
Sin Staatsmann, ber nur oon Söhnen, ©cgwiegetfögnen, Settern, 
Fteunben unb fgrapatgifegen Staturen umgeben ift, ift in befferer 
Saune als einer, ber jwifegen Dornenhecfen fernen SSeg ju treten 
hat, unb mit ihm ift es baS Sanb. 2Bie oerbriefelidj, wenn fich bie 
{Regierer unb Unterregierer in ihren Serfammlungen janten! 
Der btaoe Unterthan möchte nur gleich ^ in^ufy>ringen unb feine 
guten Dienfte anbieten. SBie oiel fegöner, wo ätleS mit bem 
füfeen Oel wechfelfeitigen SBoglwollenS befeuchtet, glatt unb ge= 
räufdjloS Oon ©tatten geht. SBenn, wie man jugeben mufe, bie 
gattifege Deoife ber Fraternität banal geworben ift unb für uns 
jugefcgloffenere Staturen nicht pafet, ift biefeS ein fjinbernife, bafe 
wir an bie ©pifce unferer Serfaffung in golbenen Settern bie 
SBorte „Freunbfcgaft — Kamerabfcgaft" fegen? @8 fommt ja boch 
SUIeS auf Frieben, ©inigteit, Stacggibigfeit an. 3e älter man 
wirb, befto flarer fieht man baS ein. SRir würbe eS beShqlb 
auch gar nicht mifefaüen unb ebenfowenig jwecfloS oortommen, 
wenn fich bie {Reichstage ber europäifegen Söüer jemeilen mit 
grofeen Feftcommercen eröffneten, für bie bie betr. ©enioren-- 
conoente bie Sorfehrungen gewife in ganj jufriebenftellenber 
SBeife ju treffen wüfeteit. Die SRinifter unb fohft mafegebenben 
{ßerföntiegteiten mürben für bie SRuftf forgen, oietleicgt felber 
auffpielen, bie SBägler würben fich fdjmeicgeln, baS Siet ju be= 
jaglen unb Sille, oon oben bis unten, würben fich unter Dufdj 
in einem einzigen grofeen ©motliS umarmen unb oerbrübetn. 
Die beftructioen unb überhaupt principieü unangenehmen Sarteien 
tönute man Oon biefem fchönen Fefte auSfdjliefeen, was oielleicht 
allein fdjon genügen würbe, um fie jur Staifon ju bringen. 
SBeldjeS ©chaufpiel für baS Sanb! SBeldje ©rleidjterung ber ®e= 
fcfeäfte! SRanche ©effion lönnte oielleicht fchon am SRorgen nach 
biefer Sereinigung wieber gefchloffen werben, naegbem fie fchon 
oot ©intritt ber unbermeiblicgen Folgen alles jum ©taatsmoht 
Dienenbe rafdj burchberathen unb oermöge ber eben gewonnenen, 
noch frifdjen ©inigung frieblidjft erlebigt hätte. 

3n Sirma war es teiber nicht berart unb fo tonnte es 
fommen, bafe eines fchönen DageS König Dgibo in feinen 
SRinifterrath trat, einige ber Herren, bie am eifrigften bei ber 
Slnfertigung ber Serfaffung gewefen, mit ©cheltworten über= 
häufte, fie in einen ©taH gefangen fegen, ihrer SBürben fie be= 
rauben unb ihre Slawen oon allen ©rlaffen ftreiegen liefe. ®r 
hatte wohl Wieber einmal über ben Dürft getrunten unb in 
Sirma ift auch bet Dürft tropifch- Sie figen noch heute, 
elenbiglicg gepflegt, unb gort baneben tagt ber Statt), ber feiner 
felbft angenommenen SBürbe wieber entfleibet unb jum SBerfjeug 
in ben $änben beS nach breimonatlicher Unterbrechung wieber 
abfolut geworbenen Königs herabgefegt Worben ift. @r jittert, 
bafe noch Slnbere aus feiner SRitte in ben ©tall wanbern müffen, 
oielleicht baS ganje Kollegium. Dafe in ben Slugen beS Königs 
bie« fein wohloerbienter {ßlafc wäre, unterliegt teinem Zweifel, 


uachbem berfelbe feine blutige Defpotennatur fo unoerhüllt heraus^ 
getegrt gat. ^at im oerfloffenen Februar gegen 100 SRänner, 
Frauen unb Kinbet, barunter alle feine gefangenen Srüber unb 
SerWanbten hinrichten taffen, unb einige oon ben armen @taü= 
bewohnern foll baSfelbe ©cgidfal getroffen hüben, ffirft bie Sot* 
fteßungen beS engtifegen Stefibenten oermochten bem Slutbab ©ingalt 
ju tgun. Die Slngänger ber SRinifter jittern um igt Seben, einige 
finb fchon hingerichtet, oiele geflogen unb für ben Slugenblid gat 
bie ©efegiegte, foweit fie birmanifeg ift, wieber ganj in bie blut= 
befeuchteten Sagnen jurüctgelenft, alle cioilifirten ober auch nur 
menfchlicgen Steigungen abgelegt unb baS angenommen, WaS 
bortige £>ofgiftoriter ber neuen Slera national nennen Werben. 

©rauengaft wie biefe ©reigniffe finb, würben fie boch 
nicht ganj ungewohnte innere Stngelegengeiten eines im ©anjen 
boeg nur für baS benachbarte Fnbien mistigeren Staates nicht 
fooiel Sluffegen erregt gaben', wenn nicht gleichseitig auch Oon 
berfelben unbebauten $anb Keime eines ©onflicteS auSgefät 
worben wären, welcher baS fchon mit jmei Sarbarenfriegen be* 
haftete ©nglanb ju einem britten Krieg biefer ©attung jwingen 
tonnte, ©nglanb gat freilich burdj bie ©roberungen, bie eS in 
ben beiben Sirmanentriegen 1824/26 unb 1852/53 machte, 
einen feften $alt in ben birmanifegen Küftenftrichen gewonnen, 
bie eS fämmtlicg annejirte, fo bafe baS Königreich nur noch 
Sinnenftaat ift unb für feinen ^anbelsoertegr eigentlich auf bie 
brittifeg geworbenen §afenpläge nngewiefen ift. Drog biefer ab= 
gängigen Sage ift Sirma mögt nur felbftftänbig geblieben, fonbern 
auch iw feiner SBeife etwa im ©efügl feiner Schwäche freunb= 
lieget* gefennt geworben. SRan gat in ©nglanb felbft mehrfach 
ben Sormurf gegen bie Seiter ber inbifegen Solitif erhoben, 
bafe fie Weber 1826 noch 1853 bie oon ben Druppen erfämpften 
Sortgeile genügenb auSgebeutet hätten. SRan gatte ben Sir= 
manenfönig ju einer abgängigen «Stellung jwingen müffen, wie 
inbifege Fütftcn fie einnegmen. Darüber fann man ftreiten, 
aber ogne 3o>eifel war eS nicht woglgetgan, ben legten Krieg 
oon 1853 einfad) mit einer Friebenö : S^oclamation unb ber 
SBegnagme ber füblicgen Küfteitproüinj S«g« i« beenbigen. ©S 
war moralifcg ganj richtig gebaegt, WaS ber ©eneralgouoerneur 
bamalS Jagte, bafe ber Sertrag mit einem birmanifegen !ßoten= 
taten ntdgt baS S a Pi er wertg fei, worauf er gefegrieben, aber 
ba ber gefcglagene König fieg weigerte, irgenb einen Sertrag ju 
unterjeiegnen, fo gätte er baju gejmungen werben müffen, ba 
anberS bie Sirmanen fieg boeg niegt als ganj befiegt betrachteten. 
Stun tönnte eS leicgt ju einem britten Sirmanenfrieg tommen. 
Die Sefeftigungen am FnJtoobbg, bie fegon ber frügere König 
Oon einem italienifcgen Ingenieur anlegen liefe, Jtnb feit ber 
Dgronbefteigung beS jegigen Königs mit ©efegügen üerfegen 
worben. Die Slrmee ift oerftärft unb jufammengejogen, ber 
König ift oon {Rathgebern umringt, bie als engtanbfeinblidj be= 
fannt finb unb gat offen feine erbittert feinblidge ©efinnung 
funbgegeben, bie fogar für bie Sicherheit beS englifcgen SRefi- 
benten in SRanbaleg füregten liefe. Die brittifcgnnbifche {Regierung 
gat igrerfeitS {Rangun befeftigt unb bie an fieg unbebeutenbe 
• ©arnifon in brittifeg Sirma oerboppelt. 3n ben legten SBocgen 
würben '©erüegte oon einem Slufftanbe in ben birmanifegen 
©eganftaaten (galbfelbftftänbigen Fürftentgümem im ©ebirge nörb= 
lieg unb öftli^ oon Sirma) aus ©alcutta gemelbet, aber anberer; 
fett« ift bem König oon ben ©cgangäuptlingen oon Dgeini ge= 
hulbigt worben. Diefe Slufftänbe bürften taum fräftig genug 
fein, um ben jungen Dgrannen na^ biefer ©eite gin abjulenfen. 
Sin eine grünblicge Steaction in SRanbaleg felbft ift nicht ju 
benten. Fn ben brittifeg^inbifegen Kreifen f^eint bie SBagrfcgeins 
licgteit eines britten SirmanentriegeS unter biefen Sergältniffen 
immer • näher ju rüden unb wenn er auSbricgt, oerfegwinbet 
wog! für immer Sirma aus ber Steige bet felbftftänbigen Staaten. 


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Nr. 30. 


• i e (Üejenniflrt, 


61 


JU« 6er Jjaiipfftabt. 


Die Berliner (Gewerbe-^usßeUtmg. 

(Seeluft.) 

III. 

2>ie SReiße ber 3uterieur*, welcpe im Kataloge zunt Xßeil unter 
Enippe XIY öerzeiepnet finb, ßat in jüngfter $eit einen eiubrud*ooßett 
3uwacp* erhalten. 2)er naep bem Entwürfe be* ^rofefjorS 9 iafd)borff 
Don ber 2rirma SSL . Eörgen* & Eo. au*gefüprte Sogbfaal nimmt rnopl 
meßr al* ben hoppelten Raunt ber größten Koje ein unb ^räfentirt fiep, 
gewiß ju (einem Bortßeil, in natürlichen 2?imenfionen. $ie mit ftaunen 
enegenbem Sleiß in ungeheiztem Eicpenßolz gefd>ni^te Renaiffattce 
becoration wirb nur läng* ber äBanbpöpe t>on großen quabratifepen 
Süßungen in bunfelgrünem ungefeporenem Blüfcp, wenn ich ™ ber 
urtpeilung be* ©toffe* bei bem Rbftanbe nicht irre, unterbrochen unb 
empfängt bie ooße, »arme Beleuchtung, bereu fie zu ^armonifc^er unb 
behaglicher BSirfung burepau* bebarf, oon einem Oberlicht mit farbigen 
Slafcßenböben. 2)ie &äng*wanb beperrfept ein jeptoerer Kamin, über 
bem fich an ©teße be* Btantel* ba* £>au*mappen mit zwei lebeu*großen, 
lemig gebauten unb behanbelten ©cpilbpaltern bi* z u bem oon Xri- 
glqpßen uimb ÜRetaßteßern in quabratifchen Selbem gebilbeten Srie* 
unter ber ®ede erhebt. 5ttuf ben ©cpmalwänben correfponbiren B>anb^ 
nifchen, melcpe mit Runbbogen nach oben ßiu abfcpließen unb oon bret= 
eefigen Eiebeln betrönt merben. 3u ber zur hinten präjentirt fiep ber 
scpenftijd) mit prnnfenben Xrinfgerätpen, recht* ber waibmännifepe 
tBaffenjcpranl. Runbfcpilber oon bunflem Btetafl beleben bie grünen 
Süßungen mit marügem Eifenglanz- 2luf ba* Detail be* Ornament* 
hat ber berühmte Slrcpiteft, ben mir nunmeßr mit ©tolz Z u ben Unfern 
jahlen, bie tiebeooßfte Sorgfalt oermenbet unb bem .twlzbilbpauern 
ein meite* S^b zur Entfaltung feiner Kuitft eröffnet. 2 )ie Söfung ber 
Aufgabe ift meifterßaft, aber fie lägt boep auep zugleich ben angreifbaren 
5ßunft erfennen. 3 d) finbe ipn in bem beunrußigenben 3 uoiel, in bem 
Raffinement be* mifroffopijeßen Sormengemebe*. Eine berbe Sauft, mic 
fie an bem 2 lrm be* 3 äger* oon altem ©eprot unb Korn zu fipen 
pflegt, ein jutappenber Sagbftiefel läuft jeben Mugenblid Eefapr, pier 
eine Ede unb bort eine Kante abzuftoßen. Bießeicpt ftedt in ber Be 
mertung 511 oiel praftifeße* Eefüpl. E* fann mir inbeß ben Eenuß an 
biefer 3 ierbe unferer $u*fteßung niept mcfentlicp oerfümmern. 

Eine niept minber anjiepeitbe ©pecialitöt in befdjeibeitercn 5Hmen' 
jionen bietet ba* oon E. ^ßraedjtel naep bem Entmurf ber 9lrcpiteften 
§oeniger unb Repfcßer au*gefteßt Ereben^immer. Rocp brei^epn Sirnien 
mußte icp nampaft maepen, rnoßte icp jebem Einzelnen, ber mit bem 
Slufwanbe feine* beften Bermögen* bie Elemente zu ber parmouifepen 
ßefanuntpeit biefe* ©cpmndfaften* beigetragen, gerecht merben. 2 üe 
Abtönung be* ßiept* burep ba* leiept unb anmutpig gefärbte Sanfter 
jepafft jebem ©toffe, ber pier colorifüfcp mitrebet, feinen entfpreepeuben 
föertp. Eolbglanj mirb gebämpft, ftrenger Sur&enernft tu* ^eitere ge¬ 
pöben. Ein Raum mie gefepaffen für bie S*öplicpfeit geiftüoüer Reeper! 

Eanz jelbftftäubig unb bi* auf bie $ede, melcpe fid) üod etma* 
fleinlicpem, früper beliebten Baptermacp^cparafter niept frei maepen fanu, 
oertritt 3 *&UZ 'Seelig bie Eotpif in einem bi* in bie unfepeinbarften 
Detail* liebeooö burcpgefüprten Qnterieur. 5)ie ©tofftapete — fo oiel icp 
eTtemte, bemalte 3^te — ift burep Eompofition unb Sn^be gleich au*^ 
gejeiepnet. Äucp pier ein pöcpft mopltpnenbe* Eleicpgemicpt z^ifepen 
Belebenbem unb Belebtem. 

3Rit glüefliepftem Erfolg mögt fiep bie 2)ecoration be* oon Spiericpen* 
ctu*gefleßten, oon ben Slrcpiteften S^ißbu* unb 2 auge entmorfenen 
3inuner* unter begünftigeubem Oberlicpt in eine luftigere S^rbenmelt. 
Rötplicpe Orangetöne ^eben bem 3 utemufter feinen leefen unb feinem 
Beifpiel naepempfunbenen Erunbcparafter. B^rfifcpe ©toffe nepmen bie 
®eife grajiö* auf unb ftimmen fie fort. 

8 epr bea<pten*mertp, zumal auep bie 9lnfprücpe ber Üeute oon Ee^ 
iepmqef unb tnapperen Mitteln in 3 * 09 * fommen, finb bie Berfucpe oon 
Öärtel unb ©toeOefanb, mit einfarbigen Eegenfäpen bem 3 i mmer 
colorifUfcpe Äebenbigfeit ju geben, ©elbft ba, too bie Söfung ntept uu 
bebingt auerfannt werben fann, zeigt fiep beutlicp ber s ioeg. Hub ba* 


bringt miep zur Beantwortung ber Stagen, bie mopl pier unb ba naep 
ber praftifepen Bebeutung biefer ?lbtpeilung ber 2 lu*ftellung aufgetootfen 
merben. ©ie ift in feiner SBeife zu nnterfcpäpen. 2 Barum füllte niept 
ba* freie fünftlerifcpe ^Balten, mie e* fiep pier in weit mepr Beifpielen 
barfteflt, al* icp berüeffieptigen burfte, bie Oberpanb gewinnen über ben 
gemerb*niäfjigen 3 iuport frauzöfifeper 9)tobeau*ftattungen? Söie fann e* 
au*bleibcit, bafe ba* fcpwacpe Bertrauen unferer reiepen SEBelt auf bie 
Seiftung*fäpigfeit einpeimijeper Kräfte burep .ben Rnblicf biefer B T0 ^cn 
geftärft mirby Unb Xpatfacpen reben. $>a* 3 uterieur oon tapfer unb 
oon Erofcpeim gewann einen feplefijcpeu Magnaten fo ganz für fiep, 
bafj er ber Sinna 9)taj ©cpulz & Eo. bie ?lu*ftattung unb Einriep= 
tung feine* ©cplofje* übertragen pat. 5)a* fepöne 3)amenwopnzimmer 
in fepmarzem $>olz mit Atupfereinlagen naep bem Entmurf oon B- iRoetger 
fiept ber 3 e rt entgegen, ba e* feine SBeipe oon einer reizenben Be- 
mopnerin empfängt. $ie Beifpiele merben fiep bi* zum Enbe ber 2lu*: 
fteßung mepren unb ber entjprecpenbe üopn bem entfalteten ÄTaftauf= 
manb früper ober jpäter niept feplen. 

§ier miß icp auep gleiep ber Babezimmer unb ftücpen gebeuten, 
bie uu* in ooüftäubiger 9lu*rüftung meprfaep entgegentreten. 3n ber 
Äücpc ift ber Berliner jebenfaß* befjer zu Jpaufe. 2>er iJuju*begriff 
be* Babe* ift uoep niept ooß zum Bemufjtfein getommen. 3Ba* bem 
felben oorau*gcpt, ma* ipm folgt, zeigt fiep nur in geringem Erabe be 
rücfficptigt. E* feplt an ben ä^iepen üppiger Bepaglicpfeit. 2)er eigent^ 
liepe Babeapparat ift namentlich in bem oon EroOe au*gefteßten Äabinet 
uaep fünftlerijdjen Eeficpt*puufteu ebenfo glänzenb al* folib au*geftattet, 
ber conccntrirtc Kupferglanz in ben §oplfläcpen oon mann belebenber 
SBirtung. 25er Eplinberofen tpeilt mit jeineu zupUojeu Eoflegen ba* 
gleicpe ©cpicffal. Ein fünftlerifcpe* Kleib für biefen ftereometrifcp lang^ 
meiligen Eejeßeit bleibt noep zu fepaffen. ^ie Berbiitbung Oon trübe¬ 
farbigem £atf mit gleifjenben 3)ietaßbäuberu mirb niemal* zu befrie 
bigenbeu Rcfultateu füpren. ^lm beften fiuben fid) bie Bentilation*öfen 
Oon E. Eeifcler mit ber unbaufbaren Aufgabe ab. 

Unter ben Kücpeneinricptungen behauptet bie oon E. Eöpn äftpctijd) 
ben erften ßiang, unb icp erfapre zu meinem Erftaunen, ba& auep biefe* 
anmutpige Eitfemble mit feinem berbfräftigeu unb freunblicp getönten 
.'polzmerf ben 5?lrd)iteften 3Pue unb ©tegmüßer feine Entftepuug oer= 
baitft. 2)ie Eerätpe laffen fieper feinen beredjtigteu SBunfcp ber fad) 
Oerftänbigen $au*frau unbefriebigt. Ob e* inbefj je bapin fommt, bafj 
fiep bie treffliepeu S)iajolifagefä^e, melcpe un* bie ©cpmeiz fenbet, in 
unferen Kücpeti zu täglichem Eebraucp ober auep uur al* ©epauftüde 
einbürgeru, ift zum minbeftem zweifelhaft. 

2)ie Ernppe ber ^olzinbuftrie bietet noep unenbliep 3Ranniepfaltige*, 
woran icp üorübereilen muß- äuuäepft nepmen mir mit Befriebigung 
mapr, baß ber Begriff „Berliner Biöber, mie fie täglicp bie 3ügc afler 
Bapnen über bie SBinbrofe oerbreiten, niept zur Erjcpeinung fommt. 
©elbft an ber Söfuitg ber burep ben 3 m Port bei amerifanifepen $olZ' 
fournirfipe oeranlaßten S^ufle betpeiligen fiep 9lrcpiteften mie Enbe, 
§epben, Siugerliug unb Slnbere. ©piegel, Bilberrapmen, B^cptftüdc 
ber Bufameutierfunft, Kaften unb Käftcpen, bann wieberum Biflarb* Oon 
etegantefter 2lu*ftattung unb mit ben überrafcpenbften ©ubtilitäten, mie 
in ber Eombinirung ber beutfepen unb franzöfijepen Bu^tie mittelft bop- 
pelter unb oerfteflbarer ©pielbappen, päufen fiep in beengter unb etwa* 
labprintpifcper s 2luffteßung unb bringen 3ebem etwa*. 

Eruppe V umfaßt bie Xpon=, Borzeflan;, Kunftftein= unb Ela*- 
inbuftrie. B3ie naep ben 2 Beipnacpt*meffen zu erwarten ftanb, übernimmt 
leptere, meitioorau, bie fünftlerifcpe Süßrung. 2)ie 3iergefäße au* ber 
Sabrif oon S^p federt naep Entwürfen oon .^epben, Eremer unb 
£utßmer finb gleich au*gezeicpnet burep ftilooße unb feine*meg* in 
freublofer s JIaepapmung befangene Sorm, burep üeieptigfeit unb Su*&en= 
Zauber. Sür biefen ermeift fiep namentlich ba* Ornament burcßfdjeinem 
ber O^pbfarbeit oon SBirfung. 3u ber flotten Bermenbung be* Email* 
palte id) pier unb ba noep Berfeinerung ber Jeepnif unb Sarbenpaarung 
möglicp. 2)aß anep pier nur berfReicpe zugreifen barf, bleibt zu bebauern. 

2)ie Ru*fteßuug ber Königlichen Borzeßanmauufaftur beftätigt bie 
bereit* früper gemachte ÜBaßrneßmuttg, baß bem 3 uftitut burep recht 
Zeitige Erfenntniß feiner Bereinfeitigung zufunft*reicpere Bapnen ge^ 
öffnet finb. 2 ie Rüdfepr zu ben ftilgereepteren alten 3Rußem bewäprt 
fiep auf* Befte. 2)er Erunb für einen fünftlerifcp gerüfteten Leiter ift 
geebnet. SBopl nur üon Wenigen wirb bie Eoflection B r °Peu oon .*oart- 
branbfarben bemerft. ©ie enthalten ein ganze* ©tüd Eefcpicpte be* 


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62 


Die tfegenitiart. 


Nr. 30. 


Berliner ÄunftgewerbeS. Diefe Verbiijterung bcr garbenluft galt einer | 
oorangegangenen Generation als pöcpjteS Mittel jur Decorirung. Die 
(Entartung ber garbe burep ©eimifcpung fcpmnpig grauer Pigmente ift | 
bie Signatur ber neuflaffifcpen Nenaiffance an ben Ufern ber Spree. 

2Rit granbiofen Mitteln ift bie berliner Ofenfabrifation inS gelb 
gerftdt. Durch bie 3«ftw«ung über sapllofe Stetten wirb bem ffücp* 
tigen ©efcpauer bie Gefammtfcpäpung erfcpwert. kräftiges, gefunbeS 
Staffen, auf fünftlerifcpe Seitung geftüpt, seigt fid) faft überall, auep 
wo ich niept unbebingt juftimmen !ann. DaS guoiel bropt Gefahr, 
bocp mag man ber Gelegenheit etwas 31 t gut galten. Verfeinerung ber 
Glafur, bie burd) unangenehm falte Ncfleje bei bem fecfen Relief ber 
formen hoppelt beunruhigt, fcpeint mir baS nädffte 3tf- Ginen ber 
wertpbottften unb bepersigenSwertpeften Beiträge ju ber Qnbuftrie liefert 
Dintrn mit feinen feramifchen Stubieit. 3m Uebrigen macht fiep bei 
ben jum Dpeil fehr berbienftlicpen V r0 & c n twn Ntajolifa ber Söunfcp 
nach einer bornepmeren garbengebung geltenb, in ber namentlich baS 
Gelb unb Grün intereffanter Verfeinerung sugänglicp fein möchte. 

Die Glasmalerei seigt fich in ben GlaSgemälben beS königlichen 
3nfütutS unb ben GlaSbemalungen bon SouiS 3cffcl unb Nnberen unter 
betehrenbem Gegenfap. Nuf jenem SBege ift nicht mehr biel 31 t erobern, 
auf biefem ber Verfcpönerwtg unfereS päuSlicpen DafeinS reicher Ge* 
winn 3 U fchaffen. Nucp pier bürgt Gontaci mit bewährten künftlern 
für bie Gntwicfelung glüeflieper Anfänge. 

3n ber ©etpätigung auf rein praftifepem Gebiete füprt biefe Gruppe 
bie intereffanteften Specialitäten bor. DaS Niefenportal bon glafcpen 
aller Hrt, bie GottectibauSftettungen bonGerätpen für Npotpefer, Gpentifer 
unb Deepnifer, bie fransöfifepen Ntüplenfteine beut jeher gabrifation, bie 
gewaltigen Dponröpren, feuertropenbe Gpamottewaaren aller Nrt, Spiegel* 
fepeiben bon impofanteftem gläcpeninpalt unb tabellofer Neinpeit ge¬ 
hören ju ben augenfälligen V^ben eines nur geringer Goncurrens 
unterliegenben Gewerbes. 

Die kurs* unb Galanteriewaareninbuftrie in Gruppe VI läßt fiep 
fcpwer unter einen GeficptSpunft bringen. Nn ber $anb beS katalogeS 
berweile icp bei einer gabrif, welcpe nur Nbftricfer — ber weiblichen 
3ugenb unter bem tarnen SBunbertnäul ein fauerffiffeS Nngebiitbe — 
berfertigt. Nucp bie $luSftettung ber Scpwämme feffelt miep, mepr noep 
burep ben graufen Nitblief eines in bem Nacpen beS §ais berfepwinben* 
ben DaucperS als burep bie ^ßrac^t ber GEemplare. 3<P fepe 311 meinem 
Grftaunen, baff bie korffepniper iprer kunft noep niept mübe geworben 
finb; baS §eibelberger Scploß wirb noep immer in biefem Stoffe feines 
malerifcpen NeijeS entfleibet unb bie Gefcpicflicpfeit, bie fiep barin be* 
funbet, flößt uns elegifcpen Nntpeil ein. Sin ber NuSftcttung bon Görfcp, 
ber ben Nibelungen bon ©apreutp unb Seip 3 ig bie Söaffen fdjmiebet, 
fomme icp fcpwer borbei. Daneben ift bie gotpifepe Vf orte, bie 311 ber 
NuSftettung beS ttRärfifcpen SRufeumS füprt. Die enge poepgewölbte 
kapette ftimmt ben 3 erftreuten Sinn 31 t gefammelter Vetracptung ber 
pier bereinigten Scpäpe. SRenselS SRaurerbriefe paben barunter mit 
Necpt einen Gprenplap gefunben. — SBeiterpin rufen bie Salon=Vfotina* 
3 ünbmafcpinen früpefte 3 « 0 ^berinnerungen waep, ein kaften, auSfcpließ* 
liep mit 3 apllofen SRuftern bon Vortemonnaiefcplöffern gefüllt, mapnt an bie 
ipeilung ber Arbeit. Vttr befinben unS in bem auSgebepnten Duartier , 
ber feinen Seber* unb Vucpbinberwaaren. GS genügt 3 U conftatiren, 
baff auep pier bie kunjtinbuftrie in ein 3 elnen trefflicpen Veifpielen bon 
iprer gorientwicfelnng Necpenfcpajt ablegt. 2Bir müffen unS bie Sin* 
fprücpe, welcpe auf biefem unb anberen Gebieten befriebigt fein wollen, 
bergegenwärtigen, öebor wir neue Gren 3 eu borfepreiben. 9Ran laufepe j 
nur ben Verpanblungen 3 Wijcpen bem auSftettenben gabrifanten unb ; 
bem fleinen kaufmann aus ber V^obin 3 ialftabt — gewöpnlicp Vater unb : 
Sopu bon fprechenbfter gamilienäpnlicpteit —, um 3 U begreifen, baff eS j 
mit ber Neform gute SBege pat. Sepr beacptenSmertp ift bie SluSftettung 
ber (Elfenbeinarbeiten, bie sugleid) burep bie Vorführung beS NopftoffS | 
in Gleppanten* unb SRammutpsäpnen unb Quer; unb ttüngSburcpjcpnitten | 
aller %rt Vpantaffe unb SSiffbegier anregt. Nucp bie fepon früper ge- 
fepenen Arbeiten in Scpilbfrot mit Gotb; unb Silbereinpreffungen, naep ' 
(Entwürfen boit N. ^epbeit unb G. SBeibenbacp, 3 eigen ein mit Necpt be= I 
liebteS SRaterial in eept fünftlerifcper Vepanblung unb Omamentirung. 
(Eine reiepe NuSWapl patentirter Guriofitäten 3 eicpnet bie Gruppe ber 
Galanteriemaaren bor anberen aus. Daff fie fiep iprem Gparafter naep 1 
bon ben ScpaufenfterauSlagen unferer ftauptftraffen am wenigften ent- | 
femt, liegt in ber Natur ber Sacpe. i 


Ginen iprer bornepmften Vertreter pat bie ÄuSftettung in ber 
SRetattinbuftrie gefunben. 3« klaffe 3 biefer Gruppe begegnen Wir 
auep ben 3uwelen. Die entfaltete ift blenbenb unb bem Verliner 

Nuge ungewopnt. Der fepma^e Vrittant fepeint ber $elb ber Sage. 
Vei jebem ©efuep fteigt er in ber Scpäpung eines unterrichteten Natp= 
barS. Neulich paben wir baS erfte ^unberttaufenb überfepritten. Die 
groffen Opale bünfen miep Grabfteine weiblicper Scpönpeit, aber immer* 
pin merfwürbig als Stücfe eines NtineralienfabinetS. Sepr banfenS= 
wertp ift bie Vorführung einer Gottection roper Brillanten bom &uf= 
finben bis 3 um gertigfepliff. 3m Uebrigen präfentiren fiep bie Scpmucf* 
gegenftänbe bei reieper NuSwapl unter glüdlid)ftem Nfpect. Nucp pier 
pat bie kunft mit erfreulicher Selbftftänbigfeit bie güprung beS Ge* 
werbeS übernommen. 2Bir bürfen bie Gntwicfelung nur naep SRaffgabe 
beS GrfolgS erwarten, unb baS publicum berpält fiep gegenüber biefen 
frembartigen Grfcpeinungen, welcpe ber Voffion für ben „Scpimmer beS 
GolbeS" feinen Vorfcpub leiften, borerft wopl noep referbirt. 3^P möcpte 
übrigens bor Vereinfeitigung warnen. Der Golbgtan 3 barf fein Necpt 
beanfpruepen. Die eilten famen auSfcpliefflicp mit ipm aus. Unb in 
ben polpdjromen Verfucpen unferer neueften 3n&wf*ri c bermiffe icp Tecpt 
oft Gefüpl für Harmonie unb NC 13 ber garbe. Die burepfieptigen Gmaitten 
namentlich bebürfen ber Verfeinerung. 

3n foitberäner SRacptpenlicpfeit ftetten fid) bie Grseugniffe berGolb* 
unb Silberfcpmiebefunft bar. 2ln V r ^cpt unb Umfang iprer NuSfteflitng 
mifft fiep mit ber girma Sp & äBagner feine anbere. Gleicp wertpbotte 
Arbeiten finben wir bei Vottgolb & Sopn, Nteper & Go. unb §umbert 
& ^eplanbt. DaS Dafelferbice ber lepteren girma naep 3eicpitungen 
beS Nrcpiteften 3 aar P at mir angetpan. 3cp 9 ^be gern 3U, baff bie 
oerwanbten Stücfe naep ben Gutwürfen bon $artmaurt, Scpuppmann, 
Sutpmer unb Nnberen bamit um ben V re i$ nitgen. Die nampafteften 
©ilbpauer ©crlinS, unb mepr als anbere Galanbrefli, Scpaper unb 
Siemering, maepen ipre kunft bem bornepmen ^anbwerf bienftbar unb 
bürfen fiep getroft ben ^änben gefepiefter Gifeleure anbertrauen. kur§, 
pier 3 eigt fiep überall urfräftigftes Scpaffen, in bem fiep bie großen po= 
litifepen Greiguiffe unb bie Danfbarfeit ber Nation, Nnerfennmtg beS 
VerbienfteS in engeren kreifen unb Vereblung beS ßujuS auf eine pöcpft 
würbige SBeife abfpiegeln. 

©erlin pat auSgeseicpnete ©ronsegieffer. Die ßeiftungen bon 
Glabenbecf, Glfter, Spangenberg unb einer groffen 9 fn 3 apl girmen, 
welcpe bie ©ron 3 e gewerblich berwenben, legen baboit 3 cu fl n iff a ^- ®^ ne 
kleinfunft in ©ron 3 e, wie fie bie ^auptftabt granfreüpS feit langer 
3eit pflegt, befipen wir niept. Nn kräften würbe eS auep bei unS niept 
mangeln; einseine treffliepe V r obeit liegen bor, unb bie gnbuftrie fönnte 
fiep leiept ipre Scpule siepen. 9lber bie Qribuftrie fdjreeft mit Necpt bor 
umfangreicheren Verfucpen in bem Vorgefüpl surücf, baff ber beutfepe 
SujuS fiep ipr berfcpliefft unb finbet in anberen Betätigungen einen 
fidpeteren ßopn. Dafür marfd)irt bie Gifenfcpmiebefunft ©erlinS au ber 
Spipe. Die Gntwicfelung auf biefem Gebiete, mit bem ber Name VulS 
für alle 3^tt eprenbott berbnnbeit ift, pat feine Unterbrechung erfapren, 
kunft unb ^aubwerf paben auf feinem anberen jo innige Verbinbung 
gefcploffen. 9Rit Necpt nennt man unS bie Namen ber maefem Gefetten, 
bie in lebenbiger Nuffafjung ber borgeseiepneten gorm, bott eripten Stil* 
unb kunftgefüplS, ipr Söerfseug füpren unb bem parten SNetatt ben Getft 
cinsupaucpen berftepen, ben auep ber befte 3eicpner niept mit Sicperpeit 
greifbar 311 maepen berntag. Die V^oben finb über alle NuSftettungS* 
räume serftreut unb werben bereinigt ein impofanteS ©ilb gewäpren. 
3cp erwäpne nur beifpielSWeije ben fepönen kaminborfap bon Vitt* naep 
SaarS Gntwurf in bem GingangS gefepilberten 3ogbfaal. Der genannte 
Wrcpiteft pat fiep bem Scpmiebeeifeu ergeben. Neben feinem oft wieber- 
feprenben unb Gutes ftets gewäprleiftenbcu Namen begegnen wir einer 
Neipe ber flangbottften in einseinen Stiftungen unb lernen fepr bälb 
ben ftilgerecpten, ppantafieootteu Gntwurf bon ben glcicpgültigeT^i 
fepeiben, bie baS ttRaterial niept 311 empfinbeit bermod)ten. NlS Spe* 
cialität bon bottenbeter Durcpbilbung erjepeint bie 3luSftettung ber krön* 
leuepter unb ©eleucptungSförper aller Nrt. ©roitse, 3i^^ «nb Scpmiebe* 
eifen, halb jebeS für fiep, balb in glürfliepfter Vereinigung, wie bei bem 
SReifterftüd bon G. kramme mit ben NtaSfeu, finben gleiepmäffig eine 
burcpauS fünftlerifcpe ©epanblung; bie VP on tafie unferer beften Gom* 
poniften famt fiep auf biefem Gebiete niept getiugtpun. Daff babei auep 
pier unb ba baS reepte 9Raff überfepritten wirb, tput bem fepr popen 
Verbienfte ber Gefammtgruppe feinen Gintrag. Durcp wunberbotte 


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Nr. 30 . 


Hie ®egenmttrt, 


03 


Xecpnif unb eigenartige, menn auch anfechtbare Xenbenz ausgezeichnet, 
finb bie latenten auS ber gabrif non Schäfer unb $>aufcpner nach 
Beühnungen üon Sieplenber, rnelcpe alte SÄujter bis auf bie Einmirfung 
ber Seit imitiren. 

luch £uofer= unb 3innmaareu (egen oon ber gortbauer beS §aub= 
»er!« erfreuliches 3*ugniß ab. Unter beit getriebenen Sfripfergejäßen 
jinbeit mir bie ftattlicpften Scpauftüde. 

3n ber achten Eruppe präfentirt {ich ber berliner VerlagSbud); 
panbel burch eine Slnzapl mehr ober toeniger berühmter unb bemährter 
girmen, ohne amtäherob ein Vilb oon feinem Umfange $u geben. Ee; 
fcploffener tritt ber ftunftoerlag auf. Er zeigt nicht gerabe einen üppigen 
unb oicl oerjmeigten SBucpS, bafür aber in einzelnen Erfcpeinungcn bie 
intenfiofie Entmicfelung. Slucp unter biejen fteht bie fünftlerifcpc Xpätig= 
feit ber photographifchen Eefettfcpaft als ein gefouberteS Vüb mcltbebeu-' 
tenben EebeipenS ba. Sie pat fich um bie alte $unft ein ebenfo großes 
Verbicnft ermorben mie um bie jeitgenöffifepe beS Vaterlaubes. 

Die Xplographie führt bie SJieiftermerfe Ulbert Vogels ins gelb 
unb jeigt fuh im Dienfte ber Äunft, ber SBiffenfcpaft unb beS EemerbeS 
unter Oortpeilpafteftem Sicht. Die Scpriftgießerarbeiten orientiren in grüub- 
liepfter unb Har barftettenber Söeife ben Saien auf einem Gebiete, mit 
bem er als SRann oon Vilbung längft oertraut fein follte. Unter ben 
Arbeiten ber Eraoeure finben fich bei burchgehenber Eleganz ber Xecpnif 
auch fepr fcpäßenSmertpe Seiftungen beS ftunftgemerbeS. 

(Sine ber phantafieanregenbften SluSftetfungSgruppeu unb burch ben 
Sleiz ber Slnorbnung foohl bie auSgezeicpnetfte, ift bie ber epemifepeu 
Snbuftric. Da finb aus bem Dunfel ber Schächte bie 3tverge über 
Stacht peraufgefommeu unb hüben bie $rßftallfcpäße ihres Reichs herbei- 
gejcpleppt, unb bie brennenben Kerzen funfein mie um ben ElaSfarg 
ScpneemittcpeuS. Von bem meißzarten Äoradenaft ber feften Salicßl; 
fäure, oon ben fcpmarzoiolettfcpülernben Stabein beS gobS bis 511 ber 
fchmeichelnben garbeutonleiter in laum mahrnehmbaren Qnterüallen 
bietet fich bem Saien, ber bie $?öpe ber hier bargeftellten gttbufirie nur 
ju ahnen oermag, faum irgenb ein Object, 001 t bem er feine SBifc 
begierbe nicht angezogen fühlt. Unb mer in bem Slnblid eines VergeS 
oon hunbertprocentigem Epaitfalium einen Unfall nerüöjer Schmäche Oer; 
fpürt, taucht fein Xafcpentucp in ben mohlriecheubeit Springquell beS 
berliner SBafferS ober hält eS noch banfbarer bem freigebig gefpenbeten 
Staubftrapl beS 9Jlaiblumene£tractS entgegen. 

Der Eeift, ber in ber Gruppe ber SiaprungS; unb Eenußmittel 
maltet, menbet fich mehr bie üitbliche Vorftellung. Der ^Begriff 
Suchen, Eonfect, SJtarjipan büuft fich nicht anfbaulich genug; er borgt 
auS fremben Gebieten ein Sleib, baS ihm nicht hübfeh z u Eeficpt fteht. 
Die SBartburg erhebt fich über bem Eeröll Oon ViScuitS, ber Vracptbanb 
mürbe oerführen barin zu blättern, menn man ihn nicht oorfichtig hinter 
ElaS gelegt hätte. Qn ben monumentalen Ouaberbauten beS Jumper- 
nidelS, in ben pimmelanfteigenben SBurftfpiralppramiben reflectirt ber 
Sinn einer Vergangenheit, bie in luftigem Slufzuge Siiefengcbilbe oon 
leig unb gleifcp burch bie Straßen 511 fchleppen liebte. Unb ber pifto= 
rifche VerüprungSpunft thut gegenüber ber SJiaffe ftillofer Spielereien 
mopl. Von ber SRöglicpteit, burch Eompofition granbiofer Stillleben 
baS Gemeine malerifcp zu oerebeln, pat in ben 3been ber SluSfteUer 
nichts angetlungen. Depo pöper wirb baS Verbienft ber gabrifation 
anzufcplagen fein. 

SRit ber Gruppe ber SRafcpinen bilbet bie ber miffenfchaftlichen 3n- 
jtrumente ben oomepmften unb uuioerfeü bebeutenbften Xpeil ber SluS= 
pellung. Sie pat fich int Vetoußtfein ihrer gleichmäßigen Vortrefflichfeit 
außer VteiSbemerbung geßellt. 3n bem auSgebehnten Dienfte für ein= 
heimifepe unb frembe SBiffenfcpaft, beren pöcpften Aufgaben fie gerecht 
mirb, ntäge ber Saie bie Garantie für ihre SeiftungSfäpigfeit pnben. Sin 
ber Äppeiitlicpfeit beS äußeren EinbrudS, an einer Steipe zugänglicher 
Erscheinungen mie bie EefteinSbünnfcpliffe, bie ins Unglaubliche fich ber- 
lierenbe Xheilung oon (Vernicht unb SJiaß unb SlnbereS mirb au^ ber 
püchtigpe Vefucher greube unb Velehrung pnben. 

Die SluSpellung ber mufifalijehen gnßrumente gibt mohl nur ein 
iehr unOodfommeneS Vilb oon bem, maS Verlin leiftet. Vecppein ift 
fern geblieben unb baS Sßianino übermiegt in einem ben föaumoerhält; 
niffen unjerer Söohnung leibet entfprechenben SRaße. 3 «h wollte mich 
mit ihnen befreunben, menn fie nicht burch Ueberlabung unb inbiScreteS 
Vorlieben beS ©ehäujeS jurüdfehreeften. Einzelne Ausnahmen änbern 
an biejet Vemerfung nichts. 


ES bleibt mir oon meinem Stanbpunft auS nunmehr noch ein 
turzeS SBort bemjenigen Xheile ber SluSfteßung z^ mibmen, ber nach 
bem Urtheil competenter dichter ben Xriumph berfeiben entfeheibet. ®uct) 
bem' Saien ift eS bei ernftem SBotlen unb mit Äufmanb einiger Den!* 
unb Äörperfraft, noch beffer unter ber gührung eines fenntnifoeichen 
gtemtbeS oergännt, fich e i u überfidplicheS Vilb oon bem Vtaphinenmefett 
ZU oerfchapeu, mie eS fid) in ben Seiftungen ber Verliner §ochinbuftrie 
barfteüt. Er mirb halb erlernten, baß nicht 9tuSbehnung unb SRgnnich^ 
faltigteit beu s JDiaßftab für bie Veurtheilung bieten, fonbern bie Erfchei- 
uung einer gefcßloffenen iReihe oon miffettfchaplichen unb tecpnifchen Er¬ 
oberungen hohen unb hödjften langes. s JDtag man an ber breieptinbrigen 
Xruulmajd)ine, melcpe mit 2800 Vferbehäften bie eine Schraube einer 
faiferlich beutfepen Vß»Z eiC0Iöe Ue bemegen mirb, Vereinigung oon SRaum* 
befchränluug, Eleganz beS öemanbcS unb ®emährleißung ber &raft \>u 
munbern, mag mau au bem cpllopifch monumentalen Aufbau ber ^ed^ 
manu'fcpen gabril mit ipren itacp punberttaufeuben oon Viart zählenbeu 
SRetattfcpäpen in SReffittg, Tupfer unb Vh°^Ph or üronze baS toge meiben, 
mag man fiep ber luftigen Vemegung ber elcftrifcpen Eifenbapn über; 
laffeit ober als neugieriger 3 «fef»a«er ben Strom in ber Schiene mit 
ängplicpem Dapen zu prüfen mageu, immer mirb man fiep oon beut 
oaterlänbifcpen Stolz gepobeu fitpleu, baß foldp SBunber raenfcplichen 
gleißeS unb meufcplicher gntelligenz ber Verliner ^luSftellung ipr <$e= 
präge oerleipeit. 

3cp barf meine Sejer niept toeiter füpreu. Sie merbett mir popent; 

{ licp nicht mehr aboerlangen, als ich ä u teiften beauftragt mar. Daß 
| pier ein Unternehmen oon überrafepenber Ölroßartigleit zu Staube ge= 
fommen, an bem fiep ber erjepütterte Vtutp neues Selbftoertrauen unb 
| Vertrauen auf bie 3utunft geminnen lann, mirb auep auS meinem pfiep; 

I tigen ftintoeifen erpellen. 

Cp, £. 


Offene Briefe unb Jinttuorten. 


^ln 3opannto Horbmann in l^ion. 

3n beS VJalbeS büftern Erünben — fo fängt baS Sieb 00 m Stäuber 
Vinalbini an, baS icp in meiner Äinbpeit pier in ber §eimat oft 
fingen hörte. 

2Bie ift nun baS, lieber Storbmann? £aben mir eine Stäuber^ 
gefepiepte mit einanber? 

ES märe mir reept lieb, menn icp ben Xitel „UntermegS" (für bie 
jüngft erfepienenen Keinen Eefcpicpten ic.) oon Dir befommen hätte; 
icp laffe mir oon guten greunben gern etmaS fepenfen. 

Du fagp (in Sir. 19 b. VI.), baß Du fepon oor zepn 3uh rcn &en 
Xitel angemenbet paft. Sinn liegt oor mir ber leßte 3 up^ 0 uug meines 
ÄalenberS oon 1867 — gefeprieben 1866 — unb in biefem finb breimal 
„Eefcpicpten oon untermegS" unb in früheren 3<tprgängen niept minber. 
v DaS barf Dicp inbeß burcpauS niept flöreit, für Deine frifepfarbigen 
SBanberbilber ben gemeiitfamen Xitel fortzufüpren. 

3u ber Hoffnung, baß mir uns noep oft frifepauf untermegS be* 
gegnen, Dein alter ober älterer 

33ertpolb Uuerbad?. 

Siiebernau am Siedar, 21. 3uli 1879. 


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64 


Hie Segenmart. 


Nr. 30. 


$ttfer«te. 


Sommerlektüre. 


D 


roz 


Heine Tante 

5 als Venus. 

Zweite Auflage. 2 JC 


Tuckstein,Hohla 

fl_J vom deutschen Professor. 

Vierte Auflage. 1 JC 


inrltiAf 1(111 ^ 

inaner, WeiWlck 


^ n. Heitere« üb. d. Frauenwelt. 

1 JC 

Verlag von Rieh. Eckstein in Leipzig. 


HELGOLAND, FÖHR <8: SYLT. 


Verlag von Otto Meissner in Hamburg: 


ngmeouxrib. 


Von E. Haliier. Geb. 3 JC 

Die nordfriesisehen Inseln. 

Von G. Wetgelt, 

2. Auflage. Mit 2 Karten. Geb. 3 JC 75 $ 


«MWW X WMWWWMKMWMWWXWWMXXWW I 

I Serlag non CMnin ®<ll.emp in Stipitg. 

StttMeMUiet 

oon $tti% SSerttiA. 

I. ©anb: Korn, ©ari«, ßonboit. 5 JC 
II. ©anb: (£onftantinopel, Sltyen, ©etcr«= 
burg, ©toslau, SBarfchau. 3 JC ; 

©chlef. 8 tg.: SBemicf sd^tt $u bcn bepen 
lebenbcn geuilletoniften. 

$öln. 8 tg.: 3Beroi<f ift ©teifter in ber ! 

] Darlegung fulturgef^i^tlid^er Daten. 

1 1 


3m Verlage bon ©. Keimet in ©erlin ift 
erföienen unb burch jebe ©udjtjanblung ju be 
jic^en: 

©ermtfchte ©driften 

Bon 

§flfo&ot von ^Sernfarti. 

3 W e i ®önbe. 

$reiS: 14 JC 


9tatürlid>e 

Sd^ötifnngsge^t^te. 

(iemeinoerpänbliche »iffentdjafttidje Vorträge 
übet bie 

(gntwidulungsleljn’. 

®on 

Dr. (Stag $aeifel. 

Siebente, umgearbeitete unb oerme^rte Auflage, 
ißreib: io JC 

nebsettss, Itertts NW, ntpnptlnjniultt 4. 


SReuer Sßerfog von 8mttoj>f & £ärtel in Srtyjig. 

ftipjtj trab feint Unlverfttät not (jnnbert 3al)rcn. 

Äu3 bcn gleidföeitigen Stufjeic^nungen eine« Setpäiger ©tubenten. 

JÄit HiteCOtCö, 'gfCan von Jtetpsig unb gkavte bev ^jimqeqenb. 
gr. 8 . ©rodj. JC 3. (Sieg. geb. JC 4. 

Tiersch, Otto, Kurzes praktisches Lehrbuch für Contrapunkt und Nach¬ 
ahmung oder vollständiger Lehrgang für den polyphonen Voc&l- und 
Instrumentalsatz (streng und frei) in 40 Uebungen. JL 4. 50 n. 

3 m ©erlag non Stiebt. Stabt. ©crt|e« in ©st|t erfchien foeben: 

@tua rätselhafte ^afaftropS- 

ÜRoöetle 

[©rei« brodj. JC 4.] ton [©reis geb. JC 6 .] 

<5. von Äratjntar. 

Durch alle ©uchhnnblungen ju beziehen: 


<5efd?td?te 

bes 

acfytsefynten 3af)rf}unberts unb bes neun 3 e^nten 

bis jum Sturje bes franjöfifdjen l^aiferreic^s 

mit befonberer Hücfßdjt anf geipige Gilbung 
oon 

jfriebr- Cftrift ^ri&toffcr. 

fünfte Auflage. 

Die National:Scitung Jagt über biefe« SBerl: 

3 n folgen jehtoeren, »irren 3 e iten »00 ernfte ©aterlanbSfreunb pch aan$ befonber« 
gern in bie Staue eine« echten, lentgejunben beutfehen ©tarnte« flüchten, über beffen pcrbliAem 
Seibe längft ba« Orab ftd) gefdjlojfen, ber aber unperblich al« fie^rer unb Suchtmeiper 
feine« beutfehen Solle« leben toirb. (£in folget beutfdjer ©tann nmr griebrich ®hripoj>h 
©chloffer. ©ftt greuben begrüßen toit banun gerabe jefct bie ©eranpaltung einer ©otl 3 ?SUi«gabe 
oon SdjdMojfer’« ©*eiftertoerl ber (Slefchichte be« 18. 3 ah r b un & er *$- 

@3 gereicht ber untemichneten ©erlag«hanblung ju befonberer ©efriebigung, ba« bebeutenbfte 
©$erf unfere« berühmten ©efchichtsforfcher«, beflen lefcte Kräfte ber neueften ©earbeitung gemibmet 
rnaren, auch ben roeitepen Greifen unfere« ©olle« burch eine ungewöhnlich 


Diffige ^ieferuvtge=Jlusgaße 


toar. Da« äBerl 
ober in 8 ©ftnSen 311 m 


$ugängig machen ju lönnen, mo ber bisherige tyty $rei« noch ein 
erfiheiut in ca. 60 Siefermtgen a 5—6 ©ogen jum greife oon a 50 
©reife oon ä 4 !Urf — Kamen? unb ©ach?Kegiper 1 3Jtarl. 

(NB. 3löd» ooflftanbigcm (fricheinen bet SiefcrungS-auggabe tritt ein höherer 8abenprei8 ein.) 

©erlin SW M 3)ic ©erlag«buchh«nblung 

SöniflgtSperftrage 65. OtMcIV See|«ge«. 



f mm m m. \Si 
# Ä 

^ fämmtlict^er 5ocultäten. 
Herausgeber: .Kßansfclbcr 



3m Schmollis ? Perlag 3 a 2lltenbnrg 

(SachfensUItenbarg) erscheint: 

J>djnioll(5, 

flluprirte 5cutfd)f |itrjtitiw§ 



Ä ArttlrtfHlX’ ein ötfl^mifchshimios 

^ilJIUUUIjl^rifHf^es Sammetoerf, 
fteljt augenblicflidf in feinem 3. Semeßer unb 
erfdfeint in JSonat#heften (am 15. jeben monats 
\ f)eft) reich tQn^rirt mit (QnartaU2IbonnemenU | 
2(bonnrmentftpreis: JC {, 80 (3 ^efte). preis 
für { QtfU 75 A- 

^urtft aüe ^Sm&ftmMunnen unb PoftanCUiten 
bei gn. unb Soltenbii gu btsieften. Bei francoc 
einfenbnng bes Betrages oerfenbet ber Perlag 
and? birect franco per Krettjbqnb. (übreffe; 
2ln bew Schmofliss Perlag, Nltenborg, 5.^21.) 

Bas Abonnement fann man toährenb bes 
ganzen (Bnartals beroirfen, ba bei fpdteren 
BefieUnngen firts oon Cjeft \ bes lanfenben 
(Qnartals an geliefert toirb. 

Ber 3nhalt biefer geitfdjrift begeht b«r<h? 
aus nicht aus „Bierxoifcen", fonbem bietet bas 
Befle anf hnmorifUfchem ©ebiete. ^Bierjeitung" 
ift eben nur als afabemifcher terminns technicss 
an3nfehen. 


9ür bie Kebaction beranttsortfich: Seorg ßtiUt in ®er(in« fjfebtUon, yertt* W n Sutfürtenfhafte 79. 

Xvud oon 9« #• tmiurr in ^etttig. 


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M 31 . 


jJJerfiu, bat 2. jlngitß 1879. 


Band XVI. 


Jie (L^gcmtmtl. 

fföocbenfcbrift für Literatur, ^unft unb öffentliches ßeben. 


Herausgeber: 'jjfttltf rftttbau in SBerltn. 


Jtln Srnnhrt nftriit tiu limtt. Erleget: Georg StUte in Berlin. 

ßu brieten burd) ade ©ucbbanbluitflen unb ©ofianftalten. 


ftris pw furtai 4 jhtl 50 ff. 

3 n jerate iebet Ärt pro Sgefpattene ©etitjeil« 40 ©j. 


Itoljaft: 


©efamtnteigentyum unb priöateS ©igentljum. ©oit ©luntjcfyli. — Literatur unb Jhmft: In desertis. ©ott ftotjannes «Sdjerr. — 
©riefe an ßeffmg. §erau3gegeben oon ©. ©tyr. SReblidj. ©efprodjen non iJubtutg ©eiger. — $arl föojenfrana. ©oh ^Uejnnber 
3uitg. (©cfjlufc.) — 3u ©ottlieb ©djtdS I)unbertjäty*igein ©eburtatoge. ©on ^ermann S£inbt. — «nb ber ^auptflabt: 2)tama- 
ti(d)c Sluffüfjruitjjen. „SRofentrcuu unb ©ülbenftern." üuftfpiel in hier Slufeügen oon SRidjael $1 app. $ie SSiencr ©äfte. $a8 s Jiefibenj= 
tratet unb ©mtl (Slaar. ©on ©aul Sinbau. — Offene ©riefe unb Antworten. — gnferate. 


(fiefammtttgenttjmn unb privates (Eigentum.*) 

Bon 8inntfd}li. 

(Uralter @egenfafi oon SBolflcmb unb Brioatbefi)}. Sie brei §auptfor= 
men: Stuffife^e Sorfgemeinbe. SiömtfcbesS Bottlanb unb Bribateigen: 
tljum. Staatlicher ©üteroorratl). ©olonijationägebiete. Seutjther ©egen= 
iah oon SWnienbe unb Sigen. ©ebunbenljeit beS @runbbefihe8. Deffent= 
lidjeS ©ut unb ißrioatgut.) 

Ser ©egenfab beg ©efammteigentbumg unb beg in= 
bioibuellen, prioaten ®runbbefi|eg war ben meiften 
alten Söllern woblbelannt unb fam in öerfebiebenen ®e-- 
ftotten not. 

©aijj gewöhnlich würbe ber Soben nicht oon oereinjelten 
Anfieblern juerft in SSefi^ genommen, fonbern eine ganje weite 
©egenb ober ein ganjeg £anb oon einem (Stamme ober Solle. 
6s entftanb jo juerft immer ein Solllanb, bag nur t^eil= 
weife unter bie Sollggenoffen ju Sonberbeft| unb Sonber= 
re^t oertbeilt würbe, t|eilweife bem gemeinen @ebraucl)e unb 
ber Stauung Aller oorbebalten blieb. Sag inbioibueUe lßrioat= 
eigentbum tonnte fidj nur bejüglicb ber oertbeilten ©üter ent= 
wideln, ber unoertbeilte Soben blieb im ©efammteigentbum. 

Heute noch haben wir in @uropa neben einanber bie brei 
Houptformen ber ©ntwidelmtg biefeS ©egenfafceg, bie wir als 
bie jtaoifcb'niffifcbe, bie römijebe unb bie germanifcb= 
beutfibe bejeiebnen fönnen. 3« ber erften überwiegt no<b 
bag ©efammteigentbum fo febr. bafj bag prioate ©igentbum 
nur ju bürftiger ftüdweifer ©eltnng gelangt ift. 3« ber 
jmeiten bat umgelebrt bag prioate ©runbeigentbum bag ent= 
febiebenfte Uebergewicbt erlangt unb julefct bag ftaatlicbe @igen= 
tbum big auf einige Heine Ueberbleibjel beg früheren Stei<b= 
tbumg ganj aufgejebri 3n bem britten Spftem, welcbeg aber 
faft nur noch in einigen ©egenben mit beutfeber Seoötterung, 
wie in ber ©cbweij unb in Sübbentfiblanb fid} mübfam 
erbalten bot, holten fidb ©efammteigentbum unb prioateg @igen= 
tbnm fo weit bag ©teitbgewidjt, bafs beibe fidj ergänjen unb 
leineg oon beiben bag anbere erbrüdt. 

Ser ©egenfab b fl t feinen tiefen ©runb in ber 3Renfiben= 
natur unb ift begbalb nicht augjurotten. Sag prioate @igen= 
tbum ift für bag Sonberleben beg 3nbioibuumg unent= 
bebrlidb, benn eg oerfdbafft bem Snbioibuum bie -Uioglicbteit, 
jeine eigenartigen IBebürfniffe ju befriebigen. Sag ©efatmnt= 
eigentbum aber entfpriibt ber anberen gemerafdiaftlidben Seite 
in ber SRenfdbennatur, unb ruht auf ber ©leicbartigleit beg 
©efammtlebeng, auf ber ßufammengebörigleit ber 2Ren= 


*) «gl. „Segtuwart" 1878 9to. 51 unb 1879 »o. l unb 29. 


fiben. Sort berrfebt ber Snbioibuatgeift, bi er ber ®e= 
mein ge ift beg Staff eoerbanbeg. 

3n ber ruffifeben Sorfgemeinbe*) b«t ficb bie ältere 
fform beg ©efammteigentbumg in ooller Starte erhalten, unb 
ift tbeilweife fogar in ben lebten 3ahrh u nberteit neu einge=, 
führt Worben. 

^aft nur ber ©rofjgrunbbefib beg Slbelg wirb alg inbi= 
oibuelleg ißrioateigentbum anerlannt, aber auch bag ©runb= 
eigentbum ber Herren wirb wieber nach bem ißrincip beg &t= 
fammteigentbumeg oon ben Säuern bewirtbfeboftet, benen eg ju 
Sau unb ©enufj überlaffen ift. Sie ruffifebe Sorfgemeinbe, 
ber ÜDtir, ift ein enger patriarcbalif^er Serbanb ber fämmt= 
lidben Sorfgenoffen ju einer grojjen Sorffamilie. Sem SJtir, 
alg einer Äörperfcbaft, wirb bag ©igentbum jugefebrieben an 
ber ganjen gelbmart. Sie Säuern, unter weldje bie Stüde 
bet yrelbmarl jum Sau unb gruchtgenuß oertbeilt finb, haben 
fein ©igentbum, fonbern nur einen jeitweiligen Siicjjbraud) an 
biefen Stüden. Sie bauen biefelben je nach ber Sitte unb 
ben Sefcblüffen ber Sorfgemeinbe. Ser ÜJtir oertbeilt oon 
ßeit ju $eit neu bie getbmart unter bie Sorfgenoffen, je nach 
beten Slnjabl. Sßenn bie Sorfbeoölferung fidb oermebrt, wetben 
bie Sbeile Heiner, aber 3eber befommt feinen Slntbeil. Sie 
©emeinbe haftet aber auch gemeinfam für bie Steuern an ben 
Staat, unb für bie ßinfe an ben ©runbberrn. Ser SHir fteQt 
bem Staate bie erforbetlidje Kiannfcbaft jum H eere - 3b re 
wirtbfibaftlicben Angelegenheiten oerwaltet bie ©emeinfibaft 
oöUig autonom. 

©ewife b°t biefe @inrid)tung gro^e Sorjüge. ®g bewährt 
ficb iw ib r bie Srüberlidjfeit ber Sorfgenoffen, weldbe wirflicb 
eine gtojje gamilie bilben, mit bem Staroften, bem gemein^ 
famen Sätercben, alg gamilienbaitpt an ihrer Spifce. Ser 
©emeingeift ift febr mächtig unb bie ©leiebbeit Aller oerbürgt. 
@g gibt leine Armen. Seber bat feinen natürlichen Anfprucb 
an ben ®emeinbefi|, auf ßebengunterbalt. Siele Stoffen finb 
ftolj auf biefe Snftitution. Sie halten biefelbe für ben ftärfften 
S33aQ ber ruffifeben ÜDtodjt, unb propbejeiben bem alten ©uropa, 
bafe eg nur bureb Sia^abmung beg ruffifeben Sorbilbeg einer 
fociatbemohatifdben Sleootution entgehen werbe. 

Aber bag Spftem bat auch bebeutenbe SJtängel. ®g eut= 
fpridbt ooraug nur einer nieberen Stufe ber ßioilijation, auf 
weldber bie ©leiebbeit Aller nodj eine Slabrbeit ift unb ber 
Heerbengeift nodb Alle leicht jufammenfdjlicjjt nnb einigt, nid)t 
aber ben bäh«*« 1 ©ntwidelunggftufen ber SWenfcbbeit, welche 
bie inbioibueße SJlannidbfaltigleit ju Sage geförbert, unb bie 
©egenfäfce auch in bem Seben ber oerfebiebenen Familien unb 


*) $ie Uiteratur ift bei ÜaDeletjc angejeigt. 


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66 


Ute ©fgentuflrt. 


Nr.' 31. 


©ruppen auSgebitbet hat ®er mit bem Sqfteme oerbunbene 
glurjwang, welcher olle Säuern nötigt, bie Sieder gleidfjjeitig 
mit berfelben Saat ju beftellen unb bie ©reifelbermirthfiijaft 
als unoeränberlicheS ©efefj feftf)ätt, ftefjt jeber Scroollfomm* 
nung entgegen. ®ie gaultjeit, bie s Jtacf)läffigfeit, ber Schien* 
brian werben burcf) biefe Kinrichtung eljer grofjgejogen unb 
begünftigt, als übermunben. SEBenn ber Sauer nicht ficher ift, 
baft bie fruchte feines gteifjeS iljm unb feinen 9tad|fommen 
jugutc tommen, fo jietjt er eS oor, gleichgültig unb bequem 
fid) jeber Slnftrengung ju enthalten. Ober es gelingt auch 
wohl flaueren Säuern, mehrere Sofe ben leidjtfinnigeren ©e- 
noffen für Sranritwein abjufchwinbeln, unb im SBiberfptud) 
mit bem Spfteme bet fflleichh«it, Siele ju befifclofen 2of)n= 
arbeitern fich ju unterwerfen. 

ÜRit junehmenber Kultur lodert fich immer ber gamilien* 
oerbanb, unb bie 3al)l ber gatniüenglieber unb ®orfgenoffen, 
welche fich loSfagen unb anberwärts ihr Ipeil fuchen, wirb 
größer. ®ann wirb auch bie ®orfgemeinfd)aft burchlöcbert 
unb jerriffen. ®ie patriarchalifche SlUgewalt beS Staroften 
wirb »on ben münbig geworbenen" Snbioibuen nicht mehr er* 
tragen. Sehr läftig unb brüdenb erfcf>eint auch bie mittelbare 
|>errfchaft beS ®orfeS fogar über bie priüaten SBoljnhäufer im 
®orf, bie nicht ohne ijuftimmung ber ©emeinbe außerhalb 
ber SÖtitgenoffenfchaft oeräujjert werben bürfen, unb unter Um* 
ftänben an biefe heimfallen. Snbem fid) bie Seoötferung t»er= 
mehrt, bie weiten jum Slnbaue geeigneten Sobenflädjen enger 
begrenjt werben, inbem bie Kultur fteigt unb bie inbioibuelle 
Freiheit ihre SDfacht entfaltet, wirb bicfeS Spftem unhaltbar 
unb unbrauchbar werben. ®a es baS 3Bacf)Sthum ber Se* 
oölferung burch bie ©lüd oerheifjenbe SluSficht fteigert, welche 
jebeS Äinb als tünftigen Sefifcer eines MdetlofeS jeigt, fo 
toürbe es in bereits ftar! beoölterten Sänbem in Sälbe feine 
Stnmenbung unmöglich machen. 

ffür Sufjtanb mag baS Spftem noch eine ©eile nüfcfid) 
fein, für ®eutfdjlanb mürbe es nicht paffen. Sergtidjen mit 
bem Stjfteme großer ©runbherrfchaften unb blöfter ßeitpädjter, 
wie es in Dielen Sänbem Don SEBefteuröpa geübt wirb, er* 
fcheint es für bie Säuern nüjjlicher unb Diel freier unb fixerer. 
Slber ben Setgleich mit bem ooltfreien ©runbeigenthum unferer 
Sanbwirthe hält es nicht auS. 

©erabeju entgegengefe|t ift baS SnbiDibuateigenthum, 
wie baS römifche Stecht baS ©runbeigenthum Derfteht unb 
wie es im Saufe ber Sahtfjunberte faft jur Mtteinherrfdjaft in 
SBefteuropa gelangt ift. ®ie heutigen fünften benten, wenn 
fie Don ©runbeigenthum fprechen, meiftenS auSfchliefjtich an 
biefe abfolute £>errj<haft eines ^nbioibuumS über ein ®ut ju 
feiner SBiUfür unb wiber alle SBelt. ®ie alten Stömer haben 
biefen Segriff erbacht unb juerft Derwirltic^t, aber bie heutige 
Don ben Stömern erjogene SEBeit hat benfetben noch Diel ein* 
feitiger unb auSfchlieftlidjer jür fterrfdjaft gebracht, als bie alten 
Stömer, ihre Sehrer. 

Slls bie Stabt Stom gcgrünbet warb, gab es noch lein 
Srioateigentt)um bafelbft. ®ie ganje, Don ben erften Sättigen 
in Sefijj genommene ©egenb war noch im ©emeinbefi| oeS 
SolfeS, wahres Solflanb (ager publicus). Stach ber Säge, 
welche einen 3Bal)rheitSfera in ihrer Schale birgt, hat Stomulus 
juerft ein prioatcS ©runbeigenthum baburdj gefchaffen, bah er 
für jeben ^auSoater jwei ÜDtorgen aus bem ©emeinlanbe aus* 
fdjieb unb jur Slnfieblung unb Sepflanjung nach freier SEBill* 
für bauentb Dertheilte. ®iefe jwei SDiorgen wären nun pri* 
Dates, oon bem römifdjen Soll abgeleitetes unb anerfanntes 
freies Kigen, grofj genug, um eine äBohttutrg für fjamilie unb 
ipausoiel) ju erbauen, um Staum für Slrbeit unb für bie Sluf* 

fpeit^erung ber Krnte ju gewinnen, um einen ©emüfe* unb 

Cbftgarten anjulegen, aber Diel ju targ bemeffen, iim eine 

ganje gamilie ju ernähren. ®aS ganje übrige Sanb, bie 
Slcferfluren, SBeiben, SBatbungen, waren unb blieben Dorerft 
nöch ©emeingut, Solflanb. 

?IIS bie röniifdje SeDölferung fich Dermehrte unb baS 

Stabtgebiet ausgebreitet würbe, bä würben nun öfter Sanb* 


! Dertheilungen Don Staatswegen Dorgenommen unb jwar in 
gröherem SOtahftabe. $u<h bie grofeen Slderfelber würben nun 
: funftgerecht Don ben gelbmeffern mit feften gelbwegen burchjo^en 
1 unb ju Sonbergiitent abgegrenjt, welche burch bie Slffiguatiou 
ju freiem ^rioateigenthum an bie 5ßtebejer oerliehen würben. 

Stber auch noch unb bis gegen ©nbe ber Stepublif 
blieb feljr Diel Solflanb unoertheilt unb mürbe ben patrijifdjen 
i Mitbürgern jur Sefi|nahme unb jum ©enufj überlaffen, ohne 
1 ba§ fie Kigentljum an biefen Sefifcungen erwarben, wenngleich 
thatfächlich ihr Sefijj bauerhaft würbe unb jeber Serfudj ber 
Stabt, barüber ju Der fügen, heftigen Sßiberfprudj ber Seftyer 
h e rDorrief. ßuleht ging biefer Sefijj hoch in Kigenthum über. 

fjortwährenb blieb eS ein ©runbjug römifcher ißolitif, baS 
Solflanb burch Kroberung ober Slneignung weiterer Sanbgebiete 
als einen ftänbigen ©üteroorrath ju Dermeljren, unb bann 
wieber Don $eit ju ßeit aus biefem Sorrathe neue 3uthei= 
luitgen ju- prioatem- Kigenthum an bie Koloniften oorju* 
nehmen. Muf biefe SBeife mürben eine grofje Mnjahl Don 
lanbtofen Familien ju lleinen ©runbeigenthümern erhoben: fo 
auch bie Seteranen beS feeres, wenn fie ihren ehrertttööen 
Stbf^ieb erhielten, mit ©runbeigenthum, in ben einen Sänbem 
mit quiritarifchem, in ben entlegenen ißrooinjen aber mit bem 
bonitarifdjen Kigenthum an ben ©iitern auSgeftattet. SEBenn 
i jur Siaiferjeit, fei es baS StaatSärar, fei es ber Äaifer ein 
Kigenthum an bem gefammteit ißrooinjialboben für fich be= 
haupteten, fo hatte baSfelbe nur ben Sinn, bah f° ber Staat 
unb fein $aupt fich bie Oberljerrfchaft unb baS Iftcd&t ber 
Sefteuerung Dorbel)ielten. Sie wollten fo überbem bie Sefiper 
ber Srioatgüter baran erinnern, bah ihr Sefifc unb ihr Sed^t, 
welches nicht blofjer 9tiehbrauch war, fonbern in SJahrljeit 
i fefteS Kigenthum (in bonis) war, beftänbig abhängig bleibe 
j Don bem höheren Staatsrechte. 

®ennocb hW* en alle biefe politifdje Sorfitht unb biefe 
; juriftifchen ^icttonert nur eine 3eit lang noch baS Setberbnih 
j jurüd, welches bet bürgerlichen greifjeit unb ber SBohlfahrt beS 
: Staates oon ber geilen SluSbreitung ber Satifunbien brohte. 
! ®er einfeitigen Knergie beS römifchen SrioäteigenthumS hielt 
bie fünftlidje unb jweifelhafte fjortbauer eines StaatSlanbeS auf 
bie ®auer ni^t mehr baS ©leichgemicht. 3)aS abfolüte ^}riDat= 
eigenthum mit feinem fchranfentofen KgoiSmuS triuinphirte. 
i Kinige wenige überreidje ©rohe befahen allein noch ungeheures 
©runbeigenthum. Sn ber Kampagne um bie §auptftabt Der* 
fchwanben bie feften Sieder unb SEBiefen, bie Obftgärten unb 
SOSeingelänbe grohentheilS, unb an ihre SteHe traten wieber 
; unetmehliche Siehweiben unb weite Sagbgrünbe. SBechfelnbe 
1 Sieder würben Don Sflaoen unb hörigen Kolonen läfftg bebaut, 
wo früher freie Säuern glüdlidh gewohnt hatten. ®ie SJtaffe 
ber mittleren unb Heineren ©runobefifcer mar auSgefäuft unb 
in eine DöHig abhängige Sage gebracht 3)er wehrlofe Staat 
würbe eine Seute ber ©ermanen. 

®ie ©efcf)ichte ber römifchen Sobenwirthfchaft unb beS 
römifchen KigenthumS warnt uns üor ber Ueberfpannüng beS 
SrioateigenthumS unb mahnt uns jur Slnlage eines groben 
ftaatli^en ©üteroorratheS. 

®ie heutigen Kulturoölfer haben auf bie gewattfame SEBeg* 
nähme frentben, bereits im Kigenthum befinblichen SanbeS Der* 
i jichtet, aber fie haben, einige fogar in gröberem Umfahge äls 
felbft bie ölten Sömer, fich in wertig bebauten ©egenben ber 
I Krbe grobe KolonifationSgebiete erworben, bie ooterft als 
| Solflanb bem Staate ober ber ßroite gehören, aber im Ser* 
folge ju prioatem Kigenthum an neue Slnfiebler üeräitgert unb 
oergeben werben. Knglänber unb Stieberlänber, ißortugiefen 
unb Spanier, granjofen unb ®änen befi^en fo jenfeits ber 
SWeere weite ©ebiete, bie noch nicht an ißrioateigenthümer Der* 
theilt aber ju allmählicher Sert|eilung geeignet fittb. ®ie 
Union ber bereinigten Staaten unb baS ruffifche 9teich be* 
fifcen innerhalb ber Don ihnen beherrfdjten Kontinente ungeheure 
Sbrräthe Don folgen ©ütermaffen, aus welchen noch au f fange 
i hin eine Sßenge neuer Slnfömmlinge unb Slnfiebler mit ©runb* 
eigenthum oerfehen werben fönnen. 


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Nr. 31. 


67 


5J i f <$egrnwart. 


Unter ben großen eurppäiften ©ultutoölfern finb nur 
bie S)eutften unb bie Statiäner bisher bei ber ©pfi|= 
nähme frember unb uncuttioirter 3S5etttf)eite teer ausgegangen, 
©ie waren ©eibe mit ihren inneren ©egenfäfcen ju eiet be= 
ftäftigt, ,unb;bur<h bie ftaatlidje ßetflüftung lange oertjinbert, 
nat außen colonifirenb ju mitten, wäljrenb bie anberen ©ötfer 
jugriffen. 

®a 8 beutfebe SReit wirb fid) aud) bet Stufgabe nidjt ent= 
fotogen fönnen, ©erfäumteS nadjjuholen. ®ie beutften 93aueru 
unb 3 nbuftrießen finb jur ©olonifation befähigter als bie 
meifteit anbetn ©ölferraffen. 2 Bo immer fie, aud) ohne ben 
©taatsftuj) unb bie ©eil)ülfe ihres ©aterlanbeS, fich in 8 tme= 
rifa ober in IRnßlanb niebergelqffen haben, ba gebeihen ihre 
Dörfer unb ihre ®ewerbe burdjweg twrtrefflid). i£>ie .beutften 
©hen-finb fruchtbarer als bie ber fRomanen unb bie beutfdje 
Seoötferung mehrt fich alljährlich in ftärferem ©erhältnifj. 
Ohne ©rwerb großer ©olonifationSgebiete in ben fremben 
SBetttheiten unb ohne eine ftaattiche Leitung unb ©orge, welche 
bie (Kolonien mit bem ©aterlanbe fo lange »erbinbet, bis fie 
jur ©elbftftänbigfeit reif geworben finb, ift bie immer neu auf- 
quiltenbe Ünjufriebenheit eines fonblofen unb permögenStofen 
9ladjnntchfe3 nicht ju erfättigen — bie fociate grage nid)t ju 
löfen. 2 )ie ©rbe ift bot aud) heute nod) nitt ganj unb nid)t 
fo oertheilt, bafj nidjt jebeS ©ulturoolf fRaum finben fann, um 
ein (Weites weiteres $eimatlanb ju erwerben. 

5)aS att=germanifd)e Stjftem ber Sobenwirtljftaft unb 
©obenhenf^aft hält bie ©iitte jwifdjen beiben Gjtremen, bem 
flaoifd^ruffiften, welches baS Snbioibualeigenthum nid)t auf- 
fommen läßt, unb bem röniiften, Weites baS 3nbioibuateigem 
thum ju fetbftfüchtiger Slßeinherrftaft erhoben hat. 

3ur Beit beS iacituS noch niochte bie beutfte Uebung 
ber Slerfettheilung je auf ein Saßt noch ber ruffifdjen 2 )orf= 
gemeinftaft ähnlich gewefen fein. SUS aber halb nachher bie 
$)eutften ju einer feften unb bauernben ©ertljeilung ber 
Slderfluren fortjdjritten, unb unter bent ©influffe römifcher 
Kultur aud) persönliches ©runbeigenthum einführten, nahmen 
fie boch nicht bie römifte 2 Rett)obe an, fonbern geftatteten 
ihre eigene SRed)tSibee in fetbftftänbiger SBeife. 

2Bie bie ©laOen gehen auch bie 3)eutfdjen oon ber ®c = 
meinbe aus, ber fogenannten HRarfgenoffenftaft, bie nur 
ganj auSnahmSweife fo groß War, bah fie jum @emeinbe= 
wefen, jum ©taate werben tonnte, wie in ben ftweijeriften 
©ergeantonen. ©ewöhnlit war baS ganje Sanb, welches oon 
einem ©ott befefct würbe, jipar bie große fianbeSgemeinbe, 
aber es gtieberte fich wieber ab in engere ©ejirfe, bie eigent= 
liehen fianbgemeinben. 

Urfprünglit nahm auch bie beutfehe ©emeinbe bie ganje 
©egenb, in ber fie fid) nieberliefj, in ihren ©emeinbefifc. ®ann 
aber fchieb fie jwei große ©iitermaffen oon einanber, bie St 11= 
menbe unb baS ©igen. 5)ie Slßmenbe, ober bie gemeine 
9Jtarf war ber £h e 'l beS ©obenS, welcher ber ©emeinbe fetber 
unb bem ©emeingebraud) unb ber gemeinfainen Slußung aller 
SRartgenoffen oorbehalten blieb, unb baher nicht ju prioatem, 
inbioibueflem ©igenthum jertheilt unb auSgegeben würbe. ©S 
gehörten jur Slllmenbe oorauS bie ©äche, glüffe, ©een ihner= 
halb ber SRarf, ber Sßalb, ber boch nur einer geringen ©ultur 
beburfte unb wieber gemeinfam benußt werben tonnte, fo bah 
jebet ©enoffe fich b°S ^>olj hatte, baS er ju feinem ©ejintmer 
beburfte unb afle ein gleiches äRaß nun ©rennholj befamen; 
ferner bie wilbe SBeibe, auf welche baS ©ieh ber 3)orfgenoffen 
oon bem. ©emeinhirten hingetrieben würbe, bamit ,eS ba fich 
näßte. Unfere ©orfahren oermieben eS, unb mit ©runb, auf 
biefen ©emeinbefih unb ©emeingenuh, biefe ©emeinherrfchaft 
ben 9iamen ©igenthum anjuwenben. 2 Ran tonnte baS fpäter 
©efammteigenthum nennen, aber prioateS 3nbioibualeigen= 
thum war es nicht. 

&ie anbere grohe ©ütermaffe war baS ©igen, welches ju 
bauernbet perfönlicher ^errfdjaft an bie 2 )orfgenoffen bertheilt 
warb. Slu^ ba würben aber oerfdjiebene ©eftanbtt>eite unter= 
fhieben. Slm meiften ©igen, b. h- ber freien perfönlichen §err-- 


f^aft bf§ ^>auSoatcrS übertaffen, waren natürlich $auS unb 
|)of, fei eS im $)orf, fei eS auhertjalb beS SDorfjaunS in ber 
Gebe. 2>a waltete unb fchaltetc bie Haushaltung nach ih tem 
©elieben unb fdjärfer trennte fich ber beutfehe Sanbmann oon 
ben IRadjbaren ab, als ber ftäbtifdher geartete SRönter. 3 U bem 
Haufe, baS aus bem ©aul)olj ber gemeinen 2Rart gejimmert 
unb auf gerichtet würbe unb ber ©djeune unb ©taßung gel}ör= 
ten auch ber Hof unb ber ©arten, mit feiner @emüfe= unb 
Gbftpflanjung. Slber fogar in biefem abgefdjtoffenen ©ebiete, 
baS wie ein erweiterter Seib bie gamilie beS ®runbeigen= 
thümerS umgab, herrfdjte berfelbe boch nicht mit ber abjoluten 
SBifltür beS SRömerS. ®r burfte bei fiebjeiten HauS unb Hof 
nicht beliebig oeräufjern, überall,nicht burch lefcten SBitlen eS 
feinen ©rben entjiehen. fRur wenn bie ©rben ber ©eräufjerung 
juftimmten, bann würbe biefelbe oon bem ©oltSgeridjte an= 
ertannt unb beträftigt. 9iad) bem 2o,be beS ©runbeigenthiimerS 
fiel baS ©ut oon ^Rechtswegen an feine nächften ©rben, oor= 
jugSweife an bie ©ohne unb ©nfet, bann an bie männlichen 
Siachtommen beS ©gterS ober ©rohogters. ,®ie Pflichten gegen 
bie ©ippfdjaft unb gegen bie ©tmeinbe befchräntten baS ©runb= 
eigentljum. 

©obamt würbe baS baubare Sanb in ffturen jertegt unb 
nach ber SRegel ber 2)reifelberwirthfdhaft in gteid)mähige SldEer= 
ftüde je in bie gluren jerlegt, welche wieber ben SRartgenoffen 
ju ©igen bauernb burd) baS SoS jugetheilt würben. 3)ie 
Sieder waren fo in prioateS ©igenthum übergegangen, aber 
bie ©igenthümer waren nid)t blps in ber ©eräugerung burch 
bie ißflidjt gegen bie ©rben befchräntt, fonbern eS war auch 
bie SBirthfdjaft uub ber ©enufj burch bie gemeinfame ®orf= 
orbnung oorgefdjrieben unb, befchräntt. Smrner würbe jebe 
giur mit berfelben grgd)t , ; befät, ober gleichmä|ig in bie 
©rache gelegt. 

3uweilen würben gu|er ben Siedern auch ©Hefen bem 
©igen jugetheilt, unb hier ift ty« 2 Birthfd)aft freier als auf 
ber Slderflur. 

©S entftanb Wcfhl auch bie nadjhilbungSwürbige ©itte, 
fei cS nach SluSrobung oon SBalbftücfen ober um einen 2h e ii 
ber gemeinen SBeibe burch ©ultpr frnchtbarer ju machen, fotd^e 
Sh«'!« ber Slßmenbe unter bie ärmeren, länblidjen gamitien 
beS ®orfeS jum Slubgu, fpäter , ju Äartoffelbau, oorübergehenb 
auf ein ober einige 3 at)re ju pertheilen unb biefe ©ertheilung 
regelmäßig, ju erneuern. ©S würbe, fo bem ©ebürfniffe ber 
armen Öeute ^Rechnung getragen. 

©benfo gebunben, in mgpeher. Hinficht, noch gebunbener, 
waren baS lehenSr^chtliche 9^yfeei 9 pujtt)u m ber ©afaßen 
im SRittelafter, baS, oon ; ,bem Gb^reigenthuni beS Sehensherrn 
abgeleitet würbe unb bemfelben bienftpflichtig blieb, uttb baS 
hofrechihti-^e ©rbe ber hofhprigen ©auerit, welches bon bem 
©igenthum beS ©runbherrn abgeleitet war, unb bem ©runb- 
herrn. untertänig blieb. ©eräu,ßerung unb ©rbgang waren 
hier noch befdjräutter, als bei bem- freien ©igen. 

©egen ©nbe beS SRittetalterS hot ber römifche ©egriff 
beS ©rioateigenthumS auch ' n $eutfcf)tanb überhanb genommen, 
bie alte Unterfcheibung 'ber Slßmenbe unb beS ©igenS in ganjen 
Sänbern oerwifdjt, bie ©ebunbenheit ber ©üter unb ifjre Unter- 
thänigteit abgeftreift unb bie Freiheit beS ©runbeigenthumS 
proclamirt 

®iefe ©Janbtung hat ju, mancher H,inficht wohltätig ge= 
wirft, ©ie hat bie 3 <tt ber freien ©ruhbeigenthümer maffen= 
haft oermehrt, inbem fie. fRittern unb ©auern oofleS ®igen= 
thum an ben ©üteru oerfchaffte; wette fie oorher nur jn 
^uheigenthum p.ber Erbpacht befeffeti h atten - h at bie 
Sßirthfdjaft rationeßer gemadjt, ben ©oben oon SReattaften befreit, 
ben SSerth beS ©igenthumS erhöht. , SEßir bürfen biefe ©or= 
jüge nitt mehr aufgeben. Slber inbem fie ben römiften 
©igenthumöbegriff nat überfpannte unb bie ©flidjten beS 
©igenthümerS gegen feine gamilie, bie ©emeinbe, ben ©taat 
nitt weiter beattete, hat fie auch bie ©efahren unbänbiger 
©etbftfutt h^beigfjogen, an benen 9Rom ju ©runbe ge¬ 
gangen ift. 


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68 


Hie Segenwart. 


Nr. 3t 


@8 ift 3 € it/ baff wir unS wieber ber notffwenbigen 
Sdjranfen auch beS prioaten ®runbeigentf)untS bewußt werben, 
unb ben ©runbgebanfen ber alten Unterfcpeibung swifdjen 2111= 
menbe unb ©igen, wenn auch in moberner gönn, erneuern. 
Die Pflichten beS pribaten ©runbeigenthümerS gegen bie ga= 
milie unb bie ©emeinben erffeifchen eine Sfteform beS @rb= 
rechts, non ber befonberS ju reben fein wirb. Der niobente 
2luSbracf beS UnterfdjiebeS jtt>ifdE>en ©efammteigenthum unb 
3nbiüibualeigentf)um |eifft meines ©radhtenS: öffentliches 
®ut unb ißribatgut. 

Die §errfd)aft über baS öffentliche ®ut gebührt Don 9ted^t§ 
wegen einer größeren ©emeinfdhaft, ber ©emeinbe ober bem 
Staate. Da finb bie fRwffidjten auf baS ©efammtwohl 
maffgebenb. gür baS ißrioatgut bagegen ift DorauS ber SEßiüe 
unb baS gntereffe beS SnbiDibuumS entfheibenb. Das 
öffentliche ©ut graöitirt baher ebenfo jum öffentlichen Stecht, 
wie baS ißrtoatgut bem iß rioat recht anheimföllt. ^eute noch 
ift baS Verftänbniff biefeS UnterfchiebeS nur Dereinjett §u fin= 
ben, eS ift noch nicht allgemein geworben unb in ber @efeff= 
gebung noch ungenügenb anerfannt. 

Das öffentliche Staatsgut, aber auch baS öffentliche ©e= 
meinbegut, ift währenb ber le|ten ÜJtenfchenatter riefig an= 
gewachfen, währenb gleichseitig ein groffer Dh e 'l i> er alten 
2lHmenbe weiter ju ißrioatgütem bert|eilt warb unb als 2111= 
menbe Derfdjwunben ift. DaSfelbe ift noch beS 2Bacf)thumS 
unb ber 2luSbreitung fähig, unb eS ift gut, baff es juneljme, 
bamit eS als ©egenwicht jum ißrwatgut biene unb ben @goiS= 
muS ber ©inseinen burch ben ©emeingeift ber ©efammtheit 
in ©thranfen halte. 

Sßir fcheiben Don bem öffentlichen ©ute bas Vermögen 
beS ©taats unb ber ©emeinben aus, welche biefen lebiglidj 
als ißribatgut jugehören. 2ludh ber ©taat fann ®runbeigen= 
thum haben, j. SB. ein ^Bauerngut ober ein inbuftrießeS @ta= 
bliffement befifjen, gleich jeher Sßrtoatperfon. Snfofern ift fein 
©igentljum burchauS pribatrechtlidh ju behanbeln. 

OeffentlidjeS ©ut ift nur ba Dorhanben, wo bie Stücfficht 
auf bie ©emeinfdhaft, baS @taats= ober ©emeinbeintereffe ben 
allgemeinen ©ebraudh unb ber allgemeine 9tu|en entweber 
auSfchliefflidj ober bodfj überwiegenb bie ^errfdjaft über ben 
SBoben beftimmt. Dal)in gehören DorauS: 

a) bie öffentlichen ©ewäffer, ber Äüftenfaum beS 
SßteereS, bie Ströme, glüffe unb ©een beS Staatsgebiets, bie 
öffentlidhen SBädje unb bie 2tufficht über ben SBafferabfluff als 
©emeinbegut unb ©emehtbeforge, 

b) baS gefammte öffentliche ©traffenwefen, in baS 
fi<h nadh ber SBebeutung ber ©tragen unb SBege ber ©taat 
unb bie ©emeinben theilen, 

c) bie für öffentliche 3®ecfe beftimmten ©ebäube unb 
2 lnftalten, wie Stefibenjen, 9tatf)= unb ©eriefftshäufer, 
3 eughäufer unb Äafernen,SchulenunbSammlungen, 
2 lrmenanftalten unb ©efängniffe u. bgl. 

SBefonberS hertwrsuheben finb bie Sßoft=, bie Dele= 
graphenanftalten unb bie ©ifenbaljnen, welche einer 
großen 2lnjahl Dott 2lrbeitern unb Arbeiterfamilien eine öfono= 
mifefje ©jiftenj Derfchaffen. $ier ift für ben ©taat felbft bie 
SKöglichfeit eröffnet, jur gebung ber 2lrbeiterflaffe in öfonomifchet 
unb moralifcher SBesieljung birect mitjuwirfen, unb SBorbilbet ju 
fchoffen, weichen auch Don inbuftrießen Sßrinaten nachgefolgt wirb. 

©o weit wirb bet SBegriff beS öffentlichen ©uteS heute 
meiftenS anerfannt. Da biefeS ©ut wefentlidh bem ©emein= 
leben bient, fo ift baS SßriDatrecht, welches baS inbioibuetle 
Ste^t orbnet, junächft barauf nicht anwenbbar. ©S ift bähet 
auch eigentlich untogifdj unb unjuläfftg, biefeS öffentliche ©ut 
prioaten ©laubigem beS ©taateS ober ber ©emeinben ju Der= 
pfänben unb ju ©unften fotdher prioater ©laubiger bie ©je- 
cution für fällige ©chulben auch auf biefe ©üter anjuwenben, 
wenngleich bie SßrajriS juweilen folcheS gethan hat- Denn 
bie öffentlichen SBebürfniffe 2lßer gehen nothwenbig ben bloffen 
tßriüatintereffen Dor unb WaS bie ©efammtheit nicht entbehren 
fann, bürfen niemals SßriDatperfonen ihr entreißen. 


Der ©rebit beS Staates unb ber ©emeinben forbert, baff 
fie ihre ©chulben rebtidh jafflen unb am ©nbe aud) bie ©teuer= 
fraft beS SanbeS unb ber SBiirger, fo weit eS möglich ift, an= 
ftrengen. 2lber über baS ©rträglidhe unb ©rrei^bare hinaus 
barf webet ber ©taat noch bie ©emeinbe gezwungen werben, 
bie bauembe SBofflfahrt beS ©anjen bem ißrioatrechte @in= 
jelner hiusuopfera. ®ie ©rensen ber ©teuerlaft finb noth= 
wenbige ©rensen auch für bie Staats = unb ©emeinbefdfjulben 
unb feineSwegS barf baS öffentlidhe ©ut aufgesehrt ober auch 
nur angegriffen werben, um ißriDatDermögen su fättige'n. 2Bo 
baS öffentliche Siecht beginnt, hört bie SJiacht beS ißriDat= 
rechts auf. 

SKeineS ©rachtenS foßte ber SBegriff beS öffentlichen 
©taatS= unb © emeinbeguts in ©roeuerang beS älteren Siebtes 
an ber 2tßmenbe unb mit Siücfficht auf bie naturgemäffe ©e= 
wirthfehaftung folcher ©üter, weldh« nicht ber SBißfür furs= 
lebiger, eigennüffiger SJienfdhen überlaffen werben bürfen, fon= 
bem im aßgemeinen unb bauemben Sntereffe 2tßer burch bie 
fortlebenben, unfterblichen ißerfonen beS Staates unb ber @e= 
meinbe beffer beforgt wirb, auSgebeljnt werben: 

d) auf bie @taatS= unb ©emeinbewätber, 

e) auf bie bem Staate ober ben ©emeinben sugefförigen 
33erg= unb ©aiswerfe (Sofjlenreoiere inbegriffen), 

f) auf afle 2lnftatten, gabrifen, ^anbelSetabüffementS, 
für welche ein ©taatSmonopol gefefflich eingeführt ift. 

g) ©üblich ift bie SJialjnung su erneuern, baff auch bie 
©emeinbe einen iheit ber nodh Dorhanbenen ober neu s* 1 
fdjaffenben gemeinen SRarf (2lßmenbe) su wedjfelnber ÜBenuffung 
ihrer armen Seute ftets offen unb bereit hafte unb baff ber 
Staat ein groffeS ßolonifationSlanb erwerbe, um int ©roffen 
ben lanblofen StachwudjS ber SBeDölferang mit feftem ©runb= 
eigenthum oerfehen su fönnen. S5iefe ©üterDorräthe ber 
©emeinben unb beS ©taateS finb wieber fo lange als öffent= 
lidjeS ©ut su behanbeln, als fie noch nicht s u ißrioateigen= 
tffum abgegeben finb. 


olitettttur unb <£unß. 


In desertis. 

®ott 3otjanrus S<^err* 


gufunftsjuftij. 


Verbrecher gibt’S nicht mehr, nein, nur oerirrte Vrüber! 

©o leiern früh unb fpät ber ^öbelfcffransen Sieber. 
®er 3Jtenf<h ift wißenloS, nichts weiter als ein Steifet, 
2 >en in Seroegung feftt ber ßeibenf haften ©eiffel; 

Die Seibenfhaften felbft fie finb Staturgefefce, 

©ans unabhängig Dom „moralifhen ©efchwäge"; 

Unb folglich ift aüseit, fo man eS recht erwägt, 

Unhaftbar für fein iffun, „waS SDtenfchenanttih trägt". 
Stecht unb ©erechtigleit? Sich waS! Verjährter ißtunber! 

3uhmftSjuftis fie wirtt bie blaueften ber SBunber. 
©teht ba oor bem ©ericht ein ÜRann, ber überführt, 

2Bie feines StachbarS grau „fo unfanft er berührt, 

Daff fie baran Derftarb". Der Anwalt fpridjt begeiftert: 

,,©S war mein §err Stient oon Siebe gans bemeiftert. 
Siegt ©hutb Dor, ift bie grau aßein bamit befhwert; 

Denn fträubte fie ftch nicht, fo blieb fie unDerfehrt. 

3ht $errn ©efhworene, fein dolus weit unb breit, 

Von culpa nur etwas su groffe Bärtfichfeit." 

Der 2lngeftagte bann: „SJtitbürger, bieS nur fag’ ich, 
Verirrter Vmber bin unb 2Jtenfchenantlifc trag’ ich" 


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Nr. 31. 


Bie <$e genmart 


6t) 


Darauf bet Präfibent gibt fotdje PedjtSbcleljrung: 

„Die Procebur ergab, wo ©djulb liegt unb ©efdjwerung. 
3 « Saftig war ber ©tarnt, oerbredjerifd) mit nidjten; 

Die lobte hat oerlefet bie Sürgerinnenpfltdften, 

Unb weit fie nidjt gegtaubt an’S Soangelium 
Der freien Sieb’, !an» fie oon Siebewegen um." 

Die §ettn ©efdfworenen fie geben ein „9tid>tf<f|ulbig!" 

Dad liebe publicum eS brängt fid) ungebutbig 
©tüdwünfdjenb um ben „©ruber" h« unb jauchst tjeflauf: 
„Die freie Siebe hodj! ftommt, trtnfen wir eins brauf!" 


©Ieidjjeitig. 

Derweil bie Sparen fdjrei’n in ihren Parlamenten 
Unb taute Sitanei'n im Pfuhle fdfnattern Snten, 

3ietjt hod), „ftitt unb bewegt", ber Abter feine Greife 
Unb fingt, im Saub oerftedt, ber ©proffer feine ©Beife. 
* 

* * 

Die ^auberfut^. 

^m alten $inbuftan, fo fteljt’S im Pamajan, 

©efeljbeten ftd^ heiß ein feürft unb ein ©rat) man, 

Unb jwat um eine ßulj, bie Sauberfulf ©abbata, 

Die weit an ©Bunberfraft öoranftanb ber Kabbala. 

Das alte ©lärdjen neu warb eS ju biefer 3eit 

Unb wütljenber entbrennt oon Dag ju Dag ber (Streit. 

Stur beifit bie 3<uiberfub ©abbata jefct: Der ©taat — 
DaS Sampfpaar: projentljum unb Proletariat. 


Briefe an Ceffmj.*) 

8iSlfer Waren bie an ®. 6. Seffing gerichteten ©riefe nicht 
leicht jugänglid). Die ©tattjahn’fdje SefjtngauSgabe ift feit lange 
oon bem ©üdfermarfte oerfcbwunben unb bie fpäteren, namentlich 
bie für baS größere Publicum beftimmten Ausgaben enthielten 
bie Sorrefponbenj gar nicht ober unboUftänbig. Daher ift es 
febt anerlennenswertb, baß ®. Sljr. Peblich ber H«ntpet’f<hen 
SeffingauSgabe, für bie er bereits einige ©änbe trefflich bearbeitet 
hatte, einen Bufafcbanb folgen tiefe, beffen jweite iefet fertig 
geworbene Abteilung bie ©riefe an Seffing enthält. 

595 ©riefe, oon benen 114 bisher oötlig ungebrudt, oiete 
anbere erft in ben lebten fahren in 3«itfdjriften ober in Sammets 
werfen oeröffentticht, — eine ftattticfee Saht, bie hier jum erften 
State jufammengetragen erscheint. Da ber Herausgeber biefe 
©riefe uun ftreng chronotogifch georbnet, mit Anmerlungen be¬ 
reitet hat, fo bietet bie atfo auch bem ©erftänbniß ber Saien 
angepaßte Sammlung einen überaus werthooUen ©eitrag für 
bie Srlenntniß oon SeffingS ©ejielfungen, ©cßidfalen, SBefen. 

Seffing war fein fleißiger Sorrefponbent. ©djon bie 3atjl 
feiner ©riefe beweift feine Unluft am Schreiben unb noch mehr 
beweifen eS bie beftänbigen Magen feiner ffreunbe, ©erwanbten, 
ja felbft feiner ©eiiebten, benn auch fie weiß oon mehrwöchent; 
licßem, ja manchmal oon mehrmonatlichem ©tittfchweigen ju 
berichten, ©o wenig baher SeffingS Schweigen eine Untreue, 
ein Abbred»en fefter ©ejielfungen befunbet, fo fehr ift man hoch 
berechtigt, oon gewiffen Perioben ju fprechen, bie fid), im Anfdjtuß 
an feine SebenSereigniffe, in feiner Sorrefponbenj beuttich auf-- 
jeigen laffen. 

Die erfte, SeffingS Seipjiger Aufenthalt entfprechenb, gehört 
©tenbetSfolfn unb Pilolai. ©tit ©eiben hatte fid) Seffing in 
©ertin eng befreunbet, ©tenbetSfolfn blieb fein greunb bis jum 
Snbe, Pilolai wenigftenS fein ©erteger. Pilolai war ein ehrlicher, 


*) Herausgegeben oon <£. Sljr. Peblidj, ©erlitt 1879, CS. $empel. 


überjeugungStreuer, energifdjer ©tenfdj, betefen unb gewanbt, 
aber oon engem ©eficfetfreife, unliebenSwürbiger Hartnädigleit, 
maßlofer Sitelleit. Sr mar einer ber Srften, ber bie Sritif in 
Deutfchlanb ju hanbhaben oerftanb, aber er wollte nicht merfen, 
baß ber Sritiler ftetS neu lernen muß unb baß bei fortgeschrittener 
3eit unb erweitertem ©JiffenSgebiet Urtheile oeratten unb ©lacht: 
Worte oerfpottet werben. Sr lebte noch in rin« alten 3eit, als 
für bie Phitofoph« unb bie fcßöne Siteratur tängft eine neue 
I angebrochen war, er meinte mit feinen alten Sraftfprüchen unb 

| Dictaturgeboten eine ©ewegung ju h emtn en, bie ihre ©tärle 

j tängft erprobt hatte, er wollte burch Schreien unb Doben fein 

Seben beweifen' unb war hoch burch Siebtes Streitfchrift unb 

I bie Senien getöbtet unb begraben, ©eine ©riefe an Seffing 
| enthalten Potijen unb Anfragen, AuSeinanberfefeungen, bie 
i theitS ben ©efd)äftSmann, tlfeilS ben ©önner oerrathen, fie 
, jeigen H a ft ober SEBeitfcfeweifigleit, überfprubetnbeS ©efüljl ober 
falte tformalität: er ift ber gute ©efannte, ber nüfct, ber aus 
©emohnheit beibehalten wirb unb in feotge biefer ©ewohw 
heit Pedite in Anfprud) nimmt, bie man ihm nifht gern ent= 
jiehen mag. ©BaS hätte er wohl gefügt, wenn er bie ©Borte 
HerberS an Sefftng: „Sie haben noch eine ©chutb auf fid), baß 
Sie ben Pifotai fich einft bie Schuhe bei ben Siteraturbriefen 
haben nachtragen laffen. Sr h Q t’S ohne 3toeifel oon freien 

©tüden unb um bie Shre ju haben getfean. Sie lfaben’8 boch 
J aber thun taffen, unb ohne Sie, auch nur paffioe, wäre ber 
©tarnt boch nichts, gar nichts oon bem, maS er jefct ift ober 
fein will. Der ©toi}! unb bie Äedlfeit! mit bem ©lange! unb 
ber Armut!)/' ju ©eftdjt betommen unb erfahren hätte, baß 
Seffing mit feinem ©Borte ben alten ©enoffen oertßeibigt. 

©in ganj anbeteS ©ilb bietet ©lofeS ©lenbetSfohn. ©lag 
er bei näherer Setradjtung als Philofoph oerlieren, als ©lenfd) 

\ gewinnt er immer: feine Marlfeit unb Puffe, feine ©efd)eibent)eit 
! unb ©titbe, feine HülfSbereitfdfaft unb bie ©eftänbigleit feines 
©efühtS, fie machen ihn jum greunb, ben man erfeßnt unb ben 
: man nicht läßt, f obalb man iljn einmal beftfet. Sr bleibt fid) 
gleich öon Anfang bis ju Snbe, järtlidf ergeben, mit ernftem 
! ©itme würbige ©egenftänbe befpredjenb, mit freunbtichem Sdjerje 
tiebeootte ©orwürfe äußernb, innerlich erhoben burch baS ©ewußri 
fein, SeffingS ffreunb ju fein. „©Serben Sie nicht mübe, mich 
ju beffetn, fo werben ©ie auch nicht mübe mich i u lieben", unb 
„Seben ©ie wohl, mein befter ffreunb, unb taffen ©ie $n. 3. 

| merfen, baß ich bei 3huen etwas oermag"; jwifdfen biefen beiben 
j Aeußerungen liegt ein ©iertetjahrlfunbert, welches wollt jatfre: 
lange ©riefpaufen, lange Sntfernung bewirfte, aber feinerlei 
Sntfrembung heroortief. ©Benn ©lenbetSfohn ben großen jjreunb 
auch nicht immer begriff, ihn bei feinen Piefenfchritten unb 
Äreuj: unb Duerjügen nicht ftetS ju begleiten oermochte, fo 
harrte er boch auS; mitten in SeffingS ©ertljeibigung ift er 
geftorben. 

Die jweite Periobe ber Sorrefponbenj, bie Sah« ber 
3urücfge}ogenheit in ©reStau auSfüttenb, gehört bem ©ater. 
Da nun beS alten Seffing unb ber meiften übrigen Samilien« 
mitglieber ©riefe in unferer Sammlung jum erften ©lale oer: 
öffentticht finb, fo forbern fie ausführlichere ©eadjtung. 

Der ©ater 3oh- ©ottfrieb Seffing war ein frommer ©tarnt, 
ein eifriger proteftantifcher Dheologe, ein fleißiger ©eleljrter, ber, 
obwohl et großen Hong jur UnioerfitätSlehrthätigfeit fpürte, ein 
; Pfarramt annahm unb nun, in einer unbebeutenben Stellung, 

• mit großen Sorgen unb mit fteinlidjen ©tenfdjen ju fämpfen 
hatte. Sr war ein redjtfdjaffener ©lenfeh, -treu unb gut, ni^t 
gefchidt genug in ben ©Betthänbetn fich S u bewegen unb in Solge 
biefer Ungewanbtheit ht|ig unb leicht aufbraufenb. ©r War mit 
ber ©ntwidetung feines älteften ©offnes gar nicht jufrieben 
gewefen, aber fonnte fidf boch an feinem Puhme unb wenn er 
auch oft über bie großen Paufen llagte, welche ber ©ohn in 
1 ber Sorrefponbenj macht (einmal ein ganjeS 3ahr) unb über 
, bie lange 3eit, in welcher er baS ©aterhauS nicht betritt (einmal 
; neun üotle 3ohre), fo bringt er biefe Stage in einem rüljrenben 
| Done oor, aus welchem bie innigfte Siebe jum ©ohne h £r auS= 

: Hingt. Sr lieft beS SoßneS ©Triften unb möchte ihn wohl 


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70 


JDie ©egenuiurt. 


Nr. 31. 


jum gelehrten ©ommiffionär machen, theilt iljm Sleuigleiten aus 
Jlamenj mit unb macht if)n jum SJtitwiffer feiner greuben unb 
Seiben. gteilich bie teueren waren größer als bie erfteren: 
©elbcalamitäten, in welche bet ©ater burd) bie teuren Seiten 
unb burch ben Unterhalt ber großen gamitie geraden war' utib 
ju beten «bftellung er bie $ütfe beS @oljneS in «nfprudj nahm. 
2tber biefet fonnte nid£)t immer, wie er gerne wollte, unb wenn 
er auch manchmal Heine ©eiträge, auch woIjl ©ictuatien fänbte 
(ber ©ater fragt darauf: „93aS follen wir Dir baoor fdjideü?", 
baä le^te Sort oon ihm an ben Soßn, baS erhalten ift) — bie 
erwartete große. $ülfe öermodjte er nicht ju leiften. Der ©ater 
ftarb, fromm Wie er gelebt hatte — feine lefcten Sorte waren: 
„3dl benle an ©ott" — nnb wenn er aud) bbn bem großen 
Soßn leinen Seidjenftein unb feinen SebehSläitf erhielt, fo ift 
et geehrt burd) ©ottljolb ©phtainiS wenige Sorte: „Saßt uni, 
mein lieber ©ruber, ebenfo reddfdjaffen leben, ali er gelebt hat, 
um roünfdjen ju bürfett, ebenfo plöfclid) ju fterben, ali er ge= 
ftorben ijt. 5$)aS wirb bie einzige, befte Seife fein, fein Slnbenlen 
ju ehren." 

©ieben galjre nad) bem ©ater ftarb bie SJtutter guftine 
©alome geb. geller, eine herjlid) gute, intern (Satten treu erge= 
bene, etwai 6efd)rän!te, fromme grau. Sie hätte nadfj bem 
lobe il)reS äHanneS, nadfj welchem fte überhaupt etff, uhb jWar 
feiten genug, ali ©tieffdjreiberin erfdf»eint, große 9MI) ju leU 
ben, fie Hagt unb mahnt, bittet unb befdjwört, aber ift banfbär 
für jebe freundliche Iljat unb läßt erlennen, baß ifjr bie Siebe 
nidjt bloi auf b’en .Sippen, fonbern im .f>erjen lebt, ,,3d) fefc 
Deine ©riefe" — fo lautet il)t lejjteS Sort an ben ©oljn — 
„nict|t jeljn*, nicE)t jwanjigmal, immer noefj mehr; ei ift im 
Seitlichen mein größtes ©ergnügen." 

dagegen ift bie „einige" ©djwefter SeffingS, Dorothea (nicht 
guftine, Wie man bisher immer gefdjrieben hüt) ©alonte eine 
recht unleibliche fßerfon, bie ft<h unb «nbereit bai Seben oer= 
bitterte. Sie war unwiffettb unb gelbgierig — jtoei gehler, 
bie fdjon ber oierjehnjährige ©ott^olb an ihr fabelte — itnb 
entwicfelte alle (Eigenheiten ber „ältern ©djwefier" unb ber 
alten Jungfer, ©rätentiöS unb redjtljaberifdh, unliebenSwMbig 
felbft im «uSbrude ber gorberungen, ju benen fie berechtigt ift, 
heftig in ihren «eußerüngen, jimpertich in ihren «nfdjauungen, 
ftets bereit, Unfrieden unter ben ©rübern ju fäen unb einen 
auf ben anbern ju tjefjen, erregt fie, troff beS wirHidhen ©lenbS, 
baS fie ju erbulben hotte, lein SJffileib. Dertn jebe ber bielen 
fdjwafcljaften Schilderungen ihrer träitrigen ©erljältniffe ift nicht 
ein SRottjfchrei aus gepreßtem $erjen, fonbern ein ©eufjer ber 
oerlefcten ©ttelleit unb ber jt<h befpiegelnben Jugend, ein ©or= 
Wurf gegen bie Unwfirbigleit 9Inberer unb eine Sobpreifung beS 
eignen ©erbienftcS; ihre grömmigleit ift eine gemachte unb ihre 
SiebeSäußetüngen finb unwahr. ©Oft jefet, ba ihre ©riefe oer= 
öffentlich finb, begreift man ben 3ngrimm, ben Seffing gegen 
biefen böfen ®eift ber gamitie in fich fühlte, unb ben er ferner 
jurüdljielt. 

Der ©ruber d^eop^ituö, einige 3oh re junget als Seffing, 
war ein großer ©ebänt utib ein Heiner belehrter, aber ein ge= 
wiffenljafter Arbeiter, ein redlicher 2Jtenfd) unb ein treuer ©ofn. 
«IS Sehrer in ©itna, bann in ©Ijemnifc, hatte er fidh fchwer 
abjumühen, fand aber troff feiner befchränften Seit SRüße ju 
Keinen fchriftfteHerifchen «rbeiten nnb, troff feiner geringen 
2Kittel, immer noch (Selb, um SRutter unb ©dhwefter reichlich 
ju unterftüfcen, eine «ufopferung, für welche er feitenS ber 
tefctern manchmal ‘ Unbant erntete. ®em ©ruber war er treu 
ergeben, fdjrieb ihm häufig unb lieft ihn feine ©djWeigfamfeit 
nicht entgelten, freute ftch, als er fein fjäuSlidjeS ®lüd betrach : 
ten lonnte, unb beugte fi^ bemntljig bor feiner ©rüge. @r 
hätte oerbient, in anberer Seife fdrtjuteben, äls in jener be= 
lannten «eufjerang SefftngS, bie er jornig beni ©ater erwiberte, 
als biefer ihm ben EEtjeoPhHuS jum 9Jtufter anffteHte: „Senn 
i<h XheophiluS wäre, fo hätten @ie auch mit mir jufrieben 
fern follen." 

Son foldjer ©ewiffenhäftigleit unb Xrtue Wär ein anberer 
©ruber (Sotflob ©ämuet [ehr weit entfernt. @t war nach ©rieg 


oerfdhlagen, lebte bort unb fpäter in 9tamSlau als «boocat, in 
ganj behaglichen ©erhältniffen, gliidlich mit feiner grau unb 
feinen ffinbern unb jeigt in ben jwei ©riefen, bie Pon ihm er? 
halten finb, bie jufriebene ©elbftgefäßigfeit be? ©robinjlerS, ber 
nach beenbigtem $agemerf fidh behaglich auSftrecft unb geregte 
Sumuthungen, bie an ihn geftedt werben, tächetnb abftreift. Um 
! feine barbenben (Eltern fdheint er fich gar nicht gefümmert ju 
| haben; ben berühmten ©ruber, oon beffen «nwefentjeit in Sien 
! er hört, möchte er, gern bei fich feh en < um ihn im tEriumplje 
| h er umjuführen; er rätlj ihnt, bie ©treitigfeiten mit „bem üftar- 
i ren" ®ö|e abjubredhen, „ber bem ohngeachtet bei aller feiner 
| Starrheit oon ©ielen feineSgleichen noch immer .als ein ®öjje 
oerehrt wirb" (man merft orbentlidh, wie ber gute ©ottlob übet 
biefeS fein Sortfpiel gefcfjmunjelt hat); unb ba er bem über ben 
lob feiner @oa trauernben ©ruber fcfireibt, hat er nur bie eine 
I Silage unb Sitte: „©teile 2)ir einmal oor, wenn bie ©orfeljung 
I über mich rin foIdjeS trauriges ©erljängnifj befdhloffen unb ich 
oon meiner grau ober meine grau oon mir getrennt Werben 
foUte. S)eine brfiberliche Siebe befchwöre ich, Wfenh fidh ja bie-- 
fer gall, biefer traurige galt ereignen foUte, oer!a| bie SWei« 
nen nicht." 

| Sticht ganj in biefen Staljmen paßt ber jüngere ©ruber 
j farl ©otthelf Seffing. Senn er (1740 — 1812), feit 1779 
i SJtünjbirector in ©reSlau, war oon 1767 bis 1779 feines ©ru* 

I berS regelmäßiger ©orrefponbent, oornetjmtich über allgemeine 
{ literarif^e unb fpecieHe ©erliner «ngefegenheiten, ein mitttjeil= 
j famer Steuigfeitettfrämer, tEh ea terfreunb unb Ih e aterfchriftfteller, 

I iefetereS freilich nur folange er mit $ülfe ber ©cfjriftftellerei bie 
i fargen ©innahmen feines «mteS oerbeffern mußte, ein begeifter* 

1 ter ©erehrer beS ©rubers unb ein gelehriger ©cljüler, ben Ia= 

1 bei willig anneljmenb, wenn er auch baburdj manchmal feine 
©igenliebe bebroht fah, bienftfertig un6 eifrig, meijt heiter unb 
anregenb. ®er beutfehen Siteratur hat er bureß feine @d)au: 
fpiele nur einen fehr geringfügigen; burdj bie Siographie feines 
SruberS, bie trofe aller SJtängel bie erfte unb autljentifchfte War, 
einen bebeutenben ®ienft geleiftet, bem ©ruber felbft, auf beffen 
3eit er geringere «nfprüdje erhob, als auf feine Siebe, war er 
ein freutdblidjer Reifer unb ein liebenber ©enoffe. 

Die britte fßeriobe ber ©orrefponbenj bilbet ber ©rief« 
wedjfel SefftngS mit ©ba ffönig. ffir war feßon früher mehr= 

! fach gebrueft — auch tu neuerer Seit in einer trefflichen 9tuS* 
gäbe oon ©cßöne — unb hat hier leine ©ermehrung, wohl aber 
manche ©erbefferung in ben Daten, unb in ber «uSfüQtmg ber 
oon ben ©orrefponbenten nur burd) bie «nfangSbudhftaben be; 
jeidjneten Stamen erfahren. Sein SiebeSbriefwechfel fchwärmeri= 
feßer gefühlSfeliger «rt, fonbern bie innige ©erbinbung jweiei: 
SJtenf^en, bie burch jahrelange greunbfdhaft oorbereittt, burch 
genteinfchaftliche fchwere ©dhidfale aneinanber gefeffelt, ben Se= 

! benSweg gememfam fortjuwanbeln wünfdhen unb nach langwie* 
rigen Kämpfen baS Siel erreichen, um nach taum einjährigem 
©enuffe burch ben lob getrennt ju werben, ©ba ffönigS ©riefe 
finb bie «eußerungen einer wifcigen, für alte geiftigen ©eftre» 

I bungen fleh intereffirenben, jugleich praltifdjen unb enetgifdhen 
grau, halb herjtidjeS ©eplauber über Hamburger ©tabtHatfdh, 
i halb berftänbige «uSeinanberfe|ungen über bie titerärißhen ©e=. 

ftrebungen in Sien unb bie bort tonangebenben tßerföntidjteiten, 

| halb ernfte Sorte über SefftngS ©läne, über ihre unb ber 
: 3h«8«n Seiben unb greuben, alle aber, troß beS beftänbig ge= 

! brausten „Sie", trofj mand)er ceremonieden Sendungen unb 
j beS formellen Schlußes: „Dero ergebenfte greunbin," erfüllt 
| Oon innigfter bauernber Suneigung, einer ftetig brennenden 
glamme gleich, bie weder witbes «ufftadern noch plöhli^e« @r= 
löfchen lennt. 

Sefftng, ber ©hüafaPh unb «efthetiler, Seffing, ber ©ohtt 
: und ©ruber, Seffing, ber Siebenbe, — in biefen brei ©eftalten 
erfeßeint er in ben brei erften ©etioben feiner ©orrefponbeftj — 
hatte nie aufgehört, ber ©eiehrte ju fein. @o darf woßl bie 
Oierte ©eriobe als bie beS gelehrten ©riefwechfelS bejeichnet 
werben. Sadere SJtänner finb es, bie ft^ mit «nfragen an 
Seffing, ben ©ibüothelar Wenden, — hatte bod) Stifolai einmal 


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Nr. 31, 


IDte ©cgcnroart. 


71 


ganj richtig gejagt: „3cp inerte mopl, man mup nur über I 
©ibliotpetangelegenpeiten an ©ie fcpr eiben, jo befommt man ! 
Hntwort" — ober über ©tubien, bie ©Treiber unb ©mpfänger 
gleich lieb fmb, SKittpeilungen machen: SReiSfe, Hegne, Gbert, I 
Sfcpenburg, ©. 2t. ©eptnib. 

®ie brei leiteten finb SJtitglieber beS ©raunfdpweiger ©e=‘ j 
leprtenfreifeS, in meinem Seffing fiep wobt füllte unb bie SBotfen- I 
büttler ©infamteit gern Dergap, brei ©eleprte non ernjtem Streben 
unb tüdptigen Senntniffen, bie mit fleißiger Eingabe in bem Don J 
ihnen gewählten SBiffenfcpaftSgebiet arbeiteten, opne ben 2lnfprucp ! 
ju erbeben, als ©apnbredper ju gelten. ©bert unb ©fepenburg j 
waren Hamburger unb als jottbe fepon mit Sefjing befannt — i 
©bert einmal fein SReifebegteiter —, beibe bem ©influffe SeffingS i 
jugänglicp, infofern als fte engtifc^e 2leftpetiter unb Siebter — 
wir Derbanten ©fepenburg bie erfte ooflftänbige ©patefpearebe: | 
arbeihmg — überfegten unb babureb in ®eulfc^tanb einbürgerten. 
2 lße brei waren auch ®idjter, fie bitten ficb ber Dppofition gegen 
©ottfdjeb angefcploffen, wie fie juerft in ben „©remer Beiträgen'' 
aufgetreten mar unb biebteten fort, ohne 2Cnbere mit ihren @r= 
jeugniffen ju behelligen, aber oornepmlicp waren fie ©eleprte, 
erfolgreich wirfenbe Sebrer am Sarotinum in ©raunfdjmeig, 
Welche Sefjing gelehrte SRotijen überleiten, Don il;m SIRittpeilung 
unbefannten SRaterialS erbaten unb feinem tritifeben Urtbeite 
ficb üiiQig unterwarfen. 

©inen weit pöpern Wang in ber ©efepiepte bet SBijfenfepaf' 
nahmen SReiSte, ber bebeutenbe Philologe unb Herausgeber ber 
großen, ©ebriftftetter beS ttaffifeben &ltertpumS, unb Hegne, einer 
ber Segtünber ber 2Htertpum3miffenfepaft in ®eutfdjlanb, ein. 
Sfucb in ihren Briefen bonbeit eS ficb päufig um gelehrte 5)inge, 
um ©tettennacbfcblagen unb Honbfdpriftencoflationiren, aber felbft 
Äleinigfeiten gewinnen pier pöpern SReij, weil fie mit gropen 
Serien jufammenbängen, mit SReiSteS 2>emoftpeneSau3gabe, einem 
ffiunberwerfe jener 3eit, mit HegneS antiquarifeben Unter: 
fuebungen, bie unmittelbar an SBindelmannS Schriften, an SeffingS 
Saotoon antnüpfen. 2Ran gewinnt biefe alten Hetzen lieb trog 
ihre« mitunter recht jopfigen Stils, nicht btoS weil man SRefpect 
Dor ihrem StBiffen, fonbern weil man 2tcptung Dor ihrem ntänn: 
licpen SBefen unb tüchtigem ©parafter empfinbet, weil man fiep 
erinnert, wie pübfdp SReiSte mit feiner gelehrten Stau ©rneftine 
gehäuft, bie fidp nach SReiSteS lobe eine Seit lang einbilbete grau 
Sefjing ju werben, Weil man bet frönen SIrt gebenft, in ber 
Hegne über feinen herrlichen ©cbwiegerfohn ©eorg gorfter ge= 
baept unb gefproepen pat. Unb ba ein träftigeS SBörtlein ju 
aßen 3eiten angenepm ift, fo mag ein SEBort hier feinen Sßlag 
finben, baS leiste über fttog an Seffing fepreibt: ,,©inb ber: 
gleichen Sotterbuben gleich unter bet Äritit, unb gept gleich bie 
3ücptigung an ipnen Derloren — benn fie tönnen niept gebeffert 
Werben, woßen auep niept —, fo Oerbient boep ber gelehrte 
©öbel, Welcpen fie mit ihren Harletinaben auf ber gelehrten 
Sietbant an fiep jiepen, fo Diel 9RitIeiben, bap man ipm be= 
greiflicp maept, fein Saat, ben er aus Setpörung anbetet, fei 
ein Ignorant, ein SßlagiariuS, ein ©öfewiept Don ber.oerwerf: 
liepften 2lrt." ! 

$)ie fünfte Sßeriobe jeigt Seffing als Speologen, eine neue 
©eftalt, an bie, wie man oielfacp ertennt, bie greunbe fiep 
niept gemiipnen tonnten unb woßten. Sari Seffing wünfept, bap, 
wenn bem ©ruber bie tpeologifcpen Streifereien noep Diel Seit j 
wegnepmen foßten, „ber, weldper bie erften Sogen aus bem ; 
SRanufcript gefepnitten, baS Uebrige ju Sßapißoten gemaept pätte, 
wenn man bamals biefe Sunft Derftanb"; SRitolai warnt: „®epen ! 
©ie in ein ©efedpt, wo man mit Schwertern bauet uni» ftiept, 1 
ober wo man fiep mit Knütteln prügelt unb mit gäuften fcplägt; I 
aber ein ©efedpt mit ©anbfäden, baS niept töbtlicp fepeint unb , 
Wo boep unoermutpet ein peimtüdifeper ©egner ben ©ad öffnet I 
unb maept, baff ©ie fiep fepr lange bie 2lugen wifepen müffen, 
ift webet rübntlicp noep angenepm"; SReiSte unb &. 21. ©cpmib 
finb übet bie Umwanblung erftaunt, Wenn fie auep niept gerabeju 
abratpen, aber ©leim mapnt, Seffing möge niept junt gelehrten 
Hanblanger perabfinten unb H e Pue füreptet tpeologifcpe Unge: j 
reimtpeiten. 


©elbftoerftänblicp finb eS niept tpeologifcpe ©egner, wetepe 
fiep wäprenb ber 3*it biefer erbitterten Sümpfe an Seffing 
wenbeten — fie beläftigten lieber bie Deffentliepfeit mit ipren 
©emertungen —, fonbern greunbe, welcpe für ipn bangten, ipm 
aber burep ipre 2tengftlidpteit auep neue Sorge erregten. ©Da 
Sönig war geftorben, aber mit ihrem SEobe waren SeffingS 
Hamburger ©ejiepungen niept erlofcpen. ©ielmepr brängte fiep 
nun bie „©emeinbe", ber er früper fepon angepört patte, noep 
enger an ipn; ber SReimaruS’fepe Sreis gab ipm feine eifrigsten 
©orrefponbenten 3- & H- SReimaruS unb beffen ©cpwefter ©life. 
UnS ift eS peute grabeju unertlärlicp, wie bie Don bem ©ater 
biefer ©eiben perrüprenben gragmente ein folcpeS 2luffepn maepen 
tonnten, noep unertläriicper, wie bie ©enannten jitterten, ba| 
ber ßtame ipreS SSaterS als beS SerfafferS genannt werben 
tönnte, unb bapet, bie ißietät über bie SBaprpeit fepenb, niept 
nur felbft aufs H e ftigfte bem manniepfaep auftauepenben ©erüepte 
wiberfpraepen, fonbern auep oon Sefftng oerlangten, et foße 
basfelbe Sügen Strafen. 2)er Sebenbe atfo, mit ©orgen ber oer= 
fepiebenften 2lrt überhäuft, im Sampf mit aßer SBelt, mit feiner 
oorgefepten Sepörbe, mit ben 3<toten aßer 2lrten, er, ber bie 
„gragmente" boep nur bepufS ber Seröffentlicpung erpalten, er 
moepte aße Verantwortung übernehmen unb aße golgen tragen, 
wäprenb fie, bie poepftepenben unabhängigen Sürger einer freien 
©tabt, jeber ©orge lebig, fiep ängftlicp jurüdjogen, als wären fie 
gänjlicp unbetpeiligt. ©ine feltfame, faft unertlärlicpe 3umutpung! 

3 . 21. H- IReimaruS mag ein oortrefflieper 2Renfcp, ein 
tücptiger 2lrjt unb ein feparffinniger ißpilofopp gewefen fein; * 
als Srieffdjreiber gewinnt er unfere ©pmpatpie niept. @r ift 
weitfepweifig, pruntt mit ©eleprfamteit, ift mutploS unb fleinlicp. 
35enn er Wifl niept bloS fiep unb bie ©einen faloiren, fonbern 
er legt auep anbermeitige ©eftnnungen an ben lag, bie uns 
aufs ©eltfamfte berühren, ©ofite man eS für möglich palten, 

bafj er, ber Seffing als „tpeuerften greunb" anrebet, er, ber 
Sögling ber 2luftläruttgSphitofoppie, er, ber ©opn beS VerfafferS 
ber „©epupfeprift für bie oemünftigen Sereprer ©otteS", in 
einem an Seffing gerichteten Sriefe fepreiben tonnte: „Sie fennen 
ben H r - 2RofeS, ben ©opn 2RenbelS. @r fcpcint ein reept guter 
SRann ju fein. 2lber mir müffen unS boep ärgern, bafj er ein 
3ube ift unb icp weifj niept, ob wir eS gelaffen anfepn tönnen, 
bap er unS Spriften Hopn fpriept unb uns eine fo oorjüglicpe 
©ewißpeit oon feiner ©ecte normalen miß", bafj er im Saufe 
beS SriefeS bie Vertpeibigung ber SBunber beS SR. %. im ©egen: 
fape ju benen beS 21. %. übernimmt, unb bafj er, am ©cpluffe 
beSfelben, Seffing aufforbert, er möge, mit gröfjerm ©efepid als 
Saoater, bie Seteprung beS 3uben oerfudpen. Sefftng als 3nben: 
beteprer! ©ine fepöne SRoße, über beren 3nertpeilung er ebenfo 
Deräcptlicp geläcpelt paben mag, Wie über bie pöpnifepe 2lrt, mit 
ber man feinen tpeuerften greunb SRofeS bepanbelte. 

©anj anberS erfdpeint ©life SReimaruS. ®ie 20 oon ipr 
1778 — 1781 gefepriebenen, pier jum erften 2Rale mitgetpeilten 
©riefe jeigen fie als ein maprpaft tpeilnepmenbeS SEöefen, als 
eine grau, bie tpatträftig iprem greunbe bient, mit ©erftänbnift 
feine SSlrbeiten lieft unb wnrbigt, fiep felbft literarifcp befepäftigt, 
aber ipre bramatifepen Ueberfepungen unb ©earbeitungen mit 
aßer ©efepeibenpeit beurtpeilt, bie ermuntert unb tröftet, ipre 
©ereprung bejeugt, opne auf bringt icp ju werben, bie männlicpeit 
©eip mit weiblicpem ©emütp oereinigt. SDlan mup fie lieb ge= 
winnen, wenn man ipr ©etenntnip lieft. ,,©inb boep bie Sßünttcpen 
aße, bie icp mit nteiner SBirtfamfeit bejeiepne, folcpe 2ltomen 
unb fo oerftreut, bap, Wenn ich mid) niept bamit tröftete, bap 
ber liebe ©ott fie beffer in fein gtopeS ©uep ju fammeln weip, 
wo auep i> ec tleinfte Siefel inS SReer geworfen, feine 3irtel bis 
ins Unenblicpe auSbepnt, — fo entjweit’ icp miep oft mit meiner 
©pftenj", unb man begreift, bap Seffing, auf ipr Urtpeil be: 
gierig, über ipr Sob erfreut, naep feinem legten 2lufentpaltc 
in Homburg, wenige SRonate Dor feinem lobe, ipr fepreibt: 
„2Bet in biefer ©efeßfepaft pätte bleiben tönnen! ®er aus 
biefer ©efeßfepaft nur einen ©injigen pier pätte." 

3n biefer legten Sßeriobe mürbe Seffing, ber fonft, wie 
man Weip, bem in 2Seimar perrfepenben genialen Treiben niept 


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72 


® ie ttegenntarL 


Nr. 31. 


eben golb war, burd) ©tiefe ^erbetä erfreut. Seibe äRänner 
batten gemeinfcgafttiche Änfdjauungen, gemeinfame Stubien; aus 
bem gelehrten würbe halb ein freunbfdjaftlidjer ©erlegr. Unb 
wie oiele ÜRännet wären nod) ju nennen, beren ©riefe an 
Seffing t^eitö fcgon längft oeröffentlicgt, tgeilS erft fegt befannt 
geworben finb. ©ab eS bocg unter ben Sebeutenben außer 
©oetge laum ©inen, ber nicht mit igm in ©erügrung war. 
®a treten oor uns bin fftopftod, ©erftenberg, bet ©erfaffer 
beS fcbaurigen Ugolino, 3. V- ©ampe, ber treffliche ©opular= 
pgilofopg, ber aber bie großen ©erbienfte, bie er fid) burd) 
feine päbagogifcgen Seiftungen erworben, burd) feine fdjted* 
liegen ©erfe gefährben fönnte, j. ©. bie folgenden, bie er fid) 
in „©mpfinbungen eines SraunfcgweigerS bei ©elegengeit ba 
Seffing als Sibliotgctar nad) SBolfenbüttel ging" ju ©d)utben 
lommen liefe: 

Sei ftolj! ©in neuer ©lanj oerbreitet 
©id) über Deinen :Ruf)m. ©o [trafjlt 
Rein SReteor, baS burd) ben SuftfreiS reitet 
Unb iljn mit geuer übermalt. 

Der SRinna Schöpfer, ben an iljren fflufen 
Die ©tajien oft liegen fab« 

Unb mit igm fpielten, eilt mit allen SRufen, 

RatlS ©rftgebornem fid) ju nagn; 

i V- ©. ©turj, ber freifinnige Sournalift unb ©olitiler; 
ffäftner unb 3 ö <h e r; ®. 3- SEBeifee, ber unermüblidje, platte ©iel= 
fcgreiber, ber fid) für bie igm in ber „Vamburgifdjen ®rama= 
turgie" ju Xgeil geworbene päbige Seftrafung bebanft, unb 
©g. 21. fftog, freilich oor ber ungnäbigen ©eftrafung, bie ieinen 
wohlfeil erworbenen ©rimat fo grünblidj jerftören foflte; oor 
Äßem aber ber alte ©ater ©leim, ©t war ein guter, aber mit* 
unter etwas läftiger $err, ber, wie Seffing einmal an @ba 
ffönig fdjreibt, grabe bann lam, wenn man ign am wenigften 
brauchen fonnte unb ben guten Sitten bocf) nicht unfreunblid) 
wegweifen motzte, ber an bem fRugme feiner ©renabieriieber bis 
in fein gogeS Älter jegrte unb ©ebidjte gemacht ju gaben 
meinte, wenn er ein paar ©eime jufammengebradjt gatte, ein 
fcgwärmerifcger Seregrer beS greunbfcgaftScultuS unb, ba er 
felbft gar fein Urtgeil befafe, ebenfo bereit, feine greunbe ogne 
©erftänbnife ju loben, wie begierig, bei jeber ©elegengeit ein 
„Söbegen" für fid) gerauSjufcglagen, aber trog aller ©dfwädfen 
unb ©d)tußen ein guter 3Renfcg, neibloS unb ebelmütgig, mof)I= 
rooUenb unb banfbar. 

Unb wie oiele unberufene SRenfcgen brängten fidj an Seffing 
heran: neugierige gternbe, oertegungSfücgtige ©udjgänbler, fritif; 
bebürftige Äutoren. Unter ben feltfamften ©riefen ber feltfamfte, 
fowogl nach gorm als nach 3»h a H ife wohl ber beS §n. Johann 
Hornung, „Decorateur unb 2d)eatraß SRafdjinift auf bem ff. 
ffönigt. §of Sgeater 8« Snfeprug in Ihiroß: Accademicus bet 
ff. ffönigl. SRagßer unb Zeichnung Academie in SBienn," ber 
(1776) mit ber beruhigenben ©erfidjerung beginnt: „@S wer= 
ben ©feine 3eißen nicht SRiefefagßen" unb nach biefem ©ingange, 
ben „würflicfeen Directeur“ beS neuen SRanngeimer Xheaterö 
„Verrn oon Seffing" bittet, ihn jutn $elorateur unb 3Rafd|iniften 
ju ernennen. SDenn er fei nicht, wie bie meiften feiner ©enoffen, 
ein biofeer Sifdjter unb ©djreinergefeß, fonbern ein 3eid) ner unb 
„gefcfeigter inoentiöfer ®eforateur," jugieich ein „©eßefeener 9Rann 
oon oerfdjiebenen ^iftorien, aud) in benen Methamorphosifdjen 
©ücgem befe Poeten Ovidii erfahren," ber feine befonberen Än= 
iprüche erhebe, fonbern bie Sejahlung „nach weinen ©erbienften 
ggnen felbften alfe einen bergleichen einfügtsooflen ©tarnt" überlaffe. 

21 ber ber $umor, ber freiwißige unb unfreiwiflige, wiegt 
in ber Sammlung nicht oor. @S ift oielmeßr eine Sragöbie, 
welche fid) oor unfern Äugen in biefen ©riefen an Seffing ent= 
roßt, ©ie beginnen mit einigen abgeriffenen 3eilen beS ©aterS, 
ber ben gegorfamen ©ohn an baS ffranfenbett ber ©lütter ruft, 
in ein |>auS, in welchen Seber nach feiner Ärt ihm größte unb 
bie ftiße Ächtung, bie er oor ihm hegte, nicht ju betoeifen oer= 
ftanb; fie jeigen uns am Schluffe ben unter feinen ©üd)ern 


oergrabenen ©eiehrten unb ©ibtiotljefar, ber wißig aus feinen 
©d)ägen fpenbet, unb neibloS Änberer Streben unterftügt, ber 
ein furjeS ©tücf mit langem ©chmerj büfeen mufete, unb 'gebro= 
djen an Seib unb ©eele Oor ber ^Jeit bafeinftarb. „Seben ©ie 
wohl unb werben ja halb unb oößig gefunb," baS finb bis 
legten ©Sorte, bie Seffing empfangen hot unb wogt mit fdjnterj- 
tidjem Sädgeln gelefen haben mag. 

Stoch ei” 3Bort über bie ÄuSgabe. ©ie ift forgfältig unb 
grünblich, bietet aber manchmal beS ©uten ju Oiel, unb manch 1 
mal ju wenig. 2>aS Segtere j. ©. baburch, bafe fie nicht aße 
©riefe oerjeichnet, welche an Seffing gefchrieben finb (einige oon 
3fcbafdjler unb ©ufchmann erwähnt Seffing felbft in feinen 
Soßectaneen), unb bafe fie nicht immer genügenbe literarifche 
Stach weif ungen gibt*); baS ©rftere baburch, bafe fte bie weit= 
ichweifigen Änmertungen, welche Stilolai unb ff. ©. Seffing ben 
oon ihnen oeranftalteten ©riefauSgaben beifügten, wieberholt. 
©ine folche SBieberljolung war überflüfftg; burch fie wirb nicht 
bloS 3taum oerfchwenbet, fonbern manches Unrichtige mitgetheilt, - 
baS einer ©eri^tigung ober ©Biberlegung bebarf. 

Unb bann, in Welker ©eftalt erfdjeint biefe ÄuSgabe! ©in 
©anb Oon mehr als 1050 ©eiten, in lleinem gormat, faft 
ebenfo breit Wie lang, auf fdjledjtem ©apier, in fleinem unfchönem 
5)ru«f. 3<h weife wohl, bafe biefer ©anb einen %fyei{ ber $em= 
pel’fchen Stationalbibliothel beutfcher ©laffüer bilbet unb in 
golge ber SDtängel ber ÄuSftattung ben ©orjug unglaublicher 
©ißigfeit hat — ber ganje ©anb foftet etwa 3 Star! — aber 
foßten nicht folche Äbtljeitungen, bie hoch ganj gut oon bem 
^auptwerl loSgelöft werben lönnen, folche Äbtheilungen, bie oer= 
möge ber Urefßichleit beS 3nl)altS unb ber auSgejeichneten Ärt 
ber Verausgabe werth finb, ©emeingut aßet ©ebilbeten ju wer: 
ben, auch •« einer ©eftalt geboten werben lönnen, in ber baS 
Äeufeere nicht in ju argem üDtifeoerhättniffe jum Snnern fteht? 

iubtoig CSeiger. 


fiarl ttofettiitatt). 

58on 

2llcjanbcr 3ung. 

(S^lufe.) 

Äuch bei uns hier, in ffönigSberg, erwachte nunmehr ein 
ganj neues Seben in Sachen ber Snteßigenj, obwohl wir, 
namentlich auf bem ©ebiete beS ©ocialen unb ber ©olitil, 
leineSwegS mit ben Stimmführern übereinftimmten, unb auch 
in bem, was fid) oon Siteratur regte, jum Stacfjtheil ber @e= 
genwart, eine grofee ffluft bemerften jwifchen bem 3egt unb 
ber 3eit ffantS, VamannS, ^>ipp e lö. 3ch entfchlofe mich, Don 
meinem greunbe aufgemuntert, jur fRebaction beS „ffönigS; 
berger SiteraturblatteS". ©S erfdjien in ffönigSberg bei f?av= 
tung, fpäter in 5)anjig bei ©erharb. ©S fanb in SDeutfdjlanb 
wie auch im ÄuSlanbe lebhaften Änflang. Äuch ©ofenfranj 
lieferte bie intereffanteften ©eiträge, rebigirte fogar, als ich 
burch fftanlheit behinbert würbe, baS ©latt eine 3eit lang felbft. 
Vier mufe ich, um baS was folgt in baS ooße Siegt ju fegen, 
einen Äugenblitf um etwas jurüdgreifen, ba eS, früher erwähnt, 
nicht in ben rechten Srenn= unb ©oincibenjpuntt hätte faßen 
lönnen. Äuf einer größeren Steife, bie ich mit fRofenlranj 
machte, beren reichfter ©rtrag fieg überaß, jumal aber in SDreSben, 
©rag, SBien, ©aljburg, in ben Iproler Älpeu, in SRüncgen unb 
fpäter wieber in ffönigSberg IjetauSfteBte, gatte icg meinen ©e? 
fägrten bewunbert, wie er feine normale SebenSmeife auch unter; 
wegS fortjufegen mufete. ©ine unoetmüftlicge gtifege, eine Um= 
fiegt, ununterbrochene ©eifteögegenmart, ©eobacgtungSgabe, ge= 
feßige SiebenSwürbigleit, mit wem er fieg auch unterhalten 
moegte, babei muftergaft befliffen, ben reegten ©rtrag oon ber 


*) 3- ©• ©■ 160. ®ine fleine Unricgtigleit ift mir ©. 79 31. auf; 
gefallen: ÄtenbelSfoIjnS Sieber finb allerbing3_.ertjalten. 


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Nr. 31. 


®ie (üegenwurt. 


73 


Steife gu haben, jebett SRorgen baS ©rlebte in fein Stotigbucfe 
einguttagen. geh war freilich gu entfdjulbigen. gdj, ben Stofen« 
trang früher fo oft feinen ftets muntern, gefunben „UrwalbS« 
horfcf)" genannt hatte, auch wohl „Sorb", ben man allgemein für 
feolg halte; WaS ich boch nie in bem oulgären Sinne geroefen 
bin, icf) war jefjt tränt, einer furchtbaren £>t)pod)onbrie oerfallen, 
neroöS angegriffen, meähalb mit auch oon ärztlicher Seite bie 
Steife angerathen würbe. Stof entrang bewährte fidf mir ohne 
Unteriafe als mein barmhergiger Stüber,*als treuefter §eger 
unb Pfleger. g<h nahm mich gufammen, was ich tonnte. SJtidj 
entgüdten bie herrlichen Silber im SBiener Seloeberc, unb Stofen« 
trang, wie bas ftets ihm eigen war, entgiiette fich wieber äber 
mein ffintgüden, aber gulefct brach «dj gufammen, tonnte auf ben 
©emälben leine garbe, teine ©eftalt mehr unterfdjeiben, unb 
mufete mich auf einen Stuhl flüchten. Unb gleichwohl hatte 
bie Steif« mit einem fo auSerlefenen ©efäljrten in gotge beS 
Ungähtigen, waS wir gefehen unb gehört, bet gemeinfamen unb 
befonberen, Oereingelten Seriihrungen unb ©efpräche mit Sied, 
gatob ©rimm in DteSben, Uhlanb, SBolf, bem Stomaniften in 
SBien, ©chetting, Saaber, ©örreS in SJtündjen, Settina, S3arn« 
hagen in Serlin, unfere literarifche ißrobuctioität unenblidj ge« 
feeigert. SBaS Stofentrang in tefcterer Segiehung an mir feit« 
fam, pebantifd) fanb unb oetgebenö bef «tupfte, war nicht bloS, 
bajs ich S ern aus bem ein ©eheimnifi machte, woran ich arbeitete, 
bis es fertig war, befonberS jebodj, bafe es bei mir ©tunbfafj 
toar unb ift, nie ein Such ober gar Sücher gu lefen, bie oon 
bemfeiben ©egenftanbe hanbeln, ben ich bearbeite, unb ooUenbS 
tabelte es mein trefflicher greunb unb hielt eö fogar für be« 
bentlich, bafe ich nie äber baS Xtyma, welches mich befdjäftigte, 
mir Stathö holte, nie SBinle annahm, bie man mir hoch reichlich 
hätte geben lönnen, inbem ich erllärte, icf) wolle lieber auf meine 
eigene Steife geiftloS fein, als mich mit fremben gebern fchmüden, 
toaS freilich ein fo im hödjfeen ©rabe gewiffenhafter Autor Wie 
Slofenlrang höchlich refpectirte. 

®aS Scheiben oon Königsberg gut Seit ber politifehen Um« 
toälgnngen, als Stofentrang ins Sötinifterium gerufen würbe, War 
mir ein unbefehreibücher Sdjmetg. Steine 3“feucJjt war wieber 
bie fßrobuction. gn ber 3 wifdjengeit ootlenbete ich wein Such 
über ^ölberlin. *) @8 gewann einen weltberühmten Serleger 

in Sübbeutfdjlanb. Sei biefer ©elegenfjeit ift gu bemerten, 
bafe Stofentrang ftets behauptete, bie Augsburger „Allgemeine 
3 eitung" fei feine geinbin, unb gwar feitbem bafe fein Such 
über Scheüing oon biefem ungünftig aufgenommen fei. Stun 
tarn noch ^inju, bafe man, ba ich weine Schrift über tpölberlin 
Stofentrang gewibmet habe, mein ©ingangSgebicht auf biefen, 
gu nuferer beiberfeitigen Serwuuberung, weggelaffen hatte, inbem 
man fpäter fich bamit entfchulbigte, ber Abbrud beSfelben fei 
oergeffen Worben. ®et Sriefwechfel gwifchen Stofentrang unb 
mir ging ununterbrochen fort. Stein Such über ben Serfaffer 
beS „#hpetion" hatte ihn entgüdt, gumal hob er heröor, er 
ftaune, wie ich auch währenb ber fßetiobe beS SBahnfinnS bem 
ungtftdlichen unb hoch fo genialen dichter in bie finfeerften, 
oerborgenften Abgränbe hätte folgen, feine geheimften §ergenS= 
falten burchfpäljen unb beleuchten tönnen. — 3 « weinet unenb« 
liehen greube lehrte Stofentrang nach bem Sertaufe etwa eines 
gahreS nach Königsberg gurüd. ®afe unfer Umgang, unfer 
fprubelnber, feuriger ©ebantenoertehr bis gu feinem ®obe fort« 
bauerte, brauche ich wohl nicht erft gu fagen. 

Son Stotabilitäten, bie im Saufe ber nädjften galjre Stofen« 
trang auffuchten, bie ich bie ©hre hatte, bei ihm tennen gu 
lernen, gum ®h e *l wit ihnen fogar in ein bleibenbeS Serhält« 
nife gu treten, nenne ich ben Surggrafen SJtinifter Xfeeobor oon 
Schön, ferner unfern gemeinfamen, ftets innig gehegten greunb, 
Srofejfor ber Pjilofopljie grang $offmann, $auptrepräfentanten 
beS grang oon Saaber’fchen SpftemS, ber bei ©elegenheit beS 
KönigSberger UnioerfitätSjubiläumS als ®epntirter ber SBütg« 


*) „gtiebrich §ölberün unb feine Serie. SKtt befonberer Segiehung 
auf bie ©egemoart." Stuttgart unb Tübingen 1848, g. ®. Eotta’fdjer 
Verlag. 


bürget Unibcrfttät getommen war unb fpäter, auf feiner Steife 
nach Kurlanb, noch einmal mit feiner ©egenwart unenblidj mich 
erfreute; auch foldie, bie mich allein in meiner eignen SBoijnung 
überrafdjten, Wie ©mil ®eorient, ober folche, bie bei gebem oon 
uns Seiben einfprachen. ghre Stamen alle gu nennen, fehlt es 
hier an Staum. Ueberaus beglücft Waren wir -butch ben SSefudj 
beS Suchhänbler« unb Serlegerfürften Heinrich SrocfhauS, mit 
bem wir einen unoergefelidjen Stacfemittag oerlebten, unb ber in 
ber geiftrei<h«liebenSwürbigen SBeife uns SBunberbinge ergählie 
aus feinem Serweilen in ©airo, bann auf gslgnb, in ©nglanb 
unb ber auch in SJtittheitungen aus ber Siteratur eben fo pitant 
wie unerfdjöpflid) war. ©inen pinreifeenben ©iubrud machte 
auf unS, mäljrenb feines öftern Aufenthaltes in Königsberg, 
Sogumil ©olfc. 

®odj — ich lehre wieber gu unfern ©efprächen gurüd. 
©inft fafeen wir braufeen auf einer Seranba. SBit Waten 
heute faft auSgelajfen. SBit hatten einanber überboten an ben 
broKigften, originellften ©infäÜen. Kaum hatten wir uns in 
unmäfeigem Sachen ©inhalt thun lönnen. ®a, urplöfelich, ich 
wufete nicht was ihm gefchah. Würbe mein greunb ernft, fehr 
ernft! geh fragte: SBaS ift gljnen? — ga, gung, antwortete 
er, noch etwa gehn gahre, bann ift’S mit mir gewefen! geh 
fterbe oor gljnen, paffen Sie auf; Sie werben hunbert gahre 
alt! — Stur bieS nicht, rief ich beftürgt, nur bieS ©ine thun 
Sie mir nidjt an, bafe Sie oon unb oor mir fcheiben! geh 
ertrüge eS fehledjterbingS nicht l — Unb hoch, er hat, fdjauerlich 
im hödjfeen ©rabe, nur gu richtig prophegeit! — SRan tann 
eS taum barfteüen, wie felbftloS unb ohne alle Anfptüche auf 
Stuljm, ben er fich boch fdjon längft erworben hatte, Stofentrang War. 
SBie ungähüge Spmpathien bewufeterweife wir auch h e 0 ten, wir 
waten auch felig erfüllt oon bem, waS unS oon einanber unter« 
fchieb. SBir wufeten oorauS, alle Abweichungen mtferer Staturen 
oon einanber löften fich fdjneQ wieber auf unb potengirten unfre 
gnbioibualitäten gu einer eingigen unb erhöhten. — Sie glüd« 
lieber SJtann, rief mein greunb einmal hoch erfreut aus, Sie 
tönnen ghre gebrudten Sücher ftets wieber lefen, finb burdj 
ghre Schöpfungen nicht bloS oödig gufriebengefteHt, fonbern be« 
geifeem fid) burch jebe berartige Seetüte gferer eigenen ©rgeug« 
niffe gu neuen ißrobuctionen! geh bagegen, habe ich e * n ®“<h 
in bie SBett gefchidt, ift eS oon mir abgetöfe, ich bente nicht 
mehr baran. — geh erwiberte: ®aS haben Sie oorauS oor 
mir, inbeffen barf ich auch meine Art entfchulbigen. Kehre ich aus 
innerfeem S3ebürfnife gu einer meinet früheren Seiftungen gurüd, 
fo oetwanble ich, währenb ich fee Wieber lefe, mich gern in Sie 
ober in einen Anbern, ben ich Heb habe, unb beffen ©igen« 
thümlichteit Hingt nun mit ber meinigen gufammen, gewährt 
mir erft ein ooßeS ©enügen, unb auf ber ©teile entfpringt 
barauS ein neues ©eifeeSprobuct — gn einem unfern ®ialoge 
brach ich öoÜ h e *feefeer Sehnfucht in bie SBorte auS: Ach, 
greunb. tönnte ich mit gljnen nach Stalien, wie würbe gtalien 
auf mich wirten! — ®a entgegnete er auch f(h° n: 0 / 9 e h en 
Sie mir, Sie täufdjen fich “ber fich felbfe. SBollte ich mit 
ghnen nicht, als wir in ©algburg weilten, mit aller ©ewalt 
hinüber nach Stalien? Sie feräubten fich, waS Sie tonnten; 
Sie machen boch, wie ich ®ie fenne, am liebfeen Steifen in 
gljrem „©ebanfentoSmoS".*) 

SBie fchon früher erwähnt, hatte auch für Stofentrang ber 
Sriefwechfel gwifchen unS, felbfe wenn wir hier am Orte waren, 
einen grofeen Steig, wie 93riefau8tauf<h überhaupt, geh befefce 
oon ihm bie töfttidjften ©djä|e ber Art. SBar er am ©tranbe 
ber Oftfee im Sommer, fo Wufete er fefjon, bafe et auch bortljin 
fogenannte „Seebriefe" oon mir erhalten mürbe, unb freute feeh 
barauf finblich- gn einem berfclben führte ich e i nen ®<h et i 
im grofeen Stile aus, beffen weitgetriebener $umor in bet 
®hat meinen greunb feu|ig machte, bafe ich wirtlich auf eigene 
$anb gu einer beträchtlichen Steife mich entfehloffen, fee aus« 
geführt habe, geh batirte nämlich meine 3“fchrift aus Sibirien 


*) Setgl. mein „®eheimnife ber SJebenSfunfe". 1. Ipeil: 


banlenloSmoS." 


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„Der 9t- 



76 


Bit (Srgenmart 


Nr. 31. 


ber 8lu8fpruch: „3ch h fl t>e feine 3ät", ba er bie 3^it oerneine, um 
fo mehr fd)on ©wigfeit entsafte, er mußte jejjt, ba bie £'örper= 
traft ihm ftetS mehr oerfagte, baS ^infc^letcben ber 8«* um fo 
empfindlicher fühlen. 

Stl# \d) crft am Sonntag 8lbenb — man rooflte mich oor 
bem gufammenbrechen fchüfcen — ben lob meines greunbeS mit= 
geteilt crtjiett, oerfchwanben mir ©rbe unb Himmel, benn burdj 
ben Vebel unb bie kläffe beS 8lugeS, Df) r äne genannt, fieljt mau 
nicht mehr. — Viemanb, Viemanb fann Vofenfranz mir 
erfe|en! 

SBie, wenn man ben geftirnten ^immel anbtidt, immer neue 
Sterne fyeroortreten, fo gebt eS mir mit ben (Erinnerungen an 
Vofenfranz. 3ebeS ©efpräch mit ihm rollte mir ein SBettfhftem 
auf. 3«fet ift mein Sirmament bccf)t mit Sßotfen bebedt, unb icE) 
frage nun aucf) wie er: 

,,©ie biel mag bod) bie Uf)r tDoßl feinb V" 

— mein ewiger Vefrain! 


3tt töottlieb Sdjidtö httnbertjährigem CÖebnrtstaije. 

8luf Sftaria Himmelfahrt, ben 15. Sluguft gewöhnlicher 
(Srbenfinber, fällt in biefem 3oh r e ber fjunbertjährige ©eburts= 
tag eine« ber tiebenSwürbigften beutfchen Zünftler nnb Vor= 
arbeitet neuerer Sunft. @8 ift bieS ©ottlieb Schief, geboten 
aus einer tüchtigen Sürgerfamilie beS fchönen Stuttgarts unb 
am HiwpielfahrtStage 1812 bort Oerftorben, nachbem er eine 
Veilje oon Sohren feines jungen SebenS in Vom feiner hohen 
ftunft als ebelfter 3ünger gepflegt unb, mit einigen ber ©belften 
feiner 3eit mehr ober minber freunbfcfjaftlich oerbunben, bort 
ein fchöneS reines, wenn auch on manchem irbifchen SWangel 
reiches &ünftterleben geführt, bie ©attin jeineS HerjenS ge-- 
Wonnen unb feine beften SBerte gefchaffen hotte. Seine ©ater: 
ftabt bewahrt biefe Äunftwerfe im fdjönften unb erhabenften 
Sinne beS SBorteS in ihrer öffentlichen ©emätbefammlung nnb 
im föniglichen VeJtbenzfcf)loffe; nur wenige anbere finb hier unb 
bort in einigen wenigen ©alerien ®eutfcf)tanbS (j. S. in fföln) 
unb als ©orträtS hier (befonberS in leget) wie in Vußtanb 
unb ©nglanb jerftreut. H Q t ©ottlieb Schief felbft nicht ben 
Xempel bet hehrften, ber möglichst hohen Äunft mit unfterblichem 
Vuljm erfüßt, Wie nach ihm ein SornetiuS: fo fteht er bod) 
ficherlich als erfter beutfeher SDlaler unter benen ba, bie bie 
Vtalerei aus ben ffeffeln falten ober antififirenben ßonoentionati3= 
muS befreiten unb ihr eine neue fdjöne Stätte in Deutfdjtanb 
öorbereiteten. Die meiften SJunftgefchichten nennen ihn neben 
SarftenS als SJliterneuerer beutfdjer Äunft, mitunter im Verein 
mit feinem als neunzigjährigen ©reis oor einem Vierteljahr: 
hunbert crft oergeffen, oerarmt unb oerfdjoßen oerftorbenen 
SanbSmann ©betharb SBächter: aber fein eigenfteS, lieben8wüt= 
bigeS unb bem Herjen wohlthuenbeS, rein menfdjlicheS Seben 
unb ©tefen erfdjließen uns erft feine herrlichen ©riefe, bie 
©rofeffor Hoaflj in feinen fchönen „©eiträgen aus ÜBürttemberg 
jur neueren beutfchen ftunftgefchichte" (Stuttgart, 1863) juerft 
ooßftänbig abgebrudt hot. Daöib griebrich Strauß hotte fchon 
in feinem ©ffap über ©ottlieb Schief (1854 in ber 8lßg. SlugSb. 
3tg., bann 1862 aufgenommen in feine „Steine Schriften“, 
I. Sb., unb jefct in beS ©erfafferS „©terfe") auf biefe ©riefe, 
bie ©ebeutung beS Schreibers unb ihren eigenen hohe« Sterth 
aufmertfam gemacht. Ohne Uebertreibung bilben fie auch, neben 
feinen in Stuttgart befinblichen SBerfen, baS fchönfte Denfmat 
beS SünftlerS. 3« ih ret liebenSwürbigen ungezwungenen Vaioetät, 
3artheit ber ©mpftnbung, Seufchheit beS ÜKittheilenS möchte ich 
fte mit manchen ber SKenbelSfohn’fchen ©riefe Dergleichen, unb 
man fann wohl oerftehen, wie ein Danneder, Schefling, bie 
beiben Humbolbt, bie beiben Died, bie ©ebrüber Schlegel, wie 
Sernow, 3ofeph 8lnton Soch, „SJtaler SRüBer", bie geiftreiche 
©aroline oon ^>umbolbt unb Stauen unb SRänner ber höc^ften 


! Steife, unter ihnen ber ho<hh e *jig e fpätere ©roßljetzog ©eorg 
! Oon 2Jtedlenburg=Strelifc, ben jungen Sünftler als lieben gteunb 
! betrachteten unb ehrten. Die meiften ber ©riefe finb 'an bie 
j ©efchwifter in ber Heimat gerichtet unb zeigen Sd}id in biefem 
Verhältnis als einen ebten unb ganzen SWenfcfjen, ber unfrer 
Verehrung unb Siebe in jeber werth ift. 6r war früh 

nach ©oriS in bie franzöfifche Schule unter beS bereit großen 
DaoibS Seitung eingetreten, um welche Sehrzeit ber ihn hoch 5 
oerehrenbe SBithelm Schabow ftetS beneibete*); erft in Vom 
inbeffen, wohin er (ich, unterftüfct oon einem fleinen fürftlichen 
3ahrgehalt unb bann bort fleißig für ffiotta unb an ©orträtä 
arbeitenb, gegen ©nbe beS 3ahreS 1802 begab, rang fich fein 
©eift z um eigentlichen hohen freien Sünftlerfchaffen empor. 
„SBetche Selohnungen erwarten ben Sünftler oon ialent unb 
SleiS," fchreibt er fogteich Z u Anfang feines römifchen Vufent* 
halts an ben geliebten Sehrer unb greunb ®annedet, „weicht 
Sraft gibt mir baS, meinen SBeg mit Vnftrengung weiter z u 
gehen, wenn ich felje, ba| ber ©reis für meine SRühe bie H°^ : 
achtung aßer SDlenfchen ift!“ 

Sein ganzes Seben, eS ift Wahr, War äHülje unb wenig 
Sohn. Die SRenfchen zwar, bie mit ihm in feelifche ©erührung 
traten, liebten ihn; im Humbolbt’fchen Houfe in Vom war et 
ber Sreunb beS gelehrten SVinifterS, feiner geiftreichen ©attin, 
ber anmuthigen Sinbet. ©incS feiner fchönften ©orträtS ift 
baSjenige ber beiben Döchter SBilhetm oon HnntbolbtS, oon 
wetdhem Silbe Dljeobot Sörner, ber eS in SBien fah, unterm 
31. Sluguft 1811 an bie Seinigen fchreibt: „Schid in Vom hot 
oon ben beiben jüngften SJiäbchen, äbelaibe unb ©abriele, ein 
©ilb gemacht; ich gloube nicht, baff etwas Schöneres ber Vrt 
ejiftirt @S ift ein wahrer Sreubenqueß, je länget man eS 
fieht, befto fchöner wirb eS. 3<h foß bem Schid frappant 
treffenb ähnlich fehen." („Säerte", VuSgabe oon 81. SEßolff, ©erlin 
1858, IV. 198.) ©ine gewiffe treffenbe 8tehnlichfeit zwifchen 
ber frönen Vabirung, bie Hooth ben „©eiträgen“ als ©orträt 
SchidS beigefügt h“t> «ob bem befannten Silbe fförnetS ift 
auch nicht zu Oerfennen. DaS „fchöne ©ilb" ber Schweftem be- 
geifterte ben jungen Sänger audj z u bem Sonett, beffen erfte 
Strophen lauten: 

,,©d)DtteS ©ilb, baS mir fo theuer rootben, 

©eh’ ich bich, ruft ftitter Sthnung ©alten 
9lu8 ben munberlieblichen ©eftalten 
3Rir in fühen himmlifchen Slccorben. 

Sein, lein Sänger malt’S mit ©ang unb ©orten, 

©ie fie bliihenb fich umfchlungen halten, 

Unb Boll ©übenS Slmnuth fich enfalten, 

©title ©lumen aus bem heil’gen Vorben."**) 

©ottlieb Schid hotte inbeffen nic^t baS ©lüd, für feine ©emätbe 
einen großen ©reis zu erzielen; auch würbe feine ScfjöpfungS: 
thätigfeit burch ben täglichen ©roboerbienft, ©orträtmalen, ge: 
hemmt. @r hotte jeboch baS hohe „Sünftlergtüd", baß feine 
erften großen Schöpfungen, „Daoib oor bem erzürnten Saul" 
(je|t wie auch baS folgenbe in Stuttgart) unb baS herrliche, 
oon Äofcebue berzeit elenbetweife unb in echt Äojfebue’fcher 8lrt 
begeiferte (SRaler 3Rüßer, ober „DeufelSmüßer", wie er auch 
hieß, unb ber berbe Dpeoler Sanbfchafter 3°feph Vnton So<h 


*) „©erlroürbtg ift eS, baß ffiilhelm ©chabott» ben oon ihm hod)= 
geehrten ©chtcl faft um feine ©arifer Sehrzeit beneibete, einerlei ©teinung 
mit einem ©cßriftfteller (@rnft ©latner), ber früher auch f«b ben neu 
latholifchen Slalern anreihte, baß nämlich bem ©cßüler DaoibS bie in 
©aris gemachten Staturftubien zugute getommen. Die Schule DaoibS, 
fagt er, ber bas ©iffenjcpaftlicbe ber Zeichnung feßr grünblich oerftanb, 
bürfte ihm oortheilhafter gewefen fein, als er felbft glaubte, obgleich er 
fich übet baS allzu häufige ©tubium ber ©obette, baS er bei biefem mit 
@ifer üben mußte, mit SHecpt bellagen mochte." — Ä. $agen, „Die 
beutfehe Jhmft in unferem Sahrhunbert", I. 25. 

**) „©erle", SluSgabe oon Ä. ©olff, ©etlin 1858, I. 250. SaS ©ilb 
ift jept in Degel. ©iehe auch HaalßS „©eiträge", ©. 287, unb ©chlefiet, 
„©ilhelm oon Humbolbt", II. 102 . 


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Nr. 31. 


77 


flSegettmarf. 


fdjlugeit „beut $unb tooit Sleceitfenten" auch weibtidj ben ©udet 
bofür öott) „® antopf er SloaljS" fogleid) geregtes 2luffetjen in 
ber Äunftweit erregten unb ben üftater mit 25 3af)rett jum 
erfien tebenben beutft^en Sünftler ftempelten. Stuguft SBilljelm 
Stieget, ber fidj bamatS (1805) mit grau oon ©tael in 3tom 
befanb, fc^rieb bejonberS begeiftert über baS (entere ©itb an 
®oet^e unb bie 3ettaifdje Siteraturjeitung brachte ben ©rief 
$nm Mbrud. Mein nur ju batb fehlte, neben anbern 2ebettS= 
mangeln, bem Zünftler ju neuem großen ©Raffen baS ©efte: 
bie ©ejunbljeit. grub Samilienoater gemorben, oon täglichen 
Sorgen oft ^eimgefuc^t, trat baS ©ejdjtd auch an fein junget 
Seben heran. (Sin djronifd)eS Selben, baS feinen ®i{} im $erjen 
hatte, trat mit #eftigfeit auf unb machte in furjer Seit feinen 
3uftanb bebentlich- ©ne unenbliche ©eljnjudjt na<h ber §eimat, 
bie er feit 9 gahren nicht roiebergefehen hotte, ergriff ihn ju= 
gleich nett ber Uebetjeugung, bort ®enefung ju finben. (Sr 
fanb fte auch — bie SJluttererbe nahm ben eblen ©ohn an ihr j 
ftifleS großes £>erj jur ewigen SRufje! 3m $erbfte 1811 nahm 
er Mfdjieb oon feinem geliebten 9tom unb machte fich mit SBeib 
unb ffinbern auf ben ^eimWeg. ©eine Steife glich einem 
Sriumphjuge, unb wo er oerweilte, warb er, feinem Stufe ent= 
fprechenb, mit tünftlerif^en (St)ten empfangen. Stur langfam 
erreichte er bie ©aterftabt, wo bie forgfamfte ©flege ber ©einigen 
ihn aufnahm unb umgab. Mer leine ffunft ber Slerjte, leine ©org= 
falt unb Siebe ber ©einigen unb guter SJlenfdjen, Oermochten 
bie fchwinbenben föräfte ju erneuern, unb fdjon jm Stpril beS 
folgenben SahreS warb bie fterbliche §ülle feines ©eifteS ber 
heimatlichen (Srbe übergeben. „®er t)eimatli^en (Srbe — 
unb wie ©iele aus feinem ©olle, jo fage ich, leimen ben SJtann j 
unb oermögen ihn ju würbigen, ber ber ©tolj feines ©aterlanbeS ! 
ju fein oerbiente? 2Bie oft wirb fein Stame genannt? ffler ; 
iennt feine ©rabjtätte?" („©eiträge", ©. 30.) DiefeS harte unb i 
gerechtfertige SBort ift berjetfjlicf). Ütber beS ÄünftlerS grofjer 
©nflujj blieb ein ©egen, würbe ein ©egen für bie Äunft feiner j 
Station; unb fein Seben, wie eS uns feine ©riefe fdjilbetn, i 
jeigt uns, ba| er §u ben ebelften ©elftem gerechnet werben 
muh, bie 2)eutf<$tanb jemals unter feinen ®ünftlern befeffen hat! j 

tfermann Kinbt. I 


Jüits Der ^auptßabt. 

Dramotifd^e äupljumgen. 

„'Stofenftranj nnb (Säfbenfletn.“ 

Sußfpiel in oier Aufzügen üon SJtidjael $ la p p. 

Pie Wiener gäfle. 

Pas ^eftbenjt|eater ttnb #mif gtaar. 

Selten in ber ©eurtheilung eined ©ühnenmerfed eine ooß= 
fommenere Uebereinßimmung gehertjdß ald in ©ezug auf „Wofenfranz 
unb Gülbenßem". Kd ift ein amüfanted ©tue! — fo haben bie Abonnenten 
bed SBiener hofburgtljeaterd ant erjten Abenb entfliehen, unb bad berliner 
publicum hat biefe Kntfcßeibung „and ben Grünben bed erften Wichterd", 
»ie ed in ber Appeßinßanz Reifet, einfach beftätigt. Diefe ©eßätigung 
ift für ben Autor um fo mertf}Ooßer, ald oon allen jenen Webenumßänben, 
©eiche in Söien bie Vorbereitungen unb bie erfte Aufführung biefed 
Sußjpield begleiteten, bort bad Satcreffe fünßlich erhöhten unb eine 
ßcßerlich unbeabfichtigte, aber barum nicht minber toloffale, in ben An= 
nalen ber Dh eat rcgefd>ichte * aum i c bagetoejene Weclame für bad ©tüd 
heroorriefen, fyet nicht bie Siebe fein fonnte. 

Dad ©tücf, bad Abolf ©onnenthal unter feine ßhüpenben gittige 
genommen hatte, mar ber Direction bed ftofburgtheaterd anonym eingereicht, 
©orben, unb baS ©eheimnifj über ben Autor mürbe bi« $um (Srfolge fo abfo= 
lut gemährt, bafs felbft bie nüchftbetheiligten unb in alle Vorgänge hinter 
ben (Souliffen eingemeihten ^erfönlichteiten noch am Abenb ber erften 


Aufführung auf bloße Sonjecturen angemiefen maren. Unb mohin ber= 
irrten fich biefe! 2Bie mürben bie Seichtgläubigfeit unb Neugier oon 
gefchöftigen SfteuigfeitSfrämern genarrt! Aus ben Greifen ber hoch 2 unb 
höchftgeftellten Verfönlichfeiten, ber tüchtigen ©chaufpieler unb pifanten 
SHinftlerinnen, ber geiftoollen Dilettanten unb bemährten Dramatifer 
mürbe balb biefer, batb jener 9iame al§ ber beS geheimnißüoUen Ver^ 
fafferS beS neuen ©tucfe£ bezeichnet. 2Jian badete an alle möglichen unb 
unmöglichen üeute, nur eben nicht an ben richtigen Verfaffer. Diefer 
befaß bie Klugheit unb feltene ©elbftüberminbung, oon feinem fiebern 
Verftecf aus bem närrifchen Xreiben ruhig jujufchauen. @r ließ fich 
nicht bie geringfte Unoorfichtigfeit zu ©cßulben tommen, bie auf ihn 
hätte hiumeifen fönnen. @r gemann eS über fich, ftd) bon ben Vorbei 
reitungen ber Aufführung feines ©rftlingämerfeö fern ju halten — er 
mußte aßerbingS, baß e£ bei ©onnenthal gut aufgehoben mar — unb 
erft, nachbem ba£ Vublicum unb bie Sfritit ben ®rfolg beftätigt hatten, 
trat er mit feinem tarnen herbor. Denn mit bem Erfolg maren auch 
bie ÖJrünbe, bie ihn ju feiner Anonhmität beftimmt hatten, befeitigt. 
Diefe maren übrigend nicht auf eine bloße Kaprice, eine faufmännifeße 
©peculation ober bergteichen jnrücfäuführen, fie maren atterbingd gmingen- 
ber 9iatur. 

Durch einen Auffap in ber „Gartenlaube" h a i* e ^ crr 2Ä i d) a e l 
Ä l a p p bie Ungunft bed öfterreichifchen §ofed juge^ogen; unb bem miß= 
liebigen Autor mürben fich, toenn er f e * ne SSifitentarte mit feinem rich= 
tigen tarnen abgegeben hätte, bie Pforten bed audgejeichneten Dheaterd 
im §aufe bed ^aiferd fchmerlich geöffnet haben; ba hätte bie ^erfönlith- 
feit entfehieben gefc^abet. Nachbem nun aber bie ©ad)e gefiegt, unb bad 
©tücf eine überaud beifällige Aufnahme gefunden hottf/ »ar man frei- 
finnig unb hochhe^ig genug, um unter einer oietteicht berechtigten per= 
fönlichen Verftimmung nicht bad ganze publicum leiben zu laßen, unb 
nahm an ber ^erfon nicht meiter Anftoß. Unb jo mürbe benn ber Autor 
bed „ Gartenlauben "=Aufjapcd and ber feßmarzen Sifte geftrichen, bie Sifte 
ber erfolgreichen Autoren bed ^ofburgtheaterd aber um einen neuen 
Wanten üermehrt. 

Alle biefe Dinge, bie mit bem SBefen unb bem SBertlje unfred ihifc 
fpield burchaud nichtd zu thun haben, hatten, mie fich bied üon felbft 
oerfteht unb mie bereitd gejagt, in SBien bie Dh e ^uahme außerorbent^ 
lieh gejdjürt unb bad Sntereffe in fünftlicßer SBeife erhöht. Wicßtd ber= 
gleichen bei und. 3n Verlin ift ^)err Wiichael Mapp bem großen 
publicum fo gut mie unbefannt. üttan mußte oon feinen liebendmürbigen 
ober mißliebigen literarifcpen üeifhtngen fo oiel mie nichtd. Dad publi¬ 
cum trat baher bem fremben Autor, ben ed toeber h a 6 te uoch liebte, 
oorurtheildlod gegenüber unb betrachtete bad neue ©tücf, bad für ben 
norbbeutfehen Qufchauer nicht üiel mehr ald anonpm mar, — ba ed eben 
ein hier menig ober gar nicht befannter Warne gezeichnet hatte, — unb bad 
jebed nebenfächtichen pifanten Weized entbehrte, ohne alle Voreinge= 
nommenheit. Der Krfolg mar baher hier meit fachlicher unb lauterer, 
ohne baß er barum minber glänzenb gemefen märe. 

Diefe Dhatfache bed Grfolgd iß ganz unbeßreitbar. Aber ebenfo un= 
beßreitbar iß auch &ad Vemußtfein bed ^ßublicumd, baß ed üerbienft= 
Ucheren unb tüchtigeren, fünftlerifd) h ö ^er ßehenben, merth= unb gehalt¬ 
volleren Vühnenßüden mitunter, ja jogar oß mit einer geringeren 
Dheilnahme unb fühler entgegengefommen iß. Die oortreffliche Dar= 
ßeßung burch bie SBiener Gäße, burch ©onnenthal, Dhimig unb bad 
^artmann’fcße @h e Paar reicht attein nicht aud, um bie ungemöhnliche — 
ich toiH nicht fagen: unoerbient, aber vielleicht übertrieben freunbliche 
Aufnahme bed ^tapp’jdjen ©tüded zu erllären. 3ch erblicfe barin nur 
eine ©eftätigung ber in ben lepten 3oh r ^n feßon bei oielen anbern 
großen ©ühnenerfolgen gemachten SBahmehmung: baß nämlich bad 
fßubticum im Dheater jept hauptfächlich nach bem behaglichen, burch 
feinerlei Unangenehmed, ©trapazirenbed ober Außegenbed geßörten Ge- 
nuße oerlangt. Kd miß üor Aßem zerßreut, unterhalten, belußigt, ed 
miß ben ©orgen bed Daged entrüeft fein. 

Dem ©chaufpiele gegenüber, bad bem 3 u fchauer bie Konßicte bed 
mirflicßen ßebend üergegenmärtigt, bie ©cßmächen unb Gebrechen, beren 
er fich im Geheimen zu z c ^ en h a ^ m ihtcr Sächerlidßeit ober 
VeTmerflichfeit oorführt, bie Konfequenzen, bie fein eigener üeichtfinn, 
feine eigene Ih or ^ e ü oorfchulbet, mit graufamer ffolgetichtigfeit zieht — 
bem ©chaufpiele gegenüber, bad burch bie rücißchtdlofe SBaßrheit unb 
Wichtigfeit ber ©eobaeßtung unb ©chilberung auch peinlichen, auch 
bed Söibermärtigen bie ©elbßgefäßigfeit fränft, bie bequeme Wuhe ßört, 


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76 


lie tfcsetnoarL 


Nr. 31. 


bet HuSfpruch: „ 3 <h habe feine 3 «t", ba er bte 3 ^it Berneine, um 
fo mefjr fdjon ©wigfeit enthalte, et muffte jept, ba bie ®örper= 
fraft ilpn ftetS mehr oerfagte, baS ^linfc^lett^en ber Beit um fo 
empfinblidjer fühlen. 

SllS id) erft am Sonntag Slbenb — man wollte mich bot 
bem Bufammenbtet^en fd)ü|en — ben f£ob meines greunbeS mit* 
geteilt erhielt, öerfchwanben mit ©rbe unb Himmel, benn burd) 
ben SRebel unb bie ©äffe beS HugeS, I^räne genannt, fieht man 
nicht mehr. — ©iemanb, ©iemanb fann ©ofenftanz mit 
erfefeen! 

2Bie, wenn man ben geftirnten Himmel anblicft, immer neue 
Sterne heröortreten, fo geht eS mit mit ben ©rinnerungen an 
Stofenfranj. 3ebeS ©efpräcfj mit ihm roßte mit ein SBeltfhftem 
auf. 3efet ift mein Firmament bidjt mit SEBolfen Bebeeft, unb ich 
frage nnn auch wie er: 

„Sie oiet mag bod) bie Uljr wobt feinb?" 

— mein ewiger Siefrain! 


3u Gottlitb Sdiitks htmbertjflhrigem Geburtstage. 

Stuf SOlaria Himmelfahrt, ben 15. Stuguft gewöhnlicher 
©rbenfinber, fällt in biefem 3“h r * ber hunbertjäf)rige ®eburtS= 
tag eines ber liebenSwfirbigften beutfehen Sünftler unb ©or* 
arbeitet neuerer ffunft. @3 ift bieS ©ottlieb Schief, geboten 
aus einer tüchtigen ©ürgerfamilie beS fchönen Stuttgarts unb 
am HimjnelfahrtStage 1812 bort oerftorben, nachbem er eine 
Sleihe Bon Sahren feines jungen SebenS in 9tom feiner hohen 
ftunft als ebelfter jünger gepflegt unb, mit einigen ber ©belften 
feiner Beit mehr ober minber freunbfchaftlich oerbunben, bort 
ein fdjöneS reines, wenn auch an manchem irbifchen SWangel 
reifes Mnftlerleben geführt, bie ©attin feines HerjenS ge-- 
wonnen unb feine beften SBerfe gefchaffen hotte. Seine ©ater» 
ftabt bewahrt biefe Äunftwerfe im fünften unb erhabenften 
Sinne beS SBorteS in ihrer öffentlichen ©emälbefammlung unb 
im föniglichen Slefibenjfchloffe; nur wenige anbere finb hier unb 
bort in einigen wenigen ©alerten ®eutfchlanbS (j. ©. in ®öln) 
unb als ©orträts hier (befonberS in Xegel) wie in fRugtanb 
unb ©nglanb jerftreut. Hat ©ottlieb Schiet felbft nicht ben 
Sernpel ber hehlten, ber mögtichft h D h*u ffunft mit unfterblichent 
9tuhm erfüßt, Wie nach ihm ein ©orneliuS: fo fteht er bod) 
ficherlich als erfter beutfeher SRaler unter benen ba, bie bie 
SRalerei aus ben Steffeln falten ober antififirenben SonoentionaliS= 
muS befreiten unb ihr eine neue fchöne Stätte in 2>eutf<hlanb 
norbereiteten. Sie meiften Äunftgefdjichten nennen ihn neben 
©arftenS als SDlitemeuerer beutfeher Sunft, mitunter im SSerein 
mit feinem als neunzigjährigen ©reis Bor einem ©ierteljal)t= 
hunbert erft oergeffen, Berarmt unb Berfchoßen Berftorbenen 
SanbSmann ©bewarb SBädjiter: aber fein eigenfteS, tiebenSwür* 
bigeS unb bem Herzen WoljlfhuenbeS, rein menfcfjlicheS Heben 
unb SBefen erfdjtiegen uns erft feine IjerrlicBen ©riefe, bie 
©rofeffor Hooff) in feinen fchönen „©eiträgen aus SBürttemberg 
Zur neueren beutfehen fiunftgefchichte" (Stuttgart, 1863) juerft 
Boßftänbig abgebrueft hot. Saöib griebridj Strauft hatte fdjon 
in feinem ©ffap über ©ottlieb Schief (1854 in ber Stflg. SlugSb. 
Btg., bann 1862 aufgenommen in feine „Siebte Schriften", 
I. 8b., unb jefct in beS ©erfafferS „©Berte") auf biefe ©riefe, 
bie ©ebeutung beS Schreibers unb ihren eigenen hohen SBcrtt) 
aufmerffam gemacht. Ohne Uebertreibung bilben fte auch, neben 
feinen in Stuttgart befinbliehen ©Berten, baS fcfjönfte Senfmat 
beS SünftlerS. 3« ihrer liebenSWütbigen ungezwungenen Staibetät, 
Bartheit ber ©mpfinbung, Seufchheit beS ÜRittljeitenS möchte ich 
fie mit manchen ber SRenbelSfohn’fdjen ©riefe Bergleichen, unb 
man fann wohl oerftehen, wie ein Sanneder, Scheßing, bie 
beiben Hnmbolbt, bie beiben Sied, bie ©ebrüber Schlegel, wie 
geroow, Sofeph Unton Äo<h, „SRaler SRüflet", bie geiftreiche 
©aroline Bon Hnmbolbt unb grauen unb SRänner ber hbchften 


Sreife, unter ihnen ber hochherzige fpätere ©rogljerzog ©eorg 
Bon 3Redlenburg=StreIifc, ben jungen Sünftler als lieben greunb 
betrachteten unb ehrten. Sie meiften ber ©riefe finb 'an bie 
©efdjroifter in ber Heimat gerichtet unb zeigen Schief in biefem 
©erljättnig als einen eblen unb ganzen SRenfdjen, ber unfrer 
©erehruttg unb Siebe in jeber Hinficht Werth ift- ®r war früh 
nach ©ariS in bie franzöfifdje Schule unter beS berzeit großen 
SaBibS Heilung eingetreten, um welche Sehrzeit ber ihn h°<h s 
oerehrenbe 2Bill)elm Schobow ftets beneibete*); erft in 9fom 
inbeffen, wohin er (ich, unterflü|t Bon einem Keinen fürftlichen 
3ahrgehalt unb bann bort fleigtg für ©otta unb an ©orträts 
arbeitenb, gegen ©nbe beS 3ah«S 1802 begab, rang ftef) fein 
©eift zum eigentlichen hohen freien Sünftlerfchaffen empor. 
„233etd)e ©elohnungen erwarten ben Sünftler Bon latent unb 
Sleih," fchreibt er fogieich Z u llnfang feines römifchen Sufent» 
halts an ben geliebten Seljrer unb Srreunb ®annecfer, „welch* 
Sraft gibt mir baS, meinen ffieg mit Unftrengung weiter zu 
gehen, Wenn ich fehe, bag ber ©reis für meine SRfihe bie Hocf) : 
achtung aßer 3)ienfchen ift!" 

Sein ganzes Sehen, eS ift wahr, mar SHühe unb wenig 
Sohn. $ie SRenf^en zwar, bie mit ihm in feetifdE»e ©erührnng 
traten, liebten ihn; im Humbolbt’fchen Houfe in 3tom war er 
ber Srreunb beS gelehrten ©linifterS, feiner geistreichen ©attin, 
ber anmutigen Sinber. ©ineS feiner fchönften ©orträts ift 
baSjenige ber beiben lödjter SBilhelm Bon HumbolbtS, Bon 
welchem ©ilbe Hjeobor Sömer, ber es in SBien fah, unterm 
31. Muguft 1811 an bie Seinigen fchreibt: „Schid in 3tom h°t 
Bon ben beiben jüngften SRäbchen, Stbelaibe unb ©abriele, ein 
©ilb gemacht; ich ßfoube nicht, baff etwas Schöneres ber Ärt 
efiftirt @S ift ein wahrer greubenqueß, je länger man eS 
fieht, befto fchöner wirb eS. 3<h foß bem Schief frappant 
treffenb ähnlich fehen." („SBerle", SluSgabe Bon H. SBolff, ©erlin 
1858, IY. 198.) ©ine gewiffe treffenbe Sleljnlichfeit zwifegen 
ber fchönen ©abirung, bie H fl ofh ben „©eiträgen" als ©orträt 
S<hidS beigefügt hot, unb bem befannten ©ilbe SörnerS ift 
auch nicht zu oerfennen. ®aS „fchöne ©ilb" ber Schmeftem be- 
geifterte ben jungen Sänger auöh zu bem Sonett, beffen erfte 
Strophen lauten: 

„Schönes ©ilb, baS mit fo tbeuer worben, 

Sei)’ ich bi<h, ruft ftißer Ahnung SBalten 
StuS ben wunberlieblichen ©eftalten 
SJiir in fügen himmlifchen Slccorben. 

Stein, tein Sänget malt’S mit Sang unb SBorten, 

2Bie fie btübenb fich umfchlungen halten, 

Unb ooß SübenS Knmuth fich enfalten, 

Stille ©lumen aus bem heil’gen Storben."**) 

©ottlieb Schief hotte inbeffen nicht baS ©lücf, für feine ©emälbe 
einen grogen ©reis zu erzielen; auch Würbe feine ScfjöpfungS: 
thätigfeit burch ben täglichen ©roboerbienft, ©orträtmalen, ge= 
hemmt, ©r hotte jeboch baS hohe „Äünftlerglücf", bag feine 
erften grogen Schöpfungen, „®aoib oor bem erzürnten Saul" 
(je$t wie auch baS folgenbe in Stuttgart) unb baS hotrliche, 
oon Äofcebue berzeit elenberweife unb in echt Äofjebue’fcher llrt 
begeiferte (SJtaler SRüßer, ober „XeufelSmüfler", wie er auch 
hieg, unb ber berbe Iproler Sanbf^after 3°feph Stnton Si'och 


*) „©tertmürbig ift eS, bag SSilhelm Schabow ben Bon igm 
geehrten Sd)id faft um feine ©arifer Sehrjeit beneibete, einerlei ©teinung 
mit einem SchriftfteHer (@rnft ©latner), ber früher auch fich ben neu- 
tatholifchen ©ialem anreihte, bag nämlich bem Schüler ©aoibS bie in 
©aris gemachten Staturftubien jugute gelommen. ®ie Schule DaoibS, 
fagt er, ber baS SBiffenfcgaftliche ber Beidmung fehl grünblich Berftanb, 
bürfte ihm »ortgeithafter gewefen fein, als er felbft glaubte, obgleich er 
fich über baS aUju häufige Stubium bet ©tobeßc, baS er bei biefem mit 
Sifet üben mugte, mit Siecht betlagen mochte." — ä. Hagen, ,,©ic 
beutfege Jftmft in unferem Sahehnnbert", 1 . 26. 

**) „ffierfc", SluSgabe Bon W. SBolff, ©etlin 1858, 1. 250. Sa8 ©ilb 
ift jept in Xegel. Siege auch HaatgS „©eiträge", S. 287, unb Sehlefier, 
„Sßilgelm Bon Humbolbt", II. 102. 

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Nr. 31. 


IHir Äegcitnmri, 


77 


fdjlugen „beut fmnb Don Stecenfenten" aud) weibliA ben ©udet 
bofüt DoQ) „2)an!opfer ©oaß«" jogleiA geregtes Stuffe^en in 
bet Äunftiuelt erregten unb ben ©tatet mit 25 3atjren jum 
erften lebenben beutfc^en ffünftler ftempelten. Sluguft ffiit^etm 
SAleget, ber ftA bamal« (1805) mit Stau Don ©taet in 9tom 
befanb, fc^rieb bejonber« begeijtert über ba« teuere ©itb an 
©oetlje unb bie 3enaifAe Siteraturjeitung braute ben ©rief 
junt Sbbrud. ©Hein nur ju batb fehlte, neben anbern £eben«= 
mängetn, bem Äünjtter ju neuem großen ©A a ff en ®efte: 
bie (Sefunbßeit. Srüfj gamitienoater geworben, Don täglichen 
Sorgen oft ^eimgefu^t, trat ba« (SefAitf auA an fein junge« 
ßeben Ijetan. (Sin djronifd)eS ßeiben, ba« feinen ©ij} im |>erjen 
Ijatte, trat mit fjeftigfeit auf unb maAte in turjer 3eit feinen 1 
3uftanb bebenftiA- ©ne unenbtiAe ©eßnfuAt naA ber |>eitnat, ! 
bie et feit 9 Sauren niAt wiebergejeßen batte, ergriff ifnt ju- | 
gteiA mit bet Uebetjeugung, bort (Senefung ju finben. (Sr : 
ianb fte auA — bie ©luttererbe natpn ben ebten ©oßn an if)r j 
jtiHe« große« $erj jur ewigen Stufet 3m £>erbfte 1811 nafjtn j 
er ©bfAieb Don feinem geliebten Stom unb maAte fiA mit SBeib ! 
unb Äinbern auf ben £>eintWeg. ©eine Steife gtiA einem 
Xrtumpßjuge, unb wo er Derweitte, Warb er, feinem Stufe ent= 
fpreAenb, mit tünftterifAen (Sljren empfangen. Stur tangfam 
erreiAte er bie ©aterftabt, wo bie forgfamfte ©flege ber ©einigen 
iljn aufnaßm unb umgab. ©ber feine Sanft ber Sterjte, teine Sorg; 
fatt unb ßiebe ber ©einigen unb guter ©lenfAen, bermoAten ; 
bie fAwinbenben Sräfte ju erneuern, unb fAon jnt Ülprit be« I 
folgenden 3<A*e« warb bie fterbtiAe $ütte feine« (Seifte« ber 
tpimattiAen (Srbe übergeben. „®er ^eimattiAen (Srbe — 
unb wie ©iele au« feinem ©otfe, jo fage iA, fennen ben ©lann 
unb Detmögen An ju würbigen, ber ber ©totj feine« ©atertanbe« ! 
ju fein Derbiente? 2Bie oft wirb fein Slame genannt? 2Ber ; 
fennt feine ©rabjtätte?" („©eiträge", ©. 30.) 2>iefe« ßarte unb i 
gereAtjertige SBort iß berjeißtiA. ©ber be« Sünftter« großer , 
©nftuß btieb ein ©egen, würbe ein ©egen für bie Sunft feiner | 
Station; unb fein ßeben, wie e« un« feine ©riefe fAitbern, 
jeigt un«, baß er ju ben ebelften (Seiftern gereAnet werben 
tnuß, bie 2>eutfAtanb jemat« unter feinen Zünftlern befeffen ^at! | 

fjermann Kinbt. < 


i 

I 

JUis öet j 

_ I 

Dratnatif^e ^uffüßrungett. I 

„ftofeuftrauj unb ^»fbenfletn.“ 

fiuftfpiel in üier Aufzügen üon ßft i d) a e ( $ l a p p. 

pie giertet $äfle. 

£>«$ ^eftbenjtßeater unb $tni( f faar. 

Selten hot in bet Beurteilung einei Bühnenmerlei eine üofl= 
lommenete Uebereinftimmung geherrfcht ali in Bezug auf „Wofenfranz 
unbGülbenftem". @i ift ein amüfantei Stüc! — fo hoben bie Abonnenten 
bei Wiener ©ofburgtheateri am erften Abenb entfliehen, unb bai berliner 
publicum hot biefe Sntfdjeibung „aui ben Grünben bei erften Wichteri", 
mie ei in ber Appeßinftanz Reifet, einfach beftätigt Diefe Betätigung 
ift für ben Autor um fo merthüoßer, ali üon aßen jenen ^ebenumftäuben, 
roelt^e in SBien bie Vorbereitungen unb bie erfte AuP^rung biefei 
Suppeli begleiteten, bort bai Sntereffe fünftlic^ ersten unb eine 
ji^erlic^ unbeabfid^tigte, aber banun nic^t minber foloffale, in ben An= 
nalen ber X^eatergepi^te !aum je bagetoefene 9ieclame für bai Stüd 
^ert»orriefen, ^ier nidjt bie Siebe fein fonnte. 

2)ai Stücf, bai Abolf Sonnent^al unter feine fdjüfcenben Sättige 
genommen Ijatte, mar ber 3)irection bei ftofburgtljeateri anonym eingereic^t, 
motben, unb bai dfeljeimnif} über ben Autor mürbe bii jum Erfolge fo abfo? 
lut gemährt, ba| felbft bie nädjftbeti)eitigten unb in aße Vorgänge hinter 
ben (Jouliffen eingemei^ten ^erfönlic^feiten noc^ am Abenb ber erften 


Aupfjrung auf blo^e Sonjecturen angemiejen maren. Unb mo^in oer= 
irrten fid) biefe! SBie mürben bie Seicfytgläubigfeit unb Sieugier bon 
gefdjäftigen Sieuigfeitürämern genant! Aui ben Greifen ber ^oc!^= unb 
^öc^ftgefteüten V«fönlidjfeiten, ber tüchtigen Sc^aufpieler unb jrifanten 
fünftlerinnen, ber geiftooßen Dilettanten unb bemäfjrten Dramatifer 
mürbe halb biefer, batb jener Siame ali ber bei gefjeimnijmoßen VeT= 
fafferi bei neuen Stücfei bejeic^net. 9Jian badjte an afle möglichen unb 
unmöglichen teilte, nur eben nicht an ben richtigen Verfaffer. Diefer 
befaß bie Klugheit unb feltene ©etbftüberminbung, bon feinem fidjern 
Verfted aui bem närtijehen Dreiben nihig äujufchauen. ®r ließ fich 
nicht bie geringfte Unborfichtigteit ^u Schulben tommen, bie auf ihn 
hätte Ipmeifen fönnen. @t gemann ei über fich; ftd) t>on ben Vorbe= 
reitungen ber Aufführung feinei ©rftlingimerlei fern ju galten — er 
mu&te aßerbingi, bafe ei bei Sonnenthal gut aufgehoben mar — unb 
erft, nachbem bai publicum unb bie fttiti! ben @rfolg beftätigt hatten, 
trat er mit feinem Warnen hetbor. Denn mit bem (Srfotg maren auch 
bie ®rünbe, bie ihn ju feiner Anonymität beftimmt haUcn, befeitigt. 
Diefe maren übrigeni nic^t auf eine blofte Saprice, eine taupännifche 
Specutation ober bergleichen jnrüdjuführen, fie maren aßerbingi jmingen= 
ber Watur. 

Durch einen Auffap in ber „Gartenlaube" h a U ß M ^«rr i ch a e l 
l a p p bie Ungunft bei öfterteid)ifchen §ofei ä u 0C5°Ö en ; ^ em m ^ 6 ' 
Uebigen Autor mürben fich, er i e ^ ne ^ifitentarte mit feinem rieh- 
tigen Warnen abgegeben hätte, bie Pforten bei auigejeichneten Dheateri 
im §aufe bei Äaiferi fchmerlich geöpet höben; ba hätte bie ^erfönlich- 
feit entfehieben gefchabet. Wachbem nun aber bie Sache gefiegt, unb bai 
Stücf eine überaui beifällige Aufnahme gefunden hotte, mar man frei- 
finnig unb ^oeß^er^ig genug, um unter einer üießeicht berechtigten per= 
fönlichen Verftimmung nicht bai ganje publicum leiben ju laffen, unb 
nahm an ber V 6 *f<m nicht meiter AnftoJ. Unb fo mürbe benn ber Autor 
bei „Gartenlauben"= Aufjapei aui ber fchmarjen Sifte geftrichen, bie öifte 
ber erfolgreichen Autoren bei §ofburgtheateri aber um einen neuen 
Warnen üermehrt. 

Aße bieje Dinge, bie mit bem SBefen unb bem SBertlje unfrei Üuft= 
fpieli burchaui nichti 511 thun hoben, hotten, mie fich biei üon felbft 
üerfteht unb mie bereiti gefagt, in SBien bie Dheilnahme aufeerorbent- 
lieh Qcfchürt unb bai Sotereffe in fünftlicher SBeife erhöht. Wichti ber^ 
gleiten bei uni. 3n Verlin ift Jperr Wlichael Mopp bem großen 
publicum fo gut mie unbefannt. 9ftan mußte üon feinen liebenimürbigen 
ober mißliebigen literarifchen ßeipngen fo üiel mie nichti. Dai Vubli 
cum trat baher bem fremben Autor, ben ei meber h a 6 te noch liebte, 
üorurthetliloi gegenüber unb betrachtete bai neue Stüd, bai für ben 
norbbeutfehen Qofchouer nicht üiel mehr ali anonym mar, — ba ei eben 
ein hier menig ober gar nicht befannter Warne gezeichnet hotte, — unb bai 
jebei nebenfädjlichen pifanten Weijei entbehrte, ohne aße Voreinge- 
nommenheit. Der Grfolg mar baher hier rneit fachlicher unb lauterer, 
ohne baß er barum minber glänjenb gemefen märe. 

Diefe Dhatfache bei Grfolgi ift ganz unbeftreitbar. Aber ebenfo un= 
beftreitbar ift auch bai Vemußtfein bei s pölicumi, baß ei üerbienft^ 
lieberen unb tüchtigeren, fünftlerifch h°h eT ßehenben, merth= unb geholt- 
üoßeren Vühnenßüdeit mitunter, ja fogar oft mit einer geringeren 
Dheilnahme unb fühlet entgegengefommen ift. Die vortreffliche Dat= 
fteßung burch bie SBiener Gäfte, burch Sonnenthal, Dhimig unb bai 
^artmann’fche ®h e Poar reicht aßein nicht aui, um bie ungemöhnlidje — 
ich »UI ri^t fagen: unüerbient, aber vielleicht übertrieben freunblicße 
Aufnahme bei ^lapp’fchen Stüdei ju ertlären. 3^h erblide barin nur 
eine Veßätigung ber in ben lebten fahren fchon bei rieten anbern 
großen Bühnenerfolgen gemachten Wahrnehmung: baß nämlich bai 
publicum im Dheater je^t houptfächlich nadh bem behaglichen, burch 
{einerlei Unangenehmei, Strapajirenbei ober Aufregenbei gehörten Ge¬ 
nüße üerlangt. Gi miß üor Aßem jerftreut, unterhalten, beluftigt, ei 
miß ben Sorgen bei Dagei entrüdt fein. 

Dem Sdjaufpiele gegenüber, bai bem 3 u Wouer bie Gonflkte bei 
mirflichen Sebeni üergegenmärtigt, bie Schmächen unb Gebrechen, beren 
er fich felbft im Geheimen zu zeihen hot, in ihrer Sächerlichfeit ober 
Vermerflichleit üorführt, bie Gonfequenzen, bie fein eigener ßeicßtfinn, 
feine eigene Dh or h e 't üerfchulbet, mit graufamer golgerichtigleit zieht — 
bem Schaufpiele gegenüber, bai burch öie rüdfichtilofe Wahrheit unb 
Wichtigleit ber Beobachtung unb Säuberung auch bei peinlichen, auch 
bei Wibermärtigen bie Selbjtgefäßigfeit fränft, bie bequeme Wuhe jtört, 


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78 


511? (Sfgennmrt. 


Nr. 31. 


bie Schlaffheit unoetjöhnlidh pcidt nnb aufrüttelt — biefem Schaufpiele 
gegenüber bereit man ftdf> fpröbe. Xer gufchauer »iß für fein gutes 
©elb nicht aud) itod^ auf ber ©ühne öeute fehen, benen er im ge»öhn= 
ließen Seben am tiebften auS bem ©ege geht, »eil fie ißm unbequem 
jinb ober ifjn an feine eigene SWangelhafÜgteit erinnern. (Sr »iß nicht 
auch noch oom ®ic^ter in Verhältniffe jurüdgebrängt »erben, bie ißn 
in ber ©irflichfeü oßnebieS bebrüden unb benen er gerabe zu entrinnen 
fud)t, wenn er fein killet an ber taffe löft. 

dagegen zeigt er fich bem Slutor, ber ißm am Slbenb bie Sorgen 
beS XageS harmlos »egfeßerzt, aufrichtig banfbar — um fo baitfbarer, 
je weniger er butdj baS Sdfjaufpiel, baS oor ißm abgefpielt wirb, ju 
Nüflfchlfiflen auf fid) felbft ober auf Unannehmlichfeüen, bieder tm Seben 
ZU befämpfen hat, unb bie ißm in ber ©irflichfeü ftopf unb §erj be= 
ferneren, fleh genötigt fieljt. 

©ine gewiffe (Einfchränfung ift natürlich auch ^ier geboten, ©ar 51 t 
toß bärf es ber 2Tntor nicht treiben; baS ©anb, baS er jwifd^en ben 
giguren feines Stüdes unb bem publicum fnüpft, barf nicht ganz nnb 
gar gelöft »erben, ba er jonft bem Vorwurf, eine „unwafjrfcherrrltche 
s 4$offe" oorzuführen, nicht entgegen »ürbe. Von 3eü Z u 8 eit muß hoch 
ber 3ufcßauer baran erinnert »erben, ba 6 baS Stüd eigentlich ein fünft- 
lerifdjeS ©ilb eines StüdeS menfchlichen Sebent barfteßen foß. Sr mag 
oon ber ©üßue ßetab Sachen hören, bie er fief) felbft oft genug, »enn 
auch nicht ganz fo luapp unb fcharf gefagt, er muß ^erfonen fehen, oon 
benen biefer ober jener 3ug mit einer Verfdjrobenheit ober £iebenS= 
»ürbigfeit eines guten ©efannten eine frappante Slehnlichfeit auf»eift, 
unb enblich Situationen gegenübergeftellt »erben, bie er ähnlich ober 
auch gerabe fo fdjon burd)lebt hot, ober oon benen er fich fageit muß, 
baß er fie morgen burchleben fömte. 

Slber — unb baS ift bie ftauptbebingung — afleS bas foß burch 
auS arglos, unfcßäblich, bequem fein. SÄit einem ©orte: ber 3uf«hauer 
»iß im ^h ca ter, baS für ihn nur nod) eine Stätte ber ©elnftigung 511 
fein fdheint, an bie ©itflichfeit lebiglich in ihrer angenehmen §arm 
lofigfeit unb in ihrer (Erfreulidhfeit gemahnt »erben. 

(SS liegt mir fern, biefeS Verlangen beS ^ubltcumS nnb bie ©e-- 
redjtigung baju eingehender zu unterfuchen ober ben StanbpuUft, ben 
ber dichter bem gegenüber einjnnehmen hot, bet biefem Stnlaffe bejeid) 
nen ju »oßeu. 3cb höbe gelegentlich beS erfolgS oon „Stofenfranz unb 
©iilbenftdrn", ben man fo oft als einen unbegreiflichen bezeichnen hört, 
nur ben Vdrfud) gemalt, bie Unbegreiflichfeit 511 etfläten. geh finbe 
bie Sache, »ie gefagt, fehr begreiflich. 

£ier feljcn »ir bie Slrglofigfeit nnb £üj!igfeit in ihrer ooülommenen 
bramatifchen Ungetrübtheit. .^ner fehen »ir nuT braoe fieüte, bie feinem 
SNenfdjcn et»aS 511 Stibe thun, bie uns nicht peinlich berühren, gefd)»eige 
benn oerlepen ober häufen, ©ter fehen »ir lauter imfchülbige 3 nbiüü 
buen, über bie »ir ladjett fönnen, fo oiel wir »oßen: IHetfetibe, bie über 
bie „©ougieS" auf ber Rechnung ober über bie ©epjagb bei ber Xable 
b’hote fchintpfen unb eble Stäche üben, inbem fie bie imoerbrauchten 
Äerjen in bie Koffer 1 pdtfeu unb baS Xeffert in bie Xafdje fteden, um 
eS ttädj ber ÜRafjlaeit gemächlich ju beruhten. So etwas macht Spaß. 
(SS erinnert Uns an unfre' Sommerfahrten, an unjre f Begegnungen mit 
närrifchen Käuzen, unb beShälb lachen »ir, nnb deshalb »itb „5Hofen= 
franz nhb ©ülbenftern" breißigmal hrntereinattber bei immer gut he 
festem $aufe unb bor einem immer banfbaren' publicum gegeben. 

3>aS publicum ber beiben größten betttfchen Stäbte «ber an einem 
jeben Jhcäterabenbe, an bem „ßiofenhanz unb ©ülbenjitem" auf bem 
Bettel ftehen, in einer jum minbeffen nicht nnerlaubten v ©eife gut 
unterhalten, ift an uttb für fich f^on ein fo großes »erbienft, bafj ich 
$erm Michael Älapp nicht'noch »eitere Komplimente %i\ machen brauche. 
3<h ntu| aber bodh noch h^börheben, bafe bie Kjpofttion int erften Siete 
ganz öortrefffid^ ift, einfach, fchlidjt unb’oiel oerfprethenb, ba& im zweiten 
unb brüten Siete freilich ein anbrer , 1 weniger luftfpielartiger $on ange= 
fchlagen »irb, bie heitre Stimmung aber fich bis jum bTitten Stctftf)tuffe, 
bem fomifchen ^öhepunfte, »irffam fteigert, unb ba^ ber lepte Siet, in 
bem wieberum bie Saiten beS höheren fiuftfpielS gerührt »erben, wenig= 
ftenS nichts oerbirbt. 

^ie ^anblung ift fehr einfach, ein bissen altfränfifd), aber gerabe 
ben Krforbemiffen einer behaglichen Suftigfeit recht entfprechenb. $aS 
Stüd erinnert in fdiner ganzen ftühnmg enrigeTmafeen an bie Spie&= 
bürgerfomöbien beS erften ÄaifeneichS, an ^3icttrb, ®uoal ?c. ; Kin gürft 
fuept für feinen Sohn einen föeifebegteiter unb finbet ihn in ber <ßerfon 


eines S3aroitS oon Stofenfranz- $a ber junge Sürfieitfohn anonpm 
bleiben »iß, nimmt er ben tarnen ÖJülbenftern an. Kin befonbereS 
9ieifeglüd führt baS luftige tyaax faft nur mit ßeuten z^ommen, bie 
„Jpamlet" nicht gelefeu ( haben; benn oon ben zahlreichen §otelgäften, 
mit benen fie zujammentreffen, erfcheint bie honbgreifliche ^feubonhmüät 
nur ben »enigften üerbächtig. 30/ fie hoben baS ÖJlüd, einem ffllanne 
§u begegnen, bem fie bie ganzer Jpanblung oon Hamlet als eine erft Oor 
furzem paffirte ÖJefchichte erzäh^u fönnen. S)iefe (Erzählung ift übrigens 
fehr ergöplich unb ooßer ©ip. Schließlich h e ttatheu S3eibe, unb »enn 
auch Söaron Stofenfranz feine 9Äijfion als Krzieher beS (Grafen in ber 
hohen Sd)ule beS fiebenS nur fehr mangelhaft erfüßt, unb ber. junge 
öraf, ber burch bie Steife auf bie Kh e m ü etwer (Ebenbürtigen oorbe= 
reitet »erben foßte, eine Slrt oon SJteSaßiance ichließt, fo löft fich öo<h 
SlßeS in ©ohlgefaßen auf. 

SSon einem georbneten Berichte über bie gabel nehme ich Slbfianb; 
benn biefe hot jo auch in bem Stüde felbft nur eine ganz untergeorbnete 
93ebeutung. (ES fommt in biefem Suftfpiele nicht barauf an, »ekhe 
S<h»ierig!eüen Oorhanben finb, unb »ie biefe iiberwunben »erben; baS 
©efentliehe ift bie fibele (Srunbftimmung, über bie ich als bie &aupt= 
urfache beS KrfolgS fchon gefprod)en habe. 

Vorzüglich ift bie 3)arfteflung. Obgleich man nid)t eigentlich fagen 
fann, baß baS Stüd — mit SluSnahnie ber prächtigen (Epifobe beS jäch ; 
fijehen StittergutSbefi^erS QuftuS Schmählich — eigentlich banfbare unb 
ben Snbiüibualüäten ber ^ofburgfchaufpieler bcfonberS entfpreeßenbe 
Stoßen enthält, fo finb bie oon ben (Säften auSgefüßten Vottien hoch 
immerhin bejeutenb genug, 11 m unS zwnächft ein ©ilb oon bem oorzüg= 
licken (Enfemble beS VurgtheaterS zu geben, unb bann um bie überlegne 
ftomif Slbolf Sonnenthals, bie jugeubliche Srifd^e oon (Ernft ^artmann, 
bie reizenbe Statürlichfeü unb 3)tunterfeit ber grau «^artmann unb bie 
biScrete, aber barum um fo »irffamere ilomif beS (EpifobenfpielerS 
Xhimig, beffen fächfifcher ^articulier eine SJtufterleiftung ift, zu z e ' 9 e n- 
Von ber »irffamen Xarfteßung fiebrunS unb ber übrigen Xarfteßer beS 

©aßnertheaterS »urben bie ©äße oortrefflicß unterftüht. 

* 

* * 

Sluf ber gegenüberliegenben Seite ber ©aflnertheoterftraße fpielen 
im Stefibeuztheater anbre SJtitglieber beS ipofburgtheaterS: baS (Ehepaar 
s JOtitter»urzer unb bie Jperrett 4)aüenftcin unb Schreiner, benen fich 
gräulein ©ifela Straßmann, eine hübfdje unb begabte Äunftnoüize, am 
gcfcßloffen hot. Sluch biefe hoben in einigen älteren franzöfifchen (Ein- 
actern einen ooßlommneu (Erfolg erzielt unb oerbient. 

Unb ba »ir gerabe üom Siefibengtheater fpreeßen, hoben 
»ir auch bie Vflicßt, bem jcheibeitben Kh e b a ar (Emil (E l a a r unb 
3rau K l a a r = X) e l i a einen frcunblichen SlbfchiebSgruß nachzurufen. 
(Emil Klaar, ber befanntlich z llm Sutenbanten beS granffurter Stabt= 
theaterS gewählt worben ift, i)ot feine h^fifl^ Steßung bereits beßnitio 
aufgegeben unb ift nach granffurt überfiebelt, wohin ihm feine grau folgt. 

(Emil Klaar hot baS Stefibenztheater mit ©cfdßd, mü fünftlerifchem 
(Eifer unb (Erfolg geleitet. Xie deine Vühne hot fich uuter KlaarS 
Seitung trop ber erheblichen Schwierigfeiten, gegen bie fie anzufämpfen 
hatte, eine erfte Steßung erobert unb neben bem Schoufpielhoufe unb 
bem ©aßnertheater — oon ber oorzugSWeifc bie Operette pßegenben 
griebrich=©ilhelmßabt fann hier füglich nicht bie Siebe jein — bie Ve^ 
achtimg unb ©unft unfreS VublicumS erworben. 

Xiefe Schwierigfeiten waren boppelter Slrt. 3unächft bie unglüd= 
ließe ßage, unter ber auch baS ©aßner-£ebrun*Xh e oter zu leiben hot 
— bie beiben Vühnen, fo »ie auch baS Victoriatheater, liegen im üft= 
liehen Xheüe oon ©erlin, »ährenb baS fcaupteontingent ber ©arquet^ 
unb Sogenbefucher oon ©erlin W. gefteßt »irb — fobann unb houpt= 
fächüch: baS Siepertoire. 

Naturgemäß' übt 1 baS ^oftheater auf <aße beutfeßen Autoren- bie 
ftäTfße ÄnziehungSfraft aus. gür bie ©rioattheater ber ^auptftabt 
bleibt eigentlich nur baSjenige übrig, »aS aus biefem ober jenem ©nmbe 
Zur Vorfteßung im Scßaufpielhaufe fi<h nicht eignet. UeberbieS beßpt 
für bie $offe, baS übermüthige JÖuftfpiel, baS VolfSftüd ic. baS 
©aßnertheater ein unangefochtenes Monopol; ß’Slrronge, ÜÄofer unb 
Nofen finb fogar burch fefte Kontracte an baS Sebrun’iche Xh^oter ge^ 
feßelt. Unter biefen Verhältniffen »ar baS Nefibenztheater, auf baS oon 
ber ohnehin fchon fpärlichen heimifchen ^ßrobuction bemnach nur fehr wenig 
fam, «ui*ben auSlänbifchen, namentlich franzöfifchen guiport gerabezu an- 
gewiefen. Nur Uebelwoßen unb Xßorheit fönnen baher gegen ben f^eis 

e 




Nr. 31. 


Die (Segen maxi 


79 


benbeit Tirector ben Bortouvf erpeben, baß er bie graitaofen bc jonberS 
beöorjugt pabe. ®t war einfach baju genötigt, auf ber Bapn, bie 
fepon fein Vorgänger mit „gernanbe" eingefcplagen patte, üoranaufcpreiten, 
ba ipm bie übrigen ©ege üerrammelt mären. 

©enn ttlaar eines beutfcpen btamatifcpen ©erteS pabpaft merben 
fomtte, fo pat er fiep betreibe niemals entgegen taffen. TaS befunben 
fepon bie tarnen Hbolf ©ilbranbt unb griebriep Spieltagen. Bon bent 
(irreren brachte baS Weßbenatpeater bie feiner Specialität burcpauS fern- 
(iegenbe Tragöbie „Hrria unb Wieffalina" unb erjielte gleicpmopl bamit 
einen glänjenben ©rfolg. Wacpbem grau ©parlotte Dotter baS biepterifepe 
©erl Hbolf ©itbfanbtS in iprer ^großartigen Öeißung als Wteffalina bei 
uns eingefüprt ^atte 7 übernahm grau ©laar=Telia biefe Woße, unb and) 
fie errang bamit einen matten Triumpp. Hn metr als puubert Hbenben 
tat bie Wömertragöbie auf ber Büpne beS WefibcnatpeaterS gegeben 
»erben löitnen. Hucp bie lepten Sctaufpiele ©ilbranbts, „Natalie" unb 
„Huf ben Brettern", finb pier mit grau BaubiuS = ©ilbranbt in ben 
Hcraptrotten aufgefütrt morben. Spieltagen» „Suftiger Watp", bem 
man in ©ien §. B. menig freunblict entgegengefommen ift, tot fict pier 
bie bolle ©unft beS BublicumS ju ermerben gemußt. ©ine anbre Körner 
tragöbie, „Wero" ton SWartin ©reif, ift mit Robert in ber Titelrolle 
am Wefibenatpeater gegeben morben. T 6 c$iS „&uß" — mir fönnen bieS 
poetifete ßuftfpiel mopl auct ben beutfcpen Ticptungcn auaäplen ~ 
mürbe ton ber Bütne beS WationaltpeaterS auf bie beS WefibenatpeaterS 
mit großem Erfolge perübergenontmen. Wttt bem s $reiSftüde ber grau 
£enle, „Turcp bie gntenbana", unb üerfcpiebeneit anberert Arbeiten ton 
Hnfäitgern mürbe ber Berfudt ber Huffüprung gemagt. 9Wan fiett alfo, 
baß ©laar fict JeineSmegS ber peimatlicpen B^obuctton gegenüber unju 
gängltcp unb fpröbe tertalten tot, unb baß er aus ber Wotp eine Tugenb 
maette, menn et bie Huffüprung ber franaöfifepen Stüde mit befonberer 
Sorgfalt pflegte. 

TuntaS, Sarbou unb Rugier finb atterbingS bie fefteften Stüpen 
feines WepertoireS gemefen. „Tie grembe", „Tora", „Tie Bürger ton 
l&onUHtcp", „Tie arme £ömin", „Tie göurcpambault" beaeiepnen bie 
glänjenbften Hbenbe beS WefibenatpeaterS unter ©laar. Taju Jommen 
noct ton anberu franaöfifepen Autoren: „greuub &rifc", „gromont junior 
unb WiSler feitior", „Ter WtarquiS ton Btßemer", „TaS gräulein ton 
Bclle=3Sle" y „TaS §otel ©obelot" :c. Hße biefe Bluff Übungen, bie 
eine außer ft gemiffenpafte unb forgfame Borbereitung auf ben Btoben 
gefunben totten, maren burep muftergiiltigeS 3 u fammenfpiel unb ge^ 
fetmadtofle gnfeenirung auSgeaeicpnet. Qu beit ftaubigen Wtitgliebern 
ber Bütne, unter benen tor allen grau ©laar= Telia, bie leiber ter- 
ftorbene Wlatpilbe Wamrn unb Herr ^eppler mit größter HuSaeicpnung 
ju nennen finb, Jamen noep intereffante ©äfte; außer ben fepon ge- 
nannten, grau ©olter, grau $3aubiuS = ©ilbranbt unb §errn Robert: 
bie Herren Sonnenttal, fieminStp, $aafe, görfter, £obe, bie Tarnen 
bemann, ©eiftinger, ©effelp, Bus Ja k. — grau Wientann unb griebrict 
Haafe tereinigten fict au einem längeren ©efammtgaftjpicl unb für bie 
Ueberfctmemmten ton Saegebin fonb ein ©ejammtgaftfpiel ber Hamburger 
Batnap, griebmann unb Hrnau mit grau WiemditmWabe ftatt — fo baß 
faß unauSgefept auf bem Settel beS WefibenatpeaterS irgenb ein beliebter 
ober berütmter Warne in großen fettem a« lefen mar. 

TaS ift beS ©aftfpielenS tiel, tielleictt etmaS au biel; aber jeben-' 
falls pat fict ^oS Boblicum niett bariiber 511 beflogen gepabt. TaS 
mamrictfaltige, biSmeilen etmaS gepfefferte Wepertoire, bie bebeutenben 
(Släße, baS tortrefflicpe S^fommettfpiel ber ferntruppen, bie gefepmad^ 
tolle 3nfcenirung, baS bepaglicte §auS — alles baS bereinigte fiep, um 
baS Wefibenatpeater a u einem ber befuepteften unb beliebteren Ber= 
cinigungSpunJte ber Berliner Tpeaterbcfucper au maepen. Tie erften 9luf 
füprungen im Wefibenatpeater maren fogenannte „dreigniffe" in ber 
Berliner Saifon. TaS Tpeater patte einen gemiffen tornepmen 9ln 
ßriep, unb bie jd)mappafte (EproniJ pat unter dlaar auep ni^t einen 
einigen* tTöufiffenftanbal an teraeidjnen gepabt. TaS Bnblicum merTte 
eS ber Äomöbie gettiffermaßen an, baß unter ben Scpaufpielern ein 
freunbfcpaftlicp collegialifcper unb guter Ton perrfepte. 

TaS ift fepr mefentlicp bem entgegenfommenben, flatifd^ntilben 
©efen beS Jlugen TirectorS auaufepreiben, ber, abgefepen ton ber ab 
joluten öfonomifepen Drbnung, auep ein niept unbebeutenbeS biplomati^ 
ftpeS Talent befipt, fid> niemals ereifert, mit fanftem 53äcpeln unb meieper 
Stimme jebe Tifferena auSgleicpt, jebe Unebenpeit aplanirt, niemals 
burep ein fcproffeS „Wein" terlept, fonbern ftetS gefepmeibig eine äumar= 


l 


t 

! 


tenbe Haltung einnimmt unb burep ein terpeißungStolles: „5öir rooüen 
einmal fepen, eS mirb fiep fepon maepen laffen", momentanen 9tusbrücpen 
ber Öeibenfcpaft torbeugt, um fcpließlicp bod) 311 tpun, maS er für bae 
Wicptige pält. 

Töir fepen baper @mil (Slaar, ben mir al-ö einen grunbgefepeibten, 
gefepidten, fleißigen Tircctor nnb tücptigen Wegiffeur fepäßen gelernt 
paben, uitb beffen ©attin, grau Termine (£laar=Tclia, bie mit unermüb 
lieper Straft, mit märmfter Eingabe an bie Sad)e, mit großem Jtiitftleri 
fepem Talente faß alle meiblicpen Hauptrollen gejpiclt unb fid) bie ©tutft 
unjreS BublicumS unb nnfrer ftritif in fettenem v JJtaße 311 ermerben ge 
mußt pat, mit Bebauern ton unS fepeiben. 

Tem gnteubanten beS granffurter StabttpeaterS mirb allerbiitgS 
eilte anbere, meit größere unb fdjmierigere Aufgabe geftellt merben, al* 
fie bem Tirector beS Berliner WefibenatpeaterS befepieben mar; aber mir 
gmeifeln niept, baß er fiep auep biefer gemaepfen acigen mirb, menn ipm 
bie Wtöglicpfeit a^ einer felbftftänbigeti ©utfaltnng feiner Kräfte gemäprt 
mirb. Paul £inbau. 


Offene Briefe unb Jlntworten. 

Ju ©oetpeo ©ebidjt: „So i|l ber %lb, ber mir gefällt/* 

Bgl. „©egenmart" Wr. 2 C. 

0pne bie biSper termißten näperen Beaieputtgcn beS fepöneu unb 
gemiß niept opne ©rroeiS als uitpoetifcp au beaeiepnenbeu ©ebicpieS (au 
bem bie beiben Scplußftroppen notpmenbig ton torn perciu gepört pabeit 
müffeu) aufgefunben au pabeit, palte icp cS boep für geboten, gegen bie 
Sluffaffuttg beS Herrn Ä. T. Brüd ©infpruep a» erpeben. Tie ©on= 
jectur, melcpe baS ©ebiept bem 17. Soprp. aumeifen möcpte, muß tor 
ben ©orten: „Huf ben üippen träufeln Wiorgenbüfte, Huf ben Rippen 
fäufeln Jüple Süfte" fofort in nicptS verfallen. So etmaS tonnte tor 
SWacpperfonS 0 ff tan ni^t mopl gefagt merben. ©S ift ber Stil beS 
popen ßiebeS SalomonS, baS ©octpe felbft in ber tormeimarijdjcn B^ : 
riobe fiep, tieKeicpt mit Hülfe HerberS, auffeprieb (f. iioeper, Briefe 
©. an Soppie Sarocpe). 

©benfo in ber üuft au ftepen fdjeint mir bie aubere Bcrntutpung, 
melcpe baS £ieb einer Ticpterin a u fcpreiben miß. ©S ift ja namlid) 
ton einem fpecißfcp jungfräulicpen „©rbangen ber jüßen Siebe" gar niept 
bie Webe, fonbern „bie füße 3iebe", ber eS beim Bernepmen ber 
glöte beS ©eliebten im ©albe „au bang" mirb, ift jo tiel mie: „baS 
füße Siebepen". So Jonnte aber unmöglicp ein „meiblicper Ticpter" 
fiep felbft beaeidjuen unb im 17. Saprp. erft reept niept. Hn „Süße 
Siebe beult in Tönen" barf man babei niept beuten. Tie Herausgeber 
ber He nt pel’fepen HuSgabe tpaten übrigens auep baran reept, baß fie 
an ber £eSart „©bter Teutfcpen güßc fd)teiten mit" niept rüttelten. 
Hucp pier Jommt eS nur auf baS richtige Berftäubniß au, ber Ticpter 
jagt, mit folcpen feften Tritten fepreiten bie güße ebler Teutfcper (im 
©egenfape au liebegirrenben Scpäfern ü la ©ielaub). Huf baS ©ort 
mit ift alfo nur ber BcrSaccent, niept auep ein rpetorifeper Hccent a» 
legen (=* bamit, mit folcpen). Tie fpätere SeSart „gleiten nit" fept 
Wtißterftänbniß torauS, baSfelbe, baS Brüd torfüprte, ba er baS eepte 
als „burcpauS unterftänblicp" beaeiepnet. Ta Brüd auep bie 3eile: 
„Soll mein beutfcpeS H^a tteiep pten" mit terfiept, fo benterfe icp 
noep aum Ueberfluffe, baß „meiep ßöten" == „burep glöten erroeiepen" 
bebeuten muß. WJetrifcp märe bie 3 eile eper a« beanftauben; mie fie 
jept baftept, müffen 3 Hebungen opne SeitJung aufeinanber folgen: 
„SöÜ mein beutfcpeS H^ra meiep ßoten." Bießeiept jeboep fmnb 
baS Wieptigere in ber Hbfcprift, bie ©oetpe an 3 e l ter P atte 

( 3 . Tee. 1816), nur fepeint ©oetpe fiep terjeprieben au pabeit, eS bürfte 
niept peißen, unb fo fanb eS 8 e U c r felbft auftößig: „Uitb fo fofl, m. b. 
H. m. fl.", fonbern: „Unb er j 6 ß m. b\ H. fl-"*)- 

Wom, 3uli 1879. Xantpippus. 

*).„fo" eutftanb für „er", meü bem Ticpter fepon baS folgenbe 
©ort „foll" oorfeproebte. ©er pat fiep nidjt fepon äpnliep üerfeprieben/ 


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80 


9it ötgettntari. 


Nr. 31. 


9 » f < * <» t *• 

jit Mt gtift- b. gritfaifan. 

Verlag oon $erraar CoßettoMe in 3ena. 
^fnterfefb, jt. o., Unheimliche @cf4id)ten. 

3n beut jeher Bearbeitung nach St. & ©b- 
»arbß unb ft gar Stltan jßoe. 1. u. 
2. ©bdj. 3n ^öc^ft ge jehmaef ooüen oon 3 e b o r 
3rlinjer gezeichneten ©untbrucMlmfchlägen. 
Ükeiß .pro Bänbdjeu l ^ 

Sünterfcft, #. o., »tue ©arnifougefchiihtcn. 
Solbateutjumor. I. bis IX. Bbd). 3n eleg. 
humorift. fiebenfarb. ©untbr.=Umfchl. brod). 
Breis pro Bb$. 1 JC 

1. Bbd).: Äcftroi(l n. Äeferoi(ttn.—Her Premier- 
iientenant oon Drtmkcnberg. 

2. Bbdj.: DU flöte Iw Graf« SchmnUnimrg. 

3. Bbc^-: DU bidu trompete. — Jtei« Detter 
ans Stettin. 

4. Bbd).: ©reellen; ©fit betragen. 

6. Bbc^.: €in gebeimntlfooUer ©renabier. 

6. Bbdb-: Der alte Äa|or fnollen. — (Ein ein¬ 
gebildeter Lieutenant. — 3n Defekt, Ijm 
Lieutenant. 

7. Bbd}.: IPte mein frenab Dnmbart fein ©ramen 
machte. — Die preupifeben färben. — (Ein 
rafenber Doland, 

8. Bbcb-: Wettrennen. — Der oermecbfelte ©raf. 
— Der doppelte Äegtmentoeommandenr. 

9. Bbc^.: Der gro^e Welpe nnb die kleine ©raune. 
— 3©ei pcrrnAcn. — Der Jtarfd) gegen 
den feind. 

3ebeß Bänbdjen ift für fich abgefchlojfen 
unb einzeln fäuflich. 

3Sett|*r, pa*, $umor nnb Um# auß bem 
Solbenlebem l.u.2.©bcb. 3neleg.3arben= 
brucMlmfchl. geh* $teiß i^beß ©änbäenß l JC 
5>iuterfefb, JLo., $erflifle®iu!el. ftomifcher 
Vornan. 3 Bbe. SBohlf. Stußg. 6 JC. 


äfiiiiNiuiiiiiiiiiitauiniiiHiiiiNiuuiiiiiuiiiiiiiis 


Neu! 


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s Eine Literaturgeschichte der drei 2 
E nordischen Reiche (Island mit inhe- 2 
SS griffen) hat his Jetzt gefehlt. 2 
g Bei dem regen Interesse, dessen sich 2 
lg die skandinavische Literatur gegen- 2 
E w&rtig erfreut, verdient das vor- 2 

E liegende Werk die Beachtung eines 2 

Ejeden Gebildeten. Dasselbe ver-2 
E dankt seine Entstehung den dringen- 2 
E den Mahnungen der drei Germanisten 2 
EZarncke, Möbius und Maurers 
San den Verfasser. 2 

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Sans Familie 


Dieser Roman hat von 
der Academie iranpaise de n 
Ehrenpreis erhalten. 

Vorräthig bei 

F. Schneider & Co., Königl. Hofbuchhdlg. in Berlin W., 21 Unter den Linden. 


par 

Victor Halot. 

2 vols. JC 6. 


B/EDEKEB’S REISEHANDBÜCHER. 

Belgien und Holland. 14. Aufl. 1878. 5 JC — Mittel- und Norddentschland. 

18. Aufl. 1878. 6 JC — Berlin, Potsdam und Umgebungen. 1878. 1 JC 50 A — 

Süddentschland and Oesterreich. 18. Aufl. 1879. 7 JC — Oesterreich, Ungarn and 
Siebenbürgen. 17. Anfl. 1878. 5 JC — Sfidbaiem und die üsterr. Alpenländer: Tirol, 
Salzburg etc. 18. Aufl. 1878. 6 JC — Oberitalien. 9. Aufl. 1879. 6 JC — Mittel-Italien. 
». Anfl. 1877. 6 JC — Unter-Italien. 5. Anfl. 1876. 6 JC — London. 6. Anfl. 1878. 6 JC — 
Paris und Umgebungen. 9. Aufl. 1878. 6 JC — Rheinlande. 19. Aufl. 1876. 5 JC (Neue 
Auflage Anfang August.) — Schweiz. 18. Aufl. 1879. 7 JC — Unter-Aegypten. 1877. 

16 JC — Palästina und Syrien. 1875. 15 JC — Schweden und Norwegen. 1879. 8 JC 

Durch, alle Buchhandlungen .zu beziehen. 


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Soeben erfdjien in unferm Verlage unb ift burd; alle 5öud)t)anblungen $u begießen: 

gtdjaufpieCe. 

Sott 

Groß »etjjmifö, \ 

2)octor bet 8ted)te unb ber 'Jtyilofopbie. 

$reiß: Elegant geheftet 3 JC 

Snfyalt: 2)ie SReidjßtagßtoabl. — SRulniba. — $abft £eo XIII. — ^ett^a (Oper). 

3$or einigen Monaten erjd^ienen ferner bei unß 001 t bemjelben ^erfaffer: 

§ei(terkran^ 

©ebid^te an berühmte 3)cutf<^c ber ^eit 

s $reiß: Elegant geheftet 1 JC\ elegant gebunben mit ©olbf^nitt 2 JC 

„@rnft Stet^mijc^’ß „©eifterfranj", ©ebic^te an berühmte 3)eutfc^e ber 3dt, »erben oon 
bem 2lutpr mit bem SBunfdje oeröffentlid^t, peffimiftifc^e ©emütber baran ju erinnern, baß 
unfere 3dt nic^t nur bie 3dt ber Attentate ift. ©ebid^te an ©oetlje beginnen unb befcbliejen 
ben Ätanj, »eil ber Olpmpier ^eute nod; me^r ju leben nnb jn »irlen fc^eint, alß ^u 
jeinen £eb$eiten. Söenn ber 2>id/ter bem grojjen Olpmpier ben SBei^rauc^ ber ^ere^rung 
o^ne afleß Sparen anjünbet, jo oerfätirt er ben oon itjm befungenen Äinbern unjerer 3dt 
gegenüber jurücf^altenber, nur in »enigen 3kÜen fü^It er fid^ jum nnbejd^ränften Sobliebe 
gehoben. 3)ennoc^ jagt er ben oon tfym ©efungenen auß »armem $erjen unb oofler 
Ueberjeugung jo oiel ©nteß nad), ba| man bie auß oielfeitiger ÄenntniJ unb jc^arfer 
Beobachtung hetoorgehenben 5lbjüge nicht nnftatthaft nnb unmotibirt finbet." 

(Hamburger Nachrichten 1879. Nr. 110.) 

Semer: 

^ngenbfieber. 

$reiß: ©legant geheftet 4 JC, elegant gebunben mit ©olbjehnitt 5 JC 

„$iejelben betunben neben einer ungewöhnlichen gormooflenbung unb einem fü^en 
^Öohttaut ber Spraye eine jeltene ©ebanfentiefe. a)er ©iepter bezeugt überall ein enthu= 
fiaftijeheß Natnr^ unb ^unjtgefühl. Sluch feine Sebenß= unb üiebeßiieber oerbienen nicht 
nur auf bem Salontijch ju prangen, jonbern »irflich gelejen ju »erben." 

(Schlejifche treffe 1879. Nr. 475.) 


Sremen. 


3* jUtytaftHfl’* ®udh^btg. 


Neuer Serlag oon BYeittii|if & Mörtel in 8ei^}ig. 

fettig uni) feint Kninerfitiit not ^nnkrt Sollten. 

Sluß ben gleichzeitigen Slufjeic^nungen eineß Seipjiger ©tubenten. 

5ffit ®iteC0tC6, ^Cart oon &eip%x& un6 gkaxte bev 
gr. 8. 33roch. JC 3. ©leg. geb. JC 4. 

Tiersch, Otto, Kurzes praktisches Lehrbuch für Contrapunkt und Nach¬ 
ahmung oder vollständiger Lehrgang für den polyphonen Vooal- und 
Instrumentalsata (streng und frei) in 40 Uebungen. JC 4. 50 n. 


IlMdÜii Werft« N.W n Rrönprtnääiwfw 4, 


fspfkttt«», JUfttm W., fturfürftenjtrake 7S. 


gftr bie ftebactum becanttooctlid): ^eorg J»fi££e in ^erfin. 

**■<* »•» »• »«•»<! tu irt?|t|. 

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Stettin, bot 9. jtitgnfi 1879. 


Band XVI. 


X 32 . 


pic (! 3 c 0 cmtmrt 

äßo^enf^rift für fiiteratur, Äunft unb öffentliches geben. 


$erau8ge6er: $£<wX cSittböU in ©erlin. 


letal ufötüd tiu lutatt, 

Jf»' H«»ifben buttfi alle SBucbtianblunoen unb 'Bo iia-.ut alten. 


»erleget: 0eorg Stilte in Berlin. 


fnis pi fuüai 4 |tot 50 ff. 

Hnfcratc icbcr 2lrt dto Sgci&artcne ©etitseilf 40 


$er interoceanifche ©anal. Bon @torg Äollm. I. — fiiteratur unb ftnaft: Da« SBIutgericbt in Soeft. ®ine recfjtg= nnb cultur* 
Stlßrtff • 8*fdjidjtlid)e ©tijje au« 993eftfaten. Bon Sari »raun = Söieäbaben. - Sommerli^e »riefe. Bon ©aul Sinbau. — ©arab 
®’ v . Sernbatbt. Bon 3ot)n ©autfen. — Die @rjiet|M»0 ber menfcblidjen Sinne, inSbefonbere beS SarbenfinnS. Bon ©. Walifcber. — 
»tbltograpbie. — Snferate. 


Der intcrocennif^c Canal. 

93oit (ßeorg Kollm. 

I. 

©rofje Arbeiten tennjeichnen unfer Beitalter ber Snbuftrie 
unb beS SBetthonbelS; ber nimmer rufyenbe UnternehmungSgeift j 
beS SRenfdjen fuc^t ihnen ftetS neue SBege p bahnen, neue ©e* 
biete p erfchliefjen. Drofj atter burd) bie Sonberintereffen ber , 
Sölfer fteborgerufenen Stiege, trofe atter boltswirthfchaftlidien ' 
ürifen gelangt bie* SBeltwirthfdjaft immer intenfiber pm AuS* i 
baut, nehmen bie ©erfehrSeinrichtungen mehr unb mehr einen [ 
internationalen, foSmopotitifchen ©harafter an. SBer oor wenigen j 
3a^rje^nten oorauSgefagt ^ätte, baß Aßen unb Afrita burd) i 
einen Sana! getrennt werben unb bie Schiffe auS bem mittel* j 
länbißhen 3Reer birect burd) baS rotlje SReer ihren SBeg nach | 
Dftafrtta, Snbien unb Dftaßen nehmen mürben, baß ber Schienen* , 
ftrang bie Sette ber Stilen in ©uropa. unb ber ©orbitteren in ' 
Anterifa burd)bred)en würbe, ber würbe ftdjerlich als Utopift ge* 
gölten ü<tben. Unb bo<h liegen nidjt minber großartige ©läne 
oor, welche einer lünftigen Serwirtlidjung entgegenfeljen; fo ber 
lunnel unter bem englifdjen ©anal, bie große tranSafiatifcfje 
©ifenbahn, bie theilmeife ©ewäfferung ber Samara, bie ©ifen* 
ba^nberbinbung bon Algerien bHtcp bie Samara nach Dimbuftu 
unb ben franjößfdjen S9efi|ungen an ber SBeftfüfte AfrifaS — j 
oor Allem jebocf) bie $erftellung einer SdjifffahrtSoerbinbung | 
}»if«Üen bem atlantifdjen unb bem ftillen Dcean in SRittel* 
amerifa, eines interoceanifdjen ©anals, ber gleichfam bie 
nodj feplenbe ©rgänjung beS Suejcanals fein unb ber Schifffahrt 
einen SBeg innerhalb ber SBenbefteife um ben größten %fyeii ber ; 
©tbe öffnen würbe. I 

Die Söfung biefeS Problems, oon eminenter SBebeutung für | 
ben SBettberfeljr, h®i bie HRänner ber SBiffenfdjaft unb bie größten 
ledinifer bereits in ben lefcten Decennien in hohem ©rabe be* 
jchäftigt unb War jum erften 3Rale auf bem internationalen 
©ongref) ber geographifchen ©efeßfchaften p fßariS im Qahre 
1875 ©egenftanb eingehenber ©röterungen, bie einerfeitS baS 
allgemeine Sntereffe bet geographifchen Autoritäten aller Staaten 
für biefe Srage befunbeten, anbererfeits aber auch bie fftotf)* 
roenbigteü ergaben, bie bereits burch berf^iebene ©jpebitionen 
ausgeführten S3orunterfuchungen p berooßftänbigen. 

Um einen befinitiben ©ef^lu| über bie am meiften jWect* 
entfprechenbe Stiftung beS ptiinftigen interoceanifchen ©anals 
oorjubereiten, bitbete fleh unter bem ©orfifc beS berühmten 
Schöpfers beS SuejcanalS, gerbinanb be SeffepS, eine ©ommiffion 
auS SRitgliebem ber fßarifer geographifchen unb hanbelSgeographi= 


fchen ©efeflfehaft. $utch bie Arbeiten berfetben, fowie burch bie 
©jpebition ber ©ereinigten*Staaten*9tegierung unter bem ©om* 
manbanten Xh- 0 - ©elfribge unb bie beiben franjöfifchen @j= 
pebitionen unter bem SinienfcfjiffSlieutenant Sucien SBpfe in ben 
fahren 1876—78 murban bie Stubien über eine interoceanifche 
©anatoerbinbung berartig geförbert, baß im SRai b. 3- einem 
in fßariS unter bem ©orfi| 3. be SeffepS tagenben internatio* 
nalen ©ongrefj ber geographifchen ©efellfchaften bie oerfchiebenen 
fßrojecte pr ©eurtheitung unb ©efchlußfaffung borgetegt Werben 
tonnten. 

Sn Anbetracht ber großen SBichtigfeit ber angeregten 3rage 
erf^eint eS angebracht, benot auf bie burch ben internationalen 
©ongrefj gefaxten ©efchlüffe eingegangen wirb, in großen 3 ügen 
einmal auf ben ©influfj, welchen eine interoceanifche ©analoer* 
binbung auf fpanbet, Snbuftrie, ©olitit unb SBiffenfchaft aus* 
üben würbe, hinjuweifen, fobann bie geographifchen ©erhältniffe 
ber bei Söfung biefer Stage pr Sprache fommenben ©ebiete p 
berühren, ferner bie Sdjwierigteiten, welche ber Ausführung eines 
foldjen ©anals im SBege fteljen, p befpredjen, unb fchlieülich bie 
berfchiebenen ©rojecte jur Söfung biefeS ©roblemS p beleuchten. 

$ie ©ortheile, welche ber #anbei atter SRationen aus einer 
fotdjen ©analoerbinbung jiehen würbe, fpringen am meiften in 
bie Augen. Ser ameritanifche ©ontinent liegt wie eine Scheibe* 
mauer jmifchen ben beiben größten Dceanen ber SBelt, bem 
atlantifchen unb bem ftiflen Dcean. Sn Sotge beffen fteht ber 
ganje SBeften ber neuen SBelt mit bem eigenen Dften, fowie mit 
©uropa nur auf bem feljr langen unb gefährlichen Seewege um 
baS ®ap $orn, refp. burch bie 3RagethaenSftra|e in ©erbinbung. 
Um bon i>aöre, bon Siberpoot ober bon 9tew*?)orf nach ® an 
SranciSco in Gatifornien p gelangen, ift eine Seereife faft um 
ben ganjen amerifanifchen ©ontinent herum in einer Sänge oon 
13,600 Seemeilen erforbertidj, wobei namentlich ©egetfdjiffe nicht 
nur ben ftarten Strömungen unb heftigen Sübweftftürmen beS 
©ap §ora auSgefefjyt finb, fonbern auch bur^ baS ©affiren ber 
©atmen meiftenS bebeutenbe Seitoerlufte p erleiben hoben. ©)er 
umgefehrte SBeg bient allen benfenigen Schiffen, welche 5 . ©■ oon 
©cuabor, ©etu, ©olibia, ©hile u. f. W. nach europäifchen $äfen 
beftimmt finb. SBitt man fich ferner bon ©ofton ober 5Rew=?)ort 
nach $awai, Schein, ©hina ober Auftratien begeben, fo ift eben* 
falls eine ähnliche iour einpfdjlagen, wenn man eS nicht bor* 
äieht, feinen SBeg burch ben Suejcanat p nehmen. ®S ift ftetS 
ber Heine, felfige Streifen ßanbeS pnfdjen ©orb* unb Süb* 
amerita, welker ben türjeften unb ficherften SBeg oerfperrt; biefe 
fchmate Sanbenge labet gleichfam bap ein, eine nähere ©erbin* 
bung jwifchen ben beiben SBeltmeeren herpftetten. ©in foldjer 
interoceanifher ©anal mürbe, abgefehen oon ber größeren Sicher* 
heit beS SchiffSberlehrS, ben SBeg minbeftenS um ein Drittel, 


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82 


Sir <5cgcnwari. 


Nr. 32. 


wenn niegt um bie Hälfte unb megr, feiner jegigen Sänge Der« 
fürjen. ©o gewinnt man auf bem SBege burcg ben Kanal naeg 
©an granciSco non Sftero^orf bie fegr beträcgtlicge Sänge t>on 
8000, oon ßioerpoot 6000 Seemeilen, roaö in einen entfprecgen= 
ben 3eitgetoinn umsufegen ift. ßeitgetoinn bebeutet im $anbel 
©elbgeroinn, melier, toenn aueg noeg ntc^t burcg genaue 3aglen 
nacgmeiSbar, ficg {ebenfalls fogar ab}üglieg bet tßaffagefoften 
burcg ben Kanal burcg Krfparniffe an ©cgiffSfraegt, SerfiegernngS= 
untoften, burcg fcgnederen Kapitalumfag, größeren 3inSertrag 
unb fcgnedere Stmortifation bet Kapitalien äugern wirb. 

Xiefe neue SBeltftrage mürbe ferner bem $anbet neue 
idbfaggebiete öffnen, ber tluStaufcg ber fßrobucte ber oerfegie* 
benften 3nbuftriejweige gegen Ütogftoffe mürbe eine niegt uns 
beträchtliche Sergrögerung erfahren. 3egt bleiben in golge ber 
Sänge unb ber gogen greife beS XranfitS bie SBälber non 
SritifegsKolumbien unb Oregon mit igren oorjüglicgen Sau= 
götjem unauSgebeutet; bie Cerealien unb anbere Ktjeugniffe 
bes SanbbaueS beS reicggefegneten Kaliforniens, beffen WuSfugr 
in ben le|ten Sauren trog ber ermähnten unoortgeiigaften Sers 
tegröoergältniffe einen augerorbeittlicg großen Buffcgmung ge= 
nommen gat, gelangen fegt nur ju recht gogen Steifen gu unö; 
ber für bie Sanbmirtgfcgaft unentbegrliege ©uano ißeruS nnb 
Kgileö, fomie ber dtatronfalpeter SoüoiaS erforbern bebeutenb 
größeren Koftenaufroanb für ben XranSport, als für bie ©es 
minnung an Ort unb ©teile, ffreilicg ift ber 3ftgmu8 non 
Sanama feit 24 hagren non ber Kijenbagn Kolon (SlSpinroad); 
Sanama burcgfcgnitten, Kalifornien mit 9teros?)orl unb ben 
mi(gtigften $äfen - am atlantifcgen Ocean burcg ©cgienenmege 
nerbunben, aber biefe SerfegrSmittet erforbern, abgefegen oon 
ben fegr gogen gracgtfägen, Umlabungen ber SBaaren, melege für 
biefe nur nacgtgeilig finb, urtb gaben fieg noQftänbig ungeeignet 
für ben XranSport maffengaften unb jpermgen ©uteS bemiefen. 

Xie Staaten StittelamerifaS, bie Stepublilen ©uatemala, 
©an ©alnabor, ftonburaS, Sicaragua, Koftarica, beren natürs 
liege $ütf8queden bis fegt menig erfcgloffen ftnb unb melege 
bemgufolge nur eine geringfügige SluSfugr ju oerjeiegnen gaben, 
mürben burcg bie $erftedung eines interoceanifegen Kanals ju 
neuem Seben ermaegen unb einer noQftänbigen Umgeftaltung 
entgegenfegen, fie mürben fegr balb, mie bie Seteinigten Staaten 
SorbamerilaS, bei ber großen Örucgtbarfeit bes SobenS unb 
bem bureg bie ©unft ber flimatifcgen Sergättniffe überaus be= 
günftigten Sanbbau bie Sieferung miegtiger dtogftoffe für ben 
europäifegen Startt übernegmen unb bafür in megr unb megr 
fteigenbem Stage bie 3nbuftrieergeugniffe KuropaS forbern. 
Stittelamerita liefert ben beften 3nbigo ber gangen Krbe (nors 
jugSroeife in ©an ©alnabor), Kocgenide (eingig in ©uatemala), 
Kaffee (übermiegenb in Koftarica), Kafao oon oorjüglicgfter Se= 
fegaffengeit längs ber ganjen SSeftlüfte, Xabaf, meleger bems 
fenigen non Kuba niegt naegftegt, ferner 3nder, Saummolle, 
SeiS, StaiS, Kautjcgul unb taufenb anbere Segetabilien. Xie 
Urmälber bieten bie toftbaren 5ärbe= unb Kbengöljer, ber Sergs 
bau, meleger fegt megen beS Stängels an Kapitalien unb 3ns 
tedigeng tief barnieberliegt, mürbe eine reiche ÄuSbeute an Kifen, 
Kupfer, Slei, ©olb unb ©ilber, Kbelfleinen, ©egmefel u. f. m. 
gemägren. 

Stegnticger 9tugen mürbe bureg biefe Kanaloerbinbung ben 
übrigen ffceiftaaten ber ameritanifegen SEBeftlüfte: Stejico, ben 
Sereinigten ©taaten non Kolumbia, Kcuabor, Seru, Sotinia, 
Kgile ermaegfen. Segtere mürben auf birectem Siege, auger bem 
bereits erroägnten ©uano unb ben Sitraten, Kalao, SBode, neges 
tabilifegeS Klfenbein (KoroffoSnüffe), Saummode, Mlpacomode, 
3ucfer, Kautfcguf, negetabilifege Kfjengen, Stetade, ©übfrüegteu.f.m. 
auf ben SBeltmarlt fenben fönnen. Xen grögten Sugen non 
bem interoceanifegen Kanal merben ogne 3weifel bie Storbames 
ritaner siegen, roeögalb fie aueg non feger baS grögte 3nter= 
effe für fein 3uftanbetommen gezeigt gaben. 2Bie bie Knglänber 
beim ©uejcanal, fo merben bie Sorbamerifaner burcg ben ignen 
eigentgümlicgen UnternegmungSgeift non Oomgerein in ber ©tas 
tiftif beS neuen Kanals eine ade Nationen überragenbe ©tede 
bejüglieg 3“gl unb Xonuengegalt igrer ©egiffe eitonegmen. 


Xoeg liegt gierin ficgerlieg feine Seunnigigung ober Ses 
brogung ber europäifegen Öntereffen. XaS ©ebiet bes $anbets 
ift international; auf bem neuen Koncurrenjfelbe beS SBeltgans 
belS merben fteg ade Stationen je uaeg igrem UnternegmungSs 
geift unb igter SeiftungSfägigfeit betgeiligen fönnen, entfpreegenb 
I igrem Kinfag m^rb aud) ber ©eminn fein, ben fie banon tragen 
I merben. 

9Bie bie Kröffnung beS ©uejcanalS ber Xampficgifffagrt 
einen faum geagnten tluffegroung nerliegen gat unb babureg bie 
3nbuftrie jur Sernodfommnung ber Stafcginen ber Xampfs 
fegiffe trieb, um mit dtücffiegt auf bie ftarfe Koncurrenj mögs 
ii^ft groge ffirfpamiffe an 3«it unb Koften ju erjielen, ift bes 
fannt. Stit ber nerbefferten Xeegnif ging J&anb in 4>anb bie 
; Hebung unb Sernodfommnung ber Koglens unb Stetadinbuftrie. 
: Xureg bie Slnmenbung ber SBootf’fegen jmeicglinbrigen Stafcginen 
i (compound engines) ift ber Koglenoerbraucg non 3 Kilogramm 
j pro ©tunbe unb ^ßferbefraft bis auf 1 Kilogramm oerrainbert, 
I mobureg bie Serfracgtung auf Xampffegiffen faft bißiger als 
! auf ©egelfegiffen gemorben ift. Xie Solge banon mar bie ftete 
fägrliege 3unagme ber Xampfer im Sergältnifi ju beu Segels 
fegiffen. Xie Kröffnung beS neuen Kanals mirb ficgerlieg bie 
fegon oorganbene Xenbenj naeg Sermegrung bidiger, fegneder 
unb fiegerer XranSportmittel nur unterftügen. 

Xer Kinflufj, ben ber interoceanifcge Kanal auf bie polU 
tifegen Sergältnijfe ber näcgftliegenben ©taaten StittelamerifaS, 
fomie ber SBeftfüfte ©übamerifaS auSüben mirb, möge gier noeg 
furj berügrt merben. Xiefe ©taaten, je|t nom SBeltnerfegr faft 
gänjlicg abgefegloffen, non itbfömralingen ber romanifegen Stoffe 
unb non Stifcglingen biefer mit Snbianern unb Siegern bemognt, 
bie mit menigen tluSnagmen relatioen ©tidftanb, Segarren beim 
Slltgergebracgten, Xräggeit unb ©enugfuebt, Stängel felbft an 
ben Anfängen jeber geiftigen Sitbung, ©leieggüttigfeit für Kunft 
unb SBiffenfegaft jeigen unb bie Xummelpläge jagllofer Sürgets 
friege finb, biefe Sölfer merben in baS SerfegrSneg gineinges 
Sogen unb für bie Kioilifation gewonnen, bis Seoölterung unb 
Kolonifation biefer ©egenben mirb burcg bequemere Kiumans 
berung begünftigt, igre reiegen 4>ülf3queüen ber SBelt nugbar 
gemaegt merben, unb enbtieg merben fie bie ignen bis fegt feg= 
lenbe politifege Kinigfeit unb ©tabitität ergalten. 

Slueg in miffenfegaftlicger Sejiegung mug bie inters 
oceanifege Kanalfrage baS lebgaftefte 3nterejfe erregen. XaS 
©ebiet ber geograpgifegen Kenntniffe mirb einmal burcg bie oor 
tluSfügrung eines folcgen Kanals notgroenbigen grünblicgen Sors 
unterfuegungen ber geograpgifegen unb geologifcgen Sergältniffe 
ber in grage fommenben ßänbet, bezüglich meleger bie SBiffen* 
fegaft noeg manege bebeutenbe Süden aufjumeifen gat, bebeutenb 
ermeitert, bann aber mirb aueg naeg eoentueder StuSfügrung 
eine bodftänbige Srfegliefenng jener Sänbergebiete für bie Krbs 
funbe mit leichterer Stüge möglieg fein« 

3nbe’m uns bie Säorte Karl dtitterS, beS SegrünberS ber 
geograpgifegen Säiffenfcgaft oorfegmeben, bie er in feiuer Kin= 
leitung gut aßgemeinen oergleiigenben ©eograpgie u. f. m. ge= 
brauegt, nämlicg bag „bie Krbnatür naeg unb naeg ,burcg bie 
geiftige $errfcgaft beS Stenfegen unb burcg ben gortfegriit ber 
3agrgunberte, in Sejug auf baS ©efammtleben ber Sölter, naeg 
aden ©eiten gin ganj oeränberte ©eftalten unb Säertge gewinnt," 
liegt uns bie grage naeg bem Kinflug, ben biefer neue tügne 
Kingriff in bie ©eftattung ber Krboberfläege an biefer ©tede 
unbebingt auSüben mug, fegr nage. Um fieg niegt oon bem 
Soben ber Krfagrung ju entfernen, möge nur auf bie bereits 
mägrenb ber furjen 3eit feines SeftegenS in biefer $inficgt ers 
jielten SRefultate beS ©uejcanals gingemiefen merben. Xer Kius 
ftug, melegen biefeS grogartige 3Bert fegon in bem Serlauf fo 
turser 3cit auf bie egemals fterilen ©ebiete, burcg reelle es 
fügrt, auSgeübt gat, iduftrirt am beften bie SBorte beS grogen 
©eograpgen. Xie Säüfte gat fteg bereits einigermagen belebt 
unb mit ©ärten unb Dafen bebedt; jmei anfegntiege ©täbte, 
Sort ©atb unb 3&ma?lia finb auS bem ©anbe entftanben unb 
über 40,000 Stenfegen gaben ficg in biefen Kbenen niebers 
gelaffen, bie fonft mögliegft gemieben mürben. SluS bem Slecfen 

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Nr. 32. 


88 


Die (Segenwari. 


Sneg mit 1600 Einmoßnern ift ein ftanbetsplaß Don über 10,000 
Einwoßnern geworben. Siocß großartigere folgen würbe ficßerticß bie 
SfaSfäßrung beS geplanten interoceanifcßen EanalS nacß ficß gießen. 

SBaS nun bie geograpßifcßen, inSbefonbere bie orogra: 
pßifcßen, ßßbrograpßifcßen unb flimatifcßen SBer^ältniffe beS bei 
ber Eanatfrage in ©etracßt fommenben ©ebieteS betrifft, fo er: 
ftredt ficß ber große ameritanifcße Sft^muä, jener trennenbe Samm 
gmifcßen gtoei SBettmeeren, ber gugteicß bie Derbinbenbe ©rüde 
gmifcßen ben beiben großen EonÜnentatßätften bitbet, Don Storb: 
meft nacß ©üboft gmifcßen 8° unb 18° nörbticßer ©reite unb 78° 
unb 98° meftticßer Sänge (©reenmicß); feine ©reite fcßtoanft 
gmifcßen 50 unb 400 Kilometern. 

3« Solge gaßtreüßer Einfcßnitte an ber Küfte beS attan-- 
tifcßen unb beS füllen DceanS gliebert ficß ber große Sft^muö 
in oerjcßiebene Heinere, beren toicßtigfte, Don Storben beginnenb, 
folgenbe ftnb: ber 3ft^mu8 Don Seßuantepec gmifcßen bem 
@olf Don Eampecße (atlantifcßen Dcean) unb ber ©entofabaß 
(füllen Dcean); ber SftßmuS Don §onbura3 Dora Stmatique: 
gotf nacß ber Sonfecabaß; bie Sanbenge Don ©anama Don 
ber Simonbat), fotoie ber SftßmuS Don ©an ©taS Don ber 
©aß Don ©an ©taS, beibe nacß ber großen ©anamabaß; ber 
3jtßmuS Don Sarien gmifcßen ber Urababaß unb bem ©olf 
oon ©an SJtiguel. Sie 3ftßnun Don ©anama, ©an ©la3 unb 
Marien geigen bie geringfte ©reite; bei teßterem, bem fc^mälften, 
beträgt bie Entfernung beiber ©teere in geraber Sinie gemeffen 
circa 50 Kilometer. 

Set ©ebirgSbau be3 großen 3ftßmu8gebiete3 ift giemticß 
compticirt;, über feine eoentuetle Bufammengeßörigfeit mit ben 
fübamerifanifcßen EotbiHeren, refp. mit ben norbameritanifcßen 
Stodß SJiouutainS ßat bie SBiffenfcßaft nocß gu entfcßeiben. 

©ebingt burcß mefentticße ©erfcßiebenßeiten im ©au lann 
man ba8 mittelamerifanifcße ©ebirgSfßftem Don ber 
3 {tßntuS:Sorbittere ©anarnaS unb Mariens unterfcßeiben. 
SoS erftere ergebt ficß füblicß Don bem niebrigen, gum meji= 
fanifcßen ©ebirgSfßftem gehörigen welligen $ocßtanbe Don S^ßuante: 
pec, getrennt Don biefem burcß bie ©entung in ber Sanbenge 
oon Seßuantepec. Sie Einfenfung am Sonfecagolf, welche ficß 
butcß ba8 Uluatßat ßingießt unb burcß bie matt gur ©er: 
binbung beiber Küften eine Eifenbaßn gu bauen beabficßtigt, 
fotoie bie noiß tiefere Duerfpatte be3 ©an ÖuantßaleS unb be3 
SticaraguafeeS gerfcßneiben ba8 mittelamerifanifcße ©ebirgSfßftem 
in brei naturgemäß gufantmenßängeitbe ©lieber. SaS nörblicßfte 
berfelben, ßauptfäcßlicß in ©an ©alDabor unb ©uatemata gelegen, 
wirb an feiner SBeftfeite Don einer Kette ßößeret ©erge burcß= 
gogen, bie fteil gur näßen Küfte ßerabfinfen, wäßrenb ißre fanf: 
teren öftticßen $änge aud einer Steiße Don ©erggügen unb 
größeren $odjebenen befteßen, bie ficß atlmäßticß in bie* Küften: 
ebene Don $onbura3 berlieten. Ser mittlere Sßeit be8 mittel: 
amerifanifcßen ©ebirgSfßftemS, ba3 ©erglanb Don Sticaragua, 
erßebt ficß im Dften beö gleicßnamigen ©ee3 unb ift nocß im 
©angen wenig betannt, fcßeint jebocß überwiegenb aus $ocßebenett 
gebilbet gu fein. Sa3 britte ©erglanb biefed ©ßftemS, ba8: 
jenige Don Eoftarica, befteßt au8 ßodjgetegenen gefunben unb 
frucßtbaren Ebenen, über wetcße ficß eine Steiße ßoßer ©erge er: 
ßebt; e3 Umfaßt mit feinem füblicßften Sßeile ba8 gange bereits 
gu ©anama geßörige ©eragua. Sie mittlere Kammßöße ber 
©erggüge beträgt circa 2000 SJteter, bie ßöcßften ©ipfel erßeben 
ficß bis gegen 4600 SJteter. Eigentßümlicß ftnb biefem gangen 
©ebirgSfßftem eine Steiße Don tßeits tßätigen, tßeils erlofcßenen 
©ulfanen, bie ficß in Eoftarica gum Sßeit auf ben §ocßebenen, 
in Sticaragua unb ©an ©alDabor njeftticß beS ©ergtanbeS in 
ber Küftenebene, in ©uatemata auf bem SBeftranbe ber teßteren 
felbft erßeben. ©ie erreicßen gum Sßeit bie f?öße Don 4000 SJteter 
(ber ©ulfan be Stgua bei ber ©tabt ©uatemata ift 4416 SJteter 
ßocß); bie SBaffetfcßeibe biefeS ©ßftemS liegt im ©üben faft in 
ber. SJtitte beS SanbeS, weiter im Storbweften ift fie bagegen 
bem großen Dcean näßer gerüdt. 

Sa3 mittetamerifanifiße ©ebirgStanb ift rei^tiiß betoäfjett 
Sie gum füllen Dcean ftrömenben Slüffe ßaben jeboiß wegen ber 
$öße bet ß(ß ber SBeftlüfte näßernben ©erge unb be8 f^roffen 


SlbfturgeS berfelben nur einen turgeu Sauf unb finb für ben ©er- 
teßr um fo weniger Don ©ebeutung, als ißre SJtünbungen faft 
ungugänglicß finb; bet bebeutenbfte ift ber Stio Semp in ©an @al- 
Dabor. Saßingegen finb bie in baS caraibifcße SJteer fallenben 
fftüffe länger unb beffer entwidett unb bilben in ben breiten 
Küftenlanbfcßaften in ißrem untern Saufe toertßooüe, wenn aucß 
bis jeßt nocß wenig benußte SBafferftraßen; bfe wibßtigften finb 
ber Stio ©ranbe, Ulua, ©egooia ober SBanj, ©an 3uan, wetcß 
teßterer ben Stbftuß beS ©icaraguafeeS bitbet. 

Sie 3 ftßmu 3 :Eorbiltere non ©anama unb Sarien 
befteßt aus einer hoppelten Kette niebriger ©erge Don fetten meßr 
als 300 SJteter $öße unb gtoar auS ber Eorbittere oon 
Eßepo unb ber nörblicß mit ißr parallel ftreicßenben Eor: 
bittere Don ©an ©IaS; baS 7—10 Kilometer breite Sängen: 
tßat gmifcßen beiben ift mit fcßwer gugängticßen Urtoätbern er: 
füllt. Sin ber Storboftfüftp ber Sanbenge ift ber SlbfaH fteit gum 
Dcean, Weber ©tateau: nocß Sertaffen: ober ©tufenbilbungen 
finb Dorßanben; au ber ©übfeite gießt ficß ein niebriger fcßmater 
Küftenftreifen ßin. Slm EßagreS, im nörbticßften Sßeile ber 
SftßmuS-Eorbittere, ßört jebe beutlicße Kettenform auf: ein ©etoirr 
Don ungufammenßängenben boleritifcßen unb tracßßtifcßen bügeln 
(EerroS Don ben fpanifcßtebenben Eingeborenen genannt), bereu 
fpößen gwif^en 100 — 200 SJtetern Datiiren unb gmifcßen benen 
cS belanntticß gelungen ift, bie ©anamabaßn mit einer SJtajümat' 
erßebung Don nur 80 SJteter ßinburcßgufüßren, erfüllt ben SftßmuS 
in feiner gangen ©reite. 3m ©egenfaß gum mittelamerifanifcßen 
©ebirgSfßftem feßlen ber 3ftßn»u8:Eorbitlere ©uttane boüftänbig; 
oulfanifcße Kräfte ßaben ficß nur an ben Enben ber Ketten in 
bem eben erwäßnten EerroS gettenb gemacßt. Sie SBaffetfcßeibe 
liegt bem caraibifcßen SJteere näßer als ber ©übfee. 

Sie größte ©cßwierigleit beS Einbringens in baS 3nnere 
ber 3ftßmu3:EorbiUere liegt in bem SJianget eines größeren ©trom: 
gebieteS unb f^iffbarer gtüffe überßaupt ©on ben gwar fcßr 
gaßtreicßen Küftenftüffen finb nur ber EßagreS, in beffen Sßal 
gum größten Sßeit bie ©anamabaßn läuft unb ber ftiß in bas 
caraibifcße SJteer ergießt, unb ber ©aßano (berfetbe fließt gum 
füllen Dcean) auf eine furge ©trede Don ber SJtünbung fcßiffbar. 
2tn fonftigen wichtigen Küftenftüffen ftnb nocß ber Strato (carai: 
bifcßeS SJteer) unb ber Suira mit feinem Siebenfluß Eßucunaque 
(ftiöer Dcean) gu erwäßnen. 

SaS Klima beS großen 3ftßwuS ift in ben niebrigeren 
Stegionen gum Sßeit feßr ungefunb, toäßrenb es in ben ßößeren 
erträgticß, fogar feßr angeneßm wirb. SttS Sropentanb ßat es 
nur gtoei 3«ßreSgeiten, bie Stegen: unb bie Srodengeit, oon benen 
jene im Sillgemeinen bie SJtonate 3uni bis Secember, biefe bie 
übrigen SJtonatet. umfaßt, ffreilicß üben totale ©erßättniffe einen 
bebeutenben Einfluß auf Stnfang unb Sauer beiber auS. Sie 
Dftlüfte befißt unter bem Einfluß beS auS bem attantifcßen Dcean 
tommenben StorboftpaffateS eine biet größere geucßtigfeit, als bie 

i bebeutenb trodenere SBefttüfte unb erttärt ficß bamit aucß bie Um 
gefunbßeit ber erfteren. Sin ber Storbtüfte Don Eoftarica g. ©. 
finb bie Stieberfcßiäge fo ftarl, baß man taum Don einer Sroden: 
geit fprecßen tann, weSßatb aucß nur ßier bie EocßeniUegucßt 
mögtidß ift. Siefe Ungunft ber ttimatifcßen ©erßältniffe forberte 
baS Seben taufenber Strbeiter beim ©au ber ©anamabaßn unb 
geftattet btoS ben ©tantagenbau unb ats Strbeiter 3nbianer unb 
Sieger. Sie $ocßebenen beS 3»nern fcßtießen ficß bem Ktima 
nacß meßr ber SBefttüfie an unb geigen aucß eine großartige 
©egetaüon; bie Sßärme ßält ficß gmifcßen 25—35° E. Siefe 
für europäifeße EinWanberer beffer geeigneten ©egenben liefern 
jeßt DorgugSweife Kaffee, Sieder unb als $auptcereatie ben SJtaiS; 

I erft in ben ßößeren Sßeiten treten SBeigen unb anbere europäifeße 
Eutturpflangen unb Srucßtbäume auf. ©ei ber ungemeinen . 
ffrueßtbarteit beS ©obenS barf man ßier Künftig eine außerorbenü 
ließe Entmidlung beS SanbbaueS erwarten. Dßne 3ü>eifet wirb 
ficß jebocß aucß baS jeßt ber ©efunbßeit wenig Dortßeitßafte 
Klima ber Dfttüße bureß bie Sßäügteit beS SJtenfcßen bebeutenb 
oerbeffern taffen. 

1 Sie ftiggirten geograpßifcßen ©erßättniffe beS SftßwuSge- 

i bieteS fteden ber SluSfüßrung einer interoceanifcßen EanalDerbin: 


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84 


Site (Sejjeitnmrt. 


Nr. 32. 


bung augenßhetnlid) bie größten tedjnißhen ©djwierigfeiten in 
ben SBeg, biejenigen, welche bei ber Anlage beS Suejcanals ju 
überwinben waren, unt ©ebeutenbeS übertreffenb. Die Drace beS 
©uejcanats war gleichfam oon ber Statur in ber ©obenfenfung 
bet Sanbenge non ©uej oorgejeidjnet, bie als natürliche 3fort= 
fefcung beS ©olfeS non ©uej ju betrachten ift unb an ihrer 
höchften ©teile bei ®l ©iSr nur 16 EReter über bem EReereS: 
fpiegel liegt; außerbem begünftigten bie in ihr gelegenen ©een 
(ERenjaleh-, Satlah ; , Dimfaljs unb Söitterfee) roefentlich bie Durch- 
ftecfjung ber Sanbenge unb ermöglichten bie Rührung beS Kanals 
im Stioeau beS EReereS ohne Anlage bon Schleusen. 

Die Jöhenoethältniffe, fowie bie ©ebirgSnatur beS 3fthmuS= 
gebieteS oon ERittetamerila laffen bahingegen bie Anlage eines 
©analS im Stioeau beS EReereSfpiegetS unausführbar erfcheinen 
unb jwingen jebenfalls jur Anwenbung bon ©djleußen ober 
Dunnein. Abgefehen baoon, baß ein ©djleußencanal wenig An= 
Hang bei ben Seeleuten finben möchte, mürbe baS Durdjfcfileußen 
ber ©dhiffe einen großen 3citberluft jur golge haben. Stach 
ben angefteQten ftatiftifchen Ueberfdjlägen ift auf einen , täglichen 
DurchfchnittSberfehr bon minbeftenS 50 Schiffen ä 2000 Donnen 
ju rechnen. DaS Schiff gebraucht nun jurn ©affiren einer 
©chleuße mit bem fonft noch bamit berlnüpften Aufenthalt ein 
bis jwei ©tunben. ©elbft wenn bie ©chleußenfammern jur 
Aufnahme jweier Schiffe eingerichtet würben, lönnte bie ©affage 
ber angenommenen 50 Schiffe burch eine Schleuse taum an 
einem Dage, felbft bei ununterbrochener Arbeit bemerffteüigt 
werben. SRU ber 3af)l ber ju paffirenben Schleusen wächft 
natürlich auch ber Seüberluft in eiftfpredjenbem SRaße. ©in 
©cfjleußencanal erforbert ferner ^Reparaturen, beten Etothwenbig: 
leit um fo häufiger eintreten wirb, je größer feine Senufcung 
ift; bamit ift aber jebeSmal eine Unterbrechung i>eS SerlehrS 
unbebingt nerbunben. Schließlich bereitet eine genügenbe unb 
ftete ©peifung beS ©anatS, namentlich in höheren Stegionen, nicht' 
ju unterßhä|enbe ©djwierigleiten. 

3n Anbetracht beffen, baß eS für eine SBafferftraße bon fo 
eminenter ©ebeutung baS michtigfte ©rforberniß ift, baß fie ohne 
Unterbrechung, ju jebet Seit, mit bem minbeften Seitbertuft in 
ihrem Saufe fahrbar fei, muß jebenfalls eine Jßinie, beten Jöf)en= 
berhältniffe bie Anwenbung bon ©chleußen unerläßlich macht, bor 
einer folgen, bie eine Rührung beS ©analS in ber Jöße beS 
EReereSfpiegetS, wenn auch nur unter ©enufjung bon Dunnein 
ermöglicht, unbebingt jurüefftehen. Stur in biefem Salle wirb 
bie ftete ©ebraudjSfähigfeit beS ©analS in feinem Augenblicf in 
Srage geftellt, nur bann finb für Janbel unb SBerfeßr empfinb; 
liehe S^itberlufte nicht ju befürchten. 

Durch ben ©au eines oieüeicht mehrere Kilometer langen 
DunnelS, beffeu Jöhe minbeftenS 30 SRet-er über bem höchften 
EBafferftanb betragen muß, werben freilich bie Soften beS ©analS 
um ©ebeutenbeS bermehrt, hot bie Dechnif eine fernere Aufgabe 
ju töfen; baS finb jebodj Jinberoiffe, bie mit Stüdficht auf ben 
großen Etujjen eines folchen ©analS unb bei ber Sntwidlung 
ber Dechnif in ©ejug auf Dunnetbau fdjließlich ju überminben 
fein werben. 

Sür bie fonftige ©inrichtung beS ©analS, namentlich be= 
jügtich ©reite unb Diefe beSfelben, fann ber ©uejcanal als An: 
halt bienen; um ben größten üblichen Schiffen ben Durchgang 
ju geftatten, beträgt beffen ©reite am ©oben 22 EReter, in ber 
SBaffertinie minbeftenS 60 EReter, feine Diefe burchweg 8 EReter. 
©S möchte fich empfehlen, biefe Abmeffungen etwas ju oergrößern, 
um ©egelßhiffen eine noch bequemere Durchfahrt ju geftatten. 
©nbtidj ift bei ber Seftftetlung ber ©anatlinie auf gute Jäfen 
unb 8R£»eben an beiben SReeren ©ebaeßt ju nehmen, ober wenigftenS 
• hoch auf bie SRögtichfeit, biefelben herjufieüen, was jeboch an ben 
in grage fommenben Säften auf nicht geringe ©chwierigfeiten ftößt. 

Darüber muß man fich io jebem Solle Har werben, baß 
eS Wohl nirgenbS weniger am Orte fein möchte, bie Soften ju 
feßeuen, als bei einem EBerfe, baS nicht einem einjetnen Sanbe, 
fonbetn ber ganjen EBelt, baS nicht für eine furje Spanne Seit» 
fonbern für 3ah?hunberte bienen foU. 


oftteratair trab <£unß. 


Das jßtatjjeri^t in Soeft 

©ine recht8= unb culturgefchicbtticfje ©fijje aus SBeftfaten. 
SJon Karl Srann = IDiesbabcn. 


3m beutfehen ERittelalter bis in bie neuere 3eit hinein 
War bie ©charfrichterei ein, jwat bon ben übrigen Sänften auf 
baS ©trengfte getrenntes, aber bennoch an unb für fich hö<hß 
jünftigeS ©ewerbe; eS war „ehrlos", aber eS hotte hoch eine ganj 
befonbere ©hre; unb gewiß ift, baß eS an feine AuSüber unb 
Selennet bie ftrengften technißhen Anforberungen fteHte. Die 
Jauplunft war bie Süßrung beS StidjtfchwerteS. Die übrigen 
Einrichtungen, wie ©rennen, Sebenbigbegraben, Rängen unb @r= 
tränfen im ©ad — bie Janbhabung beS ©taubbefenS, welche 
man baS „Segen", unb wenn eS gut gemacht würbe, baS 
„9teinlich : S*gen" nannte, — baS ©ranbmarfen, welches mit 
bem technißhen AuSbrucf baS „Seichnen" ober baS „Sierlich : 
Sei ebnen" benannt wirb, — bie Anwenbung ber Solter, bie 
man, wenn fie funftgeredjt ootljogen wirb, fo baß ber 3nculpat 
geftefjt, ohne burch bie Dualen getöbtet ober unheilbar üer= 
ftümmelt ju werben, als ,,©ernünftigsbies©tieber=oer= 
lefjen" bejeichnet, — Äie ©djinberei unb Abbederei, — AHeS 
baS pflegte EReifter Jämmerling feinen Snechten ju überlaffen. 
Die Janbhabung beS Schwertes bagegen fowie bie ärjtfidhe ©rajiS 
an ERenfchen unb Dhieren, bie ©erabfolgung bon ©eheimmijteln 
unb bie Seiftung bon Soubereien, war bem EReifter allein unb 
felbft borbehalten. 

Unter ben betriebenen JinridjtungSarten galt baS Schwert 
für bie berhältnißmäßig anftänbigfte. ERan lieft oft, baß bie 
©erurtheilung jum Seuertob ober jum ©trid (bei ERännern), 
jum Sobenbigbegrabenwerben ober jum ©äden unb ©rtränfen 
(bei Stauen), in ein „gnäbigeS ©dhwert" umgewanbelt 
würbe; unb bie ©ntßauptung mittels beS Schwertes war ju= 
gleich ^>te hbihfte ©lüthe ber fcharfri^tertithen Sänfte. SSeße , 
bem EReifter Jämmerling, wenn er babei einen Sch^t machte! 
Unb bie Sunft warf in ber Dljat bamalS noch fchwierig. Sie 
foüte auSgeübt Werben mit einem fchweren, langen unb breiten 
SRichtfchwert, beffen ©riff mit jwei Jänben angefaßt Werben 
mußte. Der Delinquent faß auf bem SRichtftuht. Der ©djarf= 
richtet mußte hinter ihn oon ber ©eite h«an treten unb in 
einem raßhen einheitlichen ActuS baS Schwert, baS ihm ber 
JenferSfnecht reichte, mit beiben Jänben ergreifen, ben'ßhwarjen 
ERantel fallen laßen, fo baß bie rothen Unterfieiber jum ©or= 
feßein famen, mit einem einjigen Jieb ben Sopf öom Stumpfe 
trennen unb gteichjeitig ficj um bie Jälfte feiner eigenen Adjfe 
brehen, fo baß er bem ©ublicum, bem et als et baS Schwert 
ju fchwingen begann, ben Etüden juwanbte, nun baS Angeßdht 
jeigte, inbem er baS jweifdjneibige ©chwert erfurchtsooü grüßenb 
oor ihm oerneigte. Dann erft wanbte er ftch oon bem ©chaffot 
herab an ben unten, auf einer ©rhöfjung fi|enben Etichter mit 
ber feierlichen Stage: 

— „3ch frage ©uer richterliche ©hren, ob ith richtig ge= 
richtet?" 

Der Eiichter antwortete: Du jjaft gerichtet fo, wie Urtheil 
unb Stecht ergangen, unb fo, Wie ber arme ©ünber foldjeS oer= 
fchulbet. *■ 

Unb ber ©djarfrichtA fchtoß baS Stefponforium mit ben 
SBorten: 

— „Daoor banfe ich bem allmächtigen ©ott unb meinem 
EReifter, ber bie Sunft'mich gelehrt hot." 

©ei ©eginn ber ©jecution pflegte ber Scharfrichter ben 
Jinjurichtenben um ©erjeifputg ju bitten unb ihm leife ben 
Droft jujuflüftern: 

„Äurj bie Siotf), 

Sanft ber lob, 

@nab’ bei ©ott!" 


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Nr. 32. 


Ute «egenwurt. 


85 


Schlimm war baS Schidfat,' welches betit Scharfrichter im 
gaüe ungefdjidt ooüjogener Einrichtungen brohte. Sticht nur, 
baß er Stuf, Srob unb Dienft oerlor. @t würbe fogar oft baS 
Opfer ber öffentlichen ©ntrüftung; unb nur mit SJtühe gelang 
es, ihn not ber Sutlj ber Stenge ju fdjüfcen. Das publicum 
hatte Sichtung oor bem ritterlichen Spruche, auch wenn eS ihn 
nicht für gerecht hi*lt- ®S betrachtete ihn alö eine gügung beS 
SdjidfalS, ber man ft<h unterwerfen müffe. aber eS wollte 
nicht, baß ber Unglüdliche auch nur baö ©eringfte mehr leibe, 
als ihm burch Urteil unb Stecht juerfannt fei. Ueberfchritt ber 
Scharfrichter burch Ungefchttf ober au8 SBoSljeit biefe ©tenjen, 
fo betrachtete man ihn als bem öffentlichen Unwillen oerfaHen. 
allein nicht nur für bie ißerfon beS StadirichterS jog man biefe 
Folgerung aus bem Stechtfafc, baß nur ein Strafact ftatt= 
finben unb baS juerfannte Stoß nicht überfchritten Werben bürfe, 
fonbern auch für bie ißetfon beS Serurtheilten unb jwar £e|tereS 
in folgenber Seife: 

E«t ber Scharfrichter unrichtig, ungefdjidt, unglüdlid) ober 
fonftwie erfolglos gerichtet, fo War nach ber herrfdjenben 3Jtei= 
nung bamit bie Sache ju ©nbe. ©in jweiter Slct War untere 
fagt. SJtachte nicht ber erfte Schlag mit bem StidjtfchWert bem 
Beben ein ©nbe, riß ber Stricf an bem ©algen, bann war ein 
jweiter #ieb ober ein jweiter Stricf nicht mehr ftatthaft. Sar 
ber SBerurtheilte einmal mit bem Beben baöongetommen, bann 
burfte fein jweiter Serfud) gemalt werben, ihm baSfelbe ju 
nehmen. ®r War gerettet — burch ben Sufafl? — nein, burd» 
bie Sorfehung. So glaubten unfere SSorfaljren. Das war bie 
allgemein tjcrrfc^enbc S3otfS- unb StedjtSanfchauung, ber fich ba= 
malS auch bie Stichler unb bie Obrigfeit unterwarfen. @8 war 
ein 3 U 8 frommer naturwüchfiger Stomantif. 

Der Staun war nicht boppelt oerurtljeilt, fonbern nur ein= 
mal. Diefer einmaligen ©jecution hotte er fich ju unterwerfen. 
Damit hotte er feine Dljat gefühnt unb ber genfer hotte auf 
ihn fein Stecht mehr. So ftanb eS in bem „Stalefijbuch" ge= 
fchrieben. 

@r war begnabigt, nicht oon 06rigfeitS= unb oon Rechts¬ 
wegen , fonbern oon Dljat un b ©efd)id Wegen. Das waren 
,,©otte8 ©erid)te". S3or ihnen muhten bie ÜJtenfchen oer= 
Summen. 

S?odjte fich ber Stifter an feinen Schorfrichter holten. 
Stochte er mit ihm in baS ©eridjt gehen, wenn biefer unrichtig 
gerichtet. Der SBerurtheilte war nicht Oerpflichtet, ftd) jweimal 
ejecutiren ju laffen. @r hotte gebüßt, feine Dhat war gefühnt. 
6 r hotte bie DobeSangft auSgeftanben. Der Stifter unb ber 
Stachrichter hotten nichts mehr an ihm ju fudjen. Der 9ta<h= 
richtet, ber gegen ihn einen jweiten Schlag Wagte, riSfrrte fein 
eigenes Seben. @r war bann nicht mehr Stifter, fonbem 
Störber. 

auch * n Snglonb war lange Beit biefe echt germanifche 
SBeltanfchauung bie Ijeetfdjenbe geblieben. Seitn ©iner nicht 
orbentlich gehenft war, bann pflegten ihn bie Seinen oom Stricf 
abjufdjneiben unb in baS Seben jutücfjutufen. allein ber ©e= 
fefcgeber unb ber SUchter erblichen barin einen $of)n auf bie 
guftij unb reagirten bagegen. Sie erfanben eine ©laufei, Welche 
jeben auSWeg abfchnitt. Sie lautete: „St. St. foll gehenft 
Werben an feinem $alfe fo lange, bis baß ber Dob er’= 
folgt." Damit war ber fünfte act beS DrauerfpieteS ob!iga= 
torifch geworben, unb baS abfchneiben oerboten. Statt beS 
abfchneibenS jogen es nun bie „järtlichen SBerwanbten" oor, fich 
an bie Seine beS jappelnben Delinquenten ju hängen, um beffen 
DobeSquat abjufütjen. So oeränbern ©efefce bie Sitten! 

Daß bagegen in Deutfd)lanb biefe auffaffung noch &is 
in baS fiebenjehnte Bahrhunbert hinein bie herrfdjenbe geblieben, 
bafür fprechen jwei ©efchichten aus bem Bahre 1681, welche 
uns eine fonft glaubwürdige Hamburger ©hronif meldet unb 
bie in bem bortrefflichen Suche beS Dr. Otto Senefe in $am= 
bürg „Son unehrlichen Seuten" wiebererjählt ftnb. 

Die eine lautet: 

„anno 1681 b. 24. Januar war eine große Saite, worin 
©iner gchenfet worben. StachtS würbe er abgenommen, auf baß 


er folgenben DagS foßte anatomirt werben, unb war gan| fteif 
gefroren. Sie nun biefer tobte Serl in bie warme Stube 
fommbt, unb aufgebauet, ba ift er wieberumb aufgelebet, unb 
alfo, nach feinem auSgeftanbenen Recht, baoon gegangen." 

Diefe ©efchichte, fügt Senefe hinju, fann ohne alle Siffen» 
fchaft unb SJtitwirfung ber Sehörben alfo oerlaufen fein. Segen 
ber großen Saite faßte fich baS ©jecutionSperfonal mit bem ganjen 
publicum gewiß möglidjft furj, unb ging gefdjtoinb wieber nach 
EauS, fobalb es ben armen Sünber ftarr geworben fah- Diefen 
mag ebenfalls bie große Sälte eher erftarrt hoben, als ihn ber 
mit froftigen Rauben lodet umgelegte Strid hotte erwürgen fönnen. 
Sohlthötige Ohnmacht umhüllte ihn, bis freunbliche Stubenwärme 
ihn erwedte; bann brachten ihn bie überragten ärjtlichen tßhi- 
lantropen ooüenbS wieber auf bie Seine, Welche fich für baS 
ihrem anatomifdjen SJteffer entgangene Opfer, burch baS jebem 
Stebiciner angenehme Sewußtfein tröfteten: ein 9Jtenfd)enleben 
gerettet, hier noch gefrönt burch hie ©enugthuung: ber Buftij 
eine Seute entwunben ju hoben. 

Die jweite ©efchi^lte lautet alfo: 

„Den 16. auguft ift ©iner in Hamburg mit bem Schwert 
gerichtet, fo einem Sftanne mit einem Sierfruge h°t ben Sopf 
eingeworfen, baß er geftorben ift. Sie nun alfo ber Scharf* 
richter ihn geföpfet, hot er ißn nicht recht getroffen, fonbem ihm 
nur bie glatte beS SdjäbetS abgehouen. Da finb fchnell beS 
Buftificirten feine greunbe hinjugetreten, unb hohen ihn ju fi^ 
genommen, mit bem SerWenben, er habe ja nun fein Stecht 
auSgeftanben. — als er nun Oon ihnen in fein §auS jurüde 
geleitet wirb, unb in bie Stube fombt, ba ift feine gran barüber 
in Ohnmacht gefunfen, bis man ihr erjäljtet, Wammb ihr SJtann 
noch lebete. Demnach ift ihm bie glatte auf bem ftopfe h«n= 
wieberumb gänzlich angemach feit, unb oom ßljirurgo wohl ge- 
h eilet worben." 

Diefe jweite ©rjählung wirb jwar, waS bie abgehauene 
unb wieberangeheilte Sopfplatte anlangt, auf einige phhfiologifche 
Bweifel ftoßen, jebenfatts aber gibt fie bie bamalS hcrrfchenbe 
StedjtSanfchauung, welche bis weit hinauf in baS friihefte SRittels 
alter reicht, ganj richtig Wieber. Das ift für uns bie ^auptfadje, 
unb beSßalb hoben wir fie tro| ihres unangenef)m=fcurriten Sei« 
gefdimadS hier Wiebergegeben. 

Sir hoben auS bem finfenben SJtittelatter auch noch eine 
Steiljc anberer SegnabigungSarten ju oerjeidjnen. 

Senn eine ehrfame Bungfrau ben oerurtheitten Serbre^et 
heirathet, fo fann fie ihn baburdj oom Dobe befreien. DiefeS 
Dhema hat Sictor Sofeph oon Scheffel in feinem römifdj* 
chattifchen ©ebichte „Som ©renjwall" fehr anmuthig behon^ 
beit (fiehe Scheffels „©aubeamuS" S. 47). 

auch eine weibliche Serurtljeitte fann burch Serheirathung 
mit einem Siebermonn ber ffijecution entrüdt Werben. 

©nblich hot auch ber Scharfrichter unter Umftänben eine 
art SegnabigungSredit, j. S. wenn er hunbert Semrtheilte (an 
anberen Orten genügten fd>on jel)n ober jwölf) funftgerecht unb 
erfolgreich oom Seben jum Dobe gebracht hot. Die ©hronif be= 
richtet uns u. a. oon einem Schorfrichter, welcher, nad)bem er 
bis bahin feinem Serufe mufterhoft obgelegen, angefichts einer 
ÄinbeSmörberin, bie er enthaupten foHte, fo überwältigt würbe 
oon ihrem Ungtüd unb ihrer Schönheit, baß er fie oom Dobe 
loSbat, um fie ju ^eirathen. auch biefe ©uriofitdt hot burch 
Silhelm oon ©höjy eine poetifd>e Sehonblung gefunben in 
bem „©roßen SJtalefijbuch", erfter Dh e *t> „Seben unb 
Denfwürbigfeiten SReifter ^»ämmerling’S. Stach beS 
SJteifterS eigenen aufjeichnungen." Der „ÜJieifter" fchließt 
feine Denfwürbigfeiten unb bie ©rjählung jener SoSbittung unb 
^eirath mit folgenben Sorten: 

3« ber Safenmeifterei h^rrfchte laute gteube. Das 
©eftnbe beging mit Sang unb Slang, bei Danj, Spiel unb 
oollen jumpen beS grepmannS IcochjeitSfeft. Unb als bie Stunbe 
gefommen, führte ich- ©löbeth jur Sommer, jog meines SaterS 
altes Stichtfd)toert aus ber Scheibe unb bettete es jwifcfjen ße 
unb mich. Hot» babei ift es fortan geblieben." 

©epen wir nun über ju einem hmhernften ffireigniß, boS 


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86 


Die ©egenwurt. 


Nr. 32. 


liefe auf bem ©oben bet in Obigem bargetegten SteefetSanfcfeauung 
6 emegt unb baS, ^iftorifcf) boflfommen beglaubigt, im fünfjefenten 
3aferfeunbert einen SEBenbepunft bitbet in ber ©efdfeicfete einer 
beutfdfeen Stabt, bie bormalS im Snlanbe unb im SluSlanbe eine 
grofee Stoße gefpielt hat. 

3 dfe meine Soeft in SD3eftfalen, beffen öonfSr.SB. ©artfeolb 
unb Ütnberen befdferiebene ©efcfeicfete ein fo grofeeS ^ntereffe bietet 
für bie wirthfcfeafttidhe, rechtliche unb lünfßerijcfee ©ntwidelung 
DeutfcfetanbS im ©tittelalter, wie ich baS an einer anberen Stelle 
nacfejuweifen gebenfe. jpier nur fo oiel, wie nötfeig ift jur @in= 
leitung unfrer 6cf)arfrichter;©pifobe: 

Sud} in ber Stabt Soeft ^errfc^te unmittelbar nach ©eginn 
ber Steformation eine lebhafte Sewegung ber ©eiftet unb @e= 
ntütfeer, welche fid} jebocfe burch ihre weife ©täfeigung oortljeil; 
t)aft unterfdjieb Don jener Aufregung, welche in bem benachbarten 
©tünfter ju ber toßcn Stegierung beS ScfeneiberS ©odelfon bon 
Serben geführt t)at. 

Die ©ürgerfcfeaft bon Soeft hatte unter bem erjbifcfeöjtichen 
Stegiment bielfach gelitten unb War bafeer mifetrauifcfe gegen ben 
©teruS, in bem fie ein SEBerljeug beS ©ifcfeofS erbtidte. Sie 
Hagte über bie Sittenlofigfeit ber ©löntfee unb Stomten; über 
bie pribilegirte ©oncurrenj, welche biefetben auf aßen wirty; 
fefeaftlicfeen ©ebieten ber ©ribatthätigfeit machten, ohne auch nur 
baS ©eringfte ju ben fchweren öffentlichen Saften beijutragen; 
über baS Umficfegreifen beS SefifceS ber geiftlidhen „tobten 
fjanb", namentlich burch ©rbjehteicfeerei unb bergleichen; über 
bie rajdfee ©ermehrung beS ©leruS gegenüber bem Stücfgang unb 
ber ©erarmung ber ©ürgerfchaft; über bie Stedfettofigfeit ber 
lefeteren gegen ben erfteren, welcher fich hinter bem canonifcfeen 
Stecht unb ber geiftlidhen ©eridfetsbarleit berfdfeanjte u. f. w. 

Die Steformation wählte bereits oiel Anhänger in Soeft, 
unb eS bilbete fich in ber ©ürgerfcfeaft ein ©erein bon ®in= 
wohnern patrijifcfeen fjerlommenS unb bon bürgerlichen Zünftlern, 
an beren Spifce bie „^oberer", eine Strt bon ©ollStribunen, 
ftanben, um baS „alte Stecht" ber Stabt, bas burch eine hart; 
gefottene Oligarchie, unb ben „wahren ©lauben", ber burch einen 
fittenlofen ©leruS berunftaltet War, Wieber feerjufteßen. ©tan 
nannte bie ©titglieber beS ffiereinS bie „©ibgenoffen" ober „$ub= 
gefeßen". Sie festen benn auch 3ulaffung ber „lutherifchen 
©räbicanten" unb ©efchtänfung ber abfotuten ©ewalt ber re; 
gierenben Safte burch- 

Slber bie fetten bom Stath, welche ber alten ©artei an; 
gehörten, wufeten fich noch ftarf. Sie liefeen j. S. acht frembe 
SSBibertäufer, welche eines SlbenbS jugereift waren, Staats auf; 
greifen unb am anbern SJtorgen feenlen. 3m Uebrigen warteten 
fte nur auf eine Gelegenheit, um ihre ©lacht auch ber ©ärger; 
fdfjaft gegenüber ju entfalten unb bie ©egner, bie „©ibgefeßen", 
für immer nieberjuWerfen ober WenigftenS für lange hin einju; 
fcfeücfetern. 

3n ihrer Ungebulb bergriffen fie fich in ber SEßafel ber 
©elegenheit. 

©in Soefter ©ärger StamenS 3ofeann Schachtrup ober Schach- 
borf, feines 3ei<feen8 ein ©erber, befannt burch feinen SEBofelftanb 
unb feine körperhaft, hotte mit bier Slnbetn in ©emeinfcfeaft bie 
„Steue SEBaage" bon ber Stabtgemeinbe gepachtet. Stach Slbfcfelufe 
beS ©efcfeäfteS — es mar am 16. Stprii 1533 — jecfeten fie 
mit bem Stabttämmerer in bem StathSleßer. Stun entftanb ein 
Streit über bie 3«fe«, welche nach beutfcher Sitte baju biente, 
ben Stbfcfelufe beS ©efchäftS feftjufteßen unb ju confirmiren. Die 
©achter behaupteten, nach altem fjerlommcn habe bie Stabt bie 
3 ecfee ju bejahten. Mein ber kämmerer weigerte fich beffen. 
3 n 3otgc biefer ©teinungSberfchiebenfeeit würbe ber kämmerer 
etwas hart angefafet. Sluch foßen über ben hoffen Stath Sleufee; 
rungen gefaßen fein, welche ©inigeS an ©hrerbietung ju wünfdhen 
übrig liefeen. Darob berflagte benn ber kümmeret bie Srünf bor 
einem hoh en Stothe unb biefer bemächtigte liefe fofort mit gemalt; 
thätigem unb unllugem ©ifer beS wißfommenen gaßeS. SEBaren 
ja hoch aße günf „©ibgefeßen", unb ber ©erber Schachtrup an 
©ifer unb Slnfefeen einer ber ©rften. Der Stath befefetofe, ener; 
gifch borjufdhreiten. 


3unäcfeft tiefe er bie bier Stnbern in Stodt unb ©ifen Werfen, 
©tan warnte Schachtrup; man rieth ihm, ju fliehen. „Sie 
wetben’S nicht wagen," antwortete ber hodfegemutfeete ©erber. 
Mer als fich ©ürgerfchaft bie ©erljoftung ber Sier gefaßen 
tiefe, Wagte ber Stath eS auch mit bem Sänften, ©r oerhaftete 
ben Schachtrup ebenfaßS. Unb als auch barob liefe Stiemanb 
regte, glaubte man, nunmehr baS Sleufeerfte wagen ju bürfen. 
©tan befanb fich i* 1 jener Stimmung ber ©etjweiflung, Welche 
feiten gute Stathfchtäge eingibt. SJtan fagte fich „©ntweber — 
ober; es ift ber lefcte Slugenblidf, wo man eine Shcage frei hot 
an baS Sdhidtfal; wir müffen baljer StßeS Wagen, Weil Wir 
fonft in ber ©efahr finb, Stiles ju berlieren." So machte ©inet 
bem Stnbern ben köpf warm unb in biefer ungtüdfetigen Stirn; 
rnung fafete ber hohe Stath ber Stabt, Stidjter unb ©artei in 
ber nämli^en eigenen Sache, ben oerhängnifeooßen ©efdhtufe, 
ben ©erber Schachtrup unb feine bier ©ibgefeßen jum Dobe ju 
oerurtheiten, unb jmar wegen „Slufruhr unb Schmähung beS 
StatheS", mährenb es ftd) bo<h nur um ein SEBeinf^änlengejän! 
hanbette, itber welches ein ©emeis nicht borlag; benn eS waren 
feine 3eu9«u, fonbem nur ©arteien jugegen; unb auch biefe 
waten jur 3tü ber Dh°t oße trunfenen SJtutheS. Um jebodh 
eine beffere Unterlage für bie ©lutfentenj ju gewinnen, hotte 
man bon einigen ber ©erhafteten im ©efängniffe baS ©eftänbnife 
ermirft, fie hätten bie katholifen „floppen" unb beten ®ut 
„gemein machen" woflen. ©in 3ufommenhong biefeS jiemtidh 
inhattlofen ©eftänbniffeS mit ber Dljot bom 16. Slprit täfet fi^ 
nicht etfennen. Schachtrup hotte burch muthigen Sinn unb 
mächtige ©tiebmafeen wiberftanben. 

©tan bewaffnete bie katholifen unb fonftigen fKnljänget beS 
StatheS, führte bann bie ©erurtheilten nach bem Sßtarft, bem 
©tittelpunfte ber Stabt, auf welkem bie Strafeen, welche bon 
ben acht Dfjoren ber Stingmauer fommen, ftrahtenförmig ju= 
fammenlaufen. ©3 war am 29. Stpril. $ier, jwifcfjen bem 
Stathhoufe, ber ©etruS= unb ber ©atroftuSfirche war bas Schafott 
errichtet, baS bie fünf, ©tänner tapferen Sinnes besiegen, inbem 
fie bas fcfjöne unb freubige Sterbetieb fangen: ,,©tit Sreub unb 
Srieb fahr ich bahin." Der Scharfrichter fragte, wer juerft ge* 
richtet fein woße. Da melbete fich ©«hadjtrup unb feine ©enoffen 
gönnten ihm ben ©ortritt. ®r fptadh noch einige SEBorte, U..81.: 
„Selig finb bie Dobten, bie in bem $errn fterben. Unterbeffen 
wiffen wir ©ebunbenen nicht, ein fotcheS ©erbrechen begangen 
ju haben, bafe wir beShalb baS Seben berwirft hätten. ©Iber 
bafe man fo mit uns umfpringt, baS gefdjieht nur um beS' 
©bangeliumS wißen, Woju Wir uns befennen. Daher hoben 
wir uns ben §afe jugejogen. Daher ift au^ fdjon fo lange 
nadh einer ©elegenheit gefuefet worben. Seftt hot man eine 
folche gefunben; unb fo hoben fie mich unb meine ©efährten 
bem Dobe übergeben." 

Dann ermahnte er bie ©enoffen, wohlgemuth unb freubig. 
bem Dobe entgegen ju gehen, „auf bafe bie SBibetfadjer feljen, 
was bie Sefere beS reinen ©bangeliumS ben Sterbenben für 
Droft unb kraft gebe", unb bafe aße SBelt fich überjeuge, bafe 
fie bon ber SBelt fefeeiben mit einem guten ©ewiffen. 

©ei biefen Sorten blieb lein Stuge troden. ©S ging ein 
©iurren unb ein halb unterbrüdteS Sdhludhjen burch bie, köpf 
an köpf gebrängt auf bem StathhauS ftefeenbe ©ienge, ohne 
Unterfdjieb ihres ©laubenS. 

Schachtrup tiefe fich auf ben Siichtftuht nieber. ©tan banb 
ihn an ben Stuhl unb ftreifte ihm baS $emb bon bem Ober; 
lörper herunter. Der Scfearftidhler trat feitwärtS hinter ben 
Stuhl unb holt«, bie beiben $änbe om Griff, mit bem Schwerte 
jum Schlag aus. Mein er traf nicht ben $als, fonbetn ben 
Siüden. Schachtrup war ni^t enthauptet, fonbern hotte eine 
breite llaffenbe SEBunbe in ben Stüden empfangen. Dabei hotte 
ber Scharfrichter fo mächtig jugefdfjlagen, bafe Schachtrup mit 
bem Südjtftuht, an ben er gebunben war, untfcfelug. Die ^>en!erS= 
Inecfete richteten ben Stufet mit bem ©tann wieber auf. ®S 
feerrfefete eine tauttofe Stiße. Der Scharfrichter liefe ifem baS 
gefunlene $aupt in bie ^»öfee feeben unb rüftete fiefe ju einem 
jweiten Scfelag. Do erwarte Scfeadfetrup bon bet Dfentnadfet, in 


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Nr. 32. 


ffl i e Gegenwart. 


87 


bie er gefallen. Sofort überfalj er bie Sage ber Dinge. (Kit 
bem ©ewußtfein war auch bie Siebe jum Seben Wieber in ihm 
erwart. Daju tarn bie ffiutf) über ba« ungereimte Urtheil bet 
(Richter unb über ba« Ungefcßid be« (Rachrichter«. @r jerbiß 
bie ©triefe, womit man ifjm bie atme gefeffelt unb entriß bem 
genfer ba« Schwert, ba« non feinem eigenen ©tute noch triefte. 
Da griffen bie genfer ju bem anberen (Ricßtfchwette, unb ber 
©ube be« <Sc^arfrid^terS ju einem (IReffer. ©d^ai^trup aber 
f(f)Wang ba« eroberte ©chweit fo mächtig, baß (Riemanb ihm 
ju naben wagte. 

Da« afle« bauerte faum eine holbe Simile. aber biefe 
Seit reichte bin, um bem oor ©rauen erftarrten ©ott ba« Seben 
unb bie Sprache wieber ju geben. 

— „(Ricßt weiter! fort mit bem genfer! Schachtrup bot 
feine ©träfe einmal gebüßt. 3weimal ift unrecht, ©ott bat 
ibn gerettet. Das finb ©otte« ©eriibte!" 

©o fdjrie bie Senge, inbem fie einbrang huf ba« @<bafott 
unb auf ben ©eri<ht«herrn, weither auf feinem ©effet tbronenb, 
bie ©jecution leitete. Der ©eridjtshyr, in ben Dob erfdjroden, 
befahl bie greilaffung, nidbt nur be« Schachtrup, fonbern au<b 
feiner ©enoffen. Die Sefjteren würben ebenfafl« non ihren 
tfeffeln befreit; Schachtrup würbe oom (Ridjtftuhl lo«gebunben. 
Der Scharfrichter mit feinen $enfer3fned)ten war Bon fetber 
Berfcßwunbcn. H°ch auf bem Schafott ftanb nur noch ber mit 
©tut übcrgojfene Schachtrup, ba8 bluttriefenbe Schwert in ben 
Jpänben. ©eine ©enoffen unb ba8 übrige ©otf trugen ihn nach 
Hau«, ihn mit feinem erbeuteten SRichtfdjwert. 

Stm anbern Dag am 30. Steril, ertag er feiner Sunbe. 
6 r h°tte borber noch ben Sunfch au«gefpro<hen, baß ba8 
©ihwert, fo er auf bem Schafotte erbeutet, ihm in ba8 ©rab 
folge. 

Unb fo gefebab e8. Da« SRichtfdjwert tag auf bem blutnem 
umlränjten ©arge, ©in enblofer Seicßenjug folgte, Sehflagen 
unb ©erwünfeßungen auf ben Sippen. afle gingen mit: alt 
unb Sfnng, Sänner unb Seiber, ©oangelifche unb ßatljotiten. 
©8 war ba8 Seidjenbegängniß nicht nur be8 Sürger« Schachtrup, 
fonbern au<b ba8 be8 alten 5Ratf)e«, ber ihn fo redjtswibrig 
gerichtet. Der (Rath wagte e8 nicht mehr, gegen bie bier 
Hnbern einjufebreiten, bie er boeb auch red)t«fräftig jum Dobe 
oerurtbeilt. ®r begnügte ficb bamit, fie au8 ber ©tabt ju ber-- 
bannen, aber fie gingen nicht. 

Die 9tatb«gtieber unb dichter faben non nun an überall 
©efpenfter. Sie erfanben aflertei tolle ©efebiebten unb ©e= 
rüchte. Schachtrup« greunbe, fo behaupteten fie alberner Seife, 
hätten ben Scharfrichter trunfen gemacht, bamit et fdjledjt richte. 
Sie brachten beim Jpetjog bon ©lebe eine Ätage bor, al8 fteOten 
ihnen bie „©ibgefeHen" nach bem Seben. Die Unterfuchung er= 
gab ben böHigen Ungrunb biefer ©efchulbigung, au8 Welcher nur 
ba« böfe ©ewiffen ber ©efchulbiger fpracfj; unb at8 auf ©fingften 
wieber ein Heiner Xumult in einem Seinhaufe entftanb, ergriffen 
bie 5Ratb«berren bie gtucht au8 angft bor bem ©olf. 68 war 
am 31. Suli 1533, wo fie heimlicher unb nächtlicher Seife, 
fechjebn Sann hoch, bou ©oeft hinausritten, um fich nach Hontm 
ju begeben, ©ie Wagten e8 nicht jurüdjulebren in bie ©tabt, 
an beren ©pifce fie ftanben. 

Die SRath«glieber, .welche geblieben waren, ließen bie ©eflohe= 
nen breimal öffentlich jur fRttdfehr aufforbent; unb al« fie ben 
Sabungen nicht golge leifteten, würben fie ihrer Stemter berluftig 
ertlärt. @8 würben neue Salden auSgefdjrieben, Welche auf 
Anhänger ber alten ©erfaffung unb ber neuen Sehre fielen, 
aße« ba« ging bot fich ohne bie geringfte Störung ber öffent¬ 
lichen (Ruhe unb Drbnung, — mit echt weftfälifcher jäher unb 
befonnener Dhatfraft. 

,,©o trat in ©oeft ein neuer (Rath ein, unb bie eoange= 
lifche Organifation warb bollftänbig bolljogen," fagt Seopotb 
non (Kante in feiner „Deutfdjen ©efebiebte im Seitalter 
bet (Reformation", (III. aufl. ©b. III. @. 398.) Der alte 
(Rath hotte ben ©ogen ju ftraff gefpannt, er war ihm in ben 
§änben jerbroeben. 


Sommerliche Briefe. 

Kein (Reifebrief. 


©8 ift febr fteunblicb bon Shnen, meine berebrtefte greun= 
bin, baß ©ie mich bermißt hoben unb fidf fo angelegentlich ba= 
i nach erfunbigen, Wa8 ich in ber 3wifchenjeit, wäbrenb ich »on 
; ber ©ilbfläche oerfdjwunben war, getrieben habe. Semt ich biefe 
Stage gleich hier beantworte, fo gefchiebt’8, weil fie auch bon 
anberer ©eite an mich flefteüt ift unb ich ouf biefe Seife gleich 
! mehrere fliegen mit einer Etappe fchlage unb mir mehrere 
j ©riefe etfpare — ©ortheile, bie man fich in biefen heißen Sagen 
nicht gern entgehen läßt. 

©8 ift ja auch ganj natürlich, baß fich jwifiben bem Heraus¬ 
geber eine« ©latte« unb beffen Sefetn mit ber 3eit eine 9lrt 
bon perfönlichem, ich möchte beinahe fagen: unauSgefprodjen 
; freunbfdjaftlichem Serhältniffe herauSbitbet. ©eit naljeju acht 
j Sohren, feit bem Sanuar 1872, finb ©ie, meine berehrteftc 
j Sreunbin, mit ben anbern Sefern ber „©egenwart" baran ge= 
Wöhnt, faft allwöchentlich ein 8eben8jei<hen bon mir jtt erhalten. 
(Run, ba ich eine ungewöhnlich lange ©aufe höbe eintreten (affen, 
fühle ich gleidjfom ba« ©ebürfnifj, mich bor Shnen ju rechte 
fertigen. 

„®ih e8 Wat nicht meine SBahl!" — ©8 h°t eben ?ltle8 
feine Seit! S a h te lang thut bie SDtaf^hine ihre ©diutbigleit, bi« 
fie eine« Sage« ftehen bleibt unb eine gtünbliche 9lu8befferung 
erheifcht. auch 3hr ergebenfter Xiener hot einmal auf längere 
Seit au8fpannen, feiner gewohnten Xhätigfeit gänjlid) entfagen 
unb ftch ju feiner ©rholung einen wirtlichen Urlaub gönnen 
müffen. ®en 8techenfchaft8beri(ht über bie entfpredjenbe ©er= 
Wenbung beSfelben werben ©ie mir wohl ertaffen. Sch tonn eben 
nur fagen, baff ich bie ärjtlidje ©orfdjrift: nicht« ju tf)un, mit 
größter ©ewiffehhaftigfeit befolgt unb bie Serecßtigung be8 
ißräbicate« „dolce“, ba« bie Stoliener bem „far niente“ bei= 
legen, nie beffer begriffen höbe, als in ben jüngft oerfloffenen 
Soeben. 

Sch citirte eben ba8 originelle unb tiefe SBort: „©« h«t 
alle« feine Seit", ba8 jebenfall« bem Sönig ©alomo ben ©eis 
namen be« Seifen oerfchafft hat. @8 hot äße« feine Seit! auch 
ba« Serfaffen oon Bteifefeuißeton«. 5Rod) Bor ein paar Sahreu 
Würbe e« mir etn Seifte« gewefen fein, au« ben ©rinnetungen, 
bie ich Bon meiner (fahrt am (Rhein unb burdj ba« ©aljfatnmer-- 
gut heimgebracht höbe, eine ©erie Bon überjeugten (Reifebilbern 
herjufteßen. Seht tonn ich’« nicht mehr. Die unbefangene 3u- 
oerficht unb ba« fröhliche ©ertrauen, ba« mir (Reue unb auf 
mich perfönlich eigenartig Sirfenbe ju etwa« überhaupt (Reuem 
unb aßfeitig Sirffamem ju Beraßgemeinern, Berfagen mir je^t. 
Unb bann empfinbe idh wohl au^ ftärter at« in jüngeren Xagen 
ba« ÜRißoerhältniß jwifchen bem ©erichte unb bem ©efehenen, 
jwif^en ber ©d)ilberung unb bem ©mpfunbenen. 

Sie mangelhaft unb ungenügenb würbe bie Darfteßung fein, 
bie idh Shnen Bon meinem aufentljalte in SieSbaben geben fönnte, 
ba Shnen bie freunblichen, fröhlichen, jum X^eil bebeutenben 
SRenfchen, mit benen bort ju bertehren mir Bergönnt war, wenig 
ober gar nicht befannt ftnb. ©ie Würben, obwohl Shnen ber ©inn 
für Humor teineäweg« mangelt, nach meiner ©rjälßung e« boch 
faum begreiflich finben, welche ffleinigfeiten unfere hormlofe 
Buftigfeit erregen, unb welche unausbleibliche Sirfung bie be-- 
ftänbige Sieberholung beSfelben einfachen ©cherje« ober einer 
wohlfeilen (Rederei heroorbringen tonnte, ©ie hoben ja webet 
Sodjbrunnen noch SRolfen getrunfen unb e« alfo auch nicht er; 
fahren, Wie ber SRorgenfpajiergang in ber XaunuSftraße unb in 
ben anlagen, mit bem bunten ©lafe oofl heißen Saffer«, bie 
großftäbtifche Slafirtljeit beseitigt unb ben ©egriff ber biblifcßen 
©infalt in un« wieber Berwirtlicht. 

Unb Wie fönnte ich Shnen ben wunberfamen (Reij ber 
(Regentage in SW beranfchoulichen! Daß ich in bem gemüth : 
liehen Hotel ©lifabetlj bie Unbiß bet Sitterung leicht Berfehmerjt 
‘ höbe — Bom Stegen wirb heuer fo Biel gefprochen, al« fei er 


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Sie ©egenwart. 


Nr. 32. 


eiue neu entbedte ©rimabonna — baS »erben Sie allenfalls be= 
greifen, wenn icß S^nen fage, baß ich in 3 f<ßt/ außer mit bent 
übermütigen greunbe au« Berlin, mit bem i<ß in Satjburg 
pfammengetroffen »ar, bureß ein befonbereS SReifeglürf nur mit 
ben UebenSroürbigften unb anregenbften Seuten pfammengefüßrt 
würbe: mit bem alten ©auemfelb, bem Süngften unter uns, mit 
#an« $opfen, ben bie ©ietät, oietteicßt auch ein gewiffer Aber* 
glaube, immer »ieber nach 3 icßl prüdfüßrt, ba et bort einige 
feinet beften Süomane, unter Anbern „3ufcf)u", gefcßrieben bat, 
mit D. Spißer, ber mit berfetben SRegelmäßigteit wie ©ßngßen 
,,ba« liebliche geß“ non unfern Sournaliften ber „wißige SBiener 
Spajiergänger'' genannt wirb, mit bem biptomatifchen SiebüngS* 
gefolge beS ©rafen Anbraffp, bem flugen unb ßnnreicßen Subwig 
oon Docp, bem Dichter be« „Äuß", unb bem gemütbticben $of= 
fecretair oon ©ecßß, mit Dr. gürftenberg, bem Dßpu« be« fooia- 
len ©abearjte« im beften Sinne beS SBorteS ic. Aber wenn 
Sie auS biefer Sifte auch fc^on auf bie Stimmung fcßließen 
fönnen, bie in unferer ©efettfcßaft ^errfc^te — was ift 3 ßnen 
§efuba? Sie wiffen ja nicht einmal wer ©omberger ift, grau 
Uhl ift Sßnen oietteicßt nicht einmal bem Flamen nach belannt, 
bie AnjießungSfraft oon Slobed übt auf fie feine SEBirfung, oon 
ber ©fplanabe wiffen Sie fooiel wie nicht«, — was foH ich 
3 ßnen ba oon 3 ßßl erjagten? 

Unb nun gar oon ©aftein! 

Daß baS SBilbbab in einer ber ßerrlicßften ©egenben bet 
SBelt liegt, baß bie Auffahrt oon Senb p bem ©roßartigften 
unb ber SBtid oon ©aftein auf bie fmaragbgrüne SRieberung mit 
$of* ©aftein p bem Sieblicßßen gehört, WaS baS menfchliche 
Kluge erfdjauen fann, bürfte fchon in Weitere ftreife gebrungen 
fein, unb oietteicßt hoben Sie baS auch ftßon irgenbwo einmal 
gelefen. Ueber bie ©efettfchaft ba oben aber hot Ma| SHing im 
„MontagSblatt“ fcßon gewiffenhaft berichtet. @r hot 3ßnen er* 
pßlt, baß ber commanbirenbe ©eneral bet ©arbe, ©rinj Auguft 
Oon SBürttemberg, ben man gewöhnlich in ber ^Begleitung beS 
SanbforftmeifterS Ulrici erblidte, baß ber fßmpathifcße DSfar 
oon Sftebwiß, baß ©taf ©euft, ©raf SBilßelm o. ©iSmard, 
Dr. ©buarb SrodßauS aus Seipjig unb oiele anbere intereffante 
©erfönlicßfeiten bie tpeilfraft ber bortigen ©über aufgefucßt haben. 
Unter biefen intereffanten ©erfönlicßfeiten wirb mir Maj SSing 
ä Charge de revanche geftatten, auch ih n felbft unb unfre 
©oltegen oon ber ©erliner ©reffe: fjermann S'ietfe oon ber 
„©offifcßen*'' unb Schweißer oon ber „Siationaljeitung" mit» 
pjäßlen. Aber einen Mann hot Maj Sting in feiner gremben* 
lifte bocß oergeffen, unb ich Wette, meine ©ereßrteße, baß Sie 
biefen nicht unter bie weniger 3 «tereffanten einbegriffen wißen 
möchten: eS ift bet Scßneiber SBortß auS ©aris, ber finnreicßfte 
©rßnbet ber Damenmoben, ber ©bifon ber SBintertoiletten. 

Dem ©räfibenten Simfon begegneten wir, als wir hinauf* 
fuhren, unb ber beutfcße Äaifer würbe am Dage unferer Abreife 
erwartet. 

©rwartungSooQ unb pocßenben ^erjenS, mit ungeheuren 
ft'ornblumenbouquet« auSgeftattet, blidten jene läftigen unb lächer¬ 
lichen Aufbringlinge beiberlei ©efcßlecßt«, für bie man ben Xitel 
„Saiferjäger" unb „Äaiferjägerinnen" erfonnen hat, nach |)of= 
©aftein hinab, ob fuß ba nicht halb baS fö'aiferlicße ©iergefpann 
jeigen würbe, unb feft entfeßloffen, nicht eher oon ber Stelle p 
weichen, als bis fie einen ©ruß, oielleicht fogar ein freunb* 
liehe« SBort oon bem leutfeligen Monarchen crßafcßt hoben würben. 

SBaS fuh über ©aßein fonft noch fagen läßt, mögen Sie 
in bem Steifebriefe oon Spißer, ben Sie im 4. Sanbe feiner 
„Spajiergänge“ ßnben werben, nacßlefett. @8 ift jebenfaHS baS 
©efte unb Dreffenbfte, was über baS intereffante ©ab gejagt 
worben iß. Stur will mir ßheinen, baß fich ©bißet bieSmal 
einen geltet hot p Schulben lommen laßen, ber ihm fonft 
nicht leicht naeßgefagt werben fann: er ift gar p bulbfam unb 
ju milbe gewefen. 

©on ber Autolratie beS SelbßherrfcherS aller ©afteiner, 
beS $jerm Straubinger, beS ©eßßerS beS anfehnlichften ©aß* 
hofeS bafelbß, ber mit ben meißen übrigen Sogiegebern oer* 
wanbt ober oerfchwägert ift, ober ße in feinem Dienfte hat, 


macht fich ber ©rofane leine ©orftetlung. AIS ich ©ßifeer auf* 
forberte, uns nach ©aßein ju begleiten, entgegnete er mir ernft* 
haß: „@3 geht leibet nicht. 3<h ßube bort lein Untertommen 
unb nichts )U eßen. Straubinger, beßen SRajeftät ich bureß 
mein geuiUeton in ber „Steuen freien ©reße" beleibigt h°be, 
hat ben gemeßenen ©efeßl ertßeilt, mich obbacßloS aushungern 
ju laßen.“ 3<h ^ielt ba« natürlich für einen Spaß. Stach ben 
ba oben gewonnenen ©rfaßrungen aber höbe ich eingefeßen, baß 
Sßißer burcßauS Stecht hotte. 

I Kludj einem anbem ©afteiner ©aß, ber fieß bureß Unter* 
jeießnung einer ©etition, betreßenb bie ©ntteerung unb güßung 
ber ©aber in ©egenmatt ber ©abegaße, mißliebig bet f?errn 
Straubinger gemaeßt ßatte, iß ber Slufentßalt bafelbß unter 
feinem wahren Starnen jur Unmöglichleit geworben. @8 hatten 
nämlicß einige ängßtieße ©emütßer ben unheimlichen ©erbaut 
geßegt, baß bie Scannen nicht }u jebem einzelnen ©abe mit 
I ßifeßem SEBaßer geßittt würben, baß alfo bie bequemen Herren 
I ©abemeifter wenigftenS jum Dßeil bie oertrauensoolle Kluffaßung 
i jener franjofifeßen S'ammerjofe tßeilten, welcße ju oorgenidter 
Klbenbftunbe bureß ben unerwarteten ©efeßl: für bie ©efeüf^aft 
i Dßee ju bereiten, überrafeßt würbe unb, ba bie SEBaßerleitung 
| ben Dienß oerfagte, bie ©erwertßung beS noch oorßanbenen 
; SOtorgenbabe« mit ben SEBorten emßfaßl: „Madame est si propre!“ 
©egen biefe äuffaßung nun remonftrirten einige SBagßälfe, 

■ unb berjenige, ber biefe ©ewegung oor SlUem unterftüßt ßatte, 
würbe oon §erm Straubinger in bie Sicht erllärt. Der Mann 
fanb factifcß „lein §üfung" meßr unb burfte fernerhin nur noch 
bfeubonßm ber SBoßttßaten beS ©afteiner Aufenthalte« genießen. 
Sie feßen, es geßört ein gewißer Mutß bap, baß icß 3ßnen 
ba« feßreibe. 

Aber e« gibt aueß freunblicßete SBirtße, unb als einen 
folcßen lann icß 3 ßnen eoentuett ben meinigen empfehlen: ©aul 
SEBinbifdjbauer — Sie ßnben ben ERamen auch im ©äbeler unb 
in ben SReßer’fcßen Sfaifebücßem. Sein $auS liegt etwa 10 
Minuten oom ©entrum, bem Straubingerpla|e, entfernt, fo baß 
ber mufitalifcße Unfug, ben bie ©abelapeile mehrmals am Dage 
treibt, hier laum oerneßmbar iß; überbie« in entpdenber Sage: 
gegenüber bem ftirdjßof. Der erfte ©lid auS bem genfter trifft 
einen neuen Seicßenßein, auf ben mit weithin blinlenben ©olb* 
bueßftaben bie SBorte gegraben finb: „$iey rußt fern oon ber 
fjeimat, fern oon ben Sßrigen ic.“ Scßlicßte ^reuje gemaßnen 
an bie ©ergänglicßleit aöeS 3rbifcßen, unb bamß man nicht 
gleich ouf onbre ©ebanlen lommt, unb etwa bureß ben gern* 
blid auf ba« entjüdenbe Dßal mit $of*©aftein jerßreut unb er* 
ßeitert werbe, ßat man bem SEB inbifcfibauer baS ScßulßauS gerabe 
| oor bie Stafe gefeßt, beßen weißgetündßte Mauern bie Sterbe* 
| gehanten unterftüfcen unb pr ©inleßr unb Süße aufforbern. 
; Da« wilbe Slaufcßen beS unmittelbar hinter bem $aufe ßerab* 
I ftürjenben ©ewäßetS bringt in bie ©infamleit unb Stille ber 
I Stacht Beben unb ©ewegung. Unb abgefeßen oon aßen biefen 
j Sorjügen iß ©aul SBinbifcßbauet ein bittiger Mann. Da wir, 
| mein Steifebegieiter, ber bie SDBoßnung beftetlt ßatte, unb icß, 
wegen beS falten unb naffen Setter« brei SBodjen fpäter als 
oerabrebet in ©aftein eintrafen, fo berechnete ber SEBirtß außer 
ber nießt benufcten SBoßnung — was ganj in ber ötbnung iß — 
aueß bie täglich, alfo einunbjwanjigmal nießt genommenen 
Doppelbäber mit 38 ©ulben unb einigen Äreujern. Auf bie 
©ereeßnung be« ©ßampagnerS, ben wir wäßrenb berfelben 3 eit 
nießt getrunlen ßaben, ßat er großmütßig oerjicßtet. 

Ueber bie SBanbelbaßn, bie ben $urfaal oon ©aßein bilbet, 
ßat Spifcer feßon ba« Stötßige gefagt. @8 iß ein langgeßredter 
©laStaften, etwa in ber gorm einer Äegetbaßn, mit erblinbeten 
Scheiben, bie ben hoppelten 3»ed erreichen: gleichseitig bie 
i frifeße Suft, wie bie AuSßcßt abpfperren. Man ßat hier mit 
! erftaunlicßem Scßarfßnn ba« Stätßfel gelöft, wie in bem Wegen 
| feiner wunberbaren Suß mit fRecßt berühmten ©abe boeß eine 
j Stätte p errießten wäre, in ber eine Demperatur ßerrfeßt, welcße 
j bei feßönem Setter an bie SBacßtftube im $o^fommer, bei 
fcßlecßtem an ba« 3 «oet« be« ©ferbebaßnwagen« naeß einem 
1 ©ewitterregen erinnert, ©ben fo ßat man ßnnig p biefem 


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Nr. 32. 


SU <$£grnnmrt. 


89 


Sammelpunfte bet Äurgäfte beit einzigen ©la| erwählt, ber gar 
feine AuSficht gewährt, währenb man gleidjjeitig bafiiit ©orge 
getragen hat, baß ber Söticf auf ben großartigen SBaffetfall 
butcß bie bebectte ©rüde jur Unmöglichfeit gemacht werbe. 
Sollte ein ©reis barauf gefegt werben, wie bie SBunbet ber 
Statur bem jtemben am ficherften unjugängüd) ju machen feien, 
— bie Erbauer ber ©afteiner ©rüde unb ber SBanbelba^n 
würben unzweifelhaft als Sieger aus bem SBettftreite herDors 
gehen. Aber „ffinbe gut, AüeS gut!" Unb baS (Snbe ber 
SBanbelbaßn ift bie gute Sonbitorei mit bem fcf)on non ©pifcer 
oerljerrlichten hübfcßen jungen Stäbchen unb bem guten Kaffee. 

Unb nun merfe ich auf einmal, baff ich bocß non meiner 
Steife, wenn auch nur ganj oberflächlich geplaubert habe, mal): 
renb ich mir Dorgefefet hatte, Sljnen non etwas ganj Anberent 
ju erzählen. 

SBäljrenb meines Aufenthaltes in SBieSbaben Würbe ich faft 
non jebem ÜDtenfdjen, mit bem ich jufammentraf, gefragt, ob ich 
Jräulein non ffirneft fchon gefehen hätte? ®te ©eljarrliehfeit, 
mit ber biefe Stage, bie ich ftets nemeinen mußte, an mich ge= 
fteDt würbe, machte mich noch neroöfer, als ich ohnebieS fchon 
war. gräulein non (Stneft ift nämlich bie erfte Siebhaberin nom 
SBieSbabener ^»oftheäter. Schließlich ging ich benn ins Hjeater. 
Ueber bie fchaufpielerifdjen Srifhtngen ber jungen ®ame h°&e 
ich mir fein genügenbeS ©ilb nerfchaffen fönnen, ba ich ß e nur 
noch in einer unb zwar in einer ziemlich larmoßanten Stolle 
habe feljen fönnen. SBieSbaben, beffen tiebenSwürbiger $ur: 
birettor $ep’l in jeber SBeife für bie Unterhaltung ber Sur* 
gäfte forgt, unb baS trojj ber fchweren ©atienten, bie fich bort 
jufammenfinben, eines unferer luftigften unb nergnüglichften 
beutfchen ©aber ift — SBieSbaben ift fo galant gegen bie Stern: 
ben, baß eS fein X^taiet währenb ber eigentlichen ßurjeit 
fdjließt. ©in hartgefottener £he°tergänger wie ich tonnte fich 
barüber atterbingS beflagen; benn bie ©orftetlungen, welche ith 
bort gefehen höbe, waren jum großen Ißeil Dortrefflidj, nament: 
lieh auch bie Aufführung bet Oper uon 3uleS be ©weert, „SDie 
Albigenfer". Sür ben Ausfall ber theatralifdjen Aufführungen 
Werben bie Surgäfte im Uebrigen baburdj entfd)äbigt, baß 
man währenb beS ftärfften SretnbenanbrangeS bie üaunuSftraße 
pflaftert. 

Sräulein Don ©raeft würbe mir nun aber nicht bloS als 
©djaufpielerin, fonbem auch fl lS Dichterin gerühmt, unb bie 
lofale ©htonif wußte nicht genug Don ber ©ielfeitigfeit biefer 
©rooinjiakSarab ©ernharbt ju erjähten. ©üblich entfcßloß ich 
mich, bie mir fo bringtidj anempfohlenen ©ebichte*) ju tefen 
unb ich muß gefteßen, baß mich bie SRännlidjfeit biefeS energü 
feßen, muSfulofen poetifc^en Talentes in ©rftaunen gefeßt hat. 

®S ift jmar ganz richtig, baß uns aus biefen Siebern 
manche Anftänge unb Stacßflänge entgegenfummen. SBir glauben 
bisweilen Sieber Don Senau, ©ed ober ©etöfi ju tefen; aber 
immer hoben wir bie ©mpfinbung, baß h* er boeß ein eigen: 
thümlicßeS unb ftarfeS latent ju unö fprießt. 

©efonberS frappirt uns bie eigentümliche SBaßl ber ©toffe. 
SBenn man biefe ©ebießte lieft, fann man wieber einmal feft- 
ftellen, wie trügerifcß oft baö ©ilb ift, baS fuß bie ©ßantafie 
beö SeferS eines ©ucßeS Don beffen ißm unbefannten ©etfaffer 
bilbet Sräulein ©rneft iß ein ©cßoßfinb ber SBieSbabener 
©efeDfcßaß. SBüßte ich nießt, aus ißren Siebern würbe icß 
es meßt erratßen; benn baS, was bie ©erfaffetin ber „©ufjta: 
lieber" weiß ober ahnt, was biefe empfinbet unb auSjubrüden 
Wagt, läßt auf AUeS eßer fcßließen, als auf eine junge unber: 
ßeiratßete ©efeüfcßaftsbame. 

JHefe ©oefie ift Don einer ganz merfwürbigen Slottßeit, 
unb meßr als baS! Sie ©ßantafie uttfrer ®icßterin fueßt mit 
unoetfennbarer ©orliebe foldje ©toffe auf, Don benen ein junges 
Stäbchen nießts zu wiffen braucht, eigentlich auch nichts wiffen 
foßte. ®ie meiften $elbinnen biefer „Sieber" finb ungarifeße 
©farrerStöcßter Don Xaubenßain, benen „Dom glüßenben $aucße 


*) Sieberftrauß aus ber ©ußta »on Starte oon (Srneß. SBien, Keß 
unb ßeipjig 1878, A. partlebenS 8erlag. 


ber Suft bie Unfcßulb ju lobe betgiftet" wirb; unb wenn icß 
biefe ©ebichte eingeßenb befpreeßen unb einen entfpredjenben 
litel für ben Auffafc wüßten würbe, würbe icß ißn „Sungfräu* 
ließe SBocßenftube" überfeßreiben. SBenn bie Slicßterin jenen 3«: 
ftanb fcßilbert, über ben ©reteßen feßon mit ben SBorten Kagt: 
„SBer füßlet wie wüßlet ber ©eßmetj mir im ©ebein!" — fo 
ßnbet fte AuSbrüde Don einem fo padenben unb ftarlen StealiS: 
muS, Don einer fo Jeden Anfcßauticßleit, baß man eßer an 
©canjoni in SBürjburg als an eine jugenblicße Siebßaberin in 
SBieSbaben benlt. 3<ß brauche nach ©elägfteflen nicht lange ju 
fueßen. ©leid) baö erfte ©ebidjt naeß bem ©orrnort tautet fo: 

Sie Srwadjte. 

ßabe bie Siebe tennen lernen, — 

I Sie brannte fo f) e >6, fte Woßnte fo tief! 

Oft war mir’S, als ob aus feügen Jemen 
! ®ie tobte SOtutter beim Slamen miß rief. 

( Sticht fdjettenb ertlang es bem armen ft'inbe, 

Obwohl ich mein Alles geopfert hob’, — 

; Stein, gut unb fanft, wie bie Jr&hlingSwinbe 

3m SBctbenbaum flüftern auf ihrem ®tab. 

S Stun bin ich grß^tt Bom Jiebertraume, 

j Unb aeß! bie SDtutter, nun fdjmeigt fie ftiß. 

©Boßl raufeßt noeß ber ©Binb im SBeibenbaume, 

$ocß weiß icß nießt, was er mir fagen will. 

Stur tief im petjen ein leifeS Ritten 
Stocß ßör’ icß unb tann’S nur ju woßl oetßeß’n. 

3m engen Stiebet mbeßt’ icß’S erftiden, 

I ®ocß nimmer, aeß nimmer will es oergeß’n. 

$ier noeß rin anbreS feßr originelles, aber nießt minbet 
gewagtes, baS britte biefer Sieber: 

i 

j ®ie Xocßter ber gigeunerin. 

1 Steint SDtutter trägt ein rotßeS (Bctoanb, 

©Beiß blißen bie Sägel an ißrer $anb, 

3ßr* ©ruß — o Wie weieß! 3ßt ■'paar — o wie lang! 

3ßte Stimme fo ßeH wie Sercßengefang, 

SSBie feßön iß meine SDtutter! — 

So baeßt’ icß beS AbenbS im Kämmerlein; 

®a trat meine SDtutter gut XßAre herein, 

Unb mit ißr ein SDtann, ben icß nie noeß gefeß'n. 

Sie blieben im SDtonblicßt Bor mir fteß’n, — 

©Bie feßön iß meine SDtutter! 

„Um beinen tobten Kater nießt meßr 
SDtacßc bir SDtäbeßen baö per je. feßwer; 

3<ß liebe bein SDtftttercßen, ße wirb mein, 

®ir will icß ein guter Kater fein." 

So fpraeß er mit tiefer Stimme. 

DticßtS Ionnt’ icß fagen; er naßm meine panb, 

SDtir war eS, als ob icß im Jeuer ßanb; 

SS ßog mir ein Scßauer ben Seib entlang, 

SDtir würbe fo felig, fo tobeSbang- 

©Bie feßön iß meine SDtutter! 

$a läßt’ er bie SDtutter unb jog fie mit SDtacßt 
pinauS in bie warme, bie buftige Staeßt. 

3eßt ßeß’ icß träumenb im SDtonbenfcßein 
Unb feufj’ in Xßtänen unb nagenber ©ein: 

©Bie feßön iß meine SDtutter! 

3u guterteßt noch ein fteinereS, hormlofereS: „®ie ©ari": 

®u biß bie ©Bilbeße, Sari, oon Allen, 

®ie fuß fo reeßt auf ben KfarbäS oerßeßen, 

«ib «ht nur, SDtäbei, bu wirß noeß faden 
3m faufenben, tollen SBirbelbreßen!" 

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90 


fflte (üegenmurt. 


Nr. 32. 


„„SÖiit nichts!"" fagt fte, unb ben gopf mit beit SBätibent 
SBirft fie prüd. „,,2Ba3 tonn mir ba« fdjabett?! 

3dj Ijab’ Untetrötfe mit bunten Zaubern 
Unb rottje «Stiefel unb flotte Sßaben."" 

Sdjon au§ biefeit ©ebidjten totrb man erlernten, bafc man 
eä mit einem tiurttidjen latente $u tfjun tjat, baä teef jugreift, 
richtig füt)lt unb fernig fpricfjt; aber aüerbtngS — „pour une 
rosiöre — c’est fort“, fagt ©raffot in einer befannten $offe be3 
^ßataiSsSlotyal. 

3Bie immer mit freunbtidjftem ©rufce 

3h* 

Paul £tnbau« 


Jarali dßernljariJt. 

Von 

3ofjn pautfen. 

©ne ©arifer 3«ttung hot fürjlidj iljre Ueberfidjt über bie 
©arifer Idealer mit folgenben SBorten gefegt offen: „RiemalS ift 
baS Theätre fran^ais fo befugt gemefen tote je|t, nicht einmal 
in ben glanjenben lagen ber Staket unb RtarS." 

SBa« mag bie Urfadje biefer ungemöhnlid)en Strömung nad) 
bem Thfeätre fran<jais, Rtdliöre« altem §aufe, gemefen fein, beffen 
flaffifdhe« Repertoire früher bie Rtenge pinmegtrieb unb nur bie 
SluSermählten feffelte? $at man ber gorberung ber 3«it nad)- 
gegeben unb bie Strenge be8 Repertoire« gemitbert? 3“» Rtoliöre, 
Racine unb ©orneifle herrfdhen nicht mehr auSfdjließtich auf ber 
erften Süpne granfreid)«; unter bie perfiden mit ber frönen 
Rhetorif mifd^t fid) jefct ungenirt „Le fils naturel“, bie lentis 
monbebame, bie gamitie gourcljambautt unb bie befannte „grembe" 
(L’6trangöre); Sllejanber ©)uma« unb Stugier hoben ihren ©njug 
gehalten, unb mit ihnen bie ©egentoart. loch nicht attein in 
biefer Repertoireüeränberung allein muß man bie Urfadje für ba« 
große Sntereffe be« publicum« fu<hen, e« rührt auch baßer, baß 
ba8 Th6ätre frangais zur 3eit, ober menn ba« ©erficht maßt ift, 
bi« jefct eine ffünftterin oon Rang befaß. greilich ift e« nicht 
Rtabemoifede Rachel ober Rtabemoifede Rtar«, e« ift Rtabemoifede 
Sarah Sernharbt. 

gnbem ich f*e nenne, höbe ich zugleich ben Ramen einer 
ber bezogenen ffünftlernaturen oon ©ari« auSgefprocßen, be« 
Zarten Spielzeuge«, mornit ©ari«’ „on dit“ fich befd)äftigt, einer 
Sünftlernatur, bereu latent man bemunbert, über bereu ejeens 
trifche Ißorßeiten man lächelt, ohne fich ju ärgern, oftmal« mit 
bem ©eßagen eine« liebeoollen, fchmachen Vater«, ber ba« Stuge 
oor ben Meinen gehlern feine« ®inbe« fehltest, bie ihm im 
©runbe fogat fchmeidjeln, meit er barin feine eigene Ratur 
miebererfeimt. Sarah Sernharbt ift ©ariferin unb ihre Vor= 
Züge mie ihre gehler ftimmen bamit überein. Sie ift eine oon 
ben unglücMidjen grauen, beren ©rioatleben mit feinen ©apricen, 
©eheimniffen unb fünftlerifdjen ©efdjäftigungen meit mehr Vers 
anlaffung jur ©efptedßung gibt, at« ihre öffentliche SBirffamleit 
al« Sdfjaufpieterin. Dbet richtiger gefagt, fie befißt fein ©ribats 
leben, jebe gatte barin hot man unbarmherzig geglättet unb bem 
Coden Sicht be« läge« preisgegeben, ihre Vergangenheit, ihre 
Siebhabet, ihre Äinber :c. ©ine Steuerung oon ihr, menn fie 
auch wicht gerabe geiftreich ift, mürbe am fotgenben Jage in ber 
SBeltftabt Oerbreitet; unb e« ift oft gefdfjeßen, baß fie am Rtorgen 
in ber 3eitung ihre eigenen fchned ßingemorfenen Meinen ©riefe 
at« eine pifante Süuftration ju einer Slnecbote mieberfanb. 

Sie ift mie befannt fomoht Scßaufpielerin al« ©ilbhauerin, 
Rtalerin unb Sdjriftftederin. Sie hot im „Salon" jtoei ©üften, 
ooit ©mile be ©irarbin unb SuSttad), auSgeftedt unb arbeitet 
jur 3eit an einer größeren meiblichen Statue, metche bie Rtufil 
barfteden fod unb, auf ©eftedung bon Rtonaco, für ba« bortige 
Dpernßau« beftimmt ift. $>er „Salon" hot eine ihrer Arbeiten 
mit einem ©rei« bebadjt. 8118 Sdßriftftederin gibt fte oiedei^t 
eine Verheißung für bie 3ufunft. ' ®a« Meine ©uch, ba« fie 


| fürjtich über ihre häufigen ©adonfahrten in ©efedfehaft be« 
i SRaler« ©. — ber e« auch iduftrirte — ^erauSgegeben h«t, mar 
holbmeg« lächerlich. ®ie ©arifer fanben jebodj, baß baSfelbe bei 
; ad feiner ©ebeutung«tofigfeit „©hic" hätte; fie fanben „Sarah", 
mie ihre ©emunberer fie öertraultdj nennen, barin mieber unb 
amüfirten fich über fie — jeboch oom ©ublicum im Stdgemeinen 
mutbe e« nur al« eine große Reclame betrachtet, bie bie @e= 
banfen auf bie große, unoergleidftiche, einzig baftehenbe Sarah ©ern= 
harbt, bie in fettenem ©rabe begabte grau, hinten* 0 * fodte, 
mel^e, ähnlich ben großen SRännern ber Renatffance, Reichet 
Slngeto, Seonarbo ba Vinci, mit ©lücf ade fünfte treibt. 3h re 
greunbe flüfterten baoon, baß fie außer einer fünfactigen Ir a- 
göbie, bie fie feit lange in ihrem ©ult liegen höbe (marunt 
fommt biefer Schah nicht au« feinem Verftecf h*tou«?), z«r 3 e *t 
an einet längeren Rooede: „La petite mule“ (ber Meine ©an* 

I toffet) arbeite, beren Vodenbung ©eorge Sanb« Ruhm oerbun« 

! fein unb bie Sippen ihrer literarifchen ©egner fd^lteßen mürbe, 
©tfldlichermeife ift bie« SBerf noch nicht an« Sicht getreten. lie 
Orthographie fod übrigen« bie 8tdjide8ferfe biefer aufgeßenben 
lichterin fein. 

3hr« Icfete ©jtraoaganz mar, baß fie fid), in einem Sarge 
tußenb, umgeben oon ihren meinenben greunben unb ©es 
munberern, photographiren ließ. liefer Sarg, ein mitMt^e« 
Äunftmerf, gefüttert mit toeißer Seibe, fod mäßrenb längerer 
3eit ißr al« ©ett gebient hoben, ©ine boshafte ©arifer 3°tung 
bemerfte bei biefer Vetanlaffung, baß bie8 ben iitel eine« ge= 
miffen Roman«: „L’amour et la morte“ in ffirinnerung bringe. 

„5)ie Reclame töbtet Sarah ©ernljatbt," fdirieb ein beutf^er 
©orrefponbent an fein Statt. Sie fetbft fod biefe ©efapr eins 
gefehen unb ihre greunbe, bie Herren Rebacteure unb Sritifer, 
erjueßt hoben, fie ein menig mehr zu fdjonen unb nid»t ferner 
ihre geringften fpanbtungen unb ©apticen, jeben 8lu«flug, jeben 
©efu^ bei einem greunbe, jebe unbefonnene, fcherzhojte 8leußes 
rung u. f. m. in bie Deffenttidjfeit zu bringen, gnbeffen thut 
ße fetbft menig ober nicht«, um bem Uebet entgegenzuarbeiten, 
ba« immer mehr um fich greift unb betreff« bejfen fte fürchtet, 
fie oermöchte nicht bie h°<hgejponnten gorberungen zu erfüllen, 
mit benen ber grembe, betäubt oon ben zu ihrem Ruhm er« 
fdjadenben Jrompetenftößen, fich t> em ^eiligthum naht, beffen 
©riefterin fie fein fod. Sa, er begegnet einer ©riefterin, ba« 
ift mahr. 8lber meSljatb trägt biefe tragifche Rtufe neben bem 
iotch unb ber RtaSfe SRetpomene« audh — eine Rarrenpritfdje 
in ber $anb? 

8thnt fie, baß ein lag fommen toerbe, too ber gebilbete 
3ufhouer im Theätre fran^ais nicht oodfommen ißr Spiel zu 
genießen oermöchte, inbem ber ©ebanfe an ißt eigentümliche« 
©rioatleben fidh bermirrenb unb — baß mir e« eingeftehen — 
abfdjredcnb ihm aufbrängt? ©in lag, mo bet 3uf<houer fich 
fragen rnirb: „liefe grau, bie mit ihren ©adon« unb Särgen 
fetbft ihren Ruf fid) bereitet; bie geftern ein lächerliche« ©uch 
gefdhrieben hot, beffen Reclame offenbar mar; bie morgen in $en 
genftem ber ©h°tographen, in SRännerMeibern mit bem Rieißel 
in ber $anb ihre eigene ©ttfte befdhauenb, fich auSfteden läßt; 
unb bie am läge barauf in engen Iricot«, oerfunlen in ©es 
rounberung einer Rialerei, mit bem ©infei in bet |»anb un« ers 
Zählt, baß fie auch SRolerin fei — biefe grau, ift fte auch öod« 

I fommen rnütbig, eine ©häbra, eine SRonime, eine 3a"ire, eine 
1 ®ona Sol, bie großartigen ©eftalten ber großen lichter zu Oers 
| bolmetfdjen? Ruht liefe unb ©rnft genug in biefer anfdjeinenb 
| fo launenooden, phantaftifdhen Seele, um bie eblen Iräume be« 
i lichter« zu oerftehen? gühlt fie fetbft bie ©oefie unb ben ®e= 

I banfenqited be« ©ebichte«? ober ift ihre Stimme nur eine töttenbe 
©locfe, ein fchöne« Suftrument, ba« fie behenb in ©eroegung zu 
fefeen unb bem fie füße löne zu entladen meiß, fo burch läus 
j^ung un« bemegenb? „So, bie Reclame ift eine gefährliche 
1 Riacht," fie fdjafft fabelhafte SBefen, pifant unb feffelnb im 8lugens 
blid. 8lber bie SBahrheit oerbirgt fich f<h eu unter biefem ans 
gethanen gtitter unb oermag fich mitunter mäfjrenb ihre« ganzen 
Scben« nicht oon bemfelben zu befreien, fonbetn fte ftirbt in 
ihrem fetbftgefponnenen ©efängniß. 


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Nr. 32. 


Sie Öbrgenrourt. 


91 


©inige Umriße bieie# merfwürbigen f ünftlerlebett# möchten 
nicht opnc gntereffe für beutfdje Sefer fein. 

©arah Semharbt mürbe geboren — ja, hier fontint ber 
Siogtaph fofort in Serlegenljeit; beim fie hat e# oerftanben, 
ben Tag ihrer laufe in unburchbringlidie# Tunlel gu Jütten, 
ihre Semmtberer behaupten, bafe fie woljl gwangig galjre gäl)le, 
ich bin geneigt, offne ungatant gu fein, ba# doppelte angunehmen, 
unb wenn ich bamit ihr Elfter gu etwa 40 gahren beranfd)tage, 
übertreibe icfj gewife nicht. SJtan weife, bafe fie Don jübifcfeer 
$erfmtft ift unb einer nicht wolftfeabenben gamilie angefeört. 
3fere SJtutter, eine ungewöhnlich fdjöne §ottänberitt, oerfiefe iffre 
Heimat unb ifere gamilie in Amfeerbam unb fam nach Sari# 
mit ber Tiligence ofene einen ©ou# in ber Tafdje. Sad) bent 
Sillen ihre# Sater# würbe ©arah in ber djrifttidjen Seligion 
getauft, fpäter fam fie in ba# flofter ©ranb:©hamp# in Sets 
faifleS, wo fte bis gu ihrem 15. galjre btieb. Al# fie baSfelbe 
bertiefe, wfinfdjte fie Sonne ober — ©djaufpielerin gu Werben. 

©ie wählte ba# fiepte« unb würbe Schülerin be# ßonferoa: 
toriumS, Wo fie Unterricht Don Sroboft unb ©amfon erhielt. ©ie 
bcfant eine fßtämie unb eine Anfteßung am Thbätre fran^ais. #ier 
bebütirte fie al# gpf)igenia, oljne jeboch irgenb welche# Auffehen 
gu erregen, ©ie betbfieb au# mehreren ©rünben nicht fange 
in SKotiäreS Tempel unb erhielt ein (Engagement am ©pmnafe: 
Theater. Son bort entfloh fee jeboch natfe furjer 3eit; eine# 
Abenb# erfcfeien fie nicht gur Sorfteflung, obwohl ihr Same auf 
bem Settel ftanb. 

©ie War fortgereift: fte erwartete Stutter gu werben. 

Al# fie nach Setlauf einiger 3eit prücffehrte, feef e# ihr, 
wie man fedf benfen fann, nicht leicht, wieber ©ingang beim 
Theater p finben. ©ie liefe fech unter einem angenommenen 
Santen am Theätre de la Porte St. Martin engagiren unb fpielte 
in ber geerie „Biche au bois“ bie Soße ber fßrinjeffen Tbfirte. 
©ie, bie fpätere tragifche ©röfee, fang bantal# auch mit im ©hör. 
Sittern biefe untergeorbnete ©teßung fonnte auf bie Tauer einer 
©aralf Sernljarbt nicht genügen, ©ie machte bem Tirector be# 
Dbeontljeater# ihre Aufwartung, unb am 14. ganuar 1867, bem 
jährlichen ©rinnerungStage 2Jtotiöre3, bebütirte fee auf biefem 
gweiten Theätre franQais al# Arntanbe in „Les femmes savantes“. 
©ie fpielte auch bie Soße ber 3adjarie iw. „Atljatie". Tie# 
wnrbe ihr erfter fcenifcfeet ©rfolg. ©pater trat fee al# Anna 
Tontbep in „f ean" auf. SKan bewunberte ihre „chaste pudeur“ 
unb bie eble Sletanchotie in ihren 3ügeu. Al# ©orbelia im 
„fönig Seat", guliu# la ©roij’ berfificirter Ueberfepung be# 
©hafefpeare’fdjen Siefenwerfe#, erfreute fie ba# Sublicum butd) 
eine fünfte Anmutfj unb eine Satürlichfeit, bie fie jept mitunter 
bertäfet unb ber Affectation Ißlap macht. (3<h fjabe fe e in ben 
ergreifenbften ©eenen, wo man glauben foflte, fie fei galt} bon 
bem ©eifte ihrer Soße erfiißt, ifer |>aar glätten unb ihre Toilette 
in ben feummen Saufen, bie fee hätte burch ihre SSimif au#= 
füßen foßen, orbnen fefeen.) ©nbtidj feierte fte einen wirtlichen 
Triumph in ©oppee# ©djaufpiel „Sanetta", unb ber junge Tichter 
gewann gugteiefe einen Samen, Tanf ihrer feinen unb gra}iöfen 
Tarfteßung. 

Unterbeffen brach ber Srieg au#, Sari# würbe belagert, 
©arah Semharbt# Setragen in biefer Seit be# Unglücf# ber: 
bient aße# Sob. ©ie errichtete eine Ambulan} im Dbeon unb 
pflegte bie Serwunbeten. Ter gtiebe würbe gefchloffen, bie 
Theater nahmen ihre Arbeit wieber auf. Sictor #ugo# „Sut) 
Sla#" foßte auf bem Dbeon aufgeführt werben, unb ber Tirector 
bertraute bte bebeutenbe S°rtie ber Königin ©arah Sernljarbt 
an, bie bereit# in „Sanetta" Stoben eine# ungewöhnlid^en Talent# 
abgelegt hatte. Al# Königin in „Sup Sla#" töfte fee aße ge: 
gebenen Serheifeungen ein, fie nahm Sreffe wie Sublicum gleich? 
fam im ©türm. Sictor $ugo# melobifcfje Serfe Bangen hoppelt 
melobif^ bon biefen garten Sippen, unb bie tiefe Seibenfcfeaft 
fanb einen entfpredjenben warmen unb eblen Au#btucf. 3h r 
Slap war bon nun an am Thüätre fran^ais, ber erften Sühne 
granfreich#, ja oießeic^t ber gangen SBelt. Sicht ohne manniep: 
faefee ©chwierigfeiten entliefe man fee bom Db6on, bem fee wegen 
©ontractbruch# 5000 graue# ©<habenetfa| galten mufete. 


Sach ihrer Sücffehr gum Theätre framjais bebütirte fie ba= 
felbft gum gweiten Stal al# Mademoiselle de Belle-Isle in Ale: 
janber Tuma#’ ©cfeaufpiel gleichen Samen#, in einer Soße, bie 
Weber ihrer Satur nod) ihrem Talent entfpradj. 3hr ©piel 
liefe bie 3ufehauer fall. Tagegen gewann fee al# gunie im 
„Sritannicu#" bie ©unfe be# Sublicum# wieber. Sach einanber 
trat fee nun al# Africie in „Shäbra", al# Anbromache, al# 
©herubin in „gigato# ftodjgeit", al# Sertfee be ©aoignp in 
„ ©phinp" auf. gn aßen biefen berfdiiebenen Soßen legte fie 
neue Sroben einer ausgeprägten Segabung ab. Tennod) War 
ihre Anertennung beim Sublicum noch "»‘h* einftimmig, ‘ man 
gweifelte, man ftritt über ihren SSerth- ©nblich fpielte fie Sa’ire 
unb Shtfe’vo unb griff mit einem Schlage burch- Tie Stauer 
fiel, fie hatte Abneigung unb 3*oeifel befeegt, ba# Sublicum er: 
iannte fie für ba#, wa# fee Wirtlich ift: eine herborragenbe 
ffünftlerin. Später hat fee bie Soße ber Serthe in „Solanbs 
Tochter" gefchaffen unb grofee# ©lüd in „L’etrang^re“ gemacht, 
©nblich h at fie fi<h al# Toiia ©ol in „^ernani" au#gegeidjnet, 
auf welche Soße idh fpäter gurüdfommen Werbe. SEBenn ftch ba# 
©erficht ihre# Abgänge# nicht beftätigt, wirb fee bemnächfe al# 
Seren ice auftreten. 

©rnile 3ola, be# „L assommoir“ belannter Serfaffer, gehört 
gu ihren Sewunberern. @t foß geäufeert haben, bafe ba#, wa# 
biefer genialen ©djaufpielerin fehle, eine wirtlich neue originale, 
lebensfähige Soße fei, gefdjrieben bon einem Tichter ber ©egen: 
Wart (3ota?), ein SBeib be# 19. gahrhunbert# mit feinem Streifet, 
feiner ßiebe unb feinem ©cfentergeäfchrei. Sießeicfet biefetet er 
felbft biefe Soße für fie? ©ein Theaterberfuch hat inbeffen fein 
©lüd gemacht; e# ift nur ber mächtige Somanberfaffer, bem 
man in ©mile 3ota huldigt, al# Tragiter miß man nicht# bon 
ihm miffett. 

SBünfdjt man einen Beinen ©inblid in ba# $eim ber ßünftle: 
rin, fo ergählt un# ber frangöfefdje gournalift ©hampfaur bie 
©inbrüde, bie er bei einem erften Sefudj empfing: 

„geh befanb mich in ihrer SBohnung unb wartete auf fie. 
gn ihrem Sintmer befanb fi<h ein alter gef<hni|ter Saften, bor 
einem genfter ein Beiner Tifch, auf bem ftamin eine ©ruppc 
au# §otg bon ©atprn unb nadten Amorinen, an ber SBanb ein 
grofee# Sorträt ber ^errfcherin be# §aufeä, gemalt bon ihrer 
greunbin Sutfe Abbema, eine 3eichnung bon ©abami, eine an: 
bere bon Tort, ein Aquarell bon ©härtet, eine Äreibegeidjnung, 
ein Beine# Silb oon ©lairie, einen Serrüdten barfeeflenb, ber 
einen ©<häbel unb einen Slumentrang in ber #anb hält. S*% 
lieh öffnet fech halb bie Thür, unb ein fchönet Änabe in SBefte 
unb SeinBeibern au# meifeem fehr feinen Seinen tritt mit An= 
ftanb gu mir. Tie SBefte ift grofe genug, boeh bie SeinBeiber 
fenb fehr eng, bagu trägt er ein Saar türtifefeer Santoffctn mit 
blauen Schnüren, einen grofeen ^alstragen unb einen Schlips 
bon meifeem SRouffetin, blonbe, faft rotfee $aare, welche auäfeljen, 
al# wären fee gefärbt, eine fogenannte Salonaife in ber $anb, 
fefer reich un ö Weife Wie bie übrige Sleibung. Ta# ©nfemble 
mit bem nieblichen ®opf unb ben flammenben Augen ift totett 
anmulhig, gleich einer feinen SippeSfegur, würbig, auf einem 
©odel in einem Souboir gu ftefeen. ©# war ©arah Sernharbt 
irt ihrem Ateliercoftüm. geh bergafe, bafe ich bor einer grofeen 
©djaufpielerin, einer berühmten fünftierin ftanb, bafe ich ' n 
©egenwart einer ber origineßften grauen unfere# gahrhunbert#, 
einer gweiten ©eorge ©anb, mich befanb, ich entbedte nur eine 
djarmante ©tatue in einer gragiöfen ©teßung. ©ie tarn mir 
täcfeetnb entgegen; aisbann, nadjbem fee am Tifdje S^°h genom: 
men hatte, wobei fie bie Seine mit bem Anftanb eine# ©abalier# 
über f reug fcfelug, begann fie mit einer Stimme ffife wie Stufe!, 
gu plaubern. ©ie fprang ohne Uebergang bon einem ©egenftanb 
gum anbetn, gang plöplich, Wie ein Sogcl fidj bon 3weig gu 
3weig bewegt, jept fliegt, je|t fech wieber auSrufet, mit ben 
gtügetn fchlägt, gum Fimmel emporfteigt unb babei untmtet: 
broefeen fingt. @8 War wohl ein Sogei, aber ein Sogei au# 
bem Sanbe Sopemien (fie hat jübifche# unb nomabifche# Slut 
in ben Abem), ein Sogei, ber fein eigene# Sieb fingt, ein Sogei, 
fo gu fagen, ohne förper unb ohne gebero." 


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92 


II te Gegenwart 


Nr. 32. 


©ine unbänbige Suff, befprocgen unb in ben Beitungen 
erwähnt ju Werben, ift ber geroorffedjenbe 3ug it»reä ©garalter«. 
Sie lönnte wie älcibiabe« ben Sdjwanj igre« |mnbe« (fie be- 
fifet eine ganje Koppet) abgauen, bto« um ber greube mitten, 
ftd^ bemerlbar ju machen unb (Stoff ju bem „on dit“ be« Jage« 
ju geben. ©ergeffen ju »erben würbe für biefe grau baSfelbe 
wie bet Job bebeuten. 

Ja« erfte ©tat, wo ich Sarah ©erngarbt fab, trat fie at« 
©ertge be Saöigng in „Sp^irtj" oon Dctaee geuittet auf. 
Jer ©uf, ber ibr oorau«ging, bewirfte, bag i<g ihrem Stuftreten 
mit groger Spannung entgegenfag; icb fottte ja bie toieber» 
erftanbene ©acget ftbauen. 

Jer ©inbrucf war wiber ©rwarten nicht angenehm, fie 
leibet an ber äu«jegrung; bie äerjte fotten bereit« üor mehreren 
Sagren ihr Jobeöurtgeil gefaßt fabelt; aber fie erlaubt fitb, 
tro| aller Hugen ©ropgejeiungen, ju leben. Sie befifct eine 
eifetne ©nergie. 3b« natürliche SOtagerfeit fällt juerff in« 
Singe; fie ift gerabeju abfcgredenb, unb atte bie Heinen fünfte, 
bie eine tüchtige ©atifer ©tobegänblerin anjuwenben oermag fie 
ju oerbergen, heben fie nur noch mehr berOor; benn biefe SOtenge 
oon ©turnen unb Sptgen mitbern. bie fdjarfen ©ontouren nicht. 
3gr feine«, fcbmate« ©effdjt trägt einen ffegenben Slu«brud oon 
Seiben unb SWübigleit, eine gewiffe lolette ©tartprmiene. Sie 
buftet leicht; e« ift ein trodener, gebämpfter duften jwifchen 
ben ©eptiten unb um ihren SDtunb jeigt ficb oft jene« herbe 
Buden, ba« ben btutfpeienben Fronten eigen ift. 3h* ®<wg ift 
ein Wenig ffogenb unb manfenb. Sie ergreift mit fflegier jebe 
©erantaffung, um ficb auf einen Stuhl ober einen ber ©tit» 
fpietenben ju ffüfcen, fogar an Stetten, Wo biefe Stube gegen 
ben ©baralter ber Stofle ftreitet. Stiegt feiten wirb fie nach 
Schlug ber ©orftettung oor ©rmattung ohnmächtig. 

Joch bat man ficb erft an biefe« teibenbe, traurige Steufjere 
gewöhnt, ba« mich baju brachte, an Kranlenftube, Jropfen unb 
©tebictn ju benlen, bann wirb ber ffiinbrud ein ganj anberer 
unb fdjönerer. ©tan entbedt, baff fie im ©efffc einer fettenen 
©obleffe, bag etwa« äriffolratifche« über ihre ganje fßerfon au«= 
gebreitet ift. Ja« ©roffl ift rein, bie fcbmate Stafe ift fcbön 
gebogen, unb bie feinen, gtogen ©afenftügel bewegen ficb wie 
bie eine« feurigen Stoffe« an ben patbetifcben Stetten be« Stüd«. 
3gre gtogen btaugrauen, metancbotifchett äugen Oerteiben ihrem 
©effcgt einen befonberen Siebreij. Unb ift man erft unter bie 
3aubermacbt ihrer äugen gelommen unb hört bann ihre gerr» 
liege Stimme, fo ift man befiegt, unb man oerjeigt, bag eine 
Sterbenbe fid) auf ber ©ügne bewegt, bie ba« Seben barftetten 
fott. Uebet ben SBohttaut ihrer Stimme ift oiet gefegrieben 
worben, unb bie Krittler ftotpern oft über bie äu«brüde, worin 
ge ihr ©ntjüden formen, ©in pbantafiereicber Jeutfcher fchrieb 
lürjlich, bag biefetbe unwittlürticg an einen fanften Stbenbwinb 
erinnere unb — an betaufegenben Stettenbuft. „Sänger äbenb» 
winb!" ber äu«brud mag gelten, er pagt auf eine Stimme, bie 
einer fo ätherifchen gigur wie ber Sarah ©erngarbt«, „einem 
©oget ohne Körper unb gebern" angehört, äber um ben 3u= 
fdjauer oon Stettenbug träumen ju tagen, bem oietteicht am 
meiften beraufegenben oon attem ©tumenbuft, mug man bie 
üppige ©eftalt unb ba« oottlommene ©ehagen einer „Spginj:" 
haben, ©in galanter granjofe oergteiegt ihre Stimme fonberbar 
genug mit bem ©efang ber gröfche am Sommerabenb, unb er 
meint ba« in oottern ©rnfte at« reine« ©omptiment. Jie gröfche 
mügen in grantreich ghöner quälen, at« bei un« bageim. 

3<g fanb, bag ihre Stimme fettfam weich, rein unb meto» 
bifch Hingt; ba« eigentümlich Schöne an ihr ift ein gewiger 
tinbticher, halb furchtfamer, halb überrebenber Saut, unb ju» 
fammen mit ber ©tufil ber ©erfe ertönt biefetbe Wunberbar. 

Joüa Sot ig eine ihrer ©tanjrotten. Jie ganje gebitbete 
SBett tennt ©ictor $ugo« „§ernani", begen |>orn feiner Beit 
at« ein neue« Signal ju bem heftigen, bereit« früher burch 
„$an b’3«tanbe" erwedten Kampf jwifchen bem KlafficiSntu« unb 
ber ©omantit erfchott, beten Sünger mit ben trodenen Jrabitionen 
ber alten Schute unb ber ätabemie brachen, einem Stampf, au« 
bem auger bem ©amen be« gührer«, ©ictor $ugo, bie ©amen 


ätfreb be ©luget, Jgeopgile ©autier, ©erarb be ©eroat, Sainte» 
Seuoe, Sanbeau ic., alte auf §ugoä Seite, geroorteuegteten. 

Joüa Sot ift feiner Seit bon ©ttte. ©tar«, bie gerabe 
hierin ihre grögten Jriumphe feierte, gefpiett worben. Sie 
würbe wogt Sarah Sentharbt bei einem ©ergleid) mit biefer 
weltberühmten Sorgängerin begehen? 

3gre ©ewunbeter — biejenigen, welche alt genug gnb, 
um ©ttte. ©tar« gefegen ju hüben — behaupten, bag ge geh 
biefer ebenbürtig an bie Seite gelten lönne. Sichet ig igr 
Spiet au«gejei<hnet, wenn auch an manchen Stetten matt unb 
farbto«, wa« wagrfegeintieg oon ihrer phhßfchen Schwäche ger» 
rührt. 3h ie ©iimil ig ju ruhig, ju einförmig, ba« ©effcgt 
begätt benfetben äu«brud teibenber ©iübigleit, wo bie grifdje 
unb Kraft ber ©egenrebe bie entfpreegenbe ©tiene erforbert 
Jiefet Siberfprucg fcgwäcgt bie Sttufion. So ge traurig fein, 
leiben unb weinen fott, ig ge oorjügtieg, baju pagen igre eigen» 
thümtiegen ©eficgt«jüge. gm ergen äct fpiett fie gebämpft, 
gleicgmägig, e« liegt ein „Sorbino" auf ben Saiten, ge wiber» 
gatten oon ber Schönheit, oon ©mg unb ebter Schwärmerei 
einer jungen Spanierin; fie erjittern, aber ge fpringen nicht 
unter bem Uebermag be« ©efitgl«. 3m legten äct fällt ber 
„Sorbino", bie Saiten erbraufen fo taut unb witb, at« ge 
lönnen. 3« biefem Scgtugact gipfelt igr Jatent, unb biefer 
äct war auch ba« ©gectftüd ber ©ttte. ©tar«. 3n bemfetben 
hat bie Schaufpieterin ©etegengeit, igr ganje« reiche« 3«nere, 
wenn fie fotege« bepfct, ju ogenbaren; gier buregtäuft ge in 
wenigen äugenbliden bie ganje Scata ber Gefügte be« ©lüd«, 
ber Hoffnung, ber Siebe unb ber ©erjweiftung; ge reigt mit 
fieg fott, man beugt fieg atgemto« oor unb taufegt. $ernani 
gat ba« ©ift genommen unb ftirbt, wägrenb Jona Sot fegon 
gerbenb fieg an ign Hämmert, unb man oernimmt bie mitben 
äbfigieb«worte. 

Unb boeg oermag Sarah ©erngarbt biefer 3ßugon niegt 
gereigt ju werben. 3grc Kraft reicht niegt au«; igre fegwaege 
Stimme braeg unb würbe geifer, wenn ge in Segntetj unb Dgtt» 
maegt fegrie, inbem ge Jon ©up ©omej um ©nabe angegte. 3h r 
jarter Körper jitterte gegtbar oor ©rmattung, igre Haltung War 
fcgwanlenb. Senn man füregten mug, bie Schaufpieterin werbe 
jeben äugenbtid umgnlen unb ognmäcgtig werben, ift bet Jraum 
Dorbei, unb man gfet ba in fhmpatgifeger ©ein ber traurigen 
SBirHidjteit, bem Äarnpf einer brufttranlen grau mit igrer 
Scgwäcge gegenüber. 9Ba« man bewunbern mug, ift bie über» 
natürliche 2Bitten«ttaft, bie ba« teibenbe, fegwaege SBefen wägrenb 
einer fo langen unb anftrengenben ©orftettung aufrecht ergiett. 

Sie oerftegt e« mitunter, ber ©ebe einen fotegen Scgmung, 
eine fo Iräftige gärbung ju geben, bag ba« ©ubticum mit fort* 
gerigen wirb unb ftürmifeg bie einfachen 3Borte apptaubirt, 
wetege tauten: 

„Vous ^tes mon lion superbe et gän^reux! 

Je vous aime.“ 

©« ift bie« eine ©eptit, bie ttRtte. SKar« babureg berühmt 
gemacht gat, bag fie biefe Sorte oorjutragen geg weigerte, fonbern 
oom Jicgter oertangte, bag er ba« SBort „lion“ in „Seigneur“ 
umwanbte. „Ja« SBort Söwe lommt mir fo fonberbar oor," 
fagte bie groge Scgaufpieterin, bie geg beger auf bie gorberungen 
ber ©ügne at« ben äu«brud ber romantifegen Siteratur oerftanb. 
„3cg bin lieber leine Söwin, $err $ugo." 

Ja« grögte unb für Sarah ©erngarbt gernig wertgoottfte 
Sob über igre Joüa Sot würbe igr oom Jicgter fetbft ju Jgeit. 
©ei einem öffentlichen geft, wo ge neben bemfetben am Jifdj 
fag, braegte er einen Joaft auf ge mit fotgenben Sorten au«: 
„äJlabemoifettc, Sie finb jwei ©tat Königin, eine Königin be« 
Jatent« unb ber Schönheit." 

3ft Sarag ©erngarbt »irHicg eine groge Künftterin? 
§at bie tragifege ©tufe igr im ©mft ben geitigen Kug ber Seige 
oertiegen? Ja« ift bie grage. Jie ©arifer tgeiten fieg in jwei 
Säger, ätte bewunbern fie, aber im gögeren ober geringeren 
©rabe. 


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Nr. 32. 


93 


fl*i t <5 e $ t lt» a r t. 


Sie ift ein — Talent, fagen einige mit £>ugo, ein latent 
burch Steife unb ftrenge ©rbeit entwidett, gefc^affen Bon ber 
Steftejrion unb gefcftäbigt burch bie Steclame. Die ©nberen, bie 
Snthufiafeen, tjulbigen ihr als einem ®enie, als einer ber Stadjet 
unb Stiftori gleichfeeljenben fiünfeterin. 3d) für meinen £Ijeit 
wäre geneigt, bie erftere SDteinung ju feiten. 

Sarah ©ernfjarbt ift fein tragifdjes @enie. ©tan mufe bie Stiftori 
gefefeen unb triebet gefehen haben, um ein Stecht ju biefem Urtheil 
ju befeften. 3hr fetjtt bei aß ihrer feinen unb reflectirenben ®unft 
baS toitbe Pathos, baS gleich einer hetabfeürjenben Sawine ©fleS 
mit pdj fortreifet; ifer fehlt bie Seibenfdjaft in ihrer 3üget; 
tofigfeit, biefeS ©teer Bon geuer, Welches 3tatienS heißblütige 
lobtet befiftt, unb welches gleiß) einem eteftrifcEien Strom über 
ben Äöpfen ber 3ufd)auer gittert unb jugleidj beren ©ruft burdj- 
gtüht; ihr fehlt ber neue ©uSbrud für bie alte, ewige Seiben= 
f«haft, für baS fo Unerwartete unb hoch 5° treffenb Stickige in 
ber Siebe unb bem SDtienenfpiet bet Stiftori — lurj ber Statuts 
fcftrei, Wie ich eS ntit einem ©Borte nennen möchte, ©or Sittern 
aber fehlt ihr, ber ©ruftfranfen, bie phftfifcfee Straft, ohne Welche 
jebeS ©eftreben, bem ®ebanten ben plaftifdjen ©uSbrud ju Oers 
leihen, matt unb unooßlommen bleiben mufe. 

1 ißariS im 3uli 1879. 


Die drjw^nttg ber menfdjlii^eit Jtnne, insbefottbere 
bes Jürbenftmtes. 

Die oornehmfte ©ebingung unfere Organe gefunb ju ers 
hatten, ift ihre regetmäfeige functionefle Xhätigfeit- 23er etwa 
feine 3ät)oe baburch fronen wollte, bafe er nicht faute, Würbe 
fie batb oerberben fehen, unb wer feine ©ugen beftänbig ges 
jcftloffen hielte, würbe batb eine Schwächung beS ©ugenlicfttS 
ju beftagen haben. ©nbererfeits wirft befannttich eine übers 
mäfeige ©nftrengung ber Sinnesorgane nicht minber Berberbtich 
wie ein unjulänglidjer ©ebraudj, unb bie ©nfpannung in einer 
beftimmten Stiftung fann wohl eine SeiftungSqualität erhöhen, 
aber nur auf Soften ber ©efammtleiftung. So ift j. ©. bie ©3eib 
fnhtigfeit bei Schiffern unb Sägern meift eine golge ihres ©erufeS, 
in beffen ©uSübung fie gezwungen finb, oft unb oiet mit gefpannter 
Stufmerffamfeit in bie gerne ju btidcn. Snnerljatb biefer Sjtreme 
aber bürfte ein weites gelb liegen, auf welchem eine naturgemäfee 
©uSbilbung ber Sinne, eine @rt)öhung unb ©erfeinerung ihrer 
SeiftungSfähigfeit möglich wäre. ©ßeitt wenn auch bie SBidjtigs 
feit einer fotchen ©uSbilbung, wenigftenS ber fogcnannten höheren 
Sihne, beS jbljrcS unb ©ugeS, feineSWcgS oerfannt wirb, fo 
finb boch bie päbagogifcften ©eftrebungen nicht in einem ber 
©ebeutung ber Sache entfpredjenben Sötafee barauf gerichtet, 
©ietteicfet hängt biefer SnbifferentiSmuS mehr mit ber gefammten 
pftitofophifchen ©ntwidetung jufamtnen atS man gemeinhin glaubt. 
Denn bie Sinne mufeten fich erft ihren ihnen Bon ber Statur 
oertiefjenen Slang im Saufe ber 3<rf)*hunberte etlämpfen gegen 
bie einfeitige Uebetfcftäftung beS DentoermögenS. Sie gatten 
biefem gegenüber nicht nur als etwas UntergeorbneteS, ben 
©lenfdjen an bie thierifehe Statur geffetnbeS, fonbern bamit 
jugleich als ein $etnmnife beS nach bem ©bfoluten ftrebenben 
®eifteSflugeS unb ber baSfetbe ju erfaffen für fähig gehaltenen 
©ernunft. Dafe man beShatb wäljrenb ber ^errfcftaft ber 
fdjotafeifehen ©egriffsfophifeif beS SKittelattcrS nicht an eine SluSs 
bilbung ber Sinne benfen fonnte, ift ftar, unb fo ging erft mit 
ber 3ertrümmerung jener auf luftigen gunbamenten erbauten 
©egriffSburgen bie äRorgenröttje einer neuen 3eit auf, in welcher 
bie Sinne in ihr Stecht eingefeftt würben, ©aco oon ©erutam, 
bem Schöpfer ber wiffenfchaftlichen Snbuction, gebührt baS grofee 
©erbienft, uns in biefe neue ©poche htnübergeteitet ju haben; 
er erinnerte uns mit jenem berühmten ©übe, bafe wir boch 
feine Spmnennatur befeften, um bie gäben ber ffirfenntnife aus 
uns fetbft ju jieften, warnte uns aber auch, bafe wir nicht fein 
follen wie bie ©meifen, bie nur famtneln, fonbern wie bie ©ienen, 


bie fammetn unb oerarbeiten. DiefeS Sammeln aber fann nur 
burch bie Sinne gefchehen, unb ihre ©ebeutung unb ©Jürbe hat 
neben ©aco Stiemanb präcifer auSgebrüdt atS Sode in bem 
Safte: Nihil est in intellectu quod non ante fuerit in sensu. 
Durch ©aco mächtig angeregt, fudjte ©omeniuS beffen Sbeen 
für bie 3«genberjiehung ju Berwerthen. Der Unterricht fottte 
nicht mehr mit btofeen ©egriffen, ©bferactionen operiren, fonbern 
burdj bie Sinne, burch bie ©nfdjauung unterfeüftt werben, ©ber 
Wie wunbertich muthet unS heute fein Orbus pictus, jene ©Jett 
in ©itbern, an! DaS ©u<h, Welches ben beutfchen Xitel führt: 
„Die fichtbare ©Jett, baS ift: ©der Bornehmfeen ©JetteDinge unb 
£ehenS:©errichtungen Sorbitbung unb ©enennung," erlebte 1662 
bie britte Stuftage, nadjbem baSfetbe juerft 1657 erfchienen war. 

3« bem „©ortrag", b. h- tu ber Sorrebe, wirb als 3Wed 
beS ©udjeS erftärt, bafe „bie Sinnbare Sachen beu Sinnen 
recht norgeftettet werben, bamit man fie mit bem ©etfeanbe 
ergreifen fönne. 3<h fage unb wieberhote mit hoher Stimme, bafe 
biefeS tefttere bie ©runbftüfte fei aßer anberen Stüde: weit wir 
Weber etwas ins ©Jerf feften noch oernünftig auSreben 
fönnen, Wenn Wir nicht juoor altes was ju thun ober 
woBon ju reben ift, recht oerfeehen lernen. ©8 ift aber 
nichts im ©erftanb was nicht juoor im Sinn gemefen. 
©Jenn nun bie Sinne ber Sachen Unterfchiebenljeiten 
wot ju ergreifen fteifeig geübet werben, baS ife fo Biet 
atS jur ganjen ©JeiSfeeit Sehre unb weifen ©erebfam; 
feit unb atten flugen SebenSoerrichtungen ben ©runb 
legen. ©JetcheS, weit eS oon ben Schuten in gemein oentadj* 
täffigt wirb unb man ben Sehr^naben ju lernen oorgibet, WaS 
fie nicht Oerfeehen gtnb WaS auch >h re ©innen nicht recht Bor« 
unb eingebitbet werben, baher gefdjieljet eS, bafe bie Sehr: unb 
Sern Arbeit fcfewer anfoinmet unb wenig Stuften fcftaffef." 

©ber wie gering mufete ber Stuften fein, ben biefe arm= 
»fetige ©Jett feftr primitioer $otjfcftnitte fchaffen fonnte! Um fo 
geringer atS bie ©rt, in Welcher bie 3bee einer tybung ber 
Sinne auSgefüftrt werben foßte, nur aßenfaßS geeignet war, bem 
®ebäd)tniffe burch bie ©bbilbungen eine fd)Wa<he Stüfte ju oer= 
teiften. Schlagen wir j. ©. S. 94 auf, wofetbft „ber gelbbau" 
Borgefteßt werben foß; ba fehen wir im ©orbergtunbe einen mit 
einem Dchfen befpannten ©ftug unb beffen Senfer, im $inter= 
gruitbe einen mit $eu (wie bie fotgenbe ©rflärung befagt) be= 
tabenen ©Jagen, feittich eine ungtüdfetige gigur mit einem 
Drefchfeeget in ber $anb, im ©egriffe toSjufcfttagen u. f. w. 
^ierju werben bie beutf^en unb tateinifchen ^Benennungen ber 
®egenftänbe, welche ber Schüler ficft einjuprägen hotte, gegeben, 
in furjen Säften bie ffierrichtungen, Welche ber Sanbbau erfor= 
forbert, auSgebrüdt, unb baS nannte man „Uebung ber Sinne". 
©S ift fonad) fcfton als gortfchritt ju bejeicftnen, bafe, atS auf 
bem Stürnberger ®pmnafium ju St. ©egibien ber atS Sefebudj 
benuftte Orbis pictus feines barbarifchen SateinS Wegen abgefdjafft 
würbe, bie (Einführung beS oon bem berühmten Sß^itotogen 
SettariuS Berfafeten Libellus memorialis latinitatis probatae 
an jener Sdiute Bon geuertein, bem bamatigen 3nfpector bes 
genannten ®hmnafiumS, mit fotgenben ©eufeerungen begleitet 
würbe: „©tan wirb auf einige |>olj= ober Äupferfeicfee bebacht 
fein, in Welchen bie mehreren Dinge ber temenben 3ugenb jum 
SJtinbeften in effigie oor ©ugen ju feeflen, unb wa# fie feien unb 
woju fie bienen, ju betreiben finb, beren tateinifche ©enennungen 
fie memoriren, bamit fie nicht ©Sorte ins ©ebädjtnife faffen, ba 
fie nicht einmal wiffen, was bie Sache ife, weldje baS ©Bort be¬ 
bauten foß. — Sonfe wäre nicht übet getljan, wenn man einige 
Knaben je juweiten auch fpajieren auf bie gelber unb in bie 
®ärten, Jammer*, Säg=, ©apier= unb anbere ©tühlen ober in 
bie ©Jerffeätte ju aßerhanb ^anbwerfetn unb Sünfeletn führte, 
ihnen bie instrumenta geigte unb fagte, wie man fie heifee unb 
WaS man bamit tljue, unb bann wie man biefeS unb jenes, 
WaS fie in substantia Bor ©ugen fehen, auf lateinifdj heifee, 
ihnen beibrächte. DaS würbe ihnen nicht nur bie vocabula weit 
beffer inS ©ebäcfttnife prägen, bie fie nicht anberS als mit ©er» 
brufe lernen müffen, fonbern eS bient auch iot gemeinen Seben 
unb feeht hernach übel, wenn oft ein ©etehrtcr fo unwifeenb unb 


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94 


9 I e ® f g e tt ro fl r I. 


Nr. 32. 


unfunbig ift in fotdpen Singen, bie immer je in ©efptäcpen 
ober au<p fonft oorfommen." 

Dpne bie großen ©erbienfte eines Stouffeau unb ©afebow 
um bie uns pier befcpäftigenbe päbagogifdße «frage ju berfennen, 
barf man bocp Wopt jagen, baß Stiemanb oor ipm mit größerem 
@ifer für eine Uebung ber Sinne eingetreten ift atS fßeftatojji. 
Allein in praxi pat befanntlicp au<p er biefen Speit ber 3ugmb* 
etjiepung niept geförbert, fein SlnfcpauungSuntertießt befeitigte 
feinestoegS baS ib»m fo oerpaßte „teere SKaulbraucpen", Wie fein 
firaftauSbrucf für ein medpanifcß eingeternteS SBiffen opne ait* 
fcpaulicpe ©rfemttniß lautet, er oermieb fo wenig Wie feine 
Slnpänger unb Siadpfotger bie Stippen beS «formatiSmuS, fonbern 
feine Senkungen fcpeiterten an benfetben. Seine SDtetpobe 
tonnte feine Sinnesübung bewirten, fonbem tief auf Senk unb 
Sprechübungen hinaus, unb als ©raßmann ju Anfang ber 
breiiger Satire eine „Anleitung ju Senf; unb Sprechübungen" i 
fchrieb, nannte Siefterweg baS ©u<p ein „SOtufter* unb SBeifter* ; 
werf"; unb hoch oerbient nur bie Slbficpt beSfetben, baS Sinb 
burch einen StnfdpauungSunterriept in ben gewöhnlichen Schul; 
unterricht pinüberjuleiten, ßob, aber niept bie Slrt ber SluS* 
führung, welche ganj geeignet ift, ben jugenbtidpen ®eift mafchinen; , 
mäßig ju fluten, ihn mit allen möglichen SBortgattungen an; j 
jufüßen, anftatt bie X^ätigfeit ber Sinne anjuregen unb fo bie j 
Hebung berfelben ju förbetn. 3m ©runbe waren alle berartigen j 
Schriften nichts weiter als mehr ober Weniger gute Stach* 
ahmungen beS Orbis pictus — ohne Silber. 

Me biefe früheren ©eftrebungen hatteu fonach ju ihrem ; 
#auptjiele nicht fowohl eine eigentliche StuSbitbung ber Sinne, 
eine ©rweiternng beS UmfangeS ihrer Seiftungen, als bielmehr 
eine größere ©mpfänglidßfeit beS ©eifteS burch ben gefteigerten 
©ebraucp ber Sinnesorgane, ©rft in neuerer Beit macht fi<h 
baS Seftreben in erfterem Sinne geltenb, wenn auch biefer ®e* 
banfe beifpielsweife in bem 1859 dtfdpienenen fonft fehr lefenS ^ , 
werthen Sdpriftcpen bon nur 13 Seiten: „Sic planmäßige 
Schärfung' ber Sinnesorgane als eine ©runblage unb leicht ju 
erfiiUenbe Stufgabe ber ©rjiepung, befonberS ber Schulbildung, 
bon Dr. S. ©. 2R. Sehr eher, Sirector ber orthopäbifchen $eil= 
anftatt ju ßeipjig" noch nidht ganj jur ftlarpeit gefommen ift. 

3n jenem Sinne hat auch ber ©erfaffer biefer Beilen bor 
einiger Beit fiep ertaubt, ben borliegenben ©egenftqnb oon Steuern 
in biefen ©lättern (1878, 9tc. 38) anjuregen, babei aber gleich' 
jeitig bemerft, baß bie «frage fich nidht um bie SDtögticpfeit einer 
«fortbilbung ber Drganifation unferer SinneSwetfjeuge im Sar* j 
winiftifdpen Sinne brehe, fonbem nur um eine Stuöbilbung ber 
Sinne innerhalb ber burch unfere gegenwärtige Drganifation 
gefteeften ©renjen. SaS ©erlangen nach einer metpobifepen 6r* 
jiepung ber Sinne in biefer Stichtung bebarf heutzutage feiner 
Stecptfertigung mehr; es genügt nicht, bie Steaction ber Sinne 
gegen bie Außenwelt fiep felbft ja überlaffen, benn man erfennt 
woßl immer beutlicher, baß baS Sßort beS fßfatmiften, fie haben 
Slugen unb fepen nicht, fie haben Dhren unb hören nicht, eine 
größere buchjtäbliche ©ebeutung hat, als man gemeinhin glaubte. 
(Sbcnfo wenig bebarf bie SKöglicpfeit einer innerhalb jener 
©renjen burdp Uebung ju erreiepenben SluSbilbung ber Sinne, 
einer (Erweiterung beS Umfanges ihrer Seiftungen im Slßgemeinen 
eines ©emeifeS. Ober waS hätte eS für einen Sinn, oon einem 
mufifalifdh geübtem Dhre ju reben, wenn wir nicht bamit an* 
erfennten, baß burch mufifatifepe Uebungen auch baS ftmtlicpe 
SluffaffungSoermögen für Sötufif gebildet werben fönne, baß jene 
bie Seiftungen eines normalen DhreS ju erhöhen unb ju oer* 
feinem im Stanbe feien! 

SDäaS bie Söne für, baS Dhr, baS finb bie «färben für baS 
Sluge, allein baSfelbe hatte fich bisher nicht beS ®rjiehung* 
fegenS ju erfreuen, Welcher bem Dhre feit uralten Beiten, 
wenigftenS unbewußt, ju Speit geworben ift. Saß aber auch 
ber jfarbenfinn einer ©rjiepung fähig, baß ber häufige 
Umgang mit «färben benfetben oerfeinert, ipn jur Unter* 
fepeibung oon garbennüancen, welche einem ungeübten Sluge 
feine Sifferenjen barbieten, befähigt, ift burep bie (Erfahrung 
genugfant erwiefen. Stnbererfeits wirb baS ©ebürfniß einer 


metpobifepen (Erjiepung beS «farbenfinneS immer allgemeiner 
gefühlt unb anerfannt. So fagte j. ©. ©irepom in ber Sipung 
ber antpropologifcpen ©efellfcpaft Oom 20. 3uli 1878, er empfehle 
in jebem Semefter oon Steuern praftifepe Uebungen mit «färben, 
weil er wiffe, „baß bie SDteprjapt unferer jungen SQtänner außer 
Stanbe fei, bie feineren Stüancirungen ber gewöpnlicpften «färben 
mit Sicperpeit ju ■ bezeichnen. So fei es eine SluSnapme, baß 
ein junger STOebiciner fofort richtig angebe, ob 8totp in Scpwarj, 
in ©lau ober in ©raun, ©elb in ©rau, ffieiß ober in ©rün 
fepattire. Siefe optifepe £>ütflofigfeit fei pöcpft beflagenSwertp 
unb ber größte Speit berfelben beruße feineSwegS auf «färben* 
blinbpeit, fonbem auf «farbenunfenntniß unb ÜDtanget an Uebung. 
Sem laffe fiep fiepet burep (Erjiepung oorbeugen." 

Unter ben mancherlei ©erfuepen, welche nun in neuerer Beit 
gemacht würben, ben Unterridptsftoff für eine (Srjiehung beS 
«farbenfinneS in geeigneter SSBeife anjuorbnen, erfcpeint uns ber 
beS auch bem größeren fßubticum woplbetannten Dpptpalmotogen 
SOtagnuS in ©reSlau weitaus als ber getungenfte. Serfelbe pat 
eine «farbentafel conftruirt, auf welcher in neun Steißen bie 
«färben: ©raun, Stofa refp. fßurpur, Stotp refp. Scparlacp, Drange, 
©elb, ©rün, ©lau, ©iolet unb Scpwarj bargejieUt finb,. unb 
jebe berfelben in oier Scpattimngen, inbem fie mit eiuem pellen 
Son beginnt unb burep jwei gefättigtere Söne in eine reept 
buntte Scpattirung übergeht. Ser Safel finb 72 bewegliche 
«farbenfärtepen beigegeben, burep welche jebe auf ber erfteren 
oorfommenbe «färbe jweimat oertreten ift, unb eine ßierju ge* 
ßötige ©rofepüre unter bem Xitel: „Sie metßobifcpe (Erjiepung 
beS «farbenfinneS", wie bie Safel felbft im ©erläge oon 3- U. Sem, 
©reSlau 1879, erläutert ben ©ebrauep berfelben unb begrünbet 
baS Unternehmen. Ser Bwecf beSfelbeit foU fein, „bem «färben* 
ftnn diejenige §öpe feines pppfiologifcpen SGßertpeS ju Oerfcpaffen 
unb ju fidpern, Welcpe er gemäß feiner gegenwärtigen Drgani* 
fation erreichen fann, aber wegen SOtangel an Uebung unb 
rationeller (Erjiepung meift niept erlangt." Sie erfte Aufgabe 
bei bem Unterrichte beftept barin, baß ber Scpüter fiep bie 
Stauten ber «färben ber an einer gut beleuchteten SEBanb auf* 
jupängenben Safel, ipre cparaEteriftifcpen (Eigentpüpmlicpfeiten, bie 
Unterfcpiebe ber Scpattirungen einprägt unb aisbann aus ben 
72 «farbenfärtepen biejenigen perauSleft, welcpe ber Untermeifenbe 
auf ber Safel jeigt. 

©ießeiept oerbanten wir baS Unternehmen niept jum SSenigften 
ber Slufmerffamfeit, welcpe in neuerer Beit ber «farbenblinbpeit 
gefepenft wirb, jcbenfaUs ift bie SQtetßobe aus bem Stubium ber 
«farbenblinbpeit unb ben Unterfucpungen über biefe merfwürbige 
(Erfdpeinung, an benen fiep SOtagnuS felbft in ßeroorragenber 
SEBeife betpeiligt pat, gewonnen Worben. 3m ©egenfape ju bem 
fonft auf biefem ©ebiete oerbienten franjöfifcpen Slrjte Dr. «faowe, 
welcper ben «farbenfinn naep ber «fäpigfeit, bie «färben richtig 
ju benennen, beurtpeilt, ift bie fepon früper oon Seebecf an* 
gewanbte unb oon §otmgren oerooßfommnete SOtetpobe ber ©er* 
gleicpung bie faft aßgemein angenommene, unb eS ift teiept ein* 
jufepen, baß biefelbe, welcpe befanntlicß barin beftept, baß bem 
ju fßrüfenben bie Aufgabe jufäßt, aus einer ttnjapt farbiger 
©egenftänbe (Sticfwoße) biejenigen perauSjufudpen, weldpe ipm 
an «färbe einem anberen üorgelegten farbigen ©egenftänbe gleich 
erfepeinen, bie einjige, welcpe ju einem fieperen Urtpeil über ben 
«farbenfinn füpren fann. Siefe SJtetßobe ift aber auep jugleicp 
bie einjige, mit welcper eine metßobifcpe (Srjiepung ben beab* 
fieptigten (Erfolg, baS «farbenunterfcpeibungSöermögen ju bilben, 
erreichen fann. Stach biefer SDtetßobe pat auch im nötigen 3aßre 
ber SOtaler ^irrlinger eine «farbentafel conftruirt, welcpe, fooiel 
wir wiffen, unter aßen berartigen ©erfuepen aflein bet SDtag* 
nuS’fdpen gegenüber in ©etraept fommen fönnte. Siefelbe be* 
fiept aus jwei Speilen: ber erfte umfaßt in je brei Scpattirungen 
«fatbenfläeßen in Stotp, Drange, ©eib, ©rün, ©lau unb ©iolet, 
alfo im ©anjen adptjepn, mit breiten fcpwarjen ßinien umgebene, 
fdparf abgegrenjte jfatbenfläcpen, naep ber Steipenfolge, welcpe fie 
im Spectrum einnepmen, georbnet; ber jweite Speil entpält 
biefelben «färben, aber niept wie bie erfteren georbnet, fonbem 
in fpftemlofem Surcpeinanber jerftreut. tluf bem elften Speit 


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Nr. 32. 


39ie<$fgMtnsart. 


95 


fjat bet ju Unletweifcttbe biejenige garbe aitjugebett, weldje 
auf bem (weiten gezeigt wirb. Allein ber ©orjug bedSJtagnud’fdien 
Spftemd befielt nic^t nur in ber größeren SKannic^faltigfeit ber 
garben unb tyrer Abstufungen, fonbern audj, wie und {deinen 
will, batin, bafj feine SDietfjobe ben <3d)ülei me£)r üor Sange: 
weile fd)üfetr inbem fie bie Xfjätigleit ber §änbe forbert unb 
iljn fo, burdj bie Aufgabe, aud jweiunbfiebjig Sättigen jwei 
Ijeraudjufudjtn, (u größerem Eifer anfporot. ®urd> biefed (U 
einem metfjobijcfyen Unterrichte benu|te ©pftem bürfte mehr ald 
burch irgenb ein anbered bed garbenempfinbungdoermögen ge: 
Hart unb bad garbengebäd)tnijj geftärlt werben. $er Heine 
Uebelftanb, bafi bie garben, um fie bauerhafter ju machen unb 
rein (u erhalten, mit einem Ueberjug non 2ac£ oerfeljen werben 
mußten, unb in golge beffen einigen Elanj befommen Robert, 
tritt nidjt tjerbor, wenn nur bie Xafet in geeigneter ©eleudityng 
aufgehängt wirb, unb wirb äberbied aufgewogen burch ben 33or= 
theil, ba| ber Sacfüberjug ein »orfidjtiged Abwafchen jeber einjelitln 
garbe mit reinem SBajfer geftattet. 3m Uebrigen finb bie 
garben, wie SRagnud ferner bemerft, auf bem SBege bed Sunt: 
bruded unb unter SSerwenbung burchaud unfchäblichen SOlateriald 
hergefteüt. 

SRagnud hebt audbrüdlidj f)eröor, bafj fein ©hftem nicht 
mit bem Anfpruche auftritt, bie garbenblinbheit ju heilen, unb 
er thut Siecht baran, um nicht üietteidjt unerfüllbare Erwartungen 
ju erregen unb barüber bad $auptjiel einer Audbilbung „bed 
normalen garbenfinned ju einer höheren SeiftungdWerthigleit im 
Sereich ber burd) unfere gegenwärtige körperliche Anlage be: 
bingten ©renjen" aud ben Augen ju rüden. ©elanntlidj beruht 
bie garbenblinbheit, ber oon ben meiften jßt)pfiotogen angenom: 
menen Doung:$elmholh’fchen Xljcorie gemäfj, barin, bafj eine 
ber brei Sterüenfaferarten ber Slefeljänt, welche ben phhfiologifchen 
©runbfatben Slotlj, @rün unb ©iolet (ober ©lau) entfprechen, 
nicht functionirt.*) ®en!t man unter biefem SJlangel eine öotl= 
jtänbige Sähmung, fo !ann natürlich oon einer £>eilbarteit ber 
garbenblinbheit nic^t bie Siebe fein. Allein bied liegt leined: 
megd im SBefen ber Xljeorie, fonbern fie forbert nur bie An: 
nähme einer fo geringen Erregungdfäf)igfeit, bafj bie Erregung 
unterhalb ber ©eWufjtfeindf<f)Wetle bleibt, unb ed ift an unb 
für {ich Har, bafj ed unenblich oiele Abftufungen ber Erregungd: 
fähigleit unb bemgemäfj jwifdjen normalem EmpfinbungdOer: 
mögen unb oöüiger garbenblinbheit unenbtidj niete (Stabe eined 
herabgefefcten garbenfinned geben tann, wad auch bie Et: 
fahrung beftätigt. Einen geringeren ©rab bedfetben auf einen 
höheren ju bringen, fann unb wirb unjweifelhaft ber Erfolg 
einer rationellen Uebung unb methobifchen Erziehung fein. Aber 
noch mehr. 

$ie in ben lebten fahren angefteHten Unterjudjungeit über 
garbenblinbheit Ratten bad merlwürbige Ergebnis, bafj bie 
garbenblinbheit unter bem Weiblichen ®efdjlecf)te weit Seltener 
Dortommt ald unter bem männlichen, bafj unter biefem bie garben: 
blinbheit wenigftend jwölfmat fo weit oerbreitet ift ald unter 
bem etfieren. ®ad hat fich überall heraudgefteQt, foweit bie Unter: 
fuchungen reichen, in Europa fowohl ald in Amerila, unb nicht 
blöd unter ben SEBeifjen, fonbern auch unter ben Siegern Slorb: 
amerilad, wie bie neueften Unterfudjungen bed $erm Dr. ©Wan 
SOI. ©urnett in 2Baff)ington (nach benen übrigend auch bie 
männlichen Sieger Siorbamerilad Weit weniger oon garbenbtinb: 
heit t)eimgefu$t werben ald ih te weiten ©efäledjtdgenoffen) er: 
geben, unb bie Ballen, welche bad ©orlommen ber garbenblinb: 
heit unter ben beiben <SefdE)led)tern audbrüden, liegen überall fo 

*) SBir tonnen hier nur beiläufig bemerlen, ba| $elboeuf, Sßrofeffor 
an ber Unioerfität (u fiüttidj, welcher felbjt farbenblinb, unb (War rotl)= 
blinb ift, oor turjer Seit eine anbete Xf) eot ' e ber garbenblinbheit auf= 
gefteOt hat unb an fich fetöft ben beginn einer Teilung burch ben @e= 
brauch einer rotljen guchfinlöfung währenb eined fechdmonatlichen 
CtEpcrimentirend wahrgenommen haben will. gnbeffen bebürfen feine 
Erfahrungen noch weiterer Unterfuchung unb Aeftätigung. Aähered 
hierüber finbet man in bed ©etfafferd Heiner Schrift „bie garbenblinbheit" 
i,Berlin 1879, ©erlag oon ©uftao ipempel, ®. 68 ff.)- 


| weit audeinanber, baß wahrfcheintich in ber ganjen 3Kenf^^eit 
bie garbenblinbheit unter beut weiblichen ©efc^Iec^te fettener ift 
I als unter bem männlichen. Sollte nun biefe Seoorjugunnfl bed 
! weiblichen garbenfinned nicht mit SEBa^rfc^einltc^fcit auf bie ur; 

alte ©ortiebe bed frönen ©efdjlechtd für bunte garben unb ben 
' häufigeren Umgang mit ihnen, ba biefelben im uncultitnrten wie 
im cultioirteu ßuftanbe ju ben Wefentlichen Sitgrebienjen ber 
Äteibung gehören, jurüctjuführen fein? Sollten nicht biefe Um; 
ftänbetbie Audbitbung bed weiblichen garbenfinned begünftigt, 
| ober, mit anberen SBorten, ihn berjenigen $öhe näher gebracht 
h a &en, welche ber Drganifation bed Sluged entfpricht, fo bafe er 
fich ^ ber und befannten nollfommneren gornt regelmäßiger 
I unter bem weiblichen ald unter bem männlichen ©efchlechte fort; 
erbe? 2lm ©nbe ^at ©oetlje nicht Unrecht, wenn er bie Slb; 
neigung oor hellen garben, Welche man gerabe bei gebilbeten 
SKenfchen wahrnimmt, „theild aug Schwäne beS DrganS, theil^ 
, au^ Unjtdherheit be3 ©ejehmad^, bie fidh gern in baä oöHige 
| 9licht^ flüchtet", hetleiten mö^te. ' 

SSie ed auch fei, fo barf fid) an eine methobifdje ©rjiehung 
be§ garbenfinned bie Hoffnung fnüßfen, baß biefetbe, wieSJJagnud 
mit Stecht herborhebt, auch &eim männli^en ©efchted^te bie Steigung 
jur garbenblinbheit atlmähli^ Oerringern werbe, wie bied beim 
weiblichen ©efchlechte wahrfcheinlid) bie folge bed häufigeren Uni; 
| gangd mit garben ift. ®iejer Unterricht fönnte, wie ÜJlagnud 
j meint, am geeigneten mit bem je^t wohl an aßen Schuten er; 

I theilten Slnfchauungdunterrichte oertnüpft werben, unb wir bürfen 
h^ujufügen, baß bie pflege bed garbenfinned auch Uioht Sache bed 
$aufed fein fottte^ wofelbft wenigftend bie einteiteuben Uebungen 
eine mehr unterhal^nbe gorm annehmen fönnten, ald bied in 
ber Schule möglich ift. 

I ©d ift hier nicht ber Drt, auf alle ©injetnheiten bed Unter; 

| richtdoerfahrend einjugehen, bie äRagnud’fche ©rofehüre gibt bar; 
über Sluffchluß unb fann nebft ben garbentafeln Sehern unb 
©rjiehern ntdht bringenb genug empfohlen werben. 

5. Kalifdjer. 


6tbUo0rap(jte. 

ßonüerfattondsSejifon. Allgemeine beutfhe 9ieal=@iiconopäbic. 
12. umgeaib., oetb. u. oerm. Aufl. 160—166. ßej.=8. (14. 33b. 

267—848.) Seidig, ©rodhou^* a —. 50. 

©orbtn, Otto u. u. &. g. 2)ieffenbach, iüußrirte 2Mtgefd)tcbte f. ba^ 
beutfe^e 33oIl. Unter bejonb. ©erüdficht. ber (Sulturgeld^ichte auf 
Onmb b. gröberen äBerfed neubearb. u. bid ^ur ©egenmart fort; 
geführt, gttuftrirt burch 2000 Abbilbgn. (iu etngebr. ^oljjchn.), 
40—öOiontaf. [^orträtd=©ruppen, culturgefhichtl. ^ableaud], (lith- 
u. ch^omolith ) Starten u. j. m. 14 —16. Sfg. (l. ©b. ©. 521—640.) 
Seipjig, ©pamer. ä —. 50. 

@nnen, ©tabt=Ardjtoar Dr. iJeonh., ©efhichte ber ©tabt Stötn, meift 
aud ben öueHen b. ©tabt=Archibd. 5. ©b. 5. u. 6. £fg. gr. 8. 
(©. 267—384.) 3)üffelborf, ©chwann. a l. —. 

©ibel, golbene. S)ie ^eilige ©hrift, iKuftrirt o. ben größten SJteifteru 
ber Shmjtepocben. §rdg. oon Alfr. ü. SBurjbah* l. Xhl- : 

Alte Xejtament. ©rläuternber ©ibeltejt nach Dr. 2Kart. Suther. 
2 - ßfg- 6** Sol- ( 2 ©l- in £id)tbr. u. 2 ©l. Xejt.) ©tuttgart, 9tefj. 

a 1. 50; 

fathol. Audg. m. erläut.Xejt nach Dr. Jgoj. grj. o. Atttoli a l. 50. 
ßimmern, Sefßugd Seben u. SBerle. 3)eutfche autorif. AuSg. o. 
Tt. ©laubi. 7. u. 8. ßfg. gr. 8. (2. ©b. ©. 145—336.) Gelle, 
ßiterar. Anßalt. a l. —. 

$oorn!aat Äootman, 3. teu, .SBörterbuch ber oftfriefifhen ©praefje. 
Gthutologifh bearb. 8. ^ft. gr. 8. (l. ©b. XX u. ©. 673—710.) 
korben, ©vaamd. ü 2. —. 

ßeijner, Otto o., ißuftrirte Stteratur=©efchichte in ooltdtbümlicher $ar* 
ftettung. 3Wit 300 gllufir., jahlreichen Xonbilbern, ©ilbniffeu u. 
^orträtdgruppentaf. 3. - 7. fifg. ßer.;8. (l. ©b. ©.81 — 256.) 
SSeipftig, ©pamer. a —. 50. 

Mellenbach, Öajar ©., bie ©orurtheile ber attenfehbeit. l. ©t). gr. 8. 

(VII, 364 ©.) SSBien, SRodner. 6. —. 

aRüller, ^rof. SBilhv politifhe ©efchichte ber (SJegenroart. XII. 2>a3 
3ahr 1878. atebft e. Gh**>ni! ber Greiguiffe b. 3. 1878 u. e. 
alphubet. ©er$eidjniffe bor h^öorrag. 'J?er|ouen. gr. 8. (XIII, 319 
©.) ©erlin, ©pringer. 4. 20; geb. 5. 20. 


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96 


Nr. 32. 



1 


3ttferafe. 


_ Meine Tante 

F U Z 9 als Venus. 

Zweite Auflage. 2 JC 

3 kstein, H( Tued 

rom deutschen Professor. 

Vierte Auflage. 1 JC 


äillllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllL! 


Neu! 


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| mmmiiiiiiiiiiiinmiiiiiHimiiimiimmiii 5 

E Eine Literaturgeschichte der drei £ 

E nordischen Reiche (Island mit iabe- — 

E griffen) hat bis jetzt gefehlt. = 

E Bei dem regen Interesse, dessen sich E 
E die skandinavische Literatur gegen- E 
E wärtig erfreut, verdient das vor- E 
E liegende Work die Beachtung eines E 
Ejeden Gebildeten. Dasselbe ver- E 
E dankt seine Entstehung den dringen- 5 
E den Mahnungen der drei Germanisten E 
EZarncke, Möbius und Maurer 5 
E an den Verfasser. E 

Eiiiiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin 

Novität von Oscar Blnmenthal! 

Im Verlag von Georg Frobeen & Co. in 
Bern erschien soeben und ist in allen Buch¬ 
handlungen zu haben: 


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ElöD 

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tc (Stgntmart. 


Geplauder von Oscar Blnmenthal. 

Sehr eleg. geh. Preis 3 JC 
Ein liebenswürdiges heiteres Buch, das der 
Verf. der Allerhand Ungezogenheiten in froh¬ 
gelaunten Stunden geschrieben hat und das 
auf jeder Seite seinen sprudelnden Witz, 
seinen funkelnden Esprit zeigt. Für Sommer¬ 
fahrten und Badereisen sowie — beim Dessert 
ist das Buch ein kurzweiliger Gesellschafter. 

JUlactia«, N.W., fhronpritisenufer 4 . 


Stteranfdjc 9lcttig!cit«t 

aus bem S3ctlage toon 

gfrtcötric^ c$udU^aröf in ^Scrfin 

9Ragbcburger^@tra§e 31. 

« (SRilitaria. — 33eIIetriftif. — ©efdjidjte.) 

oott $er|arb. ttnf bet Brefge. geuilleton», ©fi^en, Srja^lungen ic. $rei» 

brod). 4 JC 

von glagitafamafti, Jt., Oberftlieutenant. Sa» Beben be» General» Snmanrie). 3 Bänbe. 
Mit 5 harten unb Riemen. $rei» broeb- 12 JC 

<&atts Dr., Süren nnb Sefdjitbieu, gefummelte Heinere Stellungen. Stoeite 
Auflage, fßrei» broeb- 3 JC, eleg. geb. 4 JC 

£ifbe(, #« #* Major. &attptquartir bei Honig» bon ©djtneben. ^anöoer-Sfijsen. 
$rei» broef). 2 JC 

<£aeitig, §auptnfl>mt. Sie politifdje nnb militärifibe Buge Belgien» nnb ßoflanb» 

in SRücfficbt auf granfreicb — Sentfeblanb. ©ine ©tubie mit 2 planen, Brei» brod). 
3 JC 50 ^ 

- graufreiib» IBIebrtraft im 3ßb rc 1885. ©tubie. $rei» bro<b. 3 JC 

- lieber bie öeraubilbung bet <£injabrig*Sreitt>iIIigen §n Beferbe*Offl}ieren. fßrei» 1 JC 

non MlMm f Äapit. = ßieut. u. 2lrtilIene=Sireftor. Bebramb» * Sabeuen für SRarine’ 
mtiDeriflen. $rei» cart. 6 JC 

Ranfte, ^auptmann. ©fi^jen an» bem (Snropaifiben luflanb. Wlit befonberer 
Beriidfic^tigung ber militänföen 33er^ältniffe. $eft I. äBarfc^au unb $olen. 

2 JC 40 s> $eft II. ^Petet»burg unb ginnlanb. ^rei» 2 JC 40 s, 
yielf#, ^nbmig 9 2öaHfa|[rt nae^ Dlpmpia im erften grü^Iing ber Ausgrabungen nebft 
einem BeTicpt über bie töefultate ber beiben folgenben Au3grabung3-(£ampagnen, 
8teifebriefe. $reiS broeb. 4 JC 

$i$ei0ert, Major. Offisier>Brebier. (Sin gefigefdjenf für ben jungen Sfameraben 
non einem alten ©olbaten. fßretö broeb* 3 JC, eleg. geb. 5 JC 

- Brebter für üinfä|rig«Sreilnillige. (Unter ber treffe.) 

$<$dlTer, ^auptmann. Sie Befmten An»bilbnng. frei# broeb- 1 JC 
von §pt$U ÖJeneraUieutenant. Sa» Scfllanb Afien^dnropa nnb feine 

Bolferftamme» bereu Verbreitung unb ber ©ang ihrer Hultur=@nttoicfelung mit be= 
fonberer Berüdficbtigung ber religiöfen Qbeen von Anbeginn bi» jur ©egen^art. $reiS 
broeb. 6 JC 

Sic Serpebo» nnb ©eeminen in ihrer biftorijeben ©ntmidelung bis auf bie neuefte Seit. 

Mit 2 Safeln Abbilbungen. broeb- 3 JC 

3«t „Salti! ber Situation“. Saftifcbe Betrachtungen 00 m Betfaffer „Aus bem Sage* 
buche eines Hompagnie=(£bef0" u. f. m. $eft 1 . ykti* brod). 1 JC 50 ^ 
fl^*.Sie oorftebenben, botbintereffanten SBerfe empfehle teb einer freunblicben Be= 
aebtung. Siefelbeu finb bureb jebe Buibbfl^w«9 beS äft- unb AuSlanbeS, joroie auch 
bireft oon mir ju belieben. 


P.tris|fralife|nMg. 


S»inber 9 3®. (Ueberfeper b. §ora$, Virgil :c.), 
gprü^mörterfebab b. beutfefien Nation; nebft 
fpracbl-, facbl. u. gefcbicbtl. ferlauter. ©tnttg. 

1873. 8. XIV U. 224 ©tu. ©tatt «^3.60 
für JC 1.20. 

3lo8 ? £.j 3n ben Voralpen; ©fij§en aus Ober^ 
batern. M. l ©tablftieb- Münch- 1872. 8. 
468 ©. (JC 4.60) für JC. 2.40. 

Sferger, jl. v., Seutfebc ^flanjenfagen. ©tnttg. 

1864. 8. 363 ©. (JC 5.26) für JC 2. 
yfan, <£ttbm., Sfreie ©tubien. 2. Aufl. (Sie 
Hunft im ©taat. — (Sin ©tüd ebriftl. Hultur. — 
^ronbbon u. bie gwnjofen. — ic.) ©tnttg. 

1874. 8. XIV U. 555 ©. (JC 6) für «^2.40. 

liefert in brofcb v neuen (Sjemplaren, fotoeit 
bie Vorrätbe reichen, 

<®5kttr «crr^el's 3lntiqu.-Äu^l)Jig., 

©tuttgart, ©<blo6ftr. 37. 

|sglci4 ein reUHaltiiteS Snaer miB aUen ®e* 
.Meten her ((tonen nnt toiRenfitnftlt^en Sitcrntnr p MI* 
Iifl» feOoepcatm Kntiquitftriattyreifen. Kataloge gratis. 


Einem hohen Adel und hochzuverehrenden 
Publicum erlaubt sich der Unterzeichnete, 


Ein j. selbstständiger Buchhändler sucht 
behufs Ankaufs eines grösseren Verlages 
einen Capitalisten als stillen oder thätigen 
Theilnehmer. Adressen unter W. P. 355 oe- 
fördert die Annoncen-Expedition von Hausen- 
stein k Vogler in Leipzig. 

SfAr bie ttebaction beranttDortlict: ^eorg >tifft m |lerfin. 

S)cud non |l. f enlner in dlMpiig. 


der bewusste und unbewusste 

Herr Meyer 

Speoi&larzt 

für philosoph. Ohrensausen und Hypochondrie 
als soeben angekommen und in den hiesigen 
Buchhandlungen abgestiegen ganz ergebenst 
zu empfehlen. Preis der Consultation: 3 JC 
Referenz: D er „gesunde und kranke 

Herr Meyer. u fl^T , Georg Frobeen & Co., Bern. 


Bibliotheken 

und werthvolle Werke kauft zu angemessenen 
Preisen und erbittet Angebote 

Wilhelm Koebner 

(L. F. Maske’s Antiquariat). 
Breslau, Schmiedebrücke 56. 

fxprbition, Jkrfiti W., Äurfürftcnftraftc 73. 


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'»txtin, ben 16. jtttftttf! 1879 


Band XVI. 


XM. 


Die d3cgcmunrt. 

äBodjenfdjrift für Literatur, Äimft unb öffentliches fieben. 


Herausgeber: 'gPaitf dtltbau in ©erlitt. 


Jtlti Snutal nfd)t«l rät |amnn. 

flu buttben burrt) ade BudifianMitnaeii unb 'Boftaitftalten. 


Perlener; Georg ^ttlfe in Verlin. 


ftm pt fmtil 4 9*d 50 ff. 

3nfcrate iebet Art pro Sgefpaftene 40 9f. 


®a§ Grbrec^t unb bie Reform beS SrbredjteS. Von VluntjdjU. I. — 2)er interoceanifdje (£anal. Von Georg Äollnt. 13. in. — 
Literatur mb ihmfk: 2luf bem 3njeUberge. Von Sllbert $raeger. — Unfer Xfjeater. (Eine bramaturgijdje Klauberei. Von 
geobor SBeljl. — ©ommerlidje Briefe. $a3 nationale $rama. Von Vaul Stnbau. — 2)ie Vegetarianer unb ifjre Seljre. Von 
Ä. §ofaeu$. — 9fcoti$en. — Offene Vriefe unb Antworten. — Vibliograb^ie. — Snferate. 


9n$aft 


Bas (Erbrecht unb bie tteform bes (Erbrechtes. 41 ) 

Son Slnntfdjli. 

I. 

Angriffe bet ©ocialiften unb ©ocialbemotraten auf baS (Srbredjt. 5Be= 
gtünbung beS ®rbrccf)tä in bei natürlichen Vererbung bet 9taffe. ®er= 
mamfd>e3 gamiltenerbredjt. 9tömijd)eS Jeftament. heutige* Erbrecht 
nefentlich gamiltenrecbt, SDtobification burci) lebten SBtHen. $atentelen< 
oibnung. 3Bie baS ©lut, fo ba« ®ut. SluStiatymen. 9trifto!ratijd)e 
Stammgüter unb bäuerliche ©üter). 

2>er geiftreiche ©egtünber einer früheren Socialiftenfdjule, 
wetd)e fich Don ben heutigen Socialbemotraten burch ihre gbeen 
unb ein ibealiftifcheS Streben fefjr Dortheilhaft unterfdjeibet, 
Saint Simon, hat f<h° n entfliehen bie Ülbfchaffung bes 
Erbrechtes als baS wirlfamfte Heilmittel gegen bie ungerechte 
unb fdjäbtiche ©ermögenSoertheilung unter ben SRenfdjen gefor= 
bert. keineswegs hulbigte Saint Simon einer gleichen X^ei= 
lung ber ©üter nach köpfen. ®r beachtete ben Unterschieb ber 
gnbiüibuen, fowoht in ihren Anlagen, gähigteiten unb ©ebiirf-- 
niffen als in ihrem Seben unb SBirfen. ©r h a+ bie beiben, 
wie er meinte, gerechten ©runbfäfee, nach melden fich bie ©er: 
ttjeilung beS ©ermögenS rieten foße, fo formulirt: Bunächft foU 
gebet nach ©Maßgabe feiner gähigleit mit ©ermögen auSgeftattet 
werben. Sobann wirb im ©erfolge fein ©ermögen burch fein 
©erhalten unb SSirfen beftimmt: A chacun suivant sa capacite, 
ü chaque capacite suivant ses oeuvres. 

®ie heutigen Socialiften unb ©ommuniften fd)äfcen bie in: 
bioibuefle gähigleit ebenfo gering als bie inbioibueße greiheit. Sie 
wünfehen gleiche Sntheite für ©üe, ohne ©üdfidjt auf bie oerfchiebe: 
nen ©ebürfniffe. SBirb afleS ©ermögen, ober wenigftenS afleS frucht= 
bringenbe ©ermögen ©emeingut, fo hat baS ©rbrecht überhaupt 
leine ©ebeutung mehr. Sßenn auf bem ©ongreffe ber Social= 
bemotraten in ©afel 1869 ber Antrag anf Slbfdjaffung beS ©rb= 
rechtes noch nic^t bie 3Rehtheit ber Stimmen erlangte, fo wirf: 
ten bamalS DpportunitätSrüdfichten mehr als grunbfäfcliche ©e: 
benfen anf bie Sefchlüffe ber fßartei. 

®ie ©egnet bes (Erbrechtes werfen bemfelben oor, es habe 
leinen ©runb in ber ©atur, fonbern fei eine wißfürlicpe ©in» 
ridjtung bet ©efefee. 2)ie Aufhebung beS ©rbrechteS fei bähet 
fein Unrecht unb Detlefe ©iemanbeS ©echt, fonbern fteße nut 
ben natürlichen 3uftanb her, nach welchem mit jebem SRenfchen 
ein neues Seben beginne, unb aße SKenfchen einen gleichen Sin« 
theil haben an ben ©aben bet ©atur, bet gemeinfamen ©lütter 
Äßet. Sie behaupten, baS ©rbrecht witfe fchäblich unb oerfcrb: 

i 

*) ©chlttßartitel. ©gl. ®egenmart 1878 3!r. 51 unb 1879 Sir. l. 
29 unb 31 . 


lieh, inbem es bie nothanbenen liebet einer hö<hft ungerechten 
unb unbefriebigenben ©ertheilung ber ©üter unter Wenige ©eiche 
unb unjählige Slrme Kindlich fortpflanje unb oetewige. 2Bie 
SKephißopheleS ben Schüler bes gauft, fo teijen auch fie bie 
©egehrlichleit auf: 

„®8 erben fich ®efe| unb SRedjte, 

SBie eine ero’ge Shantheit fort; 

Sexnunft wirb Unfinn, SBohlthat ^lage; 

SBeh bir, bah bu ein ,: 6ntel bift! 

Som Siechte, baS mit unS geboren ift, 

SSom bem ift leiber nie bie grage." 


©S ift ni^t $u leugnen, baS heutige ©rbrecht heil* bie 
oorhanbenen Hebel nicht, fonbern fteigert biefeiben. ®S förbert 
ein übermäßiges SBachSthum oon ©eichthümern in ben Hauben 
©injelner, unb oft folcher gnbioibuen, welche biefe ©eidjthümer 
leineSwegS in irgenb fittlicher unb nüftli^er ©Seife oerwenben, 
unb eS fteigert bie ©oth bet jaljlreichen ©achlommen unbemit: 
tetter gamilien, bie faum mit aßet ©nftrengung ein menfehen: 
würbigeS ®afein erringen, ©ber inbem man bie ©länget beS 
heutigen ©rbrechteS wahmimmt, barf man fich nicht ju biefer 
loßheit oerteiten taffen, baS kinb mit bem ©abe auSjufchütten, 
b. h- baS ©rbrecht felber anjugreifen. 

35ie Slbf^affung beS ©rbrechtS Wäre eine ©ebotution, welche 
an jerftörenben SBirfungen ber Slbfchaffung beS ©riDateigen= 
thumeS nahe läme unb biefe oorbereiten würbe. SBenn baS 
©rbrecht aufgehoben Würbe, fo würbe ber 3 u fammenhang jwi= 
fchen ben Sebenben unb ihren ©achlommen, bem ffirbtaffer unb 
ben ©rben, gänjtidj unb für immer jerriffen. gebet weiß, baß 
er nut? fo lange ein ©ermögen haben lann, als er lebt, baß er 
felber aufhört ©igenthümer ju fein, wenn er ftirbt. Ülber ben 
Sebenben Derläßt nicht bie Sorge für feine gamilie, feine grau, 
feine kinber unb ©nlel, feine ^InDerwanbten. gnbern er ßch 
anftrengt, ©ermögen ju erwerben unb ©rfpantiffe anjulegen, 
benlt er nicht btoS an feinen SebenSgettuß, er benft auch an 
feine gamilie, unb er wifl auch feine ©flidjten gegen bie Sei= 
nigen erfüßen. Sluch im Singefichte beS nahenben lobeS hält er 
noch forgfättig fein ©ermögen jufatntnen. ©in Hauptjwed biefeS 
©ermögenS ift für ihn ber, baß eS als ©ertaffenfehaft auf feine 
©rben übergehe, ©ehmt ben SRenfdjen bie beruhigenbe SluSficht 
beS ©rbrechteS hinweg unb ihr jerftört in ben ©tenfehen einen 
ber ftärfften Slntriebe jur Xhätigleit, jum gleiß, ju guter SBirth 5 
fchaft, jur Sparfamteit. 3h r wacht bie ©Itentliebe großentheilS 
unfruchtbar unb greift bet gamilie ans Seben. gh r jeneißt bie 
©erbinbung ber tebenben ©efdjlechter mit ben lünfiigen ®e= 
fchlechtern. 3h r fteigert wilbe Selbftfucht unb ©enußfucht ber 
gnbioibuen aufs H’ödhftc. 


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98 


Hie # e fl e n » a t i. 


Nr. 33. 


©S ift nic^t waßr, baß baS 5rbrecßt eine willkürliche @r= i 
finbung ber ©efeßgeber fei, nicht wahr, baß eS feinen ©runb in j 
ber SQtenfcßennatur habe. Das menfcßlicße Erbrecht hat in ber I 
©rblidjfeit ber ©tenfcßennatur feinen fixeren ©runb. ■ 

UtlerbingS beginnt mit ber ©eburt eines ÜJtenfcßen eit j 
neues inbioibuetteS SMenfcßertteben, baS oorßer nicht ba war, unb ! 
baS mit bem lobe für bie irbifdje SlecßtSorbnung aufhört. Stber ' 
biefeS furze SDtenfcßenteben fteht boch in einer nothwenbigen ©er= 
binbung mit bem fortbauemben ©efammtteben ber ©emeinfchaften, 
welchen baS Snbioibnum angehört. @S wirb burcß bie Fotb 
bauet unb bie Fortpflanzung ber Stoffe ergänzt. 

DaS neugeborene ®inb ift fchon burcß bie Statur auf bie 
pflege feiner ©Itern angewiefen, oon benen eS feinen ßörper 
ableitet. Da fchon unb in bet ganzen ©rzießung ber ßinber 
wirb bie fortbauernbe Sorge bet älteren ©efcßlecßter für bie 
Siacßfomnten wirffam. Die $inber genießen bie Früchte mit, 
welche baS Vermögen ber ©Itern abwirft, unb belommen auch 
ihre ©ntßeite an bem ©erbienfte bet ©Item. Sie erhalten, wie 
fie ihr ©lut oon ben ©Item empfangen haben, auch >h re SIuSs 
ftattung Don ben ©Item. So pflanjt fith naturgemäß mit bem i 
©lute baS ©ut fcßon bei gleichzeitigem Seben Oon ©Item unb 
Sinbern fort, ©benfo erhält baS Äinb feine Sprache, feine ! 
©ultur, feine Scßutbilbung wieber oon ber fortbauemben £e= ! 
benSgemeinfcßaft, in bie eS mit ber ©eburt eintrüt, oon ber ! 
©emeinbe unb bem Staate, welche oot bem Snbiüibuum lebten [ 
unb nach ihm leben werben. 

Wenn aber fo baS gattje Seben be* gnbioibuum* oon ftn= | 
fang an umfcßloffen, unterftüßt unb geförbert Wirb burcß bie 
bauemben SebenSgemeinfcßaften ber Familie, ber ©emeinbe unb 
bes Staates, bann ift eS bo<h billig unb gerecht, baß baS 3ns 
bioibuum, wenn eS abfcßeibet, fich ber ©flirten erinnere an biefe ! 
©emeinfchaften, oon benen eS feine Stoffe empfangen hat unb 
jurüctgibt, was eS hinterläßt; bann hat baS Stecht bie Aufgabe, 
biefe natürlichen ©ejiehungen ju fcßüßen. 

Seitbem auch ber Staturwiffenfcßaft baS ©erftänbuiß aufs 
gegangen ift für bie ©ererbung ber natürlichen @igen = 
fcßaften in ber ganzen ©flanjen = unb l£^ievtoeIt, feitbem ift 
bie uralte ©orauSfeßung ber StecßtSentwicfelung, baß baS ©tbs 
recht feinen ©runb in ber ©rblichteit ber Stoffe habe, Wieber 
allgemeiner Oerftänbtidj geworben. 3« ber Dh°t, baS Erbrecht 
oermittelt bie ©rrungenfcßaft ber ©ergangenheit an bie ©egen; j 
wart unb an bie 3ufunft, inbem eS biefelbe biefen als ©rbföaft 
hinterläßt. 3» bem ©rbrecßt offenbart fich ber 3ufammenßang 
in ber ©efchicßte ber Familien unb bet ©öller, bie Fortbauer 
unb bie Fortpflanzung oon ©efcßtecßt z u ©efchlecht. 

©m beutlicßften zeigt fich biefer 3ufammenßang in bem @rb= 
rechte ber Äinbet im ©erhältniß zu ißren ©Item. Weil bie Äins 
ber ihr ©lut, unb mit ihrer Stoffe ihre 3üge oon ben ©Itern 
überfommen haben, weit infofern bie 8rt ber ©Itern in ben 
Zfinbern fortgefeßt wirb, fo haben Oon jeher alle ©ulturoölfer 
baS ©rbrecßt ber $inber als ein naturnothwenbigeS ans 
gefehen unb gefcßüßt. 

Die germanifchen Söller, beten Familienfinn oon jeher 
Iräftiger unb bewußter war als ber potitifcße Drieb, haben auch 
bie übrigen entfernteren Steife bet Familie Oon bemfelben ©runbs 
gcbanfen aus in Stämme unb ©ar ent eien georbnet, unb ben 
3ufammenhang, wie bie Folge beS ©lutes wieber erbrechtlich 
anertannt unb wirlfam gemacht. Die ©rüber unb Scßweftern 
beS ©rbtafferS finb, oon bem Stanbpunlte feines SaterS ober 
feiner SRutter aus betrachtet, beten Äinber; ber Dntel unb bie 
Dante beS ©rbtafferS finb wie er felber Stachlommen ber ©roßs 
eitern. So orbnet unb gtiebert fich bie ganze weite echte ©tuts= 
oerwanbtfchaft in eine Steiße Oon näheren unb ferneren ©aren* 
telen aus beten Stachlommen. Die elterlichen ©arentelen mit 
allen ihren Stachlommen fteßen bem ©rbtaffer näher als bie großs 
elterlichen mit ihren ©bfömmtingen, unb biefe wieber näßer als 
bie utgroßeitertidhen.jDaS ift ber uralte unb richtige ©runbgebanle 
ber germanifcßen Erbrechte. Wie baS ©tut oon ben ©Itern zu ben 
Stachlommen fließt, fo foü baS ©rbe oon ben ©Item auf bie 9tacß= 
tommen übergehen. 3 e näßer bem ©lute, um fo näßer bem ©ute. • 


DaS natürliche ©rbrecßt ift nur Fortfeßung beS natürlichen 
Familienrechtes. Die ©rben eines 3«ben finb fcßon burcß bie 
Statur bezeichnet. Der Witte beS ©rbtafferS ßat nacß altgermas 
nifcßer ©nflcßt leinen ©influß auf bie ©rbfolge. „®ott unb 
nicßt ber SJtenfcß macßt bie ©rben", fagt baS alte StecßtSfpricßs 
wort. SJtan tennt bie ©rben eines 3eben fcßon bei feinen Sebs 
Zeiten; feine Stachlommen ober feine ©Itern unb beren 3tacßtom= 
men, wenn er leine Sinber ßat,. ober feine ©roßeltem unb beren 
Äinbet unb ©ntet, wenn auS feiner elterlichen Familie Stiemanb 
meßr lebt, futb feine ©rben. DaS urfprünglicße ©rbrecßt ift 
baßer immer unb notßwenbig ein gefeßlicßeS ©rbrecßt unb 
Familienerbrecßt. 

Diefe natürliche ©rbfolge wirb nun ergänzt, nicßt oerleßt 
burcß bie Siechte, welcße bem überlebenben ©begatten an ber 
©erlaffenfcßaft fei eS burcß ©efeß, fei eS burcß ben ©ßeoertrag 
eingeräumt werben; benn bie ©ße ift ja ber Stamm, aus welchem 
bie Siacßtommenfcßaft unb bie ganze Sippfcßaft ßerauSwäcßft unb 
bie ©ßegatten finb burcß innigfte ©eincinfcßaft mit einanber auch 
Wäßrenb ißreS beiberfeitigen 3ufammentebenS ebenfo oerbunben, 
wie bie Sinber mit ben ©Itern. Die Sorge für bie übers 
lebenbe Wittwe ober für ben überlebenben Wittwer ift baßer nicßt 
rninber eine Famitienpflicßt als bie für bie gemeinfamen Stinber. 
Wenn bie beutfcße Stecßtsbilbung beS SJtittelalterS ben übers 
lebenben ©ßegatten troßbem oon ben „©rben", b. ß. ben fiinbern 
unb ben näcßften ©lutSoerwanbten unterfcßeibet, unb ißn nicßt 
Zum SJtiterben macßt, fonbern nur mit StußnießungSrecßten unb 
befonberen 3uwenbungen ober mit ©ermäcßtniffen abßnbet, fo 
offenbart ficß in biefer feinen Unterfcßeibung wieber bie Stärle 
beS ©runbfaßeS, baß baS ©ut bem Fluffe beS ©tuteS folge. 

Diefem Familienerbrecßte tritt nun baS römifcß=recßts 
ließe ©rincip ber teftamentarifeßen ©rbfolge feßroff ents 
gegen. SBie jenes auf Staturnotßwenbigleit, fo berußt biefe auf 
inbioibueüer Freiheit, ©anz im ©egenfaße zu bem germanifeßen 
©ebanlen: ,,©ott, nicßt ber SJteufcß macßt ben ©rben", erllären 
bie Stömer: „3eber tann einen ©rben machen, wen er will". Scßon 
bie XII Dafein erllärten ben Saß: „SBie ©iner burcß leßten 
SBiüen (Deftament) eS oerorbnet, fo foll eS recht fein" (Uti 
legassit, ita jus esto). Die Stömer fdßäßten ißre Deftirfreißeit 
ßoeß als ein wichtiges ©runbreeßt römifeßer ©ürgerfreißeit. Sie 
maeßten baoon aueß reießtießen ©ebraueß. Die teftamentarifeße 
©rbfolge würbe bei ißnen fogar z«r Sieget. Stur auSnaßmS= 
weife, wenn ein Stömer ftarb, oßne ein Deftament gemacht z u 
ßaben, trat auch bei ißnen bie gefeßlicße Erbfolge ber Familie 
ein, entweber ber Familie in bem alten ftrengen Sinne ber 
oäterlicßen ©ewatt, welcße fie zufammenßiett unb Oerbanb, ober 
in bem fpäteren freieren Sinne natürlicher ©tutsoerwanbtfcßaft, 
Welcße baS prätorifeße Stecßt feßüßte. 

©ei ben Stömern ßieß oorzugSweife ©rbe, mer im Deftas 
mente z u w ®rben eingefeßt war, unb jebeS Deftament war 
Wibertufticß bis zum Dobe. Sicßere Anwärter auf bie ©rbs 
feßaft, ©rben im beutfcßrecßtlicßen Sinne gab es nicßt bei ben 
Stömern. ©ei Lebzeiten beS StömerS waren feine ©rben beSßatb 
befannt unb anerfannt. Der reiche.Stömer würbe Woßt ums 
worben oon Höflingen unb Scßmeidßtern, welcße barauf fpecus 
lirten, baß er fie im Deftamente zu ©rben einfeße. Slber ges 
fießert war deiner, beoor ber ©rblaffer tobt war. Stur fo Weit 
forgte baS Stecßt für bie Stacßfommen beSfelben, als eS. annaßm, 
fein leßter ©title fei fein Wirtlicher SBille, wenn er anbere ©er= 
fonen zu ©rben einfeßte unb feine eigenen Sluber, oßne fie auSs 
brüdlicß auSjufcßliefeen, ftiQfcßweigenb überging. Die ©uterbung 
ber Äinber, fetbft bie grunbtofe, galt im alten Stecßte als er* 
laubt, unb würbe erft im fpäteren Stecßte einigermaßen bes 
feßränft, welcßes nur beftimmte ©nterbungSgrünbe zuließ. 

DaS römifeße ©rbrecßt fteüt bie inbioibuelle Freiheit ßoeß 
über bie Famitienpflicßt. ©S war ein füßner ©ebanfe, bem 
3ubioibuum, welcßes boeß nur, fo lange eS lebt, bie ©ebürfniffe 
beS*£ebenS zu fentien unb bie wirtßfcßaftlicßen ©erßältniffe zu 
beurtßeilen oermag, beffen $anblungSfäßigfeit notßwenbig miß 
bem Seben aufßört, bie SJtacßt zu oerteißen, baß eS aueß auf bie 
3uftänbe nacß feinem Dobe noch burcß feinen leßten Willen 


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Nr. 33. 


Ute (Segenwart. 


99 


eine fortbauernbe Sirfuug übe. Ter Sigentpümer tonnte io 
feine $errfchaß übet fein Vermögen in getoiffem Sinne übet 
fein Seben hinaus fortfepen, als er baSfelbe einem bon ißm er« 
nannten Srben pwenbete, in bem et gteidjfam forttebte. Sr 
tonnte feine ©üter bei Sebjeiten beliebig benufcen unb et tonnte 
überbent für ben TobeSfafl wißfürlidj batüber beifügen. Ta» 
bnrcp mürbe feine perfönlicpe üttadit feßt gefteigert unb feine 
ffiißfür betam freieften unb meiteften Spielraum. . 

Tie Stfinbung beS römifdjen StedjteS mat bocß nicf)t ganj 
im Siberfprucß mit bet Statur. 3« ber Tßat, je bebeutenber 
baß Seben eines SRenfcßen ift, um fo ftärter ift auch bie Stach» 
mittung feines SebenS auf bie nacßfolgeuben SDtenfcben. Sine 
Beit lang bauert baS Anbeuten an ißn fort unb mirb beamtet 
bon ben Uebettebenben. Seitficßtige aRenfcßen tonnen fo aud) 
für bie 3»fimft folgen, in bet ße nid)t meßr babbeln tönnen, 
gemtinnüfcig benfenbe SJtenfcßen auch ben folgenben ©efcßlechtertt 
Soßltßaten etmeifen, welche ben SJtitlebenben noch betfagt finb. 
Sie einet bei Söbjeiten eine Stiftung machen fann, fo tann et 
auch fterbenb eine Stiftung ßinterlaffen. TaS römifdje Tefta» 
ment begrünbet fo auch eine gortwirfung beS perfönlicßen SiflenS 
übet ben Tob hinauf, eine gottbauer beS perfönlicßen SirfenS, 
eine retatibe Unßerbtidjfeit. 

Snfofent mar baS Teftament ein gortfdjritt in ber StecßtS» 
cultur übet bie bloße Staturnotßwenbigfeit hinaus, etma fo mie 
bie römifcße Slboption ein Sutturfortfdjritt mar, gegenüber bem 
natürlichen gamilienrecßte. Slber bie Stömer haben bie Teftir» 
fteibeit arg unb bis pr Sluflöfung ber gamilie unb p abfo» 
Inter ©eltung inbibibueßer Selbftfucbt übertrieben. 

TaS Erbrecht ber heutigen europäifdjen Voller fucbt bie 
StoSfcßließlidjteit beS alten germanifcben gamilienerbrecßteS unb 
pgleicß bie Ueberfpannung ber inbibibueßen Siflfür, in bem 
römifchen Teßamente p bermeiben. 3m ©roßen erfennt baS 
heutige Stecht, unb mehr noch in ber StecßtSübung als in ber 
Theorie, bie pm X^eil burcb römifcbe Toctrinen berborben ift, 
bie gamilienerbfolge als notbmenbige Siegel an, unb lägt 
baneben, als eine SJtobification ober SluSnaßme eine leßt» 
willige Verorbnung p, fei eS eine einfeitige roiberrufticbe 
(Teftament), fei eS eine »ertragsmäßige unb unroiberrufliche 
(Srbnertrag). 

Sin ftanjöfifcher Statiftiter bat berechnet, baß p ©ariS 
in bem 3oßre 1825 bon 8730 Erbfäflen nur in 1081 Tefta» 
mente borhanben waren, in aßen anberen atfo einfach baS ge» 
feßlicße gamifienerbrecht p»f SlnWenbung tarn, unb baß bon ben 
1081 Teßamenten mieber nur 59 eine bon ber gefehlten Erb» 
folge abweicßenbe Srbeinfeßung borge)Trieben, äße anberen 
Teßamente ßd) mieber pnäcßß an baS gamilienerbrecht gehalten 
batten.*) TaS Verßältniß ber teftamentarifchen p ber gefefc» 
lichen Srfolge ift ßdjer in Teutfcfjlanb nicht Weniger günftig 
für bie leitete. 

3n biefen Sitten fpricht baS Stecßtsbewußtfein beS Volles I 
ßd) entfcßieben unb beuttich aus. SS ift baber 3 e ü, bah bie 
moberne ©efeßgebung über Erbrecht bie unbrauchbare Theorie 
bon einem fubfibiären „Snteßaterbredjt" in bie Stumpelfammer 
Werfe unb bie gamilienerbfolge als fiebere Siegel anerfenne, 
bie nur auSnabmSWeife burch ben Sitten beS SrblafferS 
mobificirt Werbe. Unfete heutigen Teßamente fcßließen nicht mie 
bie alten römifchen bie gefeßtidie Srbfolge aus, fonbern fie fefcen 
biefelbt als wirtfam borauS unb begnügen fich meiftenS, einige 
näßete Seßimmmtgen p treffen, inSbefonbere Vermädjtniffe an» 
potbnen, bie bon ben gefehlten Srben bejaht werben. 

Änd) bie Stbfolgeorbnung mirb richtiger im Sinne ber 
beutfdj'techtlicben ©tieberung ber gamiltenlreife nach ©aren» 
telen beftimmt, nic^t nach bem römifcß=rechtli(hen ttaffenfpfteme; 
inbem bie ©arentelen Stüdficßt nehmen fowoßl auf bie Slbftammung 
b. b- Uebetlieferung beS ©lutes je auf bie Stacßtommen gemein» 
famer Sltem, als auf bie engere SebenSgemeinfcßaft, welche bie 
ftinber unb Sntet berfelben Sltem unter einanber »erbinbet. 

dagegen paßt ber alt»germanifche aßgemeine Vorpg ber 

*) Sgl. H. Baudrillara in ber Revue des deux mondee 1872. 


SJtäuner bor ben Seibern nicht mehr ju ben heutigen Ser» 
ßältniffen ber gamilie. Senn in biefer $inßcßt bie römifdj» 
rechtliche ©leichfteßung ber Töchter mit ben Söhnen, ber 
Scßmeftern mit ben Stübern in Teutfcßtanb wie in granfreieß 
burchgebrungeu ift, fo bah nur wenige ©articularrecßte noch 
einen ermäßigten Sorpg ber SJtanner feftbalten, fo fagt biefe 
©leichfteßung bem heutigen StecfjtSgefüble eher ju. Sie ent» 
fpricht ber Statur, inbem gleich nahes Slut auch ßteichen Slntbeit 
am ©ute forbert, fie empfiehlt fleh burch bie gleicbmüfjige Siebe 
unb Sorge, welche bie Sltem ihren ftinbern jumenben, fie ge» 
faßt ber bemofratifchen ©efinnung unfeter Seit, welche gleiches 
Stecht nadjbrüdlicb »erlangt, unb bie Seoorpgung Sinjelner 
über ihres ©teichen als ein unberechtigtes Stioilegium b a f>t. 
Sie ift auch bet freien inbiüibueßen Sirtbfcbaft günftiger. 

Stber auch biefe ©leicbberecbtignng ber Äinber, bie p 
gleicher Iheüung ber Srbfchaft führt, ift fein abfoluteS ©efefc. 
SJtan batf unb foß biefelbe aufgeben, wenn bie Sebürfniffe ber 
©emeinfdfjaft, beS SolfeS eS forbern. 

Sir finb genötigt, in ber fiaatSrechtlichen Thronfolge bie 
Sinheit beS SolfeS unb bie Untheilbarfeit beS SanbeS p beachten 
unb p wahren, unb baher feine SJtehrheit »on Srben unb.feine 
Theilung ber Souberänitat p bulben. SS fann baher wohl in 
grage fommen, ob nicht in bem 3»tereffe ber Srljaltung lanb» 
wirthfchaftticher ©üter auch eine prioatrechttiche Slnorbnung eines 
bloS fingulären SrbredjteS, ober eine anbere Slbmeichung Don 
bem gleichen Srbrecpte mehrerer Srben einpführen unb p 
fchüpen fei. 

gür bie ©runbariftofratie einerfeitS unb für ben 
Säuern ft anb anbcrerfeitS tann bie fortgefefcte Xheitung ber 
©üter unter mehrere Srben ober bie übermäßige Selaftung ber 
©üter burch ©«hutben an bie SJtiterben gerabep »erberblich 
werben. f 

®ie Srhattung einer Slnphl ariftofratifcher gamilien, 
welche burch eine felbftftänbige unb würbige Steßung auSge» 
jeichnet finb, bie Ueberliefemng guter Sitte treu bewahren, bie 
freie SRuße unb bie Silbung hüben, fich bem Staate p wibmen, 
ben mittleren unb unteren klaffen ber ©efeflfdjaft burch «bie 
unb freie Haltung öorpleudjten, unb »oranpgehen,. Wo eS eine 
öffentliche ^fliegt p üben gibt, ift ein wichtiges StaatSintereffe. 
Tie gortbauer folchet Ipäufet bebarf aber eines erblich ge» 
fieberten ©runbbefifceS. So Weit biefeS öffentliche 3»tereffe 
reicht, muß baher biefe ©leicßtheilung ber mehreren Srben 
eine Sefchränfung erfahren. Sie barf nicht auf bie eigent» 
liehen Stammgüter ber gamilie auSgebehnt werben. Tie 
übrige Sertaffeufchaft, beweglidieS ©ut unb anbere Siegen» 
fdjaften, foßen wohl unter bie mehreren gleich nahen ffiin» 
ber ober Sippen geteilt werben, aber baS gefcßloffene 
Stammgut muß »or %er Tßeitung gerettet unb im ©anjen un» 
belaftet, ober nur Wenig belaftet, bem Sinen Stammguterben, 
bem fjaupte ber gamilie, »orbehalten werben. Soß ber ©roß» 
grunbbeßß fiep bap eignen, eine ©runbariftofratie anSpftatten 
unb ihr Slnfeßen bei ben übrigen ©emohnem ju befeftigen, fo 
muß berfelbe bauerhaft unb erblich geworben fein unb er muß 
in ben $änben SineS Vertreters beS ©efchlechteS »erbleiben. 
Sir »erwerfen horte ben Unterfdfieb »on abeligcm ober nicht» 
abeligem ©roßgrunbbeßh, wir brauchen uns auch nicht länger 
burep bie fünfttiche Theorie »on gibeicommiffen binben ju laffen, 
aber wir müffen eine ftnguläre Stammgutsfolge ermöglichen, 
wenn wir jenen 3*oecf erreichen woßen. SS läßt fid) baS um 
fo leitßter tßun, als man baS neue StammgutSrecht an baS ältere 
gibeicommiß» Unb Sehensfolgerecht anlehnen fetnn. 

3to^ wichtiger iß bie Sorge für bie gortbauer auSreidjenber 
©auerhöfe unb wohlhäbiget ©auergüter. Taoon höngt we» 
fentlich bie traft unb bie ©efunbheit unferer Station ab. 3« 
bem beutfdjen ©auernßanb iß uns feit 3»h r h un berten eine un» 
erfchöpfli^e güße »on urwü^ßger SJtuSfel» unb Sterbenfraß, »on 
un»erbotbenen, unöerfätfchten, wenn auch noch roßen, ©emütßS» 
unb ©eifteSanlagen erhalten geblieben, bie in ben Sitten unb in 
ber Sprache oßenbar werben. Stße höhnen tlaffen haben fich 
immer wieber erfrifcf)t unb »erjüngt, inbem ße auS biefer Urqueße 

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100 


Ute <5egeitm«rt. 


Nr. 33. 


unfern Sotföart neue 3uflüffe empfingen. Ser Sauernftanb ift 
aber erft in neuerer 3«t üodfrei geworben, unb ber früher erb; 
recßtlicß gebunbene ©runbbefift ift erft jeftt frei oerfügbare« ©igen; 
tßum geworben, ©erabe biefe Befreiung £»at aber bie ©efaßr 
herbeige jogen, bafj bie Xfieitung ber ©üter unter mehrere gleich¬ 
berechtigte ©rben entweber ben gortbeftanb berfeiben gefäßrbet 
ober ben einjelnen Uebetneßmet be« ©ute« adp ferner belüftet. 
Sa« Serberben ber ßatifunbienwirtßfcßaft, Welche bie Reineren 
©üter wieber oerfcßlingt unb aufjeßrt, ift bann um fo fcbwerer 
abjuwenben, unb au« ben freien Säuern werben unficßere Säcßter 
unb arme Sagelößner. 

Scßon feit langem fließt ber Sauernftanb ba« gleiche ©rb= 
recht ber mehreren Äinber oon fich abpweßren. Sr hat jum 
Sßeil ju fchlauen SluSftücßten unb Umgebungen be« ©efefte« feine 
3uflucßt genommen unb perfönlicße« Unbehagen nicht gefreut, 
wenn e« galt, ba« ©ut unoerfebrt unb ungetbeilt einem Nacß; 
tommen ju erhalten. 

Salb entfcßlofj fich i u biefem 3tt>ec!e bet alte fpofbauer, bei 
ßebjeiten ben $of an einen Soßn abjutreten unb felber fich 
ßeibjüdßter auf einen fümmerlichen Stitentßeil jurücfjujießen. Sr 
würbe lieber oon feinem Nachfolger abhängig, als bafj er bie 
3erftücfetung be« ©ute« jugab. Sie Uebergabe bei ßebjeiten 
oereitelte fo bie Sßeilung nach bem Sobe. 

Ober bie Sauerntöchter würben, wenn fie fiel} oerbeiratbeten, 
mit einer Slusfteuer für ihre ©rbanfprücße abgefunben unb jum 
©rbüerjicßte oeranlafjt. Stucß anbere Soßne, welche ben oäter; 
liehen §of oerliejjen, Würben oft in ähnlicher SBeife abgefunben. 
Söieber anbere Söhne oerblieben jwat auf bem i>ofe, aber fie 
lebten ba nur al« Unechte unb Arbeiter be« ^ofbauern unb 
räumten tßatfäcßlicß biefem, obwohl er ihr Sruber war, ben 
Sorjug ein, üon bem ba« ©efeft nicht« wiffen wodte. 

SDßieber in anberen gäden ßalf man mit einer Schäftung 
au«. Sa« ©ut würbe ju ©unften be« einen Uebernebmer« unb 
Nachfolger« nicht nach bem wirtlichen ©ebraueß«; ober Serfauf«; 
wertße, fonbem ju einem ganj geringen Uebernabm«wertbe an= 
gefcßlagen unb baburdj eine feßwere Selaftung be«fetben oermieben. 
Seltener würbe bie gornt be« Seftamente« ju bemfelben 3weefe 
benuftt, benn bet beutfehe Sauer liebt auch heute bie Sefta= 
mente nicht. 

Sille biefe SluSflücßte unb Umgebungen ber gefeftlicßen ©leicß; 
berechtigung mehrerer ©rben hoben aber ißre Unjuträglicßteiten. 
Sluf bie Sauer finb fie auch außer Stanbe, bie Sßirtfamteit be« 
©efefte« ju befchränten. 3« bem jäh fortgefeftten Kampfe jwifeßen 
Sauernfitte unb ßanbreeßt müßte juleftt hoch iene unterliegen, 
Weil biefe« bem Sonberintereffe unb bem ©igennufte ber jurücf; 
gefeftten SKiterben ju ©ute tommt, unb fobalb biefe nur ernftlicb 
wollen, ©eltung erlangt. 

Sollen bie ©üter unb ber SBoßlftanb, ber Säuern auf bie 
Sauer erhalten werben, fo muß baßer ba« ©efefteSrecßt felbft 
ben Schuft übernehmen. 

Sie öfter beantragte SBiebereinfüßrung ber bäuerlichen 
©rbgüter, welche, ähnlich ben ariftofratifeßen Stammgütern, 
gegen bie Seräußerung gebunben unb bureß eine finguläre ©rb= 
folge auf bie Sauer befeftigt würben, ift fcßwerlicß bureßfüßrbar. 
Sie bisherigen Serfueße ber Slrt finb überall gefeßeitert. §öcßften« 
läßt fich bie heutige SBett ei« ©rftgeburtSrecßt für ben arifto- 
fratifeßen ©runbbefift gefallen, nießt bezüglich ber Sauergüter. 
3n ben großen Solf«flaffen ber Säuern wie ber Sürger finb 
bie Siebe ju mobemer NecßtSgleicßheit unb ber $aß aller Sor= 
jugSrecßte, al« Ißriüilegien, fo mächtig geworben, baß eine Stuf* 
ßebung be« gleichen ©rbreeßt« im ®rincip auf einen unüber; 
winblicßen SBiberfprucß ftoßen würbe. SEBir werben un« woßl 
begnügen müffen, mit weniger eingreifenben SNitteln ben gort; 
beftanb oon mittleren unb Reineren Sauergütern p fießern, wie 
inSbefonbere mit ber Sefcßräntung ber Sßeilbarleit folcßet 
Sauergüter unb mit Seftimmung über eine billige Scßäftung«; 
fumme, welche bie ©utSübernaßme bureß einen ©rben erleichtert 
unb bann ber gleichen Sßeilung ^ er mehreren ©rben oerfätlt. 


Her interoreamfdjt Canal. 


35on cSeorg Kollm. 


n. 


i 


Sie Sbee eine« Seewege« bureß ben mittelamerüanifcßen 
3ftßmu« ift nießt neu; feßon im gaßte 1528 befcßäftigte fieß 
©ortej, ba er feine Surcßfaßrt Oom meEtfanifcßen ©olf nach bet 
Sübfee finben fonnte, mit bem ©ebanfen, eine folcße fünftlicß 
oermittelft Surcßftecßung be« 3ftßmu« oon Seßuantepec p feßaffen. 
3m 3aßte 1698 wollte ber Segrünber ber Sanf oon ©nglanb, 
SDSißiam Sßaterfon, bie Sanbenge üon ®anama bureßfteeßen; 1780 
fanb ba« ®roject eine« ©anal« mit Senuftung be« Nicaraguafee« 
ben SeifaU be« großen englifcßen SNinifter« SBidiam ®itt; bie Dppo= 
fition ber Sereinigten Staaten jwang jeboeß, oon ber Serfolgung 
biefer 3bee Slbftanb p neßmen. 1826 entwarf bet ßodänbifdje 
©eneral Neroeer auf Slnregung be« fiönig« ber Nieberlanbe ein 
äßnlicßeS ®roject, ba« jeboeß in golge ber Neoolution üon 1830 
wieber aufgegeben Würbe. Seitbem finb noch soßlteicße anbere 
Srojecte pr Surcßftecßung be« 3ftßmu« aufgetaueßt, maneße ftei= 
ließ pßantaftifcß genug, aber auch manche grünblicß bureßbaeßte, 
bie fieß auf bie ©rgebniffe eingeßenber wiffenfcßaftlicßer gorfeßung«; 
reifen ftüftten. Son ieftteren mögen biejenigen be« ©nglänber« 
Stopb unb be« Schweben galmarc in ben 3aßKtt 1828—29, 
ber franpfifeßen gngenieure Sabta« unb SNorel im 3oßre 1833, 
be« englifcßen Dberften Sibble unb be« Saron Sßi6rft im 3oßre 
1835 ßeroorgeßoben werben, welcße fieß fämmtlicß auf ben Sftßmu« 
oon ®anama bezogen. Sie Sjpebition oon ©ibb« unb gairbain 
im 3oßte 1841 füßrte p bem Sefcßtftß, ben ©anal bureß eine 
©ifenbaßtt ju erfeften. ©benfaU« erRärte bie im Sluftrage be« 
Nlinifterium« ©uijot im 3oßte 1843 pr Unterfucßung ber 
Srace ©ßagre« Manama abgefanbte ©Epebition unter ©areöa 
unb be ©ourtine« bie §erfteüung eine« ©anal« auf biefer Sinie 
für unausführbar; fie betätigte bagegen bie bereit« oon SKej:. 
oon $umbotbt angenommene Niüeaugleiehßeit ber beiben Dceane. 
3m 3aßte 1848 intereffirte fieß ®rinj Soui« Napoleon, bamal« 
©efangener in |»am, fpeciett für ba« Nicaraguaproject, mit bem 
er fieß aueß fpäter nach feiner glucßt, oon Sonbon au«, fowie 
al« Saifer eingeßenb befcßäftigte. Slu« ben fünfjiger 3aßren 
finb bie norbamerifanifeßen ©Epebitionen be« Sngenieur« Äenntfß 
unb be« bamaligen ßieutenant«, jeftigen ©eneral« SKicßler p 
oerjeießnen, bie fieß auf ben Sltrato mit feinen weftlicßen Neben; 
flüffen erftreeften. — gernet lieferte Dr. SNorift Sßagner ge; 
legentticß feiner im Sluftrage be« Königs SRaEimilian II. oon Saßern 
im 3&h*e 1857 auSgefüßrten gorfcßungSreife im tropifeßen 
Stmerifa wießtige Seiträge in Sepg auf ben 3ftßmu« üon ®a= 
nama. Slu« ben fe^jiger Snßren finb jwei ©Epebitionen unter 
Sucien be ®upbt erwäßnenswertß; naeß ißm foK bie güßrung 
eine« ©anal« oßne Scßleußen unb oßne Sunnel oon ber Uraba; 
baß au« mit Senuftung be« Surganbi; unb be« Sanetafluffe« 
bureß ben Saßapafi, bie glüffe ®ucro unb Suira abwärt« nach 
bem San SKiguelgolf möglich fein; feine Slngaben werben jeboeß 
oon oielen Seiten angejweifelt unb feßeinen anberweitige Se; 
ftätigungen nießt gefunben ju ßaben. 

3m leftten 3 a h^cßnt finb eS pnäcßft bie Norbamerifaner, 
Welcße fieß bie ©rforfeßung ber für bie ©anatfrage in Setradßt 
fommenben ©ebiete pr Slufgabe maeßten. So finben wir 1870 
jwei ©Epebitionen unter bem Komm. Selfribge, refp. unttt bem 
©omm. Sud pr ©rforfeßung be« 3ftßmuS oon San Sla« unter; 
weg«, 1872 ©apt. Sßufelbt bei ber Surcßforfeßung be« 3ftßmu3 
üon Seßuantepec, ben ©omm. $atfielb in Nicaragua, ebenbafelbft 
unb auf bem 3ftßmuS oon ®anama ben ©omm. Sud, fcßliefjtieß 
Selfribge auf bem Sftßmu« oon Sarien jwifeßen bem Sltrato 
unb bem Suira. Siefen ©Epebitionen folgten 1873 bie perua; 
nifeße ©Epebition unter ©apt. ©arido unb 1875 bie jüngfte 
norbamerifanifeße ©Epebition unter Sieut. g. ©odin«; beibe er; 
forfeßten ba« ©ebiet jwifchen bem oberen Sltrato unb bem ftiden 
Dcean. 

3m 3flß« 1875 jog, wie« bereit« fräßet erwähnt, ber 
internationale geograpßifcße ©ongrefj ju ißari« bie interoceanifcße 


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Nr. 33. 


JDit Äegenmurt. 


101 


Ganalfrage in crnfte Grwägung unb übertrug einer oon F- be 
Seffeps präfibirten Gommiffion bie weiteren ©tubien jur Söfung 
biefed Problems. Stuf Anregung biefer Gommiffion bilbete fiep 
im Dctober 1876 jur nochmaligen grünblichen Durcpforfcpung 
ber SftpmuSgebiete eine „Societe civile internationale du canal 
interoceanique“ unter bem SSorfi^e beS Generals Dürr; biefelbe 
beauftragte mit ben bezüglichen Slrbeiten bie franjöfifc^en ©tarine; 
lieutenantS Sucien SBpfe unb $1. ©6cluS, ©opn beS berühmten 
Geographen. Die Gjrpebition brach im ©ooember 1876 auf 
unb begann ihre Operationen auf bem Sftpmuö oon ®arien 
oon bet ©acificfeite auS; fie jog ben Duira aufwärts unb fanb 
ben Dipulepag als bie niebrigfte ©teile in ber SSaffetfcpeibe 
jwifcpen bem Duira unb bem Sltrato (466 ©teter über bem 
füllen Dcean). Darauf mürbe noch baS Gebiet jmifchen bem 
Gljucunaque, einem ©ebenflug beS Duira, unb bem atlantifchen 
Dcean recognoScirt. Die burd) bie ©egenjeit unterbrochenen 2Ir- 
beiten mürben aisbann im ©oOember 1877 mieber aufgenommen. 
SBpfe ging Oon Manama aus junäcpft nach bem 3fthmuS Oon 
©an ©taö, um, behufs ©eroollftänbigung ber Arbeiten bon ©el; 
fribge unb Süll, bie fich pauptfäcplicb auf bie atlantifche ©eite 
biefeS SfthmuS erftredt hotten, eine genaue Aufnahme beS ©apano 
mit feinen ©ebenflüffen ootjunehmen. Darauf begab fich Gnbe 
December bie Gjpebition nach bem füblichen Darien, bem Schau; 
plape ihrer Oorjaprigen Dpätigleit; mährenb ©ectuS hier bie 
©ecognoScirungen unb ©ioeUementS beS oorigen SdpreS oer= 
ooQftänbigte, nahm SSBpfe felbft ben atlantifchen Küftenftridj ju 
beiben ©eiten beS GapS Diburon nörblidj ber Urababap in 2lugen= 
fcpein unb fanb Stcanti als ben einjigen brauchbaren §afenplap 
jmifchen ber Gateboniabap unb bem Sltrato. darauf fcplog SSpfe 
am 23. ©tärj 1878 mit ber Regierung oon Golumbien einen ‘ 
©ertrag ab, welcher ber oon ihm oertretenen GefeUfcpaft baS 
auSfdjliegticpe ©riöitegium jum ©au eines GanatS jmifchen bem 
atlantifchen unb ftiHen Dcean auf bem Gebiete ber ©ereinigten 
Staaten oon Golumbien, foroie jur Anlage einer Gifenbahn parallel 
bem Ganal gemährte; ber Ganal, foroie bie fjmfen an ben beiben 
Gnben beSfelben foHen neutral erflärt unb ben tpanbelsfdjiffen 
aller Nationen geöffnet werben; KriegSfcpiffen ift bie Dur<pfaprt 
nur unter befonberen Sebingungen geftattet; bie Ginfünfte bes 
GanalS gehören Wäprenb ber erften 99 Sah« ber GefeUfcpaft, 
nach biefer Beit geht ber Ganal boKftänbig in ben ©efip oon 
Golumbien über. — ©adjbem fich bie ganje Gjrpebition Wieberum 
in ©anama oereinigt hatte, richtete fkp i|t Stugenmer! auf ben 
3ftpmuS oon ©anama, um bie Arbeiten oon Garelia, Süll unb 
©tenocal ju üerDotlftänbigen. Bum ©d)tug ber umfangreichen 
©ecognoScirungSarbeiten bereifte SBpfe noch bie ©icaraguatinie. 
3m 3uli 1878 nahm er aisbann feinen ©üdweg nach ©ariS 
über SBafpington, roofelbft er mit Süll, ©elfribge, ©tenocal, 2lb; 
miral Slmnten eingehenb über bie Ganalfrage conferirte. 

Da burch biefe mit ber größten Gemiffenhaftigfeit auSge» 
führten ©tnbien ber SBpfe’fcpen Gjpebition baS nötpige ©taterial 
jur Söfung ber Ganalfrage gefammelt worben mar, pielt bie 
mit ben ©orärbeiten beauftragte ©tubiencommijfion ben Beitpuntt 
für gefommen, einem internationalen Gongreg bie Oerfcpiebenen 
©rojecte jur ©eurtheilung oorjulegen unb einen befinitioen ©e= 
feplug über bie Drace beS jufünftigen GanalS perbeijufüpren. Der 
oon ben ©arifer geographifchen Gefeüfcpaften eingelabene inter= 
nationale Gongreg tagte Oom 15. bis 29. ©tai b. 3- Sin ben 
Arbeiten beSfelben betheiligten fich bie renommirteften Fachmänner 
unb bebeutenbften Sngenieure ber ©Jett; F- be SeffepS führte 
ben ©orfxp, ju Sicepräfibenten mürben ber Gontreabmiral ber 
©ereinigten ©taaten D. Slmmen, ber engtifdje 3ngenieur=Dberft. 
©ir 3ohn ©tofeS, ber ruffifche Siceabmirat oon Sifhatchof, ber 
italienifdje Delegirte Gomrn. Griftoforo ©egri unb ber fpanifcpe 
Oberft GoöUo, ferner jum Generalfecretär beS Gongreffes ber 
franjöfifche ©tarineofficier §entp ©ionne ernannt. Stuf bem Gon; 
greg waren oertreten: Ftanfreich, Deutfcplanb, ©ugtanb, Grog; 
britannien, Deftreicp;Ungarn, Stalien, Spanien, ©ortugal, f>ot= 
lanb, ©elgien, Schweben unb ©orwegen, bie ©chroeij, bie ©er; 
einigten ©taaten oon ©orbamerifa, Goftarica, Golumbien, 
Guatemala, ©tejifo, ©icaragua unb ©an ©aloabor. Slucp 


Ghina nahm in ber ©erfon beS erften GefanbtfdjaftSfecretärS 
ber djinefifcpen Gejanbtfchaft ju ©ariS an ben ©erathungen Dheil. 
Die ©titgiieber beS GongreffeS oertheilten fich in folgenbe Gom; 
miffionen: 1. für bie ftatiftifdjen, 2. für bie öfonomifchen unb 
commercietlen Fragen, 3. für bie Schifffahrt, 4. für bie tedjni; 
fegen Fragen unb 5. für bie ©littet unb SBege ber Durchführung. 
Durch biefe SlrbeitStpeitung unb burch bie angeftrengtefte Dpätig; 
feit ber Gommiffionen felbft, für welche bie jum Dheil fchon er; 
fchienenen ©eridjte berebteS Beugnig abtegen, war eS möglich, 
bie Frage in eerhättnigmägig lurjer Beit jur Gntfcheibung ju 
bringen. 

GS würben bem Gongreg Oon ben fepr zahlreichen ©rojecten 
jur Durchftechung beS 3fthmuS, nach SluSfcpeibung bet unprafti; 
fcf»en unb chimärifchen, nur fieben jur DiScuffion unb ©rüfung 
borgetegt. 

©o würbe j. ©. baS bereits mehrfach erwähnte ©roject 
ber Durchftechung beS 3ftpmu8 oon Depuantepec, beffen Drace 
eine Sänge oon 240 Kilometern, baS ferner bie Stntage Oon 
120 ©chleugen unb eine DurchfahrtSjeit oon 12 Dagen erforbern 
würbe, oon oornperein auSgefcptoffen, um fo mehr als auch an 
beiben Gnben biefer ©erbinbung erft §äfen ju fcpaffen fein 
würben. 

©on ben fieben bem Gongreg oorgelegten ©rojecten finb 
brei im ©teereSnioeau jeboch mit Dunnet, oiet oertangen 
©chleugenantagen unb unter biefen machen jwei augerbem 
noch bie Slntage oon Dünn ein erforberlidj. ©ed)8 bet projec= 
tirten Dracen gehen burch baS Derritorium ber ©ereinigten 
©taaten oon Golumbien, mährenb bie fiebente im Gebiete oon 
©icaragua unb Goftarica liegt. 

3n ber Stiftung oon ©orben nach ©üben beljanbetn bie 
fieben ©rojecte folgenbe Dracen: 

burch ben ©icaraguafee: 

1. ©djteugencanal oon Greptown nach ©ort ©rito; 

burch ben SfthmuS oon ©anama: 

2. ©chleugencanat oom Simongotf nach ber ©anamabap; 

3. Ganal im ©teereSnioeau mit einem Dunnel in berfetben 

SRicptung; 

burch ben 3fih mug Don ® an ®taS: 

4. Ganal im ©teereSnioeau mit einem Dunnel burch bie 

Dhäter oon ©an ©las unb beS ©apano; 

burd) ben 3fth mu8 oon ®arien: 

5. Ganal im ©teereSnioeau mit einem Dunnel oon Skonti 

am attantifcpen Dcean nach bem ©an ©tiguelgotf; 

6. ©chleugencanat mit einem Dunnel Oon ber Urababap nach 

bem ©an ©tiguelgotf; 

7. ©chleugencanat mit einem Dunnel oon ber Urababap nad) 

ber Ghiri=Gpiri;©ap. 

1. Die 9ticaragua;Drace pat oon jeher in ben ©ereinigten 
©taaten ©orbamerifaS, als bie ihnen am näcpften tiegenbe, baS 
tebpaftefte 3ntereffe gefunben. Das oorgelegte ©roject ift oom 
amerifanifchen Bngenieur ©tenocat auf Grunb ber Formungen 
SutlS unb nach ben 3been beS SlbmiralS Slmmen bearbeitet. GS 
fdjeint im erften Stugenblid oiele ©orjüge ju befipen. Der 
8800 Quabratfilometer groge ©icaraguafee gibt ein unerftpöpfticheS 
SJteferüoir jur ©peifung beS GanatS ab; ein Strom, ber ©an 
3uan bet ©orte, fteöt eine natürliche ©erbinbung jwifepen bem 
atlantifchen Dcean unb bem ©ee per; ber teptere wirb oom 
ftiQen Dcean nur burd) eine fcpmale Sanbenge gefepieben. Unb 
boep [teilen fiep bem ©rojecte beträchtliche ©eproierigfeiten in ben 
2Beg. Um ben 39 ©teter über bem ©teereSfpiegel gelegenen 
©icaraguafee oon ber attantifcpen ©eite per ju gewinnen, foroie 
für ben Slbftieg nach bem ftillen Dcean, ift bie Slntage oon 
17 ©cpleugen unb eines ca. 40 ©teter tiefen GinfdjnitteS in be; 
beutenber Sänge notproenbig — ©auten, benen bei ber oulfanifcpen 
©ef^affenpeit beS SanbeS beftänbig Gefahr bropt. Ferner ift 
bie äBegräumung ber zahlreichen, bie ©epifffaprt im popen ©tage 
bepinbernben ©tromfcpnellen beS ©an 3uan eine fept fdiwicrige 
unb foftfpietige Strbeit; bie pöcpft etenben unb ungeeigneten |)äfen 
Greptown unb ©ort ©rito erforbern äugerft foftfpietige Sauten. 
Die Gefammtloften biefeS GanalS würben 900 ©tiüionen FrcS. 


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iyGöogle 



102 


Die töegenwitrt. 


Nr. 33. 


betragen; ber 292 Nitometer lange ©anal würbe in 4—5 lagen 
pafftrt werben tönnen. 

Sine intereffante Variante biefes ©rojecteS würbe oon 
SK. ©landet oorgetegt. Setfelbe Will an ©teile ber nieten 
©cpleugen eine einzige groge ©cpleuge mit über 30 SKeier gaü 
anwenben. 

2. Ser ©cpteugencanal burep ben 3ftpmu8 »on Manama, 
in ber Sinie Soton :Spagre8:©anama oon SKenocat unb Suß 
entworfen, macEtt auf feiner Sänge oon 73 Nitometern 25 ©cpleugen 
(2 V, Sage SurcpfaprtSjeit) erforbertidj; feine Noften finb mit 
1000 SKißionen grcS. oeranfcpiagt. Sin oon SBpfe unb KectuS 
mobificirteS ©roject öerfuept bie 8opl ber ©cpleugen auf 13 unb 
bie Noften auf 700 SKitlionen grcS. ju oetminbern; tropbem 
Würbe feine SluSfüprung groge ©cpwierigfeiten in ber Srpebung 
unb SBefc^affen^eit beS ©oben«, fowie in ber ©efcpaffung beS 
notpwenbigen SBafferoorratpS jurn ©Reifen beS Sanats finben. 

3. Ser oon SBpfe unb KectuS oorgetegte Sntwurf eines 
Sanats im SKeereSnioean burcg ben SftpmuS oon ©anarna fotgt 
mit ©enupung ber Später beS SpagreS unb beS SRio ©raube 
im Slßgemeinen ber 3ft^wu8eifenba^n oon Soton naep ©anama. 
Ser Sau eines 7 Nitometer taugen Sunnels ift erforberliep; bie 
©efammtfoften beS 73 Nitometer langen Sanats würben naep 
bem ©rojecte bie $öpe oon 750 SKitlionen grcS. erteilen; bie 
SurcpfaprtSjeit fott 36 ©tunben betragen. 

4. Sie burcg ben SftgmuS oon ©an ©taS oon ©etfribge 
oorgefcptagene Sanattinie empfiehlt fiep jwar junäcpft babutcp, 
bag fie ben SftputuS an ber abfotut fcpmatften ©teile beS ganzen 
SontinentS burepfcpneibet unb bemnaep nur eine Sänge oon 
53 Nitometern etforbern würbe, bafj ber ©apano, bis auf eine 
©trecfe oon 20 Nitometern oon feiner SKünbung entfernt, fcpiff: 
bar ift, bag fiep in ber SKünbung beSfetben ein guter #afen per: 
ftetlen liege unb bafj bie ©ap oon ©an ©IaS burcg baS gteicp: 
namige ©orgebirge unb bie oortiegenben SKuIetaSinfetn gegen 
bie gefürsteten Korbftürme ber trocfenen 3apreSjeit gefcpüpt, 
eine oorjügliepe Strebe bieten würbe. Sapingegen bereitet bie 
Ueberwinbung ber ^öpenoerpättniffe ber Sorbißere oon ©an ©IaS 
fegt grofje ©cpwierigfeiten: bie SBafferfdjeibe liegt gier über 
300 SKeter pocp. SaS ©roject nimmt jwar oon ©cpleugen 316- 
ftanb, beten fonft minbeftenS 30 notpwenbig fein würben, üer= 
langt jebocp äuget 50 SKeter tiefen Sinfdjnitten einen 16 Nito: 
meter langen Sunnet. Sie ©efammtfoften betragen 1400 SKi U 
tionen grcS.; bie SurepfaprtSjeit ift auf 24 ©tunben beregnet. 

5. 2luf baS nörblidje Sarien bejiept fiep ein oon SBpfe bt- 
arbeiteteS ©roject, weites, oom ©an SKiguetgotf am ftißen Dcean 
auSgepenb, ben untern Suira mit bem untern Spucunaque birect 
oerbinbet, bann bem Saufe eines KebenfluffeS beS lepteru, bem 
Supifa unb fpäter beffen 3uflug, bem Siati folgt unb bei ©uerto 
©anbi ober Stcanti ben atlantifepen Dcean erreicht. ■■ Ser im 
SKeereSnioeau projectirte Sanat mug bie circa 6 — 700 SKeter 
pope atlantifepe Nüftencorbißere, ben Scrro ©anbi, oermittelft 
eines 17 Nitometer tangen Sunnets burepfepneiben; bie SRegu- 
tirung ber SBafferoerpältniffe obengenannter gtüffe ift fepr 
fcpwierig; an ber atlantifepen Nüfte ift erft ein §afen ju 
fepaffen. Sie Noften biefes Sanats würben 1000 SKiflionen 
grcS. betragen. 

6. 3n einem anbem auf Sarien bejügtiepen ©roject feptägt 
SBpfe eine ©erbinbung jwifdpen bem Suira unb bem auf be= 
träeptlicge Sänge fepiffbaren Sttrato unter ©enupung eines Kebetr= 
fluffeS beS legieren, beS Saquirri, oor; eS wirb piermit eine 
©erbinbung jwifepen bem ©an SKiguetgotf unb ber Urababap 
pergefteßt. Siefer Sanat ift jebo<p in gotge ber ungünftigen 
Serrainberpältniffe nur burcg eine Sombination oon ©cpleugen 
unb Sunnetn ausführbar; augerbem würbe bie ber ©erfanbung 
auSgefegte SKünbung beS Sttrato fepr umfangreiipe unb foft= 
fpielige ©auten erforbern. Sie Noften beS Sanats erreichen naep 
einem flüchtigen Ueberfcplag minbeftenS bieJpöpe oon 12—1400SKit= 
tionen grcS. 

7. StWaS günftiger würbe fiep bie Oon ©etfribge, Suß 
unb SoßinS oorgefdjtagene Stnlage eines Sanats burep baS füb= 
ti<pe Sarien Oon ber Urababap naep ber Spiri=Spiri:©ap ge: 


ftatten. Siefer Sanat würbe bem Saufe beS Sttrato bis jur 
SKünbung feines KebenfluffeS Kapipi folgen, bann burdp baS 
Spat beS tepteren pinburcpgefüprt werben, bie 200 SKeter pope 
SBafferfdjeibe unweit ber Nüfte beS ftißen DceanS oermittelft 
eines Sunnets oon 4 Nitometer Sänge burepfepneiben unb mit 
jwei Sanatfcpteugen unb einer Slutpfcpteuge jur Spiri:Spiti=©ap 
am ftißen Dcean faßen. Ser 290 Nitometer lange Sanat würbe 
an ©efammtfoften 1130 SKißionen grcS. unb eine Sur<pfaprtS: 
jeit oon brei Sagen erforbern. 

III. 

3tpf ©runb ber eingepenben ©eriepte ber ©pecialcommiffionen 
fpraep fiep ber internationale Songreg bapin aus, bag trop ber 
ungünftigen Serrainoerpättniffe SKittetameritaS fetbft bei einem 
grögerett Noftenaufwanb, wenn irgenb ausführbar, bie §erfteßung 
eines offenen SanalS im SKeereSnioeau, äpnticp bem ©uejeanat, 
anjuftreben fei, ba ein foteper ben unbebingten ©orjug oor einem 
Sanat im SKeereSnioeau mit Sunnet, in noep pöperem ©rabe 
jebotp oor einem ©tpteugencanal oerbiene. Slbgefepen oon ben 
©cpwierigteiten einerfeitS, wetdpe fiep ber Surcpfaprt Oon ©ee: 
fepiffen burep Sunnet oon beträcptlicper Sänge entgegenfteßen, 
unb anbererfeits Oon bem Seitoertuft, weiter beim Surepfepteugen 
ber ©epiffe entftept, bebropen bie jerftörenben Nräfte beS tropifepen 
NlimaS: Kegengüffe, ©egetation, Djpbation, Srbbeben — Ieptere 
in Kicaragua unb Sarien befonberS päufig — bie Einlagen eines 
Sunnet: unb ©epteugencanatS unauSgefept, wäprenb fie einem 
einfaepen Sanaleinfepnitt, gleiepfam einer SKeereSenge, weniger 
gefaprbringenb ftnb; bei waipfenbem ©ertepr wäre eS fogar mög= 
liep, opne Unterbreepung beSfetben eine Srweiterung beS Sanats 
oorjunepmen. 

Siefem ©efieptspunft entfpreepenb entfepieb fiep baper auep 
bet Songreg für baS oon 2Bpfe unb 5R6cluS bearbeitete ©anama> 
project oon bem Simongotf naep ber ©anamabap (baS brittc 
ber oben befproepenen ©rojede), ba auf biefer Sinie naep Stnficpt 
ber teepnif^en Sommiffion am teiepteften ein Srfap beS pro: 
jectirten Sunnets burep einen offenen Sinfepnitt ju ermöglichen 
fein würbe; berfetbe mügte atsbann in ber für ben Sunnet an: 
genommenen Sänge eine Siefe oon 85 SKetern im SKajintunt paben. 

SSenngleiep biefeS mobificirte ©roject (ein 73 Nitometer 
tanger offener Sanat im SKeereSnioeau) burep ben ©efeptug beS 
SongreffeS als baS befte unb am weiften jweetentfpreepenbe be- 
jeiepnet Worben ift, fo bürfen wir uns boep niept bie ©epwierig: 
feiten bei einer SluSfüprung beSfetben oerpepten. 

Ser ©anamacanal foß in erfter Sinie bie SBafferläufe beS 
SpagreS unb Kio ©ranbe benupen; biefe bebürfen baper einer 
fepr forgfättigen Kegutirung refp. fteßenweifer Ableitung in 
Kebencanäte, um ben ©eecanat niept ben gefäprtiepen gotgen 
eines rapiben ©teigenS biefer ©ewäffer, welcpe mitunter in ber 
Kegenjeit binnen fürjefter grift eine $öpe oon 10 SKetern unb 
mepr erreidpen, auSjufepen. greiliep fann bie eoentueße 9tb= 
füprung einer fotzen SBaffermaffe, fowie auip biejenige Don 
©aumftämmen unb anbem treibenben ©egenftänben, bie fonft 
teiept burep bie ©itbung oon ©nagS, wie auf bem SKiffiffippi, 
ber ©epifffaprt fepr gefäprticp werben fönnten, burep ©enupung 
ber oerfepiebenen gtutpoerpältniffe auf ben beiben Dceanen wefent* 
tiep erleichtert werben. SBäprenb auf bet Kpebe oon ©anama 
bie $öpe ber gtutp jwifepen 2,95 bis 6,49 SKeter oariirt, 
bewegt fie fiep bei Soton in bem Simongotf nur jwifepen 0,19 
bis 0,49 SKeter $öpe; pierburep fann in bem Sanat, wenn er: 
forbertiep, eine Strömung naep feiner SKünbung am ftißen Dcean 
peroorgerufen werben, wetepe biejenige im ©uejeanat jwifepen 
bem rotpen SKeer unb ben ©itterfeen niept übertrifft. Sie gtutp: 
oerpättniffe im ftißen Dcean jwingen anbererfeits auep jur 3tn= 
tage einer mäeptigen gtutpfepleuge an ber bortigen Sanatmünbung. 
©or biefer SKünbung müffen ferner jwei 5 refp. 7 Nitometer 
lange, an ber attantifepen SKünbung bei Soton jwei je 1 Nito: 
meter tauge ©teinmoten bis jur äBaffertiefe oon 8,50 SKeter 
in bas SKeer pineingefüprt Werben, um bie Sinfaprt in ben 
Sanat ju fxepera; hierbei fei erwäpnt, bag bie SKünbung beS 
©uejeanats bei Sßort ©alb oon jwei 2500 refp. 1900 SKeter 


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Nr. 33. 


Oie (Segeuwurt. 


103 


langen ©teinbämmen begrenjt wirb. Außerbem muß jum @djuh 
gegen bie heftigen Storbftürme, benen bie ßimonbat) außgefefct 
iß, bei Eolon ein SEBedenbrccper angelegt werben. 3*tner wirb 
bie ber ©etfanbung in popem ©rabe auSgefefcte atlantifcpe 3Mn« 
bung fortgefepte, fehr umfangreiche ©aggerungßarbeiten erpeifchen, 
wobutcp bie jährlichen Unterpaltungßfoften be« Eanalß fiep bebeu« 
tenb fteigern würben. Diejelben foden jebocb nocp ben Ermitte« 
langen ber betreffenben ©pecialcommifpon biejenigen, welche für 
ähnliche 3*oede beim ©uejcanal erforberlicp finb — fie betragen 
hier ca. 2 Stidionen Stcß. — niept überfteigen. 

Stögen auch immerhin niete ber angebeuteten ©dpwierigfeiten, 
welche bei einer Ausführung beß ©anamacanalß ju überwinben 
fein werben, namentlich biejenige ber §erftedung beß oben ange« 
beuteten mächtigen Einfdjnitteß, jene beim ©au be« ©uejcanal« 
überfteigen, fo müffen Wir unß bocp anbererfeitß netgegenwärtigen, 
ba| aucp bei biefem bie Decpnif fehr fchwierige Aufgaben ju 
löfen patte. ®o war j. ö. im Stenjalap=@ee bie Schüttung non 
45 Kilometer langen Eanalbämmen mit fehr flachen ©öfcpungen 
erforberlich. Der Durcpfticp ber ©anbfcproeüe non et ©ift unb 
ber Durchbruch ber 16 Kilometer langen Selfenfcpmede beß 
©erapeum« bei Duffum war eine Arbeit, bie nur burdf» befonbere, 
ju biefem Btnede erft währenb be« ©aueß erfunbene Stafdpinen 
überwältigt werben fonnte. SBaß bie Erbarbeiten am ©anal, 
welcher auf ber Sohle 22 Steter, in fjöpe beß SSBafferfpiegetS 
56 Steter (im Seifen 32 Steter) breit werben fod, betrifft, fo 
beträgt bie außjufdpacptenbe Erbmaffe 47 Stillionen Kubifmeter; 
beim ©uejcanal waren 75 Stidionen Subifmeter ju bewegen. 

SBäprenb bem ©anatnacanal, einmal fertiggeftedt, feinertei 
große ©«fahren brohen, ba felbft nullanifche Einßüffe in biefer 
Eegntb faum ju befürchten finb, fo erforbert ber ©uejcanal fteiig 
forgfättigfte ©eobacptung unb ^Reparatur. Dem $afen ©ort ©afb 
broht ©etfanbung burch ben non wefttichen Strömungen herbei; 
geführten Stilfehtamm; ber füblich öon Sömaltia gelegene Dpeil 
beß Eanalß wirb öon wanbernben ©anbbünen bebropt; bie Damm; 
fipüttungen im Stenjatahfee finb burch Unterfpülungen gefährbet. 

Die Arbeiten am ©uejcanal mußten burch eine SEßüfte 
hinburchgeführt, für baß $eer ber Arbeiter Drinfwaffet burch ! 
einen befonbetß hierfür angelegten ©üßwaffetcanal Dom Stil ! 
herbeigeführt werben; beim ©au beß ©anamacanalß lann bie ; 
fchon oorpanbene ©anama«®ifenbapn in popem Stoße für ben | 
Iransport ber ju bewegenben Staffen außgenufct werben, jwei , 
©täbte unb jwei $äfen bilben in ©erbinbung mit ber ©ahn ! 
bie ©aff« für -ben ©au unb für bie ©erpflegung ber Arbeiter, j 
SDtit ©enupung ber beim ©uejcanal gemachten Erfahrungen wirb | 
eß baher wohl möglich fein, ben ©anamacanal in 7 — 8 3apren i 
fertig ju ßeden. | 

Die Ausführung beß ©anamacanalß hat ber berühmte Er* j 
bauet beß ©uejcanal«, 3- be Seffepß, in bie £>anb genommen; 
bie unter feinem ©orpp entftanbene ©efedfehaft hat bereit« 
einen Aufruf ju 3cicpnun9*w erlaffen. Siöge eß ihr nicht 
fchwer fallen, bie erforbetlicfjen, freilich fehr bebeutenben Kapitalien 
(bie tedpnifepe Eommifpon hot bie ©efammtloften auf 1070 Stidio« 
nen Stcß. normirt) ju pdpern, um biefeß für ben SBeltoerfepr fo 
bebeutungßbode Unternehmen halb in Angriff nehmen ju fönnen! 

Sfit Stüdpcpt auf biefen großen ©elbaufwanb möchte eß 
Wohl jum ©cpluffe noch öon Sotereffe fein, bie ^Rentabilität 
beß fünftigen ©anal« in ©etracht ju jiehen. ©ei ber ©eant« i 
wortung biefer Stage biene wieberum ber ©uejcanal atß Anhalt. 

©eit ber Eröffnung biefeß Eanalß ift bie Bapl un *> *>er 
lonnengepalt ber Skiffe, welche ihn benupt hoben, öon 3®pr 
ju 3opr gewaepfen unb finb bem entfprecpenb auch bie Einnah' 
men ftetig geftiegen, wie auß folgenben Angaben ju erfehen ift. 

1870 pafprten 486 Skiffe mit 654,915 Donnen, ©in« 
nähme bei 10 Stcß, 8°Q pro Donner 5,159,327 Src«. 

1871 pafprten 765 Schiffe mit 1,142,200 Donnen, Ein« ’ 
nähme bei 10 ,3rcß. 3od pro Donner 8,993,732 Srcß. 

1877 paffirten 1663 Schiffe mit 3,418,949 Donnen, Ein« j 
nähme bei 12% Srcß. 3od pro Donner 32,774,344 Srcß. 

1878 paffirten 1593 Schiffe mit 3,291,535 Donnen, Ein« 
nähme bei 12% Srcß. 3od pro Donner 31,098,229 Srcß. ' 


hiernach beträgt bie Steigerung beß ©erlebt« j. ©. öom 
Bahre 1871 biß jum Bahre 1877 beinahe 300%. Den Ein« 
nahmen beß 3apreß 1877 ftanben Ausgaben in £>öpe öon 
17,244,688 Srcß. gegenüber. ©erüdfieptigen wir noch bie ®e« 
fammtloften beß Eanatbaueß fammt Einrichtung, welche biß Enbe 
1872 456,862,086 Srcß. betrugen, fo fpreepen biefe 3®plcn 
genügenb für ben öodftänbigen Erfolg beß ©uejcanal«. Daß 
für ben ganjen £>anbel fehr traurige Sohr 1878 jeigt freilich 
auch hier eine Abnahme; jiehen Wir jeboch in ©etracht, bajj 
währenb j. ©. ber englifcpe $anbel mit ben aftatifchen §äfen 
pch im Sabre 1878 nm 16% gegen baß ©orjahr öerminberte, 
bie maritime ©ewegung burch ben ©uejcanal bagegen nur 
eine Sernthtberung öon 3% jeigte, fo fönnen mir in biefer 
Dhatfache gewifj nur ein gfinftigeß Reichen für bie Sebenßfähig« 
feit beß ©uejcanalß erblicfen. An biefer ©tede möge noch h ers 
oorgehoben werben, bafj, tro|bem- ber ©au be« ©uejcanal« pch 
burd^au« nicht ber ©pmpatbie ber Engtänber erfreute unb fie 
feine ^Rentabilität bejmeifelten, boch Englanb 79% öon aden 
Schiffen geftedt hot, bie ben ©anal biß jefct pafprten. 

SBirb nun ber interoceanifche ©anal ähnliche Erfolge auf« 
juweifen hoben? Die ftatiftifepe EommifPon beß Eongreffeß fuept 
biefetben in fepr eingehenben ©eridpten nadjjumeifen. ©ie geht 
hierbei öon bem augenblicflicpen ©tanbpunft beß ^anbelß jwifdjen 
ben bei ber Eanalfrage intereffirten Staaten auß. Auf ©runb 
forgfättiger ftatiftifeper Ermittelungen wirb für baß Sohr 1876 
ber SBerth fowopl ber auf bem ßanbwege burch Amerifa, als 
auch ber auf bem ©eemege öon Amerifa öon einem Ocean jum 
anbern tranßportirten ©Saaten auf 1300 SDfidionen Srcß. an« 
genommen, woju nodh 500 Stidionen für ben ^anbelßöerfehr 
jmifepen Europa unb Apen, infofern er fiinftig mahtfdjeinlich 
ben SBeg burch ben neuen ©anal nehmen würbe, hinjujurecfjnen 
pnb; bemnaep repräfentirt ber jährliche Umfafj einen SBerth öon 
1800 Stidionen Srcß. SBenn, ben Abphäfcungen ber Eommif« 
fion folgenb, jebe Donne einen Durchfdjnittßwerth öon 375 Srcß. 
befi|t, fo entflicht bie obige ©umme öon 1800 Stidionen Srcß. 
einer Donnenjaljl öon 4,800,000. Sn ben lebten 15 Sahren 
betrug nun bie jährliche Sunahme beß ^anbelßöerfehrß in ben 
in Srage fommenben ©egenben 6%; eß erfepeint baper bie 
Annahme gewip niept ju poth, wenn für ben Beitraum öon 
1876 biß 1887, in welchem 3«pre bie Eröffnung be« Eanalß 
möglich fein würbe, eine ©ermeprung beß Umfapeß öon 50% 
in Anfap gebracht wirb. Demjufotge würbe bi« ju biefem 3eit« 
punft bie Donnenjapt, welche für bie ^Rentabilität beß Eanalß 
ben Außfcptag gibt, über 7 Stidionen, geftiegen fein. Danach 
würbe bei einem ©afiagejod öon 15 Srcß. pro Donne, wie er 
feiten« beß Eongreffeß öorgefeptagen worben ift, ber Eanal ju« 
näcpp eine jährliche Einnahme öon minbeftenß 100 Stidionen 
Srcß. erjielen, maß felbft in Anbetracht be« popen Anlagelapitatß 
fepon für ba« erpe Sapr alß fepr günftig ju bejeiepnen fein 
möcpte. Stit ^inblid auf bie Erfolge beß ©uejcanal« in ben 
wenigen Sopten feine« ©epepen« iäpt pep auep für bie fernere 
Bufunft beß ©anamacanalß jebenfadß nur ein günpigeß ©rognofti« 
fon peden. » 

SBie fo ber interoceanifcpe Eanal im ©tanbe fein wirb, 
burch reede Erfolge aden Sorberungen beß ©onberintereffe für 
bie geleifteten Dienfte öon öomperein öodfommen gereept ju 
werben, fo wirb er auch pcperlicp bet Stenfcppeit im Adgemei« 
nen jene großartigen Dienfte leißen, melcpe bereit« in ben ein« 
leitenben SBorten biefeß Auffapeß beleuchtet worben pnb. Stöge 
bie Ausführung biefeß bem neunjepnten Saprpunberte mürbigen 
Unternehmen«, weldpeß niept burdp bie ^Regierung eine« Sanbe«, 
im Sntereffe einer Station beabfidptigt wirb, fonbern öon ben 
berüpmteften ©eteprten unb Sngenieureu Europa« unb Amerifa« 
mit ben Kapitalien ader ^anbelßnationen ber SBett in Angriff 
genommen werben fod, welche« baß ©emeingut ader Stationen 
ju werben beftimmt ip, niept burch falfcp angebrachten ©arti« 
cularißmuß unb falfcpe Anwenbung ber 9Ronroe«Doctrin feiten« 
bet großen norbameritanippen ©epubtif oerjögert werben! ©ie 
wirb ebenfo wenig, wie Englanb bnrep feine Stißgunft ben ©au 
beß ©uejcanal« aufjupatten öermodpte, im ©tanbe fein, ber 


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104 


Bit (Segenmart. 


Nr. 33. 


(stimme ber SBelt burd) ihr Veto ©chmeigen p gebieten: baS 
Siefenmerl beS interoceanifchen ©analS ift in iebem 8aQ nur 
nochieine ffrtage ber 3eit! 


^ttercitur mt& £uttß. 


3taf bem 3nfelsbenje. 

l. 

®ie getrennt im tiefen $h fl te 
®eit entfernte 3Bege gelj’n, 

Sun oereint mit einem SJlale 
Stuf beS VergeS ©ipfel fteh’n. 

großen SBieberfehenS freier 
Sabet un8 p lurger Sul)’, 

Unb beS SebelS buft’ger Schleier 
®edt uns fanft unb freunblidj ju. 

©lüdlich, ba| mir unS getroffen, 
$eut’ gehört unS gang bie 3eit — 
©eftern mor es noch ein hoffen, 
Storgen ift’S Vergangenheit. 


2 . 

AIS bei bir pm lebten Stale 
3dj auf hohem Serge ftanb, 

$abe ich gunt tiefen ^hale 
deinen Stic! hioobgefanbt. 

SBieber fteh’ ich auf bem ©ipfel, 
lieber mir bie SGBoIfe flieht, 

Unten burd» bie grünen SBipfel 
Sie ein §au<h ber ©ehnfudjt gieht. 

Stuf baS Ih°l P meinen ffüfjen 
#alte ich ben Süd gefenft, 

Unb mein $erj mit ftiüem ©rüfjen 
An bie ferne Herrin benft. 

ZJIbert (Traeger. 


llnfer ftfyeater. 

®tne bramaturgifdfe Klauberei. 

Aon 

(feobor tDetji- 

SBer baS beutfche Xheater ber ©egenmart mit einiger Stuf: 
merffamfeit beobachtet, rnirb ohne 3*oeifeI p ber ©inficht ge* 
langen muffen, baff ff4 im SBejen beSfetben allmählich eine nicht 
unbebentfanie SBanbtung p ooügiehen begonnen hot. Stach unb 
nach, man möchte oerfudjt fein p fagen: in fein politifcheS 
©djidfal fich finbenb, b. h* ertennenb, bah eä auf ftaatliche 
Unterftüfeung nicht p rechnen, fonbern oielmehr barauf gefaxt 
p fein h«t, auch fernerhin als baS ©tieffinb unb tünftleriffhe 
Afdjenbröbei im $auShalte bes beutfchen SeicheS betrachtet gu 
roerben, als melcheS es oon jeher angefehen morben ift, hot es 
enblich, mie es ben Anfdjein geminnt, im eigenen Snnern fich 
pfammengerafft unb ben fchmeren, aber lohnenben 2Beg ber 
©elbfthülfe befdjritten. 

Aeuffertidje Selege bafür ftnb bie beutfche ©enoffenfdjaft 
bramatifcher ©chriftfteüer unb Xonfefeer unb bie ©enoffenfehaft 


beutfcher SühnemAngeljöriget, grnei Unternehmungen, bie, menn 
auch noch gutaftenb unb oietfach fdjmanlenb, boch mehr unb 
mehr feften guff geminnenb, fchon barum oon unberechenbarer 
Sragtoeite gelten lönnen, meil fie ben ©tanb ber beutfchen bra* 
matifcffen ©chriftfteüer mie ben ber beutfchen ©djaufpieler pm 
erften SBale als gefcffioffene ©efeüfdjaften, als ftaatlidj anet* 
fannte ftötperfhaften erfreuten laffen, bie ihre materiellen 3«* 
tereffen unb Siechte p mähren mit gutem ©ifer bemüht finb. 

®iefe Semühung rnirb auf bie Sänge ber 3eit nicht ohne 
allen Suffen unb (Erfolg bleiben lönnen. 3unächft gibt fie ben 
SJlitgliebern beiber ©enoffenfdjaften baS ©efühl einer gemiffen 
3ufammengehörigleit unb bamit ein gemiffeS ©elbftoertrauen. 
Der beutfche bramatifche ©chriftfteüer, ber beutfche ©chaufpieler 
treten nicht mehr aüein unb oereingelt auf, fonbern in ge* 
fchloffener Seihe unb mit gemeinfamer ©ache. Sod) ift bieS 
Auftreten nicht immer ein burchouS mürbigeS unb taftooüeS; 
halb ift man p oermegen, halb p pghoft; eS fehlt nicht an 
Anregern unb Ireibern, mohl aber an erfahrenen Settern unb 
planooüen Führern. ®och biefe merben fich im Seforgen unb 
Abmideln ber nothtoenbigen ©efdjäfte allmählich heraus fdplen 
unb bilben unb für bie Angelegenheiten ber Sühne baburdj 
eines fchönen lageS Stänner unb ©eifter an ihre ©piffe ge* 
bracht finben, bie ihnen biejenige ©ettung unb götberung reich* 
lieh betfehaffen merben, auf bie fie eine mohlbegrünbete unb un* 
oeräufferliche Seredjtigung in fich tragen. Schon jejjt geigen 
fich bie guten folgen ber beiben ©enoffenfehaften überaü. Ser 
©chaufpieler fietjt auS feinem eigenen ©tanbe heraus, b. h- burch 
feine unb feiner ©enoffen unabläffige Semühungen, fein Atter 
leiblich gefiebert. Um in ben Sagen, in benen er nicht mehr 
mirlen lann, oor Soth unb brüdenber Sorge gefchüfct p fein, 
braucht er nicht mehr ängftlidj unb in oft bemüthigenber SEBeife 
auf eine Anfteüung mit fßenfionSberedjtigung 3agb p machen. 
Sie Senfion ergibt ftch aus feiner ©enoffenfehaft, auS ber ge* 
fdjloffenen 3ufammengehörigfeit feines ©tanbeS. ©ein ©tanb 
hält unb hobt ihn. SDiefer Umftanb muff ihm gang nothmenbig 
ein erhöhtes ©elbftbetoufftfein, ein fchöneS ©efü|t oon ber ©hre 
unb SBürbe feines tünftterifdjen SerufeS oerleihen. 3ft eS boch 
eben biefer lünftterifche Seruf felbft, ber ihm für bie gange 
3eit feines SebenS ben nötigen Unterhalt oerfchafft. 

Sicht oiet anberS ift eS bei bem bramatifchen ©chriftfteüer 
unb $onfeher. Seibe feljen unb gemähten hinter fich eine ©in* 
ridjtung, bie ihre Angelegenheiten mit marrnem (Eifer nnb hin* 
gebenbet Ireue oertritt. ®ie beutf^e ©enoffenf^aft bramatifcher 
Autoren unb ©omponiften ift mit löblicher Umficht befliffen, 
beren 3ntereffen unb Sechte mahrgunehmen. ®er ®ramatiler 
braucht nur gute unb mitlfame ©lüde p fdjaffen unb fich fonft 
um nichts p fümmern. ®ie ©enoffenfehaft forgt für feinen 
Sohn unb bafi er nirgenbs ju htrj tomme. ®abur<h erhält er 
Freiheit unb einen gemiffen $alt in feinem Schaffen, ©ein 
Schaffen ift ein Schaffen, baS nicht ins Seere unb Slaue hin* 
eingeht, fonbern baS gemiffer Anfpriidje unb Südfichten ficher ift. 
@3 ooügieht fi<h unter bem ©enuffe fefter ©efdhäftSregeln unb 
©efefee, bie feinen meltlidjen Sufeen begmeden. 

©S ift noch nicht lange het, ba| baS geiftige ©igenthum 
mie ©tranbgut, mie Sreibeute behanbelt merben burfte. ®et 
bramatif^e @4riftfteüer unb Xonfefcer befanben fich io einem 
beftänbigen ffiampfe um eine Segahlung ihrer Arbeit Seber 
theatralifche ©trau^bieb unb Sufdjüepper tonnte fie barum 
betrügen. 3h re Schöpfungen maren fo gut mie oogelfrei unb 
faft Siemanb machte fich ein ©emiffen barauS, fie gu eigenem 
Sortheit gu oermerthen, ohne bie Serfaffer baran Anteil nehmen 
gu laffen. 

$iefe 3uftänbe haben, ©ott fei ®ant, ein ©nbe. Soch h°t 
man gmar ber S'unft im beutfchen Seiche leine eigene ©teüung 
eingeräumt, aber man hot fie menigftenS, fo toeit eS ging, unter 
bie ©emerbeorbnung gebracht. ®aS Xheoter unb bie ©chanl* 
mirthfehoft ft eben, in einem Seffort. ®o<h, mie eS in ©riü* 
pargerS „Ahnfrau" heilst: 


„Auch für ben Säuber bau!’ id) bir." 

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Nr. 33. 


Die (Segenwart. 


105 


Die ©eroerbeorbnung ift immerhin ein Anfang für bie Sßürbigung 
bet Äunp. .*poffentließ wirb eine 3eit tommen, in bet ein 
beutßher {Reichstag weniger polnißh Detfahren wirb nnb PRänner 
in bemfelben fifcen unb fthnmen werben, bie, pef) auS ihrer 
3ugenbjeit an SchiPer’ßhe Serfe unb RuSfprüdje erinnemb, 
eingebent Pnb, baß et, ber große Dramatifer, bie Schaubühne 
als moratifche Rnpalt betrachtet unb gehalten wiffen Wollte. 

Die ßunft ift in ber Dljat unb unbejweifelt bie Silbnerin 
ber Sitten, bie ©rjieherin ber #etjen unb beS ©emütljS; bie 
Äunft ift mehr, fie ift ein Surrogat ber Religion. Sehr richtig 
fagt ©oetße: 

„Säer SBiffenßhap unb Shcrtft befipt, 

$at auch Seligion; 

SB er jene beiben nicht befi|t, 

Der habe Religion." 

Der Sinn biefet 3eilen liegt auf bet $anb, hoch haben 
unjere Staatsmänner ihn entweber nicht gefaßt ober nicht ju 
benu|en öerftanben; fie pflegen bie Religion unb berwahrlofen 
bie flunß, obfdjon bie S'ircfje faum fo tiiel Seelen ju retten im 
Stanbe fein wirb, als baS Dheater öerberben !ann. Das Dheater 
fpielt in großen Stäbten alle Rbenbe, ber fßtebiger prebigt faft 
nur am Sonntage. Unb welche Reije flehen ber Sühne jur 
Verfügung! PRan foPte beren Stacht unb ©inffuß nicht außer 
Rcßt laffen, nicht außer Rcßt laffen, bah bie Sirdje meift oon 
betagten, älteren Seuten befuefp wirb, baS Dheater jebodj ber 
Sammetplah ber 3ugenb unb ber ©eifter ift. Die ©elfter, bie 
gugenb finb oor RPem einbrudsfäljig unb bilbfam, ebenfo leicht 
jum ©bien, ©rohen, ©rhabenen, wie jum Schielten unb ©emeinen 
hmgejogen unb geftimmt. Der Schüler, ber Stubent, ber Sürger, 
ber Seamte, ber Zünftler, bet SReidjStagSabgeorbnete, ber Solbat, 
bie Jungfrau unb bie PRutter, fie alle gehen hie* in bie Schule. 
Diefe Schule ift oon weittrag enber Sebeutung, Oon Oiel weit: 
tragenberer Sebeutung, als man gewöhnlich pch oorftePt unb 
barum follte bie Regierung fie nicht fo fehr aus ber $anb laffen, 
als eS feither meift gefchehen ift. Sicht als bloße SergniigungS: 
flätten foUte man fie betrachten unb halten, fonbern man follte fich 
oielmehr beftreben, fie als £>erb ber feinen ©eftttung unb Silbung 
ju etlennen unb ju oerwenben. ©S ift nicht gleich unb fann 
auf bie Sänge ber 3eit nicht gleich fein, was man Rbenb für 
Rbenb in ben Dheater n jur DarftePung bringt, ob lieberliche 
hoffen, franjößphe ©ntpttlichungSftüde ober ebel erheiternbe unb 
tief ergreifenbe Schöpfungen höherer Rrt. 

3e mehr bie Seligion an ©inftuh auf bie Stenge oerliert, 
um fo angelegener follte man trachten, ben beS Dh efl terS ju oer: 
ftärten, bamit ber fdjminbenbe ©laube burch junehmenbe ©emüth= 
unb 4?etjen8bilbung erfefct unb fo ber fteigenben Rohheit unb 
©ntpttlichung einigermaßen ein ßhü|enber Damm entgegen: 
geRellt werbe. 

Seiber haben bie beutfehen Kolititer bisher barauf noch 
nicht Sebadjt genommen. Sie hoben bie Sühne meiftentheitS 
ben Speculanten unb bem 3ufaP überlaffen. PBenn pe meinten 
etwas bafür thun ju müffen, fo Waren baS Solijeierlaffe, ©enfur, 
unb 93erböte, PRaßregeln, bie noch neuerbingS wieber in Sor= 
fchlag unb Rnmenbung (amen. ©S mag bei biefer ©elegenheit 
ber Serliner „RationaI:3eitung" unbergeffen fein, baß Pe in 
einem Seitartilel oom 19. December 1878 bagegen ©infprudj 
erhebenb fagte: „3m ©egentheil glauben mir auf Seiten ber 
Sühnenleitungen, ber Dichter unb Schaufpieler bie fortgefefcten 
Setfudje eines neuen RufßhmungS mahrjunehmen, benen Ieiber 
• bie ©unp beS fßublicumS nicht überall entfpredjenb entgegen: 
!ommi" 

Die Serliner „Rational:3eitung" hot unferer PReinung nach 
hiermit eine fehr richtige SBaljrnehmung gemacht unb mit ber 
Serlautung berfelben anbeutuggSweife ben ^Sunft berührt, oon 
bem mir in unferer S^ouberei auSgegangen finb, nämlich Oon 
ber Sehauptung, baß in unferem gegenwärtigen Dheaterwefen 
eine nicht unbebeutfame PBanblung im allmählichen SoPjuge ift. 

©an) im StiPen unb auS pch felbft heraus fängt, wie 
uns bebünfen will, bie beutphe Sühne Pch ju oerjüngen unb 


ju oerbepern an. 3« ber berüchtigten, jefct glücflich übet: 
wunbenen ©rünberjeit würbe auch b°S Dheater ber ©egenpanb 
einer überfpannten, Dielfach freoelhaften UnterncbmungSlup. Die 
Sdjaufpiethäufer Wulfen wie fßiije aus ber ©rbe, weil man, 
oon ben franjöpfchen PRiPiarben trunlen gemacht, in jeber nur 
einigermaßen oolfreichen Stabt bie großen Siege in einem un: 
aufhörlichen gefteSrauphe glaubte begehen ju müffen, ju Welchem 
auch lujuriöfe ScfjauftePungen jeher Rrt geboten erphienen. 9Bic 
fo oft fchon bie Sieger bie Sitten unb ©ebräudje ber Sepegteu 
angenommen unb ju ihrem Serberben in ihre Heimat über: 
tragen hoben, fo woPte man in Deutfchlanb überaP fßariS nach : 
ahmen unb nach bem lanbläupgen Sprüdjmorte wie ©ott in 
granfreich leben. 

3u biefem Seben gehörten oor RPem auch Dheater, fchöne, 
pradhtooPe, neue Dheater unb in biefe Dheater reijöoPe, priielnbe 
unb 3uf)froft auSiibenbe Stüde, Stüde, wie pe, nach beutfeher 
Rnfchauung, aber nur bie granjofen ju fdjreiben im Stanbe pnb. 
Sein PBunber alfo, baß mit einem Schlage bie beutf<h ; patrio: 
tifeßen Scßaufpiele wie bie Sleift’fcße „IpermannSfchlacht", wie 
SauernfelbS „Deutfcher ffrieger" ober SmmermannS „§ofer", 
bie man ju ben SiegeSfeften hier unb ba heroorgefuefp, ber: 
fchmanben unb mehr benn je bie luftigen ober aufregenben 
Ueberfefcungen aus bem granjöpfchen in Rufnaljme (amecc. 
SBäßrenb bie granjofen 9lPeS, was Deutfeh mar, oerpönten unb 
in Sann thaten, beeiferten wir Deutfchen uns, SIPeS, was grau: 
jöfifch mar, in ben Fimmel ju erheben. Stit Dem menigftenS 
gefeßah eS, maS auf ber Sühne erfdjien. Die beutfehen Dheater: 
berichterftatter, Dreifach entblößt Don aPem oolfStimmlichen ©hr: 
gefiihl unb wenig oertraut mit ber Sache, bie ihnen ju be= 
hanbeln obliegt, fdhwärmten mehr benn je für bie franjößfdje 
Sühnenmache, granfteid) ift biefen Seuten noch immer bas 
Sanb aPeS tljeatralifchen $ei!8. Dort aPein gibt eS ffirpnbung, 
Seibenfcßap, 3ntrigue, feinen Dialog unb (urj 9lPeS, was man 
für ein gutes Dheaterftüd braucht. 3n bem bereits ermähnten 
Sluffafce ber Serliner ,,9lational:3eitung'' hiep eS, benfelbeit 
Sunlt berührenb: „68 herrfefjt ja überhaupt in Deutfchlanb bie 
PReinung: granfreich befifje in §inßd)t beS DheaterS ein abfo= 
luteS SRonopol beS ©efchmadS, ber höcffften ffunftauSbilbung in 
ber, oon (einer anberen Siteratur auch nur * m ©ntfernteften et: 
reithbaren SoPenbung. Obwohl eS uns nicht in ben Sinn 
(ommen fann, irgenb wie an ben wohlerworbenen Ruhm beS 
franjöpfchen DheaterS ju taften, obwohl wir bie glänjenbeit 
Sorjüge ber tranSoogepßhen Sühnenleiftungen, befonberS auf 
bem gelbe ber leichteren mobemen ®omöbie, oon bem Scribe’phcn 
SaubeoiPe bis hinauf ju ben Stüden oon ©mile Rugier nicht 
oetlennen, fo foPte man pch bo<h in Deutfchlanb in biefer |>in= 
ficht nicht einer fppematifchen Serblenbnng hingeben, bie nur 
baju führen würbe, in granfreich «1$ ooPfommen unb in 
Deutfchlanb RPeS als in SerfaP gerathen ju betrachten." 

Die „RationakSeitung", bünft unS, fieljt hi« 1 - etwas (ommen, 
was Ieiber bereits borhanben ip. Die SoPfommenheit gran(= 
reichS in $inp<ht beS DheaterS ip eine fo gang unb gäbe Rn: 
fdjauung bei unS, wie bie Oon bem SerfaP berfelben Sache in 
Deutfchlanb. 9Ran braucht nur unfere Slätter ju lefen unb 
unfer fßublicum ju hören, um P<h baoon ju überjeugen. PRehr 
als einem beutfehen Sühnenleiter ift eS oon ber heintifchen S re P e 
gerabeju jum Sorwurf gemacht unb als äfthetifche Sef^ränftheit 
auSgelegt worben, baß er nicht baS franjöfifche Drama in feinem 
Repertoire mit befonberer Sortiebe pffege, benn bie beutfehen 
Slätter glauben wunber wie hoch Po ftehen unb wie gebilbet fie 
fich jeigen, Wenn pe in §inficht auf Siteratur unb ßunft oon 
jeber oaterlänbif^en ©epnnung Rbftanb nehmen. Die ffunft 
hat (ein Saterlanb, heißt eS, unb es ift baS PRerfmal beS 
SarbarenthumS, ihr eine ©renje jieljen ju woPen. Run pnb 
eS freilich bie granjofen felbp, bie Sorbilber biefer Slätter, 
bie pch befanntlich für bie gebilbetpe Ration erflären unb bei 
jeber ©elegenheit anführen, baß Pe an ber Spifce bet ©ioili: 
jation marfdjiren, welche auch in ber Sunft nichts anerfennen, 
was nicht granjöpph ip. ©S wirb nicht leicht fein, eine fran: 


jöPfche 3eitung ju pnben, bie franjöPfche Dheaterbirectoren an: 

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106 


Nr. 33. 


Sie <$egen»art. 


greift, »eit fie oerfnumen, Stüde Don ßeffing, ©oethe ober 
Schiller ju geben. SSaS fragt ein ißarifet gournalift nad) 
biefen beutfehen ©eifteSljeroen? 

SS ift bieö jugeftanbenermafjen fefjr befrfjränft, aber rticfjt 
weniger befdjränlt bünft uns baS fopflofe ©efammer beutlet 
3eitungSfchreiber nach Ueberfefcungen franzöfifcher Dramen auf 
unfern beutfehen Srettern. SBaS bringen unS biefe Ueberfefcun: 
gen benn? 3unädjft, wie man rühmt, eine ausgezeichnete 3Ra<he. 
{Run ift alterbingS biefe SRadje, wie fiep nicht leugnen läßt, eine 
gute, aber ob fie nicht bietfach, wenn man genau jufieht, als 
ftart auf Soften ber SBahrfdjeinlichfeit ju Stanbe gebracht gelten j 
muß, ift eine anbere grage. SRan nehme eines ber berühmten i 
ßuftfpiele ScribeS, man nehme fein ßuftfpiet „Sin ©taS SSaffer" 
unb jergtiebere es in feinen wirtfamften Stuftritten: man wirb 
eS bott bon tjoarfträubenben UnWafjrfcheintichfeiten finben. lln= 
Wahrfcheintich ift, bah ein Offizier im SSorzimmer ber Königin 1 
fdjtafe, unwatjrfcheinlidj ift, baß bie Königin ein Sabenmäbchen I 
ZU ihrer Sufenfreunbin mache, unwahrfcheintich ift, baß 93oting= 
brote, ber ©egiter ber {Regierung unb ber Herzogin bon SRarl: 
borough, int St. 3ameS:i|Bataft auS= unb eingehe wie z« £>aufe 
unb gteichfam unter ben Stugen feiner geinbin bie gntriguen 
anzettele, mit benen er ihren Sinftuß bis in ben ©runb ber; { 
nichtet — furz bie ganze ^anbtung ber Komöbie beftetjt aus einem 1 
Stufbau. bon tauter Unmögtidjfeiten. Sinem beutfehen Dramatifer 
würbe bon beutfehen Kritifern fo etwas ohne Reifet ftrenge 
gerügt Werben. Dent granjofen fehen fie baS nach unb an 1 
bejfen SBerf finben fie trofc altebem unb aüebem bie SRadje z« ! 
rühmen, bietleicht nur beswegen, weit fie mit fouberäner 3«' 
berficht über atte 9Bahrfdjeintid)feit ^inroegget>t, wäljrenb ber , 
gewiffenljafte Deutfdße fidj ängfttich mit ihr abzufinben trachtet 
unb baburch baS fßubticum ftufjig macht. ' 

SBir fetbft finb feineSWegS feljr nachtragenb unb wäßlerifch, i 
wenn eS fidj um gefunben Srfotg auf ber Sühne hanbett, allein | 
um geregt zu fein fdjeint eS uns hoch nöttjig, biefe ^^atfaci^en 1 
feftzufteOen unb ^injugufügett, baß wir bon Sbuarb Sauernfelb, | 
bon SRoberidj Senebij, g. SB. §adlänber, ©uftao greptag, ©rnft I 
SBichert, ©uftab zu {ßuttijj, fßaut ßinbau, Slbotf SSitbranbt, : 
neuerbingS bon ÜRofer unb S’Strronge ßuftfpiele erhalten ^abeti, 
bie in Stntage unb Durchführung ihrer Stoffe eine nicht minber 
große ©efchidlidjfeit erfennen taffen, ©erne wollen wir z>*ge= 
ftehen, baß einige biefer SchriftfteHer tpet unb ba gewöhnlich J 
erfcheinen unb oberflächlich geftatten; allein bei attebem bieten i 
fie unS bodfj in ihren Strbeiten ftetS ein mehr ober minber ge; ! 
iungeneS Spiegetbilb unfereS beutfehen ßebenS, unferer beutfehen I 
Sitten, ©ewohntjeiten unb Stnfchauungen, baS uns in alten fei® j 
nen SBanbtungen im gnnerften unfereS SBefenS anheimeln unb 
fpmpathifdj berühren fann. SBaS aber bie aRetjrzaht ber Scribe= 
fdjen {Radfjfotger, was bie Dramatifer beS heutigen granfreidjS 
in ihren Stüden unferer Sühne barbieten, baS ift vielfach ent= 
fchieben abftoßenb unb oerlefcenb für uns. 3" ben meiften ber* 
fetben Wirb bie ©he gerabezu zur lädjertidhen Sinrichtung unb 
ber ©atte zur tomifchen gigur; gefallene SRäbchen unb treutofe 
grauen finb bie $etbinnen unb ganz Zulefct, im Serfotg ber 
reatiftifchen {Richtung, ift man glüdtid) ba|in gelangt, bem Säufer: 
wahnftnn feine fünftlerifdhe Sertjerrlidjung auf ben Srettern zu 
oerf chaffen. 

Den granzofen wirb unter fotchen Umftänben nicht ganz 
geheuer in ihrer $aut unb noch kürzlich h°t <h r SRinifter beS 
öffenttidhen Unterrichts, beS SuttuS unb ber Künfte ein {Runb: 
fdjreiben an bie franzöfifchen Dheaterbirectoren etlaffen, worin 
et Dom f>erabfinfen (abaissement), tiom {Riebergang (dbcadence) 
ber bramatifchen Kunft fpricht unb fie aufforbert: ihm mit: 
theiten zu wollen, wie eS anzufangen fei, „baß bie weltbebeu- 
tenben Sretter wieber zu ben ©ewohntjeiten bet guten ©efelt: ! 
fchaft zurüdtehren unb zu einem feinen unb anftänbigen Set: ! 
gnügen beS ißubticumS Werben fönnen". 

Die beutfdhe fßreffe im Slügemeinen (ümmert bieS aber 
wenig unb nach Wie öor forbert fie franzöfifche Stüde, Welcher 
gorberung nachzulommen es Dheaterbirectoren in Deutfchtanb in 
hinreichenber Stnzat)t gibt Sinige finb fo befliffen, baß fie 


wie franzöfifche {ßrooinzbirectoren unauSgefeßt nach IßariS hinüber: 
btiden unb oft genug borthin Steifen unternehmen, um ßefj mit 
Demüthigungen unb großen Koften bie neueften fogenannten 
SenfationS: unb StuSftattungSbramen zu «erfchaffen, welche ben 
entarteten ©efdhmad ber granzofen fißeln. 

Daß unter bem Drude folctjer Serhättniffe ben beutfehen 
Dramatifern baS Schaffen unb SSirfen eine fef)t fdjwierige Stuf» 
gäbe ift, liegt auf ber #anb. Setbft ©ufctow, ber fdjon lange, 
mit Unbant belohnt unb mifjgeftimmt, feine $°nb non ber 
Sühne zurüdgezogen, warb noch fchmerztich betroffen baoon. 
SltS ihm angezeigt würbe, ba^ man in Stuttgart feinen „Ot: 
frieb", ein SiebtingSftüd beS Dichters, nach feiner lefcten Sin* 
ridhtung auf führen wolle, fdjrieb er wenige Dage öor feinem 
traurigen Snbe bem Sexfaffer biefer Seiten: „Die ÜRufe fegne 
Sh^ SBert unb taffe es ein Seifpiet zur ÜRadjfotge auf ben 
anbern grantreich Uerfauften Sühnen fein!" 

Diefer Sehmerzens'ruf finb ohne 3weifet bie testen SBorte, 
welche ber fterbenbe ©u^tow über bie beutfehe Sühne hinge: 
fehteubert hat- SDtöchten fie eine 2Raf)nung fein unb mit bazu 
helfen, bie SBanbtung beS beutfehen DljeaterS zu nottziehen, 
bie wir wahrzunehmen glauben! Stoch ift fie eine teife unb un* 
fdheinbare, aber eben barum Wirb fie hoffentlich eine grünbtiche 
unb ftidjbattige fein, benn fie boltzieht fi<h aus ber Diefe bet 
Sache felbft unb in ben Kreifen berfenigen Serufsftänbe, bie iht 
zunächft unb mit bem ganzen Stufgebot ihrer Kräfte zu bienen 
befliffen finb. 

Dramatifche Schriftfteöer unb Sdhaufpieter hoben, Wie Wir 
bereits gemetbet, angefangen für ihr materielles SBoljt z u forgen. 
Sie tommen nach unb nach in bie ßage, anftänbigen Serbienft 
Zu erlangen unb ihre 3utunft bis zu einem gewiffen ©rabt 
gegen bie SBechfetfäüe beS ßebenS freier zu fteUen. Daburch 
Wirb eS ihnen möglich, weniger eilfertig unb gehest, mit mehr 
9iuhe unb Sammlung zu fchaffen. ß’Strronge unb ©. o. ÜRofet 
finb bereits gtänzenbe Seifpiete bafür. Seibe fingen mit fßoffen 
unb Keinen ©djwänfen an, bie fi<h einem niebrigeren ©efchmade 
Zuwanbten. SltS fie jebodh mit gtüdtichem Srfotge ihr SBirten 
getrönt fahen, fdjlugen fie einen befferen Don an unb nament: 
tich ber Srfterc hot mit feinem „Doctor KtauS" nach ,^>afe: 
mannS Döchtem" unb „äftein ßeopotb" ein ßuftfpiet Don mäch« 
tiger Sugfraft unb mit SRittetn gefdjaffen, bie man in jeber 
Seziehung wirb toben bürfen. DaS ganze Stüd ift in hohem 
©rabe luftig unb geigt unS bie poffenljaften Stemente für bie 
braftifdfje Komöbie äufjerft gefdfidt unb burdhfchtogenb abgett&rt. 
SRoferS „StiftungSfeft" unb „$hpochonber" finb erheiternbe 
©oben unb Wenn ber Serfaffer fidj nicht, wie in feinem „$arun 
al fRafdfjib", auf Seiten bet leichtfertigen franzöfifchen Komit 
fchtagen, fonbern auf größere Sertiefung feiner Stoffe unb ©es 
ftatten achten Witt, fo wirb er noch manches ©ute zu (eiften im 
Stanbe fein. Srnft SBidjertS „Sin Schritt oom SBege" barf 
für eine töfttidhe Schöpfung ber heiteren 3Rufe gelten unb ebenfo 
hat Slbotf SBitbranbt in „Die SRater" unb „Stuf ben Srettern" 
Stüde bon frifdjer ßaune unb gefälliger Srfinbung gefdjaffen. 
fßaut ßinbau unb ©uftab zu Suttih werben hoffentlich nodj 
nicht ermattet fein unb ben beutfehen Srettern noch manche et: 
{briefliche Spenbe bieten. fReuerbingS hot SRidjaet Klapp in 
feinem ßuftfpiete „iRofenfranz unb ©ütbenftern" baS getb ber 
mobernen Komi! ni^t ohne Srfotg betreten. 

So fehen wir baS beutfehe ßuftfpiet unb Sefjaufpiel, wenn 
wir unbefangen unb ehrlich urteilen wollen, immerhin in gutem 
unb erfreulichem 3uge. DaS Drauerfpiel freilich fteht noch 
ZUtüd, nicht foWoht, weit eS an bidjterifcijen Kräften bafür fehlte, 
als weit baS publicum feinen rechten Sinn bafür zeigt SRehr * 
unb mehr 1jot biefeS neuerbingS jtdj gewöhnt, im Dheater nur 
noch lachen zu wollen. Die 3umuttjung beS Srnftes erfchredt 
eS einigermaßen unb eS gehören große Stnftrengungen unb be: 
beutenbe Kunft bazu, um es hier noch }u feffetn. 3«m ©tüd 
wirb in biefer tRidjtung ber Sorgang ber SReininget nicht ohne 
{Ruhen bleiben. 

(6#fufe folgt.) 


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Nr. 33. 


® i * Äegrnwact. 


107 


Sontmerlidje Briefe. 

|>*5 nationale Jltama. 

©erehrtefte greunbin! 

$a8en ©ie in lepter ^eit nichts bermifjt? ©efinnen ©ie 
fidj! 3<h meine nämlich: ben beutfdfjen einen BRann, 

bet »ie bet alle (Stiege, bon glüljenbfter ©atertanbätiebe er= 
füllt, in einem gewaltigen bramatifdjen ©ebidjte mit „furchtbarer 
Jtnmuth" bie Sümpfe feine« ©olle« gut (Errettung ber ©etbft= 
ftänbigfeit nnb Freiheit beremigt. 

©ie hoben »ir ihn gefudjt, biefen beutfdjen Blational: 
bramatiler! |>aben bie ^Regierungen bent Speater nicht bie 
Steffeln abgeftreift, unter benen e« gur ßeit Seffing«, ©oetfje« 
unb ©djißer« berlümmerte, unb im ©inflange mit ben gor= 
berungen be« biefelben greipeiten »ie ben ©djanf: 

wirthfehoften eingeräumt, auf bafj ber Xramatiler ber gutunft, 
ber un« ein nationale« ©djaufpiel geben »ürbe, nicht etwa in 
feinen ©etoegungen gehemmt Werben tönnte? #at nicht bie 
Sritil bei jeher ©elegenfjeit ihre mächtige Stimme mafjnenb er: 
hoben unb unfre ftrebfamen jungen (Dramatifer ihre« Blicht« 
burdjbohtenbe« ©efütjl empfinben taffen? §at fie ihnen nicht 
gang genau bie ©ege gemiefen, auf benen ba« grofje 3'rf gu 
erreichen unb ein wahrhaft baterlänbifdje« Xrama herjufteQen 
wäre? ©inb nicht bon ben ©üljnenborftänben fetbft oerlodenbe 
greife — an bie punbert üRar!, unb biäweilen fogar baräber — 
für ba« befte patriotifche unb nationale ©tüd geboten worben? 
Sinb nicht eigen« Sereine in« Seben gerufen!, bie ben branta: 
tifchen BReffia« gebären füllten ? Unb ade« ba« ift bergeblidj 
gewefen. 

9hm mähtenb all biefer geräufdjboflen (Erleichterungen unb 
Aufmunterungen, bie nicht« gefruchtet hoben, pot fiep ein Xalent 
in ber ©title gebilbet. 

®er ©erfaffer einer bramatifchen Xrilogie „Otto ber ©rofje" 
unb „Abelpeib bon Surgunb", bie, Wie ich au« ben beigefügten 
Kecenfionen erfehe, nicht unbeachtet geblieben ift unb in bieten 
Slättern fogar eine freunblidje ©ürbigung gefunben pat, ein 
©djriftfteßer, beffen ©ielfeitigleit fchon butch ein anbre« feiner 
Serie betunbet wirb: „gührer butch Ba« ©aal- unb @dpWarga= 
thal", — Heinrich ßueiu« ift fein Blame, — hot unter bem 
Xitel: „Saifer ©ilhelm ber Siegreiche" ober ,,@m«, ©eban unb 
$ari8", ein geftfpiel in 5 Aufjügen getrieben*), ba«, wie ich 
meine, aßen bifligen Anforberungen an ein nationale« Xrarna 
genügen bürfte. Xer Stoff ift eminent baterlänbifdj, eine ftarte 
patriotifche ©efinnung burdjroürgt ba« ©ange, bie ^anblung ift, 
wie man fich beulen tann, mannigfaltig unb bewegt, unb bie 
Sprache geigt oft eine feltene (Energie. 

©tan wirb bem Xidpter nicht oormerfen fönnen, bah er bie 
Aujmertfamteit be« fßublicuntS wegen unerheblicher ®inge in 
Anfprucp genommen ober gleichgültige unb unbebeutenbe fßer= 
jönlidpfeiten un« borgeführt höbe. ©8 ift nirgenb« bon Siebe«: 
tänbetei bie Siebe, unb e« honbelt fich niept um 9ientier«, ©örfen= 
männer, Sünftler unb Bleferenbare, mit benen unfre Xramatiler 
gewöhnlichen ©chlage« gu operiren nidht mübe werben, $einricp 
Suciu« hot — man lann bie« ohne Uebertreibung fagen — bie 
intereffanteften unb bebeutenbften ©reigniffe unb ÜRänner unfter 
3eit auf bie ©üpne gebracht. 

Xie ©reigniffe werben fchon burch ben gweiten Xitel: ,,@m«, 
Seban un$ fßari«" berrathen nnb wa« bie ©erfönticpleiten an: 
betrifft, fb braune ich blo« ben 3ettel abgufepreiben. Xa er= 
fcheinen: ©ilhelm, Sönig bon fßreufjen, nachmals beutfeper Saifer, 
ber Sronpring, ©ring gtiebrich Sari, Sönig SubWig bon ©atjetn, 
bie ©rafen ©i«märd, BRottle, SRoon unb Sepnporf, Saifer 
Blapoleon mit gamilie, Dlibier, ©rammont, Xpier«, ©ambetta, 
gute« gabre, Steiße unb Xucrot, grau Xucrot, ©ictor $ugo, 
©enebetti, ©impffen re. Xagu lommt noch Ber ©horu«, ber gu 
©eginü eine« jeben Aufguge« auftritt, bie burch bie bramatifepe 


Delonomie gebotenen Süden ber $anblung au«füßt, recapitutirt, 
commentirt unb inmitten ber Seibenfdjaften, bie hüben unb 
brttben wogen unb ba« unbefangene Urtpeit be« 8uf<pouer« 
berwirren lönnten, bie Stimme ber reinen ©emunft oernehmen 
läfct. geh beutete Shnen ja fchon an, bah fich unfer Xidpter 
an ben ©riechen gebilbet höbe. 

Bladpbem ich nun foldhergeftalt ba« Xrarna bon Heinrich 
Suciu« im Bißgemeinen cparalterifirt höbe, erübrigt mir nur 
noch, gfjnen bie ^anblung gu ergähten. ©etreu bem ©tincip, 
ba« ich Bei ©efpredpung ähnlicher ©erle ftet« befolge, werbe idj 
mich nidht bei jebem Anlafj mit Iritifdhen Stoffen borbrängen, 
fonbern mich bielmehr auf eine einfache ©Übergabe befdjränlen 
unb ben Xidjter fo niet wie möglich fetbft reben taffen. 3<h 
geige nicht nach Ben Iritifchen ®h«n, ich taffe e« mir bei ber 
befdfjeibneren, aber nicht minber loljnenben Aufgabe genügen, ber 
objectibe ©ermittlet gwifdjen bem Xidhter unb bem Sefer gu fein. 

Heinrich Suciu« führt un« gunädjft auf bie '-Brunnen= 
promenabe bon ©m«, wo fich Sönig ©ilhelm ergeht, bem ©ent: 
betti folgt, ©enebetti fpridjt bon ber fpanifdhen Xh r °n»«bung; 
Sönig ©ilhelm jebodh wiß baoon nicht« hören: 

Saßt bie alte Setjer! 

®ie Ofjrenfottcr. 

©enebetti wirb immer gubringlidjer unb bertangt im Blamen 
feine« Saifer«, bah Ber Sönig eine fdhtiftlidje ©rtlärung abgeben 
foße. darauf entgegnet Sönig ©ilhelm: 

unb ®w. Käifer fommen felbft mir jept 
Sehr fpanifdp bor! 

Aber ©enebetti lä|t nicht nadfj, bi« enblich fich Bet Sönig un* 
gebulbig wenbet unb gu feinem ©egleiter fagt: 

... ©agt btefem fjerrit, baß ich ih m nicht« mehr 
3u fagen habe! 

©raf Seljnbotf. 

ÜJ}ein Königlicher ^ert 
Säht hulbuoflft ®urer Cjcetteng mittheilen, 

®ah §odjberfel6e 'Dieljtereä Such nicht 
8u fagen habe! 

®iefe garte Anbeutung wirb benn ooit ©enebetti auch ridjtig 
berftanben unb er freut fich, Baf? e« nun einen frifchen fröhlichen 
Stieg geben Wirb. Sönig ©ilhelm bleibt aßein unb holt einen 
BRonotog, ber alfo anfängt: 

Ser gatt’fdje fjafjn fängt mieber an gu hähen,... 

3hm fdjmittt ber Kamm... 

... SDtifjgünfHg fdjielenb 
Aach Seutfcplanb« enblich fchwer ertung’ner (Einheit, 

An ber er jept ben ©cpnabel wepen möchte! 

®er Sönig geht unb bie ©abegäfte treten bor. ©ie finb 
feljt entrüftet über bie gredhheit be« grangofen. ©iner ber» 
felben fagt: 

„Ser ©enebetti hätte gefudjtelt werben ntftffen, al« gätt’ e«, ein 
©eeffteat au« ihm gu machen." 

(Darauf ftimmen fie ein patriotifche« Sieb an urib bie ©eene ber» 
wanbeit fich- ©ir befinben un« in ben Xuiterien unb wohnen 
einem häuslichen Auftritte gwifdjen ©ugenie unb Blapoleon bei. 
©ugenie ift feljr ironif^. ©ie fragt: 

Aun, wertper §err ©emapt, wa« haben enblidj 
Sie eblen ®irne granfreiep« auSgebrütet? 

SBar’« eine ©an«? 


Blapoleon entgegnet, baff ber Srieg befdjloffen fei. ©ugenie 
jubelt; bem Saifer aber lommen bodj einige lei^e ©ebenlen: 

Aapoleon. 

28enn ber (Erfolg nur unf're ©ünfepe frönte! 


(Eugenie. 

Sen BRutp’gen fuept ba« @lücf, ben geigep flieht e«! 


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*) Seipgig 1879, Setlag bon <E- Suciu«. 



108 


Bit Äegfttnmrt. 


Nr. 33. 


Napoleon. 

SieS mag ber Faß wohl fein bet SiebeSrittem, 

SBenn fte um eine Schöne buhl’n unb »erben. 

©ugenie. 

SieS tyaft Su einmal auch an Sir erfahren! 

Napoleon. 

Sag uns batoon jept fchweigen! 

3f)re SRajeftät bie SJaiferin ift über bie wenig mannhafte 
Haltung beS beforgten ©emahtS fehr aufgebracht. @ie geruht 
ihn ju nennen: „gurdjtfamer #afe! ©lenber Feigling!" unb 
als er ihr ben Stüden gewanbt, fügt fie bie wenig fchnteidjel* 
haften Sorte hinju: 

©r wirb jept alt, gebrechlich; bamalS als 
©r noch ein Abenteurer, ein ßanbftreidjer, 

©alb flüchtig, halb gefangen, unb fein ßeben 
Stur in ber ©nabe feiner dichter lag, 

2Bar er ein Anbrerl 

Sann aber erheitert fich ihre Stirn bei bem ©ebanfen an ben 
tünftigen ®injug in ©erlin: 

34 fehe mich an meines ©atten Seite 
3)urchS ©ranbenburger Spot ben ©injug halten. 

Sarnit fdjliegt er ben erften Act. 

©ei ©eginn beS ^Weiten ActeS Wohnen wir ber befannten 
Feuertaufe beS ^ßrinjen Subwig bei ©aatbrüden bei. Ser Sichter 
hat fich ba eine flehte poetifcpe Freiheit geftattet. ©r lägt ben 
©ürgermeifter bon ©aarbrüden auftreten unb bem Äaifer bie 
©chlüffel überreichen, ©cpliegiicf) ruft Napoleon feinem Abju* 
tanten ju: 

Sofort telegraphirt mir nach ©ariS: 

„Saarbrüd fei Unfer! glänjenben Sieg erfochten. 

Ser F«nb gefchlagen, flüchtig. Sulu hat 
3n mörb’rifchem ©efecht bie Feuertauf’ empfangen; 
©ewunberoSwerth in feinem falten ©lute, 

Jpob er bie ftugel fpielenb auf, bie bor 
3h™ nieberfiel, bag felbft graubärt’ge Krieger 
3n Shrünen f4wammen." 

Unb nun jubelt ber ffiaifer, bafe er jept burep SeutfchtanbS 
offne Pforten eütjiehen werbe 

Unb in ben »eichen Armen beutfeher Flauen 
Soll felbft Fortuna neibifch auf uns fdjauen. 

SaS erfdjeint nach bem, was uns bie jebenfaUS competente 
©ugenie über bie ©ebrechlichfait herratpen hat, als pure SRe^ 
nommifterei. 

SBiehiel foliber gept’S im beutfdjen Säger ju, in baS uns 
ber Sichter jept geleitet! Sa erjäplt uns Friebricp Sari über 
ben bortrefflichen ®eift, ber bie Sruppen befeelt unb er führt 
als SeweiS an: 

34 habe Schlafenbe belaufet, »ie fie 

©on nichts als mörberifchen Schlachten träumen. 

Ser ©ine fchrie: nimm biefen ©nabenftofc, 

Unb »enn Su auSgeröchelt, fahr’ jur #öße! f 
©in Anbrer brüllte: nimm bieS auf Sein ©rofjmaul! 

©Sobei fie ihres Spans entfprechenbe 
©eberbe machten. 

Bwifcpen bem ^weiten unb britten Acte liegt ein breiter 
SRaum, ber butef} ben ©poruS auSgefüflt wirb. SBir befinben 
uns jept in einem gimmer in ©eban unb belaufen ein wenig 
tröftlicpeS Bwiegefpräcp äwifepen SBimpffen unb Napoleon. SBimpffen 
ift nicht grogmjitpig. ©einem Saifer im Unglüd ruft er ju: 

3ept tjt’S an ©u<h, bei Sem um ©nabe betteln, 

Sem 3hr ben $anbf4up an ben Äopf gefchleubert; 

3ept finnt auf eine paffenbe ©ntfchulb’gung 

Unb (riecht fcpwanjwehelnb üor ber preupiföen Roheit. 


Napoleon empfinbet baS redpt bitter unb er ermannt fich 
ju bem energifchen Ausrufe: 

Siennt mir ben Segen in bie ©ingetoeibe, 

Sag fie borquellenb §unbe mäften mögen, 

©h’ ich hör meinem Feinb baS Sfrtie utug beugen! 

©leichseitig harren ffönig SBilpelm unb bie ©einigen auf 
ben $öpen hör ©eban beS faiferlichen SefchluffeS. Ser ffaifer 
hat fdpliegiicp ein ®infepen gehabt unb beugt ohne jeglichen 
©erluft bon ©ingeweiben bor bem Feinbe baS ffnie. Saifer 
Siapoleon wirb abgeführt, bie Seutfchen trinfen ©pampagner 
unb fingen ein ©iegeSlieb, Worauf ber ©orhang faßt 

Ser furchtbare ©inbrud, ben bie Äataftroppe bon ©eban 
in SßariS perhorgerufen hat, wirb uns im Anfang beS bierten 
ActeS bergegenwärtigt. Sie Saiferin ift äuget fich- Olibier 
räth ihr jnr Flucht, ba ruft fie in ber boflen Roheit ihrer 
SBürbe auS: 

3hr feib nicht Sßämter! SRenunen, feige Sftentmenl 
©ringt mir ben Spron unb fept mir auf bie Sfrone! 

Aber bie Autorität ber SKajeftät ift fchon fo erfepüttert, bag 
man bem eigentümlichen ©efehle, „ben Spron 5 U bringen'', nicht 
Folge leiftet. Stod) einmal erhebt fich ®ugenie in ihrer ganjen 
®rö&e unb fagt: 

34 fann hoch nicht wie ein gemeines ©&eib 
hinaus auS meinem Schloß mich werfen laffen, — 

worauf ®rammont aber unerbittlich herfept: 

SieS »irb man aber, geht 3h* nicht freiwillig! 

©ugenie erinnert fich nun beS befannten AuSfprucpeS: „SRepr 
als rauSgefchtniffen fann man ja nicht werben", unb geht ab, 
um nicht wieber ju erfcheinen. 

Siefer leibenfchaftlichen ©eene folgt bie nüchterne unb ruhige 
AuSeinanberfepung. ©iSmard unb 3uleS Fahre haben in einem 
Belte hör ©ariS eine Unterrebung. Fahre fagt: 

Soch Strapburg, 9Rep, ©Ifab unb Sotharingen — 

2Bo benlt 3h r hin ? ©ei ©ott, eS ift $u Oiel! 

©iSmard, ben unfer Sichter gan* in jenem Sinne auffafjt, in 
welchem bie F^anjofen „le terrible chancelier“ barfteßen, hält 
mit unbeugfamer Starrheit feine Forberung aufrecht unb finbet, 
bag eS nicht ju hiel ift. Fahre herfucht aße SDtittel ber lieber* 
rebung: 

Schont meine grauen $aare! Ober foß 
3<h biefe noch auSraufen? 


Sarauf herjichtet ©iSmard. @r herlangt einfach ©Ifag unb 
Sothringen mit 2Re| unb ©tragburg. Sa ruft 3uleS Fahre 
fchliegiich auS: 

©h’ möcht’ id) Schnee unb ©iS in Flammen fepen, 

©h’ ich bieS falte, harte $erj erweiche, 


unb geht ab. 

Sarauf erftattet er fofort bem ©arifer ©olfe Sericht über 
bie Unterrebung. 

... Ach ich habe 

©ebeten unb gefleht, bod) nein, gebettelt, 

Unb eines $unbeS ©Unfein überboten, 

Umfonft! umfonft! §ätV ich nicht graues $aar fchon, 

3efit wär’ eS grau geworben! 

AIS er nun enbtich mittheitt, was ©iSmard. herlangt, ba ruft 
einer ber hoibenmüthigen Ftanjofen auS: 


„34 hätte bem ©iSmard bie 3nnge auS bem Jpalfe geriffen unb 
ihn in feine SRärfer Sanbwüfte gefchleubert!" 

Aber ©chreieif hilft nichts, 5£^atfad^en beweifen, unb ein 
fcenifcher ©ermerf lägt uns eine neue ffataftrophe ahnen: „SOlan 
hört baS jept beginnenbe ©ombarbement «hon 5ßaris." 


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Nr. 33. 


Hit ©egenwart 


109 


9lun tommen nodj ©ambetta, SSictor $ugo unb galten gro§e 
Sieben, bie leibet an ber Sache nichts änbern. 

gnmitten all bet ©tauet be8 Krieges, bie unS t)iet üor= 
geführt werben, inmitten biefer Wöften 9lu8brücbe bet entfeffetten 
Seibenfdjaft bat bet ^Dichter, bet bie SBirtfamleit ber ©ontrafte 
gonj genau fennt, ein einfaches rübrenbeS 3^ öertegt: ®ucrot 
nimmt Stfdfieb Don feinet ©attin. ©8 will mir jwar fo 
feinen, al8 ob ich etwa8 SlebntidjeS itgenbwo fdjon mat getefen 
fldtte, aber Wie bem auch fet, e8 ift feljt f<bön. 5)ucrotS ©attin 
beginnt ©eite 72: 

SiH Suciot ftd> ewig Bott mtr menben, 

Senn bet grijj mit ben unnat|bat’n §flnben 
Set ©ertnania fdjrecflid) Opfer bringt? 

Ser wirb tünftig Seinen Steinen letjren 
Stitraüleufen gegen geinbe lehren, 

Senn baS tiicf’fc^c SBlei Sein fjerj burcpbringt? 

Sucrot. 

Sf) euie 8 Seit, gebiete Seinen Jf)rätien! u. 

Sarauf entgegnet IBucrotS ©attin: 

SucrotS großer §elbenftamm Betbirbt ic. 

86er bet §elb täfjt fid) ebenfo wenig wie ViSmdrd ober $ector 
erweichen. 9Rit ben SBorten: 

§ord)! ber Silbe tobt fd)on an ben Dtauern, 

Seine nic^t, ©eliebte! Ia& ba8 Srauern! 

Ueber’m ©rab blüht unfre Siebe neu! 

menbet er ficb oon ihr. ! 

©leicbjeitig wohnen Wir ben etgreifenben SIbfcbiebSfcenen I 
anbtet ©attinnen Don ihren HJtobilgatbiften bei. $ie eine jagt: 

Seb’ mobil leb’ mobil ad) ©ott, bab e8 fo fein muß, j 

©eb’ unter biefe fcbrecftidjen Sarbaren! 

Sirft Su mir wiebertebren? — fürchterlicher 
©ebanfe! 

#iet bat fi<b fteinridj SuciuS bocb bie Freiheit genommen, 
ein fcbon OorbanbeneS poetifdbeS ißrobuct ju benupen. 5)ie8mat 
bin id| meinet @a<be fidler. S)ie Schlußworte: ! 

SBirft Xu mir mieberteljren? — fürdjterlidjer 
(Sebanfe! 

erimtcnt jtemltc^ ftar! an ben berühmten Sftadjtuf in ben „üJlotten* 
bürgern'' non ffalifdj: 

(■ttad) ber BJicIobie: Sldj, bu lieber Slugufkin!) 

Heftern um fjalb fieben 
6tarb meine gute Xante, 

Seber ber fie fannte 
$atte fie lieb! 

Xie 93eerbigung finbet ftatt | 

borgen um Ijalb jel)n, j 

£), fdjrecflidjer ©ebaitfe — | 

®§ gibt ein Sßieberfetyn. i 

3n fßariS geljt e3 nun brunter unb briiber. Sictor $ugo 
f)ätt lieber eine grofee SRebe unb beginnt fie mit ber edjt $ugo^ 
fc^en Uebertreibung: 

Xer Slugeitblicf iji eine gtofje ©4unb’ 
gtir alle «ölfer. 

®ud) XljierS unb ©ambetta fpred&en' fic^ grihtMtcf) au$; aber 
ftürfer als biefe Sorte totrfen bie Xljatfadjeit auf un3. ©e= 
fragen, in toilber Studjt fetjren bie äKobitgarbiften Ijeim unb 
toerben mit #of}tt unb ©pott oon ben SBiirgent empfangen. 
3$ rühmte fäott bie ©itergie in ber ©pradje be3 XidjterS. 
$ier ein neuer Semeiä. @in Sttrger ruft bie Flüchtlinge an: 

3b r fdjuft’gen SRemmen, föäbigeS ©efinbel! 

Sauft, flöht bie $unb’ unb ftafcenl $ület ®änfe! 


Unb fdjttefjtid) muß atfo VariS capitutiren. 3n bet testen 
©eene wohnen wir bet SBei^ung be8 beutfdjen ffai(et8 in 93er= 
faitte8 bei. Der Sichtet bat ficb fjier bie Äü^nbeit geftattet, 
ben fiönig Subwig oon Sapem an bet geierlidjfeit tbeitnebmen 
ju taffen, ßönig ßubwig bietet bem gtorreidjen Sieger im 
9tamen ber beutftben dürften bie ®aiferfrone, alte rufen: $odj!, 
unb ift wieber ein feenifdiet SJermerf: „©ammtticbe $tn= 
wefenbe reichen bem Äaifer begtücfwänfdbenb bie $änbe." S)er 
©b°tu8 befdjtiefst weibeoott ba8 Seftfpiet. 

S)a8 ift bie $anbtung unb ich habe biefem Setwbte nichts 
weitet binjusufügen atS bie freunbtichften ©tü|e 

3b re 3 

ergebenen 

Pani finban. 


5Die Deaetarioiter ttttb ihre £thrc. 


Stm 1. Suti tagte in ©ifenach ber beutfebe SSetein für 
natutgema|e SebenSweife, beffen SRitgtieber futjweg at8 SBege= 
tarianer bejeichnet werben. ®ie SJerfammtung war nicht aUju 
jablreich befugt, bie StnWefenben, au8 ben oetfebiebenften 5£t)eilen 
unfereS SaterlanbeS, aber alte waren tautet eifrige Sefenner 
ihrer Sebre unb traten ooll unb entfehieben für biefetbe ein. 
$eiterfeit unb Srobftnn E»errfc^ten in ihrer SJlitte unb einige 
recht btübenb auSfebenbe ©efidtter {praßen bafür, baff baS aü= 
gemeine SBobtbefinben, beffen ftd) bie SKitgtieber rühmten, in ber 
Xbat auch oorbanben fei. Stille lieferten ben freilich tängft er= 
brachten ^Beweis, ba| ber 9Renf<h febr wobt ohne gteifchnabrung 
ejiftiren fönne unb einige @ä|e ihrer fonft wunbertidben unb 
an SBiberfprücben reichen Sehre Würben, wenn fie auch in ben 
weiteften Greifen befolgt würben, gewift einen mobttbütigen ©ins 
flu| üben. 3b re Seben8regetn bergen ein Hörnchen SBabrbeit 
neben einer großen ÜRenge oon ©infeitigfeiten, bie fo gegen 
unfere Statur unb Seantagung ftnb, baff ber iBegetarianidmuS 
wobt taum SluSfidjt auf eine allgemeinere Verbreitung bat 

Unb worin beftebt nach t> en Vegetarianern bie Äunft beS 
oernünftigen SebenS, welche eine praftifch geübte, breifache $iäs 
tetif be8 Körpers, ©eetens unb ©eifte8teben8 fein, unb Welche jur 
©efunbbeit unb hob«*« Stlter, ju großer SeiftungSfäbigfeit unb 
jur $errfcbaft be8 gefunben ©eifte8 im gefunben Körper füb= 
ren foU? 

3unädbft töbten fie gruiibfaptich fein Ib' ec jum ßwed be8 
VerjebrenS unb meiben ben ©enuff oon Sttlem, wa8 oon ges 
töbteten Sbieren berührt. ®iefe Verachtung unferet wertb- 
ooQften 9tabrung8mittet fuchen fie burch bie einfache Vebauptung 
ju begrünben, ba| unfere örganifation berjenigen ber frnchts 
freffenben Spiere, ben Srugiooren, am nädiften ftebe, unb ba| 
bemnacb ba8 gruebteffertbum unfere naturgemäße SebenSWeife 
fei. Kaum ein Argument ber Vegetarianer ftebt auf f^wädberen 
gü^en, at8 biefe8 erfte. 2ln ficb ift e8 immer gewagt, in biefer 
SBeife oon nabeftebenben DrganiSmen auf anbere ju fchliefeen, 
beten ganje8 2)afein fo binemetmeit oon einanber Oerfdbieben ift, 
Wie ba8 eines frudjtfreffenben %$iexe$ nnb eines 3Jtenfchen un= 
ferer je^igen ©utturperiobe, ber burch eine Diel taufenbfäbrige 
©ntwidlung, unter bem fteten ©influfe ber Vererbung unb 5tn= 
paffung füglich fo febr Oon irgenb einem ©lieb feines Stamms 
baumS ab weicht, bafe eine berartige ©dbtubfotgerung gerabeju 
als unjuläfftg erfcheint, unb jweitenS nähert ficb unfere Drganis 
fation entfehieben mehr ben MeS freffenben Spieren, ben Omni« 
ooren, als ben reinen gruchtfreffern. Unfere 3abnbilbung, bie 
©onftruction unferer VerbauungSorgane, bie cbemifche 3afammen= 
fe|ung bet VerbauungSfäfte u. bgl. Weichen oon benjenigen ber 
teßteren febr bebeutenb ab, jebenfalls mehr als oon benen ber 
juerft genannten. 9ta<h unferem ganzen Vau unb unferer Ves 
anlagung finb wir auf bie gemifebte Koft bingewiefen, unb {War 
OieUeicbt etcuaS mehr auf pflanzliche 9tahrungSmittet, als auf 
folche tbierifcher Stbftammung, unb wie es ejtrem ift, bie gteifchs 
nabrung aUju febr ju betonen unb jur auSfchtieitichen machen 
ju wollen, fo ift es erft recht ungerechtfertigt, baS gteifch ganz 


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110 


JDte 


Nr. 33. 


megjulaffen. Steift macßt gleifeß unb ber Körper Derjenigen 
3ägerftämme, bie nur baüon leben, ift feßniger unb muStels 
tröftiger als berjenige ber SReiSs unb K'artoffeteffer. Aueß ift 
eS eine ganj feftfteßenbe Xßatfaeße, baß gteijeßfpeifen ju btn 
leießtOerbauließften unb aufneßmbarften gehören, unb bie ©efunbs 
ßeit unb SeiftungSfäßigteit unferer ärmeren VottS’laffen mürben 
fieser günftigere fein, menn es möglich märe, baß jeber gamilie 
attfonntägließ ein $ußn im lopfe brobelte. Sarunt bie ©lit* 
glieber beS Vereins für naturgemäße ßebenSroeife feßließließ baS 
getöbtete Ißier oerfdßmäßen, mäßrenb fie (Eier unb ©lileß, unb 
Alles ma3 bom lebenben Ißiere fotnmt, anftanbSloS genießen, 
ift erft reeßt nießt einjufeßen. (Eier unb ©lileß finb ©robucte 
beS IßiereS, t»on feinem Körper erjeugt unb aus benfelben 93e- 
ftanbtßeilen mie jener befteßenb. Ser baS (Ei effen barf, marum 
barf ber nießt baS ©efeßöpf effen, meleßeS im (Ei rußt? marum 
ift ißm bas> $äßneßen oerboten, meleßeS bem (Ei entfdjlüpft, unb 
marum Derfeßmäßt er baS gleifeß beS $ußnS, aus mcleßem boeß 
feßließließ baS (Ei ebenfalls befteßt? Sir tobten tein ßeben; ift 
benn baS Kocßen beS (EieS mögtieß, oßne baS fleben beS jungen, 
barin tußenben IßiereS ju oernießten, feßlummert niißt in jebem 
©amen ber fertig auSgebilbete (Embrpo, bem eS nur an Särme 
unb geueßtigteit feßlt, um ju meiterem ßeben fieß ju entfalten? 
Unb feßließließ töbten bie Vegetarianer ganj rußig alle ißiere, 
fobalb fie irgenbmie läftig merben; fie oergießen baS ©lut beS 
SilbeS, fomie baSjenige ber nießt meßr leiftungSs unb arbeitSs 
fäßigen föauStßiere, fie effen eS aber nießt, unb bie UeberjeugungS= 
treuen merben lieber maffenßaft bie mertßoottften unb atige- 
neßmften SiaßrungSmittel, meltße jene Xßiere liefern, ju ©runbe 
geßen laffen, eße fie ißr ©orurtßeil aufgeben. Sotauf fieß 
teßtereS fonft noeß ftüßt ift nießt genau ju ertennen; benn AuS= 
fptüeße als: mit motten bureß gleifeßeffen nießt ju ligern merben, 
fonbern bureß grueßteffen ju frieblicßen ©lenfeßen u. f. m. finb 
boeß ju ßarmloS, um ernfttieß genommen merben ju tönnen, unb 
nur auS gemiffen unllaren ©efüßlSregungen auf ben ©enuß 
eines faftigen ©tüd gebratenen gleifeße« ju oerjicßten, ift eine 
Bumutßung, bie fieß fießer nur roenige SRenfeßen maeßen laffen. 
(Sbenfo menig mirb man bureß bie ©efaßren, melcße bet ©enuß 
oon gleifeß bringen lann, fieß oernünftiger SEBeife nießt abßalten 
laffen, baSfelbe jur (Etnäßrung ju oerroenben. Die meiften 
laffen fieß bureß eine geeignete ©eßanbtungSmeife in ber ftüeße 
beteiligen, roßeS gleifeß braueßt man nießt ju genießen, unb 
bureß geßörigeS Koeßen ober ©raten merben bie ginnen, auS 
benen bann bie ©anbmürmet entfteßen, unb bie Srießinen fießer 
jerftört; aueß fteßen bie ©efaßren, bie ber ©enuß oon roßem 
gleifeß bringen lann, oftmals in feinem ©erßältniß ju bem 
ttlußen, ber babureß erjielt mirb. Unter gemößnließen normalen 
Verßälhtiffen liegt aber gar lein ©runb oor, animalifeße ©es 
ftanbtßeile in roßer gorm ju genießen, unb menn man eine 
©efaßr, aueß menn fie noeß fo unbebeutenb ift, umgeßen lann, 
fo fottte man bieS oernünftiger SEBeife aueß tßun. 

SRaßeju feßerjßaft finb bie fogenannten miffenfeßafttießen 
Beugniffe, meleße ju ©unften ber oegetarianifeßen ßebenSroeife 
angefüßrt merben. (ES finb jumeift ßitate aus Vorträgen ober 
©eßriften belannter ©länner, bie, auS bem ßufammenßang ßetauS-- 
geriffen, fießer ganj anberS interpretirt merben, als eS in ber 
Abficßt ber Autoren lag. ©o mirb junäeßft bie gleifeßbrüße 
unb baS gleifeßejtract abgeurtßeilt als ©ubftanjen, bie gar 
leinen SRäßrroertß befäßen. ttlaeß bet lanbläufigen Auffaffung 
ift biefeS menigftenS bejügließ beS gleifcßegtracteS nießt unrießtig, 
Ißatfaeße aber ift eS aueß, baß baS leßtere reieß an ©tidftoff 
ift, unb nießtS berechtigt enbließ ju ber Annaßme, baß biefer 
aiteß in ber gorm, mie er barin entßalten ift, nießt jur üReubilbung 
oon Körperfubftanj oermenbbar fei. S)en minbeftenS inbirecten, 
feßr ßoßen ÜRußen einer fJaffe guter gleifeßbrüße ober aufs 
gelöften gleifeßejtracteS in Abrebe ju ftetten, ift oon ©aeßs 
Oerftänbigen überßaupt. noeß nießt oerfueßt roorben. Seiter lieft 
man: „ber i)änton ber Vermefung fpult überall mo gleifeß ift", 
ober „bie S)pspepfie ßängt mit ber Äüeße jufammen nnb ift eine 
golge ber ©lagenüberfüttung mit maffenßafter gleifeßloft", ober 
r ,bie ©emoßnßeit beS ÜßierfleifeßeffenS oerminbert unfern natürs 


ließen Slbfeßeu oor bem Kannibalismus" (o. ^umbolbt), ober 
„eine auSfeßließließe animalifeße fttaßrung fommt minbeftenS 
in cultioirten Sänbem niemals bor, außer bei Säuglingen, 
benen fie gerabeju angemeffen ift. dagegen ift eine übermäßige 
gleifeßnaßrung ßäufig bie Urfacße mannießfacßet Sefeßmerben" 
(SBunberließ, Seßrbucß ber ©atßologie unb Sßerapie). 2)oeß 
genug! biefe menigen ©eifpiele jeigen fattfam, auf mie feßmaeßen 
güßen bie fogenannten miffenfeßaftließen Beugniffe fteßen unb 
bemeifen, mie feßr eS ben Herren an ftießßaltigen Argumenten 
jur ©egrünbung ißrer Öeßre feßlt 

2)ie übrigen ©laubenSleßren ber VereinSgenoffen bergen 
feßon eßer oernunftgemäße Anfidßten: Unfer täglich Stob ift füß 
unb befteßt aus Körnerfrücßten, bie mit ftßroten unb baden, unb 
auS §irfe, SReiS, ©rbfen, ©oßnen, ßiüfen u. f. m., bie mir 
locßen. Als Bufoft bient Dbft in allen gormen unb ©emttfe, 
als äBürje ber ©peifen finben ©eßmämme oielfacß Vermenbung. 
33aß bie Vegetarianer feßr großen SBertß auf ©rob legen ift 
nur anjuertennen; fie genießen oormiegenb ©cßmatjbrob unb bie 
©üte ber einzelnen ©robforten mürbe in ©ifenaeß lebßaft bis* 
cutirt 3Rit bem füßen ©rob im ©egenfaß ju bem fauren mag 
eS fein ©emenben ßaben, ein ©runb leßtereS ju Oerfdßmäßen 
liegt nicht oor. S)ie Semüßungen aber, ein möglicßft lleiens 
freies unb babei boeß ftßmarjeS näßrftoffreicßeS ©rob ju erßalten, 
fottten aueß in meiteren Kreifen getßeilt merben, benn mir ßaben 
alle Urfadße, auf eine gute unb auSreießenbe ©rnäßrung unfereS 
Volles ßin ju arbeiten. 

SEBeiter mirb als $ogma aufgeftettt: bie Vermeibung ftarl 
reijenber ©emürje, mie ©feffer, 3ngroer, SWuSlat, Sielten, 
Knoblaueß, ©enf, oon ©pirituofen, mie Vier, SBein, Srannts 
mein, unb oon Kaffee unb Xßee. Aueß ßier liegt baS SSaßre 
in ber golbenen SJlitte; baß bie genannten ©emürje unb ©es 
tränte leine StaßrungSmittel im eigentlichen Sinne beS SBorteS 
finb, unb jur SJleubilbung unb ©rfeßung oon oerbraueßter Körpers 
jubftanj birect nießt bienen, ift betannt, ebenfo aber aueß, baß 
fie als Steijs unb Anregungsmittel einen feßr ßoßen SBertß 
ßaben. Sie beförbern bie Abfonberung ber VerbauungSfäfte, 
erßößen bie ©cßmadßaftigleit ber ©peifen unb beförbern nießt 
unroefentließ beren Verbauließteit Iraurige, arme SRenfeßen 
finb jene, bei benen baS ©jtract beS fpanifdßen ©fefferS eine 
große fRotte fpielt, bie fieß tägließ bureß ben ©enuß großer ßuan= 
titäten ber ftärlften ©emürje reijen unb genußfäßig maißen 
müffen, um bann feßließließ beS SlaeßtS bureß ©ßloral unb SRors 
pßium ißr aufgeregtes Sterüenfpftem ju berußigen unb einen 
unereptidließen ©eßlaf in biefer Seife erjroingen. Vorfießt unb 
SRäßigteit bei bem ©ebraueß jener ©efeßenle bet Iropen ift 
geboten; biefelben ganj ju oerfeßmäßen, ßieße baS Kinb mit bem 
©abe auSfeßütten. Unb bie meingeiftßaltigen ©ctränte, Sein, 
Sier, ©ranntmein? Bunäeßft tonnte man fragen, marum bie 
Vegetarianer biefe ©enußmittel, bie boeß auSfcßließlkß pflanjs 
ließet Abftammung finb, fo oottftänbig oerfeßmäßen, unb fie fagen 
uns barauf: meil fie gegoßren finb unb mir nießtS genießen, 
maS eine ©äßrung bureßgentaeßt ßat. Sie effen aber faure 
SRileß, maßrfeßeinlih aueß ©auertoßl unb äßnticße ©emüfe, unb 
berlaffen ßier baS fßrincip, benn bie ttRilcß unb baS Kraut er* 
leiben bei bem ©auermerben eine ©äßrung, unb fo gut mie 
fie faure fttlileß nießt oerfeßmäßen, mürben fie aueß Kumiß, baS 
betannte auS ÜRilcß bereitete, alloßolßaltige ©etränl genießen 
bürfen. ©ie oerfeßmäßen aber alle beraufeßenben glüffigteiten, 
unb menn aueß nur ein ©rucßtßeil biefer ffintfagung auf bie 
große SRaffe unfereS Volles übergeßen mottte, gemiß mürbe bas 
bureß nur ©egen geftiftet. Seiber, lann man fagen, gilt eS 
immer noeß bei Vielen unferer Station für eine ffißre, oiel Sier 
u. bgl. Der tragen ju tönnen, unb toaS barin geleistet mirb, ift 
ju traurig unb ju betannt, um barauf jurüd ju tommen. ©in 
oottftänbigeS Verfeßmäßen jener ©enußmittel, oon beren Sertß 
baSfelbe gilt, mie oon ben ©emürjen, ßieße boeß meit über baS 
Biel ßinauSßßießen. ®en ÜReiften ift baS Seben ein ßarter 
Kampf, ein Kampf um baS $afein, ootter ©ntbeßrung' unb ©nts 
fagung. S)ie liebliche Keßrfeite ber ftßmeren ©fließt ift ber 
©enuß, unb bie ©littet baju finb frößließ unb unoerjagt als 

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Nr. 33. 


ffl i e (Segen wart 


111 


(in @ef$ent ber guten (Söttet bin ju neunten. 2lud| ift es getotfe 
minbejienS unfdjablid), wenn unfer Äörper nidjt immer in bem= 
jetben gleichmäßigen Hempo arbeitet, fonbern ab unb ju, ähnlich 
einer Safdjine mit höherem Hampfbrud, etwa» rafcher unb leb= 
hafter functionirt, wenn fonft nur Sorge bafür getragen wirb, 
baß baS rafcher Verbrauchte in gehöriger Seife Wieber erfe^t 
»irb. ^eitere Stunben an ber Hafet unb bei bem ©laS finb 
immerhin ßidjtblide in mancher armfeligen HJlenf^enejiftenj, 
mtb Wenn bei bem geftmatß, Welches bie Vegetarianer, baS 
CEouöert ju 2 3Rarf 50 Vf-» in ßifenadh hielten (Äräuterjuppe, 
»erjehiebenartige, gut jubereitete ©emüfe, Omelette, Horte u. f. w.), 
ßatt beS SafferS ober ber ^imbeerlimonabe in ben Seingläfern 
ein Iühler Rheinwein gefunfelt hätte, oiefleidß hätten bie ©läfer 
b«h f)eßer unb freubiger getlungen, als auf baS Sohl bet 
fdjönen getrunfen würbe. 

©ewiß ift eS nicht immer leicht bie ©renje ju finben, wo 
ber mäßige, oerftänbige ©ebraud) ber oielfach oerläfterten ©enuß; 
mittel, bie, wie Sunde fagt, als Seelenfdj miete gelten fönnen, 
anfhört unb ber ÜDiißbraud) berfelben beginnt, unb Haujenbe 
finb bem Spiritus* unb bem HabalSteufet jum Opfer gefaßen. 
ffler bem Uebermaß oerfäßt, ftttrjt fidj bem Safter in bie Stute 
unb bringt fid} um ben ©enuß. ©in ober jwei ^aoannacigarren 
Jur rechten 3eit gewähren bem oerftänbigen Vaucher einen großen 
©eraiß, wer für biejelben fechS anbere »erbraust, läuft ©efahr 
fi<h }u fchäbigen unb oom wirtlichen ©enuß tann babei feine 
Siebe fein. 

5>en üRitgtiebern beS Vereins für naturgemäße ßebenSweife 
gebührt nur Slnertennung, wenn fie -äRoßljalten in aßen Hingen 
auf ihre Sahne fchreiben, wenn fie auf Veintjeit beS ÄörperS 
haßen, unb reiner ßuft unb bem l)imtnlijd)en Sonnenlicht laute 
Soblieber fingen, aber mit anberen fünbigen 9Kenjd)en thun bieS 
fluch unb lönnen eS oftmals Oießeicht noch nte h i; thun, ohne 
babei ber ©infeitigfeit ju oetfaßen unb p oerfdjmähen, waS 
uns ÜRutter ßlatur geboten hat unb Worauf wir jur ©rtjaltung 
unfer« HafeinS angewiefen finb. 2t. ffofaens. 


Aber bie neue Schule ber Erflärungen ic. Ijat bod) eine fe^r ernfte 
©eite: fie öerwirrt in nicht Wieber gut ju madjenber 3Beife bie Begriffe 
bet £emenben, bie „auf beg Rieifierg ©orte jehwören", wenn biefer 
SReifter jumal ber berühmte $rofeffor einer berühmten Uniüerfität ift. 
Birchow ^at ganj Recht, wenn et gewiffe £e^ren unb .fpppothefen ber 
Raturwifjenfchaften ber 3ugenb nicht mittheilen laffen will, Solche ge¬ 
hören, unb bon jebem Selb beg ©iffeng, in bag (Gebiet ber geteerten 
Eontroberfe, nicht in Sehrbücher, ©chulfäle ober populär^wiffenfchaftlid) 
gefdjriebene ^Crtilel für allgemein berbreitete 3 eitjchriften. ©ir Sehren^ 
ben tyaben biel Rlühe, unb oft bergeblidje, bie abfotute Annahme geift 
reich literarifcher Aper 9 Üg gelehrter Herren ben jungen köpfen 511 Wehren, 
bie bag Rene, Marode ebenfo lieben, wie grelle Sarben unb taufchenbe 
Riufif. 

Dünperg Erläuterungen berfolgeit ben alten, ctnjig richtigen ©eg; 
fie beweifen, wie bei einem Rechenejrempel, bieg ober jeneg muffe fo 
fein, ba bie bamit angefteflte Gegenprobe ftimmt, unb gewähren ben!en= 
ben Stopfen bie Sreube, fi<h bag „©anim" ber jebegmaligeu Erflärung 
felbft beantworten ju fönnen. ©ie gelten bon bem Sebeit beg Did)terg 
unb befjen Beziehungen ju feiner 3 eit aug; führen itng bie &ueflen 
feiner SBerfe bor, unb geftatten fo einen 93lirf über bie Grenze be§ itr= 
fprünglidj ju erforfd)enben ^ebiere^. Sekret unb ©d)üler, Sorfc^er unb 
Siteraturfrcitnbe lernen boit bem treuen Süfjrcr auf jeber ©eite MeneZ, 
ober bod) ?llte§ in neuer ^Beleuchtung. 

Qn bem borliegenben Doppelheft mit ben Erläuterungen bon Uljtanba 
33aßaben unb SRomaujen ber Dichter burd) bie 5lnalpfe feiner SBerfe 
wefentlidj gewonnen; an bie ©teile mancher geraubten, überfpannten 
Deutung, bie bie Wahrhafte ©djönheit ber Uhlanb’f^en ^oefie überfah, 
inbem fie oft jiemlid) unpoetifchen Einbilbungen nachhing, ift 1)\ex eine 
natürliche Erflärung getreten, welche un$ bie Dichtung in ihrer einfach 
fchönen 53oHenbung jeigt. Die£ ift gcrabe bei ben befannteften 33allaben 
ber SaK, wie bei bem „Glücf bon Ebenhatl'', „©ängerä Sluch", „33ers 
tranb be SBorn ' unb bem URomanjenfranje „©ängerliebe". Qu ber Ein 
bitbung erjeheint ba« üieben unb Dichten UhlanbS in einem, bie Ent'. 
Wtdlung unb ^ebeutung be^ ©ängerS boll wieberfpiegelnben löilbe. 

Sillen ßehrenben unb Sernenben feien bie fleinen ©ücher wieberhoIt 
unb bringlich empfohlen. £. 5d). 




Offene Briefe unb Jlittworten. 


«rläuterungen }vl ben beutfrhen Älaffüwrn 

bon Heinrich Dünfcet.*) 

Dag bor furjem erfchienene 77. unb 78. §eft mit ben Erläute* 
nmgen biefeg äu|erft gewiffenhaften unb grünblichen Gelehrten ju 
Uhlanbg ©allaben unb iRomanjen entroüt ein ben Nahmen 
gewöhnlicher Eommentare glücflich erweiternbeg Söilb bon jener fd)wä= 
bifchen Dichterf^ulc, beren SJUttelpunlt Uhlanb mar. SSergleicht man 
bie Dünfcer’fdhen Erläuterungen mit bielen ber unter gleichen ober auch 
unter fehr ftoljen Flamen gehenben Erflänmgen unb Berichtigungen 
jüngerer Gelehrten, fo.tritt fofort ein großer Unterfchieb fyexbox, beffen 
Grunb biel tiefer liegt, alg nur in ber inbibibuellen ober jufäHigen 
Jlnfchauung jWeier ÜRenfchen. SGßährenb Dünger, alg Vertreter ber ent= 
fchminbenben 3 cüe ntit wahrhaft jugenblicher 9tührigfeit, fich felbft jur 
Sreube unb Bielen jitm S^ufjen, bem Dichter in bie Söerfftatt feineg 
©choffeng nachgeht unb ihn ba belaufet, fchlägt bie neuere Unterfuchung 
metfteng gaitj anbere ^fabe ein. Qntuition tritt an ©teile beg forfchen* 
ben Eiferg; geiftreidhe ^ppothefe an bie ber troefnen aber unumftöjjlichen 
ßah^it; nltfluge Rechthaberei nur ju oft an bie bon Qugenblichfeit 
beg Gemütheg, bie auch bag fcheinbar Unbebeutenbfte jur Bebeutung 
erhebt. 

„®ar eg immer, wie je^t? Qch fann bag Gefdjlecht nicht begreifen; 

Rur bag Sllter ift jung, ach i ntb bie Qugenb ift alt!" 

flagt freilich fchon ©filier in feinem Xenion „Qe|ige Generation", unb 
jo ift bietleicht ber Glaube an grö&ete) geiftige Qugenblichfeü ung Sllten 
cm 3 ähren jum Droft ein ewiger unb allgemeiner. 


Berehrte Rebaction! 

3ch h^te, ba^ fich in ben lebten Rummern ber „Gegenwart" — 
fie finb mir noch nicht ju Gefidjt gefommen — Bertljolb Sluerbach unb 
3ohanneg Rorbmann über bie Priorität beg Ditelg „Unterwegg" ftreiten. 
Qch h fl be f«h°n 18 6 ß ei n Büchlein ©fijjen unter bem Ditel „Unterwegg" 
publicirt. 

Befteng grüfjenb Qh^ ergebenfter 
Bregenj, 27. 3«li 18 79. Ulfreb UTei^ner. 


^Bibliographie« 

Bern, 9Ra£im., auf fchwanfem Grunbe. Robelle. 2. Kufl. 16. (211 ©.) 

Stuttgart, Göfchen. geb. m. Golbfchn. 4. 

Äeller, Öfr., ber grüne Heinrich. Roman. Reue Slugg. in 4 Bbn. 

2 . Bb. 8. (IV, 287 ©.) Stuttgart, Göfchen. a 5. —. 

Salle, 3 a *- n., §ellag unb Rom. Eine Eulturgefchichte b. claff. Sllter* 
thumg. SRit Bilbern ber erften beutfehen Zünftler. 5.-7. $ft. Sol. 
(©. 49 — 76 m. eingebr. ^oljf^n. u. ^oljfchntaf.) Stuttgart, 
©pemann. haar a 1. 50. 

^allegfe, Emil, ©chiHerg üeben unb SBerlc^ 10 ., neu oerb. Slufl. 
2 Bbe. 8 . (XVI, 548 u. XIX, 615 ©.) Stuttgart, Ärabbe. 

6 . —; geb. 6. 75. 

Encpüopäbbb ber Raturwiffenjdjafteit, h^gg. &. Btoff. DDr. G. Säger, 
Äenngott, Sabenburg it. 1. Slbth- 2. ßfg. gr. 8. Breglau, 
Drewenbt. g ü 8. —, 

3 nhalt: $anbwßrtetbuch ber Soologie u. Anthropologie, hT3g. 0 . 
^ßrof. Dr. Guft. Säger unter ÜRitmirfg. 0 . SBtlh- $artmann, S- 
0 . ^etlwalb, Dr. Emft $ofmann 2 ;. 9Rit (eingebr.) §oljfchn. 
1 . 2fg. (l. Bb. VI u. ©. 1-44.) 


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*) Seipjig, Ebuarb ©artig. 




112 


tgcttnrart. 


Nr. 33. 




Soeben ersten: X 

| JlU5 ^Citgarn. | 

X 2iteratur= unb culturgeid)icf)tftd)e ♦ 

| ©tubien. 1 

©on % 

% b fl l f ® u r. 2 

©roft- JC 6 , eleg. geh. JC 1. # 

Verlag oon getmann f$ül$ in Beipgig. 4 


In J. U. Kern’s Verlag (Max Müller) in Breslau ist erschienen: 

Farben-Tafel 

zur methodischen Erziehung des Farbensinnes. 

Nebst 72 Farbenkärtchen und einem erläuternden Texte. 

Von 

Dr. Hugo Magnus, 

Docent der Augenheilkunde an der Universität zu Breslau. 

Preis 6 JC 

Wegen der kostspieligen Herstellung kann diese Farbentafel nicht in der ge¬ 
wöhnlichen buchhändlerischen Weise zur Ansicht versandt, sondern nur auf aus¬ 
drückliche feste Bestellung geliefert werden; auf Wunsch versendet die Verlags¬ 
buchhandlung einen ausführlichen Prospekt gratis und franko. Siehe den Artikel 
von Kalischer in der „Gegenwart“ Nr. 32. 


Novit&t von Oscar Blumenthall 

Im Verlag von Georg Frobeen & Co, in 
Bern erschien soeben und ist in allen Buch¬ 
handlungen zu haben: 


Geplauder von Oscar Blnmentlial. 

Sehr eleg. geh. Preis 3 JC 

Ein liebenswürdiges heiteres Buch, das der 
Verf. der Allerhand Ungezogenheiten in froh¬ 
gelaunten Stunden geschrieben hat und das 
auf jeder Seite seinen sprudelnden Witz, 
seinen funkelnden Esprit zeigt. Für Sommer¬ 
fahrten und Badereisen sowie — beim Dessert 
ist das Buch ein kurzweiliger Gesellschafter. 

3 tn Verlage oon J). ßdteriein in Ceipfig, 
SBefiftrafje 37, erfd)ienen unb ftnb burd) alle 
©uttycmblungen ju bejieljen: 


BAEDEKER S REISEHANDBÜCHER. 

Belgien und Holland, 14. Aufl. 1878. 5 JC — Mittel- und Norddeutschend. 

18. Aufl. 1878. 6 JC — Berlin, Potsdam und Umgebungen, 1878. 1 JK 60 A — 

Süddeutschland und Oesterreich, 18. Aufl. 1879. 7 JC — Oesterreich, Ungarn und 
Siebenbürgen, 17. Aufl. 1878. 6 JC — Südbaiern und die üsterr. Alpenländer: Tirol, 
Salzburg etc. 18. Aufl. 1878. 6 JC — Oberitalien. 9. Aufl. 1879. 6 JC — Mittel-Italien. 
5. Aufl. 1877. § JC — Unter-Italien. 5. Aufl. 1876. 6 JC — London. 6. Aufl. 1878. 6 JC — 
Paris und Umgebungen. 9. Aufl. 1878. 6 JC — Rheinlande. 20. Aufl. 1879. 6 JC — 
Schweiz. 18. Aufl. 1879. 7 JC — Unter-Aegypten. 1877. 16 JC — Palästina und 

Syrien. 1875. 16 JC -- Schweden und Norwegen, 1879. 8 JC 

Durch, alle Buchhandlungen zu beziehen. 


Verlag von Georg Frobeen & Co. in Bern, j 
Neu! Soeben erschienen! 

Das Buch 

A'om bewussten und unbewussten 


SSerlag Don 3. dhtttcutag ($. Sollt») in Sterltn. 
( 8 » bejieljen burd) alte ®ud)t)cmblungen.) 

Soeben erjdjten : 


I)erau 8 gege 6 en Don 

Dr. $t. $. ^epffetty. 

ftührlit erfteint eine Serie toon 10 heften 
§um greife non l JC per fteft; jebe3$eft wirb 
aut einzeln abgegeben ©iS jefct erftienen: 
Jpeft 1 unb 2 ; $eft 3 befinbet fit unter ber ©reffe. 

$ie brei erften $efte enthalten unter anberen 
folgenbe Hrtifel: Unfer Programm. — 3 «r 
©ifenbaljnfrage. —$ie Oewinnbetljeiligung 
ber Arbeiter. — ©olonifation unb 2 lu§wan= 
bernng. — Steuern unb Sölle. — $er mo= 
berne ©erfaffungSftaat als DtettSftaat. — 3n = 
t ernat ionale&r beiter gef epgebung —unb 
jaljlreite ©efpretungen neuer SBerfe. 

2 )ie folgenben #efte werben u. M. enthalten 
Sluffäpe über: Slrbeiteroerfiterung. — 

t nnungSfrage. — Slrbeiterftup auf bem 
anbe. — Xabalfteuer unb Monopol u.f.w. 
Sie „StaatStoirtlftaftliteii Äb^anblnngen" 
Werben allen benen toamt empfohlen, tufldjr 
für eine fteform ber fatalen ©er$altiitffe 
tntereffiren. 


£m 





Herrn Meyer. 

Humoristisches Supplement 
zu Hartmann’s Philosophie des Unbewussten. 

Von M. Reymond. 

= Mit 95 Illustrationen. Preis 3 JC = 
Vorrüthig in allen Buchhandlungen. 


Kgl. Rhein.-Westfäl. h 

Itpifitt i«Milt | 

zu Aachen. ■ 

Beoi nn d. Winter-Semesters H| 
AnfangOctober,d. Sommer- 
Semesters nach Ostern. H 
Programm von der H 


efinmntüt Baiülw 


—2 Uutmlpij <$en£e. s— 

@ r ft e S © ä n b t e it : 

2>urtl — Step^p@irarb.—®^eftanb§=ejerjitien. 
— Xruffalbino (nat ®olbont). — 2)aS Reifee 
@tfen (nat.§anS Sat$). 

8 . ©reis 2 JC 50 A. 

9tatbem bie beiben belannten unb beliebten 
ßuftfpiele „Shirt!" unb,, (SljeftonbSsIgjerjitien" 
längft auf ben ©üpnen unb ßiebbabertpeatern 
eingebürgert finb unb in ber QrinaelsuSgabe 
wieberljolte Sluflapen erlebt fyaben, treten bie= 
felben in bem üorltegenben ©anbe — „®ljeftanb 6 = 
©jerjitien" in etwas berünberter gorm — bon 
feuern an bie Deffentlidjfeit. ©on ben brei 
anberen Stöcfen, weite biefer ©anb aufjerbem 
enthält, Ijaben jwei, „S)aS Ijeifce ®ifen" unb 
„Step^p (Sirarb", ben 28eg über jaljlreite 
©üljnen genommen unb baS leptgenannte Ijat 
fit auf bem SRepertoire beS ©erliner Äönigliten 
Staufpiel^aufed bauernb $u behaupten gewußt 
„Jruffalbino" nat @olboni erfteint ^ier ^ufl| 
erften ©late in einer für bie beutfte ©ü^ne 
paffenbe« ©earbeitung. 

4en Sreunben ber bramatiften ©lufe, ben 
©ütynenuübßiebtyabertljeatem feien bie^omöbien 
®en^eS warm empfohlen. 


Bestellungen auf die 

zum XV- Bande der ..Gegenwart“, 

II li/Cil ^ sowie zu den früheren Bänden elegant in Leinwand mit blinder 

und vergoldeter Pressung zum Preise von a 1 Mark 50 Pf., 

werden in allen Buchhandlungen entgegen genommen. 


gutartig*, gkrff*, N.w., #Tonptin$enufer 4. 


fjür bie 9iebaction oeranttoortii#: #eorg in $erftit. 

*®cud Don M* #. fr*l*fr in 


fzgebitig*, IkerCin ihuffirftenftraBe 79. 


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X 34 . 


34«ftt», beit 23. Jluguß 1879. 


Band XVX 



^cocmimit 


2ßo^enf(^tift für Literatur, Äunft unb pffentlidjeS Sehen. 


Herausgeber: ^auf ^ittbau in ©erlin. 


ItkfB $unink nfdjfint eine gum ran. «erleget: ®corg @t»h in SBcrtin. 

flu fettfeöen burrfj alle ®ud)l>aiiblunßen unb ®oftauftolten. 


frtis ftt feudal 4 pari 50 ff. 

3nfernte jeher 2tri pro Sgejpaltene fUetiijeile 40 *0}. 


Straft: 


@itii<je3 über bie Siele be3 ©dfjulunterridljteS. ©in öffentlicher Vortrag. Bon g. Bergmann. — Literatur «ui ftwtfl: SBibmung. 
Bon §an8 Hopfen. — 2)ie internationale ÄunftauSfteöung ju SJiündjen 1879. Bon ©uftaö gloerte. I. — Xie gamilie ©airoli. 
Bon ©uftab Xanneljl. — Unfer Xljeater. ©ine bramaturgijdje Klauberei. Bon geobor äöefyl. (6djlu§.) — 2)ie Bljpfiognomie 
be$ 9Äonbe&. Bon AfterioS. Befprodjen bon granj ©infiebel. — «ta& ber gattptftabt : Xramatijdje Aufführungen. attabame 
gabart. Äomijdje Operette in 3 Acten bon ©pioot unb Xuru. aftufif bon gafob Offenbart). — Bibliographie. — gnferate. 


einiges über bie 3iele bes Sitynlnnterridites.*) 

S3on 3- Bergmann. 

SEBtr beginnen im Allgemeinen an päbagogifdjen fragen einen 
flntheit erft bann ju nehmen, wenn biejel bert eine praftifdje Se= 
beutung für unä erhalten, — ber junge Sei)rer, wenn er bie 
Srfafpung macht, bafj eS mit bem Unterrichte unb ber SiSciptin 
nicht fo bon fetbft geht, wie er fi<h gebacht f)at, ober wenn 
Btoeifet an bem unbebingten SBerthe ber SRetljoben, bie er bor* 
gefunben, ihn neue SBege jn berfuchen antreiben, — ber ©ater, 
bie SRutter, wenn ihr ©ertrauen ju ben Stiftungen ber ©d)ul* 
anftalten ju Quanten beginnt unb bebenflichere Untugenben ber 
Äinber ben gewohnten (Ermahnungen unb ©trafen nicht weichen 
wollen, — ber Staatsmann, wenn er unter ben Urfadjen ber 
Gefahren beS ©taatSlebenS, bie er befämpft, berfehrte ober ein* 
fettige ©rsiehungStenbensen ju bemerlen glaubt. SBäljrenb bie 
SBiffenfdjaft ber ©äbagogif infofern nicht mit Unrecht im Stufe 
ber Sangweiligfeit fleht, als nicht leicht fetbft wiffenfdjaftlich 
beanlagte Köpfe fo geartet finb, bah h e ein «in theoretifdjeä, 
ein fo §u fagen unperfönlicfieS gntereffe an ihren ©erhanblungen 
ju nehmen im ©tanbe mären, oermag biefelbe burdj jene ihr 
Angehörigen gragen, welche bie Sloth beS SebenS auf bie SageS* 
orbnung gefegt hat, eine mächtige AnsieljungSfraft auäjuüben. 

2<h erinnere baran, wie einft Sichte in feinen Sieben an 
bie beutfehe Station bie ©emütljer entflammte burch bie ©nt* 
uidetung einer päbagogifchen 3bee. SaS btennenbe ©erlangen, 
fein ©ol! fich aus bet ©rniebrigung ber Slapoleonifdjen Knecht* 
fdjaft erheben ju fehen, bewog ihn, ben ©tan einer neuen ©otfS* 
trjiehung öffentlich barjulegen, unb baSfetbe ©erlangen War ei, 
welche^ biefen päbagogifchen Sieben baS |>crj ihrer guhöret 
.öffnete. 

©olche Stoth ift ei nicht, welche unfere geit Hülfe bei ber 
©äbagogif ju fuchen antreiben fönnte. ©eeint unb frei unb 
mächtig fleht baS beutfehe Steich ba, baS bamals fo tief emiebrigte 
jefct höhet als je. Unb hoch haben auch bie testen Sage taufenb* 
fache Klagen bon tieffter ©rniebrigung, bon ©chmach unb ©chanbe 
betttommen. Unb wieber wirb auf bie ©rjiehung hmgewiefen 
als bie wichtigfte ber SRädjte, bie einen Auffd)Wung beS ©olfS* 
lebenS hetbeijuführen bermögen. 

«freilich ift bie päbagogifche Senbenj, Welche fich gegen* 
märtig am meiften bemerlbar madht, bon berjenigen, in bie Sichte 
feine Hoffnung fe|te, gar fehr betfehieben. gi^te äufjerte ein* 
mal in ©ejug auf feinen ©ater, ber — ein Seinewebet — ber 


*) (Ein öffentlicher ©ortrag, gehalten ju SJIarburg. 


wiffenfchaftlichen ©Übung ermangelte: gern mürbe er all fein 
erlerntes SBiffen unb feine burch eigenes Seiden gewonnene 
philofophifdje ©inficht hingeben, für beffen fromme unb rebliche 
IperienSeinfalt. Unb biefelbe SenlungSart lä|t fich auch in 
feinen Sieben an bie beutfehe Station erfennen. fpeute bagegen 
f^eint ber ibeale SEBerth beS SRenfchen borjugSweife in bie 
gntelligenj gefe|t ju werben. SRan entroidele, fo wirb gerathen,- 
ben ©erftanb beS nieberen ffioüeS unb fülle ihn mit Kenntniffen, 
fo werbe eS borbei fein mit ber £>errfcf)aft ber ©faffen unb bie 
agitatorifchen Künfte ber Demagogen werben ihre SBirfung ber* 
fagen. ©S wirb erwartet: wenn erft alle SJtenfchen über ihre 
wahren gntereffen aufgeltärt feien, fo werbe Stiebe unb ©intracht 
herrfdjen unb ein geholter beS allgemeinen ©lüdeS werbe an* 
brechen. Dummheit unb Unwiffenljeit feien bie fd)limmften 
geinbe beS SRenfchengefchlechteS, biefe gelte eS $u belämpfen, 
unb ber fpauptaittheü in biefem Kampfe falle ber Sugenberjie* 
hung ju. 

©S barf uns nicht bon oornhetein gegen biefe ©etonung 
ber intettectuetten ©ilbung ntifjtrauifch ftimmen, ba| bie güljrer 
einer ber ftaatSgefährlichen ©arteien, bie Wohtbenlenbe SRänner 
unter bem ©influffe ber wachfenben gnteHigens oerfchwinben su 
fehen hoffen, barin einftimmen. Sie ©hrlichen unter unferen 
©ocialbemofraten finb im Allgemeinen babon überseugt, bafj ber 
©ieg ber Söiffenfcijaft ber ©ieg ihrer £h eor * en f e * n un & bic 
Stealijärung ihrer ©läne bringen werbe. Sie Herren SRoft unb 
§afjelmann finb erfüllt bon bem erhebenben Sewufetfein, auf 
bem ©oben ber mobernen SEBiffenfchaft ju ftehen, unb eS ift ge* 
wifj feine Heuchelei, wenn fie für ihre öffentlichen ©orträge unb 
ihre geitidjriften auch ben gmed, miffenfdjaftliche ©ilbung in bie 
Arbeiterfreife h' ne ' n S u tragen, in Anfptuch nehmen. Aber bieS 
barf uns, wie gefügt, nicht einnehmen gegen bie Sortierung, bafj 
bie ©rsiehung fich bie ©flege beS SBiffenS in intenfiberer unb 
ejtenfiberer ffieife als bisher angelegen fein laffe. Senn wir 
werben bie Sehren, welche wirtlich unb nicht bloS fcheinbar unb 
burch ihren SRifjbrauch bie beftructibe Stiftung s u beförbern 
geeignet finb, nicht als wahre SBiffenfdjaft anerfennen. Stur eine 
SRahnung s«r Sorficht bürfen wir ber ©egeifterung ber SRoft 
unb ©enoffen für ihre fogenannte moberne SBiffenf^aft entnehmen, 
bie SRahnung, bafj bie neuen Aufgaben, Welche ber Sernfraft 
unferer gugenb gefteHt werben fotten, nichts mit betfelben su thun 
haben. Sticht überflüffig ift biefe SRahnung, berat auch unter 
ben gteunben bet beftehenben gefettfdiaftlichen unb ftaatlichen 
Orbnung fehlt eS nicht an fotdjen, welche eine SBiffenfchaft preifen, 
bie wenigstens in ihren ©runbsügen mit jener bor fursem in 
ben ©ertiner ©olfSberfammlungen berfünbeten ibentifdj ift. 
ift wahrhaft etfdpredenb s« feiert, mit welcher Kedljeit biefelbe 

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114 


Nr. 34. 


Dir (Sfjjenwurt. 


in ben angefehenften Politiken unb titerariflhen Seit^riften, in 
©ebidjten unb {Romanen berühmter Autoren, in theoretifdjen 
©ublicationen populärer unb nicht populärer Art auftritt unb 
im SRamen ber Vernunft ju reben fid) anmafst. Unb auch ba« 
©erlangen, biefer SBiffenfdjaft bie Sd»ule ju erobern, h*t bereit« 
mieberhott Au«brud gefuiiben. 

®ie SRaterie, fo lautet ber uralte aber auch }d|on öor 3abr : 
taufenben roiberlegte ©runbfafe jener mobernen SBiffenfchaft, ge* 
trügt fidj felbft pm $afein; fie bebarf feine« Schöpfer« unb 
feine« ©rhalter«; fie ift ba« Abfolute, fie ift Sille«. 2>urdj bie 
aRedjanif ihrer Sheile hat fie nach ewigen ihr inneWoljnenben 
©efefeen bie Sülle ber {Raturformen bi« $um befeelten Sljiete 
unb weiter bi« jum ©ernunft entwicfelnben SRenfcfjengehitne 
hinauf heroorgebradfl. ®a« S5afein ©otte«, bje Freiheit be« 
©HQen«, bie Unfterbtichfeit ber Seele, biefe brei ©ebanfen, oon 
welchen Äant lehrte, baff fie ba« ^öc^fte 3ntereffe ber ©ernunft 
au«machen, finb Üruggebilbe, ©rjeugniffe be« Seitalter« ber Un- 
wiffenheit, beffen Untergang nunmehr burch bie Sehre SDarwin« 
befiegelt ift. So haben, wie bie tnobeone SBiffenfchaft -QRofl«, 
auch ber neue ©taube Siatub Straufl’ unb bie neue oon JgVäifel 
empirifd) begrünbete ©hitofofchie' au«' jenem ©runbfa|e gefolgert. 
$ie ©onfequenjen für bie ^tuffaffung be« fittlichen Seben« liegen 
auf ber $anb, obwohl nur SBenige ben QRuth haben, fie 'ju 
jieijen. ©iner biefer wenigen kühnen, griebridj Oon $eHwalb, 
ein oiel gelefener populärer SdiriftfteHer, bietet fie bem ©olfe 
mit fotgenben {Borten bar: „Stufgäbe ber SBiffenfchaft ift e«, 
alle Sbeale ju jerftören unb ju jeigen, bah ©otteäglauben unb 
{Religion Xrug, bah Sittlichfeit, ©leidjheit, Siebe, greiljeit unb 
URenfdjenredfjt £üge finb, utib gleichseitig bie {Rothwenbigteit ber 
3beale, be« ©otteSgiauben«, ber {Religion, Sittlichfeit ic:, fürs 
all biefer 3rrtl)ümer für bie ©ulturentwidelung s« behaupten. 
®ie SBiffenfchaft beWeift jeboch mit gleicher Sraft bie {Rotfj* 
wenbigfeit atter jener ©tfcheinungen, welche gewöhnlich al« ©ul» 
turhemmniffe betrachtet metben, s* ©. ber Sftaoerei, Shtedhtfchaft, 
Despotie, iprannei, be« ©eifteSjodje« ber Äir^e u. f. W. Denn 
bie einen Wie bie anbeten finb ©rfinbungen be« ÜRenfchen sum 
Swecfe bet Selbfterhaltung, nämlich SBaffen im Sarnpf um« 
SJafein." (©ulturgefdj. in ihrer natürl. ffintw. bi« sur®egen= 
wart, 1874.) 

5)ie SBiffenfchaft, welche fich folche Aufgaben ftellt, wirb 
un« gewih nicht oon ben ©efahten, Welche ber gefeOfchaftlidjen 
unb ftaatlichen Otbnung brohen, befreien. Herr ÜRofl befunbet 
hier ben flateren ©lief, wenn er in ihr oielmehr eine ©unbe«* 
genoffin gegen jene Drbnung fieht. Swar hat fürslidj ©ro* 
fejfor DScar Schmibt auf ber üRäturforfcher = ©erfammlttng in 
Saffet nachsuweifen unternommen, bah bie Socialbemofratie fich 
fälfdjlidj auf ben ®armini«mu« berufe; unb ber eigentliche 
Darwinismus, ber Darwinismus al« naturmiffenflhafttiche Hht>o= 
thefe, bebroht, wenn er fich nicht über bie ©rensen ber Statur: 
wiffenfehaft ttnb bet ©rfahrungSWiffenflhaft überhaupt h'ttwegfegt, 
gewih t*in tbeäle« @ut, aber ber QRateridtiSmu« ober, wie 
er fich gegenwärtig su nennen oorsieht, ber ÜRoniSmu«, bet 
fich ber Sehre Darwin« su feinen S^ecfen bemächtigt' hat unb 
bet auch £>8car Schmibt su feinen Anhängern sö^tt, ift ber 
©oben, auf bem bie Socialbemofratie gebest unb ärgere ©e* 
finnungen unb Xhaten, al« fie wenigften« ber Socialbemofratie 
al« folcher oorgewotfe« werben, fönnen. SBer e« begriffen unb 
SU feiner Ueberseugung gemacht hat, bah ba« geizige Seben 
nicht« Anbere« al« eine ©rfcheinung in bem allgemeinen Kampfe 
fei, ben bie Organismen, biefe ohne ©lan unb Swecf jufantmen* 
gerathenen Raufen oon Atomen, um« Dafein führen, oor welchem 
©erbrechen faitn ber Oernünftigerweife surüdfcfjreden, wenn ihm 
baSfetbe feine Sage ju otrbeffern oerfpri^t? SRttfj ihm nicht, 
wenn er confequent s u benfen oermag, jebe Abweichung oom 
SBege ber rfidfichtSlojeften Setbftfucht für Schwäche unb Xhorheit 
gelten? ©ewih gibt e« unter benen, bie auf bem ©oben jener 
SBeltanficht ftehen,. treffliche 2Renfd)en, äRenfdjen, in bferen Hersen 
ba« göttliche Sicht noch förtleuchtet, nachbenf es in ihrem' ftopfe 
erlofdjen ift. Aber wer tbäte fnrsfichtig genug unb ben ©e* 
lehrungen ber ©efdflchte wie ber täglicheri ©rfatfrüng unsugäng* 


lieh genug, um s» glauben, bah allgemein eine oerwerftiche Auf* 
faffung oon SBelt unb Seben ohne oerberblichen ©influfj auf ba« 
SBollen unb Hanbeln bleibe, — bah & au<h nur bei benen fich 
fo oerhalte, an welche, ba fie im Schöffe be« ©lüde« fifcen, 
feine ernften ©erfudjungen su gröberen ©erirrungen hetantreten, 
unb welche unter ber ©inwirfung ber guten Sitte ftehen, bie in 
ihrem ©efettfeijaftsfreife geachtet unb geübt wirb? SRinbeften« 
würben biejenigen, welche oon einer ©rljöhung ber S<rie be« 
Unterrichte« eine Teilung ber Schäben unferet Seit erwarten, 
fich felbft Wiberfpredjen, wenn fie bie ©efaljr ber ©erbreitnng 
einer unfitttichen SBiffenfchaft gering achten wollten. 

So werben wir benn — ich wieberhole e« — in bem Um: 
ftanbe, bah auch ©ertreter beftructioer Senbenjen bie gröbere 
©erbreitung unb bie Steigerung ber wiffenfchaftlichen ©ilbung 
auf ihre Sahne fdjreiben, fein Argument gegen jene greunbe 
eine« continuirlichen gortfehritte« erblicfen bürfen, welche bie 
Hauptaufgabe ber ©rsiehung in bie Auöbitbung be« ©erftanbe« 
fe^en. ©ielmehr werben wir im Hmblicfe au { biefen Umftanb 
bet gorbetung, gröberer Seiftungen oon ber inteHectuefien ©r= 
Siehung unfere Suftimmung geben müffen, wenn Wir auch ben 
©otrang, welcher für ben ©erftanb oor bem ©emüthe unb bem 
SBiQen in Anfprudh genommen wirb, nicht feilten anerfenhen 
fönnen. $ie Unterri^tSjiele ber S^ule müffen h^h er geftedt 
werben, bamit unfere 3ugenb fich ber alle« ©bie unb Heilige 
untergrabenben Sefjeinwiffenfchaft s u erwehren im Stanbe fei, 
— bamit fie wiffe, wo im Kampfe ber fogenannten mobernen 
SBeltanfchauung gegen bie fogenannte alte, welche aber in SBahrljeit 
beibe in bem einem Sinne alt, in bem anbem mobern finb, 
ba« ©echt ftel^ unb in Welchem Auögange ba« Heil ber SRenfdj' 
heit liegt. 

©eoor ich biefen allgemeinen SBunfdj burch einige ©etrad): 
tungen näher su beftimmen fudje, muh i<h einer Zhutfa^e ge= 
benfen, an ber alle ©läne, welche ber Schule neue Sumuthungen 
fleUen, fcheinen fcheitern su müffen. ©« ift bie Xhatfadje, bäh 
unfere finber, wenigften« foweit fie ^ö^ere Schulen befuchen, 
bereit« überbürbet finb. SBenn idh oorhin oon fläbagogifdjen 
gragen fprach, 1 welche bie {Roth be« Seben« ai^ bie läge«: 

orbnung fefet, fo fleht gegenwärtig bie, wie bie Saft be« Sernen« 

unferen Arabern erleichtert werben fönne, gewih uicht hinter ber= 

jenigen surüd, welche ich foeben hetoorhob, unb wenn biefe 

oieQeicht ben ©olitifer unb ©hilofopljen nähet berührt, fo ift 
jene su einer Wahren HersenSangelegenheit ber ©Itern geworben. 
SBahtlich, bie {Roth be« Seben« hat fie auf bie Xage«orbnung 
gcflellt. 2)enn ift e« nicht ein wahrer {Rothflanb, unter bem 
mir un« befinben, wenn unfere Ifinber oom frühen SRorgen oft 
bi« in bie ©acht hinein an bem 3o<he ber Schule tragen, Wenn 
fie ihre ©efunbheit unb ihre geiflige grifche unb ©laflicität ein* 
bähen unter bem 3)rude oon Arbeiten, metdhe sum Jheil, wie 
namentlich ba« übermühig geforberte medjanifche SRemoriren, 
ihnen unmöglich ein 3ntereffe abgewinnen fönnen? ®a« fröh* 
liehe Treiben ber Knaben in gelb unb SBalb gehört beinahe 
fdjon su ben poetifchen Silbern au« oergangener Seit, etwa 
wie ber Hau«oäter, ber mit ber ©ofliQe im Greife ber gamitie 
unb ber ®ienflboten figt, ober bie Hausfrau, Welche bie Schräüfe 
mit felbflgefettigtem Seinen füllt 3u jener guten alten Seit 
machte bie Schute freilich ben 3ungen in anberer SBeife ba« 
Seben fauer genug.. 2Baö un« bie ©efchichte ber ©äbagogit oon' 
ber Antoenbung ber ©rügel unb anberer förperticjjer ©tiflhanb* 
lungen, nicht bto« sur Anfrechterhattung ber ®i«cipttH unb Sur 
Aitfpornuhg be« gleihe«, fonbern auch Sur Schärfung be« ©er* 
ftanbe« unb be« ©ebächtniffe« berichtet, ift barbarifdh. Aber ich 
Weih uidht, ob nicht — i<h will Jagen in hunbert galjren — 
eine ©efchichte ber ©äbagogit gefdjrieben werben Wirb, w'etche 
bie geifligen SRihhattblungen ber 3«genb im neunsehnten 3ahr= 
hunbert für ärger unb oieQeicht auch noch für nufelofer erflärt 
al« jene förderlichen. ®ie Herren Sehrer woQen swar in ber 
SRehrsahl bie tteberbürbung nicht s« 9 eben, ober bo<h nicht ein 
fo' hohe« 9Rah berfelben, aber bei aQem ffiefpecte oor ihrer 
päbagogifchen ©rfahrung, hatte ich bod) biefe« su 6eurtheilen r bie 
©Itern für competenter. SRancherlei Umflänbe, über bie fich °* f l 

e 




Nr. 34. 


Jl Fr ® r$ rjtnt fl r t. 


115 


jagen lief», WaS ober nic^t hierher gehören mürbe, beeinträd)* 
rigen ben Settern baS objectioe Urteil über baS ©tajj bet 

berechtigten 3flwutjjuttgen on ^ re <Bd)ixUt. 

©S rauf} auch anerfannt »erben, baff eS [ich bei biefer 
gtage leineSmegS bloS um ein 3ntereffe ber (Ettern ^anbett. 
Stur fdieinbar ftef)t boS Sntereffe bet ©ttern, welche eine ©nt« 
laftung ihrer Kiitber forbern, bern gnterefje bet ©efettfchaft unb 
beS Staates entgegen. ©iüffen auf bet einen ©eite auch b' e 
(Eltern {ich bem ASanfdje anf fliehen, bah bie Schule ihren 
finbern ein ©tah non Kenntniffen übermittele, welkes fie gu 
nüfclichen unb tüchtigen ©liebem beS ©emeinwefenS macht, fo 
muft auf ber anberen ©eite biejen nicht minber baran liegen, 
bah bi e hcratimachfenbe ©eneration nicht bie Kraft beS Körpers, 
bie ®djärfe ber Sinne, bie (Elafticität beS ©eifteS in ben ©<hul= 
ftnben gurütflaffe. Aud) biejenigen, welche bie inteltectueDe ©ils 
bung als bie £>auptangelegenheit ber ©rgieljung betrachten, merben 
biefetbe bodj nicht mit einer beträchtlichen ©inbuhe an jenen 
©ütern ber Statur, bie, einmal oerloren, jich nicht toieber er* 
merben taffen, erlaufen »ollen. SBoljl ift auch biefeS gu be= 
beulen, ob nicht bie 3errüttung beg NeroenfoftentS unb bie 
Ueberreigung beg ©ehitng burch übermähigeS Semen in höherem 
©rabe bie ©efaljr entfe|lid)er Verirrungen in fid) birgt, als bie 
Unmiffenheit unb bie Vernadjläffigung ber $enllraft. Vielleicht 
hätte ein höheres ©iah Oon Unterricht $öbel oor bem Vers 
brechen bemahrt, Oielleicht aber auch ein geringeres Nobiling. 

SBenn ich gleichwohl in bie gorbetung einftimme, bah bie 
3«le beS Schulunterrichtes höhet gefteclt werben, fo lann ich 
baS nur in ber Uebergeugung, bah ein grober Zfye'd ber Arbeit, 
mit welchem bie Schute gegenwärtig ringt, für bie wahren 
Swecfe. beS Unterrichtes oerfehlt ift nnb bah bie neue Velaftnng 
burch eine gröbere ©ntlaftung aufgewogen werben lann. 

©in nicht unbeträchtlicher Xheit ber Anforberungen, Welche 
gegenwärtig an bie ArbeitStraft ber Schüler gefteUt werben, 
fdjeint mir aus ber Anwenbtwg fatfcher ©littel gur Streichung 
ber einmal geftedten 3iete gu entfpringen. 3n einer Slbhanbiung 
über Anlagen unb ©rgieljung ($>eutfd)e Nunbfdjau I, ©. 405 , 
406 ) hot 2a8ler bie Slnfidjt auä ge »rochen: ber gefammte llm= 
fang ber Kenntniffe, wie ihn ba8 ©hmnafium ober bie Neat* 
fdjule fi<h »orfehe unb auf neun 3ah*e Oertheite, liehe fid) bei 
mähigen Einlagen unb mit nicht gröberer ©tülje, als bem Schüler 
bort gugemuttjet werbe, im britten Xtyde ber 3eit erwerben, 
unb. inSbefonbere bleibe ber Unterricht in ber ©lathetnatil in 
fo geringfügigen Anfängen fteden, bah Alles, wag baS ©hm: 
nafium h'etin währenb eines fiebenjährigen Unterrichts biete, 
einem nid)t unbegabten ©ienfäen in wenigen ÜBochen grünblich 
gelehrt werben lönne. 3»ar fdjeint mir biefeS Urtheit gu lühn 
ju fein, als bah ich barauf päbagpgifcfje ©töne gu bauen wagen 
möchte; fo Oiet aber fürchte auch ich »ich nicht gu oertreten, bah 
baSfetbe ©iah oon können unb SBtffen, »eldjeS bie ©tpnnafien 
unb Nealfcbulert oon ihren Abiturienten forbern, bei einer öoH= 
tomnraeren ©tetljpbe auch °h ne Nachmittagsunterricht unb mit 
einer burdjfdjnitttidj etwa anbertfjalbftünbigen täglichen $auS= 
arbeit erreicht werben lönnte. 

3ch muh »eich barauf bejdjränlen, gut Vegrünbung biefer 
Anficht gWei (ßunlte aus ber feigen Sehrweife herauSgugreifen. 
Vielleicht nicht in allen, aber in ben meiften Anftalten beginnt 
ber Unterricht im Sateinifchen mit bem ©lemoriten oojt Vocabejn, 
bie nach ber erften Declination gehen unb bagu atphabetifd) ge* 
orbnet finb, fo bah h e f><h möglidhft ähnlich fehen, wie aquila 
ber Abler, aqua baS ÄSaffer, ancilla bie ©iagb, alauda bie Serche, 
— bie bagu gum Ztyxl abftracte Vebeutungen hoben unb ben 
Knaben nicht einmal beutfeh belannt finb, wie constantia bie 
AuSbauer, ©tanbljaftigteit, luxuria bie Schwelgerei, Ueppigfeit — 
©apa, waS ift baS, bie Schwelgerei, Ueppigfeit? wirb bann wohl 
gu #aufe gefragt —, lurg mit möglichft fchwer gu erleraenben 
Vocabeln. Nacfjbenx ein gewiffer Vorrath foldjer SBörter fo gu 
fagen in baS ©et)irn unb in bie Seele hineingepreht ift, wirb 
auch überjefct, aber bie Sohl ber Säfcchen ift oft geringer als 
bie ber Votabein, ein grober Xheit biefer lommt gar nicht gur 
Antoenbung. (Uagu ift ber Sinn ber meiften biefer Veifpiele 


ben Knaben mehr ober weniger unoeoftanhlith. ©inige 3oh re 
fpäter wieberholt fich baSfelbe Verfahren im ©riechifdjen. .Noch 
nicht im Stanbe, bie gtiedjifdjen Vudjftaben auf ben erften .©lief 
gu erlennen, müffen bie Unglüdtichen bereits täglich gehn bis 
gwangig SBörter lernen, gegen bie fid) ihre 3unge fträubt, barunter 
gUjfammengefehte, bie ihnen fpäter, nadjbent fie bie Veftanbtheile 
fennen gelernt hoben, fo gu fagen oon fefbft gu eigen werben 
würben, Wie 6 tvepyhtjg ber SBohlthöter, tt] anoutiu bie ©olonie. 
®iefe Quälerei beS ©iemotirenS, welche wenigftenS in ben erften 
SBoihen beS Unterrichtes bie gangen gamilieu in ©Utleibenfchoft 
gu giehen pflegt, holte ich für üöüig überftüffig. 3Ji.it bem gehnten 
Sheite ber Vocabeln, bafür bem gehufÄhen Ueberjehen -Würbe 
beffer für bie oberen ftlaffcn ooxbereitet werben, bie ©ofparnih 
an 3«it unb Anftrengung aber würbe bebeutenb fein, abgefehen 
baoon, bah burch geeignete Sectüre baS 3ntereffe exwedt wirb, 
Währenb jenes plumpe ©lemorirüerfahren mit SBiberwitten gu 
erfüllen pflegt. SBer ben Unterricht im Sateinifchen unb <©rie= 
chifchen nach jener ©iethobe beginnt, wie fie in ben weitoerbreU 
teten UehungSbüchern oon Spieh unb oon Qftermann ihren AuS-- 
btud gefunben hot, lommt mir Oor wie §emanb, ber bie ®reffur 
eines fßferbeS ebter Sdaffe bamit einleitet, bah er baSfelbe ein 
3ahr lang oor ben grachtwagen fpannt. 

Anfichten biefer Art pflegen auf ben ©inmanb gu fto|en, 
baS ©iemoriren bürfe auch ba ben Schülern nicht erfpart »erben, 
wo ber UnterrichtSgwed, auf ben es gunädjft begogen werbe, bieS 
erlaube, benn abgefehen oon allen befonberen Unterrid)tSgmeden 
habe bie Schule bie Aufgabe, baS ©ebächtnih gu üben. AIS ob 
baS ©ebächtnih nicht auch bann noch, wenn bie Schute eS mög; 
tichft gu fdjonen trachtet, ftüubtih geübt würbe, unb als ob eS 
nicht eben fo gut geübt würbe, wenn fid) ihm bie Vocabeln unb 
Siegeln mit $ütfe ber Sectüre unb im engften Anfehtuffe an bie- 
felbe einprägen, als wenn fie in jener SESeife gelernt werben, 
Wel^e bie Senlfraft unb baS 3ntereffe möglichft unbeteiligt läfjt. 
3<h hotte inbeffen nichts bagegen einguwenben, wenn man ben 
Ausfall an ©ebäd)tnihübung, ber bie golge einer anberen ©le: 
thobe beS Sprachunterrichtes fein würbe, in ©ebieten, in welchen 
baS birecte ©iemoriren einen nützlicheren Stoff finbet unb ben 
tebenbigen ©eift mehr in (Bewegung ejefct, foweit wieber auSgleidjen 
Wollte, als eS ohne Ueberbürbung gefhehen lann. ©iit Suft 
pflegen g. V. nicht gar gu träge Knaben ^oragifhe Oben, ®o= 
ptiolleifhe ©höre, ^omerifhe Verfe, auch mohltautenbe unb in= 
hattlih bebeutenbe Stellen aus Nebnern unb ^iftorifern, beutfhe 
unb frangöfifhe ©ebichte, baS $erg unb ©emüth ergreifeitbe geift- 
liche Sieber unb $fotmen gu lernen, unb bah folget ©ebächtnih' 
befifc oon SBerth ift für baS gange Seben, wirb Niemanb in 
Abrebe fteüen, ber fich bie greube an bem eblen AuSbrndc ebter 
©ebanlen unb ©mpftnbungen bewahrt hat. 

5)er gweite ©untt, beffen ich gebenlen wollte, betrifft ben 
3ufammenhang beS Unterrichtes im Rechnen unb beSjenigen in 
ber ©iathematif. 3» Allgemeinen wirb jefct, wenn ich nicht 
irre, ber Nechenunterricht in ben brei unteren fötaffen, ber mathe= 
matifhe in ben brei oberen ber höhnen Schulen erteilt. 3n 
einigen Anftalten werben in ber Quarta beibe gädjer neben 
einanbet unb unabhängig oon einanber gelehrt. ®a nun ber 
eine 3»eig ber ©tathematil, bie Arithmetif, nichts AnbereS ift 
als bie miffenfdjafttich geftaltete Iheorie ber Nechenlunft, bie 
ihrer eigentümlichen Natur na^ gugteich eine ununterbrochene 
fßrariS beS NechnenS, nur oormiegenb nicht in beftimmten Sohlen, 
ift, fo ift es eine felbftüerftänblit« gorberung, bah ber elemew 
tare, ber fogenannte praltifche’ Ne^enunterricht, wie er in ben 
unteren, unb ber arithmetifche, wie et in ben oberen Klaffen er= 
theilt wirb, in ben innigften 3ufamwenhang gefept werben, in 
ber ©Seife, bah int Nechenunterrichte burdjmeg baS arithmetifche 
unb nebenbei, mogu fit manche ©elegenheit bietet, auch baS 
geometrifche Verftänbnih üorbereitet wirb nnb bah ber arithme¬ 
tifche fid) fahlich macht unb feine praltifche Vebeutung gum Ve^ 
wuhtfein bringt burch Anwenbung arithmetifcher ©efe^e unb 
Operationen auf Aufgaben in beftimmten 3 a hfen, bie bem ptafti- 
fchen Seben entnommen ftnb, Aufgaben, wie fie (ich in ben fo- 
genannten prattifihen Nechenbüd)ern finben. Kurg, es ift eine 


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116 


9ie <S> egen wart 


Nr. 34 


felbftt>erftänbtic^e gorberung, baff baS prattifd)e {Rechnen unb bie 
Slrithmetil als ein «nb berfelbe UnterridjtSgegenftanb burch alle 
Klaffen Ijinbutdj ben ©Gütern bargeftedt unb wirtlich befjanbelt 
werbe, jo wie fidj ber Sprachunterricht in ben unteren unb in 
ben oberen klaffen als berfelbe Unterricht auf oerfdjiebenen Stufen 
gibt. 3d) jWeifle nicht, bah jeber tüchtige Siebter ber ÜJiathe* 
mati! in ber Dhat nach biefer ÜRajime »erfährt, obwohl meines 
©rachtenS barm im Slßgemeinen bei weitem noch nicht genug ge= 
flieht, Dagegen im {Rechenunterrichte, fürchte ich, wirb mehr 
barauf ^ingcarbeitet, bie mathematifche Slnlage beS ©djülerS 
nieberjubrüden, als fie ju entwideln. Sßerben boch Knaben, bie 
bereits tateinifdje ©chriftftefler lefen unb griechifdj conjugiren, 
in ähnlicher SBeife baju angeleitet, gewiffe Sa^leno^evationcn auS= 
jufüljren, wie bie Papageien jum ©preßen, gür jebe Slrt »on 
Aufgaben Wirb ihnen ein befonbcreS ©eljeimnih, ein unfehlbares 
3aubermittel anoertraut; fie wiffen nicht, wie eS jugeht, aber 
fie glauben bem Sehter, bah, wenn fie baS SDtittel io anwenbeit, 
wie er eS ihnen oorgemacht hat, .SlfleS richtig tierauSforrcntt. 
Unb fo lange biefelben {Rechenbücher, bie für bie nieberen Schulen 
»erfafjt finb, für welche bie Slrithmetil nicht ejiftirt, unb bie 
fo ju fagen ein Surrogat für bie Slrithmetil ju bieten beabfidi= 
tigen, auch in ben ©pmnafien, ben {Realfdjulen erfter Drbnung 
unb ben ©ewerbefdjulen bem Unterrichte ju ©runbe gelegt wer= 
ben, ift eS auch nicht anberS möglich- Denn bie lebten Dljeile 
biefer Sücher, bie in ber Quarta burchgenommen werben, ent= 
halten jurn großen 2t)eile Slufgaben, welche mit »ernünftiger 
Ueberlegung unb mit ber ©inficht, bah baS SRefuttat benfnoth= 
wenbig richtig fei, nur bet bereits in ber Slrithmetil über bie 
erften ffilemente gortgejchrittene löfen tann. 

(Sdlluft folflt.) 


oSiteratitt ttitb 
ttHbtirang.*) 

5Bon fjans Ejopfen. 

DaS erfte Such, baS ohne Dich entftanb, 

DaS erfte Such, baS nicht in Deiner $anb 
©eruht^ baS nicht Dein fidjrer Stid, Slugufte, 
©eweiht, lang eh’ ein Dritter barum muhte! 

Die ©rbe bedt bie Heine traute §anb, 

Die erft ber Dob ber meinigen entwanb; 

DaS Stuge, baS in Seibenfdjaft unb {Ruh’ 

Sin meinem hing, bie ©rbe bedt es ju. 

Sich, SDtonbe roedjfeln, Sah» »ergeht um galjr, 

Die ©ehnfucht bleibt biefetbe, bie fie war. 

SlU, was ich hat»’ «nb gelte, tann unb bin, 
gür einen Dag gäb’ ich c8 gerne h™/ 
gür einen Dag, wie wir jwölf 3aljre Ratten, 
gür Deiner Stimme Klang, für Deinen ©chatten. 
SBühf ich n«r, wo Dein ©chatten ju umfangen, 

3$ wäre lange fchon ihm naihgegangen. 

3d) weih eS nicht ... unb hob’ fo manche Stacht 
Sin meiner Kinber Sette nachgebacht 
Unb meine Qual ertannt unb meine SfUdjt, 

Unb hab’S erprobt, nicht wahr ift’S, wenn fie fagen, 


*) SRit biefern ©ebichte, baS §anS §opfen an jeine eble, »or anbcrt- 
Ijalb Qahren ju 3iom in »oller Qugenbblütlje bapingeraffte grau ge¬ 
richtet hat, wirb baS neuejte SBert beS ausgezeichneten DidpetS eröffnet: 
„Die ©efcbidjten beS ffltajorS" (Der »ertorene Santerab — Die 
SBette ScpabernadS — giinjerlS @Iüd unb ©nbe), bie bemnädjjt im Ser* 
läge »on g. Scfmeiber u. So., Stettin, erjdjeinen werben. 


Die Seit »erring’re groben ©ramS ©ewicht. 

28ir lernen mit bet Seit nur eben tragen. 

SBir werben unS nur heutiger bcWufjt, 
Unwieberbringlich bleibe bet Serluft. 

Denn SlnfangS ba fie War »on mir genommen, 
Steint’ ich, fie müffe, müffe wiebertommen. 

{Run weih i<h’S lange, nimmer lehrt jurüd, 

SBaS einft fo treu mir mar, mein blonbeS ©lüd, 

Stie mehr tritt neben mir ben gleichen ^fab 
Stein tluger, tapfrer SebenSlamerab! 

Doch nicht umfonft bift Du mit mir gegangen, 

3d> hab’ fo »iel »on Dir in ßieb’ empfangen, 

Dah, was ich thun mag, waS ich laff’ unb Wähle, 
SOtir blieb ein Duft »on Deiner frönen ©eele. 
Durdjträntt »on Deinem Sinn unb Deinem Sieben 
3ft all mein Denlen unb mein ©ein geblieben. 

Sei SHlem, was gefdjieht, frag’ ich in» ©eift, 

Ob, ©ufti, Du mit mir jufrieben feift. 

SSir irren Sill’ im Seben wie im Dichten, 

Stach unfrem Können nur foH man uns richten. 

SEBaS immer ich getonnt, gewollt, gemuht, 

Kein SRenfch h°t es fo gut wie Du gemuht. 

Stach Slnbreu fragt’ ich wenig unb mein Spiel 
©alt mir gelungen, wenn eS Dir gefiel. 

{Run tann ich niefjt mehr hingehn unb Dich fragen 
Unb boch h e ifel’® weiter leben, fdjaffen, wagen! ... 
SBohlanl 3<h will! Son Steuern fe|’ ich ein. 

Doch Wie’S auch fallen mag, ich bente Dein! 

Unb auf Dein ©rab, wo unter SlhornS ©rün 
Son meinem Slug’ bethaute Slumen blühn, 

Seg’ ich, geliebtes SBeib, mit treuer #anb 
Dies erfte Such, baS ohne Dich entftanb. 

16 . 7 . 79 . 


Die internationale ütunftanofteUnng ?n Ülönthen 1879. 


. i. 


Der Serfaffer biefeS SeridjtS muh i“ eigener ©rleichterung 
»orweg geftehen, bah er feit fahren mit immer fchwerer wie* 
genben Scbenten an bie Sefprediung »on Silbern unb SluS* 
fteüungen hinantritt. Sticht etwa, bah eS ihn ber armen ge* 
banlenlofen Kunft gar fo fel)r jammerte, bie fich bei feinen ge* 
ftrengen Kollegen immer tiefer in übete {Rathrebe bringt, fonbern 
»ieltnehr, weil ihm ber SBertlj aßet titerarifdjen Kritil über 
Kunftwerte immer problematifcher ju werben anfängt. 

SBer im Sntereffe beS jßublicumS junächft über einzelne 
neue Seiftungen ber SOtalerei u. f. w. öffentlich urteilt, lann 
mit folcher DageStritil nicht Wohl ben 3Wed »etbinben, hifto- 
rifche ober cultur^iftorifd»e SRanipulationen mit ben fraglichen 
Kunftwerlen .»orjunehmen; benn baS hi*6 e biefelben — unb 
auherbem recht »or ber 3c»* — fremben, nämlich Wiffenfchaft= 
liehen 3weden nu|bar machen woüen. Sielmehr hätte eine ber= 
artige Kritil (wenn fie nicht ganj bornirt ift unb ber Kunft 
neue SSege »orfdjreiben miß) ihre ©jiftenjberechtigung aus bem 
Sorwanb herjuieiten, bah fte ben lebenbigen Hinftterifchen 3n= 
halt ber in SRebe ftehenben S33erle einem gröberen fßublicum 
aufweife unb »erftänblich mache. 9tun aber fcheint eS leibet 
reiht gewih, bah ber ©rlenntnih beS einjig wefentlichen lünft= 
lerif^en SebenSneröS in einem Kunftwerl, burch philofophifch« 
ober äfthetijche 3«rlegung burchauS nicht beijulommen ift. DaS 
Seben »erfliegt bem fudjenben Slnatomen aßemat in bem Slugen= 
blid, wo er eS haben mühte, wenn eS ju haben wäre, ©benfo 
ift bie äfthetifche ober phitofophifdje Definition ber Dob beS 


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Nr. 34. 


9it ©egenwart 


117 


Äunftwerf«, wenig ften« für ben Sioifector unb feine 3«pörer. 
3ene inbiöibuede widenöfräftige Anfcpauung, welche allen fünft= 
lerifcpen ©eftattungen als ba« einjig piept Unterfcpeibeitbe unb 
Oualificirenbe p ©runbe liegt, will non jebem Sefcpauer ein= 
jeln (iebeooü ertannt unb nacpempfunben werben. SBie fod ba 
bic Äritif e« anfteden, ba« in SBorten Unbarfteübare auch nur 
bem gläubigften iprer £>örer beutticp p machen? SBa« !ann 
ber Äritifer eigentlich mehr al« anbere lönftlerifch feinfühlige 
Afenfdjen, ba« peiht „gut" ober ,Schlecht" fagen unb fich bnfür 
immer wieber auf feine ©mpfinbung berufen? 

Unb follte man nicht oiefleicpt in biefet Salamitüt noch 
gar feinem ©ott banfen, baff ba« Sefte in ber Äunft trop aller 
fritifdjen Sietorten unb togifchen Secirmeffer nicht für ben Ader; 
roelt«oerftanb befinirbar unb präparirbar ift? 

SBo e« fich aber nicht einmal um folcpe ehrenwerthe, Wenn 
auch oerlotene Siebe«müh, ^anbelt, ift e« mit bet Silber fritit 
erft recht ein jiemlicp öerbäcptige« Ding. Sinmal fommt e« 
babei auf Sectionen be« äftpetifcpen Scpulmeifter« ober Uebun* 
gen feiner Schuljungen perau«, alfo auf bie Anwenbung tobter 
2S?e auf bie luftig üorwärt« lebenbe Äunft; ba« anbere SRal 
ift e« nicht« weiter al« ein Ißrobuciren be« eigenen lieben 3<p3: 
fo geiftreicp bin ich, ba« unb ba« ift mir bei ber unb ber 
ftumnter eingefallen, alfo ein ©eiftreicptpun, welche« bie Sache 
gar nicht einmal treffen miß; ba« näcpfte 2Rat wirb au« ber 
Äritif jene« Aufmupen Oon Äleinigfeiten, jene« armfelige fünfte 
fennerhafte Slörgetn an adern möglichen Unwefentlichen, welche« 
nicht einmal oon ber panbwerfUcpen Darftedung eine« Äunft: 
werfe« fiep Stedjenfcpaft geben fann unb oon bem Sorpanbenfein 
eine« lebten belebenben Inhalt« im Äunftwerf natürlirf) feine 
ftpnung ^at, alfo im Sieben oon Siebenfachen, welche« benen, 
benen e« nüpen wid, fdjabet, nämlicp bem Zünftler unb bem 
publicum. Ober aber e« gibt ein Schmähen oon aüerlei Stanb= 
punften au«, bie noch oiet weniger mit ber Sun ft p thun 
haben, oom nooeßifiifchen, moralifcpen u. f. w. SRandpmal auch 
fommt ba« SRegifter be« tedjnifcpen SBiffen« an bie Steipe, worin 
man natürlich oon jebem, auch talentlofeften Fachmann 
überholt wirb; ober man rebet oon bem, rna« Semanb fich bei 
irgenb einem SBerf gebacht paben Wid ober wa« ein Anberer 
fich babei benfen fönnte, wa« barau« perauöplefen wäre, wop 
man angeregt Würbe u. f. w. 

Steiben noch bie allgemeinen Staifonnement«, bie gelegene 
lieh oon Silbern unb Au«ftettungen — wie Figura jeigt — 
lo«gelaffen p Werben pflegen. Aber ba«, um wa« auch fie 
wieber pmeift (ich bemühen, ba« 216= unb (Sinfcpäpen ber perr= 
fdjenben Äunftricptungen für funft = ober fulturpiftorifcpe 3'oecfe, 
würbe fich Wieberum in ben $änben ber Slachwett al« frucht= 
barer erweifen. Sie läuft nicht, wie ber SRitfebenbe, ©efapr, 
beim Urtpeiien bie eigenen Seichbörner mitreben }u taffen. Statt 
bejfen geriet fich bie Äunftfritif — wenn fie pfädig ba« ©ra« 
nicht wachfen hört — mit Sorliebe al« Dberoormunbfchaft be« 
3ehgeifte«, fühlt ihm unb ber Äunft ben fßut«, fommt oor 
lauter ungebührlichen piftorifepen Abwägungen nicht pm ©enuh 
be« Sorpanbenen, wirb abwecpfelnb hochmütig unb peulmeierifcp 
unb treibt auf ade 3äde ein für bie fjörberung ber fßrobuction 
gänjlicp fterite« ©efchäft. 

Dap fommt, bah bie Äunft fepreibbebürftigen Äritifern 
nicht einmal ben ©efaden thut, oon einer ber immer häufiger 
wetbenben Au«ftedungen pr anbern in immer neue Spafen 
einjutreten. Sielmehr h a rtbelt e« fich fo jiemlicp immer wieber 
um biefelben Silber unb gewifj um bie gleiten Seute. 

SBenn man nun tropbem unb bei ad biefen Sebenfen feit 
ber SBiener SBeltauäftedung beiläufig ein h a lbe§ Dupenb Ser= 
fuche in fo ziemlich aden angebeuteten Slichtungen auf bem ©e= 
toiffen pat, fo fönnte man — bei einiger Selbftacptung — 
wohl hi» unb wieber glauben, bah man mehr al« genug über 
ba« gerebet ^abe, Wa« in fo furjer Spanne 3rit Sleue« in ber 
SRalerei p Sage getreten fei. 

Um fo mehr, wenn man ber SReinung ift, bajj ben SRalern 
jehon fo wie fo in unferen fritifchen Journalen unb Seuideton« 
unoerpältnihmähig ber $of gemacht wirb. Speicher Slaum unb 


welche Aufmerffamfeit wirb nicht peute neuen Silbern gewibmet 
unb wie wenig Serftänbnifj unb wirtliche« 3ntereffe oon Seiten 
fowopt be« Sßublicum« wie ber Äritif ftept bem gegenüber! 
SJlan oerfteht nicht leicht, wie immer wieber über jebe« annehm¬ 
bare neuauögeftedte Silb getrieben werben fann, al« wäre 
bamit eine Dpat gethan, ein ©reignifj gefepepen. 

Unb ba« Sublicum wirb nicht gerabe ba« funftoerftänbigfte 
fein, welche« immer wieber bergleicpen lieft ober gar oerfangt. 
Die Äritif über literarifche Sleuigfeiten fann fich boch an bie 
Sacpfunbigen wenben, bie fie ficher ift, unter ihren Sefern ju 
finben. Die fünftlerifche bagegen muh fich (uub nicht mit Un-- 
recht) oon folchen — unter benen ich adetbing« in erfter Sinie 
nur Äünftler oerftetje — über bie Achfeln anfeljen taffen unb 
für Sleugierige ober Au«ftedung«befu<her fchreiben, bie taufenb 
Silber anf einen Dag oerfchtingen. Sie rebet p einem fßubli* 
cum, welche« ba« Sefprochene entweber gar nicht ober mit ganj 
anberen Augen unb ^ntereffen fieht, wie p wünfehen wäre. 

Wenigen wenigften« im beutfepen Sublicum (man fann 
barauf nicht oft genug prüeffommen) fädt e« ein, bah ber Se= 
fepauer eine« Äunftwerf« fiep in ben Schöpfer be«felben, b. h- i« 
ben eigenartig Anfchauenben unb nach Darftedung feiner Sr= 
fenntnih Strebenben piueinparbeiten pabe. Sei Scpider poute 
unb bei ©oetpe morgen pält ba« 3«öet längft für feine Scpul= 
bigfeit. SBenn 3emanb ein Scpider’f^e« ©ebi^t nic^t oerftept, 
ober gar ein ©oetpe’fcpe«, fo pefen bie oberen 3epntaufenb bie 
Acpfeln über ben ungebilbeten SRenfcpen. 3n Sepg auf bie 
bilbenbe Äunft, einem Äunftwerf gegenüber, erfepeint un« ba« 
Sarbarentpum bagegen oödig gerechtfertigt. Äein ©ebitbeter in 
Deutfcplanb empfinbet biefen SRangel an ftep unb Anbern mit 
Sefcpämung. ©rnftpafte ©paraftere paben für fo etwa« feinen 
Sinn, feine 3 e it übrig. Die wenigen Sejiepungen, bie unfer 
Sublicum in Äunftwerfen fuept unb liebt, finb peper bem Se; 
fepauer pfädig nape liegenbe unb ipm fonft bequeme Aeuherlicp; 
feiten ober widfürlicp hineingetragene Unwiffentlicpfeiten — man 
flebt am Stoff ober fteeft in ber „Sbee". SSBenn jeber Saie 
glaubt, ba« Äunftwerf, welche« er betrachten muh, bem 
Äreife feiner Sntereffen perau« beurtpeilen p bürfen, fb ift ba« 
menftplich, aber feptieht leiber jebe« Dalent für fünftlerifcpe An= 
eignung faft oon oornperein au«. Denn ber jebem Silbe p 
©runbe liegenbe fünftlerifcpe SBide pm Seben muh oerlangen, 
bah wan ipm Oon feinem Stanbpunft au« gerecht werbe. 

SBenn ber Serfaffer trop oder biefer Selbfteinwänbe fiep 
benttoep ber SPitpt bet Sericpterftattung über bie peurige 
SRüncpener Au«ftedung niept entjogen pat, fo gefepap ba« au« 
wenigen einfachen ©riinben, bie ipm fcpliehticp überjeugenber 
fepienen, al« Ade« wa« er bagegen p fagen patte. 3unäcpft 
ftanb aden biefen Sinwänben bie ©rwägung gegenüber, bah 
eine Sefprecpung, wenn fie auep ba« eigentlich SBünfcpenöWertpe 
niept erteilen fann, boep beöpalb niept ganj nuplop für Äunft 
unb Sublicum p fein braucht. SRancpe« ift benn boep jwifepen 
Äünftler unb fßublicum p oermitteln, unb biefe Sermittelung 
erfepeint, namentlich einem gröberen fßubticum gegenüber, nur 
auf biefem SBege möglich. Anftatt immer oon ber unerreichten 
Scpönpeit, bem 3beat unb ber Sfbee p reben, unter benen fiep 
Sfeber etwa« Anbere« (unb SRancper gar niept«) benft, befonber« 
ein SRaler unb ein Scpriftfteder, ein Äritifer unb ein Autor, 
ftatt beffen fönnte man oiedeiept pr Abwecpfelung unb mit 
einigem Slupen Oon 3ebermann fahbaren, in biefer 3«it be« 
Sudpen« pnäcpft tpeil« notpwenbigen, tpeii« natürlichen Dingen 
fiep unterpatten: oon bem mannicpfaltigen Streben nach Setbft= 
ftänbigfeit unb SBaprpaftigfeit, oon bem Socferetwerben ber Sdjul= 
jöpfe, oon ber groben funbamentalen ©ewiffenpaftigfeit unb Soli= 
bität ber Stnen, oon bem flunferpaften ©eiftreiepfeinwoden ber 
Anbern, oon ber ftarfen einfadpen Staturempfinbung unb Au8= 
brucföfäpigfeit ber Dritten unb wa« noep fonft an ber bunten 
SRenge ber SRobernen befonber« auffädt. 

ferner erinnert ba« gefcploffene unb woplüberlegte Auftreten 
ber Sranpfen in SRüncpen 3eben, ber bi«per bei geringeren 
Antäffen mitgefproepen pat, baran, bah gerabe biefe Au«ftedung 
fcpwerlicp ber richtige SRoment fei, um feinen Sampeln naepps 


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118 


31 i t (STe g e u iti a r t. 


Nr. 34. 


geben unb mit Sßmeigen anjufangen. Unb fd^tiegltdi erfcf>eint 
biefe großartige unb Oietangefeinbete Auäfteltung — auß ganj 
abgefeßen oon bem Seltenen maä fie bietet — fßon maä 3bee, 
Drganifation, Snfcetiirung unb Denbenj anlangt, atä eine Seiftung, 
beren ©ejpreßung oon ben oerfßiebenften Seiten nic^t nur atä 
jutäffig, fonbern atä bitect mfinfßenämertß erfßeinen muß. 

Unb fomit ßellt fiß 1 Wer Serfaffer alten benen, bie naß 
biefer ßößft fubjectioen (Einleitung noß Suft baju ßaben, ju 
einem furjen orientirettben ©ang burß bie nunmeßr ooQenbeten 
s Jtu8ftettungäräUme beä SRfinßener ©taäpatafteä jur Verfügung. 

CSafiao ^tcerfe. 


Ute Familie Cairoli. 

©or furjem etfß’ien in Steapel bei Detfen ein Weineä 
©uß, La Pamiglia Cairoli, melßeä unä in ber ©efßißte ber 
gamitie ©airoti jugteiß eine gälte intereffanter SIRittßeitungen 
auä ben beioegten Sampf eätagen gibt, in benen bie (Einheit 
3talienä errungen toärbe. Saum eine gamitie gtatienä ßat, 
abgefeßen oon ber ©aribalbiä, tßättgeren Antßeit an ber für baä 
Seben beä itatienifßen ©otfeä fo fotgereißen ©emegung genommen, 
atä bie ber ©airoti, beren jeßigeä Dberßaupt oor furjer Seit 
jum jmeiten SRal'alä tßremierminlfter feincä ©aterlanbeä berufen 
mürbe. Daä Keine fßtißte ©uß erjüßtt unä eine maßre, ßeroifße 
©efßißte, metße in Stalien fetbft menig, im Auätanbc fo gut mie 
gar nißt betannt fein bürfte. Sä fßitbert unä ben fpäteren SKinifter^ 
präfibentcn ©airoti nißt atä Diplomaten, fonbern atä ©ari= 
balbianer, atä ©atertanbäfümpfer. Sä erjüßtt unä, baß ©enebetto 
©airoti benfetben ^etbenmutß unb biefelbe ©eifteägegenmart, 
metße er auß bei ©etegenßeit beä ©affanante’fßen Attentatä 
an ben Dag legte, in jaßtreißen Sümpfen bemiefen unb erprobt 
ßat, baß' er auä einer maßren $elbenfamilie ftammt, beren 
fämmtticße fünf' Sößne für bie nationale Säße ftritten unb 
bluteten, tRißt rneit ßat ber anonßme Serfaffer auägeßott; nicßt 
biä über Jben ©ater beä SRinifterprüfibenten ßinauä oerfotgt er 
ben Stammbaum beä ®ef<ßte<ßtä, rtelßeä bet'Spßüre beä SRittet« 
ftanbeä angeßört. Der ©ater, ©arlo ©airoti, ftammte auä ©aoia 
unb mar ein gefügter, menfßenfreunbtißer Arjt, mit Seib unb 
Seefe Patriot, ben Deftreißern lange oor ber itatienifcßen ®ßtlb= 
erßebung Oerbäcßtig. SReßr noß atä er fßeint bie ÜJlutter, Abelaibe 
©ono, auf bie SRißhutg ber fünf ©rüber eingemirft ju ßaben. 
tDtan erjüßtt oon ißr, fie ßabe bei ber tRaßrißt, baß ©nricßetta 
©aftigtione, bie belannte Patriotin, im ©efängniß ju ©enebig 
ißren Seiben erlegen fei, ißre beiben ätteften, bamatä' jroei= unb 
breijüßtigen Sößhe ©enebetto unb ©rnefto leibenfßafttiß an fuß 
gebrüdt unb baä ßeittge ®etübbe getßan, fie im |»aß gegen bie 
fremben Unterbrüder ju etjießen. Sie ßat ißr ©etübbe geßatten, 
unb autß bie fpäter geborenen Sößne Suigi, ©nrico unb @io= 
Oanni ftüb in benfetben Anfßauungen aufgemaßfen. Der füngfte 
mürbe 1841 geboren. 

Der Serfaffer fcßitbert im ©ingange beä ©ußeä bie ©üßrung, 
metße namentließ ooft 1846 an im ©otte arbeitete, ©r erinnert 
baran, mie baä erfte @ebet ©iuä IX.: „@ott fegne Qtatienl" 
mie ein jünbenber gnnle in bie ®eifter eingefßlagen, mie ein 
©atriöt ju einem engtifßen SReifenben geäußert ßabe: „3ß mottte, 
bie Deftreicßer gäben jeben Dag iebem meiner äRitbürger unb 
mir fetfcft ßunbert Stodfdßtäge: baä mürbe baä einzige ©littet 
fein; einen allgemeinen Aufftanb ßerbeijufüßren." 2Sie meit bie 
im gotgenben gegen bie Deftreicßer etßobene Auflage, fie ßätten 
fünfttiß Weine Sramalte arrangirt, begtünbet ift, ßaben mir ßier 
nicßt ju unterfueßen, nur fo biet fei bemerft, baß bieä bie einjige 
Stelle in bent oortiegenben ©uß ift, metße ben ffierbaßt 
tenbenjiöfer gürbung erregen fönnte. 3m Uebrigen gibt eä 
einfaße Dßatfacßen unb jmar Dßatfircßen oont größten 3ntereffe. 
2ttä bie ©eootution in ©atermo auäbracß, fam aueß ©emegung 
in bie oberitatienifdßfe 3 u 8 en ^» «in öftreießifeßer Dfßjier in 
probocirenbet ©Seife mit ber brennenben ©igarre an einem ßeießen; 
conbuct obrüberghtg, erfolgte ein dufammenftoß jmifeßen Stubenten 
unb SRilitär. ©ine Änjaßt 1 ©erßaftungett mürben oorgenommen. 


©enebetto ©airoti entjog ßcß einer foteßen buteß bie gtueßt 
inä ©iemontefifeße. 2ttä Sari Sttbert oon Sarbinien 1848 ben 
Deftreicßern ben Srieg erWörte, trat et inä $eer ein unb foßt 
mit fotßer Stuäjeißnung in jenem fo ungtüdtießen getbjuge, baß 
er troß feiner 3ugenb biä junt ©apitain aoancirte. 3ttä bie 
Deßreißer, toeteße fiß biä in baä geftungäoiered jurüdgejogen 
ßatten, naß ©aOia jurüdteßrten, mußten oiete ©atrioten auä= 
manbern: Die gamitie ©airoti fiebette naß ©ropetto in ©iemont 
über. Bit ber potitifßen ©ebrängniß gefeilte ßß noß bie 
ßäuätiße. Der ©ater ©airoti ertrantte tebenägefäßrliß. Son 
feinem Srantenbette auä ßörte er ben Sanonenbonner oon ©ooara. 
Die Sunbe Oon betn ungtüdtißen Stuägange ber Sßtaßt, auf 
bie er feine ganje Hoffnung gefeßt ßatte, toarf ißn gänjtiß nieber; 
er füßtte fein ©nbe ßerannaßen. ©r münfßte noß einmal feine 
©aterftabt ©aoia ju feßen unb eä mürbe auß bie ©eneßmigung 
baju beim ©tarfßall oon ?tfpern ermirtt, allein er mar fßon ju 
fßmaß. ©r ftarb rnenige Dage batauf in ©ropetto unb marb 
in ber Weinen Sapette feineä §aufeä begraben. 

Son 1849 biä 1859 betßeitigten fiß bie beiben ötteßen 
©rüber tebßaft an ber oon Sftajjini inä Seben gerufenen ©e= 
megung. Sie leiteten baä ©omitä oon ©aoia unb forgten fetbft 
naßbem fie oerbannt toaren für bie Slufreßterßattung ber ©e= 
jießungen beä ©oiniteä oon ©enua mit bem oon ©aoia. Der 
jüngere, ©rnefto, toetßer jurüdgeleßrt mar, jog fiß burß feine 
potitifßen ©ianifeftationen eine oierjeßntägige fiaft ju. 

2flä ©aribatbi 1859 feine Sttpenjägerregimenter bitbete, 
geßörten bie beiben 1 ©airoti ju ben ©rften, roetße eintraten, 
©enebetto, toelßer fßon oor jeßn 3<ß«n ©apitain gemefen 
mar, ließ fiß oßne 39gern atä gemeiner Solbat einftelten. Der 
britte ©ruber, Suigi, ein tüßtiger auf ber Sriegäfßule ju 
Dorca gebitbeter SRatßematifer, trat in bie Sinie ein. Der oierte 
©ruber, ©nrico, mar juerft atä SBerber in ber Sombarbei 
tßatig; fobatb aber ber Srieg rnirWiß auäbraß, folgte er 
feinen Stübern unb mürbe ©aribatbianer. Der fünfte ©ruber, 
©iooanni, tonnte feine Ungebutb unb feinen ©atriotiämuä fo 
menig oerßeßlen, baß er fiß batb eine ©efängnißftrafe jujog. 
9taß feiner Sefreiung trat er fofort in bie Strtitteriefßute ju 
Durin ein. 

Slm 25. ©tärj ßatte ©aribatbi burß einen äßntißen £anb* 
ftreiß, mie ißn griebriß ber ©roße in Sißa auäfüßrte, bie @e= 
faßung Oon ©arefe überrumpelt. 8ttä bie Deftreißer unter Urban 
jum ©ntfaß ber Stabt ßeranrüdten, metße fiß jmei Dage lang 
einem maßten Daümet patriotifßer greube ßingegeben ßatte, er= 
rißtete man in alter ©ite eine ©arrifabe ju ©tumo inferiore 
auf ber Straße naß ©omo. ©in ßeftiger Sampf entfpann fiß 
ßier. Dbgteiß ©rnefto ßairoli biä jur ©rfßöpfung an ber . 
©arrifabe gearbeitet ßatte, mar er boß immer ber Sorberfte im 
Santpfe. @r unb fein ©ruber ©nrico leiteten baä Dreffen. 
Dbgteiß bie Deftreißer etmaä Artillerie, bie Staliener nur ißre 
©ajonette ßatten, tonnten bie teßteren boß batb auä ber Defen= 
fioe ßerauägeßen. ©rnefto, toelßer immer ber ©orberfte mar, 
mürbe oon jmei Sugetn getroffen. SRit bem Stufe: „®ä lebe 
3talien!" fanf er fterbenb in bie Arme feineä ©ruberä. Diefet 
brüdte einen Suß auf baä erbteißenbe Anttiß beä Sterbenben, 
ben jmei Sameraben auä bem ©etümmet trugen unb ftürjte 
bann, oßne eine Dßräne ju oergießen unb oßne beu Sßmerj 
um ben ©ertuft burß eine SRiene ju oerratßen, oon Steuern in 
ben Sampf, ber naß brei ßeißen Stunben mit ber glußt ber 
Deftreißer enbete. Stoß ift baä Deftament oorßanben, metßeä 
©rnefto mie in einer ©oraßnung feineä Dobeä oerfaßt ßatte. 
Daäfetbe beftimmt ben Stießbrauß feineä ©ermögenä feiner 
ÜRutter, metße gebeten roitb, feinen ©tübern unb einigen anbern 
©erfonen Weine Segate auäjujaßten. An alte ßatte er gebaßt, 
teiner auä ber Dienerfßaft mar bergeffen. ©inem armen ißm 
befreunbeten totaler oermaßte er in jarter SBeife 1800 Sire, 
mofür er ein ©itb für bie Sunftfßute ju ©aoia malen fottte, 
baä einen patriotifßen ©egenftanb barfteöte. Die testen SBorte 
biefeä ßarafteriftifßen Deftamentä ftnb Segenämünfße für baä 
„ßeitige unb unabßüngige gtatien". 

Staß bem gtiebeu oon ©ittafrcrtica feßrten bie brei älteren 

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Nr. 34. 


ülir ©egrttwnrt. 


119 


Stüber ins ©riöatleben jutüd; Snrico fefete feine mcbicinifcßen 
Stubien fort, Suigi, ber feine Steigung jnm ©erufsfolbaten hatte, 
lebte feinen poetifcßen unb funftgefd)icf)ttid)en Arbeiten, ©enebetto 
war baS §aupt ber gamilie. 

211$ ßdj ein gaßr fpäter ©aribatbi nach Sicilien einfcßißte, 
uw Jenen merfwürbigen 3ug Z u unternehmen, ber mit ber Sr= 
obetung be$ Königreichs ©eapcl enbete, ft eilte ©aoia baS ftärffte 
Kontingent an gteiwidigen; 170 ©tann erfdjienen unter ©ene« 
betto Sairolis Rührung in Quarto, too baS Meine §eer,_ faum 
rne^r als 1000 ©tarnt mit nur 4 ©efcßüßen, auf zwei Dampfern 
auSfußr, um burch bie an aden Küften freujenben feinblichen 
SriegSfdjiße ßinburdj ben Seg nach ©icilien ju fuchen unb ein 
ganzes Königreich anzugreifen. Xie Sdjilberung ber Kämpfe 
auf Sicilien unb in Unteritalien, mo bie ©aribalbianer bie leb* 
hafteten Sympathien unb fräftige Unterftüßung fanben, gehört 
ju ben fcßönften Partien ber fleinen Schrift, ©ei Satalaßmi 
war ber erfte 3ufamraenftoß. Xie, Königlichen oerfcßoßen Diel 
©uloer ,au$ unfchäbtidjer gerne, ©aribalbi erwartete fie rußig 
auf bem ©rafe fifcenb. Sobalb fie in Schußweite tarnen, fprang 
er in ben Sattel unb rief: „©ormärtö, meine jungen, jum 
Safonettangriff!" Snrico Sairoli warf fich mit oier Kameraben 
auf ein ©efcßüß unb eroberte eS. Stach einigen Stunben Waren 
bie Oiertaujenb ©ourbonifcßen geworfen. X>ie Seute oon ©aüia 
unter ©enebetto Sairoli hotten, fich f° glänjenb ausgezeichnet, 
baß ©aribalbi ihnen eine begeifterte Sobtebe hielt. „SJtit biefer 
ßanboott gelben," fagte er, „will ich bis ans Snbe ber Seit 
gehen." Seibe Sairoli, bie wie ßöwen gefochten hotten, würben 
oerwunbct, Snrico befam einen Kopffchuß, boch gelang eS, bie 
Kugel ßerauSzuzießen, ©enebetto würbe am Scßenfel oerwunbet 
unb noch je|t h Q t ber nachmalige ©tinißerpräßbent an ben 
golgett biefer ©erwunbung ju leiben. Slbelaibe, bie ©tutter 
biefer helbenmüthigen greißeitSfämpfer, woßnte noch > n ©ropedo; 
wie Kornelia fe|te ße ihren ßödjften Stolj batein, ju erzählen, 
waö ihre Söhne für bie ficilifcßen ©rüber gethan unb gelitten 
hatten. Sei ber Kunbe öon ber ©erwunbung feiner ©rüber 
hielt eS ben britten, Suigi, nicht länger. Sr riß ß<h aus ben 
lärmen einer fchönen unb liehenSwürbigen ©raut los, bie er in 
wenig Socßen hotte heiraten wollen, um für bie fampfunfähig 
geworbenen ©rüber einzutreten. Sr fodte Heimat, ©tutter unb 
©taut mcßt wieber feßen. 2118 ßieutenant ber Xioißon Sirtori 
Zugetßeilt, focht er mit ünoergleidjtidier Xapferfeit. Jn einer 
an bie grauen Joon ©teffina gerichteten ©roclamation ßedte ®ari= 
balbi bie 2lbelaibe Sairoli als ©tufter ^tn. Suigi, ber, im 
bidjteßen Kugelregen unberwunbet gebliehen war, ßel ber glühenben 
Sonne Kalabriens jum.Dpfer. 8u Sofenja erfranfte er, Jn Sleapel, 
wohin man ißn gebracht hatte, ftarb er am 13. September 1860, 
wäßrettb lauter SiegeSjubel bie Straßen erfüllte. 

$ie ©iemontefen oollenbeten bie Sroberung beS Königreichs 
burch bie Sinnaßme Oon @aeta. 2lber noch War baS SEBerf 
nicßf ganj bodenbet. „9tom ober ber lob!" war baS gelb= 
gefdjrei beS 2(lten oon Saprera. 2118 Saribalbi im Jahre 1862 
feinen Xriumpßzug burch Sicilien .machte, {ah man ß.efS einen 
fernen jungen ©tarnt an feiner Seite, bet burch feinen hohen 
SucfjS pnb feine ©arbe auf ber Stirn 2111er 2lugen auf ßdj zog. 
XaS.war Snrico Sairoli, ber bamalS erft 22 Jahre alt, aber 
burch Öen Srnft feines 2eb?n3 gereift, an Sßaralterfeßigfeit ein 
wahrer ©tann War. Sr hotte auf ben ©tajorgrab in ber Sinie 
oerjichtet, um Slrgt ju werben, wie fein, ©ater. 2lbet auch 
biefen ©eruf ließ er im Stich, um abermals Saribalbi zu folgen. 
Xa fam bie Oerßängnißoode Sjpebition oon 2lSpromonte. 2113 
Saribalbi oerwunbet würbe, bot Snrico feine ganze Snergie auf, 
um bie, XiSciplin in feinem SorpS aufrecht zu erhalten., Srft 
im ©efängniß z u ©arignano oerließ er feinen ©eneral unb 
würbe felbft in einer geftung bei ©ettua internirt. ©adjbern 
bie 2lmneftie erttärt war, ging et nach ©aoia zurücf, baS $erz 
oott bitterer Srinnernngen. • 

Schon baS. Jahr 1866 rief ©enebetto unb Snrico wieber 
unter bie Saßen, ben erfteren als Dbrift, ben zweiten als 
©tajor. ©iooanni, bet baS waffenfähige 2llter auch erreicht 
hatte, trat bei ber Sinie ein. XieSmat erlebte 21belaibe bie 


greube, ade brei gefunb zurüdfeßren zu feßen. 2tber feßou ein 
Jahr fpäter im Dctober regte ßch bet unermübliche Saribalbi, 
um fein 2Serf burch bie Sroberung ©om$ zu frönen. Snrico 
Sairoli war. wieber einer ber Srften, welche für bie neue Sjpe= 
bition thätig waren, ©tit 70 ©efährten brach n öon Santalupo 
auf, um baS unerhörte 2Bageftüi einer, ©ewafßmg unb Jnfut* 
rection ber Patrioten in ber ewigen Stabt auszuführen. $er 
XageSbefeßl, welchen Snrico oor bem 2lbmarf<h oerlaS, oer= 
hehlt feinem ber Senoßen, um welch eine gefahtöoüe, ja oer* 
zweifelte Sache eS ßch h°nble. Sr warnt barin Jeben, ber ßch 
nicht ben äußerßen Strapazen gewachten fühle, umzulehren, weil 
er nur ben Srfolg in grage ßetten fönne. dennoch blieb 
feiner zurücf. 

$)ie fcßlichte Srzäßlung biefeS 8ugeS bet Septante, wie 
man bie Schaar nannte, lieft ß<h wie ein Kapitel aus einem 
^etbengebidjt. 

21m 22. Dctober, heißt eS barin, um 8 Uhr ©torgenS er= 
reichte bie Meine Sruppe bie römißhe ®renze. 2tuf einem ©Sagen 
führte fie 300 ©ewehre mit ßdj. 2lm Ufer beS iiber erwartete 
eine große ©arte unb mehrere Meine ©oote bie Septante unb 
fdjnetl trug, ber Strom ße ihrem Siele zu. Snrico Sairoli faß 
ßupim unb gebanfenooß am ©ug, bie 2lugen auf fflom gerichtet. 
2ln ber ©tünbung beS Xeoerone war eine ©arfe ftationirt, welche 
päßftlfdhe Sachen trug. Diefelben würben entwafßtet.. ©egen 
2, Uhr waren bie ©enoßen am ©onte ©tolle (©onS ©tiloiuS), 
wenig, ©tiglien oon ber ©orta, bei ©opolo. ®ort erwarteten 
fie bie Oerabrebeten 3ei<h«n, geuer, welche in bet Stabt ange= 
Zünbet werben foUten, aber in ber ßemlofen ©egennacht faßen 
ße nichts, nur bie ©locfen hörten ße in ber gerne läuten. ®er 
©lan SairoliS War, bie ©eweßre währenb ber ©acht nach 9tom 
Zn bringen, breißunbert ©ärger, welche am Ufer warten foüteit, 
Zu bewaffnen unb fpforf mit ißnen ben 2lufftanb zu beginnen. 
®ie 70 warteten, Oon bem ftrömenben ©egen bis auf bie $aut 
bureßnäßt. Sie feßieften einen Sdjißer, einen alten ©aribalbianer, 
in bie Stabt; aber berfelbe fam oßne ermutßigenbe Kunbe zurücf. 
Xattn würbe ein füßner junger ©tann an baS römifdje Somite 
abgefanbt; er fam nießt wieber., 2tlS eS tagte mußte man bie 
©arfen oerlaßen. Unter bem ©tonte ©atioli, auf bem linfen 
Xiberufet, fanb fieß eine fumpßge Stelle, bottbin nahmen fie 
ißre Sußußß. 2118 ße bie ©egenb unbefeßt fanben, erßiegen 
ße ben ©erg. 2>ie britte Section, welche ©iooanni Sairoli 
füßrte, fam zuerß auf bem ©ipfel an. Xer ©egen hatte nach* 
gelaßen, ber ©torgen.war Mar wie im Juni. Xie Kuppel beS 
St. ©eterSbomS erglänzte im erften ©torgenßraßl unb wie aus 
einem ©iunbe riefen bie ©enoßen: „SJa iß ©om!" 

2lm 2lbhange biefeS SergeS liegj in einem Seinberg ein 
SanbßauS unb einige anbere ©aulicßfeiten, welche, ber gantilie 
©lori gehören. Xort würbe $att gemacht, ©aeß einiger Seit 
faß eine gelbwacße einen Xrupp päpftlicßer Xragoner auf ber 
Sanbßraße, bie naßi ©om füßrt. ©läßlich machten bie Xra> 
goner Kehrt unb ritten eilig z ur üÄ ©un würbe ein britter 
©oje in bie Stabt gefeßieft; er ging burch bie ©orta bei ©opolo 
unb erregte feinen ©erbacht, weil er bie Sache felbß nach bem 
Sege fragte, unb zwar in beutfdjer Sprache. XaS Somite 
antwortete, eS würbe in ber nädjften ©acht eine 2tnzaßl Seute 
feßiden, um ben 2lufßanb zu beginnen. 2lber biefe gute ©adj= 
rießt follte nidßt an bie Septante gelangen. 21m ©torgen zwi- 
feßen 4 unb 5 Ußr bemerfte ©iooanni Sairoli, welcßer ben 
ßöcßften ©unft beS ©ergeS hefeßt hielt, eine ßarfe 2lbtßeilung 
©äpftlißer, welcße bie ©ießtung naeß ber ©ida ©lori naßm. 
SS waren Suaben unb Solbaten oon ber Segion oon 2lntibes, 
fowie eine 2lnzaßl granzofen. ®er erfte 2lngriß biefer 2lbtßeU 
iung würbe fräftig zurüefgeworfen; aber bie ©äpßlicßen leßrten 
mit Scrftärfungen zurücf. Snrico Sairoli gab ©efeßl Z u einem 
©ajonettangriß unb mit bem 2tu8ruf: „SS lebe ©om! SS lebe 
©aribalbi!" ftürmte er ben Seinigen ooran. ©iobanni, ber 
hinter ißm war, tief ißm zu: „Satte, wir geßen zufermmen!" 
St erreichte ißn gerabe .in bem 2tugenblicfe, wo er, im ©eßeßt 
unb in bie ©ruft getroffen, umfanf. Sr tonnte ißn nur uoiß 
mit feinen 2lrmen auffangen, um ißn apS bem ^anbgemenge 

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120 


JDt e törgenmart. 


Nr. 34. 


ju tragen, als er felbft eine Rüge! not bie ©tim befam unb 
mit feinem ©ruber im Strm nieberftürjte. „SBeißt Du, ity fterbe, 
©iooanni," fagte ber Weitere, „ity fterbe, begrabe mich neben 
©rnefto unb ßuigi. ©rüße unfere Mutter unb ©enebetto unb 
bie greunbe. Das Problem ift gelöft!" ,,3d) fterbe auch, ©nrico," 
entgegnete ber jüngere ©ruber. SllS fie nun balagen, gaben 
i^nen bie ©äpftlityen noty mehrere ©ajonettftitye. 3h re Same» 
raben oertyeibigten fity unterbeffen mit großer IBuSbauer unb 
es gelang ihnen, fity in bem i»aufe ju üerbarrifabiren. Die 
©äpßlityen wagten leinen ©türm auf baSfelbe unb jogen ab. 
©un hob man bie, welche geblieben waren, auf. (Snrico war 
bereits tobt, ©iooanni, ber Wieber ju ßty gelommen war, 
futyte, tro| feiner eigenen ftyweren Serwunbung, nodh einem Der» 
wunbeten Kameraben ju £>ütfe ju fommen. Die Stbtyeitung 
jerßreute ßty um biejenigen aufjuheben, bie fity noch rühren 
fonnten. Das ©roS farn glüdlity über bie ©renje; jmei ober 
brei, Welche fich oerirrten, würben gefangen genommen; einige, 
welche fo tollfühn gewefen waren, in bie ©tabt ju gehen, weil 
fie bie Sache noch nicht auf gaben, würben bort feftgenommen. 
Die Dobten unb bie ©erwunbeten, welche man nicht fortbringen 
tonnte (unter ben le|teren war ©iooanni) würben unter ber 
Dbh«t breier ©efährten jurüdgelaßen. Die ©äpßlityen fyoben 
fie auf unb brachten fie auf ftytetyten Wderwagen in bie ©tabt. 
DaS war etwa eine SBotye oor bem Dage oon Mentana. 

©in Monat ooB trauriger Ungewißheit oerging, ehe man 
©atyrityt Oon ©iooanni ©airoli erhielt, ©onberbare ©erüchte 
waren über ihn Oerbreitet worben. Man fagte, er fei als ©e= 
fangener in einem römifchen §ofpitat unb h a & e eine wichtige 
Unterrebung mit ©io ©ono gehabt. ©lö$lity tauchte er eines 
DageS auf bem ©ahnljof ju glotenj auf, baS fpaupt rafirt, in 
Sumpen gehüllt, aber für ©inen, ber fechS SBotyen juoor eine 
Karabinerfugei oor ben Kopf unb mehrere ©ajonettftiche in ben 
Seib befommen hotte, befanb er fich oerhältnißmäßig gut. Den 
©apft hotte er nicht gefeljen, benn biefer hotte fich nityt herab; 
gelaffen, ein |»ofpital ju befugen, ©ngliftye Katholifen hotten 
ihn gepflegt. Die päpftlityen Sehörben, welche ihn nicht als 
Kriegsgefangenen, fonbern als politiftyen ©erbrecher behanbeln 
wollten, hotten fich bie größte Müße gegeben, um ihm baS ©hren; 
wort ju entreißen, baß er nie wieber bie SEBaffen gegen ©om 
ergreifen würbe. Der ©influß hotygeßeBter unb mächtiger ©er; 
fönlityfeiten hotte jeboch ju feinen ©unften gehanbelt. WlS er 
in glorenj anfam, waren feine SBunben nodh offen. @r ging 
nach ©ropello, wohin ber Seitynam feines SruberS juoor ge; 
bradht war. 3h n glaubte man noch retten ju lönnen, aber ju 
Anfang beS SahreS 1869 traten ©pniptome auf, welche feine 
Hoffnung auf Teilung mehr auffommen ließen. Ulcht Monate 
bauerte fein DobeSfampf; ohne jebe Klage, ohne jeben ©tymerjenS» 
fchrei trug er bie unfäglityften Seiben. Mit breiunbjwanjig 
Sohren 9lrtiBeriehauptmann, hotte er mit bem ©amen, beffen 
er fo würbig war, SluSßtyt auf eine gtänjenbe ©arriere gehabt, 
©r batyte nicht mehr baran unb nie hot er bereut nach ©om 
gegangen ju fein; nur bie eine Sorge befeelte ihn, baß feine 
©chmerjen feinet Mutter Kummer oerurfatyten. Sn ben Delirien 
ber DobeSftunbe nodh fproch er Oon ©om, oon ©aribalbi, oon 
nahen Siegen, unb freute fid), baß fein ©ruber gerächt fei @r ftarb 
am 11. September 1869 faum 26 3ahr alt. ©ityt an ber 
Kopfwnnbe, bie längft geheilt war, fonbern an ben ©ajonnett; 
ftidhen ftarb er, welche ihm bie ©äpfttidjen feige unb meuchlerifth 
beigebracht hotten. 

©ad) ben Söhnen ftarb bie Mutter. ©S braucht fein SBort 
barüber Oertoren ju werben, was bie eble grau gelitten hot. 
DaS ©rjählte fagt genug: Sluf eine bet jahlreichen Slbreffen, 
welche ihr namentlich nach ber Slffaire oon ©igna ©lori oon 
allen ©eiten jufamen, antwortete ße: „SBenn nur baS ©lut mei; 
neS tßeuren ©ntico unb meiner anbern Söhne unb fo oieler 
anberet Märtyrer nicht oergebenS oetgoffen ift 3n ber feften 
3uoerßtyt, baß beffere Dage für unfer ©atertanb fommen wer; 
ben unb baS halb, ftnbe ity ben Muth ju leben unb ju fämpfen. 
Die Siebe ju ben beiben tyeuren Ueberlebenben hält mich auf; 
recht." 


9113 fie bies fdhrieb, war ©iooanni noch bei ihr. „9113 
auch ber ße oerlaßen hotte," ftyreibt eine greunbin beS fpaufeS, 
„war bie arme grau nityt mehr biefetbe. ©ie futyte in hoty' 
herjiger SBeife bie geßigfeit unb ben lebensfrohen ©inn wiebet 
ju gewinnen, ben ße tyr ganjeS Seben bewahrt hotte, aber baS 
ging über tyre Kräfte. Dennoch lebte fie bis jum 17. Mätj 
1871. ©ie hotte noch erlebt, baß©om bie §auptftabt Stoßens 
geworben war, wie ihr ©nrico fterbenb richtig prophejetyt. Das 
©toblem war gelöß!" 

3m Sah« 18'75 errichtete man ber Mutter ber ©airoli ju 
©ropello im ©arten einer oon ihr gegrünbeten SBohttyätigfeitS; 
anftalt eine Statue. Der ältefte ©olßt, ber einjige überlebenbe, 
hielt bei ber ©ntyüllung berfelben eine ©ebe, beren Snholt ßty 
in bie brei SBorte jufammenfaßen läßt: „©ietätoolle Siebe für 
bie Dobten, unfere Hoffnung bem ©aterlanbe, für uns bie ©ßityt." 

Drei 3aljre nach bem Dobe biefer wahrhaft fpartaniftyen 
Mutter hotte tyr älteßer ©ohn, ©enebetto ©airoli, bie ftytyße 
Stufe inne, welche ein Untertyan im ©taatsbienft erfteigen fann: 
er war Minißerpräßbent beS Staates, für beffen ©inßeit unb 
Matyt er 9lBe8 eingefefct hotte. 

cSußao Dannetß. 


Unfer Sweater. 

Stne bramaturgifdje ©lauberei. 
Son 

Jeobor tPtyt. 

(®$Iufc.) 


Man mag über bie Seiftungen unb ©orßtyrungen ber 
Meiningen’ftyen ftofftyaufpieler benfen, Wie man will, baS wirb 
man tyuen laßen müffen, baß ße bem beutftyen Dheoter einen 
neuen 3uipulS unb "eine nicht ju unterftyäfcenbe fünßteriftye 
Anregung gegeben haben, ©ie lenften Oon ber oirtuofen ftyau= 
fpieleriftyen ©injelleiftung auf bie ©efammtbarßettung über. 
Unerwartet unb rafty iß burty fie ber ©eftymad für baS fünft; 
leriftye 3ufamntenfpiel unb eine fünftleriftye Dotalwirfung wieber 
gewedt unb gebilbet Worben, ein ©eftymad, ber, burty bie ©aß; 
fpielwuty ber mimiftyen ©irtuofan grünbiity untergraben, faß 
ganj oerftywunben war. Durty bie Meininger nen h er00r = 
gerufen, ift er jefct bereits fo fehr in Aufnahme gefommen, baß 
©aftfpiele ganjer DheatergefeBftyaßen bereits jut Mobe beS 
DageS würben. Damit muß fity natürlich unb felbftoerßänblity 
baS 3ufammenfpiel auf ber beutftyen Sühne oon felbß Wieber 
heben, was entftyieben ein günßiges 3eityen ift unb bebeutfam 
barauf hinweift, baß in nityt ju langer 3eit in bie ©orfteBungen 
namentlich ernfter unb flafßftyer ©tüde mehr Stil, mehr fünft» 
leriftye Uebereinftimmung unb Slbrunbung fommen wirb, ©tyon 
je^t laßen bie beßeren Sühnen ein ßtytlityeS ©eftreben bamaty 
mahrnehmen. Man bemüht fity, bie flaffiftyen unb bie ©hafefpeare» 
©tüde fowie bie bebeutenben Dpern ber großen beutftyen Meißer, 
jum Dheil in irgenb eine tyarafteriftiftye ©ruppe gebracht — 
bie Dramen ©tyiHetS in tyronologiftyer ©etyenfolge, Sußfpiele 
unb Opern aus oerftyiebenen Sahtyunberten unb naty tyrer 
©ntßehungSjeit georbnet —, entweber im ©eiße tyrer ©potye 
ober neu unb bem mobemen ©eftyhtade entfpretyenb einjurityten. 
©o h°t baS ^oftyeater in Müntyen bie bramatiftyen fflerfe 
©tytüerS geboten, baS Hamburger ©tabttheater bie beutftyen 
Dpern Oon ihren Anfängen bis heute, Dmgelßebt im SBiener 
^ofburgtyeater bie $iftorien ©hofefpeateS, außerbem „SlntoniuS 
unb Kleopatra" unb ,,©ö| oon ©ertityingen", SBoljogen in 
©tywerin oerftyiebene Dramen heroorragenber Dichter, ©aty 
unb naty beginnen ßty bie ©runbfä|e, naty benen man unfere 
Klaffiferiunb ©hafefpeare auf bie ©retter bringt, ju flären unb 
ju befeßigen. Man ift ßiUftymeigenb. unb jiemlity allgemein 
übereingefommen, baß ein Dheaterftüd, Wenn es nityt abfpannen 
unb um feine SBirfung fommen foB, nityt über brei ©tunben 


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Nr. 34. 


Oie ©egenmart. 


121 


fpieCen barf; bafe eS im Dejt leicht unb Har oergänblidj (ein 
unb im Siete fetbft im Schauplafc möglid^ft unüeränbert bleiben 
mufe. Dafe alle biefe gorberungen nicht ohne eine gewiffe 
©ewaltfamleit gu erfüllen finb, liegt auf bet fjanb. Slber 
ebenfo febr ift burefe bunbertfältige ©rfabrung bemiefen, bafe bet 
Srfolg unb bie SBirlung babureb erhöbt werben. Das Sluge 
ber Suffbauer ift neuerbingS ebenfo anfpruebsoott unb oerwöfent 
worben, wie ei beren @eift bureb Silbung unb feinen ©efdjntad 
ift. äRan oerlangt bie Scene möglidjft naturgetreu unb täufefeenb 
bergeffettt, was gur gotge bot, bafe man bie Decorationen unb 
Slecpiigten ber SBirtticbleit abgelaufcbt unb fetjr umftänblicb an= 
fertigen laffen muß. Daraus ergibt geh natürlich wieber, bafe 
i^re Süfrübtung oiet Scbwierigleiten macht unb mehr |>änbe 
unb 3«t in Slnfprucb nimmt, als ei fonft ber galt war, als 
ber Scfeauplab noch febr einfach unb prhnitio eingerichtet er: 
fdjien. Sind) Will bas ©ublicum butch leine Ungefchicllicbfeit 
unb feinen ©erffofe mehr geftört fein. ©in geringer Unfall 
genügt, um eS gunt Sachen gu reigen. ©in eingiger auSgelacbter 
Moment aber oemiebtet ben ©inbtud beS gangen SlbenbS. 

©feebem war man im Xtyatet weniger entpgnblicb. Man 
nahm es mit ber Sache nicht fo genau unb liefe fiefe DiefeS unb 
genes gefallen, ohne ei befonberS anftöfeig gu finben. £>eutgu= 
tage ift baS jebo$ anberS, unb ein linlifeber Statift ober ein 
jtodenb ober ftümperbaft fpreebenbet ©borift, bet im Scfeaufpiel 
mit ein paar SBorten oerwenbet werben mufe, fönnen unberecfeeit= 
baren Schaben anriebten. 3u SbalefpeareS 3rit g. ©. würben 
Schauplätze, Schlachten unb SlnbereS nur angebeutet, unb ein 
unb berfelbe Sdjaufpieter burfte unbeanftanbet Oier ober fünf 
Partien fpieten. 3efet will man Stiles möglicbft Oottlontmen 
unb fertig, {ebenfalls berart hoben, bafe man in ber Sfüufion 
nicht beeinträchtigt wirb. 

Dies gwingt in jeher Segiefeung gur gtöfeeffen 2tdjtfamleit 
unb ©orfiebt. SluS biefem ©runbe fefeen ffefe bie Dramaturgen 
bauptfächlidj genötfeigt, auf unber&nberten S<baupla| unb mög» 
lidjff InappeS fßerfonat gu fefeen. Die grofeen ©ollen in einem 
Stüde finb gewöhnlich, wie jeher Dfeeaterpraltiler weife, giemtiefe 
leicht befefet; febwer aber bie lleinen, bie ©oten, bie Diener 
u. f. w. u. f. w. Sie finb eS, bie nur gu oft, bureb ife re ®ar= 
fteder oerbungt unb oerborben, bie Spottluft bcrauSforbem. 

Dem will man fteuem, unb beswegen fnebt man Mittet 
unb SBege, bie lleinen ©ebenperfonen in grofeen Stüden roefent-- 
licb gu oerringem unb ben ©ang ber fmnblung gu oereinfacben. 
Such ftreiebt man wobt einen untergeorbneten Sluftritt, Wenn er 
bie $auptfeanbtung abfcbwäcbt ober unterbricht. Man bot bem 
Schreiber biefer 3eilen in einem fübbeutfeben ©tatte ein ©er« 
brechen barauS gemacht, bafe er in „Maria Stuart" ben Daoifon 
weggelaffen unb ben bierten Stet mit bem gewaltig wirtenben 
Selbggefptäcfee ber ©lifabetfe abgefcbloffen bot. Die Königin 
Slifabetfe Wirb in Stuttgart oon ber auSgegeicbneten ®ünfflerin 
grau ©leonore SBabtmann:3Bittfüfer fo beroorragenb unb impo= 
nirenb gegeben, bafe bie barauf fotgenbe Scene mit Daoifon 
unb ©urteigb ohne allen ©inbrud bleiben mufe. SBarum atfo 
babureb ben wichtigen SluSgang beS Stetes oertümmern taffen, 
wem« baS bureb einen lleinen Strich im Dejt gu oerbinbem ift? 
„Maria Stuart" ift eines ber längften Dramen Schillers unb 
mufe fo wie fo gelürgt werben. Das wirtliche ©nbe beS Stüdes 
bleibt ja faft regetm&feig fort, ofene bafe ihm gefchabet wirb. 
SSir erinnern uns noch gar wobt, bafe bie berühmte Dragöbin 
grau Slugufte ©retinger in ©ertin, naefebem fte bie Ditelrotte 
hatte abtreten unb bie ber ©lifabetb übernehmen müffen, ben 
Scbifler’fcfeen Scfelufe oerlangte, nach bem fie ootber nie begehrt. 
3fet greunb; ber oiet genannte ©efdjicfetSfcfeteibet griebriefe 
oon ©aumer, Saphir unb mancher Slnbere ptaibirten bafür. 
grau ©retinger ging bamats gerabe gu einem ©aftfpiete nach 
Stettin unb fpiette bort biefen Scblufe. Slts fie wieberlam unb 
noch bem ©rfotg gefragt ojurbe, fagte fie ärgerlich: „Sich waS! 
Diefen Scblufe gebe ich nie wieber. Sin bem ift alle ®unff Oer: 
loren, benn er wirb nach bem rübrenben Slbgang^ ber Maria 
ootlftänbig tobtgefcbnöugt." 

Stuf folcbe SBeife werben bramatifebe ©rfabrungen gemacht 


unb es ift teibige gebetfudjferei unb btofeeS Sptitterricbterthiim, 
wenn gewiffe ft'unftricfeter unb ©ecenfenten, wie Shhlod auf 
feinen Schein, auf ben unoerlürgten unb unoeränberten Dejt 
einet bramatifchen Dichtung befteben. ©in Drama, baS auf« 
geführt Werben unb in ber Stuffübrung wirfen foH, erprobt feine 
SBirtfamleit eben erg in ber Aufführung unb ift möglicbft bar= 
nach einguridjten. Man bot oielfadj in Deutffbtanb bie ©afe 
barüber gerümpft, bafe bie ©iftori in ber itatienifeben lieber: 
fefeung ber „Maria Stuart" bie Dragöbie bamit fcfeliefeen täfet, 
bafe Maria baS ©lutgerüft befteigt unb Sorb Seicefter an beffen 
Stufen ohnmächtig gufammenbriebt. Unb boeb ift biefer Scblufe 
ber bramatifcb richtige, benn ber Monolog SeiceffetS gnbet feiten 
noch bolle Stufmerifamleit unb iff auch io ber Db Q t gegen alle 
Dfeeorie bet Dramatil. SBenn Schiller beot fein Drauerfpiel 
für bie ©übne entrichten foüte, fo febeint uns nicht gang un: 
waferfcfeeinliefe, bafe er ähnlich oerfabren würbe. @r war in 
biefer ©egiebung webet ängftlicfe noch gagfeaft. Seine ©inriefe: 
tung oon ©oetbeS „©gmont" ift ein fcfetagenbeS ©eifpiel bafür, 
ebenfo wie feine mehrfache ©earbeitung feiner „SRäuber". Die 
Slrt unb SBeife, wie er SbalefpeareS „Macbeth" überfe|t unb 
für bie ©übne umgeftaltet bot, ift für jeben Dramaturgen äufeerft 
lehrreich, Sticfet weniger begeugt ben echten Dramatiter bie ©in: 
riefetung, bie er SefgngS „fftatfean" gegeben unb welche, fo oiet 
uns betannt, bie auf ber beutfefeen ©übne allgemein gebräuefe: 
liehe ift. ©in ©erichterftatter bet „SBürttembergifcfeen SanbeS= 
geitung" in Stuttgart erweift bem ©erjaget biefeS 2tuffa|eS 
bie ©bre, biefelbe ihm gugufebreiben, inbem er, fein Streidjtalent 
gtoffirenb, fagt: „leert #ofratl) SBefel aber bot baS Malheur, 
gar oft Stetten gu erlüren, bie es wahrlich nicht oerbienen, 
feinem fcbonungSlofen ©otbftift gum Dpfer gu fallen. 23er ©e: 
lege biefür oertangt, ben oerweifen toir auf SeffingS argoergüm» 
melten „©atban". ©aebbem ber Dramaturg einer giemtiefe grofeen 
Slngabl bormlofet ©erfe ben DobeSftreicb oerfefet unb auch einige 
gröfeere, wirtlich feböne Stetten unfebäbtieb gemacht, febwingt er 
noch einmal ben glambetg, ein paar bomben — bie lebten 
faßen, bann fpringt er auf ben fßegafuS unb ßidt gur Sühne 
einen poegebotten SUejanbriner an, benn Scheffel fagt’S — „eig= 
ner Sang erfreut ben Siebern"." 

Ob bie ©erfe, bie in ber Stuttgarter ©inriebtung ben 
Scblufe bilben, oon Schiller, oon ©runert, beffen $anbfcbrift ge 
geigen ober oon jemanb Stnberem betrübten, weife ich nicht; ich 
weife nur, bafe fie nicht oon mir, aber burcbauS gmedntäfeig unb 
leine Sllejanbriner, fonbern re^te unb gute Jamben finb. ©s 
ig ©atban, ber ge auf SatabinS grage: 

„Unb Slatban, Du! 3n meine Sinne, ©atljan! 

SBie war’3 mit Deinen Stingen? Sage an!" 

erwibert: 

„Std), Du befhämg mich, Satabin. Doch ja! 

Sinb einft, wie hier, ©h r 'fe/ SWufelmann unb 3**be, 

Sinb alle ttinber unfreS einen SaterS 
3n treuer Siebe brüberlicb oerbunben. 

Dann ig ber echte SRing auf’S 9leu gefunben!" 


Die Sefer mögen felbft entfdjeiben, ob biefe ©erfe eine 
©üge oerbienen. Dafe „©atban ber SBeife" ohne Rürgungen 
ungefähr Oon 7 bis 12 Uhr fpielen Würbe unb ohne folcbe atfo 
nicht wohl gegeben werben lann, ift ohne 3weifet Sebent gegen: 
wärtig, welcher biefeS „bofee Sieb ber Doterang" gelefen. SBenn aber 
„©atban ber SBeife" ohne Striche nicht aufgefübrt Werben lann, 
fo febeinen uns bie oon Schiller burcbauS gtiidlich unb ehe man 
fie tabelt, fottte man gubor biefelben genau erwogen hoben unb 
jebenfalls auch nach bem ©eljör einen SfombuS oon einem 
Ätejanbriner gu unterfebeiben wiffen. 

©iemanb lann mehr bereit fein, bet Äritit ihr ©echt ein: 
guräumen unb ihren 2tuSfe|ungen ©rmägung gu fcbenlen, als 
ber Schreibet biefer 3«ten; aber man wirb ifem «bne Bweifel 
beiftimmen, wenn er bann audj Oon ihr gunächft Sachlenntnife 
unb eine gewiffe ©ewanbertbeit in ben Dingen ber ©übne öer: 
langt, gebenfatts foll ge geh nicht oon pqtfönlicber ©oreinge-- 


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fflic ©egenmitrl. 


Nr. 34. 


nommenßeit leiten taffen, fonbern baS ©ebotene prüfen unb in 
feiner 9lrt unb SBeife ju toürbigen fudßen. Sein einigermaßen 
burdß bie ©djute ber ©rfaßrung gegangener Dramaturg wirb aus 
bloßer Siebßaberei ober Saune in ein Dicßtwerf ßinein ju än= 
bem ober ju ftreicßen ft<ß erlauben. SBenn er eS tßut, ßat er 
fidler feine ©rünbe baju unb e8 wirb nur barauf anlommen, 
ju unterfucßen, ob biefe ftidßßaltig unb oernünftig ftnb ober 
nidßt. ©irgenbs j. 93. merben ©ßafefpeare’fcße ©tüde meßr ein= 
gerietet unb beränbert gegeben, als gerabe auf ber englifcßen 
©üßne. SRan lefe nur DiedS Steifebriefe unb Dßepbot gon-- 
taneS ©eridßte über engtifdßeS Dßeater. 3*» Deutfeßlanb gibt 
eS Seute, bie über bie nämlidßen ©inridßtungen unb 9tenberungen 
außer fieß finb unb fieß als ©ßafefpearefenner unb Siebßaber ju 
behuiben glauben, toenn fte ißn wörtlich bargefteHt oerlangen. 
$aß baS bem unfterblicßen Steiftet einen fcßlimmen ©efalten 
auf unfeten heutigen 93rettem ermeifen ßieße, begreifen fie nur 
beswegen nießt, weil fte eben biefe ©rettet nießt fennen unb in 
ißten ©rfolgen unb SBirfungen nießt oerfolgen.*) 

Slucß bie Steininger $offd)aufpielet, beten fürftlicßer Seiter 
gerabe etioaS barin fudßt, bie Dramen bet großen Dramatifer 
fo üiel als möglich in ißrer Urfprünglidßfeit ju geben, fießt fieß 
ßier unb ba bocß ebenfalls oeraniaßt, bebeutenb ju ftreicßen unb 
ju änbern. Die ©tüde, toie man fie auf bem Steininger $of= 
tßeater barfteüt, erfdßeinen jept ßeftWeife gebrudt unb cS ift für 
©acßberftänbige äußerft anjießenb unb leßrreicß, biefelben ein: 
jufeßen. SBeleße ©tricße ba unter Slnberem im „gieSco"! Der 
Sluftritt, in welcßem gieSco ben alten Doria »amen lommt, 
feßit j. ©. ganj. Unb biefer Stuftritt erfcßeint mir groß unb 
in ßoßem ©rabe »irffam, für ben ©ßaraiter beS gelben über: 
bieS wicßtig. 3<ß jmeifte inbeffen nießt, baß triftige ©rünbe 
biefe ©treicßung in bet Steininger ©inridßtung oeraniaßt ßaben, 
»ie icß foldße ßatte in bemfelben Drauerfpiel, bem ©alcagno, 
nadßbem Seonore ißn »egen feiner leichtfertigen SiebeSerllärung 
abgetrumpft, nocß ein paar Weitere SBorte, als im Dejte fteßen, 
in ben Stunb ju legen. 

©in ©tuttgarter ©latt ßat midß beSttegen ßart getabelt unb 
eS mag barum erlaubt fein, bie lurje ©efdßicßte unb Urfaeße 
biefeS 3ufapeS ßier mitjutßeilen. 

©räfin Seonore fagt abeilenb: 

,,©eß! gieScoS ©cßanbe macht leinen ©alcagno bei mir 
fteigen, aber — bie Sftenfcßßeit finfen." 

hierauf heißt eS im ©dßiHer »eiter: 

„©alcagno (fießt ihr betäubt nadh, bann ab, mit einem 
©cßlage oor bie ©tim) Dutnmfopf!" — 

Diefer Abgang hot für jeben ©dhaufpieler, felbft für ben 
beften, ettoaS ©erfänglidheS, baS in ber Situation liegt unb bie 
rohere Statur leicht jum Sachen reijt. ©orjügtiöße ©chaufpieler 
haben fieß oor ihm gefürstet. ©S ift alfo begreiflich, baß man 
auf alle 9Beife biefe Stippe ju umfcßiffen füc^te unb baß hier 
ein einigermaßen gefdjidter 9tu3»eg mit greuben begrüßt »urbe. 
©S intereffirte midß baßer in ßoßem ©rabe, als bet Wahrhaft 
geniale Sünftler 3- ©• Saifon — beffen $amlet unb Uriel 
Stcofta Seiftungen oon eminenter ©ebeutung Waren —, naeßbem 
er Director beS Hamburger ©tabttheaterS geworben, mir eines 
DageS ein eingerichtetes ©udß beS „gieSco" jeigte, worin ftatt 
beS lafonifeßen „DummfopfeS" folgenbe SBorte eingefeßrieben 
ftanben: 

„©erbammt! @teß’ ich nießt ba wie ein gefcßoltener ©cßul* 
bube? 9lber icß Oerbiene baS! SBie fonnte icß wagen ju ißr 
aufjubliden, ju ißr, bie baS reinfte, baS ebelfte SBeib ift, baS 
jemals bie ©cßöpfung ju ©tanbe gebracht. — ©alcagno maeße 
biefe Stieberlage in ber Siebe, in bem Iriumpße ber greißeit 
wett ober bidfj felber lerne üeracßtenl" 

*) „JBortgetreu überfept, tann Sßatefpeare nur ben Denier be= 
friebigen, niepp ben gufdjauer im Xßeater; ja, icß bin überzeugt, lebte 
ber große Sinter jept, er felbft mürbe ber (Erfte fein, feine Stüde ben 
gorberungen bet mobernen fflübne anjupaffen." („®en!mürbigteiten beS 


©aifon, ber felber einft ben ©alcagno gefpielt hatte unb 
aueß auSgelacßt worben war, jubelte über biefen unb 

glaubte, baß ©dßillet felbft ober ©dßroeber mit 3uftimmung 
©cßiUerS ißn eingefeßoben. ^ebenfalls ift er fnapp unb webet 
gegen ben ©inn ©cßiUerS nodß ben ber SRoDe, ba ©alcagno im 
| ©tüde ßdß belanntlidß ber ©erfeßwömng ©errinaS unb ber am 
I bem greißeitsfreunbe tßatfräftig anfeßließt. SBarum foÜte man 
| ißn alfo nießt wiUlommen ßeißen unb bamit einen Abgang um= 

| geßen, ber unter allen Umftönben gefährlich bleibt? 9tudß ift er 
in ber Xßat fo ober äßnlicß an oielen beutfeßen ©üßnen ein» 
: geführt unb wie fo bieleS Stnbere auf ben ©rettern jur Ueber: 
lieferung geworben. 

SBer baS Xßeater fennt unb ißm naße fteßt, lann fo etwas 
woßl wiffen unb begreifen, um fo eßer unb leichter begreifen, 
wenn er fieß babei erinnert, baß ein ©tüd, baS fo Oiele widß* 
tige Stollen aufweift, wie „gieSco", nießt überall barauf ju 
rechnen hat, eine Heine, aber bocß bebeutfame StebenroDe aueß 
mit einer erften unb jupaffenben barfteßenben ffraft befept }u 
feßen. ©inem gefeßidten ®irector ober Dramaturgen muß jum 
©ortßeil unb fidßeren ©rfolge beS ©anjen in Keinen Dingen ent= 
feßieben bie greißeit bleiben, ju ftreießen unb ju änbern. Das ift, fo 
lange bie ©üßne befteßt, ©efugniß unb ©rau^ gewefen. ©cßroeber, 
3fflanb, ©eßmibt, ©cßrepoogel, Deinßarbtftein, $oibein, ©upfow, 
Ipoltei, Saube, Dingelftebt, ber $erjog oon ©teiningen, ©buarb 
Deorient, fie afle ßaben fieß biefeS ©eeßt jugefprodßep unb mußten cS 
fieß jum 3»«d einer guten ©efammtbarfteßung jufpre^en, benn 
©ueß unb ©üßne ftnb jweierlei unb feine, aueß nießt bie befte ©üßne 
ber SBelt wirb je im ©tanbe fein, mit ber Sluffüßrung, eines 
©tüdeS ben ©inn unb ©eift beS ©ucßeS ganj unb ooßftänbig 

ju beden. Dafür aber jeigt eine Suffüßrung oft audß Steije 

unb SBirfungen, bie im ©udße nießt ju aßnen gewefen finb. DaS, 
WaS im ©ueße oft lalt läßt, jünbet auf ber ©üßne, unb um« 

gefeßrt. DaS finb eben ©rfaßrungen, bie man maeßen muß unb 

weldße feinem Dramaturgen erlaffen bleiben. Seiner berfelben 
wirb gern unnüp ftrei^en unb änbern, benn bie SJteßrjaßl oon 
ißnen weiß entfeßieben Woßl baS ©cßöne unb Serbienftoolle einet 
bramatifeßen Dicßtung ju erfennen unb ju würbigen, wie ein 
anberer feingebilbeter ujtb empfinbenber ÜDtenfeß aueß, aber ißm 
ift ju gleicher 3«it woßl bewußt, baß eS auf ber ©cßaubüßne 
befonberS auf baS richtige ÜJtaß anfommt, unb auf ißr nur ju 
oft bet Sefßng’fdße ©prueß fidß bewaßrßeitet: „SBeniger Wäre meßr." 

getner lommt einigermaßen ber jeweilige ©efeßmad unb 
ber ©eift beS ©ublicumä in ©etraeßt, Oor bem man fpielt SRan 
mag bie ©ad|e breßen unb wenben, Wie man will, oernünftiger: 
weife wirb man einräumen müffen, baß j. ©. ©ßafefpeare, wlo* 
liöre unb unfer $anS ©aeßs ßeut ju Doge in ißrer ooHen Ur: 
fprünglicßfeit nießt Woßl ju geben finb. Damals naßm man an 
3oten unb Derbheiten, bie unS jept Wiberwärtig berühren, leinen 
Stnftoß. 9ludß redßnen wir gegenwärtig im Dßeater »eit meßr 
anf bie 3ugenb, als eS eßebem feßeint bet galt gewefen ju fein. 
9Bir wollen bie ©röße unb SKäcßtigleit bebeutenber Dramatiter 
audß auf unfere 3ünglinge unb 3»ngfrauen ©inbrud gewinnen 
taffen. Die 3bee ^einrieß SleiftS: bie grauen aus unferem 
Dßeater ju oerbannen, ift eine ebenfo müßige, als traprige 
©cßrutle. Der Dicßter, ber, um bebeutenb unb großartig, ju 
fein, beS weiblichen ©efdßlecßtS meint entratßen ju müffen, bürfte 
ein furiofeS ©jemplar eines DicßterS fein. ,Det redßte unb 
waßre Dicßter ift für alle SBelt, wie bie ©lemente eS finb. 
Darum muß er audß für Stile paffen unb es mag nidßt übel ge: 
tßan fein, ißn ber ®uS»ücßfe ju entfteiben, bie feine SBerfe oer: 
ßitibem eS ju fein. 

j ©on jeßer ift baS aueß gefeßeßen. ©leih dßroeber ßat j. ©. 
j ©ßafefpeare für bie beutfdße ©üßne unb feine Seit eingerichtet. 
I 9tadß ißm . ßaben es oiele 9tnbere getßan unb mußten eS tßun. 
1 91 ber ©ßafefpeare übte eine große SRacßt auf. baS beutfeße Dßeater 
aus. ©aeßbem Sefjtng burq feine Hamburger Dramaturgie" 
• gleicßfam baS Difcßtucß jwifeßen bem beutfdßen, Dßeater unb ben 
i ' franjöfifcßen 4 filaffilern jerfeßnitten unb ©ßafefpeare als glor: 


©cßaufpielerS, Scßaufpielbidjtecä unb ©cßaufpielbirectorS griebr. Subm. 
©eßmibt, ßerauSgegebefi oon jjermaitn Ußbe.") 


teidßeS SRufter proclamirt ßatte, aßmten bie beutfeßen Drama: 
tifer, Oon bem ©efep ber brei ©inßeiten befreit, mit einer 91rt 


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Nf. 34. 


9it ©egenwurt. 


123 


frebelfjaftdn ©orliebe bie ©fjafefpdare’fdje SttJangtoftg’felf beS 
(St^oupfd^eS nädj. Sie fügten etwas batin unb traten pdj 
barauf p gut, bie ©eene fo oft wie nur möglidj p Werfeln. 
(SloetljeS „@ö|" unb ©djitterS „Stäubet" ftnb bie ruhmreichen 
Setege bttffir. ©eibe Siebter fittb fpäter non btefer tljeatralifdjen 
38 getlopgfeit mefentlidj prüdgefommen' unb hoben biefe ©djaus 
fpiele für bie Sarpettnng mit grober fDtütje unb ©etbftüberwins 
bmtg mit eigenen fjänben umgeftattet. 3 e nähet fie bet ©üljne 
traten unb je länget fie tebten, je mehr haben fie fid) non 
biefer ©Ijafefpeate’fdjen ©igenart loSgefagt unb anbete ©runb= 
fäfje befolgt. 3 a, plefct berfielen jt'e, wie befannt ift, auf ben 
@ebanfen, bie bejt'en ©tüae bet franjöpfdjen Slafpfer bem 
betftfdjen Sfepertoire einpoerleiben. ©8 toat bie# eine auffällige 
3urddlenfurig auf bie bramatifdje SRegetrecfjtigfeit unb eS ge= 
f<hoh bie§ p einet Beit, ba bie grobe ©taffe bet 3 «fdjauer, an 
baS öftere SBedjfeln bet Secorationen in einem unb bemfetben 
Stet gewöhnt, nodj jietntid) gleichgültig unb tfjeilnaljmloS für 
biefttbe Wat, ja, ihre eigentliche Abficfjt gar nicht erfannte. 
Sie groben ©eifter finb eben ber ©tenge immer OorauS. ©oetlje 
fotooht als ®djitter, beibe etfannfen, bab bet ©erwilbermtg unb 
bem UeberfdjWang auf ben ©rettern einen Stamm entgegenp= j 
ftfcen, bet 3 eitpunft gefommen war unb beibe legten ljerjhaft I 
jjanb ans SBdrf. @djitter warb leibet p früh babon abge= 
rufert unb ©oetlje, wie fo biete Anbere, burdj fdjnöben Unbanl 
btm Iheater entfrembet. SeS Seßteren ©earbeitung bon „Stomeo 
unb 3ntie" fo wie biete feiner AuSfprüdje' unb' Auflehnungen 
aber legen 3 eugniß bafttr ab, was fie gewollt unb beabpcfjtigt 
hobelt. ©tne Abflärung ber beuffdjen ©ühne p feften unb be: 
Pimenten Siegeln tag ihnen im ©inn unb biefe Abflärung, ob: 
fchon fie butch ben beseitigen ©erluft ihrer beiben ©egtiinber 
oiet bertoten unb eingebüßt hat, ift bodj nicht inS ©toden ge= 
fommen, fonbetn öottjieljt fid), wenn auch tangfam unb ftocfenb, 
unferer Anßdlt nodj bodj ftätig. ©erabe neuerbingS ift fie, 
unferer SJleinung nach, int tebenbigften gort gange, bürefj mehr; 
fache äußere Umftänbe begünftigt ober richtiger gefagt: oeran= 
tagt unb beförbert. 

Surdj baS neu eingeführte ©efefj, nach, Welchem jebeS 
Ibeater berpflidjtet unb gehalten ift, atte ©tüde, bie es geben 
witt, erft rechtlich anjutaufen, fobaib biefetben nicht fdjon butch 
Verjährung Allgemeingut geworben, ift eS für bie ©erwattun= 
gen faft eine Sache ber tttotljwenbigfeit geworben, um nicht p 
oiet AuSgabett p haben, fid) ben SBerfen bon ©hatefpeare unb 
betten unferer eigenen fftaffifer ppwenben, bie fie umfonft 
haben ffintten. Sa man' mit ihnen aber meift nur bie gebitbe- 
teren Schichten ber ©efettfdjaft, bie 3ugenb ober bei herabge= 
festen ©intrittspreifen in einjelnen Satten ben finnigeren Sljeil 
beS SotteS heranpjieljen im ©tanbe ift, fo berfteljt eS fich bei« 
nahe bon fetbft, baß man beSWegen auch genötfjigt ift, auf biefe 
Vorfteffuhgen eine ganj befonbere Adjtfamfeit p berwenben. 
Aus foldjet Urfache ift bei uns plöfctidj unb unerwartet eine 
fthr beftiffene ©ftege bet erften ©teifterwerfe unferer früheren 
Öiteratur entftanben, ja, es begrünben fid) in ben großen 
Stäbten unfereS ©atertanbeS fogar Schaubühnen, bie (ebigtid) 
auf fie berechnet finb unb butch pe- ih« $aupteinnahmen p 
machen höffeh nififfen. ©etbft Heinrich Saube, ber bon Anfang 
feiner bramaturgifdjelt Sauf bahn an, titel)r als nöthig unb oer= 
antwortlich erfcheinen fann, bem frait£öfifdjen ©eniuS — unb 
nicht immer btoS bem guten — auf ben ©rettern geljulbigt 
hat, fetbft $etntidj Saube hat fich iept *m ©nbe feiner ganjen 
Iljätigfeit gebrungen gefehen p erflären, baß eS mit ber feit- 
herigen SHchtung nicht mehr möglich fei ein £f)eater ju führen 
unb bah eine Bttrüdtentung auf bie belferen Strömen ber ätte= 
ren^Beit bürchauS unb entfehieben geboten fei. 

Sfafj biefe 9Bäh rne h mM1t 8 fo jpät fommt, ift faft wie 
ein Saturn feines fonft fo ruhmreichen 1 SESirlenS. ©r fdjeibet mit 
einer ©rfattttrtifj, bie ihr ©chmerjticheS für ihn haben mufe 
unb ber fid) Wohl faum irgenb ein ©ühnenleite», ber auf ©ins 
nahmen angeWiefen ift, p entziehen betmögen wirb. S)af)er i 
benn auch beinahe überall baS mehr ober minber lebhafte Aufs 
greifen unferer flafPfdjen unb ber ©hafefpeare=3tüde, b^e man ; 


forgfam bearbeitet, einrichtet, befefct unb infeenirt. Stet ©ets 
faffer biefeS Auffa^eS hat bereits bor jwei 3ah«« an ben erften 
©orftanb beS beutfehen ©ühnenbereinS, ©einer ©jeettenj 4>errn 
©enerat= 3 ntenbanten bon hülfen, ben ©orfdilag eingebracht: 
eben biefen ©üljnenberein beranlaffen p motten, einen AuSfdjufj 
p berufen, ber ©inrichtungen bet beregten Strömen p liefern 
unb fomit ein ©tüd beutfdjer ©inheit auch auf bie ©rettet p 
berpftanjen berfudjen fotte. Ser ©inbringer erachtete ein fot= 
cheS Unternehmen beS beutfehen ©ühnenbereinS unb feiner ©tif= 
ter Wohl würbig, wenn et aud) freilich fchon aller Schwierig: 
feiten beS ©taneS fich bott bemüht war. Allein bei Allem, bei 
bem eS gilt, freiwillig unb burdf btofje lieberjeugung, biete 
fföpfe unter einen ^ut p bringen, ift erfahrungsgemäß bie 
Arbeit nicht leicfjt. Aber wo man fie wagte, h°t P e bennoch 
nach unb nach, bei glüdtichem Ausfälle berfelben, fchon oft pm 
3ieie geführt. SBarum fottte baS nicht auch ber Satt fein 
fönnen? £>err oon hülfen inbeh, burch mancherlei anbere ber= 
geblidj gebliebene ©erfu^e, bem ©ühneuberein eine Wirffamc 
3 nitiatibe p geben, eingefchüdjtert unb mübe gemacht, erftärte: 
bie borgefdtfagene Unternehmung fei fchon beSwegen nufeloS, 
weit fich ih r bie gaftirenben ©djaufpielbirPofen, bon benen 
jeber feine eigene ©inridjtung fpiele, nicht fügen mürben. 

Db biefer ©runb fo fdjwerwiegenb unb triftig erfcheinen 
fann, um fogleidj bon ber 3bee Abftanb p nehmen, laffe ich 
bahingeffettt fein. 3<h perfönlidj Wünfche überhaupt, baß ber 
beutfdje ©ühnenberein etwas mehr als eine bloße Art bon 
©olijeigewatt über bie beutfehen Sühnenmitgtieber anpftreben 
beabfichtigen fotte. ©iitheitli^e ©ontractsbeftimmungen unb bie 
©eftrafung contractbrüd)tger Sängerinnen ober ©horiften, fowie 
©^iebSgerichte in ftreitigen Satten finb atterbingS feht f^äienSs 
werffje unb banföar aufpnehmenbe Singe, allein nach meiner 
unmaßgeblichen Annahme meine ich bamit, nach ber Abfi^t 
feiner ©egrünber, bie Sragmeite beS beutfehen ©ühnenbereinS 
no^ feineSmegS erfdjöpft, fonbern glaube, baß er immerhin fidj 
pm Sräger auch bon f)öh fr gehenben Senbenjen ju machen 
nicht unterlaffen bürfte. ©erabe in einer 3 eit, wie bie jefcige 
eine ift, wo baS beutfdje Sfjeater fo 5 U fagen: in alten Sugen 
frachf unb bie ©enoffenfdjaften ber bramatifchen ©chriftftetter 
unb ©djaufpieler überall werfthätig einpgreifen beginnen, um 
eine ttteugeflattung anpbahnen, gerabe in einer folchen 3 eit 
fottte ber ©ühnenberein ni^t fäumen, auch feinen ffiinfluß in 
bie SBagfdjale p werfen, benn thut er eS enbtich nicht boch, 
fo wirb er ohne 3 to*ifet halb überholt unb böttig machtlos, 
in feiner ©Seife mehr in bie fünftlerifdie SageSorbnung ber 
©ühnenbebatten irgenb Wie beftimmenb einptreten im ©tanbe 
fein. Sie fÖlaterie ift eben im ©robeln begriffen unb will fach 1 
funbig angefaßt unb beßanbelt werben. Sie ©erljältniffe brängen 
bap. Sie neuen ©inrichtungen unferer ©chaupläße, bie SBuns 
ber ber mobemen SDledjanif, ber ©lanj unb bie Sütte ber ©e= 
teuchtung treiben ebenfo fehr baju wie ber beränberte 3 citgc- 
fchmad unb bte attgemeiner geworbene ©ilbung! Ser am meiften 
tonangebende Sactor ift ohne allen 3weifet ber Auffchwung unfe= 
reS beutfehen ©otfeS nach ben großen Siegen bon 1870 unb 
1871. Auf ben franjöftfdjen ©djladjtfetbern, auf benen bie ge= 
fammte Sntettigenj oon Seutfchtanb fämpfte, haben unfere tapferen 
©olbaten nicht nur für bie Unabhängigfeit unfereS ©aterlanbeS, 
fonbern pgleidj auch für beffen fdhönfte unb ebelfte ©üter ge: 
blutet, tttüfjmreidje Siege abetn eine ganje Station unb Abel 
berpftiefjtet, Wie man weiß. Saßer mögen Sichter, ©djaufpieler, 
öüljnenteiter, ©ubticum unb ^Regierung, jeber nach feinem Sljeil, 
bebaut fein unb ©orge tragen, baß baS beutfdje Sheater bem 
beutfehen Anfehn unb tttamen entfpredjenb unb würbig fei. „9Bo 
ein frifdjeS ©olfSteben pulftrt, ba fann auch ein frifdjeS ©ühnen: 
leben gefunbe SBurjet fchtagen", fo fd)rieb fürjlich einmal bie 
Augsburger „Allgemeine 3eitung" oon SBien aus. ©ebe bie 
©orfeljitng, baß pch bieS in ©epg auf Seutfchlanb bott erfülle, 
benn wie ©chitter fo fdjön unb herrlich fingt: 

„Sie Äunft, o Atenfcf), t)aft bu allein." 


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I 




124 


Site ®egrnmarL 


Nr. 34. 


Hie fltofagnomie bes Ütonks.*) 

9Bie Ijefl auch bie reine 3Baf)rheit ber SBiffenfdjaft ftrahlt, 
fte ftettt baS ^S^antafiegebitbe bet £>ppotf)efe, ber Sermuthung, 
fogar ber Älpung, welches erft nach Dielen Serwanblungen U)r 
nalje gu fommen hofft, nicht fo rüdftdjtSloS in ben ©Ratten, 
wie biejenigen glauben, beren grobnetDigem, Don maffibem SEBiffenö= 
brang erfüllten ©eift, nur bie feftgefteöten, ungweifelhaften 2ljat= 
fachen imponiren. ®ie SEa^rpeit ift ber Schmetterling, ben 3fße 
bewunbern tonnen; in ber Staupe aber baS gu fetjen, was einmal 
aus itjr toerben wirb ober fönnte, ift nicpt fo Sielen belieben. 
®o<h finb eS nict)t bie fdßechtcften Staturen, bie fich mit ®h e 'l= 
nähme bem noch Serhütiten, bem erft SBerbenben guwenben unb 
wir paben SeffingS SBort bafür, baß oft bie 3lrt, wie man 
hinter eine Sache getommen, ebenfo lehrreich ift als bie Sache 
felbft. „SDtan muß auch in ber ©elehrtenwelt hübfcf) leben unb 
leben laffen. SBaS uns nicht bient, bient einem Slnbren. 2BaS 
mir Weber für wichtig noch für anmuthig holten, holt ein Slnbrer 
bafür. Sieles für Kein unb unerheblich erflären, peif?t öfter 
bie Schwäche feines ©efiditeS befennen, als ben SSerth ber ®itigc 
fchäfcen." ©S gibt eben auch ein menfdjlicheS 3ntereffe an ber 
SBiffenfdjaft, unb felbft bie Srrthümer h a t> e11 bor einem weit= 
fchauenben ©eifte ben SBerth, baß fie eben Srrthümer beS menfdjs 
liehen ©eifteS finb. Oft wirb biefeS Sntereffe bem bi<hterifd|eit 
Derwanbt fein unb eine ©ebanfenreihe ahnenber s 2Irt, bie an 
irgenb welches ®ing anfnüpft, baS auS anberem ©efidjtspunfte 
betrautet auch ©egenftanb ber SBiffenfchaft fein fann, ift uns 
unter Umftänben menfehlich näher, bietet unfrem ©eifte beffere 
Stafjrung als eine ftreng wiffenfchaftliche Schlußfolgerung. ©egen= 
märtig ift man noch S u fe^r im ©ntbeden unb ©rfinben begriffen, 
um biefen SBerth gang gu fchä|en. ®ie meiften SBiffenfdjaften 
finb gu jung, um mit genügenber Stulje auf bie ©ntwidlung 
ihrer SBaljrheiten aus gangen unb halben 3rrthümern gurüds 
bliden gu tönnen. ®aS ift gang natürlich- ÜJian wirb erft in 
einem gemiffen Sitter retrofpectiD aus Steigung, aber man foH 
eS deinem Oermehren, über feinen Stücfen weg einmal nach bem 
%$aU gurüdgubliden, aus bem er nach ber reinen Sonnen= 
höhe hinaufftrebt. ®ie ©ipfel finb h«ß, ober meiftenS auch fott 
unb fahl; bie Klarheit beS UmblideS, ben fie gewähren, ift er» 
ftrebenSwertf), aber wohnlich finb fie nicht. ®er Stebel ber X^äler 
mag unS manchmal brüefen, fo lang wir im Xpate wohnen, aber 
WaS er berhüßt, fteht unfrem bergen näher als biefe falten 
Seifenhöhen. 

Sielleicht führen bie Setrachtungen,' bie in biefem fjefte 
hier ein jfreunb beS nächtlichen ©eftirneS, beS fagenumwobenen 
SRonbeS, über bie Shbfiognomie beS SieblingeS ber ®idjter unb 
Xräumer anfteHt, nicht in folcfje hohe Stegionen, biefleicht bleiben 
fie fogar weit barunter unb werben oon ber ßutunft höchftenS 
unter bie Ißhantaften gerechnet, bie Don älteften 3eiten her baS 
Sternengitter beS Rimmels umranfen. Sch foge uiedeicfjt. @inft= 
weilen barf bie 3>bee, bie hier bettreten ift, fich jebenfaßS mit 
einem gemiffen Stecht auf Seacfjtung auch an bie wiffenfdjafts 
lichften Steife menben. Sie ift erftenS auS guter unb alter 
(familie unb fteht beS SBeiteren aud) ohne baS feft genug auf 
ihren Süßen. ®ie ffrrage, welche offen bleiben muß, ift nur bie 
nach ber Öänge beS SBegeS, ben fie in biefen Greifen wirb gurüds 
legen fönnen, benn baS offene SBort ber SolfSmeiSheit Don ben 
furgen Seinen, welche bie Siegen hoben, finbet auch fehr auSge* 
behnte Slnmenbung auf ungenügenbe wiffenfchaftliche Jphpotljefen. 
SlflerbingS finb biefelben aber barum noch nicht für tobt p er= 
Hären, wenn fie auch in biefer h'obernifjteichen Sahn ber 
miffenfchaftlichen SBettläufe fich müb gelaufen hoben. 3h re ®toft 
genügt bann immer noch boßauf, um auf anberen ©ebieten 
fogar ftotg auftreten p fönnen, unb bie literarifdjen ®obten= 
gräber mögen nicht glauben, baß bie Stiche ihrer Sehern immer 


*) $>ic $hDfi° 0 uomie beS SJtonbeS. Serfudj einer neuen Xentung 
im Slnfdßuß an bie Arbeiten Don Wähler, StaSmptt) u. Enrpentcr Don 
31 ft et io 3 . 9lörblingen 1879, 6 . SectS ffieclag. 


befinitibe XobeSwmtben beibringen. SDtan hot es erlebt, bah 
rite Xobtgemachte nach einiger 3«t wieber auferftanben, Don 
Steuern in bie Sahn getreten unb mit ©lang fieggefrönt Wor* 
ben finb. 

SBaS bie Slbftammung beS ©ebanfenS betrifft, welcher über 
beS SRonbeS ülngeficht hier oorgetragen unb ausgearbeitet ift, 
fo fann eine würbigere nicht leicht gebacht werben, ©r ift ent= 
fernt oerwanbt, bort wo er SJtonb unb ©rbe in Sergleich gu 
einanber fefjt, mit 3been, bie mit bem Stempel ffantS unb 
51. D. $umbolbtS gegeichnet finb, unb feine Siächftangehörigen 
finben fich unter ben Setrachtungen, welche heroorragenbe phhfi* 
falifche Genfer ber Steugeit über bie SBirfungen ber SReteoriten 
auf anbere §immelsförpet angefteßt hoben, mit benen biefelben 
in ihrem Saufe burch ben SBeitraum in Serührung fommen, 
ober mit anberen SBorten, auf bie fie Ijeiobftürgen müffen. ®ie 
gröfiere Sea^tung ber SReteoriten unb gröbere SBirfungen, bie 
man ihnen gufchreibt, charafterifiren ja entfehieben bie neuere 
foömifche fßhhfif. Sielbefprochen ift bie Slnficht beS genialen 
Stöbert SRapet, bab bie SBärme ber Sonne genährt werbe burch 
bie in SBärme umgefefcte Stobbemegung ber SReteoriten, bie in 
biefen mächtig angiehenben Körper beftänbig gleichfam tyntin- 
praffeln müffen. 3. Xh om f° n h°t nach anberer Stichtung fich 
über bie SBirfungen ber aufeinanber treffenben SBeltförper auS= 
gelaffen, aber leiber burch «ine faum im ©rnft gu nehmenbe 
Semerfung über Seime unferer organifepen Schöpfung, bie auf 
biefe Strt aus bem SBeltraum unferem Planeten angeflogen fein 
fönnten, ben ©inbruef feiner übrigen Setmuthungen fehr ftarf 
abgefdjwächt. Proctor hot gewiffe Heine ©inbrüde ber 3Ronb= 
Oberfläche oon herabgeftürgten SReteoriten abgeleitet. ®ant unb 
51. Don ^umbolbt finb beibe mit ben Stnfdjauungen ber meiften 
Don ihren aftronomifchen unb geologtfhen 3citgenoffen übet bie 
Statur ber SRonbobetßäche nicht einDerftanben gemefen. Sie 
finb inbeffen in biefer Segiehung nur Sertreter einer gangen 
©ruppe Don Sorfehern, gu benen eigentlich felbft bie üorgüg: 
ließen älteren SDtonbfenner wie SRäbler u. 51. gehören. ®iefe 
aße tarnen nicht fo leicht über bie Schwierigfeiten Weg, welche 
jebe Don irbifchen Serhältniffen auSgehenbe ©rHätung ber Sers 
hältniffe bet ÜRonboberfläcfje in bem Unterfchiebe begegnet, ber 
bie ©runbformen ber ©tbs unb SRonboberflädje weit Don eins 
anber trennt. 

®aS eigentliche ^ßrobletn ber Selenologie liegt in ben 
mannigfaltigen runben Sertiefungen unb Umwaßungen ber 
SRonboberftädje, welche man noch lange nicht erHärt hot, wenn 
man fie auch mit noch fo großer Seftimmtheit als „tratet" be= 
geichnet. ®iefe mit halb niebrigen, halb hochS^ügShaften 
SBäßen umfchloffenen ©benen unb ©infentungen fchwanfen an 
©röjje gwifdhen ®urchmeffern Don 30 geographifchen Steilen unb 
einigen 100 SRetern unb ihre 3ohl ift gewaltig groß; fie fann 
ohne Serüdfidjtigung berjenigen, welche man wegen ihrer ge* 
ringen ©röße nicht erfennen tann, auf 100,000 geßhäfjt werben. 
2Bifl man, ber lanbläufigen Slnfiijt folgenb, annehmen, baß bieS 
aßeS Sulfanfrater, überhaupt ©ebilbe Dulfanifcher Statur feien, 
fo fieht man beim Sergleich gmifchen ©rbe unb SRonb fogleich 
ein, baß bie Saraßelifirung mit ben entfprechenben ©ebilben 
unferer ©rboberflädje immer nur fehr bebingt fein tönnte. ®enn 
auf ber ©rbe gibt eS feinen Sulfanfrater Don mehr als gWei 
günftel geogr. SReilen ®urchmeffer (biefe ©röße erreicht aßein 
ber SRauna ßoa auf ben fjamaiifeben Snfeln) unb bie 3oßl ber 
Sulfane auf ber gangen ©rboberflädje, bie 13mal fo groß ift 
als bie beS SJtonbeS, ift nicht mehr als wenige ®aufenb unb 
babei gähten hoch fogar noch bie fleinen mit. 3äljlt man auch 
felbft aße fleinften Schlünbe, bie mit ben größeren Sulfanen 
oergefeßfdjaftet finb, fo würben auf bem SJtonb bodj noch immer 
Diel mehr fich befinben. ®hotfä<hlich bebeden fie bie SRonbs 
Oberfläche in einer SluSbeljnung, mit welcher Derglichen bie Ser* 
breitung ber Sulfane auf ber ©rboberflädje gang unbebeutenb 
ift. S'ant beftritt fchon 1785 mit großenteils noch h eute gültigen 
©rünben bie fogenannte Dulfanifche ®l)eorie ber Monboberfläche: 
„®ie Krater auf ber ©rbe finb fo Hein, baß fie Dom SJtonbe 
auS nicht gefehen werben fönnen. 3*ne großen ©ebirgSgüge, 

e 




Nr. 34 


itr <5 e 5 e n ro a r t. 


125 


von benen bie ©unbßächen umfangen finb, haben vielmehr eine 
treffenbe 2lehntidjfeit mit heidförmigen Bügen unouttanißher 
Sebirge ober Sanbrüden auf unferer Erbe. Siefe umfaffen ganje 
ßänber unb mürben oom ©lonbe aud ähnlich mie jene Sieden 
erfcheinen. Spcho hat 30 ©teilen im Surchmeffer unb formte 
mit bem Königreich Söhnten, Slaoiud an ®töße mit bem 3Karf= 
grafentljum ©täljren verglichen merben. 2lud) biefe Sänber finb 
fraterähnlidj von ©ebirgen eingefaßt, von melden ebenfo mie 
ton bem Stjcfjo fi<Jj ©ergfetten gteid)fam im Sterne oerbreiten. 
Siefe ftnb nicht oulfanifdjen Urfptungd, fo auch bie entfpredjen; 
ben ©ebilbe auf bem ©lonbe nidjt." 21. oon fjumbolbt fdjeint 
an biefe ©emertung anjufnüpfen, roenn er in ber Einleitung 
jum erften ©anbe feined „Sentral=2lfien" oon ber aralodadpifchen 
Sieberung fagt: „Siefe Soncaoität ber alten SBelt ift, unter 
einem geologift^en ©efidjtdpunfte betrautet, ein Kraterlanb, mie 
Slaoiud, Schifarb, ©ouffingault unb ©tolepiäud auf ber ©tonb; 
oberßöche, roelche bid 43 ©teilen im Surchmeffer haben, unb 
cber mit ©öhmen ald mit ben Slbhängen unb Kratern unfrer 
Sultane ju vergleichen finb." 

2Inbte Eittroürfe gegen bie 2litnaljmc, baß bie Oberflächen; 
geftaltung bed ©tonbed outlanifdjen Eruptionen ihre Eigentum; 
lidjfeiten oerbanfe, bejiehen fidf auf bie anerfanntc 2lbroejcnheit 
ton SBaffer an ber ©tonboberßäcße. Sad erftere fpielt eine 
Hauptrolle in allen oulfanifdjen Eruptionen auf ber Erbe, unb 
cd ift nicht benfbar, mie eine irgenbmie bebcutenbe Shätigfeit 
biefer 2lrt oßne bie treibenbe, ^cfaeitbc unb fdjleubernbe SBirfung 
gefpannter SBafferbämpfe ju erflären fei. SSiH man bie treibenbe 
Kraß in ©afen fudjen, fo fehlt ebenfo faft fidjer auch bie 2ltmo; 
fphüre, unb für biefen ©langet mürbe man und nicht bie etmad 
billige Erflärung Oorfe^en fönnen, mit ber einige ©tonbfunbige 
bie 2lbmefenheit bed SBafferd beuten mollen. Siefelben behaupten 
nämlich, baß bad SBaffer fich in bad innere bed ©tonbed jurüd; 
gezogen habe, nachbem ed früher an ber ©eftaltung ber öber= 
fläche beöfelben Sljeit genommen. Sie iphpotljefe ift ju meit 
hergehott, felbft für einen fo ^f>ot^etifc^en Körper mie ben ©tonb 
ju fchroach funbirt. Saß bie ringd um bie Krater aufgemorfenen 
Staffen bem Siefraum, ben fie umgeben, an ©röße fo menig 
entfprechen, ift ein roeiterer ©runb, ber gegen ihre Entfteljung 
burdj 2tudmurf (Eruption) fpricht. Sie Ebenen, rocldje ben 
©runb ber fogenannten ©tonbfrater einnehmen, liegen unter bem 
umgebenben ßtioeau, bei unfren Erbhatern finb fie belanntlidj 
faft immer auf ober an Erhöhungen bed ©obend gelegen. Sad 
finb minber gemichtige ©rünbe gegen bie eruptioe 9iatur ber 
SRonbfrater, aber fie ftnb nicht geroidjtlod im ©erein mit ben 
übrigen. 3ur ©oth tann man ganj befonbere Sruptiond; 
.etfcheinungen fi<h benfen, metche fogar biefen Eigenthümlichfeiten 
bet ©lonboberßäche unterjulegen mären. Unb in ber Sljat be; 
ruhen bie 2tnf<hauungen ber ©tehrjaljl unfrer heutigen ©tonb= 
funbigen auf einer eigend für biefe ffierljältniffe abaptirten 
©ruptiondleljre, bie freilich mit ber Sehre oon ben irbifdjen 
Sulfaneruptionen nidjtd Slnbered ald ben ©amen gemein hat. 

Eine neue 4?hP ot h e f e für biefe feltfamett ©erhältniffe braucht 
in biefem 3üftanbc bed ©djroanfend geroiß nicht erft ihre ©e-- 
rechtigung nachjutoeifen. 2lfteriod, inbem er und eine foldje bietet, 
ftettt fich auf einen ©tanbpunft, ber bem ber Eruption entgegen; 
gefefct ift. SBeited 2ludeinanbergehen ber Erflärungdoerfudje ift 
natürlich bei fo großer UnooMommenheit unfrer Kemttniß oon 
ber Sache, bie erflärt merben foD. 2lfteriod’ ©tanbpunlt ift 
ber ber Situation. 3hm hoben oom SEBeltraum hereinregnenbe 
SReteoriten bie Söcher in bie ©tonboberßädje gefchlagen, bie mir 
ald freidförmige ©ertiefungen bnfelbft finben unb bie ©erfchieben; 
heiten berfetben erflären fich theild aud ben 2lbroeidjungen in 
ber ©röße unb ber Slugrichtung biefer fodmifdhen ©rojectile, 
theild aud ben üerfchiebenen ©ilbungdepodjen, bie bie ©tonb; 
Oberfläche mährenb ber Seit burdjlief, in ber fie biefen Oon außen 
her fommenben ©Bildungen audgefe|t mar. ©immt man an, baß 
fie auf bet erften ©tufe, auf ber mir und ben ©tonb ald be; 
fonberen SBeltlörper oorjußetlen vermögen, in feuerflüfftgem 3ußanbe 
f«h befanb, fo mirb man begreifen, baß Ijereinftürjenbe frembe 
ftbtpet ft<h auflöfen mußten. Sie ©ermehrung ber ©taffe biefer 


Satelliten mar bann ber ganje Effect. 2Bar bagegen bie ©anb= 
fehießt ber Kugel bereitd in einen jähharten 3ußanb übergegangen, 
fo fchlug ein hereinftürjenber Körper ein Sodj in jbie Schale 
unb bie heraudbringenbe flüffige ©taffe mailte roeitljin über, 
fchmolj bie ©änber bed flodjed unb ed blieb rooljl eine 1 äußerfte 
©ingmetle erftarrt ftehen, ähnlich mie menn ein fefter Körper in 
einen fehr jähen Schlamm gemorfen mirb. Sie fogenannten 
SBattebenen bed ©tonbed, roeite einförmige Ebenen mit abge= 
flachtet, öerhältnißmäßig nieberer UmmaDung, mürben am natür; 
iidjßen ald auf foldje SBeife entftanben anjufehen fein. SEBar bie 
Erftarrungdfchale härter gemorben, fo tonnten bie 2tntömmlinge 
aud bem SSeltraum mohl immer noch ©ruben einfcßlagen, aber 
fie oerfanfen roeber immer in bie liefe bed flüffigen Erbinnern, 
noch quoll biefed in jebem gaüe aud ber Deffnung über. 3m 
©egentheil jerfchmetterte ber frembe Körper auf ber harten 
©chale unb feine Srümmer bilbeten jufammen mit bem hetaud; 
gemorfeiten Schutt jene hohen SBälte, bie bie hohen ©inggebirge 
bilben. 3ft ber ©runb in ber Siefe eined folgen ©inggebirged 
flach unb glatt, fo fann man glauben, baß ber Stoß hinreichte, 
um einen Shell bed flüffigen 3uueren heroortreten ju laffen; 
ift fie mulbenförmig, fo erfenut man baran ben Einbrud bed 
fich eittmühlenben Körperd, unb biefe Seutung ift um fo mal)r; 
fcheinlicher, ald in ber ©egel foldje ©lulben uuter bem ©ioeau 
ihrer Umgebung liegen; ift fie enblith mit einet Herüorragung, 
'halb bergartig fthorf, halb nur aufgemölbt, in ber ©litte ücr; 
fehen, fo fann barin ein ©eft bed umljetgefcbleuberten unb im 
©inggebirge noch JumSheile aufgehäuften ©tur jförperd erhalten fein. 
2lber biefe Srümmer mürben manchmal auch meit umhergefdjleubert 
unb bilben bann bie mie 2lbem oon bem ©inggebirg audftralp 
lenben erhöhten Streifen. Sort mo ©Ipriaben von Meinen ©er; 
tiefungen ber ©tonboberftäche ein narbenootled 2lnfehen oerleihen, 
haben mir bie ©ermüftungeu eined „fodmifdhen ^agelmetterd" 
oor und. Sie ©efefjoffe unferer mobernen ©iefengefchü|e mögen, 
mo fie einfehtagen, ben ©oben ju ähnlichen fchuttumranbeten 
©lutben aufmühlen. Siefe Erflärung liegt gerabe für bie flei; 
neren ©ruben fo nahe, baß fie fd)on einige 3af)re oor 2lfteriod 
oon bem befannten 2lftronomen ©roctor aufgeftettt morben iß. 
2 lfteriod erflärt auch bie fogenannten Sidjtftreifen, bie oon Ei= 
nigen ald Saöaftrüme, oon 2lnberen ald oon innen h er °er 
urfadjte Sprünge angefpro^en morben, ald ftraljlenförmig meg= 
gcf^leuberte Srümmer fodmifcher ©laffen, bie Uereinftürjten. 
Enblich gibt er auch für jene bunfeln Stächen, bie ald foge; 
nannte ©leere, ©een unb Sümpfe faft jroei Sünftel ber und 
jugemanbten ©lonboberflädje bebeden, eine Erflärung im 3u= 
fammenhang mit feinem ©runbgebanfen. Ed ßnb ihm erftarrte 
Ueberfchmemmungen ber auf oon außen erhaltene mächtige Stöße 
hin aud bem ©lonbinnern heraudgetretenen flüffigen @efteind= 
maffen, bie man nach itbifdjet 2lnalogie auch Saoen nennen fann. 

2Bir folgen nicht unferem ebenfo pljantafiereichen mie com 
fequent fortfehreitenben 21fteriod in bie 2tnmenbungen, bie et Von 
feiner bebeutfamen 3bee auf bie Erboberfläche madjt. Er fnüpft 
an Shatfachen an, mie fie oon Kant unb 21. oon $umbotbt in 
2 lnalogie bet Sormoerhältniffe an bet ©lonboberßäche tyttior- 
gehoben morben finb. Erfreulich ift in unferer hhpotljefenfetigen 
Seit bie ©läßigung, mit ber er biefe 2tnroenbung macht. Er 
fühlt offenbar, baß bie confequente Surdjfühtung eined öil; 
bungdgebanfend leichter iß gegenüber ben nur in ben größten 
3 ügen oor unferem betoaffneten 2luge auftauchenben ©erhält« 
niffen bed ^»immeldförperd, ald angefidjtd ber unenblich oer; 
fchlungenen, einanber unjählige ©lale burchfreujenben Erfchei- 
nungen an ber Srboberßädje. „Unfere fpqpothefe," fagt er, „iß 
nicht fo ju oerßehen, ald trete ße in ©egenfaf} jur Eontrac; 
tiondleljre. 3m ©egentheil. Siefe mirb in ihrer ©ebeutung 
anerfannt. Sie ift unb bleibt bie ©oraudfejjung für bad rieh« 
tige ©erßänbniß ber meiften Erßheinungen. Ed mirb ihr nur 
eine Ergänjung ju Sljeit, inbem ald ©runb bed Einßnfend 
nicht audfu,ließlich bie ©eßmere unb Spannung ber Sede unb 
bie Südenhaßigfeit bed Unterbaued angefehen mirb. Ed fam 
in manchen Sätlen ein Stoß oon oben hmp unb führte bie 
Entfcheibung herbei. Ser Sturj eined fodmifchen Körperd gab 


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126 


JDir 


N,r. 34. 


ber (jinfinfenben ©d)oße ißre ruttblidje ©eftalt unb berlieli ber 
tangentialen ®raft ißre $eftigfeit. ©o mochten neue ©ebirge 
in ber bejcßriebejten ©eftalt entfielen, ©o mosten fdjoit oor= 
lianbene SBergfetten, bie einer einmaligen fpontanen Hebung unb 
©cnfung itjren Urfprung o,erbanften, eine SSerfrfjiebung erleiben 
mit aßen ben feltfamen folgen, ineldje bie neuere gorfd^ung 
iitäbefonbere an ben Sllpen nadjgeroiejcn ßat." 

5Bir iibcrlaffen e§ bept 8efer, biefen ©ebanfentetljen in 
bem SSüdjletn felbft, baS, beiläufig gefagt, oortrefflicb gef Trieben 
ift, näße'r ju folgen. Sind) »poflen mir nid^t burtß breite $ar= 
legung ber ©imoürfe, benen biefe Srcuptipndleßre offen fteßt, 
biefe lutje Slnjeige ju einem ©treitartifel jyfijjärfett. SBir be= 
gnügen und, an bie ©djtuierigfeiiert ju erinnern, bie in ber 
Ülnnaljtne liegen, baß ein fo Keiner SSBeltförjper tote ber SJfrmb, 
jolcße ßJiaffen bon Heineren fflfltförpern an ftdj gejogen höben 
fofl; pn ben ßRangel bpn Äugelbrucbftütfen, bie non ber Ser* 
trünimernng tunber SBeltförper her übrig fein müßten; an ba3 
oerifälfnißwäßig feltene Sorforamen opn älteren Sinbriicfen, bie 
bur<h neuere ßalb bermif^t ober burdffreujt finb; an bie für 
3rrnption8Hüfte faft ju große SRegelmäßigteit ber mannidjfal; 
tigen fßipggebilbe; ertblid) an bie ©djtoierigfeit, für bie anberen 
SBeltförper unb oor Ment bie @rbe, entfprec&enbe ©ebilbe nacf|= 
jumeifen. Jra «3 «inftebel. 


JIuö ber 

Dnnnatifäie ^upßrungeu. 

SHabatne Bauart. 

Äogtifcge Operette in 3 mieten bon ^ i ö p t unb X u r u. 

SRufil bon Qafob Offenbad). 

3m eigentlichen Zentrum non Baris, in ber ttRitte beS Boulevard 
des Italiens unb ber Rue Le Pelletier gegenüber liegt eines ber 
populärften Xgeater non BariS: bie Äomifdje Oper. Xie Straße, welche 
an biejem Xgeater borbei in ber SRicgtung auf bie Seine führt, geißt 
Rue Favart. Xie banlbare Stabt hat bamit einem Spanne, ber fiep um 
bie §cbung ber fomifegen Oper in granfreieg fegr bebeutenbe Berbienfte 
erworben hat, ein egrenbeS Anbeuten weihen wollen. 

giir ben granzojen ift gabart, wenn feine SBerfe auch flum großen 
Xgeil ber Bergeffengeit anheimgefallen finb, noch immer ein fehr populärer 
Aante unb mit einem Sweige ber bramatifchen fünft bauernb oerbunben. 
SBenn ber granjofe baher baS (Ehepaar gabart als gelben eines Xgeater= 
ftüdteS fieht, fo empfinbet er babei etwas ganz AnbereS unb toiel mehr, 
als ber AuSlänber, ber, wenn er fich nicht ziemlich fpecieK mit ber 
©efchitgte ber franzöfijegen Bügne befchäftigt, biefen tarnen faum jemals 
gehört hat. Rector SRalot, ber fich feitbem ju einem ber befannteften 
franzöfifdgen SRomanfcgriftftetter aufgefegwungen unb mit feinem neuften 
Vornan, „Sans famille“, ben Breis ber Afabemie baüongetragen hat, hat 
bem (Ehepaar gabart in ber |>öfer’fdgen „Nouvelle Biographie g^n^rale“ 
eine ziemlich umfaffenbe Biographie unb (Egarafteriftif gewibmet, ber bie 
folgenben Xata entnommen finb. 9Ran wirb barauS erjegen, baß bie 
Berfaffer beS XejteS ber neueften Offenbadg’jdgen Operette, „Madame 
Favart“, fich int SBejentlicgen gewiffenhaft an bie thatfächlichen Bor^ 
gänge gehalten haben. 

(EgarleS Simon gabart, ber am 13. SRobeijtber 1710 ju Baris ge¬ 
boren würbe, war ber Sohn eines $ucgenbäcfeTS. (Er befugte eine höhere 
Segranftalt unb würbe bort fogar mit einem greife gefrönt. 9ftdjtS= 
beftoweniger feßte er, um feiner fühitter einen Unterhalt ju gewähren, 
bas (bewerbe beS arm öerftorbenen BaterS fort. 3n feinen SJfufjeftunben 
fchrieb er fein erftes Baubeoille, bas auch gleich burchfchluß @in fejeher 
SRann, ber fich nfar bas Stücf fehr gefreut hatte, fudjte bie Befannt^ 
fchaft beS bieloerfprcchenben XtcpterS ju mad^en unb war nicht wenig 
erftaunt, als ihm ein jugenblicper Äucheitbäder oorgeftetlt würbe, gabart 
fanb in biefem ginancier einen wahren ©öntter. ®S würbe ipm er= 
möglicht, fein ^anbwerf aufjugeben unb fich &er bramatifchen ÄHmft ju 
Wibmen. 


3n fehr furjer Seit feptieb nifn gabart mehr als jwanjip fßojfen 
für baS BolfStheater, fämmtlich anongm. Sein erfteS Söerf, uuter baS 
er feinen Sfytmen fegte, ift: „La chercheuse d’esprit“, bgS eines {einer 
befannteften geblieben ift. (Einige gahre nachher, im 3ah*e 17 f 45, tpurbe 
er Xirector ber „Äomifchen Oper" — in biefeS 3ah* h a &en atjUh 
Sibrettiften bie Jpanblung ihres XejteS berlegt — unb heieatjhete fine 
fehr talentbolle Schauspielerin, f bie bamalS ^weiunbjwan^jßjährige JRarie 
gnftine Xuroncerap, bie als SEodfjter eines SRufiferS eine fehr gute (Er? 
jiehung erhalten unb ein 3ah* borher unter bem Stauten gräulein 
©hantillp mit einem ganj ungewöhnlichen (Erfolge auf jber Bfihne ber 
„^omifchen Oper" bebütirt hatte. Unter bem fehr begabten Xitector 
unb beffen fegöner, nicht minber begabten grau nahm baS Xheater ber 
omifchen Oper" halb einen gan$ unerwarteten Sluffchwung, fo bafj bie 
concurrirenben Bühnen, namentlich baS Thäätre fran 9 ais unb baS 
„gtalienifche Xheater", aße möglichen Kabalen in Scene fegten, um baS 
gefährliche ^unftinflitut ^u ©runbe ju richten. (ES gelang ben fran&öfifchen 
unb italienifdfjen Äomöbianten auch, ih r ^n erreichen, gabart würbe • 
abgefegt unb baS Xheater gejdfjloffen. 

Um jene 3eit nun machte ber SDtarfchaU bon Sachfen, ber, p)ie ganj 
^ariS, bie junge Xirectorin gefehen unb beflatfcht hatte, gabart ben 
Borfthlag, bie Seihmg ber Schaujpielertruppe ju übernehmen, bie ber 
SDtarfdfjaH bon Sachfen in feinem Säger unterhielt. Xer Xichter, ber in 
biejem Borjchlage nichts bon argen Bänfen witterte, nahm baS Anerbieten 
feines ©önnerS banlbarlichft an. @r begab fich mit feiner grau nach 
glanbem, unb jebeS (Ereignifj beS XageS würbe bon ihm ju einem (&e= 
legenheitsftücfe, baS er mit unglaublicher Seichtigfeit hinwarf, benugt. 
3m feinblidf)en Säger wollte man bem Beifpiele beS SJlarfchaßS folgen 
unb auch feine Sdfjaufpielertruppe haben; man wanbte fi<h ebenfattS an 
gabart. SBunberbarerweife erhielt biefer bon feinem (Gönner bie (Er- 
laubnig, mit feiner ®efellfchaft auch int getnbeSlager $u fpielen. SRan 
fieht, es ging ziemlich gemüthüch su. Xer Xirector war überglücflid); 
aber halb würbe eS für ihn hoch gar $u gemüthlich- @r lottnte ftch 
nicht barüber täufchen, bafj er bie ©upft, beren er fidf) ju erfreuen gatte, 
weniger feinen Berbienften unb feiner perfönlithett Xhätigfeit als einan 
Slebemtmftanbe oerbanlte, unb ber war: baß ber SRarfcgatt bon Sgd^fen 
ftch in grau gabart berliebt hatte. Xer SWarfcgall würbe ber jungen 
grau gegenüber fo beutlicp, baß biefe bei SRacht unb Slebel bapon tief 
unb nach ®rüffel flüchtete. AIS ber SOtorfcgall biefe gludjt erfuhr, getietg 
er in eine unglaubliche SButh, unb er leerte bie Schale feines 3 or neS 
auf baS Jpaupt beS unglüdtlichen (hatten. (Er mißbrauchte feine SRacpt, 
einen Bergaftsbefehl gegen gabart ju erwirfen. Auch gabart rettete fieg 
bureg bie glucgt unb enttarn nach Straßburg, wo er bon einem fßriefter in 
einem fetter berfteeft würbe; üitb bort friftete er, inbem er bei Sampen* 
liegt gäcger colorirte, einftweilen fein Xafein. SBährcnb biefer 3^it trat 
feine grau immer mit bemfetben raufegenben (Erfolge auf ber Bügne ber 
„3talienifcgen Oper" auf. Xa fie ben gartnäetigen Bewerbungen beS 
SRarfcgattS noeg immer SBiberftanb leißete, ließ biefer fie in ein Ätoftcr 
jperren, wo fie wie eine Staatsgefangene beganbelt würbe. 

(Enblicg erlag SRabame gabart ben unerntüblicgen Befolgungen beS 
mächtigen SRarfcgattS. SRalot fügt biefer SRetbung ginju: „Sie buchte 
wogl mit fRecgt, baß bie Uncgre in einem folcgen.gatte lebiglicg auf 
benjenigen fiele, ber fogar einem Bleibe gegenüber bor ben fegmaegbottften 
SRitteln niegt jurüdtfchredfte." $ur$e 3eit barauf 1750 ftprb ber SRarfcgatt. 

Xa fcglug benn auch für ben ungtüdtlicgen gapart bie Stunbe ber 
©rlöfung. @r tarn nach ?nrtS jurüdt unb würbe nun für baS „Stalienifcge 
Xgeater" einer ber nüglicgften unb fruegtbarften Scgriftftetter. ^r fegrieb 
eine ganje Steige bon reijenben BaubebitteS unb tomiffgen Opern, bon 
benen einjge fogar bem Sturm ber Seiten getropt gaben. befann^ 
teften außer bem fegon genannten (Erftlingswerte finb: „Le cocq du 
village“, „Bastieu et Bastienne“, eine fegr wipige B^obie eines 
Stouffeau’fcgen StüdfeS, ferner: „Ninette a la cour“, „Les trois Sultanes“ 
unb „L’Aoglais ä Bordeaux“. 

3m Sagt* 1772 berlor gabart, ber bantals alfo G2 Sagrc aägUe, 
feine grau. Xiefer Berluft machte ign ganj untröftlicg. 3n ber Arbeit 
fuegte unb fanb er einige Serftreuung. tttoeg awanjig Sagre überlebte 
er feine ©attin unb ftarb im Alter bon 82 Sagten am 12. 3Rai 1792 
in Baris. Bon feinen SBerfen finb berfegiebene Ausgaben erfdgienen, bie 
befte ift bie in 10 Bänben. Sa $arpe gat bie literarifcge Xgätigleit 
gabgrtS fner fegr eingegenben Äriti! unterzogen, in feiner Siteraint- 
gefchicgte Banb XIV, Seite 158—232. 


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fy. 34. 


Sie ®egenntari 


127 


tiefer gaoart unb feine grau finb aljo oon ben Herren Ggioot unb 1 
Tunt zu gelben einer fontifegen Oper gemalt worben, unb man mug 
$ugegen, bqg biefe Vkgl weniggenS für ein franzögfegeS publicum als 
eine fegr glüeflicge ju bezeiegnen ift. Tie $anblung biefer neuen fontifegen 
Cper fnüpft an baS Abenteuer, baS baS Äünftlerpaar gegen ben Btarfcgafl 
oon Saufen 511 hefteten gatte, an. (Sin Beooßmäegtigter beS BiarfegaflS, 
ber SRarquiS oon Vontfable, ber TppuS beS Btarquis aus ber fomijegen 
Cper, giegtifeg unb gebrechlich, babei oon fegr oerliebtem Temperament, 
gat ben Auftrag bie Stückigen einzufangen unb ganbelt fo ganz unb 
gar im Sinne feines Vorgefepten, bag auch er fiep in Sttabame gaoart,. 
bie baS Äomöbiefpielen im Seben fortfept unb igm als ©atiin eines 
$oli$eüieutenantS entgegentritt, fterblicg oerlicbt. I 

gaoart unb feine grau finb, um igren Verfolgern zu entwifegen, 
genötigt, aflerganb SRuntmenfcganz z u treiben, halb in biefer, halb in 
jener Vetfleibtutg bie unwagrjcgeiniiihgen Tinge oorzunegmen; unb fo 
wirb ber urfprünglfdj gute Stoff bureg bie jegr leichtfertige unb allju , 
bequeme Bearbeitung ziemlich oerborben. TaS Buch ift nun nichts 
ÜnbereS, als eines ber gewöhnlichen altmobijcgen unb auch veralteten 
„Scgublabengücfe" geworben, wie „Tie gamilie gliebermüßer" unb 
ähnliche. Aber eine wefentliche Aufgabe gaben bie Sibrettofcgreiber 
eneicht: fie höben eine brillante Partie, Btabame gaoart, unb baneben 
öerfegiebene recht wirtfame (wie gaoart, ber ßftarquiS, ber junge fßolizeü 
lientenant unb beffen Braut, fpätere grau) ermöglicht. TaS Stücf ift , 
nicht übermägig unterhaltenb, aber eS ift auch nicht gerabe langweilig, 
unb wenn eine fo ausgezeichnete frünftlcrin wie grau Sftarie ©eiftinger 
in ber Hauptrolle beschäftigt ift, fieht unb gört man eS mit Vergnügen. 

Heber bie SRufü, bie gatob 0 ffenbacg baju gefegrieben gat, höbe 
ich in ben beutfehen Blättern faft nur fegr abfällige Urteile gelefen -- i 
Serurtgeilungen, bie meines GracgtenS nicht ganz oerbient ftnb. SRan j 
jagt bem Gomponigen ber „Sttabame gaoart" nach, bag er gealtert fei, 1 
bag er beftänbig fich fclbft, b. g. ben Gomponifteit beS „Orpheus" unb 
ber „Schönen Helena" beftehle, unb bag er fich von feinen jüngeren 
AiOalen, namentlich oon Secocq, höbe überflügeln laffen. geh will bie 
Gompofition biefer Operette gewig nicht p hoch gellen, ich toiß 0 er11 
jugeben, bag fich ber Bouleoarbgaffenhauer bisweilen oorbrängt unb 
bag, aber nur an einigen wenigen Stellen, ftarfe ^entiniScenjen an bie 
früheren Arbeiten antlingen, fo namentlich in bem ginale beS ^weiten 
ÄcteS an ben fogenannten „Höflengalopp" im „Orpheus". Aber ?S will 
mir hoch ffeinen, bag auch in biefer Gompofition ttoef) immer mehr 
Temperament — meinetwegen ein neroöjeS, etwas franfgafteS, aber 
immerhin Temperament — mehr griffe unb urfprüngüche Begabung 
enthalten ift, als in allen Vierten berer, bie auf ber Bahn ber burleSten 
Oper Offenbach gefolgt finb. geh meine fogar, bag „SRabame gaoart" 
viel forgfältiger gearbeitet ift, als bie meiften anberen Operetten Offeu= 
bachS unb bag eS mufitalifch einen gögeren Vattg beanfpruchen barf 
als jene. Sftait fönnte ba einzelne ganz allerliebfte Gnjemblejäpe auf; 
weifen, bie im Stile ber guten fomijehen Oper gehalten finb. Natürlich 
bebarf eS feines befonberS fein auSgebilbeten mufifalifchen Ohres, um 
in biefer Bhifif ben Gomponiften p erfennen; aber bamit ift noch nicht 
gejagt, bag er fich felbft befählen höbe; eS finb eben bie bei ihm immer 
wiebcrfghtenhtft Gigentgümlicgfeiten: oor allen ber furzatgmige, neroöfe 
SXhqtgmuS unb gewifje Segele, bie man treffenb mit bem allerbingS 
wenig «gewählten AuSbrucf als „mufifalifcher Ulf" bezeichnen fönnte, wie 
j. SB. ber Sßurmelcgor: „GS ift gelungen, fie finb bepmngen u. f. w.", 
ber fehr poffirlich baS Ouartett begleitet. 

®S ig nun ganj gewig nicht bie Aufgabe ber Btufif, wipig zu fein, 
unb Vicgarb Tagner hätte fich in ber neuegen Kummer beS eigenthüm- 
Uchften Blattes unferer Seit, ber „Bapreutger Blätter", nicht fo auzu= 
ftxengen unb feine Autorität nicht einzufepen brauchen, um biefe Selbft= 
t*rftänblicgfeü barzntgun. Tag aber in ber fomifchen Oper ein ntufifa= 
lijcger SBtg gerabezu zn oerbannen wäre, oermag ich nicht einzujehen. 

Ta bürfte man hoch allenfalls an Btozart erinnern („TaS Anbre oer= 
jegweige ich", mit ben Hörnern aus „gigaro" u. f. w.), an $apbn, ber 
ju ben ^Borten: „2Bir finb Sünber allzumal" zwei falfcge Ouinten gefept 
h«t, an bie befannte gagottfteUe in ber Arie beS BürgermeifterS oon 
Saarbam u. f. w. Von einer Beethooen’fchen Spmpgonie aber, wie 
Aitgatb SBagner fein Beijpiel fo unglücflich wie möglich wählt, ober 
etwa oon einem Trauermarfcge wirb fein SRenfcg 3Bipe oerlangen wollen. 
Tamit ig natürlich nicht gefagt, bag bie SRugf baS Vrioilegium ber 
^angweiligfeit höbe; oielmehr gilt auch oon igr wie oon ben anbern 


fünften baS oft citirte 2Bort über bie Ticgtfung: „Tous les genres soot 
bons, hors le genre ennuyeux.“ 

Von ber Targettung lägt fich nur baS Befte fagen. 9ttarie ©eigiüger 
gehört unftreitig zu ben begabtefteu unb oielfeitigften giinftlerinnen unfreS 
Theaters. SEBir fönnen ihr, ber Operette unb uns felbft nur ©lücf 
wünfepen, bag fie geh eine liebenSWürbige gneonfequenz höt zu ©cgulben 
fommen laffen. GS Igeg ö °r einiger Seit, grau ©eiginger höbe bem 
burleSten ©efauge für immer ben SRücfen gewanbt, um nur noch Schau¬ 
spielerin zu fein. So vortrefflich bie Shmgleriu in ben Wnzengruber’fchen 
Bauernftücfen ig, fo wogt igr fogar manche Aufgaben ber goh^n tragifegen 
Jfrtng gelingen, igr eigentlid^eS gelb ig unb bleibt — ich *oeig, & a g fie 
fieg bagegen oerwagrt unb bag ge baS als ein fragliches Gompliment 
betrachtet — boeg bie Offenbacgiabe unb VerwanbteS. Sie fingt ebenfo 
gut wie fie fpielt, igre Stimme ift frifeg, garf unb fpmgöthifcg. Sie 
befipt gefunben HumoT, Scgalfgaftigfeit uub hat eS in ber, zur franzö= 
fifegen mobernen Operette nun einmal burcgauS erforberlicgen Äung beS 
oergeigungsoollen, oielfagenben ^InbeutenS, .beS grratgeuIagenS Oon 
Tingeu, bie man Oerfcgweigt, weil ge bie SBelt weig, weiter gebracht 
als irgenb eine anbre beutfege Operettenfängeriu. SJtarie ©eiginger 
erinnert in biefer Beziehung lebhaft an Sßabemoifelle Scgneiber. ?llS 
Sftabame gaoart gat ge mit aßen igren GoupletS unb Siebern, nament= 
lieg mit ben mciftergaft üorgetrageuen Grzäglungen im zweiten unb 
brüten 9lct, bem 9?onbo: „stiegt fpreeg’ icg oon Äinberjagren", unb bent 
als „Sieb" bczcicgneten Vortrage: „gnS föniglicge 3 e ^ gelangenb", einen 
ootlftänbigen Grfolg errungen. 2Ra^ Scgulz leiget als flappriger BfarquiS 
baS Mögliche unb Unmögliche. Gr egargirt fegr garf, aber er erzielt 
aueg einige berbfomijege BJirfungen. H^vr Swoboba ift licbenSwürbig 
unb frifeg wie immer. Sieben igm pmg auch glein, ber nqmfutlicg 
in bem Tprolerliebe als ausgezeichneter gobler grau ©eiginger auf bas 
3Birffamfte unterftüpte, lobenb erwägnt werben, gräulein Btütter, bie 
bie Suzanne gngt, ift eine gübfege Heine Blonbine bie eine gübfege 
fleine, noeg etwas fcgwanlenbe Stimme gat unb in ber gereotppen 2ln= 
mutg igrer gleicgmägigen Bewegungen uo^ bie golbe gugenblicgfeit ber 
Anfängerin oerrätg. GS ig immer beffer anzufängen als aufzugören. 
TaS präcife unb tüchtige Gnfemble lieg bie ^rfqgrpne Seitung beS Ober= 
regiffeurS Teplag erfennen. 

An biefen möchte icg noch eine $rage, refpectioe eine Bitte riegten: 
gg eS benn unumgänglich notgwenbig, bag in aßen Operetten ber griebricg= 
SBilgelmgabt beim ginale eines jeben ActeS ber Ggor — in erfter Sinie 
immer bie megr ober minber jungen Tanten mit möglicgg unbefangnen 
unb möglicgg braßen St ogümen — in Vörabegeßung aufgepganzt wirb, 
alsbann uaeg bem Tempo beS unoermeiblicgen ©alopps in fleinen 
Scgritten auf bie äiantpe oormarfegirt unb bann in benfelben fleinen 
Scgritten wteber nach hinten rücft, um jcglieglicg mit befongerem Gptrain 
noch einmal nach porn zu gürzen, worauf bann ber Vorgang fäßtV — 
Tiefe Gjercitien finb ja an fich reegt gübfdg, aber eS wäre boeg vielleicht 
gut, weun einmal ber Abwechslung halber irgenb ein finnreieger Grfap 
bafür gefegafft würbe. 


lBibli(0riiphie. 

griebmann, 0. Berng., zegu 3 ögre ögerreiegifeger Volitif 1869—1869. 
Tagebuch zur Seitgefcgicgte. l. Bb. gr. 8 . (XVI, 406 S.) SSien, 
StoSner. 7. 20. 

Strecffug, Abf., 500 3agre Berliner ©efegiegte. Vom gifegerborf zur 
SBeltgabt. ©efegiegte u. Sage. 2 . \J[ug. 10 .— 14. Sfg. 4. (S. 
861—560.) Berlin, Brigl. baar ü —. 60. 

Bilgarz, Dr. Alf., ber geliocentrifcge Stanbpunft ber SBeltbetracgtung. 
©runblegungen z u t wirf. 9taturphilofopgie. SJtit 18 Holzfcgn. 
gr. 8 . (XVJ, 326 S.) Stuttgart, Gotta. 6 . — 

3orban, SBilg., bie Grfüßuug b. GgTigentgumS. gr. 8 . (VI, 331 S.) 

granffurt a/Df., Sorban’S Selbgoerl. 6 . — 

Beo er, Garl grbr., Streiflichter auf TeutjcglanbS ©egenwart uub 3u : 
funft oomegmlicg in wirthfcgaftlxcger Besiegung, gr. 8 . (IV t 67 S.) 
9 förblingen, Becf. 1 .— 

©efegiegte, aßgemeine, in Ginzelbargeßungen. Unter Btitmirtg. 0 . 
gel. Bamberg, Alej. Brücfner, gel. Tagtt k. grSg. 0 . SBilg. Oncf en. 
4 . Abtg. gr. 8 . Berlin, ©rote. i 3. - 

gngalt: ©efegiegte 0 . HeßaS u. Vom. Von V*of. Dr. ©. g. 
Herpberg. (l Bb. S. 161—320 mit. eingebr. Holzggu. u . 
4 Holjfcgutaf.) 


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128 


li t ®fjenar«rt. 


Nr. 34. 




Zsu Probe-AboBDeuifiDt peipi 
Slut 1 Ork. 75 Pf. 


beträgt ba§ 2Ronat3=2lbonnement auf baä 

„©erlittet Tageblatt“ 

nebft „©erlittet Saniitagftllatt" unb itfofteirtem 
SSBifcblatt ,,ULK a . 

3m Saufe be3 September erfd>eint im täglidjen 
Sfeuitteton be3 „©erlitt er XageMatt“ bie neuefte 
Lobelie bon 

Paul Heyse 

unter bem Xitel: 

^loxntttvt&en^et, 

toorauf toir bie toielett ©erefltrr be$ gefeierten 
XidjterS aufmerlfam machen. 

Damit bie gufenbung bont 1. ©eptember ab 
pünftli$ erfolge, toolle man maglidift frityjeitig 
bei bec nädfftgelegenen ©oftanßalt abonniren. 

X)a§ „Berliner Tageblatt“ ift bie gelefettfie 
unb berbreitetfle Leitung Deutjdjlanböü! 


©erlag oon 3. ©nttentag (X. ©ofliit) in ©erlin. 
(8u begießen burd) oSe ©udjljanblungen.) 


giCeopafra 

non 


«bolf ®taljr. 

3n?eite Auflage. 
8. ©reis 4 JC 50 A. 


Die gelehrten ©tubieit, auf beren Sunbament 
biefeS berühmte ©Ijaralterbilb ruljt, toerben bem 
©eirnffe nirgenbg ^inberlic!^ ober befd&tbetlufi ftd) 
ertocifett, benn ber ©erfaffer hat e$ meifterhaft 
ü erlauben, feine gorfdjungeit in einer XarfteHung 
ju o^rmerthen, ibei<he leine befonbere ©pecial= 
lerattnifc be3 bemäntelten ©egenftanbeS borauSfefct, 
unb beren burdjfichtige Klarheit unb funftooHe 
©d&önljeit jeben 2rreunb be3 Älterthumg unb 
beffen großer gefd^ic^tlic^ex (^haraltere tntereffiren 
unb feffeln mirb. 


©ei un$ erfdjien: 

Die 

Itutfdit gDrinlhemiferntie. 

3$te ©cfdjiditc unb ihre gdjre. 

Sine Ijiftorifdjstritifcbe Vorstellung 

oon 

SSe$ring^ 

dritte bermehrte fhtflage. 

gr. 8. 348 ©. ©leg. geh- 4y 2 JC 


XaS SEBerl ift mit feltener ©infttmmig= 
feit nicht nur oon ber gefammten beutjchen, 
fonbern auch b« mafjgebcnben auSlänbifdjett 
©reffe als eine ber merthooHften Arbeiten 
über bie beutfche ©ocialbemofratie anerlannt. 
©reuten. <£• ©thnnemann’S ©erlag. 




Milton-Dore. Prachtausgabe! — 

Das verlorene Paradies , deutsch von A. Böttger, illustr. von Gustav Dord, 
erscheint in 10 Lieferungen 4 8 — 9 Bogen Text und 5 Vollbilder 4 4 JtL 
Leipzig. J. G. Bach’s Verlag. 


Istrirte Gesielte der Schrift. 

Populär-wissenschaftliche Darstellung der Entstehung der Schrift, der Sprache 
und der Zahlen, sowie der Schriftsysteme aller Völker der Erde. 

Von 

Karl Faulmann. 

Mit 14 Tafeln in Farbe«- und Tondruck und vielen in den Text gedruckten 
Schriftniclien, Schriftproben und Inschriften. 

In 90 Lieferungen 4 SO Kr. ö. W. = 60 

Jede Lieferung enthält zwei Bogen Text in schöner und gediegenster Ausstattung, hergestellt 
durch die k. k. Staatsdruclcerei in Wien. Monatlich erscheinen zwei Lieferungen. 

Wie Lesen, Schreiben und Reohsen die Elemente aiies Wissens sind, welche das Kind auf 
seiner ersten Bildungsstufe erlernt, so ist auch die Geschichte dieser Wissenszweige die 
interessanteste Cufturgesohlohte der Menschheit and innig mit dem seelischen Theüe des 
Völkerlebens verbunden. Diese Geschichte war bisher selbst von Gelehrten wenig beachtet, 
das Studium der alten Schriften wurde nur als Hilfsmittel der Sprachknnde betrachtet 
und der auffallende Wechsel der Schriftzeichen dem Zufalle zugeschrieben, zumal unsere 
altüberlieferten Schriftzeichen uns an eine gedankenlose Erlernung derselben gewöhnt hatten. 
Sehr mit Unrecht! Denn in diesen Zeichen herrschte einst Leben und Sinn; gerade so, wie 
die ägyptischen Mumien einst Menschen von Fleisch und Blut waren, welche lebten, bebten, 
lachten und weinten wie wir. Dieser uralten Bedeutung der Sohriftzeichen nachzuspiren, 
ihre Verzweigung In fast allen Ländern der Welt zu verfolgen und die Vervollkommnung der 
Schrift bis in die jetzige Zelt dem gebildeten Publikum aller Stände vorzuführen, ist die 
Tendenz dieses Werkes. 

A. Hartieben’s Verlag in Wien. • 



©oebeit erfdpien: 

Der alte SeljttjiuljL 

JLtbriL — Iahst fa^ngrit. 

(Stählungen 
oon 

§f. P*. 

brod). JCb.^-, eleg. geb. JC 6.— 

c Steife U loveßCen l 

oon X 

. 5* SB. £atflimber. ♦ 

X ®tit #acflänber8 ©ortrait unb feinem erften X 
♦ literarifchen ©erfucb. ♦ 

X brod ). JC 6.—, eleg. geb. JC 6.— \ 
7 ©erlag oon ©ad ftrabbe in Stuttgart. J 


Verlag von Gustav Fischer 
vormals Friedrich Mauke in Jena. 

Soeben erschien: 

Dante Alighieri’s Leben u. Werke. 

Im Zusammenhänge dargestellt 
von Dr. Franz Xaver Wegele, 

Professor der Gesohiobte zu Würzburg. 

Dritte theilweise veränd. u. verm. Auflage 
mit einer Abbildung 
des Dante - Denkmals zu Florenz. 
Preis 12 JC In elegantem Halbfranzbande 
14 JC 60 A. 


Novität von Oscar Blnmenthal! 


Im Verlag von Georg Frobeen & Co. in 
Bern erschien soeben und ist in allen'Bnch- 
handhmgen zu haben: 


Geplauder von Oscar Blumenthal. 

Sehr eleg. geh. Preis 3 JC 

Ein liebenswürdiges heiteres Buch, das der 
Verf. der Allerhand Ungezogenheiten in froh¬ 
gelaunten Standen geschrieben hat und das 
auf jeder Seite seinen sprudelnden Witz, 
seinen funkelnden Esprit zeigt. Für Sommer- 
fahrten und Badereisen sowie — beim Dessert 
ist das Bnch ein kurzweiliger Gesellschafter. 


Hierzu als Extra-Beilage: Auszug auB dem Verlags-Katalog der Langenscheidt'schen Verlagsbuchhandlung in Berlin, 
S.W., Möckern-Strasse 133, betreffend Hiüfsmittel für das Studium der neueren Sprachen. (Engl., franz., deutsche Unterrichtsbriefe nach 
der Methode Toussaint-Langenscheidt, Wörterbücher, Vokabularien, Lesebücher, Schulgrammatiken etc. etc.). 


JUtocttf«, Marlin, N.W., ftronprinjenufrc 4. 


$flr bie ftebaction oeranttüortli^: +eorg Sttde in Marftn. ebitian, Mcrft« W., ihirfürftenftrafee 78. 

Dtucf oon M* #* fenfnar in 


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Stettin, ben 30. jUtgttß 1879. 


Baad XVI. 


X 35. 


pc (!3c0cnumrt. 

SBo^enf^rift für fiiteratut, Äunft unb öffcnttic^eö ßeben. 


Herausgeber: '«JPauf cStttbau in SBerlin. 


|tkn Snnittk ttfdjtiit nie Sioran. 

{{a StAieben tmrdb alle ßuäbanblungen unb SBoftanftalten. 


Serleger: ©eorg Stilfe in Berlin. 


frtts jiw funtit 4 pari 50 |f. 

3nfcrate irbex Ärt pro Sgefpaftene SBetitjeile 40 


„SHe (Entmüiqung beS ©ilberS" als angebftdj alleinige Urf adje be3 „SRütf ganges beä 92Boblftanbe3". ©oit ftatl ©raun. — (Einiges 
a c u fi6ct *8' eIc te* ©d)ulunterridjte3. ©on 3- ©ergmann. (©djlufe.) — Siteratm: itttfc ftitttft: 3Jlaremmenib^lIe. &u3 bem 3talieni= 
mail ! ©iofnö (Earbucci übertragen non ©. 3 . — (Sin SRitterjdjauftne! in $irol. ©on $arl ©artfd). — $>ie internationale $unft= 

0 f auBftellung ju ©tün^en 1879. ©on ©uftao ftloerte. II. — ©ommertoanberungen in Sfranfreid). ©on $aul b’Slbrejt. I. — ©on 

©ljafefaeare, bem X|ierlenner. ©on Dr. griebridj ftüdjemnei fter, Sfr^t in SDreSben. — 9totijen. — ©ibliograpljie. — 3nferate. 


„Bit (Etttaänpng Oes .Silbers“ als angeblit alleinige 
Wrfate *bes „ÄnAganges bes WoglftonbeB“.*) 

©01t Karl £ramu 

®S gab feiten in Europa, »0 man eS für baS einfatfte 
unb befte Mittel ^iett, fobalb irgenb eine Kalamität auftaud)te, 
weite p* beseitigen man nid)t bie nötige Ginfkgt ober bie 
erforberüte ßraft in fit füllte, irgenb eine Slrt oon Menggen, 
o^ine Unterjuc^ung unb Seroeisführung, ohne Urtheit unb 5Red)t, 
für ben Urheber beS UngtüdS ober für ben Schulbigen Sh e ^ 
ju erttären unb einen ÜBernittungSfrieg roiber biefelben ju 
führen. ©0 legte man bie Dheuerung un & bie Hungersnot 
ben Äornroucherern, bie ^ßeft unb ben ftwarjen Dob, welche 
bie Menften becimirten, ben Suben, bie angeblich bie 
Srunnen oergiftet hatten, unb baS allgemeine Siegfterben ben 
ßauberinnen pr Saft, wette eS angeblich „bem lieben Sieh 
angethan hatten"; man thnegte bie äöudjerer, man Schlug bie 
Suben tobt unb oerbrannte bie HeEen, unb obgleich bieSe Siete 
einer blinben SeibenSchaft {einerlei Slbgülfe ber wirflügen ober 
oermeintlichen Migftänbe bewirften, fo hatte man boch bie Ge= 
mujtguung, Sich rinmal gehörig auStoben p tonnen, wobei bann 
auch für Siele gewiffe Sortheile errouchfen, welche natürlich fit 
trögt beeften mit bem Gemeinwohl unb auch iw ®runbe ge= 
nommen {einen Stnfpnug barauf erhoben. 

Natürlich Stob wir heute über jene finfteren Seiten hinaus. 
Iler gortfehritt ber Gioitifation hinbert uns, p ben 3uben= 
unb ben Hejenoerfolgungen prüdpfegren. Slber beShalb {ann 
man boch nicht behaupten, bag wir ganj frei finb oon jenen 
oeralteten Siebhabereien, inSbefonbere oon ber, Sich irgenb 
einen ©ünbenbod auSpfuten, ihnt alle Gebrechen ber Gegen= 
wart auf bie Hörner p binben unb ihn in bie Sßüfte p 
jagen; unb eS lägt Sich nicht beftreiten, bafj biefe Methode am 
liebften angewanbt wirb oon ©oldgen, welche irgenb ein @onber= 
intereSSe oerfolgen. 

„Das aBitfliche ift oernünftig unb baS Sernünftige wirf; 
lieh/' Sagt ber Stltmeifter Hegel; unb cum grano salis oer= 
ftanben ift biefer ©ag richtig. Unfere Sorfahren lannten bie 
Urfachen ber Xheuerungen unb Hungersnöte unb bie Gnt= 
ftegung bet fRinber= unb Menggenpeft nicht. Slber, Sagten Sie 
geh: „GS mug irgenb GtwaS gefdjegen, machen wir bager 


*) The decline of prosperity: its insidious cause and obvious 
remedy. By Ernest Seyd Y F. S. S., 28 Lombard Street, London. 
London 1879, Edward Stanford, 56 Charing Cross, S. W. 


eine egrlicge ißrobe," unb beSgalb brachten Sie SRenfdgen um, 
wo wir geute göcgStenS inficirte Dcgfen umbringen. 

SieUeicgt oerftegen wir oon ber roirthScgaglichen ftrifiS, 
weite rodgrenb ber ©iebenjiger Sagte über alle fünf S55elt= 
tgeile, namentlich aber über Slmerita unb @uropa, ogne Unter= 
Stieb beS religiöfen, politiften unb hanbelSpolitiSten Setennt= 
niSSeS, gereingebroten, niegt oiet mehr, als im Sünfjegnten unb 
Seegiegnten Sagrgunbert unSere biebent Sorfagren oon ber 
Hungersnot!) unb ben ©ewgen. 

Slber gerabe beSgalb füglen wir erft rett baS Sebürfnig, 
irgenb wen ober irgenb was bafür oerantwortlit p maten. 

Sft baS nitt oernünftig ober wenigftenS roirflit? 

Da wir aber in ben legten brei ober oier Sagrgunberten 
ogne Zweifel groge Gulturfortftritte gematt gaben, fo ritten 
wir unfere Angriffe nitt megr oorpgSroeife gegen gewiffe 
ißetfonen ober gewiffe Sitten oon ÜRenften (obgleit wan 
wiffen will, bag aueg baS proeilen not oortommt), fonbern 
lieber gegen irgenb eine Ginrittung, oon beren Sefeitigung 
man fit gewiffe Sortgeile oerjpritt, wette mit ben nebenbei 
abfallenden „Grgöglitfeiten" jener Setfolgungen, beren wir 
GingangS gebatten, eine gewiffe Slegnlitleit gaben. 

SBaS gaben wir nitt SlUeS für bie Urfate ber wirtg* 
ftaftlicgen fitifis ausgegeben? 

Die Gewerbefreigeit, bie ein SEBerl beS ÄönigS griebrit 
SBitgetmS beS Dritten ift, bie greijügigleit unb ben Unter= 
ftügungSWognfig, wette ein grogeS Serbienft griebrit 233il= 
gelmS beS Sierten auSmaten, eine ganje Steige anberer Gin= 
rittungen, weite fton feit länger als einem SJtenftenalter 
beftegen, würben als bie Urheberinnen bes GtenbeS, beS 
„Decline of Prosperity" benuncirt. GS Würbe p weit fügren, 
fie SlUe Sfteoue paffiren p taffen. DeSgatb pr ©ate! 

Herr ©egb in feinem GingangS erwähnten SBerle fpritt 
alle biefe Ginrittungen frei. Gr gat einen neuen ©ünbenbodt 
entbedt unb täbt igm allein bie auSfttiegtite ®t u ^ auf. 
GS ift bie Golbwägrung, bie Gntmünpng beS ©itberS, bie 
„Demonetisation of Silver“. Sgt werben alle wirf= 
liten unb oermeintliten ÜRigftänbe ber Gegenwart unb ber 
legten Sergangengeit in bie ©tuge geftoben. 

SBenn wir einen Gefammtüberblid auf bie öfonomifte 
Gntwidelung ber legten fünfjegn Sagte werfen, fo müffeit 
wir geftegen, bag fit oon jenem .ßeitpunfte an, wo überhaupt 
pm erften Mal bie wirtgftaftlite Gntwidelung p einem 
Gegenftanbe beS ©PbiumS gemaegt warb, ftwerlit irgenb eine 
ßeit auffinben unb natweifen lägt, in ber innerhalb einer fo 
turjen grift fit fo groge unb jaglreite Umwälpngen unb 
Greigniffe jugetragen gaben, weite auf bie wirtgftaftliten 
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130 


Hie ©egen wart. 


Nr. 36. 


ßuftänbe im pöcpften ©rabe förbernb ober jerftörcnb, attc= 
rirenb ober oermirrenb einwirten mußten. 

Kaum war ber groffe ameritanifcpe Krieg, bann ber Krieg 
in Scple«wig=$olftein unb enblicp ber Krieg oon 1866 oor= 
über, fo entbrannte ein Üjtiefentampf jwtfc^en ben beiben großen 
©utturoöllern im ^erjen oon ©uropa, — ein Kampf, ber 
auf lange Seit bie arbeitsfräfte beiber Stationen unb eint 
Unfumme oon ÜJlenfepen unb Kapital in unfruchtbarer, rein 
jerftörenber SEBeife abforbirte. 

Darauf folgte ber oerbängniffoolle SRiHiarbenfegen, welket 
— aufferpalb be« wirtpfcpaftlicpen Serfept«, ba« muff oor 
allem betont werben! — einen Kapitals unb gaplungSmittel* 
umfap peroorrief, Wie ipn bie 2Belt bi« bapin nocp niept ge* 
fepn pat. 

©ine fo toloffale Serfcpiebuna weite ©rwartungen, welche 
fiep als trügerifcE) erwiefen, unb förberte eine Steigerung unb 
ileberftürjung ber Unternehmungen, auf welche ein nicht minber 
heftiger SRüdjcptag folgen muhte. Die ©etreibeprobuction in 
ben ^Bereinigten Staaten unb beren ©$port nahm einen Um* 
fang an, welker nicht öorau«gefepen werben lonnte, unb bet 
tein bleibenber fein wirb, fo.baib man bort oon bem Staubbau 
ju einet inteufioeren SBirtpfcpaft übergeht, wozu man -fiep 
bur<h bie fteigenben Sfanal* unb ©ifenbapttfracpten genöthigt 
fehen wirb. 

Kaum aber hotten fiep biefe Krifen auSgetobt, ba brachen 
ju einer Seit, in welcher auch t>ie inbuftrieUen Unternehmungen 
wieber beffer ju gehen oerfpracpen, abermal« neue Kriege au«: 
in ©uropa (im Süboften), in Äften (3nbien) unb in Stfrifa 
(Kaffemlanb). 

Sluf eine ^eriobe überreizten ©Eport« in ©nglanb unb 
überreijten gmport« in Deutfcplanb folgt eine biametral ent* 
gegengefepte SerteprSricptung. 

3n Deutfcplanb bemonetifirt man ba« Silber; ber latei= 
nifcpe SJlünzbunb, Welcher bi«her fo oiel Silber zur auSmün* 
Zung aufnahm, fcpreitet junäc^ft zur Sefcpräutung unb bann 
Zur gänzlichen Siftirung ber Silberausprägung. 

Diefe Stenge oon ©reigniffen, welche auf ba« Dieffte in 
bie wirtschaftlichen Serpältniffe eingreifen mußten, namentlich 
ba fie fiep auf ben relatio aufferorbentlicp turzen ßeitraum 
oon zwei Suftra zufammenbrängten, zeigen ihre unoerlöfcplicpen 
Spuren in ber Statifti!, beren Sailen nur bann begriffen 
werben lönnen, wenn man ben ©influff eine« jeben einzelnen 
biefer gactoren, nach einer forgfältigen ©rmittelung unb Unter* 
fucpung ber Dpatfacpen, feftfteUt unb bann biefe ©inzelnpeiten 
ZU einem ooltswirtpfcpaftlicpett ©efammtbilbe oereinigt. 

§err Sepb oerfährt nach entgegengefepter SKetbobe. ffir 
fieht oon jenem groffen ©efammtbilbe nur bie SJcünzfrage, 
nur bie Demonetisation of Silver. Sie ertlärt er für bie alleinige 
Urfacpe aller wirtlichen ober oermeintlichen äJtiffftänbe. alle« 
Uebrige entfchwinbet feinen Süden. Son allen jenen weit* 
piftorifcpen ©reigniffen, welche ben ^auptoorwürf bitten wer* 
ben für ben zutünftigen Jpiftortfer, ber fiep bie Darftellung 
unferer ooltswirtpfcpaftlicpen ©efcpicpte z um Serufe macht, 
unb oon welkem ich tn Obigem nur eine pöcpft unzureicpenbe 
Stizje geben tonnte, fiept er nicht« al« bie Demonetifirung 
be« Silber«. SlUe angenehmen ©rfcpeinungen in unferer 
SBirtpfcpaftSgefcpicpte fept er auf Stecpnung unferer früheren 
Doppelwährung, alle entgegengefepten, b. p. alle biejenigen, 
Welche er fetter für unangenehme pätt ober feinen Sefern al« 
unangenehm barfteHt, fept er auf Stecpnung ber jepigen De* 
monetifirung be« Silber«. 

SEBtr erinnern un« babei unwilltürlich an ben Doctor 
SDIpbriu« (in bem „Paris en Am&ique“ oon ©bouarb Sabou* 
lape), weither, ber gute Daniel Sefebore mag fagen, wa« er 
will, ftet« wieber auSruft: „Scpredlidje golgen be« Opium«!" 
So ruft $err Sepb immer: „Scprecfltcpe golgen ber Demo* 
netiffrung!". 

auf biefe art lägt fiep bann freilich gar SDlanepe« be* 
paupten, unb man gebenft babei unwilltürlich einer Siebe, bie 
ber KriegSminifter oon Sloon im gapre 1867 im Storbbeutjcpen 


SReicpStage gegen ben abgeorbneten ©neift pielt unb, bie mit 
ben SBorten fcploff: „Denn ber geeprte §etr tann ja alle« 
beweifen." 

Dafj babei ben Dpatfacpen zuweilen ©ewalt angetpan 
wirb, ba« gebente icp in ber „Soltswirtpfepaftlicpen Skrtel* 
japrfcprift" bemnäcpft be« Släpern nachzuweifen. |>ier wo icp 
nidpt für ein gacpblatt fcpreibe, befcpränte icp mich auf fol* 
genbe Semertungen zur Sache: 

Die jept oorpanbenen Scpwierigteiten paben ipre Urfacpe 
einfach barin, baff z u berfelben Seit einerfeit« bie Silber* 
gewinnung in ben ^Bereinigten Staaten oon amerita zu* 
nahm unb anbererfeit« ber Silberoerbraucp in ©uropa 
abnapm, leptere« weniger burcp bie SJtünzrefotm Deutfcp* 
lanb« unb burcp bie Siftirung ber Silbermünzenausprägung 
in ben Sänbern be« lateinifdjen Sunbe«, al« oielmepr burip 
bie ©reigniffe unb S u ffänbe im fernen Orient, welche eine 
ftarte Serminberung be« zur auSgleicpung ber Saplungen nacp 
Snbien unb ©pina erforberlicpen Silber« peroorriefen. 

Der normale Suftanb läfft fiep nur baburep wieber per* 
ffeHeu, baff bie ©ewinnung unb ba« angebpt oon Silber fiep 
bem geringeren Serbraucp unb ber gefuntenen Slacpfrage an* 
pafft, atfo fiep in bem entfpredjenben SRaffe oerminbert. Diefe 
anpaffung unb Serminberung wirb alsbalb eintreten, fobalb 
e« feftftept, baff Sliemanb mepr baran bentt, burcp ©efepgebung 
ober Setträge ben Silberoerbraucp tünftlicp z« fteigern. 

Da« einzige SJlittel, ben erftrebten ©efunbungSproceff 
perbeizufüpren, beftept alfo barin, alle jene epimärifepen $pff= 
nungen auf folcpe SJtaffregeln ein für allemal meberjScplagen; 
unb hierin ift bet ©runb z u fuepen, warum icp e« für geboten 
palte, ber DarfteDung be« §erm ©epb bei S^ten entgegen* 
zutreten. 

Siatürlicp finb bie Sefiper ber Silberbergwerte in Sleoaba 
in ben ^Bereinigten Staaten entgegengefepter SKeinung. @ie 
wollen ipre ©ewinnung niept einfepränten, fonbern ben SBectp 
be« IßfotatrieS fteigern. gn amerita paben fie einen erften 
Scpritt zur SBieberperfteUung be« „Dollar« ber Sätet" (mit 
biefem ffiuppemiSmu« belegt man bort bie in erfter Sink auf 
Koften ber ©täubiger oorzunepmenbe SJlaffregel) getpan. Der 
ginanzminifter ber Sereinigten Staaten pat fiep bi« z u einem 
gewiffen ©rabe oor ipnen gebeugt; er Will unbefcpränüe 
Silberausprägung geftatten, wenn unb fofern eine iuternatio* 
nale Sereinbarung über gemeinfcpaftlicpe geftfteüung ber SBertp* 
relation zwifepen ©olb unb Silber ftattfinbet. 

©8 gilt nun, biefe Sereinbarung perbeizufüpren unb oor 
allem Deutftplanb, ba« fiep bisper mit Stecht ben internatio* 
nalen SRünzconferenzen fern gepalten pat, unb ba« an ber 
Spipe ber wenigen Staaten marfepirt, bie fiep einer oofl* 
tommen gefunben SJtetaUcirculation erfreuen, umzurennen unb 
feiner bisherigen SRünzpolitit zu entfremben. 

Die« ift ber ©runb, warum man oon allen Seiten be* 
ftrebt ift, un« unfere SRünzreform zu oerleiben. Den Silber* 
bergmertsbefipern oon Sleoaba ift ba« burepau« niept übel zu 
nepmen. Die ©ntmertpung beträgt etwa fiebenzepn ißrocent, 
alfo auf breiffig SRülionen Dollar« etwa fünf bi« feep« SKil* 
lionen Dollar« jäprlicp. Um feep« SOtiUioncn Dollar« jäpr* 
liege Stente zu gewinnen, tann man auep fepon ein paar SRü* 
lionen Dollar« agitationStoften aufwenben. Da« ift ameri* 
tanifep. . 

©8 ift aber niept allein Sleoaba, welcpe« ein gntereffe 
baran pat, baff Deutfcplanb eine Dummpeit begepe. 

Da ift ferner ©nglanb intereffirt wegen ber Sage feiner 
inbifepen ginanzen. ©8 realifirt ben au« gnbien zu beziepen* 
ben Dribut, b. p. bie Smfen ber in ©uropa zu bezaplenben 
Seträge für SBaffenauftäufe, Senfionen, Serzinfung unb Dil* 
gung ber in ©uropa contrapirten Scpulben u. f. w., burcp 
inbifepe Silbertratten, für bie e« gegenwärtig nur niebmge 
Steife finbet. ^ollanb ift wegen feiner inbifepen ©olonien 
in einer äpnlicpen Sage. Der (ateinifepe SHünzbunb enb* 
liep pat auep ein gntereffe, ba« Silber fteigen zu maxien; 
unb einige feiner tlügften ginaffeur« fepeinen ju wünfepen, 

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Nr. 35. 


Sir $rgen»art. 


131 


bafi wir uns in ben SöimetaüiSmuS wieber hineinftürgen, um 
ben ßateinern ben Uebergang gur ©olbwä^rung gu erleichtern, 
natürlich auf unfere Äoften. 

Unter biefen Umftänben ift es nur gu begreiflich, bajj 
man uns non allen Seiten „antippt" unb uns nom AuSlanbe 
aus unisono ben freunbfdjüftlidjen Sftatb gibt, wir möchten 
boch unferen lieben 9tad|barn unb gärtlidjen '©etwanbten gu 
Siebe eine Dummheit begehen, wir aisbann boppelt Urfache 
haben, unS beS guten IRathed gu erinnern: „Quidquid agis, 
prudenter agas, et respice finem." 

SaS Such beS §errn <Set)b ift übrigens gut getrieben, 
unb babei fo pradjtooü auSgeftattet, wie man eä Weber bei 
bem Ser! eines einfachen ©eletjrten, noch bei ber ©peculation 
eines bloßen SuchhüubterS gewöhnt ift. 


(Eitriges über Me 3tele bes S^trinirierridries. 

Aon 3. Bergmann. 

SSohl liefcen fich noch manche fünfte finben, an welchen 
ohne 9iachtbeit felbft für bie einmal beftehenben UnterrichtSgroede 
eine fttengere Delonomie in ber AuSnufcung bet geiftigen Ä'raft 
unb ber Beit ber Schüler geübt werben fönnte. So hat oor 
einiger 3eit §err Dr. SuciuS im Abgeorbnetenhaufe baS ©er= 
langen auSgefprochen, bah auf bem ©pmnafium ber Unterricht 
im Srangöfifdjen erft in Sertia beginne, wie eS auf unjerem 
SRatburget ©pmnafium früher in ber Xbat gefchah, bis ber ein- 
jichtige Seiler beSfelben biefe berechtigte Eigentfjümlichleit auf: 
gugeben genöthigt würbe. Sieber noch würbe ich fagen in Se: 
canba. Senn es ift gu bieterlei, was in ben unteren Staffen 
angefangen unb nebeneinanber getrieben wirb. Sicherlich wür: 
ben bie Secunbaner biejenige Äenntnijj ber frangöfifdjen Sprache, 
bie jejft in bie Secunba mitgebracht Wirb, bermöge ber größeren 
Steife ihres ©eifteS unb ber bur<h ben griedpfchen unb ben 
lateinifchen Unterricht gewonnenen Uebung im Sprachftubium 
h«h tu wenigen ÜDtonaten aneignen. Sem wäre noch fp n i u i U; 
fügen (womit ich freilich bem @ange meiner Erörterungen bor: 
greife), bah baS ©tpnnafium ben frangöfifchen Unterricht nach 
einer anbern SJtethobe ertheilen müffe als ben lateinifchen. Ei 
barf hier nicht beabfichtigt werben, bon einer neuen Seite her 
in bie Spradjwiffenfchaft einjufüljren, fonbern baS allein ift 
inS Äuge gu faffen, bah fich ber Schüler mögtichft rafch eine 
3trtig!eit im Sefen unb Schreiben, ©erfteben unb Sprechen er: 
werbe. Stfo biete unb gwar intereffante Seetüre unb Eonoer= 
fation, wenig Siegeln. 

3ch bertaffe jeboch bie UnterrichtSmethobe, um einen 
Augtnblid bei ber wichtigen grage betweilen gu fönnen, ob fich 
unter ben Sielen, welche gegenwärtig ber Unterricht berfolgt, 
fotche befinben, bie gu ©unften werthboUerer befeitigt ober hoch 
nichtiger gefteett werben bürfen. Es ift bieS meines Erachtens 
a&erbingS in hohem SDtajje ber galt, wenigftenS in ben Anftal: 
ten, welche bie Stage ber Ueberbiirbung am meiften herbor: 
rufen, ben ©pmnafien. 

Allgemeine Uebereinftimmung befteht barübet, bah baS Stu= 
bium ber lateinifchen unb ber griechifdpn Sprache nach wie bor 
bie ©runblage betjenigen höheren ©itbung fein foß, welche es 
»orgugBmeije ift, bie auf ben Uniberfitäten ihren Abfdjlujj fucht. 
Aber bah alle ©eftanbtheite, welche bie ©tjmnafien gegenwärtig 
in biefe ©runblage eingufügen bemüht finb, wirftich jene höhere 
Gilbung mitbegrünben helfen, wirb 8Jtand&er mit mir begwei: 
fein, Wenn er bebenft, bah baS UniberfitätSftubium nicht gleich 9 
bebeutenb mit phiiotogifchem ift unb bah bie ©tplologen eine 
fpeciede ©otbilbung für ihr Sach ben ©pranafien gut Anfgabe 
gu machen um nichts mehr berechtigt finb, als g. ©. bie 3Jtebi= 
einer. Senn bie feiten liegen boch, ©ott fei Sani, weit hinter 
uns, wo man in benjenigen ein wefentlicheS SDterlmal beS ©e= 
griffe! 3Renf<h, einen wefenttidien Seftanbtheil ber Humanität 


oermihte, bie nicht ihre beften 3<»h re f°ft auSfchtiejitich bem allein 
felig machenben ©riechijchen unb Sateinifchen gewibmet hatten. 

Siet tateinifche Unterricht ift in breifacher ^inficht werth* 
boU: wegen beS ©ebraudjS, ber auch nad) ooflenbeter Schul: 
bilbung oon ber Äemttnijj biefer Sprache gemacht wirb, wegen 
ber auf mannigfache Seife gut ©eifteScultur bienlidpn Seetüre 
oieter Serie ber römifchen Siteratur, unb enbtid), weil neben 
ber SDtathematif nichts für bie Entwidelung beS jugenbtichen 
©erftanbeS förberlicher ift, als ein grünbticheS Stubium ber la= 
teinifchen ©rammatif nach wiffenfchaftticher 2Jlet£)obe unb weit 
baSfetbe gugleich einen Einblid in bie ©efefce ber Sprache in 
ihrem 3ufammenhange mit ben ©efefgeu beS SenlenS gu er« 
öffnen beffer geeignet ift, als baSjenige ber ©rammatif einer 
neueren Sprache, bie ber SOtutterfpracfie nicht auSgefchtoffen. 
©on biefem breifachen 2Bertl)e Würbe aber, meine ich, nichts 
nertoren gehen, wenn auch bie fünfte, lateinifch gu fprechen 
unb frei lateinifch gu fchreiben, ooflenbs tateinifche ©erfe gu 
machen, nicht mehr geübt würben, unb wenn an bie gur Eiiu 
Übung ber lateinifchen ©rammatif unentbehrlichen Uebetfefcungen 
inS Sateinifdje nicht mehr bie Anforberung gefteßt würbe, bah 
nur fotche Sörter unb 9tebewenbungen gur Anwenbung fommen, 
bie fich au 3 Eicer öS Schriften belegen taffen, gur ßtotlj auch, 
wie mein Sehrer in ©rima fagte, gur 9totf) auch fotche, bereu 
fich Säfar ober XacituS ober SioiuS bebient haben. Sann 
brauchten auch nicht mehr $unberte bon ©btafen bem ©ebächt: 
niffe aufgetaben gu werben. Sie lateinifchen Auffäfce inSbe: 
fonbere, beren B<*hl jefct fo giemlicf) berjenigen ber beutfehen 
gleichfommt unb benen jebenfafls eine größere $eit gewibmet 
wirb als biefen (fpeciefl für unfer ßRarburger ©pmnafium trifft 
baS Sejgtere glüdlicherweife nicht gu), finb nicht nur überflüffig 
für bie wahren 3wede beS lateinifchen Unterrichtes, fonbern für 
anbere nicht minber wichtige UnterrichtSgwede gerabegu oerberb: 
lieh- Senn in ihnen trägt ben ©reis baoon, wer am beften 
Sorte machen fann, wo ©ebanfen fehlen. Sie ergeugen jene 
läftige ©erbofitaS, welche namentlich unfere gelehrten Serie fo 
umfangreich wacht, ben Sefern fo oiele Beit raubt, wofern fie 
nicht bie ßunft gelernt haben, Seiten mit Einem ©iide gu 
überfliegen, unb ben meiften allmählich bie gätpgfeü gerftört, 
folche ©üchet gu oerftehen, bie für geben Sah bie Aufmerffanj 9 
feit unb Senffraft in Anfpruch nehmen. 

3m griechijchen Unterrichte würbe ich nut auf bie Sec: 
türe ©ewicht legen, bie ©rammatif nur infoweit ftubiren taffen, 
als ihre föeuntnifi gur Seetüre abfotut unentbehrlich ift, womit 
felbftoerftänbiich ber ©ergibt auf ein griechifcheS Scriptum im 
Abiturienten«Egaraen oerbunben wäre. ES fcheint mir gang 
unb gar nicht gu billigen, bafi baS ©riedjifche in berfetben Seife 
wie baS Satein getrieben wirb. Sie ©ortheite, welche baS 
grünbliche Stubium ber mifjenfchaftlichen ©rammatif einer alten 
Sprache gewährt, finb ooQftänbig erreichbar, Wenn Eine Sprache 
auf biefe Seife gelernt wirb. Sagegen baS Stubium ber grie: 
etlichen Siteratur (nicht bet Siteraturgefchichte) fann burchauS 
nicht burch baSjenige ber römifchen erfefct werben. 3» ber ©oefie, 
ber ©erebtfamfeit, ber.EefchichtBfchreibung, ber ©hilofophie ftehen 
unbeftritten bie ©riechen fo hoch über ben ^Römern, wie biefe 
über ihnen in ber praltifchen ©olitif. Sie bie Sonne ben ÜDtonb, 
fo übergfängt ber griechif^e Sh<ü ber flaffifd^en Siteratur ben 
römifchen. Sticht entfernt aber entfpricht biefem ©erhältniffe 
bie ©flege, welche unfere ©pnmafien bem Stubium beS einen 
unb bem beS anbern guwenben. Sirb boch ber eitle, flache unb 
gefchroäfcige Eicero weit mehr gelefeu als ber rebegewaltige 
SemoftheneS unb ber an ©ebanfentiefe, Abel ber ©efinnung unb 
poetifther ©eftaltungSfraft unübertroffene ©lato gufammen. Unb 
man fage nicht, bafi jener bem jugenblidjen ©efchmade unb ©er: 
ftänbniffe angemeffener fei als biefe. 3ch fllaube. wenigftenS 
nicht, wenn ich auf meine Sihutgeit gurüdblide, bafe unter meinen 
SOtitfchülem ein eingiger war, bem ber Sortfchwaß EiceroS, 
baS 3beal ber lateinifchen Auffähe, ein ©efühl ber ©ewnnbe: 
rung abgenötljigt hätte, währenb uns ©tato unb SemoftheneS 
tnächtig ergriffen, obwohl unfere Aufmertfamfeit mehr auf ihre 


Uebereinftimmung mit ftühnerS ©rammatif unb auf bie oer: 

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132 


llir ©egenmart. 


Nr. 35. 


< 

ftiebenen SeSarten als auf bie Kraft unb liefe ihrer ©ebanfen 
gelenft Würbe. ®ie wenigen gried)ifcf)en Schriften, bie bem 
Spüler in bie $anb gegeben werben, Werben baju nitt einmal 
ooßftänbig gelefen; baju reitet bie Beit nitt, wette bie Er; 
örterung ber grammatifaliften Subtititäten übrig läßt. Vrut= 
ftüde aus £>omet, Vrutftüde auS ißtato, Vrutftüde auS 
cpbibeS, Xenopljon, SopfjofleS. Unb bie ffreube aut an biefen 
Wirb ben jugenbtidjen ©emüthem oergäflt, weit bie Seetüre im 
Angemeinen fo betrieben wirb, als hätten jene ®id)ter unb Gen¬ 
fer bie Abfit t oerfolgt, Veifpiele ju grammatifaliften Regeln 
ober Aufgaben grammatifalifter Anatpfe p fc^reiben, wobei ich 
pr Ehre beS hefigen ©pmnafiumS wieber heröotheben muff, 
baff baSfetbe biefe oerfeljrte VehanblungSweife foweit p üer= 
meiben bemüht ift, als eS bie oorgeftriebene Sorge für baS 
lateinifte unb grietifte Scriptum unb ben tateinifefjen Auffafc 
be$ Abiturienten = EjamenS ptäfeL 3 t wage p behaupten, 

baff ein gebitbeter Kaufmann, welcher ein Saht lang ober 
jwei feine SJtufjeftunben bap benufcte, bie oortreffliten Ueber-- 
fe|ungen griechifdjer Schriften p lefen, bie wir befifcen, eine 
beffere Kenntnifj ber griechifchen Siteratur erlangen würbe, als 
fie gegenwärtig ber ©pmnafial -- Abiturient mit auf bie Unioer; 
fität p nehmen pflegt. 

3t barf, um 3h re <&ebulb nitt p lange in Anfprut p 
nehmen, biefe Seite meines Jtjemaä nitt weiter oerfolgen, unb 
will baher nur noch ben AuSbrud meiner Ueberjeugung ^ingu= 
fügen, baff jtdj unter ben Bielen, bie gegenwärtig ber Unter; 
rieht Oerfolgt, noch anbere befinben, bie ohne Schaben in SBeg; 
fall tommen tönnten. 

So wenbe ich mich benn wieber p ber ftrage nach ber 
Erweiterung, welche unfer Beitalter bejüglicf) beS gegenwärtigen 
SchulplaneS forbert. 

Stach bem, was übet baS in Vorbereitung begriffene Unter; 
richtSgefej} betlautet, follen bie SJtathematif unb bie Staturwiffen; 
fdjaft namentlich in ben ©pmajten mehr als bisher berüdfidjtigt 
werben. DaS ift eine Steuerung, beten Stothwenbigfeit als erwiefen 
betrachtet werben fann. Sinb uns hoch Allen bie Klagen unferer 
UnioerfitätSlehrer ber Staturwiffenftaft betannt, bah bie Schüler, 
bie fie oon ben ©pntnafien empfangen, nicht bloS ber bürftigften 
Vorfennhtiffe in biefem ©ebiete entbehren, fonbern bafj auch 
ihre Sähiflteit, baS findig $l)atfätlite aufpfaffen unb p 
beobachten, nicht entwidelt worben, oielntehr oerfümmert ift. 
SBie fofl fiel) biefe gäpigfett auch üben, wenn bie Knaben, beren 
Auge bie Schule faft nur für Vutftaben in Anfprut nimmt, 
burch häusliche Arbeiten p feljr in Anfprut genommen finb, 
um Selb unb SBalb p burtftreifen, Vogelftimmen p unter; 
fcheiben, Käfer unb Schmetterlinge p fantmein. Unb auch 
gefehen oon jenen Klagen gehört bot unzweifelhaft ein tieferes 
unb auSgebehntereS SRafj mathematifih : naturmiffenfchaftlid)en 
SBiffenS, als eS bie ©pmnafien bieten, zum SDtinimum ber aß; 
gemeinen Vilbung in einem Beitalter, beffen größte wiffenftaft; 
liehe Seiftungen auf biefem ©ebiete liegen unb welches mit biefen 
Seiftungen bie ©efammtheit ber menfdjltchen Verpältniffe ump; 
geftalten fortfährt. 3Rit bemfelben Sterte wie baS fechjehnte 
3ahrhunbert baS philologifche, lann baS unfrige baS mathe= 
matift ; naturwiffenf<hafttite Stubium als ein Erforbernifj ber 
Humanität hinfteßen, wenn man einmal ben Anfprut auf biefe 
Eigenftaft oon einer gewiffen gelehrten Vilbung abhängig machen 
Wifl. freilich fann aut in bem Streben ber Schule, bem ©eifte 
ber ©egenwart gerecht p werben, baS richtige SRafj Übertritten 
Werben, fo j. V. wenn, wie eS neuetbingS oielfadj gefchieht, in 
ben EJöchterfchulen Anatomie getrieben wirb. 

3ene oom neuen Unterri<htSgefe|e ju erwartenbe Steuerung 
fällt inbeffen nicht unter ben ©efichtspunft, ben ich für meine 
heutige Erörterung üon oornherein habe mafjgebenb fein laffc'n. 
S5ur<h Vertiefung unb Erweiterung ber mathematift j naturwifien; 
taftlichen Vilbung, wie nadjbrücflich biefelbe auch oon ber 
mobemen ©eftattung beS äujjeren wie beS inneren SebenS ge; 
forbert Wirb unb wie wünfdjenSwerth, ja nothweribig fie auch 
an' fleh fein mag, wirb in bem gegenwärtigen Stabium ber 
Staturwiffenftaft bet ©efaljr nicht begegnet, mit welcher baS 


| Umfichgreifen einer frioolen SD3elt= unb SebenSanfchauung bie 
: SJtenftheit bebroht. Eher tönnte man, wie ich nicht näher 
! ausführen wiß, oon bähet eine Steigerung biefer ©efaf)t be; 

; fürchten. Soß bet Schulunterricht eingreifen in ben Kampf 
Zweier SBelt; unb SebenSanfdjauungen, nicht um bie SBaljrheit, 
benn in biefer $infitt ift ber Kampf längft entfdjieben, fonbern 
um bie ^errfchäft übet bie ©eifter, fo muf$ ihm bie Aufgabe 
i gefteflt werben, tiefet unb grünbiidjer als bisher in bie Wahre 
!' SBelt; unb SebenSanfchauung einzuführen. 3« Z we * formen 
aber hat fich bie Wahre SBelt; unb SebenSanfchauung entwicfelt 
unb muffte fie fich ih f em SBefen nach entwidetn: als Steligion unb 
als Vbifofoph«, nnb zwar ift eS für bie Vhifofophie, Welche biefen 
! Stamen nicht ufurpirt hat, fonbern ihr Stecht, benfelben zn führen, 
■ hiftorifdj Z u begrünben Oermag, djaratteriftifch, baff fie religiös, 
unb für bie wahre Steligion ift eS charafteriftifef), bafi fie 
philofophifch ift. Unb fo forbere ich benn oom Unterrichte, bafj 
er ber Vilbung in ber philofophifch lebenbigen Steligion unb in 
ber religiös geftimmten VhUofophie feine befonbere Aufmerf; 
*fam!eit zuwenbe, ber erfteren hauptfächiieh in ben nieberen Sdju; 
ien unb ben unteren Klaffen ber höheren, ber anberen in ben 
oberen Klaffen ber ©pmnafien, ber Steal = unb ber @ewerbe= 
fdjulen. 

Ueber bie Art, wie bie Sdjule bie religiöfe Vilbung ber 
3ugenb zu Pflegen habe, halte ich mich beftimmtere Stathfdßäge 
ZU geben nicht für competent. Stur bie Eine negatioe Ueber; 
Zeugung möchte ich nicht unauSgefprochen taffen, bafj hier nichts 
oon einer Vermehrung ber UnterrichtSftunben, zumal behufs 
Steigerung ber Kenntniffe in Xogmatil unb Kirdjengefchichte zu 
hoffen ift. Es lommt barauf an, für bie Steligion zu gewinnen, 
unb baS gefchieht nicht, menigftenS nicht für bie philofophifch 
tebenbige Steligion, burch SRemoriten oon KatechiSmuSftücfen 
unb oon Vibetfprüdjen als Argumenten zu benfelben, noch burch 
fpftematifdie ober fjiftorifc^e Erörterung theotogif^er Streit; 
1 fragen. Um für bie Steligion z« gewinnen, mufe ber Unterricht 
ihr hiuter bem confeffioneßen jjaber oerborgeneS SBefen auf; 
| zeigen — woraus ich nicht bie mir feljr bebenllich erfdheinenbe 
Folgerung z u ziehen bitte, bah bie Schuten confeffionStoS fein 
müffen, benn auch ber confeffionefle SteligionSunterricht in con; 
feffioneßen Spulen fann baS S)ogmatifch : Sonfeffioneüe in ben 
,'pintergrnnb treten laffen. Um für bie Stetigion zu gewinnen, 
muh ber Unterricht ihre Vebeutung für baS innere Seben beS 
Einzelnen unb für ben fjortfehritt ber gefammten SRenfchheit in 
ber Verwirfli^ung ihrer Sbeate, für ben gortfehritt in ber 
Humanität (biefeS SBort in bem Sinne genommen, welchen 
Berber ihm gegeben hat) z um Vewufetfein zu bringen fud)en, 
muh bem Vorurteile entgegenwirfen, bah bie Stetigion nicht ben 
offenften Sinn für afleS Schöne, SBahre unb ©ute butbe, muh bar= 
tun, bah fie oietmeljr ihrer innerften Statur nach ben ooßften unb 
freiesten Anteil nehme an ben ibeaten Veftrebungen beS menft- 
liten ©eifteS unb fo inSbefonbere aut an feinem Streben, baS 
Oerborgene SBefen ber 2)inge unb zuhötft fein eigenes SBefen 
unb feine Veftimmung zu erfennen unb gernäfj biefer Erfennt; 
nifj fein Sieben zu geftalten. 

Uebdic bie Einrittung beS UnterritteS in ber Vh'lofophie 
bagegen bürfte it mit oermöge meines VerufeS wohl mitzu ; 
fprechen für befugt halten, bot fann eS nitt meine Anjttt 
fein, hi er einen ooßftänbigen Vlan in biefer $infüht barzu; 
legen. Stur für eine furze Erläuterung meiner Anfitt, bah 
bie VhU°f 0 bhie wehr als bisher in bie höheren Stuten ein= 
geführt werben foßte, erbitte it mir not 3hre Aufmerffamfeit. 

©egenwärtig wibmet ber Sehrplan ber Vrima beS ©pmna; 
fiumS ber fogenannten phitofophift*« Vropäbeutif, ber Vor; 
bilbung in ber Vhil°f°bh*e, Wötentlit Eine Stunbe. 3w Aß= 
gemeinen wirb biefelbe, wofern fie nitt bem Seljrptan entgegen 
für anbere UnterrittSzweige in Anfprut genommen Wirb, was 
nitt feiten ber Saß z« fein fteint, bazu oerwenbet, einen 
Shell ber Sogif, nämlit bie formen ber Urteile unb Sttüffe 
unb, wenn eS hot fomrnt, bie aßgemeinften Stegein beS ®efi= 
nirenS, EintheitenS unb VeweifenS burtzunehmen, fowie aut 
einen Ueberblid über bie fogenannte empirifte Vfh^olofl«,- bie 

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Nr. 35. 


1 Ie ©rgenmart. 


133 


ErfahrungSfeelenleljre, ju geben. Sch beanfpruche rttc^t, bah 
für biefe Dinge mef)r Stunben angefefct werben, üielmefjr würbe 
ich auch jene (Sine gern fchenfen. Denn folget fhftematijdjen 
Se^anblung ber fJJ^ilofop^te finb Weber bie Schüler noch auch 
im Allgemeinen bie Sehrer geworfen. SaS baS Sejjtere be= 
trifft, fo ift fdjon baSjenige 3Rah pljilofophifcher (Begabung, 
welches bet (Beruf eines SeljrerS in ber (ß^ilofop^ie borauSfefct, 
äufjerft feiten, unb unter ben fo (Begabten werben mieberunt 
foldje feiten fein, bie bei ben groben Anfprüdjen, welche ihre 
tfaifiwiffenfdjaften an fie ftellen, unb bei ber geringen 3eit, 
roeldje ihnen ihr Sehramt übrig lägt, ihre, (Begabung hinreidjenb 
ju entwideln unb bie nötigen ffenntniffe ju erwerben im 
Stanbe finb. So ift benn auch ber Erfolg jenes Unterrichts 
in ber philofophifdjen (ßropäbeutif, foweit er überhaupt ju 
merlen ift, im Allgemeinen ein wenig erfreulicher. SenigftenS 
glaube ich bemerft ju hoben, ba| baS UniberfitätSftubium 
ber $hi!ofophie burch einen folgen philofopfjifchen EurfuS 
beS ©hmnaftumS eher beeinträchtigt als geförbert wirb. SRanche 
©tubirenbe meinen fdjon auf bem ©pmnafium in bet s fßh't°f°P^ e 
genug gelernt ju hoben, währenb fie boch nur eine fchiefe (Bor; 
fteüung non berfelben empfangen hoben; anberen ift biefeS Stu= 
bium burch ben Sorntelfram, bet ihnen als Sogif üorgefejjt worben 
ift, unb burch ben unbortheilhoften ©egenfafc ber unbeftimmten 
unb fchwanlenben (Begriffe, welche bie fogenannte empirifche (ßfpcho; 
logie auSmadjen, ju benen, welche fie im philologifdjen unb hifto ; 
rifdjen unb OoIIenbS im matljematifdjen Unterrichte ju bilben an= 
geleitet werben, oerleibet; wieber anberen wirb baS (Berftänbnijj 
beffen, was ihnen oom Satljeber ber Hötfäle Ijet oorgetragen 
wirb, erfchwert, weil fie fidj bergeblidj bemühen, barin baSjenige 
roieberjufinben, WaS ihnen in ber Sdjulftube als ausgemachte 
Wahrheit eingeprägt worben ift. 

Der philofophifche Unterricht, ben ich int Sinne höbe, foß 
in ber Hauptfache nicht neben bem anberen, bem mathematischen, 
Philologinen, literarifdjen, religiöfen hergehen, fonbern in bem; 
Selben enthalten fein. Die gunbamentallehren ber Sogi! fönnte 
ber Sehrer ber gRatljematif unb (BhPfü mit Seichtigfeit aus ben 
©ebanfenoperationen, welche biefe Siffenfdjaften fotbern, ab- 
jtrahiren loffen, unb ber Sehrer ber ©rammätif Iönnte ihn ba; 
burch, baf? er bie SBejieljung jmifdjen Denfen unb Sprechen in 
bie Betrachtung hineinjöge, etgänjen. Die (Belanntfcgaft mit ben 
©runbwahrheiten unb ben aUgemeinften (Jkoblemen ber Er; 
fenntnifttheorie, üRetaphüfif unb Ethif würbe fich am befteu aus 
ber Sectüre, foweit eS fid) um bie ©pmnafien honbett, namentlich 
auS bet griedjifchen Sectüre gewinnen taffen. Denn wo gäbe eS 
einen beffeten Sehrmeifter in bicfen Dingen als tßloto? SDiin= 
beftenS müßten beffen SReno, ber ©orgiaS im 3ufammenhange 
mit bem (ßrotagoraS, ber erfte Dljeil PeS Dheätet, ber (ßljäbon, 
baS Stjmpofion unb auSgebehnte Abfdjnitte aus bet SRepublif 
ohne (Beeinträdjtignng burch linguiftifche unb grammatifalifche 
Aebenjwede grünblich burchgeorbeitet werben. 3n ben (Realfchuleit 
tonnten wenigftenS einige biefer Schriften in Ueberfefcungen ge; 
tefen werben; boneben ansgewählte Stüde aus Socfe, (Berietet), 
•fmtne, bie Wieberum in ben ©pmnafien burch Ueberfefcungen ber; 
treten werben fönnten. (Rieht minber ift bem fReligionStegrer in 
reifem 9Rafje (Beronloffung geboten, in metaphhfifche unb ethifcfjc 
Betrachtungen einjufüf)ren. Die Dljemata ber beutfchen Auffä|e 
tonnten fo gewählt werben, bah fie bem Schüler ju retatio felbft- 
ftänbigem philofophifchem Denfen nöthigten. (BaS bie ©efchichte 
ber (ßhilofophie anbetrifft, fo liege {ich bie Äenntnijj ihrer wich; 
tigften SKomente unb bie Einficht in ihren allgemeinen 3 u famtnen; 
tjang burd) btoge Erläuterung ber Sectüre übermitteln. 3um 
Beifpiet gewtffe Schriften SiceroS unb baS erfte Buch beS auch 
poctifd) h«toortagenben SeljrgebichteS beS Sucrej fönnten in einer 
.Seife erflärt Werben, baf) ber Abiturient eine beffere Senntnih 
bet ©efchichte bet alten Bhit°f°Ph' e befäge, als fie je|t ge; 
meiniglidj in ber (ßrüfung ber Eanbibaten beS Roheren Sehr; 
amteS angetroffen wirb. AuS bet ©efchichte ber neueren ^ßf)iio; 
fophie würbe wenigftenS eine allgemeine Eharafteriftif bet Sehre 
SpinojaS, SeibnijenS unb ÄantS fich in ber uatürlichften 
Seife an ben (Bortrag ber baptfdjen Siteraturgefchichte unb bie 


* 


Erflätung Seffing’fdjer, §etber’fcher unb Sdjiller’fehet Schriften 
fchtiefjen. 

Die Eine Stunbe wöchentlich, welche bet jefcige Sehtplan 
ber (ßtima ber Sfß^ilofopjgie befonberS wibmet unb welche id), wie 
bemerft, gern fd)enfen würbe, wenn fie ber fpftematifchen Sogif 
unb ber ftjftematifdjen empirifchen (ßfpdjologie gewibmet bleiben 
foßte, würbe ich jum $heil in ber Seife wie ber Seiter beS 
hiefigen ©pmnafiumS oerwenben, nämlich ju praftifdien Uebungen 
im Definiren, Sintheilen, S^Iiefeen unb bergleidjen, jum größten 
Dheile aber für bie Sectüre philofophifdjet Schriften ouS ber 
neueren 3«t anfefcen. 3<h benfe hier namentlich an bie 3ttebi= 
tationen beS EartefiuS, ein Schriftchen, welches burd) bie Klarheit 
feiner ©ebanfen unb feiner (Rebe, bie Entfdjiebenheit feiner echt 
philofophifchen ©efinnung, feine gafelichfeit unb ben, id) möchte 
fagen, fpannenben Eljarofter feines ©ebanfengongeS wie foum 
ein anbereS Serf geeignet ift, ben jugenblichen ©eift für bie 
Sahrheit ju gewinnen, — nächftbem auch etwa an SeibnijenS 
SDlonaboIogie unb ^rirtcipien ber (Ratur unb ber ©nabe; fowie, 
wooon bereits bie (Rebe war, an Uebetfefeungen auS englifchen 
(ßhüofophen- 

Set mit ber tßhilofophie unb ihrer ©efchichte Oertraut ift, 
wirb mit mir überjeugt fein, bafs ein in ber angebeuteten Seife 
geleitetes philofophifcheö ©tubiurn auf unferen gögeren Schulen 
ein wirffameS Schuhmitte! gegen bie moberne Scheinwiffenfdjaft 
fein würbe. Denn biefelbe beruht auf bet froffeften Unwiffen; 
heit in philofophifchen Dingen. Unenblidj naib erfcgeint fie in 
ihren (BorauSfefcungen, ihter ÜRetljobe unb ihren 3i*Ie« Sebem, 
ber bie Sohdaufenbe hinburch fortgefe^te Arbeit beS phitofoptji; 
fchen ©eifteS nicht bloS äußerlich, fo ju fagen titerarifd), fennt, 
fonbern wirflidi in fie eingeweiht ift, etwa wie bem wiffenfchaft; 
(ich gebilbeten Arjte bie Dheorie erfdheint, welche ftd) ein Ouad; 
falber übet baS leibliche Seben, bie Urfachen ber Äranfheiten 
unb beten Heilmittel jurecht legt. Sie in ber erften Hälfte 
unfeteS SahthuubertS jahlreiche Bh>I°f°Ph en °h ne wenigftenS 
ben fixeren unb umfaffenben (Befift ber in ber (Raturwiffenfdjaft 
bereits gefammelten Einfichten unb ohne Schulung im natur; 
miffenfchaftlichen Denfen eS wagten, ben (Raturforfchern in ihre 
jigenften Angelegenheiten hineinjureben, fo unterfangen fich i e fet 
fRaturforfcher ohne aQe philofophifche (Bilbung gewiffermafien in 
ihren Seierabenbftunben bie Seit aus ben lebten (ßrincipien ju 
conftruiren. 3h nen haben jtch einige Apoftaten ber fßhilofophie, 
juoor Apoftaten ber Dljeotogie, ein Subwig geuetbach, ein 
Daoib Strauß jugefeflt, bie aber in ber (ßhi!ofophi e nichts 
AnbereS als eine mächtige Seinbin ber ihnen öerhafjt geworbenen 
Dheologie gefugt unb gefunben hatten unb ju wirflidiem philo« 
fophifchem (Berftänbniffe nie oorgebrungen waren. Diefe wiffen; 
fchaftli^e Ohnmacht beS 3RateriaIiSmuS berechtigt wohl ju ber 
Hoffnung, ba§ eine auch nur elementare philofophifche (Belehrung 
in unferen tjöh ercn UnterrichtSanftalten feinem Etnfluffe großen 
Abbruch thun werbe. 

Der Ausführbarfeit meiner (Borfchläge fleht, fooiel ich f e he r 
nur Eine Schmierigfeit entgegen. Diefelben fefcen eine philo« 
fophif^e ©efinnung unb eine philofophifche Durchbilbung in bem 
gefammten Sehrerfreife ber gö^ecen Schulen oorauS, wie fte in 
Sirflichfeit auch nicht entfernt oorhanben ift; wenn auch bei 
feinem eine folche Vertiefung, wie fie ber fhftematifdje (Bortrag 
erforbert. ES ergibt fich barauS für mich Eonfequenj, ba| 
auch in bem UnioerfttätSftubium ber Sehrer unb bem baSfelbe 
abfdhliegertben Ejamen ein größerer (Rachbrud auf bie fßh^' 
fophie ju legen fei. Dies fönnte aber ohne 3Ref)rbetaftung bet 
Stubirenben gesehen, benn fobalb einmal bie höhnen Schulen 
bie (Bh'toI°P^ e *n ber erörterten Seife pflegen, wirb auch Pn 
Stubirenbe in einem fotdjen SRafee philofophifch oorgebilbet jur 
Uniberfität tommen, bah bie Aufgabe, welche hin bejüglich ber 
Vhüofophie feiner noch Wartet, nicht gröfcer fein Wirb, als fie 
es jefct ift. Auch liehe fich leicht (Raum für eirf auSgebehntereS 
Stubium ber (ßh^ofophie gewinnen. ES brauchte nur feie meines 
Erachtens jwedlofe Sorberung beS jefeigen IßrüfungSreglementS, 
bah Per Eanbibat, um ein Seugnifj erften ©tabeS ju erwerben, 
bie Sähigteit nach weife, in einer (Reihe oon SRebenfäd^ent in ben 


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134 


U t e <5 t g nt w ö r t. 


Nr. 35. 


unteren unb mittleren Ktaßen p unterrichten, beseitigt p werben. 
Sür jwedloä holte ich biefe Sorberung, weil ba« meißen« im 
testen Semefter eilig pfammengeraßte SBißen in einem foldjen 
Siebenfache feinerlei ®ewäljr für bie gühigfeit, barin p unter: 
richten, p bieten oermag, unb anbererfeit« ein tüchtiger ßehrer 
[ich halb in beo ©taub fefjen wirb, bem ©ertrauen feine« Di= 
rector« p entbrechen, ber ihm ben Unterricht in einem ihm 
fremben gadje für bie unteren ober mittleren klaffen in ®r= 
mangetung eine« ßehrer«, ber [ich biefern Sache gewibmet hot, 
überträgt. 

3um Schluffe meiner Ausführung möchte ich noch wit einem 
SBorte auf ben Anfang berfeiben prüdfommen. SBenn man 
heute wieber wie p bet 3«it, al« Sichte feine Sieben an bie 
beutfdje Station hielt, bie fßäbagogi! gegen ba« um ßdj greifenbe 
©etberben aufruft, fo tritt babei im Allgemeinen bie $utbigung 
ber intellectuellen ©ilbung in ben ©orbergrunb. 6« macht 
fleh öotpgSWeife bie Auffaffung bemertbar, baß im ©erftanbe 
jo p fagen ba« Sentrum be« geiftigen ßeben« liege unb baß 
in bet ungenügenben Kultur biefe« ©ermögen« bie $aupturfadje 
ber gegenwärtigen ©efaljren p [u<hen fei. Die rothe wie bie 
fdjwarje internationale, wirb gefagt, fpeculire auf bie Dummheit 
bet SJtaßen. Stach bem i<h für bie Sorberung eingetreten bin, 
bafe bie Schule in höherem SJtaße at« bisher für bie Steigerung 
unb Ausbreitung ber intellectuellen ©Übung p forgen in ben 
©tanb gefefjt werbe, barf ich e* nicht unterlaßen, barauf ijin- 
pweifen, baß bie s 4?E)ilofop^ie unb mit ihr bie ißäbagogi! einen 
anberen ©egriß üom SDtenfchen hat. Sticht im ©erftanbe fonbem 
im SBißen unb, wa« nur eine anbere ©eite beäfetbigen iß, im 
©emüthe liegt bie SBurjel feine« Dafein«, — fo hot ©lato ge* 
badjt, ber üon ben ©taterialiften fagt, man müffe fie erft beßer 
machen, ehe man fie p belehren unternehme, — fo Kant, bet 
ber praftifdjen Sernunft ben ©rimat oor ber theoretifchen p« 
erlennt, — fo Sichte, ber bie ßttliche ©eftimmung unb wa« 
mit bem Sewußtfein berfeiben oerfnüpft fei, für ba« ©injige 
erllärt, Wa« bem ©eifte für fich felbft [Realität gebe, — fo auch 
fßeßalojji, bet oon ber 3Bei«heit unb Kraft, bie in jeber Sage 
unb jeber liefe ber SStenfchheit fegnenber Dljeil fei, fowie ße in 
jeber $?öhe ihr unumgängliche« Sebürfniß fei, Oerlangt, baß fie* 
auf ©infalt unb Unßhulb gegrünbet fei. Dem SBißen unb ©emüthe 
hat baher bie ©rjießung in erfter ßinie ihre Sorge ppwenben. 
Stur wenn ße fich ouf ber ©aß« ber feerjen«; unb ©haratterbit: 
bung erhebt, Wirb bie ©erftanbe«bilbung oor ©erirrungen, wie 
nnfere Jage ße gefehen, bewahren. Die echte SerftanbeSbilbung, 
biejenige ©ntwidelung biefe« SermögenS, p ber e« burch fein 
eigene« SBefen beftimmt ift, lann auch nur auf biefen ©runbs 
tagen gebeihen. Denn an« bem ©emüthe unb bem ©haralter 
erwächft ber ©laube, unb ber ©laube aßein — ich weine webet 
ben Dßenbarung«: noch Öen Autoritätsglauben, fonbem bie un= 
mittelbare lebenbige Ueberjeugung Oon unferer höheren, unferer 
überßnnlichen ©eftimmung, ben ©lauben, ben fßeßalojji bie Quefle 
aßet SBei«heit unb afle« Segen« unb bie ©aßn ber Statut pr 
reinen ©ilbung ber SRenßhheit nennt, unb p bem er ruft: „Du 
bift Solfäantheil in jeber Diefe, in jebem SBettftriche, bu bift 
Kraft ber fßtenfehheit in jeber $ölje unb ihre Stärle in jeber 
Diefe", — ber ©laube aßein ift bie Oueße be« Sichte« unb ber 
SBärme, beren ba« normale SBadjsthum bet Snteßigenj bebarf. 
Sofern ße biefen ©tauben mit im Auge hotten, fpradjen Auguftin 
unb Anfclm ganj im ©eifte bet ©latonißhen ©h^ofobhi«, bet 
eine mit feinem Fides praecedit intellectum, Der ©laube geht 
ber ©inßdjt ooran, ber anbere mit feinem Credo ut. intelligam, 
Sch glaube, bamit ich einfe^e. Diefen urfprünglidjen ©tauben 
an unfere überßnnlidje ©eftimmung, ben ©tauben, baß ber ©eift 
nicht ein fetbftlofe« ©rjeugniß ber SJtaterie iß, fonbem bet 
lebenbige Dbem ©otte«, baß ©ott fein Urfprung unb fein 3wl 
ift, biefen ©tauben, ber ßch fo unübertreßtich fdjön in ben 
SBorten Auguftin« auöfpricht: Du hoft un« p bit gefdjaßen unb 
unfer $erj iß offne Stuhe bi« e« in bir ruht, Tu fecisti nos ad 
te et cor nostrum inquietum est donec requiescat in te, — biefen 
©tauben möge bie beutfdje Schute nach wie oor jur ©rnnbtage 
ber ©rjiehung unb be« Unterrichte« machen, — nur bann wirb 


| fie nicht oergebtich aufgentfen werben im Kampfe gegen bie 
j Kräfte, welche ba« SBert menfchlicfjet ©eßttung unb ©ilbung 
j bebrohen. 


oltferatur unb ^unff. 
ÜfaremmenibßUe. 

Au« bem fjtalienifdjeii be« ©iofu<5 ßarbneei*) übertragen 
oon 33. 3- 

SBie lacht auf« Sieu im golbnen Srühtingäßhein, 
Der mit ba« 3iwmer füllt mit lichtem SBärmen, 
Dein ©ilb, SRaria, mir in« |»erj h' lt£ in! 

So laß bie« $erj, ob e« in müß’gem ßärmen 
Auch bein oergaß, o laß e« ungeftört 
3 m halben Srühtoth erfter ßiebe ßhwärmen! 

SBo weitft bu, fprich? — ©ewiß, nicht unbegehrt 
Unb einfam feufjeß bu; — be« Dörfchen« Stifle 
liegt bich al« Stau unb SRutter froh : geef)rt. 

Denn blühte nicht ber lüften ftolje Süße 
Dem einft’gen ©atten, unb bie 3ugenbfdjöne 
De« ©ufen«, unter läßig=enger |iüße! 

©ewiß erjogft bu fräftig=!ül)ne Söhne 
An beiner ©ruft; jefct fchwingen fie gewanbt 
Sich wohl auf« wilbe [Roß an ftarfer SRäljne! — 

SRit beinern Kranj oon ©lumen in ber $anb, 

SBie fchön, o SRäbdjen, warft bu in ben SBogen 
De« hohen Korn«, ba« ring« in Aelfren ftanb; 

So froh “nb ßattlichl ©tolje SBinipgcn bogen 
Sich «w bie blauen Augen, tief unb groß, 

Au« benen feurig Ijefle ©lifce ßogen. 

Kornblumen gleich in gotbner Aeßren Schoß 
So ftrahtten ße, umrahmt oon reicher Süße 
De« blonben [paare«, urjb bich felbft umßoß 

SBeitfjin |>oehfommergtuth mit heißer Stiße. 

Stur im rottjfunfetnben ©ranatbaum lachte 
©ebämpfte« Sicht burch grüne ©lätterf)üße. 

SBie feiner eignen, ftoljen ©öttin, brachte 
Der ©fau bir feine ^ulbigung, unb fchrie, 

SBenn er für bich fein prächtig Scfjmeifrab machte. 

Ach nnb feitbem! SBie falt unb bunlel, wie 
©erbrießtich Dag’ um Dage init oergingen! 

SBeit beßer war’«, ich freite bich, SDtarie! 

SBeit beßer in ben wirren ©ufcfjwalb bringen, 

Dem ©iißel nach, bet lauemb glofct unb fäumt, 
Unb wieber fucht in« Didicht ju entfpringen, 


t 

I 


*) Äarl §illcbranb fagt Dort ßaAucci: . er ift oljne Stocifel 

ber bebeittenbfte S)id;ter, ben Stalien feit bem lobe ßeoparbia ^croors 
gebradjt ^at; ja id> möge no(^ loeiter ju gc^en: Europa ^at feit bem * 
Xobe ©eine« nidjt feine« ©teilen gefehen! ©elbft ba« tlare ©eftirn 
be« SBeften«, ©ret ©arte, erbleicht bor biefern ©lanje." Son ber 
9Jtoremmenibbne fagt er: .. plaftifc^ rnie eine antife Statue unb an* 
gleitb bon fRnben«’ Iräftigem (Sotorit, erft^eint un« bie blonbe ©taria 
ber ©taremmen auf bem ©intergrunbe eine« einfa^en, gefunben ßanb> 
leben« im ®tile be« alten Satium . . 


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C Dgle 




Nr. 35. 


9ie (Segenwart. 


135 


2118 fdjroibenb mübfam SöerS an Sers geleimt! 
SBeit beffer riiftig fdjaffenb fie oergeffen, 

SttS ew’gen SBettenrätbfetn nacbgeträumt. — 

3efct bohrt ftdj in mein £>irn mit ftetem Steffen 
Xer grimme ^otjwurm, ber ©ebanfe Reifet! 
Xrübfet’ge Xinge fdjreib’ ich, unb inbeffen 

Serbarben #erg unb SRuäfetn burd) ben ©eift, 
©ing tm ©efittungäroabn bie Kraft oerloren, 
3übt’ ich’S, wie madjtloä ficb mein 3ow erweift! 

3b r $appetreit|n, tote räufeltet i(jr ben Obren 
@o lieblich, unb im ©Ratten, wie fo fdjön 
3fl jene San! gut ©onntagärub’ erforen! 

SingS fann man bort ben braunen Slder feb«, 
Xen Srieb^of rechts, bie grünen $üget ragen, 
Unb über« SReer bie weihen ©eget gehn! — 

SBie fc^ön gut SRittagSraft an feigen Xagen 
(Kit ben ©efä^rten fdjwafcen, um ben $erb 
3m SBinter bann ficb fammetn mit Sebagen! 

D bejf’ter Sühnt, unb Ijöfyern (ßteifeS roertb, 

®en aufmertfamen Suben bie ©efdjicbten 
San 3agb unb gäbrticbfeit ju gufj unb (ßferb, 

Unb non gotltiefen Sßunbett gu berieten, 

Xie jach baä 9Bitbfd)tt>ein töbteten im Stieb«, 

SttS gu «erfolgen fo, mit ©pottgebidjten 

3tatienS geiglittge unb Xriffotin!*) 


> (Ein Äitterf^aufu|el in ®irol. 

©e^t halb nach meiner Stntunft in 3 e nbadj iw Unter; 
inntbat, wo icb biefeS 3«b r bie Seit ber Sommerfrifcbe gu 
»erleben unb mit meinem greunbe ©diröer gufammengutreffen 
beabfiebtigte, würbe mir bie (Diittbeitung gemacht, ba| in bem 
benachbarten Xörfcben Such bon Säuern an jebem ©onntag 
(Ritterfcbaufpiete aufgefübrt würben. Xen erften ©onntag war 
baä SBetter gu ungünftig, unb wir berfdjoben eS baber bis auf 
geftern, ben 17. Stuguft, wo wir gleich nach bem ©ffen auf; 
brachen, ba um brei Uhr bie Sorftettung beginnen fottte. , 

@8 ift eine fteine Xorfgemeinbe, bie nicht einmat eine 
eigene Kirihe bat. ©teiebwobt fanben wir baä fdjeunenartige 
©ebäabe, in welchem bei gefchtoffenen genftern unb bei fünft; 
liebet (Befeuchtung gefpiett würbe, geftopft oott, ein (Beweis, baff 
auch auf bie gange Umgegenb baS ©chaufpiet feine Stngiebungä; 
traft auSübte. 

3« ber ®b a t war ber Xitel fchon feffetnb unb betbeifjungä: 
»ott genug. (Bereits ein paar Säuern buben, bie wir am ©in; 
gange beS XorfeS nach bem SBege gum Xbeater befragten, batten 
uns oerratben, bah «tan ben „3weifampf um üRitternacbt'' gebe, 
was natürtich unfere ißbantafie mächtig anfpannte. 

Xen boltftänbigen Xitel tafen wir auf bem gebrudten ßettet, 
1 ber an bem ©cbeunentbor angefebtagen war; er lautete: „Sofatie, 
bie bebrängte ©räfin oon gürftenberg, ober bie 3weifämpfe um 
ÜRitternacbt. Sitterfdjaufpiet in üier Stufgügen." 

XaS ©ingangStbor führte gu bem testen fßtafee, ber ©alerie, 
bie ebenfo wie bie öorberen (ßläfce bicht befefet war. Xa8 „©pitt" 
batte bereits begonnen, unb es fd|ien, ats wenn wir auf ben 
(Eintritt würben «erdichten muffen, ats ein junger fchmuder 
Sanemburfche {ich erbot, gum Xirector gu geben. Salb erfdjien 

*) StuS SRotibreS Fern me s savantes. 


auch biefer, wir {teilten uns ihm oor, erftärten, bah wir eigens 
aus $eibetberg unb SBien gefommen feien, um baS ©chaufpiet 
gu (eben, unb erreichten baburd), bah er uns hinter bie Sühne 
geleitete, wo unS gwifeben ben ©outiffen eine Sanf bingeftetlt 
würbe unb wir Stiles aufs fc^önfte unb aus nächfter (Rübe, wenn 
auch mit einiger ©inbuhe an SHufion {eben fonnten. 

SBir gerietben mitten in bie „©jpofition" herein. Xer 
Sitter Subwig oon Sttbiugen tbeitte [einem greunbe, bem Sinn; 
bacher, feine Sacbeptäne gegen baS $auä beS ©rafen bon gür* 
ftenberg mit, ber ihn unberföhntich beteibigt batte. ©S war 
ihm gelungen, ben im ©trome berungtücften eingigen ©ob« beS 
©rafen, ben achtjährigen Sllbert, aus ben gtutben gu retten, 
unb als SBerfgeug feiner Sache bis gum gwangigften 3«bee gu 
einem bot feiner ©chanbtbat gurüdfebredenben „Xprannen" gu 
ergieben. $eute, als an feinem gwangigften ©eburtstag, fottte 
bas SacbeWerf in ©eene gefefct werben. Stuf ber 3«flb wirb 
ber ©raf bon bem jungen Sllbert unb feinen Knappen überfalten 
unb bon ber getswanb in einen Slbgrunb biuabgeftürgt. Xer 
Sltbinger aber, bamit nicht gufrieben, weih fi<h ®it $ütfe beS 
SinnbacberS in ben Sefib beS ©djtoffeS gürftenberg gu fe^en, 
nimmt bie ©räfin gefangen, bie natürlich in baS unterfte Scrtief) 
ber Surg gefperrt unb gum $ungertobe berurtheitt wirb, unb 
berfpricht feinem ©piefjgefetten bie $anb feiner Xochter $ebwig, 
bie ihren fßftegebruber Slibert liebt. 

Xiefer wirb mitten auf ber Sahn beS SerbrechenS burch 
bie ÜRabnungen $ebwigS gur Seue geführt; bagu wirft ber 
©rott über baS $eiratb3project feines ipftcgcoaterö, baS ihm 
berrathen worben, fowie über ben nicht gewährten Sitterfchtag 
— furg, eS wenbet ftch baS Statt. Sltbert tritt feinem (ßflege; 
batet mit bem ©cbwert in bet §anb entgegen. 3n mitter; 
nächtiger ©tunbe finbet ber 3weifampf an berfetben ©teile ftatt, 
wo Sttbert feinen Sater batte betabftürgen taffen. Xer 3üng; 
ting wäre bem Sitter im Kampfe unterlegen, wenn nicht bie 
untec bengalifcher Seteuchtung ptö^tich auftauchenbe ©rf^einung 
beS atten gürftenberg, ber feinem ©ohne fid) gu erfennen gibt, 
unb, falls er feine ©ünben bereue, ihm Sergeibung berheiht, 
bie Kräfte beS „©chanbbunbeS" gelähmt hafte. 3um ©tüd 
fommen noch bie bon ihrem eignen $errn feiner ©raufamfeit 
wegen abgefallenen Knappen bingu, Subwig wirb überwältigt 
unb in ben Kerfer geflohen, wo er ben ©iftbecher trinfen mu|. 
Xie ©räfin.wirb befreit, erfennt in Sttbert ben bertoren ge; 
glaubten ©obn unb fegnet ben $ergenSbunb ber beiben Siebenten. 

(Dian fiet)t, eS ift ein Sitterfchaufpiet atten ©chtageS, wie 
fie bie fiebgiger unb adjtgiger 3ab te beS borigen 3abtb«nbertS 
in SRenge berborbra^ten. Xer häufige ©cenenwecbfet, ber bei 
aller ©infachbeit ber Sübneneinrid)tung mit grober (jBünftticbfeit 
unb fßräcifion bottgogen würbe, weift gleichfalls auf jene ißeriobe 
unferer Siteratur bin, wo nach bem Sorgange oon ©bafefpeare 
unb befonberS bon ©oetbeS „@öb bon Setlicbingen" in biefer 
$inficbt bie größte Ungebunbenbeit berrfebte. 

XaS ©tüd ift (ßrofa, wie bamats alte Sitterfcbaufpjfte eS 
waren. Xagwifchen aber tritt bie luftige (ßerfon, ber Knappe 
$anS auf, meift in (Dlonotogen, fetten im 3ufammenwirfen mit 
anbern fßerfonen beS ©tüdeS. 

©r allein rebet in Serfen, bie bie gotrn ber alten Seim; 
paare beS feebgebnten Sab^hnnbertä, wenn auch in arger Ser; 
witberung, noch ertennen taffen, ©r allein rebet im SolfS« 
bialefte, wäbtenb bie übrigen ficb bemühen, ho'bbeutf^ gu 

fprechen. 

©S war ber ©cbmieb beS XorfeS, ber biefe Sötte fpiette, 
unb man fagte mir, fein Senommee als Komitee fei fo groh, 
ba| ee nach 3nnSbrud citirt werbe, wa8 freilich für ben ©e; 
fchmad ber tiroler $auptflabt fein befonbereS 3eugnih ift. 

Xradjt unb Gattung erinnert an ben Sarren beS atten SottS; 

fcbaufpietS: er trägt eine gweigipftige Kappe, an beren ©nben 

nur bie ©gelten fehlen, um eine oottftänbige Sarrentappe im 
atten ©tit gu fein. 

Seben feinen $answurftiaben ftebt nun, unb gwar bicht 
bor ben ©chtuhfeenen, ein eigenes, gang fetbftftänbigeS 3nter= 
meggo, baä mit ber $anbtung in gar feiner Segiebung ftebt. 


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136 


1 1 1 <Üfgen»art. 


Nr. 35. 


®iefe 3mif<henfcene mtrb butdj einen gägerdjor, ben bie Knappen 
fingen, eingeleitet, morauf bann bet Kontiler, aber bieSmal mit 
einem riefigen Strohhut auf bem Kopfe, eintritt, einen ©ucflaften 
auf bem Süden, meldet bie gnfchrift trägt: „@ud Sie in mein 
2 od)." ©egen ein Satair non 200 Seufreujem geftattet er ben 
Knappen ben ©inbticf in bie barin enthaltenen fterrlichfeiten. 
®a gibt eS benn „Snglanb, Slegppten unb baS Sterjinger SJtooS" 
unb anbere fdjöne ®inge ju fehen, bis jutefct bie unoermeibliche 
Prügelei au3bricf)t unb bie Knappen bem halbtobt geflogenen 
Sftanne mit feinem ©udlaften baoonlaufen. 

@S ift fein 3meifel, bafj bie lomifchen Seftanbtf)eile unb 
baS oben ermähnte 3nterme}jo mit bem urfprünglichen Xejte 
beS SdjaufpielS nichts ju thun haben, fonbern erft eingefdjoben 
finb. I)et lejt felbft aber flammt aßen Shtjeidjen nach auS 
bem nötigen gahtljunbert. 3Bir liefen unS oon bem Souffleur, 
ber beim Scheine jroeiet ®algli<hter in feinem Kaften fafj unb 
oon bort aus aud) bie bengatifdte ^Beleuchtung beS Schluß 
tableauS beforgte, fein Such jeigen. 6t muffte nur, baff es 
fdjon oor etroa jmanjig fahren ermorben morben mar, fonnte 
aber über ben Urfprung unb barüber, ob eS etma aus einem 
gebrucften Suche ftamme, feine SluSlunft geben. 

®ie Spielenben, namentlich bie grauen, hatten ihre Stoßen 
meift trefflich inne unb man fah ihnen an, baff fie mit Seih 
unb Seele bei ber Sache maren. 2)aS oerhinberte aber nicht, 
bag fie in ben 3mifdjenacten mit einanbet fchmafcten, ja fogar 
auf ber Sühne herumtanjten, menn bie hinter betfelben befinb; 
liehe ßitufif einen einlabenben SBaljet fpiette. 

3 m ©anjen machten fie, menn man oon einem gemiffen 
fallen fßathoS, baS übrigens nicht aßein auf Sauembütjnen ju 
finben ift, unb oon einer Steifheit ber Semegungen abfieht, 
ihre Sache oortrefflid). Stur einmal entftanb eine Kunftpaufe, 
unb jroar baburch, bah ber Souffleur fich feine Steife frifefj an= 
jünbete unb barüber feines SlrnteS ju«roarten oergah- 

®ie Stifter traten in bofler Stüftung auf, mit ^arpifefj, 
Schilb unb Schmert, mit maßenben Süfhen auf bem #etme, 
unb fämpften mit hetabgelaffenem Sifier. ®ie gef<f»ictte Slrt 
ihres gedjtenS auf bem engen Staume ber Sühne oerbient aße 
Stnerlennung. Sie machten eS oiel beffer unb natürlicher als 
man begleichen Kampffcenen felbft auf unferen gröberen Sweatern 
fieht, mo häufig ber Stifter in bem Slugenblide nieberftürjt, in 
melchem fein ©egner erft ju bem töbtli^en Streiche auSholt. 

®a8 S«bticum oerhielt fich theilneljmenb im haften ©rabe. 
Die fdjalen Spähe beS JpanSmurftS riefen ebenfo ein fröhliches 
unb herjticheS Sachen Ijeroor, mie bie emften Scenen eine an; 
bachtsoofle Stimmung ermedten. SBie ber „Schanbbube", bet 
Sllbinger, ben ©iftbecher getrunfen unb ju Soben finfenb feine 
fdjtoarje Seele aushauchte, hätte ich einen Säuern, ber neben 
mit bitte Stauchmotfen aus feiner Steife blieS unb mit gröhter 
Spannung jufah, tief Slthem holenb oor fich hi” tagen: „@r ifcht 
hin!" Diefen ßeuten ift baS Dargefteßte ein mirflid) StiterlebteS 
unb an ihnen übt bie Sühne jene oofle SBirfung, roelche ber 
Diditrf einem ftäbtifdjen Sublicum gegenüber nur feiten erreicht. 

Der ©rieche lieh ber Itagöbie baS Sathrfpiet folgen. Sfttd^ 
hier fehlte eS nicht an einem luftigen Stacfjfpiet. ®S führte^ 
mie mit auf bem uns oon bem Souffleur gezeigten Xegtbudje 
lafen, ben Xitel: „Der närrifche ßiebhaber ohne Sraut ober ber 
alte Sareocfenftocf." @ine ziemlich fatjtofe S°ffe, bie jeboch 
roegen ber batin auftretenben ®haraftertt)pen ein literargefdjicht; 
licheS Sntereffe hat 

Da erfcheint juerft, auS einet riefigen Dofe fchnupfenb, ber 
alte ßiebhaber SeberuS, bargefteßt oon bem Komifer, ber im 
Stitterfchaufpiet ben $anS gegeben. Der alte Semabote hat ihm 
feine Dodjter gfabefla jur grau oerfprodjen, mähtenb fie ben 
fchmucten jungen ßeanber liebt. 3« SeoeruS gefeßt fid) ber 
alte Semabote, ber feinen Schmiegerfohn begrübt. 

9hm tommt, als Softbote oerfleibet, KaSper, ber Diener 
ßeanberS, unb bringt einen brei ©ulben foftenben Srief, ber 
„an baS |»auS Semabote" abjugeben fei. ®r miß fchledjter; 
bingS, biefer Seftimmung jufolge, in baS $auS bringen, mirb 
aber oon bem Sitten jurüdgehalten. Doch meih er fich f° nahe 


an bie ^auStljür ju brängen, bah eS ihm gelingt, einen anbem 
Srief, ben fein $etr an 3fabefla gefchrieben, in ben ^»auSflur 
fjineinjumerfen. Der Srief an ben Sitten mirb oon biefem oor; 
gelefett unb enthält nichts als Serhöhnungen beS SaterS unb 
feines mibermärtigen SdjmiegerfohneS. 

Die beiben Sitten gehen nun ins £>auS, um mit einanbet 
ju jedjen. liefen SRoment benu|t bie ®od|ter, um mit |)ütfe 
ihres liftigen KammermäbchenS ©alobinerl bem ßeanber butch 
Kasper einen Srief jujufteßen, ber bie Slntmort auf jenen ins 
.§auS gemorfenen enthält unb ihn ju einem ßtenbejoous einlabet. 

ßeanber erfcheint nun in ftäbtifdjer Kleibung, ben meihen 
Spltnber auf bem Kopfe, in meifjer SBefte, ben 3mider im Singe. 
©S ift intereffant ju fehen, mie bet bäuerifche ®arfteßer ben 
Stäbter in Haltung unb Semegungen nachahmt. 

SBährenb bie beiben ßiebeSpaare, gfabefla unb ßeanber, 
Salobinerl unb KaSper, fich aufs Sefte unterhalten, treten bie 
Sitten, Oom füfjen SBeine tmnlen, mieber aus bem $aufe heraus. 
®ie ßiebenben eilen in ein Serftecf, aus melchem KaSper un= 
bemerft fich h eröor f<^I c *<^t/ ben beiben Sitten einen genfterrahmen 
über ben Kopf ftülpenb, in melchem fie nun jum groben ®t= 
gö^en beS SabltcumS fi<h gegenfeitig fyn- unb herjerren. 

®er alte Semabote ruft feine lochtet ju #ülfe herbei, bie ihn 
benn auch auS bem ^alSjocpe befreit, baS „ber alte Sarroienftotf" 
SeoeruS nun aßein tragen muh- 9lun lommt auch ber richtige 
ßiebhaber mit feinem Sintiegen heraus unb finbet ben Sater, 
ber bur<h bie 3ufammenjochung mit feinem Sdjmiegerfoljne bie= 
fern fchon etmaS roeniget freunbtich geftimmt ift, feinen S8ün= 
fehen geneigter. Slflein Seoems, „baS Slbenteuer", mie ihn, 
um ihren Slbfdjeu ju bejeichnen, Sfabeßa bejeidjnet, beharrt auf 
feinen Slnfprüdien mit ben Sorten: „9lein, ich miß fie, ich 
miß fie!" 

®a fafjt ihn KaSper beim Sinne, unb inbem er feinen 
9tticfen mit einem Knüppel bearbeitet unb ihn im Kreife herum; 
jagt, ruft er fo lange: „®a hafcht fte, ba hafd)t fie!" bis SeoeruS 
jammert unb fchreit: „3<h miß fie ja nicht, ich miß fie ja nicht." 
®amit h°t er ben Serjicht auf bie Sraut auSgefprochen unb 
bie ßiebenben roerben oereinigt. 

Sor Slßem finb bie 9lamen ber fßerfonen ju beachten. 
Offenbar haben |pir in Sertabote nichts StttbereS als* bie ent= 
fteßte 9tamenSfc,rm Oon Semarbon, mie in bet italienifdjen 
Söffe ber Sater gemöhnlich hieß- Sluch ßeanber ift ber ge; 
läufige 9lame beS ßiebljabetS in ihr, unb ebenfo ftehenb ift 
baS Kammermäbchen Solumbine, baS hier ju Salobtnerl ge; 
morben ift. 

®aS Stüd gehört atfo jener Seriobe unferer Xheatergefchichte 
an, beren heroorragenbfte Stepräfentanten Srefjaufer unb Strani|fi 
finb. ®S ift bie SBiener Stegreiffomöbie in ber erften ^älfte 
beS achtjehnten gahrhunberts, bie an bie italienifche Söffe an; 
tnüpft unb in ber bet beutfdje ^anSmurft, hier KaSper, eine 
§auptroße fpielt. 

Ob baS Stüd felbft nadjmeiSbar ift, lann ich öon hier aus 
ebenfo menig unterfudien, mie ich im Stanbe bin, auS bem ©e; 
bädjtnij} bie Sjiftenj ober |>ertunft ber „3meifämpfe um Stifter; 
nacht" ju conftatiren. 

ttnjmeifelhaft aber haben mir eS mit einem Svobucte beS 
achtjehnten SaprhunbertS ju thun, einem älteren als jenem 
9titterfchaufpiel, bem es hier als 9ta<hfpiel biente. SemerlenS; 
merth ift ber SluSbrud „baS Slbenteuer", um ein Ungeheuer, ein 
Scheufai ju bejeichnen. Sluch er meift auf jene $eriobe unferer 
ßiteratur hin unb lann unmöglich erft unferem gatphunbert 
feinen Urfprung oerbanlen. 

Slls mir nach Seenbigung ber Slufführung ein Sßirthshaus 
befuchten, in melchem, mie man uns fagte, baS fünfte Stäbchen 
beS ®orfeS roohnte, fanben mir ju unferer Ueberrafdjung bie 
eine ber ®arfteßerinnen beS fRitterfchaufpietö, $ebmig, bie Mochtet 
beS „Schanbbuben", als SSirthStochter mieber, bie uns freunbtich 
bebiente, unb fich bann ju uns fejjenb uns noch SJtancheS über 
bie Stufführungen mittheilte. 

Son ihr erfuhren mit, bafj baSfelbe Stüd an jebem Sonn; 
tage ben ganjen Sommer hinburdj gegeben mirb; baS Stifter; 


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Nr. 35. 


9te <5 r g r tun ar t 


137 


fcgoufpiel war in biefem Sa^re fegon jum bierten Male aufge^ 
fü^rt worben, wögtenb ba« Dacgfpiel neu war. 

3n üerfcgiebenen Orten be« Sttntgale« finb folcge 2luf= 
fügrungen ju fjaufe, aber, wie e« fdjeint, bocg iiberwiegenb 
geiftlicgen Sngalt«. ©)a« SaffionSfpiel in bem nicht weit ge= 
(egenen Srijlegg wirb natürlich, wie ba« nun weltberühmte ju 
Oberammergau, nur alle paar Sagte aufgeführt', bagegen in 
Scgwaj, ber näthften Drfdjaft bei Such, werben in jebem SBinter 
Darfteüungen non bibtifdjen ©efcgicgten, unb jwar auSfcglieglicg 
non Männern öeranftaltet. 2)a« ift ein mertwürbiger Bug jut 
fiünft in biefem Xtroler Sötte, ba« an natürlicher Segabuug 
{einem anbern beutfchen ©aue nacgftegt unb bur<h eine lieben«« 
mürbige Daibetät unb grifdje anjiegt unb feffelt. 

’ Karl Bartfdj. 


Hie internationale Äunftüusftellnug 31 t Ülätugen 1879. 

n. 

Sine SluSfteHung wie bie heurige Münchener ift mehr al« 
eine gelegentliche Anhäufung non Silbern, welche bie Seiftungen 
©injelner barftellen, währenb fie über Störte unb ©ruppirung 
ber jeweiligen fünfllerifchen Parteien feinen Sluffcglut geben. 
Sie ift felber eine Seiftung, bie Seiftung eine« au« ber jagt« 
reichften beutfchen Sünftlerfcgaft mittelft birecter ^Sagten geroor« 
gegangenen unb mit bem {Recgt über Seben unb Job betrauten 
SnSfcguffeS. Unb inbem bie SluSfteHung an. ihren SBänben ba« 
©taubenSbetenntnig biefer geflrengen 3urg burchführt, fteHt fie 
einen HuSbrud beffen bor, wa« bie heutige Majorität in ber 
fiunjt alä gefunb fcgägt ober bocg als ejnftenjberecgtigt bulbet. 

Siefe Majorität aber befteht au« ber bieltöpfigen bunten 
SRengf aller jener jüngeren, welche ft<g in ber gemeinfamen 
©rfenntnit begegnen, bat jebe Slrt afabemifcher ©onüention gleich« 
bebeutenb fei mit bem Slufgeben wirtlich fünftlerifcger Igätigteit. 
5« tennjeicgnet fie baher alle — and) bie bentbar berfdjiebenften 
^erfönlithfeiten unter ihnen — baf? jeber ©injelne au3 fich ger« 
au« fein Sergältnit jur Datur finben will* unb tebiglich bon 
berartig felbjtjtänbiger Sthfcgauung $eil erwartet. Unbefümmert 
nm laufenberlei, wa« fonft bem Maler Äopfjerbredjen macht, 
tennen biefe jüngeren nur ihre eigene Segabung unb fegen beten 
göegfte Setgätigung als ihr legte« 3iet. Unb hi«, in ber Se= 
tonung ber Sttbiüibualität unb ber Sorberung nach rüdficgtälofer, 
wenn auch einfeitiger SluSbilbung berfelben, liegt ber {ßuntt, wo 
fie fich nett ben mobemen Stanjafen berühren unb mit ben alten 
Weiftern, benen einige bon ihnen einftweilen noch reicglicg duffer; 
lieh ähnlich fegen. 

$aä ift bie h eu tige Majorität unb bie 9lu«fteHung im 
©la«pataft ift bie Manifeftation ber Sgatfadje, bat fie, beren 
8 ertrauen«männer bort rüdficgtslo« fchatteten unb walteten, bie 
älteren Dichtungen — fßitotp bereit« mit eingefchloffen — befiegt 
hat unb fiel) igre« Siege« bewußt ift. 34 für meine befcheibene 
$erfon begrübe bie neue leitenbe Sartei'mit unbergolener Sreube; 
berat ich fch e in bem, wa« fie jufammengefügt hat unb einft« 
weilen beieinanber hält — mögen bte einzelnen felbftwiHigen 
©garaftere einft beurtheitt Werben wie immer — eine neue £>off= 
mmg für bie Bufunft unferet Äunft. HDetbing« müßten, um fie 
ju erfüllen, „Snbibibualitäten" Don auSteidjenber Bahl, ©nergie 
unb Dachhaltigteit Dorhanben fein, bie un« oor einem fläglicgen 
Äufgegen in ©enialitätSfpielerei, 9lregaiftren unb Suchen nad) 
Originalität bewahren. 3$ begrübe bie Münchener SluSfteHung, 
wie ba« fugete ©umgreifen ber 3urp fit geftaltet hat, al« ein 
auftlärenbe« ©reignig unb al« eine furdjttofe 2gat. ©ine 
anbere Stage ift, ob bie« 9lu«nugen be« Siege« nicht etwa« 
„jugenblich" war, wenn un« bie Herren nun bo4 einmal nicht 
lauter in irgenb einer Sejiegung herborragenbe Sachen bieten 
tonnten.... 

Unfere „internationale" ift aber nodj in manchem anberen 
Sinn eine ber Sefpredjung wertge Schöpfung. Sie gibt ber 
beutfchen ftunft junächft, als periobifch Don Diet ju Dier fahren 


Wieberfehrenbe ©efammtau«fteßung, einen IRuge« unb Uebevf : <f)tä= 
punft, für ben bie Ifkobuction fich ernftgaft Dorbereiten tann, 
unb ben wir in ®eutfcglanb ganj Derloren haben, feit bie Sets 
linet 2 lfabemif<he fich 9 a r noch auf eine alljährliche herunter« 
gefegt hat. S)aju haben Wir biefe ©efammtauSfteüung auf einem 
Soben, bem man jugeftegen muff, bag er bie Slüthe ber Äunft 
bisher am unabhängigen unb reichften in $eutfd)lanb ju ent¬ 
falten gewu|t hat. SBünfcgen wir nur, ba§ nicht SarticulariS« 
mn«, ©iferfücgtelei unb Sünftlergejänt un« bie ffruegt biefe« 
erften ©eiingen« — bie Dierjährige Sffiieberfeht — in Srage fteUe. 

2 lber fegon bie« „©eiingen" ift junäcgft ftart angejweifelt 
worben — alletbing« ganptfäcglich unb öffentlich nur feiten« bet 
Burüdgewiefenen unb igre« Eingang« — fo ftart jwat unb mit 
fooiet perfönlicgen Serbäcgtigungen, bag ich faft füregte, e« 
möcgte fdjon ba« näcgfte Mal taum ein anftänbiger Menjcg noch 
bie Magi ju einer 3urg annegmen, ber man wegen DteHeicgt ju 
einfeitiger äuffaffung igrer Sefugniffe nicht etwa Unfägigteit, 
fonbern ben gemeinften ©goi«mu3 naögfagen barf. Unb babei 
gäbe ich — ber icg Weber bie ©inen noch bie Slnberen tenne — 
in ben ©rflärungen ber getränften Herren felber faft nur bon 
perfönlicgen Stagen anftatt Don fachlichen, Don biftinguirten 
Mnfttern anftatt Don biftinguirenben SBerfen berfelben, Don bem 
Urtgeil anberer Juroren unb goger ^errfegaften anftatt Don 
ber ©inficht unb Ueberjeugung ber ad hoc baju Serufenen ge« 
lefen. Sie fdjärfere Unterfcgeibung in allen biefen Stagen tann 
meiner Meinung nach bie 3ntp nur egten. $lber ba« gehört 
nur infofern herein, al« wir un« für bie Sicherung einer tegel« 
mäßigen SBiebertegr biefer internationalen 9 lu«ftetlungen interef« 
firen. Sollte e« in biefem Sinne niegt Diel beffer unb patrio« 
tif^er fein, wenn bie $auptrebner unter ben geträntten fetten 
bie näigften Dier Sagte auSnügten, um fieg felber injwifcgen 
ba« nötgige Sertrauen ju erwerben unb fieg bureg baSfelbe in 
bie näcgfte 3 urg beförbern ju laffen? 34 bente mir, f 4 on heute 
wären fie ber Stimmen berer gewifj, benen fie einftweilen ba« 
angenehme ülmt eine« folcgen ScgiebSridgter« beneiben. 

Son berfelben Seite wirb gegen bie heurige 8 lu«ftellung 
bie fürchterliche« Sefcgulbigung colportirt. ba^ fie niegt einmal 
bie Silberjagl ber 1869er Snternationalen erreiche, alfo aueg 
in biefer ^infiegt Don „©eiingen" niegt bie {Rebe fein bürfe. 
SBeniger Dummem al« 1869! Unb wir fegreiben bereit« 1879! 
Man ftelte fieg ba« Unglücf bot! Slnbere Seute, §. S. ber Segrei= 
ber biefer B«le«, wären freilich geneigt, ber 3 «tg barau« ein 
ÄapitalDerbrecgen ju magen, bafi fie niegt noch weitere — fagen 
wir mal ganji befegeiben 500 — Silber jurüdgewiefen gat; 
Wenn man niegt billig unferen gefammten unglüdlicgen StuSftel« 
lungSDergältniffen {Redjenfegaft tragen unb einftweilen anerfennen 
mü|te, ba| ba« $au« immerhin fegon Diel reiner gegolten ift, 
al« man biSger Don beutfchen 3lu«fteUungen gewohnt war. Stber 
jener originelle Sorwurf bafirt niegt einmal auf unbefangen 
gruppirten Bagten. 1869 nämlich ging bie ©ommiffion einfach 
auf, wa« igr jugefegidt würbe. $öcgften«, bat utan einige gar 
ju grimmige „©emälbe" bureg Rängen unfiegtbar maegte ober 
ftittfegweigenb bei Seite fteUte. §eute, wo fo ju fagen jum 
erften Mal eine emftgafte 3«tg über Balaffung ober Barüd« 
weifung entfegieben gat, finb Weit über taufenb Silber unb Stulp« 
tuten niegt jur SluSfteHung gelangt. 308er ba« Sebürfnit baju 
oerfpürt, bente fieg biefe ju ben oorganbenen. 3tber auch wer 
nur bie genannte B«gl in fReegnung fteHt, wie fteg gegört, wirb 
finben, bat bie Snfinuirung einer tüglen Deferoe weiterer 
Äiinftlerfreife ber geurigen ®u«fteüung gegenüber — bie bodi 
allein mit jener BaglenjufammenfteHung beabfiegtigt fein tonnte 
— butegau« niegt geglüdt ift. 2 teuterlicg ift ba« SRefultat ber 
bieSjägrigen Müncgener Semügungen aüerminbeften« jenem Don 
1869 gleiög. Dur Don igrer Sgantafie Derwögnte Seute werben 
fid) biefelbe „gröter oorgefteHt" gaben. Unb innerlich oertritt 
biefe 2lu«fteHung fo gut unfere Beit, wie jene bie ihrige. Ueber 
ben betriebenen SEBertg beiber ju ftreiten, überlaffe icg benen, 
bie bergleiegen, minbeften« afljägrticg, ju beforgen gewohnt finb. 

SBenn icg mich im Sorigen unberufen bet ©ommiffion an« 
genommen gäbe, welcher bie ÄuSftellung im ©taSpalaft in erfter 


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138 


® t e ©egenmart. 


Nr. 35. 


Siitie ju oerbanfen ift, fo foß bamit burhauS ttid^t gefagt fein, 
baß bicfe nicht manchem Sfünftler Unrecht gefßan ßaben wirb, 
b. f). ba fie nutt bocf) einmal ©iittelgut juließ. Sor biefet 
9Renge aufgeßängter unb aufgefteflter ©leicßgültigfeiten läßt fi<ß 
burhauS nicht anneßtnen, baß alle jurüdgewiefenen ©egenftänbe 
auf mehrerer Stufe geftanben haben faßten. Zber gerabe bei 
©Httelmäßigleiten — wo immer fie jugelaffen werben unb folg« 
ti<h in ©taffe auftreten — wirb eine gleidßmäßige ©eredjtigfeit 
gegen alle ©injelnen faft jur Unmöglidjfeit, fo lange bie 3u* 
rorett ©tenfcßen finb, bie, wie anbre audj, allen taufenb S8e- 
einftuffungen beS 3ufaß8, bet Stimmung, ber ©rfdjlaffung u. f. w. 
unterworfen bleiben. ©tan benfe fuß, bie Zrbeit jwifcßen ben 
taufenb Giften beginnt. 3'nanjig intereffante Silber fommen 
nacßeinanber — baS erfte mäßige, welches bie (folge unterbricht, 
wirb mit Sntrüftung ßinauSfliegen. Sin anber ©ial folgen bie 
©rbärmlicßfeiten in enblofer töbtenber Steiße, unb bie erfte 
Seinewanb, bie irgenb Weiße ©igentßümticßfeit jeigt, wirb mit 
®anf Wie eine ©rlöfung acceptirt. 2)a8 ift ber natürliche Sau? 
ber ®inge, auch oßne baß perfönlicße SRotiüe benfelben hin unb 
her beeinffuffen; unb ehe man nicht baS ganje 3urp= unb Slug-- 
fteßungSwefen Oon ©runb auS umfehrt, wirb baS immer fo fein. 

ZßerbingS — man faßte bie ganje ©efcßicßte einmal 
probeweife auf ben Äopf fteßen. ®a8 3urpwefen ift noch jung 
unb unauSgebilbet genug, um bergleicßen nicht übelnehmen ju 
müffen. ©tan foßte gelegentlich öerfucßen, bie Zustellungen 
meßt im Sinne einer eßrenüoßen Eoncurrenj einjuridjten, als 
beren erfte ©rärnie bereits bie Zufßängung unb Zustellung beS 
eingefanbten ©egenftanbeS anjufeßen wäre. 

3)iefer SBunfcß ift gewiß nicht neu unb bießeicßt erfeßnt er 
eine Zrt ibealen 3«ftanb, bet auf biefet unöoßfommenen SSelt 
gar nicht ju erreicßen ift. Snbeffen fdjeint mir bie Sache 
wenigftenS einiger futjer Znbeutungen wertß. 

Znftatt beS SegeßrenS, mögltcßft alle SBelt bei fih ju 
©afte ju feßen, müßte baS ©erlangen nach burhauS biftinguirter 
©efeflfcßaft bei ber Sinlabung ju einer Zustellung maßgebenb fein. 

Znftatt alfo immer neue Säle an Säte ju j bauen, um nur 
mögticßft aßeS ©inwanblofe, ©rträglicße (welßeS* auf ber ganjen 
SBelt egal auSfießt unb burcß ©taffenauftreten leibet feineSwegS 
imponirenber wirb) aufjuftapeln, foßte man ber SSelt einmal 
bie SSoßttßat einiger ibeat rüdficßtSloS auSgewäßlter ffabinete 
ooß nur guter Sahen aufbrängen. 

Znftatt baS Schlechte ßetauSjufudjen unb jurüdjuweifen, 
würbe bie 3urt) bann baS ©ute auSwäßlen unb jur öffentlichen 
ZuSfteßung bringen. Znftatt burcß baS Burüdweifen eine bimi; 
nuitenbe ©ote ju ertßeilen, ßätte man oielmeßr burcß baS Zuf= 
ßängen bereits eine ZuSjeicßnung berließen. ©iemanb würbe 
bann im ©icßtauSgefteßtwerben eine Seleibigung feßen, fonbern 
Seber baS ©ewäßttwerben für bie ZuSfteßung als einen eßrem 
ben Sorjug erftreben. 

Seim Rängen foßte bie ©ommiffion einfach bie beften 
Sacßen ßerauSfudjen unb an bie beften Steßen ßängen. Um fie 
ßerum baS ©ute unb Seffere. 3)en ©eft fcßicft man banfenb 
unb frei jurfid, wie benn auch bie Hinfracht bereits oon bet 
ZuSfteßung getragen werben müßte. 

2 )ie auswäßlenbe 3urt) felber würbe man, um afleS ©erebe 
oott Sßarteijurüdfeßungen abjufcßneiben, nicht wie bis jefet aus 
birecten, fonbern aus inbirecten SBaßlen, burcß Zuffteßung bon 
SSaßlmännern feitens ber einjelnen ©ruppen, ßerborgeßen laffen. 

Zber fooiel nur ganj gelegentlich- ©inftweilen fprecßen 
wir noch oon ber Seiftung, welche bie, auf bem bisßer üblichen ! 
SBege ju Stanbe gelommene, ©iüncßener internationale teprä= ; 
fentirt. Unb ba ßabe ich noch einige Semerlungen ju maßen. 

Bunäßft ift mir ©ins aufgefaßen bei bem Burüdweifen 
unb Zufßängen feitenS bet 3urp, unb ich möchte wiffen, ob ich 
recßt ßabe, wenn mir babei ein merfwürbigeS ©rübetßun unb j 
ein gemiffeS $ofettiren mit äußerlichen äftßetifcßen ©üdficfjten | 
bemerftiß geworben ju fein feßeint. 3h fürchte j. S., baß man 
auf unferer ZuSfteßung ben S)amen — ffulptirten unb ge= 
malten — geftattet ßat, ju erfheinen wie fie Woßen, ben Herren 
bagegen biefe Serehtigung oerlürjt ßat, faßs fie ficfj ni<ßt fean* i 


jöfifcßer ^erfunft ju erfreuen ßatten. Dcßfen unb porträtirte 
ober coftumirte Sangweiter in SebenSgröße fheinen nah ber 
Znficßt ber geftrengen Zobtenricßter oom ©laSpataft äftßetifh 
ju fein, ein lebensgroßer Scßufter bagegen niht. 3nbeffen ba* 
rauf fommen wir bei ben einjelnen ©egenftänben jurüd. Zuh 
in folhen Stagen ßat man niht baS 9teht, principieß mit einer 
3urp ju rihten, oon ber man mit Sergnügen annimmt, baß fie 
ihrer SertrauenSfteßung unb ißren Sefugniffen nah beftem 
SBiffen unb ©ewiffen gereht ju werben ftrebt. 

SBäßrenb ih mich ulfo bunßauS niht berehtigt ßatte ber 
3urp inS $anbwerf ju pfufcßen, möhte ih bodß jum Schluß 
biefeS ZrtifelS — ba ih immer nodj oon ber ZuSfteßung als 
©efammtleiftung fprehe — unb jwar lebiglidß als Sefudjer auf 
einige niht in baS ©ebiet ber 3urp geßörenben Sinricßtungen 
oon jweifelßaftem SBertß ganj furj ßinweifen. 

Bunähft finbe ih bie beiben ®uppetfäle reht impofant, 
unb befonberS baS Seftibut repräfentirt eine ßodjrefpectabele 
Seiftung. Zber, ba biefe ©raht aßju feßr auf Soften jegliher 
Secptemlihfeit jener ßtäume aufgebaut ift, bie boh erft eigentlich 
bie ZuSfteßung bitben unb bem Sefucßer bie meifte Beit jum 
Zufentßalt bienen müffen, fo fann ih niht umßin, auf ben aßeS 
Znbere an materifhem 9teij übertreffenben tribünenumfr&njten 
fhmalen Sorraum ßinjuweifen, beffen Zufbau unb Shntud 
gewiß bie ZuSftattung ber wihtigeren Säume burcß feine ftoften 
niht im ©eringften beeinträchtigt ßat. ©in befcßeibeneteS, meßr 
materifheS Seftibut mit ähnlichen wie bort oerwenbeten SRitteln 
ßergefteßt, würbe außerbem ben Bufammenßang ber ZuSfteßung 
mit ißrer Gentral=*unb ©intrittsßaße niht fo abfolut oermiffen 
taffen Wie jeßt, wo beibe in buthauS gar feiner Sejießung ju 
einanber fteßen. 

©in noch fdjweter wiegenber fSfeßter fheint mir bei ©in* 
rihtung bes Suffets begangen ju fein. SRan befommt bort in 
ßöhft uncomfortabelen Räumen große Portionen, bie StiAnanb, 
ber fih fh«eß erfrifhen miß, mag, unb für bie außerbem feßr 
Billige ©reife borgefdjrieben finb, was Stiemanb in einer 8lu8= 
fteßung oerlangt. ®aS mag feßr eßrenwertß gebäht fein, aber 
— wenn bie ZuStyeßungSfaffe niht etwa ißre großen ©rocente 
baoon bejießt — auh eht münhnerifh. Unb boh ßat 9Rüncßen 
niht einmal ein eingeborenes ©ublicum für bie ZuSfteßung, oiel 
weniger aber für eine Uteftauration, bie boh nur Seuten bienen 
foß, beren Beit befhränft ift unb bie bergleihen niht ju $aufe 
beffer ßaben ober in ber ©äße bißiger ju finben Wiffen. Zlfo 
für tfrembe wäre biefe ©inrießtung — aber feßon einen granjofen 
oerfteßt fein einjiger SRenfcß am ganjen Suffet, wenn niht ju= 
fäßig bet SSirtß felber ba ift.' 

drittens fommt ber Katalog. Zbgefeßen oon einer un: 
gtaublihen ©ebactionStofigfeit, oon Unregeimäßigleiten alfo, Un= 
rihtigfeiten, ©aioetäten unb ®rudfeßletn, bietet biefer „güßrer", 
ba wo er richtig ift, burhauS niht meßr als waS man oor 
ben Silbern niht meßr ju wiffen braucht. Schabe um bie 
fdjönen 3eih nun 9 e n oon gerbinanb Sartß, weihe biefe 
fhauberßafte Seiftung jiecen. 

3Rünhen felber fhtießtih ßat fih niht weiter in Unfoften 
gcftürjt ober nur ben Serfucß gemäht, fuß gelegentlich ber ZuS= 
fteßung ju oerfteßen. ®aS Sier ift gut, bie Seute finb auf 
ben Seßern unb bie ®ritif empfängt bie fremben ©äfte mit un; - 
fägtihen ffileinftäbtereien, j. S. ÜRenjel wäre oßne feinen ©amen 
auf ber „$anjpaufe" fihertih unb mit ©eeßt jurüdgewiefen 
worben; wo Stroßßüte ju ßöhftenS 25 ©fennige aufträten ßöre 
benn boh bie $unft auf u. f. w. 

Zber bergleicßen erßößt nur bie Stimmung. Zfle ©ins 
wänbe, bie wir geglaubt ßaben mähen ju müffen, treffen niht 
bie §auptfacße- greuen wir uns alfo ßarmloS beS ©eteifteten. 

cSuftao ^ioerfc. 


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Nr. 35. 


Bte ®egenroart, 


139 


äommerwflnberttnijett in -fntnkretd). 

i. 

gontainebleau! 3wei Stunben mäßige @<hneüjug?fahrt 
»on ©ariS; ber ©aljnhof ift ein jierlid)e8 SchweijerhäuSdjen; 
Beim ©etlaffen be? SBaggon? fdjweift ba? Singe auf SBatbab» 
bfinge, Klüfte unb getfen. ©djweijer Sanbfdiaft jum @d)Weijer 
©aljnhof. „SBa? idj an ©ehenSwürbigleiten junächft genießen 
miß?" — fragt ber oerbinblicpe Dbetleflner be? Rotels jum 
„Sdjwarjen Slar" — „ba? Schloß mit feinem Deich unb ben 
breihunbertjährigen Karpfen? Die witbromantifchen @<hlud)ten 
#on grandjart ober bie Sorge auj Soup?, bie Statercolonie 
in ©arbijon unb Starlotte?" Sauter alte ©efannte — nein, ich 
möchte junädjft am tiebften jenen ©aftwirtß oon SIngefidjt ju 
8ngefrd|t betrachten, ber ba? ßunftftiid ju ©tanbe gebracht, eine 
Segnung oon 15,000 Sranc? für einen jweitägigen Slufenthalt, 
btefen Staeftro ber Sritljmetit, ber für ein ©eefftea! 50, für 
ein ©firfiche 150 grc?. auflrcibete. liefet fagenhaft geworbene 
©thinberljanne? mit ber über ben Slrm gefchlagenen ©eroiette 
Batte aüerbing? bie StuSrebe, baß bie Seeffteal? unb ©firfichen 
in gontainebleau nicht ju ben Seltenheiten gehörten, wohl aber 
— bte Schaft, benn ber ©epreßte war Riemanb anbere? als 
ber ©eherrfcher aller ©etfer, ber oorige? 3<>h r währenb feine? 
©attfer Aufenthaltes einen SluSflug nach gontainebleau unter» 
nommen hott«- Steine Reugierbe fonnte jeboch nicht befriebigt 
Werben, ber Wacfere ©aftmirth foll ftch au? Siebe?gram bor 
wenigen SBodjen erfäuft haben; ba| ein foldj materieller Stenfch 
fo büfter»romantifch enben muhte! ©ießeidjt Wollte e8 bie 
9temeft8, jum warnenben ©eifpiel für feine angehenben Stach» 
aljnter. 

3m ©täbtdjen herrfcht rührige? Seben! Der Ungnabe be? 
SBetterS wegen fteflt ftch ber DouriftenfdjWarm fpärlidjer ein 
nl? fonft, bafüt hoben bie großen alljährlichen Schießübungen 
eine SDtenge Df ftjiere, tßeil? haftpflichtige, tßeil? Stmateur? 
ßerbeigelodt. Die ArtiHerie ift heute im franjöfifchen Heere bie 
(Elitewaffe par excellence, namentlich feitbem ber ©turj be8 
ffaiferreidjeS bie Stuflöfung ber SupSjdjwabronen Sent ©arbe?, 
©uiben, Dragoner ber Sfaiferin nach T'<h jog. .®te Herren 
Aftillerieofftjiere IBnnen oornehm leben — unb leben fo. Die 
Eljampagnerpfropfen, bie bi? tief in bie Stacht im ©peifefaal 
tnaflen, legen oon ben guten ©erhültniffen ber „SBaffe" lärmen» 
be? unb glänjenbe? 3«ugniß ab. Stauche ber Slrtißerieoffijiere 
haben ju ben Uebungen ihre Damen mitgebracht, einige auch 
Damen, bie nicht bie gßrigen finb. Die Ejercitien felbft finben 
im SBalbe ftatt, bie ©cfdjüfce puffen ben ganjen Radjmittag 
unb ba? ®d)o trägt fie jehnfadj Wieberholt Oon ©flucht ju 
©flucht bi? jum anbern Enbe be? gort? nach Stontignp unb 
Stemonr?. gontainebleau war bi? 1870 laiferlidje Reftbenj, bie 
©emahtin Stapoleon? hotte für ba? Schloß eine befonbere ©or» 
liebe, bet ganje fpofftaat langte gegen Slnfang guli mit ungc» 
heuren ©epädmoffen in unabfehbaren ©eparattrain? am lleinen 
©aljnhof an, unb währenb biefem SOtonat — fech? SBodjen, je nach 
ber Saune ber ßaiferin Eugenie, bie hier unumfdjränlt oerfügte — 
jagte eine ©ergnügungSpartie bie anbere. Druppen oon Sima» 
jonen raften burdj bie herrlich«« Alleen be? SBalbe?, in ben 
romantifdhften ©egenben würbe bie Dafct au? bem Stegreife 
gebeift, als hätte ein 3oubeter mit bem SBjnfe feine? Stäbchen? 
all bie Sederbiffen in golbenen unb filbernen ©chüffeln h'« : 
commanbirt, unb bi? fpät in bte Sacht hinein tönten in bem 
©chloffe bie Slccorbe ber ©aHtnufif. ©elbftberftänblidj fpürten 
bie ©efdjäftsleute, Sabenbefifcer, ©aftwirthe unb begleichen ©e» 
werbtreibenbe bie füßen Radjwirlungen ber laiferticfjen ©illeg» 
giatur, fie feufjen unb ftößnen alle, wenn fie an ben ©olb» 
regen oon eßebem jurüefbenfen unb ihre meiften? oeröbeten, 
fo hfiöfch unb jierliCh eingerichteten ©outiquen betrachten. Stan 
lann’S ben Seuten auch «ur Jur Hälfte Oerargen, Wenn fie au? 
lauter ©acfpatriotiSmuS ber oerbannten Dpnaftie in ihrem 
Herjen ober ihrem Stagen — einen Altar errichtet hoben. 
Heute ftört lein fröhliches ©läfetgellirr, leine Stufil, lein 


SiSpeln oerliebter Sippen an üerliebte Ohren bie ©title be? 
Schlöffe?, bie ©chatten be? gefangenen ©iu? be? VII. unb be? 
erften Stapoleon bürfen ungehinbert in ben ©ängen luft» unb 
nachtmanbetn — ber einjige fjerrfther in gontainebleau ift ber 
SouSpräfect fperr Albert ©run, ein guter ©elannter oom Safe 
be Stabrib, biefem Hotel be Rambouißet ber fedhjiget gahre. 
Herr ©run fiel unter ben ©tammgäften biefe? literarifch - poli» 
tifd)en Safe? burch feine Winjige Statur unb fein martialifdje? 
SBefen auf. Sr ift ber nun „ättefte aller Unterpräfecten", benn 
Herr Dfjter? machte bei ihm bie einjige StuSnaljme, al? er nach 
bem Stiege, bem ©runbfafce bie Repubtit ohne Republilaner 
hulbigenb, fämmtlichen ©eamten ber Rotionalregierung ben 
Saufpaß erteilte. Der tleine ©räfibent erbarmte fich be? Reinen 
Unterpräfecten. ©eitbem biente Herr ©run wie burch einen ©li|» 
ableiter befChüht, fämmtlichen Regierungen, welche au? ben üet» 
fdjiebenen Srifen biefe? gohrjehnt? heroorgegangen waren, ©o 
oft eine abminiftratioe Stajjia oorgenommen würbe, unb e? fehlte 
nicht baran, waltete ein feßonenbe? ©ef<hi<f übet bem lleinen 
$errn ©run; währenb nach ^ em 4. ©eptbr., bem 24. Stai 1873, 
bem 20. gebruar 1876, bem 16. SOtai 1877 unb bem 13. De» 
Cember alle feine Sollegen bom Strubel fortgeriffen würben, 
tauchte er unter, fdjwamm gefeßiett unb behenb jwif^en jwei 
©ewäffern unb erfdjeint wieber auf ber abminiftratioen Spiegel» 
fläche in ber angenehmen ©ofitur eine? ©eneralgewattigen eine? 
Stachbarftäbt^en? ber Sletropole, fo baß ber $err Unterpräfelt 
ungefähr wie Slnno bajumal im Safe be Siabrib feinen Vlbfpnth 
fCßlürfen unb in feiner ärarifchen SBoljnjtätte ba? Diner ein» 
nehmen tarnt. 

Der SBalb oon gontainebteau ift feit Sorot unb Dtj- ©oujfeau 
für unfere £anbfchaft?maler eine unerfdjöpfliche ©chafegrube ge» 
Worben. ®? gibt leinen Saum mehr in bem gewaltigen gorfte, 
ber nicht bie @h re erlebte, abconterfeit ju werben, gür bic 
Anfänger ber ffunft finb bie betannteften ©artien ebenfo ©tich» 
probe geworben, wie bie Srjählung be? Dheromen ober bic 
©orträtfeene au? bem „SDtifanthrope" für bie Slitbemerber be? 
Sonferbatorium?. Sian begegnete bor gahren auf ©Chritt unb 
Dritt, im ©eftritpp unb im ©eljölj, emfig barauflo?malenbett 
Herren unb Damen — hier unb unb ba fogar ein jarte? Slaler» 
tüchlein — alle mit ungeheueren ©trohhüten unb bem ooQftän 
bigen gelbapparat be? Wanbentben ffünftter?. Die Sanbfchaftler 
tonnten hier ungeftört ihrer Sefchäftigung obliegen, bie Säuern 
auf ben gelbem jinb fdjon an biefe SrfCheinungen ju-fehr ge» 
möhnt, um burch ©eugierbe ben ©ang ber „gnfpiration" ju 
hemmen, unb bie SBilbfchweine, auf welche früher Itafcen oer» 
anftaltet würben, wagen fich «ur im geftrengen SBinter au? 
bem ©erftecl, Wenn ber Schnee h ot h liegt unb felbft ber 
enragirtefte Staturmater im geljeijten Atelier arbeitet. SBenn 
bie Dämmerung hereinbrach, padten bie ffünftter ihre fteben 
Sachen jufammen unb wenben ihre ©chritte ihrer fommerlich» 
proüiforifChen $eimftätte ju. Die Ariftotraten be? gaeße? tie» 
ßen ftch in ben hühfeßen Dörfern am SBatbfaume feit ungefähr 
jwanjig gafjren eine ganje Reihe bequemer Sanbljäufer, ja fo» 
gar ©itlen bauen mit gefcpmadüoller tünftterifcher Einrichtung, 
wo fie einfach, häuslich, foft patriarchalifch leben. Die grauen 
biefer Sialer ftnb burchweg? gute Haushälterinnen unb an 
Sinberfegen h fl t e? auch leinen Stängel. Starlotte unb Sar» 
bijon ftrofcen bon berartigen Äünftterbillen. Die übrigen ÜJtater 
quartieren fich in ben Herbergen ein, beren auSfchiießlidje ßunb- 
fchaft fie bitben unb wo ber anfpruchSlofe Sörper für Wenig 
©elb ein hotbweg? reinliche? Sogi? unb auSreichenbe Rührung 
finbet. Die ©enftonäre biefer ©aftljäufcr belunben aß jährlich 
ihre Danlbarleit für ihre 3Birth?leute, inbem fie bie nadteit 
SBänbe mit ©toben ihrer gertigteit bebeden, fo baß bie ©peife» 
jimmer unb Sißarbftuben (folcße ftnb unerläßlich) fid) nach unb 
nach i« Stufeen heranbitben. greilich oerbiente man^e biefer 
greSlen fofort mit bem ehrlichen weißen Sali übertündjt ju 
werben, aber hi«* «nb bo trifft man auf ein gelungene? Silb 
unb auf eine Unterfchrift, bie bei ben Stuctionen be? Hotel 
Drouot ein hübfd)e? Angebot erleben würbe. Slber bie SBirth?» 
teute finb auf ihr ©rioatmufeum nicht wenig ftolj unb bie gleiß» 

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140 


1t 1 Gegenwart 


Nr. 35. 


nerifdjften Offerten englifeßer Douriften waten oertorne Sieben-- | 
mäße. Die berüßmtefte ober richtiger bie berücßtigtfte biefer 
SKalerßerbergen war einft bie „SJtutter Antoni" in ÜJlar= 
lotte ("einem Dörfchen mitten im ©albe, 6 Kilometer bon gon= | 
tainebleau). AIS Sofal eine etenbe Spelunfe, burcß unb burd) \ 
Sauernßütte; baS erfte Socß mar bie Küche, burd) bie man \ 
in baS jweite, etwas geräumigere aber ftodßnftere Socß, baS ; 
©peifejimmer gelangte. Sw Stodwerf oben trennten teilte ! 
©apierwänße bie problematifd) Keinen Kämmerchen ber ®äftc, 
unb jebeS biefer Kämmerchen war oft boppett bewohnt, ba bie 
SJtobelle unb bie greunbe ber „fRapütS" fid) meiftenS ju 
biefen gefeilten. Die Abenbc, ja bie Staate bei ber SJtutter 
Antoni waren Anfangs Reiter, feßr luftig unb enbeten mit ej= 
cebirenbem Uebermutße. Die Seutcfjen organifirten mitten im 
©albe einen mitKicßen gafcßing. AIS ich oor jeßu Soßren, 
burcß bie ambroßfdjje fternenßelle Sudmacßt oerleitet, eine guß= 
wanberung burd) ben ©alb antrat, ftatt mein Saget im &otel 
aufjufueßen, taufte nach oierftünbigem 3Jtarfdj im ftitlen Dunfel 
beS gorfteS plöfclidj bie ©ube bet „SJtutter Antoni" oor mir 
auf, ßell erleuchtet um jwei Uhr in bet griih unb brinnen baS 
tolle Durcßeittanbcr eines auSgelaffenen ©ancanS oon einem 
halben Sdjod ©etrunlener auSgeführt, beren ©efoßle unb ®e= 
jauchje ben Reiferen Klaöierfcßerben laut übertönte. ©S war 
eine faft bämonifcße ©eene — ich Wähnte mich am ©roden unb 
nicht bei ©ariS. fieute fließt auch baS ©talerblut ruhiger unb 
bebächtiger. Die gräuleinS aus ben ©rafferien beS lateiui: 
fehen ©iertels geben im ©albe leine ©aftroßen mehr, bie arme 
„fKutter Antoni", beren ftarl oerWetterteS ©chilb einen ©piß 
barßeHt, beffen eine ©fote bie äRalerpalette unb bie anbere ben 
©infei hält, ift wirHich auf ben $unb — wie fo oieleS Anbere 
gehört fie ju ben Sagen ber ©ergangenheit. Dtofc ber ein: 
iabenben ©erßeißung: „$ier gibt man ju effen unb ju trinlen" 
lobert fein geuer auf bem Kücßertberb unb £>ana, bie Docßter j 
beS Kaufes flogt ben ganjen lag über baS ©inreißen beS Spieß; 
bürgertßumS in bie SDtalerei, ba ihre früheren Kunben lieber ; 
beim nachbarlichen ©oncurrenten Aufnahme fudhen, wo bie ©etten 
reinlicher finb unb ber fein ©peifejimmer mit Sichenmöbeln ; 
garnirt hot! Sin Droß bleibt bet frnna in ben freilich rußig 
geworbenen „greSfen", barunter befinben ftch auch fotche, bie j 
nicht für bie AuSfcßmüdung bei SprecßjimmerS eines Stäbchen: 
penßonateS taugen. 3<ß hotte bieSmal überhaupt ben Sinbrud, j 
als wenn bie ©lobe ßdj üom ©albe oon gontaineblau abmenben j 
Würbe. Ober fehen bie ÜJtater Wirtlich ein, baß fie ben 
©egenftanb ein wenig erfchöpft hoben wie unerfdjöpflicß auch 
fonft ber ©alb an unb für fuß ift? Denn« wenn man bie gemal= 
ten ©äume unb bie gemalten Schluchten rafch fatt befommt, 
fann man ftch an ben wirtlichen Säumen unb wirHidjen j 
Schluchten nie genug fatt fehen. Die fliegenbe Kolonie in SKarlotte 
beftanb aus einem Amateur, welcher bie SDlalerei, unb WaS für 
eine, nur als einen 3eitoertreib betrachtete, unb aus etlichen 
amerifanifchen ©latent, bie ihre SanbSleute jenfeits beS DceanS 
mit „Yiewe from Fontainebleau“ beglüden Wollen. 3<ß wußte 
bie ©ünttlicßleit unb baS ©flichtgefühl biefer Seute wahrhaftig 
betounbern. SS regnete ein paar Dage in Strömen, bie ©alb: 
wege waren unpaffierbare Storäfte geworben — futj baS ©etter 
mar fo, wie eS unS biefer Sommer 1879 am liebften befdjeerte 
— baS hielt ober bie amerifanifchen Sanbfdjaftler oon ihrer 
täglichen planmäßigen Sjpebition nicht ab! Die ©eine in hohen 
Sagbßiefein, ben Körper in einen Swpermeable gehüllt, mit 
einem riefigen Dacßfcßirm bewaffnet, jogen fie, meiftenS Oon ihren 
Damen begleitet, hinaus, um bie Stelle „aufjuneßmen"; oon 
©affet triefenb bis an bie Schultern, mit Kotß befprifct langten 
fte AbenbS an — mit frohem ©ewiffen unb um einjetne Stüde 
Arbeit reichet. Sie erholten fich beim 9Jtaßle, beffen $aupt: 
beftanbtheil SeßweinSbraten mit Koßl regelmäßig bilbete, unb 
fangen jum Stacßtifd) mit gemeffenem Smfte unb bem fct»na= 
belnben Done ber anglo^ätßßfcßen Denöre ©falmen unb am 
Schluß ben Yankee Doodle — bann fcßliefen fie ermattet auf 
ihren Stühlen ein. ©eich ein Sontraft mit ben ßöllifcßen 
Stächten ber Kntoni! Snblidj ein ©onnenftrahl nach langer 


Sünbfluth- SS ift feine SinneStäufchung, bie Sonne feßeint 
mirflich am $ori}ont, baS ^ahnengefräße lodt uns aus ber 
engen ©irthShauSftube, bie bereits ben 9nftrich eine» ©efängniß= 
jetle befam. Seichten gußeS geht es über bie gelber nach bem 
Oettcfjen ©tontignp, jmei Du|enb armfeliger Räuschen an 
einem hübfeßen grünen Sache mit ©inbungen. ©ic elenb bie 
Käufer auSfcßauen, wie bürftig baS SooS bet fflauern fieß auS: 
nimmt — bie unerbittliche ©peculation Weiß, baß ßiet Sr= 
fpatniffe in ben ©oüftrümpfen unb in ben 3Ratra|en rußen. 
Die gierige Sfiatrone berpflanjte bie ©lacate, welche bie neueften 
Sprößlinge beS grafftrenben ©rünbungSfcßwinbelS im oortßeil= 
ßafteften Sidßte präfentiren, bis ßierßer. Der ©auer wirb ein* 
geloben, Slctionair ber Banque europeenne ober einer neuen Slffe* 
curanj ju werben. Unwittfürlicß fueßt man neben ben gleiß: 
nerifeßen ©lacaten baS entließe „Achtung oor Dafcßenbieben!" 
216er mau braucht bie ©änbe mit biefem wamenben Stufe nicht 
ju feßmüden, ber franjößfeße Sanbmann ßat genug natürliches 
©ißtrauen unb geßt fo leicht nicht inS ©arn. 

Sn SDtontignß befteigen wir wieber ben ©aggon, in welchem 
wir burd) bie fette ©eauce nach ben romantifeßen Ufern ber 
Soire gelangen werben. panl b’Hbreft. 


lütt Shflkefpeare, bem ®ßterketttter. 

9m Scßtuffe beS jweiten SlcteS beS an naturwiffenfcßaftlicßen 
Silbern fo überaus reifen „Kaufmann oon ©enebig" läßt Sßafe: 
fpeare ben Sßßlod oon feinem bisherigen Diener Sancelot, bet 
ihn oerläßt, um in ©affanioS Dienft ju treten, fagen: 

„The patch*) ia kind enough; bnt a huge feeder, 

Snail-slow in profit and he aleeps by day 
More than the wildcat; drones hive not with me; 

Therefore I part with him, and part with him.“ 

@chlegel:Died hoben überfefct: 

„Der Saff ift gut genug, jebodj ein greffer; 

’9le ©cßnede jum Oeroinn, unb fdfläft bei Dag 
®teßr, als ein 9Jturmelttjier; in meinem Stode 
©au’n feine fcummeln; brum laß’ id) ißn geßen." 

3Ran muß einem Ueberfeßer, wenn er auf feine SanbSleute 
fräftig wirfen will, eine gewiffe greißeit in ber ©aßl lanbläufiger 
Silber bei ber Ueberfeßung geftatten; aber biefe teueren müffen, 
wenn ße naturgefcßicßtliche finb, naturgefcßicßttich refp. joologifcß 
Waßr bleiben unb ben Sinn beS StutorS treu unb feßarf wieber: 
geben. SeibeS fann man — fo oortrefflicß, ja man fann felbft 
fagen, unübertrefflich ©cßlegel im Allgemeinen überfeßt ßat — 
nießt oon ber eben citirten Ueberfeßung bejüglicß bet ©tette oon 
ber „©ilbfafce" unb ben „Droßnen" fagen. 

1. Sn ber Stelle oon ber „©ilbfafce" ßat Scßtegel baS 
„©lurmelthier" fubftituirt. ©r fagt: „unb fcßläft bei Dag, 
meßr, als baS SRurmeltßier". 

9tun aber fcßläft baS äRurmeltßier wäßrenb beS Sommers 
gar nießt bei Dag, unb weiter fcßläft eS wäßrenb beS ©interS 
Dag unb fftaeßt, monatelang, oßne aufjuwaeßen, in ©inem fort. 

©elcßer Alpentourift ßätte bie erfte ©eobaeßtung nießt ge» 
maeßt, wenn er an linem ßeißen ©ommertage faßte Serge ber 
Schwei}, wie j. ©. ben ©ij Sanguarb, befteigt. ©in fcßriUer ©ftff, 
wenn ber ©anberer näßt, unb in feine $ößte, oor ber es fuß 
fonnte, oerfeßwinbet baS fDturmelthier (marmot, ©rillpßff, gx-ound 
hog ober wood-chuck). ©ei Dag, felbft am ßeißen ^oeßmittag, 
iß baS Dßier am lebßafteften; es fällt ißm nießt ein, am Dage 
(in ber Sommerjeit) ju fcßlafen. DaS ÜKutmeltßier ift ein 9tager, 
geßött ju ben SRäufen unb geßt feinem ©ßanjenfutter bei 
Dage naeß. 


*) „patch“ ift erhalten in unfetm Dolpatfcß unb iß mehr Dölpel, 
als Saffe. 


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Nr. 35. 


9ie «fgenmurt. 


141 


©hafefpeare ober fprid^t oon ben geinben ber dJläufe, oon I 
einem fleifcpfreffenben Raubthiere, ber wilben Ka|e (Felis catus 
Lime, Felis maniculatus, Rilppell). [ 

Ser ©ebanfe, ben ©hafefpeare mit feinem Silbe non ber i 
„wild-cat“ »iebergeben will, ift folgenbet engere unb fobann »eitere. 

Ser engere ©inn ift ber: „wenn id) ben faulen Kerl, ben San- 
celot, rufen will, bann ift er nicht ju haben; er fdjläft unb faul- 
lenjt bei Sag in irgenb einem SBiufrt beS Kaufes; ich fann iljn 
nic^t errufen". 3m »eiteren Sinne beS SergleidjeS tritt uns bie 
Anbeutung an bie übrige SebenSWeife ber »ilben Kape entgegen, 
uämlicb: „ber bei Sage faule Kerl fudjt RachtS bei mir, nach 
Art ber ȟben haften, and) noch auf Raub auSjugeljen", eine 
finnbilbtiche Anfpielung, bie trefflich jum Silbe beS als mife- 
trauifdj Oon ©hafefpeare gehaltenen ©hhlod pafft. Rie erreichen 
wir bie tiefe Seutung, bie in ©IjafefpeateS SBorten liegt, Wenn 
wir ftatt beS Silbe« oon ber „wilben Kape" baS beS „2Rurmel= 
tpiereS" wählen. Seiber aber ift uns bie „wilbe Kape", bie ju 
ShafcfpeareS 3eüen noch f e h r allgemein in ben englifcpen unb 
bentfehen SBälbern ftch fanb, baburch fremb geworben, baff biefe 
Ihierart ht ber SBtlbnifj jiemlid) auSgerottet ift. 

3Ran fann baher oiedeidjt bem Ueberfeper beipflichten, wenn 
er ein anbeteS Shier wählt, baS heut p Sage ben £>auptgebanfen 
beS SilbeS, bie gautfjeit beS ßancelot, beffet oerfinnlicht, unb 
man wirb fiep beSljatb oiedeicht entfcplieffen müffen, p einem ber 
heute lanbgängigeten Sertreter bet Faulheit aus bem Shierreiche ! 
ju greifen, pm gaulthier ober SRurmettljier. SBählt man baS ! 
Heitere, bann barf man wenigftenS aus obigen naturwiffenfdjaft: j 
liehen ©rünben nicht fepen: j 

„unb jepläft bei ©ag 
Atepr, als baS Aturmeltpier." 

Sie Sagfchläferei beSfelben ift ein joologifch=naturwiffenfchaftlicher j 
Unfinn; bann fage man wenigftenS: 

„oerjepläft bie 

Atepr, als baS Aturmeltpier" 
ober (jebodj nicht etwa paffenbet): 

„oerfepläft mehr Beit, 

9118 felbft baS Aturmeltpier." 

9lber immer fehlt bann ber ©ebanfe oon ber nächtlichen Räuberei 
beS RacptraubthiereS, wie fie ber wilben Kape eigen ift. Seichter t 
oerftänblidj wäre ber Setgleich m ü ber „Radjteule", bem „Ra<ht= ! 
fauj", etwa fo: I 

„unb fepläft bei Xag 
Atepr, als ber Aacptfauj." 

2. ffiir lommen nun p bem sweiten Silbe, bem oon ben 
Stöhnen. 

Schlegel überfept: „in meinem Stocfe bau’n leine I 
fummeln". Sie meiften beutfehen Sheater fagen jefet: „in 
meinem ©tode bau’n leine Stöhnen". SaS Start „Sroh : ; 
nen" ift jebenfadS beipbehalten; aber „bauen" p überfepen, 1 
ift gleidjfadS ein naturwiffenfdjaftlicher unb joologifdjer Unfinn: ' 
beim bie Srofjnen bauen niemals, in feinem ©tode ber Statt. 
Sen Sienenftod bewohnen brei Klaffen oon Sienen: a) bie einjige, 
ooQfommen entwidelte, weibliche Siene, bie Königin; b) bie 
mehr weniger jalftreidjen, nadj Saufenben, ja geljniaufenben 
jählenben, gefchlechtlich berfüntmerten ArbeitS = (glug=) Sienen; 
unb c) bie nur nach ^unberten jählenben männlichen Sienen = 
Stöhnen, welche für bie Segattung unbefruchteter, ihren $odp 
jeitsflug unternehmenben Königinnen einjig unb adein beftimmt 
Hnb ba finb. 

Rur bie jweite Klaffe (b) arbeitet, baut Staben aus Stad}« 
unb trägt in fie $onig unb Slüttjenftaub (Slumenmehl), für bie 
Srut in ben Sienenjeden beftimmt; fie füttert biefe Srut, aber i 
auch We Königin (a). Sie britte Klaffe (c), bie Stöhnen, ber* 
mögen nie p bauen, nie $onig unb SlumenmehlWachS einjutragen, I 


fonbetn fte jehren nur unb nähren fich Oon ben $onigöorrätljen 
im ©tode.*) 

Sie jweite Klaffe, bie Arbeitsbienen, oertragen ßeptereS lange, 
oom beginnenben grühjapr bis etwa jum ©nbe 3uli ober An= 
fang Auguft; benn fte wiffen, baff bie Stöhnen nöthig finb jur 
©dpoarmjeit, um jungen, fogenannte Racbfcf) wärme führenben 
ober auch beim ©rfap uub SBecpfel nicht mehr tüchtiger, ju alter 
Königinnen, fogenannten „nadjgefdjaffenen", „nadjgejogenen" Kö¬ 
niginnen bei beren $odjjeitSfluge jur Sefruchtung ju bienen. 

3ft bie ©<hwarm= unb £>aupterfapjeit ber Königinnen oor= 
bei, bann fann ber Sienenftod, ober richtiger bie ©umme ber ju 
einem Sienenftanb bereinigten Sienenftöde, ber in groffer gapl 
oorhanbenen Stöhnen, bie nur am Sorratpe beS ©todeS jehren, 
ganj Wohl entbehren. Sie Sienen beS ©todeS treiben fie oon 
ben ben $onig bergenben Staben hinweg unb in eine ©de beS 
©todeS hinein, wofelbft fie biefelben entweber jum Serhungern 
jWingen, ober oon wo fie biefelben aus bem ©tode entweber einjeln 
ober in ©(haaren inS gteie entfehlüpfen laffen, bamit fte, an ben 
genftern unb SBänben ber Sorfäle menfehiieher häufet hängenb, 
ju ©runbe gehen. 3Ran nannte bieS früher wohl fälfdjlicp (»eil 
man glaubte, baff bie Arbeitsbienen bie Stöhnen mit ihrem ©tadjet 
„tobtftächen") bie Sropnenfcplacht. ©ine fotche ejiftirt niept, 
unb ich werbe an anbeter ©tede (in ber Sienenjeitung) nad)= 
juweifen fuchen, baff ©hafefpeare unb bie englifdjen Sienenjüchter 
feiner geit nach unferer ©tede aus bem „Kaufmann oon Senebig" 
jdjon biefe neuere Anficht ber beutfehen 3»fer getpeitt haben. 
©S bleibt aber noch ®ine8 hierbei ju erinnern. SBenn auch bie 
Arbeitsbienen nach bem ©nbe ber ©chwarmjeit bie $auptmaffe 
bet Stöhnen als unnüh aus bem ©tode hinauSjugeljen jWingen 
(an bie Suft fe^en), fo halten fie bodj öfters noch einige Wenige 
Sroljnen felbft ben SBinter hinbnrch im ©tode auS, laffen fie 
ruhig unter fich leben unb oon ihren Sorrätljen fich «ähren, 
um für ben 3rad, wenn nach ber ©djwarmjeit ältere Königinnen 
hoch abgehen ober fterben unb junge Königinnen „nachgefdjaffen", 
„nadjerjogen" werben foden, dRänndjen für beren Segattung ju 
haben unb ben ©tod oor Srohnenbrütigfeit ju bewahren. 

©S fragt fich aber nun weiter 3.: 2Sar benn überhaupt 
SBilliam ©hafefpeare befähigt, mit oollem 3wfer = 
(Sienenjüchter:) Serftänbni| oom Seben ber Sienen ju 
fprechen? fo baff bei meiner Seutung nicht bie Rebe ift oon 
bem befannten Spruche, ben, irre ich nicht, ©oetlje oon feinen 
Auslegern tljat: 

„3mmtr nur ju, unb feib tjübfcE) munter; 

Uegt 3h* «lebt au8, nun fo legt maS unter." 

©tratforb am Aöen, wo ©hofefpeareS gamilie lebte, war 
ein tleineS, halbtänbliche« ©täbtdjen, in welchem jebe gamilie 
ihr $äuSdjen mit ©arten unb etwas Sanb unb jweifelSohne ihren 

*) Wenn eine ju alte Königin im ©tode ift, fo legt fie piept nur 
noch ®i«, aus benen ftch Srohnen enttoideln. Saöfelbe gefchiept, wenn 
bie Königin aus irgenb einem ©runbe (Krantpeit u. bergt.) oerloren 
gept, ohne baff fich im ©tode in ben Heineren 3Bad)8jet(en noch junge 
Srut, bie noch nicht „pgebedelt" ift, befinbet, unb eine Siene auS ber 
jweiten Klaffe (b) oon ben anberen Sienen biefer Klaffe als Königin 
Oerehrt unb oon biefen gefüttert wirb, unb nun als „bropnenbrütige 
Königin" Sier ju legen beginnt, wie eine echte Königin. AuS ben oon 
ipr gelegten Sietn gepen aber ftets nur Sropnen, nie Arbeitsbienen 
peroor. Aut beiläufig fei bemerft, ba|, ba ber 9taum ber 3 e ®*, i« her 
baS @i abgefept würbe, p Hein ift für bie fiep entwidelnbe ©ropnen- 
brut, bie Sienen biefe BcOen niept in flacpem, fonbetn in popem Sogen 
beim ©cpliepen bet Beden überbedeln, weSpalb bie 3mter folcpe ©töde 
auep „budelbrütige" nennen, ©o lange noep oon ber alten Königin per- 
fiammenbe Sienen jweiter Klaffe oorpanben ftnb, wirb, aber nur fpar= 
fam, $onig eingetragen, ©nblicp gepen biefe Sienen gang oerloren •» 
entfielen nur ^ro^nen, welche jc^rcn, unb ber ©toef ift unrettbar toer= 
toren. ttuc^ junge Königinnen, benen e3 nic^t gelingt, binnen einer 
getoifjen 3«it (biö jwei HRonate na(^ i^rer ©eburt) begattet &u »erben, 
legen nur ®ier, auö benen fic^ einzig unb allein 3)rol)nen enttoideln. 

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142 


Oie ® f g f n Ufa r L 


Nr. 35. 


©itnenfitanb patte; baS Stäbtcpen hieb ja audp befonberS $anbel 
mit einem ©ienenprobucte, bem SSatpJe. ?lu<p SpafefpeareS ©ater, 
ber jiemlidp öiet Saitbbefip in ber 9täpe piitjugefauft patte ju 
feinem alten ©runbbeftp, wirb jebenfallS, wie SEßitCiam Spate* 
jpeareS ©rojjnater mütterlicperfeits, ber im napeit SBitmecote an* 
gefeffen gemefen, ©ienenjucpt gehieben paben. 3<P tnarfje barauf 
Qufmertfam, bajj in biefeS ©rofjoaterS, Stöbert Sieben, leftamente 
auSbrüdlidj als ©rbtpeilungSobject Dorf amen: „©tenen unb 
©eftügel im SBertpe öon 5 Spillingen". 

SBifliam Spafefpeare ftammte aus einer Sntferfamilie unb 
pat als ffnabe fiepet ©elegenpeit gepabt, Smferei ju heiben. 

4. SEBie oerpatten fidp nun bie beutfepen ©üpnen 
gegenäber biefer Stelle bon ben Iropnen? 

5)er SluSbrud „fummeln" ift ein ganj unb gar joologifdj 
uuwiffenfepafttieper. „fummeln" üermögen atterbtngS ju bauen; 
aber wer pat bisper einen „#ummetftod" ober „^ummelftanb“ 
beS $onigertrage8 wegen gepalten? Selbft bie in jiingfter 
oerfutpte ©infupr unb Sttftimatifation ber fummeln in Sluftra* 
lien bafirt auf ganj anberem ©runbe. *) 

5)ie „fummeln" finb in feber Ueberfepung unbebingt fallen 
ju taffen. 

$afj ScplegeMied auf biefe ungtüdtidje SBapl beS SBorteS 
lommen tonnten, ertlärt fiep aus gotgenbem: „drone“ als Sub* 
ftantiö bebeutet: Iropne, unb weiter baS Summen, ©rummen, baS 
Srummeifen, bie SRaultrommel, ben SOtüfjiggänger; als ©erbum 
bebeutet es brummen, unb fomit ben tiefen, pummetäpnlicp brutn* 
menben Ion, ben bie Iropne beim Stiegen erjeugt. 3w $eutf<pen 
pat fiep ber Stamm, wie Seber teiept ertennen tann, erpalten, im 
©erbum „bröpnen". liefeS ©rummen beim gtuge ift wiberli(p 
unb fdjreefpaft für ben, ber ni<pt 3wter ift, bagegen Socfton für 
bie unbefristete, auf iprem ftoepjeitSfluge nadj einem ÜJiänncpen 
fuepenbe Königin. liefe hoppelte ©ebeutung beS SBorteS „drones“ 
pat Sdpteget auf bie „fummeln" gebraept. Sie müffen unbebingt 
fallen gelaffen Werben, ©ielc Ipeater paben au<p neuerbingS bicS 
getpan. Stber fie taffen (cfr. supra) bie „Iropnen bauen". ®ap 
bieS joologifdj unwapr ift, ift oben gejeigt worben. Stlfo mu| 
pier baS „©auen" fallen. 

5. SBaS aber Will Spafefpeare fagen? „SBenn i<p ben 
Äert rufe, brummt er wopl gar, murrt, wie eine iropne"; unb 
fobann weiter: „er frifjt mir aufjerbem ju toiel, unb icp palte 
mir niept auf meinem Stanbe foldje greffer auS, Wie mnmpe 
Störfe eS mit einjelnen Iropnen tpun". 

Spafefpeare fagt: „hive not witb me“. laSfetbe wäre eS, 
wenn er gefagt pätte: „live not“, ©ielleicpt pat anep irgenb 
eine alte SluSgabe alfo. SIber eS ift jebenfatlS unpoetifeper, als 
baS „hive“, waS baS bolle Beben auf bem ©ienenftanb heran* 
fepautiept, felbft bis auf baS oben angegebene „SluSpatten einjetner 
Iropnen im Stode". 

©nbtiep ift notp pier ju erwäpnen, bafs mantpe berüpmte 
Scpaufpieler, wie an anberen Stellen fo auep pier, atlerpanb eigen- 
mäeptige Ueber* unb ©erfepungen oorgenomnten paben mögen, 
©on biefen fpreepe icp pier nitpt. 

3Jlir tarn eS nur barauf an, ju jeigen, Wie podp baS Dri* 
ginal an biefer Stelle naturwiffenfepafttiep bie Ueberfeper über* 
ragt. SBitl man baS „SRurmeltpier" beibepalten, fo fage man 
meinetwegen: 

„Xer XappS ift gut genug, boep arger greffer, 

’iRe Sdjnede im (Semitin, oerjtplöft bie Seit 

SJtepr als baS SRurmeltpier; Xropnen palt' icp bei mir 

Stiept aut; brum trenn’ icp mitp bon ipm, unb laff’ ipn jiepu." 


ober 


„oerjipläft mepr 3eit 
Selbft alt bat SRurmeltpifr". 


*) Stan pat neuerbingS üerjudjt, bon Snglanb aut, fummeln natp 
Äuftratien ju importiren. Sie follen burtp ©efltegen ber „beutfepen" 
fileefelber ben jur Slcclimatifatiou eingefilprten beutfepen Sllee befnupten, 
ber bitper in Wuftralien nidjt Samen trug. Xie fcummel foH an iprem 
ftleib ben ©lütpenftaub bet Klee? ju ben fßiftillen ber Kleeblütpe tragen. 


©Bill man baS ©ilb beS StaeptraubtpiereS beibepalten, fo fage 
man etwa: 

„unb fepläft bei Xag 

3Repr als Kaeptraubgetpier (SÄepr alt ’ne ©aepteuf).* - - 

9tur fo würbe man ben ©pafefpeare’fepen Sinn genau heffen, 
refp. joologifdj richtige ©ilber wäplen. 

Dr. ^riebriep KSepenmeifter, 

«tjt in Treiben 




Ms litr Hfutfiftfii 


2)ic $iftorifeT tuerben ed gernifs mit greubett begrüben, baj ttrnotb, 
obmo^i urfbrütt 0 li<$ fic^ mit feinen toiffenf^aftlidjen Arbeiten 

immer me^r auf ba& ^iftorijd^e (Gebiet int engeren Sinne begibt Dftan 
fonnte ben Gtong ber ©ntmicfelung, ber fidj bei i^m boßjog, an feinen 
SBerfen ret^t beutlic^ berfolgen. Seine ©efdjidjte ber beutfepen greiftäbte 
ftanb nod> auf bem Grenzgebiet juriftifdjer unb ^iftorifc^er gorf^ung; 
fc^on feine in üieler ^infic^t epoc^emat^cnben „Slnfiebelungen unb Äan= 
berungen beutfe^er Stämme" betuegen fic^ faft rein auf linguiftifd^ifto- 
rifc^en Jöa^nen, unb mit feinem neueften ®ud)e „3)eutfd)c Urjeit” betritt 
er ganj unb bott ben ©oben ber Gcfdjidjtfcfyreibung. Unb tfvax gibt er 
Ijier nid)t nur Unterfut^ungen unb ©erarbeiten, fonbern eine umfaffenbe 
unb abfdjliefjenbe 3)arfteflung; gerabc auf biefe febeint er biel 8 ufmert= 
famleit berttmnbt z« ®3i T ^ a fü T um f° bantbarer, aW 

e^ unter ben neueren §iftoritern immer mehr üblich geworben ift, nur 
ben Gang ihrer Unterfliegungen, nicht aber eine auch bem minber ©e- 
tuanberten anregenbe unb uuterrid)tenbe ®arfteHung ber burch bie Untere 
fuchungen gewonnenen Stefultate zu geben. 

GS fcbliefet aber biefe lefctere USCrt beS ©erfahrenS bie nicht um 
Wesentliche Gefahr ein, bafj ber ^iftorie immer mehr ber grofee gu= 

. fammenbang berloren geht baft fie über ben 3)etailä ber gorfchung bie 
leitenben gbeen, welcher ber ©Jiffenfchaft alö foldjer zu Grunbe liegen 
müffen, aus bem 5luge oerliert 9toch gibt eS ja eine beträchtlich Wm 
Zäh 1 Ausnahmen oon biefer Siegel, unb ihnen fidj guzugefeUen ift Slrnolb 
mit Grfolg bemüht gewefen. Gr ift bann fogar noch einen Schritt 
weiter gegangen, ber oieüeicht nicht bie allgemeine ©iüigung finben wirb, 
inbent er, um eben feine 3>arfteUung weiteren Greifen zugänglich ju 
machen, oon üoritherein barauf Verzichtet hot, berfeiben irgenb welchen 
fritifeben Separat beizugeben. 3)afe e« aber burcbauS nicht unmöglich 
ift, eine anmutige gorm mit ben für ben weiter forfebenben Gelehtten 
nun einmal faum entbehrlichen fritifeben ©eigaben zu öerbiuben, inbent 
man entweber S)arftellung unb Uitterfuchuug ganz bon einanber getrennt 
hält ober bie le&tere in Stoten unter bem Xejte gibt, Welche bon bem 
nicht fritifch prüfenben fiefer unberüdfichtigt bleiben fönnen, fann man 
hoch, um nur ztoei herborragenbe ©eifpiele anzuführen, in bem ©er; 
fahren Sianfed unb Giefebrecbtö tlar genug ertennen. Unb gerabe bei 
ber fehr anziehenben 3)arftellung ber Gultur- unb Siechtäzuftänbe ber 
germanifchen Urzeit, auf welche Slrnolb mit Siecht fo grofjen Söerth legt, 
wirb ber Gelehrte, ber felbft auf biefem Gebiete arbeitet, ungern bie 
Söegweifer burch bie Sßfabe ber Unterjuchung, burch Welche ber ©erfaffer 
ZU feinen Stefuitaten gelangt ift, bermifjen, umfomehr, alö bie h^r be- 
hanbelten gragen jo Diel beftritten unb zum ih c ^ f° f c h T bunlel finb. 

S)aö ©uch verfällt in z*uei, jicmlic^ beutlich z u unterfcheibenbe 
X^cile. 3n bem erfteu gibt ber ©erfajfer ein ©ilb oon ber äufjereu 
Gefehlte ber germanifchen Stämme; auögehenb oon ben ftnbeutungen, 
welche bie Oergleichenbe Sprachfotjchung über bie Urheimat ut^ bie 
Ginwanberung ber germanifchen Stämme in baö fpäter oon ihnen be¬ 
nannte £anb gibt, fchilbert Slmolb bann bie welthiftorifchen erften Gon« 
flicte ber germanifchen SQBelt mit ber Gultur be# Slömerreichö. 

Sluch h' w abcr er mit feinem £aft bie Grfcheinungen, welche 
einen bauentben SBerth für bie Gntwidelung ber europäifchen Gultur« 
weit überhaupt gehabt haben, nachbrücflich z u betonen, wahrenb er bie 
Stömerzüge, welche nur oon einzelnen Oorübergeheitben Grfolgen begleitet 


©J. Slruolb, $eutfche Urzeit. Gotpa 1879, g. Sl. ©ertheb. 

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;jcu. 101^, (S- 

Google 




2)i t .äfy g t n tu «fr t, 


143 


Np.'36. 


waren, üerßältnifimä&ig iura beßanbelt. Stomentlicß auf jene SReiße Don 
großartigen ©efeftigungdmerfen, welche fieß Don Sßegendbitrg bis an ben 
nieberen fflßetn erftredten unb bie man unter bem tarnen bed ©faßl^ 
grabend aufammenfajjte, legt er ßiet Sertß. Sticht alle Angaben, bie er 
über beffen £änge unb 2ludbeßmmg macßt, finb neu unb original; Diel- 
meßr berufen feine SRefultate jum Xßeil auf ben früheren Unterjucßungen 
oon 2lntb, ©ueßner, gated u. $1.; aber bocß ßat er auch mannigfache 
ueue ©eficßtdpunfte beigebracßt, unb Dor Willem ift ed bie Kombination 
früherer unb eigener gorfcßungen, mit einem Sorte bie ©ejammtauf; 
fafjung, bie ißut butcßaud eigen ift. 

Stießt minber ald in biejem 2lbjcßnitt ßat er in bem Xßeile, in 
welcßem er ber ©Übung ber neuen größeren Stämme, bet granfen, 
Sacßfen, Älentanen, ©apern naeßgeßt, einen ©emetd bafür geliefert, baß 
ed ißrn neben ber logijeßen Scßärfe bed Quriften feinedmegd an ber 
feinen öeobaeßtungdgabe bed #iftorilerd mangelt; mir erblicfen in biejem 
Äapitel bad ©efte, mad er in bem erften Xßeile jeined Setfed geleiftet 
ßat. $ier finb bem ©erfaffer benn namentlich feine früheren Unter= 
jueßungen über bie Säuberungen unb Slnfiebelungen beutfeßer Stämme 
jugute gefommen, in benen er aum erften SJtale bie Unguiftijcße 2lbftammuug 
ber beuijeßen Drtdnamen ald ßiftorijcßed 3Raterial Dermanbt ßat, um ju 
conftatiren, melcße Derfcßiebenen ©ölferjeßaften neben ober nach einanber 
ein Üanb, in bem tßeilmeid feltijcße, tßeilmcid germanijeße Ortdnamen 
ber Derjcßiebenen Stämme erßalten finb, bemoßnt ßaben. Xie Xat= 
ftellung geminnt babureß ungemein an grifeße unb ßebenbigfeit, inbem 
>ic jeigt, baß nießt nur bie Scßriften längft Dergangencr feiten, fonbern 
aueß jpraeßließe Ueberrefte, bie fieß unmittelbar bid in unjere geit et; 
halten ßaben, 2lufflätung über maticße bunfle gtage au geben Dermögeit. 

Senn bie ßiftorifeße Sijfcnjcßaft in neuerer jjeit überhaupt, unb 
icß meine, nießt $u ißrem Stacßtßeil, immer meßr ißren ©lief auf bie 
inneren Quftänbe ber ©ölfer, ißre ©erfafjung, ißre Siecßtdinftitute, ißr 
Kulturleben überhaupt mirft, fo ßat aueß 2lruolb auf ben ameiten Xßeil 
feined ©ueßed, in melcßem er biefe Seite ßiftorijeßer ©etraeßtung in beit 
©otbergrunrb treten läßt, noeß meßr 2lufmertjamfeit Dermenbet, ald auf 
ben erften. 3n ber großen über ben Kulturjuftanb unferer SlltDorberen 
naßeau entfeßeibenben Streitfrage, ob bie alten ©ermatten jur ^eit bed 
Xacitud jeßon ein audgebilbeted Sonbereigentßum gefannt ßaben, nimmt 
e t einen jroifeßen ben beiben ©Etretnen in ber SRitte fteßenben Staub* 
punft eüt> melcßer annäßernb ber richtige fein bürfte; er nimmt nämlicß 
au, baß fieß in jener $eit allerbingd bie Anfänge eined Sonbereigentßumd 
finben, über bad ber ©efißer aber nur mit äuftimmung ber Sippe Der* 
fügen barf. Kine enbgültige Kntjcßcibung mirb fieß bet bem Mangel an 
eingeßenbeu unb flaren SRacßricßten über biefe Xinge faum jemald 
treffen taffen, jumal mir faum berechtigt fittb, in ganj Xeutjcßlanb 
bantald aueß nur eine aunäßernbe ©leicßartigfeit ber Qufiäribe auau* 
neßmen. Xte jum Xßeil unflareu unb einanber miberfpreeßenben 2ln* 
fußten ber 2Uten, Don benen man fieß mit Sttecßt am meiften auf Xacitnd 
ftüßt, geminnett Dießeicßt gerabe bann an äuDerläjjtgfeit, menn mir an* 
neßmen, baß jene Ülutoren bei ißren Derfcßiebenen Scßilberungen aueß 
in ber Xßat Derjcßiebene .guftänbe Dor 2lugen ßaben. gefte ©ejepmäfjig* 
feit merben mir in ben gemerblicßen mie itt ben ftaatlicßen .guftänben 
überhaupt faum Doraudfeßen bürfen: ift ed bocß aueß im ganzen SRitteD 
alter eine Kigeutßümlicßteit germanifeßer Kntmicfelung, baß fieß bie gn- 
ßitute bed Siecßtd- unb Kulturlebend aunäcßft bureß ein genau beobaeßteted 
fierfommen audbüben unb erft, menn fie DoUfommen jur Xurcßbilbung 
gefommen ftnb, gefeßließe 2lnetfennung erlangen. 3u noeß Diel ßößerem 
SRaße wirb unb muß bied in biefer früßeften 3eit ber gaß fein. 

Stuf Kine Stelle bed Xacitud aber, auf melcße SZißfcß in feinen 
geißoollen afabemifeßen ©ortejungen über römifeße ©ejeßießte mit SRecßt 
großen Sertß legt, ßat 2lrnolb Diel &u menig geaeßtet. Xacitud jagt 
nämlicß im 26. Kapitel ber ©ermania: mit ben ^audgefcßäften ßätten 
bie SflaDen nießtd ju tßun, fonbern fie erßielten Don bem $erm £anb 
sugemiejen gleicßfam ald tut colono) unb müßten babon eine 

bfßimmte Lieferung an ©etreibe ober ©ieß ober Qeug leiften. §ält 
man bied mit ber befannten Stelle aujammen, naeß melcßer bie Xent jeßen, 
Djrnn fte nießt Ärieg fußten, beftänbig auf ber 3<tö& feien ober bei ©aft= 
tßaßlen träger fRuße pflegen, fo muß man ben Kinbrucf befontmen, baß 
ber germanifeße freie gamüienDater jelbft überhaupt gar leinen 9lcfer= 
bau trieb, fonbern biejen ben befanntlicß bureßaud nießt unmenfeßließ 
beßanbelten SflaDen überließ. SRöglicß, baß biefe Seßilberung nießt auf 
afie Stämme paßt, fonbern nur auf bie, melcße fieß aueß noeß jur #eit 


bed Xacitud in ftuctuirenber ©emegung befanben; aber jeßr bejeießnenb 
unb merfmürbig bleibt fie immer. Xie £ebendeinricßtungen finb eben 
überall muß au feiner feften ©eftaltung gebießen, fonbern befinben fieß 
noeß in ißrer ©enefid. 

3cß ßabe ßier gerabe einen ^unft aur ©eurtßeüung ßeraudgegriffen, 
mill aber bamit nießt anbeuten, baß ieß bem ©erfaffer in allen übrigen 
Xßeilen feiner XarfteHung beiftimme. Xie objectioe Saßrßeit a“ er= 
fennen ift in jenen bünfeln fo überaud jeßmierig, baß moßl lein 

gorjeßer behaupten mirb, in allen fünften bad fRicßtige getroffen au 
ßaben. Ser fieß in bie mannießfaeßen Streitfragen, bie fieß au aßc jene 
Xinge anfnüpfen, einarbeiten unb felbftftänbige gorfeßungen auf biejem 
©ebiete maeßen miß, fann Don Slruolb moßl Anregung, nießt aber ge¬ 
naue Drientirung über bie Kinaelßeiten, melcße ber ©erfaffer gar nießt 
geben moßte, empfangen. 3 U biejent ©eßufe ift ber mit ftaunendmertßer 
©eleßrfamfeit unb großem Scßarffimt gejeßriebeue erfte ©anb Don Saiß’ 
©erfaffungdgejeßießte naeß mie Dor unentbeßrli^. ©eibe Serie, melcße 
bie beften Krrungenfcßaften neuerer $iftoriograpßie, ^ritif unb ÜRetßobif 
repräjentiren, neben einanber au benußen, mirb für 3^u, ber fieß ernft= 
ließer mit biefen Xingen befcßäftigen miß, ebenfo anregenb mie unent* 
beßrließ fein. 


öibliograpljie. 

Ä rau je, Dberleßr. Dr. Karl, ^eliud Kobanud ^effud, feinSeben u. feilte 
Serie. Kiu ©eitrag aur Kultur^ u. ©eleßrtengejeßicßte b. 16. 3aß*ß- 
l. ©b. mt ©ortr. (in ^olafcßn.) gr. 8. (Xli, 416 S.) ©otßa, 
g. 21. ©ertßed 7.— 

©cnec, Üiub., gefammelte Üomöbien. l ©beßn. 8. ©erlin, ©uttentag. 

2.2ü 

3nßalt: Xurd)! Stepßß ©irarb. Kßejtaitbd^KEeraitien. t Xruffalr 
bino [naeß ©olbontj. Xad ßeiße Kifen [naeß> ^and SatßdJ. 
(144 to.) 

3oft, Kd., „ber gute Äaijer SRoe!" 4?iftorij(ße Kraäßlg. gr. 16. (253S.) 

XJanbau, 3o|t. 2 -—; ö cb - 2. 80; 

Saiftner, ifiiom., ©oliad. Stubentenlieber b. ©httelalterd. 21ud bem 
Üat. 8 . (XXIII, 117 S.) Stuttgart, Spemann. 3.— 

SReuleauE, Karl, Xicßtungcn. 3. ©b. 21. u. b. X.: ßiafeten u. ©eileßen. 
©ebießte. 1. Xßl. 3)itt 3ßuftr.: Xer StiEeuroalb D. ©. Seginann, 
Santa 3ulia naeß ©abr. URaE D. ^). Änöeßl, ©orträtd D. g. Xrübner. 
16. (XX, 211 S.) Stuttgart, 2)te#ler’d ©cU. a 2.—; geb. a 3.— 
Salonton, iiub., ©ejeßiebte ber beutfeben Stationalliteratur. (3n8Ü|gn.) 
1. «f0- flt- 8- (64 S. m. 4 ©ortr. in ^olafcßn.) Stuttgart, iteoß & 
SJtüUer. l. — 

Stegen, Dr. tfarl, ^einrieß D. ftleift u. ber zerbröckelte Ärug. Steuc 
©etträge. 8. (XV, 133 S.) Sonberdßaufen, ga^ßeber. 2. 50. 
Korrefponbena, pohtijeße, grtebrtcßd b. ©rofecn. 2 . ©D. gr. 8. (520 S.) 

©erlin, 21. Xuitcfer. a 12.—; Ouart'2ludg. ä 17.— 

ileipaig u. jeine Unioerfität Dor ßunbert 3uß* cn - ^ud ben gleicßaeü. 
2lufaeicßnungen eined £eipaiger Stubenten jeßo auerft an’d iJicßt ge= 
fteßt. URit (pßotolitß.) ©lau D. Leipzig u. (tppogr.) Äarte ber Um* 
gegenb. 8. (XII, 130 S.) Seipaig, ©reitfopf & ®ärtel. 

3.—;geb.4.— 

Sließer’d ßietjebücßer. ßißeinlanbe d. gerb. $eßl. 4. 2lufl. SRit 
16 (eßromolitß.) harten, 22 (cßromolitß.) ©länen, bem ©anorama 
Dom Dtiebermalb u. bem SRßeinpanoranta Don SRaina bid ^oblena 
(in Staßlft.). 8. (XU, 376 S.) Leipzig, ©ibliograpß. Snftitut. 

gcb. 6. — 

Kalbeton be la ©arca, ©ebro, Kefalo u. ©ocrid, ©urledfe, überf. 
D. K. 21. Xoßrn. gr. 8. (IV, 165 S.) Stettin, ^>errcfe&ifebeling. 

3. — 

©rölji, SRob., ©eiträge aur ©ejeßießte bed 4>oftßeaterd au Xredben in 
actenmäfjiger XarpeUung. XJeE.=8. (XV1, 230 S.)’ Krfurt, ©ar= 
tßolomäud. 7.50. 

ßietßmijcß, Krnft, ©eifterfrana. ©ebießte an berüßmte Xentjcße ber 
»Jeit. gr. 16. (VII, 48 S.) ©reinen, Äüßtmann & Ko. l. — 

-3ugenDbüber. gr. 16. (VII, 208 S.) Kbb. 4. — 

©nab, Dr. Krnft, populäre ©otträge ü. Xießter u. Xießtfunft. 2. Sammlg. 
[©octße’d ©riefe an üiotte, u. Sertßerd Reiben. — Ueber grana 
©rißparaer. — Ueber ©iacomo iieoparbi.] gr. 8. (VII. 146 S.) 
Xrieft, Scßimpff. ü 2. — 

üeo, Sißib., bie Sage D. gribtßjofr bem ©ermegeneu. 2lud bem altid= 
länb. UrteEte überf. 16. (XXII, 93 S.) ©cilbronn, £>«utinger. 1 . 50 . 
^onegger, 3- 3v Äatecßidmud ber Kulturgejcßießte. 8. (VIII, 218 S.) 
iJeipaig, Seber. geb. 2. — 


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Ri* eegetrunirt. 


1 


3 n f e t a t c. 


3 nr ^cbflufcicr. 


®ti Cf. Uutiu» in fittjtjig ersten: 

Jtaifer iittCdelm 

ber @iegreidje 

ober 

<S*8, ©eben unb $ari$. 

geftfpiel in fünf lufjügen 

Don 

§rinrid) Snctni. 

7 ©ogcn. ffrofcf? . 1 J L _ 

Mtut |5racf)t*2ßtlüet&tfeel 

in Cieferungen i TTf. 1. 60 Pf. 

(Boibene 23 tbel 

ti t ^eilige 

iOißrict im kti |tt|tn fUifet« 

ber ftunftepoc^en. 

Herausgegeben von 

Sflfreb bon J©ut 3 &ari). 

J^otograp^ubnuK bon Jfiariin JRornimi. 

Xu «gäbe für Jtatyoliten 

CrWutembcr Bibeltejrt nad? atltoli. 

€»angclif#e Xusgabe 

tfrlduttm&fT Bibeltejrt nad? C u t f?« r. 
i«bt brr Silber 46 1 /,, Sreitr 84*/, Cmti«. 


- (Es erifUrm wo f?l f#on trefftid>« 
tHuftrtrtf Bibeln, Ältere unb neuere, Ml 
•etne, M4rr bie 9iee, btbltfcfn Compoftttontn 
bon «CRetftern «tlcr Zetten tn größtem formet 
nt# bm Xrtetten ber erftrn Bupfcrfta&tr ju 
einem Oonsen suftmmensutteOen. tote Ui bot* 
Ucgenbe Wert realiftrt l?at Die „©olbene 
Bibel", weld?e jene ewig jungen <trxä\r 
lungen ber &iblifd?en #ef#i#te fo wieotr* 
. gibt, tote Oe ft# tn ber ftttn(tiertf#en p&tn* 
tafte ber gtoßrn ttattentfcftm, ntebertonbtf#en, 
fransöftf#en unb beutfdjen jMettcr alter unb 
neuer Zeit wtebergefpiegelt Ijaben, ift burd? 
biefen il?ren Jnf?alt beftimmt, eben fo etn 
reltgtöfei tote etn ftünjUertfcfie# <Erteuung#*u# 


xu werben. Di e preiS'Beftimmung, von 
mark 1. 60. =2 Svancs = 90 Ar. <r.Tt>. 
pro Cieferung ift berart, bafj bie »nftftaf* 
fung felbft weniger Bemittelten erm&gli#t, 
unb bafe bie (Erwartung ber Herausgeber 
nid?t unberechtigt ift, bie „(ßolbene Bibel* 
werbe ft# ben cfyrfnplafe etne# 9au#f#aac# 
tu jeber femtlte erobern. 

Verlag ron Paul tief in Stuttgart. 

(Bn befielen bnrdj jebe tBndjlianbUisg.) 

Soeben erschien: 

Rischuss j Von 

oder 1 Dr. A. Snlzbacli. 


jüDenioiosynirasie. i p«» 60 w. 

R« Skrsseczek’s Verlag in Loeb&u, Wpr. 


Verlag von €1 mim Fischer 
vormals Friedrich Mauke in Jena« 

Soeben erschien: 

Dante Alighieri’s Leben u. Werke. 

Im Zusammenhänge dargestellt 
von Dr. Franz Xaver Wegele, 

Professor der Geachichte zu Würabnrg. 

Dritte theilweise veränd. u. verm. Auflage 
mit einer Abbildung 
des Dante-Denkmals zu Florenz. 
Preis 12 JL In elegantem Halbfranzbande 
14 JL 60 


Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur (A. Hofmann) in Berlin (Kronenstr. 17 


Als 7« Bd. der IV. Serie der Vereinspublikationen erschien soeben und wurde an 
die Vereinsmitglieder versandt: 

Liebe und Mebedeben|^ariÖ , Sä1«!ÄS;i 


in der Thierwelt 

von 

Professor Dr. Ludwig Büchner. 


Beitrittserklärungen zur 4. Serie (7 Bände 
elegant gebunden Preis 30 JL) sowie Bestel¬ 
lungen auf die früheren Serien nimmt jede 
Buchhandlung entgegen. 


Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn in Braunschweig. 

(Zu beziehen durch jede Buchhandlang.) 

Italienische Studien. 

Zur Geschichte der Renaissance. 

Von Hermann Hettner. 

Mit 7 Tafeln in Holzschnitt, gr. 8. geh. Preis 9 JL ______ 

3n 3. U. ftern’ö Verlag (SÄag HJTüfler) in Sredian ijt" erföieneti: 

#«rJcn = r«ftI 

gut* metßobifc^m ^rgie^uug öes» ^farßenftrotes. 

Sftcbft 72 Sarbenförteren unb einem erläuternben Xegte. 

$$on 

Dr. $ugo Dtagniti, 

Doccnt ber üugenbetltunbe an ber UniverfttÄt ju Breslau. 

^teiS 6 JL 

©eaen ber foftfpieligeit fcerfteflung fann biefe garbentafel nicht in ber aetnöljnlidjeti buch- 
fjänbleriJdjen ©eije ^ur Wnfidjt üerjanbt, fonbern nur auf auSbrücflidje fefte Äeftettung geliefert 
toerben; auf ©unjch oerfenoet bie ^erlaggbnchhnn^iwwg einen ausführlichen ^rojpeft grati« unb 
franfo. Siehe be n Mrtite l bon Äalifcher in bet^ „©egenmart^ 9h. 32.__ 

Soeben erschien in unserm Verlage und ist durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 

Schauspiele. 

Von 

Ernst Rethwisch, 

Doktor der Beohte und der Philosophie. 

Preis: Elegant geheftet 3 JL 

Inhalt: Die Reichstagswahl. — Rulnida. — Pabst Leo XIII. — Hertha (Oper). 

Vor einigen Monaten erschien ferner bei uns von demselben Verfasser: 

Geisterkranz. 

Gedichte an berühmte Deutsche der Zeit. 

Preis: Elegant geheftet 1 JL\ elegant gebunden mit Goldschnitt 2 JL 
„Ernst Rethwisch’s „Geisterkranz“, Gedichte an berühmte Deutsche der Zeit, werden von 
dem Autor mit dem Wunsche veröffentlicht, pessimistische Gemüther daran zu erinnern, dass 
unsere Zeit nicht nur die Zeit der Attentate ist. Gedichte an Goethe beginnen und beschließen 
den Kranz, weil der Olympier heute noch mehr za leben und zn wirken scheint, als zn 
seinen Lebzeiten. Wenn der Dichter dem grossen Olympier den Weihrauch der Verehrung 
ohne alles Sparen anzündet, so verfährt er den von ihm besungenen Kindern unserer Zeit 
gegenüber zurückhaltender, nur in wenigen Fällen fühlt er sich zum unbeschränkten Lobliede 
gehoben. Dennoch sagt er den von ihm Besungenen aus warmem Herzen und voller Ueber- 
zengung so viel Gutes nach, dass man die aus vielseitiger Kenntniss und scharfer Beobach¬ 
tung hervorgehenden Abzüge nicht unstatthaft und unmotivirt findet.“ 

(Hamburger Nachrichten 1879. Nr. 110.) 


Ferner: 


Jugendlieder. 


Preis: Elegant geheftet 4 JL; elegant gebunden mit Goldschnitt 5 JL 
„Dieselben bekunden neben einer ungewöhnlichen Formvollendung und einem süssen 
Wohllaut der Sprache eine seltene Gedankentiefe. Der Dichter bezeugt überall ein enthu¬ 
siastisches Natur- und Kunstgefühl. Auch seine Lebens- und Liebeslieder verdienen nicht 
nur auf dem Salontisch zn prangen, sondern wirklich gelesen zu werden.“ 

(Schlesische Presse 1879. Nr. 476.) 
Bremen. J. Kfthtmaiin 9 s Buchhdlg. 


= Verlag t>on ^ermann %o\% in fieifigig. ~ 

Jlu# ^Ungarn. 

Literatur- unb cutturgefdjidjtlidje 
©tubien. 

$on 

31 bulf Rur. 

©rofdj. JL 6, elcg. gcb. JL 7. 




^Q«~ » ~ _ • «g» __ , «Q». . .♦ "» <0* 


tt. gi|fineinanB’8 aSetlag in Srtattn. 



pruc ^5 







non 

<£utfe gfoxqtev. 

. Brittt nfrmrtjrlf Auflage. 

3n ^ßrac^t ©inbanb mit ©olbfc^nitt 6 JL 


ftfRadisu, Bnrft», N.W., Ärongriniienufer 4. 


Jür bie Xebaction üeranttDortlid): #eorg Stifte in Brrftn. 
Srud t>on |l. fenlncr in J Wpii«. 


« S »~: • ~ « XL» jJ* • . . *' «> 


fipeHUsn , ^erfin W., Jhrcffirftenftrafte 76. 



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Hetfitt, ben 6. September 1879, 


Band XVI. 


Jit 3C. 




äBocljenfdjrift für Literatur, itunft unb öffentlidjeS ßebett. 


Herausgeber: ^a«f ^inbait in Berlin. 


Sein Sirairnk trf^tinl ritt |n«ma. 

Sa bweben burd) alle ©udj&anblunflen unb ^BoftanßaUen. 


Verleget: 0eorg Stilfe tn S3etlin. 


ftris ftt 4M»! 4 *«rk 50 |f. 

Qnferate jcbet Ärt jjto »gehaltene ^etitjeile 40 $f. 


Mdft: 


$>a$ (grbredjt unb bic Reform be3 ©rbredjteS. SBon S3luntfd)U. II. — Siteratnr uttb ftimß: gorm unb ©toff. SSon ©iäbert 
»tndCe. — @mile be ©itarbin. SSon ®. ©djmibt=2Bei6enfe!3. — $ie internationale Shmftauäftettuna $u SRündjen 1879. JBoit 
©uftato gioerle. III. — Sluf ber Sfronenfudje. »on 3. 9tt. — Inl bet tyntytflafet: $ramatifdje Aufführungen. „Unfer IJigeuner", 
©d&toanf in 3 Acten bon D&tar 3«jHnu^. „©obom unb Gomorrha", ©djtoant in 4 Acten bon granj bon ©cf>öntl)an. iöeforodjen 
bon Sßaul Sinbau. — 3nf*M*e. 


bä« (Erbtest unb bic Reform bes (Erbrechtes. *) 

9on Bluntfcbli. 

n. 

®ie feurige gamilie unb bie gnbibibuen. (Erbgut unb Smmgertjcfiaft. 
$?i^St|ei!«fbftenL Sutumlauf wie ffllutumlauf nötf)ig. (Erbrecht ber 
Senetnbe unb beS Staates concurrirenb mit bem gamilienerbredjt unb 
gefc^ü^t bnrd) $flic^ttt|eilSoTbnung unb unterfdjieben »on Srbfteuern.) 

®te Südfehr ju bem alteren germanifchen Stffteme ber aus= 
fchließlidjen gamilienerbfotge ift heute nicht mehr möglich, Sie 
Würbe meber ben t^atfäc^tic^en guftänben ber heutigen gamilie 
entfbrechen, noch bie mirthfchaftlichen Bebürfniffe ber heutigen 
SRenfhen beamten. ®er Germane ber Borjeit War in feinem 
ganjen ©ein unb Sehen mit feiner gamilie enge oerbunben, bie 
ihm auch in jeber Sott) unb ©efatjr ihren ©eiftanb unb ©chufc 
gewährte. ®ie ©leichartigteit beS SebenS unter ben gamitien; 
genoffen unb bie ftrenge ©ebunbenheit Slflet an ben heimifd)en 
Saterberb tjaben fdjon feit 3“b r h un berten aufgehört. ®ie höhere 
Suttur ber fpäteren Beiten hot überall bie SKannichfaltigfeit beS 
inbioibueßen Berufsleben« entwidelt, bie einjelnen gamilien; 
glieber in bie oerfdjiebenften BerufSfreife unb gefeßfd)aftlicf)en 
Begebungen oerwidelt unb einem gemeinfamen gamilienleben 
entfrembet. Biel öfter als früher werben bie ©ohne eines 
Kaufes fehr öerfdjieben erjogen, je nathbem fie einem inbu; 
jtrießen, fünftterifcfien ober miffenfchaftlichen Berufe fid» wibmen, 
unb halb berlaffen fie baS oäteriidje $au$ unb jerftreuen ftch 
nach allen Sichtungen ber SBinbrofe in betriebene Orte nnb 
Sänber. ©ie fdjaffen ftch felbet bur<h ihre inbioibuefle Arbeit 
eine neue Heimat unb ein felbftftänbigeS ©onberleben. ®ie 
©nttoidelung ber inbibibuetlen greifjeit, bie uns über SlßeS lieb 
unb theuer ift, erträgt eine enge ©ebunbenheit an bie gamilie 
nicht mehr. SEBie aber bem gamilienbewußtfein baS gamilien; 
erbrecht entbricht, fo nöthigt bie Sichtung ber inbibibueflen 
greiheit auch gut Stnerfennung lefctwüliger Berfügungen 
beS ffirblafferS über feine Berlaffenfchaft. 

Slber auch, heute noch holt bie beutfdje gamilie mit ftarlen 
Banben ber Saffegemeinfdjaft, ber ©efd)lechtSnamen unb ber 
©efdjlechtSehre, gemeinfamer Sitte unb Slrt ihre ©liebet ju- 
fammen. ®aS gamiliengefühl unb ber gamiliengeift üben noch 
immer eine jähe Stacht aus. SBit hoben bie Beit ber engen 
unauflöslichen ©ebunbenheit an bie gamilie hinter uns, aber 
wir finb noch nicht ber Sluflöfung bet gamilie in Snbiöibuen, 


*) 9gI. „«tgenmart“ 1879, 9tr. 33. 


I 

bie fich ööUig loSfagen unb trennen bon einanber, berfaßen. 
3Bir hoben auch aßen ©runb, bett naturgemäßen gamilienber= 
banb mirffam ju erhalten unb bie Uebung ber gamilienhfli^ten 
ju ftärlen. ge mehr ber S)eutfche feinet Satur unb Slnlage 
nach borerft ein gamilienmenfeh mar unb iß, unb erft aßmähü^ 
jum ftaatlichen 3Renf<hen (?wov noiinxov) erjogen wirb, um fo 
nothmenbiger ift eS für ben Beftanb unb bie Xugenb auch beS 
beutfehen Staates, baß ber fefte Sitt beS gamilienorganiSmuS 
bor Sluflöfung bewahrt werbe. SBeber bie ©ebunbenheit no^ 
bie Sluflöfung ber gamilie, fonbern ihre organifche ©lie= 
berung unb ber Schuh ber gamitienpflicht ohne $rän!ung 
ber inbibibuellen greiheit, baS ift bie BorauSfefcung unb 
bie Slufgabe ber heutigen ©efefegebung. 

333iß man gleichseitig bie Segel ber gamilienetbfolge unb 
baneben bie greiheit beS lebten SBißenS anertennen, fo fcheint 
bem oberflächlichen Blide fich bie Unterjeheibung jwifchen @rb« 
gut unb ©rrungenfehaft ju empfehlen. 3n ber ijjat hoben 
manche ©efe^e es oerfu^t, ben ßonftict bet beiben Erbfolgen 
baburch ju löfen, baß fie beftimmten: baS ererbte ©ut foß 
wieber ben natürlichen ©rben oerbleiben, über feine @rtungen= 
fchaft mag 3eber frei burch leftament oerfügen. 

Slber biefe ßöfung befriebigt nicht. Sie ift feßon beStjalb 
unbrauchbar, weil man eS ben ©adhen nicht anfieht, ob fie oon 
ben Borfahren ererbt ober bei Sebjeiten bes ©rblafferS oon bie; 
fern erworben worben finb, weil man nicht mit Sicherheit be; 
ftimmen lann, ob nicht mährenb bes ßebenS ererbtes Betmögen 
feine ©eftalt gewedjfelt hot unb auS bemfelben anbere Sachen 
angefchafft worben finb, weil bei ber Bermaltung unb bem @e; 
brauche eines BermögenS biefer Unterfchieb nirgenbS heroortritt. 
Um beSmiflen entfteht, wenn bie Berlaffenfchaft bamach getheilt 
werben foß, fehr leidet Streit barübet, ob biefe ober jene Stüde 
jum ©rbgute ober jur ©rrungenfdjaft ju rechnen feien unb eS 
ift überaus ferner, biefen Streit richtig ju entfeheiben. 3« ber 
SBirflichleit fteßt fich, Wie im Seben baS Bermögen, fo im 2obe 
bie Berlaffenfchaft als eine jufammengehörige ©ütermaffe bar, 
bie am beften auch erbrechtlich als ©ine Stoffe behanbelt wirb. 

®ie erbrechtliche Unterfcheibung oon ©rbgut unb ©rrungen; 
fchaft befriebigt überbem nicht einmal bie ibealen gorberungen 
ber ©erechtigleit. @S laffen ffch gar wohl gäfle benfen, in benen 
eS ungereimt unb ber inbioibueßen Südficht unb greiheit ju= 
wiber wäre, einen Stann, ber eine große ©rbfehaft gemacht hot 
unb baburch reich geworben ift, oon SechteS wegen ju nöthigen, 
baß er aß biefeS ©ut wieber feinen gamilienerben jurüdlaffe 
unb ihn ju oerhinbern, baß er ©erfonen, bie fich »m ihn oer; 
bient gemalt, ober für bie er bei Sebjeiten geforgt hot, ober 


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146 


Sie (Segenwart. 


Nr. W. 


für mofeltljätige -Srnede ©ermächtniffe orbne. Stoch öfter mürben 
ffäße oortommen, in benen eS pfltcßtmibrig märe, bie ©mengen: 
jehaft bcr Familie beliebig ju entziehen. ©tan benle j. 83. an 
einen Snbuftrießen, ber ofjne ererbtet Uapital burch feinen Steife 
unb fein ®efd)i<f als gabiifant reid; gemorben ift, ober a,n einep 
Kaufmann, ber burd) glüdliche Spekulationen fi^ ein grofeeS ©er ; 
mögen ermorben hat. Sa märe es eine fernere ©erle^ung .htjp 
natürlichen 3amilienpfli<hten, menn er feine nächften ©tutSoer= 
manbten unb gar bie Uinber, bie in feinem £>aufe erjogen unb 
an alle SBebürfniffe eines reichen ßebenS gemöhnt mürben, erb? 
loS jurüdliefee unb fein @ut an Srernbe oergeben mürbe. 

Sie richtige ßöfung fdjeint mir in einem auSgebilbeten 
©flichttheilsfpfteme ju liegen, meines bie natürlichen ©rben 
gegen launenhafte Seftamente fo roeit fchüfct, als bie Stiitf jtd)ten 
auf ben gamilienoerbanb e8 rechtfertigen. SaS römifd^rechtliche 
©flichttheilSrecht ift fctjon beShalb für unfern gamilienoerbanb 
ungenügenb, meil eS nicht oon bcr Siegel ber Samilicnerbfolge, 
fonbern oon bem ©rincip ber Zeftirfreiheit auSgebt. Sie fehranfen: 
iofe Zeftirfreiheit aber überfpannt bie inbioibueße Sreifjeit. Sie 
betrachtet ben Srblaffer als einen ©tenfchen, ber ganj allein 
ftefjt in ber Sßelt, ohne ffamilie, ohne Ißflichten gegen gröfeere 
unb fortbauprnbe ßeben$gfyneiufch,aflen, beneif .er felbft bpdj an= 
gehört oon ber (Geburt an bis jum Zobe. 

SBie bie Stahe ber Slbftammung bie natürliche Erbfolge be- 
ftimmt, fo beftimmt fie auch bie Stärle beS SamilienoerbanbeS i 
unb bie ©röfee ber fimmitienpftichten. 3« näher baS ©lut, um 
fo gröfeer ber ©flidjttfeeil, unb je ferner baS ©lut, um fo ge-- 
ringer bie Slnmartfchafi auf einen ©flichttljeil, bis julf^t aller 
©flidjttheil oerfdjminbet, unb meitere ffamilienlreife ihre binbenbe I 
3ug= unb Spanntraft oerlieren. ?)a8 ©tafe ber ©flichttljcite je 1 
für bie oerfd)iebenen S3erroanbfchaftStreife, bie näheren ober fers 
neren Käufer (©arentelen) ju beftimmen, ift grofeentheitS Sache 
ber iuriftijdjen Zechnif. ©ieleS hängt babei oon ben femeiligen 
Sitten uub ben gerabe hetrfdjenben ©leinungen ab. fffbep grunb= 
fätjlidj mirb man entfehiebener bie ffamitienpftichten ju betonen 
haben unb bafeer bie ©flidjttheile reichlicher bemeffen mfiffpn, ! 
als eS in ben meiftpn neueren ©efefcen gefchjeljt, roenn man ; 
bem gefährlichen Hang ju rücfftchtSlofem SnbioibualiSmuS be= I 
gegnen unb für fittlich gefunbe Suftänbe Jorgen miß. j 

©or aßen mirb baS ©fliehttheiiSreeht ben Slachlotnmen | 
(Uinbern, (Snfeln) beS ©rblafferS, abgefefeen oon ben fehr fel= ; 
tenen SluSnafemefäflen, in benen aus ^ureidjenben ©rünben eine 
Enterbung fich rechtfertigt, baS Hauptoermögen ihres 
ffiaterö ober ihrer ©tutter, bejiehungimeife ihrer ©rofeeltern als 
©rbfdjaft jufidjern ntüffen. 2Ber Uinber jurüdläfet, ber foß j 
auch fein @ut benen laffen, bie ihr 831ut oon ihm erhalten | 
haben unb fein ßeben fortfefcen. Hier genügt burchauS, bafe ! 
ber freien Serfügung beS ©rblafferS ein Zheil, unb jrnar ber ! 
geringere Zheil ber ©erlaffenfchaft anheim gegeben mirb. Sie j 
fjamilienpflicht übermiegt hier bie inbioibueße Zeftirfreiheit. Db j 
baS ©erhältnife beS ©flidjttheileS ju bem Sereiehe ber Zeftir« i 
freifeeit roie 2 : l, ober 3:1, ober 4: l gnjufefcen fei, jjmß ! 
überlegt tu erben; aber burchauS unhaltbar unb ungenügenb märe 
jebe Seftimmung, melche ben ©ereid) ber Zeftirfreiheit bis auf 
ober gar übet bie Hälfte ber ©erlaffenfdjaft auSbefenen mürbe. 

tlucb ben ©Item beS ©rblafferS, bejiehungSmeife ben 
Sttjnen beSfelben, gebührt ein erheblicher ©flichttljeil, fchon als 
Sleflej ihrer ©erbflicljtung, ihre ©rbfefeaft ben Slachiommen ju 
hintertaffen, eben beShäfb aber auch ein geringerer ißftichttheit 
als ber ber fö'inber. 

SWinbeftenS no|h in bcr ißarentel ber ©Itern beS @rb> | 
lafferS, alfo gegenüber feinen ©efchmiftern unb beren Sinbern, 
halte ich eine ©efchränlung bet Zeftirfreiheit bnr^ ein ©flicht: ; 
theilSredjt bet ©rben für mofel begrünbet. $ier ift bie Starfe | 
beS gamilienoerbahbeS unb ber Somilieupflicht noch in ben | 
Sitten fehr beutfich mahrjunehmen. Sic: ©rinuerüng an baS i 
©aterfeauö beS ©rblafferS tbirft hier fn ben Slacfefommen beS 
©aterS nolb fehl lebenbig. SBohl aber ba\f hier fchon bie 
©röfee beS ©flidhttheil^ erniäfeigt ut^b ber' Zeftirfreiheit pin mei= i 
terer ©ereich eröffnet meiben. 1 


©ei bem heute lofer getoorbenen Samilienjufammenhang 
f^eint mir baS ©flicfettheilSrecht ber ©IntSoermanbten höchfeenö 
auf bie ©arentel ber ©rofeeltern beS ©rblafferS auSgebehnt 
merben ju bürfen, nicht über biefejt Ureis ber ©ertoanbten 
hinaus; fetbftoerftänblid) mieber in bem Sinne, bafe ber ©flicht: 
theil geringer, bie Zeftirfreiheit gröfeer mirb. * 

Sie ©flichttfeeilSorbnung aus ßtüdfidjt auf bie Slachiommen 
unb bie ©ippfefeaft, melche überbem burdj bie Slücffecht auf 
aufeerehetidje Uinber unb auf Slboptiolinber angemeffen ju er= 
gönjen ift, Oerträgt fich ß an j gut mit ©flichttheitöanfprüdjen beS 
überlebenben ©feegatten, melche in oielen beutfdjen ©arti= 
cutarrechten anertannt finb. 

©iel michtiger aber ift bie ©rgänjung ber gamilienerbfolge 
bnreh bie ©infühtung einer meiteren gefehli^en ©rbfolge, 
melche auch bie ©flicfeten beS ©injclnen gegen bie ©emeinbe 
unb bie ©efeßfehaft berüdftchtigt. 

SEBie immer bie ©rbfolge ber Familie georbnet merbe, jus 
nädjft hat biefe Crbnung nur für bie E)ö^eren unb mittleren 
Ulaffen ber ©efeßfefeaft eine unmittelbare ©ebeutung. Sit fiebert 
ben Sßohlftanb ber Slriftotratie unb erhält bie ötonomifche ©e= 
f.unbheit ber jahlrei^en unb midjtigen bürgerlichen unb bäutr: 
liehen tfomilien. 81ber auf einen fehr grofeen Zheil ber Uv- 
beiter unb ber bienenben Ulaffen mirtt fie faft gar nicht, meil 
biefe in ben meiften fjräßen meber eine ©rbfehaft ju hintertaffen, 
noch auf ©rbfehaften ju Ijoffeu haben. Sie erfüßt auch nicht 
bie Hauptaufgabe ber Sled)tSorbnung, bie oorjugSmeife burch baS 
©rbrecht ju löfen ift, bie Slüdfichten gegen bie ganje ©efeßf^aft 
mit ber Sorge für bie Sreihcit ber ©injelnen ju oerbinben. Sie 
oerhinbert nicht bie ernfte ©efahr einer übermäfeigen, juleht 
ebenfo unfinnigen als oerberbtichen Anhäufung Oon unfruchtbaren 
©rbfdjäfeen in einigen menigen Käufern, noch gemährt fie ©littet 
gegen eine überfeanbnehmenbe ©erarntung ber oermögenStofen 
Slrbeiterbeoölterung. 

Samit bie mirthfchaftlichen 3uftänbe ber Station gefunb 
bleiben, ift ganj ebenfo mie für bie ©efunbtjeit beS UötperS ein 
geregelter ©tu tum lauf erf orberlich ift, auch ein geregelter 
©utumlauf nothmenbig. SBie bie heftige 8tnf<hmeßung oon 
©lutfchmären an einzelnen Steßen beS SeibeS ben ganzen Uör^pr 
Iran! macht unb ber gehemmte Ureislauf beS ©InteS in ben 
©jtremitäten ben gattjen Uörper lähmt, fo entftehen aus ber 
überfpannten SInfammlung oon ©ütern in menigen Samilien, 
unb aus ber Slbfperruug gröfeer Ulaffen oon bem ©rmerbe gnb 
©enuffe bcr ©üter, fernere Uranlheiten beS ©olleS. 

SaS ©rbrecht tann, ohne bie Sicherheit beS ©rioateigen : 
thuncS irgenb ju gefährben, für einen georbneten ©utum: 
lauf in bem ©oltstörper forgen unb auf biefem SBege folchen 
Uranlheiten oorbeugen unb gefunbe ©erfeättniffe fchühen. 

SaS SJlittelalter lannte bereits eine erbrechtliche Snftitution, 
melche freitid) nur ju ©unften unb im Sntereffe ber Slriftolratie 
für einen Ureislauf gemiffet ©üter forgte. Sie fiehenSgüter, 
melcfee in ber Familie beS ©afaßen forterbteu, fielen hoch, menn 
bie männliche Stachtommenfchaft beSfelben auSftarb, mieber an 
ben ßehenSherrn, häufig ben SanbeSherrn jurüd, burften bann 
aber nidht oon biefem behalten, fonbern mufeten jur SluSftattung 
eines neuen ©afaßen unb feiner ritterlichen ©rben mieber per: 
liehen merbei|. 

SaS mittelalterliche HeimfaßSrecht ^ nicht mieber herju: 
fteßen noch auS^ubehnen. Slber ber gute ©rnnbgebgnle beS= 
felben läfet fich ^ eu * e in nie! meiterem Umfange unb mit ftärterer 
SBirfung auf bie grofeen ©otlSllaffen antoenben. 2Bir fönnen 
für ben nöthigen ©utumlauf forgen, inbem mir bem ©rbredjte 
ber Familie ein ©rbrecht ber ©emeinbe uub bpSStaa: 
teS ergänjeitb unb berichtigenb hinjufügen, unb bäSfelbe jur 
ÜluSftattung neuer bisher unbemittelter Samiliep mit {pichen 
©rbgütern ber ©emeinben benu|en. 

Sie ©rünbe für ein foldjeS ©rbrecht ber ©egieipbe unb 
beS Staates, für mplcheS fich fämn in ben älteren Siebten feinte 
finben laffen, finb ebenfo ftarl mie für baS gagiilienerbrecht. 
Sie finb in ber heutigen ©efeßfehaft ftärler gemorben, als in 
ben früheren 3eitaltern, meil ber ©erbanb unb ber 3ufammen> 


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Nr. 36. 


JPic ©egenwurt. 


147 


hang bet gamilie mit bet 3eit gelodert unb fdjwächer gemor- 
ben ftnb. 

®er toaste ©runb aßcä natürlichen @rbred)teS ift bocf) bit ©e- 
meinfd|flft, welche baS Seben beS ©rbtafferS mit bem feiner ©rben 
tnrbiubet, bet 3ufammenhang beS IBluteS unb ber Sitte, ber 
Sultur unb ber gntereffen, wefentlidj bie ©emeinfchaft ber Stoffe. 
9tun gibt eS betriebene Greife, gteidjfam engere unb Weitere 
{Ringe ber Stoffegemeinfc^aft, Welche ben ©injelnen mit onberen 
Wenden jufammenhätt. ®er. ©ittjelne ift ein Äinb feiner @1- 
tem, ein üngetjöriger feiner gamilie; er ift aber aud) ein ft'inb 
bet ©emeinbe unb be» fianbeS, benen er jugef)ört. gft er mit 
feinet Sippfcfjaft burdi taufenb feine ©ejie^ungen feiner teib- 
iit^en unb feelifdjen Anlage wie feiner ©rjiehung unb feines 
fiebenS enge berbunben, fo wirfen aud) bie ©inrichtungen unb 
bie ©inflüffe feiner Heimat unb feines ©aterlanbeS feht beftim- 
menb ein auf feine ganje ©jiftenj. Sein Körper empfängt bie 
©inbtüde ber SBollSart unb feine Seele erhält einen großen 
I^eil ihrer Stiftung burd) bie Spraye beS SanbeS, bie Schule 
feiner Heimat, bie Sitten feines 2Bof)norteS, bie ©efdiichte feines 
SJolleS. ®et tüchtige {Bürger fjat auch ein öerftänbniß unb ein 
Snteteffe für bie 2Bof)lfat|rt feines ^eimatSorteS unb feines SSater= 
lanbeS. Sluf biefe äußere unb innere ScbenSgemeinfdjaft, auf 
bie Pflichten beS ©injelnen gegen bie ©emeinbe unb ben Staat 
läßt fidj ein ©rbredjt ber ©emeinbe unb beS Staates feljr woljl 
begrünben. 

gn einer ©ejie^ung ift baS non jeher anerlannt worben. 
$ie mittelalterlichen {Redjte fdjü&en ein @rbredjt ber ßanbeS- 
herrfchaft an bem „etblofen" ©ute, b. h- an bem {Radjlaffe beffen, 
bet leine erbberechtigten Sippen hat. Slud) baS römifdje {Recht 
fennt ein fubfibiäreS ©rbrecht beS giScuS in ©rmangelung non 
leftamentSerben unb bon IBlutSnerwanbten beS SrblafferS. gn 
bäuerlichen SBei3tt)ümern finbet fich juroeilen ein ©rbrecht ber 
Nachbarn unb manches Stabtrecht orbnet ein eöentuefleS ©rbrecht 
ber Stabtgemeinbe an. 

Slber biefe ältere {RechtSbilbung ift noch fet»r lümmerlidj 
unb ganj unjureichenb für bie große Aufgabe. SBir bebürfen 
i« ©eifte unfret 3eit unb ber heutigen Sebürfniffe einet niel 
energischeren SluSbilbung beS {ßrincipS. gnöbefonbere ift auch 
baS ©rbrecht ber ©emeinbe neben bem beS Staates anju- 
erlernten nnb es finb beibc aus ber ®untell)eit einjelner feltener 
unb jufäHiger ©oentualitäten in bie regelmäßige Slnmenbung 
borjutüden unb unbebenflich auch gteic^seitig mit bem ®rb- 
rechte ber gamilie, in ©oncurretij mit biefem wirlfam ju 
machen. {Rur fo wirb ber 3wetf eines gefunben ©utumlaufeS 
erreicht 

•®a8 @rbred)t bet ©emeinbe unb beS Staates barf auch 
nicht länger als ein bloßes fiScalifcheS {RufcungSrecht betrachtet 
uub auSgebeutet, fonbern eS fofl entWeber jur StuSftattung be= 
bürftiger aber fähiger gamilien mit freiem Vermögen ober für 
»oljlthätige ©inrichtungen unb Slnftalten im gntereffe ber oer- 
mfigenSlofen SSolfSflaffen berWenbet werben. ©S fofl nicht jur 
bloßen ©emeinbe- ober Statsfteuer werben, fonbern ©rbrecht 
bleiben unb erbrechtliche SBirfungen haben. 

®aS IBethättniß, in welchem bie ©emeinbe unb ber Staat 
fi<h in biefem ©rbred)te auSeinanber ju fefcen haben, läßt f?<h 
fo orbnen, baß in ber Sieget bei mittleren unb Meinen SBerlaffen- 
{haften bie ©emeinbe bem Staate borgeht, wenigftenS fo lange 
nicht bie ©emeinbe unb ihre Ungehörigen wohlhabettb genug 
finb, um eines folgen 3uwachfeS bon ©rbgut nicht mehr ju be= 
bdtfen, baß bagegen bie großen ariftolratifchen Serlaffenfchaften, 
fei eS ganj, fei es in höherem SRaße, bem ©rbrechte beS Staates 
anheim faden. ®ie ©emeinbe lann unb barf nid)t für arifto- 
tratifdhe ©yiftenjen forgen. ®er Staat bagegen hat ein gntereffe 
unb muß bie 3Röglicf)leit haben, unter Umftänben auch ho<hber= 
biente SRännet mit reichen ©fitem auSjuftatten. 

©benfo wie bie gamilienerbfolge unb ber überlebenbe ©he* 
gatte bebarf aud) baS ©rbrecht ber ©emeinbe unb beS Staates, 
bamit eS fidjer bleibe, beS Schußes bureß eine gefefcliche ®e-- 
fchr&ntung ber Seftirfreiheit, b. h- beS {ßflichttheilSfbftemeS. ®aS 
Serhäitniß biefe« öffentlich-rechtlichen ©rbrechteS ju bem gami- 


lienerbredhte wirb burd) ben allgemeinen ©runbfaf} geregelt wer¬ 
ben müffen: ge näher bie gamilienerben bem ffirblaffer flehen, 
befto geringer finb bie ©rbanfprfidje ber ©emeinbe unb beS 
Staates. SÖtit ber ©ntfernung ber gamilienerben wachfen bie 
leiteten. 

geh hatte fchon bor einem SSiertelfahrhunbert in bem ©nt- 
Wurfe ju bem ptibattedjtlidjen ©efe^buche für ben ßanton 3ünd> 
berartige ®orfthläge gemacht. ®ie ©efe^gebungScommifpon ber= 
warf ben ©ebanlen nicht, aber'fie traute fich nicht, bei Slntaß 
eines allgemeinen ©efefebu^eS eine folche {Reuerung norjufchlagen, 
unb hielt eS für jwedmäßiget, biefe {Reform einem befonberen 
fpäteren ©efe^e norjubehalten. ©in folcßeS iß nun fpäter nicht 
erfdjienen. {Rur finb in einjelnen ©antonen bet Schweij ftrengere 
Grbfteuergefehe eingefüßtt Worben. 3Ran fuchtc fo jenen ©e= 
banien, freilich in jweifelhafter ©eftalt, einigermaßen ju berüd- 
; fichtigen. ®ie Steuern aber ftnb beffer gleichmäßig je nach bec 
| fieipungSfähigleit Äßer ober ben freiwißigen ©enüffen {Bieter 
unb nicht nach bem 3ufafl ber ®obeSfäfle ju erheben; unb ber 
gewünfdjte 3wed eines geregelten ©utumlaufeS wirb nicht er= 
reicht, wenn bie ©rbfchaftSfteuer für gewöhnliche ©emeinbe- 
unb StaatSbebttrfniffe oerwenbet wirb. 

®ie {Rothwenbigleit einer berartigen Sleform beS ©rbrechteS 
ift Währenb beS lebten SRenfdjenalterS fehr oiel flarer geworben. 
©S Wäre meines ©ra^tenS nicht mehr ein unreifes SBagniß, 
fonbern eine große fegenSreiche ®h at < wenn baS beutfehe {Reich, 
inbem eS baS gamilien- unb ©rbrecht neu orbnet, biefetbe mit 
ben großen SRitteln, über bie eS »erfügt, in bie $änbe nähme 
1 unb burchfühtte. ©ine folche ®h°t würbe uitjweifelljaft oielen 
| unb lauten Sßiberfprudj aufregen, aber' fie würbe einen 
1 beS {Proletariates auf eine höhere Stufe erheben, fte würbe bie 
großen unbemittelten ftlaffen wieber mit Hoffnung unb mit Siebe 
jur Heimat erfüßen, bie ©emeinben cönfolibiren, bie ©efeflfdjaft 
! bon fchweren Seiben heilen, ben Staat ftarfen unb ein SBorbilb 
für anbere SSölfer werben. 

Um bem ©ebanlen eine faßliche ©eftatt ju geben unb ju 
weiterer ©rwägung anjuregen, erlaube id) mir jum Schluffe noch 
folgenben SSorfchlag jur Sprache ju bringen: 

1. SBenn ber ©rblaffer eigene {Ra^lommeit als ©rben hinter- 
läßt, fo tritt ein ©rbrecht ber ©emeinbe ober beS Staates in 
ber Siegel überhaupt nicht ein. 

5Rur Wenn baS ©rbtheil eines ffinbeS 100,000 üRarf über- 
fteigt, fo lommen ber ©emeinbe bon bem HRehrbetrage 10% 
ju. Ueberfteigt ber ©rbtheil eines SinbeS 500,000 URarl, fo 
lommt überbieS bem Staate bon bem {Mehrbeträge übet 500,000 
SRarf ein ÄinbStheit ju. 

2. gäßt bie ©rbfehaft an ©Item ober ©roßeitern beS @rb- 
lafferS, fo lommt ber ©emeinbe ein ©rbtheil bon 5 % ber 

| SBerlaffenfdjaft ju, infofern eine ©rbportion eines S3orfahren mehr 
als 10,000 ßRart unb ni^t über 50,000 {Diarl beträgt, unb 
bon 10 % bon 50,000 SRarl an, Wenn bie ©rbportion beS 
Stfcenbenten über 50,000 SRarl beträgt SBenn biefetbe mehr 
als 100,000 SRart beträgt, fo erhält überbem ber Staat einen 
©rbanfpruch bon weiteren 10 % beS {Mehrwertes. 

3. gn berfelben SBeife ift baS ©rbrecht ber ©efchwißer beS 
SrblafferS unb ber fiinber feiner ©efeßwifter, b. h- innerhalb 
bet elterlichen fßarentel j« orbnen. 

4. ©ehören bie ©rben bet großelterlichen {ßarentel beS 
SrblafferS an, fo hat bie ©emeinbe einen ©rbanfpruch auf 10% 
ber SJerlaffenfdjaft, infofern biefe mehr als 10,000 SRarl beträgt, 
unb auf 20% bon bem SRef>rwerthe bet SJerlaffenfchaft über 
50,000 SRart. Ueberfteigt biefetbe 100,000 SRarl, fo tommen 
bie 20 % beS SRehrwerttjeS nicht mehr ber ©emeinbe, fonbern 
bem Staate ju. 

5. SBenn bie ©rben ber urgroßelterlichen Ißarentel beS 
SrblafferS angehören, fo Wirb baS ©tbredjt ber ©emeinbe unter 
benfelben SSebingungen ftatt auf 10 unb 20 % i* auf 20 unb 
30 % gefteigert unb baS beS Staates auf 30%. 

6. SBenn leine ©rben bet brei nädjften fßarentelen oorhanben 
i finb, fo wirb bie SBerlaffenjchaft als etblofeS ©ut behanbelt, 

e 





14$ 


Itt Ätgenwurt, 


Nr. 36. 


unb fällt 6i8 auf ben Setrag ton 60,000 SRarf bet ©emeinbe, 
wenn fte mehr beträgt, mit bem SRehrwerthe bem Staate ju. 

7. SaS ©rbrett bet ©emeinbe unb beS Staates wirb, 
wenn ein überlebenber ©begatte beS ©rbtaßerS oorljanben ift, 
p fünften beSfelben mit feinem SRießbraute auf SebenSjeit 
betaftet. 

8. Sie ©rbgüter, weite bie ©emeinbe fraft ©rbretteS 
erworben, werben als ©rboermögen angelegt, unb je nat Ve; 
bürfniß pr 2lu3ßattung unbemittelter gamilien ober für gemein; 
nüfcige Stnßalten im gntereffe bet oetntögenSlofen Klaffen ter= 
menbet. 

9. SaS (Erbgut, welkes ber Staat erwirbt, bient tlteilS 
für wohltätige StaatSanftatten, tfpeild pr Sluöftattung ton 
fßerfonen, bie ßt um ben Staat, um bie SBißenftoft ober Kunft 
ober für baS SBof)l bet SRenßhheit ober ber unteren VolfS; 
Haffen große Serbienfte erworben haben. 

10. SaS (Erbrecht ber ©emeinbe unb beS Staates barf 
nitt burt lefjtwitlige Verfügungen benfelben entjogen ober 
beftränft werben. Slber eS ßeljt bem ©rblaßer frei, baSfelbe 
burdf feine wohltätigen ober gemeinnüfeliten Stiftungen unb 
Sermädftniffe p erfüllen unb p erfefcen, wenn ©emeinbe unb 
Staat biefe ftnorbnungen billigen, ober aut hurt 9tufc; 
nießungörette p ©unßen einer ober mehrerer ben (Erblaßer 
überlebenber fßerfonen p beftweren. 

Ohne ein foldjeS ^Jflic^tt^eitörec^t ift' bie SBirffamfeit beS 
SgftemeS nicht gefiebert. Sie Veftränfung ber SeftirfreUjeit 
auf eineu engeren Vereit hat aber um fo weniger Vebenfen, 
als ein abfotuteS Verfügungsrecht beS gnbioibuumS, beffen 
SBirfung er nicht mehr-erlebt, für eine 3eß, in welcher er p 
Ijanbetn unfähig ift, fi<b teineSwegS oon felbft oerfteht unb nicht 
mit bem freien VerfügnngSrett beS (Eigentümers währenb feines 
SebenS p oerwetfeln ift. gnbem unfer 9tett in fünftliter 
SluSbehnung ber 2BitlenSmad)t eines gnbioibuumS baS Seftament 
pläßt unb fchüfet, barf eS wohl glekhjeitig bie Sflitten wahren, 
Welte bem (Einzelnen gegen bie ©emeinbe unb ben Staat obliegen. 

2luf biefe SBeife würbe ber ©emeinbe unb bem Staat fort; 
währenb ein ©üterborrath gefitert, ber oon 3eit p 3«t 
neue 3>tßüße erhielte unb aus weitem fortwährenb Äbflüffe pr 
Silbung neuer oermögtiter gamilien abgeleitet werben tönnten. 


^iteratw: tmb £tmß. 


Jom tut* 

gruttloS wäre ber Streit: ob gorm, ob Stoff ber ©ebieter? 

gene wie biefer gebeut — biefer wie jene gehortt! 

9tlfo oermählt fit bem Stoffe bie gorm pr ©hegemeinßhaft: 

HRann nitt minber benn SBeib — beibe gewinnen babei. 
3wang iß jegliche gorm: burt Safcungen hemmt fie bie greiheit! 

®ber ber SBohtttang quillt aus bem geregelten 3Raß, 

2lber ber feffelnbe 3wang wirb wieber pr feffetnben Stönheit: 

ginntet oottenbet ben Stoff erft bie ooüenbete gorm. 
Klage benn nitt, eS beftränte ber 3wang ben poeliften 2lu8brud, 
Unb hei fdjaßenber Suft werbe beftränft ber fßoet; 

SBat bot ßet* an SBenbungen reit her germanifte Spracht ah: 

gügt nun biefe ßt »itt, wähle bir jene bafür. 

Vater $oraj ftrieb einft: „Sen ißoeten fowohl wie ben SRalern 
gß feit ewiger 3«t Stiles p wagen ertaubt!" 

Ohne Verpg bann bringt er geßfjleppt Ausnahmen bie güDe: 

211» wie fühlen fit ba SRaler unb bitter beftränft! 
SRater betätigen h«ut gar gern ben bebenflidjen VolfSfprut: 

„Ser gut ftmiert, gut fährt!" greitit, baS täuftt unb gefällt. 
Stließe baS Ohr bem Sirenengefang! 2Rit ber fanberen geber, 
Sie nitt flecfft, nitt fprifct, erntet ßt beßerer Sanf. 


SBäßleft bu wägenb ben Stoß, bann wäge bu wäßlenb bie 

gorm aut: 

geglitem Stoß ßeljt nitt jegtite gorm p ©eßtt. 

2lber not ntehr! ©8 oerlangt ein beftimmter, befonberer Qn^att 
2lut bie beftimmte ©eftalt, pnberer fügt er ßt fttett- 

Stein nur braute ben 31 eint, unb pmat in romaniften Staffen, 
Seren metobifter Steij janberift Hingt an baS Ohr. 
Sßeniger reit jWar finb wir im Sieim als Sänbet beS SübenS, 
©leitwohl phlen wir not haften VermögenSbeßanb. 
Stöße bi<h nitt mit bem Stoß, baß fetbß bie Heroen ber 

Sittfunß 

Oß unreineren 3teim ohne Vebenfen oerwanbt; 

SamalS war es erlaubt: wer ahnte bie ftrengere Safcung? 

2lbet wir Würben belehrt, aber wir würben oerwöhnt. 
ÜRanteS geftattet bie 3«t, bot berbieten eS anbere 3«iten, 
grüher Verbotenes wirb fpäter geftattet, begehrt, 
hielten wir btoS — im ©eift, in ber gorm — an bem 2ltt; 

übetfommnen, 

gortftritt blühete banu nimmer bem SRenftengeßhledß! — 
Vei bem Sonett gilt feßeS ©efejj: oierfältiger Slbfafc, 

2Hfo jebeS Ouatrain, jebe Serjine für ßt- 
fßriife mit gleiß ben ©ebanfen poor: ob bie gorm iljm ge; 

rett iß? 

ÜRangelnbe Prüfung ftuf manteS oerfehlte Sonett. 
Vratten bie beiben GuatrainS ben ©ebanfen in wetfelnber 

gärbung, 

golgt als fürjeter Stluß not hie Ser$inen;9Roral 
Sann erß jeigt ßt bie gorm in beftriefenber, glänjenber Stönheit, 
SCßenn ßt ber Inhalt leicht logiftgegliebert ihr fügt. 


2lber wie foH man ^tejameter bau’n? Sa lärmen bie Stimmten, 
Sa bringt geber fofort eignes, bewährtes Stecept. 

9tun, ber ^»ejameter iß für nnS ejotifte Wanje, 

2llfo fteint eS ©ebot, fteint eS natüriit pgleit, 

Saß fich ber Vßanje ©uttur nat UrfprungS;Safcungen ritte, 
Senn in bem $eimatSgrunb jeigte fie fröhtit ©ebeißn. 
SSBeht hi ei nnbete Suft, unb ßralßt hier anbere Sonne, 
VeibeS oerlangt bot nitt onberS behanbelnbe $anb. 
greilit, eS bieten ßt unS Oiel Silben oon boppeltem 3«itmaß 
(Sängen unb Kürjen pgleit), ftwierig bem Sefenben oß; 
Siefe oerleihn bem ^ejameter leicht bie 9latur ber SfoHuSfen, 
Unb eS jerßießet fobann alle geftloßene gorm! 

Safür wirft rabical bie ©äfur: fie regelt ben VerSftritt, 

Ser ßt bewegt alsbalb fiter in $alt unb ©eßalt. - 
Vei bem amphibiften Volf, bei Silben mit boppeltem 3eitmaß 
Kommt not hieS in Vetratt für ben euphoniften 3Wed: 
®ine8 ber 3wei herrftt üor in bet Siegel, bie Sänge — bie Kürje, 
Srum wirb beßerer SBerth immer am beßen oerwanbt. 
Sreißig Süßten bereits operirten bie SReifter ber Sangfunß, 
Stur nitt immer geftidt, mit bem heroiften Vers, 
©ottfteb — einft lüerarifter fßapft (fraß eigner (Ernennung) — 
SRaß in gefunbem ©efüht feiner §ejameter Saft 
Swalb ©h r *ßion Kleift, als neuer ©olumbuS beS 2tuftattS — 
grühling ftuf er bamit nitt in ber metriften SBelL 
Klopftod ftolperte Diel beim ßembfetSfüßigen VhpthmuS: 

SlathloS ftarren wir oß, wie ßt ber gaben entwirrt 
3Uh, weit fttimmer benn er war griebrit Seopolb Stolberg, 
Ser mit naioem Vertraun not hen ^epameter ftrieb: 
„ghw antwortete ber König Stgamemnon!" 

Seltfam ÜRußergebitb ftletten Srotäen;©ewirrS. 

Voß fam bann, unb er wog auf römifter SBaage baS Säort ab 
©rnßhaftßreng, er oergaß ©ins nur: beS SBorteS Kccent 
Spratptt h<U et geübt — fo oerjeihn wir, baß er mit falftem 
SRaß unb falftem ©ewitt lange betrogen baS Dh r - 
Vlaten erfteint, er beßeiet ben Vers oon bem fttimmen SrotäuS, 
SEBcil ber trotäifte guß lahmt im elegiften Stritt. 

Sot ben 2lccent mißfennt aut et / heß glänjenber gormfinn 
äRehr mit bem 2luge ben VerS meißelte, benn mß bem Dh c - 


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Nr. 36. 


*t t «fgntnrnrt. 


149 


{Richtig ©erntet unb ben richtigen Son! Sie« Woßen wir heute, 
Saft ber Hejameter fließt ftotg, ein gewaltiger Strom! 
Strenge« ©efefc fei ©flicht, mit bem SBotjUtang immer im ©intlang, 
ffieil ja ben SBohtttang felbft fdjaffet ba« ftrenge ©efefc. 

Set in bet SBertftatt fifct, ber fammelt fich Heine ©otigen 
HanbwerfSmäftiger Hrt, nühlid) bem SageSgebraudj. 

3®at wir werben belehrt oon ben SBeifen be« röntifchen Siebte«, 
„Saft !ein ©rätor forgt für ben Sappalienftam"; 

«ber wa« ift beim Hein in ber Äunft? Sie gewinnenbe SBirhmg 
SBirb oft kleinem öerbanft: alfo öerachtet e« nie. 

Siner oiefleidjt nur e n t b e d t bon ber Stenge ben feineren Äunftgriff, 
Uber ber Stenge gefüllt, wa« ihr mit biefem ergielt. — 
3ft ber Hiatus ferner au« beutfcfjem ©ebidjt gu oetbannen, 
Älingt er bodj unfdjön meift, ftört ben harmonifchen gluft. 
Schwierige« locft! Unb e« gilt ben Serfuch, ihn fdjter gu bermeiben; 

Ommer bei [oldjem ©emüljn werfet ben römifdjen Spruch: 
,Reicht in bie Scpßa gerät!), Wer au«meid)t bor ber ©Ijarpbbi«" — 
Huf Hpoftropfje gerät!), Wer ben $iaten entwifcht! 
SBertfjboil oft im ©ebrauih, fdjwerfäflig unb häftlidj im Stiftbraud), 
Sinb fie ben ©iften berwanbt: Segen bereitenb unb glud). — 
ffla« im |>ejameter gilt, gilt nid^t gleich fdjarf für ben ©eimoer«: 

Hnberem ©oben entflammt, folget er anberer gorm. 
Weniger brauchft bu ju wägen ba« 3Bort, wenn bie Seile ber 

©eint fehltest, 

SEBeil ber mächtig unb ooß Hingt in beS Hörenben Ohr» 
©Beil er ba« D^r mit ©ewalt hintenft gunt Schluffe ber Seilen, 
©leitet e« leichter hinweg übet ben fchwächeren guft. — 
Sautet e« gut, wenn ber ©eint bon bem ©eiwort fcheibet ba« 

Hauptwort? 

Hdjtung ihrem ©erein, benn fie bermählte ber Sinn. 

Hber genug! ©oefte fängt deiner im ©e$e ber Siegeln! 

höherer 28ei«!jeit SBort prebiget ©ater H°rag: 

„Senn bei« Sieb nur bem Dhre gefällt, bann brachteft bu wenig, 
@ib ihm füfte ©ewalt, baft e« bie |»erjen bewegt!" — 

cSisbert Dincfe. 


(Emile bc (Ütrartott. 

$on <E. SdjmibtstDeifjenfels. 

•% 

Unter ben großen ©arifer Settungen nimmt bie „grance" 
einen eigentümlichen ©ang ein. Sie ift ein« ber gelefenften 
©lütter unb ein« ber intereffanteften butt bie Hrt, wie fie 
©olitil treibt. Sa« gefdjieht guweiten mit ben feltfamften Ueber« 
rafdjungen, mit originellen (Umfaßen, mit Jbeen, welche nicht 
tageStäufig finb, mit einet Sogif, bie felbft in parabojer Steige« 
rung etwa« Stttingenbe« ober boch etwa« ©lenbenbe« h<*t, mit 
einer ßampfluft, bereu Unermüblichfeit fich nur au« bem @hr« 
geig erflärt, immer fiegenb an ber Spifce gu bleiben. Hße 
Seit greift Hbenbs in ©ari« nach ber „grance" unb gleichwohl 
bürfte fie mit ihren pifanteften politifchen Hrtifeln feinen nach' 
haltigen ©inbrud auf bie gasreichen Sefer heroorbringen. Sie 
ift wie ein ©uch, bon welchem aße Sage eine Seite erfcheint 
unb bie man geiefen haben miß au« ©emoljnheit an ber Ser« 
ftreuung burch grübetnbe« Jbeenfpiet. Santach fommt erft eine 
anbete Seitung an bie ©eilfe, au« ber man fich über Stanb unb 
@ang ber politifchen Singe belehren taffen miß. Sie „grance" 
ift eben nicht« al« ©mite be ©irarbin, ba« Journal feiner 
perföntidjen Jbeen, bie fich um bie einer ©artei ober um eine 
beftimmte Sehrmeinung wenig fümmern. Sie ift Hße« nur burch 
ben ©eifl biefe« 77jährigen ©eteranen ber ©arifer ©reffe. 

Huf biefem ©ebiete ift ©mile be ©irarbin feit einem 
halben Jahrtjunberte thätig unb innerhalb biefe« Seitraume« hat 
er nicht aufgehört, eine aufterorbentliche Hngiet)ung8fraft auf ba« 
©ubticum auSguttben. ©r war immer nur Statabor ber ©reffe 
nnb ift al« ein alter Äämpe berfelbe an ©ührigfeit unb ©igen« 
fltt geblieben, bet et al« junger tfeijjfpotn gewefen. Sie 


joumatiftifche Shätigfeit, welche bie Salente gewöhnlich fo fdjneß 
aufbraucht unb bie geiftige ©lafticität be« ©ubliciften fo häufig 
erfcfjlafft, war für biefen merfwürbigen Stann immer wie ein 
üerjüngenbe« ©ab, weiche« er an jebem Sage nehmen muhte. 
©Jährlich, er ift einer' ber merfwfirbigften Stänner im ©eiche 
be« Journalismus! Sein äufjere« ©lüd hat burch bie Uner« 
fdjüttertichfeit etwa« Jmponirenbe«; feine perföntiefje Stadjtfteßung, 
biefelbe feit Jahrgehnten unb unter aßen ©eghneS, bie in granf« 
reich obenauf gelommen finb, hat bie aßet anberen ©arifer 
SeitungSgröften überragt unb überbauert. Srei gtofte Seitungen 
in feinem Sefi| unb oon ihm befeelt, haben ihm feit 43 fahren 
biefe Steßung gegeben. Unter ber Jutimonarcijie grünbete et 
bie „©reffe"; unter bem Saiferreich war e« bie „Sibertä", unter 
ber jefcigen ©epublit bie „grance", mit welchen er feinen brennen« 
ben ©hrgeij unb feine finangießen Speculationen gugleicfj Oer« 
folgte. 

Senn ber Joumatift ©irarbin ift Hße« lebigtidj burch ba« 
inbuftrieße ©enie geworben, welche« er mit feinem titeranfdjen 
Salent fo glüdlidj gu oetbinben muhte. ®r ift bamit ber Hhn« 
herr jener ©arifer Unternehmer en publicitb, ber Stirb« unb 
©ißemeffant unb aß berer geworben, welche heute ben ibeeßen 
Swecf ber ©reffe praftifch in finanjießen Speculationen au«$u« 
beuten ftreben. ©irarbin hat e« juerft gegeigt, welche Stacht 
ber ©efi| einer groben Seitung ift, bie man geiefen gu machen 
berfteht; er hat fich bamit gumeift, unb in einer ©ücffidjtäloflg« 
feit ohne ©leiden gegen Steinung unb Urtheil ber Seit, al« 
ein eigenartiger Sppu« innerhalb be« mobemen Oournali«mu« 
harafterifirt. 

©ei feinen erften Serfuchen in biefer ©ichtung mit bem 
gournal „©oteur" unb bann ber „Stöbe" ging ©irarbin noch 
auf ber ausgetretenen ©ahn eine« SeitungSunterneljmer«. ©8 
war gu Hu«gang ber gwangiger 3af)re; ©irarbin felbft noch ein 
junger unb wenig erfahrener Stann, ber eine Hnfteßung al« 
Äunftinfpector im Stinifterium be« Snnern gefunben hatte unb 
ber über bie Biele, bie er feinem fdjöpferifchen ©eifte geben fofite, 
noch nicht im klaren war. Stan liebte bie Siteratur bamal« 
mit einer gemiffen Seibenfhaftlichfeit; fte bilbete ein SatonOer« 
gnügen, unb ein ehtgeigiger Stenfch wie ©irarbin bachte gunächft 
nicht weiter, al« mit feinen Seitf<htiftcn «ne angefehene lite« 
rarifche Steßung in ©ari« gu gewinnen. Sie „Stöbe" würbe 
aufjerbem noch *>on ber ^ergogin oon ©errp unterftü|t unb ge« 
förbert unb warf bamit für ihren Herausgeber ein ihm feljt 
angenehme« ©infommen ab. ©r hatte ©eigungen, bie gu ihrer 
©efriebigung oiel ©elb erforberten unb er fann unaufhörlich 
barauf, wie feinem ©hrgeig, fo auch feinem SBunfd) nach ©ei<h : 
thum unb SEBohlleben ©enüge leiften gu fönnen. 

Sie Sulireoolution nahm ihm feine Steßung unb gab ihm 
bafür bie ooße greiljeit be« HanbetnS. gj erfannte ben 
fpeculatioen ©eift bet neuen Seit; feine mittemben gnftincte 
richteten fich beftimmt auf ba« Siel« mit bem Journalismus 
©efchäfte gu machen. Ser Schriftftefler fefete feinen praltifchen 
Sinn al« SeitungSunternehmer in Scene, ©r grünbete 1831 
ein „Journal des connaissances utiles“ unb gewann bamit bie 
für bamal« ungeheure Saht oon hanberttaufenb Hbonnenten. 
Sa« war ein gurore unb ein gtüngenbe« ©efchäft gugleich- 
©irarbin bewies bamit, bafi er ein gefchiefter unb praftifchet 
SeitungSunternehmer fei. 

©in Jahr fpäter, 1832, lieft er ein anbete« Journal^ bä« 
„Musee des familles“, in« Seben treten. ©8 fanb gfeidhfaß« 
eine aufterorbentlich grofte Hbonnentengaftl unb wa« : ©iratbin 
noch oiel mehr gefiel, e« fanben fich Srute, welche at« Hctien« 
gefeßfehaft ©efchäfte mit biefem literarifchen Unternehmen ittachen 
woßten. Sie würben glängenb fein, oerficherte ihnen ber ©rürfber 
S^lieftlich fteßte fich hrrau«, baft bie oon ©irarbitt bi«h^'be« 
gahtten Sioibenben nicht Oom ©rtrage, fohbern obm feingelegten' 
Kapital hergenommen worben waren. Ste ©efeßfehaft oerHägte 
be«halb benjenigen, ber ihr ben Streich gefpiett' hätte:, : abe , r fit 
erreichte nicht« bamit. ©irarbin^'betbieS' h^oy 'baft tt '’«in 
inbuftrieße« ©enie fei unb baft ihn felbft Öettoegetie-Slitttl Wtdht 
abfehredten, gu feinem Btoed gu tbnemtü. r ‘ m " 11 • ' ■ 


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150 


1 i t Gegenwart. 


Nr. 36. 


Rlut in anberer Seife hotte er bie Seit fd)on barüber 
belehrt «nb fit einen freilidj feljr jmeifethaften SRuf mit ben er= 
trofcten Srfolgen errungen. 3m Saljre 1827, not als 2Rinifterial= 
beamtet, hotte er anonym ein ©udj unter bcm Xitel: ©mite, 
erfteinen laffen. @8 War bie ®efd)id)fe feiner auhereljeliten 
©eburt; benn feine SRutter Samotlje t)atte feinen ©ater, ben' 
©enerai Sllejanber be ©irarbin, nur jum ©etiebten gehabt. 3« 
jenem ©ute nun ftritt er um fein 8te$t als ©ot)n auf ben tarnen 
feines ©aterS unb es gefc^af) in einer fo fettleibigen ©prate, 
baf» ber an unb für ft<t gemöhntite Satt Rluffeljen erregte. 
XaS mar bie ©inteitung ju bem ©rocefj, ben er gegen feinen 
©ater' anftrengte, um beffen Flamen tragen ju bürfen. 6r be- 
fiegte ben ©eneral unb fefcte eS b.urt, ben abeligen Flamen 
be ©irarbin führen ju lönnen. 3Rit einem ©canbalprocefj 
totte er ihn unb firt in bie Seit eingeführt. 

©ein ©Ijrgeij richtete ficb baräuf anf eine fpeiratt), welche 
©ariö intponiren unb ihm eine glänjenbe ©tellung in ber @e- 
fettftoft geben fottte. 3nt taufe ber Sophie ®at), ber man für 
ihre ©ebte^te oiel ©tmeitelhafteS ju fagen liebte, üerfefjrteu 
üor ber Sulireoolution fc^r oiete literarifte unb tünftterifte 
©erüljmtljeiten. 9Ran fat) ba Sfjoteaubrianb, 3®ah, Stlejanber 
©oumet, t en n be Satoudje, H orn cc ©ernet, Saron ©erarb, 
Xatrna, jutoeilen aut ©Pranger. Xie gefeierte Königin in 
biefem auSermählten Kreife mar aber mehr unb mefjr bie Xotter 
©ophienS, Xelptjine, gerootben. 3h« Sorte» jugenbtite Slnmutl) 
mttrbe ju einer ©tönheit erhoben; ifjr poetifteS Xatent in 
ben oon ihr berauSgegebeneu ©ebicfjten mürbe mit ©tmeiteleien 
überhäuft; ihr ©eift unb Sij} entjiidten bie ©efudjcr ber Keinen 
©iHa ju ©inierS:fur=Orge, mo ttRabame ©ap ihren ©lauber= 
unb ©pielfalon hielt- ©enug, Xelpljine ®ap mar eine Berühmt« 
beit bon ©ariS; bie literarifte Seit bertjerrlidbte fie als bie 
„jeljnte SRufe". Xer ©aron bon Sa ©ränge, ein Rtriftolrat auS 
bem gaubourg ©t. ©ermain, hotte um ihre $anb gemorben; 
boeb lurj bor ber angefefcten Hotjeit befann et fit eines 
Slnberen unb baS ©erf)ä(tmh mürbe mieber aufgelöfi Xa !am 
©mile be ©irarbin unb bemarb fit lübn um bie „jebnte ttRufe". 
Kühn mar eS infofern, als er mit allen äRittetn ber Xoilette 
bie angeborene täfjlicbfeit nicht $u oerbeden bermoebte unb als 
er burt ben ©rocefj gegen feinen ©ater anrüchig genug ge« 
morben mar. Xie glänjenben ©rünbergeftäfte botte er bamalS 
au<b noeb nicht gemacht. Sille Seit mar aber noch oiel mehr 
betroffen, bah Xelphiitc ©ab biefen Serber günftig aufnabm. 

„SaS tbut’S?" entgegnete fie auf bie ©ebenfen ihrer greunbe. 
„XaS ift ein 2Rann bon feftem Sitten, bon energifdjem ©barafter. 
©r mirb ficb ©ermögeit erobern." 

3nt 3abre 1831 führte ©irarbin bie „jebutc SRufe" mirl« 
lieh als fein Seib in baS prattootte Hotel ber ©ne ©t. ©eorgeS, 
meldjeS er getauft hotte, um mit feinem neuen HonSftanb baS 
gurore feiner $etratb not S u erhöben. Sltt fein Xbun hotte etmaö 
breift unb l)erauSforbernb RtbenteuerliteS; aber eS gab ihm ©rfolge 
mit groben ©tlügen unb bie Seit beugte fit babor. Xer ©alon 
ber grau bon ©irarbin mürbe einer bet befuefiieften unb glänjenb« 
ften unter ber 3«l> m onartie, toaS ber ©itctleit beS ©atten uitt 
menig ftmeitclte, lieg er fit aut felbft barin nur febr feiten 
feben. Xie boshaften Seute erllärten jmar, grau bon ©irarbin 
habe nur einen gehler unb ber fei ihr ffltann; aber bieS oer« 
binberte ihn nitt, ber Seit immer neuen Stnlafj ju geben, über 
ihn in Sluftubt ju gcratben. 

©peculationen unb berfticbene inbuftriette Unternehmungen 
berftofften ©irarbin ftnett ein grojjeS ©ermögen. Xer rut)e= 
lofe ©hrgeij führte ihn jebot toieber ber J^ournalifttf ju unb 
bie ©rünbnng feiner großen Leitung „Sa ©reffe" im Sabre 1835 
geigte ihn auf ber H°he feiner ©enialität, bie ©erbältniffe ju 
ertennen unb geminubringenb für fit auSjunuj}en. Xie „©reffe" 
matte förmlit iRcbolution im ©arifer 3eitungSmefen. Sie 
mürbe mit allem Slufmanb ber Sfteclame in ©eene gefegt, mas 
bamalS für unmürbig eines anftänbigen Sonnt als galt, ©ie 
loftete )&brlit nur bierjig grancS, mäbrenb bie übrigen grofjen 
3eitungen atjig grancS erhoben, ©ie führte au^erbem baS 
geuitteton ein, mie mir eS beute als ben notbmenbigen ©eftanb* 


teil jebcs Xageblatts tennen unb matte aut bamit bie 3eituug8ä 
literatur intereffanter, gab ihr größere SKannitfaltcgfeit unb er¬ 
hob fte auf eine biel höhere ©tufc ber ©ntmidiung, fo ba| fie 
gleitfam ein ©ebürfnife ber böuSliten Unterhaltung mürbe. Xer 
©rfotg ber „©reffe" bemieS fogleit bie gefäbrlite 9iebenbubter= 
ftoft, melcbe ben anberen ©arifer 3ournalen bamit erftanbeit 
mar. Xie „©reffe" beberrfttc ben ttJlarft unb überflügelte ben 
©influfe ber älteren 3eitungen burt ihr marftftreierifteS 
©ebabren. ©irarbin felbft oerlieb ihr burt bie rfidfittSlofe 
Slrt, mie er mit feinen ©egnern ben Kampf führte, einen für 
baS ©ublicum aufregenben ffteij. 3Jlit biaboiifter ©eftidlitfeit 
führte er feine Soffen unb ftonungSloS bis jur ttliebrigleil fiel 
er über feine Opfer b«r. Xer bebeutenbfte SJlann, ber ihm als 
©ublijift entgegentrat, mar Slrmanb ©arrel, ber tftebacteur be§ 
„ttlational" unb baS b 0 t8 ea ttrte #aupt ber republilaniftfu 
©artei. ©arrel muhte alfo fallen, bamit ©irarbin lebe, fein 
©eftäft not gröberen Slufftmung, fein ©brgeij neue 8eftic= 
bigung finbe. ©o fam eS benn jum Xuett auf ©iftolen jmiften 
©eiben, ©irarbin befi^t nitt ben perfönliten 2Rutb, um ©e^ 
faßen an bergleiten $elbentbaten ju hoben; bot ber (S^rgeig 
trieb ihn bicSmal baju. @r erhielt einen ©tufi ins ©ein, 
feine Kugel bagegen bratte ©arrel ben Xob. ©in Stufftrei 
barüber in ganj granlreit, eine tiefe Xraucr um bie gefallene 
@röf}e; aber ©irarbin jog feinen ©eminn oon bem ftrecflicfjeu 
9lubm, ber bamit über ihn tarn, unb Oon bem Xant Souis 
©hilippS, ihm ben gefürtteten JRepublilaner befeitigt ju hoben. 
SS gab aut einen SahltreiS, ber ihn jum Slbgeorbneten er* 
nannte unb bamit bem ©tpcgeij eines EJtanneS tttetnung trug, 
melter ftt gefürttet unb gehabt ju maten gemuht hotte. Slber 
ber fpeculatioe SgoiSmuS ©irarbinS jog balb beretnenb aut 
barauS feinen ©ortheil. 

Xer Sournalift mie ber Xeputirte Srnile be ©irarbin fiub 
immer nur mit tttüdfitt auf biefen felbftfüttigcn 3«3 ju be= 
urteilen. ÜDian h°t mit feinem 3Kann oon fefter ©efinnung 
unb Slttung gebietenbem ©horofter ju thun, fonbern mit einem 
geiftbotten unb ftarffinnigen ©peculanten, ber bie ©otitif per= 
fönliter Sotereffen treibt, ©ine jebe tttidjtung berieiben mürbe 
oon ihm eingefdjlagen, menn er meinte, bamit jum 3'rt feines 
©hrgeijeS ju lommen unb fit, fomie feine 3eitung, intereffant 
maten jn lönnen. Sr hot fit freilit für alle götte, um als 
originaler ©eift auf ein ftöpferifteS ©ebilbe beSfelben h'* 13 
meifen ju lönnen, ein ©taatSibeal gebilbet, baS mit bem ©hftem 
ber auSgebehnteften greitjeiten ein abfolntiftifteS fttegierungS- 
princip oerbinbet; aber in Sahrheit hält er felbf! beffen ?lttf« 
ftettung unb SluSführung nur für möglit» toenu er bet regierenbe 
ttJtinifter fein mürbe, ©r mürbe ber SJtinifter ber focialen 
fRettung unb ber potitiften Sunber fein; er mottte eS fton 
unter SouiS ©hilipp merben unb ba er eS nitt mürbe, führte 
er Krieg gegen bie ^Regierung unb hielt er ftliehüt baS 3«li s 
lönigreit für oerloren. Xie feine 3?afe, in bie Sutunft hinein 
rieten ju lönnen, h°t ihn aufjerbem befähigt, ber öffentliten 
ÜReinuug ftetS einen ©tritt oorauS ju fein unb bieS hot nitt 
menig baju beigetragen, feinen potitiften Slngtiffen, 3tbhanb= 
lungen unb ©rophejeiungen SReij ju oerleihen. 3® Uebrigen 
tonnte er nat oll ben metfetnben ©tettungen, bie er in bet 
©otitil 3eit feines SebenS eingenommen, mit gug unb SRett 
fit in einer jüngften Steuherung rühmen, bah eS bie ©hre feinet 
politiften Xhätigleit fei, „bie ^Regierung immer in attem ©uten, 
maS fie mottte, unterftü^t, unb an attem ©ttetten, maS fie thun 
tonnte, oerhinbert ju hoben". ©S tarn ja nur auf bie Stuf» 
faffung an, bie er ton biefem ®ut unb ©ttett ja hegen be= • 
liebte. SaS feinen Hoffnungen, feinem ©htgeij, feinet unge» 
heuten Sitetteit mit ihrem ebenfo ungeheuersten SbealiSntuS, 
entgegenftanb, baS mar attemat ftlett in feinen Ringen’ uttb 
fanb ihn als erbitterten ©egner. 

©S hot benn, baoon ift natürtit ©irarbin feft überjeugt, 
attemat aut ein Ungtüd gegeben, bah bic ^Regierung in granl= 
reit bon feiner ©enialität nitt ©ebraut gema'tt. ©r fleflte 
fit in ben testen tttöthen not ols Helfer ein unb menn er 
trofcbem niemals ttRinifter mürbe, fo unterblieb bieS tebigtit 


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Nr. 36. 


Sie (Segenwurt. 


151 


gum Unzeit bjr Regierung. Surg oor ber gebruarreoolution 
erteilte «t SoniS ©feitipp ben ©atfe, abjubanfeu unb bic $er: 
jogm oon Orleans jur ©egentin ju ertlären. ©irarbin wäre 
bann i£>r Sinifter geworben, jo fpeculirte er minbeftenS. SUs 
bet ßönig am 24. gebtuar tfeun woDte, was ifem ©irarbin ge= 
ratzen, war eS ju fpät. Die ©epubtif mürbe fefeon proctamirt 
unb Souis ©feilipp machte, bafe er fortfam. 

Die ©epublif, wel^e ©irarbin um eine jo jd>öne Hoffnung 
gepreßt, erfreute fiefe benn auefe teineSwegS feiner ©unjt. «Sie 
hätte i^n gewinnen fönnen, wenn jie ifem bie erfefente feofee 
Stellung in ber ©egterung angeboten feaben würbe., Slber bic 
Herren am ©über wollten ifen ^öd^ftcnS jum ©oftbirector ntaefeen. 

„SaS?" jagte barauf empört grau bon ©irarbin, bie Pen 
©fergeig ifetcS ©atten tfeeilte, ju £ebru:©oßin. „©oftbirector? 
SReht Sann wirb entmeber Sinifter ober gar niefetS." 

„®ut," entgegnete 2ebru=©oßin. „Dann wirb er alfo 
gar niefetS." 

©un gab eS leinen wütfeenberen ©egner ber ©epublif als 
©irarbin. Dag um Dag griff er jie, ifere Sinifter, ben ®ene= 
rat ©aüaignac, in ber fefemäfeticfeften unb ber ifem eigenen giftigen 
Seife an. Die Regierung liefe ifen in gotge beffen in feiner 
EBofenung, bijmals ©ue be ©feaiflot, oerfeaften. 

©irarbin war oot Elngft aufeer fiefe. 

„©iefeer," rief, er bem ©ommiffar ju, „man wirb tniefe er-- 
fefeiejjen:" 

3»ffnjig Sinuten bewilligte man ifem, um feine ©apiere 
in Orbnung gu bringen. Da ftürjte er an feinen ©efereibtifefe 
unb feferieb mit fliegenber Jpanb feinen tarnen auf eine Senge 
Stüde weifeen ©apierS, bie er bann in feine Dafefee ftedte. 
t „San üerfeaftet miefe," jagte et ju feiner feerjugeeilten grau. 
„3efe weife niefet, was fie mit mir macfeen werben. Aber icfe 
werbe biefe ©apierftüde mit meinem ©amen wäferenb beS SegeS 
naefe bem ©efängnife auf bie Straffe werfen, ©efe’ alle unfere 
Seitfe oon bet „©reffe" in ©ewegung, bamit 'fie meine ©pur 
»erfolgen." 

SluS bem Sagen, in ben man ifen naefe bem ©efängnife 
tranSportivte, liefe er bann riefetig oon Sinute ju Sinute bie 
©apierftüde auf bie Straffe flattern. ©5 mar gewife baS ©aiofte, 
was ©irarbin in feinem Seben getfean. @r oerfefewanb übrigens 
nur auf neun Dage; bann tiefe ifen ©aoaignac auf bie ent= 
fcfeloffenen ©orfteßungen feiner grau wieber frei. 

Die ©anbibatur Souis ©apoteonS fanb in ifem ben eifrigften 
©ertfeeibiger. @r maefete fie burefe feine Efrtifel in ber „©reffe" 
fo populär als möglich- Sieber feoffte er, bafür mit bem Sinifter= 
Popen betofent ju werben. Sieber warb er barin enttäufefet. 
©atürlicfe mufete ber unbanlbare ©räfibent ber ©epubtif bafür 
, büfeen. ©irarbin erlangte 1850 ein Sanbat für bie ©ationat-- 
oerfammtung unb maefete fiefe feiet junt güferer ber rabicaten 
©epublifaner. gn feinem Journal gingen neben biefer Dppo: 
fition bie Eingriffe auf Souis ©apoteon fort unb fie feörten feiet 
auife niefet auf, als er naefe bem Decemberftreicfe auf einige Seit 
aus granfreiefe oerbannt würbe. Sonatetang fefete er täglich 
an bie @pi|e ber „©reffe" einjetne ©äfee aus Souis ©apoteonS 
Scferiften, ober einjetne Strtifel ber befeitigten unb oon ifem ge: 
broefeenen ©erfaffung, ofene ein Sort feinjujufügen. ©iefetS alS: 
„Elttitet fo unb fo ber ©erfaffung lautet." @3 mar furefetbar 
für bie Regierung beS ©Ifefee unb fie tonnte gegen biefeS ©om-- 
barbement oon ©itaten fiefe niefet weferen. ©in fetteneS ©efefeid 
unb ein erftaunliefeeS ©ebäcfetnife maefet ©irarbin ju einem un: 
oergleicfeticfeen Seiftet biefer ftampfweife. ©r fefetaefetet feofen: 
läefeelnb mit ©itaten wie immer fein Opfer ab. Souis Napoleon 
jog benn auefe oor, fiife mit einem fo gefäfertiefeen ©egner auf 
guten gufe gu fteflen. San feiett ifem oon oben feerab fteunb: 
liefe bie #anb entgegen unb ber eitle Sann, ber immer noefe 
einmal bie ©orfefeung für granfreiefe in einem 3Rinifterfeotel ju 
ipieten feoffte, war niefet unempfinbtiefe gegen bie laiferticfee 
©efemeiefectci. 6t tfeat fiefe etwas barauf ju gut, in ben Duiterien 
ju ben oertrauten ©irleln beS &aifer3 gejogen ju werben. Eluefe 
bie Äaiferin ©ugenie mufete ifen bei feinen ©cfewäcfeen ju faffen. 
SIS feine Doefeter ans ber jweiten ©fee, bie er mit einer beutfifeen 


©cfeönfeeit naefe bem Dobe DelpfeinenS eingegangeil war, in 
Siatrife oon einet anftedenben ©räune ergriffen würbe, maefete 
fie jwei 3Ral ©efücfe bei bet ©terbenben unb bas mufete aller: 
bingS für eine aufeerorbenttiefee SluSjeicfenung beS ©aterS gelten. 

©ei aßebem refpectirte bie laiferliefee Suftij bie laiferticfee 
greunbfefeaft fefer wenig, ©on Seit §u Seit gab fie bem Sour: 
natiften ©irarbin §u erfennen, bnfe fie ftefe über feine 3eitung 
ärgere unb ifen bcSwegen wieber oerbtiefeen müffe. Das ffaifer: 
rciefe ift bem ©elbbeutel beS joumaliftifcfeen ffröfuS benn auefe 
tfeeuer genug ju ftefeen gefomnten unb er feat ifem fpäter bie 
atten ©eefenungen fcfemerjooB oor Elugeu gefeatten. jDaS ©jit 
naefe bem 2. December featte ifen aßein fünffeunberttaufenb grancs 
©erluft gebraefet. Dann mar fein SournaL,, Sa ©reffe" berartig 
mit ©erwarnungen üerfolgt worben, bafe erSon feinen ©efcfeäftS: 
genoffen genötfeigt würbe, fiefe aus bet Direction unb ben SRit: 
befife ber 3«itung jurüdjugiefeen. ©r taufte nun bie „Siberte", 
womit fftfe bie gagb ber ©refepolijei auf biefe 3citung riefetete. 
@S würbe ifet ber ©trafeenoerlauf oerboteir unb jwei 3Rat in 
einem SWonat beS SnfeteS 1866 ber ©tocefe gemaefet. Das 
loftete ©irarbin wieber 12,000 grancS unb et oergafe niefet, 
biefe Summe auf bas ©onto beS ßaiferreiefes ju fefeen. Senn 
er trofebem noefe niefet ju ben Unoerföfenti^en oon ber garbe 
©am betta überging, fo unterblieb es in ber Hoffnung, burefe bie 
Unterftüfeung beS ÄaiferreidfeS noefe bas feöcfefte giet feines ©fet: 
geijeS ju erreichen. ©S fam bie Elera Oßioier unb es tonnte 
ifet Wofel bie Äera ©irarbin folgen, ©r bereitete fiefe barauf 
oor unb taum witterte er bie ÄriegStuft oou jenfeitS beS ©feeinS, 
als er fiefe mtit efeauoiniftifefeem ©ifer in ben ©orbergrunb rüdte. 
„3Ran müffe bic Deutfcfeen," feferieb er im guli 1870, „wenn fie 
auf bie ^riegSertlärung niefet antworten, mit tfotbenftöffen über 
ben SRfeein jagen." Der grofee ©atrift, ber er jefet war, ftimmte 
ElbenbS in ber Soge ber Oper felber bie ßRarfeiflaife an — 
eine baS gange ©ublicum feinreifjatbe Anregung oon biefem 
alten, bürren, aufpomabirten 3Rann, beffen ©autlertünfte boefe 
aßet Seit betannt waren. Unb immer boefete er an baS ©e: 
fcfeäft, auife bei biefer ©elegenfeeit. Elm fetben Sorgen featte 
er einen SieferungSoertrag für ben fftieg abgefcfeloffen. 

Sit bem ßrieg ging eS fcfeleefet, baS jafe ©irarbin glcicfe 
naefe ber ©efetaefet bei Sörtfe ein. Elber noefe gab eS eine 
©ettung, unb fie feiefe ©irarbin. Der Steifer war im gelbe, 
bie ftaiferin war ©egentin; eS feanbette fiefe barum, ifer guten 
©atfe in ber gefäfertiefeen Sage gu geben, ©irarbin brängte 
ftefe feerju, bie ©otfe maifetc ifen erfinberifefe unb in ben Duiterien, 
wo man immer ratfelofer würbe, baefete man bereits gang ernft: 
tiefe baran, fiefe bem ©etter ©irarbin in bie Etrme gu werfen. 

Km 9. Kuguft fam ber ©enatspräfibent ©efeneiber gu ifem. 
©irarbin, ber noefe niefet Dotlette gemaefet, empfing ifen in feiner 
3mißitfejade, mit emporgefttäubten paaren, bie Sangen noefe 
wett unb bie Stugen noefe matt. 

„@ie wiffeit, bnfe ber Sfaifer Sie gum Senator ernannt feat?" 

I „3efe weife es wofei," antwortete ©irarbin mit einer ©cberbe 
; ber Sifeäcfetticfefeit. „Kber waS ift ein Senator? SaS ift feeute 
1 bet Senat? ©r würbe etwas werben, wenn er auf feine foft= 
fpietigen Dotationen oergiefeten würbe." 

I $etr ©^neiber oerftqnb niefet, was bas feeifeen foßte. ©r 
: ging beSfealb einen ©eferitt weiter. 

| „Sürben ©ie niefet an ©teße ©feeoanbierS be Salbröme 

| baS Sinifterium beS Innern übernehmen woflen?" 

©irarbin täefeette farbonifefe. Klfo enbli^, boefe! 

„©8 wäre eine ungeheure ©erantwortlicfeteit babei," fagte 
er, „inbeffen, iefe bin bereit." 

„Unb Sfer ©rogtantm?" 

| „©inen Kugenblicf!" 

| ©irarbinS ©enic war um ein ©rogramm niemals oer« 

i legen.. So entwarf er benn eins in Unterhofen unb Dum jade: 
Kßgemeincr ftriegSjuftanb; potitifefee Etmneftie ofene EtuSnafemen, 
Kuffeebung ber ©erbannungSgefefee, aßgemeine ©ottSbewaffnung; 
Elntlage ber fefealbigen Sinifter, für ben ffrieg niefet genügenb 
' gerüftet gu feaben; ooße ©refefreifeeit, feine ©infefeü^terungen, 

I unb ©htigeS noefe mefer. 


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152 


9 ie tSegenwart. 


Nr. 36. 


@djnei|et ging mit biefem tintennaßen Programm ab unb 
!am nic^t wieber. Um fo {glimmet! größte ©irarbin im 3<wn. 
®S ift ihr Ungtüd, wie im gebruar 1848 baS ber Orleans! 
@r fab e# DorauS, wenn man ibn nicht noch in le|ter ©tunbe bolte. 

Sei ©tefc rangen bie $eere nm bie ©ntfdjeibung. gn ben 
Xuiterien ^atte man ben $opf oöflig Derloren; SKtnifter unb 
©eneräle liefen hie* bei ber Äaiferin*Segentin ein unb aus, ohne 
ju wiffen, warum. Auch ©irarbin erßhien; er Woflte jur Dtettung 
ber Spnaßie granfreichS, ber Seit, lann man jagen, in feiner 
©rgebenljeit als greunb beS ffatferS ein AeußerfteS tbun. @S 
war bie h<S<hße 3eil unb er noch ber ©injige, ber Sftatb wußte. 
@r fagte bieS ber Äaiferin*Aegentin unb jog bann eine ißrocla* 
mation an bie granjofen aus ber Xafc^e, ©ntwurf berjenigen, 
bie augenblidlich ber fiaifer Napoleon erlaffen fottte. ©ie war 
etwas anberS, als fein ©ttnifterprogramm lurj juoor. 

gn berfelben würbe bie ©ereinigung ber ©taaten ©uropaS, 
Seltoerbrüberung nnb aßgemeiner griebe oerfünbigt. Um eine 
foI$e fegensoofle Stebolution möglich $u machen, burfte es aber 
lein napoleonifcheS ftaiferreich mehr geben. SouiS Aapoleon 
©onaparte ertlärte beöhalb (nach bem ©ntwurf ©irarbinS), baff 
er für fich, für feinen ©oljn unb feine gamilie auf bie taifer* 
liehe Ärone ©erzieht leifte, baß er aus freiem Antrieb abbanle 
unb nichts als ein einfacher ©ärger fein wofle. ©enat unb 
gefefegebenber ©ßrper foßten fogleich nach ber ©erfaffung Don 
1848 eine Regierung unb einen ©räßbenten ber franjöftf^en 
Aepubtit einfe|en. „granzofen, wenn bieS ©uer Sifle ift, fo 
wirb fich meine Stimme mit ben ©urigen bereinigen, um unter 
bem Siberhafl ber ©öller, bie nach bem grieben «nb feinen 
Sohttljaten lechjen, ben Auf ertönen z« laffen: ©S lebe bie 
föberatibe europäifdje Aepublit! ©o werben fich bie Sorte beS 
SaiferS Napoleon I., wie ft fie ber AbbantungSurtunbe Dom 
22. April 1815 jufügte, erfüllen: Sir hotten als ßiel, ein 
großes europäifcheS, föberatioeS ©pftem aufjurichten, wie eS bem 
©eifte beS gahrhunbertS entfprid(t unb ben gortfehritten ber 
©ioilifation günftig ift." 

3Ran benle fich bie Sirtung, wenn SouiS Napoleon, ehe 
er ©eban erlebte, biefe ©roclamation erlaffen hotte! ©S wäre 
Dielleicht AfleS anberS getommen, es gäbe h eu te fein beutfcheS 
Saiferreich unb ©mite be ©irarbin wäre am ©nbe heute ©räß* 
bent bet ©ereinigten ©taaten ©uropaS, wofür ber ©jlaifer 
SouiS Aapoteon als zurüdoerfefcter einfacher ©ärger ehrenhalber 
felber geftimmt hoben Würbe. 

©S hot aber nicht foflen fein, es wär’ p fdjön gewefen! 

©irarbin tonnte mit fdjabenfroher ©enugthuung pfehen, Wie 
AfleS nach ©eban in grantreich pfammenbrad). 

Sie bann bie ruhigen neurepublitanifchen 3eiten tarnen, 
nahm er fein ©efdjäft wieber auf. @r bewohnte jefct ein wahr; 
haft fürftücheS ©effloß an ben elpfäifchen gelbent. gmmer 
hatte er fchöne unb mit Dprnehmftem ©efchmact eingerichtete 
Sohnungen befeffen; biefe jeboch war in ©röße, SupS unb 
tünftlerifcher AuSflattung baS fpöchfte ariftofratifcher ©inrichtung. 
©S gab ein toftbareS ©tufeum barin, eine große, fchäfcereiche 
©ibliothet. Sa faß er nun oor ©üchem unb papieren, ber 
raftloS thatige ©reis, ber feine ©reifentiaftigteit nicht butben 
unb unter aßen Umftänben nicht pt Schau tragen woßte. Senn 
ihn fein Sagen, prächtig geflirrt, ©HttagS in bie ©tinifterhotelS, 
in bie ©anfinftitute, ober p ben ©efdfäftSgenoffen in inbu* 
ftrießen ©peeuiationen trug, ober Wenn et AbenbS in feiner 
Soge, bei einem Siner, in einem ©alon erfcfjien, fah man einen 
perfecten ©entleman in faft noch jugenblich frifdjer Haltung unb 
Sebhaftigfeit. Aber baS ©peculiren unb inbuftrieße ©eßhäfte* 
machen genügte biefem ehrgeizigen ©eifte nicht. @r brauchte 
wieber ein goutnal, er brauste offenen Sampf unb Sieg; er 
mußte eine polhifche Stoße fpielen unb in ber Politiken Seit 
fleh als einflußreichen ©iann gefürchtet unb gegrüßt fehen. ©r 
begann bemnach feinen neuen journaliftifehen unb politifchen gelb* 
pg mit bem gournat „Sa gtance" unb abermals brachte et baS* 
felbe auf ben erften Aang. @r würbe auch wieber Seputirter 
unb faß fich mit ben Auszeichnungen einer politifchen ©röße in 
'Baris bebadjt. Soßl ober übel fpridjt bie politifche Seit in 


feinem §otel bot; wohl ober übel hot ihn bie rabjeate Aepubti* 
lanerpartei in ihren ©eneralftab berfe|t Senn• nachbem fich 
©irarbin bie Sache recht überlegt hot, ift er mit Seib nnb 
Seele jefct rabicater Aepubtilaner geworben unb hot als folcher 
mit ber unroiberftehüchen Sucht feiner Angriffe baS SRinifterium 
©roglie 1877 ftürjen halfen. AeuetbingS ifat et gelegentlich 
beS lobeS beS napoleonifchen ©räfibenten feine Abrechnung mit 
bem ftaiferthum gehalten unb babei ben ©hampion beSfelben, 
©aut ©affagnac, als ©larfpaS behanbett. ©in Älpbrud ift ihm 
natürlich auch bieS furchtbare Seutfdjlanb. ©r ift überjeugt, 
baß eS eines fchönen JageS auch $oßanb Derfpeifen werbe unb 
granfreich bieS wahrfcheinlich nicht hinbern tönne. ©r hot nur 
einen Zroft beim AuSblid in biefe büftere 3ufunft: baS beutfehe 
Kaiferreich werbe nicht lange bauern nnb bie aßgemeine Söller* 
republit werbe nicht auSbleiben, foßte ihr Apoftel ©irarbin auch 
Dother f<hon geftorben fein. 


Hü mternatumale ^an^ansTeilung ütttttdjen 1879. 


m. 4 

©tan tann eS nur ertlärlidh finben, wenn,feit ber ©röffnung 
ber ftanzöfifchen ©äle fich baS größefte gntereffe unferer Zünftler* 
treife biefem Xheil ber internationalen AuSfteßung jugewenbet 
hat. ©S ift baS burchauS lein borübetgehenbet ©ffect, ben man 
ettpa franjöfifcherfeits burch bie wechfelnbe, einigermaßen fen* 
fationeße ©ehanblung ber ©efchicfungSfrage unb burch baS 
fpamtenbe ^inauSfchieben beS ©röffnungSterminS glüdlich er* t 
reicht hotte, ©ielmeljr hot man barin Don ©eiten unferer 
jüngeren, für biefe AuSfteßung maßgebenb geworbenen Zünftler* 
majorität baS hoppelte 3ugeftänbniß p fudjen, baß fie erftenS 
ber ungleich größeren funbamentalen ©olibität ber pitgenöffifdjen 
franjöfifchen ©lalerei inne geworben fei, unb baß fie zweitens 
baS ©ewußtfein erlangt habe, oon wo ihr bie Anregung zu ber 
heute auch bei ihr immer ftärler überwiegenben malerifchen An* 
fdjauung hergemachfen fei gn biefem thatfädjlichen 3ugeftänb* 
niß liegt um fo weniger etwas ©efdjämenbeS, als Wenigstens 
bie in grage lomtnenben, füßtenben gnbiDibualitäten unter 
unferen ©iobernen fagen bürfen, baß fie wohl bem Anftoß Don 
außenher empfinblich golge gegeben hoben, aber burchauS leine 
Aachahmet geworben ftnb. 

Unb im Uebrigen: bie ®elacroij unb SlecantpS, bie Aouffeau, 
©orot ic. ftnb nun einmal auch für uns biejenigen, welchen wir 
eS birect unb inbirect oerbanlen, wenn auch unfere SRalerei 
jeben ©enreS fich immer emfthafter Don ber ©onoention irgenb 
welcher Art auf bie Aatur zutüdgezogen hot, wenn man auch 
bei uns in ber Äunft ben ©infah einer ganzen gnbioibualität 
forbert unb als beren ^»auptrüftzeug auSgebilbeten garbenfinn 
unb unfehlbare Äenntniß ber ©rfcheinung ertannt hat, Dermöge 
beren ber Zünftler ßch Dom Sletail loSmachen unb nur bie über* 
zeugenbe Saljrheit beS ©Moments, baS ©nfemble, bie Harmonie 
fehen bürfe, welche bie Aatur überaß befi|t. Sir machten, in 
$eutfchlanb unb anberSwo, lange wenig mit bielern. Sie Alten 
unb jene großen franzöfifdjen ©euerer wußten Diel mit Wenigem . 
ZU machen. Unb le^tereS iß bie ftunft, jenes Sangeweile. Sie 
Äunft ift gühlen, Siffen, ginben, nicht ©edpen unb Quälen. 
Seffen finb wir uns aßmählich mit $ülfe jener wieber inne ge* 
worben. 

Sie granzofen, fo wenig birecte Aeßnlichteit fie felber ge* 
rabe heute mit ihren bahnbredjenben ©ätern zeigen, hoben wohl 
gewußt waS ße thaten, wenn fie einige ihrer überzeugenbften 
AouffeauS, SuprbS tc. fich felber unb bamit ber gefammten 
AuSfteßung als ©orrebe hinzufügten. 

Aber tro| biefeS 3ugeftänbniffeS hat meiner ©Meinung nach 
bie ©tünchener AuSfteßung webet ben 3Wed gehabt, noch ift ße 
bie ©elegenheit bazu, ßch beutfeßerfeits entweber für bie aßein* 
feligmachenben granzofen ober gegen ße zu ertlären. Als ob 
eS überaß nur zweierlei gäbe: annehmen ober ablehnen, be* 


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Nr. 36. 


3Dt* (Segenmurt. 


153 


rounbern ober oerbammen. geben auSfteüungSbefudjer, tote 
eS in Mündjener Äünfttertreifen oerfucfet wirb, auf eine ber 
fatolen — beutfcfe ober franjöfifcfe — einjufdjwören, Ijiefee beim 
bocfe ben Stofeenjammer ©injelner unb bie bornirte ableljnung 
Snberer ofene Notlj ju einem allgemeinen gelbgefcferei „feie Sßelf!" 
„feie SBaiWingl" aufbaufcfeen. 

dagegen hätten beibe Dljeile, bie granjofen wie bie 
Bentfdjen, ju proteftiren unb bie in folgern gaüe ganj über* 
{ebenen Deftreicfeer, Nieberlänber, Italiener ic., bürften fit^ 
übetbieS nocfe wegen UnfeöflidjKeit unb Ungerecfetigfeit befcfeweren. 

Man Kann, wie Verfaffer biefer feilen, bie Superiorität 
ber granjofen im großen ©anjen unb für ben Slugenblicf noch 
unbebenKlicfe jugeben, ofene barum glauben ju müffen, bafe fic 
getabe an biefer auSfteüung ju erweifen fei. Sn ber ©tecfebahn 
beS Münchener ©laSpalafteS finb einmal Sonne unb SBinb 
burctjauS nic^t gleich öertfeeilt. Unb jmeitenS ftnb bie fraglichen 
jtoei ftämpen burdjauS nicht gerüftet genug, um gegen cinanber 
in bie ScferanKen ju treten. 

@8 hiefee, um für bie lefcte biefer beiben ^Behauptungen 
juerft ben Veweis ju erbringen, Sßari« oerleumben, wenn man 
oorgeben wollte, bafe feine in bie Sttrena beS ©laSpalafteS ge* 
fcfeidten Vertreter bie Wirtliche #ölje ber tünftterifdjen V°tenj 
grantrcicbS barftettten. Mancher öon ben ^Berufenen wirb »iel* 
mehr auch bort fein Manbat angenommen haben, mancher wirb 
ba8 feinige irgenb welcher Unfreiheit ber 2Bäfeler p oerbanlen 
haben. Vieles Oon bem Wa8 bie franjöftfche gurtj mitgebracht 
hat, wirb fie wobl haben mitbringen müffen. Sfurpm, ba8 
tünfHerifcfee granfreich wirb fich fdjmerlidj burch feine Münchener 
auSfteüung gebedt fühlen. Unfreiwillig ift e8 fo freunblich ge* 
mefen, auch t» feinem enggejogeiten Greife oiel mehr geringe 
Sachen au8pftellen, al8 e8 nöthig gehabt hatte. 

aber ebenfo ljiefee e8 ber beutfdjen „Gegenpartei" Unrecht 
thnn, wenn man glauben machen wollte, fie fei auf irgenb eine 
Sampfparole gewählt. Die Münchener gurtj hat fdjmerlidj biefe 
enblofe Menge »on grofeen ©olbrafenten mit Kleinen Delgemälben 
auf bie SBänbe ber beutfcfeeu abtljeilung gehängt, in ber Meinung 
mit biefem Heerbann wiber bie granjofen p jieljen unb fie 
ju erbrüden. Äuch ftanb hier ebenfomenig ade8 Vefte pr Ver* 
fügnng, wa8 ba8 lebenbige Deutfdjlanb aufjumeifen hat, fonbern 
ba8 jufäüig gertige; unb auch üon unferen ©rofeen ift mancher 
gar nicht erfchienen ober fehr unpreichenb oertreten. 

Snbeffen — wenn auch bie beiberfeitige Vorbereitung eine 
abfecfetlidfee unb genügenbe genannt werben Könnte, fo finb bodj 
Sonne unb SBinb, wie gefagt, burdjauS nicht gleidjmäfeig oer* 
theilt, um einen entfcheibenben ©ang p prooociren. ge unoer* 
holener wir unfere Ueberjeugung Oon ber augenblidlichen Ueber* 
legenfeeit ber franjöftfcfjen S'unft im ©anjen betonen, um fo 
ruhiger bttrfen wir auf allerlei Vortheile aufmerffam machen, 
bie bem ©inbrud ber franjöfifcfeen abtljeilung äufeetlidh p 
Statten Kommen, pm grofeen Dljeit aüerbingS burch eigenes 
Verbienft, pm anbern aber auch burdh unfere Sdhulb. 

$unädjft haben bie granpfen eine Kleine unb gewählte 
auSfteüung, beten Vegrenpng bie p grofee auSbefenung be8 
DorwurfSlofen, felbftpfriebenen Mittelgutes audfchlofe. SBir, bei 
un8 p $>aufe, haben biefer SBafferpeft beS ftunftpljilifteriumS, 
bie alle fliefeenben SBaffer erfticft, bie ©anale unb Veljälter beS 
©laSpalafteS nicht in folgern Mafee oerfdhliefeen Können, bafe fie 
nicht ben ©efammteinbrud ber auSfteüung beeinflufet unb bie 
lebenbigen Duellen bermafeen überwuchert hätte, bafe nunmehr 
nur ber Sudfeenbe noch fi<fe ihrer P erfreuen oermag. 

tteberbieS fieht bie MittelmäfeigKeit in Deutfcfelanb ungleich 
mefer bitettantifcfe, nachempfunben, ölfarbig ober ungeKonnt aus, 
als bei jener burdjauS materifdh beanlagten Nation. Die fran* 
jöfifcfeen Äünftler finb unter allen Umftänben oon uns „foliben" 
Deutfdhen burch Klarheit, gleife unb ©emiffenfeaftigteit in allem 
was auf ifete Äunft bezüglich ift, auSgejeicfenet, — eine möglichft 
allfeitige Sotibität, bie. aüerbingS gerabe in lefcter 3«t bie 
grofeen tünftlerifchen Ueberlieferungen ber Delacroif, Nouffeau ic. 
etwas hat prüdtreten laffen, — baS franjöfifche ißublicum aber 
(äfet fidj Vilber ohne ein tüchtiges körnten bereits nicht mehr 


gefallen, oerlangt tecfenifdje Veherrfdhung unb inbioibueKeS SBotlen 
als etwas auch feinem Urtfeeil Sangliches, nimmt Nebenquali* 
täten wie $umor, fogenannteS ©emüth tc. ic. nicht an jebetn 
Unrechten Ort in gahlung, wie wir, unb hält, waS bie £aupt* 
fodje ift, Nadjaljmer nicht für 9ftitter oom ©eifte: man tauft in 
Vatis Keine Imitationen, wie reipoH unb billig jte immerhin 
fein mögen. Die franjöfifchen MittelmäfeigKeiten finb mehr ©e* 
fdjmadlofigteiten, wie j. V. ber abgebrühte Vettler auf bem 
Dhron ber heiligen ©lifabetlj (oon g. SBender), ober auSfteüungS: 
Kram, wie ber MuSKelmann auf bem erwürgten GommobuS (oon 
gernanb Velej), ober Süfelicfeteiten wie bie „Perles et roses“ 
oon anaiS VeauoaiS. Selbft ihre geringen Sachen, wie j. V. 
bie lebenSgrofeen Mufdjelfudjerinnen im Vabecoftüm (oon a. g. 
©lement), ftnb oon ganj anberem gleife getragen, wie ähnliche 
ßeiftungen bei uns, wo man bie neue greifeeit Oon aKabemifchen 
gormeln unb Sdhuijwang nur ju leicht als eine Gelegenheit ju 
billigem ©eiftreichthun in garben unb -Dänen auffafet unb immer 
noch ai^i überjeugt genug ift, bafe gerabe unter ber neuen 
Varole bie Nachtreter mefer als je wertfelofer VaHaft finb. Vei 
uns feängt eben jeher Veffere bid unb warm unter feinen Nacfe* 
betern. Unb Wem oerleibet eS nicht bie fcfeönfte Melobie, wenn er 
fie feunbertMal unb fcfeliefelicfe noch auf ber Drehorgel feören mufe? 
Sobiel man auch in franjöfifchen Katalogen baS „elöve de Mr. 
Tel-et-tel“ betonen fiefet, niemals wirb eine franjöfifche aus* 
fteQung fo fcfeulmäfeig unb fdhülerfeaft auftreten wie eine beutfcfee. 

©ng hiermit jufammen feängt ber unruhige golbrafemige 
©inbrud unferer auSfteKungSabtheilung. Vei uns fteht man 
junäcfeft ein ©ewirr oon unoerfeältnifemäfeig breiten unb an* 
fprucfesoolten Nahmen, bei ben granjofen fofort einjelne Vilber. 
Daran ift baS geringe gormat fdfeulb, mit welkem ficfe bie 
mittelmäfeige Menge begnügt unb bedt. Vei franjöfifcfeen Vilbern 
Kann man burdhfcfenittlidh bie hoppelte ©röfee rechnen wie bei 
unS. an ficfe feat nun natürlich bie ©röfee mit ber ©üte eines 
VilbeS nidfetS ju fcfeaffen. aber bocfe fiefet bie franjöfifcfee ab* 
tfeeilung fcfeon ber gormate ihrer Vilber wegen bornefemer unb 
ruhiger aus als bie beutfdjen Säle, gfere Vilber wirKen ofenc 
befonbere §ängefünfte fcfeon ifolirt, unabhängig oon einanber. 

Viel leichter fetben benn auch bie granjofen — bie bei 
ficfe ju £aufe bekanntlich grembe ungern gut feängen — bieS* 
mal, wo ifenen ber üppigfte Naum jur Verfügung ftanb, ihrer 
oerfeältnifemäfeig geringen Vilberjafel burcfe gefdfeicKteS Rängen 
gerecht werben Können, als eS gegenüber ber ungeheuren Maffe 
beutfdjer Vilber unferer $ängecommiffion möglich war: oben 
prangt an ben franjöfifchen SBänben in gehörigen Swifdfjen* 
räumen baS fubftantielle Diner, barunter in bunter jierlicfeer 
gälte ein pilanteS Kleines Deffert. 

aber auch ©rünbe anberer art finb, als ben granjofen 
auf einer beutfdjen auSfteüung oortfeeilfeaft, feier in Vetradfet 
ju jiefeen. Man mufe junädhft bebenKen, bafe ifere gefeler unb 
conoentioneüen Scfewäcfeen, bie fie fo gut befifeen wie anbere 
ßeute, einem beutfdfeen ißublicum unbelannt finb unb bafeer 
fogar nodfe ben Neij ber Neufeeit für ficfe haben. Man mufe 
ferner eingeftefeen, bafe mir Deutfcfee für aüeS grembe eine hin 
unb Wieber reifet KritiKlofe Vorliebe haben, unb bafe biefe, wenn 
ber ©aft mit fo oiel reeüen Vorjügen auSgeftattet ift, wie bie 
franjöfifcfee Malerei, teidjt in eine nicht gerabe Kritifdfee Ve* 
munberung auSartet. Wenige werben j. V. ber Kühlen lieber* 
legung fähig fein, bafe unfere Nachbarn hoch am ©nbe nicht 
nur ben fdfeönen äugen ber Münchener ju Siebe auSgefteüt haben 
Könnten. Saum Güter wirb ben Kleinen Verbadjt ju faffen 
wagen, ob nicht am ©nbe biefe plöfelidjc rege Vetfeeiligung 
grantreidjS erft in gtufe geKommen fei, als bie ftanjöftfcfeen 
©ommiffäre auf ben erften ©inbrud fein nach IßanS melben 
Konnten, bafe bie beutfcfee abtljeitung bet auSfteüung nicht be* 
fonberS anfefenlicfe werbe . . . audlj öor manchem beutfdfeen Vilb, 
welches auf unferer Seite unjufrieben belrittelt wirb, fiele oiel* 
leidfet mancher liebe SanbSmann unb Maler bemunbemb auf bie 
®nie, wenn eS nur in ber heiligen franjöfifcfeen abtfeeilung 
feinge .... 

' Unb fcfeliefelicfe haben bie granjofen ftdfe nicht, wie wir, 


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154 


Ute <5 e g e n m n r i. 


Nr. 36. 


Taft auSfcpliehlicp barauf befepränft, Arbeiten ber testen wenigen 
3apre auSgufteHen. Sielmebr £|aben fic in weit auSgebebnterem 
Mape unb uiel weiter gurüdgegriffen — um ein polbeS 3oh r - 
fjunbert beiläufig, wo eS ihnen wünfepenswertb erfepienen ift. 

Sürfte man nur baS fcpwere ©ewiept biefer älteren SBerfe 
auf frangöftfeper ©eite in Abrechnung bringen, unb tönnte man 
bem Lep etwa gwei geräumige unb .gut becorirte ©äle mit 
pöcpftenS bm^ert breit gehängten Silbern ber beutfeben 51b* 
tpeilung gegenüberftellen unb einem auSerwäplten internationalen 
publicum üotfüpren, fo wärbe biefeS öielleicpt gu feinem Gr-- 
ftaunen ben ©inbruef empfangen, als ob brüben in Sranfrcicp 
bie fünftlerifdjen Kräfte nidE)t mehr guitäbmen, baff hingegen in 
©)eutf<planb ein faft alljährliches SBaepfen berfetben conftatirt 
werben ntäffe. Man würbe auf folgern SBcgc leichter als beim 
jepigen ©tanbe ber S)inge erfennen, wie luftig unb uaebbattig 
es fi<b regt in beutfeben Künftlerfreijen, unb baff bie lebten 
gehn 3<>b te bereits, ohne- biel ßärm unb Lebensarten, ber 
beutfeben Kunft aus grembem unb ©igenem Sietes mieber gu= 
rücfgewonnen heben. 2>a3 alte Uebergcwicpt gtanfreicpS, fo 
bürfte aber baS ©rfenntnifj gum minbeften lauten, bebe ficb 
gegen früher bebeutenb oerringert — wenn au<b baS einzige 
ehemalige ©egengewiebt 2)eutfcplanb3, bie großen alten Zeichner j 
wie ©cpwinb, fßreUer jc., ingwifepen leibet gang nacbfolgerloS 
geblieben feien. j 

Aber auch mit biefem utopifdjen SBunfep nach gleichen 
Kampfbebingungen foH benen (ein SBaffer auf bie Müple gc= 
goffen werben, welche bie StuSfteKung am liebften wie ein iurnicr 
gwifeben granfreiep unb ^eutfcplanb aufgefafjt fepen möchten. 
Sielmepr hoben wir biefelbe gu nehmen, wie fie nun einmal 
ift. Unb ihr gegenüber glaube ich naebgewiefen gu hoben, bah 
jener ©tanbpunft ein hbcbft ungenügenb funbamenbirter ift, 
Welcher ben ©cbtüffel für ben gangen unb eingigen SBcrtp biefer 
internationalen im Slbfcpäpen gwifeben ihrer beutfeben unb 
frangöftfepen Abteilung fueben gu müffeu glaubt. 

Söiel über eingelne Silber gu fepreiben patte unferer Stbficpt | 
nicht entfproepen, auch wenn bie AuSbepnung ber AuSftetlung, 1 
ber befebränfte Laum biefeS StatteS unb ber Mangel an ©roguiS 
ober illuftrationen irgenb welcher Art ein folcbeS Unternehmen 
nicht an fi<b fepon oerbieten würben. SBir werben uns baper 
auch bet frangöfifeben AuSftellung gegenüber auf eine möglich ft 
fnappe Angeige ber heroorragenbften ihrer Silber befepräufen. 

Ueber bie älteren ©acben, mit benen bie grangofen ihre 
©äle fo febön gefepmüdt hoben, ift feiner Seit fooiel gefproepen 
unb finb bie meiften ooit ihnen fo allgemein befannt, bah «8 
unfeteS llrtpeüS für Liemanben mehr bebarf. SSit befcbränlcu 
uns baber auf eine furge ©rmäbnung beS £>auptfäcplicpften. 2)a 
finb gunäcbft gwei gang perrlicpe SupreS; ein wahrhaft ppäno: 
menalet Louf feau; einige fepöne GorotS; mehrere Kleinig= 
feiten, lanbfcpaftlicpe wie figürliche oon ©>iag, ber aber bureb 
biefelben feineSwegS als oerlreten gelten fann; gwei ebenfalls 
faum gang auöreicpenbe färben- unb lebenfprüpenbe IgfabepS; 
bie gur Arbeit gebenben Dcpfen oon Sroyon; gwei fepr feine 
gran^aiS; UnbebeutenbeS oon gromentin unb ©outure; 
ein fcböneS flareS Dcpfenbilb ber Loja Sonheur aus bem 
Sujembourg; ein grofgeS unb oorgüglicpeS ißorträt oon Sean 
©igous; eine Lüdfepr oon bet §irfcpiagb oon ßuminaiS unb 
fcptiehlicp ber recht bunte ungufammenpängenbe ©abanel, Hob 
ber granceSca oon Limini, Oon bem febwer oerftänblicb ift, 
was bie heutigen Sßarifer noch an ipm fo h 0( b fcpäpeit. 

Unter ben neueren gigurenmalcrn möchte ich — in ebenfo 
bunter Leihe — gunäcbft SuleS SrbtonS eingige ©ebnitterin 
nennen, bie, obgleich man fie ihrer malerifcben Auffaffung unb 
Sehanblung nach gerabe fo gut gu ben ßanbfcpaften rechnen 
fönnte, oietteiept bie oornehmfte gigur ber frangöfifeben Aus* 
ftettung ift. Läcpft ihm SonnatS eminentes Porträt Sictor 
$ugoS. @o wenig mir bie ftarfe Seleucbtung ber gigur im 
©egenfap gum $intergrunb gang oerftänblicb ift, fo geringe 
Sympathien ich an ficb für bie berbe Xecpnif biefeS groben 
Malers hege, bie fo giemticb Alles gleichwertig barftellt — fo 
fepr muh ich nttcb ipttt Unfehlbarfeit unb ber überall pulfirew 


ben Sebenbigfeit gegenüber gefangen geben, bie Sonnat in 
feinem Porträt gu fcffeln gemuht hot. Lein als Malerei wäre 
mir bie Sifcpede mit bem „Homere“ aüerbhtgS baS ßiebfte. 
©. Lenouf täfjt einen ebenfalls berb gemalten, im AuSbrud 
übergeugenben, lebenSgrohen alten ©eemann gum lepten Mat 
fein lebenSgroheS altes Soot auSbeffern. 3- $aul EaurenS 
hat mit feinem „Marceau auf bem ißarabebette" beiläufig bas 
©olibefte unb Mahrhaftigfte in Sicht unb Xon geleiftet, was 
man ficb na <b moberner Slnf^auung benfen lann, wähtenb feine 
„befreiten SnquifitionSgefangenen" ein gwar ebenfalls gutes unb 
tanbf$aftticb übergeugenbeS Silb finb, aber in ttarer 23ahr- 
baftigfeit beS Moments unb ber Situation fo wenig, wie in 
©tärte unb LuSbrud ber ©mpfinbung, jenem gleich bmmen. 
Stuf einem oorgiiglidhen SBege febeint mir bie ^eiligenmaletei 
bureb ©• 2)ueg gu fein. Unter ooUcr Senupung aller mobern 
realiftifcb malerifcben Mittel febeint fie mir in bem ©t. ©utljbert 
beS ©enannten faum noch weit entfernt baoon, ben groben 
Slltarblättern älterer ^otlänber, fpeciell bem glorentiner Iti« 
ptpebon beS $ugo oau ber ©oeS, bie $anb gu reichen. Slucb 
Suc Dlioier Merfon oerfteht biefem für uns Steueren fo 
fterilen Soben in eigenthümlitber SBeife ©rfolge abguringen, 
inbem er bie ©implicität altflorentinifcber Sanbf^aften, fowie 
Slnflänge an gra Slngeltco, mit mobernem SEBiffen unb Können 
originell gu oerbinben weih- ©eine luftige $arfteKung beS 
betehrten MolfeS oon ©ubbio folcttirt fepon etwas mehr mit brr 
oon bem Künftter beliebten farbigen Stäffe, ift aber gum 
minbeften pifant grgeiebnet, beobachtet unb ergäbt. Libot hot, 
auher gwei Köpfen, einen Libcra oon nngweifel^after ©epthett 
unb erftaunlicber Gnergie auSgeftellt. SBenn man in granfreicb 
bie Sitten imitirt (ben Sitten gegenüber ift baS felbft in IßatiS 
erlaubt) unb ©rfolg bamit hoben will, fo muh man cS in ber 
Manier beS gewählten McifterS wieber gu freiefter ©elbftftänbig= 
feit bringen, wie baS Libot aüerbingS oermo^t h°t- ©ein 
©t. ©ebaftian fiept benn bo<b anberS puS, wie ähnliche Serfucpe 
auf beutfdjer ©eite. Renner3 SenuS ober Lymphe auf grüner 
SSiefe ift in ähnlichem Sinn ein reigenbeS Kabinetftüd, baS wie 
ein filberner ober Weiher Senegianer auSfiept. Siel weniger 
will mir fein nach bem befannten $otbein’fcben gebauter tiegen- 
ber ©priftuS gufagen. Son Moreau be ÜourS’ beiben Silbern 
ift mir bie „Epreuve da crucifiement“ fünftlerifcp entfepteben 
intereffanter, als feine „Blanche de Castille“, wenn • fiep nur 
niept fünfmal berfelbe MobeQfopf unter ben aept bis gepn 
3ufcpauem Wieberpolte. ®er „Martyr“ oon Sßierre gritel 
erfepeint mir trop guten ©tubiumS unb fepöner ©ompofition, 
gang abgefepen oon bem etwas merfwürbigen 2iger, boep nur 
wie ein tü^tigeS Sltelierbilb. Slucp $enry SeroIIe’S Sofob bei 
Saban, wie baS oorpergenannte mit ber 3. Mebaiüe angegeiepnet, 
Will mir trop aller ©implicität anb Sreite ber Malerei niept 
reept genügen. ©aroluS ®uran pat gur geier feiner nun^ 
mepr, wenn icp nitpt irre, gepnjäbrigen burcpfcplagenbcn ©rfolge 
baS pöcpft rcijootle Knieftüd einer nach Strt oon HigianS Uocpter 
grüepte tragenben ©5ame in orientalifcpem ©oftüm auSgefteüt, 
toelcpcS trop aller Sebenbigfeit niept gang bie ©tärfe unb ©nergie 
feiner befannten, groben grauenporträts erreicht. Sucien 
Melingue lernen wir aus einem groben ©oftümbilb aus ber 
frangöfifepen ©efepidpte fennen, welches fiep faum über bie beute 
üblichen £>iftoriengcmätbc aller 2trt erpebt. ©. Le narb über: 
fepreitet mit feinem abfdpredenben Stet „L’epave“ als Gingiger bie 
fepr enge ©renge, welche bie ißrüberie unferer beutfepen ©om: 
miffton im Uebrigen für unbefteibete männlicpe Sefucper ber 
ÜluSfteHung gegogen pat. 3tncp Morot mit feinen preiSgefröuten 
ambrofifepen SBeibern ift niept gerabe oon bem ©ebanfen an autife 
Schönheit angefränfelt Uber er erfept ipren Mangel burep erftauu« 
licp gefepidte Sepanblung nadter weiblicher Körper, grope Seben= 
bigfeit unb furcptlofe Malerei. LüetbingS bei einem 2>eutfcpen 
wären bie gwei anftürmenben SBeiber reepts für ipre wüfte 3Butp 
mit 2)unfelarreft beftraft worben. SouguereauS fcpön ge= 
geiepuete unb mobedirte Siete finb mir niept burep feine ©eburt 
ber SenuS unb noep weniger burep feine. Lymphengrotte fym= 
patpifeper geworben. Dpne bamit ben oielen Siebpabem beö 


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Nr. 36. 


155 


$)ic ©ege it wart. 


berühmten ÜRaterS irgenb nahetreten ju woflen, muß id) geßehen, I 
baß ich biefe in$ ©roße übertriebene ^orjcflonmolerei, trofj aller 
unb aller SReifterfcfjaft, nicht hocfjjufdhähen im ©tanbe bin. Den 
iiiörttmrf ber ißfjantafiearmutl) aber hätte $err SBouguereau ft<h 
crfparen lönnen, menn er feine Spmphengrotte mit ber SBieber-- 
ßolung feiner im Seben}immer hängenben SBenuS, einer auS ber 
ßjlinifchen Decfe entnommenen gigur unb anberen belannten ißofen, 
überhaupt nicht cuSgeftetlt batte. Sagegen bat er und burcb 
feine zwei ferjentragenbcn betenben Stäbchen bewiefen, mie febr 
ßreunbe ber „©enrematerei" }u bebauern haben, baß er biefem 
ffunftgebiet feine bcbentenbe Straft entzogen bat. SEBaS oon ibm 
gilt, tann ähnlich auf ben gewiß bewunbernSwürbigen Act 
gnleS Äefebute’S, genannt „Veritö“, angemenbet werben, 
ujfiljtenb beSfelben KünßlerS • „Diana" einfach fdjwächlich ift- 
Audi St- Soll ift ein in IßariS ju fdhnetlem 9tuf gelangter 
Jfüitßler. Aber troj} aßet Dreiftigleit unb Stunterleit lann ich 
feine breit unb tebenbig aber wüft unb wenig angenehm gemalte, 
übertriebene „Fete de Silöne“ nicht befonberS goutiren. 2öie 
wenig Sedjt wir haben, wenn wir für unfere Düffelborfer ic. 
allein baS Siecht ber feeienlünberißhen fogenannten ©enremalerei | 
in Änfprudj nehmen, lehren uns jrnei Oorzüglidfje Silber bicfer 
Sichtung, beren eines „Au sermon“ non iß. be la Soulahe, 
fo uncbargirt unb überjeugenb, Wie baS anbere, ein gunge, ber 
leinen SBein trinten Wiß (non ©. £>aquctte), fchlagenb im 
AuSbrad ift. ®enn ich zweier meifterhafter 6injel= 

ßguren Sot)bet’S, non gewohntem Sei} gebente; }Weier ©oßüm= 
bilber non Abrien Sioreau Erwähnung thue, bie woljl }um Afler: 
ßhönßen unb ©efchicfteflen gehören, was in biefem ©cnre irgeitbwo 
gemacht wirb, unb namentlich alle ähnlichen beutfcßen Arbeiten 
abfolut in ben ©chatten fteflen; wenn ich fdßießlich noch ^ c - 
belannttn Keinen Sleiffonnier ermähnt habe, ber ben Steifter 
unb feinen ©ohn }u ^fSfcrbe an ber fiiiftc non AntibeS barfteflt, 
meines ©racßtenS nach aber nicht }u ben iiber}eugenbften Silbern 
biefeS großen KünßlerS gehört, fo fann ich für heute Wohl mit 
ber bcfcheibenen Anfrage fliehen, welken ftumorS benn eigen© 
lieh bie Herren Sarifer gewefen ftnb unb was fie uns haben 
jjeigen moßen, als ftc ©ljrmannS „©inlabung }ur 2BeltauS= 
fießung" in ihr beßeS Sicht gehängt haben'? 3<h ßnbe, baß ber 
geringfte Decorateur ber 8opf}eit fid) einer folgen Aufgabe 
gefdjidter entlebigt hätte, als eS auf biefer prötentiöfen Seinewanb 
gesehen ift. cßuftao <floerfe. 


ber Änmettfudje. 

Son 3 . m. 

ffranjöfifche Slätter haben unlängft ben lob einer Setfön: 
lichteit gemelbet, bie ein Abenteurer par excellence genannt 
werben barf; ein Abenteurer, welcher nicht wißenloS 00 m ©djid: 
fal hin* unb hergetrieben unb in unoorhergefehene ©teßungen 
unb Serhältniffe' ocrfchlagen würbe, fonbern ber ©tjftem in 
feine felbftgewähtte Saufbahn brachte, ßd) »on oornljerein ein 
fefteS Siet fteefte unb biefeS unter großen ©chwierigfeiten für 
einen Augenblid Wirtlich erreichte, um bann oon feiner §öhe 
für immer wieber hinabgefchleubert }u werben. Dieter Abenteurer 
War fo recht baS Kinb feiner Beit unb feines SanbeS. Sur in 
einem franjöfifthen §itn, unter bem zweiten ©mpire, als ein 
nicht einmal als Doßblütiger granzofe anertannter Abenteurer 
bie Krone trug, tonnte ber bi}arre ©ebante auffchießen, welchem 
bet Abootat 0. A. be DounenS, auS bem Frieden Sa ©haife 
im 3&rigotb, mit einer immerhin bemertenswerthen Energie 
nachiagte. Klugheit unb Serfcßlagenhcit hatten bem britten 
Sapoteon baS fdjöne, große granlreid) gef nebelt in bie $änbe 
gefpielt; manchen heißblütigen Kopf fefete baS ©tubium biefeS 
unfaßbaren Erfolgs in ©ährung. Sei ben ©öffnen beS ©übeuS 
Pülßrt baS Slut ungeftümer, erhifjt fich bie fßfantafie leichter; 
ben Aboofaten be Dounenö muß bie Satur mit biefen ©igen: 
fchaften befonterS gut bebadft haben. AIS Ouinteffen} feines 
©rflbetnS euthüßte ftch ihm ber @afc, baß ber Stenfdfj eine accep: 


table ©teßung in ber ©efeßfehaft nur als ©ouoerain einnehmen 
tann. SBar cS ber Spiegel, war es bie Kare gluth ber ©aronne, 
aus welcher fein }urüctgeftrahlteS Silb ihm eines SageS ju« 
gerufen: 5)ieS iß baS Antlifc eines Königs 1 ©leidhbiel. Sou 
biefem Augenbticfe an glaubte er an ß^ unb feine SWiffion, 
getabe wie ber britte Sapoleon. 

®cr König war ba, je$t galt eS baS Sanb }u ßnben. ©S 
fanb ßch. Iperr be UounenS muß eine gute Karte oon ©übamerifa 
}ur §anb gehabt haben, welche ihn erfemten ließ, baß Araucanien, 
füblich an ©Ijile grcn}enb, ein oon biefer Sepublif beanfpruchteS, 
aber teincSmegS unterworfenes ©ebiet bilbete. Satagonien, be: 
rühmt burch feine Sümpfe unb Siefenmänner, lag jum 3«gteifen 
nebenbei. Sach biefer glüeftidjen ©ntbeefung erhöhte er fid) um 
eine Sangftufe unb fühlte ßch fortan als fßrätenbent. ©eine 
erfte Sorge war, für bie beiben Seiche bie Aeußerlichteiten ins 
Seine }u bringen; er componirte für ße ein gemeinfameS ®appen 
unb oerlieh ihnen eine Iricolorc, blau:weiß:grün, nicht gerabe 
fehr gefchmactooß. Um fo fchmuder ßel baS ®appen auS: üier: 
geteiltes ©chilb mit ben giguren ber bie gebrochene Kette in 
|)änben haltenben greiheit, ber ih em ' § < ^ et nnl) beS 

ÜJlerfur, Krone unb SeidjSapfel barüber, baS @an}e bon einem 
©ichentran} umfehloßen. Ohne $«oeifet fühlte ber auracanifdjc 
SSonarch in epe ß<h jefet bereits ftarf burch f e * n „gutes Sedft". 

UouncnS machte fich i e fet auf bie Seife; er feßiffte ßch im 
guli 1858 in Southampton ein unb lanbete am 22. Auguft in 
©oquiinbo an ber dfilenifchen Kiifte. @r blieb bort öorerft unb 
gab ßch eifrig bet ©tlernung beS ©panifd^en hin, baS bie ©taatS: 
fpraeße feinet Seiche werben foflte, reifte bann umher, lernte 
Sanb unb Seutc fennen unb fudfte fich über bie innem Bußänbe 
AtaucanienS }u nuterrid)teii. ®s gelang ihm, mit bem mäd)= 
tigften Ka}ifen im Sanbc, Stagnil, in Serbinbung }u treten; 
berfelbe bifligte ben fJMan einer Sereinigung aßer UribuS unter 
einem Könige }um gemeinfchaftlichen SÜBiberßanb gegen ttbile 
unb machte auch anbere Kaufen bemfelben geneigt. $>aS Alles 
war gan} }Wecfmäßig unb bem @nb}iei förberlich. ©h*I cS '#olitif 
Araucanien gegenüber beftanb barin, baß eS fich langfam über 
bie ©renje brängte, jenfeits beS ®ren}ßußeS Sio:Sio Siebet: 
laffungen errichtete unb biefelben burch immer weiter oorgefchobene 
gortS fchü^te, gleichzeitig aber Uneinigleit unter bie einjelnen 
Kaufen }u fäen beftrebt war. Sur feiten gelang eS inbeß ber 
(hitenifdjen Segierung, einen Karlen }u erlaufen; $aß gegen 
©h<te war baS germent ber inbianifeßen S3atcrlanbSliebe. Auf 
biefen $aß hatte SounenS feinen $Ian gebaut. 

©ine ber napoleonifchen nachgeäßte SSetfaffung in ber lafdje 
ging 2ounenS im Anfang beS SahreS 1860 über bie @ren}r. 
Der greife Ka}i! SJlagnil, fein ©önner, war injwifchen geßorben; 
oor feinem Dobe hatte er bem Snbianeroolle prophe}eit, eS werbe 
ein SDiann lotnmett, ber über aße Stämme König fein unb baS 
3o<h ©hüeä abfchütteln werbe. DounenS fuchte fofort ber Seihe 
nach bie anbern Ka}i!en auf unb fteßte ß<h ihnen als biefen 
Slann oor; fein einziger SBegteiter auf biefer Sunbreife War fein 
Dolmetfdjer. SRerlmürbigerweife fanb er überaß gute Aufnahme 
unb bereitwißige Anerlennung feines Königtums, ©r nannte 
ßch oon ba ab Drelie Antoine I., König oon Araucanien, unb 
erließ unterm 17. Sooembet 1860 ein Decret, welches bie oon 
ihm angenommene, erbliche unb conßitutioneße Königswürbe 
promulgirte unb ben löniglicßen 0rbonnan}en bis }um Bufammen-- 
tritt ber „großen StaatSlörper" ©efeheSlraft oerlieh- ©Ieich 
barauf folgte bie Decretirung ber ©onftitution unb einige läge 
fpäter, am 20. Sooember, biejenige ber ©inoerleibung IßatagonienS. 
©S Waren ihm, fagt er in feinen SSemoiren, feitenS ber Ißata» 
gonier }uftimmenbe Antworten auf feine Anerbietungen )ugegangen. 
Aße brei Documente waren Oon einem §errn DcSfontaine gegen: 
gejeießnet, ber ßdfj bombaftifch „Stinißer:@taatS(ecrefair im ®e= 
partement ber SoßiS" titulirte; fie würben, bie ©onftitution 
wenigftenS auSzugSweife, in oerfchiebenen Slätteru oon SBaiparaifo 
unb Santiago abgebrudt, unb fo erfuhr ©hil«, baß baS Arau: 
canergebiet, welches bie chilenifdje SBerfaffung ber Sepublit, 
wenigftenS auf bem Ißapier, als ©igenthum zufpridht, nunmehr 
ein feibßftänbigeS Königreich geworben fei. 


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156 


• ie «egenmen: t. 


Nr. 36. 


SBöre XounenS etwas mehr als ein Abenteurer auf bet 
3>agb nad) einem Königreich getuefen, fo hätte er fefjr wohl eine 
Perfaffung entwerfen fömten, bie ben gefeßfchaftlidjen 3uftänben 
ber Snbianer angepafjt unb für fie oerftänblidj, als ©runbtage 
für bie ©ioilijtrung jener Stämme benufcbar getuefen märe. Xer 
XounenS’fche Abflatfdj ber @mpire*Perfaffung mar einfach läcfjer* 
lieh- @8 figurirten barin nach bem Könige bie ©tinifter, ein 
NeidjSrath (ber franjöfifdje Senat), ein StaatSrath, ein gefefc* 
gebenber Körper, fogar „3Äinifter-2enore", tuie man bie neue @r* 
finbung in grantreich nannte, bie als ©tinifter ohne Portefeuille 
unb lebigtich jur Pertljeibigung ber NegierungSöortagen im ge- 
fehgebenben Körper eingefefct mürben. Alles bieS mar alberne 
Nachäffung, gn grantreich hat XounenS fpäter geltenb machen 
moDen, fein ganjer Plan fei gemefen ju jeigen, bah auch bie 
granjofen ju colonifiren tierftehn; er habe eine „Nouvelle France“ 
begründen unb bem Paterianbe einoerleiben wollen. Aber bie 
abgetriebene Perfaffung allein tonnte biefer Sbee fein Per* 
trauen jufüfjren, unb in ©tjile nahm man gerabe wegen biefer 
Perfaffung bie Sache junädjft bon ber heitern Seite.- ©tan 
lachte barüber, unb als XounenS fich bon Araucanien nach ®al= 
paraifo jurüdbegab, fümmerte fi<h fein ©tenfeh um ihn, obgleich 
er aller 2Bett feine Königswürbe funb unb ju miffett that unb 
feine „Xhronbefteigung" fogar officietl bem Präfibenten ber Ne* 
publif anjeigte. 

Neun ©tonate oerbrachte bet 3npartibuS*König unbehelligt 
in SBalparaifo. Xer Nervus rerum fcheint ihn junädjft bort be* 
fchäftigt ju haben. Seine ©littet waren erfchöpft. @r träumte 
eine Anleihe in gtanfreich, eine „Nationalanleihe", benn in feinen 
Augen mar feine Sache felbftuerftänblich bereits bie Sa<he 
granfreichS. Aber bie franjöfifche Negierung, an welche et fief» 
um Anerfennung feiner neuen SBürbe roanbte, lieh ihn ohne 
jebmebe Antwort, .'patte er fein ©elb, fo blieb ihm immer noch 
übrig ju behaupten, er habe Welches; baS fdjafft ©rebit. Xie 
Kajifen bernahmen fpäter mit greube bon ihm, bah e * einen 
Sacf boH 20,000 piafter mit in baS £anb bringe. Sein Königs 
thum aber nahm ein ©nbe, weil ihn ein Xiener berrieth, bem 
er ben auSbebungenen Sohn nicht jahlen tonnte. 

©S muhte etwas gefdjeljen. XounenS benachrichtigte bie für 
ihn gewonnenen Kajifen, bah er nunmehr jurüdjufehren gemißt 
fei, um bie Anerfennung unb §ulbigung beS ganjen ßanbeS ent* 
gegenjunehmen. 3°hlreidje ju erlaffenbe ©efefce, bie er in= 
jmifdjen in Palparaifo nach bem @mpire*©tufter abgeflatfcht 
hatte, nahm er mit fich auf bie Neife. ©S folgte ber für je 
©tanjpunft feiner KönigSejiftenj. Xie ßeugen in feinem Pros 
ceffe, feine Xiener, namentlich NofateS, welcher ihn berrieth, 
haben umftänbtich auSgefagt, Wie eS bei biefen ^ulbigungen 
juging. 

Nur bon biefem Xiener NofaleS unb einem Xolmetfdjer, 
SantoS ©ulinau, begleitet, brach XounenS ©nbe Xecember 1861 
auf. @r gelangte über ßoncepcion nach Nacimiento, einem 
Stäbtchen an ber araucanifchen ©renje. ©r hatte bort noch 
©elegenljeit, in einem $aufe, baS ihn gafttich aufnahm, fich in 
©egenwart beS jufäßig bafelbft anwefenben ©ouberneurS beS Xe* 
partementS, §erm gaeS, über feine nädjften Projecte ausführlich 
$u berbreiten, ohne bah biefer Peamte irgenb Welche ©infptache 
that ober ihm fpinbemiffe bereitete. Xie Neife gefchah ju 
Pf erbe; ein ©taultljier trug baS ©epäcf, barunter bie breifarbigen 
gähnen. Xie erfte araucanifche 0rtfcf)aft, welche XounenS ers 
reichte, War Sanglo, bie Nefibenj beS Kajifen ßeöiou. ©r machte 
Naft in bem fpaufe eines „eSpagnolifirten" SnbianerS, NamenS 
ßorenj ßopej, ber fich ihm in ber gotge anfdjlojj, um ihn bann 
mit ju berrathen. Xer Kajif ßebiou empfing feinen ©tonarChen 
mit aßer ©hrerbietung. ®r berfammelte XagS barauf jmölf 
feiner ©tocetonS in ©egenwart beS Königs um fid). ©tocetonS 
finb bie Peamten ber Kajifen, eine Art Souriere, welche bie Pe= 
fehle berfelben ben Stammesangehörigen unb wichtige Nach 5 
richten ben anbem Häuptlingen, immer münblidj, überbtingen; 
fie werben unter ben ßeuten auSgefudjt, welche baS befte ®e= 
bäd)tnifj h°6en. Sie geniehen im Polfe eines gewiffen AnfehenS, 
baS man Sorge trägt, nicht in ©efalpe ju bringen; es ift ihnen 


beShalb j. P. berboten, geftgetagen"beijuwohnen. Xiefem Keinen 
Kreife fefcte Drelie Antoine I. auSeinanber, wie et gefommen fei, 
ihre Nechte ju oertljeibigen, namentlich ©hile ju jwingen, feine 
Nieberlaffungen füblich bom gluffe Pio=Pto, ber alten, geheiligten 
©renje AraucanienS, Wieber aufjugeben. (XounenS hat in feinem 
Proceh fpäter beftritten, biefe Sprache geführt ju haben; et habe 
jenes 3iel nicht burch Krieg gegen, fonbern burdj Perträge mit 
©hile erreichen Woflen.) Xie SBirfung feinet ©Borte, welche fie 
auch gewefen fein mögen, war eine boßftänbige. Kajil unb 
©tocetonS ertannten ihn unter lauten freubigen Ausrufen als 
ihren König an. gür einen bet nädjften Xage würbe eine 
größere Perfammtung bon Angehörigen biefer XribuS einberufen, 
ju welcher noch ein jweiter Kajil mit feiner ©efolgfchaft erf<f)ien. 
Xie inbianifchen Neiterhaufen bilbeten ein grofjeS ©arrö in Kampfs 
orbnung, in ber ©litte hielten ber König unb bie Kajifen. Xie 
HulbigungSceremonie gab ein ganj bewegtes, intereffanteS Schau* 
fpiel. Auf bie für je, bon bem XolmetfCjier übertragene An= 
fpradje Drelie Antoines erfchoß aus aßen Kehlen enthuftaftifdj 
ber Nuf „®S lebe ber König!", bie gnbianer wanbten ihre Pferbe, 
unter KriegSgefchrei ihre ßanjen fdjwingenb, unb bann ging es 
in rafenber ßarriöre biermal im weiten Kreife um ben König 
herum, welcher injwifChen ben Kajifen mit einigen hochtönenben 
Phrafen bie gähnen überantwortete, ©lehr lonnte Se. arau* 
canifche ©lajeftät im ©runbe nicht berlangen; aber ©itelteit unb 
Xünfel hatten Plut geleit unb waren noch nicht befriebigt 
Xie gnbianer hatten bebedten Hauptes gerufen ,,©S lebe ber 
König!", unb ber König that ju wiffen, bafj fie feinen Namen 
fütberhin nicht auöfprechen bürften, ohne baS Haupt ju ent* 
blBfjen ober ohne ihn mit ber rechten Hanb ju grüfjen, wenn 
fie barhaupt wären. Unb bie guten gnbiauer folgten bem Pefehl 
unb lie|en ihren König bon Neuem, jefct unbebeeften Hauptes, 
hochleben. 

XounenS fefcte feine Nunbreife mit ©rfotg fort; noch bei 
mehreren Kajifen wieberholte fich baS gefdjilberte Schaufpiel. 
©inige empfingen ihn mit ©tifjtrauen, welches inbefj fein gewin* 
nenbeS SBefen ju oerfdjeuchen wufjte. 3“ biefen ©tifjtrauifchen 
gehörte ©lagnilS Nachfolger, ber Kajil ©uentucol, welcher in 
XounenS Anfangs einen djitenifchen Spion witterte, ihm aber, 
bon bem ©egentljeil überjeugt, fchliehliCh hoch in grober PolfS* 
berfammlung, ju ber biete benachbarte Kajifen erfdjienen waren, 
hulbigte. Xie Kajifen erHärten fich bereit, 12,000 Krieger ju 
fteflen, ja 30,000, wenn eS fein mühte, um bie ©hitenen wieber 
hinter ben Pio*Pio jurüdjuwerfen unb forberten als einjige 
©unft bie Perbannung eines Kajifen, ber fich ber djitenifchen 
Negierung berfauft hatte. XounenS mar eS mit ber Kriegs* 
perfpectibe biefleidjt nicht ©rnft; als AufftachetungSmittel hat et 
fie bei ben Kajifen jebenfafls berwerthet. Xenn ber ©nthufiaS* 
muS für ihn war im ßanbe ein aßgemeiner, baS bejeugten feine 
Perrätljet. 3« ben füblichen Xiftricten hatte er feine Königs* 
fahrt begonnen, je$t wanbte er fich ben nörblichen ju. Aber 
ein 3 ro iWeufaß, ben er wenig beachtete, brachte ihn ins Per* 
berben. ®r tonnte, wie fefjon erwähnt, feinem Xiener NofaleS 
ben auSbebungenen ßoljn bon 15 piaftern nicht jahlen. NofaleS, 
übermüthig geworben, forberte 50, bie XounenS auch berfpradj, 
aber bet ungetreue Xiener fnüpfte fofort geheime Perbinbungen 
mit ben djilenifdjen Pehörben an, fteßte ihnen bie Staats* 
gefährtidjfeit beS SnbibibuumS oor, Welches fi<h König bon 
Araucanien titulirte, unb erhielt bie 3»f»ge einer beträchtlichen 
Petotjnung, wenn er ben König ben Pehörben in bie H&ube 
fpiette. Xaju fanb fich feh r halb bie ©elegenheit. XounenS 
glaubte fich auf bem SBBegc ju bem Kajifen Xrintre, aber NofaleS 
hatte ihn einen falfdjen SBeg geführt, an einen ptafc hart an 
ber ©renje, las PeraleS genannt, weil berfelbe mit Pirobäumen 
beftanben mar; hohes Nohrbididjt öerfperrte h«r bie UmfChau. 
XounenS gebachte an biefem fdjattigen Drte für je Naft ju halten; 
aber ein chitenifdjeS Xetadjement lauerte in ber Nähe, überfiel 
ihn rüdlingS, mätjrenb er an einen Paum gelehnt bafafj, ent* 
waffnete ihn, jwang ihn ju Pferbe ju fteigen unb fort gingS 
im ©alopp nach Nacimiento, wo ber oben bereits erwähnte 
©ouoetneur gaeS ben alten Pefannten einfperren lieh unb bte 


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Nr. 36. 


Ile (Segenmurt. 


157 


fofortige ©röffnung ber Unterfuchung befahl. gntereffant ift, 
baß fid) unter betn mit ©efdjlag belegten ©epäd außer ben 
Sahnen unb @efe|entroürfen auch Supplifen oon grangofen 
befanben, welche ©r. äRafeftät Orelie Stntoine I. um 9Inftellung 
in ©eufranfteich baten. 

gür ben befangenen brach eine fchlimme 3«it herein. 
Stüber üerfpottet, galt er ben ©eljörben ber ©epublif je|t als 
ein gefährlicher ©mpotfömntling, gu beffen $abhaftroerbung man 
fich @läd münden burfte. 3Ran tranSportirte if)n nach bem 
gort SoS Angeles unb marf ißn in einen abfdjeulichen Leiter. 
CS mar ein fernstes ©erließ, einige guß unter bem ©ioeau beS 
f?ofeS, in baS iticE)t SÖionb noch ©onne festen, empfinblid) !alt, 
mit triefenben Säänben. Set gußboben mar mit Siegel« ge= 
pftaftert. ©in auSge^obener Türflügel, über bie SounenS feine 
aus bem ©djiffbruch gerettete SDtatrafce breitete, mar fein Säger. 
Sie ©efangenenfoft mar ungenießbar; gu feinem blüif fanben fiel) 
milbtljätige Seelen in ber ©tabt, grangofen, welche ihm beffere 
©aßtung inS ©efängniß fanbten. Sie gange Sehanblung mar 
barauf abgefeßen, ben Körper gu ©runbe gu rieten. Socfj 
gelang bieS nicht. SounenS erfrantte aüerbingS halb, gßn 
ergriff Spffenterie unb bann ein ©eröenfieber. Sie Kran f heit 
roäbrte faft fünf ÜRonate. Ser 9lrgt batte bie Ueberfübrung beS 
Patienten in baS $ofpital beantragt. @ie mürbe oerweigert. 
Sogar jeber ärgtliche ©eiftanb mürbe unterfagt. ©S mar ein 
©lüd für ben Uranien, baß er auf lange Seit bie Sefinnung 
verlor. Stnbertbalb 9Ronate verbrämte er in ©ßantafien «nb 
gieberträumen. Sie $aate fielen ibm auS, er mar gu einem 
Sletett äbgemagert, fdjmach unb unfähig ficb gu erbeben, als 
baS ©ewußtfein in ibm jurücftebrte. Sie fräftige Kötpet= 
conftitution arbeitete ficb, gegen baS ©rmarten feiner Kerfer: 
meifter, rnieber empor, obgleich alle möglichen Quälereien erfonnen 
mürben, um bie ©econöateSceng gu erfchmeren. Sie ©chitbmache 
mußte alle 9lugenblide oom ©orribor ans in baS ©erließ treten, 
um ben ©efangenen gu infpiciren, roobei baS ©eräufcß ber in 
ben berrofteten Singeln fid) breßenben Sßüre bie abgefpannten 
Sterben erfchütterte. ©S mar ©efeßt gegeben, neben ben Uranien 
Sag unb Stacht ein brennenbeS Sicht gu ftellen, angeblich um ihn 
beffer beobachten gu fönnen, in SBahrßeit, um ißm ben (Schlaf 
gu fiören. ©or feiner ©rfranfung l^atte SounenS eine große 
SRenge bon Verhören gu befteben. 3«* formellen (Einleitung 
beS ©roceffeS fam eS nicht. @S banbeite ficb bei ben chilenifcbeit 
©eßftrben immer nur um bie ©orfrage, ob ber Ülngcftagte als 
einfacher ©ußeftörer bon ben ©ibilgerichten ober als £>o<hoer= 
räther unb SRebetl bom Kriegsgerichte abguurtßeilen fei. SaS 
leßtere mar mit bem SobeSurtßeil gleichbebeutenb. ©inmal mar 
bie Sache auch bereits mirflich an baS 2Rilitärgericßt bermiefen 
morben, ging aber gu SounenS ©lüd an baS ©ioitgeriebt gurüd. 
©orrefponbeng nach außen mar bem (befangenen boüftänbig oer= 
mehrt gnbeß gelang eS ihm eines SageS, in ben ©lecßfapfeln, 
in benen ißm feine SanbSleute baS ©ffen feßidten, einige ©riefe 
nach außen gu fchaffen, barunter einen an ben frangöfifeßen 
SRinifterrefibentdh in Santiago. Siefer bermittelte fchließlich 
SounenS greilaffung unter ber ©ebingung, baß berfelbe fofort 
Hmerifa berlaffe unb 9ltaucanien nicht ferner betrete. ©eun 
SRonate unb barüber hatte ber ©intagSlönig im Kerfer ge= 
feßmaeßtet. 

SounenS fam nach ©ariS unb mürbe bort für hirge Seit 
Lion du jour. Unter pomphafter ©eclame oeröffentlichte er in 
einer ©rofdjüre bie ©efeßießte feines Königtums, fefcte barin bie 
©ebeutung feiner cioilifatorifcßen ©läne auSeinanber, melche grant 
reich blinb genug gemefen mar nicht gu begreifen, unb ergähtte 
bie auSgeftanbenen Seiben. gn ben belebten Straßen oon ©ariS 
mürben — bamalS noch ein neuer ©eclamemobuS — .Stangen 
mit- großen ©lacarbS berumgetragen, auf benen man in riefigen 
Settern ben Sitet ber ©rofeßüre laS: „Orelie-Antoine I., roi 
d'Araucanie et de Patagonie, son avenement an tröne et sa 
captivite au Chili, relation ecrite par lui-mfime.“ ÜRit ©or= 
trät. 3 gr. 80 ©ent SaS ©ublicum fanb bie ©elation gang 
interejjant. ©efonberS regten ficb bie Kaßllöpfe auf unb foldje, 
bie eS merben wollten, benn feßmarg auf weiß mar eS gebrudt, 


SounenS habe ficb, naeßbem ihm bie £>aare büfcßelweife ausge¬ 
fallen, ben gangen Kopf rafiren laßen, unb in früherer gütle 
unb Sichtigleit feien fie rnieber geworfen. 

Stuf bem ©intracßtSplaj} faß ich g«m erften äRate ein folcßeS 
©tangenplacarb oom ©ublicum umbrängt. S<ß lebte bamalS 
als ©orrefponbent beutfeber ©lätter in ©ariS. SBäbrenb ich 
noch bie Snfdjrift ftubirte, Hopfte mir ein Sefannter brittifcher 
©ation auf bie Schulter: ^Sollen Sie baS ©uch inS Seutf^e 
überfehen ? geh habe bie englifebe ÜluSgabe übernommen, eS foll 
in allen Sprachen erfcheinen." „SBarunt nicht?" entgegnete ich- 
„All right,“ ermiberte ber Sohn ISlbionS. Slm nächften Sage 
empfing ich ben ©efuch eines älteren, feßr mürbeooHen §errn, 
ber mir ©amenS beS $etrn o. SounenS ein ©jeraplat feiner 
Schrift überreichte mit bet ©itte, benfeiben recht halb befugen 
gu moüen. 0b biefer außerorbenttidje Senbling bet gegengei<h= 
nenbe üRinifterfecretär im Separtement ber guftig mar, blieb 
mir ungemiß, aber glaublich- 

geh machte mich alfo auf ben 2Beg gu Orelie füntoine I.; 
berfelbe logirte in einem giemlicb anfehnlichen $otel nahe ber 
©örfe. geh fanb in ihm einen 3Rann oon nicht getoöhnlidjer 
©rfdjeinung. tpochgemachfen, oon Iräftiger ©ontplepion, oon beut 
Raupte eine gütle bitten, fchmargen ^aareS lang hcrabfallenb, 
Kinn unb Sippen Oon langem, fchmargen ©arte umrahmt, hoho 
©tim, Slblernafe, große feßmarge klugen mit fotfdjenbem ©lid, 
ein ©efammtbilb, baS moht erllären lonnte, mie toilbe gnbianen 
ftämme fich für ihn enthufiaSmirt unb ißn auf ben Scljilb ge= 
hoben hatten. 1825 geboren, ftanb er fdjon bamalS in ber ©oIL 
Iraft feiner galjre; ni^ts oerrieth an ihm bie ©puren beS über: 
ftanbenen Ungemachs. ®r nannte fich officieü „Prince de Tounens“, 
mar aber mit bem einfachen „ÜRonfienr" in ber Mnrebe mohl 
gufrieben. Anfangs geigte er fich in ber Unterhaltung etrnaS 
gugelnöpft, hoch burdjroeg in ben ooUenbeten Umgangsformen 
eines frangöfifchen ©aoalierS; fpäter mürbe er gefprädjiger unb 
theilte mir noch mancherlei intereffante ©ingelheiten aus feiner 
KönigSfahrt mit, bie in feinem ©ueße leinen ©la| gefunben 
hatten, namentlich übet baS häusliche Seben ber Sraucanier; 
bie Sterne feiner ©rlebniße behielt er fich iebodj für feine noch 
gu fchteibenben üRemoiten oor. SaS ©efchäftli^e, bie Uebet: 
feßung ber ©rofehüre inS Seutfche, nahm nur turge geit in ®n: 
fpruch- Ueber bie Summe maren mir halb einig; gmeifelhaft 
blieb, mer fie gaßlen füllte, ber König mir ober ich bem Könige. 
SBir fchieben als befte greunbe. 

gn bet Deffentlichfeit gerirte fich ber ©ring oon SounenS 
als ©rätenbent. ©r richtete an ben frangöfifchen SRinifter beS 
SluSmärtigen feierliche ©rotefte gegen baS unrechtmäßige Ser= 
fahren ©hileS gegenüber ißm unb feinen ©eichen unb reclamirte 
mieberholt ben ©io=©io als ©renge. Sie ©lätter oerlünbeten 
biefe ©oten urbi et orbi, halb mit, halb ohne ©anbgloffen. Sie 
petite presse hatte oon Stnfang an baS abenteuerliche Unter: 
nehmen beS ©erigorber füboofaten roeiblidj auSgebeutet. Sin: 
erlennung feiner Königsmürbe fanb §erm oon SounenS jefct nur 
noch an einer Stelle, mo er fie am menigften münfdhte, nämlich 
in feinem $otet. 911S er oon ©ariS nach Sonbon ging, machte 
ihm ber $otetbefifeer eine ©edjnung mit wahren KönigSpreifen, 
bie er fich meigerte gu begabten, ©on Sonbon gurüdgelehrt 
erwartete ihn um biefer nicht begabten ©e^nung willen ein 
©roceß Wegen escroquerie, ben er glängenb abfoloirte; er wies 
bie ©reUerei beS SBirtljö nach u «b wieberßotte fein 9lnerbieten, 
bie ^älfte gu gaßlen, was ber ©erichtshof felbft für über unb 
über genügenb tajirte. Seitbem trat ber 9lraucaner ©rätenbent 
allmählich in bie Sunlelßeit gurüd. ©och einmal foü er in ber 
gotge feinen Kiel gen 9lmeri!a gerichtet haben, Sicheres habe ich 
barüber nicht erfahren. gebenfatlS hinbetten ih« feine ^ettfdjer: 
phantafien, eine ruhige SebenSfteUung gu gewinnen; bie ab unb 
gu mieberhotten ©rotefte gegen ©Ijile bradjten nichts ein. SounenS 
erlrantte unb befanb fich lange int Kranlenhaufe gu ©orbeaug; 
oor mehreren ÜRonaten ftarb er in tieffter Sürftigteit in einem 
Sorfe beS ©erigorb, nicht weit Oon feinem ©eburtSort. 

So oiel oon bem Seben biefeS 9lbenteurerS, ber nur um 
eines $aareS ©reite fein &iel oerfehlte. 9Rit einigen taufenb 


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158 


Oit <$egfu»arl 


Kr. 36. 


^iaftetn r« bet 2afd)e fyitte er e3 tt>al)tfd|einlid) erteilt, ■ 
Ulraucattien ju einem ielbjtftänbigen ©emeinroefen ju orjani; | 
fiten; t>6 er baS 3«u<j eine« l»irflid)en ©olonifator« liatte, bleibt 
fragtidj. (SAirt fois« i 


|Iuö ber <&auptflabt. 

Dramotifd>e ^uffäljnmjen. 

„SCnfer ^Ignmet“, 

©djroant in 3 Acten Don DStar SuftiuuS. 

„Sobom uub $omorrfta 4 S 

0cpwaut in 4 mieten ton granz Don Scpöntpan. 

3n biejen laßen ^at baS berliner publicum bie Betannijcpaft mit 
zwei neuen Autoren gemacht, beten Stüde fepon anberweitig mit ©rfolg 
gegeben roorbeu (inb. 

Ber eine, ber (ich Oätar 3uftinuS nennt, ein Sdjlefier, ein 
trüber beS berühmten BotatiiferS ^ßrofeffor De. gerbiuanb Sohn in 
BreSlau, pat gleich mit zwei Stüden bebutirt. Bei ftrofl ift „Sine (title 
©arieutoopuung" gegeben toorben. Biejem Stüde, baS ich tob« nicht 
habe (eben fömten, wirb Diel Suftigfeit nnb eine ftarfe, berbfomifepe 
Sirhmg nachgerühmt. BaS anbte, „Un(er Sigeuner", ift Don bem 
Nachfolger ©mit ©laarS baju auSerjepen worben, bie neue Aera Don 
Schimmelpfennig am (Refibenztpeatcr ein^utpei^eit. 

Aucp biefeS Stüd betunbet in Dielen ©inzclpeiten eine ganz ent« 
jehiebene Beranlagung für jene burcpauS nicht geringfepäßig ju be= 
haitbelnbe pojfenhafte Äomif, bie früher faft ausschließlich in unferm 
Saflnertpeater gepflegt mürbe uttb in Baris am BalaiS (Ropaltpeater 
ihre Statte gefunbeir hat. Nur fepabe, baß ber Autor, bem bie berben 
Scherje auS bem ©ebiete ber nieberen $omif jo mopl gelingen, burcpauS 
einen pöpereu ging pat nehmen woden, feinen Schmant mit ftart 
fentimenialen Scpaufpielelementen Derjeßt unb nicht blöd bie Belüftigung 
fonbern auch — unb fogar Dornehmlich — bie Belehrung unb Befferung 
beS BublicumS angeftrebt pat. . w Unfer 3igeuner" gehört ju jenen 
Stüden, bie unfre jcplecpten Sitten geißeln foden. 3n biefem ©efepäfte 
gehört aber hoch etwas mepr, als baS bramatifche Bermögeu Don SuftinuS 
bis jeßt 511 leiften Dermag. Bie Satire ift jeidjt unb triDial, unb mau 
muß über jo manche anfpruchSDotte unb tirabcureiche unb hoch jo leere 
Scene ben (Mantel confejfionSlojer Siebe breiten, um für bie parm« 
loferen aber Diel gelungeneren Scperze noch bie (Empfänglichfeit &u be= 
mapreu. 

Schon ber §elb, ber fchabtonenhafte Bagabunb mit bem großen 
Herzen, ber „ 3 i 0 euner", ber fiep als Sittenrejormer aufjpielt, leibet au 
töbtlicher ©emöpnlicpfeit. Sir tennen biefe „Silben", bie hoch bejjere 
aRenjcpeu fmb unb Don SuropenS übertünchter ©öflicpteit nichts mifjeu 
mollen, — mir tennen bieje ßanabier läugft! Sir tonnten ihnen alle 
ihre ©emeinpläße jouffliren, bie fic mit poepteabenber Bräteufion unb 
einer Sicptigfeit Dortragen, als ob eS ficb um ueuentbedte ppüojoppijcpc 
geftftedungen panbelte, jo oft haben mir fie ihr (ßenfum ableiern hören. 

Senn einer biejer großmäuligen Burfche mit einem §emb, beffen 
Buntelfarbigteit bie (Entjcheibung über bie MeinlicpteitSfrage erfeproert, 
mit eiuem Änoteuftode, beit er im Urmalb gejehnitteu, unb ber brennen« 
ben Bfeife in unfre ©efedjepaft tritt, ben SRunb fepr meit aufmacht unb 
in einer laugen (Rebe über fociale gäulniß, über Haftern unb Krämer« 
geift Diele Sorte unb babei gar nichts jagt unb unfre fepr betleibete 
©ultur auf ben Natur^ujtanb einer ebten Nadtpeit znrüdfüpren miH, jo 
fällten mir biejen rebfeligen Sürnmel, ber unS mit feinem ftuafter baS 
3immer Dodpafft unb bie bejepmupten Stiefel aufs (ßolfter legt, einfad) 
Zur Bpür pinauSbeförbern. Aber neinl Sir merben gut baran tpun, 
menn mir ipm biefe Ungezogenheiten naepfepen. Sir fommen auf unfre 
ffoften. Beim biejer unangenehme SRenfcp ift allemal ein ibealer 
Xugenbbolb. (Sr bringt ben grieben in bie gamilie, inbem er ben 
Ntann zu eöler Bpatlraft entflammt unb bie grau Don einer Derberb« 
licpen Schmäcpe peilt. (Er »enbet Scpimpf nnb Scpanbe Don ber epren« 
mertpen gamilie ab. (Er läßt als peimlicper Sopltpäter gemöpnlich 


einige SRiflionen fpringen, unb wenn fiep ber Bant an ipn peranfcräagt, 
jo mehrt er ipm großmütpig mit ben Sorten: „SRadjen Sie boep boh 
ber fileinigteit ni^t jo Diel StufpebenS \‘* 

„Unjer 3igewter / ' ift ganz f° eiw SKaun, wie ber eben gefcpilberte, 
unb er tput genau baSjelbc, maS feine (Eoüegen in äpnlicpen gäOtn 
jepon getpan paben. BieSmal fingt er auch noep ein Sieb babei, unb 
baS, melcpeS wir im Nefibenztpeater gepört paben, patte §war feine ge¬ 
waltige, aber fepr wunberfame Btelobei. 

3cp pabe atfo biefem Stüde feinen ©efepmad abgewinnen Wnneit; 
mopl aber glaube ich, in bemfelben bie Spuren eines XalenteS fiir att 
fprucpSlofe unb braftifepe ^omif zu erfennen, unb eS wäre pocperfreulilf, 
menn bie fpäteren Arbeiten bie gortfepritte beS BerfafferS naep biefer 
Nicptung pin befunbeten. BaS Stüd würbe mit woplmoüenbem BeifaH 
aufgenommen. 

Bie Borfteüuug ermöglicht noep fein tlrtpeil über bie Seiftnngen 
ber neuen Birection. Bon bem früheren Barjonalc freiten $err tleppter, 
ber bie Hauptrolle fiepet- unb gut gab, Bedmann, (ßatonap, Hund unb 
Bornemann, fo wie bie Barnen (Ernft unb $ 00 *«. Bie leptere fapen 
mir bieSmal in einer größeren (Rolle, bie fie reepf befriebigeub barpellte. 
Bon ben neuengagirten Btitgliebern ift oor allen H frr Btüller z« 
nennen, ber eine jübijepe (Eparge ganz meifterpaft fpielte. Seit bem 
Hüpneraugenoperateur Hirjcp beS H^rrn Bouber paben wir feinen fo 
guten guben auf ben Brettern gefepen. Bie Snfunft wirb lepren, ob 
biefe Antrittsrolle beS H^rru SRüller bloS ein glüdlicper Surf war ober 
etmaS AnbereS: bieBetunbung eines ausgezeichneten BarfteHungStalenteS. 
^ebenfalls wirb bie Berliner tfritif biejen Scpaufpieler jept im Auge 
bepalten. Auch Herr «Rollet, ber eine fepr unbanfbare (RoUe auszufüllen 
patte, maepte fiep burep einen üerftänbigen Bortrag unb gute’ÜRepräfen* 
tation bemerfbar. Bie Barftellerin ber jugenblicpen H e ^'n, bie burep 
ben Anlauf Doit Hbbotpeten ipr Herz entbedt, fepien ben Anfptürpen, 
bie man an eine £iebpaberin beS NefibenztpeaterS (teilt, niept ganz A u 
flenügen. 


Bei Seitem glänzenber ift baS Bebut beS H*rm granz Don 
Scpöntpan im Saünertpeater mit bem Scpmant „Sobom unb f)o< 
morrpa^ ausgefallen. ©S panbelt fiep pier uiept mepr Wie bei guftinuS 
um ein freunbUcpeS Auffucpeu Don talentDoüen keimen im miKpentben 
Uufraut beS BilettantiSmuS, pier ift baS unzweifelhafte, liebenSWürbige 
unb frifepe Balent eines Berufenen einfach, eprlicp unb perzlicp anzu* 
ertenneu. BaS pat auch baS Bublicum, melcpeS bem Scpmanf Don 
granz Doit Scpöntpan eine fo geräujcpDolle unb einmütpig freubige 
Aufnahme bereitet pat, wie eS feit ben fepöneu Bageu beS „Boctor 
ftlauS'" im Saünertpeater niept mieber ba gemefen ift, fofort riiptig 
perauSgefüplt. (ES pat, naepbem eS burep bie luftige (Egpojition beS 
erften Aufzuges in bie güuftigfte Stimmung berfept mar unb mit fpm- 
patpijeper ©rwartung bem weiteren Berlauf ber fo gefepidt unb fo 
originell eingeführten Sntrigue ent gegen jap, ben jungen Bicpter, ber 
ipm ooit Scene zu Scene fiep fteigernbe Ueberrafcpungen unb Be« 
luftigungen bereitete, Dom ^toeiten Aufzuge an naep jebem Actfcpluß 
zwei, brei Btal perborgerufen, im ©anzen mopl fieben, aept Stal; ich 
pab’S niept gezählt. ©S pat mit bem befriebigenbeu ©efüpte, baS Necpte 
getpan unb einen jungen fepr begabten Scpriftfteüer burep warme An« 
ertennung zu weiterem Scpaffen ermutpigt zu paben, unb in befter 
Stimmung baS H*uS Derlafjcn. 

„Sobom unb ©omorrpa“ ift eiu übermütpigeS, buntes gmbroglio 
Don einigen Bupenben Don BerwecpSlungen, BHßDerftänbniflen unb 
Notplügen, bie fortzeugenb weitere BerwecpSlungen unb BtißDerftänb« 
niffe gebären. Aber all baS tolle 3 e ug, baS uns ber Berfaffer ba 
Dorfüprt, ergibt fiep fo natürlich, bie Berwidlung ift fo tunftoott unb 
baS ©anze fo frifcp unb liebenSwürbig — mit einem Sorte, baS Balent 
fpriept fiep in jeber Scene, in jeber gignr, in jebem Sorte $0 beutlicp 
auS, baß man jeine rnapre greube baran paben muß. ©S tommt noep 
eins pinzu, maS Diele biejer BermidtungSfomöbieu oermiffen taffen: ein 
literarijep gebilbeteS Auftreten, ein fauber gepflegter Bialog. 

3cp ermäpnte eben als einen ber befonberen Borzüge biefeS ScpwanteS 
baS ÄunjtDoüe in ber Berfcplingung ber einzelnen gäben. 3&er ber« 
jelben weift in ber Bpat eine ganz beftimmte gärbung auf, fo baß auep 
eiu jeber in bem wirren ftuäuel fiep genau unb müpetoS erlernten läßt. 
BaS Stüd ift bei aller traujen Berwidlung liept unb bei adern epaotijepen 
Burcpeinauber Kar unb faßtiep. BaS Bepagen beS BublicumS an ben 


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Nr. 36. 


#i t Äfgennmri, 


159 


W^ljafteu ©ocgängen auf ber ©üpne wirb niept burch übcrßüjfige 
kopfanßrengnng beeinflußt; beluftigt unb angeregt, aber niept abgefpannt 
mib ermattet, fReibet man Oon biefem ergöplicpen ©cpwanfe. 

3)ie Natur biejer ©erwidlungSßüde verbietet oon felbft bie ©Bieber- 
gäbe ber gäbet. gd) will baper nur non ben ©oranSjepungen fprecpen. 

®S toaren brei luftige (Sejeßeu, ber SNater Sänften, ber ©djrift= 
ßeßer Doplpof unb ber Kaufmann Ntüßer, benen oor nunmehr io Sauren 
— ju einer ßeit, ba fie nichts weitet befaßen, als bie grijcpe ber Sugenb 
uub oiele ©Öffnungen, — baS gütige (Sejcptd ein unerwartetes (Seppen! 
§uwarf. S« einem ©albe fanben fie eine (Selbfape mit 2000 Dpaletf, 
bie fie, ba fid) Niemanb als ber rechtmäßige ©epfcet melbete, als ihr 
gemeinfameS (Eigentum betrachten burften. SJnßatt fich in bie uner¬ 
wartete ©penbe ju theileu, tarnen fie überein, baß ber Kaufmann Ntüßer, 
ber am beften mit bem (Selbe fertig 31 t werben oerftaub, bie ©umme 
an fiep nehmen unb biejelbe nach beftem (Sutbihtfen oerwalten fotle. 
(Sn 3eber oerpßicptete fich, noch monatlich fünf Xfjalcr jujujahlen. 3m 
Uebrigen foßte fein ©erlept innerhalb ber nä<hfteu 10 Sdpre ^wippen 
ihnen befteheu. Nadj Verlauf biefer grift unb genau an bem läge beS 
glüdlichen guitbeS ‘unb an berfelben ©teile, unter ber 3«piierSeiche, 
wollten bann bie Drei wieber jufammeutreffen, um fiep in baS i^wippen 
angefammelte Kapital 311 feilen. HlS ßojungSwort war ber bamalS in 
©cpmang gewefene ©ifc: ,,©o ift bie kap’V" auSgegeben. 

DaS ©tücf beginnt nun am Nachmittage beS DageS, ber bie 3 er 
ßreuten greunbe wieber oereinigen fott. 

2 )er Nialer ©haften pat oorher geäußert, er werbe fich 8 U bem 
©teßfeupein nicht einfiuben lönnen. Dieje ©emerfuug hat feine ©cpweßer, 
6 l)'e (Eprißen, aufgefangen, unb ba biefe fich für ben ihr unbelannteu 
$oplpof lebhaft intereffirt — fie jchwärmt für beffen (Schichte — unb 
zufällig ihre ©ommerfrifche in ber Nähe beS NenbejoouS jubringt, be= 
jchließt pe, fich eine ©oßmaept ju jehreibeu unb als ©teßoertreteriu ihres 
©ruberS, ben fie als ihren (Satten anSgibt, an bem öereiubarten Orte, 
jur oereinbarteit ©tunöe 3 U erfcheinen. 

. Huch ber ®<hnftfteüer Doplpof pat feiner (Sennerin, einer jungen, 
reichen ÄBittwe, ßubmißa oon (Efcpiiet gegenüber fein Bebauern au$- 
9 ejprochen, baS oor 10 3ah*e»i gegebene ©erfprcdjcit nicht einlöfen 30 
Urnen, daraufhin hat biefe junge, 311 Hbenteuern aufgelegte ©ittwe 
benfrlben frommen ©etrug begangen, hat fich ebenfalls eine Vollmacht ! 
gepprieben, P<P ebenfalls als (Sattin auSgegeben unb fommt nun als 
grau Doplpof an Drt pnb ©teile. 

55er dritte im ©unbe, Ntüßer, fcheint bie ©ache pergeffen ju haben. 

Huf bem ©ege 3 ur 3upiter3eicpe ift nun bie junge ©ittwe ßubmißa, j 
Oorgebliche grau Doplpof, mit einem jungen Ntenjcpen sufammengetroffen, ■ 
bem ©aron oon (Emmerlanb, her fich lebhaft für bie fepöne unb luftige 
grgn intereffirt, ihren ©puren folgt nnb, nadjbent er pe einige 3 dit 
öerlo$rn, an ber SüpiterSeiche wieber mit ihr 3 ufammentrifft. ßubmtßa 
»ermutpet in bem ©aron einen ber greunbe. Der ©aron, ber oon ber 
gan 3 en ©ad)e lein ©ort weiß, aber burch einige Heußerungen genug 
erfährt, um bie SKöglicpfeit, mit ber fepönett grau einige Seit 3 ufammeu- 
3 ubletben, 3 « erlennen, macht fich bdn ©paß, ben Srctpunt ßubntiflaS j 
ju bepärfen unb gibt fich für ben Kaufmann SNüHer aus. Diefe Drei: j 
alfo per falfcpe SÄüßer, recte ©aron (Emmerlanb, bie falfche grau &priften, ! 
recte gräuleiic (Eifa nnb bie falfche grau Doplpof, recie ßubmißa : 
Oon (Eppner, 3 iepen nun oergnügt in baS neue (SaphanS 311 m ©ein= | 
müfler. ©äprenb beffen treffen aber (Epriften nnb 5)ohlhof an ber ; 
SuptterSeicpe ein. ©ie haben ipre urfprüngliche Hbficpt, nicht 30 lommen, ; 
aufgegeben unb baS Sündhaften beS ©teßbicpeinS ermöglicht. I 

2 Ran fann fich nun ppon oorfteßen, welcher unglaubliche Wirrwarr | 
aüS biefen Draoeftirungen fich ergibt, nnb baS wirb noch toßer baburch, 1 
baß ber Nialer (Eprißen im ©albe bie ©efanntfepaft Oon gräulein j 
gtüit 3 chfn, her anmuthigen Nichte beS SßeinraüßerS gemacht unb pc© in i 
biefe oerliebt hat, 5)ohlhuf aber burch’ baS Sntereffe, baS @(fa ihm be? 
tunbet, auch in feinem ©er 3 en bie ßiebe für bie ©chwefter feines greunbeS | 
griffen oerfpürt. ] 

©alten wir einen Hugenblicf in ne, um Hthem 311 fchöpfen unb uuS j 
tlar 3U' machen, wie unbehaglich fich ®ffa fühlt, wel^e 5)ohlhof Hebt j 
unb mit ihrem %F|jbet oorgeblidp oerheirathet ift, wie unbehaglich Pd) j 
Ohlhof fühlt, ber (Eifa liebt unb oorgeblich mit ßubmißa oerheirathet 1 
iß, wie unbehaglich fich ßubmißa fühlt, bie oorgeblicß mit 5)ohlhaf oer- j 
hfirathet ift unb ben IBaron liebt, unb wie unbehaglich fich enblich ber 
Jöaron fühlt, bet bie oorgeblich oerheirathete grau oon SJohtyof liebt. • 


©oweit finb bie ©adjeu gebiehen, als ber SNaler ©h r iff cn ber 
©chriftfteßer 5)ohlhof mit bem ^aron, ber ihr alter greunb SNüßer 
fein foß, 3 ujammengeführt werben. Ntau fann fich gegenfeitige 
Ueberrajchuug beulen. Hber ber S3aron ift nun einmal entfchloffeu, 
jeine Noße als SNüßer burch 3 uführcn. ©r ftür 3 t ben greunben, bie ihn 
aßerbiugS etwas oeränbert pnben, in bie Hrrne unb ber Vorhang fäflt. 

Hber bamit noch nicht genug. 5)er SBeinmüßer hat eine eiferfüchtige 
ober oielmehr fpießbiirgerlich befrfjränfte grau, bie in ber SBelt ein 
großes ©obom unb (Somorrha erblirft, etnen fünbhöften ©chwefelpfußl, 
unb als ben einzig reinen ßot ihren (Satten, ber nach ber alten girma 
fdjledprocg ber Sßeinmüßer pdißt. 55ie SBirthin beobachtet bie in ihrem 
©auje abgeftiegenen gremben. @S entgeht ihren SBliden nicht, wie 
gleichgültig bie ©hdldute miteinanber oerlehren unb wie ber (Eine 
immer fceS Nädjften SBeib 3 U begehren fcheint. ©ie tritt ben ©erhält^ 
niffen näher unb erfährt mm 5)inge, bie ihr baS ©aar ßräuben müffeit. 
5)er Gine ertlärt, baß feilte grau in, 3 wei Sagen um bie (Ede gebracht 
werben würbe unb baß er bann eine @h e mit ber perheiratheten anbern 
grau ein 3 ugehen beabfieptige. 3)anu hört pe wieber, baß 5)ohlhof Man 
fecßS ^inber in bie Söelt gejept habe — nämlich SUnber feines (SeipeS — 
um bie er pep niept weiter belümmere. (Enblicp erfährt pe fogar, baß 
(Eprißeu unb (Eifa (Sefcpwifter finb, — unb bennoep oerpeiratpet, — wie 
pe meint, — alfo etwa ©iegmunb unb ©ieglinbe! $hir 3 unb gut, bie arme 
grau glaubt in ihrem ©auje bie auSerlefenßeu ßaperbälge ber SBelt su 
beherbergen unb fie pmtt unb trautet nur banatp, wie fie ihren unfdjulbS; 
ooßen (Satten üott ber ©erüprung mit biefen unfattbern Elementen fern 
palten löttne. 

5)aS gelingt ipr auch &iS 8 um (Bc©luffc beS lepten HcteS. 55a 
fommt ber SBeinmüßer ba 3 it, unb baS ift natürlich ber Kaufmann 
Ntüßer, ber oor 10 3 apreit in bemjelben ©aftpaufe abgeftiegen ift, bte 
liebeitSwürbige SBirtpStoipter lernten gelernt, fiep mit ipr oermäplt pat 
unb niept wieber 00 m gled gegangen ift. 

lieber bie taufenb ©erlegenpeiten, in bie ber ©aron baburep Oer= 
jept wirb, baß man ipn nach *>dr „ftape" fragt unb ber feine 3 &ee oon 
biefer ©epie pat, über aß ben übrigen luftigen ©eyenfpul, ben ber ©er* 
faffer an mtS oorüberjagt, jepweige tcp. ©0 gefepidt bie ©erwidlung, 
fo gefepidt ift auch bie ßöfmtg. (ES iß ein burdpoeg heiteres, auS^ 
gelaffetteS ©tüd opne ©rätenffon nnb für ein (ErplingSWerf ga «3 
ungemetn büpuettgere^t. 

Scp weiß niept genau, ob „©obom unb (Sontorrpa" baS erfte ober 
3 weite ©tüd beS ©erfafferS ip; er pat noch ein anbereS, „55aS SNäbcpcn 
aitS ber grembe 1 ', gefcpriebeit, baS in ©amburg am Xpaliatpeater mit 
bemjelben glän 3 enben (Erfolge in ©eene gegangen ift, unb bas ich aus 
bem gebrudten ©üpuenbuepe fenne. Hucp biefeS ©tüd, baS weniger auf 
ben brapijepen Sßirfungen ber ©erwecpslungen als auf ben SBirfungen 
beS pöperen ßuPfpielS berupt, seigt biefelben ©orsüge beS jungen unb 
fepr begabten ©üpnenfcprippeüerS. 3<h meine, baß bie ßeitung ttnfreS 
töniglicpen ©cpaufpielhaufeS biefeS leptere ©tüd, baS feineSwegS aus 
bem Nahmen einer ©ofbühne fäßt, einer ©rüfung unterwerfen foßte. 

„©obom unb (Sontorrpa'' pat am Söaßnertpeater eine muftergfiltige, 
bnrcpweg üor 3 Üglicpe Huffüprung gefunben. 5)te ©erren kabelbttrg, ber 
auf bie ©tätte feiner erßen unb größten (Erfolge 3 urüdgeteprt nnb pier 
auf feinem eigentlichen ©oben gleich bei feinem Huftreten mit warmer 
©pinpatpie begrüßt worben ip, ©lende mit feiner liebenSwürbigen ©on= 
pommie, kttr 3 unb ©cpmibt, grau Tarifen als ©einmüßerin, gräulein 
ßReper als ßubmißa, eine fepr hübfepe, fepr frifepe unb fepr muntre 
Debütantin, gräulein ©eßbromt als gräU 3 cpen, leißeten burepweg ©or- 
3 ÜglicpeS. ©ben fo auSgegeidpnet nnb braßifcp in ber ©irlung waren 
©err (Sutpert) als keßner unb gräulein ßöffler als ßJlagb. SNan fattn 
fiep nicptS ©rgöplicpereS benfen als biefeS trefflicpe ©nfembte ber ©aupt* 
roßen unb biefe (Epifoben. 

gran 3 oon ©cpöntpan pat ben künßtern, bem ©ublicum unb ber 
kritü große greube bereitet, gür bie künftler pat er gute unb banfbare 
Noßen gefeprteben, bem ©ublicmn pat er bie (Selegenpeit geboten, wieber 
einmal reept ©erjlic© la^en, unb ber kritif, fiep grüitblicp auSloben 311 
lönnen. Paul Einbau. 


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ffl i t (Segrnmart. 


Nr. 36. 


160 


| Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur (A. HoMann) in Berlin (Kronengtr. 17). | 

Als 7. Bd. der IV. Serie der Vereins 
die Vereinsmitj 

Liebe und Liebesieben 

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Professor Dr. Ludwig Büchner. 

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FürNichtvereinsmitglieder wird der Bd. nur 
zum erhöhten Preise von 6 Mk. abgegeben. 

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elegant gebunden Preis 30 JC) sowie Bestel¬ 
lungen auf die früheren Serien nimmt jede 
Buchhandlung entgegen. 


- Verlag voi^ Friedrich Vieweg & Sohn in Braunschweig. ... 

(Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) 

Die Tropenweit 

nebst Abhandlungen verwandten Inhaltes. 

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Alfred R. Wallace, 

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Siebenbürgen. 17. Aufl. 1878. 5 JC — Südbaiern nnd die österr. Alpenlinder: Tirol, 
Salzburg etc. 18. Aufl. 1878. 6 JC — Oberitalien. 9. Aufl. 1879. 6 JC — Mittel - Italien. 
5. Aufl. 1877. 6 JC — Unter-Italien. 5. Aufl. 1876. 6 JC. — London. 6 . Aufl. 1878. 6 JC — 
Paris und Umgebungen. 9. Aufl. 1878. 6 JC — Rheinlande. 20 . Aufl. 1879. 5 1 
Schweiz. 18. Aufl. 1879. 7 ^ — Unter-Aegypten. 1877. 16 JC — Palästina und 

Syrien. 1875. 15 JC — Schweden und Norwegen. 1879. 8 JC 

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gtuboff hoit 6otif^öCr 


Sag ptbene Mft. 

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jit uertoerthen, »eiche fetne befonbere 6peciab 
fenntnifj be3 behanbelten <8egenftaitbe$ DorauSfebt, 
unb beten burchfidjtige Klarheit unb hmftboKe 
Schönheit jeben greunb beS 2llterthum3 nnb 
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StarKn, ben 13. 1879 


Band XVL 



Pe ^cgcmimrt. 

2ßo<heitf<httft für Literatur, .fhutft unb öffentliches ßeben. 


Herausgeber: 'gfauf ^ittbau in ©erlin. 


S*<* Smwtel eae gmntt. «erleger: ©eora Stille in »erlin. I** P* (MM 4 füll 50 ff. 

8v b«*ieben bunfc alle ©ucötjanblunflen unb Stoftattflallen. 3nferatc jebet «rt frro Sgefpaftene $etit*eile 40 $f. 


3)a& ®oatttion$minifimum unb bic SSerfafimtgSpartei. $oit $Bb. — giteratnr nnb {tauft: ©ommerUcbcr. S3on SKattin (Steif. — 
ftltfirtff • ^ eue ®f8'ftWungen öon $tut$ #opfeit. ©eftrcodjen non $aul ginbau. — 2)ie internationale $unftau8fteflung §u 3ttün<$en 1879. 
&• U/UU. jß on ® u ji a t) gioerfe. IV. — SBittiam Ölobb (Sartifon. $on Ubo Bradjöogel. — ©ommertoanberungen in granfreidj. ®on 
Sßaul b’&breft. II. — Sluf ber $ronenfudje. ©on 3- 3R- (Sdjlufc.) — Offene ©riefe unb Änttoorten. — ©tbliograbtyie. — 3njerate. 


bas CoaUtionsmim^erinm nnb bie berfaffungspartti. 

SBit flehen abermals an einem bebeutungSootlen Slbfchnitt, 
»ieüeicht an einem bebeutungSootten SBenbepunft ber inneren 
Sntoidelung DeftreichS: nod) finb bie SSürfel um bie ßofe ber 
3u(nnft im Stollen, aber lange mirb bie ©ntfcfjeibung nicht auf 
ii<h matten taffen. Dii sint propitii, haben Wir junächft ju flehen. 

StoS bet Formation SluerSperg finb wir fdjon feit SRonaten 
^«ausgetreten, baS ©ebilbe ©tremahrsXaaffe, taftenb unb oor* 
taceitenb, fonnte unb follte nur ephemer fein. ®ie Sleta Zaaffe 
ift am $orijont heraufgejogen. Stof baS SRinifterium, welkes 
bie tief erfdjütterte, Me faft oernichtete ©erfaffung wieber auf 
fefte ©runbtagen geftettt, ift, nach einem Interregnum, welches 
biefe ©runblagen unberührt bem. fünftigert ®efinitioum jn über* 
mitteln bie Stufgabe hatte, baS SRinifterium gefolgt, meines in 
ben Stammen ber atfo gefertigten ©erfaffung äße ©lieber ber 
großen ©ölferfamitie beS SteidjS einjufügen ftd^ jum Siele fefct, 
welches baS ®ogma einer afleinfeligmadjenben ©arteipolitif oon 
(Ml geÄ|an unb an ©teile einet ©lub = unb Soterietprannei bie 
©ouoeränität ber SteidjSintereffen aufrichten fott. SBir haben 
beute — baS SBort ift fetbft an entfeheibenbem Orte recipirt 
— ein ©oalitionSminifterium, ein SRinifterium, welches alle 
(Elemente in fid) aufjunetpnen beftimmt ift, bie in ben 9teid)S= 
rathS:9teuWahlen jur partamentarifchen ©eltung ju gelangen 
oermoebten. 

Säer ba fehen wollte, ber muftte ein folcheS ©oalitionS* 
minifterium tängft am parlamentarifchen Horijont im Stojuge 
fehen. ®ie alte grofte unb mächtige, bie ju Seiten allmächtige 
©erfaffungSpartei hatte ju ejiftiren aufgebärt, fie butte fid) in 
3tactionen unb fjractiöndben, jahlloS wie ber ©anb am SReer, 
jerfplittert, in ©artilet, bie, mehr noch unb erbitterter als bie 
gememfatnen ©egner, ficb un ter einanber betämpften unb nur 
bann noch ju einer geeinigten Slction ficb aufrafften, wenn eS 
galt, gegen bie aus ihrer eignen HRitte beroorgegangene fftegie* 
tung Sront ju machen. Unb weshalb, für welche Swecte ffront 
ju machen? 3Rehr als einmal trat bie Stofforberung, bie brin* 
genbe Slufforberung an bie Partei heran, bie ©efebafte felbft 
in bie $anb nehmen, bie weiter ju führen fie ben SRännern 
bn damaligen Regierung bie ffähigteit unb bie SBürbigteit ab: 
gefprochen. Saron ®epretiS, fpäter ©raf laaffe gingen — in 
beS SäorteS oerwegenfter ©ebgutung — h a «firen mit SRinifter* 
Portefeuilles, aber wo immer fie anftopften bei ben gührem, 
immer fanben fie oerfebtoffene ®h“ rtn - Sticht etwa weil baS 
Programm ber Regierung Slnftofe gegeben, ni^t etwa weil man 
bie Siele ber Regierung mißbilligt hätte; nein, eS mar ein 
®eift ber negirenben SSerhepung in baS StbgeorbnetenhauS ein* 


gejogen, ber in blöber ©erranntheit jebeS pofitiüe SRitthun 
ablehnte. Sticht ein öte-toi de 14, que je m’y mette — baS hätte 
man oerftehen fönnen — rief man ber SRinifterban! ju, man 
hatte nur ein einfaches öte-toi, man wollte Stiemanben jtjjen 
laffen unb boch ficb felbft nicht fefeen, man mottte Stiemanben 
regieren laffen unb boch nic^t felbft regieren. ©ewerbSmäfeig 
trieb man bie äRittifterftürjerei, fie war naljeju ein ©port ge= 
worben. 

@o war benn bie ®eSorganifation ber ©artei unb folge: 
weife ber ^Regierung tängft aufs Häufte geftiegen. SSohl er: 
focht auch ie|t noch bie oerfaffungStreue Regierung Siege, aber 
nicht mit ber ©erfaffungSpartei unb burdj bie ©erfaffungS: 
Partei, fonbern tro| ber SerfaffungSpartei unb gegen bie 
©erfaffungSpartei. Sticht bie ©erfaffungSpartei h°t ben StuS: 
gleich mit Ungarn gemacht, nicht bie ©erfaffungSpartei hat ben 
©ertiner ©ertrag öotirt, nicht bie ©erfaffungSpartei hat bie 
boSnifche Dccupation befchloffen: eS waren bie ©egner, bie — 
mehr ober weniger — tierfaffungS u n frcunbtichen (Elemente, 
welche im ©unbe mit oerfprengten ©ruchtheiten ber ©erfaffungS* 
Partei an ber ©eite ber ^Regierung ftritten unb biefer ihre ju 
3einben geworbenen greunbe befiegen halfen. ®»e Koalition 
war alfo thatfädhlidh ba, beoor an baS SoalitionSminifterium 
auch nur gebacht würbe; baS ©oatitionSminifterium brachte bie 
Koalition bloS jum thatfädjtichen StuSbrud; SlßeS mußte fo 
tommen, wie eS je(jt gelommen ift. 

®aS ift mahrli^ feine politifche fßartei, bie fich baran 
macht, ein SRinifterium Pom ©la|e ju fegen unb bie nicht be* 
reit unb im ©tanbe ift, fich felbft an baS ©taatSruber ju fteßen, 
felbft SRinifterium ju fein; baS finb im günftigften gatte po* 
iitifche Slbenteurer. ®aS ift feine politifche ©artei, bie für jebe 
grofje ober fleine grage nur ein Stein, nur ein „3<h Witt nicht" 
ober „Sch fann nicht" hat, bie ben Staat mit bloßen Stegationen 
regieren ju fönnen .permeint; baS finb im günftigften gatte po* 
Iitifche SretinS. ©in Stein mag genügen, wenn unb fo lange 
eine Dppofition eben nichts fein Witt als Dppofition, wenn bie 
Dppofition nicht SRittel jnm Swed, fonbern ©elbftjwed ift. Slber 
ein Stein genügt nicht, Wenn man Sltffpruch barauf macht — 
unb ohne einen foldjen Stnfprudj ju machen, gibt eS feine be* 
redjtigte Dppofition — felbft ^Regierung ju werben: wer als 
regierungsfähig gelten, wer regieren will, ber ntufj ein ©rogramm 
haben unb befannt geben, ber mu| bie Siete, für Welche ber 
©taatSmedjaniSmuS in ©ewegung gefefct werben fott, nicht bloS 
fennen, fonbern auch befennen, er muh wiffen unb fagen, wie 
er eine SRaforität unb woju er biefe SRaforität ju fchaffen ge* 
benft. ®aS ©arlament als fotcheS freilich hat für ben StuS* 
brud feines SBiflenS nur ein Sa ober Stein, aber oon feinen 
gührem erwartet man, bah ft* unS nicht in 3weifel laffen, 


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162 


9tt «tgtumart. 


Nr. 37. 


weSpa(b cs mit 3a ober mit 9lein ftimmen muhte unb ge; 
ftimmt b»t. 

3« bie Situation, bie wir foeben gefc^itbert, ift ber 
„Sinjcr Parteitag" pineingefaflen, bieSmat eine Begegnung nicht 
einjelner gractionen, fonbern ber ©efammtpeit ber SBetfaffungS* 
Partei in allen ihren Scpattirungen, eine freiwillige Segegnuug 
übrigens infofern, als eS ben einjelnen ©litgliebern jeber einjelnen 
graction ooßftänbig anpeimgefteüt War, X^eil ju nehmen ober 
nicht Dpeil ju nehmen — unb waS bat biefer Parteitag, ber 
bocp entfchieben bie Stufgabe hotte, bie auSeinanber gefpreugten 
(Elemente ju raQiiren unb non Steuern um eine gemeinfame Sohne 
ju Schuh unb Drufc ju berfammein, waS hot er getpan? ffir 
hat abermals bie alten Scplagmorte in bie 83eüölferung geworfen, 
er hot abermals einfach unb in SJaufch unb Sogen öerurtpeitt, 
waS gefchchen ift unb gefchieht, er hot abermals mit bem 3lccept 
jurüdgepalten, wie benn nach feinem Dafürhalten bie Slegierung 
ju führen, wie bie bieSinal iu faft gleicher Stätfe in ben parla* 
mentarifchen Sampf jiehenben Druppen aneinanber ju binben, 
wie auf bem ©oben ber ©erfaffung bie oorhanbenen ©egenfäfce 
auSjugieichen ober boch ju milbern. (Sr ift abermals febem 
fchöpferifcheu ©ebanfen gefliffentlich aus bem SBege gegangen, 
er will abermals untätig abwarten, ob bie Drümmer unb Stuep= 
ftüde ber Partei fich wieber ju einer @inpeit emporringen unb 
in biefer ©inpeit bem Siechte unb ber Serfaffung ein fefter 
Damm werben, ober ob fie, bem ©efep ber Stttraction folgenb, 
bie Sleipen ber immer fiärler werbenben ©egner noch weiter 
oerftärfen, ober enblich, ob fie gar bem ©leiftbietenben jufaUen. 
Dporpeit, ftopflofigfeit unb ©erbiffenpeit — fonft hat ber ©artei* 
tag nichts ju Doge geförbert. 

Unb boch foKte man benlen, bah bie parlametttarifchen 
3ugenb* unb glegeljahre hinter uns lägen. Der ©arlameutariS* 
muS ift reif genug geworben, um nicht ben tanbläufigen tönen* 
ben Stidjmorten mehr auf ben Seim ju gehen, um fich auch üon 
ben fcpimmernbften unb lärmenbften Carolen ju emancipiren, um 
mehr als ein blofjeS ©dp) ber jeweiligen DageSftrömung ju fein, 
um nicht in ftummem unb btinbem ©eporfam einer noch f° gtän* 
jenben ©reffe, — bie ihren ©eruf oerfennt, wenn fie ihre Partei 
mit Sbeeu füttert, ftatt ben 3been ber Partei blpS Schwung 
unb glugfraft ju oerleihen, — bie Schleppe ju tragen. Die alte 
©erfaffungSpartei tritt auch in bie neue Situation mit ihrem 
längft obfolet geworbenen Programm hinüber, fie bringt nichts 
mit als bie alte tvoftlofe Sterilität unb Betfahrenheit, bie wohl 
ffrife auf Srife ju erjeugen, aber feine einjige ju bannen »er* 
mochte. Die Situation hat fich grünbliep »eränbert nnb fo 
muhte auch bie Stetion unb Daftif eine grünbtich Oeränberte 
fein, fonft hotten bie ©egner Pon öornperein gewonnen Spiel. 
Klarheit, üoUe Klarheit war öor aßen Dingen nöthig; Per* 
fchwommene ©prüfen muhten ihren Dienft Perfagen. Sluch bie 
Regierung muh mit befannten ©röfsen rechnen fönnen: wenn fie 
ihrer parlamentarifchen Slufgabe gerecht werben foß, fo muh tpr 
ein parlamentarifcheS ©ateüt ermöglicht werben, fie muh miffen, 
bis wohin man ihr folgen, wo man ihr ein „bis hierher unb 
nicht weiter" jutufen Wirb. Der Sinjer ©arteitag pat biefe 
Klarheit nidjt gebracht, auch er ift über baS ©erneinen, in Welchem 
fich bisher bie Summe ber ©arteiweispeit erfchöpfte, nicht pin* 
auSgefommen, er hot nicht entfernt angebeutet, wie er bie fcpwe* 
benben fragen getöft refp. nicht gelöft wijfen wiß. Unb boch 
wäre eS oielteicfjt nicht unmöglich ßewefen, bah, wenn beibe, baS 
©oalitionSminifterium unb bie ©erfaffungSpartei, gefprochen 
hätten, fein nennenSwerther ©egenfafc conftatirt worben wäre, 
fein ©egenfafc, ber niepf oietleicht bursh friebliche ©erftänbigung 
hätte ausgeglichen Werben fönnen. Ober hat — bie $anb aufs 
$erj — baS ©iiuifteriunt bisher irgenb etwas gethan, waS 
auch «ot ben teifeften Bwetfel an feiner correcteften SerfaffungS* 
mähigfeit ju begrünben Permöchte? ©tag bie ©erfaffungSpartei 
immerhin auf ihrer #ut fein,,baS ift — vestigia terrent — 
ihr Siecht unb ihre Pflicht, aber fie foß gegen Dpatfachen, nicht 
gegen SBinbmüplen, fie foß nicht gegen ©efpenfter fämpfen, bie 
fie felbft an bie SBanb gemalt. §mmer bemoliren, niemals auf* 
bauen, baS tput feine ernfthafte fßartei. Die ©erfaffungSpartei 


hat fo oft bie ©arlamentSmamelufen gebranbmarft: wiß fie uns 
bafür Partei* unb ©lubmatnelufen geben? 

3nbefj oor ber £>anb hoben wir uns getäufcht, als wir auf 
bie Sleconftruirung, auf bie gefunbe Sleconftruirung ber ©er* 
faffungSpartei hoffen ju bürfen glaubten, auf fie h°ff en f Weil 
nur bie reconftruirte ©artei eine ©lacht ift, ben greunben eine 
Stü|e, ben geinben eine Scpranfe. 3ept ift bie ©erfaffungS* 
Partei ein Scplagwort opne 3«halt, bie SBaptbeWegung hot fie 
nicht bloS becomponirt, fonbern ihren ßparafter gefälfeht, berort 
gefälfeht, bah augenblidliih nicht im tfepeepifepen, nicht im feubalen, 
nicht im clerifalen, fonbern im beutfepen unb liberalen Säger 
— wir erinnern nur an bie früheren Parteitage Pon ©raj unb 
St. gölten — bie rotpe gähne jum Kampfe gegen bie ©erfaffung, 
gegen bie ganje ©erfaffung ober einen Dpeil betfelben, entroßt 
würbe. Die Slegierung bagegen hot bie ©arole auSgegeben 
„©erföpnung unb Slrbeit"; baS ift eine ©arole, Welche baS ©oll 
oerftept unb Welche ihm fputpatpifcp ift, unb wenn bie Spot* 
potpien noch awpt aller Orten jum tauten SluSbrud gelangen, 
fo gefchiept eS nur beShatb, weit man noch nicpS im Steinen ift, 
wie bie Slegierung bie ©erföpnung ju Stanbe gebracht unb 
welche Slrbeit fie in Singriff genommen miffen wiß. Sein tüdj* 
tigeS Soll, auch baS beutfcp*öftreicpifche nicht, fepeut ben Äarnpf, 
wo eS feine höchften ©üter ju wahren pot, aber lein tüchtiges 
ffiolf, auch baS beutfeh=öftreid^ifc^e nicht, entfdjliefjt fiep jum 
Kampfe um ber greube beS Kampfes Wißen, gieichoiet für wen 
unb für maS eS fämpft: wir woßen Solbaten fein, wenn eS 
fein muh, ober feine Sanjfnecpte. ©ielleicpt — wir fepen bie 
äRöglicpteit — Pielleicht pot bie Slegierung eine faljpe gopne 
auSgeftedt, üielleicpt miß fie feine ©erföpnung ober fie wiß eine 
©erföpnung, bie fiep ber eine Dpeil nimmermehr gefaßen taffen 
fann. Slber WaS pinberte unb pinbert bie ©erfaffungSpartei, 
bie ©robe ju machen unb, bis fie biefelbe gemacht, mit ©Wh 5 
trauen unb SBerbäcptigung jurüdjupaltln? ©in Dpeit bet ©tinifter* 
portefeuißeS ift nodp oacant unb biefe ^JortefeuifleS finb, fo fagen 
bie StegierungSorgane, für bie SerfaffungSpartei referoirt, Wenn 
fie jur „SJerföpnung unb Slrbeit" mittpun wiß. 9tun gut, mon 
nepme bie Slegierung beim SBort. Sntwfticr man fiept, bah 
eprlicp $anb antegt, aße berechtigten ©lemente ju gemeinfamem 
SBirferi heranjujiepen, bann ift niept aflein fein ©tunb oor* 
paitben, bann ift eS hanbgreiflicpe Dporpeit, baS abjutepnen, 
WaS ber SßerfaffuugSpartei ben gebüprenben, waS ipr fogat einen 
bominirenben ©influfj auf bie ©eftattung ber Dinge gibt; ober 
man finbet, bah f« mit falfcpen harten fpielt, unb ein ent* 
laroter galfcpfpietcr pat fein Spiel bereits Perloren. 3 k og bie 
SSerfaffungSpartei oorfieptig, aber opne SSoreingenommenpeit, 
ftreng, aber geregt urtpeifenb an baS Programm ber Slegie* 
rung herantreten; großeitb unb untpätig bei Seite fiepen, baS 
ift baS ffiinjige, was fie niept barf. ®S mögen fiep Umftänbe 
benfen laffen, welche eine ©ntpattung unb ßurüdpaltung erflät* 
tiep machen, aber pöper noep als eine patriotifepe Strtfe fiept 
bie patriotifepe Slrbeit. JDb. 


Literatur un& £unfl. 


^owmerlteber. 


Das erfte Sommergras. 

3cp weih eS niept, WaS eS mopt ift, 
DaS mir ju §erjen gept, 

Sep’ icp baS erfte SommergraS 
SJom Scpnitter pingemäpt. 

SBopl fprieht baS neue halb ipm naep 
Unb Sommer bleibt f no^ lang, 

Doch biirb mir gar fo trüb’ babei, 
$ör' icp ber Sichel Älang. 


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Nr. 37. 


JDtt ©egenfoart. 


163 


£>or bet <£tnte. 

Sinn ftöret bie Stegen ittt 3etbe 
ffiin letfer fjmucb, 

SBenn eint ficb beugt, fo‘ bebet 
Die anbre audj. 

S8 ift, als ahnten fie affe 
Der Siebet Schnitt: 

Die 8 turnen unb ftemben ftatine 
ffirjittern mit. 

* 

* * 

Hu^e im IDaib. 

Um ben hoben UJHttag 

3« be» jaubrifdjen SBatbeS buntter ©title 

#atb trüumenb unb ^atb im SBacben 

$att’ itb' einfam Staft, 

ftingeftreeft auf ben unhetret’nen SÖü^et. 

Allein jwifeben ben Schütten bin 
Stuf bet bemooften, färbigen Srbe 
Spielen ber bocbbetblüfenben ©orine 
Unftät gtänjenbe Siebter. 

SDtanebmat im bämmVigen Saubgejett 
©cbwanfen jugleicb mit bet ©lätter 
Stieger gütle 

Srnft raufebenbe fronen. 

Aber fern babinter liegt, 

Uitergrünbtieb bem Auge 

©anj in ben eignen ©lanj gebufft, 

Stubenb ber tiefbtaue Aetber. 

* 

* * 

Sommernacht am See. 

©ebtrg unb ©ee im Duft 
Der febmilten Stadjt, 

©tübmürmcben in ber Suft 
AIS ©fern entfacht — 

3m SBeft bie SBolfeu noch 
SSom lag umbauebt, 

Das ferne Alpenjodj 
3n ©tanj getaucht — 

3efet Wirb jutn ©cb'meicbetlieb 
Der SÖette Saut, 

Die Stije taebt im Stieb 
®om ffilf erfebaut. 

* * * 

Vergangen: 

Saum finb bie ©eileben fort, 

Primeln unb Stetten, 

Sangen bie Stofen an 
Auch f<bon ju metfen. 

Sräbting unb ©omrtierSjeit 
Surj ift ibr prangen, 

Schönheit unb Siebe finb* 

©albe oergangen. 

martin (Steif. 


Kette (frjälflttttjjett non Ijaits Ijopfett. 

#an8 #opfen b°t foeben unter bem litet „Die ©e* 
fdjiebten beb SJtajtorb"*) btei neue Srjäblungen oeröffent* 
liebt: „Der Dettorne Santerab", „Die-SBette ©cbabernacfS" unb 
„fftirtferts @tü<! unb Snbe". Diefe Stobeflen geboren nach 
meinem ©efebmaefe mit jU bem ©orjüglidjften, wa8 $opfen ge* 
febtieben 1 bot. ©ie jeigen einen merfticben Sortgang in ber 
SntwicHung beS DicbterS, beffen eigenartige ©orjüge b* et in 
bem befebrfintten Stabmen ber Stoöeffe oieffeiebt noch mirtfamer 
betDortretert atS in bem breiten Stotnan, unb ber feine Abfonber* 
lidjfeiten, bie bie unb ba ftörenb wirften, immer mehr abtegt. 
Sür bie getungenfte ber ©efebiebten, bie unS £an3 £>opfen bureb 
baS Organ feine» SRajorS erjäblt, b°Ue ieb bie erftc unb bie 
lebte: „Der Dertome ßamerab" unb „jjtinferl" unb mit biefen 
beiben tniff ich mich für beute eingebenber befebäftigen. 

Diefer STOajor tritt übrigens nur in ber testen StoDeffe 
als eigentlich b Q ubetttber $etb auf; an ber ^»anbtung ber anbent 
ift er nur mitbetbeitigt. Aber febon bie Art unb SBeife, wie 
er tott ben ©egebniffen' fpriebt, macht ihn uns tief ft)mpatbif<b- 
SBir feben 1 einen ganzen SJtann Dor uns. Der SRajor ift ein 
©rjäbler, wie es beren ht Deutfcblanb nicht afljubiet gibt, 
©eine Sprache ift — um einen ©aty §an8 #opfen$ mit einer 
geringen Abweichung hier anwenbbar ju machen — frei Don 
allem ©efuebten; fie Hingt immer gemüthtich, gutmütig unb 
treuberjig. Der SRajor ift ein btaDer ©aier. Sr brauchte uns 
baS ©ebeimnifj nicht erft ju Derratben, brauchte gar nicht Don 
©ajeiffeS unb ben oerfeboffenen beffhtauen Uniformen ju fpreeben, 
Wir würben e8 feiner ganjen ©ortragSWeife unb feinem Diatefte 
obnebieS angebört hoben. Denn baS ift eine Sigentbümlidbfeit 
ber §opfen’fcben tßrofa, baff fie, obwobt fie in burcbauS correc* 
tem unb mit än|erfter Sorgfalt gepflegtem $o<bbeutfcb gefebrieben, 
bodj ganj bie jjärbung be8 fübbeutfeben DialefteS aufweift. 3<b 
bin im Allgemeinen fein fftcunb Don tanbSmannfcbaftlicben 
©ruppirungen unferer ©cbriftftetler; wenn Wan aber Hopfen 
ebarafterifiten will, fo wirb man faum umhin fönnen, an ben 
8aiern, ber et ton ©eburt, in ber Smpfinbung unb im Au3* 
btuefe ift, ju erinnern. Stamentticb, wenn er tßrofa febreibt, 
bat £opfen8 febriftftefferifebe Art eine ftarfe, grobförnige Derb* 
beit, etwa8 ©efunbeS, 3)tu8futofe3, StüftigeS, baS unS Storb* 
beutfebe immer an bie §eimat be3 Dichters gemahnt. Affe feine 
©äpe hoben einen fübbeutfeben Donfaü unb bairifeben Slang. 

S3ie in fkinen früheren Srjäbtungen, fo wäbtt er auch hier 
mit einer gemiffen SSortiebe SBenbungen unb SBörter, bie uns 
Storbbeutfcben fern liegen, bisweiten faum Derftänbttcb finb, bie 
uns baber befremben, unS aber gleichzeitig baran erinnern, bafj 
bie beutfebe ©prnebe bo<b' nicht auSfcbtieiticb, ober auch nur 
Dormiegenb hn Storben unfreS ©atertanbeS gebitbet Wirb. SBenn 
$opfen uns erjfibtt, baft ein Dfftjier mit „auSgegrätfcbten Sei* 
nen" baftebt unb unS Don einem Anbern fagt, baft er nicht 
„tuef taffe", fo ftupen wir junfiebft, weit es unS eben ungewöbn* 
lieb ift; aber nach einigem Sefinnen müffen wir uns boeb fagen, 
ba§ baS ganj correcteS unb ganj gefunbeS Deutfeh ift. 

Die ©efebiebten Döm terlornen ffameraben unb ton gtinfert 
finb in Sejug auf bie §anbtüttg gar einfach- ®fi Hopfen 
fommt eS überhaupt immer mehr auf baS SEBie atS auf baS 
SBaS an. ©t bemüht fleh nicht, bureb eine bietberfchtungene 
$anbturtg feine Sefer ju fpannen. SS ift ihm augeufcbeinlicb 
mehr batum ju tbun, burdh bie funftboffe ©dhitberung an ficb, 
bureb bie SBabfbeit unb Anfdbattti^feit ber Sefdjreibung bie 
©unft beSfefiigen SeferB ju gewinnen, ber • für bie ©ebönbeit 
ber fünfHertfcben unb biebterifeben gorm Smpfängticbfeit befi^t 
unb höbet fftb* ots ber ©ebtnöferer, ber btoS ben ficb gegen* - 
feitig abbebettben Sreigniffen naebiagt. 

^SiuS 1 beifet ber „Dertome fitamerab". SBir lernen ihn als 
ganj jungen SWenfcbert 1 fennen, noch jut Seit, ba -er bie ©rimn 
befuebt unb eS enbticb burchfebt, bafe fein Sater, ein Pflicht* 


©etltn 1880, Schneitet & So. 

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164 


9t; (Srgrnmart. 


Nr. 37. 


getreuer, ebler, oon ben ©einigen üerfannter Siamt, ihm ben 
3wang beS äbiturientenejamen# erläßt unb ihm geftattet, ben 
jweifatbigen Sod anjujiepen. PiuS aüanrirt fe^r fdjnell jum 
Lieutenant. ®r ift teidjtfinnig, macht ©djutben, bie bet SS ater 
japlt, fo lange bie Stittel ausreichen, unb oerplempert auf biefe 
©eife in furjer Seit ba# ©enige, waS ipm bereinft üon beut 
üäterlidjen Vermögen ^ätte jutommen fallen. Dann toirb er 
jeboch üernfinftig; unb in biefer @emüth#üerfaffung mad)t er 
bie Selanntfdjaft eine« jungen Stäbchen#, in baS er f«h üer» 
liebt. @8 ift bie Dodjter eines Oberen Dffijier# unb bie Sichte 
eines StinifterS. Da# öerhältnifj fcpeint non ©eiten ber beiben 
gamilien nicht ungern gefe^en ju werben unb bie Dinge liegen 
fo günftig, baff fchliefeUcf) ber Sätet unfre# jungen Lieutenants 
fiep ju bem ©ater beS jungen Stäbchen# begibt unb für feinen 
©opn um bie Dotter anpält. gn biefer Uuterrebung Wirb 
natürlich auch bie ©ermögenSfrage berührt; unb als ber ©ater 
ber Staut erfährt, baff PiuS fein Setmögen bereits oerjubelt 
hat, gibt er bem Sewerber einen fforb. Um ber Sache mehr 
Sadpbrud ju geben, forgt er bafür, bah PiuS auS ber Sefibenj 
nach einer Heineren ©arnifon oerfept wirb. Der junge Dffijier 
lebt noch einige Seit in bem ©ahn, bah er über alle ©diwie» 
rigfeiten tjinroeg baS ihm liebgeworbene Stäbchen boch peim= 
führen werbe; aber burch einen fühlen, ja lieblofen Srief Wirb 
er oou biefer gilufion grünblich geheilt. 

gn ber Keinen ©aruifon pot er bie Sefanntfchaft eine# 
Pionierhauptmann# gemacht; unb biefer, ein rüber, aber im 
©runbe beS fjerjenS guter Stenfdj, cebirt ihm, als er burch 
bienfttiepe ©erpflicptungen nach einem anbern Orte gerufen wirb, 
fein Liebchen, bie fdjwarje „Söfe öon ben brei Linben". PiuS üer» 
gafft fich allen ©rnfte# in baS Stäbchen, „üon bem er boch genau 
muhte, bah f»e, fo ju fagen, bie SBittwe eines noch Lebenben fei, 
ber nicht ihr ©atte gewefen war". Stit biefer macht er benn 
halb gemeinfame ©irtpfepaft. änftanbSpalber behält er jroar 
feine ©opnung noch bei, aber tpatfächlicb ift er in allen nicht 
uom Dienft in änfprudj genommenen ©tunben bei ber Liebften. 
gn Söfe# 3immer ift fcpliefjlicb bie Hälfte feiner §abfeligfeiten 
gemanbert; fie hat fein ©elb ic. piu# »f* auf bem beften ©ege. 
ju oetlübern unb bie ©ewohnpeiten ber guten ©ejeflfepaft ganj 
ju oerlernen. 

Da fügt eS ein gütige# ©efcpict, bah baS Regiment einen 
anbern ©ommanbeur befommt, einen liebenSmerthen Staun, im 
©efifce oon jwei noch liebenswerteren Döchtem, oon benen bie 
jüngfte alsbalb ein ftarfeS gntereffe an bem hübfdjen jungen 
Dffijier finbet, ber feinerfeitS üon bem Seije beS Stäbchens nicht 
unberührt bleibt, piu# finnt im ©ebetmen barüber nach, wie 
er ba# „alte Serbältnih" loS werben fann unb Söfe, ein burch 
unb burch boshaftes, aber burchauS nicht bummeS ©efepöpf, merft 
baS auch balb. ©ie ermittelt auch, bah fi<h $tu# ' n bie Dotter 
beS Dberften oerliebt höbe, unb eS gewinnt ben änfepein, als ob 
bet junge Lieutenant balb ber leibigen Steffeln enttebigt fern 
würbe, um bann baS frei geworbene $erj einem wirtlich ge= 
liebten Stäbchen anjutragen. 

©ine# äbenb# fifct Sin# im Safino unb fpielt. ©eine 
perfönlicpen Dinge gehen ihm butt ben Äopf, er achtet nicht 
auf bie Starten nnb oerliert. ffir hot fein ©elb bei fich, er hot 
allen ©tunb, bie ©pielfcpulb fofort ju orbnen, fe|t fich in einen 
©agen, tommt turj barauf wieber, wechfelt einen günfjigtpaler 5 
fchein unb regulirt. Damit richtet er fich ju ©runbe, ohne auch 
nur ju ahnen, bah er baS leifefte Unrecht begangen* hot. Söfe 
benuncirt ihn beim ©ommanbeur, bah er ihr in ihrer äbwefen= 
heit au# ihrer ©opnung, auS ihrem Portemonnaie fünfjig Dhaler 
geftohlen habe. Die Dpatfacpe, bah eS fein eigene# ©elb gewefen 
ift, tommt in biefem befonberen gälte nicht in Setracht- @r ift 
* Dffijier, er hot thatfächlich ouS bem Portemonnaie einer übel 
berufenen Perfon ohne bereu ©iffen fünfjig Dhaler genommen, 
unb biefeS einfache gactmn genügt, um ihn in ben äugen feiner 
Rameraben unwürbig ju machen, be# SönigS Sod fernerhin ju 
tragen. ®r befommt feinen äbfepieb unb tritt al# Heiner 
Seamter in irgenb eine Prioatüermaltung. Ob er bort oer= 
fümmert ober ob er fpäter in ber ärmee beS ftönig# oon Italien 


| als ©erfagliereoffijiet wieber auflebt — wir Wiffen e# nicht. 
Der Stajor felbft ift im 3n>eifel barüber. @r glaubt jwar mit 
aller ©eftimmtheit, PiuS in ber fdjmuden Uniform ber ttalieuifcpen 
©djarffcpüfcen in Serona wiebergefeljen ju haben, aber ber ©e* 
treffenbe hot auf feine änrebe niept# erwibert, unb als er fich 
nach bem Samen beSfelben erfunbigt, hot man ihm einen anbern 
genannt, äber gleichwohl glaubt ber Stajor boch feiner ©ache 
jiemtich ficher ju fein, unb ba biefer ihn am beften gefannt hat, 
werben wir ihm wohl trauen bürfen. 

DaS ift bie ©efchichte üorn oerlomen Kametaben. ©eit 
bebeutungSüoDer als bie übrigen# fepr pübfcp erfunbene gäbet 
ift jeboep bie äuSfüprung. Hopfen befijjt eine auhergewöhntiche 
©abe in ber Seobachtung unb ©chilberung üon bejeichnenben 
S'leinigfeiten. Stit Wenigen ©tri^en oerfteht er eS, unS eine 
gigur, eine ganje Situation, eine Stimmung fo richtig unb mah r 
ju fchilbem, bah Wir nicht mehr ba# getriebene ©ort oor 
un# ju haben glauben, bah wir mit leiblichen äugen ba# ®e= 
fchitberte oor un# ju fehen oermeinen. 

©o erjählt er un# einmal, wie ber Stajor in einet pein* 
liehen Stiffion jum fpofratt), bem ©ater oon PiuS fich begibt, 
unb biefen beim Lefen finbet. Sabbern ber Stajor eingetreten 
ift unb ben Lefenben angerebet hot, „antwortete ber dofratp, 
ben 3 et 9 efinger jwifchen bie eben gelefenen 3eilen feine# ©uche# 
legenb unb ben Süden beS ©inbanbe# mit ber anbern £anb 
ftteidjrtnb". 

©in aubte# Heine# Silb: piu# unb ber Stajor ftetjen am 
Suffet. Der Stajor macht eine äeufjerung unb erjählt bann 
Weiter: „3<h weih nicht, Warum ba# gerabe piu# jum Lachen 
reijte. Da er ben ©ein noch auf ber 3“«9® hotte, fonnte er 
ben Stunb nicht öffnen unb pruftete mit möglichem änfianb, 
um fich nicht bie Uniform ju befprifcen." 

äuf bemfelben ©alle bleibt burch ei« en 3ufatl bie Dochter 
eine# höh eren Dffijier# beim Danje fi^en. „©elbftoerftänblich, 
bah gleidh «in halb Du^enb Oon un# bie ©äbel abf^naüte 
unb im $ui über# Parquet oor ber Dame angefchtittert fam." 
Der ©aß ift auS. Die ©eiben, ber Stajor unb PiuS, lehren 
heim. „©# war fpat nach Stitternacht, ba ich noch wit piu# 
ärm in ärm burch bie fülle ©tobt fcfjlenberte. Die SticptungS- 
laternen an ben ©traheneden, bie allein noch brannten, warfen 
gelbliche $öfe in ben Sebel; auf bem Pflafter Hangen bie nach 5 
fdjleppenben ©äbelfcheiben; unfre ©ärte waren feucht unfc ber 
Saud), ben wir aus unfern ©igarren Miefen, oerlor fich i m 
Sebel, ber un# fanft umwallte, ju wunbetlidjen ärabeSfen. 
Stir ift, als wär’ e# gefteru gewefen." 

©o gepen bie ©eiben, üon aUerpanb fchwapenb, lange burch 
bie fülle ©tobt, piöfctich bleibt piu# ftepen unb wünfept bem 
Stajor eine gute Sacht: 

fap, erft jept au# ben ®efpräcben recht auftanchenb, um mtih. 
CS roar ftodfinfter. Der Sebel nähte. Der SBinb pfiff. 

Der SBinb pfiff oom ©trome herauf. Det floh ja bort unten jur 
Stedjten. $att’ ich ba# toirtlich bislang nicht gemertt? SBit ftanben 
alfo auf bem Duai. 

3ch fab ber fdjeibenben @eftalt meines greunbeS nach- änt Licht 
einer Laterne blinfte noch einmal bie ©äbelfdjeibe, bie unter bem langen 
Stantel berüorbing. ©in grauet glecf im grauen SM fchtoanb er juriief. 
Uebet ihm griffen brei fable Linbenbäume mit langen gtoeigen in ben 
Sebel hinein. Unb hinter biefen 3*®eigen jd)immerte burch bie naffen 
Luftfehleier ein üiereefiger ©chein, wie oon einem naben (Siebelfenfier. 

Sn ber nächften Stinute fab ich ben S'ameraben nicht mehr, ber 
mich eben oerlaffen batte, äber ich härte ben Klang noch, ben ber na<b- 
fchleifenbe Padafdj auS bem Pflafter fchlug." 


©S oerftept ftep, ba§ eS bei ben ©efchreibungen beS äeuget 5 
liehen nicht bemenbet. Hopfen ift ein nicht minber fdjarfer ©eob= 
achter unb ©cpilberer ber ©eelenjuftänbe. geh will au# biefer 
erften ©efcpichte nur» noch bie fölgenbe ©teile anführen: 


„Sin SKenfchenfenner belehrte mich einmal, bah e ' n SBanneSberj 
nie empfänglicher für neue Leibenfdjaft, als wenn eine frühere noch nicht 
in biefem $erjen Derraudjt, unb bah fd|eibcnbe Liebe ber ficherfte Set» 
mittler für tommenbe fei. (Einmal falt geworben unb an bie Kälte ge» 


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Nr. 37. 


Dir Gegenwart. 


165 


Wößnt, ift e« nießt (o leicßt, fieß toieber gu ettoärmen: aber jo lange 
feine SBänbe noeß bon jeßetbenber §t|e glühen, fürchtet ba« amte §erg 
bie ftäüe, bie ißm broßt, unb Oerfcßlingt ben neuen ©ranb mit ©egierbe." 

gut noeß gelungener ßalte icß bie le|te biefer SRooetlen: 
„gtinfert« ©lüd unb @nbe", ein wahres ÄaBinetöfiürf in ber 
funft bet ©rgäßlung, in ber lieben«mürbigen ffirftnbung ber 
gabel, in bem originellen ©ortrage unb in ber Stimmung. 

®« ift eine £>unbegefcßt(ßte. äRan muß $unbe!enner unb 
punbefreunb fein, um ben ootten SReig biefer föftließen ©rgäßlung 
gu ttmrbigen. 

glinfcrl, ein Heiner, ftacßelßaariger ©tnfeßer, ift ber eigent¬ 
liche #elb. ®« ift ber #unb be« 3Rajor«, ber 1870 mit naeß 
grantreiejß gießt, bei SBeißenburg oertimnbet unb non feinblicßer 
£anb niebergeftredt roirb, oon ber $anb einer oerblenbeten 
patriotifdßen grangöftn, bei ber ber gleidßfall« oermunbete SJtajor 
Ouortier befommen, in bie er fieß Oerliebt unb bie ißn tooßl 
and) toieber geliebt ßat. aber ber oertoünfeßte ©ßauoini«mu« 
unb bie toaßnfinnige Uebertragung be«fetben auf alle menfeßließen 
Begießungen gertritt getoaltfam bie garten Äeime. Unb am Slbenb 
oor bem au«marfdß, at« bem äftajor toarm um« #erg toirb, al« 
er feine ßolbfetige SBirtßin in bie arme fcßließen unb fieß auf 
einig mit ißr oerbinben miß, fährt biefer elenbe ©ßauoini«mu« 
gtöifdjen bie beiben bergen unb gemaßnt bie grangöftn pßrafen; 
ßaft an ißre ©fließt al« Patriotin, ©ie ftößt ben ßiebenben 
au« ißren armen unb fließt ba« arme ©ieß tobt, glinferl 
ftirbt toie fo mandßer braue Äanterab at« ein Opfer ber brutalen 
Berblenbung. 

Diefe ©efeßießte toirb üon #an« ©opfen, luie gefagt, gang 
meifterßaft ergäßlt. 9Rit toelcßer ffunft toirb g. S. eine Unart 
be« prädßtigen föter« gefdßilbert: 

„glinferl ßatte bie Gemoßnßeit, too irgenb ettoa« an ber ®tbe fteß 
lUrrenb ober rafcßelnb ßinbemegte, mit attetßanb SBaumau unb puptgen 
Sprüngen baßinter ßer gu fein unb fein 9Rtfjfatten an folcß überflüffigem 
Geräufcß geräufcßüott tunb gu tßun. Da« gab ißm auf bie Serben, toie 
ber gtattgofe fagt. 3<ß tonnte feinen Gefcßmad nießt mifjbittigen, aber 
icß burfte bie aeufjerungen be«felben nießt bulben. 

©Jaßrfcßeinließ ßatten in feiner früßen gugenb bie langen be« ! 
©eßmalgßänblet« ißn auf äßnlicße ©Seife über Gebüßt genedt ... mit 
Xücßern, bie fie mebelnb auf bem Gftrieß, um ben $unb gu reigen, ßin* 
unb ßerbetoegteu, mit bem ©cßlüffelbunb, an einen ©inbfaben geßängt, 
mit bem ©eßtoang eine« fßapierbraeßen, toer tann’« toiffen. Äurgum, 
glinferl toar orbentlicß brauf eingefeßoffen, toie ettoa« an ber (£rbe 
rafeßelte, touptig! baßinter ßer gu fein unb, fo artig nnb befeßeiben 
et fieß fonft gu beneßmen pflegte, nießt nur gu betten, fonbern, toenn 
tßunließ, aueß gu beiden. 

9htn bente man fieß ben langen ßafentengang unb ben grob* 
feßnäugigen Oberftinßaber, ber ben fßattafeß lang ßängen lägt unb tlipp 
Happ mit ber ttRetattfeßeibe auf jeber Guaberfuge be« fßflafter« auffeßlägt 
unb über jebe gliefce toie mit einem ©tift über eine ©eßiefertafel fegt, 
unb glinferl baßinter ßer toie ein ©Saßnfmniger, fieß überfeifenb, übet; 
purgelnb unb bie einfältigen ©erfueße, bie tlappembe SRetaflfeßeibe mit 
feinen 3&ßnen angufaffen, mit unangeneßmen ®mpftnbungen begaßlenb, 
benen er gleießfatt« lauten au«brud gibt." 

3 eß tpitl au« biefer ffirgäßlung no^ eine größere ©teile, 
bie ©cßitberung be« ©eßlaeßtfelbe« unb bie SBirfung, bie bie« 
auf glinfert« ®emütß übt, ßier toiebergeben. 

,,^a auf einmal feßreit einet: «3*fu«, SKaria unb Qofepß!» toirff« 
®etoeßr toeg, ßaut mit au«gebreiteten armen lang ßin, greift mit ben 
geßu gingern in ®ra« unb ©anb. ©tößnt, fdßreit auf, frümmt fieß 
— unb ba liegt er: ber erfte Xobte! . . . 

aber glinferl oerfteßt ba« nießt ... ®r bleibt entrüftet oor bem 
(Befallenen fteßn, ßüpft ungebulbig auf feinen ©eineßen unb ruft: «bau* 
bem!» al« toottt er fagen: «fcßämft bieß nießt unb toirft gleieß auffteßenV 
®ie anbetn fritb feßon weit oorau«!» Da aber fein bau*bau! nießt 
frueßtet, lägt er ben ©tummen liegen unb läuft, toa« er laufen lann, 
unb toieber ßör’ icß tßn ßinter mir . . . 

Unb too reeßt« unb linl« einer oon ben £anb«leuten liegen bleibt, 
jpringt be« huuptmann« $unb ßingu unb teift fein bau^bau unb ßebt, 
ob ber grucßtlofigteit feiner ©ortoürfe oermunbert, bie ©orberpfote ßoeß. 


©alb meint er moßl, ba« fei ein ©piel, er bellt unb ßüpft halb 
reeßt«, halb linl« unb bann fträuben fieß ißm bie $<mre. 

®t lann nießt meßr gu jebem gattenben ßinfptingen. ®« fallen 
gn ©iele. 

Unb loa« toei6 icß nunmeßr oiel oom $unbe, toa« oiel oon SRenfcßen! 
3ept ftnb mir bid brinl 9>tun himmelfalerment oormärt«! aitn iff« 
feßon alle« ein«, toer unb toie oiele braufgeßn. 9tun ift bie ©eftie lo«, 
bie im äftenfeßen ftedt. 9hm gum Xeufel ©eßonung, ttRenfcßlicßleit unb 
SOhlbel $au um bi^ unb triff, fo gut bu tannft, fo oiel bu lannft. 

mirb einem rotß oor ben äugen, ©eßmeig unb ©alle! 9toeß lein 
<£nbe! Unb fo ßanbmertt man in ©rägiießteit meiter, man meig nießt 
meßr mie lang, bi« enbließ bie Äraft unb ©elegenßeit au«geßt unb bie 
©aferei mie ein ©aufeß, mie ein gieber, mie ein ©ub au«bampft. 

Dort brüben blafen fie! Unb bort! Unb iept mirb’« ftitt, tobte«gitt 
unb eine bange 9Rinute fpäter mälgt fieß ein erberfeßütternb §urraß' 
gefeßrei bie ßinien unb ben ©erg entlang, bag bie ßungen gu berften 
ftßeinen unb bie ©äume gittern. 

Da« ift bet ©ieg! 9Jtan ßört’« am Don, man fießt’« an ben ®e* 
fießtem, man aßnt’«. aber man meig nießt reeßt, toa« lo« ift, nießt, 
too man fießt, nießt, ma« man getßan ßat. 

©eßauberootte« Dagemerl! @« ift bet ©ieg. aber too finb bie 
armen ©urfeße, bie mit bir ben ©erg erftiegen ßabeity 3ft ba« meine 
(Sompagnie?! Die gange?! ^err (Bott, mie ßaben [\t mir bie guge* 
richtet! Unb am erflen Dag! arme 9Rütter baßeitn! 

greiließ ber ©ieg! Der große (Bebanle miegt alle« auf. 

$ößer ßebt fieß bie ©ruft. 9Ran atßmet breit auf. aifo ba« ift 
bie meltgefeßießtließe Suft. Genieße ben augenblid mit ©emußtfein!^ 

2Rit biefen au«gügen mag e« für bie« 2Ra! fein ©etoenben 
ßaben. 3d> *ann nur toteberßolen, baß „Die ®efcßießten be« SRajor«’' 
meine« ©raeßten« gu ben gelungenften unb tieben«n>ürbigften 
©aben be« au«gegeießneten ©rgäßler« geßören. 

$an« ©opfen ßat ba« ©ueß bem anbenfen an feine ißm 
oor anbertßalb 3oßrtn burdß ben lob graufam entriffene grau, 
bie liebe- unb oerftänbnigooUße götberin feine« geiftigen ©cßaffen«, 
„feinen llugen, tapferen Sebendfameraben'’, gemibmet. Unfre 
Öefer fennen biefe feßöne SBibmung. 6in geber, ber fieß bie 
©efeßießten oom ajlajor ergäßlen läßt, toirb Oon einem toeß= 
mutß«ootten v ©efüßle befallen tuerbeit bei bem ©ebanfen, ba§ 
biejenige, für bie fie oor allem beftimmt toaren, fie nießt meßr 
ßat oemeßmen follen. 

Paul £inban. 


Oie intenuüiimflle «tmßansßeUnttg j« Ülfindjen 1879. 

IV. 

3Bit ^aben noä) einem SReft franjöft^er Silber geredjt ju 
werben, ber ÜRe^rjat)! nac^ Sonbfd^often ober bot^ jolt^e 5*8« s 
renbilber, beten Unter|<§eibenbe$ barin befte^t, ba| fie iijre 
Sßenfd^en, i^r Sie^ u. j. m., abgefe^en oon allen anberWeitigen 
3mecEen, bie fie mit iljrer ®arfteDung Oerfotgen, perft unb butdj= 
au8 ben ©efe|en bet Sanbfdjaft unterwerfen; bei welken alfo 
bie 3Baiftf)aftig!eit beä 3taturmoment8, ber Sfiftenj in £ic^t unb 
ßuft ftcb ganj ebenfo unerbittlich auf bie lebenben SBefen, wie 
auf jebe« anbere @tüi ber SrfcheinnngSwelt erftredt. 

9118 erfteS, fojufagen leitenbeS Silb Knute auch ^er wie« 
ber 3ule8 Srfeton8 grofeartige Äehrenleferin genannt werben. 
Snbeffen höbe iö) bisher oerfäumt 3 . ®ibier8 pflügenbe Dchfen 
ju erwähnen, ein älteres Silb, welches aber mit feiner ßraft, 
griffe unb SSahrhaftigteit beS ©efammttoneS bur^auS wärbig 
an bie @f>i|e biefeS ©enreS treten barf, in welchem bie Sranjofen 
fo Sor}äglicheS leiften. Unter ben jüngeren nimmt $ugo 
©almfon auf bet URttnchener ÜluSfteQung eine heroorragenbe 
Stellung ein. ©eine Arbeiter im Stübenfelb, bie $u einet gan= 
jen 3teilje ähnlicher Sompofitionen 91nla| gegeben hoben, präten= 
biren trofe ihrer ©rö|e burchouS noch nichts Ißerfönli^eS. ©ie 
oerlangen nicht mehr, als in bie fonnige ©rfdjeinung ber ein* 
fachen Statur um fie her aufjugepen, als ein Xheil oon ihr im 
Silbe ju functioniren, ber lebigti<h in malerif^er Sejiehung, 

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166 


Bit Äegenmurt. 


Nr. 37. 


a(S Iräger boit Ion unb gatbe, aB Uebericpitetbuitg, al« ge» 
fdjidt bertheilte SJtaße, wertpöoß erlernt. Schwieriger pat fiep 
|»err Satmfon bie Aufgabe bereit« in feiner „Ärreßation in 
einem lorf" gefteflt, bie nebenbei gefagt, umgeleprt wie ba« 
ebengenannte ©ilb, iprerfeit« an einen älteren SRuntacfp erin= 
nert. lieäntal nimmt ber ebenfo bramatifcp bewegte wie nah»; 
wa^r componirte Vorgang mit boßem {Recpt ba« Bob für feinen 
©rfiuber in Ülnfprudj, baß pier neben unb innerhalb ber maletifdj: 
lanbfcpaftlichen nocp eine pfpdjologifdje Stufgabe mit überzeugen-- 
ber ©infadjpeit getöft fei. Sin ausgezeichnete« ©jißenjbilb — 
anfprucp«lofe äRenfcpen in anfprucpslofer Statur — ^at {Roger 
Sourbain in feinem mit ©emüfe betabenen ßromabwärt« trei- 
benben gtußfapn („Le chaland“) gefenbet. Ueberwiegenb unb 
borjügticp ftar! ift bie lanbfcpaßlidje ©Japrpeit in zwei ©ilbern, 
Wet^e gifcperfceneu jur Seit ber (Ebbe barfteßen, in liagbotg« 
„Grande maree“ unb in einet „Deimlepr" bon ttlpffe ©utin, 
auf welchen beiben ebenfalls einfache« ©olt feine patmlo« be= 
begliche, nirgenb« borbringliche Stolle fpielt, wäprenb bei 21. 
gepens©errin bie reichlich au8gefudjten unb zierlichen Sluftern- 
fifcherinnen ftef» mit nicht gan; gerechtfertigten SRitteln in« 3n= 
tereffe be« ©efchauer« brängen unb bo<b mit biel weniger 
Sicherheit gemalt finb al« bie feine Stimmung ber Sanbfcpaft, 
bie fie erbrüefen möchten. 

©on biefer ©ruppe bi« ju ber mehr ober minber ftaffirten 
Sanbjdjaft ift ein faum meßbarer Schritt. SSBir betreten mit 
ihm weniger einen höheren al« einen älteren Krater, burdj 
welchen ßd) ba« malerifche lalent ber granjofen noch heute am 
überzeugenden unb reichlichften ßuft macht. 

2 Bie unähnlich bie neuefteu Vertreter ber franjöftfchen 
Sanbfcpaft in SRündjen auch bereit« ben großen Steufcpöpfern 
berfelbcn fehen mögen, beren lefeter birecter Sproß laubignp 
war, — ba« erlöfenbe SBerf biefer belebt hoch noch heute ihre 
SRalerei. SRan fieht unb erftrebt Statur in franjöflfcpen Sitetier«; 
bie weiften ihrer Sanbfchaften werben fogar möglichst im {freien 
fertig gemacht. Sllfreb be SJtuffet« ©Jort fcheint überall bei ihnen 
lebenbig: „L’art est constamment au-dessous de la nature, sur- 
tout lorsqu’il cherche il l’embellir.“ Unb fieht man bie Statur 
gerabe feit bielleicht nicht befonber« geiftbofl ober groß, fo fieht 
man fie bocp gläubig unb breit, wa« für eine SRalerei, bie ßdj 
bie {RebenSarten bon ©pigonentpum ic. nicht gefallen laßen 
will, immer noch recht biel ift. ©on ber großartigen Simplicität 
be« Statureinbrud« wie fie noch ^aubignp in feinen brei au«: 
geteilten Sanbfchaften mit ©iepftaßage, befonber« in ben beiben 
SJtonbfcheinbilbern befi^t, haben bielleicht bie neueften franjöfifchen 
Sanbfchaften wenig; aber fie finb noch immer bon einet pprafens 
unb fcpwinbettofen ©Japrpaftigfeit unb Solibität, bie bon Sebent, 
ber bie Stachtrcter unb gtunferer fürchtet, mit mehr al« bloßer 
Sichtung ju begrüßen ift. 2>a« rapibe (Ergreifen unb Sfizjiren 
be« ®efammteinbrud« fowopt in ben SRaffen Wie in ber {färbe, 
biefe geniale, ben empfänglichen ©efchauer unfehlbar padenbe 
©runbtage früherer ©ilber (fRouffeau, Sfabep ic.), ift bei ben 
Stachgeborenen nicht mehr Sebermann« Sadje* 21bet um fo 
fleißiger unb fdjärfer wiffen bie heutigen ben ©parafter ber 
gewählten ®egenb, 3apre«= unb lageSjeit jum Sttuäbrnd ju 
bringen; alle« letait fuchen auch ße nur wie felbftberßänblich, 
gleichfam implicite, nebenher etfdjeinen ju laffen unb nur in 
fotdjem SJtaße, baß nicht ber ©efchauer burdj ©injetpeiten um 
bie erwünfehte felbftthätige SJtitempfinbung gebracht werbe; auch 
fie überfeljen niemal«, baß bie Statut in erfter Sinie Harmonie 
ift, überaß ftiinmt, bermittelt unb coloriftifdj fein iß. 

2118 ba« überjeugenbfte aßet Drientbilber pabe ich P'er 
junädjft ®. ®uillaumet« „Sagponat, Stabt in bet Sahara" 
ju nennen, eine ebenfo reich/ belebt unb cpatafteriftifch wie um 
gejwungen ftafßrte larftefiung ber heißen flimmemben Suft unb 
be« farbigen Sichte« ber unenbtidjen Sanbwüfte. ©on erftaum 
ließet ©paralteriftit ift bei ber anfpruch«tofeften (Einfachheit be« 
Sötotib« Stbrien lentone« „Aoüt dans le Nord“. liefe 6mte= 
feene au« bem lepartement Storb bürfte zugleich ba« für bie 
botjüglidje Energie unb Solibität ber neueften franjöfifchen 
Sanbfchaft bejeidjnenbfte ©ilb fein, wenn nicht ein herrlicher 


grüpling unb ein eminent gemalter SReeteSfiranb bon Ifefauj 
mit ihm um bie ©atme ftritten. ©on befannter Schönheit unb 
Originalität finb zwei ©ilber ®mile ©röton«, betten ®. f| lt- 
loufe« ©Jinterabenb anjufcpließen ift; mit gefepidtem ÜRatfiren 
ber wefentlicpßen garbentöne paben lantop* in feinem 
„Moulin de Merlemont“ unb 8. ©pabrp iw feinen „M&r&io de« 
Landes de Gascogne“ poepanftänbige ©ilber etjielt. {Reicher int 
SRotib, aber ebenfaß« bon großer natürlicher (Einfachheit, finb 
fjenri §arpignie«’ walbige« ©innenfeeufer unb SUejanbr« 
Säge« weite ^aibe am SBalbranb. Schließlich finb noch e < n 
bäurifchet ©emüfegarten („L’etä“) bon 6. $areug unb mehrere 
Heinere Sanbfchaften bon Sanfper hier ju erwähnen. Soflte 
ich — wa« ich augenbüdlich außer Stanbe bin ju conftatiren — 
3iem unter ben älteren SReißern bergeßen h fl ben, fo fei hie* 
nachgeholt, baß fein große« ©enebig ju ben materifdj reij* 
boßften Sarbenfpmphonien gehört, bie biefer hodjgeföidte Äüuftlet 
gemalt hoi* ©««« ich &- |»anoteau« Heuernte erft jept 
erwähne, fo gefeßieht bie« nur, weil ße ß<h nach ißeet lünß= 
lerifcßen (Eigenart in bie eben djarafterißrte ©ruppe nicht hätte 
einfügen laßen. lie Stnerlennung inbeßen, welche mit biefer 
bon |ierjen joßen, berhinbert un« feinen äugenblicf, auch einem 
anber« gearteten ©ilbe gerecht ju werben. Stecft in ben 
{cheinbaren SBifchereien Eorot« ein unfäglidjeS Stubium, ein 
müheboße« Streben nach Sebenbigfeit unb Staturwahrheit ber 
taufenb $albtöne innerhalb ber componirenben ©ertheilung bon 
ließ unb lunfef, fo hat |>anoteau feinerfeit« ba, wo e« längß 
fein ©efchauer mehr fiept, aßerbing« auch nicht braucht, immer 
noch feine {freube an taufenb formeßen letaiB unb SCuSführlid): 
feiten, opne mit ipnen bie ©efammtwirfung feine« ©ilbe« ju 
erbrüdfen. SBäprenb Sorot auf feinem SBege ber Statur biel 
näher tarn (bie man nun einmal nießt nachmachen, fonbern beten 
momentanen ©inbrud man nur mit ben befepräntten SJtittetn 
ber ißalette annäpernb beim ©efepauer waeprufen fann), wäprenb 
beßen ift |ianoteau auf feinem SBege wenigften« ein geißreiepet 
ßünftter geworben, ber ba« wa« er fein Wiß ganz ift unb ber 
fo liebeboß in feine Statur, wie er ße ju berftepen glaubt, eins 
bringt, baß man fepr engherzig fein müßte, wenn man ipn niept 
neben jenen SIflen noch fehen unb genießen fönntc. 

ließt an jene |>auptgruppe bon Sanbfdjaftern paben Wir 
nodj einige Stißleben anjufcpließen, unter benen ßcp ba« ©efte 
beßnbet, wa« ber fßinfel auf biefem eminent malerifcpen ©ebiet 
in neuerer Seit geleiftet pat. Sollon« {Jifcpe werben ba« 
©rftaunen aßet SRaler unb Siebpaber bleiben, unb Seclaire« 
Stftern bürften bie bielgerüpmten peinlich genauen ©lumenftüde 
bergangener läge in aßen malerifcpen Dualitäten übertreßen. 
{Reijboßer unb cparafteriftifcher fann ein coloriftifcpe« ®unß= 
ftüd nidpt wopl fein, Wie biefe« prächtige ©ilb. Sind) ©eorge 
3 eannin« „©Jagen boß ©turnen" unb lelanop« ©üeper, 
SBaßen unb Stoße („Chez Don Quichotte“) berbienen aße ©es 
wunberung. 

©on Stquareflen unb ben meißerpaßen 3witationen folcper 
feien pier junäepft bie zwei reijenben Sleinigfeiten be« Stömer« 
Sucio {Roffi in ©art« erwäpnt, bie wapre Heine SBunber bon 
feiner, bornepmer gärbung, ©efepid unb ©rajie finb unb beren 
eine« 3nterieur merfwürbig an ein 3nterieur Soßow« in einem 
ber beutfepen Säle erinnert. ©Baprfäheinlicp ift ba* SJtottö bet 
©eiben auf irgenb eine ältere gemeinfame Oueße zurüdzufüpren. 
{ferner mehrere« bon 3acquemart, lupt«, 3- g. Stillet unb 
Sarpe. 

SBenn icp fcpließlicp nodp, al« an feiner Steße überfepen, 
©p. §errmannsSeon mit einet SJteute ganz eminent lebenbiger 
$eppunbe, lonp Stobertsgleurp mit einem farbigen unb ge= 
fepidt ßafßrten, fepr reijboßen Äircpeninterieur, $enrp SRoSfet 
mit einem fepr ßeißig unb talentboß burepgearbeitrten ©en«s 
bilb („Le retour“), 8 . ©erret mit feinem „^eiligen Del' auf 
{Reifen", beßen betftotene ©egleiter mit bietem |»umor bargeßeßt 
finb, unb ©. b. Sippart mit feinem pumoriftifcp=grajißßn 
„Dlpmpifcpen lerbp" nacpgepolt pabe, fo glaube icp unferen 
intereßanten franjöfifchen ©äßen naep SRaßgabe be« norhanbenen 
Staume« mept al« gereept geworben ju fein. 


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Nr. 37. 


Ute ©ejenwart 


167 


3ut ©ntfdjulbigung für bie häufig ungenügenbe Söegeic^- 
ttung oer foeben befprodjenen Silber füge icß hinzu baß, als es 
mir Oergönnt war bie SluSfteßung ju feßen, noch lein Katalog 
ber franzöfifcßen Slbtßeilung etfcßienen mar. Slucß SRunfafpS 
Silber mären für mid} leiber noch nicht öorßanben, unb ba mir 
Kiemanb oorauSfagen fann, baß unb mie fie bis jum ©rfcßeinen 
biefer Sefprecßung auSgefteßt fein metben, fo habe icß über fie 
an biefer ©teile nichts ju fagen, obgleich es leicht toäre, ihren 
burdjfcßtagenben Erfolg auch für 3Jtüncßen ju prophezeien. 

Käcßft ben Sranjofen finb es unter ben gremben wohl bie 
Kiebertänber, benen bie SluSfteßung ihren beften ©djmud ju 
beulen hot Seibe Königreiche flehen mit Paris in regem §lu4- 
taufdj unb auf ganz ähnlicher Kunftßöße mie jene, ohne ftch beSßatb 
untereinanber gleich Z u fehen. SBäßrenb baS ©roS ber mobernen 
®eigier — hauptfädjlicß bie gigurenmaler — in bem Sebürfniß 
um jeben Preis aufzufaßen unb felbft bie unoerftänbige SWenge in 
ihren. Kreis ju bannen, leidet fo capriciöS, tenbenjiöS ober felbft 
gefcßmadtoS metben, bah sin minber naioeS Soll ohne ihre afleS: 
bureßbringenbe malerifche Ueberliefcrung unb Segabung bamit 
längft bei bet leerften unfünftlerifcßeften ©ffectfpeculation an- 
gelangt fein mürbe, mährenb beffen fällt bei ben £ollänbern 
auf, mie unbetümmert um SluSfteßungSeffcct unb publicum fie 
burch unb burdf SRaler ju fein froh finb. Sou bem Sebürfniß 
Kufmer ff amfeit ju erregen ift bei ihnen meber in ber SG5at(I beS 
Stoffes noch in ber technifchen unb ccloriftifcßen Seßanblung 
beSfelben eine ©pur. ©leitßfam um biefen ihren unterfeßeiben: 
ben ©ßarafter über alle Bmeifel beutlich ju machen, holten fidj 
bie #oßänber — b. ß. in SKüntßen — faft oon jeglicher Dar= 
ffeßung beS ÜJtenfdjen unb ben bamit Perbunbenen pjqcßologifcßen 
Slufgaben fern, taffen {ich nahezu auSfcßließlicß an bem ©tiß: 
leben ihrer lanbfcßaftlidjen Statur genügen unb menben alle über: 
fchüffige Kraft bem baju gehörigen Sieh z u « beffen 2eben gerabe 
in £>oßanb mehr ein aufregungStofeS einförmiges SBoßlleben ift, 
unb beffen behaglicher ©erlauf bramatifdje Sonflicte — mie fie 
beifpielßroeife ber SJtüncßener Bügel unter bem ^ocßgebirgSoieß 
barjteßt — nirgenbs befürchten lägt. 

$ollanb ift, menn auch ber Bohl ber Stauten unb Silber 
nach gering, fo bodj faft Portheilhafter Pertreten als Selgien. 
Darfteflungen beS SJteeriebenS Pon folcßer aBaßrßaftigfeit unb 
©tärfe beS KatureinbrudS, mie ihn PteSbagS SJtarinen per: 
mittein, hot meitauS feine anbere Station aufzumeifen. Sei 
ihnen fieljt man baS SJteer Pom ÜJteer aus unb nicht Pom Ufer 
her, ift man mie bei menigen mirflich auf bem SBaffer, mit 
©dßiff, Suft unb SBefle allein. 3h ne n gegenüber hot man baS 
überrafdjenbe ©efüßl, als ob einem plöfclicß unb zunt erften SRal 
baS mirflich beutlidj mürbe, maS man Pon feiner Solle aus 
taufenbmal gefehen unb empfunben hot- Unb ich h Q be mich 
überzeugt, baß. biefer frifdje ©inbrud, ben SJteSbagS einfache 
Silber immer mieber machen, lebiglich auS ber ungefuchten nad: ; 
ten ©ßrlicßfeit feiner Staturempfinbung herborgeht, bie er bem 
Sefchauer oößig unappretirt zu Permitteln weiß. Senn er 
außerbem in feiner fimpelen SBaßrßaftigfeit Semanbem, ber an 
ber ©ee geboren unb groß gemorben ift, noch origineß oor= 
tommt, fo muß man in ben SJtarinen anberer 2eute gerabe 
burch Statur, bie tßut, als ob fie bei fich z u £>aufe märe, 
mahl nicht übermäßig oermößnt fein. Slnfprucßslofe, aber burch 
unb burch fünftlerifche 2anbfdjaften, Pon größefter geinßeit unb 
fiebenbigfeit beS DoneS hoben 3- unb S. SJtariS auSgefießt, 
oon benen ber 2eßtere bie feinigen mit einem Sieh ftaffirt, 
mie ich noch nicht feiner beobachtet unb fünftlerifcher be= 
honbelt gefeßen höbe. 2Bie Siele malen, befonberS bei uns, 
ihr Sieh bis aufs £>aar herunter, Pot bem ©tüd, nach Sb 0t0: 
graphien ic. ic. Slbet mit aßet Quälerei fteht es nachher 
ba intb iß bodj feine Kuh, bie leben fönnte ober gar lebt 
Sillen folgen fei bieS SloiS gemibmet. Sei SJtariS fönnen fie 
fich niegt mie bet Droßon auSreben, baß fein Sieh mehr male: 
rifdien Bmeden biene, als mirftiche Slnfprücße auf anatomifdje 
unb anbete Kicßtigfeit mache. ©. $endeS hot in feinen Keinen | 
falt grauen, faß ettoaS troden auSfcßauenben, aber oiefleießt ! 
gerabe barum fo überzeugenben Sitbcßen, mie bie „©tridfeßute", 1 


„3n ber Ireffcßuit" tc., fo oiel ftiße, fein ßumoriftifdje 
©ßarafteriftif zufammengetragen, baß er auf ber ganzen SluS: 
ßeßung menig ©oncurrenten unb nur ©inen ßnbet, ber’S ihm, 
genau in berfelben Slrt nub ©pecialität, zuoortßut, nämlich ben 
SSeimaranet ©ilz- ©rau, fein unb eigenthümlich h°ßönbifch 
ift StocßuffenS Käfemartt, fräßig unb ftifcß 3- »■ b. ©anbe* 
SadßuhfenS ©tabt. B« nennen mären außer bem noeß SB. 
©rußtet jun., Slrh, Silbers, ©ab6e unb Slbriana Pan 
§aanen. $)en Sefcßluß maeßt bann auf einzig glänzenbe 
SJeife SiSfcßop im Slqua'reflfaal. Sor biefen großen Slättern 
mit ißrer iidßten Klarßeit, mit ißrer noch auS ben größten 
liefen heroorftraßlenbcn Seucßtfraß, mit ißrer grifdje, geßigfeit 
unb Seftimmtßeit ber Höne, begreift man faum, marum noeß 
3emanb mit ben unüberminblicß fettigen materiellen Delfarben 
fich abquält, menn folcße Dinge auf anbere SBeife z u er: 
reießeh ßnb. 

Unter ben Selgietn fteßt SBauterS mit brei IßorträtS 
Porän (beten eines, baS eminente Silb beS jungen $errn ©omzäe, 
mir bereits an biefer ©tefle befproeßen ßaben), bie ißn als einen 
ber erften Porträtmaler ber MuSfteßung auSmeifen. SefonberS 
fein Kopf einer pergnügten ältlichen Dame bürfte an Seöenbigfeit 
nirgenbS übertroffen fein. SerßaS ßat, bei aßem ^afeßen naeß 
Originalität unb bem uunötßigßcn Slufbauen faum überminblidj 
feßeinenber ©dßmierigfeiten, in feinem „Slfternbouquet" boeß Piel 
meßr als ein coloriftifcßeS Kunftftüd geleiftet unb ebenfo in 
feinen „Öiebßabern" einen reichlichen Seleg bafür gegeben, baß 
er meßr als rafßnirteS malerifcßcS ©efeßid befi^t. $ er man« 
Zeigt bie ganze Soflfraft feiner unfehlbaren Kenntniß ber ©r: 
fcßeinungSmelt an ben lebensgroßen giguren feiner befannten 
„SJtorgenbämmerung", beten malerifcße Qualitäten zmar nießt 
aufgeßoben merben fönnen, beren ©inbrud aber, für mich menig: 
ftcnS, burdj baS tenbenziöfe ©ereinfeßieben ber Slrbeitcrcouliffe 
linfS, trießt crquidlitßet mirb. 3<ß finbe, baß biefer ßerbei: 
gezerrte ©egenfaß bie in aßem Uebrigen oorßanbene große SBaßr: 
ßaftigfeit beS SJtontetttS burtßauS beeinträchtigt unb obenbrein 
noeß Piel zu auSbrudSloS geratßen ift, um überhaupt naeß ber, 
meiter rtießt fünftlerifcßen, Hbficßt beS SJiaterS zu mirfen. Son 
©lirtgcneqerS ßalb ertrunfenem unb ßalb beflcibetem ßamocnS 
meiß icß bei aßem Sntercffe für bie ßier bargefteflte Kettung 
ber Sufiaben nicßtS befonberS SortßeilßafteS zu fagen. ©tallaertS 
Kefler beS DiomebeS geßört« überaß eßer ßin als in biefe 2luS= 
fteßung, j. S. unter bie SBanbgemälbe beS SJtüncßener Slational: 
mufeumS, faßS nur bie Serfcßüttung Pompejis irgenbmie als 
eine ©ßtfobe aus ber bajumarifdßen ©efeßießte aufgefaßt merben 
fönnte. ©trußS unb- 2innigS ßaben unter Deutfcßlanb 
(SBeimar) auSgefteflt unb merben bort bie perbiente SBürbigung 
finbett. Son ben in SJtüncßen Pertretenen belgifcßen 2anbfcßaftern 
feßeint mir bieSmäl ©abriel mit feinen einfachen ftimmungS: 
ffcßertn Silbern Poß nieberlänbifcßer 2uft bie Palme ju oer= 
bienen, ©cßampheleer z- S- ffeßt bodj gemalt unb unzureießenb 
neben ißm aüS. 2amoriniöre ift zweifellos ein oerbienff: 
Poßer Kürtfller, ber Weiß maS er miß unb beffen Silber gerabe 
Pon SJtalern gefdiäßt merben. SIber por feinen SRüncßener 2anb: 
feßaften auS ber Umgebung Pon Slntmerpen muß icß benn boeß 
fagen, baß ber SBalb boeß eigentlich nießt ben ©inbrud maeßt als 
ob man zuerft unb ganz notßroenbig bie Boßl ber Porßanbenen 
©tämme conftatireit müßte: einer, noeß einer, mieber eirttr :c. 
Diefe ftarf contourirte SJfalerei, fledcßenmeife aufgefeßt, erinnert 
außerbem rooßt an bie Sllten, Wie ©oerbingen z- S , aber auß 
ftarf an ©mailmalerei. Die Streitfrage über baS Kinb oon 
Srügge, griß oan be Kcrfßooe, mieber ßerPorzußolen, geben 
bie halb feßr ßübfcßen, halb reeßt naiPen Kleinigfeiten beS zu 
früß Scrftorbenen boeß feinen rechten Stnlaß. SSenn icß Pon 
ben 2anbfcßaftern noeß be $aaS, oan 2uppcn, ßoofemanS, 
SlffelbergS unb etwa Unterberger ermähne, bie in ißrer Slrt 
oorzüglicßcn Pforbe Pon be Ptotere anerfenne unb außer ißm 
noeß •ptnriette Könner als oerbienftlidje Ißiermalerin ge= 
uanut ßabe, glaube icß auch ber belgifcßen SluSfteßung an biefer 
©teflt ©enüge getßan z« ßaben. cBnffao .floerff. 


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168 


9 te <&egr nmurt. 


Nr. 37. 


William £lot}i> (Sarrifoit. 

Slm 2. Dctober 1835 erlebte bie bödjft ftattlic^e, fittfame 
unb würbetjofle Stabt ©ofton ben nadjftehenb erjagten öffent« 
litten Stuftritt, melier Sille# in ber SB eit, nur nicht ftattlicb, 
fittfam unb roürbeootl mar. 

©in au# ben Oerfdjiebenften Sdjidjten bet ©efeüfcfjaft refru« 
tirter ©öbelbaufe brach am gellen läge in ein ©etfammlungS« 
bau# an ber SBafbington Street ein, mo eben eine Singabt 
SRänner unb grauen in ernftem planen bei einanber waren, 
bebrobte bie er ft er en, oerböbnte bie leiteten unb oerlangte bie 
SluSlieferung ihre# ©räfibenten, oon bem man mit ©eftimmtheit 
rouftte, baft er fidj gleichfalls im £aufe befinbe. ©he biefetbe 
no(| förmlich oermeigert werben fonnte — benn e# waren um 
erfdprodene SRätiner unb grauen, welche ba berfammelt waren — 
batten einige befonber# feine SRafen ben ©efudjten bereit# auf« 
gefpürt, at# er eben burdh eine £>intertbür enteilen unb feinen 
SRitbürgern eine Xbat erfparen wollte, bie au# feiner ©efcbidjte 
ausgutöfcben ba# blutige ©ofton irgenb einen ©rei# gu gablen 
bereit fein würbe. Set ©efunbene würbe ergriffen, in# gteie 
gefdjteppt, wobei i|m bie Kleiber oom Seibe unb ber $ut oom 
.©opfe geriffen würbe, ber, wenn and) Won mehr al# bodjftirnig, 
botb noch immer ber eine# jugenblitben üRanne# war, unb enb« 
lieb legte man ibm einen Strid um ben £>al#, mit beffen £>ülfe 
er, bolb wie ein erjagte# SBilb, halb Wie eine erbeutete Xropbäe, 
burd) bie Straften gegerrt unb gesteift würbe, ©rft an bet 
©de oon State Street unb SBitfon# Sane gelang e# bem SRapor 
ber Stabt, mit einem Aufgebot oon Si(berbeit#mannf(baft bem 
beftialifdjen Xriumpftgug entgegengutreten unb iftm fein Opfer 
gu entreiften, um baäfelbe, bamit e# nur ja recht gut aufgehoben 
fei, ftatt be# ©tob#, ber baftin gehört hätte, in ba# nü<bfte 
©emeinbegefängnift in Sicherheit gu bringen. fRacftbem bie# ge« 
Weben, burfte ficb ber ©öbelbaufe unbeläftigt unb unbeftraft 
üertbeilen. Ser gerettete SRann aber fdjrieb in bet barauf« 
fotgenben 9tadjt bie nadjftebenben SBorte an bie SBanb ber Belle, 
in bie man ibn geborgen batte: „SBiHiam Blopb ©atrifon Würbe 
SRontag Stacbmittag, ben 2. Dctober 1835, in biefe Bette ge« 
tban, um iftn üor ber ©ewalt eine# a<btung#Wertben unb ein« 
fluftreicften SRob# gu retten, welcher iftn bafüt gu bemühten ber» 
fudjte, baft er bie berabfcbeuen#werthe unb gefährliche Sehre bon 
ber ©leichbeit aller SRenjcben unb bon ber Ungeredjtigfeit aller 
Unterbrüdung geprebigt batte." 

SBittiam Slobb ©atrifon! Ser SRann, welcher fo hieft, bat 
feitbem feinen ©amen bon jener ©efängniftwanb auf ein grofte#, 
ftolge# unb unuergänglühe# ©latt ber ©efdjidjte feine# Sanbe#, 
ber ©efcbidjte ber gangen äKenfcftbeit übertragen, ©je ein 
©ierteljahrhunbert bergangen, foOte bie nämliche Sache, für welche 
er bamal# bom ©öbel ©ofton# einem tollen Xhiere gleich an ber 
©ebte gepadt Würbe, gang ©ofton, gang 5Reu«ffinglanb, ben gangen 
©orben ber Union in eine eingige Stamme oerfe|t haben, — fottte, 
wa# bamal# im Keinen ©reife, hinter gefdjloffepen Xbüren au#« 
gefprodjen, ein Singriff auf ben ©eftanb ber Singe felbft War, 
in gabllofen nörblidjen £>ergen brennen, bon galjltofen nörbticben 
Sippen f(hallen, um halb auch au# gabllofen nörblidjen Schwertern 
gu bli|en. Unb al# bann noch weitere fünf Sab« berfloffen 
wäre# unb lein SRenfcb unter bem Sternenbanner mehr ba# 
hörige Sing eine# anbera SRenfdjen War, ba fonnte er felbft 
fein Sagewerf al# Ootlenbet begeWnen — ein Sagewerf, ba# 
er einft mit einem halben Su|enb ©teichgefinnter, ©teichtott« 
fübner begonnen, unb welche# ihm bann ungegäljlte Saufenbe 
abnabmen, um e# gum unoerfälfcftten, gum abfoluteften ©nbe 
gu führen. Seitbem hat et auf feinen Sorbeera geruht — 
nicht gefcblafen, nicht antbeitto# unb ftumpf ben neuen SBanb« 
lungen unb ©ewegungen ber Singe gegenüber. Slber hoch 
nur wie ein Beobachter, wie ein SBeifer, welcher bie ©raft 
unb ben Beruf eine# eingelnen SRenftben richtig abgufchäften 
weift, unb ber einen groften ©ampf, einen groften Sieg für 
binreichenb halten barf, ben alleinigen Subatt eine# gangen 
Seben# gu bilben. SBie ein SBeifer ift er je|t auch, am 24. SRai, 


geftorben, tro| feftwerer Seiben Reiter, gufrieben unb glüdtid) 
@# war ba# richtige ©atriareftenfterben. Sclbft baft ihn fein 
te|te# ©ranfenlaget in frember Stabt ereilte, in 9tew«$orf, 
wohin er gum ©efudj feiner Softer gefommen war, fottte er 
nicht empfinben. Seine gange gamilie war um fein Sterbebett 
oereinigt, unb er fdjlief unter bem ©efange ihrer frommen 
§bmnen fo leife hinüber, baft ber Sob nur an bem ©etfeftwin« 
ben be# SädjelnS fennttieft würbe, welche# bi# baftin auf feinen 
Sippen gewefen war. 

2Ran würbe bem ©oll ber ©ereinigten Staaten ein 
fdjwere# Unrecht antftun, wollte man SBittiam Slobb ©atrifon 
einfach al# ben ©rften begegnen, welcher ficb gegen ba# Un« 
geheuer ber Sflaöetei auflehnte. Sa# gegen bie Sflaoerei ge« 
richtete ©efäftl be# üRorben# muftte naturgemäft fo alt fein, Wie 
bie Union felbft, welche bie Sftaberei al# bie berechtigte ©gen« 
tbümlidjfeit ihrer (üblichen ©lieber au# ben ©olonialoerbältniffen 
in bie neue felbftftänbige greiftaaterei herüber genommen batte. 
Slber e# währte tiele Sab«» bi# biefe# ©efüftl nur gum ©e« 
wufttfein feiner felbft, gut erften Nüchternen Sluäfpracfte tarn, 
©rft bie potitifdjen ©ämpfe um bie Schaffung neuer Sftaoen« 
floaten, oor allen Singen bie 1822 erfolgte Slufnaljme SRiffouri# 
in bie Union al# Sflabenftaat, feftufen ba#, wa# man al# eine 
Slniifllaoerei«8ewegung begeidjnen fonnte. Unb felbft fie hielt 
ficb, ba# gelb ber hoben ©olitif, welche im ©ongreft gum 8lu#= 
trag fam, ausgenommen, üornebmlicb auf religiöfer ©afi# unb 
träumte noch nicht im ©ntfernteften baoon, bie $anb birect gegen 
ba#, oon ber SRacbt be# gangen Süben# oertfteibigte unb oon 
ber ©unbeSoerfaffung felbft gebulbete SRonftrum gu erbeben. 
Bwar war bem Sflaoenimport au# Slfrifa ein ©nbe bereitet 
worben, aber um fo frifeber blühte ber (panbel mit bem farbigen 
3Renfchenfleif(h in unb gwifdjen ben eingelnen Sltaoenftaaten 
felbet. Unb fogar bie freien garbigen be# ©orben# unb Dften# 
galten (felbft folgen Staatsmännern wie $enrt) ©lap) für ben 
bellagenSwertbeften ©reb#f«haben, mit bem je eine ©eoölterung 
gefhlagen gewefen. ®u# biefen Änfcbauungen unb ©erhält« 
niffen gingen bie oerfchiebenften ©olonifationSprojecte (©läne, 
bie garbigen nach Slftifa gurüdgucolonifiren) b«öor, mit 
benen fich bie erften Slntifflaüerei« Sereine auf amerifanifchem 
©oben beNäftigten, unb in benen fid| bie Agitation gu ©unften 
ber garbigen gewiffermaften bie erfte Suft machte. ©S waren 
ihrer nur wenige, unb bie SRaffe erblidte, wenn fie überhaupt 
©enntnift oon ihnen nahm, in ihren Stimmführern laum etwa# 
SlnbereS, at# Schwärmer unb Starren. Slber fie- epftirten unb 
bürfen um fo weniger oergeffen werben, je foloffaler feitbem bie 
©rnte emporgefdjoffen, gn weicher in ihnen bie erften Nü^ternen 
©eime gelegt würben. 

So weit uttb nicht weiter fanben ©arrifon unb fein un« 
mittelbarer ©otläufer unb ©orfäntpfer Benjamin Sunbp oon 
©ew«Serfeb ben SBeg für bie ©abancpie«Slgitation geebnet, mit 
welcher fie plöfttich in ber Slrena be# groften ^umanitätSfampfe# 
erfeftienen. ©# war h er il<<h wenig. Unb bie ©erfotgungen, 
welche ©eibe auSftehen fottten, beweifen am beften, wie unoor« 
bereitet man felbft bort, wo fie boeft am efteften hätten berftan« 
ben werben fotten, auf Stte# war, wa# bem ©ebanfen, bie 9|t 
an bie SBurgel be# Uebel# gu legen, bem ©ebanlen einer birecteu 
«bfchaffung unb SluSrottung ber Sflaoerei, auch nur oon ferne 
nahe fam. Unb bamit flehen wir ber groften Xbat SBittiam 
Stopb ©arrifon# gegenüber: baft er, einmal oon ber ©rtennt» 
nift erfaftt unb gepadt, baft e# feine ©attiatiomittet gegen bie 
Sflaoerei gebe, auch fofort ben Schtadhtruf nach ihrer oottftän« 
bigen Stufhebung unb SluSrottung auSftieft! 3a, eine grofte 
Xbat, unb fübner noch al# groft — fo einfach unb nabeliegenb 
fie beute erfdjeinen mag. Unb eine Xbat, nur bem möglich, ber 
böfltg bon bet 3bee, welche gu ihr trieb, befeffen Wat — btinb 
befeffen, wie ba# ©erbetroft oom Ignftind, ber e# mitten burch 
bie Sanbwirbet ber SBüfte bem Duett entgegentreibt, wie ba# 
©ifen in unbegwingticber ©tementarteibenfehaft bem SRagnet gu« 
fliegt, wie ber ©laubenSfämpfer, ben bie fdjtimmften ©erfolgungen 
nur noch gfaubenSfreubiger, glaubenstotter machen. SRan nennt, ober 
feftitt wobt gar, fotche Seute ganatifer. Unb fie finb e# — finb gana« 


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Nr. 37. 


Sir Gegenwart. 


169 


tifer, 3efoteit. Wonomanen unb ber Fimmel weife, wa® jonft nocfe 
Wie®. Uber wenn e® etwa® roirHiefe Stoße® ift, in beßen au®» 
fefetiefeliefeem ©ann fie iferen ßeib unb ifere Seele einfefeen, bann 
werben fie gelben unb Srlöfer. Unb ein folget $elb, ein fot= 
(feer Srlöfer ift William ßlopb Sarrifon gewefen, unb wenn bie 
Sefefeiefete* ber Klbotition in ben bereinigten Staaten gefcferieben 
wirb, gefet e® ofene einen befonbeten, ifem allein gefeörenben Sin» 
leitungäabfßfenitt ebenfo wenig ab, wie e® bei einer Darfteflung 
ber ©uffeebung ber SHaoerei in ben engtifcfeen Kolonien ofene 
ein Ave Wilberforce abgefet. 

Da® ßeben Sarrifon® iß in feinem erften Ktbfefenitt genau 
baSfelbe, wie jene® einer gangen Wenge anberer Klmeritaner, 
weißfee an® ben Jütten ber Ktrmutfe unb Unwiffenfeeit gum Stotj 
iferer ßanbSteute emporwuefefen. Sr war seif made burcfe unb 
burefe. Sein ©ater, ein im toeßinbifefeen beriefet engagirter 
Seemann, featte, efee ber 1805 geborene ftnabe nocfe irgenb 
weißfee Srgiefeung, bie über bie erften Slemente feinau®ging, 
empfangen, bie Familie in ber Keinen Waßaefeufett8»®üßenßabt 
©eWburfeport in öufeerfter Dürftigleit fiefe felbft überlaffen. Unb 
fo Würbe ber fpätere ®bolition®apoßel mit neun Qaferen gu 
einem Scfeufemaefeer in bie ßefere gegeben — ein bernf, beffen 
3&feigleit ifem aßerbing® gufagen mufete, für ben er ßefe aber 
balb törperliefe al® gu fefewaefe nnb gart erwie®. Diefelbe Sr» 
fafernng mufete er t>iet Safere fpäter macfeen, al® er üont ßeber 
gum $)olg überging unb in bie Wertftatt eine® Scfereiner® ein» 
trat. Srft al® e® ifem gelang, fiefe an ben eingigen 3Ätung®» 
feetau®geber feine® $eimat8orte®, Spferaim 333. äßen tiotn „Kiew» 
bnrfeport ®eralb", feftgullammern unb biefen gu bewegen, ifen 
al® Sefeerlefetling angunefemen, lam er in etwa®, wie fein riefe» 
tige® gaferroaßer. ©alb außfe in ba® gang riefetige. Denn efee 
ein featbe8 Safer oerßoßen war, begnügte er fiefe nißfet mefer mit 
ber $anbfeabung bet tobten ©leilettern, fonbern griff gut leben» 
bigen geber unb feferieb afietlei ©rtilel, bie er anonfem feinem 
©robfeerm gugefeen liefe, unb bie oon bemfelben treffliefe befunben 
nnb pubticirt würben. Der jugenbliefee Serfaßer, ber jebe freie 
Winute mit beleferenber ßecture auSfüßte, unb wofei eine Ktfenung 
feaben moefete, bafe ba® au® fo rütfefelfeafter gerne tommenbe 
Sute leiefet nißfet mefer fo gut erfefeeinen möefete, wenn fein nafeer 
Urfprung gu fefeneß entfefißt mürbe, waferte fein Sefeeimnife 
burcfe Woßfeen unb Wonate. 3118 ifem jeboefe eine® Sage® ba® 
ßob be® guten Weißer® Spferaim gu ßarl würbe, lonnte er ber 
©erfuefeung, fein Sncognito faßen gu laßen, niefet wiberßefeen, 
um oon beut Woment an eine joumaliftifefee Stöße ©embutt)» 
Port® gu fein. 1826 erreichten feine ßeferjafere ifer Snbe nnb 
er oertaufefete ben „©eWburfeport |>eralb" mit ber unterbeßen 
am feiben Ort gegrünbeten „Free Press'', aber nißfet al® Kln» 
geßeßter unb ßofenfdjreiber, fonbern al® fefbßftänbiger ©ebacteur 
unb Witeigentfeümer. ©alb foKte auefe ber pfeilantferopifefee Se» 
niu® in ifem bie Sßfemingen regen, oon benen getragen er fiefe 
fpäter — er gäfette bamal® einunbgwangig Safere — gu fo 
aufeerorbentliefeem gluge erheben foHte. Später, ba® feeifet balb 
genug. Sßfeon 1827, naßfebem er bie ßeitung be®, in Henning» 
ton erfßfeeinenben „Journal of the Times“ übernommen, machte 
er fo Iräftige ©uäfäfle gegen bie StlaOerei ( bafe er bereit® ba» 
mal® jene® allgemeine Staunen erregte, welßfee® Stfefeeinungen 
ßet® ßefeet iß, oon benen bie Waße niefet weife, ob ße mefer 
lüfen ober mefer oerrüeft ßnb. ©alb barauf aber füferten ifen 
Sefefeäße naßfe ©oßon, unb feiet war e®, wo ber fitnßige Sman» 
cipationSmefßa® mit feinem ® auf er, bem fßfeon oben genannten 
©enjamin ßunbfe, gufammentraf, welcher bamal® oon ©attimore 
au®, Wo er ben „Genius of Universal Emancipation“ feetauögab, 
feine etße ©eifeprebiger»Iour gu gufe burcfe ben Oßen unb ©or= 
ben ber Union maßfete. ®a® Klefultat biefe® ©egegnen® feat 
Sarrifon fpäter felbft in ben naefeßefeenben Worten gufammen» 
gefaßt: „Wenn i(fe wirfliefe etwa®, unb fei e® nocfe fo wenig 
bagu beigetragen feabe, bie ößenttißfee ©ufmerlfamleit auf ba® 
©erbreßfeen ber Sflaoerei gu lenfen unb ba® $eranbrecfeen eine® 
Snbeltage® aßgemeiner greifeeit in unferem ßanbe gu befßfeleu» 
nigen, fo feabe iefe bie®, näßfeft ber ©orfefeung, bie mißfe gu iferem 
Werlgeuge erwäfelte, ©enjamin ßunbfe gu banten." ©raftifefe aber 


beßanb biefe® Klefultat gunäefeft barin, bafe Sarrifon naefe ©al» 
timore überßebelte unb ßefe an ßunbfe® ©latt betfeeiligte, unb 
gwar tefetereS in einer Weife, welefee fefer balb über Kille®, wa® 
ßunbfe je felbß geprebigt unb angeßrebt featte, fo Weit feinau®» 
ging, bafe ba® ofenefein in einer füblißfeen Stabt, bie noefe gubem 
ein großer Sllaoenmarlt War, erfßfeeinenbe ©latt im £>anbum» 
brefeen gu einer fteten Sefafer für diejenigen würbe, Welefee e® 
feferieben. Senn feiet featte ber junge ©euenglänber ben geinb, 
ben er betämpfte, ftet® oor Klugen, unb feine feeifee Seele würbe 
burefe tägtiefee Klnbiiefe unb Srlebniße gu immer mitberem 3or» 
neSbranb angefeuert. Unb al® einmal ba®, einem Waßaßfeu» 
fetter ©feeber gehörige, Sefeiß „granitin" ein Sargo Sllaoen 
oon ©altimore naefe ßouißana an ©orb nafem, ba locfete fein 
Srirnrn übet aße Stengen feinau®. Sr benuncirte in einem 
Waferfeaft pfeitippifefeen Ktrtilet ba® an fiefe gang geWöfenlicfee Sr» 
eignife al® einen Klct oon Snlonbpiraterei unb erllärte, niefet 
efeer raßen gu woßen, al® bi® er Ktße, bie nur ifere $anb ba» 
bei im Spiele gefeabt feätten, „fauftbief mit Scfemaßfe unb Sefeanbe 
bebedt feaben würbe". Sin ©tefeprocefe war bie golge biefe® 
unerfeörten ©ronunciamento eine® eingelnen 3eitong®fefereiber§ 
unb eine ©erurtfeeitung gu fünfgig Doßar®, ober gu Sinfperrung, 
bi® biefe Summe gegafett fein würbe, ba® Srgebnife biefe® ©ro» 
ceße®. ©atürlißfe ging Sarrifon in® Sefängnife, aber nur um feine 
Stimme au® ben Wauern be®felben um fo lauter unb einbring» 
lidfeer feerauöfefeaßen gu laßen. Der gange furor martyris lam 
über ifen, unb in bem offnen ©rief, in welcfeem er au® bem Se» 
fängnife über ben Sericfetöfeof, ber ifen oerurtfeeitt featte, gu Se» 
riefet faß, ßel gum erften Wal ba® gange, große, uttummunbene 
Wort, welefee® fortan ba® Sefelagwort unb ben Sßfetüßel gu allem 
feinen Denlen, Sefereiben, Kleben unb Sümpfen bilben tollte. 
„Denlt," fo fragte er, „ber ©iefeter, wetefeer miefe oerurtfeeilte, 
bafe er miefe mit feinem Stimrnngeln einfßfeüefetern, ober mit 
feinem Waferfprußfe meine Stimme erßiden lann? Waferlicfe, 
bann lennt er miefe niefet. So lange mir ber Fimmel ein |»im 
gnm Denlen, einen Wunb gum ©eben gibt, wiß iefe nißfet auf» 
feören gu erllären, bafe bie SHaoerei ein feimmelfefereienber 
Sefeanbßed für ben amerilanifcfeen ©amen ift, werbe iefe niefet 
auffeören äße Diejenigen, welefee Sllaoen oerfraefeten unb fealten, 
ober bie SHaoerei oertfeeibigen, wer, wo unb in wie feofeer 
Steßung ße auefe immer feien, al® greoler unb ©erbre^er an» 
gullagen. 3^ ßefee erft bei bem Ktlpfea meiner Klufgabe, aber 
bie Seit wieb mein Wert oorwärt® bringen. 3<fe fcfeäme miefe, 
bafe iefe bi®feer für bie farbigen Sllaoen fo wenig getfean feabe. 
Sin freie® Weiße® Opfer iß notfewenbig, um unferm ©oll über 
bie Dferannei unfrer Sinriefetungen bie Klugen gu öffnen, nnb 
wie iefe ba bin, bin iefe wiflig unb bereit, oerfolgt, eingeierlert 
unb niebergefefelagen gu werben für bie ©eefete meiner ßanb®» 
leute unb‘ ©rüber!" Seine Sinfperrung unb fein ©roteß ba» 
gegen erregten ein größere® Ktuffefeen, al® ben Herren in ©al» 
timore lieb war, unb bie Xoßtüfenfeeit (einer Spraßfee würbe felbft 
Oon Denen bewunbert, bie barin im Srunbe niefet® Ktnbere® al® 
ben KluSßufe einer oößig unprattifefeen, wenn nißfet gar wafen» 
wifeigen Sßfewärmerei erblichen. Wan ßanb oon jebet weiteren 
©erfolgung gegen ifen ab, unb al® Wißiam Dappan, ein frei» 
ßitniger unb reiefeer ©ew»Dorier, naefe gwei Wonaten bie ifem 
auferlegte Setbftrafe begafeite, liefe man ifen gerne unb ofene ifen 
gu befeeßigen naßfe feinem neuenglifefeen ©orben gurüetgiefen. 

Wie weit Wißiam filofeb Sarrifon bamal®, im Safere be® 
§eil® 1830, mit feinem fertig formulirten Klntift(aoerei»©rogramm 
feiner Seit borau® War, bürfte am beften bie Dfeatfaßfee beweifen, 
bafe felbß bie tirefetißfeen Semeinfefeaften be® ©orben®, obgleich 
er ßefe mit feinem „©ieber mit ber SHaoerei!" guetß oorwiegenb 
auf retigiöfen ©oben ßeßte, eine Scfeeu empfanben, ifem gu ben 
KtgitationSreben, bie er jefet auf feinem Heimwege, fowie in ber 
$eimat felbß gu fealten begann, ifere Srünbe unb Sebäuliefe» 
leiten gu überlaßen. Ktber er nafem feine §aßen unb ©er» 
fammlungdlotale, wie feine Swfeörerfcfeaßen, wo er ße eben fanb, 
unb aße Sleicfegültigleit unb aßer Spott felbß Derjenigen, bie 
ifen ja anfeörten, ging fpurlo® an bem ©tebiger in ber Wüße 
oorüber, welker genau wußte, bafe jenfeit® biefer Wüße eine 


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170 


Ute ©egenwnrl 


Nr. 37. 


®elt War, bie ihn oernahm. Unb bann griff er wiebet jur 
^eber, nirb bet Liberator" entftanb, beti er juerft in SBaffington 
betaudingeben beabficfiigte, nad} Erwägung bet bagegen fpredjeu= 
ben Umftänbe jebod} in Softon feraudgab, unb mit bem er bie 
neuenglänbijcfe Eapitate fo recft zu bem machen faßte, als wad 
fie ficf feitbetn fo gerne preifen fört: jur SBiege bet Sbolition. 

Et falte einen Zfeitnefmer für ben tedfnifcfen Zfeil bed Statted 
in einem gewiffen Sfaat Knapp gefunben, unb Söetbe t^eßten 
auch reblicf bie Entbehrungen unb Opfer, welche ihnen eine 
Sublicaiion auferlegte, an welche fie ohne einen $eßer ©etb, 
ohne pfiffe non Stufen, ohne SWitarbeiter im Snnern gingen. 9lud 
einet Zacijtammer, welche atebactiondbureau, ©eherraum, Ejpebi= 
tiondiimmer unb Scftafgetafi ber ©eiben war, ging bad mert* 
mörbige Statt feroor. Sber jebe SJtummer Wat ein geuerbranb, 
unb fetbft bie wohtwoßenbften greunbe ©arrifond, welche feine 
Sieben bereitd atd biet ju teibenfcfaftlicfe, mafjtofe unb ungeftüme 
Eingebungen bed Sugenbticfd tabetten, muftten geftefjn, baf feine 
überlegten geberaudlajfungen noch um Sieted teibenfchaftti<her, 
majjlofer unb ungeftämet waten. Et fetbft Wat fich helfen 
woft bewufjt. „3<h weif," fcfrieb et, „baf bie £>eftigteit meinet 
Spraye Snftofs erregt. Stber wo, wenn nietjt hier, ift eine heftige 
Sprache am Ort? 3$ wiß fo hott unb unerbittlich fein, wie 
bie SBafrfeit, unb fo unbeugfam, wie bie ©erecftigleit fetbft. 
Unb ich Miß über biefen ©egenftanb nicht mit SWäfjigung fchreiben! 
Stein, nein! Sagt einem SJtanne, beffen $aud in Stammen fteft, 
baf et einen m&figen geueralarm geben fofl; fagt ihm, er fofle 
fein SBeib mit mfifiger Eite bem Serberben entreifen; fagt einet 
Stutter, fie möge ihren Säugling mit Sebäcftigfeit aud ber ; 
©tutf retten, — aber fagt mir nicht, ich foße meine Stimme | 
mit Stäfigfeit in einet Sache erheben, wie biefe!" Stnbere wiebet, 
welche im ©runbe genommen ebenfo mit ihm fpenpathifirten, 
Ragten fein Sorgehen atd überftürjt unb unftug unb bet guten | 
Sache nur fcfäblich an. Sie Wutben in nicht Weniger beutticher 
SBeife toon ifnt jurüdgewiefen. Zer „Siberator" wie et ba war, j 
war unb btieb eine ooßenbete Zfatfacfe, unb baf ed ihm auch ! 
nicht ganz an greunben fehlte, ging fc^on bataud feroor, baf 
feine ^eraudgebet nach einigen Wochen aud ihrer Zachtammcr 
auf bie ebene Erbe fermtterfteigen tonnten, unb baf bad Statt 
aßen ©egenproptjejeiungen zum Zrof regelmäßig' erfcfjien unb 
feinen ffieg über bad ganje Sanb machte. Unb nicht etwa nur 
übet Steuengtanb, fonbem aud} über ben ©üben bet Union, bem 
er ja am birecteften gatt. Unb Wenn etwad bie tabetnben, 
jweifetnben unb jut 9tücfl}attuug mahneuben greunbe ©arrifond 
baöon hätte überzeugen tönnen, baf ber SRann auf bem 
richtigen' SBege war, fo hotte ed bet Sone unb bie SButf 
fein müffen, welche bad, gegen bie Sttaoerei anftütmenbe, 
Sranbbtatt getabe in ben $eimftaaten ber Sttaoerei ferootrief. 
9tod} ehe bad neue Statt feinen erften Safrgang hinter {ich 
hatte, festen bie Sttaoenbarone oon Süb=@arotina einen tßreid 
oon 1500 Zoßard auf bie Entbecfung unb Uebetführuttg einet 
{eben weifen tßerfon aud, wetefe innerhalb bed Staatd ben 
„Siberator" oetbreite. Zie bet Sunbedfauptftabt SBaffington 
benachbarte Stabt ©eotgetown oerhängte ©etb* ober ©efängniß* 
ftrafe, ja fetbft zeitweilige Sttaoerei, übet aße freien garbigen, ! 
bie batauf ertappt würben, bad Statt oon ber fßoft ju beziehen. 
Zer öffentliche Stnttäger oon Sftateigf, ßtorb-Earotina, erhob eine 
birecte Stnttage gegen Herausgeber unb Siebacteur bed „Sibe* 
rator", atd bie Seranlaffer ber Serbreitung, welche bad gefähr¬ 
liche Organ in Stabt unb Eountf gleichen ßtamend erlangt 
hatte. Unb bie ©taatdgefefgebung oon ©eorgia oerfprach gar 
eine Setohnung oon 6000 Zoßard Zemjenigen, welcher ©arrifon 
aud Softon nach ©eorgia unb zur Sroceffirung unter bie 
bortigen Staatdgefefe tiefem würbe. Ueberbied liefen unab* 
täffig bie witbeften Zrofbriefe aud aßen ©egenben bed ©übend 
gegen ©arrifon unb feinen Eompagnon birect ein, unb fetbft 
ber fDlafor Oon Softon würbe fo ftürmifch unb ununterbrochen 
Oon {üblichen Stmtdbrübern unb fonftigen Autoritäten um Ein- 
fchreiten gegen bie 3unft biefed hodhoerrät^erifchen „Siberatord" 
angerufen, baf er enbtich erttärte: „et fei ber in Siebe ftehenben 
Leitung unb ihrem Herausgeber nach langem Suchen wirtlich 


auf bie ©pur gefommen; fein Sotat beftänbe in einem abgc-- 
tegenen unbetannten Soch; feine einzige fieftbare Hülfe fei ein 
Heiner SSegerjunge; feine greunbe unb Unterftfifer befefräntten 
fief au f eint Hanb ooß ganz unbebeutenber fßtrfonett beiber §aut= 
färben." 9Ran fieht, ber ©üben war ungleich bereiter nnb 
fifarffieftiger in ber SBürbigung biefed febertoßen Umftürzterd, 
atd ed ber Slotben war, ber ßtorben, ber an feiner gfeber Wohl 
einftweiten nur bie Zoflfeit anertennen mochte. 9tbet batb be= 
gann mnjt auch iw fßorben unb ben übrigen freien Staaten ber 
Union auf bie fchmetternben Kampfrufe bed neuen „Sefrtierd" 
in einer Steife zn hüten, baf noch bor Abtauf oon oier weiteten 
Saften bie ©efäfrtichteit bedfelben in feinet eigenen Stabt — 
bem föchft ftatttiefen, fittfamen unb würbeooßen Softem — in 
einer SBeife ertannt würbe, baf oon ihrem fßöbet bet, im Ein* 
gang biefed Strtitetd erzählte, Sorgang in Scene gefefct werben 
tonnte, atd am 21. Dctober 1835 bie neugegrünbete „Ätcti-' 
fftaoerei=©efeßf(haft ber grauen" eine ©ifcung oott ber 
man wufte, baf ber ÜJtann oom „Siberator" ihr ptäfibiren 
würbe. ®urz oorher hatte in Ulem^orf ein ähnlicher 9Rob eine 
Serfammlung ber bortigen 9tntifttaoereis©efeßfäfiaft audeinanber 
getrieben, um batb banach bie geier bed nationalen Unabhängig^ 
feitdtaged bnrdh bie aßgemeine ameritanifche 9tntiff(aterei=@efeß; 
fchaft in ähnlicher SBeife zu ftören. Such in fßhitabetphia hatte 
bie oom „Siberator" angebrachte, unb bort wie überaß z ut 
Sitbung oon Sntifftaoerei-Sffociationen (nicht mehr jener tau-- 
warmen unb zwedtofen Eotonifationd=©efeßfehaften) führenbe 
Agitation fotdje Zimenfionen angenommen, baf ber Sßöbet pch 
auch bort zu aflertei Zumulten unb ©ewattthätigteiten gegen bie 
teuerer, wie bie oon ihnen gefdjüfcten freien garbigen oerans 
taft fah- SJlit einem SBort, ber Saß begann ind SRoßen zu 
tommen, bie Saat begann äufzufhiefen. Der „Siberator" mar 
in aßen £>änben. SRänner wie SBenbeß Shiß^h 8 » Eharlcd 
Sumner, $enrt) SJitfon u. a. oereinigten ihre Stimme mit 
berjenigen ©arrifond, unb fd^on im Safte 1840 war ber aud 
aßen Sliffanbtungen, ©efängniffen unb ©infchüchterurtgtn nur 
um fo reifiger unb tampftüd}tiger $erborgegangen bet erfle unb 
befte 9Jlann, ben bie aßgemeine ameritanifche Sntifllaoerei« 
©efeßfehaft atd ihren Zetegaten zu ber, in jenem Saft i« Sonbon 
abgehattenen SBett=Sntifttaoerei=Eonoention entfenben tonnte. 184ß 
würbe er ©räfibent biefer ©efeßfefaft, unb nun bernwehte er 
auch nicht länger, Sngeficftd ber immer waöffenben Semegung, 
fowie namentlich Sngefi^td ber Zhatfadje, baf SKänner wie 
Sumner, SBitfon u. a. ©taatdmönner ßleuengtanbd ben Kampf 
gegen bie Sttaoerei auf ihre potitifche gähne fdjrieben, ftd} bet 
Ertenntnif zu berf^ftiefen, baf biefer grofe Kampf oom ©ebiet 
ber tRetigion unb ber reinen Humanität, oon bem aud et ihn 
bidfer geführt, auf bad ber fßotitit übertragen werben tnüffe. 

Son ba an geft bie ©efchidjte SBißiam Stopb ©arrifond 
mefr unb mehr in ber ©efdjichte ber ameritanifchen Sftaoen^ 
emancipation überhaupt auf unb infofern unter, atd ed nun 
nicht mehr Einer unb ein paar SRänner, fonbem $unbette 
unb batb Zaufenbe waren, welche, bad gemeinfame Sännet ber 
Sbolition emporfattenb, ooranftürmten. Sbet feine Stimme 
ging barum burd}aud nicht oertoren. Zer „Siberator" fprach 
nicht mefr aßein, aber er fprach noch immer ftarf unb fetttig 
genug, um aud einem ganzen Siberatorenchor feraud gehört zu 
werben. Sld bie in früheren Sat}?en oon ihm wie oon oieten 
heroorragenben Sbotitioniften, — im Sngeftdjt bed unlödtichen 
Eonflictd zwifdfen ben freien unb ben Sttaoenftaaten unb ber 
Uebermacht ber tehteren — burdjaud nicht atd Unmöglicher Sud« 
weg pethorredeirte ©eceffion bed ©übend enbtich in SBitftichteit 
Zur Sßed entftammenbeu Zagedfrage würbe, erhob et feine 
Stimme ebenfo feurig für bie Unoertefctichteit bet Union, wie 
er fie bidfer für bie Aufhebung ber Sttaoerei aßein erhoben 
hatte. Unb atd bann fdjtieftich burdi bad Stut unb ben Qualm 
oon funbert Schtacftfetbern hinburcf bad Seftefen biefer Union 
gefiebert unb gleichzeitig bie Sttaoerei gefaßen war, ganz unb 
bebingungdtod, wie er ed fefon oor fünfunbbreifig Saften ge* 
forbert fatte: ba oergaf bad ertöfte Sanb ber Sortämpfer* 
torbeeren nieft, bie er, wie tein ^weiter in biefer ungeheuren 


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Nr. 37. 


&ie ütgenmari. 


171 


goiti^ritt^Botlbriiiguitg, errungen f>atte, «nb er war e«, bet am 
14. Äpril 1865 al« erftcr Plann 4>e« Korben« auf bett Krümmern 
jene! nämlichen fttbcarotimfd>en gort« ©umter, wo 1661 bie 
erßen Schüße jwifchen Korbe« unb ©üben gewedjfclt worben, 
uw einet wtabfefybaren ©erfatttmlurtg freigeroorbenet farbigen 
ben Kiebebbrueh ber Sflaoerei w»b fein EefdjMl greifen burfte, 
bft$ ihn biefen lag batte erleben taffen. 

Unb er woflte wirtlich nicht mehr, al« ba« erlebt haben. 
9tod) im f eiben Saht lief} er bie lefjte Kummer feine«, nun 
btermtbbTetßig 3«b r 9ä n 8 e *W)lenben „Siberator" etßheinen. ?>ie 
Schlußworte feine« 'Äbfdjieb&artilel« lauteten: „Kalbern ba« Biet, 
in beffen Sienft ber 'ßiberator’ einft begonnen würbe, auf« Elot« 
rtidjße erreicht worben — bie Kieberwerfung ber oerru^ten 
Sftaberei — fdjeiut e« mir paffenb, feine Esiftenzbauer auf 
jenen Beittaum ju bejcfitänfen, welcher ben großen Emancipation«: 
lampf fetbft umfaßt, unb ba«, wa« jefct be« ©eiteren ju tßun 
ift, anbern SBetfjeugen unb ©oflbcingern mit unerßhöpflichen 
Sffhttetn ftatt mit nicht« in ber $aub, unb mit SRiflionen, ftatt 
mit §unberten non geifern jn übertaffen!" 

©o trat er, ein Plann »on fechjig 3ah«n, au« ber Deffent- 
tkhSeit jurüd. Unb wenn Einer, fo hatte er ein Kedjt baju, 
fi<h in ber Ptuße unb prioateften ©title eine« Patriarchen: 
bafein« eru«juteben, unb fi<h bort ber grüßte eine« Seben« ju er: 
freuen, welche« fein ©tficfwerf gewefen, unb ba« er in feinet 
großartigen Einheit, «nb in feiner nur einem Bwedt bienenben, 
ttmhrhaft göttlichen Einfeitigfeit, alten ©erlodungen einer banf= 
baten Kation jum Sroj}, auch «och at« Erei« fo tapfer oor 
einer nachträglichen Entweihung unb ©erftimmerung burd) attertei 
öffentliche Epiloge unb Kadtfommer ju bewahren oerftanb. 

llbo Srad;pogel. 


StmtmfnwmbttTingfK in Jrankreüt). 
ii. 

©alzac ift ber erfprießtichfte gührer in ber Soiregegenb. 
Ter gewaltige Pathologe ber gebet war felbft ein Kinb ©littet: 
frnnfreiCh« unb bie erften Einbrüde, bie fich fdjarf unb unau«: 
löfdßid) in ba« Eef)irn be« aufftrebenben Knaben einpr&gten, 
ermöglichten e«, baß er fpäter bie gluren, bie er befchrieb, bie 
fieut^en, welche fich in feinen Erzählungen bewegen, ftet« gegen: 
wärtig hatte, fo baß bie ©iebergabe oon Plenfchen unb ©egen: 
ftänben non photographifcher Kichtigfeit fein mußte, Kber bie 
Photographie würbe verherrlicht burdj ba« reiche Eotorit be« 
PiChter« unb fein zauberhafter Stil- gab bie Einrahmung. 
Balzac ift nicht allein ein gührer in ber Soiregegenb, er 
ift ber ©erloder, welcher bei bem aufmerffamen Sefer feiner 
Prouinzromane bie unwiberßeljtidje Sudß erwedt, bie ©teile zu 
fehen, wo ber fflhne Phantaft ba« Schloß SDtortfauf, bie Dafe 
8 a ©renabiere unb ben Siebe«hof gebaut hatte. $>ie Eefcfjichte 
gefeilt fUh Zum Koman unb Währenb ber ©aljnzug ztoifchen 
Orleans nnb ©loi« bahinroQt, entwidett {ich bei bem Keifenben 
ba« eigentümliche erhebenbe Eefütß, baß jebe ©djoße, bie er 
berührt, bei ber ftaattiChen Entwidtung gtanfreich« ihre SBe= 
bentnng hat. 3)iefe« hiftorifche Sntereffe tritt um fo padenber 
au un« heran, wenn wir ben oberhalb ber ©tabt gelegenen 
Bahnhof in ©toi« ber taffen haben unb bem unteren ©tabttljeit 
Zufteuern. ®er ©eg führt gar balb an bem berühmten ©chloß 
borüber, bem Schloße, beffen Portal bie Keiterßatue be« Stifter« 
biefe« ©aue«, be« „©ater« be« ffiotfe«", Submig« XII. ziert. Sn 
ben Eemälbcn, Welche feit einigen Sahrett genau nach ben oor: 
hanbentn utfprfinglichen Entwürfen reftaurirt worben finb, fpufen 
bie Eeßnlten be« ermorbeten Herzog« bon Euife, ber aber: 
jläHbtfdjen Katharina bon Plebici« unb einer anberen Königin 
äu« b«m nämlichen gtorentiner patricierhaufe, SWatia bon Plebici, 
bet Etanahtin Heinrich« IV. ®ie herrfdjffid)tige unb pracht: 
(iebenbe Ptonarchin weilte in btm ©dßoffe bon ©lei« al« Staat«: 
gefangene ihre« eigenen ©ohne«, be« König« Snbwig« XIIr. 
Sie hoh* efrau mochte fich wohl in ihrem Bwtnger langweilen 
unb ba fle gute greunbe hatte, würbe eine hochromantifche nacht: 


liehe Entweichung in ©eene gefegt. Sin ©trid, ber an ba« 
genfter be« ©chlafzimmer« ber Königin befeftigt Würbe, biente 
at« rettenber Enget. Sie befangene ließ fich heruntergleiten unb 
gelangte glücHich ht ben gcftung«gröben, wo Pferbe bereit 
gehalten waren. 2)ie Siftanz ztbifdwn genfler nnb Eraben bc= 
trägt ungefähr bie $öt|e bon brei unferer StodWerfe. Um ba« 
ffiagniß z u oerfuthen, muß bie Sehnfucht nach Freiheit bie zarte 
grauenfeete gar ftar! geplagt ha'bm. StUein bie Königin ner* 
ftanb, baß bie grei^ett ohne Eetb nur eine halbe greiheit iß, 
fie hatte fürforglid) ihre Eaffette mit Eefcfmteibe gefpidt . . . 
Kber o Schteden! Plan wirb gewahr, baß ba« Kiftchen fehlt. 
Ohne biefe« ©iatkum will f«h SWaria bon Plebtci nicht entfernen. 
Stuf bie ®ef«hr h' n i wo« 1 ©tabteommanbanten entbedt zu Werben, 
madicn fidi bie Sabotiere bom Eefolge auf bie Suche, unb 
richtig finbet fid) ba« Sermißte auf bem geftungSWafl. Um 
eine SDlilliott reicher trabt Ptaria bon bamten. S)en ©eg, beit 
fie einfehlug, !atm man bon ber großen ^erraffe be« ©Stoffe« 
berfolgen. ®a« zaghafte Pionblicht zeigt un« bre fchimmemben 
gtuthen ber Soire, welche z w if<hru ben riPßgen ©teinbämmen, 
bie nothwenbige ©djufjwehr gegen bie periobrfdjen Ueberfchwem: 
mungen, langfam, faß unbeweglich, bahinßießt. ®ie Ent= 
fprungene fe^te bamal«, bor 250 Bahren, über ben gtuß in 
einem gifchetfahn, heutzutage lömrte fie ruhigen gnßt« nach ber 
Sonftabt ©ienne gelangen, über eine ber majeßätifchßtn ©rüden, 
welche im Sahve 1715 begonnen nnb nutet bem erften fiaifet: 
reiche reftaurirt Würbe. ®iefe ©rüde führt nach bet Sanbftraße 
bon Sf)amborb, beffen unzählige weiße Binnen bon ber Schloß: 
terraffe au« ßchtbar werben, wenn bie ©ollen ßcf) zrrßreuen 
unb ber SoHmcnb in feine Ped)tt tritt. 

3 n ber ©tabt herrfcfjte SRuf|e, bie wahre unberfätfehte Kühe 
ber Probinz, wo man ßd» nämlich um zehn Uhr Sbenb« zn 
Sette begibt. Kur hie unb ba leuchten einige Punlte, zwei 
Kaffeehäufer, wo obßinate ©ittarbfpieler ba« Plaß ber Polizei: 
ftunbe erfchöpfen wollen, unb hart an ber Soire, unten im hinter* 
gtunbe eine« geräumigen unb mit bußhigen Säumen bepßanjten 
ptahe« brennen zwei Sampen am Eingänge be« £t)eater8, etne« 
lleinen recht nieblicEien ©aue«, mit einet Sühne, bie für Dpe: 
retten nnb Heinere Sonberfationäßüde gerabe auSrei^en würbe. 
Sn biefem engen Kaume ftnbirt eine jener hemmztehenben ®efeü: 
fraßen, bie feit einem Saljtzehnt bie Parifer ErfotgSftfide in ber 
Probinz „au«beuten", zum größten Schaben bet Sofatbülji en 
unb, wie man berpdjert, ber Sntwidetimg ber Schaufpiellunß, 
ben Tour du monde en 80 jours bon Bnlf« ©eme ein. S*h ßin 
neugierig, wie ba« Problem getöß wirb. ®ie Sirectorin — benn 
biefetbe iß eine ältere ®ame, bie in hö^ßeigener petfon bie 
Sontrote beforgt — flogt barüber, baß e« nnmöglich war, ben 
tebenbigen Etephanten auftreten z« laßen. 3<h wtü’« glauben, 
er hätte mit feinem Köpftein ben ptafonb bnrdhtöchert unb mit 
feinen zarten Süßten ben ©oben bc« Pliniaturtheater« bureß: 
geftampft. „2om", bie« iß ber Karne be« nieblichen Künß: 
ter« mit bem Küffet, genießt baljer gerien unb berf^täft philo: 
fophifdj bie ^heaterßunbe in einer Scheune, wo man ihn nicht 
ohne Ptülje untergebracht hat. Such bie Sprengung be« Schiffe« 
im »orlefcten gilbe mußte aufgegeben werben, bamit aber ba« 
ehrenwerthe Publicum nicht z« fnrz fomme, h°t bie ©ircction 
ben Etephanten unb bie Ejplofion burch zwei *eue ©aßet« er« 
fefct — fragt mich aber nur nid)t wa« für ©aßet« unb bon Wa« 
für länjerinnen au«geführt. ©eich tltl banfbare« Publicum aber! 
Kein einziger ©tafirter barunter! gür bie gröbßen Kalauer, für 
bie plumpften ©i^e empfänglich. $»* Seute, burchweg Säuern, 
bie Plänner in ber ©loufe, bie ©eiber in bunten KattunHcibern 
unb Rauben, ßnb 2, 8, 4 Pleiten weit mit bem ©orfa| h et * 
gefommen, ßdj z u amüßren unb ße hanbcln auch «blich barnad). 
®ie Schlag Worte, mit wetten ba« Serne’fche ©tüd befät iß, 
werben in ben Swifdjritocten bom partene in bie Edierte 
hinauf unb bon ber Eaterie in« Parterre hinunter gewcchfett 
®a« ßäbtifche Element concentrirt ft<h beinahe au«fchließt'(h in 
einer 8trt bon Soge infernal, wo ein paar grüne 3»ngtn, bie 
Söhne reicher Entäbefijjer, ßch in Eefeßfdjaft be« Staatsanwalt«: 
fubftituten unb be« Einnehmer«, wie meißen« eine« berabßhiebeten 


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172 


Sltt (Segenmurt. 


Nr. 37. 


0ffi}ier8 probuciten unb für bie Derblüpten Vaflerinen baS größte 
Sntereffe äußern. 

©inen ©pilog biefer bramatifepen ©jtragenüffe fanb icp in 
meinem an bem Loirequai gelegenen §otel. Swet ©polaren 
ber (atpotifepen Uniöerfttät aus $oitier8, jtoei üornepme junge 
Leute aus fepr reifem #aufe, bte an baS ©elbauSgeben ge: 
wöpnt waren, wie mein SEBirtp Dotier SIcptung betonte, waren 
mit bem Stacpt}uge angelommen unb wottten ben beiben |>aupt= 
barfteflerinnen ipre ^utbigungen in ©eftatt eines ©ouperS be= 
jeugen. ®er Xifcp war bereits in einem Keinen ©alon gebedt 
unb- }eicpnete fiep butep einen auSfcpweifenben VlumenlupS aus. 
©in ungeheurer ©traup Dom Xiameter eines SBagettrabeS nahm 
bie ganje SRitte beS XifcpeS ein unb Dor jebem ©ouDert blühten 
üppige ©träupepen — wir finb ja nicht umfonft im ©arten 
grantreidjö. Xie beiben ©tubiofi, }Wei feifte, falbungSDotl aus* 
fehenbe Patrone, Pachten — bie polben i^eaterbamen erwartenb 

— wohl über ihre tefete tpeotogifepe XpefiS nach, wo}u fie wader 
©pampagner feplürften. XaS fröhliche SRapI mup bie gan}e Stacht 
gebauert haben, benn erft gegen ben grauenben SRorgen, als bie 
jngenbUchen Streiter für Xpron unb SUtar mit bem erften Buge 
nach ber UniberfitätSftabt ißoitierS jurüdgebampft waren, perrfepte 
Stupe im $aufe. Xa es um VloiS unb t&ngS ber Loire bis 
nach $ours hinunter Don ©cplöffern wimmett, bereu ©igentpümer 
meiftenS altfran}öfifcpe piftorifepe Slamen tragen, gilt bie ©qgenb 
für butep unb. butep rotjaliftifcp gefinnl ®iefe Stnnapme mag 
nicht unberechtigt fein, infofem es fleh um bie einzelnen ©eptop: 
perren panbelt unb um bie Don ihnen unmittelbar abhängige 
Stenge Don Lieferanten, ßanbwirtpen unb Xienern. tlber ber 
StopaliSmuS in ber fanften gutmütigen Loiregegenb, beren S8e= 
wopner fich’S jur @pre anreepnen, Don allen fran}öfifepen tßtoDinj: 
lern bie pöflicpften }u fein unb am beften franjöfifcp }u reben, 
biefer SiopaliSmnS ift fein ftreitbarer unb perauSforbernbet, wie 
in ber Venbee unb in einigen Sanbftricpen beS gtutpigen ©übenS. 
®er ropaliftifcpe ©cplopbefiper pier pegt für ben Stop bie tieffte 
Sichtung es unb würbe ipn mit ©tot} unb ©Kid erfüllen, wenn fein 
SRonarcp ipn auf feinem ©cploffe befuepen wollte; bie Söriefe mit 
ber ©ignatur $enrp fiepen in fo popem Stnfepen, wie bie ger= 
manS beS Sßabifcpap bei ben noep niept Don ber ©ultur betedten 
SRufelmännern. Xer ©beimann Don ber Loire tafelt gerne (was 
er überhaupt immer bereitwillig tput) unb lange an ben StamenS* 
tagen, bie in bem ropaliftifepen Äalenber rotp angeftriepen finb 
unb er bringt mit aller SBeipe, bie ein alter VouDrapwein er: 
§eugen (amt, bie „S&ntö de sa majeste“ ftepenb ans. Slfletn 
mepr barf man Dom Legitimiften beS ©entrumS niept Derlangen 

— benn was barüber liegt, tönnte feine Verbauung trüben unb 
bie Leute geben noep etwas auf bie Vorfcpriften beS SleStulap. 
©ie warten bapet rupig unb bei einer pöcpft bequemen LebenS: 
weife, bis bie ©tunbe „gefcplagen pabe", überiaffen aber bis 
bapin getroft bas politifepe ©ebiet, bie Säaplen unb Silles, was 
auS bem perDorgept unb barnit jufammenpängt, ber perrfepenben 
republitanifcpen Strömung, ©o ift bie Vertretung ber „©cplöffet: 
region" im gefepgebenben Körper eine repubtitanifepe unb bie 
ft&btifcpe Verwaltung ber einft wegen ihres LopaliSmuS berüpm= 
ten ©tabt VloiS Dom perrlicpften Äarminrotp. Xie ©bilität 
wollte fogar peuet ipre ©efüple in prägnanter Seife }ur ©<pau 
tragen, inbem ffe ben ißräfecten erfuepte, bie üblicpe gropnteiep: 
namSprojeffton bepörblicp }u unterfagen. Stber ber Vertreter ber 
Regierung bemetKe, bap bie gropnletcpnamSprojeffion für gewiffe 
gefepäftlicpe Vrancpen in VloiS eine niept }u unterfepäpenbe ©in: 
napmequelle wäre. Xie Vewopner pupen ipre Äinber auf, tape}ieren 
bie Käufer mit weitem ©alicot, erriepten Sriumppbögen unb bren: 
nen Äerjen. ©oll man nun bie Seipwaarenpänbter, ©onfectionäre 
unb Xatgfabrifanten um ben Keinen Verbienft bringen? Xie Leute 
Kagten fo wie fo über ben matten ©efcpäftSgang. ftuS biefen 
©rünben WieS ber $err ißräfect baS Stnfinnen ber ©tabträtpe }urüd 
unb bie lßro}effion würbe abgepalten. XaS prägnante an biefen 
Veiträgen }u unferet Beitgefepiepte ift aber ber Umftanb, bat wäp= 
renb ber ©emeinberatp aus geborenen unb getauften Äatpoliten 
beftept, ber pro}effionSfreunblicpe ?ßrafect ein 3ube unb ein 
3ube aus ortpoboser gantilie ift, #etr Leo ©opn, ber ©opn 


bes oor jrnei 3apren Derftorbenen unb allgemein geachteten 
„Stlmofenier" VotpfcpilbS, ^erm Klbert ©opn. Liegt in biefem 
Buge niept ein VeweiS, wie feft in ffranfreiep wenigftenS biefe 
grote ©rrungenfepaft, bie ©ewiffenSfreipeit unb bie Varität 
fämmtlicper ©onfeffionen wur}elt? 

Stadpbem man ber piftorifepen unb ber politifepen ©eite 
gebaept pat ift eS noep ein tßunK, ber bei einer Steife in ber 
Loiregegenb gar bebeutungSDott perbortritt: ber gaftronomifepe 
Vunlt. Sel^ eine Stolle bie }Wei eminenten fran}öfifipen SRapl: 
jeiten pier fpielen, baS ®öjeuner unb baS ®inet, baoon legt 
um 11 Upr Vormittags unb 6 Upr KbeitbS ber ©peifefaal 
eines ber gropen Rotels B^ugnit ab, bie fiep in bie ©unft 
ber meiften ©ommiSDopageurS unb eingeborenen $ageftoI}en 
tpeilen. Stit ber Steinlicpleit in ben Bintntem unb mit ber 
Vebienung barf es ber ©aft niept fo genau nepmen; taffen aber 
biefe ißunfte }u münfepen übrig, fo geigt ein Vlid auf bie 
Salle a manger, bap man pier im ^eitigtpume beS Kaufes 
weilt. ®ie ©inrieptung ift ftilDoü unb imponirenb, ber lange 
Xifcp ift funftgereept gebedt, }Wifcpen gtafepen unb ben Stuffäpen 
lacpt bie bunte SJtofail einer StajolilaDafe, aus ber irgenb eine 
woplgepflegte Vflan}e peroorfepiept. ®ie Steipe ber Vlatten 
nimmt (ein ©nbe. ©ott Lob pat man eS noep niept }u ben 
meiperabattirten Maitres d’hötels mit ber Leiepenbittermiene ge= 
braept, bie Don bem Stuf getragenen geometrifcp abgetpeilte V or; 
tiönepen pinfteüen, als wenn fie bem ©afte baS ©nabenbtob 
Detabreicpen foüten; ber ®ar<;on ift familiär unb raunt gern 
ins 0pr: „Stepmen ©ie Don biefem ©ntenfalmi, eS ift auSge: 
}ei<pnet gelungen," „3ep ratpe Spnen }um ^üpnerfricaffee" unb 
bergteiepen wopl }u beperjigenbe Siatpfcpläge. StllerbingS mup 
man auep bem fangen ein williges Dpr leipen, wenn er }Wü 
fepen }Wei ©erbicen Kbriffe feiner LebenSgefcpicpte }um Veften 
gibt, über baS „oiet }u tpun" (lagt unb bie jfrtauferei gewiffer 
©äfte Derwünfcpt, bie im Vuntte beS XrinlgelbeS fepr engper: 
}igen Slnfcpanungen pulbigen. 

®ie ©ommiSDopageurS (önnten noep immer iprem heutigen 
Val}ac als Stufter für feinen tärmenben, überfcpwänglicpen 
©aubiffart fipen. Senn Xaüepranb behauptete, bap baS 2Bort 
gefepaffen wäre um bie ©ebanfen }u Detbergen, fo behauptet 
ber fran}öfifcpe ©ommiSbopageur offenbar, bap eS gefepaffen 
würbe, bamit er baSfetbe auSgibig unb auSfcplieplicp gebraute. 
Stber ber heutige ©ommiSbopageur pat nur bie langweilige 
©cpwappaftigteit beS Kaffifcpen ©aubiffart bepatten, er bet: 
fcpmäpt eS wenigftenS feine Xifcpgenoffen burep bie V^obuction 
Keiner Xafcpenfpielerlünfte ober Stacpapmung tpierifeper Laute 
auf}upeitern. Stein, baS ift unter ber SBürbe beS heutigen 
„Voyageur de Commerce“, ber fiep nidpt wenig barauf einbit: 
bet, bap er mit „Löon" bei bem berüpmt geworbenen Vanfett 
beS borigen Xecember im ©ranbpotel getäfelt pat $as Vf: 
muptfein feiner „SJtiffion" maept ben ©ommiSbopageur ftolg, ber 
früpere, ber ©ommiSbopageur bon enfant, war offenbar erträg: 
iieper. ®aS lofe ©efepmäp unb bie enblofe Sannegieptrei pat 
fonft (einen B>aed, als ben ©ontraft mit ben fcpweigfam fpeifen: 
ben ©täbtern grell peroor}urufen. Stacp einigen Sagen er(un= 
bigte icp mtep naep bem ©tanb ber eprenmertpen Stacpbarn, wo: 
Don ein}elne pöcpft ppiliftröS:mer(würbige SparaKerföpfe patten. 
$er bide $err ba mit ber ©tape war ber Stotar unb, fepte 
mein Sirtp pin}u, ein auSgejeicpneter Violinfpieler, fein Visa: 
bis, ber jooiale kleine mit ben breiten ©cpultern unb bet blon* 
ben V ert ü^, Str}t unb ein Virtuos auf ber glöte. ©in 
Xritter regiftrirte bie ^>pf>otpe(en unb wibmete ftep im ©titlen 
ber SRaterei. 3a felbft ber (nurrige ©ntSbepper bort, ber an 
SJtartttagen }u ben ©tammgäften }äplte, ftanb im Verbacpte 
pübfcpe VerSlein ju brecpfcln. Buerft wunberte- icp miep übet 
biefe Vereinbarung Don pofitibem profaifepem Lebenslauf unb 
bem fonft in fotepen Steifen arg Derfcprienen Ver(epr mit ben 
SJtufen. ©pätere Saprnepmungen aber bewiefen, bap biefe 
Vtifcpung in ber Loiregegenb etwas SWtäglicpeS ift, ein ©runb 
mepr, für bie perrlicpe ©eqenb unb bie freunblicpen Leute, bie 
ba wopnen, fpmpatpifcp ju füplen. paul b’Hbrefi. 


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Nr. 37. 


® i t (Ft jj|t n nr a 1 1. 


17B 




ber Äroittnfiuße. 

Aon 2■ OT. 

(Sd)InS.) 

Um niept lounenS’ ganz brauchbare Mittpeilungen über ßanb • 
uvb ßeute in Araucanien bet Vergeßenpeit anpeimfatlen $u taffen 

— ein neuerer Forfeper bat ßcp in biefe ©egenben nicht gewagt 

— möge baS Sfntereßanteße batauS hier noch oerzeicpnet werben. 

Araucanien pai ein gemäßigtes, conftant milbeö Klima. 
5>er Sommer, Welcher acht Monate währt, ift nicht heißer als 
in feiner fcpönßen Beit bet $erbft in Franlreicp. 3)ie ßuft ift 
gefunb; bie ©inwopn« lernten baS gelbe Sieber nicht, überhaupt 
feine ©oibeptien. ®er ©oben ift im Allgemeinen fruchtbar, 
oon zahlreichen SSaffer laufen getränlt; bie Ipäler finb reich an 
ffieibetanb, bie Hügel mit SBalb beftanben. ®ie Unteren fallen 
auch minerathaltig fein. 3n ber ©bene bagegen fann man 
Zage lang reifen, ohne auf ein ©eftein ju flößen. Staubtpiere 
unb giftige Schlangen tommen nicht oor. 2)a3 ganze ßanb 
jerfällt in oier, non einanber unabhängige ©ejirte (bie eigene 
liehen Araucanier, bie HuiQicpen, Mulucpen unb ^aguanfehenj, 
in benen bie einzelnen, gleichfalls oon einanber unabhängigen 
IribuS wohnen. $>er Kajil ber IribuS reßbirt im Hauptort, 
in ben jur IribuS gehörigen lörfern gebietet ein Unterfazit, 
ber burdj bie bereits erwähnten MocetonS bie Sefeple beS Ober; 
fa§iten erhält. SBemt ein Krieg mit ©pile bropt ober bereits 
ertlärt ift, fo wirb ein Fetbperr erwählt, bem baS Stecht ber 
HuSljebung zufteht; er macht baoon in allen AtterStlaffen, oom 
Säugling bis znm ©reife, ©ebrauch- ®ie Kriegsmacht befteht 
nur auS Reiterei. ®et Sotbat hat fiep Kleibung unb Unterhalt 
anf eigne Koßen zu befepaßen, benn Steuern ftnb in Araucanien 
unbetannt. 3eb« Soibat muß beim Aufbruch jur Sampagne 
fßrooißonen für 5 ober 6 läge mit ßcp führen, einen Sad mit *• 
SKepl oon geröftetem ©etreibe, einen halben Hammel, manchmal 
auch einen ganzen ober ein Stüd Stinbßeifcp; baS ©anze wirb 
mit einem Stiemen bem ißferbe aufgefdpnaöt. ©in Stinberhorn 
Znm Irinfen gehört zur ootfcprißSmäßigen Montur. ®ie SBaffen 
fmb eine Sanze, 5 Meter lang, oon fehr hartem aber, biegfamen 
§olZ unb mit feparfer MetaUfpiße; ferner Meffer, iolcpe unb 
Säbel, bie leßteren oon chitenifchen Kaufleuten im Frieben er* 
hembett ober in KriegSzeit ben cpilenifcpen Solbaten abgenommen. 
Feuerwaffen führen bie Araucanier nicht. ler KriegSptan Wirb 
in langen Sefprecpungen ber Häuptlinge feftgeftetlt, ber erwählte 
Felbperr führt ihn auS. StiemalS taffen fiep bie Araucanier 

auf eine regelmäßige Scptacpt ein; ipre Kampfweife ift au8= 
fepiießtiep bet UeberfaQ. liefen oerftepn ße mit ©efepid zu 
organifiren. 3« 0«fdpiebene Irupps getpeilt, warten fie ben 
günftigen Augenbtid ab. Die Steipenfolge beim Hetoorbrucp ift 
genau beftimmt. ©in erfter Steitertrnpp ftürmt gefcploffen, mit 
eingelegter ßanze, in bie feinbtiepe ßinie, Verwirrung unb 
Scpreden oerbreitenb; einige ber Steiler ßnb oon ben fie 
empfangenben läkweprfcpüßen getroffen unb ßnlen oom fßferbe; 
ab« unaufpaltfam gept es oorwärts, bie oorberften Steipen ßnb 
butepbroepen, unb epe bie ©pilenen ipre alten ©ewepre mit 
Feuerfcptöffern znm zweiten Male getaben paben, fauft fepon ein 
Ztoeit« Irupp oon b« einen, ein britter oon ber anbero Seite 
pnan, unb bie Folge ift für bie ©pilenen in ber Stegei ebenfo 
oerpängnißooU, wie im mobemen Kriege baS Scpicffat eines oon 
©aoaUnie burepbroepenen ©arreS. lie gefepidte Hanbpabung 
b« übermäßig langen ßanze pat an bem Siege, b« feiten au8= 
bleibt, einen Hauptantpeil. SBemt es zum Sorfturm gept, hebt 
fiep ber Arancanier im reepten Steigbügel aufrecht im Sattel 
unb ziept baS linle Sein unter fiep; ben tinfen Arm ftüpt er 
auf ben $alS beS SfabeS unb legt bie.ßanje unter b« Acpfel 
ein. liefe SBaffe pat fiep immer noep gefäprlicper erwiefen, als 
bie fcpmerfäüigen ©ewepre b« ©pilenen. Aber auep baS mora« 
lifcpe Uebngewicpt ift anf Seiten beS AraucanierS. lerfelbe 
ftürmt mit bem ipm naturgemäß fepeinenben Biel in ben Kampf, 

}u ßegen ob« zu fterben; er weiept niept zurücf unb «gibt fiep 


auep niept; in Folge beffen lennt er leinen fßarbon unb fein 
Sieg, baS fepeint ipm gleichfalls naturgemäß, pat bie Stieben 
ntepeiung beS FeinbeS bis auf ben lepten Mann zur Folge. 
Sie Sölbner ber Stepubtif bagegen gehen in ben Kampf unter 
fteter AuSfcpau, wie ipt Sehen beftenS zu bewahren fei. ©in 
neu« Kriegsausbruch mit ben Araucanient oerbreitet jebeS Mal 
Scpreden im ßanbe, unb es fällt überhaupt fcpwer, Martnfcpaften, 
bie als eine Armee gelten lärmten, gegen bie gefürchteten Stanzen* 
träger auf bie Seine zu bringen. lies ertlärt auep, warum 
bie cpilenifcpen Sepörben plöplicp Orelie Antoine für ftaatö- 
gefäprlicp hielten unb in ipre ©eWalt z u bringen traepteten. 
I« neue König tonnte bie SBeprfräfte beS ßanbeS noep ftärl« 
organifiren. 

$ie Iracpt ber ©ingebornen ift oon primitioer ©infaeppeit. 
©in oieredigeS Stüd 3eug, oon einem ©ürtel gepalten, um* 
fcpließt ben untern Ipeil beS Körpers, ein anbneS, gleicp; 
geformtes, welcpeS in b« Mitte ein ßoep pat, wirb über ben 
Kopf geftreift unb pängt wie ein Heiner Mantel p«ab. Sei 
ben Frauen pat biefer Mantel auep ßöcper an ben Seiten für 
bie Arme, bamit fie biefe zur Arbeit frei bewegen tönnen; benn 
bie Frau ift eS öorperrfcpenb, welche §au3 unb Ad« beßellt 
unb bie Kleibung fertigt. Sonft ift ein unterfcpeibenbeS MerE= 
mal b« Frauentracpt nur noep ber breitere ßebngürtel, ben 
filbeme Spangen fcpließen. 

2>ie Käufer finb palb aus Hotz, halb auS Strop errieptet, 
runb ob« oon ooaler Form. 3®ei Oeffnungen an ber Spipe 
geben bem Stauepe Sapn. ler ©ingang bleibt lag unb Stacpt 
offen. Vor jebem SBopnpauS, beren 15 bis 20 ein lorf bitben, 
ftept eine Art Hangar, oier Salten mit einem lacp oon ©eäft, 
eine Art SBirtpfcpaftSraum unb Speicher. 3ebe Familie fät unb 
pflanzt für fiep niept mepr als fie zu benötpigen glaubt. Iritt 
Mißernte ein, fo perrfept balb empfinblicper Mangel, unb Fleifcp 
unb Kräut« bitben bann bie einzige Staprung. Die Siebe, meint 
lounenS, Würbe Wie in ©pile gut gebeipen, aHerbingS noep 
fcplecpt« bepanbett w«ben, wie in ©pile, wo man, eine« einzige 
Sorte, ben,,^nosto“ in ©oncepcion ausgenommen, aus oorzüg= 
tiepen Irauben nur bie fcplimmften Kräper zu fabriciren oer= 
ßept. lie Araucani« begnügen fiep mit einem gegoprenen ©e= 
tränt, welcpeS bie Frauen aus ©erfte, Mais unb Kartoffeln 
bereiten; bie Staprung beftept gewöpnlicp aus getoeptem Fteifcp 
mit Mepl oon geröftetem ©etreibe. 

lie Araucani« finb betriebfam nnb in mancherlei Arbeiten 
gefepidt So fertigen fie auS Sitb« Oprgepänge unb fonftige 
Scpmudfacpen für ipre Frauen, unb für ben eignen ©ebrauep 
Steigbügel, Sporen unb Sferbegebiffe. Auep bie Sattel unb 
ßanzen ßeüeif fie felbft per. ©benfo ipr SBirtpfepaftSgerätp, 
fobann löpfe, Hotjfcpüffetn, Holzlöffel. Sie Frauen arbeiten 
fepöne wollene leden. 

ler einzige internationale Sertepr b« Araucani« iß laufcp- 
panbet mit ©pile. ®ie cpilenifcpen Kaufteute bringen Spirit 
tuofen, Seite, Meffer, ®uß= unb ©laSwaaren k. unb füpren ba= 
für Siep, SB olle, ßeber unb latg mit fiep fort. An Siep iß 
baS ßanb ganz befonb«8 reiep; bie SBollprobuction tönnte ßdp 
bebeutenb peben laßen. SBäre j. S. Herr oon lounenS König ge: 
blieben, fo würbe er in furzem mepr«e Millionen oon ©entnem 
SBolle zum fßreife oon 1 Fr. 10 ©ent. baS Kilogramm efportivt 
paben. So rechnete er wenigftenS. Münzen paben in Araucanien 
nur als Scpmudfacpen ©eltung. 

Der Araucanier ift eine Art ©entaur. ©r iß ßetS zu 
Vferbe. Selbß bie Sticpter üben ipr Amt zu Sferbe auS. Sie 
patten ipre Sipungen im Freien, auf einer ©bene. lie Ange= 
flagten fiepen SSertpeibigern zur Seite. ®aS Urtpeil wirb fofort 
gefällt. Hat eS einer Streitfacpe zwifepen ©ingeborenen gegolten, 
fo erpalten bie Sticpter unb Sachwalter jeher ein Honorar in 
©eßalt eines Hammels, eines SlinbeS ober SferbeS, je naep b« 
SBicptigleit beS Falles. ®ie Beugen erfepeinen niemals öffentlich, 
auS Furcpt oor Stacpe; beibe Parteien ober beren Sacpwalt« 
fuepen ße inSgepeim auf unb bezahlen ipre lienße, eine bebent: 
licpe ßodfpeife für falfcpe Beugniße. ©in Seßoplen« muß, um 
Zu feinem Stecpt zu gelangen, burep Beugen niept btoS ben Sieb, 


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I 


m 


fl i £ Gegenwart. 


Nr. 37. 


fonbern auch bert'Serbteib beS geflogenen ©uteS angeben fönnen. 
SounettS etjä^tt in biefer Sejiehung Pon einem- djaralterifiifdjen 
©roeeg, beni et 8eigemof)nt hotte. Es war ein Ddjfe geflogen. 
Ser Eigenthtimer war int Staube, auf ein 3^ugnt| geftüfct, ben 
Sieb p- bezeichnen. Ser 8*»ge batte fetber gefef)n, wie biefer 
baS $bier gefd)(arf)tet unb bie grau be8 Siebes baS ©lut i« 
einem ©efäge aufgefangen ^atte v ber 3«>8£ ^ertte aud)- fpater 
ben Sieb 1 im ©ejprädje mit feiner Stau baS feljmadhafte gieifcf) 
beS öc^fett loben hören. Sie Stiebtet zogen bitfe BluSfagen nicht 
in Bweifet, hielten fte aber jur ©erartheilung nicht auSVeithenb. 
Ser ©efd)äbigte foßt-e jubor angeben,- was anS bem geü beS 
Dchfen geworben fei, ob man es unoerfehrt gefaffen ober ju 
Stiemen jerfebnitten habe. Ser Eigentümer beS Dchfen batte 
für bie erjte 8«igenfcbaft bereit« 50 gr., bej. ©egenftänbe im 
©Berthe oow 50 gr. geopfert; bie Sengenfdjaft jur geftfteflung 
ber geflfrage hätte bie gleiche Summe gefoftet, er belichtete auf 
bie ©Wffenfchaft Pom Verbleib beS gefleS unb Oerlor ben ©ro* 
ceg. Ein überwiefeuer ©ferbebieb wirb- in ber Siegel oetur« 
tbeilt, bem Eigentümer mit bem geftohtenen ©ferbe noch jwei 
anbere ©ferbe als Sühne jujufübrenj 

Stiiht minber eigentümlich finb' bie fjodjzeitSgebräuche. 
SBenn ein Straucanier ficb Oerljeirathen will, tbeilt er biefen 
©lan feinen greunben mit unb Pereinbart mit ihnen Sag unb 
Stunbe für bie Entführung beS SRäbchenS feiner ©Bafft. SRan 
bewaffnet fich mit ©Reffern, Solchen unb Säbeln-, wie ju einer 
Kampagne, reitet Por baS $auS unb bringt in bie ©Bohnung 
ber Sutünftigen. Sort entfpinnt ficb bisweilen ein ganz ernfter 
ffampf mit ben SJtatronen, bie aus ber Stacbbarfcbaft fchnefl 
©erftärfung erhalten. Sie grauen gieren über bie Einbring« 
liuge nicht bloS falteS, fonbern auch ftebenbeS ©Baffer unb 
fcbleubern ihnen an ben $opf, waS ihnen unter bie £>änbe 
fornmt, fogar btennenbe ^»oljfcbeite Pont beerbe. ©Ritten burch 
baS $ampfgewül)l wirb baS ©Räbchen- jur Shüre hinnuSgeidjleppt; 
ift fie im- (freien, fo hört ba$ ©BiberftanbSrecfjt ber SJtatronen 
auf. Ser Sräutigam wirft ficb aufs ©erb; man ^eOt bie ©raut 
an ben lüften in bie $öbe unb fefcte fie rittlings, hinter ben 
©räutigam; würbe fie an ben' ©tcfjfeln, unter ben- Schultern in 
bie $bb? gehoben, fo wäre bie Ehe ungültig. 3fuf> bem ©ferbe 
wirb baS SJtäbcben mit Stiemen an ben ©räutigam gebunben. 
Sann ftnrmt bie Saoalcabe fort, in bie ©Bälber hinein. Sort 
wirb ©elag gehalten, wobei es auSgelaffen unb geränfdjooß (fee* 
jugebert’' pflegt. 

Sie Ehe ift Porläufig auf ©tobe, bie ©robejeit währt einen 
©Könnt. 3ft ber SJtann mit feiner ©teuoermähtten jnfrieben, fo 
fenbet er fie nach SJtonatSablauf in baS Elternhaus jurücf unb 
fügt, feinem ©ermögen entfprecfienb, bie ©efdjenfe bei, welche 
bie ftetS Pon bem ©alten ju. leiftenbe ©Ritgift bilben foflen: 
©ferbe, Stinber, Hammel, fjauSgerättj, Steigbügel, Sporen. Sinb 
bie Eltern bureb bie SJtitgift jufriebengefteHt, fo laben fie alte 
greunbe ber gamitie ju einem ^ocbjeitSfchmauS e>n, welcher fo 
lange'ju währen pflegt, als bie ©orräthe an ©Bein unb ©rannte 
Wein- berbalten. SBenn bie Scbeibeftunbe fommt, fo richten ber 
©ater unb bie greunbe ©Infpcachen' au bie ©teuoermählte, welche 
ficb ftetS um baS Sh ema breben, bag fie nunmehr für immer 
ihrem ©atten angehört, bem' fie p- gehorchen unb bei SobcS« 
ftrafe treu- ju bleiben, bem fie bie Slalfrung ju bereiten- unb 
alle Sürforge ju wibmen habe. 

Sie $eiratl)en werben meift innerhalb- ber gleichen ©er* 
mögenSgrenje gefchloffen. Ein Straucanier, ber ein ©Räbchen über 
feinen Stanb entführt, fefet fid} unb bie greunbe, welche ihm 
babei geholfen, einer erbitterten ©erfolgung aus. Ser ©ater 
ber Entführten fammelt feine eignen greunbe- unb jieht Pot baS 
§auS beS SRäbchenräuberS, wo fich baim oft ein blutiger ftampf 
entfpinnt. Serartige Seinen-finb jebodh fetten, weil ber- ©räu= 
tigam- in folcbtm >3aße nur febwer ipelferSbelf« für fein 2Bage= 
ftiief gewinnt. Senbet bet- SJtann bie Sntflübtte in baS- Eltern« 
t)auS jurücf, um fie nid)t wiebet bei ficb- aufjunehmen, fo bat 
er bie< iibti^e SRitgift als Sühne ju- entrichten, ©ielweiberei 
ift geftattet unb finbet- eine ©cenje nur in-bem ©ermögenSftanb* 
bei SRanneS, wirb aber als SujuS angefehen, btmt bet bem 


Sobe einer Srau bat ber ©atte ben Eltern unb aßen ©erwanbtett 
ber ©erftorbenen eine PoPber feftijefefjte Summe ju jablen. Eine 
beS Ehebruchs überführte grau unb ihr 3Ritfd)ulbiget etleibeti 
bfn Sob, wenn ber betrogene Ehemann barauf befteht. Slber 
auch in biefem gafle hat er ben Eltern' unb ©erwanbten ber 
©etöbteten iene feftgefe|te Summe ju entrichten. SaS 3Räbcf)en 
wächft in poßer greibeit auf, entfernt fi^ jeboeb nicht leicht Pon 
bet guten Sitte, benu ber geringfte SRalel wirb jum §inberni6 
für bie Ehe. 

Sie Steligion ber Slraucanier beruht- auf betn ©lauben an 
jwei höhere ©ewalten, biejenige beS ©Uten 1 unb bie beS ©Öfen. 
Sie’ glauben auch an ein anbereS ©eben nach bem Sobe; ihre 
©erftorbenen reifen nach'einem Eilaub in fernen SJJeeren. Sleufjere 
8eich«n beS SteligionSbienfteS Tennen fte nicht, wenn matt ba= 
hin nicht ©ittgänge in Seiten großer Sütte re^neij wifl. Um 
Stegen ju erflehen, jieljt bie Einwohnerfchaft auf ben häuften 
in ber SrtbuS gelegenen ©erg, errietet auf bem ©tpfel ein 
®reuj unb ftreut um baSfelbe Äömer pon benjenigen ©etteibe« 
gattungen, bie am meiften unter bem Stegenmangel leiben. Sann 
werben auf einer ©aumrinbe ^ammel gefdjlacfftet unb bie Sörner 
mit bereu ©lute begoffen, währenb p bem ©eifte beS ©Uten 
bie ©itte auffteigt, er möge auf- bie Ernte ein gleiche« SRafj 
SBafferS febütten. SaS ®reuj, baS Shmbol- oe« EhriftentbumS, 
haben bie Spanier ins ßanb gebraut, Welche bort, wie im 
übrigen 1 Sttb« unb Eentratamerifa, Slnfieblungen grünbeten, 
©ebro Salbinia errichtete fieben Drtfchaften, bie aber fämmtlich 
Pon ben Eingeborenen wieber jerftört würben. Sie ©erebtung 
beS ÄreujeS war ben ©Silben jeboeb nicht entgangen, ohne baff 
fie bie fpmboltfche ©ebeutung perftanben; fie behielten biefeS 
Seichen bei unb fchrieben ihm einen wohlthötigen Einflug ju. 
ffreujc- ftebt man baber noch h* u i c überaß in Slrcmtanien er« 
richtet, namentlich auf ben Saatfelbern, gür bie ©erbreituttg 
beS EhriftentbumS unter ben Eingeborenen Tarnt biefer Um« 
ftatib, gefchitft benufjt, einmal fehr förberlich werben. 

' SRit ben 2eichen6egängniffen finb ftetS Irinfgelage per* 
bunben. Ser Körper tttirb in einen tytjim ©aumftamm gelegt 
unb in eine ©tube gefentt; neben benfelben legt man ©egen* 
ftänbe, bie bem Sobten mertlj waren, fowie SJtunbPorräthe, ba« 
mit er au^ ber grogett Steife leinen SRangel' leibe. 3n einigen 
Shölttn 1 ber Stnben fteeft man $ähne p bem Sobten in ben 
Saumrinbenfarg unb bebedt benfelben nicht mit'Erbe, fonbern 
mit Srotiflea; bie $ähne frühen bann bis pr oößigen Er* 
fdjöpfung. ©isweilen töbtet man baS ©fetb beS ©erftorbenen 
unb hängt baS geß beS ©ferbeS neben baS ©rab, bamit ber 
Sobte reiten fönne, wenn er auf ber ©Säuberung ermübe. Stuf 
baS ©rab pflanjt man ein ®reuj, unt* war ber ©eftattete ein 
SciegSmann, fo werben feine ©Soffen barem gehängt; ans- bem 
im feftlidjften Schmud erfhtenenen Srauergrieit ergreifen Einige 
baS ©Bort unb feiern bie ^riegSthaten bts ©erftorbenen. Sen 
Schlug ber geier macht baS ©elage, bei welchem baS oben er« 
wähnte gegorene ©etränf bie ^auptroße fpielt. 

2lßen Serfuchen, fhh „eSpagnolifiren" ju laffen, hoben bie 
©taucaniet bis je&t ben hartnädigften ©Bibecftanb entgegengefe|t. 
Sie hoben im Saufe beS SahrfjunbertS nichts an ihren ©e« 
wohnheiten geänbert unb oerf^ren mit bem gremben nur tn 
ihrer Sprache, fo bag bie Etjilenen, welche mit ihnen anbei 
treibenj gejwungeu finb; araucanifch p lernen. Unb biefeS 
freiheitliebenbe ©otf wollte ein franjöfifcher Stbenteurer bnreh 
eine Eonftitution ä la second empire „cioiligren". 


Offene ^rtefc «nb Jlitfworte». 


©ee^ttc föebaction! 


Submig (Seiger gibt in 9tr. 31 beS (Ä«fenben gtfe^abten 

3citfc^ttft in feiner &njeige ber üon 9fJebltd^r^etau3gtg*6«nfcn ®tiefe an 
Seffing ; nftth Hitbcrem aud^ eine farje ®^ara!terifti! feines SöruberS 
I^eo^ituS. ötnen intereffanten Seitrag $u biefer S^arafteriftit liefert 


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Nr. 37. 


Dir tfegntmart. 


175 


ben greunhen bcr öejfingliteratur ber weilanb Btäfibent bes Sa<hfen= 
©oburg = ©othaifchen OberconfiftoriumS ftarl ©ottlieb Bretfchneiber in 
feiner bei 3- ©• Mütter $u ©otlja 1851 erfdjienenen Selbftbiographie. 
(fr fr^reibt bafelbft S. 13 ff.: „Diefe Schule (baS Streunt ßhemnip), 
auf welker ber berühmte £>epne feine ©qmnafialbilbung erhalten hatte, 
»fit im Sinlen* Der Rector töothe war ein trefflicher Schulmann, aber 
in$ Eiltet eingetreten unb bequem. Der ©onrector Seffing (ein Bruber 
be$ grofjen Sefftng) mar ein Mann non aufjerorbentlicher Spradjgelehr- 
fennfett Denn er üerftanb nicht nur ßatein unb ©riechifch, fonbern auch 
®ebräifeh, Ätabifdj, 3 ran$öftfdj, Spantfeh, ©nglifch* Dodj farn uns üon 
btefer ©eleht jamfeit gar wenig $u ©ute, benn eS fehlte ihm ganj an 
ße^rgabe unb an bent ©efdjid, fich in Siefpect ju erhalten, ©r wollte 
immer ©ip machen unb hatte bodj feinen, ba^er er fi<h nur lächerlich 
ma^te. ©r war argmöljnifcfj unb fehr ^i^ig unb Jjörte feine Bertheibigung 
an, ifjat ba^er oft unrecht; im Unterricht aber fehlte ihm ebenjowohl 
©efehmaef als Urtheil. ©ie oft habe ich ih n bi c ^ecunbaner fragen 
hören; *9feu! est, was ift est?" — Seine Ueberfepungen machten ihn 
oft lächerlich. So überfepte er: jam stabant Thebae (fdjon War Dljeben 
erbaut) burch: fchon ftanben Dh^ben. ©r jpielte gern mit tarnen, 
©inen Schüler, beS Samens Segmütter, ermahnte er oft: ,,©r h c i&* 
ßegmütter; lag er ab, lag er ab!" ©benjo üergriff er fidj oft ganj in 
ben ©rünben feiner ©rntahming. ©in Schüler, §arber (Sohn eines 
SdjulmeifterS, jpäterhin beliebter ©uitarrencomponift in Seidig), war 
ihm ang^jeigt worben, als glaube er nicht an ben Deufel. Sejfing, ber 
fehr orthoboj war, [teilte ihn barüber in ber Schule jur Diebe, „©i, ei, 
harber, waS höre ich ? @t glaubt ja nicht an ben Teufel! Sieht ©r, 
harber, ©x hat einen fo hübfehen Bater, glaube ©r einen Deufel!" 
Dabei üerfpradj er ftch oft, Wenn er im 3orn war, WaS um fo auffälliger 
mürbe, ba er bie ©orte §wei=, auch toohl breimal ju wteberholen pflegte. 
So rief er einft in grogem 3orne: „©emt il)r folche Siegel fein Wollt, 
fo mache ich mein 83uch fott unb gehe au; ich mad)’ mein Buch fort unb 
gehe au!"" — Ueber bie Organifation ber Anftalt unb ben Sdjulbefuch 
in berfelben theilt SBretfchnciber mit, bag fie eigentlich bloS aus Secunba 
unb Btima beftanb, ba Deriia mehr Bürgerfchulc War, baß ber Rector 
unb ©onrector bie einzigen Sehrer waren, unb bag bie ßehrftiutben nur 
mm ben Secunbanern regelmägig befudjt, bie Stunben beS ©onrcctorS 
aber (alfo ßeffingS) non ben Primanern oft oerfäumt würben. Ueber 
Me ßrthobojie Dheophil^ berichtet btr Biograph noch SotgenbeS: „Unter 
ben Büchern, bie ich las, waren auch einige, welche wohl meinen ©nt 
fähig, Rheologie ju ftubiren, hatten wattfenb machen fönnen. Der 
©onrector Seffing beging bie Unoorfichtigfeit, uns in ber Schule oor 
bem Sefen ber Bücher feinet BruberS (!) ju warnen. Dies machte un$ 
neugierig unb bie üon ßeffing hcrauggegebenen S^ 8 ntente circulirten 
unter ben Schülern." Dieje ©huwfteriftif bürfte ben gelehrten 83ruber 
SejjhtgS faum in ein anbre3 Sicht fepen, al§ jene jomige ^leujerung 
©otthoib§, welche SubWig ©eiger in feinem 8 luffape citirt. 

3 o r p i. Ä., ben 12. Sluguft 1879. 

2 Jtit ho^achtung 

Dr. fenfdj. 

* 

* * 

„Hon Uegetnrtanem nnb ihm «eljro^ in (Stroth 

wirb in 3ir. 33 b. 831. bon herm 21. ipofaeuS eine 83efprechung gewibmet, 
welche üon mir, ba ich bort ben Öffentlichen 23ortrag über SSegetariani^s 
mu* gehalten h«öe, eine furje Berichtigung erheifcht, ber bie unparteiifche 
SRebaetion gewij gern einen $lap einräumt. 

©« ift eine gewöhnliche 2 lngrifföweife gegen unö Begetarianer, ba| 
man unö balb als eftreme 3 *uchteffer farifirt, halb uns ber 3 ncon- 
jequen§ befchulbigt, wenn wi| einer „milben fPrajiö /; folgen: Beibeö 
fott unö biöcrebitiren. 2 luch ®err $ofaeu3 fchlägt biefe Donart an, 
namentlich in lefcterer §infi^t, ohne jju*bebenfen, bah ö*er Ui^terfchieb 
iWifchen „Sleijcheffen" unb „©iereffen^ boch immerhin gerabe fo gro& 
ifi, Wie §wifchen Bogel unb ©i felbft. Die Wahrheit aber ift, ba& wir 
griffe biätetifche ©rmtbfä|e auffteöe« unb 3 cl >em überlaffen, ob unb wie 
weit er fte befolgen will, benn wir finb eben lein^ Sette, bie über 
„Dogmen" unb beten Befolgung 311 fpioniren unb $u wachen hätte. 

©ine jweite beliebte Btajime unö ju betämpfen ift bie, unfere Be* 
grünbung be$ Begetarianiömuö als auf einjelnen unb jwar folgen 
5Rotiben baftrt üorjuführen, bie leicht als minbejtenS bisputabel bar= 
Rettbar finb. 2 lnch $err ^ofaeuS thut bies, inbem er in erfter AUnie 


baS anatomifche Btotio [teilt, welches baS aHerfchwächfte fein fott, als 
ob bamit ber BegetarianiSmuS überhaupt fiele. Diefer beruht aber 
überhaupt nicht auf einem foldjen einzelnen Biotio allein, fonbern auf 
bem üölligen ©iutlang fehr mannichfaltiger SJtotioe, jumetft folcher, üon 
benen im Berbict bfS §errn §ofaeuS freilich leine Spur $u finben tft. 

21 ber baS anatomifche Üftotiü ift üon ihm auch gan$ faljeh bar* 
geftettt. Glicht weil ber 2lffe grugioor ift, effen Wir fein Sleifch, fonbern 
weil unfer CrganiSmuS, ber menfchliche, burch feine eigene Be* 
fchaffenheit baS gruchtefferthum iubicirt, jagen wir nnS, ba6 üon biefev 
Seite lein ©inbernifj befteht, 3^ichteffer ju werben, wte eS bk 
2 lffen analoger 2Beife factijch finb, unb wir unterfuchen bann weiter, ob 
©rünbe fonft hefteten, biefe Diät wirtlich au wählen, ©ir fchliejen aljo 
nicht üom 2lffen auf uns, fonbern üon unferer eigenen Drgani 
fation auf bie oon ihr inbicirte Diät, wie jeber Katurforfchev 
thut, unb ittuftriren bteS nur burch baS analoge Berhältnife ber Äffen. 

©etter nennt §ert £ofaeu3 nnjere Berufung auf WiffenfchaftUchi’ 
Autoritäten (üergl. glugblatt 4) „naheju fdjerahaft*', ohne auch n « v 
einen Berfuch beS 9lachweifeS au machen, baft unfere Berufung nicht 
vollberechtigt fei „So wirb," beliebt §err £ofaeu$ au fagen, „junächft 
bte 3kifchbrühe unb baS Srleifchcjrtract abgeurtheilt als Subftanaen, bie 
gar leinen SRährwerth befäfeen." ©i nun, ftnb Btänner wie Birchow 
unb Boit $errn 4)ofaeuS leine wiffenjchaftlicheu Autoritäten? Ober hui 
er fic wiberlegt? 3nt ©egenthetl, wahrhaft „fchcrahuft" ift e$, baft er 
— eine 3Mle weiter — unS „wenigftenS" bezüglich beS „3ieijchertracteS" 
9lecht gibt. 

Sßoch eine beliebte Manier uns ju belämpfen ift bie, legere Aeujjc« 
rungen einaelner Begetariaiter aufaugreifen unb nach ihnen bie ganac 
Sache abauurtheilen. So fagt auch $err $ofaeu8, wir üerwürfen alles 
„©egohrne" unb wüßten nicht einmal, bafj wir in faurer Milch, Sauer¬ 
traut ic. hoch felbft ©egohmeS ä&ett; es fei eben Alles unüerftanbeneS 
Dogma, ©ir wiffen aber awtjchen ben üerfchtebenen Arten ober ©raben 
ber ©ährung wohl a u unterfcheiben, unb was Wir üerwerfen unb be* 
tämpfen, baS ift ber nerüenaerftörenbe unb üölleroerwüftenbe Älfoljol! 
Glicht unfere Sache ift eS Müden au feil)en unb Äameele au üerjchluden. 

©ir wollen ja gerne $errn $ofaeuS feine „©tgarre" unb feine 
ganae — wie er ftch mit Brof. €. 3unte fehr äfthettfeh auSbrüdt — 
„Seelenjchmiere" ber „üieloerläfterten ©enufemittel" laffen; wir thun 
überhaupt 9liemanbem biätetifche ©ewalt an, wie bie Herren ©arniüoren 
uns ihr Smpfgift aujangSweije in unfer Blut mifd)en! DaS ffiinaige, 
was wir üon §erm ©ofaeuS üerlangen au bürfen glauben, ift bieS, bafj 
er uns in feinen Darftettungeit für baS grofie Bublicum etwas mehr 
©erechtigleit wiberfahren laffe. ©itt berfelbe aber unfere Änficht über 
bte wahren ©enu&mittel tennen lernen, fo lefe er nach was ^err 
Btof. Bott barüber lehrt: mit ihm ftiramen wir hierin üöttig überein 
(üergl. BereinSblatt 2lr. 117), wenn baS nicht etwa auch „uaheau fchera= 
haft" gefunben wirb. 9toch mehr würbe eS uns atterbingS gefreut 
haben, wenn §err §ojaeuS in ber Arena au ©ifenach, wo jebem ©egner 
baS ©ort ertlärter Magen frei ftanb unb wo er ja anwefenb war, 
tapfer gegen uns au Selbe geaogen wäre. Die Sefer biefeS Blattes 
aber, welche fid) eine objectiüe Anficht über BegetarianiSmuS alter uub 
neuer geit bilben wollen, üerweifen wir auf unfere ßiteratur unb aut 
Orientirung in berfelben auf 31. Springers „©egWeifer in ber üegetä* 
rianifchen Siteratur". 

Storbhaufen, 31. Aug. 1879. Sbuarb Balfcer. 


Bibliograph^* 

Siebrecht, Selis, aut BoltShmbe. Alte u. neue Auffä|e. gr. 8 . (XVI, • 
622 S.) fcetlbronn, §ennntget. 12 . — 

©ellmer, Arnolb, als Äaifer ©ilhelm jung war. Btcugifdje $of* u. 
^emnSgefchi^tet. i. Bb. [1797—1810.1 Mit 2 3ugenbporträtS 
b. ScaiferS u. ber ftaiferin, geaei^net ü. S. Burger, (in ©olafchn ). 
8 . (IV, 336 S.) Berlin, ©erjchel. 6 .—; geb. 6 .— 

Meper'S Beifebücher. Korweaen, Schweben n. Dänemarl'ü. ?)uöSar 
^helfen. 4. umgearb. Aufl. Mit 14 (^romolith.) harten unb 
5 (^romolith ) Bläuen, gr. 16. (XII, 456 S.) fieipaig, Bibliograph- 
Snftitut, 0 tb. 7. 50. 

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176 


Nr. 87 . 



egettwsr!. 


3 « f e x fl t e. 

TOt'föeimeteur. 

gür bie SHebactiott eines neu gegrünbeten 
grö&eren petiobifdjon beEetriftijd)en Unterite]^ 
menS rotrb eine tüchtige ftraft gejuckt, welche in 
reöactioneEex Dljätigfeit burc^auS geübt fein unb 
auSgebefjnte SBetbinbung in Autoren streifen 
haben mufj. Die ©teflwtg (neben bent ©hff 1 
9iebacteur) ift eine angenehme unb auSlömmlich 
gut botirte. 

Offerten mit Angabe ber ©eljalt&Slnfprüdje» 
»erben unter (Ebiffre „©aluen“ butd) bie 
(^rpebition biefer Rettung erbeten. 

(Ein gut empfohlener junger SRann mit beuD 
lieber ftanbfdjrift, gur Qtit als Reporter unb 
(Eorrector feinen Lebensunterhalt ermerbenb, em¬ 
pfiehlt fiep ben Herren Autoren jum übfdjreiben 
non SEannfcripten gegen mäßige Vergütung. 
®efl. Slbr. unter B. C. an bie feueb. b. 81. 



ntcrejfantcfte Sodjenfdirift!!! 


Xkutfdk ^towtag* 


C lief-Redact eur 

Arthur Levysohn. 


Rudolf Mobs6. 


Berlin. 


jflotto: Don brm Äntfn bas 6eftr, 
Don brm Urnen bas Urneflr. 


an bie (Sjpeb. b. 81. 


Ein Schriftsteller, der die Herbstmonate 
in Paris znbringt, stellt verehrl. Redact. seine 
Feder zu Theaterberichten, Feuilletons etc. 


Adr. sab n. an die Exped. d. Bl. 


8ei übnarb Dretoeubt in ©reftlau er 

fchien foeben ein neuer Vornan hon 

§Utbo(f Don öottfdjaf 


$a 3 goUteitr Mb. 


Drei ©änbe. 
üleg. geh- 16 JL, eleg. geb. 19 JL 
3u beziehen burch afle 8ud$anblungen. 


i 


Täglich 3 Ausgaben. 

Bei allen 

P ostanstalten 

pr. Quartal 

Hark 6.90. 


8ei uns erfdjien: 


\mm 


nniiiwiim 


Da* ,,9euii<f>e ^Routogs-SSratt 44 erjcheint Montag borgen, auch auperhalb 8erlinS 
am Montag. 

DaS „Jeidföe Sttontags-lSfatP 4 giebt burch feinen oielfeitigen Snfjalt nach aüen 
©eiten bin reidjfte Anregung. 

DaS „3>euif<$e 3Eontag5-?Sfatt‘ k enthält in jeher Kummer eine politifche SBodjcn^ 
ichau beS 6hef*9iebacteurS Dr. Arthur Leopjoljn — Ueberfidjt über ben euro= 
päifrfjen ©elbmarft oon Dr. ©beling — Ungereimte (Ebonit oon (SrnftDobm 
— Dramaturgifdje ©lofjen oon grip 3Jtauthner unb oiele anbere bemerfcnS= 
merthe ©eparatvirtifel aus ber geber ber erften ©cfjriftftefler. 

DaS „$cutf$e S&ontags-S&fatt 44 ift ein gamüienblatt für bie ft’laffe ber geiftig 
Vornehmen unb oer 9lriftotratie ber 8ilbung. 

DaS „Pettlfd)? 2 ttontag 5 -?Sfaft“ tft burch bie 5ttannigfaltigfeit feines Spalts, metchen 
eS au bem fonft jcttuugSlofen Montag barbietet, ju einem (Spiegel beS Lebens 
unb ©trcbcnS unferer Dage geroorben. 

DaS ,,pettt(Vfk ’Saontags-^faU 44 ift nitb bleibt bie origineEfte literarifd) -politifthc 
äöodjcnfihrift, meldje im beutjehen Reiche erjcheint. 

DaS „Peutfdpe ?Roittag 5 -?ifatt 44 foftet pro Ouartai nur 2 Mark 50 Pf. 
unb nehmen alle ^oftauftalten unb 8uchhanblungeu ©efteflungen hierauf entgegen. 

Das „3>ettff<fic Saoutags-Stfalt 44 ift eingetragen in ber $oft = BeitungS ^reiSiifte 
pro 1879 unter Wo. 1163. 


Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn in Braunschweig. 

(Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) 

Italienische Studien. 

Zur Geschichte der Renaissance. 

Von Hermann Hettner. 

Mit 7 Tafeln in Holzschnitt, gr. 8. geh. Preis 9 JL < 


-Verlag yoü Friedrich Luckhardt in Berlin. = 

W., Magdeburger Str. 31. 

Ton Amyntor, Gerhard. Auf der Bresche. Feuilletons, Skizzen, Erzählungen etc. 
Preis broch. 4 JL 

Ton Bogu&lawski, A., Oberstlieutenant. Das Leben des Gtener&ls Dumouriea. 

3 Bände. Mit 6 Karten und Plänen. Preis broch. 12 JL 
Herrig, Hans, Dr., M&ren und Geschichten, gesammelte kleinere Dichtungen. Zweite 
j » Auflage. Preis broch. 3 *A, eleg. geb. 4 JL 

. Pietsch, Ludwig, Wallfahrt nach Olympia im ersten Frühling der Ausgrabungen nebst < 
► einem Bericht über die Resultate der beiden folgenden AnsgrabnngB - Campagnen, < 
ßeisebriefe. Preis broch. 4 JL ; 

yon Specht, F. A. K., Generallieutenant. Das Festland Asien-Europa und seine < 
V ölkerst&mme , deren Verbreitung und der Gang ihrer Kultur-Entwickelung mit( 
besonderer Berücksichtigung der religiösen Ideen von Anbeginn Mb zur Gegenwart. ] 
i Preis broch. 6 JL ( 

Die Torpedos und Seesninen in ihrer historischen Entwickelnng bis auf die neueste 4 
| Zeit. Mit 2 Tafeln Abbildungen. Preis broch. 3 JL j 

Zu beziehen durch jede Bachhandlang. 


3fyre (Stfdjidjte uub ihre Kein*. 

@tne t»iftorifd^sfrttifc^e DatfteUung 
oon 

§fra»| ^eflrtttg. 

Dritte öcrmcfcrtc tUfUgc. 

gr. 8. 348 6. üleg. gel). 4% JL 

Da* ©erf ift mit feltener üinftimmig* 
feit nid^t nur ton ber gefammten beutjehen, 
fonbern aud) ber mafjgebenben auSlänbijdjen 
treffe al3 eine ber wertljboEften Arbeiten 
über bie beutfdje ©ocialbemotratie anertannt. 
©reuten, ü. üi|nnentann v 9 ©erlag. 




GESCHICHTE DER LITERATUR 

DE8 ^ 

SKANDINAVISCHEN NORDENS 

VON DEN ÄLTESTEN ZEITEN BIS AUF DIE GEGENWART. 
DARGESTELLT VON 
FREDERIK WINKEL HORN, 

DK. PHIL. ZU KOPENHAGEN. 

In 5 Lieferungen & 1 M. 80 Pf. 

Za besiehea durch alle BachhandlaziA a dea ln- und Auslandes. 

Verlag von Bernhard Schlick (Balthasar Elischer) in Leipzig. 


Eine Literaturgeschichte 
d. drei nordischen Beiohe 
(Island mit inbegriffen) 
hat bis jetzt gefehlt. 
Bei dem regen Interesse, 
dessen sich die skandina¬ 
vische Literatur gegen¬ 
wärtig erfreut, verdient 
das vorliegende Werk die J 
Beachtung eines jeden. 
Gebildeten. Dasselbe 
verdankt seine Entsteh 
hung den dringendenMah- 
nungen der drei Germa¬ 
nisten Zarncke, Mö¬ 
bius und Maarer an 
den Verfasser. 


ftitrj« (i« Beilage oon Oer 6erlagi6nd||antilnng Sani »eff in Stuttgart. 

3 U»*rti 0 *, ftarft«, N.W, fttonptinienufer 4. gür bie Mebactton oetanimortlid): ^eorg Stifte in ^effim. fspcbUicn, Merftn W., UurffirflenOtabe 7S. 

Drud btm 9 . femlaer in /eifHt* 


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Stoftn, beit 20 . geptmtet 1879 . 


Band XVL 


X 38. 


pic 6c0cmimrt. 

SBochenfchrift für Literatur, Äunft unb öffentliches Sehen. 


Herausgeber: ^fattC gftttbatt in Serlin. 


|fba Snminfc trfc|eM nw |inm. «erleaet: «ctr* ®tUb in »etlin. >«» P» <M « 1 4 fati 50 fl. 

flu btjitfcn burt$ «He ©utbbanblimflcti unb SJoftanftftlten. gnjeratc jeber Ärt pto Sßefjjaltene ^etitjeiU 40 9f. 


S)te not^toenbtge Reform ber ^oltettnrttyjdjaftaie^re. &011 ^ubnng (SIfter. — Literatur unb Äun(l: Söergfcuet. $on Hermann 
ftfffuift • ^^ n 99- ~ Srratuöfijdje ©itten beö XVIII. 3al)rijunberi3. 58on Dr. SSilfyelm 2(rrtolb. — $ie internationale Äunjtauöftettuna ju 
JJUI/IUI. Sfcündben 1879. SBon ©uftaö gloerfe» V. — 8imerifanifcf)e8 UniterfitätSIeben. $>on Otto ©rofc. I. — $eintid) ber £ötoe. Dpet* 
in 4 fteten, %t} rt unb Sttufif oon @bmunb ftretjdjmer. Söejprodjen oon $aul £ in bau. — Snferate. 


Die notywenMge Reform ber Rolksmirti|f^aft$lei)re. 

Sou £ubung (Elfter. 

®ie ©ntbeefung SlmerifaS unb beS SeetoegS nach Dftinbien, 
bie »eitere ©otlenbung ber Meception beS tömifchen ©echtS riefen 
ba8 erfte ©Aftern einer SBiffenfchaft ber SBirtpfchoft hetoor. Sin 
bie ©pi|e beS ©anjen ftettte man ben burdj bie immer größere 
Verbreitung beS römifchen SRechtS mefentlich mit geförberten a6= 
folutiftifchen ©a|, baf} baS mirthfchaftliche Seben ein ©robuct 
ber IRegierungSfunft fei. ©on biefem ©tanbpunfte aus mar man 
aisbann bemüht, ben fReichtljum unb baS Vermögen ber Söller 
ju begtünben -unb ju leiten. ®iefer ftrenge SlbfolutiSmuS unb 
baS au8 ilpn in ber ©raji8 entftanbene SBirthfchaftSfpftem fanben 
jebodj halb ©egner in ber Xlfeorie, unb eS trat eine ber früheren 
entgegengefe^te Sef>re ber ©olfSmirthfchaft auf — baS fogen. 
phhfiofratifche ©pftem —, »eiche bie ©eöormunbung feilend ber 
Staaten ju befeitigen unb bie um baS gefammte mirt^äftlic^e 
Seben gezogenen Stetten ju fprengen beftrebt mar. ®a8 Sftic^t- 
interOention8=©rincip, baS ©rincip beS laisser faire, laisser aller, 
mürbe als ber erfte unb gemidjtigfte ©runbfap für baS mirtb- 
fdjaftliche Seben i)ingeftellt. SRod} aber mar ber Kampf, bet 
burd) biefe beiben berfdjiebenen Sichtungen auf politifdjetn ®e= 
biete entftanben mar, nicht gefdjlichtet, als Slbam ©mith mit 
feinem wealth of nations heroortrat unb in ber grofjartigften SBeife 
eine erfte umfaffenbe ®h eor * e bet ©ollsmirthfdjoft f<h u f- ®ie 
heben ©erbienfte bon Slb. ©mith finb befannt. @r hatte in 
lichtboller SBeife bie grunbtegenben ©tincipien bet ©olfsmirtlp 
fchaft behanbelt, bie bis bahin gefunbenen unb aufgefteQten ©ä|e 
mit fritifd^Phitofophifchem ©charffinn beleuchtet unb fornit bie 
©oltSmirthfchaftSlehre in bie Seihe ber übrigen SBiffenfchaften 
eingeführt. ©on ben ©hhfiofraten hatte auch er baS ©rincip 
beS (liehen: unb ©efdjehenlaffenS als ben oberften @runbfa| ent: 
lehnt unb als ein Anhänger ber eutpirifdpmaterialiftifchen ©hü° s 
foppie iener Seit erfannte er im ©goiSmuS bie eigentliche unb 
oor Stllem bie berechtigte Xriebfeber einer feben mirthfchaftlichen 
Hanblung. 3 n ber Hauptfache ftimmte Slb. ©mith baffer mit 
ben fßhhßofraten überein, er mar mie jene bemüht bas fßrincip 
beS SnbiöibualiSmuS in ber ötonomifchen SBiffenfchaft jum ®urch : 
hruch ju bringen. Stber ber Slttmeifter unferer SBiffenfchaft ging 
mciter unb berüdfichtigte auch bie übrigen ©eiten beS focialen 
SebenS; er ertannte, ba| bie mirthfchaftlichen ©rfcheinungen biel= 
fach in enger ©erührung ftanben mit anberen dmeigen miffen: 
fchaftlicher gorfchung unb )og fo auch nicht nur fpeciftfch mirth' 
fchaftlühe ©efichtspunfte in ben Kreis feiner ©etradftuug. ®iefeS 
fo genmhtige SRoment aber mürbe non feinen ©chülem — SRalthuS 


allein mohl ausgenommen — unbeachtet gelaffen, unb bie abftracte 
ja mathematifche Sehanblung ber Politiken Defonomif oon Si: 
carbo übte einen fo eminenten Sinflug auf bie fpätere ©olfS: 
mirthfchaftslchre in ©nglanb aus, baff man halb bie non Slb. 
Smith hü unb ba angebeutete Sücffichtnahme auf bie hiftorifche 
©ntroieftung nerga§ unb nur mit alleiniger 3uhülfenahme ber 
aprioriftifchen unb bebuctinen SJlethobe SicarboS in alter SBeife 
ftetS oon Senem bie Sehren ber SBirthfchaft in ber political 
Economy nerarbeitete, inbem man bie junge SBiffenfchaft, jugleich 
aber audh ihre ©odenbung pries. ®enn baff gleichfalls bie ®h e °rie 
non Slb. ©mith nur eine »eitere ©h“f e in ber ©ntmidlung ber 
politifchen Delonomil fei, biefeS fiel feinem ber (Spigonen jen: 
feitS beS Kanals ein; man oerfiel baher halb in bem fo oiel 
gepriefenen flaffifchen Sanbe nationalöfonomifcher gorfdjung in 
©ejug auf bie ©olfSmirthfchaftSlehte in eine traurige Starrheit 
unb einen jeben gefunben gortfehritt hemmenben DrthobojiSmuS. 
®er Hinmeis auf bie ©ocialiftif, melcher in granfreich burdj 
©roubhon, in ®eutfchtanb juerft burclj SobbertuS gegeben mürbe, 
unb bie fpäteren bebeutfamen, fritifchen Slrbeiten beutfeher ®e= 
lehrtet berührten bie brittifchen „gorf^er" fo gut mie gar nicht, 
maren fomit auch nicht im ©tanbe, ihre abftracten ®h eor i en 5« 
beeinfluffen. ©oll es uns SBunber nehmen, »enn nunmehr ber 
©taube unb baS ©ertrauen auf bie allmählich olS „unfelig" be: 
jeichnete SBiffenfchaft in ©nglanb fdjtoanb, »enn man in ben 
oerfchiebenften Kreifen — oor Slllem in ber Slrbeiterflaffe — 
nichts mehr oon ihr miffen moßte? ©ab eS hoch felbft Sehrer 
ber potitifdjen Defonomif, »eiche, auf ben gegenmärtigen 3uftanb 
ber ©otlsmirthfchaft ©ejug nehmenb, überhaupt in Slbrebe ftetlten, 
bafe bie Sationalöfonomif eine SBiffenfchaft genannt »erben fönne. 
Slber bie Utfadje biefer ©rfcheinung liegt tebiglich in bet Slrt 
unb SBeife ber bisherigen abftracten ©ehanblung ber politifchen 
Defonomif, mie fie oon Sicarbo in bie SBiffenfchaft eingeführt, 
oon ben ©pigonen bann »eiter fortgepflanjt ift. Hi er 9 e 9«* gibt 
eS aber auch nur ein Heilmittel: baS enbliche ©erlaffen beS 
betretenen SBegeS, baS Slufgeben ber übernommenen abftract: 
bebuctioen gorfchung, bie eingeljenbe unb beftänbige Sücfficht: 
nähme auf bie fämmttichen ©eftrebungen unb ©emegungen ber 
menfchtichen ©efeHfchaft. Sur auf biefem SBege-mirb bie national: 
öfonomif^e SBiffenfchaft im ©tanbe fein bie hohen Slufgaben, 
bie fie fich geftellt h«t unb bie fie fich ftellen mufete, erfüllen 
ju fönnen. 

©eteitS bie im 3aljre 1876 erf^ienenen intereffanten unb 
geiftreichen Slrbeiten oon ©pme (OuÜines of an industrial Science) 
unb SeStie (On the philosophical method of political Economy) 
rniefen auf bie Unfruchtbarfeit unb Unjutänglicpfeit ber alten 
engiifchen Schule mit ihter aprioriftifchen unb bebuctioen SRethobe 


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178 


Hie Gegenwart, 


Nr. 38. 


• 

hin, ohne baß ein tiefgeljenber ßinfluß auf bie ©eljanblung ber 
©oitSwirthfdjaftSlehre in ©ngtanb burch biefe Schriften hätte 
mahrgenommen werben fönnen. (Sine grünbliche unb fdjueibenbe 
©eurtfjcilung hat biefelbe Wieberum im Jahre 1878 burch Ingram 
gefunben, burch feine fpätet im $)rud erfdjienene 9tebe*), bie er 
als ©orfifcenber ber Section für f>oIitif(^e SBiffenfchaften unb 
Statiftil im Juni»©ieeiing ber British Association for the Ad- 
vancement of Science gehalten. Jngram wirft in biefer Baren 
unb überfidjtlich gehaltenen Siebe ber alten englischen Schute bcn 
gehbehanbfchulj hin» inbenj er ihre ©länget unverhohlen aufbecft, 
bie nöttjige Sieform ber ©ollSwirthfchaftSlehre barlegt unb ihr 
ben SBeg, ben fie gehen muß, weift. 216er bie ©otemil JngramS, 
bie freilich fpeciell bie cuglif^en ffierljältmffe im Sluge ljat, 
barf auch 0011 uns in $entfdjtanb nicht unbeachtet bleiben, wenn 
anberS wir unS auch eines gewiffen ©orfprungS in nuferer 
SBiffenfdjaft rühmen fönnen. 

$enn Wenn auch bei uns fchon feit lange gront gemacht 
ift gegen ben ©taterialiSmuä ber ©mith'fchen ©chule, beren 
SBirthfdjaftSIeljre neben ber berechtigten Stnerlcnnung, bie man 
ihr gesollt hat unb joden mußte, man nicht ganj mit Unrecht 
als eine „©tethobentehre ber $abfucht unb beS ©eijeS" (ß. ©. 
Jadjariä) gelenujeichnet hat, fo finb hoch auch bei uitS ähnliche 
©länget unb ©infeitigteiten: Vörljanben, bie Jngram an ber 
englifchen Stationalöfonomif fchonungSloS aufgebedt hot- ©on 
biefem ©efichtspunlte ging auch vorauSfidjtlidj ber hochocrbicnte 
Beiter ber §ilbebranb’fdjen „Jahrbücher für Stationälöfonomie unb 
©tatiftif" ©rofeffor ©onrab auS, als er eine Ucbcrfefcung biefer 
Jngram'fchen Siebe in bie beutfche Sprache anregte; beutlich 
iebenfaüS fpricht fp. v. Scheel biefe %Infid)t auS, welcher in 
banfenSwerther SBeifc ficlj ber mühevollen Ueberfcfeung — wenn 
auch in äußerft freier SBeife — unter jogen hot.**) ©cheel hebt 
in ber ^ier gegebenen (Einleitung heroor, bah man in Deutfcf)» 
lanb in ber nothwenbigen SBeiterentwidlung ber ©ollSroirthfdjaftS» 
SBiffenfdjaft inSbefonbere burch baS ®ervortreten jweier gorfchungS; 
richtungen aufgehalten Worben fei, einmal bnreh bie hiftorifche, 
bann weiter burch bie inbuctioe, ejacte ober reatiftifche ©tethobe. 
SBenn auch bie beutfche SBiffenjdjaft burch biefe ausgebreitete 
Stnwenbung neuer ©tethoben wesentlich geförbert unb ihr h'et» 
burch ein gewiffer Sorfprung oor berjenigen anberer Sauber 
verfdjafft toorben fei, fo wären bodj auch manche ©infeitigleiten 
bei unS untergelaufen. greitidj feien wir auf gutem SBege biefe 
ju überwinben, aber auch U>ir bebiirften babei beS ermuuternben 
JurufS, um ob bcö fleinen gortfchrittS, ben wir erreicht, nicht 
bie in gröberem ©taßftabe nothwenbige Sieform ber ©ollS-- 
wirthfchaftslehre ju vergeffen. 2)ie Stationalöfonomif befänbe 
fich augenblidlidj in einer ßrifiS, bie baher rühre, bah fie als 
SBiffenfdjaft ber materiellen, rein Wirthfdjaftlidjen Jntereffen ju 
einem ©ntwidlungSabfchnitt gefommen fei, wo eS nunmehr gälte, 
nicht in ber Slbgefdjtoffenljeit baS $eil ju fuchen, fonbern {ich 
einem höheren ©anjen unterjuorbnen unb einjufügen. — hierauf 
nun arbeitet Jngram hi«- ®ie ©efichtspunfte, von benen er 
fich leiten läht, wollen wir im groben ©anjen hier wiebergeben, 
ohne unS an bie Sieihenfotge, welche er beobachtet hat, genau ju 
binben. Jngram erhebt tuet fünfte beS Sabels gegen bie alte 
Schule. 

©ein einer ©orwurf richtet fich gegen eine ju weitgehenbe 
unb fo auch bem ©Ijaratter ber SBiffenfdjaft ©intrag thuenbe 
Slbftraction. ©erabc aber in benjenigen gtagen, welche fich um 


*) The Present Position and Prospects of Political Economy: 
Being the introductory adress delivered in the section of Economic 
Science and Statistics of the British Association for the Advan- 
cement of Science at its meeting at Dublin in 1878 by the President 
of the Section John K. ‘Ingram, LL. D., F. T. C. D., M. R. J. A., 
President of the Statistical and Social Inquiry Society of Ireland. 
— Revised, with noteg and additions. London, Longmans & Co. 
Dublin, Ponsonby. 1878. 

**) Sie nothwenbige Oieform ber SollswirtljfdjaftSUljte non John 
X. Jngram, L. L. D. ©rflfcbent ;c. Ueberjept unb Singeleitet non 
n. Scheel, Dr., ©roß Slutorifirte Ueberfepung. Jena 1879. 


bie ©cftaltung beS menfdjlidjen ®afeinS uub gefeKfdjaftlidjen 
BufammenlebenS brehen, gerabe in biefen barf man bie gühlung 
mit bem Sieaten nicht verlieren unb fich nicht in bie nebelhaften 
Siegivnen ber ©ietaphhftt verfteigen. ©in Streben nach fefter 
©egriffSbeftimmung ift wie in jebet anberen SBiffenfchaft, fo auch 
■ iu ber ©olfSwirthfchaftSteljre nothWenbig, aber ein geiftvoü fein 
| foQenbeS Streiten über bie elementarften nationalölonomifdjen 
j ©egriffe mag feltfame ®iScuffionen er jeugen, für bie SBeiier» 
entwidlung, vor SlQem für bie gefunbe ©elebung ber SBiffenfchaft, 
aber faum von befonberent Stufcen fein. ©S ift jebodj nicht allein 
bie Ueberhanbnahme ber Slbftraction, welche bie gortbilbung ber 
SBiffenfchaft gehemmt, fonbern Vor Slllem baS SluSgehen von 
falfdjen Slbftractionen, auf benen man aisbann weiter jnbauen 
1 bemüht war. So begegnen wir fofort am ©ingange in bie 
Siationalöfonomif bem lebiglidj auf abftractem SBege gefunbenen 
! ©ajje, auf bem baS ganje Sehrgebäube auf gebaut ift, ba§ bie 
eigentliche Xriebfeber einer jeben wirthfchaftlidhcn §anblung baS 
©erlangen nach SSeidit^unt fei. ©S wirb taum ©inen geben, ber 
biefen Stieb vor Slüem in unferen Seiten nicht als einen feljr 
i gewichtigen gactor im wirthfchaftlichen Beben anerfennen wollte! 
Stber wie mannichfache anbere ©iomente greifen in bie ötonomifdjen 
^anblungen ber SKenf^en mit ein, wie ift biefeS Streben nach 
i üleichtbum von anberen Xrieben beeinflußt, wie verfchiebenartig 
| äußert fich biefeS bei ben verriebenen ©ölfent unb jn ben ver* 
j fchiebeneit Beite«! — ®i« e weitere unrichtige Slbftraction, bie 
! vielen Unbefangenen bie ©pinpathie ber ©ollswirthfchaft geraubt 
! h°t, ift bie übliche abftracte Slrt ber ©etrachtung ber Slrbeit 
1 ohne Siüdfidhtnahme auf ben Xräger ber SlrbeitSfraft, auf bie 
j ©erfönlid)leit beS SlrbeiterS. ©efonberS bie arbeitenben klaffen 
; haben fich beShalb von ben Behren ber potitifchen Delonomif 
j mehr unb mehr ferngehalteu, weil man im Slrbeiter lebiglich 
j ein SBertjeug ber ©iiterbefchaffung erfannte, weil man vergaß, 
auch i« ihm einen Sftenfdjen ju fchen, ber als ein gleich» 
berechtigtes ©lieb ber menfdjlichen ©efellfchaft auch 9iedjte ju 
forbern hatte. — ©S lönnten hier noch verfd)iebene anbere auS 
unjuläffiger Slbftracticn entftanbene „Sehrfähe" ©rmäljnung finben, 
wie bie Sejetchnung bet Slrbeit fchlecßthin als SBaate, bie Sticht» 
rüdfichtnahme auf bie verfdjiebene ©efähigung ber beiben ©e» 
fchle^ter im gefeüfchaftlichen Beben, was einfach mit ber ©e= 
jeichnung „Jnbivibuum" umgangen wirb u. 21., — bodj mag 
baS bereits £>ervorgeljobene genügen. 

2llS ein weiterer gehler, ber eng mit ber lji« juerft ^e» 
rügten adju abftracten ©ehanblung ber ©oltSwirthfchaftSlehre 
jufammenhängt, wirb bie bebuctive SHethobe, bie in ben gorfchungen 
ber Dtationalötonomen eine feljr bebeutenbe Solle fpielt, mit 
9tedjt bezeichnet. Daß bie $ebuction auch in ber potitifchen 
Delonomif vielfach jur Stnwenbung gelangen muß, foQ unb fann 
; nicht beftritten werben. SBenn man inbeß nur biefe eine ©te» 
i tljobe fennt unb nur biefe eine ©tetljobe übt, fo gelangt man 
nur gar ju oft ju Schlüffen, bie in ftrictem ©egenfa| jur 
SBirflichfeit fteljen. ®ie verfchiebenartigen focialen ©rfcheinungtn 
finb meift nur }u verwidelt, um berartige ©emeiöfüljrungeu 
a priori ju geftatten. ®ur<h bie ©eobachtung müffen bie ©e» 
fejje ber ©ollswirthfchaft ertannt, müffen bie vergangenen nnb 
gegenwärtigen Bnftänbe erforfcht werben. ©S bleibt beffenun» 
geachtet immer noch ein hinreichenbeS gelb für bie $ebuction, 
bie aisbann herangejogen Werben muß, um baS, was auf in» 
buctivem SBege gefunben ift, ju prüfen unb weitere ©etrachtungen 
unb ©rwägungen ju veranlaffen. — Stüein bie SBiffenfchaft bet 
©ollswirthfchaft muß nicht allein inbuctiv, fie muß auch fjiftorifch 
behanbett werben, greitich ift mit einem maffenljaften Slnh&ufen 
von hifi°eif(hen Säten, Von ftatiftifdjen unb ethnogtaphif<hen 
©uriofitäten noch nicht viel getijan. SBir in Deutf^lanb finb 
allerbings an berartigen Slrbeiten nicht ganj arm. ©inen gewiffen 
SBertlj tann man auch benfetben, bie meift mit einem ungeheueren 
gleiß angefertigt finb, nicht abfpreeßen, es ift eben — wie man 
eS wohl nicht ganj unpaffenb bezeichnet hat — eine Slrt von 
nationalötonomif^em „©IjaruS am ©leere beS Bebens", nur (eine 
hiftorifche — ©Sethobe. Sticht in bem fleißigen Stnfammetn non 
verichiebenartigem ©laterial, fonbern in ber oergteidjenben Unter» 


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Nr. 38. 


ffl11 ätgenurart. 


179 


fußung bet Berfßiebenett auf cinanber folgenben 3«*tperioben, 
Woburß bie ©efeße bet focialen (EntwirflnngSreißen erfaßt wer« 
beit fflmten, liegt SBertß. ®ie Anhänger unb Sertßeibiget bet 
®ebuction überfeßen bie eminente Sebeutung bet immer lebeu-- 
bigen unb AfleS bewegenben Sfräfte in bet ©ntwirflung ber ®e: 
fettfßaft, fte meinen hier AfleS bebuciren ju tönnen unb gelangen 
formt naturgemäß ju ffiiberfprüßen feltfamftet Art. „SBie jebc« 
febiet bed focialen SebenS, fo unterliegt auch baS roirt^fd)aft= 
fiße einer nißt toiü(ürlicf»en, fonbetn gefefcntäßigen Umgeftaltung; 
mtb wenn mir eS Berfteßen Wollen, fo rnüffen eben biefe Um= 
geftaltungen ftubirt werben, unter fotgfältiger ©eaßtung bet 
»orßergehenben ©etioben unb ber gleichzeitigen (Srfßeinungen 
attberer Art." (3ngtam; Sßeel.) 

AIS eine notßwenbige gotge ber unßiftorifßen ©tetßobe ift 
ber ju abfolnte ©ßarafter ber theoretifßen unb praftifßen 
Schlußfolgerungen ju bezeichnen, weißes Sngram als einen 
brüten ©unft beB (EabelS gegen bie alte Schule geltenb macht. 
3nbem bie „ortßobojren ©olfSwirtße" ein ©tubium ber focialen 
(fntwirftuhg nißt fannten, ober ein folßeS minbeftenS »er= 
naßläffigten, nahmen fte bie ntanuißfaßen bebeutenben ©er: 
fßiebungett, welche baS wirtßfßaftliße Seben ber ©ölfer z« ben 
Berfchiebenen Beiten erfahren hatte, nicht wahr. Sie festen an 
Stelle ber lebenbigen SBirflißfcit einen tppifßen SBirtßfßaftS; 
juftanb, fle betrachteten bie ©efefje ber ©olfswirtßfßaft als feft= 
ftßenb, als erhaben über ©aum unb Beit, unb erfanntett nicht, 
baß auch ber SKenfß als focialeS SBefen mit ber gefamfhten 
Kultur in aßen ©ezießungen fortfehreitet, So !am e§, baß man 
bie ©äße bet ©olfswirtbfßaftsießre als unbebingte ßinfteflte 
unb nicht als folche bejeid^nete, bie nur zu gemiffen Beiten unb 
Bor Afiem nur in gewiffen ©renjen ©eltung hätten. ®aS öer= 
hängnißooßfte ©eifpiel hierfür ift neben manchem anberen bie 
Sehre Bom laisser faire. SBenn biefe auch junaßft nur als ein 
fiampfmittet bienen joflte gegen ben AbfolutiSmuS im Sßercantil- 
fhftem, fo würbe boß aflutäßliß biefeS 9?ißtinterBentionS:©rincip 
trt abfotuter gaßung aufgefteflt, welches zu aßen Beiten unb für 
äße ©ölfer unbebingte ©eltung haben foßte unb welches ein 
jebes Singreifen ber Regierung in wirft)[chaftliche Angelegen* 
heiten, felbft um Ungereßtigfeiten abzuwehren, nerpönte. ßltag 
immerhin baS greißanbelsprincip für Biele Staaten in unferem 
3«talter feine nofle ©erechtigung haben, fo fann boß anberer* 
feitS nicht geleugnet werben, baß baSfelbe in Biet zu abfotuter 
Allgemeinheit Bon engtifchen fRationalöfonomen, aber auch bon 
folchen anberer Sauber aufgefteßt worben ift, bie eben in un= 
hiftorifcher OJcettjobc Unglaubliches geleiftet haben, greiliß ge= 
langt man neuerbingS mehr unb mehr ju ber (Erfenntniß, baß 
betartige aßgemein gültige Aecepte für Sölfetglücf ßößft zweifele 
hafter ßtatur ßnb, unb wie man auf bem ©ebiete ber ©olitif 
baS Suchen nach ber abfotut beften SRegierungSform aufgegeben 
hat, fo hat man auch angefangen im wirthf<haftti<hen Seben bie 
2Rannißfattigfeit ber Berfchiebenen ©ölfer unb Staaten zu be= 
rürffißtigen. Sei unS in ?)eutfßlanb fchon feit längerer 3eit; 
hier entftanben bereits mit ©eginn biefeS Saßrßunberts bie Ber« 
jßiebenen hiftorifchen Spulen. 2fn anberen Säubern, Bor Aflem 
in Snglanb, hielt man unb hält noch h eut * oietfaß unbeirrt an 
bem Sitten feft, weshalb ber Sabel BngtamS bort um fo mehr 
angebracht ift. 

greitiß haben bie ©Sorte „ßiftorifße Schule" auch ihren 
böfen Älang!. Sticht immer ift Bon ihren Anhängern wahre 
©efßißte gelehrt, nicht überaß bie gbee beS gortfßrittS burch 
fie * befunbet worben. Unb bemtoß, was bebeutet ßiftorifße 
Schute in ber SBißenfßaft ber 2Birthf<haft? — ®ie ©efßißte 
muß hier zeiflen, baß eS mit bem fjauSßatte ber SEJtenfcf)ert nicht 
immer fo befßaßen War, wie heute; baß baS wirthfehafttiche 
Seben, bie ©robuction, (Eonfumtion unb ©ertheitung ber ©üter 
eihß anberen ©efeßen unterworfen war, als jefct. Aus ber 
©efßißte müffen Wir bie mannißfaßen Sßanbtungen erfeßen, 
welche baS ©tenfßengefßleßt zu burch laufen hatte, feit eS üon 
ben fwßlanben SentralafieuS ßinabftieg, um fleh über bie ge: 
fammte (Erbe auSzwbreiten. SBie geftolteten fiß im ©erlaufe 
jener Beit bie ©ezießungen ber ßftenfßen zu ben Sachgütern? 


3n Welcher Stiftung wirb bie ©tenfßheit weiter fiß entwiefetn? 
®)aS ÜtßeS finb gragen, bie bie hiftorifeße Schule ber 2BifJrn= 
feßaft ber politifcßeti Defonomie beantworten muß. Aber ba bet 
©tenfeß im Saufe ber Beiten jteß felbft in Wefentticher SBeifc 
beränbert, ba feine ©ebnrfniffe unb feine ©ilbung anbete Wer= 
ben, ba er beeinflußt wirb Bon ßteeßt unb Sitte, S'unft unb 
SBiffenfcßaft, unb ba aße feine ^mnblungen ein ©robuct feines 
®>enfenS unb ©mpfinbenS ftnb, fo barf bie hiftorifeße ©cßule, 
wenn fie SlfleS richtig erfennen unb erfoTfcßen wiß, fieß nießt 
aßein auf bie Defonomie erftre^en, fonbern muß bie gefammte 
©ocialwiffenfcßaft zum ©egenftanb ißrer Unterfucßung maßen. 
Aber wie wir beim Stubium ber ©ergangenßeit bie materieflen 
gntereffen ber ©efeßfßaft ni<ßt trennen fönneit Bon ben poli= 
tifßen, geiftigen unb moralifßen ©ezießungen, fo auß nißt in 
bet ©egenwart. ®)aß biefeS aber gefßeßen ift unb immer unb 
immer wieber gefßießt ift ber ftarbinaipunft, auf weißen gngram 
bie Aationalöfonomen ßinweift, unb er bezeichnet bie grage, weiße 
ftß um baS ©erßältniß ber öfonomifßen gorfßung zu ber @e= 
fammtheit ber ©efeflfßaftSwiffenfßaften breßt, mit ©eßt als eine 
„®runb= unb SebenSfrage, Bon beten ©eantmortung bie Bufunft 
ber erfteren wefentliß abhängt". 

gngram ift ber Anfißt, baß bie öfonomifßen gragen nißt 
weiter in ber gfolirtßeit beßanbelt werben fönnen, wie bisher, 
baß biefelben oielmeßr mit ben gelammten (Erlernungen beS 
focialen SebenS in Bufammenhang gebraßt werben müffen, ba 
eben bie politifße Defonomif untrennbar mit ben übrigen 3wei= 
gen ber ©ociaiphilofophie Berfnüpft fei. Sir haben oben be= 
reitS barauf ßtugewiefen, baß Abant Smith Bon biefer IjWr 
gerügten ©infeitigfeit fiß femgehalten hat. Seiber aber finb 
bie SJteiften feiner ©aßfolger in ben gehler Berfaßen, nur bie 
rein materiellen ©efißtSpunfte zu beriieffißtigen unb aße bie 
anberen Kräfte unbeaßtet zu taffen, bie auf bte ©ntwieftung ber 
materieflen SBohtfafjrt Bon fo eminentem (Einfluß finb. 2Bir 
woflen ßter nur auf Senior Betweifen, ber, als er eine ©e= 
traßtnng über ben t)ößft zweifelhaften ©ewinn anfteßt, ben 
eine Arbeiterfamilie aus ber außerßäuSlißen ©efßöftigung Bon 
SRutter unb ftinbern jießt, fiß entfßulbigt, baß er fiß auf 
berartige ©enterfungert einlaffe, weil fotße ja genau genommen 
nißt in ben ©eretß ber political Economy gefören. An einer 
anbeten Stefle, Wo er über bie ©aßtßeile übermäßig tanger 
unb ftrenger Arbeit fprißt, hält et inne unb fragt fiß wieberum, 
ob folße ©etraßtungen in bie ©ationalöfonomif faßen, was et 
Berneinen muß. 

9Bie Berfehrt aber eine berartige Äuffaffung ift, liegt auf 
ber $anb. ©ißt fann man fiß bei ©erüeffißtigung folßer 
Anßßten meßr wunbern, wenn man fießt, baß bie ©ebeutung 
ber ©ationatöfonomif, Bor ABem auß ißr Anfpruß auf 2ßiffen= 
fßaft, tagtägliß meßr bezweifelt Wirb. Als Bor nunmehr brei 
Sfaßren bie $auptnertreter bet ©olfswirthfßaftslehre in ®ng= 
lanb zuiammentraten, um baS hunbertjäßrige Jubiläum beS 
wealth of nations zu feiern, ba fßon ging aus ben Aeußerungen 
ber meiften ©ebnet ßetBBt, baß ißre wiffenfßaftlißen ©tubien 
fiß nißt jenes AnfeßnS unb (Einflußes erfreuten, ber fie befrie= 
bigen fonnte. Unb biefeS hat fiß nißt gebeffert. 3m ©egen« 
tßeit, immer meßr würben Stimmen taut, bie fiß gegen bie 
SEBiffenfßaft ber SotfSWirtßfßaft Wanbten, immer mannißfaltiger 
finb jene Brugniffe geworben, bie ben Buftanb einer drifiS in 
ber ©ationalöfonomif fennzeißneten. Aber eben biefe SMfiS, 
bie wir nißt nur in (Englaub, fonbern auß in ben übrigen 
Sänbern, wenn anberS auß nießeißt weniger fßwer, empfinben, 
fie ift eS, bie unS zeigt, baß jene erwähnten Sßtängel unb ©in= 
feitigfeiten bei ber ©eßanbtung ber ©olfswirtßfßaft befeitigt 
werben «Äßen, Bor ABem aber, baß bie ©ationalöfonomif als 
bie SBißenfßaft ber materieflen gntereßen zu einem (Entwirf; 
InngSabfßnitt gelangt iß, auf bem eS nunmehr gilt, eine ©eforrn 
im großen Stile oorzuneßmen unb bie Sotlswirthfßaftsteßre in 
bie Socialwißenfßaft als ein ©lieb berfelben einzufügen. 

©atürtiß ßut eS an ©inWenbungen gegen biefe gorbetung 
nißt gefehlt. 2Bir woflen ben wißtigften berfelben ßerBorßeben. 
9Ran fönne, fo hieß eS, nißt oielerlti ®inge auf einmal tßun, 


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180 


9t; Gegenwart, 


Nr. 38. 


nicht fei man im ©tanbe, bie oerfchiebenartigen Bmetge bet fo» 
cialen gorfdjung auf einmal ju etfaffen. ©benfo tote es eine 
©ietheit bet Staturroiffenfchaften gebe, fei auch eine ©ielheit 
focialet SBiffenfcfjaften notfjmenbig. Dafj mit nicht afleS 3Rög= 
lidje auf einmal, fonbern nur einen gorfchungSjmeig boflftänbig 
unb ganj beljertfchen fönnen, fann nicht beftritten metben. Uber 
beftomeniger finb foldje Smeige immer nur Jljeile eines 
gröberen miffenfchaftlicfien ©anjen, unb bie ©ejiehungen biefet 
I^eile ju ehtanber müffen im Muge bemalten metben. ©anj 
gemif} muh baS ©tubium bet Ißflanje unb beS müffen 

©otanif unb Soologie als befonbete SBiffenfchoften betrieben 
metben, trofc aßebem aber bilbet baS ©tubium bet lebenben 
Organismen eine DiSciplin, bie tebiglid) aus 3medmähigfeitSs 
gtünben geteilt ift. Unb ebenfo mie baS ein fcf)Ied)ter Slrjt 
fein mirb, bet nur ein Organ unb beffen gunction fennt unb 
ben Uranien ofyne Stüdfidjtnahme auf bie Sonftitution feines 
ganjen Organismus beljanbelt, fo begreift aud) berjenige bie ber» 
fdjiebenen S^atfac^en beS focialen Körpers unboßfommen, bet 
ben 3>tfammen^ang feiner betriebenen ßebenSäufferungen uns 
beamtet laftt. „@S gibt nur eine grofje SBiffenfdjaft ber Socio» 
logie, nur eine ©ocialle^re, unb ihre einjetnen Slbfchnitte be» 

jie^en fid) auf bie betriebenen ©eiten beS gefeflfdiaftlichen 

DafeinS. Sine biefer ©eiten ift bie materielle SBoljlfaljrt ber 

©efeflfdiaft, bie ©efdjOffenheit unb ©ntmidlung ihrer auf bie 

©ütererjeugung gerichteten Slrbeit. DaS ©tubium biefer ©r» 
fcfjeinungen ift einer ber gotfchungSjmeige ber ©ocialmiffenraft, 
ber aber in engfter güljtung mit bem ©anjen erhalten merben 
muff." (Sngram.) StidjtS ift Kater, als baff in ber ©efchidjte 
ber SRenf<hh«t bie berfchiebenen (Elemente beS focialen ßebenS 
nicht bößig fetbftftänbige unb bon ben anberen unabhängige 
©roceffe burdjmachten, unb bie heutige toirthfchaftliche ßage ©uro» 
paS ift baS ©rgebnifj einer SJtannidjfaltigfeit bon Sebingungen, 
bie jum grofjen Dl)«* nicht öfonomifcher Statur finb. SBiffen= 
fchaftliche, moratifche, retigiöfe unb potitifdje Stnfchauungen unb 
©inrichtungen hüben mefentlich mit eingemirK. Unb ebenfo mie 
fleh biefeS in ber Sergangenljeit bofljogen, bofljieht fi<h unb 
mirb fich biefeS meiter bofljiehen in ©egenraart unb 3ulunft. 

©ei aßen mirthraftlichen fragen müffen bie focialtoiffen» 
fchaftlichett ©efidjtspunlte berüdfichtigt metben; unb feljt richtig 
hebt gajocett an einer ©teile feiner ©rofehüre über greihanbet 
unb Soßfdjufc hetoor, baf$ auch i« ben gragen, ob ©djuhjott' 
ober greihanbet, nicht allein bie materiellen Sntereffen SluSfchlag 
gebenb feien, baff bielmehr gleichfalls'bie politischen unb focialen 
©erljättniffe berüdfichtigt merben müßten, fo bafj pan bie ®nt= 
fdjeibung einer folgen grage auch ouS ben ©etraditungen ber 
höheren 3«I e ber ©efeßfehaft unb bem Sbeat beS 3ufammens 
lebenS ber 5Dlen(chh«t entnehmen müffen. SDtit boflem Stecht et» 
hebt fomit Ingram bie gorberung nach einer miffenfchaftlichen 
©ociallehte, in metdjer bie ©olfsmirthfchaftslehre aufgeht. 

SBir haben im großen ©anjen bie |)auptgefid)tSpunfte wieber» 
gegeben, bie Ingram in feiner Siebe h«*mrgehoben hot. ®S 
mar nicht unfere Hbfidjt eine ftritil biefer epochemachenben. Siebe 
ju liefern. Ratten mir biefeS gernoßt, fo mürben mir' auch 
manche SluSfefcungen an berfetben hüben machen müffen. Sticht 
hätten mir bann gefdjmiegen ju einigen ©emerfungen, bie er 
über bie beutfdje SBiffenfdiaft gefaßt, mie mir anbererfeits auch 
feine $eranjiehung bon Slugufte ©omte unb ben ©influfj, ben 
er biefem Denier auf bie ©ntmidlung ber ©ocialmiffenfchaft ju= 
fd)reibt, als jebcnfaßS ju meitgehenb jurüdgemiefen hoben mürben, 
gnbefj Sriti! ju liefern lag, mie gefagt, nicht in unferem ©lane; 
mir moflten nur auf bie SBahrheiten in biefer Siebe Jjiomeifen, 
an benen fie reich ift unb mit greube biefeS neue Slnjeidjen eines 
UmfdjmungS in ber englifchen Stationalölonomil begrüben. Die 
Siebe SngramS h«t bie englifchen ©ollsmirtlje ein menig auf» 
gerüttelt unb auf literarifchem ©ebiete eine Stührigleit tywot- 
gerufen, mie mir fie jenfeitS beS ©analS feit lange nicht erlebt 
haben, ©omit ift berechtigte StuSficht borhanben, bah ouch hi« 
bie ©ollsmirthfchuftsmiffenfchaft mieber in gefünbere ©ahnen ge= 
leitet mirb. 

Dag mir in Deutfchlanb in ber SSiffenfchaft ber polüifchen 


Delonomif meiter oorgefchritten finb, als bie ©nglänber, hoben 
mir oben bereits oerfchiebentlich h^botgehoben. SngramS ©es 
banten finben mit mehr ober meniger in ben Slrbeiten Don 
©chäffle, SBagnet, ©chmofler unb ©amter. ©chäffle hot bereits 
in feinem oierbänbigen ffierfe: ,,©au unb ßeben beS focialen 
ÄörperS", bie ©ol!smirthf<hoftslehre ots ein ©lieb ber Social» 
lehre behanbelt Die Slrt unb SBeife ieboch, mie biefeS hi« 0« 
fdjehen, ift f^on mehrfach getabelt morben, unb ©cheei hebt moht 
mit ooßem Siechte h«*mr, bah bie ©ociologie mit bet ©iologie 
hier in einer ©erquidung gejeigt merbe, bah man meber hoffe« noch 
annehmen bürfe, in ber hi« gebotenen ©eftalt bie ©ociatmiffen» 
fchoft begrünbet ju fehen. SlnbrerfeitS aber fiubet fich oudj bei 
uns tro| biefer hier ermähnten guten Slufänge, ober beffer gerabe 
megen biefer neuen Slrt ber ©ehanbtung, eine Unficherheit unb 
Unbeftimmtheit in ber ©earbeitung ber ©oltsmirthf^oftstehre, 
ju ber ftd) oudj ein gemiffeS SRihtrauen gegen bie ganje SBiffen- 
fchaft gefeßt, bie biefen ^inmeis auf bie gngram’fche Siebe als 
nicht übetflüffig erfcheinen laffen. 

SRöge auch bei uns in Deutfchlanb jener ©ebanle immer 
mehr jur ©eltung fommen unb fruchtbringenb mitten, bah bie 
Stationalölonomil ein Dheil ber groben ®efeflf<haftsmiffenf<h«ft 
ift unb bah fie ols ein ©lieb ber ©ocialmiffenfchaft in biefe 
eingefügt merben muh- ©efchieljt biefeS, bann mirb man auch 
bie 2Biffenf<haftli<hfeit berfelben nicht mehr in 3meifel jiehen 
fönnen, ba fte ein ©lieb jener DiSciplin fein mirb, in ber bie 
„©eifteSarbeit ber SBiffenfdjaften" jufammentäuft. 


Literatur unb jutnfl. 


iBcrgfener. 

®on fjermann fingg. 

§ierf oben, umfchloffen 
©on ©letfcherfoloffen, 

©rheb’ ich ben ©edjer mit Sffiein gefüflt; 

@S buntein bie ©erge, 

Die Dhöi er mie ©ärge 
©ergang’ner Sfahrhnnberte, nad)tumhfiüt: 

Dem eblen ©ntbrennen 
Dem Drang nach ©rfennen, 

- Der helfenben Staft unb Dhötigteit, 

Dem geffelnentfchnürer, 

Dem mpftifchen gührer 

DeS SRenfdjengefRechtes, ihm fei er gemeiljt! 


©chneegipfet, Urahnen 
Der alten Ditanen 

©chau’n geifterhaft her, — ber SJtonb erfchien, 
Da feh’ ich bli|en 
©on einer ber ©pifcen, 

©in geuer entlobert, ein bunfler Slubin. 

©eitbem mir bemohnen 
Den ©chooS ber Sleonen 
©erfuchten mir Sterbliche ftetS empor 
3um ßichte jn fchreiten 
©on 3eiten ju 3eiten, 

Die eine gemann unb bie anbre berlor. 


Doch raftloS ringen 
SBir fort unb bringen 
3um 3iel auf bem SBege jum neuen ©ral, 
Unb bie es erreichen, 

Die geben fich 3ei<h e «, 

©ntfachen ein geuer, ein leuchtenb Signal. 


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Nr. 38. 


Ute Üegenmart. 


181 


SIprofen um hüte 
Unb fdEjneeigc 8Iütpe, 

©elepnt auf ben Sergftod pören fie ftitt 
Sorübertoepen 
Dad ©ein unb Sergepen, 

SBad unten gefcpiept unb gefetteten miß. 

ßängft rupet entfeplafen 
Pit ©epulb unb ©trafen 
Die Seit unb if>r Jammer, nur ^ier entbot 
Den popen ©ebanten, 

Die bort oerfanten, 

Die greipeit Sfpl aud ©lenb unb Stotp. 

©o toben ben ©ppären 
Stuf gelfenaltären 

Die fßarfen einft geuet ald Opfer gebracht; 

Die heut’ ed entbrannten 
Den Unbefannten 

©ntbiet’ icp ein ©rüten burepd ©epweigen ber Slacpt. 


-frattjöpftpe Bitten bes xvm. 3aprpmiberts.*) 

SBer tennt in Deutfeplanb biefe Gräfin oon {Roepefort? wirb 
man bei und fragen, unb 3entanb, ber aud guten hanbbücpern bie 
franjöfifcpe ßiteratur teibtict ju tennen glaubt, börfte läcpelnb 
pinjufügen: wer tennt fie in granfreiep? Sin fpecießer Senner 
Soltaired aber fragt mott noct: ift ed oiefleiept jene greunbin 
b’Stembertd, bie ber fßpitofopp oon gernep fo mamtiepfatp atd 
bie anmuttige Steunjepnjäprige (madame dix-neuf ans) mit 
Soptgefaßen ermätnt peft? 

Stein, niept einmal biefe ift ed. Stfo gepört fie mott ju 
jener ©ctaar palboergeffener geiftoofler fßerfönlicpf eiten, wie fie 
bie <£ulturgef<tictte gra^reiepd fo japlteicp aufjumeifen tot, unb 
bie oon 3«it ju 3«t burct einen bebeutenben ©ctriftfteßer „ent* 
bedt" werben, wie man benn bem berüpmten @ainte=®euöe naep* 
fagte, bat er aßmontagtict in feinem geuißeton bem erftaunten 
granfreiep einen neuen groten SRattn, refp. eminente Dame oor* 
jufteflen patte, oon benen fein SRenfcp bidper etwad mutte? 

©etbft bad märe beinate ju oiet gefagt — bie ©räfin 
bon SRo<pefort=Srancad, bie piet gemeint ift, tot faft nur im 
engften ißrioatcirfel fiep bewegt, bort finb ipre SBorte ber* 
paßt, bort ipre Keinen literarifepen ©rjeugniffe aßein genoffen 
unb befptoepen worben. SBettn wir fagen, bat fie nur furje 
3eit bie ©attin eined wenig bemittelten, atd ©ommanbant ber 
Bretagne faum eben genannten ©belmannd war, bann ald 
SBittwe in einem Sreife naper SSerwanbter unb gteunbe in 
e6enfo aufrichtiger wie tattooßer ßiebendmürbigleit waltete, bat 
fie mit bem ©ater bed groten SRirabeau unb beffen fpäteren 
©eliebten grau oon fßaißp in einem engen, burep geiftüoße ®or* 
refponbenj reich belebten greunbfcpaftdoerpöltniffe ftanb, ipr 
eigentliche^ ßebendglüd aber in ber ßiaifon mit bem ald ©taatd* 
mamt nicht unbebeutenben, ald ©efeßfepafter aßgemein beliebten 
$erjog oon Slioernoid fanb, fo paben wir napeju aße ermäpnend* 
toertpen Sejiepungen ipred Sehend berüprt. Unb fo gibt benn 
au<p ber ©erfaffer biefe Srbeit nur ald ein fleined ißaretgon 
aud, bad innerpalb eined gröteren ©tubientreifed entftanben. 

Dennocp Wirb ein ßiebpaber gebiegenet franjöfifcper ßitera* 
tur biefe ©eprift, wenn er auip nur ben Slawen bed Sutord auf 
bem Xitel gelefen, gern bepalten, unb fiep auf bie 3eit freuen, 
too er fie mit SRute ftubiren fann — er weit, bat ed fiep 
lopnen wirb, benn aud biefer gebet tarn au<p bei ipren fleinften 
Sffapd nichts Unbebeutenbed. ©epörte boep ßomenie ju jener 
flattliepen Ißpalan; mirftieper ©eleprter in granfreiep, benen ob 


*) La comteese de Rochefort et Bes amis; etudes sur les moeurs 
en France an XVUI* sidcle par Lonia de Lomdnie. ißarid 1879, 
Salnuum Sdop. 


iprer ©rüublicpfeit unb ©enauigteit ber beutfepe gorfepet mit 
SBcirme bie $anb brüden möcpte, jener ©eleprten, benen jugleicp 
eine fol(pe ©oflenbung ber gorm ju ©ebote ftept, bat Wtr fie 
naep biefer ©eite nur ald SRufter oerepren tonnen. @d tput 
wopl, bad wieber einmal lant audjufpreepen, ba man noep immer 
anmapenbe halbwiffer in perfömmlitper SBeife oon franjöfifcper 
SBiffenfcpaft mit ©eringfepäpung reben pört. 

Die SReifterleiftung ßomenied, bad ßeben ©eauntarepaid’, 
ein SBerf, in bem bie Dpatfacpen ebenfo parmonifcp georbnet wie 
mit tiefem fittliepem ©rnfte beurtpeiit finb, ift boep auep in 
Deutfcpianb betannt genug, feine lepte Srbeit Aber bie gamilie 
SRirabeau würbe badfelbe, aßem ßtnfcpeine naep, no<p fibertroffen 
paben, wäre ed bem ©erfaffer oergönnt gewefen bid ju bem 
höpepunft feined SSorwurfd, ber Darßeüung bed groten Stebnerd 
burdpjubringen. Da fiberrafepte ipn im 60. ßebendjapre am 
2. Sprit bed oorigen Sopred ber Dob; ber oorpanbene Dorfo 
bed SBerted, ber bie näcpften SSerwanbten bed mäeptigen Dribu^ 
nen fepilbert, ift bebeutenb genug, bat tuir in einem fpäteren 
Suffap bad gntereffe ber ßefer barauf pinjulenfen beabfieptigen. 
Die Keine ©tubie, Oon ber wir gegenwärtig fpreepen, ejiftirte 
bereitd meprere 3apre, aber nur in ber edition de luxe, erft 
bie foeben erfepienene SBoltdaudgabe maept biefelbe in Weiteren 
Steifen betannt*): man pätte wopl jum ^eile granfreiepd wfim 
ftpen mögen, bat fepon lange bie gbeen, auf welcpe fte pinaud^ 
jielt, mepr ©emeingut ber ©efeßfepoft in ipren pöperen wie 
nieberen ©epiepten geworben wären, aber noep peute ift ipre 
SRapnung niept antiquirt. 

Der eigentlicpe SBertp bed Sucped beftept in ber oergletcpen= 
ben ©ittenftubie, in bie feine piftorifepen Unterfucpungen aud= 
münben. SRan pat in Deutfcpianb längt erfannt, oon Welcper 
SBicptigteit für bie Unioerfalgefcpicpte, namentltcp für bie 93e= 
urtpeilung ber Sulturjuftänbe, forgfältige SRonograppien finb. 
Sud bem concreten, innerpalb iprer Umgebung feparf peroor= 
tretenben Silbe intereffanter Serfönlicpteiten, welcpe afl bie 
Strömungen iprer 3«it mit ju befapren ober ju freujen patten, 
tritt ber ©eift jener Dage (icptooß peroor unb oft genug finb 
über ganje ©poepen fcpale unb irrige Sbftractionen, bie fiep 
gaprjepnte lang Oon ©ompenbium ju Sompenbium fortfcpleppten, 
burep ein foteped Reined ©uep umgeftoten worben. 

hier panbelt ed fiep um bie oontepme franjöjtfcpe ©efeß= 
fepaft am Sorabenbe ber franjöfifcpen Sleoolution. iRocp liegt 
fie und nicht fern, biefe 3«*, in ber bie perrfepenbe Slaffe, forg» 
lod praffenb, ft^ ben raffinirteften ©enfiffen pingab unb mit 
punbertfältigen Privilegien ipre geringeren SRitbürger tneeptete 
— ald Slelief gewapren wir bie fureptbaren finanjieflen Srifen, 
welcpe bem peranjiepenben Ungewitter prälubiren, bie erften 
©ranbfepriften wiber bad beftepenbe ©pftem, ben Donnerpaß ber 
Stimme eined SRirabeau, unb naep ber erften legalen Oppofition 
bie immer .furchtbarer perbortretenben ©ewaltacte einet lange 
getnebelten SRenge gegen ipre bidperigen Unterbrüder. 3« peflem 
gubel jei^net ber Demolrat bie Sprengung jener Safte burep 
bie oulfanartige ©ruption ber SSolfdmacpt, in büfterem Un= 
mißen wenbet fiep ber ßegitimift oon biefem ©epaufpiel; unter 
ben häuptern, welcpe bie Parteiungen überragen, jeigt und ein 
SRignet bie fatatiftifepe Slotpwenbigleit ber umwäljenben Se= 
wegung — ein Docgueoiße ipre Ueberflüffigleit, inbem er naep* 
weit, bat napeju aße bie burep fie perbeigefüprten {Reformen 
in ber ©efepgebung bed ancien rbgime bereitd angelegt unb in 
fiepet peroorbreepenben Seimen* oorpanben finb. 

Die Störung unb rupige Seurtpeilung bed pier oorliegen* 
ben Proceffed tann nur burep tiefered ©tubium ber bad geiftige 
ßeben oon bamald beperrfepenben Denbenjen ju ©tanbe tommen. 
©o pat man mit fRecpt bad ßeben ber groten titerarifepen 


*) Suffepen maepenbe SBerfe bebeutenber Sutoren erfepeinen regele 
mäptg in grantreidj juerft in pracptooQ audgeftatteten aber entfpreepenb 
tpeuren ©ropoctaobfinben; fpöter, wenn bad Sucp ben erften Steij ber 
Seupeit oerloren, tritt bie Edition populaire ein, für welcpe j. S9. bei 
mobifepen Xpeaterftücfen ber pireid auf bie hälfte, ja auf bad Stiertet 
bed urfprünglicpen perabfhttt 


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182 


fl i * ®«ge»©flrt. 


Nr. 38. 


ÄorhPhäeu Jener ^eit möglichft eiugehenb barjufteüen gefugt 
unb aud) beutle @eleljrte tjaben ju biefer Slrbeit bebeutfame 
Saufteine geliefert — man bente nur j. 33. an bie 33iograpf)ie 
Xiberotö non fRofenfranj. 2I6er baS innere 2eben jener oors 
nehmen SCBc.lt, . bie fo fotgloS, wie man eS auSjubrüden pflegt, 
bis jur lebten Stunbe „auf bem 33ul!an tanjte", fpiegelt fic£» 
am echteften nur in ihren eigenen ÜRemoiren unb Familien: 
correfponbenjen, bie noch lange nicht genug auSgebeutet toorben 
finb. ES panbclt fich I»ier üielfadj um bie #interlaffenfchaft 
non fßerfönlichfeiten jmeiten unb britten fRangeS, bie jebod) für 
bie DurchfchnittSjuftänbe oietfadj einen richtigeren ©cgriff geben, 
als bie Erlebniffe h*rOotragenber, oft in 9luSnahmejufiänben 
fdjroebenber ©haraftere. 

3n BombnicS S3u<he fehen mir eine Heine Ülnja^l folget 
minber befannter ^BcrfönXic^fciten in intimen prioaten mie fo= 
cialen 33ejiehuugen ju eiuanber gehaart. SSBie Diel aud) non i 
biefen SJer^ältniffeu oom rapralifdjen ©tanbpunfte oerfeljtt ober | 
bebenflidj erfreuten muß — eine anjictjenbe Seite ^aben fie, j 
ben lebhaften geiftigen Sßerfe^c, ben fie niemals oerlengncit unb i 
ber namentlich non Seiten ber Stauen angeregt unb unter: 
halten toirb. 

Die Stauen ber ÜRittelpunft bet echt geiftigen Bntereffen 
beS literarifdjen unb focialen BbeenauStaufcheS — eS ift intern 
effant, ju fehen, mie fich bieS unoerbrüchtich in allen ben net: 
fdjiebeneu Bahrfmnberten ber jranjöfifchen ©efchidjte bemährt. 

Sn ber fRitterjeit taffen fich bie Stauen nicht nur befingen, fie 
bitben nicht nur bie Sutp ber BiebeSljöfe, fie treten auch felbft als ’ 
Dichterinnen auf unb bie RJerhättniffe ber ©alanterie, bie feit 
bamatS für Stanfreich charafteriftifd) bleiben, fndjen fich tegel* 
mäßig burch ein befonbereS geiftigeS $eröortreten ber Stauen ; 
glcichfam ju tegitimiren. Die „galanten" Damen Stanfreid)S 
finb faft immer geiftöoHe Stauen, fie hoben auch, mie unfet : 
großer Dichter cS nicht oerfdjmäht, fie in ber $erjon ber Soret I 
barjufteßen, ihre lm<hherjigen SRegungen — oom 16. Sahrljunbert j 
an mirb gerabeju bie Literatur burch bie Stauen organifirt, bie | 
ffritif momöglich monopolifirt. Steilich ift.-hier baS Beben an ! 
ben Sürften: unb Ebelhöfen StalienS baS nädjfte, auch für fpd: 
tere Beiten maßgebenbe SJlufter.*) SKargareta, Sönig Stanj I. ! 
geniale Schmefter, fefct in ihrem eigenen $offtaat baS itatienifdje i 
Decameron fo ju fagen in ©eene unb in ihrem $eptameron ftreut | 
fie felbft bie luftigen 33lätter in bie SBelt, „bie ein 33reoier afler I 
lofen Streiche fein Jollen, melche bie Stauen ihren Bicbhabern J 
unb Eheherren gefpiett". iRadjbem baS Beitatter ber SRenaiffance 
Stalien erfchloffen unb ber ftofftaat ber mebkeifchen fßrinjeJJinnen 
in Stanfreich bie heimifdje S3ortiebc für anderes ©epränge 
fünftlerifch gefchutt, finb cS jene brei ©enerationen eines eblen 
italienifchen tpaufeS, bie im §otel be fRambouiflet eine ibeale 
SRepubtif bem £>ofe gegenüber conftituiren; hier ermarmt unb er-- 
ftarft unter ber beftänbigen, feinfühligen Dheilnaljme ebter Srauen 
bie neue Biteratur unb finbet in aßen ©täbten beS* 2anbeS bc: j 
geifterte 33erehrer in ©alonS mannichfaltigften ©harafterS, bis ' 
enblich baS Uebermaß meiblidjen Eifers, baS tiößige Wufgehcn 
ber Stauen in fpiritueflen Bntereffen, ben jpohn beS großen 
SRcifterS hetoorruft, ber am Slnfang feiner Baufbaljn gegen bie i 
precieuses ridicules, am Enbe berfelbeu gegen bie femmes sa- ; 
vautes eine fiegreidje fßolemif führt. Slber bie SalonS felbft, j 
menngteich fie genötigt finb, ihre Denbenjen jn mobificiren, ! 
überbauern feine Angriffe; baS 18. Sahrhunbert fieht aflent: j 
halben geiftooße Stauen balb als SSefhüfcerinnen, halb als bie i 

*) ©eadftenSwerth ift, baß in ben Stbern (ämmtlicher brei fjaupt-- 
perfonen beS Bonknie'fdjen ©ucßeS italienifdjeS ©lut fließt. Die nenpo* 
Iitanifdjc Slblunft ber (Gräfin Don iRodjefort erwähnten mir bereits; ber 
$erjog oon SRioeruoiS mar ein Urgroßueffe SRajarinS; bah bie 2Jtirabeau 
ans bem altflorcntiniidjen ßJeidjlecbte Strrighetti flammen, weih 3cber- 
mann. SS mürbe fich oerlohnen, ben Einfluß italienifchen (SeifteS in 
Srantreid) umfaffenber barjufteßen, als bieS bis jept gefcheh en - 3®ie 
glänjenb tgeitirid) oon Xrcitfd)fe aus bem großen SlationalheroS ber 
Sranjofen ben reinen 3talicner herauSgefchält hat, ift wohl ben meiften 
unferer Sefer im @ebädjtnifj. 


S3ertrauten berühmter Slutoren — ein ßranj oon neuen Flamen 
erfept in ber ^auptftabt bie untergegangenen Sterne früherer 
Beiten unb mit bet Umgeftattung bet Sitten mirb bie Dhütig: 
feit ber Stauen eine immer freiere unb umfaffenbete. SBähtenb 
in ben testen Bahren 2ubmigS XIV. bie SRaSfe bet Stämmig: 
feit, bie bet $of annahm, öffentlich ffanbalöfe Serhältniffe 
innerhalb beS 3tbetS oerbot, mirb, als mit bem Eintritt bet 
Stegentfdhaft bie SRaSfe faßt unb an bie ©teße ber bisherigen 
Deootion bie toßfte Bügellofigfeit tritt, bet Einfluß ber. Stauen 
gerabeju übermächtig; unter ber IRegietung ßubmigS XV. mitb 
burch baS übte 33eifpiet beS $ofeS bie fittliche Seffet beS ©he- 
bunbeS nahezu oößig abgeftreift; Stauen aus ber höchften ©e: 
feßfehaft geben fich ju Ereaturen ber fönigtichen SaOOtitin her 
unb Damen, bie boch auf ihren eigenen guten Stuf uod) galten, 
oerfdjntähen immerhin ben oertrauten Umgang mit notorifchen 
Ehebrecherinnen nicht. SSie furchtbar ernft man im potitijehen 
2eben mit bet franjöfifchen ßRaitreffenmirthfchaft ju rechnen 
hatte, jeigen nicht nut bie oft citirten fchmekhlerifchen 33tiefe 
frembet fßotentaten unb ^Regierungen an bie ißompabout *), 
fonbern auch bic Dhatfache, baß in einem mit reblidier Snten= 
tion gefeßriebenen ipaubbudj für ^ofleute unb ©taatSmänner, 
metcheS ben obengenannten fperjog oon SlioernoiS jum S3etfaffet 
hat, feßr eingehenbe Ermagungen angefteßt merben, mie man fid) 
ju ber ßRaitrefie beS ÄönigS ju fteßen habe, Ermägungen, bereit 
Ouinteffenj ift, baß ein ^ofmanit auf aße Säße oon einem fitaf: 
baren 33erfeht mit berfetben abjufehen hat, mähtenb ein äRinifter, 
ber, bem Seiltänzer gleich, burch aße mögliche ßRittel fid) in 
feiner gefaf)cooßen ißofition ju erhalten fueßen muß, geeigneten 
SaßeS auch ju einer galanten ^ntrigue mit ißt feine Beucht 
ueßmen mirb. 

DaS djarafteriftifche SRerfmal beS franjöfif^en £>oflebenS 
mirb ber 2ibertiitiSmuS; ©iege auf bem ©ebiete ber ©alanterie 
merben nicht nur in ben ©alonS gefeiert, fogat in afabemifdjen 
ßobreben prunfen fie, mie nach biefer ©eite ber #erjog oon 
fRicßelieu als ber franjöfif^e SllcibiabeS oerherrlicht unb über 
ben griechifdjtn erhoben mirb. Ütber iiefeS Bahrhunbcrt miß 
jugleich baS philofophifche 3ahrh u nbert"fein, unb fo hat cS füt 
feine corrupten 33erhältniffe gerabeju ein ©hftem, einen Sobe{ 
erfunben. 

3Ran muß jeboch, um nicht unbißig ju fein, an bie bamalige 
Veräußerlichung beS EßefchluffeS jurüdbenfen. Die oorneljnien 
Käufer SranfreichS oerfchmägern fich unter einanbet ohne aße 
ßtüdficht auf bie ju oerheirathenben ißerfonen — regelmäßig nur 
mit Buftimmung beS Königs, manchmal auch tein auf tönig: 
liehen 93cfchl. EtmaS feßr häufiges finb föinberehen; man oet« 
lobt jmei Btibioibuen noch eße fie baS jeßnte Saht erreicht 
haben, gibt fie etma im Oietjehnten prieftertich jufammen unb 
trennt fie bann mieber, um fic erft einige Bahre fpäter bauernb 
jufammenjufühten. ®ei ernftlich ju ooßjiehenben Ehen fehen 
fich 33raut unb Bräutigam oft erft am Dage oor ber .fjochjeit; 
man behanbett bie oorjunehmenbe „fßlatitube" in möglichft caoa« 
lierer Sßeife; unb taum ift bie Eetemonie ootüber, fo gehen nun 
bie beiben Ehegatten bar auf auS, fortan fich aufs fReue, ein 
BebeS nach feinem gusto ju „üerheiratljen" — menn bie Stauen 
eS bismeilen unterließen, für bie DRänner galt eS gerabeju als 
jum guten Don unerläßlich- Die eine fßartei connioirt, man 
möchte fagen garantirt, regelmäßig ber anbern auf biefem ©e: 
biete jebe Sreiheit. Unb bod) nahm eS bie ©efeßfehaft mit 
biefen neuen ®erhältniffen gemifferrnaßen ernft. äRan unterfchieb 
genau jioifcßen bem flatterhaften 2üftling, ber notorifchen Biber* 
tine unb ißerfonen in bauernben BiaifonS; jene ephemeren ®ußl: 
fdjaften heißen fantaisies, bie teßteren attachements ober passions, 
unb mäßrenb man ju jenen tädjelnb bie Slchfeln judte, fpenbete 
man biefen — menn ein nach ber SJJobe b. h- tein ehebtüchlich 


*) Sejüglieh ÜRaria Xt)erefiaS hat ihr ©iogtqph 0. Slrneth tr= 
roiefen, baß ein eigenhänbiger ©rief ber Saijerin an bie ©ompnbour 
uic ejiftirt hat; bie ojficielle Eorrefponbenj beS SötinifterS Änunip mit 
festerer hat er beftätigt. lieber baS ©crljältniß SriebridhS beS ©roßen 
jur fßompabour j. Oeuvres (9luSg. 0. 1846) XXVI), 1. 293. XVI, 34S. 


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Nr. 38. 


Hie ®egeitnmrt. 


183 


bermäptteS' ©aar fiep jahrelang treu geblieben — taute 83e= j 
tounberung, begeistertes Sob. ©lan fteüt pier gerabeju einen I 
neuen Dugenbbegriff auf: man fann tugetcbpaft avec sagesse (in i 
Säften) ober sans sagesse fein: baS ffirftere, wenn man bem 
erforenen Suiten in ber eben ermähnten SEBeife bie Ireue patt; 
bo8 3weite, wenn man fiep jmar fantaisies ertaubt, aber opne 
burrifj fle teibenfdjaftlicp aufgeregt unb äufjerltcp compromittirt ju 
»erben, wie man oon ber ©rinjeffin non Sa ©atliere, einer j 
perjlofen Motetten, bem Wahren SBiberfpiel iprer Serroanbtin ] 
an« bet 3*il ßttbWigS XIV. fagte: eile prend ses amants par 
eonvenance, les garde sans attachement et les perd sans re- 
grets — eine Strt ftoifd^er lugenb, bie fiep nach unferen ©e- 
griffen nur auf ber tiefften Stufe meiblieper ©rniebriguug finbet. ! 

DaS Aktionär biefer ©efeüfcpaft ift eben fepr eigetitpümticp. ! 
©eftänbig »erben über SBeiSpeit unb ©total grofje DiScufjtonen | 
geführt, lieber ben gegenfeitigen Umgang ber ju einanber | 
gehörigen ©arteten ift feine anbere Spraye als bie ber ebetften i 
greunbfepaft ertaubt, ©tan »itt biefeS felbfterfottene ©arabieS ! 
als etn mögliepft oergeifKgteS barftetten. Daper auch bie bt- j 
frembenbe ©rfcpeinung, bafj in ben ffomöbien jener 3 £ 't ber I 
Spebrucp, baS grofje ©tobetpema ber gegenwärtigen Dramatif, 
fepr wenig berührt wirb. Der ®runb tag barin, ba| man ft cp 
freute, bie ernfte moralifcpe ffritif ber eigenen ©erpältniffe ! 
perauSjuforbern. SBer ©tarioauj: ftubirt pat, weil, Wie forgs { 
fättig ein bei ber feinften ©efeUfcpaft ^oc^betiebter Dieter aus | 
feinen 3«ibitbern jeben ©ebanfen feplintmer Korruption ju ent= ■ 
fernen fuept unb bafür bie unergrünbticpen Scplangenminbungen 
ibeater 3uneigung in immer neuen, mögliepft fubtimirten formen 
barjufteOen beftiffen ijl. 

gnbeffen biefe ©efettfc^aft patte au|er ben öffentlich tjerüot: 
tretenben Autoren, bie immerbin aucp mit bem großen ©ublicum 
güptung bebietten, noeb i^re eigene, fo ju fagen efoterif<be 
Siteratur für fiep — maS fte wahrhaft genießen foDte mufjte 
ein prioateS, gelegentliches ©robuct ber eigenen ff reife fein. 
Dieb ©ublicum oerabfdjeute nichts fo febr als bie Sangeweite : 
unb näcbftbem bie ©erüprung mit einer ihr fremben 98ett. So 
treten benn inmitten beöfelben bie grofjen Herren maffenbaft mit 
eigenen poetijcben Serfucben auf, tpeilS in ©etegenpeitslprif, 
tpeilS in bramatifcben ©ntwürfen, für bie ficb aus ben häuften 
ffreifen SlcteurS unb Stctricen finben. ©tit befonberem ©eifall 
erw&bnt ©tonteSquieu bie ffomöbien beS ©rafen oon gorcatquier 
(eine« ©ruberS ber ©räfin oon Stocpefort), bie Wahrhaft blip* 
ähnlich feinem regen ©eifte entftrömt feien. Somönie tpeilt uns 
einige berfetben mit; fte jeigen uns fo recht baS elegante ©lobe* 
geptauber (ramage) jener läge, pier erft hört man biefe Seute 
ooWommen unter fiep reben. — 2Bie unlauter bei attebem ber 
bamafige ©efepmad war jeigt bie ©orliebe, bie man sous cape 
für atterhanb anftöfjige ©rjäplungcn in ©rofa Wie in ©erfen 
bewährte; man tpeitte fid} biefetben brieflich mit, man erjäplte i 
fte mit ©leganj beim ©aeptifep, auch bornehme Samen (wie | 
Stau oon ^oubetot) teifteten auf bem ©ebiete biefer eigentpüm* 1 
liehen Siteratur ©rftaunlicpeS. gnbejfen baS flüchtige, niemals 
in fchwerfätlige ©emeinheit auSartenbe ©ehagen an bertei f>iftör= 
epen, fobatb ber ©egenftanb einigermaßen mit ©eift unb ©tajie 
bepanbett warb, war fdbon ältere Irabition; man erinnere fiep, 
mit wetepem ©etgnügen grau oon S<ioign6 bie bebenttiepften i 
©aepen oon Sa gontaine tieft unb ttnberen empfiehlt, hingegen ' 
ift eines an biefer ©efeUfcpaft anerfennenb peroorjupeben: ber 
©langet franfpafter, fepwarjgattiger Sentimentalität, an ber bie < 
fpätere 3<it beS SBeltfepmerjeS fo übermäßig taborirt; bie bapin 
gehörigen ©emütpSäußerungen begriff man mit unter ber großen 
tRubril „vapems“ — atfo als anomalen förpertiepen 3uftanb, 
bem man freilich als foiepem bie grö|te Stuf merffamf eit nnb 
anSfüprlicpfte Spettnapine wibmete, ,aber immerhin als einem 
ungefunben, fcpleunigft ju befeitigeftben ©lomente in biefem 
golbig erfepimmemben SebenStraume. 

SS ift gar niept ju leugnen, ba| man innerpatb biefer prioite= 1 
girten Sphären oiel feines, gegenfeitigeS ©litgefüpt, manniepfaepe i 
©toben aufrichtiger greunbfepaft finbet. Unb ber oortiegenbe | 
©anb gibt uns ein ©eifpiel, »ie ein grofjer tperr eine fünfzig ! 


gapre wäprenbe greunbfepaft biefer Ärt naep bem enbltcpen lobe 
feiner ©attin noep oor tlblauf beS XrauerjapreS burep ein ep £: 
bünbnip mit bet KnSerfcrenen tränt Sluip fie ftirbt ipm bann 
halb unb er feiert fie, inbem er ben ©aben ihres ©eifteS unb 
ihrer ©nmutp ein literarifcpeS 2)enfmat fept. ®aS SBunberbare 
aber ift, ba| er bann naep ©erlauf einiger weiterer gapre fie 
gqnj oergeffen ju paben fepeint unb nur oon feiner erften lang: 
iäprigtn ©efäprtin mit äBepmutp fpriept. 

SSenn irgenb etwas, fo ift biefer leptere 3«9. bas 3 £ ugni| 
einer butep fcpwere Scpidfale jur StufricptigJeit geläuterten Seele, 
ber ©eweiS oon ber Unnatur ber bamatigen ©erpättniffe, unb 
Somünie pat ©eept, wenn er in ber ©ergleicpung jener Sitten 
mit ben jepigen ber gegenwärtigen 3 £ it einen unoerfennbaren 
gortfepritt unb beffere Hoffnungen jufpriept. 

©Sopt ftreitet ©lancpeS bagegen: bie erfepredenbe 3unapme 
materiefler (Korruption — bie ©tniebrigung poepgeftettter ©tämter, 
welcpe gemeine ©uplerinnen öffentlich begünftigen, ja peiratpen; 
bas ©eifpiel oornepmer grauen, welcpe S)irnenmoben in bie @e= 
fettfepaft introbucirt unb fiep felbft mit ipren gewaltigen ©rioat« 
paffionen als bie Heroinen ber mobernen 3 £ »t auffpielen; bie 
©torificirung ber ©ourtifane burep begabte Septiftfteöer; baS 
©orbringen ber ©roftitution in alle Stänbe unb fflaffen.*) So 
fepeint bie ©erberbnifj immer weiter ju freffen, bie gamilie unb 
ben Staat ju unterminiren — fann ba niept jene elegante 
©atanterie, bie fo ju fagen uneigennüpige gmmoralität beS 
18. gaprpunbertS, bie fiep wefentlicp auf bie oornepme @efetl< 
fepaft als ©rioitegium befepräntt unb bie Sittticpfeit im ©ölte 
noep niept jerftört patte, als ein befferer 3ufianb erfepeinen? 

(Cennoep nein! ber gortfepritt liegt im öffentlichen Semufjt= 
fein. ®en SBüftling oon ©rofeffion umgibt feine o.fficieDe ©torie 
mepr; er mu| fiep in ber gewöpnticpften SageStiteratur mit ben 
oeräcptlicpften Spipnamen branbmarfen taffen. Unb mäprenb man 
früper ju bem ©pebruep connioirte, ja ipn gerabeju fanctionirte, 
tritt jept mit furchtbarem ©rnfte ber beteibigte Spemann für 
bie ©pte feines HaufeS ein**) — unjäplige' blutige Htfiorien 
fünben ben gtuep beS ©pebruepS; bie eprbare grau jeigt man 
unS ent Weber als engelpaft etpaben, wenn fte bem fünbigen 
©atten oerjeipt, ober als fureptbare ©äeperin; fanb boep grau 
oon ©irarbin baS reepte SBort für ben ©pebruep, inbem fie ipn 
bie unmittetbarfte ©rtöbtung jeber geiftigen ©emeinfepaft nannte. 
Hncp baS Drama Oermag fiep nur bann im ©efepmad beS 
©ubticumS ju erpalten, wenn eS neben Seibenfcpaft unb gepl= 
tritt bie erfcpüttembfte ©u|e, refp. Süpnung aufjuweifen pat. 
©amenttiep wirb immer fepärfer bie ©erantwortlicpfeit einer 
©pefrau, welcpe bie Dreue briept, peroorgepoben; ipr ©ergepen 
ift fepwerer als baS beS ©lanneS — beruht boep auf ber 3«= 
Oertäffigfeit beS SBeibeS allein ber ©taube an bie eprlicpe ©er- 
petuirung ber gamilie unb bamit ber ©eftanb ber bürgerlichen 
©efeUfcpaft unb beS Staates, gn Summa: mäprenb einft ©eau< 
marepaiS feinen gigaro bie ©pe als bie frioolfte unter aßen 
ernftpaften Sachen btfiniren taffen burfte, wirb jept bie Heiligftit 
beS gnftituteS empfunben unb anerfannt. 

ffiopl tä|t bie männtiepe ftanjöftfcpe gugenb in iprem 
SebenSwanbel oor ber ©pe oiel ju wünfepen übrig, unb poep 
oermerfliep ift eS, Wenn oietfaep ©pemänner jur ©aepapmung 
ipreS früperen SufttebenS felbft bie griootität iprer grauen be- 
förbern. ftber in ©ejug auf biefe Uebetftänbe menbet fiep mit 
©eept Somenie mapnenb an bie grauen, ©r traut ipnen einen 

*) ©lau oergleicpe baS oon ©aul Sinbau in ben „Siterarifcpen 
SRücfficptStofigfeiten" commentirte SBort beS jüngeren ©untaS: Nons allons 
ä la Prostitution universelle. 

**) ®S gibt freilich im 18. nie im 19. gahrpunbert SuSnapmen 
oon ber IRegel. ®ap ein flbeliger oor ber ©eoolution eine gemeine 
©nplerin ju feiner ©emaptin erpoben, märe opne ©eifpiel, pätie eS niept 
tinen ©rafen Dubarrp gegeben. Unb bap eS anbererfeitS noch jept ge» 
fällige ©pemänner gibt, welcpe bie ©epönpeit iprer ©pefrauen ju prioatem 
©rwerb ejploitire», jeigt ©onbinetS (als ©rgänjung jn DumaS' Demi- 
monde) gejcpriebeneS Sinftfpiel: Le monde oü Ion samuse. G* jeigt 
aber aitcp bie 3>eracpluitg, bie man biefer Sppäre joüt. i 

e 







184 


31 i t degrnwart. 


Nr. 38. 


weit höheren ffiinflu| p, als man ihnen gewöhnlich beimi|t. 
SEBie einjt im 17. gahrhmtbert bte Stauen es unternahmen, 
in taftood geleiteten (Bereinigungen bie (Rohheit ber Sprache 
unb bes ©efehmaefö p teforotiren, jo oermöchten fte wohl auch 
je|t, tt>enn fie nur wottten, ber männlichen grioolität ein beffereS 
©rincip entgegenpfteden unb wirtfam p machen. ®ie SDtutter, 
meint et, bie echte gamitienthätigfeit mü|te granfreich retten. 
3ene galanten grauen beö 18. gahrhunberts hatten feine Sinber 
ober entfernten fie ängftlidj aus bem ftreife ihres perfönlidjen 
XreibenS (man benfe an b’Sttembert baS ginbelfinb — ben Sohn 
ber grau oon Zencinl). ?tt8 einft Napoleon grau öon Sampan, 
bie SrjiehungSräthin par excellence fragte, toaS bet franjöfifchen 
Station fehle, fo antwortete fie fdjlagfertig: SDtütter! Sie hatte Stecht 
— unb wie granfteich in ben SrjtehungSfpftemen mehr unb mehr 
bie beutfehe Arbeit hat wärbigen lernen (man oergleiche ©real!), 
fo wirb auch ber belebenbe Obern bes beutfehen gamilienlebenS 
oiedeid)t baS fein, was uns unferem leibet noch immer pneträdjtig 
getrennten Stadjbartanbe anheimetnb näher bringt — falls nicht 
wir ©eutfehen burdf blenbenb internationale, beftructioe Zenbenjen 
uns baS eigene gamitienleben oerfümmern unb jerftören laffen. 

$at hoch in ber ©hat bie gamilie fogar oon einer ge« 
Wiffeu pfeubophilofophifchen SDtoral fich anfechten laffen müffen. 
SDtan hat bie freie (Bereinigung gleichgeftimmter Seelen ober — 
auf nieberer Stufe — entfprechenb nämlicher SlrbeitSfräfte an 
ihre Stelle fefcen wollen; — in praxi hat ein jeher folget 
Verfudj minbeftenS mit ber traurigen ©roiebrigung beS weib« 
liehen ©heiles geenbet Stber- man hat bie Sache noch tiefer 
gefafst: in ber gamilie hat man baS ©rbübet ber ©hatafter« 
toßgfeit gejucht, felbft ein fo ebler (Kann wie ©oequeoide hat 
eS auSgefprochen, baff bie Kädfi^t auf SEßeib unb ßinb ben 
(Kann oft pm feigen Schwächling mache, ber, um timt unb 
Orob nicht p oerlieren, mit jeber neuen Stegierung bie garbe 
wechfete. SDlit Stecht aber weift fiomenie batauf hin, baff nicht 
bie gamilie, in ber baS föinb bie ©Item jur ©ugenb mahnt 
unb erjieht, Wie bie ffiltern baS ®inb, bie wahre Urfadje folget 
SDtifören ift, fonbern bie furchtbaren reootutionären ftrifen un« 
ferer 3eiten, nach beren ileberwinbung ber ooQe reine @influ| 
ber gamilie erft pr ©ettung fommen fann. 

SEBohl ift eS geraden, bie grauen mehr unb mehr in bem 
Simte p emanctpiren, bafe fie in felbftftänbigen Stellungen bie 
SDtöglichfeit haben, ohne ihre (ßerfon preiSpgeben, einen an« 
ftänbigen Unterhalt unb eblen SÖeruf im Beben auch als Un= 
oerheirathete p fhtben; aber nie barf biefe Sonbetbtlbung bes 
weiblichen ©efchledjtS fo weit äberwiegen, ba| fie bem ©intritt 
ber grauen in bie ©he Schranten anlegt, als in ber fie erft 
ihren mahrfien (Beruf fär bie SDtenfdjheit p erfüllen im Staube 
jtnb. gft hoch bie gamilie burdjauS nicht etwa baS gbeal un« 
getrübteften, felbftifchen (Behagens, oietmehr eine Sphäre bet 
grö|ten perfönlidjen Verantwortlichfeit unb fittlichen Arbeit, — 
fie ift nnb bleibt bie wahre Schule für ade prioaten unb öffent¬ 
lichen ©ugenben, p benen in bem frommen ©efühl ber SDtutter 
unb in ber eifernen ©nergie beS VaterS baS (Borbilb gegeben Wirb. 

gene (Bernichtung ber gamilie in ber Verachtung beS ehe= 
liehen (BanbeS, wie fte im 18. gahrhunbert ber SibertiniSmuS 
ber ©eifter mit fich brachte, war eS, was bie franjöfifdje tlrifto« 
fratie in ber Steoolution einem fo jähen Sturze entgegenführte, 
©aö SBewu|tfein beS (BürgerjtanbeS, eine burch unb burch fitten« 
lofe herrfchenbe Safte über fich S“ haben, hatte ben #a| wibet 
bie beftehenbe Dehnung aufs f)öchfte entflammt — ßomfenie hat 
oodtommen Stecht, wenn er in ben $er$en ber anftänbigen SOtittel« 
Haffe, welche bie Steoolution begann, wie bei bem ißöbel, ber 
fie weiter führte, biefeS ©efühl ber Verbitterung in ben Vorher: 
grunb fteflt.*) Stoch jefct Oermag man burch nichts bie reoo« 

*) P. 268: Lea cannibalea des deux sexee qui coupaient par mor- 
ceaux des femmes du grand monde et qui tratnaient ces morceaux 
dans la fange n’dtaient certaineraent pas trfes-sensibles aux influences 
de la vertu: qui pourrait affirmer cependant qu’ils auraient agi de 
mßme s’ils avaient cru tenir dans leurs mains fdroces de chastes 
epouses et de respectables möres de famille? 


lutionären ©etöfte fo fehr p. entflammen, als burch' ben #in« 
weis auf ben SibertiniSmuS beOorrechteter Staffen, ©er ©rod 
über biefe ©ntartung, ber bei oieten gemeinen Seelen in 2Bahr= 
heit nur Steib ift, hat in ben Vefferen immerhin feine berechtigte 
Seite — bie frattgöfifche Steoolution bleibt für bie Striftofratien 
ader Völler bie grofje Sehre, ba| ber Äbel, ber fein Sßrioitegium 
in ungerechter SBidfür unb ftttlicher gnbifferen) fucht, ebenfo 
ficher baS ©reftige über bie eigene Station oerliert, wie ein 
nach ebleren Zrabitionen fchaltenber felbft in ben Seiten grölten 
geizigen gortfchritteS fich an ber Spifce ber Station p erhalten 
oermag. ©ie wahre Vürgertugenb aber wirb niemals in blofem 
^afchen nach Steichthum unb äu|erem ©tan), wie baS teiber 
bie Signatur unferer 3^it p fein fdjeint, p finben fein — eS 
gilt, biefer ©poche baS nimium timemus paupertatem! beS gto|en 
StömerS wieberum )U)urufen; bie Verföhnnng )Wifchen Ärmen 
unb Steichen wirb niemals burch ben blo|en gemeinfchafttichen 
Slbfdjeu oor ber ©ürftigfeit p SBege gebracht, fonbern nur burd) 
baS Vewu|tfein gemeinfamer ftttlicher Aufgaben unb eblen un« 
abläfftgen 3ufammenarbeiten3. 

SBir lönnen bie gbeen beS oerewigten flomenie auch öon 
unferem Stanbpunlte nur mit greube begrü|en. Seit ber Seit, 
ba er fie perft auSfprach, hat granfteich in feiner Stufraffung 
oon einem fdjweren politifdjen gade oiel neue reformirenbe Sin« 
ftrengungen gemacht unb manche beffere Organifationen erfprie|en 
fehen. ©ie VatertanbStiebe hat granfreich nie gefehlt, unb wer 
in guten fran)öjtfchen Greifen hetmifch geworben, ber wei|, wie 
unbegrünbet ber Vorwurf ift, unfer Stadjbarlanb befinbe fich 
noch immer auf bem ©ebiet ber gamilie in anarchifchen, biffo- 
tuten Verhältniffen. (über freilich fittb tiefgreifenbe Uebetftänbe 
oorhanben, ben VeweiS bafür liefert bie ©urchfehnittstenbeu) ber 
fogen. „frönen" Siteratur granlrei^S. Stoch immer ift regele 
mä|ig in ben fran)öfifchen ©tarnen bas ©hebruchSmotio baS 
oorherrfchenbe — nous n’en sortirons pas! hot noch neulich Wie 
oerjweifetnb ein berühmter (ßarifet ^ritiler in biefer Ve)iehung 
auSgetufen. Unleugbar ift baS - öffentliche ©efühl ein feineres 
geworben. Sltepnber ©umaS gefleht unS, ba| er heut)utage ben 
ZppuS feiner ©amelienbame für antiquirt hält; bie naio an« 
)iehenbe ©rifette VatpcS unb SRuffetS hat ber bewuftood cor« 
rumpirten Sorette unb ©ocotte ©iah gemacht: bie öffentliche 
SSteinung fieht bie gmmoratität nicht mehr als harmlos poetifdj, 
fonbern theils als oerächtlich burteSf, theils als fdhulbood tra« 
gifch an, uitb Keiner, ber ben adgemem oerehrten je|igen föorq« 
Phäen ber franjöfifchen ©ramatif, ©mite Slugier, oerfteht, lann 
ihm ben Vorwurf ber Unfittlidjteit machen, feine fittenremigenbe 
©enben) liegt überad p Zage, fo wenig wir bei anberen Sta= 
matilern trofe ader ©rätenfionen unb Selbftcommentaren baran 
p glauben oermögen. Slber auch er wirb baS SDtotio trregu« 
tätet ©heoerhättniffe nicht toS — man fcheint biefeS ©hetna 
WenigftenS als Veigefdjmacf jeglichen Vorwurfs wählen p 
müffen, um p intereffhen. Unb was bie Stomane betrifft, fo 
braucht man nur bie &ritif eines 3ota über feine confröres p 
tefen, um )U erftaunen, wie oiel ungefunbe SDtotioe fich hi n 
auch bei ben berühmteften Stutoren finben — )uhö<hft bei bem 
Krittler felbft, ber mit ber Sftribie eines niebertänbifchen SJta« 
lerS bie roheften Scenen ber Schnapshteipe unb beS SBafch« 
haufeS, wenn nicht fünftlerifh, fo bod) tunftfertig bargeftedt nnb 
fo p jagen hoffähig gemacht hat, wie bie bufeenbweis anfehwet« 
lenben Stuftagen feines Assommoir unb bie brajtifche ©rama« 
tifirung beSfetben beweifen. 

SEBir jagen unS, ba|, *fo lange biefe Zenbenpn, ber behog« 
liehe — wenn auch immerhin fittenrichtertidje — Slnbticf fo un« 
gefunber SJtotioe, in granfreich obenauf bleiben werben, -biefe 
Stacht nimmermehr nach au|en gefährlich fein wirb. $at aber 
baS fociate Beben unb mit ihm bie Siteratur biefe 3uftänbe über« 
wunben, bann ift granfreich einer SDtacht, welche an ber Zrabition 
ibealer unb ftttlicher $rincipien fefthält, erft reiht nicht gefährlich; 
bann reichen fich bie beiben Stationen fchweftertich bie $änbe p 
bem eblen Vunbe, für ben wir fie immer berufen gehalten. 

SrtSben. Dr. IDilbtlm Jlmolb. 


e 




flr. 38. 


Ute ®egenmarL 


185 


Hü internationale JtunßansjleUang jtt Ütnndjen 1879. 

v. 

Zie iialieitifche dRalerei ift im ©laöpalaft nad) &unft* 
{tobten, tarnen unb ©ilberjafjl reich bettreten, aber erft im 
©quaredfaal jeigt fte, wie mich bünft, ganj Weffen fie fähig 
wäre. 3 m ©flgementen fel)en bie Don il)r gefcf)müdten dBänbe 
auS tote mit gcuij lichten perfifchen Zepptchen behängt, bie nur 
etwas reichlich bunt gerätsen unb nod) gar ju neu flnb. ©ei 
näherer ©injelbetrachtung Wirb öiedeid)t eine muntere, gefällige 
unb naib felbftgefättige Xechnif ben Jpauptreij ber meiften biefer 
Silber unb Silbchen auSmachen; nicht {eiten aderbingS biirfte 
baS ®efd)id auch ben @e}<hmad überwiegen. (Gegenüber ber 
ernsthaften unb ehrgeijigen ßunft ber bisher genannten ©älter 
hängt bieS ©itberböitchen in forglofem glitterßaat bergnügt 
burcheinanber; ihnen allen ift bie &unft heiter — heiter wie 
ber 3talienerin ein Sonntag {Rachmittag mit ©rojefßon unb 
geuerwert, ©pajterenfahren unb Sorbettofchlürfen. ©on einer 
wirtlich ernfthaften Sanbfdjaft ift in biefer ganjen Äunft be= 
jeicßnenbermeife faunt irgenbwo bie ©ebe. ©roße dRalerei — 
in irgenb einer ©idßung groß ober nur energifch gegriffene unb . 
baher einWanbloS iiberjeugenbe unb erfrißhenbe Sachen — fdjeint 
baS ben ©öttern geheiligte 3talien heute nur noch feiten ju f>ro= 
bndren. Um fo mehr fann ich hier mit bem Hinweis auf wes 
nige ©über auStommen unb mich im ©toteren barauf befc^rän- 
ten, an ben jahlreidjen ®ünßlernamen ber italienifchen ©btßeilung 
bie hocherfreuliche Sheilnahme ju conftatiren, mit welcher Italien 
{ich bieS dRal einer beutßhen ©uSßedung jugewanbt hat. 

ZeS ©ömerS ©rabilta wahnfinnige Sofjanna am ©arge 
ihres ©emahlS, ©hilippS beS Schönen, ift ohne Zweifel bie 
ernfthaftefte unb einbringlichfte ßeiftung ber ganjen italienifchen 
©uSßedung unb jugleid) unter ben gigurenbilbern mit hrftorts 
fchem ©orwanb eines ber wenigen, bie öon wirtlich einheitlicher 
patter ©mpßnbung jufammengehalten finb. Uff iS ütelbefprochene 
©ianca ©apedo ift bagegen nicht mehr als eine gleichgültige 
©eene aus bem gefedigen Sehen mohlerjogener unb Wohl ange* 
jogener ©erfonen. ©on ber langen ©efdjichte, bie hier laut 
ftatalog bargeftedt fein fod, läßt fie nicht baS ©eringfie er= 
tonnen, ©uch bie forgfältige dRalerei ift gar nicht fdjlimmer, 
als fie burchfdjnitttich auf folgen ^iftoriengemälben ju fein 
pflegt dagegen finb bie beiben orientalifdjen SoltSfefte beS= 
felben hochbegabten ÄünftlerS flott unb malerifch, öon öorjüg= 
liehet ©harafteriftit unb bejeiebnen baS ©ebiet, auf welchem 
Ufß feine eigentlichen ©rfolge ju fuchen hätte. Sinea, eben: 
falls ein hetborragenber ©ertreter ber glorentiner Sfünßlerfchaft, 
hat jwei höchft lebenbige unb gefdjidte Äoßümbilbchen in ÜRün= 
djen; aber fein großer weiblicher Stet („©ach bem ©abe") ift 
trofe aller aufgehäuften ©chwierigteiten ein bloßer burchauS 
nicht gefdjmadöoder Stet geblieben unb ein recht buntes ©ilb 
baju geworben, gein, frifch unb anmutljig ift bagegen bie ÜRäb: 
chenhalbfigur, welche ßoöatti in ©om unter bem ©amen „Spa: 
jierfahrt" auSgeftellt hat, ebenfo beSfelben dRalerS „Schlechtes 
©etter". 3« ähnlichem Sinne ntttffen beS ©eapolitanerö dRan: 
cini Silber öon italienifchen ©tragen {ehr gut unb gefällig 
genannt unb jum ©eften ihrer Strt gerechnet werben. Schlieft 
lieh hat unS ©rati aus glorenj ein tannenjapfen umrahmtes 
©tfbdjen („Site Siebe roftet nicht") gefanbt, welches bie 3®hl 
bet „©enrebüber" um eine ihrer UebenSwürbigften unb empfun: 
benften ©rbeiten öermehrt ©nergifche ©erfuche auf lanbßhaft: 
licßem ©ebiet macht allein ber ©reScianer dRonteöerbe. ©ber 
er bringt es nicht über möglichft berbe ©tubien. 3 n biefem 
Sinne iß 3 . ©. fein @dfweine ßafßrter ©la$ in Stnticoli {ehr 
öerbienftood, für baS ©ubticum aber natürlich ganj reijloö. 
3a hätte er noch Schäfchen mit rotlfen $alSbänb<hen ober an: 
bete liebe Zhierdjen hineingemalt! — Zen ©efdjluß mögen, 
nach ®täbten georbnet, eine ©eihe öon ©amen hüben, unter ' 
benen 3«ber, ber fich in ben heiteren italienifchen Sälen gut j 
unterhalten hat, feine befonberen greunbe h trfl uSfinben wirb, 
©on ©om wären ©uerra, ©arluccio $ofmann, 3 aco: 1 


öaeei, 3oriS, dRaccari, ©icci, ©antoro unb ©ertunni 
ju nennen, welch l<|terer als faß einjiger itatienifcher 2 anb= 
fdhafter fo conoentioned unb füglich tote bentbar iß. glorenj 
iß burch ©nbreotti, ©oßa, gatbi, gattori, gotli, ©on= 
tini u. f. w. öertreten. ©on ©eapel wären noch ©ttanafio, 
©attaglia, Siotta unb be ©igriS ju notiren. ©on dRai: 
lanb finb ©$ini, ©artefago, ©ajarro, ©ianchi, Sur = 
lanbi, Zibioni, goffati, 3nbuno, dRidjiS=©attaneo unb 
©effina gefommen. ©enebig ift nur burch ©iarbi unb 
dRion öertreten. ÄuS Zurin hat ©iScarra, aus ©erona 
©öanji unb aus ©ologna gollini auögeßedt, ber lefetere 
©ieh, — eine ©pecialität bie in 3 talien ebenfo fettete iß wie 
bie intimere Sanbfchaft. 

©ieleS öon bem, maS bie italienifche Oelmalerei öenniffen 
lägt, ßnben Wir in ben ©quareden ber 3taliener in reichem 
SRage. Zer ftauptfifc biefer Äunft ift ©om. ©ls &auptauS: 
ftederin fnngirt bie „Societä degli Aquarellisti“, beren ©amnu 
iung bie fchönßen fßerlen mobentet itatienifcher SRalerei birgt. 
3cf| erwähne barunter öor allen bie beiben lebenSgrogen $atb= 
figuren gerrariS „SlrabifcgeS ©ebet" unb „Sffiirhmg ber ©alm= 
baummilch", bie unmittelbar neben Verlorner ju nennen ßnb 
(ber einjige ©iSfhop ßeht unerreicht über all ben anberen ©or= 
jüglicheren); bann ©imonetti, beffen „gürft", „Zheilung ber 
©eute" unb „©olbat aus bem XV. 3ahrhunbert", bie gewohnte 
©raöour jeigen; ©abianca, beßen „©occa bi fßapa" unb „2Ror= 
gen in ©enebig" in leuchtenbftem, lebenbigftem ^ellbunfel ejeet- 
liren unb ©oleman, beffen „SBeihnachtSabenb", b. h- guhrwerl 
im winterlichen $od)gebirg mit feinen angefchneiten ©erglehnen, 
{einer gerne, ©Jollen u. f. w. in erßaunlicher ©inbringtichteit 
ben ©atureinbrud an ben ©efchauer übermitteln, ©ber bie 
3 ahl ber guten italienifchen ©eptarede ift fo grog, bag ich mich 
hier mit ben aderbeften begnügen mug. Zie ©amen ©ifeo, 
Srajja, ©ipriani, Zetti, gauftini, 3oriS, SRaccari 
unb ZuSgue j, aus ber SRenge herausgegriffen, mögen hier ben 
mittlerweile nothwenbig geworbenen ©cglug bilben. 

©nglanb h«t in feiner burchauS nicht bejeichnenben unb 
wenig bebeutenben ©btheilung ben fünftlerijch Weitaus am hö<h 5 
ften ftehenben ©ct ber ganjen ©uSftedung aufjuweifen, wenn 
man nun einmal ©lma=Zabema ju ben ©einigen jählen fod. 
®3 gibt nichts Seljrreichereö unb für ben wirtlich großen |>ol= 
länber Schmeichelhafteres als fein dRobed jut „©enuS ©Squilina" 
mit ©iemirabjtis ©ilaöin, ©ineaS ©abenber, ©ouguereauS ©enuS, 
SefebuteS ©eritaS :c. ju öergleidhen. ©ornehmer, breiter unb 
biScreter iß wohl lange lein weiblicher ©ct, unter ben fdjwietig* 
ften ©eleuchtungSbebingungen augerbem, mobedirt worben, als 
biefer, ber noch *>“5“ fo befcheiben ift, burchauS teiner ©öttin, 
fonbern nur bem äRobed ju einet folchen angehören ju woden. 
©eijöoder unb tünftleri{cher ift wohl feiten eine ©tubie nach bem 
3Robed jum Silbe erhöht worben als hier, ©in wahres 3uwet 
in aden möglichen ©ejiehuitgen ift auch baS tleinfte ©ilbdfen 
beSfelben dRalerS „Sine grage". @S wiegt ganje SSJänbe ooder 
„©emälbe" auf burch bie Wirtlich beraufegenbe SiebenSWürbigteit 
{einer ©aturauffaffung. ©eben biefen SReißerwerten erfcheint bie 
„SBittwe" als eine einigermaßen gefugte, gelehrte unb troctone 
©rbeit, ift ber „Spiegel" nicht öiel mehr als ein tomftftücf beS 
©pecialißen in ber ©Jiebergabe polirten dRarmorS. 

3 m Uebrigen, wie gefagt, iß bie englifcße ©uSftedung webet 
zahlreich noch bebeutenb. ffior bem {ehr lebenbigen unb ohne 
Schönfärberei charatterooden ©orträt einer geßhmintten Zame 
habe idh aden ©efpect, habe inbeffen ben ©amen beS äRalerS 
nicht ^erfahren tonnen. Zie ©orträtS öon ©. Z. SBattS unb 
g. Seighton ßnb bereits öiel appretirter, wenn ße auch immer 
noch $ u m beften Zufeenb ber ©uSftedung gehören unb ßd» in ber 
garbe eigentümlich auSjeichnen. Zagegen bütße bie „dRignon" 
beS le|tgenannten $errn in Zeutßhlanb fo jiemlich überad 
unöerftänblich fein; mir perfönlict) iß fie birect unerquidtid}. 
SRarcuS ©tone gehört mit feinem recht guten ©enrebilb 
„Sain et. sauf“, welches bie $eimtehr eines ©olbaten in burch’ 
aus angenehmer fenfationSlofer SBeife barßedt, wohl mefjt nach 
©aris als nach Bonbon. Verlorner enblich mit feinen ftupen; 


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186 


fl i e (Scjenfflatt. 


Nr. 38. 


ben Aquarellen, befottberd bem audgegeifneten Porträt Rifarb 
SBagnerd (Detbilber bon fm befifet bie Audfteßnng leiber nift), 
hat biedmal mit ©nglattb audgefteßt, oertritt aber begreif lieber: 
weife beffen originelle nnb jaljtreif e Äünftlerffaft biefer Def nif 
nic^t audreifenber, alb bie oorhergenannten Silber nebft ben 
©oball, golingdbp, ©atberon, SRartd ic. bie Delntalerei, 
non beten heutigem Stanbe in ©ngtanb eine Vorfteßung ju 
geben, fie burf aud unjureifenb finb. 

jsmnter ja^treid^cr unb mit eminentem ntaleriff en latent 
nnb ©effid treten bie Voten in bie Reihen ber mobernen 
Hunfi Sie bilben ffon lange ein werthboßed ^ngrebienb ber 
nielfarbigen SWünfener SRaterffaft, in ißaris unb Rom {fielen 
fie feit einiger &eit bebeutenbe Roßen, non Starffau h €r treten 
fie nun ald eigene Sfute auf. Unb man mufe geftehen, bnrcf)- 
and nicht ohne ©lüd Riematd faft wirb ein potniffed Silb, 
nach Allem Wad ich bisher gefehen, unter bie brauen, lang: 
»eiligen gehören; irgenb eine Starte wirb ben Seffauer in 
faft jebem bon ihnen angiehen. 

fRatejfo, ber baheim bad Scepter fuhrt, ift leibet im ©lad: 
pataft nicht norhanben; aber in Vertretung SRatejlod ift Stoji! 
aufgetreten, in Deutff lanb foniel ich weife jura erften äRal, aber mit 
nm fo gröfeerem Srfolge. 3ft er jenem auch nicht ebenbürtig an 
©enialitöt, Vbantafie unb Unerffrocfenheit, fo ift er ihm wieberunt 
an Ruhe bed Auftretend, eleganter gönn, beftechenbem ©lang 
ber ©rff einung, an 3 u fammenhang unb ©inheitlifteit feiner 
materiffen SRittel unb SBirtungen überlegen. Srojitd ©pifobe 
and ber böhmiff* ungarifch * frangöfiff en ©efchichte („Die ©e* 
fanbten ft'önig Sabidlaud’ non Ungarn nnb Söhmen am #ofe 
®arld VIL non granlreif ") täfet fif trofc aHet Verführung bed 
bei einem folgen Xhetna erforberiifen Acceffoird burf aud nir: 
genbd an einer Sric:a:brac:$Ralerei genügen. Ueber allem Sei« 
Wert fteht Har unb fprechenb bie $anbtung; Stanb, Rationa* 
tität, ©harafter unb augenbtiefticher ©emüthdjuftanb ber haubeln* 
ben unb theitnehmenben giguren finb burchaud nicht burf Attri¬ 
bute ober herlömmlife Vofen angebeutet; nielmehr bilben j. S. 
bie mäbchenhafte unb bof founeräne Vornehmheit ber empfangen: 
ben ©rinjeffin, bie reich unb fprechenb inbinibuatifirte ©ruppe 
ber magpariff föfemiff en ©efanbtfchaft einen hohen Ruljntedtitel 
biefed bortrefftifen Silbed, beffen SKaterei überall non Variier 
Solibität unb ©efehmaef flimmert, ©twad ungezügelter unb 
weniger mafeboß tritt Siemirabjfi in feinen beiben grofeen 
Silbern auf („©in SBeib ober eine Safe" unb „Der bettelnbe 
«Schiffbrüchige",). £>iet, möchte man faft fagen, fei bie fjnnbtung 
wegen ber SRobeße erfunben, feien bie giguren bed Acceffoird 
Wegen norhanben. Auch in biefen Silbern, wenigftend in „SBeib 
ober Safe", geht bad Streben nach anfchaulicher foliber SBahr: 
haftigteit weit, j. S. über Vilotp, hinaud, aber wieberum auch 
fo bid ind tleinfte Detail, bafe ber Vbantafie bed Sefchauerd 
Stichtd, feinem Staunen über bie tefuiffe Sewältigung bed 
gufammengeff leppten tollen Scuged Atled ju thun bleibt. 3n s 
beffen immerhin hoi man ed hin nicht mit gleichgültigen Sang: 
meiligteiten ju thun, welche burch bie aufgewanbte SRülje noch 
öber nnb gefchmadlofet erfcheinen, fonbern mit nielen höfft 
materiffen föunftgegenftänben unb Suriofitäten, fowie mit einigen 
fehr tüchtig gemalten giguren, bie recht gut ju einanber nnb 
ju ihrer Umgebung in Sejiehung gefe|t finb. Vielleicht erinnert 
bied Sitb in feiner ganjen prunlhaften Art etwad an bie Art, 
wie bie SReininger ihre Aufgabe erfaffen unb burchführen. — 
Dad jweite Sitb Siemirabjfid, ber fogenannte Schiffbrüchige, 
ift oon allen ©efichtdpuntten aud wefentlich fchwöcher. 

Durchaus eigentpümtif nnb befonberen Sobed ttmrbfrg er: 
ff eint mir in biefer hochbegabten ©ruppe bad im gortnat öiel 
anfprnfdtofere gigurenbitb ©jachordfid „tarntet unb bie 
Sfaufpieter". Diefe Arbeit ift gemife noch oiet weniger ald 
bie grofee, Oiftorie .Srogild aud bem Reij au Stoffen unb Anti: 
qnit&ten fjerborgegangen. Didcreter, ftrenger unb bof malerifcher 
bann man bad Softümtif e in einem Silbe laum jur Verftärfung 
eined faratteciftiffen ©inbruefed herbeijiehen, bentlicher !ann 
ber pfgfologiffe. Vorgang bie güfjrung nicht übernehmen, unb 
unbefangener bürfte er laum irgenbwo anberd im ©tadpataft 


an einem guten halben Dufcenb bdn köpfen jergtiebert fein ald 
hier. Rur ber ©ring fetbft gefällt mir nicht ganj. Die SBahr* 
haftigleit unb Ungeffrobenljeit bed Audbrucfed ber Uebrigen, 
am. weiften berer, bie gerabe nicht an bet Reihe finb, ju fpre» 
fen, bewunbere ich- Unfargirter unb einfach richtiger beobachtet 
lann eine fotfe Scene, wad ihre pfpfologiffe Seite anlangt, 
nicht zum Audbrud gelangen. Unb bie ntaleriff e fleht biefer 
böflig ebenbürtig jur Seite. Auch in ber geffmadboßeh unb 
fchön gezeichneten ©injelfigur ©jafordfid („SRöchteft bu bie 
Rofe?"j bürfte ed fchwet ju fagett fein, welche ber artbeten, bei 
aller Sefcheibenljeit in ber Anwenbung ber SRittel, ben Rang 
abläuft. Von allen ben meift recht bunten ftoftümbetgnügttngen, 
bie mehr ober minbet naib unter irgenb einem hiftortfehert SRätt« 
telchen gerabe in SDtünchen immer zahlreicher fich borbrängen, 
bürften biefe jwei Silber weitaud bie emfthafteften unb lünfffierifch 
bebeutenbften fein. Auch auf Suchoboldlid phqntäfieboOe 
„Seftattung eined SXönchd" glaube ich hwr hinweifen ju fbflett, 
ba Dredben, ber angenbtidliche Aufenthaltdort bed SRalerd, ald 
ft'unftftabt, wie gewöhnlich auf Audfteüungen, einör eigenen ®rs 
mähnnng nicht werth ift. 3m Uebrigen habe ich meiner früheren 
Sefpredjung biefed jlrengen unb ftißen Silbed bon eigenthümtich 
nachhaltigem Sauber in bet „©egenwart" (gelegentlich bet 49. 
afabem. Aufteilung ju Serlin) nichts hinjujufügen, ald bafe 
mir bad Silb, feit if ed jum testen State gefefeen habe, leiber 
recht fchwarj geworben jn fein ffeint. — ©ine Scene aud bem 
Seben ber Königin $ebroig bon Voten oon ©erfon ift nift 
oiet mehr ald ein grofeed unb fleifeiged Sfutbilb. Dagegen 
haben wir in Viatordfpd „Sürgerin DaUien" Wieber bie 
ganje Serbe Varifer Atelierd unb ein energiffed, ffarf fatal* 
terifirenbed Vorträt. Auf $orowi$ bringt bad reft tüftige 
Silbnife einer Dame in Sfwarj, ©rabowdlp jwei männtife 
Vorträtd, AJittiewicj einen höfft maleriff gebaften Vferbe* 
marft, Vrudtowdfp eine originelle Darfteßung ber Segenbe 
uom Räuber SDtabej, SRadlowdti fftiefetif eine merlwfirbige 
garbenffijje (Raub einer Säuerin) u. f. W. SemerfertdWertlj 
ff eint mir fftiefetif nof, bafe auf bie Voten leine eigentlife 
Sanbffaft in SDtünfen audgefteßt haben. Soßten auf fie auf 
biefem gelbe niftd $erborragenbed erjielen ober gar an feiner 
Sebauung feine greube finben? SRif würbe bad biel mefer 
wunbem ald ben Italienern gegenüber. 

Sf weben ffeint nur audgefteßt ju haben, um und ju 
jeigen, wie fehr ber hoftatentboße ©ilif Veterfen jarflcl: 
gegangen ift, feit er SDtünf en, bie Stiege feined Xatentd, ber: 
laffen hat. 3f habe td bem fehterreifen Katalog länge nift 
geglaubt, bafe bie ungare Scene „Am Ätabier" witflif oon ihm 
fei ©in weit beffered „Vorträt" bedfelben SRalerd hätte' man 
früher ebenfaßd ju feinen unbebeutenberen Arbeiten getefnet. 
©taf Rofen ift burf feinen „brabantiffen Stumenmarlt" auf 
nift audreifenb oertreten. Rof weniger beanfprufen bie 
Arboretiud, Sang, ©arbett, Sfari ic. btfonberd befprofen 
ju werben. 

Spanien, wetfed bof auf bet tepten Varifer SVettaud* 
fteflung burf feine hohe lünftleriff e Setbftftänbigleit ju ben be: 
wunbertften unb gugteif ju ben reifften Audfteßern gehörte, 
läfet in SRünfen fein bößiged gembteiben ffmerjlif empfinben. 
Auf Rufetanb hätte wohl SDtanferlei aufeer feinen Voten ju 
ffiefen gehabt. 

Die Sfweij fftiefetif, mit beten ©rwähnung wir bereitd 
unfer ©renggebiet betreten, ift eigentlif nur burf fiolterd 
etwad gelb geworbered grofeed unb ff öned „Vieh auf ber Alp" 
uub burf Rübidüfelid eigentümlich intime „cQueße" wütbig 
oertreten. 

Deftreif hat für feine SDtalerei merlwürbigerweife in 
SSieu nof immer leinen SDtittctpuntt bon audreifenber An: 
giehungdlraft. Raf wie oor gibt ed feine beften Kräfte and 
Audtanb ab ober entlehnt bort bie Kräfte für if)te Andbilbung. 
Sefonberd mit SRünfen fteht ed in fo regem Audtauff — 
wobei SBien bie Datente, SRünfen Sfute unb Anregung her: 
gibt —, bafe wir aud biefen SSeffetbejiehungen nof mehr ald 
aud berwanbtffaftlifen ©rünben bei bem Setreten bed öftrei: 


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Nr. 38. 


Sie (Segenwart. 


187 


hijcßen Äunftgebietep fagen tonnen, baß wir jo gut tote auf 
beuifißem Vobtn faßen. 

$kr foü gunöcßft beret gebaut werben, bie nießt unter 
SRimcßen auSgefaflt haben, fonbern gu einer eigenen Gruppe 
oereint im GtaSpataft auf treten. VrogifS, ber innerhalb ber: 
jitbeu eine Glangtoße fpielt, haben wir bereits au anberer Stelle 
gebacßt iß affin i mit feiner SJteffe, bie Wie gemößnticß in ißrer 
Ärt ein Heines SBunber ift, hängt im Slquareßfaat, ift aber in 
erfter Sink hier gu nennen, ßeopotb K. SJtülter erreicht 
mit feinem „Warft in Arabien" naßegu bie unerbittliche SBaht: 
ßaftigfeit unb großartige Energie Verlat’fcßer Drkntftubien, ohne 
in bereH edige Kinfeitigfeit gu öetfaflen unb babei ber Vilb= 
roirtung im üblichen Sinne Oerluftig gu gehen. Vielmehr ift 
fein Warft in jeher Vegießung eine ber heroorragenbften Seiftungen 
uitferer öftreicßifcßen greunbe. Kanon befcßentt bie SluSfteßung 
mit gwei gang ootgiiglicßen ©orträtS. VefonberS jenes ber 
Gräfin Schönborn ift oon einer geinßeit unb Vornehmheit beS 
Sones, baß ein VelaSqueg fich feiner nicht fdjämen würbe. 
Uucß. bet oanbpfifirenbe Vürgermeifat gelber ift in bkfer Ve* 
Ziehung eine oorgüglicße Seiftung. Slußer biefen Van St)f unb 
VelaSqueg erinnere ich nt ich oon Kanon auch feßon überrafeßenb 
echte. StubenS unb Sigian gefehen gu hoben — nur ein echter 
Kanon iß mir bisher noch nicht Oorgefommen. Singel iS elegante 
unb gefeßidte fßorträtö (unfereS tronpringlicßen üßaareS) hoben 
neben biefen troß aller Vorbilber großartigen Vilbniffen einen 
fchmeren Staub, wöhrenb fich Stümpler („Weine Wutter") unb 
$robft mit einem männlidpjugenblicßen ©orträt auch neben 
bem Gewaltigen in ihrer anfprucßSlofen Slrt h Q lkn. dagegen 
wirb rS Beit, baß WafartS ffiarl V. feinen Kingug auch 
im SRüncßener Obeon holt. SBenigftenS gibt fein unbebeutenbeS 
„Vorträt" im GlaSpalaft feine Sbee oon biefem latent, welches 
groar nicht Dom ßöeßfan Stange, innerhalb beSfelben aber riefig 
iß. Kotier, ber Venebig mit 5ßariS oertaufcht hot, ift weniger 
troden, wohl aber breiter unb noch gefeßidter geworben als früher. 
Gefcßmadooüer als fonft ift feine bieSmatige StuSfteßung hin: 
gegen nicht gerabe. 3- guj h at eine recht hört unb troden 
gemalte „Same im ißarf" unb baneben eine gigut („SanSfouci") 
fo farbig, pljaniafieooQ unb glängenb, baß man fie faum bem- 
felben Süuftler gutrauen würbe, hotte man nicht feßon manches 
Veßnticße oon ißm gefehen. KinS ber feinften unb fetbftftänbigfan 
Vilber ift granj StubenS’ „Venebig", frifdj unb ungefudjt wie 
wenig anbere öftreießifeße Vilber. Stur Settel mit feinen beiben 
gang einfachen aber eminenten Sanbfcßaften mit ißrem Stießtö 
oon Wotio, ift ißm unb aßen Stnbern über. Slucß Xi na VI au 
ift, feit icß guteßt Oon ißr Vilber gefeßen, oiet feiner geworben, 
oßne boeß an griffe gu Oerliercn. 3ßte brei Sanbfcßaften finb 
für eine Same einfach bemunbernSmürbig. Stöbert Stuß hat 
übet fein Schloß fßeterSberg aß bie fßraeßt auSgegoffen, bie 
feiner fßalette gut Verfügung fteßt, fein „Gewitterfturm" ift ooß 
prächtiger ffiqergie unb fein „Stalienifdßer Vrunnen", ber faß etwas 
übertreibt, ift boeß wenigftenS eine feßnfueßterroedenbe Krinnerung 
an baS £anb ber Sonne unb ber teueßtenben garbe. SleßnlicßeS 
gilt oonGeplingS prächtigem fleinem Älofarßof, ber nnbegreif: 
licßerweife fdßon feit Anfang biefeS SoßrjeßntS .auf ben SIuS: 
{Heilungen ßerummanbert. Sa baS Vilb in meinem Katalog 
wieber einmal feßlt, weiß icß aßerbingS nicht, ob es nicht etwa 
längft einen Siebßaber gefunben hat, ber fieß mit feinem Vefiß 
bei aßen möglichen öffentlichen Gelegenheiten brüftet. SaS 
Italien beS StitterS @. o. VlaaS imponirt mir bagegen weniger, 
obgleich es mit aßerlei feßönen Venezianerinnen unb feßönereu 
ifoftümen anrüdt. Slueß SBertßeimerS „VerfeuS unb Slnbro= 
meba", melcßeS mit maneßen anberen unglüdließen Vilbern ben 
in biefer Vegießung merfwürbig gefeßmüdten Äuppelfaal giert, 
bringt eS bei uns faum gu einem Succes d'estime. Sagegen 
habe icß tot S’SltlemanbS mir leiber gang unbefanntem 
Xütfeufrkger bringen S»ßaS Koburg aße Ächtung. 

cSuftao lotrfe. 


JLwerihflnifdjt« Knioetfitätsteben. 

Von (Dito Groß. 


I. 


„Ib that University-Hall?“ 

„Yes; and I presume we are both going there on the 
Barne errand. Do you try for SophomoreV“ 

„Oh, no! for Preshman.“ 

„I am Freshman too“ — „unb," mag woßl noeß bei* 
gefügt werben, „um 8 Ußr ift in Str. 16 bie Kinfcßreibung, um 
9 beginnen in fparüarb f>aß, bem B^sclbau bort mit bem 
Glodentßurm, bie fcßriftlicßen aufnaßmSptüfungen." 

KS ift auf bem großen, feßönen, mit mächtigen, alten, weit» 
feßattenben Ulmen befeßten, mit GraSpläßen unb woßl gehaltenen 
üffiegen gegierten ©(aße oor „^aroarb |>aß", bem Wittelpunfte 
ber Vauten beS altberüßmten $aroarb Koßege, bet Unioerfität • 
oon Kambribge bei Vofton, wo feßier aßjäßriich in ben mitt= 
leren Sagen beS Huguft Gefpräcße wie baS KingangS ffiggirte 
mögen oernommen werben. Smmet um bieje B<U öeS SoßreS 
mag man beS Worgens an ßunbert unb rneßr' junge Seute, 16 
unb 17, aber au^ 20—24 Saßre alt, auf jenem ©laße feßew. 
Sie.Steulinge ober „Subfrefßmen", bie Kanbibaten, welcße bureß 
eine Prüfung baS Stedßt gur Slufnaßme in baS Koßege erft gu 
erwerben ßaben, finb auch einem mit ben Verßältniffen wenig 
oertrauten Sluge Ieitßt tenntlicß. Sie unterfeßeibeu ßcß gu auf* 
fäßig oon ben „UnbergrabuateS" — Böglingen bet gwei oberften 
Saßrgänge — unb felbft oon ben „SopßomoreS" — Böglingen 
beS gmeiten SaßrgangeS. Siefc, bie felbft erft auf ber ScßWeße 
beS grifchlingSjaßreS gu ißrer neuen SSBürbe fteßen, feßen mit 
arger £uft nach ben Steuen unb feßöpfen auS beren leibhaftigem 
Vorßanbenfein immer oon Steuern bie wonnige Gewißheit, baß 
fie felber grefßmen nunmehr — gemefen. 3ene aber, bie grefßmen 
beS näcßften 3aßreS, finb oiel gu aufgeregt unb feßen oiet gu 
jammerooß unb ängftlid) aus unb brein, als baß fie etwas 
anberS fein fönnten, als was fie in ber Xßat finb: Subfrefßmen, 
Steulinge, VrüfungScanbibaten unb, nach gtüdlicßem SluSfaß beS 
KgamenS, Opferlämmer ber überlegenen SluSgelaffenßcit unb oft 
ber Stoßßeit ber SopßomoreS. 

Sa fcßlägt bie Ußr auf bem Square aeßt unb zugleich er* 
tönt bie Glode oon $aroarb $afl. Sa löfen fich bie Gruppen 
auf bem ©laße unb bie Steuen, gum Sßeit nodß ermäßigt oon 
Vätern, greunben unb Semgeßfilfen. eilen naeß ber Stetntrtppe 
am nörbli^en Kingange unb nach Str. 16. 

Kgamina, beten StcteurS unb feenijeßer Apparat fittb woßl 
aflentßalben in ber SEBelt, wo egaminirt wirb, gicmlicß äßnlicß 
unb wir bürfen barum getroft übergeßen, was in §aroatb $aß 
in ben Vor: unb StacßmittagSftunben ber näcßften Slugufttage 
gefeßießt. 

Slber, inbem wir einen unferer jungen gteunbe, naeßbem 
er auf aße gragen, bie ißm gebrudt oorgetegt worben, bk Hnt« 
Worten fäuberlicß nkbergefeßrieben unb abgegeben ßat, aus bem 
Gebäube begleiten, tann eS gefeßeßen, baß er felbft unb wir mit 
ißm Gelegenheit gu einer Vegegnung ßaben, welcße einen Vor: 
einblid unb Vorgefcßmad beS KoßegelebenS gemährt 

Ks ift nämlich' um bie ÜRittagSgeit. Ser Steuling woßnt 
noeß im ^totel in Vofton, baS er felbft mit ber Vferbebaßn — 
bem „Kar" — nur in einer halben Stunbe erreichen lann. Sie 
meßrftünbige geiftige Qnftrengung unb bk Aufregung bei ber 
Slrbeit ßaben feinen Slppetit nur gefcßärft unb, ba noch gum 
Ueberfluß längere Seit fein Kar in ber Sticßtnng nach Vofton 
paffirt, fagt er halblaut gu fieß felber: „I dare say, I can 
get something to eat here somewhere.“ 

„Bu effen? 8tß, fteßer, unb Oortrefflidj, gwei Scßrittt weit 
Suft meine KffenSgeit, unb waßrßaftig, icß ßabe noeß nie eine 
Kinlabung abgeleßnt." Unb feßon ßat ber Stebner au^ feinen 
81tm in ben beS ßalb erftaunten nnb ßalb inbignirten grifcß: 
lingS gefeßoben unb fcßlen^ert mit größter Stoncßalance neben ißm 
ßer. „Oh, come on, young man,“ fäßrt et fort, „fei Hießt 


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188 


Dir fSegenwurt. 


Nr. 38. 


Icpämig. (RirgenbS weniger am (ßfap, als f»ier- 3n« Kodege 
gefommen? $e?" 

„Yes.“ 

„Well, gut, fepr gut, poft SRecpt gehabt; macht einen Mann 
aud ffiinent. grefpman? $e?" 

„Yes.“ 

„Daepf mir’S wopl. ©ift nicht fepr ju beneiben, grefpp! 
®tme Deufel, bie gtefpmen; höben meine ganje Sympathie; 
finb nicht toiet beffet bran, als $unbe. Unb bie ©oppomoreä 
etwa! 0p! ©opptj ge^t’« nicht Oiel beffer; mufe fich mit ber 
©epanbmatpematif plagen. Junior! ja, baS ift was SlnbereS; 
there is some sense in it. 3<P fage, Smith — —" 

„Brown," unterbricht ber grifcpling. 

„Oh, yes! of course, Brown, beg pardon — 3<P fage, 
Brown, Du mufet Dicp mit einem Suniot gutfteden. Dreate 
(tractiere) nie einen ©oppomore; ’S ift weggewotfeneS ©elb, 
fchtechter als baS; aber einen Junior _ a ^ f (Brown, bie @e= 
legenpeit (ah Dir nicht entgehen!“ 

Unter folgen unb ähnlichen Sieben pat ber umgefehrte 
amppitrpon feinen jüngeren greunb nach einem ©aftpauS ge= 
bracht, wo fie nun jufammen fpeifen. Kt hat fich tpeilnapmS; 
»od nach ben „(ßapetS" ((ßtüfungSfragen) erlunbigt, aber ab- 
gelehnt, fie einjufepen, ba Brown fie ipm reichte: „0p, Du weifet 
je|t mepr baoon als icp. $ütt’ jept feine antwort brauf, wenn 
baS Seben bran ping; ’S ift rounberbar, wie halb fiep ßatein 
unb ©rieepifep »ergeffen. $aft fepon ein 3immer ? 3m Kollege 
ober auswärts?" 

„Stein; icp baepte, eS fei Seit, bar nach ju fepen, wenn icp 
jugelaffen worben." 

„Ho, no! Manche bewerben fiep ein palbeS ober ganjeS 
3apr oorper; Du mufet im Kollege wopnen, fonft lebft Du nur 
palbeS ©tubentenleben, unb wenn Du DutorS ober (ßroctorS 
grefpman Werben fannft, paft Du gewonnen ©piel." 

„SBaS ift ein (ßroctor?" fragt ber (Reuling. 

„A proctor? Why? (ßroctor ift eine art oon menfeptiepem 
SBefen, baS jwifepen grefpmen unb ©oppomore pauft unb bie 
testeten pinbert, bie erfteren oöflig umjubringen. (ßroctorS 
grefpman pat fein 3immer gerabe unter jenem unb fiept unter 
beffen befonbetet Dbforge. Drum fömmt er manchmal mit etwas 
weniger „hazing“ baoon. Unb £olwortp bift Du bann fieper." 

„SBaS ift ^olwortp?" 

„0p, £>olwortp ift beS ©eniorS Fimmel! Dort wopnen 
nur ©eniorS, (Riemanb aus ben nieberen fttaffen. $errlicpe 
„Buben"! ©rofeeS ©tubirjimmer unb Bettfammer für jeben 
„Kpum" “ (©tubengenoffe). 

„SBie aber befomme icp SBopnung im Kollege? auep fenne 
icp (Riemcntb, um ipn als Kpum ju paben." 

„gannp wirb baS fepon beforgen. auep icp fannte meinen 
Kpum niept, bis et’S war." 

„SBer ift gannp?" 

„0p, baS wirft Du fepon erfahren." 

Unb et erfäprt eS am abenb, wenn bie (Prüfungsarbeiten 
glücflicp beenbet finb. Da brängen fiep anberpalbpunbert junge 
ßeute in „the old chapel“ unb enblicp erfepeint „gannp", ber 
„(ßebefl;ßogiScomnttffär" — wie er an beutfepen Unioerfitüten 
peifeen würbe —, um bie noep unoermietpeten (Räume in ben 
Kodegegebäuben ju »ergeben. Unb auep ber Kpum finbet fiep 
bei biefet ©elegenpeit. 

auf folcpe ober äpnticpe SBeife tritt ber amerifanifepe 
„©tubent" in baS ßeben, nämlicp in baS „©tubentenleben". 3cp 
pabe |>aroarb Kollege in Kambribge bei Bofton jum ßofale 
biefer Darftellung gewäptt, weil es bie ältefte unb berüpmtefte 
unter ben ©cpmefteranftatten bet bereinigten ©taaten ift unb 
weil es — aber auep £)ale Kollege in SRewpaoen (Konnecticut) 
in feinet neueren, erweiterten ©eftalt — europüifepen $ocpfcpulen 
näper lommt, als Wiele anbere, ben (Kamen „Kollege" ober 
„Unioerfitp" füprenbe Snftitute. 

Die ©epilberung beS KintrittS in bas „Kollege", Wie bie 
folgenben beS ßebenS in bemfelben, Birnen, natürlich mutatis 
’nutandis, auep t>on ben meiften äpnlicpen Kinricptungen gelten. 


Seoot icp jeboep bem ßefer mepr t>om amerifanifepen „©tubenten; 
leben" im jugenbftopen, übermütpig quedenben Sinne beS SBorteS 
erjüple, mag er wopl oorper auep KinigeS übet baS 8Befent= 
licpe in ber Kinricptung biefer anftalten erfahren woden. 

Das amerifanifepe „Kodege" ift eine Slrt oon ©cpuleiw 
rieptung, für welcpe eS faft unmöglich ift, irgenbmo in Kuropa 
eine äpnlicpe anftalt jur Bergleicpung namhaft ju maepen. ©in 
Duabrioium umfcpliefeenb, ftept es in $inficpt auf einen Dpeil 
feines ßeprftoffeS bem 0bergpmnafium in Oeftreidp unb Deutfcp; 
lanb nape, wie niept minber wegen beS DurcpfepnittSalterS feinet 
Böglinge jwifepen 16—22 Sapren. aber bie Krweiterung beS 
ppitologifcpen ßeprftoffeS über bie ©pmnafialfppüte unb baS 
Mafe ber fepclofofepifcpen DiSciptinen, wie bie aufnapme Oon 
juriftifepen unb ntebicinifepen Äurfen näpern eS Wieberum ben 
Unioerfitüten. auf baö (ßodfommenfte aber fepeibet eS oon jeber 
biefer europüifcpen arten ber Mittel; unb fiocpfcpulen baS ©pftem 
beS BufammenlebenS ber ©tubenten naep art ber KrjiepungS; 
inftitute unb ©eminarien, opne bafe gleidpwopl bie innere DtS= 
ciplin beS „Kodege" oiel mit jener bet eben genannten anftalten 
gemein pütte. 3a einigen ®ejiepungen, wenngleich freilich bei 
weitem niept in aden, möepten »iedeiept bie UnterricptS; unb 
DiSciplinaroerpältniffe oon ©cpulpforta in früheren 3«iten am 
meiften aepnlicpfeit mit biefen amerifanifepen © (pulen paben. 

^aroarb unb £)ale Kodege finb bie beiben älteften unb 
berüpmteften anftalten biefet art. fjatoarb ift fepon 1638, 
?)ale 1700 begrünbet; beibe näpern fiep am meiften wirftiepen 
Unioerfitüten bejüglicp beS Umfanges iprer feientififepen ®e= 
tpätigung. 

®orftanb beS Kodege ift ber „(ßräfibent" (Slector). 3ebe 
Kinjelfcpule pat aber ipren befonberen dean (Decan). ade ©rabe 
werben oon ber Unioerfitüt oerliepen. Der Unterricht nmfafet 
ade Seprfäcper unferer Obergpmnafien unb Unioerfitüten. art 
unb Umfang ber SSorlefungen bleibt aber natürlicher SBeife in 
ben eigentlichen UnioerfitütScodegien um ein ©uteS pinter euro= 
püiftpen SJlafeen. ?)ale unb fparoatb paben fi^, obgleich @ale 
faft eine locpteranftalt oon $aroarb ift, in »erfepiebener geiftiger 
(Rieptung entwicfelt. ©erparb (RoplfS eparafteriftrt biefen Unter; 
fepieb im gebruarpeft (III.) biefeS 3«preS Oon „Unfere 3«t" 
in folgenber SBeife: „Kambribge, in ber (Racpbarfcpaft ber gtofeen 
©tabt Softon, ift weit unb breit befannt; niept nur als Mittel; 
punft beS §atoarb Kodege, fonbem auep als Kentrum beS Beften, 
waS in literarifcper ®ejiepung in ametifa ejiftirt. (ReW $aOen 
(ber ©ip oon ?)ale) fann eine folcpe auSjeicpnung niept be= 
anfptuepen. 3« ?)ale würbe oon jeper ein gewiffer Krnft im 
Unterridpten beobachtet. Mepr DiSciplin als Biibung, mepr 
Sfraft als ©rajie, mepr aufftürung als anmutp wollte man 
oiedeiept niept erjielen, aber tpatfücpli^ war baS ber Krfolg — 
ein Unterfcpieb, welker aus manniepfaepen Urfacpen peroorgept ic." 
Der Unterfcpieb jwifepen beiben anftalten prägt fiep auep barin 
aus, bafe bie 3ietbe oon $arOarb ßongfedom ift, oon (J)ale aber 
ber ©eologe Dr. Dana. 

Das amerifanifepe „Kodege" ift bie legitime Docpter bet 
engtifepen Unioerfitüt. SBie biefe, war auep jenes urfprdnglicp 
für bie Bebütfniffe beS Klerus eingerichtet, unb bis auf biefen 
Dag „eome of the' peculiaritiee thus induced have not been 
entirely outgrown“, fügt (Roap (ßorter, ber jepige „(ßrüfibent" 
oon ?)ale, in feinem ®u<pe „The american Colleges and the 
american public“, worin er (ReuerungSoerfucpen bet oerfepie; 
benften art gegenüber bie beftepenbe gorm ber Kodegeeinricp; 
tungen oertpeibigt. 0b er ju jenen „Kigentpümlicpfeiten, benen 
bis auf biefen Dag baS Kodege noep niept entwaepfen ift", ben 
auep oon (RoplfS citirten Umftanb jüplt, bafe naep ben „Begu- 
lations of the faculties of Harvard College“ für 1875 eine 
unentfcpulbigte abwefenpeit oon ben täglichen ©ebeten 3 Kenfut; 
ftriepe unb oom ©onntagSgotteSbienft 16 ©triepe einbringt, wüp; 
renb baS SBegbleiben oon einer Borlefung mit bloS 8 ©triepen 
angemertt wirb, ift aus biefem in oielfacpen Bejiepungen jiem; 
liep freifinnigen Bucpe burcpauS niept bejapenb petauSjulefen. 

3nbefe würbe baS amerifanifepe Kodege boep fepon jiemli^ 
früp feines fpecififcp clerifalen KparafterS entfteibet, unb feine 


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Nr. 38. 


lf> Äfgenttttrt 


189 


Aufgabe würbe, eilte pgteidj profefgoneüe uttb liberale Bilbung 
iß »erleiden. Der ptünftige ©entleman, ebenfowoljl wie bet 
gänftige @e lehrte, follten für ihre HerjenS» uttb ©eigeSbilbung 
mtb bereit gemeinfameS Brobuct, bett ©harafter, bie nötige 
Aabrung finbett. Um fo mehr fcfjien eine foldje Bereinigung 
ftattbaft, als in jenen frühen Sagen, wo baS fianb noch weniger 
al« ^eute irgenb ein Datent entbehren lonnte, non jebem ©entte» 
man oorcutSgefe$t würbe, bag er als SDiagiftrat ober Deputirter, 
als Diplomat ober ©olbat eine öffentliche Stellung einnebmen 
werbe; unb auch für ben Kaufmann „these liberal etudiee were 
not thought unsuitable“. 

Die erfte ©igentbümlichfeit nun, woburcfj baS Kollege fich 
oon ber „Unttfergtät" unterfcbeibet unb bem ©bmnagum ganj 
na^e tritt, ift ber ÜRangel beffen, was wir unter „Sehr» unb 
Sernfreibeit" oergeben. Die Sporte bet ©rjiebung, welche bem 
Unterrichte p ©runbe liegt, ift, bag gewiffe ©tubien, worunter 
bie alten Sprachen unb bie matbematifchen Sigenfcgagen, am 
liegen geeignet finb, ben 9Renf<ben auf bie wirlfamfte unb erfolge 
reichfte Art pr Erfüllung feiner öffentlichen Pflichten oorp= 
bereiten, feine anbere — fagt Ißräfibent porter — als welche 
SRilton „the complete and generous edueation, that fits a man 
to perform justly, skiUfully and magnanimously all the Offices, 
both private and public, of peace and war“ nennt. Der Unter» 
riebt in ben fi'Iaffifern unb ber SRatbematil unb nicht minber 
in ben übrigen SBiffenSjweigen, welche im Sauf bet Beit in ben 
9tabmen ber ©oüegeftubien eingeführt worben finb, wirb gang 
unb gar nach Art beutfdjer URittelfcbuIen ertbeilt. Segtbücher 
— textbooks — hüben bie ©runbtage ber Borträge ber Bro» 
fefforen unb ©jaminationen — recitations — finben in faft 
jeber UnterricbtSftunbe ftatt. 

©ine anbere ©igentbümlichfeit beS ©oUege ift baS 3ufammen» 
leben unb Sognen ber ©tnbenten in ben 3nftitutSgebäuben unb 
unter Aufgcf)t bap begeüter „DutorS". Bumeift haben jwei 
©tubenten pfammen ein ©tubirgimmer unb eine baran ftogenbe 
Bettfammer. 

Diefer Umftanb gemeinfamen SognenS unb gemeinfamer 
SRablgeiten ift natürlich oon (ehr weittragenber Bebeutung, unb 
eS mag nicht leicht fein, bie fubtile unb mächtige Sirffamteit 
biefer ©inriegtung bis in ihre lebten Ausgrabungen gu oerfolgen, 
jebe ©pur ihres ©influffeS überall nachguweifen. Auch ift baS 
Brobuct nirgenb unb nimmer baS gleiche; benn jebeS ©oüege 
bat feinen befonberen genius loci, ber ebenfo abhängig ift oon 
Irabitionen, wie ber ©inwirlung Oon Berfönticgfeiten unb bem 
Sauf ber Seit. Dro| beS SecgfelS, ber in bem Sefen ber 
©efammtbeit fogar eines unb beSfelben ©oUege, währenb einer 
unb berfelben ©oUegegeneration l)ie unb ba eintceten mag, gibt 
eS hoch gewiffe charafteriftifche Büge, welche allen biefen An» 
galten faft immerbar gemein finb. Diefe finb leicht gu erfennen. 

Der Wefentlichfte biefer ©baraltergüge ift bie Sfolirtgeit beS 
Sottege=®emeinWefenS. ©S gibt, wenigftenS in ben bereinigten 
Staaten, feine Strt oon ©enogenfegaft, welche mehr unb oott» 
ftänbiger oon ben gewöhnlichen unb allgemeinen ©inflüffen beS 
Familien» unb ©efettfcgaftSlebenS abgelöft wäre. Senn ber atneri» 
fanifche ©tubent fein Familiengeim üerlägt, um in baS ©oüege 
eingutreten, fo ift eS in einem augerft bebeutfamen Sinne wahr, 
bag er eS für immer öertägt. ©r oerlägt buchftäblich Bater 
unb SRutter — nicht in Hingcgt auf Siebe unb ©gefurcht; benn 
biefe betben ©efüljle mögen in ber Abwefengeit unb im Saufe 
ber Sagre hei wachfenber ©rtenntnig fogar mächtiger werben: 
aber in fRüctgcgt auf ben ©ingug unb bie Ueberwachung, bie 
jene bisher über feine Anfcgauungen, ©efügte unb Biele geübt 
haben. Die öffentliche äReinung beS engen Greifes, innerhalb 
beffen fi<h bisher feine Hoffnungen unb SOBünfche, feine ©tunb» 
jäfce unb Borurtgeüe bewegt haben, oertiert ihre ÜRacgt; bie 
Siegt in jene weiteren ^Regionen ber SRenfcbbeit, welche bie De» 
gtehungen beS Familienlebens geftatten, oerbämmert in ber Ferne, 
unb eine neue Atmofpgäre umgibt unb burdjbringt ben jünger, 
bie ihn oöüig abfegiiegt oon bet Augenweli. ©elöft aus ben 
Feffeln beS FamüienlebenS, ber Berantwortlicgfeit oon bem Seben 
unb bet öffentlichen SReinuug noch nicht unterworfen, tritt ber 


©oüege»©tubent ptöfjticb in eine abgefcgloffene unb eigentgüm» 
liehe ©emeinfdjaft, bie, böegg felbftgufrieben unb fetbftgenügfam, 
gugleicb b öc bg energifeg in ihrer Sirfung unb AüeS burch» 
bringenb burch ihre ftäte ©egenwärtigfeit ift. Diefe neue öffent» 
liehe äReinung ift fenfitio unb Oeränberlicb; ge ift oft capriciöS 
unb unoernünftig: aber ge übt auf aüe ÜRitglieber ber ©enoffen» 
fdjaft nichts bego weniger ben umfagenbften, unwibergeblicbften 
©ingug. Dies ©emeinwefen bat feine bur<h Alter unb un» 
oetbrüchlicheS Fegbalten gefeiten Drabitionen; feine ©ewohngeiten, 
bie oon unoorbentlicben ©enerationen — oon ©oUege»Bierjagr» 
furfen! — herrühren; feine munblauten ©efejj» unb Ion» 
angeber („who are often little better than disguised sons of 
Belial“, fagte ein würbiger, ameritanifcher Schulmann oon biefen 
„Sauten"); feine natürliche Ariftofratie heroorragenber ©etebrter 
unb ©chriftfteüer, bie einft bem ©oüege angebört, unb unter ber 
jeweiligen ©eneration feine Brämianten, fRuberer unb Durner. 
Dap tommen bie ©ourmacher, bie Auffcfjneiber, bie ßraggenieS, 
bie Sijjbolbe, bie Dummtöpfe, bie Sangweiligen — unb WaS 
fonft p bet umfaffenben ÜRgthologie beS ©oüege noch gehören 
mag. DaS ©oüege trägt fein ©efe& in fidj felbft unb fchagt 
es für geh felbft, unb bäugg genug ift biefe gefefcgeberifdje 
Dbätigteit berart, bag feine anbere ©ommunität fie anertennen 
ober oerfteben würbe; eS hat feinen eigenen ÜRagftab für 
Deurtbeilung unb Slbfchähung oon ©baratteren, ber geh febr 
oon bem in ber übrigen Seit gangbaren unterfcheibet; eS bat 
feine eigene, geiftige Sütmofpbäre, bie je nach Umftänben ebenfo» 
wohl }u auSfchweifenber Drägbeü oeranlagen tann, wie &u un» 
gemein auSbauernben Slnftrengungen ohne oernüngigen Bwed. 

Sieber eine ©igentbümlichfeit beS ©oüege, bie eS Oon ber 
Unioerfität fo weit entfernt unb bem ©pmnagum fo nabe bringt, 
bag ein b e roorragenber Schulmann biefe Strt oon Slnftalten 
gerabeju „the counterpart of the College“ genannt hat, ift baS 
Ülaffenfbftem. Die innige Derbinbung beSfelben mit bem 
SRangel oon Sehr» nnb Sernfreibeit unb bem Dorbanbenfein 
einer beftimmten Folge beftimmter UnterricbtSgegengänbe leuchtet 
oon felber ein. Unb jwar bat jebeS ©oüege oier klaffen: 
Ftefbmen, ©ophomoreS, Juniors unb ©eniorS. „Die klaffen," 
fagt ütoab fßorter, „gnb bie organifchen ©entren, aus Welchen 
baS orgonifche ©anje beS ©oüege erftebt." Unb in ber Dbat 
ift baS „ftlagengefübl" im inneren Seben beS ©oüege bei weitem 
baS ftärtfte. 9tacb äugen b*« repräfentirt bet jüngfte Frefbman 
unb ber ältefte Senior bie ©emeinfamteit beS „©oüege"; nach 
innen aber überwiegt ber ^lagenparticulariSmuS weitaus, unb 
wir werben im Derlauf ber folgenben ©chilberung wohl ©e» 
legenbeit gnben, ju jeigen, wie class-mates einer Älage gegen 
jene einer apbern pfammengehen. Der fcheue fReuling im 
©oüege gnbet bort alSbalb eint ganje Steife folget, bie mit 
ihm in bemfelben Faü fich begnben. Me gnb fremb an bem 
ißlafee, unbefannt mit feinen Dewobnern unb ©ewohnheiten. 
Me gehen annägemb auf berfelben ©tufe geigiger Dilbung 
unb rnigen, bag fie nun oier Sabre ©enoffen unb IRioalen in 
benfelben ©tubien unb Dergnügungen fein werben. Das Men 
gemeine ©efügl beS FrembfeinS erweeft mitten gemeine ©pm» 
pathie unb biefe Bereinigung wirb alSbalb oergärft burch ben 
Antagonismus, in welchem fie bie oberen Älaffen p g<h gnben, 
unb bie baraus beroorgehenbe ÜRotbwenbigteit gemeinfamen ©tbugeS, 
gemeinfamer Abwehr. 

©S erübrigt noch, oon ben „geheimen ©efeüfcbaften", ben 
CoUege societies, ein Sott p fagen. Sefentlich mögen fie 
wohl beSfelben UtfprungS fein, wie bie Butfcbenfdjagen, ©orpS 
unb atabemifdjen Berbinbungen atter Art an ben Unioergtäten 
in Deftreicb unb Deutfdjlanb; jeboch unterfcheiben ge geh oon 
biefen Bereinigungen oomehntlich burch ihr ©emeinwefen unb 
nicht minber auffäüig burch Ihre IRamen, bie febr bäugg auS 
einigen Buchgaben beS griechighen Alphabets begehen, ). B. Delta, 
föappa, ©pglon ober fßpi, Sigma, Dau u. bgl. ©S ift leiber 
fo gut wie unmögli^, über biefe ©efeüfcbaften etwas Betläg» 
liebes p erfahren, ba bie früheren äRitglieber baS ©ebeimnig, 
auf welches ge im ©oüege eiblidj oerpgichtet würben, auch 
fpäter bewahren. iRur fooiel wirb belannt, bag biefe ©efeü» 


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3Dt* ffiegettwart. 


Nr. 38. 


19Ö 


fcpaften meift (iterarifdpe, aber aucp manchmal S'neipberbiitbungen 
fiitb, unb baf? man pcp um bie SRitgliebfcpaft niept bewerben 
fann, fonbetn baju aüfgeforbert werben muff. Einige berfeiben 
pnb fepr reidj unb befipen eigene $äufer, bie oft genug in ben 
fe(t{amften ägtjptißrenben «Stilen aufgefüpvt pnb unb böflig 
fenftertoS nacp bet ©aRe. Die maurerifcpen Qncünationen, bie 
in ben ^Bereinigten Staaten fo üppig wuchern, pnben gewiß in 
biefen ©efeflfcpaften ipren erften, jugenblicpen AuSbrud. 


^etttrid) fctr £ö»t. 

Oper in 4 Meten, ®ejt unb Wußl non ©butunb ^rctfepmer. 

Die neue Oper Don Ebmunb S'retfcpmer, „Ipeinricp 
ber Söwe", bie bereits in Seipjig, biefleicpt aucp noep an einem 
anbern Dpeater jur Aufführung gefommen ift, ift in ber Oer« 
gangenen SBocpe am Hamburger Stabttpeater jum erpen 3Rale 
jur Darftefluug gelangt. Der Hamburger Auffüprung pabe icp 
beijuwopnen bie ©elegenpeit gehabt, unb icp erlaube mir unter 
bem ©orbepatte, ben icp ßets macpe, wenn icp gelegentlich ein« 
mal über ein tnupfaltfcpeS SBerf fprecpe: baß icp nämlicp niept 
bie Eompetenj beS gacpmnnneS beanfptucpe, fonbern lebiglicp 
ben Einbrud, ben ein aufrichtiger TOufilfreunb empfängt, wieber« 
geben miß, ht bem golgenben meine Anfiept über biefe Oper 
ju äußern. 

Ebmunb Äretfcpmer ift ein fepr gefcpidtet SRufifer, ber Diel 
gelernt unb pcp baS ©eiernte ju eigen ju machen gewußt pat. 
Er weiß fepr gut, waS wirtt, unb er panbpabt baS mufifalifcpe 
Sßerfjeug mit unbeftreitbarer gertigfeit. Es fepeint ipn niept 
ju getüften, fiep ben ©apnbreepern unb Neuerern anjufcpließen; 
eben fo wenig mag er burep eine offenbare Anlepnung an bie 
tlafRfdjen ßRufter gegen bie Steuerer proteftiren. Seine SRufif 
ift geWiRetntaßen ein Sompromiß jwifepen ber alten unb ber 
neuen Bticptung, b. p. et berwertpet für feine 3wede foWopl bie 
SDtittel, weltpe ipm bie alte Oper an bie fjanb gibt, wie bie 
Errungenfcpaften beS neuen 9Rufilbrama8. Er ftept mupfalifcp 
etwa auf bem Stanbpunft SKoliäreS: er nimmt baS ©ute, wo 
immer er eS pnbet. ©isweiten nimmt er nur ju fepr ©efannteö. 
Sein mupfalifcpeä SBerf weift feine befonbere inbibibuefle ißrägung 
auf; e$ lägt biefmepr bie Eigenart unb origineße Erpnbung aß« 
jufepr oetmiRen. ÜJtan wirb bepänbig balb an biefen 6alb an 
jenen Eomponißen erinnert, opne baß man beSwegen baS Btecpt 
pätte, £>errn Äretfcpmer ben Sorwurf ju maepen, baß er bie 
Erpnbung anberer gerabeju annectire. SJlan fgnn niept bon 
unberechtigten Aneignungen fpreepen, wopt aber bon aßjuftarlen 
Anflängen an ©orpanbeneS. 

Eigentpümlicpermeife finb eS gerabe bie beiben Antipoben 
in ber mobernen bramatifepen SKupf, bie auf bie Eompofition 
UretfcpmerS ben ßärfften Einßuß gewonnen paben: SJfeperbeer 
auf ber einen, Biicparb SBagner auf ber anbern Seite; namentlich 
ber leptere. SBaren fepon in ben „gotfungern" ftarfe BteminiS« 
cenjen maprnepmbar, fo pnb fie in „£>einriep bem Söwen“ gerabeju 
unabweiSlicp. $iet bemenbet eS niept mepr bei ftörenben Äepnticp« 
feiten im Sin je tuen, pier weift bas ©anje eine unbebingt be« 
wuptboße Annäperung an ein beftimmteS mufifatifcpeS Drama 
Biicparb SEBagnerS: an „Sopengrin" auf. 

®aS SiebeSpaar, i>einri<p ber Söwe unb Etementina, beffen 
©lüd burep bie böfe grmgatb geftört werben foß, bie imponi« 
tenbe unb milbe SRajeftät beS ffaiferS SarbatoRa, bie entfepeibenb 
in bie ^mnbtung eingreift, müffen in jebem Bupörer bie Er« 
innerung an bie gröperen unb fräftigeren Sorbilber, an Sopengrin 
unb Eifa, an Ortrub utib S'önig ^einrid) ben SBogter wadprufen. 
Einige Situaüiouen finb in ber neueren unb ber älteren Oper 
gerabeju ibentifcp, mäprenb bie^auptfituation bet neuen ®retfcpmer« 
fepen Oper ber $auptptuation in ben „ Steiperpngetn" naepge« 
bilbet ift. SDaS gatale ift, bap bie mupfalifcpe gärbung ber 
fepon fo oermanbten Situation ebenfaßS eine faß ttaib ju uennenbe 
©leicpartigfeit jmifepen bem Originale unb ber Sacpbilbung auf« 


weift; unb fogar im legte Wirb man beftanbig an beftimmte 
eparafteriftifepe SBenbungen beS Sticparb SSagner’fcpen Stils ge« 
mapnt. SBenn grmgatb bei S’retfcpmer auSruft: 

„®er Sturtbe parrenb, bie mir beut 
®er 3tacpe ganje ©eügleit," -- 

fo bernimmt man unWißfürlicp ben Subei OrtrubS über „ber 
9tacpe füpe SBonnen"; wenn §tintiicp ber Söwe unb Siemen« 
tina liebfofenb auf bem niebrigen ißolßer fipen unb Rep „im 
glüpenben $up beS fperjenS ©rup weipen", fo pört man 
Sopengrin ber Eifa bie SBerpcperung geben, bap „fein Saufcper 
beS ^erjenS ©rüpen napen barf". SretfcpmerS grmgarb 
fagt bon Etementina: „Scplecpt ip’S um ipre Xreue be« 
ftellt", gerabe wie Ortrub bon Sopengrin fagt: „Um feine 
Seine ßept eS fepteept", unb pier Wie ba entrüftet Rep bet 
Epor über bie „iBerrucpte". Etementina fcpweigt bor ber <Be« 
fcpulbigung ber Untreue, gerabe wie Eifa gefepwiegen patte, unb 
ber Epor oerwunbert fiep pier Wie bort batüber, nur fagt er 
bei Sretppmer: „SBie feltfam!" wäprenb er bei SBagnet 
„SBie fonberbar!" fagt. ©ei Ärepfcpmer ift ber Epor be« 
Anpcpt: „®ieS Scpweigen fpriept für jene £unbe"; bei 
äBagner fpriept er: „3fn büftrem Scpweigen riepte-t ©ott". 
Etementina pat fogar baS „i>itf ©ott!“ ber Eifa abgetäufept. 

SBie man fiept, ift bie Uebereinßimmung wenn auep (eine 
natürliche, fo boep in gewiRen SBörtem eine fo frappante, bap 
man bei Äretfcpmer als Eomponiß wie als Sicpter bepänbig an 
Bticparb SBagner benfen mup; unb baS ift für ben jüngeren 
$icpter unb Eomponiften natürlich nidpt fepr bortpeitpaft. 

©or einigen gapren befuepte miep einmal ein junger btama« 
tifeper ®icpter, ber barauf beftanb, mir feiet SBerl borjutefen. 
Seine ©eparrtiepfeit befiegte mein Söiberftreben. Er jog ein 
jiemtiep botuminöfeS Slanufcript aus ber ^afepe unb ffijjirt« 
mir, wäprenb er pep jur ©orlefung jureeptfepte, bie ^anbtung. 
Ein ffeptifcp geworbener ©eleprter foßte burep bie reine Un« 
fcputb jum ©lauben an bie lugenb gebracht werben. 

„Scpön,“ fagte icp, „fangen Sie nur an.“ 

Unb er begann etwa golgenbeS mir borjutefen: „Erfter 
Act. Sacpt. Ein Stubirjimmer im gotpifepen Stile mit popen 
SBölliungen. Der ©eleprte fipt an feinem ißulte unb fagt: 

fjabe nun, aep! Qnrißeret, 

Ideologie unb atterlei 
Apilofoppie burcpauS ftubirt 
Unb niept« profitirt. 

9hm tß’S genug. 

3<P bin als wie jubor fo fing, 

’fflin Magister liberalinm artiam 
Unb jiepe fepon ein Decennium 
$erab, petauf unb trumm unb quer 
1 Weine Scpfiler an ber 9tafe baper.“ • 

3cp'erlaubte mir ben Sefer ju unterbrechen: „Sie fönnen 
einen {(einen Sprung maepen; etwas AepnlicpeS pabe icp fepon 
einmal gelefen." 

„gawopt,“ berfepte er mit Stotj, „icp pabe miep an ©oetpe 
angetepnt! ©ernepmen Sie nur noep bie SBorte, bie baS junge 
Sßläbcpen naep ber erpen intimen ©egegnung mit bem geliebten 
ßJlanne fpriept: 

Weine 9iup’ ift pin, 

Scptoer iß mein $etj 
©or lauter Draurig« 
teil unb Scpmerj.“ 

„Sepr fcpön,“ berfepte icp. „SEBenn Sie mir aber eine be* 
fepeibene ©emerfnng gepatten woßen, fo ift eS bie, bap mir 
eigentlich baS unoeränberte ©oetpe’fcpe Original boep noep lieber 
iß..." 

Eine ganj äpnlicpe SEBirfung pat ßretfcpmerS „^einriep brr 
Söwe" auf miep gemacht. Er fepreibt freilich beRere ©faßt als 
bet junge Dramatifer ©erfe, aber AßeS, WaS er uns mupfalifcp 
anbertneut, glauben wir anberweitig fepon itgenbwie oemommen 
ju paben, nur in einer nrfprünglicperm unb fepärferen gaRung. 

e 




Nr. 38. 


8 i e ®fgrn©«rt 


19t 


Xie $aitbluug ift fegt einfach, aber wie SlßeS bei Sretfgmer, 
gefgidt unb opern^aft ergibig. Xer Xigter gat bem Gompo- 
nifün bie ©tögligleii ju toirffamen ©oli, ju ©nfemblefäfcen unb 
Stören unb jut Entfaltung ber Don unterer neueren Oper nun 
einmal untrennbar geworbenen becoratioen unb ftatiftifctjen ©ragt 
bargeboten. 3m erften Siete fegen mir einen Xriumpgmarfg, 
im jweiien ein ©ollsfeft mit Gruppen, im britten ein nog be* 
beutenbereS ©ollsfeft mit fallet, im legten bie geierligfeit ber 
©rgebuitg fteinrigs beS Sömen jum §erjog Don ©aiern. 

©tit biefen ©tittgeilungen gäbe ig eigentlich ber ©tjäglung 
ber gabel fgon Dorgegriffen unb (amt mig bager (urj faffen. 

Xer erfte Slufjug fpielt in 9tom. ©arbaroffa gat im 
Siegesläufe baS $etj StalienS erreidgt. 33a tritt ein eigen* 
tgflraliger ©lann, ein SBettler, ber biSger fo fgweigfam gewefen 
ift bafj man ign für ftumm gat gatten bürfen, oor ben Saifer 
nab propgejeit igm ben Untergang im fernen Dften. ©arbaroffa 
»Derbe in ben Sgffgäufer — ig gätte beinage Xanngäufer ge* 
fegrieben — gebannt werben, bie s Jtaben würben um ben ©erg 
(reifen,, bis enblicg im Sagte 1870 — bie SagreSjagt ift jwar 
fügt angegeben — baS beutfege Steicg begrünbet werben unb 
ber Saifer 8tuge finben würbe, ©arbaroffa ift barüber fegr 
anfgebraegt, aber £>etnrig, $erjog Don ©agfen, ergreift fßartei 
für ben SBagrfager. Stun überträgt fieg ber Unwillen beS 
ÄuiferS auf biefen, unb ba £>einrig niegt ju Sreuje Iriedgen 
»oill, wirb er gefangen gefegt. 

Xer jweite Stet fpielt im ©glofjparle ber ©urg £>einrig8 
bei Sötoen, in ber fegt als tlagenbe ©trogwittwe Stau (Siemen* 
tina waltet. Xer eble Sonrab Don SBettin Dermelbet igr bie 
traurige SBagrgeit unb baS ©cgicfjal igreS (Satten. Xa ift igr 
©ntfgluf) gefügt: fie wirb mit Sonrab Don SBettin baüoneilen, 
um igren ©lann ju befreien. 3 t m 9 arb, bie fpeinrig geliebt gat 
unb beswegen ber eblen ©attin nigt fegr grün gefinnt ift, gat 
btebaegtet, wie bie ©eiben jufammen geflüftert gaben unb unter* 
fleflt ber §luegt ©lementinaS natürlicg bie unfauberften ©lotioe. 

3m britten Slufjuge werben Wir naeg Stalien jurüdgefügrt, 
in beS SaiferS Säger Dor Slncona. ©arbaroffa ift wegen ber 
©topgejeiung, bie igm gar niegt aus bem ©inn will, unb 
wegen ber ©eftrafung feines gelben 3peinricg in arger ©er* 
ftimmung. Xa tönt an fein Qgt bet Slang eines beutfegen 
Siebes, unb Sonjab Don SBettin melbet igm, bafj bieS ein. junger 
4>elb fei, ber ign aus Xeutfglanb naeg Stalien begleitet gäbe. 
Sluf beS SaiferS ©ebot erjegeint ber ©änger ober Dielmegr bie 
©ängerin. ®S ift natürlicg ©lementina, bie fieg als ©tann Der* 
(leibet unb auf igr |>aupt einen blinfenben $>elm geftülpt gat. 
3ut Seiet ber ©innagme Don Slncona finbet ein grofjeä ©ol(S* 
feft ftatt. Slucg |>einricg, ber für biefen Xag feinet Seffeln ent* 
tebigt wirb, barf baran tgeilnegmen. XaS Seft wirb bureg ben 
©efang ber ©lementina oergerrligt, bie ein Sieb Don ber beutfegen 
Xreue fo ergreifenb Dqrträgt, bag igr ber Saifer üerfpricgt, 
jeben SBunfcg, ben fie gege, ju erfüllen, ©ie Derlangt natürlicg 
Die greigeit igreS ©atten, bem fie fieg übrigens niegt ju er* 
(ernten gibt, Weil jonft baS ©tüct auS »uäre. Xer Saifer wiHigt 
ein, $einricg beugt Dor igm baS Snie, fie fegütteln fieg bie |>anb, 
unb ber ©otgang fällt. 

$einrig tegrt als ©ieger auS Stalien geim, unb wir finben 
ign ja ©eginn beS Dierten SlufjugeS an ber ©eite feines treuen 
SBeibeS, liebefegwelgenb. Xer Saifer befuegt ben gelben unb 
Derleigt igm wegen feiner Xapferleit bie SBürbe eines §erjogS 
Don ©aiern. Xa fägrt bie böfe Semgatb bajwifgen unb er* 
jäglt, bag ©lementina, gegen bie ber Saifer auffalleub artig 
gewefen ift, eine ganj egroergeffene ©erfon fei. ©rogeS ©rftaunen. 
©lementina reegtfertigt fieg niegt. ©tan weig niegt regt weS* 
gatb.. Xa erfinnt ber Saifer ein ebenfo einfaegeS wie Wirt* 
famcö ©Uttel, um bie SBagrgeit feftjufteflen. ©r fagt ju ©lementina, 
wenn ge fieg fcgulbig fügte, fo möge fie wenigftenS ben SreiS 
'ber anftänbigen ©efeßfgaft meiben; unb barauf gegt ©lementina 
fegneQ ab. XaS greift einigermagen bie unwitltürliege Somit.. 
£>einrieg ift nun ganj auger fieg. ©r fluegt bem treulofen SBeibe 
unb benimmt fieg fo ungereegt wie nur irgenb benfbar, als 
plöglieg ginter ber ©eene jenes ergreifenbe Sieb ertönt, baS 


feine SBirfung bereits im britten Siete geübt gatte, ©lementina 
erfegeint Dor igm, ben blinfenben §e(m wieber auf bem $aupte. 
Sitte ertennen, Wie anftänbig fie igre 3eit genügt gat. SluS* 
fögnung ber ©atten, fHügrung ber Slnwefenben, .ßertnirfegung 
unb ©lamage ber Smtgarb. 

XaS ift bie ^anblung. ©ie jeigt biefelbe ffiigentgümlieg* 
(eit wie bie ©tufit: ein unnerfennbareS ©efgiej, aber wenig 
Originalität. 

Um Don ber ©iufif noeg ein SBort ju fagen, möegte ieg 
mein ©ebauern barüber auSfprecgen, bag baS ergreifenbe Sieb 
ber ©lementina Don ber beutfegen Xreue, baS gerabe Wie baS 
fßreiStieb beS SBattger Don ©toljingen baS eigentliche bramatifg 
treibenbe ©toment ber ganjen ^anbluug bilbet, niegt bebeutenber 
ausgefallen ift. ©S ift freilieg ganj gübfeg unb wogltautenb 
unb würbe, wenn eS eine weniger anfpruegSDoUe SSir(famleit 
ju üben gätte, ganj annegrabar erfegeinen; aber für ben Bweef, 
ben eS naeg ben Sntentionen beS XicgterS erfüllen fotf, bürfte 
eS boeg als taum geuügenb befunben Werben, unb fo in ben 
©orbergrunb gebrängt, maegt fieg bie Xrioialität ober um weniger 
fegroff ju fpreegen bie mangetgafte Originalität befonberS be* 
merlbar. XaS ©allet im britten Slufjuge ift ganj reijenb. Unt 
ben SlnacgroniSmuS barf man fieg natürlicg niegt lümmern, unb 
ber SBatjer in ber ©litte beS iWölften SagrgunbertS mug als 
Sicenj gingenommen werben. Xieier SBaljet, ben natürlicg bie 
beutfegen Stieger tanjen, ift aber Wirdicg aüerliebft unb aueg 
bie Xaranteüa, bie natürlicg Don ben Slalienern gejprungen 
wirb, gat igren SReij. Xie beiben Xänje treten junäegft ge* 
fonbert auf, ber eine folgt bem anbem. ßum ©gluffe beS 
SaßetS gat Sretfgmer biefe beiben Xänje miteinanber Derwoben, 
b. g. bie Xarenteßa als contrapunftiftifcge ©egleitung beS SBaljerS 
beganbelt. Slug biefeS Sunftftüel ift nigt gerabe neu, aber eS 
ift bem ©ontponiften augerovbeutlig geglüeft unb betunbet wie 
DieleS Slnbere, wie namenttig bie Dirtuofe ©eganblung beS 
OrgefterS, bie groge mufilatifge ©igergeit beS begabten ©lanneS. 
Slug ber (utje ©glugfag beS britten SlufjugeS, Ouartett mit 
©gor, ift rggtgmifg unb melobifg woglgelungen. 3g gälte 
übergaupt biefen britten Stet für ben beften, wägrenb baS Hamburger 
©ublicum bem legten Slufjuge ben iebgafteften ©eifafl llatfgte. 
Xer ©omponift »ourbe mit ben Xarfteflern fegr oft gerufen. 

. Xie Sluffügrung war, felbft wenn man an ein ©tabttgeater 
Don erfter ©ebeutung goge Slnfprüge fteßt, eine ganj auS* 
gejeignete. Xie Herren SBintetmann (§einrig), Sögel (©arba* 
roffa), Srüdl (Sonrab), ©ura (ber ©ettler), ©grte (Saftellan), 
bie Xamen ©uger (©lementina) uitb.©oree (Srmgarb), fowie 
baS Drgefter unter ber figern Seitung Sofepg ©ugerS leifteten 
burgmeg CorjügligeS. 

©ei ber ©rwägnung ber Sünftler bemer(e ig, bag ig Don 
bem Safteßan nog gar nigt gefproegen gäbe. Xiefet erfgeint 
aug nur, um eine ©aßabe über .fjeinrig gen Sömen Dorjutragen, 
bie in bem tügnen SReimfpiele baran erinnern foß, bag ber 
$etb |ierjog Don, ©agfen war. Xer Safteßan reimt nämlig 
beftänbig $einrig „ben Söwen" mit „ergeben", „leben" „ergeben". — 
9tu eben! panl Cinbau. 


gjä S)g rn Sfe 

| Abonnement der „Gegenwart“ 

pro IV.-Quartal 1879. 

Mit der nächsten Nummer (39) Bchliesst das III. Quartal j| 
der „Gegenwart“. Diejenigen unserer geehrten Leser, deren j£ 
Abonnement mit dieser Nummer abläuft, ersuchen wir um 
baldigste Erneuerung desselben, damit keine Unterbrechung [g 
in der regelmässigen Zusendung entsteht. Abonnements anr \ 
das IV. Quartal 1879 werden you allen Buchliamllnugen, 
Postaiistalten und Zeitungsexpeditionen Kum Preise von [| 
4 M. 50 Pf. entgegengenommen. 

Berlin W., Kurfürstenstrasse 73 


Expedition und Verlag der „Gegenwart“. I 


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192 


Nr. 38. 


3 « f e x a 11. 


Rttt-Rebacteur. 

%nx bic Rebaction eines neu gegrünbeten 
gröberen periobifdjen bettetriftifchen Unternet) 
nteuS wirb eine tüchtige Äraft gefugt, welche in 
rebactioneHer Jljätigteit butdjauS geübt jein unb 
auSgebehnte Berbinbmtg in Autoren* Greifen 
haben mufj. Xie Stellung (neben bem ©hef* 
Rebacteur) ift eine angenehme unb auSfömmltd) 
gut botirte. 

Offerten mit Angabe ber ©ehaltS=Aufprüche 
werben unter ©bifjre „Rahnen“ burdj bie 
®£pebition biefer Bettung «treten. 


Ein Schriftsteller, der die Herbstmonate 
in Paris znbringt, stellt verehrl. Redact. seine 
Feder zu Theaterberichten, Feuilletons etc. 
zur Verfügung. 

Adr. sub W. an die Exped. d. Bl. 

Verlag non €b. Anten in $afle a. ®. 


«Uippi, Dr. 3t. Jü. Reife hur4 bie »nfle 
Atacama auf Befehl ber ^ilenijt^en Re* 
gierung im Sommer 1863/54 unternommen 
unb betrieben. Rebft 1 (Itth.) $arte (in 
3mp.*goI.) unb 27 (Uth.) Xafeln (wobon 7 cot. 
u. 12 in Xonbr. in 3mp.*4. u üu.*3mp.=Sol.). 
3mp.*4. 33 Bogen. 1860. cart. 30 JL 


Vor Kurzem erschien die 3. Auflage von: 

Statistischer Almanach 

für das 

Deutsche Reich 

nach amtlichen Quellen 
herausgeg. von Dr. M. Neefe, 

Director de* statistischen Bureau’* su Breslau. 

Preis 1 JL 50 S>. 

Eine vortreffliche, kurz gefasste Ueber- 
sicht über die sämmtl. wirtschaftlichen 
Verhältnisse des Deutschen Reichs, als: 
Fläche, Bevölkerungsstand, Bevölkerungs¬ 
wechsel, Landwirthschaft und Fischerei, 
Produktion einzelner Industriezweige, Aus¬ 
wärtiger Waarenverkehr, Verkehrsmittel 
nnd deren Leistungen , Geld- und Kredit¬ 
wesen, Versicherungswesen, Zuständigkeit 
und Organe des Reichs, Gesundheitspflege, 
Armee nnd Marine, Reiehsflnanzen etc. etc. 

Jena. Verlag von Gustav Fischer, 
vorm. Friedrich Mauke. 




8 oit ber 




if <5f$fnnnir!. 


Der Vortheil 


für 3eben, ber eine liberale Berliner Britung lefen will, 


liegt auf ber grab, 


wenn berjelbe fid) auf bie — mit Ausnahme ber %age nach ben Soun = unb geiertagen 
— täglich erfdjetnenbe „Srilnnc“ mit ber ©ratiSbeilage „Berliner IBeSpeu“ bei ber 
ihm *unäd)ft gelegenen ^oftanftalt abounirt. 

2>urd) einen neuen nnb etgeuthnutlityen Berfeuhnngt* Apparat ift es nämiidj 5 ber 
„Xttinne“ gelungen, betreffs Uebermittelung beS XageSmaterialS 

.. idjitelligkett »»> MeherflihtttihHeit 

afte übrigen liberalen berliner .Sütnngen tteit jn nbertreffen! 

(SS wirb allen auswärtigen Abonnenten ber „ Tribüne" hie boflflänhige (nicht ge* 
theitte)‘tägliche Rnntuter her „Xrünine“ jn berfelben 3 e ^T”jugeftefct, als fie bie 
inhaltlich fe^r befchräntte AientMAnSgabe einer Betltner Btitnng empfangen. Beispiels* 
weife erhalten bie Abonnenten tn (Etberfelb, Breslau, Xanjig ?e. burch bie „Xribüue" 

fdjon früh Mtorgcirä bie Berliner Abenh*Ra(^rid^ten unb bie bottftanbtgen 

Beridjte ber Berhaublungen b. Reichstags ob. AbgeorbnetenhaufeS üom SfoßC ; 

wie beim überhaupt bie Abonnenten ber „Xribüne" auf baS ©enauefie hon allen Bor* 
fommniffen ber ReichShauptftabt fchon früh Borgens unterrichtet finb, währenb «Oe 
übrigen Oerliner 9Rorgen*3eitungen mit ben erwähnten Rtittheilungen erft am Abenb 
beffelben XageS eintreffen unb meift erft am borgen beS nädjften XageS jnr AnSgabe 
an bie Abonnenten gelangen. @S beruht bieS barauf, bafj bie qu. BerfenbmtgSweife eS 
ber „Xrtbüne" geftattet, bie Rebaction über hier Stauben fpäter ^n fdjlte&en, wie eine 
Berliner Abenb=3ettung. 

X)ie @?lltid}agate eines ifluftrirten SBipblatteS, wie bie 


, 3 erfttter Tßetpm“, 


welche laitgfi unb unbeftritten ju ben be#en(i;rfiheinttttgett fcentfcljlanbS gewählt werben, fann 
baS Abonnement auf bie „Xribüne" nur bereit bor%iUiaft erfcheinen taffen. 
Beibe Blätter foften pro Quartal nur 5 30 ^ unb nehmen $u biefeut greife fämmt* 

liehe ^ofianflalten heS beatmen ReidpS BefteHungen entgegeu. t 


8«t 8iid)ttticH)atitr 

erf^ien in Aarl Snntfer’S Rerlag in Rerlin, 

Bühowftr. 2: 

ermann’« Äfumengarten, frifch auS- 
gejätet, aufgeharft unb umjäunt hon einem 
Siebhaber alter beutfeher Sprache unb 3BeiS= 
beit, in Sc^wabacher Schrift auf hottänbtfcheS 
Büttenpapier gebrudt. $>er Xitel ift hon 
Sefflng, ber, wie im Rorwort näher er* 
läutert, f^on beabfidjtigt hatte, ben berühmten 
Blumengarten beS alten StabtichreiberS hon 
Speiet herauS&ugeben. 'ßteiS 4 JL, eleg. geb. 
($£pl. im ©efchmad eines funftholl ftplifirten 
RtufterS aus bem 16. gohrl). 7 JL 50 -V 


Bei Otto Meissner in Hamburg ist eben 
erschienen: 


Cmlpzes- ui Mn-GesAieliDiK. 

Von Dr. W. von Melle. 

23 Bog. Preis 3 JC, in Callico geb. 3 JL 60 Sk. 

Durch die alphabetische Anordnung und 
übersichtliche Gmppirnng des Stoffes wird 
dies Buch für Jedermann, möge er dem Ge¬ 
lehrten-, Handels- oder Gewerbestande an¬ 
gehören, eine beqneme Handhabe zürn schnellen 
Aufflnden der neuen Geaetzeevorschriften. 


Sdtflcmdncn < 0 efd|^tE 

in (Einjelbarftellungen, 


herausgegeben hon 


finb bi« j[e|t ac^f Jlßf^eiCungen 
(4 btei SDiarf) erft^ienen. 

®icfeü>€n enthalten: 

Sapr* aUpfrftfi^e ®pit. 

ffüns utri» iUmt. I. ®plt. 
• ferner ben Anfang oon 
fflfimi^tn, Xeggjrten unb 
fafUktttT, Peter ber ®ro|e. 


IDüljElm Indien, <rfiihner, Peter ier (Sre^e. 

•V* ©ief)e bie SRecenfion in 5Rr. 16 ber „®egen»art", Sa^rgang 1879. 'im 
Die erften jmei Abteilungen werben eon jtber Sut^anblung auf SBunfdf jur Anfidjt gefanbt. 

^ n - : StrlageBn^fianblung. 



anp „$evfci>erg'4 t>eSa^ ( nnt Stoni^. 


#ierj» eint Utilage bon ber ßetlagbBxiblBiig grau) Ci|orbt in Deriin. 

9<»«dW^ 9"Ct*, N W., Ätüiierinjenuffr 4. Rflt bie «etraction oerontWortUU): ittrt $line in HrrH«. Clwbiti 


Äür bie ftebaction tieranttüortlld): r® in Mrrftti. 

Dtntf tnm H. +, f mf»er in 


fjprtiti«», Hrr(in W., ühirfürftenftrafee 73. 


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Ji‘ 39. 


Steffin, be» 27. gtptmtn 1879. 


Band XVI. 


pe Okprarmt 

äöothettfdjrift für fiitcratur, Äunft unb öffentliches fieöen. 


$erau$8eher: ^attf cftttbatt in SBerlin. 


Idti Ssuutal ttfötid nu graut. 

Sn ftfitefeii *urt$ alle ^u^^anblungai unb $o|tanftftltem 


»erleget: Seorg ©ttlte in Salm. 


|nis ytt Quutiil 4 JUri 50 ff. 

gnferate Jeher *rt pn Sgeftattene ^etitsetle 40 ff. 


Matt: 


Itahcae Bes. — JSiterotur unb «unfl: Start Kittet junt ©cbä^tttig. »on Süfreb Äircbboff. - @edj?bunbert (Eomtoonbenteu. 
»on @eorg »ttdjmann. — SmerilaniföeS Unioerfität?leben. »on Otto ©reg. II. Hl. — 8u? Imr fstiptflabt: Dramatifcbe 
«uffü^rungen. „Kolf »ernbt" ©chaufpiet in 5 Sieten oon ©. ju ^ßutlig. „Boccaccio", »ufforDpet in 3 «cten Bon g. ReU unb Ktcfiarb 
®enöe. SRufif Bon gtanj Bon Suppe. »efprodjen Bon «Paul Sinbou. - Die 53 . Stugftedung bet Stönigtidjen »tabemie bet Äünfle 
ju »erlin. »o n Dfr. S. - K otigen. Kubotpb bongpering übet Daljn? ©djainpiel. „Süfjne". — gnferate. 


Italicae Res.*) 

©ine bet bebeutenbften ©ubticationen, neben ber ©rörterung 
großer allgemeiner politifdjer SBahrheiten jpecietl bie Sejidjungen 
pifchen Deftreidj unb Italien Har unb fd»arf erfajfenb uttb 
fenujeichnenb unb be?ljalb auch bon actuettfter ©ebeutung, liegt 
in ber „Italicae Res“ Bor un?, unb ihre ©ebeutung erhöht fich, 
mit wie oiel ©achbrud unb — fügen tute hinju — mit wie 
oiet Siecht auch betont werben mag, bah fie jeber officieHen 
©rooenienj entbehrt, wefentlid) baburdj, bajj Dberft Spat)inerte 
nicht blo? ein heroorragenber Dffijier im actioen Dienft ift, 
fonbern baff biefer Dffijier 3aljre lang eine heruorragenbe amt* 
liehe, nicht blo? mititärifche, fonbern, tljatfächlich wenigften?, 
militärifdppolitifche Stellung bei bet öftreicfjifchen ©otfdjaft am 
itolienifchen $ofe beHeibete unb bah ber ehemalige 2Rilitärattacf|6 
ber ©ruber be? fünftigen SRinifterS be? ®u?roärtigen ift. 

Der ©erfaffer weift eiuleitenb barauf hin. bah Irin Sanb 
ber 2Belt in bem 8Rafje wie Qtalien alle ©ebingungen in fich 
trage, bie einem ©olfe bie gebeihtiche innere (SntWidelung ju 
fichern uermögen. Die Statur hat oetfdjwenberifch ihre ©oben 
übet ba?felbe au?geftreut, feine Sage am ©teer, in welche? e?, 
gleich ben Strahlen eine? Seuchttljutm?, bie jenfeitigen ©öller 
nach ©uropa ju jiehen präbeftinirt, weit hinein fich ftredt, bie 
grohe geiftige ©mpfünglichleit, bie an einet unerreicht groben 
Vergangenheit in Drabition unb Hnfchauung fich ju belehren, 
ja erheben unb ju üerebeln oermochte — bie? Sille? hätte ba? 
itatienifche ©ott, felbft ein ©ulturooll in eminentem Sinne unb 
in ftetem ©erlehr unb geiftigem ©ontact mit ben angrenjenben 
Sulturoöltern, unter fonft günftigen ©erhältniffen jum ©rirnat 
unter allen ©ölfern emportragen müffen, unb wenn e? biefe 
Stellung nicht einnahm, fo trugen baran in erfter ©eilje bie 
politifdjen Serhältniffe ber §albinfel bie Schulb, welche ein 
einheitliche? 3ufammenfaffen ber jerftreuten reichen Kräfte un* 
möglich machten. 

Die politifdje ©inigung unb ftaatlidje ©onfolibirung ift in 
Ijei&en Sümpfen enblich erreicht, wefentlich bnrdj bie weitau?* 
fehenbe, aber atterbing? bur<h bie ©unft feltenfter Politiker 
Sonfteüation unterftüfcte Snitiatioe ©aoour? erreicht: Italien ift 
nicht blo? ein ©inljeitöftaat, fonbern auch eine '©rohmacht ge* 
toorben. Sollte ihm jefct ber gefunbe Sinn nicht fagen, bah 
b« aufteibenben Df)ätigfeit be? heifjen politifchen unb militari: 
f<h*n Santpfe? eine Beit ber friebtichen, ber fchaffenben Hrbeit 
folgen müffe? bah ber unter fo fchweren Opfern aufgeführte 


*) Vom Oberft SKoi? Kitter B. §apmerle be? ®eneratjiab?. 


©au nicht einem Sturme au?gefefct, fonbern in feinen ©runb* 
lagen gefeftigt unb in feinen Dfjeilen inniger gefügt werben 
müffe? §pft fcheint e? nicht fo. 

S3ir Stile fenuen ba? Dreiben jener rührigen ©artei, bie 
unter bem ©anner be? ©ationatitätenprincip? bie Dh e °rie ber 
: natürlichen ©renjen oerficht, bie ben leichtbeweglichen ©eift ber 
Station mit ber Heberjeugung ju burchtränfen beftrebt ift, bah 
bie ©hre Statien? einen Sieden habe unb bah feine politifd)= 
©pftenj nidjt gefiebert fei, fo lauge auch nur ein einjiger ©ruche 
theil italienifch fprechenber Stämme bem itolienifchen ©aterlanbe 
entfrembet bleibe unb fo lange bie ©renje Italien? nicht auf 
bie ffammltnie ber Khätifchen unb ber Sulifdjen Sllpen oorge= 
fchoben worben: Italien joll — oorher ift e? nicht Italien — 
ÜJtalta, Sorfifa, 9tijja unb Deffin, e? foll Sübtirol, ©örj, 
3ftrien, Drieft unb Dalmatien in fich aufnehmen, b. h- praftifdj 
i gefprochen, e? begehrt oon allen „itolienifchen Sänbern unter 
frember ^errfchaft" junüchft nur bie itolienifchen @cbiet?theile 
öcftreich?, bie übrigen Drauben finb ihm einftmeilen aUju 
j fauer unb e? metbet feine Sorberungen nur ber Sorm unb ber 
Sonfequenj wegen, unb weil ba? ©rincip unheilbar ift, an. 
32Bie ooQ gerüttelt unb gefchüttelt gerabe in ber fRidjtung gegen 
Deftreich ba? äJiah nationaler unb internationaler Ungebehrbigfeit 
gewefen, Wie bie ©reffe unb ba? ©erein?= unb ©erfammtung?- 
recht gebraust unb mihbrau^t worben, um bie „©efreiung" ber 
noef) ,/unter bem öftreichif<h«u Soch fchmachtenben ©rüber" ju 
einer ^eiligen ©flicht ju ftempetn unb bie ö^reichifchen „genier" 
ber Verachtung unb bem $ah ber SBett ju überantworten, ba? 
fott hi et nicht wieberholt Werben; aber fur§ erinnern müffen Wir 
baran, Wenn wir mit bem ©erfaffer ber Italicae Res e? unter* 
nehmen, bie 8nfprüdje ber ®ction?partei ju jergliebern unb ad 
absurdum ju führen. 

Bunöchft wirb für biefe Hnfprüche ba? ©ationatität?princip 
in? Selb geführt. 2Ba? aber hat ba?felbe für eine ©erechtigung ? 
3ft biefe? ©rincip jemal? in ba? öffentliche ©echt ffiuropa? ein* 
getragen? Da? gerabe ©egentheil ift ber Sali. Rttterbing? hat 
Kapoleon III. auf bem ©ipfel feiner ©lacht, ohne bie Buftimmung 
©uropa? etnjuholen, ohne e? auch nur ju befragen, ba? Katio* 
nalitöt?princip al? nagelneue? internationale? ©echt proclamirt, 
aber gefchah e?, um biefe? ©rincip jur ©eltung ju bringen — 
wir greifen nur bie marlanteften ©eifpiele ber jüngften Beit 
herau? —, ba| Deutfchfanb im ©atifer Stieben fich ba? franjö* 
fifche Sothrtngen abtreten lief, gefchah e? im ©amen biefe? 
©rincip?, ba| Stalien im Ärimtriege an ber Seite bet Dürfet 
gegen ©ufilanb ju Selbe jog, welche? fd)on bamal? feine „flaoi* 
jehen Sänber ju befreien" fam, gefchah e? im ©amen biefe? 
©rincip?, baff fein eigener (Srfinber ©apoteon al? ©tei? feiner 
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194 


Sie Gegenwart. 


Nr. 39. 


9flliönj mit Stalien gegen Deftreicß fieß bo8 italienifcße 3ti}}a 
jaulen ließ? 5Rein, ba$ Stationalitätsprincip ift nie etwas Sin» 
bereS gewefen «18 ein }eitweifer Decfmantel für politifcße Depots 
tunität. Denn aueß bie Drabhiotten bet ©efcßicßte }eigen' nießt, 
baß bei Söllern getnein(amen Stammes pcß bon jeßer ein un» 
wiberfteßlicßet 8ug nach nationaler ^Bereinigung !unb gegeben. 
Die ©inigung DeutfcßlanbS ift nießt bureß ben inneren Drang 
beS SolfeS, fie ift bureß bie jmingenbe ©emalt äußeret Um» 
ftdnbe, gleicßfam auf mecßanifcßem SBege }u Stanbe gebraut; 
Deutfcßlanb ift, mag bet nationale ©ebanfe aueß noeß fo oft be» 
fungen fein, nießt geworben, fonbem gemacht. 3« Stalien an» 
brerfeits — wie alt ift benn ba bie nationale Strömung? Stießt 
blo8 feine §unberte non §etjögen unb dürften ßaben feine 
Slßnung non bem s Jtationalität8princip gehabt, aueß in feinen 
SRepublifen, alfo in jenen Staatswefen, in wetcßen ber ,,®olfS» 
mitte" angeblich jum freieften MuSbrucf gelangt, mar biefeS 
©rincip ein ganj unbefannteS tlgenS, unb baS heutige Stalien 
märe niemals }ur ©inigung gelangt, menn bie einjelrten italie» 
nifcßen Staaten aueß nur eine ßalbwegS annehmbare Regierung 
geßabt hätten. ©ewiß, eS gibt große europäifcße Staaten, welche 
jumeift national homogene ©lemente in fieß fließen, aber eS 
gibt faft feinen großen Staat, ber nicht auch heterogene ©lemente 
aufgenommen; auf ©runb beS StationalitntSprincipS müßte Ruß» 
lanb bie Oftfeeptooin}en an Deutfcßlanb, müßte Deutfcßlanb 
©ofen an Rußlanb, müßte granlreicß Ri}}a, ©orfifa unb Sllgiet, 
müßte ©ttglanb SRalta, ©ibraltar unb Dftinbien herausgeben, 
müßte bie Schwei} breigetßeilt unb Deftreicß mehr als geoier» 
theitt werben! Dient aber bietteicßt bie Rationalität ber ®ioi= 
lifation? ©ngtanb, bie Schwei}, Deftreicß ßnb feine Rational» 
ftaaten: finb pe beShalb bietteicht auf ben ©ebieten fowohl ber 
materiellen ©ntwicfelung als beS gciftigen gortfcßrittS hinter 
irgenb einem ber führenben ffiulturftaaten }urücfgeblieben? Ruß» 
lanb unb Spanien bagegen finb feit Saßrßunberten Rational» 
ftaaten: ^aben fie bietteicht, wie tüchtig auch &a« ®olf, bäS 
RationalitätSprincip als ein befrueßtenbeS er hättet? Sa, felbft 
Stalien ßal baS ©roße, was eS geleiftet, }u einer Beit geleiftet, 
wo eS noch in eine lange Steiße bon Staaten unb ©täteßen 
oßne irgenb wetten Bufammenßang }erpel, unb nicht baS national 
geeinigte, fonbem baS bietgetheitte Stalien ßat ©abour unb 
©aribalbi geboren. 

Die Rnfprücße ber italienifchen ttctionöpartei }ießen weiter 
bie „natürlichen @ren}en" in Setracßt. ©S ift maßt, gegen 
granfreicß ßat Stalien eine natürliche ©rcn}e, gegen Deftreicß 
Hießt, aber ungünftig für Stalien liegen bie ©ren}berßäitniffe 
beSßalb iticßt. Sübtirol fott wie ein Seit in baS .fper} StalienS 
borgetrieben fein, aber man bergißt, baß bie borfptingenbe Sage 
beS ßeißbegeßrten SlanbeStßeilS einen Eingriff beSßalb in feiner 
©Seife begünftijft, Weil in einem ßanbe wie Ditol felbftberftänb» 
ließ Weber eine genügenbe Druppen}aßf berfammelt, noch auch 
}eitgemäß unb unter günftigen ©erßältniften }um Deboueßiren 
gebracht werben fann, baß woßl aber Stalien aus ber ®ren}= 
configuration, aus ber borfpringenben Sage ©enetienS, ben ©or» 
tßeil }ießt, bie für bie öftreichifcße ©ertßeibigung gan} un» 
erläßlicße ©erbinbung im ißuftertßal }Wifcßen Dirol unb bem 
Snneren ber SRonarcßie mit leießter SRüße unterbrechen }u fönnen; 
man oergißt, baß bie atterbingS gegen ben Sfonjo offene ©ren}e 
StalienS bureß bie bem Sfan }0 parallel laufenben glüffe Da» 
gliamento, ßirra}«, ißiaba unb ©renta eine oottßänbig genügenbe 
frontale Sicherung finben, fobalb bie aus Dirol unb Snner» 
öflreicß ittS ©enetianifeße beboueßirenben Straßen bureß $aß» 
Sperren geßcßert Werben nnb baß für ißte fortificatorifcße 
Sperre baS italienifcße Parlament feßon bie SRittel botirt ßat; 
man bergißt, baß, wäßrenb eine Slrmee in bem allen ©ebin» 
gungen für einen ftrategifeßen Rufmarfcß entfpreeßenben, communi» 
cationS» unb reffonreenreießen ßanbftricß }Wifcßeh ©tfcß unb 
Dagliamento fieß berfatnrneln fann unb bureß bie weit rücfWärtS 
liegenbe unb leicht mit ©rücfenföpfen auSjuftattenbe ©tfcß, bon 
ber aus man baS gan}e ©ortanb beßerrfeßt, bie oortßeitßaftepe 
©afis ßat, eine öftreießifeße Ülrmee in bem an ben 3fon}o 
ftoßenben ftarftgebirge aufmarfeßiren müßte unb nur äußerft 


feßwer }ur ©ntwicfelung gelangen fönnte; man bergißt enblicß, 
unb baS fottte man am atterwenigften bergeffen, baß Deftreicß 
fein Staat ift, ber eS liebt, feine Stacßbarn mit Stieg }u über» 
}ießen unb baß eS fpecielt in ber Ricßtung gegen Stalien ©e» 
weife genug gegeben ßat, wie aufrichtig unb ßinterßaltSloS fein 
©Junfcß ift, griebe unb greunbfeßaft mit ißm }u halten, baß es 
bie ®rooin}en, bie es eßrenbott oertßeibigt unb eßrenbotl ber» 
loren ßat, baß eS biefe ®rooin}en, troßbem fie biedeießt bie 
feßönften perlen in bem reießen Diabem ber itatienifeßen ftrone 
ßnb, nießt mieber }utüc£neßmen würbe, aueß wenn man fte ißm 
}urücfgeben wollte!... SBaS ift eS benn übrigens mit ben natüt» 
ließen ©ren}en eines Staats? $at Deutfcßlanb gegen Rußlanb, 
gegen Deftreicß, gegen granfreicß natürliche @ren}en? @S ßat 
fie nießt, unb boeß ßat es noeß nie naeß feinen natürlichen 
©ren}en gefeßrien. Unb im Rauten biefer natürlichen ©ren}en 
begeßrt Stalien ooit Deftreicß ben größten Dßeit bon Dirol, 
Dßeile non Äärntßen unb Ätain, bie ,gan}e ©raffcßdft @ör}, 
Drieft unb Sftrien! Das finb tlnfprücße, fo ungeßeueriieß, baß 
fie ßcß felbft rießten, unb baS um fo meßr, als innerhalb ber 
alfo beftimmten natürlichen ©ren}en eine SBebölferung woßnt, 
bie }um weitaus größten Dßeil fernbeutfeß ober flabifcß, bie nur 
in einem oerfeßwinbenb fteinen Srucßtßeil italienifcß ift, ober 
richtiger, italienifcß fprießt! 9l(leS in Sittern, eS begreift fieß ge» 
Wiß, wenn ein Staat ben SBunfcß ßegt, gute militärifeße ©ren}en 
}u ßaben: pe finb eine ©ürgfcßaft meßr für feine Sicßerßeit 
unb Sategrität. Mber ein noeß fo begreiflicher SBunfcß confti» 
tuirt noeß lein nationales fRccßt: aueß im ®ribatleben fann ber 
©rfte wünfeßen, ben ®efiß beS Bweiten }u befißen, baS gibt 
ißm aber gewiß lein fRecßt, ißn fieß an}ueignen. 2Rit Dßeorien, 
wie bie bon ben natürlichen @ren}en, mit einer folcßen ©egriffS» 
uerfeßiebung bon SOiein unb Dein, geratßen wir birect auf bie 
©aßn beS IRaubfßftemS unb beS internationalen SociatiSmuS. 

Iber, Jagt bie SlctionSpartei, bie „italienifcßen ©rüber", bie 
Drientincr unb bie Drieftiner, ntüffen aus ber öftreießifeßen 
SKiß» unb : ©ewaltßerrfcßaft gerettet werben. Die Unterbrüclung 
ber italienifcßen ober irgenb einer Nationalität in Deftreicß — 
baS ift eine ?lnfcßutbigung, weteße wiffentlicß eine grobe Un» 
waßrßeit auSfpricßt. 3m italienifcß fpredßenben Dßeile bon Dirol 
ejriftireu faft nur italienifcße Sdjulen, bie amtSfpracße ift bie 
italienifcße, bie Sitten unb ©emoßnßeiten ber italienifcßen 8e» 
»ötletung werben ftreng geaeßtet: Deßreicß ift nießt ber geinb, 
eS ift ber $ort ber ^Rationalitäten, ber italienifcßen Wie jeber 
anbern, unb in Drient unb Drieft fann nießt anberS regiert 
werben unb wirb nießt anberS regiert, als im übrigen Deftreicß. 
Sn SBien ßaben fieß 40,000 Staliener aitfäffig gencacßt: man 
frage fie, ob fie bort nießt geeßrte unb geaeßtete ©äfte finb unb 
ob ißre ©tfaßtuitgen im öffentlichen, im bürgerlichen unb im 
gefcßäftlicßen Sehen aueß nur bie geringfte ©eßäfftgfeit nacß}U» 
weifen bermögen. Unb wenu mau in ben italienifcßen SanbeS» 
tßeilen ßier unb ba ein wenig fßutfcß }u fpielen beliebt ßat, 
beSßalb würbe baS ©roS ber ©eoöiferung fieß boeß noeß feßr 
bebenfen, ©inlaß in baS fßarabieS beS italienifcßen Staats }u 
begeßren. Sft biefeS fßarabieS benn fo oerloefenb? 3« ben 
leßten 2*/ 2 Saßren finb, naeß Ausweis bet amtließen Statiftif, 
naße}u 300,000 Staliener auSgewanbert, weil fie in ber $eimat 
au^ niißt ben notßbürftigpen Unterhalt meßr finben tonnten 
(unb eS ift oielfacß be}eicßnenb, baß meßr als bie Hälfte biefer 
SluSWanberung ben eßemals öftreießifeßen ©rotiin}cn, ber Sombarbei 
unb ©enetien, angeßört), bie Scßulben ber italienifcßen ©emeinben 
finb, ebenfalls naeß SluSmeiS ber amtlicßen Statiftif, in ben 
ießten 4 Saßren um 160 SRittionen äiore, non 635 auf 
701 SIRiflionen geftiegen, bie italienifcße SBeßrpflicßt bauert nette 
19 Saßre unb bie öffentliche Sicßerßeit in Stalien befinbet piß 
in einem Bupattbe, baß neben ben ©arabinicri=2egionen (©en» 
barmerie) noeß ßeute 40 gan}e ©ataittone bto« }ur ©efämpfung 
beS IRäuberunmefenS im Dienft fteßen. Stein, Sübtirol ift fo 
reießstreu, baß im Saßr 1866, als bie Mrtnee beS @r}ßer}ogS 
aiöre^t an bie Donau ge}ogen werben mußte, bet Sübtiroler 
Sanbfturm allein bie SBacßt an ber ©ren}e übernaßm, unb Drieft, 
welcßeS gegenwärtig in bie Steiße bet mäcßtigften ©mporien beS 





Nr. 39. 


Ute (Segenmart. 


195 


eutopäifdjeH £>anbetß aufgeftiegen, ift ju flug, um nid)t ju 
roiffen, baß eß in bemfelben Rlugenbtid oerloren wäre, rno baß 
©epgß« unb Stbfafcgebiet be» ißm je|t offen ftehenbeu Eintet« 
lanbeß ihm.Derfthtpffen märe unb too eß bie geringe Unterftii|ung, 
»eiche ber itotienifd^e ©tant p geben öermag, nod) mit SSenebig, 
bet anfpruchßöotlen „Königin ber Rlbria", tßeilen müßte. 

Slbet noch immer ift baß bon Rlngriffßmaffen ftorrenbe 
Rlrfenat ber „Srrcbenta" nid^t erfdjöpft: nodj ift bie Sompenfationß« 
theorie ba, Stalieu ju unterftüfceu. SBeit Deftreich traft eine« 
europöifthen 9Raubatß ©oßnien unb bie ^erjegomina occupirt hat, 
ift eß Derpflicßtet, ©übtirol unb Xrieft an Stoßen )u überliefern, 
unb biefe unglaubliche Verpflichtung bocirt baßfetbe Stalieu, 
meleßeß, unb uic^t jum geringften ‘ttyil auf. Koften Deftreicßß, 
feil 20 Sohlen fid) auß bent Keinen fßiemont mit 5 Sßiüionen 
Sinmohnern )ura ©roßftaat mit 27 SRiüionen Sinmohnern 
emporgearbeitet hat. ©aß mürbe Stalien gefagt unb getljan 
haben, menn man ihnt mit ßompenfationßanfprüchen getommen 
märe, alß ihm Sombarbo« Venetien in ben ©d)oß fiel? f?at 
irgenb eine SRacht eine Sompenfation bedangt, alß Xeutfchtanb 
baß Gljaß unb Lothringen ermarb? freilich, Deftreich ift, fo 
roirb jenfeitß behauptet, burch bie Dccupatiou, mefche eß ooü« 
gogep, im Sloriatifchen 3Reer pröponberant gemorben. fßräponberant, 
warum bennV Stalien befifet ben meitauß größten $heit ber 
ftbriafüfte unb baß ©emidjt biefeß öefifceß fann bo<h ficket nicht 
burch bie Grmerbung ber minimen $äfen bon Klef unb ©pijja 
beeinträchtigt merben. Dalmatien, baß ift gemi|, ift burch ben 
©etnittn eineß meiten §intedanbeß befenfio ftärfer gemorben, 
benn bißher hotte eß mit ber übrigen 3JRonar<f)ie nur eine faft 
außfcßließlid) maritime Verbinbung,aber biefebefenfibe ©tärfung 
fann^bocf) feine ©ebrohung für Stalien fein. Deftreidj aber 
feinwfeitß hält fich Stalien nicht für bebroht, trofcbem 
baßfetbe feine Rlugriffßmittel jur ©ee bon Saht P Sohr in 
rapiber fßrogreffion bermehrt. Stolien follte, gleich Deftreich, ju 
Mrnehm. fein, fid) )u fürchten. 

Unbbamit finb bie Vormänbe fömmtlich abgetan, metche 
3tali«t: jrtr geinbfdjaft gegen einen ©taat brängen, ber feine 
geinbfchftft nicht - fdjeut, aber feine greunbfcßaft fucht. ©einen 
ilatienifchen ©üben. fann Deftreich nicht aufgeben, benn einer 
italienifchen Slrmee ftänbe bann ber SBeg jur Xonau unb» inß 
$er) ber Monarchie offen, unb bem SRationalitätßprincip fann 
eß feine Sonceffion machen, meil eß fclbft nicht auf nationaler 
©afiß fleht unb burch bie Rtnerfenuung beß fßrincipß bie ©runb« 
läge feineß ftaatlichen Slufbaueß untergraben mürbe. 


cStteratur unb 


Äarl Hüter jum <8>e)ä(t)tm|§. 

®ie @efeüfd>aft für Srbfunbe in ©ertin, beren halb« 
hunbertfährigeß ©efteßen im borigen Sah« SInlafe gab ju einer 
geftfeier bon internationalem ©tan), rüftet fich am 11. Dctober 
ein ©öailarfeft mürbig ju begehen, metcheß bebeutungßreiche 
Verwanbtfchaft mit bem bou ihr 1869 beranftatteten #umbolbt= 
feft befiel. Xenn menn eß fich auch pnäcbft nur batum hon« 
beit, eine ©flicht ber Xanfbarfeit )u erfüllen gegen Kart Sftitter 
alß langjährigen unb außge)eichneten Vorfifcenben ber ©efeH- 
fdjaft, fo ift eß bod) eben ein thatfäcf)lid)et ©eroeiß ber hohen 
Stellung, metche legtere bereitß in ihrer erften ©ntmidelungß« 
pexiobe einnahm, baß fie, in Siebe unb Verehrung ber beiben 
JRänner gebenfenb, metche ihr felbft Seben, ©ebeihen unb meit= 
hin ttangbo&en 9iamen f^ufen, baß nie ohne ben boüberechtigten 
©tot) thun fann, in ^umbotbt unb Ütttter bie mähren ©egrün« 
ber ber neueren ©tbfunbe bie 3h ren P nennen. 

Sine Seitfchrift, metche eß fich )ur Ütufgabe macht, beit 
geiftigen Strebungen unb Seiftungen beutfeher Nation in ber 


©egenmart umfaffeub Rechnung )u tragen, mag biefe ©ctegen* 
heit nicht borüber)iehen laffen ohne bie lefetgebachte 2Bat)vfjeit, 
fo meit fie Kart Slitter betrifft, oor einem meiteren alß bem 
fachmänifchen Kreife )u begrünben. ®enn hört man fie nicht 
uon fo mancher ©eite bemängeln ober gar mie eine alte ©hrafe 
abttjun, beren ^ohtheit man nun grünbtich erfannt habe, fo bah 
heutptage bie ©rbfunbe in gan) anbereu alß ben ütitter’fchen 
©ahnen manbte? Sürmahr, eß hnnbett fich um feinen gerin= 
geren IRuhmeßtitet unferer Nation, menn man bermajien eß in 
Srage ftettt, ob jene beiben ©eifteßheroen auß ihrem Steifet) 
unb ©lut bie mähten ©rneuerer biefet erbumfpannenben, gei= 
ftigen unb liiaterieüeu Sntereffen mie feine anbere cbcnmäfüg 
bienenben SBiffenfchoft gemefep, unb ob eß eine einmütige Sort= 
bilbung ihrer Sbeen biß auf baß jeftt mirfenbe ©cfchlccht gäbe. 
Sm miffenfchaftli^en mie im merfthätigen Seben finb bie Völfer 
unferer ©rbe jeftt mehr geeint alß )uoor; unfer Volt fann nur 
nach öer Stnerfennung trachten, auf jebem ber beiben ©ebiete 
mit in ber oorberften SReihe )u ftehen. 6ß mar ben 3)entfchen 
ßergönnt, im neuen Stuffchmuug bichterifchen ©eifteß, im öet= 
jüngten Streben nach ©ntfehteierung ber ©runburfachen beß 
®entenß unb ©einß an bie )u lange oergeffenen Väter ber 
europäifchen unb fomit ber SBeltbilbung l)eran)ureichen: an ben 
©eniuß oon £>etlaß; bod) neben unfere eigenen 2)i<hterfürften 
fteüen mir, mie billig, ©hafefpeare, unb Kant fagte Don fid) 
fetbft auß, bah ihm erft $ume baß fritifche 9tuge geöffnet. @o 
rangen in ber SReujeit, bet 8lera ber fich DoUenbenben Kenntnih 
Don ber gefammten ©rboberftäche, bie ©utturoölfer in tüdenlofem 
Verbanb um jene nie metfenben ©iegeßpalmen ber Sänber: unb 
Vötferentbedung; ihnen alten mürbe auch Sohn beß ©rfotgeß )u 
2heit — ober, fo mahrhaft international fie ihrer Statur nach 
ift bie SBiffenfchaft Don ber ©rbe, im SSieberetfaffen ber ©ebanfen 
eineß $erobot, eineß ©trabon, im Rtußreifentaffen ber geogra= 
phifchen Xhoeie auf fo mächtig Derbreiteter ©runbtage thatfäch 5 
liehet ffiinfkht, fleht unfere Station gteidjrooht allen anbereu 
Daran. Snfoferu bürfen mir fagen: bie ©rbfunbe ift bie beutfehefte 
bet Söiffenfchaften. - 

©ie befteht, mie man erft jüngfter Seit flarer begriffen 
hgt, auß )toei feh? DafchiebenartigeB Xhdteit. ®ie allgemeine 
©rbfunbe erforfeht biß. gemeingültige« ©efefce beß ©rbentebenß 
im meiteften Sinne, fomoht ber feften ©rbraaffe nebft ihrer 
SBafferbebedung unb ihrer SufthüHe, alß ihrer ©emohner biß 
)um SRenfchen hinon, fomeit baß Seben berfelben tetlurif^ be= 
bingt mirb. Die befonbere ©rbfunbe iß bie Sänberfunbe, metche 
bie ein)etnen ©rbtäume )u erftären hot alß ben naturgemäßen 
Stußbrud beß S«fommenfpielß jener ©efe|e. @ß unterliegt 
feinen gmeifel, baß St. P. ^umbotbt, beffen Koßmoß )um guten 
Xßeit nichtß Stnbereß enthält atß ben tiefburdjbadjten ©ntrourf 
einer allgemeinen Srbfunbe, atß gorfcher mie atß ©djriftfteHer 
baß größte Verbienft um ben grunbtegenben allgemeinen Xljeit 
ber neueren firbfunbe fich ermorb.en hot. Shm, bem Vater ber 
©flanjengeograpßie. bem @d)öpfer ber Sfothermen, geftanb SRitter 
eiferfuchtßfrei unb unummunben bie @h<ce )u, ber eigentliche ©e- 
gtünber bet miffeufchafttichen ober, mie er fie )u nennen liebte, 
ber Dergteichenbeu Srbfunbe überhaupt ju fein. 3« feinem 
großen 2Berf über SDRejico ftiftete §umbotbt auch für bie ©e= 
hanblung ber Sänberfunbe ein burch aUfeitige Srgrünbung ber 
Sanbeßart unb ihrer Sinmirtung biß empor )ur mirthfchofttichen 
unb ftaatlichen ©eite beß Votfßlebenß gerabeju ibeateß SDRufter, 
metcheß, obmoht nun 68 Sähre Dor ben Rlugen ber SBett ftehenb, 
noch nicht übertroffen mürbe; jebodj biefeß ÜRufter blieb auch 
eben faft ohne SRa^ahmung, unb ^umbolbtß fpatere Slrbeit über 
Sentratafien mar bei alt ihrem merthDoüen ©ehalt nur eine 
©tappe auf bem SBege ber flimatotogifdhen unb orotogifchen Sr« 
forfdjuug biefeß heroorragenb michtigen ©rbraumeß. 

©umbolbt mar atß Koßmotog ©eograph gemorben. ©einem 
ariftotelifchen ©eifte mar ber Heine menfehenbemohnte Stern 
®rbe Dornehmlich beßhatb ein ber gorfd)ung mürbiget ©egen« 
ftanb, meil et ber einjige oon aßen im SBeltaß ift, beffen Koß« 
moß mir biß inß ©in)etnfte )u ergrünben Dermögen. Sr ging 
nicht einem eiitjelnen 3w*»ßc ber )um ©eften ber Slrbeitßthei« 

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196 


Nr. 39. 


Dir tftse»karl 


luttg fcßulmäftig jerfptitterten unb bocß mefentlicß einigen Statut: 
miffenfcßaft nacß, et tnittte in feinem bet Teilgebiete baßn; 
brecßenb, inbucitte fein einzigeg neueg ©efeß, aber et lehrte ung 
bie ©rbe als bag einheitliche Sßrobuct eineg unenblicßen, attgegen: 
märtigen Bufammenmirfenö aller Saturfräfte fennen. Sälfcßlicß 
ober hoch nicßtoerftänblicß gepriefeit alg bet größte Saturforfcßer 
unfereg 3aßrßunbert8, ift unb bleibt $umßolbt8 T at bie Dar: 
legung bet ©rbe alg eineg naturgefeßlicßen Ko8mo8, alg etneg 
©piegelg bet bag Sill bebeutenben natürlichen Drbnung, Sttteö, 
mag et für befonbere ©rbfunbe leiftete, {o geeignet eg erfcfjeint 
fchon allein feinen Samen ju betemigen, mar nut ißaretgon 
biefeg gemaltigen SRanneg. ©g trat fo hinter bem Uebrigen 
jutücf, unb biefeg Uebtige freien fo ganz Saturmiffenfcßaft, baß 
Sitterg oben genannter, erhaben felbftlofer Slugfptucß ben 3«t: 
genoffen mehr einer ©ourtoifie gleich b&nfen mochte. 

Ung, bie mir einfehen, baß |>umbolbt8 Aufbau eineg ©ßfterng 
allgemeiner ©rbfunbe aug ben bon allen einzelnen Saturmiffen: 
fcßaften entlehnten Sanft einen eine unjmeifelhaft geografische 
©roßtßat mar, bezeugt bieg Urtheil Sitterg nicht ^öfifd^e, fon= 
bern lautere Sefdjeibenßeit. Um fo freubiger bfirfen mir aber 
hinzu fügen: Der, melier ben Sluöbau miffenfdjaf fließet ©rbfunbe 
an {iumbolbtg ©eite big auf bie Sinnen beg ©ebäubeö förberte, 
auf beten {>öße bie ©djidfale ber SSenfcßheit in ihrer geogra= 
pßifcßen Sebingtßeit erfeßaut merben, ber alg gorfeßer, ©cßrift: 
(teilet unb Beßrer ber ©rbmiffenfcßaft unter ung unb oor bet 
ganzen SBeft bie Slnerfennung Dotter ©elbftftänbigfeit errang alg 
einer bie Summe aug ber pßhfifcßen mie ber ßiftorifeßen ©r; 
fenntniß jiehenben Sehre über nnferen Planeten — mar lein 
Slnberer alg Sitter felbft. 

SBir motten bag nicht augfüßrlicß bartegen burch eine 
©cßilberung beg Sebeng unb SBirfeng unfereg großen ©eogra-- 
pßen — beffen ©eburtgtag buteß ein präeßtigereg 3lammenfcßau= 
fpiel bezeichnet marb alg ber beg macebonifcßen Stlejanber: burch 
einen ber großartigen nächtlichen Slugbrüche beg ffiefuo —; 
mir muffen eg ung an biefer ©teile berfagen, ben üueblinburger 
SBaifenfnaben in bag ©alzmamt’fcße ©rzießunggßaug nad) bem 
ibßttifcßen ©cßnepfentßal ju begleiten, mo nach gefunben Sßilan: 
tßropiftenibeen aug bem etmag zärtlicßen Knaben ein tüchtiger 
Jüngling ermueßg, fräftigen Körperg unb reiner Seele, fo ge= 
feßidt im ©ntmerfen bon Silbern unb Sanbfarten, beten Sinn 
ihm burch Uebertragung beg herrlichen tßüringifcßen Seliefg feiner 
Umgebung gemedt morben, bah man ihn jum technifchen Seruf 
beftimmen mottte, — bann nach ftatte auf bie $oeßfcßule, nach 
granlfurt a. üft., mo er mit peftalozziftßer Segeifterung 3«ßte 
lang bem felbfterforenen Seruf alg Sehrer obliegt unb in einem 
feiner Böglinge ben nachmaligen ©ultugminifter Setßmann={>ott: 
roeg augbilbet, — enbtich nach mannießfaeßen Sehr: unb 3Banber= 
fahren mit feinen Schülern, auch längeren Slufenthalten mie in 
©enf unb ©öttingen, mo fchon ber fßlan ju feinem großen 
feßriftfteflerifeßen {»auptmerl reifte, hin nach Berlin ju einer faft 
uierjigjährigen Sehrthätigfeit ohne ©leicßen in rafttofem ©ifer 
unb ©rfolg an ber Krieggfcßule unb Unioerfität. Stur menige 
fßunfte fotten hier hetborgehoben merben, bie Sitterg ©igenart 
in ber Sluffaffung geographifcher SBiffenfcßaft befonberg ferne: 
jeichnen unb gerabe neuerbingg mehrfach mißbeutet mürben. 

Bunäcßft ift eg ein entfeßiebener Sretßum, menn man be* 
ßauptet ßot, Sitter berbanfe feine mijfenfcßaftließe Sichtung bet 
Slnregung {mmbolbtg gelegentlich eineg Sefueßg, meleßen biefer 
halb nach ber Südfeßr bon feiner amerifanifeßen Seife in granf= 
furt abftattete. SBir miffen aug Sitterg SJtunbe felbft, mie ißn 
bie lehrreichen ©tunben beg erften Bufammenfeinö mit bem nach: 
malg ißm fo eng berbunbenen gorfeßer f eff eiten; inbeffen er 
hatte bereitg bamatg fefte Stellung ju feiner Sebengaufgabe ge: 
nommen; feßon im Srüßjaßr 1804 fagt er in ber Sorrebe ju 
feinem ©rftlinggmerfe über ©uropa: „3<h fueßte bie ©eogtaphie, 
menn icß mieß beg Stugbrucfg bebienen barf, prägmatiftß*) Z u 


! maeßen. Die ©rbe unb ihre Setvoßner fteßen in ber genaueren 
SBecßfelnerbinbung, unb ein Dßeil läßt fteß oßne ben anbern 
nießt in allen feinen Serhältniffen getreu barftettett. $ag Sanb 
mirft auf bie Semoßner unb bie Semoßner auf bag Sanb." 
2fn biefen SBorten ßat Sitter mit botter 2)eutlicßleit bag Programm 
feiner Slrt Sänberlunbe ju beßanbeln niebergelegt. ©ein ©treben 
mar eg, bie geißlofe „©ompenbiengeograpßie" ju berbannen, an 
©teile ber bloßen fpäufung unberbunbenen lanberfunbltcßen 
Stoffe* an topifeßen Sacßmeifen, Samen, ftatiftifeßen unb anberen 
Saßlenmerthen eine innerlich berbunbene Darstellung ju geben, 
in ber ßcß bag ©injelne alg Sßeil beg ©anjen erfläre, ßuftänbe 
unb Segebenßeiten alg SBirfungen pßhfifcßer ober ßiftorifeßer 
Utfacßen fi^l ßeraugftetten. Süt alle Beit mirb bag ber mette 
Saßmen jeber miffenfcßaftlicßen Sanbegfunbe bleiben; unb um 
beftritten muß Karl Sitter auch bag ßößere Serbien)! gemaßrt 
bleiben, biefeg Biel nießt blog aufgemiefen, fonbern ißm teblicß 
naeßgetraeßtet ju ßaben bei ber Darftettung ber Dftfefte unferer 
©rbe, mit gar rühmengmettßer ©rünblicßfeit (menn auch no< h 
nießt ganz «18 4?err beg ©toffeg) feßon bei ©utopa, roeiftem 
ßaft, bann bei Slfrifa unb Slfien in bem erft z^eibänbigen ©nt; 
murf, fotpie in ber auf z^eiunbzmanzig mueßtige Sänbe aug; 
gebeßnten Seubearbeitung feineg ^auptmerfeg, nur baß juleßt 
bem {meßbetagten boeß bie Kraft feßmanb, bag titanenhafte Unter: 
neßmen feiner nach Sottftänbigfeit ringenben Sanbegfunbe beg 
größten bet ©rbtßeile aug ben urfprünglicßften Quellen jenem 
ßocßmiffenfchaftlicßen Biele getreu zu ©nbe zu füßren. 

ÜJtan ßat aueß bag moßl zu einfeitig betont, baß Sitter 
»on ber ©efeßießte eigentlich erft zur ©eograpßie gelommen fei. 
Sreilidß ßaben ißn gefcßicßtlicße ©tubien meßrfaeß befcßäftigt, 
feßon eße er (am Sranlfurter ©pmnafium, fpäter an ber Kriegg; 
fcßule) amtlidh bazu zeitmeilig »erpftießtet mar; jeboeß feßon feit 
ber oorzüglicßen Slnleitung feineg getreuen Seßrerg ©utg ttJtutßg 
in ©cßnepfentßat ßnben mir ißn immer notmiegenb erblunblicßen 
©tubien obliegenb. Unb leinegmegg zubörberft ßtftotifcß:geogra: 
pßifcßen! 3m ©egentßeil erfannte et frühzeitig ben SSertß ber 
Srobuctiongfunbe für ©rmittelung ber SBecßfelmirluitg gtnifeßen 
Sanb unb Soll, mie hätte er ba bie natürliche ©runbtage aller 
fßrobuction, Klima, Sßanzen:, Ißier= unb SRineralmett oernaeß- 
läffigen fönuen? ©eine 1806 erfeßienenen ,,@e<ßg Karten non 
©uropa" barf man Sorläufer ber (bamalg noeß in bet Knogpe 
befeßloffenen) miffenfcßaftlidhen Sffonzen: unb Dßiergeograpßie 
nennen, unb im Saßre 1808 begann Sitter bie Stugarbettung 
eineg „^anbbucßg ber pßhfifcßen ©eograpßie", melcßeg, ßanb; 
fcßriftlicß einigen Srcunben mitgetßeilt, bag Sob teineg ©eringerem 
alg Seopolb 0 . Sucßg erntete, aber nie bem Drucf übergeben, 
moßl aueß nießt öottenbet mürbe. Sacß brieflichen Slnbeutungen 
mar eg in SBirtticßleit ein erfter Serfucß einer allgemeinen @rb: 
funbe (bie man ja noeß jeßt naeß ißtem übermiegenben 3ußatt 
„pßhfifeße" zu nennen pflegt); eg beßanbelte Klimatologie unb 
SReeregftrömungen, bie Beßre non ber Slugformung beg @rb; 
bobeng in ©ebirgen, Sluhtßälern, ©benen unb bie Serbreitung 
ber für bie Sottgmirtßfcßaft mertßoottften Soffitten. „So glaube 
icß jeßt," feßreibt Sitter 1809, „in biefem ©tjftem bet pßhfifcßen 
©eograpßie bie ©runblage einet miffenfeßafttießen ©eograpßie 
überhaupt unb alle äufjeren Stntriebe zur ©ntmidelung ber Söffer 
bocumentirt zu ßaben." 

3n folcßet Klarßeit ftanb feßon bamalg bem jugenbtießen 
Sorfcßer bag ©efammtgebäube feiner SBiffenfcßaft alg einer mefent: 
ließ naturmiffenftßaftlicßen Digciplin bor ber Seele! ©in grünb: 
ließet 3*rtßum atfo, menn meut ißn zum Sannerträger einer 
! unnatürlich ßiftorifirenben Sicßtung ber ©eograpßie maeßen mottte. 

I Stllerbingg fcßlicß fieß in bie beinahe ein ßafbeg 3“h*ßunbert 
j bur^meffenbe Stugarbettung feiner großen „©rbfunbe", atfo ber 
afritanif4 s ofiotif^en Sänberfnnbe, je länger je meßr ein nießt 
nur ßiftorifirenber, fonbern gerabezu teleofogifcßer Bug ein. ©g 
begegnen ung ba mitunter epifobenartig ganze ©efcßicßtöerzäßtun: 


*) (ES ift feßr zu bebauern, baß Kitter nacßmalS biefe fo zutreffenbe 
Bezeichnung fallen ließ unb feine ©eograpßie eine „nergleicßeitbe" nannte, 
toa8 eben nur bag im Obigen »on ißm felbft Definirte bebeuten foHte, 


aber in bem für anbere SBiffenfcßaften allgemein angenommenen (Sinn 
etmag ganz Slnbereg bebeutet, baßer zu abenteuerlichen SRißoerßänbniffen 
füßrte. 


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Kit (Segtnwttrt 


197 


Nr. 39. 


pen, unb — was principiefl tiefer wirten mußte als folcße ©er; 
irrung üom tanbeStunblicßen Ißema — eS tritt aßmäßtidß bet 
große #auptjwed ber Naturerttärung ber Erbräume hinter ber 
Säuberung ißrer ßiftorifchen gunctionirung feßt jurüd. Eins 
ber gemüßtigften ©elbftbelennhtiffe NitterS aus feinem fpäteren 
Sitter ift at8 Ntotib bafitr ßöcßft bejeicßnenb: „Ntir ift bie Erb; 
funbe nicht reine Naturwiffenfdjaft, fo wenig wie mir Slntßropo; 
logie btoS bie ©ßßjit bes SNenfcßen begreift: benn aueß bem 
Erbplaneten rnoßnt eine geiftige Kraft bei, baS SWenfcßengefeßtecßt, 
wie bem Seihe bie Seele. SBenn icß in bem Erbbaße jwat fein 
phgftfcßeS ©anje als eine Organifation auffaffe, fo ift fein SBefen 
bomit für mid} teineSmegS erfaßt nnb erfdjöpft, fonbern erft 
baburcß, baß er ben ju ißm notßmenbig gehörigen menfcßlicßen 
SBefen, ben Böllern, bem SWenfcßengefcßlecht jut SBiege, jum 
ErjießungS; unb SBoßnßaufe als ©runblage oorliegt, bemgemäß 
eine etßifcße Seftimraung, unb alfo auch eine höhere Organifation 
haben muß all eine auf bloße Nafurjwede gerichtete: lurj, mit 
einem SBorte, baß fie eine ®otte8welt ift für bie Verberge 
beS unftetblicßen ©eifte#." 

NitterS aufrichtige, tiefernfte grömmigfeit war in feinen i 
fpäteren SebenSjaßren nicht frei üon einem mßftifcßen ©chatten, | 
bet, wie bie eben angeführten SBorte beweifen, feine früher fo 
ttare Slnftcßt oom SBefen echter Erblunbe trübte. Er fucht fich 
hier gleidßfam bot fich f e lber ju rechtfertigen, inbem er es ßer= 
borßebt, bie Sehre bom Erbbafl fei hoch nicht „reine Statur; 
wiffenfdßaft". ©ewiß ift fie baS nicht, feitbem baS füngfte Erb; 
gefdßöpf, ber SNenfcß, machtboller als alle anberen SBefen, bie 
bewohnten Ißeile ber Erboberflädße umgewanbelt hat- SBäßrenb 
aber Stifter früher ßarmonifcß neben einanber ftettte bie beiben 
©runbprobteme ber Erbtunbe, urfädßtidße Erllärung bes ©ßß; 
ftfchen unb Erllärung ber SBecßfelwirtung jwifcßen ber Erbe 
unb ihren menfcßlicßen ©ewoßnern, ja mit unboreingenommener 
Nüchternheit in ber Naturanlage ber Erbräume, wie wir faßen, 
einfach bie ©umme ber „äußeren Antriebe jur Entwidetung ber 
©öltet" erfannte, ift ißm nun bie Erbe, bie fo biele Ntiüionen 
bon 3ohten menfcßenloS burch baS SBeltatl freifte, ein planet 
oon „etßifcßer Seftimmung", ber Erbbaß ift ißm „feetenloS" 
ohne bie SNenfcßßeit, unb man beachte eS woßl: es gilt ißm 
nicht mehr fcßlicßt ju ermitteln, wie Sanbeölage unb SanbeSart 
bie ©öltet bon {eher beeinflußte, unb anbererfeitS bie ©ötfer 
ihrer SBohnft&tte ben Stempel ißrer ©efittung aufprägten in 
©erroanbelung ber wilben glur, in ©iebelungen unb ©änbigung 
abßolber Naturmächte, was man ja immerhin bitblicß eine ©er; 
geiftigung beS ErbantlißeS nennen mag, — nein bie Erbe ßat 
außer ber natürlichen nodj eine „höhere Organifation" bon 
©otteS 4>anb empfangen, baß fie baS göttliche SBetljeug werben 
foflte für bie Etjießung beS SNenfcßengefcßlecßtS. 

Xroßbem ßat man mit Unrecht baS SBefen bon NitterS 
Erbtunbe als einen ©erfudß „geograpßifdßet Ideologie" dja; 
rafterifirt lenn jurn ©lüd würbe Nitter feinem alten ®runb= 
faße nicht untreu, fein ©pftem fottte nicht berußen „auf Naifonne; 
ment/ fonbern auf gactcn". 3« ftrenger ©adßlicßteit unb 
unßeftecßlidßen ©inneS füßrte er fein großes SBerl auf; nur wie 
ein golbiger aßnungsoofler ©cßimmer umfängt bie 3bee einer 
geßeimnißboHen ©egabung unfereS Planeten jut ©rfüDung gött= 
ficßet ©rjießungäpläne baS feftgefügte ©ebäube. Stber bie be; 
fagte Uebetncigung auf bie ©eite ber gefcßidjtlichen ©etßätigung 
ber SanbeSnatitr, bie man bem ©aumer! nidßt ju ©unften 
feiner ©hmmetrie in ben fpäteren Ißeilen anmerlt, wo juiefet 
bet ©flicht genügt ju fein feßeint, wenn bet ©cßauplaß be; 
feßtieben ftatt auf feine „natürliche Organifation'.' erllärt wirb 
— baS ift eine fidjtbare golge jener religiöfen Umftimmung. 
SBte tßöricht alfo biefe ©efcßulbigung, unfere heutige ffirblunbe 
habe NitterS SBege oerlajfen, weil fie auf biefen 3 rtt oegen ! 
nidßt weiter gingt $et Umfcßwung, ber fieß belanntticß an 
©efeßets Namen tnüpft, war ja nießts SlnbereS als ein SBieber; 
aufneßmen bet non immbolbt unb Nitter ber SBiffenf^aft ge= 
fteßten Aufgaben mit reiferer SNetßobe unb fdßärfeten SBerfjeugen, 
wie fie ben ©pgteren oßne ißr eigenes ©erbienft jur ©etfügung 
fteßen. SBir maeßen Srnft mit ber fforberung, baß eS oot 


Slßem barauf anfommt, aus ben fjortfeßritten bet gefammten 
Naturwiffenfdßaften ftets oon Neuem bie ©runbfefte ber @rb; 
wiffenfeßaft, bie aßgemeine ©rbfunbe ju ftärfen, morfeße ©ttide 
beS alten gunbamentS bureß tragfäßigerc ju erfeßen; wir maeßen 
©rnft mit ber ftorberung, bie Natur jebeS SanbeS foSmifcß ju etläu* 
tem, inbem wir öerfueßen, feine ©eftatt aus feiner ©efcßidßte, b. ß. 
geologifcß ju beuten, fein Klima erforfeßen als ben mädßtigen 
©ermittlet ber Entfaltung beS organifeßen, folglich aueß beS 
menfcßlicßen Sehens auf bem beftimmten Erbboben, juleßt ftreng 
naeß unfereS StltmeifterS ©orfeßrift unterfueßen, wie „baS 2anb 
auf bie Sewoßner unb bie ©ewoßner auf baS 2anb" wirfen 
unb gewirft ßaben, eingebenl beS aßen SNßfticiSmuS bermeiben; 
ben ©aßeS unfereS ©efcßel: $ie Sänbernatur ift ein großer 
2enler ber Söller immerbar geWefen, boeß aueß ber hefte 2eßrer 
lann ungelehrige ©cßüler ßaben, unb bet feeuntücßtige lürle 
feit 3aßtßunberten am Stegäifcßen SNeere jur ©eite beS fee; 
gewanbten ©rieeßen ßält uns aßein feßon ein braftifcßeS ©itb 
baüon oor Slugen, baß aueß bie Erbe oon biefem Ntißgefdßid 
ber 2eßret leine StuSnaßrae maeßt. 

SBoßt erßebt fteß ab unb ju noeß eine Itagenbe Stimme, 
baß mir nidßt fromm genug feien, um uns 3ünger NitterS ju 
nennen. Unb idß meine, in biefer Elegie liegt einige SBaßrßeit. 
„5)ie ©otf^aft ßör’ icß woßl, aßein mir feßlt ber ©taube" — 
fo Hingt eS in unferem 3unern an, wenn wir Oon geograpßifcßen 
©räbeftinationen ßörett. ®ocß waßrlicß, nießt f?riöolität ßat unS 
ben ©tauben an berlei SBunber geraubt, fonbern bie Einficßt 
barein, baß bie Erbe ebenfo wie ber oermeinttieß fo „weife ein= 
gerichtete" ©au ber lebenben ©efeßöpfe tßatfäcßlidh IßSteteologie 
prebigt. 2)aS tßut ein ganjer Erbtßeit: ber auftratifeße. 3» 
Sapibarfdßrift ift bort bie 2eßre ju lefen, baß unfere Erbe bem 
gtüdücßen Emporlömmling, SNenfdß genannt, nidßt oon einem 
©ott jum Eben erfeßaffen würbe; nur ein Slßriman lönnte biefcS 
Sluftratien mit feinet oerfeßmaeßtenben lürre, feiner entfeßlicßen 
Slrmutß an jeglicßer Naßrung erjeugt ßaben, um bureß eine 
unabfeßbare Neiße oon Saßrtaufenben jammerooße korben unfereS 
©ef^tecßtS auf fo oerfeßmter ©cßoße burftgepeinigt oon Ort ju 
Ort ju jagen, bis baß bie Ißathaft StlbionS bie ©cßäpfung bort 
ßuman oerteßrte, mit ber SBünfcßeirutße mobemet Kultur felbft 
bem SBüftenerbtßeit unoerfiegtieße Oueßen oon SNenfcßengtüd 
enttodenb! 


©idßer fteßt bie SBettanfcßauung ber meiften ©eograpßen 
unferer läge meßr auf §umbotbtifdßem als auf Nitter’fcßem ©oben, 
lodß was ßat baS ju tßun mit ber Nrt, in weldßer unfere heutige 
Erblunbe arbeitet? Keine SBiffenfcßaft, alfo aueß bie geograpifdße 
nießt, ßat ben ©eruf erbaulicß ju Wirten; ober oietmeßr 
jebe erbaut, Wenn fie ernftßaft bie SBaßrßeit fucht. Nannte nießt 
Nitter felbft baS Strbeiten an feinem feßriftfteßerifeßen 2ebenS; 
wert feinen „Sobgefang beS iperrn"? Es ift gerabeju eine 
©cßänbung unfereS nationalen NußmS, in bie erßebenbe Nuf; 
fdßwungSära beutfeßer Erblunbe, bie aufging mit bem leucßtenben 
loppeigeftirn bet $umbolbt unb Nitter, einen ©rueß, einen 2tb= 
faß ßineinjubeuten, ber gar nießt oorßanben ift. Unb wenn 
ein 3wn8Wäcßter auftritt unb uns auf ©etenntniffe beS alternben 
Nitter oerpflidßten miß, fo antworten wir, baß eS eßrlicßen 
gorfeßetn nißt gegeben ift, ©taubenSbetenntniffe Slnberer, unb 
wenn fie bie Eßrwürbtgften feien, jit Seiterinnen ber eigenen 
gorfdßung ju erwäßten. Nur bann finb bie beutfeßen ©eograpßen 
ißrer beiben erlaubten Slßnen würbig, wenn fie, bureßbrungen 
oon ber ßoßen Aufgabe ißrer ju nrfäcßlichem Erllären ber für 
baS prattifeße Sehen bet ©öller wie für bie tiefften Uebet; 
jeugungen beS menfcßlidien ©eiftes’ wießtigften linge berufenen 
SBiffenfcßaft, ben entfagenben Steiß eines Nitter ju oerbinben 
fueßeu mit bem Ktarbtid eines $umbolbt. 

ES gemaßnt an baS Erjbilb, welcßeS naturwaßr bet Künftler 
feßuf, um uns bie ebel neiblofe greunbfdßaft ©cßißerS unb ©oetßeS 
im lenlmal ju oerftnnlicßen, baß wir fdßließen lönnen mit einem 
SBort fdßöner unb aufrichtiger SBürbigung NitterS bureß $um; 
bolbt, wie wir oben Nitter ben NußmeSltanj, bie neuere Erb; 
lunbe gefeßaffen ju ßaben, bem älteren gteunbe barteießen faßen. 


ES ift ein im ©ertrauen gefprocßeneS SBort, baS um fo fdßwerer 

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198 


Die (Segenamrt. 


Nr. 3Ö. 


wiegt. Vumbolbt uerfdjweigt babei nicht, was if)n oon Wüter 
trennte: „Seine religiöfen Senbengenöerbreiten ^iec unb ba ein 
gewiffe« Sämmerlidjt über feine 9lnfi<hten"; ober er befennt, 
wie er eB nie non einem Anberen feine« weiten ffrennbefreife« 
befannt hat: „Witter ift nicht blo« gro| alB Sorfcher, 
fonbern auch l)uman unb lieb enSmütbig als SRenfd). 
3dj fdjäfce ihn h°dj in beiben Begreifungen." 3>n ootten 
Wiajje barf man cB auch mm Witter auSfptechen: 

3Beit hinter ihm im toejenlofen Scheine 

Sag, toaS unB alte bänbigt, — baB ©enteine. 

Surcf) biefen fittlicfjen Abel, bet mitb unb ernft fein 
fpred>enbe8 Angeficht mit bet breiten Senterftirn berftärte, hat 
er nicht gum wenigften ber ©tbfnnbe gum Bang einer SSJiffen= 
fdjaft unter uns oerf)olfen. Senn echt beutfdj hat er fein SBefen 
oerfdjmolgen mit feiner Arbeit; nnb S^ber, ber biefe noch im 
adjtgigften SebenBjahr ungebeugte h°h e unb fr&ftige ©eftalt auf 
bem Katljebet falj unb bie fdjlicfjte, eingig burch ben nnoerfenm 
baren AuSbrud tjingebenbfter tforfdjung gehobene Webe ber= 
nahm, fühlte fich unroitUürlüh angegogen oon biefer 1fSerfönlicE>£eit 
unb eben baburch oon biefer bis bahin fo oerfannten 2Biffen= 
fdjaft. SEBer einen Woon, einen ÜJtoltfe feine ©dfüler nannte, 
ift unB berehrungBmerth atB SDtitförberer beB beutfdjen Weich« 
itt faifertofer, in trüber Seit; unbetgängHdjer aber unb weit 
übet bie Sattbe hinauB, wo beutfche Snnge erftingt, lebt biefer 
grojje SRaun weiter in ber burch ihn Oerjängten ÜBiffenfdjaft 
Oon ber ©rbe. 

HIfteb Ktr<hh«ff. 


Sedjstinnkrt (torrcfponbentcn. 

Bon (Seorg Budjmann. 

. 3m 3ahre 1863 hielt ich in ber Ser (in et ©efettfchaft für 
baB ©tubium ber neueren Sprachen einen Bortrag übet gefälfdjte 
©itate. ffir fanb Oiete Suftimmung unb oieten SBiberfpruch. 
Steine Behauptung, eB heile: „Sie fd^önen Zage in Aranjneg 
finb nun gu ©nbe" unb nicht: „finb nun oonibet", eB ftehe in 
ben ißiccotomini: „Sie Uhr fchtägt teinem ©tüdlichen" unb nicht: 
„Sem ©lücttichen fchtägt feine Stunbe" u. f. w. Würbe oon it- 
lefcnen unb tüchtigen Stitgtiebern ftarf begweifett. Siefe unbe« 
griinbeteit Siitreben regten mich gu näherer Befchäftignng mit 
bctt allgemein angewenbeten Zitaten an, unb eB entftanb in mir 
ber ©ebanfe, biefelbeit mit erläutentbem Segte gu tinem Suche 
gu oerbinben unb biefem ben nie! betrittclten, mit Wecht be= 
ftrittenen unb atterbingB gang wittfürtich gewählten Sitel „®c= 
flügelte SBorte" gu geben. , 

3m 3af)tt 1864 würben im Königlichen Schaufpielhaufe j 
gu Berlin oon ÜWitgliebem ber oben genannten ©efettfchaft Born : 
tefungen gur Stiftung eine« WeifeftipenbiumB für Stubirenbe ber 
neueren Sprachen gehalten; ich fpradj bafelbft über „©eflügelte 
SBorte"; eB war ein Ballon d’essai, ber mit fo entliehenem 
Beifall aufgenommen würbe, ba| ich mit bet Verausgabe meine« , 
faunt entworfenen Buche« nid)t gu gögern brauchte. ®8 erfchien | 
halb barauf hn Umfange oon 220 ©eiten, wogegen bie lefcte, j 
elfte Auflage 467 ©eiten gählt. j 

Ser Sitel fanb fofort Atdlang. Ser Klabberabatfch oom \ 
19. 3«li l 864 lie| „Vörrn" 3widaiter einen Brief an mich I 
richten, in welchem ich auf ein neue« „geflügelte« SBort" aufs ! 
merffam gemacht würbe. Am 19. 9Rai 1865 wenbete ber DbeTs 
bürgermeifter 3iegl«r ben AuSbrud gum erften SRale gu Berlin 
in ber Kammer an. 3n einer Sepefdje oom 15. Auguft 1869, 
welche ©taf Beuft an ben öftreichifcheu Bertreter in Berlin, j 
greihettn oon Wtuendj richtete, h«|t „Bielleicht ift e* aber 
nicht ungutreffenb, wenn ich baran erinnere; ba| halb nach bem I 
©intritt be« iperrn ©rafen BiBmarcf in fein Mmt al« SJlinifters j 
präfibent au« einem SluBfchul be« preu|ifchen SanbtageB ein 


Bon bebeutenben ©chriftftellern, bie ben SluSbrUcf „©eflügelte 
Sorte" in meinem Sinne gebrauchen, nenne ich nutet anbetn 
Karl ©oebele, ,,©runbri| gur ©efchidjte bet beutfch<n Sichtung", 
III, @. 839 unb Wubotph ©enöe, „©hafefpeare. ©ein ßeben 
unb feine SBerle", ©. 113, Vil^burghauftn 1872. ©elBft in 
frembe Sprachen ift ber StuBbrucf aufgenommen motben. 1871 
erfchienen - in Slmfterbam „©eoleugelbe SBoorben", ein bürftiger 
Slbflatf^ meine« Buche«; meiner würbe barin nicht gebacht: StnB 
Sänemarf ging mit am ©nbe be« oorigen 3ahreB ein oon CBcär 
Slrlanb in Kopenhagen oerfa|te3 SBetf unter bem Sitel „Bds 
wingebe Orb" gu. Wach ber. Borrebe hat fich ber Slutor gegen 
ben Sitel gefträubt unb benfelben nur auf Streben hnb Wrts 
rathen feiner Berleger angenommen. Sa« Buch f<hlie|t fich 
burch bie Bepanblung fowie burch feine ©intljeilung eng an ba« 
meinige an, ift aber ni^tBbeftoweniger eine erfreuliche, felbff= 
ftänbige, burch baB Vingugiehen be« 61 ©eiten füHenben bärtifthtn 
Stoffe« erweiterte Schöpfung, welcher ich oon gangem Vergen 
j eine frohe 3nfunft wünfehe. ©ine fchwebifdje Bearbeitung ffeht 
! in MuBfi^t. V : 

Bon ben mir befannt geworbenen Wecenflonen habe t<h 237 
; oergeichnet; einige barunter gingen Oon auBlänbifdhert 3eitungen 
I ein. ßnglifche erfchienen in ber ©aturbap WeoieW Oom 29. Octös 
I ber 1864, im Stthenäum Oom 13. Dctober 1866, in Wr. 88 
! ber Ülcabemp oom 3<»h tc 1871; le|tere hatte Srofeffer gelcj 
Siebrecht in Süttich gum Berfaffer. ®u« SinCinnati in ben Ber: 
einigten Staaten oon Worbamerifa ift mir bie Befpre^nng ber 
4. Sluflage in Wt. 26 ber Seitfchtift „Ser SBahrheitBfreunb" 
oom 5. ffebruar 1868 unb in Wr. 6 ber 3eitfdhrift „Set 
Sonntagmorgen" oom 19. 3nli beBfelben 3ahreB gügegangen. 
3« Sranfreich ift, fooiel ich weil, meine« Buche« niemals ©r« 
wähnung get|an worben. SuB Wu|(anb ftanb eine Weeenfiott 
bet 2. Sluflage in ber „BeterBburger Seitung", Wr. 33, oom 
3ahre 1866; in ber Wiga’fdjen 8eitung, Wr. 287 beB 3ah«S 1864, 
würbe bie erfte Stuflage oon K. fo wie in Wr. 173 unb 174 
be« 3ahw8 1866 bie britte oon 3egör oon SteoerB befprochen. 

Bon Kritifern, benen ich wefentliche görberung oerbanfe, 
nenne ich 5- ©• Bilmar, weicher mein Buch burch eihe 
ausführliche StuBeinanberfehung über „Et ego in Arcadia“ : be= 
reicherte unb mir au|erbem auf eine fchriftliche Anfrage übet 
ein ©itat bereitwillig! Stuöfunft ertheilte, 91. Siefterweg, 
©pmnafiatbirector Dr. Verjjberg in Bremen, ben ©hafefpeare: 
fenner unb V era u«geber be« Broptrtiü«, Srang VülBfamp, 
Dr. Karl Klüpfet, Dr. Weinholb Köhler, ^Sroftffor fjeltg 
Siebredjt, Dr. Bant Sinbau, Dr. fjriebrid) Satenborf, 
©buarb ©ad, Dr. Vrrmann tthbe, ©iBbert Oon Binde u. f. W. 
3ebe ihrer Befpredjungen trug mit bie fdjähbarften Berbefferungfit 
unb Beiträge gu ben folgenben 9luflagen ein. Ungünftige Be« 
fpred)ungen, Welche, auf wunberlichen 3rrthümern fu|enb, ftch 
mit einem um fo fpolhafteren WimbuB ber Unfehlbarfeit Um* 
gaben, habe ich bisher nur gwei öffentlich gurüdguweifen gehübt. 

$eute, am 14. 3«ai 1879, trage ich ben fe<h«huribprtffett 
©orrefponbenten in mein Wegifter ein. Unter biefen ©otrefpott* 
bentetc finb alle ©tänbe oertreten, Bürgerliche, Ütbelige, fjrti«' 
herreit unb ©rafen. Sie 15 SKititärperfonen, Welche fich Wit 
mir in fchriftliche Berbinbung gefegt haben, marfchiren auf oom 
einjährigen {freiwilligen bie gange Stufenleiter b«B Wange« hinan 
bi« gum ©enerallieutenant; höher hinauf bin idj no^ nicht' 
aoancirt. Uebet „3eber frangöfifche ©olbat trägt ben 3)tarfchall= 
ftab in ber ißatrontafche mit jich" erhielt ich bie jefct fn meinem 
Bu^e ftehenbe 9tu8funft oon bem Dberften eine« öftreichifchen 
3nfanterietegiment«. Wach bem lange Oergeblidj oon mit ge* 
juchten 9lutor be« 9lu«fprucheB „ber pteu|ifd)e Schulmeifter hat 
bie Schlacht oon ©abowa gewonnen" fragte ein baperifcher SRajor 
bei mir an. 3<h tonnte ihm nur mit 3Jtutbma|uttgert ant* 
Worten, ©einem emfigen gorfchen gelang e«, bett Urheber 1 He« 
SBorte« auBfinbtg gu machen, unb ihm oerbanfe ich bäher, wa« 
jefjt barfiber in meinem Buche gu lefen ift. Slufjet biefen SWilitär« 
oetgeichnen meine Siften 122 Soctoren ber Bhilaföbhir, 14 


geflügelte« 2Bort in bie Ceffentlichfeit brang, welche« feitbem bie 
©reigniffe gu einet thatjäcplichen SBirfttng geftalteten u. f. w." 


Soctoren ber Wtebicin, 49 bem Sefjrftanbe Angehörige, 14 
UnioerfitätSptofefforen, 88 Sitularprofefforen, 46 3 u riftetroom 


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uuiucviv i vrui, 

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Nr. 39. 


JDi e <& t $ e nun» ri. 


199 


Seferenbar au bis jum Dbertribunalöratg, 26 ©aftoren, eoange= 
lifcge wie tatgolifdge, 2 ©enebittiner, 20 ©cgriftfteßer, 15 ©u<g; 
gänbler, ©ibliotgefare, ©utSbefiger unb ©utSoerwalter, Ober; 
förfter, ©antierS, Äaufleute, gnbuftriefle, ©tubenten unb ®gm= 
nafiaften, natürlich auch eine Menge anonymer ober nicht näher 
bejeidptcter ©erjonen. Slueg jä^te ich unter meinen @orrejpon= 
beBten 12 35amen. 3h« Mitteilungen Waren jumeift furj, 
Kar unb Derroenbbar. Manegen ©tubenten, bet mich burch bie 
Stufmertfamteit überragte, mit welcher er mein Such geprüft, 
fowie burch bie wohlüberlegten gufäge, mit welken er e§ er= 
weiterte, gäbe ich 8“ eg«noofler ©erufstgätigleit emporfteigen 
fegen; ein ©tubent arbeitet noch ^eute fleißig unb förberfam 
mit @8 tommt auch not, bag luftige ©rüber ber ftubirenben 
Sngenb mich als ©dgiebSridhter über bie Sücgtigteit biefeS unb 
jenes geflügelten SBorteS anrufen, um ihren Streit bei einigen 
Staffen SBein entfeheibett ju tönnen. 

©leich nach bem ©rfdjeinen ber erften Auflage ging mir 
ein beriegtenber ©rief meines erften Eorrefponbenten, beS $erau8= 
gebetS beS SluluS ©efliuS, beS UnioerfitätSprofefforS Dr. V«g 
in ©reSlau ju. ©inen folgen Anfang beS fchriftlicgen ©ertegrS 
mit meinen ßefern burfte ich für ein gutes Omen ber ©Setter; 
entwicflung hotten. V«ute erftreeft fich mein Sriefwechfel Weit 
über 35eutfcglanb hinaus. SluS ©Öhmen, -Mähren, Ungarn, 
Siebenbürgen, Xirol, ©uglanb, ©ölen, aus ^totien, grantreich, 
35änemart, Schweben, ben ©ereinigten Staaten in ©orbamerita 
flnb mir ©eiträge, Sleugerungen beS Nantes unb Beitrags* 
Detfudge augegangen, feltfamer SBeife auch nicht ein Seitrag aus 
ßnglanb, obwohl, Wie oben erwähnt, gerabe bie englifche ©reffe 
mein ©u<h in ber anerfennenbften SGßeife befprochen hat. SBenn 
bie franaörtfche beSfelben nie ©rwägnung gethan, fo befige idh 
gerabe in ©aris feit einigen Sagten an einem franaöfifegen ©es 
lehrten einen unermübtich thätigen, febe Sitte um Sluffdglug er= 
füflenben, geiftooßen ©orrefponbenten; ihm oerbante ich, nnter 
Dielen anbeten Gingen, WaS ich in ber 11. Auflage über „le 
qusrt d’heure de Rabelais“ habe fagen tönnen. ©ießeiegt fann 
uh ihn bewegen, ein franjöfifcheS SBert über geflügelte SBorte 
au fegreiben; benn ©bouarb gournierS liebenSwürbigeS Such ! 
„L'Esprit des Autres“, baS benfelben ©egenftanb behanbelt, ift ! 
feit ber 4. SluSgabe ton 1861 nicht wieber erfdgienen unb faft | 
oeifegoßen, ift auch an manchen ©untten au berichtigen unb oor : 
aßen Singen ju erweitern. 

©elbft aus ßonftantinopel würbe eine Anfrage an mich i 
gefteßt, nämlich bie, wo benu „beim ©arte beS ©ropheten" an i 
fudgen fei, waS in ber orientalifdjen Siteratur nirgenb oorfomme, 
Wenn auch baS Meger’fcge ©onoerfationSlejifon eS für eine otiens : 
talifche ©ebewenbung auSgebe; ich antwortete, bag ßSmin in ; 
MoaartS „©ntffigrung aus bem ©erail" biefe SBorte fingt. 3mn 
3)ant für biefe StuStunft empfing ich e ine fleine fcgriftlicge Slb* i 
hanblung über ben türtifchen ©art mit Seberaeidgnungen. geh 
lerne barauS, bag im ©aiais beS ©ultanS nur ein Schnurrbart 
getragen werben batf, bag ber ßinnbart baau nur ben haften 
militärischen ©bargen au tragen erlaubt ift u. f. w. Man Siegt, 
wie oielfeitig belehrenb bie weitoeraweigte Xtjätigteit beS ©er= 
fafferS bet geflügelten SBorte auf ihn aurüefwirtt. 

©iner meiner älteften ©orrefponbenten, ber unermüblich 
thätig für mein Sud) war, unb ber mir aus bem Schale 
feines SBiffens unb feiner Selefenheit in alten unb neueren 
Sprachen bie mertgooßften ©eiträge fpenbete, war ber wegen 
feiner Serbienfte um bie ®unbe ber ©cgtiftmerle SutgerS »on 
ber Uniöerfität au Voße aum 3>octor ernannte ©aftor emeritus 
in Bresben, 3- ft. ©eibemann. Mit ber Verausgabe ber urfprfing* 
liegen lifchreben SutgerS in ihrer älteften ©eftalt befegäftigt, 
würbe ber treffliche Mann ber SBiffenfchaft burch ben Xob im 
Sluguft 1879 entriffen. ©r ift einer bet Wenigen literarifcgen 
greunbe außerhalb Berlins, welche ich perfönlich jutennen mich 
glücflich fdgägen burfte. 

SluS ben UniberfttätSprofefforen, Don welchen ich Seit; 
Siebrecgi unb V«g fegon genannt, erwähne ich als fotche, benen 
mein Buch Detbeffembe Umgeftaltung oerbnntt, Dr. Voßanb in 
Tübingen, Dr. ©ernaps in ©onn, Dr. VanS sßtujj in ftönigSs 


berg, Dr. 8oß au ber ©apienaa in SRom, ber fchon als Berliner 
©tubent mir brauchbare Beiträge auf «hielte, Dr. Slnbrefen unb 
Dr. ©irlinger in Bonn. ®em Kenner ber ©efdjicgte griebricgS 
beS ©rogen, ©rofeffor Dr. ©reug, Derbanft eine ©teße meines 
Buches, welche fich auf ben grogen ßönig beaieht, ihre jegige 
©eftalt. Mit ©rofeffot Dr. Magmann hatte ich eine Don ihm 
gewünfehte Unterhaltung, bie mir manches Sleue lieferte. 3)et 
liebenSwürbige, heitere Voffmann Don gaßerSleben, welchen ich 
in ben legten Sagten feines SebenS baS ©lücf hatte, in Berlin 
fennen au lernen, war ein gülfreicger greunb unb ©öitner meiner 
©eftrebungen. 3)ie ©ibliotgetare Dr. Steinharb Äögler in SBeimat 
unb ©chnorr Don ©arolSfelb in 3)re8ben haben mand)e ©abe 
beigefteuert; bem erfteren fchulbe idh unter anberem ®an! für 
bie gegenwärtige gaffung beS über „baS Steue baran ift nicht 
gut, unb baS ©ute baran ift nid)t neu" ©efagten, bem leiteten 
unter anberem für baS im Slrtilel „Stürnberger Trichter" Sln= 
geführte, ©benfo bin ich bem im Mai 1879 Derftorbenen 
BibliothefSofficial im ginanaminifterium a u SBien, gofeph 
M. SBagner, für werthDoße Beiträge Derpfli^tet. ©S war eine 
greube, mit biefem ebenfo ho^gelehrten Wie befcheibeneu Manne 
an oerlehren. 35er Slrchiofecretär Dr. ©aul Mifjfdjfe in SBeimar 
gehört feit feinen ©tubentenjahren au ben eifrigsten Mitarbeitern. 

©on ©pmnafiatbirectoren, benen ich ©erbefferung unb ©er= 
mehrung meines Stoffes fchulbe, nenne ich ben fchon oorhin er; 
Wähnten Dr. V«|berg, p er mir a uS bem reichen ©cha|e feines 
SBiffenS manches 9täthfel crfcglog. Mit welcher ©pannung fah 
ich einer ©efprechung ber lepten Sluflage meines BucgeS burch 
ihn in ber SBeferaeituug entgegen! Solche ©efprechung war für 
mich ftetS eine gunbgrube. Statt beffen erfdgütterte mich im 
3uni 1879 bie Utacgricht Dom 35obe beS bewährten Mannes. 
3<h nenne ferner 35irector Dr. SBenpel in Dppeln, ber feit bem 
3agre 1872 mit mir fcgriftlidg Derlegrt. 35ie Unterfucgung über 
fnria francese gat er angeregt, fo auch bie über con amore, 
beren Stcfultat in Sluflage 12 au lefen fein wirb; baS fegon Dor 
3agren Don igra angemelbete „Seben unb leben laffen" wirb 
ebenfaßS bort feine ©teße finben. Slmg Dr. ©eblicg in Vamburg 
gegört au ben frügeften greunben meines BucgeS. ©r riegtete 
bereits im 3agrc 1865 meine Slufmcrffamleit auf mancgeS 
bamalS noch feglenbe SBort. ©on ©ealfcgutbirectoren fügre icg 
unter anberen ben Moliörefenner Dr. gritf^e au ©rünberg in 
©cglefien, Don ßegrern Dr. ^»einridg ©rögle, ben Vetberlenner 
Dr. ©upgan, ©rofeffor Dr. ©Oppenheim, Dr. Vorher in Berlin, 
Dr. gug an ber ©geinifegen ©itterafabemie ©ebburg u. f. w. 
an. ©rofeffor Mufilbirector @rf in SetUn unterftüpt mich feit 
3agren in ber entgegenfommcnbften SBeife. ©on Siebten nenne 
icg ben oerftorbenen ©anitätSratg Dr. ©raun, ©abearat in dtegme, 
ben 35anteleuner unb 3>anteüberfeger, mit welchem icg lange 
correjponbirt gatte, beüor icg unDermutget im gagre 1871 feine 
perfönlicge ©efauntjegaft auf ber' ©ia Slppia bei ©om machte. 
3)em ©ucggänbler Dr. ©uftao ©dgwetfegte iu Vaße oerbante icg 
bie jegige gaffung beS UrtifetS „©eter Mcffert", bem ©rofeffor 
©ampgaufen in 3)üffelborf, bem einigen Sünftler unter meinen 
©orrefponbenten, bie fßidgtigfteßung ber Serfafferfdgaft Don „2)er 
Bien’ mug" unb „SBaS tragt mir ber Mantel, wenn er niegt 
geroßt ift?" 3<h nenne ferner ben ©ürgermeifter SlglerS in 
9ieu=©ranbenburg unb ben belefenen ©anfier V*rtflet in ©erlin, 
einen meiner älteften unb aufmertfamften ßefer ; idg nenne ferner 
einen egtwürbigen ©enebiltinerpater, bem idg bie Berichtigung 
Don „Roma locuta est“ oerbante unb einen ©pmnafiaften, welcher 
mir über „SBer auerft tommt, ber malt auerft", baSjenige mit; 
getgeilt gat, waS in Sluflage 12 au lefen fein wirb. 

3<h hätte noch Diele Mitwirter aufaufügren; fie werben es 
mir niegt oerübeln, bag icg igre ©amen oerfdgweige, ba bie 
Slbftcgt biefer geilen nur war, ein ungefähres ©ilb ber afl= 
möglichen ©erooßftänbigung meines BucgeS au geben. 3)ag icg 
felbft bet fleigigfte ©ermegrer unb Serbefferer beSfelben bin, 
barf icg ogne ©ugmrebigteit auSfprecgen. SBegeu förderlicher 
Unrüftigteit aus bem Slmte getreten, lebe ich gana unb gar bem 
©ebeigen meines SBerteS, in biefer freubigen Slrbeit freubig 
unterfiügt; wenn einige ©elegrtc, unwirfeg barüber, bag icg niegt 

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lie <5fg*nwart. 


Nr. 39. 


2(H* 


alle ißre 93orfcßläge fofort acce^tirt ßabe, in intern Unmuts mit 
ißre ®eißiilfe entsagen ßaben, fo bcbaure idß ba» non 4>trjen, 
muß mit aber ba» Siecht, mein 83 wß naeß meinem eigenen Gr: 
meffeu umpgeftalten, ein für allemal unb für immer oorbeßalten. 

Saß icß eine überaus große Senge non 3ufenbungen in 
leinet Seife oetwertßen lann, liegt an bem Mangel be» S3er: 
ftänbniffe» für ben begriff Geflügelte» Sort; icß metbe mit 
Gitaten, bie feine geflügelte Sorte ftnb, mit fReben»arten, Sprieß: 
Wörtern, fcßlecßten Sißen unb mer weiß wa» füt Spraeßformen 
überfcßüttet, bie pm Gßaratter meinet Scßrift paffen wie bie 
gauft auf» Äuge; icß metbe mieß in bet pölften Äuflage 
gegen biefe 93erfcßtimmbefferungen noeß beutticßer unb liatet 
auäfprecßen al» icß ei bisher getßan unb ben GHnfenbern bon 
bergleicßen Unbraucßbarleiten non nombetein. bie 93etficßerung 
geben, baß fie tpeber 83erüdficßtigung finben, nodb Äntwort et* 
batten »erben. 

3u ben unbrauchbaren Ginfenbungen geböten auch bie non 
jwei ffteunben junget Siebter, welche p glauben feßeinen, e» 
fei felbftDerftänblicß, baß ißrer bießterifeßen Sreunbe Sorte 
uotbmenbigetmeife p geflügelten werben müßten. 3cß aber bin 
nicht im Stanbe, ba» gelungenfte, fcßlagenbfte Sicßtetwort au» 
eigener SacßtDoßtommenßeit pm geflügelten p erheben; ge= 
flügelte Sorte fliegen non fetbft empor, au» fieß ßetau», oßne 
mein Butßun. (jg ift boeß nießt meine Seßulb, baß geniale 
Sorte genialer Sicßter, eine» fßaut #eßfe, eine» fSertßotb Äuer: 
baeß, bi»ßer nießt geflügelte Sorte geworben ftnb. Sie manche 
Sorte berfelben ßaben fieß meinem $etften unb meinem Ge? 
baeßtniffe ttoßbem tief eingeprägt; baß fie nießt flügge geworben 
finb, wer mag e» erliäten? Sa» Sort be» fRotßfuß in Salb: 
frieb j. 95.: „SRäffer al» naffer lann man nießt werben", feßeint 
p einem geflügelten wie'gefcßaffen, ift aber leibet noeß lein» 
geworben. . 

“Cie Äufjäßtung meiner Sitarbeiter lann icß natürlich nießt 
fcßließen, oßne aueß ßier, Wie in ber 93orrebe meine» 95ucße», 
bie $etten fRobett $ein unb Satter SRoberkZornow rüßmenb 
ju nennen. Set erftere, ein 9teffe be» Sater» unb Sicßter» 
SRobert fReinid, ift feit einer langen Steiße oou Saßren ein treuer, 
fleißiger Sitarbeiter, ber mir namentlich bei ber $etfteUung einet 
neuen Äuflage mit aßen Kräften jur |>anb geßt; bet leßtere, 
ein Großneffe ber fRaßel unb be» Sicßter» Subwig fRobert, über= 
rafeßte mieß im Saßre 1877 mit einem eingeßenben ©tiefe, ber 
mieß auf Süden im Gebiete be» Griecßifcßen, be» Sateinifdßen 
unb ber neueren Siteraturen aufmerffatn maeßte unb fieß p 
bauetnber Sitßülfe bewegen ließ. 

Geflügelte Sorte ftnb Detßanben. G» war eine fßfließt fie 
p fammeln unb ißren Duellen nadjpfpüren. Sie jfrage, ob 
ißre Änwenbung nüßließ ober fdßäbliefj, p empfeßlen ober abp* 
ratßen fei, ßatte icß mir nießt Dotplegen. Sie ftnb al» eine 
Grgänpng be» beutfeßen Sortüorratße» unb Sörterbucße» p 
betraeßten. Sa» tefenbe publicum joßt ißrer Sammlung einen 
93eifaß, ber mieß erfreut unb mieß anfpornt, bie betretene 93aßn 
itacß Ifräften p erweitern unb noeß gangbarer p ntaeßen. 

Senn bie 3<*ßl meiner Gorrefponbenten auf Saufenb ge: 
waeßfen fein wirb, bann werbe icß mit wieber ertauben, IRecßen: 
feßaft unb 95ericßt oon meinem 93riefwecßfel p geben; Dießeicßt 
etfaßre icß bi» baßin, ob maneße wiffenfeßafttieß unb gefeßfcßaft< 
ließ ßoeßgefteßte Gorrefponbenten genannt fein motten, beten fRamen 
icß oerfeßwiegen ßabe, ba mir bie au»brüdlicße ßuftiramung ber 
Herren bi»ßer feßlte ober jweifelßaft war. 


^UnerikflnifdjeB ttniverfttatslebett. 

Äon (Otto ©rojj. 

n. 

Gintritt in» „Gollege". 

Sr. 93rown, unfer junger Sreunb, ßat fieß naeß glüdlicßem 
ÄuSfaH ber ÄufttaßmSprüfung Wieber in feine Heimat begeben, 


ben „term. of vacation“ oor bem 93eginn be» Goflegejaßrt» noeß 
in peßer Ungebunbenßeit p genießen. 

Sir begegnen ißm wiebet in Gambribge, an einem ßemcßcßmt 
Sorgen gegen bie Sitte be» September. 

Um biefe Seit, bem 95eginn be» Goßegejaßre», wirb ber 
wäßrenb be» $ocßfommer» — mit ÄuSnaßme ber paar Zag* 
wäßrenb ber Äufnaßm»prüfungen — leer unb wie: au«ge= 
ftorben gewefene UniDetfität»plaß wieber tebenbig. Sie Stubentm 
lommen aßmaßtieß immer jaßlreicßet; an unb aße finb, iif teb» 
ßafter 95ewegung um bie Goßegegebäube; jebet tradßtet eine fo? 
genannte „beffere" Soßnung ju belommen, obgleich bie wefeut« 
ließen Unterf^iebe nur oetfeßwinbenb gering finb. Sutcß bie 
barau» entfteßenben Dielen Utnjüge auf bem engen Gebiete ent: 
fteßt eine ganj ßeiltofe Gonfufion. ^anbwagen fteßen Dor bes 
Zßüten ber „dormitories“ (in weteßen bie Stubenten woßnen), 
unb auf ben Gängen unb Steppen geßäuft liegen 95tt<ßer, Söbet, 
Setten, 93ilber, aße $au»ßalt»güter unb Gef&ße bet Stubenten 
bunt bnr^einanber, wäßrenb ba» Zoßumaboßu ber ben Zran»: 
port beauffießtigenben Gigentßümec um nießt» geringer ift. 3rifcße 
fßadträger, bie 95anbaten ftubentifeßen Gigentßum», ßanbtieren 
mit aß ben Saißen auf eine Seife, al» wollten fie fieß ganj 
offenbar bafür täcßen, baß fie nur ein Sal im 3 a ß« biefe 
Gelegenheit ßaben, Äße», wa» in ißte unfanften Sänfte, lommt, 
ju jerbreeßen ober fonftwie ju befcßäbigen. 

3n biefer übergefcßäftigen Senge finben wir, aueß Sr. 
93romn auf feinem Sege nadß 9ir. 18 im „Collage Houie“, wo 
er mit feinem „Gßum" für biefe» 3aßr Soßnung ßat @t 
finbet bie Zßüt oerfdßloffen. 3rgenb Ginet fagt ißm, „3oßn 
8deab" tönne ißm ben Scßlüffel geben. Gr finbet feinen Sann 
Doßauf befcßäftigt, ungebulbige Sopßomore», ungeftüme 3unior» 
unb grabüatifcße Senior», bie aße taufenb Singe Don ißm p 
gleichet Seit Derlangen, p befriebigen. 

Gnblicß tritt ber junge Stubent in fein „dormitory“, fein 
$eim für ba» lommenbe 3oßr- Zer ßiaum ift gereinigt unb 
auf Goßegeweife eingerichtet Gin frifeßer, blauweißer Änftricß 
ber Säuern bient nur, bie Dielen buntlen Sieden be» ^wljwert» 
beutlicßer ßetDortreten p taffen unb bie 95emerlung p erleichtern, 
baß bie Ga»ßamme, oftmal» p ßoeß aufgebteßt, ben fßlafonb 
grünblicß gefeßwärjt ßat. Gin Scßloß Don ungefügen ®et= 
ßältniffen ift oberhalb bet Steße, wo e» früßer fidß befanb, an 
bie Zßüt gelegt worben, unb ein Stüd neuen $ot)e», fowie 
pßlreicße Sprünge unb 9tiffe in ber Zßüt finb beuttießfte argu¬ 
menta ad hominem, wa» Äße» fie ßat au»ßalten müffen. 

Ser 93tid au» ben genftem ift nießt eben Dertodenb. Seere 
Suderliften unb Slumfäffet, worüber Sißionen Stiegen feßmärmen, 
unb ein wirret Raufen Don Zaufenbertei unten im engen $of, 
Sacßfirfte ringsum Don oben. 

3mei Sännet bringen eine feßwere Sifte über bie Steppe; 
ßinter ißnen ßer Hingt bie aufgeregte Grmaßnung, Dorficßtig p 
fein. Sie Stimme Hingt belannt, unb in ber Zßat ift e» ber 
3unior, Welcßer fieß am erften Zage bet Äufnaßmöprüfung bei 
unferem jungen fjreunbe ungebeten p Gafte geloben ßatte. 

„Why, how are you Smith — no, Brown? Su WOßnft 
ßier; icß gerabe gegenüber unten. $aft ’nen Gßum?" 

„Yesl“ 

Ser 3unior tritt ein unb fießt fieß in bem Gemacße nm. 
„0, 93rown," fäßrt er fort, „Su ßaft ja noeß leinen Zeppicß. 
.itannft einen bißig Don mir ßaben; ßabe ißn fefber nur ein 
3aßr geßabt, aber, you know, wenn man 3unior wirb, muß 
man’» nobler tßun, unb fo ßabe icß ’nen neuen gelauft. Ser 
Ätte ßat mir bieSmal bie Zafcße gut gefüßt. Geb’ Sir ben 
alten für aeßt Soßar». Sißft ißn feßen?" 

Unter ben Dielen Zugenben, welcße Sr. 93romn in ben 
leßten Zagen fieß Dorgenommen ßat p üben, ift nießt bie ge: 
ringfte, oernünftige Sparfamleit, unb fo geßt er beim mit bem 
erfahreneren greunbe, ben Zeppicß p feßen. Ser ift pmr 
jiemlicß abgenußt, aber bi» pm 3uniorjaßr, wo er fieß bann 
aueß einen feßönen, neuen laufen wiß, bentt Sr. 95rown, Witb 
er’» woßt noeß tßun. Saßrenb er nun mit ßlabel unb Scßeere 
befcßäftigt ift, ben Zeppicß auf ben 93oben p breiten unb feft: 


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Nr. 39. 


lif «rgennurrf. 


201 


jümacben, baff ihm ber Schweiß bott bet Stirne rinnt, lommen 
brei ober bier Sopbomore» bie Dreppe f>etab unb Miefen bur<b 
bfciwiit offene Dbttr. 

„SEBaS ’» ba wohl gibt?" fagt ffiinet. 

„IVteshy, I guess, fie^t ganj barnacb au»," nteint ein 
Hnberer. 

„Hallo! are you a Freshman?“ ruft nun bet ffitße Wieber, 
nabfdjon fhtb afle »iet im 3iwottr unb in SRt. ®roWn hämmert 
eine 3bee. a!8 batten fle bie Äbpcbt, pfn ju „hazen“. Da er 
junäcbp ferne Mntwört gibt, toeif er überlegt, wie bet Mbpdjt 
be* Sopbwnöre» am beften jü begegnen, ruft ibn bet fraget 
oon Steuern aU: „3$ habe gefragt, ob Du ein Ftefbman biß?" 

„Ftefbman?" erwibert je^t bet jnnge Stuben!, „i(b weiß 
nicht, was 3b r bamit meint, id) bin bet neue Ißrofefför be» 
Sainsftii" 

über fdjon fitvb bie ungebetenen Säfte butt an ihm unb 
eiltet wirft ibn mit bem Stuhle, worauf er fifet, um. 

„So, 'Du bift bet neue SanStritprofeffor?" fagt berfelbe 
Stage* mit bäbuifibem ©eläcbter. 

• „Yes.“ ' 

„Yos! SSBa»? Du Wiflß WobMagen: Yes sir!“ 

„So jiemt pdj’S für einen Ftefbman, ju antworten: Yes, 
sir!, wenn ein Sopbomore ibm bie ffibre erweift, ibn ju 
fragen." 

„No, ba» wollt’ i<b ni(bt." 

„Du meinft wobl: No, sir ! tag’ fo!" 

Unfer junger Freunb jögert eine SBeile; enblith fagt er 
bod>: „No, sir!“ 

„@<bön! 3 e bt fage: Yes, sir!“ 

„Yes, sir!“ 

„So! fo gebärt pcb’». BJtußt ni(bt obflinat fein, Ftefbh, - ' 
unb bamit wirft er wieber ben Stuhl in bie fjöfje, inbem er 
lmbenb beifügt: „SBarum, jum D—, fifceft Du niept ßiße, Du 
bift mir ja faß oor bie Füße gefallen," unb ein lauter Sach 5 
djor aller Sopbomore» begleitet ben berben Spaß. Mber fie pnb 
nixb lange nübt fertig. 

„$e, Srefbb," fagt einer ber ©ier, „Dir fehlt’» noch an 
SebenSart, baß Du pfceft, wäbrenb Deine ®äße fteben, bie mehr 
fmb, als Du." 

„Sbr febt bodj, baß ich blo» ben einen Stubl habe, unb 
wo» iß ba» für fo ©iete?" 

„Mb, oortrefflicb! Ftefbb bat enblicb bie Sprache wieber; 
gefunben. Unb nun fotl er uns was ©rieebißb oorlefen." Unb 
febon hält er ibm auch ein ©ud) fnapp borS ©epdjt, Wäbrenb 
ein Mnberer ibn oon biuten mit bem Kopf barauf ftößt. 3n 
Folge beffen bot et, wenn er auch ben beften SBiflen baju gehabt 
hätte, noch leine Seile unb lein 5B3ort feilen, öiel weniger lefen 
lönnen; ba fagte aber febon einer oon feinen Reinigern: „So 
iß’S recht’, nur etwa» lauter, wir finb Mfle etwa» febwerbörig. 
Sautet, fag’ ich." 

Btun wirb’» unferem jungen Fteunb aßmäbtidj ju arg; er 
mag ßcb einen, wenn auch berben Spaß gefallen laffett, aber 
SRiftbanblung will er nicht ertragen. „3b* oergeßt," fagt er, 
mit noch nnterbrücltem Sotn j n feinet stimme, „ich bin nicht 
für ©rieebifeb f)in, SanStrit ift mein ff ach, ©riec^ifdb fann idj 
nicht lefen." 

„Du follft aber ©rieebifeb lefen, ob Du*» lannft ober nicht. 
Sang’ anl" unb wieber ftößt er ihn mit bem Kopf auf ba» ©ud). 

Da fpringt ber junge Stubent auf, unb febon bat er ben 
Stuhl erfaßt unb hoch um jicb gefebwungen, bereit, jebem neuen 
tbätlicben Dingriff tbätlidj ju begegnen. Da» wirft. „Kommt," 
fagt einet oon ben Sopbomore», „Ftefbh wirb noch oerrüeft; wir 
wollen ihn auf fpäter fparen, bi» er etwa» weniger BJtöbel bat." 

Scenen, wie bie bi« führte, ereignen pd) in folcber unb 
ähnlicher Seife häufig genug in ben erflen Dagen be» ©oflege= 
jabre», unb pe finb noch lange nicht ba» Mergße, wa» ber Bleu« 
liug im ©ebiete be» „hazing“ oon ben Sopbomore» ju erfahren 
bat, wie wir oießeidjt fpäter noch feben werben. 

SBeitn auch ber „©bum" augelommen, ift ba» Btäcbfte, wa» 
bie Stubengenoffen beforgen, wie pe ba» meift überaus bürftige 


SKeublement ihre» „dormitory“ auf eigene Soften oerooßftänbigen. 
8u folcbem ©ebuf gibt e» in allen Stäbten, wo „©oßege»" finb, 
Dröbler, welche au» ber ©ewueberung ber Stubenten beim ffiin» 
unb Verlauf oon aßen möglichen unb unmöglichen SKöbelßüden 
ein befonbereS ©efebäft machen, ©ambribge befaß wäbrenb 
oielen Faßten ein Driginalftüd einer folgen SDlöbelbarppe, ba» 
an unb für pd) einer befonberen Scbilberung wertb wäre; boeb 
würbe un» bie» hier gar ju weit führen. 

Die erfteU Doge be» SoBegejabre» oergeben auf folcbe 
Seife mit ber ffiinridßung ber SBobnung, bem Muffucben oon 
Selannten unb eine» ®oarbing;$anfe» bort, wo bie Stubenten 
nicht gemeinfam im ©oßege;$au$ oerföftigt werben, ober bem 
©intritt in einen Slub, bem Mnfcbapen ber nötigen Sücber 
n. bgl. Dann ereignet e» pcb Wohl, ba| mal Stadbmittag» bie 
Dbüre plöfelidj geöffnet wirb unb eine rafch oerfebwinbenbe 
|»anb eine Blote in» 3iwmer wirft, welche bei ber Sepdjtigung 
Pcb al» eine Muffotberung, anbern Dage» bei bem Ißräpbenten 
be» ©oflege ju erfcheinen, barpeßt. Obgleich ber junge Stubent 
nicht begreifen lann, wa» benn biefe bödjfte ißerfönlicbfeit ber 
Mnftalt Oon ihm mag woßen fönnen, macht er Pcb bodj jur 
gehörigen 3«t auf ben 583 eg. ffir Hopp an, unb „Come“ 
fcbaßt’S Oon innen, ffir tritt ein unb „3Rr. Srown" fteßt er 
fidj befebeiben bem würbigen gunctionär Oor. Dicfet pebt oer* 
wunbert oon feinem papieren auf, aber mit woblwoßenbem 
Säcbeln fragt er: „Ah, how do you do, Mr. Brown?“ 

„3cb bin b>eb et befteßt," bemerlt ber junge Stubiofu» in 
fteigenber Seriegenbeit, unb ba bem 5ßräfibenten biefe Dbat; 
fache Oöflig unbelannt ju fein febeint, fo weift er bie Blote oor, 
welche er Dag» Oorber erhalten. Der 5J3räpbent nimmt ba» 
üBlatt, liep e», unb wieber gleitet ber Schimmer eine» wohl 5 
woßenben Säcbeln» über ba» freunblidj^wütbige Mntlife. „No,“ 
fagt er, „ich b“be Sie nicht berufen, BJlr. Crown; e» ift wohl 
ein Sopbomotenfpafj. Blun, nun, Sie lönnen ja nicht» bafür, 
unb ba Sie nun boeb einmal bift finb, fönnen Sie fogteidj bie 
Fertigung ber alabemifchen ©efe^e (signe the regulations) 
leiften." 

Die» tbut benn ber junge Stubiofu» unb b fl t bamit bie 
lebte Formalität erfüßt, welche ihn jum orbentlicben HJtitgliebe 
be» SoBege macht; — aber wie er baju gelommen, ba» bat er 
lange Biiemanbem erjäblt, um bie Sopbomore» nicht auf feine 
Soften lachen ju machen. 


HI. 

Frefbmen. 

Sch Oetweile etwa» länger bei ben Sdjilberungen au» ben 
Anfängen be» ©oßegeleben», weil ich bann um fo rapber jum 
Schluffe werbe eilen lönnen. Die» Serweilen ift aber auch in 
ber Blatur ber Sache begrünbet. Btotbwenbiger SBeife pnb auch 
für ben jungen Stubenten bie erften ffiinbrüde bie lebbafteften 
nnb nachbaltigften, unb in ben erften 583o<ben erfährt er Mße», 
wenngleich oielfach nur pafpo, wa» ben Kreislauf feine» Sehen» 
im ©oßege erfüflen, unb woran er im ©orfdjreiten ber Sabre 
actio tbeitnebmen wirb. 

Für bie anfcbaulidjere Darfteflung ber ftubentifeben ffirlebniffe 
be» erpen ffioßegejabte» ber „Frefbtnen" wähle ich mit bewufjter 
Mbficbt bie Form oon ©riefen, wie fie ber junge Stubent wohl 
nad| §aufe an einen ©ruber, ober eine Scbwefter, ober etwa 
einen Fteunb in ber Heimat rieten mag. Die SEBabl biefer 
Form gewährt ben ©ortbeil, mit aßet ßebenbigleit be» Detail» 
mitten in ben Scbauplafe be» ©oßegeleben» ju oetfefeen. 

SSit haben unfern jungen Fteunb bi» ju feinem formeßen 
(Eintritt in ba» ©oßege begleitet. $at ba» ©oßegeleben erft 
einmal begonnen, fo gebt bie BKapbine oon Dag ju Dag ibten 
mehr unb mehr gleichmäßigen ©ang. Muf bie täglichen 3Jlorgcn= 
gebete um oiertel peben in ber SapeBe folgt bie FtübftüdSftunbe 
unb biefer bie brei „recitation“-Stunben um acht Uhr, BJtittagS 
unb um oier Uhr Blachmittag». Die 3wifcbeujeiten pnb ber 
©orbereitung unb ©earbeitung ber gegebenen Diemen gewibmet. 
Mber ba» Frefbmanjabr leibet nicht leidet an BRonotonie; benn 


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202 


Alte ©egenwar I. 


Nr. 39. 


nbgefefjett Don bet Seuheit be8 Gottegeteben8 felbft, bag fo ganj 
Derfchieben ift non Sittern, wag bet junge ©tubent bisher ja 
Haufe erfahren, ift ei jiemtich gewife, ba| et faft alltäglich irgenb 
eine intereffante Grfafjrung macht. Daju aber lommt für ben 
ftubentifdjen grifchting bie nicht geringe Stufregung wegen beg 
„hazing“, unb fo finb benn bie elften fecf)8 SKonate im College 
bie bebeutenbften unb intereffanteften. 

Uebetlaffen wir nun bag SBort bem jungen SB ruber ©tubio 
felber. 

„Die erfte Stontagnacht beg Gottege jahreg," fchreibt er, 
„hei|t bloody Monday night unb ei ift eine Irabition, ba| in 
ihm bie grefhmen non ben ©ophomoreg ge„hazed“ werben. 
Sn biefem läge finbet nämlich gewöhnlich eine gacuttätgfihung 
ftatt, woburch bie grefbmen ihrer ©chüfcer beraubt Werben unb 
bie ©ophomoreg benufcen bie Gelegenheit um fo lieber, atg bie 
Seutinge, auf welche eg babei abgefehen ift, noch ööttig unoertraut 
finb mit ben Gewohnheiten be8 Gottege. ©eit unbentlichen feiten 
finbet an biefem SIbenb ein gu|battfpiel (foot-ball) auf bem 
Delta (ein SBiefenptafe in Gambribge) jwifdjen grefhmen unb 
©ophomore« ftatt. S3ei biefem ©piet geht eg immer tott ju unb 
ei enbigt in einer toloffalen Sauferei ber beiben fitaffen, ©o hatten 
benn auch wir unfere bloody Monday night. 3ur rechten geit 
hatten wir grefhmen un8 auf bem Delta eingefunben unb bie 
©ophomoreg tie|en eg nicht feiten. Sltgbalb fchteuberte einer non 
liefen ben Satt in ben Staunt jwifdjen beiben fitaffen unb ju* 
gleich ftürjten alte ©ophomoreg norwärtg unb ber Satt flog über 
unfere fiöpfe, beoor wir noch Seit gehabt hatten, ung recht ju 
bebenten. 3" weniger atg jwei SJlinuten gab eg nun ein Durch* 
einanber, wie man eg fich toller gar nicht norftetten fann. 3m 
Gebränge war greunb unb geinb nicht mehr ju unterfcheiben 
unb mehr atg ein fßaar rottte im ©taub über einanber. 
Stber batb barauf flog bet Sott nach bem Dftenbe beg Delta 
unb in ber witbeften 3 Q gb ftürjten ihrer 200 bahinter her. 
Bufättig fiel ber Satt nahe bei mir nieber, aber auch ei“ 
phomore mar ganj in ber 9iä£>e. Da tief ich einem fitaffen* 
cottegen p, er fotte fich beg Satteg bemächtigen, ich Wolle ben 
©ophomore abwetjren. Der hatte ba8 gehört, unb ehe ich mich’8 
nerfah, hatte ich einen ©to| unb ©chtag bon ihm, ba| ich 
nieberfiet — aber nicht, ohne ihn mit nieber p reiften. Den 
&att nertor ich babei aug bem Gefixt, aber ich härte bag 3auch* 
jen unb HänbeKatfchen bet grefhmen, unb fo wu|te ich, ba| 
Wir ben Satt unb bamit bag ©piet gewonnen hatten. Such 
wir erhoben ung non unferem galt, unb inbem ich meinen Hut 
aufhob, fagte ich ju bem ©ophomore: „3<h h ß b' Dir bod) nicht 
Wetjgetljan? ’g ging aber nicht anberg." „Oh, no,“ erwiberte 
er, „tliat’8 all right!“ Stber cg fchien i|m nietmehr gar nicht 
recht p fein, unb er fatj übet brein. SBir grefhmen waren 
alte nott toller ßuftigleit, ba| wir bie ©ophomoreg gefdjtagen 
hatten; aber ei war freilich nicht gar p fdjwer gemefen, benn 
mit waren in gro|et Ueberjaljt. ©3 würbe bann noch ein 
jweiteg ©piet gefpiett, an bem jütefct faft bie ganje Gottege* 
benötterung, bie fich eingefunben hatte, Dtjeil nahm, unb ber 
ßätm, bag Drängen, ©to|en unb ber grenjenlofefte SBirrWarr, 
bie auggetaffenfte ßuftigleit hielt geraume SBeite an, big eg enb* 
lieh ganj finfter geworben war, unb wir bag ©piet abbrechen 
mu|ten. Nachher hatten wir noch Hänbet mit ©ophomoreg in 
einem Sefiaurant, wo wir unfere ©iegegfreube feiern wollten; 
unb babei ging e8 un8 übet, bie ©ophomoreg brängten ung aug 
bem ßotate unb wir mu|ten ung begnügen, ben Driumph im 
Sattfpiet baoon getragen ju haben." 

„Die ©ophomoreg," fchreibt ber ©tubio ein anbermal, 
„haben eine böfe Unmanier, aug atterljanb Keinen ©prifcen bie 
grefhmen mit SBaffer, unb nicht getabe immer mit bem reinften 
p taufen. SBenn wir fo p Sweien ober Dreien fchtenberu, 
ohne Uebteg p benfen, whist, tommt aug einem genfter ober 
toon hinter einer Dljür ein ©trahl über ung, unb Wenn Wir 
auffeh«n, lacht ung ein halb Dufcenb ©ophomoreg nach. Dag 
gehört fo mit p ben Keinen Unannehmlichkeiten, bie fich bie 
grefhmen non ben ©ophomoreg müffen gefallen taffen. Stber 
neulich gefchalj mal recht Wag fiomifcheö. Gin 3unior war bei 


ung p Sefudj. Gr fömmt fehr häufig unb fagt, bag Sunipr» 
jahr wäre ein gauttenjerjaht, im Senior-term bringe man bag 
wiebet ein. ©o fa|eit wir, tafen etmag Griechtfch, aber fchwafcten 
meift. Da Köpft eg an bie Df)ür unb „Come in“ rief Giner. 
! Die Dhür fliegt auf, aber ftatt beg Sefudjerg tarn ein ©trabt 
< fchmierigen SBafferg nott in beg 3uniorg Geficht, ber ber Dhürt 
! gerabe gegenüber fa|. Der fah h ö <hl nerwunbert unb tächer* 
lieh; aber noch tomifcher in feinem ©chrect fah ber ©ophomore 
j aug, atg er mertte, ba| fein „hazing“ einem 3nnior p Gute 
| getommen war, wag er ganj unb gar nicht beabfidjtigt hotte, 
| Gr erfchöpfte fich in ben Oertegenften Gntfchulbigungen, aber ber 
! 3unior gab i|m eing unb bie| ihn fich trotten. 

„Dag hazing ber grefhmen burch bie ©ophomoreg ift jefct 
in nettem Gange. 3eber Dag unb jebe Stacht bringt ein neueg 
Greigni|. Die ©ophomoreg werben immer etfinberifcher in ber 
Grfinnung unb Stugfütjrung afleg möglichen ©djabernadg. 
Steift laufen bie Dinge gut genug ab, aber manchmal treiben 
I fie eg wahrhaft p arg. Gin ganj alltäglich geworbener ©pa| 
ift, ba| eine Stnjatjl ©ophomoreg, in ihrer Slrt nerfteibet, mit 
ganj unmöglichen, alten Suiten tief über bem gefchwärjten Geficht 
unb in umgefehrt angejogenett Södfen bie nerfchtoffenen Dhüren 
ju ben dormitories bet ffrefhmen einbrethen unb bann mit bem 
io Ueberfaflenen bag tottfte 3cwg treiben. SOtanchmat lommt eg 
babei ju ben ärgften Schlägereien, aber wenn 3refhh ängfttich 
ift, fo jwingen ihn feine tßeinig«r: ju ben oerrüefteften $anb-- 
tungen. Gr ncu| fich Qtt f ben fiopf fteflen, unb fie hotten ihn 
bei ben §ü|en; ober fie ftetten Setten unb ©tühte unb Difdje 
in eine Steihe unb Srefhp mu| unjähtige State unten burch 
unb oben brüber auf alten Sieren frieren unb babei (ateinijdj 
unb griedjifch recitiren u. bgt m. Stcutidj fagte ber 3unior ju 
meinem Gh um f ber einen Sadenbart trägt, auf ben er nicht 
wenig ftotj ift, er fotte fich ihn abnehmen taffen, benn bie ©opho* 
nioreg hätten fchon tängft ein Stuge auf ihn. Gt)um aber Wollte baöon 
nichtg hören, unb hotte feiger SIbenbg immer feinen Sterwtoer 
jur $anb. Stber atg er geftern Stbenb im Duntet bieDreppe herauf 
tarn, fa|ten ihn einige ©ophomoreg aug einem Hinterhalt, fchteppten 
ihn in eine ihrer ©tuben unb raftrten i|n auf eine fehr unan* 
genetjme SSBeife ohne Seife unb mit fchte^ten geberraeffetn — auf 
einer ©eite. Dann wufdjen fie ihn mit bem bentbar fdjntubig* 
ften SBaffer unb fatbten ihm ben fiopf mit ftüffigem Gummi, 
Gin Stnberer Don ung trug einen ©eibenhuL Stun finb aber bie 
©ophomoreg ber Steinung, ba| man baju erft im jweiten Sotjre 
bere^tigt fei. „grefhh Würbe btafirt werben," fagen fie, „wenn 
i|m alte greuben beg ßebeng gleich Don Slnfang geftattet 
würben." Unb richtig, ba unfer greunb auf eine fchrifttiche 
Serwarnung ber ©ophomoreg, feinen Hut abjugeben, fich nicht ge< 
horfam erwieg, betamen fie ihn testen Sonntag beim gortgehen 
aug ber fiapefle in ihre SJUtte, brängten ihn feittingg unb. fein 
Hut ging in tanfeub gehen, wet^e bie ©ophomoreg atg ©iegeg* 
jeichen, atg Sertoqueg an ben Uhrfetten tragen." 

©o unfer Sruber ©tubio. 

SBenn aber bie üfteuheit attmä^tixh ber Sertrautjjeit mit bet 
Situation ju weichen beginnt, fehlt eg natürlich nicht baran, 
ba| auch bie grefhnten ihrerfeitg atterhanb ©chabernad* Sport 
unter einanber unb gegen bie gacuttäigfunctionäre ju treiben be< 
ginnen. Dergleichen lommt inbe| in alten Schuten alter SBett 
Dor unb bie ßuft ber Gottegeftubenten an ©djüterftreichen aller 
Strt ift beghatb um nichtg mehr originell, atg anberwärtg. 

Sach unb nach oottjieht fich im Sertauf beg erften Hotb* 
jahreg ein Dottftänbiger SBanbet in bem jungen ©tubenten. ©ein 
äu|erer unb fein innerer Hobitug betommt einen ganj anbern 
Stnftridj, je nach ber Sichtung, iu welche ihn Saturett unb bie 
Umgebung, in welche er geraden, geführt hoben. Der „country 
boy“ aug bem SBeften wirb Dietteicht mobifd) in ber fiteibung 
| unb ein „swell“, in bem SInbern beginnt ber fpätere, notteiibcte 
Gentleman ju leimen, biefer wirb- ein „dig“, ein Süffter, jener 
hilft fich beim Ueberfe|en tateinifc^er unb griechifdjer Stutoreu 
mit „ponies“, b. i. „Gfetgbrüden". 

3<h habe biefe Ginftüffe beg Gottegetebeng fchon in ben 

berührt, fo ba| 


allgemeineren Semerlungen beg erften Strtifetg 

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Nr. 39. 


18 1 e ® e j c in» a r t. 


208 


ii| $tet um fo fürjer fein fann. 3^“ madjt biefe SBattbtung 
buti ®u« Scbem tmtb früher ober fpäter, ttoljer et mag gc= 
lommeit fein, jutejjt bet conöentionette KoQeflejtubent. 

Smprefftonabcl unb impulfib, loSgelöft Don ben Sanben 
bet -Samtlie, mit ben ©äljtungSelementcn beB jufünftigen 
EfjaratterS, tritt bet ©tubent in ba« Kollege ein unb wirb fo= 
gteidj gefangen genommen öon bem ©tanj unb bet S3etf^ieben« 
ortigfeit feinet neuen SebenStuft. fßfabe, bie ifjm bisset oer= 
Stoffen gewefen, liegen nun offen ju feinen güfjen. ®f>e er 
ft$’# oetfieftf/ ift er mit fortgeriffen, oijne Urtfjeil unb redjte 
Stimmung. Sßatürfid) t)at Totere erfte greiljeit i^re entfielt 
(Sefabren; — aber ift’3 niefit ganj ebenfo an unferen Üni= 
WrfUotett? 


Jlus bet <Äaupfflabf. 

Dramatif^e ^nffü^rrnttjeit. 

»3M 1 Verübt", 

I , 6d>aufpiel in 6 Acten öon ©. gu $utlip. 

„Boccaccio", 

©wffo=€pet in 3 Acten öoit %. gell unb Ntdjarb ©cnee. Ntufit öon 
Srang öon 6upp& 

Unfre #ofbflhne hat bie ©tinterfaifon mit einem fdjöneu jdjrift* 
fteOerifdjett unb fdjaufpielcrifchen ©rfofge eröffnet. ©n» fünfactige Schau* 
fptel „9?olf ©ernbt" öon ©. gn ©utlip ift eine feljt refpectable Arbeit, 
bfrffen ©runbmotiö auf jeben einßchtigeit gußhauer, namentlich ber ©roß* 
ßabt unb ht«befonbere auf einen jeben, ber ber fogenannten guten ®e* 
feflföaft angehött, fpmpathifcß Wirten muß. ©8 ift bie Nttßgimft biefer 
©efMIfchaft, bet Neib, bie boshafte Sreubc, bem Nebenmenfchen bie 
Sreubc gu öertünrmern. ©utlip hat öielleicht biefe fcßlimme itnb gum 
btmttaitfchett ©örwurf wie gefd^affene fociale ©igenthümlichteit gar gu 
bf^utfam angefaßt unb nicht grell genug beleuchtet. ©er $elb, ben er 
in ben ©egenfap gu ber öerlcitmberifchen SBoS^cit unb gehäjßgen lieber; 
trachf ber ©efetlfchaft bringt, ift noch ein befonbete» ©lüdsfinb. ©r 
hat ehre ©raut, bie nicht einen Augenbltcf an ihm gweifeft, bie ihm 
gang nnb gar öertraut; unb e» erfteht ihm ein unbefannter greunb, 
ber mit fßort unb ©hat für ihn eintritt, ber ben ©erleumbem über» 
©eßdjt führt unb einem berfelben auf ber Sftenfur eine Section erthetlt. 
llnfer §elb wirb baher auch eigentlich gar nicht genötigt, felbß in ben 
ffämpf eingutreten. ©r bleibt bem ©etümmel, ba» er anrichtet, fern, 
nnb ba», wa» ihn befümmert, ift nicht mehr bie gefetlfchaftliche ©o»hett, 
wie man gunaeffft glanben foUte, e» ift ein gang inhaIt»lofer Argwohn, 
eine §ergen»angelegenhett, bie ßdj bureß ein SBort ber Aufflärung er* 
lebigt, ein SNißöerßäubniß, baS ohne ©chtoierigfeit beseitigt wirb. 

^aburch, baß ^utlib bie §auptßgur feinet ©chaufpieig bem Selbe, 
auf bte et ße junöchß geßeHt hotte, entrüdt, öertiert ba3 bramatifdhe 
SBßetf an ©emichtigfeitunb einfehneibenber ©ebeutnng. ©5 bleibt aöerbingö 
no^ immerhin genug übrig, um fidj baran $u erfreuen: ein fefielnbe3 
©djanfpiel mit fpmpathifchen ©hotafteren, mit mirffamen Situationen. 

©8 iß nachgcrabe eine faß banale $h*ofe bet tfritit geworben, öon 
einem Schaufpiel $u fagen, baß e8 eine bramatiftrte Lobelie fei; aber bei 
bet ©howfterißrung ber neueßen bramatifeßen Arbeit öon ?utlib wirb 
ßch biefe ober eine ©emerfung faunt umgehen laßen. 2Bir 

haben in ber Xl)at wäh^ot> gongen Angahl öon Scenen, unb öon 
langen Scenen, bie ©mpßnbung, aW ob wir eine gute ©rgäfjlung mit 
öertheilten Sollen öortefen hörten. Namentlich in ben erßen Acten houß 
ßch ©eridjt an Bericht. (Gleich in ben erßen Scenen ergäbt un$ bie 
iköge 1 Stttwe ©ertrnb öon Stirner, bie mit bem gelben be8 StücfeS, 
mit bem Äaufmann Nolf ©embt öerlobt iß, gwei, brei lange Oefchichten 
hütteremanber; nnb wenn ße mit ber einen fertig iß, bann fagt ße 
wohl: „Aber ba» iß e» nicht, wa» ich Shnen ergühten wollte*/' fo baß 
man intwillfftrlich gu ber S rfl ge gebtüngt wirb: 3a, we»holb ergäbt 
ße benn? — 3m weiteren S° r *gouge ber §anblung erfehen wfr, baß 
nn^ wirtlich ba» ©ine ober ba» Anbere hütte geßhenft werben töitneu. 


SBir ßnb ja im $heoter fo glfiubig! 2Beun man un» bie beßimmtc Ser* 
ficherung gibt, baß ©ertrub unb Nolf fich lieb hoben, wenn man bie» 
fchon anf bem gcttel beutlich oermerft unb ba» ©aar al» öerlobt b^ 
geichnet, bann üerlangen wir gar nicht gn erfahren, unter welchen tim* 
ßünben bie ©eiben ©efanntfcf)aft gemacht nnb fich lieb gewonnen hoben. 
3Bir glauben e» ©Jcrtrub öoHenb», baß fte Nolf ©ernbt liebt, wenn wir 
fehen, wie h^Kd) wob mit wie inniger guneigung ße mit ihm öerlehrt. 

Nolf ©ernbt hot öor 12 3oh rfu Europa öerlaffen. ©ine traurige 
Samiliengefchichte hot ihn bagu öeranlaßt, feine gute Stellung in einem 
englifchen §aufe aufgngeben unb nach Anftralien gu gehen. Sein ©ater 
iß geßorben nnb hot ßarte Schulbcn hiotertaßen ; ba» öäterliehe ©efchäß 
hat ©anterott gemacht, ©or Allem hof gu bem Sturge be» Jpaufe» ein 
ungerathener Sohn beigetragen, Nolf» ©ruber, ein ©erfchwenber unb 
leitbtßmtiger Stritt, ber gu Nolf» Ungiücf noch eine ßarte Somilien* 
ähnltchteit mit ihm beßfet. Nolf hot bei feinem Scheiben au» ©uropa 
ben ©ISubigern be» öäterlichen $aufe» gegenüber bie ©erpßichtung über* 
nommen, bie Sd)ufb gu beefeu. ©r h°t ba» ®elb richtig abgefaubt; 
aber bie ©Idubiget hoben leinen ©fennig baöon belommen. SRolf, ber 
un» al» guter Kaufmann gefchilbert wirb, hot ßch ht biefem Soüe eine 
ßarte gahrläffigfeit gn Schulben tommen laßert, bie ßch bitter röcht, 
©r hot ba» ©elb feiner Sftntter gefchidft unb biefer hat c» ihr Liebling»* 
föhmh^n, ber öerbummelte ©ruber abgefchwinbelt. Nolf hot auch, 
e» fcheint, teine Quittung für bie gohlwng öerlangt; jebenfall» hot er 
nie eine befommen tonnen. 2)er ©ruber, ber feine leichtßnnigen Streiche 
alfo auch nach Nolf» Söeggang fortgefept hot, tann fi<h fchließlith nicht 
mehr in ©uropa holten, fälfcht obenein noch SBecfjfel auf ba» Sonbonet 
©efchdß»han», in bem Nolf eine Stellung gehabt hotte, unb geht bann 
burch- @r will feinen ©ruber in Anftralien auffuchen. 3)a» Schiff gehl 
mit HRann nnb Sftau» gn ©runbe unb ber Saugenicht» öerfchwinbet 
fpurlo». 

Nun alfo lehrt Nolf in bem guten ©lauben, baß bie ööterliche 
Scßulb getilgt fei, nach Europa gurüct, richtet gunächß für feine ©raut 
ein gemütliche» $eim ein unb ßetß im ©egriffe, fich g“ öermähtoi, 
al» ßch bie ©efeUfcffaft in» Mittel legt, bie ben reichen Außralier au» 
leinem anbern ©ruube haßt, al» baß er eben reit ift, ein anßänbiger 
nnb glüctltcher SNann gu fein fcheint unb eine fdjöne ©raut befipt. Sie 
behanbelt ipn wie einen feinblichen ©inbringling. ©ie ftlechten Streiche, 
bie fein ©ruber begangen hat, werben ihm in bie Schuhe gehoben, unb 
al» erße ftränlung muß er erfahren, baß bie ihm öerliehene Söürbc eine» 
©onful» — ©utlip geßattet fich bte ßarte politifte ßieeng, bon einem 
„außralifchen ©onful" gu fprechen — öon ber Negierung nicht betätigt 
wirb. 

3u ben erbittertßen S^inben Nolf» halle bi»her ©raf ©berharb öon 
©orcf gehört, ber al» Attache in Sttarfeille mit Nolf» ©ruber gujammen* 
getroffen war, in biefem einen nicht»würbigcn Schwinbler ertannt hotte, 
unb in Solge ber öerhüngnißöoHen Aehnlichfeit biefer beiben ©rüber 
Nolf für btefen Sd)tontbler hält, ©raf ©berharb hot früher felbft ©ertrub, 
Nolf» jepige ©raut, leibenftoftlich geliebt, nnb öon biefer Siebe iß noch 
immer eilt ßarfe» 3 n leteffe übrig geblieben, um e» ihm gu öerbieten, 
e» ruhig mitangufehen, wie bie einß ©eliebte jept einem öertoegcnm 
unb gewtffenlofen Abenteurer gum Cpfer fallen wirb. ®r hält e» für 
feine Pflicht, ©ertrnb unter allen Umßänben gu warnen, ©a biefe bie 
Annahme eine» ©riefe» öon ihm öerweigert, will er ihr feine ©nthüflungei; 
gewaltfam aufbrängen. 

©iefer ©raf unb ©iplomat, bei bem man both ohne gwetfel ein 
ööKige» ©ewanbertfein mit ben gefcllfchaftltchen ©epßbgenheiten borauö* 
fepen barf, greift gu einem erßaunlichen ©tittel. 3n öorgerüctter ABenb= 
ftnnbe — e» muß wohl etwa um Nttttemacht h^ r om fein — nachbem 
bie ©efellfchaft ßch oetabfehiebet hot, fcßleicht er fich ^o» gimmer 
©ertrub» ein. ©r öerbirgt ßch bort, bi» er mit ihr allein ßch beßnbet. 
^utlip, bem man über gefeüfchaftliche StÖglichleiten unb Unmögtichleiten 
feine ©orlefmtgen gu halten braucht, hot ba» Unmögliche felbß h«ou»* 
gefühlt, ©r berfucht, fo gut e» gehen will, e» gu mottöiren; aber e» 
geht eben nicht gut. Auf ber anbern Seite braucht er bie Situation, 
benn er oerbanft ihr nicht nur bie feljt bewegten unb Wirtfamen Scenen 
be» gweiten Acte», er bebarf ihrer auch gpr SBeiterführung ber $anb* 
lung, gur ©erbächtigung ©ertrnb» unb gu bem Argwohn, ber ßch Nolf» 
bemächtigt nnb ber ihn auf» Neue au» ©uropa htaaudgutreiben broht. 

gebe» SSort, ba» ©ertrub fpricht, al» ße au» bem Alfoöen in ihrem 
gimmer ben SRaim hctöortreten fieht, ber fich bereinß um ße beworben, 

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204 


CD ie ® itwmrk 


Nr. 3B, 


unb bent fie nun in ber {Rocht auf ihrem 3immer hülflog unb allein 
gegenüberfteht, ift bem Sufdjauet aug bet Seele gefprodjen. „Dag 
Mittel, bag Sie ergreifen, um mit mir gufammengulommen," jo unge* 
fäljr fagt fie, „ift bag eine« unbefonnenen Äinbeg. Sie jd)leid)en fid) 
heimlich ln bag 3immet einer grau, bie Sie geliebt haben, Sie ger* 
kümmern ben {Ruf einer grau — bag ift, xd) mieberhole eg 3huen, bie 
Hanblunggmeife eineg unbefonnenen Äinbeg, ober . .. laffen Sie mich 
bag ©ort nicht augfprechenl" 

Inf biefe fe$r berechtigte Strafprebigt hat bet Graf nichtg Stich' 
haltigeg gn ermibem, unb mag er ihr gu jagen hat, könnte er füglich 
auf eine gelegenere Stunbe oerfchieben. Solche entfepliche Gile hat bie 
äRittheüung hoch nicht! Gr fagt ihr alfo, mag mir jehon miffen, nämlich 
eine unbemußte Uttmahrheit: baß {Rolf ein leichtfinniger unb fchlechter 
Menfch fei Gertrubg Vertrauen mirb inbeffen burch biefe SRittheüung 
nicht erjehüttert. 3h r Itebenbeg fierg fühlt, baß eg ftch nur um eine 
Bermechglung, um ein s JRißoerjlänbniß hanbeln lann, unb ba {Rolf noch 
am felben tlbenb gu ihr gu tommen oerjptochen hat, um ihr feine Sorgen 
anguoertrauen — eg hanbelt ftch immer um bie bumme Gefehlte, um 
bie Unterjchlagung beg Gelbeg burch ben Bruber — jo bietet fich 
Gertrub bie Gelegenheit, ben Grafen oon ber Grunblofigleit feiner Be* 
jchulbigungen auf ber Stelle gu übergeugen. Sie meifi ihm alfo bag= 
felbe Bcrfted an, aug bem er oorhin hc^orgetreten mar, unb lägt ihn 
Seuge ber Unterrebung fein, bie bie beiben Brautleute miteinanber 
haben. 

Sanb fich ffc bie gefellfchaftliche Ungemöhnlichleit im {Benehmen beg 
Grafen leine genügenbe Grlläruug, fo ift Iftet Me Unbefonnenheit ber 
{Braut noch erftaunlicher. Unb menn man bie Sache objectio betrachtet, 
fo begeht Gertrub ba eine Hanblung, bie laum noch mit bem milben 
Slugbrud einer Unbefonnenheit begegnet merben lann. Sie mißbraucht 
bag Vertrauen ihreg {Bräutigamg, ber fich mit ihr allein mähnt, um 
ihn gu einem umfangreichen Geftänbniffe gu oeranlaffen, um ihm Ge* 
heimniffe gu entlocfen, bie er im tiefjten Grunbe feineg ©ergeng bemahrt 
hat. Sie lägt fich Oon bem 2Ranne, ben fie liebt, Gefehlten ergäben, 
bie biefer eben nur ergäbt, meil er fich mit ihr allein glaubt, unb fie 
hat nichtg bagegen, bag ein Saufcher baoon Äenntnig erhält. Daß biefe 
Reichte fein grabirenbeg SRoment für {Rolf enthält, fonbern feine böüige 
Scpulblofigleit barlegt, ift ein glücflicher 3ufall; aber bie Berechtigung 
Gertrubg gu ihrem Verhalten bürfte fich fc^ttierlid^ nadjmeifeit laffen. 
{Run, mie bem auch fei, bie Unterrebung gmifchen Gertrub unb bem 
Grafen unb bie fich baran anjdjließenbe gmifchen {Rolf unb Gertrub 
hüben ben Höhepunlt beg Stüdeg unb finb in ber Dh fl t fehr bramatifch, 
feffelttb unb marm. 

Den meiteren Berlauf ber Hanblung lann ich mit menigen ©orten 
gnfammenfaffen. Bentbt hat burch fein Geftänbniß, ohne bag er eg 
meig, in Gberharb einen marmen greunb gemonnen, ber fuh berufen 
fühlt, bag Unrecht, bag er Beruht innerlich angethan, mieber gut gu 
machen. Gberharb tritt für ihn ein, alg Bernbtg Ghre gef ährbet mirb. 
Gr lammt ihm mit marinem greunbeghergen entgegen unb gerftreut ben 
Berbacht, ber fich Bernbtg bemächtigt, nadjbem er feftgeftellt, bag feine 
Braut 'ohne fein ©iffen an jenem Äbeitb ben Befuch eineg Unbelannten 
empfangen, ber fuh unter oerbächtigen Stageichen aug bem Haufe baoon* 
gejchlichen hat Diefe greunbfchaftgfcene, bie ben Schlug beg Schaufpielg 
bilbet, enthält mieberum große bramatifdje Schönheiten unb oerföhnt 
bamit, baß bag Schaufpiel, bag auf einer breiten gefeüfchaftlichen Bafig 
begonnen hat, fich fchließlich gu einer perfönlidjen unb nicht mehr über* 
rafcheuben Begebenheit oerengt 

Dag in feinem 3nhalie im Großen unb Gangen feffelnbe Stücf, 
bag in einer einfachen unb guten Sprache ohne Wffectaiion gefchrieben 
ift, hat eine fehr beifällige Aufnahme gefunben unb 'oerbient. Die 
Darfteüung gehört gu ben beften, bie mir im Schaufpielljaufe feit 
langer 8eü gejepen haben. Saft ein jeber ber SRitmirlenben hat 
auf ein lobenbeg ißräbicat ooflen {Hnfprud). ©ir brauchen hier nur au* 
guführen, bag bie Hauptrollen oon Herrn Bembal ({Rolf), Siebtde (Graf 
Gberharb) unb Sräulein SReper (Gertrub oon Stirner) oortrefflich ge* 
fpielt merben. 5*au Stieb^Blumauer gibt ung in ber nicht fehr au* 
fprechenben SRutter oon Bernbt mieberum eine muftergültige Seiftung. 
Sräulein Regler hat mieber einmal bag Schidfal, eine unangenehme 
junge S*au bargeilen gu muffen. Sie entlebigt fid) ihrer Aufgabe mit 
gemohntem Heroigmug unb mit liebengmürbigem Dafte unb fucht ben 
SRangel an ber inneren ©ohlgefälligfeit ihrer {Rolle burch ben äußeren 
Glang prachtooüer Toiletten gu oerbeden. 3n Begug auf ben {Reich¬ 


thum unb ben Gefcpmad ber Toiletten, bie eine fo große {Rolle in ben 
mobernen Stüden fptelen, rioalifirten übrigeng bie Darßellerinnen ber 
brei jungen Damen. Die britte mar Sräulein Slbtch, bie feitbem fie 
unferer Bühne angehört, ihr Dalent merflich entmidelt hat. Diefelbe 
Bemerfung läßt ftch über Herrn Älein machen, ber bie nicht fehr be* 
beutenbe {Rolle beg Bräfibenten gang oorgüglich miebergab. ©enn mir 
noch hiugufügen, baß bie Herren Äahle, BoHmer, H^mUth-Brähm, 
Dehnide, Sinl unb Sräulein Bergmann in ben übrigen mehr. ober 
meniger unbebeutenben {Rollen befthäftigt finb, fo mirb bag Sob, bag 
ber Gefammtheit ber 3)arfte£(er gefpenbet merben tonnte, gerechtfertigt 
erfcheinen. 3)ircctor 3)ee| hat bag Stüd fehr gut in Scene gefegt. 


$ag mar auch für bag Sräbrich=©ilhelwftäbtijche Xheater ein glüds 
licper 2(benb. 5)ie neue Buffo Oper „Boccaccio", gu ber S- 3 e lt unb 
{RicharbGenäe — bie allmählich für bie beutfehen Operettencomponiften 
bagfelbe merben, mag ÜReühac unb Hal^op, Suleg Barbier unb SRichel 
Garr^ für bie S*angofen gemorben finb — ben Xejt gefchrieben haben, 
unb bie Sf ang o. Supp^ in 3Ruftl gefegt hat, hat einen ooüftänbigen 
Grfolg errungen, ber ben größten Triumphen biefer Bühne, ber „Btam- 
feil Sfagot", ber „Slebermaug", „Gagliogro # ' unb „Satinifca" laum 
etmag nachgibt. 

$er SRufiler hat auch biegmal allen Grunb, mit feinen Sibrettiftcn 
gufrieben gu fein; benn biefe hafcn ihm mirtlich ein jehr ergöfelicheg 
Buch an bie Hanb gegeben, bag für bie mufilalifche Behanblung außer* 
orbentlid^ geeignet ift. 3n bem neuen Stüde geht eg luftig unb bunt 
genug her. $rei fcherghafte Ghepaare mirbeln oergnügt burch bag Stüd 
unb menn man f)kt nach bem arithmetifchen Begriffe bag Baar gu 
3meien rechnet, fo mirb bag Ginmaleing auf ben $opf gefteHt; benn 
biefe brei Baare repräfeutiren neun {perfonen: brei Gh e ö a tten, brei 
©eiber, gu benen noch brei Siebhaber fommen. Slug biefer Gefettfdptft 
oon betrogenen Gh em ännern, überliftenben Gattinnen unb Unternehmens 
ben Siebhabem tagt Boccaccio befonberg heroor, bot ttng bie Berfaffer 

— fie oerlcgen bie Hanblung in bag 3ah* 1331 — alg einen blutjungen 
Burfchen Oon 17—18 Sahnen hi n it ctte u. Gg oerfteht fich, *>aß man e# 
fich mit ber Chronologie bequem gemacht unb mir biejenigen oon bet 
Ueberlieferung gegebenen Bata berüdfichtigt hat, bie juft oermenbbar 
erfcheinen. Daß Boccaccio alg achtgehnjährtger junger SVenfch noch nicht 
baran gebacht hat, bie hunbert {Rooellen beg „Delameron" gu fchreiben, 
lann ohne Schmierigleit 3^^mann ermitteln; man braucht eben nut 
bag erfte befte {Rachfchlagebuch gur Hanb gu nehmen. Slbet fie mollten 
einen jungen Burfchen, metl fie für bie Partie, ihreg H^ben bie metb* 
liehe Befepung Ooranggefehen hatten. Die {Rolle beg Boccaccio gehört 
alfo gu jenem Sache, bag in S*anlreich nach einer Hauptoertreterin beg* 
felben alg „D^ijazet“ ober auch alg „travestie“ begeichnet mirb unb bei 
ung bie beutlichere, aber nicht fehr mohllautenbe Benennung „Hofenrolle" 
führt. Diefe DarfkUtutgen Oon Sftännerrotlen burch Äünftlerinnen, bie, 
mie man meiß, burdjaug nichtg {Reueg, unb auch in ber ernften Oper 

— oon Gludg „Orpheug^ big auf BeHinig „{Romeo" u.f. m.— oertreteu ift, 
ift ueuerbingg mieber in Schmang gelommen. ©ir brauchen nur an 
„Saublag", „$rtng SRethufalem", „Satinipa", „Der Heine H«iog" 
u. f. m. gu erinnern. Dag erllärt fich f e h r einfach burch bie bemußte 
ober unbemußte Ginmirfung, melche befümmte lünftlerifche 3nbioibualis 
täten oon Sängerinnen auf bie {ßrobuction augüben. ©ie Sröulein 
3ubic in $arig ein fteter unb mefentlich ftummer 9Ritarbeiter an einer 
großen Stngahl Oon frangöfifchen Operetten ift, fo ift auch bag eigen* 
thümliche Dalent oon Antonie Sinl oom Garltheater in ©ien ftcherlich 
eine unmittelbare Anregung gu ben Hauptrollen „beiberlei Gefcßlechtg" 
in ben genannten Operetten oon Strauß unb Supp^ gemefen. 

Gg gehört nun aüerbingg oiel guter ©iüe bagu, um ftch Boccaccio, 
unter bem mir ung immer einen fehr männlichen SRaiut, einen ben 
Politiken ©irren abholben unb ber betulichen Arbeit gugemanbten 
gelehrten Schriftßeüer gu benten gemohnt finb, unter ben häbfchen unb 
anmuthigen. 3ügcu jungen äRäbcheitg üorguftellen. Slber eg oer= 
langt auch ^iu SRenfch oon ber Operette, baß fte ung ein getreueg ober 
auch nur annähernb ähulicheg Bilb ber lünftlerifchen $erfÖnlid^leit, bie 
fte gerabe gum Heften mählt, geben foü. Der Sibrettift braucht bag 
©efen beg großen Schriftfteüerg nicht gu ergrünben. Sur ihn ge* 
nügt bie Dhatfache, baß Boccacciog ein h fl lbeg SapTtaufenb* gählenber 
{Ruhm namentlich mit einigen fd)tüpfrigen unb hochgefchürgten Gefd^ichteu 
beg „Delameron" oerlnüpft ift, um ben Dichter oon ben rieftgen Ber* 
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Nr. 39. 


fl t t <& tütnmuti 


205 


hdßntßen cütcS großen SttamteS auf bie beßheibenen einer ptfanten 
PcrfÖnlid)!eit, wie flc bie Operette juß gebraucht, ju berminbera. Xer 
Boccaccio, ben wir Iß« feljen, ift eben nichts ÄnbereS als ber nidjt 
mehr ungewöhnlich lofe Strid, wie wir ihm fchon in manchen anbein 
Operetten begegnet ßnb, bon bem aber feine greunbe, um ben tarnen, 
ben er führt, ju rechtfertigen, behaupten, baß er ein ©enie, ein ÄuS; 
bunb bon SBip unb $umor fei, unb bcr $u bem gleiten 3roede fpäter 
felbft eine feiner hübßhen ©eßhichten — bie ©erfaßer höben eine ber 
uiwerfänglichßen unb fließen gewählt, bie bierte Lobelie beS fechften 
lageS: bie ©eßhichte bon bem einbeinigen frantd) — unS üoreraählt. 

g. 3eH unb Sttcßarb ©ende ^aben fowohl baS Siebesabenteuer, baS 
ber dichter mit ber natürlichen Xochter beS tönigS Robert bon Neapel, 
ber Prinaefßn SRaria, ber „giqmetta" in he* Richters Werten, beftanben 
haben fall, wie einige ©eßhid)ten aus bem „Xefameron" recht gefdjidt 
mit ber übrigen frei erfunbenen ©anblung berwoben. 

StamentUch finb bieS awet, bie jweite unb neunte ©eßf)id)te beS 
fiebenten XageS, bie nebenbei $u ben belannteßen gehören, aber wie baS 
fteifpiel gezeigt hat, in ber bramatijdjen ©eranßhaulid)ung trop ihres 
ehrtourbigen ÄlterS noch immer eine frifdje unb fröhliche Söirfung üben. 
®ie eine ift bie ©eßhichte bom $ahnrei in ber SBeinlufe, bie anbere bie 
Dom bejauberten Birnbaum, gür biejenigen, welche biefe aUbefannten 
©eßhichten nicht fennen fottten, unb eS mag, um mit $eine ju reben, 
„beren wohl in ©hina unb Qapan geben, fogar am Siiger unb am Se= 
negal/' will ich hi« nur erwähnen, baß biefe beiben ©efd)ichten auch 
oon Lafontaine in wahrhaft flafßßher gorm wiebereraäf)lt worben finb: 
bie ©eßhichte bon bem ©atten in ber SBeinfufe unter bem Xitel: „Le 
cavier“, bie mit bem in grantreich jum geflügelten SBorte geworbenen 
©crfe beginnt: 

„Soyez amant, vous serez inventif!“ — 

Pie ©efchichte bom bezauberten Birnbaum, in ber unS eraählt wirb, 
wie ber SRann mit feinen leiblichen Äugen bie Untreue feines äöeibeS 
fleht, bott bem berfchlngenen SBeibe aber baau beranlaßt wirb, baS für 
eine optijcpe Xäußhung unb für bie SSitfung beS beraauberten ©irn= 
baumS au halten, m ber erbaulichen ©efchichte bon ber SBette ber brei 
luftigen ©Seiber, „La gageure des trois commdres“. Lafontaine übers 
bietet hi« *«> möglich noch an Ärnnuth ber Xarßellung fein großes 
Bnrbilb. fflton tann fich nichts LiebenSwürbigereS benten als bie 
Schilteung beS ©atten, ber aum ameiten SWale auf ben ©aum llettert 
unb aum a»«iten SÄale überaeugt wirb, bah ihm ein böfer ©eift einen 
Schobernd* borgautelt. 

L’dpoux remonte, et Guillot recommence. 

Pour cette fois, le man voit la danse 

- Sans se f&cher, et descend doucement. 

„Ne cherohez plus,“ leur dit-il, „d’autres causes: 

. C’eet ce poirier; il est ensorceld.“ 

„„Puiequ’il fait voir de ei vilaines choses,““ 

Reprit la femme, „„il taut qu’il soit bruld.““ 

Xie ©erfaßer beS Xejrtbud)eS haben biefe beiben ©Zählungen mit 
©lüd für ihr ©uch bemerket unb barauS bie amufanteften Situationen 
beSfelben hergefteüt. ©S berfleht fich, baß ÄHeS genügenb gemilbert ift, 
um dicht obfcön au wirten, ohne baß baburch auf ber anbern Seite bie 
Lußigleit ber ©rßnbung in bie ©rüd)e gegangen wäre. ÄüeS in Äflent 
haben alfo bie beiben ©erfaßer, g. ScE unb Sttcharb ©ende, auch bieS-- 
mal einen [ehr guten Xejt gefchrieben. 

Xi e Sfcufif bon Suppd ift leichtfüßig unb anfprechenb, ein heiteres 
SBienet Äinb, baS unter ben lebensfrohen klängen beS genialen Sohamt 
Strauß aufgewadßen unb groß geworben ift. SSor einer irgenbwie 
ernfhuftett Äritif, bie eine ernßhafte SKiene auffept, würbe biefe Sftufif, 
bie eben nur luftig unb gemütlich fein will, fchwerlich beftehen. SJian 
iß oft erffaunt, wenn man fich einige ber Stummem, bie auf ber Söühne 
eine unwiberftehlich brollige SBirfung auSüben, einmal im tlabierauSs 
äuge etwas näher anfie^t. SJian erftaunt über bie ÄnfpmchSlofigteit, 
mit ber man fo manche Stichtigfeit, bisweilen noch Schlimmeres: jo manche 
Xriöialttät, willig in ben Äauf nimmt. Äber im Operettentheater nimmt 
man eS eben nicht fo genau, unb biefe SRufif gibt fich fo anfprud)ötoS 
unb geitügfam! Sie will ja gar nichts $efonbereS bebeuten, fie will 
unterhalten unb erheitern, unb wenn ihr baS gelingt, iß fie befriebigt. 
Unb hi«/ unter ber ftarlen $eihülfe luftiger Situationen, bon hüfehen 
Stäbchen anmuthig borgetragen, leicht faßlich unb gefällig, mitunter 
wohl an ben ©affenhauet anflingenb, mitunter aber auch burch eine 


Wtrflich hübfehe Sftelobif ßch einfchmeichelnb — hi« «teidjt ße ihten 
3wec!. ©S pulfirt frifcheS Leben barin, unb ®inaelheiten werben fehr 
wahrfcheinlich wieber eine große Popularität gewinnen. 

Äußer btberjen ©oleroS nnb Serenaben finb wie immer boraugS? 
weije bie echten Sßiener Xanarhpthmen benupt, unb aum Xp«l mit 
großem ©lüd. ©leid) bie $olla in bem ÄuftrittScouplet beS ©occaccio: 
„XaS iß hoch Sebent Har, WaS hi« im ffierte wat /# ; ferner baS ßotte 
©ouplet au ©eginn beS ameiten ÄcteS mit bem Wefrain: „undici, dodici, 
tredici“, ber fehr hübjehe SBalaer bon ben brei grauen gefungen mit 
ber wiptgen Sehanblung ber britten Stimme: „SGBonnebolle Ihtnbe, 
neubelebenb^; ferner baS Septett am Schluffe (©occaccio, bie brei 
SBetber, bie brei @h c mßnner): „5)er 2Bip, bie Laune, bie SBahrheit finb 
fd)netbige S93aßen #/ , baS fehr lebhaft an gatinipa erinnert, fowohl an ben 
befannten SKarfch, wie an baS: „O gatinipa, waS haß bu ÄUeS butd)= 
gemacht— biefe unb Wohl auch noch einige anbere Stummem, bie 
bet ber erßen ©orßeüung aum Xh«* f°Ö fl t mehrmals wieberholt werben 
mußten, werben borauSßchtlich in ber beborßehenben Satfon bon allen 
SlähmamfellS nachgetrillert unb in allen möglichen ÄrrangementS als 
eiferner ©eßanb ber Xanamußt auf allen ©ällen ejeentirt werben. 3u 
erwähnen iß noch ein fehr hübßheS einfaches Liebchen ber giametta: 
„§abe ich nur beine Liebe", unb als charafterißtßh mib originell baS 
(Sretinlieb: „So oft man mich nach Steuern fragt". 

3wei Stummem fallen aus bem Stahmen bcr ©ußo^Oper eigentlich 
heraus: baS italienifche Xuett, bon bem ich auch nicht fagen !ann, ob 
cS eine gefchidte Smitation ober eine einfache Äneignung ber italienifd)en 
©rßnbung iß — biefer ©orbeljalt iß gerechtfertigt, bentt Suppd iß nicht 
hnmer gana originell, bie Serenabe beS ©occaccio erinnert a* ©• feht 
ßarf an Strauß’ „Prina SRcthufalem", unb bisweilen citirt er fogar, 
wie wir gleich feljen werben — unb baS fehr wtrffame, in ber Stimm* 
führung bortreßli^ gelungene ginale beS erßen ÄcteS: ,,©r iß ein PTina^, 
in welchem eS ben ©omponißen gelodt hat, ben ihm bon ben ©erfaffem 
beS Xe£tbud)eS aur ©erfügung geßeüten großen Äpparat auch einmal 
für größere 3»ede fpielen au laßen, ^ier hat Suppd einen glüdlichen 
Änlanf aur großen Oper genommen. 

@S iß ein origineller (Stufall beS (Somponißen, baß er bon biefer 
großen Oper auch einige mufttolifche Ph ra fen gana ehrlich entlehnt hat. 
Snt ameiten Äct beßnbet ßd) eine Situation, bie aiemltd) lebhaß an bie 
©artenfeene im „gauß" erinnert: ein junges berliebteS Paar unb eine 
berliebte SJtatrone, bie fich bemüht, ben wiberwifligen ©alan feßanhalten. 
Suppe hat eS für baS ©infachße gehalten — unb ich halte ben ©tnfafl 
für einen glüdlichen — biefe Scene melobramatifd) burch bie ©ounob’fche 
SJtufif, ben Änfang beS ©artenquartettS, begleiten au laßen. ©S iß ein 
mufüalifcheS Sxtat, baS meines ©ebünfenS nicht unbere^tigter iß als 
ein bid)terifcheS. $atte fich auch SJteifter ®toaart im „Xon 3uan" 
fchon felbß citirt, aüerbingS mit Quellenangabe. Xiefe hat ht« aus 
^ronologtfchett ©rünben natürlich unterbleiben müfien. 

SJtan lann alfo ÄlleS in ÄUetn fagen, baß biefe neue Operette fowohl 
in ©eaiehmtg auf ben Xe£t, als auch auf bie SRußt hi« baSfelbe ©lüd 
gemacht hat Wie in SBten. 

©S öerbleibt ntir nur Wenig SRaum, um über bie Xarßeller §u 
fpreßen, gräulein Siegina SHetn hat ftch in ber Xitelrotte bei unS fo 
glüdlich wie möglich eingeführt; eine angenehme, jugenbliche ©rfcheinung, 
eine ßtfehe, tyüt unb reine Stimme, eine boraügliche ÄuSfprache, ein 
becenteS unb gewanbteS Spiel weifen biefer $ünßlerin in ihrem gad)e 
eine erße Stellung an. Äußer biefer X>ame hatte baS griebrich-SBilhelm* 
ftäbtifche Xheater alle feine Äräße aufgeboten, um bie Xarßeflung au 
einer möglichß tabellofen §u machen, ©on bem jüngeten Xamenperfonal 
waren gräulein ftopfa, bie bteSmal in erßet Linie a u nennen iß, 
gräulein ftrdn unb gräulein Stubel, für bie berliebte Älte bie über* 
müthige ©life Schmibt h«angeaogen; unb bon bem männli^en ftünßlcr* 
perfonal waren u. Ä. befd)äftigt: ber ItebenSwürbige Swoboba als Prina, 
ber fehr ergöpliche $err SBeUhof als ©arbter, SJtaj Schula mit einer 
unglaublichen SftaSte unb §err Älein. Xie ©efepung war bemnach eine 
fehr befrtebigenbe. SBenn man mm noch h'Uöuaählt, baß bie Äoßüme 
fehr üetbfam, unb bte ßgnrenreichen unb belebten Scenen mit ©efdjtd 
unb ©efd^mad bon bem leiber bon unS fcheibenben Obetregißeur $erm 
Xeplaß arrangirt worben waren, fo wirb man ben ©rfolg, ben wir 
fchon conßatirt haben, gana begreiflich ßnben. paul tinban. 


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206 


Sie ®tg,n»art. 


Nr. 39. 


Dü 53. 3Ut£füUittt0 ber Äimigltyen ähobemü 
ber Äfiitfle ju Derlin. 

. ober gmeijäljrig?" — Ueberraf4t bliefte i4 auf. 34 hotte 

bod) red^t gehört? Xa« flaug tute eine fteminiSceng an bie ©onfltctS* 
geit. — Äein Smeifel! 34 tonb Oor bcm Eingang gur afabemif 4 en 
5 hinftauÄfieHung am ©antianpfoße, mobin i 4 gemoQt. $>ier toirb fein 
potitifc^ed ©efemttniß abüerlangt; — toa« fonnte mit ber grage ge* 
meint fein? — ©ine mä4tige Srauengeftalt trat mir in ben Weg. 34 
erfaratte fofort, baß i 4 eine aUegorif 4 e ©erfon Dor mir hotte, aber bie 
Specie« mar mir unflar. Xie ftunft fonnte eS ni4t fein, bagu mar 
bie Äleibung niijt leicht genug, bie Haltung gu ftillo« mobern. Xie 
öffenfü 4 c Meinung? — ©ielleüht! Sebenfaö« etma« begleichen. 3 u= 
u&4ft ftanb feft, mer bie Stage an mi4 gerichtet, unb baß man eine 
Zntmort ermatte. Sin ©liß bur4gudtc ba« Xunfel meiner Seele. „Xu 
toiOft miffen, hoh c 5 rau, ob i 4 bie jäljrl^e SBicbertc^r ber afabemif 4 en 
&unßau£(itettung no 4 länger für guträgli 4 holte?" Sie niefte gefpannten 
©liefe« mit bem Raupte. — „34 f r ene mi 4 aufri 4 tig biefer ©rrungen* 
tpaft unb mar erftaunt, Wänner, bereit Urtbeil i4 unbebingt bo4 a 4 ie / 
auberer Weinung gu fehen." Offenbar enttäuf4t manbte P4 bie ftäthfel* 
bafte ab; i4 bemerfte ein lci 4 te« Z4felguden uub in murmelnben 
Sauten oerflangen Worte mie „thöri4t", „incompetent", „Wiberfpru4«= 
geiß". 34 ftedfte bie Komplimente ein; ja icb mar ber Unbefannten 
eigentli4 banfbar. Sie erinnerte mi4 redjtgeitig an eine SPflidjt, beren 
Erfüllung bie Abneigung gegen ©inlcitungen 511 feiner freubigen ma 4 te, 
an bie meine mobl ermogenen ©rfinbe für eine Znfi 4 t, mit ber 

üß auf Seiten ber Winorität ftebe, ben menigen ©rünben ber Wajorität 
entgegengufeßen. ©eprüft gu merben hoben bie meinigen mobl Zufpruch- 

Smeierlei mirb oon ben ©egnern be« einjährigen Xurnu« ange* 
beutet — benn über Znbeutungen fommt man nicht h*nou« —, bie 
©odifton mit Zustellungen an anberit Orten unb bie ©efal)r, melcbe 
bie übevftürjte SBieberfebr für bie füntlerif 4 e ©robuction mit fi 4 bringen 
föjtnte. Xaß eS fi4 um ?ine ©efaßr. in ber gufunft bonbeit, barüber 
ift fein Smeifel, benn ftiemaub. bemonftrirt an. bereit« oprbanbenen 
©eifpiden. 

Ob ba« „ZuSftellungSfieber" mirlli4 innerhalb ber ©rengen, bie 
hier maßgebenb finb, eine fo fcblimme Ifranlheit ift, (affe i 4 babingejteüt. 
Xen ttbarafter he« hißifle« Sieber« üerliert bie Sa4e mit ber Regelung. 
Zber Sieber ober nicht, fonn un« benn ber gmeijährige Xurnu« oor 
ben ©efabren be«felben f4üßen? 3m Porigen 3ab rß mar e« ©art«, in 
biefem ift e« Wündjen. Xaß e« im nächten Xüffelborf fein mirb, 
baran fc^eint m>4 ftiemanb gebacht gu hoben. Unb ben ZuSfall oon 
Xüffelborf oermag bie Berliner Zustellung am f4merften gu oermmben. 
3ft nun bie ©ouentteug gmeicr Zustellungen ber Berliner mirfli4 fo 
gefährd, mie man un« glauben ma 4 en mö 4 te, ma« märe bie golge, 
Wenn man bem fbpematif4en ©orgehen gemiffer Greife na4gegeben 
unb bie Zustellung auf ben nä4ften ©erbft oerf4oben h ö *te? — 
Zbct ba« ift ja Zlle« Schein. Xie ©oncurreug ift in ihren Wirfuu* 
gen naßegu belanglos, felbft menn fie un« Iper unb ba um ein gute« 
©iib ober um eine gange Wanb oon guten ©ilbero bringt. Wan oer- 
fu4e ben ©emei«, baß bie oorjäbrige Zustellung in ihrem ©efammt* 
mertb bur4 bie ©etbeiligung Xeutjcßlanb« an ber ©arifer oertürgt 
worben fei. ©on ben ©ilbern ber beutf4en Zbüjeilung im engeren 
Sinne fann babei obnebie« nicht bie ftebe fein. Unb Ceftrei4? §3 
ift immer nur bur 4 oerfprengte Xruppen bei un« oertreten, ©in mefent= 
liehe« S4manfen oermag i4 ni4t mahrpinehmen, eher eine langfame 
Steigerung. Xa« Xempo berfelben fann bureb bie oerboppelte ©elegeit- 
heit nur bef 41 ß unigt merben. ©erhalten fi4 ©in^elne ablehnenb, fo 
bängt ba« mit unferer grage nic^t jufammen. Zu 4 bie internationale 
©etbeiligung, melcbe bie Berliner Zu«fteüung übrigen« Qar nid^t al« Siel 
in« Zuge faffen barf, f4manft ni4t unter bem ©influg ber Koncurreng. 
3n bet ®b ien b^4l ber aufimärtigen Zfabemiemitglieber unb Xecorirten 
beruht ifa feftefter $alt. Xer 8uma4« neuer ©Meinungen erhält fi4 
auf einem gleichmäßigen Xur4f4uitt, unb menn mir in ©eira4t Rieben, 
mie mcfenili 4 hier ba« ©ingreifen be« Sunftbanbcl« ift, fo tonnen mir 
ni 4 t münf4en, bemfelben bie Znlocfung«mittel oerminbert gu fe^en. 
3 ^ brau4« nur an ©inen für ©iele gu erinnern. Xabema febidt un« 
bie „SJtorgengabe ber ©aleÄmintba^, mäbrenb er in ©ari« eine ftetbe b^r 
längft befannter 3Berfe au«ftetlt. Z 114 in Wünchen ift er nicht beffer 
oertreten al« gut 3 *** un«. lauter« unb S 4 ompbeleer finbe i 4 


hier meit glängenber. Unb moQte man ber Zu«fiettung be« beutfehen 
ftekh« im ©la«palafte oormeg ba« nehmen, ma« uu« oon ben afabemif4 e 0 
Zu«fteHungen unb anberen ©orführungeu h cr befaunt ift, fo bliebe. 
roohl no4 eine Zngahl f 4 äner unb au«gegei 4 neter ©über, aber ber 
©harafter märe gerftärt. Umgefehrt gebe ich 8 ern 5 U # ^oß ber ©lang 
unferer Zu«fteüung bur4 ben ßutrüt einiger in Wün4 ß n erf4ienenen 
SBerfe erhöht merben fönnte; auf ba« S^arafteriftifc^e i^rer ^ß^pflogtu>mie 
bliebe eine fol<he ©rmeiterung gang oh ne ©influß. Ohne 3 l°etfel ift 
un« aber bie ©efanntf4oft mit bem größten Xheil biefer ©hwnmertheit 
oorbehalten — eben meil mir fd^ott mieber tm nä 4 ßen ^erbfte eine 
Zu«ßeSung hoben. — 34 tontme gum ftejultat. Xer ©influß ber 
©oncurreng mirb überfcßäßt; bur 4 eine gmeijößtige ©aufe mirb bie ©e< 
fahr ber ©oKifion ni 41 oermieben; bur 4 bte jährige ©ieberteht mirb 
ber etmaige ftachtheil oerminbert. 

fto 4 meniger tann i 4 mich in ber 3 bee gurecht ßnben> baß bie 
Wöglichteit aüjährli 4 ein ober mehrere ©ilber auSgußeHen, ben 
fteifung«proceß in bem S4offen unferer Zünftler beeinträchtigen foQte. 
Siegen hier Klagen au« !ünftlerif4en Greifen oor? 34 glaube e« ni4t; 
Wan barf ft4 boch beileibe bie tünfi(erif4e ©robuction ni4t al« eilt 
Uhrmerf benten, ba« gmei 3ohre gu feinem Zblauf bebarf, um bann big 
Zrbeit oon üorn gu beginnen. SBir haben fömjtmerfe bemunbert unb 
oon anbecen gehört, bie ein bi« gmei 3 ahtge 1 )nte brau 4 ten / im „beßen 
Sinne gu entftehen". Unb ma« ein fchnett f4affenbe« Xalent in einem 
3 «hre oor fi 4 gu bringen oermag, ba« lehrt un« bunh bie beiben 
leßten Zustellungen ©aul Weperheim. ©« mirb bo4 ß4er ftiemanb 
auf ben ©infatt fommen, in ber ©robuctioität biefe« fünfter« beu un* 
günftigen ©influß ber Ueberftürgung aufgufpüren. Unb menn mir unfere 
Zustellungen nach Olpmpiabeu gählten, er mürbe an feinem biefer; gapl* 
reichen ©Über auch nur einen ©infelftri 4 mehr gema 4 t h fl öen. ©on 
ber S4affenSfraft eine« 0«malb Z4enba4 merben mir hier in ©erlip 
nie eine richtige ©orfteHung erhalten, fo fehr mir auch ©aufen oon 
einem Salon gum anbern berlütgen. ©« gab eine Seit, ba~ biefer 
eminente £ünftler in fe 4 « SSochen bur 4 f 4 n iUü 4 eine feiner Kapital# 
lanbf4aften üoUenbete, unb bo4 fejte er an jebeglei4 ehrli4 fein gange« 
©ermögen, SBa« fott’S alfp mit bem Seiiraum 00 p gmei 2 jfa%cen? ©r 
it entmeber gu lurg ober gu lang, ein ftormalmaß trägt er n^t in t 4 . 
9öir Oerlangen ja au4 gar ni4t oon Xefregger aHjährli4 einen Znbrea« 
£>ofer, oon Wengel ein ©aüfoupei* ober Oon l^nau« ein ©enrebüb mit 
einem halben hnnbert giguren. Zber baß mir bie „Sa(omonif4e ©$ei«* 
heiü' überhaupt fennen lernen — benn bie ©elegenheit, berlei in bem 
©rioatfalon eine« S^unfihänbler« gu fehen, re 4 ne i 4 für ba« ©ublicum 
ni4t mit — oerbanfen mir bo4 ber jährlichen ÄBieberlehr unferer Zu«* 
fteHung. Unb trop berfelben merben felbft in Berlin h ö 4ft merihootte 
©ilber gemalt, bie mir ni4t gu ©ef4t befommen. Wöge jeber.Äüuftler 
in ftuhe fchaffen, aber möge er e« au 4 al« eine heilige ©fli 4 t betra 4 ten, 
feinem Zuftraggeber bie ^ergäbe be« SBerf« gur nä4ften afabemifchep 
Zustellung mit in ben Äauf gu bebingen; bann flehe t4 bafür ein, 
baß fich bie d^arafteriftifd^e ©ebeutung, me!4e bie lepten beiben Zu«= 
fteHungen gemein hoben, auf ben fta 4 much« ber „©injährigen 0 fort«' 
pfangen mirb. 

UebrigenS teüt man, mie i4 contatire, oon feiner Seite bie ©e* 
hauptung auf, baß fi 4 bie 3 nconbenieng ber jährlichen Wieberfehr im 
©efammteiubrud ber 53. Zustellung geltenb ma4e. Wan hebt t ß im 
©egentheil auf Soften ihrer ©orgängerin in ben Fimmel, ftach meinem 
©mppnben, ohne ©ere4tigung. Sol4e ©erglei4e ftub mißlich. ©iettei$t 
fommt man gu anberem ftefultat bei bem mühfamen unb langmeiligen 
©erfu 4 , jebem au«gegei 4 neten ©ilbe be« bieSjähtigen Katalog« ein ner« 
manbte« be« oorjäljrigen gegenüber gu teilen. Xaß bie 63. ZuSfedupg 
fo bebeutenb al« angiehenb ift, bin i4 ber Seßte gu betreiten. 

Xo4 log e« mir ni 4 t allein auf, bie ©rünbe ber ©egner mit bem 
gelbgef 4 rei „Smetjährig" einer ernftcren ©rüfung gu untergiehen; i<h 
bin in ber Sage, ihnen einige ©egengrünbe gu glei4em Xienftc .«u 
offeriren. 

34 Kitt mich ni 4 t bei ber grage aufhalten, inmiefern bie 
beutung Berlin« al« ^aupttabt be« beutfehen fteich« eine ©rmeiteruiig 
ber fnappen prenßif4en goruten, an bie mir un« ni4t ohne PhiUftrdfe 
©ehaglichfeit gemöhnt hotten, naturgemäß na 4 f *4 gfeht. ©« it foum 
benfbar, baß ba« ©ebürfniß heute fein anbere« fein follte, al« e« Oor 70, 
oor 66, nein, oor 48 mar. 34 mill mi4 ni4t auf ba« banfbare gelb 
ber Statifuf begeben, um an ber fteigenbeit Xoppelfcala 001 t Äuntlern 
unb ©inmohnern unter Witbere4nung be« ermdterten ftamne« bie 
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Nr. 39. 


Hie $eg«niVftKt 


207 


Wothwenbigfeit einer ©erboppelung ber afabemifhen ÄuSftellungen nah ; 
guweifen. 3h iaffe enblih auch bie analogen ©erhältniffe in ©ien, 
IftariS unb ßonbon anf ftdj berufen. Äber ich habe ein warmes Söort 
hn 3ntere|fe beS ©ubltcumS unb feiner Xtyeilnaljme an Gingen ber 
Ätntft etugulegen. Die ÄuSfteflung ift für bie Waffe bte Seit einer 
ibeafen Erhebung, für bie Weiften bie einzige Seit im ^atyre, in ber 
fre mit ber Straft eine enthuftaftifh jugenblih* greunbfdjaft fhlieften. 
Diefe SreHnbfhaft wirft fe^r tooljltfjnenb, felbft wenn bie ©ebingungen 
gu gegenfeiiigem ©erftänbntß nur in geringem Wafte oorhauben finb. 
Der ©efnch unferer ÄuSftettungen wähft trop feiner nbfoluten $öhe mit 
jebem 3ahre Der ©eweis ift ba, baß baS publicum WeceptionSföhig 3 
feit genug befipt, um fih in jebem $etbfte gwet Wonate lang an ber 
Jhmft gu erbauen. 3h m M* ©elegenheit bagu oetlürgen märe ©arbarei, 
bie ph ohne offenbare ©efahr für $unft unb Äünftler nie^t red^t^ 
fertigen Hefte. 

Doch auch bie Zünftler haben ©rünbe genug, bie Äufrehterljaltung 
beS gegenwärtigen WobuS gu wünfhen. 3h ad)te ben esprit de corps, 
bet fein eigenes $au3 nid^t fcfjledjt mad^t. 9lber mir wollen uns feinen 
Sfluflonen begehen. ©elegenhett, bem publicum unb bann auch 
nur einem oerfhwinbenben Äreife beSfelben ein ^unftmerf auch außer* 
halb beS afabemifeben SalonS oorguführen, ift gart auSgebrüdt eine 
änfterft befhtänfte. 3$ weiß, baft empfinblihe Zünftler ihre Ärbeiten 
Hebet gar nicht, als unter bem £id^te ber permanenten ÄnSfteflung au 
bie Oeffentlid^feit bringen. Unb fte haben Stecht. — Wiht miuber müffen 
Mejpnigen Zünftler, melden nicht nur baS ©Übermalen am £>ergen liegt, 
fonbern auch b« ©erlauf, bte neue Einrichtung als eine glüdlidje preifen. 
Die oetmehrtc Anregung oermehrt bie Satjl ber ßiebhaber, unb mer ein 
wenig in bte ©tayis geflaut, weift, baft auch „ftenner" oon fehr auS* 
geprägter Wichtung unb anfeheinenber Uitnahbarleü burch 5üHe nnb 
tBecbfel ber Objecte gu gang fpruitgmeifen Erwerbungen oeranlaftt 
werben. Die gleichmäßigere unb gerechtere ©ertheilung ber ÄuSgeth' 
ttungen will ich mtr Anbeuten, unb mannichfache anbere Wüdfthten 
übergehen. SSBenn baS ©efagte gur ©egrüubung meiner Änfiht nicht 
hiuretcht, wäre eS eigenftnnig, fte feftguhalten. 

Wan mag trom rechten ober linfen giögel fein, man mag, wie ich, 
int Zentrum feinen ©eobachtungspoften genommen haben, Äeincr wirb 
fuh bem Sauber entgieljen, ben ©uftao Widders Königin Suife oor allen 
aitberen auSgegeichneten ©Jerleu ber 53. tfunftauSftellung auSübt. 3^beS 
©ebenfen, baS mir ben ©tauben an btefe ©eftalt erjehüttem fönnte, 
jebet 8®eifel an ber hiftorifchen Äuffaffung in ber Qbee unb ber ©or* 
iragSweife, bie biefer meteorartigen ©efeheinung baS Sieben gaben, Oer* 
fchtoinben unter bem überwaöenbeit Eittbrud beS noch nicht ©efchauten. 
3d> muß befennen, baft mich ber Äünftler mit feinen Schüberungen ber 
ootrtehmen grauenweit feit fahren oon Ueberrafchung gu Ueberrajchung 
geführt hat. ©et jebem neuen Drurnpf, ben er auSfpielt, glaubt man ben 
»reis beSWögltchen erfhöpft. 3h habe babei guttähft bie coloriftijdje Er* 
finbung im Äuge. 3ntmer tritt fie in feinen ©ilbniffen ariftofratifcher grauen 
als ooüenbeteS Ihtnftwerf, immer als burchauS originelle Schöpfung 
heroot. Der Zünftler fchafft in feiner —- er oetgeihe mir ben ÄuS* 
bruef, ber nichts als eine ihm oorbehaltene wunberbare Waturgabe 
choralterifiren foö — raffmitten ©hantafie jeber biefet unnahbaren ©eftalten 
ihren farbigen Schein, bet unS paeft wie eine innere Wothwenbigfeit; 
er empfutbet, wie ber ©eift, ber in biejen fchlanfen Körpern gcheimnift* 
ootteS Sieben wirlt, in ihrer Umgebung reflectirt, uitb er befipt mie 
deiner bie Wittel aus eigener Straft, biefer Empftnbuug oollen ÄuSbrud 
gu oerleihen. Wicht in ben Weifterwerfen Oergangener 3ah^hanberte, 
oon einem gum anbern fchwanlenb, fudjt er bie Elemente unb Än= 
regungen gu halbblütigen Weujchaffungen auf, nicht burch launige 
WaSlexaben im Äoftfim braucht er über ben Wangel eigenen EharatterS 
hintoeggutäufchen. Et taflet baS moberne Dafein nicht an. Daß er 
eS in feinem höchften Weige gu erfaffen unb gu fdhilbern oermag, gibt 
bem engeren Streife feiner ©ilbnijfe, ber mir oorjehwebt, ihren echt 
hiftorifchen unb unoergönglichen SBerth- Sieiber hülfen wir nicht hoffen, 
fte ie an einer würbigen Stunftftätte oereinigt gu fehen. Äuch in 
WÜmheit hat ber Zünftler leinen Wtoalen, ber feiner grauen Dame ben 
tßreiS ftteiti^ macht. SBorin er ejcellirt, fibenagt er Äfle. Der Königin 
SJuife lommt fein oorbehalteneS ©ermögen ooö gu gut. Eine Änalpje 
beS coloriftifchen Sa^^fP^/ ^ fl S bem Ernft unb ber ©?ürbc nirgenb 
Eintrag thut, gehört gu ben lohnenbften ©enüffen beS StunftfreunbeS. 
Unb jeber feinere Sinn oermag fid> mühelos barüber flar gu werben. 
Eine h e h tc fiichtgeftalt auf bunlel bräuenbent ©runbe, ber ohne Äuf; 


bringlichfeit ben tragifdjen S^^lpalt gmifchen Äntheil unb Schidfat in 
unferem ©emüthe dulUngeu läßt, ffeigt fie ftltt bewegt aus ber* §öhe 
eines über irbifchem £eib gefieberten DafeiuS hemieber in ben Sturm- 
brang beS fiebenS. DaS Sücht beS fchüpenben Engels, ber ihr ent* 
gegenfehwebt, ftrahlt in überirbifchem ©lauge oon bem Stern ihre# 
DiabemS gurüd. Sie famt leiben, aber ftch nicht eroiebrfgen. 

Ch. 




3u ^FeUr Hahns Sihaufirtel „Sühne". 

ftubolph oonSh^ting, ber auSgegeichnete WedjtSgelehrtc, hat fleh 
über DahitS nenefte Dichtung in einem an ben ©erfaffer gerichteten aus* 
führlichen Schreiben geäußert, welches uns intereffant genug erftheint, nm 
eS, ungeachtet cS nicht für bie Oeffentlichteit beftimmt war, mit ©ehetm* 
ratlj oon 3h er * n ÖÖ ©ewiüigung hier auSgugSioeife gum Äbbrud gu bringen. 

„3h fenbe 3h ne n anbei „nufer" ©uch gurüd. Wachbem ich ^S ge^ 
lefen habe, öerftebe ich wie Sie auf bie 3&*e geTathen tonnten, eS 
gerabe mir gu wibmen, eS betrifft ja ein ©roblem, baS obn oerfhiebenen 
Seiten mich *>• h- We oon mir gcüufterten Änfthten berührt: ben Sfampf 
umS Weht, ben S^ed tm Weht, bie ©Übung beS WehtS. ES ift ber 
WehtShiftorücr unb WehtSphüofoph, bem fth baSfelbe aufgebrängt, unb 
ber Dichter, ber eS gcftaltet nnb grnar, wie er eS foü, ohne baft man bie 
Denbeng burhfühlt; nur ber Warne fönnte baran erinnern. SÖenn ih 
gunähft einmal bie fünftlerifhe 3orm gang außer Äht laffen nnb tni<h 
Iebiglih an bie abftracte 3öee halten barf, fo haben Sie meines Er= 
ahtenS bie Erhebung oon ber Wache gur Sühne unb gum Weht in 
philofophtfh tiefer SBeife motioirt. Ob ih beim flüchtigen, einmaligen 
Durhlefen 3h re $ Wertes im Weinen bin, bie Sntentionen beS ©erfafferS 
üoHfommen erfaßt habe, ift mir gmeifelljaft, aber th will 3h” c a wenig* 
fteuS melben, wie ih ntir bie Sähe guredfjt gelegt habe. So lange bet 
Änfap gur ©ilbuitg ber WedjjtSotbiruug uüt iioh bie Srttereffen bet 3«* 
bioibueu berührt, gelangt & irop ober richtiger gerabe wegen ber Wah* 
gibigfeit oon ber einen Seite nicht gum Äbfhluft, im ©egentbeil, ber 
Eonflict wirb baburh noh gefdjarft, bie Wadfjgibigteit gilt halb als 
Seigheit, halb als fhlaue ©erehnung im eigenen Sntcreffe. Selbft bie Sitebe 
fuht oergeblih bte Äluft gu übetbrfiden, ft c ftabet bartn ihr eigenes 
©rab — fie ift ja feine allgemeine, fonbern eine bloS inbioibttcll Oer* 
binbenbe Äraft. Erft ber höheren, allgemeinen 3bee: ber beS ©ater* 
lanbeS, unb inSbefonbere ber beS burd) ben äußeren fjeinb bebrohten 
©aterlanbeS gelingt eS, bie für fie noh gugünglihen ©emütljer für bie 
WehtSorbnnng gu gewinnen — ber ©öfe geht unter, er erliegt ber 
höheren Wacht, wäl)renb er oor ihrem Eintritt gerabe burd) feine 
Shlehtigfeit baS Uebergewiht übeT bte ©uteu hatte. Wit ber 3bee 
beS ©aterlanbeS üerbinbet fih gwglrih bte ber Weligion, unb bie ßiebe 
erwaht Wieber, nahbem ihr ber ©oben geführt ift. 

©Jäten Sic nid)t WehtShiftorifer unb ^hiiofoph, fo würbe ih flar 
niht gewagt haben, 3h 1 SSerf auf ben hitifh s Phttofophifh*ü ©rcirtifh 
gu legen, ih würbe mih Iebiglih an baS bramatifhe Element gehalten 
haben, an bie lebenbigen ^erfonen, ihren inbioibuetlen Ehawfter imb 
ihre Eonflicte. Ätth oon biefem äfthetifhen Stanbpunlt ans hat mich 
3hre Dihtung in hohrnt ©robe gefeffelt. Die Eharaltere bet oeTfhie s 
benen ©erfoneu heben fih fh ö *f oon einanber ab: Samo, ber SBeit= 
fthiige, Einfihtige, EharafterooHe, gegenüber bem lenffamcn ©rinno 
unb bem bösartigen, willenSlräftigen, nnbeugfomen ffiulf, bann bte ernfte, 
hohangelegtc $eilrun unb bie beiben Waturfinbcr Stgo unb Älbheib. 
Die in bie WaSfe be§ §affeS unb ber Etferfuh* gelletbde ßiebe' ber 
©eiben unb ber rafd)e SBehfel ihrer Stimmungen ift oortrefflih gegeihnel; 
man möhte lepteren faft für unmöglich halten, unb bodj tft er ber wahre 
©runbgug beS WatitrfinbeS. Weigetib tft bie Scene ihreS Safatitmen* 
treffenS, man hört gwei Wahbarfinber mit einanber plaubern, gwei 
©ögel gwitfhern. ©ortrefflih etbaht ber gug, baft Samo felbet bem 
Dhiotfrteb baS ©üb beS fföntgS, wie er fein foll, oorgeihnet, baS biefer 
ihm bann wieberum entgegenhält, ergreifenb bte Scene gwifheu Samo 
unb §eilrnn nnb baburh fo witfungSOoll, baft fte ben ßefet (ober S« J 
fhauer) üon bem itt ihm noh nahgittentben Shnterg um bem Dob 
ber beiben Stebenbeu befreit; fie wirft reinigenb, oeriöhnenb, man oer* 
gißt toaS oorhergegangen ift." X. oon ^^«9* 

Dig ltiz^a byCi OOgie ' 





208 


Sie «f gf nitrji rt. 


Nr. 39. 


3«fe««fc. 


|? iFür 2&ücfjerlfeljfja6er <j> | 

erfdjien tnCatl^unket’sDerlag in35etlin, 

Cittjomflr. 2: ^ 

Cljc. üeJjmann’^ Blumengarten, i 

frifdj ausgejätet, anfgeljarft unb um* | 

S "iint ©on einem Siebfyaber alter beut? w 
er Sprache unb IDeistjett, in Sdjwa* 8 
badjer SArift auf hoHünbtfcpes Bütten* 
papier georncft. Der (Eitel ift ©on <5. 

<E. Cefflng, ber, u>ie im Donnert näher 
erläutert, fdjon beabfldjtigt tjatte, ben 
berühmten Blumengarten bes alten 
Stabtfcfyreibers ©on Speyer h eraus 3 U5 
geben. preis ^ JL, eleg. geb. €jpl. 
tm (Befdjmacf eines funjtooE ftylifirten 
ITTufters aus bem J6. 3 a h r h* 7 JL 50 


Soeben etfdjien: 

ftlim fobanus ftfus. 

©ein Seben nnb feine SEBerfe. 

(Sin Seitrag jur 

|aünr- nk krs 16 . la^mibtrts 

©on 

Dr. ®arl ftroujc. 

2. ©b. (Sdjlufi) 5 JL ; 1. U. 2. ©b. 12 JL 

©ottya. grbr. Mahr. Berthe«. 

Verlag von Gustav Fischer 
vormals Friedrich Mauke in Jena« 

Soeben erschien: 

Dante Alighieri’s Leben u. Werke. 

Im Zusammenhänge dargestellt 
von Dr. Franz Xaver Wegele, 

Professor der Geschichte zu Würzburg. 

Dritte theilweise veränd. u. verm. Anflage 
mit einer Abbildung 
des Dante - Denkmals zu Florenz. 
Preis 12 JL In elegantem Halbfranzbande 
14 JL 60 V 


Sn bejie©en burd? alle ©udftanblungen: 

®ic 

Bruten feit btt Jtrfaratatton 

mit befonbeter ©erfldfidjtigung 

bev gutturgefc§id?te 
©on Dr. #ritbriitr ©an üenfl, 

Qrofeberftogl. ©abtftbem ©ebetmen Urtbioratb. 

TOtt Dielen Porträts unb jabltelfrn ©ollbilbern. 

4. geb. JC 10.20, eleg. geb. JC 12.— 

6e. SRaiefiät bet beutfdje Äaijet Ijat bte Uebetfenbung 
eine« tejempiarä mit folgenbem ©Treiben beanttDortet: 

3$ habe burA SReinen ©eljetmen ßabinetS* 
ratlj ba$ bemfclbcn unter bem 21. b. 2R. für 
9Rid> überfanbte ©jemplar 3$reS SBetfeS „$>ie 
$>eutidjen feit ber Deformation mit befonberer 
©erücf fidjtigung ber thilturgefdjidjte" empfangen 
unb unterläge mept, Sbnen, mitbeiu2lu$brucf 
SReineS ©eifallS übet 3D*e glüdlid&e, 
©oltdtpümlic^e ßöfung einer aner* 
fennendtoert^en Aufgabe, für bie 3)ar= 
reid>ung beä ©udjeS freunblidjjt *u bauten. 

Wetlin, 10. Sehr. 1879. (ge$ ) ©$iUjeltn. 

Un ben <&rof»!>eräogl. ©abifdirn Qkh. Hrd)iDratb 

Br. ft. non ffieedj in JTatlStube. 

J)ad ©udj beffen ©rei« bei eleganter ÄuSftattung ein 
öufcftft billiget ift (JC 10.20 für &54 ©rueffeiten in 4° mit 
jetjr jablrricben ftflufttalionen) ift alft eine beroorragenbe 
unb roidjtige rfcbcinnng bet populären beutfdjen Literatur 
aUfeitig mit grobem ©et fall aufgenommen motbeu. 

©erlag ©on 0» ©. fcenbncr in Sieip§ig. 

IMMctUu, Jfttrftn, N.W., Ärtonprinjenufet 4. 


3m Setlage »on grirtr. Znfer. in Vati« crfc^ien {»eben: 

(ftefdjidjte ber tutopifdjen Staaten 

fjetauSgegebett »ott 

feeren, Udert unb fc. (üefebredjt. 

ßieferung 41, Slbtl). I 
ent^altenb 

(&efd?i<ßfe gftranfitreicßs 

non ber Styronbepeigung Conis fOljiUpiis bis jum «fall Napoleons IIL 

»on 

^arf ^tCCeßranb. 

Söanb II. . 

($ie OlutljtjtU »et »arlamentatif^cn SRonati^ic 1837 —1848.) 

©rei» 12 JL 

(©rei^ pr. ©anb I u. II 27 JL) 

.. ■■■., Milton-Dore. Prachtausgabe! :: 

Das verlorene Paradies^ deutsch von A. Böttger, illustr. von Gustav Dord, 
erscheint in 10 Lieferungen 4 8 — 9 Bogen Text und 5 Vollbilder 4 4 
Leipzig. J« G« Bach’s Verlag. 

HZH Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn in Bratmsehweig. _ 

(Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) 

Die Tropenwelt 

liebst Abhandlungen verwandten Inhaltes. 

Von 

Alfred R. Wallace, 

Verfasser des „Malayischen Arohipels“, der geographischen Verbreitung der Thiere“, 
der „Beiträge zur Lehre ron der natürlichen Zuchtwahl“ u. s. w. 

Autorisirte deutsche Uebersetzjing von David Brauns, Dr. phil. et med. 
gr. 8. Preis 7 JL 


| Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur (A. Hofmann) in Berlin (Kronenstr. 17). | 

Als 7. Bd. der IV. Serie der Vereins 
die Vereinsmitj 

Liebe und Liebesieben 

in der Thierwelt 

von 

Professor Dr. Ludwig Büchner. 

Publikationen erschien soeben und wurde an 
Glieder versandt: 

Für Nichtvereinsmitglieder wird der Bd.nur 
zum erhöhten Preise von 6 Mk. abgegeben. 

Beitrittserklärungen zur 4. Serie (7 Bände 
elegant gebunden Preis 30 JL) sowie Bestel¬ 
lungen auf die früheren Serien nimmt jede 
Buchhandlung entgegen. 


Vor Kurzem erschien die 3. Auflage von: 

Statistischer Almanach 

für das 

Deutsche Reich 

nach amtlichen Quellen 
herausgeg. von Dr. M. Neefe, 

Director des statistischen Bureau » zu Breslau. 

Preis 1 JL 50 

Eine vortreffliche, kurz gefasste Ueber- 
sicht über die sämmtl. wirtschaftlichen 
Verhältnisse des Deutschen Reiche, als: 
Fläche, Bevölkerungsstand, Bevölkerungs¬ 
wechsel, Land wirtn scliaft and Fischerei, 
Produktion einzelner Industriezweige, Aus¬ 
wärtiger Waarenverkehr, Verkehrsmittel 
und deren Leistungen, Geld- und Kredit¬ 
wesen, Versicherungswesen, Zuständigkeit 
und Organe des Reichs, Gesundheitspflege, 
Armee and Marine, Reichsfinanzen etc. etc. 

Jena. Verlag von Gustav Fischer, 
vorm. Friedrich Mauke. 


M4 1 M i l WHm mg 

J 3n ®**l tBintet’S Um©erfUät&bud$blg. J 
j in $eifcel(erg ift foeben erftyenen: S 

2 Sfiir^en6i«$t«ttgen. SSoa j 

¥ fxititify ffltytt oott WalHeifc. 8. # 
# eleg. bro[^. JL 4.50; eteg. geb.! 

t JL 6. 

S ^SBenn td^ bie brei SRörAenbiAtungen 
J ©oet^e^, getrennt ©on ben größeren feerfen, 

J benen fie angeljören, mit aEen ju ihrem 
£ ©erftünbnih notptnenbigen Untecfuc^ungen 
2 unb ©rlftuterungen heraudgebe, fo bebarf 
J eg mo^l taum einer ?Red)tfertigung. ©inb 
{fie bodji ©oElommen felbftftünbigc Äunp= 

» werfe, bte i^re eigene ©ef^id^te, i$re eigene 
©ebanfenmelt haben .... ^)er ßwed btefed 
", ©ucpe4 ip, barauthun, bah hie brei eben 
©oettyeä ber ©rtlürung bebürfen, unb btefe 
©rflörung ju geben. $ütte nic^t ge- 
glaubt, jutreffenbere ©eutungen mitt^eifen 
ju fönnen, als bie ©or^anbenen, fo würbe 
meine Arbeit unterblieben fein.^ (©orwort.) 

...... 


%ü% bie dieöactton oeranttvortlid): $*#rg ^ttfte in fsprbUfa«, HerCi» W, Äutfücftenfttale 79. 

©(ud Don y. |mlncr in 


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JS 40 . 


SSerfi*, bf» 4. G>ctd8er 1679. 


Band XYL 


pic ü 3 c 0 cmuflrt 

Sßochenfdjtift für fiiteratur, .tttnft unb ßffcntlt^cö ßeben. 


Herausgeber: '•Jfttul oSittbdtt in ^Berlin. 


|tka Innifrt t#M riw guufl. «erleget: «eotg Stäfe in Berlin. 

gtt togiefted butdj alle ©usijöanblunflcn unb Softanfialten. 


Jetts pw fuaitsl 4 |hri 50 ff. 

3 n jerat«: jeber ftrt pro Sgefpaltene jßetitjeiu 40 


lieber ©ifenbaljntarife. 3$on #. 33. Oppenf)eint. — ßiteratur ttnb üttnfl: $erbft=©f}afel. 3$oit @rnft S)o^m. — 3ft bei* $effimi$' 
ftnfirtff* mn * WftblictyV 2$on ®buarb oon £>artmann. — $ur ©ejdjic^ie ber SRenaiffance. 33ott ftermamt Seltner. 33efprodjen toon 9üfreb 
^JU/UU. SBoItmanit. — ®erbftlicpe Briefe. 33on$aul £inbau. — (Sine SReijebegfcgnung. ä3on 3B. — äii* ber fmtptjtafet: $ie 53. 3lu3' 
fteüung ber $öniglid>en 3lfabemie ber fünfte ju 33erttn: 3$on £. II. — SRotijen. — ^Bibliographie. — ^nferate. 


lieber (Rfenbaßiitarife. 

33on 13. ®ppentjeim. 

Sßoflte man bei ber (Erörterung ber ©ifenbaßnfrage ab 
oto anfangen unb juerft bie grunblegenben ßRaterien ent» 
feßeiben, fo würbe man an ber principießen SluSeinanberfefcung 
jtoifeßen bem fßrioatbaßn» unb bem StaatSbaßnfpftem bie ganje 
$eit »erlieren, ehe man ju ben brennenben fragen gelangte, 
bereu ßöfung bie gütige ^Brajis »erlangt. 2)er 2)rang ber 
Umftänbe, worunter idj noch etwas ßlnbereS oerfteße als Vis» 
martfs ober ßRaßbacßS ©ifenbaßnprogramme, feßt uns bie 
fßiftole auf bie Stuft unb nötßigt uns, bei ber Drbnung »on 
ßöcßft wichtigen legistattoen Stoffen mitjuwirfen, über beren 
tßeoretifcße ©runblage wir am (iebften erft bie regelmäßige 
SDiScuffion nach allen formen beS bialeftifcfjen SßroceffeS ju 
(Enbe geführt hätten. Unter „wir" »erfteße idj bie liberale 
fßartei, — benn bie Agrarier, Socialiften, Vüreaufraten ober 
fßarticulariften, unb felbft bie Ultramontanen haben ganj anbere 
Sörgen babei unb fümmern fieß wenig um bas richtige fßrincip 
beS ©ifenbaßnwefenS. ®er nationalliberale SSaßlaufruf briieft 
unfete Seriegenbeit folgenbermaßen auS: „Sin bie Prüfung 
ber ju erwartenben Vortagen über ben Slnfauf »on (Eifern 
bahnen werben wir mit Unbefangenheit herantreten. SBie auch 
ber (Einjelne über bie weitere Verftaatlicßuttg ber (Eifenbahnen 
benten mag, wir werben gemeinfam baffir Sorge tragen, baß 
bie finanjiefle SeiftungSfäßigteit beS Staates nicht beeinträchtigt 
ttnb baß bie Garantien, welche gegenüber ber StuSbeßnung ber 
Vefugniffe ber Verwaltung twtßwenbig erfeßeinen, ßergefteßt 
Werben." 

I SRan fußt eS ber Schwerfäüigfeit biefeS SaßeS woßl an, 
baß er in coßegialifcßer Veratßung ju.Stanbe gebracht unb 
»ft »on ben »erfcßiebenbften ©efießtspunften. aus geprüft wor» 
ben ift. (Eine, jwar fehr bebauerüeße, aber jum ©lücf nicht 
fcjhabluße SnbiScietion, welche ben ©itttourf beS Slufrufs in 
einem früheren Stabium urbi et orbi »errietß, wies einen noch 
längeren Saß auf, benn barin waren bie „fDiißbtäucbe" be» 
jeidjnet, gegen welche „bie ©arantien" erforberlidj fttto, unb 
jjoar als SRißbräucße »on poütifcßer unb als foteße non wirth= 
ftßaftliißer Vefchaffenßeit. S)ie Verfügung beS SaßeS hat 
ber (Energie; beS@ebanfenS leinen ©intrag faethan, benn eine 
Mitte ©attung »on ÜKißbräuchen gibt es wohl faum. @S ift 
Sebermann llar, um . was es fi<h hnnbett. Schwerlich wirb 
es Semcutben geben, bet ba fagt, auSbrüdli<h fagt; „©egen bie 
Wittßfchaftlitchett JKißbrämhe fueße ich ©<ßuß. aber, bie poti= 
tifcheu fÜlißbräuche will uh mit gefallen laffen" — ober um= 


gefehrt: „®ie politischen SDiißbräuche möchte ich bermieben 
wiffen, aber auf bie wirthfchaftlichen SRißbräuche müffen wir es 
wagen." 

Sn biefer (Erflärung, fowie in bem »orangegangenen 
Hinweis auf bie ^Beeinträchtigung ber finanjiellen 2eiftungS= 
fähigfeit, welche beibe ben Schein erregen, als wären fie ju 
©unften beS fßri»atbahnfhftemS abgegeben, wäßtenb fie oiel» 
mehr ben ©lauben an bie SOlöglichfeit eines gerechten, »er» 
faffungSmäßigen unb finanziell erträglichen StaatSbahnfhftemS 
auSbriiden foHen, »erräth fich jebenfaßs bie große Schwierigfeit, 
bie grunblegenben fragen ju umgeßen. 

2öaS bie politifcßen SRißbräucße betrifft, fo ift bem 
geehrten ßefer, wenn er nicht mehr ganj jung ift, wohl aus 
Zahlreichen Seitartifeln früherer Saljre noch erinnerlich, wip 
häufig bie IBefürchtung auSgefprochen warb, baß ber SBefiß ber 
(Eifenbaßnen ben ^Regierungen eine HRacßt in bie Hänbe fpiele, 
welcße bureß ißren ungeheuren Umfang jur SBillfürßerrfchaft 
reize, unb baß baS SlnfteHungS», ©eförberungS», 2RaßregelungS= 
unb ©ntlaffungSrecßt an Hnnberttaufenben »on ^Beamten, baS 
VerfügungSredßt über bie umfaffenbfte VerfeßrSmafchinerie, 
fowie über baS größte unb probuctittfte ©efammtfapital beS 
SanbeS, über baS Sßoßl unb Sßeße Jaufenber »on Sofalitäten, 
fieß in biefer fform ber conftitutionellen Sontrole entjieße unb 
mit einer wahrhaft conftitutionellen fRegierungSform, namentlich 
auch mit ber Stuffteßung eines correcten unb wahrhaftigen 
VubgetS, unoereinbar fei. 

Söetut biefe Slnficßt »on Slnßättgern beS ^rioatbaßn» 
fhftemS auSgefptocßen würbe, fo würbe ihnen regelmäßig er» 
wibert,baß bie großen fßrioatoerwaltungen ebenfafls etne erhebliche 
©efaßr mit fidf brächten, nämlich bie einer piutolratifchen Vor» 
maeßt, eines gelbariftofratifchen Staates im Staate. ©8 würbe 
beSßalb »on jener Seite gegen bie ffufionen geeifert unb ge» 
wirft unb baneben ber ßuläffigfeit einer ©oncurrenj auf bem 
©ifenbahngebiete nadjgefpürt Slßein obgleich biefe V^äoentio» 
mittet meiftentßeils nießt »erfingen, h a » e n wir nirgenbS bie 
©ifenbahnbirectoreit ju einer fouoeränen ©ewalt, etwa im Stil 
japanefifeßer 2)aimioS, ßeranwaeßfen gefeßen. 2>ie gufioneit 
haben fieß faft überaß als woßltßätig erwiefen, bagegen bie 
©oncurrenj jwifeßen ©ifenbaßnen als eine Vergeubung beS 
VationalüermögenS unb als eine inbirecte Vertßeuerung beS 
VetriebS. 5Die ©ifenbaßnbirectionen aber waren, ben gpuoerne» 
mentalen Sumutßungen gegenüber, burdjauS feine rebeßifeßen 
SDaimioS, joubem gewöhnlich nur aflju feßwaeß. 

Von ben wirtßfcßaftlichen ßRißbräucßen war in bem 
Sinne, ben man heute mit biefem SluSbrud »erbinbet, weniger 
bie Siebe, fo lange man noch an bie unenbiieße ffirtragSfäßig» 


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210 


IDie dtgtnntftr t. 


Nr. 40. 


feit ber (Sifenba^nen glaubte unb in jebern Scßienenftrang eine 
unetfcßöfließe ©olbqueße erblicfte. Selbftöerftänblid) ßat man 
bie Brioilegien, weiche baS fogenannte Gifenbaßnmonopol ent* 
Oätt, nic^t ohne tüchtige (Stipulationen für baS ©emeinmefen 
eingeräumt; ba mürben ber StaatSpöft umfäfftnbt Seiftutigeri 
unter bera ©elbftfoftenpteife ober gäng lirienigelffid) gu ©e* 1 
bote gestellt, ber Begierung bie GÖntrole her SäriH ttnb über; | 
ßaupt eine ftarle Benormunbung oorbeßalten, ein späteres 2ln- 
faßSrecßt gefiebert. Bie norbbeutfdje Bunbesoerfaffung fügte 1 
noch bie Berßeißung beS Ginpfennigtarifs ßingu, um nicht ; 
bloS in ben ibealen Begebungen, fonbern auch tu ben ber* ; 
beren Begeßrlicßfeiten ihre ©tüßen gu errichten. Bie Bureau* 
fratie, melcße ben «Staat täglich gu an Sagelohn grenjenben 
greifen rettet unb erhält, hat menig Sßeilnaßnte für ben Der* 
meintlich leichten Grtoetb beS Sapitaliften, beS Unternehmers 
ober beS SlctionärS. Sie Belaftung, Bebucirung unb Gnt* 
münbigung ber Brioatbaßnen mürbe förmlich gum Spftem 
auSgebitbet. BaS |>äßlichfte babei ift, bah unter bene fogenattn= 
ten nnb oiel gepriefenen „gemtfehten ©pftem", mtlcßeS in feiner 
SEBiberfinnigfeit an bie Boppelmäßrunsi äuf bem SWünggebiet 
erinnert, biefelbe Beßörbe Partei unb Bicßter ift, ja ein Gott* 
current ift, ber burch gang anbere Bfittel, als bie höhere Bot* 
jüglicfifeit ber Seiftungen, ben BiDalen ftrangulirt. 

3m Slnfang, ba nur erft bie einträglicßfttn §auptlinien 
im Berfeßt ftanben, als man nöcß nicht bie beträchtlichere §öße 
ber nötßigen GrneuerurigSfonbS überfah, bas publicum De* 
fcheibenere Slnfprücße machte unb bie fjanbelsftifen nod) Hießt 
an bie Gönjtittcturen ber fjräcßtpteife änfftüpftett,' lieh füß 
ba« ißrtoatfapitat fb leicht nicht burd) äße biefe' ^eiubfellg* 
fetten abfeßredetr. Später aßerbingS hatte bas ÜDimifterium 
Sßenpliß nicht bem ©hftem ©trdusberg bie SSBege gu ebenen 
gebraucht, roenn ihm nicht ein SWinifterium non ber §*ßbt 
norangegangen märe. Ser Unlotjatität folgte ber BertrauenS* 
mangel unb bie ^ȟlflofigteit. 

©o menig, mie über Staats* ober ißrinatbefi^ an ben 
Gifenbaßnen, moßen mir fiter bie Borfrage über Staats* ober 
Brioatbetrieb im &ügemeinen biSnitiren. Senn rnerbie fjrage 
richtig fteßt, hat fie fd)on beantmortet. ©oß bie grage baßin 
lauten, ob Beamte ooer ©efcßäftsleute einen gcifchäftlichett S8e- 
trieb beffer leiten, fo mirb Biemanb beftreiten, bah ber Beamte 
ebenfo feiten ein guter Kaufmann ift, als bet Kaufmann ein 
guter Beamter. SaS finb oerfdjttbene, ja entgegengefefcft 
Bichtungen unb Berricßtungen. Unb menn man einen guten 
Saufmann ober fonftigen Snbuftrießen in einen Staatsbetrieb 
Derfeßt unb ißm Beamtenqualität oerleißt, fo Peränbert man 
feine Batur unb macht einen ©tütnpet aus ißm. Sßm ent* 
geßen bann bie perfönlidjc Snitiatibe, ber freie Blid, ber Spe* 
culatibnStrieb, ohne bah w bafür bie Sicherheit unb ©lettßmäßig* 
feit beS GingreifenS gemönne. Ser Staat hat ja im öffentlichen 
Sntereffe gemiffe eigene Betriebe, bie man ißm nicht beftreitet; es 
finb übermiegenb folcßr, melche nach feften Bormen unb in einer 
unoerbrücßliißen Begelmäßigfeit Dermaltet merben föntten 
unb bei benen baS eigentlich mirtßfcßaftticße Steter effe gutüd* 
tritt. Sie Gifenbahnen aber »ermaltet ber Staat mtber tboßf* 
feiler, noch tetttabler als bie Britmtgefeßfcßaft, fo fcßled)t biefe 
aud) bisher organifirt gu fein pflegte. Slud) mitb bie Beßörbe 
bem Eßublicum nicht bereitmißiger ober gemanbter gut Ber* 
fügung fteßen, ißm nießt meßr leiften, als bie Agenten beS 
gefcßäftlitßen SutereffeS. 333enn bie StaatSbehßrbe alfo nichts 
»nberes miß unb fofl, afS etma baS roirthfchaftliche Sntereffe 
bureß ba§ fiScalifcße erfeßen. fo fann fie nichts SlnbertS tßun, 
als biSßer gefdjeßen ift, Unb fie tßäte jebenfaßs beffer, SlßeS 
beim Sllten gu laffen, anftertt fid) auf finangieße Abenteuer 
eingulaffen, melcße ben StaatScrebit ernfthaft bebroßen unb per 
©albo ben fffiScuS brücfenb befeßmeren. 

©oßte baS dutß ÄfleS fein, maS poit Derfcßiebenen ein* 
flußreießen Seiten unb oott mächtigen Parteien mit folcßem 
Gifer unb. folcßet frattnädigfeit erftrebt torrb? Bein, ber 
©tßtoerpunft ber $täcje liegt in bet Sßnt gttttg mb attberS. 
Sie ©taatsbaßtt als rein fiscdlifdjes 3nftitut märe bureßroeg 


fein gutes ©efcßäft; mal ber Staat bureß tßeilmeife Unification 
ber Gentralnermaltungen unb burd) Befdßneibung ber über* 
triebenen SirectionS* unb SlufficßtSrathSbefolbungen erfparen 
fann, faßt im' großen ©angen hießt ins ©emießt. 2lber ber 
ßSealif^e ©tanbpunft mirb auch DDn ben ermähnten Parteien 
hießt feßr ermäßnt, fonbern baS fogenannte öffentliche Sntereffe. 
SaS öffentliche Sntereffe, ber Sdjufc ber nationalen Arbeit, 
mie feßön baS hingt! Ilber maS oerfteßt man barunter? Saß 
bie Gifenbaßn minbeftenS ißre Soften aufbringe, baß fie bon 
SBänneru oerroattet merbe, melcße an ber SluSbeßnung unfereö 
inneren unb äußeren BerfeßrS mit aßen Sräften arbeiten, baS 
ßalte icß für ein eminentes öffentliches Sntereffe. 3ene aber 
ßalten bafür, baß fie ißr ©etreibe, ißre Soßlen u. f. ro. unter 
bem ©elbftfoftenpreife foßteit begießen ober oerfenben fönnen, 
alfo auf Soften beS SteuergaßlerS, unb baß ißnen gegen 
bie concurrirenben Brobuctionen unb 3nbuftrien bureß eine 
fein beredjnenbe Sarifpolitif Borfcßub geleiftet merbe. SaS ift 
ber entfeßeibenbe Bnnft, auf ben es ßener anfommt. Gine 
Begierung, melcße bie Gifenbaßntarife in ber $anb ßat, braucht 
meber ©cßußgöße noeß ©rengfperren; fie fann aueß ohne foteße 
§anbßaben oermittelft ber Sarife gerabegu maeßen, maS fie miß. 
Sie fann eingelne B^ße unb eingetne 3nbuftriegmeige be= 
giinftigen ober fcßäbigen, beleben ober ruiniren, oßne baß es 
bagegen $ülfSmittel gäbe. 

SBacßen mir an einem Beifpiel aus — Ülmerifa flar, maS 
unfere Agrarier moßen. gtiebrid) Sapp ergäßlt: 

„3it bem ungeheuren Sdßaben, melcßen bie Gifenbaßnen 
einaitber gufiigten, gefeßten fieß nun in .ben meiften meftti^en 
Staaten mie Oßio, Snbiana, Sßinois, SBiSconftn, SBinnefota, 
Soma unb SBiffouri bie böfen folgen ber fogettannten ©ranger* 
Bemegung. Sie Bauern biefer Staaten empfaftben eS nämlich 
feßon lange feßr ßart, baß ißr ©etreibe gu Diel fjracßt foftete, 
um mit ©eroinn naeß ben öftlicßen Snbuftriepläßen unb Jpufen* 
pläßen beförbert gu merben. Statt aber bie unDerßältnißmäßig 
große Gntfemnng ber gabrifbegirfe bon ben Ülderbaugegetiben 
unb bie Sdßmere unb ben Umfang ber länblicßen Boßprobucte 
in erfter Sinie für bie ßoßen graeßtfäße oerantroortlicß gu 
machen, anbrerfeits aber aueß bie europäifeße Goncurreng mit 
bem ©etreibe beS SBeftenS mit in Becßnung gu gießen, feßrieben 
bie ©rangerS in eeßt blinber Bauernmutß ber. ©eroinnfneßt 
unb ^artßergigfeit ber Gifenbaßnen bie auSfcßließlicße ©cßulb 
an ber tßeuren 5 rQl ßi gu unb berlangten, baß biefe Dom 
Staate gegmungen merben foßten, bie länblicßen B r °öucte fo 
moßlfeit gu beförbern, baß bie Brobucenten aueß noeß einen 
anftänbigen B r *>fit übrig beßielten." 

Sapp fäßrt bann fort: 

„Sllfo nießt bie ©efeße bet ©üterbemegung, fonbern legis* 
latioe Ginmifcßung unb Söißfür foßten bie B*eife beftimmen! 
Gine gett lang ßatte bie Bauernagitation Grfolg, namentlich 
fo lange fie gegen bie im gangen S33eften Derßaßten Sifferential* 
tarife gerichtet mar. Sie Bolitifer bemächtigten fieß ber Be* 
megurtg mit frampfßaftem Gifer, meil fie ißre eigenen ßroeefe 
babureß förbern gu fönnen glaubten, unb feßten mit §ütfe ber 
in ben SegiStaturen ber Gingelftaaten bie SBeßrßeit bilbenben 
Bauern ©efeße bureß, melcße fieß Don ben jüngften Böbel* 
augriffeit auf bie Gifenbaßnen nur babureß unterfeßieben, baß 
biefe mit ber Branbfacfel unb bem Beooloer in ber §anb gu 
erlangten fueßten, maS jene bureß Ginfcßücßterung unb Sroßungen, 
mit gefeßgeberifeßen 9Beßrßeiten fieß eine 3eit lang fießerttn." 

Bei uns finb es nießt bloS bie Bauern, melcße eine ber* 
artige Agitation unterhalten, ber eine falfdje, früher felbft Don 
liberaler ©eite propagirte Sßeorie gumeilen gu $ülfe fommt. 
Ser fogenannte Baum* unb 333agentarif, baS angebliche „natür* 
ließe Sqftem", baS Bf^ut’fcße gtmenfßftera mit Bftnuigpreifen, 
gleid) bet B*nnßpoft, bie Borfcßtäge einer abfoluten Srennung 
beS SranSport* Don bem SpebitionSgefcßäft mit ber Senbeng, 
feben Spebiteur mit feinen eigenen 3Bagen gugulöffen, äue 
biefe B^bjecte unb B r obleme, bie fein B ra ^der oßne bebeut* 
fameS Sopffcßütteln anßören fann, mürben felbft ift ber Der* 
bünnteften Slmoenbung bie gange GrtragSfäßigfeit ber Gifen* 


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oogie 



Nr. 40. 


9t? hegenwart. 


211 


bahnen jerftören. Der Sifenbal)nfuhrherr !onn nicht, wie ein 
einfacher Ehauffeefuhrmatm, ttad) ©aum, ©emidjt unb Ent= 
fermmg bie greife beregnen. Er muff öielmehr bie @efammt= 
toften nadj bet Seiftungsfähigteit ber einjelnen ©erfehrSjweige 
oert^eUen. Er fonn batjcr nur bei einem auSgebilbeten £lftffi= 
ficationßfpftem hefteten, welches allerbingß bie lenbenj hat, 
immer oerwidetter p werben, fo baff es »on 3«* ju 3eit 
burh vereinte Strafte öereinfadjt werben muh- Daß SlaffU 
fieationSftjftem, welches übrigens bie oerfhiebenften S8erechnungS= 
arten nicht auSfhliefjt, führt nottjwenbig ju Differentialtarifen. 
Diefe, ein ©egenftanb blinben unb unberftänbigen paffes, 
werben oft fo bargefteQt, als enthielten fie eine ©egiinftigung 
be« ©uSlanbeS, währenb fie boet) nur bie unoermeiblidje S8e= 
günftigung beS großen ©ettojrS gegen ben Reinen enthalten, 
fluch bie Eifeubatjnherren pflegen nicht freiwillig etwas p 
DfrfdjenJen; wenn fte gewiffe Quantitäten auf großen Strecfen 
wohlfeiler fahren, fo gefdjieht baS in ber Ueberjeugung, bah 
ihnen unb bem 2anbe fonft baS ganje ©efdjäft entgehen würbe. 
Uebrigenß waren bie Differentialtarife, wenn man fie gewähren 
lieh, faft immer bie Vorläufer allgemeiner ©reißherabfefcungen 
unb grachterleichterungen. 

DiefeS finb nur oberflächliche ©nbeutungen über eine 
höchft fchwierige unb umfangreiche ©taterie. Sd) wollte eigent= 
lieh nur ton ben oerfhiebenen Dariffpftemen fprechen, aber bie 
nnoermeibliche Einleitung hat mir ben geftatteten ©aum auf= 
gejehrt. Der gefhäfcte Sefer oerliert nichts babei, wenn er 
mir ertaubt, ihm ein 33uh p empfehlen, in welchem auf 
3-t400 ©eiten alle Dariffpjteme jwar etwas fchulmüfcig, «ber 
grünblid) unb öölltg objectit» unb jumat mit S3erücffid)tigung 
aßet Dheorien unb ©chulmeinungen erläutert werben, nämlich 
Br. SmliuS &ehV „Ueber ©ifenbahntarifwefen unb Eifern 
bahmnonopol" (©erlin 1879, ©erlag öon SuliuS Springer). 
Der ©etfaffer ift ©rofeffor ber ©ollSwirthfchaftSlehre am 
ftarlßruhet ©olptedmifum, atfo ber ©eamte eines (Staates, 
welcher, unter ben gegebenen befonberS günftigen ©orauS= 
fe^ungen, auf engerem ©aum bie Aufgabe beS ©taatsbahn= 
fpftemß mit am beften gelöft hat. Seft prüft überall nicht 
bloß bie beftehenben Einrichtungen, fonbern auch bie ©eform= 
oorfchläge mit anertennenSwerther Freiheit öon ©orurtheilen. 
Das ©uch !ommt ganj jur redeten ßeit. 


Literatur unb ititttfl 

Der .^xrbft ift ba, unb trüb’ unb nah unb (alt wirb halb baß 

XBetter fein, 

Serweht oom SBinbe werben halb bie lebten bürten Slätter fein. 
Die Störd)’ unb Sdhu>alben jogen tängft ju wärmer« §immeia= 

ftri^en fort, 

8utüi Oom tänblidjen flfpl wirb batb ber lebte Stäbter fein. 
Unb in ber SBeUftabt angelangt, als SBintergaft ber ©efibenj, 
SSirb halb manch hetrenhäuSliher unb golbgefhWoUner ©etter fein. 
Sauet ©erfonß Zempel wirb erfüllt öon einer opferwiü’gen Schaar, 
Unb jebe Dame ©riefterin ber neuen ©tobegötter fein. 

Der Schönen einjig Drahten finb bie neu’ften SBintertrachteu nur, 
Db b«fe wohl (leibfamer, ob bie anbre möcht’ honetter fein. 
Dehn fileibet mähen öeute, unb bie fpäfjtihe möht’ gerne fh#n, 
Die aber jiertih ift unb nett, möht’ gern noh etwas netter fein. 
Doch wer bie SBatjl hat» hat bie Dual', nur wer ein grauem 

Ijerj niht (ennt, 

Der mag ob fother Sßahten Dlual ein unbarmherj’ger Spötter fein! 
Unb wer — fo feufjt manch fhöner ©taub — wirb an ein- 

famen flbenben 

Der winterlihen ßangenweil’ uns ein barmherj’ger ©etter fein? 


3u uns, ihr lieben grauen, (ommt! 3war fern fall immer, 

wie bisher, 

Un# niebriger ©eclatne'laut trompetenbeß Eefhmetter fein; 
Doh wir öerfprehen euh: gepflüeft im ©arabieS ber (Gegenwart 
©om Saume ber Erfenntnifj fott ein jebeS unfrer Slätter fein. 

cErnft Dot|m. 


I 3ft kr JJefltmtstmts fhäbltch? 

SSon «Ebnarb von ffartmann. 

Dafj bie peffimiftifdje SBeltanfhauung im lebten Sahrjehnt 
in immer mahfeuberem ©tage pm ©emeingut ber gebilbeteren 
Shihten beS beutfhen SolfeS geworben, ift eine Dhatfahe, bie 
öon ©iemanb geleugnet Wirb, am wenigften Don ben ©cgnetn, 
weihe niht ntübe werben, ben ©effimißmuS als baS oerberblihfte 
©ift p öerfhreien, baß fhlethenb. unfre ©olfsfraft untergräbt, 
unb mir einen bebeutenben Kntheil ber ©erantwortung für baß 
barauß erwahfenbe Unheil jufhieben. Db ber ©effimißmuS 
wahr fei ober niht, gilt jenen ©egnern als eine Stage öon 
fecunbärer Sebeutung, weit ihnen feftftcht, bah er fhabtih fei, 
unb bah er barum niht gelehrt »erben bürfe, gleidjöiel ob er 
wahr fei ober niht. Die burhfhuitttihen ©«tretet beS ltbe= 
raten ©coteftantiSmuS finb reht tolerant gegen äeute, weihe bie 
©erfönlihfeit ©otteß unb bie U«fte*blih(eifc ber Seele leugnen, 
ab« ber 3weifel ah ber Sehaglihteit bief« ffiett gilt ihnen als 
eine SlaSpherate gegen ben Shöpf«, als Sünbe gegen ben 
heiligtn ©etft- Ein Xheil beS ©atianaÜib«aliSmuS, Wie er bei- 
fpielSweife in ben ,4Pteuhifhen Sahrbühern" feine ©«tretung 
> finbetr, hat ei». ©er^änbnth füö btejetugen; weihen baS Dernpo 
| unfrer politffhen, fociaten unb (irhlih en Entwicklung p lang: 
j fam, ja fogat für folhe, benen eS p tafh geht» aber wie man 
I bie $errlihteit beS neuen beutfhen ©eidjeS mit erlebt haben, 
i uub bann noh biefe SBelt für fhlehter als feine erflftren fanu, 
baS ift ihm fhtehtnbingS nuöerftänblih- ES ift bah« uidjt p 
öerwunbern, wenn auf bie ©ertretn biefeS liberalen ©roteftan= 
tiSmuS unb felbftpfriebenen ©ationalliberaliSmuS baS Stichwort 
„©ejfiraiSutuS" eine ähnlihe SBirfung auSübt, Wie bie rothe Sarbe 
! auf ben ©uther, b. h- fie in befinnungStofen 3orn bringt unb 
I gegen jebe mit ©effimiSmuS oerfe^te Sehre fih ereifern läjjt, 

I ohne Unterfheibung, Weiher Art biefer ©effimiSmuS fei unb 
| weihe Stellung er in biefer £ehre einnehme. 

I Dabei geigt fih nnn biefer Stimm gegen ben ©efftmiS; 

muS in mahfenbem ©iahe burhbrungen öon b« Ueberjeugung, 

I bah bie peffhniftifhe ßBettanfhauung gegenwärtig buch ih« 
epibemifhe ©«brertung beteits p ein« (wenn auh nur nega= 

; tioen) cultnrgefhihtlihen ©Iaht geworben fet, gegen weihe ber 
&ampf öon aufjten als auSfihtStoS unb bie Slrgnmente ber 
Dptinüften als praftifh ohnmächtig erfheiuen, weihe beShalb 
nur noh buth fih fetbft überwunben werben famt. Diefe 
Ueberjeugung, weihe ben $aft ber ©egnev natürlih nur fteigeru 
(ann, enthält in jwiefaher ^infiht etwas ©ihtigeß: erftenS bie 
ttnetfenmutg ber D^nmaht beS Optimismus gegenüb« ber ein« 
mal jum Dnrhbrnh gelangten pefftmiftifhen SBeltanfhauang, 
! nnb jhMÖtenS, bah b« ©effimiSmuS nur burh fih felbft ge= 
reinigt, öon fluSwühfen befreit «nb pr öoüen SBahrheit eut= 
wideU werben tarn, ob« mit anbern ©Sorten, bah ber falfhe, 
ob« boh fh»efe unb einfoitige ©effimiSmuS nur burh ben wah^e® 
überwunben Werben (ann. 

©or ©Item n&wtih (ommt es barauf an, weihet ©rt eine 
pefftnnftifhs 2«h te f« wnb weihe Stellung fie in ber gefammten 
philofophMh» SBettanfhanung ihres ©ertreterß eimtehwe. Ein 
Wohlfeiler „EntrüftungSpeffimiSmuS", wie er j. ©. öon 
Dühring öertreten wirb, m«ht bk ©tenfhen bloß unj»ufrieben 
mit ben beftehenben Suftänben, mäht fte blinb gegen bnß Ser* 
nünftige, baß anh in ihnen liegt unb auf ihrer ©afiß ftufen= 
Weife ju höheren Sonnen enttnidelt werben foH, gewöhnt fie au 
bie ©erurtheitung aüeS Dhatfähtihen bloß wegen feiner 

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212 


fflif (Segenwart. 


Nr. 40. 


congrueng mit abftracten, fegablonengaften unb beö^atb praftifcg 
wertglofen 3beaten, unb oerleitetgfie boju, bie ®efinnungStücgtig= 
feit be$ SbealiSmuS an bem (Stabe bet ^Begeiferung beS ©ot= 
ganbenen unb feinet ©ertreter gu meffen. (Sin foleger ©effimis: 
muS ift baS ©egenftüd jene«! f»t)tIofop^ifd^en ipeffimiSmuS, bet' 
bie Singe nur sub specie aeternitatis erbticft unb bureg feine 
erhabene Stauet übet bas allgemeine ScgidfalSlooS beS Beben= 
bigen fidj unenblug gocg ginauSgerüdt roei| übet alle Klage 
um baS ©ingelne unb über alle fpärte, ©itterfeit unb Ungerecgtig= 
feit in bet ©eurtgeilung beS ©ingelnen, wie folcge unoermeiblicg 
aus bem „©ntrüftungSpeffimiSmuS" entspringt, beffen ©ertreter 
fieg ja bod) fegliejjlicg nur übet bie ©teile entlüften, wo fie unb 
ihresgleichen bet ©cgug btücft. 

gfaft noeg fcgäblicger in anbetet Stiftung wirft ber quieti= 
ft i fege ©effttniSmuS, gleicgoiel ob mit ober ogne aSfetifege 3«= 
traten; benn et untergräbt bie SSurgel bet Sgatfraft, ben Glauben 
an bie gägigfeit ber URenfeggeit, bureg i^re Anftrengungen an 
bem Buftanbe bet SBelt etwas gu änbern, unb gerftört alle 
greubigfeit beS 38irfenS unb Schaffens, inbem er bie BuOerficgt 
auf fortfegreitenbe ©titwidelung oernicgtet. SSenn ber ©nri 
riiftungSpejfimiSmuS ben pietätSlofen Sünfel eines abftracten 
SbealiSmuS in unfrer gugenb grofjgiegt unb fie gur ©rfcgöpfung 
igrer Kräfte in unfruchtbarer Negation beS ©eftegenben anleitet, 
fo bilbet bet quietiftifcge ©effimiSmuS tgatenloje Stauntet aus 
unb ertöbtet bie inftinctioen Antriebe gur ©erwertgung ber Kraft, 
jum SBucgern mit bem geliehenen ©funbe. ©rfterer o er pufft 
bie ©olfSfraft nach äugen, ohne fie gur inneren ©ntwidelung 
haben reifen gu taffen; legterer oergegrt fie baburch, bafj er 
fie rein nach innen fehrt unb auSfcgliejjticg auf bie fpielenbe 
©efcgäftigung mit fich felbft unb ihrem ©cgtnerg anweift. ©rfterer 
ergiegt 3nngengelben unb bemagogifcge Querulanten, leßterev 
fchöngeiftige ©cgmaroger. 

Sie gehler biefer beiben gormen oereinigt ber SJiifera= 
biliSmuS in fidg, ber geboren wirb aus bem 3ufammentreffen 
oon angeborener SqSfolie, oon franfhafter Steigbarfeit unb ©m= 
pfinblichfeit, Oon ungünftigen flebensoergältniffen, oon Ungefcgid: 
lichfeit in ©enugung fich barbietenber günftigerer ßgancen, 0011 
lebhafter ^ß^antafiett^ätigfeit in Ausmalung fünftiger Unamtegm: 
liegfeiten unb ©cgredniffe unb oon mangelnber (Energie unb 
©onfequeng im Streben, §anbeln unb Sßirfen. Ser ÜDtiferabi: 
liSmuS fommt mit bem (SntrüftungSpeffimiSmuS barin überein, 
bag er gunäcgft bloger SituationSfcgmerg, b. g. Scgmerg über 
gegebene innere unb äugere ©ergältniffe ift; mit bem quietiftU 
fegen ©effimiSmuS hingegen hot er baS gemein, oon ber Unüer- 
befferliegfeit biefer ©ergältniffe im ©ingelnen, oon ber grudjt- 
lofigfeit jeber Anftrengung unb jebeS Kampfes, furg oon ber 
3wedlofigfeit ber Aeüioität übergeugt gu fein. @o oereinigt er 
in fich bi* Querutang beS erfteren mit ber §offnungSlofigfeit 
beS lefcteren, bie abftogenbe 3ßiberwärtigfeit ber ©rfegeinung mit 
bem lügmenben ©influfj beS SBefenS; waS ben erfteren erträglich 
macht, bie, wenngleich üerfehrten Bielen gugewanbte, (Energie unb 
Xgatfraft, gegt igm ebenfo ab, wie baS, was ben legteren abelt, 
bie ftitle §ogeit ber SRefignation.*) 

33er meine Schriften mit einigem ©erftänbnijj gelefen gat, 
ber weig, bag ich ntieg oon ben btei genannten gormen beS 
©effimiSmuS principieQ unterfegeibe. Sag meine gange ©gilo: 
fopgie im biametraten ©egenjag gu Schopenhauers quietiftifefjem 
©ietiSmuS aufgutreten beabjicgtigte, ift fegon in ber erften Auf¬ 
lage ber ©giL ber Unb. ungweibeutig unb wiebergolentlicg auS= 
gejprocgen. ©ine ebenfo entfegiebene Stellung gegen ben ©nt« 
rüftungSpeffimiSmuS unb ÜRiferabiliSmuS fonnte icg auS bem ein: 
faegen ©runbe bamalS niegt einnehmen, weit beibe gu jener Seit noeg 
niegt igren abfcgliegenben AuSbrud gefunben, g. Sg v aueg in igren 
oorläufigen Kunbgebungen mir noeg niegt befannt geworben waren; 
niegts befto weniger war meine abweiegenbe Stellung pofitio mit 
aller Scgärfe präcifirt, wenn igr aueg bie potemifege Abwegr gegen 
jene SRicgtungen feglte. 3BaS bamalS noeg unjulänglicg im 

*) Sen prägnanteften StypuS beS 3Rifera6iliSmuS finbet man in bem 
anonymen „ißejfitmftenbteöier" (Serün 1879, Sg. ©rieben). 


31uSbrnd erfegeinen fonnte, ift ingwifegen an berfegiebenen Stellen*) 
ausführlicher oon mir erörtert, aueg oon anbern ©eiten ger ein* 
gegenb auSeinanbergefegt worben**), fo bag ein Sweifel über 
biefe Unterfcgiebe für 3cben, ber fieg berufen füglt, über ben 
)ßefflmiSmuS ju urtgeilen, unmöglich fein foüte. SSenn gleicg= 
wogl bie Argumentationen gegen ben oon mit oertretenen 38ejfi= 
miSmuS ginficgtlicg feiner behaupteten Scgäblicgfeit fieg meiften= 
tgeilS als SBiebergoIungen ber gegen bie oorgenannten gormen 
oorgebraegten ©efcgulbigungen barftetten, fo bleibt nur bie Aller: 
natioe übrig, bag bie Kritifer entweber ogne ginlänglicge Kennt» 
nig beS ©egenftanbeS fieg gur Kritif ermächtigt hielten, ober 
aber, bag fie fieg oom Aff ec t fo weit oerblenben liegen, um 
Unterfcgiebe gu überfegen, welcge gu bemerfen igre ©eifteSfägig: 
feiten ignen unter anbern Umftänben ogne Stoeifel geftattet 
gaben würben. Sag beibeS gefonbert unb oermifegt oielfacg oot: 
gefommen ift, bebarf feines IRacgweifeS. ®S bleibt aber äuget: 
bem noeg bie Sgatfacge gu beriieffiegtigen, bag eS einige wenige 
Kritifer gibt, welcge bie fraglichen Unterfcgiebe wogt gu beadgten 
wiffen, unb bennodg meinen IßeffimiSmuS als gleichfalls fcgäblicg 
betrauten, welcge Anflcgt fie tgeilS tgeoretifeg gu begrünben, 
tgeilS bureg bie empirifeg conftatirten praftifdgen 3Birfungen gu 
ergärten oerfuegen. 

3BaS gunäd)ft bie legteren betrifft, fo ift in ber Sgat niegt 
gu leugnen, bag bureg bie Siecture ber ißgil. b. Unb. eine grögere 
Sagt oon Ißerfonen fieg in einer weltfcgmerglicgen ©timmuug 
beftärft gefüglt gaben, ebenfo bag in anbern eine folcge Stimmung 
bureg biefeS SBucg maeggerufen worben ift, in welken fie bis 
bagin megr ober minber latent geblieben War. 3« fotegen 
gatten liegt aber meiftentgeilS ein URangel an SSerftänbnig meiner 
Intentionen gu ©runbe, ber niegt fo fegt bureg bie Unflargeit 
meiner Sarftettung als bureg SDtangel an pgilofopgifcger 33or: 
bilbung ober cgarafterologifeger Steife oeranlagt fein bürfte. ©in 
pgilofopgifcgeS SB er! wenbet fieg naturgemägig an bk $öcgg: 
gebilbeten ber Station, niegt an bie £>atbgebilbeten, — an auS: 
gereifte ©garaftere, niegt an galbwü^fige Jünglinge ober gögere 
Öacffifcge; wenn gleicgwogl feine Secture in Kreifen, für bie es 
niegt berechnet ift, geitWeüig gut SRobefaege wirb, fo tann ber 
Autor baS ebenfowenig ginbern, als man igm einen Storwurf 
barauS maegen fann. SBenn fegon bem grögten Sgeil ber 
Kritifer bie gägigfeit feglte, meinen ißeffimiSmuS oon anberen 
fcgäblicgen gormen gu unterfegeiben, fo fann man fieg fegwerlicg 
barüber wunbern, bag aueg garmlofen SReugierigen biefeS Unter: 
jcgeibungSöermögen oielfacg abging, unb bag bie Sarftettung 
meines ißeffimiSmuS 38irfungen geroorbraegte, als ob er oon 
jenen gormen niegt unterfegieben, fonbetn mit ignen ibentifeg 
Wäre. Solcge Befer riffen nur gu oft eingelne Stüde ber Söe- 
grünbung unb Sarftettung meiner Anficgten auS igrem S« s 
fammengange, gogen bann auf eigne $anb auS biefen SSrueg; 
ftüden praftijege golgerungen, welcge ben oon mir gegogenen 
fegnurftrads guwiberlaufen, unb blieben gleicgwogl in bem guten 
©lauben, fieg für biefe igre golgerungen auf mieg als Quelle 
berufen gu fönnen. Auf biefe SBeife maegten fie eS gebauten: 
lofen ©egnern beS IßeffimiSmuS möglich, weine ißgilofopgie für 
allerlei ©elbft=, greunbeS: unb ÜRaffenmorbe oerantwortlieg gu 
maegen, welcge oon SBeltfegmerglern, ©eiftesfranfen ober raffinirten 
SJerbreegern, fei eS mit, fei eS ogne ©egiegung auf meine Segriften 
begangen waren. 

Safe berartige ©orwürfe entweber bomirt ober illogal finb, 
bebarf feiner ©egrünbung; aber gang baSfelbe gilt für folcge 
gälte, wo etwa ein unreifer Stubent, ber noeg niemals fug mit 
pgilofopgifcgen Problemen befegäftigt gat, bureg mein Kapitel 
oom ©lenb beS SafeinS aus ben optimiftifegen SUufionen feines 


*) iggil. b. ttnb., 3 u fä|e ber groeüen unb folgenben Auflagen. @ef. 
©tubien unb Auffäpe A. VII unb Ul; AeufantianiSmuS, ©egopengaue= 
riantSmuS unb Hegelianismus ©. 13—14, 104—116, 161—168, 821— 
327; Sßljänomonologie beS fittliegen ©ewugtfeinS ©. 40—64, 689—606, 
636—651, 668—660, 669—771, 849—871. 

**) Ser ipeffimiSmuS unb feine Segnet. SSon Ä. Säubert, ©erlin 
1873, e. Sünder. 


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Nr. 40. 


fflie Gegen ®«rt 


218 


EonfirmanbenunterrichtS unfanft machgerüttelt, fid) junädjft baS 
Eoncept für feine Drienttrung in bet SEBelt oerrüdt fiet)t unb 
au$ einem muntetn jungen jum ßeibwefen ber lieben Ser; 
wanbten ein ©tüd tarntet wirb. Denn entmeber oerfteht et 
meine Seiten, bann wirb er auch nach furjer Ärifis bie etfjifh 
refignirte unb fctbfttoS ttjatenfreubige ©timmung gewinnen, 
Weldje allein bie ihnen praftifcj entfprehenbe ift; ober et oer= 
fleht fte nicht, bann Wirb man eS nicht mit als ©djulb an= 
rechnen fönnen, wenn er entweber mit einer frioolen ©chwenfung 
jum ©enußleben jurüdfehrt, ober in einet ©timmung fteden 
bleibt, weihe als fpecietler ©ituationSfhmerj ober als allgemeiner 
2Beltfhmerj bem theoretifdjen ©tanbpunft beS EntrüftungS; 
peffimiSmuS ober quietiftifchen ©efftmiSmuS praftifdj correfponbirt. 
(3um SRifetabiliSmuS fann überhaupt nur eine patljologifh 
oeranlagte Statur gelangen, welche bann aber auch ßh*r ooit 
felbft baju gelangen wirb.) 3m erfteren Salle ift nur baS $u 
bebauetn, baß ber Einbrud meiner Darlegungen ein fo ober; 
flädjliher geblieben unb nicht mehr in bie Diefe gebrungen ift, 
um folchen SttidfaQ in gemeine ober raffinirte ©enußfuht ju 
oerhinbern; in ben leiteten beiben Sollen ift recht eigentlich 
jene oben erwähnte Sachlage gegeben, wo bie Argumente beS 
überwunbenen DptimiSmuS ohnmächtig geworben finb, alfo nur 
bie Hoffnung bleibt, ben junäehft ergriffenen falfdjen ©effimiSmuS 
burch ben wahren ju überwinben unb auf biefem einjig mög; 
liehen SEBege unfchäblich }U machen. Den ßeitem unb ßehrem 
eines folchen 3ünglingS bleibt alfo laum ein anberer Sßeg offen, 
als ihm baS grünblidjere ©tubium meines ©effimiSmuS ju 
empfehlen, bamit er burd) biefeS fich aus jenen fdjäblichen After; 
gebilben herausarbeite. SEBenn eS ein allgemeines ©efe| ift, baß 
ber inbioibueUe EntwidelungSgang bie EntmidelungSgefhichte ber 
©attung in abgefürjter SBeife wieberholt, fo barf man fiep nicht 
barüber wunbern, baß ber com DptimiSmuS jur peffimiftifhen 
SSeltanfchauung ©elangenbe junädjft eben jene Sormen beS 
©ituationSfchmerjeS, beS poetifdjen SEBettfdjmerjeS unb beS quietifti; 
fchen ©effimiSmuS burchjumacben hot, welche auch int ©eifteS= 
leben ber SRenfdfheit bie leiber uiterquidlidjen ©orftufen jum 
wahren ©effimiSmuS bilben. 

Der ©eweis ber ©djäbtichfeit meines ©effimiSmuS aus 
feinen praftifchen SBirfungen bürfte mithin als oerfehlt ju bt- 
jetdjnen fein; nicht beffer aber möchte eS mit ber ©egrünbung 
feiner ©häblichfeit burch tljeoretifhe Argumente gehen, welche 
jehon früher burch DaubertS ©effimiSmuSfhrift unb neuer; 
bingS burch meine Phänomenologie beS fittlichen ©ewußtfeinS 
ihre SEBiberlegung gefunben hoben. 

SRan hört junädjft einwenben, baß burch ben ©effimiSmuS bie 
gefunbe ©runblage beS ßebenS jerftört werbe, unb bafj bamit ber 
allein gültige SRaßftab für bie normale Abfchä|ung ber ßebenSwerthe 
Derloren gehe. Das wäre nur richtig, wenn ber ©effimiSmuS eine 
petitio principii, b. h- ein an bie ©eurtheilung beS ßebenS unb 
feiner SBertfje fdjon mitgebrachtes ©orurtheil unb nicht ein auS 
bet möglichft unbefangenen Abfhä|ung ber ßebenSwerthe fich er; 
gebenbeS Enbrefultat wäre. SBaS gefünber fei, bie nüchterne 
Auffaffung beS ßebenS, wie eS wirtlich 'ft, ober bie Betrachtung 
beSfelben burch bie ©rille optimiftifcher 3Qufionen, baS ift eine 
theoretifche Streitfrage, bie jum SRinbeften nicht burch unmotibirte 
SRachtfprüche oon ©eiten beS DptimiSmuS ju eittfcpciben ift. 
3ebenfatl3 beanfprudjt bie peffimiftifche SBeltanfhauung ihrer; 
feitS gleichfalls, bie gefünbere ju fein, unb wenn ihr oom 
Optimismus ootgeworfen wirb, bafj ihre Abfcf)ä|ung ber ßebenS; 
werthe einer gefunben Etpif baS Eoncept oetrüde, fo gibt fie 
ihm biefen ©orwurf mit minbeftenS ber gleichen ®raft ber Ueber; 
jeugung jurüd. 

SBenn ferner optimiftifefje Srititer behaupten, baß burch 
bit tritifche 3erfe|ung ber inftinctiben Driebe unb (Sefühle, 
burch ihre Enthüllung als äffenbe SHufionen jebe ßebenSfreube 
jerftört, jebe naturgemäße Eingabe an bie natürlichen unb geiftigen 
Aufgaben beS ßebenS unmöglich gemacht Werbe, fo beruht baS 
auf einem SRißoerftänbniß. Denn ber ©efjtmiSmuS behauptet 
ja nicht, baß biefe inftinctiben Driebe unwahr feien unb beShalb 
abgetöbtet werben müßten, fonbent er weift oielmehr ihre un; 


ermeßtiche S33i<htigfeit für baS ßeben ber ©attung unb bie Ent; 
widelung ber SRenfhheit nach un ^ oerlangt barum feljr entfehieben 
bie ©flege unb Auöbilbung berfelben. Stur infofern baS un; 
Philofophifche Denfen fich unmiHfürlich bem irrthümlichen ©tauben 
hingibt, baß biefe Driebe, weil fie bem 3«biöibuum ein hohes 
©lüd ju oerfprechen feßeinen, auch nur jum 3«>ed ber inbioi; 
bueüen ©lüdfeligfeit als SJtittel gefe|t feien, nur infofern bedt 
ber ©effimiSmuS baS Sttuforifdje in ihnen auf, inbem er lehrt, 
baß biefe Oermeinte ©lüdfeligteit nur als Söber biene, um fitttid) 
unreife Snbiüibuen unoermerft ben höheren 3®eden bienftbar ju 
machen. Der fittlic^ reife SOtenfch, ber bereit ift, feine Strafte 
für foldhe höhere 3wede auch ohne oerheißenen ßoßn Willig ein= 
jufe|en, ber alfo in feiner Eingabe an bie Aufgaben beS ßebenS 
nicht mehr bie SRehrung feines eigenen SBohlS im Stuge hot, 
ber wirb fich nimmermehr über baS Drügerifche biefer 3Hojtonen 
beflagen, burch welche ja nichts getäufdjt Wirb als baS moralifch 
rechtlofe Streben nach eigener ©lüdfeligfeit; er wirb oielmehr 
bie in feine ©ruft gelegten inftinctioen Driebe gerabe barum 
ehren unb pflegen, weil fie ihm als bequeme ^anbljabe bienen, 
um ohne ju großen Stampf mit ber wiberftrebenben ©elbftfudjt, 
ohne fortbauembe Slnfpannung ber fittlichen Energie bo<h ben 
fjorberungen ber ©ittlicßleit geregt ju werben. Er wirb fich 
aber benfelben nicht blinblingS, nicht einfeitig unb unbebingt 
ergeben, fonbern wirb ben ©rab ihrer jeweiligen ©erechtigung 
am SRaßftab ber fittlichen 3been prüfen, b. h- er Wirb feine 
natürlichen Driebe unb inftinctioen Steigungen etljifiren, unb 
er oermag bieS eben beShalb, toeil er einfeljen gelernt hot, baß 
bie oon ihnen oorgefpiegelte inbioibueUe ©lüdfeligfeit hoch nur 
eine beabfichtigte Däufchung ift, baß ihre SEBahrheit oielmehr 
barin befteljt, SRittel ju höheren, etpifchen 3>oeden ju fein. 

SRan erlennt fchon aus biefen Slnbeutungen, baß ber ©efß; 
miSmuS, weit entfernt, ben 3beali8muS beS ©emüthS unb beS 
©ewiffenS ju fdjäbigen, oielmehr bie geeignetfte Unterlage bilbet, 
auf welcher berfelbe fich am freieften unb ungebunbenften ent; 
wideln tann. Denn was ben SRenfdien hiobert, feinen ©eift ju 
ben Sbealen emporjuheben unb nach ihrer Anleitung fein ßeben 
einjurichten, was ihn immer wicbcr herabjieht in ben ©taub 
beS Srbifchen unb bie ©anbe beS ©emeinen, baS ift bo<h fchüeß; 
lieh nichts anbteS als bie ©elbftfudjt, bie Sorge um baS liebe 
3jh unb beffen ©lüdfeligfeit, unb bie Hoffnung, burch ©e; 
friebigung biefeS ober jenes fich 9 r obe heroorbrängenben DriebeS 
biefe ©lüdfeligfeit ju erlangen ober hoch ihr näher ju fommen. 
3e nach bem ©ilbungSjuftanb unb ber Staturanlage beS 3«= 
bipibuumS wirb biefe ©elbftfudjt fich nteljr als pnnlidje ©enuß; 
fudjt (^eboniSmuS, SleifcheSluft) ober als raffinirter Egoismus 
(EubämouiSmuS) barftellen; in beiben Säßen aber ift bie SRelp 
rung beS eignen SBoßlS unb ©ehagenS baS le|te 3**1, baS, je 
nachbem eS jufällig mit ben fittlichen 3'eien harmonirt ober cotti; 
birt, legal ober unmoralifd) erfejeint, niemals aber irgenb 
welchen fittlichen SBerth beanfpruchen fann. ©o lange ber 
©laube an bie Erreichbarfeit beS ©lüdeS in ber SBelt befteht, 
ift baS 3nbioibuum oon weltlicher ©efinnung beherrfdjt, fo 
lange ridjtet eS fein ©innen unb Drahten banah, biefeS oer; 
lodenbfte atter 3»ele ju erreihen, fo lange wirb ber etjifdje 
unb religiöfe 3bealiSmuS mehr als ein fleibfamer ©u| bem ©e= 
wanbe ber ©elbftfudjt aufgeheftet, als baß er wirftich bauernb 
(nicht bloS in oorübergejenben Aufwallungen) jur ^»errfhoft ge= 
langt, fo lange bleibt alle oorgeblid)* SRoral unb Steligion boh 
nur offener ober oerfhömter SubämoniSmuS. Erft wenn in; 
tuitio ober buth Steflejion bie Unerreihbarfeit ber ©lüdfelig; 
feit eingefehen ift, ift bie phU^ologifcje ©runblage jur Er; 
möglihung eines wahrhaften etjifcj;religiöfen 3bealiSmuS ge; 
geben. Erft auf ben Drümmern all unb jeben EubämoniSmuS 
erbaut ftch bie ehte SRoral, unb nur eine Durhfhouung ber 
eubämoniftifhen Sßufionen geftattet eS, ben EubämoniSmuS in 
Drümmer ju fhlagen, baher benn auh ®ant, ber juerft biefen 
principietten ©d»ritt oon ber unechten jur ehten SRoral tjat, 
unfer erfter ©effimift war. 

SBaS für baS pttliche ©ewußtfein gilt, baS gilt in noch 
höherem ©rabe für baS religiöfe, welheS als bie Krönung beS 

e 




214 


ffl i e (Segen wart. 


Nr. 40. 


erfteren bejeidjuet werben fann; nur au« ber funbamentalcn 
Umlehr ber weltlichen ©efinnung fann bie retigiöfe ©efinnung 
entfpringen, unb ber SRenfch fann echte Seligiofität immer nur 
in bem ©rabe bejtfcen, al# er feine weltliche ©eftnnung abgefireift 
unb fiberwunben bat, b. h- al# er mit ober ohne Mare# Bewuftt- 
wufttfein fßeffimift geworben ift. Sch gebe nicht fo weit wie 
Schopenhauer, ben Optimismus für eine rutblofe ©eftnnung ju 
erllären, aber i<h muft baran fefthalten, baß er eine ©eftnnung. 
erjeugt, welche baS Streben berwettlidjt unb ba# Stuftommen 
unb bauembe ^»errfeben eine# Wahrhaften religiös - et^ift^en 
3beali#mu# mehr al# irgenb etwa# anbere# erfcfjwert, wo nicht 
gar unmöglich macht; hingegen liegt auf ber $anb, baft ber 
BeffimiSmuS, inbem er jene# lünbernifj befeitigt, mehr al# 
irgenb etwa# anbere# ba# 3uftanbelommen unb bie fortfehreitenbe 
Befeftigung be# religiöS=ct^ifchen 3beali#mu# begünftigt, alfo in 
biefer Dichtung nicht nur nicht al# fchäblich fonbern fogar al# 
im haften ®<nne förberlich unb praltijch roerthooß ju be- 
jeidjnen ift. 

3n biefer Hinficht hot fich auch jum Bljeil fchon eine be- 
beutenbe Umwanblung ber Stnfidhten boßjogen; ber trioiale Dpti- 
mi#mu# ftreicht mehr unb mehr bie Segel, unb bie Berthe i- 
biger richten ihre Slufmerlfamleit mehr auf bie Behauptung, baft 
ja grabe in ber Mnetfettnung be# religiöS-etftifch'en SbealiSmu# 
fdjon eine höh^ ®*t tum Dptimi#mu#, ein religiös-ethifdjer 
Optimismus enthalten fei, gegen welchen ber emptrifche Beffi- 
miämu# Oötlig in ben ^intergrunb trete. Biefer empirifchc 
BeffimiSmu# fei jroar jujugeben, aber er fomme gar nicht in 
Betracht gegen ben allein ju betonenben religiöS-ethifcfjcu Opti¬ 
mismus; e# fei föhäblich, ihm eine SSichtigfeit beijumeffen unb 
fich bei feiner SluSmalung unb Begrfinbung aufjuhalten, weil 
baburdj bie Bilde bon bem abgefenlt würben, worauf e# allein 
anfomme, Dom religiöS-ethifcheu Optimismus. 

(3<$IuS fotflt.) 


töefdjtdjte ber Kenaifftnrt.*) 

Lettner# Buch „Stalienifcfje ©tubien" ift eine Samm¬ 
lung bon ©ffap#, bon beiten ein Bheit manchem Sefer au# früherer 
Bublication iu berfchiebenen Seitfchriften befannt fein wirb, wenn 
fie auch hi er in neuer Bearbeitung erfdjeinen; jum anbern Bheil 
finb biefelben offenbar au# populären wiffenfcfjaftlichett Borlefungen 
herborgegangen. Ber Borjug be# Buche# aber heftest barin, bah bie 
gefammelten ©ffapS nicht bunt unb jufäßig Bufammengewürfelfe# 
finb, fonbern bah fic, butch ein fefte# geifHges Banb juiantmeu- 
gehalten, bodj in gewiffem Sinne ein ©anje# Milben. BaS ge- 
meinfame Stoffgebiet bet Stuffäfce, ba# ber 3ufafc be# BitelS: 
„Bur ©efchichte ber ßtenaijfance" enger begrenjt al# eigentlich 
bem Snftalt entfpridjt, ift ba# ©eifteSleben Stalien#, wie e# Dom 
13. 3ahrhunbert bi# jum Schluffe be# 16. in ber Siteratur 
unb borjugSWeife in ber bitbenben kunft fich fpiegelt. Stehen 
ber biographifchen Behanblung ber kunftgefchichte barf auch i e ne 
Behanblungsweife nicht jurüdtreten, welche ben geiftigen 3“ ; 
fammenhang ber kunft mit bem, was fonft ein Bol! unb ein 
Beitalter bewegt, ju erforfchen fudjt. ^lierju ift Lettner, ber 
Siteratuchiftoriter unb kunfthiftoriler gugleidj ift, borjugSweife 
berufen. 

Ber erfte Stuffafc: „3ur Streitfrage über ßhccalo fßifauo" 
ift einem feit mehreren 3*h*en bielfach befprodjenen ©egenftanbe 
gewibmet. Dtachbem Stowe unb Eabalcafeße bie bereit# früher 
aufgetauchte Behauptung bon ber apulifchen #erfunft be# SDteifter# 
unb bem fübitatifdjen Urfprung feine# Stile# wteber aufgenommen 
hatten, würbe biefe Annahme borjugSWeife bon Schnaafe, unter 
jüngeren 2rotfcl)em namentlich bon @. Bobbert wiberlegt, unb 
bie paar UnMarheiten, bie noch blieben, hat bie neue Bafari- 


*) Mcrman Seltner, ^talienifcMe Stubien. 3 ur ®efcftiibte ber 
tNenaiffance. SKit 7 lafeln in §oIjfcijmtt. Braunfdjwctg 1879, ff. ®ie= 
weg n. Sohn. VIII unb 812 @. 8. 9 SRarl. 


9Iu#gabe bon SRilanefi befeitigt; nur in ©übitalien felbft hat 
fich ber blhtbe SolalpatriötiSmuS • noch nicht beruhigt. Steuer- 
bing# hat berfelbe bie angeblich bom Briumphbogen tfriebrich# II. 
ju ©apna hetrüljtenben Bilbwerle für bie ©jiftenj einer blühen* 
ben Schule ber Blaftif in Unteritalien in ba# Selb geführt, 
unb bem gegenüber ift bon Lettner# UuSfpruch wetthooß, bafj 
jene Bilbwerle nach ben ©ppSabgüffen offenbar fpätrömlfdje Strbeit 
feien, wätjrenb er jugleich nachweift, ba| fie mit ber Befdjtei- 
bung ber Sculpturen am Briumphbogen in ben älteren Berich¬ 
ten nicht ftimmen. ®ber biefer hiftorifch« Xheil be# 2tuffa|e# 
ift bem Berfaffer eigentlich boch nur Siebenfache; ba# Haupt¬ 
gewicht hat er auf ba# ©egenftänbliche bon Sliccolo# Hauptwerf, 
ber ftanjel im Baptifterium ju fßifa gelegt. Biefe# Streben, 
ben Snhalt ber Sunftwerle ju analpfiren unb bis in feine ©in- 
jelljeiten ju ergrünben, ift eine ©eite ber gotfehung, welche bie 
neuere $unftgef<hichte oft noch ju feljr bernachläffigt, obgleich ba# 
für fie ebenfo wie für bie flaffifdje 91rch&ologie eine unabweis¬ 
bare Slufgabe ift. SBa# fich in biefer Hinfidjt bei methobifcher 
j Sir beit leiften läfjt, jeigt HettnerS ©tubie „Bie Bomtnitaner 

in ber Äunftgefchichte be# 14. unb lö. 3afwhnnbert8", bie in 

I ihren Haupttheilen fchon in ber Beitf^rift für bilbenbe fiunft 
erfchienen Wat. Ein echte# Oueßenftubium, bie grünbliche Itennt- 
| nih ber SBerle be# heiligen Bhoma# bon Slquino, ber hier für 
I ba# ©egenftänbliche ber aflegotifdjen Bilber mafegebenb ift, 

1 machen e# bem Berfaffer möglich, bie Barfteflungen in ben 

; SBanbbilbern ber fpanifchen Stapeße ju ffclorenj ju «Mären 
! unb ba# ©ntfpredhenbe in bem berühmten Briumphe be# Bbbe# 
im Eampofanto ju tßifa nachjumeifen, auf welchem eine bet 
Hauptgruppen eine ganj anbere Beutung gewinnt. SBir halten 
■ biefen Sluffa| für ben bebeutenbften ber Sammlung. Sieben 
| ihm berbienen namentlich jwei Stubien Wefentlich literatur- 

j gefchichtlichen Snhalteä: erften# „Petrarca unb Boccaccio", jwei- 
; ten# „Baffo unb bie ©egenreformation" als SOlufter lunftuoßer 
Slbrunbung bei fnapper fform heroorgehoben ju werben. SKeifter- 
I h°ft weift ba ber Berfaffer bebeutenbe ©rfcheinungen, welche 
ganjen ©pochen ihr ©epräge berleUjen, in groften Bügen ju 
jeichnen. SEBirb bort gefchilbert, wie bie 9JtenJchh*it fich juerft 
wieber bem frifdjen Oueß be# SllterthumS juwenbet, um neue 
3ugenb ju fchöpfen, wie ba# Beitalter be# Humanismus an¬ 
bricht, eine neue SSeltanfdjauung unb ©efittung beginuen, fb 
wirb hiet ber tragifefte Untergang ber italienifdjen Stenaiffance 
burch bie firdjliche ffteaction ftijjirt. 

Bwif^en biefen beiben ©nbpunlten erftredt fich bie Bahn 
| ber itaüenifchen IRenaiffancelunft, bet bie weiften übrigen Sluj- 
: fä^e gewibmet finb. 3n bemjenigen, welcher ben nicht ganj be- 
jei^nenben Bitei: „Bie SKonumentalität ber ftunft" führt, wirb 
i junächft bie ©teßung b« bilbenben Äunft im Sieben bargelegt 
unb bie benfwürbige Bhatfache entwidelt, baft fie bie SEBiffen- 
f^aft unb Bichtung, bie boch bie ©runblage ber neuen ©eifteS- 
bewegung, audh be# ffiunftauffchwung#, gewefen waren, üb«= 
flügelt; fobaun wefentli^ bie Umwanblung be# ©egenftänblidjen 
in ber bilbli^en Barfteßung, bie SoSlöfung beSfelben bom 
bogmatifdj kirchlichen erörtert. Bie nothwenbige ©rgänjuug 
hietju Milbet bet folgenbe Sluffafj: „Ber kämpf um gormfprache 
unb Bedjnif." Beigt fich hi er eine umfangreiche keuutnift b« 
Oueßen, bort eine feine unb geiftöoße Stuffaffung, fo finb bo<h 
biefe beiben groften unb fdjwierigcn Bhemata feinesmeg# «- 
fchöpft, bielmehr für bie Bebürfniffe eine# gröfteren publicum# 
nur anbeutungSmeife behanbelt, übrigen# auch nicht unanfechtbar 
in Dielen ©injelheiten. Bie Barfteßung ber Anbetung be# auf 
bem Boben liegenben ©h*ift u #finbe3 burd} bie Inieenbe SRutter 
barf nicht auf SRedjnung be# neuen fRenaiffancegeifte# gefegt 
: werben; bielmehr läftt gerabe eine bogmatifche Borfteßung, bie- 
j jenige, baft SJlaria ohne ©chmerjen geboren habe, biefe 8uf- 
1 faffung im fpäteren SRittelalt« an ©teße be# trabitioneßen 
Biibe# bon ffi^tifti ©eburt treten. 91uch bie Annahme, baft 
biefe# SKotib erft bon fflorenj nach ben ßlieberlanben unb Beutfch- 
lanb gewanbert fei, Mebürfte be# Beweife#. Ba# ©lijjenbuch 
ju Benebig barf nicht für ßtaphaet citirt werben, bon bem ftt« 
i lein Strich %errii^rt; e# gehört einem onberen umbrifeften Seit- 


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Kr. 40. 


Dir (Begenipart. 


215 


getroffen > wahrfeheinlich bem ^ßintucicc^io an. Sem Dan Etjd ! 
barf bie Äenntnijj ber Perfpectioe nicht abgebrochen »erben. I 
Paphacl unb 3JJicf)elangelo, bie größten Pfeift er ber £o ty i 
renaiffance, bilben ben $j>auptgegenftanb ber folgenden 9bfd)mtte. | 
Set furge 9uffah über baS Sambio in Perugia ift eigentlich 1 
nur ein S|cur$ gu ber Erörterung Don NaphaelS greisen reprä: 1 
fentirenben Eompofitiouen, unb bie jefjöne ©tubie übet baS 1 
SSieberaufteben beS piatoniSmuS gemährt nicht nur ben ©t«nb= j 
pnnlt, doh ben» StapljaelS Schule Don Althen aufgufaffen ift, 
fonbern legt bie ©efinnung bar, in ber überhaupt bie Sünft ber 
italicnifchen £>ochreuaiffance wurjelt. Ptoberne ©eiftreidjthuerei, : 
bie um iebeu Preis durch etwas Neues glänjcn wollte, hatte j 
{ich barin gefallen, - bie Silber in ber Eamera betla ©egnatura | 
umgubeuten, wollte in ber Siöputa eine p(ö|liche Erfdjeinung, : 
in ber 6d)u(e Don 9ttjen eine Prebigt beS Paulus in 9tf|eu ; 
fehen. Ernfthafte gorfchcr aber, Wie Lettner unb wie ©pringer 
in feinem ©udie über Naphael unb Pticfyelangelo, laffen fich nicht I 
burch Einfälle blenben unb burch fpäte Nachrichten beirren, fon= i 
bem treten biefen großen Schöpfungen mit echter DueQentritil j 
gegenüber, bie fowohl baS literarifche wie baS fünftlerifche Piaterial I 
berüeffiebtigt. kommen bann biefe beiben 9utoren j. ©. bei ber j 
•Schule Don 9tt)en im Einzelnen oft boch gu fo abmeichenben 
Nefultaten, fo fehen wir allerbingS, wie wenig benu boch in j 
biefer §infid)t bie heutige Duellenfenntnifj eine erfchöpfenbe ift, | 
unb in Wie weiter gerne eine abfehtiefjenbe '-Behandlung biefer 
Themata noch liegt. 9m eigentfjümlidjiftcn geigt fich föettner 
(obann ba, wo et NapljaelS „©ifionSbilber" bchanbelt, in beuen , 
eine Steigerung ber religiöfen gnnigfeit, eine ptöfeliche SBenbung , 
jum Uebernatürlichen auftritt. gfjr Bufammenhang mit einer . 
jdjou unter Seo X. beginnenben Nüdlehr gu ftrengerer @Iäubig= j 
feit unb &ir<hli<hfeit in ben römifchen Greifen, felbft unter ben 
$umaniften, wirb nachgewiefen, unb ebenfo wirb bei 3JU<hel= 
angelo bargelegt, Welche burchgreifenbe geiftige SSanblung ben : 
Sedenbilbern in ber ©iftinifchen Kapelle gegenüber baS güngfte ! 
Bericht offenbart. Steht er tünftlerifch auch i* 1 biefem noch auf ; 
bem ©oben ber Stenaiffance, fo ift er boch geiftig h* cr nicht 
mehr, Wie einft, ber begeifterte 9nf|änger ber platonifdjen Pf)ilo= , 
Sophie, fonbern ber Parteigänger beS wiebererwadjten firdjlichen 
Eifers. 9ber „fo traurig baS Enbe ber italienifchen Nenaiffance: 
bilbung war, bie grofien gbeale reinen unb freien Plenfehen: 
bafeins, welche fie wiebererweeft hatte, blieben nnDerloren". P?it 
biefem ©efenntnifj h fl t ber ©erfaffer feine Slrbeit gefchloffen. 

21lfr«b bDoltraann. 


fjerbftUdje Briefe. 

* ! 

Jagens jweiter Streif. 

SBenn Sie ein fehr gutes ©ebädjtnif} haben, meine Der: 
efjrtefte greunbin, fo werben Sie fich oielleicht noch erinnern, 
ba| im galjre 1870 in München bei Ehriftian Äaifer eine ' 
©tubie Don Ebmunb Don $agett erfchienen ift unter bem ; 
Xitel: „Uebet bie ©ichtung ber erften Scene beS „Nheingolb" I 
Don Nicharb SBagner. Ein ©eitrag gut ©eurtheilung beS Sich' 1 
terS." g«h nahm mir bamatS bie greiheit, Sie auf bie Eigen: 
ihümlichteit biefeS SEBerfeS aufmertfam gu machen.*) $err 
Ebmunb Don £>agen hat nun, genau nach brei galjren, bie gort- 
fe|ung feiner groft angelegten Arbeit erfdjeinen laffen unter bem ' 
Xitel: „Nicharb fflagner als Sichter in ber gweiten Scene beS j 
,,«h«n8<>tb"."**) 

Siefe neue ©tubie über bie jweite ©eene, welche in ben j 
„©ofammelten Setten Don Nicharb SBagner" (Seipgig 1872, bei 
Emil Urihfdje) 26% ©eiten füllt, ift 266 ©eiten ftart, fo bah 
genau auf eine ©eite beS Sagner’fchen XejteS 10 ©eiten Eom: 
mentar tommen. Siefer §agen’fche Eomtnentar hat mich, Wie 
Sie fehr balb begreifen werben, gu arithmetifchen Uebungen an= j 

_ . _, 1 

*) Siehe „(Segenwart" 00 m 29. 3uü 1876. „38ie ^agen ben j 
SiegfriW erfd^lug." | 

**) SRündien 1879, tthriftian Haijn. I 


geregt unb ich habe mir alfo ausgerechnet: erftenS, bah, ba 
SagnerS gefammelte Schriften bis jefct 8 ©änbe Don burch: 
fchnittlich 360 ©eiten füllen, im (Stangen alfo 2880 Seiten, unb 
ba wir bie Hoffnung h e 9 en > bah Ebmunb Don $agen mit bem: 
Selben (iebeooQeu Eingehen unb mit beipfelben ©erftäubnih wie 
bie erften 6eiben ©eenen beS „Nheingolb", allmählich IfSagnerä 
©efammtfehöpfung erläutern wirb, biefer Eommentar 28800 
Seiten ober 80 ©änbe oon je 360 Seiten füllen witb,ein 
unentbehrliches Nachfcfjlagebud) für 3eben, ber fkh mit ber ©e: 
beutung ber pjqgner’fdjen Sichtung Dertpaut machen will. 9üer: 
bingS wirb bet 9bicf)luh biefeS SBerteS, felbft wenn wir Don 
„Parfifol'' abfehen, no^ einige Beit auf fich warten laffen. Sa 
nämlich Ebmunb Don $agen in brei 3atj*en 27 ©eiten ber 
SPagncr’fchen Sichtung coipmentirt, alfo in einem 3aljre neun 
©eiten, fo wirb, um bie ©efammtarheit ju eplebigen (9:2880), 
ein Beitraum pon 320 gafften erforderlich fein, um baS SBerf 
gu Enbe gu führen, fo bah Wir blfo im gaf)re 2199 beS Seils, 
etwa gleichseitig mit bem 9bfchluffe ber Encpttopäbic Don Erfch 
unb ©ruber, bie greube haben werben, Ef>mnnb Don Jagens 
Eommentar complet gu befifeert. 

SPolfte ich behUUUten, bah ich bie ©tubie beS £eprn Don 
$agen über bie gfpeite ©eene beS „Nheingolb" gang gelefen 
hätte, fo würbe ich mehr Sagen, als ich Derantworfen lann. geh 
geftehe, bah ich barin nur geblättert unb nur diejenigen 9b: 
Schnitte, bie midf) fpeciett intereffirt haben, mit 9nfmerIfomfeit 
ftubirt habe. Sarunter Derftche ich einen Xheil beS ©orworts, 
bie Einleitung, baS erfte ffapitet beS erften 9bfchnitteS über, bie 
Handlung (,,©chaupla| unb 9tmofphäre ber $anblung"), unb 
ferset beu gangen britten 9bfchnitt: „Ser fprachliche 9uSbrud." 
Siefe Steile beS ^agen’fchen ?8erfeS leune ich jefet giemtich ge: 
UAU. Sie anbern, fehr wefenfUchen Xhet(e, über ben gnhalt, 
über ben formalen ©au ber Handlung uud über bie Eharaltere 
ber ©ötter und ©iefpn, habe i^ mir einftmeilen nur flüchtig an: 
fehen fönnen. ES war mir eben gubiel auf einmal. 3Jtir warb 
„Don aQebem fo bumm, als ging mir ein Plühfrab im $opf 
herum." 

|terr Don ^agen fdfteibt nämlich nicht (eicht! 2Benn man 
gleich in ber gcfjnten Beile beS ©orwoytS auf einen ©ah wie 
ben folgenben ftäht, ber uns baS liefen ber Ptogner’fchen ßunft 
Deraufchanlichen foQ, fo werben Sie mir ©echt gehen, wenn ich 
fage, bah man biefeS ©udj nicht wie einen furgweiligep Poman 
lcfen lann. Ebmunb oon $ggen fugt nämlich auf bet erften 
Seite: 

„Set Pelttoide ift aus Dieltaujcnbiätjrigfni Schlafe gum Iraum= 
SBortXon geworben, Schau ilorfttHung." 

Nun benten Sie fi<h> wie bunfel bie äBagner’fdje föunft 
fein muh, Wenn baS eine Ertlärung ift! geh geftehe, bah ich 
mir oon bem „Xraum:tBort=Xon" feine rechte ©orfteDung machen 
fann, webet eine Schau:©orftelIung noch eine anbre. Sann 
heifit es nach einigen anbern Säfgen beSSelben Schlages weiter 
im Xejte: 

„©onniget @olbglang überftrahlt baS Xuntel beS @otteSf<hatten fo, 
bah bie (UöttetbämmeTung nicht als eine Äufopfetung bet alten ©öfter 
anjufehen i(t, welche wegen ihtet UnDereinbarfeit mit bet neuen thrift 
liehen Crbnung Don ben ©ermnnen einem ttagifchen Untergänge gu 
weihen wären, fonbern als ein Don allen teltgiöfen SoItSphantafien un= 
abhängiges, Dom föünftlet CUeniuS gefchaffeneS, äfthetifch erfreuliches ©ilb, 
beffen anmuthige ^ietterteil oon ben dRenfdjen, im Wegenfape gu chrifi= 
liehet SebenSoerfinfttrimg, in ben nicht blos (ctjulbtofen, fonbetn auch 
fitttich eingig releoanten gteuben beS ©eifteS unb beS 3 )entenS 31t Der. 
wirtlichen ift." 

Ser ©ah ift freilig etpjaS lang, öfter er gewinnt burch 
die Sänge nicht gerate au Klarheit, geh gete mir feine 3Rühe, 
ber bunfeln Pete Sinn gu lichten; benu ich fühle mich nidjt 
berufen, baS, was ^epm öbmund Don £>agen Dorgebämmert 
haben mag, unb was er in einer gang umnebelten Sprache auS: 
gubriiden ben ©erfuch macht, in pcrflänblicheS Seutfch gn über: 
fe|en. ES perlohnt wttliith pi$t ber Ptühc. Sie ©ergüdung, 
in welche $ert pon Jjjpgen geräth, fobalb cp fich mit feinem 

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216 


lit 9t$tn»atl 


Nr. 40. 


©otte befcpäftigt, ift eben niept ooßlommen geeignet jut fßrä; 
cifion beS SluSbrudS. DiefeS SBeltentrüdtfein, bieje Stftafe pai 
loirftic^ etwa« ißaios{RüprenbeS; unb eS ift ein ©efüpl bet 
{Rüprung, e8 ift niept Spott, ber micp übertommt, wenn icp lefe, 
wie ein offenbar gebilbeter unb naep einer gewiffen Stiftung 
pin fogar begabter SRann, beffen volle Sauterleit ber ©efinnung 
über aflem 3toeifeI ergaben ift, oon einem SRitlebenben Säpe 
wie bie folgenben fd)reibt. 

„SBagner bat baS 3nnere bc? ©rbplanetert burc£)fic§tig gemacht." 

„©omtengleicp thront SBagner in ber ©öfter urälteßem Katp unb 
behorcht bie geheimfte Saat ber Dinge, umgeben Don ben Sternen an 
bem SBeltenbaume, welche ihm bie ©öttin ber Schönheit, ambrofifchen 
grüepten gleich, in golbenen Sphären jeigt." 

„Die elettrifche Spannfraft beS SBeltaHS ift oom dichter gefammelt. 
Himmel, ®tbe unb SBaffer oertnüpfenb, fpannt er ben gatbenbogen aus. 
So pält ber Didjter, wie SBotan ben Speer, ben H a ß beT SBelt in 
ber H“nb." 

2>a paben wir’S! 5Rtut ift baS große SBort gefprocpen. 
SBagner ift burcp baS patent beS fjerrn oon Hagen Oom Stange 
eines Halbgottes, ben ihm bie ©einigen längft {uerlannt haben, 
nunmehr jum oberften ©otte mit bem Speer beS SBotan be= 
förbert worben. SBagner hält ben Haft ber SBelt in ber Hanb, 
er ift jenes, bisher als unerfotfchlich betrachtete, „was bie SBelt 
im jfnnerften {ufammenpält". 

5Da eS mir nicht möglich ift, eine Stnalpfe aus bem ganzen 
buche {u geben, wenbe ich mich fogteic^ bem britten Stbfcpnitte 
ju: „Uebet ben fprachlichen SluSbrud", in welchem biefe {Weite 
Scene auf bie Sprache hin geprüft wirb, unb in welcher H erT 
oon H“8 en 8“ bem Schluffe fommt, baff noch nie ein dichter 
unb ein Spracptünftler wie {Ricparb SBagner gelebt hat. Um 
biefert beweis ju führen, ift ber berfaffer ber Stubie genöthigt, 
fich bie Dichtung ganj im Sinjelnen ju betrachten, ©r prüft 
alfo: {unäepft bie bilber unb jroar in Hin&litf a - auf bie bürg, 
b. auf bie {Riefen unb {Rpeintöcpter, c. auf Soge, d. auf baS 
©ötterantlifc, e. auf bie garbe; 

jweitenS: biegiguren: a. fßerfonificationber Slbftracta,b. bie 
Slntitpefen, c. Slpoftrophen, d. ironifepe SBenbungen, e. 2Bort= 
fpiele, f. etpmologifcpes Schema, g. Slangmalereien (mit be= 
fonberer 93e{ugnapme ber einzelnen buchftaben auf bie ßparattere, 
welche fie anwenben); 

brittenS: bie Safcconftruction: a. fßarticipialconftructionen 
(a. fßarticipia präfentiS, ß. {ßarticipia perfecti), b. bie 5Relatiocon= 
ftructionen, c. bie ©omparatiöfäpe, d. bie lemporalfäpe, e. bie 
ginalfäpe, f. bie ©aufatfäpe, g. bie ©onbitionalfäpe, h. bie 
©onfecutibfäpe, i. außergewöhnliche ©onftructionen unb be= 
fonbere @in{elpeiten. 

©S ift fchabe, baß in biefer {iemlüp OoUftänbigen Slnalpfe 
eine ftörenbe Süde ttafft. SBo bleiben bie Snterpunctionen? 
3cp meine, baß bie „bebeutung beS SemifolonS in Hinblid auf 
ben SBapwSBefrlraunt unb baS 2Bort=Xon=93ilb" ju einer ein= 
gehenben Stubie ein geeigneter borwurf wäre. 

3cp tann auch pi« bem berfaffer nicht auf allen intern 
effanten fßfaben, bie er einfehlägt, folgen. Sch gehe gleich auf 
bie {Weite ©ruppe, {Rapon g, über. H err Hagen macht bie 
SBaprnepmung, baß SBotan fiep mit einer gewiffen borliebe beS 
31 unb b bebient, benn: 

„91 unb $ als SluSbrudSlaute ber Sanft unb gufpißung eignen fi<h 
oot{üglicp, um bie bracht unb ben ©tol{ beS oberften ©otteS auch fpra<h : 
lieh fühlbar ju machen, ebenfo baS faß troßige tr." 

Später, als SBotan fiep nochmals beS 9t bebient, bemerft 
Herr oon Hagen, baß in biefer Häufwng beS 9t „ber Ion ber 
mürrifepen Stimmung" liegt, oon welcher SBotan mehr unb mehr 
beperrfept Wirb. 9t ift alfo ber SluSbrudSlaut ber $raft unb 
beS SRurtenS, wie bieS auch ®octpe in bem Siebe: „{RöSlein, 
SRöstein, {RöSlein rotp" oortreffliep oeranfcpaulicpt pat. 3Ran 
!ann fiep bapet laum etwas äJiürrifcpereS unb ÄraftooßereS oor= 
fteUen, als {Repbraten unb {Rebpüpner mit 9tübeSpeimer, urtb 
welcher oornepme Irop liegt in „Iraßaßa"! 


„SlnberS als SBotan fpriept feine ©emaplin grida," fepreibt Herr 
oon Hagen. „Der weiche 2B=8aut, baS fanfte ©, baS bebenbe © wiegen 
in ipren Sleußerungen oor, unb lennjeicpnen bie fcpmeüpelnbe, bangenbe 
grau." 

„Da8 liftige, leiepte unb fcplüpfenbe SBefen SogeS äußert fiep fpraep- 
licp am liebßen in einer Häufung beS 2=SauteS." 

„DaS 8 ift geeignet, bas Seicpte unb ©ewanbte ber Sift, baS ©latte 
ber ©erftetlung SogeS ju malen." 

S ift befanntlidp immer leicht unb gewanbt, j. S3. in Saft, 
Seoiatpan. 

„Sn ©erbinbung mit bem ©cp wirb baS fcplüpfenbe, befepwingte 
SBefen beS geuergotteS anfcpaulicp. 3n ben wepenben Spiranten g unb 
H fpriept bet fauepenbe unb ftürmifcp pauepenbe Donnergott ic." 

3cp brauche baS ganje 9183© niept burchjugepen. Sie 
bürfen fiep aber barauf oerlaffen, baß jebeSmal, wenn SBagner 
irgenb ein SBort gebraucht, niept nur biefeS SBort felbft, fonbetn 
ein jebet SSucpftabe beSfelben feine weittragenbe poetifcp : ppilo ; 
foppifepe S9ebeutung pat. Stucp bie 93ocale paben ipre große 
SBicptigfeit. §etx oon Hagen fdpreibt unS: 

„Ser D=8aut, welcper fiep oorjugSweije jur fflejeiepnung beS ©roßen, 
Höpen unb gmpofanten eignet, ift ben Kamen ber oiet ©öttet SBotan,- 
grop, Donner unb 2oge gemeinfcpaftliep." 

Sie fepen, baß baS O immer poep, groß, impofant ift, nnb 
werben baper tünftig auch oon bem glop mit bem genügenben 
{Refpecte ju reben paben. 93on gafolt unb gafnet peißt eS: 
„las gelfenfefte iprer Statur fpriept aus biefem g", baper alfo 
21. SB. ffaber 4! 

9 ti^t minber leptreicp unb intereffant ift bie Unterfucpung 
ber Sapconftruction, bie Herr oon H°9 en anfteDt. @r jäplt 
ganj genau aus, baß in ber jweiten Scene beS SRpeingolb 27 
Earticipia präfentiS finb unb 9 {ßarticipia perfecti. Unter ben 
27 Sßarticipia präfentiS finb 23 nadte, eins mit einem 2lboerb 
belleibet, ein boppelteS, 2 mit reieper Stelteibung. H ett H a 9 en 
erjäplt unS nun weiter: 

„Die Stellung ber ißatticipialconftruction innerhalb beS ©apge= 
fügeS tann eine breifaepe fein. ©rftenS bie SSarticipiolconftruction gept 
ooran. Daoon finbet fiep tein gaH in ber {Weiten ©eene. 3n>eiten8 
bie 'Barticipialconftruction fepiebt fiep ein. Dies iß ber galt in Kt. 8 
bet 1)5. präfentiS, in Kr. 3 unb 4 ber ©. perfecti. Drittens bie ©artici» 
pialconßruction folgt, ©o in allen übrigen gälten ber {Weiten ©eene." 


liefe ßlaffification erinnert fepr lebpaft an jene, bie ber 
{ßrofeffor ber ©eologie feinen lertianern oortrug: „ 2 )ie SRetalle 
jerfaUen in 3 Staffen. ffirftenS in folcpe, bie fepr ftart naep 
Snoblaucp rieepen, {WeitenS in folcpe, bie wenig, unb brittenS 
in folcpe, bie gar niept naep Änoblaucp rieepen. 8 ut erften 
©ruppe gepört baS 2trfenil, bie {Weite ©ruppe entpält gar leine 
äRetalle, unb fämmtlidpe übrigen äRetaße gepören {ur britten 
©ruppe." 

Herr oon H a 0 en « 8 “plt »n* ferner« baß in ber {Weiten 
Scene 25 {Relatiofäpe oorlommen, bei welchen baS 9ielatiOs 
Pronomen: „wer", „was" 17 SRal, bagegen „bet", „bie", „baS" 
9 SRal oorlommen. „SBelcper", „welcpe", „welches" ift oermieben. 
gerner tommen in berfelben Scene 4 ©omparatiofäpe, 2 lern: 
poralfäpe, 13 ginalfäpe, 2 ©aufalfäpe, 14 ßonbitionalfäpe mit 
13 oerßedten Hhpotpefen unb ein ©onfecutiofap oor. 

©nblicp führt Herr oon Hagen noep aus, baß oon 372 
SBörtern beS bie {Weite Scene einleitenben ©efptäcps {Wifcpen 
SBotan unb grida 244 SBörter einfilbig, 93 {Weißlbig, 32 bteü 
filbig unb nur eins oierfilbig, 2 fünffilbig ßnb. SJon SBagnetS 
SieblingSauSbtüden, „SBonne", „Sauber", „pepr", „bünlen", 
„tiefen", ßnben fiep in biefer {Weiten Scene auep einige ©eifpiele. 
Herr H a 9 (n 80 -plt gan{ genau, baß {. 93. baS SBort SBonne 
9 SRal oorlommt. „Solche SieblingSWorte," fagt er wörtlich, 
„finb für baS {auberpaft wonnige SBefen beS licpterS 
felbft eparatteriftifep." {Romeo lönnte eS niept {ärtlicper {U feiner 
3ulia fagen. 93 on bem „{auberpaft wonnigen SBefen beS ücpterS" 
ober oielmepr oon feiner ©röße als Spracptünftter fagt H a 0 en 
{um Scpluffe: 


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Nr. 40. 


Sie (Segenwart. 


217 


„SSon feiner reinen, auf bem negativen äRomcnte bet Spracftridjtigfeit 
als ber Stetheit ton Sncorrectßeiten ru^enben Klarheit unb iidlc, ergebt 
er fid) ju bem pofitinen 9Komente eines gtänjenb fdjauliclieii Sdfjeine«, 
f)od> ergaben, frei »on jebem überflüffigen Scfmutde." 

Da« ift mieber mcßt ganj leicht ju Berfteßen; aber ich 
»iß 3h ncn bocß bie müßfam gewonnenen ©efultate ber $agen= 
fcßen Sorfcßung mcßt Borentßatten unb gebe 3ßnert baßer auch 
nocß ju guterteßt bie ©uß ju fnaifen, bie ficf) $err bon §agen 
jum ©efcßluffe feiner ©tubie über bie jweite ©eene be« ,,9t^etn= 
golb" aufgefpart f»at: 

,,®otte« ffftobfein, ©otteSbonner, ©otte«freube, ©otteäfebmerj, SBelt* 
leib unb äBeltluft finb burd) bie Kraft be« ©cifte« geeinigt jum feligeit 
Seit* unb ©otteSfrieben. 23er metapbbfijd)e Urgrunb ber ©ittlid)tcit: 
bie 3bee ber ©rlöfung bom SBHtten burtb ben ©eift iß ft'unft gemorben, 
bie SBabrbeit ©d)önheit: ein ibeale« ©üb ber SBelt." 

Ueberlegen Sie fiel) ba« rec^t grünbtieß, unb wenn Sie eS 
gefunben haben, t^eiten ©ie eS mir gelegentlich mit. 

2rür mich ift, wie ©ie wiffen, ein jebe« Such, ba« ich wit 
Sntereffe lefe, eine Anregung, geh t»abe baher auch ®bmunb 
oon ^»agenä müheBoße Slrbeit nicht bei ©eite legen fönnen, ohne 
burch bie« erhabene ©eifpiel jur ©adjeiferung angefpornt ju 
werben. Da mir eine bießterifeße Unterlage Bon ber ©ebeutung 
ber jweiten ©eene be« „Sltjetngolb" nicht jur $anb war, unb 
ich fluch nicht bie 3 e it hatte, einen Berßältnißmäßig noch immer* 
hin fo umfangreichen ©orwurf meinem ©tubium ju ©runbe ju 
legen, fo muffte ich mich J u etwas Stnberem, ©efeßeibnerem unb 
St’napperem umfehen. Unb ba oerfiel ich benn ganj naturgemäß 
auf eine ©erliner ©ebenSart, bie ich fbtacßlich auf ihre Se* 
beutung hi« für ben ©ationalcßaratter be« ©erliner« ju analp* 
firen nerfucht habe. 3« ber Sammlung Bon ©erliner ©eben«* 
arten, bie unter bem Ditet „Der richtige ©erliner" erfeßienen ift, 
finben ©ie bie etwa» (onberbar lautenbe Slpoftropße: „’S ift leidet 
gefagt, für ’n ©eeßfer Ääfe, aber welche ©ummer?" 

Diefen anfeßetnenb jiemlich unbebeutenben ©aß habe ich 
nun nach ber ajtetßobe be« £>errn Bon |)agen ju analpfiren unb 
ju commentiren oerfudjt, unb hier finb bie ©efultate meiner 
Sorfcßung: 

Der ©ah jäßlt elf Sßörter unb jwar fünf einfilbige unb 
fecß« jweifilbige. Da« 31 tommt jweimal oor, ber Umlaut 31 
einmal, ba« © neunmal, woju noch brei burch ba« Slpoftropß 
auSgeftoßene 6 ßinjujujäßlen finb, unb ba« 3 jweimal, ba« U 
einmal unb ber Umlaut Ü auch einmal. Da« D fehlt ganj. 
©« ift bie Steßnticßleit be« 0 mit ber ©uß (0) ju beachten, 
©eibe haben eine ©unbung, bie bem ©erliner gänjlicß fehlt, 
baher auch in biefem ©aße ba« 0 nicht oorlommen batf. ©on 
ben ©onfonanten fehlen gänjtich D, iß, O, S, 3. Da« © unb 
$ treten ebenfaß« nicht felbftftänbig fonbern nur in ber ©erbin* 
bung als ©ß auf. 

Der ©ah ift, Wie man fofort fieht, ein SluSruf, eine Sipo* 
ftropße nnb al« folget ber ©roßmäuligteit be« ßauptftäbtifcßcn 
3anhagel« ganj entfprechenb. ©« ift aber ein SluSruf, ber mit 
einer Srrage fchließt, woburch gleichzeitig auf eine eßarafteriftifeße 
©igenfeßaft be« ©erliner«, auf feine ©eugier ßingewiefen wirb; 
unb jwar mit einer itonifchen ffrage, bie ba« ewige ©elritteln, 
©efpötteln unb bie jerfehenbe 3wnie ber ©euölletung bejeich* 
nenb matt. 

Da« Jede ©ilb, welche« biefer ©ah enthält, Wirb Sebent 
fofort auffaflen. Der Ääfe hat ©orten, feine ©ummern, e« 
müßte alfo heißen: welche ©orte? Den ©erliner aber reijt ba« 
Ungewöhnliche, ©r fragt baher auch beim ®äfe wie beim £>anb* 
fchuh nach bet ©ummer. Der Heine, ber fogenannte §anbfäfe, 
ber mit ber $anb gemacht wirb, caseus manu, digitis compres- 
sis, oive pugno factus*), tft in ©ertin Borjug«Weife ^eimifc^. 
Die fchneß arbeitenbe ©ollspßantafie fpringt baher bom ßäfe 
auf bie $<ntb, bie ihn bereitet, Bon ber $anb auf ben §anb* 
feßuh, ber biefe betteibet, Bon bem #anbfcßuh auf bie ©ummer, 
bie beffen ©laß beftimmt, baßer bie Drope at« eine bureßau« 


*) lacitu«, Stnnalen 425 a. R. y. (de caseo). 


aitgcmeffene unb burch ben ©eij einer ftarfen ©ßipfc befonber« 
intereffant geworbene ju bezeichnen ift. 

©cfonber« reijoott ift bie Unterfuchung be« ©hhtßmu«. Die 
©äfur wirb fowoßt gebanftieß at« auch grammatifcß bureß bie 
Kommata bejeießnet, hinter „gefagt" unb hinter „®äfe", fo baß 
fieß ber ©ah rhptßmifch in brei Dßeile fonbert: 

u _ u _ || 

— u || 

U V _ _ w 

Die beiben erften Dßeile finb jwei jweifüßige 3amben, bet erfte 
mit männlichem, ber jweite mit weiblichem Sluögange. 3n ber 
ganjen 93Belt, nur nicht in ©erlin, gejiemt ben Damen ber ©or* 
tritt. Die bem ©erliner SBefen eigentümliche mangelhafte @a* 
lanterie fpiegett fieß aueß ßier beuttieß ab. Damit ift aber nicht 
gefagt, baß ber ©erliner in ©ejug auf bie SBeiber ein S'oft 
oeräeßter fei. 3 111 ©egentßeit. SBSir feßen baßer auch hier, baß 
auf einen männlichen StuSgang (1. Dßeit) jwei weibliche (2. unb 
3. Dßeil) fommen. 

Der in ben beiben erften Dßeiten fdjarf beibeßattene ©ßptß* 
mu« ift ber natürliche SluSbrud be« mititärifch gebrißten, braßen 
SEßefen« be« ©erliner«. 3m britten Dßeile aber löft ber Slnapäft 
ben 3®mbu« ab. Der mutßwißige ©roßftäbter fann eben nicht 
lange @cßritt hatten unb muß, naeßbem er jwei Strophen iam* 
bifcß fettig baßergefeßritten, plößlicß anapäftifcß aufßüpfen. 

©ießt nur fpracßlicß, auch gebanftieß ift bie Dreitßeitung 
in biefem ©aße feßarf beibeßalten. Die ©ppoßtion ift ließt unb 
ftar: „’« ift leicßt gefagt", ©uße unb Stiebe liegen barin. ©ießt« 
feßeint auf eine emftßafte ©erwidlung ßinjubeuten. Die $anb= 
iung beginnt. Da erßebt fie fidß mit unerwarteter Sedßeit im 
jweiten Dßeile feßon ju ißrem ^ößepunfte: „für ’n ©eeßfer ®äfe!" 
— 3mif<ß en ben jweiten unb britten Dßeit ift funftBoß bie 
ißeripetie eingefeßoben. 3Ba« fieß injwifdjen aße« Boßjießt, Wir 
erfeßen e« au« bem britten Dßeile, ber unS mit einem iäßen 
©ud wieber Bon ber wonnigen $öße, ju ber wir aufgeftiegen 
Waren, graufam in bie nü^teme fBirflicßfeit jurüdjerrt — in 
.bie ®ataftropße: „aber welcße ©ummer?" — 

2Bir wißen e« nießt! SEBir glaubten ba« 31B ju befißen, 
wir ßaben ba« ©ießt«! @S ift ©erneinung be« SBißen« jum 
ßeben, bie Stuftöfung unb ©ntfeffetung einer jeglicßen ©efcßloffen* 
ßeit, ber ©üdfaß ber weifen Drbnung in ba« wüfte ©ßao«. 6« 
ift eine gtaufige Dragöbie. 

Diefe tieffinnige Unterfucßung ließe fteß noeß einige ©patten 
fortfeßen; aber i^ glaube, icß barf be« graufamen Spiel« genug 
fein taffen. 

Die $agen’fcße ©cßrift ßat mieß mit einer gemiffen 2Beß* 
mutß erfüflt. ©ie Berrätß eine ganj refpectable Summe Bon 
(Erlerntem unb einen nießt gewöhnlichen ©cßarffinn. @8 ift 
leine Äteinigleit, aße« ba« au« ben fBagner’fcßen Dichtungen 
ßerauSjubüfteln, ju combiniren unb in 3ufammenßang ju bringen 
mit ben mettbewegenben 3been unb ©efeßen, wie e« $err Bon 
§agen fertig gebracht ßat. Slber fetten ift be« ©tubium« ©lüße 
weniger loßnenb gewefen. SBenn man erwägt, wie Biet ©tunben 
reblicßer, angefpannter Arbeit eine« gewiffenßaften, aufrichtig 
begeifterten, unterrichteten unb nießt unbegabten ©ianne« barauf 
Berwanbt worben finb, um btefe Boluminöfe Ueberflüffigfeit ju 
gebären, fo wirb man ganj traurig geftimmt. 3<ß ßdbe aber 
leine ©eranlaffung, ©ie unb mich ju berftimmen unb fage 3ßnen 
beößatb oßne SSeitere« ßebewoßt. 

3ßt 

paal £inban. 


(Eine tteifeiie$e$nttn0. 

Floriforis ut »pes in saltibus 
omni» libftnt. Lucr. 

Der 3«terBiewer ift mit ©eeßt feßon einigermaßen in ÜKiß* 
crebit gelommen. 3m ©runbe foßte er eine ©pecialität ber 
©eootoerpreffe bleiben, ba er mit wenigen SluSnaßmen feine 
C?j.iftenjbere(ßtigung auf bie ©lacßt, ba« ißm Serweigerte mit 

e 




218 


fl t e (Segeitttrnri. 


N r. 40. 


©ewatt jn ertro^ett, juriidfüprt. Da« ift nidjt fcpön. My 
house is my castle, jagt ber ©ngtänber, „mein Hau« ift meine 
geftung". 3“ wopt, im Sinne be« ©efepc«. Der ©onftabter 
barf niept opne meinen Sßitten über meine Scpwette. 2tber ber 
3nteröiewer. — 3$ pötte neulich eine ©jceltenj befeuern: 
feine Unjugänglicpteit für 3nteroiemer fei ipm fo fcptecpt be- 
tommen, ba| er, menn er je roieber SRinifter werben fottte, au«: 
napm«to« für jeben 3nteroiewer ju fpreepen fein würbe. 

3n ber Dpat fein übte« 2tu«tunft«mittet. Durcp Ueber= 
fättigung bei Sefepublicum« feinen ©efcpmad für biefe Slrt t>on 
Soft abftumpfen! „SRein Hau« ift meine geftung," — ganj 
richtig, fagt ber 3ntetoiewer, ertauben Sic mir nur, bafe id) 
miep in 3pret geftung ju 3P«en auf ba« Soppa fepe unb 
3pnen pro forma golgenbe« portrage: „SReine Weitoerbrcitete 
Bettung (— ber (Kurier ober ber ©orrefponbent ober bie Stafette — ) 
wünfcpt ©uter ©gceflenj 2lnficpten (— über StoPibajar ober bie 
3efuitenfcputen ober bie fpanifcpe Heiratp —) itocp mepr als 
bisher jur SUeptfdjnur ipret potitifdjen Erörterungen ju macpen. 
3cp bin baper fo frei..." ffiinoerftanben! ruft bie ©jceltenj, 
bcnn fie Weife, hinter ber $öfti^feit lauert bie Statte, unb bie 
©jceltenj täfet fiep eine ©tunbe lang ejaminiren. 

SBir paben bie übte ©erfcpärfung ber jwifepen JRufetanb unb 
Deutfcptanb perrfepenben ©erftimmung bcm Herrn o. ©towip ju 
banfen. SRit ben fingirten Soteröiew«, bie ber ©arifer gigaro opn; 
tängft jum Stadjtpeit oon 3»*Ic8 Simon infcenirte, pat bie ©reffe 
einen weitern ©eferitt in ber {Richtung be« ungeftraften herunter; 
reifeen« Pon ©erfönticpteiten, bie ipr antipatpifd) finb, getpan, unb 
ba« übte ©eifpiel wirb waprfcpeinticp «icpt opne Stacpfotge bleiben. 

©ietleicpt barf man aber wenigften« hoffen, baß bie öffcnt= 
Iicpe SReinung früher ober fpäter jwifepen potitifcpem unb un= 
potitifcpem Stoff auep in ©etreff ber Snteroiewcr einen ftrengen 
ttnterfdjieb inanen Wirb. Sioep beffer wäre e«, bie grofeen 
Beitungen — e« finb junäcpft ameritanifdje unb engtifcpe ge= 
wefen — fügten fid) oon einer fo unwürbigen SRetpobe Io« unb 
räumten eprtiep ein, ipre SRacpt au« ©ebanfenlofigfeit gemiß= 
brauet p b“ben unb burep breifte Nachahmer fiep erft barüber 
Itar geworben p fein, wie fepr ba« 3nter0iewen ben Slamen 
SRifebrauep Perbiene. 

Stit einem betgifepen 3ournatiften, beffen ©pecialität ba« 
3nteroiewen Pon gefrönten Häuptern, Dpronfolgern, ©rätenbenten, 
geftiirjten SRiniftern ift, hot mich ohntängft eine Steife im bapri= 
fchen ©ebirge p mehren SRaten in Serüprung gebracht. @r ift 
ber ©erfaffer jener imitier geWanbt abgcfafeten literarifcpen ©ruft: 
bitber, bie au« ber betgifepen ©reffe in bie ber übrigen Sänber 
ihren SBeg p finben pflegen unb beten leicht pingepaudjte 
garben höufig ben ©inbtucf machen, at« fei bie grucpt erft eben 
Pom BüWfle gepftftcft. Die ©jfönigin 3fobetta, bie beiben ©£= 
faiferinnen oon granfreicp unb oon SRejico, ber ©jfönig oon 
Spanien, te Stop Henri ©inq unb eine ftattlicpe Steipe anberer 
pochgeftettter (ober hoehgefottener) ©erfönttchfeiten, — ba« finb 
bie Sterne, bie mein 3trt« ü iettwt — Wenn ich ‘h** 3Ronf- X. 
nenne, trete ich 'h m wopt nicht p nape — unter alten benf= 
baren ©eficpt«winfetn teteffopifcp auf« Sorn genommen unb bann 
in einer fo fchmeicpelpaften ©traptenfütte abgefpiegett pat, bafe 
er’« in feinem ©enre auf manchem Scptofeparfett, bem ©ernepmen 
nacp, mit ber SBoptgetittenpeit eine« SBinterpatter, eine« Stngeti 
anfnepmen fann. 

®ennocp paben bie günftigen ©mpfeptungen, beren er fiep 
erfreut, ipm niept alter Orten bie SSege gebahnt, unb fein ffipr= 
geij wirb auep wopt notp manche fürfttiepe ober prinjlicpe 
Schwelte oergebti^ umwerben, ©t maepte gegen miep benn 
and) fein ^ept barau«, bafe er mit mapretn ©tpmerj feine in 
biefer Sejiepung auf ben jungen König pon ©apern gefepten 
Hoffnungen aufgeben ju müffen fürepte. „3cp pabe feit fieben 
3apren," jagte er, „um mir p biefem intereffanten gürften ben 
Bugang p oerfepaffen, attjäprtich Sapetn befuept. 9tber icp fepe 
ein, e« ift ipm niept beipfommen. ®r ift, wie icp beftimmt 
weife, bie Sieben«würbigfeit fetbft unb wenn ipm 3emanb 
beuttiep nuupen wollte, mit toeteper gotbenen geber icp jebem 
feiner SBorte eine noep jepn SRat fo tieben«würbige SBenbung 


geben würbe, er inüfete miep enbtiep empfangen. 21 ber fRiemanb 
ift ba, ber e« ipm beuttiep ntaepen Witt. 2Ba« ift ber ©ortpeit 
| einer fotepen Stolatfamaejiftenj? ®« gibt feinen, e« gibt nur 
Slacptpeite. Ober fönnen Sie mit ©ortpeite naepweifen? Sit 
paben mir auf meine neuliepe grage: wa« Sie über Sa Mojeste 
miifeten, geantwortet: „icp weife niept« über König Subwig unb 
pabe auep teinerlei ©runb, etwa« tRäpere« über ipn wiffen p 

■ wollen". Sie paben pinpgefügt: „im 3opre 70 pat er fiep 
: burep fein bepetjte« 2tbweifen jeher franjöfifcpen Spmfmtpie 

■ ewige Serbienfte um S)eutfcptanb erworben; niept minber im 
3«pce 71 burep feinen Stntrag auf bie SBapt be« König« 
233itpetm oon ©reufeen jum Kaifer oon ®eutfd)Ianb. Sotten 

j fotepe unjweifetpafte ©erbienfte einem, gürften, beffen ©otf ju* 

' frieben ift, niept ba« 5Recpt erworben paben, oon ber Steugier 
! ber SRenfcpen unbehelligt feinen Steigungen ju leben?" .— Mais, 
mon dien, icp wieberpote 3puen, wenn Sa Majeste mir bie ©pre 
erweifen würbe, fiep oon mir interoiewen ju taffen, fo wollte 
icp fein ©orträt in einer fotepen amabilite entwerfen unb alle 
feine ©igenpeiten unb Siebpabereien at« etwa« fo ©egreifliepe«, 
i fo gafelicpe«, fo Siaturgemäfee« fepitbern, bafe bie Steugierbe ber 
; Üeute ein für alte ©tat befriebigt Wäre. 28ie motten Sie biefe 
] Steugierbe anber« jur Stupe bringen? Sie täcpetn? D Sie wiffen 
nitpt, wie weit icp’« in ber Kunft be« fein berechneten Herau«= 

[ toefen« Pon 2tntworten, bie bem ©itbe günftig ju ©efiept ftepen, 

: gebraept pabe. „Bon,“ geben Sie mir pr 2tntWort, „ift für 
Sie jebe gatte in bem ©paratter biefe« gürften benn atfo fepon 
oerftänbtiep, warum entwerfen Sie bann niept fein ©orträt an« 
ber gerne? SBop ba noep bie Snteroiemeraubienj?" — 
Darauf erwibre icp: „Der ©ine pat biefe, ber 2lnbre jene 3Ee= 

' tpobe. ©alpe feprieb trefftiepe Ütomane, aber fein ©ebiept ift 
ipm gelungen. H en ^ r ^ ©oitfcience ift auf bcm ©oben ber ©r- 
pptung einjig in feiner 2trt, aber oor feinen Xrauerfpieten bepüte 
un« ber Himmel. 3cp bin 3uterPiewer, fürftlicper, prinjUcpet, 
meinetwegen minifterietter, aber immer einzig Snteroiewer. 
Darin liegt meine Kraft. 2Ba« fagte SBouperman, at« 3«n 
oan Srügge ein ©itb bei ipm beftettte, auf welcpem tein ©cpim= 
met fiep finben bürfe? Pardon, fagte er, le cheval blanc c’est 
ma specialite. Keine 3«terPieW, fein ©orträt." 

Diefe Unterhaltung batirt au« bem tepten Hocpfommer. 
3Rr. X. war bamal« ©abegaft in Starnberg unb beeinträchtigte 
’ bie peitfamen SBirfungen ber oon ipm genommenen ©eebäbet 
burep bie tägtiep erneuten ©erfuepe, bem popen ©etpopner be« 
am anbern Seeufer gelegenen Septoffe« ©erg nape ju tommen, 
©erfuepe, bie nie wirttiepen ©rfotg patten: 2luf ber Stottmanu«; 
pöpe traf icp ipn oor Wenigen Dagen wieber. ©eptofe ©erg ift 
| oon bort au« napeju „einjufepen", Wie ber ©etagerung«jargoH 
tautet. „3<p pabe, wäprenb wir un« niept fapen, Don ©arto« 

1 interoiemt," fagte SRr. X., „unb mein näcpfte« Biel ift Sifjtngen. 

I 3cp bin piet nur wegen ber fepönen ßuft, benn König ßubwig 
I gebe icp auf." — „Sie tpun reept baran," gab icp jur Antwort. 
— „3dp weife boep niept," fagte SRr. X.; „wenn man wie icp 
3apre lang beobachtet pat, wet^e SRenge oon SBunberlicpleiten 
ba« ©olt attmäptiep fo gefpräcp«weife über feinen Hcrrfcper in 
©ur« fept, bto« weit er fiep bem ©tid ber Seute eut^iept, ba 
ift e« boep ein Scpmerj, ipm niept unter Pier 2lugen einmal 
fagen ju bürfen: Sire, eine furje etettrifepe ©eteueptung bump 
ben Apparat eine« 3nterotewer« würbe fiep für Sie auf 3«pr s 
jepnte pinau« at« wopttpuenb, ja at« befreienb erweifen." -t- 
„2tber tanu man foteper SBopttpat, foteper ©efreiung minber be: 
bürftig fein, at« gerabe biefer fiep fetbft genügenbe gürft e« ift?" 
gab icp jur Slntwort. „SCBenn icp reept berieptet bin, liebt er 
niept ba« H°f ceren, oniet. Da« mag bem baprifepen 2tbel fepr 
mifefatlen, benn jeber 2tbct bebarf ju feiner Stntepnung eine« 
glänjenben Dproit«. 2tber oerargt bem König irgenb Wer im 

Wirttiepen ©otte, bafe er fiep niept mepr at« nötpig mit ßeuten 
eintäfet, bie jumeift burep ipre ©tutmifepung ftp fpon berechtigt 
Wäpnen, ipm tpeurer ju fern at« bie übrigen üRiQionen feiner 
ßanbe«tinber? König ßubwig liebt ferner bie Statur. Da« mag 
juweiten niept .in foteper SBcife jum ?tu«brud tommen, wie man 
e« fonft gewopnt ift. Die pängenben ©arten, behaupten ©inige, 

e 




Nr. 40. 


Ute (5 e g e it ttt ö r t. 


219 


geböten beut Seitalter ber SetniraitiiS an. Aquarien baut inan 
ni#t int oberften Stodroerf eines NeftbenjfchloffeS. Saut man 
nicht! Hlg ob wir Sitte nicht feljr gern ju jeber SahreSjeit ein 
Vaffiit mit lieblicher Vlattpflauieitumgebung in erreichbarer Nähe 
hatten! 2ä|t ficf) ein foldjeS fdjiffbar machen unb mit SWotib 
Httb Sternen nnb meinetwegen auch mit Vorrichtungen jit einem 
„Sturm im Safferglafe" herftetten, befto beffet! Slucfj eine fdjrnud 
gelleibete Sängerin, bie, währenb wir in gebährenber Entfernung 
am Ufer lagern, Dom fchauletnben Äaljne aus bie Suft mit Sohl' 
Hängen erfüllt, was lönnten wir gegen fie einjuwenben haben? Unb 
wenn wir felbft uns bieS SltteS ganj gern gefallen taffen würben, 
warum fott foldj unfchulbige ffreube einem jungen $errf<hcr 
berfagt Werben? Sebigtidj weil baS fperlommen noch nicht baS 
fahnfatjren auf bem ®a<he heiligte unb weil bie Zeremonien: 
meiner muftlalifche ^»errjeherbebürfniffe in ber ffotm non H 0 f ; 
concerten unter Stffiftenj non einigen 2>u|enb gähnenber f>of: 
Chargen ju erfüllen gewohnt finbl" — „Sie nehmen mir bie Sorte 
non ben Sippen," fagte SKr. X.; „benten Sie fich ben Effect, wenn 
ein Sntemiewec biefe Sorte bort aus bem gefrönten Eremiten 
beS SdjloffeS Verg herauStodte! Unb gerabe baS $erauStoden 
ift meine fjauptfraft. — Slber bie ©ritte mit ben nädjtlidjen 
Sitten, mit ben mitternächtlichen 2h e oteraufführungen ohne 8u= 
fdhaner als ben Stönig felbft, mit ben einzig für ihn auf feine 
Vefiettung oerfafjten unb aufgeführten ®ramen, bie auch burch 
ben Xirud nicht einmal zugänglich finb, mit ben himmelhoch ge: 
tegenen Schlöffern ober auch Vlodhäufern im ©emfengebirge... 
ich bin bo<h neugierig . . . man h nt einige ©ran Scharffinn 
nötljtg, um Stiles plaufibet zu machen . . . welch ein Sottber: 
lingSleben! unb folchem Sdja|e nicht beifommen ;u fönnenl 
D ich barf bie Hoffnung bodj nicht aufgeben! Slber ich bin 
neugierig, ob Sie auch in biefen Gingen meinen ©ebanfengang 
errathen." — „$aS ju thun," entgegnete ich, „fann nicht einmal 
meine Nbftdjt fein." — „Slber hotten Sie mit 3h*«n ©ebanlen 
nicht h' n ter bem Verge. geh bitte Siel" — „Slls ob fich 
nicht Eins bnreh bas Stnbre genugfam erllärte!" — „Sie weidjeit 
mir nicht aus." — „Soju auch? H*ifit baS Sott: 

S8er fich ber Einfamfeit ergibt, 

Sich, ber ift halb allein 

bernt nicht noch etwas SlnbreS: als, ber wirb balb allein 
gelaffen? £eifjt es nicht mit gleichem Ned)t: ber wirb 
menfhenfeheu, ben oerwöhnt bie Einfamfeit balb bis jur Unnah' 
barfeit? Set oon uns l>ot fern bem Seben ber Stübte nicht 
fchon SlehnlicheS an fich erfahren! Seil wir jumeift abhängig 
geftellt finb, fann ber Sauber ber Einfamfeit fich nicht bauetnb 
unfrer bemächtigen. StnberS mag er hier, Wo nichts ihm bie 
Sege oerlegt, feine SWacht geltenb machen. Unb wer fagt uns, 
wie manche bittre Erfahrung, betn $ange nach ber Iröfterin 
Einfamfeit erft bie Stätte bereitete? — „Permettez moi, que 
je votu embrasse! Je snis ravi! Slber, bitte, ich Wollte Sie 
nicht unterbrechen." — „Sie bergeffen, bafj id) Weber ein ge: 
frönteS |>aupt, noch eine gefallene Ejcettenj bin." — „Senn 
Sie nicht fortfaljren, tnufi i<h annehmen, bafj Sie mich perfönlich 
hänfen wollen." — „Sie fottte biefe Folgerung möglich fein?" 
— „Sie wollten eben auf Namen, bie in Sitter ttttunb finb, ju 
fpredjett fommen." — „Nidjts lag mir ferner. Sir phitofophiren 
hier, bädjte ich, PhilofoPh'ren ift nicht feanbalifiren." — „Hm, 
hm." — „Ober finb Sie anbter SNeinung?" — „Passons! ®ut, 
bie Einfamfeit fott an Vielem Schutb fein. 2Ran fagt, fo oft 
ber ftönig eins feiner großen Vaumerfe befichtigen will, muh 
juoor bis auf ben lebten SRann jeber bei bem Vau Vefdjäftigte 
fich unfidjtbar machen. 3Jtan erjä^lt oon ben Vorfehrungen, 
welche getroffen werben, bamit bei ben nächtlichen Nitten — 
jefct pflegt feine SRajeftät nur noch zu fahren — feine Neugierigen 
feiner anfichtig werben. 3Ran behauptet, ber hohe 4?ett fei fo 
fehr jnr Sphtnj geworben — nicht wahr: Spf)in| ift gut, auch 
im Sinne Don kalter?- — bah felbft feine Sflinifter — mit 
SluSnahme Don einem — plöfclid) Nachts ju Vorträgen befohlen 
werben; man will wiffen ..." — „Sch bebaute, meine Seit ift 
uw. $ort fommt mein $>,impfjd)iff." — „Oh le scölerat! Sir 


waren fo fchön int 3uge!" — „Sit waren im 3uge, offene 
Xfjüten einzurennen. Säht fich ouf folgen Settoertreib nicht 
jut Noth Derjichten? Sem ift es nicht betannt, bah ber ftönig 
als Vmuj bie Süden feines SiffenS im ©eheimen burd) maffen* 
hafte nächtliche Seetüre auSjufütten fuchte — unb bah er infolge 
beffen an Schlafloftgfeit leibet? ®er Hob feines VaterS, beS 
ÄönigS SWaj, fiel in bie 3«it, als fßrittj Subwig eben bie Slus« 
ficht h fl tte, feine Sehnfudjt nach geregelten Uninerfttätsftubien 
beftiebigen ju bürfen. Seitbem hot baS Vebütfnijj nach bem 
beften Erfafc für ben bocirenben Vrofeffor, nach lehrreichen Vüchetn, 
fich begreiflicher Seife nur noch in erhöhtem fNafje geltenb 
gemacht unb bie XageSftunben mit ihren zahlreichen unabweislichen 
Vflichten hoben bafür fich immer mehr als nicht auSreidjenb er: 
wiefen. SaS Vielen als romantif^e ©ritte erfcheint: bie flucht 
aus bem Särm ber Stäbte, bie teibenfdjafttiche Siebe für bie 
erhabene Stille beS Hochgebirges, baS Sichifoliren auf ganz 
Senige, benen eine theilweife Vertümmerung ihrer Nachtruhe 
fein Opfer attju läftiger Strt ift — wie einfach ertlärt fich’S unb 
wie wenig guter Sitte gehört baju, um biefe Ertlärung felbft 
zu finben!" — „9lud| ich hotte fie in ber Elfat längft gefunben," 
fagte 2Rr. X. mit einer etwas rotf) anlaufenbeit Sange, „Was 
mich aber nicht hiubert auSjufprcchen, bafi biefeS mit 3h nen 
oerplauberte Viertelftünbchen ..." unb er fdjwang baS Näudher* 
beden beS §nterbiemer3 mit folcher Vchemenj, bah ich mich ben 
Sollen beSfelben eiligft entjog. 

Kuf ber Heimfahrt blidte ich Pfättig nach bem fernen 
Schlöffe Verg Hinüber. Huf ber lerraffe beSfelben zroifrfjen 
Orangen: unb 3Rgrthengebüfd)en erging fich eine hoch gewachfene 
SRännergeftalt im Schein ber fdieibenben Sonne. — ®roben auf 
ber NottmannShöhe wehte ein buntes lafdjentud)- 2)er 3nter= 
Diewer fchwenfte eS, ich tonnte ipu mit meinem ©lafe Deutlich 
erfeunen. Er fchwenfte wie Einer, ber fehr guter ®inge ift. 
5(n ber uä^ften Viertelftunbe fi^t er am Schreibtifch, unb in 
fpäteftenS 48 Stunben erfährt Vrüffel unb über Vrüffel bie 
Seit, was er aus einem in äönig SubwigS intimfte ©eheimniffe 
Eingeweihten heraus — interoiewt hot. 

3<h ein Eingeweihter! ®iefe Beilen mögen bei Seiten ba» 
gegen ißroteft einlegen. tt». 


JUiö 6er £aitj>tfiaM. 


Bie 53. ^Xusfiellmtg ber Jiijtiijlidjen ^kubemie 
ber jfinii^e jtt Berlin. 


n. 

angefiaunte SBerf uttfere* giftti^enbften Porträtmalers ^ölt 
uns im Greife ber Sübniffe fejt. giir baS ©etou^tfein ber benfenben 
tfuuftroelt, melc^e in ben Srj^etnungen ber Vergangenheit Ql et ft nnb 
©e{e| beS Erlebten ernennen oermag, befielt über ben SBerth beS 
Porträts als Offenbarungftfotm ^unjt feine Unftarheit. 

Stag eS ftch mit ber Vebeutung beS i)argefteüten ju monumentaler 
ftraftäu&enmg auffebtoingen, mag eS in ben f^ ar f begrenzter 

©cjeüfcbaftSftaffen mehr auf innerliche Vertiefung angetoiefen fein, immer 
fchafft es ©ejehidj**, wenn ber Äftnftler feine Aufgabe begreift unb fich 
nicht über feine Steife hinai.3 baran gewagt hat 2BiE man ben 6 tanb< 
bunft unferer ©eichichtSmalerei fchon ooreitig genug an bem zufälligen 
Stelief einer ^luSftellung meffen, fo ziehe man toenigftenS bie Vilbniffe 
mit in Vetracht, bie ein berebteS Sort Oon unfern ^eitgenoffen $11 fagen 
willen. 

SBie bie meiften ihrer Vorgänger ift au<h biefe HuSfteüung reich 
an gemalten ©efichtern. 34 jähie runb hunbert. IKiih mit allen zu 
befchäftigen, würbe eine unfruchtbare Arbeit fein. ©ro& ift bie 3 «hl 
berer, bie uttS über ihre Äutoren nichts SieucS lehren. 9Ran ocrlernt 
nichts unb lernt nichts zu. Qft eins oft unb nach ©ebühr auerfauut, 
fo fcheint eS müfjig unb unliebeiiSwürbig, auf baS anbere immer rnteber 
zurüdfzufommen. 28ir bürfen biefeS Stal ben ^dc^ften Stafsftab anlegen. 


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220 


Slie ® cgenwn r t 


Nr. 40. 


TaS Mittelgut mirb mächtig überragt bon ben hinten beS Hochgebirges, 
unb barunter gruppirt fid^ bergauf bergab ein frifcpeS SSotf aufftrebeuber 
Trabanten. 

©tan lehrt nicht gerabe anfprudpSloS peim, toenn man an ©onnatS 
©ictor Hugo bie glugpöpe moberner ihtnft unb mitten unter ben ©an 
Tpcfs ber ©inalotpef eine ScpmingungSpöpe ^ cr a ^ en crmcffen hat. 
$lbe^ bor bem ©ilbniß beS OberbürgermeifterS ©ecfer bon 3uliuS Scpraber 
ift mir ber ©inbrucf burch feine ©rinnerung gefcpmälert morben. 34 
mar nie barüber im Smeifet, morin bie Stärfe biefeS Zünftlers beruht. 
TaS SBefen ber ©iänner im ©egenfaß ju bem ber grauen erfd^Iießt 
fich feinem ©lief zu malerifcpem ©rf affen unb ©eftalten mit einer Älar* 
heit unb Scpärfe beS ©ontourS, mit einer Ifraft innerer ©oncentration, 
mie mir fie nur bei menigen feiner S^tgenoffen fiitben. Scpraber ift 
nie gciftreich, nie pilant, nie überrafepenb, nie blenbenb. 5tber er über* 
Zeugt. Tte ©infaeppeit, mit ber er bon ber Anlage zur boßen SBirfung 
gelangt, pat etmaS ÄlajfifdpeS; feine ©prlidpfeit f<pä| e ich über ^ÜeS. 
©r bieptet einem großen (Strategen feinen burepbringenben galfenblicf, 
feine gebieterifepe Strenge an, nur meil fiep bie banale ©orfteßung 
einen großen Strategen opne biefe ©equifite niept benfen fann. ©r 
taucht ben bleichen Sopn beS Horbens nidpt in baS ©raun füblidpcit 
SonnenbranbS, meil feine eoloriftifepe ©mpftnbung nun einmal in biefe 
Tonart gebannt ift*. Seine $unft orbnet ftep bem Object unter; jer 
gibt fiep auf. So fommt eS benn, baß feine ©ilbniffe ftetS bequem 
unb natürlich in ber Slnorbnung finb. ©tan fiept feinen ©iännero baS 
©emußtfein niept an, baß fie gemalt rnerben; ipre ©rfepeinung ift niept 
auf ben ©toment gefpannt. ©in Stich ins SSeißlicpe, berbunben bei 
aller ©ebiegenpeit ber malerifcpen Dualitäten mit einer etmaS unftät 
mogenben ©infelfüprang, beeinträchtigt halb mepr halb meniger bie boßc 
SBirfung. Slber eS fepeint faft, als ob in golge ber abäquaten ©om= 
plejion beS Originals bem ©orträt, melcpeS mir biefen ©parafterifirungS= 
berfuep abnötpigt, felbft bie Unjulänglicpfeiten zum ©eliitgen auSgefcplagen 
finb. 3<P müßte niept, maS anberS ober gar beffer fein fönnte. 2SaS 
aber baran unübertrefflich ift unb merlmürbiger SBeife gerabe bei ©onnatS 
©ictor Hugo eine Analogie finbet, baS ift bie Tiefe beS ©licfS. ©e= 
malte klugen pabe icp fepon oft in pöcpfter ©oßenbung gefepen. Tie 
moberne ©orträtfunft feßt ipren berechtigten ©prgeij in bie Turcpbilbung 
beS TetailS. ©tan mirb banaep in ben Slugen beS fran^öfifepen TicpterS 
fo oergeblicp fuepen als in ben 5lugen ber ©ürgermeifterS bon Äöln. 
Tie Sepmerljeuge beS leßtem oerfepminben faft in bem Scpatten ber 
Siber. ©upifle, 3riS unb Sclerotica' oerfepmimmen zu bunllem glccf. 
Unb boep ift bie Söirfung biefeS ©licfS fo intenfio, baß man ben eigenen 
unmißlttrlidp babor mieberfeplägt. ©töcpten boep unfere jüngeren Kräfte 
an einem folcpen ©orbtlb mit ©ietät ftubiren. Sie lommeit noep zeitig 
genug ba$u, eS beffer ju maepen. fyiex rebet ein ©teiger ju ipnen in 
tprer Spracpe. TaS tput ein alter ©teifter niemals. 

Ter ©ürgermeifter bon ©erlin pat neben bem bon $öln einen 
jepmeren Stanb. Selbft bie ©räfibentenglocfe fann baran nicptS änbern. 
©egenüber ber bepaglidpen Sicperpeit, mit ber bie föunft bet jenem auf 
ipr 3iel loSgept unb eS erreicht, nimmt fiep bie Ueberfpannmtg ber 
Kräfte bei biefem niept gerabe erfreulich aus. ©aulfen pat in fleineren 
©ilbniffen große ©rmartungen rege gemaept. 2BaS er uns biefeS ©tal 
bietet, jeigt einen Slbftanb jmifepen ebel gerichtetem, bem Haften ju= 
gemenbeten Streben unb ben fünftlerifcpen ©tittein, über bie er zur 
Seit berfügt. 3« ber Swt>erftdpt r eS mit ben ©apricen ber ©atur auf; 
nepmen $u fßnnen, berliert er fiep in fleinlicpeS Tetail unb bringt’S 
niept jufammen. Ta peißt’S benn: 3 a > ipt fept eben niept bie taufenb 
unb aber taufenb rotpen, blauen unb bioletten Töne unb Tönepen, bie 
biefen $opf für baS $uge beS Zünftlers ganz befonberS anjiepenb 
maepen. SllS ob eS mit bem Sepen getpan märe! ©in ©tinimum bon 
materieller Scpmere ftürjt bie ganze ©ombination über ben Raufen, unb 
biefeS ©tinimum pat eben noep lein Zünftler umgangen. 3u ber Sanb; 
fcpaftSmalerei ift eS gerabe fo. ©aulfenS ©ilbniffe erfepeinen mir bei 
aflebem als acptungSmertpe Seiftungen, melcpe bie ©efapr eines ©eparrenS 
auf irrigen ©rincipien niept befürchten laffen. 

Unter ben ©Serien erften ©angeS, melcpe bie afabemifebe ^luSfteöung 
in meiner ©rinnerung bezeichnet pat, ift baS ©orträt ber ©tabame 3ubtc 
als ©iniepe bon ©mile SBauterS bießeidpt baS eigenartigfte. ©tan 
brauept bie berüpmte ftüuftlerin in ber bon ipr creirten ©ofle niept ge= 
fepen zu paben — unb icp erfreue rniep leiber niept beS ©or^ugS —, 
man fann felbft unter bem ©anne eines fttteneifrigen ©taeptgebots in 


Unlenntniß beS bramatifepen HiutergrunbeS berparren, auf bem biefer 
aßerliebfie Sptßbube fein Stpelmenmefen treibt, — ein ©aar folcper 
klugen fpottet jeber polizeilichen Scpranfe unb plaubert baS ganze ©e* 
petmniß aus. ©S gibt nicptS ©rfrifcpenbereS als ein tfcte ä tete mit 
biefer luftigen ©erfon, z«ntal fie nicptS bagegen pat, menn ältere H^r^n 
fiep beS gegenüberftepenben StuplS bebienen. ©aepgrabe pabe icp miep 
auep gan§ in baS etmaS fepmere ©otp beS Kopfes pineingefepen, baS 
miep zuerft befrembete. ©S mirb bon bem tief faftigen ©rün geforbert. 
TaS ift mit bem ©lief beS ©enieS im gluge erpafept unb feftgepalten. 
©tomentan mie ber Umfcplag einer Sßeüe, mie ber Sturz einer ©aScabe! 
Unb boep prägen fiep folepe ©aturgemopnpeiten ganz anberS ein als ber 
Temperamentbltß eines meiblicpen ÄobolbS! 3>n ©emußtfein feiner 
Stärfe fonnte fiep SBauterS baran roagen. ©alette, ©infei, H&nb nnb 
5luge greifen mit iprer ©ction in einanber mie baS ©jerdtium ber 
preußifepen ©arbe. ©reit unb fieper gleich einem alten ©teifter, leicpt 
unb graziös mie ein granzofe beS hörigen 3nprpunbertS. 

3cp möcpte pier gleidp bemerlen, baß mir bie Seiftungen feines 
SanbSmanneS ©ortaelS auf gleicpem ober bermanbten ©ebiet niept gerabe 
fonberlicpe Sqmpatpie einflößen, ©eben ber halb falten, halb affectirt 
fepmeren gärbung fällt Unficperpeit ber geiepnung auf. Tie Tarne mit 
bem H ut — icp glaube, eS ift ©iabemoifeße ©ictoire — ^eigt ipren 
greunben auf ber linlen Seite ein ganz anbereS ©efiept als benen zur 
reepten. ©on born mirft baS fepr beunrupigenb. Unb boep fteeft in 
biefen Arbeiten ein je ne sais quoi, melcpeS miep münfepen läßt, ben 
Umgang mit ber neuen ©elanntfcpaft fortzufepen. 

2 lucp H^iuau^/ c iu britter ©eigier, ben ©erliner ^unftfreunben 
burep baS jept in ©iünepen auSgefteßte ©ilb „3n ber ©forgenbämmerung" 
befannt, entfpriept in bem ©orträt ber ©tabame ©bmonb ©icarb = Olin 
niept meinen ©rmartungen. Tem Anlauf zu einem noep niept bagemefenen 
garbeit = unb ©eleucptungSeffect ift niept freubigeS ©elingen gefolgt. 
3liiep bie Sluffaffung pat nicptS UeberzeugenbeS; bie jepemenpafte SBefen^ 
lofigleit mirb burep ©iangel an gimiß unb ©lacirung noep empfinblicp 
gefteigert. 

©Sie menig folepe Uebelftänbe einem innerlich gefefteten SBerl zu 
fepaben bermögen, zeigt fiep an bem Tamenporträt beS ©rafen H arr acp. 
©tan fann auf fepr betriebene ?lrt bontepm fein. Tie abfolut treffenbe 
Scpilberung einer pöcpft imponirenben ober beffer gefagt ©efpect eht= 
flößenben, einer 5lrt, bie ftep um 21ßeS in ber.Seit niept annepmen 
läßt, empfinbe icp in biefem ©ilbniß, baS unter ber ©attung fiep mie 
ein berirrter grembling auSnimmt. Tie ©parafteriftif ift fo bortreffliep, 
baß icp miep ftetS auf einer gemiffen Scpeu ertappe, bie Tarne anzugaffen, 
unb boep bin icp überzeugt, eS ift ipr außerorbentlicp gleichgültig. SaS 
pier bemußteS Scpaffen ift, maS etma anberS gemoßt mar unb nidpt ge= 
lang, betmag icp niept zu fepeiben; benn SlßeS mirft auf baS eine be= 
ftimmte Qid pin. 3<P ntöcpte meber bie ftarre ©erticale in ber Haltung 
noep bie unrealiftifcpe glacppeit ntiffen, mit ber biefer ernftgraue Sammt 
in ben milb gelblidpen Hiutergrunb einfepneibet, unb bie felbft bem $opf 
mit feiner, ©eift unb SiebenSmtirbigleit bem ©lief beS profanum vulgus 
entziepenben ©eferoe, fein dparafteriftifcpeS ©terlmal gibt. Senn iep ben 
©amen Holfcin uenne, fo brauept man nidpt fiep zu überfeplagen. SaS 
ipn mir auf bie Sippen füprt mirb benen llar fein, bie bie ©aumlofig= 
feit in feinen ©ilbniffen bemerften, opne barum an Sdpäßung feines 
SertpS einzubüßen. Soflte baS Scpicffal HarracpS Serl einmal naep 
3 aprpunberten in einer ©arifer 3luction auftaudpen laffen, fo rnerben 
fiep bie Siebpabet ftarfe ©oncurrenz maepen. 

3<P möcpte pier gleidp bie Arbeiten eines SHinftlerS ermäpnen, ber 
Zmar aus ganz anberer ©idptung feine Aufgaben empfängt, aber bitrcp 
bie ©ntfepiebenpeit unb Selbftftänbigfeit, mit ber er fie löft, boße ©e= 
aeptung berbient. Ueberbem ift er, menn iep nidpt irre, Prix de Michel 
Beer, unb eS bleibt jeberjeit außerorbentlicp bernerfenSmertp, menn aus 
unferen Prix quelconques ein tüdptiger Zünftler erftept. ©. Sidpel. pat 
fiep feine Seife aus ber grembe mit peimgebradpt unb ift babei, mit 
Hülfe feines gefunben UrtpeilS unb guten ©efepmaefs, glücflidp gefapren. 
3cp meiß mopl, baß man in ©erlin eine folepe ©ortragSart zu glatt 
finben mirb. Umgeleprt münfepte iep, eS berfuepten eS ©inige einmal 
mit biefer ©lätte. Tabon loSzulommen ift meit leiepter, als fte fiep an= 
Zueignen. Tem ©orträt ber Tarne mit bem runben H öt ^^u fommt fte 
für mein #uge boß zu ftatten. 9ln Sebenbigfeit, Äraft unb Sicpt pat 
biefeS elegante ©ilbniß nicptS eingebüßt, ja es überragt pierin eine 
große ftnzapl, bie fiep mit einer $lrt römifdper ©tofaittedpnif ber ©atur 


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Nr. 40. 


Nit «egennrart 


221 


ftöpnenb nacpquäleri. Solcpe Bertreibung ber Döne, wie fie mir bei St? 
cpelS tarnen fcpmeicpelt, fiept nur weiblicper Osugeitb unb ftinbern gut 
$u Gefiept. SBir wollen abwarten, ob ber SWaler bamit au<p ber herberen 
Watur gegenüber auSzulommen glaubt. 

(Sin GelegenpeitSporträt - idj werbe ben HuSbrud gleich erflären 
— lieferte B. SWeherpeim in bem Bruftbilbe ber grau H- H-, baS auch 
burcp bie Blumenbecoration oon ber Hanb beS WteifterS auf ben Wapmen? 
füHungen fiep oon ber Heerftraffe entfernt Der Äünffler pat pier oon 
einer fepr fpecififcpen Statur eine Anregung 511 ganz fpecififcpem ©Raffen 
empfangen. So malt er eben grau H- H- unb feine Qweite. 3<P muff 
jmar auf einen Bergleicp mit bem Original berjidjten, aber icp pabe 
bocp bie Gmpfinbung, als Wäre baS oorfcpwebenbe ^iel unbebingt er? 
reicht, gn weiterem Hbfianbe — unb baS ift ein geiler — wirft baS 
Bilb fo fubftantied, als eS in ber Wäpe wirfen fodte. SJtit biejem Bor? 
bemalt intereffire icp mich lebhaft für baS geiftooH pointirte 3Berf. 

3n fcpneibigem Gegenjab bazu unb jeben 3weifel an ber con? 
jeqnenten gortentwidlung unfereS trefflichen WteifterS befeitigenb, ftept 
baS fittenbilbartige Weiterporträt, welches ber Zünftler mit glücflieber 
GpaTafterifttl feiner gutention als „Der Gutsherr" bezeichnet. DaS 
ftropt bon Gejunbpeit unb belebenber grijepe unb erfepöpft fo ganz &ie 
Borffedung einer beneibenSWertpen Gjiftenz. Die fühle Klarheit beS 
HerbftmorgenS läfft fich nicht glücflicher fchilbetn. Wur immer wieber bie 
»eifflicp materiellen Glanzlicpter. 3<P fepe ja, baff Wletjetpeim fo oft 
ohne fie auSfommt, fonft hätte ich mich leicht babei beruhigt. 

Wicht häufig bieten fich f° intereffante Gegenfäpe im Gleichartigen 
tote bie beS oben befproepenen Weiterporträts z u bem in wenig größeren 
Dimenffonen gehaltenen bon Steffecf. Dort baS Sanb, etwas berb, breit? 
jcpulterig, wuchtig im Sattel; pier bie Stabt, Dpiergarten, elegant, Be? 
wufftfein equeftrijeper SWeifterjcpaft, ftolz auf tapitaleS X^ier unb babei 
bon frappanter Hepnlicpteit, Woff nicht minber als Weiter. GS ift gewiff, 
baff bie Mnftler ihre Aufgabe nifpt taufepen bürften, unb baS ftellt 
baS Berbienff Beiber in baS ^ctlfte üiepf. 

3u einem wahren Driumppc geftaltet fiel) bie bicSjäprigc HuSftedung 
für Guffao Graef. 3*P toiH mich nicht lange bei bem trefflichen Porträt 
beS alten Herren aufhalten, baS als iWeifterftüd freier, breiter Wiobedtrung 
fehr betaiUirter gormen fielen ein äßegweifer fein möge. Hucp betn 
Änabenporträt wibme ich nur einen furzen Gruff, erfreut ben Wieifter in 
ber coloriftifchen Gtfinbung mit oodem Gelingen einen jelbftftänbigen 
Weiz anffreben zu ftpen. Hber gelicie, oon ber eS ja nun einmal ein 
offenes Geheimnis ift, unter welche Gattung oon ftunftwerfen wir fie zu 
rechnen traben, beanfprucht burcpauS eine eingehenbere Sßürbigung, fo 
jehwer gerabe fie eS uns macht, für eine folcpe überall baS paffeube 
3Bort z« finben. Graej ift mit bem ganzen Hbel feiner fünftlerifchen 
Gefinnung an bie Bewältigung einer eminent fchwierigen Aufgabe ge= 
gangen. Gr fonnte ja auf ganz frioole Ärt bamit fertig werben; aber 
es galt ihm bie £öfung in ber fünftlerifchen gorm, bie ihm geftattete 
fein 2Betf als Äunftwerf an bie Oeffentlidjfeit zu bringen. 3ch benfe, 
nur bic ?ßrüben wiberfprechen, wenn ich behaupte, baf$ ihm baS über 
jeben «8&mf c l gelungen ift. Unb leicht gelingt eS auch, fich über bie 
Wttttel flar zu werben, benen er biefeS würbige Wefultat oerbanft. Gr 
hat bic Grfchcinung loSgelöft oon ihren Beziehungen. GS gibt fein 
Vorher, fein Wachhct/ baS unfere Borftedung oon bem Ginbrucf ber 
Gegenwart ab=, über fie hinauSlentt. Wu<h biefeS bewegliche Gefchöpf, 
bei beffen gormung bie Watur feinen anberen Gfjrgeiz hatte, als bag ihr 
wiebet einmal ein hübfcheS grauenzimmer gelingen fodte, fteht in ihrem 
Gmpfinben unb ich d)age faum zu fagen, Renten ganz un te r t>em Gin* 
brud beS (dugenblidS. 3u ber ßuft am 3)afein, in bem ftarfen Gefühl 
aus aden $oren bringenber ^ebenSfraft geht jebe anbere Seelen? unb 
Weroenregung auf. 3<h ^ a / unb baS ift mein Wecht. Unb unfetem 

an ber Wntife gereiften Sinn fädt eS nicht ein, ihr biefeS Wedjt z u 
ftreiten. SBtr hat> c u eine naioe greube an ber fräftig fdjönen Watur, 
bie wir wie ein Spmbol ber Gejunbheit außerhalb eines engen, per? 
fönlichen üebenSfreijeS empfinben. 2)urch bie ^öfung feiner Aufgabe als 
Wteifter beS fünftlerifchen $anbmeris hat Graef wohl auch bie Grmartungen 
feiner oertrauteften greunbe übertroffen. 2)ie gabt berer ift nicht groff, 
bie eS ihm na'chzuthun im Stanbe ftnb. 3<h fiube baS hächfte Gelingen 
im ooden Üicht, eine nicht ganz gleiche Bodenbung in ben ^albfchatten. 
Änffädig ift mir bie becoratioere Behanblung ber $dnbe unb güffe. 
3Bar bie Watur nicht fein unb intereffant genug, um ben Mufflet zu 
einer liebeooderen Durchführung zu ermuthigen ober fürchtete er bem 


grofjen 933urf, auf ben er fein SGBerf angelegt, burch folche Detaidirung 
Abbruch JU thun ? Huf bie Gefahr hiu hätte er eS meiner Wnficht nach 
wagen bürfen. Giner Webenfache würbe ich nicht gebeuten; aber fie ift 
mit wenigen Strichen z u reformiren, wenn ber Mnftler meine Be? 
merfung motiOirt finbet. 3^ weine bie mathematifepe §ärte in ben 
giguren, welche Baluftrabe, SWeer unb £uft in iprer Hneinanberfe|ung 
bilben. Biedcicht ift mein Blid zu reflectirt empfinbltch- 

(Ep. £. 


^totijen. 


3ur GoetljeUteratur. 

„gauft^ mit Ginleitung unb erläuternbenHnmerfungen oon G. oon 
Soeper. 3meite Bearbeitung I. unb II. Berlin 1879, Berlag 

oon Guftaö Tempel (Bernffein unb granf). 

Diefe neue HuSgabe ber ausgezeichneten Wrbeit oon G. Oon Soeper 
unterfcheibet fiep Oon ber früheren zunäepft äußerlich burep eine ungleich 
beffere HuSftattung. Huch iw Supalt hat ber Herausgeber, ber in ber 
Goetheliteratur unbeftritten eine ber erften Steden, üiedeiept bie erfte 
einnimmt*), zahlreiche unb zum Dpeil niept unwefentlicpe Beränberungen 
üorgenommen. Die Ginleitungen zum erften unb zweiten Xpeil finb 
umgearbeitet, üerbeffert unb ergänzt; unb baS Gleiche gilt oon ben guff? 
noten, bie burepweg oortrefflicp finb. Bor Hdem oerbient baS richtige 
Wtajj, baS iJocper bei biefen angewenbet pat, bie oodfte Hnerfennung. 
HdeS Ueberflüffige unb Gntbeprlicpe ift oermieben worben, fioeper pat 
fiep mit groffem Dafte barauf befepränft, nur baSjenige zu erflären, was 
ber Grtlärung wtrflicp bebarf. 3w erften Dp e Ü e ^ cr ^ragöbie burften 
biefe Gommentare baper autp fpärlicper fein, im zweiten bagegen finb 
Ziemlich zapireiepe Hufpedungen ber oft bunfeln unb unoerftänblicpen 
Hnfpielungen, namentlich in ber flaffifcpen SBalpurgiSuacpt, notpwenbig 
geworben. 

Die Ginleitung zu biefem zweiten Dpeile ift ein Wteifterwerf litera? 
rijeper Hnalpfe unb Ätitif. Soeper oerfiept mit groffer Gnergie feine 
Huffaffung oon ber biepterifepen Gleicpwertpigfeit ber beiben Dpeile unb 
polemifirt feparf gegen biejenigen, bie in bem zweiten Dpeile ein mepr 
ober minber unoerftänblicpeS Gonglowerat abgefadener poetifeper Sdpnipel 
erbliden. SBenn man bie Hnalpfe, bie üoeper oon ben einzelnen Hcten 
beS zweiten DpeileS ber Dragöbie gibt, mit einiger Hufmerffamfeit lieft 
unb bie Gommentare beS Ginzeinen, bie in ben guffnoten angebracht 
finb, berüeffieptigt, fo wirb man aderbingS zu bem gleichen Wefultat ge? 
langen unb oon ber Unoerftänblicpfeit beS zweiten DpeilS beS „gauft" 
unter Gebilbeten niept mepr fpreepen bürfen. 

GS fei pier noep bemerft, baff Soeper ben HmiuSgeber unb Gom? 
mentator oon bent Dichter oödig ifolirt pat, baburep, baff er in ber 
Goetpe’fcpeit Dicptung naep Hrt ber grieepifepen unb römifepen Älaffifer, 
unb auep neuerbingS ber franzöfijepen, bie Berfe burcpgezäplt pat. Die 
Bortpeile, welcpe biefe Ginricptung gewäprt, liegen auf ber $anb. ^ U5 
näcpft wirb baS tppgrappifcp päffiidpe Hnbringen Oon Sternchen unb 
ftreuzepen oermieben. Der £efer ber Dicptung fann bie commentirte 
HuSgabe wie bie DegtauSgabe lefen, opne burep bie Hrbeit beS Heraus? 
geberS, wenn er biefe niept berüdfieptigen wid, geffört zu werben; ferner 
läfft fiep jept eine jebe Stede unabhängig oon ber HuSgabe, Oom gor? 
mate tt., alfo opne Seitenzahl, opne Hngabe beS HufzugeS unb ber 
Scene unb mit unzweifelhafterer Älarpeit nach &et BerSzapl citiren. 

Die fpracplicpen Hnmerfungen pat lioeper aus bem Gommentare ber 
Dicptung auSgefcpieben unb mit ber am Scpluffe eines jeben BanbeS 
angebrachten Dejtreoifion zufammengeffedt. Diefe linguiftifepen Woten 
bieten für ben Scpriftfteder unb für 3*& c u, ber an unfrer beutfepen Sprache 
ein emffpafteS gutereffe nimmt, ein fepr belangreiches unb reizoodeS 
Wtaterial bar. 3 oeper berichtigt ba einige ftarfe 3 «tpümer, bie jept, 


*) Der auf bem Umfcplage abgebrudte ißrofpect ber BerlagSpanblung 
bezeichnet ßoeper als einen ber gröfften Goetpefenner ber „S^ptzeit''. 
BteSpalb biefeS abfcpeulicpe SBort, baS felbft auf bem Umfcplage zu einem 
Goetpe’jcpen SGBerfe pätte oermieben werben foden! 3u ber oor furzem 
erfepienenen elften Lieferung beS BanbeS IV. (I, B) oon GrimmS SGBör? 
terbuep wettert Wubolf nißefaanbt mit Wecpt gegen biefe „gefepmad? 
wibrigffe Weubilbung unfrer Gegenwart''. 


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222 


t 


Sic «cgcnttfari. 


Nr. 40. 


nach ber 93erichtigung, faft unbegreiflich erfcheinen. So ©. im ©al* 
purgiSnachtStraum beS erfleh Xljetleä, Snterme^o, VetS 3382 tritt ber 
„gtebler" auf, ein gana unatoelbtüttget Wuflfcitit^ ber bom Dubelfad 
nub oon Orpheus’ fiepet fpridjt. Dutdj ©oetheS Orthographie „gibeler" 
hat {leb Dünfcer oerleiten laffen, ben Sptelmauu für einen fibelen ©e* j 
jeflen, für einen luftigen ©ruber au Ratten uitb ©apatb Dttplor hat fid) ; 
biejen Sorthum angeeignet unb bie ^erjönlic^leit mit „good fellow“ über* 
jept, mährenb ©achatach (Le Faust de Goethe, ©atiS 1873) richtig 
„racleur de violon“ überfefet. 2118 ein ©eijpiel, wie ßoeper Schwet* 
oerffänblicheS ober junt ©tigoergänbnig VetanlaffenbeS erläutert, wifl 
ich ^ier bie (leine Anmerlung au ben aßbetannten Werfen 201 unb 202 
be8 erften X^eil8: 

3a, eure Sieben, bie fo blinlenb finb, 

Silit benen il)r ber ©tenfehheit Simpel (räufelt, 

wiebergeben. ßoeper bcmerlt baju: „DaS ©ilb ift bom ©ejdjäft be 8 
&aar(räu 8 ler 8 genommen: ber SRenfdjljeit (Datio) tünfteleien, ©inb 
normalen; fo auch bon Vifd*« in ben „Shritifchen ©äugen 1 ' unb oon 
93. Xaplor (I. Slotc 22 ) aufgefagt. ©8 foll bie gänjlit^e ©ntfermueg 
bon ber ©atur auSgebrtictt merben, wenn ©oethe feinen ©onjalo in ber 
flaubine jur feiben Beit fagen läßt: „Sonff pflegen Sie mir ba 8 ©e* 
(ämmte au friftren, ba 8 grifirte au (räufeln unb ba 8 ©efräufelte am 
©nbe au oerwirren." (Der junge ©oethe. III, 580.)" 

Die Anführungen bou folgen 93eifpielen liege fich Oerbupenbfachen. 
UeberaU wirb man ba 8 93eftreben nad) ©iufachheit bet Auffaffuug, bn 8 
Venneiben allen ©ufteS bemerlen unb ßoeperS ffarle Abneigung gegen 
afle$ ^mbolifiren, wo ba 8 iBerftehen Jbe 8 Xhatfächlühen nahe liegt 
unb bei einem fo flaren unb realen ©eige ,wie ©oethe ftetS anju= 
nehmen ig. , 

Stur mit einer ©inaelheit biefer gauftauSgabe (amt ich mich nicht 
einoevg&nben erflären. ßoeper hat, mohl mit ©üdficht auf bie gamilie, 
in ber fein „gang" fich cinbürgern foll, bie befaitnten ©octhe’fchcit 
ftraftauSbrüde burch ©ebanlengtiche erfept. ©r hat nicht nur bie AuS* 
laffung ber offenbaren Boten, mie fie a* 53- in ber ©alpurgiSnadjt bou 
©tephifto nnb ben Jpejen gefproegen merben, gleich ben früheren Au 8 = 
gaben beibehalten, er hat auch noch anbere, ihm anftögig erfcheinenbe 
©Örter, bie in beit früheren Ausgaben unbeanftanbet ftehen, auSgeflhlofleu 
unb burch ©ebanfenftriche erfept. DaS halte ich für gar au aintperlich. 
3<h meine fogar, bag bie betreffenben Stellen burch bie prube Verhüllung 
einen zweifelhaften ©haratter belommen, ben fie in ber Dichtung nicht 
haben. DaS einfache, ehrliche, menn auch uoch fo (räftige, gebruette 
©ort wirft unberfänglicher al 8 ber ©ebanfenftrich, ber anf eine llnan* 
ftänbigfeit ober a«m ©tinbegen auf eine Unaiemlichteit fliegen lägt. 
Die furchtbaren ©orte, welche ber fterbenbe Valentin feiner entehrten 
Schweflet entgegenfchleubert, finb einfach hewrteigenb, unb (ein ©tenjdj 
wirb bei bem glucge Valentins oon beut ©ebengebanfen befehligen, bag 
er ba oielleidjt ein ©ort gebraucht, ba 8 (eufdje 0 h r *u unangenehm be* 
rührt. Dritt aber an bie Stelle biefeS energischen unb gewaltig wir* 
fenben ©orieS ein feigenblattähnlichet ©ebantengrich, fo wirb nach 
meinem ©mpftnben bie poetifdje Schönheit f^wer gefdhftbigt, fo gefchtegt 
bem Dichter, ben deiner tiefer oerehrt als gerabe ßoeper, Unrecht. DaS 
©ort ig übrigens burch Öen ©eint fofort 511 ergäben; gerabe beSgalb 
ift bie AuSmeraung überflüffig unb fd)on aus biefem ©rmtbe meines 
©rächten* oerwerflich. Subeffen mag cS in biefer Separatausgabe beS 
„gaufr, bie eben au einem allgemeinen VolfSbuche begimmt ift, aßen* j 
falls noch begehen. Die ipemperfche VerlagSbuchhanblung lünbigt nun 
eine neue Ausgabe ber gefammten SBerfe ©oeiheS an im gormat unb 
in ber AuSgattung biefeS „gauft". 3n biefem grogen, augleich bichteri* 

' fchen unb wiffenfchaftlichen 9Ber(e fotfen bie ©enfurlticfcn, wie ber $er* 
auSgeber ttnS mittheilt, beseitigt werben. Somit hat fich öie 9^ftge auch 
in bem Oorüegenben gaUe in eine gana befcheSbene gotm a« (leiben. 
2öir fönnen bie VerlogShonblung nicht genug baau ermuthigen, böS ge* 
plante bebeutenbe Unternehmen halb in Angriff au nehmen unb rüftig 
au förberu. 

* 

©. oon ßoeper hat faft gleichseitig im Verlage Oon Söilhelttt $erfc 
„Vriefe ©oetheS an Sophie oon ßa Sioche unb 93ettina Vren* 
tano nebg bichterifchen 93eilagett" h eröu Sgegeben. 3« biefem 
©erfe hat ßoeper einen (leinen bramatifchen Dialog, „DeS ftünffletS Ver* 
götterung", aus feiner oööigen Vergeffenheit anS ßicht gejogen UUb bie 


Ueberttagung beS „$ohen ßiebeS" aum ergen ßJlale oeröffentli^t. Am 
Schluffe fittb noch einige 93riefe an 93ettina beigegeben. Die ©htleituitg 
beS Dichters lägt bie 93ebeutung ber oorliegenben fßubtication für bie 
ftenntnig unfreS grögten Dichters dar etfennen. Die 93riefe an grau 
ßa fRoche bejeichnet er als „ben AuSffug ber greunbfdhdftstenbeita beS 
oorigen 3ah^h u ubertS, anS einer ©po$e, wo Deutfchlanb au neuem 
ßeben erwachte unb bie oon biefem ßeben erfüllten, für einanber ge* 
fchaffenen Seelen baS unwiberftehlichc 93ebürfnig gegenfeitiger SWitthei* 
lung empfanben. Der aufftrebenbe 3üugling fchreibt pietütS* unb oer* 
trauenSOoH ber erfahrenen älteren, jeboch noch jugenblich fühlenben grau/< 

VefoitberS intereffant in bem 93anbe ig baS SRenfchlithc: ©oethrö 
Veaiehungen au Sophie oon ßa SRodje, au bereu ältefter Dochter SKaji* 
miliane, ber fpäteren 93rentano unb aur Dochter biefer lepteren, 93ettina 
(oon Atntm). „gür ©oethe, y/ fugt ßoeper, „ber fo früh bie hödflk 
SRuhmeSftaffel ergitg unb länger als ein halbes 3uh^h ull ö crt behauptete, 
Ijat baS gortleben in lebenbigen Veaiehungen a u bret oerfd^tebenen 
©enerationen berfelben gamtUe etwas DppifcheS; ein VerS, m baS 
Stammbuch beS früh berftorbetten ältegen SohiteS oon 93ettina, baS 
lepte Dichterifche aus feiner gebet, behüte jene Veaiehungen a«r ©eiteras 
tion ber Urenfel aus . . . Auf baS ©unbetbarge entganben bie er* 
lofehenen 93eaiehungen au 9Ruttcr unb ©rogmutter jeit 1807 in 93ettina. 
fRur auf ber ©runblage ber alten greunbfehaft a u jenen ©eiben ift 
©oetheS Verhältnig au biefer oergänbfid), wie ber „ ©riefmedjfel mit 
einem Äinbe" baSfelbe im ©efentltchen richtig bargegellt hat." 

„3m ©efentlidjen richtig" ig feljr galant 001 t Seiten beS §erau&* 
geberS; benn in biefem 93anbe, in welchem H 93riefe oon ©oethe an 
Vettina nach ber $attbfd)rift gana eorrect Wiebergegeben werben, «f^eiueu 
bie freien ©eatbeituiigen, bie ©ettluaS ©itetteit cm ben ©oethe’fdj« 
©riefen oorgenommen, unb bte fie in „©oetheS 93tiefwechfel mit einem 
ftinbe" oeröffentlicht hat, bodj in einem fehr awcibtuliß^u ßi<hte. ©ei 
allem fRefpecte oor ©ettina fann matt hoch, wenn man biefe Original* 
Briefe mit ben oon ihr oorgenommenen ©earbeitungen oergleicht, bte 
©emetlung nicht unterbrüefen, bag biefe (luge Dame unglaublich eitel 
unb bisweilen fogar ein bischen lächerlich gewefen ig; fo gleich iu bem 
erften ber oon ßoeper oeröffentUchten ©riefe Reifet es bei ©oethe $im 
Schluffe: „©rügen Sie Arnim oielmalS unb fagen Sie igm, er möchte 
mir hoch auch mal wieber fchreiben. ©oethe." Aus biefent einfachen 
Sape macht fich ©etttna au ihrem 9iuhme folgenbeS fßhuutafieftücf 
aurecht: 

„ßiebffeS Äinb, beraeih, bag ich mit frember §anb fchreiben mugte. 
Ueber Dein mufifalifcbeS ©Oangelium unb über alles, WaS Du mir ßiebeS 
unb Schönes fchretbg, hätte ich Dir fo heute nichts fagen tönnen, aber 
lag Dich nicht ftören in Deinem ©igengnn unb iu Deinen ßaunen, eS 
ift mir Otel Werth, Dich s u haben wie Du big, unb in meinem $trsen 
finbeg Du immer eine watme Aufnahme. Du big ein wunberlidje* 
^inb, unb bei Deinet Anfieblimg itt Kirchen (önnteg Du leicht au einer 
wunberlichcn ^eiligen werben, ich 0 e be a u bebenfen. ©oethe." 

©ettina will, um bte grögere Intimität mit ©oetge erlennen au 
laffen, fchon Oon oornherein mit ihm auf bem oertraulichen guge beS 
Du unb Du gehen. Demaufolge fhtb auch tu fpäteren ©riefen bie An* 
reben immer oon bem ©oethe’fchen „Sie" in baS gemütliche „Du" 
oeränbett worben. 

©enn ©oethe fchreibt: „Auch gegern wieber, liebe greunbtn, hat 
ffth aus Sh^tfU güllhom eine reichliche ®abe au uns ergoffen," fo h*tgt 
eS bei ©ettina a* ©•: „Auch gegern wieber, liebes $era, h°t fich au« 
Deinem güUhorn n. f. w." ©ine atterliebge ©eatbeituitg ig bte beS 
©riefeS Oom 4. SRat 1808. Da bittet 93ettina auerft folgenben An* 
fang hittau: 

„Du aümg auf mich, ba mug ich benn gleich au ftreua (riechen unb 
Dir recht geben, bag Du mir ben ^rogeg machft über meine (utaen, 
(alten ©tiefe, ba hoch Deine lieben ©riefe, Dein lieb ©efeu, (ura nlleS 
was oon Dir auSgeht, mit ber fünften Aner(ennung mügte belohnt 
werben. 3<h bin Dir immer nah, baS glaube fe|t, unb bag es mtr 
wohler thut, je länger ich deiner ßiebe gewig fein werbe, ©tgem 
fehiefte ich meiner ©lütter ein deines ©lättchen für Dich; Ttimm’S alS 
ein baareS Aequtoalent für baS, was ich anberS auSaufprechen in mit 
fein Dolent fühle; fege au, wie Du Dir’S aneignen (anng. ßeb toogl, 
fegreib mir barb, aüeS WaS Du wißft. ©oethe." 

©tm aßett bitfen ^etalichteiten weig ©oetge (ein ©ott. Dagegen 


fchreibt et am Schluffe: 

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Nr. 40. 


JH e 


22a 


,,29(iin iit latitfert $nt Wnfje btit r fo foü et (nämlich Athim 
fron Arnim) non mir työren. 3hwr wirb oft, befonberS neuerlich bet 
ben frönen ©rannten öfters bantbar gebadet, unb trenn ich allein bin 
wirb mir ein ©rief non 3$nen in EarlSbab bei ben breq SRofjren ein 
midtommener ©efudh fepn. Erzählen ©ie mir ja recht niel bon 3h re n 
Steifen, ßanbparthien, alten unb neuen ©efipungen unb erhalten ©ie 
mir ein freunblidjeS Anbeuten. ©." 

daraus macht fid) ©ettina golgcnbeS: 

„Atom ich in EarlSbab jur 8tuh bin, jo fottft Du oon mir hören. 
Deine ©tiefe toanbern mit mir. Schreib mir ja recht niel non 
Deinen Steifen, Sanbparthien, alten unb neuen ©e(i$ungen. DaS lefe 
ich nun fo gern/' 

Am fomifchßen ift bie Umarbcitnng beS ©rtefeS oom 5. gebruar 
1810, bie man in b*m goeper’ßhett ©udje felbft nacfßefen mag. üoeper 
tljeilt ^ier baS Original unb bie ©earbeitung wörtlich mit. 

* 

(SS mag ljier gleich bie Stotij angefügt werben, baß in ©ariS bei 
Vcnhette & (So. eine ©tubie über ©oetljeS Iprißhe Dichtungen: „£tude 
sur les podsies lyriques de Goethe“ non Ernß £id)tenberger erfd)ieneri 
ift, auf bie wir motjl gelegentlich noch jurücftommen werben. 

* 

* * 

Jur jÄolieretiteratur. 

Die ©Jolifcreliteratur bat in ber lepten 3cit in granfreich wie auch 
in Deutfdjlanb febr wertljoolle ©ereicberungen erfahren. AIS eine ber 
öerbienßlid&ßen Arbeiten auf biefem ©ebiete möchte ich bie Verausgabe 
„Shtögetnäblter ßuftjpiele oon ©toliere" non grttfche> Dicector ber 
griebritb^ttitbelmSsSiealfchule zu ©rünberg in Schießen, bezeichnen (©er= 
lin» »eümiann’fche ©trchbanblung). gritfche hat fich ßhon burch VerauS^ 
gäbe eines ©iolifcrelejifonS nerbient gemacht. Die ©ioliere’jchen Öuft= 
fpiele, welche non gritfche mit Einleitungen unb Anmerfungen oerfehen 
fcwtbeu finb, finb „Le bourgeois gentilhomme“, „Les pr^cieuses ridi- 
eiÄes“ unb „Les föcheux“. Der Herausgeber beherrfcht baS ungeheure 
Wnterial, baS fich allmählich angefammelt hat, wie eS fcheint, boHfom= 
men. Die einleitenben Eßnql finb mit großer ©acßfenntniß geschrieben 
«A bringen alles SBißenSmerthe, ohne weitfchweifig zu werben, ©et 
befi novgüglichen ©toliereauSgaben, bie neuerbingS in granfreich oer= 
öffentlicht worben finb — in jüitgfter geit namentlich oon ©ßolanb unb 
böü ben ©eiehrten, bic unter Abolj Bicgitter „Les grands Scrivains de 
la France“ cbiren—, läßt fich SfteueS unb UeberrafdjenbeS über biejen 
Dühter füglich nicht mehr fagett. geben auf Poliere birect ober aud) 
tiAirect irgenbwie bezügliche ©apierjchnißel, ben man in ben ©ibliothe* 
!*; in ben ArchiOen, ben ©otariatsßuben, ben ©actifteien oorgefunben 
t|<Ä, haben bie.©ioliere*©elehrten, bie in granfreich eine eigene ©emeinbe 
Mfbeit, fcenufet, beleuchtet, burch gacfimile oeroielfältigt, fo baß fich ber 
bebtßhe ©eiehrte, ber fich nun mit ©ioliere befchäftigt, barauf zu be= 
fdjtänlen hat, aus bem überreichen ©iaterial nur baSjenige auszuwählen, 
baS wtrflich mefentlich iß. DieS hat gritfchc mit großem ©efdhmacf unb 
mit großer ttmßcht gethan. ©efonberS oerbieuftlich finb bie zahlreichen 
Anmerfungen — eS finb beren z- ©. für „Le bourgeois gentilhomme“ 
485 — mit benen gritfchc ben Xejt begleitet hat. 1 Diefe finb natürlich 
borwiegenb fptachltcheT, grhmmatifchcr ©atur unb mit befonberet 9tiicf= 
ßdß auf ben beutfchen ßefer abgefaßt. Diefe Ausgabe ift aljo bem 
beutfchen üefer, ber fich mühelos bie Dichtung beS größten franzöfifdjen 
©oeten z« eigen mäthen Will, Warm zu empfehlen. 

©ehr Ähnlich ift bte Verausgabe öon ggoi^reS Söerfen mit beutfchen 
Kommentaren, Einleitungen unb ©^curfen, herausgegeben oon ftbolf 
fiaitn (Leipzig, OStar deiner). Die 9lnmertungen finb tnbeffen fyzx 
biel ftiitlicher; bagegen wirb Saun mit ber Seit ©toliereS fämmtliche 
teerte herünSgeben, »ährenb eS fich Sritjdje mit einer Auswahl ge= 
nügen laßt. 

SRit befottberer Auszeichnung ift bie fehr ftoffreiche comptlatorifche 
Arbeit „dotiere unb feine ©filjne" oon Dr. Veinrich ©chweiper 
Zu nettnen (ßcipzig^ in ©omtftiffiott bei Dheobor XhomaS. 1. Veft: 
©iogcaphifdjeS)* DiejeS erfte ^eft umfaßt eine 105 ©eiten lange Ein¬ 
leitung, welche fich mit ber allgemeincit ©ürbigung SRoli^reS befaßt, 
unb bcu erften Abfchnitt ber ©iographie (42 ©eiten, Poliere im ©Itents 
häufe unb in ber ©df)ule 1622 bis 1641). Der ©erfaffer, ber lange 
Seit in granfreich gelebt, hat bort 3ahre lang alles auf foltere be¬ 
zügliche Dtaterial zufammengetragen, befjen ©earbeitung er nunmehr in 


| fthort üorgerücftem Lebensalter unternimmt. Das ©uch z^Ö* ri |ie feltene 
©elefenheit. Die Einleitung recapitulirt nahezu alle SRefultate ber SRo* 
Iiereforfchuttg. giir benjeuigen, ber fich mit biefem Dichter felbft z«m* 
lieh eiitgeheub bejehäftigt hat, wirb eS alletbingS mit ber Seit langweilig, 
I immer unb immer mieber benfelben ©itaten z u begegnen; aber baS ift 
eben ein nnüerweibliches Uebel unb jebenfallS ift h' cr anzuerfennen, baß 
Veinrich ©chweiper nichts Nichtiges oergeffen unb auch nichts Ueber* 
flüjfigeS erwähnt hat. ©S iß eine reife, fchr oerbienftliche wiffenfehaft* 
liehe Arbeit. 

Die bemerfenSWertheße ©ublication auf biefem ©ebicte iß bie feit 
* April biejeS 3 a h*eS erßheinenbe 9teoue „Le Moli&nste“, bie oom 
Archtoar beS Th<&tre Fran9ais T ©eorge SRonOal (^artS 1879, Dreffe) 
rebigirt wirb. „Le Molieriste“ bringt nur aufSRoliere bezügliches ©Material, 
©eine ©auptaufgabe iß, alle ©tolierequeHen zu bereinigen, ©Material für 
bie ©ammler, ©ibUographen, ©eiehrten ic. zu bejehaßen, alfo wichtige 
[ Actenftüdfe, bie fdjwer zugänglich finb, z« reprobuciren, Auffdjlüffe über 
! noch bnnfel gebliebene ©unfte im ßeben ©toliereS unb ber ©einigen Zu 
i geben, unb enblid) eine El^ronif ber ©toliereliteratnr in granfreich 
unb im AuSIanbe zu bringen. Die üorltegenben fechS $efle, bie nebenbei 
mit echt franzöfifchem ©efehmaef oortreffUch auSgeßattet ßnb — auf 
I ©ütteupapier in ©Ijebirlettern gebrneft — enthalten fchon eine ganze 
SReihe belangreicher ©eiträge unb ßeHen ben SBerth biefer ©erößent» 
licßungen für alle greunbe beS großen Dichters außer grüge. ©ieHetcht 
wirb eS ben burch biefe Sritfdjrift immer wieber ängefpotnten ©e= 
j mühungen gelingen, enblich einmal einige 8 e Ücn Oon ©ioli&reS Vau^ 

I aufzußöbern; beim irgenbwo wirb ßch hoch noch eine ober anbere 
! eigenhänbige ©dhrißßücf beS großen Dichters, baS fich bis jeßt hürt* 

; nätfig ben Aachforf^ungen entzogen hat, odrtramt haben unb aufgefunben 
werben, ©tan weiß, baß twn ©toliere, ber mit ben intereßanteßen 
©tännern unb grauen feiner 3^1. mit ©otleau, Safontaiite, Ehapeß«/ 
ßamoignoit, fttnon be SeucleS ic. in regem ©erfehr geßanben, bet tn 
(einer Eigenfchaft als Dapezierer, ^ammerbiener unb Vofßhaufpielet in 
jahrelangem, ununterbrochenem ©erfehr mit bem §ofe, ben Vafbeamten, 
ben Zünftlern geßanben hat, oon bem alfo anznnehmeu iß, baß er eine 
Ziemlich ftarfe (Sottefponbeuz geführt haben muß — man weiß, baß üort 
Poliere nicht zwei z u fantmenhängeube Seilen eines ©riefeS, nicht ein 
^ort eines feiner Zahlreichen ©tücfe in ber Vanbfchrift erhalten ßnb. 
Die paar Unterfchrifteh, bie man befifet, hat man in alten Actenßücfert, 

' in ben Kirchenbüchern unb EioilßanbSregißem aufgefnnben. 

Auf bie unoerbtoßeite 9tachforfchung nach Autographen Oon ©toli^re 
hat neuerbingS §. ©toulin in feiner ©djrift: „Moli^re et les registres 
de l’c?tat civile“ (^pariS, ©haeaOap fröreS) nachbrücflich h^ugewiefen. 

©on fonßtgen bemerftnSwerthen drfcheinungen ber ©toliöreliteratur 
in granfreich feien tp er *urz bie betben folgenben ermähnt: „Les 
, com^diennes de Möli^re par Ar9t»ne Honssaye“ (©ariS 1879, Dentu), 

; unb „Moli&re en Provihce“ oon ©enjamiti ©ißeau (©ariS 1879, 
ßeon SBillem). Die Xitel laßen ben 3«halt biefer ©chtiften genügenb 
erfennen. 3n ber ©chriß über bie ©ebaufpieierinnen ©toli^reS finb bie 
im ßiehtbruef reprobucirten ©orträtS berfelbeii enthalten, bie h^* snm 
erften ©tale oerößentlicht Werben. p. f. 

* 

* * 

©erichtigung. 3n bem Auffafce Oon ©eorg ©üchmann in 
I 9tr. 39 muß eS ©eite 208, ©palte 1, 3*ik 22 unb 23 oon unten an« 
fiatt „unb (ich $u bauernber ©titljülfe bewegen ließ" feigen: „unb ließ 
j fich i u bauernber ©Uthülfe bewegen". 


Bibliographie. 

Eancionero. ©panifche ©cbichte. Ueberj. o. ©bm. Dorer. 3. (VIU, 
192 ©.) Leipzig, X. t). Weigel. 1.50; geb. m. ©olbfehn. 2.50. 
©tern, Abf., auS bunftert Xagen. Ein Aooefleubuch. 8. (810 ©.) 

ßeipjig, ©djlide. ö. —; geb. 6. 50. 

©tieler, Karl, Vochlanb=i*ieber. 8. (XI, 204 ©.) Stuttgart, ©ftper & 
Seiler. 3.60; geb. 5.— 

©temorien b. ©articularißen ©liemchen auS DreSben. ©iit (etngebr.) 
geberzeichngn. o. 0. EaoeHi. 8. (IV, 84 ©.) Seipgig, ©lafer & 
©arte. l. — 

Alertheimer, 3*>(- Kubocia. ViftorifcheS Drama in 5 Acten. 8- 
(XI, 92 ©.) äüien, 9toSner. 2. — 


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224 


Ute Oegenacrt 


Nr. 40 . 


^ttferäte. 


gm Verlage ber ©emcrbcbu^anbtuug Don 
fteinßolb ku|u, »er(in W., ßeipzigerfiraße 14, 
erßheint bemnächß uub iß burcf) alle »uchhanb= 
langen ju beließen: 

frormularbn^ 

ju ben 

iratfdjra ]ltt](^nlnuip. 

güt ben ©ebtaud) 

ber ©ericfyte unb ©taatSanwaltfdiaften. 

Stuf amtlidje Seranlaflung 1) er «■•gegeben 
oon 

^eltr ^ietfatts, 

ÄretirtAtec, 5. 8 $ftlf*ürbeiter im Äoniglid) 
^reufjtfdje« dufti^minifierium. 

Ungefähr 20 »ogeit umfaffettb in ©r.=ße£. 8 . 
$ret3 5 oK 

Auf Anregung beS königlich *Preußtfchen 
guftijminißeriumS fitib burch eine gemeinfdjaftliche 
kommifßon beffelben unb be« kaiserlichen föetd^ 
jußizamtS oon ber Unterzeichneten »erlagt 
hanblung oorgelegte entwürfe oon Formularen 
ju ben Deutf eben Sßrozeßorbnungen einer amtlichen 
Prüfung unb Feftftettung unterzogen worben. 
DaS oorßehenbe, auf Anregung ber erwähnten 
kommiffion burch ein SJtitglieb ber[elben bear= 
beitete äBert, welche« bie fümmtlic^en feßgeßellten 
Formulare in probeweifer Ausfüllung burd) 
SJhißerbeijpiele nebß Anmerfungen über bie Art 
ihrer »erwenbung enthält, wirb nicht nur ben 
jur Anwenbung jener Formulare bmifenen 
Fuftizbeamten ein wefentlidjeS ^ülfSmittel bei 
ihrem ©ebrauche fein, fonbern überhaupt einen 
»eitrag znr »eranßhaulichung beS neuen $rozeß= 
ganges liefern. 


Heut <Er?äjjlwtgen oott jjfans Hopfen. 

©oeben erje^ien in unferm »erläge: 

|it |cfd|idjt;a te lnjacs 

oon 

«f&aits ^opfeit. 

3 n h a 11: „ Der oerlorene kametab", 
„©cpabernacls SBette", „FlinferlS ©lüd 
unb ©nbe". 

©in »anb in 8. 294 ©eiten. 3n ©c^wa- 
bacher Drud mit 3ierleißen unb ©chluß= 
oignetten. ©eheftet 6 JC, eleg. geb. 6 JC 

©d)on nad) bem ©rßhetnen feiner 
„»aprifdjen 3>orfae^d^id^ten" begrüßte bie 
„SRorbb. Alig. 3tg." $an3 $opfen „als 
ben SJteifter unter ben jefct lebenben ©r= 
Zätßern". »on ben tjicx oorliegenben brei 
<$efd)idjtenrühmt »aul ßinbau in 9tr. 37 
ber „©egenwart'': „baß fie z« ben ge- 
lungenßen unb liebenSwürbigßen ©oben 
beS ausgezeichneten ©rz&hk** gehören". 
Den 9tooetten ooran geht eine Ibrifche 
SBibmung an bie oerßorbene Frau beS 
»erfaffer«, ein meißerhafteS ©ebicht, baS 
bei feinem opr kurzem erfolgten Abbrutf 
in ber „©egenwart" allgemeines Aufjehen 
erregte. ©0 zeigt baS Such §an3 $opfen 
als Spuler unb SRooeÜißen nach )einem 
beßen können unb wirb in feiner ©igen* 
thümlichfeit unb Frifch^ bem beliebten 
Autor zu ben alten Freunben oiele neue 
erwerben. SBir übergeben eS getroß bem 
Urtheil beS $ublitum$. 

»erlin W., Unter ben ßinben 21. 

%. ©(ßneiber & © 0 . 
königliche §ofbuchhanblung. 


gtfftartism, JlrrCi», N.W., Ätonjjringenufer 4. 



Verlag von Richter & Kappler in Stuttgart, 

von uiumMtilB Helm Schnei erblüht. 

Preis geh. 2 JC, geb. in Originalband mit Goldschnitt 3 JC 

Zn beziehen dnreh alle Bnchhandlnngen des In- nnd Anslandes, wie direct 
von der Verlagshandlnng. 



2>ie »üße beS 

Getutes 

oon i§xaxxtete&, 

neueste Sluögrabung au§ Dltjntpia, 

in ber Originalgröße (mit »üßenfuß 80cm^oäJ}T 
SreiS oon ©Ifenbeinmaffe 48 JC, SreiS oon ©pp$ 24 JC, 
kiße unb ©mballage a 5 JC : ' i 1 ' 

»erdeincrungen (3ttafchinen - ©opieen): 

50 cm hoch a 24 Je oon ©Ifenbeinmaffe, kiße 2 JC 60 A, 
32 cm hoch a 10 JC. oon ©Ifenbeinmafje, kiße 1 JC 26 %, 
2lcm hoch a 7 JC oon ©Ifenbeinmaffe, kiße 60 A, 
fchwarz pol. £>otzfocfel a 6 JC, 2 JC 50 X unb 2 JC 
©onfolen ßnb jn jeber ©röße borrät|ig. 

fehhiiiu Stiißeii, 

»erlin. Unter ben Sinbetr !t±. 
»ollftönbige iHußr. SreiSoerzeichniffe ber ©iegerei grirtte. 


^ie ©artenlattBe 

1 Start 60 Sf- 

bringt im öierten Quartal aujjer ber Sortierung ber ffiriminalnoBelle „Jlns »er¬ 
gebenen ^doi“ öon i^mis fllunt, bte bereit« angefünbigten Sloöetten 

Bon fi. ®lj. St^ulij — „j£er0eiratl)rt“ oon HJilK, 

jowie einige fletnere ©rzählungen, barunter eine anmuthige ©fi^e „'gLnta’m $<ßfo(| Ä4 
oon UH. fleimburg, ber »erfafferin ber mit fo oielem »etfaH aufgenommenen $ooelie 
„ßumpenmüller’S ßieSchen". hieran werben fich eine SReihe oott Artifelit aus bem 
ßeben ber 3^1/ fowie ^a^Ireic^e unterhaltenbe Aufföge aller Art fließen. 

3)ie »erlagshanblung oon ©ruß keil in £eipgig. 

Alle Soßümter unb »uchhonblungen nehmen »eßellungen an. 


3n bem »erläge oon Ab« öonj & ©omp. in 
©tnttgart iß joeben erfchienen unb burch alle 
»uchhonblungen zu beziehen: 

gtolteiiuinleii unb ffftterfflgen 

au§ germonifd^er 95 0 r ; e i t 
©pifche Dichtungen oon ©mit ©agtlmaun« 
SRit einem aHegorifchen Xitelbilb. 

II. 8. geheßet 2 JC 40 A; elegant cart. 
mit ©olbfdjnitt 3 JC 

^icr ütäMpenfefen 

ober 2)eutjt^ unb SmcrUanifd). 
©rjäblung für Deutfc^lanb« Xöc^ter 
oon (Emmti Cabbrg. 
ft. 8. ge^. 3 JC\ eleg. geb. in Seintob. 4 M. 

fnt^arina. 

Vornan oon Jtttgnft ^timann. 

fl. 8. geheftet 4 JC 


Durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


und seine Bühne. 

Moliere -Museum. 
Sammelwerk 

zur Förderung d. Studiums in Deutschland 

unter Mitwirkung 

der Herren Humbert (Claas), Oberlehrer 
am Gymnasium zu Bielefeld, Lauu (Adolf), 
Professor in Oldenburg u. Fritsche, Real¬ 
schuldirektor in Grüneberg, 
in zwanglosen Heften herausgegeben von 

Dr. Heinrich Schweitzer, 

früher in Paris, z. Z. in Wiesbaden. 

l. Heft. Biographisches. 

Auf Grund eigener Quellenforschung 
vom Herausgeber. 

10 Bogen, gr. 8. Preis 3 JC 
Leipzig. Theodor Thomas. 


Ü&r bie ftebociüm üer<uittoortil<$: $e#rg Stifte i 
Duuf oon »• %emftter in ^ Wflifi. 


in »erft*. 


fsyebiti#«, Hertt« W., Ihicfficftenftiabe 73. 


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sinn«, kn II. «ct.t« 187». 


Band XVI. 


M 41 . 



äßodjenfdjrift für 


<!3cgcmunit 

fiiteratur, Äunft unb öffentliches 


fieben. 


Herausgeber: ^fattf c&ttbdU in Berlin. 


?t)t« Santa* ttf^einf rat lumm«. Anleger: ©corfl Steife in Berlin. f«» P* 4 I«* 50 W 

flu BffttelKn burdj alle ©uctbanblimgen unb $oftanftalten. Onjeratc jeher Strt pro Sgefpaftcue <Betit$eile 40 


@Iat>ijdje äBedtfelnurhuigen. $oit ft. — $ie 2Bef)rfraft StaüenS. ®oit Velatus. — Literatur mtH Httnfl: ßutunftjdjule. 33on 
ftttfwtff* 3*>^anite^ 6d)err. -- 2>ranmor. $on 3- 3 - $oitegger. — Qft ber s }kffimt3mu£ fc^äblic^ ? 2$on (Sbuarb öon ipartmann. 

(6djlu|.) — $ie intcritationale ftuuftauSftettung ju Sftüncfjcn 1879. SBon ©uftao ftloerfe. VI. — ÄH0 ber £au|)tflabt: Sttufita* 
lifdjeS au3 Setlin. $on $. Ärigar. — Bibliographie. — 3ftferate. 


Slümftye H)edffeln>irkititi}en. 

Die lebten Hefte ber oon 2R. StaPulewitfdj in ©t. ©eterS: 
bürg IjrrauSgegebenen URonatSfehrift „Wefetnif Bcwropt)" 
(2)er europätfd^e Bote, 14. Jahrgang) üeröffenttichen eine ©eif)e 
intereffanter Stubien „über ben ©anßaoiSmuS in ber Siteratur" 
auS ber gebet beS HiftoriferS 9t. ©ppin, eines im Sauf ber 
gatjre üom ©abicaliSmuS ju gemäßigt liberalen, wenn auch 
bemofratifch gefärbten Anfdjauungen belehrten rufpfchen Schrift: 
peßerö. ®ie Partei, Welche Herrn ©ppinS AuSgangSpunft 
bitbete, fah für eine ihrer Hauptaufgaben an, bie Senbenjen 
ber ftreng:nationaten unb fitchlid^conferoatiOen ©laoophilen unb 
beren Abneigung gegen bie wepeuropäifdie ©ilbmtg ju befämpfen 
unb ber ßReinung Eingang ju oerfchaffen, ©uplanb werbe feine 
inneren unb äuperen Aufgaben erft ju löfen im ©tanbe fein, 
Wenn eS mit bem ©hzantiniSmuS unb ber nationalen AuSfdpiep: 
lidlfeit gebrochen unb fich in einen europäifd) liberalen Staat 
berwanbelt höbe. ©on biefem ©tanbpunfte aus finb auch bie 
in Siebe ftehenben ©ppin’fcijen Abhanblungen über ben ,,©an= 
ftaoiSmuS in ber Siteratur" ober (um wörtlich ju überfe|en) 
«über ben titerarifchen ©anflaoiSmuS" gefchrieben. 2)en ©runb: 
gebanfen biefet AuSeinanberfehungen bitbet ber an ben Schluß 
berfetben gerüefte fotgenbe ©ah: „2)ie HauptOorauSfe|ungen ber 
Herfteßung einet flaoifchen Einheit finb: Anerfemtung beS 
©edps ber einjelnen Stämme unb ©erzieht barauf, biefe @in= 
heit auf gewattfamem, politiphem ober autoritärem Wege, über: 
haupt anberS als butch Erhöhung beS flaoifchen ©ilbungS:, 
ffliffenfchaftS: unb ©ulturniöeauS herzufteßen. ©o lange bie 
Siffenfchaft bei uns (b. h- in ©uplanb) nicht )u ihrem ooßen 
Siebte gelangt ift, fo lange es bei uns feine Bnitiatioe ber @e= 
feflfchaft gibt unb fo lange bas richtige ©erpänbnip ber ©olfS= 
intereffen nicht ju einer realen 9Rad)t geworben ift, wirb aßeS 
®erebe oon flabtpher (Einheit unb oon einer aßgemein flaoifchen 
(= ruffifchen) Sprache blopeS ©erebe unb blope ©hantape 
bleiben." • 

23ie.©idjtigfeit biefer ©ä|e mag auf pd) beruhen; thatfä.d): 
lieh wieberholen biefetben nur, was oon hunbert oerfdjiebenen 
Seiten, aßtägtich in ©uplanb gefagt Wirb, — bap biefer ©taat 
oon ben geffeln beS AbfolutiSmuS befreit werben rnüfie, um 
feine SRifpon erfüßen ju fönnen. Wer nehmen baoon nur Stet, 
um ©ppinS Stanbpuntt ju bezeichnen unb mertben uns fofort 
bem intereffanteften unb tehrreichften Xfytile feinet ülbhanbtung, 
nämlich bem 9la<hweife bafiir ju, bap tro| ber lebhaften poti: 
tifchen fßropaganba, bie währenb' beS testen gahrjehnts in 
btu auperrufpfchen ©taoenlänbem getrieben worben, bie wirf: 


liehe Annäherung berfelben an fRuplanb, b. h- bie ©efanntfehaft 
mit tuffifeper Sprache, Siteratur unb SolfSart, eben fo wenig 
gortfehritte gemalt ^at. Wie bie rufftfdje ^enntnip beS ©ttb= 
unb SBeftflaoenthumS. „23er SRuPe," fo helfet eS a. a. D., „ber 
flaoifche Beitungen unb Journale mit einiget Aufmerffamfeit 
ftubirt, wirb pch beS SinbrucfS nicht erwehren fönnen, bafe unfere 
flaoifchen ©rüber über baS, WaS bei unS Oorgeht, nur höchft 
mangelhap unterrichtet finb. Ueber unfere innere ©olitif urtheilen 
pe in ber Siegel nach ben Schablonen beutfdjet 3eitungen, — 
bie fRamen unferer heroorragenbften ©chriftftefler unb 23ichter 
finb ihnen faum befannt" 23iefe Behauptung Wirb bann mit 
einer Anjaf)l bemerfenSwerther ©eifpiele belegt unb u. A. be= 
richtet, in ber gefammten tfchechifdjen ©reffe habe ÜRiemanb anju= 
geben oermocht, ob eS eine Sammlung ber SEBerfe IRefraPowS (beS im 
oorigen Bahre oerftorbenen berühmteften neueren rufpfChen Iprifchen 
unb potitifchen 23i^ter3) gebe unb welche lenbenjen eigentlich Oon 
Saltpfow (bem unter bem ©amen ©djtfchabrin berühmt geworbenen, 
butch Ueberfehungen auch in 2)eutfchlanb befannten Sattjrifer) 
oerfolgt Werben, ©efannt fei „ben flaoifchen ©rübern" oon aßen 
ruffifchen 23icptern ber ©egenwart eigentlich nur lurgenjew, 
„biefen aber fennen bie 2)eutfchen, granjofen unb ©nglänber 
ebenfo gut". Sn feiner flaoifchen Sprache (fo fährt Herr ©hpin 
fort) gibt eS ©üdjet über ©ufefanb, bie auch nur entfernt mit 
ben Schriften ßRacfenjte -- SBaßaceS, Hafth au f en ®/ Serop:©eau: 
lieuS ober ©ambaubs oerglichen werben fönnten — oon bem 
Beginn beS ©rwadjenS flaoifdjer ©ationalbeftrebungen bis heute, 
hat fein einziger ©üb: ober SBeftftaoe ©uplanb z« bereifen unb 
feinen SanbSleuten eine würbige ©efdjteibung biefeS SanbeS unb 
©olfeS z« liefern oerfucht (®aS einzige aflenfaßs hierher ge* 
hörige SBerf, baS unter bem ©feubonpm „ffieleftin" im 3ahre 1875 
ZU Saibach erfchienene, übrigens höchft mittelmäpige Sud) „Stufe: 
lanb feit Aufhebung ber Seibeigenfehaft", ip in beutfeher Spraye 
gefchrieben unb oermuthlidj auS biefem ©runbe Herrn ©ppin 
unbefannt geblieben.) — 23iefelbe weftflaOifdhe llnbefanntfchaft 
mit rufPfchen Bupänben unb SRenfchen bocumentirt pch — nach 
beS BerfafferS SReinung — bei aßetn perfönlicpen Berührungen 
ZWifdjen „unS unb unfern ©rübern". —• ©iner ber eifrigften 
Wortführer ber panflaoiffifchen ©artei in ©ufelanb, ©.'SamanSfi, 
fehrieb üor einigen Bahren über biefen ©unft baS gotgenbe: 
„Auf meinen Steifen in flaoifchen Sänbern ift mir immer wieber 
aufgefaflen, Wie wenig auch bie ©ebilbeten unter ben 9Bep= unb 
Sübfiaoen Oon uns wifeen, — ob pe unS ©ufeen gleich lieben 
unb ftetS mit auperorbenttidjer greunblicpfeit aufnehmen. 3« 
ben flaüifch:öpreichifchen Sänberu pnb mir Oon ©ertretern ber 
fogenannten Bnteßtgenz wahrhaft unglaubliche gragen oor: 
gelegt worben: „©erhatibeln ©ure ©erichte unb ©erwaltungS: 


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I 







226 


9ir fttnrnt t. 


Nr. 4L 


bearbeit in fraitjöfifcßcr ober in beutfcßer «Spraye? 583erben 
an Suren Unioerfi täten bie Vorträge ruffifcß gehalten? ©ißt 
eS außer bent „$enj" (einer im 3 a ß*e 1861 non 3wan Affafow 
begrünbeten, feit Dielen Sohren untergegongenen ttocßenfcßrift) 
noch ctnbere Sournote?" Die eigentlichen ©eleßrten unb bie 
Sournotiften waren natürlich ju öorfic^ttg, um burcß fo um 
gefcßidte fragen ihre Unwiffenßeit p oerratßen, biefe Unroiffen= 
heit War inbeffen auch bei ihnen eine fo große, baß fieß behaupten 
läßt, über Buftänbe feiner Heimat werbe ber gebitbete fRuffe 
fieß nicht nur mit Deutfcßen, fonbern auch mit Snglänbern unb 
Sranjofen gewößnticß feßr öiel beffet auSfprecßen Jönnen als mit 
flaoifcßen Vrübern, benen Alles ab ovo erflärt werben muß.... 
S8 iß überhaupt nicht p leugnen (fo fagt berfetbe ftaoijche 
Jyanatiteri, baß ruffifeße ©oefie unb Siteratur oon gebitbeten 
Deutfdfen mehr gelaunt unb gefcßäßt werben, als oon ben 
öftreicßifdjen ©laben, bie freilich nuch über beutfdje, fronjöfifcße 
unb englifche Siteratur h^lid) fr^let^t unb gewöhnlich fehl echter, 
als wir Wuffen, unterrichtet p fein pflegen; felbft bie ßetoors 
ragenbften ihrer ©eiehrten lernten VaftßaufenS, VlafiuS’ unb 
VobenftebtS beutfdje ©iießer über fRußlanb gewöhnlich nur bem 
Namen nach- Die Ifcßecßen lefen biefe ©aeßen nicht, weil fie 
fRußlanb „beffer p tennen" glauben, als bie Deutfcßen — 
ruffifche ©üeßer lefen fie Wieberum nicht, weil fie unfere Siteratur 
für arm unb tief unter bet tfcßedjifcßen ftehenb holten. Die 
große SRaffe in bie tfeßccßifeßen fDhtfeen entfenbeter ruffifchet 
©üeßer liegt barum gewöhnlich jerriffen unb unaufgefchnitten 
umher." 

Naeß ©ßpinö SWeinung ift au biefeit Verßältniffen auch 
burch bie X^ätigfeit ber in ben lebten Saß«« fo biel genannten 
©labencomiteS SBefentlicßeS nicht geänbert Worben. Sr gefleht 
offen ein, baß bie Siteratur ber außerruffifeßen ©laoenftämme 
p unbebeutenb fei, um in fRußlanb eine mirfließ (ebenbige Dßeil; 
naßme erregen unb auch nur neben ben Siteraturen ber romani* 
feßen unb germanifeßen Sultutoöller beaeßtet werben p lönnen. 
Dap fomnten noeß anbere Umftänbc: ein großer Xßeil ber weft= 
flaoifcßen Siteratur ift in fRußlanb birect oerboten, ein anberer 
wirb ungern gefeßen unb gelangt auS biefem ©runbe nur auS* 
naßmSWeife unb in einer geringen Boßl oon Sjemplaren über 
bie ruffifeße ©renje. Das Srftere war mit ber gefammten polni- 
feßen SmigrationSliteratur unb toiele Sflßre lang mit ben St= 
jeugniffen ber bulgariftßen ©cßriftftefler ber ff aß, baS Seßtere 
mit gewiffen ruffifeß:galijifeßen ©ußlicationen, ja felbft mit bem 
(in panflaoifttfcßer Abfießt) gu SBien ßerauSgegebenen „©laoifeßen 
Almanacß oon 1879", ber nie oollftänbig naeß fRußlanb gelangt 
ift. — 33ir fügen pr Srläuterung biefer anfeßetnenb unbegreif: 
ließen Dßatfadje baS ffolgenbe ßtnp: Sin Dßeil ber galtjifcßen 
fRutßenen bebient fieß ber fleinrufftcßen ©praeße unb oerfteßt (im 
©egenfaß ju ber großrufftfeßen Partei ber bureß baS Semberget 
Slatt „©lowo" oertretenen ©wentojurjen)*) bie Sntereffen Heim 
ruffifeßer ©praeße unb Sigentßümlicßftit. Das Äleinruffentßum 
(Ulrainopßilentßum) — beffen eigentlicher ©iß Äiew ift — War 
aber oieie 3 Q h re lang als „feparatiftifeße" unb nebenbei polen: 
freunblicße fRicßtung in ben ©eterSburger StegicriingSfretfcn fo 
ängftlicß gefürchtet unb Don ber bamalS allmächtigen „SRoSfauet 
Leitung" fo heftig angefeinbet, baß fleinrufßfcße ©üeßer in 9tuß= 
lanb nießt gebrudt unb nießt oerbreitet werben burften unb baß ber 
Vauptoertretcr biefer Siteratur, ber Nooeüift 2Rarlo SBowtfdßef, 
förmliche Verfolgungen p erbulbeit ßatte. — Aeßnließe ©eforg= 
niffe fcßloffen wieberum ruffifeße ©üeßer unb Bungen auS ben 
Weftflaoifcßen Sänbern aus. ©o würbe j. ©. noeß vor Wenigen 
Saßren in ©eigrab bie Verbreitung ruffifeßer ©praeße unb Site; 
ratur erftßwert unb jwar auSVetaftlaffung beS bawftligen 
ruffifeßen Sonfuls ©Shifchftot, beerb« fiftf l'itßenfRini^tr 
barauf aufmertfom gemncßit ßattie, baiß ian'f fodtße Vivife 
nißiliftifcßc ftbeen ©«bepn impcÄtirt «Ptben 

*) ffroßruffifd) gefinme Siuthenenpartei in ^olijien wrb naeß 
ber al« Wittelpunlt bet bealiglicßen «giCaticm wigefeßenen, bem 'heiligen 
Oeorg (ruiiiicß: ftnntoi 3nrt), pohtifcß: fwenti Snti'i geweißten grietßifcß 
unirten .^ouptfireße Semberg# fo' genannt. 


fönnten.*) „®a außerbem bie Strenge beS ferbifdjen ^Jreß: 
gefeßeS bafüt forgt, baß bie cinheimifdßen (ferbifeßen) ©lätter 
fieß nießt frei bewegen unb auf einen grünen 8weig foramen tönnett, 

! fo ftellt fieß oon Soßr ju Saßt beutlicßer ßerauS, baß für beu 
! gebilbeten 5£ßeil beS. ferbifeßen Volts Weber baS ruffifche, noeß 
j baS etnßeimtfcße, fonbern baS beutfcßwftreicßifcße ©reßwefen bie 
entfeßeibenbe Wolle fpielt." — fteßnlidj foll eS wäßrenb beS 
Krieges mit ben Wujfen in ©ulgorien jugegangen fein, wo bie* 

: felben beftänbig na^ „auSlänbifcßen Seitungen" oerlangten, wäß= 
renb bie im öefiß einer freien unb barum leiftungSfäßigen fßreffe 
befinbtidßen Wumänen faft auSfcßließlicß bie ©lätter ißreS SanbeS 
unb ißrer ©praeße lafen. — 3ei9*K bie {Ruffeu felbft fieß ißrer 
©reffe gegenüber fo gleichgültig, fo ift freiließ nießt ju Der= 

1 wunbern, wenn bie übrigen ©laoen ben ©eterSburger unb 
SDtoSfauer ©reßei^eugniffen wenig ©efeßmad abgewinnen unb 
Wenn bie ©ölen biefe Srjeugniffe förmlich fließen. ®aS in SBarfcßau 
erfeßeinenbe officieße ruffif^e Statt jäßlt (naeß bem S^ugniß beS 
fRowoje SBremä) 200, fage jweißunbert Abonnenten unb biefe 
finb jumeift 3wangSabonnenten. — SEBie eS in fRußlanb felbft um 
bie ftenntniß ber übrigen flaoifcßen Sbiome befteßt ift, geßt aus 
naeßfteßenber Ißatfacße ßerbor: Sine mit reicßlicßen ©elbmitteln 
auSgeftattete ßRoStauer ©efeflfcßaft Don Siteraturfreunben befeßloß 
im Dorigen Sflßw bie Verausgabe einer SRonatSfcßrift, welcße 
fi^ auSfcßließlicß mit flaoifcßer Siteratur bejcßäftigen unb bie 
ßeroorragenbften Srjeugniffe berfelben in Ueberfeßungen unb 2luS= 
jügen reprobucireti foflte. AIS man naeß SRitarbeitern auSp: 
feßauen begann, fteßte fieß ßerauS, baß in ber alten Vauptftabt 
beS rufftfeßen Weicßs, bem flaoifcßen fRom, feine Seute üorßanben 
waren, welcße fäßig unb wiflenS gewefen wären, Ueberfeßungen 
aus bem Sßßrifcßen, Stroatifcßen unb Xfcßecßifcßen p übemeßmen 
unb baß eS felbft mit ber ©efeßaffung oon Ueberfeßern auS 
bem ©erbifeßen außerorbentlicße ©eßwierigfeiten ßatte. Aner* 
bietungen für Uebertragungen auS bem ®eutfcßen, Snglifcßen unb 
fSrranjöfifcßen Würben ber ©efeßfeßaft bagegen p V un berten ge= 
maeßt.**) 

$ie wießtigften unb entfeßiebenften ©rünbe bafüt, baß bie 
2Bünf<ße für engere ©ejießungen jWifcßen ben oerfeßiebenen 
flaoifcßen Nationalitäten fieß bis jeßt nießt oerwirflicßt ßaben, 
liegen natürlich auf bem politifcßen ©ebiet. ®aS Srmacßen beS 
flaoifcßen ©ewußtfeinS unter ben ©labenftämmen OeftreicßS unb 
ber lürfei ßatte pnäcßft eine totale, particulariftifcße gärbung 
getragen. ®aß biefeS ©ewußtfein fieß in ein gefammt:f(aoif^eS 
nießt umpfeßen oermoeßt ßat, rüßrt (außer oon ben oben er« 
örterten ©rünben) oorneßmlicß oon bem anfprueßööoHen ©ebaßren 
ber Wuffen ßer, bie fofort mit bem Anfprucß ßeroortraten, ißre 
©praeße, Nationalität unb Kirche pr atteinherrfeßenben p maeßen. 
®ie fcßtiramßen ßnb in biefer fRüdficßt bie ©laoenfreunbe par 

*) NeuerbingS ßat ein ijerr OlimpO SBaifiljeroitfcß mit UnterftüßHng 
ber ferbtfdßen unb ber rufftfeßen ^Regierung bie (Einrichtung ruffifeßer 
©praeßs unb Siteraturcourfc in ben ßößeren €cßulen VtlgrabS in bie 
§dnb genommen. 

**) flts mitwirtenbe Urfacßc ift tfieHeicßt ber Umftanb anpfeßen, bäß 
in btn oerfeßiebenen flaoifcßen Sänbern oerfeßtebene ©ueßfiabenfpfieme 
ftblicß finb. 9Rit .rufftfeßen ©ueßftaben jeßreiben auSfcßließlicß Äuffen 
unb großrufftfeß geftnntc Autßenen ©alijtenS, CitUngarnS unb ber ©uto< 
roina. ®ie Ataßc ber ©etooßner biefer brei leßtgenannten Sänber unb 
ebenfo bie ©ulgaren unb ©erben bebienen fieß ber (ben rufftfeßen naß 
oertoanbten) flaoonifcßen ©cßriftjeitßen, wäßrenb XfCßecßen, ©ölen unb 
Kroaten lateinifeße Settern brauchen unb autß bie rufftfeßen Sittßauer 
— aller ©emüßungen ber rufftfeßen {Regierung pm Xroß -r an biefen 
leßteren feftßajten. Sbenfo ßat'ficß als |)inberniß für bie ruffifeße ©ropa* 
ßanba Hütet ben Setten Sio= unb KurlanbS ber Umftanb geltenb.gemacßt, 
baß biefer ©tanrm fuß ber ©eßrift^ctcßen feiner beutfeßen SanbeSgenoßtn 
mW eßenvtligen Seßrer feit 3aßrßunbcrten bebient. Noeß wicßtigei finb 
natüTlkß bie confeffioneKen @egenfäßc jwifeßen ortßobojen nnb unirten 
fMetßen, Katßotilen unb ©roteftanten. — Ser ÖJebraucß lateinifcßer 
Settern iß im ößließen Suropa baS fießerße (ErfennungSpicßen fiiV bie 
3ugeßärigteit gut tatßolifcßen @onfefßon. (Eine AuSnaßme maeßen in 
biefer Wüdfießt We (übrigens 'wenig jaßlrei^ett) polnijcßen Ncformirttn. 

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Nr. 41. 


Die & titnmazl 


m 


excellence, bie StoSlauer Slaoopßilen gewesen, intern fit juerft 
bie Xßeorie Bon btr 3fbentität beS flaoifc^ett mit bem griechifcb= 
ortßobojen ©ewußtfein aufßeßten, unb tiefer Xßeorie ht bem 
unglücflicßen ©ölen unb in Sittßauen eine ©tagiS folgen liefen, 
bie allenthalben abfcßrecfetib getoirft ßat. ffiiner äßnlicßen ©rajiS 
haben bie Staffen ßeß WenigftenS anfänglich in ©ulgarien*), 
tßeilweife auch iw Serbien beßeißigt unb ihrer eignen Sacßc 
baburcß bie größten Schwierigkeiten bereitet. — Xaburcß wirb 
freilich nicht Berhinbert, baß nach wir Bor für bie panflaoifcße 
Sfbee mit einem geioiffen ©rfolge ©topaganba gemacht toirb. 
©emerfenSwertß unb bejeicßnenb ift nur, baß e8 einer folgen 
fünßlicßen, auf rein politißhen Srwägungen beruhenben ©topa= 
ganba bebarf, toeil ber natürliche dufammenhang ber ftaoifchen 
©ölfer feine Sortfcßritte macht unb »eil Bon moralifcßen ®r: 
oberungen beS führenbe« ftaoifchen Stammet nicht bie Sftcbe ift 
unb, nach bem eignen drugniß unbefangener SRuffen, auch fobalb 
nicht bie Siebe »itb fein fönnen. 


Die Wehrkraft 3taliens. 

3ur 3«t ift noch fein 3Weifet geftattet, baß baS officiette 
Italien, baß bie italienifche Stegierung fieß mit bem nationalen 
Umoefen ber SctionSpartei nicht allein nicht ibentificirt, fonbern 
baß fie bemfelben entfehieben entgegentritt. SBenn inbeß ein 
ifmfcßtag nicht auSgefcßloffen, »enn bie ©töglicßfeit Borhanben 
iß, baß tro| aHebem unb aßebem ju irgenb einer 3«t einmal 
bie Seibenfcßaft über bie gefunbe ©eraunft unb baS StecßtSgefüßl 
ben Sieg banon trägt unb baß tßatfäcßticß ber ©etfueß geroagt 
»irb, bie ftnfprücße auf bie „italienifchen Sanbe unter frember 
feerrfeßaft" anberS als bloS afabemifeh ju nerhanbeln, fo mag 
es woßt angejeigt fein, Klarheit barüber ju gewinnen, »eiche 
©taeßtmittel bann bereit fielen, jene önfprücße eoentueß ju net: 
»itflichen. Xie bebeutungSBoße Slrbeit beS ößreicßifcßen ©eneral: 
ftabSoberften ftapmerle, Italicae Res, beten politifdje ©rgebniffe 
in Sir. 39 ber „©egenwart" gewürbigt worben finb, bietet auch 
für bie ©eurtheilung ber militärifchen ©inrießtungen Italien« 
fieberen Inhalt. 

Xa$ italienifche ©ejeß erflärt afle IriegStaugließen ©ärger 
Bom 21. bis jum Boflenbeten 39. SebenSjaßre für bienßpßicßtig, 
unb bie barauS fich ergebenben 19 MlterSllaffen bilben erßenS 
baS ftehenbe $eer (Esercito permanente), jWeitenS bie mobile 
©tilij (Milizia mobile) unb brittenS bie Xerritorialmilij (Milizia 
territoriale), b. ß. ba8 #eer erfter unb jweiter ßinie uub ba8 
britte Slufgebot. Slße «18 friegStaugtieß ©rlamtten werben in 
bie erfte unb jweite Kategorie nach ber SooSnumraer eingereiht', 
biejenigen, welche au8 gefeilteren ©rünben Bom SSaffenbienfte 
zeitlich befreit finb, werben in bie britte Kategorie eingekeilt. 
XaS jährliche StefruteHcontingent für bie erfte Kategorie, welches 
ftetS ooßjäßlig bem ßeßenben $eere einBerleibt »irb, beträgt 
05,000 ©tann; bie numerifche Stärle beS Kontingents jweiter 
Kategorie ergibt fich aus ber Xifferenj jwifchen ber ©efammt= 
jiffer aßet friegetauglichen äBeßrpflicßtigen ber jeweiligen SllterS: 
Kaffe unb bet Summe beS Kontingents ber erften unb britten 
Kategorie. Die erfte Kategorie bient 3 3<*ßr präfent unb 
5—6 Saht mit unbeßimmtem Urlaub im ftehenben $>eer, bann 
4 refp. 3 Saßt in bet mobilen unb 7 3aßr in ber Xerritorial-- 
milij, immer mit unbeftimmtem Urlaub; nur bie KaBaßeriften 
bienen 5 Saßt präfent unb 4 3aßr mit unbeftimmtem Urlaub 
im ßeßeubejt $eer, bann 10 Saßt, unbeftimmt beurlaubt, in 
ber Xerritorialwilij, unb bie Karabinieri (©enbarmen) müffen 
fieß ju 8 jähriger ©räfenj:Xienßjeit im ßeßenben {teer oerpflichten 
.unb bleiben bann mit unbeßimmtem Urlaub 11 Saßt in ber 
Xerritorialmilij. Xie jweite Kategorie, welche bie Krfaßrefetue 
(trnppa di «omplemento) foWoßt für baS ßeßenbe £eer al# für 

*) «n. über biefen lepten ©unlt bie XuSfäßtungcn beS türjlief) 
«feßitnentn WuCße*: „Äußlanb oor unb naeß bem Kriege" (gürft 
Xßßrilaßfi, $. 1»0 ff.), getpjig 1879, g. Ä. ©eodßoug. 


bie mobile SBilij bilbet, bleibt, immer mit unbeftimmtem Urlaub, 
5 Staljr im ßeßenben #eer unb 4 3aßr in ber mobilen ©tilij 
unb wirb für ben lOjäßrigen Äeft ber Xienßjeit ber Xerritorial 
milij jugefeßrieben. Xie britte Kategorie enbtieß ift im grieben 
wäßrenb ber ganjen I9jäßrigen Xienftjeit unbeftimmt beurlaubt 
unb tann nur ju einer ßöchßeuS 30 tägigen Uebung einberufen 
werben. So befteßt alfo baS ßeßenbe §eer aus 8 Klaffen erßer 
Kategorie fämmtlicßer SBaßen (ausgenommen bie Kabaßerie, 
Welche 9 Klaffen jählt), im Stieben 3 (bie Kaoafletie 5) Saßre 
präfent bienenb, bann aus 5 Klaffen jweiter Kategorie als 
Krfaßreferoe; bie mobile SKilij auS 4 Klaßen erfter Kategorie 
(bie feiner Seit im ßeßenben $eere gebient) unb auS 4 Klaffen 
jweiter Kategorie als Ktfaßreferoe, im Stiebe# fämmtlicß mit 
unbeßimmtem Urlaub; bie Xerritorialmilij aus 7 Klaffen (bei 
bet Kaoaßerie 10) erfter Kategorie, bereu äRannfißaften 3 (bei 
ber Kabaßerie 5) 3<>h r e präfent gebient, bann auS 10 Klaffen 
jweiter Kategorie unb auS 19 Klaffen britter Kategorie. Xet 
gefammte ©runbbucßSftanb beS ^»etreS beläuß fieß auf 1,507/000 
3Rann, wooon (auSfcßließlicß ber Karabinieri unb aßen $eeteS= 
anftalten) 730,000 Sfkam auf baS ßeßeube f»eer, 220,000 ÜJtann 
auf bie mobile SRilij unb 545,000 3Kann auf bie Xerritorial- 
milij eutfaßen. 

XaS ßeßenbe |ieer ßat im Stieben wie im Kriege bie 
gteieße 3aßl taltifcßer Kinßeiten, nämlicß 80 SEnfanterieregimenter 
(barunter 2 ©renabier; unb 78 Sinienregimenter) ä 3 ©ataißonS 
ju 4 Kompagnien = 191,420 SRann, 10 ©erfaglieriregimenter 
4 4 ©ataißonS ju 4 Kompagnien = 31,920 SJtann, 10 9llpen= 
bataißone (battaglioni alpini) in 36 Kompagnien = 9000 SRann, 
20 Kaoaßerieregimenter ju 6 KScabronS = 14,400 ©tann, 10 
Selbartißerie^Stegimenter, jebeS mit 10 ©atterien 4 8 ©efeßüße 
= 800 ©efeßüße, entließ 4 SeßungSartißerie^Stegimenter in 15 
Kompagnien, beten jebeS 2 ©ebirgSbatterien 4 6 ©efeßüße auf= 
fteßt = 48 ©efeßuße; baju tommen uoeß 2 ©enieregimenter ju 
20 Kompagnien, nämlicß je 4 fßionjer=, 14 Sappeur: unb 2 
©ifenbaßneompagnien. ©in befanbercS Sußrwefencorps ejiftirt 
nießt, fonbern bet gefammte Xrainbieuft wirb Bon ben ben 
Slritßerie: uub ©enieregimeutern einBerleibten Xraincompagnien 
geleißet. Xie mobile SRilij jäßlt (abgefeßen bou ber Special: 
milij auf ber Snfel Sarbinien, welcße in einer felbßftänbigen 
Srigabe in ber Starte Bon 9000 SRann, 9 ©ataißone Swfan: 
terie, 2 Kompagnien ©erfaglieri, 1 ©Scabron Kabaßerie, 2 
©atterien, 2 ©euiejüge, 2 SanitätSjüge unb 1 3ug Karabinieri 
in fich Bereinigt) nur Infanterie, Slrtißerie unb ©enie, nämlicß 
120 ©ataißone Sinieninfanteric ju 480 Kompagnien, 20 Sa= 
taißoue ©erfaglieri ju 80 Kompagnien, 36 (Steferoe:) älpen: 
compagnieu (aße biefe Kompagnien 200 ©tann ßart) unb 
30 ©atterien = 240 ©efeßüße; außerbem 20 Kompagnien 
Seftuugäartißerie unb 10 Kompagnien ©enie; bie ©ataißone 
finb territorial tweß ©tilitärbiftricten organifirt, jebem ?lrmee: 
corpScommanbo geßört aber bie gleite Saßl (12 ©ataißone) 
an. Xie Xerritorialmilij entließ iß noeß nießt beßnitio orga= 
nifirt, fie foß inbeß in 1200 Kompagnien (wo werben bafür 
bie aueß nur ßalbwegS tauglichen Dffijiere ßertonimeu?) ge: 
gliebert werben.' 3ßre große ©ebeutung liegt inbeß barin, baß 
fie, Weil fie Bor aßen Xingen bie 7 Klaffen erßer Kategorie in 
fich auf nimmt, welcße 3 3aßr präfent gebient ßaben (jährlich 
nngefäßt 200,000 ©tann), ein faß unerfcßöpflicßeS SteferBoir 
Bon gebienter ©tannfeßaft für bie ©rgänjung unb ©erftärtung 
ber Slrmee barfteßt, oßne baß wäßrenb beS Kriegs ju bem jeit: 
i raubenbeu ©tittel ber Sietrutirung unb ©inejercirung gegriffen 


ju werben braucht. XaS ßeßenbe $ecr tßeilt fieß übrigens in 
10 ftrmeecorps (oon benen 3 bis 4 eine Sltmee bilben, armata, 
jum Unterfcßieb oon esercito, ber ©ejeießnung für, bie ©efammt: 
ftreitmakt); ißre Komtnanben befinben fieß in Xurin, ©tailanb, 
©erona, ©iacenja, ©olpgsa, Slorenj, Stom, Steapel, öarj unb 
fßalermo. 3^beS SlrmeecorpS ßat 2 Xioißonen nebß ben Sie: 
feroetruppen (truppe suppletive) unb ben abminißriitiBen 
^eereSanftalten (servixi accessorii), jebe Xioifion 2 Infanterie: 
brigaben (2 Stegimenter 4 3 ©ataißonS), 2 ^Regimenter Ka: 


Baßerie, 1 Rlrtißeriebrigabe ju 3 ©atterien (24 ©efeßüße), 

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228 


flte ®egettwart. 


Nr. 41. 


bann ben 31rtifleriepart, 1 ©anitätS= unb 1 ©erpflegSabtpeilung; 
bie SReferöetruppen befielen auS 1 Saoafleriebrigabe (2 SRegi« 
menter), , 1 ^Regiment Serfaglteti, 1 Strtifleriebrigabe ju 4 
Batterien (32 ©efcpüpe), 1 ©eniebrigabe, 2 ©appeurcompagnien 
mit ©eniepart) unb 1 SorpS=©rüdenequipage mit SRaterial für 
eine Stüde oon 150 SDieter Säuge; bie abminiftrotioen fjeereS; 
anftatten fepen fik auS bem Slrtifleriepart, auS ber ©anitätS« 
unb ber ©erpflegSabtpeilung unb aus ber ©tobwagen« unb 
ber Seferue« SebenSmittelcolonne jufammen. 2)ie mobile SRilij 
gtiebert ßk in 10 ®ioifionen unb 2 ©rigaben, gleüp benen beS 
ftepenben #eereS, nur baß pier bie ©aüaflerie fetjtt. 

©epufS ber ©rgänjung beS $eereS ift baS Sanb in 88 
URilitärbiftricte gegliebert unb biefe ßnb in 5 große IRetrutirungS« 
Jonen eingekeilt, bie piemonteßßpe, bie lombarbifk=oenetianifke, 
bie mittelitalienifke, bie neapolitanifke unb bie caIabro«ßciIifcpe 
3°ne; jebet Iruppentörper bejiept feine SRamtfdjaft ju annäpernb 
gleichen ®pei(en auS jeher biefer 5 Bonen. SRur bie 3llpen« 
Compagnien erganjen ßdj auSfküeßtik auS Dberitalien, auS 
bem Sllpengrenjgebiet, bie ©enieregimenter bort, wo fidj für 
biefe ©pecialwaße befonberS geeignete Seute finben unb bie 
©renabierregimenter, wo fik bie größtgetoakfene ÜRannfkaft 
auftreiben laßt. ®er ©rgänjungSmobuS ift, wie man fietjt, 
ein fepr complicirter, aber er ift offenbar aus politifdjen ©rünben 
beliebt worben, um bie fepr peterogenen ©lemente jwedmäßig 
unter einanber ju mengen, unb ein neuefter ©erfuk Oon mili« 
tärifker ©eite, fidj bem lerritorialfpftem ju nähern, pat im ©ar= 
tament ben entfdjiebenften SBiberfpruk erfahren. 

®ie ®iSlocirung ber oorpanbenen ©treitmakt ift teine 
normale. $ie bejüglik beS Sängen = unb ©reitenoerpältnißeS 
ungünßige geogtappifke ©eftaltung 3tulienS, bie geringe mili« 
tärifke SeiftungSfäpigteit beS füblik ber Sinie £urin=Stirntni 
laufenben ©apnnepeS, bie ftete ©efäprbung ber beiben Küften« 
baljnen burk eine feinblike 3totte, ber Umftanb enblik/ baß 
ber erfte unb $auptangriff immer bem ©otpal gelten unb baß 
bort auk bie eigentliche ©ntfkeibung fallen wirb — alle biefe 
©rünbe paben eS im Sntereffe einer rafken Soncentrirung für 
ben KriegSfafl üeranlaßt, baß neben einem bebeutenben Xpeil 
ber Infanterie ber weitaus größere ®peil ber ©aoaflerie unb 
9lrtiflerie, als ber am fkwierigften ju tranSportirenben Gruppen, 
in Dberitalien unb ber junädjft anftoßenben Sone glorenj fik 
beßnbet, nämlik oon 80 Snfanterieregimentern 47, oon 40 ©erfa= 
glieribataiflonen 23, oon 10 gelbartiflerieregimentern 9, Oon 
20 ©aoaflerieregimentern 15; außerbem beibe ©enieregimenter 
unb fämmtlike (10) Sllpenbataiflone. 

®ie gefammten gußtruppen (Infanterie, Serfaglieri unb 
Sllpencompagnien) beS ftepenben feeres finb mit §interlabern 
neueften ©pfternS (bem ©etterligewepr) bewaffnet; ©nbe biefeS 
3al)re3 werben baoon 440,000 ©tüd mit je 328 ©atronen 
fertig fein. ®ie mobile ßJtilij füprt üorläußg nok ein jum 
ftinterlaben urageftalteteS ©ewepr älteren ©pftemS (Sarcano), 
aber fobalb bie ^Dotation für baS ftepenbe £>eer beenbet ift, 
tommt bie URobitmilij an bie Steife. ®ie ßRannfcpaft fämmtliker 
©eniecompagnien ift mit turjen $interlabergewepren betpeilt; 
baS ©konjjeug wirb nikt getragen, fonbern auf ©Jagen (2 per 
©ompagnie) nakgefüprt. ©on ber ©aüaflerie finb bie erften 10 
^Regimenter (Sancieri) mit ©äbel, ©ite unb SReooloer, bie lepten 
10 (©aoafleggieri) mit ©äbel unb (S3etterli-)§interlabermuSfete 
mit einem turjen ©tikbajonnet auSgerüftet, ©äbel unb äRuStete 
nikt üom SRanne getragen, fonbern am ©attellranj beS ^JferbeS 
befeftigt. ®ie gelb^Slrtißerieregimenter jaulen 10 Satterien ju 8 
©efküften, worin 60 fiebencentimetrige Sronce=$interlaberbatterien, 
Oierfpännig, mit 500 ©kuß per ©efküft, unb 40 ftäljlerne 
neuncentimetrige Ärupp’fke §interlaberbatterien, fekSfpännig, mit 
400 ©kuß per ©efküfi; an SReferöe finb 20 fiebencentimetrige 
Sronces unb 3 neuncentimetrige ©ta^l=^interlaberbatterien üor= 
panben, unb enblik/ junäkft für bie Strtißeriefkießfkulcn, bann 
aber auk jor Serftärfung ber SReferoe beftimmt, 70 fieben- 
centimetrige unb 30 neuncentrimetrige ©eftpü^e; bie ®ebirgS= 
gefkiifee beftepen jur Beit nok aktcentimetrigen ®ronce=Sßorber= 
labern in 8 ©atterien ju je 6 ©efkü^en; für bie SRobilmilij 


ftnb 40 ooßfomnten auSgerüftete neuncentimetrige ältere gezogene 
Sronce=33orberlaberbatterien Oerfügbar, bann 1140 Steferoegefk^ 
berfelben ©attung; bie Äüftenartißerie wirb — fie pat ße aber 
nok er fi 5 ur Hälfte — 187 oierunbjwanjigcentimetrige unb 50 
jWeiunbbreißigcentimetrige ©efküpe paben; ber Slrtißeriebt» 
lagerungspart beftept auS 400 gezogenen Sorberlabergefküpen 
oerfkiebener älterer ©pfteme; jur Srmirung ber fefien ©tä|e 
finb 4850 meift gezogene Sorberlabergefküpe älterer ©pfteme 
öorpanben unb für bie SllpenfortS werben 150 {Wölf: unb fünf« 
jepneentimetrige |)interlaber fettig gefteßt. 

3)ie äRobilifirung ber 3lrmee ooßjiept fik nikt in ber 
Sßeife — unb baS ertlärt fik aus bem StetrutirungSmobuS — 
baß baS ©roS beS $eereS, alfo bie gußtruppen, fkp in ben 
griebenSgarnifonen auf ben fttiegSfuß feßt, fonbern fo, baß bie 
^Regimenter, bie übrigens 48 ©tunben nak erpaltener SRobilU 
firungSotbre mit iprem griebenSftanbe marfkbereit ju fein paben, 
erft in bem SetfammlungSraum ber Slrmee ipre ooflftänbig aus« 
gerüfteten ©rgänjungen an ßk jiepen. ®ie üllpencompagnien 
paben im grieben wie im Kriege ben gleüpen ßRamtfkaftSftanb 
(250 HRann) unb bei einer SRobitifirung tann es ßcp alfo nur 
um bie S3erfkiebung berjenigen ©ompagnien panbeln, beten 
®iSlocation einer anberen ftrategifken gront entfprikt. ®ie 
©aoaßerieregimenter, mit amtäpernb gleikem griebenS* unb 
KriegSftanb, nepmen in ipren ©amifonen ben oofien KriegSftanb 
an unb werben erft bann in ben IRapon beS ftrategifken 9luf« 
marfkeS gebrakt; fie foflen am fiebenten üage nak ©rpalt beS 
SRobilißrungSbefepleS marfkbereit fein. ®ie gelb^rtißerieregis 
menter, bie ebenfalls am fiebenten läge in jweiter gormation, b. p. 
mit 6 ©efküpen jur ©atterie marfkbereit fein foflen, paben 
aße ipre ©orrätpe unb guprwerte in eigenen ®epotS bei fup. 
®aS ganje ®rain= unb fonftige große ^eereSauSrüftungS-ßRaterial 
ift übrigens, unb jwar auS benfelben ©rünben, auS Welken ber 
größere Ipeil beS feeres felbft fkon jur griebenSjeit in baS 
©ogebiet oerlegt würbe, ebenfaßS im ©otpal beponirt, in ©ologna, 
©erona, SRantua unb ©iacenja. 

gür aß ipren ©ferbebebarf ift bie italienifke Strmee meift 
auf baS SluSlanb angewiefen; ben größeren ®peil biefeS SebarfS 
liefert Ungarn. ®aS Sanb befißt (in runber ©umme) 146,000 
©ferbe (oon 657,000 ©fetben im ©anjen), bie für ben Kriegs« 
bienft baS erforberlike Sllter unb bie erforberlkpe ©röße paben, 
aber anbere ebenfaßS erforberlike ©igenfkaften gepen ipnen ab 
unb man reknet, baß nur 20 ©rocent Wirtlik friegSbienfttaug« 
licp finb. ®a nun im KriegSfafl reicplik 37,000 ©ferbe anfju« 
bringen finb, fo fteßt biefe 3<tpl j° jiemlik bie ©efammtfumme 
berjenigen ©ferbe bar, welke iiberpaupt als triegSbienßtauglik 
ju erakten. Unb mit biefer B<*Pt iß nur ber ©ebarf ber 
erften Sinie, nikt aber ber 5Rakfk“bbebarf oon ben rüdwärtigen 
ßRagajinen bis jur Sinie ber 9Irmee«£>auptquartiere gebedt. ®er 
$urkfk"ittspreis ber ©aoafleriepferbe fteßt fik im 3nlanb anf 
956, im SluSlanb auf 1155, ber örtifleriepferbe anf 800 refp. 
1116 Sire. 

®aS $eereSbubget für 1878 bejifferte fik auf 203 Stiß. 
Sire, wooon ftart 27 3Riß. im ©straorbinariren, «nb baneben 
Würben als weiteres außerorbentlikeS ©rforberniß nok napeju 
27 3Riß. bewißigt; bie HRititärpenfionen im ©etrage oon 25 SRifl. 
finb babei nikt gereknet. ®aS SlßeS für einen ©erpflegSfonb 
oon 197,000 SRann einfkließlik ber 18,000 ©arabinieri, wobei 
nok i u bemerleit, baß ©inberufungen beurlaubter SlterSflaffen ju 
ben Uebungen niemals ftattfinben, baß in ben lepten 3»pren felbft 
bie 40 tägige Uebung ber neuretrptirten ßRannfkaft jweiter Kate* 
gori unterblieben iß unb baß oon ber mobilen 3Rilij (ber Sanb« 
wepr) nie auk nur ein tinjiger ÜRann einberufen wirb. ®aS im 
3apr 1878 einfkließlik ber ©enßonen 2547 2 3Rifl. betragenbe 
ülrmeebubget fteflte fik im 3opr 1873 nur auf 202 3Riß. Sire. 

®ie militärifke SeiftungSfäpigteit ber italienifken @ifen= 
bapnen ift für ben gafl eines Kriegs mit Deßreik, b. p. eines 
ßrategifken SlufmarfkeS jmifken ©tfk unb lagliamento, ober 
für ben gafl eines Kriegs mit granfrekß/ b. p. eines Stuf« 
marfkeS im oberften ©ogebiet, ober enblik mit fRüdfupt auf Pie 
ÜRotpwenbigteit, im ©erlauf eines biefer beiben Kriege ober etnei 

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Nr. 41. 


Hit tot grnwnrt 


229 


©eeftiegS fjeereStheile aus bem nörblißen gtalien rafß naß 
beut ©üben ju werfen, ju »ürbigen. Setraßten wir biefe brei 
güße einzeln. 

Um mit bem Slufmarfß gegen Deftreiß ju beginnen, fo 
flehen bet JranSportleitung aus bem ©üben StcitienS über ben 
Spennin nur bie jwei aus bet XranSOetfallinie Soggia= 
Neapel abgeßenben Sinien p ©ebote. Sin bie etftete fc^Iie^ett 
fiß bei Sroggia aus bem äußerften ©üben bie bei Sari conöer= 
gitenben 3»>eige oon Steggio einetfeitö unb non Dtronto onbter= 
feitd an, an bie jweite Sinie, non fEorremare auSgeßenb, bie 
Saßn übet fßotenja unb ©alerno, bie leitete noch lange nicht 
fertig. Sie jwei oorbejeißneten fübmörblißen Sinien finb 
Soggiü 5 Se3cata=Slncona: Sologna=Sabua=®reoifo, bann Neapel: 
fRom:Drta:©ßiufi= Slrrejjo: Stören j= fßiftoja = Bologna = 3Robena= 
3Rantua:Serona:Sicenja:£reoifo: in Stenifo neteinigen fie ficb 
p ffiinem Strange, ber fi<b bei Ubine einerfeits über fßonteba 
nach Sillaß unb anbrerfeits über IRabrefina nach Saibacb ab= 
jweigt. 3n weft=öftlißer Sichtung ejiftiren im fßotßal bie 
Sinie Sutin=Sonata*2Railanb:SteScia:Serona unb bie Sinie 
£uneo=(refp, @enua=Soni:Slteffanbria) ißania, Sremona=3Jtantua: 
in Serona unb- SRantua ift ber 3ufantmenfluß mit ben füb= 
liehen Songitubinalbahnen. SRoß befteßt bie Sßrrßenifße Küfan= 
bahn Som=ffiinitanec(hia^ifa:©pejjia:@enua, aber fie fommt hier, 
tßeilS »egen ihrer e^centrifßen Sage ju ber ftrategifchen Sront, 
tßeilS »egen ihrer fehr getingen SeiftungSfäßigfeii nid^t in Se= 
tracht. SBäßrenb nun aber ber XranSport auf ben »efaöftlißen 
Sahnen, »eil biefelben faft burßwegS ebene Sahnen, leine 
anbeten ©ßroierigfeiten bietet, als fie in ben 9ftetarbirungS= 
©oefficienten liegen, ber in ben unpreichenben Serlaboorriß: 
hingen, in ben {leinen Sahnhöfen unb in ben »enigen unb p 
furjen SetriebS: unb StuSWeißgeteifen fich berart geltenb macht, 
boft auf einzelnen ©treefen bie Süge nur 19 SBaggonS führen 
lehnten, fo finb bagegen bie Küfanbaßnen unb in erfter Seihe 
bie Slbriatifße auf »eiten ©treefen bem Seuer einer feinblichen 
Slotte auSgefefct, unb hat bie fßoreßaner Sahn, »eiche jwifßen 
$iftoja unb Sologna über ben Stpennin geht, mit Slnmenbung 
bet grüßten juläffigen Steigungen in ©urben eine 555 Steter 
über bet Station fßiftoja liegenbe #öße p gemimten, unb 
»enti auch hier bie Sahnhöfe fehr beengt, bie SetriebSgeleife 
unpreichenb, einzelne ©tationen 14 Kilometer oon einanber 
entfernt unb jubem leine jwei ©eleife oorhanben finb, fo barf 
auch biefe Sahn als »enig leiftungSfäßig — jwifßen ^Siftoja unb 
fßoretta führen bie 3üge nur 13 SBaggonS — erflärt »erben. 

®ie Sluffattung beim Slufmarfße gegen Sranfreiß ift burch 
bie Sunlte Sentimiglia, Suneo, 2urin, Sorea, Serceßi, 5£leffan= 
bria unb ©enua ju bejeißnen unb um bie Strmee in biefen 
Saum ju bringen, ftehen auf bet Sinie SRom:2trcona (bis »oßin 
aus bem ©üben bie fchon früher ermähnten jwei Sahnen führen) 
brei bneßgeßenbe ©chienenmege jur Serfügung, 5Rom:©ioitaöecßia: 
Sifa=©pejjia=©enua:©aoona mit Slbjweigungen einerfeits nach 
Sentimiglio unb anbrerfeits naß ©uneo, bann fRom:Drta=3lre3jo: 
Slorenj^iftoja - Sologna 5 Stobena : fßiacenja = Slleff anbria = lurin, 
enblich Slncona:fRimini * Sologna = ERobena = Stantua = ©remona: 
©obognosSKailanb^Iurin; in ofatteftlißer iRißtung läuft außerbem 
bie Sahn Ubine:®reoifo« (refp. Slbria=SooigosSegnano=) Serona* 
SreSciasSDtailanbs Serceßi=3:urin. ®ie erfte ber brei Sahnen 
tommt laum in Setraßt, tßeilS »egen ihrer teßnifßen Unjulänglicß: 
feit, tßeilS weil jie unmittelbar an ber Küfte läuft unb alfo jeberjeit 
oon einer frahjöfifchen glotte befchoffen »erben {ann; bie jweite, 
bie ©ebirgöbahn, bietet als folche bem fDtaffentranSport unb j»ar 
bem rafdjen XranSport bie erheblichften ©<h»ierigfeiten; bie britte 
enblich, ebenfafls oon ben Kanonen einet glotte ju behettfehen, 
würbe im günftigften Saß für bie baljin gefanbten Gruppen 
einen »eiten Umweg bebingen. SlßeS in 21ßem »irb baher bie 
3ufammenjiehung ber italienifchen 21rmee auf ber franjöfifchen 
Sront grofen Sährlichfeiten begegnen. 

$er Sahrpatf ber italienifchen ©ifettbaljnen fteflt fich übrigens 
wie folgt: 1279 Socomotioen, 4052 ißerfonenwagen, 12,384 ge: 
bedte unb 10,469 ungebeefte Saftmagen. Son ben oorhanbenen 
Socomotioen finb nur 616 für SütilitärtranSporte geeignet, »ährenb 


für bie SDtobilifirung unb ben erften ftrategifchen 2lufmarfch min» 
beftenS 720 als erforberlidj erflärt »erben. Sreilich haben bie 
italienifchen $)ampffchifffahttSs@efeflf<haftcn 79 ®ampfer, »eiche 
70,000 SJiann unb 9000 ißferbe tranSportiren fönnen. 

SSenn mir Oon ben italienifchen Seftungen fpre^cn, fo 
jiehen wir nicht bie Segion umtoaßter ©täbte unb nicht bie 
©afteße unb ^uftenforts in Setracht, welche bet mobernen Stieg: 
führung auch nicht baS minbefte ^inbernifj finb, fonbern wir 
führen nur biejenigen auf, »eldhe einen bauernben Sta| in bem 
©hftem ber IReichSoertheibigung einnehmen unb, minbeftenS einen 
Sern fortificatorifcher ©tärfe befi^en. 2)aS finb bie Seftungen 
SUeffanbria, ©afale, Sologna, ©apua, Segnago, Siantua, S eg: 
chiera, ißiacenja, ^Ptjäig^ettone, Serona unb 9tom, bie feften 
©eeptäge Senebig, Stncona, ©enua, ©ibitaoec^ia, ©pejjia, Sor: 
toferrajo, ©aeta unb SReffina, bann bie ©perrfortS Sarb, ©pifleS, 
Seneftrefle, Sinabio, 9tocca b’Slnfo, ©eraino unb Sentimiglia. 
©S !ann an biefer ©teße unmöglich im ©injelnen auSgeführt 
»erben, inwiefern bie SBerfe aßer biefer ipiä^e mehr ober 
weniger, befenfio fomohl als offenfto, auf ber flöhe bet neueren 
SefeftigungSfunft ftehen, eS mag nur im ?lßgemeinen bemerft 
»erben, bafi bie »eitauS größere 3aljl Öen mobernen Eingriffs: 
mittein nicht mehr ge»a<hfen ift, baß bie ehemals öftreichifchen 
Seftungen fortificotorifrfjen Slnforberungen ber 3e|tjeit nicht mehr 
©enüge leiften (abgefeljen baoon, baß biefelben ihre ftärffte 
$efenfibfront natürlich nach ©üben (ehren, »ährenb, eben fo 
natürlich, Stolen Oor aßen Gingen bie nörblicße Sront ftar! 
machen muß) unb baß alle neu in Singriff genommenen SeftungS: 
bauten noch Saßre ju ißrer Soflenbung bebürfen. 

®aS DfßjiercorpS beS fteßenben $eerS ergänjt fieß, bejüg: 
ließ ber Sußtruppen, auSfcßließlicß aus ben 3öglingen ber 
aRilitärfcßule in ßRobena; biejenigen, »elcße in bie ©aoaßerie 
eintreten, haben noch einen befonberen ©quitationScourS in ber 
©aoafleriefcljule in ißinerolo ju abfolüiren. Sür bie Slrtißerie 
unb baS ©enie befteßt (mit angeßängtem ßößeren ©outS) bie 
Siilitärfdhule in Jurin. Sür ben ©eneralftab ejiftirt bie ®riegS= 
fcßule. fflußerbem befteßt bie ©inrießtung ber Uffiziali di eom- 
plemento , »elcße im SriegSfaß bie fünften Offiziere bei ben 
©ompagnien liefern unb bie Süden im jDfßjiercorpS überhaupt 
(aueß iu öer mobilen SJlilij) auSfüßen foßen; fie ergänjen fieß 
freiwiflig oon aus bem fteßenben f?eet ausgetretenen Dffijierett, 
aus ©iniäßrigfreimißigen, »elcße bie betreffenbe Prüfung ab= 
gelegt, unb aus beurlaubten Unter Offizieren, Welche 12 3aßr 
tabelloS gebient unb baS 45. SebenSjaßr noch ui^t überfeßritten 
haben. $em fteßenben §eere feßlen 750 Dffijiere (baoon 650 
bei ben Sußtruppen) unb fie fönnen abfolut nicht erfefct werben, 
»eil baS oon ben SRilitärinftituten gelieferte Kontingent faum 
hinreicht, ben regelmäßige« jährlichen Slbgang ju beden. Son 
ben Uffiziali di complemento finb 2174 oorßanben, »oOon 1593 
für bie Sußtruppen. ®ie fünften Dffijiere bei ben ©ompagnien 
abforbiren 1156 oon ißnen, baju bie bem fteßenben $eer feßlen: 
ben 600 Dfßjiere ergeben einen ©efammtbebarf an Snfanterie: 
Offizieren oon 1756 fiöpfen, »äßrenb nur 1594 oerfügbar finb. 
®ie Sußtruppen ber mobilen SRilij bebingen einen Dfßjierftanb 
oon 3818 Äöpfen, eS finb aber nur 2106 Oorßanben. ®aß 
unter biefen Serßältniffen für bie lerritorialmilij feine au^ 
nur ßalbttegS tauglißen Dfßjiere ju finben, ergibt fiß oon 

felbft. ®aS italienifße DfßjiercorpS ift übrigens oortrefflicß; 
„eS gibt," fßreibt ber gewiß competente §aßmerle, „ nichts, 
»aS ju feinem Sobe nicht gefagt »erben müßte." Unb baS, 

obgleich wie in feiner Strmee ber SBelt, bie Dffijiere fo fcßlecßt 
befolbet unb bie fßenfionen fo farg bemeffen finb! 

@S bleibt uns in biefem Slbfcßnitt je|t nur noß bie ERarine 
ju berühren. ®iefelbe befteßt aus 3 großen Kategorien Oon 
©ßiffen, nämliß auS eigentlißen ffriegSfßiffen (naviglio da 
guerra), auS SranSportfßiffen (naviglio onerario 0 sussidiario 
della Flotta) unb auS Sofalfßiffen (naviglio d’ uso locale). 
®ie ÄriegSfßiffe tßeilen fiß in 16 KriegSfßiffe 1. Klaffe, 

bie eigentlißen ©ßlaßtfßiffe, in 10 KriegSfßiffe 2. Klaffe 

für Küßen: unb $afenoertßeibigung, jum Kreujen ober als auS: 
»artige ©tationSfßiffe, unb in 20 KriegSfßiffe 3. Klaffe, SloifoS, 


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230 


®t t tf egMttv«rt. 


Nr. 41. 


Sorpebofdjiffe, Kanonenboote tc. Sie SranSportflotte befielt aus 
2 ©Riffen 1. Klaffe ju über 3000 Tonnen, aus 4 ©Riffen 

2 . Klaffe oon 1000 bis 8000 Sonnen unb auS 8 ©Riffen 

3. Klaffe non 200 bis 1000 Sonnen. ©on Sofolfchiffen finb, 
für bie ©afenptäfce unb für ben ©erlebt innerhalb her Diparti- 
menti marittimi, 12 öorhanbett. Ser normale ©tanb ber 
©cblacbtfd)iffe wirb erft im 3oh« 1888 erreicht fein, 9 ©anjer* 
fregatten unb 1 Shurmmibberfchiff; als SRufter gilt bet ber 
©ollenbung nalje „Suilio", fomohl nach feinen Simenfionen als 
nach feinet ©anjerung oon 56 Sentimenter ©tärle nnb feiner 
©eftüdung mit biet KXhSonnenlanonen oon 46 Zentimeter 
Kaliber, bas mäcbtigfle Schiff aller europäifd)en Statinen. 
UebrigenS finb fämmtliche italienische KriegSfd)tffe aufjet ber 
eigentlichen ©eftüdung noch mit gezogenen gelbgefdjüfcen unb 
SRitraiÜeufen ausgerüstet- Sem Sorpebomefen wirb bie grbfjte 
Ülufmerffamleit jugeroenbet, es befteht ein eigenes Sorpebocorps 
unb alle ©djiffe führen SorpeboS refp. Sorpebofchleubeirohre. 
SaS Küftengebiet 3tolienS, in einer Sängenenttoidelung oon 
5972 Kilometer, toooon 1156 auf ©icilien unb 1470 auf @ar= 
binien entfallen, ift militärifch in brei 3onen (Dipartimenti 
marittimi) mit ben ©tabsorten ©pejjia, {Reapet unb ©enebig ge= 
theilt. 3« ©pejjia befinbet ftch baö fmupküRarineetabliffetnent. 

gür Oeftreich sunöcbft liegt in biefen Säten eine grofie 
©erutjigung, benn mit Deftreid) toill man offenbar beginnen, beöot 
man baran geht, ficfj auch nad) anbeten {Richtungen ju lebten, 
n»o „italienifche Serritorien" ju holen unb „italienifdje ©rüber 
ju befreien" finb, beoor man offen prebigt, ma$ Wir bie inter* 
nationale {Reoolution nennen möchten. Italien ift eine 
®rofsnta<ht gemorben trop feiner {Rieberlagen unb man tönnte 
oerfucht fein ju fagen burch feine Stieberlagen. SBtrbe eS nicht 
tlug hanbeln, wenn eS bie gutunft nicht oerfnehte, toelchc ihm 
{Rieberlagen unb burch fic ben {Riebergang feiner mühelos ihm 
in ben ©d)oh gefallenen @rö|e bringen lönnte? Italien hat 
eine {ßapiergetbcirculation 00 « faft 1600 SRiUionen unb eine 
äRetadbebedung oon nur 150 SRidionen: mürbe ba nicht ber 
Krieg ihm minbeftenS bie ©ebeutung einer finanjieüen Kataftroptje 
in ben größten Simenfionen bebeuten? 

Velatus. 


Literatur ttttb iuittp. 

3uk«nftfd)ttle. 

(2hi8 bem „Buch ber Ihoth*it") 

Bon Johannes Sdjert. 

Set ©tanbpunlt „ibeal" ift glücflich übermunben, 

Sie „©ötter" alle finb ins {RiditS babingefebmunben. 

SSir benten pofitioft, mit fühlen animalifch 

Unb laffen’S roobl uns fein nad) Kräften „lannibalifch". 

SBaS mar, ift unS egal; maS fein mirb, noch egaler: 

SSir jeeben — pereant bie fünftigen geebe jabler! 

Srum tjeifet bie Sofung, fo allein noch fl*dt unb Werft: 

„gort mit ber Sßietät! Stiebet mit bem JRefpect!" 

Unb mie’S ju gehen pflegt, ganj mie bie Sitten jungen, 

©o gmitfehern, nicht bod), nein! fo brüllen fchon bie jungen. 

©chulmeifter Sombajc fjat, mie jüngftenS ich oernommen, 

3 n feiner gufunftfcbul’ ju fühlen baS befommen. 

©chnurrbärtig unb bebrillt, ein ftrammer Sarminift, 

©elennt er fief) jum ©prnch: „Ser SOtenfch ift, maS er ifjt." 

Schulhalten mag er nicht, baS ift ihm ju geringe; 

®r h<»t fürmaht ju thun oiel mistigere Singe. 

91(3 fpräch’ er hoch herab oom böcbften ber Kameele, 

Socirt er: „Summer ©<hnad, ber ©djtoaf} oon einer Seele! 

2BaS man fo ©eele nennt, baS ift ja nur saus phrase 
Ser fRuchfiitn, concentrirt bahier in meiner Stafe. 


SieS ift ber neuefte Sriumph ber SBiffenfcbaft, 

Ser gorfdjung aHertöftlichfte ©rrungenfebaft." 

Sann fpricht oon gellen er, oon gucbtwabl, Sefcenbenj, 

Unb gieht auS aQebem bie logifdje ©onfequenj: 

„3h r ©üben, bie ihr feib für unfern gulunftftaat 
Sie hojfnungsoolle, reiche, lernige gulunftfaat, 

3 hr Sheile ber urheiligen ©oUsfouoränitat, 

SRitbürger, feib gebeut beS SSorteS früh unb fpät, 

SeS SBortS: 3BaS ihr nicht feht, nicht höret unb nicht fpürt, 
{Rieht riecht, nicht fdjmedt, nicht greift, baS auch nicht ejiftirt. 
Sie befte {Religion bie ift baS ©inmaleinS, 

Unb hob’ ich felbft fein ®elb, je nun, fo nehnt' ich beinS. 
Ser SRenfch ift holt ein Shier mie iebes anbre Shier, 

Unb mottt ihr beten, betet: gmeimal jmei macht oter." — 
„{Rein!" — auS bet gulunftfaat ein berber ©enge! fehreit — 
„ÜRitbuben, glaubt ihm nicht fo auS ©efafligleit! 

Sa& jmeimal jloei macht oier, baS ift noch nicht bemiefen, 
Dbjrnar es fleht gebrudt beim alten 31bam {Riefen. 

Sofft euch einfdjenten nicht beS SBafferS ftatt beS Seins, 

©in richtiger Semolrat ber pfeift auf’s ©inntaleinS. 

Unb fmb mir Shiere, bann $ert Sombaj ift ein ©fei, 

Ser gröhte ©fei mohl oon {Ratibor bis SSefel. 

©r tohlt nur alten Kohl, nichts mei| et unb nichts tonn et, 
Srum merb’ ihm juerlannt ein flotter $ofenfpannerl 
6 r ift ber ©injetne, mir aber finb bie ©ielen; 

Sie ©olfSfouOränitüt bie foU ihm mal maS fpielen! 

SBit’ mott’n ihm jeigen, mie aufgeht bie Sufunftfaat 
Unb mie man Schule hält im freien Sulunftftaat." 

Sie {Rebe jünbete. 5Dtit $urraf) unb §atIoh 

©chulmeifterte bie Subenf^aar ©ombacem fo, 

Sah rr oon biefem Sag, bem meheoollen, mann er 
©rinnerte fid) an ben „flotten" $ofenfpanner, 

SRit mehmuthfehtoerem ©lid unb fpre^enbet ©ebörbe 
3m tiefften ©odbierbah ber SBiffenfchaft erllärte: 

„SaS {Rafenjeelefthfpftem ift leeres ©troh, 

Ser ©ifc ber ©eele, ach, ber ift ganj anberSmo!" 


Dranmor. 


Bon 3. 3. Ifoncgger. 

Sranmor! Unter befrembenbem {Ramen — baS ©feubonpm 
fei romanifch nnb bebeutet „greunb beS 3Reere8" — ein auch 
jrembartig betührenbet, aber ein grober Sichter. — ©ine Slrt 
©onfeffion, mirflidj ^erjenSbeleitutnih über bie innerften Steigungen 
unb ©trebungen feiner ©eele; maS jie getrieben hat, meit aufs 
hohe SReer beS SebenS hinaus; maS fchon in bem jungen Kopfe 
pulfirte, maS er fnchte unb empfanb, maS feine lebenooQften 
{ßhontafien trug: alles baS gibt baS charalteriftifche ®inleitungS= 
gebidjt „Srelanmep". Sa betennt fi^ ber Stutor jur ©eifteS-- 
oermanbtfchaft mit bem tühnen ©otfaren unb Sichter, beffen 
Shun unb ßeiben, Sräumen unb Kämpfen ben Knaben anfeuerte. 
{Rur finb SranmorS Kämpfe mehr nach 3nnen gegangen; aSer: 
bings hot baS ©chidfal auch bem mobernen Streiter ber ©türme 
unb Abenteuer genug in ben SB eg gemorfen. SBir glauben ihm 
SllteS, maS er fagt, es ift bie reine $erjensmatjrheit; nur baS 
©injige in ber SBelt, maS er ba einmal meint: bah ec lein 
Sichter gemorben, — baS glauben mir ihm nicht; bie ©lütter, 
bie er unmittelbar biefem SluSfprud) folgen läht, finb fein 
gtänjenbfteS Sementi. 

©agt un# baS ©ebicht „Srelamnetj", mo unb mie ber 
Sichter unb Senter in feinem $er}en angefangen, fo geftehen 
uns bie büftern ©inleitungSmorte, mie er mit ftch nnb bet SSelt 
abgefchloffen. 


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Nr. 41. 


Itt 


231 


„Te Cftoiarem morituru* soluto.“ 

tßoefie, bu polber 3ugenbtiaiiin, 

Sa| mirf; nun auf immer bir ent lagen, 

Da fo perbe 3riid)te nur getragen 
3Rein Dom Sturm jerjaufter SebenSbaiim; 

■ Da mein $erj fo tounb, 

Dop bei bleidje äftunb 

9lidjt mcpr jauchz«' tann unb nidjt met)r {tagen. 

Sin fdjwer ringenber ©eift unb ein SebenSfatnpf öon tiefft 
innerlicher SBudjt, ber fid) in folgen ©orten anfünbet! 

Sö ift ebenfo benterfenSmertp wie ergreifenb, mit biefen 
Sorten jene jufammenjuf)alten, roeldje TtanmorS ganz anbera 
gearteter, aber aud) poepbebeutenber 2anbeS= unb Seitgenofje, 
ber unglüdlidje ©djweizer §einridj Seutpolb feinen Siebern 
BoranSfcpicfte. Sinb fie bodj Söeibe öon burcpauS öerfdjiebenen 
Segen aita am gleichen 3iel angelangt, bei ber biiftern 9te= 
fignation. 

Ter ewige melancpolifdje fRefrain bei Tranmor lautet: Der; 
loren ober gar nidjt gefunben; erträumt, boep nicht erreicht! 
©ein Süllen unb Renten, ©pantafie unb SCBiHe langen ins Um 
enbliche pinauS; natürlich, Wenn biefe 3iele unerreichbar juräd- 
weichen wie ber SRebelftern am girmnment. 

©eine Ticptergröfje beruht roof)l in ber Straff unb Roheit 
ber ©ebanfen, in ber tiefgreifenben Sutimität ber ©efüple, in 
ber pracptöoden ©ranbiofität ber Silber, ©eenen unb Träumereien. 
Treten pinzu: bie pope ^obleffe im Sdplen unb Tenfen, ein 
unantaftbarer Übel beS $erjena, burdjgereift in bem harten 
SebenSfampf unb nicht feiten ben Ton einet grojj pinroeg; 
fchreitenben Sntfagung annehmenb, bie taum mehr gut Klage 
greift, Sucht biefe ©runbjiige bcifpielsweife heraus in folgen: 
ben Stummem: „?ln Helena", grofjperzig unb tief gefühlt; 
„geber amareHa", granbioa unb überaus ebel gehalten; baS 
gelbe Sieber unter bem ©radjthimmel öon Stio be Janeiro als 
furchtbarer SRadjeengel, ber bem ©llaöenraub auf bem Sufje 
folgte; abfcpliefjenb ber hoihfinnig energifche Sntfcpluj?. IRepmt 
baS innig empfunbene unb herrlich gefagte Sieb „Sin SBunfcp“, 
baS auf bie bange Stage: ©en trifft baS unausweichliche ©er= 
hängnif? wer juerft foH öon pinnen gehn, fie ober ich? nicht 
rninber hoch finnig gu bem ©bluffe fommt: 

Sah f'e juerft ton meiner ©eite gehen! 

Doch, bah fie elenb unb terlaffen fei, 

0 @ott ber ©nabe, (ah eS nicht geftpepen! 

Ober man nehme ben gegen bie ©emeinheit ber ©eit gerichteten 
fdjmeren ScpmerzenSfdjrei in „©ebet" ober auch bie zugleich 
ftolge unb gemüthswarme Sitte in „Strophen“. Tie ©ebanfen= 
ijojjeit wirb ihm unmittelbar gut ppilofopfjifcpen iReflejion, unb 
ber poetifche 3auber bäht nichts babei ein; $um ftarfen Theil 
ift er entfehieben ein philofophifcher Tichter, aber Tichter immer. 
Seft jene groh unb glänjenb angelegte fRpapfobie auf ben büfter 
einfamen ScpicffalSfelfen ©t. Helena unb feinen gewaltigen ©er: 
bannten, bie er „Nachtwache“ betitelt hat. ^upaltSfcpmer nnb 
gebanfenöod, nach ber geiftigen ©ebeutung flaffifdj, ift biefe 
Slegie im Sinne ber alten Klaffifer, wie man baS Stüd richtig 
genannt hat, ein Kapitel öon ©pilofoppie ber SBeltgefcpidjte', 
ber ©eltgeift felbft fdjreitet baper, unb feine ©ebanfen, fchwer 
Wanbelnb, tragen ihre Tragit in fich. Tiefelbe fRicptung feiner 
wuchtigen Tenfwelt nimmt zuweilen etwas überwiegend ©ifionäreS 
unb pfpcpologifcp TiefgrabenbeS an; fo im „©albleben“. 

Nbet berfelbe ©eift, ber uns burch bie ©röfje unb unge= 
brodjene Snergie ber ©ebanfen:, burch bie ©dimere ber ©efüplS: 
weit imponirt, (ann auch ungemein meid) unb jart öorgepen. 
©an fepe baS „©latt aus ber Knabenzeit"; ober ben bejaubernb 
metobifdjen „fRobin Slbair" (nach bem Snglifcpen), ber unS wie 
in einen Siebestraum einwiegt; ober baS tief innige „SUbutm 
blatt", ben eben fo fchön wie rein gefühlten $er$enSlaut „©erbita“, 
bie wunberöod feine ©ibmung „Sije", bie aderbingS fdjon etwas 
fchwereren Schrittes einhergeht. 

Wifcpung ber Stimmungen ift bei ihm ziemlich feiten; 
benn gewöhnlich ift auch bie Stimmung in feinem Siebe genau 


fo ein fefled ©äuge, ein ©ufc wie bie Sompofition; boep fiubet 
fich jene pumoriftifdje ©ariante in ben neun Stummem ,,©on 
bet @ee“, bie jum Theil in ihm gewohnten fdjmeren Smfte gc= 
haltenen, jum Theil mit einem ihm feltener paffenben launigen 
©eifchlage oerfept finb; er feiert feinen unbänbigen Siebling, 
aber er gibt bem wanfelmütpigen auch einige ©citfcpenpiebe. 

TaS furchtbare ©rauen eines öeraichtenben SebenS in jenen 
wilben ©aturlänbern SübamerilaS, regiert öon ben ungezügelte: 
ften, unfern abgefchwächten Sulturööttern faum mehr in biefer 
bämonifchen ©luth unb Sntenfität öerftänblichen Seibenfchaften, 
mag fich taum in einem graufigeren, aber auch nicht in einem 
marfiger wie in ©tein gehauenen SebenSbilb aufthun, als 
„Januario ©arcia“ ift, wiebet in gtanbiofem Stil gehalten. 
Tiefer echte ®opn ber ©ampaS übt mehr als corfifche dtadje. 
StuSzuzeidjnen ift bie prachtöoll lünftlcrifche ^ntrobuction unb 
in 9tr. 3 ein eben fo pradjtöoüeS Naturbilb aus ben Tropen, 
währenb fonft ber Tichter nirgenbS fdjübernb abfdjmeift, fonberu 
mit ben feft, faft ehern abgemeffenen Strichen ftrengft epifcher 
©eftaltung, unerbittlich wie baS ©erljängnif}, ben wilben Schlägen 
bämonifch entfeffelter Seibenfchaft folgt. — Sin ganz ähnliches 
©ilb, aus ben grauenhaften fübamerifanifdjcn ©ürgerfriegen ge= 
Zogen, gibt „©antoS ©erez“; Seele unb ©chidjal harmoniren 
mit jenen riefenweiten, wilben, ungaftlichen Sänberftrichett. 

Tie bittere ©ettfenutnijj, welcher gerabe bic bebeutenben 
Äöpfe nicht entgehen, ift auch ihm zur ©enüge aufgegangen. 
3n ben fatprifchen Ton nerfädt er beShalb nur feiten, aber in 
ben ber bitteremften Älage („©pleen“) ober ber förmlichen 
$erzen3bebrängni§ (baS ergreifenbe „©ebet“). 

©iefleicht bie lünftterifch öoüenbetefte feiner Ticptungen, in 
blühenb beraufdjenben Barben, ift ber „Tämonenwalzer“, jcben= 
falls nach friner ganzen ©eifteSart ein Siebling beS TicpterS 
felbft. Sr ift, um eine etwas bizarr tlingenbe ©ejeichnung zu 
brauchen, ein fchmerjöotler TithprambuS ber SebenS: unb SiebeS: 
luft, auch hei bem hbdjft belicaten Thema poch über adern Sld: 
täglichen gepalten unb gepöben burch tieffinnig anftingenben 
pfpdjifdjen ©epalt Sine mächtige unb bodj in fo ungemein 
feinen unb innertichft oertieften Strichen gehaltene Scala öon 
Ten!» unb ©efüplSübergängen, oon ber intimen Sh r >flfe*rr bis 
Zur fünbigen ^etärentiebe, ein Stoff, ber eine feine $anb unb 
ein ftarfeS ^erz forbert. StWaS SmpofanteS liegt in bem 
pradjtboden Anfang, wie ber einfame grembling — eben ber 
Ticpter — an fdjmütem Sommerabenbe z“w erften 9Ral nach 
langer Seit burch feine fdjmeren ©ebanleu in eine fühle Sa: 
tpebrale geführt wirb unb ba bie ©eligion nach ihrem weibifepen 
©omp, aber auch nac h *h r em popen, ben Weiften öerborgenen 
Sinne burcpbenlt nnb jum Scptuhbefenntnih über baS Srlöfer: 
wer! fommt: 

9tidjt glauben (ann id) 

Sn beine göttliche Senbung; 
tlber ich glaube, (ShriftuS, 

SSn beine göttliche Siebe. 

Unb Wie bann bie ©ebanfen bie wunberbarfte UmWanblung 
annehmen, unb mit iljnen bie Scene! 

Keine feiner Ticptungen ift fdjmerer zu würbigett unb zu 
fennzeiepnen als fein „SRequiem“, ein ppilofoppifd^PthdiologifcheS 
©ebiept mit bem Sparafter beS Srpabenen unb einer Tenf: 
felbftftänbigfeit öon eiferner Kraft. Tiefes „fpope Sieb öom 
Tobe", TranmorS poetifeper Tobtentanj, ein pracptöod gram 
biofeS ©ernicptungSepoS mit ber eparafterooden Teoifc „lieber 
ben Tob fod man Weber Iacpen noch weinen“, bezeichnet bie 
burep $opeit unb Tiefe bet ©ebanfen: wie ©efüplswelt au3= 
gezeichnete Spipe feiner SEßeltanfcpauung, wie er fcpön jagt: 

Sin Sieb, in meiner (Sinfamteit erbaept, 

3n treuer SRenfthenliebe bargeöraept 
3US meiner @)eifteSfreipeit ftoljer ©ote. 


Ten ©eift btt 3*it> ben unöerftanbenen unb räthfelfcpmeren, 
Zeicpnet in treffenben Stricpen ©efang 3, unb bie Sofung beS 
ftarfen ©eifteS in biefent Taumel fpriept mit hochherzig um 
beirrter Snergie baS aepte Sieb aus. Klar unb feft ift ber 


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232 


3Dt* <feg*nt»art. 


Nr. 41. 


gataliSmuS, heute mehr unb mehr ber ©taube gtoffer Seelen, 
gejeicffnet. SBie menfdjtich fcffön trog unb nach ber unbeirrten 
©inficht in bie Siebrigteit ber ©ett, in ben Unbant unb bie 
Soweit ber SRenfcffen, bie jebera ebetn ©etl unb frönen ®e= 
banfen entgegenftreben, benn bocff ber überrotnbenbe unb ver= 
geffenbe ©ntfcfftuff ficCi gtei<hrooffl unb nach eitlem an bie 3ftenf<hens 
briiber ju lernen. ©djtuffrefultat, in einfacher ©röffe: 

Saff biefeS $erj, baS einft fo ftürraifcf) fällig, 

Saff eS in Staub jerfaflen .... 

3<t| fann lein neues Sebeit träumen, tann 
Sidjt hoffen, baff bie Xobten auferfteljn. 


©ir befiffen von ®ranmor „©efammelte Zicfftungen"; 
®erlin bei ©ebrüber fßaetel 1875, als tßracfftbanb mit bem 
Porträt beS VerfafferS in jweiter Stuftage; bie britte ift eben 
im ©urf. ®er 3«ffalt ift biefer: 

„fßoetifdje Fragmente", in erfter Stuflage etfcffienen 1861. 
®S finb 33 Stummem feffr verfdjiebenen Umfang«, vom jwei« 
ftropffigen Siebten bis jur groffen Sffapfobie, einige barunter 
freie Uebertragungen, jwei fragmentarifcff, unbebeutenb nicht ©in 
©tüd. Sffrifcffe, Iprifcffsepifche unb rein epifdje Zonweife. 

„Kaifer SÖtajimitian", eine Strt wettgefdjichtticher Xrauerobe, 
gebietet ju Sio be 3aneiro im Stuguft 1867, halb nadj bem 
erfdjütternben ©nbe beS ungtüdlidjen Kronprätenbenten. 

„®ämonen»atjer", ein ®ithfframbuS; wann entftanben? 
„Sequiera", ein phitofophifcffeS ©ebicfft erften SangeS; in 
erfter Stuft. 1869 erfdjienen unb bamatS fdjon Sluffeffen madjenb; 
enblidj oon bem ®idjter fetbft inS gfrowj öfifd^e übertragen 
(Stettin unb Sio be Janeiro 1875). 

®ie britte Stuftage wirb nach alter ©affrfcheintithteit einige 
neue Stummem bringen. 

©enn je ein Zidjter, fo ift ®ranmor burdj ein innerlich 
unb äuffertidj reiches, fcffwer bewegtes Seben gejogen. 3m 3affr 
1823 ju Sern geboren, ©proffe eines angefeffenen ^Bürgers 
gefdjledjt«, jum $anbetsfacff beftimmt, ffodjftrebenb unb abenteuer: 
luftig, wanberte ber talentvolle Knabe gleich nach ooüenbeter 
Seffrjeit, einem unbeftimmten innern ®rang unb angeborner 
Zffatenluft fotgenb, nach ©übamerita aus. Srafitien warb feine 
jweite Heimat; fie gab iffm SeibeS: weiten Spielraum für 
feinen taufmännifcffen UnternehmungSgeift, baju mächtige Stn= 
regung für baS bidjterifche Schaffen unb Weitbtidenbe ©ettaufs 
faffung; unbejwingtiche Energie unb SluSbauer haben ihn nach 
beiben Sichtungen geleitet unb geförbert. ®ie öftreichifche Se= 
gierung ernannte ihn jum ©eneratconfut. ©effr bebeutenbe 
Seifen in beiben Kontinenten, §u Sanb unb jur ©ee, im gtutffs 
burchhauchten ©üben wie im eifigen Sorben, haben feinen ©es 
fidjtstrei« erweitert unb feine fettenen ©prachtenntniffe bereichert. 
Sicht geringere Kraft als bem äuffem Stufbau feines Kaufes 
wanbte unfer Stutor einer ju ungewöhnlicher ®iefe unb Sichers 
heit gebiehenen ©eifteSbitbung ju, inbem er auf Siteratur unb 
Kunft ber vertriebenen ©ulturvötfer unb auf neue beutfche 
tßffilofopffie bie grünbtichften ©tubien verlegte. 

Subetn ich wich auf biefe äufferft turjen unb btoS ans 
beutenben Semertungen über fein Seben befdjränle, entfpreche 
ich entfdjieben feinen eignen Intentionen. Unfer Object ift eben 
ber ®ichter ®ranmor, nicht ber ©chtoeijer=©übamerifaner, 
nicht ber Kosmopolit, ber von frühefter 3ugenb an ein Seben 
ber Strbeit unb Stühe, beS Singen« unb Kämpfen« burcfjs 
gefochten hat; nicht ber ÜRann ber Zffat mit ben hoch unb weit 
reicffenben 3ieten; nicht bet ©ettmann, ber ungeheure ©eiten 
burchftreift, in hocfffteffenben Kreifen fid) bewegt unb aus leben«» 
frijcffen, bem alten unb bem neuen Kontinente wie bem launigen 
Djean abgejwungenen Stnfcffauungen ein ©ettbitb gewonnen hat, 
fo umfaffenb unb groff wie bie auS bem innerften Kern feines 
SBefenS herauSfpringenben ©ebanlen. Unb übrigen«: wiffen boch 
auch wir Stnbern, bie wir baS ©tüd haben, mit bem hoch» 
bebeutenben ©eift in engerem Sapport ju ftehen, wenig genug 
von bem an innem unb äuffern ©türmen reichen Seben. ®aS 


tPfeubonpm, baS et gewählt, ift ihm nicht eine btoffe SKaSle; 
er halt baran. ®aS Uebrige ift Stage ber Sutunft 

3ch nehme hier, frei umgeftattet unb wefenttich anberS 
combintrt, baS furamarifche Urtffeil auf, baS ich f*fih*t fdjon 
vor engeren Kreifen über ihn auSfprach- 

®aS Bufammenwachfen ber urwücfffig lemhaften ©djweijets 
natur, bet Satur beS StlpenbunbeS, mit ben mächtigen ©in* 
brüden ber fübamerilanifch=tropifchen Siefenbitber unb ber ges 
wattigen ffReereSfprache, baju bie tieffite innerliche Verarbeitung 
ber ©rgebniffe eines nach Snnen unb Stuffen hoch wogenben 
SebenS: baS jur concentrirteften ©anjheit burchgerungene 3®= 
einanberwirlen bet brei heterogenen gactoren, bie bod) aBe 
brei gleich fehr angethan waren, eine mit Stadht auf fi<h fteffenbe 
Verföntichleit ju fchaffen, ein KharahetganjeS, baS ftch fetbft ges 
jogen, geträftigt unb nun mit voller SBudht unb auffetgemöhns 
ticpem Seichthum intenfivft geifrigen ©ehatteS fich entfaltet unb 
auStebt, — baS ift ber urfräftige ©mnbtem ®ranmot8. ®aS 
hat in ihm ben originellen, fetbftftänbigen unb auf feltener ©öpe 
ber geiftigen SBarte fteffenben ®i<hter gejogen, ben wir als eine 
ejotifche ©rfcheinung anftaunen, währenb boch bie ©eifterwogen 
ftart funbirt heiwif^ f<hweijerifch ; beutf^e geblieben finb. SBaS 
uns feffetn muff, waS ju attererft verwanbte Köpfe non mehr als 
gewöhnlicher Schwere beS ©eprägeS, bie ähnlich Wudjtenbe ißro* 
ceffe beS ®enlenS unb tfüljtenö in pch burdhgelämpft haben, 
unwiberftehlidj ergreift unb ihnen trofe allet faft frembartig 
überrafchenben ©igenart beS ®idjtetS boch bie jauberhaft ers 
faffenbe Stnjiehung einer congeniaten Satur entgegenbringt, baS 
ift jenes tiefft innere Singen eines mächtigen ©eifteS, ba« feine» 
naturbebingten SluSbrud angenommen hat im eben fo mächtigen 
©orte. 

©eine SBettanfdjauung ift eine fchwer ernfte: bie bunletn 
garbentöne unb melan^otifchen Stnflänge brechen in jebem SÄo* 
mente burch; ber ©djmerj wühlt in ben liefen, unb bie ©es 
Witterftürme Juden witb ob bem Raupte. ®ie gtüffenb färben« 
prächtig an ber Xropenfonne gejogene ®i^tung hat bem Witben, 
üppigen, verjehrenben Seben bet Steguatorialtanbe als nächft ver« 
wanbteS ©tement bie tief bunlelnben ©djlagfchatten ber ®ropen= 
nacht entnommen, in benen bie jwetfelnb ahnenben ©ebanlen 
unb bie ftreitenben ©efühte wanbeln. ®et ®i<hter gehört faft 
gleich feffr beiben jpemifphären an, jwifchen benen baS SSeer, 
baS ihm fo vertraute unb verwanbte, baS Von itjw fo gefeierte 
unb oermünfchte, bie Vrüde bilbet. ©S ift, als ob ihm aus 
ben frifdjen, ruhelofen, inS Unenblidje hiaauSjiehenben SSeereS« 
wogen immer wieber befreienbe Kraft entgegenftrömte, wenn ber 
harte Kampf mit bem ©efdjid ober ber noch härtere mit bem 
eignen ©eift ober bann ber entnervenbe Strahl ber Zropenfonne 
ihn fcheint inS §erj getroffen ju haben. ®arum lebt unb 
ftrebt er immer wieber frifdh auf; wir fetjen ihn ringen offne 
Saft unb Suff’, aber nie finten; bie ©time trieft von ©cffroeiff, 
baS &ex$ blutet, baS ©emütff jagt unb jittert unter ber Saft 
unb ©nge unb SWiföre beS bcfcffränften ©nblicffen; aber auf ein* 
mal fcffwingt ber Stbter bie Flügel unb entführt uns befreienb, 
Haren StugeS unb ftarfer Vruft ins Unenbtidhe hinaus. ®ds 
Saufcffen unb Sotten ber ©ee, bie Sprache ber ewigen Seucfften 
beS Rimmels geffn burch feine Sieber eben fo Har unb ftart 
wie in geabetter Zrauer erfdjütternb ber ZobeSfampf ber Vom 
tßeftffauih ©etroffenen. ®er gebanlenfchtvere ©anberet fdffweift 
burch bie braptifcffen Urwätber, über fich baS Kreuj be« 
©übenS, unb baS Staufen beS riefig entfeffetten ©turnt« unb 
baS verföffnenbe Sunleln ber unentwegten griebenSfterne ffoch 
über att’ bem irbifchen Särm Weden in iffm tiefe, räthfet« unb 
geffeimnifffchwere ©ebanlen unb frifcffen bie alten, ffatb erftor« 
benen ©efüffte Wieber auf, gegen bie ber ®icffter Vergeblich P<h 
fträubt. grucfft ber granbiofen Satureinbrüde unb beS wuchtig 
arbeitenben ®enlenS ift eine groffartige, gefeftete, in fich ptffere 
©eltaufcffauung. ®te ©ebanlen ftrömen unS mit feltener Kraft 
unb Urfprünglichteit, mit einem geuer unb einer #offeit ents 
gegen, von benen bie alltägliche ®uobejtiteratur auch nicht bie 
blaffe Slffnung ffat. ®ie Vffantafie ift blenbenb reich, bie ©in« 
pfinbung rein unb waffr unb tief, bie Sprache prad)ri unb traft.' 

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Nr. 41. 


9tr (Gegenwart. 


283 


ooQ, baS @anje bet SBefefäeit biefer Sichtungen oon ienet §o= 
heit unb SBürbe getragen, welche nur eine SBett oon Seift ju 
oerleihen Oermag. 

Sanj nahe liegt bie auch fäon aufgegriffene Verglefäung 
mit greiligrath unb ^ermann Singg, mit jenem nach ber Stoffs 
weit, mit biefem nach ber XBeltanfäauung. Slber eS gibt feinem 
©emüthsleben eine mehr wohlthuenb anheimelnbe Abtönung, 
ba| bie @lutfj unb Fracht ber Sropemtatur ihn nicht willenlos 
gefangen nimmt, nicht geblenbet ben heimifäen SSurjeln ent» 
frembet. Sa$ Sllpenlanb mit bem fdjmeren norbifchen ©inbrud 
unb bie 3nnerlfäteit beutfeher SJiaturart finb trofj SlUem feine 
Siebe geblieben. Ser Sichter tarnt unb wi0 feine Slbftammung 
webet oerleugnen noch aufgeben, unb bie gebantenfehwere innere 
Statur reagirt gegen baS erbrüdenbe Uebergemicht jener heil er» 
fälaffenben, jener übermächtig fchaffenben unb eben fo berühren; 
ben Sropennatur. SuS biefer griction ift bie ®rö|e beb Sfä» 
terS ju ertlären, ben, fo fagt er fetbft, „baS Sdjidfal ju guter 
Stunbe hinausgeworfen in beS SebenS SSitrwarr". 3a, es ift 
bodj richtig gefagt worben: „Sin 3ug beS Heimwehs unb Ver» 
laffenfeinS jiet|t fich, bie KraftfüOe feiner temigen ©ebanlen 
wohlthuenb milbernb, burch atte feine Iprifäen Sichtungen." 
greilfä nicht jenes fäwädjtfä träntelnbe unb brütenbe Heimweh, 
baS er träftig Oon fich fäüttelt, wenn er unter eines feiner 
Vilber fchreibt: „Heimweh ift bie Kranlheit einer fäwadjen ober 
einer erfäßpften Seele." 

Allgemein ift bei Sranmor lein SBeltfämerz ju finben unb 
tro| aller bittem (Erfahrungen lein SRenfäenhafj, Weber Senti» 
mentalität unb feige ©ntmuthigung noch Saune, unb nicht ein 
Schatten jener frioolen Vlafirtljeit, bie in unfern europäifäen 
Stabten, in ben ßentren unferer raffinirten Kultur fo oiele 
flehten Seelen fafjt unb nicht feiten eine grojje ruinirt; eS ift 
nicht Spott in ihm unb nicht fchater SebenSüberbrufj. SBotfl 
abet auf jebem fßunfte ber wuchtenbe ®eban!en= unb ©ernüths» 
lampf, baS ^erumjuden ber Vlifce unb $ereinragen ber SBetter- 
wollen. Aber eben bie bewältigenbe SBaprheit beS Kampfes an 
fich macht fäliefjlfä wieber ben ©inbrud beS Serfäigenben, ja 
Verföhnenben; bie Schatten jerftreuen, ber äSahn löft fich üor 
bet tagfeharfen Klarheit beS burd)bringenben VlideS. So ent» 
Widelt er überall elegifchen ©ruft, aber nie oerfäUt er einer Spur 
oon elegifcher Schwäche; was er bietet, finb benlreife grifäte 
eines bebeutenb angelegten ®eifteS; ber Sinter unb Senfer 
finb in ihm ©ins. äJlii auf biefer Harmonie mag jene natür» 
liehe Vornehmheit feiner Sichtung ruhen, bie übrigens mit ber 
gfolirtheit ihrer Haltung jufammenftimmt. 

95aS als Klage auf bie Vefäränftffät menfälfäen Schaffens 
nnb ©eniefjenS, gfälenS unb SenlenS auftritt, auf baS Un= 
genügen unb bie Kteintichleit ber Summe in ^Hebern, was baS 
Seben bietet, baS ift aus bem ©rofjen unb Vollen genommen; 
felbft ber „Spleen" Wirb nicht weichlich ober eigenfinnig ober 
mürrifch; feine Stnflänge nehmen ben Son ftoljer ©ntfagung, bie 
fich tiar ift über Sftenfäengefäid unb 9Jtenfäenbeftimmung. 
Stfät bie läftige Stauer: was fruchtet fie? SSirten unb Senfen 
nnb bann — ipingepn ohne BRutren unb Klage, baS ift ber 
(Ehrtet, in bem bie Aufgabe beS ©injelncn fich erfüllt; es ift 
beS BJtanneS unwürbig mit bem Vethängnifj ju rechten ober 
barüber ju weinen. ©lefä gtofj oerhält er fich, ber bittern 
SebenSerfaprung unb BRenfäentenntnifj gegenüber. Soch ift baS 
©nbrefultat beS nnoermeibtfäen Kampfes jenes Sehnen nach 
Stolpe, bem er oft fo inftänbig ergreifenben üluSbrud gibt, ben 
hmigften, wenn er antnüpft an bie unauSlöfälfä treuen 3ugenb= 
erinnerungen. 

Selbftoerftänblich ift ein Sichter oon Sranmors Vebeutung 
nicht bentbar ohne ein urfprüngtich in ihm liegenbeS feines 
Btaturgefüpl. ©eine erfte Siebe hat bie uralt ewige See, auch 
wenn er ihre Süden fdjilt, unb ihr aObclebenber $aucp fließt 
ihm immer wieber frifäeS Seben inS wunbe tperj. Sie BRacht 
unb $racht ber Sropentanbe führt ber blüpenben Vhantafie ihre 
gro|artigen ®ebitbe ju, unb baneben wahrt er treu bie innig 
treuliche ©rinnerung an bie einfach befcheibeue tpcimat, aus 
ffialb» unb Vergleben norbifcher SSelt. — Sie ©infaeppeit ber 


SarfteOung ift ein Steflej oon ber SBahrpeit ber ©mpfinbung; 
eS ift mitten in ber UeberfüDe tropifä granbiofen Schöpfungen 
nicht bie erbrüdenbe gornten» unb garbenpraept eines greilig» 
rath ober SeatSfielb; immer unb aOentpalben mehr 3nnerlfä!eit, 
Seiben unb Sieben, Sehnen unb Sulben, Senten unb Schaffen, 
Blingen unb Kämpfen; baö BRenfäenperz in a0en Scalen feines 
VutfirenS, bem bie Statur bloS Spiegel ift, baS ift fein fjaupt» 
object, baS ©nbe — Vergeffen unb Stolpe im Sobe. 

Sranmor ift BReifter ber poetifchen Sprache unb rfäthmi» 
fchen gorm; oon bebeutungSfchwerer Kürze, ißräcifion unb Klar; 
heit, oon unnachahmlich natürlicher Roheit, ift’S eine marlig 
harmonieüoße Sprache — ißaffionSmufit. 

3 <h fältele ab: ©in fäwet wiegenber ©eift oon tief inner» 
liehet SBucpt, eine mit BRacht auf fich ftehenbe ißerfönlfäleit, ein 
©haralterganjeS, baS fich felbft gezogen unb gefeftet hat unb nun 
feltenen SRefäthum intenfioft geiftigen ©ehalteS auSftreut. ©in 
origineller Senler unb Sfäter, eine frembartige ©rfäeinung, bie 
Wir überrafät anftaunen. Sranmor Wirb ber Siebling fäwet 
geprüfter §erjen bleiben, beten Seiben unb Vitterfeiten er in 
ber Selbftthat ebler SRefignation abllärt. Unb je ftember er ber 
heutigen SllltagSftrömung fteht, befto höhet- 2Bir lieben ihn; 
benn er hat oiel getämpft unb gewirft, geliebt unb gelitten. 


3fi ber fleffttmsmttü fdjäblid)? 

Sou c£buarb oon Rartmann. 


3m festeren ©a|e ift SBahreS unb galfcheS gemifät. 3ft 
eS wahr, ba| ber religiöS»ethifäe 3bealiSmuS fich nax auf ben 
Srümmern beS ©ubämoniSmuS unb ber weltlichen ©eftnnung er» 
bauen !ann, fo fe|t feine fefte 3nfta0irung bie Ueberwinbung beS 
trioialen Optimismus burch ben empirifäen IßcffimiSmuS oorauS, 
fo ift bie Arbeit jur Vegrünbung beS lejjteren unb jum Sturje 
beS erfteren leine oerlorene SKfäe ©8 erfäeint ja auf ben erften 
Vlid einfacher unb bornehmet, bie empirifäe SBirllfäleit bloS 
am üftafjftabe beS religiös»ethifchen 3bealiSmuS ju meffen unb 
lebiglfä aus ihrer Unangemeffenheit gegen bie gotberungen biefeS 
lederen baS Verbiet ju begrünben, ba| fie nfätS tauge; aber 
eS Wirb babei oergeffen, ba| biefe ibealen gorbetungen fo leicht 
oon ber empirifäen SSirflichleit als überfpannte StuSgeburten 
einer unprattifäen Vh anta fie Oerfpottet werben, unb ba| ber 
Streit jwifäen 3beal unb äBirllfäteit nicht in a0en Köpfen mit 
bem Unterliegen ber lejjteren enbet. @S ift eine bünlelljafte 
Vermeffenheit beS 3bealiSmuS, in biefem an unb für fich fo 
Wenig IwffnungSootten Kampfe ben VunbeSgenoffen getingfääfjig 
ju oerfihmähen, ber ihm mit einem Schlage ben Sieg fichert, 
nämlich ben empirifäen ^effimiSmuS, welcher bie Stnfprifäe beS 
empirifäen SebenS ht ihrer ganjen Hohlheit unb |>altlofigteit 
aufbedt. Samit aber teuerer biefeS ©efääft grünblfä beforge, 
muff ihm 3eit unb Vaum gegönnt werben, fich atlfeitig barju» 
legen, ju begrünben unb feine ßonfequenjen ju jiehen; unb bie 
hierauf oerwanbte 3Rfäe ift lebiglfä im Sienfte beS religiös» 
ethif^en 3bealiSmuS aufgewenbet, ber babei genau fo oiel ge» 
winnt, als ber trioiale Optimismus oerliert. SBenn bemnach 
3bealiften fich über bie „mibrige Slbwägetei ber Suft unb Un» 
luft" befäweren, wefäe ber VeffimiStnuS übt, fo jeigen fie ba* 
mit bloS, ba| fie beffen eigentliches 3id bei biefem ©efääft unb 
ben SBertt) feiner Seiftung für ihre eigenften 3«tereffen noch 8®r 
nicht oerftanben haben. 

Sie anbre grage aber ift, ob nebeu unb über bem em» 
pirifäen ^fBeffimiömuS ber religiös »etljifäe 3bealiSmuS wirftich 
als ein Optimismus ju bezeichnen fei, wefäer biefe gefammte 
SBeltanfäauung, trofäem ber empirifäe VeffimiSmuS in ihr ent» 
halten ift, hoch ju einer optimiftifchen mache. ÜRun ift ja ju» 
jugeben, ba| ber ÜWenfch cr f t baburdj feine Wahre geiftige Ve= 
ftimmung erfüllt, ba| er feinen SöiUen in beu Sienft ber fitttfäen 
3 bee fteHt, alfo bie objectioen 3wede ju feinen 3weden macht, 
ba| bemnach auch fein Sßitte baS SDlajimum oon Vefriebigung 

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Sie ©egettmurl. 


Nr. 41. 


erlangt, inbem et aufhört, feine inbioibueßcn gwede ju oerfolgcn 
unb ftatt beten bie aßgemeinen 3wede beförbert; in biefem 
Sinne fönnte man aflerbing« biefe Hitfchauung einen relatiben 
DptimiSmu« nennen, momit abet noch nidjt gefagt ift, ob fie 
abfolut genommen Optimismus ober Bcffimiömu« ^eifeen müffe. 
Seziere HUernatioe ift nut barau« jn entf^eiben, ob jene« rela; 
tibe SSajimum bet ©iflenSbefriebigung oberhalb obet unterhalb 
be« Snbifferenjpuuft« bet ©mpfinbung liege, — ob bie @e= 
WiffenSrufje, toeldte bie fittlicfte SebenSführung gemährt, unb bet 
£>erjen«friebe, ben bie teligiöfe Berflärung be« fittlic^en Streben« 
oerfdjafft, wirtlich pofitioe ©erthe auf ^et Stufenleiter be« ©e= 
füljl« finb, obet ob fie nur bie Befreiung Don gemiffen ©attungen 
bon Unluftgefüljlen batfteßen. 3« bet Iljat fann mau fabge; 
feljen bon bet rafdj oerflingenben ©ontraftluft be« Auftreten«) 
nur ba« leitete gelten laffen; bie ©ewiffenSruhe befreit bon ben 
Sorgen unb Dualen, bie eine nicht fitttidje SebenSführung oer; 
urfadjt, unb ber teligiöfe £)erjen«friebe befreit bon bet Unruhe 
be« weltlichen Dreiben«, bon ben ©nttäufdjungen, loelcfje bie „3agb 
nacft bem ©lüd" ftet« bom Seuen bereitet, — abet beibe finb 
unfähig, ein pofitioe« ©lücf obet eine bauernbe Seligleit ju ge= 
mähten, ja fie finb fogat unfähig, aße obet auch nut bie meiften 
Oueflen ber Unluft ju oerftopfen unb ben empirifchen Unluft= 
überfcfjuh be« Beben« auch nut annäfjetnb oerfdjwinben ju laffen. 
Denn bet Kampf be« fittlidien ©iflen« mit ben Jelbftfüdjtigen 
Begebungen bauert fort, unb wie fel»r auch bet Sieg be« erfte; 
ten freuen möge, fo toenig fyört boc^ ba« Unterliegen be« leiteten 
auf, al« ffiinbujje an ©lüd unb al« fdjmerjlidje« Opfer em= 
pfunben ju werben. Slud) nach bet Durdjfdfjauuitg bet Sßufion 
be« ©ubämoniömu« bleiben bie Driebe, weil fie auf natürlichen 
Anlagen berufen, in Kraft, unb forbetn immer neue Befämpfung 
unb ©achfamfeit, wenn nidjt bet fittliche SQBißc öon ihnen über; 
rumpelt werben foß; ber empirifche ißeffimi«mu« bietet ja nur 
bie $anbtjabe, um bie Selbftoerieugnung ju erteilen, aber er 
erfpart bodj nicht bie Arbeit, fie ju erringen, unb fdjmälert barum 
auch nicht ba« Berbienft be« Uebetwinber«. ©eit fchweter al« 
bie« faßt jeboch in« ©ewidjt, baff bie #errf<haft be« religiös; 
ethifchen SbealiSmu« erften« bie äJtadht ber natürlichen Uebel 
(j. 33. Krantheit, ßtotlj K ) über ba« menfchliche ©lüd ganj un; 
gebrochen läfjt, unb baff er jweiten« bie Sphäre, in welker ber 
SRenfch gciftigen Seiben unb Sdjmerjen auSgefeftt ift, fchr be; 
beutenb erweitert. Sefttere« gefchieht in hoppeltet Sichtung, einer; 
feit«, inbem ber ÜRenfch jv ben natürlichen hinju neue ethifche 
StrebenSjiele gewinnt (j. B. politifcher, focialer, firdjticfjer Hrt) 
unb mit biefet ffirweiterung feine« ©ißenSinljaltS auch eine ent; 
fpredjenbe Bergröherung be« Ueberf<hüffe« ber nidjtbefriebigten 
über bie befriebigten Begebungen erfährt, unb anbrerfeit«, inbem 
er mit jeber erweiterten Stuäbeljnung feine« eigenen Selbft auf 
anbre Snbibibuen (oermittelft ber Siebe) beren Unluftüberfcftuh 
fpmpathifdj mitjutragen belommt unb bem Sd)idfal immer mehr 
ißunfte bietet, an benen fein £>erj Perwunbbar ift. $ierau« geht 
heroor, bah ber religiö«;ethifdje SbealiSmu« wohl ba« Beben in 
ben retatio erträglichften 3uftanb oerfeften, aber nimmermehr ju 
einem pofitiö glüdfeligen machen lann, baff alfo ber fßeffimiämu« 
auch ba int 3ted)te bleibt, wo bie empirifdje ©irflicijteit be« 
Seben« religiö«;etljiich geläutert unb berltärt ift. 

hiergegen wenbet fich nun Wieberum ber Dptimi«mu« mit 
bet Behauptung, bah bie« eine gefährliche Sehre fei, Welche 
butdj ihre 4?offnung«lofigfeit leidjt baoon abfchreden tönne, ben 
Kampf muthig aufjunehmen unb burdjjufüben, ber bodj jeben; 
faß« für ba« Snbiöibuum ohne pofitioe« ©rgcbnifj bleiben foße. 
Ülber bie« ift ein ©inwanb, welcher in ber $auptfadje in triöia; 
len Dptimi«mu« unb ©ubämoniSmuS jurüdfäflt unb bie SGBütbc 
be« religiö«;ethifchen SbealiSmu« oerleugnet, welche foeben 
in anberer Sichtung in bünfelhafter Bermeffeuheit ju über; 
fpannen oerfudjt würbe. 

©enn bie oon mir bargelegte peffimiftifche anficht un= 
richtig Wäre, b. h- Wenn bie $ertfdjaft be« religiös;et^ifd^en 
Dptimiämu« wirtlich troft aßem empirifchen BeffimiSmuS ju 
einer pofitioen ©lüdieligleit führte, bann wäre fofort aße ©tljif 
unb Seligion oon Steuern in ben ©ubämoniSmuS jurüdgeftürjt, 


au« beffen Umftridung ber BeffimiSmuS fie ju löfen gefugt 
hatte. Der natürliche Btenfdj in feinem inftinctioen ©goiSmuS 
Wiß unb fueftt ja nicht« anbre« al« feine ©lüdfeligteit; oon bem 
Hugenblid an, wo man ihm jweifello« Har gemalt bah er 
biefelbe auf bem gewöhnlichen ©ege nicht finbet, bah er fie aber 
auf bem ©ege ber Seligion unb Storal um fo ficherer finbet, 
wirb er biefen leiteten ©eg befdjreiten, aber eben bamit Seligion 
unb Storni ihre« ©horatter« als 3beali«mu« enttleiben unb ju 
einem im Bergleich jum gemeinen ©ubämoniSmu« nur etwa« 
oerfeinerten ©ubämoniSmu« herabwürbigen, b. h- fie in ihrem 
©efen al« Seligion unb Storni oernidjten unb fie burdj egoiftifche 
Bfeuboreligion unb fßfeubomoral erfe|en. Diefe ©rfahrung 
brauchen wir nicht erft ju machen; bie ganje bisherige ©efdhichte 
ber Seligion unb Storni prebigt biefe ©aljtheit mit taufenb 
3ungyt. HuSnahmen hot e« }wat immer gegeben, Stenfchen, 
bie oon fo hoher Selbftoerieugnung erfüßt waren, bah fie ohne 
Südficljt auf bie ihnen au« bem religiö«;ethif<hen Optimismus 
oermeintlidj erwachfenbe ©lüdfeligteit bodh einer echten Seligio; 
fität unb Sittlichteit hulbigten; aber bann waren biefe Stenfchen 
beffer al« ihre X^eorie (wie ba« öfter oortommt) unb 0«; 
leugneten prattifch ba«, Wa« fie theoretifch glaubten, wenn nicht 
gar ein mehr ober minber beutliche« Bewuhtfein oon ber Un= 
Wahrheit biefer Dheorie (alfo oon ber ©aljrheit be« BefftwiS* 
mu«) in ihnen }um Durdjbruch gelangt war, bureb welche« fie 
fiih ebenfo theoretifch jn ber herrfchenben 31nfid)t ihrer 3eit in 
©iberfprud) festen, wie fie e« burch ihr prattifche« Berhalten 
thaten. Sold>c Hu«nahmen fönnen alfo bie Segel nicht um; 
flohen, fonbern nur beftätigen, bah, wo ber ©taube an eine 
burch Seligion unb Storat erreichbare pofitioe ©lüdfeligteit fich 
einniftet, ber religiöS=ethifche SbealiSmu« in pfeuboretigiöfem unb 
pfeubomoralifdjem ©ubämoniSmu« ju ©runbe gehen muh- Soll 
edhte Sittlichteit pfpchologifdj möglich bleiben, fo barf ©tttdfelig; 
feit Weber auherhalb ber Sittlichteit noch oermittelft berfelben 
erreichbar fein, b. h- ber DptimiSmu« in ber fittlichen unb 
religiöfen Sphäre ift nicht minber oerberblich für ben 3beali«; 
mu«, wie ber trioiale DptimiSmu«. 

©ie oon ber ©efatjr be« leiteten nur ber empirifdje 
BeffimiSmuS befreien fann, fo oon berjenigen beB erfteren nur 
ber B^ffiw^w^ fchledhthin, ober bie Sehre, bah oof feinem 
©ege ein Ueberfchufj ber Suft über bie Unluft erreichbar fei. 
Diefer BeffimiSmuS ift alfo ebenfo wenig fchäblidj Wie bet 
empirifdje, fonbern eine ebenfo notijmenbige unb unentbeljr; 
liehe Borbebingung wie jener für bie Sicherung be« religio«; 
ethifchen 3beali«mu« in feiner ©djUjeit unb Seinheit. 3ft ein 
3nbioibuum unfähig, feine Kräfte bem religiös ethifchen 3bea; 
liSmuS ju wibmen, wenn e« feinen pofitioen Sohn für fich baoon 
jieljen foß, fo ift e« ein Kämpfer, welcher ber Roheit unb ®r= 
tjabentjeit ber Sache bo<h nur fdjledjte unb unlautere Dienfte 
leiften würbe, ein feiler Sötbling ohne ©tauben unb Siebe jnr 
Sahne, beffen bie religiöfe nnb fittlidje 3bee füglich entrathen 
fann. ©enn bie Bertheibiger be« religiö«;ethifchen SbealiSmu« 
nicht mehr fo oiel Bertrauen ju feiner BegeifterungSfähigleit 
haben, bah fie ba« Hngewiefenfein auf uneigennüfcige Dienfte 
für gleichbebeutenb halten mit oerlorenem Kriege, bann thäten 
fie felbft beffer, ben geiftigen Kampf für Sbcen aufjugeben nnb 
fidh mit nüfclidjer $anbarbeit ju befchäftigen. ©er felbft oon 
bem ©nthufiaSmu« für bie ©ahrljeit unb Seinheit feiner Sbrale 
burchbrungen ift, ber fann fotdje Umfchau nach gemietheten 
Streitern, foldj’ ängftlicheS |>üten ber jur Beftedhung ber 
©laubenSlofen beftimmten Schäfte oeraeftten, unb fiegeSgewih 
barauf bauen, bah bie 3bee nid^t fo ohnmächtig ift, fidj nicht 
burch eigene Kraft bureftgufeften. ©ofern nur Seber ihr reblidh 
bient, ber fidh öm ihrem ©elfte ergriffen fühlt, fo ift feine Sott) 
um ihren Driumph; wa« am meiften hemmt, ift ber fatfdje ^>in« 
weis auf einen Softn, ber hemadh bodft auSblecbt, ba« Hein; 
mütljige Belagen an ber Kraft uneigennüftiger Begeiferung, 
ba« zugleich einen anftedenben unb einen täljmenben ©influh hot 
unb ba« Berbädhtigen unb Berteftern berer, welche im Ber* 
trauen auf biefe Kraft bie ©ütbe be« SbealiSmu« oon lohn; 
füdjtiger Befledung rein ju erhalten beftrebt finb. 


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Nr. 41. 


Dir (Segen wart. 


285 


SBtmt man immer ben {Menjcßett prebigt, baß fic ju fcßwach 
finb, bas ©ute um feiner felbft mißen unb oßne fcßielenben 
Seitenbtid auf ben Soßn ber eigenen ©lüdfeligfeit ju tßun, fo 
ifl es in ber $bat fein SBunber, wenn bie in folgen Sehren 
Huferjogenen erfcßreden unb cor Schwäche jittero, wenn fie auf: 
geforbert werben, ber 3bee ju bienen oßne jebe Hoffnung auf 
baburdj ju etreicßenbe ©lüdfeligfeit. SOBütbe man ber 3ugenb 
twn Wnfang an ben IßeffimiSmuS prebigen, wie man es je|t 
mH bem Optimismus tbut, fo mürbe fte ficb ganj unoermerft 
in ben uneigennüßigen Xienft ber 3bee eingewößnen, unb jene 
läßmenbe §urd)t oor ber eigenen Kraftlofigfeit gar nlcßt fennen 
fernen. SBenn bie Ißotfacße unbeftreitbar ift, baß wiflenSfcßwacbe 
Maturen bur<b bie gumutßung beS VerjicßtS auf inbioibueßeS 
©lüd entmutßigt unb ©om Kampfe abgefcßredt werben, fo ift 
für bie {Möglicßfeit einer foldjen KrifiS unb für bie fcßlecßte 
Vewäßtung ber Einjelnen in berfelben nidjt ber ißeffimiSmuS, 
weither barcß Verbreitung feiner SBaßrßeit eben nur für ben 
refigiö8:eibif<bett SbeatiömuS fämpft, fonbern ber Optimismus 
©erantwortlicb ju machen, ber feine fo fange 3<ut unbeftrittenc 
fterrftbaft baju mißbrandjt hat, bie menfr^tit^e Statut in ihrer 
Schwachheit ju beftärfen. Stuf ben b ctr f<h enbcn Optimismus 
f&ßt bie Scßutb, buttb beftänbigeS Umfcßmeicbeln ber ©inbilbungS: 
fraft mit ben ©Übern pofitioer ©lüdfeligfeit baS Stuffommen 
einer männlichen ©ntfagungSfäßigfeit, reinen Vegeifterung unb 
uneigepnübigen Eingebung ©erßinbert ju haben, unb ben im 
{Menfcßen ronrjefnben ©ubämoniSmuS, anftatt ihn auSjurotten, 
vietmebr geßätfchelt unb ßöcbftenS auf baS ©ebiet beS religiös; 
ftttticßen SebenS eingefd)ränft ju haben, fo baß nun bie an ben 
SRenfcßen berantretenbe fforberung, auf beit ©ubämoniSmuS in 
jebet Sorm ju ©erjicßten, als etwas Unerhörtes, alle {Menfcßen: 
fraft UcberfteigenbcS, baber Unerfüllbares erfcßcint. 

$!iefe gorberung, trof} ber Unerrei<bbarfeit eigenen ©lüdeS 
tapfer weiter ju fämpfen unb ju ftrcben, wäre in ber $b°t un= 
erfaßbar, Wenn ber Kampf wirflicb ein ergebnißlofer unb jroed; 
lofer wäre. Slber bem ift nicht fo, ©ielmebr bat ber Kampf ein 
jroiefacßeS ©rgebniß, ein fubjectioeS unb ein objectioeS. Sub= 
jectib führt berfelbe baju, bon aßen möglichen ßebenSlagen bie 
retatib etträglicßfte ju erreichen unb bie innere ©eijteSanlage 
jur geftßaltung unb Vertiefung biefeS SwffanbcS (b. ß. bie 
religiöS:etbif<be ©efinnung unb ben erworbenen ©ßarafter) immer 
bofffommener auSjubilbcn; ob jectib führt berfelbe baju, ben ©nt: 
widelungSproceß ber {Menfcßbeit ju beförbern unb feinem 3>ete 
nähet ju führen. SBäre nicht bie relatib erträglichfte 2ebenS= 
Inge als fubjectiber ©eminn beS Kampfes in üluSftcbt, fo wäre 
es bem Snbibibuum aßju fe^r erfchwert, ben Kampf aufju: 
nehmen unb burchjufüßren, ba bann bie anbern, relatib ertrag; 
fieberen ßebenSlagen ihn bon bem Dienfte beS SbealiSmuS ab: 
jujieben fuehen würben; märe nicht bie fortfeßteitenbe ©nt= 
widelnng bet SRenfcßbeit eine Uhatfaebe, an welcher ber fütlicße 
Kampf beS ©tnjelnen beförbernb unb befcßleunigenb mitwirft, 
fo wärt baS Streben ein objectib jwedtofeS, baher in fleh miber= 
finniges, unb ber OuietiSmuS aflein im Stetste. {Man fann 
beShalb baS fubjectibe ©rgebniß beS Kampfes als bie pftjcßo: 
logtfcße, baS objectibe ©rgebniß besfelben als bie logiftbe Vor: 
bebingung feiner praftifchen {Möglicßfeit bejeidjnen. ®er wahre 
©effimiSmuS, welcher jmar bie ©rreießbarfeit pofitioer ®tüd= 
ftligfeit auf jebe SBeife leugnet, aber bie Erreichung ber relatib 
ertr&gtUbften ßebenSlage burch fittlicbeS Verhaften behauptet unb 
Weiset jugleicß bie Uebetjeugung bon ber unaufhaltfam fort: 
jdjteittnben ffintwidelung ber SRenfchbeit unb beS SBeltganjen 
ni^t auS:, fonbern einfchliefjt, bereinigt bemnach in ficb *>ie 
nötbigen pfpehofogif^en unb logifchen Votbebingungen jur ©r; 
mögficbUng einer opferwilligen Eingabe bet ©erfönlichfeit an 
btn prooibentieHen SBeltfauf, b. b- an ben JJ3roceb ber fort; 
jdjreltenben Verwitflicbung beS religiös :etbif^en SbealiSmuS, 
tbenfo wie er aßein bie VafiS ift, auf welcher biefer SbealiSmuS 
rein unb lauter gebeihen fann. 

SB(r beWu^t ober unbewußt im ©ubämoniSmuS befangen 
iß, ber fann’fich unb miß ficb natürlich auch *> { n eubärnonologifhtn 
Optimismus ni<bt rauben laffen, ber mag ficb mit einem bloS 


I teleologifchen Optimismus ber ©ntwidelung nicht jufrieben geben; 

I umgefehrt, wer bem eubämonologifcben Optimismus bnlbigt, ber 
| fann fogifeber SEBeife unb thatfäcblich über ben ©ubämoniSmuS 
auf feinem ©ebiete ber praftifchen Ißfjrtafopbi* b< nfl u8, alfo auch 
nid^t in ^Religion unb SOloral. 2113 Kant bor einem Sfab r b un bert 
ben großen Kampf mit bem ©ubämoniSmuS im Sinne einet 
autonomen SRoral unb rein moralifdjen Religion aufnahm, ba 
fonnte er teiefen 3ufammenhang no^ nicht burdjfchauen, burch 
welchen ber ©ieg feiner Sache aufgebatten werben mußte; jmar 
I war er entfdjiebener ©effimift*), aber er ahnte noch niept bie 
| praftif^e 9fothwenbigfeit, burch ßegreiche ©ntfaltung biefeS ißeffi* 

J miSmuS bem Siege ber autonomen SJtoral oorjnärbeiten. ®ie 
Unentbebrlicbfeit biefer borherigen ©ntwidelung beS ©effimiSmuS 
für gewöhnliche Sterbliche fonnte nicht fdjlagenbet bargetban 
i werben, als burch bie Xbatfadje, baß in Ermangelung biefer 
Vorarbeit felbft ber Vroptjet, welcher gefommen war, ben alten 
©öpen ju ftürjen, ihm auf einem Scitenattare opfern ju müffen 
; glaubte. 2lnftatt aus bem biametralen ©egenfab bon ©ubämoniSmuS 
unb Sittlichfeit ju fdßießen, baß nicht nur für baS ©rbenleben 
fonbern ganj aßgemein für baS enblidje ©eifteSteben in jebet 
©eftalt bie ©lüdieligfeit nicht als erreichbar gebaut werben 
j fönne, ohne baS SBefeu unb' bie praftifeße SRöglichfeit ber Sitt« 

| liebfeit ju jerftören, fcßloß er oielmeßr barauf, baß es eine 
jenfeitige ^ortfebung biefeS ßebenS geben ntüffe, in Welchen ©ott 
biejen ßienieben befteßenben ©egenfab auf eine uns unbegreifliche 
SEBeife oufßebe, unb bie lugenb mit einer itjr proportionalen 
©lücffeligfeit beloßne. ®iefe Vertröftung auf bie Sufunft erwies 
! ficb bamalS freilich als eine 2Rilberung, oßne welcße bie ungewohnte 
| $ärte ber SEBahrßeit noch weit heftigeren SBiberfprucß erfaßten 
| ßätte, als fic wirftieß fanb; als aber bie SBlacßt biefer 3n= 
funftsoertröftung oerfiel, ba feßwanb auch bie $)ulbung gegen 
' ben SRigoriSmuS ber Kant’fcßen SKoral, unb fie mußte fteß 
! eine Verf(ad)ung im eubämonißifcßen Sntereffe gefaflen laffen. 
SEBaS Kant erftrebte, bie {Reinigung beS fittlicßen unb religiöfen 
VewußtfeinS tjon jeber Verguidung mit ©ubämoniSmuS, baS 
ganj ju toßbringen, iß ßeut unfre 2lufgabe, unb ber SßtfßnriStnuS 
ift bie Saßne, unter wetdjer aflein biefer feßwete Sieg erfochten 
werben fann unb wirb, ber ju einer oößigen Erneuerung beS 
fittlidjen unb religiöfen ßebenS führen muß**) $ie ben Sßeffi= 
I miSmuS befämpften, finb ßeute noch biefelben ©egner, welcße 
J feinerjeit bie autonome SRoral unb {Religion Kants befämpften, 
I bie irbifeßen unb tranScenbenten, bie offenen unb bie ©ertappten 
| ©ubämoniften. 2lber fie werben ben Sieg beS echten religiös: 
) etßifdßen 3beatiSmu8 über ißren eubärnoniftifeßen VfeuboibealiSmuS 
beSßalb nießt ßinbern tönnen, weil ber {JJefßmiSmuS injwifcßen 
feine Vorftufen bureßtaufen ßat, unb ju einet SDRacßt geworben 
ift, ber gegenüber fie ißre Dßnma^t bereits ju füßlen beginnen. 

i .... 


; Die internationale ftonftoHSftellung jn Ülüntßen 1879. 


VI. 

Ueber bie beutfeße {Malerei bet ©egenwart unb ißre nant: 
ßaften Vertreter' bin icß an biefer Steße fo oerfcßicbentlicb Per« 
anlaßt gewefen meine {Meinung ju äußern, baß icß mich ßeute 
auf fnappe {Ranbbemerfungen ju ben mandhetlei neuen Vitbern 
unb wenigen neuen Manien befeßränfen fann, welcße ber SMuncßener 
2luSfteflung aus biefem Voben erwaeßfen finb. 3nbeffen aueß 
bie fürjefte unb lüdcnßaftefte 2luf}ählung beS unter aßen Um: 
ftänben 2luSfteßuugSwertßen muß, Wie icß meine, 3weifler unb 
Oberflächliche nacßbenflicß maeßen. SDRag ber ©efammteiitbrnd 
uitferer beutfeßen 2lbtßeilung aueß mäßig gewefen fein, bei un= 
befangener ©injetbetraeßtung fießt bie Sacße ©ott 2ob boeß ans 
berS anS. 


*) ®gl. meinen Huffap: „Kant als Sater beS {ßefftmiSmuS"; betfelbt 
erfdjeint Anfang näcßften SaßreS in „Unferc Seit". 

**) 35gl. meinen «uffaß: „Kants Steinigung ber TOoral oon ber 
©lüdfcligfeitSleßrc" („3m neuen Steiß" 1879, 9h. 85). 

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286 


Die «egenwurt 


Nr. 4L 


SBeit »oran ftel)t SRünd)en felbft, troft ber peffimiftifchen 
Refignation, mit welcher feine Künftler »ielfadj bie eigene 2luS: 
ftettung ju ©unften anbetet ©ruppen h«abfeften, unb bie Wof)l 
nur ju einem I^eil in ehrlicher Selbfterfenntniß, jum anbeten 
bielmefjr in ben mancherlei üblichen Reibereien ihren Urfprung 
hat, welche, mie überall, wo ein Künftlerzufammenwirfen ge= 
forbert wirb, fcf)ließlicb baS Refultat oetfümmetn ober bie Öreube 
an bemfelben minbern. 

Sie fehr eS fie auch wurmen mag, baß fie im ©laSpalaft 
nicht ganz gezeigt haben, Was fie fönnen, — Stnberen geht eS 
nicht anberS, unb auch fo wie fie ba finb lönnten bie Münchener, 
ben übrigen beutfchen Kunftftäbten gegenüber, jufrieben fein mit 
ihrer Rusftettung. 

Gleicher unb oielfeitiger entwidelt fi<h laum ein Silb im 
©ebtänge beS ©taSpatafteS als jenes ber Rtüncfiener Kunfb 
thätigfeit. Dh ne langes Rubriciren unb ängftlicheS Rbwägen 
glaube ich baS im Bolgenben, eigentlich ohne mein Butljun, ju 
beweifen. ©S bebarf lebiglidh ber ©rinnerung, ber EoSlöfung 
auS bem ©otbrahmendwoS, beS RadjeinanberS in beliebiger 
Reihenfolge anftatt beS noch beliebigeren RebeneinanberS im 
©laSpalaft. 

SaS anjiehenbfte unb für mich überjeugenbfte Silb ber 
SRündjener Slbtfjeilung hat SB. Siez in feinem „Strauchrittet" 
auSgeftetlt. Ruch fein ©ferbemartt ift oon einer fünftlerifchen 
fiebenbigfeit überall, wie fie nur bei SJtenjel wieber ju finben 
ift, neben Welchem Siez ju ben reichftbeanlagten SRalern ber 
ganzen RuSftetlung gehört. Ueberjeugenber Künftler fein lann 
man nicht, mie Siez in biefen Keinen Sachen, bie gleichfam 
hingefchrieben RÜeS enthalten, was fich nur beobachten unb er: 
ftubiren läßt, unb babei oon einer SBärme ber fünftlerifchen 
©mpfinbung getragen finb, Welche alle Beiten berfteljen werben, 
möge ihr Kunftintereffe wohin immer gerichtet fein. 2BaS fchabet 
eS, Wenn biefer fpielenbc Slufmanb oon ©efchmacf unb allen 
malerifchen Talenten bie meiften Siez’fdjen Silber auSfehen macht, 
als wären fie forgtoS unb fertig aus bem alten unfehlbaren 
Schüttelärmet beS BüuftratorS als fliegenbe Slätter ins Rublicum 
geflattertl — Son feinem großen ©efolge mögen eS jmei für 
Rtte thun. Bunächft Küftl („3m Sitetier," „Rtußeftunben" unb 
„8tötenfpieler"j, ber gefchicftefte bietleicht Oon allen jüngeren 
SRüttcbenent, wenn auch teiner oon benen, beren Schäftung mit 
Sicherheit ©enerationen überleben wirb. KüljlS ©efchmacf ift 
Sinn für mobifeften ©hic. Sin ber Ratur reizt ihn fdjwerlich 
bie ©rfcheinung, fonbern bie Slrt, mie fie fich »ertragen läßt. 
Seine Silbwirfung beruht meift einfeitig auf Barbengegenfäften. 
Slber an pointirter ©efcfticflicbfeit in biefem Sinne hat er in 
Seutfdjlanb wenige Seinesgleichen. Sann Saupheinter, ber 
mit feinen „SlmateurS" hi« bie ziemliche Reihe berer oertreten 
mag, bie, oftne birecte Siezfdftüler ju fein, boch iftw ftärffte Rn= 
regung auS Siej’fdjen Silbern fchöpfen. 

SBaS feine gäbigfeit anlangt, bor allem Surcheinanber, 
Sewegung bunter erregter SRaffen ju feften unb barjufteHen, fo 
gehört auch 3- 3- Staubt ju ben ©eifteSoerwanbten ber 
SRenzel unb Sicj. ©rft oor bie Rttematibe „charafteriftifch ober 
malerifch" gefteHt, würben fie fich oiefleidjt ganz beutlich unter: 
fcheiben. Sranbt griffe ohne Sebenfen nach bem farbigen Reij 
ber ©rfcheinung, ttftenzel ginge ihren ©haraftereigenthümlichfeiten 
nach u >tb enoifchte babei nebenher eine tüchtige Rortion oon 
jenem, Siez hi n 9 e 8 en Mme, fäfte unb malte SeibeS, als ob für 
iftn baS ©ine oftne baS Slnbere nicht ejiftire. SranbtS „Sartaren* 
fdhlatht" gehört ber Rationatgaterie unb ift ben fiefern biefeS 
StatteS befannt. Sie erreicht baS Surcheinanberflimmern bon 
Farben, Bormen, Semegungen, Stoffen, Wie es fo ein Kampf: 
gewirr barftetlen muß, in nahezu unbegreiflichem ©rabe. Sroft: 
bem habe ich oor feinem „Reitergefecht aus bem breißigjäßrigen 
Kriege" oiel mehr unb ruhigeren ©enuß gefunben, als bei bem 
auftegenben ^inunbfter, mit welchem jenes ftupenbe Sitb auch 
ben empfänglicftften Sinn abßeftt. 

SRit Sranbt finb Wir in bie ©influßfpähte ©ilotpS ge: 
treten, ber im ©laSpalaft felber nur in taufenben oon Slnregun« 
gen oorftanben ift, bie befanntlich bis Sefregger unb SRatart 


reifen. 9. SBagner hat mit feiner, fpanifchen ©oft wieber 
ein neues Sljema gefunben, um feine lebenSbotten aufregenbea 
Sferbefcenen glücflich ju oariiren. ©ierimSfiS blaue Sßarforce: 
jagb aus ber Rationalgalerie fieht noch h eu te fo fein aus wie 
bor 3ah«n, aber auch bie ©ile ber 3agb fehlt bem Silbe nach 
wie oor. Sen früher feftt talentoott unb befonberS in ber 
Sferbematerei gefeßidt auftretenben Baber bu Baut berftehe 
ich nicht mehr, webet in feinem lebensgroßen Reiterporträt beS 
Kronprinzen, noch tn feinen gefuchten coloriftifchen SBagniffen 
(„fiagernbe Staber", „Serfauf SofephS"). Otto Seift ift mir 
bieSmal mit feiner „Stbenbtanbfchaft" lieber als in feinen thentra: 
lifcften „Söhnen ©buarbs". Sort ift feine Barbe menigftenS 
oon großer becoratioer Schönheit, ©rüftner wirb immer unoer: 
baulicher, je beliebter er beim oerehrtichen ©ublico wirb. Sie 
KinbeSmörberin oon 3Raf ift ein echter 9Raj in jeber Sejiehung. 
Such fie »erfchteiert für ben Kunftfreunb bie abßchtliche Spe: 
culation auf bie Rerben blafirter Sefchauer unter beftridenber 
Schönheit unb Süchtigfeit ber SRalerei. Siet Raum unb ein 
befonbereS 3«tereffe nimmt bieSmal ber prächtige Sefregger 
in ülnfpruch- Rber ich tann es troftbem nicht für ein ©reigniß 
halten, baß er mit feinen $oferbilbetn unter bie „fpiftorien-- 
maler" gegangen ift. Sietmeftr bin ich ber nüchternen Rnficftt, 
baß ber treffliche Künftter biefe großen Bifluren, bie auf feinem 
„teftten ©ang" ju einem großen SRoment bereint finb, nicht in 
bem SRaße, malerifch wie ntenfdjlich, belebt unb auSfüQt, Wie 
j. S. bie Heineren feiner „heimfebtenben Siroler 1809" (früher 
an biefer Stelle befprochen). Sefregger foUte bleiben was ihm 
bisher genügte: ein ©injiget in feiner Slrt, unb nebenher fo 
watmempfunbene, reijootte ißorträtftubien malen, wie er eine 
in 9Rünchen auSgeftetlt hat. Seine £>oferbitber werben weniger 
ihm als bem Waderen SanbWirth ein Sentmal feften, infofern fie 
wenigftenS beffen ©ebädjtniß in eblerer ©eftalt feinen ßanbS: 
teuten ins ©ebächtniß jurüdrufen, als bieS burch baS lächerliche 
©rabbenfmal ju 3unSbrud gefächen fann. Reben Sefregger 
mögen gleich ©abt unb SR. Sdhntib in üblichem Rbftanb hi« 
iftren Wohlberbienten SfBlaft finben. 

£ e n b a ^ S SJtoltte aus bet Rationalgalerie ift betannt. Sein 
als ©enbant baju gemalter SiSmard erfefjeint hi« in SRünchen 
jum erften SRate öffentlich- 3<h habe über bieS neuefte Sßorträt 
beS großen SilbnißmalerS in SRündjenet Kiinftlerlreifen wenig 
©uteS fagen hören. Slber bort ift man £enba<h eben gewohnt 
unb wirb iftm barum als einem Alltäglichen nicht mehr ganz 
gerecht. Sludj l) at man beffere ©orträtS oon iftm gefeften, unb 
bon biefen aus, bon bem Seften was unfete Beit im Sßorträt 
gefchaffen hat, finb folche abfällige Urtheile ju berfteften. Ruch 
einem Xheil unfcreS ©ublicumS muß man unb jwat über ben 
SRanget an Rppretur hinweghelfen, ber ben meiften SenbadjS 
eigen ift; biefer SRangel fo ju fagen an ShlipS unb ^aubfehufteu 
berblenbet noch immer £eute für baS Kräftige unb ©efunbe biefer 
SorträtS, obgleich, meinem ©efühle nach, bie ©mpfinbung beS 
SefchauerS gegenüber ber ©nergie foidj« fieiftungen eine fo 
ftarfe unb »olle werben müßte, baß in ihr für bie fogenamtten 
SRängel biefer Kunftwerfe fein ©laft bleiben tönnte. 8BaS fie 
an biefem £enbadj’fchen SiSmard hat wirb erft bie Rachwelt 
entfefteiben. Bür midf wäre einiges Btembe in bem ©haraltet: 
bilbe biefeS ©ewaltigen. Rber was Witt baS fagen? ©rjählt 
nicht SRorift Sufch neulich ber erftaunten SBelt bon wettfdjmerz« 
liehen Rnwanblungen beS großen Kanzlers? 3m Uebrigeu läßt 
fich oor biefem Silbe recht wohl fühlen, was ber SRann, ber 
uns ba anfdjaut, bebeutet. Sroft atter einbringtieften ©röße 
biefer ißerfönlichfeit liegt noch etwas barin wie ein »erhaltenes 
©ewitter, baS einen fidjer treffenben Slift im Sd)oße führt. 

©in gutes unb feines Siib ift bie in meinem Katalog nicht 
ejiftirenbe, oon ber SreSbener ©alerie angelaufte Samilienfcene 
bon 8- R- Kaulbach, aber für ben großen Ruf biefeS $errn 
boch eigentlich nicht gut genug. Rebenbei gefagt habe ich nie 
oerftanben, wie Sentanb auf ben unglüdlichen ©infatt tommen 
tonnte, Rubens zu imitiren. ©erabe biefen Riefen fich auS: 
jufuchen, um fich mit feiner zt«ti<h e n Specialität neben iftm zu 
Zeigen! Rubens padt bie Ratur bei ber ©urgel, wo er gerabe 

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Nr. 41. 


Ift «eg*«wart 


237 


ftetyt, ujtb trägt fle her als wäre er ber §ert ber SSBclt: ba ift 
fte. Unb ben nimmt man ficb in einem gerieften, gefdbmad; 
wtten, jierticben Silbdjen — wie eS f>err griß Stuguft Kaul; 
ba<b ju malen oerftebt — jum Sorbilb. 

ßaibt bat leibet bie SluSftettung mit einem ©tubienfopf 
abgefertigt. ©pfiS bagegen tritt unS oon einer gang neuen 
Seite entgegen, mit einer großen becoratioen ßeinwanb, auf 
melier, glaube ich, bie Kunft ihre Genien jum gluge aufforbert. 
Man mag bagegen fagen was man tvitt, bin feilen ficb Sb a «; 
tafle, Talent unb Können in einen ber eigenartigen Xriumphe 
ber StuSftettung, unb i<b finbe gerabe bie oon ©hfiS, im ©egen; 
fa| jn feinen fonft fo ftreng auf ber Statur fußenben Silbern, 
hier beliebte SJSaierei unb Stuffaffung für folcbe Xb^emata unb 
fo große Silber burcbauS richtig unb erfreulich- — ©in Sitb 
oon wahrhaft flaffifcber ©olibität in beiläufig Sittern, waS meiner 
Meinung nach Künftler, ßaien »nb Steftbetifer oon einem Silbe 
biefeS ©eures beanfprudjen fönnen, bitben bie brei lebensgroßen 
§atbfiguren, Welche ßöffp unter bem Stamen „®eij unb ßiebe" 
auSgeftellt bat, nnb bie toie ein in mobernem ©eift unb Sin; 
fronen wiebergeborener Quentin MatftjS auSfcßauen. Son ftarler 
einfacher Schönheit finb auch bie beiben interejfanten ßanbfdjaften 
besfelben auSgejeicbneten KünftlerS. Sfßiegeb^eim§ ©briftuS am 
Kreuj wirb allgemein butep große Stuffaffung, ootnebmen 3ug 
ber SRaierei unb originelles £id>t überrafdbt unb oielfadj ent; 
ftßiebenen ©inbrud gemalt haben. ßiebermannS ,,©änfe= 
rupferinnen" unb „Setbarbeiter" finb an biefet ©teile feinerjeit 
gefehlt worben. ®aS Serbienft feines „©briftuS im Tempel" 
bürfte man finben, wenn man baS Silb tebigtid) oom malerifcßen 
©tanbpuntt, als ein ©tittleben anfiebt. $ie allgemeine Sitb; 
ttrrhtng in biefem baroden ©npriccio ift wirlticb febr f<bön. 
Staturempfinbung hingegen, auf bie ber Künftter wie id) glaube 
Slnfprucb macht, bat baS Silb für mich wenig. Stiles ©cbäpenS; 
wertbe übrigens ruinirt bie abfebeuliebe $auptperfon ohne 
©nabe für 3>cben ber mehr als ein originelles ©tubium in Silbern 
ju feben beanfpruebt. @. 3 int m er mann, ben baSfetbe Motiö 
ju einet großen Starftettung berantaßt bat, ift im ©egenfajj ju 
ßiebermamt bem Xb ema menfcblicb ju ßeibe gegangen unb bat 
in erfter ßinie ein Sitb mit banbelnben Siguren gefdbaffen, oon 
benen eine unb bie anbere Stebenfigur nüchterner, b. f). feiner 
nnb fintpler ihre charalteriftifcbe Xbeilnabme hätte bejeigen fönnen, 
w&brenb bie ©eene ficb jwifeben ben $auptperfonen mit föft= 
liebem £mmor jufpipt. Xiefe im ^eitigenbitb bisher auS= 
gefcbloffene Sreibeit ber Stuffaffung, bie baS rein Menfdjticbe beS 
Moments beroorfebrt, ift baS untetfepeibenb moberne ©tement 
auf 3intmermaimS böcbft folib unb lebenbig gemalter ßeinewanb. 
gn$olmbetgS prächtigem „XabafScottegium" finbe ich ben echt 
inobemen 3*8 in bem ©ingeben auf bie Matart ber bar; 
geftettten 3*it. ®aS bureb unb bureb feine unb lebenbige Sitb 
erhält babureb einen gang befonberen 3auber oon ©ebtbeit unb 
SBabrf^einlitbteit. 3)aS große ©tittleben beSfetben KünftterS 
batte ich für eine ber malerifcb am fünften entpfunbenen 
Seiftungen ber Sluöftettung. 

©in tapferes aber immer noch etwas atelierbafteS Silb ift 
gr. Kellers großer „©tetnbrudj". Slucb ©. ®ebf>arbts „$ero 
unb ßeanber", fowie ©cbmäbets „Ktofterfuppe" müffen hier als 
oieloerfptecbenbe Strbeiten genannt werben, fo ungleichmäßig auch 
namentlich teuere noch Sorgügticbeö' mit ©leiebgültigem oercinigt. 
Ueberbaupt wagt unb ftubirt man bodj unter ben jüngeren in 
München, wie auch bie tieftge „Slnlunft in bet Unterwelt" oon 
Sappetifc beweift. 

©ine ©ruppe bunt unb antiquarifcb foftümirter, mehr ober 
minber biftorifd) benamfter ©enrefeenen Heineren Sormats, fann 
hier trop oieler fleißiger unb trefflicher Strbeiten unter ihnen 
tut) abgemacht werben. 3dj nenne bamnter in erfterer ßinie 
SBeiganbt mit feinen ßutberbilbern, #eim mit luftigen fahren; 
ben @<bülem, ftellquift mit feinem „Sifcbof ©onnanoäber" 
Sobenmüllet mit einer bübfeben fogenannten„©baritaS", ©eifert 
mit „Minnenfängem", Urlaub mit einem „©anebo tßanfa", 
©ebneibet mit bem 3»8 ®arl$ V. nach ©t. guft unb glfiggen 
mit einer gang manieritten Xaufe MajimitianS I. 


ßinbenfebmitt ift außer bureb feine tüchtige Monumental* 
materei in ben 3»idetn ber Sorbatte (an benen ficb auch ßiejen= 
mapr, St. 28agner, ßoffow, ®. ©cbraubolpb, SlnbreaS 
SRüller nnb ein halbes ®u|enb Slnbere ni^t minber oerbienft; 
lieb betbeiligt haben) bauptfäcblicb bureb garbenffijjen nach 
früheren Silbern oertreten. 81. Keller intereffirt bieSmal oiel 
mehr bureb eine pbantafieootte Sarbenffijje ju „gairiS Xöctiter; 
lein", ats bureb feine trodenen mobernen SRobebamen. ßoffows 
„Su|ma^erin" haben wir bereits gelegentlich eines StquarettS 
oon ßucio SRoffi gebaut. Xro| alles SteijeS feiner 3eid)nung 
unb Malerei Witt baS Silb bieSmal nicht fo recht einfcblagen. 
KargerS „©elübbe ber Strmutb" bagegen wiegt an $umor, 
treffenber ©baralteriftif unb forgfältigfter Kunft ganje ©u^enbe 
oon ©enrebitbem auf. Schließlich bürfen wir, beim Uebergang 
jur ßanbfcbaft, ©cbtittS „©eridjtsfcene" nicht unerwähnt 
laffen, eine ©cbeußlidjfeit oon febr oiel Statur unb SBahrßeit, 
aber tro|bem nicht tyfyet im ©inbrud als bie ©ebauftettung oon 
Sbatograpbien frifcb erfeboffener Sanbiten in Stalien. |»ier ift 
eine SBarnungStafet aufgerießtet, babin lautenb, baß ber Stoff, 
Wenn er ficb fo brutal oorbrängt wie hier, Stiles im Sefcßauer 
erbrüdt ober oerwanbett, was biefer fonft für bie Kunft ber 
$arftettung übrig hätte. 

Slucb in ber ßanbfcbaft bietet München einen großen unb 
febr mannicbfaltigen Steicbtbum an latenten. 

Soran fteßen für mich an feinftem malerifcben Steij unb 
tünftterifeber Staturempfinbung bie ©^önleber’fcben ßanb; 
febaften. gür mich gehören wenigftenS brei oon ben fünf Sil= 
bem beS Malers ju ben wenigen beutßben ßanbfcbaften, bie 
ganj bewußt unb fertig baS .finb, was fie erftreben, in benen 
Stiles oerbaut ift, waS ber Künftter gelernt unb gefeben, — 
bteibenbe Kunftwerle ohne Ktaufel. Son auffattenber griffe 
unb größtem Staturreij finb befonberS jwei ber reich mit oor; 
jügticbem Sieb ftaffirten ßanbfcbaften oon Saifdj. ßier, ben 
auch feine Stüter ober Stacbabmer untbtingen, ftebt bieSmal 
Wirtti^) nur in einigen Heineren Sachen auf ber §öbe feines 
9tufS. ©ins feiner größeren Silber pm Seifpiet — ich glaube 
baß eS „^erbftmorgen" beißt — läßt mich oöttig ratbloS. gcß 
finbe nicht heraus, was ber Künftter barin erftrebt haben tann; 
ich ftebe oielmebr baoor wie oor irgenb einem teeren unb gleich* 
gültigen DpuS längft übetwunbener ßanbfcbafterei. ßöffp ift 
auch hier oorjüglidj unb gang eigenartig oertreten, ebenfo, wie 
oben gefagt, Otto ©eip. ©taebti entwidelt in feiner großen 
©ewitterftimmung eigentbümlicbe tßbautafie unb ©röße ber Statur; 
anfeßauung. Sin ihm lönnten manche Stad}beter Spetters unb 
anberer ©roßen lernen, was man fein unb fönnen muß, um beut 
ju läge etwas wie biftorifebe ©röße in ber ßanbfcbaft ju er; 
ftreben unb bo<b unbeftritteneu felbftftänbigen ©inbrud ju machen. 
Knab erreicht, wenigftenS mit einem Heineren, pbantafieootten 
$ecorationSftüd, eine gewiffe träumerifebe ißoefie. Slucb ber ältere 
©teffan b Q t ein in feiner Strt wirfticb fcböneS unb burcbauS 
nicht alabemifcbeS Silb aufjuweifen. SBiltroiber Witt mir tro| 
ber Sreite, mit welcher er bieSmal oertreten ift, nicht mehr wie 
früher gefallen. Serninger ift feit gabren eigentlich fein Sin* 
berer geworben, bö^ftenS baß feine giguren fe|t fidlerer ge; 
jeießnet finb. Sietteidft haben wir Oon ihm noch SteueS ju 
hoffen, wenn er fidb wieber, wie früher mit ©lüd, norbifdjen 
Motioen pwenbet. Steubert imitirt pm Serwunbem ßbön 
unb ohne baß man oon einem gangen Silbe gerabe fagen fönnte, 
wo er’S herbabe, — aflerbingS auch burcbauS nicht immer mit 
gteigem ©efeßmad in ber SBabl feiner Sorbilber. 

Son mir neuen ©Meinungen bebutirt ©g. Muntbe mit 
febr emftbaft ftubirten norwegif^en XageSftimmungen; fein, licht 
unb burcbauS erwäbnenswertb finb gwei Sachen oon gri| Saer 
„Slbenb" unb „grübling". $art, aber energifcb, üon großer Kraft 
beS ßicbteS unb ber garbe ift eine Heine norbifebe Marine oon 
$. Stafcb. Sluffattenb unb böcbft fein im Xon ftnb brei ßanb; 
febaften oon Xb- $er. 81m geiftreiebften unb überrafcbenbften tritt 
jcbließlicb ©. |?effner mit ebenfalls brei Silbern anf („Sor* 
frübling", „$erbft", „ßanbfcbaft"). Snbeffen fürchte ich, baß 
biefem Steig ein gufättig entbecfteS Stecept ju ©runbe liegen 

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238 


Bi» <$»g»tttttart. 


Nr. 41. 


fönnte unb baf) feine 3 fl uberformet in ben btei öortiegenben 
groben bereit« fo gut wie üötlig auSgefprodjen fei. 

Unter ben mancherlei Spiermatern DRüncpen« begnüge ich 
mich mit wenigen. Sögel/ ber üon echt malerifchen latenten 
fprüht, bie Statur im ißinfel führt wie wenig Stnbere, unb beffen 
Silber ju ben ernft^afteften Kunflwerfen SRüncpeu« jäplen, fieljt | 
bieämat in feinen beiben Silbern bunt, Wo nicht gar jerriffen au«. 1 
Uh- $e*bft fieht neben ben bramatifcpen §ochgebirg«fcenen Söget« 
au« Wie ein ©tilltebenmater unb feine „Kätbertränfe" ift wirtlich 
ein Dorjügticpe« tanbfihafttiche« Stillleben. SBenn wir fcptieftUcp 
noch 2ßei«haupt unb ©ebter genannt haben, hatten wir unfere 
Pflicht für gethan, obgleich e« feinen 9lu«fteHung«befucher geben 
börfte, ber un« nicht noch einige $upenb pöcpft fcpäfcenSwertpe 
äRaler 3Rüncpen« an ben Ringern beruhten tönnte. 

3n jweiter Sinie ftebt, Wo üon moberner beutfcher SRaterei 
bie Siebe ift, bie 8?eicb«baubtftabt, mehr aflerbing« ihrer eiu= 
jelnen großen Känftter Wegen, al§ um be« ©parafter« unb 9Ber= 
the« ihre« ©efainmtauftreten« Witten. 

Sertin ift in SRüncpen noch baju burcpau« nicht gtänjenb 
ober befonber« japtreicp oertreteu; Silber üon Sebeutung, bie 
nicht ätteren Saturn« unb in biefen Stättem bereit« beforocpen 
waren, finb nur in geringer Stnjapt üorhanben. 3pre neuen 
Arbeiten werben bie Künftter ber ^auptftabt, teiber, aber be= 
greiflidE>erWeife, för bie eigene afabentifcpe ®u«fteöung juröcf= 1 
behatten haben. Steu für mich t»#* junäcpft SRenjel« „lanj- 
paufe". Ohne gefchwäpig ju werben, barf icp gerabe an biefer , 
©teile über ben Gtiarafter ber SRenjet’fcpen Kunft nicht« mehr i 
fagen. ©etegentücp be« genannten erftauhticpen Keinen Kauft» 
wert« Witt icp inbeffen hoch bewerten, bafj woht fetten eine aü- 
gegenwärtige unb unerbittliche Seobacptung auf türjerem SBege 1 
unb mit geringerer ©inbuhe an Seben ihren 2Beg üom Stuge 
in bie funftreiche §aub gefunben hat at« hier. $aS fotoffate ; 
„©ifcuwatjwert" ber Slationatgaterie habe ich •» ber „(Segens ' 
wart" befprochen, ebenfo fßaul SReperpeim« injwifcpen nicht ■ 
bebeutenber geworbene« „Samitienporträt". dagegen wären mir 
ber „Kohlenmeiler im baprifepen ©ebirg", ba« grofje Sitten; 
fterben: „©tittteben" unb bie „Stffenatabemie" neu. ®a« erft-- § 
genannte Sitb mit feinen Sugocpfen biirftc unbebingt ju ben ; 
grofjartigften unb jugleicp in ben SRitteln einfachften 2piev; ! 
ejriftenjbilbern ber ganjen ^tuSftettung gehören, ba« jweite brauchte j 
nicht gerabe üon Saut SReperpeim ju fein unb ba« britte jeigt 
wieber einmal ben pumoriftifepen Künftter, wie er feinen lüften j 
Sucfer gibt, bah e« eine ffreube ift. Ueber Sßerner« grofje ! 
„Kaiferproclamation", bie mir im Original bi«her immer noch 
nidjt begegnet war, bin ich erftaunt. 3<P ntuh befenneu, bah ! 
ich, ber ich burcpauS leitt fjreuttb üon bergteiepen Stufgaben 
unb ber heutigen Krt, fie ju töfen, bin, lange nicht ben fünft; i 
lettfcpen ffiinbrucf üon biefem SRaffen» unb Uniformenporträt ; 
erwartet hatte, ben ich empfangen habe, unb ich geftehe mit Ser; 
gnügen, bah i<P nicht etwa nur üor bem enormen Stufmanb üon | 
©efcpidflicpfeit unb ©ewanbtpeit allen Sefpect habe, fonbern bah 
icp, SRenjel ausgenommen, überhaupt feinen Künftter in 3)eutf<p= 
tanb fenne, ber mit berartigen troefenen unb bunten ©cpwiertg-- 
feiten fo leicht unb ohne Stenommage umjufpringen unb trop 
jener ju fo anftönbig fünftterifchem Stefuttat p gelangen oers 
möchte. Steibtreu« materifch unangenehmer „König SBitpetm ! 
bei ©raüetotte" ift, wie gewöpnticp, am beften üon ©eiten ber 
©mpfinbung unb ber bramatijcp fnappen ©ompofition pgängtich- 
Sticpter’fcpe S°rträt« muffen mittlerweile, bei aller SBertp» 
fepäpung, bie ihnen üon ucjUpftbetpeitigter ©eite p Speit wirb, 
bocp woht mehr Dom ©tanbpunft einer üornepmen unb fcpmeicpel: 
haften Stepnticptett at« üon bem einer eigentlichen, unabhängigen 
SRaterei bewunbert werben. Stucp ©chröbt« grohe ©efepirftiep» 
feit erprobt fich immer Wieber am tiebften am Serfchönern unb 
^Ippretiren eine« SRobelt«. ©teffeef h°t ben SelbmarfcpatI 
SRanteuffet, natürlich ju ifSferb, au«geftet(t, Sierntann unb 
% epp er finb mit ätteren brannten tßorträt« üertreten. 9tn 
Secfer fiept man in tepter S»it bei alter gefcpmacfüollen Sir» 
tuofität fanm noch etwa« 9leue«, 4>enfeter« ©enrebitber bleiben 
trop alle« reblichen Sleifjc« troefene Sltelierarbeiten, in summa 


„©enrebitber"; ©pten traut« Koftümfäcpelchen paben gejepidte 
Seicpnung unb ©efepmaef für fiep in Stnfprucp ju nepmen unb 
werben bantit immer greunbe finben; Krap ift bieSmat in feiner 
Unbinens ober fonftigen Ulijenfcene ernftpafter at« fo manch»«* 
mal unb barum audp üon intenfioerem märdpenpaften ©inbruef. 
2 oui«’ grohe „Sucretia" ift bei allem Süchtigen ein eept beut» 
fcpeS Stfabemiebitb, % reibt er« ffranj 1. noch weniger at« ba«: 
{frifeper, wenn auep meift in befepeibenem SRahftabe uhb in ein» 
fächeren Ipematen, erweifen fiep, wie gewöpnticp, Srip ffietner, 
©farbina, Stidet unb Safob. 2Bir paben bamit bie 2anb= 
fepaft berüprt, üon beren Sertretern wir nur ttoep Kamefe, 
ipetme« unb ©rbmann ju nennen hätten, ©eperre«, §ertet, 
©fepfe unb SBilberg bieten in tDläncpen niept« ober uiept« 
eigentlich 9teue«. ©benfo mähte icp in biefen Stättem ©efagte« 
wieberpolen, wenn icp oon ©enfc, ©eprabet, 9Jlicpaef unb 
Xfcpautfcp auf ber SRüncpener 9tu«fteüung panbetn wollte. 

(®4iu6 folgt) cSufiao ;floerfe. 


btt ^auptflabf. 

ans Berlin. 

ftntott fttiorkl — © 9 mj)ljome‘ 6 otr 6 e ber königlichen kapette. — 

berliner ©Qm^honie^kapette. — Orchefier oon SuüuS öiebig. 

SouiS gebührt ba 8 ^erbienft, ÄnfangS biejeö 5 11 * 

erft auf eine bebeutungSüoIIe ©rjtheinung in ber Componiftenmett bie 
allgemeine Äufmerffamfeit gerietet ju hoben, unb jmar in ber au ihm 
befannten ebenfo anjiehenben roie überjeugenben Sßeife. 

Sch fpreche oon Stnton X)oorüf, einem echten ©laoen, beffen 
frühere Arbeiten, trop hochöeftiegener OpuSjahl, merftoürbig genug, nicht 
nur nicht bi« $u un3 gebrungen, fonbern faurn bie ©renjen feinet engeren 
SSaterlanbfeS ©Öhmen erreichten, guerft mären e$ feine oierhftnbigen 
„flaoifchen Xänje", bie ebenfalls oierhänbigen „©agatellen'' unb bie 
mährijehen ©cfangöbuette, bie bei un$ attmöhü^ ©ingang fanben. 3 h* 
frembartigeä SluSfehen, ihr melobifcher 9teij, ber in aniiehenben ^enbungen, 
halb elegifch, halb mit einem Anfluge oon nationalem $umor unb 
Uebermuth 311 un3 fprach, feffelte halb ben befferen Xh^^ ^ cr ktaoier* 
fpieler, unb befiegte felbft ben ©igenfinn mtferer ©ejangöfunbigen. 
mit mar feiner SJhtje Eingang üerfchafft. 3yian fanb in ihm eine Äbet 
üon granj ©Hubert, umfponnen oon ber mobernen Xecpnif, bnrth bie 
©rahmS feine ©ompofitionen fo unüergleichüch anjiehenb macht, ©eint 
oon gereiftem kunftfinn getragene, h^h c ©hifitbilbung, mit ber er bie 
oft complicirte 9Kechanif Ä fei e« burdj contrapnnltif^e ©ehanblung ober 
burch mobulatorifche ©igeuart meniger bemerfbar macht, läfjt ihn leister 
zugänglich erfcheinen, at3 man nach bem erften Slnblicfe feiner ©etle 
glauben foüte. $a$ mißbrauchte 2 )ing, ©ouirapuntt genannt, bie h*??* 
liehe ©litgift aller großen ©eifter, biefe elenbe Stothbrücfe für ÄUe, bie 
ba§ ^öthigfte erlernt, benen aber jeber ©eruf ju geiftüoller Änmenbung 
fehlt, tritt bei ihm in geminnenber ©eftalt auf. ©r braucht ihn, ohne 
fich ö °n ih m tprannifch beherrfchen $u taffen; in liebenömürbigfter Sfanrt 
half er ihn als fteten ©egleiter. 3Bo folchcr Untergrunb, ba taffen fleh 
ftattliche ©ebäube aufführen! 

®aß ein^ unferer gerühmteften HRufifinftitute, bie königl. ©hntphonie* 
©oir^e, bei ihrem erften bie^jährigen SebenSzeicheu eine größere Orchefter* 
compofition ^)Oorü!§ in$ Treffen führte, ift bei bem ftarl in ben ©orber* 
gruub tretenben conferbatioent ©tune biefer ©erfammlungen anzuerfenneu. 
§err Dberfapellmeijter Xaubert hat aus ben brei erfchteneneu flaoifche« 
^hapfpbien für großes Orchefter Op. 45 bie britte, in As-dur, au&* 
gemählt. ©r hat Utecht gethan, biefe SBaht getroffen ju haben, benn fie 
ift eß oon ben breien, bie ber banlbaren ©ntgegennahme eine« großen 
Plubitoriumß oevmöge ihrer faßlicheren ©telobil bie menigften ^tnberntffe 
unb gar feine ©efahr beß ©cheiternß in ben 2 Bcg legt. 

3)ie ©ompofition ift mehrteilig, aber einfäpig, erinnert meber an 
ben ©au irgenb eiiteß ©hmphoniefapeß, noch an bie Ouoerturenform. 
8 ie ift ein freie« ©ebilbe ber kunftlaune unb fönnte eine „$hantafie" 
geuanikt werben, menn fie nicht boch einer orgauifchen £rbnung imt«= 
morfen märe. 2luß beu laiigfam bahinfehreitenben, feierlichen 'Wccorbrn be# 





Nr. 41. 


JDi* tfrgntttMtri, 


239 


T 

I 


IperncS, ba$ anfänglich bie iparfe allein angimmt, $u ber fiep bei ber 
gleicp barauf folgenben ABieberpolung bie Vlafeingrumente unb Violon* 
celliS gefetten, entmidelt fiep ber jepnefle $auptfafc ber fRpapfobie, ber 
in neuer gebrängterer ©egalt burep üeränberten SRpytpmuS faft all 
neues $aupttpema auftritt. ©S $eugt biefe 5Serfc^iebert^e 11 mufifalifcper 
öegaltung eines uub beSfelben ©ebanfenS, eine klippe, bie Viele fepeitern 
maept, üon ber burepgebilbeten ©emanbtpeit unb ©rgnbungSfraft eines 
geborenen SJhififerS. Die funftgereepte Verarbeitung biefeS DpemaS in 
Verfcpmelaung mit bem ^ebengebanlen, ber beS Vöpmen ganje ßug 
unb ipm nur eigentümliche greubigfeit befunbet, üerlägt ben ©ompo* 
niften .feinen Augenblid. ©r bleibt fiegreieper §err feines Stoffes bis 
jum Schluffe, Die ^nftrumentation ift burepmeg glänjenb unb trägt 
ben etbnograppifcpen ©paraHer, ben ber Eitel ber ©ompogtion bezeichnet. 
Dag bie $atfe, bereu Verecptigung innerhalb beS fympponifcpen Stiles 
angejmeifelt mirb, pier rin* perüorragenbe Stellung einnimmt, ift als 
©parafterigicum flaüifcper SDfcufif nicht nur ohne Vebenfeit pinzunepmen, 
fonbem faft ein ©rforbernig. — AuSgcfüprt mürbe baS Söerf, baS manche 
Sepmierigfeiten barbietet, mit bemunberungSmürbiger Verne; ber Veifall 
mar nach ben Kräften ber Abonnenten. 

Opne rinen allju lübnen Sprung 511 magen, mache ich einen Ueber* 
gang $u etmaS Anberem, baS bie mufifalifcbe SBelt non Verlin feit 
längerer Seit befebäftigt. Stiebt ohne Vrimifcbung non SSepmutp feben 
mir ein einft fo beliebtes 3 nftitut, nach beffen SJtufter ähnliche in 
anberen Stabten perüorgerufen morben fiub, einem nicht unmaprfcpeiit* 
lieb flederen ©nbe entgegengeben. Ob eS Scbidjal berartiger Unter* 
nebmungen, ob eigene Sdjulb, bureb eine mangelhafte Organifation be* 
gtünbet, foll hier unerörtert bleiben. DaS gactum beS $infterbcnS ober 
boep beS VegeiirenS liegt greifbar nor uns. 3<h fb*etpe üon ber öieUeicbt 
nabe beborftebenben Auflöfung ber Verliner St)mpponie*kapelle, beren 
gortbegepen mobl nur non bem gäuzlicpen Umfturz ihrer nicht palt* 
baren gunbamentalbeftimmungen abhängig zu fein febeint. 

Unfeheinbar geboren, mürbe bie kapelle unter beS alten ßiebig 
halb folbatifcper, palb funftfraglicber ßeitung ein befugter Sammelplap 
nutgfbfirgiger Seelen, benen für 2 7 * Sgr. im $eunigfcpen SBintergarten 
nor bem Oranienburger Dpore erft pomöopatpifd) bann mit großen güll* 
feilen bie ©lafficität eingelßffelt mürbe. Auf bieje SBeife mürben bei 
unglaublidp fcblecbtem Viere unb bei einer bebenfUcbeu braunen Subftanz, 
bie non einigen Vermeffenen als kaffee bezeichnet mürbe, bie Symphonien 
§apbnS unb VeetbooenS populär. Die gufammenlünfte patten etmaS 
VatriardjalifcpeS: man bemerfte noch pier unb ba bie alterthümlicbe 
Vfeife, unb ber ©eburtStag beS Dirigenten mürbe üon ber Verfammlung 
feierlich begangen. Drop beS grogen AnbrangS traf eS ficb häufig, tag 
«tan im Saale furz nor Veginn beS ©oncerteS noch einige Difdpe un* 
bejept erblidte. Aber feinem fiel eS ein, fie in Vefcplag ju nehmen, 
beim fie gehörten erbangefeffen bem $errn Oberinfpector unb bem 
£ieutenant aus bem 3 uüalibenpaufe mit ihren gamilien. Vei ber auf* 
fallenbgen SRijcpung ber Stänbe, trop eines halben §unbert in Vemegung 
fefepter Stridfirümpfc, trop beS überlauten Deller* unb DaffengeflapperS 
in ben Raufen mar bie Stille mährenb unb ber SRefpeci üor ber SJhtfif 
bemiinberungSmürbig. Sßiemanb hätte eS gemagt, mährenb eines 
Veetpoüen’jcpen AbagioS auch nur einen Dbeelöffel ju rühren. Unter 
foldjer Dpeilnapme, bie fich üon 3*P* b n S^P* fteigerte, gebieten bie 
©oncerte unb erlangten fogar einen meit über baS ABeicpbtlb VerlinS 
teiepatben 9iuf. 8 U pöpeter Vebeutung unb reicherem ©lanje ftiegen 
fie jeboeb, als 3uliuS Stern in ben Verbanb berfelben trat, unb bie 
♦auSfcblieglicbe Seitung berfelben übernahm, ©r üergrögerte bie. 3abl 
Vt auSübenb^u Äräfte unb machte baS Programm babitreh oielfeitiger, 
bag er biSper UebergattgeneS barin aufnabm, befonberS aber ber neueren 
*utb neuegen 3 eitftrömung mittig entgegenlam. 3n ber Vereinigung 
mit feinem berühmten ©efangüereine leiftete bie fapelle ihre ^öc^ften 
Spaten. Sie mar üon iener 3eit an moplaccrebitirt unb $u einem niept 
mepr fort ju leugnenben, böheten Vebtirfniffe gemorben. fieiber per* 
«nlagte franfbeit, bie bureb Ueberbftrbung üon Arbeit betüorgerufen, 
ipreu Dirigenten jum Sflüdtritt. ©S folgten in'jiemlid) febnetter Ab* 
löfung bie $ertn Deppe, ü. Vrenner unb Viannftaebt als Dirigenten, 
ttnb. obmopl fie AnerfennenSmertbeS unb ftinftlerifcbeS leifteten, mar 
ber Stern ber alternben fapeüe immer mehr \m Untergang be* 
griffen, unb obgleich AuSfcbUgüerjammlungen mieberholt sufammen*- 
berufen mären, mefche bie. fritifebe Sage ernft ermogen, baS alte Seben 
pulfute ntept mepr tpie in früheren 3 ab*eu* Wie ich fepon oben an* 


beutenb bemerfte, füple icp miep niept üerpgicptet, ju uuterfudpen, mo bie 
Scpulb beS napen Verfalls $u finben märe. 3u münfepen bliebe freilich, 
bag ein gefepiefter Arjt läme, ber bie richtige Diagnofe ftettte. Vielleicht, 
bag bann eine Teilung noep möglich! 

Unter fo traurigen Umftänben finb leiber bie grogen ©oncerte, 
melcpc bie Singafabemie unb ber Vruch’fcpe ©efangüerein aUjäprlich ^u 
©epör bringen, mit einem grogat gragejeiepen pin 8 u nepmen, beim moper 
foHen fie ipr Orcpefter beziehen: bie königliche kapeüe ig nur unter ben 
erfcpmerenbfteu Umftänben ju paben, beS allmächtigen Vilfe mufifalifcpe 
Vpalanj gar niept, ebenfalls niept bie kapelle ber Ipocpfcpule, oiellei^t 
bie begcprenSmerthefte, bie aber fiep üon iprem angeftammten Dirigenten 
niept trennen fann unb, mief icp. glaube, ftatutenmägig nur ben 
3 meden ber ^ocpfcpule bienen foJ. 

Aber menn bie SRotp am grögten, liegt bie Rettung oft näper, als 
man ermartet, bieSmal in fo bequemer 9Mpe, ^ a 6 111011 nur nötpig pat, 
bie üerlangenben $änbe auSjuftreden, um, mie icp glaube, einen guten 
©riff 51 t tpun. Da eS feinen 3*^11 gibt, fo mirb mopl eine Abficpt gu 
©runbe gelegen paben, meSpalb §err 3«liuS Siebig mit feinem ffreit» 
baren Orcpeger ©mS üerlaffen unb Verlin tpatenburgig aufgefuept pat. 
Unb marum foll man bem £>errn niept bie Abficpt unterlegen, etma, meil 
fie üon gutem ©efepmaefe jeugt, unb im £>intergrunbe 9luf unb Verbieng 
lauern? 9hif unb Verbieng finb etmaS fo SleelleS unb ScpßneS, bag fie 
gar niept im §intergrunbc $u lauern nötpig paben, fonbern breig als 
AuSpängefcpilb parabiren fönnen. Veibe finb üom praftifepen Seben niept 
ju trennen unb bie kunft ftept fiep jmijepen Veiben niept am fcplecptegen. 

Der Dirigent patte am üergangenen Sonntage eine Heine Supörer* 
fepaft ju einer Matinee, bie er mit feinem Orcpeger im grdgen Saale 
ber Singafabemie üeranftaltet, gelaben. DaS gut befepte Orcpeger cap* 
tioirte fofort bur^ ben oormiegenb jugenbfrifepen Anblief, ben eS bot, 
burep feine freie aber ruhige unb boep ungejmungene Haltung 

Die Ouüerture $u ©perubiniS Anafreon bilbete bie 3fatrobuction 
beS ©oncerteS. Sie, ein porter Vrüfftein für alle kapetlen, mürbe mit 
üirtuofer Decpnif unb anerfennenSmertper DiScretion ejcecutirt, obmopl 
bie lagenbe llebermucpt ber Vlecpingrumente bem überaus fein geglätteten 
Sßerfe baS bufolifepe ©olorit an einzelnen fünften $u üerbrängen bropte. 
3ene Veläftigung burep bie Vlecpingrumente pnbet jebenfaßs ipre Ur* 
faepe barin, bag ber 8 WOU 0 / im Speien ju mugeiren, im gefdhloffenen 
9iaume fiep räcpt. Von ber ABiebergabe ber gragmente auS ber C-moll- 
Sympponie VeetpoüenS; Scperjo unb ginale, lögt fiep fagen, bag ein 
beutlicp erfennbarer 3^9 üon ©röge, Vegeigerung unb ©prfurept fiep 
ben Spielenben ber artig mittpeilte, bag auep bie 3upörerfcpaft baüon 
ergriffen mar, menn auep mieberum baS Dominiren beS VfecpeS fi^ in 
ben Vorbergrunb brängte. Dem ungetrübteften ©mpgnben inbegen fonnte 
ber §örer fiep bei ber fünftlerifcpen Ausführung beS langfamen Aa dur- 
SapeS aus SiagS Öenoren*Sympponie bingeben. §ier mar Alles in 
Duft unb fRomantif getauept, fein roper Don ftörte ben grieben unb 
baS monnige ©efüpf, baS bem ©omponigen pier fo reiep entftrömte, 
itnb baS Opr beS §örerS fo einfcpntei^elnb umfpielt. Die Anfüprung 
biefer brei Hummern ^eigt, rnelcpe fepmierigen Aufgaben bem Ordheger 
jur Söfung geboten merben fönnen. 

§err ßiebig pat mit biefem erfteu ©oncerte feine ßeiguügSfäpigf«t 
befunbet unb bie marme ©ittgegennapme üon Seiten beS fleinen aber 
intereffirten VublicumS mirb ipm bie fepmierige Vofition, bie er anfäng* 
liep entnimmt, leiepter tragen helfen. f). Ungar. 


iBibliogrnphie. 

Scpaible, Dr. karl §eiur„ beutfepe Sticp* unb 5)ieb*SBorte. ©in Vor* 
trag, j^ep. im „beutfepen Verein f. kung unb VBiffenfcpafi 1 ' in 
ßonbon. gr. 8 . (V, 91 S.) Stragburg, Drübner. 2. — 

Amüntor, ©erp. ü., e. räthfelpafte katagroppe. gfoüelle. gr % 8. (XI, 
275 S.) ©otpa, g. A. VertpeS. 4. — 

Ved, V*äl. v ©arl, Vucp ber SBeiSpeit auS ©riecpenlcntbS Dicptung. 6. 

(XII, 240 S.) $eilbronn, *§enninger. . 8. 60. 

©dgein, ©rng, Scpad) ber königin! $umoriftifcpeS ©poS. 3., oöHig 
umgearb. Aufl.' gr. 16. (XUI, 274 S.) Stuttgart, kröner. 3. — 
Degn^r’s ©jaiaS, Heinere epifepe ©ebiepte. Ueberf. oou ©fr. ü. ßein* 
bürg. 2Rit e. Ditelbilb üon ßeo ü. ßeinburg (in $o4j<pn.) gr. 8. 
(VII, 260 S.) ßeipjig, Allgemeine beutfepe Verlags * Angalt. 

2. 25; geb. 3. 76. 


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240 


JDf* töfjfwuMirt. 


Nr. 41. 




Bibliothekar. 

Ein Dr. phil., königl. Gymnasiallehrer, 5 1 /* 
Jahre im Amte, 18 J. alt, verheirathet, Frei¬ 
williger d. Feldz. v. 1870/71, Yerf. verseil, 
wissenschaftl. Schriften, wünscht, seiner 
Neigung gemäss, seine jetz. Stellung mit der 
eines Bibliothekars, am liebsten im 
Staatsd., z. vertauschen. Beste Bef. Gef. 
Off. bes. d. Exp. d. Gegenw. 

Ein in Bonn lebender Schriftsteller (Kunst- 
ä8thetiker) wünscht Journalen und Zeitungen 
römische Briefe zu schreiben, und sonstige 
laufende Berichte zu erstatten. Offerten Chiffre 
R. Y. Bonn poste restante. 


SSerlog oon Sfr, ftofmatiti in gerillt. 


Soeben ift erfdjienen: 

$rfd)id)tr itu JfujeÜ dfftemidjs 

vom 18 . Jafjrtjtmbert 6 is auf bie öegenipati. 
®on 

Dr. $raitj SroneS, 

otb. or b. öflerr. @efd)id)te a. b. UnibcrfitSt ©raj. 

gr. 8. 50 SBogeit. $rei8 eleg. brofd). 12 JC 


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schichte. N antik. Atlanten u. Karten. 
No. 155. Französische Literatur. 1344 
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von 1879, auf welches Abonnements zum Preise von 6 Mark durch jede 
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Inhalt: 1. Die ägyptische Chronologie. 2. Das ägyptische Pantheon. 3. Das ägyptische 
Elysion oder Paradies. 4. Die ägyptische Flnthsage. 5. Der ägyptische Babelthurm. 

Dieses Werk des berühmten Aegyptologen, welches aus einer Serie populär-wissen¬ 
schaftlicher Abhandlungen besteht, ist ans dem Wunsch n. Bedürfnis entsprangen, für 
das vielgestaltige, fast labyriüthisch zn nennende Leben n. Weben der alten Aegypter einen 
sicher leitenden Ariadnefaden zu besitzen. — Während das erste Heft die prähistorische 
Zeit znm Oegenstande hat, werden die folgenden 5 Hefte die Hauptmomente der geschicht¬ 
lichen Entwicklung Aegyptens von? Menes bis Augnstus mit besonderer Rücksicht auf die 
Cultur d. h. Religion, Wissenschaft u. Kunst übersichtlich vorführen. — Die sechs Hefte, 
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ren$, ben (Sbargö b’StffgireS be$ ÄömgS Victor 
©manuel bei Vermittelung non #elbgefdjäften, 
ein gan$ befonberS feffelnbeS 3ntereffe. 


Sn meinem Verlag erfdfjien foeben unbl 
ift burd) alle SBudjfyanblungen $u befliegen: ] 

3 d)önc 

Äünftter^SttobeUen unb @fijjcn| 

bon 

$end)ari> ©tatoenoto. 

17 ©og. Elegant geheftet 4 JL 

$er gettung^Änrirr, offizielles Organ 
beS beutfdjen SonrnaliftentageS, fd^reibt: 
„.... 3n bem öorliegenben Vanbe bietet 
ber beliebte (£rjäl)ler unS jmölf feiner* 
beften Lobelien urh Stilen, gnterejfaute 
neue Stoffe aus bem £eben unferer be* 
Jannteften Mnftlerinuen unb ftünftter, 
$idjter unb ©ombonijlen, bie oft in bte 
Greife unfereS £>oflebenä fpannenb ljinetn= 
reicf)en, — feffelnbe 2)arftellung, fomie 
geiftreid^er unb flotter Styl madben ba$ 
joud^ einem r e ty t empfepleng = 
mertl)en, bon bem man audj nxdjt eine 
einzige Seite miffen möchte, ©tn$elne 
Piecen*finb gerabeju SRufterftüdfe beut* 
ftyer (SrjäljlungSfunft. 'U. f. ro." 

©reuten. 3* ftitytmann’3 ©ni}|blg. 


gtBOii», Jlcrfh», N.W n nionprin^nufer 4. 


fiicrju eine Beilage ber <£. %. aBinter’f^en »erlag^anblnng in geizig. 


ffüc bie Rebaction t>erantn>ortltd):- ©e«rg StUAt in JlerUn. 


Snuf bon M 4* fcnbnn 1 


(Mfetition, Mnrtin W n »urfürjlenftrabe 78. 


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i; 42 . 


'»ttdn, beit 1 $. ®cto#er 1879 . 


Band XVL 


pic ^cgcuuwrt. 

äöodjenfchrift für ßiteratur, Äiwft unb dffentltc^eö fieben. 


Herausgeber: "gfauf gftttbau in Serliit. 


Itia $unink nftriil tim« gnmt. <Berle 8 er: ©corg Stille in Berlin. 

gn &«*tcijen burefj alle ©udrtanblunßen unb ©oftanftalten. 


fttts pi turfat 4 ftai 50 |f. 

Snterate jeher Slrt pro Sgefcaßene ©etitjeile 40 Cf. 


gttljaß: 


®ie preuj}i(djen ßanbtagöioa^Un am 7. October 1879. SBon 2öiU). SBadernagel. — ©ubanterifamjdje 3 u f töni >e- g. Heller 

Scujingcr. — Literatur ttnfe ftrnifl: (Sin 2ttäbd>enliet>. 2801 t £. — Slnjengruber als (Srjäfjler. &ou $ßaul Einbau. 1 . — 

üorb SBeaconäfielb als SRomanföriftfteller. $$on £elen 3* Eimern. — 2)ie internationale Huuftauäftettunfl 511 ÜDtünc^cn 1879. ) 8 on 
©ujtab gloetle. VI. (©djlujj.) — Äuö ber $aujitfiabt : ©in ©el^ier. $on 3ul. Stetten!) eim. — 2)ie ^umbolbt-^lfabemie ju 
©erlin. — Sttotijen. — Snjerate. 


Die Preußinen £aubtagsu>ahlen nottt 7. (Drtober 1879. 

2)er 7. October 1879 ift für bie liberalen Parteien 
©reufjenS ein dies nefastus gewefen. ®ie „liberale Majorität" 
beS AbgeorbnetenljaufeS ift oieUei^t für lange, {ebenfalls für 
bie Stauer ber XIV. SegiSlaturperiobe oerloren. Glicht um ben 
geringfügigen Verluft etlicher «Stimmen fyanbelt eS fi<h, fonbern 
um runb'hunbert Si|e, welche bie liberalen Parteien einge» 
büjjt haben, fo baff iljr SÖeftanb tief unter bie abfolute äJiajorität 
t)inabgefun!en ift. ÜRad) ben Urfachen folgen ÜRiebergangS 
iu formen follte eine ernfte Aufgabe ber liberalen ©artei= 
fü^rer unb ber liberalen ißreffe fein. SS genügt nicht, baff 
man bie Öäffigleit ber SBä^ler anllagt. SSäre biefe Säffigteit 
eine gleichmäßige, allen Parteien gemeinfame geroefen, fo hätte 
in bem Stärfeoerhältnifj berfelben wohl eine jufäüige SSer= 
fcf)iebung fief) ereignen, niemals aber für bie liberalen Parteien 
ein ©erluft ton hunbert Stimmen eintreten tonnen, wäljrenb 
alle ihre ©egner: bie greiconferoatioen, bie ©onferoatioen, bie 
Ultramontanen, bie ißolen gewannen. Natürlich tonnte ben 
beiben le|teren Parteien nur ein geringer Zuwachs ju £f)eil 
werben, ba bie „tatholifchen" unb bie „polnijchen äöahlbejirfe' 
ben betreffenben gractionen fchon bei ben früheren äöahlen ju 
allenneift gewonnen worben finb unb nur noch eine tleine 
9ladblefe ju galten übrig blieb; jubem aber auch mit ih nen 
bie ©onferoatioen im Kampfe lagen. S)er ©ewinn ber Se^teren 
bejiffert fich auf über neunjig Stimmen, ungerechnet ben 
lauf, welcher ihnen im Haufe felber bei ben Abftimmungen 
oon Seiten foldjer Abgeorbneten, bie heute noch als „national- 
liberal, äufjerfter rechter Flügel" angefprocheu werben, ju Xh e ^ 
werben wirb. Srjählt man hoch bereits oon ber Abficf)t jur 
Gilbung einer liberaUconferoatioen ober conferoatio=iiberalen 
„iRittelpartei" unter Rührung ber ju Abgeorbneten gewählten 
ehemaligen äRinifter, bie, wenn fie ju Staube tommen follte, 
wohl manchen SRationalUberalen an fich ziehen möchte. 

Ws am 27. October 1876 bie Abgeorbnetenwahlen für 
bie XIII. SegiSlaturperiobe ftattfanben, war, trofc beS ÄoctenS 
ber Officiöfen jur ©ilbmtg einer liberakconferoatioen Partei 
unb trofc beS SBühlenS ber Agrarier unter ber länblichen S3e= 
Dölterung, bie Stimmung ber preufjifchen ©eoölterung eine 
fefte, bem ßiberatiSmuS jngeneigte. 3n bie ßwifchenjeit ber 
lebten btei Sahre finb aber hineingefallen: bie Slttentate im 
fjrühling 1878 unb bie Umtehr ber äßirthfchaftSpolitit im 
Frühling 1879. 3ene unfeligen Attentate haben bereits bei 
ben Neuwahlen jum ffteichstage am 30. 3uli oorigen 3ahteS 
jum Schaben ber liberalen Partei, oornehmlich in ißreußen, 


eingewirtt unb, wie fich nicht uerheljlen lägt, in weiten Steifen 
eine noch immer nachwirfettbe Slbwenbung oon ben fogenannten 
„freiheitlichen gorberungen" unb bamit oon ihren Slertreteru, 
ben liberalen, unb eine bem entfprechenbe Annäherung an bie 
Regierung, als bie beftallte Hierin ber Orbnung jur golge 
gehabt iöei ben nächften Wahlen nach bem 3)reitlafjenfhftem 
mu^te biefeS Aufgeben ber gühlung mit ber liberalen Partei 
gerabe oon Seiten eines grofjen 2h et ^ ber befi^enben Slaffe 
fich in empfinblicher SBeife fühlbar machen. ©S wirb einer 
längeren 3eit ungeftörter 3iuhe bebürfen, bamit baS 9iad)= 
jittern jener meu^lerifchen Attentate auf bas Äeben bes SaiferS 
unb ÄönigS aus ben H er 3 en beS IBolfeS fchwinbet. 3 ur 3 e *t 
halten jahllofe, im ©runbe liberal gefinnte Sbürger es gerabeju 
Tür ihre Pflicht unb Scfjulbigteit, ber TKegierung genehme 
Abgeorbnete ju wählen, bamit bie Autorität beS Staates ge= 
ftärft aus ben 2Bat)len heroorgehe, währenb fie oon ber 9iüc!= 
tehr einer „liberalen fDiajorität“ eine Sdjwächung jener Autorität 
in ben Augen beS ©olteS beforgen. Unb wenn fie felber fich 
DieUeidjt auch n i<ht überwinben lonnten, gegen ihre liberale 
Ueberjeugung öffentlich J u ftimmen, fo haben fie fich bod) oom 
i6ahltif<he fern gehalten unb babutch ben ©egnern ber liberalen 
Partei ben Sieg erleichtert 

®ie Umlehr ber 2Birthf<haftSpolitif h at ba, wo fie 
als beftünmeubeS SDioment auf bie SBahlbewegung einwirlte, eben¬ 
falls gegen bie liberalen Parteien, namentlich gegen bie auS= 
gefprochen jum freihänblerifchen Programme fidj belennenbe 
gortfdhrittSpartei ben AuSfchlag gegeben, irohbem bap bas 
preußifche AbgeorbnetenhauS fich mit fragen bet HanbelS= 
unb ßatlpolitif nicht mehr ju befdjäftigen hat, ift es fehr 
natürlich, wenn SEBahlbejirte, in benen bie Mehrheit ber 3Öe= 
oölferung mit ber Abwenbung oom greihanbelSfhftem unb 
ber Hinneigung jum SchuhjoUfhftem wegen ber görberung, 
bie fie baoon für ihre Sntereffen erwartet, einoerftanben ift, 
auch ih ten Vertretern im Abgeorbnetenhaufe bie „Harmonie 
ber 3ntereffen" gewahrt wiffen wollen. 3 u bent befielt wohl 
auch hi et nnb ba ber ©laube, ba| burch ber Regierung ge¬ 
nehmere äöahlen eine beffere ©Jürbigung ber wirthfchaftlicheu 
Sntereffen beS betreffenben ÜBahlbejirfS fich möchte erjielen 
laffen. ®afe bieSmal eine „Agrarpartei" nicht ober hoch nur in 
uerfchwinbenbem SDlafje fich bemertlich gemacht hat, ift conftatirt. 
I)er ©runb hierfür liegt aber wohl nur barin, baff bie „lanbwirth- 
f<haftlichen3ntereffen", über bereu ungebührliche Vernadhläffigung 
bie Organe ber Agrarpartei früher fo laute Klage führten, im 
neuen 3°Utarif ^u einer auSgibigen Verüdfichtigung gelangt 
finb unb ba| bemnach ber befonbere Anreij, biefe §orberungen 
abfeits oon ben „conferoatioen ißrincipien" ju einem befonbere» 


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242 


9it ®*geti»#ri. 


Nr. 42. 


Programm ju gehalten, fürs ©rfte in 955egfo€t gefommen ift. 
Der gesättigte Agrarier wirb Wieber Sonfervativer fdjlechthin; 
er hat 4wbei heute ja nicht einmal Verjidjt auf ben bisher 
Don ihm fdjon mit Vorliebe geübten Sport ber „3ub«nha|" 
ju leiften. Die ©onfervativen haben nur nötljig gehabt, ber 
länblidjen Vevöllevung baS fo oft fchon auSgeftettte Berrbilb 
vom „beutfdjen Stäbtetag juVerltn" unb feinem .Schlufbanlett 
im Boplogifchen ©arten unter bie Äugen ju führen, um fie 
am Seile ber Sntereffenpolitit aus bem Säger beS „liberalen 
VürgerthumS" in baS Saget ber „confervativen SanbeSpartei" 
hinüberjttfii|ren. 3 U einer Vednfluffung burch (RegierungS» 
Organe im früheren Stile brauchte bei einer folgert entgegen» 
tommenben Stimmung ber lünblichen VevöKerung, womit auch 
biejenjge ber (leinen Sanbftäbte meifthin jufammenttang, nicht 
gefchritten ju werben. @3 genügte, wenn ein Sanbrath ober 
ein non bem Herrn Sanbrath empfohlener confervativer (Mann 
fi<h als öanbibat aufftellen lieh, um bie liberalen (Mitbewerber 
in vielen SBahlbejirlen aus bem Selbe ju fchlagen. 

©aS bie liberalen Parteien hätten tljun fotlen, um 
baS ihnen btoljenbe Verhängnifi abjuwenben, ift nicht leicht ju 
fugen. Der (Rath, bah fie fich beffer hätten organifiren foQen, 
ift fehr leicht erteilt; burch blo|e3 „Organifiren" (affen fich 
aber ©runbftimmungen, welche eine VevöKerung von etlichen 
jwanjig (Millionen burchjiehen, nicht bei Seite fliehen ober 
umwenben. Same eS allein auf bie Vertretung in ber groben 
Vreffe an, fo würben bie liberalen Parteien fich beS Sieges 
ihrer Stiftungen freuen (önnen. Snbeffen bieienige (preffe, welche 
bie (Millionen ©ähler beherrscht, bebarf etner befonberen 
SeiftungSfähigleit nicht; ihre ©tünbe wirten nicht, weil fie 
überjeugen, fonbern weil fie ju lieberjeugten Sprechen, überjeugt 
fei eS nun burch ihr Snterejfe ober ihr Senttment. (Man muh 
ftch bieS vergegenwärtigen, wenn man baS Äuffteigenunb ben 
(Riebergang politisier Parteien in ©abltämpfen verftehen will. 

©ine (Regierung muh es Schon (ehr arg treiben in ber 
ÄuStheitung von ©unft unb Ungunft ober Schwerer Sünben 
gegen bie öffentliche ©oljlfahrt Ober gar ber fßreiSgebung ber 
nationalen ©hre fich fdjulbig machen, wenn eine Dppofition 
gegen fie Sich in ber (Majorität behaupten will. Der gegen» 
wärtigen (Regierung in fßreuhen läht fich f° ©ilintmeS nicht 
nachfagen. Die ©bre beS preUfjifchen unb beutfdjen ÜRamenS 
hat, fettem gürft ViSmard bie öffentlichen Vegebenbeiten leitet, 
heller als ju irgenb einer früheren ßeit am politischen Himmel 
geftrahlt. Die Mehrheit ber VevöKerung hat burch ihre Ser» 
tretet ftch erft in biefem grühjaljt für bie ©irthfdjaftspolitil 
beS (ReichSlanjlerS erttärt ©3 mag fein, bah fie fich babei 
von einer Döufchung umfangen befinbet; inbeffen ber Srrtljum 
ift, fo lange er ©lauben finbet, mächtiger als bie ©aljrheit, 
welcher man ben Süden (ehrt. Vorläufig ift bie neue 2Birth= 
fchaftSpolitif noch bie (Probe fdjulbig; bis bahin, bah fie bie» 
felbe nicht befteljt, werben bie, welche ihr jujauchjten, bie (Re» 
aierung, ber fie ihr Sntereffe anbefohlen haben, nicht im Stiche 
taffen. ©S bliebe alfo nur ber Vorwurf übrig, bah bie ©unft 
ber (Regierung ftch ungleidjntähig vertheile. Diefer Vorwurf 
ift benn auch in ber Dhat erhoben worben; einmal von ber 
GentrumSpartei, welche fogar baju übergegangen ift, bie (Re» 
gierung offener geinbfeligleit gegen bie latholifdje Kirche ju 
befchuloigen, jtoeitenS, in bebeutenb milberer fjorm, von ben 
Siberalen, welche ber (Regierung vorwerfen, bah fie ben con» 
fervativen Sntereffen über baS erlaubte (Mah hinaus Vorfchub 
ieifte unb mit ber Äbfidjt noch ftärterer Seoorjugung jener fich 
trage. Sn erfterer Sejiehung fcheint eine (Remebur burch ben 
in ÄuSficht geftellten griebenSfdjlufj mit bem Vati(an bevor» 

Ö en. Vorläufig haben bie Ultramontanen, wo fie bei ben 
, en nicht für fich Selber mit ©rfola einjutreten in ber 
Sage waren, ben ©onfervativen gegen bie Siberalen Veiftanb 
geleiftet. SRU welchen Hoffnungen auf eine (Revifion ober gar 
Aufhebung ber Äirchengefefce fie ftch im Snnern tragen, ift be« 
(annt; Schwerlich werben biefe Hoffnungen aber in ihrem ganjen 
Umfang fid) erfüllen. Der (ReidjSlanjler bat, was baS preufifche 
ÄbgeoronetenhauS betrifft, bie ©«Ijl jwif^en einer confervativ» 


clerilalen unb einer confervativ »liberalen (Dichtheit, je nach* 
bem baS ©ine ober baS Äubre feinen $weden beffer entfpricht; 
et wirb vielleicht abwedjfelnb von ber einen ober von ber 
anbern ©ebrauch machen. 

Der Vorwurf, welchen bie liberale (Partei erhebt, ift an 
Reh begrünbet; inbeffen haben bie ©aljlen am 7. Cctober be» 
wiefen,<bah hie (Mehrheit ber VevöKerung nicht feinfühlig genug 
ift, um fich burch bie Vegünftigung, welche ben confer» 
vativen Sntereffen von Oben her ju Iheil wirb, jurüdgefefet 
ju finben, ober bah fie, fogar bamit fich einverftanben fühlt/ 
»eil ihr jene Sntereffen gar nicht als frembe, fonbern alS ihre 
eigenen erfreuten. Hier wirb eS nun bie Äufgabe ber liberalen 
(Partei unb ber liberalen (ßteffe fein, bei ber VevöKerung baS 
©efühl ju fchärfen unb baS Verftänbnifj ju läutern, bamit Jie 
fich baöon überjeuge, in Verfennung ihres wahren VortheilS 
fremben Sntereffen, bie fich gefdjidt mit bem Schein bet Ätt» 
gemeinheit ju betleiben wuhten, fich bienftbar gemacht ju haben. 
Hier Werben bie ßammerreben unb bie Seitartitel ber treffe 
für lange $eit ein auSgibigeS gelb jum Veadem finben. 

©enn bie (Regierung übrigens wahr hält, waS ihre Cr» 
gane versprechen, bah fie (einerlei (Reaction ju treiben, fon» 
bem nur an anertannte (Mängel ber befteljenben @efc|gebung 
bie beffernbe Hanb ju legen beabfichtige, fo wirb fie bie libe» 
rale Cppofition theilweife entwaffnen. Die confernafive (Partei 
(ann ihr burch ben Verfuch einer (ßreffton gewih nidjt läftig 
werben, ba fie bei Neuwahlen alsbalb wiebet auf ein deines 
Häuflein jufammenrüdt, wenn bie (Regierung bie fdjfifeenbe 
Hanb nicht mehr über fte hält. Kommt eine (Reaction, fo 
(ommt fie gewollt von ber (Regierung, bie fich n i4)t 
hinter eine fte gegen ihren (Billen bominirenbe (Mehrheit ber 
VoKsvertretung verfebanjen (ann. Die confervativen (Parteien 
werben, ba fie {ebenfalls ben mafjgebenbften Veftanbtheil ber 
betbett für (RegterungSjwede möglichen (Majoritäten hüben, 
©elegenheit haben, von ihrer Staatsweisheit 3 eu 9 n 'fe abju» 
legen, ©in gut Dh e 'l i enet Verheihungen, mit benen fte Die 
SEBähler an ftch 2 U Stegen verfugt haben — unb viele ftnb 
nur auf ©runb folcher Verheihungen für bie confervativen 
©anbitaten eingetreten 1 — wirb fid) fo leid)t nicht erfüllen 
laffen unb baS über eine fotd^e ©nttäufchung eintretenbe SMih ; 
behagen wirb von felber ju einer ©rnüdbterung ber Stimmung 
führen. Den „liberalen ©efefeen", welken heute vorgeworfen 
wirb, bah fie an ,,aU’ bem ©leiü)" fchulb feien, welches bei 
uns eingelehrt fei, werben „confervative ©efefce" folgen, bie 
ebenfowenig ben häuften ßuftanb irbifchen ©lüdS im Sanbe 
herbeiführen werben. Der (Ruf, bah ntan mit ber (Reaction 
nur immer weiter ju gehen habe, um enbtich bei bem golbenen 
Beitalter anjugelangen, wirb halb ertönen; aber injwifchen 
werben bem Volle bie Äugen barüber aufgegangen fein, bah 
biefer SEBeg einen Staat nur weiter abwärts unb niemals jur 
Vefriebigung ber grohett (Mehrheit eines Volles führt. Dann 
wirb bie Stimmung umfdjlagen unb von (Reuem „em liberaler 
Äuffdjwung" eintreten. Die Sehre von ben SßeÜenlinien, in 
welcher bie politifdje ©ntwidelung fich bewegt, wirb bann um 
ein neues Veifpiel bereichert fein. Än ber liberalen Vartei aber 
wirb eS injwifchen fein, bafür ju forgen, bah VteufjenS innere 
Buftänbe nicht ju lange auf ber abgleitenben ©urve verweilen 
unb auf ihr nicht ju tief unter baS SRiveau ber öffentlichen 
Buftänbe ©uropaS hmabfin(en. 

Der SEBahllampf felber hat fich ohne erhebliche Äufregung, 
ja fogar jiemtich geräufdhloS voäjogen; er war, was ben ©in» 
brad nach Äufjen hin betrifft, faft aller Orten burch ben ÄuS» 
fall ber Urwahlen vom 30. September entfliehen. (Rur in 
jwei grobem Stäbten ift eS ju fenfationeflen ffirgebniffen ge» 
(ommen. Sn grantfurt a. (Dt würbe ber Äbg. SaSler burch 
eine ©oalition ber gortfehritts» unb ber VoKspartei befeüigt; 
er fcheint für bie nächfte Beü nicht theilnehmen ju fotlen an 
ben Ärbeiten beS preu|if(hen ÄbgeorbnetenhaufeS. Sn VreSlau 
Würbe bagegen ber britte jur gortfehrittspartei jäblenbe Ver» 
tretet Suftijrath greunb burch ben StaatSminifter a. D. Hobrecht 
(früher Dberbiirgermeifter in VreSlau) erfe^t, inbem h'er brei 


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Nr. 42. 


J) i t Äegenwart. 


243 


Parteien Don faft gleitet Stärte gegenüberftanbert, fo baß bet 
— nationalliberalen — SRittelpartei Der Sieg Derbleiben mußte, 
©ie heftigen Stuftritte, ju benett es bei bet ©reSlauer SBafjt 
gefommett ift, ßaben gleicßjeitig Don einet noeß tägtid^ weitete 
gortfeßritte macßenben Erregung gegen unsere ifraelitifcßen 2J?it= 
bürget geugniß abgelegt. (Sä ift lange nießt oorgetommen, 
baß bei einer preußifcßen SanbtagSwaßl ein ©ruppencommanbo 
jur Äufrecßterßattung bet Orbnung ßat requirirt werben müffen! 
©ie Haltung bet Parteien War wie in ben früheren Sauren 
wefentlicß Dom ^ractronSintereffe beftimmt. ©eibft nabefteßenbe 
liberale unb conferDatioe gractionen malten ficf) Dag gelb 
ftreitig, wobei auf liberaler ©eite nießt einmal bie Sorge, ben 
SBaßltreiS gänjticß an ben gemeinfamen Segnet ju oerlieren, 
bie geßbetuft fernßiett, wenn aud) im ©roßen unb ©anjen 
bie liberalen SBäßter gefdjloffeit in ben Äampf eintraten. 2BaS 
fieß babei nach recßtS ßin abfonberte, fann !aum noeß als 
„liberal" bejeießnet werben; wie man benn auch für baS Stb= 
aeorbnetenßauS felber einer 5luSfdjeibung folget jweifelßafter 
Elemente aus ber nationalliberalen graction fentgegenfießt. 

®a8 allgemeine ©rgebniß ber SCBa^len ift eine §erab* 
minberung Der liberalen SRajorität Don 241 auf eine 
liberale äfeinoritdt Don 146 Stimmen, wobei ie eine 
ber auf bie frfißem HRinifter galt unb §obrecßt gefallenen 
©oppelroaßlen ben Siberalen ju gute geregnet ift. ©ie na* 
tionaltiberale graction tommt babei mit 101, bie gortfeßritts* 
Partei mit 35 Stimmen in ©ereeßnuna. ©aS Sentrum (ben 
„witb" geworbenen Äbgeorbneten D. Subwig mit eingerechnet) 
bat fieß Don 90 auf 96 Stimmen oerftärft. ©ie ©ölen 
haben es Don 15 auf 19 ©iße gebracht. ©er große ©e= 
winn aber ift ben SonferDatioen jugefalten, bie ju* 
fammen 170 Stimmen jäßlen. S33ie fieß bie einzelnen grac* 
tionen ber conferoatioen Partei gegen cinanber abgrenjen werben, 
muß abgewartet werben. (Eonferoatioe bei feiner graction jäfjlen 
wir 6. ©ie greiconferDatiDen rechnen fich 58 SRitglieber ju. 
©er fReft Don 106 SRitgliebern befteßt aus SReu*, ©eutfdj-, 
Ält* unb (EonferoatiDen fcßtecßtßin. ©ie fleine „conferoatioe 
graction" beS oorigen 9lbgeorbnetenßaufeS, bie aus 9 9Rit* 
gliebern beftanb, hat, feitbem bie Sircßenpolitit ber IRegie* 
rung ju ihrer ©efriebigung fi<h wenbet, fanm noch einen ©runb 
fich Don feuern ju bilben. 2Ran fann Silles, was rechts Don 
ben greiconferDatiDen’ fteht, heute mit ber gemeinfamen S3e= 
jeicßnung „conferDatiD" belegen, WaS nicht auSfcßließt, bah 
innerhalb biefer groben conferoatiDen graction Derfchiebene 
Seßattirungen hefteten, je nachbem ber eigenen lieber jeugitng 
mebr ober weniger Don bem bermaligen SRegierungSptogramm 
entsprochen wirb. (EonferDatio unb gouoernemental finb bieS* 
mal jwei fich faft beefenbe begriffe. 

®a8 ©ableau ber gractioneu ftetlt fieß, ber obigen 
©arftellung gemäß, wie folgt: 

bei @nbc bet beginn 

ber XIII. ber XIV. 

SegiSlaturperiobe. 


bie gortfcßrittSpartei. 

62 

35 

bie IRaiionalliberaten . . . 

169 

101 

Siberale (bei teiner graction) . . 

10 

10 

(Eonferoatioe (bei teiner graction) . 

9 

6 

greiconferoatiDe. 

35 

58 

SReu*, ©eutfeß*, Ält* unb .... 

321 

106 

Sonferoatioe fcßlecßtßin .... 

9j 

Seittrum. 

90 

96 

Solen. 

15 

19 

ifötien. 

2 

2 

Summa 433 

433. 


Snnerßalb ber ißroDinjeit hat bie SBaßlbewegung einen 
jiemlicß gleichmäßigen Sauf genommen, ber im ©efamrnt* 
ergebntß ju ©age tritt; nur ScßleSwig*ipolftein unb £annooer 
haben faft genau Wie am 27. Dctober 1876 gewählt. 3n Dft* 
unb in SBeftpreußen ging eine ülnjaßl SRanbate Don ben 
Siberalen auf bie (Eonferoatiüen über. Sn festerer ißroDinj, 
Wie in ißofen, gewannen bie fßolen einige SBaßltreife wieber, 


bie ihnen früher, Wo conferoatioe unb liberale ©eutfeße ein* 
trächtig mit einanber gegangen waren, abgewonnen Worben 
waren, ©er lange Saßre ßinbureß Don ben Siberalen behauptete 
SßaßltreiS öromberg=SEBirfiß 9 *ng auf bie (Eonferoatioen über. 
Sn ©ommern würbe bie liberale Sßartei auf bie §auptftabt 
Stettin eingefeßräntt. Sn ©ranbenburg ift es ben ©onfer* 
oatioen bieSmal gelungen, nicht weniger als 15 ©iße ben 
Siberalen abjubrängen, bie bafür nur einen in Dftßabellanb ißnen 
abgewannen unb fich in ©otsbam mit SRüße behaupteten, 
©erlin ßat wieber 9 gortfcßrittSmänner gewäßlt. Sn ©dfjle* 
fien würbe bie liberale Partei nießt bloS räumlich Weiter ein* 
gefeßränft, fonbent eS würben audfj in ©reSlau, SBrieg unb 
©örliß bie leßten SKitgtieber ber gortfcßrittSpartei befeitigt unb 
aueß in anbern SEBaßlfreifen entfeßiebene Siberale bureß jweifel* 
ßafte erfeßt. Slucß in ber ^ßrooinj ©aeßfen ßat bie liberale 
Partei nur Slieberlagen §u oerjeießnen; in jweien ber brei 
SfiegierungSbejirfe ging eine Slnjaßl ©i|e auf bie Sonferoatioen 
über. Schleswig*§olftein ßat feine SSertretung wenig Der* 
änbert; boeß ging ber SBaßlfreiS Schleswig auf bie greicon* 
feroatioen über; ©überbitßmarfeßen unb ©tormarn würben 
jwifeßen ber gortfcßrittSpartei unb ben SÄationalliberalen aus* 
getaufdßt. ^annooer feßieft Wie früßer 28 Slationalliberale in 
baS StbgeorbnetenßauS; baneben 4 greiconferDatiDe, 1 (Eonfer* 
oatioen, 2 welfif^e ißarticutariften unb einen llltramontanen, 
SBinbtßorft (SKeppen). Sn SBeftfalen ift naeß bem ©erninn 
Don ©edtenburg ber ganje 9tegierungSbejirf SDfünfter feßt in 
ben §änben beS (SentrumS, welcßeS fieß, naeß SSefeitigung ber 
liberalen Vertretet Don SRinben unb StaoenSberg, mit ben 
(Sonferoatioen in bie fperrfcßaft über ben SRegierungSbejirf 
3Rinben tßeitt 3m IRegierungSbejirf SlrnSberg ift in golge 
ber Scßußjollbewegung bie fortfcßrittlicße ©ertretung bis auf 
$errn Üßlenborff (|iamm*Soeft) befeitigt. §err @ugen SRicßter 
ift nießt meßr: „IRicßter ($agen)"; ber 4. ©erliner SBaßlfreiS 
ßat ißm ju einen ©iß im Slbgeorbnetenßaufe oerßelfen müffen. 
2SaS bie ©rooinj |)effen=9laffau betrifft, fo Wäßlte bie Stabt 
granlfurt a. SR. ftatt bet beiben nationalliberalen Slbgeorbneten, 
bie fie juteßt oertraten, ein üRitglieb ber ©olfSpartet unb ein 
SRitglieb ber gortfcßrittSpartei; ber Stbgeorbnete SaSler unter* 
lag. ©on ben naffauifeßen Sßaßllreifen ging ber 0ber=Saßn* 
ÄreiS naeß einem bet ßärteften SBaßltämpfe — es mußte oter* 
mal gewäßlt werben! — Don ber gortfcßrittSpartei auf baS 
Sentrum über; fonft würben in jwei ©Jaßifreifen ftätt ber gort* 
fcßrittSmänner SRationalliberale gewäßlt; ein fortfcßrittlicßer 
Sanbratß fcßliefjt fieß waßrfcßeintich nießt meßr feiner früßeren 
graction an; nur ber Unter*8aßn*Srei8 ift bet gortfcßrittS* 
Partei treu geblieben, ©er IRegierungSbejirf Äaffel, baS 
ehemalige fturßeffen, ßat fieß — SRinteln, bie Stabt Gaffel unb 
§anau ausgenommen — ber conferoatioen ißartei in bie 9lrme 
geworfen. Sn Gaffel ßat, angeblich aus ©rünben lolaler 3Rtß* 
ftimmung, bieSmal eine feßr große gaßloon SSBaßlmännem im 
fortfcßrittlicßen Sinne geftimmt. ©er „alte Detter" tommt 
bieSmal oßne größeres ©efolge wieber. ©ie fRßeinpropinj ettb* 
ließ ßat abermals in jwei SBaßlfreifen, 9teuwieb=Slltentircßen 
unb Stabt Äöln, bie ßentrumSpartei in ben früßeren fflefiß* 
ftanb ber Siberalen eintreten gefeßen; einige anbere SEBaßtfreife 
gingen ganj ober tßeilweife an bie ©onferoatioen über, ©ie 
ytationalliberalen jäßlen aus ben IRegierungSbejirten Äöln, 
ßoblenj, ©riet je ein SRitglieb in ißren Steißen, ©üffelborf 
feßidt beren nur noeß 7, außerbem ein SRitglieb ber gort* 
feßrittspartei, ben ©erlinerj ©tabttämmerer Stunge, aus (Slber* 
felb unb ben Staatsminifter Dr. galt aus ©uisburg; in baS 
2I6georbnetenßauS. greiconferoatioe ßnb 5 unb außerbem ber 
ginanjminifter ©itter (gegen Dr. galt) gewäßlt. ^oßenjoHern 
ßat feine jwei ultramontanen ©ertreter, barunter ben „^irfeßen* 
wirtß" Scßmib in ©ammertingen wieber ertöten. 

3um Scßluffe ßaben wir noeß ber ©erättberungen 
im ©erfonalbeftanbe ju gebenten, bie bas neue Slbgeotb* 
netenßauS gegenüber bem alten aufweifen wirb. Hußer ben 
in unb feit ber leßten ©effion oerftorbenen Slbgeorbneten 
d. ©onin — bem eßemaligen ginanjminifter unb langjährigen 


* 

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JlielSegeinnart, 


Nr. 42. 


» 244 


Alteröpräfibenten beö |>aufeö — unb greiperrn o. SRcmteuffel, 
bem ehemaligen lanbwirtpfcpajtlichen SRüiifter, werben niept mepr 
im $aufe erlernen Don bet gortfcprittöpartei: Allno cp, ein 
parlamentarifcper Subilar, Dr. (Sbertp, gtenpel, greunb, 
ipaebter, bet langjährige Oi^äftot beö Raufest, l3r. fiutterotp, 
einet bet Schriftführer, Dr. (pojmaun unb Dr. (jlaur, bte 
päbagogif^en Autoritäten bet Partei, Dr. ^jeUe; üou ben 
Stationaliiberalen: Dr. SJaepr (Staffel), Dr. o. (öeugpem, Dr. 
(Braun, bet belannte (ßublicift unb ißräfibent bet oolföwirih* 
jthaftlichen ©ongtefje, ©eorg o. (Bunjen, Dr. §orroig, fiam= 
merö, Dr. fiasEer, bet güprer bet ißartei in jo manchem 
Stampfe, fiipEe, ßberlaHbeögericptsrath fiöroeuftein, Dr. 3Romm= 
fen, dichter (Sangetpaujtn), Dr. o. '.Könne, ber ©ommen- 
tator beö (Berfaffuitgörecptö, Dr. äBeprenpfennig, bet eifrige 
Stampfer mtbet Stom, 2öiU=(Bogbanowo; non ben greiconfer= 
oatioen: Dr. fiuctuö, ingroifcpen gum SRinifter bet. laubroinp= 
fcpa}tlid)en Angelegenheiten u. f. ». ernannt, ißrofeffor Dr. 
St affe, bet (öorfigenbe beö herein« füt ©ocialpoütit, ^ring 
ttarl gu ^ohenlohe'Sngelfingen, £>unbt o. Rafften, ber origi= 
nelle (Segnet beö (ßolentpumö. — ®on früheren 2KUglie= 
bem treten miebet in baö Ipauö japlreiche (Sonferuatioe, bie 
mährenb bet lebten fiegiölaturperioben nicht burcpgubringen 
oetmocpten, unb baju gaplreidpe neugewäplte Sottjeroatioe, 
bie meift ihrem Siarnen erft 'Jtuf gu oerjopaffen haben, itiiir 
nennen an ihrer Spipe met 3)iini)tet: Witter, (Staf gu (äulen- 
bürg, ü. Äamete, o. ißutttamer, ferner ben früheren ginanj; 
mintfter ^obredpt, ber mit brei anbern ehemaligen SRiniftern, 
Acpenbach, galt unb griebeutpal, ein (ßenbant gur erften 
@ruppe bitbet; non höheren Beamten: ben ÜRinifterialbirector 
(Utarcarb, ben ÜBirtL @ep.; Statt) Ärug o. Slibba, ben @ep. 
Stegierungöratp Xiebemann, ben fianbeöbirector ber. (ßrooing 
©achten ©rafen Sfiingingerobe, ben fianbratp beö Xeltower Äreifeö 
(ßring (panbjerp, ben Stammergerichtarath b. Sepberoig, ben 
Dbertribunaloicepräfibenten a. 2). Glauöroig, ben $ertn n. 3Bag= 
botf=(Bteefenburg unb fcpliefjUcp ben für (Bielejelb gewählten 
Jpofprebiger ©töcEer, bem bei feinem ©rfcpeinen im Abgeorb' 
netenpaufe ein befonberer Stuf als führet ber „cpriftlich=fQcialen 
Arbeiterpartei" im Stampfe miber Sörael oorangept. X)ie 
übrigen Parteien hoben nicht biel Gsrfag ober .ßumachö be= 
tommen. (£ö wäre hier , nur gu erwähnen: ber AJiebereintritt 
bon Auguft Steüpenfperger (Stöln) unb beö ffiommergienratpö 
Stalle, betannt burch feine (öeftrebungen für bie (Berbefferungen 
ber Arbeiteroerpältniffe; bie Sieuwapl beö ©ommergienratpö 
(Baare, beö befaitnten güprerö ber ©ijengöUner, beö $errn 
(irnft bon ttpnetn, ber fiep burch feine Schriften über bie 
fociale grage einen Stamen gemacht pat, unb beö £>errn Stecptö* 
anwalt Xraeger, ber alö IfSoet fiep einen Stuf gu oerfepaffen 
gewußt hot 

Xöppelwapten ftnb im (Sangen feepö gu bergeichnen 
gewefen. (£8 finb gewählt: £>änel in Segeberg unb in (fiofen, 
Dr. galt ui Xuiöburg unb in (Sötlifc, ipobrecpt in (ßreuffifcp; 
Stargarb unb m (Breslau, ©raf Sitengingerobe in (Sarbelegen 
unb m S)terfeburg, greihetr b. |>eereman in lecflenburg unb 
in SKünfter, b. fipötomöti in Eöbau unb in Straöburg. 

ßum Scpluffe noch ein furgeö ASort. stochten hoch über 
bem Streit ber ißorteien bie Abgeorbneten beö preuffifeffen 
Stolteö nicht uergeffen, baff ein Staat wie ißreufjen, ber ben 
Stern eineö groffen Steichö hübet, nicht allein auö füh felber 
perauö bie Sltotioe feiner politif^en Action entnehmen fann 
unb barf, fonbem biö tief in feine (Sejefjgebung uub ißerwaU 
tung hinein fiep mit jenem nationalen Cüjetftc f)ur<hbringen foll 
unb muff, in welchem baö grojje (Semeinwefen gefepaffen würbe, 
bon bem er gwa^ ben größten, aber immerhin boch nur einen 
Xheil bilbet Unb möchte unter biefem (Sefichtöpuntte oor 
AUem bie Stegterung hobeln, wenn fie bagu übergeht, bie 
für bie prattifepen Sege ber (Sejefcgebung al» nothwenbig fiep 
erweijenbe SKajoritätöbilbung in bie $anb gu nehmen! Sticpt 
allem ^reu|euö, Seutfcplanbö gutün|tigeö (Sefcpicf wirb bon 
biefer Ätapl abpängen. 

»etlin, 12. Ott 1879. __ IPillj. Wacftrnagel. 


^nbamerikarnftpe JBtt^ättbe. 

®on j. KeUtcjCeujtngtt. 

5ßor wenig gapren bereifte ein {übamertfanifeper SKonarcp 
— }ur Bcü ber @ingige unb biedeiept ber fiepte feiner Art 
jenfetlö beö atlantifcpen Dgeaneö — gum gweiten SKale bie |>eimat 
feiner Apnen, benn er ift ein $raganga unb ber Sopn einer 
ißringeffin auö bem ^aufe ^aböburg. 

Seine petggewinnenbe fieutfeligteit, feine bie (Stengen beö 
jpergebraepten überfepreitenbe herablaffung, fein eminenteö, bie 
berfCpiebenften 3>»ei8e menfcplicper IpätigEeit umfaffenbeö ffiiffen, 
fein lebpafteö 3nterefje an $iQ e m, waö baö alte (Europa bot, 
eröffnete ipm bie bergen berer, bie baö (SlucE patten mit ipm in 
perfönlicpe löerüprung gu fommen, ober überhaupt an ben 
fcpicEen ber neuen SBelt unb fpecieü IBrafÜienö einen etwaö mepr 
alö perfönlicpen Antpeil nepmen gu müffen glaubten. 

@ö war eine neue (Sbition ber Äunbreife jeneö gropen 
ügaren, ber AUeö unb 3ebeö fepen wollte unb fiep, um eiuft 
fein ißolf gu beglüden, niept fepeute felbft mit h aB b angulegen 
unb Agt unb A3intelmap gu jüpren; eö war ein ißeter ber @tope 
im mobernen unb mopl auep Heineren Still 

(SlücElicp baö SSolf, fo baepten unjere XpeoretiEer, fo feprieben 
unfere (Blätter, baö einen folCpen h et f<her fein eigen nennt! 

Unb wenige 3apte naepper fepeu wir bie (Bertrauenömänner 
unb SKinifter beöfelben SKonarcpen, beu bei feinem SEegierung& 
antritte unb auep fpäterpin nodp bie Slpapfoben jener fiänber 
alö nationalen hüben in begeifterten (Sefängen beim Stlange 
ber (Biolaö Oerperrlicpt patten, auf offener Straffe befepimpp, 
fepen wir fein eigenen (Regime in einer (Steife bebropt, bie |ür 
bie (Srpaltung jener gweitgrö^ten aller SKonarcpien (bem 8lacpen= 
inpalte naep gerechnet) ernfte (Befürdptungen pegen lägt! 

SBie fo? äfioper bie fcpnelle AJenbung? — Slun fo jcpnell 
ift fie leiber gerabe niept oor fiep gegangen, wenngleich eö bem 
gernerftepenben, bem (Europäer, für ben eine bürftige 3eitungö« 
notig bie eingige Quelle ber Information ift, fp fepeinen mag. 
(£ö ift damit wie mit einem fernen (Bapnguge, ben wir non 
grünen Aebpügein auö weit in ber (£bene btaupen bapingiepen 
fepen, langfam, fcpnecEengleicp; beinape fepeint er gu ftepen. Sbämen 
wir aber in bie Slape, fo würben wir uuö übergeugen, baft in 
ber Beit, ba wir ipn flüchtigen, palb gleichgültigen Augeö be= 
traepteten, feine Siäoer fiep taufenbmal um Die peilen Agen ge= 
brept unb bje fcpwere SKafcpine äcpgenb und ftöpnenb, biö mö 
3nnerfte ergitternb, iprem Biele um ein fepr beträcpüicpeö Stücf 
nüper getommen ift. 

(Brafilien pat niept nur feit feiner fioöreipung oom por. 
tugiefifepen SKutterlanbe, fonbern befonberö in ben legten gwei 
Saprgepnten oerjepiebene unb gum Xpeil fepr fcpwere Strijen 
burepgemaept, barunter bie fcplimmfte oon allen: ben fünfjährigen 
Urieg mit (jlaraguap. 

Xie ftranlpeit ift alfo niept oon peute, aber wie pier ber 
Sünger Aeöculapö, nach ber geiftreiepften aller Xiagnojen, bebenf* 
licp ben ^opf fcpüttelt, wenn eö fiep barum panbelt, bem (Patienten 
wirtlicp Ipeilung gu oerfepaffen, fo auep bort jeder greund beö 
fepönen fianbeö, ber auö mepr wie einem (Stunde wünfepen möcpte, 
bap (Brafilien auö ben neueften Kämpfen und (Klirren ungejcpädigt 
an $>aupt unb ©liebem, neu geftärft für weitere fegenöreiepe 
©ntmiclelung peroorgepen möge. 

Xaö ungepeute 8teicp, eö tommt ber Qberfläcpe oon (Europa 
napegu gleich, ift in unmittelbarer (Sefapr, in eine Angapl oon 
etwa 6, 7 ober mepr tleinerer Stepubliten gu gerfallen, in benen 
bann opne Bmeifel die)eiben anarepifepen, jebe. (ßrofperität im 
fteime erftictenben Buftänbe perrfepen werden, wie in (Bolioien, 
(ßeru, SSeneguela unb all ben anbern, früper gur fpamfepen 
ttrone gehörigen, oon ber Statur fo reich befepentten,, oon beu 
eigenen Söpnen aber fo jcplecpt oerwalteten fiändern, in benen 
bie Steoolutionen niept „abreifjen" unb jeber Stabulift unb (Stentel; 
abootat, jeber militärifepe Streber oom ©eneral biö gum Sar« 
gento fiep berufen füplt, ben (ßräfibentenftupl gu bezeigen unb 
wo einem ungemeffenen, politifepen ©prgeige, ber Eraffeften Selbft; 


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Nr. 42. 


Hit ©egenmart. 


245 


fußt unb Kitelfeit alle Wittel reßt feinen, um gum 3«te gw 
gelangen. 

@2 wirb alfo ba« Sßlimmfte fein, wa« Praßlien bis jeßt 
noß gef eben; fein 9iame al« ©efammtnation wirb auSgelöfcßt 
unb bet ©nttoidelungSgang be8 in öerfßiebene Stüde gerfatlen* 
ben 9?eiße«, ba« nie tnieber unter einen $ut Wirb gebraut 
Werben fönnen, unb beffen einjetne Xßeite ßß oieüeißt binnen 
furgem wegen ©rengbeftintmungen unb 3öHen, ber 3 u 9 et»örigfeit 
eine« $afenorte« ober SßtfffaßrtSrecbten in ben paaren liegen, 
wirb in ber gewalttßätigßen unb babei fotgenfßwerften SBeife 
unterbrochen werben. 

£at nun bie braßlianifße Regierung, fo fragen Wir, öon 
ihrer Seite Sille« gethan, wa« in ihren Prüften ßanb, um ein 
folße« Unglücf gu Oerhüten unb ben lommenben Sturm gu be* 
fßwören? SBir müffen bie« leiber oemeinen! Sta« ffirfte, ba« 
Allererße, wa« ba 9lotß tßat, war: Wenfßen in bie unermeß* 
liehen Kinöben gu bringen, Wenfßen, bie im ©tanbe wären bie 
Schä|e gu heben, bie ber üppige ©oben in feinem iungfräulichen 
Schoße, bie mineralreichen Sierra« in ihren Kmgeweiben bergen, 
unb gwar Wenfßen, bie höhere Pebürfniffe hoben unb mehr 
probuciren al« ba« bisßen Wai« unb Wanbio! gum nothWenbigften 
Unterhalte; furgum eine quantitatio größere unb qualitatib 
leißungSfäßigere Peüölferung, bie felbft eine Oermehrte ©teuerlaß 
oerhättnißmäßig leichter gu tragen im Stahbe wäre, al« bie 
hanbooU mehr ober weniger farbig angehauchter, überau« felbft* 
bewußter, gum Xßeil auch liebenSwürbiger unb gutmütiger, 
aber eminent energielofer Staat«bürger ober Kitaböe«, bie ßß 
in biefem Slugenblide gwifßen bem Stmagona« unb Sa piata 
oerlieren. 

Sta man nun befanntliß Weber Solbaten noch Slrbeiter 
au« ber Krbe ftampfen !ann, unb bie Seit brängte, fo blieb unb 
bleibt nicht« Slnbere« übrig, al« fie Oon auäwärt« tommen gu 
laßen, b. h- au$ ber alten SEBelt, wo bie Wenfßen ba unb bort 
fßon anfangen bißter auf einanber gu ß|en unb fich gegenfeitig 
ba« Seben nach Kräften fauer gu machen. 

9hir baburch hätten unoergüglich bie SERrttel aufgebracht 
Werben getonnt, bie nötig wären, um jene großen materiellen 
SSetbefferungen, in erfter Sinie PerfeßrSerleißternngen, Straßen, 
Kifenbaßnen, Kanäle, SßifffaßrtSemrißtungen u. f. w. in grö* 
ßerent 9Raßßabe unb in enetgifcher SBeife, felbft mit augenblid* 
lichen Opfern unb einer in nebelgraue gerne ßch oerlierenben 
^Rentabilität’, gut Ausführung gu bringen; nut fo wäre e« 
möglich gewefen, bie natürlichen $ülf«quellen biefe« reichen 
Sanbe« nach unb nach Oottftänbiger al« bi« je|t au«gnnü|en, 
unb in ben PeoölferungScentren gu gleicher Seit all jene 3n* 
ftitutionen erftehen gu laßen, bie einerfeit« für beren eigene« 
SBohl, anbeterfeit« für bie Stabilität ober überhaupt bie Wög* 
lißfeit einer träftig einwirlenben Kentralregierung bringenb 
nothwenbig fhtb. 

Praßlien gählt heute etwa, fo gang genau weiß ba« 9He* 
manb angugeben, 12 WiHionen ffiinwoßner, Wooon ber größte 
Xßeil ß<h in bem bißter unb feit längerer 3eit fßon occupir* 
ten Süßenftriße mit feinen großen $afenplä|en (5Rio be ga* 
neiro allein hat 500,000 Kinwoßner), gufammenbrängt; unb nun 
maeße man ßcß, unter ber weiteren ®oran«fe|ung, baß 50 pro* 
cent be« SReße« an« trägen Weftigen, Wulatten unb Siegern be* 
ßeßt, ein Pilb oon ben Sußänben im eigentlichen gnnern be« 
großen Bieiße«! 

Selbft wenn ber große ©eleßrte, ber heute ben btafilia* 
nifßen Saifertßron einnimmt, ein beßerer, b. ß- ein ptattifeßerer, 
energifeßerer Siegen! wäre, al« er e« ift, müßte e« ißm unb 
feiner ^Regierung fßmet fallen, unter fo bewanbten Umßänben, 
mit einer ben fociaten Perßältniffen be« bünn beoölferten Sanbe« 
in feiner SBeife angepaßten, übermäßig freifinnigen Konftitution, 
ba« allgu locfer gefügte, weitlänßge ©ebäube auf bie Stauer oor 
gu bewaßren; wie aber nun bie Sahen liegen, reichen, 
um bei bem angenommenen Silbe gu bleiben, bie fßtaaßen 
ffräfte nicht einmal hin, ba« notßwenbigfte glicfwerf auägufüßren: 
ba« gunbament iß fßleßt, bie Stit|en faul, ba« Stad) burcßlöcßert 
unb ber ßalbleere Schuppen lattn über 9laßt gnfamrnenbteßen.' 


Wan ßat, gebrängt burß ben Vorgang ber bereinigten 
Staaten, fowie bureß bie feine«weg« auSgefßloffene ©efaßr oon 
blutigen ßlegerreoolten, ber Sflaoerei einen Xermin gefe|t, unb 
gwar in ber SBeife, baß'man alle nach bem 1. ganuar 1872 
oon SHoomnen geborenen #inber oßne ©eitere« für frei er* 
Härte, unter ber eingigen, bureß bie Humanität wie bureß bie 
biDigfeit gebotenen Pebingung, baß bie Petreffenben bem $errn 
ber Wutter al« Krfaß für bie Pßege in ber erßen SebenSgeit 
noß bi« gum 20. gaßre unentgeltliche Xienße leißeten. 

S>a« ©efeß ging oßne oielen SBiberßanb ber Plantagen* 
beß|er bureß, bie bei bem geringen natürlichen Suwacßfe ißrer 
feßwargen Pflegebefohlenen feßt woßl erfannt hatten, baß ba«, 
Wa« ihre Kollegen in ben Sübßaaten ber Union ißre „eigen* 
tßümliße unb fpecieü Oaterlänbifcße gnßitution" gu nennen be* 
liebten, feit bem gaßre 1852, ba in golge ftrengerer Serbote 
leine lieget meßr oon ber afrifanifßen ®üße importirt werben 
tonnten (webet offen noeß in« ©eßeim), im ©runbe genommen 
auf bem Auäßerbeetat ßanb unb ein paar gaßre ßin ober ßer 
an bet btoßenben Kalamität, b. ß. bem gänglicßen Wangel an 
Arbeitskräften, nur wenig gu änbern oermoeßten. 

3ur Seit ber Promulgation be« betreffenben ©efeße« gab 
e« (ba Wäßrenb be« Kriege« gegen Paraguat) Xaufenbe nnb aber 
Xaufenbe' oon ©HaOen oon ißren Herren bie greißeit erßalten 
hatten unter ber Pebingung, ßcß in bie Armee entreißen gu 
taffen) faum eine Williott berfelben im gangen beiße, unb e« 
ßat im ©runbe genommen etwa« ungemein Pefßämenbe« fiß 
fagen gu müffen, baß bie Probuction unb allgemeine Seiftung«* 
fäßigleit eine« halben Kontinente« mit ber Arbeit biefer ßanbooQ 
WoHföpßger Afrifaner für ben Augenblid Wenigßen« innig oer* 
bunben tß. Wan füßlte ba« auß in ben maßgebenben Greifen 
gang woßl unb oon meßr toie einer Seite Würben Stimmen 
laut, bie al« Supplement be« neuen @efe|e« bie Kinfußr anber* 
weitiger Arbeitsfräße bringenb oerlangten. 

Wan fpraß oon ftuli« unb Kßinefen; bie paar §unbert 
aber, bie man früßer fßon importirt ßatte, Waren an bornirte 
Pßanger oertßeilt worben, bie bie armen fßmäßtigen, Weigen* 
gelben ®nrfßen gerabe fo beßanbelten, wie ißre breitrüdigen, bid* 
ßäutigen unb bidfßäbetigen ßteger, Womit iß nißt einmal ge* 
fagt ßaben will, baß ße biefelben prügelten; bie golge baoon 
War, baß ßß ber Soßn be« fReiße« ber Witte unb ber an* 
ßoßenben Prooingen truppweife unb in ©efeflfßaft erßängte unb 
ber Heine, mit bet Seit ober burß bie Snteroention ber fRegie* 
rung wieber ßei, b. ß. fßulbenfrei geworbene 9feß al« gifß* 
ßänbler, ©arföße ic. ein gwar felbßßänbige«, aber anonßme«, 
für bie Allgemeinheit giemtiß oerlotene« ®afein führte, unb bie 
gange gbee überhaupt ad acta gelegt würbe. 

Swifßen ßinein war bann bet große norbamerifanifße 
^Bürgerkrieg gu Knbe gegangen, unb be« ©üben« KäOaliere gu 
®oben geworfen worben. 

®a« iß unfer gaH, fagten ßß bie braßlianifßen Staat«* 
männer; gu un« follen ße lommen, unb mit ißnen norbifßer 
UntemeßmungSgeiß nnb amerifanifße Profperität! 

9iun woßl! e« famen auß einige Sabungen baoon au« 
©outß*Karolina unb Sonißana, barunter feßt btaoe Seute unb 
ßößft refpectable gamilien, gum Sßeil noß mit ben Seiten 
einft fürßlißer Vermögen; aber gerabe biefe Seßteren wollten 
ja felber SHaoen faufen unb wa« bie Uebrigen anbelangt, fo 
befartb ßß barunter, tro| ßoßHingenber militärifßer Xitel, ein 
fo beträßtlißer Procentfaß ber gefäßrlißften Abenteurer unb 
©eutetfßtteiber, baß man fßließliß froß war, ße, gerabe wie ße 
gelommen waten, b. ß. anf StaatSloßen, Wieber in ißre $eimat 
fßiden gu fönnen. * 

Staun tarnen SRnffen: bie 9laßfomnten oon Xeutfßen, bie 
oor meßr al« einem gaßrßunbert naß Flußlanb auSgewanbert 
waren, unb beten ©ößne, tempora mutantur, ßß in ber neuen 
Heimat weniger gn ^aufe füßtten, nl« ißre ®orfaßren. 

K« war eine Knttäufßung für beibe Xßeile! unb Praßlien 
iß ßente am Xtaiepr ebenfo biScrebitirt wie am Sftßein! 

Plieben bie Xeutfßen! 

9hm, beutfße Koloniften, bie eingigen ber ©eit, auf bie 


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246 


fticftegeuwart. 


Nr. 42. 


ettt junges Sanb rechnen tarnt, bie ÜRiüionen an @elb unb ffiraft 
nach SRorbamerila getpagdn. üRiQipiies, -bie uns ermatten worben 
wären, wenn wir fetbft Kolonien hätten, hotte SBraftlien tängft 
fhon geje^en unb fie auch ju oerfhiebenen Seiten, mit S(uä= 
nähme bet oben angeführten Sßh°f e norbamerilanifcher ©httoan: 
beruttg, ba alles ®eutfd|e fpftematifch aurüdgefefct unb mißachtet 
würbe, ju fdjäfeen gewußt; aber eS ben SReuanlommenben, ben 
in&.ßanb gerufenen grembliugen fo gn matten, baß fie ftd) 
hehnifch fügten tonnten, unb befonbetS bie ©rften fo au betten, 
baß, wie fort im SRorben beS Kontinents, fo her tut ©üben 
auS Keinen Anfängen im Saufe ber Seit ein gewaltiger, fpontan 
fließenbet Strom geworben Wäre, buben bie -Keiftet btaftlianU 
fdjer Staatslunft nicht oerftanben! 

©emiß finb in ben {Bereinigten Staaten mehr ©inwanberer 
gu ©runbe gegangen, als jemals in Srafilien; aber bie gefammten 
SBerhältniffe liegen bort nun anberS: bet Slnftoß aut ®intoanbe= 
rung ift einmal feit 50 Satiren gegeben, unb was beute ba 
hinüber gebt, fucbt oon üornberein fein ©lütt auf eigene Sauft, 
ohne beim SRißlingen beS UnteruebmenS irgenb gemanbem, oiel- 
leicbt bie näcbften ftbon borangegangenen SRuberwanbien auS= 
genommen, etnen SBorwurf machen au tonnen; unb wenn unter 
buuberten Sitter profperirte, feine bem Utwalb abgerungene garm 
an bobeut greife an eine in Sanb fpeculirenbe ®ife#babncom= 
pagnie bertaufen tonnte, ober gar mit bem Seberbeutel ooü 
gteifjenber califomifcher „SRnggetS" als Stab ob in bie Heimat 
aurüdtebrte, fo machte bieS baS ©lenb bon bunbert Slnbern, bie 
fic& als „Dutchmen“ berhöhnt unb berfpottet, taufenbmal über; 
oortbeitt unb betrogen bon bem fcbneibigen, geriebenen Dantee, 
in tümmerlicbfter SBeife burchfhlagen mußten, um aulefct bo<b 
noch i^re Knochen auf ben fßrairien beS fernen SBeftenS bleichen 
au laffen, oollftänbig bergeffen, unb immer bon Steuern ergießt 
ficb ein Xbeil unferer überfhfiffigen Sraft nach bem Staaten' 
bunbe im Storben beS neuen SBelttljeileS. 

Sam aber nur ein einaigeS SJtat eine aerlumpte Koloniften: 
famitie aus Srafüien nach ber beutfcben Heimat aurüd, gleich 
waren alle Seitungen bott bon ber SBortbrüdjigleit ber betreffen: 
ben {Regierung, bet „Sdjlechtigleit" 'beS bortigen SlimaS, unb 
regnete eS SBarnungen unb Verbote! 

®e8 Deftern mag eS Oorgelomraen fein, baß gewiffenlofe 
Slgenten unb Speculanten (bie „Serfracbtung bon SluSwanberern" 
war ftets ein gutes ©efchäft, unb Hamburg unb Sternen wtffen 
babon au eradbten) folcb einfachen unb unwiffenben SJtenfdben 
aüeS SRöglicbe borfpiegelten, waS bann fpäter mit bem beften 
SBillen bon ber SBelt nicht erfüllt werben tonnte, gn ben weiften 
gälten burfte jefoch bie ^anpturfacbe ber gegenfeitigen Slagen 
fowie ber fehledjte ©rfotg biefet SSerfucbe ber unpaffenben StuS= 
Wahl ber Koloniften, bie, aum X^eit bem SIbfchaum unferer See= 
fiäbte entnommen, teineSwegS bie nöthigen Dualificationen aum 
neuen Serufe batten, juauf^reiben fein, fowie ber wenig tfoti- 
entfprecbenben Sage unb Sefäbaffenbeit beS SlnfiebelungSpuntieS 
felbft, befonbers mit Seaug auf guten Soben unb günftige Ser: 
iebtSberbialtniffe, unb fchließlidj ber Sorglofigteit ber mit ber 
fcbwierigeu Aufgabe betrauten Stngefteüten, bie oon ber 'ihnen 
erwaihfenben. Serantwortlicbteit auch nicht bie geringfte Slljnung 
au haben pflegten unb bie ®inge laufen liefen wie fie eben 
mochten. 

®a Waren bei Slntunft ber Eoloniften leine Sänbereien ber: 
meffen unb teine Schuppen errichtet jur Stufnaljme ber ®in= 
gewanberten; eS fehlten bie nöthigen SebenSmittel, ober wenig: 
ftenS foldje, Woburch biefen befchräntten unb aum ®heit fehr 
wenig fügfamen Sölenfchen ber Uebergang au einem für fie neuen 
unb frembartigen, wenn auch im allgemeinen in ber ®h Q t beffem 
{Regime einigermaßen erleichtert worben Wäre; contagiöfe ®ranf= 
beiten unb gefährliche Sieber brachen aus, ohne baß nur bie 
SRöglichfeit ootljanben gewefen wäre, in fürgefter Seit unb ohne 
bie Dpfdt oon Xaufenben einen Slrjt hetbeijurufen; bie palmblatt: 
gebedten Hütten beröbeten, unb ber lefcte SReft ber mit hach' 
fliegenben Hoffnungen SRuSgeaogenen fucßte als Steintlopfer an 
Straßenbauten ic. fich fo gut wie möglich burchaufdjlagen, wenn 
er nicht burch bie Sermittlung ber ©efanbten unb Konfuln im 


Suftanbe äußerfter Sertommenheit fchließlidj in bie Heimat 
aurüdgefdjidt würbe. 

Unb bo<h unb after all ift eS ein herrliches Sanb, über 
welches, wie id} an anberer Stelle bargethan, bie Statur ihre 
©aben mit ooüen Hauben unb in reichfter gütle auSgebreitet, 
unb wofelbft jeber rüftige, arbeitfame SRenfdj nicht nur mit 
Seidjtigleit feinen Unterhalt oerbienen, fonberu auch &en ©ruub 
gu einer felbftftdnbigen ©jiftena legen lann, unb Wenn bie 
brafitianifche {Regierung bei ihten SolonifationSbeftrebungen in 
Seaug auf bie oben gerügten SRißftänbe mit nur ein wenig 
mehr Umficht oerfährt, fo lann eS nicht fehlen, baß man auch 
in ©uropa unb fpecieü in ®eutfdjlanb bet SluSwanberung 
wenigftenS leine Hinberniffe in ben 3Beg legt, wenn man fie 
auch getabe nicht begünftigen wirb. 

SRit ber H e ^ un g ber Seoöllerung aber, mit ber ®urdj : 
btingung berfelben mit europäifchen, b. h- energifcßeren unb 
arbeitfameren Elementen, als bie eingeborenen äRifdjlingSracen 
eS finb, wirb aber bie brafitianifche {Regierung nicht nur am 
beften für bie {ßrofperität beS ganjen {Reiches wirten, fonbern 
auch ber broßenben ©efaht Oon beffen Stuftöfung unb, Set= 
ftüdelung am wirlfamften entgegentreten tönnen. ®aS ®amieber: 
liegen beS SlderbaueS, beS HanbelS unb ber gewerblichen Xljätig : 
teit ift eS ja, baS in erfter Sinie biefe Söller geneigt macht, 
bem Sitenengefange oon in StuSfidjt ftchenbem höheren ©ebeihen 
unb befonberer ©ntwidelung bei republilanif^er Serfaffung unb 
Drganifation ein williges ©eljör au leihen unb fdjtießlich unter 
ber güijtung eines tommenben ®ictatorS bie gähne beS Stuf: 
ruhrS au erheben. SBenn auch gerabe im gegenwärtigen {Rügen: 
blide (— ba brei ber fübamerilanifchen Schwefterrepublilen, Sänber, 
bie oon all ben ®ingen, bie man aum Äriegfühten hoppelt unb 
breifach benötigt, audh nidht baS einfache befifeen, im gegen: 
feitigen Stampfe liegen unb ben SReft ber SRiüionen, bie ihnen 
einerfeitS bie SluSbeutung beS SogelbüngerS, anbererfeitS ber 
californifche fyanM in ben Scßoß getoorfen, in unoeranttoort: 
lieber SBeife wegen jämmerlicher ©iferfüdhteleien unb leicht au 
fchtichtenber ©renaftreitigleiten oergenben —) ber SRoment für bie 
SoSreißung ber ©reitaprooinaen StafilienS in ben betreffenben 
Greifen nicht fehr günftig erfcheinen unb bie gämmertidjteit ber 
jenfeitigen Suftänbe gegenüber ber aweifetljaften Sortrefflichleit 
ber bieSfeitigen ein nicht au unterfehäfcenbeS argumentum ad ho- 
minem abaugeben geeignet fein bürfte, fo mag ftdh bodj bie 
brafitianifche {Regierung bie SBarnung, Welche ihr burch bie jüng* 
ften ©reigniffe, fowie burch bie allgemeine Kalamität unb bie 
fiuanaietlen unb commeraietten Serhältniffe in fo einbringlidjer 
SBeife au Xheit geworben, gefagt fein laffen, unb energifeße Schritte 
thun, um baS Uebel au heben 

©S Wäre oietteicht auch oom moralifdhen Stanbpunlte 
aus au Wünfdhen, baß Srafilien als ©anaeS unb in monareßi* 
f<het Serfaffung erhalten bliebe! 

3um Schluffe geftatte man einem nebenbei auf tünftleri: 
fchen unb lunftgewerblichen ©ebiete thätigen Sdhriftfteüer, pour 
la bonne bouche, einige „wohlgemeinte" Semertungen über 
fübamerilanifche Hetalbil! 

gn linblichem Spiel ic. ic.! Sraßlien führt feit, uub 
tro| feiner Xrennung bom SRutterlanbe, bie altportugießfcße 
SBeltlugel mit bem fiteua als Unterlage im SBappen, umgeben 
oon einem mit ber Suhl ber Sßrooinaen hurmonirenben fitanae 
oon Silberftemen auf blauem ©runbe. ®a baS ©anae jeboch oon 
atoei fehr wenig heratbifch wirlenben, höchft ptofaifdhen Saffee* unb 
XabalSaweigen umrahmt ift, fo hotten bie Sßortugiefen, bereu 
ftolaeS, altes SBappen neben ben Stürmen &oftilienS bie fünf 
SBunbmale ©hrifti auf Weiß, einigermaßen Seht, als fie in 
biffiger SBeife bemertten, baS amerilanifche Strämerbolt hätte 
biefe Sßanacee gegen „Fumo e Cafe“ oerfdjachert. Stber einerlei! 
®ie brafitianifche grüngotbene glagge hot immer nodh einen ge« 
wiffen Stil unb bläht fi<h heiter genug im ©lanae tropifcher 
Sonnen, aber was ift au fagen bon ben traurigen SBannern ber 
fpanifhen {Republileu, bei beren SufammenfteQung unb Seichnung 
fich ber tächerlichfte ®ünlet unb bie greitgenlofefte ©efchmad: 
ioßgleit btuberlich bie Honb gereicht au hoben fdjeinen! 


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Nr. 42. 


Hit (Segenmart. 


247 


^Betrachten wir baS bon K etu , wie eS gierlieh auf Sied) 
gemalt übet ben Pforten bet Konfuln biefet erlauchten unb 
mächtigen fRepublif aßerWärtS gu fe^eit ift: breigetheilt ift baS 
gelb unb getaudjt in bie garben bet frangöflfäen Dricotore; 
bk Silber aber fittb: ein Samm ober fonft ein Stepräfentant bet 
langhaarigen gamilie ber ®ameelgiegen, bie auch h^te n °<h in 
ßnnaugelung bon galjrfiragen gebulbig, wie bie braunrothen 
3fo<hfommen bet 3«fa8, bie ©ilbererge bet AnbeSfette über 
’ 6 tbd unb Stein nach bem §afen fdßeppen; im 5 weiten gelbe: 
bet ©ocägraueh, bet fo eine 9trt bon „Stäbchen für AßeS" ift, unb 
in lefcter Seit bei uns gu ißiflen gebreht gu werben fcheint; im 
britten aber, im unterften: ein golbftropenbeS güflliorn; aber 
nic|t baS ber Amaltliea, fonbern wohl eine Aßufion an jene 
ungezählten Stiflionen, bie auS bem Sachlage jener geigigen 
©ögel oon ben ©hindja = Snfeln gezogen, für ba 8 berwahr= 
tofte Sanb ber Sepublif in ©tragen, ©ifenbahnen, ©d)ulen 
nub anbetn SujruSartifeln hätten nujgbat gemacht werben lönnen, 
untertnegd aber fo fpurloS oerfdjwunben finb! 

©in anbere 8 ©<f|ilb ift ba 8 be 8 argentinifchen @taatenbunbe 8 , 
bo 8 unS ein Saar brüberlich berfdjtungene $änbe unter bet 
Mnehben 3 afobinermü|e zeigt, al 8 ©hmbol eine 8 2 anbe 8 , in 
welchem Anarchie, SReoolution, Sürgerfrieg unb ßJtorb zum Aß» 
täglichen gehören! Unb fo Weiter! 

Sodj h fl be ich bergeffen gn bewerten, bafj, Wenn biefe 
Sappen fo recht boflftänbig unb in ©ata erfdjeinen, fle fich bon 
einem tetzenben, au 8 Kanonen, föaubifcen, Sornben, ©ranaten, 
©äbeln, SWuSfeten, frömmeln unb ßtiegSfahnen gebilbeten, al 8 
ftintergrunb bienenben ©tiflleben abheben, ba 8 jebem K®fdja 
gut @h re gereichen würbe! 


cSiferatur unb £tmß. 


(Ein iWttbthenlieb. 

©on t. K. 

ÜJtir wiß wohl manchmal fdjeinen, 
Dag ich recht gtücflich bin — 

Da fang’ ich an P Weinen 
Unb träume bor mich hin- 

So ift ber Dag geblieben? 

Sie bunte! warb bie Seit! 
üRich hat’* hiu®u 8 getrieben 
Seit übet Dhal unb gelb. 

gm Salb am Siefenljangc 
Da h®b’ ich #alt gemacht. 

©in SSögleht fd)lug. Dem ©ange 
Saufcht’ ich bie halbe Stacht. 

Sie fehnfu<ht 8 boße SEBeife 
©ingft bu grau ßtachtigafl! 

Sn meinem bergen leife 
Secfft bu ben Sieberhaß. 

D hätt’ft bu nie gefungen! 
fföir ift gum ©terben fchtoer. 

§ätt’S in mir au 8 gettungen! 

$ätt’ ich lein Sünfchen mehr! 

@8 tagt — bie Säume rauften — 
Da 8 Söglein ging gut SRuf)’ — 
$ör’ auf in bi<h gu laufchen, 

Sergig ben ©chmerg auch bu! 


Anzengruber als (Etjähltr. 

i. 

Subwig Angengruber h°t feine in berfchiebenen Seit 3 
fdjriften gerftreut erfchienenen Sauerngefchichten unter bem Ditet 
„Dorfgänge"*) gefammelt. Die 8 gibt mir beu wiflfommenen 
Anlag, ben ausgezeichneten Dichter, ber als Dramatifer ungtoeifek 
haft gu ben berufenften, gefunbeften unb eigenthümlichften nnfrer 
Seit gehört unb mit boßem Siechte bei ber lebten Sertheilung 
be3 ©chiflerpreifed berücfgchtigt worben ift, nun als ©rgähler 
näher ins Auge gu faffen. DaS wieberhoite aufmertfame Sefen 
feiner Sauerngef^i^ten hat mich iu meiner Uebergeugung be= 
ftärtt: bag er auf biefem ©ebiete be 8 geiftigen ©<fjagen 8 um 
nichts geringer ift als auf bem bramatifchen. 

Die Sühne ift ihm für feine ©rgählungen ein grertger unb 
guter Seljrmeifter gewefen. Die Knappheit, bie ihm für biefe 
ein ©ebot war, ift ihm nun überhaupt gum ©efefe geworben. 
■JtirgenbS lägt er fich P einem äftigbrauclje ber greiljeit, welche 
bie ©rgählung geftattet, nirgenbs gut Seitfdjweiggfeit berleiteu. 
©eine ©ompofition ift ftraff unb bie Ausführung conciS. 

Snbeffen finb feine ©rgählungen teineSwegS in bie epifche 
Dichtungsform umgefefcte Dramen. @S finb richtige unb unbet= 
fälfdhte ©rgählungen, in benen bie Sefonberheiten ber epifdjen 
DichtungSart mit Serftänbnig unb Sung oerwirfltcht werben. 
Angengruber lägt eS fich R i<ht entgehen, ba, wo bie ©djilberung 
gur ©timmung, gut ©harafterifirung ber Situation ober bet K « 3 
fon angebracht ift, bon biefem Sorrecgte ber ©rgählung einen 
oerftänbigen unb gtüdlichen ©ebrauch gu machen, unb ba, wo 
fich ei® wißtommener Antag bagu bietet, eine philofophigh* ®e= 
obachtung einguftreuen; aber es ig fein blenbenber glitterfram, 
fein Junten mit ©ebanfenreichthnm, fein geigreichelnbeS ÜottU 
tiren; eS ergibt geh naturgemäg, unbefangen unb ohne Anmagung 

— lid)t, wahr unb tief, wie eS baS Sefen beS Dichters felbft ift. 

„Sagt mich gelten!" fagt Angengruber in einer ber beiben 
„Klaubereien", bie er ben Sänbeu feiner Sammlung borangefchidt 
hat. Diefe Klaubereien foßen zugleich ein literarifcheS ©laubcnS; 
befenntnig unb eine oratio pro domo bargeßen. Sie gnb biel- 
leicht baS eingig ©ntbehrliche in biefem Serfe. @S hätte Weber 
beS SefenntniffeS, noch ber Darlegung feines äghetifdjen ©tanb= 
punfteS, noch ber ^Rechtfertigung feines befonberen Schaffens bt= 
burft. Angengruber ift ein echter Dichter. DaS ift ein toß= 
tommen auSreichenbeS Krogramm. ©eine Serfe gnb echt bichterifdj. 
DaS genügt boflauf gu beren ©jrigengberechtigung. Sir lagen 
ihn gelten, unb baS, waS uns in feinem Sortrage etwa fremb= 
artig berühren mag — ber fübbeutfehe Donfaß, ber hi« uoch 
abgchtticher unb bemehmticher auB= unb anflingt als bei $opfen 

— ftögt uns SRorbbeutfdje feineSwegS ab, wie Angengruber oorau 8 = 
gufepen fcheint, fonbern oerleigt feiner Darfteßung in unfern 
Augen fogar noch einen Steig mehr. 

Angengruber, ber auS feiner öfterreichifchen $eimat wohl nie 
herauSgetommen ift, hat gewig noch nicht bie ©etegenheit gehabt, 
feftgugeßen, bag bie Sitfung beS fübbeutfehen ÄlangeS auf ben 
ßtorbbeutfehen burchauS nicht biefelbe ift, wie bie beS norbbeut; 
fchen SbiomS auf ein fübbeutfcheS Dhr. DaS Storbbeutfcge, baS 
im ©üben unter bem Segrig „Serlinet Dialeft" gufammengefagt 
wirb, wirft bort — wogu baS in Abtebe geflen? — entfegieben 
unangenehm, wäljtenb umgefehrt bie fübbeutfehe ©prache für uns 
Storbbeutfche etwas liebenSwürbig StaioeS, frohgnnig ©emüth 5 
lic^eS hat. ©ang befonberS gilt bieS bon ber öfterreichifchen 2Runb= 
art. Die fchwäbifche, bie feiner 3eit nicht wenig bagu beigetragen 
hat, Auerbach P einem SiebtingSbichter auch beS ßtorbens gu 
machen, hat aßerbingS bu«h bie unzähligen falfcgen unb con= 
bentioneßen SorleS, bie wir auf ber Sühne haben erbulben mögen, 
bon feinem traulich breiten Sohllante für uns oiel betloren. 

Sch mügte mich fehr irren, wenn Angengruber nicht im 
92orben, unb im 91orben gang befonberS, banfbate ßefer finben 
Würbe. DaS, waS ihn ein ^emmfehnh gu fein büntt, wirb geh 


*) Wien 1879, SSetlag bon 2. AoSner. 2 ©änbehen. 


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24$ 


Sie Äegenwari. 


Nr. 42. 


im ©egentffeil al# ein ftarte# görberungSmittel etweifen. S)enn 
ba# ©efaHen am grembartigen ift ja geiabe eine unfter 95 1- 
fonberljeiten, bie oft jut Schwäne wirb unb noch öfter jur 
Bädjerlidjfeit auSartet. 

93ei Slnjengruber ift nun nicht blo# ber SluSbrud, eS ift 
auch bie ©efinnung, bie Slnfdjauung fpecififd) fübbeutfcfp öfter: 
reic|ifch; unb er ift fathol'ifdj. S)aburd) unterfdjeibet er fid) 
fef|r fc^arf Bon Sluerbad), ber al# ©pinojift immer ba# atlge: 
mein SRenfchlidje, ba# bon allen bogmatijdjen ©infchränfungen 
befreite SoSmopolitifdie fjcrborlehrt unb, obgleich er feinen jübi= 
fdjen ©tauben unb bie aus bemfetben gewonnenen Slnfdjauungen 
nirgenb# berleugnet, bod) jur ©ruppe bet confeffionälofen Schrift: 
ftefler ju jähten ift. Slnjengruber bagegen ift burd) unb burd) 
confeffionett, edjt latljolifch, aüerbing# fein rechtgläubiger $attjo= 
lif, fogar fichcriid) in ben Slugen ber ortpobojen Uttramontanen 
ein arger ©ünber, aber immerhin ein 3Jiann, bem man eS bei 
jebem jweiten SBorte anmerft, baff er in ben jbeen be# $atl)o= 
liciSmu# aufgewadjfen unb erjogen ift unb au# biefen betau# 
fid) entwidett unb gebitbet fyat. jbm ift bet Äatboticiämu# 
in Steift unb 931ut iibetgegangen. 6r fiel)t, er empfinbet, et 
glaubt, unb bor Ättem: er jweifelt al# Sfatholif. ©eine ©dhtif: 
ten jeigen beutlidj burchweg ein ftarle# confeffioneüe#, fat^oli- 
fd)e# ©epräge. 

SEBenn id) Slnjengruber einen fatholifdjen ©djriftfteüer nenne, 
fo möchte id) einet möglichen SRifjbeutung biefe# SluSbrude# 
borbeugen. jn unferm borwiegenb proteftantifchen fRotben bat 
ber ÄatboliciSmnS in feinem fdjriftfteilerifchen Sluäbrude für ge= 
wöbnlidj einen ftarf polemifcben ©burafter. Stobon ftnb Slnjen: 
grübet# Schriften böttig frei, wenn man fie auch wegen ihrer 
eigentümlich confeffionetlen SBurdjtränfung meinetwegen als ten: 
benjiöje bejeid)nen mag. Welcher 9trt nun biefe Senbenj fein 
mufj, ergibt fidj bei bem freifinnigen fßbilofopben oon fetbft. 
2tber biefe Senbenj tritt nicht in fritifcher 93efämpfung unb 
93erneinung bon au|en her an bie ftirdhe beton; fie entfpringt 
gewiffermafjen unbewußt als beuntuhigenber Zweifel bem bon 
ber gorfdjung unb bem SBiffen befruchteten ©chofje berfetben. 
®aber ift fie um fo wirffamer. 93ei ber Prüfung ber einjel= 
uen ©rjäbtungen wirb fich bieS noch ttorer berauSftetien. 

Slnjengruber bezeichnet fich al# einen Anhänger ber reali: 
ftifcheu ©chute. @r bertritt, wie er gelegentlich einmal in 
einer feiner ©rjäbtungen fagt, „ba# SBirllidie gegen ba# ©in: 
gewöhnte, wie man auch baoon beulen möge". 

„©an muh ben ©djlüffel fuchen ju bem mettic^tiefjen fjerjen, unb 
wa# für bunftige SRäume ohne Suft unb Sidjt, für ©rüfte Ijalbfautet 
Erinnerungen, für ©täfle angefetteter toller Seibenf(haften mir babet 
auch etfdjliejjen mögen, mir lernen hoch »erflehen, unb Bexftänbnifj ift 
bie befte ©ünje, bie mir eintaufchen tönnen; fie ift nicht gang unb 
gäbe mie anbete auf 3eit unb ©eile, fie furfirt emig." 

«uf biefe« Programm, ba# er hier gelegentlich einfchiebt, 
fommt er in bet „Blaubetei", welche ben jweiten 95anb eröffnet, 
noch einmal abfichttich jurüd, unb er fagt un# ba Oon bem 
dichter, mie er ihn auffafjt unb wie er eS ju fein wünfdjt: 

„Er erfpart un# feinen Schrei wehen 3ammer8, er erfpart un# 
fein 3auchjen milber Suft. Er ftöfet ba# Slenb, ba# um ©itleib bettelt, 
nicht »on ber Ede, er jagt ben Xrunfcnen, ber Sille beläftigt, nicht oon 
ber ©trabe, ®lle8, wa# er bei foldjen unangenehmen Begegnungen für 
Euch thut, ift, fie abfürjen, nachbem 3h r aber boch ben Einbrucf ein= 
mal weg habt. Xugenb unb Safter, .traft unb Schwäche führen bei 
ihm ihre ®adje in ihrer eigenen ©eife. Sr will ba# üebeti in bie 
Bücher bringen, nachbem man e# lange genug nach Büchern lebte.“ 

liefet Strang nach SBa^rheit bewegt in ber Sbat 9lnjen-- 
gruber# fchriftfteHerifche« ©efaricmtfchaffen. @r forfcht bem SB obren 
nach, u <tb wenn er e# erfannt ju haben glaubt, fchitbert er e# 
mit ooQer SBabrbajtigfeit. Siafe ihm bei biefen fforfchungen 
feltener ba# ffirfreuliche al# ba# jämmerliche aufftö|t, ift ein 
Unglüd, ba# er mit manchem anbern echten SBeifen unb dichter, 
mit ben „SBenigen, bie wa# baoon erfannt unb tböricht g’nug 
il;r ootleä $erj nicht Wahrten," gemein bot. 


©ine bnftre SBeltanfchauung, ein ftarf peffimiftifdber 3ug 
gebt burdj ba# ©anje. @8 ftnb faft nur 95ilber be# menfch= 
liehen jamnter#, bie Slnjengruber oor un# aufrollt, unerfreuliche 
Derbheiten. Unb wenn auch bie eine ober anbere feinet @e= 
fchidbten mit bem fo ermünfebten „berföhnlichen ©<htu|accorbe" 
fcbliefjt, fo bleibt ber Sta^baÜ bo<h faft immer eine Sliffonanj, 
ber bie äuflöfung fehlt. 

9tadb einer folgen Sluflofung im gewöhnlichen ©inne fudbt 
ber Stiebtet auch 9 °r nicht. @r jeigt un# nicht» wie ba# ßafter 
geftraft, wie bie Sugenb belohnt wirb. Stuf bie »frage, wa# bie 
Sabel lehrt, bleibt et un# jumeift bie Slntmort fchulbig. @# ge= 
uiigt ihm, bie SBahrpeit ju fagen, ohne bibaftifchen DtebenjWed. 
©o erjät)tt er un# in ber tleinen ©fijje, „©ine 99egegnung", 
mie ein reblicber, oertrouen#boller guter SRenfd) bon feinem 
bortberjigen unb gewiffenlofen 95ruber betrogen, beftohlen unb 
oon DauS un t) ^> 0 f oerjagt wirb; wir lernen ben alten, armen, 
auägeplünberten 93auern fennen, als er um färglidben Sohn 93o: 
tenbienfte berrichtet unb fich °öt(ig ergeben, faft ohne Klagen 
in fein ©djidfal finbet, währenb ber Betrüger, ber 95ruber 
©örg, ber ben Strmen um Sille# gebracht hot, in Derrlichfeit 
unb greuben lebt. @o begegnen wir bem Sllten unb fo auch 
fcheibet er bon un#, ohne ba| ihm Dimmel unb ©tbe für ba#, 
toa# er langmütbig unb in rührenbem Vertrauen auf ein beffere# 
jenfeit# ftumm erbulbet, lohnten, ohne bafj ber 93öfewid)t be: 
ftraft Würbe. Ster ©cbeibegrufj be# Sllten ifi ber fürchterlichfte 
IßeffimiSmu#, mie er nach bem befcheibenen »faffungSbermögen 
unb in ber fchlichten gotm be# Bauern nicht braftifcher au#: 
gebrüdt Werben fann: 

„Behüt’ Etottl 3a, ja, mein lieber $err, e# febeint »öllig, ®ott 
nimmt ba# @Iücf ber guten ©enfehen unb legt e# ben fdjledjten ju, ba. 
mit bie weniger Urfadj’ haben, arg jn fein." 

3h brüefte ihm bie $aub, nah einigen ©hritten nidte er mir, an 
bie ©üpe greifenb, nod) einmal ju, bann fhwanb mir langfam feine 
lümmerlihe ©eftalt au# ben Singen. 

Jpinter mir, auf ber Slnhöhe, lag im lihten Sonnenfhein ber $of 
feine# Brubet#, jtitl, feierlih, wie auägeftorben, — ber ©örg war wohl 
in ber ftirhe." 

Stiefer fßeffimiSmu# liegt faft allen Stnjengruber’fdben @r= 
Zahlungen ju ©runbe. ©emöhnlidj bleibt er latent, unb wenn 
er einmal jum SluSbrud fommt, fo gefehlt bie# faft unbewußt, 
wie j. B. in ber folgenben ©teile: 

„$a# Shiwange glogt immer ruhig brein, nur tn unmittelbarer 
Slngft unb im ©eh ergreift e# un# mähtiger; lein ©efdjid, wie fih’S 
ber ©enjdj felbft fhafft unb wie e# au# taufenb ©inteln ihn wie ein 
lauember ©olf anfpringt, fafjt ba# Xh’ cr , e# lennt fein jjeim unb lein 
Derjweh, wa# au# feinem Singe leuhtet, ift ba# allgemeine (Slenb 
aller Ereatur.“ 

Sluch ba, wo Slnjengruber ihm fhmpathifche ©hotoftere bar: 
fteQt, gewinnt häufig ber ihm burdj bie SBahrfjaftigfeit einge= 
gegebene fßeffimiSmu# bie Oberhanb. @r will eben nicht ber: 
fchönen, er will nur wahr fein; unb fo erfpart er un# nicht 
bie ©chilberung bet Berfudjungen, bie ben braben äRenfdjen 
befchlei^en, unb feien biefe Berfuchungen auch niebriger Slrt, 
ftreiften fie fogar ba# Berbrechen. jn biefer Beziehung, — 
aber auch wohl nur in biefer, — erinnert Slnjengruber einiger: 
mafjen an Baljac, ber bie ebeln ©igenfehaften feiner Delben 
faft immer mit ben unlanterften ffilementen ju oerfe|en pflegt, — 
an Baljac, ber ben graufamen ©ah au#gefprochen: bafj im 
Beben eine# jeben SJtenfdjen fich jum SRinbeften eine Donblung 
oorfinbet, bie, wenn fie ruchbar würbe, ben Betreffenben in# 
3uchthauS bringen mü|te. Baljac theilt baljer bie 9Renfdhheit 
in überführte unb beftrafte unb in nichtüberführte unb unbe: 
ftrafte Betbrecher. 

jn ber ©efdjichte „S)ie fßolice" ift e# jwar nicht bie oer: 
brecherifche Donbtung eine# anftänbigen SRenfchen, aber e# ift 
bie momentan gemeine, faft berbredjerifch ju nennenbe Regung 
eine# fonft grunbehrlichen Äerl#, bie un# Slnjengruber erjählt. 

©in alter ©eijhatS, ber biefen brauen SRenfchen, Don# 
geheimen, unb beffen grau beftänbig bebrängt hot, erfranlt. 


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Nr. 42. 


ffltr fllfijettroftrt. 


249 


Raufend SBeib nimmt beS 9UIeinftepenben an unb oerbflegt 
ipu* Der Sitte ift baoon gerührt, unb in einer roeteppetätgen 
©tuube, in ber eS ipm torieber ettoaS beffer gept, gibt er ©ans 
eine SebeuStoerftcpenutgSpoIice mit ber ffirllärung, bafc nach 
(einem Äbleben bem ©efifcer biefeö ©cpriftftüdeS eine toerpält* 
niftmäfeig pope Summe auSgejaptt merben mirb. ©ans muf$ 
fi<P fepinben unb plagen, um fiep fümmerlicp burcpjufcplagen; 
unb als er nun eines DageS am ©erbfeuer fifct, bietoeil fiep 
(eine grau im Sßebenpaufe mit bem ffranfen ju fepaffen macht, 
grübelt er herüber nach, tone er aus allen Seriegenbeiten befreit 
toerben mürbe, menn er in ben ©efife be$ (Selbes gelangte, unb 
ber ffiigeiutufc toerleitet ibn fcpliejjticp baju, hn (Srunbe feines 
©erjenS ben lob feines 9läcpften ju münfeben: 

„3<P »erb* bte Siefel perübetrufeit, fte fotl ibn taffen; toie’S ®ott 
»in, mirb’S! ©Benn bie Äranlentoart’ noch lange bauert, oerfubelt 
unfet ©auStoefen, unb !amt id) benn ben Dermin einpalten näcpjien 
Gfrften? 3cp benf laum, lönnf tep ibn mit bem (Selbe ba, baS »ir 
auf baS ©ücpel friegen füllen, einbatten — ’S ttrnre einfacher — trenn 
ber Sitte tobt märe — ’S märe boep Stiles fepöner." — 

„©nnS! ©nnS!" febrie eS üon braunen. 

©ans (prang rafcb bom ©erb $ur ®rbe unb rifi bte Dpür auf. 
„9hnt, Sief et, toaS gibt’S?" rief er hinaus. 

„Äotnm fcpnelll" 

„3ft ber Sitte ettoa tobt! y/ febrie ©anS ^aftig. 

„Stein (Sottlob, baS nicht/' »ar bie Slnttoort, „aber Du mufct 
raf<b fort, bie SprifieS (ftrifiS) ober toie’S ber Doctor peifjt, ift einge^ 
treten, mir ntüffen ben Doctor boten, entmeber ber lommt unb hilft 
ihm gauj auf, ober eS ift üorbei mit ihm." 

„©BaS," rief ©ans, „menn ber Doctor oerabföumt mürbe, ift’s oor^ 
bei mit ihm?" — 

„(Semifj, fpute Dieb, ©anS!" 

Siefel fcbtoS brüben baS g^nfter unb ©ans blieb in ber Dpürfcptoetle 
(leben. 

„Sei lein Starr/' fagte er ju ftcb, „mobureb pat’S ber Sitte um 
uns betbient? 3e$t foltft bu ben ©oten fpieten, eine Stunb’ meit 
nach bem Doctor rennen, ber curirt ibn fteber, menn er lommt, ber 
Sitte forbert fein ©ücpel jurüd unb — baS alte ®Ienb, bie alte SRotp 
ift mteber am Ort. — Den!’, bu lönnteft je|t nicht geben, märeft 
tabm . . . bann müfjteft bu’S ber liefet fagen . . . aber menn bu bicb 
berfpftteft, bu barfft btoS ben Slrjt nicht treffen — unb — bie Sache 
liegt auf, mie ein Spiel harten, fei lein Starr!" 

SRitttermeite patte fiep ©ans angelleibet unb jögemb trat er aus 
ber Dpür beS ©aufeS. 

„Sangfam", fagte er, „bübfcb einen f}ufe bor ben anbem gefept, 
fottt’ eS §n fpät fein, fo ift’S Glottes ©Bille, ich lann nicht meine eigene 
(Befunbpcit opfern." 

©ans ift alfo brauf unb brau ben oerpängnifstoollen Schritt 
ju tbun, ein Sump ju merben, unb mit Verlogener Säuern* 
ppffigleit fein ©erhalten su rechtfertigen. 3um ®tüd fiegt bie 
beffere Statur, unb ber Dicpter lann uns bieSmal bie Urnlepr 
in berfelben einfachen unb Iräftigen ©Beife febitbern mie bie 93$r* 
irrung: 

„Damit mar er bis an bie Scheiben beS SRacpbarpaufeS gelangt 
unb fab burep biefe in bie ftranlenftube, er fab, mie Siefel fiep beS 
tränten ermeprte, ber aus bem ©ette ju motten (epien — er hörte, mie 
ber ßagerbauer bat: Sagt miep niept fterben! 3<P bitt’ (£ucp! Stocp 
»är’S &u früh! 

„Stop m&r’S $u frftpl" feptug es jüttbenb in baS Glennffen beS ©anS. 

„Stein, Äagerbauer," bat unb befepmor Sief et ben Stuf geregten, „mir 
taffen <&ucp ia boep niept fterben. Der ©ans ift fepon naep bem Doctor. 
3pr mitgr mieber gefunb merben!" 

„(^efunb merben," täcpette ber Äranle, „gefunb — unb mieber Suft 
mtb ©ogetfang . . 

Das SBeitere pörte ©ans nimmer, in eiligen Säpen patte er löngft 
bie Strafee öor bem ©aufe hinter ftep gelegt unb mar querfetbeht ge¬ 
raunt. 

©ans fei lein Starr! 

©anS mar aber ein Starr, benn mer um nichts frug, mar ©ans, 


unb laum brei ©iertelflunben fpöter pielt baS im Dorfe moptbelannte 
SSägetcpen beS DoctorS oor bem ©äuScpen." 

SBie man (epon aus biefem einen ©eifpiete erfiept, b a i 
Slnjengruber, menn feine ©emälbe auep eine toormiegenb büftere 
©runbfarbe jeigen, boep au^ pettere unb licptere Sorben auf 
feiner Palette. ®S ift SBenigen gegeben, baS Sieblicpe fo rein 
unb berjerfreuenb barjuftetlen mie er. ©iet eine jener ©epitbe* 
rungen, mie man beren mehrere in jeher feiner ©rjählungen 
finben lann. 

„Dort an ber braungeflecften Äup, bie aus rofenfarbenen Stüftem 
fepnob, ftanb ein Heines ©täbepen, barfuß unb barpaupt, bie biepten, 
fepmarjen Stecpten fielen ungelammt über ben ©ats, ein grobes ©emb 
unb ein leicpteS, braunes Stödcpen, mepr patte eS niept am Seibe, mit 
feinen tiefbraunen Slugen fap eS an bem Dpiere empor, bem eS fepmei= 
epetnb ein ©änbepen ooll Kräuter bot. 

„Da Siefei," fagte es, „mir peiften ©eibe Siefei, ba nimm. SBarum 
bift Du niept auep lieber eine Siefet gemorben mie icp?" 

Die ^up fepien genug gefreffen ju paben, fie manbte fiep oeräepttiep 
ab oon ben trautem, bie in ber marmen ©anb beS ^inbeS mell perab= 
ptngen, unb fepien auep niept gemißt, auf eine DiScuffton ber @£iften&= 
mapl einjugepen. 

DaS fttnb (ende bie Sinle, bie noep immer baS @raS unb Äraut 
umfpannte, unb menbete fiep gleichfalls meg, unb fap, ben Singer ber 
reepten ©anb im SRunbe, aufmerlfatn ben grauen SBotlen naep, bie am 
©immet rafcp bapinjogen. Sangfam öffnete eS babei bie Sinle unb lieh 
bie ©atme unb Stengel $ur ®rbe fallen, unb maS an ben meiepen ©änb* 
epen noep liebte, ftriep fie an iprem ©ödepen ab." 

Die angeführten ©eifpiete finb attefammt bem erpen Sanbe 
ber „©auemgefebieptett" entnommen. Die in bem jmeiten ©anbe 
gefammelten ©efepiepten, bie fepon bei iprem erften ffirfepeinen in 
„Storb unb ©üb" geredpteS äuffepen erregt unb Slnjengruber in 
bie erfte Steipe unferer ©rjäpler geftetlt paben, pnb bie bei 
©Beitem bebeutenberen. Sie pnb juiefet gefeprieben unb baper 
reifer unb tiefer. ÜRit ben einjelnen ©rjäplungen merbe i^ 
miep in meinem näcpften äuffape befepäftigen. 

paul Ctnbau. 


£orb Oeanmsfteib als ÄomaiifdiriflpelUr. 

Sott £J«Ien Zimmern. 

HI« üoe tiielen, Dielen Sagten Settiamin ®i«taeli juerft 
als SBafjlcanbibat fät einen @i| int ißatlament auftrat, mürbe 
er Don ber SSolfSntenge erbarmungslos Derfpottet. „fpaft J5u 
nic^t einmal einen Vornan getrieben V ft^rie i^n einer ber 
SEBä^ter an. „©emife fyabe iä) einen Vornan getrieben," mar 
bie freunbüc^e Hntmort, „aber id) ^offe, eS ift feine @<f)anbe, 
mit ber treffe in SSerbinbung p fielen." „®u bift eine nette 
„Curiosity of literature“," ermiberte ber 3Kann, mit fertigem 
äBife ben Xitel beS bebeutenbften SBerfeS beS SBaterS als SDBaffe 
gegen ben ©o^n gebrauc^enb.*) SDtanc^ maljreS SSort mirb im 
©^erj auSgefprocben; ber ungebitbete 3Jlenfcf) a^nte nidjt, mie 
treffenb er ben SDtann bejeic^net ^atte, ber Dor iljm ftanb. ®iS= 
raeli ift in ber X^at eine „Curiosity of literature“ gerabe mie 
fein SSater fte gern mürbe betrieben Ijaben, unb maS man au<b 
Don feinen SBerbienften ober geilem benfen mag, biefer Xitel 
fommt iljm ftdjer p. @r fann als eine fociale, inteUectueüe 
unb tmlitifd)e Hnomalie betrautet merben. ©eine Saufbaljn iß 
eine ganj ejceptionetle gemefen, mit feinet anbent Dergleic^bar. 
Unb maS Don bem Mann gilt, gilt Don bem SRomanfdjteiber. 
Hudj als ©c^riftfteEer iß XiSraeli sui generis, unb über ben 
Mann mie über ben Hutor merben ßt^ bie Hnßt^ten nit^t leidjt 
einigen. Seibe ßnb intereßante bftjdjologifdjt ©tubien, aber ba 
eS uns p meit führen mürbe, bei ©eiben p oetmeilen, moOen 


*) „Curioeities of literature“ iß ber Xitel beS befannteßen fän- 
Ui 3faat b’3StaeltS, beS SaterS. 


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250 


0te®egcnmnrt. 


Nr. 42. 


Wir uns f)ier pauptfächlicp mit bem 8omanfcpret6er befcpäftigen; 
natürlich werben Wir, ba ©eibe mehr ober minber jufantmen: 
Rängen, and) wanden ©inblid inbaS SBefen beS ©olitilerS 
erlangen. ©ießreigniffe: paben gtjeigt, baß wir ganj betetp: 
tigtfinb, ©rläuterungenju ©i$taeliS©peorien tu fernen ©iupern 
ju fuepen; anbrerfeitSlönnen wir an neunten, baß ec in feinen 
Romanen feine aufrichtige ßßeittung fagt. 88er atfo ben 9Rann 
unb ben fjjolitiler auf eine leitete, angenehme SBeife ftubiren 
möchte, fann ßcp ebenfo gut ju feinen fRomanen als ju feinen 
©artamentSrebeu wenben. Selbft Kouffeau in feinen „Confes- 
sionn“ war nicht anfridjtiger als ©iSraeli m einigen Stellen 
feinet Komane, bie als Setbftbiograpbi« augefepen werben lönnen. 

©on ©iSraeliS früher Sugenb iß wenig belannt. 9tad) 
feinem eignen ©erhht war er in einer ©ucppanblung geboren 
unb oon feiner Kinbpeit an unter bem Sinßuß twn ©eiehrte«, 
tie bie Seibenfdjaften unb ©orurtpeite beS perlömmlieptn poli? 
tifchen unb gefeßfcpaßltdjen Sehens nicht feilten. So hatte er 
über einige ©egenftänbe Anßcpten eingefogen, bie bon ben ge* 
möhnlkheit oorperrßpenben abwichen, namentlich in ©ejiepung 
auf bie ©efcpicpte bon Snglanb. Scpon als Knabe bacpte er 
gern über bie ©runbbebingungen bei politifcpen Parteien nach. 
Kein SBuuber beSpalb, baß er, laum bem Knabenalter ent« 
waehfen, in bie politijcpe Arena mit einem quafUpolitifchen SRo= 
man eintrat, „©ioian ©rep'', ©iSraeliS ©rftgebomer, trat ans 
Sicht, als fein ©etfaffer erft jWeiunbjmanjig Sapre jäplte. ©«: 
feS ©ucpeS, mit bem er bamats bie 2Belt überrafchte, pat ß«P 
©iSraeli fpäter einigermaßen gefchämt unb biete Sah” pinbur cp 
betweigert, eS wiebet abbruden ju taffen. ®r bittet, es als 
eine ütrt bau literarifcper Spielerei ju betrachten unb beS; 
halb mit ber Kritif ja berfchonen. „©üdjer, bie bon Knaben 
getrieben finb," fagt er in ber oertpetbigenbe« ©orrebe ja fei 5 
nen gefammelten SBerfen, „Welche beanfprucpen ein SHtengemcilbe 
ju geben unb Kenntttiß ber nunfcplicpen Statur ju oerrathen, 
müffen mit Kotpwenbigleit auf Slffectation gegrünbet fein. Sm 
beßen Saß tönnen ße nur baS SBerl ber ©patttafie fein, bie 
ßcp auf Kenntniß ftüpt, welche ße nicht ber (Erfahrung berbanft." 
Unjwcifethaft wäre baS in iebem anbem Saß richtig, nur nicht 
in bem oorliegtnben; benn unterfchreibt man ©iSraeliS 8er= 
bammung feines erften ©ucpeS, fo muß man über aße fotgenben 
baSfetbe Urtpeit auSfprechen. „SSioiatt ©rep" iß nicht nur ein 
würbiger ©ortäufer ber ganjen ffletpe, er iß auch bftfiig im ®in= 
Hang mit ihnen; benn Weber in ber Seicpnung ber Stenfdjen 
noch ber Sitten hat ©iSraeli aennenswertpe gortfcpritte gemacht. 
Sn ber Spat ift ber $auptunterfcpieb jwifcpen feinem erften 
©uch unb feinem testen, baß ber ©infelßricp weniger feß iß, 
währenb feine Anficpten unbeßimmter geworben ßnb. ©erftößt 
außetbem biefe oerfncpte ©erleugnung feines ©rfttingSwerteS 
nicht gegen eine oon ©iSraeliS ^wupttpeorien, bie er in febcm 
feiner ©fiepet aufs Steue prebigt, bie nämlicp, baß bie ®rfap: 
rung für einen fdjaffenben ©eift nicptS nüfct, unb baß faß aßeS 
©roße oon ber Sugenb getpan werben muß? SSarum oerfuept 
benn ©iSraeli plöpfitp, ju feinen eignen >Ungunßen eine iluS* 
napme ju machen? Stein, wir fönnen ipm niept gefiatten, „©ioian 
©rep" ju berßoßen, ber niept nur eine eigentümliche unb glän= 
jenbe ©robuction, fonbern auch in maneper ©ejiepung ber genialße 
feiner SRomane iß, trop aßer feiner Uebertreibungen unb Scpwä= 
epen, trop aßer gtpler unb Srrtpümer, bie bon einem erßen 
28er! unjertrennlich ßnb. „©ioian ©rep" iß ein Abenteurer, 
unb man pat oft nach Analogien jwifcpen ipm unb feinem 
Schöpfer gefuept, ba man. als aßgemeine Stegei amtepmen !ann, 
baß eines SünglingS $elb fein eignes Spiegelbilb iß. 

©er Sopn eines auSgejeicpnetett ScpriftfteßerS, war ©ioian 
©rep in ieber ©ejiepung tneloerfprecpenb. Suf ber Scpule 
aßgemein beliebt, würbe es ipm leiept, aße feine ©enoffen ju 
überßügeln. Qm 2llter oon adptaepn Sapren fepon fept belefeu, 
ßürjt er ßcp in baS Stubium ber ©oUtif; ju neunjepn glaubt 
ec fepon, fiep wertpoofle Steinungen über aße erbenllicpen 
Stagen gebilbet ju paben, unb fepnt fiep naep politifcpem 
Kampf unb Sieg, ©a er aber niept oon oomepmet ©eburt 
iß, fiept et, baß eine Stöglicpfeit fepneßet ©efötbetung nur 


für ipn egißirt, wenn es ipm gelingt, oornepme ©önner jü 
finben. ©er ßufaß fommt ipm ju §iilfe, inbem er ipn in ,bit 
©efeßfepaft beS SRarquiS oon ©arabaS bringt; eines fept großen 
$ecrn bon fepr mäßigem ffierßanb, bera ,et fo ju fipmeiepetn 
oeeßept, baß eS eine 29eile ben tlsftein pat, als Würbe er 
fein 3iel erreichen; aber eine eiferfücptige grau tritt bajwifcpen, 
uub. ber ganje ©tan ift plöplicp jerftört. ©iefe grau, 9RrS. gdig 
Sorraine, fpielt eine wichtige Stoße in bem ©uep, unb tpc 
©paralter ift eine wunberbare ©onception für einen jugenblt^en 
©eift. Sie iß eine Kuge, bereepnenbe, gewiffenlofe unb laßet» 
pafte ©erfon, bie juweilen feinen ©länen nüpt, juweiten ße 
bnrcplreujt. ffinbticp wirb ße feine unoerföpnliipe geinbin unb 
oerfuept ipn ju oergißen. Stedjtjeitig entbedt er ipre Sbß#, 
aber bie ©efapt bringt ipn ju einer Selbßprüfung. Sein 
Selbßgefprätp ift oon erftaunlidjer cqntfcper Oßeupeit. „©in 
i<p," ßagt et ßdp unter ülnberm, „ein iuteflectueßer ®on 3»an; 
ber ben menfcplicpen ©eift fo wenig achtet, wie @r ben menfep« 
licpen Körper? — ein geiftiger SBüftling? .... SBemt idp: ber 
©on Suan bin, für ben icp midp pielt, bann pabe icp, bett 
: Fimmel fei ©an!, einen ©ertrauten in meinen ©ertegenpeiten, 
j ben treußen Statpgeber, ben fcplaußen ©iener, einen öeporeßo, 

! ben icp oft geprüft unb immer bewfiprt gefunben pabe — 
meinen eignen gefunben Setßanb." 6ine Scene, in welcher 
©ioian ©rep fiep an feiner geinbin räcpt, ift mit „gueto“ be^ 
feprieben. ©r greift 2JlrS. Sorraine an ipren empfhtblicpßen 
Seiten mit einer entfeplidpen ©rßnbungSgabe an, unb wäprenb 
fie oor 2Butp fcpäumt, liegt er in einen Sepnftupt jurüdgelepnt, 
pöpnifdp läd)elnb, fein Opfer mit ben Stugen eines ßßeppifto* 
ppeleS betraeptenb. ©cptießlicp wirb er jeboep oon ipr befiegh 
©er SßarquiS oott SorabaS, in feinen ©länen getäufept, bie 
©ioian nur als ©Uttel für feine eignen 3wede benupen Woßte, 
weift ipm bie Spür, ©r ßept fiep gejwungen, ein ©ueß mit 
einem anbem ©etrogenen auSjufecpten. ffir tobtet ipn, wirb 
aber fetbß fcpwer oerwunbet, unb fcpwebt wochenlang jwifepen 
Seben unb ©ob. @r wirb gefuitb unb ber erfte ©peil beS 
©ucpeS fcpließt bamit, baß er eine Keife htS SluStanb unter: 
nimmt, um feinen Kummer unb feine ©efepämung ju Oergeffen. 

©iefer erße ©peil oon „©ioian ©rep" pat Sluffepen ge: 
macht unb fowopl Sewunberung als ©ntrüftung peroorgemfen. 
©urepweg pat ber $elb naep ben SBorten ©ißols gepanbeit, bie 
als SRotto auf bem ©itelblatte ftepen: 

„Why then the world’s mine oyster, which I with swovd will open.“ 
(3>ie Seit iß meine stuftet, bie mein ©cpwert foß ößnen.) 

unb pat fomit einen wenig ritterlichen 28aplfprucp auf feinen 
Scpitb gefept. 2Bir werben in eine SBelt eingefüprt, in welcher 
Kecpt unb Unrecht leinen ©tap ju paben fepeinen. „®ie äßenfdp; 
peit," fagt ©ibian, „ift meine ©eute," unb er fepeint !ein ©e» 
ffipl bafür ju paben, baß er ßcp biefer SebenSanficpt jn fcpämen 
patte. 98ie bie Kape mß ber 3KauS, fpielt er mit feinem 
©önner unb mit feinen grennben. @t iß ju bereepnenb, um 
auf ßeunbfcpaßlicpem guß mit ßftenfepen ju ftepen, bie ipm 
leinen ©ienft erweifen lönnen. 3« treumppirenber Saune fpriiptt 
er einmal ben ©runbfap auS: „k smile for a friend and a 
sneer for the world is the way to govem mankind.“ {©in 
Säcpetn für einen greunb unb ein §opnlacpen für bie 2Belt iß 
bie redjte ©trt, bie ßßenfepen ju regieren.) ©pron nannte ßcp 
einen neunjepniäprigen ©imon, aber was iß ein neunjepn: 
jäpriger ©imon gegen einen neunjepniäprigen ßßaepiaoeß? Unb 
wenn man auch bie Unreife beS ©ucpeS, Oom fünßleriftpen 
Stanbfwnft betroeptet, auf Kennung ber Sugenb beS ©er: 
fafferS fepen möchte, fo liegt barin leine ©ntfcpulbigung für 
feinen üßangel an Sföotat. ©S ift fowopl in ber ©onoeption 
wie in ber Ausführung ein unmoralifcpeS ©ucp. ©S iß in ber 
©olitil, was ,,©on Suan" in ber fßoeße iß; aber fdbß Sorb 
©pron würbe ju jweiunbjtoanjig Sapren nitpt ©on Suan ge* 
feprieben paben. ©aS, was in bem ©uepe an ©pron ober SBertper 
erinnert, fönnte man als jugenblicpe AuSWücpfe anfepen, aber 
bie feltfame ßJiißacptung aßeS ©uten unb ©bien, bie ßcp buxep 
baS ©anje jiept, iß ein fcpmetjltcpeS unb unerHärteS ©p&nomen. 


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Nr. 42. 


S) 11 (Scgenaart. 


251 


Sie 3ngenb (ann für geilet biefer 9trt leine ©ntfcpulbigung , 
fein, weit fie gerate oon ber Sri finb, melcpe bie 3 ugenb 
inftinctio oermeibet, ba nichts ©bleä, ©rofjmütpigeS unb i 
KomantifcpeS in ipnen liegt. ©8 ift fepr maprfcpeinlicp, baf* ; 
Sqton )u biefem erft« SEBetle SiSraeliS bie erfte Anregung 
gegeben pat. „Son 3uäu" erfüllte in SiSraeliS Rinbpeit 

bie Seit, unb „SBioian ©rep" trügt bie ©puren biefeS 
nerwegenen ©ebicpteS; fein ©pniSmuS ift nacpgeapmt, feine • 
fatfcpe Btpetori! übertrieben, ber £>etb ift eben fo glänjenb, 
abenteuerlich, unerfcprocfen, unbebenHicp, unb toie bei jenem 
SBetf erapfinben mir, baft ber Sinter bie Serbrecpen feine« fjel» 
ben als liebensmürbige Unbefonnenpeiten betrautet, bie ber fiefet 
betakeln ober oerzeipen foflte. SiSraeli läfjt mepr als ein SKal 
feine ^auptperfonen fagen, baff fie eS oorgiepen, mit Slbfcpeu, 
a !8 gar niept befprocp« §u merben, bah ©cpanbe beffer fei, als 
Unberüpmtpeit. „SSitiian ©rep" mürbe fotcpe SBünfcpe erfüllt 
haben. Sa« Such marb eifrig gelefen. Sie lüpne Sepanbtung, 
bie rüdficptStofe Kraft, bie originellen, menn audj oft fallen 
Ättficpten über bie ©efeßfcpaft, bie fcparf gezeichneten Porträts, 
bie treffenbe Satire unb bie glüpenb« ©mpfinbungen, oon 
benen feine ©eiten überfliegen, boten bem ©efcpmad ber Sefer 
einen unmiberftepticpen Steig, felbft menn eS niept um ben öffent» 
liehen Seifall auf eine anbre, fomopl billige als feige $lrt, näm= 
lieh burep fßerfönlicpfeiten, gebuhlt hätte. üliinbeftens fünf 
„©(plüffel ju Sioian ©rep" finb publicirt morben; es beburftc 
ihrer jeboch taum, um unter einem bünnen ©dreier bie peröor» 
ragenbften potitifepen unb literarifcpen ©töfjen ber 8 *it ju er» 
fronen. Saft jebe belannte fßerfönlichteit figurirt barin unter 
einem fßfenbcmpm, ber fo beifjenb ift, mie ein (Epigramm. 

3ft eS ju oermunbern, bah äße SBelt baS Such las, unb 
ba| ber einzige perrenlofe ©parafter, ber beS Siöian ©rep felbft, 
bem jungen Sutor jugefeprieben mürbe? 

Ser zweite Spei! erjepien jmei gapte fpäter unb ift offen» 
bat eine Btacpapmung ber Rünftlernooeßen, bie „SBilpeltn BReifter" 
in Aufnahme gebracht hatte. 

@r berichtet über SibianS ©rlebniffe in Seutfchlanb. |>ter, 
mie gu fjaufe, entjücft er aße SDtänner, bricht bie $erjen aßer 
grauen unb fpiett eine bebeutenbe politifepe Stoße. SaS Such 
ift pöcpft langmeilig unb pat nur baS ©ine Serbienft, bah 
es nicht unmoralifcp ift. 2 J?an mirb aber finben, menn man 
SiSraeliS Stoman überblicft, bah eine gemiffe fiajpeit in ber 
SRoral für bie ©ntfaltung feiner farlaftifcpen ßebpaftigteit notp» 
menbig ift. 2 Bo er berfuept, moralifch ju fein, ermübet er. 

SiSraeliS nächfte« ÜEBerf mar ein jeu d’esprit: „The voyage 
of Captaiu Popanilla“, eine fepergpafte ©atire auf ©itten, ©e» 
brauche unb fßolitit ©nglanbS im 3apre 1828, beren Bwed ift 
ju geigen, bah baS englifcpe Sott in einem zu lünftlicp« 8u» 
ftanbe lebt. ©S ift fepr talentoofl, menn auch nicht fo geiftreich, 
mie „©ußioerS Seifen", nach benen eS gebilbet ift; auS uns 
nubetannten ©rünben ift es jeboch in Sergeffenpeit geratpen. 

Salb nach ber fßublication biefeS SupeS unternahm SiS» 
raeli eine gro|e Seife naep bem „gepeimnifiboB« Offen", mel» 
tper oon jeper einen groben Sauber auf ipn auSgeübt patte. 
Som literarifepen ©tanbpunft betrachtet, erntete er oierfaepe 
gefiepte biefer Unternehmung. 3« erffer fiinie muh pi^t ein 
©ebiept genannt merben, baS fiep naepmeistiep auf ben ©influh 
beS Orients zurfidfüpren läht: „The revolationary Poem“. 
„Stuf ber meiten ©bene SrojaS entftanben", mie uns ber Ser» 
faffer in einer bombaftifepen Sorrebe mittpeitt, mar eS ipm 
betreff bie Setracptung eingegeben morben, bah, ba $otner baS 
petoifepe, Sirgil baS politifepe, Sante baS nationale unb SRilton 
baS religiöfe ©poS gefeprieben pabe, für ipn nur noep baS re» 
oolationüre übrig geblieben fei, ba ber ©eift feiner Seit ber ber 
Seoolution fei. 3u>ei Speile biefeS ©ebiepts etfepienen oerfueps» 
tueife, mit biefer Sorrebe bemaffnet, in melcper ber Serfaffer 
ferner fagt, bah er fiep bem Uripeil beS publicum« opne fSurren 
nntermerfen merbe, „benn icp gepöre niept z u benen, bie für 
bie Semacpläfftgung ber Beitgenoffen in bem eingebilbeten Sei» 
faß einer tpeilnepmenben Sammelt Sroft -finben. Sie öffent» 
liepe Meinung mirb befiimmen, ob icp bieS SBer! fortfepen unb 


ooßenben fofl. größt ipt Urtpeit gegen miep aus, fo merbe icp 
opne ©tpmerz „hurl my iyre to limbo“. Sie Rritif empfing 
baS ©poS mit Kälte, baS Sublicnm taufte teine fünfzig ffijem» 
plare, unb ber angepenbe Soet pielt SEBort unb „marf feine 
fiepet in ben fiimbuS", oon ttm er fie niept mieber pcroorgepolt 
pat. Senn SiSraeli ift fein fßoet; feinem ©poS feplt es am 
göttlichen geuet, menn anep niept an glänzenben ©teßen, unb 
peut zu Sage pört man niepts mepr non bem ©ebiept, baS be» 
beftimmt mar, ben ÄreiS zu fcpliehen, ben $omet begann. 
Stber oon feinem erften Suftreten an bis zum ©ongteh oon 
Serlin pätte Siemanb SiSraeli einen SKangel an Rüpnpeit oor» 
merfen fönnen. Obgleich eS beim erften Slid feltfam erfepeint, 
bah ein aufftrebenber Sorp münfepen lönnte, als ein Sicpter 
bet Seoolution angefepen zu merben, fo mirb man bei näherem 
Sacpbenlen finben, bah ipnt eben fotepe ©eltfamfeiten (ganj 
natürlich maren. 

Sber mir paben oon oierfaepen grüepten feiner orientalifcpen 
Seife gefpro^en; fie ift zu noep brei anbeten Serien bie Ser» 
anlaffung gemorben, bie, ungleich bem ©poS, bis auf ben peu» 
tigen Sag leben, unb ümat „The young Duke“, „Contarini 
Fleming“ unb „Alroy“. SaS lepte ift oon aßen feinen SBetfen 
am meinen oon bem ©eifte beS Orients burepbrungen, ift aber 
Zugleich baSjenige, in bem feine Uebertreibnngew unb *bge» 
fepmaeftpeiten ben ©ulminationSpunlt erreichen. ©rftenS ift baS 
Sucp in einem ganz befonbent ©til geftprieben, in einer #rt 
rpptpmif^er S^ofa; bie oon Beit zu Beit abfolnter SerS ober 
beffer, gereimte ißrofa mirb, bie fepr unbequem z« lefen ift, 
unb, als gebrueft, faft lomifcp auSfiept. Sie ffirzäplung 
felbft, melcpe ziemlich breift mit ber ©efepiepte umfpringt, ift 
eine milbe, ungefüge ©rfinbung, ber bie ©rlebniffe beS oben» 
tcuerlicpen SetrügerS @1 Sop z u ©runbe liegen, melcper im 
zmölften 3oprpunbert banaep ftrebte, bet SRefftaS 3sraelS zu 
fein, unb lange oon ein« groben ©(paar bon Snpängem als 
folcper anerlonnt mürbe, bis feine ^ttgellofe Saufbapn burep 
feine ^inrieptung ein ©nbe fanb. SiSraeli erzäptt nnS, bah ber 
munberbare fiebenSlauf biefeS SRanneS fepon in feinet Kinbpeit 
feine Slufmertfarafeit erregt pabe, unb bah er poffe, ipn in 
biefen Slöttern zu oeremigen. SBieber ein §elb naep feinem 
Kerzen. SEBie Spron, !ann et nur ©inen ©paratter geiepnen. 
©eine gelben palten fiep für befonbere SSBefen, zum Siege ge» 
boren, oerfepieben oon ben gemöpnlitpen Rinbern ber ÜJlenfepen, 
unmiberfteplicp in jeber Seziepung. ©ie paben feine Äcptung 
für bie gemöpnticpen rupigen Sngenben beS fiebenS; fie patten 
bafür, bah ber Bmed bie Slittel peiligt. ©ie ftreben na^ an» 
erfannter unb glänztnber ^errfepaft, fie moßen gefürchtet unb 
beneibet fein, ©ie brauchen Snpm — oon melier Mrt, baS 
ift für fie oon nntergeorbneter Sebeutung; baS mögen Beit trab 
Bufaß beftimmen. SaS ift Har auSgefprocpen unb fo oft mieber» 
polt, bah felbft SiSraeliS Sebenbigleit uns niept oor ©r» 
mübung fepüpt. 

Snherbem mirb unS in „Alroy“ bie gmeite bet ©runb» 
ibeen bargelegt, bie aßein, inmitten ber oberflächlich« Seränber» 
licpleit oon SiSraeliS ©ebanlen, in feinem ©emütp feftgemurzelt 
finb. ©r pält nämtiep mit einer für ipn in jeber ffleife epren» 
Ooflen SBärme an bem ©tauben feft, bah fein ©tamm munbet» 
bar begabt ift. 3u »Alroy“ paben mtr fein« erften jübiftpen 
gelben unb feinen erften Serfucp, bie Sepre oon bem Ueber» 
geroiept beS pebtäifcpen ©eniuS, niept nur im mobent« ffiuropa, 
fonbern zu aß« Beiten, barzufegen. 

Sei einem oberflächlichen Surcplefen biefeS SucpeS lönnte 
man oerfutpt fein, eS als baS SBer! eines aufgeregten ©ntpn» 
fiaft« zu betrachten, ber fiep nur mit überfpannfen unb über» 
natürlich« gictionen befepäftigt; ba mürbe man aber bem Stator 
groheS Unrecpt tpun. Ob auep baS SBncp in ©cpmärrnerei nnb 
tteberfpanntpeit bis an bie äuherften ©rengen gept, bie tabali» 
ftifepen unb übernatürlich« ©tamirfuttg« ganz ungerechnet, fo 
ift bodp eine „SKetpobe in feiner Soßpeit", bie ben Serfaffer niept 
oerteugnet, ber niemals baS ^erz gänzlich mit bem Ropf bnrep» 
gep« läfft. Bttcpt umfonft mirft ffcp piet SiSraeli- zum erften 
BKal zum Sertpeibiger beS 3ub«tpumS auf. SaS Sucp ift 


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252 


fl t f ©egenmart. 


Nr. 42. 


bon bem ©eift 3ubag burcpbrungen, nicht beg gefallenen unb 
SBucper treibenben ©eifteg fpäterer feiten, fonbern bon bem 
frommen unb triegerifchen ©eift, ber in bet ©ruft bet alten 
Hebräer erglühte, wenn it»re Xödjter fangen: „Saul hat Xaufenb 
geflogen, aber Sabib 3e^«*oufenb." Sag ift jebodj nur eine 
erfte Rnbeutung bon bem, mag fpäter folgen fönte. Sigraelig 
Xheorien über bcn SBettftreit bet Religionen unb übet bie @e= 
peimniffe Rfien« maren noch nic^t oottftänbig entmicfelt. 

(ftortfefcung folat) 


Die internationale Jtnnftattoftettnng jn iMtindjeit 1879. 

VI. 

(S$rus.) 

Ruch Süffetborf berbanft eg nicht eigentlich einet bauern: 
ben unb überall fühlbaren Xheilnapme an bet allgemeinen @t= 
munterung in maletifdjen Singen, menn eg noch immer an 
britter ©teile genannt mitb ober alg mit Berlin um bie jtoeite 
ftreitenb. Bon einer fo altgefeftigten unb zahlreichen Zünftler: 
fcpaft tönnte man meineg Eracpteng mehr Energie unb gefchloffeneg 
Borgehen ermatten, ©tatt beffen tommt non bort feit lange 
nichtg eigentlich Reueg mehr. ®g fcheint bielmehr manchmal, 
alg ob eg übet feine großen Berbienfte um bie neuefte Kunft 
nur noch banlenb quittire, ohne baft feine jüngeren fich in neue 
Engagementg einliefjen. ©g mag in Süffetborf nach mie bot 
lebenbig fein, aber bann fteüt man fein Sicht auf Rugftettungen 
unter ben ©cheffei. Süffelborf Reifet noch immer Rdjenbach, 
Bumiet, Riuntpe, Krönet ic., ©ohn, Bautier, §off, ©eel :c. 
anbererfeitg. ©ebparb (Kreuzigung) unb Bochmann heilen noch 
immer, auch i« Rtündjen, feine neueften Reuigleiten bon Bebeu* 
tung. Rieht alg ob bag an fich menig märe. 3m ©egentheil. 
Rber mancher Heineren beutfdjen Kunftftätte fehlen nur foldje 
achtunggebietenben unb nun einmal fefchaften ©röjjen, um bot 
ber SBelt bem biet frifcheren Streben ihrer gefammten fünft: 
lerifdjen 3ugenb bag nöthige Relief zu berieten. 

SBenn man bon ben heutigen Süffelborfern rebet, mufj 
man mit ben Sanbfchaftern beginnen uni» biefe hätten zum Ruhme 
ihrer fünftlerifchen Heimat in Rtüncpen biel mächtiger auftreten 
lönnen. Rnbtea« Rdjenbach fann hoch ganz attberg fommen, 
alg mit bem einzigen, menn auch fepr fdjönen ©chebeningen ber 
Rationalgalerie. D gm alb pflegt überall big ing Kleinfte boH 
©efdjmad unb Ratur z u fein; feiner ©^arafteriftif irgenb eineg 
poetifch angefchauten Rtomentg pflegt bie überzeugenbfte Bilb? 
mirtung eigentlich nie zu fehlen. 3um erften Rial heuer fange 
ich an, bor feiner Ratur (HJtarft bon Rmalfi) unb feiner zum 
BUbe trpftaflifirten Erinnerung an einen befonberen Ratur: 
moment gegenüber (Befub, Rbenb nach bem ©emitter) hie unb 
ba leife zu zweifeln. Sagegen ich feinen „Ralaft ber 

Königin 3oh°nna" Z u ben fchönften unb fünftlerifch raffinirteften 
Bilbern, bie ich ®°“ ih m fenne. Burnier ift, befonbetg in 
feinem „SBinterabenb", fehr glücflich. Rtuntpe erfcheint alg ber 
©leidje mie faft immer, Debet pat einige einfach bornehme 
Sachen auggefteüt. Süd er ift burch feine ber ©rofjartigleit 
nicht entbehrenbe „Sämmerung" (Rationalgalerie) unb burch eine 
fdjöne Riarine ftattlicp bertreten; Krönet burch SBilbfauen unb 
Rehe, mie gemöpnticp in feiner ftimmunggfiepeter Sanbfcpaft. 
3lamm mirb zufehenbg allgemeiner. Sagegen erfcheint mir 
Sh- ©pr. ©cpüz, ben ich bigher nicht gefannt zu paben be: 
fenne, mit feiner „Rbenblanbfcpaft zur Erntezeit", in melcher er 
©djroinb’fcpen Reichthum eigenthümlich bezeichnenber Beobachtung 
mit feiner origineller gärbung oerbinbet, alg ein hoffnunggooüeg 
unb eigenthümlicheg Salent Ruch ®. Riep erg Rquareflc bürfen 
alg frifcp unb gefchidt nicht unermäpnt bleiben. 

Ser Sanbfchaft zunäepft fteht Bochmann mit feiner „füb: 
hoüänbifchen SEBerft" aug ber Rafionalgalerie, einem Bilbe, melcpem 
bie ganze gefunbe Kraft unb Rnfcpauung biefeg auggezeichneten 
Rlalerg innemohnen. Er fo gut mie R. Böhm („Rach bem 


Branbe") fönnten mitten unter franzöfifchen Bilbern ähnlicher 
Richtung gehängt merben, ohne im geringften Schaben zu nehmen 
— unb bag ift immer eine fßrobe. Bochmann bürfte fogar auch 
bort SBenige finben, por benen er überhaupt zutüdflünbe. 
Bodelmanng eminent fleißige unb djaratteriftifepe Bilber finb, 
trofc mancher Ueberlabung mit fleinen, troden borgetragenen 
Beobachtungen, burchaug nicht mit bem eigentlichen Süffelbotfet 
„@enre" zu oermechfetn, beffen Borzüge fte htbeffen augnahm«log 
ZU ben ihrigen Bei ber Erinnerung an $ünteng 

©cplacptenbilber befcpleicpt mich pauptfäehltch bie Empfinbung 
bei Bebauemg, ba| ich Rbam unter ben Rtündjenern zu nennen 
oergeffen hübe, ©eelg „ägpptifcper Ratern" fcheint mir benn 
hoch bei aller ©efchidtichfeit nicht ganz betbaut, menigfteng fomrnt 
er mir reichlich reminiieenzartig, gemacht unb ölfatbig bor. 3“ 
Eamppaufen ben gtofjen Rlaler zu entbeden, pabe ich iu 
Riüncpen ebenfomenig alg bigher ©etegenheit gehabt. Ruch ®lb. 
Baut ift mit feiner „Berfiegetung bei hl- ©rabeg" burchaug 
niept übet bag, mag er bigher geleiftet hat, pinauggegangen. 

Sahli „Spiel ber SBeüen" ift mit Rchtung zu nennen. 

Ueber bie mancherlei tiebengmürbigen Borzüge ®. ftoffftper 
Bilber brauche ich hier nicht biele SBorte zu berlieren. ©eine 
„Saufe bei Erftgeborenen" ift bon mir feinerjeit befproepen. 
©ein „tepter @rufj" hingegen muff alg ein einbringlicheg Bitb 
bon ftarfer poetifcher Empfinbung felbft in biefen, nooeüifttfchen 
Bilbern gegenüber recht teperifdpen Ruffäpen ermähnt merben. 
$err &off hätte mirflich beg auffaüenb fcpmärzliehen ©efammt: 
toneg nicht beburft, um ung auf feine SEBeife rein pfpcpologifd) 
»on bem 3nhalt beg bargefteüten Rtomentg in boüfte tpett* 
nehmenbe Kenntnifj zu fepen. Rach ihm finb noch E. ©ohn 
jun. unb Seiften zu ermähnen. Rllen biefen Bilbern in erfler 
Sinie finb aber bie granzofen fepr bebenftiche Rachbarn. 

Bautierg „Berhaftung" mirb in Rpotograppie unb ©tich 
gemifj bie bielen greunbe finben, metdje fte oerbient unb bie 
fepon fein Raute anmirbt. 3orban, ©iegert, ©alentin finb 
bie Riten geblieben. E. Schulz h at unter Rnberem in feinem 
„#errenftübchen" ein prachtigeg ©tüd gut altbüffelborfer ©eure» 
luttft auggefteüt, melcheg birect neben ^afentteoern beftepen 
mürbe, ©cheurenberg, ben ich faft oergeffen hätte, ift mit be* 
fonberg reizooü im Borträt. Sie Krone fd)tief)tich attet Süffel* 
borfer gigurenmalerei unb eine ber beften Rtatereien auf ber 
Rtünchener Rugfteüung bleibt bie tytt bereit« bor 3ahren ge* 
mürbigte Kreuzabnahme ©ebharbg. 

3n SBeimar haben mir bie tnerfroürbige Erfcheinung, bap 
eine Rlabemie einmal nicht bag retarbirenbe Rtoment in ben 
Beftrebungen einer Künftlerfchaft bilbei Ri^t bie jüngeren 
loggetrennten Elemente haben ffitx Streben unb gortfdjritt für 
fich iu Rnfpruch z u nehmen, fonbern ber umgelehrte gatt liegt 
oor: eg ift Diel eher bie Künftlerfchaft, gegen beren h«t mie 
überaü ejiftirenben $ang zum Einphiliftem bie Kunftfdjule tm* 
etmüblich aggrefftb borget^. Rüg biefem Umftanbe erllärt fich 
zur ©enüge ber eigenthümlich einheitliche frtfehe gug, bet faft 
alle in Rtünchen auggefteüten SBeimarfchen Bilber augzeidjnet. 
Rn<h unter biefen Rtalern finbet man folche, beren SBelt nur fo 
meit reicht, mie ihr Rtobeü, aber bafüt ift menigfteng an bem 
Ruftommen einer phrafenhaften Kunft in biefer ©efeüfdfaft nicht 
ZU benten. 3<h münfehte bielmehr nur, ba| eg in allen beutfehen 
Kunftftäbten fo munter unb zielbemuft oorroärtg ginge; fdjlechter 
mürbe eg bann gerabe nicht um unfere Rtalerei ftepen. 

Ruth in SBeimar mu| bie Sanbfchaftgmalerei -boraufgehen, 
um feine heutige Richtung in ber gigurenmalerei zu ertlftren. 
Sh- $agen ift hier zuerft, enbtid» einmal mieber, unb ohne 
Einfchräntung zu nennen. Befonberg feine „nieberrheinifche 
©tabt" bürfte, trohbem fte in ber Rtalerei für ben erften 
Rugenblid etma« müft augfiept, zu benjenigen Sanbfchaften ge* 
hören, melchen bie fouberänfte Bepanblung ber Ratur zu ©tunbe 
liegt, ohne ba| biefer im geringften - bie tanonifche Oberhoheit 
oertümmert mürbe. 3m ©egenfafe z« feinen Schülern haben 
$ageng Bilber nie etmag ftubienpafteg, fie finb gemi| niemall 
oor ihrem ©egeuftanb im greien fertig gemalt, ihrt Seele fo* 
zufagen ift oielmehr lebigli^ bie BiUimirtung. Rher $agen 


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Nr. 42 . 


9it £f 0 fitm'urt. 


253 


tnttft feine Statur, in aßen Säßen wo fie ihn einmal inteceffbt 
hat, audwenbig, unb, jo eigenwißig unb brutal er oießeidpt 
manchmal mit U)t umgebt, —. SBenige bärften bafür ihre Steige 
«in Sieht unb jfarbe ftärfer unb eindringlicher entbinben alb ec. 
Karl Stettins frifdge unb bemühte, wenn au<b etwab ftyteß 
fertige SRalerei finbet in SRündjen nicht gum erften SRal Hw 
erteunung. ©Ueicpenb großer „Suchenroalb" hat fich«l»4 
mannen jeiner Steunbe ftupig gemacht. Sab ift eine Set= 
irtung auf richtigem SBege. SBeichberger mirb ben Kreii 
betet, bie feine fonnigen beutfchen SBälber fennen unb folglich 
fchägett, auch in SRiinchen roteber bebeutenb erweitert hoben. Ser 
noch »iel intimere aber auch eigenfinnigere unb manchmal recht 
oerjtwcfte Such ho lg fommt bagegen leibet auch biebmal nicht 
gu ber (Geltung, bie man für ihn überaß beanjprudjen barf unb 
finbet, jobalb man nur erft bie Hufmertfamfeit auf feine liebe: 
ooßen grauen SRalcreien gelenft hat. Zübbefeb „Schwanfee" 
ecmeift fich unter anberen Silbern alb eine feht gefunbe Seiftung, 
beten fteßenweije übergeugenbe Statur man fo leicht nicht über: 
jehen mirb. # off mann=ffa Herb leben fieht mit feinen gefucht 
jungen aber nicht poefielob angejchauten SWotiöen fertiger aub 
alb er ift. Sirifb’ „bewegte teee", obfchon fie ein ©rftlingb= 
wert ift unb. im langen noch etwa* ftart nad) Serpentin unb 
Delfarbe aubfieht, gäplt noch lange nicht $u ben fchlechteften 3Ra= 
ritten ber Hubfteßung. Stiebelb „SRotio bei SBeimar“ ift von 
jcpkigenber eigenthümlicher Silbmirfung, obgleich ober oießeicht 
weil eb burchroeg an bie Palette £>agettb erinnert. Hud) SBinH 
lerb, jo ferne er immerhin ber eben ermähnten Schule fleht, 
barf bei biefer Hufgählung nicht oergefjen werben. Hrnbtb 
eigenthümlich gelbe „ftüfte oon SRaffa“ muh felbftftänbig ge: 
nannt werben unb hat bei genauerer Setrachtung ihre feht an: 
erfennenbmerthen Serbienfte; trofcbem fcheint mir bab Silb in 
erfter Kiiiie alb ein Serfuch, alb eine ©tappe auf neuen SBegen, 
bie ber ftrebfame Künftler jucpt, gemürbigt werben gu raüfjen. 

Sk fich h*« anfchlie^enbe Shietmalerei oertritt Srenbel 
mit einem jeht gut aubfehenben „©chafftaß", ber feine ififerbe: 
bilber legtet 3ah« weit übertrifft, unb Weber wab Statur noch 
mab SRalerei anlangt itgeab ein noch fo gefunbeb Xbi et äild 
ber Hubfteßung gu fchenen hot. 

©inen ber einfluhreichften Sigurenmaler SBeimatb, Hlej. 
©trupb, hot man mit feinem großen Silbe „Serführt" im 
©labpalaft inb Sunfel gu hängen oerftanben, weil man einen 
lebenbgrofien Schufter nebft gamilie im ©inne beb ißublicumb 
für unäfthetifcher hielt alb Üiebermannb ©hriftub gum Seifpiel.... 
©eit wann ift eine $ängecontmiffion oon SRaletn fo gartfühtenb 
gegen bie äfthetif<he Switberte eineb Srudjtheilb beb 4$ublicumb? 
Scelleich* beängftigen auch bie Dielen Sutherbilber mancheb fatljo: 
Itfche 4>erg ber baperifchen $auptftabt; gewifj hoben unfere 
©igiachtenbilber bie $erm jfrrangofen unangenehm berührt. Huch 
barauf hätte man Stiicfficht nehmen foßen, beim bab „äfthetifche 
©efühl", weltheb man durch Silber wie bab ©truhb’jche gu be: 
leidigen glaubt, ift burchaub oon feiner höh«en ©orte alb biefe 
tränt haften Schwächen. 3$ meine, eb fam aßein barauf an, 
baff bab in Siebe ftehenbe Silb’ oon oorgüglicher @efchidlid)teit 
unb ©nergie ber SRalerei ift, bie pöchftenb an Reinheit jener auf 
$ennanb’ „SRotgenbämmerung“ um etwab nachgibt, ©olche 
ernfthaft naturaliftifchen Seftrebungen wie bie ©trnpb’fchen finb 
unb augenblidtid), nnb noch lange, wie mir fcheint, oiel mehr 
werth, olb Slßeb, wab fogenannte äfthetifche ©onceffionen macht. 
Uiü> mab foß t)*« überhaupt bab SBort unäftpetifch Reifee«! 
©inb nicht bie maffenhaften ©teichgültigfeiten unb braoen SRittel: 
mähigteiten, Wie fie überaß an ben SBänben beb ©labpalafteb 
breit h«nmhängen, oiel unäfthetifcher alb ein ©trupb, fchon 
einfach »eil fie gar feine wirtlich guten eigenen Qualitäten 
haben, oietmehr überaß nachempfnnben, banal unb fchwach finb? 

Sorwiegenb, unb gwar im ©iime bet Ulten, eoloriftifeh unb 
auf ientyenbe Silbmirfung aubgehenb, finb bie Silber oon 
SBiltem tfinnig Sater unb Sohn. Harmonie unb noch ein: 
mal Harmonie — bab ift bei ihnen Slßeb. Uber bereits in 
bet Hnjcpauung, in ber ©mpfinbung, nicht erft hinterbrein beim 
Bufammenlajiren. SRan muff biefe Silber, im ©egenfap gu ben 


meiften, nicht allein fehen, fonbern unter anberen mobernen- 
Hße ihre etwaigen Schwächen faßen ba ab alb gleichgültige 
Siebenfachen, man fieht nur ein eminent malerifcheb ©ange, 
welcheb oon Hnfang an fo gefehen unb hingefchrieben ift. Sab 
meifte Hnbere fieht baneben bunt, technifch ober ftofflich anfpru<hb= 
ooß aub. §iet g. S., bei bem „Hlcpimiften" beb älteren Sinnig, 
faßt eb ffiinem gar nicht ein, auf bab SBab ober SBie gu fehen. 
©o ein holbbunteleb Bimutet mit einem SRenfcpen irgendwo, 
ber an fid) Sliemanben etwab angeht, — nur bab @ange reigt, 
unb nur, weit eb, eben fo eminent malerifch ift unb weil man 
fühlt, bah e$ jo nur darum gemalt ift. Huch bab für bie 
SBartburg beftimmte Sutherbitb (Suther unter ißeftfranfen) beb 
jüngeren Sinnig ift ein hochintereffanteb (unb burdjaub aub: 
reichend djarafterijtifcheb) cotoriftifcheb SReifterWert. 

Hud> Otto Süg ift in SBeimar wie auf ber Hubfteßung 
ein Unicum. ©ein „grauenftift" hot an fftnpeier Intimität ber 
©horatteriftif faum ©einebgleichen. Sßitg flieht aßen djargirten 
ober in Stoßen oertheitten Slubbrud, jegliche bramatif^e ©felb: 
brüefe fo fehr, bah « feine Kunft burchweg an ben möglichft 
aufregnngblofen Sefchäftigungen möglichft gleichartiger ©efeß: 
fchaft oerfucht: Kleinfinberbewahranftalten, Kinbetfchulen, ?frei: 
hanbturnftunben, Stlteleutafhte, bab finb bie ©etegcnljetten, an 
welchen $ilg geigt, bah cb eine ©enremalerei au^ ohne bie 
bibher darunter oerftanbene Sfooeßiftif ic. geben fann. ißilg in 
feiner nadten naioen SBahrhaftigteit ift ber befte Semeib bafür, 
bah die ©enremalerei burchaub nicht für afle Beiten einen @e: 
genfah gur wirtlich malerif^en SRalerei gu bitben braucht; oiel: 
mehr fieht utan bereitb an ihm, Wie bie Wiederum moberoe, rein 
malerifch :naturaliftif^e SBeltanfchauung bie ©enremalerei gur 
lebenbwahren unb lebenbfähigen ©pftengmaterei umwanbelt. 

3m Uebrigen tommen mir hi« mit gwei ober drei Slawen 
aub. ©turgtopfb „Stfdjenbröbel" ift oon ängfttichfter ©olibität 
ber SRalerei not Statur unb SRobeß, bie beibe betanntlich Steige 
befi|en, gu deren ©ntbinbung eb nicht abfolut eineb geiftboßen 
Künftlerb bebarf. Sagegen bedt in greiebtebenb liebenbwürbig 
unb fdjön menjchlich empfundenen Silbern („3» der Küche", 
„^Rattenfänger") bab Können nicht immer bab SBoßen. ffirreicht er 
bab, fo h°t er mehr aubgugeben alb fehr oiete Habere. $afe: 
mannb grohe figurenreiche Kirmeh h«dt ft<h fchliehlich überaß 
burch tüchtigeb maletif^eb Seobachten unb ©treben anb ber 
fonft üblichen Sauernmaterei h«aub. 

Huch in Karlsruhe fcheint eb frifch h et ä u 9 e h en , kenn 
man auch noch nicht fo leicht 3nbioibuatitäten unterfcheibet wie 
in SBeimar. ©b miß immerhin fchon etwab fagen, wenn in 
einer flehten ©tabt ein fo unleugbar bebeutenbeb Silb gemalt 
werben fann, wie Keil erb „SRarfgraf Subwig SBilhelm oon 
Saben in ber Schlacht oon ©glantament". Keßer, oon §aufe 
aub ffatbenmenjch wie mir fcheint, ftrebt immer ftchtbarer banach, 
auch componirenber, geichnenber, charafterifirettber, „bentenber" 
Künftler gu fein. Sabei ift fein Zürtengminger einftweilen, ge= 
nauer betrachtet, ein Silb geworben, welcheb nach aßen ©eiten 
hin etwab ftart aufträgt, patljetifch, Wüft, übertrieben genannt 
werben fann, bem aße SRittel recht finb (unb barunter auch 
manchmal bißige); bab aber doch oor Hßem eine riefig ge- 
fchidte, tapfere Seifhntg genannt werben muh- Sorgmann hot 
in feinem „Sleifeunglüd" ein, fagen'wir im Sinne Sochmannb, 
burchaub tüchtigeb, lanbfdjafttich wie figürlich gleich gefunbeb Silb 
aubgefteßt. $ilbebranb'hot gwei in feiner Hrt recht tüchtige 
Silber. @ube geigt in feinem „Sanbungbpla|", bah n burchaub 
nicht auf ben ihm feinergeit bereitmißig gefpenbeten Sorbeeten aub= 
ruht, ba| « bielmehr noch immer unb auch in Seutfdßanb hinter 
Sid^t unb SBaffer h« ift, um fie bei irgend einer neuen Sereinigung 
gu ertappen. SBalbenburg unb Slaoenftein haben fräftige, in 
Sicht unb Sorbe ftarte, hie unb ba etwab ffnbienartige Silber 
gebracht. Sie übrigen Kartbrufjer, bie mir in SRündjen be= 
gegnet finb, fah i^ gum erften SRal unb nicht genügend, um 
über ihre Kuttft fchon irgend etwab Sefonbereb fagen gu tönnen. 
SRögen hi« die Slawen Wörter, Born, SRarg. ^ormuth, 
©mitie SBeiher, SittWeiler, Schirm unb ©chmitt einft: 
Weilen, aber ohne weitere Serpflichtung, oorgemertt werben. 


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254 


5 i t (Segenmari. 


Nr. 42. 


Unter beit „SBilfcen", bie feiner ber übliegen fünf beutfcgen 
fiunftftäbte angef)ören, ftnb bielmal burcßau! nießt etwa bie ®e« 
ringften. 83ödlini (glotenj) „dentaurenfampf" reicht jwat 
lange nießt an feine frühere große dompofition belfelben Zßemal, 
ift aber nicßtlbeftoweniger ooü eigentßümlicßfter ^ß^antafie unb 
großer materifcßer dnergie. ©uftao SJtüIler in Stom ßat einige 
feßr folibe unb fein gemalte Satten nadj SRüncßen gefcßidt. 
©cßucß in $annooer toirb jufeßenbl fertiger unb — wa! nötßig 
war — öielf eitiger. ßofen ebenba ßat jwei große Sanbfhaften 
aulgeßeflt, ßarl unb überjeugenb im Statureinbrud überall, aber 
oon weniger 3ufammenßang unb ®itbroirfung wie SRancßel, Wal 
icß au! feiner SBeimar’fcßen tßeriobe tenne. S?atdreutß in 
ft’reujnacß ift jmar ber Sitte geblieben, ßat aber an Äroft nießt! 
oerloren, an dinfaeßßeit unb großer SBaßrßeit ber drfcßeinung 
fogar gewonnen, gebberfett ebenba jeigt ficß in feinet „SJferbe« 
ßeerbe" fo talentood toie immer, ©cßabe, baß ein ftarf feßwefet« 
gelber Zon, ber oiedeicßt in ber SRüncßener Umgebung meßr 
ouffätlt als im Sitetier, ben ©enuß bei reijooden Silbe! einiger« 
maßen ftört. — 3wei au! bemfelben Zopf fjeroorgegangene, aber 
in ißrer breiften becoratioen SGBeife feßr fräftige große gjotb« 
tanbfcßaften oon Öfter leg jun. in Hamburg finb aUetbingl faft 
meßr Decoration unb Palette all Statur unb ©tubiurn. Zagegen 
finb jwei Sanbf cßaßen oon ßolig (Sfaffel) unb Subwig (©tutt« 
gart) burcßau! oorjüglicße ernftßafte Slrbeiten, ood eigentßüm« 
lieber Staturanfdjauung unb «cßaralteriftit. fRitterS (Stürnberg) 
„feßöner Srunnen" ift eine ganj befonber! gute „Slrcßiteftur« 
malerei". ©eßließließ ßat granffurt jum minbeften brei $ 0 $« 
originelle Zünftler naeß SRüncßen gefcßidt. 3unäcgft Zßonja, 
einer oon benen, bie büßet abjolut nießt auflommen fonnten, 
unb bie boeß ju ben Söenigen gehören, bie wir, be! ß ff edel 
fießer, in jeber Sejießung — aueß wa! digenart anlangt — 
ben beften gtanjofen gegenüberfteüen fönnen. Origineller unb 
feiner malerifcß bürfte ficß feßon in Wenig SRalerlöpfen bie 
SBett fpiegeln, als in Zßontal fßßantafie. Slfletbing! finb feine 
Silber daoiat für’! Soll, aueß für fritifeße! unb fünftlerifcßel. 
Slengftlicßen ©emütßern ift er feßon eiufacß ju grün unb blau, 
unb für äftßetifcße ©cßlafmiigen finb feine dngelllöpfcßen oiei 
ju wenig fißön, b. ß. conoentioneU. Slucß für mieß ift oiedeicßt 
bie Hälfte ber Zßomal, bie icß büßet gefeßen, reießtieß ober 
gar ju baroef ; bie anberc $älfte bagegen — ßeuer in erfter 
Siitie ba! „Ueber ben Sßolfen" — ßnbe icß oon einem SReij ber 
dmpfinbung, oon einer geinßeit unb Stobteffe in Zon, SRacße tc. 
wie alte SReifter. SRotß barotfer faft ift ©teinßaufen für ge« 
wößnließ; bielmal inbeffen geßört feine Sanbfcßaft auf „Sßetri 
Sefteiung" in ißrer areßaifirenben dinfadßßeit ju ben origineilften 
ber Slulftedung. Surnig feßließließ ift au^ ßeuer feßr tut« 
gteießmäßig Oertreten. Stber wenn er aueß maneßmat bezweifelt 
caßriciüS ober rechtmäßig wirb, fo tann er boeß aueß immer 
Wieber, Wie in feinen „Environs de Francfort“, bureß SSot« 
neßmßeit übetraf^en. 

©(ßfießlitß mötßte itß nodß notiren, baß ßiß auf ber 
SRüncßener SluSftetlung auffaHenb oiete Damen als gefcßiclt unb 
oödig concurrensfäßig bocumentiren; eine Zßatfacße, bie am 
fprecßenbften beweift, baß bai fRioeau bei bem eittfaeßen Zalent 
ßeute erregbaren ßönnenl um ein ®ebeutenbel geftiegen ift. 
kanten wie 39. SBegmann, 83. ©ieef, SR. SBeßer, 83egal« 
fßarmentier, SR. Dürr, geanna 83aud unb Termine 
Siebermann foHen ßier aul ber SRenge ju ben bereit! ©e« 
nannten nadßgetragen werben. 

Damit wären wir am ©dßluß. 3m Sertauf biefer Stuf« 
füge naßm icß für bie $ängecommiffton ba£ Stecßt, getegenttidß 
abficßtllol ungereeßt fein ju bürfen, all etwa! SRenfcßlicßel in 
Slnfßrudß. Seßt bitte iiß alle ^errn SRaler, infonberßeit bie icß 
ju nennen oergeffen, mir mit ben bort borgebraeßten entfeßufbigen« 
ben (Erwägungen benfelben Siebelbienft ju erweifen. 

(Buflar ,flo«rfc. 


JUiö l>er ^auptfiabt. 

_ 

®in (Scßfßter. 


Der Serliner $erbft ßat unrußiger begonnen, all in irgenb 
einem ber legten jeßn 3«ßre. 3Bir ßaben nur einen rußigen 
Zag erlebt: ben SBaßttag. Sin biefem Zage gingen nur feßr 
wenige SRänner au!, um ißr SBaßlrecßt auSjuüben, unb oon 
biefen wenigen SRännern erteilten nießt alte ben Zifcß, an weftßem 
ße eine ber Oorneßmßen Sürgerpflüßten ju erfüllen ßatten. Det 
SBäßler wirb unterweg! oon jaßtreießen geinben ber S33aßlßanb« 
tung ßintertiftig auf ©eitenpfabe getodt unb ju grüßftüden unb 
äßnlicßen $anblungen oerfüßrt, weltße oerßinbern, baß ber eigent« 
ließe SolllwiHe an ben Urnen jum StuSbrud gelangt, unb fo 
ßerrfeßte in unferen SSaßllolalen im Sergteicß mit benen anberer, 
bebeutenb fteinerer ©täbte, eine faft unßeimtieße ©tille. Da! war 
aber eine lurje Unterbrecßung ber nngeßeuren Unruße, mit Welcßer 
ber §erbft in Stettin erfdßienen ift, unb bie am Senbemoin be« 
SBaßUagel in ißrer ganjen betäubenben ©röße wieber auftrat 

d! ift feßwer, einen oorßanbenen Sätm ju anatpfiren unb 
genau anjugeben, au! wie Dielen Zßeilen politifeßen, focialen, 
retigiöfen, fünftlerifcßen unb anberen ©eräufcß! berfelbe jufammen« 
gefegt ift. SRan ßört eben ein wüfte! ©etobe wie etwa in bem. 
ginale einer mobernen großen Oper, bei beffen Stnßören nur 
ein geaicßtel ÜapeQmeifteroßr ju ßören oermag, wa! ßier ber 
menjeßtießen ©timme, wa! bem §o(j, wa! bem SRetatl jur Saß 
fällt. Slber oon bem augenbtidtieß bureß 33erlin potternben Särm 
fann man boeß mit einiger ©i^erßeit angeben, baß er ßaupt« 
fäcßticß ßegerifeßen Snßatt! iß. 

Der tDlenfcßenfreunb, ber bie! natürlidj niißt erß au! meinem 
SRunbe erfäßrt, wirb bie djiftenj einer folcßen Agitation auf« 
richtig beitagen, ^ege! ©elbft ber eingeßeifeßte Säger ßält ße 
für graufam, unb fie iß e! aueß. Unb nun gar SRenfcßenßagl 
SRan fragt ängfttid) naeß einem SRenfdßenßßongefeg. SRan ßeßt 
ß(ß naeß bem ©taatlanwatt um, ßoßenb, baß berfelbe ptögtüß, 
wie ber 83erggeift in ©dßiüer! Sltpenjäger au! ber getfenfpalte, an! 
feiner Steferoe ßeroortrete unb ben Verfolger unter bem $inmei! 
auf bie Zßatfacße, baß bie ©rbe Staum für Sille ßabe, frage: 
858a! berfotgft bu meine $eerbe? 

Det freunblicße Sefer wirb woßt bereit! erratßen ßaben, 
für welcßen ©eßegten icß ben ©cßug ber ©efege oerlange, fad! 
el bereit! ju fpät fein fodte, bie ßartnädigen Verfolget in ißre 
©dßtanlen iurüdjuweifen. gür Diejenigen aber, welcße. e! noeß 
nießt wiffen, maeße idß ben ©eßegten namßaß. dl iß ber $of« 
prebiger ©töder. 

83e!anntli^ ßaben ©taat unb tßarlament mit oereinten 
Kräften ba! bem tßriefter feit Soßrßunberten eingeräumt ge« 
wefene ©ebiet eingefcßränlt unb ißn oon maneßen Stufgaben feiner 
©eelforge ganj ober tßeilweife bilpenßrt. dl mar bie! für oiete 
an eine regelmäßige Zßätigteit gewößnten ^rieftet ungemein 
ftörenb. Sie ßatten nämlicß plögtieß maneße freie ©tnnbe, wußten 
biefelbe nießt auljufüden unb begannen, ßcß ju langweilen. SRan 
weiß, woju Sangeweile füßrt. Oft genug fußrt ße ju ben 
amüfanteßen 3erftreuungen. 83on bem ^ofprebiger ©töder 
wißen wir, baß er, obfcßon bamatl jufädig an Parteien gar 
lein SRanget War, jum Seitoertreib eine neue tßartei, bie cßrtß« 
licß=fociale, au! ber drbe ftampfte. Sßw jur ©eite ftampfte ein 
©cßneiber, IRamenl ©rüneberg, ber ebenfowenig wußte, wa! er 
anfangen fodte. Sit! aber feßr halb jmifeßen biefen beibtn SRän« 
nent Swißigleiten ernßeßer Statur aulbtacßen, — $ert ^ofprebiger 
©töder oertangte, baß „SRit" unb „83on" naeß wie oor ben 
Datio regieren fodten, worauf ßcß ^err ©rüneberg um leinen 
tßreil einlaßen ju lönnen erftärte, — ba trennten ße ßcß wie« 
ber, unb #err #ofprebiget ©töder ftanb adein. ^errörüne« 
berg, wie icß beitäußg bemerlen wid, ging oon bannen, um für 
feine SRit« unb S3on«Dßnaßie einen Slccufatio ju fueßen, oßne 
folißen inbeß bi! jegt auf bie Dauer gefunben ju ßaben. 


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Nr. 42. 


ffl i f Gegenwart. 


255 


£>err §ofprebtger ©töder aber roibmete nun jebe ©tunbe, 
weldje er feiner Saitjet abfnapfett tonnte, bem ©ebenen bec 
chriftlidHocialen (Partei. ®r berief, präfibitte unb fchlofc 93er= 
fammlungen in Solalitäten, in netten (Bier Don allen ga'rben 
}u haben war, unb ju benen Seber gegen- je^n Pfennige ober 
freie« (Entree 3«tritt hatte, bet Suft ober (Beruf in fich fühlte, 
bie entgleisen ftaattidhen unb bürgerliehen (Berhältniffe toieber 
auf bie Schienen ju bringen. ®er (Eitel $ofprebiger, ben ber 
(präfibent trug, bürgte bafür, baff in biefen Sßerfammtungeu 
ttidjts angeftrebt werben tonnte, tooburch baS Seben ober baS 
Eigentum ber Staatsbürger irgenbtoie gefährbet werben tonnte. 

Stnftatt nun #mn ©tö der ungeftört diriftlich^focial prebigen 
$U taffen, fanbte bie (jSreffe ihre (Berichterftatter in bie S3erfantm= 
lungen, unb als benfefben unjmeibeutig bie (Ehür gejeigt jimrbe, 
hielt fie fich für fpecieH eingelaben, unb bie golge war, bajj 
bas Jßublicum mit ausführlichen (Berichten auS ben harmlofen 
SBerfarnmlungett unb (Berathungen unterhalten unb ju mitleibigem 
Ächfeljuden oeranlafit würbe. Umfonft betlagte fich ©err ©töder 
über bie (Betfolgungen feiten« ber 3eitungSberichterftgtter, — 
ber ©taatSanwalt fd^ritt nicht gegen biefe getreu ein! 
begreife bieS, wer fann. 

®er (ßreffe fchloffen fich alsbalb etliche Suben an, als baS 
falfdje Gerücht oerbreitet würbe, £ert ©töder prebige einen 
fi’reujjug gegen baS frembe, hier unb überall in betannter auf* 
btinglMjer Steife ©teuern bejahlenbe unb fo oorlaut wie möglich 
n n* unb breijährige Stilitärbienfte leiftenbe SBolt ber ©emiten. 
@ie gingen in bie SBerfantntlmtgen beS fpetrn ©töder, brängten 
jhh oor, wenn ihnen baS SSort ertheilt Würbe, tutb oerftiegen 
fich S n Entgegnungen, an bie ein (ßrebiger nicht gewöhnt ge« 
ibefen ift ttnb fich auch wohl niemals wirb gewöhnen fönnen. 
Umfonft nahm für ben fjerrn (ßrajibenten ber Sädermeifter 
fnönagel baS SSort unb rief: „(BiSmard, werbe Wadf! Werbe 
mach! Werbe wach!" ®iefer breimalige SBedruf oerhallte, ohne 
baft ber ffleichStanjler fi<h auch nur einmal bie fdjlaftrunfenen 
Äugen rieb, unb ebenfowenig fchritt ber ©taatSanwalt gegen 
bie 3uben ein, welche baS SSort ergriffen hatten! 

©o gehest, traf ben ariüen $ofprebiget auch noch in bem 
SSahltreife $öforb^alle baS 2Jitf?gefcf|td, in baS Slbgeorbnetew 
hanS gewählt ju werben. ©S ift bieS gewifs lein jufäUigeS, eS 
war eine lange oorbereitete (öerfolgung, welche bamit eitben wirb, 
bafe 4?err ipofprebiger ©töder ht oieüeidit mehr als einer 
fiammerfihuug oon feinen Gegnern, ben SKitgliebent ber $ort= 
fchrittSpartei unb Slnberett, in ber fchonungSlofeften SBeife un« 
berüdfichtigt gelaffen werben wirb. 

SBirb auch gegen biefe ber ©taatSanwalt nicht einfehreiten? 
Sch glaube, baS (Bilb, .welches ich hier oon ber gegen einen . 
$ofprebiger eröffneten ^e^e entworfen habe, ift ein ebenfo trübes 
als ooHftänbigeS. $err ^ofprebiger ©töder th.ut deinem waS. 
SeShalb h*fcen ihn bie Ißreffe, bie Suben unb bie SSähler? 

>1. Stettenheim. 


JHe ^ntnbolbt-^kabetnte ?u Berlin 

|at in ihrer bi^erigen Entwicftung bie guten Erwartungen, welche an 
ihte.SHrlfamleit gehtfipft unb an biefer (Stelle gu Anfang biefed 3&1}^ 
aa$gefproc|en würben, erfüllt. 3)ie beiben erften Quartale wiefen gu* 
jamnten 38 meift gwölfftünbige Eitlen auf, welche bon gu jammen über 
l£00 ftbrern aus aßen Greifen bed gebilbeten Publicumd, Herren Wie 
tarnen, befudfjt waren unb gwar bon ber großen ßttehrgahl mit einer 
Äegeliuüßigleit unb Eingebung, welker felbft bie fdjönen 9Rai= unb 
Suniabenbe leinen Abbruch gu tun bennodjten. 3*6* liegt und ber 
£e|r|)lan für bad $erbftquartal bor; berfelbe bringt bie meift forgfältig 
jpecifiXifirt? Aulßnbigung bon 30 Emilen aud faft aßen SBiffendgcbietcn, 
ben,/mat^matif(|5bWlöUf^ n ni^t minber wie ben philofophiichtißO' 
riW^n. Aud ber großen 8<*hl intereffanter SSorlejungen mögen |ier nur 
|erborge|oben fein: $ad Spectrum unb bie <|emif^en ©irfungen bed 
ßicßtd, bon ^rof. ®ogelj bie E|cmie in i|rer Slnwenbung auf Äunft= 
inbuftrie unb (Bewerbe, bon Dr. 3 . ®enbi$; Jöau unb Seben beg (Bes 


|im$, bom ^ribatbocenten Dr. ®. SBernitfe; @efunb|eitöle|re in gwei 
Epflen (Suft unb gü|t; ßta|rungömittel pnb Emftirung), bon Oberfiabi- 
argt Dr. SBurdjarbt unjb ^ribatbocent Dr. flügge; Et|i!, erfter i|eil: 
bie Sbewtleljre, bon ?rof. 8teint|al; <®ef(|ic|te ber griedjifcpcn ^laftif, 
gWeite ©lütjegeit, bon Dr. ^Tenbelenburg; (Befd^ic|te unb ?feft|eti! ber 
S^uftf, bon $rof. 38. Sang|anö; ißationalöfonomie al§ ginangwiffen^ 
fdjaft, bon Dr. $irfc§. $ie Herren ^amrnergericbtSrat| 
6tabtgerid^törat| SWeinele, ßie^tanwalt Dr. 3 U ^ 1 ^ ©oIbf(|mibt unb 
9iedjt3anwalt Dr. griebemann be|anbeln aufterbem ben berj^iebeneu 
9ie(|t8biöcipnneu (^anbeljreclt, preufeif^eg ^ribatre^t, Eibilproceß, 
<Strafproce6) gehörige (Begenftänbe. 

©cf)on biefeö 93ruc^ftüct aud bem Programm lagt bad bom 13. October 
ab beginnenbe Quartal aB ein le|rreidje3 unb intereffanter erf(|einen. 
Eö fei baran erinnert, ba& bie SSorlefungen in ben 816enbftunben unb 
gwar in ber großen 93ie|rga|l im griebri(| 3Berber*f($en (Bbrnnafuim 
ftattfinben, unb bag Herren unb tarnen gur X|eilna|me an ben ®’or* 
lefungen berechtigt finb. 


Utotijen. 

3)ie ^erlagöbuchhanblung bon Ebuarb Xrewenbt in Breslau 
fenbet uns bie erften Sieferungen eineJ lange geplanten, großartig an* 
gelegten Unternehmens, einer „Encpllopfcbie bet 9laturwiffen * 
fc|aften # ' (in circa 100 monatlichen 2iefentngen bon je 10 SBogen). 
Eine umfaffenbe 3)arfteßung aßer Eebiete ber ßtaturwiffenfehaft gu be= 
fipen ift für imfere Seit ein ©ebürfnih; ihre eingelnen ^iftciplinen haben 
eine fo große $Iu3behnung genommen, baß e$ mit ben größten ©eßwietigs 
feiten bcrlnüpft ober fa^ unmöglich ift, allgemeinere unb eingeheübere 
^enntniß in biefeiben, ohne ein enchflopöbißheö ©er! gu erreichen. Eine 
folche „Encpflopöbie ber ßtatnrwiffenjchaften"/ ber bie Aufgabe gefteßt 
iß, ba8 ©titbium unb bie gorfchung gu erleichtern unb gu beförbern 
unb einen Söoben gu bilben, auf welchem bie ©tffenfehaft fortgepflangt 
unb weitergebaut werben fann, foß nun baS in feinen Anfängen bors 
liegenbe 38erf Werben. 3 n ber Sifte ber für bie SRebaction ber eingelnen 
Abteilungen berufenen ^ßerfönlitfeiten ßnben ßch bie.bewÄhrten tarnen 
bon ^h c °bor bon Dppoljer in ©ieit (Aftronomie)/A. ©chenf 
in Seipgig (SBotanif), Aug. ©ch 15milch in $re3beit (ßRathematif), 
A. ^engolt in Sürich (ßRineralogie, ©eologie, Paläontologie), p. S^ch 
in ©tuttgarf (PhhPD/ E. ©ittftein in Mönchen (Pharmafognofie), 
Söget (Soologie unb Anthropologie), ßabenburg in ^iel (Ehemie) ic. 
Soweit bie bisher erfchieneuen §efte — bie erften fiieferungen bon Soologie, 
Anthropologie, SRathcmatif unb S3otanil enthalteub — ein Urtheil über 
bie Stebentung be§ Unternehmend ermöglichen, bürften bie Aufgaben, 
welche bie Encpflopäbie fich P^ßt, eine glÜdliche ßöfung ßnben. 8« ***** 
eingehenben Ä'ritif wirb iebodj bie S^t erft bann gefommen fein, wenn 
bie eingelnen Abteilungen boßftänbig borliegen, ^ie eben erfchienene 
fünfte Sieferung bilbet gteidjgeitig bie gweite ßieferung bed „$anb= 
wörterbuchd ber S°ologte unb Anthropologie". Aud bem 3nhalte bed= 
feiben mögen h* c * nur herborgehoben fein bie Artifei: „Anßecfuug bon 
Prof. 300**", „Antarftifchc gauna bon Prof, bon SRarteitd^, „Änthogoa 
bon Dr. ftlunginger", „Anthropogenefid bon Prof. 3öger", Anthropo* 
morphen bon Dr. bon Ptojfifobicd", „Araber bon g. bon ^eßwatb", 
„Arftifcpc gauna bon Prof, bon startend", „Athmung bon Prof. Söget", 
„Atlantische gauna bon Prof, bon startend". SDie Audftattuug bed 
©erfed ift gebiegen. 


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256 


Nr. 42. 



^nferate. 


»erlag, ooit g. 1. »rxffang in Stipjig. 


Soeben erfdjten: 

a m a. 

$)ramatif<fye3 ®ebid)t in fünf Äcten 

oon 

Zmnlb 4t m. 

8. ge$. 2 JL 40 A. 

3>er T>id)ter, bet fidj bereits burdj eine Steife 
poetifd)er Dramen befannt gemalt ljat, (egte 
btefer neuen ©idjtung einen ©toff aus bem 
©öttermptljod ber 3nber ju ©rmtbe. 

Im Verlag von Ebner & Seubert in Stutt¬ 
gart ist soeben erschienen: 

Denkmäler der Kunst. 

Ergänzungsband 

zur ersten und zweiten Auflage. 

Bearbeitet von 

Wilhelm Lübke und Carl von Lützow. 
34 Tafeln in Stahlstich, 3 Farbtafeln 
mit 5% Bogen Text. 

Preis in Carton-Mappe 32 JL, eleg. geb 40 JL 
In vorzüglichster Ausführung sind in diesem 
Ergänzungsband die Werke der bedeutendsten 
Künstler der Neuzeit zur Anschauung gebracht. 
Daneben ist aber auch den in Folge um- j 
fassender Forschungen auf dem Gebiete der 
alten und mittelalterlichen Kunst erzielten 
Ergebnissen Rechnung getragen worden und 
sind deren wichtigste Resultate ebenfalls 
angenommen. 

Es bildet somit dieses Supplement eine 
nothwendige Ergänzung der früheren Auf¬ 
lagen des aus zweiBänden bestehenden 
Hauptwerks und fordern wir die Besitzer 
derselben auf, ihre Exemplare durch Bezug 
des genannten 

Ergännungsbandes 
zu vervollständigen. 

Neuer Verlag 

von Breitkopf & Härtel in Leipzig. 

Keim, Franz, Der Königsrichter, Trauer¬ 
spiel in 6 Acten. 8. broch. Preis n. JL 3.—, 
Eleg. geb. n. JL 4.— 

Kalbeck, Max, Neue Beiträge zur Biographie 
des Dichters Johann Christian Günther 
nebst einem Anhänge, welcher die wich¬ 
tigsten Inedita der Breslauer Stadtbibliothek 
enthält. 8. broch. Preis n. JL 2.— 

In Carl Wintert Universitätsbuchhdlg. in 
Heidelberg ist soeben erschienen: 

Goethe’s Märchendichtungen. Von Fried¬ 
rich Mayer von Waldeck. 8 . eleg. 
brosch. JL 4.50, eleg. geb. JL 6. 
„Wenn ich die drei Märchendichtungen 
Goethe’s, getrennt von den grösseren Wer¬ 
ken, denen sie angehören, mit allen zn ihrem 
Verständnis« nothwendigen Untersuchungen 
und Erläuterungen herausgebe, so bedarf es 
wohl kaum einer Rechtfertigung. Sind sie 
doch vollkommen selbständige Kunstwerke, 
die ihre eigene Geschichte, ihre eigene Ge¬ 
dankenwelt haben .... Der Zweck dieses 
Buches ist, darzuthun, dass die drei Märchen 
Goethe’s der Erklärung bedürfen, und diese 
Erklärung zu geben. Hätte ich nicht geglaubt, 
zutreffendere Deutungen mittheilen zu können, 
als die vorhandenen, so würde meine Arbeit 
unterblieben sein.“ (Vorwort.) 


fe Ärgcttnrurt. 


Verlagsbuchhandlung von Alph0n8 Dürr in Leipzig. 

Soeben erschien: 

Ata®, 

Ein. Beitrag 

zur 

Kunstgeschichte des ,18. Jahrhunderts 

von 

Dr. Alphons Dürr. 

Mit 7 Holzschnitts». Elegant broschirt Preis 6 JL , gebunden 8 JL 
Unter Heranziehung des gesämmten archivalischen Materials und mit Benutzung 
zahlreicher bisher unedirter Briefe gearbeitet, bietet das überall auf Quellen-Forschung 
gegründete Werk eine umfassende Monographie des durch seine Beziehungen zu 
Winckelmann und Goethe in erster Linie der Beachtung der Nachwelt würdigen 
Künstlers, dem, Dank seiner geläuterten, über seine Zeit hinausgehenden theoretischen 
Anschauungen, eine eigentümliche Stellung in der Kunst des 18. Jahrhunderts zukommt. 


3n bem ©erläge hott IU. ®on§ Sc ©omp. in 
©tnttgart ift foeben erfdjtenen unb burdj alle 
33ud)fjanbhmgen $u Begieren: 

ffllfestiüirdjfit Hüll iBtterfngfH 

aus germaitifdjer SBoxjcit. 
©pifefje SUdjtungen tum ©mit ©ngclmann. 

SJiit einem aflegorifdjen Xitelbilb. 
t(. 8. geheftet 2 JL 40 A; elegant cart. 
mit ©olbfdjnttt 3 JL 

^ter $Kctbdl)mfe0en 

ober ®eutfdf) unb Ämerifanifdj. 
(SrjäljtuTtg für 2)eutfdjlanb8 lödjter ■ 
bon Olmnui £dbbeg. 

ft. 8. gelj. 3 JC\ eteg. geb. in fieinrob. 4 JC 

fiatyatrttta. 

9toman bon Jlttguß 

fl. 8. geheftet 4 JL 

5 Durch alle Buchhandlungen ett beziehen: W 


Verlag von Wilh. Engelmann in Leipzig. 


! und seine Bühne. !■ 

Molidre - Museum* 

Sammelwerk [ 

zur Förderung d. Studiums in Deutschland > 

! unter Mitwirkung J 

der Herren Humbert (Claas), Oberlehrer ► 
am Gymnasium zu Bielefeld, Laun (Adolf), ► 
Professor in Oldenburg u. Fritsche, Real- J 
Schuldirektor in Grüneberg, ► 

in zwanglosen Heften herausgegeben von > 

I Dr. Heinrich Schweitzer, > 

früher in Paria, s. Z. in Wiesbaden. * 

1 . Heft. Biographisches. ► 

Auf Grund eigener Quellenforschung " 
vom Herausgeber. ‘ 

10 Bogen, gr. 8. Preis 3 JL \ * 
Leipzig. Theodor Thomas. \ 

Ein in Rom lebender Schriftsteller (Kunst¬ 
ästhetiker) wünscht Journalen und Zeitungen 
römische Briefe zu schreiben, und sonstige 
laufende Berichte zu erstatten. Offerten Chiffre 
V. R. Rom poste restante. 


Soeben erschien: 

ESSAYS 

von 

Max Müller. 

Erster Band: Beiträge zur vergleichenden 
Religionswissenschaft. 

Zweite vermehrte Auflage. 

8. geheftet JL 7.60, eleg. geb. JL 9. 

Mm (Erklungen pgn fjtnts ffgpfen. 

Soeben etfdjien in unfernt »erläge; 

Jie f ta fujots 

t>on 

<£an$ ^opfern 

3 n ^ a 11: „ „ $er berlorene ftamerab", 

„ ©djaberoadd SBette", „glinferld ©lüd 
unb ©nbe". 

©in Söanb in 8. 294 ©eiten. ©djtna= 
Bacher $)rucf mit ßierleiften unb ©d)lufj= 
üignetten. ©eljeftet 6 JL, eleg. geb. 6 JL 

©djon nad) bem ©rfdjeinen feiner 
„Söaprifdjen 2>orfgefd)id>ten" begrufjte bie 
„9torbb. Ältg. £tg." £and fcopfen „ald 
Ben SKeifter unter ben jept lebenben ©r= 
iüljlero". ®on ben Ijier uorliegenben brei 
©efdjidjten rttbmt $aul ßinbau in 9fr. 37 
ber „©egenttart": „bafc jie $u Ben ge= 
lungenften unb (teben&inürbigften ©abgt 
bed audgeaeid)neten ©rjftljlerd gehören". 
$en 91oüeffen ooran geljt eine Igrifc^e 
SSBibmung an bie oerftorbeue 5rau heä 
©erfafferd, ein meifter^afteS ©ebi$t, bad 
bei feinem bor Äurjem erfolgten Äbbrutf 
in ber „©egenmart“ adgemeiued ifluffe^en 
erregte, ©o jeigt bad ©u(^ $and Hopfen 
als Bprifer unb 9tobeHiften nac^ jeinem 
beften können unb mirb in feiner ©igen- 
fbiimlic^feit nnb griffe bem beliebten 
Äutor ju ben alten Sreunben oiele neue 
ermerbeu. SBir übergeben ed getroft bem 
UrtljeÜ bed ^ublifumd. 

©erlin W., Unter ben iHnben 21. 

8. ©ifcnetlier & ©o. 
tönigli^e #ofbuc$ljanblung. 


ftlet}» ©cilagen bon ben ge rfqgCftqnfrlttWflen ©ebr. ©orntraeger nnb (Robert Oppenheim in ©erUn. 


OiUhi, N.W., Kconnringenufei; 4. 


gfit bie SRebaction serantmortlhp: #eorg Stifte in Berits. 
Srud bon f. gesittet in jetotlO« 


«soebtttss, Merlin W., JhirffirtenÜMie 7A 


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r , 43 


'Steirlttt, 6 eii 25 . §rf« 5 (t 1879 , 


Band XVL 


fit tfcgcnumrt. 

SBoc^cnfc^rift für Literatur, Äunft unb öffentlidjeS Seben. 


Herausgeber: £?au( ^£in6att in ©erlin. 


|iln $nutrak ein Immer. 

3n fttftiefen buttf alle ©ucfttjanblungen unb ©oflanBalten. 


Verleger: Georg Stille in SBertin. 


|ttis |tn Quartal 4 pari 50 ff. 

3nferate icbet Ärt pro Sgcfualtcne SSetitjeile 40 ©f. 


Xijomaa tum ftquino «nb ba3 römifc§=fart)(>lifdje $ogma. SBoit (£arl Meters. — Literatur nnb fttmjl: „93rel)m8 XIjierleben." 33e= 
o* c fl fP roc $ cn . öon $ogt. — Subtüig ©pacfi jum (iJebäcfytniö- ^on griebricfj öon 3Beec^. — ^njengruber atö ©rjätyler. $on 
önOÜlt: Sinbau. II. — SuIßartjdjeS. S3on ftarl 93raun = 2Bie8baben. — ßorb SöeaconäfielD alB SRomanfdjriftftetter. iöoit Jpelen 

Stmmern. (Sortierung.) — fcit& ber ^auptftabt: 2)te 58. StuBftetlung ber königlichen ftlabemie ber küitfte $u Berlin. $$oit 
$1). & III* — ytotijen: 3)ie (Sntbecfung ber Seele. SBon ©uftaö Sieger. SBefprochen t>on QuliuS @tettenl)eim. — Qnjerate. 


ttiamas von JCpitto «nb ba* rönnfd)-kati)olif(^e Dogma. 

®on Carl Peters. 

©apft ßeo XIII. bat burdj feine ©nctjclica Dom 4. Sluguft 
biefeS 3ahteS bie ^B^ilofop^te beS XljomaS Don Slquino als bie 
maßgebenbe Storni für bie ©ertreter ber fatholifchen Sehre hin: 
gefteüt unb confequentermaßen geboten, il)r ben gebüljrenben 
Vorrang beim p^ttofop^ifc^en Unterricht auf ben fatholifchen 
Seljranftalte« einpräumen. ©r pat bamit aud) nach biefer ©eite 
Üin bie fämpfenbe Streitmacht ber fatholifchen Kirche einheitlich 
pfammengefaßt unb ihr eine fefte XefenftDftellung gegeben gegen 
bie anftürmenben ©ewalten bes freien XenfenS unb ber freien 
ftorfdpng. 3ft bie« für bie fathotifdje SBelt ein ©reigniß Don 
eminent praftifcher Sebeutung, fo ift eS boch auch für bie pro* 
teftantifche Hälft* ber abenblänbifd)en C£t)riften^eit Don 
ragenbem Sntereffe; ftehen boch bie beiben Stichtungen, welche feit 
bem 16. 3ahrhunbert in üerfchiebener SBeife bie christliche Sehre 
fortgebitbet hoben, noch immer in engem geiftigen ©ontact unb 
finb fte boch politifcf) gewiffermaßen ©ruft an ©ruft einanber gegen: 
übergefteüt. Sugteich ift biefer SluSbrud ber eigenthümlichen $ln= 
fcßauungSweife beS gegenwärtigen 9tad)folgerS ©etri aüp charafte= 
riftifdj für fein ganjeS SSefen unb bie Slrt feiner ©olitif, als 
ba| eS fich nicht Derlohnen füllte, uns ben K^oroftcr ber ©hilo= 
fophie beS XhomaS Don Slquino in ihren wefentlidjen ©untten, 
befonbetS in ihrer Stellung jum fatholifchen Xogma im ©anjen, 
p Dergegenmärtigen. Stur wenn unS bieS gelungen ift, »erben 
wir im ©tanbe fein, bie neue SBenbung in bet allgemeinen 
©olitit Seo XIII., »ie fle ihren SluSbrud in ber ©ncpclica Dom 
4. Sluguft finbet, in ihrer ganjen ©ebeutung p erfaffen unb p- 
Derftehen. 

SJtit bet SluffteHung feines gbealS orthobo^* tat^olifc^cr 
SBeltweiSheit hot bet ©apft jurücfgegriffen über einen 3eitraum 
Don fe<hS 3ahthunberten, in bie ©eriobe, ba bie ©cholaftif über 
bie ©eifter Don ©uropa herrfchte. ©r ift prüdgegangen in eine 
Seit, ba bie SBelt p ben Süßen ber Kirche balag, unb ba bie 
„SBeltweiSheit naturgemäß ber SBeltmadjt" folgte. Slber, wenn 
er bie geiftige ©ntwidlung Don ©arteftuS über ©pinoja unb 
Sode bis auf Kant ftittfchweigenb einfach bei ©eite gefdjoben 
hat für baS innere Seben feiner ftitche, fo hat er boch m it 
fixerem Xalt baS großartigfte unb impofantefte ©pftem ber 
mittelalterlichen Xheologie mit einem SDtale hineingeworfen in 
bie Strubel unb SBirbet unferer geiftig fo fefjr bewegten Seit 
als baS fefte ©ollmerl, um welches bie ©läubigen ft<h fammeln 
unb an bem fle ben fieberen ©runb gewinnen füllen, um ben 
©türmen beS neunjehnten SahthunbertS gegenüber fleh behoup= 


ten ju fönnen. 3« Xt)omaS Don Slquino feiert bas latholifche 
Xogma feinen größten Xriumph; bie Xheologie umfpannt unb 
beherrfchi fcheinbar baS gefammte ©ebiet beS SBiffenS unb hot 
auch bie ©hilofophie fich bienftbar gemacht; alle bie ©eftrebungen 
beS menfchtichen ©eifteS hoben ihren ©la| angewiefen belommen 
in bem ©pftem, welches einjig ber großen 3bee ber ffirche 
bient; Stnerfennung aller menfcßlichen SBiffenfchaften, aber lebig: 
lieh in ber Unterorbnung unter bie Xheologie unb im Xienfte 
beS fatholifchen XogmaS, baS ift baS ©härafteriftifche in bet 
©hilofophie beS XljomaS Don Slquino. 9Rit genialem ©charf: 
finn, barf mau fagen, hot er biefen ©ebanfen §ur Xurchführung 
gebracht. 

X>aS ©erftänbniß beS SJtittelalterS ift nicht benfbar- ohne 
baS ©inbringen in bie ©cholaftif, biefeS feltfame ©robuct 
mittelalterlichen SebenS. ©ine wunberbare ÜDtifchung aus Xheo^ 
logie unb ©hilofophie, ein ©erfuch, baS ganje ©ebiet menfeh 5 
lidhen SBiffenS ber Xheologie ju erobern! ®ie ©cholaftif wollte 
ber Slnwalt beS ©laubenS fein unb Derfuchte ju biefem Swed, 
bie bem Sllterthum entnommene ©hilofophie unb ben ©orrath 
naturwiffenfchaftlicher ffienntniffe ju Derwenben. SlriftoteleS unb 
©laton foüten hetbeigejogen werben, um baS Xogma Don ber 
gieifchWerbung ©otteS unb ber ^Rechtfertigung burch bie ©nabe 
ju itluftriren. SBunberfame Seit! Slber wie feltfam uns biefeS 
©eginnen erfeßeinen mag, fo ift eS boch bie ganj natürliche 
föehrfeite ju bem politifchen ©harafter ber mittelalterli^en 
Kirche. SBie wunberbar hormoniren boch int testen ©runbe bie 
©eftrebungen eines ©regor VII., Sllejanber III., gnnocenj 1H. 
mit ben nicht minber eine SBelt umfpannenben ©emfihungen 
eines Slnfelm, eines Sllbert, eines XhomaS! Unb mag baS 
XiSputiren unb ©ejänfe ber Schulen unS lächerlich, ja läppifd) 
erfcheinen, wo man barum ftritt, ob ©ott aud) eine ©urfe habe 
werben fönnen, ob eine SDtauS, welche bie Hoftic freffe, ben Seib 
©hrifti Derfchlinge, u. bgl.; eS bocumentiren boch biefe eifrigen 
©eftrebungen immerhin wieberum ein erfteS Stegen beS menfch : 
liehen XenfenS, welches ^ahrhunberte hinburdj geruht hotte 
unter bem Sauberbanne ber Slutorität, fie finb bie erfteu 
Uebnngen beS ©eifteS, welcher an ihnen fich allmählich loS ; 
gewunben hot Don ber $nechtf<haft beS XogmaS unb erftarft ift, 
um fich atsbalb auf eigene ffüße )u fteüen unb bie Henfcheriti 
jurüdjuweifen Don bem ©ebiet, welches ihm allein jufommt. 

Unb in ber ©cholaftif fefbft mit ihren hatSbredjerifcheu 
SDtanipulationen, bie ©efefee ber fiogif hineinjujwängen unb juv 
Slnwenbung ju bringen auf einem ihr burchaus fremben ©oben, 
vermögen wir baS Hetonwachfen beS ©eifteS währenb feiner 
Strbeit im Xienfte beS Xogma p erfennen. Xie ©cholaftif bes 
jwölften SohthnnbertS hotte fich noch abgemüht, baS gefammte 

e 








258 


31 i e «egenwurt. 


Nr. 43. 


©ebiet beS Staubend mit ber ©rlenntnifj ju beden; credo, ergo 
inteUego unb intellego, ergo credo waren Sofungen im Kampf; 
getümmet gewefen. 3m breijebnten So^r^unbert batte man bieS 
aufgegeben. Da ^anbette eS fid) bereite bar um, bie ©rcnjen 
ber beiben ©rlenntnifjroeifen feftjuftellen unb i^r SJerbältnifj 
ju einanber ju beftimmen. 3Ran ^atte ficb barein finben 
miiffen, baff ber größere X^eit beS ©laubenS * DerritoriumS 
ganj außerhalb ber ©pbäre unferer S3ernunft liege, baff er 
fi<b befinbe, jwar nicht „contra“ aber bocb „supra rationem“. 
Der fogenannte ©upranaturaliSmuS fe|t ein. Diefer ©ebante 
in feiner frucbtbringenben SBirlfamfeit b at bie brei größten 
fcholaftifcben ©pfteme beS SRittelalterS überall aus fich heraus 
geboren, baS beS älbert beS ©rohen, beS DhomaS oon Slquino, 
beS DunS ©eotuS. @8 finb biefe brei in ihrem 33erhältnih, 
wenn ich fo SBerfcbiebenartigeS jufammenfteHen barf, oielleicbt 
ju Dergleichen mit ben brei großen griedjifcben Dragifern. SGBie 
©opbofteS, fo wirb auch DbomaS oon Slguino als ber ©ipfel; 
punft in bet ©ntwidlungSreibe ber DriaS aufgefafjt werben 
müffen. 

®S ift <bara!teriftif(b, baff, wie fie alle brei, recht eigentlich 
DbomaS oon Slquino einer fßeriobe angebört, in welcher ber alte 
Kampf jWifchen Smperium unb Hierarchie nun enbgüttig 3 um ÄuS= 
trag gebracht Würbe, in Welcher bie ©laufet nad) oerjweifeltem 
Gingen fcbliefjlid) boch ber Uebermacht ber üreblicben ©ewalten 
erlagen, unb baS ©apfttbum erhobenen Hauptes über baS ju= 
fammengebrochene Kaifertbum bin fdjeinbar unwiberftehlich ber 
Unioerfalberrfchaft jufdjritt — in welcher aber anbererfeitS bie 
neuen ©eifteSftrömungen mächtiger als Oorber über baS äbenb; 
lanb babinftutbeten. ©ein 3abrbunbert ift baS breijebnte, an 
beffen beginn bie hob« ©eftalt eines 3>moeenj III. baftebt, unb 
in welchem man oon Steuern cnergifch an baS ©tubium beS 
äriftoteleS unb ber arabifdjen ^brlofoptjen fich begeben hatte. 
Unb auch * n feinem ScbenSlauf ftetlt fich bie ganje toSmopolitifcbe 
Uniüerfalität ber römifch * tatbolifchen Kirche bar. ©eboren ift 
er (1226) in Italien, ju äquino, nicht weit oon SReapet, aus 
einem gräflichen ©efdjlecbt; feine äuSbilbung bat er in Deutfd)= 
lanb .erhalten, ju Köln, unter ber Leitung beS großen Silbert; 
unb baS Hauptfelb feiner Sebrtbätigfeit ift Sranfreid) gewefen, 
IjJariS, welkes mehr unb mehr jum örennpunft für baS ge= 
fammte wiffenf<haftli<he Seben oon ©uropa geworben war. Die 
brei Hauptlänber ber mittelalterlichen ©ultur haben Dbeil an 
ihm. Daju lommt, bafj er einem Drben angeljörte, welcher, 
beimat; unb beftfcloS, {ich auSfchliefjlich in ben Dienft ber b>er= 
arebifdjen Kirche gefteUt unb fich i«m Dräger ber tbeologifchen 
Silbung jener 3eit gemacht batte, ben Dominifanern. Die 
Kirche bat ihn nach feinem lobe (1274) canonifirt; fo trägt er alle 
bic ©igentbümlicbfeiten eines echt tatbolifchen SebrerS an fich- 
Unb echt tatbolifch ift auch baS fßrincip feines wiffenfcbafttichen 
©gftemS. 

©S ift für ben 3med biefer ^Betrachtung gleichgültig, was 
oon feinen 3been er feinem grofjen Sebrer bantt, eS tann auch 
nicht unfere Stbfidjt fein, baS äriftotelifdje unb Sleropagitifdje 
in feinem ©bfteme aufjubeden ober überhaupt ben pofitioen 3nf)alt 
feiner Sehre uns ju oergegenwärtigen — baju würbe es eines 
ganj anbern Unternehmens bebürfen, als eS ber mir oergönnte 
fRautn geftattet; eS tann unS nur barauf antommen, ju febn, 
wie DbomaS baS SBerbältnih oon ©lauben unb SBiffenfdjaft faßt, 
unb wie er fich oon biefem feinem ©tanbpuntte aus bem fatboli; 
fchen Dogma gegenüberfteUt. 3<h b°be febon angebeutet, womit 
in erfter Sinie bie ©cholaftit beS 13. 3abrb un bertS {ich ju 
tbun machte. DbomaS ift auch nach biefer ©eite hin ganj ein 
Kinb feiner 3eit. ©r ertennt ben ©ontraft jwifeben ©tauben 
unb SBiffen an; aber gleich fein Sunbanientalfajj bringt bie 
charatteriftifche ©ntfdjeibung für bie Söfung biefeS ©treiteS. 

Die ©rfenntnifj ©otteS (yisio Dei), baoon gebt et aus, 
ift nicht nur ber bö<bfte, fonbern ber einzige 3wed unfereS ge= 
fammten DafeinS. Die Sichtung unfereS DenfenS brängt mit 
Siotbwenbigfeit auf ihn, als bie le$te Urfache ber SBeltorbnung, 
bin, nur in ihm oermag fie SRulje unb ©efriebigung ju erlangen, 
unb in feiner o ollen ©rfenntnifj würbe fie bie bm te ©lüd; 


feligteit empfinben. ©eine Slnfcfjauung ift betunadi ber eigent= 
liehe 3 toed für bie SRenfchheit, unb biefem ffinbjwed bat fich 
ünfer ganjeS ©ein unterjuorbnen; StlleS, was Wir tbun unb 
treiben, alles Denten unb alle SBiffenfchaft bat in lefcter Sinie 
fich auf biefeS bö<hfte 3iet ju bejieben. ©o ber charatteriftifche 
SluSgangSpunft beS Db°miftif<hen ©pftemS! SRan bebente, waS 
bieS beiden will! Damit ift benn boch ntit einem Schlage bie 
gefammte 2Belt beS ©eifteS ber fird)lichen 3bee unterworfen. 
SRebt tonnte aüerbingS aud) ber ftarrfte S3erebrer ftreng bierar= 
chifdier Drabition oon einem Kirchenlehrer nicht oerlangen. Die 
SBiffenfchaft Wirb in ganj beftimmte Sahnen oerwiejen; ihr 
©nbjiel ift unoerrüdbar feftgeftedt, unb oorbei ift eS mit bev 
freien oorurtbeilSlofen gorf^ung; überall ift mafjgebentr bie aU= 
gebietenbe tbeotogif^e 3 bee! 

1 Unb oon biefem oberften ©runbfa| auS führt ber grofje 
©cholaftiter fein ©hftem nun mit einer rüdfi^tSlofen ©onfequenj 
' fort. Drei SB ege, fagt er, gibt eS jur ©rfenntnife ©otteS. Der 
; erfte ift ber ber SBettbetrachtung, unb ihn geben bie SBiffen* 
j fchqften unb bie Sßbitofopbie. Unb jwar müffen auch fte, cor= 
j rect befebritten, notbwenbig bem Biele jufübren. Denn ©ott 
b°t bie SBelt gewollt unb geraffen, er tonnte aber nur etwas 
wollen, was feinem SBefen abäquat ift. ©S ift bemnacb bie SBelt 
i in ber Dbat eih Slbbilb ©otteS, unb, forneit ber IRüdfdjlu^ Oon 
! ber Sßirfung auf bie Urfache geftattet ift, bürfen wir oon ihr 
I aus rüdwärtS auf bie ©ottbeit febtie^en. Stber biefer Söeg bat 
feine groben SRängel! Denn einerfeitS ift bie Söirtung immer 
geringer als bie Urfache (ein Slriftotelifcher ©ab), fobann tennen 
j mir bie SBitfung felbft nur unflar unb oermorren, unb enbUch 
I ift bie tiefere ©rfenntnijj berfelben überall nur einem ganj Keinen 
1 Dbeil ber SRenfcbbeit oergönnt. Unb boch f°Q auch bte grobe 
SRenge ber ©rfenntnib tbeilbaftig werben. SluS all biefem ergibt 
J fich mit fRotbwenbigteit bie Unootlfommenbeit, auf biefe SBeife 
: unfern SebenSjwed ju erfüllen. Das natürliche Denten wirb 
I unS wohl ju einem Db £ *l *> er ©rfenntnib oerbelfen, oor SlUem 
! werben wir notbwenbiger SBeife auf biefem SB ege baS Dafein 
i ©otteS als folcbeS erfaffen — benn Wir haben ja ein fßrobuct 
feiner X^ättgfett in ber SBelt oor unS (foSmotogifcber ©eweiS); 
aber weiter tommen wir auch faum; benn einen ©inblid in 
| fein SBefen Werben Wir fo boch nur bürftig gewinnen, ba bie 
| ©igenfebaften ber SBelt, als eines ©nblicben, immer nur 
; bßtbft Oerworren baS SBefen beS Unenblichen oerftänblich machen 
werben. 

j Unb hiermit fomnien wir benn ju bem übernatürlichen 
, "Dbeil feiner Dbeologie; wie ein neuerer Dbeologe fich etwa auS= 
, brüdt: wir oerlaffeh baS untere ©todwerf im Sau feines ©bftemS, 
i ba*hinein oon Blufien baS Sicht fällt, um in ein oberes ju ge¬ 
langen, oor bem bie Säben oerfchloffen finb unb Welches auf 
| übernatürliche SBeife oon 3nnen beleuchtet wirb. Die beiben 
! anbern ber oorbin erwähnten SBege führen unS ooüfommener unb 
fieberet ju unferm 3'd- DaS finb bie Offenbarung burch über; 

! natürliche ©rleuchtung unb burch unmittelbare Slnfdjauung. Der 
lebtere oon ihnen ift ber oorjüglichfte; aber fein Sef^reiten 
ift unS auf biefer ©rbe noch oerfagt unb einem befferen Seben 
. oorbebalten. ©o ift uns nur ber erftere noch übrig, unb ber 
ift unS oon 3 £ it ju 3eit geftattet. 3w fir^lichen Dogma haben 
wir bie bl e£ nach unb nad) jufammengebraebten Sefultate oor 
j unS. DaS römifcb ;fatbolifcbe 2)ogma ift ein fßrobuct ber un« 
mittelbaren göttlichen Offenbarung. 

Kber woher haben wir bie ©emifsb £ it, bab fie tbatfächli<h 
; oon ©ott ftammt? Diefe entfebeibenbe (frage ift bem ©d)arf= 
i finn beS DbomaS nicht entgangen, unb oon feinem ©tanbpunfte 
: auS weih fie in geniigenber SBeife ju ertebigen. ©S bürgen 
i unS bafür, fagt er, bie SBunber, Welche berichtet finb; baS gröjjte 
biefer S3unber aber ift ber ©laube einer SBelt, unb ben haben 
I wir jeberjeit felbft oor äugen. Der bentenbe Sefer wirb oon 
1 felbft fofort ben ©inwanb hiergegen geltenb machen, bah biefen 
| SemeiSgrunb mit eben bemfelben Stecht boch auch anbere Steti- 
gionen für fich geltenb machen fönnen; j. ©. SubbbaiSmuS unb 
3slam; aber für baS breijebnte 3abrb utt ^ert muhte biefeS 
ärgument eiu fchlagcnbeS fein. UebrigenS miß DbomaS felbft 


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Nr. 43. 


Hit ffrgenwari 


259 


mit ßticgten bie SBagrgeit ber Offenbarung auf bie Kraft biefe# 
nenfcgticgen ©runbe# gefegt wißen. St oerweift biefc Stage 
fegon in ba# ©ebiet be# ©tauben#, bet (jat bie Offenbarung al# 
unzweifelhaft gegeben ginzunegmen; wenn bie ©emunft ba noch 
etwa# tgun wiQ, fo faun Tw ^öc^ftcns beiuoufttiteit, bah biefetbc 
ihr niegt wiberftreitet. |)iet ift eine bet fpauptblößen be# gaujen 
Sgftem#. Xenn bet ©taube, weichet ben 3»n^att bet Offenbarung 
hinnehmen fott, weit et oon ©ott fommt, fann boch nicht fegon 
gerbeigegott werben, um biefe entfcheibetibe Xgatfacge fetbft, 
auf welche et fid) erft gtäuben fott, übet jebe Anfechtung ginau# 
ju erheben. 3nbeh Wirb biefe Schwierigkeit überall faum Don 
irgenb einem Sgftem befeitigt werben tonnen. Xenn auch, 
wenn man bie ©öttlicgleit bet Offenbarung oon ihrer eigenen 
Au#fage ^erteiten Witt, bleibt biefe petitio principii, unb wenn 
man fte au# bet ©oßfommengeit ihre# 3 «hatte# beweifen Witt, 
Wirb man fidg leicht in unbequeme Debatten mit alten mög« 
liehen Parteien oerwidetn; e# wirb ba ber ßtaturforfeger unb 
auch ber §iftoriter manche unbequeme Srage ju ftetten haben. 
Xgoma# nun befchräntt bie göttliche Offenbarung nicht etwa 
auf bie ©ibel unb bie erften Sircgenoäter; nein, junäd)ft unb 
oor Altem haben wir fie in ber gefammten Bcgre ber Kircge 
oor ui#; ber h e ^ 9 e ©eift hat 51 t alten Beiten gewirtt unb 
wirft noch heute, unb ©i 6 el unb Kircgenoäter finb nur im 
Staube, bie SBagrgeit biefe# Xogma# burch ihre Autorität ju 
belräftigen. 

©Sir fehen, auf welchen Set# biefer SJlann bie Sunbamente 
ber fatgoüfcgen Kirche begrünbet. Sie ruhen einzig unb allein 
auf ber unmittelbaren Offenbarung, nicht werben fie getragen 
burch ©ernunftgrünbe unb finb burch fotc^e auch uicht ju er; 
fegüttern. Xamit fteht benn ba# Xogma ba, ganz unbewegt 
unb unberührt oon ben ©eifte#ftrömungen, welche bie SBelt bureg« 
braufen mögen; e# ift ginau#gerüdt weit über bie Sphäre, in 
welcher bie menfcglicge SSernunft ihr SBefen treibt unb gebietet, 
unb ift Oon hier au# auf leine ©Beife ju influiren, wie bcr • 
©urgtijurm auf bem Set#eitanb fiotj unb unbetümmert herab« 
fchaut auf ba# wogenbe HJleer, welche# fid) oon alten Seiten 
gegen ihn heranwätjt. SBenn nur bie Stufen nicht unau#gefe|t 
ba# Sunbament fetbft benagten! 

Xgoma# fetbft hält bie# in ber Xgat für au#gefchtoffen; 
er beftreitet überhaupt bie ÜJiögtidjteit eine# SEBiberfprud^e# 
Zroifcgen ber S3ernunft unb ber Offenbarung. ß# gibt nur eine 
SBagrgeit, unb berfetbe ©ott, welcher fieg in feiner Offenbarung 
unmittelbar zu erfennen gegeben hat, ber gat fich boch auch 
mittelbar in ber SBelt bargeftettt. SßSie tonnte Demnach f e iue 
©rfenntniß gier mit berfeiben bort contraftiren? ©# muß bie 
©Biffenfcgaft im lebten ©runbe ba# Xogma beftätigen. ©Bo ba# 
noch nicht ber Satt ift, ba haben wir ju arbeiten, um zu biefer 
©inficht ju gelangen. SESieber atfo foden luir gezwungen Wer« 
ben, in einer ganz beftimmten ©ahn unb ©icgtuitg ju benlen. 
SSon feinem Stanbpuntt inbeß h fl t ber grojje Schotaftiter un« 
Zweifelhaft Siecht. 

§aben Wir ihm feine ©rämiffen jugegeben, fo werben wir 
ihm auch noch weiter folgen ntüffett, wenn er nämlich bie Slotg« 
wenbigfeit geroorgebt, baß bie natürliche ©emunft bem ©lauben 
}U bienen habe („ut naturalis ratio subserviat fidei“). Xenn, 
wenn bet ©taube um fo oiel ooßlommener un# ju unferm eigeut« 
liehen Bitte fährt, wa# ift ba natürlicher, al# baff bie ©emunft 
ihn ba mit allen Kräften unter {tilgt, fid» in feinen Xienft {teilt? 
Xa# tann uub fotl fie nun auf breierlei SEBeife; 1 . hat fie bie 
00 m ©tauben Oorau#gefegten ©ernunftwahrheiten ju bemottfiri« 
ten, alfo 5 . ©. beu Sag üom jureiegenben ©ruube. Xiefe SBagr 
geiten fetbft allcrbing# ftammen nach Xgoma# wieber nicht au# 
ihr, foubem finb offenbart 2 . muh fie bie ©laubenSwagrgeiten 
erläutern unb 3. hat fie bie ©egner ber djriftlicgen Sehre ju 
wiberlegen. ©Bit fegen, eine ebte Stoße ift biefer Herrin auf bem 
©ebiete be# Xenlen# gier in tegter Sinie ju Xgeil geworben; 
babei Wirb fie aßerbing# laum in bie Sage lommen fönnen, etwa 
gelegentlich mit unbequemen Sragen ju geniren. 

Xie Xaftif im fßotemifiren mit ben ©egnern wirb fobann 
Oon Xgoma# in ganz meiftergafter SSeife angegeben, ©ibt ber 


! 


©egiter bie ©afi# ber Offenbarung ju, fo ift er mit bem Xogma 
ju fcgtagqn;. b?ftrwt?t er, .biefetbe inbeß, fo gat ber Sertreter 
ortgoboje = fatgolifigen ©lauben# nidgt etwa ju üerfuegen, bie 
Sticgtigleit berfelben mit ©ernunftgrünben bartgun zu woßen, 
foubem fid) barauf ju bcfchränfen, bie ffiinwänbe ber ©egner zu 
eutfräften, uad)juweifen, baß ba# Xogma ber ©emunft niegt 
wiberfpriegt. Xaß igm ba# teiegt gelingen wirb, baran zweifelt, 
wie ba# nach bem oorgiit ©ntwidetten burdjau# oerftänblicg *ift, 
Xgoma# nidgt im ©eringften. 

So ftegt ber impofante ©au biefe# Sgftem# in feinen Um« 
riffen gefcgloffen oor un# ba. Xie Seftung fetbft ift gegrünbet 
auf einen unerftürmbaren Set#, feft gingefteßt für bie ©wigleit, 
uneinnehmbar, auf ben fieberen ©runb einer unfehlbaren Offen« 
batung. Xet Bugang 511 biefem Set# aber fofl gebedt werben 
burch bie ©aßifaben unb Safieße, wetcge bie ©emunft zu erriet)« 
ten gat; fie foß bie Angriffe au# igrem eigenen ©ebiet über« 
waegen unb zuriidweifen unb nebenbei ba# Amt einer Sügrerin 
burch bie einzelnen Stäumticgleiten ber Seftung fetbft übernehmen. 
So ift biefe# ©oßwert gegrünbet, einer feinbtiegen ©Bett zum 
Xroß, einheitlich, feft in fi<g zufammengefdjtoffen, mit aßen 3Jtit= 
teln ber ©ertgeibigung Wogt oerfegen. SEBer wagt e#, bagegen 
anzuftürmen? 

Xgoma# gat, um bei bem ©itbe zu bleiben, auch bie einzel¬ 
nen Xgeite be# Seftung#baue# felbft aße noch einmal in feiner 
©Seife feft gegrünbet. @r gat ba# gefammte fatgotifdje Xogma 
mit wunberbarem Sdjarffinn unb großartiger Xiefe in feinem 
Sgftem jufammengefaßt zu einer gefegtoffenen ßingeit. ©ewun« 
bern#wertg ift babei bie geniale Art, wie er e# oerftanben gat, 
au# ben einzelnen zum Xgeil wiberftrebenben Stüden bureg Ab« 
ftumpfung unb Abgtättnng ber ©den unb Spigen ein ardjitetto« 
nifege# ©anje# zu f(gaffen, ©r fetbft gat ba mit ben Seinben ge« 
pläntelt; unb er gat babei ber ©efagung ber Seftung bie zu be« 
folgenbe Xaftif bureg fein ©eifpiet gleich praftifeg oor Augen 
gefügrt. 3 mm er, wo er in ©erlegengeit fommt, ziegt er fieg 
Zurüd auf ben feften unb unbezwingbaren Seifen, auf bie Auto« 
rilät ber göttlichen Offenbarung. 

©# ift überflüffig unb würbe midi gier naturgemäß zu Weit 
fiigren, barzufteßen, Wie er nun ba# fatgolifcge Slogma fetbft ge« 
faßt unb normirt gat. Sßir oermögen auch au# biefem formalen 
©runbriß feine# Sgftem# fegon z«r ©enüge zu erfaffen, worauf 
e# un# eigentlich anfam, wa# Seo XIII. bewogen gat, gerabe 
biefen Sdjotaftifer unb feine fßgilofopgie oon Steuern in ba# ®e« 
tümmet bet fämpfenben ©ewatten unferer Xage gineinzufügren 
al# ben Siepräfentanten unb ben ©orfämpfer für bie römifeg« 
fatgotif^e Kircge. 

2 Bie ungemein feft ift bocg bie Xefenftofteflung, Wetcge er 
einnimmt ben angreifenbeu Srinben gegenüber. Unb noch ein 
Anbere# fommt ginzu! ©Sir gaben gefegen, wetcge untergeorbnete 
Steßung für ben ganzen ©au feine# tgeotogifeg«pgilofopgifcgen 
Sgftem# bocg eigentlich bie ©emunft mit igreu K’inbern, ber 
©gilofopgie unb ben ejcacten SBiffenfcgaften, einnimmt; tgatfäcglicg 
aber ift Xgoma# oon Aquino ueben feinem Segret Albert bem 
©roßen oießeiegt ber wiffenfdjaftlicgfte ©tann be# Dreizehnten Sagt« 
gunbert# gewefen unb gerabe ben ganzen ©orratg pgilofopgifdjer 
unb naturwiffenfdgafttieger Kenntniffe, wie er bamal# gegeben 
war, gat er begerrfegt. ©mpfiegtt fieg bemnaeg einerfeit# bie 
ftrenge ©efcgloffengeit feine# Sgftem# für ben fatgolifcgen Unter« 
riegt, fo liegt anbererfeit# in biefer zweiten Xgatfacge ein nidgt 
minber großer ©orzug für feine ©erwenbung in unferm Sogt' 
gunbert. Xgatfäcglicg ift bocg barin ein Anfporn gegeben, aueg 
in biefer Sticgtung bem oorgefteßten Sbeal naegzueifern, fieg aueg 
geute raögticgft ben Scgag be# oorrätgigen ©Siffen# anzueigneu 
— aßerbing# immer nur im $inblid uuf ba# große ©nbziet unb 
in ber Unterorbnung unter biefe 3^- Sreie unb unbefangene 
Sorfcgung ift bamit naturgemäß au#gefcgtoffen. 

3nbeß barf man eine frembe SBett nidgt mit bem ©taßftab 
ber eigenen meffen. SBenn ber ©roteftanti#mu# ungeginberte 
unb riidfidjtölofe Sreigeit be# Xenfen# al# ba# oberfte ©rincip 
feiner Ueberzeugung feftgält, fo gat ber $afgotici#mu# bocg oon 
jegec ba# ©eftreben gegabt, ©tauben unb Xenfen Oon ©tißionen 


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260 


9it Gegenwart. 


Nr. 43. 


naf einer Storni in einheitlicher Stiftung $n beftimmen. Unb 
eS beruht biefer ©egenfafc wohl auf einer geffif tlif en 3toth= 
wenbigfeit; er hat feine Urfafe in bem Sebürfniß ber SJtenff= 
heit felbft; unmöglich würben ionft biefe beiben gegenüberftehen« 
ben Stiftungen fif fo intaft neben einanber behaupten fönnen. 
Son biefem ©efiftspunfte aus werben wir ber päpftlif en @n= 
cpclica unfere Anerfennuug nift berfagen. @S läßt fif abfolut 
nift beftreiten, baß bie fotholiffe Äirfe bon h eute ernfter, 
tiefer unb gehattbotter ift, als feit langer Beit- @3 gilt bieS 
bom 5ßapfttt)um wie oom SpiScopat; man barf bie Sutie bon 
heute nur mit ber bon früheren Bafwhunberten oergleifen, man 
barf einen beutffen Siffof unfeter Jage nur neben einen 
folfen beS 18. BaljrhunbettS ftetten, um fif hietbon ju über« 
jeugen. B« biefer Stiftung Wirb aber auf ber päpftlife Er¬ 
laß, wenn anberS er jur Ausführung gelangt, wirffam fein. 
@3 ift nofwenbig, bafc au3 bem ©tubium be3 Xponta3 oon 
Aquino heraus ber latholiffe ©leruS fif nof mehr erfüllt mit 
ber 3bee oon ber ©röße unb ber Allgewalt ber römiffdatho« 
liffen Sehre, unb bie3 muff naturgemäß feine Stüdwirfung auf 
bie gefammte latholiffe 9Belt äußern SSenn bie8 nift eben 
ein ©tjmptom bon Auflöfung ift, fo liegt barin gewiffermaßen 
gerabeju eine ©rohung unb eine Art bon §ohn gegen ben ißro- 
teftanti3mu3, gegen beffen gefammte geiftige ©ntroidlung ftitt« 
ffwetgenb nof einmal auSbrüdlif proteftirt wirb mit biefer 
päpftlifen (Snctjclica. lieber unfere ©eifteSheroen, über einen 
Seffing, einen Äant, einen Sode hinweg blicft man nof eins 
mal jurüd in ba3 SJiittelalter hinein, um fif bon bort feinen 
SJtann ju holen. ©aS heißt mit anbern SBorten benn bof, es 
tuirb fortgelämpft! AtterbingS wirb trofcbem bie Beit fommen, 
mo auf ber große toeltbemegenbe ©egeufa$ jwiffen SatholiciS« 
mu3 unb HJroteftantiSmuS bebeutungSloS geworben fein Wirb, wie 
eS ber gatt gewefen ift mit bem jwiff en ^ßapftthum unb $aifer= 
tßum, Welfer bem SJiittelalter feinen ©harafiet unb Snhalt ber« 
ließen hat: wo bie geiftige gortentwidlung ber germaniff «roma-- 
niffen SBelt fif naf neuen ©epftSpunften oottjiehn unb ber 
Strom ber ©ejfifte neue Sahnen einff lagen wirb. 


unb £mtß. 


„firehms ®l)ierleben. w 

Son Carl Dogt. 

SBenn ein großartig angelegtes 28er!, beffen Anffaffung 
nift unbebeutenbe Soften berurfaft, nifts befto Weniger in 
©eutfftanb, baS jwar biele Süfer probucirt unb lieft, aber 
wenige lauft, naf futjen Bahren eine neue Auflage oerlangt, 
für beren ^erftettung Serfaffer unb Verleger leine SJtühe ffeuen, 
fo !ann man ffon aus biefem einzigen Umftanbe ben ©fluß 
Sieben, baß ben Sebürfniffen beS gebilbeten ißublicumS ent« 
fprofen würbe. 

Sei Erff einen bet erften Auflage oon „SreljmS ©hier« 
leben" äußerte if, baß if faft neibiff auf ben Serfaffer fei 
unb wünffen müffe, baS Suf felbft geffrieben ju haben. 
3 efct, wo bie jweite Auflage faft gänjlif bottenbet bor mir 
liegt, benn oon bem jutefjt erffeinenben Sanbe, Welfer bie 
griffe bebanbett, finb ffon jwei Sieferungen beröffentlift, je|t 
fann if wohl fagen, baß if mit ungetrübter ©enugfuung auf 
biefeS 28erf ff aue, baS Bebem, auf bem gaf manne, eine Duette 
reif fter Setehrung ift, bie in todenbfter gorm unb AuSftattung 
geboten wirb. 

Srehm hat ben ©fwerpuntt feines 28er!eS in bie S'unbe 
bon bem Seben unb Treiben ber ©htere gelegt. ©ie auf Sau 
unb ©ntwidtung beS tpieriff en Organismus in feiner ©efanunt« 
heit gegrünbete ©taffipcation unb ©hftematif werben bon ihm 
nur in fo weit berbeigejogen, als fie baS ©erippe bilben muffen, 
weif es bon ben Seff reibungen ber SebenSäußerungen, ber Sitten 
unb ©igenthümtifteiten bet einzelnen Sitten umhüllt wirb. 


Surf Steigung wie Erjiehung war Srehm bietteift bor 
Anbern botpgSWeife ju folfer Stiftung befähigt ©r beruft 
fif mit Steft in ber Sorrebe jut erften Auflage auf feinen 
Sater. Bf bin bem alten ißaftor oon Stentbenborf ein einziges 
SRal in meinem Seben auf ber beutff en Staturforff eroerfammlung 
in SJtainj begegnet. ©3 waren ba einige bemoofle Häupter ber 
Boologie, worunter namentlif Sif tenftein bon Serlin, unb wer 
Süngeren burften mit ihnen gemütljlif im „|>eft" m ©aftet 
über ber Srüde brüben fneipen. „Srehm," fagte Siftenfteiu, 
„fennt jebe ©paßenfamilie feines ©prengelS eben fo gut unb 
bietteift nof beffer, als feine Sfartfinber." — /,3a," Iafte ber 
Sitte unb oerff ob fein ffwarjeS ©ammttäppf en, „baS ift wahr! 
Stber fie fennen auf mif unb wiffen, baß folfe Saigs unb 
ißeljiäger, wie ©u, nift in mein ©ehege tommen bürfenl" — 
„$ml" antwortete Sif tenftein, ber„SJtarber hält fein Steft rein! 
deswegen braufft $u aber nift jeben ©pafcenjüngling, ber 
deinem ft'äppfen ju ©efatten fif eine ffwarje gebet auf bem 
©feite! Waffen läßt, für ein ©ubfpecieS }u ertlären!" — So 
ff ersten bie alten Knaben unb für uns fiel aus biefer Reiter- 
feit bof manfer Sroden heraus, ber uns munben tonnte. 

Sei bem Sater mag unfer Srehm bie finnige unb n«io= 
freubige Seobaf tung beS ZljierlebenS fif angeeignet haben, bie 
freilif bei bem ©ohne fif weiter auSbehnte, als bei bem Sater, 
ber fif faft gänjlif auf bie Sögel beff raufte. Stuf ber weiteren 
Slbftammung mag ihr ©feit jugeffrieben werben, ©in fonber; 
bares Sölffen, biefe ©hüringer, mit ihrer feltfamen SJtiffung 
bon ©entimentalität unb morbenber Bagbluft im ©haradter! 
Salb brift ber eine, halb ber anbere Bng burf unb auf in 
SrehmS Sufe läßt pf bieS öfter fpüren. 

SJtan muß fagen, baß bie urfprüngtifen Anlagen unb 
Stiftungen beS SerfaPerS beS „©hierlebenS" burf feinen eigenen 
SebenSgang bielfältig entwidelt unb geförbert würben. 28ir 
fehen ihn halb an ber ©pifce oon joologiffen ©ärten unb 
Aquarien, halb auf Streifereien unb Sagbjügert naf Storb unb 
©üb, naf Oft unb 2Beft, wie fif ©etegenheit baju bietet. ©aS 
©tubium im t’abinet ift nift feine @afe — auf mag er 
manfe Stößen in abminiftratiber £>infift pf gegeben haben. 
Aber in gelb unb 28atb, auf raftlofer Streife unb unermübtif er 
Bagbhefce ftettt er feinen SJtann eben fo gut, wie bei pnniger 
Selauffung unb finbigem ©püten. S)aS hat uns benn eine 
gütte oon lebenSfriff en ©filberungen gebraft, benen man bei 
jebem SBorte anpeht, baß fie auS eigener Seobaf tung gefföpft, 
baß pe erlebt finb. 23o er oon Anberen holen muß, weit feine 
eigenen ffitfahtungen nift auSreifen, Wenbet er Pf botjug*= 
weife an Seute beSfelben ©flages, wie ben Ißrinjen oon 28ieb, 
b’Aububon, ©euglin unb Anberen; wo bie Seobaftungen bn 
greien nift auSreifen, nimmt er ju ben ©irectoren ber jootogb 
ffen ©ärten feine BuPuft, unter Welfen SobinuS, ber Siet 
erfahrene, obenan fteljt. SDie alten ©fmöfer liegen außerhalb 
feines 2BegeS; ba er ihrer aber juweiten nift entrathen taun, 
benn oft haben fie gut beobaftet unb nof öfter fpielen pe bie 
Stolle einer ffatfen SBürje ober liefern bie mehr tomiffen 
BntetmejjoS, fo muß Ofen bafür h^fatten unb auf ben lann 
man pf oerlaffen. Bf feh e >h n nof bor mir als fleineS, p* 
fammengerunjelteS SJtännfen, in eine gelbe Stantingfade ge= 
fleibet, wie er mit auSgeftredtem Arme eine lange ©honpfeife 
hielt unb meinem Sater unb mir bei einem Sefuf e in Bürif 
fagte: „Bf arbeite täglif aft ©tunben an meiner Statur« 
geffifte unb wenn if einmal, wie burf 3h ren mir übrigens 
fefjr angenehmen Sefuf, eine ©tunbe oerfäume, fo hole if bie« 
fetbe beS anbern ©ageS naf. Aber mehr als aft ©tunben 
täglif fann man bof nift bon mir berlangen!" 

©S ift ein friffer #auf, ber auS bem „©hierleben" uns 
entgegen weht unb ber gewiß baburf unterhalten würbe, baß 
ber Serfaffer jwiff enburf eben jene Streifen unb Steifen maf te, 
weife ber gleifmäßigen Searbeitung bietteift hi« unb ba einigen 
Abbruf gefan, bafür aber auf neuen Anftoß ju freubiger gort« 
feßung gegeben haben mögen. Stifts befto weniger bürfen Wir 
uns billig munbern, baß folfe bebeutenbe Arbeit im gtuffe er« 
halten werben fonnte ohne längere Unterbrefungen. Um biefe 


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Nr. 43. 


Die (Segenwart 


261 


ja behüten, pat ©repm Woplgetpan, fic^ jwei bewährte SRit« 
arbeiter jujugefeüen, Xafcpettberg in §atle unb Oscar ©cpmibt 
in Strasburg, welche fiep in bie wirbellofen liiere fo geteilt 
haben, baß erfterer bie Snfecten, lepterer bie nieberen Xpiere 
ootjugsweife bearbeitet hat Xiefes ganje weite ©ebiet ift ©repmS 
gaep niept; fein lebpaftefteö Sntereffe pat er ben ©äugethieren 
«nb Sögeln jugewenbet, beren ©epanblung ebenfo oiele intereffante 
©eiten bietet, als biejenige ber Snfecten. Sieüeicpt würbe ©repm 
au<h gut getpan haben, für bie nieberen SBirbettpiere, nament 
Tidj bie gifdje, einen ebenfo fadjfunbigen, ftilgewanbten unb auf 
eigene ©eobadjtungen fußenben SRitarbeiter ju fnchen, wie bie 
beiben ©enannten für bie wirbellofen Xpiere — es wüte ihm 
bann wohl nicht begegnet, unter ben Bungenfifdjen ben f<hon feit 
mehreren Sapren in Huftralien entbedten ©eratobuS ju über= 
gehen, ber ohne Steifet bas ältefte, jefct lebenbe SBirbeltpier ift, 
ba biefelbe ©attung ftpon in bem SRufdjelfalfe ber XriaS öor= 
gefunben wirb unb beSpatb ein ganj befonbereS Sntereffe be= 
anfpruept. SieUeidjt auch hätte ©rehm für feine neue Auflage 
einen ©pftematiter wenigstens ju SRatpe jiepen fotten, ber ihn 
oerpinbert hätte, bie ©euteithiere unb Kloafentpiere, bie hoch 
ohne Stoeifel bie nieberften ©äugethiere finb unb a(s fotdje auch 
jefct oon Sebermann angefehen werben, nach alter SBeife ihrer 
Italien wegen über bie fmftpiere unb etwa in bie SRitte ber 
Klaffe ber ©äugethiere ju fteüen. 

Hber baS ftnb nur Heine unb gegenüber bem großen ©anjen, 
baS uns in fo fdjöner unb ooüenbeter SBeife in bem „Xpterleben" 
geboten wirb, wenig wiegenbe HuSftellungen, Welche ich vielleicht 
nur beShalb anführe, weil ich bem Serfaffer jeigen möchte, mit 
welch »armem Sntereffe ich fein ©u<h gelefen unb ftubirt habe 
unb Wie beforgt ich um bie weitere ßubinft feines SBerfeS bin, 
baS ohne Bweifel noch manche Huflagen erleben wirb. 

Sn mancher ©ejiepung fiel bem ©earbeiter bet Snfecten, 
Xaufenbfüße unb ©pinnentpiere, f?erra Xafcpenberg, bie leichtefte 
Hufgabe ju. X>er $au8palt ber Snfecten namentlich bietet fo 
oiel ©igentpümticpeS, ja felbft grembartigeS, feine ©eobachtung 
hat fo biele Seobadjter erften SRangeS befchäftigt unb bie ©e= 
jiepungen ju ber menfdjlidjen Oefonomie finb fo mannigfaltig 
unb bon fo ungemeiner SBicptigfeit, baß bie HuSwapl intereffanter 
unb belehrenber ©egenftänbe fchwieriger fdjeint, als bie ©e« 
Schaffung beS SRaterialS. ©inem fo bewanberten Kenner ber 
Snfectenwelt, wie Xafcpenberg es ift, (onnte es auch nicht fdjwer 
fallen, aus eigenem ©eobadjtungSfcipape viel fReueS bon SBerth 
mitptheilen. Schwieriger fchon geftaltete fich bie Hufgabe in 
©ejiepung auf bie nötbige ©efchräntung in ©ejiepung auf baS 
fqftematifcpe X>etail. ©in SBirbelthier, Säugetier, Sogei, grofep 
ober gifcp fteht bem Baien fchon näher — berfelbe lennt aus 
ber eigenen Serwanbtfchaft bie Xpeile, bie man ihm nennt unb 
fann fich bon benfelben eine genügenbe SorfteDung machen, 
währenb bie Organe beS Snfects, ber ©pinne ihn frembartig 
amnuthen unb bas richtige Serftänbniß ber Organifation nur 
fdjwierig bei ihm erwedt werben (ann. Xafcpenberg fepeint uns 
mit richtigem ©efüpl bie ©renje erlannt p haben, bie ihm in 
biefer ©ejieljung geftattet War; ber Befer wirb nicht burch bie 
SRenge beS XetailS, welches bie Snfectenfunbe oerlangt, ermübet 
unb baS. ©egebene genügt, bie Unterfcpiebe ber einzelnen Orb: 
nungen, gamilien, ©attungen unb Hrten ju erfaffen. 

X)en fchwierigften ©tanb mochte wohl unfer greunb, Oscar 
©chmibt in ©traßburg, haben, bem bie übrigen mirbeltofen 
Xpiere jugefaüen finb. ©inestpeils eine erbrüdenbe SRenge ber 
oerfepiebenartigften Xtjpen, um fo frembartiger, je weiter fie fich 
oon bem SRenfdjen entfernen, p beren Kenntniß es nöthig ift, 
tiefer in bie ©injelpeiten ber anatomifchen ©tructur einjugepen; 
anberntheils häufig nur pöcpft fragmentarifcheS SBiffen oon bem 
Beben unb bem $auSpalt biefer nieberen SBefen, bie fich oft 
burch 'hre Kleinheit ober burch ihre SBopnfipe in ben Xiefen 
ber ©ewäffer anpaltenben ©eobaeptungen entziehen, ©rft in 
neuefter 3«it haben fich bie gorfeper, unterftüfct burch hie je|t 
überall eingerichteten Saboratorien unb joologifdjen ©tationen 
am SReereSufer, biefem Selbe ber fRaturfunbe mit größerem 
©ifer pgewenbet. ©chmibt, ber wie wenig Hnbere bie SReere 


um ©uropa unterfudjt hat auf vielfältigen fReifen, bie er p 
biefem 3wede unternahm, hat in biefer ©ejiehung befonberS aus 
ber reichen Quelle bet joologifchen Station in SReapel gefdjöpft, 
bie oon Dr. 8t. Xoprn aus Stettin mit bebeutenben petfönlidjen 
Opfern gegrünbet würbe unb burch ihre großen, bem fßublicunt 
geöffneten ©eden unb Hquarien, in welchen bie meiften Xpiere 
fich wie ju $aufe befinben, ju folgen ©tubien befonberS geeignet 
erfcheint. 8lnbete SInftalten mögen ju gorfepmtgen über Hnatomie 
unb ©ntmidlungSgeftpicpte ber ©eethiere ebenfo geeignetes 3R a- 
terial bieten, als bie ©tation in ber SiÜa reale; biefe aber fteht 
unerreicht ba, wenn eS ftch barum hanbett, bie SReertljiere währenb 
längerer 3«t in ihrem Schaffen unb Xreiben ju beobachten. 

©rehm hat ben unoergleichlichm Sorttjeit gehabt, ju feinem 
Xhirrleben in bem Sorfteljer beS ©ibliographif^en SnftitutS, 
$errn SReper, einen Serleger ju finben, ber feine Soften gefdjeut 
hat, um in technifcher unb fünftterifcher ^inficht bem ©uche eine 
SluSftattung ju geben, bie bon feiner anbent übertroffen wirb. 
3u ber erften Huflage waren einerfeitS Hbbilbungen oon SBoob, 
ber in ©ejiehung auf ©äugethiere ootanging, benufct worben, 
anbererfeitS hatte Stob. Äretfcpmer eine SDtenge oon oortrefflichen 
§otjf<hnitten geliefert. Sielen biefer lepteren aber fap man an, 
ba| fie nicht nach bem Beben, fonbem nur nach ber Statur, b. f). 
nach auSgeftopften ober in SBeingeift aufbewahrten ©jemplaren 
gefertigt Waren, ffretfehmer hatte, bei vielleicht etwas mangels 
haftet tedjnifdjer HuSführung in einjelnen Xpeilen, ein feines 
©efühl für Sanbfchaft unb fünftlerifche ©ompofition unb einige 
ber großen Xafein, bie er als jufammenfaffenbe ©timmungS; 
bilber auSgeführt hat, finb wirflich meifterhaft ju nennen. 3« 
technifcper HuSführung bet ffiinjelfiguren fteht ihm aber ber 
heutige 3eidjner ber SBirbelthiere, ©. SDtüpetl, weit ooran. ©S 
ift eine wahre greube, bie Hbbilbungen biefe« fachbegabten 
ÄünftlerS, ber bie meinen neuen giguren ber jweiten 8luflage 
gefertigt hat, ftetS oon Steuern wieber bem Huge oorjufüljren. 
®aS Beben, welches in biefen ©ilbern fo feljr anfpriept unb ber 
©enauigfeit ber 3«üf)nung burcpauS feinen ©intrag tput, biefe 
Oielmepr pebt unb förbert, ift niept auS SRufeen unb ©alerien, 
fonbem in ber freien Statur ben einpeimifepen unb in Xpier= 
gärten, Xerrarien unb Hquarien ben fremben Xpieren abgelaufcpt 
worben. Ueberafl fa|t SRüpeU ben fpecififdjen ©parafter mit 
großer ©cpärfe auf, um ipn mit gut gewählten SOtitteln jur @t= 
fepeinung p bringen. 

©mit ©cpmibt, welcher bie ©liebertpiere, unb Sopanna 
©cpmibt, bie im Hquarium oon Steapel bie nieberen ©eetpiere 
gejeiepnet paben, finb gegen bie ©ilbner oon pöperen SBirbel« 
tpieren infofern im Stadjtpeile, als fie benfelben feinen Hu8= 
brud oerleipen fönnen, welcher bie Sorgänge beS inneren ©eelen= 
lebenS einigermaßen jur Hnfcpauung bringt, greilicp ift biefe« 
©eelenleben um fo geringer, je tiefer man in ber Xpierreipe 
pinabfteigt, aber immerhin ift es oorpanben, wenn auep nur in 
ben leifeften Hnfängen. SDticpelet pat in feinem fonft oerfeplten 
©uepe „baS Snfect" mit Stecpt barauf aufmerffam gemaept, baß 
ein &äfer, eine Bibeüe genau baSfelbe ©eftept jeigt, mag baS 
Xpiet nun ©cpmerj ober greube empfinben — es iß eine ftarre 
ÜRaSfe, hinter weldper fiep bie feelifcpen Sorgänge abfpielen. 
©enauer betrachtet, laffen fiep ja alle Hffecte nur burep bie ©e= 
wegung erratpen, welcpe ipnen als Steftej bient — beim SRenfdjen 
unb ben meiften ©äugethieren allein finb es bie SRuSfeln beS 
©eficptcS, welcpe oorjugSweife ben SRaßftab bilben, an ben wir 
uns palten. Hber fepon bei ben Sögeln Wirb eS anbetS; ber 
HuSbrud ber ©efüple fommt mepr unb mepr in bie ©liebmaßen, 
in bie ^autmuSfeln beS S’ötperS unb fepon bei ben gifepen ift 
es unmöglich, bei einem opne ©eigabe gejeiepneten Hai j. ©. 
ju unterfepeiben, ob er fiep auS ©cpmerj frümmt ober ob ipm 
bet 3eidji«r bie Krümmungen nur gegeben pat, um ben ipm ju= 
gewiefenen Staum niept ju überf^reiten. ®aS gibt unter allen 
Umftänben ben Hbbilbungen ben anberen Xpieren etwas SeblofeS, 
unb biefe« ©inbrudeS fann ber ©efepauer, ber niept tiefer in 
bie Sitten biefer Xpiete eingebrungen ift, fidp niept leiept et= 
wepren. ffler niept weiß, baß ber grofep feinen ©cpmerj ba= 
burep auSbrüdt, baß er bie Hugeu tief in ipre $öplen juriid: 


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262 


jD i c Gegenwart. 


Nr. 43. 


jießt, wirb einem grofeh mit cingejognen Augen niemals biefeS 
@efüf)l anfeljcn unb trofc ber oielfachen Sufthörner unb Beine 
luirb bie ©eftalt eines ÄrebfeS, fei fte noch fo richtig unb aus* 
brudSOoll gejeichnet, bocf) bem Befchauer nicht fagen, ob ber 

Hummer im Kampfe mit feines ©leiden ift ober nur einen be* 
t)aglicf)en Spajiergang macht. Hanbelt eS fid) nun gar um 
Darfteöung folget niebriger Spiere, wo ^ö(|ft langfame Auf* 
bläljungen unb gleitenbe Bewegungen allein baS Seben Cerrattien, 
fo ift für bett Seifner jebe Anftrengung, eine Situation JU oer* 
gegenwärtigen, OoHlommen refnltatloS — er tann nur bie 
äußere ©eftaltung jur Anfcßauung bringen unb babei baS Ber* 
ftänbniß ber Drganifation bcSfetben betätigen. Das ift aber 
oon ben ©enannten geleiftet unb i^re Arbeiten gehören }u 
bem Beften, Was wir befifeen. 

Die BerlagStjanblung f)at meßr als ißre ^fließt getßan. 

Sie hätte fid) fagen fönnen, baß baS publicum feine 3uftieben= 
fjeit mit ber AuSftattung beS SBerleS burd) ben Anlauf ber 

erfteit Stuftage bewiefen f)abc unb fid) in 3olge biefeS leisten 
BlaifonnementS barauf befcßränlen fönnen, einige neue ^oljfd^nitte 
beijufügen; fie h«t eS oorgejogert, ben ganjen fünftlerifdjen 
Apparat umjugeftatten. SEBeitn id) jum Beifpiel bei ©etegenfjeit 
beS oerhältnißmäßig fteinen AbfdjnitteS, ber bie Scßilbtröten be* 
banbeit, üoit fieben Hotjfd)nitten ber erfteit Auflage nur üiet 
beibebaiten, brei burd) neue, beffer nach bem Seben gearbeitete 
erfefct unb außerbem nodj mehr als baS doppelte neuer Abbil* 
buugen jugefügt fe^e, fo fagc id) mir, ber id) mich folgen 

Dingen einigermaßen befannt bin, baß ber Berleger ben über 
bem Sßcrfe fetbft geWadjfcnen Anfpriidjen beS BerfafferS in jeber 
BBeife nachgelommen fein muß unb baß alle Betbeiligten burch 
bie SBabl ber auSfübrenben, fünftlerifcben Steifte unb beren An* 
leitung bewiefen haben, mit welcher Straft fie ihre Stufgabe erfaßten. 

BJian bat mit 3ted)t gejagt, baß leine anbere Siteratur ein 
ähnliches SBerf befijje. @S gibt eine BJienge 5ßra<htwerle über 
einzelne Sänbergebiete, eS gibt mehr ober minber iHuftrirte 
Utaturgefchidhten in ÜJtenge, für biefe ober jene Schicht beS 
lefenben ober ftubirenben BublicumS berechnet; eS gibt, fo oiel 
ich Weiß, feines, welches in würbiger SSeife, allen Anfprücßen 
ber SBiffenfchaft unb ber Sunft jugleid) Btedjnung tragenb, Seben, 
Sitten unb ©ewoßnheiten ber ganjen über unfere ©rbe oer* 
breiteten Dt)ierwelt in einen ©efammtrahmeu bereinigte. ©S 
Wäre banal, SßeitereS junt Sobe beS BucheS anjufüßren ober 
iljm Sleinigfeiten am Beuge ju fliden, bie fich immer fittben 
taffen, Sladiläffigteiten in Stil unb ber AuSbrudSweife, bie 
übrigens ber Berfaffer fchon bielfach in ber jweiten Stuflage 
auSgemerjt hat — fo wie eS ift unb in feiner jweiten Stuflage 
geworben ift, gehört eS jum HauSfchaße unfcrcS BolfeS unb be* 
weift, burd) ben ffirfolg, ben eS aufjuweifen hat, ben hohen ©rab 
bon Dichtung, welchen Deutfcßlanb ben Blaturftubien jotlt. 


ffubwig Spach fntn ®e&«d)tm|t. 

Bon (friebricf) oon Weedj. 

Bon ben Scannern, welche beutfehen ©eift unb beutfdjeS 
SBiffen im ©(faß auch unter franjöfifdjcr ^errfefjaft mit Siehe 
unb Berftänbniß gepflegt haben, ift in Snbwig Spach ju 
Strasburg am 16. Dctobcr b. 8- einer ber h cr öorragenbfien 
geftorben. Am 8. BloOember wäre er 79 Saßre alt geworben; 
feinem AuSfeßen nach hätte man ihn Wohl für noch älter hatten 
fönnen, in bem jarten unb gebrechlichen ftörper aber lebte eine 
Seele, bie fich Äraft unb Blüftigleit ber 3 u genb bewahrt hatte. 
Brofcbem war er freigebig mit lauten Stagen über bie Saft beS 
©reifenatterS, bie ihn nieberbrüdte, unb über baS ©efühl, nicht 
mehr wie in früheren fahren arbeiten ju fönnen. ©S war 
wenn er fo fpradj, nicht fdjWer, ihn ju Wiberlegen, benn ihm 
blieb bis in feine testen SebenSjaßre eine jjäßigleit, rafch nnb 
leidht titerarifch ju probuciren, erhalten, um bie Wir Süngereit 
allen ®nla& hatten, ihn ju beneiben. 


$iefe Stagen waren jubem nicht oon neuem ®atum; fchon 
als ich ©pa<h fennen lernte, in ben 1860er fahren, fteHte er 
biefetbe ungerechte Behauptung auf. HJleine Bejiehungen ju ihm 
rührten oon einer Befpredjung feiner „Biographies Alsaciennes“ 
her, bie ich ber SBochenauSgabe ber „Allgemeinen Seitung" 
oeröffciitlichte, welche bamalS 3Jlorih fjartmann rebigirte. Sebe 
Anerfennung feines SBirtenS, bie er in ®eutf<hlanb fanb, freute 
ben alten |>errn boppett, unb fo lag ihm benn auch batan, ju 
erfahren, wer ber 3tecenfent biefeS BucheS gewefen. SWorip 
$artmann refpectirte baS SRebactionSgeheimnifj unb fc^icfte mir, 
bei einem Befudje in SarlSruhe, jene Anfrage mit, ich h°tte 
natürlich leinen ©tunb, meinen Flamen ju üerfdjtpeigen, fchrieb 
ein paar SBorte nach Stra|burg, unb oon ba an haben wir in 
einer 3war nicht regelmäßigen, aber auch uie Wieber ganj er= 
lofcßenen Sonefponbenj geftanben. Unfere perfönliche Befannt^ 
fdwft oermittelte ein paar Saßre fpäter grau Shcrefe Blobinfon, 
jene intereffante alte ®ame, bie in ihrer 3ugenb unter bem 
Blamen SEaioj bie ferbifchen BolfSlieber inS ®eutfd)e übertragen, 
unb bafür noch beS greifen ©oethe lobenbe Anerlennung ge= 
fuitben hatte. Später mit bem berühmten Baläftina = gorfcher 
Blobinfon oermählt unb nach Amerifa überfiebelt, war fie nach 
beffen 2obe Wieber nach ®eutfct)tanb gelommen unb oerbrachte 
einen SBinter in Karlsruhe, um in bet Blähe ihres SohneS ju 
(eben, ber amerilanifcher ©onful in Straßburg war. 2>ort hatte 
fie nicht bleiben mögen; ber patriotifchen beutfehen ffrau war 
eS unerträglich, bie alte beutfdje Stabt unter franjöfifchem 
Blegime ju fehen. 3n Straßburg hatte fie Spach lennen lernen 
unb bie beiben alten Seute hatten fid) fehr befreunbet. Spach 
fdiä^te grou Blobinfon auch als Sc^riftfteHerin fehr hoch» unb in 
ber Ußat oerbienen auch bie anjießenben Blomane unb BloOetten, 
bie fie — alle unter bem Blamen Haloj — bis in ihr hohe* 
Atter fchrieb, bie Bergeffcnljeit nicht, in bie fie geratljen ju fein 
fdjeinen. ®urch 5rau Slobinfon atfo lernte id) bei einem lurjcn 
Aufenthalte in Babetu Baben Spach pcrfönlid) lennen, unb bie 
Hochachtung unb Berehrung, bie ich für ben Sdjtiftfteller em= 
pfnnbcn, burfte ich uun ganj unb ootl auf ben BJlettfchen 
übertragen. 

Seine äußere ©rfdjeinung erinnerte etwas an baS ancicn 
rugime. SabelloS gelleibet, mit weißer Halöbinbe, baS hagere 
©eficht glatt rafirt, tonnte er ebenfo gut für einen tßaftor als 
für einen Diplomaten gehalten Werben. Unb oon Beiben war 
auch etwas in feinem ganjen SBefen. ©r War ein Blann üoit 
pofitio lircßlicher ©efinnung, aber ohne jebe Spur oon ffanatiS- 
muS, ißrotefiant, aber in latholifcßen Berhältniffen fehr Wohl 
orientirt, in feiner AuSbrudSweife mitb unb WohtWoQenb, jurüd= 
haltenb unb oorfichtig. @r lebte unb Webte noch in ber Bot* 
fteltung, bie freilich feit bem Blheinlärm, ben Dh* et8 * n ben 
40er fahren angejettelt hatte, antiquirt war, baß ber Gtfaß 
berufen fei, bie jwei großen Stationen, Deutfcße unb Öranjofen, 
burch bie pflege ber gemeinfamen geiftigen ©fiter ju oerföhnen, 
baS BJlebium ju fein, burd) welches jebe oon ber anbern erhalte, 
was ihr fehle, um bagegen oon bem ergänjenb abjugeben, an 
bem fie Ueberfluß ^abe. S^weren HerjenS nur ließ er ftd} 
überjeugen, baß eine folche BJliffion wenig ©hancen habe in 
einer 3«it, ba bie Bteüandje für „SaboWa" bie fßarole War 
welche bie öffentliche BJteinung in ffranfreich unb auch iw ®lfaß 
bcherrfchte. Sch meine ben flagenben Don feiner wohldingenben 
Stimme noch ju hb«n, wie er auf einem Spajiergang in ber 
Sichtenthaler Aüee oon bem Kummer fprach, mit bem ißn ber 
©ebanle an einen ®rieg jwifchen Deutfchlanb unb 2franlteid) 
erfülle. 

SBie oft mußte ich feinet SEBorte wäßrenb ber Belagerung 
oon Straßburg benten! ©S war baljer nichts natürlicher, als 
baß ich am Dage nach ber Gapitulation meine Schritte juerft 
nach ber SBlairie lenfte, in beren auSgebeljnten Baulichleiten 
feine 2Bol)nung ftch befanb, bie er als Arcßioar beS Unttrelfaß 
inne h Q Ue. Unb eS war mir ein Droft, ju höt«n, baß ber 
alte H erc ©elegenheit gefunben hatte, fchon in ben erften Dagen 
ber Befdjießmtg, nadjbem er bie Schäle feines ArchioS geborgen, 
mit einem ©rlaubnißfdjein ber Belagerer ben Scßreden beS 


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Nr. 43. 


Sic ©cgenwnrt. 


263 


Sombarbementg gu entrinnen unb in Sabcn;©abcu eine fixere l 
3ußucptSftatte gu finben. 

90?it großer Gntfcpiebenpcit — mit Diel größerer als man 
bon feiner im 9Ißgemeinen etwas ängftlicpen Sinnesart er; 
warten tonnte — fteflte fiep Spacp naep bem SRüdfafl beS 
GlfaffeS an Deutfcplanb auf bie beutfd;e Seite. Gr pat feinen • 
Slugenblid gegögert, feiner Uebergeugung WuSbrud gu geben, baß ' 
bie neuen ©erpättniffe bauernbe fein merben. ©on feinen gapl; j 
reichen ftreunben in ffrantreiep, noep mepr bon feinen frangößfep 
gefilmten SanbSleuten, ttmrbe er barnm biet angefeinbet, ja j 
fetbft feftr fcpmerglitpe unb beleibigenbe Sränlungen bon ©erfonen, t 
bie ipm nape geftanben Ratten unb Danl ßputbig roaren, blieben 
if)m niept erfpart. Gr empfanb fie bitter, aber et ertrug fie 
mit 9tefignation. Gr war fief» bewußt, baS SRicptige getpan gu 
|aben, ben 2Beg gegangen gu fein, ben baS Urtpeil beS SEBelt; 
geritztes feinem Sanbe oorgegeiepnet patte. 

3Benn er früher — uugweifelpaft boit bem Streben geleitet, 
fein ganj auf bem ©oben beutfdjer SBiffenfcpaft erwacpfeneS 

SBiffen unb Sonnen audj für bie beS Deutfcpen Unlunbigen nup- 
bar gu maepen — meift in frangöfifeper Spraye gefeprieben, fo 
fdjtieb er bon nun an bie überaus gaplreicpen größeren unb 

lleinereu 2luffape, bie er feit 1870 ueröffentlicpte, in beutfeper 
Spraye, bie er cbenfo wie bie frangöfifepe atS üJteifter beperrfdjte. 
Sei ber überwiegenben 3apt ber geuidetouS, bie er in ber 
„Straßburger 3eitung" erfdjeinen ließ, war feine Slbfiept erlenn; 
bar, bie beutfepen Sefcr über etfäffijcpe 3 l *ftänbe gu orientiren, 
utfb bie atptungSmertpen Seiftungen, weltpe bie ©ergangenpeit 
beS SanbeS unter frangöfifeper ^perrfefjaft aufguweifen pat, in bie 
SBagfepate gu legen, in ber bie neue ^Regierung bie ©efepide 

beS GlfaffeS abwog. 

DaS größere publicum intereffirt wenig gu wiffen, baß er 
ein fept fleißiger unb forgfältiger Wrcpioar gewefen, aber wer 
feine Dielen unb fcpöneit GffapS unb Siograppien lieft, wirb er; 
tennen, baß fie aufgebaut finb auf bem folibeit ©ruube origi; 
naler unb metpobifeper gorfdjung. 

2 Bic er in meiner Grinitcruitg lebt: ein geiftreieper unb 

liebenSwürbiger 3JJann, Don Dornepmer DenlungSart, Dotl Söopl; 
tooüen unb greunbliepfcit für ^ben, ber ipm näper trat, Der; 
binbliep unb gefällig auep gegen ben ferner Stepcnbcn, ein 
tüeptiger unb gewiffenpafter Beamter, ein eifriger fforfeper, ein 
eleganter Stilift, ein überaus probuctioer Sepriftftefler, jo wirb 
fein Silb im Glfaß fortleben unb in ben literarijdjen Steifen 
DeutfeplanbS unb SrranlreiepS unoergeffen bleiben. Unb bie be¬ 
gonnenen ffrangofen merben fein Slnbenfen barum niept weniger 
in Gpren palten, weil wir ®entfdjen gu bem Sorbeer, ben wir 
bem ©eteprten unb bem Siteraten guerlemten, auf fein frifepeS 
©rab aud) noep ben Giepentrang legen, mit bem mir bie Ser; 
bienfte beS Patrioten belopiten. 


Anzengruber als ©rjäßler. 

ii. 

Sntereffant finb ade bie ©auerngefepiepten, bie 9tngengruber 
gl# „Dorfgänge" gufammengefteßt pat, wenn and) niept gleidj; 
toertpig. 3«*“ ©lüd für ben Diepter. Denn biefe ©erfepieben; 
peit im SSBertpe meift gugleiep bie ftetigen ffortfepritte auf, bie 
Slnjengruber als Diepter überhaupt unb befoitberS in ber Sun ft j 
beS GrjäplenS gemaept pat. 

SRan erleuitt gwar fepon in ber fteinen ©efepitpte aus bem 
3apre 1868, „Die ©otice", benfelben Sepriftftefler, ber gepn 
3apre batauf uns ergäplen wirb, „wie ber gilbet ungläubig 
warb" unb wie Sofob ben lieben Herrgott überliftet. Slber 
wie glüdliep paben fiep in biefen fpäteren Grgäplungett bie Seime, 
bie Wir in ben Sugenbgefepicpten peröorbrecpen fepeit, entwiefett! 
3n jenen lünbigt fiep ein bicl üerpeißenbcS Talent uns an, auS 
biefen fpriept ein auSgereifteS. 2lnjengruberS Seobacptung ber; 
tieft fiep immer mept. Seine Slnfipauungeit gewinnen mit ben ' 


Sapren eine immer ftärfere Seftigfcit. Sein 93ortrag wirb ju; 
gleiep Inappcr unb eparafteriftijeper. ®ie 2lufga6en, bie et fiep 
fteHt unb bie Probleme, benen er naepforfept, werben bebeuten; 
ber, unb bet ®id)ter mäepft mit feinen pöperen 3weden. 

„2>ie fßolice" — ©efeprung eines alten SünberS burep 
bie anftänbigen ©efinnungen unb ^»anblungen feiner Sieben; 
menfepen — ift, wenn man non einigen fepr gelungenen Ginget; 
peiten abfiept, jcbenfaHS bie unerpebliepfte ©efepiepte ber gangen 
Sammlung. ®a maept eS fiep Slngengruber noep etwas leiept, 
bie SBanblung in ber Sinnesart beS 3Jltnfepen gn fepilbern. 
SEßir müffen eS bem ®iepter auf fein SBort glauben, baß ber 
alte Sünber fiep befeprt, opne baß wir bie ÜRotpwenbigfeit biefeS 
UmfepwungeS empfänben. SBir merben fpäter bei ber ©efpteepung 
ber Grgäplung „2Bie ber |)uber ungläubig warb" gu conftatiren 
bie ©elegenpeit paben, wie Diel bebeutenber, waprer unb origi; 
neßer ber gereifte SJidpter benfelben feelifepen ©roceß, ber fepon 
ben unfertigen reigte, mit bem entgegengefepten SluSgange — 
wenn man ben Sorgang Dom Stanbpunlte ber Sircpe aus be= 
traeptet — nämlitp: bie Sünbigwerbung beS bisper ©läubigen 

— gu Deranfcpaulicpen, unb Wie er unS Don ber ftolgerieptig; 
feit biefeS UmfepwungeS gu überfüpren weiß. 

©iet feffelnber unb Diel tiefer greifenb ift bie gweite ©e= 
\<f)\ä)le Dom „©änfetiefel", bie auep fünf 3ap« fpäter (1873) ent; 
ftanben ift. #ier ift ängeugruber bereits auf ben Sormurf 
geratpen, ber feiner Gigenart am weiften gufagt, unb auf ben 
er mit leiept etlennbaret ©orliebe immer wieber gurüeffommt. 
GS ift eines ber Sapitct aus bem großen ©uepe, baS wir „©auetn; 
glauben unb ©auernppilofoppie" überfepreiben fönnten, — ein 
wunberlidpeS Suep, erfüßt Don bunflem 3weifet unb unbefriebig; 
tem ^»albmiffen. 

GS reigt Slngengruber Dor Slßem, bem ©pilofoppiren beS 
Ungeleprten nacpgufpüren, bem frueptiofen ©riibetn, baS faft 
immer gu einem tragif^en SluSgange füprt. Gr fepitbert uns, 
wie bem ©auern, ber in feiner ®orffepule fo ungefäpr lefen 
nnb fepreiben unb Diel beffer bie 2Bunber= unb ^ciligengefcpiepten 
erlernt pat, in einer Ipätigleit, bie leine befonbere förperlicpe 
unb gar leine geiftige 9lnfirengung beanfpru^t — etwa beim 
§iiten ber Scpafe unb Süpe — burtp bie ©eobatptung ber Statur 
unter ©otteS freiem Fimmel aßerpanb Iraufe Stagen auf; 
gebrängt werben, bie ipm burdp ben Sopf gepen unb bie er 
niept beantworten lann. GS ift natürlidp. Sinber unb Un; 
mijfenbe Derfaflen gewöpnlicp auf folcpe Stagen, Dor benen ber 
©erftanb ber ©erftänbigen ratploS ftepen bleibt. ®ie gcwaltigften 
unb unlösbaren ©robleme, alfo etwa bie Slartegung ber ©e= 
griffe beS SlnfangS nnb GnbeS, ber Unermeßlicpfcit beS fRaumeS, 
ber Unfterblicpleit ber Seele, ber 2lflmaipt unb 2lflgegenwart 
©otteS unb bergleicpen, — baS finb bie SRätpfel, bie ber grübetnbe 
Scpafpirt, wäptenb er medpanifep fDtafdpe an ßRnftpe beS großen 
Strumpfes ftrirft, auf feine SJBeife Derftepen unb ergrünben Wifl. 
Gr felbft madpt es wopt laum tlar; er weiß niept, wo er ben 
§ebel anfepen foß, um bie Saft Don ©erworrenpeit, Don ^alb; 
wiffen unb Unwiffen, bie ferner auf feinem ©epirn rupt, gu 
peben. GS feplt ipm tlßeS bagu; er lennt niept einmal bie 
bürftigften unb ungulängtiepften Sepulbegriffe, bie ben Unter; 
riepteteren gu ber entmutpigenben Ginfiept füpren, „baß wir 
nieptS wiffen lönnen". Gr empfinbet eben nur ben offenbaren 
SBibcrfpruep jwifipen bem, was baS tluge fiept, ber ©erftanb 
begreift, unb bem, waS bie GinbilbungSlraft gu oerpeißen fepeint 
unb ber ©laube teprt. 

S)ie ©änfeliefet ift fo ein ©aucmlinb — eine finnige 
9tatur; unb bieS Sinnen ift ipr ©etberben. SBäprenb fie bie 
©änfe ptttet, blieft ße gu ben SBollen auf, beren f?arbe unb 
gorm weepfetn, bie halb träge Derparren, halb im Sluge fegetn 

— unb ße fragt ßep: Wogu baS? Unb ©ott, Don ber man ipr 
ergäplt pat, baß er im §immel broben ift? Unb ipr Scpup; 
engel, ber fie neulitp, wie ipr bie SRutter gefagt, gepalten pat, 

— fonß wäre fie ßdperlitp bie große ©obentreppe pinunterge; 
faßen? SE3aS unb wogu ift baS? 9Jlan pat fie auf bie Scpule 
Dertröftet. Da erfäprt fie auep nieptS. Da pat man ipr wieber 
gejagt, am Dage ber erften Gommunion, wenu fie ben Sörper 


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264 


JBie ®fg*nmart 


Nr. 43. 


beS Herrn genickt, böitn Werbe ißr SltteS Kar werben, bann 
werbe fie öerfteßen lernen, weSßatb bie ^flan&en blühen, bie 
Sögel tarnten, bie Sonne feßeint. 

Unb am Himmel begann $u rötßen unb bie ©öglein erwachten 
unb begannen i^r lärmenbeS Sotgengefcßrei unb bie ©räjer Rüttelten 
ben Xßau non ßcß. Unb Wiefel fab all’ baS freunblicb mit ihren braunen 
klugen unb lacbte: „9ßa, märtet nur, batb joEt Sßr mir faßen, wie 
Sßr Reifet unb woju Sßr auf ber Seit feib." 

©ei ber testen Hütte, unten am Hügel, fuhr gar ber Hnnb an bem 
Saune beS $ofed hinter ben Äinbern, bie ihn neeften, ßet unb bellte 
mütbenb. 

liefet, ald bie fiepte, ftettte fleh oor ben 8 fl nn unb lachte gar bell 
auf, fo baß ber Hnnb barüber beruhigter fein ©eilen einftellte unb 
leife fnurrte. 

„Satf nur, Sultel," fagte fie luftig, „halb foEß mir fagen, Was 
5)u auf und gefeßimpft ^aft— $>er Hunb, non ber freunblidjen 2lb- 
ficht ber Sprecherin überzeugt, gähnte unb reefte bie Hinterbeine non 
ficb unb mebelte. 

©obalb fte ba$ ®otteSbrob empfangen ßat, tauft fie in 
ben SBatb. 

inmitten beS grünen SiefenßedS ftanb fiiejel unb ihr Keines H e rj 
Köpfte ftürmifeß. ©«hon brachte es bie Keine Hnnb nach bem Sunbe, 
ben fie bisher gefchloffen gehalten, baS geßeimnißooEe HimmelSbrob 
noch einmal nor’S Kuge $u bringen, aber baS febien ihr Sünbe, fie ließ 
beibe Hänbe ßnlen, fcßloß bie Kugen unb — fchlucfte. 

3n ihr blieb KEeS beim eilten, unb als fte bie Slugen öffnete, ba 
mar ihr mieber ber Salb mie früher, ftumm maren bie ©öglein nicht, 
auch bte $äfet fchmirrten unb bie ©räfer raufchten, aber fie nerftanb 
fie nicht. 

©ott mußte fie nicht lieb haben. 

Unb bie Kugen meit aufgeriffen, mie über etrnaS UnoerftanbeiteS, 
marf fich baS föinb, ju £obe betrübt, ber fiänge nach inS ©raS. 

Unb ber marme Strahl ber Sonne, ber burch baS ©lätterbach auf 
ihre SRußefteEe fchmeichelnb fiel, ber 3)uft ber Äräuter, ihre ©rmübung 
unb oer Hnnget ließen fie halb einfchlummem. 

2)ie S^ve oergehen. Ciefet ift groß unb ftar! geworben, 
aber ein unnüpcS ®ing, eine müßige Iräumertn, bie in bte 
Seite ftarrt unb nicßtS ®efcheibteS üerrichten mag. ©ie wirb 
mißachtet, oerhöhnt unb oerfpottet. Sßr SiffenSbrang ift noch 
immer ungefüllt. ®a eines 2ageS als fie wieber bie feßnatternbe 
©chaar oor fich ßertreibt — ßu Stnberem ift fie ja nid^t ju ge; 
braunen — ßat ben ®infatt, ba ©ott ihr ®ebet nicht er; 
hört ßat, ft<h nun einmal an bie ßeitige SRaria ju wenben. 

3<ß taffe jept 9tnjengruber fetbft frechen unb theile ben 
©chtuß biefer ©efeßießte faft ohne Äürjung ooflftänbig mit. 6S 
läßt fich wicht nacßer$äßten. 2)aS Äunftwer! muß in feiner Un; 
üerfeßrtßeit erhalten bleiben: 

$ort längs ber Seibe führte ein fchmater Steg hinauf, ba ftanb 
ein Sarienbilb. $ort blieb fie flehen unb fah jur Qungfrau mit bem 
Äinbe empor, bann fepte fie fich baoor inS ©raS, pßüdte einige Siefen= 
blumen, $og aus ihrer Scßürje einen gaben, banb einen Strauß, ben 
fie in bie SRifcße $u Süßen beS ©ilbeS legte. 

„Unfer Herrgott ein Samt," fagte fie, „ber oerfteht UnfereiitS 
nicht jo gut, man fann ihm auch nit SlEeS fo fagen, wenn ich mit $)ir 
reben lömtf, möcßi’ oieEeicht noch 2tüeS gut werben. 3ft’S hoch fein 
größer’S Sunber, wenn ber $obe mieber Iebenbig mürb’, mie baß ber 
lebenbige Senfcß fann fterben! Hätteß nichts bagegen, fäme ich h cut ’ 
SRacßt $u 3)ir in bie ftireß’!" 

Sie trieb ihre ©änfe weiter. 

„Sit ihr ßätt’ ich feßon früher reben foEen." 

iübenb marb’S, bie Kirche lag fo ßiE unb frieblich oben auf bem 
Hügel, bie Pforte mar ßalb offen — ber Seßner trat jept ein unb 
fcfjloß baS Xßurmgentach auf, hinter ihm polterten ein paar ©üben ßer= 
ein, bie rooEten baS Slbenbgebet einläuten. 2)er Sitte ließ fie gewähren. 

,,©S iß genug/' fagte er bann ju ben ©üben, bie an bem Stricfe 
baumelten, — noch ein paar Süße mußten fie thun, bann ließen fie eS. 

$aS ©eläute öerftummte, bie fiuft mar mieber ruhig. — Sept frei 
bie ftireßthüre ins Schloß unb ber Schlüfjel brehte fich nnb bie Kirche 
mar oerlaffen. 


fiangfam füeg ber Sonb herauf, einzelne Sterne brannten mie 
geuer, ber Salb raufchte, eS ging ein ßifieS Ktßmen über ©erg nttb 
Xhol. Sn ber Äirche ßel in breiten Streifen baS aRonblidß über bie 
Steinplatten beS ©obenS, burch bte genßer auf ber entgegengefehten 
Seite fah man bie Sterne ßimmern. H^r unb ba glänzte eine ©olb= 
leifte ober treffe im ERonblichte, bort unter ber $an$el maren etliche 
©oüotafeln, bie oon SS&unbern fprachen, oerheißungSreich ßreifte fie bas 
SJtonblicht, baS Oon ben Steinen noch eine Keine Strecfe an ben Sän* 
ben htnauffroch- lief im Schatten unter bem (£h°r hmgen melle Stänje, 
Xobtenfränje. 2)te Hüligen an ben Elitären ftanben rußig unb ßiE — 
befcßaulich. 

Nichts regte ßcß. 

2)och holt! Seßt raufeßte eS unb hob fidj’S in bem großen Kirchen- 
ftußle ganj oorne am Elitäre, eine buitKe ©eftalt trat barauS ßeroor in 
baS Schiff ber Kirche; fie mochte lange 3*it in unbequemer ßage jnge; 
bracht hoben, benn fie jcßüttelte fich nnb ftreefte fich, ols mären ißr Krme 
unb ©eine eingefchlafen, bann faß fie rings um fich nnb feßritt leife auf 
ben 3litar $u, über bem ein gefcßnipteS 2RuttergotteSbilb ßanb. 

„Sept laff* mit 2)ir reben!" 


draußen aber meßte ein feßarfer SBinb plöplicß über bie ©erge ßer, 
unb füßrte im ©efolge ein $eet ßnßerer Sollen herauf, bie beeften bie 
©eftirne unb rüdten bann aEmäßlicß (öS auf ben 3Ronb, unb holten ißn 
ein unb bedten bie ganje @rbe mit aiacßt, — in ber ftireße erlofcßen 
bie leucßtenben Streifen auf ben Ouaberßeinen, bie ©oüotafeln ßingen 
im tiefen Schatten, gleich ben Xobtenhänjen, —- leife begann eS $it 
regnen, eintönig fcßlugen bie tropfen nieber auf ben Scßinbeln ber 
$>äcßer, — im ewigen ©leicßtalte tidte unb tropfte eS, unb baS tag 
meit über bem Sanbe, unb jeber ScßmaE beS 9tegenS, ber nieberßet, gab 
in feiner ©leicßförmigteit einen betäubenben Särm. 

@in gleiches Xropfen, Xtden, binnen, Dutrlen — man oerfteßt ßcß 
fetbft meßt meßr in bem ©eräufcß, bie SRebe oerftummt, baS ©ebet wirb 
ftiEe, nur ßier unb ba macht fid) ein Schelten um jo lauter, als eS 
oßnmäcßtig iß. 

3Rit bem lommenben Sorgen mar baS oorüber, bie ©äume feßüttetten 
ißre regenfeßmeren Häupter, baS ©ras mar faß erträntt, unb am Himmel, 
ber felbft angegriffen feßien, jogen einzelne SBollenfepen baßin. 

2 )er Seßner ging über ben ©lap unb fcßloß bie föircße auf. 

„SefuS Saria!" SBaS mar baS? 3)ie SuttergotteS mar oom Kttar 
oerfeßmunben unb bort tag ©ineS auf ber ©rbe. 

2)er Sann trat näßer. 

2) ie ©änfeliefet mar’S, bie bewußtlos am ©oben lag unb baS 
SuttergotteSbilb im Krm ßotte; bie geßidten, loßbaren Kleiber ber 
Statue lagen oerftreut umßer. 

„SefuS! SefuS!" fagte ber Sann, „waS mirb’S ba gegeben haben?" 
©r rüttelte bie Ohnmächtige unb feßüttete ißr äBeißmaffer ins ©efießt. 

3) ie 2)irne fcßlug bie Wugen auf, bann beutete fie auf baS Surien= 
bilb: „$te ift aueß nur oon Holj!" 

„SlEe Heiligen, ßeßt bem 2>inge bei!" fagte ber Klte, „bie iß ganj 
übergefeßnappt!" 

„$ie iß aueß nur oon Hoty!" 

3)ie öiefel fäEt ißren ©Item nun ganj jur ßaß, tagübet ßarrt ße 
in bie Sollen, mie früher, aber ße frägt nach nichts unb SRacßtS läuft 
fie oft auS unb feßreit: „$te iß oon Holj!'' &oß bie aiacßbarSleute 
barüber oom Scßlaf auffaßren; ba müffen jebeSmal bie Sßren ßerauS 
unb ße mit ©emalt mieber ju ©ette bringen. 

„$aS iß bie Strafe ©otteS für baS $>ing, baS aE’ fein Sebtag* 
fürmiptg mar," meinten einige fromme Seute. 

Hotteß S)ir’S eben aitcß bequem machen foEen auf ber Seit, unb 
naeß nießts fragen ober $ir nicßtS ju H c rjen nehmen foEen, lonnteß 
bann noeß ßeute 3)eine ©änfe hüten, bort unten am ©aeße, bei ben 
©üfeßen, weißt $>u, bei ben ©üfeßen, maS lacßß 2)u benn? — aber 
felbft bie ©änfe ßaß $u oerbotben; frage nur bie Keine gnbitß, bie 
jept bort moßlmeinenb bie ©erte feßmingt: „SoEt ißr benn nie pariten, 
ißr ©ießer!" 


Ueber bie lefcte größere ®efcßicßte biefeS erften ©cmbeS, 
„®iebS;?lnnert", aus bem Saßre 1875, witt tcß nicht eingeßen; 
ber fpreeßen, ba biefetbe unbefeßabet ißrer äußeren Sorjüge feßon 
burdß bie SEBaßt beS Stoff eS nießt geeignet ift, biejenige ©gen; 


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Nr. 43. 


Ute tfegenmctrt. 


265 


fchaft beS VerfafferS, bie mir al§ bie befonbers d)arafteriftifd)e 
erscheint, fo fc^arf heröortreten ju taffen, wie ihm bieS in ben 
festeren @e[d)id|ten ermöglicht ift. SU 8 bichterifcheS 333erl fteljt 
„®iebS: 8 lnnerl" bet @r jäljlung Dom ©änfeliefet teineSwegS nad); 
fte ift fogar reicher in ber ©rfinbung unb ooller im Son. ©inige 
Seobachtungen uttb fReflejionen, roie 5 . 58. bie ©rtlärung beS 
SiebSgetüfieS bei bem Proletariertinbe, fittb Wegen ihrer Schärfe 
unb 3 **treffenbtjeit fehr bemertenSwerth, bie ©chitberungen ber 
anmuthigen unb ergreifenben Situationen jum Xtjeil ganj weiftet* 
haft Sber ber Sßerfaffer hot hie* eben abgelenlt, unb auf allen 
feinen Wahrten Witt ich ih m bieSmal nicht folgen. äJlit ber nach 2 
ften ©efdjichte, bie ben jweiten Sanb eröffnet, lenft er in fein 
eigentliches gahrwaffer Wieber ein. Sa hoben wir wieber ben 
(Sonftict mit bem Verftanbe, ber ju fehen trachtet, unb bem 
blinben ©tauben; unb wir Werben bie SBirhingen biefeS Son* 
flicteS, wie fte fid) in ber Statur beS Ungelehrten offenbaren, 
mit bem dichter unb Philofoptjen genauer beobachten fönnen. 

(®er 6$lu&atti!el folgt.) 

paul £inbatt. 


ßttlgarifdjes.*) 

griebriefj Koljn, ben Sefetn ber „©egenwart", in weicher¬ 
er fich * n ber Steg et beS PfeubonymS iß aut b’Slbreft bebient, 
burch eine ffteitje geiftreidher geuittetonS rühmlich belaitnt, 
hat ben lebten orientalifchen Stieg als ©orrefponbent beS 
„Siöcle", beS „Stoppel" unb ber „Snbepenbance Söelge" mit* 
gemacht unb in biefem Suche jufammengeftettt, was er in 
ber genannten ©igenfdjaft SlufbewahrenSwertheS getrieben. 
SBenn man KriegScorrefponbenjen jwei Saljre nach ihrer ©nt* 
ftehung unb erften Veröffentlichung, unb lange nach Seenbigung 
beS Krieges, noch $u lefen oermag, fo ift bieS ein SeweiS, ba| 
fte gut ftnb unb Vieles enthalten, baS über bie 3ntereffen ber 
Situation hinausgeht unb eneporragt. Sie gewöhnlichen Kriegs* 
beriete werben burch bie miffenfchaftlichen Sarftettungen ber 
Kriegsgerichte überholt unb in ben ©chatten gebrängt, währenb 
gleichjeitig auch baS Stnecbotifdje in benfelben mit jebem Sage 
an Sntereffe oerliert. äJlit biefen Verichten, welche unter bem 
Sitet „3ig s 8og in Vulgarien" jufammengefafst finb, ift es 
anberS. Sie berbienen auch tjeute noch gelefen ju werben unb 
enthalten Oiet mehr, als ber Sitet oerfpricht. Ser Verfaffer 
reift »on Paris über Serlin nach ©t. Petersburg unb beginnt 
feinen fchriftftetterifchen gelbjug in ber ruffifchen £>auptftabt, 
inbem er uns bon bortigen petfonen unb Buftänben biel pifantes 
ju erzählen weifj. Sann rüdt er mit berfelben Sangfamleit, 
tnie bie ruffifdje Slrmee, über fDtoSfau, Stern unb Sofft) nach ber 
rumänifchcn ^auptftabt bor, wo er fiel) gleichzeitig mit bem 
ruffifchen ©eneratftab fijrirt, um ben Sonauübergang ju erleben. 
9tun folgen Silber auS bem Krieg, auS Vulgarien, Rumänien 
unb ber Sobrubfdja — Silber bon fdjarfer unb flarer Beichnung 
unb lebhaftem ©olorit — unb bann lehrt ber Verfaffer, noch 
bor bem gatte bon piewna bonauaufwärtS jurüd, b. h- auf 
fchledjten Schienen unb noch fdjlechteren Sanbftrafjen, bis nach 
bem ungarifchen Drfowa, wo er anfangs unter Stäubern ju fein 
glaubt, aber ein bortrefflicheS öftreichff<h s ungarifcheS $otet bon 
roefteuropäifchem ©omfort finbet. Von ba über Subapeft unb 
ffiien nad) Paris ift nur ein Schritt, benn bie ©iöilifation läfjt 
unS Staum unb 8 eü leicht überwinben. 

SuleS ©larötie hot baS Such mit einer Vorrebe begleitet, 
welche einige echt franjöfifche SemerJungen enthält über „biefen 
Krieg, in Welchem bie SBunben mit ©hampagner (wenigftenS 
bei bem ruffifchen ©eneralftab) auSgewafchen werben", über 
biefen Krieg, „welchem bie Peft auf bem gufj folgt, um ju 
jeigen, Wie bie Sobten fich rächen". Sie Vorrebe hebt 
bie Verbienfte beS VerfafferS heroor, jeboch baS $auptberbienft 


*) „Zig-Zags en Bulgarie“ par Freddric Kohn-Abrest. 8. Paris 
1879, Charpentier. 


übergeht fte, nämlich baß ber Verfaffer leine btojjen 9lebcnS= 
arten macht, fonbern ergä^lt, was er felber gefehen hot, bafj er 
ein fdjarfeS Sluge (namentlich für bie ©ittenjuftänbe) befifct unb 
baS ©efehene anfchaulich unb lebhaft ju fchilbern oerfteht. 3h 
habe im 3of)*e 1875, als bie Sollen fdjon bis auf bie ©rbe 
herab hingen, aber baS Setter felbft noch nicht auSgebrodjeit 
war, biefe Sonaulänber bereift unb in meiner „Sürlifchen Steife" 
Sb. I u. II (Stuttgart 1876 u. 1877, Slueröad)) meine Steife: 
einbrüde wiebergegeben. @S war mir bon hohem Sntereffe, 
meine Sahrnehmungen, gemacht währenb beS griebenS, mit ben: 
fenigen beS £>errn Koi)n=Stbreft, gemalt Währenb beS Kriegs, 
ju oergleichen, wobei ich jeboch bewerten mu|, ba| in jenem 
Sanbe jwifhen ben Kriegs* unb griebenSjuftänben leineSwegS 
eine fo grofje Sifferenj befteht, Wie im weftlidjen ©uropa. 

Sa im gegenwärtigen ätugenblicl Seutfhlanb, jum Sheil 
oeranlafet baburch, ba§ ein bcutfdjer Prinj ben bulgarifheit 
Shron beftiegen h°t, biefem fianbe eine etwas größere Slufntert: 
famleit juwenbet als gewöhnlich, fo Will ich nicht oerfehlen, ben 
Slid beS geneigten SeferS auf gwei weitere Süh«t i« lenten, 
welche ebenfalls geeignet finb, uns in Setreff ber Vulgaren, ihrer 
Vergangenheit unb ihrer ©egenwart ju belehren. @3 finb erftenS 
bie „©efdjidjte ber Vulgaren." Von ©onftantin 3ofef 
Sirecel (Prag 1876, SempStp), unb jweitenS „Sie Saltan* 
|>aibulen." ©in Seitrag jur innern ©efdjichte beS StaüenthumS. 
Von ©eorg Stofen (Seipjig 1878, g. St. SrodhauS). 

Obgleich ber Verfaffer beS erftgenannten SerleS, $err 
Sirecel, aus feinen Sympathien für bie Sache ber Slawen, 
unb inSbefonbere ber ©übftawen, leinerlei $ehl macht, fo läfft 
er bod) niemals bie Pflichten beS ©efdjichiSforfcherS unb beS 
©efchichtfchreiberS aufjet Slugen. @r geht überall jurüd auf bie 
Ouetten, welche gerabe bei biefem ©toff fehr ferner jugängtidh 
unb in ben oerfdjiebenften Sprachen gefchrieben finb. ©eine 
gorfdjung ift au|erbem geleitet oon ber ftrengften h'ftorifchen 
Kritil; unb feine Scrrftettung ift überfichtlich unb fefjelnb. 

Sie geographifche ©inleitung gibt uns in ber größten ©e* 
brängtljeit eine llare unb oottftänbige Ueberficht ber betreffenben 
©ebiete. ©ie führt unS auf ben Sallan, Wobei ich etymo: 
logifche Semerlung einfchalten Witt: Sallan ift türlifdj unb be= 
beutet „bie Slip" ober „bie Sllm", b. h- baS jweite ©todwerl 
ber Serge. B« ebener ©rbe unb am unteren Slbljang houft bie 
Sanbwirthfchoft. 3m erften Stod befinben fich bk SBnlber; biefen 
Sergwatb nennt ber ©lawe nicht Slip, fonbern ,,©ora" ober 
,,©ura". Ser jweite ©tod befteht aus SJtatten, bie über bie 
SBälber emporragen unb mit lahlen gelfen garnirt finb, gleich* 
wohl aber für Stinboieh, Schafe, Biegen u. f. w. geeignete SBeibe* 
flauen barbieten. Sen ©efammtcomplej biefer Sllpen nennt bann 
ber Sürle nicht mit bem Singular Sallan, bie Slip, fonbern 
mit bem Plural: Sallanlar, bie Sllpen. ©anj in berfelben 
SBeife wie bie Sürlen baS SBort Sallan, gebrauchen bie Slawen 
baS SBort pianina. Sen $auptgebirgSftod nennt ber Slawe 
bie ©tara*pianina, ber Sürle Kbobfd)a=Salfatt, b. h- bie alte 
Slip. Ser SBeftballan Reifet ber Sßallan beS heiligen SRitolauS, 
©weti:3tilola:Sallan, ber Dftballan heifet SRurgas*pianina; er 
ift ber £>auptfd)auplah ber bulgarifchen Solls * unb Stäuberlieber. 
Unb fo hot bann Weitet jebe einjelne Slip ihren befonberen 
Flamen, gerabe wie in ber ©chweij unb Sirol, einen Slawen, 
ber auf Sürtifch immer mit „Sallan", auf ©larnifd) immer mit 
„pianina" enbet, b. h- mit Slip. So hoben wir bie ©opotla* 
ober SrojanSla:pianina, bie KlifurSla:pianina, bie ©emerna: 
Pianina, bie @tropolSla*pianina, bie SRirlooSlaspianina u. f. w. 
Soch bieS nur beiläufig. 

3 irecel führt unS weiter nach ber Stranbza, welche bie 
Dftfeiten ShracienS einfafft, nach bem rumetifdjen SRittelgebirge 
ber ©rebna:©ora, nach ber Vhobope, bem SBarbar* (Axius-) 
©ebirge (eine feiner Spieen ift ber Serg SlthoS, ber Si| eines 
3 Jtön<h 8 ftaat 8 , beffen ©ebiet feit unoorbenllidjen Beiten lein 
weibliches Sßefen betreten), nach bem ©ar*pianina mit bem 
weithin fidjtbaren pradhtooflen Serge Sjubiteru, 8000 gu& überm 
SReet, ben es ber SluSficht wegen fo fehr lohnt ju befteigen, nach 
ben weftmacebonifchen, albanefifchen unb ferbifdjen Sergen u. f. w. 


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266 


Sic ©cgcnantrt. 


Nr. 43. 


Sticht minber anfdjaulich als bie orographifd)e ift bic hpbro; 
graphifdje Ueberjidjt über bie ©ebiete beS äegäifcheu, beS 
Stbriatifdjen SReereS unb bet ®oitau. 

®er tetjrreid^fte ®ljeil beS SudjeS finb bie „ bulgarifchen 
Sllterthünter". 3<h meine barait jene Sapitel, welche eine ©c^itbe- 
rung ber altbulgarifdjen ©taatS;, SßolfS= unb ©efelt= 
fdjaftSjuftänbe enthalten. Stoch nie ift biefer fdjtmerige ©egen; 
ftanb fo erfdjöpfenb unb mit Stufroenbung aller £)ülf8mittel 
beljanbelt worben. 

3n ber neueren @ef<hi<hte intereffiren uns am meiften erftenS 
bie ©eriobe ber $ellenifirung ber Sutgaren burcfj bie ppa= 
nariotifdjen Sifchöfe unb ben ©ntriardjen in ©onftantinopel im 
Anfänge biefeS 3oh r hunbertS, jweitenS bie StuffificirungS; 
eerfuche, welche bie Stieberfirdie gegen bie ^odjtirche, bie iß open 
gegen bie ©ifdjöfe aufriefen unb burd) ©elb, burd) bie oorjugS; 
weife in Söhmen auSgebilbeten ©riefter unb burd) bie Siteratur 
unb bie ©reffe erfolgreich einwirften, unb cnblich ein, jebodj üoß= 
ftänbig im ©anbe oerlaufener ©erfu<h StapoleonS III., bie ©ul; 
garen burd) bie Sefuiten ber rönufdpfatljolifchen fti r d) e ju 
gewinnen unb bem granjofenthum ju befrcunben, wäprenb ber 
gürft ©cfjwarjenberg in feiner ®enffchrift tjon 1851 fdjon ben 
(an entwarf, ©oSnien, bie ^»erjegowina unb SRaccbonien, mit 
Inbegriff beS SBarbargebieteS unb beS prachtooßen ©olfeS unb 
£>afenS oon ©alonifi, an Oeftreid) ju annectiren unb bie 
fdfjwarj; gelbe galjne bis jum Slegäijdjcn SReer oorbringen 3 u 
machen. 

3<h bieS po(itifd) = fird)tid)e ®urd)einanber fcf)on im 
SRai 1876 beleuchtet in meiner „lürtifcfien Steife" ©b. II, 
©eite 105 u. ff. 

®a8 ©uch oon@eorg Stofen, bem ©etfaffeV ber oortreff; 
liefen ber ®ür!ei, Bon bem ©iege ber Steform 

im 3<>h re 1826 bis jum ©arifet Iractat com 3al)re 1856" 
(2 2f}ei(e, Seipjig 1866, 1867, $irjel) oerbient beSljalb eine 
befonbere ©eacf)tung, weil .frerr Stofen längere Seit a(S beutfdjer 
©onful in Selgrab fungirt f>at, bie ©lawen auS eigener Sin; 
febnuung genau lennt unb auch bie berfdjiebenen fübflawifdjen 
Sbiome berfte^t. ©s betjanbelt jwar nur baS Stäuberieben auf 
bem ©altan unb auf ben Slbljängen beSfelben, aber gerabe biefeS 
Stäubertljum bilbet einen feljr wichtigen integrirenben ©eftaitb; 
tpeil ber bortigen Bnftönbe unb fpielt auch in ber ©olitit feine 
Stoße, wie bieS auch ber ftoWenophile 3irece! auSbrüdüd) unb 
wicberfjolt anerfannt hat. 

$err Stofen folgt in einem £f)eit feines StßerteS einem 
englifdjen ©udje oon ©. ©. ©. St.;©lair, ©apt., unb ©parlcS 
2L ©ropljt), baS 1869 in ßonbon erfc^ienen unb betitelt ift: „A 
Residence in Bulgaria, or notea on the resources and the ad- 
ministration of Turkey“. ®ie fetten ®t.;©lair unb Sr op f)t) 
finb nicht minber turlopljil, wie bie Herren $ilferbing, ®ani§ unb 
3irecel flowenophil finb. Mein man fann trofcbein oon ben 
beiben engtifdjen Sdjriftfteßern baSfetbe fagen, Wie oon #errn 
3irece!, nämlich, bafj ihre Sympathien luopl if)r Urteil etwas 
beeinfluffen, aber nie iljrcn ©erid^t über bie (Efjatfadjen, unb beS= 
fialb legt Stofen ben Senaten feiner englif^en ©ewätjrSmänner 
mit Stecht einigen 2Bertf) bei. 

®en ^auptbeftanbt^eil, wenigftenS ben unterhaltenbften unb 
intcreffanteften, bilben neben ben oortreffliepen „©roben ber 
{»aibufenpoefie, im ©erSmafj ber Originale überfe^t", bie 
SRemoiren beS ©anajot |»itow. ®er griec^ifd^e ©orname 
©anajot bebeutet einen ber aßerljeitigften (nüv äylu) SRutters 
©otteS geweiften SDtenf^cn, wie ÄpriatoS einen ©ott felbft ge; 
weiften bebeutete. ©anajot ift ber ©ofpt beS 3wan unb ber 
©nfel beS GpriftoSfal. 2lud^ ber leitete Stame ift griec^if^, ^at 
aber mit EljriftuS nieptä ju fdfiaffen, fonbern ift eine Sufanimen 
fefeung oon xp>l ai °s (Chrestos), ber ©tarfe ober ber ©raoe, unb 
Kalos (Kalos), ber @<f)öne, bebeutet alfo: ber ©raoe unb ©t^öne. 
®iefe ©ornamen jeigen uns fc^on, wie Ijier baS ^eflenifi^e unb 
unb baS flawifdje ©tement burdieinanber fpiett. 

3m 3o^oe 1856 ftarb ber ©ater 3>ono- ©eine fiinber 
tbeilten unter fidj unb opne SDtitmirtung ber ©eric^te. ®er 
So^n ©anajot erhielt naep bulgartfd^em ©ec^te baS $auS oorab. 


©päter aber riefen bie 2öd|ter ben tiirfifd^en ßabpi an, unb 
biefer oerfügte gleid)f)eitlid)e Steilung. ®ie Ueberjeugung oon 
b«r Ungeredjtigfeit bicfeS Urteils genügte für ©anajot jur 
Stinte ju greifen, grau, $au8 unb #of im ©tidj ju taffen unb 
in bie ©tara;©tanina (bie alte Slip) ju entweihen, um fix^ bem 
Jpaibufente6en ju wibmen. ©ein ©^wager ©tojan ging mit 
ipm, unb jwar auS fotgenbem ©runbe: ©tojanS ©ruber Jobor 
^atte eine Stauferci, worin i^m bie liirfen ein Sein entjwei 
fdjtugen. Um ben lapm geworbenen ®obor ju ratzen, töbtete 
©tojan meuchlings bie beiben dürfen, Welche er für bie Sein* 
brechet hielt; ba man aber bem hoppelten SDteuchetmorb auf bie 
©pur tarn, ging ©tojan mit in bie ©tara=©tanina. ®en ©djau; 
ptah ber $aibutenthaten befchreibt 3irecef, unter auSbrüdflidjer 
©erufung auf ©anajot, bem auch er ooßfommenen ©tauben fchentt, 
mit fotgenben 2Borten: 

„®on bort beginnen bie Urwälber beS ©atfan, oerborgen in 
büfteren ©flüchten unb faft unjugängtichen ^ochthälern. ©ranit 
unb ©neiS bilben biefe ©artie ber ©alfantette. $er ^öc^fte 
unb wilbefte Xpeit beS ©altan ift hier jwifchen ©ipta unb bem 
©afj oon ©tioen, etwa 15 SReiten lang, ©in tahler felfiger 
Sjamm überragt hoch bie bichten ©uchenwälber ber tieferen Sie; 
gionen. ©eit 3oh r h un berteu ift in biefem unwegfamen ^)och* 
gebirge ber SiebtingSanfenthaltSort ber bulgarijchen ^aibuten 
(^lephten); jeber ©erg, jebe Sdjludjt, jebe Clueße hot bei ihnen 
ihren Stamen, ihre Sagen, ihre Sieber. ®odj nur jnr ®om; 
merSjeit ift auf biefen luftigen .pöpen eine ©jiftenj möglich- 
SD3ie eS hier im SBinter auSfieht, Wirb am beften ißuftrirt bur<h eine 
©teße auS ben mertwürbigen Slufjeichnungen beS #ai; 
butenwojwoben ©anajot ^)itow: „®er ©3inb wüthete wie 
tafenb, ber ©epnee glänjte blenbcnb weih, bie glüffe unb ©iefe; 
bache brauften tlagenb bahin, bie SEßölfe heulten in bem ©ebirg 
unb einige SSinterOögel treifd)ten — fonft hörte unb fah man gar 
nichts. UitS war es furchtbar fdjwcr oorwärtS ju rüden; oon 
Seit ju Seit fanfen wir im Schnee ein. 3« biefer Stocht tonn* 
ten wir taum 300 Schritte weit tommen; ber SSinb trug uns 
nach feinem ©elieben umher unb warf unS mitunter um." 

®ie ©orfahren ©anajotS waren ©d)af; unb 3iegen(jirten. 
©r felbft woßte höher hi n(| uS. ®eShalb würbe er juerft Seht' 
ling in einem ftramlaben, wo er jcboch halb fanb, bap baS fein 
ßeben fei für „einen an greitjeit gewöhnten SRenfch««"- 
®ann würbe er gleifdjer; er betam auch jahlreiche ßunben, aber 
fie pflegten nicht ju bejahten, hierauf warf er fi<h ouf ben 
nomabijdjen frnnbet mit Schafen, Siegen unb ffühen. ®et ©rb; 
fchaftsproceh machte auch biefem ©erufe ein ©nbe. @r Würbe 
^aibut unb bilbete mit feinem ©cfjwager unb Slnberen eine „treu* 
einträchtige", fo lautet ber officieß;poetifdhe StuSbruct, eine treu* 
einträchtige ©anbe, inbem er biefen ©erufswechfel motioirt, 
Wie folgt: 

— ,,3d) h°be oft gejagt, ber §aibut ift ber glücfli^fte, 
j weil freiefte SRann im türfifetjen Steidhe. SRein petj aber bür; 
j ftete nach greifet, nach @h re «ob Stecht. SllS ich i ut Streife 
auf bie ©tara=©lauina auSjog, ba war mein einjigeS $iel, an 
| ben türtifchen Unholben, Welche oon ©hre, Oon SRenfchlichteit 
unb ©erechtigteit nichts Wiffen, Stäche ju nehmen." 

®er Xitel beS $itow’f<hen ©ucheS lautet auf ®eutfd>: 
! „SRein Umherjieheu in ber @tara;©lanina unb bie 
i ßebenSbefdjreibung einiger alter unb neuer bulga* 
! rif<her SBojwoben" (b. i. Stäuber;$auptteute). 
i SBojwob ift nämlich ber $auptmann ber ©anbe, bet 
| fperjog; fein ©teßüertreter, ber jngleich bie gahue unb bie Äaffe 
i führt (jebe ©anbe h°t ein ©efeflfchaftSftatut, welches OertragS; 
weife bie ©ewinnantheile regelt), heifet Sar jaftar, auf ®eutfdh: 
ber gahnenjunfer. 

®iefe oon Stofen wortgetreu überfe^ten ®en!würbig!eiten 
beS $aibulenhäuptlingS über feine meljr als jwanjigjähtige Streife 
(oon 1855 bis 1867), machen einen ganj eigentümlichen ©in; 
brud. SRan merft aßerbingS, bafi fie oon einem Sdjriftftefler 
' (oon $errn Sarawelow, bem Stebacteur ber bulgarifchen Leitung 
| „Swoboba") etwas retouchirt finb. Slßein bieS ift mit gefchidtec 
• unb fhonenber $anb gesehen, ohne bie Originalität ju beein* 


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Nr. 43. 


Sie ©fgenmnrl. 


267 


trächtigen, Welcße un8 bcn gelben jeigt in feinet walburfprüng» 
liehen SBitbßeit unb @etbftüberfcßä|ung. 

Siefer Säuber macht in bet Sßat troß nßebem barauf 
Anfprueß, eine Art toon ©entleman ju fein; er ßat ein ßoße# 
ßaibulifeßeg @tanbe8bewußtfein unb ift ftolj auf feine SEBcrfe. 
Sag Alle# Oerträgt fi(ß aber feßr rooßl mit bem graufamften 
Slutburft. Siefer „ber fltterßeitigften 3Ruttergotte§ ©eweißte" 
Witt Jtet# atte Süden, bie in feine ©ematt fallen, abfcßlacßten, 
unb wenn feine Seute ©inen enitommen taffen, üerfcßlt et nicht, 
anjumerlen, bie# fei eine große Stummheit, beim babureß lönne 
Alle# „Oerrathen" werben, ©inen oon biefett Süden, welcher 
gefügt haben fott, ,,©ott ßabe bie ©lagen nur für bie Ungtäubi» 
gen (bie ©iaur#) gefeßaffen", läßt er blo# begmegen ßenlen mit 
ben ßößnenben SBorten: 

„Stwa# oon biefen plagen müffen wir bodj aueß an ©ueß 
Süden abgeben; benn e8 wirb fonft un# Sulgaren ju feßwer, 
pe allein ju tragen." 

3 fm Uebtigen ift er ein Stuägcftoßener, ein ©ebaitnter, ein 
„Dut=taw", wie bie ©anbiten auf ßorfica (bie heute eigentlich 
nur noeß in einigen Wenigen Exemplaren in ber SBilbniß leben, 
wie bie ©teinböde in ben einfamften ©egenben ber Alpen), ober 
bie Oormatigen fftepßten in .©riecßenlanb. Aueß macht er, wenn 
e8 ba8 $auptgefcßäft geftattet, gerne ein wenig in potitifeßer Agi¬ 
tation unb ©meuten. SBenn ißm im ©allan ber ©oben unter 
ben güßen ju ßeiß Wirb, ober wenn an# anberen ©rünben bie 
#aibulengefdjäfte nießt geßen, bann überfchreitet er bie Sonau. 
6 r geßt naeß ©ufurefcßti, naeß ©eigrab, naeß Dbcffa, unb fießt, 
ob nießt oon ben bortigen ©ulgaren (in fftumänien gibt e8 beren 
Oiete unb aueß woßtßabenbe), oon ben Sumäniern, ben ©erben 
ober ben fRuffen ein ßübfcßeS ©tücf ©etb ju betone tuen fei unter 
bem Sitel „Empörung wiber bie Süden". Aueß fromm fiitb 
biefe ^aibufen. Unter ißren Sorrätßen barf ber „©aljfifcß" 
niemal# feßten, bamit fie im ©tanbe finb, bie feßr ßäufigcu 
Safttage ber griecßifcßwrientalifcßen ffireße ftreng einjußalten. 
Safür fegnen benn aueß bie ©open ißre SSaffen unb ertßeiten 
ißnen Abfotution für ißre Sßaten. 

Auf ba# gewößnticße SRaubgeftnbel feßen biefe ftoljen |>ai= 
bulen oorneßm herunter, ©ie nennen baSfetbe „®ofo:@<ßar", b. i. 
$üßnerbieb, unb feßließen e8 au# oon ißrer augerwäßlten ©e» 
fettfeßaft 

Uebrigen# erWäßnen feßon ©trabo unb Apuleju# bie 
„Stäubet be# £ämu8" (©altan) unb $orajiu8 fpridjt oon ber 
„Furiosa Thrace“. 

Sa8 3beal ©anajot# ift ber fpaibufenwojwobe Sjelo. Al# 
berfdbe jum ©algen gefüßrt wirb, gelingt eg ißm, bie rechte 
#anb frei ju maeßen unb naeß SRecßt# unb Sinl8 um fieß ju 
feßtagen. ©o ßatte er bie große ©enugtßuung, noeß einige 
3 apptje8 (©enäbarmen) umjubringen; unb bann „ftarb er ben 
fpelbentob, inbem bie Süden feinen Seib mit ßunbert tiefen 
SBunben bureßboßrten". 

„©oleß einen Sob," fagt ber ber atterßeiligften Sungfrau 
©eweißte, „möcßte icß allen bulgarifcßen gelben wünfeßen! ©effer 
ung toeßren felbft mit ben 3äßnen, atg am ©algen ßängen, wie 
räubige $unbt" 

Karl BraunslDiesbaben. 


£orb ficaconsftelb als KomanfdjriftfleUer. 

SSoti feiert gimmerit. 

(Sfortje&ung.) 

&ucß bem „Young Duke“ ßat Sigraeli in ber neuen, lütj» 
ließ erfeßtenenen Anggabe feiner SBerte eine ©orrebe ooran» 
gefeßidt, in Welcßet er ben Sefer bittet, biefem Stoman bie ÜRacß» 
ßeßt ju geWäßren, auf welcße 3ugenbwerle Anfprucß ßaben. 
„3unge Sicßter," fagt er, „geratßen leießt in ©inbilbung unb 
Sfinfel, unb ber Schreibet biefe# SBede# ßat in biefen ©e= 
jießungen feßr gefünbigt; aber bie Anmaßung ber Sugenb füllte 


milbe beurtßeitt werben; benn ein Jüngling ßat ba# SRecßt, ein» 
gebilbet ju fein, bi# er erfolgreich ift." 

Sa bie beiben erwäßnten Sorreben ganj Hirjlicß gefeßrieben 
fmb, al# alle feine fRomane feßon erfeßienen waren, fo ift e# er» 
ficßtlidß, baß er einen großen Unterfcßieb jwifeßen ißnen maeßt, 
wa# jeboeß feine Sefer nießt lönnen. „Ser junge $erjog" ift 
fowoßt in feinen Sorjügen Wie in feinen Feßlern ein äeßt tßpifißer 
Si#raelifcßer SRoman in einem äßnlicßen ©til wie „©ioian ©reß" 
gefeßrieben. gatoeilen wirb man babureß geftört, baß fieß bie 
©erfon be# Autor# wieberßolt einbrängt; aber oon ber SBieber» 
gäbe wirllicßer ©ßaraltere unb ©egebenßeiten, bie bem früheren 
Stoman einen fo feanbalöfen Steij Oerließ, ift bicgnial nießt bie 
Siebe. Ser Son ift bureßmeg „fafßionable" bie ©rjäßlung lieft 
fteß angeneßm unb ift mit einer ©cßneHigfeit unb SRuntedeit 
oorgetragen, bie etwa# ^inreißenbe# ßat. Sigraeli beßanbelt 
ßier einen ©egenftanb, ber ißn befonber# angejogen ju ßaben 
feßeint, ba er ßier, wie fpäter in „Sancreb" unb in „Sotßair" 
oorfommt, nämlicß ba# SJlünbigwerben eine# engtifeßen ©bet» 
mann# oon unermeßlichen Sleiißtßümern. Sigraeli feßeint e8 al# 
ein ©reigniß ju betradßten, ba# bie SBelt in ißren ©rnnboeften 
erfdßüttern muß — bie Oorneßme SBelt, woßloerftanben. 

Sn biefem ©Oman ßat et nießt# mit „ber |>erbe" ju tßun, 
wie er ßöfli^ ung niebrige ©terblicße nennt, bie „have no hand¬ 
les to our names“. Sie ©efeßießte befeßnftigt fieß mit ben 
©eßwierigfeiten, in welcße biefer junge SRann fieß üerwiefett, bi# 
er in feinem oierunbiWanjigften Saßr bureß eine feßöne, reiche 
unb tugenbßaften Srau gerettet wirb, bie er ßeiratßet, unb mit 
bet er fortan in überfeßwängtießer ©lücffeligfeit lebt, bie un8 
übrigen# weiter nießt angeßt; benn Wir üerlaffen ißn bei feiner 
§ciratß. Sigraeli# gelben geßen nie in ba# üotle SRannegalter 
über; wir lernen fie nur in ißrer Suseob tennen. Sie Ser» 
legenßeiten be# ^erjogg ßnb bureß Serfcßwenbung jeber Art ent» 
ftanben: Setfcßwenbungen im ©auen, im Anlauf oon Suwelen, 
beim ©ferberennen, fhließticß im Spiel, big er enbtieß naeß einer 
Steiße übertriebener Auggaben einen ßöftidßen ©rief oon feinem 
Sanquier erßätt, um ißm ju fagen, baß er fein ©onto über» 
feßritten ßabe. ®r fcßränlt fieß jebodß noeß pr reeßten Seit ein 
unb gewinnt ba# $erj feiner latßolifcßeit ©cßönen bureß eine 
SRcbe, bie er im Oberßaufe für bie ©mancipation ber Satßo» 
lilen ßält. 

©inige ber ©eenen in biefem 9toman ßnb mit ®raft an» 
gelegt unb bureßgefüßrt. Sigraeli jeigt fidß bon feiner heften 
©eite, wenn et bie SBirflicßleit fcßilbert unb bie pßantaßifcße 
nnb ßoßle Sßetoril oermeibet, bie er für feine befonbere ©abe 
ßält; eS iß ba8 wieber ein ©eifpiet baoon, wie wenig bie Sicßter 
fteß felbft lennen. ©ine „©pielßßung", bie jwei Städte unb 
einen Sag wäßrt unb in welker bet $etjog 10,0000 ©funb 
berliert, geßört unfraglicß ju bem Seften, wa8 Sigraeli ge» 

] feßrieben ßat. 

I ©in Heiner 3ug, tote ber folgenbe, jeigt, wie feßarf er bie 
Heinlicßen ©cßwäcßen unb ©itelfeiten ber iölenfißen beobachtete. 

SBir beßnben un8 unter ben Spielern: „Sorb ©aftleforb rußte 
mit ben Armen auf bem Sifcß. ©in falfcßer 3aßn war ißm 
loggegangen. Ser Sorb, bem ba8 unter anbern Umftänben ßöcßft 
oerbrießließ gewefen wäre, ftedt ißn rußig in bie Safcße." ©8 
ift lein Stoeifet, baß Sigraeli alle ©cßwäcßen feiner SJtitmenfcßen 
Har erlennt. Aber ßat et ein gleich ßßarfe# für ißre 
guten ©anblungen? ©eine SBede geben leine Anbeutung baoon. 

„©ontarini Sleming" ift ba8 britte birecte fRefultat oon 
Sigraeli# orientalifeßer Seife. Sicfer Soman wirb oon feinem 
Serfaßet nießt oerftoßen noeß in entfcßulbigenben AuSbrüden er» 
Wäßnt; e8 wirb Oielmeßr augbrüdli^ ßetüorgeßoben, baß er, 
„obwoßl in früßet S'tQtab getrieben, bodß feinen ©ebanlen Oofl» 
ftänbig auggebrüdt ßabe." Siefe# „©etbfiurtßeil" ift um fo 
auffallenber, al# bie SBelt im Allgemeinen nießt bereit ift ju» 
jugegeben, baß „©ontarini Sloiting", bem übrigen# Oiete Sor» 
jüge nießt abjufpreeßen ßnb, bie utfprünglicße Abßcßt feine# 
Serfaffer# widlidß augfiißrt. ©ein ©lan War, wie un8 bie Sor» 
rebe in ßoßem Son oediinbet, einen ©egenftanb jit beßanbeln, 
ber in ben Sicßtungen aller Sänber no^ neu fei, nämlicß bie 

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268 


9te tSegrnwart 


Nr. 43. 


©ntwidelung unb Silbmtg beS poetifdpen ffiparafterS. @r gibt 
ju baß ©oetpe in „©itpetm SJieiftec" unb „©aprpeit unb 
Sicptung", fo wie auch Sütßeri etwas über bieS Tpema ge« 
fcprieben paben, unb nach feiner SReinung ift ipnen ein ibeateS 
unb ooßftänbigeS ©ernätbe niept gelungen. @r entfcpieb fiep für 
bie gorm bet ©elbftbiograppie, Weit bocp SRiemanb wiffen föttne, 
wie ber Siebter boju fontme, Sidpter ju fein, als er felbft. 
,,©elcpe ©rjäplung einer britten ißerfon fönnte wobt bie melan« 
epotifebe unb naepbenftiepe Kinbpeit, bie erften Änbentungen ber 
Anlage, bas waebfenbe ©efüpl ber Kraft, bie Träumereien, 
bie ©infamfeit, bie Sweifel, baS innere ßeiben, bie Unfenntniß 
ber Kunß, bie Stirer folge, bie Serjweiftung genügenb malen?" 
©enn eS nun, wie wir glauben, wapr ift, „que les poetes sont 
des hommes qui ont garde leurs yeux d’enfants“, ift eS bann 
nötbig, baß fotebe Sebingungen ejiftiren, um einen Siebter ju 
entroideln, unb ift für ibn nicht ©efunbpeit beS Körpers unb 
©eifteS baS SRotpwenbigße? SiSraeli war ein ©dpüler SpronS 
nnb nimmt beSpalb an, baß ein bicpterifdpeS Temperament franf« 
baft nnb weltoeracptenb fein müffe.' SEBie alte Sftacpapmer, b at 
er bie Sefonberpeiten unb Reblet feines Sbots auf gefaßt, ohne 
ju bebenfen, baß feine ©röße nicht auf biefen rubt. „©ontarini 
gleming" ift genau aus benfelben ©rünben fein Sichter, aus 
benen fein ©djöpfer feiner ift. ©t ftrebt banacb, aber feine 
Kraft reicht nicht aus. ©enn baS Such jeboch auch baS Biel 
nicht erreicht, baS er ficb oorgefteeft: baS ©aepfen eines bidptes 
rif<pen ©eifteS barjnfteßen, fo ift eS boch intereffant atS bie 
©elbftbiograppie eines SDfanneS, ber gern ein Siebter gewefen 
wäre, wenn er gefonnt hätte. 3m ©runbe ift SiSraeliS ein« 
gebilbeter Sßoet nur Siöian ©rep in neuer Gattung. Obgleich 
fie nicht unmittelbar nach einanber gefeprieben finb, ift bo<b in 
beiben Südbern eine gewiffe Serwanbtfdpaft; fie enthüllen uns 
abfidbtSloS ben (S^arafter unb bie Stocefe beS SerfafferS, ba fie 
unS bie Slbfiepten unb ©efüble jeigen, mit benen er bie potitifepe 
Saufbapn betrat, ©ontarini pat eine ihm tief innewopnenbe 
Uebetjengung, baß ihm baS fieben unerträglich Wäre, wenn er 
nicht ber größefte unter ben SRenfepen fein fönnte. Ser ©e« 
banfe, fidb bureb erftaunenSwertbe Spaten auSjujeichnen, wurjelte 
ftpon in feiner finbtidpen Seele, ©r befipt biefelbe gewaltige 
SebenSfraft, mit ber SiSraeli alle feine jungen gelben aus« 
ftattet, unb benfelben unbegrenzten SReidptpum, ber gleichfalls 
eine conditio sine qua non ift, um ipm ju genügen, ©onta« 
rini Fleming ift ber ©opn einer benetianifepen SWutter unb 
eines ffabinabifeben SaterS, was SiSraeli ©elegenpeit gibt, 
feine finßcpten über Solfsftämme auSjufpreepen. SaS bene« 
tianifdpe Slut pat wenig ©pmpatpien mit bem ffanbinabifchen 
gemein, unb ©ontarini fann fiep fepon als Kinb nicht recht mit 
feinen norbifdben Spielgefährten bertragen. Sie ©inflüffe bon 
Senebig, wo er geboren worben, paben ficb unmerfUdp bem 
©eift beS KinbeS anfgebrüeft. Seine 3Rutter, bie aus einem 
alten benetianifeben ©efdblechte ftammte, ftarb bei feinet ©eburt 
unb ber Sater lehrte nach bem falten wilben SRorben jurüd, 
wo er halb nachher eine jweite grau beiratbete, bieSmal eine 
Tochter ©epwebenS. Siefe Stiefmutter wirb fepr bon ©ontarinis 
trüber Stimmung unb feiner Serfdpiebenpeit non anbent Kinbern 
geplagt. Schon ju fieben Sohlen berliebt er fiep in eine 
Same, bie acht 3ap*e älter ift als er, ju jepn hält er fiep für 
einen Sichter unb ju jwölf für einen SRater. Sowohl auf ber 
Scpule wie auf ber Uninerfität ift et unruhig unb unfügfam. 
©eepjepn 3 a b re «tt, entläuft er bem elterlichen £>aufe unb führt 
eine Sanbe bon Straßenräubern an, bie er aus feinen 2Rit= 
fcpülern gebilbet bat. Sen erften tlnftoß bajü hoben ihm SdpißerS 
„Stäuber" gegeben unb ben ©unfdp in ihm erregt, mit Karl 
ffltoor ju wetteifern. Sa biefer Streif fo abtäuft, Wie ju er« 
warten war, arbeitet er nicht opne ©tfolg als Sribatfecretär 
feines SaterS, eines StaatSminifterS, unb ift im ©tanbe, bureb 
feine biptomatifepe ©efcbidftichleit bie Sßläne erfahrener Staats« 
männer ju berniepten. Stber feinem politifcpen ©prgeij ftept ein 
$inberniß entgegen. @8 ift niept Wie bei Sibian ©rep bie 
niebrige ©eburt, fonbern bie Serfcpiebenpeit beS Stammes unb 
beS Temperaments. „©opin icp ging, fap icp ein ©efepteept 


bon bem meinigen berfdpieben. @8 beftanb leine ©bmpatpie 
jwifepen mir unb bem raupen Klima, wo icp leben follte. 3pre 
blauen Slugen, ipr glacpSpaar unb ipre weißen ©eßdpter patten 
feine Serwanbtfcpaft mit meiner benetianifepen Sßppßognoraie." 

SRatürticp fönnte es ©ontarini feine greunbe gewinnen, baß er, 
aus Berger, feine Talente niept gebüprenb anerfannt ju fepen, 
fiep eine ffioepe lang einfeptoß unb eine SRobefle ju ©tanbe 
brachte, worin, wie in „Sibian ©rep", ber #of nnb alle ©erfonen 
bon Sebeutung rücfßcptloS befpöttelt würben, ©ein Sater pielt 
eS nun für wünfepenswertp, ipn eine ©eile reifen ju taffe**, um 
ipn aus bem Sanbe ju entfernen, bis ber ©türm beS Unwillens 
fiep gelegt hätte, ©r gept alfo ju neunjepn 3opren naep 3ta« 
tien, befudpt Senebig, berliebt fiep in eine fepöne ©oufine unb 
wirb fatpolifcp. Son biefem 8tugenblicf an, peißt eS, war er 
gtücflidp. „©laube," fagt SiSraeli, „ift ©inbilbungSfraft." Sie 
fatpolifcpe ^Religion fdpeint bon jeper einen ftarlen 3ouber auf 
ipn ausgeübt ju haben, ©eine tugenbpafteften gelben unb ^»el« 
binnen finb alle ©lieber alter, enorm reicher fatpotifeper §ami« 
lien. ®S ift waprfdpeintich, baß biefe Kircpe mit iprem ©tanj, 
ipren ©emälben, ipret feierlichen SRufif unb iprem ffieipraudp 
feiner finntiepen Statur jufagt. ©ontarini peiratpet feine ©oufine, 
bie er in fjolfle bon traurigen ffamitienberpältniffen entführen 
muß. Sie laffen fiep auf ber 3«fet ©anbia nieber, wo fie ein 
Seben ibeatften ©lücfeS führen, bis bie ©etiebte ftirbt unb ipren 
©atten bereinfamt unb troßtoS jurüdläßt. Um fiep ju jerftreuen, 
bereift er ben Orient. Sei feiner SRüdlepr erfährt er, baß fein 
Sater geftorben ift unb ipm unermeßtidpe Steicptpümer pinterlaffen 
pat. ©in eigenpänbiger Srief beS Königs forbert ©ontarini auf, 
in feine Sienfte ju treten, ©r lepnt biefe ©pre ab unb jiept 
fiep naep Neapel jurüd, wo er einen Salaft baut, bet ber Silla 
beS ^»abrian an ißraept gleicpfommen foö, unb wo er ben 3teft 
feiner Tage in ©infamfeit jubringen will, baS Scpöne ßubirenb 
unb fepaffenb. SBie er baS ju tpun benft, erfahren Wir niept. 
Ser Vornan briept pier ab. Sie poetifdpe ©rjiepung Wirb für 
ooltenbet erflärt-, bie griidpte fepen Wir niept. 

SieS ift in furjent ber ®briß beS IRomanS, ber, obgleich 
wilb unb überfpannt, bodp reiep an frönen ©teilen, an tiefen 
©peculationen unb an SRenfcpenfenntniß ift. 3«gleicp fdpwärme« 
rifdp unb weife, groteSf unb fcpön, ßnb fein SotpoS unb SatpoS 
fo mit einanber berwaepfen, baß eS fdpwer ift, fie ju trennen. 
@r reiept allein pin, um ju beWeifen, baß SiSraeliS Drganifa« 
tion wefentlidp unpoetifdp, unb baß er ein SOtann ber Spat, niept 
beS StadpbenfenS ift; benn immer wenn er, Wie pier, oerfudpt, 
eine oorwiegenb geiftige Statur ju fepitbern, wirb et täcpertidp. 
©eine ©tärfe liegt im ißrofaifepen unb ©irflidpen; feine beften 
ffiparaltere finb lebenbe Serfonen, nidpt ©dpöpfungen; nnb in 
©ontarini gleming jeigt er, trop ber oberflächlichen ttnftcpten, 
ber uneepten ©mßßnbungen, beS falfdpen Solorits unb beS über« 
triebenen TonS, boep Kräft nnb Originalität SaS gilt befon« 
berS ton ben Tpeiten, wo politifdpe unb $ofintriguen gejeiepnet 
werben, obgleich audp pier ber #elb, wie in faß aßen SiSraeli« 
fepen fRomanen, burep ptöptidpe Siege bie ©eit in ©rftauneu ju 
fepen unb Königen unb SRinißern Süßes in Stflem ju fein ter« 
ftept. ©aS ©ontarinis torgeblicpe Sßoefie betrißt, fo iß biefelbe nur 
©ortgepränge unb Ueberfpanntpeit, oerjerrte Seibenfdpaft unb 
Pbperbotifdie unb abgenupte Seclamation. • 

Sei SiSraeliS iRüdfept na^ ©ngtanb wanbte et ber Sßolitif 
feine Uufmerffamfeit ju unb bewarb fiep um einen ©ip im 
Sßärlament. SRadp jwei frudptlofen Serfudpen griß er wieber jnr 
geber unb feprieb eine politifdpe gtugfdprift, betitelt: „Sertpeibignng 
bet engtifdpen ©onftitution", in weldper er juerft einige feinet 
SieblingStpeorien entwidelte. Sodp würbe bespalb bie Si^tung 
niept oernadpläfßgt. SaSfelbe 3öP r (1835), in welchem er bie 
politifdpe Srofcpüre terößentlidpte, füprte er auep ben SRoman 
„Senetia" in bie ©ett ein. 3« bet Sortebe fagt SiSraeli, baß 
er beabfidptige, obgleich nur „wie in einem bunleln Riegel" 
jwei ber berüpmteften unb ebeißen ©eißer ju fepitbern, weldpe 
in ber neueren 3cit erfdpienen ßnb. @S finb Spron unb ©peßep. 
©in foteper Serfucp mußte mit SKotpwenbigteit mißlingen, um 
fo mepr, als eS eilt fepr fragliches Unternehmen War, jwei erß 


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Nr. 48. 


9it ® e gemmirt 


269 


fo BtrjKdj geftotbene Dichtet gum ©egenftanb bet Dichtung ju 
machen. Aud) toar eS für DiSraeli unmöglich, einen fr teinen, 
feinen, non ber fflett abgemanbten ©eift toie ©helle»), treffenb 
ju ft^itbern. ©bettet) timt ein fßantheift unb ^tatonifer; DiSraeliS 
epihtrnifdjer SRaterialiSmuS lonnte einen foidjen Sharafter nicht 
auffaffen, benn ©heile») lebte im ßanbe bet Dräume, beffett 
©renjen DiSraeli niemals überfdjritten hotte. BtjronS ©chtlberung 
gelingt ihm beffec. Sßit finben in „Benetia" bie fii^ne ®jcen= 
trijität feines EhorafterS flat abgefpiegelt; feine Inabenhafte 
$<ftigleit ift gut befdjrieben, fr toie bie energifdjen Unregel: 
mäfjigfeiten feines Jünglingsalters, bis er enblicf) jum Kampf 
mit ber ©efettfdjaft gejmungen mar. Sr erfdjeint unter bem 
Samen ßotb SarburciS, ©bettet) unter bem Samen SSarmion 
Herbert. Aus irgenb einem ©runbe lebt ©belieb bon feiner 
Jrau getrennt, unter beren Obhut feine Mochtet, Benetia, bie 
fpetbin, guriidgeblieben ift, unb in biefe Benetia berliebt fiel) 
Bpron noch als Knabe. DiSraeli bot mit mehr Kühnheit als 
Skisbeit unternommen, im Samen feiner beiben gelben ©ebidjte 
ju fcbreiben, melche (im Soman) fo grofje SBirfung hetoorbringen, 
mie bie ber Originale. Je meniger man bon biefen ©ebichten 
Jagt, je beffer ift eS. SinS barf jebocb nicht überleben merben, 
nämlich bafj ju ber Seit, too „Benetia" gefcbrieben mürbe, Sfr* 0 « 
unb ©belieb attgemein in Sngtanb berabfcheut mürben, unb bafj 
Israeli, inbem er fie bem publicum in romantifdjer ©eftalt 
oorfübrte, beabficbtigt hoben mag, bem berfannten ©eniuS eine 
grofjmüthige £>ulbigung batjubringen. Ungtüdlicher SBeife fdjei= 
tern feine Bemühungen, mie baS böufig bei ihm ber galt ift, 
an feinem Stängel an feinem ©efübl. ©o mie er bie ©aite 
ber ©mpfinbung anfdjlägt, gibt fie einen fatfchen Ion, ber bie 
Harmonie beS ©anjen ftört. 

Jm folgenben Jahre (1836) fchrieb DiSraeli „^enrietta 
Demple", eine einfache ßiebeSgefdjidjte ohne politifd)en Seben= 
jmetf, unb feurig genug, um ©ancho BanfaS Borliebe für Sr= 
gäfjlungen biefer Art befriebigt ju hoben. Satürlicb ift eS eine 
„fafhionable" ßiebeSgefdjid)te; mir hoben nicht mit „ber £>etbe", 
fonbem nur mit bomehmen ßeuten bott feinftem ©efübl, ge= 
bilbetem ©efchmad unb epifuräifchen ©mpfinbungen ju thun. 
Jn Sinem SBort, eS ift eine DiagnofiS ber ßiebe ä la DiSraeli. 
Jn „fienrietta Demple" fott bie ßiebe in ihrer glühenbften unb 
ibealften ©eftalt gegeigt merben. Der Berfaffer fchilbert bie 
plöfclid>e Sntftehung, bie bermirrenbe unb übermältigeube Satur 
einer erften ßiebe in jmei SBefen bon lebhaftem ©efüht. Die 
ßiebe ift in biefem Soman eine ©d)idung, baS ptöfcliche Auf: 
fladetn einer Stamme, bie, fchon lange glimmenb, nur ber ©nt* 
jünbung geharrt h«t. Die Jabel in fahler ißrofa erjäljlt, Hingt 
etmaS berbraucht unb nicht fehr erbaulich, aber DiSraeliS Sfp 
torif, fein ©lang unb Jeuer bringen uns fünfttich jum SSit: 
gefügt mit biefen ©prßfjtingen ber Ariftofratie. 

Der $etb, Jerbinanb Armine, ift ber Srbe einer fatholü 
fdjen Jamilie bon altem Abel, aber berminbertem Ber mögen. 
Sr ift Offijier unb ftecft fo tief in ©chulben, bafj er f$on 
grofje Summe auf bie ©rbfdjaft geborgt hot, bie er oon einem 
reichen ©rofjbater ermartet. Diefer ftirbt, ^tnterläfet aber frin 
Berntögen nicht Armine, fonbern beffen Soufine Katharina 
©ranbifon. ©ogieich entfchliefjt fidh Armine, feine Soufine unb 
ihr Berntögen ju heiraten, unb feine ©laubiger, bie bon ber 
Berlobung hören, beruhigen fleh- Unglüdlid)ermeife fte^t er 
§enrietta Demple, ein entjüdenbeS SBefen, baS noch nicht adjt= 
gehn Sommer gäljtt unb bertiebt fidh leibenfdjaftlidj in fie. Die 
©eene ihrer erften Begegnung ift in ben ©arten feines ©tarnim 
fdjloffeS, ©arten fo munbetbar mie bie beS AlcinouS, fr jau: 
berhaft mie bie bet Atmibe, DiSraeli berfteht eS, ©arten, 
Schlöffet unb fßaläfte, unnahbare Kleinobien unb grofje ©üter 
ju betreiben. Jn biefen entjüdenben ©artenantagen feljen 
mir ein elegantes ßiebeöpaar, gleichfam Someo unb Julia ins 
„Jafhtonable" überfefct. Armine beobachtet ein fluges @<hmei: 
gen hrnftdjllich feinet Berlobung mit ber reichen Soufine, aber 
unglücflicher SBeife hört SSifj Demple baoon unb bricht bie Ber: 
binbung ab. Sie befommt bie AuSjef)rung, er eine ©ehirn* 
entjünbung, mirb aber hergeftettt, unb ba feine ©täubiger bon 


Seuem brängen, gelingt eS ihm, ein neues Darteljn auf ©runb 
feiner erftert Berlobung ju erhalten. Jm gemöhnlidhen ßeben 
mürbe man baS gerabeju einen Betrug nennen, benn SSifj 
©ranbifon hot, als fte bon ber ©pifobe mit fpenrietta Dempte 
hörte, gleichfalls mit Armine gebrochen. Snblich fann er ben 
Suin nicht mehr abmenben unb mirb ins ©djulbgefüngnifj ge: 
morfen. Jnjmifchen ift §enrietta burth ben Srben eines $er= 
jogthumS bon ihrer öuSjehrung geheilt unb felbft eine grofje 
Srbin gemorben. Bei ihrer Südlehr aus Jtafien, mohht fie 
ihrer ©efunbheit megen gegangen mar, hörte fie bon bem Um 
glüd ihres früheren ©eliebten, ben fie im £>erjen -ihren eblen 
ßorb borjieht. Durch ein glüdlicheS Arrangement tanfehen bie 
hier B er f on£tl bie Betlobten. SSifj ©ranbifon hätotljet ben 
fünftigen $etjog, ^enrietta Armine, unb fie leben fortan in 
botttommener $radjt unb ©lüdfeligleit. 

Sur bie ßebenbigleit oon DiSraeliS ©til, bie etmaS um 
miberftehti^ AnjiehenbeS hat, fann eine foldhe ©efchidhte über» 
haupt lesbar machen. 3« ber Seit, als fie juerft erfd^ien, et: 
jählte ein mifeiger Kritiler bon einem franjöfifdhen Koch, ber 
eine fr piquante ©auce bereiten lonnte, „bah man feinen ©roh 5 
batet hätte bamit effen lönnen. $enrietto Remple," fährt er 
bann fort, „ift in fo einem ©aucenftit gefdjrieben, unb mir ber: 
gehren bamit meichlidhe ßiebe, abgeftanbene ©entimentolität, 
falte ©chnitte bon ßebenSbilbern unb Jricaffee bon Ahnen. 

(®<$Cu 6 


jUts bet ^aujitffabi. 


Die 53. Äusßdlwtg bet Ätfniglithen ^CHabemie 
ber Äättpe ?» tBerlin. 


iii. 


ein Äunfitner! erftrebt, beautyrudjt lmjerc X^ettna^me oft mit 
ftörterem ^adjbrutf, als toad in anberen gelingt. Xiejc 99emerfung gi(t 
bem SBruftbübe beS ©e^eimen jRat^ bon $f)ilty3born bon Äonrab 
Xielifj, toeldjeä feine cotoriftifc^e ©runbibee mo^l einer Anregung burt^ 
ba^ f(^öne ©ilbnifj Äart^ V. bon 5lmberger berbanten tönnte. SBir be¬ 
gegnen tyier fünftlerifc^en fßrincipien, bie auf ftrenger ©elbftjuc^t unb 
fc^einberac^tenber Xüc^tigfeit fielen, äöirft bie Dominante in 9iotl) auf 
bem hellgrauen ©runbe auch etwas froftig — man fyat ben (Sinbrucf, 
al^ fei baS Atelier nicht ftar! genug geheilt gewefen — fo ift bafür 
nicht bie SJlethobe, fonbem nur eine borläufige Unfreiheit in ber 9ln= 
wenbung berantwortlich- Xen SBorwurf ber ©lätte fann ber Zünftler 
ruhig htnnehmeu. ^luf biefem Söege geht’^ inß ®erj ber &unft; man 
ermübet freilich öor ber ^Infunft am 3iele. 

3n bem SBilbniJ be^ Äronbrinjen (ftehenb, in ganzer gigur, etwa 
ein drittel üebeu^gröfee) ^rägt fich lünftlerifche 6elbftftänbig!eit nicht fo 
charafteriftifch au&. Stuf bie Untlarheit ber Situation möchte ich nicht 
allju grofceö (Uewicht legen. Unleugbar beutet ein Slnbereä ber 3Jtarf^aU= 
ftab, ein SlnbereS ber ^rimftecher. 2lber hier fönneu Sorberungen 
mafcgebenb fein, bie ben S^ecf mehr als bie fünftlerifche 3bee beriief- 
fichtigen.' 2Bäre nur bad $erfönliche weniger äußerlich genommen, nicht 
fo auSjchliehlich ber fchöne ®lann betont. 3mmerhin beleihen 5arbeu= 
frifche unb fonnige §elligfeit bei großer Xelicateffe ber ttuftffthntng bem 
Ä'abinetSbilbe biel tojiehungöfraft. 

©charf auögeprägteV^h 0 ^^^^ P n be ich noc h in ben ©ilbniffen 
bon ©teinfurth, Srehber^ unb Souiö. fttuS wieberholt angebeuteten 
s Jtücffichten muj ich m ir bie Äbgren^ung beö fiinftlerifchen Serbienfteö 
berfagen. ^ber einem 9Kahnwort an ©owhat) fei noch ^lab gegönnt. 
3<h h°be ben 3Jtann mit bem SRömer in ber gauft bor furjem wieber- 
gef eben. 2)a3 war ein Anlauf, über ben man bie brohenben Än^eichen 
beS Xobeöfeiuie^ bergah- 3n Wenigen Monaten hnt’ö gewaltig um fich 
gefreffen. Unb baö ©chlinunfte ift, e£ fieht auö wie Xenben^, nicht wie 
Unbermögen. 


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270 


® t e <5 e g e 0 m ö r t 


Nr. 43. 


$olter unb ©ürcf finb unter ben fiep einfüprenben tarnen oorzugS= 
weife 511 nennen. Tie ©orträtfiubien beS erjteren oerbanfen bocp wopl 
ipr marfigeS Slnjepen ber fräftigenben £itft beS (Gitffow’fchen 9Jieifter= 
atelierS. Shicp ber romantifdje ^itel „SluS alten SRäpren" täufept niept. 
@3 ift fcpwer genug, einen lefenben Sttann unter bent Tratten Süpt einer 
Scpiebelampe ju ntalen unb biefc nod) mit ba^u. TaS (Getingen wirb 
man mepr ober weniger befreiten. Tie fiöfung befunbet jebenfaßS ein 
fieper zugreifenbeS latent, hinter ben ^albbuitfelmännem lauert bie 
Planier, Tagegen fdjiipt nur eilt Fapr laug ooßcS TagcSlicpt. ©e= 
freiung ber Stnfcpauuiig unb ^ed;nif 001 t einseitigem 3 *uange führt jur 
SReijterfcpaft. 

Ter weibliche föopf bon §. Söürcf fönnte, troß ein paar forcirter 
Tongebungen, einigermaßen für baS Fernbleiben feinet SReifterS (Guffow 
entfepäbigen. Ober ift (Guffow gar itidjt fein SReiftcr? Fd) fdjließe nur 
nach Stugenfcpeiit. ©in §. ©ürd ftar im oorigen Fapte nod) in TreSben. 
Siebe ich pier bon bemfel ben, bann ift bie affimilirenbe SRacpt beS ©or? 
bilbeS unb bie einbringenbe FaffuitgSgabe beS Jüngers gleich fepr 511 
beftuubern. 

©ießeiept fiubet man eS nid)t gerechtfertigt, baß id) bie Porträt- 
gruppe bon F- SRoegclS (Tüffelborf) ermähne, ba id) bon fo biel SReifter- 
werfen fdpfteigeit muß. Slbcr eS geht mir bamit eigen. 3 uftcüen üerr 
lept midh SlßeS baran; eS fteht bnrd) biefeS aufbringlid; blanfe (Sonoioium 
ein unfünftterifeper 3»fl/ ber beit Sinn für bie Prüfung beS ©erbienfteS 
im (Sinzetnen abftumpft. $Rid)t ein Funfe abelnben §umorS, nicht ein 
(GeifteSblip nimmt bon biefeit SonntagSphhfiognomieit mit ben auf= 
geriffenen Stugen bie ppotographifepe Starrheit. Tie SebenSgröße erregt 
Sllpbrücfen. Unb bod) empfinbe ich §u anberer 3eit barin ein ftitnber; 
bares (Gegenfeitigfeitsoerpältniß ztoifepen Statur unb Sluffaffung. £>at 
ber Zünftler in efleftifcper Unabpängigfeit geraffen, malt er Slnbere 
anberS, bann ift er ein Talent, baS ftir ftohl im Sluge behalten ftotleit. 

Schief entfaltet in einem Änabenporträt bie bolle fiiebeitSwürbigfeit, 
ber ftir leiber nur $u feiten begegnen. TaS ©ilbniß ber alten Tante 
ift fein SenfationSbÜb, unb ich glaube fautn, baß ber Zünftler jemals 
ein folchcS malen ftirb. Slber es belohnt ben greunb, ber ihm eine 
liebebolle ^Betrachtung ftibmet, burep eine Füße feiner 8 üge. 2öaS in 
biejer zart geftebten Technif bem jergltebernben Wuge einen ftirflicheu 
(Genuß gewährt, fommt freilid) ber (Gcfammtwirfuitg nur ftenig 51 t gut. 
Toch eS beeinträchtigt auch nicht bie finblich pietätooße Sluffaffitttg, bie 
baS SlUer in feiner aumuthigften (Srfcpeiuuug pier gcfunbeit pat. 
Sdjmiecpen unb 8 öpft zeigen in ber naio-fcplicptcn Sfnfcpammg bou bem 
anjiehenben Söefcn ber Äinbernatitr eine ber Sdjicffcpcn berftanbte 
SRicptung, erfterer zugleich SReifterfcpaft in ber ©epanbtung geftiffer 
Stoffe. Tic ©ewunberuitg für bie beiben Knaben bon (Guftao dichter 
theile idh nicht. 'Solch ein ©ilbniß ftirb ja immer als hoch peroorragenbe 
fieiftung borfteg ein beftimmteS SRaß ber Slnerfennung beanfpruchen, 
aber auch bie ftärfere Betonung etwaiger ^rincipSberfchiebeuhciten heraus- 
forbern. SDlich trennt babon bie comprimirte Salonatmofphäre. Much 
in ben Sfinbergimmem ber $aläfte foß eS nicht nach ^atdjoufi buften. 
Tie bewußt parabemäßige Gattung berieft. TaS finb nid)t frifche 
©urfdheit, beren Ungebulb ber SJlaler mit 9)lühe im Sltelier fefotthalten 
bermag. Tie ©leganj ber 3rtchuung — matt berfolge nur ben doutour 
ber ßippen unb Slafeniödjer ~ entfernt ftch gegiert bon ber Slatur. Ter 
fühl biolette $lnhau<f> beS ÄopfeS jur Siechten unterftüjjt auf Soften ber 
naturalifHfchen Sßirfung einen aßerbingS fe^r reijboßen aber ganj äußer= 
liehen Toneffect, ber ftch gerabe wegen feiner Originalität halb abfchftächt. 
Feh muß ^Rechtfertigung in einem QJegenfa^ auf anberem ©ebiete fuchen. 
Tie Sööfte beS ^rinjen Sßalbemar bon Sleinholb 93egaS ift ein fchlagenbeS 
Söeifpiel, wie ftch bie fcharf ausgeprägte Fitbibibualität eines ÄünftlerS 
ber Slatur unterjuorbnen bermag unb baburch ben Steij beS finblidhen 
SBefenS, ber in ber ©infachheit wurjclt, unangetaftet erhalt. Selbft auf 
baS, ftaS idh, °h0 c h^etbjufehen, feine „SJtadje" nennen mödhte, unb 
ftaS ihm auch iw ^en Slugen beS nicht tiefer einbringenben ^Beobachters 
feine Unnachahmlichfeit berlciht, h a t 93egaS berichtet. Feber erfennt 
baS h^grtbinnenbe Slntlift beS innig betrauerten ftönigSfinbeS, aber 
faum (Sitter würbe bie Sfteiftcrhanb erfennen, bie eS ben Eltern 5 urücf= 
gejaubert hot, toenn nicht ber 3rttel ben Katalog ergänjte. Ueber ber 
feffelnben Arbeit bergaß ftch ber Zünftler felbft. 9Röge eS ihm noch 
recht oft fo ergehen. 

Söenn ich baS 53ilbniß fiubwig Richters bon üeon ^ohle (TreSbett) 
julept nenne, fo miß ich *hm bamit feineSftegS einen ^?laj in ber 9iang= 


orbnung anfteifen. F« ben ®rennen, bie fich ber Zünftler einmal gejogeu, in 
ber Sluffaffung, bie ihm baS SBefen beS aßberehrteu SReijterS unb ItebenS^ 
fterthen Sftenfdhett 51 t erfchöpfen fchien, ift er fich rteu geblieben unb hot 
ein Söer! bon ftol)lthuenber Harmonie unb fefttäglidher SBeihe gefchaffen. 
SJlir freilich ein ftenig ju fefttäglich- F«^lt fich benn ber alte #ert in 
bem beften, bon jebem Stäubchen forgfältig befreiten fchwar§en Tuchrocf 
wirtlich behaglich, finb £>anbfdhuhe in ber That feine fteten ©egleiterV 
Ober fieht er nur fo melandholifch breiu, weil man ihm jugerebet h fl t, 
fich P enbimandhiren V SJlir thut eS orbentlich Wohl, baß ftch baS fteife 
^Plätthembe über bie eingefunfeue ©ruft unters Äinn hinauffchiebt. 

$ohfc führt uns mit einem ^weiten bebeutenben SBerfe ju ber 
(Gattung ber lebensgroßen StimmungS- unb Sittenbilber, welche nid^t 
feiten unter angenommenem Slamett ben wahren ©harafter eines ©ilb= 
nifjeS ober einer Stubie oerleugnen möchten. Sluch biefer „(Siegie" traue 
ich nicht. Tie ©e^eichitung ift ju matt für bie fubjectio büftere 
fcheinung unb bie ©rfcheinung gu mobern inbioibueß, um bie aßegoriffrte 
Fbee fiunlid) auS^ufüßeit. Elegie — unb (Garnitur non Ouerfalten V 
SBer foß baS glauben? ©ießeicht eine geiftöoße Schaujpielerin, bie bera 
Zünftler bie Ftoge beantwortet, wie fie bie (Slegie barfteßen würbe; baS 
wäre fd)on ein geniigenber §alt für baS oerfchftommene SRotio unb 
eine s $orträtftubie, an ber man feine unoerfürate Frcttbe hoben fönnte. 

Ter „©ergeffenett" oon Sllejattber StrupS (SBeimar) ift eS mit ber 
Trauermiene befferer ßruft. (Sine Slrt „ 6 Jretcheu M , bem bie bösliche 
©erlaffung ihres Fouft ^ur (Gewißheit geworben, ftarrt in buntpfer ©er^ 
jweiflung oor fich h' n - ©Hb ftiß für beit ausgezeichneten Zünftler 
nicht gerabe oiel bebeuten. Seine etwas rußige (Spflopennatur fühlt fi<h 
im TuuftfreiS hougeuber uttb bangenber Sentimentalität beengt. SBie 
ipm bie ftunft nach bem ^erjen ift, baS zeigt er in SRündhen — freilich 
nur benen, bie ihn in einem bmtHen SBinfel zu fittben wiffett. Slber 
eine ©orfteßung oon feinem SSucßS befomntt man auch o°r biefem ©Übe. 

Otto (Solbmauu — nennen ftir ihn Strups ben 3 to rtten — redpt= 
fertigt beit Spnid) ber milberen Sticpter, welche ipm im ©ertrauen auf 
fein Talent bie lünftlerijchen ©h rc urechte nicht aberfenneit woßten. ©eibe 
Arbeiten haben mid) angenehm überrafept; burd) feine unmittelbare 
(Sntpfinbuiig ^ie^t niid) baS ©ilb „Toch niept aßein" bei jeher neuen 
©etracptuitg ftarfer au. ©ine alte, bürftig gef leibete Frau fipt mit gen 
Fimmel gerichtetem ©lief in einer fapten Kammer auf ihrem ©ett. Fn 
iprem Sd)oße ruht ber Äopf eines etwa fecpSjährigen SRäbcpenS, baS 
Zit ipren Füßen auf einem Schemel fauernb eingefcplummert ift. TaS 
kiub wettbet fein ^ejid)tcpen bem ©ejepauer ooß zu. Taß (^olbntann 
für bie (Großmutter, welcper baS unerbittliche Scpicffal nidptS gelaffen 
pat, als ein fcpu^ unb pflegebebürftigeS fleineS Söefen, fein ©orbilb 
niept unter ben „einft berühmteu" Schönheiten fuepen würbe, war öor= 
auSzufepen. TaS patten bie meiften 9lnberen auep niept getpan. Slber 
bie rücfficptslofe ftäßlicpfeit ftiß man niept oerzeipen, unb fo leicpt Der* 
leplidp ift ber ©lief beS eleganten s $ublicumS, baß eS fiep abwenbet, 
beoor eS uod) red)t pingefepen. Fd) glaube üerfid)ern z« fönuen, baß 
man bei einigem guten ©Jißen fiep mit biefen gramburepfurepten 3 ügen 
niept nur auSföpnen wirb; man wirb auep an ber Fnuerlicpleit unb 
ihaft beS ^luSbrucfS, ber fiep frei oon jeber Uebertreibung pält, ein 
immer fteigenbeS (Gefäßen finben. Unb zugleich wirb man fiep mit bem 
©ilbe beS flehten SRäbcpenS aufs Söärmfte befreunben. Ten Scplummer 
nnfcpuibSOoßer iHnberjapre pat bie $unft niept oft mit glütflicperem 
Stubium belaufcpt. TaS überaus treue SBieberfoiel ber Statur ift auep 
ein freunblicp gewinnenbeS; (Golbmann befteift, baß er mit ber Änmutp 
niept in brincipießem SSiberftreit liegt, ßin §err äußerte oor bem 
©ilbe: TaS ift gut, — eS ift nur zu gut. Solche Urtpeile befeftigen 
ben fcpwanfenben (Glauben an bie ©ilbungSfäpigfeit beS ^ublicumS. 

Tie beiben lebensgroßen Sdjacpfoieler unter ber §ängelamt)e machen 
baS ©erbienft beS Zünftlers zunäepft oon ber ßöfung tedpnifeper Schwierig^ 
feiten abpängig TaS iRefultat ift itn (Ganzen ein fepr eprenOoßeS, in 
(Sinzelpeiten fteigert fiep ber (Srfolg zur SDieifterfcpaft. Ter Sieptfcpein 
erreid)t burep Staturftahrpeit ber Farbe unb oon materiefler Stofflicpfeit 
befreite Transparenz einen popen ©rab ber Fßufton. Slber bie Tar= 
fteßung feffclt auep burep erfdpöpfenbe (Sparafteriftif ber geiftigen ®egen= 
jäpe unb bürgerlich bepaglicpc (Smpfinbung. Tie Timenftonen werben 
freilich Salonfäpigfeit beS ©ilbeS immer ein #inbcrniß bleiben, wie 
ber SRangel ber Toilette einem intereffanten (Gefeßfcpafter. 

©olfStppeu in lebensgroßen (Sinzelß'guren finb meprfaep unb zum 
Tpeil mit reept gutem Erfolge gemalt. Tie im ©eftußtfein iprer ge-' 


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Nr. 43. 


3) i t ®e$tnuMirt. 


271 


furtben $ähne fecf in bie B>elt hinauSladjettbe Tproleriit üon ©iferntaitn | 
< 9Rüuchen) erroecft burch bie Sidjerljeit, mit ber ber $opf in üotlem Sichte | 
mobeftirt ift, üon bem Zünftler eine weit günftigerc Meinung, als baS j 
noch recht unfreie ©enrebilb „Heimgang üon ber Taufe". Siir baS i 
ÖlebirgSntäbchen üon £. üon 9fteer)djeibt = §üßefjem (SDtündhen) ^aben 
9totur Unb ftunft in gütigfter SBeife gejorgt. ©ie wirb 9ttpenrofen unb 
©belweig halb loS fein, wenn junge Herren beS BkgeS fommen. ©oflten 
fich "barunter Mnftler befinben, fo mögen fie nicht üerjäumeit, üor ber 
@efaljr §u flotter Anfänge 311 warnen. 

©eorg §omS „Stalienifdjer Bettcljungc" jatjlt üiele greuube, 31 t 
beiten id) mich aud) rechne. Treue unb tren^erjige Ülaturbeobachtuug, 
augerorbentlich tooljltljitenbe ©olibität unb ©leidjmägigfeit in ber Turd); 
fühtimg, Harmonie ber üon einem nicht d)arafterlofen ©rau abhängigen 
coloriftifdhen ©ntpfinbnng mit ben Sorberungen ber Aufgabe unb 
©teigerung beS realiftifc^en ©djeinS burd) fixere Söfung ber Sftaffen 
heben in i^rcr Bereinigung bicfeS Bkrf über bie bisherigen Seiftungen 
beS Zünftlers empor, in benen mir trop feiner 3^ unb untrüglicher 
Reichen einer tüchtigen ©chulung befümmte ^enbenjeit ttriberftrebten. 

TaS ©belfräuleiu üon ©chraber hat mit ber föomantif ihrer 9lhnett 
nichts gemein als ben ererbten tarnen, ©olchen 9ftäbd)eu begegnen mir 
— täglich, baS 31 t behaupten märe üermeffen — aber hoch üon $eit 31 t 
3eit. Tie ©rfdjeinuttg ift nid)t ausgezeichnet burd) inbiüibueüen 9 ?ei 3 ; 
fein Temperament üerrätlj fid), fein eigenes ©eifteSlcbeu. Sind) lägt fid) 
jo etwas toohl mit befferer Toiletteufunft unb foftiimfunbiger arraitgircit. 
©tmaS weniger üerbrauchte Toneffecte mürben baS Sluge anregeu. Sn 
bem 2Mcu jeigt fich bie Tarne in altbeutjdjer Tradjt üon ©hadotte 
£ul)t meit befjer auSgeftattet. 9lber bie Malerei ©Arabers triumphirt. 
3Ran fleht auf (laffifchem Boben. Ta mirb hoch noch 5arbe confumirt 
unb üon ber ©olibität beS SmpaftoS 311 reben, ift feine funfthiftorifchc 
glosfel. 

3mei Btlber reihen fich W x an / bie Uu e * uaturjpmbolifdjen Tenbens 
nach einanber üermanbt finb, fo erftaunt fie auch fein mögen, 3 it}amnten 
genannt 311 merben: „Ter 3riil)ling" üon förufemarf unb „Selbbfinneu" 
oon iß. SJteperheim. .ftvufewarf, ber, tuie ber Slatalog mittheilt, in 
biefem %ai)t aus ber Michael Beer’jd)cn ©oncurven 3 als Sieger perüor= 
gegangen, legt auf bie Berfuntbilblid)uitg einen ftärferen Slccent. ©in 
naefter Säugling, beffen Jd) laufe ©lieber 3 Wifd)en Shtabe unb Sflann 
(parafteriftifch bie Üftitte halten, beobad)tet „unter beS (Grünen blül)enber 
traft" einen flatternben ©chtnetterling. 9)löd)te fid) ber t'ünftler bie 
nnüerborbene iRatur, bie ltuS aus biefem Bilbe mohlthuenb anlächelt, 
auch bei größerer 9)teifterjchaft erhalten; hi er fül)lt man fid) nicht ge¬ 
trieben, ben ©puren ber Unfertigfeit nad) 3 ugehcn. 

Baut üfteperljeim — mir merben noch einige SRale auf ihn 3 uriicf= 
fommen — ift in feinen „gclbblumeti" nicht leicht 31 t finben. TaS Bilb 
üerbanft bie fünftlerifchc Vertiefung einer Iprifch empfinbfamen SKegitng, 
bte man bei bem fühlen 9?aturbeobachter nicht fucht. TaS ift feine 
©tnbie mehr; mir ift eS ein augerorbeittlidj au 3 iel)enbeS ©timmungSbilb, 
baS in feiner fdjlichten ©efiil)l3wcife unb burd) bie ftilüoüe ©infadjheit 
bet Technif ©rinnerungett an bie Svanjojen in Sftiiudjeit machruft. Un= 
fchetnbar ift bieje Sclbblume unb auch nicht fd)ön. ?lber ich betrachte 
fie gern, mie fie am SRanbe beS fomntergrüneti tomfelbeS im Greife ber 
früh« melfenben ©djmeftern ihren engen (Gebauten nad)l)ängt. 

(Ep. £. 


^otijen. 


TaS eigenthümliche Buch beS $errn ^rofefforS ©. Saeger über 
bie ©ntbeefung ber ©eefc, bie nad) biefer ueueften miffeufd^aftlicheu 
Sorfdjung in atteit mögli^en mehr ober miuber angenehmen Tnftftoffeu, 
welche ber menjdjliche törper auSftrömt, 5 U fud)cu märe, ift audh unS 
jur Befprechung jugegangen. 3öir haben in bemfelben geblättert, unb 
eS ift uns neben manchem bitrchauS Sntereffanten fo üiet unabfichtlich 
tomifcheS unb fo üiel Unappctitlid)eS entgegengetreten, bajj mir bie 3lb= 
lehnung, bie unfere ^lufforberung 3 ur ÜKecenfion beS Bud)eS üon üer= 
fdjiebenen ^aturwiffenfdhaftern erfahren h«!/ ? e h^ begreif Ud) finben. 
Unfer greuub SuliuS ©tettenheim hat bie SiebeuSmüvbigfeit ge¬ 


habt, unjerm SBunfche 3 U eutfprechen. ©S ift ihm gelungeu, bem wie 
gefagt nicht jeljr appetitlichen ©toffe jur öffentlichen Befprechung bie 
einzig mögliche ©eite abjugewimten: bie humoriftifche. ©eine Äritif 
lautet fo: 

Hie ©ntbedtuug ber Seele.*) 

©tue fur$e Befprechung nach befannter SJtelobie. 

2BaS gleicht Wopl auf ©rben bem 3aeger = Berguügen? 
äöem fprubelt ber Becher beS fiebenS fo reich V 
3m heimlichen Tunfel ber ©djöpfung jn liegen, 

Ter ©eele auflauernb, üerfteeft fie fich gleich: 

3ft £uft beS (belehrten, unb wenn er fie wittert, 

Unb weig fte bann nicht mehr, wo auS unb wo ein, 

§orch, horch, welch ein jchaHenber Sabel burchaittert 
Ten galten materialiftijehen §ain: 

Soljo! Tradera la la la ic. 

$ell blinft feine äBaffe, bie hat er getragen, 

©0 lange er wanbeit auf irbifcher Slur, 

©in aJieifterftücf ift fie, nie wirb fie üerfagen, 

Tie herrlichftc ©abe ber SWutter 91atur. 

S&ohin er fie richte, ba ift fein ©ntmeichen, 

©S fällt, waS 31 er Beute fie lupn fich erfor, 

©ie ift feiner aubern, nur fich 5 U üergleicfjen: 

Tie prächtige 9?aje mit boppeltem SRoljr. 

Unb geht nun ber Sacger, ju pürfchen bie BM C / 

©0 fann ihm bieS föftlic^e SBilb nicht entgehn, 

28ie fie fich auch flüchte, wie fie fich üerfrieche, 

©S nüpt ihr nur wenig, er wirb fie erjpäh’n. 

Stiegt er bie Sßafe, nun wirb er nicht fehlen 
Tie Bfh^ e / mtb fteef’ fie im bid)teften Glimpf, 

Ta liegt fie, unb heim in bie ©ammlung ber ©eelen 1 ) 
Trägt nun bie Berbuftenbe er im Triumph- 

Befdjränft nicht üon ©chon- unb üon anbern ©Jefepen, 

^euut feilte Berfolgung nicht Siel unb nicht 3Äag: 

3 m Bacffifch*) unb ©reife 3 ), in feibenen sifepen 4 ), 

3m 9tod B ) unb im ^auSbuft beS ©chwiegerpapaS *), 

3n Tüchern, in Prägen, beim Bügeln, an Siöden 7 ), - 
©0 jehwört unS ber SJlimrob ber Bfpchologie, — 

MüberaH fann er bie Stermfte entbeden, 

Toch ttiept weiter, lef’t felbft: wo unb wie. 

9lu<h barfft bu nicht ftören beS Sacger Bergungen, 

©r röche in jebem unfreunblithen SBprt, 

TaS bu ihm wirft jagen, in mächtigen Sügen 
Tie ruch^ (nicht geruch : ) lofe ©eeie fofort. 

Ter Sagbaneiboten, bie er bir üerfünbet, 

©tfreu’ bich, unb h^te ihm aufmerffam ju, 

Bis einft ihm ein ©chnupfen bie SBaffe entwinbet, 

Unb bann hat bie ©eele, bie liebe, ja 9tuh’. 


*) Tie ©ntbedung ber ©eele üon ©uftaü 3aeger. Stoeite »ufUge. 
Leipzig 1880, ©ruft ©üntherS Berlag. 

1) ©eite 237. 

2) ©eite 231. 

3) ©eite 197 unb 238. 

4) ©eite 236. 

5) ©eite 234. 

6) ©eite 235. 

7) ©ämmtlich Seite 234. 


Julius Stettenpeim. 


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272 


Sie «egenwart. 


Nr. 43. 


Die Verlagsbuchhandlung von Georg Stilke sowie die Expedition dieses Blattes befindet sich jetzt: 

= 4 Behren-Strasse, Berlin W. 11 


3 n f < t a t r. 


Verlag von Hermann Costenoble in Jena. 

CYPERN, 

seine alten Städte, Gräber u. Tempel. 

Bericht 

über zehnjährige Forschungen und Aus¬ 
grabungen auf der Insel 
von 

Louis Palma di Cesnola. 

Autorisirte deutsche Bearbeitung 
von 

Ludwig Stern. 

Mit einleitendem Vorwort 
von 

Georg Ebers. 

Mit mehr als 500 in den Text und auf 
96 Tafeln gedruckten Holzschnittillustra¬ 
tionen, 12 lithograph. Schrifttafeln und 
2 Karten. 

2 Theile. Lex.-8. Auf Chamoispapier in 
splendidester Ausstattung. Mit Kopfleisten, 
Initialen. Eleg. br. Preis pro Theil 18 JC 
2 Theile in 1 Bd. geb. 38 JC 40 St. 
Die Untersuchungen Cesnola’s auf Cypem 
haben zu einem der glänzendsten Ergeb¬ 
nisse archäologischer Forschungen geführt, 
und bietet sich daher in dem vorliegenden 
Werke nicht nur dem Archäologen, son¬ 
dern auch dem Historiker, Geographen 
und Ethnographen ? Anthropologen 
und Kunstfreunde eine reiche Ausbeute. 


8etoe8’ (llodbfbiogropbic 

in 12 . Sluflage. 

Soeben erfdjien: 

c£ehen und 12#eräe. 

»on 

Setoeö. 

Slutorijirte Ueberfefcuitg 

üpn 

Dr. 3ultUS $Xt\\t. 

2 93änbe. 72 Sogen. 

12. Slttflage. 

»roch- 5 JC, eleg. geb. 6 JC 75 

$er Äritiler ber „$eutfchen SRunbfchau" fchliefjt 
feine »efpredjung mit folgenben SBorten: 

„SBenn Wir bet btejen Dielen Auflagen etwad 
beflagen, fo ifi ed bad (Sine, bafj ed ein ©ng= 
länbet fein muhte, ber bem beutjefjen Solle 
feinen ©oetlje ooü unb gan$ erfchlop, wie bied 
burd) fiewed gefiebert. 2 lber old Seiten ber 
liebeooDen »ewmtberung bed Wudlanbed für 
ben beutfehen ©eißedf>eroen muh und fcf)led)ter= 
bingd biefe Siogrop^te nur um fo wittfommener 
erfdjeinen." 

»erlag oon Äorl ftrabbe in Stuttgart. 

JgUltltta», tlrrfiii, N,W n SProupriu&eniiffr 4 . 




SBertag ber g. f|>. gtotfq’fdjen SBud^onbluttg i« ^tuffgavt. 
©oeben erfchienen: 

$efamme£te g>d?riften 


tion 


Wttuctte iteün Don $roftes$iüdl)0ff. 

§erau3gegeben bon 

c^eDitt 

ßrfte ©efantmt*5luägabe. 3 Söänbe in 8. (XX unb) 1034 ©eiten. 
M. 7 .—, eleg. gebunben ^( 10 .— 


8 f 3 nterr|fante Unuität! 

$urd) alle 39udjl)onbtungen ju belieben: 

Sdjöitc OScifier. 

Äünft(er=9^ot)ellcn unb ©fi^en 

Don 

JÖernljarb ©tatieuoto. 

©fegant geheftet 4 JC 

3)ad ©ebeirne ©ioiUÄabinet Sr* »ajefttit bed 
Paiferd ffimhelra 1. bat an ben dichter folgenbed 

Schreiben gerichtet; 

,,»aben=»aben, ben 11. Dctobcr 1879. ©eine 
Wajeftät ber Paifer unb ftönig haben bad oon 
@w. Säohlfleboren am 2. b. ®c. bargebotene 
©jemplar 5h*ed Sudjed „Schöne ©eifter" an; 
äunehmen bejefiloffen unb werben biefer Samnt* 
lung bon originellen ftiinfller« Sonetten nach 
noch näherer ©htficht ihred gnhaltd gern eine« 
»la$ in fUletljödjfl 3$rer $anb’»i(uot|ef ein« 
räumen. »on ©einer SJtajeftät beauftragt, ^hnen 
für bie intereffante $uwenbung ju banlen, enP 
lebige ich mich biefed »efehld, inbem ich ©w. 
SBohlgeboren bon bemfelben ergebenft in Penntnih 
fefce. S)er ©eheime $abiuetdrafh, SBirflich* ©e* 
heime 9iath bon SBilmowdlb." 

»reuten. 3. Pitfttmanu’d »erlag. 


3 m »erlag bon 8 . Kodner in SBien erfchieu 
unb ift burch nlle »uchhanblungen ju beziehen: 

Sotfgßttgc. 

©efammeUe S3auerngeft^i(^tcn 

t>on 

4. JUtjettgrußer. 

2 Xheile. »reid 6 JC orb. 

3 )iefe adjjt ©efchichten, welche, ald fie juerft 
in 3 e ^tfc^ ri ftcu imb Jahrbüchern erfchienen, )eh r 
beifällig auf genommen würben, werben nun, ba 
fie gefammelt borliegen, gerne Abnehmer finben. 
„ 2 )er gottüberlegene Qafob", „SBie ber $nber 
ungläubig würbe", „ 2 )ie fromme Pathrin", 
„ 2 )ad ©iinbfinb" zc. tc. haben burdb bed Slutord 
unb bed ©offchaufpielerd fie wind fh »orlefung 
©enfation gemacht, gür ein Xalent, wie 2 ln 5 en = 
grub er ed ift, barf ber Serleger wohl ftd) iebe 
weitere Blnpreifung erfroren. 

Unentgeltlich ift in ben meiften Suchhßnb= 
luugeit ju höben; 

’gSeyer’s ®erjci^ni§ ber Jleuigleiten bed 
beutfdjen Surh^anbeld. 

©ine in 2 — 4 wöchentL 8 toifdjenräumen er^ 

3 eiitenbe Ueberficht ber neueften fßrobnctc auf 
en ©ebieten bed beutfehen Sü^ermarlted. 
©otlte bad Slatt in einer Suchhnnblung nicht 
gu erlangen fein, fo wenbe man fich bireft au 
ben Serleger $aul »ejer in ßeijijig. 

Soeben erschien und steht auf Verlangen 
gratis und franco zu Diensten: 

Katalog 137 

Philosophie. 

1100 Nummern. 

Breslau , Schmiedebrücke 56. 

Wilhelm Koebner 
(L. F. Maske’s Antiquariat). 

Aachener Bäder, 

Winterkur. 

Prospecte gratis. 


Ein in Rom lebender Schriftsteller (Konst« 
ilsthetiker) wünscht Journalen und Zeitungen 
römische Briefe zu schreiben, und sonstige 
laufende Berichte zu erstatten. Offerten Chiffre 
V. R. Rom poste restante. 

ftüt Me ateimetion üerantmoTtlid): #eorg Sttt&e in tterft». 
®ru & \mn p, #. fVttitur in Ütnia. 


f+++++4+++ ♦ » » » M »♦ »44 4 MMI 

■* - * ► 

;; Serlag Bon Goftenoblt in Jena. 

:: lilln aus llcntffhhtnbs :: 

:: »on fßrof. Dr. :: 

;; l »b. 8 . in eleg. Sludftattnng mit ^opf= ^; 
'' Ieiften u. 3 nitklen. ©leg. brod^. JC 4 . ^ 

;; $iefe in nobetttfttfeher gorm gehaltenen < * 
!" ©ftjjen Mlben ein ©eitenftüd ju ©upao ] \ 
• ^ grehtagd »ilbern aud S)eutfchlanbd »er- - ► 
;; gangenheit. *; 

. .. . 


$6iote«=!Utßa£t, 

©orbelejen. 

Srnw^i ®ergtö6erung meiner Sttäumtidjfeiten 
finben no< einige gtiffogf^toa^c fttnber, fottne 
SfiraitUibtnbe unb auc^ ältere €kifle#{4t«a#e, 
ober ft|iil(fitif)|e Slufna^me, Unterricht, gamilien» 
nnfiijlufj unb Vlftjl. 

CS. ®djn()e. ülnftalts SSorfteher. 


tortttto«, pttli» W, »e^rtn.gtraSe 4 . 


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ftoffit, ben 1. 9to»emf>er 1879, 


Band XVI. 


X, 44 


pic (< 3 c 0 ciuunrt 

SBo^eni^rift für Literatur, Äunft unb öffentliches ßeben. 


Herausgeber: 'gfcwT in SBerlin. 


|cto $muink nftttt riw gnnui. Serleaer: «cgra Stillt in »erlin. f rtij P* * f«i 50 ff. 

Su bntehen fcutdj oSc Sudjhcttblmmen mU> ^oftanBalten. Snferate jebtr tut pro Sgeftxtltene $etftaeiU 40 ff. 


ftu&Icmb, (Snglanb unb bie eutopäifdjen Mittelmächte. (Sitte (Srinttermtg unb ein SSorbücf. SBon ftar 1 öfinb. — Siteratnr nttb 
ftnfwtff • ® WI ^ : ©cophagie. $on SBifljelm bon öomm. — Hnjengruber alB ©xjähier. $on $aul Sinbau. III. (©df)lu&s2luffap.) — 
^lU/UU. £orb ©eacottSfielb al$ ^omanfd^riftfteUer. »on $elen 8 immer n. (©djlufj.) — $)ie ftunft in ber Marf ©ranbenburg unb ihre 
SBilrbigmtg. $on $aul ßehfelbt. — Und bet ©jmptfkbt: 21uBftettung3lotterie. S&on SUbert ©rodtyoff. — ^otijeu. — Snferate. 


M ei v „ , v v v . .... ... ftünbige Srörterung ber fragen braute gleichwohl nicht ben 

Un$lanB 9 (Snglanb «nb bte ettropatfdfen ißttteimadfte. geringsten Wijjton heroor. Wein ©erfuch war ed felbftoer- 

ftanbüh, nahjuweifen, welches Unheil bereits über Europa 
gine Srinnetutig unb ein »orblicf. burh baS »orbringen »ufclanbS nah »ölen, nah ben 0ft= 

»on Karl Biinb. feelänbem, nah ijinianb gelomraeit fei — wie SRuntänien, 

wie bie größere ßufunft ©riehenlanbs, wie fetbft bie fpäter 
I- ju erhoffenbe greiljeit fübflaoifher ©tämme burh baS unauf= 

®8 liegt feine »erlefcung eines ©eheimniffeS ober einer |örlihe Uebergreifen ber moSfowitifhen Despotie bebrotjt 

gefellfhaftlihen Siegel barin, wenn in »ahfolgenbem jweier, werben — wie baS an alter parlamentarifher greiheii Sng* 
oor $eugen fleführter, ©efprähe gebäht wirb, bie wäf>renb tonb fo ähnliche Ungarn fhon jum bemnähftigen Opfer beS 

bet lebten orientalifhen KriegSftürme in Sonben ftattfanben. bis ins fperj ®eutfhlanbs, über SBöhmen hin, iielenben »an= 

®ie babei auftretenben »etfonen, Wänner »on fjeroorragenber flaoentfiums erforen fei — wie jebe ©hwädjung ber mittel= 

Stellung in ber liberalen Partei SnglanbS, haben hte 2ln= europäifhen Wähle ben ffanbinaoifhen »orben noh weiter 

fidjten öffentlich in ber entfheibenbften Weife geäufjert. Was in ©efahr bringe, als es fhon burh ben SScrluft ginlanbS 

fie bei ber erwähnten ©elegenheit oor nur Wenigen fprahen, gefächen — wie bie Slufpflanjung beS ruffifdien SBannerS 

ift lebiglih ber beftätigenbe, genauere SluSbrndt gewefen; aber in Konftantinopel, nah beffen »efifc bereits bte heibnifhen 

als folher oon Werth- »aräger=gürften ber unterjochten ©taoen unb ginnen geftrebt, 

@8 war um bie Seit beS »orbringenS ber »uffen nah felbft Italien ju fdjäbigen geeignet fei, eine 8tofidE)t, bie u. 8t. 

fionftantinopel hin, als fih ein ehemaliger KabinetSminifter Wajjini in oietjigfähriger Shätigfeit hunbertWal auSgefprohen 

— ein nm ®nglanb8 innere grcitjeit hoh» e rbienter Wann, — wie enblih gnbien ben Rielpunft ber afiatifhen @taats= 

beffen Siame in ber ©efhihie fortleben wirb — nah einem j fünft Stufjlanbs bilbe. 3h Thtofe bamit: ba| ber ©turj ber 
©aftmahl, an welchem eine Änjafjl ^olitifer unb ©hriftftetler i bortigen englifhen ^errfhaft niht allein eine furhtbare 3et= 
theilnahmen, umfänglih über bie ruffifh-türfifhe grage au§= rüttung ber $anbels= unb ©ewerbSftellung ©nglanbS herbei= 

lief). 3)af) er jeber ®inmifhung Sngianbs abholb fei, war mir führen müffe, fonbem auh jenes ungeheure, an unentwidfelten 

befannt. ©ein ganjeS Sieben hinbnrh hatte er fih gegen jebe |)ülf8quellen reihe ©ebiet in bie blutigften inneren Wirren 

SBerfledjtung feines SianbeS in bie Kämpfe frember SBötfer ange= ftürjen ober jur »eute einer nah Weltherrfhaft ftrebenben, 

ftrengt. 8lßem Waffenwefen mar unb ift et grunbfäfjlih abge= aller »ölferfreiheit, allem wahrhaft fittigenben gortfdhritt feittb- 

neigt. Wenn er ein einziges Wal, wie eS fhien, oon biefer 8luf= lihen, halb barbarifhen Regierung mähen würbe, bie fih mit 

faffung abging, fo gefhah es um einer großen greiheitSfahe ©tolj etne 8lutofratie nennt 

wißen, als es fih um bie @rhaltung eines greiftaateS, um »ah manher ©egenrebe fügte ih hinju: wenn irgend 

ben ©tut} ber ge|üfftgften menfhUhen Änehtfh a ft h an ^ e - wo, fo fei hier ber geinb ©uropaS gegeben; unb gnt tjjäte 

©egenüber bem Sarenreih hatte er, in ber innerlich wibet= man baran, bie innere Söfung ber rufftfhen guftänbe ju be- 

fpruh^ootlen Weife, weihe bie Wanhefterfcfjule einft fenn= fdjleunigen, inbem man bem übermäßig auSgebeljnten »eidb 

jeihnete, oon jeher bie auffaUenb frieblihe Haltung eingenom= oon 8lu|en mitten in feinen orientalifhen Kämpfen ©hadg 

men, bie auh biejenige »iharb ©obbenS war. Wit ber hm böte unb baburh bie unpfriebenen »arteten jum ®to| gegen 

ftets eigenen, auch bie ftärffte WeinungSftrömung niht adjten= bas garenthum ermutbigte. 8US bie natürlichen ®unbeSgenof= 

ben ©ntfhloffenheit war er baljer bem Krimfrieg entgegen ge= fen gegen »u^lanb gäbe man ©nglanb unb Oeftreih- 

treten, unb will benfetben heute noh als eine „Xhorheit", ja, Ungarn ju betrachten, benen man nur wünfhen möhte, bah 

als ein „SSerbrehen" bejeihnen, obwohl boh bie »ieberlage fih anh S)eutfhlanb anfhlöffe. SDarnit fei, nah allen ©ei- 

beS tgratraifhen ShlolauS jur unmittellwren golge eine Slode» ten hi«/ bie WiberftanbSfraft bie benfbar ftärffte. 

rung ber ©ewalt beS ©elbftherrfherthumS unb bie 8tbfhaffung Wir oerftänbigten uns natürlih niht. 2)er feinen 8lit' 

ber §örigteit hatte. fihten mit Wärme anljängenbe Wann wünfhte nihtSbefto= 

Weine eigenen 8lnfihten über »ufelanb waren bem frühe; weniger bie Unterhaltung fortjufefcen. ©o burhma|en wir 

ren gewaltigen »olfsführer, fpäteren Winifter unb jegiaen gegen Wittemaht, in ^Begleitung beS ©aftfreunbeS, bie ©tragen 

parlamentartfhen »arteihaupte, wohl befannt. @ie ftanben ber auh bann noh wagenburhbonnerten ©tabt — immer im 

unb ftehen ben feinigen unmittelbar entgegen. Sine breioiertel= I ©efpräh über bie orientalifhe grage, bie, |)am|ls baS »ar= 

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274 


Ute 0 e g«« m a r t.' 


Nr. 44. 


lamettt in Ätzern hielt, bi« Regierung jurn ©egenftanb jaßl* 
lofer Singriffe machte, unb bie ©ollSmafjen ab unb ju jur 
ftürmifcßen Siunbgebung in ben §ßbe*©arl führte. 

$ier auf bem SBege entlang« be« ©arf«, in welchem bie 
Stuffenfreunbe wieberßolt fcßwere Stieberlagen erlitten Ratten, 
fagte ber beharrliche ©egner aller engltfdjen ©tnmifcßung, mit faft 
feierlicher Stimme, auf meine an ihn gerichtete grage über ben 
möglichen SSerfudb einer ruffifchen ©efeßung Stonftantinopel«: 

„Äucß bie« rann meine ÜReinuna nicht änbern. 3<ß feße 
ber SRöglicßleü eine« ©inmarfcße« bet Stuffen nach 
SJonftantinopel mitStuße entgegen. SReine Ueberjeugung 
ift, baß alle ©htge unter ber Bettung be« bjöc^ftert SBefen« 
flehen; unb ich nehme banfbar ©a« hin, wa« un« »on borther 
fömmt, benn Sille« wirb jum ©eften gelenft Werben." 

SRir war e« unmöglich, eine politifcße grage »on biefem 
Stanbpunft ju erörtern, ©entließ Wäre e« gewefen, bem greifen, 
tief reiigiöfen, obwohl nicht tircßlich bigotten SSolfSftreiter, ber 
troß feiner griebenSliebe manchen guten Slarnpf gelämpft, auf 
biefem ©ebiet mit ©ernunftgriinben entgegen ju treten. SBir 
teilten un« bie §änbe, unb ich ßßieb, nm ju einem griecßi* 
fchen greunbe jn gehen, wo, obwohl e« nach SRttternacßt ge* 
worben, bie orientalifcße grage möglicherweife nochmal«, jeboch 
nicht in ruffenfreunbiicßer SBeife, jur Sprache fommen fonnte. 

SRit einem anberen früheren Äabinetäminifter — einem 
äRanne, ber ©eutfcßtanb gut fennt unb in hoh en Greifen bort 
woßlbefannt ift — fanb fpäter ein ähnliche« längere« ©efpräcß 
— ebenfalls nicht unter öier Äugen — über bie ruffifcß=türfi* 
fcben ©inge unb bie gntereffen unb Pflichten ber europäiftßen 
SRäcßte ftatt. @8 war nach einer öffentlichen freier, bei welcher 
biefer Staatsmann, unter ©heilnaßme jaßlreicßer englifdjer, 
wie. auch auswärtiger ©ertreter ber ©olitil unb ber fcßrift* 
fteflerifcßett SBelt, ben ©orfiß geführt hotte. Seine Haltung 
in ber orientalifcßen grage, über bie er wäßrenb be« Striege«, 
burcß einen ©efudß bei ber Pforte in Sonftantinopel, genauere 
Stubien ju machen gefugt hot, ift nicht immer bie gleiche ge* 
wefen. @r hot halb mehr bie fReicßSintereffen ©nglanb« in« 
Äuge gefaßt, halb biejenigen ber parlamentarifcßett Dppofition, 
bie et gelegentlich führte — nicht ohne im entfcheibenben Äugen* 
bticf plößlicß einen für feine tnnerfte Äuffaffung bebeutfamen 
Stücfjug anjuorbnen. 

3n ber Stebe bei bem genannten Äntaß hotte er wieber.. 
einmal ben ©on fehr ftarf auf bie oppofittoneHen Änfichten 
gelegt itnb baburcß ba« |>erj ber eigentlichen Stuffenfreunbe 
unb ber grunbfäßlicßen ©egner aller ©nmifcßung erfreut. SEBir 
tarnen barüber in eine Unterhaltung. So entgegengefefct bie 
Änficßten wieberum in ber ^»auptfarfje waren, fo ergab fich 
bocß, fojufagen auf einer Seitenlinie ber geäußerten SReinungen, 
eine gewiffe Uebereinftimmung. ©er englifcße Sprecher hielt 
minbeften« bafür, baß e« non Stußen fei, Stußlanb SBiberftanb 
ju leiften. ÄUein er bemertte, unb ähnlich hat er fith oucß' 
öffentlich geäußert: 

„SBir haben früher ba« Unfrige getßan. Sefct bie ift Steiße 
an ben feftlänbifchen SRäcßten, wenn SBeitere« aetßan werben foft. 
©eutfcßtanb unb Deftreicß hoben allen Änlafj baju; ihnen ge* 
jiemt e«, ben Stampf aufjunehmen. ©eutfdjlanb unb De ft* 
reich füllten Stußlanb auf bem SBege nach Stonftanti* 
nopel ßalt gebieten." 

©iefe Änftcßt war gewiß in ißrer SBeife richtig, ©amal« 
freilich fcßien fie mehr einer ÄuSftucßt gleich ju fein, benn e« 
war um bie $ett, wo im ©abafSparlament ju 33erlin eher jebe 
anbere ©olitil bargelegt würbe, al« biejenige ber Stotßwenbig* 
feit be« SBiberftanbe« gegen ba« ©orbringen Stußlanb«. Smmer* 
ßin beutete bie Äeußerung triefe« ehemaligen liberalen Stabinet«* 
minifter« auf eine gewiffe Scßattirung ber SReinungen felbft 
innerhalb be« gegen bie Stegierung angreifenb »orgeßenbtn 
©ßeile« ber Dppofition. 

Scß bin auf eine ähnliche Änficßt über bie ©fließt unb 
ba« Sntereffe Deftreich* Ungarn« unb ©eutfcßtanb« auch &ei 
anberen politifch befannten SRännern bamal« geftoßen. SBenn ! 
ihnen entgegengehalten würbe, baß ©eutfcßtanb in neuerer 3ett 


eine Steiße Stiege, tßeil« im Snnero, tßeil« an feinen ©renjen 
burcßgemacßt ßabe, unb baß jebenfaH« ©nglanb, in ©uropa 
wie in Äfien, an ber ßurücfbtängung ber Barenmadjt ba«' 
größte Sntereffe ßabe: fo fdjwiegen bie Ängerebeten meift über 
biefen ißunft, ober oerfcßanjten ficß hinter oertrauenSboll all* 
gemeine StebenSarten über ©nglanb« ficßere Stellung. 

@8 befteßen in ber englifcßen Dppofition tßatfäcßlich bm 
ober eigentlich öier ^auptgruppen in Sachen ber orientalifchett 
grage. Stämlicßerften8:bieunbebingtenStuffenfreunbe. ßmeiten« 
biejenigen, bie au« mancherlei ©rünben — namentlich nnter 
einer ©orßregierung — feine ©inmifcßung nadß Äußen ßin 
wünfcßen. ©ritten« biejenigen, weldje entweoer burcß Stimmen* 
entßaltung ober burcß Äbftimmung ju ©unften felbft eine« 
conferbattoen Stabinet« gejeigt hoben, baß fie ber ißolitif be« 
Srimfriege« im ©runbe, wenn auch oorfidßtig unb jögernb, 
nocß anhängen. SSierten« ein paar Siberale ober IRabicale 
älterer ober neuerer Scßule, bie im Unterßau« ganj bereinjelt 
bafteßen, aber unter ben SBolfSfcßicßten, namentlich in Süb* 
englanb, nodß biel Änßang jäßlen, unb beten ü&unfcß e§ iff, 
Stußlanb in ber fraftboUften SBeife befämpft ju feßen. 

SRit §ütfe ber britten unb bierten ©ruppe ßat ba« Stabinet 
feine anfänglich nur au« etwa 50 SRitgliebern befteßenbe Unter* ■ 
hau8*9Reßrßeit bei ben großen Äbftimmungen auf etwa 100 
ober 120 gebracht. Sollten fidß bie S3erßältniffe fo geftalten, 
baß ©nglanb al« ber „©ritte im S3unbe" an bte Seite ©eutfcß* 
lanb« unb Dcftreicß*UngamS träte, fo ßege icß feinen ßweifel, 

1 baß ficß namentlich in Bonbon, beSgleicßen audß fogar in 
i SRancßefter unb anberen großen Stäbten, halb burcß SRaffen* 
j berfammlungen unter freiem §immel wieber ba« alte ©efüßf 
erweden ließe, ba« bie Station in ben Strimfrieg jog. 

©iefer ©inbrucf ift mir wenigften« au« ben SRaffenber* 
fammlungen geworben, bie hier wäßrenb be« leßten ruffifdß* 
türfifcßen Kriege« ftattfanben, unb bei benen anwefenb ju fein 
icß ftetS, um ber richtigen ©rfenntniß halber, für Sßfließt ßielt;’ 
benn auf bie fonft trefflichen 33ericßte bet Bonboner 33lättet 
ift bei folcßen ©etegenßeiten feiten ©erlaß — fogar nidßt auf 
biejenigen ber anfeßeinenb junäcßft betßeiligten ©reffe. 


3« obigen ©rinnerungen bin icß burcß bie Unterrebung 
j gefüßrt worben, bie, im ©arifer „@auloi8" wiebergegeben, un* 
wiberfproeßen ©labftone« Änficßten abfpiegelt. ©a in befV 
Äeußerungen be« ehemaligen ©remier« fojufagen ein ©efennt* 
niß niebergelegt ift, naeß welcßem er, wenn er je Wieber in« 
Ämt träte — wa« freilich w weiter gerne ju fteßen f^eint — 
unjweifelßaft ßanbein würbe, fo mögen einige Semerfungcn 
barüber ßier woßl am ©laß fein. 

Ueber Äfgßaniftan unb Stußlanb fpraeß ficß ©labftone, 
jufolge bem „©ouloi«", fo au«: 

,,©ie Scßwierigfeiten in Äfgßaniftan feien ba« SBerf ber 
gegenwärtigen Stegierung. Äl« er im Ämte gewefen, ßabe er 
ftet« freunbfcßaftlicße ©ejießungen ju Stußlanb ju erhalten ge* 
fueßt, unb er glaube, bie« fei ißm gelungen. @r wolle nocß 
ßoffen, baß ©nglanb einen Ä'ampf oermeiben werbe, bet ißm 
eine fdjwete ©ürbe fein würbe, ©ie materiellen Schwierig* 
leiten in einem folcßen S?riege wären ungeheuer; unb wo wollt 
man einen toerwunbbaren ©unlt Stußlanb« ftnbcn? ©nglaitb 

S ie unbebingt nießt« für gnbien ju füreßten. ©iefe« fei non 
ßlanb burcß ungeheure SBüften getrennt, unb bie Stuffen 
ßätten bie §änbe notlauf ju tßun, um ißre ©roberungen in 
©urfeftan ju ßalten." 

3m weiteren ©erlaufe befpraeß ©labftone’ba« ©ünbniß 
jwifeßen ©eutfcßlanb unb Deftreicß* Ungarn, ßier tßat er 
bie Äeußerung: wer mit bem StaatSmanne ju ©erlin ficß in 
ein 3ufammenwirfen einlaffe, fteße immer in ©efaßr, ficß plö|- 
licß aufgegeben ju feßen, benn biefer fei gemoßttt, feine SBerf* 
jeuge, ob e« ©erfonen ober Staaten feien, unerwartet wieber 
faßen ju taffen, wenn eS ißm paffenb bitnte. SBa« ißit felbft 
(©labftone) betreffe, fo fei er immer einem ßerjlicßen ©inner* 
neßmen mit granfreieß jugeneigt gewefen. 

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Nr. 44 


9 x t ©egemuurt. 


275 


Kiemanb ruirb beftreiten wollen, ba| ber frühere Kremier 
fid} in jüngfter geit aufjerorbentlich bemüht hat, mit Kufjlanb 
freunbfchaftliche Vejieljungen ju erhalten. Sie weit Snglanb 
ba»on Ku|en gehabt, borüber finb bie 2tnfief)teit oerfcfjteben. 
SllS Kapoleon Iü. noch auf bem Secemberthron jafj, b at 
©labftone ebenfalls bas herjtidje Einoernehmen mit granfreich 
gefugt- Sa, et war fogar, wenn wir nicpt irren, ber einjige 
englifdje SJtinifter, ber ganj unnötiger Seife auf franjöfifchem 
Vobeu bamals einen Srinlfprud) ju Eljrenjenes burrf) SKeineib 
unb Vluttljat an bie §errfd)aft gelangten VebrängerS ber fran= 
jöfifd>eu Kation au8brad)te. 

SaS Vimbnifj EnglanbS mit Kapoleon III. gegen Seutfcf)- 
lanb wünfdjte ©labftone beim f(^leSwig^olfteinif(|en Stieg non 
1863—1864 ^ergefteQt ju feiert. Et ftimmte im Sabinets^ 
ratp für bie bewaffnete Einmifcfjung gegen uns. SKan war 
bisher über feine bamalige Haltung anberer SKeinung. Sie 
Verathungen beS englifdjen SabineteS finben unter bem «Siegel 
beS tiefften SlmtSgeheimniffeS ftatt, unb eine $lufjeicf|nung ber 
Verhandlungen gibt es nicht — wie ja felbft ber fogenannte 
Premier feine entfdjeibenbe Stellung nicht fowohl einer form* 
liehen geftfe|ung, als meintest einer überlieferten Uebung »er= 
banft. SieS wirb erflären, warum man über ©labftoneS Haltung 
im SabinetSratf) in Sachen SchleSwig=$olftein8 fid^ täufdjte. 

gnbeffen hat « felbft uns mittlerweile in einer 2lbf>anb= 
lung in ber „Nineteenth Century“ über feine bamaligen 
Sünfd>e belehrt. Ebenfo bat er angebeutet: es taffe fich über 
bie wa^re Verantwortlichleit für ben Stieg »on 1870 oorerft 
nichts Sicheres feftfteßen. SaS helfet: man wiffe nicht recht, 
ob in granfreidj ober in Seutfchlanb bie Urheberfdjaft ju 
fuchen fei. 

Sie Äbfidjt biefer Steuerungen liegt ju !lar ju Sage, 
als bafj ein genauerer Hinweis nöthig wäre. SaS Söünbrtife 
jwifdjen Seutfchlanb unb Deftreich ift ©labftone unbequem, 
©erne befdjwört er baljer ftörenbe Erinnerungen herauf unb 
menbet fid) juneigungSooß an granfreidj, obwohl gerabe bie 
bortigen liberalen uno republilanifdjen Parteien oft genug ihre 
SKifjbifligung feines Verfahrens im ruffifdj'turfifcben Kriege 
funbgegeben unb ftcfe in hergebrachter Seife gegen Kufjlanb 
auSgefptodjen haben. 

Saturn bie Singe in Slfgljaniftan fich fo entwicfelt haben, 
wie es gefchah, barüber wirb ©labftone nimmermehr ein Sunfel 
ju »erbreiten im Staube fein. Sie feljt wir auch mit ber 
liberalen fßartei EnglanbS in inneren fragen übereinftimmen 
mögen, namentlich wenn fie fich J u wirlltcb burchgreifenben 
Keformen aufrafft — alfo j. V. in ber ©runbeigenthumS* 
frage, in welcher ©labftone leiber nicht auf ber £»öt)e ber 
geurichtung ftefet —, fo tönnen wir bod) unmöglich leugnen, 
bah getobe feine Kegietung bie Schwierigleiten in Slfghaniftan 
gefdjaffen hat- Von ber Kuffengefahr umbroht, berlangte 
©djtr Äü nach ©djuh bei ben inbifdjen Vehörben. Kicht 
bloS einmal tfeat er bieS, fonbern wieber unb wieber. 2lb= 
gewiefen unb non ©tintm erfüllt, warf er fich Kufjlanb in bie 
Ärme, nm minbeftenS für fein $au8 noch ju retten, was etwa 
gerettet werben lonnte. Sie inbifdje Keaierung aber fonnte 
unmöglich bulben, bah, währenb .tuffifcge £eere auf jroet 
2inUu — burch bie Khanate »on Surfeftan unb »on ber 
Sltreffeite tyx — ben Sdjlüffel jum Sh° re SnbienS ju er= 
reichen fudjten, eine ruffifdje ©efanbtfchaft auch.noch in bie 
benachbarte afghanifdie Vergoefte einfpringe unb babutch ge= 
wiffermahen ber SÄeuterei in gnbien felbft ein ermuthigenbeS 
Sort prüfe. 

„Uufer Sanb" — fagte mir »or ein paar galjren Sflanber 
Shan, ein Kad)lömmling aus Soft SKohammebS gantilie, ber 
KnfÜanft unb auch Seutfchlanb .lennt — „unfer Sanb hat 
eine ftarte SteUungj aber es ift im Snnern burch Sfe^beit tief 
jerriffen. SKan habe Sicht, bah bie Kuffen bort ntdjt ein= 
bringen, benn finb fie einmal brinnen, wirb man fie 
nimmermehr wieber herausbringen." 

Vinnen weniger gahrjehnte hat Kufjlanb bie Entfernung, 
burch bie es »on 'Onbien getrennt war, um tmnberte »on 


SKeilen mtitelft ber . Ueberrennung einer Keihe »ent Shanaten 
gelürjt. Sie eine Setterwolfe jieht es fich, wenn auch nnter 
gelegentlicher Stodung feiner immer wieber frifd) aufgenom= 
menen EroberungSjüge, gegen bie Vorlänber »on §inboftan 
heran. Schwer lüfet fich ba begreifen, wie ©labftone oie früher 
gegenüber Schir Slli befolgte fßolitif ber „meifterljaften Un- 
thätigfeit", ber 3nrüdftohung eines werth»otlen VunbeSgenoffen, 
audj jefet noch als bie richtige h*r»orheben ober gar baS 
ledige Sabinet für feine eigenen, SlrgpUS unb Korthbroofs 
gehler »erantwortlich machen, ober enblidj für Snbien feinerlei 
©efahren fef)en fann. 

©ewih finb bie Sdjwierigteiten in Sfgbaniftan auch nach 
bem neueften Siege EngtanbS nicht gänjlich gehoben; wer 
wollte eS leugnen? SaS Veffere wäre fi^erlidh gewefen, 
Stfghaniftan jum greunb unb ©enoffen ju haben. SaS aber 
hintertrieb gerabe bie frühere ©labftone’fche Kegierung aus 
„freunbfehaftti^er Vejiehung ju Kufjfonb". So bie Ver= 
antwortlichfeit für baS, was gefdjeljen ift unb gefächen mu|te, 
unter biefen Umftänben eigenttiöh liegt, ift unfc|wer ju er= 
fennen. 

UebrigenS hat man in ber ißolitif nur ju oft jwifchen 
jwei Uebeln ju wählen, unb man Wählt bann eben baS Heinere. 
Sit felbft fennen ein Veifpiel ba»on in Elfafj=ßothringen, 
wo ©eneral iKanteuffet foeben wieber eine unangenehme Er¬ 
fahrung gemacht ljat. Säte eS aber barum beffer gewefen, 
eine friegerifdj wichtige Steßung wieberum in ben §änben 
einer SKacht ju laffen, bie fo oft an unferer gerreifjung an 
beitete? Schmeicheln wir uns nicht »ielmehr — unb ich glaube, 
mit Kecht — im Saufe ber geit bie wiebergewoitnenen KeichS- 
lanbe ebenfo auch geiftig unb national wieber für uns ju ge= 
winnen, wie eS mit bem feit Sabrhunberten, bis 1815, uns 
entfrembeten Sheile ber Khebtpfalj gefchehen ift? 

ES ift ©labftoneS Sunfch, Ku|lanb aße ©egner »om 
Seifte p halten, inbem er baS garenreich als „unoerwunbbar" 
bapfteßt. Ser liefee fi<hj baburd) täuf^en? Es bebarf nur 
beS guten SißenS, bie »ielen »erwunbbaren fünfte Ku|lanbS 
fehen unb treffen ju woßem ihr Vorhanbenfein fteht aufeer 
gweifel. Siefe fünfte h«ptn, um nur einige' ju nennen, 
Voten, ginlanb, Veffarabien, ÄaufafuS. 3n neuefter geit 
haben beutfchfeinbliche Särmmacher in Ku^tanb unaufgeforbert 
fogar bie Cftfeeprooinjen binjugefügt. Von biefen behaupten 
fie: bort h«tfth* gehonte guträgeret p ©unften beS „preu|i- 
fchen EmporfömmlingS" — wie je|t bie Sofung in ©t. VrietS= 
bürg lautet, jum Sanf für ine 1829, 1853—56, 1863—64, 
1870, unb abermals im lebten Sürfenfrieg, jebeSmal feöchft 
thorierter Seife, geleifteten Sienfte. 

Sie Vemerfung ©labftoneS: Ku|tanb habe in feinen 
mittel=afiatifchen gelbjügen „bie ^pänbe »oflauf p thun", mag 
ein Sorn Sahrheit enthalten. Sunbern barf man fich 
bah eine Keilje ÜKächte, bie in Europa unb Stfien »on Ku§= 
taub gefchäbigt unb bebroht finb, unb bie man »on V e terS= 
bürg aus „eine nach ber anberen" abptljun gebenft, fiep nicht 
längft bei guter ©elegenheit ermannten, um bem gemeinfamen 
Siberfacher gemeinfchaftlid) ju wiberftehen. Statt beffen er¬ 
laubte man ihm, 3af)r um Sahr, mittelft ber Unterjochung 
immer weiterer Völfer, frifche guchtruthen für Europa ju- 
fammeit ju binben, neue Saffen für bie Vebrohung beS unter 
englifcher ^errfchaft angebahnten gortfchritteS »on Sübafien 
ju fchmieben. 

KeuerbingS hat man wohl an entfdjeibenber Stefle in 
Seutf^tanb erfannt, ba| ber moSfowitifdie ©eier, ber fich 8 er n 
jum bpjantinifchen Slbter matben möchte, nach bem erfolg^ 
reichen Stoffe gegen bie Sürfei fchon bereit fteht, über Ungarn 
unb Jpeftreich h e ? fogar in bie Seiche Seutfchlanbs • ju haden. 
Enblich hat man fid) auf gerafft; es war in ber Shat holje 
geit. 

Kiemanb, ber bie tieferen Stiurarangen EnglanbS er= 
griinbet, wirb baran jweifeln, bah bie Kachricht. »on bem 
Sünbnih jwifchen Seutfchlanb unb Deftreich, auf welches bie 
jwingenbe ©ewalt ber Singe als auf baS Katurgemäfje ju> 


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2)6 


5 i t Gegenwart. 


Nr. 44. 


riicfgcföT^rt pat, nicpt bloS oon Sorb ©aliSburp, bet in ber i 
orientalifdpen grage °f t genug gefcpwanft, als „frotje Bot« ; 
fcpaft" erfamtt worben ift, fonbern baß unter großen Maffen 
in Snglanb — oon aller fßarteifteflung abgefepen — ein 
popeS ©efüpl ber Befriebigmtg baburcp entftanb. @3 wirb 
nur an ber Sntfcploffenpeit liegen, bie man in Berlin unb 
SEBien entwicfelt, um baS ©pinnengewebe ber ruffenfreunblicpen 
Bewegungen in Snglanb wie einen Üllteroeibetfommer o er fliegen 
ju macpen unb ein feetücptige§, tapfere? Bol! im Notpfaß an 
bie ©eite ber »erbiinbeten Mäcpte oon Mitteleuropa ju ftellen. 
3m ©türm ber Sreigniffe aber, foUten biefe fommen, mürben 
©labftoneS gegnerifcpe SEßorte halb terpaßen. 


Literatur mtb «£anß. 


(ßeflppagie. 

SJon IDUpcIm von ßamni. 

Mäprenb ber Surcpmufterung ber Naturprobucte in ber 
poflänbifcpen Sbtpeitung ber tßarifer MeltauSßeßung oon 1878 
ftieß icp unter anberen wenig beamteten Merfwürbigfeiten auf 
eine Reine Sammlung Oon eßbaren Srbarten. 3m Special; 
fatolog ber oom Königreich ber Nieberlanbe auSgefteflten S r ° J 
bucte waten fie folgenbermaßen bejeicpnet: Nr. 84. Sßbare Srbe 
(Terre mangeable) Oon ®roß«Sanba (StuSfteüer ber Neßbent); 
Nr. 93. Sßbare Srbe üott Sjambrana, Sali, Neßbentfcpaft San« 
joetoangi; Nr. 106. Sßbare Srbe aus Banboeng, Neßbentfcpaft 
Sreanger — fämmtlidp auf ber 3nfet 3aoa. Sa idp ft^on oor 
Sauren in ben oon mir perauSgegebenen „Spemifdpen Silbern 
aus bem tägtidjen ßeben" SinigeS über „baS Srbeßen" ober bie 
„©eoppagie" mitgetpeitt patte, unb wußte, baß bie Urfacpen unb 
formen biefer fonberbaren Slngewopnpeit ober Uebung nodj in 
meprfacper Bejiepurtg eine Streitfrage bilben, fo befdploß icp fo« 
fort bie günftige ©elegenpeit ju einem Seittage iprer Söfung 
waprjunepmen. Surcp baS freunblicpe Sntgegenfommen ber Be« 
tpeiligten gelang eS mir, bie erwähnten Specimina ju erwerben. 
Sie präfentirten fiep als jiemtidp compacte Srben oon braun; 
rotier garbe, im Munbe jergingen fie in außerorbentlicp feiner 
3ertpeilung; ber ©efcpmad, ferner befinirbar, War nicpt unau; 
genepm, bei alten btei Sorten Oöflig gleich; er erinnerte ganj 
entfernt an Sacaopülfen, was jebocp, wie iet) ju bemerfen nicpt 
unterlaffen miß, oon anberen Softem beftritten würbe. Uber 
audp biefe legieren gaben ju, baß bie Maße opne Miberwißen 
ju genießen fei. ©ne pinrcicpenbe Quantität ber Sjambrana« 
Srbe übergab icp einem oereprten greunbe, $errn ^5rofeffor 
Dr. 3- Mofer, Sorßanb ber f. f. BerfucpSßation in 2Bien, jur 
dpemifdpen Unatpfe. Siefe, mit afler ©ewißenpaftigfeit auSgefüprt, 
ergab folgenbe SRefuttate: 3n 100 feilen Subftanj Waren ent« 
halten 11,oe ppgroflopifcpeS Maßet, 11,68 dpemifdp gebunbeneS 
Maßet unb etwa« organifcpe Subftanj (©lüpöerluft ber oorper 
bei 100° getrodneten Maße), 42,36 Siefetfäure, 21,42 Xpoit« 
erbe, 1,16 Sifenojpbul, 6,oe Sifenojpb, 2,90 Manganojpbut; 
1,93 Kalf, 0,42 Magneßa; 0,58 Natron unb 0,62 KalßSplor, 
Scpwefelfäure unb Kopienfäure waren nicht oorpanben,' fomit 
finb fämmtliche bafifdhe Serbinbungtn an Äiefelfäure gebunben. 
®ie mifroffopifche Unterfucfjung ließ Weber Diatomeen noch 
fonftige formen organif^er SBefen aufftnben. $ie nur in 
geringer Menge öorhanbene organifche Subftanj gab bei ber 
©emetaranatpfe 0,43 Brocent (ber Subftanj) Äoplenftoff unb 
feinen Stirfftoff; ei läßt ßch über biefelbe nichts ÜtnbereS an« 
geben, als .baß fie ni^t auS- ißflanjenreften beftepen lann, ba 
aupaltenbe? ffodpen ber Srbe mit Sleplauge feinen £>umu3förpsr 
jut SEßahrnepmung bradpte. Sie oöflige Slbwefenpeit oon Kopien« 
fäüre würbe burcp bireeten quantitatiben Serfucp conftatirt. Sie 
unterjucpte Srbe — fo fcpließt ?ßtofeffor Dr. Mofer feine inter« 
effante Mittpeilung — entpält bemnacp ebenfo wenig, als bie 
meiften biSper unterfu^ten „eßbaren Srben", Bäprftoffe für ben 


Menfdpen unb cparafterifirt ftcp einfach als ein gewöpnlidpet 
Spon minberer Qualität. 2BaS aber ift eS, baS unter ben oer« 
fdpiebenartigften ^immelsftri^en unb Nationalitäten jum ©enuffe 
inbifferenter, an unb für fidp wertplofer Stoffe anreijt, unb ben« 
felben ju einer ftabiten SoltSfitte macht? SS oerlopnt ber Müpe, 
auf bie ju ©ebote ftepenben Spatfachen, weldpe biefe Srfdpeiitung 
ißuftriren, einen prüfenben Slid ju werfen. 

SaS „Srbeffen" ober bie „©eoppagie" (audp „ber ©eoppagiS« 
muS") ift oiel weiter unter ben Bewopnera beS SrbbaüS oer« 
breitet, als man gewöpnlidp annimmt, unb es ftnb leiber feines« 
wegS bloS auf unterer Sulturftufe ftepenbe Söller ober Menfcpen, 
welche biefer Sitte, eigentlich Unfitte, pulbigen. Sie ©eoppagie 
tritt audp nicpt als SranfpeitSerfcpeinung auf, Wie baS Mörtel« 
effen ber Äinber, in beren Naprung ber jum Aufbau beS ftnocpen« 
gerüßeS notpwenbige ppoSpporfaure ffalf mangelt, ober baS 
SBanblecfen unb Sanboerfcplingen ber SBieberfäner, bie aus ber 
gleichen Urfache an Sno^cnbrüdpigfeit leiben. Nur in einjetnen 
Säßen bilbet ein franfpafteS ©elüfte bie Unterlage ber Singe« 
wöpnung. Meißens miß ber ©eoppag burcp baS 3ußcpnepmen 
oon Srbe ein NaprungSbebürfniß befriebigen. Sie pft aufgeworfene, 
peute nocp nicpt erlebigte Stage ift aber, ob er bieS in ber Spat 
ju tpun im Stanbe iß, ober ob er ßdp nur felber täufdpt; an 
ße fnüpft fidp bie anbere über bie ppgienifcpen folgen einer ber« 
artigen Magenfüflung. Spe man fi^ barüber eine Meinung 
ju bilben oermag, ift es oorper notpwenbig, bie $auptbeßanb« 
tpeite berjenigen Srbarten ju fennen, weldpe bie ©eoppagen oer« 
fpeifen; biefe ßnb Salf ober Magneßa, Äiefetfäurefalje (Silicate), 
Sponerbe unb, jiemtidp feiten, Sejoare ober erbige Soncremente, 
bie fidp im Magen Oon SBieberfäuern ßnben. Sen Oorbenannten 
Mineralßoffen finb juweilen organifdpe Subftanjen einOermengt, 
aber in oerfdpwinbenb geringen Mengen. Miß man trophein 
eine näprenbe SBirfung ber festeren annepmen, unb gibt man 
ju, baß einjetne Srben, fei eS burcp einen ©epalt an Saljen, 
fei eS burdp ipre fcplifßge, fettäpnlicpe Sefcpaffenpeit auf ßunge 
ober ©aumen einen Neij auSjuüben oermögen, fo laßen fidp bie« 
felben pinßcptlicp iprer Sonfumtion ober ipre? ©epatteS in btei 
©ruppen fteflen: 1) Solche, weldpe gar feinen, 2) folcpe, welcpe 
einen geringen ©epalt an Näprftoßen befipen, enblicp 3) folcpe, 
bie bloS als Sedferei bienen, beren ©enuß bemnacp Sadpe aß« 
mäplidper Stngewöpnung ift. 

Son UlterS per Wußte man oon ©eoppagen, Wenn gleich 
nur wenige piftorifdpe 3mgniße iprer gebenlen. Srft ^Uejanber 
oon |)umbotbt oermocpte baS 3ntereße für bie erbeßenben Sölfer 
aufjufrifdpen. 3n feinen berüpmten „Unßcpten bet Natur" fdpil« 
bert er — Oießeidpt mit berfelben lebenbigen SinbitbungSfraß, 
Weldpe ipm bie glänjenbe ßßßantafie oom Sange ber Bitteraale 
eingegeben — bie NaprungSweife beS amerifanifcpen SolfeS ber 
Dttomafen, weldpeS bie Ufer beS Qrinolo bewopnt, unb wäprenb 
ber Segenjeit faß nur oon einem grauen, Sifenojcpb entpalten« 
ben Söpfertpone leben fofl, ber, in ffugeln gelnetet, am lang« 
famen geuer gebaden unb rotp gefärbt wirb. 

SaS Material biefeS feltfamen ßebenSmittelS iß opne 
Bweifel reine mineralifcpe Subßanj, opne Seimifcpung ton 
naprpaften Organismen. NicptSbeßowenigee fcpreiben ipm bie 
3nbianer NaprungSfraft ju, benn es ftiflt in rein medpanifcper 
Meife ipren junger. Mas fie an wirllidpen Näprftoßen jwifcpenein 
ju fi^ nepmen, ift ber Quantität nach unbebeutenb, aber es 
muß oon intenfioer Qualität fein, weil es bie wirRidpe Sr« 
paltungSnaprung repräfentirt, Weldpe bie Srbe unbebingt nicpt 
fein fann. SS finb 3weißt über ben ^umbolbffcpen Sericpt 
taut geworben, neuere Neifenbe woflen bas Dttomafen «Soll 
nicpt einmal aufgefunben paben. SS braucpt aber gar nicpt ber 
müpfeligen Manberung nacp Sübamerifa, um bie Sitte ber 
©eoppagie ju ftubiren; fie ift in Suropa genugfam \mpeim, 
freilicp w e”i9 betannt, öfters oerpeimlicpt, weil, bie ipr pulbigen, 
fidp beffen gemeinlicp nicpt rüpmen. 3m Somitate Neogtab beS 
Königreiches Ungarn — einem minber fruchtbaren $ügettanbe 
— friftet bie ärmere Seoötfqrung in Beiten beS Mangels ipr 
Safein burdp reicpticpeS Serjepren einer an terfcpiebenen ßofati« 
täten jwifcpen ben Seifen abgelagerten Srbart Oon meptiger 

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Nr. 44. 


Sie ÄegeRWftrt. 


277 


©efhoffenfeeit, t)tn unb wieber }u Körnern geballt unb mit 
milroffopifhen Jfrpftafleit burcfefefct. Sie ift weife oon garbe 
unb befte^t bem ©tehrtfeeile nach aus oerwittertem ÄaUfpatfe. 
3b« oon SDtolnar auSgefit^rte Änalpfe ergiebt folgenbe d^emifdte 
Sufammenfefeung in 100 Dfeeiten: 40,367 fofetenfäure, 51,488 
ftalferbe, 0,n SOtögnefia, 5,545 flüchtige Stoffe, 0,158 Eifert» 
ojpbul, 2,272 Dfeonerbe; ober: kalffpatfe 91,961, flüchtige 
Stoffe 5,646, X^enmergel 2,433 (©erluft 0,4i). Die flüchtigen 
Stoffe in biefer Kombination forbcrn bie Slufmerffamteit beS» 
halb am meiften heraus, Weil nut fie als 9taferungSftoffe bienen 
Knuten; bei bet Spectal»2lnalt)fe ergaben biefelben emppreuma» 
tifche ©robucte neben 0,oio Sticfftoff unb 0,067 SBaffet. Dar» 
nach tonn alfp oon einet EroäferungSfähigfeit bet Steograber 
„$ungeretbe" in feinet SBeife bie Siebe fein. Stidjtäbeftoroeniger 
mitb fie oon ben ©auern gern unb in beträchtlichen üuanti» 
täten genoffen, namentlich }u bem bort allenthalben oorhanbenen, 
billig unb fetbft umfonft }u feabenben fäuerlichen ©Seine; mit 
biefem zugleich fotl fie in auffallenbet SBeife baS ©ebürfnife an 
gewöhnlicher fefter SRahrung oetringetn unb fogat ein gröfeereS 
KrperticfeeS SBohlbefeagen feerüorrufen, als bet reifliche ©enufe 
bet leiteten. Der eigentliche StöferWertfe beb Steograbet Äalf» 
mefels bürfte auf feöhftenS 1 ©rocent bet Subftanj }u oeran» 
fragen fein; feine SBirfung ift bähet leine anbere, alb eine 
mehanifcfee, bie burd) Süßung beb StögenS bab ©efüfel ber 
Sättigung bewirft. Slebenbei aber neutralifirt eb auch bie 
Sauten beb SSBeinS unb' biefet Eigenfhaft ift wohl am meiften 
bie befriebigenbe Empfinbung nach ber ©innafeme }U}ufcfeteiben; 
einen Ztyil batan hat wofel auch ber aufregenbe Effect beb 
©etränleS, bet fich aber fpäterfein jebenfatlb rächen wirb. Seiber 
flehen über bergleicfeen SebenSgebräucfee meiftenb nut ganj 
wenige authentifche SBafernehmungen ju ©ebote; bem oberfläcfe» 
liehen beobachtet entgehen fie meiftenb gänzlich; oot bem lief er= 
blicfenben fefeeut fich bab ©oll unb oetfeeimliht ober oerbreht 
gefliffentfich jebe Slubfunft; biejenigen, welche befdjeib }u geben 
wüßten, hotten bie Sache öfterb nicht ber SRüfee Werth ober 
faffen fie nut oon einfeitigem Stanbpunfte auf. 

Sub biefen ©rünben Weife man auch feeut}utage noch nicht 
oiel mefet Oon ben weitbetufenen Mrfenifejfern in Steiermarf 
unb Kärnten, alb oot hunbert Saferen. 3h« Ejiften} ift feiner» 
jeit fogat officieß beftritten, bann aber fpäterfein boch alb 9luS= 
nafeme jugegeben worben, wohingegen anbrerfeitS behauptet wirb, 
bie ©ewofenfeeit fei in aBen £>ohgebirg3regionen ber Erbe ein» 
gebürgert, gerabe fo gut, wie bie Srfeniffütterung ber ©fejbe 
überaB bort, wo fotefee gehalten werben. SebenfaüS ift in ben 
oorhergenannten ätpenlänbern ber innerliche ©ebrauch ber 
arfenigen Säure alb ShönfeeitS» unb Kräftigungsmittel ein Weit 
mehr oerbreiteter, alb bieb gemeinlicfe jugeftanben Wirb. Die 
rofigen ©eftdjter, bie reine, frifefee Hautfarbe, bie üppige Körper» 
füBe ber Dirnen, bie faftige Eomptejion, bab gefunbe StuSfefeen 
unb bie Hnerfhöpfticfee Slthemfraft beim ©ergfteigen ber ©urfdjen 
unb SQtömter wirb in jenen Sanben aßgemein bem ununter» 
broefeenen, wenngleich oorfichtigen, ©enuffe beb „§ibri" ober 
Hüttenrauchs, b. h- SlrfenilS, jugefeferieben. Slflein eb wirb fich 
niemalb eine ©erfon feerbeitaffen }u bem ©eftänbniffe, bafe fie 
biefer merlwürbigen Sitte ergeben fei. Der grembe wirb auf 
bie grage baraad) ficfeerlicfe maffio grob abgefertigt; bei wem 
man bieb nicht Wagt, bem gegenüber fpiett ber Strfenileffer bie 
liebe Unfhulb, welche gar nicht wiffen wiB, woüon man rebet, 
unb bie Dorffhöne (acht ben fraget entweber aub, ober tut 
beteibigt, wenn er ihre 9tei}e geheimen Arlanen pfefeteiben 
möchte. Selbft bie Sanbpfarrer, welche oon ber Dfeatfacfee genau 
unterrichtet ftnb, weigern fich mit eigenthümticher ©efearrtihteit, 
irgenb barauf einpgefeen, auch toenn fe e oon bem Efearatter beb 
gorfefeenben genau unterrichtet ftnb. Es fommen eben bei ber 
Sache, weihe eine criminelle Unterlage hot — ben unbefugten 
$aufirhanbel mit ©iften — }u oiele Sntereffen inb Spiel, alb 
bafe bie SBijfenben geneigt wären, burh 0ffenfeer}igleit feh eine 
©löfee ju geben, Slnberen Unannehmlichfeiten }u fhoffen. DaS 
Ärfenileffen fann jwar laum alb ©eopfeagie aufgefafet werben, 
ba eb niht }ur StiBung beb SOtögcnbebürfniffeS unb natürlich 


nur in oerfhwinbenb fteinen Dofen in ben Körper gebraht wirb; 
inbeffen ftefet eb berfelben bennoh ganj nahe unb oerbient jeben» 
faflb bie ©eadjtung beb Sittenforfherb in mehr alb einer $in» 
ficht. Seine SBirfung ift unjweifeIfeaft; wenn bie wenigen, oon 
«rfenifeffern felbet gegebenen ©erihte barüber niht oorlägen, 
fo würbe fie beftätigt burh jahlreihe praftifhe Erfahrungen unb 
wiffenfhaftlihe ©erfuhe an Üfeieren, namentlich an ©ferben, 
©an} eigentümlicher SEßeife bringt ber erwähnte ©ebrauh beb 
Slrfenif, ähnlich wie bie ÜBtrfungen beb ^afhifh ober ^anf» 
hor}eb, wie ih früher fhon einmal hetootgeljoben höbe, jene 
alten 2Rärhen unb Sagen oon äoubermitteln unb Siebebtränfen 
wiebet oor bab ©ebähtnife, unb }War erftefeeu fie nunmehr alb 
wirflihe Dinge im Sichte ber oorangefhtittenen ffliffenfhaft. 
Die einfache fteierifdje ©auernbirne, weihe unbewufet eine }ärt» 
lihe Steigung in fich ouffeimen fühlt unb bem ©egenftanbe ber» 
felben nah ßonbebfitte }u gefaBen wünfht, }iefet bie ihr im 
Srbmege Oon ©efhleht auf ©efhfeht überfommene Seuntnife }u 
Stöthc unb greift }u bem Strfenif, beffen ©enufe ihrer natürlihen 
Hnrnutl) bie Stunbung unb 3üBe ber ©eftalt h«n}ufügt, ihre 
SEBangen unb Sippen mit blühenben fforben malt unb ihren 
Stugen lahenben ©tan} oerleiht. SIBe SBett fiefet unb bewun» 
bert bie Dhatfahe ihrer madjfenben Shönfeeit; bie jungen ©urfhe 
fingen jobelnb ifet Sob in unerfhöpftihen ,,©ier}eiligen" unb 
brängen fich um bie ©unft ber Schönen; fie gewinnt bie 9töi= 
gung oon Slßen unb fiefet fomit auch ben Sluäerwäfelten in ihrem 
©anne. Stuf folhe SEBeife aber wirb baä furhtbare ©ift, fonft 
ber Dienet bei ©erbrehen« ober bet ©ringer oon Stötfj unb 
Dob, }um foftbaren Slrfanum, ba« bie Steije junger Stäbhen 
gehcimnifeooB beförbert, unb }um glüefbringenben Siebesboten. 
&i ift fein ^weifet baran, bafe ber ©ebrauh beS SlrfenitS }u 
biefem 3>oe(fe bis in baS graue Stltertfeum reiht, fo bafe fidf 
barauS manhe fagenfeafte Uebertieferungen erflären taffen, wie 
benn auch ber „Dranf beS ©ergeffenS" feineSwegS bloS auf wiB» 
fürlih bihterifher ©rfinbung, fonbern auf }iemtih realen ©runb» 
tagen berufet, welche einesteils bis über ©ater Römers $eiten 
fehiauS, anberntfeeilS aber in bie ©egenwart reihen, wenn fie 
auch wenig befannt ober beachtet finb. 

(6d)Iufo folgt.) 


^ttjcngrttbcr als dtjafeler. 


m. 

(6d)lufe»»uffah) 


Die ©r}äfelungen beS }Weiten ©anbeS ber „Dorfgänge" 
bitben trofe ber ©erfhiebenartigleit beS 3nfealte8 ber ein}etnen 
ein einfeeittih gefhloffeneS ©an}eS. Sie finb auch aüefammt 
in rafher Slufeinanberfolge in ben Soferen 1877—78, alfo in 
bemfeiben Stabium bet biefetetifhen Steife unb in berfelben 
Stimmung entftanben, nebenbei bemerlt, auch in berfelben Seit» 
fefetift, in „Storb unb Süb", unter bem EoBectiOtitet „Sur ©fp» 
hologie bet ©auern" erfhienen. 3n ©e}ug auf ihren lünft» 
lerifhen SBertfe weifen biefelben laum eine wahrnehmbare ©er» 
fefeiebenfeeit auf; unb Wenn ber eine Sefer biefer, ein anbrer 
jener ben ©or}ug einräumt, fo ift bieS mefer Sähe beS perfön» 
licfeen ©efefemadö unb ber befonberen Siebhaberei als baS Er» 
gebnife eines aus äftfeetifefeen ©rünben berehtigten unb burh 
bie biefeterifhe Seiftung motioirten Urteils. 

?lBe biefe ©efefethten finb oom religiöfen, ober beffer ge» 
fagt, oom confefftoneBen Elemente gan} burhtränlt unb unmittel» 
bar auf bie ©ebeutung, weihe ber latfeolifhe ©laube im Seben 
beS fübbeutfhen, refpectioe öfterreihifh en ®ouern befifet, }urüd» 
}ufüferen. 

Die erfte ©efhihte: „9Bie ber |>uber ungläubig warb", 
oeranfhaulicfet uns einen eigentümlichen pfphologifh^ ©tocefe: 
bie ©läubigleit beS ©auern fdjtägt nah gewiffen SBafetnehmun» 
gen, bie biefer mäht, unb bie ben Steifet in ifem Weden, 
fcfetiefelih in oöBigen Unglauben um. 3n ber }Weiten ©efhihte, 
„Der gottüberlegene 3atob", wirb uns in fein feumoriftifher 


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fl) 11 (Sogtwuitirt. 


Nr. 44 


SBeife gefdjübert, wie bie ©auernpfiffigfeit mit 2lnwenbung jener 
unerlaubt flauen Sftittel, bie man jefuitifdje ju nennen pflegt, 
bie ©faubenSleljten überliftet. — 3m ©egenfaf} ju biefen jeigt 
unS bie britte, „Die fromme Katljrin’", baS unwanbetbare ©ott- 
oertrauen eines einfältigen, rütjrenb gläubigen ©emütliS, bas 
trofe aller Stillungen unb freimfudjungen ©tanb f»ätt. 3« ber 
lebten enbüdj, „Das ©üttbfinb", wirb uns ein fdjaurigeä Statt 5 
biib in unfjeimtit büfteren Farben entrollt: bie Korruption beS 
SDtenfdjlid) 5 ®blen burt priefterlidie ©ilbung. frier tritt alfo 
ein neues Element ^inju: bie ©Übung, b. t). bie einfeitige, bie 
halbe ©Übung, bie bem Unglüdlichen bie frarmlofigleit raubt 
unb einerfeitS ben ©dreier genügenb lüftet, um iljn erlennen ju 
laffen, bafe manteS anbetS unb ftlimmer ift, als er früher ge= 
glaubt hat unb jefct not prebigt, auf ber anbern ©eite aber 
bem ©trautetnben nicht bie ©tüfce gewährt, um fit aufrett 
}u erhalten unb ihn ftlieglit in SBaljnfinn unb lob f)efct. 

3 n ben beiben erften ©efchichten ift bie gewöhnliche, bie 
objectioe gorm bet ffirjäljlung beibehalten. Der Dichter fdjübert, 
ohne felbft einjugreifen. Unmerlbar leitet er bie gigurett, beten 
er bebarf unb et betrat nitt, bafe er es ift, ber fie fpreten 
unb fjattbeln läfet. 3« ben beiben anbern bat Stnjengruber 
bie fubjectioere gönn gewählt, wie fie namentlit Durgcnjew 
mit Sorliebe anmenbet — im „Dagebucfe eines Sägers" j. ©., 
wie aut fropfc« in ben „©efdjichteH beS SftajorS". Der Dit 5 
ter bertauftt ba bie SftoUe beS objectioen ßrjählerS mit ber beS 
beteiligten 3“hörerS. ffir läfet fit alfo bon ber „frommen 
Katrin’" felbft bie einfate unb ergteifenbe ©efd)i<hte t reS 
ßebenS unb bon bem treuherzigen ©ruber beS „©ünbünbeS" 
beffen tragifteS ffinbe beritten. 3« biefen leiteten nimmt bem= 
gemäfe bie Darfteßung aut eine befonberS tarafteriftifc^e, bem 
SBcfen beS erjählenben gnbioibuumS entfpredjenbe gärbung an. 

SBenben wir uns nun ju ben einzelnen ©efchichten. 

Der alte früher, ein bierftrötiger, träftiger ©auer, ber 
mit ben ©einen redjtfd)affen jur SJteffe gefjt unb bem ber ©farter 
bis jur ©tunbe baS 3eugnife nitt berfagen würbe, bafe er 
ein guter Steift ift, hat baS Unglücf, feine grau ju berlieren. 
Der ©erluft ber ®lten geht bem braben unb ungeftlatten 
SJlanne feljr nahe. ffir will ber ©erftorbenen zu ffitfren if)r 
©rab mit einem Kreuz unb einem Spruch barauf ftmüclen. 
Der ßeidjenbeftatter hat aut einen folten fd)on bereit; 
aber ba in biefera bie 3«le borfommt: „©anft war ihr hinüber; 
ftweben," Witt ber früher nittS babon wiffen; benn baS ift bie 
Unwahrheit. Der Dob ift ihr im ©egenteit feljr ftwer an= 
gefommen. früher will bat)er felbft auf ben Kirchhof gehen, um 
fit unter ben gnfdjriften eine paffenbe auöjufuchen. ffir lieft 
einzelne ©prüte. Da fagt ber eine, bafe bie, wette unter bem 
9tafen beftattet ift, nun im fritmnel broben fifet, ein anberer 
aber, bafe ber bort ©egrabene bis jum 9luferftehung8tage in ber 
©ruft rufet. Diefer SBiberfpruch matt ben alten früher ftufeig. 
ffir ftüttelt ben Kopf, blidt nach bet ©räberteifee jurücf, bie er 
abgegangen, unb bann auf bie beiben ©rabftätten, an benen er 
eben ftanb. 

„DaS bebt gerabe toieber |o an, bort liegen fieben, bie fid) mit 
bem guroarten befteiben, unb ihrer neun motten fdjon im lieben §immel= 
reit oben fein. Stiebt einmal unter ber Srb’ fiiib bte ßeut’ Eine? 
Sinuc». @3 Tann bot nuc SineS mit ber SEBaljrljeit befielen. Stadj 
bem ©erflerben wirb es bot nitt ber Sine fo unb ber Slnberc anberS 
batten tönnen. 3b r , frafdjer, ibr, too mottt ibt bermaten benn anberS 
fein, als mo ibr liegt, unterm ©afen, bis eS einmal mieber auf bie 
frölj’ feeifet?!" 

ffir gebt weiter. Da ftebt er oot bem ©rabe eines noto» 
riften ©cfeelmS, oon bem ber ©prut behauptet, er fei felig unb 
bliife lätelnb auf bie ©einen nieber. Der früher ift empört, 
bafe man foltes Unwefen bulbet. ©ei feiner fortgefefcten 58anbe= 
rung ftöfet er plöfelicfe auf eine robe ©übfcfenifcerei, weite baS 
gegefeuer barfteßt. Da ift ja alfo not etwas Drittes. SBo ift 
nun baS Süchtige? Unter ber ffirbe, im gegefeuer ober im 
frimmet? ÄfleS burtfeeinanbet! „ßBaS gilt benn nachher?" fragt 
er fit- „SSaS geftiebt benn mit ffiinem? Siegt er unb muff er 
wieber auf? gliegt er Oießeicfet frei in ber ßuft herum? Ober 


bleibt er liegen für all’ 3eit unb ffiwigleit? ffiinS baoon ntufe 
wobt fein, afl’S brei miteinanber fann er bot nitt oerritten!'" 

Da wirb bot allem ünfefeein nat ntambertei in ber Kitts 
oom $erm ©farret gejagt, was er gar nitt oerantworten fann, 
unb fttiefüit ; baS ffiborbemb, bie ©tola unb baS »ieretfige 
Käppel allein tbut’S bot nitt! Der $err ©fatrer weife oon 
biefen Dingen gemife aut nitt oiet mehr als ber bumme $uber. 
Dem $uber wirb bang, ffir feufjt auf, unb ber ©tweife tritt 
ibm auf bie ©tirn. Da ftebt et je&t oor einer oerwitterten 
©teintafel, bie in bie ©lauer eingefügt unb burt wuifeentbe 
©eftrüpp ganj oerbedt ift. 3Rit SDtübe entziffert er ben ©prut 
auf bem jweibunbert 3nb re alten Steine: 

©on ber SBiege, naib ber ©ab c 
Sein mir aH’ oon einem Crben, 

SBaS i<b einft gemefen mar, 

©in i<b jebo mieber morben. 

DaS leuttet ibm am meiften ein. Das, was nittS ge 5 
wefen ift, wirb aut nittS fein, ffir fährt fit mit bem bunten 
©adtut über bie ©time. 

„Stb ja, baSfetbe jdjroant Sinem ft®« öftermal im Seben, aber als 
ein junger fpringt man bar&ber meg unb als Wann meid(t man bt-- 
bädjtig aus, erft als ein Sitter fällt man mit ber 92afe barauf. ©iibtS 
i baoor unb nidjts babinter unb in ber ©litte nit oiel ©efteibteS. DaS 
©erfterben ift lang nicht fo bumm wie baS ©eborenmerben." 

Unb wunberfam! 2lu8 biefer ganj untriftigen Stuffaffung 
jiebt ber $ubet bie tiefften ßehren ber ©ittlic^feit, unb in biefer 
finbet er ben wahren Droft. 

„3a, Sinne ÜJlarte, auch mir mären uns tein Stial auffäfftg gemefeu, 
hätten uns manche Sitternifj erfpart, hätten teine greube neben liegen 
taffen unb teine Slrbeit aufgefchoben, wenn mir gemufft hätten, eS mär’ 
einmal für alle IDiat, nichts baoor uttb nichts babinter." 

Unb fo wirb ber .früher, ber als gläubiger Katljotil ben 
Kirthof betreten hat, ber bie Sotfchaft gehört unb ben Oollen 
©tauben gehabt hoi, burdj baS, was ber SJlenftfeenwifc aus ben 
ßehren ber Kirche felbft herauSgetüftelt unb ben ©erftorbenen 
i ju ffihren auf bie Dentfteine gefefct hat, zum argen ÜWaterialiften. 
| Der ©erftanb, ber bisher gemäcljliife gemht, ift nun burtfe bie 
1 ftarlen ©emüthSerfihütterungett gleichfain erwedt werben; biefer 
richtet fid) auf, im oollen ©egenfap ju bem blinben ©tauben, 
unb Wirb beffen Sieger, ffis fällt bem früher wie Schuppen 
oon ben Slugen. ffir will nun gar leinen Spruch auf baS 
Kreuz fe&en; Flamen unb Datum genügt fcfron. Die SReffe will 
er allenfalls noch abhören, „ba fie ja nun einmal bezahlt ift", 
— was et aber babei benlt, bleibt fein ©eljeimnife. SRan 
fann’S allenfalls erraten, wenn man ihm zuhört, Was er bem 
i Kir^enbiener zuraunt, bem er nachher begegnet: „Du— gudjSl 
Du Iriegft mich noch einmal mit einer ©eelmefe baran!" ffir 
braucht bie 9Jleffe nicht mehr unb Wirb barum nicht fdjledjter. 

®in ßeiterroagen, ber aus bem Schupfen gezogen morben, oertegte 
ihm ben Sieg. Er trat an benftl&en heran, legte feine Strme über einen 
ber Seitcrfparren unb lehnte baran mit tiefgefenltem Kopfe, bie Sonne 
j brannte heil über ihm. Stahlblaue unb grüne gliegen furrten Ijinju, 
I hielten auf bem grauen unb riffigen frolje beS Sparren lutje 3iaft unb 
i fuhren in einem gluge mieber meg, als mären fie aus ber ©Seit. 

Unb mie meh bem Spanne auch mar, er fühlte, mie bie SBänne 
burefj feine Slrme pridelte unb nach her fflrufi brängte, mo jeber SJhtSfel 
fe^taff, jeber Slero mie tobt unb ihm fo falt unb leer mar. (Sr lieh 
ben Slthem breit auSfirömen unb ftreefte fid). Sr fafe jur Sonne auf: 
„Du meinft eS Jehon rechtfdjaffen, machft Sinem bie Seit fdjfiner unb 
baS ßeben leichter. So ©efchmeig auSbrüten, mie ba umherfliegt, ift 
mohl Dein aüergeringfteS Stüdel. ©ift bu nit oieKeidfet oon Ottern Ur< 
fach’? SBcifjt mohl nicht barum unb fragft nicht banach- Sein, baS ift 
SlüeS, maS mir thun tönnen unb worum mir miffen. ßeben mir halt. 
Dh“’ Du am blauen frimmel oben Dein Dagtoer! unb ich Öa heruuten 
auf ber Scholle. ©3irb fchier recht feinl Shrlich Oerbleib’ ich, unb 
brauch’ baju fein ©ebot! —" 

Die 9laiherzäf|lung gibt oon biefer ©efdjiifete, bte meines 
ffirachtenS eine ber tieffhmigften unb meifterhaftefeen ber mo« 
bernen ffirjählungSliteratur ift, ein loum gtnügenbeS ©ilb. 


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Kr. 44. 


51 ir $ tjitnniart. 


279 


Der JReij ber folgettben ©efcfjicgte öom „gottüberlegenen 
Sölob" liegt gor oortoiegenb in ber Scgilberung, unb bo fofl 
beim auch bie SRadjerphlung nicht einmal oerfucgt merben. Sie 
ift. Dom heften |>umor burcgbrungen, Doß fehelmifcget ©injel» 
feiten unb mit einer fo Derftoglenen luftigen Slnmutg gefcgilbert, 
bog bem Sefer baS Säbeln ni(gt Don ben Sippen weicht. @S 
ganbelt fug, um bie gabel wenigftenB mit einem Sage p 
jlijjiren, um bie erfranlte fug beB Säuern 3alob, bie biefer 
burcg aße möglichen ©ebete an äße Scgugpatrone, bie irgenb» 
wie p erteilen finb, unb, bur<g opulente Serfprecgungen, bie 
« biefen macht, p geilen oerfucgt, unb bie ber fcglaue SucgB, 
fobalb jie ficf) loieber auf bem Säege ber Sefferung befinbet, 
einem reifen Säuern, ber fcgon Dorier borouf geboten gat, 
fcgneß fiberlögt — mit aßen ©elübben borouf, bie nun ber 
Säufer, um nicht ben Born ber fpeiligeit heraufpbefcgwöten, 
einlöfen muf}. ©ine oflerliebfte ©injelgeit mug ich gier boeg 
citiren. Der Balob SBieSner »iß ju feinem Scgugpatron, bem 
heiligen SalobuB flehen. Unterwegs ober, bicht on feinem §aufe, 
pegt eine Sapefle für ben heiligen ©eregrinu®, „ber gegen gug- 
übel gut onprufen ift". ©i! benlt er, wenn ich nur bete, 
gleidjbiel p wem! @r fniet olfo nieber, macht baB Sreu}, 
faltet bie $änbe, blidt nicht pm heiligen fßeregrinuS auf, 
fonbern pr ©eite unb betet als ob er ben heiligen SalobuB 
Dor geh habe. 

„0 ^eiliger SalobuB, Su mein aßerliebefter 'JJamenBpatron! Sch 
Bet’ Sir jept ein Saterunfer, bag Su Sidj meiner armen Sug annehmen 
möcgg unb bie mieber gefunb mirb. SaB ttjät’ id; Sich au f baB 9tßer» 
inßänbtgße recht id)6n bitten, unb wenn ich bie $ug behalt’, fo will ich 
Sir fdjon auch Seine gürjprad)’ gebenlen!" 

©enn Zeitige fid) auf bie ©eenen ber Slnbäcgtigen »erflehen, fo 
lag etwas in ©teBtterB »erbetgungBrcicb jwinlernben Singen, baä ben 
heiligen SafobuS wohl berechtigte, eine fdjöne ©addierje ju erwarten, 
welche ihm ju ®gr’ am Jpodjaltare brennen würbe. 

©ieSner betete »orläufig baS erft »erfprodjene ®ateruufer, nnb alB 
et bamit ju ©nbe tarn unb nach bem ©teinbilbe »or ihm anfblicfte, 
fagte er: „Schau, »eil Su gerab’ ba bift, tönnteft wohl auch 8^'^ mit 
fftrfpreehen helfen 0 lieber heiliger fßeregrinuS! 3d) bet’ Sir jept 
ein Saternnfer, bag Su Sich meiner armen Äug annehmen möchft unb 
bie mieber gefunb mirb. SaS tgSt’ ich Sich auf baS Slllcrinftänbigfte 
recht fegön bitten nnb wenn bie J?ug mein bleibt, fo will ich Sir fcgon 
auch Seme gürfpracfj’ gebenlen!" 

Sieg barauf gleich baS anbere SJaterunfer folgen, erhob füg nnb 
ging langfam ben ©eg, ben er getommen, jurücf. 

Siegt in bem „Schau, weil Du gerob’ bo bift!" nicht bet 
prädjtigfte unb gefunbefte #umor? 

Die ©efchichte, weiche bie „fromme Äatgrin’" in ihrer treu» 
herzigen SBeife erjäglt, ift eine ergreifenbe gomilientragöbie. 
Üatgrin’ hat/ als fie noch ein junges fßläbcgen War, ben Sincenj 
geliebt, tiefer hat geh ober im ©eheimen mit ihrer ©chwefter 
tingelogen, unb als biefe fieh SKutter fühlt, Don Seiben fich ab» 
gewanbt, um ein reicheres 3Jtäbcgen p heiratheu. Der Soter 
ig, als er bie ©chanbe feines ÄinbeS erfahren, in befinnungB» 
lofer SDäuth auf baB ßimmer, in bem bie 3Käbcgen fegiafen, ge» 
ftürjt unb hat mit einer 2ljt einen Streich gegen ge p führen 
Derfucht. Satgrin’ h Qt g<h bajwifcgen geworfen unb ben furcht» 
baren Schlag aufgefangen, SDtit htapper fJiotg ift fie bem Zobe 
entronnen; fie h ot einen reegtfegaffenen fßtann befommen, nach 
beffen Zobe ihr $au8 unb §of Don ben Slnocrmanbten fort» 
genommen worben gnb, unb fo befdjliegt ge benn ihre Zage im 
„armen 2eut’»#au8". 

„9lun fehl, mein Seben war wohl jwei Srittbeit Äümnternig unb 
©ügfal, unb eB hält’ fi<h @in8 wohl barüber mit bem lieben Herrgott 
je »tragen mögen, aber wenn er mich fragen rnöcht’, hier heroben auf ber 
$ög’ oor’m „armen Seut’»§au8", ob ich lieber nit hält’ erleben mögen, 
«mb ich e rlebt gab’? Sch rnöcht’ ihm fagen: 0, lieber Herrgott, mir ift’8 
ja recht, waB ich erlebt hab’! 

©ir gnb ja wie Shnbet gegen ihn unb fo ig eB recht, bag baB 
Seben nit mehr alB ein ©piel ig, in bem wir »om Srnfi unb ©pag 
lernen, mag ja fein, bag wir, einmal grog gewachfen, eB beffer »ergehen!" 


„Unb wenn baS nicht ber gaß war’., fromme ftathrin’," fagte ich- 

,,©ie meint 3b*’S ? " fragte ge. 

,,©emt wir eben mit biefem Seben ganj unb gar fertig wären." 

„3 nun," fagte fie unb (ag mir erng in’B Oeficpt, „eB tönnt’ ja 
wogl fein, bet liebe @ott wirb beffer wigeu, was uns taugt." 

,,©enn ber nun fetbg nicht wär’t" 

„®i gegt," fag ge läCgelnb auf, „wie 3h r nur »eben mögt! ®r 
wttrb’ nicht fein, — ift ja bodj bie ©eit! Unb mag ihn ©iner auch 
nit glauben, er lann wogl fich felbg, aber nit igm pwiber leben." 

„Unb WaS benlt 3gr »on WUen, bie anberB glauben?" 

„©ein lieber §err," fagte ge unb gemmte ben firüdftod gegen 
ben ©oben, „fromm tönnen wir 9111c fein, bie grommheit lommt 3ebem 
felber p @ute, unferm Herrgott lann eB bo<h gleich fein, ob unfereinB 
ign glaubt ober nicht, ich beul’, auch ber Ungläubigge lann fromm fein, 
wenn er friebfam ig, benn friebfam nennt man ja auch fromm!" 

3cg ergob mich. 

„ffiaB fagt 3gr, §err?" 

„3ch? KidjtB! Soch ja, ich wünfegte, alle grommen wären Wie 
3hr- Sebt wogt, fromme Kathrin’!" 

3n biefer wie in ber folgenben ©efegi^te Dom „©ünbfinb" 
bilbet bie Darfteßung, bie djarafteriftifdje SBeife beB SortragB 
einen $auptrei; beB biegterif^en SBerfeB; unb ich bejwecfe mit 
biefer ©fijje nur einen $inweiB auf bie Dichtungen fetbft. 

Slitjengruber Derfteht eB !aum wie ein Breiter, bie Säuern 
feiner $eimat ihre eigentümliche Sprache reben p tagen. 3ßan 
hört, währenb man biefe lebenBwahren Seiten tieft, förmlich ben 
Zonfafl bet „frommen Äathrin’" unb beB prächtigen SßechteitnerB, 
unb man geht beten ®efi<htBau8brucf. Dem Sßechteitner hat 
feine SRutter lange Söhre nach bem Zobe feineB SaterB unb 
alB er, ber Sßechteitner, f<hon 30 Sagte jäglte, einen Sruber 
gefchentt, — eben baB „Sünblinb". SS1B er eineB SlbenbB Don 
ber Mrbeit geimlommt, „gunbmüb’", waB gnbet er? 

„3^ gab’ gemeint, teg bräegt’ »or Sexnmnbern ©aul unb Singen 
gar nimmer ju. Sie ©tuben »oß ffieibBleut’ auB ber Siacgbarfcgaft, 
bie {>ebmutter babet, bag icg’B turj maeg’, ’B ift auf einmal bie alte 
SinbBwäfdj’, bie lang »ergegen im ©egrein gelegen gat, mieber in ®e= 
brauch lommen. 

©ie’S nächtig Worben ig, gaben geh bie SefucgWeiber eine um bie 
anbere »erloren, ’lept geg’ icg aßein, geg’ beim genget unb trommel’ an 
bie ©egeiben unb je länger id) fo geg’ nnb trommel’, je »erlegener werb’ 
icg unb baB gätt’ boeg icg, meig @ott, nit SRotg gegabt, fo legr’ icg mieg 
mit brennrotgem ©egögt um unb fag’: ©oßt’g Sid) boeg fegämen, ©utter. 
©egämen foßt’g Sieg! Sa ge nicgtB reb’t unb nicgtB beut’t, gab’ icg 
meine Sßfeife genommen unb bin gegangen, moßt’ natürlich in ber ©oögen» 
guben lein’ Dualm »erurfadgen. 

Sie icg mit meiner igfeif’ ju 6nbe war, ba gab’ icg mit’B über» 
legt gegabt. SaB Sieben gintennadj, baB frucgt’t rein gar nicgtB. ©o 
war’8 aueg flanj ungehörig unb bumm, bag icg meine eigene ©utter 
»ermahnt gab’." 

Der alte fßeigleitner gewinnt feinen Keinen Sruber, ben 
fßolbi, Don #erjen lieb. Das S'inb wirb pm ©eiftlicgen be» 
ftimmt. 

„(Beiglicg foß er werben, Seinetwegen?" benf icg. „9lun, baB ig 
boeg bie leicgtege ©eif’, eigener ©ünben lebig jtt werben, wenn man 
ein ffrembeB bafür bügen lägt." ®efagt gab’ icg baB aber nicht; wer 
getraut geg fo waB ber leiblichen ©utter in’B (Begcgt p fagen? 

©r wirb alfo nach bem Seminar gefdjicft, unb ber fßech» 
leitner gibt igm bie ^anb unb fagt: Jßolbi, bleib’ braD, auch 
wenn Du ein fßfaff’ wirft!" 

Das $inb ift 16 Sagte alt, bie SJtutter pglt beren 61. 
Son Beil P Beil fährt fie nach ber Stabt, um fug p ertunbigen, 
„ob er nicht fegon einen Keinen 3tnfa$ p einem ^eifigenfegein 
hätte, rnär’S auch nur ein tfünlcgen wie Don einem SoganniS» 
löfer." 

Die SRutter ftirbt, unb fßolbi lommt hinüber nach SRoben» 
ftein auf bie fßfarre. Da Deränbert er fieg merfwürbig. @r 
Wirb menfegenfegeu, bie klugen liegen igm tief, et gat leine 
Sarbe unb lann ÜRiemanb ins ©eftegt fegauen. Dem fßecgleitner 
gefäßt ber geiftlicfje Sruber gar ni^t; aber ber fßolbi wifl 


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280 


1 1 1 ©egenwart. 


Nr. 44. 


nicht mit ber Sprache herauSrüden. ©ine« Sage« befugt ©ed) s 
leihter feinen ©ruber. @t hört eine ©rebigt non ihm, bie ihm 
ebenfall« nicht jufagt. ©enn ber junge ©eiftliche fpricht nur 
oon ben fürdjtertichften ©ingen, t>on ©otte« ©trafen, Mifjwach« 
unb bergieidien. @r fdjtägt mit ben häuften auf bie Kanjel 
unb bebroht bie ganje ©emeinbe, ber ©eufel werbe fie holen. 
„Stun," fagt ftdj bet ©ed)teitner, „ich merb’ meine« ©ruber« 
©ewerbStoeif’ nicht berfdljimpfiren... SBürft ©u beifpietswei« ein 
Sanfter unb liefjeft ba« ganje ©orf in engem ©dphjeug Serums 
hinlen, ich fagte nicht: Mein ©ruber ift ein fdjtedhter Schuftet!" 

3« Stobenftein trifft bet ©auer auch bie feifte Köchin be« 
alten ©farrer« unb ein fpinbelbürte« ©ing bon 16 Sagten, 
ein unheimliche« grauenjimmet, auch «« „Sünblinb", an bem 
ber alte ©farrer fein ©lfeil gehabt hat- 2Ba« Martin ©ech* 
leitner ba fonft noch ttmhmimmt, macht ihm mieberum wenig 
greube; benn e« Witt ihm fo feheinen, — unb biefe Wuffaffmtg 
beftätigt ftdh bei bem {Weiten ©cfuche, — bah jwifchen ber 
fpinbligen ©fatrbitn uub feinem ©ruber ein Setlehr befteht, 
ber nicht« ©ute« bebeutet. ©et alte ©fatter fiirbt, ein anbrer 
tritt an ferne ©teile unb Seopolb wirb weiter ht« Sanb hin«« 5 
berfefct. ©ine« ©age« belommt Martin einen ©rief, fein ©ruber 
fei nicht wohl, er »erlange nach ihm. ©r macht fich auf ben 
28eg, unb al« er an Drt unb ©teile angelangt, ift ba« ©rfte, 
wa« er fieht, bie biefe ©farrföchin bon Stobenftein unb ba« 
Zweite: bie „ausgehungerte Sah’", bie ©farrbirn. Seopolb liegt 
fdjwer erfranlt im Sette, taum fenntlid): „WuSgefehen hot er, 
wie man ben ©bmfta« aufm Kreuj malt." ©er Ktanle ift über 
ben ©efuch tief gerührt. @r macht nur unbeftimmte, aber febred* 
liehe Wnbeutungen. ©inmal entfdf)tüpfte ihm bie Weufjetung: 
„©eiftlicher hott’ ich nit werben fotlen." 

©et Kranle Wirb Stacht« au« bem ©ette getrieben, lleibet 
fich an, geht in bie Kirche unb prebigt bort im 3uftanbe ber 
$albbemuf}tlofigleit. ©« geht fchlimmer unb fdhlimmer mit ihm. 

Stach einet Siertelftunb’ ettoa hör’ idj »b n faßen: „3a, ja, nun 
mären wit pfammen, nut mußt mich nit fo feft um bie ©ruft nehmen." 
■Damit ttritft et fich mit einmal — tinf ift er gelegen — rechts übet, 
tljut ein’ tiefen «tljempg unb au8 war’». 

SKich hat’« »om Stuhl in bie §öf)’ geriffen, ich hab’ mich über ihn 
gebeugt, fein H<*udj ift mehr bon ihm gegangen. 34) war lang’ nit 
im Stanb, ihm bie Bugen p fcfjliefjen, fo unficber Wat ich in ben 
tpSnben unb ich Wollt’ ihn nicht hart antühren. ©üblich hab’ ich’« bodj 
pweg’ gebraut. ®amt btn ich fort, unter ber ©tjür h°b’ ich mit ihn 
noch einmal betradjt’t, wie jo füll er baliegt, hab’ „SB’püt’ $tdj @ott, 
©olbel" gefagt unb ba« Sdjlofc facht hinter mir pgepgen. . . 

®i, Du arm’ Sünbfinb, 2)u, wie muthwillig ift ®ir bie greub’ am 
Seben jernidjt’t worben! Selbft »om Sßädjften pm Rädjften finbet fich 
wenig ©imcerfteljen unb Srbarmnifc auf ber SBelt. 3ch h«b’ an feine 
§wei Herrgötter benlen mttffen, ber eine für auf fifrben, ber anbere im 
Himmel; lang’ fann’S nimmer bauern, fo geh’ ich auf Rimmerteljr, unb 
ba mär’ mir wohl Heb, ich fänb’ ben {Weiten unb mär’ bem gerecht. 
•Run, wie’« wirb, ich merb’8 fdjon imte werben, BUe werben wir’« inne 
werben, wie wir ba fi|en. 

©omit fehltest Martin feine ©rjäljlung. 

Slu« allen biefen ©rjäljlungen, bie ich tp« .in mehr ober 
mirtber ausführlicher Sßeife ju analhfiren ben Serfudj gemacht 
h«be, fprid(t ein bebeutefiber, tieffinniger, warm empfinbenber 
unb in ber ©arftellung ganj’ eigenthümlidher ©ichter ju un«, 
eine reiche unb echte Statur, bie un«, je näher wir fte lennen 
lernen, befto lieber unb bertrauter wirb — berfelbe ©ichter, 
bem unfere Sühne ben „©farter bon Kirdjfelb", ben „Meineib* 
bauer" unb bie „Kreujelfchreiber" ju banlen hat. 

panl £inbau. 


Corb Beanmgftelb als KonMnfd)riftfteller. 

Sott %len «gtmment. 

(Sdjlufc.) 

©ie« war jebodh ber legte Sloman pur et, simple, ben 
©iSraeli fchrieb. 3m Sah« 1837 würbe fein ©htgeij befriebigt; 
er Würbe in« ©arlament gewählt. @8 gab bamal« Unjufriebene 
unter ben altern unb iüngern Mitglieber ber conferbatioen 
©artei, unb ©iSraeli, mit feinem gewohnten ©tauben an bie 
belebenbe Macht ber 3ugenb, ftrebte banach, ber gühret bet 
jüngem ju werben, bie ftch p einer befonbern ©artei unter 
bem Staaten „Yonng England“ bereinigt hatten, ©iefe ©e- 
wegung war ber faft gteidjjeitigen be« jungen ©eutfdjtanb 
biametrat entgegengefegt: e« war eine reactionäre, nidht eine 
rebotutionäre Strömung. Stach ©iSraeli« Meinung war ©utopa 
bamal« in einem UebergangSftabium bom geubatismu« jum 
göberatiSmu« begriffen. 3ung ©nglanb festen einen Kreujjug 
gegen ba« rebolutionäre Sohrljunbert ‘ju beabfidhtigett. ©ie 
wollten in ©uropa wieber feubate guftänbe entführen unb feufjten 
nach ber „guten alten Seit", wo bie nieberen Staffen noch bom 
Slbet abhängig waren. 3n il>ver 3Belt follte eS nur Sbelige 
unb ©auern geben, bie ©rften feht reich, bie Wabern feljr 
malerifch. ©in h^tbortretenber 3ug biefer ©ewegung Wat bie 
Hinneigung ju ben Sehren unb ©ebräudjen ber älteren chrift= 
liehen Äircpe. ©ie glänjenben unb reichen ©öhne ber Wriftofratie 
fotlten in bie potitifdje Wrena eintreten unb bie ©ache be« ©olt« 
oerfechten, fie fotlten ben ©oriSntu« unb bie Kirche neu beleben unb 
ben fRabicatiSmu« erftiefen. ©ie ©artei hatte ein eble« Streben, 
aber ihre gähigteiten waren bemfelben nicht gewachten. ©8 
gelang ihnen nicht, ihren etwa« nebelhaften ©länen für bie 
^Regeneration ber ©efettfdjaft beftimmte ©eftatt ju geben. Sticht« 2 
beftoweniger haben fie auf ihre unmittelbaren Beitgenoffen eine 
heitfame 25}irfung auSgeübt, inbem fie in bie politif^e ©iScuffion 
neue«, frif^e« Seben brachten, unb ift bon ihren ©eftrebungen 
auch nicht« übrig geblieben, fo haben fie hoch ben ©runb ju 
©iSraeli« potitifdhem Stülpt gelegt, ©r würbe ju ihrem gürtet 
gewählt unb al« foldher beauftragt, bie Manifefte ber ©artei {u 
»eröffenttichen. Di nun ©iSraeli bollfiänbig an biefen geubäliä- 
mu« be« 19. Sahrhnnbert« glaubte, ift eine anbete grage, aber 
er biente feinen 3mecfen, unb mit charalteriftifcher Originalität 
fchrieb er, al« er aufgeforbert rnnrbe, bie« wichtige ©ocument 
ju »erfaffen, ftatt einer ernfttn potitifchen ©chrift einen Stoman. 

„ffioningäbh" lann al« eine neue Wrt ber ©idjtung be¬ 
trachtet werben, bie mit bem gewöhnlichen 3«tereffe einer Stonelle 
bie ©iScuffion ber gleichzeitigen ©olitif unb ber focialen ©tobleme 
oerbinbet. ©8 ift ein glänjenbe« ffierl, bei SBeitem ba« taten!* 
bollfte bon ©iSraeli« ©üdhern unb würbe ein Sloman erften 
; Stange« fein, wenn e« weniger abfichtlich gefchrieben wäre. 

, „Sgbil" folgte unb bann „Jancreb". ©ie beet Slomane bilben, 
j wie un« ber ©etfaffer fagt, eine Xritogie, in ber er fein« 
potitifchen, focialen unb retigiöfen Wnfichten niebergelegt hat. 
Sebet bon ihnen jeigt in irgenb einer gorm be« Wutor« eigen* 
thümtidhen ©ebantengang. Hierher gehören befonber« feine Sbeen 
bon ber Ueberlegenheit be« jübifdhen Stamm« übet alle anberen, 
bie er in „©oningSbp" juerft mit Stadjbruc! bortrug unb in 
„©ancreb" weiter entwicfelte. 

„®ie jübifdhe Stace" fagt er, „ift eine ungemifdhte. — 
— ©ine unbermifdhte Stace mit einer Organifation erften 
, Stange« ift fte bie Wriftohatie ber Statur — — ©entt ihr, ba| 

I bie ruhige, fdhtäfrige (homdnum) Verfolgung eine« würbeboQen 
Siepräfentanten einer engtifchen Uniberfität biejenigen jermatmen 
fann, bie nadheinanber ben ©haraonen, ben Stebutabnejar«, 
Stom unb bem Mittelalter miberftanben haben? ©a« gactum 
i bleibt, ba| man einen reinen ©tamm bon faulafifcher Organifation 
; nicht jerftören lann." 

i ©r geht nun baju über, un« ju {eigen, baff alle Suben 
mit Stothwenbigleit lorie« ftnb, ba| bie erften 3«fuiten Suben 
waren, bafe bie Hälfte ber beutfdjen ©rofefforen, ba| bie leiten* 
i ben ©taatmänner in Spanien, Stufjtanb, granlreidh unb ©reuten 


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Nr. 44. 


0 i e Gegenwart. 


281 


3ubcn finb, unb baß jübifepes 99tut in ben Slbern bec be« 
rüpmteften SRarfcpäfle {RapoIeonS rann. EBaS bie Oper betrifft, 
bie ift gang in ben Hänben bet Suben, fowopt in IBegiepung 
auf Gomponiften — Pace EBagnerl — als SluSfüptenbe. Das 
Gpriftentpum ift in DiSraeliS Stugen nur „bet gweite Zpeil ber 
jübifepen {Religion" unb er miß uns geigen, baß bie ERenfcppeit 
bem jübifepen Stamm, ja auch bem {ßontiuS {ßitatuS unb SubaS 
Sfcpariotp fepr gu Danl nerpflicptet ift, beim „wenn bie Suben 
bie {Römer niept oermoept Ratten, unfern ^eitanb gu treugigen, 
Was wäre aus bem Sttpnopfer geworben?" {Räubern er fo et« 
ttärt pat, baß er bas Gpriftentpum nur als ein erweitertes 
Subentpum betrachtet, fefet er auSeinanber, weSbalb er in 
„GoningSbp" bie Kircpe als baS pauptfäcplicpfte Heilmittel bei 
ber Söieberbelebung, bie er bewirfen will, begegnet bat: „Sn- 
bem wir bie Oberperrfcpaft ber Kitcpe aufs {Reue feftfteßen, 
wollen wir geiftige (Elemente in bie {Regierung ber {Rationen 
einfftpren unb fo ein Gegengewicht gegen bas {RüpticpteitSprincip 
«nb bie bauten unb {alten ßepren beö S9entpam unb ERaltpuS 
einffibren." 

Snbem er baS {ßrincip ber {Racc feftfteQt, geigt er, wie 
entgegengefept es ber ©leicppeit ber ERenfcpen unb anbern äpn« 
lieben fiepten ift, welche bie alte Gefeßfcpaft gerftört pabeu, 
ohne einen genfigenben Gtfap gu bieten. Die SBerwirrung im 
Geift ber Stationen ift burep gwei Urfachen oeranlaßt worben: 
burdj ben heftigen Angriff ber Germanen auf bie Gottbeit ber 
femitifchen Literatur unb bureb bie {firglichen Gntbedungen ber 
®iffenfepaft. 

Die ffiiffenfcpaft ift DiSraeliS bete noire. 3P« ®e= 
nauigleit, ihre allgemeine Grreicpbarteit finb ihm unangenehm; 
er liebt efoterifepes EBiffen, wenigen oorgegognen Geiftern offen« 
Bart, bie babutep bie Seiter ber ERenfcpen werben. Gr geigt, 
baf e* ein ftarler Srrtpum ift, wenn man annimmt, bat erft 
bie neuere Seit wiffenfchaftliche Gntbedungen gemacht habe; „bie 
gröteften Gntbedungen finb nicht bie ber neueren Beit. Stiles 
bieS ift nur eine geiftige (Empörung ber germanifchen Stämme 
gegen bie femitifche Offenbarung; aber bie SSerwirrung wirb 
ooröbergeben; wir werben finben, bat Slbrabam unb SRofeS 
mehr oom ®eltaß wutten als Hegel ober Gomte." 

Die Grgäptung, Welche biefe Gehanten oerlörpert, ift in 
furgent folgenbe: Der Helb ift ber elternlofe (Entel beS fiorb 
ERanmoutp, eines falten, perglofen Slriftofraten, etwa wie ber 
ERatguiS Don Stepne in „Vanity fair“. Der 93ormunbfcpaft 
biefeS SRanneö ift ber Knabe annertrant. Sowohl auf ber 
Schule, Wie auf ber Unioerfität geichnet er fich bureb feltene 
GeifteSgaben aus; wie alle Helben DiSraetiS, ift er, (aum bem 
Knabenalter entwachfen, ein ooßenbeter Staatsmann. ®äprenb 
ber Serien befuept er feinen Großoater unb oerfepiebene Sveunbe, 
unb ift überall als ein ebler, poeppetgiflet Süngling beliebt. 
Seine Slnfichten, wie bie feiner Umgebung, finb confematit) Gr 
ttänfept gu reifen unb Sttben gu befuchen; gufäflig trifft er in 
einem SBatbe einen gebeimnitnoKen Seemben, ber gu ihm fagt: 
„DaS Beitalter ber Shtinen ift norüber; haben Sie ERanepefter ge« 
feben?" GS geigt fiep, bat ber grembe ein 3ube, {RamenS Sibonia 
ift, teiiper als alle Slotpfcpitbö unb weifer als Salomo. Gr 
war trat breißig 3apre alt; batte aber StfleS gefepen, wutte 
Stiles unb war fähig, mit (Einem EBorte tiefe Probleme gu 
löfen, über bie gewöhnliche ERenfcpen jahrelang naepbenten. Gr 
öffnete GoningSbpS Geift unb geigte ipm, bat StfleS in ber EBett 
butep eine Gombiitation non Sugenb unb Genie geleiftet worben 
fei. Gr fagte ipm, bat bie SBett, namentlich bie peibnifepe SBelt „nur 
ein fßoffenfpiel (a force) fei; bat neununbneungig SRenfcpen non 
punbert benimmt feien, butiep ben Hwtbertften, einen begabten 3üng« 
ling, regiert gu werben; bat Bern Stbenteurer Slbenteuer begegnen 
mürben" unb ermuntert ipn, ein groter ERattn gu werben. 
GoningSbb jmaept [fiep fogteiep auf, ERanepefter gu fepen „the 
mushroom growth of an Aryan civilisation“ unb tommt bafelbft 
mit {ßolittl unb politifcp beteiligten {ßerfönlicpleiten (wire- 
pallers) in EJetbbtbung, bie Eitle mit unübertrefflicher fiebenbig« 
feit gegeiepnet finb. 3» Ber Darfteßnng ber niebrigften Sormen 
ber Selbftfuept, Dummpeit unb Oprenbläferei, bie eine parla« 


mentarifepe Elegierung ergeugt, fann ber Eioman als ein EReifter« 
ftücf bitterer Satire gelten. Stber GoningSbp tput noep etwas 
SlnbereS in SRancpefter, als bie {ßolitif beS Zages beobachten 
unb gu ben Sitten feines neuen Gamaliel fipen: er oerliebt fit unb 
noep bagu in ERiß SRißbanl, beren ESater ber Zobfeinb feines 
GroßnaterS ift. 3n Solge beffen finbet ipn fein Grotnater mit 
10,000 {ßfunb ab unb pinteriätt fein EJermögen einer jungen 
Dame, Slora, bie fiep iprerfeits leibenfcpaftlicp in GoningSbp 
oerliebt. Da er nun ipre Buneigung niept erwibern !ann, ftirbt 
fie, naepbem fie ipm ipr EJertnögen pinterlaffen pat. Gr tritt 
ins ißartament ein unb öertünbet bort bie Shtficpten ber neuen 
Generation, wie Sibonia fie ipm eingeftöpt pat. 

Die SBpigS, baS behauptet er, hätten feii 1688 in Gnglanb 
eine Strt non Oligarchie naep bem ERufter ber oenetianifepen 
EJetfaffung eingefüprt unb nun, feit bie {Reformbifl non 1832 
fie gerftört pabe, fei Gnglanb mit oenetianifepen {ßrincipien, aber 
opne oenetianifepe Gonftitution geblieben. Die eingige Hoffnung 
fei eine Strt non bemofratifepem ZoriSmuS, eine StegierungSform, 
welcpe DiSraeli befonberS liebt unb pier gum erften ERale aus« 
füprlicp erörtert. Sei GoningSbpS Gintritt ins öffentliche fieben 
oertaffen wir ipn. DiSraeli wiß ben überftrömenben Geift jugenb« 
lieper Halben; bie gemäßigte Sraft beS ERanneSalterS pat nicptS 
SlngiepenbeS für ipn. 

Diefer Sloman, ben er fepon in reiferem Sllter unb in ber 
nerantwortlitpen Steßung als {Parteiführer unb potitifeper Sie« 
generator feprieb, ift non befonberem 3ntereffe. Gr foßte naep 
ben Stbficpten beS SerfafferS ein Honbbucp torpftifeper Grunb« 
fäpe, baS Gnangelium eines neuen politifepen Glaubens fein — 
unb was finben wir? Gin SBucp ooß non {perfönlicpteiten, non 
beifjenber Satire, mit berfelben füpnen SlüclficptSlofigleit, ber« 
felben {Ricptacptung beS Gefüpls ber Serfpotteten gef^rieben, 
moburep einft „Sinian Grep" ein folcpeS Sluffepen pernotrief. 
Bwangig 3op« patten bie Scpärfe feiner Satire nur nermeprt, 
ipn aber ni^t milber, niept nacpficptiger gegen bie Scpmäcpen 
Slnberer gemaept. 

„Spbil" pat als gweiten Zitel: „Die beiben Elationen". 
SRit ben beiben {Rationen finb bie {Reichen unb bie Sinnen ge« 
meint, unb baS Sucp foß bie Sage beS SolfS gut Beit ber 
Gpartiftenbewegung geigen, wo wirttiep bie ©ebrüefungen unb 
Seiben beS Solls fcpredflitp waten. „Spbil" ift bebeutenber als 
„GoningSbp"; benn finben wir barin auep biefelben geilet, fo 
pat eS anbrerfeitS befonbere Sorgüge. GS ift reiep an Scpilbe« 
rungen ber extremen klaffen ber Gefeßfcpaft. Die SRagnaten 
non „ERapfair" unb bie Silanen ber Subtilen unb Sergwerle 
finb einanber mit einer Sraft unb Scpärfe entgegengefteßt, bie 
ben Sergteicp mit DicfenS’ mirlfaniften Schreibungen erträgt. 
{Ratürlh feplt eS niept an ftatttiepen „peeresses“ unb ipren 
fepönen Zöcptern, bie ipr peitereS Seben in prächtigen fßaläften 
unb fepönen Gärten gubringen, ober an gtängenben jungen 
ERännern, fcpön wie Hpferön, unerfcproclen wie Saparb unb 
geiftreiep wie Zaßepranb. Slber in ben Sobrilbiftricten fepen 
wir wirtlicpe ERänner unb Stauen; wir lernen Hanget unb 
Glenb lernten, unb lefen tebpafte Sefcpreibunge non einer 
„trade-union“ unb einem „strike“. Die tnüjjigen klaffen werben 
ben arbeitenben Klaffen entgegengefteßt, unb pöcpft einbringlicp 
Wirb unS gegeigt, auf welcpe SBeife bie leiteten bie gefäprticpen 
Klaffen werben. SBenn wir fo treue Gopien beS SebenS fepen, 
füplen Wir, wie große Dinge DiSraeli in ber Siteratur pätte 
ieiften lönnen, wenn er bie Zräume feiner unrupigen GinbilbungS« 
traft unb bie bebrüdenbe Sttmofppäre beS ©langes unb lieber« 
ftuffeö gemieben unb fiep auf bie Scpitberung ber wirllicpen 
EBelt befdpränlt pätte. 

Die Grgäptung oon „Spbil" beginnt in einem EBeftenb« 
Glub ben Slbenb nor bem Derbp«EBettrennen im 3®pte 1837, 
unb wir werben auf biefe Strt fogteiep in bie Gefeßfcpaft ber 
oornepmen unb btafirten Sugenb GnglanbS eingefüprt. Slm 
näcpften SRorgen werben wir naep „Gpfom DownS" gefüprt, 
pören tebpafte politifepe DiScufftonen unb tpeiten bie Slufregung 
ber ZorieS über ben Zob EBilpetmS IV. unb bie Zpronbefteigung 
ber Königin EJictoria. Der junge unb entpufiaftifcpe Helb, 


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282 


Ulit ©egt«wart. 


Nr. 44 


©gremont, geht nun nach Marnet) ©bbep, um (einen ©ruber, 
Sorb Marnet), ju befugen. Hier trifft et einen grölen Kreis 
uon Männern, bie mit wenigen Sluänaljmen falte, intrigante 
©otitifer ßnb, bie nur ihre perfönlidjen Srnede im ®uge haben 
unb bie Ernten hoffen. SCBie fith ermatten fä|t, hat biefe fociale 
Iprannei f(Stimme SRefultate. Sie Seute auf Sorb Marnet)« 
©ütern finb unjufrieben, unb au« Haß unb SRache jünben fie 
ihre« Herrn fieuft^ober unb Scheunen an. 3« biefem fritifdjen 
Moment lernt ©gremont, ber in« ©arlament gemailt ift unb 
ber focialiftifdjen ©emegung mit lebhaftem Qntereffe folgt, jtcc; 
Männer au« ben gabrifbiftricten fennen. Ser ©ine ift Mortep, 
bet focialiftifche Herausgeber eine« ©rooinjialblatte«; ber Slnbere, 
©erarb, ein einßdjtiger Senfer unb ein entfcfjiebener fRabicaler 
non tiefgemurjelten Ueberjeugungcn unb fittlidjem ©rnft, ein 
Mann non einem Ippu«, ben bie gabrifftäbte in Menge auf: 
Zeigen fönnen. gn einer fef|r furzen Unterhaltung beeinfluffen 
bie Männer ©gremont burd) bie Kühnheit unb Driginalität 
ihrer Meinungen, ©ie tragen ihm ganz neue Sheorien ber 
©olitif unb ©efchichte nor, unb er öberlegt nicht, ob ihre Sar= 
tegungen juoerläffig ober etma non ©arteianfichten beeinflußt 
feien; feine ©efeljrung ift fo ooflßänbig mie fdjnefl. 3ht ©e* 
fprädj mirb burch ben Ion einer Stimme unterbrochen, bie mit 
tieffter grömmigfeit ba« Slüemaria fingt, unb ©gremont mirb 
üon bem leibenfchaftlichen SBunfd) ergriffen, bie Sängerin fennen 
)u lernen, ©r entbedt ße in ber fchänften lochtet ©üa«, 
©pbil, in bie er fuh augenblidlich berliebt, obgleich fie uon 
nieberer ©eburt ift. 3nbeß h®t ix feine Unterhaltung mit ben 
beiben Männern nicht uergeffen unb geht nach bet gabrifftabt 
Mombrap, um mit eignen Slugen bie Sage ber Arbeiter ju becb= 
achten, mie er bie Sage ber gelbarbeiter auf feine« ©ruber« 
©iitern erforfcht h®t- 9iun merben mir in elenbe Sadjftuben 
unb Kefler geführt, mo Arbeiter an ihren SBebftühlen uerhungern, 
mo inmitten ber Irunfenheit, be« ©djmuhe«, ja ber ©efängniffc 
gearbeitet mirb. ©gremont fieljt gefchidte Arbeiter in einem 
guftanbe bet Unmiffenheit, mie er felbft bei anbern, meniger 
cioilifirten Sölfern nicht ejiftirt, unb mie er auch bei un« — 
©ott fei Sanf — nicht mehr Uorfommt. ©r mirb auch in bie 
©etjeimniffe ber „trates- unions“ eingeffiljrt unb ift bei bem 
großen ©hartiftenaufftanbe, feiner fdjneßen Unterbrüdung unb 
ber ©efangenneßmung ber SRäbeläfüljrer gegenmärtig. Snzwifdjen 
ift Sorb Marnep mährenb eine« lumult« jufätlig um« Seben 
gefommen, unb ba er finberlo« iß, erbt ©gremont feinen litel 
unb fein ©ermögen unb Ijeirathet ©tjbil, bie glftdlicher SBeife 
entbedt h®t, baß ße eine« Sorb« locht er unb eine reiche ©rbin 
iß. Sa« ©aat lebt fortan in ungetrübtem ©lüd, mie in ben 
geenmärdjen; ber Sichter nimmt Slbfcßieb uon ihnen, nadjbem 
er ße burch bie ©türme ber 3ugenb bi« in ben Hafen ber ©he 
geleitet hat. 

Ser britte Mbfcfjnitt ber Irilogic „lancreb, ober ber neue 
Kreuzfahrer", behanbelt religiöfe gragen, benn in ber Sugenb, 
bem Solfe unb ber Kirche erfannte SiSraeli bie brei mirffamften 
Kräfte zur ©rneuerung be« nationalen ©eifte«, bet bem „iungen 
©nglanb" tobt etfehien. 3n ,,©t)bil" hatte ßdj SiSraeli ganz 
erfüllt uon ber ßtothmenbigfeit gezeigt, bie SReidjen mit b.en 
Sirenen zu Uerföhnen. 3n „lancreb" fetjen mir mieber einen 
jungen Herzog, ber feine ©roßjährigfeit feiert unb uon bem 
SBunfdj befeelt ift, 3erufalem zu befudjen unb ,,ba« ©eßeimniß 
SljienS" zu löfen; übrigen« erfahren mir nicht, toaS ba« eigene 
lieh iß; benn e« mirb in SiSraeli« Spontanen oß ermähnt, aber 
nicht erflärt. lancreb« zärtliche ©Item ßnb außer ßch über 
feinen ©lan unb tßun Slfle« ma« fie fönnen, ihn bauon abzu* 
bringen, ©ergeben«; er fefct feinen äBißen burch, 9 e ht nach 
bem Orient, trifft mit ©ibonia zufammen, ber ihm ba« Ueber= 
gemicht be« hebräifchen ©olfSßamme« auSeinanberfefct, lernt einen 
fpanifdjen ©riefter fennen, einen 3uben uon ©eburt, ber mit 
allem SJiffen ber Neuzeit etma« uon bem „magnetifdjen ©inßuß" 
feiner Kirche unb feiner ©eburt oereinigt. Sann oerliebt fid) 
lancreb in @oa, bie lochtet oe« großen ©anquier« in 3eru* 
falem; fpäter fommt er zu Slßarte, ber Königin eine« Stamme«, 
ber Hpofl unb Uphrobtte anbetet, mirb gefangen genommen, be: 


freit, mirb franf, unb fdjließlich h°luu feine beforgten ©Itern ihn 
Uon Serufalem ab unb nehmen ihn mit ßdj nach ©nglanb. 
Sa« ©u<h ift ein Mofaif uon glänzenbeit ©{trauaganzen unb 
tljeologifchen SiScuffionen. 6« hat fein eigentliche« ©nbe, unb 
ba« aßatifchc ©eljeimniß bleibt ungclöft. Surch ba« ©anze 
geht mieber bie geheimnißoofle Slber, wejdje SiSraeli« ©igen* 
thümlidjfeit ift, unb fein jübifdjer SogmatiSmu« fpielt eine 
große SRofle. „SRace," fagt er un«, „ift bie einzige SBahrfjeit." 23a« 
foß aber,, nach biefer Iheorie, an« att ben laufetiben merben, 
bie ba« Unglüd haben, niept uom Kaufafu« herzuftammeii.? 
ülußerbem mürbe barau« folgen, baß bie 3nfpiration am ©oben 
haftet, unb baß ©ott zu ben Menfcßen nur in ©aläftina fpted)en 
fann. Siefer britte Vornan mar auch fü r „3ung=@nglanb" z“ 
überßnnlich unb theilte nicht ben ©rfolg feiner ©orläufer. Soch 
enthält er, neben oielen Slbfurbitäten, manche« Slmüfante unb 
Originelle, unb fogar einzelne poetifdje 2lbfdjnittc. Sie lieber* 
gänge tiom ©rnften zum Hütern, Uom glühenbften ©nthußaämu« 
Zum höhuenbften ©tjniSmu« finb fo plöfjlidj unb unmotioirt, baß 
an ba« Such ber gewöhnliche Maßftab be« fRoman« gar nicht ge* 
legt merben fann; wir müffen c« als ein feltfame« ©piel bet 
©ebanfen betradjteu, reich an gehlem unb ©orzügen. 

SiSraeli mar jejß auSfchließlich mit feinen politifchen ©pichten 
befdjäftigt, unb fchien bem Sichten ganz entfagt z« haben, al« 
er nach 20jährigem ©tinfehweigen noch einmal, im 3ah** 1870, 
mieber mit „Sothair" auf trat. ©8 ift unmöglich, uom biefem 
Suche zu fagen, ob e« im ©rnft ober Scherz gemeint iß. Ser 
©til hat etwa« Künftige«, glitterljafte«; es fehlt bie vivida vis 
ber frühem SBerfe. Soch trifft man auch hier einzelne geift* 
reiche ©teilen, welche zeigen, baß SiSraeli« Hanb bie alte 
Kraft nicht ganz ocrloren hat. Sie ©efchichte felbft hat eine 
große gamilienähnlichfeit mit ben frühem. ©Senn man bebenft, 
wie beweglich unb für Steuerungen eingenommen Siäraeli« 
’ ©eift ift, muß man fidj wunbern, baß er fo beharrlich auf baSfetbe 
Iljema zurüdfommt. fiothar iß ber eltemlofe ©rbe eine« alten 
Haufe«, bem bei feiner Münbigfeit große ©üter zufaßen, unb 
ber nicht recht Weiß, wa« er mit ßch ober feinem ©ermögen 
anfangen foß. @r iß leid)t beftimmbar, unb Wirb eine Seute 
argliftiger ©riefter unb ©erfdjwörer. 3mei Kirnen, bie fatho* 
lifdje unb proteftantifche, fämpfen um ihn; er wünfdß eine Kirche 
ZU bauen, fann fidj aber nicht entfdhließen, welcher Steligion«* 
gemeinfehaft ße angehören foß. ©üblich Wibmet er bie bazu 
beftimmte ©umnte ber ©jrpebiton ©aribalbi« nach Mentana, ber 
er ßch felbft anfdjließt. @r entgeht faum bem lobe, Wirb in 
3tom beinahe belehrt, geht nach Serufalem, uon wo er al« ent* 
fdjiebner ©roteftant zurüdfeljrt unb ßöh auf bie afltäglidjße 
SBeife oerheirathet unb zur SRuhe fefet, nachbem er erß eine 
9teihe ber gefährliöhßm unb aufregenbßen Slbenteuer erlebt hat. 
ffir ift ein negatioer unb wefenlofer Helb, wie SiSraeli ße 
nicht zu f^ilbern pßegt. Sie ^»clbin iß gleidjfaß« unbebeutenb. 
Elle s'habüle, babille et se des habille. Stber bie Stebenperfonen 
ßnb lebenbige unb geiftoofl bargefteflte, wenn auch übertriebene 
Itjpen ihrer Klaffe. SBir haben hier nur mit ber creme de la 
creme zu thun, unb Wie in alten 3eü«t aße Männer SRiefen 
Waren, fo haben wir in „Sothair" nur mit Sorb« z u thun. 
Sod) meint SiSraeli hier bie Singe nicht in fo bitterm ©rnft, 
wie in feinen frühem fRomanen. ©iefleidjt hat er, wie liberiu«, 
ba« Seben überlebt, äße« burdjßhaut unb gefunben, baß eS 
läufdjung iß. ©eine Ueberzeugung uon ber abfoluten unb un* 
Zweifelhaften Ueberlegenfjeit ber femitißhen fRace mirb nicht meßr 
fo ßarf betont, ©eine jefcige Iheorie iß, baß bie beiben großen 
©efaßren für 3ung;@nglanb bie römifdje Kirche unb bie rothe 
SRepublif finb, unb er tßut fein Mögliche«, baoor z« Warnen. 
Unb bodj Wirb man bie ©mpßnbung nicht to«, baß bie ganze 
lenbenz be« Suche« eine bemofratißhe iß. ©ine barin mit 
Kraß uub ©orliebe gefcljilberte ©erfon, Iljeobora, fcheint zu 
Oerrathen, baß SiSraeli felbft im Hetzen etwa« reootutionär iß. 

©ießeießt iß e« aber nur ber SluSbrud be« lorp^Rabi* 
caliSmu«, ber SiSraeli eigenthümlich ift. ©ret Harte hat in 
einer prachttoßen ©atire, betitelt: „Sie fßbenteuer eine« jungen 
Manne«, ber eine fReligion fudjt' (in se arch of a religion) 


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Nr. 44. 


Sit (StgenuMitt. 


283 


ben Montan parobirt, ber aHerbingS mcljt Stoff bagu bietet, 
*t# itgenb etwa«, ba§ DiSraeü getrieben. Dodj muff ^iet 
eine fe^c gelungene $arobie non i^atfcra^ ermähnt werben: 
„Codlingsby, by D. Shrewsbnry Esquire“, Worin „EoningSbp“ 
*nf eine fdjtagenbe, oft DiStacfil Eigentbümlicbleiten fibertreibenbe 
Seife fatirifd) nachgebilbet ifl. 

Sie haben jefet in «hronotogifcber Drbnung alle Montane 
DiSraetii bnrcbgenommen, bürfen aber nicht nergeffen, noch gtoei 
furge ©ephichten, eigentlich jeax d'esprit gu nennen, bie gu 
best Vepen geböten, ba§ er gefc^rieben bat. $idr bat er ben 
$tftoriter unb Propheten gänglich bei ©eite gelaffen unb feine 
beifenbe Sanne tommt ungezügelt gum 2lu$brud. 22a? fdjarfen 
©arlaSmuS, lebhaften Sip unb wjjne $b“ntape betrifft, tönnen 
„Ixion in Heaven“ unb „The Infernal Marriage“ einigen bet 
hirjen Erg&blungen Voltaires an bie ©eite gefegt werben. 
„Ixion“ fft eine mtphologifche MobeQe, ooH bon pitonten Sägen, 
bereu ©rmtbton bet 2lu8fpru<h ifl, bent Wir ftfion einmal be= 
gegnet finb unb ber bem 2lutor tbeuer gu fein fcbeint: „Ad- 
ventures are to the adventurous.“ ©ie bebanbelt eine feiner 
SiebtingSpguren, einen Varoenu, ber fidj bermöge feiner ißer» 
fönlicbleit unb feiner latente in bie befte ©efeüpboft einbrängt 

Sie bet Hofmann in MenanS „Ealiban", möchte er aus» 
rufen: „Parvenir, voilä la vie selon moi.“ Dcnfetben Sip, 
biefelbe genaue Kenittnip beS SebenS unb feiner Micbtigfeiten 
ftnben Wir in „The Infernal Marriage.“ Vielleicht ift ber 
erfte ©ebanfe bagu in DiSraeli burd) eine bon 3Rarmontel8 
ntoralifeben Ergäblungen „Der Sultan“ angeregt worben. Der 
Schieden nnb bie Verwirrung im $abe8, bie Meootution, welche 
bie $eiratb be$ ißluto mit ber jungen ißroferpina in ben ge» 
Wohnten {formen beröorbringt, haben biel 2tef)niichteit mit ben Ver» 
änberungen, Welche ©olintan II. gejwungen War, feiner neueflen 
gatwritin Mojelane gu ©efatlen, in fein ©erail eingufübren. 

„The Infernal Marriage“ enthält, hierin ho« „Ixion“ ab» 
weicbenb, politipbe, gum Dbeil febr burd£>fid>tige 2lnfpielungen. ©o 
Wirb bie 2lbbication Karls X. angebeutet, fo ber ber Meformbill 
fdjäblicbe Einfluh, ben bie Königin 2lbelaibe auf Sitbelm IV. 
auöübte. 3Rit ©aturn, ber gern neue ©gfiente erfinbet, bie 
trog feiner guten 2tbpd)ten immer untauglich finb, ifl 3ofepb II. 
gemeint. DceanuS, ber immer weint, wenn er ein Urteil fällt, 
ifl Sotb Eibon u. f. W. 

Senn wir DiStaeliS Montane burcblefen muh un8 We Ve» 
barrticbleit anffaßen, mit ber er einige feiner bem 2lnfcbein nach 
unmöglichen 3been auSgefübrt bat. ©o fpricht et g. V. in 
„VopaniDa“ babon, bah eS für Englanb wünfdjenswertb fei, 
Eppern gu annectiren; in „Dancreb“ empfiehlt er, bah Englanb 
bie Hauptmacht in 2lpen werben möchte, eine anglo=mobamme» 
banifche, unbeeinfluht burch bat Parlament. Er ift auch im 
(Bangen feinen politifdjen Mnpchten treu geblieben, wenigftenS 
ber Äbficht, bah Stacht erlangt werben mu| — nm jeben ißreis. 
(Bewiffe 3been, in genau baSfelbe ©ewanb gelleibet, lommen 
immer wieber in DiSraeliS Büchern unb Sieben bor, unb es ift 
ein mertwürbigeS ff actum, bah et an benen am fefteflen hält, 
bie recht pbantaftifcb finb. Er ift Steiper bet Mebewenbungen, 
bie oft febr glücKich unb oft auffaHenb abfurb, immer aber bon 
ber 2Irt finb, bie fiep bem ©ebäcfjtnih ber Mtenfcben einptägen, 
fo bah einige bon ihnen „geflügelte Sorte“ geworben finb. 
Oft ifl e$ unmöglich gu fagen, ob er tiefe Uebergeugungen aus» 
fpricht ober ber Eingebung beS SRomentS folgt, aber biefe 2lu$» 
brudsweife ift intereffant unb ebarafteriftifeb. DaS ©ewebe 
feiner ©chriften ift fo mit Sronie unb Ernft burebfehoffen, bah 
e$ ein gang eingigartigeö fßrobuct gibt. San tann ihn nicht 
einen $umoriften nennen, benn fein fßatboö ift nicht gart unb 
fein S&cheln nicht natürlich genug; hoch fann ihm ber Sinn 
für baö Lächerliche nicht abgefprodjen werben. ®ucb feinem 
Stil fehlt eS an Sattheit; er bat eine SIrt bon metaüifdtem 
Slang, ift aber hart unb lalt. ©eine Siebe für baS Slängenbe 
erftreett fi<h auf Juwelen unb Meichtbum in jebet fform. Er 
hbaint ein wahres Vergnügen an Eßertenfdjnüren, unf^ä|baren 
Diamanten unb prächtigen Kleibern gu haben, wäbrenb er gang 
offnen $af) gegen bie Siffenfcbaft, langweilige Mlenfcben, ©taatS: 


mirtbfebaft nnb überhaupt genaue ©tatiflil an ben Dag legt. 
Das Mtbige, Natürliche unb einfach ©rohe be|ertfcht et nidbt; 
er fchwägt in bem Ueberrafchenben nnb Unwabrfcbeinlichen, fo= 
wohl i» ben Ebaraltetn wie in ben Epifoben. Die Hanblung 
lewegt fUb m *t fpaSmobifdb« Energie, bie ei« Sefül)l bon Er» 
hhöpfmtg gurüdtäht. Mach einigen feiner fnnfhwflften ©teUeh 
finb wir geneigt mit Othello anSgnrnfen: „D gut gemalte Seiben» 
fchaft!“ Die Sprache ift oft gu tbetorifdj; bie $etfonen brflden 
PS gu tbeatratifch auS. Das grope Sewidbt, ba§ er auf Mang 
unb Meichtbuw legt, würbe afiein bütreichen, einen berebelnben 
EinPuf feinet ©chriften unmöglich gu machen. Sie Dbacfecatj, 
lüpt « feine Sefer unter bem Einbrnd, bah bie oornebme Seit 
ber ©Sanplaf} ber ©elbpfucht unb ber fchlimmften SeibenfSaften 
ip, bnreh einen bünnen Soleier bon anmutigem Sefen unb 
ber Heuchelei bet feinen Sanieren bebedt. 216er Dbaderap be» 
trübt *nS, inbem er uns eine foldje Seit geigt, bie bet guten, 
beten Siöglichfeit er uns erbliden läht, fo unähnlich ift. DiSraeliS 
Sefer bagegen foHen über bie Verberbnih ber Seit fröbloden 
unb glauben, bah jebe Veränberung nur eine Verfchltmmernng 
fein würbe. Doch alle biefe gehler laffen immer noch weiten 
Mautn für bie Vewuuberung, unb bie berborpechenbften Sänget 
berminbern nid^t ben Sertb feiner Momane als Documente 
feinet KnPchten über SRenfcben unb Dinge. 216er pe erbeben 
bie ©eele nicht, pe lönnen webet belebten noch beffern, Pe 
machen bie Sefer Weber weifer noch ebler. Senn Wir pe 
fcbliefjen, pnb wir geneigt gu wieberbolen, was Eicero bon 
Epilur fagte: „Nil magnificum, nil generosum sapit.“ 


Die Ämt^ in her Jllark 6 ranbenhnr 0 nnb i^re 
ttnrbigmtg. 


i. 


~ 3« unferem Vatertanb bat in ber jfingften Seit bie auf 
baS VorWärtSftreben gerichtete ^Bewegung unleugbar einer Meigung, 
auf 2ltte8, VaterlänbifcheS gurüdgugreifen, $lap gemacht. Sie 
weit biefe Beobachtung auf bem (Bebiet ber ißolitil gutriflt, ober 
aud) nur berechtigt ift, mape ich mir nicht an, gu entpbeiben. 
gür bie bilbenbe Kunp pnb aber bepimmte 2lngei<hen erlennbar, 
bah bie gteube an ber Sieberbelebung ber eigenen Vergangen» 
beit P<b im Volle ftar! gettenb macht. ES banbeit p<h barum, 
feftgufteDen, welcher Mupen aus biefet Bewegung gu gieben ip. 

ttnfere heutige Menaiffanceperiobe, wenn i<h pe fo nennen 
batf, unterfcheibet fi^ Wefentlich öon früheren Siebctbelebungen 
bergangenet Kunft. Den alten Siberfpruch oon KlafficiSmuS 
unb Momantil, ber mit bem Ebripentbum auftrat, fud)t pe nicht 
bon Meuem anguregen, fonbern gn oerföbnen; barum mühen 
wir 2111e biefe Midjtung mit greuben begrüpeu. 2luf allen <Bc= 
bieten, nicht nnr auf bem bet Siffenfdbaft unb Dechnil, haben 
Wir eine Epoche bon Erpnbnngen Wte bon Verfugen biuter 
uns, bie eben etP anfangen, bie empirifchen unb unbewupt ein» 
geflogenen Vfabe aufgugeben unb fpftematifche Sege gu geben. 
Micbt baS Siel, aber eine gewifle Höbe ift erreicht, bon ber eS 
geboten ip, Umfchau unb Müdfcpau gu halten. Die Kunfi blidt, 
Wie auf gwei berfchiebene 2luSgangSpunlte, auf ©riechenlanb unb 
baS SRittelalter unb fragt, was Pe bon beiben gu gewinnen 
bat Die grüßte ber griechifchen Kunp pnb ©emeingut aller 
©ebilbeten geworben. Die 3bee, jebem Kunpwer! unb jebem 
feiner Dbeile auch äuperlich baS ©epräge feines S me( t c8 aufgu» 
brüden unb gum 2lu8brud ber ba§ SRateriat umbüDenben Kunft» 
formen einfa^e ©innbilber bon IßPangen unb Vänbern gu ent» 
nehmen, ip bon ben ©riechen fo confequeitt auSgebilbet worben, 
bop bie Kenntnip ihrer Megeln für unferc 2Irchiteftur fo unum» 
gänglich nötbig geworben ift, wie bie Kenntnip beS VerSmapeS 
Ist bie Didpfunft. 

©egenüber biefer Verhüllung beS innern Kernes machte ftch 
bie mittelalterliche Vaulunft gur 21ufgabe, baS PRaterial an fi^ 
wirlen gu laffen unb bie Eonftruction gur ©eltung gu bringen, 
inbem pe ©innbilber auffuchte, welche bie 2lrt ber Sufammen» 


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284 


9te Gegenwart 


Nr. 44. 


fügung, ben ©ang ber §erfteflung augbrüden. gunctiongfpmbolil 
unb Structurfpmbotil nannte einmal Seuleauj bie beiben Sun ft* 
anfcpauungen, auch pier ben Sagel auf ben Sopf treffenb. Sie 
ju weinen »erfucpte bie italienifcpe Senaiffance beg 15. 3at)r* 
punbertg juerft. 3lber fie lannte unb fcpäpte bie ©otpif ju 
wenig. Seutfcptanb, conftructi» tneiter borgebilbet, ermangelte 
beg feineren ©etftanbniffeg für bie gormenfptacpe unb ftanb ber 
„wälfdjen Sunft" unbeholfen gegenüber. ©ben, ba eg fiep an* 
fdjidte, fic£» bie Segeln biefer Sprache aujueignen, ba trat mit 
bem ffinbe beg 16. gaprpunbertg jene rucplofe Seaction ein, 
welche auf allen ©ebieten ber ßultur Seutfcplanb enblofen 
Staben brachte.. Sine gotge, nicht Urfaepe mar ber breifeig* 
jährige Stieg, welcher bie beutfche ©otlglraft big auf Stummer 
jerftörte, Sitte, Sunft unb Gilbung auf Safer^miberte »er* 
nietete. 

Sie im nötigen Soprpunbert beginnenbe Senaiffance, lang* 
fam aber bewußt auftretenb, bon einjelnen ©ebilbeten gepflegt, 
Inüpfte nicht an bag ©öllgthümticpe an. Sie fteflte fich gleich 
im Anfang feinbtich gegen jebe anbere Sichtung unb fuchte leiber 
eine ganje Seipe tüchtiger lünftlerifcper ©eftrebungen fortju* 
leugnen. Surcp einfeitigen ganatigmug unb ©erfeunen beg 
nationalen ©lementeg that fie fiep felber Schaben. Schiller, ber 
hoch felbft gattj bon bem ©eifte beg $eflenentpumg burchbrungen 
war, rief ben ©räcomanen warnenb ju: 

@tne mürbige Sache »erfechtet ihr; nur mit SSerftanbe 

Söitt’ ich, bafe fie jum Spott unb jum ©elädtjtcr nicht wirb. 

Unb alg er fich mit bem ©ebanlen trug, griebricp ben 
©ro^en jum ©egenftanb eineg epifcpen ©ebidpteg ju machen, ba 
fteflte er in ©ejug auf bie SSapt beg ©ergmafeeg alg erfte gorbe* 
ruttg bie ©ollgtpümlicpfeit hin: gelungen müffe bag ©ebicht 
bom Solle werben, wie einft |»omerg gliabe unb Saffog Stanjen. 
gür bie Slrcpiteltut panbette eg fich junäepft mit boUem Secpte 
barum, bie Segeln ber griedjifcpen Sunftformen fich anjueignen 
unb nach Sicherung biefeg ©efipeg fie für bie weitere 3fttg= 
bilbung ber Sunft ju »erwertpen. ©erlin fteflte fich an 
Spifee ber ©ewegung, bann Stümpen. 316er an beiben Orten 
würbe ber eingefcptagene ©Seg unterbrochen, benn in ©reufeen 
fuchte wohlgemeinter, aber bitettantifcher lönigticher ©ifer eine 
mifeoerftanbene Somantit in bie llafjtfcpe Sunft einjuffipren, in 
©apern berführte bie Seigung beg gürften ju noch gefährlicheren 
©Iperimenten. So würbe bie SSiebererwedung unb ©ntmidetuug 
beg feit bem lebten gaprpunbert böflig betloren gegangenen 
©onftructionggefüptg gehinbert. 

Siefeg tiefere ©inbringen in bag ©Sefen ber £ecpnit, bie 
Slugbilbung bet Senntnife ber berfchiebenartigen 3lnforberungen, 
welche $olj, Stein unb SRetafl fteflen, malten fich bie ©othifer 
am Spein, in Reffen, |>annober unb Deftreidj jur £mupt* 
aufgabe, aber inbem fie fich S« f«h* auf ben Stanbpunlt ber 
reinen ©onftructionen fteflten unb ju einfeitig frühere Sunft* 
werfe innerhalb fehr enger ©renjen ber 3mt unb beg Drteg 
jum ©orbilb nahmen, förberten fie nicht bag Stilgefühl in ber 
erwarteten ©Seife. 

©egen beibe Sichtungen Dppofition machenb unb hoch bie 
Seime jur ©etföhnung beiber in fiih tragenb, trat bie jo* 
genannte beutfche Senaiffance petüor, bon oerfchiebenen fünften 
auggehenb unb ihren Sauf burch ganj Seutfcplanb nehmenb. 
©lüdlicpe Umftänbe hoffe« biefer Stilricptung jum ©ebenen. 
®g war gerabe bag Sationalitätgprincip in ben ©orbergrunb 
getreten, unb Seutfchlanb machte fich ouch politifch baran, ben 
jerriffenen gaben oergangener ©ulturbeftrebungen wieber anju* 
Inüpfen. 

Sie 3lrchiteftut fanb aufeerbem Unterftüpunjj an ber 
ÜRalerei ober »ielntepr an ben ©latent, welche eifrige ©erbreiter 
biefeg ©efchmacfeg würben. Sie ©itbpauerlunft hotte leinen 
©ruch mit ber ©ergangenpeit nöthig, hier läfet fich i« ber ©es* 
einigung bon Saturaligmug unb Stafficigmüg eine ©erbinbungg* 
linie, Wenn auch mit langen 3tt)ifcpenräumen jwifcpen SRicpel* 
angelo, Schlüter, Schobow unb ben neueren SReiftern jiepen. 

©or 3lflcm war eg aber bag Sunftgewerbe, bag ben ©lief 


auf bie »atertänbifepe ©ergangenpeit lenlte unb ung mit Stolj 
unb Hoffnung erfüllte. Sie Sbee, in Sammlungen bie Keinen 
muftergüitigen Sunftmerfe ber beutfehen ©ergangenheit ohne 
parteiliche Segünftigung einer ®pocpe an bag Sageglidjt ju 
jiepen unb burch ®ergleich mit ben ©rjeugniffen anberer Beiten 
unb Sänber bag Urtheif ju bilben, beginnt bereitg fruchtbringenb 
ju wirlen, unb bie SRüncpener ©ugftettung bon 1876 mit ihrem 
©tanjpunlt: Unferer ©äter ©Serie, öffnete ©ielen bie 3tugen 
barüber, bafe wir in fo manchen Sunftleiftungen „nicht beffet 
finb, benn unfere ©äter waren", unb ung unferer ©ergangen* 
heit nicht ju fchämen brauchten unb ©ieteg, wag bigper für 
italienifcpen Urfprungg erachtet worben, ehrli^en beutfehen 
|)änben fein Safein oerbanfte. 

©benfo wenig entjog fich We ©oefie biefer ©ewegung. 
©ictor ©dheffet, ©uftao greptag unb Sicharb SBagner bejeiihnen 
nur bie Anfänge einer ganjen Seihe oon ähnlichen ©eftrebungen. 
Selbft unfere ©erfaffungg= unb ©erwaltunggfprache, welche fiep 
mit ©ifer an bie ©ufgabe machte, bie grembwörter burch beutfche 
Slugbrüde ju befeitigen, pot ipren Speit an bem 3urüdöerfefcen 
in 3llt=Seutf<hlanb. 


II. 

$abe ich oorper bie ©eobadjtungen aufgeführt, wetepe 
barouf beuten, bafe unfere jepige ©uttur bag ©ute hot, anftatt 
auf einjelne befcpränlte 3 e itabfchnitte, ben ©fid auf bie Summe 
aller »ergangenen ©rfepeinungen ju tenlen, fo mö^te ich für bie 
neuefte 3eit gegenüber ber piftorifepen ©rweiterung eine totale 
©infepräntung conftatiren, welche aber auf benfetben Seigungen 
berupt. 

Ser Südblid auf bie ©ergangenpeit jeigt, bafj jeber ein= 
jelne Staat, jebe Sanbfdjaft man^eg iprer alten ©rioitegien 
jum ©eften ber ©inpeit beg gemeinjamen ©aterlanbeg opfern 
mu§. Slber, unb bieg liegt in ber menfcplicpen Satur begrünbet, 
in bemfetben ©lafje, wie Wir reblidp barüber naepbenten, Wag 
bie ©injetnen an pergebrachten Secpten aufgeben müffen, um 
ber ©flgemeinpeit gerecht ju werben, Werben wir ung auch Kar 
barüber, welcpeg berechtigte ©igentpümtiepfeiten finb. 

Sie ©aue unfereg ©aterlanbeg finb »erfepieben geartet in 
ihrem Urfprung, ober fie paben fiep im Saufe ber langen 3«r= 
fpitterung fo fetbftftänbig entwidett, bap eine 3ufammenf<hmeljung 
nur big ju einem gewiffen ©rabe getrieben werben barf. Ser 
©articutarigmug pat in Seutfcplanb fo fepöne ©lütpen gejeitigt, 
bafj mit grojjer ©orfiept abjuwägen ift, wag baoon für bie 3u= 
lunft aufjugeben ober ju erpalten ift. Sieg fpiegelt fiep »pr 
©Dem in ber Sfunft ab. ©Senn man burep eine alte beutfche 
Stabt gept, wirb man mit ©epagen ben Solalpatriotigmug auf 
fiep einwirlen taffen. Ser entfepiebene ©parafter, ben manche 
Sanbfcpaft burep ihre ©auwerle aufweift, fei eg, bafe wir pier 
bie Spätigleit alter Sloftergemeinfcpaften ober eprenfeften ©ärger* 
tpumg ober bie Saugejinnung reicher, tunftliebenber gürften 
peraug ertennen, trägt mepr baju bei, eine ©egenb lieb ju 
maepen unb ber ©rinnerung baran beftimmte 3üge ju »erleipen, 
alg ber Saie anjunepmen geneigt ift. 

Sein ©au Seutfcptanbg ift fo unbebeutenb, alg bafe niept 
ein Sennenlernen beffen, wag bie ©orfapren geleiftet ober beab* 
fieptigt paben, lopnenb wäre. 

Slug biefen ©rünben ift eg eine berechtigte gorberung ber 
Sunftfrennbe, einmal jufammenjufteflen unb barüber llar ju 
werben, wag bie einjelnen Speile Seutfcptanbg an Sunftbenl* 
mätern befipen. gn ©ejug auf Heinere Sunftwerle, wetepe 
trangportabel finb, löitnen Sammlungen wopl ein annäpernbeg 
©ilb geben. Serartige ©erfuepe finb mit überrafepenbem ©t* 
folg, »or Slflem im germanifepen SRufeum ju Sümberg, im 
baprifepen Sationalmufeum ju SRüncpen unb in betriebenen 
©roöinjialmufeen gemaept worben, allein eg müffen auep bie 
Schöpfungen ber ©aufunft mit in ben Sreig ber ©etraeptung 
gejogen werben. ©Seber burep ÜRobefle noep burep Sa^bilbungen 
lönnen fie in üRufeen genügenb belannt werben, eine lurje ©e= 
fepreibung ift oietmepr erforbertiep. 

gerner pat bag Sammeln unb Sammeln in ÜRufeen jwar 


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Nr. 44. 


lt e Gegenwart 


285 


jur (Erhaltung Derwahrlofter ffunftgegenftänbe unb jurn ©tubium 
feinen aflgemein erfannten ©ertlj, bodj auch feine fc^äbtid^e ©eite. 
Set nie! Ijeruntgetoanbert ift unb Kunftfcfjäfce Don mancherlei 
ffierth unb ©ebeutung gefeljen ljat, pelp fdjtnerjftdj bie ©ereil® 
wifligleit, mit welcher Singe, bie nicht mehr friph unb neu er: 
fdjeinen, an Honbler Derfauft unb an ©tufeen abgegeben »erben, 
©icht fetten hört man in ffirdjen Don bem ißrebiger ober Lüfter 
»egmeifenbe ©ebe über einen atten Slttar unb ben SBunfdj, ihn 
oon ein SKufeum fortnehmen ju taffen, um ju einem neuen ju 
gelangen. 3tuf ffircfjenböben liegen trefflich gefdjnifite |iotjfiguren 
unb ©ilber aus früherer 3eit, toetcfie Derad)tet unb ber ©er: 
nic^tung preisgegeben finb, Ȋfyrenb mit geringen Soften eine 
»ürbige Herfteßung ju betoirten wäre. Slber ber ©emeinbe foß 
ij)r atteS Saufbeden unb ihr SlbenbmahtStelch lieb unb »erttj 
fein, fie foß es nicf)t gleichgültig mit anfetjen, baff aus unber: 
ftänbigem ©laubenSeifer eine alte gefticfte Sede ober ein Srucifir 
befeitigt »erben unb üertommen. Senn bah bie Siebe jur heimat® 
liehen ffunft eng mit bet ©aterlanbsliebe jufammenhängt unb 
nicht genug geppegt »erben fann, »irb Seber jugeben. 

Um nun bie Sichtung Dor ber oaterlänbifchen ffunft ju 
peigern, aber auch für jeben üorliegenben goß einen fieberen 
©a<h»eiS über gerichtliche ober tünftlerifche ©ebeutung eines 
SenlmatS ju hoben, ift eS bringenb nöthig, baff ein umfaffenbeS 
©erjeiehnip aßer oorhanbenen ffunftwerle Eiergefteßt »erbe. Sa 
nicht Don jebem einjetnen ©eftfcer ober ©er»atter Derlangt werben 
lann, baff er lunftgefchichtliche ©tubien mache, ba auch bie Stage 
ber ©ieberherpeßung («habhafter ©ebäube, ©erät^e ic. eine 
fdjwierige ift, muh burch ©achoerftänbige baS Sanb burchreift 
unb eine foiche 3 u f amm enftetlu«g angefertigt »erben. 

©adjbem einjetne gorfdjer ©efdireibungen ber h er0or: 
tbgenbpen ffunftbenfmäler in einzelnen SanbeStheilen geliefert 
hatten unb ßofj burch ein oortreplicheS SBert: „©tatifti! ber j 
beütfchen ffunft", ben ©eg, auf welchem weiter gearbeitet werben : 
muh, g^jeigt h°tte, entmicfelte fid) baher in richtiger (Srlenntnifj j 
biefeS SebürptiffeS feit 1875 in aßen ©robinjen beS preupifchen 
Staates eine rege Xtjätigfeit. Sie einzelnen ©roüinjiallanb= f 
tage unb baS (EuttuSminifterium hoben burch Sewißigung Don 
©elbern, ©rtljeilungen Don ©oßmachten an ©achoerftänbige unb 
anbere Ünterftüfcungen ein lebhaftes 3nterejfe beseitigt, »etcheS 
aßem Süifdjein nach ju ben erfreulichen (Ergebniffen führen Wirb. 

gür unfere ÜRarl ©ranbenburg hot ber Sanbtag 1000 ©tart 
bewißigt unb bem ©rofeffor SR. Sergau bie (Ausarbeitung eines 
befchreibenben ©erjeichniffeS aßer in ber ©rotiinj ©ranbenburg 
erhaltenen ©au: unb ffunp=Sentmäler übertragen. SieS ©er= 
jeidhnip foß, wie £>etr Sergau in einem Slrtifel ber beütfchen 
©aujeitung (©r. 36) ausführt, theilS pr (Erlangung einer Ueber= 
ficht bei ber Seauffichtigung ber ju fdjüfeenben ©egenftänbe her» 
gefteßt werben, theilS als SRadjfdilagebuch für bie Derfdjiebenen 
Staats: unb ©emeinbeDerwattungen, in welchem biefelben in 
jebem einzelnen Soße juoerläfpgen Sluffdjluh über Sitter, ©e= 
Deutung unb ©erth ber einjelnen ©egenftänbe finben foßen, theilS 
aber unb DorpgSweife jur görberung wiffenfchaftlicher unb fünft: 
lerifcher ©tubien aßet Slrt bienen. Um bequem Darin finben p 
Wunen, muh baS ©er! wie ein Sejiton eingerichtet fein. Die ein: 
jetnen Drtf«haften, ©täbte, Dörfer, ©üter unb einzeln ftehenben 
©ebäube müffen nach bem (Alphabet georbnet Werben, hinter jeher 
OrtSbejeichnung wirb feine (Entfernung Dom nächften Hauptort, 
feine älteren ©amen unb aus feiner ©efchichte baS SBidjtigfte 
unb für bie in ihm p finbenben ffunftwerle ©ebeutungSDofle 
©ta| finben. @o fpieten bei unfern ©ütern bie Stifter Don 
Kirchen unb ihrer SluSfchntücfungSgegenftänbe eine ganz bebeu= 
tenbe ©oße. S)ann folgt bie furje ©ef^reibung ber ©ebäube, 
ihrer ©ef^iepte unb ihres gegenwärtigen 3uftanbeS. Snnerbatb 
jebeS ©ebäubeS finb bie ©erle ber ©cutqtut unb SDtalerei, ber 
fj>ot}f<hni|erei, ©eberei, ©ifenarbeiten, SRöbel unb ©erätlje auf: 
juführen, auch ©inioturen, lunftDofle Suchbecfet unb (Elfenbein: 
fchni|ereien, futj aße ©erle beS Sunfthanbwerls in ben ff reis 
ber ^Betrachtung hereinjujiehen, Deren ©ntftehung unb ©chißfale 
op Don grober Sebentung für bie groben ffunftwefle finb, beren 
Beitbeftimmung nid^t angegeben ift. 3« wie weit bie ®egen= 


ftänbe in öffentlichen ffunftfammlungen unb ©ibtiothelen herDor: 
pheben finb, ift eine nicht im ©tincip ju entfdjeibenbe {frage. 
$ier muh baS Saftgefühl beS Herausgebers in jebem einjelnem 
Säße entfeheiben. ©och fchwieriger ift bie Heranziehung ber im 
©riüatbefi| befinbtichen Singe, benn bie meiften finb gar p 
groben ©diwanfungen unterworfen unb hier höngt feljr Diel Don 
bem (Sntgegenfommen ber Scfifccr unb ihrem ©erftänbnih für 
baS ju fchaffenbe ©erl ab. ©djtieblich ift ju erwähnen, bah 
baS ©erl Don Sßuftrationcn Derfdjiebenfter Slrt begleitet fein 
foß, welche unmittelbar als ©orbilber bienen lönnen, unb bah 
überaß bie literarifchen Oueflen unb bie ©erfaffer ber fdjrift: 
liehen wie münblichen ©achrichten genannt Werben foßen, Welche 
ben Herausgeber beS ©erleS burch *h r ©iffen unterftüfeen. 3<h 
hebe biefen ©unlt herDor, weil iih weih, bah ft<h Dielfach baS 
©orurtheil Derbreitet finbet, als fofle bie Strbeit unb SRühe ber 
Sofalforfdjer auSgenufet werben, ohne bah ih r ©erbienft anerlannt 
wirb. SieS ift nicht ber gaß. ©ielmehr lann ein fo umfang: 
reiches ©erl, baS fid) fo h®h e 8*ele fteeft, nur Durch 3«fowmen* 
rnirlen Sieler p ©tanbe lommen, nur baburdj wirllich umfaffenb 
werben, bah jeber (Einjetne baju beiträgt unb ffeiner mit Dem, 
was er erfahren ober gefeljen hot, jurüd holt, auS gurcht, bah 
feine Urheberfdjaft nicht anerlannt »erbe. (Deshalb wirb jebe 
©otij, auch bie lieinfte Stnbeutung nu|bringenb fein. Senn bah 
bei ber ©erborgenljeit beS ©erthboflen unter Dielem ©erthlofen 
bie Sluffinbung unb ©ichtung eine fdjwierige ift, wiffen Wir 
ßRärler aße; bah Die Slufgabe aber eine im höchpen ©rabe banf: 
bare ift, wiffen nur ©enige. 


III. 

©ei bem ©orte: ffunftwerle bet SRarl ©ranbenburg, wirb 
SRancher lächelnb ben ffopf fchütteln. 3<h tröfte mich beffen, hot 
Doch Die bisherige ©eradjtung ber märlif^en ©atur feit lutjem 
einem günftigeren Urtljeil ©lafe gemalt. Sluch bie Unterfdjöhung 
feiner ffunft ift eine golge ber Unbelanntfchaft, peilidh auch ber 
fchwerften 3ugänglichfeit, ba baS ©eifett in ber SRarl jurn Sheil 
mit gröperen Unbequemlichleiten oerbunben ift, unb bie ©es 
merlungen in ber ©orrebe ju ben ©anberungen Don Sh- gontane 
trofe einiger hinpgefommener ©ifenbahnlinien noch *h re ©ültig® 
feit hoben. Slber ber ffunftfreunb, ber p<h Durch guhreifen nicht 
jurüdfehreden läht ober gahrgelegenheit h°t, Pobet Diel mehr 
beS ©djönen, 3»ponirenben, als er erwartet. 

(ES ift bon ©idjtigleit, bah ouf unferem ©oben überafl bie 
(Eulturgefchichte auf baS ©ngfte mit ber politifdjen ©efchi^te oer= 
Inüjjft ift. ©och läht fnh, Wie ©rofeffor ©chottmüßer in &ei)Un* 
borf mitgetheilt hot, erlennen, wie bie Seutfdjen fchrittweife gegen 
bie ©enben Dorbrangen, wie fie in Den unburchbringlidjen Sumpf® 
wälbern Sammwege anlegten unb mit ben heibnifdjen ©eften ju® 
gleich ben ©oben eroberten. (Eolonnenweife rüdten pe in tleinen 
Sagemärphen Dor, bie fi<h noch PPfteßen (affen. Senn bie Durch 
fie gebahnten ©trapen jogen fpäter bie Sruppen® unb ©aaren* 
jüge ben grunblofen ©egen Dor unb an ben ßagerpläfeen ent® 
ftanben Heinere Drte, jum Sheil ©täbte. 8Rit ber (EioilifationS: 
thätigleit ging bie SRifponSthätigleit Honb in Honb unb ein 
heibnifdjeS H e ttigthum nach bem anbetn würbe Durch ffilöfter 
unb ffirdjen erfefet. Sie ffir^en waren einfach unb fdjmudloS, 
aupen Don rötlich unb grau fchimmembem ©ranit, bem bie 
untergehenbe ©onne einen jauberhapen Son Derteiht ©och ift 
ihr SppuS in Dielen Sorflirchen erhalten unb gerabe in ber 
Umgegenb Don Serlin lommen h&<hP tntereffante ©auten mit 
Holjbeden ober ©ewölben Dor, unter benen Die jWeifchifpgen 
Slnlagen wohl einer befonberen ©eadjtung werth pnb. 

3Rit ben Ijoßänbifchen Soloniften, welche Sltbrecht ber ©är 
heranrief, tarn Die Sechnit beS ©adpeinbauS ins Sanb, welche 
befonberS in ben ©täbten beS HobellanbeS, Dor Slßem'in ©ranben® 
bürg bie hetrlidjften ©lüthen trieb. Sie jierlich Durchbrochenen 
©jebel, bie tüüftlich jufanfmengefe|ten griefe unb bie ©infaffungen 
ber genfter unb Shüren finb wahre ©erlen Der mittelalterlichen 
Slr^itettur. 3hnen jur ©eite fielen bie mächtigen badfteinernen 
Shore unb ©lauern, welche, charalteriftifch für ben atten ©täbte® 
potj unb bie ©h re nfeftigteit Der ©ärger, ihre trofcigen ©lieber 


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286 


1 i t Hfjjenwart. 


Nr. 44. 


iit bie #öße reden, ein redjteä (Segenbilb gegen bie Ditter&urgen 
anberer beutlet Sanbfdjaften. 

War baS Vorbringen beS ßßriftentßumS in ben Warfen 
ein langfameS, fo war umgefeljrt ber ©ieg ber Deformation 
ein überrafdjenb f^neüer. Wit bem lirdjlicßen gebt ber fünft* 
terifdje Etuffdjwung §anb in £>anb. Veibe Inüpfen ftdj an bie 
Verfon beS pracßtlte&enben Kurfürftett Soadjim II., aus beffen 
DegierungSjeit Xtieite unfereä Vertiner ©djloffeS nnb mehrerer 
Sagbfdjlöffer erhalten ftnb. Etber bieS mar nur eine tiorüber* 
geßenb« Vlütße. Unter feinem nädjjlen Dadjfotger mußten t>e= 
beutenbe Sinfdjränfungen eintreten. Socß jeigten (ich bie oon 
bemfetben anfgenommenen Dieberlänber wiebetum einflußveidj 
auf bie Kunft. Sine» weiteren Diebergang weift bie Vaufunft 
unter ber Wtrlung unb ben (folgen beS breifeigjährigen Krieges 
auf. Weniger hat bie Kleinfunft ju leiben, benn gerabe aus 
ber erften Hälfte beS 17. 3ol)tßurtbertS ftammt eine Wenge 
fowoßt fircßlidjer ©egenftdnbe, Stltare, lauffteine unb ©erätpe 
oon bebeutenbem Kunftwertß, als auch fünftierifch auSgeftattete 
Waffen, Wöbet, ©efäfee unb anbere ©egenftänbe bet ißrofanfunft. 
©eit ber Witte beS 16. SaßrljunbertS beginnt bie ©infüßtung 
frember Arbeiten, welche früher für Italienifdje gehalten, jejjt jum 
großen Xheit als beutfche erfannt ftnb. VefonberS Dürnberg hat 
alö VerlaufSplafe eine bebeutenbe Dolle gezielt Unjäßtig ftnb 
itt unfern Sorffirdjen bie meffingenen Sauffcßüffeln unb ber perr* 
liehe oergolbete ißofal im Verliner Schloß ftammt ebenbaher. 
®er große Kurfürft, welcher junäcßft fein Stugenmerf mehr auf 
bie EluSbefferung ber im Kriege entftanbenen ©«haben unb auf 
bie mirthf«haftti«he §c6ung ber Wart richtete, bacf)te hoch an 
bie Segünftigung ber fünfte, welche fein Dachfolger, jum Sßeil 
noch als Kurprinj, fich ju einer feiner SebenSaufgaben machte. 
SaS BeughauS unb ©^tofe in ©erlitt, baS Deiterbenfmal beS 
großen Vaters eröffneten jum erften Wale ber Warf einen 
felbftftänbigen ffißrenplajj ber Kunftgefdjidjte. Seiber hoben 
wir hier manchen Vertuft ju beflagen. $aä ©cßloß, welches 
et (ich ju Köpenid erbauen liefe, tonnte fi«h mit feinen ©tuda* 
turen bent Vertiner ©tßloß jur ©eite ft eilen, ift aber bur<h 
feinen ©ebraueß als Wilitärtajarett), ©efängnife unb Schullehrer* 
feminar fo oerwahrloft unb juneljmenber Vernietung preis* 
gegeben, baff man nur mit Xrauer bie ehemaligen (ßracßtröume 
burchwanbert. 

©ine eigentümliche Stellung nimmt (friebtich Wilhelm I. 
mit feinen 3^itgenoffen bet Kunft gegenüber ein. Stuf ber einen 
©eite ©parfamfeit unb militärifche ©infacßßeit, wo es fich um baS 
Wohnen unb Seben hanbelt, bagegen entfliehen größerer Koften* 
aufwanb im Sienft ber Deligion. SieS gilt nicht nur in ben 
©tübten. ©o ift bie ©djloßfitdje beS Dorfes Sucß bei Vertin ein 
großer Kuppelbau oon fettener ©tatttidjfeit. Sei trefflichen Vet* 
hältniffen unb höchft harmonifcher Wirfung hat fie jum Sljett fo 
reijooile Details, unb SCltar unb Kanjel in $olj gefdjnifct finb 
fo tüchtige Werfe, baß fie Veröffentlichung unb Dacßaljmung 
oerbienen. 

Eleußerft wohlthätig für bie Hebung ber ^ubuftrie waren 
bie fchon in bie DegierungSjeit beS großen Kurfürften fallenben 
Einneblungen ber Deftreicßer unb granjofett, welche, ihres 
©laubenS wegen aus ber Heimat oertrieben, in ben Warfen 
freunbtidje Elufnaßme fanben. VerlinS Veoölferung oerbanft 
ber Wifdjung mit ben franjöfifdjen ©oloniften ein gutes Xßeil 
ihrer geiftigen Degfamfeit unb feines EluffdjroungS. 

Was bie Kunft unter griebrich bem ©roßen unb feinem 
Dachfolger geleiftet hat, ift befannt unb liegt außerhalb beS Ve* 
reietjs biefer Einbeulungen. Dicht ju oerfennen ift, baß biefelbe 
burdjauS eine ©oftunft war unb fich immer mehr bem Volfe 
entjog. 2rofc ber einjelnen Vtüttjen, welche fie in beit fönig* 
liehen ©«hlöffern, in ben auf Vefeßt beS Königs gebauten 
Kirchen unb in ben bur«h fürftlicßeS Wadjtwort gefeßaffenen. 
Wanufatturen trieb, fehlte ihr bet gefunbe ©tamnf, bie fräftige 
Wurjel. Sie beutfche Vilbung beS adjtjeljnten 3 fl l)tf)unbertS 
War, wie gregtag treffenb fagt, in ber Spat bie wunbergteieße 
©cßöpfung einer Seele ohne Seib. 

Sie war es auch bet etften Hälfte beS neunjehnten. 


Unb oiel fehlt noch, baß fie ft<h Wieber im Volle ©ingang 
oerfchafft, baß fie ihren Veruf üben tonn, ihre golbenen Strahlen 
in baS $erj beS Wenfdjen ju fenfen, baß et fi«h übet ben rohen 
3uftanb ber irbifdjen Wülje unb Slrbeit erhebe. Dicht ein über* 
flüfftgeS Sing, fonbem eine ernfte h°h e Aufgabe ift eS, baran 
ju arbeiten, baß bem beutfeßen Volfe feine Kunjl wieber ein 
liebeöoHer ©efäßrte werbe, baß er fie nicht als einen Vegteiter 
beS DeichthumS allein betrachte. Wöge eS bem Vudje, beffen 
Vlan ich borßer bargetegt habe, getingen, in biefer $inficht ju 
wirfen unb ju jeigen, baß unfere Voreltern oerftanben, gerabe 
mit geringen Wittel fich bie Kunft bienftbar ju machen, unb 
baß auch ber befeßeibene Vürger hoben fann an bem, 

was baS arme Safein oerfdjönt unb erhebt. 

Paul Setrfflbt. 


JIuö bet ^aupt/fabt. 




Bu ber öon einigen 9Koralboctrinären »erlangten ©efeitigwng 
unferer ©taatölotterie fd^eint geringe ^tu^fi^t »ortyanben §u fein, ba 
allenthalben im Sanbe ßotteriefpiele mit obrigleitlidher Söenntligimg »ot 
fid) gehen, ©in ^ferberennen, eine ®etnerbe= ober Äunjtauäftellung, bie 
ginanjirung mohlthätiger ober gemeinnü^iger B^cde, contntunaler ^racht^ 
bauten it. bieten toöHig anerfannte Wnlftffe; bafc bei biefen SJeranftaltungen 
bie (gewinne nicht in ÖJelbbeträgen beftehen bürfen, berührt ba3 $rincit> 
nicht, benn bie gagb ber Spieler nach bem ©lücf ift biefelbe. ©S bleibt 
fich auch gleid^, ob ber ©etoinner eineg ftlbernen Xafelauffaheg in ber 
Sage ift, mit bemfelben feinen Xifch ju ffhmücJeu, ober fidh beeilt, bag 
©erthobject befteng oeräu^em. 

3 n loigiger, freilich fehr cpnifcher SBeife, h^t in ben fünfziger 3 aljren 
ein rheiitlänbifcher ?lbgeorbneter feinen ©otlegen in ber Kammer, toelche 
bie Aufhebung ber Staatglotterie anregten, entgegnet, bag (Slitcfgfpiel 
fei für bag 93olf, mag für ben §unb bie Butter, bie man ihm auf bie 
üftafe fchmiere; er hält algbann bag ihm gereichte troefene ®rot für 
Butterbrot. 3 n ber Xhat empfiehlt fich ©rhaltung ber fiotterie aug 
bemfelben focialpolitifchen ©efichgtpunlte, aug toelchem bie ©tohnung 
ettheilt mirb, mau möge bem Botte nicht bie Hoffnung auf bag ©lüc! 
in einer anberen SBelt rauben, griebrich SRüdertg Spruch gilt hür ^ 
ooüen SWafie: 


^Soü bich nicht ein ©lüde erfteun, 

So la§ eg bich erfreun, ein ©lüd $u hoffen." 


gür ben unter ber Arbeit ber SBoche Äeuchenben ift „bag Xhürdjen, 
loelcheg er ber gortuua geöffnet h & ^"/ ebenfo troftooll unb ermuthigenb, 
mie bie ^erfpectioe auf bie fröhliche ©rholung am Sonntag, unb bie 
©egner beg Sotteriefpielg, bie fich gegen bie ungleiche ©efteuerang unb 
gegen bie Berleitung ber Staatgbürger 5 U unmirthfchaftlichen ^uggaben 
ereifern, ftnb ebenfo unberufene Bolfgbeglüder, mie bie £)rthobojen, 
welche ung ben inneren grieben fdjaffen wollen, inbem fie am Sonntag 
ftatt bet ©eluftigung eine griebhofgftille empfehlen. 2)ag Sechgehntel 
00 m ©iertel eineg Sotterieloofeg, toeldheg ber Arbeiter fpielt, bringt ihm 
an rofigen träumen, befeligenben ©iftonen taufenbfach ben ©infafc ein; 
^uftfchlöffer hoben ihren SBerttj, unb bag „voir c’est ayoir“ trifft am 
glüdlichften, weit ungefährbet burch ©tiggunft, bei bem 311 , mag bag 
s <?luge ber ^h anta fic fc^aut. 

©ine mit ber ftugfiellung oon h^bfehen ©rjeugniffen beg &unß' 
gemerbeg »erbunbene ©erloojung ift »ieüeicht »erführerifcher, alg eine 
©elblotterie, weil bie Änfchauung ber Sachen unmittelbar wirft unb 
man biefe um ihrer felbft willen begehrt, mähreub man bag ©elb — 
bemufjt ober unbewußt — immer nur alg Xaufchmittel erfehnt. @g tritt 
hwu, bag gewöhnlich gebermann unter ben auggefteüten ©erloofungg* 
objecten folche finbet, bie er fchon lange ^u befiften gewünfeht hot ober 
bie im ftugenblitfe feine befonbete ©orliebe erweden. Natürlich möchte, 
gebermann ben ©egenftanb gewinnen, ber ihm befottber$ jufagt, unb 
ber 23unf<h wirb unoer^üglich jur Hoffnung. So tauft benn ber ©ine 
ein paar Soofe ‘auf ben Schuppenpelj, ber Breite auf bie ©quipage; 
biefe ^>ame fichert fich bie Slnwartfchaft auf ein $ianino, jene auf eine 


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Nr, 44. 


Di t Mti f it »d r t. 


287 


fetönjafdjnte. ErfohrungSmäfjig wirb bie Enttäufchnng oiel leister ge» 
trage* oon $)enjemgen, bie nichts, als oon Solchen, bie eine Äleinigfeit 
gewarnte* haben. ©ei bet AuShäitbignng bet ©ewittne ber ©etliner 
EewerbeanSftettung bin ich Beuge gemefeu, wie ein gräulcin eine o^birte 
jittwnc ©rofdje in ber Meinung, fie fei non ©ledj, wütfyenb zu ©oben 
tt»rf unb mit bem ©ufc: „$>a$ !nnn ich für fünfundzwanzig Pfennig 
laufen!" zertrat. Ein Sttamt, bem ein ©aquet Haarttabeln auSgehänbigi 
tonrbe (er hatte üietleicht auf ein $)upenb filbetne Söffel geregnet) 
nrnnmlle oemehmbat etwas oon einem ©auernfänger^Eomit^; eine 
Stoa, bie einen /Ddrfeitiiemer in Empfang nahm, erflärtc, ba& fte ben 
©rftfibenten beS Eomit^S beim Staatsanwalt belangen würbe. 

Solamen miseris. $ie Sämigen oerweilten gewöhnlich einige 
Atinuten, bem Spotte unb ®elädjter ber Urnfteljenben $rofc bietenb, unb 
bamt üerföhnte fie baS gleiche Sdjidfal uitb bie gleiche Erbitterung neuer 
Änlömmlinge — fdjliejjlidj lachten Alle, unb am itäd)ften $age taufte 
bet Haarnabelmamt wie bie Stau mit bem 0ctyjen$ienter Soofe ber streiten 
Emiffton. 

©ei einer ©etloofung oon aderlei EJegcnftäuben ift bem necfijcpett 
Spiele beS 3 u fallS weiter 9iaum gegeben; er unterläßt eS itirf)t leidjt, 
bem Armen ben ©elbfcpraitt, bem finberlojen hatten bie SBiege, bem 
XabafSfetnbe baS Üiauchfetüice, bem Stuben^ocfer baS Qagbgeme^r, bem 
an 9Ragenfatarrh Seibenben ben Epampagnertütjler, bem ©erfchwenber 
bie Sparbüchfe zu 3 UWcnben. 34 I)abe in ber Lotterie ber ©ewerbe^ j 
auSjtellung einen 9Jhtff gewonnen, ber mich bei ber AnShänbigung nicht | 
übermäßig erfreute; td) hatte mich auf einen ©ofal oon Elfenbein gefpigt. 

$aS Arrangement biefer Sotterie hat manchem ©ewinner, ber fiep 
nicht bem 9iathe ©etlcrtS: „©eniefie, WaS bir ©ott betrieben, entbehre 
gern, toaS bu nicht haft" zu fügen oermag, großen Acrgcr bereitet. $ie 
©ewinnlooSnummer galt für alle fünf Serien oon Soofen, welchen eben 
jo oiele Serien oon ©ewinnen gegenüber ftanben. $aS ©entühen, je 
fünf ju einer stummer gehörige ©ewinne int SBertlje gleid)zuftetlen, 
fonnte eben fo wenig Erfolg haben, wie bie ©ruppinmg Oon je fünf 
©egenjtänbcn gleicher Art fid) bttrehführen lieg. $ie Ungleichheit ber 
gleich nummerirten Sachen in ben ocrjdnebenen Serien, butch bie ©e; 
winnlifte ben Spielern oor Augen geführt, h a * Schmerzen bereitet, oon 
Welchen ber 9hetenbefiper feine Ahnung hat. ASerfen wir auf biefe ©e= 
winnlifte (I. Etniffiou) einen ©lief. 

9fr. 3040 gewinnt in Serie 3 einen Xifd) mit 9ftofaif, in Serie 4 
ein ©illarbqueue. A3er befchrcibt bie Eutrüftuiig ber grau Sfrmzlei; 
röthtn, für welche ber Xifd) mit 9Rofatf wie beftellt War, als ihr baS 
Dueue auSgehänbigt warb! $ic Schitftcrfrau, welche fich jd)on fo lange 
eine 2 )rehrode gewünfdjt hat, für welche im Heller ©lafc oorhanbett, 
ficht auf ihre 9htmmer 7674 wirflid) eine TrehroHe fallen, aber — ein 
Afenfch britter Serie geht bamit ab, währenb fie in ber erften einen 
„©ebuinen mit Söroen fäntpfenb" erhält. 2 BaS gibt fie auf einen 
©ebuinen? 9Rögen ihn bie Söwen freffen l 9fr. 7686 bringt ein ©aar 
Settthter, aber nicht bem |>ämorrhoibariu3 im ©ureau beS ginanj- 
miniftexium^, ber jehon mit beiben §änben battach griff — ad;, er gehört 
nft|t ber 3., fonbern 4. Serie an unb empfängt jähnefnirfd)enb bie — 
rofa feibene Sßuppe. SBie mufe cd ben auf nüblidje 2 )inge gerichteten 
Sinn ber §au3ftau, welche 32287 fpielte, empören, eine Sftegerbüfte 
(Serie 3) jn erhalten, währenb ihre Aummergenoffcn alle oier mit 
werfhbollen ©töbeln bebacht fiitb! 3 ft e^ nicht eine ausgezeichnete 
©o«hrit beS SchidialS, auf $r. 49705 ben fieierfafteu (Serie 1) ber 
$rebiger£wittwe, bagegen bie 9tähmafd)tne (Serie 3) bem Xanjfränzchen 
ju überweifen? auf 97r. 92372 bet @eheimrath3tochter bie ©uttets 
mafchine (Serie i) unb bem HNilchntann baS ©atentnotenpult 
(Serie 3) zujuWenben? 3r^er billig benfenbe ©tann wirb eS beflagenS- 
Werth finben, bafc alle fünf „Anhänger" oon 9fr. 30526 oerheiratheten 
grauen zugefutten finb, währenb ^a^Uofe ©täbchen oon 18 fahren bi§* 
über 3Ö hinauf Vergebens nach Anhängern auSfchauen. öerabezu als 
ein unoeTjeihlichct ©hithwille beS Eomitös mu§ eS aber bezeichnet 
werben, baft auf 9fr. 87256 in aßen fünf Serien ben Spielern zer^ 
brodjene fttüge als (Gewinne offerirt fiitb! 

Oh^ metben bieje $h at f ac h en ^en grunbfäplichen 

Ekgnern aller ©lücfsjpiele alö werthOotteS Kapital wiüfommen geheimen 
wetben. 9loch fchärfete SEBaffen bieten fich benjelben oiel!ei<ht, wenn fte 
ben unheilootten EinfluS bet oerlooften Objecte auf ihre Eewiitner jum 
(Segeitpanbe ihrer ©eobachtung machen. Xraun, jener bisher jo zufriebene 
9Ratm, ber plö^lich in ben ©efifc eines ÄlaüierS gelangt ift, wirb feine 


ruhige Stunbe mehr zu $auje haben, ba feine fünf 2ödjter abwechfelnb 
üben werben. $er Schneiber, bem eine ©üchSfUute bom EHücf befcheert 
ift, lä^t ftd) oieUeicht zur 3^9^ bcrleiten, fdjneE genug geht bau« fein 
(&fd)äft bem §aHali entgegen. ^)aS Suwelenarmbaub, welches an ben 
runben Arm ber jungen Schueiberin geflogen ift — ob e* fich nicht als 
ein Stöber beS SatanS erweift? Aus bem flotten Sebemami, ber ben 
^elbfchranf gewonnen hat, mag ein @eizhal3 Werben, Währenb ber Et' 
Werber beS öiqueurfajtenS, bisher ^rototpp ber 9tüchternheit, zum Söffel 
herabfinit 

felbft finbe mich alteritt burch ben gewonnenen 9Ruf. Xiefer 
©ifam mit bem blaufeibenen gutter ift mir in beu zehn lagen meines 
©efifceS fa^ unentbehrlich geworben. 5)aS 35ing pa^t nicht in mein 
gunggefetteuhehn, am weuigjten gehört eS auf meinen Schreibtifch, ift 
mir .auch bort oft hiuberlich — unb hoch, fobalb idj’S fortgelegt habe, 
fühle ich uiich merfwürbig einfam unb h°te eS wieber h&fci 2)ie 
giction> bafe eine reizenbe grau ben 9Ruff hiugekgt habe unb halb 
Zurüdfehren Werbe, mag noch fo oft oerfdjeucht werben, fie fommt 
immer wieber; als genügfamer ©tenfeh fomme ich nicht in ©erfuchung, 
fte zur SBirtlidhfcit zu gehalten. Einer meiner greunbe, ber zpm britteu 
9Äale SSütwer ift, h fl t gefagt, et bürfte fich f 0 *4 e ©rooocation nicht 
geftatten; wenn ber ©iuff auf feinem Schreibtijche läge, fo Würbe ohne 
jein Buthun nach wenigen Xagen in ihm ein feiner $anbf<huh unb in 
bem ^anbfdwh eine 5)amenhanb fteden unb — er hätte feine ©ierte. 

34 aber ertläre, trojj meiner ©efremtbung mit bem ©hiffe: bie 
Staatslotterie, reiulid; unb zweifelsohne, z^h e tch hoch jeber ©elegen- 
heitSoerloofung oor, ich entfage für bie Butunft allen AnWartjchaften auf 
$elbfchränfe unb §aarnabeln, 9ierzpelze unb Scheuereimer, unb laffe 
mir bie Hoffnung auf baS befcheibene (Älücf genügen, Welches fich auS- 
fpricht in ber gormel: ’lRauS mit fiebrig. 

211 bert 23rocft?off. 


^ot4eit. 


„SJierfbüchleiu für grauen unb Sungfrauen." ©erlag oon 
brüber ©bpach« in SRüncheu. 

Ein SRertbüchlein jott ich fau — 
gür grauen unb 3ungfröiilmti. 

34 gebe Euch ©über unb Sprüche, — 
gür bie SBirthföaft, für bie Äöche. 

RüotH' 3ht nun gute Sachen — 

©ißig unb fchmadpaft machen, 

®ann ftabitet — unb probiret! 

3)ie IRecepte notiret — auf meiim leeren ©lütter! 

Ein originelles, feljr reich unb fel)r gefchmacfOoll auSgeftatteteS 
Notizbuch für grauen, namentlich zu Stecepten für J^üche mtb ÄeHer. 
^rachtooH gebunben im Stile ber beutfehen ©enaiffatice, mit 24 ©lätteru, 
welche alphabetifch allerlei finnige Sprüche für $auS unb $of enthalten, 
bie in altbeutfcher Schrift faHigraphif4 ausgeführt ftnb nnb beren 
3 nitialen hübfehe auf bie 3Birthf4 a ft bezftgli^e unb in ©untbruef auS= 
geführte ©ilber barfteHen. hinter jebem ©ud^fiaben ftnb einige Seiten 
frei gelaffen zur Aufzeichnung oon ftochrecepten ic. $a$ ©uch täSl 
burch feine reiche unb prächtige AuSftattung ben eigentlich atariKdj be= 
fcheibenen Bwecf, bem eS bienen foü, faum errathen; unb biefer 9teich s 
thum in ber AuSftattung fte^t mit ben Sehren übet Sparfamfeit im 
§aufe, bie faft unter jebem ©uchftaben oerzeichnet werben, in einem 
liebenSwürbigen SBiberfpruch- Hausfrauen unb befonbetS jolche tarnen, 
bie gern für Hausfrauen gelten wollen nnb ttn Salon bie ©eweife ihrer 
wirthfchaftlichen Xhätigteit zur gefälligen Anficht anflegen wollen, werben 
fich Mn biefeS ©uch f*h r freuen. 


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Hie degennrart. 


Nr. 44. 


$ » f t x a t e. 

®erlag oon gertnann Kefituoilt in 3wa. 

Studien 

nbtx Me Üolk^feele 

aus bem @5efid)t8punfte 

ber 

l^ßofogte uub ^pgietne. 

»on 

Dr. dbuarb Wftd|. 

2. btrmeftrte Kttflagt. 

gr. 8. brofe^. 12 JC 

®er auf antljropol. Gebiete beftertS be< 
famtte SBerfaffer bringt in biefem S8uc$e in 
ffater unb leidjt faßlidjer 6<flreibweife 
reiche Äuffdjlfiffe, namentltdj in $injid)t 
auf öffentl. (SejunbljeitSbflege unb SWoral; 
baS SBudj öerbient feiner aufrichtigen, wohl' 
meinenben $enbenj wegen einen großen 
SefefreiA 


Bei Otto Meissner in Hamburg ist eben er¬ 
schienen : 

Briefe 

von Benj. Coastant — G (irres — Goethe 

— Jac. Grimm — Gnizot — F. H. Jacobi 

— Jean Pani — Klopstock — Schelling 

— Mad. de StaSl nnd vielen Anderen, 

Auswahl aus dem handschriftlichen 

Nachlasse des Oh. de Villers. 
Herausgegeben von M. Isler. 

Preis 5 JC 

Charles de Villers ist in der Entwickelungs¬ 
geschichte Frankreichs und Deutschlands eine 
hervorragende Erscheinung, da er zuerst es 
wagte, den Franzosen die Bedeutung der 
deutschen Literatur und insbesondere der 
kritischen Philosophie begreiflich zu machen. 
Sein Beispiel hat Benjamin Constant und Frau 
von Staßl zu gleichartigen Bestrebungen er¬ 
muntert. Aus seinem Nachlass hat der Heraus¬ 
geber diejenigen Briefe ausgewählt, welche 
literar. u. historische Beziehungen enthalten. 

SOENNECKEN’S ' 

KURRENT-FEDERN 

«rl siebtem 

du 

▼ersehSnera die 

Sehrt ft. spritzen JjjX t \ 

nie und haben uuge- \ 

mein grosse Dauer- wmm 
haftigkeit. ^ \ 

ProbeschaolilHlu 
mit Gebrauch \nwag. 

80 Pf. (mit dazu pas- 
■andern Halter 50 Pf.) 

In jeder soliden Schreib- 
materialien-Handlung vor- 
räthig. v\ 

F.Soennecken’s Verlag 
Bonn u* Leipzig. 

Soeben erschien: 

Tavioat» Wilhelm, Frühlingsstürme. 

tJIlSdl NeueNovellen. 2 starke Bde. 
- Eleg. geh. 10 JC 

Marbach SÄ^eSTS: 
Sacher-Masoch 

^Afithfitlk 
des Hässlichen. Erzählung. Eleg. geh. 2 JC 


Soeben erschien der vervollständigte reiche Festgesohenkk&t&log von 

Breitkopf & Härtel’s Lager 

solid und elegant gebundener 

classischer und neuer Musikwerke und musikalischer Bücher 

eigenen und fremden Verlages: 

Volksausgabe Breitkopf & Härtel vollständig. - Oesammtausgaben von Bach, Beethoven 
J„ h ®P' B ’ n “* del > Mendelssohn Mozart Palestrina, Wiener. - Klavieranszttge d«r belieb- 
.-'fl?'. Cott »! s «h? »n«trnctive Ausgabe. Piapoforte- nnd Lieder - Sammlungen. - 
MnsikalisAe Jfgendbibliothek. — Musiker-Schriften, Biographien, Briefwechsel, Essays, 

historische nnd theoretische Werke. 

= Ausführliche Kataloge gratis. -- 

Sofort zu beziehen durch alle Buch- und Musikhandlnngen. 


10 . Irf. ® mlt Ift Atlfl 

^ 1 ^tfferßiograpßte. ,ü * *** 


’ Soeben erjdjieit: 

Sdliller ’8 

JeJcn unb perlte. 

boit 

(Etnil $)aüf 0 hf. 

2 Sänbe. 76 Sogen. 

Sehnte, neu oerbefferte Auflage. 

SPteiS broef). 6 JC, 

eleg. in l fieinenbänbe geb. 6 JC 75 
Sin ÜBerl, baS“6ri feinem erften ©tfäeinen 
oon ber gefammten firitif als eine meifter= 
pafte Seiftung auf bem ©ebfete ber SiograpHie 
aneriannt mürbe, unb ba8 fich feitbem burdj 
»olle 20 Satire bie ©unft beS beutfdjen »oHe8 
ungef^mälert ju erhalten gerou&t, liegt in 
io. Stuflage por. m ift mie aus einem ©uffe 
gearbeitet, mit »egeifterung unb Ijingebenber 
ütebe getrieben, in einer ©arfteüung, bie 
aaqeju rlaffifö genannt merben tann. 

»erlag Oon Carl Uralte in Stuttgart 

Soeben erfdfien in neuer SluSgabe: 

tglfeafer. 

Haiti 1. 2. 3. 

©ntfjattenb: 

Warimi. — 3tt biplotnatifdter Srttbung. 
— SNaria u. äWagbalena. — Ziana. — 
«in «tfhlg. - Zante Z^erefe. - 
Banfapfel. — ^o^annigtrieh. 

Steg. geh. 8. »rei« pro S3anb 4 JC 60 s,. 
8 « Bejie^en burep aüe »uippanblungen. 

»ertagSbu$ljanbtuug oon 

_ gtennb & jtitl in 8ertin. 

Soeben erfepien: 

las ‘Saliiatetttotfa ii Jmbnt. 

®on 

W- ^adfÄtibef. 

Süuftrirt 

Don 

gmtf 'gturnpf. 

13 »ogen 8. mit 60 S&uftratiouen. 

?ret8 gef». 3 JC, eleg. geb. 4 JC 
«*w b « anmut^igften unb frif^eften 
Sd^öpfungen fmrftdnber 8 unb eine $etle unferer 
beutfepen pumori^ifien Siteratur ftberbauot 

Itltlrfi# mir hiamott hati _^ 


Verlag von Hermann Costenoble in Jena. 


Die 

Fortpflanzung ml Vermelrnni 

des Menschen 

aus dem Gesichtspunkte 

d. Physiologie n. Bevölkerongslehre. 

Von 

Dr. Eduard Reich. 

gr. 8. broch. Preis 12 JC 
Das Buch dürfte bestimmt sein, das 
grösste Aufsehen zu machen und in alle 
Kreise der höheren Bildung zu dringen. 


3m Verlag öon & Koftter in SBte* erfchien 
unb ift bur$ alle öut^^anblungen $u bejie^en : 

Fortgänge. 

©efommette SJauerngefdjidjten 

oon 

JUt|fttgtttßet. 

2 Zljeilc. $rei8 6 JC orb. 

■ ^5^, »«Willen, mcltpc, al8 fle juerft 
I n §« tWnften 3 a ^ r6ü 4 eni «dienen, febr 
betfautg aufgenommen mürben, merben nun, ba 
fie gefammett oorliegen, gerne «bnebmet Raben. 
„3>er gottüberlegene Safob", „®ie ber ßuber 
ungläubtg mürbe", „®ie fromme Äatbrin’" 
Sünbtmb" w. ic. fabelt burt^ beS ÄutotS 
unb bes ©offc^aufpieler« SewinSlb »orlefima 
©enfatton gemalt, gur ein 2nlent, wie &n$en- 

9t ix Cr J ö % bar f ber ®e*kffer Wohl fidb lebe 
Weitere 2Ltpreifung erfparen. 


► ® erIa fl »>on §tmmn ttoftemnile in 3ena.! 


Reifen 


ttülier-üiaisucn l«, D» mel^e mir 'Hiermit b^ grennben rin« S l 25L 9 i}} WA » 0| 

——-— -— Ästhetik Settüre in neuem ©emanbe toSbren - f bu SlnfcHaffung brefe« »u<$C8 lei<H 

Hasshchen. Erzä hlung. Eleg. geh. 2 JC »erlag Oon gart ftr.ile faT«tottgart. tt t l n M l . M 

—--Cierj« eine »tiligt tan per SnlagSlutHlanblnng Ctt. Spam er inSeipuln. 

JUtartlM, juttta, M.W, fttonotin,enaftr 4 . @St Me «ebcction Mranttmtltd): *«.r s Ätttte m *etn«- m --’- 

Dnuf Dem a« Iniltff in (MßtMtt«, W, Seiten «Strafte 4. 


| 4FtiPi»ri^ Cöfr^fidter. | 

X ®* ®o|lfeüe UsltSanSgahe. J 

1 \ f‘ arte ® ättbe »n eleg. iUnfh. Umf©lag f 
Z broep. 8 JC, geb. in Seinmanb = 9Hhfen u. T 
f ©olbtitel 9 JC 60' s,. 1 

X SnHalt: Sftbamerifa, Kalifornien, ®üb= ♦ 
Z feetnfeln, Sluftralien, 3aoa. t 

X tiefes lervlmtege «rifemert «erftdder# ♦ 
Zerfd^eint Hwrbur^ »um erften Stale inZ 
Z 6 * Hi i c , n ® olt«au8gabe, meSbalbl 
Z Seben bie «nftHaffung bicfe8 »u<He8 teiebt ♦ 
J mögltdj mirb. . ♦ 


gör hi t Wcbaction 8etant»ottlic^ : a«a ta Stuft« 
®nuf Don £. #. f tn$un in jrtpttf, 


in ^errik. 


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Googli 






M 45 . 


j^erfftt, bett 8. Ho»ro6er 1879, 


Band XVi 


fie cfcpramrt 

äßocbenfcbiift für fiiteratur, Äunft unb öffentlich Sehen. 


Herausgeber: ^öttC cftttbittt in ©erlitt. 


Stln Siniini ttfötüd nn Jim«. 

• Sieben bnxtb afle ©utfibanblunflen unb ^oftanflalten. 


Serie 3 er: Georg Stille in ©erlitt. 


preis (in fmrlttl 4 Bari 50 Pf. 

ftnletatc icbet ®rt pro Sflefpaltene ®eiitieil* 40 ®t. 


föufjlanb üor unb nach bem Kriege. s 43on g. — Bitetatar ttttb knnfl: 5£)rei 6tammbudjblätter. SRitgetljeilt boit Subiüig 

cv c n Stei^crrn Don Dmpteba. — Sfyeobalb ferner unb jetne 2)idf)tungen. SSon 6. 6 d)tnibt = 2 Beif3cnfel3. — ©eopfjagie. SSoit 
flnbait * 2Bill)eImDon#amm. (©dflufc.) — AmerifanifdjeS ©tubcntenlcben. $tton Otto ©roß. IV. V. — Ait0 Der $au|»tflatot: $ramatifd)e 
** ^ Aufführungen. ^Bo^tt^ätige grauen, üuftfpiel in 4 Acten oon Abotf ü’Arronge. Söetyrodjen bon $aul üinbou. — $ie 53. Au3= 

fteuung ber königlichen Afabentie ber künfie gu Berlin. 33oit Ih- 8. IV- — Zotigen. — Offene Briefe unb Antworten. — Qnferote. 


Bn^lnnb not mtb muß bem Äriecje. 

i. 

33or etwa fünf Sorten erfebien in Seipgtg anontjm ein ©ud) 
„©über aus ber Petersburger Eefetlfcbaft", baS oerbienteS 8tuf= 
fe^en erregte, ineil eS guerft einen Haren öiitblicf in bie 3uftänbe 
StußlanbS gab unb biefelben fowie bie teitenben Staatsmänner 
SußlanbS mit eben fo großer Unparteilichkeit als Sadjlenntniß 
ftbilberte. 2)erfelbe ©erfaffer oeröffentlidjt nun eine neue Steifje 
oon EffapS „IRußlanb üor unb nach bem Stiege"*), Welche bie 
Hufmerffamfeit noch in höherem Stabe gu feffetn geeignet finb, 
weil eS ficb um bie unmittelbare ©ergangenbeit, bie ©egenwart 
unb bie Sulunft jenes großen SReicbeS bonbeit, mit welchem baS 
beutfebe SReidb fo oiele Begebungen bat unb eben jefct gefpannt 
ju flehen beginnt. 

fflenn eS, beißt eS in bet (Einleitung, auch ben fäbigften 
uub f^arfblidenbften HuStänbern nur auSnabmStoeife gelingt, ju 
einem richtigen ©erftänbniß ruffifeber ©tenflben unb ßuftänbe 
burebgubringen, fo ertlärt ftcb baS auS ber Unbefanntfcbaft ber 
meiften 9lirf)ttujfen mit ben 3nßänben, bie noch öor toenigen 
©tenjcpenaltern in ber großen ©tonarepie beS DftenS berrfepenb 
waren unb für bie Entwicftung bcs gegenroärtigen ©efcplecpts 
mafjgebenb getoefen finb. ©lan ift erftaunt, baß hinter ben 
glatten, eleganten ©atbeoffigieren, Äriftohaten, ©eamten u. f. m., 
bie ber 9luSlänber als ©epräfentanten ber ruffifeben Nation 
tarnen lernt, ni<bt feiten aflatifepe 2)eSpotennaturen lauern, baß 
bie gewanbten ©efdjdftsleute ©loStauS unb Petersburgs ftcb mit« 
unter als religiöfe loßbäuSler geigen, baß ber fanfte, gebulbige 
©auer unter Umftänben Xürten unb Ißberfeffen an 233itbf»eit 
unb ©arbarei übertrifft — unb boeb liegt bie Erwägung außer; 
orbentlicb nabe, baß bie ©uffen ber gweiten Hälfte beS 19. ^opr» 
bunberts entweber Söpne unb Enlet oon Seibeignenbefifcern ober 
©aebtomnten ehemaliger Seibeignet finb ober felbft noch bie Seit»* 
eigenfebaft getoftet haben. ®ie SBiege beS heutigen EefcblecbteS 
ift noch bon 3uftänben umgeben gemefen, für welche eine anbere 
©egeiepnuug als bie ber ©arbarei nicht wohl angemenbet werben 
tann. ®et milbe unb aufgefl&rte ©tonarep, ber bie Seibeigert* 
febaft aufbob, ift ber Enfel jenes Paul, bet nicht ber cbriftlicben 
3eitrecbnung, fonbetn ber Slera ber tömifepen Eäfaten angu= 
gehören febien unb feine beiben Söhne binriepten taffen wollte; 
fein Dpeim war jener Sro^fürft Sonftantin, beffen SBilbbeit ben 

*) fieipgig 1879, g. 8. ©rodbauS. ®ie elfte Auflage mar bret 
Sotten nach (Etfcbeinen bergrtffen. (Einige ber in bem ©ucf)e enthaltenen 
CjfapS werben ben liefern ber „Segenwart" in gutem Sebädftnijj fein. 


Erfurter Kongreß in Erftaunen fefcte. 2Ue£anber I. felbft, oon 
feinen Sewunberern als ber weiße Enget begrüßt, ber Europa 
oom Socbe beS corpfcßen Spranneu befreite, geigte fiep gu §aufe 
maßlos auSjcbweifenb, jäbgornig unb wittfürlicb, ber liberale 
TOonardj, ber barauf beftanb-, Polen eine ©erfaffung gu geben, 
ließ bie furchtbaren 2lraftfdjeiew’fcben ©tititärcotonien errichten, 
ber Sreunb SaaberS unb Srau oon SrübenerS fanbte oon ber 
Sfafet ben Senfor nach Sibirien, ber in einer frangöfif^en 8citung 
eine Slngeige über bie Srmorbung Pauls itberfeben, ber 3ögling 
beS Pbilofopben Sabarpe ließ fich oon bem rohen Sanatiler ppoti 
binterS Sicht führen unb nahm beffen tolle Pbantafien als gött¬ 
liche Eingebungen. Unter bem fcpwanfenben 3tlejanber wie unter 
bem unbeugfamen ÜRitotauS, ber eS unternahm für 60 ©tiHionen 
allein gu benfen, würbe eS als notbwenbiger ©uSßuß beS monarebi- 
fdjen PrincipS angefeben, baß ber Souoerän bie ipm oortbeilbaft 
belannt geworbenen Perfonen beliebig im öffentlichen IBienft oer= 
wenben fann, mögen fie auch für ihre Poften gänglicb ungeeignet 
fein, eine wirfliche Schule für böb ere ©eamte gibt eS nicht. 
Sarbclieut^nantS unb unwiffenbe Popenföbne würben fo plößlicb 
gu Souoerneuren, Stnbere, bie ftill ihre Pflicht getßan, pelen in 
golge einer faiferlichen Saune in Ungnabe, bie wi^tigften prin= 
cipiellen Entfcheibungen würben Perfonatfragen. ®ie ©ater ber 
heutigen Staatsmänner nahmen an ben palaftoerfcbwörungen oon 
1762 unb 1801 Xfyeil, bie bem ruffifeben Spfteme baS Epi* 
gtamm eintrugen „le despotisme tempere par l’assassinat“. SEBir 
pören oon furchtbarer Eorruption im testen Kriege, aber fo ift 
eS immer gewefen oon Potemlin, ber bie brei ©Unionen 9tübet, 
bie ihm für bie ffrim überwiefen waren, für Juwelen auSgab, 
bis gu ©üolauS, ber einft in ©ergweiflung auSrief: „3<b unb 
mein Sohn finb bie beiben Eingigen in biefem Sanbe, bie nicht 
fteblen." 

ffann eS SBunber nehmen, baß bie ruffifeben SRabicalen eben¬ 
falls ben Stempel biefer Sußönbe tragen? 3«m größten ge= 
hören fie bem hohen Hbel an, ber, wie bergen fagt, „bie ©lorgue 
i wefieuropäifdjer äriftolraten mit ber Kühnheit unb ©erfebtagen« 
heit lofalifcßer Sttamanen oerbinben". ©afuninS ©riiber unb 
©ettern finb Eenerale unb 8lbelSmatfchälle, ber Socialift ffiirft 
Ärapotfin ift ber ©ruber beS ermorbeten EouoerneurS oon Sfiew, 
Sürft Uruffow, ber im großen ©ihiliftenproceffe ©ertheibiger war, 
ift ein ©etter beS fReicßSfanglerS, gürft Peter ®olgorufi, ber 
: ©etfaffer beS giftigen ©ucßeS „La vörite sur la Russie“, rühmt 
fiep oon Pturil abgußammen. bergen felbft ift ber natürliche 
! Sohn eines unermeßlich reichen Slbeligen Stlejcei Safolew, eines 
I SonberlingS, ber fidj oon feinen Beamten SEBälbet fteblen ließ, 
I wäßrenb er felbft Sicßttefte fammelte. S)iefe SRabicalen h a ^ en 
meift höhere 3iele unb finb aufrichtig oon ber ©errottetheit beS 

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290 


Sie $t$fn»art. 


Nr. 45. 


©efiebenben überzeugt, aber fie bleiben barunt bod) oornebrae 
DanbieS, bie feine etnffe Arbeit lernten, enbloS biScutiren unb 
rauben, fdjliehlih nur ju negatioen {Resultaten lotnmen unb baS 
£>eit üon einer foSmopotitifhen Sleoolution erwarten. SBie fann 
eS autf) anberS fein? 35er junge Stoffe aus böseren ©tänben 
empfing eine oberflädjlidje ©rjiebung burd) franjöftfe^e $ofraeifter, 
wuchs jwifdjen ben ßeibeignen unb SRaitreffen feines ©aterS auf, 
warb bann im ©abettenbauS in bie Uniform geftedt unb batte, 
nacbbem er einige 3ahte Dffijier gewefen, ju wählen, ob er bie 
ßeiter beS 3f«bin als ÜDtilitär ober ©eamter erflimmen ober fi<b 
in ber enblofen ßangeweile unb Debe bet bauptftäbtifhen ©alonS 
umbertreiben Wollte „tres occupt 4 ne rien faire“, bie unabhängigsten 
Staturen enblidj werfen fi<b in bie Dppofition. 3ie ganje Sit 
bung ift franjöfifh, „wir oerfteben bie granjofen beffer als irgenb j 
eine anbere Station," fagte gürft SBjäfemSli, „Weil fie unferem 
Statureü am meiften jufagen, oon SllterS t)tt ift eS fo gewefen, 
wenn eS in ©ariS regnet, Spannen wir ben Stegenfdjirm auf, bie 
Mafftfhe ©ilbung bat bei uns feinen ©oben." ©inige ernftere 
©eifter haben bie Schule ber beutfhen ©bilofopbie burchgemacbt 
unb ju güfjen oon SJtihelet, £>otbo u. f. w. gefeffcn, aber aud) 
fie gingen halb oon Stuge, ©traufi unb geuerbah ju ßouis ©lanc, 
Courier unb ©roubljon über, fie Wallfabrteten nach ©ariS, bem 
SJteffa ber Steoolution unb überboten halb ihre Steiftet an ©nergie 
beS UmfturjeS. Der geheimen ©otijei oerbächtig geworben, et: 
hielten fie ©efebl nach Stofjlanb jutüdjufehren, würben auf ihre 
SBeigerung beS ruffifchen Sürgerrechts oerluftig erflärt unb fo 
erfdjien jum erften SJtal eine bis babin unbefannte ©pecieS, ber 
ruffifche politifhe glüdjtling. SJtänner biefer klaffe nahmen 
an ben ©ewegungen beS SabreS 1848 beroorragenben Stntbeil, 
flohen bann bei beginnenbet Steaction nach ßonbon unb begrün; 
beten bort bie ruffifche reootutionäre ©reffe, bie trofc aßet ©enfur 
ju $aufe ©ingang fanb. ©S ift befanni, welchen ©ütfluh ber 
„fiolofot" $erjen8 übte, bis berfelbe baburch oerloren ging, bah 
baS Slatt in bem polnifchen Slufftanb oon 1863 für biefen ©artet 
nahm. Damals erfchien juerft unter ber gübrung SlffafowS unb 
KatlowS bie nationale ©artei, Später bie ©laoopbilen genannt; 
bie ßiberalen batten Anfangs polnifdje ©bmpathien gehabt, als 
aber ber Slufftanb nach SBilna unb ©robno ^tttübergriff, bie 
SBeftmächte unb Deftreich interoenirten, erfolgte eine mächtige {Re- 
action beS ruffifchen StationalgefüblS, bie ben Slufftanb rfidfihtS; 
loS nieberwarf unb bie Snteroention Möglich fheitern lieh. Slber 
auch biefe Steaction, welche bie weftlicbe ©ioilifation als Urfache 
atteS Unglüds in Stufjlanb anfab unb baS perrottete $eibentf)um 
beS SSBeftenS burch bie ortboboje Äird)e unb ben länblichen 
©emeinbefij) regeneriren wollte, überfchlug ficf), ber ©erfuch ©ölen 
grünblich ju ruffificiren unb baS oetbafjte ßateinertbum burch 
eine grünblich fiaoifche ©ioilifation ju erfefcen, fheiterte trofe 
alles DerroriSmuS, mit bem man ben Wbel ruinirte ohne bie 
©auem ju bereitem, fatbolifche Kirchen unb Schulen in ortbo; 
boje umwanbelte, ©ifchöfe oerbannte unb fogar üerfuchte, bie 
ruffifchen ©ichriftjeichen einjufübren. SJtiljutin unb feinem Sb= 
jutanten gürft Dfherlafjli gelang eS nur StUeS ju jerftören, was 
©JielopolSfi mit unertnüblicber SJtübe aufgebaut, unb ein ©baoS 
beroorjurufen, welches fhliehlih auch ber ruffifchen Stegierung 
ju üiel warb. Sluf bie energifhen ©orfteßungen beS militari; 
fchen Oberbefehlshabers, beS ©rafen ©erg, fam oon ©eterSburg 
ber ©efebl, ©inhalt ju tbun. SRiljutin ftarb. Dfherlahü Warb 
jurüdberufen unb jog fich großenb auf feine ©fiter jutüd. 

II. 

©in neues gelb ber Dbätigleit eröffnete fich ben ©ropbeten 
ber flaoifdjen ©ioilifation, als bie boSnifche gnfurrection burch 
bie KriegSerflärung Serbiens gröbere ©erhältniffe annabm. Der 
Kaifer, ber Kanjler, bie tytyten ©eamten unb ber $of waren 
burdhauS bogegen, eine neue orientalifhe ©erwidelung herauf; 
jubefhwören, fie Sprachen mit ©erachtung unb ©itterleit oon 
Dfhernajeff unb feinen ©olontären, oerböhnten bie ©etbier unb 
fürchteten nicht mit Unrecht ben bemagogifcben ©baralter ber 
©ewegung, welche bie ©laoopbilen für bie ©efreiung ber unter; 
brüdten ©rüber in ©eene festen. Stihtöbeftoweniger warb biefe 
fo ftarf, bag bee ©jar fich g«nöt^igt glaubte, ihr gugeftänbniffe | 


ju machen, er erlaubte ben Dffijieren, nach Serbien ju geben, 
wie er bem englifeben Sotfcbafter fagte, -um ©affet auf baS 
geuer ju giefjen, aber eS war nicht ©affet fonbern Del. DaS 
oergoffene ruffifche ©lut nötigte ihn, ben Siegreich oorbringenben 
Dürfen burch ein Ultimatum |>alt ju gebieten, unb mit feiner 
SRoStauer Siebe batte er fich tbatfädjlich bet ©ewegung bin- 
gegeben. Die ©laoopbilen triumpbitten unb gaben bie ßofung, 
ba| Stufjlanb, nachbem eS ben ©iberftanb ©olenS niebetgewotfen 
unb bie ©elbftftänbigfeit ber Dftfeeptooinjen gebrochen, nun feine 
SJtiffion oottenben müffe, inbem eS alle ftaoifchen Stämme be¬ 
freie unb unter feinem ©cepter fammle; foßte bie Slegieruug 
nicht fähig fein, biefe ihr gefteilte Aufgabe burchjufübten, fo 
fei bieS nur ein ©eweiS, bah fie oon Kopf bis ju gufj reformirt 
j werben müffe. ßiberale wie Stibitiften Stimmten bem ju, obwohl 
fie bie fanatifdjen Sßufionen ber ©laoopbilen nicht feilten, bie 
erfteren, weil fie hofften, bah ber ©ang ber ©reigniffe bie Sie; 
gierung jwingen werbe, bie begehrte ©erfaffung ju geben, bie 
leiteten, Weil fie auf eine Slieberlage ber ruffifchen Slrmee red); 
neten, bie ju einer Sleöolution führen müffe. ©o würbe bie 
Stegierung oom Ultimatum ju ben ©onferenjen oon Konfiantinopel 
unb Oon ba jum Kriege fortgejogen. Der Anfang beSfelben 
brachte ben ©laoopbilen, bie unbelebt burch bie Sorgänge oon 
1870, oon einem ©pajiergang nach Sonftantinopel Sprachen, 
herbe ©nttäufchungen. Die ©rnennung beS ©rohfürften SlifolauS, 
ber bisher nur burch feine galanten Slbenteuer unb ©chulben, 
fow« burch barfcheS Auftreten befannt war, würbe als eine 
Slachäffung ©reufjenS oerfpottet. Stoch mehr war man erftaunt, 
bem ©rohfürften SJtihael bie gübrung ber KaulafuSarmee übet; 
tragen ju feben. Die ©enerale Waren meift unbelannt, Dob; 
leben bagegen warb als Deutfcher bei ©eite gef hoben, er juefte 
lächelnb bie Shfeln unb fagte: „Die jungen ßeute wollen baS 
unter fich abmachen," Wohl abnenb, bah feine Seit nur ju halb 
fommen foßte. Dagegen war eS wenigftenS ein Droft, bah ein 
echt Slationaler, Dfcherlafjli, jum Drganifator oon ©ulgarien 
ernannt warb unb mit einem jablreidjen Stabe oon ©arbe; 
Offizieren unb gournaliften auf ben RriegSfchauplah abging, 
greilich foüte eS länger bauern, bis er bie Drganifationen, bie 
er fettig auSgearbeitet auf bem ©apier mitbrachte, anwenben 
unb baburd) ein ähnliches ©baoS wie einft in ©ölen betoot; 
bringen fonnte; jwei ©lonate oerftrihen, ehe bie Sltrnee bie 
Donau überfchritt, bann folgten bie Stieberlagen in Slfien, bie 
halb hinter ber UnglüdSbotfhaft oon ©lewna jurüdtraten. Der 
©rohfürft, ber leinen beutfhen ßebrmeifter gewoßt, ^attc bnS 
toße ©jperiment gegen ben bringenben Siatb feinet ©enerale 
unternommen unb eine entfheibenbe Slieberlage erlitten, ©in 
gewaltiger ©türm beS UnwißenS gegen bie unfähige #eereS; 
leitung brach loS, Stffalow Magte fie offen in einer an ben 
©rohfürftewDbronfolger gerihteten Denlfhrift an unb oerlangte, 
bah anbere SJlänner an bie ©pi^e gefteßt würben, ©in jweiter, 
ebenfo erfolglofer ©erfuch, bieSmal unter ben Slugen beS KaiferS, 
bie geftung ju nehmen, Steigerte bie ©rbitterung unb jugleidj 
bie gorberungen, baS SBort Oon DbierS „les Busses vaincus 
seront plus exigeants que les Russes victorieux“ bewährte fich- 
SBäbrenb man Oor ©lewna fich wit ber ©efreiung ©oSnienS unb 
SulgarienS begnügt hätte, forberte jefet bie öffentliche SJleinung, 
bah nicht oon grieben bie Siebe fei, beoor Konftantinopel ge; 
nommen. Slls enblicb ©lewna fiel unb ber Kaifer nach ©eterS; 
bürg jurüdlebrte, was er oorber nicht hätte tbun lönnen, warb 
er jwar mit gubel empfangen, aber er laut als ein oeränberter 
SJlann in feine §auptftabt, bie ©reigniffe beS ©ommerS hotten 
ihn tief erfhüttert unb ©hatten bis in feine gamilie geworfen, 
fein ältefter ©obn, beffen ©rioatleben tabelloS war, hotte offen 
feine ©eradjtung für ben commanbirenben Dheim gejeigt unb 
ftimmte mit benen, weihe ben ©turj beSj türfifhen SletheS 
oerlangten. Sllejanber bagegen woflte baS ,@inDernehmen mit 
Deutfhlanb unb Deftreih erhalten unb härte auf bie SBarnungen 
beS ©rafen ©huwaloff, ber unabläffig oon ßonbon fhrieb, ber 
Sflarfh auf Konftantinopel werbe baS Signal ju einer brittifhen 
KriegStrflärung fein, gn biefer ßage Würben bie nunmehrigen 
rafhen ©rfolge ber Strmee ju einer ebenfo groben ©erlegenbeit 
i wie früher bie Stieberlagen. Der Saifer wünfhte, in Sbrianopel 
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Nr. 45. 


Hie Äegenwart. 


291 


$alt ju machen unb griebenSunterljanblungen ju eröffnen, ober 
er würbe oon ©ortfehafoff, ber feine Popularität ju oerlieren 
fürstete unb oon Sgnatieff fortgeriffen, legerer würbe mit ben 
Unterhaltungen betraut, bie auch ben beiben befreunbeten Mächten 
geheim gehalten tourben. Diefe furjfidjtige ©olitif, bie, um burch 
einen großen ©d)lag bie erschütterte Hlutorität ber Regierung 
wieber hetjufteHen, ben Trieben Oon ©an ©tefano wagte, braute 
Pufjlanb in bie gröjjte ©efaljr. SBä^renb baSfelbe Ooüftänbig 
unfähig war, einen neuen grofjen Stieg ju ertragen, War bie 
öffentliche Meinung empört, baff bie Gruppen beim @rfd)einen 
ber brittifdjen flotte im ©oSporuS oor Sonftantinopel ftitle 
ftanben, unb wenig befriebigt burd) ben Vertrag felbft. SllS 
nun ber &aifer bennoch einfehen muhte, bah Europa biefe ©e« 
bingungen nie ruhig lp nne h meit würbe, ben ©orftetlungen beS 
dürften SiSmard, ber ihn erinnerte, bah baS Dreifaiferüerhältnifj 
auf bem Princip gemeinfanter ©erftänbigung beruhe, unb bem 
©rafen ©djuwaloff ©chör gab unb in ben Songreh willigte, 
würbe bieS fd)on als Demütigung empfunben, obwohl man 
bamalS noch glaubte, bah eS fich nur um eine formale ©anction 
beS Srreichten tjanble. ©alb aber jeigten bie P ad) richten oon 
©erlin, bah Pufflanb ©übbulgarien opferte unb in bie öftreidjifche 
©efepung ©oSnienS willige unb nun ftieg ber Unwille aufs 
häufte. Stffafow er Härte in einer heftigen Hiebe am 3. 3uli, 
bah tone ©Sorte ftar! genug fein würben, einen foldjen ©errath 
ju branbmarfen, bah bie Diplomaten, welche Solchen erniebrtgen« 
ben ©ebingungen jugeftimmt, bie wahren Pif)iliften feien, bie 
oon PufclanbS Drabition, Nationalität unb Kirche feine SUjnung 
hätten, bie einjige Hoffnung fei, bah ber Sjar bie Sache nicht 
oerlaffen werbe, bie er felbft eine heilige genannt. Die £>off« 
nung warb jebod) nicht erfüllt unb bie Snttäufcfjung war fo ge« 
Wattig, bah ei unmöglich Würbe, ben Mann an bie ©pijje ber 
©efchäfte ju rufen, ber allein bielleicht wieber Orbnung hätte 
herfteUen fönnen, aber ber nicht nur am £ofe heftige ©egner 
hatte, fonbern auf ben auch ©ortfehafoff bie ganje Unpoputarität 
ber rufftfdfen Padjgibigfeit burd) feine Srflärungen auf bem 
Songreh ju wätjen gewuht hatte. Die Stimmung Würbe nicht 
burd} bie ßrjäljlungen ber jurüeffehrenben ©olbaten üerbeffert, 
bie berichteten, wie ihnen ihre hingebenbe Dapferfeit belohnt 
war. SBarunt hatten bie Dürfen beffere ©ewehre, Kleiber unb 
©chuhe als fie, warum fehlten in ber ruffifdjen Slrmee 3cltc, 
©chanjmaterial, Sorten unb gerngläfer? SEÖie fam ei, bah ber 
gröfjte Dheil ber ©riefe unb Pacfete bei ber gelbpoft oerloren 
ging? SBarum ftarben bie ©erwunbeten unb Sranfen ju Daufenben 
aus Mangel an $ofpitälern unb Slmbulanjen? 3in Srimfrieg 
hatten bie Sieferanten wohl unfinnige ©reife erhalten, aber trofc 
beS ©fangelS ber Sifenbahnen unb trojj ber fdfjtechten Straffen 
war bo<h bie ©erpflegung ber Slrmee auSreidjenb gewefett, bieSmal 
erhielt fie mit Sifenbahnen Schimmeliges ©fehl, oerfaulteS ©tob 
unb gleifdj, ungenießbares Pierbefutter, währenb bie Sieferanten 
Millionen erwarben unb bie Sntenbanturbeamten fich fchamloS 
bereicherten. Unb nun warb Schließlich „auf atterhöchften ©efehl" 
ber gegen bie ^muptfdjulbigen ©regor, $oroifc unb Sohan in 
Obeffa eingeleitete ©roceß niebergefchlagen unb bie ©ejaljlung 
ber beanftanbeten Pedjnungen oerfügt! ©alb oerlautete eS, bah 
fie mit unliebfamen Snthüüungen gebroljt unb boshafte ©eriiehte 
üerbreiteten fid} über bie Duellen, aus benen ber ©roßfürft 
PifolauS bie Mittel jur ©ejaljlung feiner ©chulben genommen. 

Die ginanjen waren in einem IjoffnungSlofen Suftanbe, ber 
bewährte ßeiter berfelben, §err o. Peutern, jog fich jurüd, weit er 
baran oerjweifette, ein ©leichgewicht ^erjufteüen. ©ein Pa<h= 
fotger, ©eneral ©reigh, ein früherer Marineoffijier, Hopfte oer« 
gebtich an bie Dhüren ber europäifd)en ©örfen für eine neue 
Anleihe unb machte giaSco mit bem ©rofecte einer Sinfontmen« 
Steuer. Das einjige Mittet, welches Pettung bringen fonnte, 
bie Ausgaben eingreifenb ju oerminbern, mit bem Unwefen ber 
©enftonen unb ©nabengehatte aufjuräumen, bie ©erwaltung ju 
oereinfachen, baS Hlrmeebubget ju oerringern, wagte er nid)t 
oorjufchtagen. Unmittelbar auf ben ©ertiner ©ertrag folgte 
bie Hiera ber politischen Morbe unb Pottereien, ©era ©affu« 
titfeh begann ben Peigen, warb unter allgemeinem Subei frei' 
gcfpro$CT< unb als eine jweite Sh ar l°tte Sorbap gefeiert. Die 


Srmorbungen beS ©enerals Mefenjow, beS gürften Ärapotfin, 
beS ©aron §epfing unb Hlnberer, bie ©ranblegungen in Stfutsf, 
Drenburg unb anberen ©täbten folgten, bis baS Hlttentat auf 
ben ffaifer jur Srrichtung eines PegimentS führte, welches mit 
geuer baS heilen foUte, was Hlrjnei unb Sifen ju heilen unoermögenb 
gewefen. Daß baSfelbe trofc feiner Püdfid)tSlofigfeit unb einer 
SBiflHir, bie unter PifolauS nie gröber gewefen war, fein Siel 
nicht erreicht hat, wirb laum noch beftritten. Der ©roceß 
©olowieffs jeigte, bah biefer falte ganatiler nur ein HBerfjeug 
ber PeoolutionSpartei gewefen, über beten Drganifation ihm fein 
©eftänbniß ju entlüden war, man fah nur, bah ber $o<h' 
oerräther ©erbinbungen gehabt, bie fidj über baS ganje {Reich 
oerjweigten, bah er fein $anbwerf Monate fang getrieben ohne 
mit ber ©olijei in ©erührung gefommen ju fein. Unmittelbar 
barauf folgte bie ©ntbedung ber geheimen Druderei im 3otl= 
fchuppen unb bodj ging bie ©erbreitung aufrührerischer Mauer« 
anfchiäge fort; foeben ift wieber eine Druderei aufgehoben, nirgenbs 
rührt fich ein Singer, um bie Organe ber beftehenben ©ewatt 
ju unterftüjjen, oielmehr fanb bie ©rHärung ber ßanbeSoertretung 
beS ©ouoernementS Dfchernigow allgemeine Suftimmung, bah 
eine Sllufion fei, wenn man bie anarchifchen Sbeen burch ©ewatt« 
mafjtegeln unterbrüden ju fönnen glaube, ©on wirtlichen Hte« 
formen, wie fie ruhig benfenbe Männer als nothwenbig erHären, 
wenn SBanbel gefchafft werben fotl, ift nichts ju fepen. ©raf 
©chuwaloff, ber wahrscheinlich allein im ©tanbe wäre, eine fefte 
unb einheitliche ©ofitif nach innen unb auffen ju befolgen, ift 
nicht in ben ÄreiS ber Staatsmänner berufen, mit benen ber 
&aifer, welcher, ba ber atternbe gürft ©ortfehafoff faum noch 
jählt, fein eigener Minifter fein will, fich in Sioabia umgeben 
hat. Dhatfächtich tynfät in ben PegierungSfreifen Pathtofigfeit, 
baS innere ©pftem, baS oon 1863—1877 geherrf^t, ift ebenfo 
burch & e n Stieg unb feine ßrgebniffe erfdjüttert, wie baS beS 
ßaiferS PifolauS eS burch äen ftrimfrieg würbe, aber oon einer 
neuen Hiera, wie fie nach tom ©arifer grieben begann, ift nichts 
ju fpüren. Padj auhen ift Pufjtanb ifolirt, währenb es feine 
lefcten Druppen jurüdjog, richtete fich Deftreich häuslich in 
©oSnien ein, befepte Pooi«©ajar unb fichert fich fo eine ge« 
bietenbe ftrategifche Stellung, bie ihm ertaubt, bie ßntmidetung 
ber Dinge auf ber ©alfanhatbinfet ruhig anjufehen. Der gürft 
oon Montenegro überträgt feine Sättigungen auf ben Saifer 
granj Sofeph, Pumänien lehnt fich att ben $aiferftaat an, 
Serbien muh folgen unb ©utgarien wirb jeigen, bah Danf« 
barfeit gegen ben, ber nichts mehr ju fchenfen hat, nicht oorhätt. 
Unb Währenb ©ortfehafoff burch e i nen orleaniftifchen Sournaliften 
granfreich Siebesanträge macht, bie f^nöbe abgewiefen werben, 
erf^eint gürft SiSmard in SBien, um Deftreich bemonftratiO ben 
Pücfhaft DeutfchlanbS für feine neue Machtstellung ju Sichern, 
©egreiftich ift bem gegenüber bie ijülftofe ©rbitterung ber ruffifchen 
©reffe, Welche bie Schalen beS 3 orneS ober bie Pänfe beS 
fatfehen greunbeS auSgiefjt, ba fie über bie inneren ßuftänbe 
nicht Sprechen barf, aber geänbert wirb bamit nichts an ber 
unerbittlichen äBirflichfeit ber Sage. Die grage ift, ob in 
jwölfter ©tunbe ber ®aifer fein Mihtraueu gegen bie (Srrichtung 
eines einheitlichen MinifteriumS überwinben wirb, welches bie 
©egner beS ©rafen ©chuwaloff ihm als eine gefährliche Sin« 
näherung an baS conftitutioneQe Princip oorftetten, ober ob man, 
unter bem Pottjbach beS ©etagerungSjuftanbeS in bem fepigen 
©hooS fortlebenb, abwarten wiü, wie lange ber ffrug ju Gaffer 
geht, bis er bricht. Jf. <5. 


^ifetttfur uub jUtn^. 

Urei 5tömmhnd)blöttrr. 

Don £ubn?tg freil]errn von 0mpteba. 

Diefer Dage blätterte ich > n bem ©ebenfbu^e einer ©er« 
ftorbenen, mir eine werthe Peliquie aus früheren Dagen. Sluf 
ben bereits etwas oergilbten ©eiten haben bie jahlreichen greunbe 

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292 


JD i t <5*8* itwari 


Nr. 45. 


ber ©igentijümeriit ityren jcirtgefüljtten £utbtguitgen tüte itjren 
wohlgemeinten SBüttfc^en in eigenen unb fremben SBorten, nach 
bamaligem ^erjenSbebürfniffe, ?tu3brucf gegeben. 

9lu<h allerlei beutfdhe 5ßoeten fjaben ftdf) ^ier jufammen^ 
gefunben, iefct üergeffene unb 5lnbere. ©3 ift eine bunte ©efefl= 
fchaft. 9Jtatthiffon, 3uftinu3 Sletner, SutiuS SDtofen, SteS^eim, 
©uftao ©chwab; auch ©eibet mit einer fdjtnungüotten ©etbftf<hit= 
berung, beren ber Siebter fid^ üietteicht heute nicht mehr erinnert. 

Swifdfjen atT ben nieten freunbtichen unb meljmütljigen 
©(ümchen Sergiönieimticht roenbe ich ein neues Statt um unb — 
ein Sutüel btenbet mein 9luge, ein ^ier üergrabeneS unbefannteS 
Sutoel erfien SRaitgeS! ©in eigen^änbig eingefdjriebeneS 
©ebic^tnonSoet^e. ®ieSnfc^riftftammtausbem3&h re 1831; 
bamatS lebte bie ©igentljümerin beS Sucres in SBeimar, tpo bie 
©rinnerung an ihre ftrahtenbe ©dhönheit unb fettene ßiebenSmür* 
bigfeit noch jefet in mannen $er^en ber alten ©eneration nachffingt. 

®a biefe Serfe, joüiet i<h weift, noch uidjt burth ben $ru<f 
üeröffentlicht finb, fo wirb, wie ich h°ffa ihre Stitt^eitung Sieten 
erfreulich fein. @ie tauten: 

,,2Bürb’ ein tfinftlerifch Semiten 
iRofenbufdje, wie fie blühen, 

SRofenfrone, wie fie leuchtet, 4 
§ett, üom SJtorgenthau befeuchtet, 
liefen Slättern anoertrauen, 

SBürbeft 2)u 5)ein Silbntft fdjauen. 

SBie’3 ber Ütofengarten hegt 
SIeibt’3 in tmfrer Sruft geprägt. 

2lm längften Xage 1831. g. SB. b. ©oethe." 

greubig erftaunt über biefe fo unerwartet gefunbene $erte 
blätterte ich weiter unb fanb halb barauf fotgenbe Serfe eines 
©pigonen, bie fich, jwanjig 3<*h re fpäter, ben SBorten beS großen 
SteifterS nicht untoürbig anfchlieften: 

€in €ptgone fpridft. 

(S. ©oethe’S gnfehrift in biefem Suche!) 

„$)er $immel hat eS fc^ön erfüllt: 

SU3 ShtoSpe ttm3 ber Steifter fah, 
fteht nun, reich unb üoH enthüllt, 

Sot bem entjüdten jünger ba, 

Unb hat fogar in eblem Sieben 
(Schon neue $nö8pelein getrieben. 

©efegnet fei bie SRojenpradjt, 

©efegnet bleib’ fie alle Seit; 

©ott halt’ als ©ärtner treue SBadjt, 

3)aft knospe, Slüthe, Stamm gebeizt, 

Unb baft in (olchem Sßarabiefe 
Shtr Xhau, hoch feine Xhräne fliege! 

Stuttgart, am Xage ber Steife, 28. Januar 1851. 

gran& $ingetftebt." 

Stoch möge fich ein britteS Statt au3 meinem ©tarambuefte, 
ebenfalls ein Slutograph 2ranj SingelftebtS, wegen ber gleichen 
Sejiehuugen feines Inhaltes fyitx anfdjtießen: 

2ln IHelauie von Secfenborff, geborene oon Spiegel. 

„2)u faheft noch bie Stbenbröthe 
3)er großen beutfehen Sonne: ©oethe, 

Son SBeimarS golbner Seit umhaudjt. 

Sergieb bnim, Wenn in Stämmerferne 
£>iet ©inet ber mobetnen Sterne 
Sor $ir empor unb nieber taucht! 

®S weiß auch in jertiffnen Sahnen 
©in ebleS SBeib ben ©ott ju ahnen, 

$ie SRegel im Äometenlauf, 

Unb nur in ihrer reinen Seele 

©ef>n alle gleden, atte gehle 

$eS Sterns oerllärt unb frieblich auf. 

Stuttgart, 24. 3)ecember 1845. 

Sran$ ^Dingelftebt.^ 


S^eobalb Atxntx aut) feine Oid)tätigen. 

Son S« Schmibt'lPeibenfels. 


®iit ftattlic^er Sanb, biefe „®ic^tungen", in Hamburg bei 
®atl (Sräbener »erlegt, au8 ffieinäberg in SSürttemberg in bie 
SEBett gefd^idt, aud 

«Sanft X^eo&albd $auS, wo er jtoeiftebeit mit Slfe, 

(einer lodjter bei 2id)t8, umftrabtt oon lotfigem igauptbaar. 

Siele fommen ju iljni aui weiter gerne gewanbert, 

Sollen bie Stätte erfd^au’tt, wo einft Quftinui gelebt bot; 

Unb ben Sichtern jumal unb auch fd^riftfteQemben grauen 
®rüdt er freubig bie $anb, fpricht gern mit ihnen Dom SSater," 

wie fich gelegentlich ber ®efi|er bei berühmten fteraert}cntfei 
in biefer Sammlung feiner &ebid)te unb @efdhi(hten in bet 
fdjalfljaften gronie auibrudt, bie ihnen ©runbjug ift. 

®er Xitel bei Suchei fagt ei beutlidj genug, baft fich mit 
biefem ber gattje Xheobalb ferner in tttlem, wai unb wie et 
gebidjtet, bet profanen Oeffentlichfeit übergibt, unb ba „@anlt 
Xheobatb", Wie et in ((herzhaftem @infaH fich ' n ber @ewatt= 
bung einei neuen ßapujentodi oorfam, ati HRenfch unb JBütger 
nidht mehr ju ben Süngften gehört, fo barf man ani biefer 
«Sammlung wohl bie Summe feinei bichterif^en Schaffens 
Ziehen. ®r felbft ift fchlau genug, fich bamit in ber Literatur 
nur ein fo befcheibenei Pärchen zu erhoffen, wie ein ffäfer ober 
ein Sogei, ein ÜRolch ober ein fchmudtofer ©raihalm mit |u 
bem Seftanbtheit bei SBatbei gerechnet Werben; 

„.gefangen 

Sinb biefe SRecenfenten jegt alle fd)on 
Durch biefe Sßalbbefinition. 

9Mmlid), Weih ber Fimmel! ei nähme 
Sarbarifd} fich au ^> wenn einer fegt täme 
Unb würbe mich fragen herrifdf fatt: 

3Ba8 tljuft Du im beutfehen DidhterWalb?" 


SBäre fßoepe nur eine erbliche gamilieneigenfehaft unb ein 
anerzogenei ^auiübel, fo tönnte ei ja gar nicht SBunber nehmen, 
bap aui bem Sohn guftinui ferner ebenfaUi ein fßoet geworben 
ift. Der alte Dberamtiarzt in SSäeiniberg war gewi| eine 
Xidjternatur comme il faut, mit manch herzigem unb gemüthi' 
innigem Siebe wirb er fich üt ber beutfehen Siteratur feinen 
fßtafz behaupten unb neben Uhlanb unb Schwab feine Sipeu 
behalten. 3n bem Schwabenlünble hot ei oor einem halben 
gahrhunbert am fjeiterften unb glüdlt^ften in Xeutfchlaub au8- 
gefehen. 2)a War ein fo tapferer Parlamentarier Siberaliimui, 
fo ein SRämterftolz üor Äönigithronen, ba| bie etwai zurüd- 
gebtiebenen 9torb: unb anbetn Xeutfcpen gar neibifh auf biei 
oon ihnen erfehnte greiheitileben blidten unb {Ich heute noch 
fchier oerwunbern, wohin benn biefe fübbeutfdje Sigenthümlichfeit 
i oerbuftet haben mag. ©in frifdjei, fröhliche® ©eifteitreiben 
herrfchte ba unb fe^te bai übrige bunbeitägtidie Saterlanb burch 
feine enge ^Beziehung mit ber 9tomanti! bei beutfdhen SSot!i= 
emppnbeni fo fehr in Spannung, wie ei feiteni ber theinifchen 
Dppofitionibichter etliche 3eit fpäter mit ihren geharnifchten 
©iaubenibelenntniffen gefchah- inmitten biefei Üreifei, ben 
man trioial genug fchwäbif^e Xichterfchule nannte, war 3fuftinui 
ferner eine Slrt Xhhrfoifchwinger, ein fßrophete unb ein Seher, 
ber barüber zum gefeierten $erbergioater aller beutfehen unb 
felbft auitänbifchen Schöngeifter würbe. 3n ben breipiger unb 
uierziger fahren gab ei beihalb auch tein literarifch interejfanterei 
$aui in Xeutfdflanb ali bai Äerner’fche in bem füllen, berg= 
umfriebeten SBeiniberg. ©ine Slrt |>of in ber gemütljlichften 
unb gefeüigften SEßeife würbe ba gehalten unb ber ihn hielt, 
hatte in feltenem Sföajje bai richtige 3eug bazu, eine perfönliche 
Vermittelung ber merfwürbigften, ejtremften unb gegenfählichften 
©haraftere zu bewirten, ©r muffte hier bai gemeine Safein in 
eine poetifche SbtjUe umzugeftalten, wie ben alten Steinhaufen 
ber SBurg SBeibertreu über ft<h auf bem Serge zu einem bichterifch 
oertlärten fRuinenhain, nach bem bai SBaBfahreit bann in Stöbe 


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Nr. 45. 


J) l e ©egenmart. 


2914 


tarn. 3n feinem tleinen |>aufe unter Säumen, Sieben unb 
mittelalterlichem SWauetmerf hörte bet 8ug bet ^Berühmtheiten, 
großer unb Keiner, bie grüfjenb hier eintraten, nicht auf. du 
immer mecbfelnben Dafelrunben tiefen fte ftd) ba nieber, gaftfrei 
nifteten fie fid) jumeilen läge unb SEBochen tang in ben Keinen 
3immern, in bem einfamen ©artenbäuSdben, in einem biifteren 
Dhurmgemache ein. ©8 mar mie ein 3ouberfpiel, in bem ©rofe 
unb kleine, 5f5b^°f°Pb en unb Sinter, Diplomaten unb ®bel= 
frauen, Stauftritmpfe unb fromme ©ehmärmerinnen, SBerjüdte 
unb Serrfldte, fefbft ein flüchtiger Äönig mie ©uftao oon ©djmeben, 
greifbare unb auch eine Portion überirbifcher ©eifter, bunt burd)= 
einanber auftraten. Unb biefe, mit einem mpftiftfen 3ufa| unb 
jugteid) etmaS $eine’fd)er ©elbftironie oerfejte Stomantif, in 
met d)t 3uftinu8 fferner fich fetbft unb fein £eimmefcn ju um= 
fpinnen Oerftanb, ift an biefem (enteren haften geblieben unb 
iibt noch beute, lange nach feinem Dobe, ihre unoermüftliche 
KnjiehungSfraft auS. ©8 fommen ihrer noch immer, bie ba8 
gemeine KernerhauS pietätoott befugen, unb ba8 Säuertein 
macht noch b eu t, mie p be8 fd)alf haften SRagierS 3eiten, au8 
©rufetn einen Sogen im Sotbeigeben baoot, meit’8 ihm ba nicht 
geheuer bäucht. 

Der ©obn Dljeobalb, beffen SBiege hier geftanben, ber in 
biefer tttmofpbäre at8 Snabe geatbmet, mit alten biefen oer= 
fcbiebenen SRenfcheu unb ©eiftern frühjeitig in Serfebr fom, 
bat baS Sermächtnifs be8 Sater8 in b°ben ©bren gehalten. 
SBttS an bem Äernerhaufe oeränbert unb bergröfjert mürbe, bat 
in ben Säumten, bie eine gemiffe Denfmürbigfeit erhalten haben, 
ni<bt8 beeinträchtigt Da8 ©anje ift mie ein Sftufeum oon 
SuftinuS ÄernepSteliquien unb oon in Silbern, ©uriofitäten unb 
fachlichen Stnbenfen mahnenben ©rinnerungen an bie intereffanten 
©äjte, bie fich hier jufammenfanben. ©elbft bie alten ©eifter, 
bie einmal hier umgingen, bat ber ©obn in Stube getaffen, 
mie ba8 SJtabonnenbilb in bem SRarienjimmer, ben gefreujigten 
©hriftuS am Satfon bc8 @arten8, bie ©nonten unb Äobotbe, 
bie an unb in bem alten Dhurut nächft bem $aufe längft mieber 
in ihrem ftarren 3auberfchlaf boden. ©8 fam ihm fogar nicht 
barauf an, auch uoch einen grimmigen 2Repl)ifto an bie Dhür 
bed §oljftatteS malen ju taffen, me8hat6 benn noch niemals 
etmaS batauS geflöhten mürbe. Unb mie bie romantifche Sleufer= 
lithfeh biefeS fßoetenfi|eS fo erhalten unb gepflegt rnirb, fo ift 
auch, uia8 ihn einft befeelt, nicht mit bem alten maderen fierner i 
erftorben. Da8 gafttiche Seben hat fich hi« fortgefefct, bie 1 
poetifdje SerKärung be8 Kaufes ift nicht oerblidjen. 

Die8 Stiles hätte freilich ber ©obn im liebeooHen Slnbenlen 
an feinen Sater ermöglichen tönncn, ohne baf er fetbft als Slrjt 
unb fogar $ofratb eine fchöpferifcfe fßoetennatur befäfje; aber 
ber gamiliengeniuS mar freigebig unb hat auch Dheobalb ferner 
mit einem eigenen ©cha| ber fßoefte begnabet, mooon fein fe^t 
erfchieneneS SBetl Sillen benen berebteS 3eugntfc gibt, bie eS 
noch nicht gemufft haben foQten. 

@8 gibt ein gtöfereS ©ebid)t batin, eins ber fdjönften 
unb in ber gorm auch oottenbetften, metcheS Dljeobalb ferner 
fchon als güngling in feiner ganjen fßoetenmeife charaKerifirt: 
Der Setter auf Surg SBeibertreu. @S oerfe|t fo recht in jene 
Sltmofphäre, bie beS alten guftinus #au8 umgab unb erfüllte. 
Dljeobalb als ©tubiofuS mirft an einem fdjönen ©ommermorgen 
bie Sücher bei ©eite unb fteigt nach bet Surgruine hinauf, um 
fich uu bem prangenben geftgetoanb ber Statur ju erlaben. Da j 
fommt unrnerKidj bie fßhantafie über ihn. @r fieht einen Serg= j 
qeift Bot fich, b« *hu in bie geheim gebliebenen, Berfchütteten ; 
Setter ber Surg geleitet, roo et ihm föfttichen Drun! aus bem 
alten SBeinfafj oerjapft. Dabei mirb bie betannte ©efdjtdjte 
eingemoben, bie bet Surg einft ben Stamen SBeibertreu ein= 
getragen. Drunten Bon biefen Dräumen geht er bann um 
SRittag mieber nach ftaufe, mo ihn ber Sater mit ben SBorten 
empfängt: 

„UmS §immelSmillen, Sohn, wie ftehft Du au8? 

Dein äuge gtänjt unb rotb ift Dein @eficht: 

So warft D»t beimr" — „„Deine ÄcHergcifte oben."” 


„Seim Äetlergeift '< grau, hör’ nur, wie oerfdjroben 
Der gunge ba in feinem SRaufdje [priefjt. 

Da ift er oon ben Dächern fortgerannt, 

Unb toährenb ich ihn heim ©tnbireu glaube, 

©ipt er fchon morgens jedjenb in bet Draubc" — 

SBorauf ber ermatte Dräumer gloffirt: 

0 fcpnöbe Seit! toie »erb’ ich oft eerfannt! 

Sticht Biel Slätter biefer Dichtungen braucht man ju iiberlefen, 
um ju erlernten, baff man eS hi« mit einem Sogei ju tljun 
hat, ber feine Sieber nach eigener SBeife pfeift. Sorn unb 
hinten mag man barin ©inficht nehmen, man entbedt nitgenbS 
bie unoerfennbaren ©puren beS Steten, ber bei ber gormung 
feiner $erjenSempfinbungen an einen Sefer gebacht hat, ober 
beS ©chriftftetterS, ber fich bei Stieberfchrift feiner ©ebanfen ber 
SBelt oerantmortlich gefühlt. Ueberall oielmehr fpricht fich i K 
reinen, fchlichten Staturlauten ein ©emüth auS, meines unoer= 
fälfeht unb nur feinen ©ingebungen folgenb ^toiefprach mit fich 
felbet hält. StidjtS oon fßhtafen barin, nichts oon gemachter 
unb franfhafter ©mpfinbelei. Sein einjig Sieb, meines nicht 
ein ©olbfötnehen echter ißoefie, echten Humors, ernften mie fjei- 
teren, in fich berge; oiele, bie burch bie originellen Pointen, 
burch ihre gloffenartig überrafchenbe ©entenj, fnapp unb furj 
unb ohne 3wbtingl«hfeit h«Borbli|enb, einen anregenben 2Biber= 
hall im Sefer aufrufen. ©in roeicheS ©emüth reicht h«« ouS 
bem ©olbgtunb feiner Diefe Iprifche S«f«» ob« feltener 3tein= 
heit. 3««« Snnigfeit, bie mir in bem SolfSliebe finben, oer= 
mifdjt mit gefunbem ^umor, brüdt fich anmuthsoott in ben 
Siebes=, Drinf» unb ©timmungSgebichten aus. 3ch führe nur 
eins jur ©harafteriftif an: Die Sehejten. Da fi|eu ihrer Drei 
hinterm Dfen unb fpredfen oon ber ^»eserei. Der ©ine erjählt 
oon ber fieje, bie ihm bie Sicht angetan, ber Slnbere oon ber 
böfen Siadjbarin, bie er auf einem Sefenftiel burch bie Säfte 
reiten fal). 

„Der Dritte aber fprad) letn SSBort, 

Starrt Oor fich hin nur immerfort —: 

Sluch ih m hat’S ®ine angethan, 
auch >hn jah jüngft ein §e£lein an; 

Doch tofig fchän »ar ihr ©efidjt, 

3hr äuge tlar wie Sternenlicht, 

©0 »unberlieblich bie ©eftalt 1 
SBie mit bdmonifcher ©ewalt 
3fi all fein Denfen, all fein Sinn 
©ebannt nur auf bie Sine hin: 

©ei Dag, bei Sacht, fetbft im ©ebet 
Stur fie, nur fte, noch 00 t ihm fteljt. — 

3efct rath’ einmal, »er oon ben Drei’n 
SBobl ber ©epejtefte mocht’ fein?" 

Dheobalb ferner ift ein greigeift; als folcher täfjt er über 
atleS, maS ihn ärgert, feinen Spott auS; aber er ift fo launig, 
bah er niemals mit einem giftigen Stachel Oerlefet; ja, eS mifd)t 
fich bamit eine fo linbli^e, herjlicfje grömmigfeit beS begeifterten 
StaturfreunbeS, ba| fte einen oerföhnlidjen ©egenfah ju folchen 
Spöttereien h«beiführt- ©charf unb fd»neibig mie ein ftermegh« 
fcheS Sieb erKingt bann auch manchmal eine politifdje Steine= 
gloffe. KIS ein alter Dentofrat ift bet ©remit bon SBeinSberg 
mit bem je^tgen beutfehen Steid) noch gar nicht jufrteben. Säfit 
er boch noch h eut allen Slnberen jum Droh oon feinem Dhurm 
im ©arten flott bie gähne in ©chmarj=9toth : @olb mehen. 

„Sin Deutfchlanb — ja, baS wäre gut, 

Unb all ber braoen Stieger ©lut 
@8 wäre nicht umfonft gefloffen — 

.§ättfi bu, 0 ©inbeit, au8 ber ©chlacht 
Die ©chwefter greibeit mitgebracht, 

©ie nicht 00 m ®rbe auSgefchtoffen." 

3n ber SteactionSjeit hatten fie ihn auch einmal auf ben 
^»ohenaSperg inS ©efängnih gefegt: 

„So mar ei unb mirb’8 ewig fein: 

Säer greibeit liebt, ben fperrt man ein. 


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294 


fl) t e ©fflriuuart. 


Nr. in. 


Doch wer mit feigem Sffntienfinn 
Die Dgrannci nimmt fcbmeidjetnb ptn, 

Den Kaden latnmerbten’rtfd) beugt, 

Sin ftetS jufrteb’nc* ßädjeln jeigt, 

Da» ift fürwahr bei gute SRann, 

Dem freien Sauf mau gönnen lann." 

Ser umfangreichere Sheil be» Suchet enthält mehr ©e; 
fchidjten in ©rofa al* ©ebidjte, obtuoEjt auch bicfe fehr oft ba 
ijineingeftreut finb. ©ie athmeti eine gemütliche ©lauberluft, 
mie fie einem SUtärchenerjähter, einem geborenen Sichter in ©r; 
jählungen für bie 3ugenb moi)l anfteht. ©8 finb in ber Sßat 
übertoiegenb ©efdjichten märchenhafter, phantaftifcßer 2lrt, bie 
fid) in ©ebanfenfpielereien oon meift feffelnbem Steij oetlieten, 
um bann in eine moratifche Schlußfolgerung ausjutöncn. Sa 
Weiß ber Siebter fo echt Kerner’fdj lofen ©pul in aller SBeife 
ju treiben, mit Hegen unb SBalbmännlein ©erlehr ju hotten 
unb oon ihnen ju erzählen, wie fie ben ©Öfen ©öfe» unb ben 
©Uten ©ute» erwiefen hoben. 2tm liebsten jieht er in ben 
SBalb, in bie freie Statur; ©ögel, ©turnen unb ©äume, ©etljier 
unfeheinbarfter ©ebeutung, fetbft bie Kröte, wiffen ihm t>t|ito- 
fophißhe ©etrachtungen über bie SRenfdjen unb beren oerberbte 
Statur mitnutheiten. Ser ©antljeift tommt hier in einer tootfä- 
thümtichen 2tu*gabe jurn 2ln»brud. Surchmeg auch hier bie 
fdjalthafte Saune, bie finnige ©toffe, ba» weiche, grübetnbe ©e= 
müth, welche biefen Sichtungen einen eigenartigen Stempel 
geben, ©inige biefer ©rjählungen unb ©timmungäbilber finb 
fleine SReifterftüde, fo j. ©. „Sie treue SJtnrie". SBie froh fr oc h 
ba ber gijdjer Stbenb» oon feiner ©raut Slbfdjieb nimmt, um 
nodj einen gang im ©ee oor ber ^ochjeit am anbern Sage ju 
machen! SBarum ift fie benn aber fo traurig, bie ©raut, unb 
oerfucht auf ihrem Kämmerlein oergeblicf) ihr ßieblingSlieb ju 
fingen: 

Swei StöSlein oben auf ber $61)', 

3wei gifdjtein unten in bem ©ee — 

unb unten im ©ee fdjnaljten bie gifchlein unb matte bet SJtonb 
gotbene Stingtein. 

3wei SRöälein oben auf ber .£>51)', 

3mei gtfdjletn unten in bem ©ee, 

3mei ©temlein an bem $immel»jelt — 

©ie tonnte e» nicht weiter h«rouäbringen. Sa betete unb 
weinte fie oor ihrem ©rucifig unb als bie SRutter SRorgeit» }u 
ihr tarn, fanb fte fie geifterbleid) Wie ein Kirchhofäritötein, an; 
gethan im ^ochjeitsfleib, ben ©tumenfranj auf bem Haupt. 
„Heute ift $ochäeit«tag, SRutter, im fühlen ©ee!" ©ie h fl t’3 
ja geträumt in biefer Stacht, wie fie ihren ßiebften unten in ber 
©eefrau bunttem Kämmerlein umarmte! {Richtig, ber ßiebfte 
mar beim gifdjen ertrunfen. 3n ber anberen Stacht fuhr ein 
©chifflein auf bem ©ee, ein Stüber hört man im SBaffer, ein 
Siebten Hingt hinüber jum alten SRüttertein: 

3wei gifdjtein unten in bem ©ee — 

Sann war Sille» ftitt. grühmorgen* trieben bie ©Selten jwei 
Seichen an» Ufer, bie eine im ©rautfdjmud hielt bie anbere mit 
ben Sternen feft, feft umfdjtungen. — 

Ser alte 3uftinu» Kernet h Q t bei ßebjeiten boti biefen 
Sichtungen feine» Sheobatb wohl ©iele* f<hon gefannt unb ge; 
tefen gehabt. Slber wenn et fie nun in bem ganjen ©anb oben 
im ^immet Oor fich hätte, bem alten Uhtanb, bem alten SRöride 
barau* oortäfe, nachbem er ihnen auf ber SRauttrommel etwa» 
aufgefpiett, foüte er bei ber reinen SBahrljeit, bie ba oben gc; 
athmet wirb, nicht ju ihnen im ©ertrauen unb mit feinem ©djatf 
in ben SRienen fagen: „Siete* h°t ber Sheobatb Oon mir, 
Siele* hot er mir abgegudt unb er ift mir ein rechter Stad)* 
folget geworben. Slber in SRanchem, wie Onfet ©räfig fich äußert, 
geht er mir bodj nodj über!" 


<Beoj)l)agie. 

SSon Wilhelm rott fjamm. 


Sa* ©ifteffen, über beffen Serbreitung*grenien genauere 
Slngaben mangeln, bitbet nur eine ©pifobe innerhalb berfenigen 
be* eigentlichen ©rbüerfpeifen*. ßefctere* ift in ben oerßhieben* 
ften 3onen unb ßänbern heimifch unb §war meiften* ohne phh s 
jiologifche ©egrünbung. Sie Steinbrecher in ber Württemberg!; 
f<hen Sltb unb im ©djWarjWalb nehmen mit Sortiebe einen 
garten, fatbig fetten Shon ju fich, welchen fie in ben getfen; 
fpalten ber Urfchieferformationen finben unb „3Ronbfd)ma4" 
nennen; fie fehreiben biefer üöQig inbifferenten SRaffe befonberc 
Kräfte ju. ©anj ber nämliche ©ebraud) finbet fich bei ben 
gleidieu SBerfleuten in Shüringen, namentlich in ber Umgegcnb 
be* Kpffhäufer»; auch f' e genießen eine fchmierige Salferbe, mit 
ber fie ihr ©djwarjbrob beftreidjen, unter bem Stauten „Stein; 
butter" ober „©teinmarf"; fie jieljen ba» SRineral ben anima; 
tifchen gelten bei SBeitem oor, behaupten auch, e » „fchtoge beffer 
an". Sie Slnalpfe be» lefcteren ergibt folgenbe ©eftanbtljeite: 
Kohtenfaure Salferbe ober SRagnefia 68,7, fohtenfaurer Kalt 
23,5, Sßonerbe 2,9, SWalien 1,9, SBaffer 2,8, e» ift bemnach 
feine ©pur oon einer Stahrungöfubftanj barin enthalten. Sen; 
i noch behaupten bie ßeute fteif unb feft bie Stahrljaftigfeit ber 
©teinbutter, finb baoon nicht abjubringen unb — befinben fich 
wohl babei. 3n ginlanb mif^en bie ©auern, auch oh« 6 bur4 
Stoth jur Serwenbung oon Surrogaten gejwungen ju fein, be; 
beutenbe Quantitäten einer ©ilicaterbe unter ba» ©robmehh 
beren 3ufommenfehung ebenfall» feine organifchen ©toffe ergibt, 
welche ernährenbe SBirfung ju äußern oermöchten. 2tn ber 
Storbweftfüfte be» Weißen SReere*, auf ber ^albinfel Kola unb 
bei bet SRünbung be» ©onoi;gluffe» finbet fich, oft in jwei bi* 
brei guß mächtigen Schichten gelagert, eine leichte, ftaubförmige 
grauweiße ©rbart, Welche, wie bereinft ba» SRanna, ba» bie 
3»raeliten in ber SBüfte nährte, oon ben ßappen unb ©amo; 
jeben eifrig gefammelt unb, mehrentheit* in Sermifchung mit 
grobem Soggen; ober ©erftenmehl, al» Staßrung oerwenbet wirb. 
3m „©uUctin ber f. Slfabemie ju ©t. ©eter*burg" wirb biefe* 
„§immet»mehl" al» ein feinjertheilte» Kalifilicat gefdjilbert, ba* 
burch bie SBaffer be» fchmeljenben Schnee» ober ben Stegen au* 
bem ©djiefergebirge gemäßen unb in ba* Shal Oon 2lt|<he= 
Stjefa niebergefchwemmt wirb, wofelbft e* fich ähnlich wie Kaolin 
ober ©orjeHanerbe abtagert. Sie lapplänbißhc „©roberbe" befteht 
au*: Kiefelfäure 45,506, Shonerbe 40,797, Kali 9,845, Statron 
1,829, SRagnefia 0,618, @ifenojt)b 0,3io, SBaffer 1,095; fonach 
enthält auch feinerlei ©ubftanjen, welche oon ben Serbauung*; 
Organen affimitirt Werben. Sagegen mögen ihre atfalifdjen ©e; 
ftanbtheile immerhin eine SBirfung äußern auf bie oodftänbigere 
SluSbadung be» ©robe», beffen SRehl fie jugefe^t Waren, ober 
j auf bie ergibigere SluSnußung ber Stährftoffe be* le|teren im 
Körper. 

3n ben ©übftaaten ber norbamerifanifdjen Stepublit wirb 
bie niebere Klaffe ber ©eöölferung („©oor SBhite»") mit bem 
oeräd)tli<hen ©pißnamen ,,©lat);6ater8", ©rbfreffer, bezeichnet, 
weil fte theilweife bie ßeibenfehaft hot, fich ben ©auch mit einer 
blauen ober grauröthlichen Shonerbe ju füllen ünb große SRaffen 
SerpentimSBljiSfeh barauf ju fefcen, wa» benn nicht oerfehlt, 
feine golgen in abfdfredenber SBeife ju äußern, junger ift e* 
j fchwerlich, ber in jenen ©egenben ju biefer oerberblichen @e= 
i wohnheit geführt hot; Wahrfdjeinlich bilbet aber ber lalfhattige 
i Sßon ober SRerget eine Slrt Sintibot ober Slbftumpfung»mittel 
| be» fthäblidjen ©influffe* ber ©pirituofen, natürlich nur inner; 
j h°lb beftimmter Seit unb ©renje. 3« ©eru, in ©hile, in ©o= 

I tioia unb ftcher nodh in manchen anberen ßanbftrichen ©üb; 
amerila» wirb ba* ©rbeffen mit einer gewiffen Sirtuofitäf 
betrieben. Sluf bem SRarfte oon ßa fßaj fpielt ein graufarbiger, 
fehr fettig anjufüßlenber Shon bie Hauptrolle unter ben ©ro- 
oifionen, welche bie 3nbianer einjuhanbeln pflegen, ©ie weichen 
benfeiben mit etwa* SBaffer auf, würden ißn auch wohl mit 


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Nr. 45. 


ftie ®egenwart. 


295 


@atj unb üerjeßren i^n jufammen mit ben wilben Kartoffeln, 
©apaS, bie bort ßeimifcß finb. Sie ©rbart fdjmedt ootlfommen 
inbiffercnt; fie tourbe meßre SRale cßemifcß unterfucßt, jebocß !ein 
StaßrungSbefianbtßeit barin gefunben. Surcß leiißteS ©rennen 
fotl übrigens biefer Sßon einen angenehm aromatifcßen ©efdßmad, 
etroa nad) Sßocolabe, annehmen. Ser mäßige ©enuß ber 
„©aßfa" genannten botiüianifcßen ©peifeerbe jie^t feine übten 
gotgen nacß fid). Unter ben SRotßßäuten am SRagbalenenftrom 
ift baS ©rbeffen ebenfalls bafjcint; wenn bie inbianifcßen EBeiber 
irbene ©efäße fneten, fahren fie alle Slugenblide mit ben gin= 
gern in ben SRunb, um fcßmafcenb ben baran ftebenben Sßon 
abjutecfen. 

©ine Sitte ober ©eWoßnßeit, welche mit bent SebenSbebürf; 
niß nichts gemein ßot, tritt gewößnticß örtlich begrenzt auf unb 
oerbreitet ftdj nur auf bent SBege ber ©ontagion; um fo auf: 
faüenber erfcßeint eS, baß bie ©eopßagie in ben üerfcßiebenften 
SBelttßeilen unter benfetbcn formen geübt wirb, ©erabe fo, 
»ie bie fübamerifanifcßen gnbianer, haben fich au<ß bie Sieger 
ber toeftafrilanifcßen ©uineafüfte an ben ©enuß einer gelblichen 
Srbe, Welcße ©aouac heißt, bermaßen gewöhnt, baß er ihnen jur 
Stotßwenbigfeit geworben ift, unb fie front Werben, Wenn fte ihm 
entfagen müffen. Sie eßebem als ©flaoen nach SBeftinbien ein; 
geführten ©dhwarjen gaben fich alte SRüße, bie geliebte ©rbe in 
ihrer neuen 3wang8ßeimat aufjußnben, Was fie aber als folcße 
jn fich nahmen, erwies fich immer als fcßäbticßeS ©urrogat, 
welchem SRaffen üon ßeben ber armen Kinbermenfcßen jum Opfer 
fielen. Sie ©flauer üerboten baS ©rbeffen bei ben ftrengften 
©trafen; nicßtsbeftomeniger war lange gaßre ßinburcß ber SDRarft 
ju SRartinique mit rothem ober gelbem ©peifetßoit befcßidt, um 
Welchen fich bis fReger tauften. Sie Urbewohner üon Sluftralien 
Jollen jur 3eit ber §unger8notß SBocßen lang üon wenigen 
SBurjeln unb gnfecten ober ©ewürm leben fönnen, Wenn fie fid) 
nebenbei ben Raufen mit einer gewiffen „©flanjenerbe", wie bie 
SReifebefeßreiber meinen, füllen. Slud) bie Steu;ßatebonier, bie 
aus SRangel an animalifcßer Staßrung ohnebieS Elntßropopßagen 
finb, ßutbigen in Seiten beS SRangelS ber ©eopßagie; eS ift 
möglich, baß biefe ©ombination ber Stahrung beiträgt ju ber 
erfeßreefenben ©eüölferungSabnaßme beS franzöfifeßen SlrdjipetS 
in SRelanefien. ©inen Sßon aus SRadenjie ßountp auf ©outß 
SSfanb, Steufeelanb, ber üon ben ©ingeborenen fowoßt, ntS auch 
angeblich üon ben ©cßafen unb felbft beren Gütern gierig in 
großen SRengen oerzeßrt wirb, hot ©attifon SRuir chemifch ana; 
Ißfirt; er ift frei üon fßrotiften unb befteht auS: Kiefelfäure 
61,25, Shonerbe 17,97, ©ifenojpb 5,72, Katf 1,91, SRagnefia 
0,87, ©hlornatrium 3,69, SBaffer 7,31, organifchen ©toffen 1,28. 
Ser Kocßfalzgeßatt biefer ©obenmifeßung mag eS fein, Welche 
ihren ©efchmad ERenf«hen unb Sßieren angenehm macht. 

Sluf ber großen gnfet gaüa, üon ber unfere gorfcßungS; 
wanberung auSgegangcn, wirb bie eßbare ©rbe fowoßt roh Det; 
jeljrt, wie fie ift, als auch in üieredigen Kuchen ober bünne 

Scheibchen üon 3 bis 4 ©m. Sutcßmeffer geformt, über freiem 

geuer leicht gebaden unb in biefer SBeife ju ERarft gebracht, 

©ine anbere gorm ber ßubereitung, welche „Elmpo" auth „Sru; 
ampa" genannt wirb, (teilt bünne Stößren, Wie Simmetrinben 
ober #oßlßippen, bar, bie auf erßißten Stegen geröftet Werben. 
SaS erbige SRaterial befchreibt ©rofeffor gucßS als einen an 
©ifenojßb reichen Shon üon außerorbentlicßer Gottheit, welcher 
auf ber 3unge nicht baS minbefte ©efüßt üon Körnigfeit ßer= 
oorbringt unb gibt baoon bie nadjfotgenbe Elnalßfe: Kiefelfäure 
50,63, Shonerbe 21,32, ©ifenojpb 10,47, Katf 2,40, SRagnefia 
0,33; Ellfatien 1,25; SBaffer 12,97. Obgleich auch ouS biefer 

üerläßtichen Unterfucßung bet üöüige Elbgang jebeS nährenben, 
nicht minber jebeS an unb für fich fd)äblidien Stoffes beutlicß 
herüorgeht, fo ftehen hoch bie „Elmpo=@ffer" bei ben 3aüanern 
ber belferen Klaffen fo ziemlich in bemfelben Übeln ©eruch, wie 
bie „Opiumraucher". 3ene follen ein franfhafteS Eleußere jeigen, 
nach nnb nach gähigfeit üerlieren, wirtliche ElahrungSmittei 
ju üerbauen unb frühzeitig elenb ju ©runbe gehen. UebrigenS 
wirb berietet, baß bie Elmporöhren bem europäifchen ©aumen 
Wiberlich fab, mit brenzligem SSeigefchinad, üorfommen, bie 


3unge troden machen unb ben Slppetit üerberben. @8 müffen 
üerfchiebenartige ©rben auf gaüa gegeffen werben, benn nach 
©hrenbergS Unterfuchungen — beren ©enauigfeit aüerbingS in 
ber neueren 3eit mehrfach angezweifelt worben ift — fott bie 
ERaterie ber oben' erwähnten fleinen Kuchen aus SReften mifroffo= 
pif^er Pflanzen unb Shiere beftanben hoben, welche im füßen 
EBaffer lebten. Sluf Sorneo, am Ijinboftanifchen lßatna=Shale, 
in ©hina unb in gapan ift baS ©rbeffen zu $oufe; aus le|terem 
SReidje Waren auf ber SBeltauSfteHung z« ißhilabelphia Heine 
©äde mit einer fcheinbar eifenfehüffigen ©rbart, welche für 
eßbar auSgegeben Würbe, zu fehen. Etud) in Ißerpen foll feit 
ätteften 3«iten ber ©enuß üon ©rben unter ben ärmeren 35olfS= 
flaffen ganz allgemein fein, unb ztoor auSbrüdlich zum 3mede 
ber SRagcntäufchung bei $ungerzuftänben. SaS üerwenbete 
SRineral führt ben Elamen „G’hel-i-ß’iveh“ unb ftammt auS ber 
Umgegenb üon Kirwan, Wofelbft eS in weißen, graufledigen 
Stieren ober Knollen zu Sage ftreidjt, beren ©röße bie ©tabien 
üon ber $afelnuß bis zum Äpfel burdhtäuft. 3« SBaffer gelöß, 
bilbet fich ein außerorbentlidj feiner, Weißlicher Stieberfdhlag; 
ziemlich üoUftänbig löft fich t)ie ©rbe in üerbünnter ©alzfäure, 
in ©alpeterföure unb in heißer ©fftgfäure. ©ei foldjer Söfung 
finbet eine bebeutenbe ©ntwidlung üon Koßlenfäure ftatt unb 
bleibt ein geringes SRefibuum üon Kiefeletbe. Sufttrodene 
Stieren ber G’hel-i-G’iveh-©rbe gaben bei ber chemifchen Äna= 
lt)fe in 100 Steilen: foßlenfaure SRagnefia (Sal!) 66,963, 
fohtenfauren Kalt 23,634, ©hlornatrium (Kochfolz) 3,642, 
fcßwefelfaureS Statron (©lauberfalz) 0,298, tohlenfaureS Statron 
0,598, SRagnefiumojtjbhhbrat l,3ii, ©ifenojpb 0,092, Shonerbe 
0,227, Kiefelfäure 0,765, SSerbinbungSwaffer 1,163, hh9 ro ft° : 
pifcheS SBaffer 1,422. Siefe perfifche eßbare ©rbe fteßt baher 
ber gewöhnlichen Weißen SRagnefia ziemlich nahe, Weldhe wohl 
Stiemanb als Stährmittel anfptechen Wirb. Etnbere gormen ber 
©eophogie in ©erfien werben wir fpäter tennen lernen. 

Älle bie Portier angeführten, fogenannten eßbaren ©rben 
auS ben fünf SBelttljeilen tönnen fammt unb fonberS mit bem 
Kriterium betheilt werben, baß fie feine ©ubftanzen enthalten, 
welche in itgenb einer SBeife ben ©toffwechfei unb bie ©lut; 
bilbung im tßierifchen Körper zu fötbern ober zu unterftüfcen 
geeignet finb. Sie 3uful}t üon SRinerolftoffen ift aber unbe; 
bingt nothwenbig für ben EluSbau unb bie ©rnäljrung ober 
©rholtung beS menfdjlichen refp. thierifeßen Körpers. Ohne 
pßoSphorfauren Katt in ber Stahrung ift bie ©itbung beS 
Kno^engerüfteS, beffen ^auptbeftanbtheil er auSmacht, nicht mög= 
lieh; baS ©ifen bitbet einen wefenttichen Seftanbtheil beS ©lutes, 
welche* bie Elufgabe einer Uebertragung ber StaßtungSeffenz auf 
bie einzelnen Organe hat; bie ©alze finb notßwenbig zur ffint= 
widelung ber ©erbouungSagentien, bie Ätfalien zur ©onftitution 
bet 2Beid)theile beS Körpers, ©inzelne wenige ©Übungen beS 
leiteten brauchen Kiefelfäure zu ißter ^erfteüung unb gewiffe 
ERineralftoffe finben fi^ in ißm z ec tf)eilt, oßne baß bis jefct ißr 
3wed ober ißre Elufgabe llar geworben wäre. Semnach ift 
eine ununterbrochene, rationelle 3ufußt üon ERineralbeftanb; 
tßeilen in bet Stahrung SebenSbebingung für bie organifchen 
EBefen oßne ÄuSnaßme. ©S fragt fich nunmehr, ob nicht gewiffe 
gormen ber ©eophogie biefer ©ebingung ißt Safein üerbanfen, 
aber auch, ob fie biefetbe erfüllen. @8 ift waßrfcheinlich, baß 
beibe ©orauSjeßungen fo ziemlich zutreffen. 

©ine cßronifale Kunbe üon ©rbnaßrung aus ätteften 3citen 
ftammt aus ©eßweben. Sort ift baS „©ergmeßl" feit SRenfdjen; 
gebenten im ©ebraueß als ©urrogat beS ©etreibemeßtS, aber 
nur als 3ufoß beS leiteten, in faßten ber SRißernte, bie in 
jenen ßoßen ©reiten teiber nießt fetten auftreten. Setanntlicß 
müffen bann fettfame Surrogate, z- z et moßtene Saumtinbe, 
ben EluSfatt ber Srobfrucßt erfefcen; aber nahrßafter, als bie 
meiften, gilt eine weiße, meßlgleicße ©rbart, weteße in befter 
Dualität bei SegaforS in ©eßwebifeß; fiapplanb, aber aueß in 
anberen ©roüinjen beS fcanbinaüifcßen SReicßeS gefunben wirb. 
Ser ©erbraueß berfelben unter bem ßanbüotl ift ein ganz all¬ 
gemeiner unb zwar nießt btoS in fßerioben beS ERangelS. Sie 
©auern in Sappmarlen unb Storrtanb mifeßen bie ©rbe zur 


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296 


Hie (Regelt wart 


Nr. 46. 


Hälfte mit Boggenmehl unb baden barauS ein fefteS, immer 
fernstes, aber nicht unfchmadljafteS SdjWnrgbrob in ©umper: 
nidefcArt, baS ihnen trefflich munbet unb wohl befommt. Xie 
Xljatfache fteht über allem 8®eifel. XaS ©tineral enthält ?fünt= 
unb ffrelbfpath in benfbat feinfter 8erfheitung neben föalt, Xf)on= 
erbe, (Eifenopb — anherbem aber, unb baS ift bie H«uptf<uh e , 
einen nicht unbebeutenben Sßrocentfafe an organifcher, «wht- 
fcheintich animalifthet, ©taterie, auS ber ftdj Ammometf vnb 
fettes Del abfcheiben taffen. Bach ber Anatpfe non Dr. Xrail 
beträgt ber ®ehatt an organifchen «Stoffen im fdjwebifchen ®etg= 
ntehl 22 ©rocent, neben 72 Äiefelfäure, 6 Xljonerbe, trab 0,16 
(Sifenopb. ©S ift baSfelbe bemnach eine 3nfuforienerbe ober 
ein ffiefelguljr. XiefeB intereffante ©lineral, eine ©rupfte Don 
(Erben, »eiche burch»eg aus ben Äiefelpangern Don erftorbenen 
©rotiften ober Snfuforien befiehl, ift betannttich erfl feit bettt 
3al)re 1836 burcfj (EhrenbergS epodjemachenben Unter fudjungen 
naher befannt geworben; feine Verbreitung in ber AHuoion ifl 
eine fehr bebeutenbe. 

3n bem SKefetgufjr ift bie ttnermehlichfeit beS kleinen 
beutlicfj übergeugenb oerfinnlicht. Auf baS Kilogramm baoon 
gehen ungefähr gmeiljunbert ©tilliarben ber unfidjtbaren SBefen, 
beten Befte feine Sufammenfepung bilben; eS ftnb beren gafft* 
reiche Sitten, non »eichen Diele aud) heute bie ftehenben ©e»äffet 
mit unglaublicher BermehrungSfraft anfütlen. 3h re nächften 
Berwanbten bilben ben Urfcf)fatntn auf ben Xiefgrünben beS 
©leeres, ber neuerbingS fagenhaft geworbene BathpbiuS, bie 
©occotithen, Bpigopoben, Babiotarien, Foraminiferen, Xejrtitarien 
unb Xiatomeen gehören ^ierfier. Sffiäljrenb bie mifroffopifchen 
•Organismen beS SeefchlammeS fällige ©anger, tragen biejenigen 
ber Süfjgewäffer foldhe aus Siefeierbe; ihr Seib, Wenn bei ©ro* 
tiften Don einem folgen gerebet »erben tann, befiehl auS ftid= 
ftoffhattiger ©rotoplaSma=Subftang, tueldje benfelbett auch i«m 
Xpert als organifcher Urfchleim umgibt. SBäprenb aber bie 
eigentlich organifdje ©taffe ber Seegrunberben, beren Haupt; 
beffanbtheil nicpt Siefctfäure, fonbern fohlenfaurer Satt bilbet, 
nur einem ©rocentfafc Don 3,6 bis 4,6 entfpricht, enthalten bie 
3nfuforientager ber Sergmehle ein »eit beträchtlicheres Quan= 
tnm baran, in welchem neben bem Stidftoff auch ber Sohtenftoff 
Dertreten ift. Sei einem ©ehalt Don über 20 ©rocent naf)t: 
haften unb »abrfcheintich unfch»er affimitirbaren Subftangen 
Dermögen fte baher in ber Xpat ein Sörperbebnrfnife gu be= 
friebigen, gur Stillung beS Jüngers beigutragfti. <E$ ift alfo 
begreiflich, bah, wie fdjon BergeliuS berichtet, bie fch»ebifche 
Sauentfdjaff baS Berg mehl in $unberten Don SBagenlabungen 
heimführt, um eS als (Srfafc gu Der»enben; üble Bachwirfun; 
gen feines bauemben ©enuffeS finb niemals beobachtet worben, 
©ang ähnliche 3nfuforienerben finben fidj längs ber Süften ber 
Dftfee, g. B. im Hafen Don SBiSmar, an ber (Elbemünbung bei 
Gujhafen, in ftSlanb, im Bitfchlamm Don Bubien, auf ben 
Antillen, in Brafilien u. f. ». Sn ©h*na »irb in manchen 
Xiftricten baS „Montain meal“ ebenfo confumirt, wie auf ber 
fcanbinaoifchen ^albinfel; eS fort bort bie ärmeren BotfSflaffen 
befähigen, zweimal fo lang mit bem nämlichen Quantum SebenS: 
mittel auSpfpmmen, als ohne bie minetalifdje 3ubnge. XaS 
chinefifche Bergmept enthält neben Snfuforien — namentlich 
Navicula viridis, Gallionella stdcata, Gomphonema gemmatum 
u. 21. — auch S^eftc Don mifroffopifdjen ©flangen, Agamen unb 
(Srpptogamen, Derfchiebener Arten. — 3" Borbamerifa ftnb 
nicht weniger als Diergepn größere Sagerftätten Don 3nfuforien= 
erbe in ben Staaten Connecticut, Bpobe Sölanb, ©taine unb 
©taffadjufettS befannt, bie bebeutenbfte p SBeft ©oint. XaS 
©tateriat ber (Erbeffer am AmagonaS fort ein ähnliches fein, Wie 
©iarcop auS ber ©tiffionSftation San 3ofe mittheilt; wahr= 
fcheinlich finb jahlreiche Funborte übet bie ganje @rbe jerftreut. 
ülHein nicht febe Snfuforienerbe eignet fidh pm ®enu§, ober 
enthält, was baSfelbe ift, SRahrungSbeftanbtheile in befriebigeuber 
ffltenge; eS fdjeint, bafe Ablagerungen Don Salfinfuforien minber 
reichhaltig baran finb, als Don Siefelinfuforien. CineS ber be= 
trächtlicpften Säger bet lepteren finbet fid) befanntli^ bei ffibftorf 
in ber Süncburger ^aibe, ein anbereS bilbet ©runb unb Voben 


bet «Stabt Berlin; beibe finb unjweifelhaft bie Sohlen Den 
Binnenfeen gewefen. 3h te @tbe enthält 75 bis 85 ^3tocent 
Äiefelfäure neben 0,76 bis 2,60 Xljonerbe, ffalf, ©ifeno^pb unb 
hödjftenS 2,io bis 3,90 organifchen Stoffen, welches tefctere 
Quantum jebod} in einjetnen Schiftungen bis auf bloh* Spuren 
oerfchwinbet. Solcher ©uhr, Welfer pbem nof jwifchen ben 
3ähnen fnirfcht, Wirb fchwerlich jemals ben Appetit eines gee- 
Phagifch ©efiimmten reijen. Xie ftiefelfäure geht wie fchon er= 
wähnt atlerbingS in einjelne Xheile beS thieriffen Körpers über, 
j. B. in ben Schntelj ber 3ähno f in bie $aare, in bie Anoden, 
(fehr wenig) in bie Febern ber Bögel ic., pt (Ernährung felber 
trägt fie faum bei. SBaS baDon in fßflaniennahrung unb im 
©etränte (baS Bier enthält ftiefelfäure) ben BerbctuungSorganen 
pgeführt wirb, finbet auch wieberum feine Abfuhr auf ben 
natürlichen SSegen. 

Stach bem Dorhergehenben Ueberbtid barf als ziemlich ftch« 
angenommen werben, bah bie ©eophagie in weit gröberem Um: 
fange aus anberen ©rfinben, als ber wirtlichen Stillung beS 
SRahrungSbebürfniffeS, pt Sitte geworben ift. könnte man anf 
bie Anfänge prüdgehen, fo würbe fich mahrfdjeinlich ertoeifen, 
bah bie 9Ragentäufchung im Saufe ber 3«t pr ©ewohnheit ge: 
worben ift, Don ber fich betannttich ©injelne wie Bötter oft 
fchwer loS machen, mögen fie auch ih re ©efaht ertannt hoben. 
2Röglich ift aber auch, bah tranthafte 3uftänbe ben erften An: 
reij p bem gewohnheitSmähigen ©rbeffen geben. Stan weih 
oon Aflotriophagen unb fßhantophagen, welche bie wiberftnnigfien 
Xinge in ben ©tagen bringen, unb pmr meift in Folge Don 
geiftigen unb förpertichen Störungen. XaS Bergehren Don SRörtet, 
beffen fchon oben erwähnt würbe, Don Äaff, Schiefer, treibe, 
ffohte, Sanb u. f. w. wirb bei blutarmen, bteiffü^tigen, ftrophu« 
töfen Berfonen, namentlich ffinbem, häufig beobachtet. Seltener 
finb bie Steinfreffer, welche bei guter ©efunbljeit, Don einem 
unertlärlichen Xrange getrieben, Steine Derfcfjluden, welche in 
ihrem ©tagen DieUeidjt biefetbe Bolle fpieten, wie in bemjenigen 
ber kühnerDögel, bie eines berartigen $ütfS:3ereibung8mittetS 
bebürfen. ©iebt eS boch fogat Seute, welche mit ihrem beneibenS: 
werthen ©ebih ©las gu Staub jermalmen unb Derf^tingen; 
meiftenS freilich als tour de force unb um ben lieben ©rofehen. 
Bon Xljieren weih man, bah f» mit Vorliebe gewiffe ©tineralien 
nafdjen; fo teden bie BifonS in ben Weftlichen ©rairien 9torb: 
amerifaS an Stellen, wo fie einen Xh on »it fälliger ©ffloreS: 
ceng finben, gange Xhälet aus, bie Schweine freffen Steintohten 
mit befonberer ©ier; Xauben piden ben mit Anis gewürgten 
Xhon; gegen baS @nbe ber Begengeit Derfammetn ft<h ©apageien 
unb anbere Böget gu $unbertaufenben an ber «Sierra ©tanti« 
queita bei ber Stabt 3tajuba in Brafitien, um Xage lang ben 
feinen Xhon an ben F*l8Ȋnben abgutrahen unb gu oetgehren, 
ohne bah ih nen onbere Bahrung gu ©ebote ftänbe. Xiefe Bei: 
fpiele fönnten gahlreich Dermehrt werben. Xer junger fann eS 
nicht fein, ber ben Xljieren beriet 3nftinct einflöht, eS müffen 
3»edmähigfeitSgrünbe ober Bäfcherei fie gu fotdjen wibernatür: 
liehen Vornahmen treiben. So oerhätt es fich ober auch beim 
©tenfdjen. 

m ift erwiefen, bah in Dielen Fällen baS @ffen Don (Erbe 
als ©räferoatio ober als Argneimittel gegen Äranfheiten ein: 
geriffen ift unb beibeljatten wirb. Bon bem rothen Xfjone, welchen 
bie ButijaS (Ritten) beS Bunbfd§it=XhaleS im $imatapa:2anbe 
Siffim oergehren, weih »on, bah er 3ob enthält, baher als 
Heilmittel gegen ben bort allgemeinen Äropf bient. 3 n ©erften 
geniehen nach Dr. 3- ©• ©otaf, ehern. Seibargt beS Schah'in: 
Schah, bie Frauen in ben lebten gwei SchWangerfdjaftSmonaten 
Diele (Erben, unb gwar fomohl aus Beigung, als um bet aQ: 
gemeinen Sitte gu fröhnen. BorgugSweife beliebt finb bie inbU 
fchen Xabafchire, weldje als ©tagnefiafatf gefchilbert werben, 
was fie aber unmöglich fein fönnen, wenn bie erfte Sorte, bet 
Tabaschir-e-Kalami, Afdje Don auBgeglühten BaitibuSfnoten ift, 
unb bie gweite, Tabaschir sadafi, aus gebrannten ©hifchetn be: 
fteht, wie auSbrüdlich angegeben wirb. Als Antibote gegen 
©ifte finb mehrere BotuS:Arten im fteten ©ebrauche, unb gwar 
ber atmenifche, Gil-e- Armem, unb ber taufafifche, Gil-e-DaghiBtani. 


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Nr. 45. 


297 


Sir (Segenmart. 


Sufserbem werben gegeben: eine Salterbe aus IRaSrotn nnb ein 
Shoufiticat auS Mahaiat (Hallosit ober Orawitzit?) enbtich 
thierifche ©oncremente, wie ®ejoate unb £>atnfteine. 

Stile bie[e Erben finb beliebt; fie Werben jum Sfjeil als 
Slrjnei, jum größeren aber wohl auS ©ourmanbife ober biehnefjr 
aus Spielerei, um ben Munb ju befchäfttgen, genommen, baher 
auch ber größte ©onfum baoon in ben $aremS unter ben Leibern 
ftattfinbet. Stur feiten fanb Ißolal Mihbraudj in ber SBeife, bafs 
grauen täglich einige Soth ®otuS (wafferljaltigeS Eifenftlicat, 
in Seutfdjlanb oietfad) jum gärben beS ©ebädeS, j. ®. beS 
mittelbeutfchen rotten StniSgebaÄenen oerwenbet) oerjehrten; fie 
betrachteten aber immer baS Mineral als eine 2trt Seiferei unb 
machen ftd) gute Sorten beSfelben gegenfeitig jum ®ef<hen!. (Sr 
fannte biele Sßetferinnen, welche wahre ©ourmanbeS in Srben 
genannt werben fonnten; fc^on burdj oberflächliches Soften muhten 
fie eine gute non einer {(Rechteren ©orte ju unterfcheiben; erftere 
nennen fie muatter, b. i. wohlriechenb. gugleich führt er an, 
bah her perftSe ginanjminifter Muajtr el Mentale! in golgc 
beS übermähigen ©enuffeS non ®o!u3 unb — geiftigen ©etränten, 
an Seberentartung mit SEBafferfudjt ju ©runbe gegangen fei. 

Es geht auS bem Erwähnten iieroor, bah baS Erbeffen 
ni<ht feiten, Wahrfcheinlich in golge nerbilbeter ©eSmadSrichtung, 
!aum anberS benn als Näfdjerei, nielleicht bloS jum geitnertreib, 
im Schwange ift. SieS unb nichts SBeitereS, ift gewih bie Ur- 
fache, bah in Portugal, auch im weftlichen Spanien, bie ®ucaro3 
ober ®arroS, Meine flache Sfjonfchüffeln, ganj leicht gebaden, 
welche nach 93ani£te riechen unb fdjmeden, als eine Selicateffe 
gelten, bie inSbefonbere unter ben Samen h°h en Mnwerth h at - 
Es wäre intereffant ju erforfchen, ob bie Mutterlänber biefen 
feltfamen ©ebrauch aus ben Kolonien empfangen hoben, ober 
umgefehrt. Senn ganj ber nämliche ^errf^t in fßeru unb 
längs bet fübamerifanifchen SEBeftlüfte; bort wirb unter bem 
Namen „©Ijoco" eine falbige (Srbart in Heine Suchen geformt 
unb mit ©hocolabe jufammenberfpeift, wobei baran erinnert 
werben mag, bah allenthalben feingefdjlämmte Shonerbe jur 
SSerfälfchung beS ächten ©acaoerjeugniffeS oermenbet Wirb, 
ohne bah fS her ©efchmacf ber ßonfumenten bagegen empört, 
ffaffeeboijnen auS grün «gefärbtem St)on, welche beim Nöften in 
©taub jerfallen, bilben befanntlid» längft einen lucratioen $anbelS= 
artifet. Sie Eingeborenen am fßarana in SSrafilien fettigen 
aus einer eigenthümlich wohtriechenben ©rbart, bie fie in ber 
Nähe beS Stromes graben, unb welche wahrfcheinlich mit #arjen 
gemifcht ift, ©efäfje mit SBanbuitgen, nicht biefer als Sarten= 
papier, welche fie jum Srinfen benufcen. Sie fotten bem 356affer 
einen eigentümlichen SBohlgefchmad mittheilen unb nach bem 
Xrunfe Wirb ber Seiher gegeffen. SaS ift alfo ganj bie gleite 
Sitte, wie in Eftremabura, in gaoa unb anberSwo, alfo in weit 
bon einanber abliegenben Dertüchleiten. SaS Uebermah foldjer 
Näfcherei foU in ehtjelnen gälten ben Sob herbeiführen; es ift 
leibet nicht unterfucht, welche befonberen Subftanjen ben Erb= 
arten mit auSgefprochenem ©eruch unb ©efchmaif biefe unters 
fdfeibenben Eigenfchaften oerleihen. Setannt ift ber auSgebreitete 
©enuh bon Mineralftoffen als gufafc gewiffer Nartotüen. SaS 
in ganj Dftinbien unb auf ben Sunbainfeln allgemeine ®etel= 
fanen wirb nur in ber SBeife ausgeführt, bah ein ©tüd ®etet= 
nuh — Same ber Mretapalme, Areca catechu, in ein Statt 
beS ÄaupfefferS ober ®etelpfeffer8, Chavica betle, gewidelt unb 
eine entfpredjenbe ®ortion Äalf baju gegeben wirb; baS fo bereitete 
®riemchen, ®upo genannt, wirb in ben Munb geflohen unb gc= 
baut, wie anberweitig Saba!. gn ®orber= unb #interinbien 
wirb 8e|falf, auf ben Unfein S'aühpbrat aus gebrannten Muffeln 
ju ben ®ete!rolIen Oerwenbet. ©anj eigenthümlich ift es nun, 
bah Don ben gnbianern SübamerifaS bie ©oca, baS ®latt beS 
Erythroxylon coca, ju gleichem gwed unb in oöllig gleicher 
SBeife confumirt wirb, wie baS fübafifche Erregungsmittel. Sie 
wirb mit ungelöstem ftal! inline ffugel geformt, welche Stcuflico 
heiht, unb getaut; gleich bem ®etet bringt bie ©oca eine an= 
genehm gebämpfte Aufregung, ein nicht näher befinirbareS SBohl- 
behagen beS fiörperS fjeroor, baS fkh inSbefonbere nach Änftten= 
gungen beSfelben ungemein günftig geltenb macht. SEBie #inbu8 


unb Malapen in Stfien, bann bie Nottjhäute ber MnbcSlänber, 
wenn auch bei oerfchiebenem Material, auf einen unb benfelbeit 
©ebrauch getommen finb, gehört ju ben Näthfeln, welche bie 
©utturgefchSte noch ju löfen half an benen aber gerabe ber 
über bie ganje StBelt jerftreute ©onfum ber nartotifchen Stoffe 
fo reich ift. ES mag hier erwähnt werben, bah man auf bieje 
fidjerlS ftappirenbe Sittenoerwanbtfchaft einen ber ©rünbe ge= 
baut hat, weiche befonberS öon ameritanifchen ©ulturhiftoritern 
für eine ®efiebelung ihres ©ontinents oon Mfien auS ins Steffen 
geführt werben. 

Sltlem ®ormitgetheilten jufolge ift bie ©eophagie über fämmU 
liehe Erbtheile fporaifch oerbreitet, ohne jeboch irgenbwo jur 
®öl!erfitte im ©rohen geworben ju fein. Ueber ihre Urfachen 
unb SBirtungen ift bei bem Mangel an eingehenben ®eobarf)= 
tungen faum ein erfteS 3Bort gefprochen. Sagegen fcheint es 
erwiefen, bah fowohl bie Stoffe, welche fie bem Körper juführt, 
wie bie gormen, unter benen fie auftritt, in ben oerfchiebenften 
gonen unb ©egenben meiftenS jiemlich ähnlich, oft fogar in 
überrafdjenber S33eife einanber gleich finb. Uebetwiegenb fcheint, 
ben oorhanbenen wiffenf^aftlichen Slnalpfen nad|, baS Erbeffeit 
bem menfdjüchen Körper nur einen me^anifchen Erfafc ju bieten 
ohne phhfiologifche SEBirfmtg; im gälte beS UebermaheS atter- 
bingS mit folcher, aber oerberblicher. Uebereinftimmenb haben 
bie ©hemüer nadjgewiefen, bah bie meiften ber als „ehbar" be= 
jeichneten Erbarten eineft nennenswerthen ©ehalt oon Slährftoffen 
nicht beft|en, baher jur Erhaltung beS thierifdjen SebenS nichts 
beijutragen oermögen; bie neuefte oon mir oeranlafjte unb Ein: 
gangS mitgetheilte Unterjochung beftätigt bieS öoütommen. Sahin= 
gegen liegen Sljatfachen oor, bah getuiffe Mineralien oermöge 
ihres ©ehaltS an organifdjen IReften aüerbingS eine phhfiologifche 
Shätigteit entwicfeln, ®eiträge jur ®lutbilbung liefern !önnen; 
aber ihr Verbrauch als Nahrungsmittel ift weit beSränMer, 
enger begrenjt, als berjenige ber erfteren klaffe. Nodh mehr 
ift bieS ber galt mit bem ©enuh oon Erbarten ju fteilSjweden 
ober auS übeloerftanbener ©ourmanbife, Wobei nicht ju über; 
fehen ift, bah bie tcjjtere auS bem erfteren entftanben fein tann, 
wenn an bie neutratifirenben SBirlungen gewiffer §auptbeftanb= 
theile ber ©onfumerben gebacht Wirb, immerhin Wenbet fS 
bie Sioilifation oon ber Einoerleibung beS unoertjüüt 91norga= 
niSen burchSnittlich mit gröberem SBiberwiQen ab, als felbft 
oon ber fßhantophagie etwa ber ©hinefen ober ber Änftralneger; 
unb !aum eine Stufe höh er als baS Menfchenfrefferthum fteUt 
fie bie jwar minber brutale, aber bod) auf eine ungemein tiefe 
Stufe beS SafeinS jurüdführenbe, nur beit SBBonft füüenbe 
©eophagie. 


ZXttterikanifc^es ätnbcntenleben.*) 

Son CDtto <Sro§. 

IV. 

SophomoreS unb guniorS. 

Um bie geit beS ^odhfommerS nach ben „MnnualS", ben 
gahteSprüfungen, Sticht baS ©oßegefahr unb bie Stubenten 
gehen auf gerien — vacation term. gm $crbft tommen fie 
Wiebet. 

Sie neuen SophomoreS thun bann ben neuen grefhmen 
aßen Sort, welchen fie felber im gahre borher ertragen muhten 
— unb ber Sefer hat wohl längft bie ®emertung gemacht, bah 
baS grefhmenjahr eine gewiffe Stehnlid»!eit mit bem gudjS; unb 
Ißennalwefen beutSer Unioerfitäten hat. Sie neuen SophomoreS, 
bie beS „hazing“ wegen fegt nicht mehr immer auf ber £>ut ju 
fein brauchen — benn bie „UnbergrabuateS" (guniorS unb 
Seniors, bie jwei oberen gahrgänge) halten bieS unter ihrer 
SBürbe —, haben nun geit auf anbere ©ebanten ju tommen. 
gumal bie guniorS. geh habe Son früher einen gunior mit 
ber ®emetfung eingeführt, baS guniorjahr fei ein gauttenjer*, 

*) 6. Nt. 38. 39. 


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298 


Nr. 45. 


Sie (Segenroart. 


ein „loafing u ;Jaf)r. TieS lommt jum Tfjeil baher, baß in beit 
beiben oberit Jahrgängen baS Curriculum ber Stubien nicht jo 
ftreng unb feft oorgefdjtieben ift, wie in bcn beiben unteren, 
baß eine getoiffe Jreiljeit unb SBaht ber Sortejungen geftattct 
Wirb, Woüon bie Juniors meiß in foltyer SBeife ©ebraud) machen, 
baß fie möglich ft wenig Sortefungen ßören. X)a§ Seniorjahr 
muß bann baS ©ehentaffen burd) angejtrengtere Strbeit roieber 
Wett matten. Stber auh bie SophomoreS nufcen tyr nun; 
meljrigeS „Surfhenthum", bitben Sing;, ®egel= unb wiffen; 
fdjafttihe ßlubS, turnen, tanjen, gehen in ©efeßfhaften, unb 
im Sommer tubern fte. Taju tommen bie im erften Slrtifct 
erwähnten „geheimen" ©efeßfhaften. 

SBeit aus über baS Jntcreße an ben 9line;, ©tee--, 
Sierian= unb anbern ©tubS, über baS Tanjen unb ben all; 
mählichen Sertetjr in ber ©efeßfhaft, geht bie ßuft am 9tube.ru. 
Tiefer öornämtidj angctfähfifdje Sport ift, wie an ben eng; 
tifdjen Unioerfitäten, jo auch in ben ameritanifhen ©oßegeS in 
höhfter Stütze. SBie in ©ngtanb Cjforb unb ©ambribge, jo 
haben in ben Sereinigten Staaten ©ambribge ($arüarb ©oßege) 
unb Date ijjre jährlichen 9tegatten. TaS „training“ baju unb 
bie Stegatte fetber gehören ju ben ^eroorftec^cnbjten ©haralter; 
jügen ftubentifdjen ßebenS in ben Obern Jahrgängen. 

SBie baS SBetter befjer wirb — ben SBinter über ift burd) 
atterßanb barauf gerichtete Turnübungen oorgearbeitet worben — 
wählt baS Jntereße am „boating“ unb erreicht feinen ftöhepuntt 
im Juni. TeS SIbenbS, wenn bie „9tecitation8" ootüber finb, 
ftürjt StßeS jum Jluffe unb ju ben Sooten. häufig bereinigen 
ßh Heinere unb größere ©efeßfhaften unb jdjaffen eigene Soote 
unb altes ißöthige an, unb obliegen ben ganjen Jrülßing unb 
Sommer immer mit ßuft unb ©ifet bem nationalen Sport. ©3 
wirb ein ©Ijrenpuntt unter SophS, Juniors unb jetbft ben 
ernfteren Seniors, benen bie lefcten Prüfungen beoorftehen, ben 
braunften unb fonnberbrannteften Süden ju haben. SiS in bie 
Sadjt hinein treibt fidj bie halbe Soßegebeüöllerung auf bem 
SBaffer unb nahe bemfetben herum. 

ffinbtid) tommt bann bie 3eit ber ©oßege;9tegatten, bie in 
©ambribge burch SufletinS, wie etwa baS fotgenbe, tunbge; 
ma<ht wirb: 

Harvard Regatta! 

,,The Annual Harvard Regatta will take place on the 
Charles River course tbis afternoon at three o’clock, wind 
and weather permitting. Four crews will pull, — the Junior, 
Sophomore, Freshman, and Scientific.“ 

©ihon biefe Segatta jWifd)en ben oerfdjiebenen Jahrgängen 
beSjetben ©oßege ift aufregenb genug; aber, wie Weit bleibt fie 
juriid hinter bem Jntereße, baS fid) alter Setyeitigten bemächtigt, 
wenn bie StuSforberung DateS an $arOarb, ober umgefehrt, 
eingetroffen ift. Ta werben bie heften Suberer unb ©teurer 
nach ben (Erfahrungen ber .©oßege. Segatta forgfättig auSgejucht, 
unb baS training erreicht nun erft feine rechte $öt)e. 

©nbtid) ift ber große Tag getommcn, unb mit ihm ein 
wahres SotfSfeft. Tie Rotels ber Stabt, bie für baS SDleeting 
gewählt worben, ßnb oon oben bis unten bott, unb noch immer 
bringen ©ftratraitiS Taufenbe oon ©äften. Jn ber Segel geben 
„Glee Clubs“ unb „Pierian Sodalities“ ben ©oßegeS am Slbenb 
oor ben „races“ Eoncerte, benen ein Saß folgt. Tiefe Sers 
gnügungen ßnb natürlich nur für bie Jufcßauer, bie „boating-men“, 
benen am anbern SSorgen bie SBahrung ber Suberehre ihres 
Kollege obliegt, nehmen baran leinen Theit. 

©in Sfanonenfhuß fünbigt ben Seginn ber Segatta an. 
Tie Soote fahren in Seihe unb „Rah, Rah, Rah“ fchatten bie 
mohlbefannten ©heerS berer oon £aroarb, benen bie oon Date 
bie ütntwort nicht fdjulbig bleiben. SBieber tönt ein ffanonen-- 
jchuß unb bie Soote reihen fi<h bor ben Sichtern. 

„Dh, Dale hat bie innere ©eite," bemerft wohl ein §artmrb= 
ftubent ju feiner ©hwefter Jreunbin, ber er ben ßicerone macht. 

„Jft bieS ein Sortheil?" fragt bie Schöne. 

„©8 lann Wohl fein," erläutert ber Stubent; „wenn bie 
„vace close“ wirb — b. h- wenn bie Soote am SBenbepuntt 


1 nahe beifammen finb — fo würbe D°le baS Seht haben, juerft 
: ju weuben". 

Segatten finb fo oft gejhitbert worben, baß Wir unS bejfen 
hier wohl enthalten fönnen. Sah ber Segatta gibt eS wiebet 
1 einen Sali, an bem nun auch bie beiben „ßrewS" (bie Suberer), 
nahbcm fie fid) ein Souper gegeben, Theil nehmen. 

Jn ber Seit beS JuniorjahreS hat ber ßoßegeftubent rocift 
einen ganj beftimmten ©haralter unb tßtafe in ber Seihe unb 
I ©häfcung feiner ©oßegen eingenommen. Ta finb bie „TigS", 

1 oon benen fhon bie Sebe gewefen; bie „ScrubS", oon benen es 
i fhwer ift, ju fagen, was fie baju mäht, häufig genug finb bie 
tieften ßeute ber „Stoffe" unter biefen Sie finb eine Srt oon 
EoEege=Satia3, mit benen wenig Sertehr ift. ©8 finb nidjt 
gerabe bie Strmen, Weit fte etwa an ben foftfpieligeren Ser; 
gnügungen beS Soating u. bgl. nicht theitnehmen lönnen; feljr 
wohlhobenbe Stubenten geraden oft unter bie „ScrubS". Such 
1 ift Weber ber Stängel, noch ber Ueberfluß an jleiß unb ffennt; 

' niffen baran fhulb: bie ScrubS recrutiren fih auS beiben Sorten 
oon Stubenten. Jn ben meiften Säßen ift weit mehr ein uti= 
glüdtiher Safafl, als ein aßgemein menfhtih^, ober fpecififh 
ftubentifher Sehler bie Urfadje, bie ben Unglücflihen unter bie 
„ScrubS" bringt; unb ift er einmal barunter, fo bleibt er’S, 
wie „ber Heine Töffct". Tann finb bie „Soatingmen", bie „Saß; 
men", bie „©oobliüerS" (bie ©ourmanbS), bie „Societtpen", 
bie „SotaniftS", bie „SaturatiftS" u. f. w., lurj, woju immer 
einer Seigung haben mag, bem lann er im Juniorjahre fih 
oöflig hi n 3 c &ett, WaS für Sorjüge er haben mag, bie lommen 
um biefe Seit jur Slüthe unb ju ooßer Snerlennung, aber auh, 
wenn einer etwa, jumal nah ftubentifher Stnfhauung beS Soßegc, 
mag gefehlt haben, baS bleibt ihm mit nidjten gefhenft. Tic 
„StodpartS" jiehen afle fothen ©reigniffe oor ihr unerbittliches 
©criht. Sie finb bie huntoriftifh ; fatirifhe Sehnte beS ©oßege 
unb werben gewöhnlich an einem Samftag SlbenbS, währenb beS 
Sommers gegen ©htuß beS JahreS abgehalten. SBer immer 
im ©oßege oon wem immer etwas Weiß, baS für bie „SKod; 
partS" oerwenbbar ift, ber geißelt foldjeS in einigen lurjen 
fatirifhen Serfen. ©in heimliheS ©omitfe, oon bem gteihwohl 
ebenfo h e iwtih Jebermann weiß, h°t ßh gc&tlbet, bie „3Rod; 
partS" in ©mpfang ju nehmen, bie bann, wenn über bie 3Sög= 
tihfeit ihrer Sulaffung inappeßabel entfhieben worben, oor ber 
gebrängten Serfammlung ber ganjen ©oflegebeüölferuttg oerlefen 
werben. SBoburh immer einer währenb ber früheren jwei Jahre 
fih bemertbar gemäht, barüber barf er gewiß fein, in ben „3Rod; 
partS" in einer 2Beife ju h ören < bie ben fpunberten oon Su* 
hörern mehr Sergnügen mäht, als ihm felber. Stber ba leiner 
biefem ©hidfal entgeht unb bie Satire leine bösartige ift, fo 
erträgt jeher fein ©hidfal mit gutem jpurnor. 

Ter Sertehr in ber „©efeßfhaft" ift für ben jungen ©tu; 
benten meift weniger öergnügticfj als innen mit ben gteidjgefinns 
ten ©enoffen im ©oßege. ®S fei benn, baß Jamilienbejiehungen 
oorhanben finb, ober „©hmnafiaftenliebe" jum Sporn Wirb, iß 
eS im Uebrigen nicht aßju häufig, baß ber ©oßegeftubent ein 
„Societhman" wirb. Db er babei oiel oerliert? $ören wir, 
wie ein ameritanifher ütnontjmuS bie „©efeßfhaft" feiner Seit 
in. ©ambribge fhilbert: „©ambribge ©ocietp! SBie lann fie be* 
fhrieben Werben? ©ambribge ©ocietl)! Tiefe immaculate Äör; 
perfhaft, bieS unoermittelte ßtebeneinaiiber oon „ju jung" unb 
„ju alt", oon ßotten Stubenten unb graoitätifhen Ißrofefloren 
unb beren Jamilien unb bem oerfdjwinbenb geringen Sufafe ber 
i Stabtleute. ©ambribge Society! Wo bie SDtäbhen nie jung ßnb, 
, unb bie ßabieS nie passces werben; Wo Oon Taufenben oon 
j jungen 3Jlännern fih fetten einmal einer ernftlich oerliebt unb 
| oertobt unb wo niemals einer fih oerheiratljet. ©ambribge 
I Society! wo —, aber baS Unternehmen ift ju fhwer für meine 
| Jeber; mag. ein Segabterer, üRutyigerer als id) bie ©hitberuug 
ausführen!" 

Tie oben gefhilberten „ÜJiodpartS" finb natürlich nicht 
bie cinjige 2lrt oon ©enfur, Weiher bie ßebenSWeife beS ©tu; 
benten unterworfen ift. ©3 gibt auh eine toldje ernfterer Hrt 
für aßerbingS auch ernftere Sergehen oor ber Jacultät. „Before 


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Nr. 45. 


fflte ©egenmarl 


299 


the faculty“ berufen p werben, ift für ben Eoßegeftubenten 
meift üon fchweteren golgen begleitet, als ein Eitation üor baS 
UniüerfitätSgericht (baS „©iergericht") an beutfdjen Uniüerfitäten. 
Minima non curat praetor, mit Sleinigleiten befdjäftigt {ich bic 
„gacultt)" nicht; fotzen gegenüber h fl t ber „©rätor" ober ber 
„Decan" unb juleßt ber „©räfibent" bie DiScipiinargematt. ©ine 
Eitation „before the faculty“ enbet meift mit ber „SuSpenfion", 
ber Delegation üon bem Eoßege auf ein falbes ober ganzes 
Saßt. 3w elfteren gaße üerliert ber Delinquent in ber Siegel 
baS 3aßr nid^t. Er bleibt in feiner Slaffe, wenn er tro| ber 
Entfernung auS bem Eoßege jur gehörigen 3eit bie „AnnualS" 
am „Slaffbap" befteßt. 

V. 

Seniors. 

Steine Scßilberung näßt ißrem Enbe. SBir finb im lefcten 
3aßrgange beS Eoßege. Unfere jüngeren greunbe finb enblid) 
Seniors geworben. 3>dj hatte im nötigen Artilel gefagt, baß 
bis jum Seniorjaßr eine gewiffe Stanglifte fid) in ber „Stoffe" 
entwicfelt habe; baS Seniorjaßr bringt manchmal einen Stiß in 
biefelbe, infofem, als fo für je Seit üor bem lebten „Elaffbap" 
unb bem „Eommencement" monier bisher mäßigere gleiß ju 
eßrgeijigen Seftrebungen angefpornt wirb, um noch im lebten 
Äugenblid ein „summa cum“ bei ben AnnualS unb einen „part 
at Commencement“ — ber atobemifdjen Scßlußfeierlidjfeit beS 
SeniorjaßreS — ju erreichen. 

Seniors! SGBeldj’ {jerrtidjcS ©efüßt, bieS ju fein! Seniors! 
SBir finb baS Eoßege! 0, es gibt feine ©lorie in ber SSelt, 
bie fict) mit bem ©oßgefüßl beS SenioratS eines Eoßegeftubenten 
meffen fann. SBie unenblicß tief unter ißm liegen bie niebereit 
Stoffen, burtß welche er ju biefer fcßnrinbelnben Höße geftiegen 
ift SEBaßrhaftig, ber ©räfibent felber unb bie ©rofefforen — 
was finb fie anberS, als feine Diener, beren ©flidjt eS ift, biefe 
große 3nftitution beS Eoßege in möglicßft orbentlicßem ®ange 
ju erhalten, bamit er, ber Senior — ja wahrhaftig er, ber üor 
gar nicht fo überlang nodj ein armer Deufel üon gtefßman 
gewefen, bie üoße, ganje Suft feiner nunmehrigen, beüorjugten 
Steflung ungefdimftlert genießen fönne! Deftreicßifdie Stuben« 
ten fennen ein ähnliches ©efüßl, aber eS ift nicht üon fo langer 
Dauer. Das ift, wenn ber ©ßmnafiaft bie SDtaturitätSprüfung 
hinter bem Stüden hat, unb üon einem ©qmnafialbirector ftricter 
Dbferüanj bei ber Ueberreidjung beS geugniffeS als „Herr" 
angefproeßen wirb. 

gür bie weiften Eoßegeftubenten ift baS Seniorjahr eine 
3eit ernfter unb angeftrengter X^ätigfeit, was inbeß feineSwegS 
auSfdjliefjt, baß Sdjulftreidje gegen bie ©rofefforen unb Anbere 
mit Reinheit erfonnen unb mit Suft unb Sieb’ unb ©eßagen 
auSgeführt Werben. • 

Aber halb nach bem ©eginn ber Sdjuljeit wirb ber Sinn 
beS Seniors auf bie ©ebeutung gelenft, bie ber Schluß biefeS 
gaßreS für ißn hat; närnlid) burch bie ©ornaßme ber „dass 
elections ber SBaßl ber ftubentifeßen gunctionäre bei bem 
„Eommencement". Sie Wählen ben „Drator" ber bie Schluß« 
rebe hält; brei „SRarfßatS" unb ein „Class-Day committee“, 
benen bie Drbnung ber geierlicßfeit obliegt, unb einen „Obift", 
welcher auf eine heabitioneße geftgefangSmetobie einen neuen 
paffenben Dejt ju üerfaffen hat. DiefeS finb bie oben erwähn« 
ten „parts at Commencement“. 

3m Uebrigen bietet, AßeS in Aßem genommen, baS Senior« 
jahr weniger ErjäßlungSftoff, als irgenb ein früheres. Die 
„Senior societies“ würben freilich beS intereffanteften Stoffes 
bie Süße liefern; benn nichts, woran ber Eoßegeftubent in ben 
früheren Saßren Xheil genommen, ift irgenb mit ben Drgani« 
fationen beS lefcten gaßrgangS ju üetgleidjcn. Aber bieS Ihema 
iß, wie fchon in bem erften Artifel bemerft würbe, ein ©ud) 
mit fieben Siegeln unb üößig unjugängtieß für ben nicht officieß 
als Dheilnehmer unb SDlitglieb Eingeweihten. Stur foüiel er« 
fährt man wohl gelegentlich nodj, baß bie Seniors für fich 
felber felbftüerfaßte Somöbien aufführen, beren H umDr in Dich« 
tung unb Darjteflung üon ähnlichem Saliber fein mag, wie etwa 


bie in SBien wohl gelaunten unb hoch geflößten Aufführungen 
ber anonhmen Dieter unb Sdjaufpieler beS HauStßeaterS im 
SünftlerßauS. 

Enblicß ift Elaff«Dah ba mit ben testen „AnnualS" unb 
„Eommencement" unb ben baran fchließenben „Spreabs" ber ab« 
gehenben Seniors unb ber „Schlußreception" beS ©räfibenten. 
Schön’ ©Setter ift eine öebingung für baS ©dingen beS DagS. 
3eitig beS SDtorgenS fchaßt’S: „Heads out“ — etwa „©urfdjen 
’rauS!" — aus aßen genftern ber DormitorieS, unb bamit be« 
ginnt ber große Dag. Die Eoflegegebäube unb fetbft bie offenen 
©läfce finb mit ©rün unb ©lumen unb glaggen reichlich ge« 
feßmüdt. 3aßlreiche ®äfte, bie ©erwanbten unb greunbe ber 
Seniors, finb erfchienen unb biefe felber parabiren in fuß dress, 
bie gunctionäre mit ihren Abjeicßen. Die grefhmen bliden 
üerwunbert unb neugierig auf bie ihnen noch fremben Sorgänge, 
SophomoreS unb 3«nior8 mit einer gewiffen ©ertrautheit, bie 
festeren mit bem frohen ©orgefühl, baß ihnen junächft baSfelbe 
Werbe bereitet Werben. „Gentlemen of color“ — ©egerfeflner 
— in Weißen £mnbfd)ühen unb Weißen Schürjen rieten bie 
Säle her, in Welchen bie „Spreabs" — bie ©iiffetS, welche bie 
Seniors für ihre ®äfte ijerridjten laffen — foßen aufgelegt 
werben: unb über aß biefen ©orbereitungen Watten bie ©tarfßalS 
mit ihren SatonS unb bie übrigen ©titglieber beS Class-Day 
committee. 


Enblid} finb bie Staffen jufammen üor ben Soflegegebäu« 
ben in gehöriger Drbnung unb fefcen fid) unter ber Seitung 
ber SWarfhalS nach ber Sapeße in Semegung, wo ber Etaff« 
djaplain ben ©otteSbienft üerridjtet. 9iach bem ©otteSbienfte 
erwarten bie brei itieberen Stoffen üor ber Sapeße ben Aus« 
tritt ber Seniors unb begrüßen fie mit haßenben EljeerS. 

©emöhntidj finb bie Seniors nach bem ©otteSbienfte üon 
einem ber ©rofefforen in corpore jum grühftüd geloben; nach 
bemfelben gibt eS eine furje Dtuhepaufe, unb bann orbnet ftch 
ber ftubentifche Sag üon Steuern nach ber UniüerfUätStirche, bie 
injmifdjen üon greunben unb ©erwanbten gefüßt ift — benn 
bort beginnt nun baS „Eommencement". SEBeit bie Sirche in 
ber Stegei nur für bie Eoflegebeüölfetung erbaut ift unb barum 
befdjränft im Staunt, ift ben nieberen 3aljrgängen bet 3utritt 
jum „Eommencement" üerfagt, unb ©olicemen halten an ber 
Dhüre SBache, bie hi nter ©eniorS Stachbrängenben abju« 
wehren — aber natürlich immer üergebtidj! Dem Anpraß unb 
ber bichten SOtaffe ber 3uniorS, SophomoreS unb grefhmen muß 
auch bie ftanbhaftefte Sette üon ©oticemen alsbalb weichen, unb 
im Stu ift bie Sirche üon ben eingebrungenen Stubenten bis 
jum ©erften üoflgepfropft. 

Auf ber ©tatform in ber Sirche gehört bie ßinfe ben 
Honoratioren beS DagS, ben Seniors, bie Siechte ben Hon® 5 
ratioren beS Eoßege, ben ©rofefforen unb gelabenen ©hrengäften; 
bie SRitte jwifchen biefen beiben Sörperfchaften nehmen ein ber 
©räfibent beS Eoßege, ber Elaffchaplain unb bie StaffofftcerS: 
bie SDtarfhalS, ber Drator, ber Obift unb bie SDtitgtieber beS 
Class-Day committee. Auf bem Drgelchor befinbet fich eine 
SDtufifbanbe, um ben Dbengefang nach bem ©ebete unb ber geft« 
rebe ju begleiten. 

SBenn biefe gcierlidjfeit beenbet ift, begeben fich bie gunctio« 
näre, Ehrengäfte unb Seniors paarweife, ber ©ebner Arm in 
Arm mit bem ©räfibenten üoran, bie übrige SOtenge ber Stubenten 
unb ©äfte in h«ßen Haufen hinterher, nach ben Sälen, wo bie 
„Spreabs" hergerichtet worben finb. Hier nun üergnügt fich baS 
junge ©otf unb bie Aetteren; aber halb beginnt bie SQtufit in 
ber großen UniüerfitätShaße jum Danj aufjufpielen, unb trofc 
ber nahe an 100 ober gar mehr ©rab gahrenheit, bie baS 
Dhermometer an einem fotdjen 3uni«©achmittag jeigen mag, 
troßbem ber Saal in ber Siegel jum Erftiden üofl ift, gehört 
„Class-Day waltzing“ ju ben „Class-Day customs“, benen mit 
ber größten Suft unb hingebenbften Ausbauer, fowohl üon Seiten 
ber SabieS, wie ber Stubenten itadjgefommen wirb. Diejenigen 
Welche nimmer in ben Danjfaat fomnten fönnen, ergehen fich im 
Schatten ber prächtigen Ulmen, bie ein tppifchet Sdjmud einet 
ganjen Steilje üon amerilanifchen Eoßege«©rounbS finb. 


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Sie Gegenwart. 


Nr. 45. 


,‘500 


So Bergest ber IRadjmittag unb bie SKeitge auf ben ©rounbs 
wirb immer bitter unb bitter, benn ber Stbenb bringt noch 
ein luftiges Sjercitium im freien unb Illumination ber ©oflege= 
gebäube unb ben Sadeljug, mit meinem bie Seniors jum Sdjlup 
ber geierlidjleiten beS DageS bon ben übrigen 3“^göttgen jur 
„SReception", in meiner ber Ißräpbent bie SeniorS in corpore 
empfängt, geleitet werben. 

2 Benn ber 2tbenb eingebrochen, berfammetn fidj — wenigftenS 
in Gambribge — bie Seniors um bie „UniberptätS:Ulme", einen 
herrlichen, atten Saum inmitten beS SquareS bor ber gropen 
UnioerfitätShatle. Um ben Saum Wirb mittels eines ftarfen 
StridS ein Kreis bon etwa 100 gup Durdjmeffer abgegrenjt. 
Sother hat ber alte UniberfitätSportier ganje Sutten bon Stumen= 
fträupen etwa 8—9 gup bom ©rbboben rings um ben Saum in 
ben $weigen ber Ulme befeftigt unb mit einem Ijatbgerüljrten — 
benn, Wie oft bat er bieS fäon beforgt! — „I believe, tbat 
will puzzle them“ ben ©uirlanbenfdjmud betrachtet. 

Salb ift ber ganje Square jenfeitS beS IRaumS, ber für 
bie Seniors freigehalten wirb, bid^t befefct, unb nicht minber 
ade genfter unb felbft bie 2)äc|er rings um ben Slafc unb bie | 
Säume an ber ©infaffung beSfetben. 3njwifchen finb auch bie j 
SeniorS in Seih unb ©lieb bor Uniberfitp: jjatl aufmarfchirt; 
aber fie ftnb jefct nicht mehr bie eleganten ©enttemen in fall 
dress. welche fie bei bem ©ommencement unb ben SpreabS unb ’ 
im Danjfaat gewcfen. Statt ber gradS tragen fie alte SRöde, 1 
unb auf ben Köpfen bie unmöglichen fpüte mit riefigen ^apier= 
cocarben, worauf „Senior" weithin ficbtbar ju lefen ift. 

Sn biefem 9tufjug, mit ber 3Jtupf an ber Spifce beS BogcS, 
marfcpiren fie nach fämnttlidjen ©ollegegebäuben unb grüpen fie 
mit brei ober neun fcbatlenben ©heerS. Dann pPanjen fie an 
ber Sibliothef ben ,,©laff:©pheu" unb nach Seenbigung biefer 
©etemonie geht ber 3ug unter ben Klängen beS bon bet SRufif i 
begleiteten „KtaffentiebeS" nach ber Ulme. Dort nehmen fie ben 
für fie referbirten Slafc ein. Sn einem jweiten Dheil beS KreifeS 
ftehen bie grefhmen biefeS SahreS, bie nach Seenbigung ber 
Geremonie einen feften Sing bilben, um bie SophomoreS nicht , 
burcfjjulaffen. Das ift ihre Sache am SahreSfdjlup für alles , 
„hazing“ währenb beS SoljreS. Oft über fommen pe übel genug | 
babei weg, benn bie SophomoreS, welche je|t bei Seginn ber | 
Geremonie ihnen gegenüber ftehen, hoben ben eben fo feften Sor= 
fafc, ben grefljmenring, fofte eS, waS eS wolle, ju burchbrechen. 
Die SuniorS, welche in ben beiben borauSgegangenen 3oh«n 
baS ©ine ober baS Snbere mit ober ohne ©rfolg getljan hoben 
unb im nädjften Soh« ben biftinguirteren lßla| ber jefeigen 
SeniorS einnehmen Werben, halten pdj bon biefer Saigerei in 
ber Segel ferne. 

Siit tauten, hoQenben Bah! Rah! Bah! werben bie heran: 
jiehenben SeniorS bon ben jüngeren Sohrgängen empfangen. 
Sun gibt bet erfte SRarfhatt ein Seichen mit feinem Stabe unb 
es wirb ftill. Darauf ftimmen bie Seniors ihren Gtapgefang 
an unb biefem folgen bie ©heerS. Die erften ©heerS gelten ihren 
eigenen unb ben brei jüngeren KlaPen unb bie SophomoreS 
heuten in bie ©heerS auf bie grefhmen. ®S folgen ©heerS auf 
ben Sräpbenten, bie gacuttäten, bie ißrofefforen unb bie SabieS 
unb wieberum auf bie Klaffen. 

SBieber winft ber ajlarfdjatl mit feinem Stabe — unb plöfe= 
lieh fommt eine ungeheure Semegung in bie Klaffengruppen, bie 
bisher in gefonberten 2tbtf)eilungen geftanben hotten. 3« einem 
Sugenblid entwidetn pch aus bem mirrften Durcheinanber, baS 
nad> bem SBinl beS 2Rarfd)atIS entftanben, hier boflftänbige Singe 
um bie Ulme: ben SeniorS junädjft an bem Saume, ben 3uniorS, j 
ben SophomoreS unb ben grefhmen in gehöriger golge. SBeitn j 
bieS gefchehen ift, fingen bie SeniorS einen trabitionetlen ©hör , 
unb bann oerlünbigt ber SWarfhaH: „®ebt Seht auf baS Seiten i 
jum Sunbgang ber Klaffen um ben Saum, bie Seniors unb 
SophomoreS nach rechts, bie SuniorS unb grefhmen nach linfS!" 
®r gibt baS Sachen, bie SKufif fällt ein unb ber Sunbtanj geht 
bor pch- Diefer währt nicht lange unb fteht ftiHe auf ein neues 
3eid»en beS URarfhalL Sn bemfelben Sugenbtid ift aber auch 
bie'Kettc ber grefhmen bon ben SophomoreS mit manchem bcrbeit 


§ieb burcfjbtochen unb ein gut Dheil beiber Klaffen wätjt pch 
auf ber ©rbe. 

Sn berfelben Beit ftürjen bie SeniorS nach bem Saum, um 
ber Stumenfträupe hobhaft ju werben. Dabei gibt eS ein 
Springen, Klettern, auf bie Schultern Steigen uub meip ©ott, 
waS für anbere SDtitlel, um bie hoch gehangenen Sträupe an ben 
fdjwanfenben .ßweigenben ju erreichen — unb biefe Scene unb 
ihr ftnblid ift nicht bie am wenigften intereffantepe unb auf: 
regenbfte ber ganjen geftfeier. 

Sinb enbtich alle Sträupe gepffüdt, bann folgt ber rührenbpe 
SRoment beSDageS, baSJlbfdjiebnehmen ber SeniorS non eiuanber. 
Sier Sohre hoben pe SlUeS gemeinfam gehabt, was greub unb 
ßeib ihres jungen ßebenS gebilbet, hoben jufammen gewohnt 
unb ftubirt, finb in lectures, recitations unb examinations neben 
einanber gefeffen, hoben im felben Soot jufammen gernbert unb 
manchen gerienauSffug (vacation-trip) jufammen gemalt — 
unb morgen gehen pe auSeinanber, Siele, um pch bielleicht nie 
wieber ju fehen. — ÜRun umarmen fie pch Sitte unter eiuanber 
im Sergeffen ihrer lleinen ©liqueeiferfüdjteteien, einjig gebenfenb 
ber nerfchwunbenen, fdjönen Stubentenjeit! 

Die Sdumination ber ©otlegegebüube, bie injwifchen auf: 
geffammt ip, wirft ihren berflärenbett Schimmer auf bieS fehlte 
Sdjaufpiel. 

Die „SReception" bei bem ißräfibenten fd)tiept ben Dag unb 
feine geier, baS 3“hr unb für bie SeniorS bie ©oKegejeit; — 
unb bamit bin auch ><h am ©nbe meiner Schilberung angelangt. 


JUi$ ber ,6auj>tflabt. 


Dramattf^e ^ufffiprungett. 

Ibopttpatige grauen. 

ßuftjpicl in 4 mieten oon s 2tboXf S’?lrrongc. 


9Jian öerjcjc fid) in eine mittelgroße, .faubere 2BoJ)nftube; bie 
genfter blijeu, bie ©arbinen finb jc^neeig toeiß unb in untabelßofle 
galten forgfam georbnet; folibe 3)töbel, bie auf 53efteIIung oon einem 
juoerläffigeit 6c^reiner gefertigt toorben finb unb an benen nidjft ge= 
fpart ift. lieber bem ^cr burtb Äntimacaffar-^äfeleien gef$ü|t 

ift f ein ooaler Spiegel, rechts unb linlS baoon einige elprlid) gemeinte 
gamilienbilber in ©olbra^men. 3n ber @de bie Seroante mit <&la£- 
{Reiben, in ber fd)on feit langen 3a^ren auf einem 2Uta3tiffen ber 
SJlprt^entranj ber #au3frau unb bie ^ocßjeit^gef^enle ber guten gretutbe 
in @^ren gehalten toerben; biefe nimmt man nur bei größeren @efeU= 
fünften in ^ebraud^; bie filberne guderbofe mit barangebunbenem 
Scßlüffel, bie frpjtaHene Sßunfdjbotole mit affortirten ©läfem, bie ge= 
malten Xaffen unb X^eetannen; Med in liebendtourbigem ©iutlange, 
nic^td $ral)terifd)eö, nic^td, bad eine ^Xbfd^tueifung auf anbre Gebiete 
oerrat^en tonnte. (£d ift bie (^infac^^eit, bie Xücßtigfeit unb 93^&bigteit. 

§ier too^nt ein genugfameö ©lücf, bie fro^gemut^e 3ufriebeu$eit 
mit bem, mad ©ott belieben, ttmd bie fleißige $anb bed ©atten er= 
mirbt unb bie Sorge ber ^audfrau erhält. 3Ran ßat ba bad ©efüßl 
ber ooQfommenen S3eru^igung. 5Der $lnfprucßdtofe finbet ba fein 3öeal 
oermirfUcbt, ber abgelebte ©enußmenfe^ eine Stätte, bie i^m einen mobl- 
t^uenben $Rul)epunft gemährt unb bie i^n erlennen läßt, baß bie t^öriebten 
greuben, benen er nac^jagt, ;/ 3Ba^n, nid)tö ald äBa^u^ finb. 

3Ran empfinbet ed beutücß: ßier ge^t ed rec^tfcßaffen ju. ^>iet 
toirb gearbeitet unb geforgt, ^ier leben 9ftann unb grau iit magrer 
@intra$t, ^ier toerben bie Minber jur Arbeit angeßalten unb ^u guten 
Bürgern erlogen, ^ier toerben bie $ienftboten richtig b^attbclt, ßier 
toirb für 2Bäfd)e, für ^üeße unb $eüer geforgt mie fic^’d gehört, ßier 
toerben bei Seiten für ben 2Binter grüßte unb öemüfe eingemacht, hier 
toirb bie Suppe nicht oerfaljen unb ber fonntägliche ^albdbraten nicht 
angebrannt. 2)ie Seuie, bie hier toohnen, machen an fchönen Sommes» 
tagen 9tachmütagd eine £anbpartie unb bergnügen (ich toie bie / Oöttcr, 
toenn fie 9lbenbd im ^remfer mit iüuntinirten ^apierlaternen heimtehren. 


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Nr. 45. 


fflit (Sejenrourt. 


301 


gn eine folcpe Wäu«li<pleit füprt un« S’Arronge mit feinen 
©tücfen ein. 

Wier ift*« wopl fein, fagt fiep ein Scbet, ber biefern SBUbe ber ©es 
tiügf amfeit, be« Steifte«, ber einfachen ©emütpticpfeit gegenüber gefieflt 
triib. Unb biefe« SBoplfein, ba« S’Arronge zu oerbreiten weift, tft ber 
©tunb ber groften ©»folge, welcpe biefer poepbegabte Büpnenfcpriftfteßer 
feit einer Ncipe non Sauren mit einem jeben feiner neuen ©tücfe er* 
tingt. 3cp tenne unter ben SNobernen, icp femte feit Sfflanb faum einen 
©epriftfteßer, ber für ba« gemütpticpe Vürgerleben eine fo feinfühlige 
©mpfänglicpteit unb ein fo richtige« Verftänbitift befäfte wie ber 95er- 
faffer non „SRein Seopolb", „Alltagsleben", „Wafentann« Xöepter", 
„$octor Älau«" unb „fBopltpätige grauen". 3<P fc^tiege ba« ©tücf 
„Aßtag«leben", ba« weniger angefproepen hat, nicht au«. Naep meinem 
©efüpl ift biefern ©tuet Unrecht gefchehen. 

„AHe wapr! 6« ift au« bem Seben gegriffen!" 

3>a« tft bie Äritif, bie fich toührenb ber Vorfteßung auf Afler 
Sippen brüngt unb bie $änbe aum Beifaßflatfcpen zufammenfüprt. ©« 
ift auch richtig: ba«, wa« un« S’Arronge oorfüprt, ift au« bem Seben 
gegriffen — au« bem Keinen Seben, au« befchränften Greifen, au« bem 
Spieftbürgertpum — meinethalben! SBa« fommt barauf anl Wat 
bie grofte älaffe be« tüchtigen erwerb«tpäfigen Vürgertpum«, ba« 
„rpeinifepe« ©opteuleber al« ©pecialität" oertreibt, etwa geringerni 
Anfprucp auf eine Nepräfentation in ber Dichtung al« jene klaffe ber 
©efeßfepaft, bie man al« bie ©Ute zu bezeichnen pflegt, ober ba« Xorf? 
Xie blofte Aufwerfung biefer grage ift fchon bereu Verneinung. 

S’Atronge fepreibt feine ©alonftücfe, er jepreibt ©tücfe, bie in ber 
„guten Stube" fpielen — wer bürfte ipm ba« Necpt bazu oerfümmem? 

©« lann fiep niept barum panbeln, in welcpen gefeßfcpaftticpeit 
©ppären un« ber Xicpter oerfepren läftt, unb e« ift gleichgültig, ob bie 
Suft, bie er un« jufäcpelt, raffiuirt naep Socfepctub unb *ßoubre ober 
reeptfepaffen nach ©pi! unb ©ocu«nuftöls©obafeife buftet; e« fommt nur 
barauf an, ob ba« ©tücf feinen Vorau«feftungen entfpriept, ob e« gut 
ober fcplecpt ift. 

Nun, bie ©tücfe oon S’Artonge finb gut. ©ie finb innerhalb ber 
oom 3)icpter felbft gefteeften ©renzen fogar oorjüglicp. Db fiep bie 
©renzen niept erweitern lieften, ift aüerbing« eine anbre grage; aber 
biefe gepört niept pierper. 3Bir paben feine £)ptatioe aufauftellen, wir 
paben perfecta in« Auge zu faffen. 

S’Arronge bringt burep bie Sticptigteit ber Veobacptung oon taufenb 
ernften unb fpaftpaften Gingen, bie ba« Afltag«leben bietet, unb bie 
©htfaeppeit in ber SBiebergabe biefer Beobachtungen auf ben Xpeater= 
befueper, ber burep bie treuherzige unb fcplicpte SBeife be« Autor« gleich 
oertrauliep geftimmt wirb, eine unmittelbare unb tiefe SEBitfung peroor. 
Xa«, wa« un« auf ber Büpne oon S’Artonge gezeigt wirb, paben wir 
ja alle fepon waprgenommen. Vei S’Arronge aber pat fiep bie 9®apr= 
nepmung z u * Beobachtung gefeftigt; unb wenn er ba« oon un« Un* 
beaeptete, an bem Wir oft gleichgültig oorübergegangen finb, mit feinem 
tlaren unb feparfen Auge al« eparafteriftifep erfennt, auf lieft unb un« 
lücpelnb entgegenhält, fo empfinben wir eine ganz eigentümliche ©enug- 
tpurntg. Ahr betrachten ben Winwet« gleicpfam al« einen ©ewinn, unb 
e« tft un« nun zu Nhitpe, al« würbe un« bi«per Unterjcpäpte« auf ein= 
mal mertpooß. 

Xa«, wa« icp über S’Arronge« ©tücfe im Allgemeinen pier gejagt 
pabe, pat auep im Vefonberen auf ba« neufte Suftfpiel, „SBopltpätige 
grauen", feine Anwenbung. ©« ift für ben glüefliepen unb begabten 
fieptet ein neuer unb glänzenber ©rfolg geworben, unb biefer ©rfolg 
ift ein oerbienter. ©« ift ein gefunbe«, erfreuliche« ©tücf, bem man 
mit gemäepfiepem Bepagen zufepaut unb ba« un« anbauemb in ber 
beften Stimmung erpalt. 

®ie ©atire erfepeint mir, wie icp niept oerpeplen miß, nidpt ftarl 
genug; bazu feplt wopl bem gemütplicpen Xicpter bie einfepneibenbe 
©cpärfe. 

Xem Xitel naep zu fcplieften fott ficperlicp bie gamiliengefcpicpte be« 
Werra SRöpfel mit ©attin unb $inb bie §auptpanblung barfteßen. grau 
NWpfef beftpt jene eigentpümlicpe Neigung, bie man in Berlin al« 
„Vcrein«puftpeT" zu bezeichnen pflegt, ©ie gepört aßerpanb „wopl* 
tpätigen Vereinen" an unb amufirt fiep babei fepr gut. ©ie fommt ba 
mit ©efeßfcpafttflaffen in Berührung, benen fonft bie braoe grau eine« 
reeptfamen Seberpänbler« faum napen würbe. 3n golge beffen oemacp= 
läffigt fte ipreu ÜRann unb ipren ^au«ftanb. gpr Sunge, Suliu«, 


„Sejtaner, ©oetu« B", muft feine ©cpularbeiten opne Veaufflcptigung 
maepen; ein einfältiger Xienftbote, ber unberufen ba« Amt ber ab» 
wefenben SJhitter übernimmt, bringt ipm lauter Unfinn bei, in golge 
beffen 3uliit« naepfipen muft. Xer braoe Sßöpfet ftept fidp genötpigt, 
eine frembe B^rfon al« ©ouoernante in« $au« zu nepmen. 5)a regt 
fiep in ber 93ruft ber guten grau fo etwa« wie ©iferfuept, unb biefe 
peilfame ©rjepütterung rüttelt ipr ©ewiffen auf. ©ie gibt bie Vereine 
auf unb befepränft ipren ©prgeiz barauf, in ber gamilie felbft eine 
wopltpätige VBirhtng zu üben. „3cp will bie SBäfcpe naepfepen, icp will 
bie Arbeiten Oon 3uliu« überwachen, wir Jprecpcn wieber oon Seher* 
preifen." 9Rit biefen fcplicpten SBorten wirb ber $roceft ber grünb* 
liepen Teilung eingeleitet, ift er oielmepr fepon oollbradpt. Xa« ift ba« 
epefiepe ©lücf, wie §err unb grau SJtöpfel e« gepabt paben unb nun 
wieberfinben. 

2>er ©epaben, wie er in biefern galle blo«gelegt unb gepeilt wirb, 
wurzelt, wie mir jepeint, niept fepr tief. Xiefe gute grau ift wopl 
immer eine biebere §au«frau gewefen unb geblieben, unb bie Heine Abs 
fepmenfung pat gewift niept oiel auf fup gepabt. 3)a pätte S’Arronge, 
wenn er gewollt, opne Steifet oiel tiefer greifen, unb wenn er ein 
fociale« ©ebreepen, um ba« beliebt geworbene SBort z u gebrauchen, 
wirHicp pätte „geifteln" wollen, ein gefäprlicpere« 3ui>iUibuum paefen 
fönnen. Nebenbei bemerft feplägt er aflerbing« einige SRale fräftig zu, 
unb bann fipt e« au^. Xiefe« ©oncert für bie 9G8ittwe be« oerunglüeften 
geuerweprmanne«, bei bem bie Veranftalterin beftänbig an bie glänzenbe 
©efeKfcpaft unb bie allerliebften Vorträge, aber ganz unb gar niept an 
ba« ©rträgnift unb ben 3mecf be«felben benft, biefe ßufenbung oon 
BaHfleibem für bie unglüefliepen Ueberfcpmemmten in irgenb einem uns 
befannten 9G8infel, biefe ©omit^fipung, in welcper gegen ein pungembe« 
^inb ber ©inrnanb erpobeit wirb, baft e« niept legal geboren fei, — ba« 
finb gefunbe äurecptweijuugen, bie mir beffet gefallen al« biejenigen, 
welcpe in ben Sieben be« SJiajor« enthalten ftnb. 

# Xer ÜRajor ift ber ^elb ber zweiten ^anblung, bie ftep gleichzeitig 
mit ber gamiliengefepiepte ber SRöpfel abfpinnt unb in bem Siapmen 
be« ©tücfe« auep räumlicp feine geringere Vebeutung pat al« biefe. Xer 
SRajor Oerliebt fiep in bie ©ouoernante, bie er einem Oon ipm abop* 
tirten $inbe gegeben pat. 93Bie man fepon au« biefern ©ape erfennt, 
pat biefe zweite $anblung mit bem SRotioe be« Suftfpiel« „9Bopltpätige 
grauen" eigentlich niept« gemein. Xie ©ouoernante wirb gar niept in 
bie Sage oerfept, ipre Stellung zu ber grage ber grauenwopltpätigfeit, 
wie fie jept in affectirter unb miftbräueplicper 9Beife oon ©inigen be* 
trieben wirb, zu befunben. Xafür fpriept ber SJtajor um fo beutlicper, 
mitunter wopl mit z» erhobener ©timme, etwa« gar zu fcpwer unb zu 
breit unb zu gewieptig für bie tücptigen ©infaeppeiten unb fittlicpen 
©elbftoerftänblicpteiten, bie ber ©prenmann un« zu Jagen pat. 

Aber tropbem maept fiep in biefen ernften ©eenen ein wefenttieper 
gortfepritt gegen bie früpereit ©tücfe S’Arronge« benterfbar. 3Bte ge= 
fepraubt unb aufgebaufept war ber patpetifepe ©til in $afemann« Xöcpter! 
3m Vergleich bazu ift pier bie ©cplicptpeit be« Au«brud« in biefern 
©tücfe warm zu loben, ©anz ift ber beclamatorifcpc Vortrag «War noep 
nidpt befeitigt, unb einige Sieben mit bem Xrücfer am ©nbe fönnteu 
naep meinem ©ejepmaef füglicp noep fepr gefügt werben. Auep ber Bei* 
fall be« publicum« pat miep in biefer Auffaffung niept beirrt. Aber 
wenn miep auep bei biefer ober jener Xirabe einmal eine Anwanblung 
Oon Ungebulb überfam, fo wäprte biefe Stimmung boep immer nur eine 
ganz furze Seit, ba S’Arronge burep feinen prächtigen $umot immer 
wieber bie Stimmung zu beleben unb zu einer Weiterleit, über bie mau 
fid) auep naepper niept ärgert, anzuregen weift. 

SBenn man fiep unb Anbern flar maepen will, wa« an S’Arronge« 
©tücfen befonber« gefaßt, we«palb man über biefe« unb jene« fo perz* 
paft gelacpt pat, fo gerätp man, fobalb man Bewei«ftü<fe für ba« ©in* 
Zeine erbringen wifl, immer in eine gewiffe Verlegenheit. 3Ran fann 
eben nur aügemein fpreepen, e« ift ba« erfreuliche ©anze, an bem wir 
unfern ©efaßen paben. Xaft Werr SRöpfel, ber fiep im Nebenzimmer 
umHeibet, wäprenb grau Sftöpfet einen abeligen Affeffor in ber guten 
Stube empfängt, Oon biefern Nebenzimmer au« laut naep feinen SDber* 
pemben oerlaugt, bie er niept finben lann, unb al« er fte enblicp gefunben, 
in W em ^ örmeln * n Befucp«ftube fommt unb ftep barüber betlagt, 
baft ber ftnopf abgebügelt ift, — gerabe wie 3ulien, ber Ntonu ber 
„©abriete" in bem Augier’jcpen Suftfpiele, an ba« S’Arronge ficperlid; 


gar niept gebaept pat: 


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302 


fl 1 1 ®fgemtmrt, 


Nr. 45. 


. . . Gabrielle, hors chez nous oü voit-on 
Chemise de man n’avoir pas un bouton? — 
unb bag #err 2Röpjel eS nicpt einmal für notpwenbig erachtet, fiep 
»egen feines foitberbaren Aufzuges Oor bem ©efucp ju entfdjulbigen, — 
baS macht freilich auch bei ber biogen 92adjer§äl)lung einen lomifcpen 
©inbrud; baS braufenbe unb fchalfenbe ©eläcptcr aber, in baS baS HauS 
bei biefer Scene auSbricht, lägt g<h nur aus ber Stimmung heraus 
begreifen, in bie ß’Atrongc ben 3ufd)auer oon oorn herein oerfegt, unb 
in ber er ihn ju erhalten wcig. Unb fo gibt eS Xugeitbe oon gälten, 
bie ich pier anführen tönnte. 3<h mug eS mir inbeffen pier bei bem 
$erfucp genügen taffen, baS neue ßufffpiel im Allgemeinen cparatteriffrt 
ju paben. (5$ ift ein einfaches, liebeitSWürbigeS unb üoMommen ge¬ 
lungenes Stüd, baS SBerf eines recptfcöaffnen, fcparf beobacptenben, fepr 
gefcpidten unb begabten 93üfjnenfdjriftftelier§. 

Xie Aufführung war ausgezeichnet. 3<h rottl ohne Präbicate pier 
nur bie tarnen ber SRitwirlenben, bie ffdp ein befonbereS SSerbienft um 
bie Aufführung erworben haben, nennen: bie Herren Kabelburg, Elende, 
Engels, ©utperp, bie tarnen Tarifen, Ulrich, 9tteper, Schwarz, Söffler 
unb Schmibt. Xte Aufnahme war, wie fchon gefagt, eine in jeber §8e= 
Ziehung glänzenbe. 

paul £inbau. 


Die 53. Ausfüllung ber Äimijjlidieii Akabemte ber 
Äätifle ju Berlin. 

IV. 

©uffaö 9RütlerS ficilianifcpe Kirchengängerin, Original * SBieber* 
hotung eines in SRuncpen auSgeftellten SBerlS ober boch eine SBieber* 
polung beS bunleläugigen Originals, zeiö* ben Künffler im unüer* 
minberten a3efig jenes SchönpeitSffnnS, ber zuüf<pen ben ©oburger 
Sörübern wie ein ererbtes gamiliengut geteilt zn fein fcheint. XaS 
Schöne entwidelt fich in ihren Arbeiten zn einem ganz felbffftänbigen, 
bicSfeitS ber ©renze mobernen ©mpffnbenS belegeiten ^Begriff, ber an 
ber Klippe fügücher Trivialität ftetS mit Sicherheit herumtommt. Xie 
technijchen Oualitäten beS pinfelführenben 33ruberS leigen willig unb 
in befcheibener Unterorbnung ihre Tienfte, ohne, wie bei bem anberen, 
auf eigene SRecpnmtg anzuziehen. 2Ran belaftet fein äfthelifcheS ©ewigen 
nicht, wenn man oor folcpen S3ilbern mit SBepagen oerweilt. 

An ber Hanb beS frommen KinbeS gnben wir fidler ben 2Beg zu 
höheren Legionen, wo bie Kunff ihres Amtes im Priefferlleibe waltet, 
gaff !önnte mich A. 0 . SBernerS 3iuSgrofcpen zur Umlehr oeranlaffen. 
SBenn’S möglich ift, bag Künffler von feinem Gleichgewicht ba oben fo 
haltlos auSgleiten, WaS fleht bann oon anberen zu erwarten? 3<h hatte 
mir alles Xenlbare oor unb fuche mir bie SRätpfel, welche biefe weihelofe 
unb unoermittelt harte garbengebuug, biefeS augeftrichene gleifcp bem 
mit SBernerS Kunffübwtg oertrauten Auge bieten, bitrch Stüdficht auf 
lofale SBerpältniffe zu erflären, ja ich baue barauf, bag milbeS Kirchen¬ 
licht auS hohen Seitenfenftern bem SBilbe einen ibealen girnig geben 
Wirb. Aber wie weit förbert uns baS in unferer Xheituapme? SRir 
liegt eine ganze SReipe fünftlerifcher unb religiöfer ©mpffnbungen nicht 
fern, bie ben Sinn eines mobernen KünfflerS auf bie Xarftellung beS 
„3inSgrofchenS" zu teufen unb feine ppantaffe zu befruchten öermögen, 
obgleich ber Stoff an unb für fich nicht gerabe in bie ©rfepeinung brängt. 
Aber hter pält ber 9Rangel ber ©mpffnbung mit bem ber ppantaffe 
gleichen Schritt. 3Bie S^manb baS Stubium ber QuriSprubenz wählt, 
weil er zur $dt ber ©ntfcplugfaffung gerabe leine ftärfere Hinneigung 
Zit anberen Stubien empffnbet, fo matte SBerner ben „SütSgrofcpen", als 
eine feine Xentweife ehrenbe Pietät bie SBapt eines bibtifchen Stoffes ; 
nothwenbig machte. 3<h fühle leine 53eforgnig, bag er ffd) biefem ©e* 1 
biete mit SSortiebe zuwenben tönnte. 

©anz anberS fchaut ber „tröftenbe ©nget" oon piodporff brein. | 
Ohne ein bebeutenbeS SSerl zu fein, ift eS burcpauS charatteriftifch für I 
baS tünftlerifche SBirlen unb ©mpffnben feines Urhebers unb lägt mit 
Schärfe bie Grenzen erlennen, innerhalb beren baS Schaffen beS KünfflerS | 
eine felbftgänbige SBebeutung hat. XaS religiöfe Pebürfnig beftimmter i 
empgnbfamer Kreije oevlangt trog aller protegantifchen Abneigung gegen 


ben ©ilberbienff nach einem äftpetifepen AuSbrud für bie bewegenben 
3been chrigticher Sgmbolil, oerlangt barin weit ©bleteS, als bie ber* 
fiegenbe Probuction bem nicht mehr mit tinbifchem Xanb zu befriebigenben 
(Sefchmad im Allgemeinen zu bieten oermag. So wenig reif biefer 
Xh c tt beS $ublicumS ift, fidh mit ber fubjectio ftarlen AuSbrudSWeife 
beS ©enieS zu befreunben, fo begimmt will eS feinen Anfpruch an 
(gmpffnbungSwärme unb gormenabet befriebigt fefjen, unb nidht leicht 
möchte ein Küngter genannt werben, ber bafür ber SJtamt wäre, wie 
aßtodhorff. Auch biefer ©itgel wirb feine fdjöne SRiffton, weiblichen 
Seelenfchmerz z u linbern unb zu löfen, treu erfüllen, wenn ihnt bie 
Photographie ober beffer noch bie bewährte £anb eines unferer Schwatz* 
füngier bie SBege bahnt. 

Harrach fcheint fuh auf bem ©ebiet, baS er mit bem Opfer Abra= 
hamS betreten unb in einem oor ber ©unbeSlabe tanzenben 3>aüib nicht 
ohne 53eforgnig zu erregen verfolgt hat, ganz h^utifch machen zu wollen. 
$)ie „iReue Petri", eins ber h e *oorragenbften SBerle ber bieSjährigeu 
AuSgelluug, nach bem (Srabe feines SmpfinbungSgehaltS innerhalb eine! 
über ben SBechfel gleichzeitiger SebenSerjcheinungen ebenfo hoch alS über 
ber Sßanbelbarleit higorifcher Spiegelungen f^webenben SSorwurfS weit* 
auS baS herüorragenbfte, zeigt, bag ber innere Trieb ben SReiger richtig 
geführt hat. 3war ftnb auch hi^ nic^t phantaftebeherrfchenbe Xppen 
gefepaffen, bie fpmbolifchen ©runbzüge nicht erfd)öpfcnb in ibealsmonu* 
mentale gönnen gebannt; bie Auffaffung engt fich ein in bie fiaffelei* 
bilblichen Grenzen, b. h- fie baut ihr lünfilerifcheS (öebäube auf bem 
©runbe ber htgotifch=finnlidhen ©egaltung unb ber maierijehen Sers 
törperung beS Stofflichen auf. Snnerhalb biefer ©renzen erreicht fie 
AugerorbentlicheS. 

3ch flebe ben ©egnern beS MilbeS Oorweg preis, WaS ich Iwran 
miffen tatm. So oerführerifch eS war, geh an bie SBorte beS ©oangeli- 
ften SucaS zu halten: „Unb ber $e?r manbte fich unb fah Petrum an/ 1 
fo fchlog bod^ bie Hereinziehung biefeS erhabenen, oon ben anberen 
©Oangeliften nicht erwähnten SRomentS eine gleidjfam epifobifche öe* 
hanblungSweife in ber Xarfteüung beSfetben auS. SBer baS zu malen 
unternahm, mugte alles Uebrige unterorbnen. Xie ©rfepeinung ©h r '^ 
würbe unS an ber Stelle, wo ihn ber Künffler mit Anwenbung einer 
etwas theatralifchen ©ouliffenardEjiteftur fich nach öem Vorgang um* 
flauen, nicht etwa ben S8Hd beS SüngerS treffen lägt, unbebenfUch auch 
bann befremben, wenn fie bie Aufgabe einer göealerjcheinung beffer zu 
erfüllen im Stanbe wäre; bie moberne Polizeiroutine, mit ber ber 
KriegShtecht beit H^tn beim SRodfragen oor geh h er f ü h*t/ »ürbe 
bann aber fidler noch mehr oerleben. Xer organifche Sufammenhang 
biefeS unentwidelten ©liebeS ift, wie gefagt, lein fo inniger, bag 
feine Ausleihung baS Seben beS äöerleS bebrohen tönnte. 5Jer* 
gegenwärtigen wir uttS ben Vorgang nach ber Erzählung ber ©oan= 
getiften, bie ber ©egenwart beS H err u nicht gebenlen, fo gnben wir 
ben gnnlichen 3uhalt in HarrachS Xarftettitug mit tnappen SRitteln 
überzeitgenb zur Anfdjauung gebracht. 3u bem oon bem wintligen 
Guaberbaue beS PalaffeS unb ber anftogenben aRaucr gebilbeten H°f 
haben bie KriegSlnechte ein geuer angezünbet, beffen Schein gegen bie 
auffteigenbe XageSheHe zu erbtaffen beginnt. Sie finb beS SärmS um 
ben SRann oon Nazareth mübe. Ob ber grembe, ber fich an ihrem 
geuer mitgewärmt, ein ©alitäer ober gar einer oon benen ift, bie mit 
3efu waren, lägt ge im ©runbe gleichgültig; einer ber bret hunbfeffen 
SSurjcpen ift eingenidt; ber jüngffe lehrt fich r °h ladjeitb nach Petrus 
um. Xie SRagb, bie ben gremben bei 3«fu gefehen, weift mit ber Hanb 
nach ihnt, inbem ge bie zum ©ingang beS PalaffeS fiUjrenben Stufen 
im Hintergrunbe hinaneitt. Auf bem SBeinftod an ber SRauer g|enb, 
üertünbet ber H Q hn ben Seinen mit h^nt Krähen — man lann bie 
Xpnamil beS KrähenS mit ben SRitteln ber 3etchnung charalteriftren — 
ben nahenben Xag. Petrus blidt bei bem Klange oernichtet oor 
fich nieber. ©S war ein gtüdlicher ©riff in bie Statur, bag ber Küngler 
ben Schwanlenben mit einer Hanb burch ben leifen Xrud ber auSgebreiteten 
ginger gegen bie 9Rauer, neben ber er fiept, einen Halt fuepen lägt. 
SBaS biefem Petrus an tppifcher Kraft mangelt, baS erfefct ber padenbe 
AnSbrud eines SeelenüorgangS, ben in maleriffher Xargeüung zu er* 
fepöpfen fd^on für fiep ein felteneS 9Reifferfiud bebeutet. SBie auger^ 
orbentlich wirb aber bie Stimmung burch öie ©egenfäjc unb ben farbigen 
3ufammenllang gepöben! 3Rag man ben Sieg beS XageSlidfjtS über 
ben geuerfdpein nur als realiftif^e SRaturfcpilberung empgnben, mag 
mau bem Künffler barin einen fpmbolifchen ^Rebengebanlen zumutpen 


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Nr. 45. 


Ute ÄegenuMirt, 


303 


immer wirb man ben teeßnifeßen Surf uitb ga^IIofe geinßeiten, wie fie 
namentlich in bem ©egeneinanber ber ungleichartigen Nefleje $u be= 
obadjten fiitb, bewunbern müffen. 

HB neue Erfcßeinung fteßt fic^ Otto ftirberg (Xüffelborf) mit einem 
Silbe Don noch oiel concentrirterer EmpfiitbungSftärfe — unb trop ber 
Entlegenheit feines Stoffgebiets barum hier entreißen — in ben 
Vorbergrunb beutfeßer $unßbeftrebungcn. Xaß Einer oon ben Sielen, 
bie im Kampfe mit bem unerbittlichen Element bem Scßidfal ißr fargeS 
Vrob abringen, ein „Opfer ber See" geworben ift, in roem fönnte bie 
Vorßetlung baoon ben Sunfcß erregen, bie bilbenbe Ihtnft ficf> biefeS 
alltäglichen gammerS menfcßücßer ^mlflofigfeit aus Neue bemächtigen 
ju feßen? Unb bocß hat h* er ein HnSerwäßUer in folcß beengenber 
Sphäre anf äfthetifch feft gegrünbeter VafiS ein ftunftwerf gefeßaffen, 
beffen tragifche ©ewalt ben Vefcßauer über jebe brüdenbe Empfinbitng 
beS ElenbS ßinouSßebt unb mächtig ergreift ohne ju oerftimmen. ES 
ßedt fehr üiel mehr reflectirt feine unb lehrreiche Hbwägung in bem 
Silbe, als ber einfcblageitbe Einbrud aunäcßft erfennen lägt. HlIcS fieht 
gan$ jufättig aus, wie unter ber Verwirrung beS Moments eutftanbeu. 
ÄechtS auf bem Voben längs ber blaugrün getünchten Hüljmanb eines ßödjft 
cßarafterißifcß unb gewiß auf ©runb treuer Stubien auSgeftatteten gnnens 
raumeS bie h a ^ 8 ugebecfte Seiche beS Ertrunfenen. Ueber ihm tnieenb 
unb in ihrer Verzweiflung mit ben Hauben au ber Sanb §alt fuchenb 
fein Seib. SinfS ber in ben Stuhl gefunfene Vater, bem zwei Äameraben 
trößenb beiftehen. gm §intergrunbe eine gefchloffcne Neiße üon § 04 = 
feßränfen, beren bunte Vemalungen unter bem einfaßenben Sonnenlichte 
in feßneibenbem Eontraft jur ©rnnbftimmuug auflebeit; baüor rechts 
neugierige Seiber, linfS ein Sdjtffer, ber einem anberen erzählt, wie 
fle ihn gefunben, unb wie eS ihm gelang, bie Seiche §u bergen. XaS 
©eßeintniß biefer jmatiglofen Nnorbmtng liegt barin, baß ber Zünftler 
unferen Süden alles baS entzieht, woran fich bie neugierigen Seiber 
im ^intergrunbe nicht jatt fehen fönneu. Sie fid) ber Schmerz in ben 
©efießtem ber ^Betroffenen malt — baS was uns bie meiften beutjehen 
Eoßegen beS MnftlerS in rührfeligfter Vreite gefchilbert hatten — 
jeigt er uns nicht, gm Vollgefühl einer ungewöhnlichen Äraft fiüpt er 
fich lebiglicß auf bie HuSbrudSfäßigfeit beS EontourS, unb baß er fo 
mit großen Bügen ganz fein gicl erreüßt, wirb ihm, benfe ich, &on 
feiner Seite beftritteu werben. Xazu fteßt ihm bei einer faft ftrengen 
HuSeinanberßaltung ber fühlt gehäuften Sofalfarben bie ooße Sucht beS 
XonS, ein wahrer Orgelflang, jur Verfügung. 

gn biefem Serfe oereinigen fich Vorzüge, wie fie auch ber routinirte 
Äünftler nicht leicht §um ^weiten Ntale jujammenbringt, unb faft möchte 
ich annehmen, baß ein fo ganzer Erfolg bie nächfte Bitfrmfl beS außer= 
orbentüchen XalentS nid^t zu einer bequemen machen wirb. Ein ^weites 
Vilb, „SNufifalifcße Unterbrechung'' — ein nafeweifeS $äpcßen, baS einen 
luftigen Schifferburjcheit jur greube ber umgebenben Seiber in feiner 
Hebung auf ber giehharmonifa ftört — ift ooß gefunben §umorS, 
fräftig unb ganz echt. Hber wer würbe wagen, barin ben ßfteifter beS 
anberen VilbeS oorauSjufagen? 

Senn mich Kirberg ergriffen hat, wie lange deiner oor ihm, jo hat 
mich Scheerenberg erbaut, baß ich’S ihm nidjt genug bauten tann. geh 
erführe Wohl gern einmal, was für bie $lacirung feines VilbeS „Xer 
Xag beS #errn" maßgebenb gewefen ift. Xaß eS 001 t fielen überfehen 
worben, bin ich überzeugt. Hber ich möchte auch öerfießern, baß fie ben 
Stfaler beShalb nießt oerantwortlich machen bürfen. Sie foß ein Veilcßcn= 
ftrauß in ©uirlanben oon ©eorginen unb Sonnenglanz feine Sirfung 
thnn! 3um ©lüd ift ber Vortrag beS Malers weber querftreifig noch 
feinförnig; baS 3icßt hat ihm wenigftenS feinen Abbruch gethan. 

ES iß grühling unb Sonntag; am Sege blüht ber Apfelbaum, 
gm ©runbe brängen fich bie rothen Xäcßer beS StäbtcßeuS um bie 
Xßürme traulich jufammen. Von bortßer, wo heute ber ^faner ein= 
gefeguet h ft t/ feh rt &raoe 5 rau mit ihren beiben Xöchtern h^im, 
gegen ben ©erm Oon Xanf erfi'tßt, baß bie ältere in bie lird)lichc ©e- 
meinfdjaft aufgenommen ift. XaS überjeugt, baS fdjreibt fich tief inS 
©ebächtniß unb oerfcßließt ben ^Diunb, ber fich S u ^ergefommener 
jeugung beS SeifaßS aufthun wifl. Huch fold) ein Serf fteht in bem 
Schaffen «neS ÄünßlerS bis $u einem beßimmten ^Diaße ifolirt ba. Xie 
Shaft baoon liegt außerhalb ber 93eherrfd)ung fünftlerifcher Mittel. 

Eh- £. 


^Cottjeit. 

^3uch ber SeiSheit aus ©riedhenlanbS Xicßtung. $on Äarl 
S9ed, ^ßrölat in £>all.*) 

Xer Herausgeber fteßt ben ficbeit Seifen ©ried^enlanbS bie fieben 
Scijen oom ßeßenifchen $aruaße jur Seite, nämlich H°mer, H e ßab, 
^iubar, bie brei großen Xragifer: HefcßploS, SophofleS, EuripibeS unb 
ben itomifer HriftophaneS, unb bringt oon ihnen nach Ueberfepungcn 
üon 3^oß, g. X. Sftonimfen, Xonner, SJhndwip, Seeger, Sftörite, Dotter 
unb in eigener Ueberfepung Sprüche ber SeiSheit nach folgenben 
SHubrifen: l. Xie ©ottßeit: Xie griechijeße ©ötterwelt, Unglaube unb 
gweifel, baS ewige ©otteSwalten, bie Seitregierung, bie Vergeltung. 
2 . Xie 9)ienfd)heit: Xer Sttenjd), 9)tann unb Setb, Volf unb Vater- 
lanb, beS Sfteitfrfjcn äußerer unb innerer Sertß, Xob unb Seben. XeS 
Sammlers Veftrebeu geht bahiit, „mit ber gufammenfteßung ber in ben 
Serfeit ber großen Hlten niebergelegten Sprücße unb Hnfcßauungen 
über ©ott unb SDtcnfch, Seit unb ben £dben unferer 3^it ben 
Spiegel eines ebleren HcibeitthumS oorjußalten unb weiteren Greifen ein 
©efammtbilb oon ber in ber flaffifcßen 3cit oon HrilaS in biefem Volle 
üorhaitbcnen Subftans beS geiftigen unb fittlicßen SebenS, bamit aber 
auch einen Veitrag §ur Söfung ber grage ju geben, waS im beßen 
gaße ber reinen Humanität als foldjer erreichbar ift." 

XaS Vud) iß ein waßreS S^apfäßleiit, ju bem man immer unb 
immer wieber greift, unb wir „moberuen Heiben" h a be« aßen ©runb, 
bem Herausgeber für ben Spiegel, ben er uns oorhält, recht banfbar 
ju fein. XaS Vänbcßen iß feßr elegant auSgeßattet unb eignet ßd) be- 
fonberS ju ©efeßenfen. Namentlich wünfdßten wir cS auch in ben 
Hänben unferer grauen unb gungfraucn. Karl Doümößer. 


Offene Briefe unb jUitwarten. 

5 - ßctober 1879. 

Vereßrlicße Nebaction! 

gn ber oorlepten Nummer gßrer gefeßäpten „©egenwart" laS ich cinc ” 
intereffanten Hrtifel über bie übertriebenen, juitächft haltlojen nationalen 
Hnfprücße, welche bie gtaliener gegen Deßerreicß rießten. Xer Hrtifel 
weift jene Hnfprüd;e mit Necßt jurüd, inbem er ß^üorßebt, baß fein 
einziger Staat Europas eine abfolut abgefcßloffene nationale ©e= 
oölferuitg enthalte. 

Xrop biefen unb maneßen anberen Saßrßeiten, jeßeinen aber in 
bem erwähnten Huffape einige grrtßümer enthalten, beren Vericßtigung, 
in rein wiffenfcßaftlicßer, faeßüdher Seife, icß mir erlauben möchte. 

gn bem berührten Hrtifel wirb nämlich bie frühere ©raffeßaft Ni^a 
in nationaler Vejiehung ju gtalien gerechnet, alfo üon gtalienern 
bewoßnt hingeßeßt. XaS iß aber ein ihatfäcßücßer grrtßum, ber an ber 
Hanb ber ©efeßießte ber früheren ©raffeßaft, beS heutigen franjöfiftßen 
Departement des Alpes-maritimes, unfeßwer itacßgewiefen Werben fann. 

Xie Ni^arben pnb feine gtaliener, fonbern V«ooen 9 alen. Xie 
Sanbbeüölferung NijjaS fpraeß unb üerftanb niemals bie italienifcße 
Schriftjpracße. Selbft oiele gebilbete Ni^jarbcu oerßanben baS gtalienifcße 
nießt, faßS fie eS oor ber Hnejion beS fianbeS in ben bamaligen pie- 
monteßfcß-itaUenifchen Spulen nießt erlernt hatten. Sämmtlicße Ni^ 
warben, ob gebilbet ober ber VolfSflaffe angehörig, fpraeßen unter 
fieß ftetS prooenc^alifcß unb bebienten fieß niemals beSgtalienifcßen, 
baS ißnen ftetS ein frembeS gbiom gewefen. UeberbteS war in ber 
Stabt Nijja, felbß jur 3^t als baS Sanb noeß ju gtalien (^iemont) 
geßörte, bie feinere Umgangs^, HonbelS= unb ©efcßäftsfpracße auSfcßließücß 
bie franjöfifcße gewefen. 

Xtefe Xßatfacßen ßabe icß bureß einen achtjährigen Hufcntßalt 
in Nijja oor unb nach ber franjöfifcßen Hnnejion fennen gelernt. 

Ntit oorjüglicßer H oc h a cß tun 9 ergebenft 

K. €. IDiesner* 


*) HeÜ&nmn 1879, ©ebr. H^ninger. 


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li t OefenmcrL 


Nr. 45. 


9 * f < t * t e. 

Der neue Catalog der 

Collection Litolff 

durch jede Musikalienhandlung gratis 
und franco zu beziehen. 


3n Ctrl ©intern Uniöerfit&tgbuchhanb- 
lung in fteibellerg tft foeben erfdpenen: 

£><$I-&Iltg. $ag fanontföe Sieben 
buch ber S^tncfcn. ®u& bem ®f)ine= 
fifchcn überfefct unb erfl&rt bon 
ßiftsr bau $tr*nf. gr. 8. eleg. 
brofch. 17 JL, feljr eleg. geb. 20 JL 
„(Ein ©eitrag ju ber bon Qtoetbe einmal 
als bifiberat bejeic^netcn „IlUgememcn 
©eltliteratnr“ ift foeben bon einem 
unferer jcharffinnigften unb gelehrteren 
gorjdjer ^anbfchriftltch bollenbet unb brud= 
fertig geftettt morben. ... ®S fehlte unferer 
ÖTteratnx an enter originellen Ueberfefcung 
beS ®i|l’t!ng. $te ßftcfe ift bon 6trau! 
nun auftgefüttt morben unb jmar in einer 
©eife, bafj nach bem Urteil beS Sino¬ 
logen 9alelenh in £ety$ig baS ©er! 
„ einen lödtf herborragenben ©l*t in 
ber HelerfebttttglUterttnr «Uer Seiten 
nnb fcänber einnchmen mirk". $ie Samm¬ 
lung toie fte wftliegt enthält 306 lieber, 
bon benen fünf über baS 12. öorchriftliche 
Sahrljunbert binauSreicben, bie übrigen 
bem 12. gabrljunbert angebören; ihre 
©djlu&rebattion fanb 483 b. tfK ftatt. 
2)iefe chineftfdjen Sieber hoben nur an ben 
Wahnen ber gebetet unb ber JBeba ber 
3nber 2Uter3genoffen, ju benen neuerbingS 
einzelne Stüde ber afforif<ben Siteratur 
hin$ugetreten ftnb. . . . ohne ©enufj 
mirb man auch hi er gefahren mie baS 
rein SWenfdjttcbe fi<h unter allen ßonen 
unb $u allen $eiten gleich bleibt, fo fel)r 
bem TJeutfchen beS 19. gahrhunbertg baS 
tthina bor 3000 3 a h ten auch eine frembe 
©eit, hto burdj bie ©hü^f^ M<h 5 
tenben ©olfSgeifteS lebenbig auögejfaltet, 
bleiben mirb.... 2Hefe Sieber unb %t- 
fftnge, rnelche ben ganzen oben bewidmeten 
Seitraum (bom 18. bis 7. 3ahrg.) Durch- 
Hingen, gehören ber $lüthe$eit alter c3^inc^ 
fifcher Kultur — ^u Anfang ber Xfälu? 
Ttynaftie — an; mir ijabtn in SdlDIIng 
alfo bas claffifche £iebcrtm<hber (Shmefen... 
$te f igenthümltdiffit ber alten $incfif(hen 
Sieber fdieint mir in niuta4aimU(|rr ©eife 
erhalten: bie Uelerfebnng Ifr in formeller 
8c|ich«ng tum hoher ©oHenbnng. 

(Ängtb. Aigeneine .Bettung.) 


aOBHKECKBH'B 

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aendem Halter 60 Pf.) 

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F. Soenneoken’sVerlag 
Bonn «. Leipzig. 


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Kl. u. gr. Bibliotheken kauft zu hohen Pr.: 
E. Weldlich’s Antiqh., Leipzig, Frkf. Str. 34. 


Unentgeltich ift in ben meifien ©udjhanb* 
langen ju haben: 

ISetjer’s »erjei^itife ber Ihnigftiten 
beb bentf^en 8 ^||ottbeli. 

(Sine in 2—4möche«tL Bmifthageäumen er= 
fd)etnenbe Ueberfüht ber neuefien Wobucte auf 
allen Gebieten beg bentfehen ©üchennartteS. 

Sollte bal ©latt in einer ©mhhnn^lung nicht 
,^u erlangen fein, fo menbe man ft<h birnt an 
ben ©erleger flanl Seher in SeibM* 

ttaaltt’s &änflUr-ft«ib«K 

lauft «. Uenenhahn^ ©uchhanblung in 8erlin f 
ftommanbautenpr. 9lr. 77—79. 

Neue Katalog» 

über m. autiquar. Bücher-Lager, ca. 200,000 
Bünde, gratis-franco« Angabe d. gewünschten 
Wissensch. erbeten. 

L. M. Glogan Sohn, Mamburg. 


3m Serlog oon 2. Itetact ia Wni ttfätn 
unb ift burd) «Ke Bm^^wrthrujen p be)i^jai: 

^•alliage. 

©efommette S 3 auerngef(^i(^ten 

»Ott 

&. JlttieagtraBcr. 

2 2^eile. ^reig 6 JC otb. 

Dtefe acht $efRichten, meü(g, alg fk auerfi 
in geitfehriften unb SahebÜchern erfchienen, (ehr 
beifdüig aufgenommen nmrben, merben m», ba 
fte gefammelt borliegen, gerne Abnehmer fidben. 
„S)er gottüberlegene 3nlob", ,,©ie bet ®nber 
unglftubig mürbe ^„3)ie fromme fiatbrin ’", 
„2)ag Sünblinb" :c. :c. haben burcü beg uutor# 
unb bed $off(haufpie!erg Semingth ©orlefmtg 
Senfation gemalt. 5ür emXalent, mie Ungen- 
gruber eö ift, barf ber ©erleget mohl pch jebe 
meitere Änpreifung erfparen. 


SS* Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig. 

Beachten8werthe Kammermusikwerke. 

Barglel, W., Op. 16a. Oktett für 4 Violinen, 2 Bratschen und 2 Celli. Cmoll. Partitur 
JL 9.—. Stimmen JL 12.—. 

Sreudseu, Job. S., Op. 3. Oktett für 4 Violinen, 2 Bratschen und 2 Violoncelle. Adur. 
Partitur JL 7.50. Stimmen JL 11.25. 


Irl)ber, 0., Andante für Oboe mit Begleitung von 2 Violinen. Viola, Cello und Bass. JL 1.75. 

Herzogenberg, II. y., Op. 17. Quintett für Pianoforte, 2 Violinen, Bratsche und Violon- 
cell. JL 13.—. 

Spengel, J«, Quintett für Pianoforte und Streichquartett. JL 11.—. 

B&rgiel, W., Op. 166. Quartett No. 3 für 2 Violinen, Viola und Violoncell. Partitur 
JL 3.—. Stimmen JL 4.50. 

Bellcz&y, Jnl. y., Op. 21. Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncell. Gmoll. JL 6.—. 
Fttzenhagen, W., Quartett (Dmoll) für Pianoforte, 2 Violinen, Viola und Violoncell. 
JL 7.50. 

Maas, Louis, Op. 3. Erstes Quartett für 2 Violinen, Viola und ViolonoelL Fdur. JL 10.75. 
Naumann, Ernst, Op. 9. Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncell. *£7.50. 
Rauchenecker, G., Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncell. JL 6.—. 

Rlemann, Hugo, Op. 26. Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncell. Gmoll. JL 5.—. 

Wilm, N. y., Op. 4. Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncell. Cmoll. JL 6.75. 

Holstein, F. v., Aus der Oper „Der Haidesohaeht u . Für Pianoforte, Violine und Violoncell 
übertragen von J. N. Rauch. JL 5.—. 

-Desgleichen aus der Oper „Der Erbe von Morley 4 *. JL 5.50. 

Huber, H., Op. 20. Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell. JL 11.—. 

Jenson, Gustav, Op. 4. Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell. JL 7.—. 

Parry, C. Hubert, H«. Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell. Emoll. «£9.—. 
Pringsheim, A., Mnsixalische Bilder aus R. Wagner's „Tristan und Isolde“. Für Piano* 
forte, Violine und Violoncell. Heft 1. Seefahrt JL 4. —. Heft 2. Liebesnacht .£8.75. 
RÖder, Martin, Op. 14. Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell. Emoll. JL 12.—. 

Woiff, Gustav, Op. 17. Zweites Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell. Dmoll. 

JL 8.50. 

Züller, C., Op. 51. Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell. JL 11.60. 

Shearman, Samuel Thomas, Qnatnor en sol mineur pour quatre pianos. JL 9.—. 
Demnächst erscheinen: 

Fiedler. Max, Quintett für 2 Violinen, 2 Bratschen und Cello. «£5.50. 

Jadassoiui, S., Op. 59. Drittes Trio für Pianoforte T Violine und Cello. JL 5.25. 


===== Olio d’OKva di Lucca. ===== 

Vttetfeinfte* OliDen-Spetfefic! ans Succa in Qtalien jn Salaten, SRajonaifen, Saucen k. 
aud^ als mtbi)init$eg Otl Dm |cil{amflec SBirtmtg, in unftbexteoffener Sieinbeit nnb Srrfcb«. 
$rei» ä üitet JC 2.70 in gouen unb falben Stterflaf^en. — HBHnige Mittle 
in Berlin, 8immctgr. 8 gtr. na feer flHI)elnMhtn|t. 

Sttmt ä fomp. 


ftietjn eine Beilage »an feer 8erl«ggfeni||Mfe(mg 3. Bngelgarn in Stnttgart. 

m^rüm, N.W^ ÄtBnprinjenufet 4. gftt bie ttebactioit oetant»ortH^: ge«ff atlflU in Merftn. ftHbitten, Merfta ©e^cen-6iraie 4. 

StiMt »on ?.#. |ml*n in 


Stint bon M. #. fenSner i 


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X46. 


$Serfin, beu 15. flpoemöer 1879, 


Band XVI. 


pt 6egciiumrt 

äöodjettfdjrift für ßtteratur, Äwtft unb öffentliches ßeben. 


Herausgeber: 'gfctttC c£in6(tU in ©erlin. 


fehl Isnutak nf^ciat riu Jisuitt. 

Bi* B«5iefecn bunfi alle BudrtaiiMuttaen unb fBoflanfl alten. 


SSerteger: @eorg Still* in Berlin. 


fitts ps 9amt«l 4 gtafc 50 |f. 

Qufevate jebec Ärt bto Sflefpattene SSetUaeik 40 $|. 




$a# SReCbt ber Wctiengefellidjaft unb bie Weform beleihen. Bon $. 8 . Oppenheim. — fiiteratar unb ftuuft: SWorij ©aupt. Bon 
©. XI). SW. — Da» Begräbnis be» Dichter» Bufcptin. Sott Borealis. — gu ©oetpe» 130. ©eburtätage. geftfdjtift oon ©buarb 
SS- ©abett. Bejprodjen »on fiubmig ©eiger. — Die neueften ©jperimentalunterfudjungen über bie Seele. Bon 2R. Victor. — 
Hn» ber $*tu>tftabt: $„3 ^fjxiblicum unb ba» Sdjaufpiel: „©ine ©be oon heut". Bon Sßaul Sinbau. — Die 53. ÄuäfteHung ber 
fiönigtidjen Kfaberaie ber Äünfte ju Berlin. Bon XI). 2. V. — Wotijen. — gnferate. 


Bas tttdjt ber ZXrtiengefellfdjnft unb bie Befornt 
besfelben. 

S3on fj. 33* (Dppentjeim. 

3n bet testen ©effion be8 9tei<f)8tag8 be« norbbeutfdjen 
©unbe«, furj oor bent Sfa«bru<h be« großen Äriege«, tarn al« 
ein abfchliefjenbe« ©lieb ju einer 9teit)e wirthfchaftlid) befreienber 
©efefce, ba« ©efe$ (o. 11. Suni 1870) über Slctiew unb ©out- 
manbib@efellfchaften ju ©tanbe, welche« bie Sebingung ber 
ftaatlidjen ©onceffion auf hob unb bafür ÜRormatiobeftiinmungen 
einführte, benen bamal« oielfadj ber ©orwurf attju großer Slengft* 
lid^feit unb Strenge gemacht würbe. 3m ©uitbe«rath f)atte Äöitig= 
reich @a<hfen bie Aufgabe nur im ftufammenbang mit bem ganjen 
©enoffenfchaftswefen löfen »ollen, hatten bie $anfeftäbte unb 
Olbenburg fich §u ber Unficht befannt, ba§ bie ©infcbränlungen oiel 
ju »eit gehen unb »eber burch bie englifctjen noch bie franjöfifdhen 
SRufter gerechtfertigt feien. Sie beriefen fich auf bie ©rfah* 
rungen mehrerer Sänber, baf} bie ©efreiung oon ber ©eneh= 
migung ber ©ehörben ben STctienf^winbel feinesweg« beförbere; 
baf oon ßeit ju 3 e *t unter ben oerfchiebenartigften ®efe|= 
gebungen Schwinbelepochen fich wieberholten, »eiche auf bie 
inneren ®ntwicfelung«gefe|e be« »irthfchaftlichen ©erlehr«, nicht 
aber auf bie getriebenen formen ber 3uri«prubenj jurücf= 
juführen feien, ©ie oorgefchlagenen ©infchräntungen erhöhten, 
ihrem ©otum jufolge, »eber bie Sicherheit ber ©läubiger, noch 
bie ber Slctionäre, aber fie oerhinberten bie ©rünbung unb 
hemmten bie ©efchäft«führung ber Slctiengefeüfchaften. $am= 
buTg« ©ertreter meinte, fd)on im fjanbelägefepbuch fei bie 
©rünbung ber ©ommanbitgefellfchaften mehr al« billig erfdjwert, 
unb ©remen oertrat bie Slnficht, bafj, jumal in ®emä|t)eit ber 
in ffinglanb gemachten ©rfahrungen, ©chufc unb Sicherheit 
nur in einer au«gebel)nten uub umfaffenben ©ublicität ju 
fud)en fei. 

5)ie ©ieinungen ftanben fich bamal« leibenfchaft«lo« gegem 
über. SBenn fich biefer Umftanb feitbem in bebauerlicher, ob= 
j»ar fehr begreiflicher SBeife oeränbert hat, fo Ijanbelt e« fi<h 
babei mehr um Stimmungen, al« um ©inficht. ®ie inteüec= 
tuelle Slu«beute ber langwierigen f>anbel«lrtfi8, beren ©een= 
bigung neuerbing« burch e i ne reactionäre ftollgefefcgebung oer= 
jögert »irb, ift auch in biefer ©egieljung eine äufjerft geringe. 
©8 gibt freilich Seute genug, welche alle ÄctiengefeQfchaften 
mit Stumpf unb Stiel auSrotten ober »enigften« unter eine 
bratonifche ©efefcgebung fteüen möchten, bie bem ®efammt= 


oerlehr fchäblicher wäre, al« ba« abfolute ©erbot. ®enn wenn, 
wie alle bentenben Ißraltiler jugeben, ba« äctienwefen für ge- 
roiffe grofje Unternehmungen felbft in ben lapitatreichften 
Säubern noch unentbehrlich ift, fo mufj ben bamit befaßten 
©efd)äft8leuten nicht nur ein gewiffer ©rab oon freier ©e»e- 
gung, fonbem auch e i ne achtbare ©ehanblung jugeftchert fein, 
fo ba| nicht gerabe bie anftänbigeren Seute baoon jurüc!- 
getredt »erben. 

SBenn man, ftatt bie allgemein beliebte ©ef e^e«flicf er ei 
ju betreiben, welche auf jebe Sücfe einen Sappen fe|t, gleich* 
oiel oon welchem Stoff unb welcher gatbe, wenn man, anftatt 
biefe« flachften Utilitari8mu8, bie $)inge nach ihrer natürli^en 
©efihaffenheit erwägt unb mifjt, fo wirb man unter ben Oielen 
Sölilftänben be« Stctienwefen« eine Heine Slnjahl finben, welche 
bie legi«latioe ©rüfung herauSforbert unb ber Hoffnung auf 
Reform SRaum geftattet, unb eine fehr grofee Slnjahl oon folchen, 
welche mit in oen ftauf genommen werben müffen. 3 U bem 
lederen gehört oor allen Gingen ein pfpchologifhe« SKoment: 
ber Seichtftnn be« Slctionär«, welcher etwa« oon ber Stimmung 
be« Spieler« hat ®er Slctionär will lieber eine gewiffe 
Summe riStiren, al« eine gefchäft«mäf)ig controlirenbe ©org= 
falt anwenben*); er wagt in ber Siegel nur einen oerhältnift* 
mäjjig geringen $h e ü feine« ©erwögen«, aber für biefen fuc|t 
er ©ewiitn ohne Slnftrengung. SBenn er fich babei bemühen 
füllte, fo würbe er lieber felbft Unternehmer unb gar nicht 
Slctionär fein. 2)a nun einmal bie befdjräntte ^mftbarleit jum 
SBefen ber SlctiengefeUfchaft gehört, ebenfo ficher, al« bie ©oli= 
barhaft jum SBefen ber SBirthf(haft«= ober ©rwerb«=®enoffen- 
fchaft, fo ift ein für alle ÜKale mit biefem ©emüth«juftanb 
be« Stctionär« ju rechnen. 

SBir felbft haben fchon im Slooember 1871**), al« ber 
£immel bem Slctionär noch lang ooll ©eigen hing, oor ben 
SluSfchweifungen be« ©rünberwefen« mit machbrucf gewarnt. 
Solche ©Mahnungen werben in ben ßeiten be« Stuffcljwunge« 
wenig beachtet unb nicht befolgt unb finb in fcfjlechten ßeiten 
ohnebieh überflüffig. ©8 unterliegt leinem ßweifel, bah bie= 
felben Seute, weiche fich h euet f^ r Sctoi^tgt halten, in ber 
nächften Xaumelepoche, bie ja auch nicht auSbleiben wirb, 
crft recht wieber mitgeben unb, wenn nicht auf biefeiben ®e- 
feieöumgehungen, höchften« auf neue, wenn auch nicht feinere 

*) „3m ©outfe erfdjöpft fid( fajt ®He», »a» beit Äctionär att ber 
'SefeUfthaft intereffht.'' S. fiötoenfelb, S. 12. 

**) S. SBattonaljeitung: Wr. 563, 26. Wo». 1871, unb »gl. $. 8. 0., 
ber fiat^eberfocialiSmu» (Berlin 1872 bei SR. Oppenheim) fiap. II. 

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306 


lie Gegenwart. 


Nr. 46. 


©cßtupfwinlel beS ©etrugeS ßineinfaflen »erben. 333er an ben 
gortfcßritt ber äRenfcßßeit glauben »iß, barf fid) wenigftenS 
nicht auf bie ©pecieS Stctiouär berufen, benn bie ®mnmßeit, 
$abgtet u»b ©erbleubung finb hier ju aßen ßeiten gleich. 

3cß »iß bawit nicht gejagt haben, baß baS »egen feiner 
»ermeintlidjen folgen angefcßutbigte ©efeß ein befottberS ge= 
lungeneS fei. baff es mcßt eine fißatfe {Reoifion erfjeifd^e; itf) 
meine nur, baß ber ©efeßgeber non 1870 mcßt für bie halb 
eingetretene ©cßwütbclepoche berantwortlicß jn machen fei unb 
baß fein ©efeß ber SBett baS Eintreten einer folgen oerßinbern 
fann, wenn biefetbe in ben ooltswirthfchaftlidjen Sonjuncturen 
ißre ©orauSfeßungen finbet. 

Es fei beiläufig bemerk, baß ber {Reichstag jenen ©efeß* 
entwurf, mit bem er erft in fpäter ©tunbe befaßt »orten, nur 
in wenigen ©nntten mobificirte unb baß fpecieß bie liberale 
Partei, ber er gegenwärtig non Ultramontanen, Sonjeroatioen 
unb Slgrariern in bie Schüße geflohen ttirb, nur einen fcßwa* 
djen 2f)eil non ©erantwortlidjteit an bemfelben trägt, ©ie 
bilbete bamals nicht bie {Majorität. 

©eitbem hat ftd) eine ganje Siteratur oop Sritifen unb 
{Refotmoorfcßlägen biefes ©efeßeS angefammelt, welche jumexft 
bie einjelneu ©träten ins Äuge faffen unb mit djicaneufen 
Staufein unb oerfcßärften ©trafbeftimmimgen tag SBibtfdjenS* 
wertße ju erregen glauben. {WeiftentheüS wirb, neben ber 
erweiterten Oeffentlidjfeit, noch eine ftrengere ©erantwortlidjteit 
ber ©rünber, SluffidjtSräthe unb 5Directoren unb ein ftärferer 
©cßuß ber {Minoritäten in ben ©enetalotrfamralungen ober 
ber {Rechte ber Aktionäre überhaupt oerlangt. 

3)er Suriftentag unb ber ooltswirthfcßaftliche Kongreß 
batten bie grage bereits oor il)t gorum gejogeu, noch etje fie 
fo brennenb geworben war. 3m Sabre 1873 feßte ber neue 
herein für ©ocialpolitif" (ju Eifenadj) baS „Stctiengefefl* 
fcßaftswefen" auf bie SageSorbnung. $ier traten fitb als 
{Referent unb Korreferent ber befannte ©rof. Dr. Slbolf SBagner 
unb 3uftijratß ©Hener, ein auSgejeidjneter, praftifcber Surift, 
entgegen. ®er ©cfjWerpunft beS 2Bagnet’f<hen {Referats fiel 
außerhalb beS ©ebieteS, auf welchem bie SMaterie beßanbelt 
ju werben pflegt, ja eigentlich außerhalb ber maßgebenben 
wirtbfcbaftlicben Stnjdbauungen. 3b» ift, wie {Referent offen 
gefteßt, „bie {Reform beS ÄctienrecßtS nicht ber fjauptpnnli"; 
es ßanbelt ftd) nielmebr für ihn barum, auf gewiffen jaßl» 
reichen ©ebieten „öffentliche Unternehmungen an bie ©teße 
ber Slctiengefeßfdjaften treten ju taffen"; er oerlangt „princU 
pieße Einengung beS Gebietes beS SlctiengefeBfcßaftSwefenS, 
unb ©taat, ©rooinj, Sreis, ©eraeinbe haben hier ihre wichti¬ 
gen guuctionen ju übernehmen (!)". 

®er Korreferent führte bie Debatte nicht bloS auf ben 
©oben gefunber SuriSprubenj, fonbern was fid) ja bedt, aud) 
auf ben ber gefunben {Rationalöfonomie jurücf, unb lentte bie 
Slufmerffamfeit auf folche ©ebenfen, welche noch gegenwärtig 
jur ©erat^ung flehen. 

©is jeßt hot bie {Reichsregierung, troß beS anerfannten 
SebfttfnijfeS, mit ber oerßeißenen {Reoifion beS 2lcttengefeßeS 
gejögert, nnb fcheint noch nnfdjlüffig, ob fie mit biefer ober 
mit ber, gleicßfaßs nicht lange ju umgeßenben, {Reoifion eint* 
ger {Eßeile beS ©enoffenfdjaftswefens oorangeßen foß, obgleich 
bie beiben Weber innerlich noch äußerlich enge jufamntenßängen. 
9fod) in granfteich ift feit mehr als einem Saßrjeßnt bie 
Siebe opn einer beobficßtigtejr {Reform beS SüctienrecßteS. SBenn 
Knglanb bagegen feit langer geil in mehreren ©efeßen, be* 
fonberS mit fMobiftcationen ber mehr ober weniger limitirten 
§aftbarfeit, ni^t fehr glüdlich egperimentirt hat, fo bient baS 
eben ben gögerungen anberer Staaten jur ©ntfdjulbigung, 
Wenn nicht jur {Re^tfectigung. 

. 3)er bisher angertchtete ©«haben ift ja hoch nicht gut ju 
machen. SBewt j. ©. in bem grofjen gefchichtlichen ©roce§ 
jwifchen ©taatSeifenbahn unb ©rioatbaljn bte leptere ben 
Äürjeren jicht, fo ift, genau betrachtet, nur bie SOlangelhaftig= 
feit ber actiengefeßfchaftlichcn örganifation baran fdjutb. SlßeS 
was ber {ßrioatbaljn jur Saft gelegt wirb, fäßt im ©raube 


auf bie Organe ber Slctiengefeßfchaft unb nidjt auf baS äBtfen 
ber ©ifenbahn ober ber ©rioatoerwaltung. 

®odj oergeffen wir auch nicht, mit welchen ©üfern bie 
{Ration auf Soften ber leichtgläubigen ober lei$tfinnigen 
Äetionäre befdhenft worben ift; aber taffen wir uns oon aßen 
berartigen Slüdfichten unb ©twägungen nicht beirren, wo es 
fi<h httuptfädjtich nur barum honbelt, ben ©ebanfen beS {Rechtes 
folgerichtig in einer ber fchwierigften unb wichtigften SRaterien 
burchjuführen. 

©in praftifcher 3urift, ber fich ben ©lid in ber Seitung 
großer Slctienunternehmungen gefchärft hot — wo ber gewöhn¬ 
liche ©raftifer fich ihn abftumpft —, bietet uns bie fühtenbe 
$anb burch bie Srrwege biefer oerwidelten 3ntiSprubenj. 
„®a8 {Recht ber Slctiengefellfchaften. Äriti! uttb 9le= 
formoorfchläge. ©on f>ermann Söwenfelb." (©erlin 1879 
bei 3. ©uttentag) ift eine fleifjige unb gebiegene Hrbeit, in 
welcher felbftoerftänblidj nicht jebe grage ju aflgemeiner ©e- 
friebigung gelöft wirb, in welcher aber jebe wichtige grage grünte 
lieh nnb gewiffenljaft ju fpruchreifer ©ntfdjeibung oorbereitet ift. 
®a8 ©u^, welches gegen 600 ©eiten gr. 8° enthält, befleißigt 
fich int ©injelnen hoch einer gewiffen Sürje unb ^äft fidj 
namentlich oon aßem entbehrlichen ©eü unb {Rebenwerf fern, 
gerabe wie wenn folibe gachmänner einen fotchen ©egenftanb 
befpre^en. ©rfreulid) ift bie wiffenfchaftlidhe ©runblegung beS 
©anjen, in weither ber gebilbeie X^coreftiter fich jeigt, neben 
ber jurüdhaltenben unb biScreten Empfehlung ber nötf|ig er> 
fchetnenben {Reformen, wobei fich bet erfahrene ©raftifer bewährt. 
®as ©uch fteht ganj auf bem ©oben ber ©egenwart, ©on ber 
©efchidjte unb Literatur ber ÜRaterie, oon älteren ®h cor i fn 
unb Kontrooerfen ift wenig bie {Rebe, dagegen betrachtet ber 
©erfaffer feinen ©egenftanb im ßufamutenhang mit bem ganjen 
©erfehrSleben unb er oerfolgt ben »itllichen ©erlauf ber Stctien* 
gefchäfte mit ber ßeuchte ber 2Biffenfc|aft. ®iefe SDlethobe 
bient bem ernftljaften Sefer jum ©ewtnn, aber fie fteßt nicht 
baS ©erbienft beS ©chriftfteßerS in baS h«Bt* e Sicht unb 
erfchwert auch baS Slmt beS SrititerS, ber fich boch einem 
folchen SBerfe gegenüber an bie aßgemeinen ©efidjtSpuufte 
halten muß. 

3n ber „Einleitung" legt ber ©erfaffer bie oorfteßenben Sölän- 
gel beS SlctienwefenS bar, ohne jeboch auf SlßeS baS euuugehcn, 
was ein tleinlieher ©inn unb unwiffenßhaftlidjer ©erbefferungS= 
trieb, manchmal nach oereinjelten Erlebniffen, in ben ©ereidj ber 
{Reform gejogen feßen möchte, gür baS »eit oerbreitete Uebel einer 
unfoliben, nur baS momentan als ©ewinn etfeheinenbe {Refultat 
oerrechnenbeu unb wenig burchfi<htigen©efdjäftSgebahruttg nuidjt 
er aßerbingS bie Süden unb SRißoerftänbniffe ber bisherigen @e= 
feßgebung oerantwortlicß, aber et erflärt fieß boeß mit Ent» 
jeßiebenheit gegen beit* oou ber preußifeßen {Regierung geplanten 
Erlaß eines {RothgefeßeS ober „ßwifcßengefeßeS", welches nücß 
baju, ber motioirenben ®entfcßrift jufolge, aße wicßtigften 
Xßeile beS SlctienrecßleS be^anbeln foßte. ©eine Sßtbetlegung 
ber preußifeßen Slrgumentation läßt nicßtS ju wünfeßen übrig 
unb fteßt im Eintlang mit ber jeßt oorßerrfeßenben lieber» 
jeugung, baß wir, naeß jaßlreicßett unb feßweten Erfahrungen, 
woßl oorbereitet finb ju einem grünbltöß reformirenben ©efeße 
über {üctiengefeßfcßaften. Unfer ©erfaffer feßt fieß gleich 
fangS mit jenen extremen Jßeorten auSeinanber, beren eine 
ben ©taat als ben ewigen ©ormunb fämmtlicßer Untertßanen 
betrachtet, wäßrenb bie anbere, gerabe im ©egentßetl, bem 
©taate fogar baS Sledßt beftreitet, gegen Xäufcßungen ©cßuß 
ju bieten. Er aber wünfeßt eine {Reform in bem ©inne, baß 
©lenbwerf unb ®äufcßungSmittel in bem ©efeße nrinbeftenS 
leinen Reifer, oielnteßr einen ebenbürtigen ©egner finben, — 
„baß Stmengefeßfcßaften woßl jur bauernben ©erfolgung eines 
oerftänbigen gwedeS berufen finb, aber als äJlittel jur ©lünbe» 
rung unerfahrener ©rioaßeute nießtoerwenbet werben bürften". 
®er ©erfaffer hätte ßinjufügen tonnen, baß ber Staat, welcher 
bie Stctiengefeßfcfjaft mit bem öffentltdj=re<htltchen ©rioilegium 
ber jtttifUfcßen ©erfönlidßteit auSftattet, bafüt aud) bie ©er* 
pflidjtnng übernimmt, ißt ©ebingungen aufjuerlegen, welcße 


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Nr. 46. 


Hie <5 e % nuo n r t. 


B07 


ben ©harafter beS ©emeinfthäblicben auSfcblcejien. 2)aS ©efefc 
lann unb muff bie regelmäßige ^>errfdt»aft unerträglicher 2)liß= 
brauche befeitigen, aber es fann freilich, wie Söwenfelb fagt, 
„baS Sdncffat nicht abfchaffen, baS bei Slctiengefeflfchaften ebenfo 
wie fiberaß im Bereich menfcfjticfjer ®ittge maltet", noch fann 
eS, wie wir binpfügen, bem@injelnen bie Slufgabe abnehnten, 
felbft forgfältig nach bem ©einigen ju fehen. 

. Söwenfelb unterfcheibet in Kapitell, phfeßenUnternehmung 
gen, beren £eiftungSfäf)igleit oon ber Befähigung ber jeweiligen 
Seitung gänjlidj abhängt, unb folchen Unternehmungen, beren 
SEBerth wefenttieß in ber SJiaffirung beS Kapitals beruht. ®ie 
leiteten, benen er auch bie ©ifenbaßnen jujäßlt, hält er für 
bie jur SKctienform geeigneten. Slber er fdjliefet fiih beebjalb 
noch nicht jenen ©mpirifetn an, welche nun gleich beftimmte 
Kategorien f(hoffen woßen, jujulaffenbe unb auSpfcfßießenbe; 
benn ber ©efefcgeber oon heute würbe barin nicht fixerer 
gehen, als bie conceffionSertheilenbe Beßörbe ber früheren Seit. 
Söwenfelb fagt ganj richtig: „®ie ©efeßgebung muh ein 
ßometib höherer Slrt wählen. ®a§ ©hftem beS Slctienrecßts 
muh fo befdjaffen fein, ba§ ein in ber Form ber 3lctiengefefl= 
feßaft cultioirbareS Unternehmen burch bie beftehenben Bot= 
fchriften gefötbert wirb, bah bagegen ein ju Unrecht in biefe 
Form gejtoängteS ©efcßäft bas Unbehagen feiner Sage bauemb 
empfinbet." ®ie ©ommanbitgefeßfehaft erfeßeint eher baju be- 
tHfen, bie Xüdjtigfeit eines perfönlichen SeiterS präbaliren ju 
laffen, unb trägt auch bie ftärfere Beranlaffung in fid), einen 
folchen an bie Spipe ju bringen ober an ber ©piße p 
erhalten. 

®ie Slctiengefeßfchaft hat etwas burchauS UnperfönlicheS, 
ihre borneßmfte ©igentbümlicßleit ift ber Befijj eines ©runb= 
oermögenS, eines ju Anfang beftimmten ©runboermögenS, bas 
übrigens nicht aus haaren Kapitalien ju hefteten braucht. @S 
fann eine Fabril, eine ©ifenbaßn, ein Banlgefcbäft nebft Kunb= 
fchaft enthalten. ®a8 ©efeß feßreibt ben Slntheilfcheinen einen 
gewiffen SRinimalwerth »or, 100 ober 50 Schaler, unb prägt 
baburch ben Slctien einen Slominatwerth auf, welcher im 
groben publicum bie Sßufion »erbreitete, bah ber einjetne 
Slctionär gleichfam für biefe Summe ber ©läubiger fei unb 
fie oon ben Organen ber ©efeßfehaft p beanfprudfen habe. 
3e nadjbem ber oermeintliche SBertß ber Slctie oon Anbeginn 
ober im Berlauf ber ©efcßäfte oon ber gefehlten giction ab= 
weicht, bilbet fich ein nieberer ober auch ein höher«! ©ourS. 
immerhin wäre baS ganje Berßältnifi ein flarereS geworben, 
wenn fich aße juriftifeßen folgen unb Folgerungen auf ber 
richtigeren BafiS entwicfelt hätten, bah bie Slctie, ungefähr 
wie ber Kujc im Bergrecht, bejeießnet worben wäre, als bie 
ibeale Ouote eines @ef ammt - Unternehmens, j. B. als y sono 
ober Vioooo beSfelben, — alfo auf Befeitigung ber Stominai* 
betröge. 

2>ie Suriäprubenj übet ben berühmten SnferirungSpara- 
graphen (2). §anbel8gefe|buch <5. 209 b ), an welchen fo oiele 
Befcßwerben, Broceffe unb ©ontrooerfen anfnüpften, hätte als= 
bann auch eine anbere Siicßtung genommen, ja ber Barograph 
felber wäre ein anberer geworben. Unfer Berfaffer führt ganj 
richtig aus, bah bie Berpflicßtung, nicht ben wirtlichen Höertß, 
fonbern ben bejat)lten Breiö ber erworbenen Slnlagegegenftänbe 
p offenbaren, eine gefdjäftlicße Stbnormität enthält unb p 
©efepesumgeßungen oerleitet. ®er Schuh biefeS Barographen 
hat ftch als nichtig ermiefen, ja ber Barograph felbft als eine 
hanbßabe ber Säufcßung. Für bie SUtiengefeßfcßafien, um welche 
es fich babei hanbelt, hat fich neuerbingS ber StuSbrud „qualifi* 
rirte ©tfinbung" eingebürgert; ber ©ang feiner Unterfucßung 
führt nnferen Berfaffer bap, an einer fpäteren ©teße feines 
Buches (Kap. IV, § 3) ber eben aufgeworfenen Frage unter 
biefetn neueren SluSbtud, alfo oon einer anberen Seite, noch 
einmal unb jwar ausführlicher nahe ju treten, ©r befprießt 
hier ausführlicher bie oon JBiener unb Beßrenb gefteflten 
unb oon einer groben Slnjaßl oon Suriften unb 9cational= 
fltonomen aboptirten Forderungen auf ©nunciation aßer ®tünber= 
Oortheile, ber Wirtlich gepißte 11 Breife u. f. w., ,uub finbet, 


bah °ße biefe SReformoorfchtäge weit über baS 3iel hinaus= 
fliehen, b. h- baS 3iel oerfehlen. 

©benfo hiehe es, baS Kinb mit bem Babe oerfdhntten, 
woßte man, auf ben oon ber anbern ©eite lommenben Bor= 
fchlag eingehenb, bie SlpportS überhaupt oerbieten unb unter bem 
„©runboermögen" ber Slctiengefeßfchaft nur baareS ©elb oer-- 
ftehen. SBenn man in biefet SBeife oor ben auftauchenben 
Sihwierigteiten bie Segel ftreidjen miß, fo wirb oon bem 
2lctienrecl)t überhaupt nicht oiel übrig bleiben. 

SöwenfelbS Borf^lag, burch bie ^eranjieljung geeigneter, 
pr Sajation ber SlpportS befähigter ©achoerftänbigen für eine 
Beoifion, eoentueß felbft eine ©uperreoifion, p forgen, ift 
p neu unb ju wenig oon gegnerifcf>er Seite beleuchtet, um 
jefct fchon jur ©ntfeheibung gebracht ju werben. 3Wan tönnte 
ihn auch als eine btohe ©rweiterung proceffualifcher $ülfs= 
mittel betrauten, burch welche ber Kernpunlt ber ©rörterung, 
bie eigentliche Berechtigung unb BerpflidEjtung betreffenb, nicht 
berührt wirb. 

Sieben biefen höteligen unb oerwicfelten Fragen de lege 
ferenda jiehen fich, in engem 3 u fantmcnbang bamit, ftreng 
juriftifche Unterfuchungen barüber, wer eigentlich oerantWort= 
lieh ift, über Statur unb SBefen beS ©rünberS, über bie 
eoentueile §erfteßung eines oerantwortlichen ©rfinberorganS 
unb über baS Btah ber ben SOtitcjliebern beSfelben jugebachten 
Berantwortlidßeit. 5£)iefe SluSetnanberfehungen führen auf 
anbere ftreng juriftifche Fragen unb ©ontrooerfen über bie 
BertragSform, bie Slrt unb ben 3eitpunlt ber ©ntfteljung ber 
Slctiengefeßfchaft jurücf, über bie Siechte unb Bftidßen ber erften 
Zeichner, über ben Beginn ber Berechtigungen beS SlctionärS. 
©erabe auf biefem ©ebiete, baS wir hier ni^t näher beleuchten 
lönnen, liegen beS BctfafferS bebeutenbfte ßeifPngen. Sie 
finb bie ©ewähr bafür, ba§ er ben richtigen SEBeg eingefchlagen 
hat. SJiöge Stiemanb {»offen, eine Frage cioitre^tlidher @efeh= 
gebung richtig ju löfen, ehe er nicht mit ber juriftifchen 33ia= 
leltif im Steinen ift. ®ie moratifchen ©rwägungen fdßagen 
in ber BrajiS nur ju oft in baS ©egentheil ber bejmecltcn 
SEBirlungen um. 

Bon ber eigentlich juriftifchen Unterjucf)ung ein Slefunte 
geben ju woßen, baS gliche bem Betfuch, einen mathematifchen 
Beweis ju ejeerpiren. ©elbft jur Sleufjeruug einjetner Be= 
benfen müßten wir ju weit ausboten. 

®aS oorliegeube Buch, welches tiefer fchöpft unb be= 
grünbet, als bie bisher oerbreiteten Betjanblungen beSfelben 
©egenftanbeS, hätte fchon ein grofjeS Berbienft burch bie 
wiffenfchaftliche SJiethobe beS BerfafferS, ber ben Schwierig^ 
leiten nicht aus bem SBege geht, woher fie auch fommen, unb 
baburch ben fiefern ein ©efühl ber Sicherheit einflöfjt. 3So 
et fich für bie ftrengere Biaferegel entfdjeibet, j. B. gegen bie 
Siberintng ber ßeichuer nach S a ht un 9 *wn 40 Brocent, gegen 
bie StuSgabe fogenannter junget Slctien oor Boßeinjat)l un g 
ber alten, hulbigt er nicht einer ßeitftrömnng, fonbern einer 
bemeisträftigen Ueberjeugung. 85Jo er fich für eine lagere 
Cbferoanj entfdjeibet, fann man fiefjer fein, ba§ er babei bie 
Sntereffen beS aßgemeinen BerfehrS im Sluge hat. 

Biele ber hier einfd)lagenben ®iScuffioiten finb fchon Oor 
bem großen Bablicum geführt Worben, anbere gleid) wichtige 
noch nicht; fo jum Beifpiel, was ßöwenfelb über ben ^anbels= 
richtet als (eintragenben) fRegifterrichter oorbtingt. Söir woßen 
gleich bewerten, ba| biefetben SRängel unb Süden, Welche fich 
bei ber ©intragung ber Slctiengefeflfchaften gejeigt haben/ beim 
©enoffenfehaftswefen in analoger SBeife unb oielfäch in nod) 
ftärferen 9Ra|e heroorgetreten finb. Seit Slufbebung beS ©ou= 
ceffionSjwangS finb bie Slufgaben ber tftegifterrid»tex jeitwcilig 
ins ©norme geftiegen, aber gerabe wo feine Brüfung erft recht 
noth thäte, fehlt ihm bie Seit baju, gerabe wie eS an 9lccurs= 
mitteln gegen falfdje ©inttagungen fehlt. Bei einer ftrengen 
©ontrole hätte j. B. ber Sßlihbrauch, bah bet StüffidjtSratl) 
feinem eigentlichen Beruf entfrembet unb mit ben Fnnetionen 
eines BerwaltungSratheS beloben wirb, ni^t um fich greifen 
lönnen. 


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308 


Ute (Segeuwart. 


Nr. 46. 


3um Scplufc möchten wir nocp auf bab Kapitel über bie 
GifenbapwStctiengefetlfepaft aufmerffam machen, Seiber finb 
bie barin erhobenen SlubfteHungen nicfjt mepr tjort unmittet« 
bar praftifcpem Sßertp, ba bab ^rioatfapital fiep opnebieb bon 
biefer Brancpe abwenbet ober bietmepr abgeroenbet wirb. 


^Uetatut unb $unflL 


JNorij fjflttpt. 

3 u ber „bertornen ©anbfcprift" G. greptagb pat eine ^ifto; 
rifepe Sßerfönlic^feit, ber im Sop« 1874 berftorbene berühmte 
Philologe SRorig ©aupt, nach bem eignen Seugnifj beb Zicpterb, 
beiftenem muffen. Zie gäbet beb fftomaneb ift in Stnfnüpfung 
an eine bertrauticpe SRittpeilung ©auptb entftanben unb in ben 
ßparafter beb ißrofeffor getij SBerner finb einige 3üge Haupts, 
bie Ätarpeit beb Geifteb, bie Gntfepiebenpeit beb Urtpeilb, bie 
Bortiebe für bab Snbioibuette unb Sparafterbotte, bor Sittern 
bie pope ftttlicpe Sluffaffung ber SBiffenfcpaft übergegangen. 3ft 
auch bie Berwenbung unb Grgängung biefer 3üge eine bicpterifcp 
freie, unb finb auep bie weiteren Berfnüpfungen unb Situationen 
beb fRomaneb bon ©auptb Seben unabhängig, er fetbft hat, nach 
greptagb SBorten, eine gewiffe Stepnliepfeit mit Bepagen em= 
pfunben, unb biefer Gemütpbftimmung in feiner SBeife baburch 
Slubbruel gegeben, baf} er fiep juweiten bei 3ufenbung feiner 
Berliner Programme auf biefen alb „SJtagifter ffnipb" ber* 
geiepnete. Zie greunbfepaft ©auptb unb greptagb, herborgerufen 
burep Berwanbtfcpaft ber wiffenfepaftlicpen gntereffen unb ber 
potitifchen Slnfepauungen, war getragen bon Warmer perfönticper 
Zpeitnapme. 2ln greptagb ©Köpfungen nahm ©aupt ben regften 
Stntpeit unb greptag erflärt, baff ipm an bem Urtpeite ©auptb 
über feine „poetifepe Scpreiberei" biet, guweiten auch am weiften 
gelegen gewefen fei. Stucp beb Baterb ©auptb gebentt greptag, 
unb bie Betreibung, bie ®rnft griebriep ©aupt bon feiner 
gugenbgeit fetbft gegeben pat, ift bon greptag in bie „Sßitber 
aub ber beutfepen Bergangenpeit" aufgenommen Worben. SBirb 
fepon biefer 3ufammenpang einen Sftiicfbtid auf bab Seben 
SDtorig ©auptb rechtfertigen, fo ift eb noef) oiel mehr bie gewattig 
imponirenbe ißerföntiepfeit beb ftolgen Geteprten fetbft, bie, wie 
fie fiep im Seben trop mancher feproffen ©ärte bie ©ergen ber 
ftubirenben Sugenb gewann, auch uoep jjept, weit über bie ge« 
leprten Greife piitaub, Beacptung unb SBewunberung finben Wirb. 
SBir entnehmen ber oon warmer Begeiferung unb Eingabe an 
bab SBefen beb Seprerb getragenen Schrift ®pr. Beigerb, 
„SJlortg ©aupt alb alabemifeper Seprer"*), bie fotgenbe 
©tijje. 

SRorig ©aupt war geboren am 27. guti 1808 in 3ittau, Wo 
fein Batet Grnft griebriep ©aupt, ein äJtann tiefen unb reinen 
Gemütpeb, bon unbeugfamem SEBiQen, bielteicpt fogar Starrfinn, 
wenn et bem SReepten gu bieneit glaubte, juerft Spnbicub unb 
barauf langjähriger Bürgerineifter War, bib er ber aufftrebenben 
Zemofratie jum Opfer fiel unb, burep bie Siebtofigfeiten unb 
ben Unbant feiner SKitbiirger in tieffter Seele erfepüttert, fiep 
bon ber öffentlichen Zpätigfeit gurüdgog. SB out Bater erbte 
ber Sopn bie geftigfeit unb Gntfepiebenpeit beb ®parafterb, bie 
liefe beb ©emütpeb unb ben Sinn unb bie Söegeifterung für 
ba$ Scpöne, namentlich auch für ©oetpe unb bie Sitten, jugteidp 
aber ben i^tagfertigen Sffiip unb bie Strenge in ber 3tüge 
frember gepter, unb baS Scpidfat beb burep bie unberbiente 
3uriic!fepung in feinem innerften Seben getroffenen SBaterS gab 
auep bem Sopne, ber beb SBaterb Stüpe unb SEröfter würbe, 
früpieitig tiefen (Smft. Sßon Dftern 1826 bib September 1830 
ftubirte $aupt in Seipjig Sfpiiotogie, fiep eng an ®. ^ermann 
perföntiep anfeptiepenb, bem Seprer geiftig berwanbt in fetbft= 


*. 'öiTlin, SB. Si'ebetb Vertag. 


tofer SBaprpeitbtiebe, in einfacher (Srabfimtigteit, im poetifepem 
Sinne unb in ppitofoppifeper Scpärfe. 3« ®. ©ermann trat 
er fpäter auep burep feine ©eiratp mit beffen Zocpter Souife 
(1842) in äußere SBerwanbtfcpaft. ®ie wiffenfepafttiepe PHtptung 
©ermannb war auep für ipn fein ganjeb Seben pinburep bie 
malgebenbe. ®r adptete unb fepäpte jene anbere Scpute ber 
^pitotogie, bie, bon SBöcfp begrünbet, bab ®anje im Sluge patte, 
fetbft aber arbeitete er, bon feiner Steigung für bab Snbioibueüe 
unb Sebenboode beftimmt, an ber @rforfcpung beb ffiinjelnen, 
unb wer jemalb feine SBorlefungen gepört, ber Wirb eb nie oet= 
geffen, mit welcper rüprenben Siebe unb reinen ©efinnung er 
bei jeber Gelegenheit feineb Sehrerb gebaepte. Stu|er @. ©er= 
mann pat ipm am näcpften geftanben Sacpmann, beffen perfön« 
tiepe Söelanntfcpaft er 1834 in SBerlin maepte. Sitte perfönlicpen 
Sigenfcpafteu unb Grunbfäpe Sa^mannb, bie Strenge gegen ft cp 
fetbft unb Stnbere, bab berbe unb ^oterifepe Sobfapren unb 
Zabetn, opne SRücfficpt auf fßerfon unb Stanb, bie Sluffaffung 
ber SBiffenfcpaft atb einer fitttiepen Slufgabe, bie gorberung ber 
abfotuten SBaprpaftigfeit, waren niipt minber feparf unb beftimmt 
bei ©aupt aubgebitbet, bie fpecietten Wiffenfcpaftticpen 3>ft« 
waren für SSeibe biefetben, bie SBerbinbung ber germaniftifepen 
Stubien mit ben ppilotogifepen braepte ©aupt fepon fertig mit, 
atb er Sacpmann fennen lernte; unb bie gegenfeitige Stcptung 
unb greunbfepaft ber beiben ©eteprten Würbe fo eng, fie lebten 
fiep fo in einanber ein, baß, wie 3eitgettoffen erjäpten, auep ber 
Siebe Zonfatt äpntiep würbe. Sßon Sacpmann lernte ©aupt bie 
bon Scatiger geapnte, bon SBenttep bewufjt geübte, bon ipm 
fetbft aber juerft aubgefproepene SKetpobe ber biptomatifepen 
Zejtfritif, eine SRetpobe beten 3iet «4 ift, ben beftbejeugten 
Zejt perjuftetten unb erft wenn biefe geftftettung burep genaue 
Unterfucpung ber SBerwanbtfcpaft ber ©anbfepriften gelungen ift, 
bie berborbenen Stellen p berbeffern. 9)lit Sacpmann arbeitete 
er auep im Gebiete ber pöperen ®ritit ber Zieptungen an ber 
geftftettung beb SBefenb bottbmäfjigen Gefangeb, unb feine 3«= 
fä|e ju Sacpmannb Betrachtungen über bie 3ftiab, bie Sacpmann 
mit feinen Unterfucpungen gut grofsen greube ©auptb gufammen« 
bruefen tief}, geben bon ber geiftigen SBerwanbtfcpaft Beibet 
3eugnif>. 3« Sacpmannb Slacpfotger würbe ©aupt auep 1853 
naep Berlin berufen. Bon 1837 bib 1851 patte er bet Seip= 
giger Unioerfität atb Bribatbocent unb Ißrofeffor angepört, war 
aber wegen fräftiger SBorte, bie et, bom Sbeat für ein einigeb 
Zeutfeptanb begeiftert, freimütpig gefproepen, 1850 fubpenbirt 
unb ein gapr barauf gwar freigefprodpen, aber abgefept worben. 
®r pat eb atb feine Stufgabe, bie er getreu bib gu feinem am 
4. gebr. 1874 erfolgten Zobe erfüllte, betraeptet, Sacpmannb 
SDtetpobe in feinen Bortefungen unb ben Uebungen beb ppitoto« 
gifepen Seminarb weiter gu tepren. Seiftungen, bie tief ein« 
griffen in ben Gang ber SBiffenfcpaften unb ipre Grengen er« 
weiterten, pat ©aupt niept aufguweifen, unb Wollte er niept 
aufweifen, aber bie Grünbtiepfeit, mit ber er auep bab Äteinfte 
bepanbette, bie Strenge, mit ber er wirftiepeb Berftänbnip 
bertangte, ber ©ap unb bie entfepiebene 3urücfweifung aQeb 
Scpiefen unb ©alben, pat feinen Sepülem unb 3upörern 
mepr 9lupen gebraept, atb eb oberftäepticpeb, wenn auep bon 
weiteren Gefidptbpunften getrageneb SCßefen bermag. 3pm galt 
bab SBiffen nieptb, wenn eb niept mit fitttieper Gefinnung ber« 
bunben, atteb, wenn eb oon biefer perborgerufen unb geleitet war. 
®ine Zrennung beb Geteprten unb beb Sflenfepen war ipm 
unmöglich; «nb mepr noep atb burep feine tnappen, burepbaepten 
unb beit Zenfer boraubfepenben Sepriften pat er burep feinen 
Unterrtcpt gewirft. ®r forberte abfotute SBaprpaftigfeit unb 
Gewiffenpaftigfeit, unb wab er forberte, erfüllte er fetbft mit 
einet fiep niematb genugtpuenben Büntttiepfeit. Zie feparfe Sogif 
unb Beobacptungbgabe, über bie er berfügte, bie perbe Strenge 
feineb Bfticptbegriffeb unb ber tebenbige Warme ®ifer, ber fiep 
bib gum gornigen geuer entflammen fonnte, ftoffeu alle aub 
einer in fiep einigen unb entfeptoffenen Gefinnung, beren SBucpt 
gugteiep gerfepmetternb unb erpebenb Wirfte. Gntfepieben war er 
in 3uneigung unb Abneigung, in Siebe unb ©afj gegen Sacpen 
wie Bn'fonen, unb feparf unb fepneibenb, ja oernieptenb waren 

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Nr. 46. 


Die ©rgenmurl. 


309 


feine SBorte, wenn et einen gewiffenlofen unb unfähigen ©plo* 
logen geißelte; unb webe bem, bet int pplologifchen Seminar 
fich nicht gehörig oorbereitet hotte! Eharafteriftifd) ift bie Strt 
unb SBetfe, wie feine SBorte unb bet Son, in bem er fptach, 
ben ©rab feiner Erregung abfptegelten. S)aS SBort „§ert" 
h ©. fpract) fthon fein Urtheit über einen (Mehrten beutlich aus. 
äRänner, bie er bemunberte, nannte er mit bem btofjen tarnen. 
„$!>ert ßacljmann" Ware in feinem SWunbe unbenfbar gewefen; 
bo<h gebrauchte er bei ßebenben baS SBort auch zur ^Bezeichnung 
feiner hohen Sichtung; bann betonte er aber nicht baS „#err", 
fonbem ben barauffotgenben Kamen, begann er etwas ge* 
hobenen SoneS, in breiter SluSfprache unb mit roßenbem K mit 
bem SBorte ,4?err" unb lieh mit gefentter Stimme ben Kamen 
folgen, fo lag barin fchon eine ©etingfchäping. Eine ganze 
Scala, Oon ber leifen SKipifligung bis zur entliehenen Ver* 
achtung hinab, muhte er in bas unfeheinbare SBörtdjen zu legen. 
SBaS er tabelte, war gewiffenlofe glücpigfeit, unflate, nicht ge* 
hörig burehbachte, zu fd^netl ber Deff entlief eit übergebene Ver* 
muthung, ein leeres Spiel mit SRöglichfeiten unb Bor Hßem 
bemühte Entfteöung überlieferter Sljatfachen. ES gibt heutzutage 
wenige ÜRenfdjen, pflegte er zu fagen, bie mehr wiffen, als fie 
bruefen taffen, wohl aber Biele, bie mehr bruefen taffen, als fie 
wiffen. Er felbft war ein abgefagter geinb aller Borfchnetten 
Veröffentlichung; bie Schriften, bie er fiel) abgerungen hot, hoben 
alle einen mäßigen Umfang unb er entpioh fich nicht eher fie 
ber Deffenttidjfeit zu übergeben, als bis er fie gänzlich burch* 
gearbeitet unb Bot jebem gemachten Einwurf ficher gefteHt muhte. 
Knapp unb fcharf ift baher Stilles, Was er fchreibt, unb benfen 
muh utan Bor Slßem, wenn man fie Berftehen will. gür flücii- 
tige ßectüre finb fie felbft für ben in feinem (Miete wohl' 
bewanberten Sߣ)iI°Iogen nicht gefchaffen. Sluch in ihnen tritt fein 
#ah gegen allen Schein unb feine ftolze ©efdjeibenheit heroor. 
Slm reichten entfaltete fich fein SBefen im Unterricht felbft unb 
zwar mep noch im Seminar als in ben Vorlefungen. Seine 
gotberung, Wahr unb gewiffenhoft zu fein, Berbanb fich mit ber 
befonberen ©egabung, fcharf bie Snbioibualität eines Schrift* 
fteßerS aufzufaffen. SOtit wenigen Haren SBorten fchitberte er 
bie Eigenheit eines SlutorS, unb fchrieb ber Ejegefe unb Kritif 
baburch ihre beftimmte Slufgabe Bor. Er gab bie forgfältigfte 
Kritif bet Ueberlieferung unb eine auf bem tiefften Verftänb* 
nifj ber Spraye beruhenbe Erflftrung unb was er felbft gab, 
oerlangte er auch Bon Slnbem. 3ebe Ueberfefcung war ihm zu* 
mibet, fein SBiberwiße fteigerte fich oft bis zu bem parabojeu 
Safee: „Sa3 Uebetfehen ift bet lob beS VerftänbniffeS." Sie 
Sprache galt ihm für fo eng mit ben 3uftänben eines Volles 
unb feiner Vilbung oermachfen, bah utan fie nicht antaften ober 
abftreifen fann, ohne baS innere Beben ber (Manien unb Em* 
pfinbungen zu Berlehen. Er Berlangte Erfaffung unb SBieber* 
gäbe beS (ManfenS in feiner Bollen Schärfe unb ©eftimmtheit. 
Ebenfo zuwtber waren ihm alle grammatifchen KunftauSbrücfe, 
bie ben Schein beS VerftänbniffeS erweden, es aber in ber Sljat 
nur hinbern. Vom SBefen beS fprachlichen Vorganges wollte er 
Stuffchluh hoben unb nicht mit tobten ©uchftaben abgefpeift 
werben, ©lehr noch Berlangte er treue Eingabe an ben Schrift* 
heller unb feine Seit. Diefe war ihm bie Vorbebingung beS 
VerftänbniffeS, unb er felbft muhte biefe Slufgabe für bie Schrift* 
fteUer, mit beten ErHärung er fich befonberS befchäftigte, üoH* 
tommen zu löfen. Er ertannte babei an, bah baS gnbioibuefle 
eines SlntorS ohne eine gewiffe Eongenialität nicht erfap werben 
tönnte. So zog ihn Z- SlefchhluS an, ©inbar flieh ihn zurüd. 
Sie allgemeine ©ebingung aber für baS Einbringen in ben 
©eift antiler Schriftfteller war ihm ber hiftorifche Sinn, unb 
burch bie umfaffenbften Stubien für ben 3wed ber ErHärung 
fuchte er felbft biefer ©ebingung nachzutommen. Viel Slrbeit 
ftedte hinter Heinen unb unfeheinbaren Erllärungen; aber was 
er gab, war auch lauteres ©olb. So feljr er abfichtlich ben 
Umfang feiner engeren Stubien befdjränfte, fo lebhaft empfanb 
er eS als Kothwenbigfeit, baS ganze ©ebiet ber SllterthumS* 
wiffenfehaft unb ber germaniftifchen Stubien zu umfaffen, ja 
über biefe ©ebiete hinaus ein Verftänbnih für ben 3ufantmen* 


hang aller SBiffenfchaften z u erwerben. Slber bie ©rünblichleit 
war ihm lieber als bie Vielwifferei, unb auch bem kleinen legte 
er oft ben gröpen SBertlj bei. Er rieth bem Spüler, genau 
unb grünblich zu fein, aber er ftellte auch gelegentlich bie gor* 
berung, bah ein ©plologe, ber ein mäpgeS ßebenSalter er* 
reiche, menigftenS einmal bie ganze alte ßiteratur burchgelefen 
haben mttpe. Von bem SBefen ber Sprache hat er eine, über 
®. Hermann, bet bie Sprache nach logifd^en Kategorien be* 
urtheilt, hinauSgehenbe unb burch bie Spradjphilofophie unb 
SpradjBergleiehung betätigte Stuffaffung. Kicht ßogif, fonbern 
©Apologie foll bie Sptadjerfcheinungen etHäten, unb Bot Sittern 
foü baS SBetben unb bie ©efepchte beS fpradjiichen SluSbruds 
beobachtet werben, gür ihn fpecieß geftaltete fich biefer all* 
gemeine ©runbfafc z« ber Slufgabe, ber Entwidelung ber ©e* 
beutungen eines SBorteS nachzugehen, unb folche EntwidelungS* 
geeichten Wupe er Har unb beftimmt z u geben. Von ber 
finnlich concreten ©ebeutung auSgehenb zeigte er, wie fich anbere 
©ebeutungen barauS ableiteten. 

©efonberS Berhap War ihm, bem SKeifter beS EonjicireuS, 
leichtfinnige Eonjecturenmacherei. Er oerlangte genaue Ejegefe, 
unb erflärte Bon oornherein jebe Eonjectur, bie nicht abfolut 
nothwenbig toäre, für fatfd). SBar eine Stelle burch eine Eon* 
jectur, bie ben Sinn traf, aber ben genauen SBortlaut nicht 
treffen tonnte, oerbeffert, fo erfdjien ihm jeher Verfud), ein anberes 
SBort an Stelle beS gefunbenen zu fefcen, Heinlicp. Kam es 
aber Bor, bah an Stefle einer unnötigen Eonjectur ein Slnberer 
eine zweite gleich unnötpge unb falfche fefcen woßte, fo oerglich er 
ihn mit einem Ouadfatber, ber baS ©flafter ftatt auf bie SBunbe 
auf ein fchon aufgelegtes ©flafter fchmierte. Et warnte oor 
ben fitttichen ©efahren, bie leichtfinniges Vermuthen bringt, unb 
et entlieh mop auch am Schluff beS SemefterS baS Seminar 
mit ber marnenben ©itte: „SBenn Sie in ben gerien arbeiten, 
machen Sie leine Eonjecturen." 

Sropem er hart unb fcfjroff gegen jüngere war unb Wohl 
auch anfangs gewaltig einfchüchterte, gewann er bo<h halb burdf 
bie Klarheit feiner ©ebanlen unb Keinheit feiner Slbficht, unb 
oerlefct wirb burch *h n oon feinen Schülern wohl faum einer 
geworben fein, ber eS reblich mit fich felbft meinte; War er einmal 
im SluSbrud gegen einen ©eiehrten fepr weit gegangen, fo lentte 
er wohl felbft ein unb h°b bie Verbienfte beSfelben ptüor, 
warnenb, bah ber Schüler fich nicht einbiiben foüte, bem ®e* 
tabelten gleich aber überlegen zu fein. 3fa hinter bem fyetbtn 
Sabel oerbarg fich oft grohe ^ochPäfeung unb burch ben rauhen 
Ion Hang oft eine auffaflenbe SBeppit beS ©emütlieS hinburch- 
Er fcheute fidbi anberfeitS aber nicht, auch an benen, bie er ho<h= 
f<häj)te, Einzelnes zu tabeln. Unb hierburch mag er oft zurüd* 
geftohen, Bielleicht fogar bisweilen gefdjabet haben. SBer ihn 
nicht genauer lannte, lonnte ihn anfangs nicht Berftehen, boch 
Härte fich folcheS SRihoerftänbnih halb auf. 

So war fein Einfluh auf bie Schüler, bie ihn in refpect* 
ooßer gerne umgaben, ein mächtiger, burdjfchlagenber, unb ähnlich 
mag auch fcüte SBirffamteit in anberen Kreifen unb in ber ®e* 
lehrtenWelt gewefen fein. Von Vielen würbe er oerel)rt unb in 
feinet Eigenartigfeit refpectirt, oon manchen ©egnern fdjeu ge* 
fürchtet unb auch wohl niit Heinlpen SBaffen belämpft. Sichtung 
aber muh fein Streben felbft benen einflöhen, bie anbete wiffen* 
fchaftliche 3*ele unb auf anbere SBeife erftreben als er, unb auch 
in Kreifen, bie ber SBiffenfdjaft fern flehen, wirb fein EharaHer 
Verftänbnih unb Verehrung finben. „SBit bliden auf ein ßeben 
Zurüd," fagt ©elger am Enbe ber biographifchen Stizze, „bem 
ber bittere Ernft nicht erfpart blieb, baS aber auch reich war 
an oielfältiger greube: in guten unb böfen Sagen bem Sienfte 
ber SBapheit unoeränbert geweiht; baS ßeben eines SKanneS, 
welcher burch nadjempfinbenbe Vertiefung in ben ©eift oergangenet 
3eiten, burch befonnene Klarheit unb geniale Slhnung bem ©pfo- 
logen im engeren Sinne baS ©eifpiel eines groben KritiferS 
bietet; ber burch hohe SluSbilbung beS hiftorifchen Sinnes ein 
Vorbitb ift für eine tiefe Stuffaffung beS ©angeS ber ©efehiepe 
überhaupt; beffen rüdhaitlofe Ehrlichfeit aber, beffen warme $in* 


gäbe unb Sreue gegen bie greunbe, beffen unoerfälfdjte ©c* 

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310 


9ie <5fgeitwart 


Nr. 46. 


geifterung uitb arbeitgboüe X^ätigleit für bie Sache ber 2Bahrf)eit 
ein SRufter iß für Sfbermann." 

Unb fo möge ber SBunfch beg Verfafferg erfüllt werben, 
uitb feine Schrift, bte bent iß^ilologen burd) ihre SJtethobotogie 
für Shntit unb ©j:egefe unb bie treffliche ©lemplißcation aug 
ben oerfchiebenen ©oüegien £>auptg befonberg erwünfcht fein mirb, 
in ben weiteßen Greifen einen 9lacf»^att jener Segeifterung erweden, 
burdj welche fte herborgerufen worben ift. c. et?, nt. 


Das ßegrabnifi bcs Dieters J)ufdjktn. 

Gin Beitrag jur 9iegierungsSge(d)id)te beS fiatjerg 9titolau$ non SHnfjlanb. 

®ie ©efchidjte bon bem tragifdjen ©nbe Slejanber ©ufdjting, 
beg am 27. 3auuor 1837 bon einem frangöfifchen Slbcnteurer 
im 3®eilampf erfdjoffenen berühmteften rujßfchen ®ichterg neuerer 
Beit, gählt ben wenigen, auch nt RBefteuropa genauer belannt 
geworbenen filbfehnitten ruffifcher $of* unb ©efeßfehaftghiftorie beg 
19. 3ohfh un bertg. 9lo<h bor wenigen 55a^reti ift bie ©efdpchte 
biefeg ®ramag in ben ©palten ber „©egenwart" ergäbt unb 
im ©ingelnen berichtet worben, wie ber biele Sabre lang alg Vor* 
tämpfer liberaler Sbeen proferibirt gewefene ®id)ter im 3ahre 1826 
nach ©t. {ßetergbnrg gezogen unb bom Siaifer 37itolaug gum Vergidjt 
auf feine freifinnigen Sugenbtrüume beftimmt, wie er bann gum 
ftnmmerjunler beg laiferlichen §ofg gemacht unb fo boUftänbig 
in bie SBirbel ber bornehmen ©efeUfdjaft gegogen würbe, bah 
man fi<h in weiteren Greifen auf bie liberale Vergangenheit beg 
©ängerg ber „X^ränenquetle bon ©adjtfchiffarai" erft wieber be= 
jann, alg berfelbe — erft 38 Sah« alt — auf ber lobten* 
bahre lag. 3Jtit einem $inweig barauf, bah biefe Vergangen* 
heit bem berühmten ®id)ter bon ©eiten beg ÄaiferS ÜRilolaug 
nie bodftäubig bergeben worben iß unb bah ein anberer ruffi* 
jeher ®id)ter, SRichaet ßermontow, eine poetifche Änfpielung auf 
biefelbe mit mehrjähriger Verbannung in ben Saulafug bühen 
muhte, — fdjloh ber erwähnte, 1874 in ber „©egenwart" ab* 
gebrudte Verist. — ©inen interejfanten Sßadjttag gu bemfelben 
hat bie in SJtogfau erfcheinenbe rufßfche Beitfdjrift „Russki Archiv“ 
bor einiger Beit beröffentlicht, einen ©rief, welken ©ufchling 
Sreunb unb ftunftgenoffe, ber im hörigen Sahre berftorbene gürft 
©. 8t. SBjäfemgti*) bem ©rohfürften SJtichaet ©amtowitfeh 
(jüitgftem ©ruber beg ®aiferg Stilolaug) fchrieb, um fich unb 
beg Verdorbenen übrige greunbe bon bem Verbacht gu 
reinigen, alg fei mit ben fßufchlin erwiefenen Icfcten 
©hten eine potitifche, auf Verherrlichung beg Siberalig* 
mug gerichtete ®emonftration beabfidjtigt gewefen. Sn* 
bem Wir nun noch erwähnen, bah alg bie fpauptoerteumber 
SBjäfemgfig bet bamalige ©hef ber britten Stbttjeilung, ©raf 
Senlenborf, unb bet alg Xobfeinb ber „romantifchen Schule" 
betannte$erauggeber ber „{Rorbifdhen ©iene", ©ulgarin, genannt 
werben unb bah bie mißtrauifch gemachte {Regierung Vufdjling 
Seiche bei Stacht unb Stebel unb unter (tarier militärifcher ©e* 
bedung aug beffen SBohnung hatte in bie ßitche fchaffen laffen, 
geben wir bie ^anptftetten beg SBjäfemgli’fchen ©riefg in Wort* 
liehet Ueberfefeung wieber**): 

„®ur<h Amtgpßichten in Slnfprud) genommen, war ich nicht 
gugegen gewefen, alg ©ufchtin feinen ©eift aughauchte. 811g idh 
balb nachher fein §aug betrat, erfuhr ich, bah man bei ihm an 
baarem ©elbe nur 300 Stube! »orgefunben habe unb bah ©raf 
©troganow***), alg Verwanbter bet grau {ßußhliu, übernommen 


*) Gute ©iographie biefeg mertwürbigen SJfanncg bat bie „Gegen* 
wart'' früher beröjfentftcfit. 

**) ®er Grohfürft befanb fiep gur Beit oon SJuföling lobe in 
©oben*©«ben, wo et bie fiter brauchte. 

***) ©iefet Graf Grigori Sllcsanbrowitfch S. war ein Dheint be8 
oot furgem oerftorbenen gleichnamigen laiferlichen SdjtoagetS (jweiten 
Gemahls bet Qerjogin SRatie 92itolajewna non Seudpenberg) unb gu= 
flteich ein ©etter oon ©uftf)fiii3 Schwiegermutter, Siatalic Gontfcharow 
geb. ©agräfchgti. 


habe, bie Seetbigunggloßen gu tragen unb alle begüglidien Sin* 
orbnungen butdh feinen Sntenbanten beforgen gu laffen. SBeber 
waren meine Begießungen gum ©rafen banach angethan, mir 
eine ©inmijehung in biefe Angelegenheit ju geftatten, noch lag 
baju irgenb welche Veranlaffung oor. Db ber ©raf bie oon 
ihm bezahlten geierlichleiten mit einem gewiffen ©lang umgeben 
wollte, war lebiglicf) Sache feiner greigebigteit. ®abei muh 
bemerft werben, bah bie ®eutung, welche man bem Umßanbe 
gegeben hat, bah für biefe geierlichteit bie 3faafg*fiathebrale ge* 
wählt worben, eine burchaug unberechtigte, auf borgefafjtett 
SJteinungen begrünbete gewefen ift Unfere fßetergburger Äathe* 
braten finb, wie alle übrigen Sirchen ber Stefibeng, ftirchfpielg* 
litten unb bag §aug, in welchem ©ufchfin geftorbeu War, ge* 
hört gum 3faa!g*SirchfpieI; mit jebem innerhalb biefeg ©tabttheilg 
öerftorbenen ©ettler wäre genau ebenfo »erfahren Worben. StlS 
ber gur Leitung ber geier eingelabene SJtetropolit bie ®h £ 't : 
nähme an berfelben oermeigerte unb ©raf ©troganow biefe SBei* 
gerung übel aufnahm unb alg Sßegotität begeichnete, habe- ich 
ihm gerathen, fich an ben Dberptocureur beg ©pnob, ©rafen $ro= 
taffom gu wenben unb burch biefen bie Sache auffläten gu laffen. 
©g ift bag ber einzige ©ath, ben i^ ertheilt, bag eingige ffiort, 
Weites ich tu bet gangen Sache überhaupt gefprochen habe. 

„8um ©ehuf ber SlugfteHung im ©arge würbe fßufchKng 
Seiche in einen fdjwargen grad, nicht in bie Uniform (so. eineg 
Äamnterjunfetg beg laiferlichen $ofg) getleibet. SRan hat barin 
ben Slugbrud politifcher unb toerfdjWörerifcher ^intergebanlen 
gefehen unb biefe ©ebanlen mir gur Saft gelegt. 3<h lann nur 
wieberholeit, bah ich — aug ben oben entwidelten ©rünben — 
auch biefem Umftanbe burchaug fremb geblieben bin. Seugnen 
will ich inbeffen nicht, bah ich, Wenn man mich unt weine 
SReinung gefragt hätte, für ben grad optirt haben Würbe. 3<h 
räume ein, bah hohe Söürbentröger unb im St rate oerftorbene ©er* 
waltunggmänner auch ©arge mit bet Uniform belleibet Werben 
müffen, weil biefe fo gu fagen ihrem öffentlichen ©hatalter in* 
härent ift; für jeben Slnbern, ingbefonbere für einen ©djriftfteHer, 
Wie fßufdhün eg war, Würbe ich-einen folchen ©ebraudj finbifch 
unb unpaffenb finben. ®agu lam, bah ©ufchlin feine Uniform 
nicht liebte, ©öden bie SBiberwärtigleiten beg Sebeng benn 
nicht ein 2Jial am Sianbe beg ©tabeg ungeftraft gurüdgelaffen 
werben lönnen? SBag ©ufchlin an feiner Uniform nicht liebte, 
War aber nicht ihre öegiehung gum jpofbienft, fonbern ber Um* 
ftanb, bah fie eine Kammer j u n t er * Uniform war. ®ro| meiner 
greunbfehaft für ihn muh ich einräumen, bah ©ufd)tin eitel unb 
weltlich gefilmt unb bah er — auch abgefehen bon feinet tiefen 
Verehrung für bie ©erfon beg fiaiferg — für ©unft unb Äug* 
geidptung empfänglich war. ®en Kammerherten*@chlüffel hätte 
er gu würbigen gewuht, — bloher Sammetjunler gu fein fanb 
er für feine Sal)te unb feine Stellung um fo weniger fchidtidj, 
alg gahlreiche junge Seute unb gefedf^aftliche Snfänget benfelben 
Slang hatten. ®ag iß Sldeg, wag über ©ufd)fing Abneigung 
gegen bie Uniform gejagt Werben lann: biefelbe hat mit Dppo* 
fitiongluft unb Siberaligmug fchlechterbingg nichtg gu thun ge* 
habt, fie war allein auf ©itelleit unb perfönlidje ©ebenlen gnrüd* 
guführen.... 

„fßufchling Xob unb bet Vorgang, ber benfelben herbeiführte, 
waren an unb für ßch augreichenb, bie aUgemeinfte Xheilnahme 
hetoorgurufen. ®iefer Vorgang fpradh ebenfo nachbrüdlich gu 
ben höheren ©tänben, wie gu ben ©laßen, — er rief eineu 
plöfctidjen ©türm herbot, er War ein ©reignif). ©ine mehr* 
wöchentliche Srantljeit beg ®i<hterg Würbe bag Sntereffe beg Ißubli* 
cumg wahrfcheinlich abgefchwächt, bietleicht gar erfdjöpft haben, — 
unter ben gegebenen Umftänben hatte bag publicum laum Beit 
Slthem gu fdjöpfen. SBeil man bem ni^t {Rechnung gu tragen 
gewußt hat, ift man in ein wahreg ßabtjrinth unbegrttnbeter 
UnterfteQungen unb Verbächtigungen gerathen. 3<h Weiß abfolut 
{Riemanb, bet auch nur ben Verfuch gemacht hätte, bie ©eißer 
aufguregen unb Seibenßhaften gu Weden u. f. W." — Stach einer 
längeren Slugführung barüber, baß bie Xrauer über ben lob 
beg Xidjterg ^anb in $anb gegangen fei mit ©mpßnbungen bei 
®anteg für bie bem Verßorbenen gu ®heit geworbene laiferliche 


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Nr. 46. 


1t* lunart 


311 


©anft uitb baß berühmte Wänner btit ©lanj bet Regierungen, 
unter welchen fie gelebt, erpöpten nnb bonint niept bie ©iferfuept 
berfelben Weden bürgen, — Reifet eS jum ©cplup: 

„SBenn bie Sericpte ber Voüjei, ju bem Sntjalte beffen, 
was id) übet biefe Angelegenheit unb bie biefelbe begteitenben 
Stimmungen foge, in ©egenfap ftetjen faßten, fo berpepere ich, 
bap meiner feften Ueberjeugung nad) bie ^olijei falfdj berichtet 
gewefen ift unb bap es fiep pöcppenS unt einige Sufäßiglciten, 
in bie fing gefprodjene Oereinjelte SBorte u. bgl. pat panbeln 
tonnen. SSie bem immer fei, VufcpfinS greunbe falcper 
©cptecpügleit ju jeipen, ip eine Unmürbigfeit gewefen, bie hoch 5 
ftenS bem niebrigften Vöbel jugefeprieben werben fönnte. ®ie 
Wapregeln, welche man bei Gelegenheit ber Ueberffiprung ber 
ßeiepe in bie ftirdje angeorbnet hatte, finb für VufcpfinS greunbe 
gerabeju beleibigenb gewefen. . . . geh totU oon ben ©olbaten: 
piquetS nicht reben, bie (angeblich aus S3orficht unb behufs Auf: 
rcepterpaltung bet Orbnung) in ben Strafen aufgefteßt waren — 
gegen wen ftnb benn aber bie militärifepen ©treitfräfte aufge= 
boten Worben, Welche in baS §au$ beS Verftorbenen brachen, 
als etwa jepn ber näcpften greunbe beSfelben berfammett waren, 
um bem lobten bie lepte ©pre ju erweifen? ©egen wen be= 
burfte eS ber bertleibeten nnb hoch aller SBelt befannten ©pione? 
©oKten unfere ©eufjer unb Xpränen gejäplt, foHte etwa gar 
unfer Schweigen anSfpionirt Werben? Auch baS faßen im Suter: 
effe ber Sicherheit gebotene SJiapregeln gewefen fein! ®aB mag 
fein, aber ftnb fie nicht für biejenigen befepimpfenb, bie ihnen 
jum Object bienten unb ift eine folche Sefcpimpfung nicht, Wenn 
fie nnberbient war, hoppelt peinlich? Ratfirücp ift bie ©ache 
fein ©epeimnip geblieben. Von bem fcpmäpüdien SS erbacht, bem 
wir auSgefept gewefen, hat aße SBelt fiunbe erhalten, — unfere 
Rechtfertigung ip aber non bet Oeffentlicpfeit auSgefcploffen nnb 
in ben Augen einer leichtgläubigen unb übetmoßenben ©efeß: 
fchap bleiben wir mit bem ©ewicht fchwerer Anflagen belaftet." 

gfit bie Buftänbe, welche pch unter ber Regierung beS 
IfaiferS RifoIauS entwicfelt hatten, ift ber üorliegenbe SBrief 
oon einer ebenfo eparafteriftifepen, wie traurigen Sebeutung. 
Staun etwas jugleicp Schmählicheres unb ©innlofereS gebacht 
werben, als bie ©iferfuept einer Regierung auf bie Xpeilnapme, 
welche ber lob eines burch fich fetbp unb nicht bur<h bie ©unp 
beS ©oubemements populär geworbenen auSgejeicpneten WanneS 
bem publicum einftöpte? Ueberfteigt eS nicht baS 9Rap aßeS 
©laublichen, bap man hinter bet Xraucr um ben Xob eines 
®icpter8 politifepe ©efahren witterte, benen mit bem Auf: 
gebot oon Infanterie unb ©enSbarmetie unb burch bie AuS: 
fenbung oon ©epeimpoüjiften oorgebeugt werben mupte? — 
®ap ein ebler, poepperjiger Wann Wie gürp SBJäfemSfi pch 
Wegen feiner Xpeilnapme an ben ißuphün bereiteten lebten 
Ooationen förmlich entfcpulbigen, bap er bie an bie Anlegung 
eines bürgerlichen XobtenfleibeS getnüpften Vefcpulbigungen mit 
einet Anflage gegen bie „©itelleit" beS Verftorbenen wiberlegen 
unb bemfelben barauS einen Vorwurf machen nrapte, bap er, 
ber berühmtefte Ruffe feiner 3ät, mehr als ein bloper „Stammet: 
Junfer beS Aßerpöcpften $ofS" fein gewoßt, — baS läpt auf 
einen ©rab oon Unfreiheit unb moralifeper Schwäche fcpliepen, 
ber bie heutigen Rufien ebenfo wiberwärtig berühren mup, wie 
bie SBefteuropäer, bie oon biefen aßeS Wap beS ©taublichen 
nberpeigenben Unwürbigfeiteh Rotij nehmen. „Ce sont les 
esclaves qui font les tyrans!“ 

Borealis. 


(ßoetfjes 130. (Seburtstüpe. 

• ©eit einer Reihe oon gapren hatten ©. .£>irjef, ©. o. ßoeper, 
SB. o. Siebermann unb anbere peroorragenbe ©oetpeforfeper bie 
©ewopnpeit angenontmen, ju ©oetpeS ©eburtstage ober jn an: 
beren feftlicpen lagen irgenb ein unbcfanntcS ©oetpeanum, ober 
©rläuterungen, Raepträge unb Semerfungen ju bereits befannten 
©oetpe’fcpen ©ebiepten unb Sriefen ju oeröffentlicpen. ©olcpe 
Veröffentlichungen waren aber nur für bie „ftiße ©emeinbe", 


ben fleinen ©reis ber ©ingeweipten, bet ©oetpefenner bepimmt, 
man oerlangte nur ein VerbrübcrungSjeidjen, eine Wapnung, 
welcpe jum AuSparren auf bem betretenen SBege aufforbem unb 
jur ©rfenntnip ber ©enoffen ermuntern foßte. ®apet fam eS 
weit mehr auf bie ©ePnnnng, als auf ben gupatt bet @e= 
legenpeitSblättcpen an; ift Ja ber ©epaat ber engoerbunbenen 
greunbe auep baS Werth unb mißtommen, was ben profanen 
Süden ber gernftepenben gleichgültig unb unbebentenb erfepeint. 
Vor einiger B £ it nun pat Wicp. SernapS bie jeitgemäpe An: 
regung gegeben, niept bloS in fleinen Steifen burep gelegentliche 
Aeuperungen ben 28. Auguft ju feiern, fonbern ipn auep öffent= 
ücp ju begehen, fei eS burep gröpere Serfantmlungen ober burep 
Reben unb Schriften. 

©in foldper Serfucp liegt je|t in ber ©^rift: „Su ©oetpeS 
punbertbreipigpem ©eburtstage. Seftf^tip jum 28. Augup 
1879"*) oor, einet ©eprip, bie wie aße bie überaus japlreicpen, 
oon ber rüprigen SerlagSpanblung oeranpaltettn Seröffent: 
licpungen trefflicp auSgeftattet, aber, im ©egenfap ju ben an= 
beren fßublicationen beSfelben Verlags, jiemlicp wertploS ift. ©S 
wäre fepr fcplimm, wenn man in biefet ©eprip ein übles Vor: 
jeiepen fepen müpte für bie Abpept, ©oetpeS ©eburtstag öpenfe 
licp ju begepen; wenn man nichts SeffereS pat, ©oetpe jn feiern, 
bann tput man wopl baran, ju fcpweigen. 

®aS erfte ©tüd ber oorüegenben Sammlung ift: „©in 
nnbetannteS gauftifcpeS gepfpiel ju ©oetpeS ©eburtstag oon 
flubwig Xied." Richtiger pätte eS gepeipen: oon S. benn 
Rausch, ber baS ©tüd Deröffentticpen woßte, unb aus beffen 
Racplap ber Herausgeber bie Huubfcprift erworben pat, be* 
jeiepnet ben ®icpter nur mp ben Snitialen, unb erjäplt, bap in 
einer ©efeßfepap jur peier beS 28. Aug. 1823 ber ®icpter Ä. X. 
Pep erpoben unb jenes gepfpiel oorgelefen pabe. Run ip eS 
fepr bebenftidj, bap Raupaip oon einem fo berühmten Wanne, 
Wie Xied bamalS War, in burcpauS gleichgültiger SBeife ftmept, 
bap ferner Xied ein bon ipm perrüprcnbeB ©elegenpeitSftüd 
einem Anbern — opne Rennung feines RamenS — jut .Set: 
öPentücpung überlaffen unb niemals baoon gefproepen paben 
foßte, bap enblicp — Xied bamalS gar niept in Serlin, fonbern, 
feit 1819, in ®re8ben lebte (bap er 1823 auch nicht auf furje 
Beit nach Serlin gefommen fein fanu, gept $. S. aus ben oon 
Holtei perauSgegebenen Sriefen an Xied Sb. III, @. 166 per: 
oor), fo bap wir, wenn Wir niept an SBunber glauben wollen, 
unmöglich annehmen tönnen, bap bet ß. X., bet fiep bei einem 
Serlinet gefte 28. Aug. 1823 „bie ffirlaubnip auSbat, ju ©pren 
beS XageS gauftifepe fpreepen ju taffen" unb ber 

®icpter ßubwig Xied biefelbe S* r f°u fei. ®aS ©tüd felbp ift 
übrigens niept beffer unb niept fcplecpter als folepe ©etegenpeitS: 
ftüde überhaupt: eine ©eene im Himmel, eine auf ber ©rbe; 
in jener feiern ©ott unb bie ©ngel, in tiefer bie oerfepiebenen 
Varteien uitb inSbefonbere bie Huupt» unb Rebenperfonen beS 
©eetpe’fcpen gauft beS ®icpterB ©eburtstag; nichts in biefen 
jiemüdp matten Verfen, bie weit eper einen begeifterten Süngling, 
als einen reifen Wann oerratpen, jwingt baju, auf Xied ju 
fcpliepen; ber AnSfaß auf bie Ortpobojen unb inSbefonbere ber 
ganj unmotioirte Angriff gr. @cplegel8 unb feines Romans 
„ßueinbe" fcpliepen bie Autorfcpaft XiedS siemlicp bepimmt aus. 

®er jweite unb britte Xpeil ber oorüegenben S^rift finb 
Abpanblungen: beibe unbebeutenb, weitfcpweipg, überftüffig. ®ie 
erftere: „Ueber ben XrubenfuP unb bie Hejenfptücpe in ©oetpeS 
gauft", bringt geleprt flingenbe Semerfungen, bie nach ber 
falfcpen SMnung neueret ©ommentatoren als ©rflätungen gelten, 
wäprenb fie in SBirflicpfeit baS Verftänbnip nur erftpweren, 
patt eS ju erleichtern, AuSjüge aus einem alcppmipifcpen SJlanu: 
feript, Aufjäplung alcphmiftifcper ©cpriftpeBer, lauter ®inge, bie 
auch niept ein Sßort aus ©oetpeS Hejenfprücpen aufflären unb 
pöcpftenS baS Seftreben oerratpen, burh eine weit pergepotte 
aber übel angebrachte ©eleprfamfeit ju imponiten; bie leptere: 
„Ueber ben Ramen WeppiftoppeleS" wieberpolt gleichgültige, 
punbertmal auSgefprocpene ®inge unb rieptet ftep felbp burep 


*) Aon Sbuatb SB. ©abell. Heilbronn, ®ebr. Henninger. 

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312 


Ute ® eg enwo rL 


Nr. 46, 


bie gelegentliche ©enterfung: „Heute finb bie Sieten noch nicht ! 
fpruchreif." Der erftaunte ßefer Wirb fragen: „3a woju benn j 
bte gaitje 8lbt)anblnng?", aber eine befriebigenbe Slntmort auf | 
feine grage wirb er fdjwerlich erhalten. 

Stodj fchlintmer fteht eS mit bem liierten unb lefcten Dljeit: 
„9teu aufgefunbene ®ebi<hte bon ®oet!je." SJtit folgen ginb= i 
lingen wirb überhaupt in lebtet Seit fernerer SJtifjbraudj ge= j 
trieben unb ich ftelje nicht an, ju erflären, bafj gar manche ber 
neuerbingS publicirten ©erfe recht wohl in ber ©ergeffenheit j 
hätten »erharren lönnen, in ber fie bis baljin geruht tjatten. 
Slber mochten auch Totere S3erfe unbebeutenb fein, fie waren j 
wenigstens unbelannt; bie Don Herrn ©abefl »eröffentlichten ®e= 1 
bichtchen hoben nid)t einmal biefen ©orjug. Unter ben 16 @e= 
bitten, bie ©abeß mittheilt, waren 3, wie er felbft angibt, 
bereits gebrueft: ein ®ebid|t an ©ettina Don Slrnim in einer 
©ublication bon Sufce, baS ©tammbuchblatt an Sen} in ßoeperS 
©oetljenuSgabe, Fragmente beS ©pilogS jurn 3. Siete beS Sauft 
(2. Iheil) in ber „©egenmart" 1878 unb in ßoeperS neuer 
gauftbearbeitung; warum tro^bem biefe brei abgebrueft werben, 
wei§ icb nicht; eS ntüfjte benn fein, baff ©abeH bie ominöfe 3af)i 
13 höbe »ermeiben wollen. Denn freilich bon biefen 13 muffen 
gar manche fterben. Sticht Weniger als 6 ftehen in bemfetben 
Iheile ber ßoeper’fdjen ©oetheauSgabe (99b. V, Stadjlefe ju ben 
©ebidjten), in welchen <5abeH baS Stlbumblatt an ßenj bemerfte, 
unb jwar Str. 2: ©. 265, Str. 3: ©. 252, Str. 7: ©. 257, : 
Str. 12: ©. 265 unb Sir. 13 unb 15: @. 262. «Iber baS ift ! 
noch nicht SltleS: ©ei ben angeführten ©ebidjten ift wenigftenS ' 
©oetheS Slutorfchaft bejeugt; bei Sir. 8 bagegen: 

Sin ein genfter ju Tiefurt. 

0 bu Vernunft ber Unbernunft! Sab bemünftig mich beugen 

Unbemünft’ge Bernunft, um bernünft’ge Vernunft ju berbreiten, 

hat Soeper (ber eS mit einigen Sarianten a. a. D. ©. 236 
abbrudt) nachgewiefen, bafj eS bon Knebel, ©oetheS Urfreunb, 
herrührt. I 

3nbe|, alles biefeS liehe fich entfdjulbigen. SJtan fönnte 
fagen, $etrn ©abellS ©oethelenntnife rühre auS einer Seit her, 
in Welcher neue ©oetlje=gunbe noch nicht gemacht, neue 8luS= 
gaben nod) nicht beröffentlicht waren. Stur fchabe, aud) biefe 
Sertheibigung läfjt fich nicht annehmen. Denn unter ben „neu: 
aufgefunbenen" ©ebidjten parabirt einS: Str. 4, welches bie ftatt» 
liehe 3ohl bon 42 3oh*<n feit feiner erften ©eröffentlidjung 
hinter jtdj hot, unb welches fich feit bem 3- 1837 in fämmt« | 
liehen ©oetljeauSgaben als 5. ©ebidjt in ber fünften Steilje ber ; 
„3ahmen lenien" finbet.*) DaS ift benn freilich ein biSchen ftarf. ! 
9Ber ©oethe bereichern will, ber mühte bittigerweife juerft ©oetlje 
fennen. 

UebrigenS hot baS letztgenannte ©ebicht in bem ©abefl’fcben 
Drude bon bem recipirten Dejte einige Slbweidjungen, bie burch 
nichts gerechtfertigt finb. Denn auf welche Slutorität ftüfct fich i 
ber Herausgeber, bah er bie ®ebidjte — bon ben angeblichen J 
16 finb nur noch 4 übrig geblieben, bie entweber unbebeutenb, 
ober, theilS ber gorm, theilS beS 3nIjaltS wegen, berart finb, 
bah man fie ohne SSBeitereS bem Slltmeifter abfprechen möchte — 
als ffiigentfjum ©oetheS erllärt? @r fagt: „fie liegen in ber j 
Hanbfchrift eines SBeimarer greunbeS unb Sammlers bot uns". 
©ineS greunbeS ©oetheS, — bann hätten „Wir" (benn warum j 
foHte man nicht ben hod|ltingenben ©lural ebenfo gut in Slnfpruch : 
nehmen fönnen, wie ber Herausgeber?) wohl baS Sted)t, eine 
etwas genauere Sefdjreibung ber Hanbfchrift ju »erlangen; eines 


*) DaS bon ©abeil mitgetbeilte ®ebid)t Str. 5 ©djlujj 

DaS ift baS §öcb|te ju achten: 

’ Die SRtnfdjen lernten unb fie nicht »erachten 

ift nichts SlnbereS als eine Variante ber lepten SSerfe eines ©ebicht* 
tn ben „3ahmen lenien", erfte Steihe: 

SBontach iofl man am 6nbe trachten y 
Die SBelt ju tennen unb fie nicht »erachten. 


greunbeS beS H e rouSgeberS — bann fönnte man faft in ber 
Ueberlaffung ber Hanbfdjrift einen wenig freunbfdjaftlidjen Streich 
erbliden. Denn warum foHte man nid^t, mit bemfetben Siechte, 
einem brudwütljigen Herausgeber baS fßoefiebudj eines ©enfionS: 
mäbchenS in bie Hänbe fpieten, um bann ju erleben, ©oetheS 
SRonblieb, ober ©uteifagebidjte unb ähnliche als „neuaufgefum 
bene" ©ebichte ©oetheS beröffentlicht ju fehen!? 

3n bem ©emuhtfein ber groben ©chäfce, welche er bem 
beutfdjen ©olfe barbietet, hat ber Herausgeber fein ©uch »ben 
SDtanen ©oetheS geweiht", baS SJiotto »orangefefct: ,,©S ift ein 
angenehmes ©efüht, einen groben SJiann ju oerehren" (wahr: 
fcheintich ein ungenaues ©itat ber ©teHe aus „©öfc": ©S ift 
eine SBoHuft, einen groben SRann ju fehn) unb eine ©inteitung 
»orangefchidt, in welcher er fein überboHeS H er S auSfdjüttet. 

©ie ift ber übrigen ®djrift ganj würbig, fie enthalt 
nämlich flüchtige unb berfeljrte ©emerfungen über bie gauft: 
literatur unb ©oetheS ©teHung in ber beutf^en ßiteratur. ipert 
©obeH lehrt, „bah Seffing in feinem gauftfragment nur einige 
©eenen beS fßuppenfpiels abgefchrieben ju hoben fcheint, unb 
nirgenbs fagt, bah biefe ©eenen bon ihm felbft feien", mäljrenb 
Seffing, ber eS bo<h Wohl beffer muffte, an ©leim fchreibt 

(8. 3uti 1758): „©hftmS werbe ich meinen Doctor gauft 
hier fpieten laffen" unb an feinen ©ruber (21. ©ept. 1767): 
„3«h bin SBiHenS, meinen Doctor gauft noch biefen SBinter h*« 
fpieten ju taffen. SöenigftenS arbeite ich auS allen Kräften 
baran." H er r ©abeH berfünbet bie wunberbare Offenbarung, bah 
faft 30 3aljre bor bem StuSfpruche SlapoteonS: Vous etes un 
homme, ein in granlreich lebenbet Deutfcher an 9D?erd ge» 

fchrieben hot: „3hr greunb ©oethe ift ein SMann"; ferner, bah 
Saphir „bon jübif<her grechhett unb Uebermuth" unb ©örne »on 
„jübifcher ©itetfeit" getrieben würbe, gegen ©oethe aufjutreten; 
unb bemüht fich enbtidj auf ben testen ©eiten feiner ©orrebe in 
einer h^f^nS ber ©ierbanf mürbigen Sprache grangofenhah 
ju prebigen. ©S wäre fehr bergeblich, über fotd)e Slnftöhten 
einen Streit ju beginnen, aber eS ift bebauertich, bah ei« 

beutfdjer ©chriftfteßer, welcher ©oethe §u ehren meint, einen 
©ah nieberfdjreiben lonnte, wie ben fotgenben: „©emfith hoben 
bie granjofen nie gehabt; afle ©hrfurcht ift ihnen »ertöten ge: 
gongen; bie hohle ©h ra fe ift ihr ©tedenpferb. 3h ie fog. !laf: 
fifche ßiteratur ift beraltet unb abgelebt; bie neue ohne ©eljalt 
unb SBerth-" ©oethe, ber »on SRoliäre unb Diberot unb fo 

manchen anberen Sertretern „ber fog. ftaffifchen ßiteratur" ftets 
mit höchfter ©ewunberung fprach, ©oethe, ber baS „iunge granf: 
reich", wie eS in ben jmanjiget 3oh«en in ber 3eitf<hrift „Le 
Globe“ auftrat, mit jugenbfrifchet Dljeilnahme unb herjlicher 
Stnerfennung begrühte, ©oethe hätte für foldje thöri^te Stehens» 
arten wohl auch baS 2Bort gebraucht, baS er on Beiter fchrieb, 
nachbem er ihn ju Stottere belehrt hatte: „Die lieben Deutfchen 
glauben nur ©eift ju hoben, wenn fie paraboj, b. h- unge» 
recht finb." 

@o gut Herrn ©abeHs geftfehrift auch gemeint fein mag, als 
eine mütbige fann fie nicht angefeljen werben. Hts paffenbereS 
SJlotto ju feiner Schrift hätte er bie ©oethe’fchen ©erfe anführen 
lönnen, bie fich gleichfoHS in ben „3gh men 3£enien", nicht weit 
bon ben oben angegebenen finben: 

©aS haben tote benn ba gefunben? 

©it totffen Weber oben noch unten, 

unb baS 9lmt beS geftrebnerS benen überlaffen foHen, wel^e 
mehr befähigt finb, bon ©oetheS ©ebeutung ju fprechen unb 
neue ©eiträge jur würbigen ©rfenntnife feiner SBerfe ju liefern! 

Subroig cSetger. 


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Nr. 46. 


t e (üegfttjttart. 


313 


Hie neueren Ärpcrtmcttifllmrterfndimigtn über Mc Seele. 

Euflat) Sägers Arbeiten über bie Seele bürfen wohl als 
ben gebitbeten ©reifen im Allgemeinen betannt angefeljen werben. 
Auch toeip Sebermann, baff bie Anficfjten bet Naturforfcher über 
bie Beobachtungen biefeS (Mehrten noch feh r auSeinanbergeheu. 
SBährenb (Einige biefelben als baS Bebeutenbfte greifen, was bie 
neuere Naturforfdjung geleiftet, fetten Anbere bie Schluß 
folgernngen Sägers für ju weit gehenb, Dritte betrachten feine 
Arbeiten überhaupt als unwiffenfchafttich unb feine Denbenjen 
als OetWerflid). Die testete Anficht h°t bei ben lürjlidj in 
Saben*Baben oereinigten beutfdjen Naturforfchern unb Aerjten 
offenbar borgewaltet, unb ift Urfadje ber herben Ablehnung ge* 
roefen, welche Sägers Bortrag in ber bortigen öffentlichen 
©ifcung gefunben hat. 

©S liegt unS fern, über bie Berechtigung biefer oerfdjiebenen 
Auffaffungen ju urtheilen. Auch gebenlen wir, an biefer ©teile 
bie 3äger’fchen Arbeiten Weber anjugreifen noch SU oertheibigen. 
Das SBahre an benfelben Wirb auch °h ne unS burchbringen, 

unb, nadjbem eine oon ©chladen geläuterte Sehre hiuterblieben, 
wirb eS offenbar werben, ob bie Bilanj oon Strihum unb 
SBahrheit in berfelben ju (fünften ihrer ©jiftenjberechtigung ent* 
fcheibet. — gär heut begnügen Wir unS, ba wir in bem folgenbeu 
Beriete bie Unterfuchungen Sägers oorauSfefcen müffen, mit 

jtoei SBorten bie Ouinteffenj feiner Anftdjten jufammenju* 

faffen: nach ihuen finbet fich bie Seele in ben Nied)* 

floffen, Welche jebeS menfchliche unb thierifdje Sßefen auS* 
fenbet, unb welche bei allen Snbioibuen oerfchiebenartig finb, 
getabe fo, Wie Sharafter unb feelifdje ©igenthümlicf)feiten bei 
jwei SRenfdjen niemals oöllig übereinftimmenb gefunben werben. — 
Die Anfichten 3ägerS finb in aüerjüngfter Beit einer fehr 
intereffanten Prüfung unterworfen worben jeitenS eines SRanneS, 
welchen man nicht eigentlich einen Schüler ober Nachfolger, 
fonbern oielmehr einen congenialen SRitarbeiter Sägers nennen 
map. Abam Dunftmaier, beffen Arbeiten ben ©egenftanb 
unfereS heutigen Berichtes bilben, oerbinbet in gtücfiicher SSßeife 
SBtffen unb ©önnen in ber ejracten Naturforfdjung mit üoller 
Beherrfchung ber ©eifteSwiffenfdjaften, unb wanbelt bie ber* 
fchiungenen fßfabe abftracter BhilofoPh* e mit ber gleichen Sicher* 
heit, mit ber et baS äReffer beS Bhhfiologen führt. 3öie er 
felbft mittheilt, unternahm et feine Arbeiten als auSgefprodjener 
©egner Sägers, unb öornehnilich in ber Hoffnung, experimentelles 
ÜRaterial jur SBiberlegung bet Sehren biefeS gorfdjerS JU 
fammeln. SBenn er jefct als beffen oornehmfter SRitfämpfer er* 
fcpemt, fo ift bieS nicht freie SBahl, fonbern feine Unterfuchungen 
führten ihn, wieber fein ©rWarten, ju ©rgebniffen, welche bie* 
jenigen Sägers Weniger beftätigen, als oielmehr erweitern, 
welche ihnen erft bie wahre wiffenfdjafttiche ©runblage geben 
unb in bielleicht noch höherem SRape als Säger felbft es ahnt, 
bie Begrünbung einer befonberen DiScipIin anbahnen, welche ben 
fpftematifchen Anbau ber neu erfchloffenen ©ebiete jum ©egen* 
ftanb hat. 

Die SRethobe, welcher fich £>err Dunftmaier bei feinen 
Unterfuchungen bebient, ift eine ftreng naturwiffenfchaftlidje. 
Sie beruht auf folgenden ©r Wägungen: SEßie man baS Sicht, 
welches ein heiler ©örper auSftrahlt, auf einer geeignet prä* 
parirten Photographien Blatte auffammetn unb fefthalten fann, 
fo muh auch bie Seele, Wenn fie wirtlich lörperlicher Natur 
ift unb in gorm oon Niechftoffen oon ben Snbioibuen auSge* 
prahlt wirb, fich auf geeigneten Subftraten fairen laffen. Diefe 
Subftrate ju finben, war bie erfte Aufgabe. 3Bie nun ber 
Bhatograph für bie gijirung ber Sichtftrahlen bie mit 3ob* 
filber überzogene Blatte benufct — weil Sobfilber ein befon* 
berS U^temppnblicher ©örper ift —, fo oerwanbte §err Dunft* 
maier mit ©rfolg bie für ben ©eruch empfinblichfte Subftanj, 
Welche Wir tennen: baS Niechorgan beS $unbeS. Sft es 
boch betannt, bah ber $unb bie ©pur feines §errn riecht unb 
fie oon ber jebeS anbem 9Renf<hen unterfcheibet. ©8 war bem* 
nach }u erwarten, bah auf feinem ©eruchSorgan fich gewiffe 


] Stoffe nieberfchlagen, bie mit ber Natur beS ben ©eruch aus* 
fenbenben SnbioibuumS im nächften Bufammenhange flehen. Sinb 
I nun wirtlich in biefen Niechftoffen bie feelifchen ©igenfdjaften 
oerlörpert, fo muhten fich auf bem angebeuteten SBege ©harafter* 
eigenthümlihfeiten, ja bie Seele felbft, in Subftanj ifoliren unb 
■ beliebig oon einem Snbioibuum auf ein anbereS übertragen 
i l“ff en * 

Die Söfung biefeS wichtigen BroblemS ift nun |>errn 
Dunftmaier in übetrafchenber SEßeife gelungen. Die erften Ber* 
fuche ftetlte er über bie Subftanj ber gurchtfamfeit an, 
unb er benufcte als Dräger biefer ©igenfctjaft &afen. 3« bie 
SRitte feines ©jrperimentirjimmerS braute er einen, aus eifernen 
Stäben gefertigten ©äfig, ber jwanjig lebenbe |mfen enthielt; 
nun würbe ein §unb ins Bimntet gelaffen, welker, fofort gegcic 
| ben ©äfig anftürmenb, bie Bewohner beSfelben in äuperfte Angft 
| oerfefcte unb ihre gutdjtfamfeit aufs Jpöcfifte erregte. Der $unb, 
welcher bei feinen erfolglofen Angriffen gegen ben ©äfig lebhaft 
fchnaufte, hatte reichlich ©elegenljeit, bie oon ben $afen auSge* 
fanbten Angftftoffe einjuathmen. — Nach jweiftünbiger Dauer 
beS BerfudjS würbe ber $unb getöbtet, bie Nafenfchleimhaut 
unb bie ©eruchSneroen beSfelben h era «^präparirt, in einem 
SRörfer jerrieben unb mit einer Wäfftigen ©Ipcerinlöfung ejtrahirt. 
2Benn in ber Dfjat ber Seelenftoff ber gurdjtfamfeit auf bem 
Niedjorgane beS §unbc8 niebergefcfjlagen war, fo muhte man 
erwarten, benfelben in bem glpcerinigen ©jtracte angefammelt 
ju finben. Dies beftätigte bet Berfudj in glänjcnber SEBeife. 
AIS nämlich §err Dunftmaier einige Dropfen beS ©jtracteS 
einer ©afce berabreichte, ergriff biefelbe oor äRäufen, Welche fie fonft 
eifrig ju oerfolgen pflegte, bie glucht. — ©in träftiger ffleifcher* 
hunb würbe burch fubcutane Snjection oon jwei ffiubitcentimetern 
beS ©jtracteS fo furchtfam, bah er feinerfeits ben Anblid beS 
erwähnten ©ä|d|en8 nicht ertragen tonnte. — 9Rit ni^t geringerm 
©rfolge bermochte ^>ert Dunftmaier, in berfelben SEBeife operirenb, 
ben Seelenftoff beS äRutlfeS, welcher oon einem in einer 
ÜRenagerie bcfinblichen jungen afrifanifchen Söwen auSgefanbt 
würbe, aufjufammeln, unb auf anbere Dhiere ju übertragen. 
Auch über biefe Berfudje theilt er zahlreiche ©injelheiten mit, 
bezüglich berer wir auf bie Originalmittheilung oerweifen. 

Sn ber angegebenen SEBeife gelang eS $errn Dunftmaier, 
oon faft allen pfpdjifdjen ©igentijümlichteiten, bie fid» an Dhieren 
beobachten laffen, gut gelungene Aufnahmen ju erhalten, Welche 
er als „Bfpihotppien" bejeidjnet, unb welche bie nieberge* 
fchlagenen ©eelenftoffe in bauernb wirtfamer gorm aufjubewahren 
geftatten. Sinb nun fchon bie SBirluugen, welche biefe Btäparate 
auf 2h«ere auSüben, erftaunlid), fo wirb unfer Sntereffe in 
noch höherem 9Rahe erregt burch bic ©rfolge, welche bei ber 
©inwirhing berfelben auf 3Renfc|en erjieit würben. Die hier* 
auf bezüglichen Berfuche gewinnen noch befonberS baburdj an 
Bebeutung, bap fie jum Ztyit an bem moralifchen Urheber biefer 
Unterfuchungen, an §errn Säger felbft, angeftettt werben fonnten. 
£>errn Dunftmaier mupte oor Allem baran gelegen fein, biefen 
©eiehrten oon ber Nichtigleit feiner Beobachtungen ju über* 
jeugen, unb in ber Dh°t lieh 4?err Säger fich bereit finben, bie 
SBirfung einiger ber erhaltenen ©jtracte an feinem eigenen 
Organismus ju erproben. 

Die erften Berfuche über bie SBirfung ber ©gtracte auf 
ben SRenfchen ftetlte $etr Dunftmaier an fich felbft an. Nach* 
bem er eine Heine Dofe pftjdwtppifthen gurchtftoffeS innerlich 
genommen hotte, oerliep ihn feine, fonft unerfchütterlidje ©ühn* 
heit in folgern SRape, bap er an feine eigene ©ntbeefung ju 
glauben nicht ben SRuth h°tte. Diefer Anfall oerlor fich iobep 
nach furjer Seit. — Die SRuthfubftanj, innerlich gegeben, 
oermochte ben Sinn fchwacher ÜRäbchen jur ©üljnheit ju ent* 
flammen, ja, bie ©efinnung oon fonft ganj gewöhnlichen SRenfchen 
gerabeju in grechheit ju oerwanbeln. t>err Säger, welchem eine 
Brobe ber Subftanj gefanbt würbe, unb welcher eine ftarfe Dofe 
baoon ju fich nahm, hat fich berfelben mit ©rfolg bei Abfaffung 
feiner neueften Schrift über bie Suben bebient. — Auch non 
bet ©chamhaftigfeit fonnte ^err Dunftmaier wirffame Bfpcho* 
tppien aufnehmen, inbem er als auSftrahlenbeS SRebium ein fehr 

oogle 


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314 


Hie <5f geitwart. 


Nr. 44. 


fchücfderneS junges SKäbchen berwanbte, baS bei jebem ÜCntafje 
Zu erröten pflegte. ®er erhaltene ©jtract tljat SEBunber, unb 
braute fclbft bei ©erfonen bon nichts weniger als jungfräulichem 
©Ijaraftcr bie auffaßenbften ©ffecte Ijeroor, ja fogat bei Elfiieren 
er»ie8 er fich wirffara. Stuf §erm Säger wirfte er in ber 
SBeife, baff bemfelben bei ber blofjen ©rmähnnng feiner wiffen* 
fchaftlkhen Arbeiten bie ©d)amröthe auf flieg. — ÜRerfwiirbig ift 
inbeffen, baff bie SBirfung eines ©eelenejtracteS burd) Set* 
abreidjung eines entgegengefefct wirfenben nicht öoßftänbig auf* 
gehoben werben tonnte. ©o gelang es j. S. nicht, bie gurdjtfam* 
feit beS oben erwähnten gleifcperhunbcS burd) (Singeben non 
SRuthfubftanz ju befeitigen; im ©egentljeif, baS 2^icr erbitterte 
nodj fange felbft bor Ieblofen ©egenftänben berart, bah eS j. S., 
als man ihm ein ungebundenes ©udj entgegenftredte — es würbe 
Zufäflig baS gerabe junäc^ft fiegenbe Sßerf $errn Sägers „®ie 
©ntbecfung ber ©eele" gewählt — fich winfefnb in eine ©de 
berfrod). 

$err ®unftmaier fefct feine Uuterfuchungen — welche im 
erften Sanbe ber „©erhanblungen ber beutfdjen ozologifdjen @e* 
fcflfchaft" beröffentlicht finb — weiter fort unb berfpridjt, bafb 
über fernere ©rgebniffe p berieten. ®a8 Angeführte bürfte 
inbeffen borläufig genügen, um bie ungewöhnliche Sebeutung 
biefer Arbeiten ins rechte Sicht p fefcen. SEBurbe baS wiffen* 
fdjaftliche ©ubticum fchon oor jwei Salden burch bie Offen* 
batung ber ©jiftenz felbftftänbiger Seelen in ben <hemifd)en 
Atomen an einen entpdenben Abgrunb bon metaphhfifchem 
®ieffinn geführt, fo wirb, nach bem aJUtgetpeilten, ©ientanb 
bezweifeln, baff bie Söfung ber lebten pfpchologifchen unb 
naturwiffenfchaftlichen ©äthfel nur im ®unftntaieri$muS 
gcfunben werben fann, beffen Urheber bie Seele, bie ©uftao 
Säger nur riechen fonnte, in ©ubftanj zu ifoliren unb beliebig 
auf anbere Snbioibuen ju übertragen gelehrt hat 

HT. Dictor. 


Jltts bet ^auptffabt. 


Düs Jtablint» ttttb bas Jdjaafpiel: „ditte (Elfe von heut“. 

®aS ©djaufpiel: „©ine @h e »on h eu t" bon A. #aden* 
thal hat bei feiner erften Aufführung am ®ienftag, 4. Slobember, 
im königlichen ©chaufpielhaufe ein OotlfommeneS giaSfo erlebt. 
3lach ben erften Aufzügen milchten fich in ben matten Applaus 
energifdje AuSbrücfe ber Ablehnung. ®er Unwille beö fßubli* 
cumS fteigerte fid) Währenb ber lebten Aufzüge unb nahm jum 
©bluffe, im fünften Act, fo ungewöhnliche ©crhältitiffe an, bah 
biefe erfte Aufführung beinahe bem leibigen Kapitel ber Xheater* 
ffanbale zuzuzählen ift. 

®aS ©djaufpiel „©Ute ©he bon heut" non A. ^adentfjal 
hat bei feiner zweiten Aufführung am ®onnerftag, 6. ßlooember, 
im Königlichen ©chaufpielhaufe einen fehr guten ffirfolg baoon* 
getragen. Schon nach ben erften Aufzügen war bie Stimmung 
eine entfdjieben animirte unb günftige. ©S würbe aßfeitig leb* 
haft gefiatfcht, ohne bah fich ein Reichen beS SWihfafienS in ben 
Skifall eingemifcht hätte. fRad) bem bierten Aufzuge fteigerte 
fich ber Skifall zu einem ©rfolge, ber ein butdjfdjlagenber ge* 
nannt werben fann, unb biefe günftige ©timmung würbe auch 
burch beit ©dßuhact nicht in bem SRafe beeinträchtigt, bah biefe 
Zweite Aufführung nicht zu ben glüdlidjen Abenben beS König* 
liehen ©chaufpiethaufeö gerechnet werben fonnte. 

®a8 finb bie beiben ®hatfad)en, bie ich als ©eridjterftatter 
unb Augenzeuge z“ bermelben habe. 

SEBir fteljeu alfo wieber einmal bor bem groben unlösbaren 
Problem: 38aö ift baS ©ublieum? §ier hat es thatfächlich an 
zwei aufeinanbeTfolgenben Abenben über baöfelbe ©tüd in berfelben 
®arfteßung — benn bie ©eränberungen, welche nach ben unlieb* 
famen ©rfahtungen ber erften Aufführung borgenommen worben 
finb: bie ©efeitigung bon anftöhigen ©teilen, bie Kürzungen tc. 


ftnb nicht fo einfdjneibenber Art, bah baburch baS ganze ©tüd 
beränbert worben wäre — hie* hat baS ©ublicum zwei fich in 
aßen ©unften wiberfptedjenbe Urthcile abgegeben. 

Aber ift biefe Abftraction eine richtige? Sft baS «tn 4. 
aufgeführte ©tüd wirtlich baSfetbe, baS wir am 6. gefehen haben? 
Sft eS beibe Stale biefelbe Siarfteflung gewefen? ®iefe fragen 
ftnb boch nicht fo ohne ©JeitereS mit Sa z u beantworten. 

8u einem ©ühnenwerfe gehören btei ffactoren: bet Autor, 
ber eS fchreibt, bie ®arfteflung, bie eS nermittelt, baS ©ublicum, 
baS es entgegennimmt. ®iefeS te|tere ift bei ber erften unb 
entfeheibenben Aufführung feineSwegS ber bloS paffitte X%eit; eS 
ift ein actioer HKitarbeiter. ©S becinftufjt burch fern ©erhalten 
bie ®arfteßnng unb reagirt baburch inbirect auf baS ©tüd fclbft, 
baS fich i a nicht in ber Unmittelbarfcit beS bidhterifchen AnS* 
bruds, fonbern erft burch bie ßflittelbarfeit ber ®arfteßung »er* 
wirflicht. ®aS ©ublicum aber unterf^eibet nicht zmifchm ber 
angemeffenen ober unangemeffenen ®arfteßung unb ber Dualität 
beS ©tiideS. ®S fagt oon einem ©tüde, beffen ®arfteßung cS 
unter Umftänben felbft »erborben hat: baS ift ein f^ted^teS ©tüd. 
©8 macht fldj nicht gleich Kar, bah felbft, bah eS baS ©ubli* 
cum ift, weites biefeS ©tüd gefchäbigt hat. 

®er Autor ift eine beftimmte ©erfönlidjfeit. ©eine SeiftungS* 
fähigleit fann objectio beurtheilt werben. ®ie ©^aufpielet finb 
ebenfaßS befannte ©röfjen ober Kleinheiten, beren gäpigleiten 
ober Unfähigfeiten zu bemeffen finb. Aber WaS ift baS ©ubltcum ? 
©S ift etwas 9üdjt=AtialpfirbareS, UnfahbareS, UnermehtidjeS. 
SBir fehen, bah eS heute biefelbe grage bejaht, bie eS morgen 
berneinen wirb. SBiebiel taufenb Sufäßigfeiten bie Snfammen* 
fe|ung beSfelben bewirfen, unb burd( welche unberechenbaren Uu* 
bebeutenbheiten feine ©timmung gehoben ober herabgebrüdt Wirb, 
ift gar nicht z u fagen. ©S ift nicht gleichgültig, ob jener corpn* 
lente $err, ber burch fein lautes Athmen bie Stachbarfchaft ftört; 
in bem ^intergrunbe einer Soge ober mitten im ©arquet ftfet, 
ob baS SEBetter heß ober bebedt, ob es troden ift ober regnet, 
ob bie ©örfe feft ober flau gefchtoffen h°t, ob währenb ber 
©orfteßung biefe ober jene beachtete ©erfönlidjfeit in biefem ober 
jenem ©inne rührig ift, ob ein AuSbrud beS ©eifaflS ober fflüh* 
faßenS am ungehörigen Orte ftattfinbet u. f. w. u. f. w. Aber 
ich oerzichte auf eine Weitere Aufzählung ber fSunberte non 
ffiinzelheiten, bie ja boch niemals eine ooßftönbige fein fönnte, 
weil biefe ©inzelhciten felbftncrftänblich mit jeber ©orfteßung 
wechfetn unb fid) neroielfältigen, je nachbem. 

®abei laffe ich ®tneS ganz auher Acht: bie beabfidjtigte 
©eeinfluffung beS ©ublicumS bnreh beftimmte ©erfönliditeiten, 
bie noreingeiwmmenen greunbe unb ffilaqueurS unb bie oorein* 
genommenen @egner unb 8if<h et - 3<h fpre^re nur non ben ©in* 
wirfungen, bie baS unbefangene ©ublicum gleidjjam unbewttht 
erleibet. 

Afle ©efuchet einer erften Aufführung haß«» bie SEBahr* 
nehmung gemacht, wie ber ©tfolg eines Stüdes bur^ bie con* 
tinuirliche, womöglich ft<h fteigernbe „Stimmung" ber Sofdjauer 
herbeigeführt wirb. ®er SÄifeerfolg ift ba non bem Angenblide 
an, Wo biefe ©ontinuität aufgehoben wirb. 

Auf einmal fehneibet eS wie ein fatter 8ug quer butdjS 
$auS. ©S ift, als ob eine unfichtbare ©cheibewanb jwifchen 
8uf<hauerraum unb ©ühne gezogen wäre. ®er 8afammenhang 
ift gelöft, unb ©ublicum unb ©chaufpieler werfen gleichzeitig 
inftinctiö, bah fte bie gegenfeitige gühlung nerloren haben. ©S 
tritt eine unbehagliche Abfühfung ein. ®en ®arfteßern wirb 
ber ©efonanzboben entzogen, ihre fiegeSfrohe 8anerftcht Weicht 
ber Seflommenheit unb Unficherheit, mit einem SBorte: bie 
®arfteßung befinbet fich i e &t auf ber bemühten „fdjtefen ©bene"; 
fie macht nun bie Schwächen beö SBerleS noch unangenehmer 
unb ftörenber unb berfümmert beffen ©orzüge. ®emgemäh fteigert 
fich baS Unbehagen im fßubticnm zum offenbaren ßftihfaßen, 
unb biefe ©Uhftimmung ift gerabe fo anftedenb wie bie gute 
Saune. SDlan nimmt nun auf einmal Anftoh an ®ingen, bie 
fonft ganz unbemerft oorübergegangen, bießei^t fogar unter 
einer anbertt ©onfteßation recht freunblich aufgenommen fein 
würben, üßun Werben unglttdlidje 8ufaßSwörtcheft aufgegriffen 


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Nr. 4ß. 


Bicffirgrnmart 


815 


nnb als malitiöfe Vegietjungen mit itottifchem Subet begrüfft. 
,,3<h ftriele hier eine lächerliche SRofle", fagt ein Sdjanfpieler, 
unb baS publicum jaucbgt „Sie erbärmliche ffomöbie ift halb 
gu Gnbe": allgemeines Sachen unb |>ä»bef(atfchen. 

3ft’S einmal jo »eit, fo ift feine SRettung mehr. Jtun fängt 
man an, ©paff an bet Sache 3 » finben. 3efct »irb atler^anb 
ffurjweil getrieben; in (Ermangelung beS ffunftgenuffeS, ben man 
gefudjt batte, ergoßt man fid) mit fogenanntem „Ulf", 3tgenb 
ein üorlauter Surfte erachtet ftd) für befugt, einen fd)ted)ten 
(Einfall gum Grgöfcen feiner Umgebung mit giemlich lauter 
Stimme gum Veften 3 a geben; bagegen opponirt ein anbrer; 
für biefen unb jenen »irb Partei ergriffen, unb ber <Sfanbat ift ba. 

Vor biefem Goüegium »an Stichlern ift felbft bie uner* 
fdjrodenfte Sarfteßung nicht im ©tanbe, ben Proceff 3 U gewinnen. 
Vor einem böfen Aubitorium läfft fich nicht gut fpielen. tiefer 
Sdmufpieter »irb eingefdjüdjtert unb läfft SBirffämeS fallen, 
jener anbre Wirb burdj bie Dppofition aufgcftachelt unb über* 
nimmt fich mit Unerheblichem. Unb (0 »irb baS Sühnenwerf 
burch bie Sarfteßung thatfächtich traoeftirt, »ie ihrerfeitS bie 
Sarfteßung burch baS Publicum gefätfcht Worben ift. 

3 ch weiff wohl, bah i<h mit biefen Singen nichts Steuer 
fage; aber bie Aufnahme beS £>adentt)al’fchen SdjaufpielS legt 
eS nahe, barauf »ieber einmal juriicfjufommen. Sielleicht sieht 
ber eine ober anbere 3 “fd)auer aus biefer SBieberholung ihm 
»ohlbefannter Shatfachen ben Schluß, bah eine ungünftige Sluf- 
nahme bei ber erften Vorfteßung, wenn biefe auch ben (Erfolg ent* 
fcffeibet, für bie Sichtung felbft nicht abfolnt mahgebenb ift, bah 
allethanb 3nfäßigfeiten mitfprechen, bie felbft baS Urtheil beS 
ff'unbigen unb SBohlwoßenben 3 U oerwirren geeignet finb unb 
bah, wenn man ftd) bet Unmahgebtichfeit feine« UrtheilS eben 
bemüht »irb, eS am gerathenften «rfd^eint, Seifall unb äJtiff* 
fafltn in einer möglichft biScreten gorm gu äuheru. 

Siefe Abfchladjtung — eS gibt fein anbreS SBort — »ie 
fit an ber Verfafferin beS neuften ©djaufpielS am Sienftag 
ooflgogen worben ift, h fl i etwas überaus peinliches. (Es fann 
ficherlich bem einen Sffeaterbefucher nicht unterfagt »erben, gu 
gifchen, wenn bem anbetn baS Stecht eingeräumt ift, gu flatffhen; 
aber man follte boch glauben, bah bie feit 5 ah*hnni>etten 
üblichen 3eich«n beS Veifaflö unb HJtifffaßenS, atfo: VeifaflS* 
flatfchcn unb jauchgenber 3nruf, 3»fth«n unb Pfeifen, für bie 
gewöhnlichen Vcbütfniffe genügten. Sah bagu jefct in neuerer 
3eit noch anbere ÜDtanifeftationen treten, wie baS beliebte „Aul", 
baS wie ein GfforuS mtjfticuS fdjauertich auS bem .fpintergrunbe 
herauftönt, bie Venter hingen 00 m Piaffe, baS fflappen mit ben 
Sifcen ic. — baS ift boch Wohl beS Schlechten gu oiel. 

Ser ungtüdliche Autor eines mihtungenen StütfeS wirb 
nicht mehr abgetehnt, was boch immerhin eine genügenbe Strafe 
ift, er wirb Wie ein greoler mit ©forpionen gepeitfcht. (ES ift 
nicht ein Srrthum, ben man ihm gum Porwurfe mäht, es ift 
ein Verbrechen, baS man güchtigt. 

9lun, gar fo fchlimm fann baS Verbrechen beS gräulein 
Sacfenthal benn boch »oht nicht gewefen fein, ba ihr biefelbe 
Sh»tfache am gweiten Abenb als eine oerbienfttiche $anbtung 
angerechnet worben ift. 

Aber in ben testen 3ah«n werben eben alle Xljtatoereig* 
niffe auf Gjtreme hinaufgetrieben. HJtan macht oon einem neuen 
Stüde fo oiel Geräufdj, bah fich baS Publicum feinerfeitS für 
befugt erachtet, feine Meinung über bie gu einem „Greigniff" 
aufgebaufchte Shatfache ebenfalls in einer biefem (Ereigniffe an* 
gemeffenen oerftärften gorm auSgubrüden. 

2BaS wirb über fo ein Stüd alles getrieben, wie liegt 
man bem Publicum mit nichtigem ÜRotigfram in ben Ohren, 
beoot fo ein bramatifcheö SchmergenSfinb ans Sicht ber Santpen 
tommtl Sa blidt man bem Autor, noch währenb er fchreibt, 
über bie Schulter, um nur möglichft fchneß etwas oon bem 
Inhalte gu erfpähen; bann werben Anbeutungen über bie Sem 
beug unb baS Scenarium gegeben; bann fpridjt man oon ber 
Aufnahme, bie baS Stüd bei ben S^aufpielern ftnbct Unb fo 
ift eS fchon in aller fieute Sftunbe, beoor es noch «genb 3 e= 
manb fennen fann, unb man oerurtheilt basfelbe gu bem trau* 


rigen Soofe, oftmals oor bet Geburt ben gröhten Sljeil feines 
SafeinS bereits confumirt gu hoben: 

So ift eS auch mit biefem Stüde ergangen, oon bem Oor 
bet .Aufführung mehr unb längere 3 eit bie Sftebe gewefen ift, 
als bieS oorauSfichtlich nach ber Aufführung ber galt fein wirb. 
®S wäre unbillig, ber Verfafferin bie Verantmorttichfeit für 
alle bie äRittheilungen, bie feit 2 Ronaten im Umlaufe finb, aud) 
nur mitoerantworttich gu machen. Ser Vertrieb eines Stüdeö, 
bie Verfenbung an bie Vühnen, bie Vertheitung ber Stollen an 
bie ©djaufpieler :c., machen bie Geheimhaltung gut Unmöglich^ 
teit, unb wenn fich eine 3eitung für ein Stüd intereffiren will, 
fo finb bie $inberniffe, bie ftd) ber Steugier in ben ffieg ftellen, 
immer leichtlidj gu überwinben. 

3<h weih nicht, wer ein Sntereffe baran gehabt hot, 
A. ^adentljal oon oorn herein gu einer „pitanten Perfönlidjfeit" 
gu ftempeln; aber biefer Verfug ift unbeftreitbar mit einet g v- 
Wiffen SKethobe gemacht Worben. 

(Erft hiefe es gang hormlos in ben 3eitungen: „Sfm näch= 
ften SBinter werben wir ein neues Stüd fehen, „(Eine @h e bön 
heut", baS oon einem Anfänger gefchrieben ift, ber fich hinter 
bem Pfeubontjm §adenthal oerbrrgt." Sann: „§acfenthat ift 
fein Pfeubonpm, eS ift ber richtige Stame eines jungen Triften, 
bem ein gang ungewöhnliches Salent nachgerühmt wirb. Safür 
fpricht fchon bie 3:h a tfac^e, bah ft<h bie wählerifche #ofbühne 
für bie Annahme beS StüdeS auSgefprodjen hat." Sann: „Sie 
Generalintenbang fcheint fich ° on „(Eine (Ehe oon h«ut" etwas 
SefonbereS gu oerfpreöheti. ©ie hat bas Stüd für bie befte 
3eit beS 3ahreS angefeht. Alle, bie baS Stüd fennen, finb 
erftaunt über bie ffedljeit beS Griffs unb bie bei einem Am 
fänger gang ungewöhnliche Veljertfchung ber Sedjnif. SBie man 
ergählt, ift ber Stoff unmittelbar aus bem ßeben ber Gegen* 
wart gegriffen unb gcihelt in unoerföhnlicher SBeife unfre 
moberne GefeUfchaft." Sann: „(SS wirb uns eine fehr merf* 
Würbige Shatfache mitgetheilt: baS fehr oerwegene unb hochbe* 
beutenbe ©chaufptel „Sine Ghe oon heut" rührt nicht üon einem 
jungen Stiften f)ev, fonbern oon einem blüljenben SDtäbchen, 
baS einer h< e ffgen angefeljenen gamifie angehört unb wirtlich 
gräulein A. |»adenthal h^fet. SCBenn alfo baS Publicum bei 
ber erften Aufführung ben Autor rufen Wirb, fo wirb eS bieS* 
mal entweber ben ungewohnten Anbtid haben, ein junges 
SWäbchen an ber ^anb ber Sarftetler auf ber Vühne fich ber* 
neigen gu fehen, ober eS wirb öergeblid) rufen." Unb fo ging 
eS weitet. 


Unb was ift mit atlebem erreicht worben? AüerbingS ein 
boüeS fpauS bei ber erften Aufführung, baS nach bem gewöhn* 
liehen Verlaufe ber Singe auch °htw biefe Anftrengungcn fich 
gefüllt haben würbe, aber bagu ein Publicum, bas befonbere 
Anfprii^e machte. SiefeS Publicum hat wie gefagt ein fhonungS* 
lofeS VerbammungSurtheil unb ohne 3»taffung oon milbernben 
Umftänben gefpro^en. GS h°t fogar in ungweibeutiger SBeife 
feine Verwunberung barfiber auSgefptochen, Wie CS möglich fei, 
ein folchcS Stüd auf ber fföniglidjen Vühne aufguführen. 

3 a, wenn wir Dom fftathhaufe fommen, finb wir alle flug! 
£>at man ein Stüd burchfaüen fehen, fo begreift man oft nicht, 
wie es möglich gewefen ift, bafj ein oerftänbiger SJtenfch fol<he 
Singe fchreiben, nnb baff ber fRegiffeut biefe Singe unbeanftanbet 
hat oorübergeljen laffen fönnen! Unb bod> wieberfjott fich biefe 
Gefchichte in mehr ober minber erftaunlicher SBeife naheju bet 
einer jeben neuen Aufführung. Unb bie tü<htigfien nnb roüti* 
nirteften Vühuenpraftifer machen bei jeber erften Aufführung 
Oor bem Publicum biefelbe Gtfahmng: baff auch bie objediofte 
Veobachtung bei ber lebten Generalprobe immer noch nid)t 8 be* 
Weift, noch gar nichts! 

Saff ber lefcte Act, ber gär fein Act ift, in bem bie giguten 
unftät unb gwedloS hin= nnb herlaufen, nnb bet feine gtöffere 
bramatifche Gefchloffenheit befifft als etwa eine 3nferatenbeiloge 
ber „Voffifchen 3eitung", in biefer Gcftalt unbeanftanbet hat 
acceptirt werben fönnen, ift mir aßerbingS als 3ufchaner räthfelffaft. 
Aber id) muff mir auch fagen, baff ich als Vegiffeur DieUeid)t 


in benfelben gehler oerfaßen wäre unb aße bie Ungeheuerlich* 

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316 


i i e «egjitwart. 


Nr. 46. 


leite«, bie nttdj bei ber Vorfteßung geftört, auf bet ©tobe otel» 
leicht ebenfafls nicljt bemerlt fjätte. 3« ber ©tobe fie^t man 
ja eben nicljt baS ooflftänbige ©tüd, man fief»t nur jroei ©rittet 
baoon: bie Stiftung unb bie ©arfteflung, baS anbre unb fetjr 
majjgebenbe drittel: baS publicum, fetjtt. 

Ueber bas ©tüd miß icE) nicpt oiel Sorte machen. @S 
ift graufam genug befjanbelt toorben, unb bie freunblidje Stuf* 
naljnte, bie eS am jmeiten Slbenb gefunben, pat meine 9©i|i= 
ftimmung über baSfelbe, menn audj mobificirt unb gemilbert, 
fo bod) teineSmegS befeitigt. @S ift ein peinltdjeS unb Der: 
lefeenbcst ©tüd. 

Sin äBiener SBifcbolb, ber „SJtaria SRagbalena" oon #ebbet 
gefeljen patte, äußerte als er baS ©peater «erlief: „®aS ift 
eine gamitie, bei ber tcp micp Sonntags junt ©Reifen einlaben 
möchte." ©atan pabe icp beulen muffen, als mir bie Velannt» 
fdjaft ber gamilie ©ontpeim burcp gräulein |>adentpat oer» 
mittelt mürbe. 

„Quelle famille, mon Dieu! quelle famille!“ ruft £)t)acirttpc 
in einer ©arifet ©offe aus. ®er Vater oerlauft feine Xodjter 
einem notorifdpen ©cptoinblet unb beugt ipr Siberftreben ba» 
burcp, bafj er erllärt, er toürbe fiep erfcpiefjen, menn fie iptt 
butdj bie infame fpeiratp nicpt rette, ©um! ®ie grau fiept 
in ber Verfcpacperung tprer ©ocpter oor äßem bie ©löglicpleit, 
ipre ©Umrechnungen nach wie öor ju bejahten unb ift mit bem 
Raubet alfo ganj einoerftanben. ©er ©opn bummelt, befcpimpft 
feine Sltern unb öerfe^t beti ©cpntud feiner ©cptoefter, um feine 
©pielfdjulben ju bejahten. ®ie einjige Slnftänbige ift bie Tochter, 
bie fiep opfern tagt. ®er ©cptoiegerfopn ift ein ©cptoinbler, 
Sügner, ©etrügcr, ber ein SWäbdpen perführt, eS bann fipen lägt, 
eine gute ©artie macht, bie größten ©eleibigungen einftedt unb 
fich über bie Verachtung, bie feine grau ihm gegenüber unoer» 
hohlen auSfpridht, mit bem Venmfjtfein hinmegtröftet, ba| er fie 
befipt — baS „charmante SBeibcpen". ©cpliefjtidj miß er auch 
noch ftc^len unb burchgehen unb ba er baran oethinbert mirb, 
erfcgtegt er fich. ©um! 

©ebenbei läuft noch ein Kaufmann heim«/ ber toaprfcpein» 
lich baS ehrenhafte ©rincip Pertreten foß unb burch bie Per» 
bienfttidje ^mnbtung ber ©eerbung feines DnlelS, für ben er, 
beiläufig bemerlt, nicht eiumal ©rauer anlegt, ju einem genügenben 
Vermögen gelangt, um einen $auSftanb ju begrünben. Slber eS 
ift ju fpät, ba feine ©raut bereits ben bemühten ©dhminblet 
geheiratet ^at. ®er opportune ©iflotenfepufj fegt bie jungen 
Seute in bie angenehme Sage, baS Verfäumte nacpjupolen. 

StfleS baS — mit ftarlen ©etniitiScenjen an „Sucia", 
„Slabale unb Siebe", „®ie grembe" unb „Srnilia ©alotti" — 
ift berb unb ungefdjtacpt ^ingefteUt. ©S ift jmar ein unbe» 
ftreitbareS latent ba, aber ein ©alent, baS noch ooßlommen 
ungehobelt ift. 3n ben erften Sieten jeigt fich, abgefehen oon 
ben abftofjenben Unannehmlichleiten, bie bramatifche ©efähignng 
ber jugenblicpen Verfafferin am beuttiepften. ®ie Sjpofition ift 
fogar recht intereffant, unb eS finb mirltidje ©eenen unb mir!» 
liehe &cte, menn aut nodp nicht gute. ®ie ©cplufjfcene beS 
Pierten SlcteS, bie am erften Slbenb auf eine ftarle Dppofition 
flieh, wirlte am jmeiten ganj entfegieben; unb unter biefen 
günftigen Umftänben tonnte ber mohlgefinnte gupöter hi« unb 
ba auch «in richtiges, menn auch f°ft immer ju ftarleS, ein mir!» 
fameS unb padenbeS SEBort auffaffen, an bem er feine greube 
haben tonnte. Slber für Slßes unb gebeS ift ber Verfafferin 
eine ftarle ÜRitberung unb Zügelung ju empfehlen. 

©S ift faß unbegreiflich, mie ein junges ©täbdjen eine fo 
trübe SBeltanfcpauung hat geminnen unb melche greube es an 
müften ©ilbern unb greßen garben hat finben töunen. ©S ift 
fton möglich, bah & gamilien mie bie ©ontpeim’fdje gibt, aber 
baS gibt bem dichter noch leine ©eredjtigung, fie auf bie Vüpne 
ju bringen. ®aS ift nidpt eine ®pe Oon heut, eS ift bie fitt» 
liehe Vermahrlofung, bie aßen Beiten angehört. ®ie ©ont» 
peim’fcpe gamilie ift ebenfo menig ein ©piegelbilb unferer 
©ejeflfdjaft mie Xhürolf ein ©epräfentant unferer ©ittlicpleit. 

®ie ©arfteßer lämpften mie bie Sömen gegen ben tofenben 
llnmißen beS ©ublicumS bei ber erften Slufführung, oor aßen 


gräulein SReper, gtäulein fehlet unb #err Älein, beten oor» 
jügtiepe Seiftungen auch Poßlommen anertannt morben fhtb. 
£err Hellmuth 5 ©täm unterlag ber Unbanlbarleit feiner Stuf» 
gäbe. Unb maS foßte grau grieb»©lumauet aus ber farblofen 
nnb nur antipatl)if<hen ©ofle ber ©lütter machen, maS $err 
®epnide aus bem unintereffanten ©ichtsnufe oon ©oh«? 

®ie Verfafferin foßte fleh burch bie ©ieberlage am erften 
Slbenb ebenfo menig einfehüdhtern, wie burch bie Sieberanfridfjtung 
am jtoeiten Slbenb fich }unt Uebermutlje hinreihen taffen. 

pan! Ctnban. 


Die 53. ber löniglidjeit Jikabemie ber Ifiitpe 

ju Berlin. 

v. 

2 )ic „XeftamcnWeröffitung" üoti ß. ©olelmann ift ein Äunptnetf, 
ba« üermöge feine« flafftfc^en öleid^geioic^t« über ben Parteien fte^t 
SD'teifterfc^aft am SRuber, ©efc^madt am Steuer. SReic$ an augenfüfligen 
^or^ügen, frei bon augenfälligen ©c^toac^en mad^t e« feinen &tfpru$ 
auf bie groje 9Kebatfle mie etma« ©elbftüerftänblic^e« geltenb. 3Ran 
bemunbere barin ba« bonte^me SJtafc, mit bem ber Äünftler in menigen, 
unferen täglichen ^tnfe^auungen geläufigen Figuren bie ^äglü^en nnb 
lächerlichen 3Bir!ungen plöblich enttäufchter ^abfuc^t auf bie äufjere <&x- 
fcheinung jdjilbert, unb mie er in anjiehenben ©egenfäben bon nnbe^ 
fümmerter 3 ugenb unb meiblicher (gmbfinbfamleit ben üblen (Sinbmd 
mieber auSgleic^t, o^ne ba« publicum bon feiner fc^machen ©eite $u 
nehmen, ©ine ^efchreibung mürbe ben $totd berfe^len, ba« öilb ber 
^ß^antafie be« ßefer« mefentlidj näher ju bringen, al« e« bie ©e^eic^ 
nung ohnebie« fd)on t^ut ©« bleibt ein nobelliftifcher 9ieft für bie 
freie JJnterpretation jurüdf. 3 ch fd^lage unmaßgeblich bor: ber 58er* 
ftorbene mar ein (nicht gar $u) alter Sunggefett, ber feinen legitimen 
©rben nid^t nur bie meniger feltene Ueberrafdjung bereitet, ein 
ment 311 hittterlaffen, fonbern aud^ bie ungemöhnlichere, barin ba« Heine 
nette 9Ääbdjen, melcßem bie elegante $ame freunblidh äufbricht, al« Uni^ 
berfalerbin einjufeßen. 

Da« ©ilb bon ©. ß. Soffen (Deefebüß, Schle«mig«§olftein) ,,©ottn= 
tagmorgen bei einer Kirche in SRorbfr^lanb" hot bieHeicht in metteren 
Greifen bc« publicum« nur menig SBeadjtung gefunben, allein ich fürchte 
auch nicht, mit bem ftarlen unb anbauemben gntereffe, ba« e« mir ein* 
geflößt, ifolirt au ftehen. SBohl möglich, baß ber Zünftler nicht« geben 
roollte al« bie treue Slbfchrift bon etma« aufäUig Hngefchautem, ba« 
feinen (üuftlerifchen 9lachahmung«trieb lebiglich burch malerifche 8 ftotibe 
reiate. aber abfichtli^ ober nicht, unter feinen ©änben ift ba« SBert 
au einer ©^araftcrfc^ilbenung bon aftingenber ^raft h ec ungemachfeit. 
Diefe <&eftalten, obfehon außer 3 ufammenhang mit trgenb einem nobel- 
liftijchen ^intergebanfen, reben au un« mie ganae ^änbe bon Dorf- 
gefchichten. 2 Ba« SSerftanbe«enge, 3BilIen«ftarrheit, ®elbftola unb j>hh s 
fifche Ät'raft in ber uttbefchränften ^errfchaft eine« folgen Dhna^en übet 
feine gamilie für eine unheimliche 9Kacht au üben bermögen, ba« bäm* 
mert hinter bem felbftbemußten Auftritt biefer hochßeftiefelten ßanb^rojen 
unbertennbar herauf. Die (^egenfäbe ber befdheibeneren unb ihrer natüt> 
liehen anmuth noch nicht beraubten Sugenb, be« fchmucflofen üotte«- 
haufe«, ba« Memento mori in ben ring« berftreuten ©räbern, bie helle, 
fchneibige ßuft über ber niebrigen ßanbfchaft, in bie man meit hinauf 
auf Söiefen unb baamifd^en fließenbe SBafferabern blidtt, geben ber ©nibbe 
be« SSorbergrunbe« in jebem Sinne ba« ftärffte Relief. Die fy&xte, bie 
fich unb ba geltenb macht unb mefentlidh bon ber allau gemiffen^ 
haften SSiebergabe untergeorbneter Detail« au«geht, fteht mit bem ©eiß 
be« $ilbe« nicht im SBiberfptuch. Ueber bie ted^ntfeße traft be« mir 
bi« jefet unbelannt gebliebenen tünftler« möchte ich bah er mein Urtheil 
nicht abjdhließen. 

an ein größere« publicum menbet ftd) ©eorg tnorr (tönig«berg) 
mit feinem Söilbe „gn bie SBelt hütau«". ®in junge« Stäbchen in 
Dtauer ermattet auf einer einfamen Bmifchenftatiou, bor ben Svenen 
ftehenb, ben Sufi- 3 n ih^w 9tähe h at uuf feinem gelleifen ein alt» 
polnifcher 3 ube genommen. @r ftarrt mürrifch bor ßth h*u* 
fdheinbar unbelümmert um ba« tinb an feiner Seite, ba« gebattlenlo« 
beu Sölict in bie gerne [chmeifen läßt. 3 m ^intergrunbe bie fräftigeu 


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Nr. 46. 


317 


Hit <6 f geit ©art 


öeftaltett beS BapnpofSinfpectorS unb eine* $um luftigen SBaibwerf ge= 
rü(feiert ßebemannS. Ber Künftler pat fic^ auf ein glattes Gebiet gewagt. 
3Rau ift nacpgerabe gegen fentimentale Äbficptlicpfeit unb bergleicpen 
fßrätenfionen fept empfinblicp geworben; aber burep treue Beobachtung 
ber Statur unb bie Ktaft auf bem 933ege bis $ur Bertpeilung unter bie 
einzelnen ©eftalten niept oiel baoon $u oerlieren, fiebert er fiep ben 
füitftleriftpen #alt, ber bei weniger grellem §eroortreten beS fleinen 
SubenmAbcpenS an 3eftigfeit gewonnen paben würbe. Bie Stimmung 
ber ganbfepaft mit bem Blid auf bie ins ©nblofe oerlaufenben Schienen 
jfept in glüdlicpem ©inKang zur Situation. 

2)a ftänben wir unOerfepenS oor ber „Salomonifcpen BfeiSpeit" 
SteiperS KnauS. @S ip ein eigenes Scpidfal ber bieSjäprigen atabe^ 
mifepen ÄuSfteßung baburep an ber Schalung i^reS 2BertpS einzubüffen, 
baß brei bon ihren bebentenbpen Sterben fchon früher ^riüatbeziepungen 
ju einem Bpeile beS fßublicuntS unterhalten haben. 3Ö3ie weit eS heute 
noch ongejeigt erfepeint, babon zu reben, entzieht fid) ber fichem Beur= 
theilung. Ber puntoriftifepe ^n^alt beS einzigen BilbeS ift längp ©e= 
meingut aßet berer geworben, bie burch fleißiges Berweilen bor ben 
Schanfenpem ber Kunftpanblungen ihre güplung mit berfelben ju er^ 
halten beftrebt finb. Äßet jebe neue Betrachtung ruft hoch in bem ben= 
tenben Kunftfreunbe immer wieber unbegrenztes ©rftaunen wach, wie 
ein au unb für pch fo unfünftlerifcher Stoff, bem man aßerpöcpftenS 
baS ©intagSleben einer flüchtig genoffenen SHupration zufpreepen möchte, 
hier unter ber §anb beS QaubererS bie ÄuSgeftaltung eines auf 3apr= 
hunberte hinaus gültigen unb geweihten KunftwerfS angenommen hat. 
äBtffen wir längft, bap baS §äßlicpe ber Berflärung burch ben male= 
rifepen Schein, burep ben gentüthbollen $umor, burch bie Stärfe ber 
©mpftnbung fähig ift, fo geigt eS fiep pier noep überbem ber fünftle= 
rippen Bereblung burch ©razie unb Einmuth jugänglicf». 

Ber §umor pnbet mit immer gröperer Sicherheit bie ©tenzen, 
innerhalb beren er bem Sittenbilbe ein wopltpuenbeS Qngrebienz bleiben 
lann. Ber reifere Künftler baut bie 923irfung nicht auf ben SpannungS= 
grab ber fomifepen Situation, ^ütet fich bor Anhäufung ber Ntotiüe 
unb weip bie Sbee zurüd, bie er nicht malerifcp z u entpfinben bermag. 
Qn #anS Bapl hat ftep biefem ©enre ein ungewöhnliches Talent z« ; 
gewenbet. (Sine gewiffe Ungeberbigfeit beS 3ngenbmutps tpat ber SBirfmig 
feiner Ärbeiten in meinen Äugen bisher ©intrag. Bet aller Urfprüng^ 
licpfeit ber Äuffaffung, bie ipre Ätrregungen borwiegenb bon ben frap= 
panten atmofppärifcpen (Srfcpeinungen ber Natur empfangen bürfte, bei 
ber lebenbigpen Unmittelbarleit ber Barfteßung, wollte eS hoch nicht 
reept z« einem wopltpuenben Berpältniff zwifepen gorm unb Qnpalt 
lommen. Äuep bem „Naturlinbe" gegenüber ma<pt pep ber SBunfcp nach 
einer gefeptnadooßeren Befcpränlung leife geltenb. 3n ber gefunben . 
Kraft beS ÄuSbrudS bon unwiberpeplicp mit fiep fortreipenber Reiter- 
feit, in bem ftepern Änlauf, mit bem ber Künftler baS Spiel bon bien* 
benbem Sonnenlicpt unb transparenten Schatten zum ÄuSgang ber 
Naturftimmung maept unb barunter baS Detail ber Begetation zu boßem 
Necpte gelangen läfft, ip biefeS 933er! feinen Borgängem — icp erinnere 
nur an ben gefoppten £euträger auf bem Steine mitten im SBaffer — 
um ein BebeutenbeS überlegen. BaS Naturftnb ip eine fcplanfe, frifepe 
Birne bon ben Bergen, beren fßrofpect einen ebenfo fcplanfen, frifepen 
Ntalet beranlapt pat, feinen SNaflaffen auSzupaden. Sie pat wopl erft 
parmloS zugefepen unb fi<P’$ erKären laffen. Bann aber muß ber 
Stabtperr niept bei ber Sacpe geblieben fein, kurzum fie läuft babon, * 
als wäre ber Beufel hinter ipr per, wobei freilich baS ©epept mit ooßem 
gaepen na<p bem Spaßmacper zurüdblidt, ber ipr bepaglicp läcpelnb 
naepppant, opne fiep in feiner Ärbeit zu pören. 

(Sin berwanbteS Bpema bepanbelt „ber galante 3äger" bon Beiort 
in Bern*- Ber Künftler ift unzweifelhaft ibentifcp mit ©parleS*©bouarb 
Belott, beffen Bilb „^aßali^ — eine ^epjagb unter ßouiS XV., bie 
mit bem gejagten Secpzepnenber über ben SBocpenmarft einer fleineit 
Stabt pinwegbraup — fieper bon feinem Befucper ber internationalen 
ÄuSpeßung unbemerft geblieben ift. Bagegen bürfte fein piefiger Bei= 
trag, ben wir wopl, wie eine Beipe anberer Bilber bon franzöpfcpeit 
SJfeipem opne Bomamen, ber Bermittlung beS ttunppanbelS berbanfen, | 
bon Bielen überfepen worben fein. BebauernSwertp genug, benn eS 
war ein bortrefflicpeS Heines Bilb, in bem neben ber pifanten 2uftig= • j 
feit Bon, Sanbppaft, gtguren unb niept am menigften ein 9iubel ©änfe j 
bie Bücptigleit beS Steipers bezeugten. §ier fei auep gleich beS elegant t 
ten unb feintönigen BilbeS bon ©omte ©a<ij gebaept, „Un petit chemin 


qui mene loin“, welcpeS als feltener ©aft freunblicp zu begrüpen War, 
wenn eS auep niept gerabe als ein cparafteriftifcpeS Beifpiel für bie 
ftunp biefeS BteiperS, wie pe uns in ber Brabition borfepwebt, gelten 
fann. 

Älb. ©onrab lapt feine ßfaturfinber auf ber Älm bie Sacpe ernper 
nepmen. 9Benn baS Bilb bem ©egenftanbe nach auep auf ben popu¬ 
lären ©rfolg feiner Borgänger berziepten mup, fo nimmt eS boep bon 
Steuern für ben SJletper burep fernige BepanblungSweife unb eprlicpe 
3Jhene ein. 3u bem weiblicpen Äopf pnb bie übrigens fepr leben$= 
wannen Böne für mein Äuge unb ben ber ftleinpeit beS BilbeS ent* 
fpreepenben näpem Stanbpunft etwas unbemittelt nebeneinanber gefept. 
9Bie man baS bermeiben fann, opne an fhraft unb Naturalismus ein= 
Zubüpen, zeigt Baul Borgmann (ÄarlSrupe) in feinen „ftlatfcpgefcpidp 
ten /# . 3n ipm fepeint fiep ein auperorbentlicpeS Balent burep unber= 
broffene Ärbeit, unter trefflicper ßeitung unb auf bem rieptigen 9Bege 
bom ©ropen zum kleinen enblicp wieber einmal auSreifen zu foßen. 
BaS Urtpeil über ipn wirb burep ein 9Berf auf ber 9Jtün(pener ÄuS^ 
peßung, „ Neifeunglücf “ — ein junges (Spepaar, baS oor ber Borf- 
{(pmiebe bie Reparatur eines gebrochenen NabeS abwarten mup — zu 
feinen ©unpen wefentlicp erweitert; mein 3utereffe an ben Ärbeiten beS 
Zünftlers ip inbep älteren BatumS. 9G8enn eS peute noep als Berbienp 
gilt, bie formen ber Natur im kleinen preng burepzumobeßiren, wenn 
wir baS, was wir uns bei ben alten Nieberlänbem zuerp anfepen, um 
bon bornperein barüber ins Älare zu fommen, ob eine näpere Betrach¬ 
tung überhaupt lopnt, auep in neuen Bilbern einer Prüfung unterziepen, 
bann möcpte icp für BorgmannS Ärbeit Borzüge in Änfprucp nepmen, 
bie icp opne Uebertreibung feiten nennen barf. 

ßmil SBeip (Königsberg), ber unS noep bor einem 3apre bon ber 
büftem Scpwermuth feiner SJhtfe überzeugen woßte, pat ftdp nunmepr 
auep bem bepaglicpen §umor unb in ber anfprucpSlofen, echtes geben 
atpmenben Barpeßung beS KocpS unb feiner bierbehtigen grreunbe mit 
bepem ©rfolg zü8 ek uanbt. Weniger fann icp mich mit ©ropmannS 
läcperiicpem fßpilifter am ©rabe ber Seinen befreunben. ©in ßßenfcp, 
ber an einem ©rabe fipt, wirft niept erpeitemb, unb begegnete uns 
wopl auep einmal ein folcper, fo mögen wir ipn ungemalt laffen. Bor 
einem Bierfeibel wäre ber närrifepe Kerl an feinem ^lape. Ber wadere 
Scpufter mit ben Narpbarfinbern pat fieper in ben Weitepen Kreifen beS 
$ublicumS Beifaß gefunben, opne barauf zu fpeculiren. 

Otto ©üntper fc^eint ben ^umor feiner Schüler niept z« tpeilen. 
SBie icp pöre, reiept bie ©ntpepung feines BilbeS „ber lepie Befucp" — 
ein fletncS SNäbcpen mit ber fßuppe, baS bei ber aufgefargten ßeiepe 
einer Spielgefährtin pept — zu längp pinter uns liegenben 8*ifen hinauf. 
©S wäre beffer in feinen Änfängeit Oerblieben. 3<P fürepte bie ©rfepeinung 
oon ßeiepen in ber Kunp niept; Kirberg fei mir beffen 3*uge; aber bie 
Kofetterie mit ben lepten Bingen oerurtpeile icp, unb aßet Äufwanb 
einer weit üorgefeprittenen Kraft lann mir bie Sacpe niept in Oerföpn= 
lieperem Sicpte erfepeinen laffen. Bon ben $umoripen erwäpne icp Oor 
aßen noep unb ^afemann. ©rperer fepitbert unS Kinbet beim 
SNittagSeffen unter Äufpcpt ber fßenfionSOorpeperin, ober fo etwas ber= 
gleidjen, in ber befannten Spezialität, bie ipm wegen ber barin erfepei* 
nenben treuen Naturbeobacptung unb ber realipifcpen Krap, mit ber 
er lüuftlerifcp z u geffalten weip, einen weit reiepenben Nuf oer= 
fepafft pat. Ber #ang, feine im ©inzelnen abgerunbeten SRotiOe zu 
päufen- unb eine frauje Sanier, fi^ mit ben Keinen Sormen auf breite 
933eife abzupnben, paben mir ben ©enup an feinen Ärbeiten niept feiten 
beeinträchtigt. Noep nie ift mir BKfc fo flaffifcp erf^ienen, wenn ber 
ÄuSbrucf mit unterfcplüpfen barf, als in biefem lepten 933erf. Bei weifer 
Befcpräufung fommt jeber einzelne Brcffer oiel oofler ins Äuge. Bie 
©efammtpaltung ift oon aufferorbentlicp malerifcper Biefe unb baS 
„Bilb" leibet niept um ber „Bilber" wißen, ©leicpwopl bleibt mir baS 
©efüpl, baff beS KünftlerS gaprzeug noep mannen Baßaft werfen fann, 
opne barum Oon bem flotten 8uge, in bem eS fiep befinbet, abznfommen. 

$afemaitnS „©inweipung einer griebenSeicpe in einem Bpüringer 
Borfe" franft an ben Scpwäcpen, bie icp bei $ilp oerminbert fanb, in 
popem ©rabe. @S ift baS um fo mepr z« bebauem, als fiep in ben 
waprpaft aus bem güßporn gefepütteten ©inzelpetten eine auf uner= 
müblicpen gieiff geftüffte, pöcpft beacptenSwertpe SeiftungSfäpigleit zu 
erfennen gibt. BaS Äuf; unb Äneinanberreipen pat bem Bilbe bie 2uft 
benommen; eS würbe angefangen, epe ber malerifcpe ©runbgebanfe fiep 
ber ^panlafie beS KünftlerS bemäeptigt patte; wir wanbevn Oon Kopf zu 

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3B i t degntarart 


Nr. 46. 


$opf, erfreuen und halb mehr halb tueuigev au bem gelingen unb 
laufen barüber ©efahr, ben fünftlerifchen Sn^alt bed (Bansen s u ber= 
lieren. Dafj mit bon biefer $raft in Äürse »eit Steiferes unb ©nt= 
fdjeibenbed §u ermatten haben, fdjeint mir gemifi. 

Die Arbeiten bon ©brnunb Deiner (©eimaT) — ein armer Teufel, 
ber bid an bie Änie im ©chnee ratljlod bor einem ©egmetfer ftefjt, boit 
bem er mit Beftimmtheit Slndfunft ermattet hotte bon ©tamrnel — 
namentlich bie 3uuggefetten bei ber befannten Bereitung bed ftaffeed 
ohne ©affet —, bon ©olfce, Süben unb ©djttlfcs Briefen, ber mir 
immer mie ein gans entfernter Nachlomme bon #afencleber erfcheiut, 
feien megen ber natürlichen grijehe ihre® $nmotd ober anberer Bor= 
juge mitten ermähnt, mobei ich teinedwegd für bie Sludmah 1 ben Nicht-- 
genannten gegenüber bie Berautmortung übernehme. 

grifr ©erner lacht auch mieber einmal tüchtig mit. Die Bermirtuug 
einer bom ©tuhl and bem haften in bad gimmer ffiegenben ©onchpliem 
jamiulung unb ald ©egenftücf ba^u bad Unheil, bad eine uragemorfene 
Xerueutinjlafche ober ein tobolb ähnlicher Slrt unter ben am Boben 
berftreuten Delfti^en eined SJtalerd angerichtet hat, beibed um 100 3«h^e 
surüdbatirt, beibed in ber mifrojfopijchen Slnfchauung, bie man bem 
Äünftlcr faum mehr ju controliren berrnag, liefern ein ergibiged gelb 
für bie munberbare SJteifterfchaft, im kleinen bad Äfeinfte feinem boflen 
©ertge nach mitteben ju laffen uub hoch bie bem Bilbe befchiebene 
Däuf^ung su ersielen. ©ine Drenmmg ber gleichmichtigen SCnfchauungd* 
objecte märe jebenfattd bem gmeef bed $umord förberlich gemefen. 

(6d>lufc folgt). 




Stob. Btoelfc: Bom Urfptung ber menfchliihcn ©rfenntnijj. ©ine 
pfh^ologifche ©tubic. Seidig 1879, Bert. b. Beruh, Schliefe. 282 ©. 

Stühmlichft befannt burch feine bortreffliche „(Befdjichte bed $of= 
theaterd Dredben, bon feinen Slitfängen bid sunt Sahre 
1862" (Dredben 1878, Baenfch), ber er fürslich bie überand intereffanten 
„Eetttäge sur @ef<hichte bed $oftheaterd su dredben; in 
actenmä&iger Darftetlung" (©rfurt, Barthotomäud) folgen Uefj, hat 
Nob. Broelfi nun auch eine pfpchologifche ©tubic „über ben Utfprung 
ber meitfchlichen ©rfenittniff" uer5ffentlid>t, laut ber Bortgbe baju 
beranlafet burch bie SBiberfprüdje/ bie ihm in betriebenen, ben nämlichen 
C&egenftonb behanbelnben Sehrbüchern aufgeftofjeu, unb bie er, burch fie 
in Betmirrung gefegt, s u ^eben trachtete. 3n feiner Unterfud^ung 
nimmt ber Betfaffer eine entfehieben abmehrenbe Haltung gegen bie ganje 
feit ftaitt beftehenbe ©rfcnntnifclehre ein, nnb fchon baburch bürfte feine 
mit groffer ©orgfalt. audgeführte Slrbeit ber Beachtung ficher fein. Nach 
bem Dafürhalten unfered Berfafferd ift man bidher „in ber Uuterfcheibung 
ber lebten Dhatfachen bed Bemujjtfeiitd nicht meit genug borgegangen, 
mad einer fchmanfenbeu, nicht genügenb beftimmten Sluffaffung bcr= 
feiben führen muffte} anberntheild benfelben hoch eine halb s u toeite, 
balb su enge ober auch irrige Deutung gegeben hatte". SÄit feinen 
©tgebniffen fleht ber Sßerfaffer bieljadj ira (Begenfafc su ben gegenmärtig 
herrfchenben Slnfidjten über nufere ©rfenntniffthätigfeit ©eine bon 
biefen abmeichenbe Sluffaffung hat er bereitd in feinem, ebcnfalld. im 
hörigen 3ah*e h^audgegebenen „Äatechidmud ber Slefthetif", ihren 
allgemeinen Umriffen nach niebergelegt. Dad Büchlein felbft gehört ber 
befannten Steihe ittuftrirter ^otechidmen bon 3- 3* SBeber ia Selbst 
an unb gibt, in gebrängter föirse, Belehrungen über bie SBiffcufd^oft 
bed ©chönen unb ber Äunft, fomeit biefe felbft bid iefct borgefchritten. 
235ie ber Berfaffet bet feiner Darftettung hier im Hansen einleudhtenb 
Mnb burchaud frei bon jeber Äunftberanfd)ung — melchc bet einem 
bobu f ären ©er! biefer fttrt gar leicht jur Geltung gelangen fönnte — 
geführt hat, fo auch h fl t er feinen ^uaeinanberfefcungen über bie ©t= 
fenntni^ eine unbeftreitbare Dentlichfeit s« berleihen bermocht, mobei 
ihm ein and Birtuofenhafte ftreifenbcd d^efd^idl im Siubridren unb ©chema= 
tifiren su ©Jebote fielet. Nüchterner unb gelaffener fann biefer X5Jegen= 
flcmb mohl fchu>erltch jemald behanbelt merben. Daf$ ber Berfafjer fief) 
babei bon allen metaphbfifcheu Boraudjchmigen unb Sinnahmen fern 
gehalten, mirb man ihm bon bieten ©eiten,muffen. Pb ed 


ihm aber gelungen, bie bon ihm angegriffene Dheorie ber ©rfenntnib 
in ihrer ©üttigfeit manfenb su ma(hen, bürfte mohl bietfach besmeifelt 
merben. Bor Sittern mirb ment, bon bort and, fein Verfahren ald gar 
SU emptrifch bejeichnen, meil er bad Bemufjtfein ald unmittelbar 
gegeben unb boraudgefefct behanbelt, feine Slbteitung bedfelben berfneht, 
ja ed nicht einmal begrifflich abgrenst. ©ad einer Definition babon 
gletchfommeit fönnte, mie etma „gorm bed ©ich=©elbft'3nttemetbend bed 
©ubjectd", menbet ber Berfaffer auf bte ©mpfinbung an, metehe 
hoch nuT ein ©lement bed Bemufjtfeind ift unb nad^ bem bidher üblichen 
©brachgebrauch ber SMmhologte biefmehr auf bte mannichfacheTt (Sin= 
mirfungen ber Dinge auf bad ©ubject Besug hat. Dagegen erftrebt ber 
Berfaffer eine Slnalhfe bed BemufStfeind, in meinem hier berfchiebene 
Dhätigfeiten nachgemiefen merben. Bon biefen ift eine, bie Objecte gebenbe 
ober borftellenbe Dhätigfeit bie unbebingt boraudgefebte unb bem 
©ubject unmittelbar gegeben, medhalb fte, meil burch bie ©innenfunctionen 
bermittclt, ald originäre ©innenthätigfeit beseichnet mirb. ©elbft= 
berftänbli^ ift ed nicht bie Sinnahme unb ber Nachmeid biefed Beronj$t= 
feindelementd, mortn fich bie Dheorte unfered Berfafferd bon ber bidherigen 
unterfcheibet, fonbern bie Deutung, melche biefelbe bei ihm erhält. Der 
bon ihm angegriffenen Nietung fft atted Srfemren, auch bad unmittelbar 
burch bte ©tnne bottsogenc, ein Denfact, auf unbemufjtem Urtheilen unb 
©df)ltehen beruhenb, bentnach bad ©erf einer, menn auch bon ber Be- 
fchaffenhett ber ©tmtedmerfseitge bebingten, ©rfahning. ©ben bied ftellt 
Nob. Broelfe’ Dheorte entfehieben in Slbrebe. 3h m f' n ^ *ü c originären 
©tmtedborfteffitngen meber burch ©rfahtung noch i>urd^ eine für biefe 
borandgefebte Urtheildthätigfeit erseugt, fonbern fchlechthin bie Boraud^ 
fe^ungen atted ©rfahnten unb atted Urtheilend, unb s^ar auf ©runb 
eined fheng gefe|mäfsigen 3uftanbefommend, mie fold^ed burch ben 
Organtdmud bebingt ift. Die Objecte fotten, na^ biefer neuen Dheotie, 
Dhatfachen bed Bemithtfeind fein, itnb ald folche unmittelbar gegeben. 
Die bom Berfaffer angegriffene Dljeorie fennt ein Bemufjtfein nur info= 
fern ed tljätig, unb ald folche Dljätigfeit güt ih r ^ad Denfen, toetched 
in allen feinen Slbjhtfungen einen etnsigen ©runbeharafter Ijat. @in 
Bemubfein, meldh«^ Dhatfachen anberd, ald burch einen Denfact auffafct, 
ijt berfelben eht Unbtng. Daher mirb bon biefer ©eite h** bie bon 
Nob. Broel§ bertretene Nttffaffung bed Bemußtfeind, bem bte Objecte in 
gemiffeit Borftettutigen unmittelbar gegeben finb, ficherltdj surüefgemiefett 
merben, fo fehr auch ber Berfaffer bon ber Nichtigfeit berfelben burch- 
brungen ift. 

* Um feine Ueberseugung s« erhärten hat ber Berfaffer nicht nur, 
mie borhiit angebeutet, bie Sehte Äantd feiner ftritif ltntetmorfen, 
fonbern bted auch mit ben Slnfichten bon ©chobenhauer, §ume, SNaine 
be Biran, 3ah- Sßütter, Uebermeg, g. Ä. Sange, Selmholfc u. m. S(. 
gethan. ©irb man auch bietteicht mit ben bom Berfaffer besuchten 
©iberlegungen nicht immer gans einberftanben fein fönnen, fo miTb bie 
Nichtigfeit mancher ©inmänbe burchaud sugegeben merben müffen, nament= 
lieh mad bie Behauptung bon ber Slpriorität ber (Geometrie (©. 134), 
bie ©emüthdthätigfeit bei gabibibuen mit mangelhaften ©innedorganen 
(©.197) unb ben ©Jegcnfap bon ©ubject unb Object (©. 215) anbelangt. 
Den sulept ermähnten $unft betreffenb, fomie bie Bebeittung bed ©im 
fachfeheud mit sb)ci Singen, morin unfer Berfaffer bie noch öon Schopen^ 
hauer eingchaltene Slnficht su entfräften fud^t, ftnb ihm bie Biologen 
ber neuern englifchen ©<hule längft suborgefomtnen. ©Jleidjmohl bürfte 
bie ©tubie bon Nob. ^Jroclh auch ben Bcrtrcteru ber bon ihm befehbeten 
Nietung mannichfache Slnregungcn unb Belehrungen bieten, nnb märe cd 
auch nur, um baraud su crfel)en, mad für Bcfeftigung ber nuferem 
Slutor unhaltbar fcheineitben Sehre noch ctforberlich ift. Denn ficherlich 
ift bad Berftänbttih eined fo untfidjtigen unb gemiffenhaften Seferd, mie 
unfer Slutor, bem gachpfpchologen ein unfehäpbarer ©Jrabmcffer für ben 
©erth feiner eigenen Seiftnngen: and ber Slrt, mie jettet ftch bte @rgeb= 
niffe ber gorfchung flar s« machen fud^t, mirb biefer nicht nur finben, 
morht er feine Darftettung berichtigen unb ergäben muf 3 , fonbern mohl 
auch fch*u, nach melcher Nichtung hiu er feine Unterfuchungen fortsuführen 
hat. 3« folcher §inficht, menn man etma bie pofitiben Behauptungen 
bon Nob. B’fael^ nicht gelten taffen mitt, hat ber Berfaffer ber heutigen 
gorfchung über uitfere ©rfenntni^thätigfeit unsmeifelhaft einen beachtend: 
merthen Beitrag geliefert. IDiUj. Bpiin. * 

♦ 

* * 


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Nr. 46. 


ftxt dtjntnnirl 


319 


<Ef nt neugrierijifdje llcberrrpung uon Cefltngo „Hathan“. 

Obgleich im Allgemeinen Ueberfepungen aus bern ©eutfcpen inS 
Neugtiecpifche nur auf wenige ficfcr jäf)len bürfen, fo palte ich bod) 
einen furzen Hinweis auf eine folcpe Arbeit pier im bejonbern gatt für 
gerechtfertigt, wo eS fiep nämlich um ein Meiftermecf unfercS ©eprifb 
tpumS h a ubelt unb um eine ebenbürtige meifterhafte Uebertragung, bic 
geeignet unb nielleicht auch berufen erfepeint, in mehr als einer ©e= 
Ziehung auf bem fremben ©oben @pocpe zu machen, nrie eS bie Urjchrift 
auf bem peimifepen gcthan. 

Sn bem borlicgenbcn Satt panbelt eS fich um bie bon 91. Naugabe, 
bem griechifchen ©efanbten in Berlin, in feinen „©ämmtlicpen Werten 
literarifchen SnpaltS" (dnavza za zpiXoloyiv.a) foeben veröffentlichte 
Uebertragung non ßejpngS „Nathan bem ©Seifen". 

SRangabe, ber in ber neueren Literatur feines ©aterlanbeS als dichter 
wie als Ueberfeper unbepritten eine ber pödjfien 0tufen einnimmt, hat 
hier bie Erwartungen, bie man bon ihm hegen burfte, im haften Maße 
erfüllt. 

©efannt gilt als ber gewöhnliche ©erS ber neugriechifchen Dramen 
ein bem franzöpfepen 9lle£anbriner burdj bie feftftehenbe Eäfur unb bie 
Neimberbinbung ähnlicher. Nangabe hat fchon früh — b- ©• m ber 
bon mir überfepten aripophanifepen Kontöbie „bie ^oepzeit beS KutruliS" 
— baS Klippflapp ber politifdjen Neimberfe mit bem alten ©rinteter 
bertaufept. gur feinen „Na&av 6 coyog“ hat er im engften 9lnjcpluß 
an bie Urfchrift reimlofe fecpSffißige 3amben gewählt unb eS ift bewun= 
bemSwerth, Wie er fieffingS gebrungene unb fchlagenbe ©procpe ©erS 
für ©erS im ©rieepifepen wiebergegeben unb wie glatt unb runb fich ba$ 
©anje fortlieft, wie ungezwungen unb lebenbig ber 9luSbrucf fich *>er 
fchrift anfehmiegt. 

Sch hoffe unb wuujcpe, baß ©erSbau unb Sprache ber griedjifcpen 
Uebertragung auf bie griechifchen Dramen ähnlichen Einfluß üben werbe, 
wie eS ber ,,Natpan" bei uns gethan. 

Mir wohl bewußt, baß pier niept bet Ort ift, auf Einzelnes näher 
einjugehen, glaube ich boep Jur Kennzeichnung ber UebertragungSweife 
jwei furje ©teilen anführen zu bürfen, an benen ich eine — atterbingS 
nur geringfügige — Klcinigfeit auSzufepen hatte, unter Beifügung beffen, 
waS ber mir befreunbete SSerfaffcr auf bie ihm brieflich barüber gemachte 
Mitteilung erwibert hat 

Sn ber belannten ©ingerzäplutig (beren Ueberfepung fich wohl baju 
empfiehlt, unfere ©rimaner zu ber leicht ju erwerbenben Kenntniß ber 
heutigen griechifchen Sprache anzuregen) heißt eS: 

©er ©tein war ein 

Opal, ber hunbert fc^öne garben hielte, 
imb im ©rieepifepen entfprecpenb: 

1 Ö Xi&og jjzov zifiaXtpeg j SrjgvXXiov 
Xgcopaz’ ccXXdcoov avvs%mg. 

§ier iß nicht glücflich ber Opal in einen ©erptt oerwanbelt, eS 
hätte füglich ftatt ßrjgvXXtov wohl dnahov heißen fotten, eine 9lenbes 
rung, welcher ber Ueberfeper in feinem ©rief an mich z u öeftimmt hat. 
Er fchreibt: „Sch habe, in bet Meinung, baß eS auf bie ©attung beS 
©teincS nicht anfomme, im ©rieepifepen ßjjgvXXiov nur gewählt, weil 
biefer Name eines EbelßeineS bei unS befannter ift als onaXiov.“ 

©ie zweite ©teile glaube ich um fo eher anführen zu bürfen, als 
ich aus Erfahrung weiß, baß fie — auf einem Saußper ©robinzialiS* 
muS beruhenb — auch öon einer großer Anzahl beutfeher ßejer nicht 
ganz richtig aufgefaßt wirb. Su bem 2. Auftritt beS 1. Aufzuges fagt ©aja: 
© och ba eS viele zwanzig 3ah?e h er > 

©aß biefer ©ruber nicht mehr lebt ic. 

34 habe in meinem ©Sörterbucp II 6. 1421 (unter ,,©iel" 3) barauf 
aufmerffam gemacht, baß in ber ßaufip unb in ©cpleßcn viele zwan> 
Zig zur ©ezeiepnuug einer unbeftimmten Menge bient. NangabcS überfe^t: 
*AXXa xgo xgovcov stnoat % ixiueiva 
äice&avBV insivog^ 


atterbingS nidjt grabe finnwibrtg, aber biettei<pt hätte er hoch bei Kennt 
niß beS Saufifcrr Sprachgebrauch* bie beftimmte 3ahl ( 2 t>) in feiner 
Uebcrfepung ganz aus bem ©piele gelaffen. 

darauf hat er mir erwibert: „34 mu ß aufrichtig gepehen, baß 
mir bie eigentliche ©ebeutung beS WuSbrucfS: 'öiele zwanzig 3ahre’ 
unbelannt war, unb boch wüßte ich an bie ©teile beS jept ^apehenben 
nichts ©effereS ju fepen, ba ein ngb z$6vmv ober ngo noUibv hwv 
gar zu fchwach unb farblos wäre.' 1 

SebenfattS wirb man aus ber ©eringfügigfeit ber tlnSftettungen 
erfennen, wie genau unb foTgfflllig unb wie gelungen im ©nnjen bie 
Dtangab^’fdje Uebertragung ip. 

3)er Bwecf biefer geilen ip twttßänbig erreicht, wenn bie £tfer auf 
bie griechifche Ueberfepung aufmerffam geworben unb einzelne ß<h biv 
burch bielleicht angeregt fühlen, fie mit ber Urfchrift zu bergleidjen unb 
gftnftigen gatteS fich auch mit anbern SBerfen beS trefflichen SRangabi* 
unb Weiter mit ber ueugtiechifchen Literatur überhaupt befannt z n 
machen, was Kennern beS Ältgriechifchm nur geringe unb leicht zu 
überwinbenbe ©chwierigfeiten bietet. 

Pan. Sanbers. 

* 

* * 

9lm 29. ©emptember fanb in Mündet eine ©erfammtnng bon Mit= 
arbeitern an bet im ©erläge bon g. 91. Berthes in ©otha erfcheinenbcn 
©ef<4ic^te ber europäifchen ©taateit patt. 3)tc ©erhaublnngen 
Zeigten, baß baS große Unternehmen nach allen ©eiten ber ©ollenbung 
entgegengeht. 3)ie ©efchidpe ©riechenlanbS bon ©rofeffor ©. §erpberg 
ift mit bem jüngft auSgegebenen 9tegiperbanb jum ©djluß gebieljen. ©on 
ber Steueften ©efchichte granfreichS, bearbeitet oon unferem hodjgefchäpten 
Mitarbeiter ©rofeßor K. ^ittebranb in glorcnj, ift foeben ber zweite 
©anb (bis 1848) erfreuen, unb bie noch auspehenben ©änbe beS SBerfeS 
werben in furjen gwißhenräumeti nächfolgen. ©on ber ftteubcarbeitung 
ber fttieberlänbifchen ©efchith^ ^ urc h ©rofeßor %\). SBenjelburger, bem 
bie „ ©egenwart M gleichfalls eine Itteihe werthbotter ©eiträge berbanft, 
liegt bet erfte ©anb bor, unb ber zweite ift weit in ber ©eatbeitung 
borgefchritten. ©er uitlängp Veröffentlichte erfte ©anb bet ©efchidpe 
©atjernS, bom Hrchibrath ©. IRiezler bearbeitet, wirb borauSfidplich 14ou 
im nächften Sahte eine gortfepung erhalten, ©ehr erfreulich ip, baß bie 
fo lauge unterbrochene ©efdjidjte ©pantenS bcmnächP wefentlich geförbert 
werben wirb; no4 iu biefem 3ah^ wirb ein neuer ©anb, für ben man 
©tofeffot gr. ©chtrtmacher zu bauten hat, ber Ißreffe übergeben werben, 
©on ber ©efd)t<hte beS KirchenftaateS, bearbeitet bon Dr. M. ©rofeh iu 
©enebig, ip ber etpe ©anb bereits im ©ruef. Mit ber ©efchichte ©enebigS 
ift ©rofeffor ©. ©h°maS — ben ßefern ber „©egenwart" aus manchem 
intereffanten ©eitrage befannt — unanSgefept befchäftigt. ©en erpeu 
©anb ber ©efepi^te SBütttembergS pat 9trcp!brath ©. ©tälin napezu 
bottenbet. ©nep für bie gortfepuitgen ber ©efepiepten ©reußenS, 9tuß= 
lanbS, ©cpwebenS unb ©änemarf* werben bie Arbeiten regelmäßig fort= 
geführt. 

©efanntli^ ip eine neue ©earbeitung ber ©eutfepen ©efcpicpte in 
ber ©Seife unternommen worben, baß größere ©erioben bon berfepiebenen 
©elepTten, welcpe bereits burep langjährige ©tnbten mit ipren ©nfgabeit 
bertraut jinb, bepanbelt werben, ©ie ©erpanblungen bet ©erfammlung 
bezogen fiep bejonberS auf bie gleichartige ©urcpfüprung uub möglicppe 
©efcpleunigung btefeS baterlänbifcpen fBerfeS, mit welchem man einem 
allgemein gefühlten ©ebürfntß entgegenznfommen pofft. Mau erwartet 
baSfelbe bis 1882 bottenben z u Wunen; bie erpe ©ublication wirb 
borauSpcptlicp fepon im näcppei! Sapre erfolgen, ©ine Neubearbeitung 
auep bet Oepreid^ifcpen ©efdji<hW würbe feit längerer geit gewünfept, 
unb bie ©erpältniffe paben jept biefem Munfcpe z« entfpreepett ermöglicht, 
©rofeflor 91. $ubet in SuuSbrmf pat eS übernommen, bie ©efcpicpte beS 
Oeftreicpifchen KaifexpaateS in feeps ©änben bon mäßigem Umfang 
Zu bepanbeln. ©aneben ip eine befonbere ©earbeitung ber Gepptcpte 
bet Kronlänbet Ungarn unb ©öpmen für fpätere geit in ftuSpcpt ge= 
nommen. 


©iefer Nummer liegen von nacpfirfjenben girmen fotgenbe Jlrufperte bei: 


©• ®e|r*S Sucpp. iu ©erlin — „®ie gamilic SRenbetSfohn 
von ©. ^enfel". 

Dttö ©pamer in S(i)i)iß — „©rcußenS ÖJefc^ic^te in SBort 
unb 95itb öon gerb, ©cpmibt". 


3- ßngelljorn iu ©tuttgart — „grauen sSibliotpef". 

Sö. ©ßemann in ©tnttgort — „®ie ©rbe unb ipr organifepe* 
Seben von ©lein unb ©pom6". 

(Seorg ©tilfeiit ©erlin — „$ilbebvanbf3 9Iquarctte, Scftgef^cttfe' 7 . 

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820 


Nr. 46 . 


^nfevate. 


i 

Der neue Catalog der 

Collection Litollf 

ist durch jede Musikalienhandlung gratis 
und franco zu beziehen. 

Uuentgelt(td) ift in ben meiften $öud$anb* 
lungen ju ^aben: 

1$ei?er’s ®erjrid|nijj ber »euigteiten 
beb heutigen 8u$$«abrl$. 

©ine in 2—4wödjentt Swifdjenräumen er* 
fdbetnenbc Ueberfidjt ber neucften Jßrobucte auf 
allen ©ebieten be3 beutfdjen $3üc$ermarited. 

(Sollte ba§ S3latt in einer ©udjhaublung nid^t 
au erlangen fein, fo wenbe man ftd) bireft an 
ben Verleger jfonl gejct in &ety$ig. _ 

Neue Kataloge 

über m. antiquar. Bücher-Lager, ca. 200,000 
Bände, gratis-franco. Angabe d. gewünschten 
Wis8en8ch. erbeten. 

L. M. Glogau Sohn, Hamburg. 

Bibliothekbeamter, 

der bisher an einer grösseren Staatsbibliothek, 
vorwiegend an der geographischen Abthei¬ 
lung derselben, thätig war, sucht bei massigen 
Gehaltsansprüchen Stellung. Offerten und 
Anfragen unter Chiffre 0. T. 860 vermittelt 
die Expedition d. Bl. 

Bei H. R. (nichtE.) Mecklenburg in BerlinC., 
Klosterstr. 38, erschien soeben im Anschluss 
an die Schilderung Servets, des Erfinders 
der vergleichenden Geographie, des Ent¬ 
deckers vom Blutkreislauf, de» systematischen 
Bestreiters der Irrungen ln der Schullehre 
von dem Dreieinigkeits-Yerh&ltniss zu den 
Wittenberger Reformatoren, 1. Dr Martin 
Luther und Dr. Mich. Servet (61 S. Lex.-8., 
Preis 1 JC), U. Ph. Melanchthon und Mich. 
Servet (198 S. Lex.-8., Preis 3 JC): 

Servet 

ml die oMiHen Momatorei 

I. Servet und Butzer. 

Herausgegeben von 

Lic. theol. H. Tollin. 

17% Bog. Lex.-8. Preis eleg. broch. u. geh. 

4 JC 60 

Tollins Butzer und Servet bringt zum ersten 
Male aus Pariser, Berner, Züricher und be¬ 
sonders Strassburger Manuscripten ein psycho- 
logisch-dogmengeschichtliches Bild von dem 
Zusammenwirken und Sichbefehden jener 
beiden in weiten Kreisen einst tonangebenden 
Männer; ein Bild, dessen Folie, Union, 
Trinitätslehre und Abendmahlslehre bildet 
und das sein grosses Centrum in der Frage 
findet, ob Staatskirche oder aber Freikirche ? 


Tisch für Magenkranke 


von Med. Dr. J. Wiel in Zürich. Dieses 
weitverbreitete und überall günstig be- 
urtheilte, bereits in 5. Aufl. erschienene 
Buch dient zum wirklichen Besten der 
von dem weitverbreiteten Zeitübel Be¬ 
drückten und darf Magenleidenden als 
eine reiche Quelle der Belehrung bestens 
empfohlen werden. 

Preis JC 4.— = fl. 2.— Öst. W. Zu 
bez. d. alle Buchh. oder direct franco 
vom Verleger. 

Hans FeUer in Karlsbad, Böhmen. 

__ 4 

gtftftdta», N.W., Sfronpriujcnufer 4. 



3m Vertage mm 3ul. ftlinf barbt in Beißig ( 
unb Söien ift erfdjienen uub burdj alle $3udj: 1 
hanblungen $u besiegen: 

JttltfWe PngarrisR». 

■Jioöette 


5>. §pi$ev. 

6. Auflage. ©leg. gei). ei8 3 JC 
r |h 14 fiftt »ift JlnjUjt# «qriftn. "1 


SSom bemfclben Serfaffer erft^ien früher: 

Diu Ijeranredit. 

Sine SRotteUe in SBriefeit. 

9. »ufl. @leg. |elj. 'Jßretä 2 JC 

t %, -" 

Wiener ^ojtcrgängc. 

2. nnb 8. «uffnge. 

t. II.* III. lV.Smlg. 

^JreiS 3^C60Ä. 4^60^. 5 JC. iJC60S>. 

Bücher-Ankauf 

Kl. u. gr. Bibliotheken kauft zu hohen Pr.: 
E. Weidlich’s Antiqh., Leipzig, Frkf. Str. 34. 


Verlag non §ematn CotUnoMe in 3ettt. 

3 tri<bri<f $ömet, ^rof. 

$)ie 

ftto, i|f lau h. arganifijjts leben 

S3erfud) einer fßljtyfiologie 
beg (SrbförperS. 9lad) ben juüerläffig-- 
ften gorf$ungen angefteQt für öebtlbete 
oller Stäube. 

2. Auflage 2 ®be. gr. 8. brofdj. 10 JC, 
x eleg. geb. 11 JC 60 A. 

3)ie 

fuft, i|t Pefrn, fehlt u. pinkt. 

3Kit Scjte^ung 

auf bie gcograp^if^c SSerbreitung berj 
^flanjen, unb aKenfc^entaffett- 

gr^dn^urtö^Bartö. 

2. Äufl. 1 ©b. gr. 8. brofdj. 4 JC t 
eleg. geb. 5 JC 50 

$)ieje3 für jeben ©ebilbeten, befonberS 
für Siebter wichtige uub intereffante SBer! 
fanb bei feinem erften ©rfdjeinen ben 
ungeteilten Beifall ber gefammten greife, 
woburdj febr halb eine jweite Auflage nöthig 
würbe. 


Yerlag von Wilhelm ] 
Besser’sche Buchhandlu 

- 

Eertz in Berlin NW. 

mg. 10 Marienstrasse. 

Im Jahre 1879 erschienen u. A.: 

Emanuel 

Classisches Liederbuch. Griechen und ] 
sehr vermehrte Auflage. Auf holländ, 1 
6 JL In reizenden Halbfr 

GeibeL 

Körner in deutscher Nachbildung. Dritte 
Apier gedruokt. 1879. Eleg. geheftet 
anzband gebunden 9 JL 

Paul I 

Verse aus Italien. Skinzen-Briefe und ' 

6 Jl. Hübsch gebu 

leyse. 

ragebuohblätter. 1880. Eleg. geheftet 
nden 7 JL. 20 

Paul I 

Oer Salamander. Ein Tagebuch in Tc 

Goldschnitt S 

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Paul I 

Oie Madonna im Oelwald. Novelle in 

Goldschnitt 5 

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Heinrich B 

Italienische Novellen. Inhalt: Der heili 
stera Madonna Clarenza. 1880. Ele$ 

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ge Giovanni. Der Säugling. Der Leit- 
geh. 6 JC, eleg. geb. 7 JC 20 K. 

Werner Hahn. 

Deutsche Poetik. 1879. Geh. 4 Jü 50 geb. 5 JL 50 


Olio d’Oliva di Lucca. ===== 

atlerfetnfle* OIit>en=©peife=0el au8 fiucca in Italien ju Salaten, 3Jlajonaifen, Saucen u. 
auch alb mcbijinifdjeä Del Don Ijeilfamfler SBirfung, in unübertroffener Steinzeit nnb griffe, 
ißreii & fiiter JC 2.70 in gangen unb falben Siterftofdjen. — alleinige birefte Hittarlagt 
in Berlin, Sintmerfhr. 8 fctr. an ber SHtycfafyrnte. 

&teut & gotnp. 

bie »ebaction manttoorMcp: $eorg £ttOU in £frftn. fgyekitt««, PtrCiu W. t ®eh«n*6tt«^e 4. 


bie Rebaction öcranttoortltd): ^eorg Stifte ii 
Xnid von fenlner in /<rtp|tg. 


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X» 47 


betritt, bett 22. Stornier 1879, 


Band XVI. 


pe ^cgcnnmit. 

äöof enffrift für Literatur, Äuttft uitb öffetrtltf es Sehen. 


Herausgeber: ^?auf dittbait in ©erlitt. 


satt fsssiirai tflM «i« I«L «erte fl er: »tarn ©title in Söettin. 

Br Belieben tninft aß« ©ua&anMunflen unb ttoftanftalten. 


f«fe ftt fwtal 4 Jktk 50 |f. 

Bniecale jeber ftrt uro Sßff Halten* Betitieile 40 $). 


Sn^ttft: 


3)ic einfachen (Slemenie ber orientalifdjen Stage. $on 9lb. SBafjrmunb. — Literatur unb Jhmfh 2>ie 93aljnjtation. 9tu3 bem 
Stalienifdjen, Odi Barbare be3 ©tofue ©arbucci übertragen non ©. 3 . — ©ottfrieb Semper al$ 33egrünber ber lunftgeroerblidjen 
Reform. 2$on 93runo 93uc§er. — 3obn SBfatftuoob f. $oit 9?ubo(pb Äinbau. — Sfjeobor bon 93entl)arbi3 5$ermifdjte ©Triften, 
©efprodjeit bon g. — Än0 ber gaitptftabt: berliner Sweater. Untritifd&e SRaitbbemerfungeu bon 9t. ©. — bem ©oncertjaat. 
$on §. $tigat. — Zotigen. ~ Offene Briefe unb ftnlroorteu. — ftuferate. 


Die einfafflen (Elemente ber orientaliffen -frage. 

3wiff en ©fien unb Europa Ijerrfdjt feit Urjeiten bet Stiegt 
juftanb. ©apa H^obot bat bieS fcfjoit oot mef)t als jweitaufenb 
fahren eingefegen unb naf feiner SBeife bargefteflt. 3m ©ttt 
gemeinen ift ©fien hierbei ber angreifenbe X^eit unb muff bieS 
fein, weit eS ein loloffaleS ©eferboir oon Stenffenfraft oor- 
ftellt, welche bon 3<*t ju 3eit burf elementar loirfeube, bom 
SBillen ber ©tenff en ganj unabhängige Kräfte unb ©aturereigniffe, 
mie natürlicher SBanbertrieb, HungerSnotl) u. bgl. in ©ewegung 
gefegt wirb, unb Weit bie im ©fiaten wirf (amen ungebänbigten 
fitttidhen ©Säfte, wie UnabfjängigleitStrieb, Hetrfffuft, Staub: 
lug, religiöfer Fanatismus u. bgl., fetjr leicht bie ©taffen auf 
bie Bahnen ber Eroberung führen. Europa anberfeits berhält 
fif in ber Sieget abwehrenb unb wirb nur burf befonbere 
feltene ©eranlaffungett, namentlich burd) bie 3etfegung botber; 
afiatifcher Erojjmäfte unb bie barauS refultirenben Eefagren 
nach ©fien geführt, ©o hat bie 3erfegung beS ©erferreif S ben 
Älejanberjug, bie bet ©eleufibenmaft bie Einmifchung ber 
©ömer, bie beS arabifchen EhatifatS bie Äreujjüge, bie beS 
ÖSmanenreifS bie heutigen ffierwicfelungen herbeigeführt. — 
©on ben befonberen SSejiehungen einzelner Staaten beS biel- 
gliebrigen Europa ju einzelnen ^heilen bon Slfien fotl hier nicht 
bie Siebe fein. 

®ie Stiftungen, in weifen Slfien Europa angreift, finb 
in ber Hauptfafe jmei, beren natürtife ©feibung burf bie 
©fronten bebingt ift, weife ber taSpiffe ©ee, ber &autafuS, 
baS ffmarje ©teer unb weiterhin bie Karpathen bilben. X>ie 
eine Stiftung, nörbtif biefer ©franfen, geht birect bon Oft 
naf ffleft unb führt bie ©taffen mongoliff=tatariffer ©ölfer 
burf ©ufilanb unb ©ölen heran. Xie anbere, füblife, geht 
bon ©üboft naf ©orbweft unb führt uns jene SSötfer auf ben 
Seife, bie fif borget — in ben Anfängen ihrer EroberungS= 
periobe — in ben ©efig oon ©grien unb ffleinafien gefegt 
hatten. Stuf biefem SBege finb bie ©erfer unter ben ©dj ämeniben, 
bie Slraber bei ihren S3erfufen jur Eroberung $onftantino= 
pelS, fpäter bie Xürfen unb bie ©tongoten unter Ximurleng 
angerüeft. 

Ein mehr untergeorbneter ©ebenftrang ber erften, jugleif 
aber auf eine Fortfegung ber jweiten ©iftung, ift ber 3ug 
oom ffroarjen ©teer bonauaufwärtS. SJiefen SBeg benugten, um 
bon ben älteften Einwanberungen nift ju reben, bie Hunnen, 
Stoaren, ©Sagbaren unb Xürfen. Ein ©btertfer ber jweiten Haupt: 
riftung ift ber SBeg längs ber ©orblüfte ©frifaS, weif er bie 


©göniciet ober Karthager naf Spanien, Eattien unb Stätten, 
bie Slraber ju ben ißprenäen unb bis an bie Soire geführt hat. 

®iefen jahtreifen afiatiff en EroberungSjügen naf Europa 
ftehen bis fegt nur brei europäiff e naf Slfien gegenüber, nam* 
lif ber mafeboniff=griefiffe, ber römiffe unb bie ffreujjüge. 
Hinjufügen lägt fif nof, baff auf in ber borgeffiftlifen 3eit 
bon Slfien heranbringenbe turaniffe SWaffen baS Europa nörb- 
tif ber Karpathen unb Sltpen erfüllten, um fpäter wieber nor 
ben Selten, Eermanen unb ©laben jurttefjuweifen, Wägrenb 
einige Forff er auf bon einer nof früheren SSemegung heutiger 
Slrier bon Europa naf Slfien reben. 

©tan fieht: entweber fommt Slfien naf Europa, ober 
Europa geht naf Slfien. ®aS Erftere geff ieljt unter ber 2Bir= 
fung elementarer Xriebfräfte, bei einfaferen, natürlicheren 
SebenSjuftänben, ftetS offenfib, — baS Segtere mehr wiber: 
willig unb in ber Hauptfafe in befeufioer Stbfift, wie bieS 
auf ber fchr fünftlifen unb beSgatb empfinbtif en Drganifation 
Europas entfprift. Xaju pafft benn auf, bag Europa fif bei 
biefem SSerhättniffe biel fftefter befinbet als Slfien. Es gibt 
in Slfien nof ungeheure Eebiete, weife ber Fufi beS europäiff en 
Eroberers nie betreten hat; in Europa aber gibt eS, ben ©orben 
ausgenommen, faft feinen Sanbftrif, ben ber afiatiffe Ein: 
bringling nift befuft hätte, benn bon ber einen ©eite tarnen 
Hunnen unb ©taggaren bis jur Soire, unb bon ber anbern 
©eite bie Straber. Xie Xürfen finb betanntlif bis über ißaffau 
ginauSgeftreift, bie Slraber feinerjeit bis gegen bie ©hone, fo 
baff beifpielSWeife, in Folge ber burf ben 3Slam h ctDDl ' : 
gerufenen SSemegung, in Eentraleuropa nur ber ff male Eürtel 
jwiffen ©hone unb 3nn unberührt geblieben ift bom Hufe 
afiatiffer ©offe. SlnberfeitS bringt ber Europäer bem Slfiateu 
im SlUgemeinen eine mit SBiberftreben angenommene ©erbefferung 
feiner 3uftänbe, unb jwar nof auf eigene Untoften unb unter 
ffwerer ©tühe unb Slrbeit, wätjrenb ber afiatiff e Singriff euto= 
päiffe Sänber aufs Empfinbliffte trifft unb unljeilooUfte ©er: 
Wirrung, wenn nift gerabeju ©erniftung mit fif bringt, ©flieg: 
lif bertiert ber Europäer in ber nothgebrungenen ©erühruttg 
mit bem Slfiaten unb im ©anne orientaliffer fflimate feine 
befferen Sitten, weife ein ©fmerjenSprobuct niethunbertjähriger 
Eulturarbeit finb, unb auf benen auf feine höhere potitiffe 
Straft felbft beruht. ©IS Entffäbigung fann er föfftenS bie 
Hanbetsbitanj tgeilweife ju feinen Eunften geftalten; im Erofjen 
aber war ©fien ftetS auf ein Erab für bie europäiffen Ebett 
metaüe. Xarum tönnen j. ©. beutffe Eeffiftffreiber, weife 
gegen ben Unfinn ber ftreujjüge, ober engliffe ©otititer, bie 
gegen Unternehmungen in $nbien ober ©fghaniftan bonnern, in 


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322 


Bit <S*g*imnnrt. 


Nr. 47. 


ipren einjetnen ©epauptungen boßfommen Mept paben, opne 
baß baburp bet ®ern bet Stage berührt würbe, ©efep bleibt: 
etttweber fommt Slfien nap ©uropa, ober ©uropa gept nach 
itlfien, wie benn ja aup bett abjiepenben ®reujfapretn bie 
Surfen atbatb napgerücft finb. 

UebrigenS pat ©uropa ju aßen Beiten unb aup peute, ber= 
möge feinet breiten SerüprungSftäpe mit Stfien, ein gutes ©tüd 
'älfien unmittelbar am Seibe fangen, unb eS ift überhaupt 
parafteriftifp, baß bieS Heine Hnpängfet SlfienS, ©utopa ge= 
nannt, — abgefepen Bon ben btei fübtipen, burcp mafftge ©e= 
bitge abgefpnittenen #albinfetn, — ein befonbereS ©utturwefen 
entwideln fönnte, wobei Wiebet beleprenb ift, bah bon ben beiben 
öftlipen biefer $atbinfetn bie befonbete europäifpe ©uttur aus* 
ging unb langfam übet ben #anptförper berbreitet pat. 

Sie natürlichen ©erpälhtiffe tenfen ben $aupt=Dffenfibftoh 
bet in ©utopa eingebropenen Staaten junäpft bapin, wo bie 
beiben ©inbrupSriptungen eine jientlip breite ©erüprungäfläpe 
haben: — gegen bie untere Sonau. Sortpin bewegten fich 
©fptpen unb Hunnen, Wie Sürfen unb Muffen, unb man muh 
es fip beuttip mapen, bah bort auch peute »op mehr ajiatifche 
als europäifdje Buftänbe ^errfd^en, wie ja bie öejeipnung „f>a(t>: 
afien" für biefe Sänber getabe jept SMobe geworben ift MingS 
um biefelben gtuppiten fich eine StnjapI turanifper ©ölfer: bie 
(ugrifchen) SMagparen, bie ftabifirten ©utgaren, bie Sürfen unb 
jene japtreipen ugrifchen, fafafifpen unb tatarifpen Sßölfets 
fpaften, welche ben ©auptbeftanbtpeit beS europäifpen Muhtanb 
ausmachen, ©benbort ftofjen aber auch bie btei großen Meli: 
gionSfotmen jufammen: bas occibentalifche ©htiftenthum, baS 
orientatifpe, fogen. ortpoboje, unb bet 3stam. ffion aß biefen 
Suraniern finb nur bie SMagparen burcp ihren SatpoliciSmuS 
im occibentalifpen ©anne feftgepalten, opne baff man jebop bon 
ihnen behaupten fönnte, bah fie bem Dccibent feine Stufgabe et: 
leicptern. ©ine biet gewaltigere ©epinbetung einet für ©uropa 
günftigen Söfung bet Orientfrage fommt aber bon ben ruffifi= 
citten Suraniern, benn biefe btängt eS, fiep einfach an bie ©teile 
ipret ©tammberwanbten, bet Sürfen, ju fepen unb fo bie Sn: 
bafion ©uropaS, ju welcher bie Sürfen unbermögenb geworben, 
fortjufüpren. 

$inju fommt noch ein anbeteS afiatifpeS (femitifcpeS) @te: 
ment, baS fiep mit ben SEBurjetn unb Steften beS europäifpen 
©ultutWefenS boßfommen berWacpfen pat, opne feine ©igentpüm: 
licpfeit batttbet ju betlieren, nämtip bie 3«ben. SP« Stellung 
jur Drientfrage ift niept fo einfaep. Sah fie eine tuffifpe Söfung 
niept woßen, ift fiepet, aber ipre ©pmpatpien mit ben Sürfen 
finb bietfach ju Sage getreten, unb bah bet orientatifpe 3«be, 
trop feines fonftigen SürfenpaffeS, bie £>errfpaft bet Sürfen 
jener bet prifttipen ©utopäet barjiept, ift jWeifettoS. Set Sötam 
ftept bem 3uben beS Orients biet näper als baS ©priftentpum; 
et füplt pier eben als Orientale. 3* fogar bet orientatifepe 
©prift benft in bet SMeprjapl ebenfo. &ommt eS boep bot, bah 
ein ©prift aus btohem |>ah gegen baS eutopäifepe SBefen, beffen 
augenbtidtipe aggreffibe Micptung gegen ben Orient et erfannt 
pat, SMuSlim wirb unb bie ©ettpeibigung beS Sitarn mit einem 
Wapten ffeuereifer übernimmt. 

©on 400—1400 unfetet Beitrecpnung pat eS ein europaifp: 
afiatifcpeS Bmifpenreip gegeben, in wetepem bie pertfpenben 
Sbeen, bermöge ipret Stnlepnung an baS attpeßenifpe Senfen 
unb an bie tömifepe ©olitif, europäifcp waten, wüptenb an: 
fängtiep bet bei weitem gröbere Speit feines ©ebieteS in ben 
Orient fiet — nämtiep baS bpjantinifpe Meicp. Sasfetbe biente 
burp ein paar 3<*prpunberte als fept nüpliper ©tofjbaflen 
jwifpen ©utopa unb Hfien, fo wenig menfcplicp tiebeuSwürbig 
eS auep fonft war. 3m Sertanfe bet Beit würbe • bieS Meid) 
aber in eben bem SMahe mepr ein rein europäifpeS, ats eS an 
©ebiet unb ©influfj in Stfien bettor, opne bop feinerfeitS im 
eigenen 3nnern bie angenommenen böfen orientatifepen ©inßüffe 
toS ju werben. SaS heutige ©rieepentanb hingegen pat fiep 
bon botn petein im fepärfften ©egenfap gegen baS Stfiatentpum 
entwiefett unb auep rüdfidjttip bet aufgenomntenen ©ilbungS-- 
etemente in tepter Beit fein ©utopäettpum im beften ©inne beS 


SEBorteS entfepiebener entwidett, fo bah eS jept atS rein eutopäifepe 
SMapt baftept unb panbett. 

3m bpjantinifepen Meicp pat ftep aber auep ein eigentpüm: 
ticpeS fircplicpeS SEBefen auSgebitbet, wetpeS ebenfaßs eine 
ppbribe ©etbinbung jwifpen eutopäifepem unb afiatifepem ©eifte 
barfteßt, unb biefer ©eift pat auep ©ropaganba gernapt unb 
feine ©enbboten einerfeits in bie ©atfan: unb mittleren Sonau: 
iänbet birigirt, fo bah fie in ben fßerfonen bon ©prißuö unb 
SMetpobiuS ipten ©inßuh, obwopt bergebtiep, bis naep Mtäpren 
trugen, — unb anberfeits naep Mufjtanb, WelcpeS but^ biefen 
©eift bößig annectirt würbe. SaS heutige ©rieepentanb fdpeint 
fiep bon bemfetben toSmacpen ju woßen, was feinem ©parafter 
als rein europäifepe 3Jtaipt ju ©Ute täme. 

Stn ©teile beS früheren fübtiepen (bpjantinifpen) pat fiep 
aber fpäter ein nörbticpeS europäif<p:afiatifcpeS Bmifcpenreicp ge= 
bitbet, baS tuffifepe. 3« bemfetben gepen bie teitenben Sbeen 
Wie in ©pjanj, auf europäifcpeS SEBefen jurütf, inSbefonbere auf 
germanifepe ©inflüffe. Sie erften Drbner in bem ftabifcp: 
turanifepen ©ötterwuft waren ©ermanen (SEBaräger). Sie heutige 
Spnaftie ift eine beutfepe, unb bie ganje ©taatSmafcpine wirb 
in ipren wieptigften Speiten bon Seutfcpen ober beutfep gefeputten 
köpfen bebient. Ser gröbere Speit beS ruffifdjen ©ebieteS 
aber faßt naep Stfien, unb, was no^ wichtiger ift, fetbft ber 
überwiegenbe Speit feiner europäifepen ©ebötferung ift aftatifcp 
(turanifcp) unb nur äuhertiep mit eutopäifepem giraifj über: 
tünept. Ser ©parafter biefer ©ebötferung ift immer noep patb 
nomabifep. SMit bem Momabengeifte berbinbet fiep aber eine 
©eringfepäfeung, ja ©era^tung ber ©ebingungen Wie ber ©r: 
gebniffe ber fefjpaften ©uttur, unb biefe tritt getabe in unferen 
Sagen in ber eigentpümtidpen Sorm beS fogenannten MipitiSmuS 
Wieber beuttidp perbor. SieS fflerpättnih ift au^ bie tiefere 
Urfacpe, Welpe Muhtanb in geringen Btbifpenräumen immer 
Wieber ju blutigen Stiegen treibt. Muhtanb pat ftp aber aup 
mit ber bpjantinifpen Drtpobojie burptränft unb mapt für 
biefetbe gewattfam ©ropaganba, nipt nur in Stften, fonbeni 
aup weftwärtS in ber Miptung jener ©ebiete, metpe ipr 
©priftentpum bon Morn aus erpatten paben. ©eit 1863 füprt 
eS in biefem ©inne einen waprpaften ©erniptungSfrieg gegen 
bie fatpotifpe ®irpe in fJJoten. Ser ©ertuft biefeS ©ebieteS 
wäre für ben occibentatifpen, ben eigenttip europäifpen ©eift 
ein testimonium paupertatis unb ein unauStöfptiper ©panbßed. 

Siefe eigentpümtipe ©teßung MufstanbS ift eS nun, Was 
pauptfäptip bie orientatifpe Stage für bie ©egenwart berwirrt 
unb ipre Söfung für ©uropa fept erfpwert. Saft feiner ganjen 
StuSbepnung nap liegt bieS Meip auf bem SEBege, Wetpen bie 
afiatifpe ©inwanberung ber nörbtipen Miptung eingefplagcn 
pat, unb ben ^aupttpeit feiner europäifpen ©ebötferung bitben 
bie auf biefem SSege perangebrungenen afiatifpen Momaben: 
bötfer. ©etraptet man nun bie ©taben MuhtanbS in feinen 
Wefttipften ©ebieten ats eigenttipe ©uropäer unb fept bieS 
©tement in feiner ©etbinbung mit beutfpem SEBefen ats baS 
perrfpenbe, wetpem eS in ber Spat ftets getänge, baS. afiatifpe 
unb patbafiatifpe ©paoS boßftänbig ju bänbigen unb im Baume 
ju patten, fo fönnte ein fotpeS Muhtanb immerpin ats eine 
europäifpe SMapt gelten. SieS ift aber nipt ber Saß: eS finb 
bie afiatifpen ©temente MuhtanbS, Welpe bie tiefer tiegenben 
©runbtinien feiner ©otitif beftimmen,- bie auf niptS pinauStäuft 
ats auf ein erobernbeS ©orbringen nap SEBeft unb ©üb, b. i. 
für ©uropa bie Sortfepung ber afiatifpen ©inwanberung. Sie 
fpeinbar teitenben europäifpen ©temente finb mepr gefpoben 
ats fpiebenb. $ierburp nun wirb Muhtanb ju einer borwiegenb 
afiatifpen SMapt, Welpe gegen bie eigenttip europäifpen 3ntereffen 
birect feinbtip panbett unb panbetn muh. @ptiehtip fäme babei 
gerabeju eine $neptung ©uropaS perauS. 3m ©rohen unb 
©anjen mühte biefeS Streben MuhtanbS nap einer gemiffen 
Beit eine biet engere ©etbinbung beS eigenttipen ©uropa unter 
fip, namenttip ÜRitteteuropaS ins Seben rufen, ats fie jemals 
esiftirt pat — unb bon einer fotpen ift ja aup fpon gefpropen 
worben —, weit nur eine folpe ben bropenben ©efapren ge: 
wapfen fpeint, unb ba pätten wir benn bie gröhte SEBirfung, 

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Nr. 47. 


3Di* ®eg*ttwart. 


327 


ffebt jebocff bereits fferoor, baff bie orientatifdffen ©tjeugniffe, 
tote fte beit ©ebingungen boßftänbig entfpredjen, toelcffe an bte 
©tarlttoaare gefteßt toerben müffen, toie fte in alte Umgebungen 
baffen, ficff ju ben berfdffiebenften Stoßen bertoenben taffen, ba» 
für beS inbioibueßen AuSbrudS, ber ©pracffe, ber Seele ermangeln. 
Unb inbem er borauSfagt, baff ber ©influff ber orientalifdffen 
SBaaren ficff als eine ber erften SBirfungen ber Sonboner 3n= 
buftrieauSftettung an ben europäifcffen lunftgetoerblicffen ©robucten 
?,eigen toerbe, toamt er jugleidff bor ber btinben Stadjaffmung. 
,,'Btr bejtffen einen Sleicfftffum bon SBiffen," fagt er, „eine nie 
iibertroffene Sirtuofität im Sedffnifdffen, eine Sülle bon ®unft» 
trabitionen unb aßgemeinoerftänblicffen Silbern, eine toaffre Statur» 
anfdffauung, unb bürfen toaffriicff bieS alles nicfft für ffalbbarbarifcffe 
SBeifen ffingeben. SSaS wir ben Söllern bon nicfft europaifdffer 
©ilbung abfeffen müffen, ift bie Äunft beS SreffenS jener eins 
fadffen berftänblicffen ©letobien in gor men unb in garbentönen, 
bie ber gnftinct ben ©tenfcffentoerlen in iffren einfacffften ®e» 
fiattungen jutffeilt, bie aber bei reiferen Mitteln immer fernerer 
ju erfaffen unb feftjuffalten finb." SaS ©tubium berfelben 
empfiefflt er wie baS ©tubium ber Staturformen, beren unmittel» 
bare Sladffaffmung, toelcffe bamals feffr im ©djtounge toar, er 
fetbftberftänblicff ebenfo bertoirft. 68 ift betrübenb, uns fügen 
ja müffen, baff troff afletn toas feitbem gefcffeffen, geleljrt, erftrebt, 
gearbeitet toorben ift, jene SBorte nocff ffeute toie bor beinaffe 
breiffig Saffren am fßlaffe finb: bet StaturaliSmuS jmar ift fo 
jiemlicff jurüdgebrängt, bagegen florirt gerabe in einigen ton» 
angebenben Sänbern baS gebanfentofe Sladffäffen orientalijcffer 
©efonberff eiten, unb baS bon ©emper geforberte ©tubium ber 
Statur beffufs ber felbftftänbigen lünftlerifcffen Steprobuction iffrer 
gormen geffört überaß ju ben ©eltenffeiten. Aucff ©emperS 
©emerlungen über bie bamalige 6intoirtung ber afabemifcffen 
Zünftler auf bie Äunftinbuftrie, übet ben SJtangel eines inneren 
3ufammenffangeS jtoifcffen ©eftimmung eines ©egenftanbeS unb 
beffen AuSfcffntüdung, ben ÜJlangel an Stüdficfft auf bie Statur 
beS Stoffes unb bie Sedffnil unb anbereS meffr ffaben nocff 
leineStoegS aße ©ebeutung für bie ©egentoart eingebüfft. 

Siacff eingeffenber ©efprecffung ber Urfacffen beS ungünftigen 
©tanbeB ber fünfte in ©nglanb erltärt et ficff mit ©ntfcffieben» 
ffeit gegen bie Sbee „eines künftigen ÄünftlerareopagS" unb 
©ormunbfdffaftSanftalten beS SollSgefcffmadeS; biet beffer, äuffert 
er toieberffott, baff noiff lange Seit geirrt toerbe, als baff baS 
Sol! ficff beS unöeräufferticffen StecffteS begebe, bei bem, toaS es 
befteßt ober lauft, bem eigenen ©efaflen ju folgen. Stur ©e= 
legenffeit tnüffe geboten »erben §ur ©ilbung beS ©ollSgefcffmadS 
unb jtoar burcff 1. ©ammlungen, 2. ©orträge, 3. SBerlftätten, 
4. SBetteifer unb ©rämien. ©ammlungen unb öffentliche ©tonu» 
mente nennt er bie toaffren Seffrer eines freien SolfeS; man 
ffabe jebocff bisffer nur geteffrte Äunftfammlungen gegrünbet, bie 
baS Soll auf feinem bermaligen ©tanbpunlte ber Sunftbitbung 
gar nidfft öfrfteffen lönne, unb beren Snffatt auiff ben Sunft» 
lennern oft unöerftänblidff bleibe, ba er jum Sffeit auS ©rudff s 
ftüden befteffe, bie aus iffrem utfprfinglicffen Safammenffange 
fferauSgeriffen toorben. 2Beit geeigneter ju ©ammlungen feien 
folcffe ©egenftänbe ber Sunft, bie öon Urfprung ff et feinem 
beftimmten ©taffe angefförten. An biefen miiffe fidff ber Solls» 
gefcffmad erft toieber erffolen, »eil fte baS grüffefte toaren, tooran 
fidff ber Äunftfinn beS SDtenfcffen betffätigte. @r oertangt nun 
folcffe Sammlungen ber leramifdffen fö'unft mit ©infcfflufj ber 
bertoanbten ©las», Stein» unb ©tetafltoaaren, bann ber Sejjtil» 
lunft, ber ^otjarbeit, ber ffiunft beS SJtaurerS unb beS Ingenieurs; 
jebe biefer öier Abteilungen nadff einem jugleicff ffiftorifcff» 
etffnograpffifdffen unb tedffnologifdffen ©lau georbnet unb ber» 
bunben burcff eine SDtobeßfammlung, in toelcffer ber Suf a >ttmen» 
ffang ber Sttbwftrie mit ber Saufunft unb ben übrigen ßünften 
ftubirt »erben lönnte. ®ie Sorträge ffätten jene Sammlungen 
ju erläutern unb bor Slflem bie Seffre bon ben ©tilerforbemiffen 
unb bie £edjnologie ju beffanbetn. Sür bie $eranbitbung bon 
Sünftlern unb Sunftffanbtoerlern legt er ben gröfften Stacffbrud 
anf ben SBerlftattunterridfft, berlangt namenttidff, baff in ben 
fjeicffenfcffulen ber S^oting bon Anfang an einfeffen lerne, baff 


bie ßeidffnung in ben meiften Säßen ©littet jum 3werfe, nidfft 
an ficff 3»ei ift- brüberlitffe Serffältniff beS ©teifterS ju 
feinen ©efeßen unb fieffrtingen wirb, fo ffofft er, bie Sllabemien 
unb bie Sttbuftriefchulen nadff iffrer bamatigen ©inricfftung in 
SBegfaß bringen, ©eloffnungen unb StuSjeidffnungen ertoäffnt 
er eigentlich nur » um auf beren bebentlicffe ©eiten ffinjuweifen. 

S)en fo in groffen 3ägen entworfenen ©lan füffrt ©emffer 
toie ertoäffnt in ber jtoeiten Arbeit »enigftenS jum Iffeit im 
©injelnen aus. S)iefelbe gliebert ficff in brei Slbfcffnitte: Ueber 
Sammlungen überffaufft, beren ©efdffidffte unb ©nridfftungen, 
— Katalog, — ©tufeograffffie unb ©iograffffie einer Sammlung, 
toie er fie ficff benft. $iefer Katalog umfafft aßein meffr als 
einffunbertunbfünfjig Soliofeiten. 

2ln bie ©ffiffe beS ©anjen fteflt ©entffer, ficff auf baS in 
ber erften ©cffrift ©nttoirfette bejieffenb, eine Steiffe öon gunba» 
mentalfäffen beS SnffatteS: Sun ft, Sunftfinn unb ©tilgefttffl 
ffaben in ber mobernen SBelt nicfft ©dffritt geffalten mit bet 
©nttoidlung beS SßiffenS; bie SotlSbitbung wirb aber nur bann 
eine üoßenbete fein, toenn, toie jur 3eit ber ©tütffe ber gtie» 
cffifdffen ©ultur, SBiffenfcffaft unb Sunft |>anb in |»anb geffen 
unb ju aßen menfcffticffen Singen in ©ejieffung fleffen. SiefeS 
3iel fann, borauSgefefft baff bie ©efeflfcffaft auf gefunben ©runb» 
lagen rufft, burdff öffentlichen Unterridfft erreicht toerben. ©in 
haupterjieffungSmittel finb gut organijtrte Sunftfammlungen, 
baS ffeifft folcffe, bie gugteicff toiffenfcffafttidffe unb lünftlerifcffe 
Slnftatten finb. 3n biefem Sinne ift bie ©efdfficffte ber ©amm» 
lungen eine 2lrt Snbej ber ©efcffidffte ber ©ultur. 

Sluf ben nädffften ©eiten ffijjirt ber Serfaffer nun bie 
©efdfficffte ber funftgetoerbticffen Sammlungen, toelcffe juerft in 
3elt unb #au$ ju ©ebraudff unb 3ietbe angelegt, bann ben 
Sobten mit in iffre Sluffeftätten gegeben toutben, bis nidfft meffr 
bie ©räber, fonbern bie Semffet nationale, burdff bie £>eitigfeit 
beS DrteS gefcffüffte ©cffafffammern »urben. @r toeift bann bie 
Sorliebe für ©ribatfammlungen bei ben attorientatildffen Söllern 
nacff, unb berfolgt bie Ausbreitung biefer Steigung über ©riecffen» 
lanb, bas Sleicff AlejanberS, Stom unb enbliiff ju ben norbifdffen 
3erftörern beS SBeltreicffeS. Sie abenblänbififfe Sirdffe bereinigte 
abermals in fidff ®rabftätte nnb ©iufeutn. Um bie Seit beS 
UebergangeS bom SJlittelalter jur Sleujeit erregten bie aus bem 
Orient, auS bem bon ben Sürlen eroberten bffjantinifdffen Sleicff, 
unb enblicff aus ber neuen SBelt lommenben &unftarbeiten unb 
frembartigen Slaturerjeugniffe toieber, toie in 8tom nacff ber 
Unterwerfung ®riedffentanbS, bie Suft jum ©ammein, bie Seiben» 
fcffaft bafür. Sem Sffaralter jener Seit entfprecffenb tourbe für 
bie bamals angelegten ©ammlungen meffr nacff bem gremben, 
Seltenen, SBunberbaren getradfftet, als nacff bem ©cffönen, unb 
boßenbS fern lag fpftematifdffeS ©ammein unb Orbnen. Socff 
berbanlt Stalien jener Seit unb iffren groffen Ardffitelten bie 
erften Sammlungen bon llaffifdffen Altertffümern, wäffrenb bie 
^oßänber cffinefifcffe, japanifcffe unb inbifdffe ©rjeugniffe auf» 
ffäuften unb ben ©runb ju naturffiftorifdffen SKufeen legten, bie 
beutfcffen gürften unb aucff bie Könige bon granlreicff in iffren 
Sunft» unb Staritätenlabineten in ber Siegel Äunft» unb Statur» 
probucte bereinigten. SaS borige Saffrffunbert bradffte bie hi» 
tifcffe Slicfftung aucff auf biefem ©ebiete jur ©eltung, man trennte, 
clafftficirte, faffte bie SJtufeen als öffentlidffe SilbungSanftalten 
auf, aber ber ©ebanle eines UniberfalmufeuraS, toel^en ältere 
©tufeograpffen angeregt ffatten, gerietff in Sergeffenffeit. 

gn einer Anmeldung ju biefer ©teße nennt ©emper eine 
bon ben Heineren ©cffriften ffants, „3been ju einer aßgemeinen 
©efdffidffte in toeltbürgeriicffer Abfidfft", unb ba biefelbe $u ben 
weniger gelefenen geffören bürfte, ift eS tooffl geftattet, biejenigen 
©ebanlen beS groffen ©ffilofopffen ju citiren, toelcffe unferem Autor 
borgefcfftoebt ju ffaben fdffeinen. Sant fagt bort unter Anberem: 
Sa bie ©Itenfhen in iffren ©eftrebungen nicfft bloff inftinctmäffig, 
toie Sffiere, unb bocff aucff nicfft wie bernünftige SBeltbürger, nah 
einem berabrebeten ©lane im ©anjen berfaffren, fo fcffeint aucff 
leine planmäffige ©efcfficffte (»ie etwa bon ben ©ienen ober ben 

©ibern) bon iffnen möglidff ju fein_@8 ift ffier leine AuS» 

lunft für ben ©ffilofopffen, als baff ba er bei ©tenfdffen unb 

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828 


Sie ®tgenm«ri. 


Nr. 47. 


intern «Spiel im ©roßen gar feine bernünftige eigene bor« 

auSfepen fann, er berfucpe, ob er niept eine SRaturabficpt in 
biefettr wiberfmnigen ©ange menfcpticper 2) in ge entbeden fönne, 
auS wettet bon ©efcpöpfen, bie opne eigenen ©(an berfapreu, 
bennocp eine ©efcpicpte nacp einem beftimmten ©lane ber SRatur 
möglich fei!" Unb weiter: „2lm SRenfcpen foßten fic^ biejenigeit 
s Rnturaniagen, bie auf ben ©ebraudj feiner Vernunft abgejiett 
fiitb, nur in ber ©attung, niept aber im Snbibibuum ooßftänbig 
entwideln"; in meinem .Sufammenpange bann auf bie lieber: 
lieferung bet Hufflärung, wie $ant fagt, ber Sultur, wie wir 
fagen Würben, pingewiefen Wirb. Unb enblicp: „Sie Statur tput 
nichts überftüffig unb ift im ©ebtaudp ber 9Rittel ju itjren 
Bweden nicht berfdjwenberifcp. Sa fie bem ßRenfcpen ©ernunft 
unb barauf ftcp grünbenbe Sreipeit be$ SEBiffenS gab, fo war 
baS fcpon eine ftare Stnjeige ihrer Slbficpt in Slnfepung feiner 
SluSftattung. ©r foflte nämlich nun nicht burcp Snftinct geleitet 
ober burcp anerfcpaffene Äenntniß oerforgt unb unterrichtet fein; er 
fotlte üielmepr alles aus fiep felbft perauSbringen. Sie ©rfinbung 
feiner Sebedung feiner äußeren Sicherheit unb ©ertpeibigung (woju 
fie ihm Weber bie Körner beS Stieres, noch bie Staue beS Söwen, 
noch baS ©ebiß beS .punbeä, fonbern blo§ $änbe gab), aße ®rgö|: 
licpfeit, bie baS Seben angenehm machen fann, fetbft feine ©in: 
ficht unb Klugheit, unb fogar bie ©utartigfeit feine« SBiüenS, 
foßten gänjticp fein eigenes SBerf fein. Sie fcpeint fiep pier in 
ihrer größten Sparfamfeit fetbft gefaßen ju hoben, unb ihre 
tpierifcpe 9lu3ftattung fo fnapp, fo genau auf baS b^öc^fie ©e-- 
biirfntß einer anfänglichen ©jiftenj abgemeffen ju hoben, als 
woßte fie, ber SRenfcp foflte, wenn er fiep aus ber größten 
©oppeit bereinft pr größten ©efcpidlicpfcit, innerer ©ofllommen: 
heit ber Senfungäart unb (fo biel eS auf ©rben möglich ift) 
babutch pr ©tüdfetigfeit emporgearbeitet hoben Würbe, ^ieroon 
baS ©erbienft ganj aflein hoben, nnb es fiep fetbft nur ber: 
banfen bürfen. ©leicp als höbe fie eS mehr auf feine ber: 
nünftige Setbftfepäßung, als auf ein SBoplbeftnben angelegt ... 
Sefrembenb bteibt eS immer hierbei, baS bie älteren ©enerationen 
nur fcheinen um ber fpäteren wißen ihr müpfetigeS ©efchäft ju 
treiben, um nämlich biefen eine Stufe p bereiten, bon ber biefe 
baS ©auwerf, welches bie Statur pr Ülbficpt hot, ^öfjer bringen 
fönnen." 

(6$lufe folgt.) 


3opn filüdupoob f. 

3opn Stadwoob, feit bteiunbbreißig 3apren ber .<perau«: 
geber ber bon feinem ©ater gegrünbeten englifepen ÜRonatSfcprift 
„Blackwood '6 Edinburgh Magazine“, ift am 29. Dctober b. ( 5 . 
auf feinem Saitbfipe Stratptprum bei St. SlnbreWS in Schott: 
lanb, im Sitter bon 61 Sohren an einem langwierigen £erj: 
leiben geftorben. Sie Sch riftfte Q er weit bertiert in ipm einen 
einflußreichen, fcparffinnigen, üorurtpeitsfreien Stitifer, ber fich i 
um bie englifcpe Siteratur wäprenb ber lepten Secennien in 1 
herborragenber SBeife berbient gemacht h°t; bie greunbe beS I 


ausgearbeiteten Stirn, ber großen Stafe, bem fpipen Sinn eigent: 
ließ ein häßliches war. — Unter frembeit Seuten war ©tadmoob 
fepr ftifl, fo baß er junäepft ben ©inbrud eines berfchtoffenen, 
wenn niept fdjücpternen ßRenfcpen machte; im Greife bon ©e: 
fannten unb greunben aber, namentlich in feinem gaftfreien 
Haufe „Stratptprum", belebte er bie ©efeßfepaft burep feinen 
guten unb gutmütigen ^»umor, feine auSgebreiteten Senntniffe 
auf bem ©ebiete ber Siteratur, unb fein ficpereS Urtpeil über 
©erfonen unb Sacpen, befonberS über tebenbe Slutoren nnb ©o-- 
(ititer unb über bie literarifcpen ©robuctionen ber Steujeit. ®r 
befaß eine große Slrbeitsfraft, unb mar unermübtiep tpätig; aber 
man bemerfte bieS eigentlich nur an bem Quantum bon Sfrbeit, 
baS er im Saufe eines SJionatS erlebigte; benn er fepien feiten 
©ile p paben, unb Wenn er fiep j. ©., naepbem et feinen ©äften 
in Stratptprum lange 3eit nacp bem ©ffen noch ©efeflfepaft ge= 
leiftet patte, in fein SlrbeitSjimmer jurüdjog, fo gefepap bieS 
gewöpnticp fo jögernb unb bepagtich, baß man wopt geneigt 
war anjunepnten, er werbe nun ber Stupe pflegen; — aber wer 
ipn wenige URinuten fpäter fap, ber fanb ipn in ber Arbeit 
bertieft. 

@t las fepr biel SRanufcripte, ba fein Slrtifet im „Maga“ 
— unter biefem Stamen Wirb „Blackwoods Magazine“ in @ng: 
lanb oon aßen anbern SRagajinen auSgejeicpnet, äpnticp, wie 
man in fffranfrei^ bie „Revue des Deux Mondes“ immer nur 
„la Revue“ nennt — beröffentlicpt würbe, ben er niept borper 
aufmerffam geprüft hotte; unb er trat an jebe neue Arbeit mit 
djarafterißifeper Unbefangenheit peran. ©in berühmter Sin me 
impoitirte ipm ebenfowenig wie ipm ein unbelannter SRißtrauen 
cinflößtc. ©r war fogar ftrenger für befannte Slutoren als für 
folcpe, bie in ber fehriftfteflerifepen ©arriöre bebütirten. - Sem 
foßte immer fo fein — aber Wer mit Bcdfcpriften unb ©uep: 
pänblern p tpun gepabt pat, ber weiß, baß baS ©egentpeit 
päufiger paffirt. 

©lacfwoobS größte fffreube war, einen „Sleuen" p ent: 
beden. fffür biefen War er freigebig mit Siatp unb mit ©elb; 
unb manepe Arbeit, wenn biefelbe auch ©cpwäcpen enthielt, bie 
©ladmoob llar erfannte, ift bon ipm gebrudt worben, weil er 
einen Slnfänger, ber fünftigpin einmal ©uteS ju leiften betfpra^, 
niept entmutigen woßte. ©ine „©ntbedung", ber er fiep in 
feiner anfprucpslofen SBeife gern rüpmte, War bie bon ©eorge 
©liot, bie in „Blackwoods Magazine“ mit ipren „Scenes of 
clerical life“ juerft bor baS ©ublicum trat. Sange epe ber Stuf 
ber jept berühmten Scpriftfteflerin fiep über ©nglanb berbreitete, 
p Seginn iprer Saufbapn bereits, feprieb ©tadwoob an Spa: 
derap, er lefe ein SRanufcript bon einem Unbefannten, ber ein 
gefäprlicper ßtibat für bie lebenben 3toWanfcpriftfteßet p werben 
berfpreepe. 

Unter SladmoobS SKitarbeitern, bon benen biele feine 
Sreunbe waren, beßnben fiep bie erften Dtamen ber englifcpen 
Siteratur: Sir ©bwatb Sptton ©utWer war feit 1842 bis p 
feinem Sobe ein ganj regelmäßiger SKitarbeiter am „Maga“. 
@r beröffentlicpte bort unter anbern „The Caxtons“, „My Novel“ 
unb feinen lepten großen Dtoman „The Parisians“. ©rofeffor 
Slptoun, ber ^iftorifer ffllifon, 2RrS. ©romning, Dr. Sopn i»ifl 
Surton, Sawrence Dlippant, 3JtrS. Dtippant, bie beiben ©rüber 


©erftorbenen beflagen ben ©ertuft eines SDtanneS oon feltener 
^erjenSgüte unb bon mafeltofer ßteinpeit beS ©parafterS. ©r 
befaß bie guten ©igenf(haften, welcpe feinen franjößfepen 3eit= 
genoffen tfrramjoiS ©uloj, ben ©tünbet ber „Revue des Deux 
Mondes“ p einer europäifepen ©erüpmtpeit gemacht paben, unb 
er war frei non gewiffen unliebenSWürbigen ©igentpümtiepfeiten, 
bie #errn ©uloj tennjeiepneten, unb unter benen 2tfle — mit 
nur wenigen SluSnapmen — p leiben patten, bie mit bem 
tprannifepen Herausgeber ber großen franjöfifcpen Stebue in ©er: 
binbung traten. 

3opn ©tadwoob war ein fleiner, unfepeinbarer Sßtann mit 

feptieptem, fcpwarjem $oor, g e j t nur n) en jg gebleicht 

patte; bunfeln, flugen, freunblicpen Ülugen unb einem fo Wopt: 
woßenben ©efidptSauSbrud, baß man barüber ganj überfap ober 
fcpnefl bergaß, baß baS gtattrafirte ©efiept, mit ber pöderigen, 


©enerate Hantelet), Sportes Seber, Sotonel Sodpart, Äntponp 
Sroßope, SparleS ßteabe, Samuel SBarren, Sotonel SpeSnep, 
Sorb Sopn SJtannerS, ©brnin Sltnolb, SBitfon, ©. H- Sewes, 
©rincipal Sußocp, Sir Slrc^ibalb Sltifon — unb biete Änbere, beten 
ßtamen weit über ©nglanb pinauS guten Slang paben, bitbeten 
ben glänjenben unb jubertäffigen „©eneralftab" beS „Magazine“. 

©tadwoob berftanb es, feine SRitarbeiter jn feffeln. SBer 
einmal mit ipm ju tpun gepabt patte, ber blieb ipm getreu, 
benn er bot als ßtebacteur unb ©erleget UßeS, was ein Scprift: 
fteßer oerniinftigerweife erwarten burfte unb wünfdjen lonnte. 
— ®r befaß eine äußerft taftboße unb angenepme 9lrt, auf baS, 
waS ipm an einem eingefanbten äRanufcript fepterpaft erfepien, 
aufmerlfam ju maepen unb ©erbefferungen in bem bon ipm ge-- 
wünfepten Sinne perbeijufüpren. SRie fiel es ipm ein, eigen: 


mäeptig ju ftreiepen ober ju corrigiten. ©ine ©anbbemerfung 

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Nr. 47. 


ID t* ® eg nt mark 


323 


Welche ber Drud AßenS auf ©uropa je ^eröorgebrac^t hat uttb 
überhaupt h e rborbtingen fann. Daß ©uropa Wließlidi ftegt, 
baran ift ttid^t ju zweifeln. ©BaS in bett lebten 3afjten auf 
bem poiitifdjen unb beut $anbelSgebiet oon Deutfchlanb aus 
gef^e^en ift, arbeitet auf baS oben angebeutete Siel Won ziemüdj 
birect to8*); auf bent fachlichen unb fociaten ©ebiet fieljt e$ 
aber nod} ziemlich pfabtoS aus. 

3u ber heutigen ©hafe ber orientatiWen grage arbeitet 
nun ©tußlanb zunäcfjß auf ©ernichtuug ber europäiWen dürfet 
unb auf bie ©robetung KonftantinopelS lo§, — wie Won ge* 
fagt, ni^t fowohl als eutopäifche ©Rächt gegen bie Dürfen als 
Aßaten, als oietme|r, um fetbß an bie Stelle ber Dürfen in 
Aßen unb ©uropa }u treten unb bann fpäterljin feine ganze 
©Rächt gegen baS europäifcfie ©uropa ju feeren, unb was bann 
unter tufßWet gähne gegen ©uropäer festen Würbe, Wären ber 
ungeheuren SWel)rja|l nach Aßaten (Duranier), bie mit ben heute Don 
iRußlanb befämpften Dürfen ftammberwanbt ftttb. 3« ber Dljat 
wären bann bie ©Ragtjaren baS einzige turanifche ©otf, baS 
gegen Sftufelattb festen Würbe, unb hieran fann man wieber bie 
©ewalt ber religiöfen Sbee ermeffen, benn bieS gefchieht bann 
hauptfädjlich beSfialb, weil Ungarn burch baS Don ©Beften her 
empfangene fatholifdje ©hriftenthum rechtzeitig in ben occiben* 
talifchen Kreis hereingezogen worben ift, bem heute ber ©erluß 
©olenS an bie orientaliWe Kirche broijt. 

DiefeS nächfte ruffifdje ©eftreben greift aber unmittelbar 
in bie SebenSfreife DeftreidjS unb Deutfchlanbs ein, unb beibe 
©Rächte finb ju beffen ©efäntpfung auf einanber angewiefen, wie 
benn bieS ©erhältniß auch Won erfennbare gormen angenommen 
hat, bie inbeß noch greifbarer werben müffen. ©Benn granfreich, 
ber alte ©erbünbete ber dürfen gegen Deßreidj unb baS beutWe 
{Reich, in biefem gatle ber Alliirte IRußlanbS werben foHte, fo 
ift bie Allianz ©nglanbs mit ©Ritteieuropa außer grage. Italien 
hat fich unjuDerläffig gezeigt unb Wien einen Augenbtid zur 
Durchführung thöricijter Afpirationen auf uralt öftreichiWe ®e= 
biete auf rufßWe £>ülfe zu jähten; ber ben wirtlichen 3Jiac£>t= 
Derhältniffen entfprechenbe Stanbpuntt würbe ihm inbefi bei 
irgenb einer ©errätherei ber mitteleuropäijchen Sntereffen halb 
Har werben. 

SIS Dorwiegenb afiatiW 2 SRacf)t hanbelt iRußlanb auch im 
Kampfe gegen ©nglanb in ©entralafien, unb thatfächliih bitben 
feine actueOen ©eziehungeu zu ©reußen (refp. feine Stellung im 
Dreifaiferbunb) unb bie AuSßdjt einer Allianz mit grantreich 
unb Statten bie einzigen loderen ©anbe, bie es noch mit bem 
europäiWen Spfteme Derfnüpft halten, ba auch ©riechenlanb fi<h 
Don ihm abgewenbet hat. 

Oeßreich, Deutfdjtanb unb ©nglanb haben im Orient noch 
für längere Seit wesentlich gleiche gntereffen, unb biefe ©Rächte 
haben fich Dorzubereiten, um einerfeitS bie birecte (Eroberung 
SfiboßeuropaS burch iRußlanb zu Dethinbern, was nur unter 
gleichzeitiger ©orfchiebung ber öftreichifchen ©renzen geWehen 
tonn, unb um anberfeits bie nötigen ©orfeßrungen zu treffen, 
weWe ©egenaQianzen unWäblich machen tonnen. 

Die jefcige ©hafe beS großen Kampfes zWiW en ®ßen unb 
©uropa ift bemnach bei ©Jeitem nicht mehr in bem ©Raße ein' 
Kampf ZWiWen ©hriftenthum unb Sölam, Wie bie Kreuzzüge 
bieS waren, Wie fid} benn überhaupt nichts wieberholt. Die 
Kreuzzüge haben heute bor etwa 600 fahren nach faft btei= 
hunbertjähriger Dauer mit einem boHßänbigen ©Rißerfolg für 
©uropa abgeWtoffen. Nebenbei bemertt, hat bamals baS europäiW 5 
afiatifche ^niWenteich Don Stjzanz feine Switternatur in Se-- 
hinberung ©uropaS fehr beutlich an ben Dag gelegt, weshalb 
bet ©ebante, zuerft müffe Konftantinopel burch bie grauten er* 
obert werben, ganz betnünftig Wie«- ^uih heute richten fid» ja 
bie widjtigften Angriffslinien gegen biefe Stabt. Der würbige 
D&Einger hat bor furzem namentlich bie Schulb herbotgehoben, 
Welche bie ebenfo unuerftänbige als im gemeinen Sinne fetbft* 
füchtige ©olitit ber bamaligen ©äpfte am SDU|erfolg ber Kreuz* 
Züge trug. Subejfen ftehen bie Dinge heute ganz anberS 

*) Diefer Auffap ift Anfangs Augup gefd^rieben. 


als bamals. Der 3slam ftetlte zu jener Seit immer noch eine 
bebeutenbe SBaffenmacht bor; heutzutage ift er baS nicht mehr. 
©Bit haben bor furzem in biefen ©lättem feine ftärteren Seiten 
befprochen, welche ihn. borauSfichttich noch auf 3ahrhunberte hinaus 
befähigen, fowoljt als bogmatifche {Religion wie als praftiW* 
religiöfer ©erbanb fortzuejiftiren. ©olitifche SRaCht tann er für 
fich heute nicht mehr entfalten; wohl aber tönnte eine europäifche 
ober halbeuropäifche 3Ra<ht fein äRenWenmaterial bewaffnen unb 
ins gelb führen, unb baS wirb borausfWtlW auch geWehen. 
Die beiben ©Rächte, welche bieS heute Won in größerem 3Rajj* 
ftabe bermögen, finb fRufftanb unb ©nglanb; grantreich, als 
©efifcer bon Algier, nur in tleinerem ©Rage, ©tufelanb unb 
grantreich aber bürften, inbem fie muSlimiWe Kraft inS gelb 
führen, biefelbe beibe gegen ©entraieuropa birigiren, in ber $aupt* 
fache alfo gegen Deutfchlanb unb Oeftreich- granfrei^ h fl t 
feine DurfoS bereits 1859 an ben Dicin unb Dglio, 1870 an 
ben {Rhein geführt. Doch baS finb gleichfam nur geringfügige 
Specimina, obgleich fie beutliche gingerzeige abgeben. {Rufjlanb 
aber ift in ber Sage, bebeutenbe muSlimiWe ©Raffen auS feiner 
eigenen ©ebäfterung feinen ©roberungSzweden bienftbar zu machen, 
unb wirb fW auch bazu nWt lange befinnen, fofetn man ihm 
nur bie ©Röglichteit täfet. Demna^ würbe hier bie griechiW e 
Drthobojie, ein mehr afiatifdjeS als europäiWeS ©eifteSfinb, ben 
SSlam als afiatifihen $albbruber unter ihren glügel nehmen, 
Was {Rufilanb ja auf einem grojjen Dheile feines ©ebieteS fo 
Wie fo fhon feit langem wirtlich thut. SBeS ©eifteS Kinb 
Würbe aber biefe natürliche Allianz fich gegenüber auf bem 
Kampfplafce finben? Die Stellung granJEreichS unb StalienS, 
rein tatholiWer ©Rächte, ift nicht ttar. Die Stellung Deutfeh 5 
lanbs unb DeftreichS tönnte wegen ihrer actueüen ©eziehungen 
ZU {Rufelanb heute Wohl auch no( h ÜRandhem unflat Weinen 
wollen; allein es leuchtet fofort ein, ba| im gegebenen ©Rornent 
bie Klarheit nichts zu Wünfchen übrig taffen würbe, Weit baS 
©egentheit abfurb ift Denn baff Deutfchlanb fähig fein füllte, 
Oeftreich an {Ru^lanb auSzutiefem, halten wir für ganz un* 
möglich. AnberfeitS würbe ©nglanb feine aus $nbien gezogenen 
muSlimiWen Streitfräfte sroeifelloö gegen {Rufetanb lehren. 
SchwebenS Stellung iß wohl auch nicht zweifelhaft. 

hieraus erhellt nun, baß, foweit bie grage religiös iß, ber 
SStarn nicht mehr für fich felbft, fonbern, in getrennten ©Raffen 
in ben Sägern feiner früheren geinbe ftehenb, gegen fich felber 
ßcht. 3m dhriftlid^en ©uropa aber bürße es, bei ber untlaren 
Haltung grantreichS unb Italiens, WtiefjtW barauf hinaus* 
Iommen, baß bie proteftantifchen unb paritätifchen ©Rädhte 
als bie eigentlichen ©ortämpfer beS occibentatifchen SEBefenS gegen 
baS afiatifche baftehen. Daß biefe ©Rächte Won feit geraumer 
Seit als bie eigentlichen ©ertreter beS occibentatifchen ©eißeS 
in feiner testen ©ntwidelungSphafe gelten mäßen, Wirb ohnehin 
heute ©tiemanb mehr leugnen, hierin liegt ein gingerzetg für 
Oeftreich, es mit ber ©arität ernß zu nehmen, — aber auch 
eine furchtbare SBamung für baS nengeborne 3tatien, am ©eiße 
beS OccibentS, welcher zugleich ber ©eiß ber Humanität ift, 
nicht zum ©erräther zu Werben. 

Am oßenften, entWiebenften unb confequenteßen hat bis 
jefet ©nglanb berfahren, welches bamit auch zugleich gezeigt hat, 
baß eS ber befte Kenner afiatifcfjer Dinge ift. @S hat ßch Z tDar 
auch bort Diel unb wahrhaft weibiWer Unberftanb breit gemalt, 
aber er ift nicht aufgetommen. ©nglanb Widt fW eben an, bie 
Orbnung KleinaßenS, jenes ©ebieteS, baS ben Dürfen fetbft nach 
bem ©erlufte StambulS noch bleiben würbe, in bie $anb zu 
nehmen, unb bürfte auch W»ß noch eine ©leihe bon Ueber* 
taWungen auSfpielen; wenigftenS iß es zweifellos, baß es feine 
©tappen auf einen beträchtlichen Seitraum hinaus ausgerechnet 
hat Kleinaßen in ben #änben ber {Rußen wäre Won bie bolle 
©ntfdjeibung ber grage, ob Aßen über ©uropa herrWen fott, im 
bejahenben Sinn. ©Benn man nun ben Sah auffteÜte, baß Klein* 
aßen feiner Sage nach biet eher in bie Sntereßen* unb ©Racßt* 
fphäre OeßreichS falle, als in bie ©nglanbs, — natürlich beS 
mit Deutfchlanb berbiinbeten Oeftreich, — fo würbe bie ©or* 


ßetlung ber Schwierigfeiten, mit Welchen baS ©eftreben zur @r* 

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324 


Ute ®egeuwurt. 


Isfr. 47. 


füßung bet betreffenben Pflichten tjerfnilpft wäre, gar manche ! 
jpaut fdjaubern machen. Unb boch — wer fönnte jener 93e* 1 
Ijauptung wiberfpred)en? SJtan fann fidf aber auf bie nötige . 
Südjtigteit, oor Äflem auf bie geiftige, bie jeber anbern Süchtig* j 
feit SJtutter ift, heute fd)on oorbereiten. ©idjer ift, baß auch i 
im heutigen Kampfe jwifdjen Stfien uub ©uropa ber Seift fiegen j 
wirb, wie einft in ben Sagen Don 2Jtaratf)on unb ©alamid. 

21&. IPa^rmun^, 


Literatur uttb <$ttnß. 

Die ßahnftotioit.*) 

(Sltfäifdje ©tropfe.) 

2tn einem ^erbftmorgen. 

Ütu4 bem ^taliemfdjen, ben Odi Barbare bed (iJiofud Sarbucci 
übertragen »on 8. 3 . 

tld} wie Derbrießlich fteljn bie Saternen bort 
hinter ben Räumen weit hinaud aufgepflanjt, 

SBie gähnt burd) regennaffe dweige 
Stingd aud ben ißfüfcen ber mübe Sichtfdjeinl 

Srübfelig, fdjritUburchbringenbed Sachen fä^rt 
Sefct an$ bem Sampfroß, bleierner Fimmel hängt 
$erab in ben StoDembermorgen, 

S83ie ein gefpenftifd)er Stebelriefe. 

SBoljin? SBoju eilt, brängt ficft bie SJteitge bort 
Sautlod heran jum biifteren SBagentroß, 

Entgegen unbefannten ©chmerjen, 

Ober ben Säufchungen ferner Hoffnung? 

fipbia, and) bu reicht finnenb, ber trüben galjrt 
Slbjeidjen jefct, bem ©djaffner jum ffiinfchnitt hin: 

©0 trennt bie $eit üotüberjagenb 
Und dou genoffenen, fdjönen ©tunben! 

Sen 3ug entlang, mit bunfeln Kapujen gehn 
Sie SBächter achtjam, fdjmärjlichen ©Ratten gleich, 

©ie tragen matte £>anblaternen, 
ffiiferne ©täbe baju, unb ferlagen 

SBie prüfenb laut bie eifernen Ueffeln an; 

Sich unb ein ffidjo tieffter SJerbroffenheit 
©rweeft in mir bad büftre Sröljnen, 

Safe wie im Krampfe bie Sterten Juden. 

Unb jebe fjart jufaßenbe SBagentfpir 
Sünft mid) ©eleibigung, #ohn fcheint ber legte ißfiff, 
Ser fchriß unb haftig bad ©ignal gibt. — 
ißraffelnber SRegenguß peitfdjt bie ©Reiben. 

Sefct fdjnaubt bad Untrer aud ber metaß'nen ©ruft, 
Keucht, fdjüttert, fpervt rothglüßenbe Singen auf, 

Unb fchteubert weit in Statut unb Siebet 
©eßenbed pfeifen, bem Staum jum Srofce. 

1 gort raft bad Untäter! Sld) unb mein Sieben führt 
©ein grimmer glug mit gräulichem Stoß baton! 

Stod) grüßt bad bleibe Slntlig — gnißenb 
©djwinbet ber ©chleier baljin im Sunfel. — 

*) Sergl. „Oegenwart" XVI. $)b., 9lt. 35. 


Su füßed Slnttifc! SBeiß mit bem St ofenhauch, 

3hr Äugen, glanjboß, griebe Derbreitenb, bu 
©on fraufem $aargelod umwehte 
Sieblid) fidj neigenbe, reine ©time! 

3h* lachtet wir, ald ftürmifdjed Sehen trieb 
3n lauer Suft, in raufdjenber ©ommerpracht; 

SBie gerne füßte ba bie fyeüe 
Sonne bed Suni, 00 m braunen $aare 

3urüdgeftrahlt, bie liebliche SBange ihr! 

Unb einen Sichtglan j, fchöner ald ©onnenfefjein 
SBob ich iu meinen fel’gen Sräumen 
Um bad geliebte, bad Ijolbe SBefen! 

Sefct fehr’ ich h e * m i« Stegen unb Suntetheit 
Unb möchte ganj mich bergen in ihrem @c|oß; 

SBie trunlen f<f)Wanf’ ich unb befühle 
ÜDtich, ob ich felber nicht ein Sßhantom fei! 

Sied unaufhörlich faßenbe Saub, wie falt, 

SBie emft unb ftumm legt fidj’d auf bie Seele mir! 
Stich bünft für Stßed auf ber ©tbe, 

3mmer unb ewig ift’d fegt StoDember! ' 

D beffer gar nidjtd fühlen unb benfen mehr 
3u Stebelgrau, in bergenber ginfterniß, 

Sich unb in Ueberbruß Derfinfen 

SRöcht’ ich, ber nimmer unb nimmer enbet! — 


©ottfrieb Semper als ßecjrünber ber fumhgeioerbluhen 

Deform. 

Sion Bruno Budjer. 

Sine jener ©eftalten, wie fie und in ber mobemen Kunft* 
gefdjid)te nur noch feiten begegnen, jugleich ganjer Künftler unb 
ganjer SJtann ber SBiffenfchaft, wirb ©ottfrieb ©emper Don Der= 
fchiebenen ©eiten reclamirt. Sie Slrchitetten erheben ben erften 
Slnfpntch auf ben Schöpfer fo Dieter großartiger SSauwerfe; bie 
Ingenieure erinnern baran, baß ed ein Hafenbau war, an wet= 
ehern ber junge Sechnifer jum erftenmal praftifche S3efchäftigung 
fanb; Unioerfitaten unb SIfabemien haben ihm ald ©eiehrten 
ihre hö^ften Sludjeichnungeit juerfannt. Sieje Soppelfteßung 
aßein fchou Würbe ed benjenigen nahelegen, bed am 15. SJtai 
in Storn aud einem thatenreichen Sehen Äbgerufenen ju ge¬ 
beuten, welche ed ßch jur Äufgabe gemacht haben, bie 5öejieljun= 
gen jwifchen St'unft, Kunftwiffenfchaft unb gnbuftrie ju pflegen. 
Äber fie haben noch Diel bringenbere SSeranlaffung, fidh mit 
©emper ju befchäftigen; benn er war ed ja, welcher bor ad)t- 
unbjwanjig gaßren juerft audfprach: um wieber ein nationale# 
Kunftgefühl anjuregen, müßten eigene SRufeeu unb ©^ulen für 
gewerbliche Kunft gegrünbet werben; er war ed, welcher bamald 
bie päne entwarf, nach welchen bie beiben großen Snftitute in 
©outh Kenfington unb in ©pbenham eingerichtet worben finb; er 
hat jened unfterbliche SBerf über ben Stil in ben technifchen 
unb teftonifchen fünften Derfaßt, jene praftifche Äefthetif, beten 
Sefertreid bidljer wohl nicht fo groß ift, wie fie ihn jn haben 
Derbiente, beten Seljren aber Don hunbert anberen Schrift* 
fteßern in aßen ©utturfprachen Derbreitet unb Dielfach bereitd 
©emeingut geworben finb. Stuch wir glauben und alfo Doß* 
berechtigt, ihn ben Unfrigen ju nennen unb in höh erem SRaße 
Derpflichtet, ihn jn feiern. Sen Stuhm bed Slrchitetten oerfün* 
ben feine SBerfe felbft. Sie große fchöpferifdje Shat aber, auf 
welche wir foeben hingebeutet haben, Dor bem SSergeffen* ober 
SSerfleinertwerben ju wahren, bad ift @h re npflicht berjenigen, 
welche bie Don ihm eröffnete S3ahn bef^reiten. ^Berufeneren 
anheimgebenb, feine anberen Sierbienfte ju würbigen, werben 

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Nr. 47. 


Die ®egrnnmrt. 


325 


wir nur üerfudjen, bicfen einen Xtjeil feinet SirlenS gu diaralte* 
rifiren, unb gWar fo weit eS tljunlich, mit feinen eigenen Sorten. 

Sortier ober möge geftattet fein, in Sütje ben SebenSgang 
SemperS bis gu feinem acf)tunbüiergigften 3at)re gu fliggiren. 

Am 29. Sooember 1873 begingen wir feinen ftebgigften 
©eburtstag, eS muft mithin üon ben roiberfprechenben 2)aten 
Aber fein ©eburtSjaljr 1803 atS richtig angenommen Werben. 
Altona ift fein ©eburtSort. @r war für ben juriftifchen ©eruf 
beftimmt, erwarb fich auf bem ©hmnafinm unb ber Üniüerfität 
jene grünbliche Raffifche ©Übung, üon welker feine Schriften 
fo üielfadj Seugnift geben, unb ftubirte aufterbem ejacte SBiffen- 
fchaften, ba fein Sunfd) War, fid^ ber ©tilitärbaulunft wibmen 
gu tönnen. Erft mit gweiunbgwangig 3“f) ren wanbte er fid) 
bem Stubium ber Ardjiteltur gu. @S folgte faft ein Safirjejint 
beS SanbertebenS, als beffen |>auptfiationen ©tünchen, Segens* 
bürg, ©ariS, Stalien, ©riedienlanb genannt werben lönnen. 
$ie Siubienreijen waren bamalS noch etwas Weniger bequem 
gu machen als heutgutage. Semper fprad) gern baüon, Wie er, 
gu Su| mit bem Sängel auf bem Süden, Stolien burdjftreift 
habe, unb in einer feiner Streitfdjriften über bie ©olpcfjromic 
ber Ulten Wirb erwähnt, wie er „als obfcuret Arbeiter im 
ßinnenlittel" Wochenlang auf bem ShefeuStempel herumgellettert 
fei unb mit bem Febermeffer beruntgelraht habe. ®ie Fmd)t 
biefer Unterfudjungen foüte bie Seit guerft lennen lernen, bie be* 
rühmte Schrift „©emerlungen über bemalte Ardjiteltur unb 
©laftil bei ben Alten" (1834), welche bei ben ^crrfd^citben 
©orfteüungen auf ben heftigften Siberfprud) ftiefi. Säljrenb 
©chinlel bie tlrbeit in einem ©riefe, Welcher am Schluff beS 
erften ©anbeS üom „Stil" abgebrudt ift, mit Särme begrüßte, 
wollten Rugier unb tlnbere bie Seljauptung, baft bie tllten ben 
©tarmor gefärbt hätten, gar nicht ober hoch nur mit großer 
©infcftränlung gelten laffen, unb bie ©ewoljnheit ben Stein nur 
Weift, ober nur üon einer natürlichen ©atina übergogen gu fef)en, 
unb bie gange, farbiger Sirfung abholbe Sichtung ber Seit 
ftanben ben ©eguern gur ©eite, tlber Semper war gewappnet 
unb lieft fid) nicht einfcf|ü<htern. @r ftettte feinen ©tann als 
Ardjäolog, unb hielt ben äfthetifchen ©inwenbungen bie nicht 
hinwegguleugnenben Farbenrefte entgegen. $er Streit hot fid) 
burch 3®h r iehnte hingegogen, unb wie man auch übet bie «frage 
benten möge, ift hoch baS eine fidjer, baft feit Sempers Auf* 
treten unb burch basfelbe bie Anfchauungen über bie ©etwen* 
bung ber Sorbe in ber Ardjiteltur einen üöüigen Umfchwung 
erfahren hoben. 

SaS er fonft auf feinen Seifen gelernt hotte, foüte fich 
halb geigen, als er (in bemfelben S“hre) gum $irector ber 
jireSbener ©auatabemie ernannt worben war. ©iS bahin hotte 
fich feine praltifche ©authätigfeit auf feine ©efdjäftigung am 
©remer £)afen unb einen Reinen ©au in Hamburg befdptänlt. 
Um fo mannigfaltigere ©toben foüte er nun ablegen, unb Wenn 
er fie aüe glängenb beftanb, fo bleibt hoch fein Sheaterbau bie 
bebeutungSüoÜfte Stiftung biefer ©eriobe. 

AuS feiner ©ublication über baS 2)reSbener Theater ift 
betannt, baft basfelbe nur ein ©lieb einer groftartigen ©efammt* 
anlage fein foüte. damals wie fpäter faftte er nicht baS eingelne 
©ebäube inS Auge, fonbern backte cS fich olS Xheil eines 
gröfteren ArchitelturbitbeS. Siarin, baft er fich niemals an baS 
©ingelne üerlor, ftetS mit Weitem ©lide ein febeS ®ing in 
feinen mannigfaltigen ©egieftungen unb ©erüljrungen überfah, 
hoben wir überhaupt einen 3ug feines SefenS gu etlennen unb 
wir werben baran bei unfetem eigentlichen 2f) cma erinnert 
werben; als auSttbenber Äünftler üerwerthete et in biefer Sich 2 
tung feine Stubien an ben ard)iteRonifchen ©ompofitionen ber 
Sömer unb ber groften Senaiffancelünftter. Aüein bamats wie 
nachher noch öfter, blieb eS ihm üerfagt, feine tünftlerifchen ©e* 
banten in ber Totalität gu üerlörpern, — ein ©efchid, welches 
an ©tidjel Angelo erinnert. $aben Wir eS gu behagen, baft 
fein genialer ©lau mit ©inbegiehung beS SwingerS unb ber 
tatljolifchen $ird)e nicht gur Ausführung gelommen ift, fo Würbe 
boch fchon jenes eine ©ebäube, baS Xheater, gu einem fünft* 
lerifcften ©reignift erften SangeS für bie bamalige 3eit, unb 

V 


nicht bloS für $)reSben, wo bie Ardjiteltur ein 3ohrhunbert 
lang gefdjlummert hotte. Sie mit feiner Schrift über bie ©olq- 
«hromie brachte fich ©emper auch mit biefem ©auwerle in ent= 
fdhiebenen ©egenfafc gegen bie Ijertfchenbe Sichtung, welche officiefl 
nur bie Antile unb für ben Äirchenbau bie mittelalterlichen 
Stile anerfannte. ©r Wagte eS, bie reine, üoüe Sprache ber 
Senaiffance gu reben, Welcher man in ©tünchen nur eingelne 
Senbungen entlehnt hotte, unb er tljat eS fo imponirenb, baft 
bie ©egner üerblüfft würben, unb man im groften ©ublicunt 
anfing gu erörtern, ob benn Senaiffance unb Soccoco nnb 3»pf 
nicht wie man fidj gewöhnt hotte angunehmen, gleidjbebeutenb 
feien unb ohne Unterbiet» ber ©erbammnift gu überantworten. 
Unb nicht aüein bie Harmonie in ber gangen ©rfdjeinung unb 
bie Schönheit aüer eingelnen $ljeite waren eS, was aügemein 
gur ©ewunberung hinrifj, auch baS würbe in einer 3eit, in 
welcher noch f° biel Weniger als fjeutgutage für bie ©ilbung beS 
SunftgefüljlS gefchah, üon einem Seben als gtängenber ©orgug 
erlannt, baft bieS ©ebäube fcfton in feinem Aeufteren fo beutlid) 
feine ©eftimmung auSfprach, um gar leinen 3weifel auffommeit 
gu laffen. Schon üorher hotte Semper mit bet ®reSbener 
©pnagoge in burchouS origineüer Seife an ben maurifchen Stil 
angelniipft unb burch ben frönen ©runnen auf bem SilSbruffet 
©Ia|e ben ©eweiS geliefert, baft er fich “ u <h gothifch auSgubrüden 
Wiffe, fo wenig ihm biefer Stil fpuipatpifch War; in bem ®alerie= 
gebäube enblid) gelang eS ihm, bem 3winget einen Abfchluft gu 
geben, beffen Senaiffanceformen bie glüdliöhfte ©ermitteiung her* 
fteüten gmifchen feinem eigenen unb bem |>auptmerf feines ©or- 
gängerS ©öppetmann, gu beffen gerechter Sürbigung gerabe er fo 
üiel beigetragen h fl t. 

©elanntlich foüte er ben ©ateriebau nicht felbft gn @nbe 
führen. ©S fam ber ©taiaufftanb beS 3“hreS 1849, man baute 
©arrifaben gur ©ertheibigung ber beutfthen SeichSüerfaffung; 
unb ob nun Sempers $erg bei ber Sa^e ber Aufftänbifchen 
gewefen fei ober nicht: als et ben ©au einer ©arrilabe leitete, 
war er eben ber Ardjiteft, welchen auch biefe mobernen fpRo; 
pifchen ©lauern interefftren muftten, unb um fo mehr, als er 
ja, wie wir wiffen, fich mit bem SefeftigungSwefen einft ange= 
legentlich befchäftigt hotte. Senn nachher bie ©arteimuth ihm 
bie unfinnigften ©läne anbichtete, wenn ihm aufgebracht Würbe, 
er höbe baS ^oftheoter, fein eigenes herrlich^ Serl, in bie 
Suft fprengen woüen, fo beWeift bas nur, welche $öt)c bie ©r* 
bitterung bamalS erreicht hotte. 3«beffen feines ©teibenS war 
in $reSben, in 5)eutfcf)lanb nicht mehr, ©r rettete fich nach 
©ariS. Sie er feinen bortigen Aufenthalt üerwerthete, wie Weit 
er baüon entfernt War, gleich ben meiften potitifchen Flüchtlingen 
aüer 3eiten ©onfpirationen angugetteln ober in unthätigem 
©roüen auf bie nächfte Seüolution gu Watten — bafür geugt 
faft jebeS ©latt feiner Schriften. @S wirb nicht ©iele geben, 
welche bie Sdtäfee ber ©arifer ©ibliothefen unb Äunftfammlungen 
fo gut lennen wie er. 

3ur Seit ber erften SeltauSfteüung finben Wir ihn in 
Sonbon. Sur Senige üon benen, welche jene 3nbuftrieauS= 
fteüung ftubirten nnb über biefelbe berichteten, waren genügenb 
barauf üorbereitet. ©tan betrachtete bie ©egenftänbe meift unter 
einem eingelnen ©efidjtspunlte, unter bem tedjnifchen, bem 
nationalölonomifchen unb ftatiftifchen, bem etljnographifchen, cultur* 
hiftorif^en ober politifchen unb gog bem entfprechenb feine Fol 2 
gerungen. Auch Semper ging, wie et berichtet, mit ber 3bee 
um, bie AuSfteÜung in einer Folge üon Auffähen gu befpredjen. 
Aber feiner gangen Anlage noch nnb auSgerüftet mit einem faft 
beifpiellofen Siffen muftte er baS, was fo ©ieten ein üerwirren; 
beS, fich in taufenb ©ingelheiten getfplittentbeS Schoufpiel war, 
üon einem höh eten ©tanbpunlte aus auffaffen. ®S war feine 
Abficht, „eine üergleichenbe Ueberfchau beS SoftolteS ber AuS= 
fteüung gu geben, nnb gwar nach einem ©lane, ber fid} mit 
mehr ©onfequeng bitrehführen laffe, unb bem ©egriff einer 
FnbuftrieauSfteüung beffer entfpreche als bie für bie Sutp an= 
genommene ©laffification: rohe ©laterialien, SWafchinen, ©lanu-- 
fattur nnb fchöne fünfte"; fein ©lan foüte „für jeben ©egen* 
ftanb ein Fach enthalten unb hauptfächtich baS innere ©anb unb 


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326 


® i e törgenwart. 


Nr. 47. 


bie BerWanbtftaft bet ©egenftänbe ber 3bee nat megr gerauS» 
fteQen unb bamit pgleit p nügliten Bergleitungen bie $anb 
bieten. Ser $Ion war ein artiteftonifcger, bafitt auf ben 
©lementen bet gäuStiten fRieberlaffung: $erb, SEBanb, Serraffe, 
Sat- (Sin bierter $ouptabftnitt foöte ein Sufommenwirfen 
biefet biet ©temente, bie goge ®unft, unb im fgmboliften Sinne 
bie goge SEBiffenftoft umfaffen. @r foüte bie Sübleitungen bet 
©egenftänbe unb gormen aus igren Utmotiben, unb bie Ber* 
änberungen igreS Stil« nat ben bebingenben Umftänben bon 
felbft gerbortreten laffen." Ser mebititte fritifte Seibjug untere 
blieb, fährt Semper fort — barnalS, fegen mit ginp. Senn 
toie ein folget fßlan nicht fojufagen ä la minute entfielen tonnte, 
fonbetn als Ißrobuct bieljägriger ©ebanfenarbeit nur gejeitigt 
würbe burt ben befonberen Änlafj, fo ging et aut nitt ber» 
loten, wie bie bie Senner ber Sdjtiften Sempers wiffen, unb 
wie uns in bem ffolgenbem megrfat wirb in ©riroterung ge» 
bratt werben. 

Sunäcgfi wollte eine glüdlite gügung, baff bet auSge* 
jeügnete gürft, burt wetten jene erfte allgemeine Snbuftrie» 
ausfteflung ins Seben gerufen worben war, unb ber bie Segren 
berfelben für fein Slboptioöaterlanb auSgenugt wiffen wollte, baff 
ißrinj Ulbert unferen Semper p Borftlägen aufforberte über 
bie Drganifation eines berbefferten Unterrichtes für angegenbe 
Secgnifer mit befonberer iRüdficgt auf ©eftmadsbilbung. ©ine 
grucgt biefer Slufforberung ift in weiteren Steifen belannt, bie 
unmittelbar nach bem Sdjlufj ber 2luSfteHung berfaßte Schrift: 
„SBiffenftaft, Snbuftrie unb Sunft." ©ine jweite, in engtifter 
Sprache abgefafjte Arbeit egiftirt nur als BRanufcript unb ift 
bon bem Berfaffer bem öeftreidEjifd^en ÜRufeum prn ©efchen! 
gemacht worben. Beibe ergänzen einanber unb bilben bas ißro» 
gramm jener SReformbewegung, welche, bon ©nglanb auSgegenb, 
auf bem ©ontinent juerft bon Deftreich aufgenommen, ftch nach 
unb nach über bie ganje cibilifirte SEBelt berbreitet gat. 3ene 
gebrudte Senlfcgrift ift „Sonbon ben 11. Dctober 1851" batirt, 
welchen Sag wir mithin ben ©eburtstag ber {Reform ber gewerb» 
liehen Sunft nennen bürfen. Sie Segrfäge, welche Semper ba* 
mals auffteüte, finb feitbem, wie gefagt, unjägtigemal wieberholt 
unb Weiter auSgebitbet Worben; bor ihm aber hotte faum Semanb 
ftch bie 2Rüge genommen, über begleichen Singe ernftlich nat= 
pbenTen. Unb es ift beShalb bon nicht geringem Swtaceffo ftch 
p bergegenwdrtigen, in welcher SEBtife ber urfptünglidje ißtan 
entworfen, mit welcher Sicherheit fdfjon bamals beffen Sinien ge» 
jogen würben, unb was aus SemperS bamaligen ffintwürfen fit 
weiter entwttfelt hot burch feine unb burch bie Arbeit Slnberer. 

Sem Aufträge gemäff faffen beibe Schriften bor Mera bie 
Bebütfniffe ©nglanbS ins Sttuge unb nehmen bager befonberS 
SRüdficgt auf bie Sunftjuftänbe, bie SebenSgewogngeiten, bie natio» 
nalen Begabungen unb Neigungen ber Slngetfatfen bieSfeitS unb 
jenfeits beS SBeltmeereS. 3m ©rohen unb ©anjen unterfchieben 
fit ober bie Sunftjuftdnbe, welche Semper in ©nglanb borfanb 
unb feiner Sritil unterjog, nicht fo fehr bon ben feftlänbifdgen, 
bah feine SRecepte nicht mit gemiffen Slenberungen überall gälten 
befolgt Werben tönnen, wie es ja aut gefchehen ift. „SBiffen* 
fdhaft, Snbuftrie unb Sunft" hot ben ©garafter einer Senffchrift; 
baS SRanufcript, Welchem er ben Sitel „Practical Art in metals 
and hard materiale, ite Technology, History and Styles“ gegeben 
hat, ift ein bis inS Setail ausgearbeiteter DrganifationSentwurf, 
welchen Wir einesteils in bem South Senfington SRufeum unb 
ben berwanbten SKnftalten, anberentgeils in bem Srhftatlpalaft p 
Spbengam wiebererfennen. {Ranbbemerhmgen bon ber $anb beS 
namentlich um bie Betbefferung beS SunftuntenichtS in ©nglanb 
hochberbienten SRaterS SRitarb SRebgrabe erhöhen ben SBertg 
biefer Schrift. 

Semper toratterifirt unb bergteicht perft bie Bergangen» 
heit unb bie ©egenwart (baS geißt bie Seit bor 28 Sohlen) 
in Bejiegung auf bie Sunfttechni!. SBenn wir unS bemühen, 
feine SluSeinanberfegungen in wenige ©orte pfammenpfaffen, 
werben wir etwa gotgenbeS erhalten. Sie Bergangenheit fuchte, 
fanb unb erfanb baSjenige, was fie brauchte, unb war bager 
nicht in Berlegengeit, woju unb wie bas ©ewonnene anjuwenben 


fei. ©r führt als Beifpiele foldger empirifchen ©rwetbungen an, 
Wie bie ßanbrifchen SERaler gegen baS ©nbe beS 14. 3ohth«»i>ertS 
fich unt ein beffereS Binbemittel ber Sorben bemühten unb bie 
Delmalerei erfanben, unb wie Bemarb Ißaliffh ein halbes SRenfcgen» 
leben ber $erfteüung eines opaten ©mailS opferte. Um bie 
äRitte unfeteS SahrhunbertS war man in ber entgegengefegten 
Sage. Sie bamalige ©egenwart würbe überfdgüttet mit „neuen 
nugbaren Stoffen unb wunberwirtenben {Raturfräften, mit neuen 
SRetgoben in ber Se^nil, mit neuen äBertjeugen unb SRafdginen", 
unb fte hotte nicht Seit, fidh in bie halb aufgebrungenen SBogt' 
tgaten hineinjufinben unb berfelben SReifter ju werben. So er» 
Kört er bie ©rfdgeinung, welche uns ja noch $ eute oft befdgdftigt, 
boh es unferer Seit fo feg wer fällt, für neue ©ebraudgSgegen» 
ftdnbe eine jugleidg jwedEmähige unb äftgetifdge Sorm ju finben, 
aus jener Umfegr ber Orbnung ber Singe, inbem nicht megr 
baS Bebütfnih bie ©rfinbungen, fonbem bie ©rfinbungen bie 
Bebürfniffe ins Seben rufen. Sluch hierfür unb für ben 3Rangel 
an Bermögen, fit ber neuen ÜRittel ju bemeiftern, gibt er ein 
Beifpiel in ber ©aSbeleucgtung. „SBeldge herrlidge ©rfinbung," 
fagt er, „wie bereitert fie (abgefegen bon beren unenblidger 
SBJittigleit für ben Bebarf beS SebenS) unfere Seftlicgleiten! 
Sennot fuegt man in ben Salons bie ÜRünbungen ber ©aS» 
rögren fo ju berftedten, baff fie als Serjen ober Detlampen er* 
fegeinen," unb bei 3Huwinationen berwenbe man bie ©aSflammen 
p blenbenben Seuererfcgeinungen, hinter welchen bie Käufer» 
fo 9 aben unfiegtbar werben, anftatt beten ÜRaffen unb ©tieberungen 
ju beleuchten. Bor folgen Berirrungen lönne nur baS Stil» 
gefügt bewagren. Unb ba er bie SRotgwenbigfeit erlennt, biefen 
2lu8brud p erläutern, gibt et folgenbe Sefinition: „Stil ift 
baS p lünftlerifdger Bebeutung erhobene ^erbortreten ber ©runb» 
ibee unb aller inneren unb dufferen ©oefficienten, bie bei bet 
Berförperung berfelben in einem Shmftwerfe mobificirenb ein» 
wirften." Stittofigfeit fei hiernach ber ÄuSbrud für bie SRängel 
eines SBerleS, weite aus {Rittberüdfcttigung ber igm pge» 
hörigen ©runbibee, unb aus ber Unbegolfengeit in äftgetifter 
Berwertgung ber gebotenen äRittel p feinet BoHenbung ent* 
ftegen. 8Ste in ber iRatur beftünben aut ' n öen tetniften 
fünften gewiffe Urformen, bie burt eine urfprttnglite 3bee be= 
bungen, in fteter SBiebererfteinung bot eine burt näher be» 
ftimmenbe Umftänbe bebungene unenbtite 3Rannitfattigfeit ge» 
ftatten. @r fügrt bann weiter aus, wie bie ©runbform als ein» 
fatfter MuSbrud ber 3bee fit mobificire befonberS nat ben 
Stoffen, ben SBerljeugen, nadg Ort, Älirna, Seit, Sitte, enbtit 
nat ©igentgümtitteit, SRartg, Stellung beSjenigen, für ben baS 
SBerf beftimmt ift unb bergleiten megr. ©ine Stillegre fei 
baget in brei Sgeite p faffen: ben erften lunftgiftoriften, bie 
Segre bon ben Urmotiben unb ben aus ignen abgeleiteten früheren 
gormen; ben jWeiten, weiter ju belegten gäbe, wie mit unferen 
SRitteln fit bie Sormen aus ben SKotiben anberS p gehalten 
gaben, unb wie baS Stofflite bei unferer borgeftrittenen Setnit 
nat Stitgrunbfdgen p beganbeln fei; ben britten, weiter bie 
au^er bem Sunftwerte liegenben örtlichen, jeitliten unb perfön» 
liten ©inflüffe auf ©eftaltung beSfelben befpreten, unb feine 
Uebereinftimmung mit Anbetern, bie ©garatteriftil, ben ÄuSbrud 
umfaffen tollte. 

Bei biefem britten ißunfte erörtert et in bet geiftboQften 
SEBeife ben ©influfe beS Slrbeitens für ben ÜRartt, nitt für eine 
beftimmte ißerfon ober einen beftimmten Drt, unb weift pgleit 
ben Seiftungen ber aßatiften unb anberer wenig cibiliftrter 
Bölferftaften ben gebügrenben ißlog an. Betanntlit war auf 
ber erften Sonboner StuSfteüung not wenig bon orientalifter 
funft p fegen. 3opan feglte gdnjlicg, ©gina War ftwat unb 
aut bie Sürtei nitt boilftänbig bertreten; bagegen gatte ©ng* 
lanb für rekglite Betgeiiigung feiner afiatiften unb amerita* 
niften Befigungen Sorge getragen, unb bie inbiften unb bie 
inbianiften Arbeiten waren eS bornegmlicg, weldge bentenbe 
Beftauer ju Bergleiten mit ber europdifdgen Äunftinbuftrie 
aufforberten, unb p bem beftdmenben ©eftdnbniffe nötgigten, 
bag jene galbbarbariften Böller uns weit borauS feien, ttut 
Semper ertennt beren Ueberlegengeit im Stil entftieben an, 

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Nr. 47. 


Ulte ©egenwari. 


831 


— unb als ©rllärungen föt bett teibenfcpaftticpen $aß, mit 
»nettem bet festere ©aifer fßaul baS Anbenten feinet berühmten 
HWutter tierfolgte. — An ben mit biefem Kapitel jufatnntenpängen* 
ben Abfcpnitt über ben ftnlänbife^en gelbjug öon 1788 fcpließt fiep 
bie betaißirte, in ipren ©injelpeiten pöcpft ergreifenbe ©cpilberung 
ber ©reigniffe, Welcpe bie blutige Stacpt tiom 23. auf ben 24. Stttärj 
1801 einleiteten unb begleiteten. Sie Gewährsmänner, beten 
ber ©erf. feine ©enntniß über bie Ausführung ber gegen baS 
Stehen beB ©aiferS ©aut gerichteten Anfcpläge ju banfen 
bat, werben nicht genannt — bie Grünbe bafur gehen aus ber 
©ernparbi’fcpen Sarftettung inbeffen beutlieh hertior unb fteben 
mit ben ©orjügcn berfetben im engften Bufammenpang. Siefe 
©enntniß ftammt offenbar aus ben ©ericpten tion Augen* unb 
Dpren jeugen, unter benen ber belannte Graf ©ennigfen nur einer 
gemefen ift. 

Huf Duetten tiertoanbter Statur bürften bie in ihrer Art 
ebenfo mertwürbigen Auffcptüffe über bie inneren ©erpättniffe 
ber ©rufenftern’fcpen SBeltumfegelung tion 1803 jurüd* 
jufüpren fein. Sie Gefcpicpte ber beiben einanber auäfc^liegen= 
ben geheimen 3nftructionen, welcpe bem feemännifchen Seiter 
biefer ©jpebition unb bem biefelbe begleitenben Gefanbten für 
Sopon, ©ammerpettn Stafanow mitgegeben werben, ift an unb für 
fid) tion bloS epifobifdjem 3ntereffe. 8118 Seitrag jur Gparafte* 
riftit rufftfcher SJlenfcpen unb 3«ßänbe ift biefe unglaubliche Ge* 
jepiepte bagegen tion außerorbentlicpem SBertp, — tion um fo 
größerem, al8 fie fiep wenige 3<*P« fpöter bei einer ungleich 
mistigeren Gelegenheit mutatis mutandis wieberholte: al8 er im 
3äpt* 1812 tion ber gegen üftapoteonS Sntiafion bestimmten Armee 
abreifte, ließ Alejanb« I. jweifetpaft, ob bem ©riegSminifter 
©arciap be lottp ober bem „im Slang älteren" dürften ©agra* 
tion ber Oberbefehl gebühre. — Ser auf biefe ©orgänge bejüg* 
liehe Shell be8 ©emharbi’fchen ©u<h8 (b. p. bie beiben Stb = 
hanblungen über ben Ärieg tion 1812) ift unfere8 ©racptenS 
bet wiffenfcpaftlicp bebeutenbfte be8 gefammten SBertS, weil er 
oon be8 S«f. eminentem Iritifchen Salent unb feinet genauen, 
alle ©injelpeiten burchbringenben ©enntniß ber ßiteratur ber 
©efreiungStriege berebteä geugnih ablegt. Sieben ber gtänjen* 
ben Abfertigung, Welche bas unter ben Slufpicien be8 ©aiferS 
Slifolau8 gefchriebene, wefenttiep bie #erabfepung be8 tierbienten 
©arciap be Sottp unb auf bie ©erperrtiepung be8 unfähigen 
Slationalhelben ©utufow gerichtete ©udj be8 Generals SJtiepai* 
towSlp*Sanilew8li erfährt, finb in biefen ftreng militärwiffenfepaft* 
lieh gehaltenen Auffäpen bie einjelnen tleinen Büge oon befon* 
berer AnjiepungSlraft, welche au8 bem ßeben ber bamaligen unb 
ber heutigen ruffifchen Gefettfcpaft mitgetheilt werben. ©priept 
e8 nicpt ganje Sänbe, baß bie ©ritif be8 SanilewSli’fcpen ©ueps, 
welcpe ©ernparbi f. 3. .im Aufträge bet Petersburger Alabemie 
bet SBiffenfcpaften feprieb, trofc bet biefer ©örpwfcpaft gefeplicp 
juftepenben ©enfurfreipeit, nicpt gebrudt werben burfte, weil ber 
bamalige UnterricptSminifter Graf Umarom für unmöglich et* 
Härte, ben ©aifer StitotauS auep nur um bie ©rtaubniß jur 
©eröffenttiepung einer unbefangenen ©eurtpeilung beS tion „Atter: 
pöcpften ©pmpatpien" begleiteten SBertS ju erfuepen? ©tingt es 
nicpt gerabeju unglaublich, baß ©ernparbis greunbe aus feiner 
Antorfcpaft biefer ©ritit ein fo ftrengeS Gepeimniß machen ju 
müffen glaubten, baß ßeute bom Stange beö 8Jtilitärf<ptiftftetterS 
Sr. ti. ©mitt über baSfefbe im Unttaren blieben — baß ber 
©rief, welcpen ©arctaps ehemaliger Abiutant, ber General SBoIbe* 
mar tion ßöwenftern $errn SanilewSfi in ©eranlaffung feines 
©ucps feprieb, wie eine $elbentpat angeftaunt würbe, unb baff 
e8 bem ©erf. tiorbepalten geblieben ift, biefeS intereffante Acten« 
ftüd oierjig 3apre, naepbem es »erfaßt worben (18. ©ept. 1839), 
ju »«öffentlichen? gür bie ruffifepe Gefcpicptsfcpreibung lommt 
biefe ©ublication hoffentlich auep heute noip nicpt ju fpät, benn 
gerabe biefe Wirb »on iperrn ti. ©ernparbi außerorbentlicp tiiel 
ju Innen paben: wirb ben tenbenjiöfen, über bie ©erbienfte 
©utufows unb beS tiietgepriefenen 3«moloW in Umlauf gefepten 
unb bis in unfere Sage naepgefepriebenen unb na^gefproepenen 
SJiptpen boep im eigentlicpften ©inne beS SBortS baS 2eben8li^t 
auSgeblafen unb an bet $anb unwiberfprecplicp« 3eugniffe naep« 


gewiefen, baß bie officiette ÄriegSgef^icpte tion 1812 bie eigent« 
liep entfepeibenben Spatfadpen faft burepgängig auf ben $opf 
geftettt pat. 

©on bem folgenben Auffap (Sa8 ruffifepe #eer im 
Srüpfapr 1854) ift lebpaft ’ju bebauern, baß er nicpt fepon 
jur 3eit feiner ©ntftepung, b. p. tiot fünfunbjwanjig 3apren ge* 
brudt worben ift, wo bie ©elanntfcpaft mit ben ©cpwäcpen bet 
alten ruffifepen SKilitärorganifation ein ©rititlegium war, welcpeS 
ber ©erf. mit einem fleinen ©reife oon ©ingeweipten tpeilte. 
Sie nachträgliche ©eröffenttiepung biefer „urfprüngtiep jur Drien* 
tirung enger ©reife" beftimmt gemefenen Senlfcprift pätte oon 
einer Sarftettung bet feitbem ftattgepabten beiben großen Armee* 
reorganifationen ber fünfjiger unb ber fiebenjiger 3<>h« begleitet 
Werben fotten, — in iprer gegenwärtigen Geftatt nimmt fie fi^ 
ju fragmentarifcp aus, um bem größeren publicum gegenüber 
biejenige ©ebeutung erlangen ju (önnen, bie ipr an unb für fiep 
julommt. — ©S ift baS um fo lebhafter ju bebauern, als ber 
©erf. feine im 3<Jpte 1859 (alfo jwei 3op« tior bem ©rlaß beS 
©manc’ipationSufaS tiom 19. gebt. [2. SDlärj] 1861) gefeptiebene 
jept mitabgebrudte Abpanbtung über „Seibeigenfcpaft unb 
greilaffung ber ©auern in Stußlanb" bnrep einen furjen, 
aber inpaltreicpen SJlacptrag fo ju »erbottftänbigen gewußt pat, 
baß er eine Ueberftcpt üb« bie in ©etraept lommenben $aupt* 
punfte ermöglicht — Se3 ©erf. Ausführungen über ©ntftepung 
unb AuSbilbung beS GemeinbebefipeS oerbienen wegen iprer 
©cpärfe unb Anfcpaulicpfeit bie befonbere Aufmerlfamleit beS 
SefetS, wenn fie gteid) nicpt in allen ©unlten mit ben ©tgeb* 
niffen ber neuften über biefen Gegenftanb »eröffentliöpten gor* 
fepungen (3- ©eußter) ftimmen. 

©on ben feeps Auffäpen beS jweiten ©anbeS, finb jwei 
(Ser ftanjößfcpe Abel in feinem ©«pältniß jur Stetiolution unb 
jur gnfion, 1856 — Sie franjöfifcpe Stetiolution unb bie pifto* 
rifepe gorfepung) ber Gefcpidjte ber franjöftfcpen ©arteien, brei 
(Unfere ©erfaffung im Sinne ber ejtremen unb im ©inne ber 
gemäßigten ©arteien 1858 unb jwei Abpanbtungen übet bie 
Reform ber §eereStierfaffung 1860 unb 1861) preußif^en 3 U = 
ftänben gewibmet; außetbem entpält berfelbe ©anb eine außer* 
orbenttiep intereffante „gtanlreicp, Oeftreicp unb b« italienifcpe 
©rieg oon 1859", gewibmete militäriftp politifepe ©tubie, welcpe 
jur 3«t biefeS ©riegeS gefeprieben unb naeptrögtiep mit einer 
Steipe ergänjenber Anmerfungen tietfepen worben ift. ©efonbeteS 
Gewicpt bürfte auf bie lepte biefer Anmerlungen ju legen fein: 
„2Bir lönnen jum ©eptuß ben ©öllern DeftreicpS rebtiep baju 
Glüd wünfdpen, baß ipr ©taatSwefen feitper ein ganj anbereS 
geworben ift unb bem Steicpe eine beffere Bufunft oerfpriept, als 
wir ooe jwanjig 3 n Pee n hoffen burften." — Am heften wäre 
biefer ©ap, ber jur ©erieptigung beS parten UrtpeilS beftimmt 
ift, welcpeS ber ©erfaffer an ben ©eptuß feines tior jwanjig 
3apren getriebenen AuffapeS gerüeft patte — über ben ©ingang 
beSfetben gefept worben: unter allen Umftänben poffen wir, baß 
berfelbe bie gehörige ©eaeptung finben unb ber Annapme tior* 
beugen werbe, als fei $etm ti. ©ernparbis Abfiept gewefen, alte 
SBunben wieber aufjureißen unb für 3uftänbe ber Gegenwart, 
GeficptSpunlte ber ©ergangenpeit maßgebenb fein jn laffen. 
©on ben 3rctpümern, welcpe bie öftreiepifepe Gefcpicpte ber 
50er 3<>P*e bewegten unb bie fcpwer genug gebüßt worben finb, 
pat bie heutige ©taatsteitung beS ©aiferftaatS fiep fo bottftänbig 
loSgefagt, baß lein Grunb oorpanben ift, auf biefelben in 
anberer als rein piftorifeper Stüdficpt jurüd ju tommen. Saß 
©ernparbis ©ritil ber öftrei^ifepen |»e«eSotganifation alten 
©tits unb ber burep biefe Drganifation bebingten Heeresleitung 
tion 1859, tion grünbti^er ©aeptenntniß unb außerorbenttieper 
© cpärfe beS UrtpeilS jeugt, ift bereits jur 3«* iP ret erften 
©eröffentlicpung attfeitig anertannt worben. — Anlangenb bie 
brei ©tubien über bie preußifepe ©erfaffung unb bie große 
feeres «Steorganifation tion 1860 liegt bie ©aepe umgeleprt: 
eine tiotte SBürbigung blieb biefen auSgejeicpneten Arbeiten oet* 
fagt, fo lange ber Strom ber öffentlichen Sfteinung burep bie 
Wäprenb b« ©onflictSjeit perrfepenben Anfcpauungen beftimmt 


unb geleitet würbe. $eute wirb Sliemanb bem ©erfaff« baS 

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832 


lie «cjcwmart, 


Nr. 47. 


Seugitife Berfagen fönnen, bafe er fdjärfer gefefeen unb unbe= 
fangener geurteilt feat, als bie äReferjafet feiner Seitgenoffen unb 
bofe er baS {Reöfet gehabt, „oor bem unbebingten ©tauben an 
fortfcferittlitfe ftingenbe ©djtagwörter ju warnen, bie (wie geprägte 
äRünje) fein unb feer gegeben werben, als feien ifere Sebeutung 
unb ifer SBertf) betannt, — unb bei benen ntan ftcfe bocfe nur 
etwas formtoS UnbeftimmteS ju benten weife". 

Sunt ©djtufe mähten Wir nodfe mit befonberent ‘Jtadfebrucf 
auf bie %tbfeanbtung aufmerffam machen, tuetcfee ben erften 916= 
fdjnitt non SernfearbiS jweitem Sanbe bitbet. ®er 9luffafe über 
ben „franjöfifdfeen Ütbet in feinem SJerfeftltnife jur §He\)o- 
tution unb jur Sufion" würbe burefe bie im Safere 1856 jwi= 
fefeen ben orteaniftifcfeen ^tinjen unb bem (Strafen öon ©feamborb 
angefnüpften StuSföfennngSöerfeanbtungen oerantafet unb biefeu 
tBerfeanblungen ein feöcfeft jutreffenbeS, feitbem burcfe bie ge= 
f<feicfetlt(fee ©rfaferung ootlauf betätigtes i>oroffcp geftctlt. SRit 
biefer Sorfeerfagung feat ber Sßerfaffer ficfe inbcffen nidfet begnügt, 
ffir nimmt an berfetben ju einer SBctracfetung ber franjöfifcfeen 
SlbelSgefefeidfete unb SlbetSpotitif ffierantaffung, Wettfee bie um ben 
fogenannten 2egitimi8mu8 öerbreiteten romamifcfeen SRebel mit uu= 
barmfeerjiger fpanb jerftreut unb bereu Ctuinteffenj ber 93erfaffer 
fetbft in ben nacfefotgenbem ©afe jufammcngefafet feat: „i)ie 
Ireue unb Eingebung eines befonberen, mefer ober Weniger ge= 
fefetoffenen unb benorredfeteten ©tanbeS ift an bie 93ebingung ge= 
tnüpft, bafe bie ^Regierung fiefe fetbft junt Vertreter unb 2Berf= 
jeug biefeS ©tanbeS unb beffen Sntereffen ju ben feerrftfeenben 
macfee. gür einen geringeren ^ßreiS ift eine fotefee be= 
fonbere ©tanbeStreue nidjt ju feaben." — 2)aS gilt nidfet 
nur für ftranfreiefe unb feat im äRunbe eines waferfeaft com 
fertxxtiüen feJolitiferS, als Weltfeen wir ben Serfaffer ber „Sßer= 
miftfeten ©tferiften" tennen gelernt feaben, boppelteS ©ewitfet, 
hoppelten Wnfprucfe auf SBeacfetung. < f. 


Jltts &ct ^aupt^abt. 


berliner Jfeeater. 

Unfritifcpe Nanbbenterlungen. 

3cp will nic^t „reformiren" - mein ©prenwort! 3d) ^obe nur 
für$ltch einen ©ebanfen gelobt, ben mopl ppon mehrere Anbere oor mir 
Ratten, ben id) aber, um mir eine Keine SRotion $u machen, otelleicht 
etwas weiter berfolgt ^abe, als Rubere; ben ©ebanfen nämlich: bag, 
nnch ber Qaljl feiner X^eater ju fdjliegen, ©erlin bie tpeaterlugigge 
unter allen ©täbten fein müffe. $enn es ejriftiren ^ter gegenwärtig 
nicht weniger als jmanjig „Xh*nter", unb wenn wir baS im Umbau 
begriffene „©tabttheater" — baS ja wopl mit ©otteS $ülfe auch wieber 
feine ®allen ber ©eauffidjtigung burch bie Öeuerweht überantworten 
wirb — mit$ählen, ftnb es einunb$wan$ig. 

3Benn id) fagte „epftiren", fo füllte bamit nid)t für alle bie grage 
ber ©jriftenafäljigfeit beantwortet fein. ©S ift ja atlerbingS zuweilen 
oorgefommen, bag ber 2)irector beS einen ober anbern XljeaterS wegen 
energifc^en Ausbleibens beS ^ublicumS üon feinen 93emü^ungen um 
©ebung ber bramatif^en Äunft wieber abfteljen mugte. Aber eS gab 
bann audfj immer wieber entftbloffene SÄämter, welche bie SBeltorbnung 
(b. 1). bie bewugten ^^retter, welche'' u. f. w.) wieber ljergeftellt Ijaben, 
bis au(^ biefe Äunft=3i m tnermeifter wiebet bie neue ©podje beS UnbanfS 
beenbeten, oieHeic^t mit bem Hamlet*©eufeer: ,,©(^mac^ unb ©ram! 
bag id) jur 3Belt fte einjurtc^ten tarn." 

SBenn wir nun baoon gan^ baoon abfe^en wollen, ob baS ^^eater 
wirflic^ ein ©ilbungSmittel fein fofl, fo fte^t boc^ baS ©ine feft, bag 
baS Xljeater baS widjtigfie unter allen StoltSoergnügen ift. gür bie 
beutfe^e 8teid)Sl)auj>tjiabt gilt bieS aber nac^ bem Sftage i^rer 33ebeutung 
um fo meljr, unb eS bürfte beS^alb wo^l einige ^3ere^tigung fabelt, 
bem ©erlinet Xfjeaterwefen im ©rogen unb ©anjen einige ©etrac^tungen 
^u totbmen, wenn au<^ — id^ wieber^ole eS — o^ne jebe reformatorifdje 


Abfid^t. 9teformiren werben in foldjer Sad)e niemals einzelne gactoren 
fönnen, mögen eS X^eaterleitungen ober Ärititer fein, ©ie ©ef^affen« 
^eit beS Sweaters wirb boc^ immer nur als ein beilduftgeS Kejultat 
allgemeiner ©ertyältniffe ju betrachten fein, beS geitgcfc^macteS, beS 
©ilbungSgrabeS, ber focialen 3nftünbe, — ober wie man bie ©umnie 
aller ^ufammenwirtenben ©lemente nennen Will. 

3unächft wirb fich einem Seben, ber bon ben einunbftWanaig 
©erliner Theatern lieft unb hört, bie grage aufbrängen, ob baS nic^l 
für ©erlin ju Diel Xh eftter SBcttn wir bie ©eböltcrungSfumme 

mit ber Qaf)l ber $h ca ter biöibiren, fo lann man biefe grage nidht o^nc 
SBeitereS bejahen, ©ei einer ©eüölferung bon einer ©Union tommt bei 
jwan^ig Theatern auf je 50,000 ©inwohner ©ineS. 3<h weig wohl, 
bag mit einem fo einfachen diechenegembel bie ©ache nicht erlebigt ift. 
$enn eS ntüffeit hoch allerlei -Jtebenumftänbe — bie ©ertheilung bet 
©cbölferung nach ben ©tünben, bie ©efchaffenheit, bie Sage bet Sweater 
u. bgl. m. ~ habet in äRitrecgnung gezogen werben. Aber fdjon bie 
AuSbehnung einer fo grogen ©tabt mügte eine beträchtliche An$aljl 
^h^Qtern nöthig machen, jelbft wenn wir bie borhanbetten ©ommunicationS* 
mittel, bon ber ©guipage bis ^ur ^Sferbebahn, als ©rleichtenmg gelten 
laffeit wollen. SBenn baS bon einigen fchwärmertf^en Xheoretifem erft 
oor lurjem wieber fo h*ig erfe^nte ©taatS' Xh cfl t er ö ut SBirflichtcit 
geworben wäre, fo hätte ich oorgefchlagen, für bie gan&e ©tabt beftimmte 
©ejirfS^h^tcr einflurichten, bamit ein jeber ©tabttheil, fo wie feine 
eigenen $oft= unb $oliaei'-©ureauS, auch feine eigenen ©eftirtS-©er= 
gnügungSanftalten h«be. Um aber babei boKfte ©erechtigfeit walten )tt 
(affen, mügten biefe ©qirfstheater auch alle bon gleicher ©fite fein. 
2>aS wäre hoch nicht allein für bie ©taatScontrolen-©chwärmer, fonbem 
auch für bie ibealiftifchen ©ollSbeglüder ein wahrhaft beftiebigenber 
3uftanb. 

Aber gerabc in ©etreff ber gleichmägigen ©ertheilung ber Xheater 
über bie berfchiebenen ©tabttheile geht eS in ©erlin übel aus. 3n ge^ 
wiffen ^h e iten ber ©tabt brängen fich bie Theater bermagen aneinanber 
— man benfe nur an bie nahe 9fcad)barf<haft bom 85allner=, fReftbett&z 
unb ^einSborffS ^h^terl — bag nicht nur ber Abenbberlehr in jenen 
©tragen h&<hft fc^totertg wirb, fonbern bag auch bie trauriggen SRig* 
bergänbniffe barauS entgehen fönnen. SBie bort in ber ©Iumen= unb 
SBallnerftrage bie brei ^h catcr / f° Uegen bor bem 9iofenthalerthor am 
SBeinbergSmeg gwei, baS %ational^ unb baS ©ertnania* (fong ©or> 
gäbtifche) Xheater bicht beifammen. ^ier ig bie ©efah« bon SRigber^ 
ftänbniffen noch burch bie leichtgnnig gewählte SRamenSberwanbtfdjag 
bon ^Rational unb ©ermania gegeigert. SBie leicht fonnte eS tommen, 
bag 3«nanb, ber ins „.ftotel Älingebufch'" wollte, unter bie „©ftuber" 
gerieth? ®ber auch in jener erwähnten ©lumenftragen-Abunbantia 
wären foldje ©erfehen möglich- könnte eS nicht ©inem pafgren, bag 
er „SBohlthätige grauen^ lennen lernen will, unb bafür mit bem „9tatütr 
liehen ©oljn" erfreut wirb? — ober fchlieglicfj gar unter baS „©orps 
ber IRache^ geräth! 

Aber ehe ich bon biefem Uebelftanb ber geographifchcn SRigberhält^ 
niffe auf Weitere ÜRebenfragen eingehe, möchte ich &n ©ungen meiner 
©laubwürbigfeit bie angegebene 3 a h l Theater burch Namensaufruf 
feftfteHen. 

3ch h^e an bem ©er$eichnig, baS ich h' cr mittheilen will, lange 
gebrütet’, länger als man’S biefer fo einfachen £ige aiunerfen wirb. 
Nicht alle Xheater finb in ben 3«f««ten unferer S^itungen angegeben. 
Nachbem ich burch $in&ufügung beS ©inen noch ber SBiebereröffnung 
harrenben (baS ehemalige ffiolterSborff s^heater ig fchon in 

biefen Sagen wieber 5 U erneutem Safein gelangt) bie 30 h 1 <*nf neunzehn 
gebracht h^tte unb tropbem meine Augen immer noch unbefriebigt §u ben 
iJitfagfäulen emporbliÄen, entbeefte ich WirfUd^ eines XageS bie Namen 
jweier Xheater, oon benen ich bis bahin noch nichts gehört unb gelefen 
hatte: „OuargS ©aubeoifle=Xheater" in ber Ale^anbergrage, unb ,,©o< 
rufpa=Sh e ater ,# in ber SBrangelgrage. 3<h eingegehen, bag ich Oon 
bem leptern bie Afgd)en nur einmal hoch oben an ben £itfagfäulen enU 
beeft höbe. Aber ein ©tatigifer barf fich nichts entgehen lagen. Um 
mich jeber &ritit über ben fünglerifchen Nang biefer Sheater $u ent¬ 
halten, gebe ich bie Namen, bie beiben königlichen Xheater eingerechnet, 
in alphabethifdEjer Orbnung, woburch freilich bie SieberfpielhaSe, welche 
fich au * noch unaufgetlärten Urfachen American^heater nennt, an bie 
©pipe ber ^unginftitute fommt. 

©erlin erfreut fich nI f° ber folgenben Sh ca ter: 


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Nr. 47. 


3Die fftgettttMtri 


333 


Ämerican*Xpeater — ©elfoÄtlianceXheaier — ©oruffia=Xpeater 

— griebricpsSBiipefmßäbtifcheS X peater — ©ermania; (fonft ©orßäbtifcpeS) 
^peater —* #einSborßS=Xpeater — §enne=Xpeater — Grolls Sweater 

— SouifenßäbtifepeS Xpeater — 9tätional=Xpeater — ^öniglicpeS Operm 
peniS — £)ßenb=Xpeater — üuargS ©aubeoille-'Xheater — 9iefiben§= 
xpeater — ftönigliepeS ©cpaufpielpauS — ©tabttpeater —^ ©ariete- 
Xtjeater — ©ictoria=Xpeater — SBafpalla^Xpeater — SBaflnersXheater 

— ©Bilpelm« (fonft 3BolterSborß=) Xpeater. 

Xer wirlliepe ©erliner Xpeaterfreunb wirb pierauS mit einiger ©e^ 
trübniß erlennen, baß ©erlin itocp niept einmal ßir jeben ©ucpßabeu beS 
ÄlppabetS ein Xpeater pat. — ©oHte eS niept möglich fein, baß biefe 
empßnbticpen Süden halb ausgefüllt merben? 3um Xpeil mürbe biefem 
Uebelftanb allerbingS burep Umtaufung einiger Xpeater abgepolfen merben 
tönnen, benn fünf Sucpßaben finb hoppelt, ja baS 3B ift fogar bteifaep 
oertreten! 

Xocp icp miK ber 3utunft uiept mit meinen SBünfcpen oorgreifen. 

toiß Otelmepr gern anerlenneit, baß für bie aHerbringenbften ©ebürf= 
niffe fepon einigermaßen geforgt ift, unb baß bie täglichen Speifejettel 
eine genügenbe ÄuSmapl bieten. 

(Segen bie oon mir pergeftetlte Sifte tönnte man mir oielleicpt ein* 
menben, baß id) feinen Unterfcpieb auufcpen ben mirllicpen, in iprer 
©igenfepaft als folcpe unbeßritteneu „Xpeatern“ unb jenen ©ergnügungS-- 
lofalen gemalt pabe, meldpe aur Unterhaltung effenber unb trinfeuber 
öäße auep Xpeater pabeit, unb gleichfalls folgen, bei benen auf ber 
©üßne auep ©robuctionen gezeigt merben, mie afrobatifepe unb anbere 
fcpmierlge ftünße, bie mit ber bramatifdjen Ihtnft nichts ju fepaßen paben. 
Xiefer ©inwanb pat rnopl einen ©epein Oon ©eredptigung. Äber icp muß 
botp ju meinen ©unßen bemerlen, baß Bezüglich ber (Sattung ber ©ro= 
buctionen eine ©renae fepr ferner ju aiepen iß. ©obalb ein berartigeS 
©ergnügungSlofal eine wirlliepe ©üpne befifct, auf ber auep ©tüde ge= 
geben merben, mie 5 . ©. im S8alpalIa=Xpeater, fo muffen mir eS fepon 
mit ben Xpeatern regnen. 3®ißpeu ©auertopl unb Äußern beßept 
pinßcptlicp ber ©oraepmpeit gemiß ein großer Unterfcpieb; unb boep ge= 
uießen geinfepmeder auep ©eibeS jufammen mit h ö <hfter ©efriebigung. 
ÄuSgefcploßen pabe icp oon obigem ©eraeicpntß nur Sauber- unb Äffen= 
tpeater, unb baS mirb man, poffe iep, nur billigen. UebrigenS muß auep 
^gegeben merben, baß manepeS anerfannt richtiges unb gutes Xpeater 
in gemijfen unoorgefepenen gälten ben ©parafter eines „©ergnügungS“; 
SofalS entfliehen 001 t ßdp abmeiß. Äber baS iß boep nicht immer ber 
Satt. 3m ÄUgemeinen will boep ein jebeS Xpeater bem publicum ,,©er- 
grtügen“ ocrlaufen. Äucp baS ©aHet pat ja im ©runbe mit ber bra- 
matifepen Äunß faum etmaS ju fraßen. @S mirb alfo hierbei mie noch 
in monier anbern hinßd^t bod^ mefentlid^ immer barauf anfommen, ob 
etmaS (SuteS ober ©c^led^teS geboten mirb. 

Xodf) icß miH mid^ ^ier nicht in eine fopljißißhe ©emeisfü^rung öer* 
inen. 3^ fl«be oielme^r $u, baß bie ©ier= unb anbern ©enüffe mä^renb 
ber ©orßeHung eine ©renje marfireu fönnten, imb baß unter ben ein* 
unbärnanjig genannten Xljeatem ein falbes Xupenb fich beßnben, mel^e 
in biefem Sinne baS TOplidje mit bem Äitgeneljmen ju berbinben fuc^en. 
freilich meiß man ^ier oft ni(ßt recht, meldjeS baS 9tü|Iic^e unb meines 
baS Ängene^me iß. Äber ber intelligente Sofalbefiper meiß, baß ber 
SRenfdj ßcß beßer amüßrt, rnenn er etmaS ju trinfen §at, als menn er 
in einem Reißen Solale burßen muß. 3m ßouifenßäbtifd&en X^eater pat 
neuerbhtgS ber jmar gealterte, aber beS^alb üermuttjlidj eine anfe^nlic^e 
$enßon genießenbe Äönigl. mtirttembergifd^eÄammerfänger $err ©ont^eim 
burep fein ©aßfpiel baS oßene ©efenntniß abgelegt, baß eS gar nid)ts 
fdjabet, menn bief oon i^m gebotenen Äunßgenüffe mit ©ier ^inunter= 
gefpült werben. ©S iß erfreulich, baß auch & et Äntifemitenoerein $errn 
Sontheim hierin nicht hinberlich mar. Xenn ber einß fo renommirte 
Xenoriß h«t mit biefem ©erfahren pgleich feinen 9iang als „Äünßter'' 
felbß beßhnmt, unb in befcheibener SBeife ju erfennen gegeben, baß baS 
publicum barüber bisher in einer f<hmähli<h e n Xäufchung befangen mar. 
Unb wie niete fotcher Xäußhungen fontmen auch in ben beßen Xheatern oor t 

©ollte ich in nftchßer Seit über bie oon mir noch nicht in Äugem 
ßhein genommenen Xheater ©erlinS neue ©rfahrungen gefammelt haben, 
fo werbe ich mir erlauben, fie ben Sefem mitptheiten. Sür heute miH 
ich ßhtießtidh nur noch einmal barauf prüdtommen, mie fchmierig eS 
unter Umßänben iß, bie ©tenjen äWifchen roirflich theatralifchen unb 
folchen ^robuctionen feßpßellen, bie nicht im eigentlichen ©inne auf 
baS „Xheater" gehören. Xie SRitmirtung oon Xhieren auf bei ©üfjue 


iß oß genug als etmaS Ungehöriges befämpft Worben. Unb bodj h öt 
unfer größter beutfeher Xramatifer in einer feiner erfchütternbßen tragi- 
jepen ©eenen bie Sttitmirhmg beS ©ferbeS nicht nur oorgefchrieben, 
fonbem biefe ©eene — ich meine bie im „XeU^ in ber h®h^ cn ©aße — 
mürbe auch ohne fotdje 3Kitmirfung ihre Ißnreißenbe ©emalt gänjlidj 
einbüßen. Oßenbar hat jüngß baS „^ational^Xheater'' biefen ©räcebenä- 
fall im Äuge gehabt. Xenn auch bie mirftich fünßlerifch ßrebfame 
Xireetion biefeS XheaterS, welche h er °tfch genug mit ©hafefpeateS 
„ÄntoniuS unb ©leopatra" begonnen hatte, mußte fich neuetbingS gegen 
eine attp enge ©egrenjung beS ©egrißeS „Äuitß" erflären. ©s gab 
jur ©chtHerfeier „Xie Stäuber“. XaS foll mal enblich jiehen! bachte 
ber thätige Xirector, unb geigte auf bem Xheaterpttet an (wörtlich): 
„Xie hi er ö u erforberlichen ©ferbe ßnb aus bem SRarßalle beS 
ÄgI. UniöerßtätSßatlmeißerS iperrn $ilbebranbt.“ 

H. <5. 


3Uts bem (Eonartfflol. 

Xem oereinjelten Äuftauchen oon ©oncerten, jenen erßen Änjeichen 
ber fnoSpenben ©aifon, iß f^neü bie ölüthepit berfelben in aller ©rad^t= 
entfaltung gefolgt, ©s hat ben Änfcpein, als märe burep ben fcplecpten 
©ommer bennoep ©eele unb Körper pim^eiepenb geßärft, baß bie $Re= 
ceptionSfraft beS oon ber ©hififflutp bebropten ©ublicumS niept nur 
nicptS eingebüßt, fonbern an ©egeprlicpfeit gewonnen pabe. Xie gütte 
beS ©aaleS am Äbenbe ber erßen ©robuetton beS Soacpim’fchen Ouar= 
tettS, baS in mürbiger SBeife mit ben Ältmeißern ®apbn, SKojart, 
©eetpoben feinen ©inpg pielt, gibt baoon fpreepenbe ^unbe. ©S Wäre 
über biefe bewährten ftunftleißungen mopl faum nodp ein SBort ju oer= 
lieren, menn burep bie ^inau^iepung beS jungen ©teißerS ipauSmann 
bie äußere unb innere ©ppfiognomie ber ©ereinigung niept oeränbert 
märe. 0pne auep nur entfernt bie fünßlerifcpe ©ebeutfamteit feines 
©orgängerS angreifen ju wollen, fepeint mir boep bie ©twerbung $auS- 
mannS ein ©eminn merben ju motten, ©ing ber frühere ©elliß in bem 
©emußtfein feines Könnens unb feines inbioibuellen SBefenS bann unb 
mann feinen eignen 2Beg, fo fepeint baS Äufgepen ^auSmannS im 
©anjen, baS jebeS eigenwillige ©orbrängen auSfcpließt, auf ein gepobe- 
nereS ©efüpl, bem ShmßmerÜe gegenüber, pinaubeuten. 3^P flfaube feft, 
baß bie golge leine Xäufdpung perOorrufen Wirb; 

Äudp bie ©oncerte beS XomcporS pabeh mieber ihren Änfang ge* 
nommen. ©ie, bie einß fo gewaltige 8uglraft auSübten, finb leiber 
eine gefallene ©röße, feineSmegS burep ipr Öerfcpulben, fonbern einzig 
unb allein, weil pier bie SJtobe mit unerbittli^er ©trenge a« ©eriept 
fipt. XaS ftrenge ^aaarenertpum, baS fiep in ber SJtufif burep jene epernen 
XreiflangSparmonien befunbet, bie joeit entfernt finb oon bem bunten 
garbenreia, ben baS moberne Opr beanfpruept, ßnbet nur noep ba einen 
mächtigen 3BiberpaIl, Wo eS als Wichtig integrirenber Xpeil baS firep* 
licpe ©itual oerperrlicpen pilft. Xie Xome beS ©übenS, in iprer feffeln= 
ben übermeltli^en ÄuSßattung, mit ihren farbenparmontfepen aWeßgemäu= 
bern unb reiepen SJtonftranaen, mit iprem fiimberaufepenben SBeipraucpSbuft 
bebürfen eines einfcplägigen ©egenfapeS, ber fcpmerlicp mirfungSOoKer 
als in ben falten, ewigen klängen, bie in iprer plaftifcpen unb perben 
©reite ben geheiligten 9iaum burepaiepen, gefunben- merben fann. „Äuf 
bie 5?nie“, mie oor etwa a*oanaig Sapren in einer ©ußtagSprebigt 
©aßor ©teßan feinen Änbäcptigen, bie tpeilS in 3 n &tunß serfnirfept, 
tpeils burep $allucinationen geiftig oermüßet, mit gewaltiger ©timme au« 
bonnerte, pat pier ÜRiemanb au befeplen. benn bie ©Birlung biefer Älänge 
ift and) pier opne Äufforberung leine partielle, fonbern eine ÄüeS be^ 
wältigenbe, mäprenb ße bei uns afcifcpen ben nüchternen SSBänben eines 
©oncertfaals ober im 3uneren nnferer prunftofen ^irepen als fünßlidpeS 
©fropfreiS bie Opren beS gacpmanneS interefßren. Xer ©mpfänglicpfeit 
beS gebilbeten fiaien, ber bewußt ober unbewußt ßcp bem mäeptigen SBiKen 
ber 3«t unterorbnet, tritt biefe 2Kufil als «in frember Xropfen entgegen, 
unb im ©efüpl ber Unficperpeit meiß ber nach ©enuß £ecpaenbe niept, 
ob er jolcpe fünßlerifcpe ÄuSßüße oergangener Saprpunberte fcpön ßnben 
foU, ober niept. Xa man fiep niept bpran erwärmen tonnte, fiep felbß 
im Xrange feines äBaprpeitSgefüpiS auch niept belügen moepte, ßng man 
aümäpticp an, bie §atle jener ©oucerte au meiben, unb erawang auf 
biefe Ärt, baß bie große Änaapl ber Äuffüprungen auf ein ©tintmum 
befepräntt mürben. ©0 ßnben wir benn jept bie einß fo berupmten 
Xomcporconcerte, bie ber ©ammelplap einer glaubenSßarfen Äriftofratie 


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Goog 



384 


Die Segtnmart. 


Nr. 47. 


uttb flrebenben ©ureaufratie maten, bon ihrer faft fcpminbelnben $öpe 
gefräst. Sic fiitb ans bem nur bet ftunft gemeinten Raunte bet Sing* 
afabemte in ben Dom getoanbert Opne Abonnement, bet Heineren 
©intrittspreifen unb btelen greifißen. DaS Publicum, baS gegen früher 
eine auffaüenb berftnberte pppfiognomie jeigt, laufet $n>ar noch mit 
einer gemiffen ÄnbacptSfülle ben f längen ber alten Staliener, aber auS 
feinem Äuge blidt bie meipebofle ©inpfangSbefcpeinigung, bie ber Spiegel 
innerfter, reinfter Seelenbeftiebigung märe. An ihrer Stelle fleht ©er* 
munbetung, Äälte unb faft ein ÄuSbrud ber ©nttäufepung. Daß biefe 
Sdjidfalsmenbung eintreten mußte, mar bei bet Ziehung unb Mittung 
unfereS mufttalifcpen PublicuntS borauSsufehen, unb nicht $u betnmn* 
bern ift eS, menu fich piftorifcpeS Sntereffe felbjt burch bie uwmalften 
Ausführungen unb burch mieberholte ©ertunbigungen bon unübertreff* 
lieber Schönheit nicht beibringen lägt Deshalb bitten bie Reliquien 
unb lauten Beugen einer früheren Beit bon ihrem SBerthe nichts ein, 
unb merben fte bem fciftorifer flets, bem gebilbeten Baien am rechten 
piape eine hocpmiHfomuiene (Habe fein. 

Die Durchführung btefer fchmierigen a capella-©efänge, melche auf 
bem bieSmaligen Programm ftanben, maren bem SBeltrufe beS BnfHtutS 
angemeffen; fie gaben ftunbe, tpaS burch eine unerfchütterliche DiSciplin 
51 t leiften ift. 

©tit bem ebeugenannten ©oncetie concurrirte an bemfelben Äbenbe 
bie erpe Soiree ber Herren §eHmich unb ©tanefe. Der ziemlich fchnell 
ermorbene Stuf biefer ©onceTte fcheint fich uadj «nb nach befeftigen au 
mollen; eS ift baS ©eftreben ber Herren, AnjiehenbeS unb ©eueS au 
bringen, anjuerfennen, obmohl bie lüdenhafte güUung beS Saales ein 
aUju marmeS Sntereffe nicht getabe borauSjehen läßt. ©ei ber ©taßnahme 
ber ©oucertberanffalter burch ©euigleiten anloden 51 t mollen, fann minber 
§ochftehenbe 8 mit unterlaufen. ©3 mirb non einem nicht au fritifchen 
publicum banfbar hingeuommen merben. SBeun jebod) biefe ©Maßnahme 
einen ©tißgriff $ur golge hot, fo fann bieS im SBieberholungSfatte bei 
einem noch jungen Unternehmen bebeuftuh merben: bie nicht ohne ©tühe 
errungene, aber noch nidjt confolibirte AnaiehungSfraft fönnte leicht in 
baS ©egentheil Umfragen. Solch ein gehlgriff mar baS ©otturno für 
acht Streichinftrumente bon ©teil. Die fehr auSgebehnte ©ompojition 
möchte mohl ben mäßigen Änfprüchen einer längft oerfloffenen B^t 
Sntereffe eingeflößt ober gar ©enüge geleiftet hoben, bie Dfyvtn ber ©eu* 
Seit jebodh, in melcper bie fäunmermuft! burd) ©eethoben, Schubert, 
Schumann unb ©rahmS auf ben höchften ©ipfel gelangt ift, unb fomit 
ihre SBeihen empfangen hot, finb au bermöhnt, um fich bei fo billigem 
Abfinben einem ©enuffe hingeben an fönnen. ©inige, faft marm ent* 
pfunbene ©telobiemenbungcn im at° e *ten Sape unb bie mufterhafte 
SBiebergabe ber ©ompofition entfehäbigen hoch ju gering für bie Droden* 
heit beS ©anaen. — Unterftüpt mürben bie ©oncertgeber burch baS 
ftupenbe Älabierfpiel beS grL ßichterfelb, baS befonberS hn ©ubinftein= 
fdjen Drio fich an mahrhaft or^effraler SBirlung entfaltete, im gefang« 
liehen Dpeile beS Programms burch grl. Schmibtletn, bereu ©efangS* 
lunft fich «ner hnmer märmeren ©ntgegennahme erfreut 

§an 8 bon ©ülom mar'mieber ©ajt innerhalb unferer ©lauern; 
er fcheint fich nach unb nach mieber bei uns acclünatiftren an mollen. 
es märe fürmaht ein ©emimt für unfere Stabt, menn fie bon ©euem 
in ©eftp biefeS fchneibigften ©irtuofen gelangte. Ohne enbgültig be« 
ftimmen an mollen, melche B^t feinen Keinen $änben am geläufigften, 
möchte ich hoch öer ©rfaffung ber chromatifchen Phantaffe bon Seb. ©ach 
bie größte Änerlemtung a<>Ken. ©3* ift mahrhaft erftaunltch, maS tffyn 
menfchliche ginger an geglätteter ©orreetheit, burchfichtiger Klarheit trop 
eines faft ununterbrochenen Durcheinander an leiften bermögen. SBie 
bie beiben borjährigen ©oncertabenbe ben ßmed hatten, bem ©apreutper 
©ühnenfonbS an §ülfe an fommen, fo auch ber aulept beranftoltete. 

DaS Anbenfen an ben DobeStag ©lenbelSfohnS mürbe burch bie 
Aufführung bon beS ©teifterS „Sobgefang" unb baS ©equiern bon ftiel 
in mfirbiget SBeife bon bem Stern’fchen ©erein gefeiert. §err ©las ©ru<h 
hot bei biefer ©elegenheit fein Dalent, große ©laffen ftreitfähig auSau* 
rtiften, aufs ©ene bemährt, unb ber ©aum, an ben er fidj nur langfam 
gemöhnen lonnte, ift ipm aur §eimat3ftätte gemorben. ©S gereicht an 
befonberer greube, bie ßeiffungen beS ©ereinS, bie im hörigen ©Unter 
ftarl angeameifelt mürben, ohne ©üdhalt anertennen au bütfeu. Auch 
bie Biebig’fche ftopette, melcher bieSmal ber Drcpefterpart angefallen mar, 
belunbete ihre ©üpüchfeit burch fchlagfertigeS ©infepen unb DiScretion 
in ber ©eglcitung. - £f. Krigar. 




©S mirb gemiff allfeitig freubig begrüfft merben, ba| neben ben Dante* 
unb Shafefpeare-Sohrbü^ern, melche feit Sohren bei uns etfeheinen, bom 
fommenben Sohre an ein „©oethesSahtbuch" unter bet ©eboction bon 
Dr. fiubmig ©eiger in ©erlin, im ©erläge ber Siterarifchen Änftolt, 
©ütten & Soening in granffurt a. ffll., beröffentlicht merben fott. DaSfelbe 
hat fid) bie Aufgabe gefteüt, ein ©entralorgcm ber ©oethe*ßiteratur §u mer* 
beu, meines bisher ungebrudteS ©laterial, fritifche Abhonblungen, ©ffapS 
unb ausführliche ©ibliographie in einer leicht angänglichen Sammlung 
bereinigt barbieten unb baS alle biejenigen, melche ber ©rforfchnng, ©r* 
Härung unb ©erbreitung bon ©oetheS SBerfen ihre Dhätigleit mibmen, 
au gemeinfamer Arbeit berbinben foff. Die herborragenbften ©oethe* 
forfcher unb ßiterarhiftorifer: ©artfd), ©l. öemaps, SB. bon ©iebermamt, 
©urdharbt, ©arriere, ©reiaenach, Dünper, (Ehrlich, ©rimm, ©ocbele, 
Hettiter, £>ir$el, gollanb, b. Heller, b. Soeper, ©lartin, ©lunder, ©ebltch, 
SB. Scherer, A. Schoett, ©. Schmibt, Seuffert, A. Springer, Strehtte, 
Suphan, UrlichS, ©ollmer, SBeinholb, SBilmannS, Bomde n. b. A. haben 
bem Unternehmen ihre lebhafte Spmpathte entgegengebracht nnb tljätige 
©litarbeit angefagt. 

* * * 

Schillers ßieb bon ber ©lode. SHuftrirt in 22 ©outpofi* 
ttonen bon Alesanber Bieaen*©laper. ©lit 43 ornamen* 
talen ß c tchnungen bon ©ubolf Seip. ÄuSgeführt in 6 Äupfer* 
ftiepen bon 3- 2f- Deininger, ©. gorberg unb gr. ßubp unb in 
60 §olafchnitten auS SBilpelm Rechts splograppifcher Änftalt. 26 ©om* 
pofftionen Sieaen*©taperS auf $ola geaei^net bon SB. fcedjt ©roff^ 
Cluart=gormat. 65 Seiten, ©tünchen 1879, Dheobor Ströfer. 3n 
©rachtbanb JC 40. 

AuS ber bor furaem beenbigteu BieferungSauSgabe ift burch bie 
&unft beS ©uchbtnberS ein ©uep für ben SBeihuachtStifch entftanben, an 
bem §era unb Auge gleichmäßig fich erfreuen merben. Die ©etlagSbuch= 
hanblung, melche in ber bon ihr beranftalteten unb bon ben nämlichen 
Zünftlern ifluftrirten gauft=AuSgabe bem SBeltmarlte, barf man mohl 
fagen, ein $rachtmert erften 9tange8 angeführt, h a t einen neuen glüd* 
liehen SBurf gethan, inbem fie ben lunjtceichen #ättben ber gauft*Sßn= 
ftratoren, bie ©eugemanbung bon Schillers ©lode aubertraute, „biefeS 
S3erlS bon unnachahmlicher Roheit unb Anmutl), boH lebenbiget Dar* 
ftelluugSlraft unb Iprifcher ©efühlStiefe, bie ganae Stufenleiter menfch s 
liehet ©rapfinbungen mieberfpiegelnb, ben ganaen ^reiS menfchlichen 
DafeinS umfaffenb/' Die bon Biesen *©taper herrührenben 10 ,,©uß* 
bilber^ (in fcolafchnitt), bie Arbeit ber ©lodengießet barfteKenb, unb 
beSfelbeu ÄünftlerS 22 Iprtfche ©ompofitionen (6 in ftupferftich, 16 in 
©olafchnitt) pnb S^nftrationen im beffen Sinne beS SBorteS, b. h- mirl* 
liehe, auS bollftem ©rfaffen ihres ©egenftanbeS hrrborgegangene unb bon 
feinem tünftlerifchen ©eifte burchbrungene ©rläuterungen beSfelben. Die 
ornamentalen Umrahmungen biefer 26 §olafchnitte, bie ©nbbignetten unb 
baS Ditelblatt, fotoie bie 10 ©lebaiüonS melche, gegenüber ben Biesen« 
©lapet’fchen „©ußbilbern^, bie au lepteren gehörigen ©erfe umfließen 
unb bie ©eaiehung ber eingeaeichneten gtguren aum ©ergmerismefen, 
ber ©eminnung beS ©letaKS iüuftriren — finb ein erneuter SemeiS bafür, 
baß ihr Schöpfet ©ubolf Seip auf bem ©ebiete ber ornamentalen £unft 
SU ben berufensten, au ben phantafieboüften ©leiftern gehört Die tedj« 
nifche Ausführung beS ÄupferftichS unb ^oisfdjnittS ift boü Delicateffe, 
liebeb oü ben Äbfichten ber Zünftler nadjgebenb unb beutlid^ befunbenb, 
toelch großen Auffcpmung biefe beiben Steige ber berbielfättigenben 
Äunft in Deutfchlanb genommen hoöen. Der Drud ift bon ber be« 
mährten Dfficin ber ©ebrüber Fröner in Stuttgart mit aller Sorgfalt 
auSgeführt. b. 

* * * 

Schillers SBilhclm Dell, illufirirt bon griebrtch Scpmörer. 
©roß*&uart=gormat. 102 S. ©utbält 10 photographische Btcptbrucfc 
bon S- Obernetter unb ^olsfdjnttte auSgeführt in SBtlhelm ©ecptS 
yplographtfcper Auftalt. ©tüuepen 1879, Dpeobor StröferS Sn 
$ia^tbanb JC 30. 

Diefe illuftrirte Prachtausgabe bon ScpiUerS „DeH"' bitbet gemiffer* 
maßen ein Penbant au ber bou berfelben ©eriagSbuchpanblung beton« 
ftalteten feftlicpen Ausgabe ber „©lode'', ©ietet sttar bal hier au iHu« 
ffrirenbe Drama ber freien ppantafie beS ©talexS mdpt jene gülle ber 

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Nr. 47. 


329 


® i e Gegenwart. 


in feiner Meinen Haubfcßrift, häufig in frageuber gorm, war 
gewöhnlich AfleS, was er fid) geftattete. — „Sollte bieS nic^t 
etwas ju lang fein?" — „3ft bieS nicht oießeießt etwas hart?" 
— „Glauben Sie?" — ,,3cß würbe bieS nicht mit fo abfoluter 
©eftimmtßeit fagen." — Solche unb ähnliche ©emerhntgen, nid)t 
feiten nur ein grage: ober AuSrufungSjeicßen, fanben feine 2Jtit= 
arbeiter auf ben ©orrecturbogen, unb in ben meiften gäflen 
traten fte wof)l, ©latfwoobS ftritit ju berüdfießtigen, benn fein 
©efdjmad war bon feiten irrenber Sicherheit. — SSo ifjnt etwas 
befonberS gefiel, ba notirte er „good“ an ben 9?anb beS ©or= 
recturbogenS, unb feßr häufig — wenn er mit Jüngern 3Rit= 
arbeitern ju tßun f)atte faft immer — fc^rieb er bem Autor 
über bie oon ißm eingefanbte Arbeit einen ausführlichen ©rief, 
©efolgte man feine Statßfdjläge nicht, fo infiftirte er nicht wei= 
ter unb fdjien ju Detgefjen, baß er Aenberungen Dorgefcßtageu 
hatte; auf DiScuffioncn liefe er fich jeboch nicf)t ein; baju fehlte 
eS ihm an 3eit: „Sie mögen Stecht hoben," hörte ich iljn einem 
Autor fagen, ber bei einer Don ©ladwoob gerügten Raffung be¬ 
harren wollte; „aber ich fürchte, baS publicum wirb mir Stecht 
geben." 

(Sine anbere ©igenfeßaft ©ladwoobs, bie Don ben Sefern 
gar nicht, Don ben Scßriftfteßern aber außerorbentlidj, ja Don 
Dielen in aHererfter Sinie gewürbigt wirb, war bie, baß ber 
Stebacteur beS ,, Magazine“ jeben Artitel, ben er aufnahm, gnt 
honorirte; unb baß er für Arbeiten, bie bebeutenben ©tfolg ju 
haben Derfpracheit, unaufgeforbert h°h e Summen jaßtte. — Da: 
gegen liefe er nicht gern mit fid) ßanbeln unb empfanb cS Wie 
eine unberbiente Äränfung, wenn ein Schriftfteßer bei Ablicfe: 
rung beS SJtonufcriptS über bie $onorarfrage mit ihm biScuti= 
ren Wollte. — (Sr war fehr reich, f tan b an ber Spiße beS 
Kaufes „SBifliam ©ladwoob & Sons", einer ber bebeutenbften 
©erlagöbuchßanbtungen Don (Snglanb, unb befanb fich bemnadj 
in ber Sage, für jebe literarifche Arbeit, bie er ßerau3gab fo 
Diel ju johlen, Wie fie Werth war. @r ging Don bem ©runb: 
fa|e ans, baß er bie beften ©efcßäfte machte, wenn feine SJtit= 
arbeiter gut bei ihm berbienteit, unb er hatte unter biefen ganj aß: 
gemein ben Stuf beS „anftänbigften" aßet ©erleger. — Sin goß, 
ber mir befannt geworben ift, mag als 3ßuftration feiner Dow 
nehmen ©eßanbtungStoeife aller ©elbfragen bienen. 

X>ie „Battle of Dorking“ würbe juerft in „Blackwood's 
Magazine“ beröffentlicßt. 3oßn ©tadwoob erlannte beim Durd): 
lefen beS SJtonufcriptS, baß bie Arbeit Auffeßen machen werbe 
unb jahlte bem bamalS noch wenig gelannten ©erfaffer, (Solonet 
©haltet), ein gutes Honorar — 50 ©f. Sterl. für bie anberthalb 
Sogen, Wenn ich nid^t irre. AIS fich nun aber bie ganje ©reffe mit 
ber „Battle of Dorking“ befcßäftigte, als Seitartifel barüber in 
allen englifchen 3eitungen erfeßienen; als bie Stellung beS libe¬ 
ralen SJtinifterumS — „Blackwood's Magazine“ War eines ber 
Hauptorgane ber Dorßpartei — baburch erfefjüttert Würbe, unb 
bie ©ucßauSgabe beS Meinen Dpus reißenben Abfafc fattb, ba 
überfanbte ©ladwoob bem ©erfaffer als „Abbitional: Honorar" 
bie relatiD foloffale Summe Don 400 ©f. Stert. — Sin ©eorge 
©liot jahlte er für einen ihrer großen Stomane — „Middle- 
march“, wenn mich mein ©ebädjtniß nicht täufeßt — 7500 ©f. 
Stert., atfo über 150,000 SJtarf. — 3<h bemerfc babei, ob: 
gleich bieS für bie meiften Sefer felbftberftänbtich fein wirb, baß 
in biefem ©reis baS Honorar für bie ©ucßauSgabe mit inbe= 
griffen War. 

©ladwoobs Seben war ein einfaches unb Mares, ooQ Sir: 
beit, ohne große Sümpfe. — ©r würbe am 7. December 1818 
in ©binburgh geboren, befugte baS ©hmnafium unb fpäter bie 
Uniberfität feiner Saterftabt, unb Doßenbete feine ©rjießung maß: 
renb eines tängern Aufenthaltes auf bem Kontinent, ben er 
unter ber Auffid)t feines Hauslehrers, eines auSgejeichneten 
©ßilologen, beS Derftorbcneu SBifliam H a h bereifte. — 3m 3<>h re 
1840 übernahm et in fionbon bie Direction ber gitiate beS 
üäterlichen ©ertagSgefcßäfteS, welches feine älteren ©rüber, 
Alejanber unb Stöbert in ©binburgh leiteten. 

3ohn ©tadwoobs ©efcßäftslolal in Sonbon würbe halb 
ein beliebtes StenbejDouS für ßeroorragenbe Scßriftftefler. De: 


I lane, ber Herausgeber beS „Dimes", unb Dhatferaß unter Alt: 

! bem, fanben fich bort häufig ein unb fnüpften mit bem Jungen 
I ©tadwoob freunbfcßaftliche ©ejiehungen an, bie erft bureß ben 
i Dob gelöft worben ßnb. Als Atejanber ©tadwoob im 3aßre 
| 1845 ftarb jog 3oh n ©tadwoob nach ©binburgh unb übernahm 
bie Stebaetion beS „Magazine“. Diefe Arbeit blieb bis ju fei: 
nem SebenSenbe feine Siebtingsbefdjäftigung, wöhtenb et bie 
Seitung beS großartigen ©ertagSgefdjäfteS, beffen ©igenthümer 
er feit bem lobe feiner ©rüber geworben war, feinem Steffen 
SSitliam ©ladwoob überließ, in beffen $änbe nun auch bie Sie: 
baction beS „Magazine“ übergegangen ift. 

3oßn ©ladwoob führte in ©binburgh bie würbebotle, etwas 
fdjwerfäßige, moratifch unb pßßfifcß gefunbe ©jiftenj eines rei: 
chen unb angefehenen „©entleman". ®r bewahrte babei, bis 
junt ©nbe feines SebenS, bie ganje griffe feines ©eifteS. Dies 
änberte fich auc h nicht, als er alt unb fchroad) würbe, unb feine 
förperlichen Seiben Aßen, bie ihm nahe ftanben, ernfte ©eforg: 
niffc einjußößen anfingen. — SBenn feßon reich QK ©rfahrungen, 
unb barunter manch bittere, bewahrte er bis jum Seiten eine 
gleidhfam finbliche Argtofigfeit. Seine $anb war ftetS offen, 
unb er h<ßf ©ebürftigen freubig unb freigebig, ©runf mar 
ihm juwiber, unb ich glaube nicht, baß fein Stame mit großen 
3ahlen auf Siften prange auf benen — in ©ugtanb mehr noch 
als in anberen Sänbern — eine gewiffe fflaffe Don fßhitemthro: 
pen ihren Stuhm auSpofaunen läßt; aber et fdjenMe unb half im 
Weheimen unb ohne Diel ju überlegen, Don bem ©runbfa$e auS: 
gehenb, baß eS beffer fei, f)ie unb ba unb wenn auch häufig 
getäujd)t ju werben, als einem wirMich UnterftüfjungSWürbigen 
Hülfe ju Derfagen. 

Die Jugenblidje griffe feines ©eifteS geigte fich auch * n 
ben 3erftreuungen, bie er fudjte. ©in guter Stornan intereffirte 
ihn ftetS lebhaft, unb er war ein pafftonirter „©olfer". ©olf, 
bieS fchäne, männti^e Spiet, baS eigenthümtichermeife nur in 
Schotttanb unb in Sübfranfreich — bort unter bem Staaten 
„Jeu de Mail“ — populär ift (benn ©rodet ift nichts als eine 
fdjwache fßarobie baDon), — baS ©olfeSpiet hat feinen Hauptßh 
in St. AnbreWS. 3« biefer Stabt ejiftirt „The Royal and Ancient 
Golf Club“, auf beffen Sifte bie erften Stamen Don Schotttanb 
prangen. — ©ladwoob fanb fooiel ©ergnügen an bem bort mit 
ganj befonberem ©ifer cultiüirten Spiele, baß er Straththrum, 
einen großen 8anbfi| in bet Stähe Don St. Anbrems pachtete. — 
Dort hat er mäljrenb ber testen jwanjig 3ah rc feines SebenS 
jeben Sommer berbradjt, bie beften Schriftfteßer ©ngtanbs nnb 
SchottlanbS in feinem gaftfreien Haufe empfangen, unermüblich 
fleißig gearbeitet, unb in feinen SJtußeftunben regelmäßig „©olf" 
gefpielt. @r Wat ju fehwächlidj, uni ein IJerOorragenber Spieler 
fein ju fönnen, aber feine Stulje unb Sicherheit hatten ihm einen 
guten Stamen unter feinen ©lubgenoffen gemacht, unb er erinnerte 
fich gern baran, baß er in feinen Jüngeren 3 a h ren „Captain“ 
beS „Royal and Ancient Golf-Club“ gewefen War, ein ©hren= 
amt, baS Dor uttb nach ihm manch ebter „Laird“ beMeibet hat. 
— 3ch forberte ihn eines SJtorgenS, als i^ in Straththrum 
fein ©aft war, auf, eine fßartie ©olf mit mir ju fpielen. Da 
lächelte ber alte SJtann wie ein Quintaner, bem ein ©erfudjer 
ben ©orfdjtag macht, bie Sdhule ju „fd)toänjen" unb antwortete: 
„Stein, baS barf ich nicht; ich muß erft meine Arbeit fertig 
machen; benn fehen Sie, wenn ich einmal bei ber Partie bin, 
bann fomme ich gar nicht nad) Haufe, ehe ich nicht hungrig 
werbe; unb bas hat noch einige Stunben 3eit, ba ich foeben 
erft gefrühftiidt habe." 

©tadwoob War fed)Sjtg 3ahre alt, als er noch fa jung 
fein fonnte. ©alb barauf fing er an ju Mänteln. Seine grau 
unb Dochter reiften mit ihm nach bem Süben, in ber Hoffnung, 
ein milbeS fitima werbe ihn wieber herfteflen. Aber er erholte 
fich nicht ganj; feine ffräfte nahmen im Saufe beS lefcten Sont: 
merS in bebenMidjer SBeife ab; feit Anfang Dctober mußte er 
baS 3immer unb batb barauf baS ©ett hüten, unb am 29. ent= 
f^lief er rußig im Greife ber Seinen, bie ißn wäßrenb feiner 
langen ÄranMjeit mit unermüblicher Siebe unb Sorgfalt gepflegt 
hatten, ©r hatte müßrenb ber testen ©Jochen feines SebenS 

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330 


Ute Gegenwart. 


Nr. 47. 


große Seiben ju ertragen; aber am Jage feines PerftßeibenS 
toar fein Suftanb ein frßmergenSfreier, unb mit fanfter #anb 
führte ber Job ben guten ÜJtann non bannen, ber fein ganges 
Sieben lang Sebermann, mit bem er in Perbinbung geftanben 
ßatte, ftitt, freunblicß unb moßtmoßenb entgegengetreten mar. 

Hubolpß £tnbau. 


tßcobor sott ßeroßarbis Uenntfdjte Sdjriftat.*) 

©eit ben lagen ber Stufßebung ber rufpftßen Seibeigen- 
fcßaft unb beS gteidßjeitigen GrWatßenS ber 3)toSfau;PeterSburger 
Prefie ift bie Slufmerlfamleit JeutfcßlanbS ben Suftänben Stuß» 
lanbs nie fo lebßaft gugeroenbet gemefen, mie im gegenmärtigen 
Slugenblid. Stießt nur baß bie revolutionären Sudungen, toeltße 
baS große 9tei<ß beS europäiftßen DftenS bemegen, ju ben ntetl* 
miirbigften Seitßen bet Seit geßören — gegen unfern SBunfcß 
unb gegen unfere Grwartung mflffen mir uns geroößnen, in bem 
©taate, ber mäßrenb ber Srifen oon 1866 unb 1870 unfet 
Perbünbeter gemefen unb bem mir im ©ommet beS nötigen 
SaßreS einen mießtigen Jienft ermiefen ju ßaben glaubten, — 
einen Wnftigen Gegner gu feßen. 2BaS man niete 3aßre lang 
bei uns nießt maßr ßaben wollte, läßt fitß ßeute taum meßr be= 
ftreiten: baß biejenige ruffiftße Partei in ber öffentlitßen SDteinung 
unferer öftlitßen Statßbarn bie tiefften unb fräftigften SEBurgeln 
ßatte, meitße bie beutftßen Grfolge non 1866 mit peinlitßer 
Uebetrafcßung, unfere großen ©iege non 1870 mit unnerßoßlener 
geinbfeligfeit aufitaßm unb bei fitß barbietenber Gelegenheit 
fißon not 3»ßr unb Jag gu nerfteßen gab, ber Peftanb eines 
geeinigten, mätßtigen, in entfißeibenben fragen eigne SBege 
geßenben beutftßen SteicßS fei mit bem ruffifeßen Sntereffe un* 
Vereinbar, feit Slufricßtung eines mitteleuropäiftßen GroßftaatS viel: 
meßr granfreiiß ber natürlicße Perbünbete Stußlanbs. — 3n 
ben Petersburger StegierungSfreifen mar bie Sbee einer tuffifch- 
frangöfiftßen Slßiang aüerbingS meniger beliebt, als bei einem 
Jßeil ber Slriftofratie; bie längere Generation tonnte unb rnoflte 
nitßt nergeffen, baß alle feit ßunbert faßten in gtanfreitß aufs 
gerichteten ^Regierungen meßr ober minber polenfreunblitß gemefen 
feien — bie älteren |>ofleute unb Generale gefielen ficß in bem 
Gebanten, baß bas große Gemitßt, meltßeS man in Perlin auf 
bie ruffiftße PunbeSgenoflenftßaft legte, bem Suren menigftenS 
einen Jßeil ber Protectorroße gufitßere, bie fein Pater gur eignen 
Grbauung ber mäßrenb ber beutftßen SleactionSgeit in Preußen 
ßerrftßenb gemefenen Partei fo erfolgreich 0 cff>tett ßatte. Slutß natß; 
bem beS gürften Gortfißatom im grüßjaßr 1875 angefteßter Perfutß, 
fitß als europäiftßen griebenSftifter gu geberben, einen SüuSgang 
genommen ßatte, ber mit biefen Sfluponen aufräumte unb alle 
Pctßeiligten barüber beleßrte, baß bie Seiten beS im Stonember 
1850 gu SBarftßau möglitß gemefenen Stuftritts auf Stimmer; 
mieberteßr vorüber feien, — autß natß bem Stoiftßenfaß vom 
grüßjaßr 1875 ßielt bie SOtatßt ber alten Jrabition notß für 
eine SBeite nor. — Jaß non biefen Jrabitionen ßeute nur notß 
tümmerlicße Stefte übrig pnb, ift nitßt unfere ©tßulb. SBeber 
ßat es an uns gelegen, baß bie Grfolge beS rufpftßen gelbgugS 
non 1877 ßinter benfenigen unferer Champagne non 1870 gurüd* 
blieben, noeß tann uns eine SDtitftßutb baran aufgebürbet merben, 
baß bie Urßcber beS PertrageS non ©an ©tefano fitß in ben SSaßne 
wiegten, Guropa werbe in ©atßen beS Orient abbanten unb 
auf jebc Petßeiligung an ben Gefcßiden ber Patlanßalbinfel für 
alle S e 't Pergitßt leiften. J)aß auf biefen Jraum ein pein* 
litßeS Grmacßen folgte unb baß Stußlanb nor bie Sllternatioe 
gefteßt mürbe, fttß entmeber einer gefammtseuropäiftßen Siegelung 
ber orientalifeßen Jiinge gu untermerfen ober in einen Stieg gu 
fteuern, bem eS webet militäriftß notß moraliftß gematßfen mar, 
— bas ßaben biejenigen gu verantworten, bie bie griebensnetßanb* 
lungen vom gebruar 1878 mit einem tßöritßten Geßeimniß um* 
gaben unb ißre an ben Vertrag non ©an ©tefano gefnüpften Stecß* 

*) 2 Sänbe, Seiltn 1879, ©. Steimer. 


nungen im eigenttitßften Sinne beS SBortS oßne SBirtß matßten. 
SBaS irgenb gefeßeßen lonnte, um ben SWißgriff non ©an ©tefano 
mieber auSgugleicßen unb Stußlanb baSjenige SRaß non Stefultaten 
gu ptßern, auf meitße eS burtß feine triegerifeßen Seiftungen Sin; 
fptutß erworben, ift non beutfeßer ©eite getßan worben. Jie 
golbene Prüde, meitße gum Gongreß füßrte, ift ber $auptfacße 
natß vom dürften PiSmard gebaut Worben unb mäßrenb ber 
2 )auer biefeS GongteffeS gab bie Haltung fernes präpbenten 
Woßl geleg entließ Jürfen unb Pritten, aber niemals Stuffen ju 
Peftßmerben Peranlaffung. Sie beutftße Politif mar in aßen 
entfißeibenben fragen an ber ©eite berfenigen ruffifeßen Pertreter 
ju ßnben, melcße bie Sage ber Jinge nü^tern beurtßeilten unb 
fuß mit bem Grreitßbaren jufrieben gaben: baß ein Jßeil ber 
Stipulationen non ©an ©tefano geopfert merben rnüffe, ftanb 
für urtßeilsfäßige Stuffen vor bem Sufammentritt ber Perliner 
Perfammlung feft, beren Ginberufung ja nur notßmenbig ge; 
worben mar, weil Deftreicß unb bie SBeftmäcßte bie Gutßeißung 
beS türtifcß; ruffifeßen ©eparatfriebenS ein für aße SJtal ner; 
weigert ßatten. 

Jotß baS nur beiläufig! gn Jeutftßlanb beßeßt leine 
Perftßiebenßeit ber SOteinungen barüber, baß bie Jrübung ber 
beutfeßsrufpfeßen Pejießungen oßne jebeS beutftßeS Sutßun ein; 
getreten ift unb baß baS jur Seit befteßenbe peinlitße Perßältniß 
im SSefentlicßen baS SBerl non tuffiftßen Staatsmännern ift, 
meitße ißt Perfcßulben auf frembe ©tßuitern ju mäljen nerfueßen. 
— SBir muffen bie Sluflünbigung ber ruffiftßen greunbftßaft, 
meitße ber Sanjler SllejanberS II. unb beffen publiciftifeße Ge; 
folgftßaft jum Gegenftanb enbloS auSgefponnener fournaliftif^er 
SluSeinanberfeßungen gematßt ßaben, — als menigftenS jur Seit 
unabänberlitße Jßatfa^e ßinneßmen unb uns auf biefelbe ein* 
rießten. Jiefe „Ginritßtung" wirb fuß, — wie bereits im Gingang 
ermäßnt, — nomeßmlitß in erßößter Slufmerlfamleit für SlßeS mani; 
feftiren, maS im Snnern Stußlanbs geftßießt unb was ju Stuß; 
ianb in Pejießung fteßt. Jabei wirb bie Senntniß beSfenigen 
Stußlanb, meines bie SJtutter beS ßeuttgen SuftanbeS mar, ebenfo 
mitßtig fein, mie baS ©tubium biefeS SuftanbeS felbft. ©cßon 
aus biefem Grunbe ift bas Putß, beffen Jitel über biefe Plätter 
gefeßrieben ift, mißtommen ju ßeißen: rüßrt baSfelbe botß aus 
ber gebet eines ber grünbliißften Senner neueret rufflftßer Ge* 
ftßiißte ßet unb ift biefer Senner botß jugteieß einer ber ßemor* 
ragenbften SRilitärftßriftfteßer, meitße mir beftßen 1 

Jet er ft e, 471 ©eiten ftarte Panb beS Perßarbi’ftßen Pu^S 
feßt fidß aus fieben Slbßanblungen jufammen, bie fämmtlitß 
SRaterien ber neueren ruffifeßen Geftßicßte gemibmet pnb. Jrei 
biefer Slbßanblungen (ber SBeltumfegler Srufenftern — bet gelb* 
jug non 1812 — bie neuere Siteratur ber PefreiungSlriege 1812 
bis 1814) ßaben eS mit ber StegierungSjeit ÜllejanberS L ju 
tßun, jrnei (SriegSbilber aus ben Seiten SatßarinaS II. — baS 
Gnbe beS SaiferS Paul) geßören bem Seitalter beS rufpftßen 
ancien regime an; ben ©cßluß biefeS PanbeS hüben bie Stuf* 
fäße über ben Suftanb ber ruffiftßen tlrmee bei SluSbrucß beS 
SrimfriegeS (1854) unb über bie Slufßebung bet Seibeigenftßaft 
(1859). — Sefer, meitße PernßarbiS $auptmert, bie breibänbige 
„Geftßitßte Stußlanbs" tennen, wirb eS teine Ueberraftßung fein, 
baß ber Perfaffer in feinen ber älteren rufpftßen Geftßicßte ge= 
mibmeten Stuffäßen abermals jaßlreitße, bie trabitioneßen J)at* 
fteßungen beri^tigenbe neue Sluffcßlüpe bringt, unb baß er in ben 
©tanb gefeßt ift, babei aus Duetten ju ftßöpfen, bie ber jünftigen 
GeftßitßtSftßreibung bisßer nerfeßlopen waren. Jie ben Sufjeitß; 
nungen ber Generale Sari unb Gottßarb nonSnorring entnommenen 
„SriegSbilber aus ben Seiten SatßarinaS n." pnb in biefer 
Stüdfitßt befonberS bernerlenSmertß unb in meßrfatßer $inptßt non 
außergemößnlitßem Sntereffe: als Peiträge gut Gßaralteripil ber 
ruffiftßen SDtititärjuftänbe beS 18. SoßeßunbertS, bie jufotge ber 
Sluff^lüffe, meitße über bie bamalige Sufammenfeßung ber Slrmee 
unb über baS Perßältniß ber maßten PefeßlSßaber gu ben 
nomineßen Dbercommanbeuren gegeben merben, in wefentlicß ner* 
änbertem Sidßte erftßeinen — als Gommentarien gu beren not 


ßunbert 3 teß*en verfolgte rufpftße Drientpolitil unb beren (be* 
reits bamals auf bie SBegnaßme Sonftantinopels geritßtete) Sielt, 


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Nr. 47. 




335 


Anregung, wie folcfte oon bem unterblieben ©ebicht auSgeht, fo enthält 
cS bod^ eine gange Aeilje ergreifenbet MotiOe, welche ben $iftorien= 
malet gur ©eranfdjaulichung berfeiben burch feine Kunjt faft gwingen. 
Scftwörer bat eS Oerftanben, biefen Motioen ihren ganzen Inhalt abgu* 
gewinnen unb in feinen glluftrationen fid), gleich Siegen=Mafter unb 
Seift, auf bie #öhe eines fünftlerifd^en gnterpreten ber Xid&tung gu er* 
heben. Memi ber ©inbrud ber „©lode" ein eblerer ijt, fo bürfte bieS 
in birectem Sufammenhange mit ben für bie Aeprobuction ber Seich* 
nungen gewählten Kunflformen fielen; eS ift eben bie Xiffereug gwifchen 
Kupferftich unb ©hotograpljie, Welche gu ©unften beS anberen ©rächt* 
Werts fteft geltenb macht, dennoch ift biefe ungemein elegant auSge* 
jtattete Ausgabe einer unferer ebenen Aationalbichtungen oon freunb* 
lichjter Mirfung unb eine bantenSWerthe ©ereicheruug beS beften XheileS 
ber fogenannten „geftliteratur". 


* * 

SJtrS. SK. ©raffeft, eine ©egelfahrt an ©orb ber ?)acbt 
„Sunbeam'' in elf Monaten ausgeführt, grei überfeftt nad) 
ber achten Auflage beS englifchen Originals bon A. fcetmS. gr. 8. 
VIII unb 432 ©., mit 9 Xonbilbern, 104 Xejtifluftrationen mtb 
etner Karte ber Aeiferoute. Autorifirte Ausgabe. Seipgig 1879, 
gerbtnanb ®irt & ©oi)n. ©rachtbanb JC 15. 

2)iefe ©chilberungen aus ber gebet ber ©attin beS Weltbetannten 
englifchen ©ifenbahnbauunternehmerS unb Millionärs XhomaS ©raffeft, 
gehören gu ben unterhaltenbften unb beftgefchriebenen ©ücher, bie un§ 
auf bem Gebiete ber nicht wiffenfcftafttichen Aeifebefdjreibung unter* 
getommen fmb. ©in üebenSwürbiger, freier Sug weht burch baS ©weh; 
man hat feine greube an bem fieberen, furcbtlofen Auftreten einer geift* 
reichen unb frönen grau, unter ©erhältniffen, benen gegenüber bie 
Majorität ber grauen, felbft ebenfo geiftig unb gefellfchaftlich beoorgugter, 
ftch Wahrfcfteinlicb Weniger bewähren würbe. Xagu baS frifeft gugreifenbe, 
unoergagte unb bennoeh nirgenbS bie ©rengen ebler Meibtichfeit nach bem 
©ebiete beS blue-stocking-thumS überfdfjreitenbe Urtheil über empfangene 
©inbrüde unb enblid) — wohl einer ber merfwürbigften Söge an einem 
berartigen Merle — bie in ber XarfteHung überall anfltngenbe Särtlid)* 
feit für ihre an ©orb befinblicften Kinber (beten jüngfteS etwa hier 
gahre alt fein mag!), alles Xinge, welche bem ©udfje ben Stempel beS 
Originellen aufprägen unb eS abfeüS oon ben ungähligen Aeifebücijern 
(teilen, mit benen, inSbefonbere englifche Xanten, bie Siteratur weniger 
bereichern als Oermehren. — XaS ©ueft hat in ©nglanb binnen gahreS* 
frijt acht Auflagen erlebt, gu einer Seit als bie epochemachenben Aeife* 
werfe üon ©ameron, ©chweinfurth, Stanleft, AareS, baS Merf über bie 
,,©haflengers©jpebition" eben erfdfjienen ober noch in Silier ©ebächtniß 
waren, nach ©aron $übnerS geiftreichem „©pagiergang um bie Mclt". 
©in folch ungewöhnlicher ©rfolg eines nicht mit ben üblichen SenfationS* 
mittelu arbeitenben literarifchen ©robucteS, muß auch auf ungewöhn* 
liehen fdjriftfiellertfchen unb anberen ©orauSfeftungen beruhen. Meldjer 
Statur biefe jinb, mag aus bem ©orangehenben gefcftloffen werben, Xie 
©eranjtaltung einer beufchen Ausgabe war ein glüdlicfter ©ebante ber 
©etlagSbuchhanblung, beffen Ausführung fie berufenen $änben anüertraut 
hat. Mir, bie wir an bem englifchen Original uns erfreut haben, hatten 
freilich «ne Miebergabe in unoeränberter ©eftalt ber oorliegenben, hier 
unb bort gefürgten, unb frei beftqnbelten, üorgegogen. gnbeffen mögen 
Aücffichten auf ben Umfang unb ben babureft bebingten höheren ©reis 
hier befttmmeub gewirft haben, unb fo fei baS ©udfj auch in feinem 
beutfehen, glängenben ©ewanbe willtommen; „es ift ein ©udj für bie 
gamilie, befonberS für bie grauen, bereu ©ebanfengang unb gntereffen 
ja ^onft bei ben Aeifebefthreibungen oon ben Herren Autoren wenig 
genug berüdfichtigt werben/' 


Ju Sabeilo ©oetftefeßfifyrift (Ao. 46 ber „©egenwart"). 

Aachträglich werbe ich barauf aufmerffam gemacht, baß baS fog. 
©oethe’fdje Sonett an ©ettina (am 11. ganuar 1811): „©langOoHfteS 
aller hohen ©nabengeieften" nicht baS ©eringfte mit ©othe gu th«n hat. 
©S Hegt nur in AiemerS fd&önfier ©anbfehrift Oor unb ift fdfjon 1819, 
alfo Oor 60 gahren, in AiemerS ©ebichtfammlung Galanten unb ©lütter 
oon ©ilüio Aornano", Seipgig 1819, ©. 161) gebrudt. Xarauf hatte 
fefton 0. Soeper in ber ^empel’fchen ©oetheauSgabe (V, 229) hingewiefen, 
bereu ©orrector #etr Dr. ©abell ift. Sefttere Xhatfache feftt frei* 
lieh feiner ©eröffentltchung bie Krone auf. £ubwig ©eiger. 




* 


* 


gn bem ©eitrage beS $errn greiherrn oon Ompteba „Xrei 
©tammbuchblätter^ (Ao. 4ß ber „©egenwart' 1 ) werben bie citirten 
©oethe’fcften ©erfe irrthümlicherweife als noch nicht oeröffentlicht be* 
geicljnet. XaS ©ebicht ift inbejfen fchon mehrfach gebrudt, unb gwar im 
„©haoS" II, Ar. 7, ©. 28 , 1831, in ©hamtffoS „Mufen=Altnanach a. b. 
g. 1838", in „©oetheS Aachgelaffenen SBerfen" 1833, unb auch fpäter. 
©ie Angerebete war eine ber burch Schönheit unb SiebenSwürbigfcil 
auSgegeichneten Xöchter ber ©b. II, ©. 448 ber ®empel’fchen©oethes 
Ausgabe genannten grau oon Spiegel, nadh ©ehfe „flein, aber pifant 
unb UebenSwürbig". Xie fchönere, Melanie, würbe nach Xemfelben an 
ben württembergifchen ^ofmarfchall oon Sedenborff oerheirathet. Xie 
©ntfernung ber Aebaction oom Xrudorte machte eine fofortige ©erichti* 
gung beS in leftter ©tunbe ertannten grrthumS nicht mehr möglich- 

X. Aeb. 


Offene Briefe unb jjUttworfen. 


Söohllöblidhe Aebaction! 

Xurdh einen Safaü habe idh foeben erft in Ar. 35 ben feljr an* 
regenben unb beadhtenSwerthen Auffaft oon Dr. gr. Küchenmeifter „oon 
©hafefpeare, bem Xhiertenner" gclefen. 

gn einem ©untte ift ber ©erf. babei ber auSgegeichneten Ueber 
feftung beS ©hafefpeare oon Schlegel nicht gang gerecht geworben. SBenn 
biefer Rummel ftatt Xrohne feftt, fo ift bieS fein naturgefchichtlicher 
grrthum, fonbern nur älterer Sprachgebrauch, bem g. ©. auch noch 
Aüdert gehulbigt hat. gdh erlaube mir, h ier f* r auf mein „SBörter* 
budh" II 801 c gu Oerweifen unb bie bort gegebenen ©elege hi^^ 5” 
wieberholen: 

XieXrohnen, fonftXhränen unb fummeln genannt oon „Xröhnen" 
unb „Summen", wiewohl fummeln auch bie rauhaarigen ©ieneu 
heifeen, bie in fletnen ©efeUfchaften fidh S c ^ en auS ©flangenfäferdhcu 
gufammenleimen. ©oj ©irgilS@eorg.260; ©tadhelloS umhergufchwärmeu 
Wie bie fummeln. Aüdert, Aoftem unb ©uhrat 98 a; ©S fei unbillig, 
bafj bie fummeln, bie feine Arbeit thun, beS ^ontgS genieften. 
Sinfräf, Apophtegm. 1, 294. 

Altfirelift, 3. Aooember 1879. Dan. Sanbers. 

* 

* * 

©t. ©eterSburg, im October 1879. 

Sehr geehrter §err Aebacteur! 

gn einer ©efcKfcftaft würbe biefer Xage hier baS ©ebenfen geändert, 
ob eS möglich wäre, folgenben Spruch in beutfeher Ueberfeftung wieber* 
gugeben: 

Eximium decus hoc, fecit te scaodere Regni, 

Lascie Ioannes, laus tua non tua fraus. 

©S ift ein SpottoerS beS befannten polnifchen XidhterS unb ©ifd)of3 
Krgftdi auf feinen ©rgbifchof unb ©rimaS beS AeicheS, ben berühmten 
gohanneS a SaSco aus bem gahre 1627. ©ie ©eifjel beS ©erfeS tritt 
gu Xage, wenn ber Spruch SBort für Mort Oon hinten nach oornen 
gelefen wirb. 

Kein ©latt bürfte Wohl ein geeigneterer Sprechfaul fein als ghre 
„©egenwart", bie ©itte unb Anfrage gu fteHen, ob eS wohl einem 
Xeutfchen gelingt, in unferer Mutterfprache aud) biefe fchetnbar unüber* 
winblidhe ©cftwierigleit gu befiegen unb ben Spruch, OorwärtS unb rüd* 
wärtS in Oerftänblid^em Sinne lesbar wiebergugeben? Mürben Sie wohl 
bie große ©üte haben, in bem gragefaffen ghreS fo Weit Oerbreiteten 
©latteS bie Anfrage aufgunehmen? 

^ochacfttungSOoll 

Dalton. 


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336 


9 i t ®egenmart. 


Nr. 47. 


9 «• 

Der neue Catalog der 

Collection Litolff 

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(8u beziehen burdj afle »udjljanbittngen.) 

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ftfommeltt ItjütjIuBgm 

»on 

^Sagbafcne ffiotefett. 

Srei na^ bem 9tortt)e gifcf) ett 

»on 

Walter Äetnmar. 

Dritter »anb : 

Der Stnbent. — Stilen. 

4 JL 50 elegant gebunben 5 JL 
grüfjer erfdjieu: 

(Srfter »aub: 

Dorf gef djidjten and Norwegen. 

4 JL 60 elegant gebunben 6 JL 

gweiter »anb: 

3nga, Hie Sonne be$ Siljet(jal0. 

8. 4 JL 60 elegant gebunben 5 JL 
3rtrr 6anb wirb einzeln verkanft unb ifl audj 
unter Ärparattitel ju haben. 

»agbalene Dljorefen ift bie erfte lebeube 
Dichterin bed ftanbinavifdjen korbend. 3n ihren 
erjählungen ift bie großartige SRatur Norwegens 
unb ber Sbarafter bed norwegifdjen »olte3 jo 
getreu gezeichnet, baß fidj benjelben nickte ®el)n= 
lidjed an bie Seite fteüen läßt, felbft nicht bie 
berühmten »auemnovelten »jörnftierne 9yörn= 
fon’d. Sftagbalene Dhorejen’d (Erzählungen gaben 
ben großen »orjug, baß fie von bem fauche 
einer tiefen, innigen »oefie bejeelt unb burd)= 
geiftigt unb ohne jebe 21u8nabme füllt* rein 
unb erhebenb finb. Diefe »eifiertoene ber 
^rjählungdfnnfl fällten in feiner gomtlie fehlen. 

gm »erläge von griebrith Änbread Jßertße* 
in »otßa erjdjien foeben unb ift burch alle 
»uchhanblungen zu beziehen: 

4)ff Ifstnidj 

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* ✓ t 


SSrrfin, ben 29 . fettem Ber 1879 . 



Baud XVL 


pc (*cgcmunrt. 

Sßochenfchrift für fiitcratur, ^hmft unb öffentliches ßeöett. 


Herausgeber: 'gfauC ^ittbait in Berlin. 


Idtl Sraiiak «fett eilt Iran«. «erleget: 9m$ Stille in »erten. 

3u btftiefeen bur$ alle ©ucfjHanblungen unb $oftanfialten. 


fJtris ftt ®»nttal 4 Stark 50 Jlf. 

3nfcrate jeber Ärt pro SgefpaTtene $rtitjeiU 40 <Bf. 


Malt : 


©in Dppofitionöfüljrer in ©nglanb. $on karl ©linb. I—III. — ßitcratnr unb (tauft: Suan Sklera. ®on SBilljelm ßaujer 
— ©ottfrieb 6entpcr als S3egrünber ber funftgetnerblidjen Reform. 2$on Bruno Budget, (6cpluf$.) — Äu$ Der $anptftabt: $rama= 
tifdje Staffüljrungcn. $er §erjog oon SJtailanb. Xrauerfpiel in 6 mieten bon Sßljilipp SJiafftnger. S)eutfcf) bon SBolf ©rafen Baubiffin. 
Süt bie Bii^ne bearbeitet bon Slrtfjur S)eep. ©efprodjeit bon Bowl ßinbau. — Bie 53. ÄuSftellung ber königlichen Äfabemie ber 
künfte ju Berlin. Bon XI*. & VI. (©djlufc.) — Statiken. — Qnferate. 


(Ein töppofttionsführer itt dn$lanb. 

®on Karl Blittb. 

I. 

Heute, too bie Parteien in ©nglanb fiep fepon jum Stampf 
für ben nädjften 2 Bahlfelbjug gürten, forbert bie fßerfönlid)feit 
©labftoneS, bie für bie Haltung ber liberalen Bartei in ben 
großen orientatifc^en unb afiatifdjen fragen non fo tiefer, 
oieQeicbt fcpidfalsooller Bebeutung geworben ift, jur näheren 
'-Betrachtung auf. 

Än allgemeinen ©eifteSgaben, an unermüblicher Jbätigteit, 
wie an Berebtfamfeit, nerntag bie Sorppartei bem früheren 
Premier feinen ihm ebenbürtigen 3Kann gegenüber ju fteHen. 
Ob er fich aber ben SSlicf für bie Sßettlage frei gelaffen, ob 
er in ber ©rfaffung ber Beweggrünbe unb bet 3i ß l e b eg 
mäd)tigften unb gefäljrtichften ®eSpotenthumS, welches gleidj» 
jettig ©uropa unb Slfien bebroht, ftaatSmännifche Befähigung 
gejeigt hat: baS barf man billig bejweifeln. @S fpridpt ju 
©labftoneS ©pre, baff er in feiner langen potitifepen Saufbahn, 
bie nun halb ein halbes Sahrpunbert gebauert haben wirb, 
in üielen ®ingen fiep oon ber unfreien jur freien Slnfcpauung 
erhob, ©inft felbft ©onferoatioer, ftieg er allmählich jur 
liberalen güprerfcpaft empor, ©hemals ©djupjöHner im Sinne 
beS oom theuem Brob beS BolfeS fein ©infommen jiepenben 
©riinberabels, wanbte et fich & em greipanbel ju, ber auch 
beute noch, wenigftenS burch bie billigeren SebenSmittel, bie 
Botp ber Blaffen Unbert. früher ber unbebingte Berfechter 
beS ©taatSfirchentpumS in ©nglanb unb ©djottlanb, wie auch 
auf ber feinblichen ©chwefterinfel, griff er plö|licp bie irifche 
Beform in hoppeltet 2Beife, in bet ftitdjenftage, wie in ber 
Sanbfrage, auf. 

28er inbeffen in biefer ©ntwicfelung ©labftoneS einen 
ftets flat burcpfcplagenben greif inn erbliden wollte, ginge 
bebeutenb fehl. 3n feinem breiunbjwanjigften 3apr (1832) 
als ®orp ins Unterhaus gewählt, loderte er erft faft jroanjig 
3 apre nachher feine Betbinbung mit ber conferoatioen Bartei 
in ber SBeife, baff er 1852 in baS aus einer Barteimifcpung 
peroorgegangene Blinifterium ütberbeen eintreten fonnte. Bocp 
1858 fonnte ber Berfaffer ber „Bolitifcpen Bruftbilber" fchreiben: 

©8 gibt im Bariament einen Blamt, ben perabjufefcen H ett 
®ifraeli fich forgfältig gehütet hat; unb baS ift §vcv ©lab» 
ftoue. ®ieS ift um fo beaeptensmertper, ba ©labftone 
jum Siebenbuhler beS Herrn $ifraeli beftimmt ju fein fc^eint... 
Seute auherpalb biefeS KreifeS nehmen in ber ®pat feinen 
Hnftanb, ju behaupten: Herr S)ifraeli bilbe allein bie «Schwierig» 


feit gegen ben SBBiebereintritt beS Herrn ©labftone in bie con» 
feroatioe Bartei, währenb Herr ®ifraeli oieUeicht bie Unficher» 
heit ber Stellung feiner Bartei fühlt, fo lange Herr ©labftone 
fich üon Ihr fernhält." 

@o fdjrieb bamals ein Siberalet über ben ledigen @ 5 » 
Premier. Siod) 1859 naljm ©labftone unter bem ÜJiinifteriunt 
®erbp eine befonbere ©enbung nach ben Sonifdjen ©ilanben 
an. ©eine eigentliche Belehrung ftammt aus ben Sagen, wo 
©aribalbi in Sonbon oon ben BolfSmaffen im Sriumph 
gefeiert warb, ber hohe ®bel aber — mit bem Herzog oon 
©utherlanb an ber ©pi|e, in beffen SBohnung ber Befreier 
ber beiben ©icilien abftieg — fich oach Kräften bemühte, 
burdh Umringung beS „gührerS ber Saufenb" bie bemofratifche 
Strömung abjubämmen, bie theils burcf) bie italienifchen @r= 
eigniffe, tljeil 8 burch bie gewaltigen fiämpfe ber amerifanifchen 
Bepublif in ©nglanb entftanben war. 

©he ©aribalbi nach ©nglanb fam, hatte er in Italien 
in öffentlicher Bebe ben Sprannen granfreichs als einen @e= 
waltijerrfcher unb Schürfen (un’ birbante) gebranbmarft. Sit 
ben Suilerien fannte baher bie 2Buth über ©aribalbis ©mpfaug 
in Sonbon unb über feinen beabfidjtigten 3 U 9 burch bie Haupt» 
ftäbte ©nglanbs feine ©renjen. ®ro|enbe ÜWahnungen gelang» 

| ten hleh er - B°lmerfton, 00 m ©taatsftreich h er m it Subwig 
j Bapoleon, fogar über ben Stopf ber Äönigin hin, in engfter 
Berbinbung ftelfenb, fuchte ©aribalbi jum Berlaffen beS eng» 
Ufdjen BobenS ju bewegen. @r wählte baju als SBittelSmann 
feinen ©djwiegerfoljn Sorb ©hafteSburp. ®iefer ging mit 
©labftone, ber burch feine Briefe über BoerioS ©djidfal Sheil» 
napme für Stalien gejeigt hatte unb ber italienifchen Sprache 
mächtig war, ju bem gefeierten Bollshelben, um ihm auf rebne» 
rifchem Umwege bie ©ntfernung aus ©nglanb ju empfehlen. 

3ch hatte ©aribalbi gleich nach feiner Sanbung in ©out» 
hampton, oon wo aus er fich auf ben Sanbfip beS Barlaments» 
mitgliebes ©eelp nach ber 3nfel SBight begab, auf feinen 
2Bunfd| juerft bort befucht. Hi er in Sonbon theilte er mir, 
bei feinem Befuch in meinem Haufe, ben Borfall mit ©hafteS» 
burp unb ©labftone mit; eS mar bieS bie erfte $unbe, bie 
baoon in weitere Streife brang. ©roh war bie BolfSentrüftung, 
als man oernahm, bah ber italienifche Kämpfer, theils aus 
Unmuth, theils aus bem 28unfche, nicht ju Berwidelungen 
Slnlah ju geben, plöfclich oon ©nglanb fojufagen „franjöfifchen 
?lbfchieb" genommen, ©ine Slbotbnung oon BolfSoereinen 
fprac| bei bem mit einem ÜJiale äuherft unpopulär geworbenen 
liberalen ©chafjfanjler oor, um ihn jur Bebe ju fteQen. ®a 
gefchah eS, ba| ©labftone bie Biänner, bie bamals mit ber 
Bilbung einer „Beformliga" für Herftellung beS allgemeinen 

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338 


0 i e (Segenwart. 


Nr. 48. 


Stimmrechte» beschäftigt waren, unb bie jur Aborbnung ge* 
hörten, burd) bie betannte Antwort zufrieden ftellte, bie ben 
Arbeiterftanb als „gleifcß »an unferem gleifd), Sein oon 
unferem Sein" anerfannte. Allgemeine ©erwunberung ent* 
ftanb. So hotte ©labftone noch wie gefprocßen! $)ie Sache 
mit ©aribaldt würbe oergeffen; oon ba an betrachtete man 
ben rebegewanbten ©linifter als ber SßahlrecßtSreform gewonnen; 
nnb man fah über feinen fchweren gehltritt hinweg. 

©inen noch Schwereren gehltritt beging ©labftone übrigens 
im UttionSlriege. ©leichwie Sßalmerfton unb Suff eil ftanb 
er auf ber Seite ber Sllaoenßalter unb freute fitfj, baß 
„Sefferfon ®aoi8, ber ein §eer unb eine glotte gefdjaffen, eine 
Pation ju gründen im ©egriff ftehe." ®iefe Haltung eines 
liberalen gührerS war um fo bebauerlicßer, ba ©labftoneS 
eigener ©ater, als ©efißer weftinbifcßer ©üter, ehemals Sliaoen* 
befißer war, unb ber Sohn ben ©ater mehr als einmal, inner* 
unb außerhalb beS Parlamentes, wegen ber gegen ihn erhobenen 
Angriffe, als behanbele er bie Schwarzen mit ©raufamleit, in 
Schuh nahm. 2DaS war in ben alten ßeiten, wo ©labftone 
noch unbeleßrt unter ben SCorieS weilte. Statt nun biefe 
©ergangenßeit gut ju machen, wanbte er fich in fo Späten 
Satiren ju ber „alten Siebe" jum Sflaoenhalterthum jurücf! 

fpätte es lediglich oon ©almerfton unb ihm abgehangen, 
fo wäre bet ©mpörerbunb, ber ausgesprochener ©laßen „ein 
fchwarjeS Peicß auf bem ©runbftein ber Sflaoerei errichten" 
wollte, nicht bloS — WaS fchon fchlimm genug war — als 
friegfü^renbe ©lacßt anerfannt worben. ®iefe Srrtßümer 
©labftoneS unb ber Anberen haben ©nglanb mehrere ©lilliouen 
Pfunb Sterling gefoftet, auferlegt als ©uße für bie Oöller* 
rechtswibrige Art, mit ber man bem Seeräuberthum ber „Ala* 
bama" unb ber übrigen in ©nglanb auSgerüfteten greibeuter 
bur«h bie ginger gefehen hatte. 

SEßar es ferner richtig, baß ©labftone, als er fich jur 
Abfchaffung bet proteftantifchen StaatSlirche in Stlanb 
entfcßloß, biefelbe plo^lich, jum ©rgößen ber Sämlinge, als 
einen „UpaSbaum" bejeichnete, ber „abgehauen werben muh"?*) 
So fchlimm bie ©erljältniffe in Srlanb waren unb in ®ng* 
lanb unb SEBaleS, was bie StaatSlirche anlangt, noch finb: 
ber eigentliche ©iftbaum fteht boch z u Pom. ©lan hat in 
früheren Satiren ©labftone oft ber oerftedten latßolifirenben 
Neigung, einer gewiffen fpöttifcß fo genannten „Ojforbojie", 
bezichtigt. Sichet ift, baß et innerhalb ber proteftantifchen 
StaatSlirche, bie fich fetbft als „bie latßolitcße Sird>e oon 
©nglanb" bezeichnet, ber ritualiftifcßen Stiftung angehört, welche 
eine römetnbe Partei barftetlt unb auch ber rechtgläubigen 
orientalifchen Äircße mit ihrem bilberreichen prunt nahe fteht. 

Auf bie Abschaffung ber StaatSlirche in Srlanb folgte 
unter ©labftoneS ©erwaltung ber ©erfucfj, bie römifche ©eift* 
licßleit bnrch eine irifche §odjf cßulbill p beliebigen, 
damals Sprach man Oon Sarbinal ©lannittg, bem Sugenb* 
freunbe beS Premiers, als ber Ppmphe ©geria, welche Patß* 
fcßläge in ber Sache ertheile. ®ie latßolifdje ©terifei war 
inbeffen getrennter ©leinuttg; unb oom ©atican her judte 
plößlid) ein ©Uh gegen bie ©ill als gegen einen nicht ge* 
nügenben ©orfcßlag. Plan nimmt an, baff ©labftone, wenn 
ber £>o<hf<hutentwurf bie römifche $tird)e befriebigt hätte, bereit 
war, auch baS irifcße ©ollSfcßulwefen zum Pachtheil ber 
bort feit 1845 befteßenben, oon Parlamentswegen eingeführten 
Pationat*, b. ß. Simultan*Spulen umjumobeln. Statt beS 
erforberlicßen ©ulturfampfS gegen bie römifche Schlange nährte 
er fie am ©ufen beS PeidjS. Snbeffen lam fein ©linifterium 
barüber ju galt; Weber bie ftarren proteftanten, noch bie maßt* 
haft Aufgellärten unb greibenfer wollten bem UltramontamS* 
muS in bie $änbe gearbeitet fehen. ©on ba an ftammt bie 
Püdwenbung ©ngtanbs jum SCorpthum. 

©Ut ber ihm eigenen ßaft hatte ©labftone faum biefen 
Sturz erlitten unb für bie liberale Sache eine oerhängnifjootle 
Pieberlage ßerbeigefüßrt, als er auch Sofort bie glugfcßrift 

*) ©ietjt ©iftbaum b«8 2)tinifter8 SKapbac^. 


gegen bie „©aticanifchen ©efchlüffe" oeröffentlichte, um fidfj 
einigermaßen wieber mit ber SanbeSmeinung jurecßt ju fejjen. 
©S war jeboch ju fpät. Sn jener glugfchrift trat er ber mehr 
neumobifchen Unfehlbarleit des PapfteS als eines oon bot 
höheren SBürbenträgern ber Kirche unabhängigen Atteinßerr* 
fcßerS entgegen, unb wies bie Serberblicßfeit ber oaticanifcßen 
Sehre für bte bürgerliche greiheit nach- @r belannte zugleich, 
baß ohne ßweifet bie liberale Partei, mit ber — wie er fidj 
bejeicßnenb auSbrüdte — „man ihn gewöhnlich zufamntenftelle", 
burth bie Oon ihm befolgte Potitit in ber ©leinung beS SanbeS 
großen Schaben erlitten habe. 

3m Uebrigen jeigte es fich halb genug, troß biefer unb 
ähnlicher nachfolgender ©rofcßüren, baß ©labftone, fobalb es 
fich um bie ©infcßränlung beS ztoar nicht oaticaniftifchen, woßt 
aber römelnben Treibens ber Pitualiftenpartei (ber fogenannteu 
„^ocßfirche") ßanbelte-, mit geuereifer fetbft gegen biefen ge* 
ringen Serfucf) eines ©ulturlampfeS im Parlament loSzog. 

2) ie geiftUche Aber ift in ber £ßat in bem „liberalen" Staats* 
manne fo ftarf, baß man mit Pecßt fagen iann: er ftehe faft 
wie eine mittelalterliche ©rfdjeinung, wie ein ©ertreter mönchi* 
fcßer ©elehrfamleit innerhalb bet potitifchen SEBelt. Pur feine 
gewiß große ginanzlenntniß, welche biejenige beS jeßigen Pre* 
mierS unb früheren SchaßlanzterS weit überragt, rettet ißn 
baoor, über ber ©otteSgeleljrfamleit bie Politil aus ben Augen 
ZU oertieren. Aber auch h^ter bem h £ ftigften politifcßen @e= 
bahren ©labftoneS ftedt oft ber 2h eo ^°8 oerborgen. So neuer* 
bingS in ber orientalifchen grage, wo ißn fein djriftlichet ©ifer 
bazu oerführte, bem mahommebanifchen Xürlen fogar bie ©igen* 
fdjaft als SPenfcß abzufprecßen, baS burcß taufenb blutige ©rau* 
famleiten befledte papft*3arenthum aber als einen AuSbunb 
ber „Humanität" unb beS „greifinnS" ans $erz zu brüden. 

II. 

©in trefflicher ginanzmann, ift ©labftone auch «u guter 
Senner be§ Haffifchen Altertt)umS, ober wenigftenS §omerS. 

3) och wirb Seber, ber fidß oiefen Stubien naöß grünblicher 
beutfdjer SBeife gewibmet hat, in feinen Arbeiten ben ©langet 
an oergteichenb.er gorfcßung füßlen. 33aS über £omer hinaus* 
liegt, ift ©labftone meift frernb. 

S)ie oerglei^enbe PeligionSwiffenfdhaft auf bem ©ebiete 
ber h c ®tentfd^en unb anberer ©ötterlehren unb ^elbenfagen 
beunruhigte ißn ootlenbS. ®r weicht ißt auS; ober ift er zur 
©eßanblung beS ©egenftanbeS gezwungen, fo macht er fo er* 
ßeiternbe ©erfudje, wie. ben erft neulich wieber im „Pineteentß 
©enturp" geleisteten, in ber oebifcßen, zoroaftrifäßen unb grie* 
äßifchen Ueberlieferung bie oon ber ©orfeßung abfitßtlich hinein* 
gelegte ©erlünbigung beS lommenben ©leffiaS Mt wittern. 
SBit Anberen fteßen ba einfach betroffen über fotdje geiftlicße 
Sunftftüde, bie baS waßre ©erßättniß umzuleßren ficß beftreben. 

^amit bieS Urtßeit nicßt etwa zu ßart erfcßeine, fei bter 
auf eine, foeben in „graferS ©lagazine" oeröffentlichte Ab* 
banblung („§err ©labftone als Scßriftftetler") ßingewiefen. 
t)iefe ßeitfcßrift fteßt gegenwärtig unter ber Seitung beS be* 
lannten fcßottifchen ©eifttidßen Dr. luflocß, ber in ber orien* 
talif^en grage zur Dppofition ßält. Alle ©eweggrünbe ju 
einer günftigen Auffaffung ber literarifchen Ißätigleit beS 
liberalen güßmS finb fomit oereinigt. Unter ber Auffcßrift: 
„Sine Aeßrenlefe aus oergangenen Saßren, 1843—79" ßat 
©labftone ein ftebenbänbigeS, oon feinen oerfcßiebenen größeren 
unb lleineren Arbeiten angefülltes SBert zufaromengefieöt, baS 
bem ©eurtßeiler in „grafet" als ©runblage bient. 

Pun denn, audß biefer Äritiler, ber fetbft bem Stanbe 
ber fogen. ©otteSgefeßrten angeßört, lann ficß nicht enthalten, 
barauf ßinzuweifen, baß „auch'die ©egenftänbe, bie in biefen 
©änben oon ber Peligion am SBeiteften abliegen, ganz Oon 
retigiöfen Auffaffungen burcßfättigt finb unb burd) mancherlei 
SBurzeln auf ben hierarcßifcß=lirc^ltcßert ©oben zurüdmeifen, 
ber in ©labftoneS Seift fo bid unb tief liegt". Sa, „in z«t* 
genöfifcßer SUeratur ift er meßr ein tßeotogifdher, als ein 
politifcßer Schriftftetler — anbernfaUS hätten Wir uns nicßt 

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Nr. 48. 


JDte ©egenwart. 


B39 


bie oorliegenbe Stufgabe geftetlt; aber bejweifeln barf man, 
fetbft wenn er ben weitesten glug nimmt, ob er niept bie 
SHrcpentette pinter fiep per fcßleppt, bie um aü feine geiftigen 
Strebungen in jenen Satiren gewunben war, wo er burd) 
©rörterungen, Wie biejenige über ben 'Staat in feinem 9Ser- 
pältniffe jur Äirdpe’, bem öffentlichen ©eift ju §ülfe ju 
fommen glaubte". 

Der Seurtpeiler — wie man fiept, fetbft ^^eotog — 
gehört einer etwas aufgetlärteren ^Richtung an, als biejenige 
©labftoneS ift. SBir hören in „graf er" weiter, bah, WaS 
auch ©labftoneS Scpwanhutgen ober ©ntwidelungen in Staats- 
bingett gewefen fein mögen, „ein unbeweglicher §intergrunb 
fireßtießer SWeinung überall in feinen Schriften bureßbrießt". 
SBie er in ben breißiger ober oierjiger Sapten barüber 
feprieb, fo fchreibt er heute noch- »®ie ftcßtbare Äircße, bie 
ewige SBraut ©prifti, auSgeftattet mit ben ©aben, bie er mit 
feinem 83lut unb feinen fahren erfaufte" — baS ift fo un= 
geföf)t ber Stit ©labftoneS. gür ben beutfehen Befer wirb 
biefe Heine probe »ötiig genügen. 

SRacautap »erftanb oon ben feßolaftifepen iUrcpenfragen 
für ©labftoneS ©efeßmad oiel ju wenig; unb biefet hielt bem 
wpiggiftifeßen ©efeßießtfeßreiber einen fo bebenflidjen 3Jtanget 
an flemttniß gebüprenb oor. dagegen hat ©labftone fetbft, 
jufolge ber angeführten ßeitfeprift, „bie bunfetften S3egriff§- 
befiimmungen ber eßrifttießen Beßre, bie UnterfcßeibungSpunfte 
jmifeßen StuguftinianiSmuS unb pelagianiSmuS, ©aloiniSmuS 
unb StrminianiSmuS, jwifchen ber ©otteSgeleßrfamteit beS 
fecßjeßnten unb beS fiebenjepnten gaßrßunberts, ber angtifa= 
uifeßen unb ber preSbpterianifcßen Safcungen, ber eoangelifeßen 
unb ber Ojforber Schute, alte an ben gingerfpißen. ÜJtan barf 
jweifetn, ob bie Äircße an ihm nicht einen großen Schotaftifer 
oertoren hat, was immer ber Staat burd) ihn gewonnen ober 
oerloren haben mag. Ueberatt haben bie fircßlidpen Sehren 
ihren Stempel auf tßn jurüdgetaffen, unb ihr gebieterifcher 
Ion fdßlägt in ber unerwarteten SEBeife inmitten lebenSbe= 
fchreibenbet StuSeinanberfeßungen ober fetbft in bem entjüden= 
ben gluß bießterifeper Darfteuung peroor." 

SBir wollen eS einem ©otteSgeleßrten fchon glauben; eS 
war auch ftctS unfere SReinung. „Sn einer geit ber tiefften 
©rregmtg auf bem ©ebiete ber SReligion hat ©labftone nicht 
btoS an ber Religion, fonbern offenbar an jebern Sota unb 
lütteichen anglitanifcher IRecßtgläubigfeit feftgeßalten" — tagt 
ber funbige Peurtßeiier in „grafer". Unb er fügt hiuju: „Sein 
©eift bleibt in ben großen bogmatifchen gor mein fteden, uu= 
berührt nicht bloS burep ben fritifcß jerftörenben, fonbern auch 
burep ben gefdßicßtSforfcßenben ©eift ber $eit. Das ©priftentßum 
ift für ihn, wie für feine ganje Scßute, nur baS ©priftentßum 
ber ©laubenSbefenntuiffe beS üierten unb fünften SaßrßunbertS. 
@8 ift mit bem ÜRicenifcßen, ober felbft mit bem Sltpanafifcpen 
Dogma unb mit einem Äirdjenregiment, einer geiftlicpen ßueßt 
unb einem ©otteSbienft oertettet, bie, Wie er glaubt, aus bem 
apoftotifepen geitalter auf unfere läge gefommen ftnb. Die 
Religion ift für ipn wenig, wenn fie niept 'eingepüHt ift in 
baS woplgefügte Panjerwerf eines bogmatifepen unb lircplicpen 
SpftemS’." 

SBeiter: „Drop großer gorfeßungSgabe unb ber gdpigleit, 
gefcpicptlicpe ©injelßeiten in gut gefeßaarte SRaffen jufammen 
ju ftellen, pat er in bie gefcpicptlicpe SRetßobe ober in bie 
wapre ©eburt unb baS SBacßStßum großer ©ebanfen unb ©in= 
rieptungen feinen tieferen ©inblicf. Dies ift ein entfepiebener, 
in Dielen feiner Slbpanblungen peroortretenber SRanget; oßne 
Siejugnaßme auf biefen SRangel fönnen wir Weber feine geiftige 
SJerfaffuttg, noep oieKeicßt feine ftaatSmünnifcpe Sinnesart oer= 
fiepen. 2Repr als irgenb etwas SlnbereS, ift bieS bie Duelle 
feiner einfeitigen religiöfen Speculation — oielleicpt auep feiner 
einfeitigen, mandpmal fiep überftürjenben Steigungen im öffent= 
ließen Beben." 

Ueber bie Sdpreibart pat ber Dpeologe in „grafer" wenig 
©ünftigeS ju fagen. Sin SBucßt feplt eS ©labftoneS Stit 
niept. Seicpte 33emeglicßfeit ift aber faunt oorßanben; launig 


treffenbe Semerfungen fepten ganj. Mnftlerifcße ©eftattungS-' 
gäbe befipt ©labftone im geringft möglidjen ©rabe. @r weiß 
fiep niept ju befdpränfen, unb fein Sapgefüge ift meift un= 
gefeßidt. Der erfte ©inbruef, ben man oon feiner Darftellung 
empfängt, ift ein ermübenber; nur aHmöplicp wirb man oon ber 
bapinter befinblidpen SBiHenSftärfe beS SßerfafferS ju erpöpter 
Slufmerffamfeit gereijt unb fdpließticp burep ipn gefeffelt. So 
ber ©eurtpeiler in ber genannten .Beitfcßrift. 

Sn ber Dpat ift ©labftone weitaus beffer als fRebner, 
benn als Sdpriftfteller. ®r wäre ein nodp befferer fRebner, 
oerftünbe er es, feinen SBortfluß ju mäßigen, einfachere Slu8= 
briiefe ftatt ber fedpsfüßigen tateinifdpen ju gebrauchen, bem 
|>örer burep gelegentliche fürjere Säße etwas fRupe ju geben, 
ober ipn ab unb ju burep fraftooUe 3 u fammenbrängung ber 
SJemeiSgrünbe ju gefpannterer Slufmerffamfeit ju weden. Sn 
früperen Sapren warf man ipm oft oor: er DaHepranbifire 
gern. Slucp jept püHt er feinen ©ebanfen nodp gern in einen 
SBortnebel ein, bem er einen unbeftimmt glänjenben $ometen= 
fdpweif anpängt. 

Sdp pabe ipn inbeffen einmal auf ber 93lad §eatp, bei 
SBootwicp, oor einer Sßolfsoerfantmlung unter freiem §immel, 
oor feinen SBaplern in ganj anbrer Strt fpredpen pören. Seine 
Stellung in bem SBaplbejirf war bereits tief erfepüttert. 6on= 
feroatioe, uttramontane Srlänber, unb eine ipm wenig gün- 
ftige rabicale ©ruppe, jufammen mit unjufriebenen entlaffe- 
nen Slrbeitern ber fRegierungSwerfftatten, bilbeten eine brei= 
ober oierfadpe ©egnerf^aft. Stuf ber gejimnterten, gebedteu 
§otjbube ftepenb, bie als fRebnerbüpne biente, pörten wir: eS 
fei ^Befürchtung oorpanben, baß biefer Scpupbau ptöplicp er= 
ftürmt werben würbe. SluS ber SDlenge tauepte wöprenb ber 
«Rebe ©labftoneS mehrmals ein auf ben Scpultern ber Um= 
ftepenben erhobenes ©rauelpaupt empor, baS bie Sofung jum 
Unfug ju geben fepien. SRit acptungSwertper Dapferfeit be= 
gegnete ber fepon pod)bejaprte Staatsmann furj unb entfcploffen 
allen Unterbrechungen. SlBeS, was er fpradj, mar feft, fnapp, 
oolfSntäßig, unb mit trefflieper Slbwecpfeluitg turjer unb län= 
gerer Säpe. Der Drang ber Umftänbe jwang ipn baju; bie 
SBirfung war eine auSgejeicpnete. Sdp fann bieS mit um fo 
größerer Unparteilicpfeit bejeugen, ba icp feine Slnfidjten in 
ber orientalifcpen grage niept im ©ntfernteften tpeilte. 

m. 

SBer ©labftone in geleprter ©efellfcpaft — wie jum 93ei- 
fpiel bei ber Slnwefenpeit Dr. SdpliemannS in Bonbon — über 
homerifepe gragen pat fpredpen pören, ber wirb ben ©inbrud 
feiner ebenfo fenntnißooBen unb anregenben, wie milb unb 
warm oorgetragenen Slusfüprungen niept leitpt oergeffen. 
Seine Stimme ift aueß peute noep, im ©reifenatter, eine 
wopltönenbe. SSormalS war fie burdp ipren mufifalifdpen Slang 
befannt. Die tiefen unb ftarfen Döne — in ©nglanb weit 
fettener, als bei uns — finb ipm allerbingS niept eigen; aber 
llar, beutlid) unb burepbringenb ftrömt feine Siebe ftetS bapin. 

SDian pat gefagt: wie ©arrid jwifeßen baS Irauerfpiel 
unb baS Buftfpiel geftellt worben, fo fei ©labftone eigentlich 
nur benfbar jwifdpen ber ©eftalt beS grieeßifepen Sängers 
einer= unb ber beS $errn SprecperS im Unterpaufe anberer= 
feits. Dies finb in ber Dpat feine jwei Slngelpunfte, jwiftpeit 
benen er fiep pauptfäcplicp pin unb per bewegt. Slüein wie 
fepon bemerft: bie ©otteSgeleprfamleit*) fcpwebt immer über 
ipm, ob er in ben Dempel ber §eUenentpumS ober burep baS 
Sreujbogentpor beS Parlaments eintritt. 93i8 in bie 3Rt)ftif, 
ja bis unter bie SRpfti! ift er gelegentlich perabgefunfeit. @t 
pat eS niept oerfepmäpt, einen ber fonberbarften Sdpwärmer, 
ber bie orientalifepe grage aus ber Offenbarung Sopannis 


*) liegen feine Stnjeicpen oor, baß SSiHiam ©roart ®tab(ione 
irgenbtoie mit bem germanifeßen Mltcrtljam befannt ift. ®er IjufaH Ijat 
ißm inbeffen einen faft propßetifcßen Sornamen gegeben; bei einigen 
Stämmen unfeter Sorfapren pieß ber ißriefter ober ©cfepeSioäcpter 
„©Wart". 

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840 


51 i r Gegenwart. 


Nr. 48. 


löfeit wollte, Briefltd) ju erwibern: eine fold)e ©etrachtnng 
fei ber Aufmerffamfeit wertl). Unb biefer ©rief ©labftoneS 
ift längere Qeit tjinburcf), bei ber ©uchhänbleranjeige beS 
broHigen SßerfeS jenes offenbarungSfunbigen ©ofaunenengels, 
in ben ©lättern Sag um Sog erjcf)ienen! 

©labftone f)at fogar bie ©eifterflopferei, Sijdjrücferei u. f. w. 
in einem öffentticfjen ©rief als ©rfcfjeinungen bejeic^net, bie 
eine Uuterfudjung wohl oerbienten, unb bie man nic^t fo 
furjweg oon ber £>anb weifen folle. Seiber bleibe iljm — 
bemerfte er babei — nicht bie nötige ßeit, fiel) bamit jit be* 
fcf)äftigen. (Solche Senfoerfaffung ift an einem gührer ber 
freifinnigen ©artet oon l)öd)ft peinlicher ©ebeutung. @S gibt 
jwar, wenn id) nidjt irre, auch brüben in Seutfdßanb gäße, 
wo ficO ein Staatsmann beim Voßmonb bie §aare nid)t 
fc^neiben läßt unb ben Freitag als einen UnglücfStag für bie 
SReife anfteht; allein bann ift man eben aud) nid)t ein ^Jüfjrer 
ber liberalen ©artei, fonbern jietjt gegen fie oom Seber, fetbft 
wenn man es in ©emeinfdjaft mit ben lebernften Vertretern 
ber fReaction in Staat unb ftirdje tfjun mufj. ©labftone aber 
foß ja bem gortfehritt ooranleudjten. Sa ift baS 3trlid)teliren, 
baS im Sumpfe ber trübften ÜRebelgebitbe uml)erwifd)t, boef) 
äufjerft bebenflief). 

©iS jum Sage feines Austrittes aus bem Amt tjat ©lab-- 
ftone ben ©ertrag oon 1856 gegenüber IRufjlanb aufred)t er* 
halten, aud) bie ©eftimmung über bie Unabt)iingigfeit unb ben 
©ebietsbeftanb ber Sürfei nochmals feierlid) beträftigen laffen, 
als in golge beS Krieges oon 1870 fRufjlanb fid) herausnahm, 
ben auf bie SReutralifirung beS Scfjwarjen fIReereS bezüglichen 
Sfjeil ju jerteifjen. 3Rit igorberuttgen für fReform trat ©lab* 
ftone währenb feiner Amtsführung nicht heran. Sie eittge* 
iaufenen gefanbtfcfjaftlichen ober confularifcben SRelbttugen, bie 
ihn baju hätten oeranlaffen tonnen, lieh er einfach unberüd* 
fidjtigt. Um aber bem SRadjfolger im Amt, ber hoch im ©runbe 
nur bie oon ben liberalen Vorgängern aufrecht erhaltene ©olitif 
befolgte, ein Sein ju fteßen, warf fid) ber ©jcpteinier plöhlid) 
mit tljeologifchem glammenetfer in bie tiirfenfeinbli^e unb 
ruffenfreunbliche ©ewegung. 

Um oößig gerecht ju fein, glaube ich barauf hinweifen ju 
foflen, bah ©lab'ftone jwar ben firimfrieg mit beförberte, aber 
in golge ber aus ber SBiener Sonferenj fich ergebenben fragen 
bamals auS bem Amte fchieb. ®S lieft fich h eute wie eine 
merfwürbige Voranbeutung, wenn ber fdjon erwähnte Verfaffer 
ber ,,©olitifd)en ©ruftbilber" 1858 fd)rieb: „Ob mit SRedjt ober 
mit Unrecht, es haftete fich an ©labftone ber Schimpf (stigma), 
bah er für einen fd)tnad)Ooßen grtebett fei unb ben Stieg oer* 

borben hätte. Seine le|te Anregung.betrachtete man als 

eine Seftätigung, bah er ein Staatsmann fei, ber bas Vor* 
bringen fRufjlanbS mit ©leichgültigfeit betrachte." 

^ ©S ift heute nicht meine Abficht, aß bie oieloerfchlungenen 
gaben aufjubeefen, bie innerhalb ber ruffenfreunblidjen Öppo* 
fitionSbewegung in ©nglanb hin unb her fpielten. fRur barauf 
fei hingewiefen, bah — wie fogar 2orb öartington erft 
fiirjlich in fRewcaftle befamtte — bie liberale ©artet als foldje 
in ber orientalifd)en grage feineSwegS eine geeinigte gnmt 
barbietet, oielmehr gemähigt Siberale fowohl, als auch fRabicale, 
mit ber parlamentarifchen güt)rung ber ©artet oft fjöchft un= 
jufrieben waren. fRur fo ertlärt es fich, bah bei ben groben 
fReid)Sfragen felbft heroorragenbe Rührer, wie gor ft er, manch 5 
mal plöfclich jurüeftraten, unb bah bie minifteriefle ÜRehrljeit 
oft auf 100 bis 120 Stimmen anfdjwoß. SheilS bie Stimm* 
enthaltung einer Anjahl OppofitionSmitglieber, tljeilS ihr Ueber* 
tritt auf bie fRegierungSfeite führte bieS ©rgebnifj herbei. 

3n aßen gröberen Stäbten fam es julefct bahin, bah 
feine öffentliche Verfammlung bet fRuffenfrennbe mehr abge* 
halten werben fonnte, ohne gefprengt ju werben, ©labftone 
fetbft oermochte öffentlich nicht mehr aufjutreten, obwohl wieber* 
holt eine Anregung bafitr gemacht worben war. ÜRur baS 
wohl bewachte Unterhaus blieb ihm noch- ©tnntal erfchien er 
auch, ohne oorljerige Anfünbigung, in einer Siffenterfirdje 
SonbonS, wo bie greunbe beS „©wigen griebenS" üerfammelt 


Waren, unb wo er, auf ben SBunfd) weniger, ins ©ehehnnifj 
gezogener greunbe unoerntutljet butch eine §intertl)flt als 
„deus ex machina“ emporftieg. 

Sorb Hortington hot fi<h öfters bemüht, bie ©artei, ber 
. er als erwählter güljrer oorfteht, oon ben äuherften Abwegen 
in ben groben orientalifchen unb afiatifd)en fragen jurücfju* 
halten. Smmer oon feuern hat bagegen ©labftone Wieber 
auf bie falfche gährte gebrängt, ©älte nun feine Sofung bei 
ben fommenben SBahlen, fo würbe entweber ber Sieg ber 
Sorppartei ben weiteren inneren gortfdjritt auf mehrere 3al)re 
hinaus ftauen, ober es würbe ein Sieg ber Oppofition baS 
Sanb in feiner SSeltfteflung tief fchäbigen unb fRufjlanbS ge¬ 
meingefährliche ©läne förbern. SaS ift bie fd)i(ffatSoofle 
©ebeutung ber irrigen Rührung, bie ber ©Epremier, nachbem 
er hoch angeblich auf bie Dberhauptfdjaft ber ©artei oerjühtet 
hatte, auf Umwegen ftets wieber an fich Anjeid)en fehlen 
inbeffen nicht, ba§ fich felbft in bem Sljeile ber Oppofition, 
ber ihm bisher beharrlich folgte, eine Schwenfung ooßjieljt. 
3e fchneßer unb je grünblicher fie ooßjogen wirb, um fo beffer 
für baS Sanb unb für bie AuSfid)ten ber liberalen ©artei. 


oSUeratur unb JUtufl. 


3ufl» Valero. 

Ser ^elb ber betiebteften Voüetfe oon 3uan Vatera „©epita 
3imenej" fchreibt, als er aus bem Seminar in feine Heimat 
jurüeftehrt: „9BaS mich h*er am meiften anjieht, ift bie Sanb- 
fchaft. Sie ©ärten namentlich finb entjüdenb. SBelch liebliche 
©fabe wtnben fich burdj biefetben! Auf einer, manchmal auf 
beiben Seiten betfelben läuft trpftaÜtlareS SEBaffer mit fanftem 
fIRurmeln. Ser fRanb ber Säche ift mit buftigen firäutern unb 
taufenbfältigen ©lumen bebeeft. 3 m fRu fann man hier einen 
grofjen Veitdjenftraufj pftücfeu. Sie ©fabe ftnb befchattet Oon 
üppigen, rieftgen fRufebäumen, geigen* unb anbem Väumen; 
SRaulbeerbäume, fRofenbüfche, ©ranatbäume, 3 iegenblatt bilben 
allenthalben lebenbtge 3äune. Auf gluren unb fflegen erfchaßt 
taufenbftimmiger ©efang oon Vögeln. Siefe ©ärten finb meitte 
hödjfte Suft unb ich gehe täglich einige Stunben hier fpajieren." 

SaS ©ilb biefer reijenben Sanbf^aft ift auch öer hinter* 
grunb faft aller übrigen IRooeßen 3- ValeraS. ®S ift baS 
©ilb feines eigenen Heimatortes, ßabra in ber ©roOinj ©örboba, 
Wo er am 18. Dctober 1824 baS Sicht ber SBelt erb tiefte, als 
ber Sohn beS ©ontreabmirals 3of6 Valero unb ber SRarquefa 
be la ©aniega, Sofia SoloreS Alcaiä ©atiano, einer Verwanbten 
beS berühmten SRebnerS Son Antonio unb Son SionifioS, ber 
ben Helbentob in ber Seefchla^t Oon Srafalgar fanb. 3uan 
Valero war unb blieb mehr baS ftinb ber Umgebung, in ber 
feine erfte Sinbheit üerflofj, als ber gleichftrebenbe IRachfolger 
feiner thatenberüljmten Ahnen. „3ch bin," fdjrieb er unS ein* 
mal, „ein grober greunb ber ©equemlichfeit, unb liebe feht bie 
^erftreuungen unb ^affe fehr baS StiWium unb bie Arbeit;" 
unb „bis oor wenigen 3 aljren War faft meine einjige ©efdjäftigung 
baS Spajierengehen." SBir finben hi er ctlfo ben Helben ber 
©epita 3imenej wieber, unb überhaupt ben SppuS beS ©orbo* 
befen, wie ihn Valero in „La Cordobesa“ mit photographifcher 
Sreue fdjilbert. Ser ©nge beS HauStoefenS unb ber Sang* 
weite fehhafter Arbeit 3 U entgehen, hat ber ©orbobefe ftets ©rünbe 
genug, ©alb gibt er oor, er müffe nach feinen SBeingärten 
unb Olioenpflanjungen fchauen, halb, er müffe in potitifchen 
Angelegenheiten nach ©orboba ober ßRabtib reifen; halb muh 
er jagen sub Jove frigido, tenerae conjugis inmemor, balb in 
3erej SBeinmufter holen, Vieh laufen ober Oetlaufen: lurj, er 
ift nicht um Vorwänbe oerlegen, um bie Hälfte beS 3ahteS bem 
ehelichen Sache fern ju bleiben. SBie feine grau meift ber 
©enelope gleicht, fo finbet er mehr als eine ©irce ober ©alppfo, 
bie ihn ju feffeln weih- Auf bie ©orbobefen paffen noch heute 

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Nr, 48. 


fl) t e ©egenwuri. 


841 


bie SSerfe bet ölten fRomanje: Todos hidalgos de honra, Y 
enamorados de veras. Die jungen pflegen pfttdjtfdfulbigft jebeit 
Abenb Don jetp Uhr on bis nad) SRitternacht ihres £>ofbienfteS 
am genftergitter bet ©etiebten ju walten. Unb ben (Seemännern, 
bie nid)t gerabe auf üerbotenen ©egen Wanbeln, winlt eines 
jener GaftnoS, bon benen auch bie unbebeutenbften Ortfc^aften 
bet tjJroDinj wimmeln, baS conferbatibe Saftno, baS tabicale, 
baS farliftifc^e, foctaliftifc^e ober baS republifanifcbe Gafino. Die 
grömmigfeit ber 9Ränner läßt 3J?anc^eg p wünfdjen übrig; bie 
Soft bringt eine SRenge gefä^vlid>er 3eitungen; beurlaubte Solbaten 
oerbteiten AufflärungSfcbriften aus ber $auptftabt; unb t)ier 
unb ba fudjt ein ©tubent bie auf bet Uniöerfität gewonnene 
Äenntniß ber ^3^Uofof>^ie SraufeS obet $egel£ an ben SRann 
p bringen. 

©ie anbermärtS, fo bertreten auch unter biefem leic^lebigen 
Sölfcben bie grauen baS conferbatibe ©tement. Salera ift fo 
liitjn ju behaupten, nid)! auf bie beutf^e, fonbern auf bie ftauS; 
frau feinet fjeimat habe ©d)illet in ber „©lode" jene Serfe 
gebietet, bie er alfo überfefct: 

Elia en el reino aqudl prudente manda; 

Reprime el hijo y ä. la ninna instrnye; 

Nunca p4ra (rut|t) au mano laboriosa, 

Cuyo ordiuado tino (®efdji<flid)teit) 

En rico aumento del candal (£inbe) refluye. 

Auch im $aufe ber Aermften gtänjt bie fReinlidjfeit. Stimmer 
gibt fie bie Sdjlüffel p Seiler, SorratbSfammern unb ©djränfen 
aus ber |»anb; fie ift unübertroffene SDteifterin im Soeben, 
Saden unb im bereiten bon taufenberlei Sederbiffen. Der 
©uabalquioir liefert ihrer Südfe febmadpafte gifdje, ber ©alb 
mannicbfacbeS ©itbpret, ber ©arten berrlicbeS ©emüfe, Dbft unb 
©ewürje, ber $of ©eflügel aller Art. 3n ben ©ohnräumen 
pflegt fie Slumen unb frembe ißflanjen; im gefd)loffenen innern 
$of erfreut fie fi<b beS Dag unb 9tad)t plätfdjernben Spring; 
brunnenS. 3n bornebmeren Raufern ftebt ber grau ber gra- 
cioso, ber lacayo ber alten Somöbic, pr ©eite, ber fid) nicht 
btoS aufs giften, Soge« unb alle anberen ber Südje förbcr= 
lieben Sünfte berftebt, fonbern auch gelegentlich ein ©eburtS; 
tagSgebicbt, ein Soblieb auf bie $errin ober eine ©atire auf 
ihre Stebenbublerinnen p brecbfeln unb für bie Sinber taufenb 
SWärcben p erfinben weiß. Seine entbehrt ber bertrauten 
Dienerin, Welche fte bei Sefucben, in bie Sitcbe, auf bem ©pajier= 
gange p begleiten bat, ihre Sotfdjaften auSricbtet, unb fie über 
Silles, waS im Drte borgebt, auf bem Saufenben erhält. 

Dies ift bie ©eit, bie heitere ©eit, unter beren Ginbrüden 
bie erfte Sfugenb 3uan SaleraS oerfloß, unb bie ben ©epau; 
plajj feiner meiften Stooetlen bilbet. ©enn bie banbelnben 
Setfonen ber testeten häufig bem geiftlicben ©tanb entnommen 
finb, unb wenn manchmal ©efpräcbe über geiftliche, tEjeologifc^c 
ober pbilofopbifcbe ®inge ben ©ang ber $anblung hemmen, fo 
müffen wir uns gegenwärtig halten, baff Salera feine jweite 
3ugenb, Wie fein ben Sefetn ber „©egenWart" befaitnter ©enoffe 
Alarcon, nnb bie meiften feiner SanbSteute in flöfterlid)er Gr; 
jiebung »erbracht bat. ©ie ben fcbwäbifchen ©cbriftfteöern unter 
uns — nnb man bat ja mit gug Schwaben baß proteftantifebe 
Spanien genannt — tron ber ©rjiebung in ben Slöftern bes 
SanbeS bet fürs ganje Seben ein gewiffeS tbeologifdjeS ©cbmäd; 
lein anpbafteu pflegt unb in ihre Silber oon bem reijenben 
ütecfartbale fiep nnwiüfürlid) bie (Erinnerung an bie beimifchen 
Sfarrlirdjen nnb Sfarrhäufer, baS gutereffe an tbeologifcbcn 
AuSeinanberfehungen mengt, fo ift auch Salera feinen Slofter; 
criitnerungen treu geblieben. Sieüeid)t nur um fo mehr, als 
er nidjt, wie Sllarcon, gegen aöp großen 3toang ober gar gegen 
einen aufgenötfjigten Sernf anpfäntpfen b“tte. Satera fottte 
ficb auf bie SRed>tSwijfenfcbaft borbereiten in bem GoHegium beS 
©acro SRottte p ©ranaba. AuS feinem genfter fab er herab 
auf bie glutben beS Darro, gegenüber auf baS ©eneralife, weit; 
bim über bie parabiefifche Sega unb hinüber p ben filbernen 
gitnen ber ©ierra SReoaba. ©enn an irgenb einem Orte ber 
Seit träumerifeber SRüßiggang erlaubt ift unb ber SRenfcb 


©pajierengeben als ebelften Seruf betrauten barf, fo ift eS hier. 
UebrigenS brachte eS unfer Dichter bo<h pm Doctorbut; unb 
bie biplomatifche Saufbabn, bie er fobanu cinfcblug, pg ihn Don 
feinen natürlichen Steigungen nicht ab. Gr genofj perft jWei 
3abte bint* ur 4 bei ber ©efanbtfcbaft in Seapel bie greunb; 
fchaft beS $erjogS oon fRioaS, beS betannten Dichterbiplomaten, 
unb trat fpäter, nach üerfebiebenen biplomatifcben ©tattonen in 
9tio be 3aneiro, ßiffabon, DreSben, in baS URinifterium bes 
StuSWärtigen ein. Sebenttidher als bie biplomatifche Sieben; 
bef^äftigung würbe für feinen Dichterberuf bie 2Bal)t pm 2tb; 
georbneten im 3abte 1859, bie ihn auf bie Sühne ber fpanifdhen 
Sarteilämpfe führte. 3n ben GorteS felbft lieft er ficb jroar 
nur feiten als SRebner oernebmen, aber als Dritter im Sunbe 
mit ben Dichtern Secquer unb Gortea befämpfte er bie fßolitil 
C’DonneUS in bem Slatte „El Contempor4neo“, baS feinen Unter; 
nebmern abWecbfelnb ©elbftrafen, 3to«iiämpfe, ©bren; unb ©taatS; 
ämter eintrug. Salera mar ber lefcte fpanifebe ©efanbte beim 
feligen beutfehen SunbeStage, beffen Agonie er in ÜlugSburg an; 
wohnte. 

©ir oermutben wohl mit Stecht, baff Salera feinen wieber= 
holten Aufenthalt in Deutfdjtanb mehr bap benuftt, feine Sennt; 
ni§ ber beutfdhen ©pradje unb Siteratur p erweitern, als baS 
Sabprintb ber bamaiigen beutfehen ißolitif p butebbringen. Die 
lebhaften ©bmpathien für Deutfcbtanb bejeugte er fpäter einmal, 
im 3obre 1871, in ben GorteS, inbem er fiegreid) bie Don bem 
Sobrebner ber ißarifer Gommune, Si b 9RargaH gegen Deutfd); 
lanb gefchleuberten Serleumbungen prüdwieS. Salera b°t 
@^adS JtaffifcbeS ©er! über bie ^Boefie unb Sunft ber Araber 
in Spanien in feine ÜRutterjpracbe überfe^t. Auch Derbanfeu 
ihm bie ©panier einige gelungene Uebertragungen Don @c; 
Dichten §eineS, llblanbS unb ©eibelS. Der S r °tog i u ber 
großen fpanifdjen gauft; Ausgabe rührt Don feiner gebet b C1 ' > 
unb eine IReibe Don Auffähen in fpanifchen 3eitfcbriften jeugt 
für bie Siebe unb baS Serftänbnifi, womit er ber geiftigen ©nt; 
widelung DeutfcblanbS folgt. Aud) b at Salera ein 3ah r l fl «g 
in HRabrib an einer Art freier |>ocbfcbute beutfebe Siteratur; 
gefehlte üorgetragen. 

Die ©eptemberreoolution, beren Ausbreitungen er übrigens 
als SRonarchift entgegentrat, führte ihn auf ben potitif<b«n 
fiampfplah prüd. @r würbe mehrmals Abgeorbneter unb ©e= 
nator, Director bes öffentlichen Unterrichts unb unter Amabeo I., 
für beffen Serufung auf ben Db r °n ©panienS auch Er geftimmt 
batte, ©taatSratb- ©eit ber ©ieberberftellung beS bourbonifebett 
DhroneS ift ec SRitglieb beS ©enatS, wo er ber iJBartei ber 
Gonftitutionetlen angehört, webe bie #errfcbaft AlfonfoS XII. 
anerfennen. ©«hon burdj feine SebenSgefchichte, in Welcher ficb 
bie potitifeben ©efchide feines SanbeS lebhaft miberfpiegeln, ift 
Salera wie ©enige p ber ihm neuerbingS übertragenen Auf; 
gäbe berufen, baS große S™<btmerl SafuenteS über bie ©efebiebte 
©panienS Dom Dobe gerbinanbS VH., bei welchem berjelbc 
fteben blieb, bis pr Db r onbefteigung AlfonfoS XII. fortsufübren. 
©in anbereS ©er!, baS er in ©emeinfdjaft mit bem gelehrten 
unb fruchtbaren ©cbriftftetler SRenenbej ^Belatjo unternommen 
bat, ift bie poetifebe Uebetfehung beS AefchpluS. 

Die befcheibene SReinung SaleraS ift jwar, fein literarifeber 
fRuf fei nicht älter als jeb n 3<ib re - Slüein bie fßniglicb fpa; 
nifche Afabemie jäblt ihn febon feit 1862 p ihren SRitgliebem; 
unb wenn er no^ nicht feinen ©i| in ber föniglidjen Afabemie 
ber moralifchen unb Politiken ©iffenfehaften eingenommen b at . 
fo ift hieran, wie er felbft gefleht, nur feine Sequemlidjfeit 
fchulb, bie ihn noch immer nicht feine AufnabmSrebe Derfaffen 
ließ, ©eine Iprifcben ©ebi^te, feine pblreichen literarifeben 
Auffähe, feine pbilofopbifdjen SRärchen: „Der grüne Söget", 
„Parsondes“, „Der präbiftorifche Semobner Don Sermeja" ober 
„Die blauen ©alamanber" bitten ihm ben @i|} beS AlabemiferS 
gefiebert, noch beoor er mit Pepita 3imenej ben Slang eines ber 
erften SRoDelliften beS jeitgenöffifchen Spaniens eroberte. Der 
©rfotg biefer SloDeße erregt Staunen. 3« ber „Revista de 
Espana“ unb bann in bem Dielgetefenen Slatte „Imparcial“ 
oeröffentlidht, erlebte biefetbe bintereinanber fünf Auflagen unb 


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342 


Ute (Segenroart. 


Nr. 48. 


würbe in« granjöfifdje, Stalienifdje, ©ortugiefifdie übertragen, 
©ie öerbinbet ben IReij einer richtigen ®orfgeji)ic^te, bie un« 
mitten in ba« ^eitere fpanifd|e Sanbleben öerfefet, mit einer fein 
burcfjgefüljrten pfqdjotogifchen ©djilberung ber inneren Sümpfe, 
bie ber für ben geiftlichen ©tanb beftimmte &elb, ®on Sui«, 
burdjjuntachen hat, bi« er burdj bie Siebe eine« irbifchen 3beat« 
für bie ©einigen, für bie gamilie, bie Seit wiebergewonnen 
wirb. ®e« dichter« Stbfidit ift nicht, ein 3beal auf Soften be« 
anbern ju ergeben; er behauptet, nur unterhalten, nicht aber fidj 
mehr ober weniger fromm jeigen ju wollen. Slüeiu wenn er 
im erften ber Stooeße bie religiöfe Schwärmerei, bie 

frommen Sebenfen, bie 3weifel feine« gelben nur burch ba« 
Sunftmittet mieber aufgefunbener Briefe be«felben an feinen geift» 
liehen ©orftanb ju fdfilbern weife unb fi<h hierbei, wie er be» 
lennt, an bie fpanifchen SRqftüer be« 16. unb 17. Sahrhunbert« 
anlehnt, bagegen im jweiten Xfjeile, wo bie ®inge jur Entfdjei» 
bung tommen unb ©epita« Siebe für immer über bie lebten 
mpftifchen Slnwanblungen ®on Sui«’ fiegt, frif^Weg an« Eigenem 
erjähtt, fo bebürfen wir feine« weiteren Seichen«, um ju wiffen, 
wo er mit feinet wahren £erjen«meinung fteht. Unb mehr an 
feine fpanifchen, at« feine au«tänbifdjen Sefer mag ©alera bei 
feinet ^Rechtfertigung gebacht höben, bie er fotgenbermafeen ju» 
fammenfafet: „2lm Enbe war ber innere Söeruf oon ®on Sui«, 
wenn bei bemfetben auch bie Eigenliebe, ber ©toi}, bie naioen, 
eljrgeijigen üräurne be« Slofterjögting«, bie mehr in ber Ein« 
bilbung«fraft al« in feftem SEBiöen wurjelnbe ©egeifterung mit« 
fprachen, welche bie berebten ©chriften, bie fdjönen ®h« ot i«o unb 
Sehren unb ber ganje poetifdje ©lang unferer ^Religion in feine 
©eele gegoffen, ein Setuf, ber nicht erfterben tonnte ohne bie 
©ewalt einer grofeen Siebe, unb ohne ba« mächtige ©etnüfjen 
eine« tiebenben Seibe«, mit welchem bewufet ober unbewufet 
®on Sui«’ ©ater, ©epita« ®ienerin SIntoriona unb felbft ber 
treffliche unb fünfte |>err ©farrer fich berfchwören. Ein tlarer 
©eWei« fchliefelich, bafe ber ©etfaffer nicht im Sinne hatte, ben 
©eruf ®on Sui«’ ju tabeln, ift, bafe berfelbe, at« ®on Sui« auf 
ihn berjichtet unb fchon be« öntrieb« entbehrte, ber ihn £>inber* 
niffe ju übetwinben, ©erfuchungen ju befiegen, feinem ©orfa| 
treu ju bleiben lehren tonnte, für ®on Sui« infofern feinen 
SBerth behält, al« er in feine Seele Seime ber ®ugenb legt, bie 
au« ihm einen trefflichen Ehemann unb einen mufterhaften 
gamilienöater machen, wa« immerhin auch etwa« ift." 

Ueber feine jweite gröfeere SRooeße: „Lao ilusiones del 
Doctor Faustino“ fc^rieb un« ©alera einmal gelegentlich: „®iefer 
®octor gauftino ift Oon allen meinen Stooeflen in Spanien am 
wenigften beliebt, unb bod) jiehe ich ihn fo jiemlid) allen anbern 
oor. 3n biefet Stooeße ift etwa« oon beutfdjem Sinflufe. 3Rein 
®octor ift ein ®octor Sauft im Sleinen, mit mehr tomifdjer 
Suthat, in befeheibneren ©erhältniffen, ohne ®eufel, ohne SRagie, 
ohne übernatürliche URächte, bie ihm ju Jpülfe tämen. 3d) bin 
eben baran, eine neue ziemlich hü&feh* 9lu«gabe bom ®octor 
gauftino ju oeranftalten." ®er ©Töpfer ber Garmen, äRbrintee, 
hatte ©alera einmal fotgenben Stath gegeben: ,,©ie foßten un« 
einen tteinen SRoman ber gegenwärtigen äRabtiber Sitten machen. 
SRir fcheint, bafe man hi« toi« anberwärt« fich i» einem Ueber» 
gang«juftanbe befinbet. ®ie ©oefie ift auf bem SRüdjug, unb 
bie materiellen Sntereffen, bie ©otitif unb bie Sohlthaten bet 
Eioilifation finb im ©egriffe, bie ebeln Seibenfdjaften ju töbten. 
SRan mufe ein ©ebächtnife beffen, wa« h«*Oon übrig bleibt, ja» 
rücflaffen. Sie bumm, gemein, gelbgierig auch bie Siachwett 
fein mag, oon ber wir bebroljt finb, fo bürfen ©ie hoch fich«« 
fein, bafe fie immer mit Sntereffe ein ©udj lefen wirb, welche« 
un« jeigt, wie man im 3af)«« 1862 liebte." Unfet ®octor 
gauftino ift nun halb, bem SRecept 3Rerim6e« entfprechenb, ein 
©ittenroman geworben, halb ber ©eelenroman jtoar nicht eine« 
beutfehen, aber eine« fpanifdjen Träumer«, ber erbrüeft theil« 
burch bie Saft eine« giänjenben alten Stamen«, theil« burch bie 
Slermtichleit feiner üufeern Sage, oerwirrt burch unpraftifche« 
Siffen, leinen $alt im wirtlichen Seben finbet, balb fich in 
nieberem ©tnuffe oertiert, balb einem faft überirbifchen 3beale 
nachiagt, um, wenn er lefctere« enblich fein eigen nennen bürftc, 


ihm wieber untreu ju werben unb in Seit» unb ©elbfeoer» 
adjtung unterjugehen. ®er befcheibnete Erfolg biefer Siooeße 
erflärt fich fowolft au« ihrem ernften ©ehalte al« au« bem Um» 
ftanbe, bafe fo mancher ©panier in biefem Sauftino fein nicht 
gefchmeichelte« Ebenbilb wieberertennen mufe. Unb bie ©itte. 
be« dichter« ift faft nicht überflüffig, man möge nibht in ber Seit 
bie Originale feiner ©hantafiefdjöpfungen fudjen. Echt fpanifch ift 
aber auch neben bem gelben, ber ungleich ®on Ouijote, feine 
„ewige Sreunbin" al« feine Saura, ©eatrice unb 3ulia jugleich 
preift, ihr aber gelegentlich um einer tief unter ihr ftehenben 
Schönheit willen bie Xreue bricht, fein ®iener SRe«petiHa, eine 
Strt moberner ©ancho ©anfa. ®ie ©chilberung, wie Sauftino 
at« ©rautwerber mit feinem JReäpetilta in bie Seit jieljt, bie 
©efchreibung eine« fröhlichen Sanbfefte«, bei bem er bie leichte 
Eroberung ber betbfinniiehen ©thönen, fRofitä, macht, gehört jum 
grifcheften unb $eiterften, wa« ©alera gefchrieben hat. $tu«» 
nehmenb ftimmung«ooil ift auch ba« ©itb be« alten Schlöffe« 
ber äRenboja«, in beffen büftern, einfamen $aUen bie Sej>te 
be« ©efchtedjte« ben immer wieber fcheiternben ©länen nachhängt, 
ihrem Sohn eine feinet 3th nen toürbige Sulunft ju fichern unb 
burch ihn bem ©erfüll be« ^caufe« ein 3i«l ju fefeen. 

3n einem ©orworte ju feiner IRooeSe „®ona Suj" fagt 
©alera, biefe fei jwar ni^t unterhaltenb, fie habe aber ihren 
beftiramten Serth burch bie oielen ernften unb ftrengen Sehren, 
bie fie enthalte. Er hat hierbei ben geifttidjen gelben ber IRo» 
üeße, ©ater Enrique im Stuge, bem ba« ^erj barüber bricht, 
bafe ba« Seib, bem er at« einem ätherifchen, unerreichbaren 
Sefen eine fetbftfu<ht«tofe ©erehrung gewibraet hatte, einem an» 
bem URanne, Siebe gewährenb unb empfaugenb, fich hi n fl e b«n 
foß. ®er Gonflict ift graufamer, bie Sehre, oon ber ©alera 
Spricht, weniger einbringtich al« bei unferem „©farrer oon 
Sirdjfelb", weit ®otia Suj, inbem fie einen nach menfchlicher 
©erechnung bernünftigen Ehebunb eingeht, entfe|ti^e Xäufchun* 
gen erfahren mufe unb, nun ohne Hoffnung, ihr fpeij wieber 
ganj ju ihrer erften, reinen Siebe jurüdwenbet, bie fie fich felber 
hatte oerheht«n Woßen. ©an§ bejeidjnenb ift e« aber für ben 
fpanif^en ©chriftfteßer, bafe ihm nicht ein einjige« SRet beifäßt, 
feinen gelben aufrührerifche ©ebanfen gegen eine @a|ung ju 
leihen, bie jrnei eble, für einanber gefchaffene ÜRenfchenherjen 
burch «tne unau«füßbare Sluft auäeinanber hält- SU« ®otta 
Suj an fich irre ju werben beginnt unb ihr bie ©timmen be« 
©erbachte« Slnberer ju Ohren lommen, erwägt unb befdßiefet fee 
einfach: „Senn in unfern Seelen nicht eine gegenfeitige unb ge* 
fätjrliche Neigung lebt, fo fönnte man eine foldje boch oer» 
muthen, unb bie« wäre eine ©eleibignng für mich, w* n « biefe 
Steigung aber öorljanben ift, fo ift fee in jeber ©ejiehung ab» 
fdjeulich unb mufe mit ber Surjet auSgetitgt werben." Unb 
©ater Enrique haucht auf feinem Sterbebette nur bie Stage 
au«: „3ch träumte, in bem unenbtidjen 3Reer ber göttlichen 
Siebe jebe anbete, irbifdje unb oergängtiche Siebe oerfenft ju 
haben; ich bitbete mir-ein, nicht« unb IRiemanb mehr aufeet 
burd) bie Siebe ju ©ott lieben ju Jönnen; ich glaubte, aße oer* 
gängtiche Schönheit, aße $errlid)leit ber ©efchöpfe, aße SReije, 
aße« Sicht feien für meine klugen nur noch «io fchwacher unb 
{alter ülbglanj ber ewigen Schönheit unb ^errtichfeit, beten 
Strahlen ich P fchauen glaubte, in beren glommen ich ß«me 
mein $erj erglühen fühlte; wie febmeicbette mir ber ©eift ber 
©erfuchung, um mich S u Safle ju bringen 1..." 

9Rit ber nämlichen ßReifterfchaft wie in ©epita 3ünenej 
fchitbert ©alera Entftehung unb Entwidelung ber ©efühle ©ater 
Enrique« unb $ona Suj bi« ju ber Srifi«, welche jum Xobe 
be« Erfteren führt. ®ona Suj, bie grucht einer oerbotenen 
Siebe, eine bornehme, ftolje Statur, auf bem Sanbe in bem faft 
au«f<htiefeti<ben Umgänge mit ©idjtern unb ®enfem aufgeWachfen, 
hatte burch ih r « Sürbe unb §öhe bie ©ertrauliöhfeit ihrer un» 
mittelbaren Umgebung entfernt unb fich im Saufe ber 3ab«e 
gegen aße ©ewerbungen um ihre $anb fecher gefteßt, al« ©ater 
Enrique, ber oon feinen 3Riffion«reifen in ber $eimat Erholung 
unb ©enefung fuchte, in ihren Srei« tritt unb al«balb oon 
ihrem mahtoerwanbten Sefen mächtig angejogen, fich bem 


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Nr. 48. 


Sir «tgemonrh 


343 


fcgwärmerifdgen X>rang Aberlägt, igrem ©eift auf feinen fügnen 
Flügen als Fügtet gu bienen, igr Segrer, igr Freunb, ber ©er= 
traute igter Sbeen gu »erben. SEßägrenb biefe beiben ebetn 
©eftalten oom ®idgter im ooflften Siegte gegolten finb, fcgeint 
un8 etwas üerblagt biejenige Xon 3aime8, melcget, itadgbem er ge« 
geinte ftunbe non einer ®ona Sug gufaflenben ©rbfcgaft erlangt, unter 
ber SJtaSfe ritterlichen EBefenS fi(g nagt unb aßgit leicgt bie §anb 
beS gocggeftimmten EJtäbegenS erringt. Aueg bie übrigen Sieben* 
figuren ftnb oon ©alera offenbar nidgt mit gteicger Siebe be= 
ganbelt; er bericgtet megr über fie, legt uns megr bie üerfdgte* 
benen ©eiten igreS ßgarafterS auSeinanber, als bag er ignen 
entfprecgenben SIntgeit an ber Fortbewegung ber §anblung ge= 
toagrte unb ge in tgätiger SBecgfelbegiegung gu ben £>aupt= 
gegolten borfügrte. ©in präegtiger, tebenSwagrer XgpuS ift 
aber ber ©flegeoater non ®ona Sug, Acifelo, bet ©erwalter 
ber ©üter igreS ©aterS, ber es oerfianben gat,- ogne gerabe 
etwa» UngefegticgeS gu begegen, nacg unb nacg ben beften Xgeil 
beS ©ermögenS beS oerfcgroettberifcgen ©belmanneS in feine 
Xafcge wanbern gu laffen unb ber mit feinet ©igennügigfeit 
unb ©auernfcglaugeit trefflieg ben ©cgein garmlofefter ®ut= 
mütgigteit gu bereinigen meig. 

3« feinem Xrama 0’ locura o’ santitad, welcgeS burcg 
feine Äügngeit bie gange fpanifcge Xgeaterwelt in Aufregung 
oerfegte unb einen enblofen fritifdgen Streit entfacgte, gatte 
©cgegarap baS Problem beganbett, »aS mit bemjenigen gu ge= 
fcgegen gäbe, ber nicht wirflidg baS ßinb feines gefeglidgen 
©aterS ig unb ficg tgatfäcglidg im ©egg eines StamenS, einer 
Stellung, eines ©ermögenS begnbct, bie igm niegt gebügren. 
©ebor nocg biefeS Xrama bie ©ügne befcgritt, ganb 3- ©aleraS 
©tan gu bet Stooeße: El Comendador Mendoza feg, Weltge fid) 
um bie Söfung beS nämlicgen ©roblemS bewegt. 3« bem rein 
moralifcgen Kriterium, welkes einen Ausweg auS ber peinliegen 
©ewiffenSfrage fragen foß, tritt bei 3- Sklera nocg baS religiöfe. 
3war ben geiftlicgen Seelenargt, ©obre 3acinto, lägt er mit 
leichter Sronie bergebtieg alle AuSfünfte fircglicger ©afuiftil fowie 
bie ftarfen SJtittel feiner EBeltflnggeit erfegöpfen. Aber inbem 
er bie gange Scgwere beS ©ongicteS in bie Seele ber fünbigen 
SÄutter, ©lanca, bertegt unb gier ben nur mit bem Seben felbft 
gn beenbigenben ft'ampf gwifegen Steue unb SQtenfcgenrüdficgt, 
gwifegen angeborenem Stolg unb frommer Xemutg, gwifegen 
Mutterliebe unb aScetifcgem ©ügergnne auStoben lägt, gat er 
gugleicg ein im Allgemeinen göcgft ergreifenbeS Seelengemätbe 
unb einen ©garafter gefegaffen, ber uns mit feltfamer Originalität 
balb abgögt, halb angiegt unb immer intereffirt. 3« langen 
Sagten eines unter ber SJtaSfe ber $ärte unb beS £>ocgmutge3 
gegeim gegoltenen ScgmergeS ig ©lanca gu ber Uebergeugung 
gelangt, bag igr, wenn -ge nicht gu igret alten Scgulb nocg bie 
offene ©efcgiwpfung igreS armen, getäufegten ©atten fügen, niegt 
bie Seelenruge igreS ÄinbeS, ©lara, burcg bie ©ntbedung igreS 
UrfprnngS trüben, bie legiere niegt in ben ©egg eines igr niegt 
gebügrenben ©ermögenS fontmen lagen woße, nichts übrig bleibe, 
als biefelbe in ein Älofter gu fegiden ober mit bem SJtanne gu 
oergeiratgen, welcger ber reegtmägige ©rbe jenes ©ermögenS 
Wäre. „Xaufenbmal ftanb idg im ©egriffe, meinen gegltritt bem 
beleibigten ©atten gu entgüQen. 3<g felbft gätte igm gerne ben 
Xoleg in bie $anb gebrüdt; allein idg fenne ign; ber Unglüd= 
liege würbe geweint gaben Wie ein ©inb; idg gätte ign auf ben 
Xob oerwunbet, ftatt bie oerbiente Strafe gu empfangen; er mit 
feiner eoangelifcgen SJiilbe würbe mir oergiegen gaben, nnb mein 
gartet, ftolger Sinn würbe ign, ftatt igm für feine ©ergeigung 
gu banten, bafür nocg megr migaegtet gaben, ©r wäre nidgt 
mein unerbittlicger SRicgter, fonbern ooflenbs mein Opfer gewefen." 

3gr innerfteS Siefen legt ©lanca in ber legten ©egegnung 
mit igrem einftigen ©erfügter bar, welcger igr borwirft, aus 
retigiöfem Fanatismus baS ©lüd igreS ftinbeS gu oerniigten. 
Sie erflärt igm, nie werbe fie aus Furcgt t»or igm barauf oer= 
giegten, igre Xocgter ins älofter gegen gu taffen; für ign gäbe 
fie btoi ©eradgtung. „©inft war ich blinb. 3h glaubte in 3gnen 
einen SOtann gu fegen, ber mieg leibenfdgaftlicg liebte, unb beffen 
Seele icg gefangen negmen unb gu nocg gögerer Siebe ergeben 


fönnte. Sie aber fuegten nur bie ©efriebigung einer Saune, 
einen leichten ©enufj, ben Xriumpg igrer ©igenliebe. Sie 
glaubten, icg werbe nadg einem Augenbticf ber Seibenfcgaft unb 
Eingebung Alles um Sgtetmiflen oergeffen, 3gnen ftetS ©egorfam 
unb ein freunblicgeS Säbeln auf ben Sippen entgegen bringen. 
Sie glaubten, icg »erbe in meiner Seele jebe Steue, jebe Scgarn, 
jebes ©efügt ber berlegten ©fliegt unb ©gre, jebe ©otteSfurdjt, 
jebe Stimme beS ©ewiffenS erftiden. Sie waren freilich fperr 
meiner Seele, aber wie in einem Sanbe tapferer ©ewogner, bie 
nie igre ©aterlanbSliebe oergeffen, ber graufame ©roherer nur 
ben ©oben befigt, auf ben er eben tritt, fo befaßen Sie mieg 
nur in ben Sugenbtid, ba idg AßeS, fogar mieg felbft oergafj. 
Xattn aber empörte icg mieg gegen Sie, fuegte meine Segulb 
burcg bie Steue gu fügnen, unb rang barnah, wieg frei gu 
mähen. SEBie gätte jeber 3grer Siege igten Stolg fdgmeiegetn 
müffen, wenn Sie bie ©rgabengeit unb Furcgtbarfeit ber grogen 
Seibenfcgaft gatten begreifen fönnen? Scgredlidg waren biefe 
unaufgörtihen Sümpfe, aber als Sie fiegten, fiegten Sie niegt 
bloS über mieg, fonbern aueg über ben ©ngel neben mir, übet 
meinen tiefen ©tauben, übet ben Fimmel, ben idj anrief, über 
baS in meiner Seele wurgelnbe ©grgefügt, über mein ftreng 
anflagenbeS ©ewiffen. Sie, ber Sie aßein Fieube unb ©er* 
gnügen fuhten, würben mübe, gu fämpfen. So befreite idg mieg 
aus ber egrlofen ©efangenfdgaft. ©eiobt fei ©ott, ber bann 
meine Scgulb fo gerecht beftraft gat; aber, wenn icg eS Sgnen 
befennen foß, bie Strafe, bie mieg ftetS am tiefften gefegmergt 
gat, unb mieg noh am weiften fegmergt, ift, bag ih ben ERann, 
ben ih geliebt, bewegten mug." 

UebetauS gelungen ift bie ©egenüberfteßung biefeS mgfti* 
fegen, leibenfhaftlicgen, ftotgen SEBefenS unb beS burh reihe 
SebenSerfagrungen ginburhgegangenen ßomenbabor SRenboga, 
eines ehten SogneS beS aegtgegnten 3agrgunbertS, ©oltaireanerS 
Oon ©eburt, Senfualiften burh ©tubium ©onbißacS, Weiher 
oon $aufe auS geneigt, über baS gu fpotten, waS Anbere ge= 
waltig ernft negmen, boeg im ©lauben an ein göcgfteS SBefen 
unb ein ewiges SBeltgefeg begarrenb, eben nur bemjenigen, waS 
für bie SKetige bie göcgfte SBihtigfeit befigt, feine ©eadgtung 
fhenft, mit olpmpifher ©emütgsgeiterfeit ben Sauf ber Söelt 
betrahtet, in ber SRorat ftreng AßeS oerbammt, waS ben 2)ten= 
fhen Seiben, unb nah Xgunlihleit baSjenige gulägt, waS ignen 
Freube fhafft. 3« bem Sampf gwifhen biefen beiben Staturen 
gegt baS ^auptintereffe biefer Stoüeße auf. Xoh müffen wir 
noh befonberS ber rügrenben ERäbcgengeftatt ©taraS, ber Xohter 
ber ©eiben gebenfen, bie mit igrem fanften, ergebenen Xutbcr» 
finne einen ©gtenplag neben ©aleraS anbern Frauenfhöpfungen, 
ber gocggeftimmten Sug, ber finnlih ; betben ©epita oerbient. 

An „Comendador Mendoza“ fönnen Wir oießeiegt noh 
beutliher als an ben frügeren SSerfett 3- ©aleraS erfennen, 
bag feinem biegterifdgen ©eftalten bie pgilofopgifh« ©ebanfen; 
arbeit an einem beftimmten ©robleme oorauSgegt unb bag fih 
feinem ©eifte erft, wenn er giermit fertig geworben, bie Xinge 
unb Xgatfadgen gruppiren, weihe ben eigentlih ergägtenben 
Xgeit auSmahen foflen. So fegen Wir ign gelegentlich megr 
als einen Umweg negmen, bis es igm gelingt, uns in bie f?anb= 
lung ginein gu oerfegen; unb fo gat er gegen baS ©nbe, beim 
„Comendador Mendoza“ wie beim „Doctor Faustino“ aueg bann 
noh bieS unb jenes nahgutragen, was wir nah ber |>aupt= 
töfung nur noh wit gerftreutem Ogr aufnegmen. 

XaS eigentliche Felb ber SDtufe 3- ©aleraS ift eben ber 
pfghologifhe Stoman; unb bei ber Statur feines ©eniuS be- 
greifen mir, waS ©alera felbft mit aßer Seelenruge gugibt, bag 
feine „Tentativas dramäticas“ wirftih nur ©erfuhe fein tonnten. 
X>ie grogen ©rfolge aber, bie er als Stooeßift bei ben Spaniern 
beiber fpemifpgären unb übergoupt in ber romanifhen SBelt 
errungen gat, mögen ign für anbere Sorbeeren entfegäbigen. 
2Bir glauben jeboeg bag eS unfern Xihter mit befonberer 
Freube erfüßen wirb, wenn igm bie Station, ber er aßegeit feine 
gange Sgmpatgie gemibmet gat, bie beutfhe, mit einet ge= 
rehteren SBürbigung feines ©erbienfteS als feitger lognen wirb. 

___ IDilpclm £anfer. 


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344 


9lie (Segenwart. 


Nr. 48. 


(öottfrieb Kemper als fiegrtinber ber kttn^etnerbltd^ett 

Reform. 

$$on Bruno Budjer. 

(®$lufe.) 

ftant toünfc^t, baß unter biefem ©efidjibpunlte einmal eine 
allgemeine ©efdjichte möge gefchtieben werben, ©erntet möchte 
bie SRufeen ju 3ttuftrationen biefe« ©ntwidlungbgangeb ber 
2Renf<hh e 't machen, ju Stätten beb 2taf<hauungbunteri<hteb nicht 
blob in einem ober einigen Bmeigen ber bilbenben Sunft, fonbetn 
in ber ©ulturwiffenfdjaft unb ©ulturgefdjidjte. SBieber ift eb 
ihm brum ju thnn, bie Sejieljungen unb gegenseitigen SBirhmgen 
jwifchen allen Sitten ntenfchlichen Thunb unb Scfjaffenb jum 
allgemeinen ©ewußtfein ju bringen. 

Snbem er nämlich feine Sritil gegen bab Spftem toenbet, 
welche« überall eine SRenge einzelner, außer Serbinbung unter 
einanber ftehenber ÜRufeen h«oorgetufen, unb babei meiftenb 
ganje Kunftperioben unb Ännftjweige aubgefchloffen hatte (toie 
j. 18. bie Sfunft beb StRittetalterb, beb Sarod unb {Roccoco, ben 
Orient, bie gefammte ornamentale &'unft), gelangt Semper auf 
ben Stanbpunlt Kantb unb berlangt ÜRufeen, welche, feinem 
Slubbrud nach, Sängenfcpnitt, Querfdjnitt unb ©runbriß ber 
ganjen Eulturwiffenfdjaft geben, bab heißt jeigett müßten, wie 
bie ®inge bor Sllterb gemacht worben finb, Wie fie in ber 
©egenroart in allen Sänbern ber SSßelt gemacht werben, unb 
warum fie, ben Umftänben gemäß, fo ober anberb gemacht 
werben. Unb wenn, wie er gern jugibt, eb unmöglich fein 
foüte, ein ibealeb SRufeum ju fchaffen, weldjeb gänjlich jener 
gorberung entspräche, fo wäre boch jebe ©injelfaramlung alb 
ein Tpeil jeneb großen ibealen ÜRufeumb anjufepen unb ju 
organifiren. 

Bu feinem eigentlichen Thema jurüdtehrenb führt Semper 
nun bab früher angebeutete Sgftem bon hier ©ruppen ber ge« 
werblichen Kunft näher aub. 

SBie aub bem ganjen ©ebanlengange fich ergibt, fo jeigen 
oottenbb bie weiteren Slbfcpnitte, baß ihm feinebwegb ein SRufeum 
borfchwebte, welcpeb feine Hauptaufgabe barin fehen mürbe, 
Originale anjufammeltt. Sn biefem fünfte bachte er jiemlicp 
leherifcp. ©r bezeichnet einmal aib ein Kennjeidjen beb „SIfter« 
ridjterb in ber Üunft", baß biefer gewiffen gefälligen äußeren 
SRerlmaten unb Beiden ber ©eptheit einer Sache mehr ©er« 
trauen ju fdjenlen pflege, alb ihrer wirtlichen 93ortrefflieftfeit, 
jum ©eifpiel an. Kupferftid)en gewiffen Strichen ober fünften, 
welche ben Kopien fehlen; unb jum ©ntfepen eineb anwefenben 
Slmateurb äußerte er ein anbermal troden, eine täufdjenb ge« 
machte gälfcpung fei ihm fo Werth Wie e ' n edjteb Stüd. Sein 
ibealeb SRufeum foüte bab Sharalteriftifche anb ber Kunft« 
technif aüer Beiten unb aüer Stationen in fich bereinigen, unb 
biefeb 3iel ju erreichen ift ja nur möglich burep ©efepaffung 
von {Reprobuctionen, Slbfotmungen, Slbbilbungen, {Radpbilbungen tc. 
Bu bem ©nbe liefert er eine Ueberficpt berjenigen KUnftarbeiten, 
welche nothwenbig oorhanben fein müßten. SBottte heute Semanb 
eine folche betaiüirte ©orfeprift für bie 3ufommenftettung eineb 
SRufeumb abfaffen, fo würben ihm Hülfbmittet unb {Racpweife 
in Sütte unb Ueberfüüe ju ©ebote fiepen. Slber in ber bib jur 
Unüberfehbarfeit angefchwoüenen Literatur über Sammlungen, 
über @efdjid|te ober Technologie ber Kleinlünfte — wie wenig 
batirt über bab Bapr 1851 jurüd! SBie gering War bamalb 
noch bie Bohl guter Kataloge! Um fo bewunbernbwürbiger er« 
Scheint unb, wenn wir bab berüdfichtigen, bie umfaffenbe Kennt: 
niß ber ®enlmäler unb ber Siteratur in bem oon Semper ans 
gefertigten Kataloge. @b wäre berlodenb, würbe unb aber hier 
Diel ju weit führen, ihm bei feiner SBanberung burep bab weite 
©ebiet ber teepnifepen .fünfte ju folgen unb ju jeigen, in welchem 
©rabe er überall ju Haufe war, mit welcher Slufmerlfamteit er 
oon jeher auch biefe fo lange Beit oerachteten Sleußerungen beb 
f unfttriebeb oerfolgt hoben muß. Slber eb ift boch nothwenbig, 


I 

I 


t 


einen ©inblid in fein Stiftern ju gewähren, Wobei wir unb beb 
©ingepenb in bab ®etail enthalten müffen. 

®ie erfte Stbtpeilung fott bie {Rohmaterialien, bie SRafcpinen 
unb SBerfjeuge jur {Bearbeitung ber SRetafle unb anberer horten 
Stoffe jut StnfOauung bringen unb jwar in folgenben Unters 
Slbtpeilungen: A. SRctaüe unb metatturgifche Operationen. B. Sticht« 
metaüifche SRineralien, alb ©belfteine, Steine, welche oon ber 
©Ipptit oerwenbet werben, SRineralien jut Herfteüung beb ©mail 
unb anberer ©aften, SRineralien, welche bei bem ©ußoerfapren 
in Stnwenbung tommen, folche junt Schleifen, ©oliren ic., jum 
gärben, jum ©inbrennen, Schmeljen u. f. w. C. ©egetabilifcpe 
unb animalifche Subftanjen. Sn entfprechenber Umftänblicpteit 
werben bann bie SRafdjinen unb SBetljeuge claffificirt, bann bie 
oerfdjiebenen ©roceffe ber {Bearbeitung unb ber Omamentation. 
Sn biefem lefcten Slbfcpnitt tritt ju bem tecpnologifcpen bereitb 
bab funfthiftorifche SRoment, unb ich lenne fein SEBerf, in welchem 
bie cparatteriftifchen ©igenfehaften unb unterfcheibenben SRertmale 
ber jahlreichen SSarietäten einer ©attung funftgemerblicher Arbeit, 
beifpielbweife beb ©mail, fo furj, präcib unb aügemeinoerftäub« 
lieh angegeben wären, wie hier. 

SBar eb ber Bwed biefer Slbtheilung, bie Stoffe oorjuführeu 
oon ihrem natürlichen SSortommen Schritt für Schritt burch bie 
lange {Reihenfolge djemifcher unb mechanifcher Ißroceffe, fo foüte 
mit berfelben correfponbiren eine Slnbwahl ber oorjüglichften 
Seiftungen in ben Oerfchiebenen gächern, unb hier eben entwidelt 
Semper feine erftauulid)e ®enfmälertenntniß. ®r ift für feinen 
cinjeinen Satt in IBerlegenheit bie beften Originale namhaft ju 
machen, ob fie nun in Sonboner, {ßarifer, römifchen, glorentiner, 
Tnriner, neapolitanif^en, SBiener, ©ertiner, SRüitchener, in ruf« 
fifchen, nieberlänbifchen, bänifchen, öffentlichen ober {ßrioatfamm« 
lungen, ober in {ßubticationen, fettenen Sibliothefbwerfen ic. ju 
finben feien. TajWifchcn finb hißorifche, antiguarifche, äfthetifche 
©emerfungen eingeftreut, welchen wir in weiterer Stabführung 
fpäter in feinem Stil wieberbegegnen, wie feine Sbeen in bem 
Äenfington=3Rufeum nach bet fünftlerifcheit unb funftted)nifchen, 
in bem Krhftaüpalaft nach cuiturhiftorifchen Seite hin oer« 
förpert worben finb. 

SBenn Wir jejjt auf Semperb fcßöpferifcheb SBitfen in jeuen 
Sohren jurücfbliden, fragen Wir wohl erftaunt, Wie eb möglich 
gewefen fei, baß biefem SRanne oon feiner Seite bie praftifche 
Turchführung feiner ©läne übertragen würbe. Stber auch ©<nn 
bieb bie ©erhättniffe geftattet hotten, würbe er wohl faum alb 
Tirector eineb funfigewerblichen SRufeumb ©efriebigung gefunben 
haben. Seine Sebenbaufgabe blieb boch bo8 ©auen, unb jur 
Slrdjiteftur lehrte er jurüd, nachbem et Slnberen gejeigt hotte, 
wab ju gefächen höbe, um bab Kunftgefühl wieber lebenbig ju 
machen. 

Sltb Slrchiteft aber blieb er in natürlicher ©erbinbung mit 
Hanbwerf unb Snbuftrie. SBie er fchon bei bem Th M terban in 
®rebben {ßlaftif unb SRalerei in einem Umfange jut SRiimirfung 
herangejogen hatte, weichet bamalb etwab ganj Ungewöhnlicheb 
war, fo forgte er fetbftoerftänbtich auch, fo weit ihm bab Der« 
ftattet würbe, für bie wahrhaft fünftlerifche innere Slubftattung 
feinet SRonumentalbauten. SBährenb feineb Slufenthalteb in ®ng« 
ianb hot er auch mancherlei ©ntwürfe für bie Snbuftrie ge« 
macht. Seiber fcheint fich oon folgen Slrbeiten fo oiel wie nichtb 
erhalten ju haben, mahtfchrötlich h°t er bie Betonungen ben 
©efteüern abgetiefert, ohne ©opien jurüdjubeijaiten; eb fönntc 
fogar nicht überrafchen, wenn bie britifchen ©eftetter bieb. jur ffle« 
bingung gemacht hätten, ©benfo geben bie Slrdpoe beb Hofbauamteb 
in ®rebben leine Slublunft über bab, wab Semper an ©inrichtungb« 
ftüden für bab Theater entworfen hat; nur ben Spiegel im 
Soper tannten wir aub ber früher erwähnten ©ublication. 

Snbeffen ift bei ber Sichtung beb f)ö<hft umfangreichen 
tünftlerifchen Stachlaffeb butch bie Hinterbliebenen (namentlich 
Herrn SRanfreb Semper, ben ©rbauer beb neuen Tljeaterb in 
®rebben nach ben ©lauen feineb ©aterb) mancherlei oon tunft« 
gewerblichen ©ntwürfen aub ber ®rebbener, ber Sonboner unb 
ber Büricher Beit jum ©orfchein gelommen unb anbereb fteht 
wohl noch ju erwarten, ©ieleb mag in fremben Hänben fein, 


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Nr. 48. 


0 1 1 (Segenmart. 


845 


ba ©empet feine ©tappen liberal öffnete, unb eS ift nur ju 
miinfcpen, baf} etroaige ©eftper fiep im 9tntereffe ber geplanten 
©eröffentlicpung feinet Arbeiten utelben möchten. @o bürfen mir 
aucp bie Hoffnung auf ©Sieberentbedung ber nodj in Büricp ge= 
arbeiteten (Sntroürfe für ben |iofmufeenbau, meiere augeubliditcf) 
ni^t aufjuftnben finb, niept auf geben, ©ublicirt finb ein für 
bie Königin Sictoria gejeiepneteä ©epräntepen in ©öenpolj mit 
Einlagen non ©orjeßan unb ojtjbirtem ©Über (©emetbepafle 1863), 
unb ber gegentodrtig in ber ©aulSfircpe ju Sonbon aufbemaprte 
©racptleicpenmagen für ben fäerjog non ©Seflington (3ß. Sonb. 
9tem$ 1852). 

Btnei ©reigniffe, melcpe beftimmenb in ©emperS Seben ein: 
gegriffen paben, finb aucp für bie ©ejiepungen, melcpe pter er= 
örtert mürben, non ber pöcpften ©ebeutung gemorben; nur er: 
ffeinen fie und auf unferem gang fpecieflen ©tanbpuntt in anberem 
Siebte, als fie gemöpnlicp bargefteßt merben. ©olitifepe ©türme 
trieben ibn aus ®eutfcptanb fort, entriffen ifjn einem fepönen 
feften SSirfungStreife, nerurtbeitten ibn gunt SBanberleben. ®aS 
mar ein perföntiepeS Unglüd für ibn, unb bennoep müffen mir 
jene ©Senbung feines ©efcpideS als eine glüefliepe preifen. ®enn 
bei aß feiner ©eniatitüt, feinem ftupenben ©Siffen, feiner feltenen 
Arbeitskraft mürbe ber ®irector ber ®reSbener Sauatabemie 
f<bmerli(b gu jenem reformatorifcbeit ©Serien gelangt fein, non 
meinem piet gefproeben mürbe. 3« Bresben nahm ibn feine 
Xpfttigteit als Arcpiteft unb als Seprer noflauf in Anfprucp, 
rupte ber ©dbriftfteßer in ibm. ©eine ©tbrift über bie ©olp: 
ibromie bet Alten mar not feinet ©erufung na<b ®re8ben er= 
fepienen unb erft in ber ©erbannung fanb er bie SOtujje für bie 
©ublication über baS ®peater > tonnte er an bie Ausführung 
eines fepon 1847 gebegten ©ebanfenS geben, mit Bugmnbelegung 
feiner atobemifeben ©orträge eine oergleicbenbe ©aulebre git 
fepteiben, feprieb er mirllicb baS flaffif<be ©Serf über ben ©til. 
®iefe8 leptere pat mopl mit baju beigetragen, bajj oon jener 
©aulebre ni<btS als ber intereffante ©rofpect Bon 1847 unb 
als Sorläufer bie bebeutenbe ©eprift über bie oier ©lemente 
ber ©aufunft in bie Deffentlicpfeit gefommen ift. ©ine anbere 
Urfacpe feines Aufgebens jenes ©laneS bat er gelegentlich felbft 
mitgetpeilt: bie oornebm abfpreebenbe SKanier, in melcber fein 
alter ©egner, Äuglet, fiep über bie in ben oier ©lementen ber 
©aufunft Borgetragenen ©ebanfen mie über ntüfjige ©bantafle; 
fpiele eines geiftreiepen ÄünftlerS geäußert batte, ©emper pörte 
aus jenen ©Sorten perauS, bafj er als Äünftler in ©aepen ber 
Äunftroiffenfcpaft eigentlich ni(bt mitgureben habe, unb lieb ficb, n>ie 
er angibt, babureb irre machen. ©ießeiept bat Rugier es gar 
nicht fo gemeint, er fdjtagt bei berfelben ©elegenbeit ben gleiten 
®on gegen Seltner an, ber boeb fein Äünftler ift; baff aber 
unter aßen Umftünben jene Art ber Abfertigung einem Zünftler 
unb ©elebrten gegenüber mie ©emper febr fcplecht am ©labe 
mar, nerftebt ficb öon felbft. Stur miß uns nicht recht glaub: 
lieb erfreuten, baf} gerabe er ficb fo leicht habe einfcpücpteru 
laffen. ®b et leuchtet ein, bab bem feböpferifeben Zünftler, bem 
eminenten ©raftifer, melcber in bem ermahnten ©rofpect fett: 
faftifcb bemerft, an ©Serien über ©aufunft fei fein ©tangel, befto 
gröberer an ©Serien ber ©anfunft: bab bem, fagen mir, bie 
literarifdpe ©efepäftigung aßein nicht genügen tonnte, bab er 
ferner bie ßRöglichteit erfebnen mubte, feine ©jiftenj mieber 
auf gefieberte ©afis gu fteßen. 3n ©nglanb ftanb ihm hierbei 
ber AuSlänber, in ®eutfcplanb ber £oepoerrätper im ©Sege, 
auf ben angufpielen felbft Äuglet ficb an gebaebter ©tefle 
nid|t Berfagen tonnte, ©nblicp bot bie ©cpmeig ihm eine ©tel: 
lung, ©elegenbeit gut ®pätigfeit auf feinem eigentlichen gelbe. 
®a3 mar ©rlöfung aus bem glücptlingSleben, ein ©lütf für 
ihn. ©r tonnte mieber bauen unb ©cbüter bilben, unb borf) 
abforbirte ihn bieS beibeS nicht in bem Sliafee, bab ihm nicht 
©lüfte gut gortfefcung unb ©eenbigung beS „Stils" geblieben 
märe. Aber aufjer ber 2Ku|e beburfte er aucp ber Stimmung, 
nnb biefe blieb ans. @S fepeint, bab er fiep in bie fleineren 
©erpältniffe nicht mept gu finben oermoepte. Unb als bann 
ber fftuf nach ©Sien erfolgte, als er mieber in einen groben 
SSiriungSUeiS, in einen ©ttltelpunft tüufUerifchen SebenS ein: 


trat, als ipm bie groben Aufgaben gefteflt mürben, melcpe er 
fo grob gelöft pat: ba mubte uns Bon Bornperein flar metben, 
bab nun erft reept bie Hoffnung auf baS ©rfepeinen beS britten 
©anbeS aufjugeben fei. ßeiber ift biefe ©orauSficpt niept ßügen 
geftraft morben. Bmat mürbe ©emper pier niept ber ©Siffen: 
fefjaft entfrembet, fo unermüblicp er am Steibbrette fab, Berlernte 
et boep niept ben ©ebrauep bet geber. ©Säprenb er bie 5E>etait= 
plane für bie beiben ^tofmufeen, baS ©roject für baS Surg: 
tpeater unb ben SRiefenplan für ben Ausbau bet ©urg entmarf, 
befepäftigten ipn fortmäprenb tpeoretifepe ©robleme, mie er fiep 
jum ©eifpiel oor einet SReipe Bon Sapren mit einer Abpanblung 
über bie Afuftif trug. Unter ber ©taffe Bon ©tanuferipten in 
feinem ßlacplaffe müffen fiep, feinen münblicpen Anbeutungen 
jufolge, iaplreicpe ©orarbeiten für ben britten ©anb beS'„@til", 
maprfcpeinlicp manepe auSgefüprte ©artien, oorfinben; aber 
fcproerlicp ift bie Arbeit fo meit Borgefcpritten, bafj fie nur uoep 
ber otbnenben §anb bebürfte. Unb ipn fortfepen tann fein 
Anberer. 

©eien mir inbeffen bantbar für baS, maS er uns gegeben 
pat, ben Anftofj ju einer ©emegung, bie uns petauSgetiffen 
pat aus ber ©teiepgültigteit gegen gorm unb garbe ber ®inge, 
melcpe uns umgeben, unfere Sinne mieber empfänglich gemacht 
für ben fReij unb ©Sertp einer mit fünftlerifcpem Auge geotb= 
neten ^»äuSlidpfeit, bie ©eprante niebergeriffen jmifepen ber 
Äunft unb bem täglichen Seben, taufenb fepöpferifepe Äräfte 
maepgerufen pat; freuen mir uns, bafj mir menigftenS fooiel 
befipen oon bem ©uepe, melcpeS ein mapreS Seprbucp ift unb 
bleiben mirb noep lange Seit. 

„®ie ©efepiepte," fagt ©emper in feiner su Büricp ge: 
paltenen Siebe über ©auftile, „bie ©efepiepte ift baS fucceffioe 
©Set! ©injelner, bie ihre Beit begriffen unb ben geftaltenben 
AuSbruct für bie gorberungen ber lepteren fanben." AIS eine 
folcpe ©erfönlicpfeit, melcpe baS ©ebürfnifj ber Beit ertannte 
unb baS befreienbe ©Sort auSfpracp, ftept er felbft oor uns ba, 
eine piftorifepe ©eftalt in ber Boßen ©ebeutung beS AuSbrudeS. 


Jltts ber ^aupiftabt. 


Drawtttifdje ^nffüprmigcn. 


|>er i^etjog nott ^taifanb. 

Xrauerfpiel in 5 tkten 'mn SRafjinger. 3)eutj(^ öon 903oif 

(Grafen 33aubiffin. gür bie 33ttf)ne bearbeitet öon 2lrtbur $eefc. 


3)a§ ©d^auibielbaui ant vergangenen ©onnabenb ein intereffanteö 
(Stücf aufgefütyrt, beflen 2 )arfteHung auf einer literarifdjen ©ü^ne burc^* 
au« gerechtfertigt erfdjeint. ift ,,3)er ®erjog öon Sfttaitanb" öon 
Daffinger, einem ber jüngeren Seüfltttoffen ©h a M^ CttreS 
(1584—1640). Sftaffinger hot ©d^icffal feiner mitlebenben unb mit= 
ftrebenben ©erufSgenoffen getheilt: bie üiteraturgefchichten öerjetchneit 
feinen tarnen, fo toie bie namhafteren feiner SBerle, rühmen bie glänjen= 
ben ©igenfehaften feines ©eifteS unb er^Äh ^ 1 einige mehr ober minber 
beglaubigte 2tne!boten aus feinem Seben. 2)a3 ift ÄUeS. ^ie Seudjt= 
traft ber ©h^lcfbeare’fchen ©onne h at befcheibenen Sichter fo 

öötlig überftrahlt, bafe ein fdjarfeä unb toilligeS Sluge baju gehört, um 
biefe öerbuntelten noch §u erfennen. Vergeblich h a ^ cn u ^b 

SBolf ©aubifftn, fotoie fpäter auch Srtiebrtch ©obenftebt abgemüht, für 
,,©en Sohnfon unb feine ©chule", für „©hafefpeareö Seitgenoffen^, $ropa= 
ganba 51 t machen; fie haben meber bie ©üljne noch baö lefenbepublicum 
für bie englifchen $ramatifer au§ ber ^weiten $älfte beö XVI. unb aus 
ber erften ^dlfte be§ XVÜ. 3ahrhunbertö $u erroürmen vermocht. 9tur 
biejenigen, »eiche ba$ altenglifche Xheater jum Oegenftanbe eiltet 
fpeciellen 6 tubium 8 gemacht h n &en, fittb biefen dichtem unb beten 
SBerfen näher getreten. 3 m Allgemeinen beruhigt man ftch bei ber 
ftenntnifc ber Xhatfache, bag $u ©h a Mpeare^ Seiten noch eine gro&e 
Anaahl begabter, jum ^h e ^ f°fl ar hervorragenbet dichter Dramen ge= 


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346 


21 1 1 (&e$tnmaxt 


Nr. 48. 


fthriebett ^flbew, bie bon redjtgwegen triebt betgeffen werben follten. Sür 
ben goH, baß anfällig einmal eine genauere Äentttniß irgenb einet 
Gingelheit erwünfät iß, fudjt man fid) gur Beftiebigung biefe» äugen* 
brieflichen Bebürfniffe» auf bequeme SBeife ungefähr au orientiren, um 
bie flüchtig unb gelegentlich gemachte Befanntfchaft at»balb, fobalb närn* 
lieh t>a9 Bebfirfniß be» Augenblid» befriebigt ift, — wieber abguthun 
unb au bergeffen. 

Gelegentlich bet Bejptechung be» ÄontanS „Oriola" bon Alfreb 
SJteißner, beffen fcelb Philipp SÄafftnger ift, hü&* t<h in bet „Gegen* 
matt" (Rr. 82, bom 22. Augiift 1874) übet biefen Bieter einige lutae 
3Kitiheiltttigen gegeben. (Eine eingehenbere Biographie unb fa<h*unbige 
(S^arafteriftit h ft t Äatl gtenjel al» banlensmerihe Ginführuttg be» nun* 
mehr h<c? aufgefühtten Brann» im Feuilleton bet „Rationalgeitung" 
bortt 21/ Robember b. 3- gegeben, auf »eiche biejenigen, bie übet 
SRaffinger ba» Nähere erfahren wollen, bet»icfen feiu mögen. 

geh h^&e ba» Brama „Ber §ergog bon SJtailanb" erfi au» ber 
Aufführung am königlichen Schaufpielhaufe fennen gelernt; ich betmag 
bähet auch nicht aitgngeben, welchen Anteil bet Bearbeiter, Birector 
Arthur Beep, an bemfelben h<*t. So wie es hier bargeftellt worben ift,. 
i ft e» im Ganaen burdjau» bühnengerecht, — auch in bem Iepten, butch 
feinen ftaffen Snhalt abftoßenben Aufguge noch allenfalls bühnenfähig, 
liefet Borgug witb ohne ßtocifel aum nicht geringen Bljeile bem jeeuen* 
funbigen unb gefdjtdten Bearbeiter gugufdjteiben fein. 

tiefer lepte Act wirb, wie ich befurchte, ber Stein be» Anftoße» 
werben, wenn biefer Aufgug auch nicht fchrecflicher unb graufiger ift al» 
fo mancher Schlußact ber Shafefpeare’fchen Bragöbien; bei Shatefpeare 
gebietet eben bie ©ewunbetung bor ber Großartigleit allem Attberen 
Schweigen. Bi» annt Schluffe be» bierteu Aufauge» war bie Bheilnahme 
bc» Bn^lirum» eine allgemeine unb feljt lebhafte. (£8 ^errfd^tc gettweilig, 
namentlich währenb be» gweiten unb britten Aufauge», unter ben 3u= 
fchauern eine Stimmung ähnlich Wie jene, bie wir gelegentlich ber erften 
Aufführung ber „§erntann»fchtacht" bon steift beobachten fonnten. SJtan 
empfanb etwa» wie bie Offenbarung eine» bt»her unbefannt gebliebenen 
Schale», ber nun an» Sicht gehoben wirb. Rtan burfte hoffen, baß 
bem Repertoire unferet llajftfchen Dramen in einem bi»her unbefannt 
gebliebenen unb hoch&ebeutenben ABcxfe ein bauernber Gewinn augeführt 
werbe. Biefe Suberftcht ift inbeffen burth ben Iepten Aufaug in un» 
wicber ftarf erfchüttert Worben; womit inbeffen leine»weg» gejagt fein 
foD, baß be» Bearbeiter» Siebe«ntüh gana umfonft gewefen fei. 3 m 
Gcgentheil. Ba» SRaffinger’fche Brauerfptel enthält fo große unb unber* 
gäugltche Schönheiten, baß e» lebhaft beflagt werben müßte, wenn e» 
au» Rücffichten auf bie Bheatertaffe nach ben üblichen AnftanböborfteHungen 
bei Seite gelegt werben würbe, flu einem fogenannten ßugßücfe, ba» 
monatlich hier*, fünfmal unb öfter auf bem Settel fleht, qualißeirt e» 
fich freilich nicht. Rach längeren «Btmßfonräumen füllte e» aber al» 
eiferner Beftanb eine» wedjfelboflen unb reichen Repertoire» immer 
wieber einmal borgeführt werben, gerabe wie bie anbem wenig gefpielten 
Söerfe ber ftlaffifer, wie „HJtiß Sarah Sarapfon", „Buranbot", „Ber 
ftanbhafie Bring", „Bhäbra", „Ber Geigige" unb Diele anbere. 

Ba» üRafpnger’fdhe Brauerfpiel befipt eine einheitlich unb feft ge* 
fchloffene §anblung, bie fich &i» anm Schluffe be» bierten Aufguge» ein* 
fach nnb logifch entwicfelt. Ber Bieter hot uuf ben häufigen Scenen* 
wedhfel, ber un» felbft bei Shafefpeare ftört unb an» ber Stimmung 
reißt, bergichten fönnen. 3nt erften, gweiten unb Iepten Aufguge hat 
bie Berwanblung ber Bühne fogar gänglidh bermieben werben fönnen, 
unb im britten unb bierten Aufguge lommt nur je eine Berwanblung 
bor. 3n Begug auf ba» äußerlich Bljeatralifche erfüllt fomit ba» SRaf* 
fiitger’fche Brauerfpiel unfre mobemen üüünföe in höh^em Grabe al» 
bie Bramen ber geitgenoffen. 

Ber erfte Aufgug bringt bie lidjtbolle Gjpofition. 

SBir müffen un» ba gunächft über bie Berfonenfrage be» gelben ber* 
ftäitbigen. Auf bem Sattel fleht: „Subobico Sforga, §ergog bon 
Rtailanb." Biefer Subobico Sforga genannt „il Moro“, ift im 3ahte 
1508 geftorben. Bie ^anblung fpielt aber im 3«h re 1525 gur Seit ber 
Schlacht bei Babia, unb ba bon biefer mehrfach bie Rebe ift unb eine 
große Scene gwifchen Äarl V. unb bem fcergog bon SRaitonb fpielt, fann 
Btaffhtger an feinen anbem gebacht haben al» an ben gweiten Sohn 
biefe» Subobico, an Ftanceöco Sforga (f 1535). Unfer BarfteÜer ift 
bem Sorthum be» Bieter» gefolgt mtb hat in ber SDta»fe feinem ^ergog 
bie buntle Hautfarbe be» Subobico gegeben, welche biefem ben Beinamen 


be» „Rtohten" ober „Btauren" berfchafft hat. Bie Frage, wie „il Moro, u 
in biefem Falle gu tiberfepen ift, laffe ich bei Seite; fie ift ja fthon ge* 
legenttich be» „Othello" ber Gegenftanb einer langen unb giemlich über* 
flüffigen Gontroberfe gewefen. G» berfteh* fich, baß wir ba» ^iftorifch' 
Richtige bei unferer Rachergählung ber fefc|ferifchen Fabel unberüdfichtigt 
taffen nnb nur bon Subobico Sforga fpre^m, wenn auch France»co ge* 
meint ift. 

Biefer alfo, Subobico Sforga, beranftaltet gur Geburt»tag»feier 
feiner Gattin, ber holbfeligen Btarcelia, ein glängenbe» Ftft. Bie jungen 
Gh^ßatten finb für einanber in h e Wö et &i e & e entbrannt. Ba» Glftd 
biefer Siebe wirb bem jungen Baare inbeffen bon ber Rhttter unb ber 
Schwerer be» |>ergog 8 , 3 fabella unb SRariana, bie, burdh Btarcelia in 
ben $intergrunb gebrängt, auf beren Btachtftellung eiferfüchtig geworben 
futb, mißgönnt. 3 n einer gweibeutigen Haltung fchaut be» $ergog» 
Sdhwager unb Günftling, ben SRaffinger France»co nennt, bem Breiben 
gu. Unliebfame Botfchaften unterbrechen bie gefteöfeier. Äarl V. hat 
bie Btaitänber gefchlagen, unb weiterer ÜBiberftanb gegen ben mächtigen 
Sieger wäre nur nuplofe» ^inopfern bon Gut unb Blut. Bie böllige 
Bernichtung be» ^ergogthum» erfcheint unausbleiblich. Ber $ergog fchenft 
bem Rathe, fich far Äarl» Blajeftät gu fteüen unb ba», wa» er mH bet 
Gewalt ber ÜBaffen nicht mehr erfätnpfen tarnt, bon ber Gnabe gu er* 
bitten, Gehör unb befeptießt, fich in ba» taifertiche Säger §u Ba&ia gn 
begeben. Bebor er aber biefen fcpweren Schritt tput unb fich bon ber 
Seite be» geliebten SBeibe» reißt, hat er noch ein anbre» Gefchäft gu er* 
lebigen, ba» ihm menfcßtich näher geht unb ba» tiefer unb graufamer 
in fein 3nnere» eingreift al» ber mögliche Berluft feiner #errfchaft, ja 
feine» Seben». Gr fürchtet nicht ben Bob für fich, er fürchtet feinen Bob 
nur für SRatcelia. 

Sie allein laffen — allein auf ber blühenben Grbe, währenb er 
bermobern fott, allein, ohne feinen Schup unb ohne Rechte auf fie — 
biefer Gebante ift ipm unerträglich! Baß üRarcelia» lieblicher Stopf 
fpäter einmal — wenn bie giemliche Frift ber ehtfamen S5ittwenjch«ft 
berftrichen fein Wirb — gu irgenb einer Seit an eine» anbem Spanne» 
Bruft fich bergen, baß ein anbter an biefem Sdjap, ber für min unb 
alle Seiten nur ihm allein gehören fott, Befip ergreifen fönne — bei 
biefem furchtbaren Gebanten lobert bie wilbe Giferfndjt in ihm auf; fie 
benimmt ihm bie Beftnnung unb macht ihn gur Beftie. 

Seinem Günftling nnb Berwanbten F™nce 8 co bertraut Subobico 
biefe Seelenqualen. granceöco fott ihm h^fu 1 « Stirbt Subooico, fo 
foB ÜRarcelia fterben. Francesco muß mit einem heiligen Gibe fchwören, 
baß er in biefem Falle bie §ergogin ermorben wirb. Scßaubemb wttU 
fahrt F^anee»co bem fchnöben Begehren unb leiftet, nachbem er fi«h gu 
feiner Sicherheit bon Sforga» eigner $anb bie Beglaubigung hat au»* 
fteüen laffen, wie er nur auf Befehl feine» $erra ÜRarcelia ermorben 
foüe, ben geforberten Gib. — Ba» ift ber 3nhalt be» erften Aufguge». 

Sobalb Sforga ben Rüden gemanbt, berfuchen bie unangenehmen 
äöeiber, bie Bhctter unb Schwägerin, ber ehrbaren §ergogin ba» Seben 
gu berleiben nnb ben früheren Ginfluß wieber gu gewinnen. Blarcelia 
tritt ihnen mit SBürbe unb mit Gnergie entgegen, unb ba Ftancdteo, 
ber währenb ber Abwefenheit be» ^ergog» mit nahegu unbefchränfter 
Vollmacht au»geftattet ift, fich 0 ang auf bie Seite ber jungen ^ergogin 
flettt, macht er beren Briumph gu einem öoüfommenen. 

G» folgt nun — wir finb in ber SRitte be» gweiten Aufguge» — 
bie meine» Grachten» bebeutenbfie Scene be» Brama». 

Francesco erflärt Btarcelia, baß er fie ‘liebt. Bie $etgogin oer* 
ßeht ba» gunächft gar nicht. Sie tarnt e» nicht faffen, baß ent 3Renf«h 
e» wagen tönne, feinen Blid gu ihr, ber Gattin be» Subobico Sforga, 
gu erheben. Al» aber bie immer ftftrmifcher werbenbe« unb f<hHeßlt<h 
gang ungweibeutigen Grflärungen F*ance»co» ih r teinen S^nfel rneh^ 
an beffen wahren Gefinnungen laffen tömten, gibt fie ihrer Gictrüftung 
unb ihrem berechtigten Abfchcu ben ebelften Au»brud. Schon biefer 
erfte Bh*il ber Scene ift bon echt bichterifcher Gewalt. Aber Btafftnger 
fteigert bie SBirfung im weiteren Berlauf immer mehr. F^nnce»co läßt 
fich burch bie bontehme Snrüdweifung nicht einßhüchtem. Gr ertlärt 
ihr, baß er bon Subobtco ben Befehl erhalten hn&e, fie gtt ermorben. 
SRarcelia weicht einen Augenblid entfept gurüd. Ginen Augenblid ift 
fie wie betäubt. Bann aber gewinnt bie Siebe gu ihrem Gatten wieber 
bie Oberhaitb. Sie hält bie Behauptung F^uce»co» für eine elettbe 
Süge unb bleibt felfenfeft in ihrem Bertrauen. Ba weift ihr Francesco 
— unb jept gelangen wir erß gum $öhepuntte biefer WunberooBen 


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Nr. 48. 


Hit $t$tnma rt. 


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Scene — ben Befepl, bie urfunblicpe, non SuboVico verbriefte unb be* 
ftegelte Beglaubigung beS meucpelmörberijcpen RnfcplageS auf ipr Seben. 
Rtarcelia hält biefeS ©cpreiben in iprer jitternben $anb. Ber tieffte 
©tprnerz überwältigt fte. „O unnatürlich !" ruft fie mit mahrhaft 
©palefpcare’fcper Einfachheit unb ©röpe aus. SIber auch biefed au 6 er ft e 
SRittel granceScoS pat nicht Verfangen. „3m Bob noch bin icp Bein!" 
ruft fic bem ©atten zu, ben fte vor ihrem geiftigen Rüge zu erblicfen 
glaubt, unb inbem fie pch Verächtlich Von granceSco abmenbet, fchleubert 
fie biefem in tiefpem Rbfcpeu bie Poljen SBorte zu, bap fie ihn als 
genfer erwarte. 

Biefe ©eene, welche ben #auptbeftanbtpeil beS 5 weiten RufzugeS 
bilbet, ip von ungewöhnlicher ftraft unb ©cplicptpeit. Sie hat ein wapr* 
haft llafjtfcpeS ©epröge; babei ift pe auSnepmenb funffvoß gepeigert unb 
von einer burcpfcplagenben Bühnenwirtfamteit 

Ber britte Ret behauptet pch auf ber beträchtlichen $öpe, zu ber ber 
dichter Pch nunmehr erhoben pat. 

Er führt uns in baS taiferliche Säger von Bavia, wo ber fiegreiepe 
ftarl Y. ben gefchlagenen #erzog von Btailanb erwartet. Biefer er* 
ftpeint, — aber nicht, wie man gemeint patte, bemüthig unb flepenb, 
mit bem ©tride um ben $alS, fonbern mit erhobenem $opfe, ungebeugt 
unb im reichen ßrönungSornate. SuboVico führt eine fo ftolje unb 
waprpaft fürjilicpe ©pradpe, bap beS ÄaiferS 80 m entwaffnet wirb unb 
bap Äarl V. ben fterzog nicht bloS in feiner SBürbe beftatigt, fonbern 
ipn als neugewonnenen greunb in bie Rrme fcpliept. 

Ruf bie Repnlicpfeit biefer fehr fepönett ©eene mit ber berühmten 
©cplupfcene beS ungefähr gleichzeitig entftanbenen „Einna" von Eor- 
neiße (1636) — „Soyons amis, Cinna, c'est moi qui t’en supplie“ — 
foß niept befonbevS verwiefen werben. 

Rad) biefer furzen Rbfcpweifung füprt unS ber Bicpter wieber zur 
Herzogin jurüd, ber fiep nun granceSco abermals napt, um bieSmal 
mit gröperem Erfolge bie Siebe RtarceliaS jum Herzoge zu erfepüttern. 
3efct erft fept er fie bavon in ßenntnip, bap SuboVico ben Btorbbefepl 
nicht bebingungSloS ertpeilt pat. Rur für ben galt feines eigenen Rb; 
lebenS pabe SuboVico bie Ermorbung geboten. 

Ber Bicpter fapt biefe Befcpränfung unb 9Rilberung*mit poetifeper 
tfedpeit als eine ©teigerung unb Berfcpärfung auf. Ber bebingungSlofe 
Befepl §ur Ermorbung erfepemt ipm verzeiplicper als biefer bebingte. 
Biefer Ruffaffung gemäp panbelt auep Rtarcelta. ©0 lange pe nur 
wupte, bap ipr ©atte ipren Bob befohlen, pat fie einfach vor einer Un* 
bcgreiflicpfeit geftanben, opne bap baburep ipre Siebe unb Breue berührt 
worben wären. 3 efet aber, ba fie erteunt, bap ein bis zunt SBapnfimt 
gefteigerter wüfter Egoismus, bap fcpraacpvoße Eiferfucpt, bap elenbe 
Rngft vor einem fpäteren Rivalen biefen Befepl eingegeben — jept 
empört fiep ipre gehäufte SBeiblicpfeit unb fcplucpzettb ruft fie auS: „Bap 
mein ©atte fterbenb in mit bie Buple nur erlennt — baS fepmerzt!" 

Ba tritt fropgemutp unb fepnfücptigen BerlangenS ber $er$og ipr 
entgegen. Er miß fte in feine Rrme fcpliepen. Rtarcelia begegnet ipm 
mit faltet Qurüdpaltung; unb wie irr einer ähnlichen Situation ber 
peimfeprenbe $elb Rmppitrpon bie auffaßeitbe Unfreunblicpteit ber Rl!= 
mene gar niept faffen fann — „num tibi aut stultitia accessit, aut 
superat superbia“ — fo fiept auep SuboVico vor einem unlösbaren 
Rätpfel unb weip niept, ob er ben feltfamen Umfcpwung in ber ©efinnung 
feiner grau bem Rberwipe, ber tpöriepten Berblenbung ober bem un* 
erflärlicpen §ocpmutpe pfepreiben foß. 

SRatcelia beparrt in iprer eifigen Äülte unb enttoidelt ein förm* 
licpeS Programm iprer füuftigpin ötonomifcp $u bemeffenben Siebes* 
bezöigungen gegen ipren ©atten: „Sieben wir ntäpig!" BiefeS froftige 
Bernünfteln maept bem Herzog bie Qontaber noep mepr fcpmeßeit. Er 
ftöBt baS SBeib, baS er fo innig geliebt pat, Von fiep. Ein fepöner 
BerS brüeft bie Berzweiflung beS ©atten in ergreifenber SBeife auS: 

„Btarcelia zürnt! — Rein, mepr noep: fte erfaltet!" 

Ber bebentenbfte Bpeil ber SRaffinger’fcpen Bicptung (bie lepte 
$alfte beS zweiten RcteS unb ber britte Rct) ift hiermit Ictber abge- 
fepioffen, ©rope ©cpönpeiten enthalt $mat auep noep ber vierte, in 
Welcpem bie Eiferfucpt beS Herzogs auf granceSco gefepürt wirb; aber 
wir werben pier fepon burdp gewiffe ©ewaltfamfeiten, bie unferm ©e= 
fepmaef burcpauS zuwiber finb, abgeftopen. 3JHt teuflifepem Raffinement 
Wirb pnäcpft bnr^ bie treuherzige Bpotpeii ber beiben RatpSperren ber 
ftrgmopn SubovicoS angeregt; bann bur^ bie BoSpeit unb Berleumbung 


ber beiben unangenehmen SBeiber beftärft unb feplieplicp burep bie 
lügnerifdpe ©elbftanflage granceScoS zur ©ewippeit gefeftigt 

SRarcelia füßt als Opfer biefer Bporpeit, BoSpeit unb Ber* 
blenbung von SubovicoS eigner $anb. 

Ba, na^bem baS Ungeheuerliche gefepepen, erfäprt SuboVico gerabe 
wie Otpeßo, bap er fiep Von einem Rucplofen pat betpören laffen, bap 
er fein fcpulblofeS SSeib getöbtet pat. 

Otpeßo maept, naepbem ipm bie entfeptiepe SBaprpeit funb ge¬ 
worben, bem Samnter ein fcpneßeS Enbe mit ©epteden. Er töbtet ben 
Buben, ber ipn getaufept, unb töbtet fiep. SuboVico aber fcpleppt 
feinen 3 ammer noep einen langen %:t weiter. Rlafftnger wiß uns 
ganz Nar maepen, weSpalb granceSco fo teuflifep gepanbeit. Ber 
©^urfe foß uitS plaufibel erfepeinen. 3*u ©runbe ift eS eigentlich 
baSfelbe Sftotiv, baS 3ago leitet. 3a0® ^egt gegen Otpeßo ben Berba^t, 
bap er Von biefem in feiner epelicpen Epre gefränft fei granceSco ift 
zwar niept ber gelräntte Epemann, aber er ift ber gelränfte Bruber. 
Ber Herzog pat granceScoS ©cpwefter, Eugenia, geliebt, verfüprt unb 
verlaffen. 2Ufo auep granceSco erfepeint vor uns als Räcper ber ge* 
fepänbeten gamilienepre, beffeu Racpegebanten noep burep feine Seiben- 
jepaft für bie ©emaplin beS Herzogs verftörtt werben. 

Ba werben nun alfo noep Berbrecpen unb ©cpauerlicpteiten auf 
Berbrecpen unb ©cpauerlicpfeiten gepüuft. Ba rnüffen wir uns einen 
ganzen $lct pinburep angeficptS einer Seicpe auf ber Büpne gegenüber 
befinben. Ba feprt granceSco, ber flüeptig geworben war, in einer 
tinbifepen Berfleibung wieber. Ba wirb Eugenia, bie verlaffene ©e^ 
liebte, für bie fiep fein Rtenfcp interefftrt, ba fte wäprenb ber ganzen 
$anblung unbemerft abfeitS geftanben pat, auf einmal perbeigepolt. 
Ba verfaßt ber $«500 in SBapnftnn unb wirb feplieplicp mittels Ver* 
gifteter Blumen umS Seben gebracht. 

©0 in ber Bearbeitung. 3*u Original gept’S noep toßer per. Ba 
vergiftet granceSco bie Seicpe RtarceliaS mit einer ©cpminle, unb an 
biefer buftet fiep ber Herzog zu Bobe. 

Ba bringt fiep enblicp auep granceSco um, furcptloS, opne Reue 
unb ©ewiffenSqualen, mit tro^igen SBorten auf ben verblaffenben Sippen, 
als ob er ©ott weip metepe ^elbentpaten begangen pabe. kurzum, wir 
ftnb pier tief in wüften ©efcpmadlofigleiten unb grauenvoßen ißbfcptacp- 
tereien, unweit von jenem verpüngnipvoßen glede, wo baS ©raufige 
unb ©djauerlicpe mit ber unbeabfidjtigten Äomil zufammenftöpt. 

Bie Barfteßung verbient in ben brei ftauptroßen warme Änerfennung. 
$err Subwig (©forza) fpielte mit leibenfepaftlicper 2Bärme unb groper 
SBirfung. Bie 3«tentionen beS gräuleiit Elara Rteper (Rtarcelia) ftnb 
ebenfaßS burepweg zu loben, gnbeffen ftepen ipr für biefe Aufgabe ber 
leibenfepafttiepen Bragil, wie mir fepeint, niept bie voßen organifepen 
Rtittel zu ©ebote. Slucp fie erntete übrigens verbienten unb reicplicpen 
Beifaß. $err Äaple war namentlich iu ben leibenfcpaftlkpen SÄomenten 
wirffam unb tünftlerifcp. Ebenfo waren bie übrigen Roßen, namentli(p 
Äaifer Äarl (§err Bembal), ^eScara ($err Oberlänber) in treffliepen 
^änben. ^Cuf bie ?luSftattung unb 3ufceniruug patte ^err Birector 
Beeb, ber fiep für baS ©tüd als Bearbeiter noep fpeeieß intereffiren 
burfte, befonbere Sorgfalt gewanbt. Einzelne Bilber, wie baS geff z u 
Beginn beS BramaS unb baS faiferlicpe Säger mit ben gepanzerten 
Kriegern, patten eine fepöne malerifcpe SBirlung. 

paul iinbau. 


Die 53. 3ta9ßcUtttt$ ber jßönigli^t« ^kobemie ber 
&mtfte ju Oerlht. 

VI. 




2Benn biefe Betrachtungen im Stßgemeinen auep nitpt Äunffwerfett 
als Epronif bienen, bie aus bem ©epaffen einer vößig abgefcploffenen, 
in ber ©cpäfcung beS ^ßublicumS napezu piftorifcp geworbenen SReiffer^ 
fepaft pervorgegangen ftnb, fo palten fie fiep boep mit Äufmerlfamleit 
baS 3luge für Erfcpeinungen offen, in Welcpen etn beWupteS ^erauStreten 
auS bem gewopnten Greife, vießeiept gar ein fünfllerifcper SopanniStrieb 
vermutpet werben fönnte. Ricpt unbentlicpe ©puren bavon glaube icp 


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flte (Segenmart, 


Nr. 48. 


in NmbergS „Necßtfertigung" p ertennen. (Sin jugenblidßeS fßäteßen 
in bei bürgerlichen Xradßt beS notigen 3<*ßtßunbertS, fo eine Nrt 
„VßfafoeS mit ber ©einigen", Saftigen ©drittes ben einfamen SBeg oor 
bem ©tabttßor Oerfolgenb. (Sr bitterböfe, pgefnöpft, ableßnenb; fie oon 
ißrer guten ©aeße überzeugt, mortreieß unb lebhaft geftifulirenb. (Sin 
Vilb, baS im ©egenfaß p ber leibenben Nomantil, bie mir ermarten, 
Oon ber Xßeilnaßme beS VefcßauerS mit actioer Sebenbigfeit Vefiß 
nimmt unb hierin bureß bie non Hißlem XageSließt beftimmte (Sntfeßiebeu* 
beit ber Solalfarben uuterftüßt mirb. 5lucß bie Arbeiten non G. Veder, 
bem Vublüum mie immer mißtommen, möchte icß biefeS SRal nießt 
unermäßnt laffen. (SS gibt fieß in ißnen eine mefentlicße Vereinfachung 
unb ©tärfung ber bisher maßgebenb gemefenen eoloriftifeßen ©rurtb* 
fäße tunb. 

Nftt fießerm Naturgefüßl rneiß IRafd^e (3Rüncßen) in feiner ©eil* 
tänjergefellfcßaft non 1793, melcße nor ben Xßoren einer franjöfifdßen 
Vrooinpalftabt ißre fünfte probucirt, baS ^iftorifd)c Vilb p geben 
unb babei bocß bie frifeße Unmittelbarfeit eines mirtlicß angefeßauten 
Vorgangs über bie Xarftellung p nerbreiten. Xie feefe ©rajie ber p= 
bringlicß forbentben Häufler fte^t in gmangtofem §umor ber ©efpreijt* 
beit republifanifeßen ^S^Uiftert^untö gegenüber. 

3Rit größerem Slitfmanb non 3Ritteln unb ben ©cßmerpunft rneßr 
in bie figürliche Xarfteüung nerlegenb, malte 9Raj 3^9w (Xüffelborf) 
eine „Volonaife", mie fie etma ein Sahrjehnt fpäter in bürgerlichen 
Greifen ber fran^öfifeßen ©efellfcßafi pr Veluftigung im freien getankt 
fein mag. 3ft auch ber Zünftler ber für baS norläufige 3Raß feiner 
Äräfte noch etmaS p breit angelegten Aufgabe nicht noHfommen Speit 
gemorben, fo ftellt bie ßöfung feinem Talent unb bem (Srnft feines 
©trebenS hoch ein feßr günftigeS B^ugniß aus. Vielleicht mürbe fieß 
unfer Sntereffe bem Vierte noch entfeßiebener pgemanbt ßaben, menn 
bie Vlacirung eine eingeßenberc Vrüfnng beS elementaren ShmftgeßaltS 
nießt auSgefcßloffen ^ätte. 

Xer Katalog behauptet, baß baS außerorbentlicß reipoüe Heine 
Vilb mit ber matten Veftcidßnuug „Viel ßärm um NicßtS" ein V3erf 
beSfelben 3Raj Volfßart fei, ber nor einem 3 a ß r e in ben fonnenbureß* 
leuchteten ©laSmalereien eines SHoftcrintcrieurS bie Natur pm SBettfampf 
herauSforberte. (SS iß ferner p glauben. Nießt, baß ber Zünftler ein 
geringerer gemorben, aber er ift bis pr Untenntlicßfeit ein anberer. 
ßeießte ©ßaralteriftil bebingt grajiöfer Lebensformen, belicate Veßanb* 
lung unb gefcßmadoolle ©cßönfarbigfeit, in ber, ben Ximenfionen beS 
VilbeS angemeffen, ßier nnb ba ein norbringlicßer ©toff mit Vortheil 
gemilbert merben fonnte, nimmt er biefeS 3Ral als befonbere Vorzüge 
in Slnfprueß. (Sr oerfept uns um ßunbert ^aßre prüd in ben Vart 
einer römifeßen Villa. Motette grauen unb galante ©aoaliere, unter 
benen als ber galantefie ber Prälat nießt fcßlt, beluftigen fieß an bem 
SNifjgefcßid eines äBaeßtelßünbcßenS, baS in bem Vecfen einer grotten* 
förmigen gontaine Hägließ mit bem (Slemente ringt. 

Umfangreichere Necßenfdßaft als fonft legt 9Rajr 9Ricßael oon feinen 
oielfeitig anerfannten Shmftbeftrebungen ab. 9Rit bem malenben aRöncß 
fann ich mich troß feiner runblicß angebrungenen ©efießtsformen reeßt 
moßl befreunben. Xie intime ©timmung beS VilbeS behauptet fieß als 
felbftftänbigeS Verbienft neben ber ooHtönigen SRalerei. SBenn bie 
©cßäßung ber leßteren in grage fteßt, mirb ber Zünftler auf bie „(Sltern* 
freuben" oermeifen, unb eS iß nießt p leugnen, baß er feine coloriftifcßen 
Xenbenpn in biefem SBerle mit imponirenber Veftimmtßeit jum 3luSbrucf 
bringt. Allein abgefeßen Pon bem SKangel an formeller Xurcßbilbung, 
für bie mir bie fffrhtcipien ^ ßößerem ©rabe perantmörtlich ju 
fein feßeinen als baS relatioe 9Raß beS _tönuenS, mifeßt fieß ßier ein 
SRißbeßageu mit ein, baß bureß ben Veigefcßmacf ber gmportation be? 
bingt mirb. (SS bleibt ein unüermittelter ©egenfaß, mie jmifeßen eeßtem 
Xabal unb ber ciSatlantifcßen Verarbeitung, unb maS am ftarfften mits 
fprießt, bie Vlätter finb nießt Oon ben jüngften gaßrgängen; an ber 
Quelle mäcßft’S feßon mieber ganj anberS. 

Vanl XßumannS ©pfluS oon 8eicßnungeu ju (SßamiffoS grauen^ 
liebe unb Seben ßeüt bie Vebeutung folcßer Kräfte für bie mobeme 
Vucßillujtration ins ßellfte Sicßt. V3aS ßier in fünftlcrifcßer gorm ge= 
boten mirb, ift innerlich unb fcßöpferifcß genug empfunben, um auf ben 
©efeßmadf beS fßublicumS oerebelnb $u mirfen unb ißn p fieß empor= 
pjießen, oßne ißm eine über bie $raft geßenbe Slnftrcngung aujumutßen. 
9lbfolut betrachtet mödßten biefe Xarfteflungen ben Vegriff „grau" im 
©egenfaß $u ber etmaS leicßt gemogenen (Sinplerfcßeinung ju meuig er- 


feßöpfen, um als ^rßßaQifationen einer bureß ben (Sompontßeu in noeß 
meit ßößerem ©rabe als bureß ben Xicßter erregten VolfSpßantafie 
gelten p fönnen. 

©eßmerer finbe icß mieß in ber fünftlerifcßen (SmpfhtbuttSmeife p= 
reißt, ber baS Vilb „Verfttmmt" feine ©ntfteßung oerbanlt. 3fcß Bin 
empfänglich genug für bie (Slegonft ber Veßanblung, melcße ein Rares 
gormenbemußtfein baoor bemaßrt. fdßmäcßticß p merben; in ben Keinen 
©tubienföpfen fteigert fie fieß p beftriefenbem 3lei^ ^Iber fie ift nkßt 
auf iebeS Object gleich anmenbbar, unb mit ber Xerbßeit beS nieberen 
Volfs, aueß K>° eS bureß bie Xracßt beS Neapolitaners äftßetifcß geßoben 
mirb, gerätß fie in ©oüifion. ©leicßmoßl mürbe icß biefem angeßenben 
Siajjaroni unb feiner carina bie SBaßrfcßeinlwßfeit ntdßt fo unbebüigt 
abfpreeßen, menn icß in ißrem Verhalten eine ©pur oon naioer greißeit 
beS RuSbrucfS entbeefen fönnte. fofett, mie bie Vepießnung beS VilbeS, 
ift bie Nrt, in ber fieß bie fcßmoHenbe ©cßöne mit ber SRanbolhte p 
feßaffen ma^t; nießt minber fofett ift bie «guoerfießt, ^j er 

UnfcßnlbSbetßörer im ©efüßl feiner Unmiberfteßlicßfeit auf fie eimebet. 
3e meßr icß mir bemußt bin, ßier fubjeclioen Ruffaffungen SluSbrud p 
geben, je ferner liegt eS mir, mieß mit bem Urtßeil, melcßeS baS 
fproeßene V3erl ber NuSjeicßnung bureß bie Heine golbene SRebaille 
mitrbig eraeßtet ßat, in SBiberfpntcß p fepen. fBäre in biefem gafie 
nießt feßon bie ©umme geleifteter Xßaten entfeßeibenb, fo mürbe bie 
(Sinjelleiftung bureß ißre fpejififeß tünftlerifcße Xücßtigfeit eine foleße 
51ner!ennung Oon füuftlerifcßer ©eite in Ooßem ßRafce reeßtfertigen. 

3u 9RenplS VaHfouper, melcßeS an biefer ©tette bereits oon 
anberer ©eite meiner eigenen Slnfcßauung entfprecßenb gemürbigt mürbe 
unb bureß bie gütte feiner XetailS ein befeßreibenbes ©ingeßen auf bie= 
feiben ßier auSfcßliefjt, ift nacßträglicß ein oermanbteS Sßerf beS 3ReifterS 
oon geringerem Umfange aber noeß ftä\*ferer Nn^ießungSfraft ßinp= 
gefommen. 5luS feiner liebenSmürbigen ©cßilberung merben nuu au<ß 
biejenigen, bie nie ©elegenßeit hatten, unfern ©elbenfaifer im Umgänge 
mit ber Xarnenmelt p beobachten, bie Ueberjeugung erlangt ßaben, baj 
er an feinem §ofe noeß immer ber galantefte (Saoalier ift. Söenn man 
bie .traft ermifet, bie mit (einem anberen Nüftjeug, als ber in baS 
eiferne ©ebäcßtniß geäßten Veobaeßtung ben ©eßein beS Äugenbliefs 
unter plaftifcßer ©erauSarbeitung cßaraftcriftifcßer ©injelßeiten im engen 
Vübe feftpßalten unternimmt unb ju folcßen SRefultaten tommt, bann 
empfinbet man baS SRecßten um gemiffe Slccentoerfcßärfungen ober 
malerifcße Unebenheiten als miferable tleinigfeitSfr&merei. 

Nucß SBilßelm ©enp ift mit einem umfangreichen, oon blenbenbem 
©onnenlicßt erfüßten Vilbe auS bem VollSleben Algeriens glättjenb 
oertreten. 3« gerabep oerfeßmenberifeßer SBeife finb bie SRotiüe geßäuft. 
Vießeicßt ßätte bie ©efammtmirlung beS impofanten SBerfeS gemonnen, 
menn unfer 3ntereffe bureß ©injelßeiten meniger intenfio in Änfprucß 
genommen mürbe. 

9Ran mirb eS troß beS SlbftanbeS ber Xarfteflung nießt ungerecht* 
fertigt finben, ba§ icß ßier ein bie Nicßtung bebingungSloS eßatalterifirenbeS 
Vteiftermerl beS Verliner Naturalismus anreiße; icß meine ben tußfiatt 
oon Vaul aReperßeim. 

Vergleicht man ein foldßeS Vilb beifpielSmeife mit einem gemifj 
nießt §u unterfcßäpenben ©cßafftafl Oon Vrenbel, fo ergeben fieß fofort 
bie entfdßeibenben ßRertmale für feine ©attung; eS ift lein Xßierftüef. 
Vielmehr ein ©tüd mobemer (Sultur in feinem malerifeßen ©eßein p 
bilblicßer ©efcßloffenßeit munberooß erfaßt. Unb icß benle, eS ift Voefte 
barin. Xie Sßerfpectioe, melcßc naeß bem genommenen ©tanbpunK uu= 
nacßficßtlicß ißre (Sonfeguenjen gießen muß unb ben Rbftanb in ben 
©rößenoerßältniffen ber gigureit äftßetifcß übertreibt, feßeint mir nießt 
in bem Ntaße moßltßuenb, als fie richtig ift. 

3n bem Neicß ^mifeßen §immel unb ©rbe empfängt uns aueß biefeS 
Ntal oor aßen anberen ©uftaü ©pangenberg mit einem bebeutenben 
Söerfe. aiuS bem Streife ber außerorbentlicß bilblicßen unb ergreifenben 
Vorfteßungen oon bämonifeßen ©emalten, meltße in oerfüßrerifeßem 
©eßein bie leießt erregbaren SRenfcßen Oom V3ege ab inS Verberben 
loden, nimmt ßier ber ©pn! beS grcütßtö tünftlerifcße gorm an, aber 
mie mieß beueßt, mifeßt fieß barein mit rüßrenber SRacßt bie Ve$ießung 
pr äitrüdliegenben SBirtlicßfeit. Von prfließenbem ©eßleier ummaßt, 
feßmebt matt leueßtenb eine jugenblicße grauengeftalt über bampfenbem 
3Roor bureß bie Xämmerung traurig baßin unb $mingt ben feßnfucßtSOoß 
naeßftürmenben 3üngling unter ißrem 3^uberbamt pm leßten ©cßritt 
inS Vobenlofe. 


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Nr. 48. 


Dir (Segen wart, 


349 


$aä 33i(b f)at nad) jwei ©eiten I)in um feinen ©inbrurf ju fampfen 
gehabt. ES rief unabweisbare Erinnerungen an oerWanbte Sfteifterwerfe 
toadj unb war in einer ftunftauSftetlung überhaupt nießt an feinem 
Bloße. ©erabeju unerträglich wirfte in bet erften geil bie unmittelbare 
Aacßbarfcßaft beS Durchganges mit feiner concurreuglofen föaumüertiefung. 
3folirt unb in ftimmungSoofler Umgebung möchte eS mit faum geringerer 
Urfprünglicßfeit ficß ber Bßantafie beS empfänglichen BejcßauerS be¬ 
mächtigen, als eS fo oiele feiner Vorgänger gethon. 

Aucß Emil Doepler ber Qüngere hat eS Oerfucßt, fich aus ber Enge 
irbifchen AnfcßauenS pßantafieüoll ju erheben. Qft eS ihm biefeS 2ftal 
nicht gan$ gelungen, fo intereffirt eS hoch, feinen 28eg $u oerfolgen. 
60 lange bie fünftlerifcße Qbee in bem Sfia^nbucße beS 5)ialerS nach 
gorm rang, mar fie eine bureßaus glüctticf>e. Aber baS Unternehmen, 
ben ©etft eines AlbumblatteS mit Delfarbe auf eine foloffale Sieinmanb 
ju übertragen, trug bie Bebiitgung beS 9ftißlingenS in fich- 0chmiub 
hatte baS getonnt, wenn irgenb Einer; mir hätte er taum baran 
©eßßntad gefunben. Auch relatio bleibt ber Zünftler hinter feiner Auf= 
gäbe jurüd. ES fehlt ber .§aucß einer ibeeHen Tönung. Bis 511 ben 
gTojjen feßwaraen Bucßftaben herab, bie feine ©otßif fünftlerifch beleben 
tonn, ftört eine materielle Disharmonie unb fcßließt felbft bie Söirfung 
als architeftonifche Decoration aus. ©leicßwoßl ftehen biefe Arbeiten 
hoch über ber SRaffe gelungenerer ©leicßgültigfeiten unb fegen Oon ber 
eigenartigen Triebhaft 3eugniß ab, bie in bem Titelblatt ber bem faifer= 
liehen ©aare $ur golbenen §ocßaeit überreichten Abreffe ber berliner 
Äaufmannfcßaft ju burcßauS abgefchloffenen unb in mannichfaltigfter 
SBeife feffelnben SRefultaten gelangt. 

^35Bie fie rofenbefrän$t mit bem fiilienftengel Blumentßäler betreten, 
0ommerüögeln gebieten mag" — fo ftellt uns grana Arnbt (Söeimar) 
bie feltfame Tochter QooiS, ber ber Dichter als feiner ©öttin ben häuften 
B*riS beftimmt, im anmutigen Bilbe bar. DaS heitere s Jtaturgefüßl, 
bem folche fünftlerifch gefeftigteu Anfcßaunngen entfprangen, ftrömt ooß 
auf ben Bejcßauer über. ES fteeft barin etwas oon ber ftraft, „über ben 
buntlen ©enuß unb bie trüben Scßmeraen beS augenblicflichen befchräntten 
Gebens 5 U erheben". Auch bie fübitalienifche Sanbfcßaft läßt fich nicht 
fo ohne Weiteres unter ber 9ftubrif Stil abfertigen. AllerbingS jieht 
ber Äünftler mit rüdficßtslofer Eoitfequena bie SBur^el auS ber Statur. 
Aber waS ihm übrig bleibt, ift feine troefne SRebuction, fein erftarrenber 
Schematismus; immer noch lebenbige Statur genug, um ©efüßl für 
lanbfchaftliche Schönheit unb bie Sehnfucht nach ber Sonne Römers 
mächtig 511 erregen. 

Unter ben DarfteHungen auS bem Stofffrcife ber Antife ermähne 
ich bie Entführung ber §eleita oon s Jt. 001 t Deutfeh, ein Bilb mit 
lebensgroßen giguren, welches einige 3eit oor beginn ber AuSftetlung 
in ben Befiß ber 9tationalgaIerie übergegangen ift. Die etmaS flache 
Süßlicßfeit ber topfe ßinbert baS Söerf nicht, burch eine harmonifche 
Bereinigung Oon DurchfchnittStugenben bie Sympathie bcS billig 
urtheilenben BefcßauerS ju erwerben. Der fchöpferifche ©ebanfe möchte, 
wenn überhaupt, in ber ni<ht reijlofen Bertßeilung oon Sicht unb Schatten 
ju fueßen fetn. Bon Sachoerftänbigen härte ich über bie pßpfifalifcße 
©efeßmäßigfeit A ber bargeftettten Action lebhaft ftreiten. 

8 wei löftliche Bilber römifcher Eultur unb Sitte oon Alma=Tabema 
bürften bie 3 a hl feiner Bewunberer auf bie alte £öße gebracht haben. 
Bemächtigt er fich tu ber DarfteHung beS AmbaroalienfefteS bei bem 
Tempel ber EereS unferer Bßantafie mit ber ©emalt eines Bödlin, fo 
fteht ihm für bie Schilberung beS ßeralicßen gamilienwiebetfeßenS ber 
AuSbrud unmittelbarfter Qnnigteit mit bem Entlang gemüthoollen 
$umotS ju ©ebot. Unb babei fcheint bie Jperrfcßaft über bie drittel 
feiner tunft noch ftetig ju wacßjen. 9ftan oerfolge nur in folch einem 
fleinen Bitbe bie Einjelheiten, bie bem SReifter teiner nachmacht. 
Seine ©taubmürbigfeit als SBieberherfteller antifer SebenSerfcheinungen 
fommt gar nicht mehr in ftrage. Er überzeugt, unb bamit ^ßunftum. 
©leichmohl barf man erwarten, baß h* er ^äer fur 5 ober lang ber 3 ad)= 
mann mit bem Slefthetifer gemeinf(haftliche Sa^e macht; Oon einer 
tlarftellung etwa obwaltenber gweifel tann nur eine richtigere, feine 
geringere Schaffung refultiren. 

„Die gacfeln beS 9tero" oon Siemirabjfi haben ben Sefem ber 
„©egenwart" feiner 3«* wohl feßon $Red)enfchaft abgelegt. Die un= 
motioirte SEötebertehr mußte bie Theilnaßme für baS großartige SBerf 
nothwenbig abftumpfen. SBenn ich auch baS 3«ö^i äeS ©Uten nidht 
unbebingt §u rechtfertigen oermag, fo glaube ich barin bodj nur ben 


gefährlichen Trieb eines gewaltigen ftraftbewußtfeinS ^u erfemten, baS 
fich «ater gleichjeitiger Entwidlung aller erworbenen gertigfeiten mit 
einem Schlage in ben Borbergrunb ftellen WiH. Unb jiehen wir bie 
Summe biefer gertigfeiten, bann möchte, felbft ohne 9iüdficht auf baS 
SebenSalter beS Zünftlers, jebe Wnmanblung, fein BJerf gering §u fchäßen, 
einer aufrichtigen Bewnnberung 9iaum geben. 3n ber Dämmerung be^ 
bedter Tage übte baS Bilb bie Schauer feiner granenooHen ©egenfäße 
mit erhöhter ©roßaTtigfeit. 

3luch bie monumentale SJtalerei hat in bem grieSabfchnitt für bie 
UnioerfitätSbibliothef, bie Disputation ber Sorbonne oor Subrnig bem 
^eiligen barftellenb, eine achtuuggebietenbe Bertretung gefunben. Otto 
Änille erfaßt feine Aufgabe nicht auSfchließlich in hiftotifd) realiftifdjem 
Sinne; feine Slrt oermittelt feinfühlig ^wifcheit ben rabicalen Parteien. 
Die Harmonie ber leichten gärbung in breiten Sofaltönen auf ©olbgrunb 
unb ber bamit oerbunbene milbe Sichtreij geben biefer Arbeit etwas 
SJhiftergültigeS. 

S^ur mit pchtigem Blid barf ich bie noch übrigen ©ebiete über- 
fchaueu. Qm ©anjen ift ber Einbrud ein außerorbentltd) günftiger. 
Unter ben Saitbfchaftern hat biefeS Sttal wohl Dswalb tlcßenbach bie 
meiften Stimmen auf fich bereinigt. MerbingS braucht man feiner 
Shmft nicht näher ju ftehen, um oon einer fo phänomenalen Erfdjeinung 
wie biefe monbbeglän&te Santa Sucia überwältigt $u werben. 9Jteiu 
5lntheil an bem ewig jugenblichen Schaffen beS Zünftlers hat niemals 
0 d)wanfungen unterlegen; aber auch ich muß befennen, baß ich burd) 
bie fpejififche äJteifterfchaft in bem flehten Bilbc auS ber Umgebung oon 
Neapel überrafcht Worben bin. Das Bewußtfein 001 t ber EinfchränfungS^ 
fähigfeit ber fünftlerifchen Mittel leiftet hier BSuitber. 

Bon ben Auswärtigen nenne ich oor Allen Schamphcleer, beffeit 
großartige Schilberung eines wilb anbraufenben A3etterS oollen Erfolg 
errungen hat. Ditffelborf erschien mir befonberS ftarf in ben Arbeiten 
oon Düder, Deiters, gahrbach nab Oeber. AnbreaS Achenbach hierbei 
auSbrüdlich ju nennen, wäre eine ^ßaiOetät, bereit ich mich nicht fchulbig 
machen möchte. Dagegen Will ich nicht üerfäumen, bem ftaturftubium 
Clof QernbergS ein warmes „9htr fo fort" jiijurufen. Auch Alfreb 
Böhnt bewahrt namentlich in ber fleinen Stranbfcenerie feine gefdjäßte 
SiebenSWürbigfeit. Karlsruhe tritt mit einem ^teifterwerf ©ubeS auf 
entfeheibenbe SBeife ein. Die AuSficßt überS 3Jfeer oon ber Qnfel Arran 
rechne ich ju bem Scßönften, waS wir feiner ®unft oerbanfen. Der Btid 
für biefelbe war burch eine etwas öbe Sfeihe gleichartiger Er^eugniffe in 
ben lebten Qahreu abgeftumpft. Bracßt behauptet ben Ehrenplap, ben 
er in fchnetlem Anlauf erobert; aber er läuft ©efaßr, auf bemfeiben 
oergeffen jn werben, wenn er nid)t halb Oon ber Erweiterung feiner 
Sftaturaufchauungen 3 e t^ e n gibt. $ugo ÄitorrS Eibfee hat mich burch 
Ernft unb ftiüe §oßeit troh ber leifen $ärte im ©rün lebhaft ange= 
jogen. s Jiicßt minber ber Sonnenuntergang Oon Äonrab Sefftng. Uebcr 
bem eigenartigen Bilbe feßwebt ein $aucß Bödlin’fcßer 9^aturemppnbung. 
Qcß gebe mich biefent Talent gegenüber großen Erwartungen hin. 
SBeimar ftü^t fieß biefeS 3tRal oorjüglicß auf Sttalcßin, ber in feiner 
fpäten Entwidlung — ber Zünftler ßat erft ttn 35. SebenSiaßre jitr 
Palette gegriffen — ein rapibeS SöadhStßum jeigt. ^agenS Alpenlaitb: 
jeßaft ift ein gewaltiges Bilb; icß muß baS a priori behaupten, ba bie 
^placirung ein Urtheil burch Augenfcßein nießt juließ. Ein titanifeßer 
Finger mit ber s Jfatur unb ein §eroS, wenn er enblicß ju ftegen oermag. 
Die Alpen feßeinen fteß in ber ©unjl ber mobernen SanbfcßaftSmaierei 
Wieber meßr ju befeftigen. Qntereffant ift eS, wie Oerfcßieben fie fieß 
in Augen unb ©cift fpiegeln. Blan Vergleiche ^amede, ßubwig, S. 
Spangenberg, Engelßarbt unb Anberc, bereu oerbienftlicße Arbeiten Oon 
ganj ungleichartigen Anregungen ausgegangen ju fein feßeinen, oßne 
baß eine Berufung auf bie lofalen 9tüancen jugetaffeu werben fann. 
3Äit ScßerreS, BenneWiß, glidel, §ertel, Äoerner, Füßling fieß ein- 
geßenber ju befcßäftigen, würbe aueß biefeS 9Ral eine erfreuenbe Aufgabe 
fein. EfcßfeS Erfolg ift bureß äußere 8 c ^ e « genugfam conftatirt. 
Unter ben Scßilberern bewegten 3BafjerS feßien mir $utß au ent= 
feßiebeneren SReJultaten gelangt als biSßer. 3n $eterfen bürfte baS 
ftille SBaffer einen berufenen, vielleicht auSerwäßlten Qnterpreten 
gefunben haben. 

Die Tßierwelt tritt uns in einer gejcßloffenen 9?eiße oon 2Reifiet= 
werfen entgegen, über benen baS Äapitalbilb Oon Fröner im Scßmnd 
ber großen golbenen SRebaiHe tßront. ES genügt ßier, bie tarnen 


% ^teßerßeim, Braitß, Brenbet, Tfcßaggenp jur ErWedung ßoßer Bor* 

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350 


9ie (StgenuHtrl. 


Nr. 48. 


fteHungen zu nennen. Seorg $ocpS Steeple (Epafe geigt baS Talent 
biejeS begabten ÄünftlerS in oieloerforecpenber Säprung. Xie beabficp* 
tigte gemtoirfmtg beS foloffalen ©ilbeS erwies fiep als eine ganz außer* 
orbentlicpe. 

Xem Stillleben rnenben fiep immer mehr Kräfte unb bei ernftem 
Streben unter felbftpänbigen Scpulanregungen mit fteigenbem Xurcp* 
fcpnittSerfolge ju. Auep pier ift Oor Stilen mieber p. ©teperpeimS 
zu gebenfen, beffen luftige Scpilberung eines „ fernen abräumenbeit" 
AffenS bie ftunp beS ©teifterS frei oon allen Hemmungen unb Scpladen 
barjiettt. $ertelS gifepe unb ©lumen geigen ben Zünftler noep immer 
ü la recherche d’un style. Ober glaubt er ihn bei ben granzofen 
Wirflidfj gefunben ju paben? 3« folgen Arbeiten bemunbere icp baS 
eminente Xalent, fic^ frember (Emppnbung zu bemächtigen. Aber ich 
glaube ju fepr an bie Stärle jeiner eigenen, um mich bamit §nfrieben 
Zu geben. 

Von bem ihtpferftiep Will ich nur ermähnen, baß er ber flajpfcpen 
ffunft mieber einmal einen namhaften Xienp geleipet. XaS ©tatt oon 
Snftao (EilerS nach bem ©tlbniß beS Kaufmanns Sifze oon $olbein ift 
zunäepft burch bie feine (Entppnbung unb teepnifepe Sicherheit auSge* 
zeiepnet, mit bem eS ben Vortrag unb bie (Emaille beS Originals mieber* 
gibt. Aber eS bebarf auch einer fehr fcharfen unb helläugigen Ver¬ 
gleichung, um in bem Äopfe eine geringe Abfcpwäcpung ber breitflächigen 
formen zu entbeden. 

Xie piaftif pat uns in ben LetiefS für baS Srabbenfmal ber (Gräfin 
Szecpenp bon Profejfor $arl ftunbmanu in SBien SBerfe bon feelen* 
oollßem Abel unb formenreinper Anrnutp gefpenbet. Xurcp bie ans 
bem eigenften 3<P empfangene grauengepatt, metepe als Allegorie beS 
LeicptpumS etne ber SRifcheit in bem Saale ber LeicpSban! zu fcpntüden 
beftimmt ift, fcpließt IR. ©egaS mieber ein 3Ral jebe Vergleichung aus. 
SBir miffen im Voraus, baß er bie fpmbolifcpe gbee nicht in großem 
Sinne erfaffen rnirb. XaS ift nicht ber Leicptpum, ber in ber §anb ber 
aBeiSpeit fegenSreiche ©taept bebeutet. Aber märe biefeS fchöne, ftolje, 
bornehme SBeib auch mirtlich nur baS Sinnbilb übermütigen SujuS, 
ihre lebentyrfipenbe (Erfcpeinung bannte uns boep mit ber unmiberpep* 
liehen Semalt einer zur Jperrfcpaft berufenen Latur unter ihren Souber. 

Cp. £. 


3tott)en. 


Xie politifcpe Situation im 3nnern unb nach Außen hotte feit 
bem hörigen Sommer unb fcpließlicp im §erbft eine fo grünbliche Aenbe* 
rung erlitten, baß gahttofe Politifer ben Äopf barüber berloren unb bem 
XecorationSmecpfel rathloS gegenüberftanben. SBer nicht gern in ben 
Xag hinein fepmapt unb eine angeborene Abneigung gegen eine Xialeftif 
empfinbet, bie pep bom Abenb zum ©torgen regelmäßig wiberftmept, 
ber mattete bor ber Stellungnahme lieber ab, baß pep bie Xinge ein 
menig geflärt unb bie journalipifcpen Xiffonanzen in einen berftänbigeren 
Sujammenftang fich ouflßften. XaS Verfahren mar um fo rathfamer, 
wenn biete Surüdpaltung burep eine zeitweilige Slbmefenheit beS SBochen- 
chronijten bon Vetlin, bur^ einen Aufenthalt in fonnigeren Segenben 
unterftüpt mürbe. Xiefe Slätter hotten überbieS ben unfehäpbaren Vors 
theil, baß fie in ihrer jahrelangen ©eurtheilung ber Sachlage, ©ußlanb 
gegenüber, nichts ju änbern, nichts jurücf^unehmen brauchten. SBieber 
einmal hot fich Ö^flt, baß bie Sprache ber infpirirten Organe über 
bie mirflichen Stimmungen unb Verftimmungen ber Äabinete unb naments 
lidj ber leitenben Staatsmänner unter einanber nur einen fepr preeären, 
fchon meil unauSgefept wechfelnben AnpaltSpuntt bietet. 3Ran hat bort 
tagtägliche ©ücffichten ju nehmen, bie eine offene unb fachgemäße Xar* 
fteüung behinbent. gort unb fort hotten mahrheitstiebenbe unb meniger 
nach ßt^onsig Seiten hin genirte Seute jehon mährenb ber glittermod^en 
beS XreifaiferbünbniffeS unb im weiteren Verlaufe btefer Vernunftheirath 
bor einer Ueberfchäpung ber heutigen Sfluffenfreunblichleit gewarnt. §alb= 
megS eingemeipte ©lätter, mo^u bie „Segenmart' / jeberjeit in erfter Sinie 
gehörte, mußten, wie eS ftanb unb baß jmifchen ben ^eichsfanjlern 
©eutfcplanbs unb ©ußlanbs niemals, wie bie (Engiättber fagen, biel 
Siebe berloren mar. ©tan wollte aber nicht hören. (ES mürbe tapfer 


gegen Alles geljept, WaS Vußlanb unangenehm mar unb bie beutjeh* 
treffe nahm fich, m *t wenigen Ausnahmen, oft genug ofßciöS ruffifd^ 
aus. ©idfjt feiten gingen bie sperren mit lanbeSüblicher Srünblid^leit 
unb ©aibetät noch weiter; fie überboten mit ihrem flabenfreunblichen 
Sebahren bie ©toSlomiter felbft unb waren rufftfeper als IRußlanb. 
SBaS mar bagegen ju tpun! 9Ran mürbe ber SBarnungen in ber SBüfte 
fatt unb erwartete lieber gebulbig, baß bie beutfehen Propheten unb 
^erolbe ber ©ortfepafom unb Senoffen enbli^ §ur Vernunft fänten unb 
jmifepen ben greunben unb geinben XeutfcplanbS beffer ^u unterfepeiben 
müßten. §ier wie überall brauchte man nur bie 3)inge eine §eitlang 
ftep felbft au überlaffen, bamit bie aßaprheit burepbretpe unb baS reale 
Sathberpältniß fiep für bie furjficptigften Augen an bie Oberfläche arbeite. 
3Ran fennt ja bie Antwort beS gewiegten Xaflepranb, wenn junge Xiplos 
maten oermiefetten Problemen gegenüber ipn ängftlich fragten, was fie 
tpun füllten? Rien! ermieberte ber SRintper, ber ihnen beim Abfcpieb 
noch baS berühmte: et surtoot pas de zfcle! naeprief. ©tan fönnte ben= 
felben Vatp attju eifrigen (Eollegen geben, bie in ©efämpfung beS Un= 
ftnnS unb ber Seibenfcpaft oft ibre Sunge feponen unb manchen $aber 
ftep erfparen foHten. ©tit ©eftimmtpeit ließ fi^ üorperfepen, baß bei 
bem erpen Aufeinanberpoßen ber Sntereßen bie fcplecpt oerpüllten Segens 
fäpe jmifepen Xeutfcplanb unb IRußlanb peroortreten mußten. So ip eS 
auep gefepepen unb ber 3»iefpalt wirb pep jmar nach einiger Seit äußer* 
licp glätten, aber niept fobalb emplicp oerwtfcpen laffen. ©ejeiepnenb 
genug mar man feit 3opren in militärifcpen Greifen über ben mirllicpen 
Stanb ber Xinge jWifcpen ©erlin unb Petersburg oolltommen unter* 
rieptet. @S ift eine menig befannte Xpatfacpe, baß beutfepe OfPjiere, bie 
pep jum ©efuep in ber rufPf^en $auptftabt aufpielten, fepon oor längerer 
3eit oon befreunbeter Seite ben 9tatp erhielten, Pe möchten beim AuS* 
gepen bie peimifepe Uniform oblegen. Xie Äenntniß folcper unb äpn* 
licper factifcper ©tomente mar für bie richtige Scpäpung ber Sage non 
größerer ©ebeutung als foaltentange fogenannte Petersburger Sjcurfe, 
bie in ben PreßbureauS an ben Ufern ber Ptema ober fonpmo präparirt 
unb oon bet gaffenben ©tenge gläubig pingenommen mürben. Xie 
Seheimgejcptcpte ber Vorgänge, bie ju ber lefeten aSBenbung gefüprt paben, 
unb bie fepon eine lange Seit pinaufreiept, wirb erft fpäter gefeprieben 
werben. Aber was baoon fepon jefct beglaubigt ip, reeptfertigt oon 
Steuern, mit einiger Aenberung, ben AuSpmicp beS norbifd^en Staats* 
manneS, man foüe pingepen unb jufepauen, wie leicht ber große Raufen 
mit palbmapren Lebensarten getäufept unb über baS, was pinter ben 
(Eoutiften oorgept, auf g^twege gefüprt werbe. GHüdlicp, wer auf feine 
publicipifcpe Arbeit unbefangen prüdbliden unb emppnblicpe ©orrecturen 
entbehren lann. 

* 

* * 

Xie „Segenmart" pat ber oon aBilpelm Onden perauSgegebenen 
Allgemeinen Sefcpid^te in (Einjelbarftellungen (®. Srote’fcper 
Verlag in ©erlin), ihrem Plane unb ihren Aufgaben Oor wenigen ©to 
naten eingepenbße aa&ürbigung ju Xpeil werben laffen. Von bem groß* 
artig angelegten, bebeutfamen aSerle liegen gegenwärtig jmei neue Ab* 
fepnitte, bie Abtpeüungen 9 unb 10 oor. ©eibe überzeugen aufs Leue 
oon ber inneren Xücpttgfeit ber Sammlung. Xie 9. Abteilung beginnt 
ben zweiten ©anb oon ^erpbergS Sefcpicpte oon ®eÜaS unb Lom. Auch 
in ber tömifepen Sefcpicpte bemäprt fiep Supaü ©erpberg als ber 
grünblicpe, mit bem gelehrten unb piporifepen Aw<nut oollpänbtg oer* 
traute Autor, ber überbieS burch gewanbte XarfteHung feinem XSBerfe 
auep ben aöertp anforedjenber gorm z« oerleipen weiß. Leiche iHupra* 
tioe ©eigaben oon trefflicper Ausführung na^ antiten Vorbilbern be= 
gleiten in inftructioer SBeife bie Scpilberung. — Xie 10. Abteilung 
füprt in eine ber intereffantefien @b 0< Pcn ber neueren Seit, in baS Seit* 
alter SubmigS XIV., meltpeS oon Profeffor ©tartin ppili^^fon 
gefepilbert Wirb. Xie Xarftettung berupt erpcptlicp auf gewiffenpafter 
unb umfaffenber ©enupnng ber zuoerläfftgPen neueren gorfepungen unb 
midptigpen zeitgenßfpfcpen Quellen. Xer Verfaffer ip tief in ben Seift 
jener (Eb°cpe eingebrungen unb fein aO&er! bürfte unter aßen einfcplagen* 
ben, zum Xpeil fepon burep feine oortreplicpe XarPeßung, opne S^eifel 
baS geeignetpe fein, baS manuiepfattige, bunte unb eigentpümlicpe Seben 
jener (Epotpe bem gnterePe unb Verpänbniß ber Segenmart gu näpern. 
Xieje Abtpetlung zeiepnet fiep burep ga^Iretdpe gßuprationen auS: Por¬ 
träts naep Driginatpicpen auS bem 16. unb 17. gflprpunfcert in guter, 

, Abbilbungen 


bie alten Originale treu copirenber gacpmileauSfü 

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noer ^ac|imueauoyu 

Googlt 



Nr. 48. 


Bit <Rt$tttm ari 


851 


bet ©cßlöffer SubwigS XIY. jc. unb ein facftmilirter ©rief beS großen 
ftönigd an feinen ©torfcßall Turenne finb ebenfo cßarafteriftifche unb 
injiructiüe, wie an fieß fcßöne, baS 28er! jierenbe ©eigaben. — Tte tppo* 
graphifcße ÄuSftattung bei 2BerleS öerbient baS ßöcßfte Sob. 

* 

* * 


Sodann Georg ©ijt’S SebenSerinnerungen. VerctuSgegeben oon 

G. ©oel. Gotßa 1880, griebr. Anbr. ©ertßeS. 32 ©ogett. 

SßreiS JC 8. 

Sin ©ucß, baS nach gorm uub Sn^alt woßlgeeignet erfcßeint, atl= 
gemeine Aufmerlfamfeit ju erregen; eine ©elbfibtograpßie, ßerrüßrenb 
öon einem ©tonne, beffen ©ante nicht nur in feiner eigenen Heimat 
(ben Slbherzogtßümern) befannt ift, fonbern meinem burch bie eigen* 
thümliche Geftaltung feiner ©cßidfale Gelegenheit gegeben Worben, mit 
ausgezeichneten ©tonnern jebeS ©tanbeS, im 3n* unb AuSlanbe, in genaue 
©ezießung zu treteg. Obgleich burch feine Gabe leichter ©tittßeilung 
unb bie reichen ©cßäfce feines Sunern mit allen Sigenjchaften eines 
ßeroorragenben ©cbriftfteflerS oerfeßen, ift er bem größeren ©ublicum 
hoch wohl nur befannt geworben burch baS geiftreiche ©cßriftcßen: ,,©cßön= 
born unb feine 3eitgenoffen". 5tbcr mit oollem ©echt burfte ^rofeffor 
SBurm in Hamburg bei Verausgabe einer Oon unferem ©erfaffer ßer= 
rührenben politifcßen Tenffcßrift fagen: baß er zu ben SBenigen gehöre, 
bie zu wenig getrieben hoben. 

Ueber bie Grünbe feiner fchriftfteHerifchen 3urüdßaltung hat f»<ß 
ber VerauSgeber in ber Sinleitung beS ©äßeren auSgefprocßen, bie im 
Uebrigen burch wahrhaft herzcrhebenbe ©ttttßeilungen auS ©riefen unb 
Tagebüchern beS ©erfafferS beffen ©elöftfcßUberung in banfenSWertheftcr 
Sßeife oeroollftänbigt unb unS zugleich über feine fpäteren SebenSfcßid* 
fgle nicht ohne AuSlunft läßt. Tenn was in bem oorliegenben, auf 
Zwei ©änbe berechneten SBerfe mitgetheilt wirb, enthält nur baSjenige, 
was ber ©erfafjer felbft als abgefchlofjeneS Ganzes betrachtet hot: bie 
3eit Don feiner Geburt i. 3. 1775 bis zum Snbe feiner biplomatifcßen 
Laufbahn i 3- 1815. 

Sr hotte biefe Tenlwürbigfeiten nur für bie ©einigen beftimmt; 
aber gewiß barf man fid) Glücf münfdjen, baß, nachbem feit 1815 über 
fecßzifl/ unb feit bem Tobe beS ©erfafferS über breißig 3oßre baßin» 
gegangen, bei ben ©acßlebenben ber 28unfcß einer ©tittßeilung biefer ebeln 
Gabe bie ©ebenlen fiberwmtben hot, welche fieß an jene SBeifung beS 
©erfafferS fnüpfteu. 

Ueber ben reichen 3uholt beS ©ucheS nur in aller $ürze golgenbeS: 
Geboren in einem ßolfteinifcßen ©farrhoufe, fchilbert ber ©erfaffer zu= 
nächft bie 3oßte feiner Äinbßeit; eS folgt bie Seit, welche er auf bem 
Vamburger Gpmnafium unb ben Uniberfitäten 3ena unb fftel zugebracht, 
©och Üeoor er feine ©tubien oottbracßt, wirb er nach Kopenhagen be* 
rufen, wo er, als ©riöatfecretär bei bem ©taatSminifter Grafen ©cßimmel* 
mann angeftellt, bie ©efanntfchaft beS Grafen Gßriftian ©emftorff macht 
unb burch biefen in bie biplomatifdje Sarriöre gelangt. 3euge ber ©chlacht 
auf ber ftoptttßagener »hebe i. 3. 1801, geht er halb banach als Se^ 
gationSfecretär nach ©eterSburg unb wohnt ber Kaifetlrönung in ©toslau 
bei. Tarauf wirb er mehrere 3oß*e erft als SegationSfecretär unb bann 
als chargä d’affaires in ©tobrib befchäftigt, unb in bem für feine Veünat 
fo oerßängnißüolten goß** 1807 war er es, welcher als chargä d’affaires 
in Gnglanb bie biplomatifcßen Gefcßäfte beforgte. Tamit fchließt ber 
borliegenbe erfte ©anb; im zweiten, beffen Trud begonnen worben, ift 
befonberS baSjenige, waS ber ©erfaffer als beteiligter Augenzeuge über 
bie Seit ber franzöfifcßen Dccupation VomburgS unb bie franzöfifcßen 
Suftänbe i. 3- 1816 mittheilt, in ßeroorragenber SBeife geeignet, baS 
3ntereffe ber Sefer zu feffeln. 

Ter Genuß, welcher hier burch ben ©etcßtßum ber ©djilberungen 
bon ©egebenheiten, ©aturfcenen unb ©erfönlicßfeiten aller Art bargeboten 
ift, wirb erhöht burch bie anmutbige gorm ber Ginfleibung; ein eigen» 
thümlicßer ©eiz aber möchte ber TarfteUung eben beS UmftanbeS wegen 


inne wohnen, weil fie, bon VouS aus nicht für bie Deffentlicßleit be¬ 
ftimmt, jenen Sßarafter ber Unbefangenheit unb Vtwgebung an ftdj tragt, 
welcher bem ©riefwechfel bertrauter greunbe eigen zu fein pflegt. 3m 
Saufe mehrerer 3oh« mit Unterbrechungen niebergefchrieben, unb teil* 
weife laum wieber nachgelefen, mögen bie ©lütter, wie ber ©erfaffer 
meint, an gehlern ber Smnpofition leiben; es finb aber gehler, bie 
anbererfeitS wohl für ©or§üge gelten bürfen, unb baS ift eS auch wohl 
worauf ber ©erfaffer hiubeutet, wenn et über feine Arbeit urteilt: ,,©ie 
ift unooWomraeu, ein 2Berl ber ©tunben, in beneu fie eutftanb, aber 
eben baburch auch ein befto eigentümlicherer AuSbrud meiner Anfichten 
unb Gefühle."' 

* 

* * 

Tie ©erlagSbuchhonblung bon Sari Gngelßorn in ©tuttgait, 
welcher ber SöeihnachtSmarlt einige feiner beften Sieben zu bauten hot 
(Z- ©• „Stalien", „AuS beutfchen ©ergen" k.), wibmet auch bem bieS= 
jährigen gefle eine ©eihe bortrefflich auSgeftatteter ©änbe: bie Anfänge 
einer „grauen = ©ibIiothefSS ift nicht zum erften ©tat, baß biefer 
Titel uns begegnet; niemals jebodj) ift er mit größerer ©ereeßtigung ge= 
führt worben, als bon bem hm begonnenen Unternehmen. Ueber bie 
3wecfe beSfelben äußern fieß bie V era uSgeber mit anertennenSwertßcr 
Älarßeit. „SS bergeßt lein 3oß r / ohne unS eine beträchtliche Anzaßl 
bon ©üeßem für bie „grauenwelt^ $u bringen. Tiefe Srfcßeinung hängt 
innig mit ber immer tiefer greifenben ©ewegung zufammen, welcße für 
bie grauen eine umfaffeitbere unb gebiegenere ©itbung bertangt unb 
gerabe in ißr baS h^lfomfte ©Uttel gegen jene SmancipationSgelüfte 
erblicft, bie nur auf Störung beS eeßten weiblichen ©inneS gerichtet 
finb. Ter größte Streit ber für grauen beftimmten literarifcßen ©ubli= 
cationen wenbet fteß an bie größere Srregbarleit ber grauen imb ©täb= 
cßeit, fueßt Smpftnbung unb ©ßantaße zu befcßäftigen, oßne bem 3« ; 
teKect ©aßrung zu bieten; er berfüßt jeben, auch ben Ueinften Gebanleu, 
welcher bon ©eite ber Seferin eine ernftere Tßättgfeit berlangt, ja, nießt 
fetten fätfeßt er bie ©lahrßett, um bie Aneignung beS SeßrftoffeS zu er¬ 
leichtern. Taburcß trägt bie betreffenbe Siteratur meift ein bitettanten- 
ßafteS Gepräge an fieß unb lann ebenfo nur ein unüareS ©Hffen er* 
Zeugen. Tie Vouptfacße bei jeber berartigen ©eröffentlicßung feßeint uns 
ZU fein, baß fie ben ©toff, welcßen fte barbietet, bon höheren GeficßtS= 
punlten orbne, bamit ber Sefer in ber gülle zufälliger Sinzelnßeiten 
nießt ben gaben ber Sntwidelung bertiere. ©ie muß aber zugleich auf 
bie ©atur beS SBeibeS unb auf bie Art ber bisherigen Srzießung ©üd= 
ßeßt neßmen unb nießt burch eine pebantifeße gorm bie Suft am ©tubium 
Zerftören. TaS 3beal, wetcßeS bem Unterzeichneten VerauSgeber bor* 
feßwebte, war bie Verkeilung bon ©ilbungSbücßern, beren äftßetifcß ge* 
bitbete gorm fte zugleich zu einer anregenben unb im ebten ©inne unter» 
ßaltenben Seetüre macht; fein 3&eat war eS, ben grauen unb ©täbeßen 
TeutfcßlanbS ©üeßer zu bieten, welcße nießt ber ©tobe wegen nur gelauft, 
fonbern getefeu, unb zwar nießt nur einmal gelefen unb bann bei ©eite 
gelegt, fonbern als greunbe ber gamilie ein liebes, bleibenbeS Sigen* 
tßum werben, baS attmäßlicß zum geiftigen ©eftpe wirb." TieS finb 
ganz gewiß lobenStpertße Anfcßauungen unb tobenSWertß fmb bie praf» 
tifeßen gotgerungen, wie fie in ben brei oorliegenben ©änben gezogen 
erfeßeinen. 3u bem erften berfelben beßanbelt Dtto o. Seijner „bie 
bilbenben fiünfte iu ißrer gefcßichtlicßen Sntwidelung^, ber 
Zweite bietet eine „Gefcßicßte ber beutfeßen Ticßtung oon ben An s 
fängen bis zur Gegenwart" oon ©ießarb ABeitbrecßt unb in bem 
britten erzäßlt Äart Tßeobor ^eigel bie Gefcßicßte ber beutfeßen 
Äaifer. 3n llarer, allgemein oerftänblicßer TarfteUung werben ßier bie 
©efultate wiffenfeßaftii^er gorfeßung einem weiteren Äreife zugefüßrt, 
als beffen befte ©epräfentantin zwar bie lernbegierige grau zu betrachten 
ift, oßne baß biefelbe ben naeß gortbilbung ßrebenben ©tonn auSfcßließt. 
3n biefem ©inne perbient baS Unternehmen, zu beffen gortfüßrung fieß 
berufene Kräfte bereinigen, angelegentlicßft empfoßlen zu Werben. Unb 
baS gefeßeße hiermit 


®iefer ©ummer liegen bon nacßfteßeuben girmen folgenbe ijflrüfperfe bei: 


«. «fljer & (Comp, in Ocrlin — „Mu^tanbif^e Siteratur". 
Carl Krabbe in Stuttgart — „'•Sernftein’a natunoiffenf^afttic^e 
SJotfebüc^er" ic. 


Stbriibcr SRii^eti in Ocrtin — „$etme3=Säfte au* Dl^ntpia — 
3tad)trafl 2. ißreiäöerjeidjnifj ber ©tjpögie^erei". — 

SB. Seemann in Stuttgart — „^öuftr. ®ertag8=5ßerjei^ni6". 

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352 


• 1 1 111 n v « 1 1. 


Nr. 48. 


$ » f t x a i t. 

Man abonnirt bei allen Postanstalten 
pro Monat December 

auf baö 

^npctlntt“ 

nebft feinen 3 ©eiblättero: 3 ttuflr. SBitoblatt 
„ULK“,©elletrtft. 2 Bodjenfdjrift: „Berliner 
Sonntagsblatt w , SBödjentlidfjen SJMttfyeL 
lungen übet Landwirtschaft, Gartenbau, 
Hans wirthschaft“ 

für nur 1 Mrk. 75 Pf. 

(alle 4 ©iätter jufamnten). 

I 2 )a 3 „Berliner Tageblatt " ift bie 
inljaltreidjfte u. billigfte beutfdje 3 eitung. 
©8 erfd&eint täglich ftfectmal, 

' alä unb Ätett&blött 

unb bringt alle tui^tigen SRadjridjten 
mittelft ©pectal Telegrammen unb ©or* 
refponben$en au 8 allen SBeltbläfcen. 

Ken Mnzutretenfle Abonnenten 

erhalten bie bt 8 jum 1 . December er= 
ftßtenene größere $älfte be 8 mit fo öielem 
©eifall aufgenommenen SRomanS: 

„Auf Irrwegen w oon E* Vely 
gegen ©infenbung ber ftbonnement^CLuittung 
gratis unb franco nadjgeliefcrt. 


ra—s»— sn~ 






9leuer Serlag boit Otto Sjiamet 
in Seipjig unb ©erlin. 

ftc ft|lt ber gartenprr. 

fiultnrgcf’djidjllidjt €r|l|!ang aus hm 
Beginn ber ront!fd|rn BaiferjcU. ©mt 
Dr. 8t. Styoetter. 9Jtit 80 Tejt 
Äbbilbungen unb einem Titelbilbe 
non Hermann ©ogel u. Äonrab 
©rmifd). ©legant geheftet JC 5. 
©legant gebunben JC 6.50. 

|n fajttljfi inrr| aOt gudjljankl»mgttt. 




^ Soeben erfdjienen tu nuferem ©erläge: Jjg 

J)er jünger oon 5>djtra$. I 

I)afisisc^c guber fc 

t)erbeutfcf)t oon f 

3frieöricß ^So&ertfJeöf. I 

Xiamant Ausgabe. I 

iDiit fieben color. Titelblättern nach Original Tompofttionen ® 
oon fr. Skarlutia. Qn $odf)feinent ©tttbanbe ©rei3 5 JL w> 

1 ^ 3U* i>tnt ItadjInITe ks Ärjtt-Sitwfft. | 

Sßeueä ßieberbuef) I 

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PRACHTVOLLES FESTGESCHENK! 
DAS 


Woldemar Kaden. 


»iefe« flnu^tnurlt erßtn Hanges 

bringt in trefflid>en $oljf(bnitten, begleitet 
oon einem intereffanten unb gebiegenen Xejt, 
bie gange ©djtoeij in Sanbfdjaft, BolWleben, 
glora unb Sauna jut Xarfteflung. 

421 ©eiten in ftolio mit 351 Xejtittuftra- 
tionen unb 90 Bilbern in £onbrucf. 

Jn Bradjtbanb nad) einem CriginaHMnt- 
murfe bon Urtfjitett Jtb. 

Preis: 75 Mark. 


Verlag von J. Engelhorn in Stuttgart. $i IfjifJjra kir^ eit $u|- vnk |iip|s8il*H§f*. 


St 


Otto Sparer’! üdrirtt f etelts-lvitäten 

sind Noeben erschienen u. liegen in aUen gutenBuchhdlg. s. Ansicht ans. 

Verzeichniss empfehlenswerther Gesch enk- 
werke für Jung und Alt gratis und franco. 

Aus Orten, in denen Buchhandlungen nicht bestehen, wende man sich 
an die Verlagsbuchhandlung von Otto Spanier in Leipzig, QeUertstr. 2 3, 
in Berlin SW., Grossbeerenstr. 75. 


Bei Otto Meissner in Hamburg ist eben 
erschienen: 

Die Historia 


Hern Hattwlt M der treaei Else. 


J. von Wildenradt. 

Eleg. geb. 6 JC 

Diese Dichtung, welche sich den besten 
der neueren Zeit würdig anreiht, führt den 
Leser in das Land der Dithmarsen nnd 
schildert an der Hand historischer Begeben¬ 
heiten Land und Leute, Sitten und Gebräuche 
des alten Freistaates um das Jahr 1500, ab¬ 
schliessend mit dem gewaltigen Freiheits¬ 
kampf der Dithmarsen gegen den Dänen¬ 
könig Hans. 

Der Verfasser hat aus dem vorhandenen 
culturgeschichtlichen und historischen Mate¬ 
rial mit konstgeübter Hand ein bleibendes 
Denkmal geschaffen. 

gUtorttaii, girtiii, N.W., ttronprin&enufer 4. 


Prachtvolles Festgeschenk 1 jttlag mb JL <jagrl^acn in gt»tt$nt. 

■ rvi i -w w fi -m t Bon biefem fo auterocbentliib beliebten $rad)ttDerTe 

■ III I I 1 A ift foeben bie roefentiid) oerbefierte unb bunt eine t>or< 

II Im I IÜ m jäglidie ®eg» unb Xertainfarte ber ^albinfel öereitberte 

II II I M V jweite Auflage erft^ieneu. 

| | r| | 11 111 II Bein SBerl bürfte fidi beffer gu flgefi^enfen eignen, 

I I IIJI IJ li all biefe ^errlicbe ©d)ilberung Italien«, bie feit bem 

■" Ä ißüiu 1 Beginn ihre» tttfibeinen« oon bem gebilbeten Bubtitum 

-• A 11 .. am j ah *l«An unb ber gefammten ftriti! mit ungeteiltem Betfan auf« 

une Wanderung von den Alpen genommen »orten m. 


Eine Wanderung von den Alpen 
bis zum Aetna. 

In Schilderungen von 
Karl Stieler, Eduard Paulus, Wold. Kaden. 
I lllußtrirt von unsern ersten Künstlern. 
Zweite Auflage. 


402 ©eiten ist galt« mit 290 ZertiHitfetHiiini, 
96 »ilberu in Xonbnuf unb eine Barte. 

?ra<9t6anb. 

75 ^arfl. 

(Manu auch in 37 Lieferungen kJt 1.50 in beliebigen 
Bioifcbenräumeu bezogen werben.) 

1 h itjitl)« kuid; alt find| uil lii^nktiijn. 


Neue Kataloge 

über m. antiqoar. Bücher-Lager, ca. 200,000 
Bände, gfr&tis-franco. Angabe d. gewünschten 
Wissensch. erbeten. 

L. M. Glogau Sohn, Hamburg. 

$ftt bie Mebaction oerantwortllib: #<org Stifte in ^rrfiit. 
Srutf bon M. fmflner in /einig. 


Der neue Catalog der 

Collection Litolff 

ist durch jede Musikalienhandlung gratis 
und franco zu beziehen. 


fzpebittmi, fUrftt» Beßren • ©trabe 4. 


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* 49 . 


Stettin, len 6 . JJecemlet 1879 , 


Band XVI. 



#c 0 cnuinrt 




SBoßenfßrift für fiiteratur, $unft unb ößentlidjeS fiebert. 


Herausgeber: 2?attC «^tltbait in ©erlin. 


ftkn 5nuhri rtfociit ehe glaset. ® e rle 8 et: «corn «tüte in »erliu. ’ N* P» ®“ tW * i«i 50 ft 

3 « Beitete« bur<$ alle ShuManblmtgen unb <Boftanttartem 3 nfetat< lebet Ärt pro Sgetpaltene fktitpilt 40 fty. 


$ie Xödjterfdjulen in ftranfreid). $on Sdjiteegana. — fiiterotnr mit) Ruft: gerbinanb greiltgratfjS (SrfHiitge. ©oit SBtUjelnt 
ftfffwiff • ® ut § ncr * — $eutfdje SRetiaiffance. ©oit SB. ßübte. — Serbien unb bie Xürlei im 19. 3a^rbunbert. ©on Seopotb oon 8ftoit!e. 
. ©e[proben üon <B. SB. — tta$ bet #aujitffat>t: ©on ben Sweatern. ©on j. h. — Sloti^en. ßiterarifdje Sßeuigfetten. 9fage$eigt mm 
©. 8 . — Offene ©riefe unb Änttoorten. — 3nferate. 


Die ilödjterfdjuien in /raithrtid). 

©on 21. Sdjneegans. 

Seit ber‘©efeftigung unb bem innern Smporbtößen ber 
gemäßigten liberalen {Republif ßat fiß in granfreiß bie SIuf= 
merffamfeit ber leitenben Kretfe, ber Komment fowie ber 3te= 
gierung, in ganj bejonberer SBeife auf bie Unterrißt«fragen ge« 
ridjtet. Serfßiebene größere Arbeiten, SRaterialfammlungen unb 
©erißte, ßnb in ben beiben teßten faßten, fei ei in bem 
„Journal officiel“ fei ei in ben fpectell für bie Sbgeorbneten 
beftimmten *Drucffaßen" oerößentlißt rnorben, bie un« beweifen, 
mit weißem Sifer, mit Weißet Sorgfalt ba« franjöfifße ©ar= 
lament in biefen Gingen Oorjugeßen benft; mäßrenb im borigen 
Saßre bie ftbgeorbnetenfammer fiß noß mit ben allgemeinen 
(Einrißtungen be« ößenttißen UnterrißtS befßäftigte, wie wir 
ti au« bem bamat« erfeßienenen ©erißte be« Deputaten ©opßet 
etfeßen, fo tritt ße in ißter jeßigen Sefßon feßon ben fßecieflen, 
tiefer in baS UnterrißtSwefen eingreifenben Drganifationäfragen 
näßer, ße rißtet nämliß ißt ganj befonbere« Stugenmerf auf 
ben bi« oor einem gaßrjeßnt in granfreiß »ottftänoig bemaus 
läfßgten Unterritßt ber SRäbßen, worau« feßon ju ertennen fein 
mag, baß fie ben Knabenunterricßt al« auf ßeßerer ©afi« rußenb 
anßeßt, unb baß ße nun, naeß ©otlenbung jener erften Stufgabe, 
ß<ß biefer jweiten, be« SRäbeßenunterrißt«, mit gutem Oewiffen 
unb oßne ©ernaßtäfßgung ber, naeß ißren Slnßßten, wießtigeren 
Knabenfßulfrage wibmen tann. 

Da« SRaterial, ba« ber franjößjßen Kammer über ben 
SRäbßenunterrißt borliegt, iß ein feßr umfang:, feßr teßrreicße«. 
6« iß bon einem ber jüngßen Slbgeorbneten, Herrn Samitte 
Säe, au« etfäfßfeßer Familie ftammenb, berarbeitet unb im fRamen 
ber befonber« ju biefem Sweefe eingefeßten Sommifßon in gorm 
eine« ©erißt« an bie Kammer jufammengefafjt worben unb wirb 
borau«ß(ßtlicß ben in ben näeßftfommenben üßonaten ju erwarten: 
ben Debatten jur Unterlage bienen. Die Sommifßon, au« elf 
SRitgliebern befteßeub, unter weißen bie tarnen ber Herren 
Sßatamet, ©aul ©ert, ©tißon, Deäcßanel, bie in Unterritßt«: 
fragen befonber« bewanbert ßnb, ßeroorgeßoben ju werben ber: 
bienen, ßat ßiß über einen boQßänbigen ffiefeßentwurf einig ge: 
maßt, ber bon bem näßßen gaßte an ben SRäbßenunterrißt 
in ganj granfreiß naß einßeitließen ©rincipien organißren foü. 
Der ©eriißterftatter aber ßat biefe Gelegenheit benußt, um ber 
Kammer nißt nur alle granfreiß betreßenbe Daten, fonbern 
au<ß uoeß eine feßr forgfältig jufammengejogene, bie @efeßgebung 
ber anberen Sänber, ber Sdßweij, ber betriebenen beutfeßen 
Staaten, Snglanb«, Stmerila«, Italien«, ja fetbß 9iußtanb« be: 
treffenbe Sammlung borjulegen. @« bieten biefe oerfeßiebenen 


Sefeßgebungen be« gntereßanten feßr biel; noeß intereßanter 
aber iß ber auf granfreidj fpecieK bejiiglüße Dßeit be« ©eritßte«, 
namentli^ weil er bie Suftänbe be« grauenunterri<ßt«wefen« bot 
unb na^ ber fRebotution bon 1789, mit ©enußung ber beßen 
unb gtaubwürbigßen Quellen, fowie bie aQmäßticße, wenn, autß 
feßr langfame unb in ißren fRefuttaten feßr fpärlicß breinfeßauenbe 
(Entwicklung biefer Stßulen feßilbert ®n ber $?anb biefe« ©e= 
rießte« be« Slbgeorbneten (Samiße Säe unb be«jenigen be« Slb= 
georbneten ©oßßet über ba« Unterricßtäwefen im Slßgemeinen 
fann man ßcß ein tlare« unb boßftönbige« ©itb ber fran^ößfeßen 
Suftänbe auf bem Gebiete be« ößentlicßen Unterricßt« jufammen: 
ßeßen. 

©on einem franjößfeßen, repubtitanifeßen Slbgeorbneten fann 
man in ber jeßig'en Seit nießt »erlangen, baß er nidßt jebe @e= 
legenßeit ergreife, um ba« Sob ber SRepublif ju ßngen, unb um 
einen biefer Staatsform günftigen ©ergleicß mit bem „alten 
^Regime" aufjußeßen. Diefem $ange, ber ßeute noeß burfiß bie 
ganje franjößfdße, fowoßt potitifeße al« audj rein beßetrißifeße 
Siteratur jießt, ßat ber Serfaßer ber ©eritßte über bie Dö<ßter= 
fcßulen aueß %eßulbigt; er ßat nämlicß bamit begonnen, biejeni: 
gen Sägen ju ftrafen, Wetcße beßaupten, ba« „alte {Regime" Don 
1789 fei im ©runbe gar nießt fo oerabftßeuung«würbig ge: 
wefen, al« man ”e« unter ber erßen ßteoolution unb bem erßen 
Kaiferreicß gefagt; im ©egentßeil, ba« Königtßum ßätte bamal«, 
... auf fÄeblicßem fflege, afle bie {Reformen, bie bie 8te»olution 
~ buteß bie ^errfeßaft ber ©uißotine ju erringen fueßte unb nießt 
erringen fonnte, angebaßnt, unb eS fei bie Slnfeßauung, baß nur 
oon 1789 an granfreieß in eine Slera be« gortfeßritt« getreten 
fei, eine oon ©runb au« irrige. So ganj Unreeßt ßaben biefe 
©ertßeibiger be« „alten {Regime" nießt, ba oielfaeß in ben leiben: 
fcßaftlicßen ©arteifämpfen, feit ben leßten aeßtjig gaßren, bie 
oorreoolutionäre Seit mißfannt ober aueß oerfannt worben ift, 
ober aueß bie (Srrungenfcßaften ber {Reoolution auf nieten @e-- 
bieten übertrieben worben finb; womit wir freitieß Weber bem 
alten Regime ein abfotute« Sob fpenben, noeß anbererfeit« bie 
Srrungenfcßaften ber 89 er ©eriobe al« nufl unb nießtig erflären 
wollen. SSie bem nun fei, in bem ©erießte, ber oor un« liegt, 
wirb bamit angefangen, ein öilb bet oorreoolutionären S*it ju 
entwerfen, ein reißt büftere«, in fßarfen Umrißen fßwarj auf 
grau gejeißnete« ©itb. Die bekannten Sitate ber grau Oon 
Säoignä unb Sabrußäte« über bie ©ärger unb ©auem im 17. 
Saßrßunbert füßren un« in bie ©ebanfenentmicfelung ein, Weiße 
ber ©erfaßer »erfolgen wirb: „äRan ßat," fo fßreibt bie grau 
oon Säoignä, „ben ©ärgern eine Xaje oon ßunberttaufenb Dßa: 
lern (Ecus) auf erlegt, unb wenn biefe Summe Selbe« nißt 
binnen oierunbjwanjtg Stunben bejaßit ift, fo wirb ße »er» 
boppett, unb werben bie Sotbaten beauftragt, ße ben Seuten 


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354 


9t* ffcgcnamrt. 


Nr. 49. 


abjuforbetn. SRan hat eine gange grojje Straffe öerbrannt unb bereit man bie Singe bei ßid)te, fo mu| man ju ber Ueberjeugung 

©etoohner fortgejagt, unb bei Iobe«ftrafe oerboten, biefe ßeute* in tommen, baff eigentlich nur in ben Kläffern ein richtiger Unter: 

bie Käufer aufjunehmen; fo baff man jefet alle biefe Unglüdliehen, ricpt erteilt mürbe; hinter biefe Sftattern hotte fi<h bal gttfkige 

Stauen in Säodjen, ©reife, fleine Kinber, um Me Stabt herum* ßeben geflüchtet, unb nur unter ben gütigen ber KM|e hatte 

irren fiel}!; fte meinen nnb jammern unb miffen nicht, mo Je p<h bie mahre Schule hetau«gebilbet unb herauöbilben Mnnen. 

ftcf h* nWen ^ ett foHen, mo fie fi<h hinlegen tönuen. . . ." So gteilich, bergleicht man jene Jtlofteifdjulen mit ben jefcigen Start«* 

ftanb e« mit ben Bürgern in ben Heineren Stühlen; fotgenber* fänden, fo mirb man pnben, bah ein himmelmeiter Ttatecfteeb 

mähen befdjreibt ßabrupöre ben 3uftanb ber Bauern unter bem jmifdjen ben beiben befteht; aber anbetfeü« barf man aaä) 

groben König ßubmig XIV.: SRan trifft auf bem ßanbe nicht ju grohe Anforberungeti an jene, aul btm Sticht« herbor* 

gemiffe fCheue Iljiete an, männlichen unb meibliihen ©efCfjleCht«; gegangene unb ben erften ©runbftein eine! ©ebäube« in ein 

fdjmarj, fehlest au«fehenb, oon ber Sonne gebrannt, h a P« tt ©tadjfelb legenbe Anftatten machen. S3a« bie SRümterflöfter 

fie an ber ©rbe, in ber fie hartnäÄig herumarbeiten. Sie anbetrifft, fo fanb man beren, bie in ben gröberen Stäbten 

haben etma«, ba« einer artitulirten Stimme gleicht, unb menn gut eingerichtete KnabenfCfjuIen nnb ©pmnafien errichteten unb 

fie fleh aufrecht auf ihre jtoei Silbe fteHen, fo geigen fie ein unterhielten; anbei« aber belieft e« fich mit ben Stonnenllöpernr 

menfdjliche« ©epdjt, unb eS finb auch toitttich SRenfdjen; be« „mit Ausnahme," fo fchreibt ber Serichterftatter ber franjöpfchen 

Stacht« giehen fie fich in ihre Sdjlupfminfet gurüd, mo fie iieputirtenlamme*, „mit Ausnahme ber Klöper, in metdjen bie 

pch mit Scffmatjbrob, Säaffer unb SBurjeln ernähren; burdj lödjter bet höheren ©efeflfdjaftsftänbe lebenbig begraben muvbe«, 

fie finb bie anbern SRenfdjen ber Sorge ju fäen, bie @rbe um bie AuSpenet ihrer ©rüber ju oergröffern, fanb man in 

ju bebauen unb ju ernten, um ihr ßeben ju friften, enthoben; fie ben StonnenHöftern nur Unmiffenheit unb Aberglauben. Sieje 

haben alfo mohl auch ba« Stecht, be« ©tobe«, ba« fie gefäet haben, Klöper nahmen ©enfionairinnen an, um Stobijen ju geminnen; 

nicht ju ermangeln." 3m 18. 3ahth u «bert 0«ht e« taum beffer; fie eröffneten Schulen, in benen nicht« Anbere« gelehrt mürbe 

ein ©auet fchreibt bon 3ean Sacque« Stouffeau: er btrberge feinen al« Striefen unb Stäben; jumeiten auch noch ßefen nnb Schreiben. 

Säein unb fein ©rob bor ben ©eamten be« gütpen, meil e« ber* Keine bon biefen S<hmeftem oerftanb etma« bon Orthographie 

loren märe, menn man metfen fömtte, bah er nicht junger« fterbe; ober gar bon ©efdjichte." Oeffnet man bie Stegifter, in welchen 

et mage e« nicht, ba« ©rob, ba« er gefäet hatte ju effen, unb bamal« bie ©eburten, §eirathen, SterbefäBe eingefdjrieben mürben, 

er fönne bem {Ruin nur babnreh entrinnen, ba« er biefelbf Arm* fo peljt man mie menig ßeute e« gab, bie anber« al« mit einem 

jeligfeit jur Schau trüge, in welcher feine StaChbarn lebten. — Kreuje ju unterjeicfjnen im Stanbe maren, unb felbft ben Buch* 

Baff. bei folchen 3upänben ber öffentliche Unterricht unb gar ftaben berjenigen, bie ihren Stamen ju jeidjnen bermochten, peht 

ber SRäbChenunterridjt ein recht erbärmlich« fein muhte, liegt man e« an, bah fte bie einjigen maren, bie überhaupt an« 

auf ber $anb, unb menn ber öerfaffet biefe« Bericht« an bie biefen Sehern fliehen tonnten. grantreich jählt freilich feit bem 

franjöfifche Beputirtenfammer feinen ©egnern, ben Anhängern 16. 3“h r h UI, bett manche Stauen, bie in. ber ©efchidjte ber 

be« „alten {Regime", bie ©ertfjeibigung, ja felbft bie ©loripeation ßüeratur einen nicht unbebeutenben ©lafj einnehmen, fo ba« 

ber borrebolutionären ©Chulen in ben SRunb legt, fo fCheint bodj Sräulein bon Scuberp, bie Srau bon SRaintenon, Baciet, bon 

barin eine gemiffe UngereCptigfeit ju liegen, ba e« feinem, auch Seobgn«, bu ©hatelet, ©eoffrin, bon Stasi, ©olanb; aber 

noch f° fanatifdjen ©egner ber Sftebolution einfallen fönnte ernft* hierin liegt eben eine ber borjüglichften (EigenthümliChfeiten 

haft ju behaupten, bah Sranfteidj bot 1789 in biefet ^inficht biefe« ßanbe«, bah, mäljtenb bie unteren Klaffen, bie ©ourgeoifie 

in befferen Berljältniffen lebte, al« feither. ®8 ift ja nicht ju mit einbegriffen, in ber fraffeften Unmiffenheit fthmadjteten, bie 

berfennen> unb man braucht, um ju biefer ©rfenntnih ju gelangen, fyötyxt, abelige ©efeßfehaft bie fChönften unb feinften ©lüthen trieb; 

nur bie Bücher non locqueoifle, bon ßaboulape, bon ßafteprie je tiefer ber Schatten, ber auf bem ©olfe ruht, befto gtänjenber 

ju lefen, bah bie Sanatiler ber Stebolution ihre ßegenbe in gar ift ba« ßi^t, ba« bon ber burCh Stanb, 9tei<hthum unb Srjiehung 

manchen Gingen auf eine ganj unberbiente Säeifc auSgefchmüeft i pribilegirten ©efeüf^aft au«ftrahlt. Sür bie ßiteraturgefchichte 
unb aufgepupt hoben; ja bah bie Aebolution in ihren ®nb= eine« ßanbe« finb freilich fot<h e Suftöübe beneiben«merth, aber 

refultaten, jum ©eifpiel ma« bie ©ermaltung unh bie abmini* nur bi« ju bem Sage, mo ba« ©oll bon feiner Unmiffenheit 

ftratibe Sentratifation anbetrifft, ganj einfach bie alten 3u* fich h et on«juarbeiten fuCht, mo bie ßeibenfehaften fich empören, 

ftänbe nnb Sinrichtungen bet SRonarchie, nur mit anberen ©e* unb in furchtbarem SlibeDirungötriebe bie höhere ©efettfdjaft bon 

nennungen unb anberer ©ocarbe, mieber eingefuhrt hot. SBenn ihrem Xhron herunterreihen, ohne bah irgenb etma« fchon beftehe, 

e« aber ejn gelb gibt, auf melchem ber gortfChritt neyh ber ba« fich an bie Stelle ber entthronten Ärifiolratie fefcen fönnte. 

groben poiitifchen unb fociaten Urnmäljung in granfretch am ©in feltfame« Streiflicht metfen einige Betrachtungen be« gräulein 

Anfänge biefe« Sofjrhbnbert« ni^t in 3®eifel ju jieljen ift, bon Scuberh, in bem {Roman „(SpruS", auf bie Suftättbe, bie im 

fo ift e« ba« ©ebiet be« ©ollöunterricht«, unb noch mehr be« 17. 3ahrf)unbert auf biefem ©ebiete be« Stäbchen* ober grauen* 

SRäbtbenuttterricbt«. Schulen gab e« fchon, auCh maren gemiffe unterricht« beftanben: „Obgleich," fchreibt biefe, tyutt auf eine 

Schulen feine«meg« fchlecht ju nennen; aber mie ftanb e« mit ; recht ungerechte Säeife in ©ergeffenheit gefallene SdiriftfteBerin, 
biefen Schulen überhaupt? mie mürbe im groben ©anjen ber | „obgleich i<h «ine erflärte geinbin berjenigen grauen bin, bie 
Unterricht ertheilt? ®ie meiften Schulen maren nicht« al« fi<h al« ©eiehrte aufjufpielen fuchen, fo finbe ich benn bo^ ba« 

Kinberbemahranftalten; anbere beftanben nur, um biefem ober anbere ©gtrem fehr oermerflieh, unb bin oft auherorbentlich be* 

jenem ©ünftlinge eine« ©utsbefi^er« eine Stelle, bejm. eine ftürjt, eine fo grohe Anjatjl grauen höheren Stanbe« (femmeg 

fixere«, an feine Arbeit gebunbene« ©infommen gu gemäljren; de quaiite) ju finben, bie in einer folchen fraffen Unmiffenheit 

„man mnrbe bamal« ßehrer ober Stipenbiarium," fagt ber Beriet, leben, bah fi< ihr ©efChleCht baburdj entehren." — ffltan mirb 

„ftatt Abt ober ©anonicu« ju merben." ®a« Uebel mar fo grofj, bemetfen, bah Sräulein oon Scnberp hi« nicht oon ber ©ontgeoifie, 

bah ntan in fßart« eine Schule fannte, bie mahrenb mehreren fonbern oon ben höheren Stänben fpritpt; über bie Unmiffenheit 

gapren ihre Klaffen gar nicht ju eröffnen für nötpig erachtete; bie ber grauen ber ©ourgeoifie hält fie e« mohl gar bet SRüpe nicht 

ßehrer bqogen ihre ©ftfinbe, getabe al« ob fieSRön^e ober ©anonici mertp ein Säort ju oerlieren; menn bie tarnen ber Äriftofratie 

mären, gingen fpajieren unb tafen ©oBegien in ber fepönen Statur; fepon in ber SRetropole fo unmiffenb maren, mie mag e« mit 

bie Selber ber Stiftung floffen ja in bie Kaffen, ob Schüler auf ben anberen befteflt gemefen fein? Süeiter fpriept fie fich über 

ben ©änlen fahen ober nicht. Um bie Schulen befümmerte fiep benfelben ©egenftanb folgenbermahen au«: „3ff «8 nicht feltfam 

roeber ber Staat noch bie Kirche; eine Aufficht beftanb übethaup ju feiert, mie man gemöhntich bie ©rgiepung ber grauen oer* 

nicht; biefe Anftalten mürben eröffnet unb gefchtoffen mie ein fteht? SRan rniff nicht, bah ff« P^ ber Kofetterie unb bem 

Kloper, ober auch mie eine $anbtung eröffnet unb gefchtoffen ; leichtfertigen fieben hingeben (qn’elles eoient coquettes, ni galantes), 
mirb. Sieben biefen ©rioatfchulen, mit benen e« recht etbärm* i unb JsennoCp erlaubt man ihnen fepr meitläupg aße« ba« ju 
lieh ouöfah, beftanben fobann bie Ktoperfehuten, unb betrachtet * erlernen, ma« pe ber ©alahterie jufähren muh, ohne ihnen ju 

e 




Nr. 49. 


3D i t <& t $ t ii m «'r l. 


355 


geftatten irgenb etwad p wiffen, was ihren ©eift befd)äftigen 
ober ihre Xugenb befeftigen fönnte." — 3« Wad bie ©rjiehung 
unb bet Unterricht ber 2)amen höh«« ©tänbe im 17. Sah 15 
hunbert beftanb, bad fagt und in feinem Traite du choix et de 
la methode des 6tudes ber Slbbö gleurl), ber fpäter S3eid)töater bed 
ftönigd Subwigd bed günfjeljnten tourbe: „®d wirb woljl SUIen wie 
ein gro|ed ißarabo^on flingen, wenn ich behaupte, baff bie Stauen 
noch ettoad Slnbeted lernen joHten, atd ben Satechidmud p tefen, 
p nähen, oerfdjiebene tleinere Arbeiten p oerrichten, p fingen, 
p tanjen, fich nach ber Mobe anpjiehen, eine hübfche ßbverence 
p machen, unb eine höfliche liebendwiirbige Sprache p führen: 
benn hierin befteht ja gewöhnlich ihre ganje ©rjiehung." — 
ßnblich gebührt ed fidf, noch einen ber bebeutenbften ©chriftfteller 
ber bamatigen 3eit, genelon, p citiren, ber wie betannt ein 
gröfjered Sßerf über bie ©rjieljung ber Mäbchen gefchrieben hat 
(L'bducation des filles) unb fich folgenbermahen audbrücft: „StiditS 
ift mehr bernachtäffigt ald bie ©rjieljung ber Mäbchen; ... 
man wähnt, biefeö ©efchledjt foHe nur wenig entmicfelt werben 
... @d ift eine befchämenbe aber äufjerft gewöhnliche Jfjatfache, 
baff man grauen antrifft, bie jwar geiftreich unb gebilbet, aber 
bennoch nicht im ©tanbe finb correct p lefen ... 3hre Un= 
wiffenheit in ber Orthographie ift noch ftaffer; fie oerftehen ed 
faum, bie Sudjftaben richtig ^injufc^reibetr. Man faßte fie 
wenigftend baran gewöhnen, in geraben Sinien unb tefertich p 
fdjreiben. Sluch »fotlte ein SJläbchen bie ©rammatit unb bie hier 
Siegeln ber Slrithmetif tennen. S)ie 2)iännet fönnten fich bann 
ihrer grauenbebienen, um ihnen aufptragen, bie $audre<hnungen 
p machen." — 6d geht aud biefem Sillen heröor, baff bie grauen 
ber gebilbeten ©tänbe, benn oon biefen allein !ann ja in biefen 
SBerfen genelond unb gleurpd bie Siebe fein, bamald nicht in 
ber Sage waren, bie Siedlungen ber $audi)attung P führen! 
unb gerabe in biefem ißunfte ift ber gortfchritt, ber feit bem Stn= 
fange biefed Sahrhunbertd errungen Worben ift, recht fühlbar; benn 
wer grantreich, wenn auch nur oberflächlich tennt, ber Weih, 
bah in ben meiften ©efdjäften, nicht nur in ißarid, fonbern oiel« 
mehr noch in ben SJrooinjen, bie grau ed ift, welche bad eigene 
liehe laufmännifche, berechnenbe unb praftifch führenbe §aupt bed 
$aufed ift, wie benn überhaupt in bem jefcigen granf reich, oft 
pm #eile, auf anberen ©ebieten aber wieber pm ©chaben bed 
ganjen focialen Sehend, bie grau eine mit ben birecten Sin: 
fchauungen unb Srabitionen im birecten SEBibetfpruih ftehenbe, 
ijerrfdjenbe SioUe fpielt. ®af|er auch ber fo oft betonte Weib: 
liehe $auch, ber bie Manifeftationen bed öffentlichen Sehend in 
grantreich burchweljt unb in ber früheren wie in ber jefcigeu 
©efchichte biefed Sanbed fo feltfame, neroöje, oft äufjerft be« 
wunberungdwürbige, oft wieber leibenfdjaftlich untluge unb un: 
politifche ©efühlderfcheinungen p Jage förbert. gn feinem 
anberen Sanbe ift bie betannte Stage jened SUchterd: Oü est 
la femme? (2Bo ift bad SBeibS) beffet an ihrem ißlafce, ald 
in grantreich, wo nid)td gefchieht, wad bie grau bed $aufed gut: 
geheihen; unb wo bie grau nicht im $aufe allein, fonbern auch 
in bem öffentlichen Sehen unb bid in ber Seputirtenfammer unb 
in ben Si$ungen ber Minifter, wenn aud), wie ©oethe fagt, 
„unfichtbar fichtbar", bad ©cepter führt; — unb gerabe in biefem, 
ben weiblichen ©inflüffen bor allem Slnberen geöffneten Sanbe, 
war ber Unterricht ber Mäbchen oor einem 3ahrho«bert noch fo 
erbärmlich, wie ih n bie oben citirten ©chriftfteller gefchilbert, 
unb fteht er heute noch unter bem Slioeau bed Mäbdjenunterrichtd 
ber meiften anberen europäifchen unb aufjeteuropäifchen Staaten! 

2)ie erfte gröbere Södjterfchule, bie in grantreich gegrünbet 
wnrbe, ftammt aud ber Seit bed Äönigd Subwigd bed Siet: 
Sehnten unb jwar aud bem Safjre 1686: ed war bied bie fo: 
genannte Maison de Saint-Cyr, in welcher 250 abelige gräuleind 
oon 10 bid 18 galjren unb batüber unterrichtet unb erjogen 
werben füllten. 2)ie grau oon Maintenon h atte fich fü r bie 
©rünbung biefer Slnftalt fehr tljätig erwiefen; fie wollte bied 
#aud errichten „aud Mitleib für bie unbemittelten Slbeligen", 
weil, wie fie hinjufügte, fie felbft arm unb SBaife gewefen war. 
$er ftönig fafjte biefen ©ebanten auf unb fej}te hinju, er grünbe 
biefe Slnftalt um bie Schulb abptragen, bie ihm ber Xob ber 


für ihn auf bem ©djladjtfetbe gefallenen Slbeligen beren gamilien 
gegenüber auferlegt hätte. 3n biefer Maison de Saint-Cyr, bie 
in ber ©efchichte burch bie tünftlerifchen unb gefeQfchafttidjen 
©rfolge ber su bilettantifirenben ©chaufpielerinnen herangejogenen 
Schülerinnen, fowie burch beren fpätern ©rfolge am fpofe unb 
im intimften Greife bed Äönigd oiel eher berühmt würbe atd 
burch ih?e Unterri<htdmeÜ)obe, erhielten bie jungen gräuleind 
eine für jene Seit recht brillante ©rjiehung: fie lernten Sefen, 
Schreiben, Steinen; man gab ihnen Unterricht in ber ©efchichte, 
ber ©eographie, ber Mythologie, ber fransöfifchen Sprache, bem 
San}, ber Mufit, ber 3«<h en lunft; ferner lehrte man ihnen ihre 
ßteiber felbft, unb jwar nach ber neuefte Mobe, prechtfdjneiben 
unb pfammennähen; ja, noch öiel mehr! man unterrichtete fie in 
ber ßunft einen §audl)alt p führen, p Waffen, p fcheuetn 
unb ihre SBäfche p plätten. SDie ^o^tunft allein fehlt auf 
biefem reichhaltigen Programm. 3n ®eutfchlanb hätte fie wohl 
in erfter Sieihe geftanben. 

83id ju bem Saiferreich blieb biefe Maison de Saint-Cyr 
ohne Stachfolgerin. Slapoleon I., ber fich 9«u bie alten lönig: 
liehen Xrabitionen im faiferlichen ©ewanbe anpeignen pflegte, 
grünbete nach bem bourbonifchen Mufter bie Schulen ober Mai- 
sonä oon ©couen unb Saint SDenid, bie heute noch beftehen unb 
in mufterhafte h ö h« e Xöchterfchulen umgewanbelt worben finb. 
Söeoor wir aber p biefen Stnftalten gelangen, müffen wir und 
noch burch bad 18. galphuRbert, wäljrenb welchem fich ber 
Mäbchenunterricht einjig unb allein auf bie &tofterf<huten bc: 
fchränlte, burcharbeiten. ffid waren biefe Schulen taftenmäfiig 
eingerichtet, bie einen für ben h°h en , bie anberen für ben nie: 
beren Stbet, anbere noch für bie h ö h« e S3ourgeoifie, wad leyte: 
red benn hoch bejeichnenb ift, ba bid bahin bie Sourgeoifie fyfte: 
matifch aud biefen größeren Seljrcomplejen audgefchloffen war. 
S)ie Sehrgegenftänbe waren freilich in ben einen wie in ben an: 
beren biefer Schulen äujjerft bünn gefät: ©efang, Mufit, lanj, 
tarnen juerft; bann ein SEßeniged oon ©eographie, ©efchichte unb 
Siechnen. Mit großem Stecht fügt ber parlamentarifche SSericht 
©amiüo See’d biefer Slufjeichnung ber Sehrgegenftänbe folgenbe 
treffenbe SSemerfung hinju: „So mußten, bied oerftehe man wohl, 
bie grauen bed 18. 3ahthunbertd aufgejogen werben. Man ge: 
wöhnte fte baran ju träumen unb p gefallen (ä rover et 4 
plaire); man gab ihnen bie Mittel nicht, bad Renten ju erler: 
nen. ©d gibt fein 3ahtljunbert, bad ebtere Slfpirationen unb 
fchle^tere Sitten gehabt hätte, ald bad achtzehnte. 3)ie grauen 
biefed 3«talterd hatten feine Sitten (n’avaient pas de moeurs) 
nnb bie ©rjiehung, bie man ihnen erteilte, war nicht baju an: 
gelegt, ihnen welche beipbringen." 

Slld bie Steoolution lodbrach, tarnen fofort bie Unterridjtd: 
fragen jur Sprache. 3c gvöfser bie früheren Uebelftänbe gewefen 
Waren, je fchwerer man fie empfunben hatte, befto leibenfdjaft: 
lieber fuchte man auch nach Mitteln unb SSegen, fie fo fchnetl 
ald möglich ju befeitigen, unb, wie ed immer in fotdjen Um: 
wäljungdperioben p gehen pflegt, glaubte mau, ed müffe jefct 
bie ©runblage eined oon unten bid oben neuen ©taatdbaued ge: 
legt werben, man hätte Sah^hunberte oor fich, für bie man bauen 
mü|te, ald tarne ed pnächft barauf an, bie allgemeinen ißrin: 
cipien p ertennen unb p formuliren, nach welchen bie SBelt: 
reform angebahnt werben fotlte, unb fobann mühte methobifdj 
oorgef^ritten werben, fo bah in einem gegebenen 3eitraume StQed 
in eine gorm gegoffen würbe, Sltled in neuer Staatdgeftaltung 
aud bem reinigenben Steootutiondfcuer h«audtrete. SSie grojj 
unb ebel auch bie ©ebanten betjenigen fein mögen, bie in foldjen 
Sleugeftaltungdperioben an bie Reform ber Serfaffung eined San: 
bed h«antreten, unb bie, wie ed meiftend in ben erften Slnfängen 
ber Sieoolutionen p gehen pflegt, in uneigennüyigfter Slbficht 
nur bad Sohl bed SSolfed unb bed Sanbed im Sluge behalten, 
— fie gebieten nicht über bie Schieffate, fie gebieten auch nicht 
über bie ©lemente, bie fie entfeffeln uub bie ihnen halb über 
bem Sopf jufammenfchlagen, fie gebieten nicht über bie Men: 
{djen unb über bie ®erf)ältniffe, fie gebieten auch nicht über 
bie Seit, bie fie .Wie eine offene ©wigfeit oor fich liegen feljen, 
bie fich n^e* plöfclich oor ihren Sieformplänen oerfchliefit unb 


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356 


lfe Gegenwart, 


Nr. 49. 


ihre fdjönen Dräume in einem Drfane gu ©runbe bohrt. Die 
aus ber Soltsbewegung oon 1789 Ijettoorgegangenen 93er; 
fammlungen, bie ©onftituante fomie bie Stationatoerfammtung 
unb bet ©onoent, festen nadjeinanber befonbere ©ommiffionen 
ein, welche bie Hufgabe Ratten, ©efepentwürfe gur Degrünbung 
eines tüchtigen 93oll3unterricht3 gu entwerfen. Die Samen bet 
Seridjterftatter, Safanal, ©onborcet, Dadepranb/ Daunou, bütfen, 
wo eS ftd) um bie ©efchidjte beS UnterrichtSwefenS in granfreid) 
banbett, nicht übergangen werben, obwohl bie oon ihnen borge; 
legten Entwürfe lebiglidj als (Entwürfe in biefer ©efcpichte ftgu= 
riren. Die ©türme ber Stebotution, nachher bie ©türme ber 
confularifchen unb (aiferltchen StiegSperiobe, erftidten biefe garten 
Seime, unb erft nach langen Safjrgehnten tonnte granfreich baran 
benten, baS begonnene 98er! wieber aufgunehmen. Sterfwürbig 
ift jeboch bieS ©ine, nämlich bttfj bie bamaligen Stepublilaner 
ihr Hugenmerf faft allein auf bie Snabenfdjulen richteten, unb 
bah ber Unterricht ber Stäbchen ebenfo üemadjläfftgt blieb, als 
er eS auch früher gewefen war. gn ben tefcten Sagen ber 
ßegislaturperiobe bet ©onftituirenben 93erfammtung, im 3aljre 
1791, legte Dadepranb feinen Bericht über baS S$ulwefen auf 
ben Sifch beS $aufe3; er fpradj bar in oon ben Stauen, oon 
ihren Siechten, oon ihren Pflichten: „Sie Stauen," fagt er, 
„haben biefelben abftracten Siechte wie bie Stänner; es liegt aber 
in ihrem gntereffe, biefelben nicht geltenb gu machen." Sem 
©efefcentwurf wirb ber Entwurf eines SecretS tjingugefügt, nach 
welchem bie Departements ben 93efel)l erhalten fotlten, eine be= 
fonbere Hnjtalt gu grünben, in welcher bie jungen Stäbchen 
Unterricht in einem für fie paffenben $anbwert (mutier) erhalten 
joUten. SiähereS wirb nicht über biefen ißlan gefagt. Sie Stäb; 
djen fotlten bis in ihr achtes S a h r in ben öffentlichen Schulen 
aufgenommen werben; oon bem achten gab« an, ba bie @e= 
fcplechter nicht mehr gemifcht werben burften, würben bie Stäb; 
djen aus ben $nabenfdjuten auSgefdjloffen, unb, fagte ber ©nt; 
wurf: „würben fpeciede Schulen für fie gegrfinbet werben". Sei 
biefer allgemeinen, nidjtsfagenben gormel blieb eS aber auch- 
@S wirb nicht gefagt, Wer biefe äRäbchenfdjulen organifiren unb 
unterhalten foUte, wer bie Hu3gaben gu beden, Wer bie $ro; 
gramme feftgufteden, wer bie Sehrer ober Seljrerinnen angufteden 
hatte. „@3 ift Har," bemerft ©amifle @6e, „bafj es fich h> er , 
wie bei ben oben erwähnten Ecoles professionelles, nur um ein 
Serfprechen banbette, unb gwar um ein Serfpredjen, baS man 
nicht gu holten gebaute." Ser ©runbgebanle beS SeridjterftatterS 
ber ©onftituirenben 93erfammtung mag Wohl ber gewefen fein, 
bah ber Unterricht ber Stäbchen unb ihre ©rgiepung hauptfädj; 
lieh ©ache ber gamilie fei, was er in folgenbem Sajje auSfpridjt: 
„Sür bie Srauen empfehlen wir bie häusliche ©rgiehung; eS ift 
bieS bie befte, um ihnen bie Sugenben, bie fie fich aneignen 
foden, beigubringen". ©iner entgegengefefcten Steinung war ber 
©onoent, ber im gabre 1791 bie ©onftituante erfefcte, unb hier 
finben wir gum erften Stale einen ©ntwurf, ber ben Stäbchen; 
unterricht ernftljaft regelt; leiber aber ift bieS auch wieber ein 
blofjer ©ntwurf, benn auSgeführt würbe bieS Spftem niemals. 
Salanal, ber bamalige Serichterftatter, bentt fich bie Siegelung 
beS UnterrichtSWefenS folgenbermähen: es foden gwei Wirten oon 
SBoIlSfchulen errichtet werben; bie erfte, in welchen bie ®e; 
fchledjter gemifcht ftnb, ift für bie Keinen Äinber beftimmt, 
bie nichts weiter lernen foden, als Sefen unb Schreiben; biefe 
ffteinfinberfchulen foden nicht oon Sehrern, fonbem oon Sehr t- 
rinnen geführt werben; bie gweite Schule gerfädt in eine für 
bie ßnaben, unb in eine für bie Stäbchen, unb eS fodte 
eine folche Schule je für 1000 Seelen gegrünbet werben; in 
bem ißrograntm biefer Schulen fleht Sefen, Schreiben, Stedjnen, 
bie Anfänge ber ©eometrie, ber ißhhfil, ber ©eograptjie, ber 
Storal unb ber „gefedfdjaftlichen Drbnung" (de l’ordre social). 
Sieben biefer theoretifdjen fe|t Safanal bann bie praftifdje 93il= 
bung: bie Knaben foden militärifch eingefchult werben, ein^mnb; 
werl erlernen, bie bebeutenbften gabrilen unb inbuftrieden 9ln; 
ftalten befuchen; bie Stäbchen foden iljrerfeits ©triden unb Sähen 
lernen. Ser 93olf3unterricht wäre fomit georbnet; aber felt= 
famer SBeife wid ber ©onoent nicht über biefeS niebete Unter; 


ridjtswefen hinausgehen; ber höhere Unterricht, waS wir heute 
unter ben Samen Spceen, ©odegien ober ©pmnafien gufantmen; 
faffen, fod frei, baS heiht oon bem Staate unabhängig bleiben, 
unb ber Staat oerpflichtet fich nur benjenigen unter ben ©cpü; 
lern ber 93ot(3fchuten, welche fich auSgegeidjnet hatten, bie Stittet 
gn ihrer Weiteten UnSbitbung in ben Ecoles particuliöres, unter 
„freien Sehrern", gu gewähren. SBenn biefer ißlan nicht ber= 
wirHidjt würbe, fo hängt bieS eben mit ben bamaligen Umftön; 
ben gufantmen; bie ftangöfifdje Stepublif lebte in ewiger 8nf= 
regung; nad) Stufen wie nach Snnett waren bie ©erfjättniffe 
(eine folgen, bah bie Stegierung an einen organifdjen Hufbau 
benlen (onnte. ferner fehlte baS ©elb, um bie mit ber @rfin= 
bung bon einer fo groben Hngapt Oon StoffSfdjuten gufammen; 
hängenben HuSgaben gu beden. Sie ©emeinben, welche bie 
Sehrer unb Sehrerinnen begabten fodten, weigerten fid) bieS gu 
thun, unb bie Sehrfräfte, ohne welche bie gange Organifation 
ja nur leerer Schein blieb, waren gar nicht oorijanben. SaS 
©onfulat unb baS Äaiferreidj fanben folglich nichts oon ade bem 
oor, waS nach bem oon bem ©onoent botirten ©efejje hätte be; 
flehen foden. ©3 würben burch bie neue Regierung neue @e; 
fepe ausgearbeitet; in biefen ©efepen aber ber Stäbdjenfchuten 
ebenfowenig Erwähnung gethan, als bieS unter bem „alten 
Stegime", im 18. gahrpunbert unb oorher gefebepen war. Sm 
gapre 1804 beftanben in ißaris im ©angen 24 SSoltSfchulen, 
fowohl für Knaben als für Stäbchen; ber höhere Unterricht 
würbe nur adein für bie ftnaben eingerichtet, unb für baS weib; 
liehe ©efdjlecht, im $inblid auf bie burch Subwig ben Sierjehnten 
oodgogene ©rünbung ber Maison de Saint-Cyr, gwei fogenannte 
höhere Söchterfdjuten, bie Maison d’ Ecouen unb bie Maison de 
Saint-Denis, bie gang befonberS für bie SSatfen ber ©hrenlegio; 
näre beflimmt waten unb in benen ber Unterricht ein fehr 
mangelhafter war, organifirt. ©rft im Sapre 1857, unter bem 
gmeiten Äaiferrei^e, würben biefe Södjterfchuten gn eigentlichen 
UnterridjtSanftalten umgewanbelt, unb mit grug unb Stecht fönnen 
fie als bie eingigen heute beftehenben unb auch als muflerhaft 
eingerichteten höheren Stäbchenunterrichtsanftalten angeführt wer; 
ben. fBaS bie SollSfchulen für Stäbchen anbetrifft, fo begnügte 
fich baS ftaiferreich unb nach ihm bie Sieftauration bamit, bie 
freien, nicht oon Staatswegen gegrünbeten Schulen ber fiaat; 
liehen Slutorifation gu unterwerfen, unb ben barin angeftedten 
Sehrern unb Sehrerinnen bie Stothwenbigfeit aufjuerlegen, fich 
burch ein oon ber Unioerfität auSgejtedieS Siplom gum Sehr; 
fache gu legitimiren. 3n ben meiften biefer SoKSfchulen waren 
aber bie Sehrerinnen bie hotte noch in §rantrei<h fehr oer; 
breiteten barmhergigen Sdjweftem (Soeurs de Charitä), welche 
nicht nöthig h fl tten, fich an bie Unioerfität behufs Erlangung 
biefeS läftigen StipIomS gu wenben, ba bie bon ihren tirdjlichcn 
Dberbehörben ihnen erteilte fogenannte Lettre d'obfediance oon 
©efefeeSwegen als bem 3)iplom gleicptommenb angefehen würbe. 

(ES)Iu6 folflt.) 


Literatur uttb Jiunfl. 


/erMnanb ^reiligrath« UrfUiitje. 


®on XPUtjelm Büchner. 

@3 hat adegeit gu ben angiehenbflen Hufgaben ber Siteratur; 
geeichte gehört, ben ©ntwidelungSgang eines bebeutenben 3>i<b : 
terS bis in feine Hnfänge gu oerfolgen, bargulegen, wie er nicht 
fofort, wie fßadaS aus bem Raupte beS 3euS, als ein ©anger, 
Selbfiflänbiger geboren wirb, fonbem wie auch be* ©eniuS beS 
SernenS, beS reinigenben ©efdjmadeS bebarf, um nach nnb nach 
bie ©ierfchalen bet Unreife, beS ÄrbeitenS nach oerehrten *ot; 
bilbern, ber jugenblichen ©efchmadlofigfeit abguftohen. $enn 
jeber, auch ber eigenartigfte Dichter, ijt ein Rinb feiner Seit, 


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Nr. 49. 


li t (Segeitwart. 


357 


feine (SrftlingSfchöpfungen finb, theilweife toenigftenS, ©robucte 
feineS SilbungSgangeS; es ermädjft einem ©oetlje feine Uneljte 
baranS, baff Wir nadjtoeifen, rote er in feinen ecften bramatifdfen 
©etfuchen ein Seiigenoffe unb SRadjfotger ©ottfchebS unb ©eliertS 
geroefen, nod} einem ©Ritter, Wenn roir in feinen Itjrifchen (Srft* 
fingen ben Bufammenhang mit ber ftaftgeniafen Sichtung ber 
ftebjtger Sahte ans Sicht ftetlen. ©auluS fpricht: „Sa ii| ein 
fiinb roar, bo rebete i4 rote ein ß'inb unb war (lug tote ein 
fiinb unb hatte tinbif$e Slnfdjläge; ba ich aber ein äJtann roarb, 
tf»at ich ob, .toaS (iubifdj roar." SBarum füllte ein Sid}ter fich 
fd^&men, baSfelbe ju belennen? Unb roarum fönten roir, um 
ben (SnttoidelungSgang, bie SäuterungSftufen eines h°h e n ©eniuS 
barjulegen, ©ebettlen tragen, auch ju ben vielleicht recht unbetjolfe* 
nen Unfängen ber fdjöpferifchen Xhätigteit eines Stifters hinab* 
jufteigen? (SS gefdjiefjt bamit ber ©ietät gegen ihn fein (Sin* 
trog, roenn bie literarhiftorifche gotfchung auch baSjenige hervor* 
lieht, rooS er in jungen Sahnen fchuf unb bei reiferer (Srlenntnifi 
als jpigenblidj unreif jur ©ergeffenheit oerurtbeitte; unfere $od(* 
adjtung bot bem ©eniuS roirb barum nicht geringer, roeil roir 
erfenncn, bafj auch er ein äRenfd), b. b- ein Kämpfer unb Sernen* 
ber geroefen. 3a eS fönnen fogar fofcbe Unfänge (ünftlerifdjer 
©eftaltung fiir bie fienntnifj eines SichterS bie attergröftte 93e= 
beutung hoben, inbem fie uns ©eeleitjüge offenbaren, bie er viel* 
leicht im roeiteren ©erlaufe feines Schaffens äbertoanb ober ge* 
füffentlich »erborgen hielt. Unb roie roir in ben noch unfertigen 
Sögen einer §anbjei$nung (Rafaels auS feiner fötabenjeit ben 
bereinftigen SReifter erfennen, fo roirb auch bie nachmals ver* 
worfene Sngenbbichtung eines SRanneS uns jur (Srlenntnifi feiner 
inneren (Entroidelung, feines (ReinignngSbrangeS tton SBertt) fein. 

gür bie großen ©eftalten unferer flafftf^en fiiteraturperiobe 
ift bie Urbeit beS SdjürfenS nach ben Unfängen ihrer Siebter* 
tbätigteit, biefeS emfige Sufammentragen auch ber tton ihnen 
felbft als unreif unb roertbloS Verworfenen Schöpfungen lättgft 
geleitet, fo bafj faum noch eine börftige 9lad)iefe möglich tft- 
gür bie Sichter unfereS Satphnnbertö finb ju biefer Urbeit nur 
vereinjelte Unfänge gemacht, unb boch roerben auch fie, beren 
Sichtungen bem je|t ergtauenben ©efchlecht bie Sugenb oergolbet 
haben, über für} ober lang uns in ber eljrtoürbigen (Entfernung 
hiftorifch geworbener (Srfcheinungen baftehen. ©o fei eS mir 
geftattet, hin ben (SntroicfelungSgang eines Sichters barjulegen, 
welcher nnS bisher nur als ein oöQig fertiger entgegengetreten, 
benjentgen gerbinanb greitigrathS. (Sr banft bie rounberbare 
ffiirfung, welche er gleich mit ber erften Sammlung feiner ©ebicf)te 
erjielte, nicht bloS ber ©oQlraft ber ^ßoefte, ber ©rächt ber 
©haittafie, bie fi<h barin auSfprechen, ber fortreifjenben ©etoalt 
feiner Sprache unb (Smpfinbung, für} all ber öberroältigenben 
Schönheiten, roie fte nur einer wahrhaft genialen Sichternatur 
gegeben finb; er banlt biefelbe, fdjeint mir, theilweife auch bem 
Umftanbe, bah er mit biefer feiner erften jhtnbgebung gleich als 
ein ganjer SRamt, eine völlig auSgereifte poetifche Snbivibuali* 
tät, vor fein ©oll trat. Senn an baS langfam SBachfenbe ge* 
toöhnt ftch ber SJtenfch unb ift wenig geneigt, eS fär etwas Ub* 
fonberlicheS JU halten, wenn er eS bot feinen Uugen hat erflehen 
fel}en; bem ©eniuS, ber unoorfichtig genug ift, feine Unfänge ber 
SBelt vorjulegen, roerben feine Unfelbftftänbigieiten unb Unfertig* 
leiten lange nachgerechnet; ju voller SBirlung muh ber grofje 
Sichter als fertiger äRann auf ben ©lan treten. 

©iS jur ©tunbe ift über bie Sugenbentroidelung gerbinanb 
greiligratljS, über baS allmähliche äBachStljum feiner bichterifchen 
(Sigenthümli^teit foviel roie nichts befannt, als bah er fleifjig 
(Reifebefdjreibungen gelefen; in feinem 28. SebenSjahre gibt er 
bie erfte Sammlung feiner ©ebidjte ans Sicht unb fleht von ba 
ab als feftauSgeprägte, ijeDbeleuchtete ©eftalt in ber (SiefRichte 
unferer ©oefte; bie vorljerliegenbat 3®h re bedt tiefes Suntel. 
Sollte greiligrath eine UuSnahme gemacht haben Von ber (Sr* 
fahmng, bah auch ber ©eniuS lernen muh? Uber too finb feine 
poetifchen Schulhefte? SBäre es nicht ber SDtähe Werth nach 
benfelben gu fuchen, non ihnen geleitet, ben ©eifteSgang beS be* 
betdenbften beutfehen ßprilerS ber lebten vierzig 3ahre aufju* 
hellen? 


(Sin günftigeS ©efchid hat eS gefügt, bah titro grohe Sah! 
ber an ben Sichter gerichteten unb von ihm gefdjriebenen (Briefe 
mir jum ömeefe biographifcher ©enuhung anvertraut Worben ift; 
weit über taufenb ©riefe greitigrathS, theilweife mit ben Unt* 
Worten ber greunbe, liegen mir vor als ©runblage für ein aus* 
führlicheS SebenSbilb beS SichterS. Unterftüht burch biefeS 
äRaterial, roie eS feinem ber früheren Sarfteüer von greitigrathS 
SebenSgang auch nur amtähernb jux ©erfügung ftanb, finb roir 
im Stanbe, bie geiftige (Snttoidelung beS SichterS jiemlidh ein* 
getjenb jn verfolgen. 

gerbinanb greiligrath war geboren am 17.3«ni 1810 ju 
Setmolb. Sein ©ater, 2Bilt)elm greiligrath, War ber Sohn 
eines SSertführerS in einer gabrif ju ftettroig im unteren 9tuhr* 
thale; er beflimmte fich jum ©ollSlehrer unb erlernte nach ber 
Sitte ber Seit feinen ©eruf, inbem er als Unterlehret bei So* 
hann Hermann SopS ju 3Jtülheim am ©hein eintrat, welcher 
ben verbienten Stuf eines vortrefflichen SeljrerS befah- $ier 
bilbete fich SBilljelm greiligrath auS; hier lernte er feines SJleifterS 
Sochter Suife SopS fennen. (Sr verheirathete fich mit ihr im 
Sommer 1808 unb führte feine junge grau nach Setmolb, wo 
er bereits früher bie Stelle eines SehxerS an ber ©ürgerfdjule 
I erhalten hatte. Sn Setmolb roarb bem ©aare baS erfte ft'inb 
j gejdjentt, unfer Sichter, Von ©ater unb SJiutter hör fein SSBeft* 
fale, fonbern ein Sohn beS bergifdjen ßanbeS. (Sine tiefe, echt 
djriftliche grömmigfeit waltete in bem greiligrath’fchen $aufe 
unb half über bie bisweilen recht brängenben Stöthe beS SebenS 
I hiatoog. Sürfen roir nach ben jahtreichen erhaltenen ©riefen 
beS (SlternpaareS {^liehen, fo War SBilhelm greiligrath ein 
tüchtiger, nnennüblich thätiger SRann, meift ruhig, aber in ber 
Stunbe ber (Sntfdjeibung von burchgreifenber Shattraft, babei 
mit einer Steigung jum $umor; Suife greiligrath Uug unb fein, 
feh« beweglichen ©eifteS, tünftlerifch angeregt, für Seidjnen un ^ 
SRufil begabt, bei aller grömmigteit fröhli^en Sinnes. SBie 
ber Sohn in feinem Ueufjeren ber SJtutter (Sbenbilb roar, fo 
fdjeint auch bie Sichtergabe ihm mehr von ihr als von bem 
bei aller Südjtigteit geiftig minber regfamen ©ater gefommen 
ju fein; unb fo tarne auch hi et baS SBort beS großen Ulten jur 
©eltung: 

Som Unter hob’ ich bie Statut, 

Sei SebenS ernfttS güf)retc; 

Uom Utütterchen bie grohnatur 
| Unb Suft ju fabutiren. 

©on ©ater, SJtutter nnb ©rohmutter mit inniger Siebe 
gepflegt, wuchs gerbinanb greiligrath auf, ein auffatlenb hübfeher, 

! ftuger lebenbiger Sunge; fchon als Äinb faft er, um nur be* 

; fchäftigt ju roerben, jroifdjen ben ©rivatf^ülern beS ©aterS unb 
j lernte fpielenb mit, fo in vier Stunben baS ganje U©(S; auch 
I im ©^reiben unb Steinen roar er ben UlterSgenoffen voraus. 

I 3m ©ebenhaufe wohnte ber alte Statt) (Stoftermeier, ein geachteter 
| gotfeher über bie. ©efdjidjte beS lippifchen SanbeS; et unb be* 

; fonberS feine Softer (Shriftiane Suife, nachmals ©rabbeS ©attin, 

1 hatten ebenfalls gro|e greube an. bem liebenSroürbigen (lugen 
Sungen, ber faft täglich hetübertam. 3Bie eS ©chillet als ffinb 
! that, fo banb fich auch bet (leine gerbinanb bisweilen eine 
Sdjütje auf bem (Rüden fejt, flieg auf einen Stuhl unb fing 
an ju prebigen, allerlei rounberlicheS Seug, baS fich aber reimte; 
er meinte bann, er Wolle einmal ©rebiger roerben. (Sr war 
eben ein hochbegabter frühreifer Ihtabe unb babei boch eia echtes 
®inb. Schon aus feinem fiebenten SebenSjahre liegen mir @e* 
burtStagSroünfche an bie ©rohmutter vor, bie jtoar unrichtig, 
aber ganj flott getrieben finb; im jeljnten SebenSjahre f^reibt 
er ber ©rohmutter, fidjttich unter ©eihülfe beS ©aterS: 

„Slm testen dRartttage roar hier vieles ju fehen, mein lieber 
©ater erlaubte mir aber nur, bie auSlänbifchen Spiere ju fehen; 
er mepnte, Starrheiten (önne ich n0( h genug in ber SBelt ju fehen 
betommen; bafür brauche ich i e fet (ein ©elb auSjugeben. lieber 
bie Shiere habe ich mich aber recht gefreut; ba gab eS ftffeit 
unb ßameete, ©apagaien unb Antilopen, auch mar ein (SiSbär 
. babei. £e|terer roar ein grimmiges Shier, Su roäreft rool bange 


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358 


Sie (Stgtnurart. 


Nr. 49. 


geworben, wenn ®u iljn gefehlt ^Stteft; aber es ^ätfe nichts 
ju fagen gehabt, benn er fonnte mit feinem Springen unb ©rüflen 
bod) nid)t burdj ben wolffoerwaljrten Seifig fommen." 

SBunberlidj! Sllejanber oon ^umbolbt empfing bie erfte 
Anregung ju feiner grofjen miffenfdjaftlidjen Steife in bie Iropen 
beim Slnblid einer gäd)erpalme unb eines alten ®radjenbaume$ 
im Serlinet ißffanjengarten; foßte ber ®id)ter beS ßöweitrittS 
ben erften gunlen ber fßoefte in einer biirftigen S)etmoIber 
bube empfangen haben? 

gerbinanb befudjte erft einige 3oh re röug M* Sürgerfchule, 
an welker ber ©ater unterrichtete, bann baS ©pmnafium. 5luch 
hier zeichnete er fich burch Borzügliche ßeiftungen auS, War bet 
Srfte ober unter ben Erften, unb ber ßiebting feiner ßehrer; bei ben 
Prüfungen, benen bie treffliche gürftin ^Sautine gern beiwohnte, 
ftreidjelte fie oftmals feine bunfeln floefen unb fpornte ihn an 
mit freunbiidjen SlnerfennungSworten; befonberS Wirb gerühmt, 
bah er bei ber ©dßufjfeier beutfehe ©ebidjte mit tebenbigftem SluS* 
brnef Borgetragen habe. Unter feinenßeljrern befanb fi<h auch ©h- 3- 
gattmann, ber ffierfaffer einer bamalS Bietgerühmten ©tittehre; 
berfetbe gab einftmals ben ©chülern baS ®h ema i u einem ©ebid)t; 
unter ben eingelieferten war baSjenige Bon greiligrath baS befte, 
unb ber ©chulrath belobte ihn mit ben SB orten: greiligrath, wenn 
©ie fo fortfahren, fann noch einmal ein dichter aus 3h neit werben! 

©o rüdte benn ber Knabe Bon Stoffe ju Stoffe bis in bie 
©ecunba. Es ift eine Bößig unrichtige Stnfdjauung, wenn man 
meint, greiligrath habe nur eine unzulängliche Silbung gehabt; 
er lernte SlßeS, was ein gutes ©pmnnfium einen hochbefähigten 
©chüler bis zum Sluffteigen in bie fßrima lehren lann; feine 
erhaltenen ©djulfjefte zeigen unS, bah er in ©efchidjte, Erb* 
befchreibung, Staturfunbe Süchtiges leiftete, bie $enriabe, SurtiuS 
unb Doib, ^oraj unb bie Obpffee taS; baju ging er jeben 3Jtitt* 
woch }u Stath ©loftermeier, Welcher ihm latcinifdie Sprichwörter, 
Senffprüche unb ®i<hterfießen ju lernen aufgab; greiligrath 
bewahrte biefelben lebenslang in feinem aßumfaffenben ©ebäd)t* 
nih unb brachte ben einen ober ben anberen gern in feinen 
©riefen an. SKit ganz befonberer ©orliebe aber las ber Knabe 
Steifebefdjreibungen, bie ihm ©apa ©loftermeier, bem er als 
„SibtiothefSpage" treulich jur ©eite ftanb, auS ber fürstlichen 
Sücherfammiung gab; fo entjünbeten bie Abenteuer beS SJtarco 
fßolo, beS ©aSco be ©ama, ber fpanifdjen ßonquiftaboren unb 
Zahlreicher fpäterer Steifenben bie ©ijantafie beS SünglingS; 
auch in ber Soologie ber fremben SBelttheile War greiligrath 
in erftaunlidjer SBeife ju £>aufe, wie aus ben langt Igahre 
barnach getriebenen ©riefen an einen greunb erheflt, bem et 
auS ßonbon Shiwbätge unb auSgeftopfte Ztyete beforgt. ©o 
ift eS nicht zu Betmunbern, bah baS frühefte erhaltene ©ebicht 
beS Snabeit, etwa aus feinem neunten ober zehnten ßebenSjahre, 
fich bereits in einem aufjereuropäifchen ©ebanfenfreife bewegt 
©S ift eine Strt gortfejjung Bon beS alten SJtatthiaS ©laubiuS 
Urians Steife, ganz in bemfelben ©erSmah, in berfelben h«mo= 
riftifdjeu SBeife, nur fchwächet; eS läjjt fich eben Bon einem 
Zehnjährigen Sinbc nichts Eigenartiges Bedangen. ®a8 @e= 
bid&tchen tautet: 

Steuljoßanb wollt’ ich nun befehlt 
Unb bort bet ©ritten ©hren, 

Senn nichts taff’ ich »orübergeb«, 

SBaS ich tät rühmen hören. 

Sie blauen Serge finb fehr hoch! 

St woflt’ fie nicht befteigen, 

Srum ging ich lieber in ein ßodj 
Set SBilbeit unb tljät geigen. 

SllS ich SieuljoDanb nun befehn, 

Sa ging ich an ben Sjafen 
Unb wollte bort ein Schiff erfpähn, 

SaS ging ju ben ©chlaraffen. 

Sunt geuerlanbe fam ich nu, 

Sa froren ich nnb meine; 

Senf ich noch brau, fo läuft’* mich h u 
Surch Kreuz unb ©tarf unb ©eine. 


SJieirt SBeibchen ftarb nach turjer grift, 
@8 tonnt’ bie ft'ält’ nicht tragen; 

Soch wenn nun mal auf Steifen ift, 

£>at baS nicht Biet ju fagen. 

©on ba ging eS nach Quito hin, 
gft’S angenehm zu leben; 

Soch ftörte oft ben ruhigen Sinn 
©in ftarteS Ctrbenbeben. 

Sa ließ ich Ctoito Quito fein 
Unb ging mit SBinb gleich weiter, 
©chnurßrads nach Stfrita hinein, 

Soch ba gab’S ©ärenljäutet. 

Sie woßten mich lebenbig fahn. 

2Beil ich war weif) oon garbe, 

©ahn fie mich für ben Seufel an, 

Sa ba<ht’ ich: ®ott erbarme u. f. m. 


gerner liegt mir eine Slnjaht gereimter ©tüdmünfdje für 
ben ©eburtstag beS ©aterS ober ber SRutter Bor, auS ben Sauren 
1821—30, bie früheren oon fröhlicher Unbeljolfenheit unb Schalt* 
haftigfeit, bann zunehmenb in ber gorm fixerer, im SuSbrud 
reifer unb ernfter, in ber ©djrift männlicher, aße oon ^eriUe^er 
ßiebe eingegeben, aber feines, auch bie fpäteren nicht, herfcor* 
ragenbe biditerifche ©egabung oerrathenb; immerhin ©etoeife 
bid)terifd)en ®rangeS. 

SBilhelm greiligrath &efafj nicht bie SJtittel, um ben ©ohn 
ftubiren zu laffen; bie Hoffnung, ba| ein in ber gamilie für 
reich geltenber Oheim iu Ebinburg fich beS Knaben annehmen 
werbe, ging nicht in ©rfüßung. ©o beftimmte SBilhelm greilig* 
rath feinen ©ohn für ben KaufmannSftanb, wozu fich iu bem 
SdjWoflmann’fchen ©efdjäft zu ©oeft, welchem Dntet SJtorifc, ber 
©ruber Bon beS Knaben trefflicher Stiefmutter — ßuife greilig* 
rath ucar bereits 1817 geftorben — als ®h e ifhabet unb halb 
barnach als Eigentümer oorftanb, bie befte ©elegenheit bot; 
alsbalb nach feinem 15. ©eburtStage, Eingang dröli 1825, trat 
gerbinanb greiligrath z u ©oeft als Kaufmannslehrling in jenem 
©efchäft ein, welches ©olonialwaaren im ©rofjen unb im Einzeln 
oerfauf oertrieb, gerbinanb mu^te als ßefjrlrög bie Kunben 
bebienen unb nennt fich f<h er i en b in einem ©riefe einen „Kqbio= 
fafteS", b. h- ©atzfifchhänbler, einen „im Del-, Ztjtan-, ^äringSs, 
©todfifch 5 , Kaffee* :c. ®uft oerfauerten ßabenjungen"; er lernt 
fich «ach beS ©aterS Stath ftatt bet fteifen correcten Schülerh«*b 
jene flare, gtofee, fchöngefchwungene faufmännifche ^anb an, 
welche er erft nach ber testen Stüdfehr in bie $eimat, als ein 
auSgebreiteter ©riefwedhfel ohne ben Swang beS ©efchäftbraudfjeS 
rafchereS, forgtofereS Schreiben gebot unb geftattete, mit flüch* 
tigeren ©chriftzügen oertaufchte. Such bie wiffenfchaftlidje Srbeit 
war mit bem ©erlaffen beS ©pmnaftumS nicht abgebro^en; 
gerbinanb erweiterte burdf fßrioatunterricht feine Kenntniffe im 
granzöfiften, fügte noch baS Englifdje unb Stalienifche hi«Z u '> 
fo lagerte fich über ben tlntergrunb einer gebiegenen unb faft 
ooflftänbigen ©pmnafialbilbung eine jüngere @d)icht moberner 
©prachlenntnife; eine glänzenbe ©egabung für baS Erlernen Bon 
grembfprachen machte ihn halb zum 4>errn über biefe gfiße 
neuet SilbungSelemente, weite in ber weltoertaffenen weft* 
fätifchen ®orfftabt bem KaufmannSlehrlrög entgegenlam; er laS 
bie neueren dichter bet granzofen, Englänber, Staliener in ber 
Urfprache; furz „©chwoßmannS gerbinanb", wie ihn bie Stabt* 
jugenb nannte, wog nicht bloS Saba! unb Suder aus, oerlanfte 
nicht bloS ©todfifte unb Häringe in bem altertümlichen Ed* 
häufe an ber Stofe, er arbeitete in feinen fargen SRufjefrönbex 
unermüblit unb mit glänzenbem Erfolg an feinet gortbilbnng 
unb geiftigen Steifung, ©eine poetifdjen ©erfuche freilich waren 
nicht aßezeit gern gef eben. Et flagt in bem ©ebicht „Slm 
©irfenbaum": 


Sa liegt fie finjler mit Stürmen unb SBaß, 
Sie mich lehren foß ben ©rwerb, 

Sie mich grämlich fperre in ber ©rofa @taß 
Unb Sitten hei^t Seitoerberb! 


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Nr. 49. 


Die fficgenmart. 


359 


Dafe er fich aber baburefe ni<fet beengen liefe, lefert bie an; 
fefenlicfee Safet bon Dichtungen, welche aus ber Soefter Seit bor; 
feanben, wäferenb berfetben gebrudt, fogar in Soeft felbft gebrudt 
worben finb. 

Die ©efefeäftigung mit ben alten unb neueren Sprachen War 
auch *« anberer SBeife betn jungen Dichter förberlich. 3e mehr 
er bie grammatifefeen ©chwierigfeiten berfetben iibermanb unb ju 
einem wirtlichen ©enuffe ihrer poetifefeen SBerfe oorbrang, befto 
lebhafter empfanb er auch ben Xrieb, feine SieblingSbicfetungen 
in baS poetifche ©ewanb beutfefeer Sprache einjufteiben; er fühlte 
inftinctib, wie biefeS ©eftalten eines gegebenen ©ebanfenS in ge; 
gebener gorm für ben poetifefeen Seferling eine Schute ber 
SReifterfcfeaft, bei Weitem fefewieriger fei, als bie eigene ©ro= 
buction im Anfcfetufe an biefeS ober jenes ©orbilb. So begann 
er bereits 1829 jene SReifee bon Ueberfefeungen, welche einen fo 
beträchtlichen unb jugteiefe fo wertfeboden Dfeeil oon greiligratfeS 
©oefie auSmachen. 

Die Safet biefer Ueberfefeungen, bornefemtiefe aus bem @ng; 
lifcfeen, ift fchr grofe; nur ein Heiner Dfeeil berfelben, acht 93er; 
beutfdfeungen nach SSalter Scott, hat er nachmals, unb jwar in 
berbeffertec ©eftalt, ber Sammlung feiner ®ebicfete einberleibt; 
ein grofeer Dfeeil berfelben ift SRanufcript geblieben ober in ber; 
fcfeotlenen weftfälifchen 3eitfcferiften begraben. ©S liegt noch aus 
bem Sofe« 1^29 ein hanbfchriftticheS $eft bor: „©ebichte aus 
fremben Sprachen, im ©erSmafee beS Originals übertragen, mit 
'Ausnahme ber .fwrajifcfeen Oben, bie ich in gekeimten ©erfen 
überfefet höbe." Die teueren haben eigentlich nur ben SBertfe, 
bafe fie unS jeigen, wie greiligratfe auch noch 3<>h re t an 8 naefe 
bem ©erlaffen beS ©pmnafiumS bie ©efefeäftigung mit ben alten 
Sprachen — auch eine Ueberfefeung nach Anatreon ift babei, unb 
er hat fich fogar in antifen Obenmafecn in jener 3eit fefer form; 
gerecht berfucht — leineSwegS berabfäumte; bie Ueberfefeungen 
nach SSalter Scott aber finb meifterhaft in ber Sefeanblung ber 
Sprache unb bichterifchen gorm. Unb inbem fo gerbinanb greitig* 
rath planmäfeig feine gormfic^ertjeit an ber ©erbeutfefeung mo; 
bernet Dichter bilbete, that er bie erften Schritte auf jener 
Ueberfefeerlaufbafen, auf welcher er nachmals fo ©tänjenbeS 
fchuf, gewann er zugleich für eigene Schöpfungen jene meifter; 
hafte ©efeetrfefeung bon gorm unb Sprache, bie ihm fpäter ein 
folch eigenartiges ©epräge gab; er burfte wohl, inbem er 1839 
feiner ©raut einige jener frühesten UeberfefeungSfeefte faitbte, ihr 
jugteiefe fchreiben: „Du fiefeft barauS, was man ju thun feat, eh 
man’S nur einigermafeen gut macht, unb bafe ich meine gegen* 
wärtige Seicfetigleit unb Sicherheit in ber gorm nicht gleich an* 
fangS befeffen habe, fonbem erft burch gleife unb ©tubium bot 
unb nach baju gelommen bin." 

(3ott(eBung folgt.) 


Deutftfee ftenaiffattet. 

Als Unterjeicfeneter feine „©efefeiefete ber beutfefeen SRenaif; 
fance" (1872—73) hetauSgab, mufete er bie Klage erheben, bafe 
über bie gefammte Arcfeiteftur unb bie becoratiben Kleinfünfte 
unferer feeimifefeen SRenaiffance, alfo über eine Gpodje bon bei« 
läufig feunbert Saferen, fo gut wie gar feine ©erarbeiten bor* 
tjanben feien. SBaS toufeten bie beutfefeen Künftler, felbft bie 
Arcfeitelten, WaS wufete überhaupt bie SBett bon ben SRonumenten 
jener ©podjen! SBo man ifere Denfmäter eines SlicfeS würbigte, 
War eS feöchftenS ein ©tief ber ©eraefetung, in welchem bie ©u; 
riften ber Antife fiefe mit ben Drtfeobojen ber ftrengften mittel; 
atterlichen Dbferbanj begegneten, inbem beibc bon ber fefeeinbaren 
SBiHfür unb bem bunten gormengemifefe jenes Stiles fich mit 
einem äftfeetifdfeen ©efeauber abwanbten. 

SBie ganj anberS ftefeen mir feeute ju ben SBerfen jener 
©poefee! 3Bir feaben in ihnen eine djarafterbofle ©rfdjeinungS; 
form jener grofeen 3cit erfennen gelernt, in Welcher unter furcht* 
baren grüfelingSftttrmen baS abgelebte SRittelatter ju ©rabe 


getragen unb bie neue 3cit mit iferem gewaltigen Streben nach 
Sefreiung beS SnbibibuumS bon firchlichen unb ftaatlichen geffetn, 
bor Altem nach einer freien SBiffenfcfeaft geboren würbe, ©e* 
förbert ofene 3weifel an bem Auffcfewung beS nationalen ©e= 
fiifeteS, ber ben Anfang ber fiebriger Safere bejeiefenet, nafem 
fofort bie Arcfeiteftur lebenbigen Antfeeil an ben ©rgebniffen 
wiffenfcfeaftlicher gorfefeung, unb aller Orten Wanbte man fiefe 
mit Segeifterung einer gormenwett.ju, in welcher ber beutfefee 
©olfSgeift mit feinen öorjügen Wie mit feinen Scfewäcfeen fiefe 
mit grofeer ©eftimmtfeeit auSgefprocfeen feat. 

SBit fönnen, ba feit einiger Seit bie KrifiS beS wirtfe; 
fefeafttiefeen SebenS einen ©titlftaub in biefer ©ewegung berait-- 
iafet feat, bie erfte ©pocfee biefer ©titriefetung wofet als abge; 
fcfeloffen betrauten unb bürfen uns bafeer ein Urtfeeil über ben 
SBertfe berfetben ju bitben fuefeen. ©on einem feeroorragenben 
Kunftfritifer Regt ein folcfeeS feit furjem Bor: eS ift fein gerin= 
gercr als SR. bon ©itelberger,. ber feodjberbiente ©rünber unb 
©orftanb beS öftreiefeifefeen HRufeumS, welcher fiefe in einem, 
juerft in Süfeows 3eitf<ferift, bann fürjticfe im jweiten ©anbe 
feiner gefammelten funftfeiftorifefeen ©eferiften erfefeienenen Auf; 
fafe über ben SBertfe ber beutfefeen SRenaiffance unb über ifere 
©ebeutung für bie ©egenmart auSgefprocfeen feat. Keine grage, 
bafe ber gemiegtefte Kenner ber funftfeiftorifefeeu ©ntwiefetung 
nicht btoS im ©anjeit, fonbem auch im ©injelnen bie beutfefee 
SRenaiffance treffenb efearafterifirt unb riefetig würbigt. SBenn 
er ifere formalen 3Rängel rügt, fo bin iefe gewife ber Sefete, ber 
biefetöen in Abrebe fteüt; bie ©cfelufemorte meines ©ucfeeS unb 
biete anbere Stellen beSfeiben bejeugen, mit welchem SRacfebrud 
ich fffeon bamalS auf bie AuSWücfefe unb ÜRängel biefcS Stiles 
feingemiefen feabe, ebenfo bin iefe mit ©itelberger bötlig einber= 
ftanben, wenn er bie feeute wieber ftarf graffirenben SBerfe bon 
Diettertein unb ben beiben ©rebeman be ©rieS als „wafere ©er; 
berber beS ©efdjmacfS" bejeiefenet. ÜRur ber reife SReifter ber 
Kunft mag auefe aus ber üppigen ©umpfbegetation, bie in jenen 
SBerfen wuefeert, einjelneS SBertfeootle feerauSfinben; für ©cfeüfer 
unb Anfänger bagegen fönnen biefe ©aefeen nur berwirrenb 
mirfen; ifenen fott man nur baS ©belfte unb SReinfte jum ©tu= 
bium borlegen. Aber man barf nicht biefe baroefen AuSfcferci* 
tungen als wefentlicfee Elemente ber beutfefeen ©enaiffance be; 
jeiefetten. ©emife ift lefetere bon ben erften SRegungen an, wo 
fie noefe fi^rf mit ber ©otfeif im Kampfe liegt, bis ju iferem 
Uebergang ins ©aroefe nichts weniger als ein reiner, oielmcfer 
burcfeauS ein abgeleiteter Stil; aber ©itelberger felbft eifert an 
anbern Orten mit SRecfet gegen ben arefeiteftonifefeen ©uriSmuS 
unb weife fefer wofel, bafe in allen grofeen feiftorifefeen Stilen bie 
Signatur ber 3«it unb beS befonberen ©olfeS mit ber unwiber; 
ftefelicfeen ©nergie einer IRaturfraft fiefe auSfpricfet. SBofel mögen 
gewiffe AuSfdfereitungen bei einjelnen ju Wenig arefeiteftonifefe 
gefcfeulten heutigen ERatfeafemern ber beutfefeen SRenaiffance, wie 
namentlich HRüncfeen beren aufweift, ifen mit Seforgnife erfüllt 
feaben; wer möcfete auefe baS ©ebenflicfee in biefer SRicfetung 
leugnen. Aber ofene SBeitereS erflären, bafe bie beutfefee fRenaif; 
fance „für baS heutige ©ürger; unb SBofenfeauS faurn mefer ein 
©orbilb fei", fdieint boefe ein gar ju feferoffer AuSfprucfe. Unb 
WaS wirb als Segrünbung angeführt? DaS heutige SBofenfeauS 
fei borwiegenb SRietfefeauS; bie feofeeu Dä^er mit ifereit ©iebeln, 
bie ©rfer feien unferer Auffaffung „wenig conform"; bie folibe 
Decoration ber beutfefeen ©enaiffance paffe Wenig ju ber fabrif* 
ntäfeig erjeugten Dcrracotta=Decoration unb bem tünftlerifcfeen 
©efemuefe, welcfeer fefer oft ber feanbwerllicfeen Düifetigfeit ent= 
befere, fowie bem feanbwerllicfeen 3'c^utfee, ber nur fetten aus 
ber lünftlerifcfeen Sufpiration beS ^anbwerlS ftamme. Als ob 
alle biefe Dinge irgenb einem anbern Stile, etwa ber itaticni= 
fefeen SRenaiffance, ober ber Antite beffer ju ©efiefet ftänben! 
SBarum übrigens bie feofeen Däcfeer mit ihren ©iebeln, bie reefet 
eigentlich bem norbifefeen Klima ifere ©ntftefeung berbanfen, uns 
Wiberftrebenb fein fotlen, ift niefet ju berftefeen, abgefefeen babon, 
bafe in unferer beutfefeen SRenaiffance ©eifpiele genug borlommen, 
bei welcfeen bie ©ompofition ber ga<;abe auf ben feofeen ©iebet 
oerjidfetet. ©oßenbS aber ben ©rler unferer Auffaffung wenig 


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860 


9 i t (Gegenwart 


Nr. 49. 


confotm $u nentteu, ift gerabeju unbegreiflich, benn feit bie 
früher erferfeinblidje Sotijei ihr Serbot aufgehoben h°t, ftnb 
bie Erfer in allen ©täbten ju Hunberten in frö^tit^er 2Jtannid)= 
faltigfeit aufgefdjoffen unb berieten ebenfowof)! ben ftayaben 
ein erhöhtes ßeben, als fie ben innettt Räumen ein nicht ju 
unterfchäfcenbeS Element anheimelnben SehagenS ^tnjufügen. 
SBaS ber Salfon bem ©üben ift, ift ber Erfer bem SRorben; 
öffnet fich mit jenem bie Ardjiteftur inS Freie, fo jieht fie mit 
biefem bie Außenwelt in ihr behagliches Sinnenleben h' ne * n - 
3m Erfcr hoben unfere aus ben flimatifchen Sebingungen h« s 
borgegangenen wohnlichen Sräudje unb Sitten einen fo fchönen 
unb bejeichnenben AuSbtucf gefunben, baß fein Archüeft bei uns 
auf bieS lebenSootte SRotib oerjicfiten wirb. 2BaS übrigens bie 
fabrifntäßig erjeugte Serracotta»Secoration betrifft, fo ift fie ber 
beutfdjen SRenaiffance feineSwegS fo unbefannt, wie mein oerehrter 
greunb anjunefimen fdjeint; ich brauche nur an bie jahlreidjen 
©chtoßbauten in SRecflenburg }u erinnern. 

Unb warum fottte baS moberne 9RiethhauS fich fchämen, 
aus ben ))'OantafietooIIen Elementen ber beutf^en fRenaiffance mit 
ihren (Siebein, Erfem unb l£^ürmen, ihren fräftigen Profilen 
unb ben freigcfcfjwungenen formen eine fünftlerifche ©lieberung 
ihrer fonft fo unförmlichen Staffen ju entlehnen? Saß in ber 
Sh fl t auf biefem SBege AnfpredjenbeS ju erreichen ift, beweifen 
bereits jaljlreiche Wohlgelungene Serfuche, unter benen ich nur 
an bie Raufer bet Seutljftraße in Serlin erinnern will. Se= 
fouberS aber hat JRafdjborff in feinen geiftöotlen fßriüatbauten 
bie beutfche Utenaiffance aufs fchönfte oerwenbet, unb jwar 
sunt ^heil noch e h e mein Such erfchienen war. ©ewiß fann 
fich bie beutfche SRenaiffance an Sottenbung Weber mit ber 
italienifchen noch mit bet Antife irgenbwie meffen; barin wirb 
jeber Einfidjtige mit Eitelberger übereinftimmen. Für baS grwtb» 
legenbe ©tubium bei Schülern unb Anfängern laffen fich biefe 
ErfcheinungSformen beS architeftonifch Schönen burch nichts er» 
fejjen. AnberS aber fteht eS um bie praftifdje SerWenbung ber 
Stile; hier fommen ganj anbere Stagen in Setradjt. 

3Bo eS SRonumentalbauten gilt, namentlich Stufeen, Theater, 
Salafte, Sahnhöfe, Unioerfitäten, Afabemien u. bergt, ba wirb 
ber heutige Architeft am liebften jur italienifchen SReitaiffance 
greifen. SBatum? SBeil ber große SDtaßftab folcßer Sauten, bie 
£>öhe ber ©tocfwerfe, bie SBeite ber Fenfterajen ber Anwendung 
eines ©tileS günftig ift, ber gleich ben antifen Stömerbauten 
auf mächtige Simenfionen angelegt ift unb biefer bebarf, um 
bie einfach großen Drbonnanjen ber antiten ©äulen» unb Pfeilers 
fi)fteme unoerfümmert jur ©eltung ju bringen. Unfere alten 
Saumeifter haben bieS recht wohl gefühlt unb beShalb nut 
auSnaljmSweife ben italienifchen Stil birect aufgenommen. 3n 
ben meiften Fällen erfannten fie, baß bei unS bie geringeren 
©tocfwerfhöljen unb bie ganj anbere Art beS ßebenS unb 
9Bof)nenS ftarfe Umgeftaltungen beS ©tils oerlangten. @o bilbete 
fich ein nothwenbiges Eompromiß jmifcfjen ber fremben liebet» 
lieferung unb bem hetmifdhen Stauche, unb baS Sefultat biefeS 
SroceffeS ift eben baS, was wir beutfche fRenaiffance nennen. 
3« Italien würbe baS einfadjfte SBoljnhauS nach Kräften jurn 
Salafte hinaufgefteigert, weil bem Italiener bie monumentale 
Abficht unb baS Sebürfniß oornehmer SRepräfentaiion über Alles 
geht; in Seutßhlanb bagegen nahmen felbft bie opulenteren 
©djloßbauten umgefetjrt einen traulich bürgerlichen Eharatter 
an, weil bei unS baS flima unb bie gemütliche Enge beS 
Familienlebens, oor Allem bie SRücfficfjt auf wohliges warmes 
SBohnen in ben Sorbergrunb traten. SEBie wenig wohnlich oon 
unferem ©tanbpunfte aus crfcheinen bie italienifdjen Sßaläfte, fo 
fehr wir immer ihre fünftlerifche Sebeutung bewunbetn; Wie 
anheimelnb bagegen finb unS bie §äufer ber beutfehen SRenaiffance 
mit ihren taufdjigen Erlern, ihren tiefen Senftemifdjen, ihren 
bunten ©laSgemälben, bem braunen ©etäfel ihrer SBänbe unb 
Seelen, ben reich oerjierten Defen unb bet originellen Sftannich» 
faltigfett ihres JpauSrathS. Obwohl biefe Singe faft niemals 
bie formale Sottenbung ber Schöpfungen italienifcher SRenaiffance 
erreichen, flehen fie unferer Empfinbung mit oottem Stecht boch 
unmittelbar näher, weil fie unfer eigenes SBefen charafterbott 


auSfprechen. SBarum fottte alfo überall ba, wo eS im mobernen 
$auSbau gilt bürgerliches Sefjagen auSjubrücfen, nicht borjugS.- 
weife bie beutfche Stenaiffance jur Slnwenbung fommen 1 ©ibt 
Eitelberger ihr boch felbft baS treffenbe ßeugniß: „Sie ift 
phantafieooll unb bürgerlich tüchtig juglei^, ohne fi<h auf ibeale 
§öhen ju erheben." ®uf ibealen $öhen aber Wollen unb fönnen 
wir ja nicht wohnen. 

2tuS biefem ©runbe begrüßen wir jebe Sereicherung unferer 
Kenntniß auf biefem ©ebiet, oor allen Singen baS rüftige Sort= 
fchreiten oon OrtweinS „Seutfcher SRenaiffance", welche neuerbingS 
unter Stebaction bon ä. SchefferS bis jur 104. Lieferung oor= 
gerüeft ift.*) Ser jweite Sanb fchloß mit ben reifen Senf» 
malen oon ®öln auf Safel 100 ab; ber britte beginnt in jwei 
heften mit ben befonberS frühen unb originellen Senfmalen Oon 
3widau, wo bie SRarienfirche eine werthboße fünftlerifche SluS» 
ftattung befi^t, auf Welche ich bereits in meinem Suche hinge; 
wiefen fj fl be. SBie reiche Sta^lefe aber bem Sofalforf^er noch 
übrig geblieben ift erfennt man gerabe hier an einet Slnjahl 
oon Senfmalen, bie mir bei meinen Unterfudjungen entgangen 
ftnb. ES folgen fobann SRittfjeitungen über SanbShut, befonberS 
bie föftlidhen Arbeiten aus ber neuen Steftbenj unb aus ber 
SrauSttih, ferner Sremen mit feinem impofanten 3tathh°u8/ 
einem ber üppigften SBerfe ber Seit, fobann $ilbeSheim mit 
feinen unoerglei^lichen #oljbauten, Ulm mit ben ^raeßtbeefen 
beS Ehinger §ofeS, Augsburg mit feinen raannidjfachen Senf» 
malern, namentlich ber gewaltigen, fchon üppig überlabenen Secfe 
beS golbenen ©aaleS. Ein $eft bringt fogar beutfche Arbeiten 
aus ben Surifer Sammlungen, namentlich bie ©djenffanne 
Saris V. unb bie ißrachtrüftung Heinrichs n. Sann folgert 
?lfdhaffenburg, befonberS mit ber reichen Sfanjel in ber Stifts» 
fireße, Stuttgart mit bem charafterüotlen Sau beS alten ©chloffeS 
uitb ffltainj mit bem furfürftlichen Schloß unb manchen Heineren 
Senfmalen. Erftaunlidj ift felbft für ben Sunbigen ber SuwadjS, 
ben unfere Senfmälerfenntniß hier gewinnt, bewunbernSwürbig 
bie 9Ranni<hfaltigfeit unb bie ißhantafiefütle in ben ©djöpfungen 
jener 3eit, unb wenn auch nicht MeS nachahmenSwerth erfcheint, 
fo erfennt mau boch namentlich in ben Sifdjler» unb ©chmiebe» 
arbeiten, fowie in ben Sronje; unb SReffingwerfen ben träftigeu 
ißulsfchlag eines fünftlerifch geabelten ^anbwerfS. SBarum fottte 
alfo bie heutige Sljätigfeit nicht auch aus biefen Quellen fdjöpfen, 
unbefüntmert um alabemifcßeS ^5uritanerthum? 

2Bäf)renb in bem oben erwähnten SBetfe bie SarftellungS» 
weife auf ben fdjlidhten SRitteln autographirter 3eich«ung beruht, 
bringen bie feit furjem erfdjeinenben ^efte übet bie ttRünchener 
IRenaiffance in wohlgelungenen Sichtbruden auS bet rühmlich be= 
fannten Stnftalt Oon Solhöoenet ein prächtig auSgeftatteteS SBetf, 
welches auSfchließlich ben bortigen Senfmolen gewibmet ift.**) 
ES fpannt ben seitlichen SRahmen etwas weiter unb oerfprießt 
auch bie fpäteren Senfmate beS in HKündjen reich Oertretenen 
IRococo mit ju berüdftchtigen. SS liegen unS jwei ßieferungen, 
auS je fechS Slättern fammt bem begleitenben Sejt beftehenb, 
oor. Ser Herausgeber ßorenj Sauer hot Ijouptfädjlich ben eblen 
Sau ber ERichaelöfirche unb bie SRefibenj in ben erfdjienenen 
Slättern ins Sluge gefaßt unb bringt fowoßl Einseinheiten bet 
inneren unb äußeren HuSfiattung, gemalte unb ftuefirte IßlafonbS, 
fowie plaftifche SBerfe als auch ©cfammtbilber beS inneren unb 
i Üleußeren ber ©ebäube sur Sarftettung. SBit wollen befonberS 
j auf bie föfttiche 3nnenanfid)t ber SRichaelSfirche unb bie feine 
i ©tucfbecoration ihrer mittleren ©ewölbabtheilung mit bem reisen» 
j ben frans fchwebenber Engel hinweifen. Ein ijkachtftücf male» 
rifcher Secoration ift bie Secfe auS bem Antiquarium ber IReß» 
| bens; plaftifche SBerfe bieten ber ©rottenhof unb an ber Safabe 
! beSfelben SaueS bie HRabonnenftatue, fowie bie feef bewegte 
| ©ruppe bes h- 3Ri<hael mit bem Stadien an ber SRichaelSfirdhc, 
| in ihrer effectoollen Sewegung faft wie ein in Stonse übertrage» 
j ner SRubenS ansufehen. Sie ©chönheit, bie Reinheit ber ßießt» 


*) $eutf«he Ötenatffance. ßeipjtfl, Ä. ©eemann. Sol. Sief. 80—104. 
**) SWündjeuer Stenaiffance oom ®nbe beS 16. bis ®nbe beS 18. Qahih- 
herauSgeg. oon S. Sauer. Stündjen, S. Solhöoenet. gol. Sief. 1 u. 2. 


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Nr. 49. 


Sie (Segenmart. 


861 


witfung uitb bie filarljeit felbft in ben tiefften ©Ratten, welche 
biefe meifterljaft audgeführten Sichtbrucfbitber audjeichnet, bet: 
leifjt ben Slättern gerabeju einen fünfilerifchen SBerth- 

SBer bie Xenfmäler unserer Senaiffance genauer lennt, bet 
Weiß, Weid) mannigfaltiger Seij iljt eben baburd) erwädjft, baß 
fie batb and bet itaiienifchen, batb aud ber ftanjöfifc^en, bann 
wiebet aud bet niebertänbifdljen Ardjiteftur ihre Anregungen ge: 
fdjöpft hot. SBäfjrenb bie bairifdjen unb habdburgißhen dürften 
bet itaiienifchen ©titrichtung hulbigten, wenben bie mittelbeutfden 
proteftantifchen £>öfe ftdj oielfadh franjöfifchen ©inflüffen ju, fo 
baß fcfjon barin unfete bamatige Ardjiteftur bie oerfdiebenarti: 
gen retigiöfen unb politifchen Serhältniffe beuttic^ fpiegett. Xie 
großen #anbeldftäbte bed Sorbend aber, Xanjig an bet ©pifce, 
jobann Sübecf, Hamburg, Sternen, fontmen burd) ihren regen 
Serfeljr mit ben Siebertanben batb baju, bie bortige Sauweife 
bei fidj einjubütgetn. ©o entfielt jene im ©injelnen aQetbingd 
fchon oielfadh batotfe Ardjiteftur, bie in ber Sermifdjung eined 
nüchternen Sadfteinbaued mit ben pljantaftifchen gormen einer 
fpietenben £>aufteinbecoration oft Ijödfl originelle unb dharafter: 
OoHe SBirtungeu erreicht. Die urfprüttglichen Quellen biefed 
norbbeutfdßen ©tited erfdjließt und ein fürjlidjj audgegebened 
ftatttiched SBerf, wetdjed bon ber ©efellfchaft gut Seförberung 
ber Saufunft in Amfterbam nach Aufnahmen bed beutfchen Arthi= 
teften 3- ©dhrnifc beröffentticht wirb.*) Und liegt bie erfte 
in großem gormat unb trefflicher Audftattung in Iräftig be: 
hanbelten autograpljirten Segnungen burdgefüljrte Lieferung bor. 
Xiefetbe bringt auf fedhd Slättern bie ga<;aben unb ©iebet ber 
ehemaligen gleifchßalle in hartem bom Anfang bed 17. 3ah r = 
hunbertd, ein ©ebäube, weldhed jene ©tilentwicflung in befonberd 
nadjbrüdticher, fchon bielfach baroder, aber hoch ljodhoriginetter 
SBeife erfennen läßt. Xie fotgenben Slätter enthalten eine Xar: 
fteüung bed aud etwad fpäterer 3«t ^erriittrenben Sathfjaufed 
ebenbort, weldhed in feiner Sehanblung einfacher ift unb mehr 
bad ehrenfeft Xüdljtige jener alten fpotläuber jur ©rfcheinung 
bringt, währenb in jenem erftgenannten Sau ihre berbe gobia: 
lität fräftiger jum Audbrud fommt. Auch bicfe Sublication 
berfpricht eine bebeutenbe Sereicherung unferer Anfchauungen, ju= 
mal in ben entlegeneren, bon bem Seifenben fetten betretenen 
Sroüinjen bet Sieberlanbe noch ein großer Seidjtljum an ÜJtonu: 
menten jener @podje oerborgen ifl 

SBie alle biefe ©tubien für bad praftifclje ßeben ju ber* 
werthen finb, jeigt in anjieljenber SBeife bie neuefte Seröffent: 
lidfjung bon ©eorg £>irth, ber butch feinen „gormenfdjafc" fid ein 
großed Serbienft um bie Sopularifirung ber Senaiffance er= 
Worben hot**) 3« einer reich audgeftatteten auf 4 bid 5 Siefe: 
tungen berechneten ißublication unter bem Xitel „Xad beutfde 
3immer ber Senaiffance", will er in Schrift unb Silbern An= 
regnngen ju hün^lidher Sunftpflege bieten, unb wad wir bon 
biefem überaud jeitgemäßen Unternehmen bor und haben, bietet 
einen fotchen Seidjthum an Xarftellungen jener flaffifdhen ©poche, 
theild an audgeführten ©ebäuben mit ihrem mamtidfachen £>aud: 
rath, theild an Sadfjbilbungen bon 3ei<hnungen, ©tidhen unb 
$otjfdhnitten unferer größten SReifter, namentlich eined #otbein 
unb Xürer, baß in ber Xljat bie Abficht bed $eraudgeberd treffe 
lieh jur Serwirftidhung fommt. Sieben alten Xenfmätern finben 
wir neued in altem ©eifl ©ntworfened; Xarftellungen ganjer 
3immeraudftattungen wechfeln mit ©injetnheiten, wie ©efäßen, 
Xhürfchlöffern unb Sefdhlägen, Xifdjen, Stühlen unb Suffetd, 
Xapeten: unb Xeppidhmuftern, Xifdhbeden, Silberrahmen, Xäfe: 
lungen, Defen. Xaneben ift nur ju billigen, baß auch Audbtide 
auf bie itaiienifdhe Senaiffance, auf ben Orient, namentlich in 
feiner ©efäßbilbnerei, unb auf bie Antife getljan Werben, ©rfdjeint 
baburch auf ben erften Slid ber ©irtbrud etwad buntfdhedig, fo forgt 
ber frifdfj unb anregenb getriebene Xejt bed $eraudgeberd hi» 5 
reichenb bafür, baß bad ©injelne in richtigem Sinne aufgefaßt Werbe. 


*) Aieberlänbifche Otenaiffance, aufgenommen oon3- $ Sdjmig jun. 
ScrJiti, ®. SBadmuth- gol. 

**) ®ad beutfehe Simmer ber IRenaiffance, Bon §irth. 3Riind)en, 
ihtorr unb ^irth- 4. l. Lieferung. 


Xaß biefe ganje Strömung aud ber üRündjener AudfteHung 
bed 3»h reS 1876 mächtige Smpulfe gewonnen h»t, ift leicht ju 
erfennen. Xie Schöpfungen unferer alten Sunftgewerbe traten 
bamald in fo überwältigenber güHe bem gegenwärtigen ©efdhlecht 
oor bie Augen, baß feitbem eine ganj neue Aera für unfere 
3immerbecoration fich geftaltete. SBo man früher bad falte SBeiß 
ober bie matt gebrodenen Xöne borherrfchen ließ, ift jefct eiue 
ftimmungdootle, farbenreiche Sehanblung jur ^errfdaft gefommen, 
welche in ganj anberer SBeife wohntiched Se|agen jum Audbrud 
bringt. Seine grage, baß biefe Sichtung immer eutfehiebener 
ben Sieg babon tragen wirb. xr>. £übfc. 


Serbien ttnb Me Snrkei tot 19. Sa^nnbert. 

Son fieopolb oon Stante.*) 

SJlan hat bie ©efchichte oft bie ißfpdhologie ber Slenfchhcit 
genannt-, mich bünft, nicht ganj mit Unrecht. SEBentt fie cd 
ganj unb bolllommen Wäre, bann müßte fie aud ben ipanb^ 
lungen ber SRenfchen unb beren SRotiben nach bem ©aufalitätd: 
gefeh auch bie 3»t»»ft ju erfennen bermögen. $ier aber liegt 
ihre ©renje, bie ber gorfdjer wohl bunfet ahnen, aber nie er: 
reichen fann. 

©ine foldje Ahnung mag ben jungen ©eiehrten Seopolb 
Sanfe befehligen haben, atd er bot 50 3ah*en baran ging, ben 
Sefreiungdfampf eined Sotfed ju betreiben, Welched bamald juerft 
in höherem SRaße in ben ©eßchtdfreid ber europäifchen ©ultur: 
weit trat-, er mag geahnt haben, baß gerabe in biefem Solle 
bie Sräfte berborgen tagen, bie ben in feinem 3»nern fchon 
jerfefcten Sörper bed odmanifchen Sei^ed ber Auflöfung einft 
entgegenführen fönnten. SBad er bamald anbeutete, hat fidh jeftt 
ju oolljiehen begonnen; bie ©mancipation ber Serben, ju ber 
bamald ber erfte Schritt gefdjehen war, ift heut eine bollenbete 
Xhatfache. Sanle tonnte feinen geeigneteren 3eitpunft jur 
SBieberaufnahme feiner ©tubien über bie ©efchichte ber ferbifden 
Station wählen, atd ben jefcigeit. 

Sur wenige SRonate finb berfloffen, feitbem fein neuefted 
SBerf „Serbien unb bie Xürtei im 19. Sahrhunbert" erfihienen 
ift. Sicht eine neue Auflage jened früheren Sudjed fann man 
ed nennen: wad bamald bad ©anje War, ift h e »t ein Xljeil 
geworben; neue, bebeutenbe gorfetjungen finb hinjugetreten, bie 
ben bamald abgebrochenen gaben bid in unfere Xage hinein 
fortfpinnen. 

Xad ganje SBerf befteht aud Pier, ju oerfchiebenen Seiten 
entftanbenen Xheilen. X)aß fie jufammen ein wirfliched ©anjed 
audmadhen, ift ein fchöner Seweid bafür, wie richtig Sanfe auch 
früher fdjon ben inneren 3ufammenhang ber ©reigniffe, bie er 
fdjilberte, erfannt hatte. 

Xer erfte Xljeil, wetdher etwa bie Hälfte bed ganjen oorliegcn: 
ben SBerf ed audmacht, ift eine im SBefentlichen unoeränberte 
neue Auflage bed fchon bon früher befannten Suded „Xie ferbifche 
Seoolution"; aud jtneite Xheil ift eine Seprobuction einer 
früheren Arbeit bed Serfafferd. ©r beljanbett „Sodnien in 
feinem Serhättniß ju ben Seformen bed Sultand SRahmub II., 
1820—32" unb erfölien juerft im 3»hte 1834 in Sanfed 
hiftorifch:politif^er 3«itfdhrift unter bem Xitel „Xie Unruhen in 
Sodnien". Sicht in unmittelbarem Sonnej mit bem Xhenta, 
wel^ed ber Serfaffer behanbett, fleht biefer Auffafc, aber er wirb 
boch oon gebermann ald eine wiflfommene Seigabe betrachtet 
werben. 3» ber Xhat ift boch bie ©mancipation ©erbiend gar 
nicht oerftänblich ohne eine Xarftellung bed Setfehungdproceffed, 
in welchem ßdh bie europäifdje Xürfei überhaupt befanb unb be= 
finbet. Unb biefer fann burdh fein ©reigniß beffer gejeichnet 
werben, ald burjh bad in biefem Aufja| bargefteOte. @d jeigt 
fich eben hier mit furchtbarer SBahrljeit jener innere SBiberfpruch 
ber odmanifchen SRonarchie, an bem biefetbe unfehlbar ju ©runbe 


*) Sieipjig l»79, Smndfer unb ipumbtot. 


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362 


fl 1 1 (begenwart 


Nr» 49. 


gefeit muß. SBäptenb bie europäiften ©roßmätte bie Sforte 
fortwäprenb ju {Reformen im Sinne ber europäiften Sioilifation 
brängen, finben folcpe bet ben fanatippen Untertanen be« Sultan« 
felbft ben natpaltigften SEBiberßanb. Die« ÜRoment toar e9, 
welche« bie Unruhen in So«nien peroorrief: fte waren unmittel« 
bar baburcf) oeranlaßt, baß SRaljmub n. oerfwpte, jenem Üln* 
finnen ber europäiften ÜRätte ßattjugeben unb Reformen in 
SoSnien einjufiipren. ßeibenfd^afttib^er, al« bie ©priften je gegen 
ipre Unterbrücfung burt bie Dürfen angetämpft Rotten, erhob 
fit ber SBiberftanb ber üRufelmannen gegen jebe Slenberung beb 
beftepenben guftanbe«. 

$aben mir eS aber hier noch tnit einer internen Ungelegen; 
heit beb obmaniften SRei<pe« ju thun, bie mit ber Eßolitit ber 
europäiften ÜRäcpte nur in inbirectem ©ontaete ftanb, fo mußte 
ein ähnlicher PleformOerfut, ber an einer anberen Stelle beb 
türtifcpen {Reiche« ju berfelben $eit unternommen Würbe, fofort 
ein ©ingreifen bet europäiften ÜRätte jur {folge hoben. üRepemeb 
9lli, ber große SafaH be« Sultan«, Sicefönig üon 9Iegt)pten, 
machte ßt in feinem Sanbe mit größerem ©rfolge al« ber Sultan 
felbft an eine {Reform ber Serwaltung unb {Regierung. Vier* 
bur<p aber würben bie europäiften ÜRäd)te, namentlit ©nglanb 
unb {franfteich, in ihren eigenften unb wicptigßen 3ntereffen in 
üRitleibenftoft gejogen; felbft bie inneren SerfaßungStämpfe in 
granfreit hoben bei ber ägpptiften Serwicfelung entfe^eibenb 
eingegriffen. 2Bie noch in unferen Jagen ba« felbftßäubige unb 
wiUtürlicpe Sorgepen bc« Spebiüe ein energifte« ©inftreiten 
ber europäiften ÜRätte unb in {folge beffen eine Ülbfepung be« 
Äpebiüe perbeifüprte, fo würbe auch bamal« bie Stage ber 
inneren {Reformen fofort ein Dbject be« Streite« jwtften ben 
europäiften SRätten, fowie fie fit auf Ülegppten übertrug. Die 
ütbwanblungen ber europäiften {ßoliti!, bie fit hieran« ergaben, 
hat {Ranfe in bem britten Dpeile feine« SBerfe«, ber jwar aut 
fton früher geftrieben, aber bi«her not Hießt ®oud er* 
ftienen ift, behanbclt. 

{Run erß, natbem ber knoten be« europäiften ©onfticte« 
geßpürjt war, ging {Ranfe an eine gortfepung ber ferbiften 
®eftiti e * fie ift bie Srutt feiner Arbeiten in ben lepten üRo* 
naten. ÜRit ber ihm eigenen ÜReißerftaft hot er e« »erftanben, 
bem an ßt oft rett trocfenen üRaterial, Welte« ihm ju ©ebote 
ftanb, ein warme« Sntereße abjugewinnen unb feiner DarfteKung 
aut hier jenen lebenäooflen Pleij ju geben, ber alle feine Ütr* 
beiten auSjettnet. Sür bie „ferbifte SReooiution" hotte er feine 
tunbe ber ©reigniße oornepmlicp au« ben münbliten ÜRit* 
Teilungen ber honbelnben fßerfonen in Serbien felbft entnommen: 
ohne felbp ber ferbiften Sprate mättig ju fein, war e« ihm 
gelungen, fein ÜRaterial fritift i u Ptten unb ju prüfen. Der 
grope Serbe SBuf Äarabftitfd), ber Pt butt Me Verausgabe ber 
herrliten ferbiften Solfslieber*) ein große« Serbienft um bie 
©rfenntniß ber ferbiften Siteratur erworben hot, war ihm habet 
hülfreit jur Vanb gegangen. So war e« bamal« rett eigentlit bie 
lebenbige SollSfibertieferung, bie er feinen Stubien ju ©runbe 
legte. Sür feine eben jept pinjugefügte Sortfepung panben ihm 
ÜRaterialien ganj anberet ?lrt ju ©ebote, bie frrilit outhentifter 
waren al« jene, bafür aber be« eigentlit lebengebenben Obern« 
entbehrten, ber uns au« ber münbliten Drabition einer friften, 
naturwütfigen Station entgegenweht. ©8 waren namentlich bie 
Seritte unb {Rotenwetfcl ber {Diplomaten ber oerftiebenen 
Vöfe, bie bem SBerfafier oon Seiten be« pteßgen StaatSartib« 
jur Verfügung gepellt würben, au« benen er feine Sunbe fcpBpfte. 
Jenn eben bei bem Seginn bet {Regierung be« ÜUejanbet Sfara* 
georgewitft, weite bie neue Arbeit eröffnet, würbe Serbien immer 
mept ber ©egenftanb ber ungetpeilteßen Slufmerffamfeit oon Seiten 

*) 9tm werthooHpen waren natürllt bie x«r’ l£o%riv fo genannten 
„ptporiften Sieber", benen meift ein Wirtliche« ^iftorifcheS @reigni| ju 
©runbe liegt; fte pnb eben in ber Seit ber erften ©efrriimg«fämpfe unter 
Sara ©eorg entftanben unb butt Jaloj« Ueberfepnng auch un« ®eutf<hen 
jugänglich gemacht worben. 3pre oft erhabene Scpönfjeit haben fchon 
bie Veroen unferer eigenen Siteratur, Oor SlUem ©oethe, anerfannt unb 
gepriefen. 


ber europäiften V®fe. ®ett eigentlit im ÜRoment be« ©e* 
ftepen« felbft entftanben, waren jene biplomatiften Steten glett- 
fam ein Stüd ber ©eftit* e felbp unb htfofem Me glaubwürbig* 
ften üRaterialien, bie man nur wünften tann. Äber fo meiperhaft 
e« Plante aut oerftanben hot, biefem fpröben Stoße eine leben«* 
warme Sotm ju geben, fo matt fit bot iw biefem feine« 
SBerfe« ber ©harafter einer auf biplomatiften {Beritten ruhen» 
ben {DarpeQung mit allen feinen ®orti)eilen unb unumgänglichen 
üRängeln geltenb. 2)ie Jhatfaten felbft oetmögen Wir nid»t minbet 
ju erfennen al« bie europäifteit Serwicfelungen, bie pt fofort an 
biefeiben htüpften, aber ba« Soll felbft mit alle ben {trieben 
unb Äräßen, bie e« bewegen, oermögen wir an« ben ©ombinatio* 
nen ber Diplomaten nun einmal nttt ju faßen. Sn biefet 
Vinptt muß man e« al« ein ©tftet anfepen, baß ber Serfaffer 
in jenen iKcten bot nitt nur biptomatifte Rapiere im engeren 
Sinne oorfanb, fonbern aut Bie im ©anjen rett oerftänbigen 
unb objectioen Seritte eine« ÜRanne«, ber mit bem ferbiften 
Solle felbp in perfönliter Serüprung ftanb nnb ben meipen 
ber geftitberten ©reignifie al« Slugenjeuge beiwohnte: bie be« 
preußiften ©onful« in Selgrab, üReroni. Sie pnb um fo merthooQer, 
al« fie ben offtciellen unb ofpeiöfen Darpetlungen ber beiben 
ftreitenben {Rationalitäten gegenüber gewißermaßen eht Plegulatto 
bilben. So würbe e« gewiß mit ben größten Stwierigfeiten 
oerbunben gewefen fein, über ba« Sombarbement oon Selgrtfb 
burt bie Dürfen im S®h« 1862, wette« bamal« ein fo große« 
Stuffepen erregte, au« ben tflrtiften nnb ferbiften Seritten ein 
auep nuc onnäpemb wahrheitsgetreue« Silb ju gewinnen: pier 
waren bie Stilberungen, bie ber oötlig unparteiifte prenßi* 
fte ©onful feiner {Regierung jur Drienttrung einftiefte, für ben 
Stutor gerabeju unftäpbar. 

Sieben biefen biplomatiften ÜRaterialien, wenn wtt fo fagen 
bürfen, lagen bann bem Setfaßer aUerbing« not einige Serupte 
Oor, bie ipm felbp au« Serbien, wo man in ©rfaprung gebracht 
patte, baß er an einer Sortfepung bet ferbiften {Reoolution 
arbeite, jugeforamen waren, bot erwiefen pt biefelben, wie ber 
Serfaßer in mehreren {Roten angibt, bot oft al« nüpt genügenb 
unterrittet, wie ba« benn bei ptporiften Ütufjeitnnngen, bie 
nat ber $anb gematt werben, fepr natürlit ift. 

Sepr reitpoltig unb oielfeitig waren alfo bie ÜRaterialien, 
bie bem Serfaßer für bie DarfteDung ber aümäpliten ©man* 
cipation Serbien« jn ©ebote panben; unb bot waren pe auf 
ber anbern Seite Wiebet fragmentarifcp flenug, inbem pe weiß 
gleitfom nur bie ülüJwirfung ber ©reigniße auf bie biplomati* 
ften Serwicfelungen in ©uropa, nitt aber ßet« Me ©reigniße 
felbft in ooüer Srifte unb Urfprüngtitteit enthielten. ÜBit 
brauten wopl laum ju fagen, baß es einem ühtbern ßpwer, 
oietleitt unmöglit gewefen wäre, au« biefen ÜRaterialien biefe« 
SBerf ju oerfaßen. Da« aber iß e«, wa« bie ^iftoriograppte 
unfere« Hltmeißer« oon ber aller anbern beutften Viftorifer 
unterfteibet: wäprenb fonft bie Sorßpung oon ben ©injetpeiten ber 
piporiften ©ntroicfelung auSgept unb ßt nur langfam unb a&* 
mäplicp ju allgemeinen ©efitt«punften erpebt, gept Plante mit 
feinem unioerfaten ©lief über bie ©efammtpeit ber menftprittiepen 
©ntwidelung an feinen Stoß peran unb weiß ipn, inbem er 
ipn au« feiner Sefonberpeit perauSpebt unb mit ber allgemeinen 
©ntmicfelung in Setbinbung bringt, ju generalißten, opne ipm 
bot feine Sttbioibnalität ju rauben. 

Unb gerabe ber üorliegenbe Stoß war für biefe ffiigen* 
tpümlitteit Plante« wie geftaffen. SP bot Bie aümäplite 
Sefreiutig Serbien« oon ber Dberpopeit ber {ßforte feineSweg« 
ba« SEBert ber Serben ober ein freiwilliger SGBidenSact ber 
Dürten allein gewefen. 3« jeBem ÜRoment ber ©ntwicfrinng 
war e« ber PBiQe ber ©efammtpeit bet europäiften üRätte, 
weiter bie beßnitioe ©ntfteibung peroorrief, wie ja benn amp 
ber lepte Stritt, bet bie ‘ootte ©mancipatio« Serbien« einftloß, 
auf bem Serliner ©ongreß fit unter unferen Slugen oolijogen 
pat. Vöten wir, wie fit Plante felbft hierüber in feiner Sor* 
rebe äußert: „2BelteS ift bot eigentlit bie ©ewatt, bie. in 
unferem ©uropa bie Verrftap au«übt? @8 ift ba« ©inoerpänb* 
niß ber großen ÜRätte, weite« bie Vttrßpaft einer rinjigen 


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Nr. 49. 


* (Segennrurt. 


363 


auäfdjüefet unb ffd) au« allen jujammenfefct. Ser Stieg be= 
ginnt, wenn bie« ginüerftänbniff nicfft metjr ju erjieten ift. 
'ilbet unaufhörlich wirb e« butch neue BorfäÜe gefährbet. Sn 
biefer ©efaffr liegt eigentlich ba« 3ntereffe bet ^genannten 
orientalifchen grage." 

Sn bet Xljat ift ba« (SinBerftänbniff ober bie ©iferfucht 
bet europ&tftffen SWäcffte unter einanbet bie einzige Sraft, welche 
betn oSmanifdjett Beüffe in unfetent Sahrhunbett noch immer 
feine gjiftenj gefiebert bat unb wohl auch n°tf) einige 3 e 't 
jichetn Wirb. ®at oft fchon haben Wir e« gefehen, baff bie 
Pforte bet Uebermadjt be« Bacffbarreidje« gegenüber fi<h nur 
baburch galten tonnte, baff e« an biefe giferfuefft ber übrigen 
Blädfte appetlirte. Bür bie Sauer aber wirb fich ber morfche 
2Jted)ani«mu8 bem immer weitet öorbtingenben cioilifatorifchen 
Seifte nicht entjieljen fönnen. „Sie Seifter be« Dccibent«" 
werben unb müffen ben be« Orient« übermannen. „Ser 
Seift be« mubammebanifdjen Staate« ift an fich felbft 
irre geworben, feine Barbe »erbleicht." ,,SBa« auch gefchehen 
möge, fo bürfen wir wohl auf bem Stanbpunfte ber ^iftorifc^en 
Betrachtung mit Sicherheit auöfprechen, baff bie« groffe greigtitff 
nicht Wieber rücfgängig gemacht werben tann; unter ben taufenb- 
fach au«einanbergehenben Befttebungen ber Blenfcffen wirb e« 
fich auf bie eine ober bie anbere SBeife in unabänberlichem 
Sange oodjiehen." (S. 519.) Saft jum !ßrop^cten ift in biefen 
Sorten ber £iftorifer geworben: Wer wollte ihm bar au« einen 
Borwurf machen? Ser Sang ber greigntffe ftrebt nun einmal 
feit langen Safftjeffnltn uach biefem 3id, welche«, Wenn nicht 
jebe menfcf|tiche Borauäffcfft trügt, boch einft mit innerer Botl|= 
Wenbigteit erreicht werben wirb. 

Seiner Sarftellung bat Banfe bann in ben „Stnalecten" 
— fo nennt er befanntlich feine fritifcheit Slnffänge — einige 
tritifche Belege beigegeben, beren einige nicht nur für ben Boch 1 
mann, fonbern auch für Weitere Steife Bon Sntereffe fein 
bürften. 9ln erfter Stelle werben bie Slnmerlungeu ber erften 
ÄuSgabe bet „ferbifchen BeBolution" mitgetheilt; fie geben einige 
tritifche Unterfudjungen jut älteren ©efcbidjte unb eine Sar= 
fteHung bet geographischen Befchaffenheit be« Sanbe«, auf Wels 
effem fich W« geftbilberten greigniffe abfpielen. Sann folgt ein 
Huffah „über bie Abnahme ber <f)riftticf)en Beoölferung in ber 
Sürfei", ber un« fo recht tlar in bie Berberblichen Böigen eins 
führt, welche ba« oömanifche BegiernngSfbftem für bie djriftliche 
Beoölferung in geiftiger unb pl)t)fifth cr $infid)t gehabt h at - 
Snblich theilt er bann an lebtet Stelle einige biplomatifche 
Slctenftüde mit, bie oom häuften unb aUgemeinften Sntereffe 
finb unb Bon Sebermann al« ffödfft werthooKe Beigaben be« 
ganzen Serie« begrüfft werben Werben: ein Schreiben be« Bür* 
ften äRetteroid) Bom Booember 1842, in welchem biefer bie 
Srunbfäfee, nach benen er bie orientalische Brage befjanbelt p 
wiffen wünfeht, au«einanberfe(}t; ferner ein Sutachten Seopolb« 
Bon Baute felbft, welche« biefer bem Sönige Bnebtidh SEBilhelm IV. 
im Sah« 1854 überreichte, ber e« bann feinerfeit« bem Saifer 
oon Bufflanb jufchidte: e« fanb ben ungeteilten Beifall 
beiber SKonarchen, offne freilich auf bie Weitere gntwicfelung ber 
orientalifchen Stage, bei ber e« mehr auf bie factifdjen Biachts 
Berhältniffe antam, einen wefentlicffen ginftuff p üben: enblich 
noch ein SDiemoranbum oom 7.SJiai 1860, welche« oon ber ferbi= 
fd)en Begierung ber Pforte überfanbt würbe unb alle wichtiges 
ren Befdjwerbepunfte ber ferbifchen Bation enthält, fo baff fich 
gerabe au« biefem Slctenftücf ber flarfte ginblicf in bie obwals 
trüben Berhältniffe gewinnen läfft. Bor ?lHem forbern hier bie 
Serben, baff ihrer Sürftenbhnaftie ber Dbrenowitfthe bie ®rb= 
lidjfeit ihrer SBürbe enbgültig juerfannt werbe, weil ohne biefe 
ba« Saab bet jebem Xhtonwechfet burch innere Barteiungen jers 
riffen werbe, wobureff eine gebeifflicbe SBeiterentwicfelung unmögs 
lieh werbe. Sobann forbern fie bie gjpropriation unb ba« 216= 
jieffen ber mufetmännifchen Beoölferung: benn gerabe ba« 3n» 
fammenfein ber betben feinblichen gtemente müffe p fortwähren« 
ben Beibnngen führen. Su ber Shat ift baburch jwei 3 a hre 
barauf ber Sonftict entftanben, ber p bem batbarifeffen Bom= 
barbement ber offenen Stabt Beigrab bon Seiten ber türtifchen 


Sefiung führte. Sdjliefflicb begehren fie noch Unabhängigfeit für 
bie innere Scfefcgebung unb Bermattung. SKan fiefft fchon hier, 
worum e« fich in biefem Sampfe bonbeite. SBurben jene Sorbe; 
rungen erfüllt, fo war ein groffer Schritt pr Streichung ber 
Unabhängigfeit gethan. Sie Bforte muffte fte fcffliefflich be= 
Willigen, um nicht bie ferbifdje Bation in bie Slrme ber übrigen 
aufftänbifeffen Brooinjen be« türtifchen Beiche« ju treiben. Unb 
bamit war benn ber Srunbftein p bet gntwicfelung gelegt, 
welche in bem Berliner Srieben ihren formalen Slbfcffluff ge; 
funben hat. <3. £0. 


Jlus 6er ^aupfjfabf- 


Don ben Sfyeatcrn. 


3m $Rcfibenj = Xheater hat Sofephine ©allmeper eilt erfolg¬ 
reiches ©aftfpiel begonnen. SBopl ein ^atb Xutßenb 3Ral im Saufe ber 
Sa^re ift bie SSiener tünftlcrin auf berliner kühnen erfchicnen, um 
ftetS üon feuern in geioiffen ängftlichen Greifen bie cbenfo geartete 
Srage anjuregen, ob ed auch mit ber bürgerlichen Söo^lanftdnbigfeit ber= 
einbar fei, „bie ©afltneher" ju fehen, ober gar, ob nicht, angefidjtS be£ 
befonberen gaHeS, ben ^eirat^^fd^igen Xödjtern bie bisher als ein 
natürliches SRecht jugeftanbene SrlaubniB be3 Xh eatcr & e f U(3 (j3 bejehränft 
merben müffe. SCRan pflegt biefe bebeutfame grage gleichmerthig mit 
ber anberen in betreff beä pübagogifchen 5Ruhenö ber lepten Operette 
ju behanbeln, oon ber manch’ neugieriger Sttäbchenmunb, afö gelte c8 
ben eieufinifchen SRpfterien, in ben Xanjpaufen fragt, ob es benn 
„toirflich fo fchlimm^ unb bie reijenbe Operettentoeife, nad^ ber man 
foeben im Xanje fich getoiegt, nichts alö bie Slagge fei, melche gar 
arge moralifche dontrebanbe bede. 6ofcrn biefe & cr //©evtt- 

meper^ gelten, möchte ich ä u ih rer ^Beseitigung beitragen — ju (fünften 
ber Eltern menigftenS. Xenn bie, ob ihrer erjiehlichen Unjuoerlöff g* 
feit üieKeicht nicht ganj mit Unrecht gefürchtete 6chaufpielerin, l;at 
fich nach unb nach ju einer Mnftlerin Oon ganj ungewöhnlicher ©ebcu= 
tung ^erangebübet, bie unter ben erften genannt ju werben oerbient, wo 
eä fiep um wirflicpe^ fchaujpielerifcheS können h an ^ et t- Sofephine 
©aümeper war üor 3 a h ren / aIS t<h er fi en ®tol.in i^rer $zu 

mat fap, eine Soubrette oon ftarfem, an S^ö^Uofigteit ftreifenben 
Xemperament, baä nicht fetten über bie Stränge fdfjlug, aber, ba e3 mit 
bemfelben in bem echten Söiener SSolfSthum wurjelte, ben bei SBeitem 
größeren Xheil beS ^ublicumS ebenfo in feine Greife bannte, wie e$ ben 
anberen fich abwenbig machte. 3Benn ber 9forbbeutfd^e bamal« fchon, 
als e3 fich n oc & um e i« e 9 aR 5 fpccififchc, lofale (ErfMeinung h R nbelte, 
biefer nicht in bem SRaße fremb gegenüberftanb, wie eS üielleicht bei 
9?eftrop ober umgeteljrt, mit bem Sübbeutfchen bei ftelmerbing ber 
gewefen wäre, fo ift ber ©runb bafür einfach in ber Xpatfache ju fuchen, 
baß 3ofephine ©aümeper auch bamalS fchon, neben ihren, auf ber Sanb3= 
mannfehaft beruhenben (Eigenthümlidhleiten, ein ©eßaltungSoermögen oon 
ganj ungewöhnlicher Störte befaß. Unb biefe ßunft beS 3 R biüibuali= 
firenS h at iw Verlauft ber 3 a h re i R ty* 5 U c ' ncr folgen ©cbeu= 
tung erhoben, baß ipr auf ber gegenwärtigen beutfehen 93ühne nur wenig 
an bie Seite ju fepen unb bie nur bebauern läßt, baß feiner #erweu= 
bung für bie Söfuug ber ebelften Aufgaben ein ftinbemiß fich eutgegen- 
fteHt, baS gleichfalls aus ber Nationalität fich «gibt — ber Xialeft. 
$>ierju fommt, baß in bemfelben äJiaße, in welchem baS Xalent beS 
©afteS nach ber Nietung ber fchaufpieterifchen Äunft feinen ttuffchwung 
nahm, auch i^ne MuSfcpreitungen beS XemperamentS aufhörten, burch 
welche Stau ©aümeper ben „©utgefmnten^ unb oft auch ben Nach s 
fichtigeu jum Schrecfen geworben war. Slber baS Xemperament felbft 
ift geblieben, unb im herein mit jener nnoergleichlichen Äraft ber (Eparat- 
teriftif, bem fd^neHen ßrfaffen unb ber SGBiebcrgabe beS Ätttägiid^en, inS^ 
befonbere wie eS in ben Schwachen ber SJtenfchen feinen WuSbrucf finbet, 
wirft eS fortreißenb unb alle IBebenfen befchwichtigenb, bie aus ben oft 
übermütigen, aber meift wißigen unb treffenben 3wpro0ifationen ber 
Äünftlerin fich ableiten taffen. — 3<h bin weit entfernt baoon, mit ben 
oorftehenben ©emertungen eine ©haralteriftif ber h«borragenben 
Schaufpielerin aud^ nur oerfucht ju haben. Nur baju möchte ich beis 


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364 


Die ®£gett©art 


Nr. 49. 


trogen, bag man fid^ abgewohnt, in tyr eine Soubrette im gewöhn* 
li d)tn Stile uub Sinne $u erbliden (hötfleuS eine etwas ledere), 
ober eine, burt bie man „oerborben" werben lann. Attan muß im Ate* 
flbenz^Dheater 3*uge jener ^erjlic^en Seö^lic^leit ber 3nftyauer gewefen 
fein, man mug tyr Dom ®erjen lommenbeS Satyen mitangehört haben, 
um zur Einptyt ju gelangeu, bag eS nur einem AuSerwählten befRieben 
fein lann, auf bem Untcrgrunbe folty’ linbiftyer Pühnenwerle, wie bie 
bei biefer (Gelegenheit Oorgeptyrten, foltye ABirlungeu ju erzielen. 

5ranj AtiffelS burty ben „StyißerpreiS" auSgezeityneteS Drama 
„Agnes üon AR er an", ift am 30. Aiooember auf ber Pühne beS 
„Atational = DheaterS" jur Aufführung gelangt. Die intereffante 
Ateuigleit fanb eine ungemein warme Aufnahme, weltye neben ber Dity* 
tung auch ihrer üortrefflityen gnfeenirung galt. SEßir haben grabe üor 
einem 3fth re au biefer Steße ben 9Berty beS üielbefprotyeneit ABerleS 
eingehenb erörtert unb h a & cn bie (Genugtuung, bag toir bon ben ba* 
ntals auf ©runb ber Seetüre gewonnenen Anfchauungen, heut, naty ber 
Aufführung, nichts zurüdzunehmett haben. j. h. 




Die ftoftyronit hat in ber lepteren 3 e it bie politiftye faft ganz 
üerbrängt unb bie Aufmerlfamfeit ber 3eitgenoflen bortoiegenb gefeffelt. 
DaS Äommen unb ©eben ber Könige, Prinzen unb hohen SBürben* 
träger, ber Poiftyafter unb felbft ber Heineren (Gefanbten würbe eifrig 
ftubirt. Aftan weig ja, wie ernft eS bie Seute mit ben biplomatiftyen 
Angelegenheiten nehmen, wie geringen ABerty pe auf SenfationSnatyrityten 
legen unb wie AßeS, Was tyneri geboten wirb, faßlich begrünbet unb 
tief burchbacht fein mug. Die DageSprefle ift benn auch belanntlich 
ein geweihtes fßriefteramt, beffen Dräger unb 3«haber, bon bem hohen 
Emg ihrer Aufgabe erfüßt, wie auch immer intereffante unptyere 
(Gerüchte entftyloflen zurüdweifen unb nur an ber einfachen, wohl= 
begrünbeten SBahrheit ©efaßen pnben. Auf bie Erziehung beS öffent* 
liehen (GeipeS bebaut, fliehen bie Sournaliflen jebeS marltfchreierifche 
©ebahren, iebe nur auf ben Vorteil beS AugenblidS gerichtete Pehanb* 
lung öffentlityer Angelegenheiten unb erfüßen ihren Peruf mit ent» 
fagungSreicher Dreue gegen fity felbft unb bie Nation. So bleibt benn 
aut bex wöchentlichen Aiatylefe bezüglity beflen, was fity ereignete, nur 
eine fpärlitye Ausbeute. $ötyftenS wäre zu notiren, bag ein wirtlicher 
Umfchwung ber Dinge in Petersburg not immer ein Problem bleibt, 
beffen hoffentlit frieblite Söfung bie 3uluuft übernehmen mug; bag 
bie Dänen pt ber ihrem Könige in Perlin erwiefenen ©aftfreunbftyaft 
herglit gefreut, aber bie über ihre $öpfe ^intoeg oor SahreSfrift er? 
folgte Pefeitigung beS ArlfitelS V not nityt oergeffen haben; bag bie 
SBelfen pt fliß oerhalten, jumal tyr rührigfter gührer anberweitig be* 
ftäftigt ip, aber not immer oon aßerlei unmögliten Aieftaurationen 
unb Eompenfationen träumen; bag enblit/ natbem bie Pifiten ju Enbe, 
bie Eermonienmeifter aufathmen, bie OrbenSbänber abgelegt unb bie 
gubelltymnen oerhaßt pnb, AßeS im ©rogeit unb ©anjen unoeränbert 
erfteint. Die ABelt geht wieber ihren aßtägliten ©eftyäften nat, bie 
Snterejfen freujen fit unb bie oerjtiebenen europäiftycn Säger fepen 
ihre gegenfeitige forgfame Ueberwatung pflitytgemäg fort. ABeber ber 
©jarewitft not bex mit bem medienburgiften $ofe eng oerwanbte 
©rogfürfl ABlabimir haben bie beutfty*Ögreityiftye Entente, mit weiter 
bie eifeme Aiotywenbigleit über aße Phrafen erlünftelter §öflityfeit ben 
Sieg baOoittrug, ju ftören oermott, Die Atuflenfreunbe warten fefjn* 
füttig auf ben Augenblitf, wo pe wieber bie altgewohnten ABeifeu ait* 
pimmen bürfen, werben aber not weiterhin warten müflen. Die 
Swiftenjeit füßen pe mit 3nüectiüen gegen Englanb aus, bie einen 
um fo lühneren ARamteSmuty belunben, als man pe in Sonbon oofl* 
pänbig ignorirt unb bie#icbe burtyweg in bie Suft gehen. DaS Perliner 
Publicum erfreut Pt feinerfeitS an bem trabitioneßen grogpäbtiften 
ftlatfty, um bie Säte beim Alanten zu nennen, ber, fo unglaublit es 
Hingt, aut eine hotP e henbe Prinjeffin nitt oerftont hat. AJlait woßte 
ihr nitt wte einer gewöhnliten Sterbltten eine zeitweilige Aiefibenz 
am fübliten AtteereSftranbe jur ©rh 0 ^ un 9 öon einem fttoeren 3amilien= 
unglüd gönnen, foitbem pngirte für biefe Entfernung ber §immel weig 
weite anbere AJlotioe ber Pergimmung unb beS AJligmutheS. $ie 


Segenbe wagte fit nitt au bie ßeffentlitleit, aber flog üon AÄunb p 
ARuitb unb bewies nur oon Aleuem, weffen bie Seittgläubigteit ffthifl 
ift. 2)ie Priitzeffin felbft hatte offenbar oon bem abfurben ©erebe leine 
Ahnung unb ging, wie Augenzeugen in biefem Iperbp beraerfen lonnten, 
begleitet oon ihren $inbern, einer ^ofbame unb gefolgt 001 t bem bie 
3eitenfaten tragenben Wiener, unbelümmert am Stranbe beS blauen 
AfteereS fpazieren, gewärtig beS Heinen PriüatbampferS, ber pe unb ihr 
©efolge faft täglit ju einer lurzen Seefahrt entführte. $ie Perliner 
Äaitnegieger aber zerbraten Pt bie Äöpfe über bie Abwefenheit ber 
hohen Aleifenben oon ber §auptftabt, ganz f°/ wie pe eS über bie SBieber* 
lehr thun werben. 2)er Altmeifter wugte, waS er fagte, als er ben 
benlwürbigen AuSfpntt tat, bie Pernunp habe ihre ©renzen, aber bie 
Albernheit fei unermeglit unb fpotte jeber Peretnung. 

* 

* * 

£iterarifd)e tlenigkeitctt. 

Zn* bem Heringe mm 3* 3* lieber, tfetp$ig. 

Ein fehr intereffanteS unb für ftriftpeßerifte PerufSlreife fehr 
nübliteS 28erl ip baS folgenbe: 5)te ^erpelluttg oon Prudwerlen. 
Praltifte SBinle für Autoren unb Puthänbler oon Äarl P. Sord. 
dritte umgearbeitete unb oermehrte Auflage. 5)aS 933er! enthält in ber 
Einleitung eine lurzgefagte ©eftitte ber Putbruderlung erpen 
Abftnitt beftäftigt eS fit mit ber Xetnit ber Putbruderlung, mit 
ben Xppen, bem Sa£. ber Eorrectur unb bem $rud; im zweiten er- 
theilt eS praltifte ABinle für bie #ergeßung eines 3)rudwerleS unb gibt 
Aitweifungen über baS AKanufcript, über gormat, über Strift, Papier, 
Auflage, Stereotypie :c., ferner über ben Pertrieb, namentlit aber — unb 
biefe Abftnitte gnb bet befonberen Perüdpttigung zn empfehlen — eine 
lurze Einleitung zum Eorrecturenlefen unb bie Peantwortung ber 5rage: 
wie ber Autor znr Pißigleit beS 3)rudeS beitragen lann. ®er britte 
Abftnitt beftäftigt pt mit ben Striflen unb ihrer Anwenbung. 2)aS 
9Q3erl ift aßen benjenigen, weite mit ben $rudereien bauernb ober 
üorübergehenb zn ftaffen haben, als ein üortreffüter Atatygcber an^ 
Zuempfehlen, inSbefonbere benen, bie mit ben Putbrudereien nitt in 
beftänbigem Alapport gehen. 3)ie ergeren, alfo namentlit bie SRebacteure, 
haben burt ben ununterbrotenen Perlehr fit gewöhnlit ft^n bie er= 
forberlite Xetnil zn eigen gematt, aber 9Biffenftafter unb gelegentlite 
Striftftefler, Welte mit ben tetniften Pezeitnungen nitt ooßlommen 
oertraut pnb, weite bie üerftiebenen Peitennungen ber Striften, bie 
übliten Ablürzungen bei ben Eorrecturen unb bergleiten nitt genau 
leimen, werben aus biefem ABerle in aßen Sweifelfäßen Pelehrung unb 
©ewinn ziehen. 25aS Put ift lurz, leitt fagüt unb üortrefflit auS; 
gegattet 

Sit berfelben AuSftattung unb üon bemfelben Perfafler ig erftienen: 
Die Drudlung unb ber Puth an ^el in Seipzig burt &ier 
gahrhunberte. 3ur Erinnerung an bie Einführung ber Putbruderlung 
in Seipzig 1479 uub an bie bortige ©ewerbeauSfteßung 1879. Der erge 
j Abftnitt beftäftigt fit mit ber Pergangenheit 1479—1840, ber zweite 
| mit unferer 3eit bis auf ben heutigen Dag. ES wirb in biefem zweiten 
Abftnitt bie ABittigleit SeipzigS als Pörfenplap beS beutften Put : 
hanbelS unb beS beutften EommiffionSgeftäftS, fo wie als PerlagS* 
unb Drudort zum ©egenftanb einer grünbliten unb intereffanten Stubie 
gematt. Auch biefeS 9Berl wirb in ben beteiligten Greifen Oerbiente 
Aufmerffamleit pnben. 

Der giluftrirte talenber für baS 3ahr 1880 ftliegt pt 
ben früheren Sahrgängen, bie bereits in biefen Plättern eingehenb be= 
fprotyen worben pnb, in ber äugeren unb inneren Ausgattung üoß= 
lommeit an. Der flalenber bringt u. A. eine t r °nologiftc Ueberptt 
ber wittiggen Ereigniffe beS SapreS 1879 unb eine ißuftrirte Eh r °nil 
ber Porgänge auf ben ©ebieten ber ÄriegSwiffenftaft, ber Alaturwificm 
ftap, ber Siteratur, ber Ihmft, ber ©eographie, ber ©eWerbe ic. 9?eit ; 
haltige ftatipiftc Data beftlicgcn baS 9Berl, baS mit zahlreitm Por= 
trätS unb fongigen Pilbern geftmüdt ig. 3n bem Siteratur*, ARupl* 
unb Dheaterlaleitber matt Pt wieberum jene überaus fubjetioe gebe* 
bemerlbar, beren Eigenarten wir bereits im üorigen Jahrgang gerügt 
hatten. ABir oerlennen bie Stwierigleit, innerhalb beS überaus fnappen 
AiaumeS bie geiftige unb lünglerifte Dhätigleit einer Nation im 3«it s 
raume eines Jahres zu taralteripren, in leiner ABeife unb woßen bem 
Perfafler baS Perbieuftlitye feiner Arbeit gernig nitt ftmälern. Es 


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Nr. 49. 


ffl 1 1 


365 


ftecft rühmlicher Sleiß barin; aber baS bcftänbigc Heröorbrängen feiner 
©erfönltcpleit berührt überaus unangenehm, ebenfo bic fepnedbereite unb 
Iura abfertigenbe tfritit öon Werfen, bic ber ©erfaffet bet Ueberficpt 
faum genügeitb ju tenneu fepeint, um fiep barüber ein fo bestimmtes 
Urtpeil au öerftatten. 

3n bemfelben Verlage ift enblicp erfepienen: Xie äft^etife^e 
©ilbung be$ menfcplicpen Körpers. Seprbucb jum @elbftunter- 
riebt für alle gebilbeten ©tänbe, inSbefonbere für ©üpnentünfller, non 
OS lat ©uttmann. 3*ueite Dermeptte unb oerbefferte Auflage mit 
98 in ben Xejrt gebrueften Abbilbitngen. XaS ©uep enthält eine Ab; 
panblung über bie anatomifcb=Pbbfiologifcben ©runbbegttffe, ferner über 
päbagogifcpe ©pmnaftif (Zuleitung aut AuSbilbung ber einzelnen ©lieb= 
maßen bureb Simmergpmnaftt!), ferner über äftpetifepe ©pmnafti!, über 
6tepen unb ©eben, über 2Rimif, außerbem über bie ©runbelemente beS 
langes unb ber ge^tfunft. Aud) über bie ©elleibuitg unb bie An= 
menbnng ber pier aufgefteHten Siegeln für baS bürgerliche Sebeit, ben 
©alon unb bic ©üpne enthält ba$ ©uep ©orfdjriften. Xie Greife, an 
welche eS ficb ooraugSweife menbet, ftnb auf bem Xitel angegeben; eS 
finb alfo namentlich ©cbaufpieler unb fonftige ©üpnenfünftler. 

©3 mag pier gleich &ie ©rwäpnung eines anbern ©udpeS ange= 
fcbloffen werben, baS ein febr üermanbteS Xpema bebanbelt: 3t°ölf 
Hantelübungen, ©in praltifcpeS ^apittel aur 3intmergpmnaflif. 9Rit 
27 Abbilbungen. Herausgegeben bon $arl Äapell, Xurn* unb 2r«d^t- 
meiner in ©erltit. Seipaig, ©erlag bon H- H*ff e - 

* 

* * 

Sttbifihe Citeratur. 

©S ift natürlich, baß bie Subenfrage, bie neuerbiitgS eine fo eigen; 
tbümlid^e 3ufpipung angenommen pat, fi<b auch iw ben ©raeugniffen 
ber Literatur bemerflicb macht. 9Bir fprechen nic^t bon jenen ©ranb- 
febriften, bie aumeift bem ©erlangen beS AutorS: um jeben ©reis bon 
ficb reben au machen, ihr Xafein betbanlen, wir fpreepen auch nicht bon 
ben ©ntgegnungen, bie ber He*auSforberung gefolgt finb; wir laffen 
mit einem SBorte bie ganae polemifcpe fjrage bei ©eite unb führen pier 
nur biejenigen SBerte auf, bie ben confefftoneden jübtfepen ©paralter 
ohne befonbere Xeitbena aufweifen, wenigftenS ohne polemifcbe ©pipe. 

X)a wäre auerft a u nennen: ©ulturgefcbicbte beS 3uben= 
tbnmS bon ben älteften Seiten &i3 auf bie ©egenwart bon 
Otto Henne=Am Stbpn. ©ern 1880, Siubolf ©oftenoble. ©on 
biefem ©Berte finb bis jept bie beiben erften Sieferungen erfebienen, bie 
bie ©ulturgefcpicbte ber Suben bis etwa aum 3 a pre 1000 umfaffen. 

Seffing * SRenbelSfopn. ©ebenlbucp. 3 U * punbertfünfaig* 
jährigen ©eburtsfeier bon ©ottpolb ©pbraim Seffing unb dRofeS 2Ren= 
belsfobn, fowie aur ©äfularfeier bon SeffingS „SRatpanHeraus* 
'gegeben bom 3)eutf<h=3fraclitifchen ©emeinbebunbe. 9Rit brei ©ilbem 
in Sicptbrud. Seipaig 1879, ©erlag bon ©aumgärtnerS ©utppanblung. 
Xte Sicptbrude fteUen SRofeS dRenbelSfopn nach bem belannten ©emälbe 
bon 3- & Srrifcb, Seffing nad) bem betannten ©orträt bon A. ©raff 
unb eine ©eene „Sabater unb Seffing bei dRofeS dRenbelSfopn" bar, 
baS leptere bon dRoria Oppenheim in ftranlfurt am dRain. Xie H^uuS= 
gebet, Dr. S. Surft unb Dr. 21. ©obeef in Seipaig, b a & c u in biefem 
©ebenfbuch ein große STnaabl bon 2luffäpen über bie auf bem Xitel ge¬ 
nannten XioSfuren ber Xolerana unb auS ben ©chriften ber Genannten 
bie bornebmiiehften ©teilen, welche Xulbfamfeit unb ©leicbberedjtigung 
atten ©onfefftonen prebigen, aufammengeftellt. ©ebeutenbe wiffenfepafts 
liehe Stamen buben an bem Söerfe mitgearbeitet. XaS ©ueb ift burch 
unb burch iübifdj, aber eS bermeibet burchauS ben aggreffioen Xon. 

Ätnnorlieber. 2lltbebräifche Xicbtungen in metrifeber lieber- 
tragung mit erläuternben 2lnmerfungen bon Dr. 9ftartin ©cbulpe. 
Seipaig 1880, ©ruft ©üntber. ©ine ©ammlung bon Siebern aus ben 
biftorifeben unb propbetifeben ©üchern, aus ber ©falmeufammlung, aus 
ben ©prüchen, bem Hoben Siebe unb ben ÄriegSliebem. 3n welcher 
SSeife ber Ueberfeper feine 2lufgabe erfaßt unb au löfen berfuebt bat, 
mag ein ©eifpiel erweifen: Hobelieb 8, 13. SutberS Ueberfepung: 
„Xie bu wobnft in ben ©ärten, laß mich beine ©timme böten; bie 
©efeCtfd^aften warten barauf." Ueberfepung bon 337artin ©cbulpe: 
©ewobnerin bet ©ärten — 

SJtan laufchet beinern ©ang — 

O laß auch nticb bernehmen 
X>er füßen ©timme ^lang. 


©ine fdjerabafte unb barmlofe Xichtung ift: Xer ÄntijübelungSs 
herein, ©in lomiftheS ©poS in 10 ©efängen bon QujtuS ©implej. 
©erlin, ©Iwin ©taube, ©in luftiges unb gana amufanteS ©uch in 
leicht fließenben unb gewanbten ©erfen. 

©innfprüdbe aus bem Xalmub unb ber rabbinifeben Site- 
ratur, aufammengeftellt bon S- ©ailer. ©etlin, ©erlag bon Sriebrich 
©tabn. XaS mit ©acblenntniß aufammengeftcKte unb febr bä&fdb auS= 
geftattete ©üchlein ift wohl als eine Antwort auf jene tenbenaiöfen 3Rit= 
tbeilungen aus bem Xalmub au betrachten, bie bon ben ©lättern ber 
auSgefptocben antifemitifchen Xenbena berbreitet worben finb, unb nach 
beiten ber Xalmub burch unb burch unfittliche Sehren enthalten Jod. 
Hier finb natürlich nur ©prücbe ber tiefjten ©ittlichleit aufgefübrt, ftreng 
moralifebe unb weife ©enteren. 

* 

* * 

©in neuer ©eitrag aur ©pruchliteratur, ein bortrefflicheS ©uch, baS 
fich in Sonn unb Qnbalt bem früher erjehienenen 2Ber!e: „ÄltbeutWer 
SBip unb ©erftanb" anfchließt, ift ©b r iftopb SebmannS ©lumen¬ 
garten, frifch auSgejätet, aufgebarft unb umaäunt bon einem Siebbaber 
altbeutfcher ©prücbe unb Weisheit, ©erlin, &arl XundferS ©erlag 
(©. H c huionS). Qn ber erften Äbtbeilung enthält baS ©3er! bie Steinu 
fprüdje alpbabetifch georbnet, in ber atoeiten bie ©prüd^e in ©rofa, eben* 
falls in ber alpbabetifchen ^Reihenfolge. Xie ©prud&fammlung bon 
©briftopb Sebmattn ift einzig in ihrer 2lrt. 3Ran weiß, wie fid^ jd)on 
©ottbolb ©pbraim Seffing für biefe ©ammlung beS alten StatbSfchreiberS 
intereffirte. Xer jepige Herausgeber bat bie ©prücbe, bereu jeber eine 
treffliche SBeiSbeit in fnapper, oft bewunbernSwertber Sorm enthält, bem 
allgemeinen ©erftänbniß babureb angepaßt, baß er biefelben in unfer 
mobenteS Hochbeutfch überfept bat. 3ebo^ ift er bemüht gewefen, allau 
moberne SBenbungen au meiben unb bie Archaismen, bereu ©erftänbniß 
feitterlei ©cbwierigleiten bereitet, forgfam beiaubebalten. ©S ift eine über* 
aus liebenSwürbige ©abe, — ein ©uch, baS mau immer gern aur Hanb 
nimmt unb in bem man immer gern blättert, unb baS bom ©erleger ein 
angemeffeneS ©ewanb erhalten bat. @3 ift auf gutem ©apier in ©d)wa= 
bacher ©c^rift mit Äopfleiften unb funftboHen 3uitialen aderliebft au3= 
geftattet Xer ©inbanb im ©efchmac! eines funftboll ftilifirten SRufterS 
aus bem 16. 3ab*buttbert entfpricht bem anmutigen ©anaen. 

* 

♦ * 

(Stählungen. 

©on neu erfebienenen Stomanen unb Stobellen erwähnen wir fjiet 
Iura bie folgenben — unter bem üblichen ©orbebalte, auf baS eine 
ober anbere ber hier namhaft gemachten SBerle aurüdEaufommen: 

Xie ©aumgärtner bon Hob^nfchwangau. ©tftorifcherStoman 
bon ^arl ©uplow. SRit bem bortreff lieben ©orträt beS XicpterS in 
Stabirung bon X. Staab. Xrei ©änbe in gefcpmacfbotlen ©inbänben. 
©reSlau, ©. ©cbottlänber. ©S ift bie bödige Umarbeitung beS bor 
langen 3 a b? e u erfepienenen 9tomanS „Hobenfchwangan' 1 , bie lepte Arbeit 
beS großen XicpterS, wäprenb beten ipn baS tragifepe ©efepief ab= 
berufen pat. 

©olbfcpmieblinber. SRoman bon SuliuS bon ber Xraun. 
©ien 1880, ©erlag bon S. StoSner. 

Xer ©cpelm bon ©ergen. ©inet unberflungenen ©age nacp= 
eraäplt bon SuliuS bon ber Xraun. Xerfelbe ©erlag. Xritte Aufl. 

3toei fepr anaiepenbe ©raäplungen beS betannten ©olititerS unb 
XidpterS 3uliuS Alejanber ©cpinbler. XaS aulept genannte SBerl pat 
bereits einen außerorbentlicpen ©rfolg au beraeiepnen: innerhalb hier 
SBocpen ift bie britte Auflage nötpig geworben. 

©ineS gleichen ©rfolgeS pat fiep bie neue Stobede bon X. ©piper, 
©erliebte SBagnerianer, au rühmen. Xritte Auflage. SBien unb 
Seipaig, ©erlag bon SuliuS ftünlparbt. ©piperS ©igentpürnlicpleiten, 
bie in biefen ©lättern fepon meprfaep ber ©egenftanb eingepenber ©e^ 
fpreepungen gewefen finb, finb aden gebilbeten beutfepen Sefetn aur Ge¬ 
nüge befannt; unb er berleugnet biefelben au^ in biefem neueften boS= 
haften, oft fepr gewagten unb oft auep fepr unterpaltenben SEBerfe niept. 
SBagner gepört, wie man weiß, au ben fpecieden Sieblingen beS ©Bienet 
©paaiergängerS. ©piper war eS ja auch, ber bie „©riefe an eine ©up= 
maeperin" veröffentlicht pat. Xie ©Bagner freunblicp gefinnte ©reffe pat 
an bem ©uepe natürlich lein gutes Haar gelaffcn, waS bem ©rfolg ins 
beffen, wie man fiept, leinen Abbruch getpan pat. 

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366 


IBir Äejenwflrt. 


Nr. 49. 


©in ft ummer 3Rufilant. Die ©efdfjichte einer Äünftlerliebe, 
Reifet eine <RooeHe non SRajimilian ©cm, bic im Verlage ber 
©. 3- ©öfdfjen’fchen VerlagSbitchhanblung in Stuttgart erfchienen ift. 
SRajimilian ©ern hat burch feine üielgenannte Sonette ,,©uf fcf)Wantem 
©ruube" ftd) als ein bebeutenbeS Xalent funbgegeben, non bem man 
nach biefem glüdlichen Debüt für bie Sufunft ©ebeutenbeS erwarten 
burftc. Diefe neufte ©rzählung zeigt wieberum oortrefflidfje ©igenfdfjaften, 
namentlich ein ftimmnngSOotleS poetifc^eS ©olorü, baS aufs ©eue bie 
fehr glüdHiche Veranlagung biefeS SchriftfteHerS beftätigt. ©in gort« 
fchritt im Vergleich zu ber früheren SRooelle ift jeboch Iciber nicht zu 
conftatiren, wenn auch öum ©lüd non einem ©üdfehritt nicht bie fllebe 
fein lann. ©S will uns inbeffeu fcheineit, als ob ber Verfaffer in feiner 
Vrobuction $u fange Raufen eintreten liege. ©in oieloerfprechenbeS 
Talent barf nicht ju lange fchweigen. ©S ift ein miglicheS Sdjidfal, 
jahrelang ein „oieloerfprechenbeS Talent'' zu bleiben unb immer nur 
als ber Verfaffer eines oor Sahren erfchicnenen ©SerleS genannt zu 
werben. 

2öir erwähnen hier fchlieglid) noch ein dfjineftfcheS SRooetlenbuch: 
$in«lu«ti«luan, Stuttgart, Verlag non ©ebrfiber Fröner. Deutfeh 
non ©buarb (Srifebach- Von bem Herausgeber mit einer literari« 
fehen SRotiz eingeleitet. 

* 

* * 


Verlage ber ©ebrüber Äroucr in Stuttgart 1880, in anmuthiger ©uS« 
ftattung erfchienen ift. 

©Sir hoben nun noch bie ©ufmertf amleit auf eiueu im Greife feiner 
Heimat h^^gefchatten, aber hoch noch nicht nach Gebühr betanuten 
dichter 5 U lenlen, Daniel VartelS ift fein SRame, ber unter bem 
Xitel „Der ©rillenfcheucher" feine ©ebichte „zum Vortrag in ge* 
felligen Greifen" in ad)t Xhcilen, brei ©änben, in feiner Vaterftabt 
Hamburg bei g. ©. SReftler unb SRelle Deröffentlicht hat- cr ft en 
Xheile finb fdjon in nerfchiebenen Auflagen erfchienen, ber erfte in fünfter, 
bie fpätereu in ^weiter, britter unb oierter. Die meiften, unb jebenfaüS 
bie beften biefer ©ebichte, finb in Hamburger ©lattbeutfdfj, einige in 
„SRijfingfch", H oc hbetttfch utit $latt bermifcht, gefchrieben. ©S befinben 
fich unter biefen wahre perlen gefunben Humors. 2Ran lann einige 
ohne Scheu mit ben guten „SRimelS" oon grip SReuter Dergleichen. Diefe 
finb namentlich burch ben Vortrag beS augerorbentlichen plattbeutfchen 
SdjaufpielerS in n ber, ber mit Sötte SRenbe ^icr in ©erlin groge unb 
oerbiente ©r folge gefeiert hot, in weiteren Greifen belannt geworben, 
©ei unferer ©ufzählung, bie feinen anbern 3 toC( l h a *, olS bem Sefer 
ben Hinweis auf bie hier namhaft gemachten ©Serie zu geben, laffeu 
wir eS bei biefer lur$en ÜRotiz bewenben. 


gunächft hoben wir eine neue pradjtoolle ©uSgabe ber ©ebichte 
ooit Älfreb 3R eigner anzuführen. Die Ausgabe ift ein ttjpographi* 
fcheS 3Reifterwert, gleich herüorragenb in Drud, Holäfchnitt unb ©apier. 
Die Ornamente unb Suitialen finb entworfen unb gezeichnet Oon ©bolf 
Sd^iH unb oon $äfebcrg unb Oertel in H°^ gefdfjnitten. ©Sir fprccheu 
hier nur über baS äugere ©ewaitb. Der 3«h a lt, bie trefflichen Dich« 
tungeu felbft, bie bereits in zwölfter Auflage erfchienen finb, finb ja 
allbelannt. ©Sir wollen bei biefer (Gelegenheit nicht untcrlaffen, bem 
Verleger, fjriebrich ©Silhelm ©runow in Seipzig, ber fich in lefcterer 
Seit burch sa^lreid^e gefdfjmadoolle ©uSftattungen fehr oortheilhaft be* 
merfbar gemacht h Q t — eS ift berfelbe Verleger, ber u. $1. baS belannte 
©uch oon ©toriz ©ufdfj, „©raf ©i&mard unb feine Seute", in einer 
ebenfalls augerorbentlich gefchmacfooKen ^luSjtattung veröffentlicht h fl t — 
unfer aufrichtiges ©ompliment zu machen. Xer erfte ©aitb enthält baS 
©ebicht „8i^o #/ , ber zweite unb britte ©anb bie ©ebichte. SBir lernten 
faurn ein origineller unb gcfchmadfooHer auSgeftatteteS ©ebichtbuch 
alS bicfeS. 

Verfe aus 3tolien. Sftzzcn, ©riefe unb Xagebudjblätter oon 
©aul H^hfc. ©erlin 1880, Verlag oon SBilhelm H cr b (®effer’f^e 
©uchhonblung). Xie geift - unb ftinunungSooHen Xagcbuchblätter unb 
©pifteln finb unfern Sefern zum Xheil f<hon belannt ©inige berfelbeit 
finb bereits in „fRorb unb Süb° unb wohl auch in anbern üterarifdjen 
Seitfchriften erfchienen. ©S lann uns nicht in ben Sinn fonunen, biefe 
bebeutenben Dichtungen fytx mit einigen ©Sorten abzufertigen. ©Sir 
lönnten hier nur fagen, bag alle jene grogen ©aben, bie $aul H^hfc 
mit 8techt z tt einem SieblingSbi^ter unfreS beutfehen Volles gemacht 
haben: fein tiefes ©mpfinben, feine geinftnnigleit, feine meifterhafte 
©eherrfchung ber Sorm, auch aus biefem neuften poetifchen ©Serie hell 
heroorleuchten. ©Sir brauchen hitf nur anzuzeigen, bag biefe ©ebicht« 
fammlung erfchienen ift, um alle greunbe beS Dichters — unb er zäh 1 * 
beren nach Daufenben — zu üeranlaffen, fich Suholte biefeS 

©SerleS belannt zu machen. 

Von Hotbc unb ©ampagna. ©ebichte unb ©aüaben oon 3^o 
oon ©onrinp. ©remen 1880, 3 . Äühtmann. ©S ift baS erfte 3Ral, 
bag uns ber ÜRarne ber Dichterin h^ begegnet. ©Sir mad^en bie ©e« 
lanntfd^aft mit einem feinfinnigen unb zarten Dalent, oon einer liebenS« 
würbigen, wir möchten fagen ebeln 9laioetät unb anmuthigen ©iufadfjheit. 
©uch in ber gornt ift nichts ©efuchteS zu tabeln unb fdjon eine merl= 
liehe Sicherheit zu rühmen, kleine Verftöge lommen atlerbingS noch 
oor; fo ift in einem burdfjweg gereimten ©ebichte „gebenlen" mit „Hänben" 
gereimt (S. 40). ©ber baS h°t wenig auf ftd). 3nt ©Hgemeinen machen 
biefe anfpruchSlofen Sieber ben freunblichen ©inbrud eines ber ©rmuthi« 
gung werthen DalenteS, baS richtig empfinbet unb bafür baS richtige 
©Bort zu finben weig. 

©in alter ©elannter ift baS Oortrefflidhe epifdje ©ebi^t Hugbiet« 
richS Srautfahrt Oon ©Bilhelm Herp, baS in britter ©uflagc im 


Dramatifdrc UHdrtungen unb bramaturgifihe Sdjriflen. 

©in neues Xrauerfpiel oon Heinrich Ärufe ift unter bem Xitel 
„Die Verbannte" in Seipztg im Verlage oon S. H^jel !879 er« 
fd^ieiteit. ©S ift baS neunte Xrauerfpiel biefeS Dieters, beffen bebeutenbe 
Vorzüge unb ©igenthümlichleiten in biefen Slftttent fchon fehr höngg 
gewürbigt worben finb. ©Sir haben über „©Sullenweüer", „tfönig (Grich ", 
„©rutuS", „Marino galiero", „Das SRäbchen oon ©hz a uz w in ber 
„©egenwart" fchon fo eingehenbe ©uffäfce gebraut, bag bie 9?otiz oon 
bem ©rfcheinen eines neuen XrauerfpielS genügen wirb, um bie ©uf-- 
merlfamleit ber Sefer unb befonberS ber Directoren auf biefeS ©Serl 
hinzulenlen. 

„©tagbalene" h^ 6 i einactigeS Schaufpiel oon SRarie Oon 
©rneft, beren bramatifcheS ©rftlingSwerl „2Rit bem Strome" in Ham« 
bürg unb ©BieSbaben mit burdhfchlagenbem ©rfolge aufgeführt Worben 
ift, in ©reSlau aber weniger angefprod^en z« haben fcheint. DiefeS 
Heine Sd^aufpiel ift eilte originelle, fehr tatentooße, aber etwas gemalt« 
fame ©rbeit. Von ben „ Vugtaliebem" biefer iugenblidfjen Dichterin 
haben wir bereits gefprochen. 

Unter bem Xitel Drei ©ühnenbichtungen hat Xheobor 
^Siberit in ©remen bei 3- ßühtatamt, 1880, baS breiartige Schaufpiel 
„©harlotte oon ©Solfenbüttel", baS oieractige Xrauerfpiel „Die Stäbinger" 
unb baS z»eiactige romantifche Schaufpiel „Schömföotraut" oeröffent« 
lid^t. Diefe bramatifchen Dichtungen finb 00 m Verfaffer „feinem Sehrer 
unb greunbe, Dr. Heinrich ^rufe in bantbarer ©rinnerung" gewibmet. 

3 u biefen 9teuen finb alte liebe ©etannte hi«zug‘elommeu. ©bolf 
S’©rronge hat unter bem Xitel Dramatifche ©Serie im Verlage 
oon ©buarb ©loch feine allbelannten Suftfpiele: „SRein Seopolb", 
„HafemannS Xöchter" unb „Doctor ßlauS" in einer ©efammtauSgabe 
oeröffentlicht. Ueber ben 3 n halt ift nichts mehr zu fagen. ©Sir haben 
baher hier nur zu erwähnen, bag bie ©uSftattung fehr hübfdh ift: ein 
ftattlidjer gutgebrudter unb elegant gebunbener ©anb. ©Senn nur ein 
ganz geringer ©rocentfap berer, bie ftd) an S’©rrongeS Stüden auf ber 
©ühne erfreut haben, bie angenehmen ©rittnerungen burch bie Secture 
wieber auffrifd^en will unb auSnahmSweife baS ©uch lauft — eS gibt 
ja wirtlich einige Sonberlinge in Deutfchlanb, bie oon Seit zu Seit 
noch einmal ein ©uch taufen — fo wirb ber buchhönblerifche ©rfolg 
nach bem ungeheuren ©ühnenerfolge fchon ein bebeutenber fein. 

©ine fehr inlereffante bramaturgifdje Schrift ift üon HanS H*rug 
Oerfagt: Die 9Reininger, ihre ©aftfpiele unb beren ©ebeutung 
für baS beutfehe Xheater. DreSben 1879, oon ©rumblow’fche 
Hof«VerlagSbuchhanblung. HauS Herrig ift ein feiner topf, ein fehr 
unterrichteter SRann unb er fdhreibt vortrefflich- 3u biefer ©einen ©ro= 
fdjfire werben bie charatteriftifchen ©igenheiten, bie Vorzüge unb auch 
bie SRängel biefer intereffanteften XheatergefeUfchaft beS beutfehen Reiches 
— intereffant oon jebem ©efichtSpunlte ans, mag man nun z« ben 
enthuftaftifchen greunben ober zu ben erbitterten ©egnem ber SReininger 
Zählen — in fcharffimtiger unb geiftooßer ©Seife Har gelegt. 


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Kr. 49. 


9ie (Jegeitnrart 


367 


Sfaläßlidj beS ßunbertjäßrigen PefteßenS ber Pfcmnßeimer Püßne 
ßat Slnton ptcßler eine ©ßronil beS ©roßßerjoglicßen #of* 
unb PationaltßeaterS in SÄannßeim oerfaßt unb im Perlage non 
3. PenSßeiuter in £efa)ig, 1879, erftßeinen taffen. p. 1. 


Offene Briefe unb jlnfmorten. 


Xie Anfrage unfreS Petersburger ©orrejßoubenten ßat )u 
einem überrafeßenben Pefultate geführt. ®S finb uns innerhalb einer 
SBocße jtoanjig unb meßr meßr ober minber gefangene Ueberfefcungcn 
beS lateinifdßen ©pottgebicßteS jugegangen. XaS von uns mitgetßeilte 
Xißicßon beS polnifcßen XicßterS unb PifcßofS Kr$pdfi, meines twrwärtS 
gelefen eine ©eßmeießelei, in umgeteßrter SBortfolge bagegen einen feßarfen 
©eißelßieb gegen ben gürßbijdßof goßamteS a SaSco barßettt, lautete aljo: 

Eximium decus hoc fecit te scandere regni, 

Lascie Ioannes, laus tua, non tua fraus. — 

(teilte SBürbigfeit, nießt beine ©cßurterei ßob bieß, 

goßann bon SaSto, )ur ßöcßften (S^renftaffet beS PetcßeS empor.) — 

Umgeteßrt gelefen Reifet eS: 

Fraus tua, non tua laus, Ioannes Lascie, regni 
Scandere te fecit hoc decus eximium. — 

(3u beS Steiges ßöcßfter ©ßrenftaffel ßob bieß, goßann bon JBaSfo, 
Xeine ©cßurterei, nießt beine SBürbigteit empor.) 

Xa fc^reibt unS junäcßß ein bortreff lieber Philologe, Dr. ©cßauen* 
bürg, Pealfcßulbirector in ©refelb: 

Xaff bei einer metrifeßen SBiebergabe in beutjeßer ©praeße auf Wort* 
ließe Ueberfefcung öerjidßtet werben muß, liegt freilidfj auf ber $aitb. 
Unfre SBortftettuug iß gebunbener, aueß festen unS bie gtueifilbigeii 
PegriffSwörter, welcße als Pprtßicßieit bienen, wie decus, tua 2 c. gn* 
jwifeßen bürfte ber ©inn beS ©pottüerjeS )iemlicß genau in folgenbem 
Xißicßon ßeröortreten: 

Ptacßt, überfcßwänglicße, warb bir, ßoeßbenebeieter ßaSfo, 
SBütbiger! ©tegreieß Warb Xreu’ über ©cßelmengejücßt! — 

meines umgeteßrt lautet: 

©cßelmengejficßt über Xreu’ warb fiegreieß, würbiger StoSto, 
Jpocßbenebeieter; bir warb überfcßwänglicße Ptacßt. 

©twaS farfaßifeßer unb flotter bürfte bie Variante fein: 

Xicß überfeßüttete ©Jan), gürfibifeßof, ßetliger SaSto, 

§immlifcßer; ßeut’ triumpßirt Xreu* über ©cßelmenge)ücßt. 

3n ber Untleßrung: 

©<ßelmenge)ücßt über Xreu’ triumpßirt ßeut’, ßimrolifdjer fiaSto; 
ipeiliget gürßbifcßof, ©lang überfc^üttetc btc^I 

Wi t ßocßacßtungSbottem Qiruß 

3ßr 

Dr. ©. ©cßauenburg, Pealfcßulbirector. 

$ier erfeßeint unS bie Aufgabe gatt) meißerßaft gelöft. Xer Xicßter 
Hermann Oelfcßläger in £eip)ig ßat uns ebenfalls eine gefangene 
Ueberfeßung eingefanbt. 

©eine Uebertragung lautet: 

©tolj unb purpurbetleibet warbft bu PetcßSptimaS nun enbtidj: 
2)i(^, go^anneS, er^ob 9hil)m — nidfjt berä^tlid^, wie Sift. 


Unb rüdwärtS gelefen: 

Sift, wie berödjtlidfj! ni^t 9tu^m er^ob, go^anneS, bidfj enblic^, 
9>tun Weid^SprimaS bu warbft, purpurbetleibet unb ftol). 

Dr. Pu$ner in (£refetb fenbet unS bie folgenbe Uebertragung: 

QlcifteSgeWalt, nic^t $ücfe, gab unberweltlic^e @^ren, 

@lan)enbe, SaSfo bir, Perle PoloniaS, bir. 

$ir, PoloniaS Perle, bir SaSfo, glän)enbe S^ren, 

Unoerweltlic^e, gab Xüde, ntdtjt ©eifteSgewalt. 

3)er Ueberfeber bemertt baju: öllerbingS muß icß eingeße^en, baß 
einige mitteltonige SBörter, je nadf)bem fie in ber ?lrftS ober $l)efi§ 
fielen, betont ober tonlos gebraucht finb. 3)ocß fc^eint mir bieS geßattct. 

§anS ©d^mibt in SBien fenbet folgenbe Ueberfeßung, bie jwar 
nidjt baS gleiche PerSmaß wie baS Original bietet, jebodj )Wei felbft- 
ftünbige 9Jtetra ergibt: 

(Srflimmen ©tufen ^öd^fter ß^ren 
Sieß bic^ Perbienft, ni(^t ©Reimerei. 

©Reimerei, nid^t Perbienß, bid^ ließ 
ß^ren Ijödjfter ©tufen ertlimmen. 

Sötr erwä^nenen l)ier nod^ bie ©infenbungen bon jwei ileipjiger 
©tubenten, 9lubolf Söinter, stud. jur. et cam., überfeßt: 

3iet ßeHleucßtenbe bu, 9leicßS!ircßengewalt bir berfdfjaffte, 

SaSfoS Pürger goßann, beinerfeitS 9hil)m nic^t Petrug. 

5>ier bleibt nur, wenn man baS S)ifticßon umgeleßrt ließ, bom Pietrnm 
nitßt biel übrig, gn ber folgenben Ueberfeßung beS stud. astrou. 
SB. SBiSlicenuS ergibt bie wörtliche Umteßrung )War noeß immer ben 
richtigen ©inn, aber baS Ptetrum wirb gan) auf gelöft. 

^errlicß unb eßrenbott iß eS ja, fteigen maeßte, goßanneS,* 
©ßre unb £ob unb Perbienft niemals Säufcßung ber Piacßt. 

Sitte bie geeßrten ©orrefponbejiten ßaben im SBefentlicßen bie f(ßwie= 
rige Slufgabe mit großem QJef(ßicf gelöft unb wir ßaben ißnen fowoßl in 
unferm Pamen Wie im Pamen ber Petersburger UeberfeßungSgefettfcßaft 
für ißre erfolgreichen Pemüßungen ßerjlicß )u banten. Unter ben ©in= 
fenbungen, auf bereu Slbbrud wir ber^ießten, beßnben fidß ebenfalls nod) 
eine gan^e Peiße woßlgelungener, aber ba ber Qtotd ßiermit erfüllt ift, 
glauben wir bon ber Peröffentlicßung berfelben ßier abfeßen )u fotten. 

* 

* * 

QJeeßrter ^err Pebacteurl 

©tbt es für ben erften PerS in bem betannten ^auSmürcßen, baS 
bie Prüber ©rimm ht plattbentf(ßer Ptnnbart wiebergeben: „Pon bem 
gifeßer un fpner gru ;/ : 

„Ptanntje, Ptanntje, Ximge Xe/' 

einen ©ommentar? Ober ßnb bieS nur — wie in mandßen alten PoltS-- 
liebem — SBorte oßne ©inn, bie aus Püdßcßten auf Ptetrmn, Peim 
ober Klangfarbe willtürlidß gebilbet finb? 

gerncr: gibt es bon biefem Plürdßen eine gute, ßoeßbeutjeße Per- 
fion unb trägt in biefer ber gutmütßige gifdßer, ber ©emaßl ber nimmer^ 
fatten glfebitt, einen Pamen? 

©ie würben bureß Peröffentlicßung biefer geilen, bie einen genauen 
Kenner unferer Ptärdßen bietteidßt ju einer SluSlunß übet biefelbc tief- 
ßnnige unb ßßilofoßßifcße öefcßidßte beranlaffen werben, ju lebßaftem 
Xante berßßicßten 

gßren in ^ocßadßtung ergebenen 
älteßen unb treußen 

Abonnenten. 


Xiefer Pummer liegen bon na^fteßenben gtrmen folgenbe tywfyttit bei: 


Hkilf 801t) & dtfinji. in Stuttgart — „@ngelmamt, Solls? 
ntärdßen' 1 . 

©rutfmann’S ©erlag in 0 tändßen — „gmpfeßlenSinertße 
geftgefeßente''. 


3. «nttentag ( 2 ). ftoOin) in Berlin — „Sm^feßlenSmertßc 
geftgefdßenfe". 

Otto Sßamer in Seißijig — „Sttuftr. SerlagS^Bersei^ntß". 
8 . Zentner in &eij>}ig — f/ Siterarifeße geftgaben'". 


Otto Sßiganb in Seidig — „©erlagS^Perjeicßniß". 

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1 


368 


SifÄegettnmrL 


Nr. 49. 


3 « f« t a t e. 


I K 300 g»OOCK 30 CKZtt 2 >OOOOOOQOOOO<~ 


Vertag oon (Beotflf gBtfttrntann iw Croitnfdjtoeifl. 

| Soeben erfdjtenen uub finb burd; alle ©u^anblungen ju bejieljen: |> 

—* lVft£>Y* ®ine ®rjöf|foftg oon SMfjelm äm«. 

lnfl I ■ 8. g^. JK 3.60. | 


©erlog ber 3 . 0 . ®otta’jd)en ©u^^anMung 
in Stattgart. 


©djriften 


hon 

Jlbfllf Jtiftotd) f raff# im&jjnifc. 

(©ämmtli<f> elegant gebmtben.) 

©ebidjte. 8 . Stuft. 9Rin.=2üi8g. JC 4.60. 
Sotfyar. ©in ©ebi(§t. 2 . Stuft. attut.=S(u$jj. 

JC 4c.— Durdj affe SBetter. Sftontan tn 
SJetfeiu 3. Stuft. 9ttin.=SIu3g. JC 4.50. 
©benbürtig. fftoman in Werfen. 8 . JC 4.— 
Sßolitifdje ßujtfbiele. 2 . Stuft. SJtin.sSlu&g. 

JC 4.50. ©pifoben. ©rzüf|lenbe Dichtungen. 

3. Stuft. ffftin. = StuSg. JC 4.50. Die 
^ßifaner. Drauerfpiel. 2 . StufL 3Jhn.=Stu3g. 

JC 3.— SWdjte beS Oriente. 2 . Stuft* 
3Jlin.=Slu8g. JC 4.— Die §elbenfagen be& 
girbuft in beutfdjer fftadjbilbung. 3 ©ünbe. 

8 . 3. Stuft. JC 20 .— ©timrnen Dom 

©angeä. ©ine ©ammtung inbifc^er ©agen. 

2 . Stuft. 8 . JC 4.— spoefie unb Äunft 
ber Straber in ©panien unb ©icitieu. 

2 SBänbe. 8 . 2 . üermeljtte Stuft. ^ 12 .— 
©eliobor. Dramat. ©ebidijt 8 . JC 4.— 
©tropfen be4 Omar ©bijam. Stud bem 
^erfifdjen. 8 . JC 4.— SBeifjgefänge. 

2 . Stuft. ®lin.sStuäg. JC 4.— Dimanbra. 
Dramat. ©ebic^t. 8 . JC 4.— Stttantift. 
Dramat. ©ebidjt. 8 . JC 4. 
©eftaltenreidj unb gebanlentooff, baju non 
böcbfter SBoffenbung in ber Sform, eignen 
ftd) bie Perfcbiebenen Dichtungen bei ftrafrn 
non S^adi »orjugitoeije 51 t feftgeföenfett 
in gebilbeten gamilien. 

O0QOOOOOOOQQQO0OQOQQOOOO(X l 


©ine reijenbe ©rzäbluug, weld)* man nur mit innigftem ©efjagen tefeix toirb. 

&£ie lieber. 3»ei ©üc^er SebenSgefdjidjten oon SBiftjclut fltaawL 

©in unglaublicher SReidjtbum einfacher, ungelünftetter SebenSmeiäbeit ließt in biefen „zt$i 
Düdjern £eben3gefd)icbten" auigeftreut. Die „alten Stejter" beherbergen einen ©chap ec^tefäut 

£mmor$ unb fjofar ^oefie. jf 


Wen? ffir?obhmgen non ffons Rupfen. 
©oeben erfchien in unferm Vertage: 

Jie |rfd)id|t(a Its Majors 

Oon 

&M* Hopfen. 

3nbalt: „Der oertorene Äamerab", 
„©djabernadfö SBette", „2rlinferl$ ©lücf 
unb ©nbe". 

©in Danb in 8 . 294 ©eiten. Sn 6 <h toa* 
baeher Drucf mit Qierleiften unb ©djlufc 
oignetten. ©ebeftet 5 JC, eieg. geb. 6 JC 

©ehon nach bem ©rfcheinen feiner 
„Daprifchen Dorfgefchichten“ begrüßte bie 
„Siorbb. Sttlg. $ta." ©öni §opfen „als 
ben Stteifter unter Den jept lebenben ©r* 
Zählern". S3on ben biet oortiegenben brei 
©efchichten rühmt $aul £ inbau in Sir. 37 
ber „©egenmart": „ba& fie ju ben ge= 
tuugenften unb tiebenimüroigßen ©aben 
bei ausgezeichneten ©rgdbleri gehören". 
Den Siooeueit Ooran gebt eine tprijehe 
Söibmung an bie oerftorbene grau bei 
SSerfafferi, ein meifterbaftei ©ebidjt, bai 
bei feinem oor Äurjent erfolgten Stbbrucf 
in ber „©egenwart" affgemeinei Stuffepen 
erregte. ©0 zeigt bai feuep $ani Hopfen 
aU Sprifer unb Sftooeffiften nach Einern 
beften können unb toirb in feiner ©igen^ 
ffeümlicbfeit unb grifepe bem beliebten 
Slutor zu ben alten greunben oiete neue 
ertoerben. SSBir übergeben ei getroft bem 
Urtpeil bei ^ubtitumi. 

Dertin W., Unter ben ßinben 21 . 

©• ©(pneiOer k © 0 . 
königliche ^ofbucppanblung. 



Praelit-Ausgabe 

16 Bände in schwarz Kalbleder, vornehmer Renaissance-Einhand, 240 Mark. 

Ein schönes Wandregal dazu, in Eichenholz, inkl. Verpackung 35 Mark. 

Diese neue Ausgabe des grossen Nationalwerks unterscheidet sich von der 
seitherigen durch ein weit stattlicheres Format, ist von höchstem Luxus der tech¬ 
nischen wie stofflichen Ausstattung und entspricht den weitestgehenden Anforde¬ 
rungen an Geschmack und Prunk. Sie ist nach Inhalt und Form eine Leistung ohne 
gleichen, an welcher deutscher Kunst- wie Gelehrtenfleiss sich erschöpft haben. 

Verlag des BIBLIOGRAPHISCHEN INSTITUTS in Leipzig. 


Einladung zur Subscription 

auf die 

Erste kritisch, durchgesehene Ausgabe der Werke 

v°n 

===== Robert Schumann. == 

Herausgegeben von Clara Schumann. 

Indem wir hiermit die Veranstaltung der Schumann-Ausgabe ankündigen, erfüllen wir 
einen seit langen Jahren von uns wie von vielen begeisterten Verehrern des grossen Meisters 
gehegten Herzenswunsch; mit heller Freude wird es gewiss mit uns das musikalische Publi¬ 
kum begrüssen, dass Frau Dr. Clara Schumann sich auf unsern Wunsch entschlostäi 
hat, die kritische Ausgabe der Werke zu übernehmen. 

Die Schumann - Ausgabe wird in systematischer Eintheilung, sowie in der äusseren Ab¬ 
stattung, Format, Papier, Stich, Druck und Korrektheit den kritischen Gesammtausgaben 
unteres Verlages gleichen. 

Zunächst erscheinen die Werke unseres Original Verlages sowie diejenigen der Verleger, 
welche dem Gesammtunternehmen für ihren Theil beitreten. Binnen 8 Jahren soll das Ganze 
in Partitur und Stimmen vorliegen. 

Es wird Subscription auf die gesammte Ausgabe, sowie auf jede einzelne Serie an¬ 
genommen; der Subscriptionspreis beträgt 30 für den Musikbogen in Folio Metallplatteft¬ 
druck. Einzelausgaben werden, soweit veranstaltet, zum Ladenpreise von 50 Ä für dem 
Musikbogen in Folio geliefert. 

Alle Musikalienhandlungen legen auf Wunsch die bereits erschienenen Werke: 

Op. 9. Carnaval. .... JC 4.25 \ Serienausgabe 

Op. 12. Phantasiestücke.„ 4.— I als 

Op. 17. Phantasie.. „ 4.— | erste Lieferfüg 

Op. 21. Novelletten. . „ 6.75 J Pr. JC 10.60 n. 

vor, nehmen gleich den Unterzeichneten Verlegern Subscription und Bestellungen an, ^gd 
liefern Prospect und Werkverzeichniss unentgeltlich. 

Mögen „Robert Schumann f s Werke herausgegeben von Clara Schumann 1 * bei den Ver¬ 
ehrern ernster deutscher Musik Eingang finden, in ihren Einzelausgaben in alle Fanriligy- 
kreise dringen. ^ 

Leipzig, den 20. Nov. 1879. Breitkopf & fflfWli 

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Nr. 49. 


869 



egetttttri. 


(Elegante ^epgefttjetthe. 1 


Bering o»n 6 ermann (SofUnoMe in 3«nn. 

|iUiit|ck fit nufere irnnen. 

^erauSfiegeben öon ©braunb §oefer. 

1 . 39b. zf&fp. (Sine frjä^tung non Harte 

graul« 2Rin. Format, elcg. 

ÜRofailbb. Jt 4. 

2. u. 3. Öb. Jas frbe brr jtöfüen $rait. 

(Sine gömiliengefcbtcbte öon ©räftn 
b. Saurfireat. 3Bin. Format, ^öd^ft 
eleg. geb. Jt 5.25. 

4. 39b. Jtnf bet $ittbecca. Woöeüe oon 
ßlife Sift$art. SRin. Format, Ijödjft 
eleg. geb. Jt 4.75. 

5.39b. Jas Pfarrhaus non ^ttbstii. 
(Sine altmobtfdbe ®rieg8= nnb Siebet 

S efc^tcbte öon ttbmunb §oefcr, 2Rin.= 
format, työdrft eleg- 9*&- ^ 4 - 76 - 
£e$tere öon $atroiti$mu§ burdjmefjete 
böcbff fpannenbe (Sr^Iung aus ben 
©efreiimgSfrtegen toirb alle = 

bergen lebhaft betoegen. 

3ebrr 6anb iß ffir ftd) ooMItänftig nnb ringln 
fcänfitd). 


3m 39erlaae öon ©. Weimer in Serlin ift er= 
jchienen unb Butdj jebe 39ud}f)anbiung ju beziehen: 

^ermifdpte Triften 

öon 

3 |eoäor Hon SernljarM. 

===== J»et Öänie. = 

$reiä: 14 JC 


'.Reuer Setlag öon 

Otts ®immer in fittyjtg unb Berlin. 

lOiPrittr 9tltgrfd)i^t( fit los |tUt. 

Unter befonberer 39erüdfid)tigung ber 
Shilturgejdjidjte neubearbeitet uno bis 
jur ©egentoart fortgeführt öon Otto 
non Sorbin |)radjt-;Ausgabr in acht 
39änben. 2Rit etnm 2000 3ttuftra= 
tionen, 40—60 Sontafelit, harten ic. 
«otlenbet liegen üor: ber 1. unb 2. 
39anb, elegant gebunbeit ä Jt 9.60. 

|m|ns f rfd|iiljh io Port ool Sill. 

(Sin ^au^budh für Äße. 

Won gtr0. ©djmiit. ®ritte fehr 
öerbefferte Auflage. SKffc gegen 
700 $eEt=3üujtrationen, jaljireidfjen 
Xonbilbern, 39tlbniffeit unb ftacfimileS 
öon Wamen&unterföriften, harten :c. 
Wad) geidjnungen öon flabtoig Surger 
u. 21. SSoßenbet in brei 39änben ober 
jed)3 §atbfran$bänben. S9i3 je|t liegt 
öor: 1. §albbanb, geheftet i 4.- 

lOopiittr fitmtirgtfttytr io nlits- 
t|ialt^n|flrptlu9pii^>it>Jo>s- 

Ion Otto 0on Seltner. Mit 300 
3lluftrationen / aaf)lretd)en % onbilbern, 
föflbniffeu unb ^orträtögruppentafetn. 
Stach Seidhimitgen öon ttubtoig Bürger, 
®. 0. Sättig, $. Wörlinä, §» ©ogel 
u. 21. 39oßenbet in jmei 89dnben. 
Der trfl* tSanb liegt öoUenbet öor 
unb foftet bei einem Umfange öon 
XII unb 465 ©eiten elegant geheftet 
6.50; hö<hf* eleg. gebunben ^8.50. 

8« bestehen tonn} alle ©ad^aBb langen. 


pteooe eCegattfe gFeßgeföett&e. 


—->$3 §tt traben in allen Bn^anblungeu» • 


#ella& 

Cracjöbten. 

Cfrifd^e Dtd^tungen 

3« ben Persiflagen ber Urfdytifi ins Drutföe 

aus bem ttellenifdjeu 2lltertl^um. 

fiberfefct von 

3n neuen metrifeffen Ueberfefcangm w>n 

Carl tuth. 

Carl ^rud^. . 

«leg. geb. 8 ITC. 

jeine Ausgabe elegant gebnnben 6 Iß. 

Perlag »oit C. Äorgenflcrn in Breslau. 


BREHMS THIERLEBEN 

komplett in allen Buchhandlungen. 

Die neue Auflage dieses berühmten Werkes ist soeben mit zehn Bänden 
beendigt v'ordeu^ Sie umfasst die Abtheilungen der Säugethiere und Vögel 
in je drei Bänden, der Fischet Kriechthlere, Insekten und Niederen 
Thiere in je einem Band, mit zusammen 1945 Abbildungen nach der Natur. 

Jeder Band kostet 

in Umschlag hroschirt . 12 Mark 

- Bibliotheks - Einband, grün Halbfranz. . 14 

- schönem Renaissance-Einband, braun Leder 15 

- feinem Kalblederband, naturfarbig. 16 

Jede Abtheilung ist besonders käuflich. Das Ganze bietet die glän¬ 
zendste und taerihvollste I Veihnaehtsgabe für Freunde der Thierwelt. 

Verlag des BIBLIOGRAPHISCHEN INSTITUTS in Leipzig. 



3m ©erläge öon griebr. Sranbftetter in fleißig 
ift erjehienen: 


s 


f rirdjifdjt n. rnmtfd)E 

itteraturlnfber 


für f>ie fleßiföete Sfrauenroeft 

©on 

—*-«• g. Tormann. — 

tBanb I. $rt<?d?. ^fcitteraturlnCöer. 
2Rit 1 Xitelftahlftich (bem2:h ea ter öon (Sgefta) 
unb 4 .^oljfchnitten (ben S3ilbniffen öon 2lri= 
jtobhane3, (Suribibeä, ^omer unb ©opbocleö). 
gr. 8. (31 % ©ogen) @el). Jt 6, eleg. geb. ^7.50. 
tBanb II. *gtomtfc^e ^itterat urBiCöer. 
9Kit 1 %itelftahlftich (Simses öom fogenann- 
ten „J&aufe be$ tragifchen 3)id^terS in ^ompeji'O 
unb 4§ol&fd)nitten (ben 33Ubniffen öon Jpora^ 
Xecen^ 29ergil unb bem $aifer 2luguftug). gr. 8. 

(23% $Bog.) ©eh- Jt 5, eleg. geb. ^6.50. 

W 33on ber tfeitif aOfeitig all bag befte 
unb geeignetfte 3Ber! bejeichnet, bie gebilbete 
grauenmelt mit ben ©chd|en ber antiten 
$oefie belannt 51t machen! 


A ^)ur<h äße ©uchhanblungen: 

4 flgr FUger: 

2 Dicftep t Xrauerfhicl. 2^ / Drig.=@inb.3t^ 
2 gbalhert öon ©reuten. £rauerfpiel. ßtach= 
H fpiel; ^ieüleich! ®iettom! 2*lufl. 2 Jt 
A gahrenbeb Solt ©ebichte. 5 Jt, in Orig.; 
1 (Sinbb. 6 Jt 

4 Vertag; ©gulfte'fihf fif’Sndihblg. 
j (©. 33emot & 21. ©d)maT|) in Olbenbnrg. 


Der neue Catalog der 

Collection Litolff 

ist durch jede Musikalienhandlung gratis 
und franco an beziehen. 


Im Verlage von Ebner & Seubert in Stutt¬ 
gart erschien soeben: 

Geschichte 

der 

bildenden Künste 

von 

Dr. Carl Schnaase. 

Achter Band. 

Zw»He Abtheilung. 

Herausgegeben von W. Lübke, unter Mit¬ 
wirkung von C. Eisenmann. 

Mit zahlreichen in den Text gedruckten Holz¬ 
schnitten. gr. 8 Preis 12 Jt 

(Preis des vollstündigeu Werkes 106 Jt) 

Dem Herausgeber fiel nach letztwilliger 
Bestimmung die Aufgabe zu, den im Manu- 
script hinterlassenen achten Band druckfertig 
zu machen. 

Unter Beihülfe einer tüchtigen Kraft ist es 
ihm gelungen, die Arbeit nach Ueberwindung 
mancher Schwierigkeiten zu vollenden, die 
Darstellung Schnaase’s nach den vorhandenen 
Aufzeichnungen möglichst unverändert wieder¬ 
gebend. Mit dieser lüngst erwarteten Ab¬ 
theilung ist das classische Werk des geist¬ 
reichen Kunst-Kritikers nunmehr zum Ab¬ 
schluss gebracht. 

Verlag vou Leuschnet* & Lnbensky, 
k. k. Univer8.-Buchhandlung in Graz. 

Soeben erschien: 

Wendische Sagen, Märchen 

and abergläubische Gebräuche. 

Gesammelt und nacherzählt von Dr. 

Edmund Veckenstedt, Oberlehrer am 
Nicolai - Gymnasium in Lib&u. Preis 
Jl 10 = ö. W. fl. 5.80, eleg. gebunden 
Jt 13 — ö. W. fl. 7.50. 


Zu beziehen duroh alle Buchhandlungen 
des ln- und Auslandes. 


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370 




Nr. 49. 


Weihnachtsnovitäten 

aus dem Verlag v.Rich. Eckstein au Leipzig. 
iMT" S&mmt liehe Wörke in hocheleg. 
Einbänden. 

Humoristischer nJÄSe 

Volk. Herausg. von E. Eckstein. 
Neue Folge. 3 Bde. ä 4 JL Beitr. 
v. Reuter, Wilbrandt, Franzos, Spiel¬ 
hagen, Auerbach. 

Pnllrn TÜ Ve8ta - n - Jahr ^ n g- 

A VlILl/j -Li. j Taschenbuch, f. Deutsch¬ 
lands Frauen und Jungfrauen. Mit 
* IUustr. 5 JL 

P Murlllo. Ein Lied 
XUtjUÖ btjlllj Ai., vom Guadalquivir. 

3 J( 

Pnllrn T? La bel1 ® France, An- 
A “AiklJy AJ.j thologie lyrique. 4 JL 

Iris, Anthologie edionjv«, 

Geist und Gemüth. 4 JL 

Stnni^llnQ A Waldmärchen. 
KjLcIIIJ ölcloj Eine Idylle aus 

dem Waldleben. G. zu Putlitz ge¬ 
widmet. 3 M 

Wavlai» TT Chronik der Haus- 
V Vj AA5 f 9 A frau. Ein Gedenk¬ 

end Notizbuch für’s Haus. Mit IUustr. 

4 JL 

Tatiodtix W FrOWingsstilnM. 

eJüllöüil, TT •, Neue Novellen. 2 
Bde. 11 JL 

Sacher-Masoch, t^dÄ;. 

liehen. Erzählung. 3 JL 

Marbach, H„ ÄlrrV 

fr Ba8 ^ n( L Eestge- 
A/l V/j) ) schenk für junge Väter 
und Mütter. 3 JL 

Wolzogen, E. von, 

Uhr in der Christnacht. Eine Weih¬ 
nachtsgeschichte. 1 JL 

TTnriQPTi S K Un88re B,umen 
AAdllöüIl, D, A., im Zimmer. Ihr 

Leben und ihre Pflege. 2 JL 

TÄTat/Icvp TT Citatenlexikon. 

TT Kjj Ivl j A11»j Denker- u. Dichter¬ 
worte im deutschen Volksmunde. 
.(Neue geflügelte Worte.) 2 JL 

TIaItqI pin Ti! In Mo11 und Dur * 

AiLKMAJAIl, £i., Gedichte, ö JL 


$affenbe£ JFeftgeftljenft 1 = 

Soeben er fegten unb ift bureg alle Sucghanblungen 3 » b^iegen: 


3 fn (Earl Shttrr ’3 Untberfit<it3bu(gganb= 
lung in geibelberg ift Soeben erfegienen: 

€}miU (ins fa(|«aita ^iltts. 

©on Clemens ©rentano. gqrt= 
gefegt unb boUcnbct non 31. tum 5er 
(t\bt. 8. (Sieg. brofeg. 4 JL, elcg. 
geh. 5 JL 

3Rit aufcergewögnücgem Talent begabt, 
fug ta bie romantijege unb bei aller (Sin- 
falt fo rügrenbe 2 )arftettung$meife Giemen* 
Brentano« *u futben, gat ber ©erfaffer 
bie ©rucgftüa gebliebene „Ggrauita" mit 
@Iücf unb Gejcgid einem frönen unb be= 
friebtgenben Gnbe jugefügrt. $)a* $ 8 ucg 
ift eine eble Seftüre für jebe ftamilie. 


JUtabeUfl.' 


©riginal = Hotnan oon 2H: Kapri. 

5 33änbe. 8 . 55 23ogen. (Elegant broegirt. — prets \0 JL 
„llrabeltg" ift teegt eigentlich ein jeitgemäfjer Homan. (Er fdjtlbect uns Situationen, mie 
bie ZTeu 3 eit fie gefegaffen, bie eifernd §eit ber Arbeit unb ber Jjwecfmäfpgfeit, bie mit unerbitt* 
lieber t}anb 2 IIles niebermtrft, was jicg h em *nenb bem jteg Sahn bjechenben ^ortfÄritte ent* 
gegeriftemmt, — mit weithin leuchtenber Jfacfel jeben bunHeti ghfftnhtsört erffnit; 11 t ben fteg 
rerblenbetes Dorurtgeil geflüchtet, — unb gegenüber bem 3 ägen naftengetft eines Hrifiofrattsmns. 
ber fid? felbft überlebt h a */ religtöfer Unbulbfamfeit, melche bie klugen gemaltfam fcgliegen 
möchte uor bem 3 mingenbeu Eichte einer rationellen IDeltanfcgauung unb einem gebietenben 
Hechte 311 m Siege oerhilft, — bem allgemeinen OTenfcgenrechte. 

Die (Egaraftere ftnb fräftig, ettjfcgneibenb unb hoch mit feinfter Huancirung geseiegnet. 
Die tjjanblung nuferes Homahes bemegt pch in lebhaften unb jpamtenben Situationen, in 
mächtigen, gefeüfchaftlichen (Eontrajten halb in bürgerlichen unb fiinftlerifchen Hreifen, halb in 
jenen ber Zlriflofratie, welcher ber Derfaffer bnreh feine (Seburt angehört, unb bies mahrh e *tstreue 
utib bod? mit-reicher pbantafte oielfach oariirte 5 c itgemälbe bemäd^tiat fid? fchon in ben erüen 
Capiteln bes Eefers ooll unb gan 3 , ihn mit ftets machfenbem 3nterefle ois an's <Enbe feffelnb. 

Die „Blätter für llterar. Unterhaltung" urtheilen in ihrer Hr. o. \87$ über 

biefen Boman u. B. mie folgt: 

. .. . . aber tueifs icg, baf 5 luir eg ijie? ungetuohnUd^en fdjrift' 

itcllerifchen Capaeität su tfjun gaben, bie nufere bolle ^eaegtung berbient. 25ucfi bc^ 
ftunbet ein felteneg Calent. ^ie einseinen «Seftalten treten ung mit überrafegenbet ßlaftift 
entgegen, bie Handlung, ag fieg feffelnb, ögne bung feunftlidäe dllittel 3 ur Spannung empor^ 
gefegraubt su teer ben, enttoicftelt firij naturgemäß, bie <&gracge ift forgfältig auggearbeitet 
unb bie geicgnting ber meiften Cgara&tere eine fegr correcte. —" 

Oerlag t>on IC. C. ttt Wien. I. Henngaffe 5. 


(£§arle8 ^ufcuS’ attdgewa^lte Romane. 


Soeben ift er(rf)ienen: 






SW* $«tm0<ittfe Novität, -v« 
Ott )tr «rapdruttfl u. (SoUealvugttttng 
t. ©ejug a. b. $tn. ^Btof. Äiitfel Bertjnnb. 
3 ». ©ittermann^Seer u. $aftor 93ranb«= 
6 tapelmooc. ©treitfegrift. Slbgebr. a. b. 

j^heiberlanb." Qu bej. b. jebe Söuchgbl.; 
g. Cmf. 0 . 50 & a. b. Serl. 9tifiu« i. 
©eener erf. fr. gufbg. 


I 2)eutfc^ boit %. t 

I SKit einet Sinleitung oott Dr. guttart §c^mt 6 f. I 

I 93ier S3änbe mit 16 Sflufftatiotti’u naeg eng^gen Originalert unb einem 
I Portrait be« 3)icgtcr« in 2 elegante &dptco=$ 8 änh£ gebunbeu* 5 

/ $rei« 9 JL S ^ ~ ^ v 

/ 4 SBänbe btofegirt, ogne SHuftrationert^ T 

§ ^ret« 6 JL 40 A. ■ : f 

I (gambnrger ilaibridHtto.) $te borsüglicge It^erfegung igib' bie ftattfi(|e 
| unb gebtegene bucgganbleriftge $>erftelluug werbe« bem mugntugt »erg^feiteit 
I in $eutfcglanb nigt müiber aiä in önglanb gbcggefcgägteh Öiomane nfeue j 
I greunbe sufügren, bie fegöne, lebenbtge unb oon ebelftem iiubjeinftem ^untoc J 
I bnrgijogene biograpgif 4 e @r$äglung ift geute in Äemfelben Jftafce geeignet^l 
I ba« ©ntsüden ber &efer gerporjurufen, al« üor breffcig Sagren, imo bie mit.j| 
I bem $icgter jugleicg lebenbe Generation, in greube -^melgte liber bie fegöue M 
r unb faftjröBte Xgat beS etialtfcgen $umoriften. Der Vornan »irb tu feiner m 
jegtgen <5e|!oU ehte 3terbe jeber beutfdjeu fousbibUotgek. V 

Verlag bau ^ermann ©efeuiuS in-da^. ’ m 


Die 3)i(|tungcu 


{ Q?eobaU> l {emer. 

2 Xgeile in einem ©dnb. 8 . 487 Seiten. 

Sßrei« geg. 6 V \L, geb. 7 JL 60 A. 

— 9ton erft befommen mir einen Pollen ®iu^ 
blid iu biefe« terngefunbe, frifege, liebenömürbige 
Talent, ba« in feiner Sgrtf ebenfo tiefe, emfte, 
ergretfenbe, al« muntere, geiter fegersenbe unb 
fatprifege iöne anjufcglagen weig u. f. m. — 
(getner über bie $rofa= 6 tüde:) Gr ift eben bureg- 
au« er felbft, mancgranl noeg tief tu ben Stoman« 
tifern, mancgmal fegon über ttitberfen ginau«, 
aber überaE anmuigig, frifeg unb liebenSroürbtg 
u. f. m. (Ueber Banb unb 3Jteer 1880, ffh. ß.) 

©erlag hon Anti ©räbener in ^atttiurg. 


In der unterzeichBCb^ ^enagshandlung 1 kt 
erschienen und in allen Bnchhandhmgen «2 
gabenr ^ . I 

Geschichte \ 

■; - : y :J 1 , de* i" \ 

Deutschen Litteratur. 

: Ein Handbuch 

von 

Wilhelm Wackernagei. 

Zweite vermehrte und verbesserte Auflage { 
besorgt von 
Ernst Martin, 

Professor *n der Universität Strnssbnrg. t 

I. Band. 

zr Preis 10 JL zr 

n 00tt i Schweigbauseris che Verlagsbttchhdlg, 
Basel - Hugo Richter. 


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Nr. 49. 


Ute 6cgf«märt. 


871 


Im Verlage von Ebner & Seubert in | 
Stuttgart erschien soeben: 

Geschichte 

der i 

Italienischen Malerei 

vom 

Mit Ms ins sechzehnte Jahrhundert j 

Von I 

Wilhelm LObkc. j 

Zwei Bände. ! 

gr. Lex.-8. Mit 297 Holzschnitt-Illustrationen. ' 
Freie brochirt 48 JC, elegant gebunden 54 JL ' 

Mit der soeben erfolgten Ausgabe des 
zweiten Bandes hat ein Werk des berühmten 
Kunstgelehrten seinen Abschluss gefunden, j 
das bereits beim Erscheinen des ersten Bandes ! 
sich allseitig günstiger Aufnahme zu er- j 
freuen hatte. 

Bringt der erste Band die altchristliche, j 
byzantinisch-romanische u. gothische Periode j 
sowie die Anfänge der Renaissance in geist- • 
reichem und lebensvollem Vortrag zur An¬ 
schauung, so umfasst der zweite Band das 
Zeitalter der Hochrenaissance, deren 
herrlichen Denkmale eines Lionardo, Michel¬ 
angelo, Rafael, Correggio, Tizian ganz be¬ 
sonders geeignet sind, das Interesse des 
Kunstfreundes auf das Höchste zu steigern. 

Gegen 300 theüa in den Text, theils als 
besondere Beigaben gedruckte Abbildungen | 
unterstützen die wissenschaftlich und künst- j 
lerisch meisterhafte Darstellung und verleihen I 
dem Werke den Charakter eines gediegenen 
Prachtwerkes. 



i ! 1$n <£arl ttinter'3 Utriberfitüigbdc^i^l 
| j lüftg in geibelbtrg i|t foeben erfdjieiten: j 

; :0tr Jartuntfd) llertl; 

i i Bott Ä. ©tiidner, orbctitl. ©rofeffor! 
| | an her ttniberfttftt ju Storpat. SRit | 
i | | einem Porträt Sllefei^ nad) ©ing^ 1 
| ! ilinger. gr. ’8. eleg. brofd). 7 Jt,\ 

\ | feljr eleg. geb. 8 JL 60 a. j 
| $iefe©iograpljiebe3unglüd(id)en0o]&neg 1 
| | |©etcr’3 bep trogen, beg „ ruf ftfdjen $on | 
i i Karlo 8 ", be3 ©atten ber betonnten ©rin= i 
1 ► jeffin üon©rauntd)tDeig-SBolfenbüttel (bergt 1 
|| bie ©oüelle: „3)ie ©rinjelfin bon SBolfem | 
i i büttet bon gfdjolfe" nnb ben $e£t»ber.i 
1 Oper „Santa (Sfjtara" bon (£br. S3irc^= 1 
| [ ©jeiffer) wirb allgemeines 3 ntereffe erregen. | 
i i gbrmat ünb 2(u4|tattung tbie ©rof. ©Ttmlb'i 
< i (#aebele’3 „©taria ©tuart". / 

•! ec—#—#—### 


• •- iFeftgefdjenhe 


aus bem Verlage oott -Srtilkc tu $evlitt W., ®ef)rettftraf;e 4. 



Skonto = 3acftmilc3 üon Strinboifc unb flf. Coetilot. 



I Verlag von Gustav Fischer in Jena, 

Dante Alighieri’s Leben u. Werke. 

Im Zusammenhänge karges teilt 
von Dr. Franz Xaver Wegele, 

Professor der Geschichte zu Würzburg. 

Dritte veränderte und vermehrte Auflage 

mit einer, Abbildung 

des Dante-Denkmals zu Florenz. 

Preis 12 JL In elegantem Halbfranzbande 
14 JL 60 A. 

Die neue Auflage von Professor tVegele’s vor¬ 
trefflicher Dante-Biographie ist unter sorgfältiger 
Berücksichtigung der neuesten Forschungen theil- 
weise umgearbeitet worden und in gänzlich ver¬ 
änderter äusserer Gestalt erschienen. Dieselbe dürfte 
sieb in der jetzigen eleganten Ausstattung vorzüg¬ 
lich als Festgeschenk eignen. 


I. Serie. II. ©erie. 

! ßelfe um bie Crbe. Curopa. 

SRacfj Criginaf-9lufnahmen ©adj Originalen 

| ii Ipgitni, fnhitn, |npa«, ^mtrifen u. m. ms km St iijtpit te ittfers. 

34 ©lütter auf gr. 3rolio*(£artong, 306 „fc, in eleg. 14 ©lütter auf grofj ftolio^artong, 126 «,/K, 
reidj berjierter ©tappe 324 JL, in eleg. Kafteit in in eleganter reidj berjierter Stoppe 

©Urform mit Portrait 300 ,tc 144 Jl, 

foftet jebes Blatt aus einer biefer Bei Abnahme oon minbejlens 6 Blatt iji ber 
beiben Sammlungen jefct mir 12 preis nur 9 pro Blatt. 

j SH*!* glatter bieten eine bev heften gtütke bev wjeltb*- 

triiljmieu ^pi&tfirra«brtTdj£*t ^VqimveUjcn in aUfHtt# al* %$teiftevwevke 
: nnjerkamttim hunftletrirdjFtt Isteprafritctfonim. 


| 3 « ftnfdjluö an ^ffMtaitbi ’3 jtquareffe, in j 

1 beren Shigftattung uitb ju benjelben ©ebingungen: \ 

, jMalerifrij« !rife|telr non Kitgen Krüger. | 
j ^le©latt, (^romo* 3 acftmilegbon©. 0 tetn = 
bod. ©reis in Umfdjlag 54 JL, in eleg. ©tappe 
i 72 JL Singeln jebeS ©latt 12 M. 2ludj 
gemifdjt mit ^ilbebranbt ju bejie^en. 

©tefe 6 ©lütter fteflen foWibe ©nnfte bar: 

| 2 lm $arbanger gjorb. — fjrejlmaterbap. — 2 )er • 
! d^iemjee. — ©enebig. — 3 (ola=bella. — Monaco. 


nt m mmth 4U*etam»r$ mm***#* ütne 

2(u4toa^l bon ©leiftift = Betonungen be$ 
SJteifterA ^faefimile^ud hon ftümmfer & 
3 ona 0 in 3)reSben. 12 ©latt a. ftarfem (Sarton 
in Ouart. ©reiö in eleg. 9ttappe 18 ^ — in Um= 
fc^lag 15 JL — be3 einzelnen ©latteg l JL 50 

egen unb $omten|tyein. ge^n llbumblütier 
non Bonife ftngler. 3 « ©untbrud anggeffthrt 
üon SB. ßoeillot. ©ra^tbanb, 4°, Saben- 
preig 45 JL 


^ehanahlumen. 
^ ©lüttem üon f 


©iblifcgeg SHpljabet in 22 
©lüttem üon 3- *>. ©ubhenbrod. garbenbrud 
üon SB. Soeillot. Cuart^ormat, eleg.-geb., 
Sabenpreig 86 JC 

3P|Iä ftehenSenbrdnreihen ber Offenbarung @anct 
^ 3^banne^. Sieber üon dleaaore Sürftin fteitft. 
2 Rit Bianbaetdjnungen üon 3R. (£. ©cd^ gr. 8 °, 
eleg. geb. 12 JL, cart. 9 JL 

|)ie fdjflnfle Hofe ber «Heit. ®in 237ärc^eu üon 
W 2 lnberjen. 30 uftrirt bon 3 nlie bon Kable. 
Bebn ©latt in Smftatbmd pon SB. Soeillot. 
©radE)tbanb, ^od) 4°, ßabenpreig 36 JC 

nt uf mürkifdjer ti|aibt. @tne glora ber ©tat! 

©ranbenbnrg tn ©lüttem aug ber Steumarl 
üon 3nlit bon Kable. 13 3fl«flrattonen mit 3:erif 
djromo=ütf)ograpf)irt üon SB. ß o ei 11 o t ©rac^t* 
banb, f)oc^ 4°, ßabenpreiö 45 JL 


^ lpenblnmen. gmblf Mtbsmblarierbon %***) 
oon ©üloio. 2 folio, garbeubtud, in eleg. 
©tappe, Sabenpreig 18 JL 

3)iefefben ftnb auc^ in gorm eincg Xage* 
bnc^eg mit bentfdj., franj. ober engl. Xejt nnb 
leeren ©lüttem jum ©otiren, in grofj 8 ° elegant 
gebunben, ebenfaflg für 18 «(L §u be^ie^en. 

Jlas Sölfr tn tBlfltben unb GUütern. Sfluflrirt 
V pon fermine Stille, ©tü Driginal=@ebicbten 
üon ®manuel ©eibel unb ® nftaü ©utlip. 
garbenbmd bon ©tort^ unb Kramer. 4. fcuf* 
läge, ©ra^tbanb, gr. 4°, Sabenpreig 45 JL 

« ine Helfe tn tiUbent* ©tit ©enuftung üon 
©l)otograpl)ien entmorf. bon Termine Stille. 
3n 15 d)romo = litbograpl)ifcbcn SAuftratioiten 
apggefübrt üon SB. Soeiliot unb ©. Steinbod. 
©tit Xcxt ©rac^tbanb. ftolio. Sabenpreig 45 JL 


ßejteßett 6urc^ \ebe ^ u<$- uit&.^uttfl^an6£ung.. 

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372 


Sie 


Nr. 49. 


^ Pgtnfiitt jntj» fit tatfdjt fitwitit. * 

Soeben ift erfdjienen unb in allen ®ucfc 
banblungen $u |aben: 

yupkli^c StotinuE». 

9leue golge bet „SRobetnen Oper" 

Dort 

ißtofeffor Sb. ganfflirf in SBien. 

£ls L ftil tat T. §rm tat IrmisfiilUiünn. 

?reil elegant gcbunben 6 JC 

Merlin, Herein f. Mentfdjc güerthtr 

(«. fcofmann). 

f b f j tq p e y rybf gycyr f k yi* f 


Verlag der M. Rieger*schen Universitäts- 
Buchhandlung (Gustav Himmer) in München. 

Soeben erschien: 

Wesen nnd Werth 

der 

Oeffentlichen Meinung. 

Von 

Franz von Holtzendorf, 

Professor der Bechte an der k. Universität Mflaobem. 

Festschrift zum Doctoijubiläum des Herrn 
Geheimrath Dr. tob Bluntschli, dargebracht 
von der Juristenfacultit zu MAnehen. 

10 Bogen in 8. Broschirt. JC 3. 

“~s=i jfeftgrfdjtnft! 


E 


d 


%«m§*!8«s§ 

0011 

kuift JSugltr. 

Dierte Dtrmetjrt« unb neu 
ansgeflattete Auflage. 

Ir fftdUfmarf mit AoldfARift 
6 


Mremctt 1880 . 

C. Ädjünemann’n Verlag. 


w 



P Dfr £&n%tt’ wm |M§ita$. 

Diamant * Bttftgabe. 

t {leben color. Titelblättern nach Original=(Sompofitionett 
öon fr. Sharbina. gn botbfeinem ©inbanbe greift 5 Jt 

% 2ius km ItadilalTe ko JUim-jödmffy. 

SJteueS ßieberbudj 

tun 

-ss ^riedrid? '§8c6mffe6f. &$<-•••— 

$r*6t> Sifgate in elegantem Ißergamentbanb mit cifelirtem ©sCbfönitt Steif 10 JC 
Srai|t»tbrigw( in 2etnroanb=$tadjtbanb mit rottjem Sd&nitt 12 JC 
9Hni«tnt«ICtifgal( in elegantem Stnbaitbe $teif 6 JC 

©ureau btf Ctreinl für $tutf#e fiitetahtt (21. $ofmann) in Cer Uh. 



Bei Wahl literarischer Festgeschenke (Br 
die Jagend and für Erwachsene wolle man das 
dieser Nr. der „Gegenwart“ angefügte lllustrirte 
Verzeichnis« nener Werke aus dem Verlage von Otto 
Spanier in Leipzig und Berlin gefälligst zu Rathe ziehen. 

Kataloge in allen Buchhandlungen gratis! 



iaj ffllgeathm® 


seiner socialen Bedeutung 

yon 

Adolf Samter. 

Preis 9 JC 


§ 

1 

aS 


Verlag hon 

W* Sfagßeßer in ^onöcrsßaufert. ] 

tjeinrid) non fileift ; 

unb 

6er jerßroc^ene Jtrug. ;; 
3leue ^Beiträge 

öon 

Dr. ftarl Siegen 

8. (183 ®.) Sir» brofd>. $r JC 2.50. t 

♦ ♦4444444 444444 M 4 MMM 4 



Perl ag pon $Cb olf %$0tl5 & Comp, in Stut tgart. 


frtsdlit, Werft*, N.W., Ätonwinjenttf« 4 . %üx Ile Siebertton öerantoortlid): #tt?g SttC&i in Werft«. fltttitiM, Werft* W., Sta&ren - 6 tr«|e 4 . 

Dtttd öon W* f f*S*er in <£rtf|if. 


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X 50 . 


Stoff«, freu 13. 3>ece«t6er 1879, 


Band XVL 


Pt (!3c0cmünrt. 

äBochettfdjrtft für ßitcratur, Äunft unb öffentltd^eS ßeben. 


Herausgeber: 'gfttttf in ©erlitt. 


Jtkn ^nuhik ntytiit tiu Jiiamtt 

3u Besiegen but$ alle ©udtfaablunflai unb ^oftaufbalteu. 


»erleget: @e#tg Stille in Berlin. 


fttts pt fintM 4 p «4 50 ft 

Sufecate jebet Art pro Sgelpalttne $ettijetU 40 9f. 


Snljaft 


$ctr SRidjarb SBagncr unb bic 2$iüifection$frage. SBon ©ulenburg. — 2)ie $öd)teri'djulen in granfreid). 2$on 21. ©djneeganS. 
(©(plufc.) — Siteratur unb ftuttfi: „2lu3 meinem ßeben." 2$on Souis ©djiteiber. S3efprod}en non ®eorj§orn. — ^tbinonb 
greiligrattjS ©tftlinge. 83on Söiibelm S3ud)iter. (Sortfe&ung.) — Qnx ^opulattfinntg bet Ämtft. 2$oit afe. (Karriere. — ßid)ts 
bruefroerfe. 2$oit 28. ßüble. •— Wttft bet öouptflobt: Äönigli<|e3 DpetnfyauS. $ie Königin bon ©aba. Oper in 4 Mieten nad) einem 
$e£t öon SRofentljal bon Äarl Oolbmarf. 23efprod)en bon $. ftrigar. — ÜRotijen. — Offene Briefe unb Änttborten. — ß[nferate. 


4}err Bit^arb ttJaper nttb bie biuifectionsfrage. 

Bon 21. (Enlenbnrg. 

Bayreuth locuta est! Herr ©idjarb SBagner hat in einem 
offenen ©riefe an Ernft bon SBeber — ben ©erfaffer beS 
öieloerbreiteten wunberlichen Pamphlets „®ie Solterfammern 
bet SBiffenßhaft" — bent Abreffaten bon feiner unbebingten 3u= 
ftimmung ju beffen bibifectorifchen Seftrebungen unb uns Anberen 
hon feiner nicht minber unbebingten ©eradjtung ber ganjen auf 
bibifectorißher ©afiS ruhenben „SBiffenfdjaft" Semttniß ge« 
geben, ©eiläufig: biefeS lefctere gefährliche SBort pflegt H err 
SBagner — waS gewiß nicht unbebeutfam — überall, wo bas* 
fetbe i^nt in bie Seber gerätlj, mittelft ber obigen AnführungS* 
jeii^en borfid)tig jn umfchlteßen. 

®a icf) mit freunblidjer Bewilligung ber ©ebaction fdjon 
früher (in 9tr. 16 biefeS gahrgangS) ben wiffenfdjaftlidjen ©tanb* 
punft in ber ©ibifectionSfrage barjulegen gefugt habe, fo barf 
itf) Wohl nodj einmal baS SBort ergreifen, um bie Sefer mit ben 
SföeinungSäußerungen einer fo fjerüorragenben ©erfönlidjleit, Wie 
bie beS ©riefftellerS, in biefer wichtigen grage befannt ju machen 
unb su benfelben auf ®runb jener bamaligen Erörterungen 
Stellung ju nehmen. 

©on bornherein (ann id) freilich nicht umhin su bellagen, 
baß biefe Stellung in (folge ber ungemein fchroffen Parteinahme 
beS Herrn SBagnet eine überwiegenb ungünftige fein muß. So 
fel)t ich in näherfteljenben Greifen als ein eifriger, felbjt be* 
geifterter Serehrer ber SDtufe beS dichter» Eomponiften berufen 
bin — fo wenig oermag ich bo<h leiber ben hier bargebotenen 
ffrrüdjten feiner naturwiffenfchaftlicfpärstlichen Antobibajie irgenb* 
Welchen erfreuli^en ®efd)madE abjugewirtnen. 2)och hoffe id) auch 
ba, wo ich wi^ ber Statur ber Sache nach S“ f^arffter Oppo- 
fition gebrängt fühle, biefetbe mit ber „gebüljrenben Eourtoifie" 
oorsubringen, welche Heine ben ®oethelritifern sur Pflicht macht, 
inbem er biefelben auf baS Seifpiel jenes SdiarfrichterS Saris 
beS Erften oerweift, welker, bebor er fein trauriges Slmt ber* 
richtete, bor bem ffönig nieberfniete, um feine atterhödhfte ©er» 
Sei|ung su erbitten. 

SKöge man eS fogleich als einen StuSflu^ biefer „gebühren* 
ben Eourtoifie" anfehen, wenn ich bie Hoffnung unb ben SBunfdj 
auSfpredje, baß Herr SBagnet uns bei Gelegenheit noch mH “hn* 
liehen Äunbgebungen über wichtige unb bisher controberfe wiffen* 
fdjaftliche Probleme — wie etwa ben Urfprung ber SnfectionS* 
iranlheiten, bie antifeptifdje SBunbbehanblung unb bergleichen — 
hinweghelfen möge. ®ie gegenwärtige Eonfteßation bürfte ja 
einem folchen EntfeheibungSmobuS fchwieriger fragen burch ex 
cathedra gefprodjene unfehlbare Sleußerungen auch au f außer* 


lir^lichem Gebiete ßch nicht ungünftig erweifen. Sollten wir 
einmal einen SJiufifer als EultuSminifter befommen, fo wüßten 
Wir benn bodj ungefähr, waS Wir su tßun unb s« laßen, auf 
welches Programm wir $u fdhwören hätten, um unS mit bem* 
felben in mögtichft ungetrübter Harmonie su beßnben. UebrigenS 
hat, waS ich uid)t oerfdhweigen Witt, Herr SBagner en passant 
(S. 9) wenigftenS eine brennenbe Stage — bie ber begetariani* 
fthen Ernährung — bereits im Princip, unb jwar felbftberftänb* 
lieh su ®unften beS ©egetarianiSmuS, entfehieben. 

®er offene ©rief beS Herrn SBagner bietet, auch abgefeljen 
bon bem fpeciett berljanbetten ®hewa, ein allgemeines gutereffe 
burch bie offenbare innere Sufammengehörigleit unb ©erwanbt* 
fdhaft, Welche swifchen ihm unb gewiffen bietbefprochenen Sleuße* 
rangen unb Seftrebungen ber ©egenwart auf anberen ©ebieten 
obwaltet 9Ran fönnte, wenn man Wollte, jenen ©rief unter bie 
jefct fo beliebte Stubril ber „Slufreisung sum ®laffenf)aß" bringen; 
unb swar ift es, Wie ich an flagranten ©eifpielen weiterhin s«9 en 
werbe, ber ältliche Stanb (einfthließlich ber Phhffologen), welcher 
unglücflicfj genug ift, bie bolle Ungnabe unb ben 3ora beS Herrn 
SBagner auf fich geloben su hoben. ®a3 ®emeinfame aller jener 
gleichseitig auftaudjenben ©eftrebungen liegt bor Ment in bem 
agitatorifefjen Eharatter berfelben, in ber Seibenfdjafttichleit unb 
©ehäffigfeit ber gewählten Äampfweife. Entfpridht hoch biefer 
ganse, bon Herrn bon SBeber infeenirte unb patronifirte Setbsug 
gegen bie ejperitnentirenbe SBiffenfchaft auf ein Hoar jenen fpfte* 
matif^en Aufhebungen, welche wir je nach Umftänben gegen bie 
„rothe", bie „fchwarse" ober bie „golbene" gnternationale gerietet 
fehenl ©etbanfen wir hoch biefer Äampfweife hier ben „tnter* 
nationalen ©erein sur ©elämpfung ber Wiffenfdjaft* 
liehen ®hierfotter"*) fo gut, wie bort bie „Antifemiten* 
liga" ober jene neuefte unb wnnberbarfte ©ereicherung bet 
Sojilologie um bie SpecieS eines „®iftbaumeS" (noch basu 
eines fotzen, ber nicht gleich bem feligen SKanjanittobaume 
©cri6e=aKet)erbeer’fchen AnbenlenS in irgenb einer fabelhaften 
®ropeninfet, fonbern in europäifdj gemäßigten Sonen, ja fogar 
in bem Sanbboben ber SWarl, feine SBurseln auSbreitet). — 
®em ruhigen Beobachter lönnte es suweilen fdjeinen, als fei bie 
geiftige Atmofphäre unfeter 3eit mit einem 3ünbftoff gefättigt, 
ber oon langer H fl ub angehäuft unb oorbereitet nur beS leifeften 
AnftoßeS su Efplofionen bebarf: Ejploftonen, bie freilich ihren 
Urhebern suweilen gefährlicher werben als ben intenbirten Dpfern. 
Eulturhiftorifer, Pfpchologen unb Aerste werben gewiß an biefen 
charalteriftifihen 3e»terfcheinungen noch einmal eine intereffante 
©ef^äfttgung finben. Standes läßt fich faft nur bei ber An* 


*) ©egrünbet beit 19. Auguft 1879 unter bem Präfibtum »on Srnft 
bon SBeber. 


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374 


Sie ©egen wart. 


Nr. 50. 


nannte eines epibemifchen ober panbemifchen ©erbofiSmuS, einer 
burch bie culturetle Ueberentwidluug bebingten ejcefgüen ©eij« 
barfeit unb ©erftimmung — bilbtidh gefptodjen, burch ben (Sin: 
gug einet Art non nerböfem 9Ria3ma erftären. Sehen mir bodj 
fetbft fonft magboDe, auch burch Amt unb SBürben mehr als 
Anbere jurn ©taghalten berufene unb befähigte ©erfönlidjleiten 
jeitweife oon biefen geiftigen SBitbeln nuferer läge erfagt unb 
fortgerigen! 

Sie gleiche milbernbe Annahme biirfen mir wohl auch ju 
©unften beS $ertn SBagner bemerken, toenn wir faft auf jeher 
©eite feines — jum ©lüd nur 16 ©eiten einneljmenben — 
©tiefes ben fjeftigften, unqnalificirbarett Angriffen gegen ©hhgo* 
logen, Aerjte, unb bie auf ihrem 3ufammenwirlen beruhenbe 
wigenfdjaftliche $eillunbe unferer Sage begegnen. Sabon nur 
etliche ©toben. £>ier malt er (©. 14) unfere ©hpfiologen 
als „in ber Angft ihrer ©erlogenljeit auf bem Saume 
ber ©rlenntnig ^erumfletternbe Äffen". Sort Reifet es 
(@. 8), toit feien „eben übet bie grauenhafte Stümperei 
jener bem gtogen ©ublicum, namentlich auch unfern 
äRiniftern unb ©rinjen«©ätf|en ju ungemeiner §och« 
achtung unb unbetlejjlicher Obhut empfohlenen „SBiffen« 
fchaft" fo lehrreich aufgeflürt worben". ße|tere Auf« 
llärung ift auch f<h° n borget (@. 7) bahin conbenfirt worben, 
bag biefe als atternüfclichft erachtete „SBiffenfchaft" 
— bie SWebicin nämlich — „je mehr fie fidj ber pral« 
tifchen Erfahrung ju entziehen fucfjt, um fich burch 
immer pofitibere ©rlenntniffe auf bem SBege ber fpe« 
culatiben Operation jur Unfehlbarfeit auSjubilben, 
mit wadjfenber ©enauigleit erfennen lägt, bag fie eigene 
lieh gar feine SBiffenfchaft fei" (©b. bie SBiffenjchaft bieSmal 
als fdhutbloS uneingeflammert). — Sen Aerjten en gros wirb oieleS 
höchft Unberbinblidhe bon §errn SBagner gejagt; u. 91. apoftro« 
Phirt er fte (©. 15) mit folgenber, fefjr bemüthigenben Anfpradje 
unb Anelbote: „AtlerbingS wäre bann ju wünfehen, bag eure 
Shmft hierfür ausreiche. 3h r höbt aber nur unnüfce ßünfte 
gelernt, ©on bem bis auf einen gemiffen fernen Sag ju ber« 
jögernben Sobe eines fterbenben ungarifdhen Magnaten hing bie 
©rlangung gewiffer enormer ©rbfchaftSanfprüdlje ab: bie 3*üer« 
effirten festen ungeheure ©alaire an Aerjte batan, jenen Sag 
bon bem ©terbenben erleben ju taffen; biefe famen herbei: ba 
War etwas für bie „SBiffenfchaft loS"; ©ott weig, was Altes 
berblutet unb bergiftet warb: man triumphirte, bie ©rbfdjaft 
gehörte uns, unb bie „SBiffenfchaft" warb glänjenb remu« 
nerirt. ©3 ift nun nidjt wohl anjunehmen, bag auf 
unfere armen Arbeiter fo biel SBiffenfchaft berwenbet 
werben bürfte." — Sie in lejjteren SBorten enthaltene 3**fi= 
nuation hot fchon an einer früheren Stelle (©. 12) noch bra= 
ftifegeren AuSbrud gefunben. 3<h erinnere mich, ben ©ebanfen, 
bag bet Arjt jwifdjen reichen unb atmen ßranlen einen Unter« 
fdjieb macht, fchon in amüfanterer gorm gehört ju hüben — 
wenn ich mich irre, in einem ©oupletberfe bon „Serlin 
wie eS weint unb lacht". Sa ljeigt eS bon einem, ©adjts ju 
einem armen ©dhufter gerufenen unb geh als Iran! berleugnen« 
ben Arjte: 

„SEBenn ©idenbacb ©ebeünratf) toät’, 

Sa toftrft bu fdjon gefunb." 

©pag mug feint 3w ®tnfte aber Würbe jeber beliebige ©ralti« 
!ant einet mebicinifdhen ßlini! $errn SBagner barüber beruhigen 
lönnen, bag auf „unfere armen Arbeiter" recht biel SBiffenfchaft 
berwenbet wirb — bon manchen Ätinilern fogar meines SBiffenS 
bebeutenb mehr als auf bie „glänjenb remunerirenben" ©lieuten 
ihrer ©rinatfprechftunbe. 

SDtan möchte §errn SBagner feinen blinben ffiifer gegen bie 
Aerjte unb ©hhgotogen berjeiljen ober wenigftenS nadjgchtiger 
barüber urteilen, weil er fo energifdh für ©dhopenhauerS fchöne 
unb tiefgnnige SRoraltheorie beS ©UtteibS eintritt unb biefen 
moralifdhen gactor auch in unferem ©erhältnige jur Shierwelt 
als maggebenb anerfannt fehen möchte. SBer wirb biefem ©runb« 
gebauten nicht beigimmen! — allein in feiner Ausführung ber« 


irrt geh $err SBagner leibet auch wiebet ins URagtofe unb ge« 
rabeju Ungeheuerliche, ©ollen, bürfen Wir bei ber allgemeinen 
©mpgnbung beS SOtitteibS mit aller lebenben ©reatur benn gar 
teine guantitatibe Abftufung, leine ©rabe bet SBürbigteit, beS 
näheren unb ferneren SnteregeS mehr unterfd^eiben? unb barf 
baS Shiermitleib jur -ättitleibStoggleit gegen ben tränten.— ob 
aus eigener ©dfjulb ober fchulbloS tränten Sftenfchen auSarten, 
wie eS benn hoch nach mehrfachen Steuerungen bei $errn 
SBagner unzweifelhaft ber galt ift? 3Ran höre folgenben ©aguS 
(©. 11, 12): „SBir beradfjten ben ©ienfehen, ber baS ihm ber« 
hängte Seiben uidE»t ftanbhaft erträgt unb bor bem Sobe in 
wahnfinniger gurdjt erbebt: gerabe für biefen aber bibi« 
feciren unfere ©hhfiologen Shiere, impfen ihnen ©ifte 
ein, welche jener burch Saftet fich bereitet, unb unter« 
halten tünftlich ih?e Dualen, um ju erfahren, wie 
lange fie etwa auch jenem (Slenben bie tefete 9toth 
fernhalten tönntenl SBer wollte in jenem ©iechthume, 
wie in biefer Abhülfe ein fittliches SKoment erblidten?" 
— 34» nehme Act babon, bag hier wenigftenS implicite jugegeben 
wirb, eS feien jene Shierberfuche jum ©egen unb jur ©rhaltnng 
tranter — wenn auch, nach #erm SBagnerS SOSeinnng, erhaltungS« 
unwürbiger SRenfchen beftimmt unb bienlich- Aber Wie unerhört, wie 
gerabeju monftröS in feinen ©onfequenjen ift ber hier eingenommene 
©tanbpuntt beS moraiifchen AbWägenS bon ftranfheit unb ©chulb, 
bon ©eiganbSmürbigteit unb barjubietenber $ülfe! SBenn biefen 
©tanbpuntt allenfalls ber in abftracten ©ebeln herumwanbelnbe 
ffllotalift ohne ©achtheil für bie ©efettfehaft einhatten tann — 
©iemanbem unter Allen gejiemt er gdh weniger, ©iemanbem 
Wäre auch feine Surchführung unmöglicher als bem Arjte, 
begen ganje wigenfdhagliche SerufSbilbung, begen ganje ßung« 
leiftnng lebiglidh bem Siele juftreben, üRenfchen ju heilen, 
äRenfdhenleben ju erhalten, feien eS auch bie moralifdh unwür« 
bigften, berworfenften; begen ©jiftenjberechtigung bon jeher auf 
biefer ©afiS auSfchlieglich beruhte, unb ber als Abept feiner 
SBiffenfchaft hierauf jenen berühmten, bem $ippotrateS juge« 
fchtiebenen ©ib noch heutigen SagS ablegt? Aber freilidh, unfer 
©taube lautet nach $ernt SBagner (©. 10): „SBir hoben 
ein ©echt baju, taufenb treue $unbe tagelang ju mar« 
tern, wenn wir hierburdh einem SOtenfdhen ju bem 
„tannibalifdhen" SBohlfein bon „fünfhunbert ©äuen" 
ber helfen." ffiinem fo empörenben ©tauben gegenüber trägt 
$err SBagner benn auch tein ©ebenten — falls ber Staat nicht 
bie 9Renf<hheit fdjünbenben Herren ©ibifectoren ans 
ihren ßaboratorien turjweg hiuouswetfen will — bie 
Spnchjugij ber focialiftif^en Sßage für biefen S»ec! aufjurufen 
ober wo fie gdh — wie angeblich in ßeipjig in gorm bon ©in« 
bru<h in baS Dperatorium unb einer „tüchtigen Sracht 
©rüget an ben forgfamen Abwärter ber fdjeuglichen 
SRarterräume" — bereits bottjogen hot, butchouS gerechtfertigt 
ju gnben. 3o er meint fogar: „SBer möchte nicht ©ocialift 
werben, wenn er erleben foltte, bag wir bom Staat unb ©eich 
mit unferem ©otgehen gegen bie gortbauer ber ©ibifection unb 
mit ber gorberung ber unbebingten Abfdhaffung berfelben abge« 
wiefen würben? Aber nur bon ber unbebingten Abfdhaffung, 
nichts bon „thuntichftem ©ef^ränlen" berfelben unter „©taatS« 
aufgeht" bürfte bie ©ebe fein lönnen, unb eS bürfte hierfür 
unter ©taatSauffidht nur bie Affigenj eines gehörig 
inftruirten ©enSbarmeS bei jebet phhfiotogifchen ©on- 
ferenj ber betreffenben Herren ©rofefforen mit ihren 
„3ufchauern" berftanben werben." 

$err SBagner ift ergehtlich lein grennb bon holben SRag« 
regeln; er geht aufs ©anje! greitidh geben bie ©dhlugworte 
feines ©riefeS auch ber metancholifdjen ©efüregtung AuSbrud, 
bag er unb bie übrigen ©efürworter fo tabicaler SKagregeln 
hierüber berfpottet, bon unferer ©ational«3ntelligenj jutüdge« 
Wiefen werben lönnten, bag bie ©ibifection in ihrer ögentlidhen 
unb pribaten ©lüthe fortbeftehen bliebe. Sann freilich, fo fchtiegt 
er, „hätten wir ben ©ertheibigern berfelben weniggenS 
baS eine ©ute ju berbanlen, bag wir aus einer SEBelt, 
in welcher „lein $unb länger mehr leben möchte", auch 


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N r. 50. 


9ie <5egenmnrl 


375 


als BRenfdjen gern unb willig fdjeiben, felbft wenn uns 
fein „beutfcheS {Requiem" nadjgefpiett »erben bürfte!" 

ÜRan fielt, ©etr SBagner entfenbet nodj im gliehen, wie 
ber ©artljer, bie fcharfen ©feile — unb nicht btoS nach einer 
©eite. „SaS war SeES ©efc|oh", mag ber bei ben lefcten SBor« 
ten ganz ahnungslos — hoffentlich nicht attju fdjwet — getroffene 
Kunftriöal ©rahrnS auSrufen. 

SBir aber tuoEen, feurige Sohlen auf ©errn ÜBagnerS ©aupt 
fammelnb, ben ernftlichen SBunfdj auSfprechen, bah bie Seit beS 
SRachfpielenS — fei eS beS beutfdjen ober irgenb eines anbem 
{Requiems fiir ihn noch recht fern fein möge, unb bajj er 
uns jutior noch recht oft Gelegenheit gebe, über bem genialen 
Sejt« unb Sonbidjter ben fonberbaren ©rieffteEer, ©iöifectionS« 
gegner unb Slerjtefeinb grünblich zu oergeffen. 


Die &öd)ter|tyttlett in Jrankwid). 

85on 21. Schneegans. 

ÜRan muff bis in baS galjt 1833, unter bie gutimonarcf)ie, 
herauffdjreiten, um enblich ju einem, baS ©olfsfchulwefen, aber 
auch Wieber für bie Knaben allein, organifirenben ©efe|e ju ge« 
langen, unb bem non ben ßiberalen fo heftig angegriffenen 
ÜRinifter ®uijot wirb eS auf immer jum {Ruhm gereichen, feinem 
ßanbe, nach hoffen parlamentarifchen Kämpfen, biefe ©rtungen« 
fchaft bauernb gefiebert zu hoben. Sie ÜRäbchen aber famen 
abermals ju furj; ber ÜRinifter muffte fich nolens volens baju 
entfdjlieffen, baS Kapitel öon ben ÜRäbdjenfchulen öon bem ©nt« 
würfe ju ftreidjen; nur unter biefer ©ebingung fonnte er mit 
ber ©rünbung öon Knabenfdjuten burchbringen, unb jwar waren 
eS ganz fpecietl finanzielle ©ebenfen, Welche bie ÜRajorität ber 
Kammern in bie, für manche ülbgeorbnete freilich gar nicht 
bittere ütothwenbigleit toerfefete, ihre ©inwiEigung ju ben Knaben« 
faulen biefer ©ebingung ber Aufopferung ber üRäbchenfdjuten 
ju unterorbnen. ©in neuer Anlauf würbe burdj bie jweite 
SRepublif im galjre 1848 gemalt, um enblich ben ©ollSunter« 
rieht ber ÜRäbchen bemjenigen ber Knaben gleichjufteHen. ©in 
©ntwurf Warb öon bem ÜRinifter ©arnot, unter ©eriehterftattung 
beS Abgeorbneten ©arthelemq ©aint ©itaire, bem langjährigen 
greunbe beS ©errn St)ierö, ber ütationatöerfammlung öorgetegt; 
jebe ©emeinbe öon mehr als 800 Seelen foEte eine ©olfSfchule 
für ÜRäbchen hoben; in ben Heineren ©emeinben foEten ÜRäbchen 
unb Knaben biefelbe Schule befugen. ÜRäbchen« unb Knaben« 
fchulen Waren in zwei Kategorien eingetheilt worben: bie ©te« 
mentarfchulen unb bie heberen ©«holen (Ecoles supbrieures) 
unb folgenbeS ift baS Programm, baS man für biefe lefcteren 
ÜRäbchenfdjuten öorgefchlagen hotte: Unterricht in ber ÜRorat 
unb ber {Religion, „perfectionirteS" ßefen unb Schreiben; 
©rammatif, Auffafc, Aritljmetif, ©omptabilität, ©uchführung, 
Seichnen, ©hhfil, SRaturgefdjidjte, ©eograpljie, ©efchidjte, fpecieE 
für granf reich, Hausarbeiten, ©efang, ©hmnaftil. 

©ebenft man, bah iw 3«hre 1833 nach ben officieHen ©e« 
richten tn ganz gronfteieh, WaS taum glaubbar erjeheint, nur 
1014 ÜRäbchenfchulen ejeiftirten, bah ouch nach bem ©efefce öon 
©uizot bie ÜRäbchenfchulen als „freie" behanbelt würben, ber 
©olizei beS ©räfecten unterworfen waren unb öon bem Staat 
webet ©uböention noch Unterftüfcung irgenb welcher Art er« 
hielten, fo wäre man faft üerfucht bie Programme beS Wahres 
1848 in bie gleiche SRei|e mit jenen überfchwänglichen Sräumen 
Zu fteflen, bie bamals auf anberen ©ebieten, in ber güUe ber 
ben ©erhältniffen nicht {Rechnung tragenben ©houtafie ber ©ollS« 
oertreter granlreichS entfprangen. Unb bennodj ftehen wir ^tcr 
öor bem erften Anlauf ber ©ewegung, bie mit einer wirtlichen 
Drganifation ber nieberen ÜRäbchenfchulen enbigen follte. ÜBaS man 
im gahre 1848 mit mehr ©egeifterung als ©efüht ber ÜRögliditeit 
öerfud)t hotte, baS würbe im galjre 1850 unb bann im galjte 
1867 Weiter unb, was bie ©olfsfdiule anbetrifft, faft ju ©nbe 


geführt. ©S muh unS ein gewiffeS Staunen befallen, wenn Wir in 
bem ©eridjt beS repubtifanifchen Abgeorbneten öon 1879 feljen, Wie 
leichtfertig unb fdjnetl hingteitenb öon ben beiben ©efefcen öom 
15. ÜRärz 1850 unb öom 10. April 1867 gefprodjen wirb. 
Siefe ©efefce waren eben, was ÜRanchem h e “te feljr unbequem 
fcheinen mag, aus ber üteactionSperiobe unb aus bem Kaifer« 
reiche felbft h^röorgegangen, unb eS fcheint, als ob bie republi« 
fanifchen Kammern grantreichS no^ nicht auf biefer £ölje ber 
Dbjectiöität unb ber ©iHigfeit angelangt wären, wo man bie 
©orzüge felbft feines ©egnerS tobenb anzuertennen oermag. 

@S ift bieS ein bebauerlicheS unb in feinem innerften SBefen 
nidht für bie jeftige ©eifteSrichtung fprechenbeS Seichen; benn 
eine ©artei ehrt fich felber, Wenn fie ihren ©orgängem, beit 
©egnern, bie bie neue ^Regierung erfefcte, im öoRften ÜRahe ©e« 
redjtigleit wiberfahren läht. SBaS bie befonberS h*w in ©etradht 
tommenbe grage anbetrifft, fo müffen aEe biejenigen, bie fidh 
irgenbwie mit bem franzöfifetjen Sdhulwefen befaht hoben, fich 
feltfam betroffen fühlen, Wenn jte öor biefer ©eringfehäfcung ber 
ßeiftungen beS KaiferreichS auf bem ©ebiete beS ÜRäbchenfchul« 
»efenS ftehen. ÜBarutn foüte man benn bem Kaiferreidhe auch 
bas wenige ©ute, baS es geftiftet, öertümmern? Unb fchlägt 
fidh baS franzöfifche ©olf nicht inS eigene Slntlij}, Wenn eS jefct 
bem öon ihm ja mährenb zwanzig Sohlen unter Subei unb ©e= 
geifterung unterftü^ten Kaiferthum ein folcheS StrmuthSzeugnih 
gibt? Salb Wirb ein 3oh*Zeh n t berlaufen fein, feitbem baS 
Kaiferreidj z u f“wmenbrach; eS wäre Wohl an ber Seit, bah 
ber ©arteihah öerftummte unb bah wan mit flarem ©liefe unb 
mit freiem ©eifte ein unbefangenes, rein fachliches Urtljeil über 
jene ©eriobe ber franzöfifchen neueren @efcbicf)te fällte, bie — 
Schreiber biefer Seilen batf eS wohl Jagen, ba er niemals zu 
ben Ülnhängern beS faifertichen {Regiments gehörte — bie neben 
groben, öerljängnihbofien Schwächen unb gehlem benn bodj bem 
franzöfifchen Reiche in mancher ^inficht, in materieEer befonberS, 
aber auch ouf bem ©ebiete beS öffentlichen SChulwefenS nicht 
Zu öerfennenbe ®ienfte geleiftet hat. 3n bem ©efe| öom 15. ÜRärz 
1850 wirb (Kapitel V) baS ©otfS« ober ©rimärfchulwefen für 
ÜRäbchen infofetn geregelt, als angeorbnet wirb, bah bie ÜRäbchen 
basfelbe lernen müffen, WaS in bem ©rogramm ber Knaben-- 
fchulen fteht, nämlich, neben ber {Religion unb ber ÜRorat, ßefen, 
Schreiben, {Rechnen, bie ©runbelemente ber franzöfifchen Sprach« 
lehre, baS metriJChe Spftem ber ©emichte unb ÜRahe, fobann, 
aber nur facultatiö, ©efchicfite, ©eographie, ©hhfit, ütatur« 
gefchichte u. f. w. 3n ben ©täbchenfchulen fommen noch bazu 
bie weiblichen ^anbarbeiten. gebe ©emeinbe öon 800 Seelen 
unb barüber ift burdj baS ©efej} öerpflichtet, aus ihren ©om« 
munatmitteln wenigftenS eine üRäbChenfchute z» unterhalten, 
gn biefer tehterm ©eftimmung liegt ber eigentliche Keim beS 
ganzen üRäbchenunterridjtS in grantreich, foweit eS fich um 
©rimär«, ©lementar« ober ©olfsfchulen honbett, ©on bem Sage 
beS gntrafttretenS biefeS ©efefteS barf behauptet werben, bah 
granfreiefj mit feiner ©ergangenheit in biefer ©inficht enbgültig 
gebrochen hotte, unb bah ber üRäbCfjenunterricht aus ben Klofter« 
fchulen heraus in bie ©änbe beS Staats übergegangen war. 
©ieteS war freilich n0( h i u erringen; aber ber Ütttfang war 
jebenfaES gemacht, ber ©runbftein gelegt, gm gahre 1867 
würbe bieS ©efe© öeröoEftänbigt; nicht mehr mit 800 Seelen, 
fonbern fchon mit 500 muhten bie ©emeinben ÜRäbchenfchulen 
grünben, WaS zur gotge hotte, bah grantreiCh im ßaufe öon 
wenigen ÜRonaten 5000 ÜRäbchenfchulen mehr zahlte als bis 
borthin. gerner, unb eS ift bieS ein befonberS beadjtenSmertheS 
ÜRoment, würbe burch baS ©efefc öon 1867 bie bis baljin äuherft 
preeäre unb jämmerliche ßage bet S^ullehrerinnen (institutrices) 
infofern regulirt unb öerbeffert, bah ber Staat ihnen ein ©eljalts« 
minimum garantirte, baS ©eljatt erhöhte unb bie ßehrerinnen 
überhaupt ben ßehrem gleidjfieEte. Stuf biefe ÜBeife warb es 
möglich, nach unb nach e i ne gröbere Wnzaijt öon ßaientehrerinnen 
anzuziehen, obgleich, wie ja aEbetannt ift, bie Sohl ber in ben 
©emeinben, ber finanzieflen ©ortheüe wegen, beliebten Schul« 
fdjweftem biejenige ber ßaientehrerinnen bis auf ben heutigen 
Sag noch um ©ieleS iiberfteigt. 


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376 


Äegenmart. 


Nr. 50. 


£>atte bie faiferlicpe Regierung, ixt richtiger SBütbigung bet 
ÜJebürfniffe beS ScpulmefenS, biefe große Reform in bem $ri= 
märunterrtcpt ber Rtäbchen üoßbracht, fo mürbe bod)' für ben 
popeten Unterricht oiel meniger getpan, obgleich mit auf biefem 
©ebiete auch eine nicht ju oerfennenbe Rerbefferung bet oor: 
maligen Suftänbe conftatiren muffen. Der (Staat unternahm es 
jmat nicht, burcpauS gute ^ö^ere Döcpterfcpulen ju errichten, eS 
blieb bieä ben fommenben ©enerationen unb bet jefeigen Regie: 
rung überlaffen, aber er fuchte hoch bie barnats beftehenben 
Slnftalten, bie üon ihm abhingen, üon ©runb aus ju oerbeffern. 
Diefe Slnftalten, oon melden meitet oben fchon bie Siebe ge= 
mefen, ftammten aus ber etften Äacferperiobe; es maten bie 
Maisons d’Education oon Saint: Denis unb Scouen, benen fich 
eine britte Les Loges beigefeflt patte. S3erfcpiebene faiferlicpe 
Decrete üon bem 3apre 1857 an unternahmen ei, biefe Sln- 
ftalten einer gtünblichen Slefotm ju unterziehen unb man barf 
mit Siecht behaupten, baß fie, nach biefen Steformen, ben 2tn= 
forberungen, bie man an eine höhere Döcpterfcpule ju fteßen be= 
rechtigt ift, töflig ©enüge leiften. @3 mag hier ba8 Programm 
oon Saint:Denis, als S3eleg, folgen: 3« ber untern Section, 
ber Rrimärfcpule, mirb ber für bie ©lementarfchulen üorgefcprie: 
bene Unterricht im Sefen, Schreiben, Steinen, ©rammatif, ©eo= 
metrie u. f. m. ertpeilt; in ben höheren klaffen fomrnt baju: 
ber SBeltgefcpicpte, mit befonberem £>inblid auf bie ©efchichte 
granfreicpS, bie ©eograppie, bie Siteraturgefcpicpte granfreicpS 
unb ber europäifcpen Staaten, Rppfif, ©pemie, ©otanif, Soologie, 
SRineralogie, £>pgiene unb ÜKebicin (medecine usueUe), ©nglifcp, 
HoSmograppie, Beicpnen, 0el: unb SBaffermalerei; SJtufif, @e= 
fang unb Slaoier, enblich meibliche fjanbarbeiten: Slähen, Striden, 
Stiden u. f. m. 

Diefe brei Slnftalten lonnten aber benn hoch nur al8 ein 
Heiner Slnfang für ba8 höhere Unterricht8mefen gelten, unb man 
muffte, nachbem bie Hkimärfcputen fiep über ba8 ganze Sanb 
Oerbreitet Ratten, eritftlicp baran benfen, für bie 9Räbcpen bie= 
felben höheren Schulen ju grünben, bie in ben Spceen unb 
©oflegeS für bie Snaben beftanben. 3m 3apte 1867, bei 58e= 
rathung ber UnterricptSgefepe, trat ber um baS Schulmefen fo 
hochoerbiente fpätere SRinifter, 3ule3 Simon, energifcp für biefe 
Reform in bie Scpranfen: Selbft in ben höchften Renfio-- 

naten," fagtc er, „erhalten bie SRäbcpen nur eine oberflächliche, 
uuüoßftäubige (futile), auf bie ©efeßfcpaftSfünfte befcpränfte 
(toute darts dagrement) ©rziepung, ohne liefe unb ©ruft. 
2>ie grauen, melche oon ber Statur mit einem fo offenen 
©eifte, mit einem fo fieberen Dafte, mit einem fo feinen 
©efüpte auSgefcpmüdt morben ftnb, . . . mir machen au8 
ihnen aitfgepupte ©öpenbilber ... SEBir möchten nun bie grauen 
ju intelligenten ©efäprtinnen ihrer SRänner machen. Sliemanb 
mirb aber behaupten lönnen, baß ber Unterricht, ben fie jefct 
erhalten, fie ju biefer Roße befähige ..." 3n golge biefeS 
oon bem gefefcgebenben Körper gegebenen SlnftoßeS oerfuepte 
ei ber SRinifter Dump, ben popeten grauenunterrieht in 
granlreich ju organifiren. Sa aber ber Staat feine ÜRittel 
jur £anb hatte, ba baS ©clb fiep im Sanbe bet groffen miti= 
tärifepen ©Epebitionen oerlief, fo mußte er zu SluSpülfSmitteln 
greifen, bie eben nicht au8reicpten: ei mürbe eine „Slffociation 
für ben höheren SOtäbchenunterricht" gegrünbet, unb biefe ©e« 
feflfcpaft eröffnete SBortefuugen über Literatur, ©efchichte, ®eo= 
graphie u. f. m. 3« $aris nnb in ben größeren IßroüinziaU 
ftäbten mürben folche „Cours“ organifirt; im ©anzen brachte 
man e8 aber nicht toeiter al8 zu 39. Diefe Söorlefungen zogen 
mährenb einem ober jtuei 3ahren bie beffete ©efeflfepaft in ben 
tjJroüinzialftäbtenan; e8 mar zur SRobe gemorben, baß bie grauen 
nnb Död)ter ber ^Beamten fie befugten; bie fßrofefforen ber oer= 
fchiebenen gacultäten mürben Oon ben Rräfecten höflichft aufge: 
forbert, ihre Kräfte unb ft'enntntffe biefem Unternehmen zu 
mibmen, unb fo lange ber officieUe 3mpuld ftarf genug blieb, 
fo lange blieben auch bie SJorlefungen im Scpmunge. SBie ei 
aber bei folgen nicht burch ein ©efefc in8 Seben gerufenen, unb 
lebigtich auf bem Sßohtmotten bet höh«*« Steife bafirenben 
Unternehmungen zu gehen pflegt, fo erlahmte halb ber 3mpul8 


unb fdjliefen bie SBorlefungen ein. SBon ben im 3uh tc 1887 
eröffneten Cours mürben brei fchon im nädjften, flehen tm jmeiten 
gefchloffen; bie anberen frifteten eine SBeile noch ein fümmer- 
licheS 5)afein, unb heute finben fich, mit ben nach 1870 neu 
eröffneten Sorlefungen, faurn etma z e h n folcher Schulen oor, in 
melden einige hunbert SDläbdjen einen im ©anzen fehr Ober: 
flädflichen höheren Unterricht genießen. 

2)ie8 ift bie jefeige Sage be8 höheren SKäb<henunterridht3 
in granfrei^, unb biefer Sage foH ba8 ber Sammet oorgelegte 
©efeh aufhelfen. $iefe8 ©efe| befteßt nun aus z e h n ^ßuta: 
graphen, bie mir im golgenben zufammenfaffen: Ser Unterrichts: 
minifter mirb angemiefen, fich mit ben SRunicipalräthen in 58er: 
binbung zu fe|en, um feftjufteßen, in metd}en Departements unb 
in melden Stäbten höhere lö^terfchulen, mit ©gteroat unb 3ntemat, 
zu errichten finb; in ben Departements, in melchen bie SRöglich- 
feit nicht üorljanben fein mirb 3ntemate zu grünben, foD ber 
SKinifter Dochterfchulen, in benen bet Unterricht nur eEtemen 
Schülerinnen ertheitt mirb, errichten; alle biefe Slnftalten merben 
üom Staate, mit Zuziehung beS Departements unb ber Stäbte, 
gegrünbet unb unterhalten; biefelben gactoren grünben Stipern 
| bien, melche burch e <ue oon bem SKinifter ernannte ©ommiffion 
an bie Schülerinnen uub jüngeren Sehretinnen üertljeilt merben; 
ber Unterricht erftredt fich au f folgenbe ©egenftänbe: bie SJloral, 
bie franzöfifche unb menigftenS eine frembe Spraye, bie alten 
unb neuern Siteraturen, bie ©eograpljie, bie ©efchichte granf: 
reichS unb ein Stpercju über bie allgemeine ©efchichte, bie äJtathe= 
mathif, iphhfit unb Slaturmiffenf^aft, bie $pgiene, bie güßrung 
eines Haushaltes, bie $anbarbeiten, einige, im gemöhnlichen Sehen 
nothmenbige SlechtShegriffe, enblich Beiden, Singen, ©hmnaftif. 
SBaS ben Religionsunterricht anbetrifft, fo mirb ben 5Bertretern 
ber üerfdjiebenen ©laubenSbefenntniffe, menn es bie ©ttern 
münfehen, ber ©intritt in bie Slnftalten geftattet; fte bürfen aber 
nicht in ber Schule toohnen. ©S fann biefen höheren Dächtet: 
fchulen ein ©urfuS ber ißäbagogif für bie Schülerinnen, bie fich 
bem Sehrfache mibmen, angefchloffen merben; bie Schülerinnen 
erhalten bei ihrem SluStritt nach gtüdlich beftanbenem Spanten 
ein Diplom. 3«ber biefer Slnftalten mirb eine Directorin oor: 
gefteüt; ber Unterricht mirb oon Seßrern unb Sehrerhtnen er: 
theilt, bie aber fämmtlich biplomirt, bezm. üom Staat zum 
Sehramt berechtigt fein müffen. 

Dies ift ber ©efefeentmurf, ber in ber nächften Seffton ben 
franzöfifchen Kammern oorgelegt merben fott. Dem ©tat beS 
UnterrichtSminifteriumS merben jebenfaßs baburch große Saßen 
ermachfen; aber zum Sobe ber je$igen Regierung fei es gefagt, 
granfreich feßeut fich uicht, fich für bie heilige Sache beS Unter: 
ridjtS große 0pfer aufzulegen unb fo fpärlich in früheren De: 
cennien bie ÜRittet für bie Unterhaltung ber Schulen floffen, fo 
reichlich fließen fie heute. SSirft man einen SSlid auf bie fran= 
Zöfifeßen SubgetS feit bem Slnfang biefeS 3uhrhunbertS unb Oer: 
gleicht man bie Summen, bie heute zu biefem 3toede OeranSgabt 
merben mit benjenigen, bie unter bem ^aiferreidj unb unter ben 
Sourbonen bemißigt mürben, fo lann man nicht umhin, ben um 
ermeßlichen gortfeßritt zu bemunbern, ber ft^ in biefen Suhlen 
belunbet. Unter ber Regierung beS Königs SubmigS beS ä^t= 
Zehnten, noch 1815, mar für baS gefammte SoÜSfcputmefen 
bie Summe oon jährlich 50,000 gr., fage günfzigtaufenb gtancS, 
auSgemorfen; im 3ahre 1828 fiepen in bem ©tat für ©ultuS 
unb Unterricht zufammen 35 SRißionen grancS, oon melchen ber 
©ultuS für fich ußein 33,175,000 gr. in Stnfprnch nahm, unb 
bie anbern 1,825,000 gr. bem gefammten Unterrichtsmefen groß« 
mütpigft überläßt. Rach ber Reoolution oon 1830 fangen bie 
UnterrichtSbnbgetS an tangfam zu fteigen: im 3ap« 1832 er: 
hält ber pöpeee Unterricht 1,800,000 gr., ber SolfSnnterricht 
eine SRißion. 3m 3opre 1836 finben mir 13 SRißionen für 
baS gefammte Schulmefen, moüon b l / t für bie SBolfSfcpuIea. Die 
gebruarreoolution berboppelt biefe Summen, unb ^ auf biefer 
Stufe bleibt man, opne erhebliche Steigerung, bis nach bem 
Sturze beS zweiten ÄaiferreiCpS ftepen. Ra^ bem^3uh>< 1871 
aber fepen mir bie ©ubgetS beS Unterrichts in einem fortmähren: 
' ben Steigen begriffen: im SBubget oon 1876 merben 38 SRißionen, 

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Nr. 50. 


Ste dfegettwart. 


8 11 


im 3a^te 1877 49 ÜDHßionen, im 3ah« 1879 endlich 57 äRiflio» 
nett für ba« gefommte Schulwefen aufgeworfen, unb baoon fallen 
30 ßRiflionen auf bie Soll«» über fßrimärfchulen. ®ie Sommern, 
bie fidj biefe Opfer für bie SolfSfchulen auferlegten, werben gewift 
nicht oor einer SRehrbetaftung be« Budget«, ba« bie Errichtung unb 
Unterhaltung be« ftö^crett Xöcfjterunterrichte« jurn Bwede ^at, 
jurüdfdjreden, unb tann man fomit heute fdjon mit Sicherheit 
barauf rechnen, baft in ben ttächften 3af|«n bie in bem oben 
erwähnten ©efefcentwurf borgefdjlagene SReform, fei es in bet 
bon ber Eommiffton formulirten Seife, ober in einer anbern, 
fich »etwirflichen wirb, ftranf reich, ba«, wie ber Bericht be« 
#erro Eamifle S6e es hftbortjebt, lange gewartet hat, um auf 
biefem Gebiete oorjugeljen, unb ba« nach aßen anberen Staaten 
in bie Sdjranfen tritt, befifet ©hrgetj genug, um, wo einmal ber 
Änfloft gegeben ift, mit niftiger unb {tarier $anb ba« begonnene 
Serf ju boßenben. 


cfttetatur unb #««{!. 


„3Uw meinem Ceben.“ 

Son Soui« ©chneiber.*) 

@3 ift nur ein 3aftr her, ba haben wir ihn noch gefeljen, 
ben Sector be« Saiferf, ben ©eheimen $ofrath, beffen ehr* 
Würdige«, faft paftorenartige« 9tenftere« ben früheren Siebling unb 
Vertreter be« bramatifd» fomifdjen Sache« taum erlennen lieft — 
im boßen Seben bewegte er fich uoch, ba« ihm treu geblieben war 
in geiftiger unb förderlicher SRüftigfeit bi« in feine hohen Sehen«» 
fahre. Unb nun liegt fein lobtenfchein bor un«, in ©eftalt eine« 
ftattlidjcn Banbe«, ben bie Serlagsbudjhanblung bon SRittler unb 
Sohn au«gefteßt hat. Sein Seben foßte feinen lob bebeutett. 
So War e« bon ihm bei Sebjeiten beftimmt — ba« ßRanufcript 
feine« currioulum vitae lag brudfertig ba. SEBie bei feiner lobe«» 
anjeige bie Samilie nur ba« SDatum auSjufüßen brauchte, fo 
hatte bie Serlag«hanblung nur ba« 3“hr be« Erfdjeinen« be« 
Suche« Ijinjujufügen. 9fle SEBelt fannte bie Bejahungen be« 
Beworbenen ju Saifer Silhelm — afle Seit war felbftberftänb» 
lieh auf ba« Erfcheinen biefe« Suche« gekannt — unb aße Seit 
legt ba« Such bießeicht etwa« enttäufefjt au« ber £>anb — biel» 
leicht weil aße Seit fich bom erften Sanbe be« auf mehrere 
Sänbe berechnenben Serie«, bom Seginne biefe« fo biel bewegten, 
nach aßen ^Richtungen hi* taftenben, fchauenben, pacEenben, thei» 
tigen unb erfolgreichen Seben« ju biel besprochen hat. ®ie Sefer 
erwarteten Einblide in Serhältniffe, bie ihnen fonft berfcftloffen 
finb, fie berlangten, einen Slid hinter bie Eouliffen be« Seit» 
theater« ju ttjun, auf beffen Scene bie ©roften unb ßRächtigen 
agiren, fie fpifcten fich auf @<hilbernngen ä la Samatow, fie 
Wünfchten 3nbi«cretionen, ja bießeicht h* e unb ba hätte man 
fich an einem Sfanbälchen erguidt. ®a« borauSjufefcen, hätten 
fie ben alten Herren beffer lennen müffen. Sticht« bon aße 
bem. SRöglicher» fa wahrfcheinlichetweife werben bie fommenben 
Sänbe bemungeachtet manche« neue Streiflicht auf hiftortfehe 
Sorgänge werfen, in beren Srei« ber Serftorbene ftanb. ®ie 
Steugierbe wirb auch nach biefer Seite hi« ih re Befriedigung 
finden. Sorläufig müffen wir fie einer ebleren ßtegung opfern 
— bem 3«tereffe an ber §iftorie be« SRenfchen. ®iefelbe be» 
ginnt in bem Suche bielberfprechend burch bie Schilderung ber 
3ugenbjah«. Äße berartigen ®arfteßungen finb ©emeingut be« 
ftßberftänbniffe«, weil in biefer ©poche be« Seben«, wo bie 
Sahnlinien beSfelben fich noch nicht berbielfältigten, treusten 
unb oerjweigten, 3ebermann ba«felbe erlebt, gefühlt, gewünfdjt, 
erftrebt hat. ®er Stntljeil an berartigen ©rjäljtungen wächft, 
wenn ein weiterer Stuäblid, ein gereifter ©eift ba« 3nbibibuefle 
burch t»en $inwei« auf ba« Slßgemeine ju beleben, erweitern, 
Oertiefen oerfteht, wie ba« bem Äutor in ben jWei erften 9b» 


*) l. Sb. 8. 428 <5. Sertin 1879, ®. ©. Sftittler unb ©oljn. 6 SR. 


fchnitten be« Suche« „®ie Äinberjahre (1805 — 1818), bie 
Slegelfahre (1820—1824)" gelungen ift. 3« geiftig lebenbiger 
9nf<haulithleit fehen wir ben Knaben mit feinen, bem Schau» 
fpielerberufe angehörigen ffiltent auf ben fünftlerifdjen $reuj» 
unb Duerfahrten, bie ba« Schneiber’fdje ©hepaar bi« nach Stuft» 
lanb führten. 3m weiteren Serlaufe ber Serhältniffe fteßt ber Ser» 
faffer fich un« al« Serliner Straftenrange bar, wir folgen ihm auf 
feinen 3**fahrten burch oerfchiebene Serliner Schulanftalten, auf 
bie er mit fouoeräner Seradjtung herabfteht. — ®r war unb 
woßte fich feibft Schule fein — unb hat ba« gehalten unb feinen 
©eift geführt, fein Seben geftaltet, juft nach eigener SRanier. 
Schneider war ber Stutor feinet feibft; er fpielte feine eigene 
Xonart. ®iefelbe hatte fich f^» n früh belunbet, oielleitht be» 
günftigt burch bie regellofen, familiären unb politifdjen Serhält» 
niffe, iit bie feine 3ugenb fiel — furj er ftanb auf fich feibft. 
3)er junge Schneiber war ba« Sorbilb für ben jungen Schneiber. 
S)a« fouoeräne SRe^t ber 3nbioibualität bricht fich überaß Sahn. 

Senn e« bo<h in ben folgenben Kapiteln be« Suche« fo 
fortgegangen Wäre, wie e« angefangen! Sie bie Siebeägefthidjten 
3eben, ber fie erlebt, jum S°eten machen, fo wirb in feinen 
3ugenberinnerungen ber Sdjreibenbe jum ^iftoriler, jum Sf9<ho» 
logen — ju 9flem, wa« intereffirt, feffelt, ergö^t unb feibft 
hinreiftt. 9ber Oon ba bricht bie fortlaufenbe gront, um mich 
im ©eifte be« Serfaffer« eine« militärifcften Silbe« ju bebienen, 
in Sectionen — in Büßen ab. Sa« aßgemein menfehlich war, 
Wirb e£dufio, wa« al« ©mpfinbung fich ßab, geftaltet fi<h jum 
äufteten Silbe. Schneiber war, wie bereit« bemerlt, ein Sirtuo« 
ber Ißerfönlichfeit, er würbe eS nicht burch feinen früheren Se» 
ruf, fonbern bie ftarl ausgeprägte Subjectioität brachte ihn ju 
biefem Serufe. 

®er Sefer wünfdjt bon biefem Seben«gange mehr ju er» 
fahren — einen ©inblid in biefen Socuö be« fich feibft Se» 
ftimmenben ju thun — fein Sortfchreiten jum Zünftler, jum 
ßRann, jum Schriftfteßer, jum militärifchen Specialiften ju Der» 
folgen. $)iefe ©enefi« wirb unterbrochen ju ©unften bon ein» 
jelnen lofe jufammenhängenben, unbermittelten Seben«bilbern — 
in benen gerabeju wichtige Seben8abfd)nitte theil« anticipirt, weniger 
anjiehenbe bagegen wiederholt Werben. ®iefe Ungleichmäftigleit ber 
3orm beeinträchtigt bie Stimmung ber Sefer. — ®a« Sntereffe 
bricht fich, namentlich burch ba« ©infdjiebfel ber Seridjte über 
ba« englifche Xheater.' $ier tritt ber ftafl ein, wo ber 9utor 
ben Sefer bergaft unb ba« gadjintereffe mit bem Slflgemein» 
intereffe berwechfelte. Sie banlbar würbe Sefcterer in gleicher 
9u«behnung Setra^tungen über ba« beutfehe Xheater jener 
Beit entgegengenommen haben — über ba« Serliner fowohl, 
al« über bie Sühnen, an benen ber Serfaffer feine Sanberjahre 
berbradjt hatte! @r hatte mit aßen Sorpphäen be« Serliner 
Schaufpielhaufe« auf ben Srettem geftanben, burch feine wiffen» 
fchafttidfen Seftrebungen, burch feine f^riftfteßerifchen Slrbeiten, 
feine geiftige Sefähigung würbe er tro| feiner 3«genb bon ihnen 
al« par inter pares geachtet — et hatte hinter biele ©ouliffen 
gegudt — er hatte fich faß 0 * bon 3i»mermann in $>üffelborf 
meiftern laffen. Selcfte werthboßen Seiträge würben wir ber» 
möge feiner UrtheilSfthärfe, feine« geiftigen Ueberblid«, feiner 
Erfahrung, feiner ©inblide in ba« SRetier für bie ©efdjidjtc 
unfere« beutfe^en Iheater« erhalten haben! Sa« bagegen finb 
un« bie Schilderungen au« bem Bufammenfein mit ben ßRatljem«, 
ffemble«, Seane« — bie Berichte übet bie Sonboner Theater im 
3ahre 1842! 3)en 9Rann bon gaeft werben barauS einige §ppo» 
thefen über fandet interefftren — aber fonft — ber Sefer blättert 
fdjneß Weiter. 2>ie heutige Seit hat feinen URaftftab mehr für 
bie Beit, in welche bie Sagend Schneider« fiel. S)ie Sitten 
fennen fie noch, aber wie Senige bon ihnen finb noch ba! 9Ran 
wuftte damals noch nicht« bon ben Schlagwörtern be« Sage«, 
wie Äönig«treue, Sopalität u. f. w. — man fprach ni^t bon 
ber Samilte ber ^ohenjoßern, man fannte nur ben Sönig bon 
Sreuften. ®ie Jreue für ihn unb fein #au«, in ber fich ba« 
Staats» unb ÜRationalgefüht bertörperte, warb nicht al« frei» 
wißiger 9ct ihm entgegengebracht — fie war eine Sflicht, ein 
©efe^. ®a« Unglüd be« Saterlanbe« hatte baSfelbe bictirt. 

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378 


Sie Gegenwart. 


Nr. 50. 


©on biefem ©eftptspunfte auS muffen alle bie Kapitel betrag: 
tet »erben, welche baS perfönlipe ©erpältniß beS SSerfafferS 
ju bem Könige griebtip Silpelm III. bepanbeln. $ier wirb 
baS ^ntereffe namentlich beS pteußifpen Sefetö wieber ne« ans 
gefaxt, grifp, lebenbig, anfpaulip getrieben, wie alles Setbft« 
erlebte fich ja boch non felbft geftaltet, im Stoffe anmutpenb, in 
ber gorm bem Snpatie fich anpaffenb, nehmen fie ben ©parafter 
als ßeitbilber jener Epoche an. 3nbem fte für baS ©parafter« 
bilb beS Königs neue 3üge — neue garben liefern — werfen 
fie einen SReßej: auf bie patriarpalifpe Stimmung unb, auf 
bie ftaatlipen, bie militärifpen SSer^ältniffe jener Jage unb 
werben fo wahrhaft ;u Dentwürbigfeiten. 3n bem ©tlebniß 
beS Einzelnen gibt fich bie Signatur ber Seit- 

Schneiber war fein Sertiner ©epeimratpSfopn, ber Jeben 
borgen „non Suttero" norfpriftSmäßig für fein ©ptmtaßum zu« 
recht gemacht, nach boltbraptem SKaturitätöejamen mit einem 
geftopften Santelfade unb Dotier Söörfe auf ben bequemften 
Siß im SRagler’fpen ©oftwagen gefeßt würbe, um in heibel* 
berg ober ©onn Humaniora unb 3ura ju ftubiren — bann 
peimgefehrt, üottgefäugt an ben ©rüften ber Sifenfpaft — 
„an ©aterS" liebenber unb oon Stufe ju Stufe förbernber £>anb 
ben SebenSgang ju gehen, wie Xaujenbe not ipm unb um 
ihn. — Stein — ®aju waren bie Seit feiner Igugenb nicht an« 
getpan — baju nicht bie gamilienoerhältniffe — baju enb« 
lieh nipt bie ©erfönlipfeit fein. Sein ©itbungSgang war ein 
unoermittelter, regeltofer, unerfättlich non S)i8ciptin ju ®i8ciplin 
ftrebenber. SaS Spneiber an Setpobe beS SifenS feptte, erfepte 
er burep ©ietfeitigfeit, unb not nieten anbetn burp regelmäßigen 
Stubiengang ©ebilbeten patte er bie geiftige Setbftftänbigfeit in 
Anfpauung unb Urtpeit norauS. Sie alle burep unb auS fiep 
felbft geworbenen Senfpen patte er aber auep greube an ßp felbft. 
®ie Anerfennung, wetepe biefem non ipm felbft geraffenen geißigen 
Senfpen p Speit würbe, ber ©etrag, p bem er fiep für bie 
Seit auSgemüngt patte, erfüllte fein herz mit einer begreiflichen 
©enugtpuung — unb Sanlbarfeit für biejenigen, welche ipm baS 
nicht p nerfagen gewillt waren, was er burep enblofeS Streben, 
burep rafttofen gleiß fiep p eigen gemaept patte. S« biefem 
Kapitel gepört fein ©erpältniß pm Kaifer fRifolauS non Stuß; 
tanb. Senn man ben beutfepen Scpaufpieler unb ben mächtigen 
©eperrfeper non 60 Sillionen Senfpen mit einanber Dergleichen 
barf, fo patten beibe ben fotbatifdpen S«8 gemeinfam, ein mili« 
tärifcpeS latent auf gleichem SRineau. SDaS brachte fie aneinanber 
in gleicher Sereprung beS Solbatifcpen, in gleichem §affe gegen 
jebe Auflehnung. 3)a8 Kapitatnerbrecpen beS Sotbaten ifi 3n« 
fuborbination unb bie SRenotution würbe bon ©eiben als ber 
pöpfte ©rab, ber weitejte Umfang berfetben aufgefaßt. 3n einer 
untergeorbneten SebenSfteüung Wie Scpneiber einem Kaifer gegen« 
übet war, bor bem ein patber ©rbtpeit zitterte, in fotper Seife 
ausgezeichnet ju fein, gteiepfam als ©ertrauter betrachtet ju 
Werben — icp möcpte bop benjenigen Sterblichen fepen, auf ben 
ein folcpes ©erpältniß opne fRüdwirfung bliebe 1 Senn atfo in 
ben Kapiteln „Kalifcp 1835 — 3n ©eterSburg 1847" bie Spitbe« 
rung ber ©erfönlipfeit über baS Saß ber piftorifepen ©eftatt beS 
KaiferS pinauswäcpft, fo wirb baS bem banfbaren ©efüple uuferS 
Autors ju nerjeipen fein, um fo mepr einem Sanne, wie bem 
Kaifer ÜRifolauS gegenüber, welcper ber noHenbetße ©irtuoS ber 
©erfönlipfeit war. Sie ©ereprung für ben Kaifer trifft aQerbingS 
im Somente bei uns auf niept oermanbte Stimmung. SRußlanb 
ift augenbtuflip an ber ©örfe unferer ©olitil niept begeprt — 
unb fo mag es lommen, baß man anberweitig bei ©efpreepung 
beS ©uepes bem ©erpältniffe beS Autors p SRußlanb reept päß« 
licpe Seutung gegeben pat. Sit großem Unrecht. Scpneiber 
unb bis Dor lurjem unfere SRegietung paben in SRußlanb ben 
natürlichen ©erbünbeten ©reußenS gefepen. ©S war baS eine 
in unfetem KönigSpaufe trabitioneHe Auffaffung unb an biefer 
pielt er feft mit Saufenben. Sem es aber etwa beilommen 
möcpte, feinen Einfluß in fo manepen Singen p fepen, p wittern, 
in benen ipm feiner nerftattet war, ober etwa feinen ©parafter 
in anberer Seife p nerbäptigen, bem palten wir bie Antwort 
entgegen, bie er als ©reuße mit ber ipm eigenen Schlagfertig« 


feit einft bem Kaifer SRifotauS, fehtem gnäbigen ©önner, gegeben 
pat. Saßen wir bie Stelle aus bem ©upe felbft folgen: 

„3«n 3apre 1851 fap ip ben Kaifer pm elften Sale 
nach ber ©eoolutionSjeit wieber unb jWat in Sarfpau. ISS 
war in bem Suftfptofe Sfiernewice im Sittelfalon beS oberen 
StocfwerfeS. 3P wartete beS ©efepts, als ber Kaifer alletn 
pereintrat, um naep bem Speezimmer z« gepen. 9lacp abermals 
freunbtiper ©ewiüfommnung unb allerlei gragen, was icp bettn 
jum Sorlefen mitgebrapt, fragte er mip plößtip: 

„Sagen Sie Sir, Spneiber, wie fonnte eS ber König Über 
ßp gewinnen, wieber in baS renolutionäre ©erlin ptücfpfeprenV" 

König griebrip Silpelm IV. patte nämlip witffip int 
Sinter 1850—1861 einige Sopen wieber im Serliner ©ptofle 
gewopnt, war bann aber halb nap ©otSbam prüdgefeprt. 3p 
War in großer ©erlegenpeit, Wie ip biefe feltfame, fo opne atüü 
Sufammenpang gefteöte grage beantworten foßte, ba fie offen« 
bar einen Sabel für meinen föniglipen $etnt entpielt, ben tp 
bop non einem anbern Sonarpen nipt pgeben fonnte. SaS 
©efüpl ließ mip, glaube ip, riptiger antworten, als ip eS burp 
fRapbenfen nermopt pätte. 

„SaS weiß ip nipt, Eure Kaiferlipe SajeftSt, bemr ip 
pabe nipt 16 Sißionen Untertpanen. 3P felbft bin bis jept 
nipt wieber in baS renolutionäre ©erlin }urftcfge}ogett mtb 
benfe eS aup nipt ju tpun. ©in Sonarp pat aber wopt nop 
auf AnbereS ©üeffipt ju nepmen, als auf feine Sünfcpe. SaS 
wiffen ja ©ure Kaiferlipe Sajeftät beffer als ip, ba Sie mir 
biefe grage in Sarfpau fteUen." 

<6«org hörn. 


/triiinttJtb .imltgratps <lrfUfn$e. 

Son ÖJilpelm Supn»r. 
(Sortfetungj 


gerbinanb greiligratp War nop nipt lange in Soeft, als ißn 
infolge eines nerfpleppten KeuppuftenS ein ©ruftleiben befiel, 
baS in Spwinbfupt auSjuarten bropte unb um fo bebenfliper 
erfpiett, als bie Sutter einer ©ruftfranfpeit erlegen war. Set 
fepjepnjäprige Süngling nerbrapte faft ben ganjen Sommer 
1826 in beS DpeimS ©arten not bem Spore; am Stocf fptip 
er langfam jwifpen ben ©tumenbeeten einper, über bie er fonft 
mit ein f)äar Säßen pinweggefprungen. SamalS oerfprieb ipm 
ber würbige Dr. ©auwerfp jenen bitteren Sranf, ber ipn ju 
bem erfien, non greiligratp ber ©rpaltung wertp befunbenen 
©ebipte anregte, jum „SooStpee", mit »etpem ber fepjebn« 
jäprige ©oet in fo glänjenber unb eigenartiger Seife fetnt 
Sipterlaufbapn begann. ©S erfpeint uns fpier unbegreiflip, 
wie ein Knabe folpe güfle beS ©ebantenS unb beS ©ebanten« 
auSbrudeS, folpe Sapt ber ©mpfinbung entwideln fonnte; eS 
iß biefer nulfanifpe AuSbrup bipterifpen geuer« auS einer 
franfen ©ruft nur baburp ju erflären, baß ber junge Sipter 
in feiner gezwungenen SRupe unb ©infamfeit Süße zur ©infcpt 
unb ©ertiefung in fip felbft fanb. 

Unterließ bereitete ßp im Dütertipen häufe zu Setmolb 
eine Wiptige ©ntfpeibung nor. ©ater greiligratp War beS 
SpulmeifternS mübe, baS ipm nur ein färglipeS ©rob fpnf, 
mübe ber enblofen ©rinatftunben, beren er beburfte, um fip mit 
ben Seinen über Safer zu patten. Spmager SpWoHntatm 
Zu Soeft bot ipm an, er möge perüberfommen unb htS ©efpäft 
treten; Silpelm greiligratp napm ben ©orfplag an, fiebtfte 
Ofiern 1827 nap Soeft übet unb öbernapm bie Seitung ber 
nerfpiebenen gabrifen beS SpwagerS wie bie güptuug ber 
Süper; es erwupS barauS für gerbinanb ber ©ortpeil, baß er, 
wieber mit bem ©ater unb ben ©efpwiftern bereinigt, eines 
Dollen gamitienlebenS frop warb, wetpeS er ht ben beiben erjfen 
3apren feines Soefler Aufenthaltes nipt gettofen patte, um 
fo fpwerer war ber Sptag, als 2 1 /, 3apre nap jener Heber« 
febelung Silpelm greiligratp, napbem er im Sommer 1829 
gefränfett, am 23. fRooember nop in rüßiget SanneSfraft 

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Nr. 50. 


fl i e (SegfitttJArt. 


379 


45 3ah* alt, ftarb. ©o ftanb bet junge SRann, ber fton als 
Sfinb bie SRutter oerloren, am ©arge beS SaterS. Zer neun? 
zehnjährige Jüngling warb burt biefen ZobeSfatt tief niebet? 
gebeugt; et ftrieb unter biefen ©inbrüden ben ©ntrourf jenes 
unoergleitlite« ©ebitteS, weites et bann in bet Sarmer 
3«it bottenbete, beS ^ertü^en: „D lieb fo lang bu lieben fannft." 

Zer ©ommet 1830 bradjte einen neuen tiefen ©djmerj 
übet ben jungen Zitter; fein ©tiefbrüberten Otto warb burt 
ben lob hinweggenommen. (SS War faum ein 3at)t att gewefen, 
aber greiligrath liebte baS Sfnäblein, Weites oft ftunbenlang 
ju feinen güßen im 3immer fpielte, mit größter 3ärtlitfeit; 
noch nat langen 3ah*en gebend er in Sriefen an greunbe, 
welche ihm ben Zob eines ÄinbeS melben, jenes früh ber? 
ftotbenen SrübertenS. ®3 ift nidjt ju bethmnbetn, wenn unter 
bem Ginbrud biefer wieber^olten ZobeSfätte fit beS ernften 
3üngting3 jene ©djmermuttj bemächtigte, ju welcher ja auch bei 
geiftig unb leiblich gefunben jungen Scannern bon etwa jwanjtg 
fahren eine gewiffe ZiSpofition nicht feiten ift, unb baß biefelbe 
fich auch in ©ebitten auSfprat. SltterbingS hat ber Zitter 
nachmals biefe ftwermüthigen ©ebitte als 3eugen einet über? 
wunbenen ©efühisweife unbarmherzig unterbrücft; nur ein ©e? 
bicht ift in bie ©ammlung aufgenommen worben, welches jene 
©timmung in (ünftterift berflärter SSeife auSfpritt, „Zie Silber? 
bibel". 3n ber 1877 erfchienenen fetsbänbigen StuSgabe ber 
gefammelten Sichtungen Sb. I, ©. 202 ff. im Anhang jur 
erften bielberbreiteten ©ammlung, finb einige biefer ferner? 
müthigen 3ugenbbittuugen wieber junt Stbbrud gelangt: „ZaS 
Iranfe ftinb", „SRutterliebe — SüRutterftmerz", „2uft am Sterben", 
„Zer Zob", ©ebitte, bie jeber anbere junge fßoet ber erften ©amm? 
lung feiner 2pri! einberleiben würbe, fo formbottenbet, fo ge? 
banfenfdjön finb fie; Urteiligrath berwarf biefelben, weil fie ihm 
noch unfelbftftättbig, attjufehr fßrobucte bumpfet 3itnmer(uft er? 
fchienen. 3t fönnte hier berfchottene ©ebitte auf GloftermeierS, 
wie auf beS (leinen Otto Zob mittheilen, welche uns fehr 
ertt&rtich machen, wie ©robbe, welcher beS jungen ZichterS 
Seiftungen mit tanbSmannftafttiter Zheilnahme berfolgte, ihn 
als einen „SRatlömmting ber SRatthiffon’ften ©hule" betrachtete; 
einige biefer Sugenbgebidjte greiligrathS erinnern in ber Zhat 
lebhaft an SRattljiffon ober richtiger an $öltp in ber barin aus? 
gefprotenen ZobeSfeljnfutt, ber fchwermüthigen Weichen ©mpfin? 
bungSWeife. 

@o ift eS merfwfirbig, in ben erhaltenen, aus ben Sah*«* 
1826—30 ftammenben ©ebichten greiligratljS bie beiben ©trö? 
mungen ju berfolgen, welche wäßrenb feiner ©oefter 3eit neben? 
einanber in ber Seele beS jungen ZichterS fluteten, $ier bie 
ruhige, leife baljinfließenbe Strömung beS ZichtenS nach lieb« 
gewonnenen Sorbilbent, unter bem (Sinbrucfe ber im väterlichen 
häufe henftenben retigiöfen ©mpfinbung unb gemütlichen 
(Ergießung; bazwiften fpringt ber eigenartige Zitter, ber ed}te 
greiligrath, mit feiner genialen Silberpracht, feiner glüljenben 
fßfjantafte, wie ein Jütten zwifteu bie afabemifche SRegelrettig* 
fett unb bie anerzogene ©eitmüthigfeit hinein. 2Rit berartigen 
Zingen wie ber geniale „SRooSthee" wagte er freilich nicht in 
bie Oeffenttichfeit hinauszutreten, fie in bie ©palten deiner 
weftfälifter Slätter einzurüden; noch 1832 will bem hoch 
felbft genialen ©rabbe baS ©ebitt „SarbaroffaS ©rwaten" um 
feiner ©unbertitfeit willen nicht znfagen; er nennt ben jungen 
SRann, welcher bereits ben „tttebo" gebietet, not immer „unfern 
SRatthiffon", wie er benn 1831 an Suife ©loftermeier ftrieb: 
„greiligrath ift wirdit ein guter 3unge; er ift aus ber 
SRatthijfon’ften ©tule — überflügelt uns bietteitt halb, benn 
et ift jünger." Zie 3ugenb freilich thut eS nitt, ebenfowenig 
ber ©eniuS, fonbent bie 3ügelung beS ©eniuS burt baS 2Raß 
unb bie Arbeit; eine (Sigenftaft, Welte ©rabbe eben nitt, 
greiligrath in einer wahrhaft muftergültigen SSeife befaß. 

3m Uebrigen Würben wir fehr irren, wollten 'wir uns 
ben greiligrath jener ©oefter Seit als einen „Weiten, h 0 ht ; 
wangigen ©erther" benfen. ©r reitet nitt feiten auf beS OheimS 
fReitpferb aus, er loftet, Wie Suther in feiner ©artburgSeinfam? 
feit, „bie füßlit ; bittere 2ufi ber großen gelben" unb geht auf 


bie 3agb, hat aut einmal einen guchS gefdjoffen, Wie er 3mmer? 
mann ftreibt; wohl öfter mögen ihm bie 3agbauSpge, wie 
er im „Sirfenbaum" fo reizenb ftilbert, bie erwünftte ©infam? 
feit geboten haben zur Serbeutftung non SpronS SRazeppa; er 
nimmt mit jugenbliter greubigleit Zpeil an ber ffrone bet 
©oefter herrlitleiten, bem ©tüfcenfeft. ®utj, er ift ein flotter 
SReiter, Säger, Seter; nur als Zänzer h at er lebenslang beS 
SRupmeS ermangelt. 

©S wäre wunberlit, wenn ein junger Zitter, in beffen 
Seele ber SDtoft ber fßoefie fo gewaltig braufte, nicht aut, fobalb 
er feiner Zitterfraft einigermaßen bewußt geworben, baS Se? 
bürfniß empfunben hätte, fit gebrucft Z“ lefen; eS ift baS eine 
deine ©enugthuung, weite ant bem Sefdjeibenften — unb 
greiligrath offenbart in feinen Sriefen aut Z u einer 3eit, als 
er bereits eine ganze ttteihe feiner beften ©ebitte geftaffen, eine 
wahrhaft rühtenbe Sefteibenpeit — herzlit wohlthut. gür foMje 
hoffnungSbotte jnnge Sorten finb, fo fteint es, allezeit jene löft? 
papierenen 2otalblätter borhanben, in welchen hmtberte unb 
Zaufenbe z« eintägiger Unfterblitfeit gelangen; in folten je|t 
fo gut wie berftottenen, (aum mehr borhanbenen Weftfäliften 
2ofalblättern aus bem ©nbe ber zwanziger unb bem Anfang 
ber breißiger Sahte haben wir ben ©rftlingen unferes Zitters 
natzuforften, Sinbent feinet HRufe, bie er zum großen Zljeil 
natmalS felbft nitt mehr anerfannte. ©ineS biefer Slätter auf? 
Zufinben hat mir trofc emfiger Semüßung not nitt glüden wollen; 
zwei anbere bagegen finb eine not faum ober bot nur tljeilweife 
benufete gunbgrube für bie poetiften Anfänge unfereS Zitters. 

ZaS eine ber mir befannten beiben SBotenblätter, in benen 
greiligrath feine Sugenbbittungen erfteinen ließ, ift baS ©oefter 
SBotenblatt, ein hötft befteibeneS Sreßprobuct, weites oor? 
nehmlit öffentlite unb Ißritatanzeigen, bann aut naturwiffen? 
ftaftlite unb geftitt(i<h e Sluffäpe, nur ab unb z u ©ebitte 
bringt, gerbinanb greiligrath ließ barin, jebot ohne feinen 
Stauten beizufügen, feit 2Rärz 1829 eine Seihe bon ©ebitten 
erfteinen; aber biefelben machen ben ©inbrucf, als ob er, wenn 
aut burcp bie ttRaSfe ber Slnonpmität gebecft, Sebenfen trage, 
mit feiner eigenften Slrt herborzutreten in einer SBelt, mit weiter 
er täglit berfehrte; eS finb theilweife Soefien, bie in ihrem 
Jeden SButf, bet lebenbigen Sh°btafie, ber friften Sehanblung 
eines fonft nitt bebeutenben Stoffes bon hetborragenber bitte? 
r ift er Segabung Seugniß geben; aut fie hat greiligrath fammt 
unb fonberS berworfen. Zie 2trt unb SSeife, wie er babei hifto? 
rift bebeutfame Saulitfeiten bon ©oeft poetift berherrlitt, ift 
eigenthümlich unb geftidt; anbere Sachen, 2ieber ober baflaben? 
artige Zittungen, erfteinen not buctauS unfelbftftänbig; bie 
gorm ift allezeit fed unb gewanbt. 3w Uebrigen finb wir, ba 
ber 5Rame nitt unterzeitnet ift, bezüglit ber Slutorftaft auf 
Setmuthungen h'agewiefen, weite, befonberS einem noch un? 
felbftftönbigen Zitter gegenüber, bisweilen zweifelhafte ©rgebniffe 
barbieten mögen; anbererfeits finb bie übrigen ÜRitarbeiter fo 
bürftige farblofe SReimer, baß ihre fßrobucte fit bon benen beS 
ungenannten Zitters unterfteiben wie SBaffer bon ©ein. 

Zie Summer bom 14. 3Rärz 1829 bringt baS erfte ®e= 
bitt beS jungen fßoeten, „ZobeS ©iegenlieb", eine Zittung, 
Welte gleitfam als Sorftubie erfteint zu bem in Sanb I. ber 
©efammelten Zittungen ©. 205 aufgenommenen, mit ber SafjteS? 
Zahl 1830 bezcichneten 2iebe „Zer Zob"; an ber ©tteit ift 
gar nitt z u zweifeln, fo feltfam bem fRittfenner bie Sumuthung 
erfteinen mag, in biefem „ZobeS ©iegenlieb" eine Zittung nont 
Setfaffer beS „2öwenritteS" nnb ber „Slunten SRate" zu er? 
fennen. @S lautet: 

3 t hob' eine äBiege fo ftmucf unb uett 

Unb brinnen fo weit unb fo warm ein Seit; 

3t wiege ©roß, it wiege Sieht, 

Unb was it wiege, fttummert ein. 


3t ßab’ eine äBeife mir auSgebatt; 

(ES hortet woßt gerne, was weint unb büßt; 
Sie trällert ßinb unb ©reis }ur SRuß, 

ZaS «uge fällt oon felber zu. 


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380 


fl i t (Segenwart. 


Nr. 50. 


34 1 )ab' ein gar lieblid^eö GHocfenfpiel, 
tooljl au4 bem Könige jelbfi gefiel; 

@3 tlingelt, flingelt leife taum, 

Unb »ad ba wel) ttyut, ift ein $ramtt. 

So fommt benn, tfyr ftiublein, §anb in $anb, 
2Ba8 fronen getragen unb 33efen battb, 

3n meine SBiege, gleich bequem 
gür Söettelftab unb 2)iabem. 

2Ba$ fteljt ba bie blütyenbe 93raut fo fern? 

34 tjabe bie blüfjeuben ©raute gern; 

3)er Sftojen ac^te ui4t, mein &inb, 

Xte ßilien Diel jdjöner finb. 

2öa3 fjat er bie ftrucfe fo lieb, ber <5Jrei$y 
2Ba3 »itt er auf (Srben? Sein $aar ift roeife. 
Äomm tyer, t>ergt& eS, bafc $>u bift; 

©3 ift nur glücfli4, »er uergifct. 

Söoljl jieljt er ®ir ftattli4, ber $octorljut, 

$od) irbifc^e 3Bei3f)eit madjt fd^toered Sölut! 

$a3 ßopftoelj unb ben tränten SBaljn 
58erf4autelt S5ir mein leidster $aljn. 

£afc, arme Verlorne, 2>ir nimmer graun; 

§ier ift nodj ein ^ßtä^en, $)u barfft bertraun; 
$>ie Xugenb unb ba3 ®la3 jerbric^t, 

34 »«0* nur unb richte ni4t. 

@^rtoürbiger Bürger, geftreng unb fromm, 
^erf4mä^e bie 9to4bartn ni4t unb tomm; 

£)b man bie SDliinje lobt unb f4Mt/ 

3Jii4 fümmert’3 rnenig, toa3 fie gilt. 

äBa$ f4öne Sßrmjejfin, ift Hermelin? 

34 t)ube ©Reffen unb föofcmartn; 

2)ie fteljn bei wetger Xra4t mo^l fein; 

9hm ftiüe, Äinblein, f4taf* mir ein! 

(ftortfefeuitg folgt.) 


3m: fJotmlarifmttig ber Ämtft 

Stan ITT. Carrieie. 

2Bic fdjon mehrmals möcht’ ich auch bieSmal an ber 3af)re8= i 
Wenbe einen Stiel auf Seginn, gortgang ober Slbfcbtufe bon j 
Starten rieten, welche Start unb Snfchauung oerbinben um baS ! 
Serftänbnife be« Schönen in Statur unb ftunft ju förbern, ba= j 
mit bie ftunft »eniger mie baS Stäbchen auS ber grembe, mefer 
wie eine bteibenbe unb ftets erfreuenbe ©enoffin unfereS SebenS er* ] 
fcfjeine. Xaljin gebt ein 3ug bet 3eit, ber uns baritber tröften 
mag, bafe ber ftolje füfjne 3bealiSmu8, ber bie Zünftler in ber ; 
erften ©älfte bes 3aferbunbert8 befeette, jefet fo wenige Xräger ! 
unb Sefenner jäfelt, ioäf)renb ber reatiftifebe Sinn für Staturtreue, 
garbenreij unb technifdieS ©efefeitf bie ©errfebaft führt. Star 
taffen bie Hoffnung nic^t finfen, bafe ber 3bealreali8mu3 in ber 
SJiffenfcbaft mie in ber ftunft hoch baS 3iel ift, bem bie öiets 
fad) oereinjette empirifche gorfefjung Wie bie gegenwärtige 
ÜJtalerei juftrebt, ober baS burch beibe möglich gewacht wirb. 

„Unfer Satertanb" in Start unb Silb gefd^itbert bon 
©djriftftellero unb Äünfttem S)eutf^Ianb8 unb ©eftreidjl, bietet 
und nach ber Sottenbung X^rotS nun ©teiermarf unb Samten; 
Stofegger, StaufcbenfetS unb gri| Siebter führen baS SJort, 
Büttner, SJiflroiber, ißaufinger, ©. b. öinjer ben 3eithenftift; 
baS SanbfchaftUche Wirb ebarafteriftif^ unb anmuthig aufgefafet, 
aber wir nermiffen ben reichen Seitrag bon Silbern aus bem 
SotlSteben, ben früher bie Xefregger, ©abt unb SKathiaS 
©chmibt fo erquidlicb fpenbeten; eS fehlt eben ein fotd) fitee= 
btatt einheimifcher ftünftter, bas ber Serteger, ffröner in 
©tuttgart, nicht febaffen lonnte, baä er aber, wo eS gewaebfen 
War, trefflich un b banlenSwerth benuftte. 


$elta8 unb Stom, bas ©bemann ber „©ermania" 
bon ©cherr fofort folgen liefe, gibt uns eine ©utturgefebiefete 
beS ttaffifiben SltterthumS bon ber fpanb gatob galfeS, mit 
Süuftrationen, welche halb antife fuitftmerle reprobucirett, balb 
bie 2anbf<boft borführen wie fie heute ift, balb bie ©labte unb 
Sauten wie bie Serbinbung beS wiffenfcbafttichen ©tubiumS mit 
ber fünftlerifcben ißhantafie fie wiebet erftehen täfet. ®aran 
reihen fidj wieber Silber beS antilen SebenS bon Steiftem Wie 
2llma=Xabema, geuerbacb unb Änitte, unb eine fehr beadhtens= 
merthe 3ierbe beS Startes finb bie Snitiaten bon griebridj 
2h‘erfth, bie in grie^ifeber ©tilifirung, im Serein bon Öinien- 
fpielen unb giguren ben Xejt einleiten, wie ein finnige« fßrä; 
tubium baS Sieb beS ©ängerS. Such bie Steftaurationen ber 
Xempel, beS römifdjen gorumS wie SlthenS, finb oon biefem 
aufftrebenben SDteifter, ber arebiteftonifebe unb malerifche Se* 
gabung anmuthig berbinbet; — ein ©nlel beS berühmten Sh‘ : 
lologen, beffen Stame auch bon brei Söhnen ehrenboQ getragen 
wirb, gatte, bem wir bas tiebenSmürbige Süchtein über bie 
Sunft im beutfeben $aufe oerbanten, bet ft<b juerft auf bem 
©ebiete ber ßoftümtunbe h^iuorgethan, hot, wie ju erwarten 
war, nach einem Ueberbtid über bie potitifdje ©ntwiefetung ©ries 
chentanbs in ber SBeltgef^ichte, bornebmtich auf «Sitten unb ©es 
brauche, auf baS öffentliche unb häusliche ßeben, auf Xracht 
unb ©erätb fein Sugenmert gerichtet, unb junächfi biefe reale 
©eite ber ©utturgefebiebte erörtert, wäljtenb ich im jweiten Xheite 
meines ftunftbucbS, ber ben gleiten Stamen (^eüaS unb Stom) 
führt, mehr bie ibeale ©eite, Sftetigion,. Sßoefie, ißbilofobbie bes 
tont bube; gerabe barum weife ich feine Slrbeit ju febähen, jus 
mal audh er feine Xarftettung burib Xichterworte belebt, ©oweit 
bie bis jefet erfebienenen 15 §efte ein Urtheil geftatten ift auch 
bie SSafet ber antiten Äunftmerte jur Seranfchaulichung ber 
©chitberung im Xejte gut getroffen; nur wäre bei einigen, mie 
bei bem 9tJp°fl bon Setoebere, ju münfeben, bafe nicht mehr bie 
falfche Steftauration mit bem Sogenftumpf in ber Sinten an ber 
«Stelle ber SegiS ftünbe, bie ber ©ott nach ber erhaltenen 
Sronje getragen h at , ba ja baS Original in Xetph« }um Xent= 
mal beS ©iegeS über bie ©attier geweiht war: ber ©ott hotte 
burch ein ©emitter bie geinbe erfchrectt, barum baS ©qmbot ber 
Xonnerwolte in feiner $anb. S3ie oiel anfchauli^er wirb boch 
baS Sitb beS ©riechentbumS werben, wenn ein folcfeeS Start 
beim ^ugenbunterri^te benu|t wirb! Seftbetifdje Silbung ift 
baS befte ©egengemidjt gegen attju einfeitige gachftubien, unb 
für fie tann babutch ein fefter ©tunb gelegt werben. Sber 
auch unfte Zünftler, unfre grauen tönnen nicht anmutbiger in 
baS ttaffifche Sitterthum eingeführt werben als burdj baS bors 
liegenbe Start. 

gür bie oaterlänbifche ßunft bietet uns ein noch überlebenber 
Stltmeifter ber Sünftgefchicbte, ©rnft görfter, bie $anb burch 
ben ftattlichen Sanb in fteinfotio mit bem Xitel: „Xie beutfdje 
Äunft in Silb unb SJort, für Sung unb Sllt, für Schule 
unb ©aus. Seipjig bei X. D. SJeiget." 3u fünf Sänbcben 
hatte bet Serfaffer früher juerft eine XarfteHung unfrer hmmifchen 
ft unfte ntwidelung entworfen unb jugleich in jwölf öuartbänben 
eine grofee Steife bon Xenfmalen ber Srcbitettur, Sßtaftit unb 
SJtalerei aus alter unb neuer 3cit mit ©rläuterungen beröffents 
licht, ähnlich wie er feine ©rjählung ber itatienifchen ftunftge; 
fehiebte mit bielen Umriffen charafteriftifcher ©emälbe in einem 
ftupferftichwerfe begleitet, gür biefe Stluftrationen feut görfter 
bie 3««bnungen nach ben S3erfen ber tßtaftif unb SKalerei 
gröfetentheitS augeficbtS ber Originale felber auSgefübrt; man 
erftaunt über biefen gteife, über bie Seidjtigfeit unb Sicherheit, 
bie burch benfelben bie ©anb görfterS gewonnen hat. 3m bot* 
liegenben SBert finb bie glatten aus bem ältern wieber benu|t; 
aber eS finb aus bet gütte bie bebeutenbften ausgewählt unb 
in biftorifdje Orbnung gebracht; wenn bie ©efdji^tSerjählung im 
©anjen turj gefafet ift, fo erweitert jte fi<b ftet« ba, wo ein 
Silb als Seifpiel näher befprotfeen wirb, görfter hat feit fünfjig 
Sahren auf biefem ©ebiete gearbeitet; mit fRumobr unb SBaagen 
gehört er ju ben Segrünbern, benen bann $ugler unb ©ebnaafe 
ft<b fortbitbenb anfchloffen; Sübfe, SJottmann, Springer, ©rimm 


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Nr. 50. 


Ute <$e$eitn>art. 


381 


unb jo Biele attbere finb barnacfj eingetreten, eine ftrengere SJte= 
tljobe, ard)iBarif<he gorfdjungen neben ber Untersuchung male« 
rifc^er ®edinit unb ©infelführung leiten ju njiffen^nftlidier 
©egtfinbung, unb fo gewinnt bei ben Steueren gar SJtandjeS eine 
onbre ©eftalt als eS in ber erften $ätfte beS galjrhunbertS 
hatte. ®a muft ich wich benn tounbetn, baft görfter noch immer 
bie ©othil als fpeciftfdj beutfd) feftljätt, wiewohl er jugefteht, 
baft ber Spifebogenftit erft im 13. gahrljunbert in unferm ©atet; 
lanb jur AnWenbung fam, unb im 12. bereits in granlreich 
herrfdjte! görfter weift an beutfdjen SBerlen nach, to > e aßmählich 
baS Stomanifcfje in baS ©ottjifc^e übergegangen fei, Wie ber 
neue ©auftit in ®eutfd)lanb „feine Aufgabe in confequenter 
©ntwidetung unb organifchem Sufamtnenbang aller ®h e ’ le unb 
in fteter SBürbigung ihrer conftructioen ©ebeutung gefehn unb 
befolgt, Währenb bie ©otf)it anbrer Sänber theilS rontanifche 
Uebertieferung feftgehalten, theilS mehr ober minber ein rein 
becöratioeS ©hftem jur 3ti<htfd|nur genommen". ®a8 mag Bon 
Snglanb unb Italien gelten, nicht Bon granlreich; hi er h at fi<h 
in ber ©egenb um ©atiS bie ©othil aus ben nörblidjen unb 
füblichen ©lementen in ber jweiten $älfte beS 12. galjrhunberts 
entwitfelt, ^ier trat fie großartig in ber Stotrebametirche auf, 
unb fanb in ben ®omen Bon Amiens, Bon 9tt|cimS eine Fracht; 
Bolle ®urdjbilbnng. görfter aber fährt fort: „Unb bamit (bah 
ber Stil in ®eutfd)tanb confequent entwidelt worben) erleb igt 
fleh wohl auch bie grage nach feiner ^erlunft. SBir hoben ihn 
mit einer Art Staturnothwenbigleit aus bem beutfchen SiomaniS; 
muS erwachfen unb nach eignem Sunftgefüht unb ©itbungS; 
gefe|en fich geftalten gefehn; WaS Will bagegen ber ©auBertrag 
einer ©emeinbe ju SBimpfen im Stedarthat bebeuten, in welchem 
ber Sirchenbau more francico auSbebungen Wirb?" Stun eS will 
{ebenfalls bebeuten, bah man bie ©othil bamalS bie fräntifche 
SSeife nannte. Unb baS war ber rechte Staate, ben man hätte 
beibehalten foflen. Sticht bie römifchen, leltifdjen, normannifchen 
©temente ber franjöfifchen Station, fonbern baS fränlifche, ber 
bis bal)in jurüdgebtiebene fränlifche ©eift h at ben gothifchen 
©til gefdjaffen, unb biefer tarn bort jur Slüthe, währenb man 
in ®eutf<hlanb noch romanifch baute unb an ben rontanifdjen 
Sern nun in granlreich gefunbene gotf)ifc^e gormen anfügte, 
wie baS namentlich am herrlichen ®om ju Simburg an ber 
Sahn ber gafl ift. Sn ®eutfcf){anb jog man ben §aßenbau 
mit ben jiemlich gleich h°h en Schiffen unter gemeinfamem ®ad) 
ber franjöftfchen SBeife Bot, Welche baS SDtittelfchiff über baS 
®a<h ber ©eitenfe^iffe emporragen läht; bie ©lifabethlirche ju 
Starburg wie bie SRündjenet graueitlirche unb Biele niebet= 
beutfehe ©auten finb in jener für ben ©adftein geeigneten beutfchen 
Art ohne Strebebogen ausgeführt, baS ©trebenfhftem ift fram 
jöftfdj unb tarn Bom ®om ju Amiens an ben Bon Söln, unb 
es hot in ffibfranjöfifchen Sauten beS romanifchen Stils, nicht 
in beutfchen feinen Seim, feinen ©organg. ©ei ber regen 
ffiechfelwitlung ber chriftlichen ©öller jur Seit ber ®reujjiige 
haben ja auch SSolftam Bon ©fdjenbath unb ©ottfrieb Bon ©traft; 
bürg ben Stoff ihrer ®idjtung fammt ber äuheren gorm aus 
wälfdjen Duellen genommen, aber in beutfehe SBeife überfefct 
unb lunftBoß Boßenbet. granlreich gab im Stitterwefen ben 
®on an, ebenfo in bet ©<holaftil nnb im ©auftil. gtalien 
führte bann jur SEBiebererWecfung beS Altertums, jur $unft 
bet Stenaiffance. ®eutfchlanb hot tüchtig mitgearbeitet unb feinen 
eignen Stuhm im ©ollSepoS beS StibetungentiebeS, ber ©ubrun, 
ber XtyetfaQe, bann in ber niebertänbifchen ©taterfchule Ban 
@^dS wie ber fpätren SJieifter StubenS unb Stembranbt, in 
®ürer unb §olbein; cs h°t im 18. Saljrhunbert bie ©atme 
auf bem gelbe ber ©oefie unb ©hitofophie gewonnen; taffen 
Wir ben Stadjbarn ihre ©hte, Bertangen unb behaupten wir 
bie unfrei 

@8 tiefte fich ©injelnen noch ©tandjertei bemerlen. ©o 
hat mich görfter nicht überjeugt, baft auf ben ©ggefterfteinen 
über bem oom Steuj hetabgenommenen ©hriftuS oben ber öer= 
Harte fchwebe unb bie Seele SJtariaS im Arme holte, bie unten 
baS fjaupt beS ©ohneS umfaftt; mir feheint bie alte ®eutung 
richtiger, baft bet ©ater bie Seele beS ©offnes auf genommen 


hat, wie biefer gebetet: ©ater, in beine $äube befehle ich meinen 
©eift! Auch hot görfter mich nicht überjeugt, baft Stöger Bon 
Sßepben ber ©teifter beS ®anjiger SilbeS fei. Stber wir freuen 
uns lieber beS Bieten Schönen, baS er namentlich aus bem 
Steife jener alten Stiebertänber Bon Hubert Ban ßt)d bis ©erharb 
®aBib uns in trefflichen Süpferfticfjen gegeben hat, unb bebauerit 
baft nicht auch bie neue Seit gleich reich bebaut Werben tonnte. 
®och finb auch h' er manche treffliche ©lätter Borhanben, unb 
bie Inappe ®arfteßung tann ber Sefer ja leicht burd) bie aus¬ 
führlichen ©djtuftbänbe in görfterS beutf^er S?unftgefchi<hte er= 
gänjen. 

2Bie Biet leichter unb angenehmer ift es hoch jefct geworben 
Äunftgefchidjte ju ftubiren unb oorjutragen, als es Bor breiftig 
fahren war. SllS ich ba bie ©ortefungen in ©ieften hielt, Wie 
müheoofl war eS, nur für baS 2Bid)tigfte bie bilbtidw ©er= 
anf^aulichung herbeijufchaffen! ®ie erfte Auflage Bon SugterS, 
bie erfteh Sänbe Bon SchnaafeS 2Bert waren ohne Sßuftrationen; 
erft bie folgenben Sluftagen unb ©änbe erhielten fotdje. SBie 
freute man fich jeber neuen Sieferung Bon @ailt)abaubS Slrd)iteltur= 
bentmaten, ober Bon bem „SlttaS ju SugterS üunftgefchichte", 
ben ©bner unb ©eubert oeröffenttichten! ^e^t liegt biefer in 
neuer Sluflage Bor, unb 34 ®afetn in ©tahlftich, brei in garben= 
brud ergänjen bie ältere unb führen uns nicht btoS bis auf 
bie ©egenwart, fonbern fdjatten auch bon Slffqrien an neue 
©lätter ein, SBerte Beranfchautichenb, bie feitbem aufgefunben 
ober näher erforfdjt unb in ihrem SBerth ertannt Worben. Seiber 
haben bie Ausgrabungen Bon Dlhmpia, bie gunbe Bon ©qpern 
noch t e i ne ©erüdfichtigung erholten; eS wirb inbeft nicht ferner 
fein, Bon Seit ju Seit ein paar ©lätter nachträglich erfcheineit 
ju laffen. ®er ültlaS ift baS umfaffenbfte unb reichfte ©er-- 
anfchaulichungSmittel für bie ganje Shmftgefchidjte. ®ie „lunft = 
hiftorif^en Silberbogen" ©eemannS, bie |»efte aus bem 
©rodhaufifdjen ©ilberatlaS jnm GonoerfationSlejilon über Slrdji- 
teltur, ©taftit unb SRaterei Berbienen baneben — auch »m beS 
©reifes wißen — empfohlen ju werben. Unb wie gut finb bie 
tunftgefchichttidjen ©ü<her SübteS über Strcfjiteftur unb ©laftit 
mit Slbbitbungen auSgeftattet! @r ftf»cint eS fich »erjagt ju 
haben, ihnen bie aßgemeine ©efchichte ber SKalerei jujugefeflen, 
SSoltmaitn ift ba mit feiner grünblichen gorfdjung eingetreten. 
Aber bie @efchidjte ber italienifchen SOtalerei liegt Bon Siibfe 
Bor, gleichfaßS reich an ifluftrirenben Umriffen, Welche bie frifcfie 
unb anmuthige ®arfteßung beS 2ejteS begleiten. 

Aße biefe unb fo manche anbere Arbeiten hätten faum 
erfdjeinen fönnen, Wenn ihnen nicht ber ©inn beS ©ublicumS 
entgegengetommen wäre, wenn nicht bie äfthetifche ©ilbung in 
ihrer ©ebentung für ben ©injelnen wie für bie Station beffer 
gewürbigt würbe. £>anb in .^anb geht baS Seftreben unfer 
Sfunfthanbwerf wieber emporjubringen, eS auf bem SBeltmarft 
mit granlreich in bie @cf)ranlen treten ju taffen. 3n granf= 
reich war bie ®rabition feit ber Stenaiffance nicht unterbrochen 
worben; ®eutfcf)lanb, baS in ber erften Hälfte beS 16. 2aljr: 
hunbertS ooranging, fah bann feine ffraft in ben furdjtbareu 
StetigionSlriegen erfchöpft; eS oerarmte, eS ftanb politifch unb 
geiftig unter ber grembljertfchoft, bie erß feit Seffing auf ibealem 
©einet unb wefentlich Bon ba aus auch in ber Steatität gebrochen 
warb. SCSir begannen mit bem SbealiSmuS unfter monumen* 
talen Sunft. ge^t Woßen Wir auch baS .fcauS unb ©eräth 
Wieber fchön geftattet fehen, unb aßerbingS muft ba bie lünftte= 
rif^e ©chöpferlraft baS ©efte thun um bie rechten, bie Stim¬ 
mung ber ©egenwart auSbrüdenben ober fte fpiegetnben gormen 
ju finben. Aber neben bem ©enie ntüffen bie Augen, bie 
$änbe Bon ftunberten unb ®aufenben gefchult unb erjogen 
werben, unb ba ftheint eS nöthig, Auge unb §anb junächft an 
bem Seften ju üben, WaS heroorgebra^t warb ehe ber unfetige 
©ruch erfolgte, ©o ftnb wir jur Stenaiffance jurüdgeleljrt unb 
©eorg $irth h fl t in feinem beifpielloS Wohlfeilen gormen; 
f d)afc eine güße funftgewerbticher ©rjeugniffe nadjgebilbet. Steuer; 
bingS erweitert er fein SEBerl, inbem et auch anbre Seitatter 
hereinjieht, auch hiftomfth* ©ompofitionen wie ®ürer’fche ober 
Iwtbein’fdje {»oljfchnitte unb ftupferftiche aufnimmt. Unfern 


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882 


Ute <Stftsmart. 


Nr. 50. 


äBunfdj, baff er baS äRaterial mehr betone, auf bie Unter* 
fchiebe beä H<>lg : , äRetatt* unb ©laSftileS ©emicht lege nnb ben 
nothmenbigen Sufatnmenhang non Stoff unb Sonn erläutere, 
bat er bis jeftt nicht erfüllt, unb ich fürchte, bah ble pielfältige 
9Raffe beS Gebotenen auch bermitrenb unb in* ©arode oerlodenb 
mitten tönne. Die Deutfdjen neigen bagu; fo fdjöne ©lätter 
mie bie nach beut Staliener Sanfobtno fottten ihnen nachbriid* 
lieber als ©otbilb oorgehalten merben, nicht pir birecten Stach* 
ahutung, aber gur Sehre non 9Kah unb Klarheit. Änd) „baS 
beutfehe Scanner bet ©enaiffance" mag uns „gn Anregung 
häuslicher ßunftpflege" oeranfchaulicht merben, mie $irtb in 
einem neuen Sterte begonnen hat; bie blojje SBieberholung märe 
aber tein SuSbrud unfreS SebenSgefüfilS unb Seitbemu|tfeinS. 
Dah mir feit §an3 Sachs unb Dürer auch Goethe, S'ant unb 
Humbolbt gehabt, bafjunS baS ©riechenthum aufgefdjtoffen morben, 
tönnen unb motten mir nicht oergeffen, fo menig in baS 16. als 
in baS 13. Sahrhunbert gurüdoerfeftt merben, aus ber ftaljl* 
heit unb Kargheit beS 18. motten mir in eine reichere aber 
auch geläuterte gormenmelt eintreten. Vornehmlich aber fott 
baS ©eftreben ber Äunftinbuftrie fidj nicht bloS auf ©rachtftütfe 
für menige Vornehme, fonbern barauf richten, bah auch maS 
bem täglichen ©ebrauche beS ÜRittelftanbeS bient burdj ftilooüe, 
baS heiht bem Swed enifprechenbe, bem äRaterial gemäße ©e= 
ftaltung oerebett merbe. 

granfteich hatte bie ©erbinbung bon Jhinft unb |)*nbwerf 
woraus; fie tonnte fidj bei unS nur fchmer oottgiehen, fo lange 
bie ©taffen ungleich maren, fo lange bort ein äRufter* unb Sott* 
fdjuft beftanb, ber uns fehlte. ©un ift er uns gemährt. Cb 
mir an ffilegang jobalb ben üRachbam eS gleichthun in ber 
mechfelnben äRobe? Ürachten mir nach ©olibität unb nach ©e= 
mahrung beS ©echten, fobatb es gefunben ift. Zünftler mie 
©eureuther, gortner, Seift, ©ebon haben in äRünd)en jehon feit 
längerer Seit ben rechten SBeg eingefefttagen unb eigenthümliche 
Seiftungen fterborgebrad)t, bie ben Sujammenhang mit ber Ueber= 
lieferung nicht oerleugnen, aber mit perfönlidjer frifdjer ©mpfin* 
bungStraft gejehaffen finb. gn anbren Stäbten haben herbor* 
ragenbe ©rdjitetten äBotjnbäufet bottftänbig oorgegeidjnet, bis 
auf bie WuSftattung ber einzelnen Scanner, bis auf bie Sdhlöjjer 
unb Xhürgriffe. Das fcheint mir baS ©echte. SBarutn fott fidf 
bie fo gemonnenen gormen ber gabritbetrieb für bie äRiethftäufer 
nicht aneignen? 

3ch h öt e ben ffiinmurf, bah bor ©Hem fünftlerifdje Dinge 
fich üon fetter machen müffen. ©id)tS macht fich bon fetter, 
unb in neurer Seit tritt überall bas bemühte SBirfen an bie 
Stelle beS inftinctiben. ©oethe unb Schiller haben anberS pro* 
bucirt als Homer unb Sftalefpeare. Ohne ©aturbegabung geljtS 
freilich gar nicht, aber ein ©afael unb Digian mar getragen 
uub geförbert bom fiunftfinne beS ©otfeS, bon ber eingeljenben 
Iheüaahme unb SBechfetmirfung ber Seitgenoffen. Serne bas 
©ublicum überall StoedmähigeS in mohlgefättiger gorm forbern, 
unb ich hoffe, bah bie fünftlerifdjen Kräfte nicht mangeln merben 
folgen SSunfch gu erfüllen. 


CiihtbntduMrkt. 

Su ben erfreulidhften ©rrungenfehaften unfrer Seit gehört 
ohne grage bie ©rftnbung, bie burc| ben photpgraphifchen ©roceh 
gemonnenen Aufnahmen auf bem ©tage beS iithographifihen 
©lattenbruds gu oerbielfältigen unb baburch ben tlbbrüden nicht 
bloS bie gröhtmögliche Stauer, fonbern auch eine früher nicht gu 
ahnenbe ©ifligleit gu berieten. Stuf biefe Staife finb mahre 
Schäfte, namentlich in ben Hanbgei<hnuagen ber groben äReifter 
bet Vergangenheit, allgemein zugänglich gemacht, bem ©erftänbnih, 
bem ©enuh ber meiteften Steife gemonnen morben. Sitte SEÖett 
meifi, meines ©erbienft ber leiber gu früh oerftorbene Slbolph 
©raun bon Dornad) bei SRülftaufen im ©Ifaji fich baburch er* 
morben hat, bah er in grobartigem UnternehmungSgeifte bie 
föftlichften ©erlen aus ben berütjmteften äRufeen bet Seit in 


Xaufenben bon ©lättern auSgelefen unb in mufterhaften gatft* 
mileS oerbreitet hat. ©odj neuerbingS hat bie ©raun’fcfte Kuwait 
baS SBerthboflfte aus ben im ©ribatbefift berborgenen Schäften 
biefer tlrt, toeldje fürglich in ber Ecole des beauz arts gu ©artS 
ju einer SluSftettung oereint maren, burd) eine fdjöne ©ublicathm 
bem allgemeinen ©ennh bargeboten. 

©icftt minber merthbott ermeift fich biefeS ©erfahren, mo 
eS gilt bie alten Schäfte an föupferftichen unb ©abirungen ber 
funftfinnigen ©emeinbe für eignen ©efift erreichbar gu machen. 
Um eine geringe Summe, für meldje man heute nicht baS Heinfte 
©lättcften bon Dürer in gutem Driginalbrud ermerben fönnte, 
ber mag man heute in ben trefflichen gacfimileS, m eiche Solban 
in ©ürnberg herausgegeben hat, baS gange ftupferfHdjmerf beS 
groben SReifterS fich 5 U beftänbigem ©enuh i u eigen gu machen. 
Slehnli^ie Xenbeng berfolgt baS bon bem ffunfthänbler ©ntefunft 
geleitete Unternehmen, metcheS unter bem Xitel „Xie föunft für 
Sille" baS Seltenfie, Softbarfte unb Schönfte aus bem Schaft 
alter Äupferftidhe in Sidjtbrud*gacfimileS beröffentlieht.*) Ueber 
bie erften 25 .Sieferungen biefeS fdjönen SBerfeS habe idft 
bereits berichtet; feitbem ift atterbingS ber ©erfaffer beS er* 
läutembem XejcteS, bet hoeftberbiente ©rofeffor ©Seiher, burch ben 
Xob feiner Xhätigleit entriffen morben, unb eS muhte bei biefem 
ferneren ©erluft als eine befonberS gtüdliche gügung betrachtet 
merben, bah ®arl bon Süftom, ber ©ibliothefar ber SBiener 
Sunftafabemie unb Herausgeber ber rühmlichft befannten Seit 5 
fchrift für bilbenbe Äunft in bie Süde eintrat Sein Xeft er* 
füllt bie hoppelte Slnforberung, bie man an foldje Arbeiten {teilen 
muh, iü präcifer gorm unb zugleich mit angiehenber Sebenbig* 
feit bas für bie ©rläuterung ber Blätter SBünfdjenSmerthe bor* 
gutragen. 

®a8 ©rincip, auf meinem bie ©ebeutung beS Unternehmens 
beruht, bie oerfdjiebenen ©pochen, Schulen unb ©ichtungen, fo* 
moljl in ber fünftlerif^en Sluffajfung als in ber tedmifchen 
Starfteflungsmeife oorguführen, ift auch in ben neuerbingS er* 
fdjienenen, bis gut 35. Sieferung reieftenben gortfeftungen feft* 
gehalten. So fehen mit baS SKeiftermer! 3Ratc äntonS, ben 
Ütnbermorb nach ©afael, eine geiftreiefte ©abirung bon Qnnibale 
©aracci, XürerS löftlidfen Xubelfadpfeifer, mit melchern ber grofte 
©ürnberger äReifter fieh an bie Spifte ber fogenannten lllein* 
meifter ftettt, fobann ein anfprecftenbeS ©latt bon ©olftiuS, ber 
bem &upferfti<h eine breitere ©ehanblung unb bollere SBirfung 
gu geben muhte. 3n bie früheften ©ntmidlungSftabien, gu ben 
Sucunabeln beS ÄupferftichS führt uns baS, mit Unrecht früher 
bem 3Rafo ba giniguerra gugefeftriebene ©ietto ber ©nbetung 
ber Könige, bie mie eine in &upferfti<h übertragene ©ompojition 
beS ©entile ba gabriano uns anmuthet. ®ie ©unftirmanier 
ift fobann burch ©iulio ©ampagnolaS gohaitnes ben Xäufer 
oeranfchaulicht, eine an äRantegnaS h^öe ©eftalten erinnembe 
gigur, beren lanbfchaftticher Hintergrunb bagegen auf bie frühen 
©enegianer hinmeift. ©S folgt mieber eins ber Keinen SKeifter* 
tnerle XüretS, ber gahnenträger, ber mit ©echt als ein SBetf 
jener ©poche bezeichnet mirb, mo Dürer nach ©bftreifung ber 
Sdjultrabitionen mit ootter ®raft feinen eignen Stil entfaltet 
Derfelbe äReifter ift fobann noch mit gmeten feiner fchönften 
äRabonnen bertreten, mäljrenb bon ©embranbt anherbem noch 
bie Keine gietlidje Sanbfcftaft mit bem äRildjmann aufgenommen 
ift. Stoei fdjöne Blätter bon Schongauer, ©hriftuS nnb bie 
äRabonna tftronenb unb bie h- Sungfrau im Hofe, repräfentiren 
recht gut biefen liebensmürbigen äReifter, mährenb bie phrpgifcfte 
Sibptte bon einem unbelannten, roahrf^einlich florentinifchtn 
Stecher ben italienifchen ffupferftich in einem ähnlich frühen 
Stabium ber ©ntmidlung borführt. Daran ffliehen fich ^ 
h- gamilie bon gacopo be' ©arbari unb bie SBeintefe äRarc 
älntonS, ferner äRartino ©ota mit bem jüngften ©erieftt nach 
äRichelangelo, als meitere Belege fortfehreitenber Durchbilbung. 
©üblich geben einige ber ©raöhtbiätter bon ©obert ©anteutt, 


*) Die Sbmft für älle, herausgegeben bon §. @. ©utefunft, mit 
erläutembem Dejt bon £■ SBcißer imb ®. bon Süfto». Stuttgart 
©. ©eff. gol. 


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Nr. 50. 


IDIe ffegntntart. 


38B 


Äntoine Stagon unb ©erwarb ©belind eine Sorgedung bon bet 
unübertrefflichen Sodenbung, weihe bie großen frangögfdjen Steher 
beS 17. SfahrtjunbertS namentlich im Sitbnigfadj erreicht haben. 
Shren eigentümlichen SEBert^ erhalten ade biefe Kadijbitbungen 
baburdj, bag ihnen bie ertefenften Äbbrüde gu ©tunbe gelegt 
mürben, welche bann burdh ben Sidjtbrud ber Stuttgarter Stnftatt 
non Startin Kommet in einet Sodenbung miebergegeben finb, 
bag bie Stätter an Ztefe unb ßraft beS ZonS, an buftigem 
Shmetg, ^art^eit ber Uebergänge unb SIarheit ber Sichter faum 
oon ben Originalen gu unterfdfjeiben finb. So wirb biefe fdjöne 
fßubtication ein wahrer Hau8fha| für tunftgebitbete ©reife werben. 

Zerfetben SertagShanblung oerbantt man ein gweiteS in 
ähnlicher Seife betgefteöte« SBerf, baS unter bem ZUet „Zie 
frangöfifchen Klater beS 18. SaljrhunbertS", herauSge» 
geben oon Ätfreb oon SBurgbadj, ats gortfe^ung ber „©taffifer ber 
Staterei" jene ©unßepohe üorfüfjren wid, weihe meiftenS oon ber 
mobernen Äegfjetif mit einem fdjmeren Sann betegt gu werben pflegt. 
Su ben „©lafgtern" wirb man freilich ©ünftter wie SBatteau, 
ßancret, ©ater, oan Soo, Souper, gragonarb u. f. w. nic^t 
gälten; aber biefe Serherrtiher beS ancien regime haben nicht 
btoS einen grogen lulturgefhihtlihen SBerth, fonbern es ift ihnen 
auch ein nicht geringer materifher Keig eigen, Welcher nicht 
wenig baburch gefteigert wirb, bag eine Keihe ber auSgegeich» 
netften Steiger beS ©rabftidjets, wie Zreoet, Seauoartet, Songeuit, 
SerOic, Sarmeffin, Staffarb mit ben Stalern $anb unb £anb 
arbeiteten unb ihre Schöpfungen in meiftertjaften Stichen Oer» 
ewigten. ©8 heigt baher eine tunftgefchidjttiche Sude audfütlen, 
wenn ein tüchtiger Senner jener ©poche wie St. oon SBurgbad» 
e8 unternimmt, biefe Sdjitberer bet fetes galantes jener gragiöfen 
unb foletten Seit unb ihrer gangen übermüthigen SebenSluß in 
Kadhbitbungen oorguführen, unb bie Zargedungen mit einem 
Zej:t gu begleiten, welcher bie funftgefdjichttiche Sebeutung unb 
Stellung jener Schöpfungen ftartegt. 

Si8 gut 18. Sieferung ift biefe intereffante fßubtication 
oorgefdhritten; jebeS $eß bringt gwei in ber Änftalt oon St. 
Kommet mufterhaft au8geführte Stätter, bagu einen gut gefhrie» 
benen Zejt beS Herausgebers, ber augerbem butd) gasreiche 
Kanboergierungen uns bie gragiöfen becoratioen ©ompogtionen 
jener Seit in ihrem dhampagnerfprubetnben Uebermuth Oor Singen 
bringt. Stit Kedht betont ber Serfaffer, bag ber SBerth aller 
biefer Schöpfungen auf ber Unmittetbarfeit beruht, mit welcher 
fie baS Seben unb ben ©eift jener Seit wiebergeben, inbem fte 
gum erften Stat mit oodent Sacgbrud ben fpecififch ftangögfhen 
©enius gut tünftterifchen ©rfcheinung bringen. Zer unbefangene 
KaturatiSmuS bricht fid) namentlich in bem geiftreichften unb 
tiebenSWürbigften biefer ©üngter, in SBatteau, Sahn butch bie 
pfeubo=flafgfhen Zrabitionen ber Stfabemie, unb man beobachtet 
auf einer früheren Stufe einen ähnlichen Umfchwung, wie ihn 
fpäter ©bricautt unb Zetacroij im ©egenfape gu bem fteifen 
fßebantiSmuS ber Zaoib’fhen Schule herbeiführen fodten. SBenn 
wir auch nicht mit bem Serfaffer fo weit gehen möchten, einen 
fßoufgn herabgufefcen unb gar bie Sanbfhaften ©taube SorrainS 
„erborgt unb unwahr" gu fdhetten, fo bürfen wir bodfj ber Stehr» 
gabt ber frangöfifchen Klater jener Seit bie Änertennung nicht 
oerfagen, bag ge unbefangen uns baS SBefen unb bie Änfhau» 
ungen ihrer Seit fpiegeln. SBenn ein Ziberot in biefem fünft» 
terifdjen Schaffen bie „SSahrheit" oermigte, fo war er bagu in» 
fofetn oödig berechtigt, als er ähnlich wie Kouffean bie gange 
Seit in ihrem fhiHernben, affectirten, unwahren SBefen erfannte 
unb jenen teibenfchafttidhen Kuf nach bet Katur ertönen lieg, 
ber bann politifdj unb fociat batb gu einer ber erfdhütternbften 
Keootutionen führte, weiche bie SBelt je gefehen. Zrofc attebem 
bteibt jenen ©iinftlent baS Serbienft, ihrer Seit ben Spiegel 
borgehatten gu hoben. 

©ewig ift bieS nicht baS $öhge in ber ©ung; aber es ift 
nicht aßen Seiten unb überhaupt nur wenigen ©eiftern gegeben, 
geh über bie eingetne gufättige ©rfcheinung gum Sbealen, gum 
©Wigfdhönen unb Ädgemeingüttigen aufgufdjwingen. „©reift 
nur hinein ins oode Stenfhenteben" ig auch für bie bitbenbe 
©ung gefagt; barauS hoben bie Senegianer wie bie Kieber» 


tänber unb üudj unfre ottbeutfehen Steiger unobtäfgg gefdhöpft 
unb gdh unfterbtiegen Kuhm erworben. Zie SBatteau, Soucher, 
Oan Soo, Sancret, ©ater unb wie ge alte heigen, hoben fhtieg» 
lieh baSfetbe gethan, was ©iorgione, Zigian, Satma Secdjio, 
oor adern ißaolo Seronefe in ihren heiteren Sugonbsbitbern ge» 
than: nur bag bie Senegianer beS 16. Sahrljunberts gang 
anberS auSfehen als bie fjfrangofen beS aegtgehnten. ZaS aber 
war nicht bie Sd>utb ber Ifüngler, fonbern bie ihrer Seit. 
SSetm baS Motette, Srahterifche, Stufgebaufcfjte, wenn Oietfadh baS 
ßüfterne, Srioote ben ©runbton biefer Schilberungen auSmadht, 
fo bürfen wir nicht öergeffen, bag es bie ^Jeriobe ber KtterSgeit 
SubwigS XIV., ber Kegentfchaft unb SubwigS XV. war, bie 
gdh in biefen SBetfen mit ihrem gteigenben, fdhidernben, bc» 
ftridenben SBefen auSfpricht. SBenn Soucher ber „Klater ber 
©ragien" genannt witb, fo wiffen wir, welcher gWeibeutigcn 
SBett biefe ©ragien ihren Urfprung oerbanfen; oergteichen Wir 
biefe gefälligen Kpmphen mit ben SenuSgegatten eines Zigian, 
fo gnben wir genau ben Unterfdjieb gwifchen ber $etäre unb 
ber ©öttin. 

Zrofe attebem ig eS nicht btoS belehrenb, fonbern fetbft 
genugreich, bie begen Schöpfungen biefer Seit in mugerhager 
SBiebergabe ber berühmteften Stiche oor Äugen gu hoben. Unb 
wer wirb SBerfen wie bem tgrachtporträt SubwigS XTV. noch 
Kigaub, geftodjen oon Zreoet, ober bem feinen tßorträt Sub» 
wigS XVI. nach ©öltet, oon Seroic, ober bem ebten Sitbnig 
ber Klarie SeScpnSfa nach Mattier oon Zarbieu feine Sewun» 
berung oerfagen? wer nicht mit Sergnfigen eine Ängaht ber 
fdjöngen ©ompogtionen SBatteauS, ober be ZrotjS Dhnma^t ber 
©fther, SenuS Käthe an tßfpche, SoucherS SenuS auf ben 
SBaffern unb bergt, betrachten? Selbft bie ÄuSf^reitungen ins 
Klanierirte unb Ägectirte wie fie in KtoreauS nach te ©terc ^icr 
wiebergegebenen Silbern geh aufbrängen, wirb man ats Seihen 
ber ©poche mit hinnehmen unb weniggettS bem tehnifhen Ser» 
bienft ber trefflichen Steher feine Änerfennung nicht oerfagen. 
Za baS SBerf auf 30 Sieferungen berehnet ift, wirb man eine 
oöttig genügenbe, ja erfhöpfenbe Shitberung ber frangögfhen 
Äung jener Seit erhalten. 

©ang anbre SBege fhtägt ein britteS oon berfelben Ser» 
tagShanbtung auSgehenbeS Unternehmen ein, wetheS gh als 
„©olbene Sibet"- anfünbigt.*) 0b nah bem ebten giloottcn 
Sibetwerle ShnorrS unb ber egectooden brillanten Sibet ZorüS 
ein Sebürfnig nah einer abermaligen idugrirten SibetauSgabe 
oorhanben fei, wagen wir Weber gu bejahen noch P berneinen; 
nur ber Erfolg fann barauf bie Äntwort geben. 3ebenfad8 ift 
ber ©tan ein oon jenen beiben tßubticationen wefentlictj ber» 
fhiebener. Zer Zitei jagt nämtih, etwas unbeftimmt freitih, 
bie SHuftration ftamme oon „ben grögten Kleiftern ber Äunfl» 
epohen". SBir fragen: wether Äungepohen, unb bie Äntwort 
tautet: oom ©nbe beS 16. bis gum ©nbe beS 18. SahrhunbertS. 
Ziefe ©infhväntung würbe bem Herausgeber burh ben Umftanb 
aufertegt, bag erg in jenen Seiten ber teptobucitenbe (nicht ber 
fetbftgänbig fhaffenbe!) Äupferftih gh P feinet höhgen Sodenbung 
entfaltete. SBottte man atfo wirfungSOode Kahbitbungen nah 
Kleifterwerten beS ©rabgihetS geben, bie gugteidfj, frei oon Ser» 
tegerrehten, gh ber Kahbitbung barböten, fo rnugte man gh 
in jenen Kähmen fügen. Zaburh ergab gdh nun nottjmenbig, 
bag neben Kamen wie KubenS unb Kembranbt eine gute Än» 
gabt anberer mit gut Aufnahme gelangten, bie man feineSwegS 
gu ben „grögten Kteigern" rechnet. ©8 folgte ferner ebenfo 
unertägtih, bag bie ©tteftiter wie Sob. ©aracci, ©uercino, $ro» 
caccini, mit Katuratiften wie Satoator Kofa, fowie mit ben 
fpäteren Klanieriften wie Suca ©iorbano in eine Keihe geten, 
unb bag neben biefe gh bie Arbeiten eiiteS San ber SBerg, 
Zietrih, be Zrot), ©oppet ftedten, bie wohl auch Kiemanb gu 
ben „grögten Steigern" gäpten wirb, ©nbtih mugte aus biefer 
bunten ©efedfhog ein giemtih gemifhter, oon ben oetfhiebengen 


*) (Dolbene Stbel, bie heilige @cf|rift, iHuftrirt oon ben grögten 
Steigern ber itungepochen, herausgegeben oon 31. o. SBurgbadj. Stutt» 
gart, Keff. Sief. 1—14. 


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fl i * (Segenroart. 


Nr. 50. 




SBtnbrofen fünff(erijd)er Ißrobuction beljerrfdjter (ginbrud Verbot; 
geben. 

dürfte burd) aße biefe ©ebingutigen ein rulffg gesoffener, 
ftimmungäbofl einheitlicher öinbrud, wie ihn ein ®rbauung8budi| 
»erlangt, fcfyr in Stage gefteßt werben, fo ift bagegen, bon rein 
fünftlerifdjem ober funffgefd)td)ttid)em ©effd)t8})unft betrachtet, ba8 
Unternehmen Weber ohne SReij noch ohne Sjetbienff. ®emt e3 
bringt eine Slnjafft bon Sompofitionen, meifteni nach feljr bot: 
jüglidjeit Stechern, jur aflgemeineren ftettntniff, Wellen man in 
ber SRegel minbere ©eachtung fdjenft a!3 ihnen nach ihrem 
fünffletffdjen SBerthe jutoinrat. @8 trägt eine foldje Sammlung 
baher unleugbar ju weiterer 2Iu8behnung unb Slbrunbung fünft- 
gerichtlicher Stubien bei, unb ein folget 3uwa<f)3 ift immer 
mit $anf ju begrüffen. 3wat hoben offenbar ben Slufnahmen 
nicht immer bie heften ?lbbrücfe ju @runbe gelegen; grojjentheilS 
aber läfft ba8 Unternehmen auch in biefer $infid)t nichts jn 
mönfchen, unb fo fehen mir benn feinem ferneren gortfdjireiten 
mit Sutereffe entgegen. 3ür ba8 religiöfe ©ebiirfniff ift noch 
befonbetS baburd; geforgt, baff jebera Silbe ein Üejtblatt mit 
ber entfprechenben ©ibelftefle, für ißroteftanten nach ßutherS, für 
SJatljolifen nach SlßioliS Ueberfefcung, oon gefchmadooßer $Ranb= 
leifte eingefafft, beigegeben wirb. ®ie 21u8ftattung ift in jeber 
ftinficht prachtboß gebiegen. tf. tübfe. 


Jltts bet ^anpfffabf. 


Äöitt0ltd)es ©pernhan«. 

pie Königin non $aba. 

Oper tu Pier Bleien nad) einem $e£t oon Ntofeitthal non Kail 
Z o 1 b m a r f. Wufgeführt am 1. iccember. 

3 )aS alte Sejtament bemahrt uns eine fi'mftlerifch mehrfach ücr= 
arbeitete Zpifobe ans ber glüdlidjen & cr langjährigen unb hoch- 
gepriefenen Regierung beS meijen Königs Salomon: eS ift jener aben¬ 
teuerliche 3 ug ber Königin üoit Saba aus bem Neirfje Arabien jur 
Stabt gerufalcm. Sie fant mit großem $omp, Kameelen, Silber unb 
Zolbbarren 3ur meltftäbtifchen, üielbeiteibetert KönigSburg gezogen. Cb 
fic politifdje ^läne öerfolgtc, ob hnlbücrfchleierte fü^ue ©eirathSgcbaufen 
ihr arabifdjeS §erj erfüllten, eS fteht nirgeitbS gefchrieben. Geibe, 
König unb Königin, fpielteit au SiebenSmürbigteit unb burch prunthafteS 
Zeremoniell oermuthlich ih re haften Xrümpfe aus, bie geftgelage toareu 
etibloS, toie bie gegeufeitige Gemmtberung ueibloS, bie Zefchenfc an 
gumelen mürben nach Steffeln gemeffen, Zolb unb Silber nach kreppen 
jtufen. So !am fie fchmerbelabeit an, fo ging fie, belohnt burch 
SalomoitS Zütc unb geblenbet burch feine GteiSheit, 3itrüd. 2 )ieS ber 
ungefähre gnhalt ber Gegebenheit nach bent „Gltd) ber Könige". ZS 
ift menig. gntereffantereS unb Nachhaltigeres mag mohl gefchehen fein, 
maS uns inbeffen leine Schrift hinterbringt. SBo mir nichts miffen, 
fteht uns bie Germutljung frei, unb es ift Sache eines bichterifchen 
ZemütljeS, bei feinem ^odjfluge nach allen Nietungen hin bie fycfc 
leuchtenben gunfen fprühen $u laffen. 

$>er fruchtbare Niojenthal hat fich biefcS Stoffes bemächtigt unb 
mit nicht 3U Oerfennettbem Zefd)id barauS einen Cperntejt, mie ihn eilt 
großer Sh^l beS hantigen, auf mehr äußere ÖJenußfucht gerichteten 
$heaterpublicumS oerlangt, ^ergerid^tet. Zr ift nach bem Gorbilbe ber 
franjöfifchen Gra^t= unb ZemaltSactionen entftanben, funbirt auf bem 
Gompöfen, auf bem mpfteriöfen Kothurn eines reügiöfen NitualS, auf 
bem üblichen ZaScabenraufchen in ber Sflonbfcheinnacßt unb auf ber 
Naturerfcheinung eines SöüftenfturmS. 3 )iefe genannten Pier Slnhaltepnufte 
bitbeten bem dichter ben Untergrunb ju einer Staffage, bie fich barauf 
innerlich läntpfenb, liebenb, fegnenb, fluchenb, tan^enb unb fterbenb 51t 
bemegen hat. SJlan lönnte nun nicht gerabe behaupten, baß &n biefem 
eben genannten Scenariunt nur bie Zpifobe ber Königin oon Saba 
paffe; mit etmaS geflügelter Ghantafie lönnten auf biefeS einfache 
Schachbrett mohl anbere märchenhafte ober fogenannte gefchichtliche 


Gerfonen geßetlt merben, metche bie Porgejeichneten Duabrate ebenfo 
gut auSfüHen mürben. 

Ohne mich 31t meit über ben Inhalt ber Xi^tung, bie mohl in- 
jmifchen burch Gerichte in ben SageSbTättern belannt genug gemorbeti 
fein mirb, auSjubreiten, fel)e ich ntidh boch Peranlaßt, menn auch nur 
gan§ furj, bie £>auptftübpunfte beS GorgangS mitjutheilen. 

9 tffab — er mirb im Xejctbuche als Siebling beS Königs aufgeführt 

— ift ber fremblänbifchen Königin, mie eS bie h ö ßfchc Zourtoifie er^ 
forberte, bis jum guße beS Libanon entgegengefchidt, um ihr baS 
Zeleit 51t ben Stufen beS mäd)tigfien Königsthrones 31t geben. Zr 
trifft bie Karamane mit ihrer Königin, bie auS irgenb einem ©runbe 
ftets oerfcßleiert geht. $ocf) melcheS Zlüd! 9 luf einer SBanbetung, bie 
er im Sftonblichte burch beit Zebernmalb unternimmt, entbedt er fie, bie 
fich unbelaufdjt glaubt, bie müben (^lieber in einer SilberqueÜe babenb. 
ZS erfolgt fofortigeS unb erfolgreiches Zntbrennen in Siebe, aber am 
gefommen in Qerufalem oon Seiten ber Königin breimaligeS Gerleugnen 
ber Gefanntfchaft 5 lffabS, bem, oor feiner Nliffton, Sulamith, bie Tochter 
beS ^ohenpriefterS angelobt mar. Zr, oon SBahnfinn getrieben unb Oon 
Neuem burch bie Sodungen unb Nei3e ber Königin oerfiihrt, löft baS 
Ganb, baS im Xentpel gefnüpft merben foK, unter Säuerungen beS 
3 lllerheiligften. 2)er Spruch ber jübifchen Nieter oerurtheilt ihn 3um 
Xobe, bod^ begnabigt bie ZJüte unb SBeiSheit SalomonS ihn 3ur Sühne 
in ber SSüfte, mo ber fpärliche Schatten einer Perborrten Galme ihm 
als einzige Sabung bienen fotl. Sulamith. bie treu Siebenbe, mar ihm 
in bie 2ßüfte gefolgt, finbet ihn fterbenb unter ber Galme unb bricht 
über feiner Seiche 3ufanimen. 2 )ieS ift baS SBefcntlichße beS Spalts. 
5 )aß fich i m Gerlauf ber 3 )id)tung oiel GermeitbbareS für etn feuriges 
Zoraponiftenblut ßnben mürbe, mar oon bem poetifeßen mie praltifchen 
Xalente SNofenthalS nicht anberS ju ermarten. ZS ift aber leiber aud^ 
mahrsunehmen, baß bie bramatifchen Scenen, bie boch ben Kern ber 
Jpanblitng bilben füllen, etmaS mager ausgefallen ftnb, unb baß fie, ba 
boch ein Slbenb auSgefültt merben foll, burch laftenbeS Schaugepränge, 
mährenb beffen bie Slction ftiU fteht, auffallenb in bie Sänge ge3ogen 
ift. Um biefen Aufbau Pon gütlfcenen unb Gaßetfchmulft gu permciben, 
hätte ber dichter baS bramatifche Zlement baburdj ermeitern fönnen — 
unb baS Glich ber Könige mürbe foldje Annahme faum anSfchließen — 
baß bie ränlefüdjtige gürftin ihre gefährlichen Nefce audh über ben König 
mirft. Xer auffallenben Neife löge bann ein NtotiP unter, nach bem 
man fich jefct üergeblid) fragt. ®er Nuf Pon beS Königs leicht ent3ünb= 
barem ^erjeit mar 311 ben Oh re a ber morgenlänbifchen §errfcherin ge^* 
brungen, unb nichts erfchien natürlicher, als bie Gefriebigung einer 
Neugierbe, bie tief im fersen eines orientalifchen SBeibeS begrünbet 
fein mag. 

®och Gorfchläge halfen hier nid^ts mehr, fie ftnb bie gauft in ber 
Xafcße. 55 aS Söerl beS $)idfjterS liegt als eine offene $h a t oor unS, 
Perbient megen manches $Cn3iehenben unb poetifch Zelungenen eine 
gemiffe S)urd)fchnittSanerfennung, megen ber ihm innemohnenben, für 
ein lauteres Zemüth abftoßenben Süftemheit ftarfe 5 lbmehr. Nicht 
"JllleS, maS man lefen fann, ift auf ber Güßne unoerhüllt auS§ufprechcn. 

— Xer dichter, er mag mufüalifch oeranlagt fein ober auch nur 
Zntpfänglichfcit für Ntufif 3eigeu, bemegt ftch, fo poetifeßer Zmpßnbung 
unb Sprache er auch mächtig fei, menn ihm Strophen für Nhtfif 3ur 
Aufgabe gemorben, ftets auf einer fchiefen, gefahrbrohenbeu Zbene. ZS 
ift faum ein Schaffen 3U feiner greube 3U nennen, unb eS ftnb ihm 
bauemb, gehemmt burch bie Nüdfidjt, bie er einem SNädjtigeren ju* 
meitben muß, bie §änbe.gebunben. Seine Gh antrt fie hat er ftets ber 
eines Slnberen unter3Uorbnen: möchte er fich auSbreiten, Perlangt ber 
Zomponift S^ärfe unb Kurse beS $luSbrudS, mo ihm biefe am 
erfcheint, miß jener Iprifche ober epifche Greite. Soß baS Zhcbünbniß 
^mifeßen dichter unb Zomponifteit ein glüdlicheS fein, fo ift nur bie 
eine Ntöglichfeit benfbar, baß bem leßteren bie alleinige, ftarfe Oberhanb 
gebührt. Sch toeiß, baß ich mit biefem 5 luSfprud^e bei Gielen Slnftoß 
enegeit merbe; eS ift aber bennoch fo, unb felbft ba, mo ber Dichtung 
baS gleiche Necßt mie ber SNufif eingeräumt merben foß. 2 Bie meit ber 
5 luStaufch ber gbeen 3mifchen beiben gactoreit bet Gerathung ber Ein¬ 
lage ber Cper gegangen ift, erzählt bie gama nicht; ich glaube inbeffen 
annehmen su bürfen, baß ber Zomponift, ba er 3ur Goßenbung feines 
SBerfeS ooßc ftcbeit gahre gebraucht haben foß, oielfadj Slenberungen 
unb gütliche Umarbeitungen Porgenomnten hat/ morunter oießeicht bie 
erfte SeSart beS XejteS nicht unbeträchtlid^ gelitten haben mag. Sieben 


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Nr. 50 . 


385 


0 i t ®*gfitnrart. 


3ö^rc Arbeitszeit für eine Oper ift biel beanfprucht, aber Riemanb hat 
beShatb mit bem Eomponiften zu rechten, um fo meniger, als er ein 
©er! in bte SBelt gefchieft, baS ber Beachtung mürbtg, bem man meber 
ben ©cfjmeift noch bie Erfdjlaffung einer fiebenjährigen Arbeit anfiefyt. 
Eanz ebibent entfaltet fich EolbntarfS Talent in ber überaus fein jiu 
gefpipten, impofant gtänzenben 3uftrumentation, tuelchc, leiber muft eS 
gefagt fein, bie mufifatifche Erftnbung, bie bodfj ben ©dfjmerpunft 51 t 
bilben hat, ziemlich meit hinter fidj zutücfläftt. Der eine, bem Eebäcf)t= 
niffe fich leicht einbürgernbe Eljor: „Der greunb ift bein", bilbet 
hier eine mohttljuenbe Ausnahme. SBärc ber Quell ber Erfinbnng 
reicher gefloffen, bie Architeftur ber Rtaffenauftritte eine fo natürliche, 
wie fie eine gefugte ift, ber ©chmerpunft märe biefem michtigften 
nicht genommen morben; fo regiert baS Beftecfjenbe ber Snftntmentation 
baS Eanze, mährenb bie Erfinbung Wiener fpiett, unb mo biefe fid) 
fpreijt, um herborzutreten, geigt fie nid)t feiten ein oerjerrteS Eeficht, 
baS mit intereffantem AuSbrncf fofettiren rniff. 2BaS ich hoch am meiften 
bermiftte, mar bie lebenbig madjenbe Bietfeitigfeit fühner Rhhthmen. 
DaS pompös 3Bud£)tige bominirt berartig unb reiht fich fo nahe an 
einanber, baft man faft baS Enbe eines jeben Actes erfefjnt. ©chmer 
laftet bie mufifatifche Sprache ber feftlidfjen Aufzüge, in ben 28utl)auS= 
brüten ber Sebiten unb beS BolfeS burch bie faft auSfchließlidje An= 
menbung ber ljöchften ©timmlage. Ermübet bon ber Anftrengung beS 
§örenS muß man münfdjen, bie Oper hätte nach bem jtoeiten Act, bem 
§öhepunfte beS SBerfeS, fchon ihren Schluß erreicht, benn man hat bis 
baftin affe Effecte, melche SBagner, SBerliog, Rieperbeer eigen finb, in 
fo reifem Rtafte genoffen, baft ber mufifatifche SRagen eine Ueberlabung 
befürchten muß, unb bennoch fann man bem Eomponiften baS Sob nid^t 
berfagen, bafj jebe einzelne Kummer ein tuahrljaftigeS Eepräge in ftdf) 
birgt, unb als bon mirHicher ftünftterfefjaft getragen erfdjeint. Aber eS 
häuft fich ju biel beS gleichartig ©chönen, fo baft eine Emtübung enblich 
unabmeiSlidfj. 3tu Eegenfape zu biefen hochmogenben Opemrequifiten, 
bie mit mächtiger unfer 01 jr berühren, mtrfen bereinjelte, zart= 
befaitete ©eenen, tuie ber bereits angeführte Ehor, ungemein fchmeichelnb 
unb reijboff. 3h r Einbrudf mürbe inbeffeu noch feffelnber fein, toenn 
bie $arfe mit ihrem narfotifchem 3 <*uber fich nicht ju oft in ben 
Borbergrunb brängte. (SS ift fytx inmitten mancher rührettb empfunbener, 
bie ©inne berüdfenber Einzelheiten mieber baS 3ubiet, maS biefen fonft 
beborjugten ©eenen Abbruch thut. AIS entfliehen auffällig muft ich 
ben ßotfruf ber Aftaroth, ber ohne De$ unb ohne Begleitung nur bon 
einer ©opranftimme gefangen toirb, bezeichnen. SBenn ©onberbarfeit 
unb gefachte $äßlichteit in ber Abficht beS Eomponiften tag, fo hat er 
BeibeS gefunben. Bieffeicht thue ich ihm hierin Unrecht, benn ich fann 
nidht toiffen, miebiet ©chulb bei fo bergtoidften Snterballengängen ihm 
ober ber auSführenben ©ängerin zujufchreiben ift. 

$em 3Berfe ging ber 9tuf borauS, namentlich bon Bwg, 

©ien unb Hamburg, bag eS ein in mufifalifcher Beziehung ganz 
originelles fei, bafj eS HffeS, toaS SBagner im 3)rama bisher erftrebte, 
unter Beibehaltung einer abgefchtoffenen 3orm bereinigt unb erreicht 
habe. 3)aS ift biel behauptet unb zn rücffichtSboll entgegenfommenb; 
folche SReclame mirft fchäblicher, als man erwarten foUte. 2 )ie Oper 
mag an fich föön unb burch neu iffngeftrebteS toirffam unb anziehenb 
genannt toerben, unb gäbe man ihr affe berfchönemben Beitoörter, bie 
fogar f<hon eine getoiffe Boreingenommenheit anbahnen foUen, man 
fönnte hoch baS eine „originell" nicht hinzufügen. 2Ber bei Beröffent; 
lichung feines erften bramatijehen SBerfeS fo burchbrungen unb überzeugt 
ift bon SBagner, mer biefen fo ganz iu fi<h aufgenommen hat, toie ber 
(Somponift ber „Königin bon ©aba", n>er fo ganz Sprache jenes 
rebet, bazu fleinen, mibigen Stbfonbertichfeiten anberer, neuerer 3Jteifter 
nicht aus bem SSBege geht, fann toohl ein gefchicfter unb talentirter 
(Sfleftiter genannt, aber nie als bahnbrechenbeS ©enie bezeichnet toerben. 
^err < 8 olbntarf ift jebo^ ein zu guter Sftufifer unb feinfühliger Zünftler, 
als ba& er gerabezu Entlehntes in bie SBelt fchiden mürbe. 3Jtit 
äu^erper Borficht mag jebe birecte Erinnerung, bie bietleicht toährenb 
beS EomponireuS fich unbemerft eingefcplichen, auSgemerzt fein. SWan 
fieht noch bie Bhmben, toeldhe bie Neuzeit mit ihren blenbenben BSaffen 
ipm gefchlagen, fie fmb aber burch glüdflidh angelegte Berbänbe gut 
geheilt unb bemarbt. 

©öff idh aus bem umfangreichen SBerfc noch Einzelnes heroorljeben, 
fo märe eS baS ©timmung erzeugenbe Borfpiel unb in biefem befonberS 
ber ©chln| bon ber ©teile an, too bie §arfe plöplidh träumerifdhe Be= 


herrfeperin beS ganzen Orchefterö toirb. 2)er §örcr, beffen 9ieceptionS= 
fähigfeit hier noch frifdh, empfängt hierin gemiffermalen in $ürze, toenn 
auch in ettoaS oerfdhmommener SBeife, ben 3nbej beS bie ©inne gefangen 
haltenben unb betäubenben BorgangS. Eine herborragenbe ©teile nimmt 
baS ©eptett beS erften 2tcteS, baS Har unb burdhfichtig gegliebert, bie 
innere ©prad)e eines 3eben mahr unb faßlich zum ^luSbrudt bringt, ein, 
unb als £öhepunft möchte ich btö ganze finale beS zweiten ^IcteS an- 
fehen. Boff bramatifepen SebeuS toirb eS in feiner mufifalifdfjen SoS- 
gelaffenheit unb feiner bennoch toürbeboffen Gattung ftetS eine zünbenbe 
Eetoalt auf alle §örer auSüben. 3 « feiner Kummer ber 0 per betunbet 
ber Eomponift feinen Beruf überzeugenber als hier, toie überhaupt bie 
Sttaffenjcenen felbft in ihrer ejtratagantefiten Erregung toohl baS ©chaffen 
beS MnftlerS am meinen förberten. 

S)ie Slufnahme ber langertoarteten Oper mar eine überaus mar tue, 
unb eS bürfte ihr bamit ein battember $lap im Repertoire ber Äönig= 
liehen Oper gemomten fein. 3eber einzelne ber SRitmirfenben mar 
fid)tlich bemüht bem SBerfe bie 5lnerfennung einzuholen, bie eS feiner 
Borzüge toegen beanfprudhen barf. Eanz befonbereS Sob erheifcht nod) 
bie Einftubirung ber Ehöre unb bie Sßräcifion beS fdhmierigen Ord^efter^ 
partS unter ber neuen Rührung beS £errn ^ahl. Er hat feinen Blaij 
mit geuer unb Energie, mit timficht unb Ruhe behauptet. 

Q. Krigar. 




3)er ruffifche ReichSfanzler, gürft Eortfchafoff, hat in ber testen 
3 eit mieber biel bon fich *eben gemacht. 53tlS er neulich nach Meters* 
bürg zurüeffehrte, mar er betanntlich bon #erm b. Oubril begleitet. 2)ie 
Eefpräche ber beiben Diplomaten merben untermegS traurig genug ge= 
mefen fein. Die Rachricht bon bem Attentat auf ben ftaifer Ulejanber 
mar hier fchon bor ihrer Slbteife telegraphifch menigftenS in engeren 
Greifen befannt gemorben. DaS Ereignis mar entfefclich, unb eS lieft 
fich auch nicht überfeinen, metche fchtoer miegenbe folgen eS für bie 
meitere innere Entmidfelung RuftlanbS h ö & CTl fönnte. Die Partei, 
melcher bie Reifenben angehören, formte baburdh befeftigt ober auch ftarl 
erfchüttert merben. $atte eS bodh fchon früher an Borboten eines Um- 
fdjmungS, ber bie bisherigen Rtachthaber berbrängen unb bem Ezaren 
beffere Rathgeber zuführen foffte, ni^t gefehlt. Die RemefiS beS lepten 
5hiegeS, zu meinem bie ^anftabiften gebrängt hatten, foffte jept beren 
gührer unb Eönner ereilen unb ihre BortefeuiffeS gefährben. SBaS 
ift aus EortfchafoffS Uebermuth gemorben, ber ftdh noch iui hörigen 
©ommer in einem berufenen Eefpräche mit einem 3 oumaliften bom 
Barifet Boulebarb funbgab. Eortfchafoff raunte biefem feine SBünfche 
für granfreichS Eröfte unb einflußreiche europäifche Stellung in baS 
inbiScrete Ohr. Damals glaubte Ruftlanb noch iebergeit über bie fran= 
Zöfifche Allianz berfügen zu fönnen, unb eS trumpfte bamit Deutfchtanb 
gelegentlich ab. Um biefelbe 3^t jeboch gingen ztoifchen Eaftein unb 
SBien bie gäben beS neuen BünbniffeS leife hinüber unb herüber. Der 
Rbfdjtuft mar nicht leicht. Denn bie biplomatifcfje Eontremine befam 
SBinb babon unb erfchmerte baS Ergebnift mit affen erlaubten Rütteln, 
bieffeicht auch mit einigen meniger erlaubten. Eortfchafoff felbft mar 
offenbar zuerft fehlest unterrichtet unb hätte feine unborfidhtigen SEBorte, 
toelche baS franzöftfehe Blatt ber SBelt anbertraute, gern zurüdge^ 
nommen. Sber eS mar zu fpät. Rachträgtiche Dementis, metche ber 
Kanzler auch h^ cr Berlin mieberholte, fonnten ihm menig h^fen. 
©eine feefe §erauSforberung lieferte benjenigen eine neue SEBaffe, bie beS 
emigen EerebeS mübe maren, Deutfchtanb bemege fich moljl ober übel 
ftetS im gahrmaffer RuftlanbS unb ernte bafür fchlecftten Danf. 3Ran 
muftte f^on in eingemeihten Greifen, maS jept bie ©papen auf bem 
Dache erzählen, baft Eortfchafoff unb feine Sente eS nicht bei berechneten 
Btaubereien mit auSiänbifdjen SuterbiemerS bemenben lieften, fonbern in 
Baris unb Rom ben unterirbifhen Acheron gegen bie BunbeSgenoffeit 
bon 1872, menn nicht fogteich in Bemegung zu bringen berfuchten, hoch 
feine Dragfähigfeit in biefer Richtung fonbirten. SBäre bie 3utrigue 
gelungen, fo hatte Ruftlanb freilich fo menig ohne SBeitereS feine 
Bataillone auf Königsberg marfchiren taffen, tute feine erftrebten Äffiir- 
ten Rtep ober Drieft fofort aufs $om genommen h ß öen mürben. 

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Nr. 50. 


386 


• 'tw'ntL 


Safür toar geforgt. OTbev man ßoßte toieber eine btplpmatif#e $ofition 
$u gelohnten, bie einen Smtf auf ©erltn unb SBiett jü fünften bet 
Keuiwüißrnng, bg« heißt per trenlofcn unb oertrag«brü#igen Umgebung 
be« berliner griebett« gemäßren foffte. Ser ©rfolg bei granfret# unb 
Italien toar natürli# aßßerorbentli# atoeifelßaft. (£« ließen ß# aber 
für bie Sufunft, toie man ß# btefefbe im rufßf#en Saget anSmafte, 
immerhin ©e$tehungen anfttüpfen ober SRöglüßfeiten ins Sluge faßen, 
toel#e rührige Hgenten f#on jefct ößrwertßen Tonnten. SRanßoßte trop 
attebem unb alfebem ba« oerräthertf#e Iggnatieß’f#* ÖOIt ® an 
Stefano mit einer lüften ©ölte bem ©erltner gulittactat ju fubftifuiren. 
Saju fottte ba« oon. einer geführli#en ©oaltiton bebroßte Seutfcßlanb 
al« gejttmngener ©omplice mithelfen. Stber beoor ba« Sitte« au# nur 
jur ^afben Keife gelangte, , toar ba« Dctoberbünbniß fertig; unb allen 
jenen bnnflen Umtrieben toar ein für attemal ein Kieget oorgef#obrtt. 
©ortf#afoß, ber na# feiner eigenen Keüßerung einmai tote ein Seu#ts 
thurrn oerj#toinben toottte, fah ft# jefct bo# überlißet unb potitif# toie 
eine gewöhnli#e Sateme au«gelöj#t. Seine ©erbtenße um bie §eirath 
ber Königin Olga in Stuttgart, ober um bie Slbbanfung be« ftaifet« 
gerbinanb «u ©nnfien gran$ gofeph«, n>el#e er früher io fet)t au8ju- 
nußen toußte, finb ohnehin oerjährt. SBieTIct^t hat er toftfjrenb bet 
melan#olij#en @efptü#e mit feinem ©otf#affer auf bet gahrf nat$ 
©eter«burg ß# qn Stillen gefragt, ob bie ftmplen 9Renf#ert bo# am 
(Snbe Ke#t Jütten, pb nicht ber gerabe 28eg ber befte fei unb eßrlt# 
am längßen toäßre. 

* * 
fix HJeißtutthten. 

Unter bem Sitel: „©itt luftig Sobtentänalein in fünf Silbern 
oon ©. ©nppieter«. Si#tung oon Ki#arb S#ntibis(£abaniS" 
(Setlag oon StbolpßSipe in Seip$ig), er^aßU ein junger, überau« 
talentootter ßoflättbif#er SRaler in fünf — nngea#tet be« barauf er* 
f#eitiettben Sobe« — Ieben«ootten ©übern eine ©pifobe au« bem Seben 
greunb $aht«. (fönen ^eiteren, bafeinÄfroßen ©pifuraer überraj#t er 
wäßreitb be« 3Ra^le8. ©on ißin Turnet Kaß aufgeforbert, beteiligt 
©eoatter Sob fi# an bem SRahle, betrinft fi# fcßließli# unb gefjt mit 
ber glaf#c oon bannen > #tppe unb Stunbenglö« jurüdlaffenb. ©in 
Staunt toar ba« ©att^e, aber eine SRoral hat er ergeben unb ber Si#iet 
faßt fie in ben ©erfen sufammen: 

©« fommt ber Sob — fei’« Sag ober Ka#t — 

©eint ©Sein uur foü er mi# finbenl 
©iellet#t — toet toeiß? — gelingt e3 mir bo#, 

Sem alten 3e#er tooßl entmal no# 

Sie §tppe ju entmittben. 

®in 3 U Ö behaglichen $nmor8 geht bur# btefe fünf ©über, bie f#on 
bur# bie ?lrt, toie fie ben Sob auffaßen, intereffant finb. Set Oer* 
binbettbe Segt Oon Kitharb Schmibt*(£abaniS tß, tote alle Arbeiten 
be8 Sidhterg, ooH gutet Saune unb oon felbßflänbigetn ^Bertß. 

* * 

$llphon3 Sürr in Setpjtg hat au# iitbiefem Snßre benBcü)na#t3- 
marft bur# toerthooHe (Stoben beret#ert. -Sdmmtti#e toenben ft# oor* 
totegenb an bie Sngcnb, aber #r !ünßlerif#er S#muc! iß fo ebel, ba8 ganje 
äußere ÖJetoanb'Wefet ! Seißtta#tßblith^*iü J fe«tier fttttwjleir ©ornehmheit 
fo getoiunenb, baß au# jeber ®rtoa#fene, jelbß toenn er an bem Sejte 
Teinen Äntljetl mehr ju nehtnen oermag, ß# biefer (föf#einungen freuen 
toirb. Sa iß junä#ß eine ueueOctaoauSgabe oon „Römers 
in berUeberfefcuug be8Srafett Sfriebri# Seopolb ju Stolberg unb 
mit fe#8 Sanbf#aft8bübern in $ol$f#nitt na# beu toeltberühmten Drigi= 
nalen griebri# ?5reUer8. Ser 32 ©ogen ßarfe ©anb (6 9K.) iß mit 
ßüüoßeu Äopfleißen nnb S#lußoignetten gegiert, bie, ebenfo toie bie fe#8 
©über, oon fi. Dertel unb $. Äaefeberg meißerhaft in $olj gef#niiten ßnb. 
Sie Sede, mit ihrer na# 5L Oon 3ahn8 (Snttourf au8geführten S#toar 5 = 
unb ^olbpreßung, iß oon angenehmßer SBttfung. — Saß 2üphon8 Sürr 
au# in biefem Qahre eine neue Serie $o4f#nitte ria# $artb 5 et#nungcn 
oon 08car ^letf# herau8gegeben hat, brau#t einfa# mitgetheilt ju 
toerbeu, um bamit gefagt ju haben, baß ber ^tnbecßube ein neues 
SteMtngBbu# getoonnen iß. SieSmal bietet $letf# fogar jtoei neue 
(Stoben, „©üben unb SKäbelS, ein ft©(SU©u# für baS ©auS" 
(3 SR.) nennt ß# bie eine, „Sind 4)au8 nub^of, .ciit ©u# für 
Heine unb große ftinbet" (4 SR. 60 ^ßf.) bie anbere. ©ictor 
© lü th g en hat fein liebenStoürbigeS Salent in ben ©etfen beS ?l©(g=Sttch8 


betoährt, eine ®räßn S* ßat bad jtoeite öu#: imt anfti»re#fiitben 
bi#t#en nnb Keimereien oerfeßen. 

, i J * 

„6 00 3.a.hre‘ ©erlitter ^ef#t#ie. ©om ^tf#erbbff ^ur 
SBeltßabt. ©ef#i#te unb Sage obtt S3Cbotf Strectfuß.^ 2. 9füffage. 
©erlag oon S. ©rtgl in ©etliu. (16 SR.) feaS ®er! liegt jefct ooS'; 
enbet in einem ßatüi#en Duartbaribe Oön üuS. Ueber ben St#alt be8= 
feiben haben toir na# bem (grf#einett ber einzelnen SiefertntgeU uttö 
f#on mehrfa# au8gefpro#en. Ser ©erfaßer hat ft# bur# fetne Sltßctt 
etn ©erbienß um bie ©ef#i#tsf#reibung ©erltnft ermorbett. ’Mft • ans 
erlenuenStoerthem Sleife hat er baS SRaterial gefammelt, ge^ 

orbnet unb geß#tet unb nt frtf#er, lebenbtger, bet« Snterefft be« ßefer« 
ßet« rege halteitber, ja ßäußg fbgar fpannenber SörßeÄrtig $u etuem 
©efammtbilb ber (Sfef#i#te ©etlin« fett 600 Saßren oereint ®c« 
KooeHiß oerleuguet fein (grgäßlertalent au# bei bet ^ef#f#t«etsählttng 
ni#t; aber e« muß anerTamtt toetbeit, baß er ß# uidßt ßat ßinteißen 
laßen, au« ber ©ef#tdßte eineit Kbman gn ma#en, twtß fein-SBeict troj 
ber feffelnbeu Sarßeßung bo# niemals bett ßreug ßißorif#en ©oben 
oerläßt; Sei« ©u# eignet ft# in berSßat oortreßli# ju einem Shi|<n 
nnb greube brtngenben @ef#ent für S^ben; bet ein rege« $nt*reße an 
bet @ef#i#te unb ©nttoidlelung ber Stabt ©erlitt unb an ber Seutfc^ 
lanb« nimmt. 

f 

♦ ■ -■ 1 -* ■ • - 

(Sine neue gbee ßat @ltfe $ol!o in einer „SämettsS#Tet6- 
mappe /y auSgefüßrt, bie bei g. 2t. ©artßel in Scipjig erf#ietten iß. 
(5 SR.) Sie ©erfaßerin ßat ßier ni#t nur einen flehten S#afc oon 
golbenen Sprü#en für ba« toeibli#e Seben jufammengeßellt, fonbern 
an# in einer mnftlalif#en ©lumenfpra#e bie ©ebeutung ber oerf#iebenett 
©lütßen nnb ©latter in jenen ©etfen unferer beutf#en Sicßtcr au«g6 
fpro#en, bie §nglei# al« componirte Sieber etflangen. Sa« Klbum iß 

feßlt# auSgeftattet., 

* * 

©on bem in feiner Slrt flaffij#en SBerfe S#mibltn«:' „Sie 
©lumeuju#t im 3 intmer^, liegt eine neue Auflage Oör, eine tierte, 
oermehrte unb Oerbefferte, eine $ra#tau«gabe ni#t nur bem Kamen 
na#, fonbern eine toitflidße, in ©ejug auf äußere unb innere Stu«= 
ftöttung. g. gußlle, ber ^ofgartenbirector unfere« Äaifet«, 
hat ba« ©n# für bebcutenb genug gehalten, um bie bur# bie ßetigen 
gortf#ritte auf bera (gebiete ber ©lumen 5 u#t notßtoenbig getoorbene 
Umarbeitung einzelner ©artien be« SBerfe« felbß ju übernehmen. So 
iß eine Arbeit entßanben, bie in unferer ehtf#lägli#en Siteratur ißre« 
(Süei#en ni#t ßnbet, bet ber (föntritt in ba« blnmenliebenbe $au« ni#t 
genug toüuf#en iß. Stuf 726 Seiten großem Sejifonformat« belehrt 
ba« ©u# über bie SRaterialien unb ©orri#tungen für ^ßanaencultur 
ht SBoßnrätunen, bie aEgemeine ©eßanblung ber fßßattjen, über einige 
befonbere (gebrau# 8 formen für 3 i^ 0 Ctoü#fe, über bie Sreibcultur unb 
bietet ht feiner jmeiten Hälfte eine gmppentoeife 3 ufammenßellmtg boit 
jur Kultur in SBoßnräutnen geeigneten @etoä#fen. 3^ e i ©#lußabf#nitte 
bef#üftigen ß# mit oerf#iebenen jur 3 i*nntercultur geeigneten <ge= 
toädßfen unb mit ber ©ertoenbung ber ©lumen $u Ännßgebtlben intb 
jnr Safelbecoration. Sie 600 erlauternben $o 4 f#nitte ftnb Oortreßli#; 
bie ganje noble SluSßattung gerei#t ber ©erlagSßrma Sieganbt, 
§empel & $arep §ur ®ßre. 

♦ 

. * . . •- . 

Sieberborn. 3»ethttnb*rt ©oß« 5 nnb oolf«thümli#e Sieber in itoei? 
unb breißhnmigem Sa£. ®erau«gegeben Oon ©eorg S#erer. 
SiamantauSgabe. SRü einem Sitelbilb bort ©aul Sßnmann. XV 
u. 334 S. ©erlht 1880, (g. (grote’f#e ©erlag«bu#ßattbluiig; 4 SR. 

Qtt 5 ierli#ftem äußeren ©etoanbe etn „Saf#enlteberbu# für Samen 4 
jtoar ni#t auf bem Sitel fo be 5 ei#net, aber ein fol#fc« feiner toaßteit 
©eßimmung na#. SBo immer froße SRenf#en ß# jufammenßnben, fei 
e« im häu«lt#en Greife ober im feßli#en Saale, in Iänblhßer Somtoers 
frtf#e ober auf gemetnfamen 21u«ßügen, ba ertönt alSbalb etn Sieb, in 
toelcßem bie gehobene Stimmung Sitter ißren gemetnfamen StuSbrUtf 
ßnbet. SBie ßäußg bleibt e« jebo# beim bloßen ©trfn#: bem efttett tß 
ba« Sieb nhßt betonnt; bie Samen ßaben belanntli# immer nur bie 
erße Stxopße hn ©ebü#tniß; toieber. knbere oerfteßen feine bBßleitenbe 
Sthnrne jn fingen, unb halb Oerßummt ber ©efabg bt« auf ein padif 
oeteinjelte Xöne. Sftjern ttebtlßanbe ßilft S#erer« Sieberbom ab. (Sr 


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Nr. 50. 


Bit «eg tu wart. 


387 


bietet in ftrettger KuSmaßl bie fünften, nacp $ejt unb ©Melobie mertp? j 
ooßften unferer ooftstpürnlicpen Sieber: ba$ gute Klte in feiner reiuften I 
©ejtalt unb Dom ©euen baS ©efte; bagmifcpen ftnb bie ebeljten perlen 
beS eigenilicpjeH ©ollsitebes eiugereipt. ©trna bie #ölfte ber Sieber ift 
gtoeiftiininig, faft ebenfo ötele ftnb bretfttmraig gefegt, einige Hummern, 
melcpe bie boßfte Harmonie burdpauS forbern, finb im pterfiimmigen 
Safte gegeben. Ster Saß felbft ift, bem (Sparafter ber Sieber entfprecpenb, 
oolfstpumlicp gehalten unb bietet feinerlei Scpmierigfeiten. $ie Ku§: 
ftattung beS iu feiner Krt fepr öraucpbaren unb empfeplenSmertpen 
©änbdpenS entfpricpt bem ©ufe ber ©erlagSbucppanblung. 

* ' I 

* * I 

©an ©aul ÄonemfaS „galftaff unb feine ©efellen" | 
(St Sdpaneubitrg in Sapr) ift eine gmeite KuSgabe erfcpienen, freite bte j 
gaplreicpen ©erepret Ibnemla’fcper Sunft mit greuben begrüben merben. | 
$>iefeS leßte ©erl be& fo jung Oerftorbenen ÄunftlerS erfepten guerfi einige j 
©Monate nacp beffen Xobe in ©tupform mit einem fepr umfangreiepen 
unb ein rnenig meitfepmeifigen Xejte öon ihtrg. 3n biefen Xe£t 
mären bie fepönen ©über, mie SHuftrationen gu bemfetben, auf pödpft 
tmgäsfHge ©Seife eingefügt ober bielmepr eingetieramt. ©aul ßonemla 
mürbe, mettn feine Kugen baS ©uep nodp gefepen pätten, groben Kummer 
barüber empfunben paben. 

3n ber neuen KuSgabe, opne ben Ste£t bon fturg, fommen $onemfaS 
Scpöpfungen beffer gur (Geltung. S)ie ©über ftnb eingeln eutpalten auf 
gmeiunbgmaugig einzelnen groben ©lättern. ©eigefügt ftnb ipnen als 
Uuterftpriften möglicpjt lurggcfaßte erflärenbe Xejrtfteßcn aus benjenigen 
3)rameu Spalefpeare’S, in benen galftaff mit feinen ©efeilen auftritt. 

$ie ©lütter urafcpliebt eine gefcpmactboll auSgeftattete ©tappe, 
meldpe in ©reffung mit Sdpmarg= unb ©olbbrud baS in feiner Krt 
munberboHe S:itelbilb beS ©erleS trägt. 

* 

* * 

©on grau $ate greüigratp=$roeler, ber in ©nglanb lebenben 
ülteften Xocpter unfereS unbergeblicpeu $icpterS, ift foeben ein retgenb 
auftgeftatteteS, pöcpjt angiepcnbeS ©eipnacptS=Xpeaierbucp für IHnber, 
gu Kuffüprungen fepr paffenb, in englifeper Spraye erfepienen: „Alice 
and other Fairy Plays for Children“ (mit aßerliebften 3fHu* 
ftrationeu bon ©Marp Sibree unb mit ©Muftfbeilagen, Sonbon 1880, 38. Swan 
Somtenfcpein & Kßeri, 296 S. $r. 4 ©M. 50 ©f.). S >ie ItebenSmürbige 
©erfafferin ift in englifcpüefenben Greifen SteutfcptanbS bereits befannt 
burep tpreKuSgabe ber englifcp=überfeßten ©ebiepte tpreS ©aterS: „Poems 
from the German of Ferdinand Freiligrath“ (2. Kuff. Taucbnitu Ed., 
260 S.), unter benen ipre eigenen bortreffliepen Ueberfeßungen — be* 
fonberS fcpön unb autp als Ueberfeßungen untabelpaft finb bie befannten 
©ebiepte aus ber beutfdp=frangÖfifepem SfriegSgeit — ipr grobes poetif<pe$ 
Xalent genugfam offenbaren. #ter in bem bor mir tiegenben ©eipnacptS* 
bücplein, beffen 3npalt pauptfäcplicp ©rimm’fcpen ©Märepen, aber auep 
gmet berüpmten englifepen ffiunberergäplungen entnommen tjt, gibt fiep 
neben biefer poeppoetifepeu ©egabnng unb gormengeftaltung autp ber 
anfprecpenbfte, nedenbfie unb ftpalfpaftefie $umor tunb, mie bas §inein=* 
leben in baS $ur lieben ©eipnacptSjeit befonberS frop nnb fitblttp tu 
regte IHnbeSgemütp. ©Hen fern bon ber §eimat in SDeutfd^tanb lebenben 
fleinen unb gro|en englifepen Äinbem unb ben engltftpüefenben beutfepen 
gamifientreifen fei baS pübftpe lebenbige ©ücp jur Seetüte unb §u 
©eipnaeptsaupprungen ber lieben Älehten beftenS empfoplen. 

« * 

Hem Heringe non X ^nfmnnn & Ca. 
pat ber ©etpnacptsmarft für eine gan$e 8teipe bprtwfflitper nnb glütt^enb 
anftgejtatteter ©ütper^ ju bauten. S)a ift snbürberft ^leiflS w $ers 
bratener Ärng" mit Äbolf ©ten^eis flafftftpen SÜuftrationen. 

ber ©uSfüpxung ber ^oljfcpnitte ift CminenteS geletftet. ©udp 
burtp bte fonjtige 3luSftattung beS ©ucpeS in ©ejug auf Rapier, S)rud 
(bon ©. Xeubner in Seipiig), (Ttnbanb, Stetteljeupnuttg unb 
©refiung ift bapin gemirtt, in biefer ©uSgabe ein ®an$eS ju ftpaffen, 
baS bon feiner $ublication übertroffen merben mag, burep raelcpe man 
in %utftplanb ober bei anberen Kationen einen S)i(pter ober Stprift* 
ßeller unb fein ©crl geeprt pat/ ©aS mir in biefen ©orten bon ber 


erften Ausgabe beS unbergleicplttpen ©erteS gefagt, gilt peute — unb 
bejügltcp ber SluSjtattung in erpöptem ®rgbe — autp für bie neuen 
Ausgaben, — Küpt minber ftnb mir bereeptigt; auf frftper pier geüu|erteS 
Urtpeü jurüdaugreifen, too eS fup uin jmet neue ÄuSgaben bon ©oben- 
ftebts neuem Sieberbucp: „ÄttS bem Kacptaffe bon ©Mr$a 
Scpaffp" panbelt. 3n größtem Dctabformat unb in mentger to|tbarer 
gorra, in befepeibener aber benno(p eleganter ©tiniaturauSgabe, Hegt 
bie anmittpige Steberfamnünng uns bor. ©tit richtigem S:aft ift — eS 
gilt ber größeren Ausgabe — jebe 3Hu|lrtmng burdp gtgurenbüber ober 
fonjtige realtftiftpe SJarfteKung irgenb melcper Slrt bermieben. ^ct 
brillante tünftlerifcpe Scpmud ift pier bur(pauS nur burä> 8frabeSfen 
unb Ornamente unb $mar bur^auS perftftpen Stils perborgebratpt. 3« 
bem Stedel, in ben Xitelblättem ber etnjelnert ©ebid^tgtnppen uüb in 
ben jebe Seite nmfcpließenben Kapmen ftnb perfiftp-orientaliftpe ©totibe 
mit boßenbetem ©efepmatf, ©tffen urtb boßenbeter Äunft $u formen^ 
unb farbenpraeptigen Compofittonen berarbeitet. ©iefeS bunte, glönsenbe 
unb jierlicpe $ra(pttleib beutfeper Sprit unb Sprutppoefie fiept aßer= 
btngS frembartig genug aus. ©ber eS fiept irt anmutpiger Harmonie 
mit ber jterlicpen ©taste, mel(pe ber S)icpter für .fiep felbft ermüplte unb 
mit fo biel ©ragte unb ©nmutp jebergeit burcpgufüpren mußte. S5ie 
gierlicpe ©Miniaturausgabe ift gleitpfaßS ein ©tufter ftilboßer ©nS = 
ftattung unb mirb burep tpren niebrigeu ?reiS miflfommen fein, mo 
ber pöpexe, aber bennoep berpättntßmaßig btßige ^reiS ber ©radjtauSgabe 
ein ^inberntß beS ©nfaufS bilbet. 3« einer S)iamantauSgabe bon 
©obenftebtS pafififepen Siebern: w S)er Sänger bon StpiraS“ 
(6 ©M.) füprt bie genannte gtrma bem geftmartt ein anbereS reigboßeS 
Object gu, ein um fo bantenSmertpereS, als bamit ber große perfifepe 
SMcpter gemtffermaßen unferet beutfepen Siteratur gemonnen mirb. 
S)ie bon ©obenftebt getroffene ©uSmapt läßt bie Eigenart beS 
S)iepters genau erfennen unb l&ßt unberÄetTtcptigt, maS felbft in ber 
©erbeutfepung nur einan berf(pminbeub Keinen Greife 3«lereffe bieten 
mürbe. SHe Ueberfeßung felbft ift aUS einer boßßänbigen ©eperrfcpmtg 
bon ©eift nnb gorrn beiber Spraepen perborgegangen. S)nuf, ©apier 
unb ©inbanb beS überaus gietliepen ©ünbd>enS oerbienen uneingefepv&ntteS 
Sob. — ©nbliep fei eines in bemfelben ©erläge erfepienenen ©ucpeS »on 
©bnarb §anSli(f ©rmäpnnng getpan. ^©tufitalifepe Stationen" 
nennt eS fiep nnb bietet eine Sammlung ber berbitnten ©uffftße btefeS 
perborragenbjten ©MuftttrititerS unferer Xage, ber neben feiner popen 
Stemterftpaft no^ ben ©orgug befißt, gngleicp riner unferer auSgegeicpnetften 
Scpriftfteller gu fein, ein geuißetonift erften KongcS. ©Man lefe 
nur ben ©uffap „Äbelina ©atti w l ®aS ©rap — glei^geitig eine neue 
golge beS im gletcpen ©erläge erfd^ieneneu ©aubeS „©Moberne Oper" 
— ift eine mapre gunbgrube fürsten, btt aus ©eruf ober ©eigung bem 
©MufiKeben ber ©egenmart feine Xpeilnapme entgegenbringt S)en Kn- 
püngern ©agnerS jeboep bürfte eS ein ©raue! fein. ©Mit $anSlids 
©uep mirb glekpgeitig eine neue Serie, bie fünfte, ber Scprifteu beS 
aßgemeinen »ereinS für 2)eutf(pe Süeratur in berpeißungSOoßer gorm 
begonnen unb in einer KuSftattung, metepe einen großen gortfjpritt 
na^ ber ©ieptung be» praltifcp eleganten befunbet. 


Offene Briefe unb jDttoorfett. 

Stuttgart, ben 4. S)ecember 1879. 
^oepgeeprte ©ebaction! 

2)aS ©er! „KuS beutftpen ©ergen 7 ', melcpern Ste in 3P ter 9Mr. 48 
bie ©pre einer ©rmöpnung ängebeipen laffen, ift als erfteS ber gapl* 
reiepen lanbftpaftlidpen 3ßuftrationSmerfe erfepienen, unb jtoat in unf erem 
©erläge, melcpern es peute noep angepört 

S)ürften mir Sie freunblicpp bitten, bie fragttepe ©otig, melcpe ge* 
eignet ift, 3^ungen perborgurufen, gu beridpHgen? Sie mürben nnS 
baburdp gu großem ^anfe berpfiiepten. 

©Mit oorgügHcper $ocpa<ptung 

ergebenft 


(gebrÄber Kröner. 


liefet ©nmmer Hegen bon na^ftdpenben girmen folgenbe Jlrpfperte bei: 
eift & in ®rt*fan — „SBti^na^tSlatatog". | «fctoin ht8ei<i}i| — „Uniet ^eim im ©cfynudbei ^unft". 

«. SB. «wfe in Ottnun — „(Siftnrten uni iRau^tabaJe". 


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388 


*„1* <Sf gettmtt rt. 


Nr. 60. 


9 « f 11 « t e. 

SBertag oon grieftrii| gteifdter in geizig. 

3 » Stfacfdltttlen empfohlen: 

^auf Einbau, 

Jtleine ©efdjidjten. 

2 Sänbe. 


Steuer Serlag sott 89 reit(o|if & gärtet in geizig. 

|lof*cnwovi«r«tt 0 int hiväjengeTdjidjUiOjen fnijrtlt» oon <ßrof. 
Dr. ftorl §afe (3ena). 8 . !ßr. Jl 4.—, geb. Ah. 25. 

Snljalt: l. Sin falfdjer SMfiaä. 2 . ®regot VII. 3. Sleneaä ©iltriug «Piccolomini. 
4. ^antbeon unb ^eterSfirdje. 6 . ©er Kanjlct ffirett. 6 . ©ie franaöfifdjc SReoolution unb bie Stirer. 

tJOtt ©eine nadjgetaffenen ®ebicf)tc fjerauSgegeben unb mit 

einet biograpfjifdjen Einleitung betfe^en üon $einridj 8uttt}aujit. 8 . $r. A 4 .50, 
geb. A 5.75. 


33rofd). 8 JC\ in eieg. ©inhanb 9 JL 
gnljatt: 

1.98 b. ©tednabeln. — ftofebhine. 9iini. 9Hnon. 
©efdjichte einer jungen tJranjöfin. 2 . 33b. | 
@in aufgefangener 33rief. — 3n fjolge einer 
SBette. — $er $ob ber fjrau 33aronin. 

Victor bott 0 tragft, 

^loneCIen. 

3 33änbe. ] 

93rofcfj. JC. 13.60; in 3 33be. eieg. geb. JL 15.75. , 
Sn^alt: 

1. 93b. (£in länblid) $aar. — Sttittfjeilungen auä j 
ben Sieten, betreffenb ben gigeuner $uria $anti 
aus Ungarn. — (Sin djurfürftlicber 33efud&. — 
$ie 93ibliotbef. — „gilt meine Äinber." 2 lu 3 
bem 97ad)lafs üon föoja, ©räfin ©. 2 .33b. (Sine 
(Scbtodjter. — $a3 fdjöne §eibenfinb. — (Sin 
armer ©ünber. 3. 33b. Su=]u. ©ine d)ineftjdje 
©efdjidjte. — (Sine ©äcularifation. — ftufaeid?* 
nun gen eines Untergegangenen. 



Verlag von Gustav Fischer in Jena. 

Dante Alighieri’s Leben u. Werke. 

Im Zusammenhänge dargestellt 
von Dr. Franz Xaver Wegele, 

Professor der Geschichte su Würsbnrg. 

Dritte veränderte und vermehrte Auflage 

mit einer Abbildung 

des Dante-Denkmals zu Florenz. 
Preis 12 *4L In elegantem Halbfranzbande 
14 JC 60 A. 

Die neue Auflage von Professor Wegele’s vor- 
trefflicher Dante-Biographie ist unter sorgfältiger 
Beraoksiohtigung der neuesten Forschungen theil- 
weise umgearbeitet worden und in gänzlich ver¬ 
änderter äusserer Gestalt erschienen. Dieselbe dürfte 
sich in der jetzigen eleganten Ausstattung vorzüg¬ 
lich als Feetgcschenk ei gn en . 


— ^ orrätlüg in den ange^elieneten Buchhandlungen Deutschlands zz 



Pracht-Ausgabe 

16 Bände in schwarz Kalbleder, vornehmer Renaissance-Einband, 240 Mark. 
Ein schönes Wandregal dazu, in Eichenholz, inkl. Verpackung 35 Mark. 


Diese neue Ausgabe des grossen Nationalwerks unterscheidet sich von der 
seitherigen durch ein weit stattlicheres Format, ist von höchstem Luxus der tech¬ 
nischen wie stofflichen Ausstattung und entspricht den weitestgehenden Anforde¬ 
rungen an Geschmack und Prunk. Sie ist nach Inhalt und Form eine Leistung ohne 
gleichen, an welcher deutscher Kunst- wie Gelehrtenfleiss sich erschöpft haben. 


Verlag des BIBLIOGRAPHISCHEN INSTITUTS in Leipzig. 



uoujiaatitctjcn «.ompeteujen iino berufensten Fachmännern als 
bet ^ugenMSteratut" empfohlen! 



Durch alle Budjhänblungen unb poflanjl, $u bejiefjen: 

eutfdfye 3 ugenb. 


Herausgeber 

Julius Cotjmeyer. 


Kanzler, teil« 

£>scar pletfdj. 


€rfchelnt in tUuflr. monatsheften (k [ Jt ) unb Bänben, 
mit Beiträgen ber heroorragenbjten 2lutoren unb Nflnftler. 
Die glänjenbe Banbausgabe empfiehlt fleh fftr ben 

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Verlag non Otto ©Rainer in fieipjig unb Strlin. 

^pamec’s lllttjfoittfs laweifntüras-friiluin fit h$ Juli 

<Bugfd<$ ein Orbis pictus fti* bie ßttbirettbe ^ngenb. 

^reichen wertvollen ©jtrabeigaben: 10 33unfc unb 
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üon 34 33latt jamrnt üoffftänbigem ©adjregifter. 

Soflftänftig in ai}t Sänften, unb jtuar Sanft I—VII. gebeitet 4 JC 16.—; 
elegant gebunben in ^albleintoanbbänben ä JC 19. —; elegant gebunben in SSalb- 
franjbanben a JC 20 .— 33anb VIII. (mit 2ltla4 §u bem SBerfe) geheftet JC 17.60: 
elegant gebunben tn ^albleintoaithanb JC 20.50; elegant gebunben in ^albfram- 

banb JC 21.60. 


ßejte^en 6urc^ aCCe tßudpßctnbCungett. 




1 üsaa jfissaa lüg 

Digitized by LiOOgle 




































































































Nr. 50. 


389 


Sie (Segenwarf. 



Derlag t>on 5tüolf 250113 8c C0111p t in Stuttgart. 


g£ irjtyüfrijfiikc uni) Um ^ 

JHTmers, <Ä., $id)tungen. 2. s 2tfl. 3 ^ 
£5rtg.'@inb. 4 Ji 

— — SRörn. 6dE)lcnbertage. 4. 9lfl. 0rig.s 
(Stitb. 6% 

-9ftarfcf)enbiicfj. 2. 2lfl. 6 JC 0rig.s 

Ginb. 7Va 

2 lu§ bem literar. 9iac§laffc ooit (General 
?. ?ao 5 fc. 5 40 * , in 0rig.= 

Gsinbb. 7 JC 

t». SStOttffttf, 3ngc6org, günf Sieber f. 
eine0ingftimme m. begleit, b. $ianoforte. 
2 JC 50 3. 

-fjünf 2öeit)nad)t$licber f. eine Sing- 

ftimme mit 33egteit. b. Sßiauoforte. 2 JC 
£ttgcf, ^uppettfomöbten, 2 $8be. 8 JC, 
0rig.=Qs:inbb. 9 JC (Sinjelnc Söbdjit. ä 

1 oK. 20 $. 

gftfger, galjrcnbeS Sßolf. ©ebidjtc. 5 JC 
0rig.=®inb. 6 JC 

-Slbalbert non 23remen. Xrauerfp. in 

5 Stufe. 2. Stfl. 2 JC, 0rig.;©inbb. 3 JC 

-2)ie$e;i*e. Xrauerfp. in 5 Stfe. 0rig. 

©inbb. 3 JC 

Jattfeit, Stu3 vergangnen Xageit. 4 JC 
0rig.=dtnb. b l / A JC 
Jo^ttttttgtaufl. ^rama in 5 Stufe. 
maßt- naep üefftng’S verlor. s J!kamifcript. 
Jperanäg. V. @uget. 2 JC 
3 uritts ^Rolen. ©ine btogr. Sffejc 60 A. 
^ongfelToro’s Svangeline, über), b. 3fu(tc 
Cramberg. 2 JC 0rig^@inbb. 3 JC 
^tturab ffenbi. 0ft u. SBeft. ©ebiepte. 
2. Slfl. 4 JC 0rtg.=(£inbb. 5 JC 

-SJaä3rebbin(£f)obja. ©inoSmanijdjer 

(Snlenfpiegel. 8. Slfl. 2 c# 0rig.=@inbb.3c# 

-Söaüaben u. Söilber. 2. Stfl. 2 JC 

0ria.=@inbb. 3 JC 

£paet0, Samen!, b. SBaljrfjeit. ©rnnb 
ma^r^eiten b. (£f)riftcntf)nm3 in 32 $re-' 
bigten. 7 JC 0rtg.=®inbb. 8 «# 
£tafjr, <Ab., ®in 3af)r in Italien. Steile. 
4. Slfl. 15 JC gn 2 0rig.-©iubbn. 18 JC 

-§erbftmonate in 0beritalien. Suppt. 

ju „ Italien". 2. Stuft. 6 JC 75 A. 

0rig.-@iitbb. 8 JC 25 -S*. 

3*ofRs6ofe. ^SoIfÄfalenbcr f. 1880. 43. 

gafyrg. mit Sftotfefalenbcr. 20 3)rucfbog. 
reiep ittuftr. 50 

5 ®>aefcofbt, Heimat u. grembe. 3)id)tungen. 
0rig.'@tnb. 4 JC 

grancosufenbung bei öoarbejug. 
Verlag ber 

®<4ltfse’fäen §vfe5Juc§f). in JDIbcnburg. 


Verlag von Breittopf & Hartei in Leipzig. 

Soeben erschien: 

Sammlung musikalischer Vorträge 

herausgegeben von Paul Graf Waldersee. 

Auf Velinpapier mit künstlerischem Bücherschmuck, in Renaissance-Einband. 

Serie I. Preis JC 10.— 

Mit Beiträgen von Ph. Snitta, H. v. Wolzogen, D. van Bruyck, S. Bagge, A. Reissmann, 
E. Naumann, P. Graf Waldersee, L. Meinardus, A. Niggli, W. J. v. Wnsielewski, J. Aisleben, 

H. Kretzschmar. 

Möge diese reichhaltige Sammlung anregender Vorträge sowohl den Musikern als vor¬ 
nehmlich dem Publikum, welches edle Hausmusik pflegt, gute Concerte besucht und mit 
musikalischem Interesse reiche allgemeine Bildung verbindet, empfohlen sein. 

Am 15. December erscheint in unserem Verlage: 

Johann §©te@@ttaa ®mh 

von Philipp Spitta. 

Band II. 66 Bogen gr. 8. Preis brosch. JC 19.50; geb. JC 21.— 

(Band 1. 55 Bogen gr. 8. Preis brosch. JC 16.50; geb. JC 18.— erschien früher.) 

Mit diesen 2 Bänden ist die grundlegende Biographie des grossen Meisters abgeschlossen; 
mag dieselbe neben 0. Jahn’s Mozart einen Platz in der Bibliothek der ernsten Musik¬ 
freunde finden. 

Leipzig. Breitkopf & Härtel. 

Zu Festgeschenken passend. 

Bei dem Unterzeichneten ist erschienen, durch ihn und durch alle Buch- und 
Kunsthandlungen zu beziehen: 

©Felms. 

Darstellungen beliebter Opern-Scenen nach Original-Oelgeraälden von 

Hermann Kaulbaoh, 

photographirt von 

Friedrich Brackmann in München. 

Inhalt: 

Nr. 6. 




i 



Fidel io, Leonore auf dem Wege zu 
ihrem Gatten. 

Nr. 7. Die weisse Dame, Versteigerungs- 
scenen. 

Nr. 8. Rotlikäppchen , Hier rulic sanft, von 
Nacht nmlaubt. 


grüner 


Nr. 1. Freischütz, Agathe. 

Nr. 2. Figaro’» Hochzeit, Page, Gräfin, 

Susanne. 

Nr. 3. Hugenotten, Schlnssscene. 

Nr. 4. Don Jnan, Schlnssscene. 

Nr. 5. Barbier von Sevilla, Graf mit Rosine 
am Klavier. 

Preise: Gross - Royal - Format cpl. in Umschlag 54 JC, einzelne Blätter 8 JC 
Folio-Format cpl. in eleganter Mappe 28 JC, „ „ 3 JC 

* . .Cabinet- ,, ,, ,? »» 9 JC 50A , „ „1 JC 

l JDie Originale sind gegenwärtig im Verein Berliner Künstler (Kommahdanten- 
strasse) ausgestellt und sind dort an der Kasse die Photographien zu den oben an¬ 
geführten Preisen ebenfalls zu haben. . 

Berlin, W., Leipzigerstr. 135. Carl Bruck (früher Carl Kranse & Co.). 


& 


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390 


Ute Äzgeitnmrl. 


Nr. 50. 



< fbctauan&Qcibe in 15 $rmfcc« 

Sieg. geb. 4 4 JL, brod). 3 JL 
3rtrr fiattb Ifcfrr Ausgabe ift cinjcln |n galten. 


gfrtij ^Ceufer’s 

flarnte Hüte un be lütte JJttbel 


SWit 36 Sttuftrationen öon ®ttd $pe&ta unb 
24 3ttufttationen oon #mit ®tto <£ait. 

©eljr elegant gebunben mit ©otbfcfynitt JL 10.50. 


gmpfeflftttgtt>erfQe 3feftflcfd)ettfte ans bem Vertage bet jötuJtotffYdlett jaofBn^ßttnbfttttg in Sigmar. 


|anuntltil)t f nit 


Qoik#a\x# 0 ab 8 in 7 gättben. 

(Somplet. ©legant in grüner ßeimoanb mit ©chtoarabrud 
26 oiC ©ehr elegant in rotier ßeinmanb mit reifer $ecfel* 
oergolbung 28 JL, brodjitt 21 JL 

firfi £is$cfc «tri nir nvflrt ii$r$rbi «. pttl riijrlir Jinlr ni^t 31 (iln. 


Jttfc ileuttr’s litt mitte Stromtib. 

Mene ittnftr. ^ra^t^uSgabe in 4.=t$ormat. 

SKit 60 Original-gttuftrationen tton /nbwtg TfittfQ unb 
16 Votlbilbem, fomic jaljtreidien OriginaUtignetten non $tto 
fnttf £au. (3m ©angen 140 gUuftrationen.) 

«ßreift in fe^r e(eg. Criginnl '^rarfjteittbanb mit ©olbfdjmtt 27 JC 
Vteift brod)irt 20 M. 

Saft Kerf ift aw$ in 20 Sieferungen 4 1 nt. na$ unb nai| 
}tt bejieden. 

giir ©nifttiknten tnirb bie Sinbanbbeite ;nm greife ton 
3 nt. 50 Vf. apart abgegeben. 


&us |ii| JSfuttt’s 

©ie bvzi $an$\qänfz. 

\ - 

SuftjpicI in 3 Steten. 

(güt bie S8iil)ttenauffül}tung eingerichtet non 
©mit ijßol)!.) 

greift bro<f). JL 1.50, elegant gebunben JL 2.25. 
5>ie Itter gegeßenen ^SiCöer (trtö ttter ^fTaC nach ^ett ^rtginaCjeicßnungen »erRCeinert. 


Der neue Catalog der 

Collection Litolff 

ist durch jede Musikalienhandlung gratis 
und franco zu beziehen. 

Zn Festgeschenken empfohlen: 

jSBtalia. Hrsg, von Karl Hillebrand. 
MS 4 Bde. 4 Bd. JL 8. —, geb. JL9. — 

H iCCOlO Machiavelli und seine Zeit. 

Von Pasqn. Villari. Deutsch von 
B. Mangold. Bd. 1. JL 8. —, geb. JL 9.20. 

ran8alpinische Studien von Wilh. 
Lang. 2 Bde. JL 6. —, geb. JL 7.50. 

rinnerungen an Italien von Emilio 
Castelar. Deutsch von J. Schanz. 
JL 4 * ”, geh. JL 5. 

ichelangelo Buonarroti. Von Leop. 
Witte. JL 1.60, geb. JL 2.— 

ichard Wagner. Eine musikal. Reise 
in das Beich der Zukunft. Von Fil. 
Filippi. Deutsch v.F.Furchheim. JL2. — 

RnB|er zweite Theil des Goetheschen 
ÜQÜ Faust, neu und vollständig erklärt 
von H. Kttntzel. JL. 2.— 

Verlag von H. Hartung & Sohn in Leipzig. 


Die Schnelligkeit, 

mit tueldjer jeber 8*ihmg$lefer bic Nachrichten aui ber Neichihmiptftabt empfängt 

giebt 

Bei ber SBahl einer Berliner Politiken ßeitung 

wohl den geeignetsten Ausschlag. 

2)ur<h einen neuen unb eigentümlichen Serf tuhnngg * Apporat ift ei ber 
„^ribüne“ gelungen, Betreffs UeBermittelung bei Xageimateriali an ©cfjnellig= 
fett unb Ueberfic^tlu^feit alle übrigen liberalen berliner gehangen weit zu 
ttbertreffen! 

®i wirb allen auimärtigen Abonnenten ber „Tribüne" bie wttfiänbiqe 
(nicht geteilte) tägliche Morgen*Kummer ber „Xribüne** bnr#f#nittll# über 
12 ©tunhen früher §«aepeEt, alb fie bie Morgen*Anggabe einer anberen Beniner 
geitung empfangen. Betfpielgioeife erhalten bie Abonnenten in (Slberfelb, Brei* 
lau, $anjig ic. burdj bie „Tribüne" schon früh Morgens bie Berliner Abeub* 
Nachrichten unb bie vollständigen Beriete ber Berhanblungen bei Neichitagg 
ober Abgeorbnetenhaufei oom Tage zuvor, toie benn überhaupt bie Abonnenten 
ber „Tribüne" auf bai ©enauefte oon allen Borfommniffen ber fReid^d^au^tftabt 
fchon früh SNorgeni unterrichtet finb, mährenfc alle übrigen Berliner Morgen* 
Seitnngen mit ben ermähnten Biittheilungen erft am Abenb beäfelben Sagei ein* 
treffen unb meift erft am borgen bei nli|pn Sageg gut Anggabe an bie 
Abonnenten gelangen. 

S)ie Gratiszagabe einei iHuftrirten SBibblattei, toie bie „'gSerCiner 
Wefpen“, toelchei längft unb unbeftritten §u ben befleu Arfifteinttugen hiefeg 
Benreg in ^entfcblanh gewählt mirb, fann bai Abonnement auf bte „XribünC 
nur doppelt vortheilhaft erf^eineu laffen. Beibe Blätter foften pro Ouartal 
nur JL 6.80 unb nehmen ju biefem greife fämmtliche Boünnünlten heg 
hentf^en Beileg BefteHungen entgegen. 


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Verlag bott 2 >unc&etr <fe «$umߣof ih <$eip$Tg, 


I lecip* tr* flanke. 

«mMQ ftmYVYYmTTIf¥V¥VliTfVirv^^ 

$en¥»urbigfeiten 

be8 

Ihutebujln» JtrJtai ton f läraktig. 

5 ©änbe. 

76 JC.; geb. 84 «*: 

2)eutfdje ©efd)idjte 

im Zeitalter öer Deformation. 

Sänfte Äuflage. 

6 Ȋnbe. 80 JC; geb. 86 JC 

3>ie römtf^ett Ränfte 

tn ben lebten oier 3af)tljuni>erten. 
*rö!f4re Ttusgabe. 3 »änbe. 7. Stuflage. 

16 JC 20 S,.- geb. 20 JC 
8tot-3Cti0gabr in einem »anbe. 9lad| ber 
fiebenten Sluftage. 10 JC, geb. 14 JC . 

@efd|if|t(, 

oornefjmftdj im 17. 3af)rl)unbert. 

9 Ȋnbe. 46 JC 

pot!|i|-$to$ni{ii|tfti|r ftaH«. 

«onfnloi. Stroit. Saoonarola. 

Don Carlos. 

11 JC 

irtr fronst 
Jmbrid^ SGBilJjelm IV. 

Stoci ©iogtaf)f|ien. 

4 JC 80 A.; in 8iebl)aberf|albfran jbb. 7 JC 80 A. 

Hie ©smaiten 

nnb Me tyanifdje SWonardjic 

im 16. unb 17. Saffrlfunbert. 

4. Sluftage. 12 JC 

Slu§ bem ©riefwedjfel i 

3frlebric5 QSifl)efm$ IY. mif SBunfen. ; 

9 JC\ fleine Ausgabe 4 JC\ geb. 5 JC ] 

Serbien nnb Me Türkei j 

im XIX. 3af)r|unbert 

12 JC 

Sur $enetianifdjen ©efd)id)tc. 

7 JC 20 A. < 


Qßop+ v* llttnkc*« 

fämmtlidje 28erfe. 

Sloeite Subftr. --SlnJgabe. 

iStfer etfdiienen 46 »be. a »b. 6 JC-, 
gebnnben in 23 fcalbfranjbänbe 260 JC 


St* <£«tU gvatxt&#. I; 
*om San gur Sonan. 

Sfteue ©ufturBilber aus §alb = 3[fien. 

10 JC\ geb. 12 JC 60 
Inhalt b« ccflen ßanbca: 

©inleitung. — Sftein Onfel ©entfärb. — 

2) ie ©ulgaren unb i$re Poeten. — Martin 
ber flhibel. — Sie ftleinruffen unb il)r 
©änger. — Sljobifa. — 8hitnäni(cf)e ©prtd)= 

»Örter. — föumänifdje Sßoeten. 

3nbait U$ fociten ßanbes: 

S)ie „©entrungenen". — 9ttarfttag in ©ar= 
now. — Ser »tfbe ©taroft unb bie fdjöne 
Sütta. — genfer unb*%jö^o. — $n «ßeft’ä 
©erbrcdjerljöfKen. 

jlus Jtotö-Jl/ien. 

©ulturbilber au$ ©alijien, ber ©ufotoina, 
©iibruftlanb u. Shmtänien. 

3»ette Auflage. 10 geb. 12 JC 60 A. 
3nbak bcs erftrn ßanbes: 

®hi8 §alb=9lfien (©infeitung). I. Äug 
©alijien: Ser Stufflanb bon SBofotoce. — 

3) er 9iidfjter bon ©iala. — 2B(abi3la» unb 
SBfabiöIatua. — ©Ritter in ©arnoto. — 
Sübift&e ^oren. — ©in jiibifdjeS ©otfö* 
geriet. — Ser föttarae «braljam. — 9htc 
ein ©i. — II. 2lu§ ©iibrufclanb: 3m 
§afen bon Obeffa. — Ser ©c§na#$graf. — 

2lm STItate. — JUfoIaji Spatuloff. 

3nbalt U$ gelten ßitnöro: 

III. STuö Rumänien; 8iumänifc^e grauen. 
— Sancu ber 9iid^ter. — OJoubernanten unb 
©eftneten. — 2^obte ©eelen. IV. Sie !. t 
Sfleaction in „4?alb = «fien^; toffu% ! 
3fagben. — STuc^ ein ^oebberrät^er. — Ser ! 
tateintfdje Kanonier. V. &uö ber ©utosj 
»ina: ©on 3Bien noc^ G^eniolut^. — 
Btoifdjen Sniefter unb ©iftria^n. — (£in ' 
©ulturfeft. — Sießeute bom nm^ren© tauben. 

Die Jnben non ßarnom. 

©efd^i^ten. , 

dritte Stuftage. 6 JC-, geb. 6 ,i 40 


L ($0ka* ikftL ! 

w wi i wiw» 

5 Weite Probleme 

ker ner$leid)enken (Erkknnke 

afö ©erfu^ einer ÜRorp^otogie 
ber @rboberftäcf»e. 

®ritte Stuftage. 6 JC 

Slb^anbiungen 

. snr ^rb- unb ^öfkerknnbe. 

§erau3gegeben Don 3. Cötüfnbfrg. 

3 »änbe ü 10 JC, geb. ä 12 JC 

lll 

^iHkerkwnire^ 

dritte nnb bierte Stu^bge. 

11 JC 20 geb. 12 JC 80 -V 

Wfdic drbfnnbc. | 

!ßäc^ ben ^intertaffenen SWanuffrtbten 0?far 
©ef(|elÄ [elbftänbig bearbeitet unb $etau8* 
gegeben bon 

* (SwflatJ £cipol5t 

®rfter©anb. 9Wit bielen ipoljf^nitten. 12 JC 

2>uttrfer, 

^efdn^te kes ^Utertljumo. 

4 ©änbe. 

»rö3 40 JC-, geb. 48 JC 

SitrB.liS, 

©aeüje. ©ottrdjeb. 

Btt) ei ©iogrof)t)tett. 

»rei3 2.Ä 8ö A., geb. 4 JC 

Kaufmann, 

2)eutfdje ©eft|i^te 
j Ms auf <#atf ben 0ro|«i. 

I Sonb I. , 

»reis 7 .* 20 A-; geb. 9 JC. 

t — — 

| non Sfpelmann, 

| 9>tcr Sege bnrd| 9lmertfa. ; 

3Kit 18 ©oübirbem unb 3 harten. 

13n feinfter Wu^flattung geb. 80 JC' 3n j 
Maroquin 60 JC 


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1 

§ 

1 

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RUD. SCHUSTER (C. G. LÜDERITZ KUNST-VERLAG) BERLIN. 


Soeben erscheint: 


STAMMBUCH 


I 

& 


DER 

NATION ALGALERIE. 

Radirungen von Ernst Forberg, Hans Meyer u. A. 
Herausgegeben von Dr. M. JORDAN, 

Direktor der National - Galerie. 

Ausgabe I. Die ersten fünfzig Drucke nummerirt in Mappe I Ausgabe II. Elegant gebunden in der Manier der Pergament- 
nach dem Entwürfe des Prof. C. WALTHER zum Preise Einbände des 16. Jahrhunderts nach dem Entwürfe des 

von ioo Mark. [ Prof. WANDERER zum Preise von 50 Mark. 


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i 

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VATERLÄNDISCHE 

REITERBILDER 

AUS DREI JAHRHUNDERTEN 


W. CAMPHAUSEN. 

Biographischer Text von Th. Fontane. — Illustrationen des Textes von Prof. L. Burger. 
Pracht-Band nach Prof. L. Burger’s Zeichnung. Preis 50 Mark. 




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Verlag von L. R 08 H 6 r in Wien. 

Soeben erschien und ist durch alle Buch¬ 
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Der 

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Ein Roman ans Ravenna’s Tagen. 

Von 

Julius von der Traun. 

8. 280 Seiten, fi. 2.40. = M. 4.80. 


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&cr V. Serie brr iPcrcittepitbllkationett ausgegeben unb an bie HJitL 
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Pret* bze Cbinjelbanbrs in elegantem fljalbfnmjbanb 6 
SitßaCf: Äbelina ©attt. — Dpem* Sweater in Stätten. — ! ’ : 
Stufitalifdje ©riefe au£ ©art$. — flHdjarb SBagtterS ©ü$#enc: 
fefrjpiei in ©abreutt). — Ä’rittjdje SRadjfeier bon ©abreutl). — Söagner’ä SUbelungenring. — j 
9ieue beutfdje Oper. — (©olbmart, Königin bon <3aba *c.) 

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allen ©udjljanblungen fotoie bem I 

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f Alle 14 Tage erscheint eine Lieferung von ca. 6 Bogen. — Nach Vollendung des 
[ Werkes tritt der frühere Preis von 45 JC wieder ein. — Vollständiger Prospect gratis. . 
f Bestellungen auf diese neue wohlfeile Subscriptions - Ausgabe nimmt jede Buch- oder 
C Musikalienhandlung entgegen und legt die erste Lieferung zur Ansicht vor. 

t Leipzig, im November 1879. Die Verlagshandlung F. E. C. LeuckftPt.’ 


gflt bie Steftaction öecanuoortlid): $eorg StiffU in 
®riuf bon ft. ftufttttr in /eipitfl. 


£x«>f*ttta», ®trCi« W M Öc&wn‘Strafte 4. 


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M 51 . 


HJetfin, ben 20. 3>rcm0er 1879. 


Band XYL 


fie <*cgcmtmrt 

äßodjenfchrift für SHeratur, Ältnft unb öffentliches Sehen. 


Herausgeber: '•JfrtUf j£ittb(ltt in Sertin. 


|ila $aulal irfdjtiil tiu imnrt. 

flu taitbcit buttft alle Budibanblunflen unb SBoftanftatten. 


Beileget: Georg Stille in Berlin. 


fteis p* C&adtl 4 iart 50 |f. 

3njetatc jebet Rrt pto BQettttfttne SBetttjetle 40 Sßl 


(fcnglanb unb bie irij^cn Parteien. SSon Staxl ©linb. I. II. — Literatur unb ftttnß: Äarl Ghifeloto. SSon ft. ©oebele. — 
gtrbtnattb greiligratlj« drftlingc. SSon SBilbclm ©udjner. (gortfefcung.) — ÄH* ber gaubtßabt: Um 2Beil)itad&ten. )8on 
3. Xrojan. — 3)ramatij(^e Sluffüljrungen. „$>ie $e£e." ^rauerfpiel in fünf ^ufjügen toon 5Irtt)UT gitger. Befotoc^en Don ^aul 
Einbau. — üßotijen. — gnferate. 


gnbaft: 


fötglanb tmb bie triften Parteien. 

Bon Karl Slinb. 

I. 

2öer bie tiefere ©runbftrömung ber irifchen Bewegung 
erlernten wifl, ber brauchte untängft nur in ben H^be^arf ju 

& — ben, freilich flauen „Hons Sacer“ ber Sonboner 
Smaffen. Sn Sonbon ift ber Sifc beS ©ofljugSauSfchuffeS 
ber H°nte=3ftule=2iga non ©rofjbritamtien. Sn Sonbon Wohnt, 
wie man fagt, etwa eine ptbe ©iißion Sren, ober folget, 
bie ft cf) nod) als Slbtömmtinge non Söffnen beS grünen ©rin 
erlennen taffen. Sn Sonbon auch ift fetbftoerftönbtidj ber 
fittigenbe ffiinflufj fortfchrittlicher ©eftrebungen auf atte Steile 
ber ©inwof)nerfcf)aft tf)ätig; ^ier bürfte man atfo am elften 
erwarten, bafj bie ftockultramontanen 2)untelmänner beS eigent= 
liehen ©faffemtefteS mehr in ben $intergrunb treten. 

SBie jogen nun aber bie Sren im Hpe=sßart auf; 
2>eutet bie gabne bie ©efimtung an, fo hatte man einen 
tatholifchen Sonberbunb not fi<h- ÄuS ben Säuberungen 
ber ^ßreffe läfjt fich bieS mertwürbiger ©Seife nicht entnehmen. 
3)ie Sonboner SBiätter finb für bie SBeridjterftattung über ©oltS= 
»erfammtungen unb bergteidjen meift oon Sren bebient, welche 
flinl unb materifd) ju ft^reiben wiffen unb in ber unteren 
3eitungSWelt SonbonS überhaupt eine mertwürbige Stellung 
entnehmen. Unter Umftänoen ift ben aus irifdjer Duelle 
ftiefjenben ©erpten bodj wenig ju trauen. 2ßit einer ge= 
wiffen trägen ©leidhgültigteit taffen bie ©ebactionen gleichwohl 
in biefem ©untt ÄßeS beim Sitten, auch wo bie einfadjfte 
Älugheit geböte, burdj unparteiifchere ßeugen bie „wahre 2öaf)r= 
heit" ans Sicht ju bringen. 

So erfuhr man benn aus fämmttidjen Sonboner ©lottern 
nichts über baS papiftifdhe ©annergewimmel am entehrten 
©eformerSbaum beS nietburchtoften Hpbe^artS. 

Seit nieten Sauren gewohnt, mir bie ÜJtaffennerfamm* 
tungen non greunb unb geinb unter freiem Himmel ntit 
eigenen Äugen ju befitätigen, fc^ritt id) aud) bieSmat unter 
bie irifc^e SÖtenge. Sie war an $at)t geringer, ats ich er= 
wartete: pc^ftenS 8—10,000 mit ©infchlu| aß ber jufäßig 
Suftwanbetnben, bie ab= unb jugingen. ißre|beric^te aber 
reben oon 50,000, oon 100,000, ja non „100—150,000 nad) 
ber geringften Sc^äbung"! ©in einziges, beffer bebienteS ©tatt 
gibt bie Ziffern auf etwa 10,000 an. 

Ueber ben fonberbaren gatinenfdjmuä fdpoeigen bie ®ar- 
ftetlungen. S)ie SBatjrbeit ift, ba| — abgefe^en non ein paar 
©annern mit rabicaler nuffepift, ober non fotzen, unter benen 
bie Sdpartenfjätfe beS £pborne*ÄnwatteS Steneatp marf<^ir= 
ten — bie äJiet)rjaf|t ber großen gapen ©Uber mit 3opn= 


neS bem Xäufer, bem ^eiligen ÄtopjiuS, bem Sßapft u. f. w. 
trugen, ©in ©iefenbanner geigte jwei römif<^=!atplipe ©rie= 
fter im Ootten 9Jie|gewanb Oor einer ÄreujeSfäute mit bem 
ftammenben H er ä en - ©äute fetbft, mit bem auf fie ge* 
ftetlten ÄreujeSrab, baS einer ber ©riefter mit bem ÄreujeS= 
ftab berührt, erinnerte ben SBiffenben an uratte fogenannte 
retigiöfe ©ebräuc^e, bie wir, iljrer befonberen ©igenPaft falber, 
turjweg als papbifc^e ober fabäipe anbeuten wollen. 

©ingS um bie SRebnerbütjne ftanben biefe ©anner ge= 
reifjt. 3)er Statten beS ©iftbaumeS im ©atican war mitten 
in ben Hpbe=©art hinein geworfen. 9Kan glaubte fidj in bie 
Sujemer Xage non 1848 nerfe^t, ep nod) bie ftarfe gauft 
fc^weijerifdjer greiljeitgmänner bie römifd^e Sd|tange erbrürft 
Hatte. 

©iner ©ntepung gti^ ba bie ©orantragung ber 9ieform= 
fape eines ©otfSoereinS ober baS getegenttid^e Äuffpielen 
eines grei^eitSliebeS. ©S fa^ wie bie ©taste beS 3efuiten= 
tfjumS aus, baS fid^ in alterpnb ©eftatten ju werfen, oft 
fetbft feine natürlichen ©egner fidh bienftbar ju machen wet|. 

U. 

3E8er es mit ber Äufttärung, bem ftaattichen gortfehritt, 
ber ©ottSWot)Ifahrt im Ättgemeinen reblidh meint, ber rann 
unmöglich wünfdjen, ba| Srlanb ju einer felbftftänbigen $od)p 
bürg ber ©terifei, ju einem uttramontanen 3wing=Uri beS 
brittifi^en ©eidheS werbe. Äm tängften h<U fich W« 3 une ’8 un 9 
ju bem irifchen Sonberbünbterwefen unter fremben ©öltern 
bei ben fjranjofen erhalten. ÄßeS, was auf Schwächung @ng= 
tanbs auSging, war feit Sprfiunberten bort bei ben ner= 
fdhiebenften ©arteien beliebt. SBBie non grantreich aus baS 
beutfdhe SanbeSfürftentljum gegen bie ©eichSeinbeit nernuftt 
würbe; wie man non borther unfere ©etigionStämpfe au8= 
beutete, unb, trofc „aßertatholifdhfter SDtajeftät", bem Sürten, 
ats er noch — wie pute ©ufjlanb — ein geinb ber euro= 
päifcheit Sicherheit war, feierlich bie $anb reichte: fo machten 
bie franjöftfchen fiönige auch gemeinfdjnfttidhe Sache mit ben 
irifchen unb fdjottifdfjen geinben ©ngtanbS. ®ie Uebertieferung 
ging auf bie ©epubtifaner grantreictjS übet. 2>aher bie gro|e 
©eliebtheit beS ©ebeßentieoeS ber Sren: 

„The French are on the aea“ — 

Says the Shan Van Voght. 

(„®ie gtonjofen ftnb auf ber ©ee" — 

©agt bie atme alte 3xau.) 


Sn neuerer ßeit finb bie ftanjöfifchen S)emofraten non 
ihrer früheren ßuneigung feljr jurüdgetommen. Äße gtü<ht= 
tinge biefet ©ation, bie ich i u fptedjen ©etegenheit hntte, unb 
bie nach bem Staatsreich Subfnig ©apoteonS ihren Äufenthalt 


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394 


Die <5egenmart. 


Nr. 51. 


geitmeilig in Srlanb genommen Ratten, gingen böEig betehrt 
nach ©nglanb gurüct. TaSfelbe mat ber gaE bei frangöfifchen 
Verbannten oom Varifet ©emeinbeaufftanb, bie einen SÖefuct) 
briiben gemacht. granjofen, Teutfdje, Italiener unb Ungarn, 
bie jtdj i£>r Urt|eil an Ort unb ©teile bilbeten, finb alle über* 
geugt, baft bie ßoSreiftung 3rlanbS non ©nglanb, ober bie 
©rfchütterung beSSleichSoerbanbeS burch ©inführung beS §ome* 
Stute, ein Verberb für bie ©ad)e ber greiheit, ja gerabegu 
ein europäifd)e3 Unglücf märe. 

®enn am ©nbe bleibt bodj ©nplanb, bei aü feinen rniber* 
fprucf)§öoEen UnooEfommentjeiten, bte gröftte „Ttjrannenmehre" 
unfereS SBelttheilS — fogar unter einer conferoatioen 9Regie= 
rung. ©nglanbs ©chmächung ift babjer nimmermehr gu münfdjen. 
©eine ©djmächung burd) baS §ome-Stule märe aber eine 
hoppelte: nach Stuften h^u, oornehmlich gegenüber Ütuftlanb; 
unb nach 3unen burd) bie barauS entftehenbe Untergrabung 
einer gegenmärtig ftarfen parlamentarifchen SRadjt. 

Stlanbs ungufriebette Parteien theiien fich in eine Steihe 
©ruppen ab, bie fich unter einanber oft nicht mit geringerem 
£aft befehben, als ben gemeinfamen ©egner — ben „blutigen 
©adjfen". ®ie $ome=StulerS moEen eine SBieberherfteflung 
ber irifchen ßanbesoertretung neben ber engtifchen, taffen es 
jeboch im 3)unfel, in melier SBeife ein gemeinf<haftlid)eS SteidjS* 
Parlament bie ^auptangelegenheiten behanbetn foE. Tue 
Slationaliften oerlangen bie reine Sßerfonatunion, moEen 
oom fReich als folgern unbebingt nichts miffen, unb nur bas 
fog. „golbene Vanb ber Krone" beftehen laffen. 2)ie genier 
arbeiten für bie einfadje ßoSreiftung. ®ie Uttramontanen 
enblich bilben gtoar in gemiffer SBeife eine gartet für fich, 
infofern fie oor StEem auf bie ©ebote aus bem Vatican horchen, 
finb aber anbrerfeits in aEen politifdijen Parteien oertreten — 
einfchtieftlich ber genier. Unter biefen fieberen, beren ©tärfe 
eigentlich in ben auf amerifanifchem Voben geftifteten Vereinen 
liegt, gibt es aflerbingS ®emofraten unb auch ©eguer beS 
VriefterthumS; aber man mürbe — unb ich fage bteS nicht 
leidhtmeg — gemattig irren, hielte man baS genierthum für 
frei oon bem cleritalen ©influft. T)aS genierthum ermuchs 
ursprünglich aus ber ,,^ß^önijc=®efeltfchaft"; unb beren 
©tifter maren SRönche. 

Obiges finb bie §auptgruppen. 3m Unterhaus hatten 
bie guerft genannten $ome=9tuler früher fperrn Sfaac Vutt, 
jefct haben fie §errn ©harn gurn gührer. ißrofeffor ©mith 
oertrat bie Slationaliften. 2)ie genier befaften anfd)einenb fein 
parlamentarif^eS $aupL Sn jünafter ßeit haben fid) unter 
VarnellS ßeitung bie Herren O’Sonnor V 0B >er, O’2)onneü 
unb Vigger berart oorangefteEt, baft bie mäftigere §ome*Stule= 
Stichtung bebeutenb fanf. 

Vutt mar $roteftant, urfptünglich fogar Tort). Such 
VaroeB gehört äufterlich bem proteftantifchen Vefenntniffe an. 
Vei ben listigeren Uttramontanen 3rlanbS ift es je|t Taftif, 
einen „Vtoteftanten" oon ©Ijtgeig als glagge gur 3)ecfung 
ber priefterlidjen Sabung gu oermenben, um bie öffentliche 
SReinung ©nglanbs irre gu führen, jebenfaES gu fpatten. 
ERan Oerfährt babei nach bemfelben ©runbfaj}, mie bei ber 
Sfunbgebung im $hbe=^arf, mo man bie gähne eines Volts* 
oereinS ben päpftlichen Vannem oorauf gieren lieft. 

Vutt tjjat fein ERöglichfteS, um bie römifd) s tatholifche 
©eiftlichfeit gu befriebigen. ©leichmohl mürbe er theils burch 
bie Angriffe ber äufterften Vaticaniften, theils burch biejenigen 
ber Stationaliften, theils auch burch perfönlie^e ©iferf üdjteleien 
unb ©ehäffigfeiten, bie in ben irifchen Vemegungen eine fo 
grofte Stolle fpielen, frühzeitig ins ©rab h'uein geärgert, 
©ein Stachfolger ©ham trägt auch fd)on bie Tornentrone. 
@r mürbe fogar oon oornfjerein nur gum gührer auf Kün* 
bigung, b. h- uur mährenb ber Vatlamentsfijjungen unb btoS 
für bie gäfle, über bie man fich geeinigt hatte, ermäljtt. 
Kaum irgenbmer oon ber „irifchen Vrigabe" nimmt Stücfficht 
auf ihn. ©eine ©teEung gleicht berjenigen beS ERaitneS, ber 
fich feh r geehrt gefühlt hatte, in ber Sänfte getragen gn roer* 


ben, menit fie nur einen Voben gehabt unb er bei feinen Um* 
fahrten nicht inroenbig hätte gu guft gehen müffen.’ 

VarneE ift je|t ©egentönig neben ©ham, ober oerbunlelt 
ihn üielmebr gang. ERan hat in ber beutfchen ^ßreffe oon 
VameE als einem freifinnigen Eitanne fprechen moEen, meil 
er einmal einer ©ruppe ^omesStuler gefprächsmeife baS SEBort 
„papifttfche Statten" in’S ©eftcht marf. S« SBirflichfeit moflte 
er bamit nur fagen, baft eine Snjahl fatholifcher $ome«8tuler, 
anftatt aBnächtli^ ben fogenannten „DbftructioniSmuS" bis in 
bie h«Ee EJtorgenfrühe ju betreiben, bereit maren, baOon ab* 
juftehen, um oon ber Stegierung ein ßugeftänbnift in ©achen 
beS fatholifhen .fjochfcftulmefenS ju erhalten. IßarneES Smecf 
ift oor SEem, in bie ERafthinerie beS SteichSparlamentS einen 
ißrügel ju merfen. Sm Uebrigen hat auöh w, gleich ®trtt, 
fich UltramontaniSmuS finben laffen, 

unb es haben fich baher fatholifche ^riefter oft an feine ©eite 
gefteflt. Äönnen bie fRömlinge bem englif^en Steich mit einer 
Bange, beren ©pifte „proteftantifch" gefchärft fcheint, eine 
SBunbe beibringen, fo macht ihnen bieS ja nur boppelteS Ver* 
gnügen. 

Stehen ober hinter ißarneB, ber jmifdjen ^ome=Stuler» 
thum unb StationaliSmuS hin unb her fchiEert, in neuefter 
ßeit aber bie ©rnnbeigenthumsfraae als SlgitationSmittel 
benu^t h°t/ fteht §err Vigger als „Vater Sofeph". Vigger 
ift jmar eigentlich nicht mit priefterlid)em Oele gefalbt, fon- 
bern einfach Oelhänbler. ©eine Unfidhten finb eher noch 
fenifche, als nationaliftifdje. Sin feiner StömlingSgefinnung 
jmeifelt inbeffen Stiemanb; unb fo fchlieftt auch WeS le|te 
©lieb ber irifchen Äette mieber mit ber fchmarjen garbe 
ab, obroohl Vigger fich gern als „®emofraten" bejeichnen läftt. 

Slufter grage fteht es übrigens, baft, rnenn in einem 
felbftftänbigen Srlanb baS aBgemeine @timmred|t entfthiebe, bie 
ungeheure, mefentlich aderbauenbe VolfSmaffe jmar gemift bie 
©runbeigenthumsfrage ju ©unften ber fleinen Vü^ter löfen 
unb fie ju gr«ih°t^ e a machen mürbe, fonft aber baS fianb in 
bie |)änbe ber römifdjen ©lerifei gäbe. S)ie ftäbtif^e 
Veoölferung Srlanbs ift oerhältniftmäfttg bie geringfte im 
gangen Steich. 3)et Vauer fteht gang unter bem ffiinfluft bei 
„guten fßrieftcrS". 

(Schlug folgt). 


JiUtatut unb 


Äarl Guhkom. 


$eute oor einem Sahre ftarb ©upiom in ©achfenhaufen. 
Stefrologe erfchienen bamalS unb feitbem in aßen gröftnen 
Vlättem. SltS ich bamalS bie Vapiere burchfah, bie fich auf 
frühere Verbinbungen mit ihm begiehen, fiel mir eine auto* 
graphifhe ßebenSffigge in bie $anb, bie mir ©uhfom auf meinen 
SBunfd) gefanbt hatte, als ich iut grühjahre 1859 ERaterialien 
für meinen ©runbrift gur ©efchichte ber beutfchen Sichtung 
fammette. SBenige oon benen, bei benen ich nachgefragt, am* 
morteten fo entgegentommenb unb ausführlich, mie ©ufefow. 3<h 
hatte in früheren 3ab«« hi» unb mieber Slntheil an feinem 
Telegraphen genommen, menn es bie Gelegenheit mitbrachte, für 
hannooetfche ßefer ein SBort ju fagen, baS innerhalb beS Äönig* 
reichS nicht gebrudt merben fonnte unb nur in Hamburger Seit* 
fhriften auf notbbeutfdje ßefer gählen burfte. ®er Hamburger 
Sorrefponbent, bie Vlätter ber VötfenhaQe, ber Zelegraph 
oerfammelten bamalS, gur ßeit beS h««nooerfchen VerfaffnngS* 
fampfeS, aBe gröfteren ober geringeren Kräfte, bie fleh ber recht!* 
brüchigen ©emaltherrfchaft entgegenfteBten. fluch bie ber 9tah : 
barftaaten. ©o hat felbft Sacob ©rimm einmal btreh mith ben 
Telegraphen aufgefud^t, um eine pifante Vemerfung über heffifche 
ßuftänbe an bie Deffentlichleit gu bringen. SRan trat beShalb 
noch nicht für bie leitenben ©ebanfen jener Vlätter ein; mau 
moEte nur für bie eigenen SRittheitungen einftehen, unbefümmert 


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Nr. 51. 


JHe Gegenwart. 


395 


um baS, wag in unmittelbarfter Rälje betfelben behauptet ober 
beftritten, gelobt ober getabelt würbe. Sieben Sr. $ebbet erftbien 
©manuel ©eibet mit ©eiträgen, für bie fonft feine Stätte ju 
finben war, neben Seoin Sdjüding, Hermann Setmolb unb 9tlbert 
Oppermann. Son ©artei * ober ©liquenwefen toar feine Siebe, 
aber eine freunblidje perfönliche 'itnnäfjerung fanb ftatt, bie aud) 
wobt in ©tiefen über bie eigentliche rebqctionede unb mitarbeite: 
riftbe ©ovrefponbenj hinausgriff. 3<h befifce notb eine 9lnjal)l 
©ufcfow’fcher ©tiefe aus jenen Sohren, finbe jebocb in feinem 
betfelben auch nur einen ©erfudj, ©influfj auf mich ju gewinnen, 
um mich, ben jüngeren, für Ißarteijwede in Sljätigfeit ju fefcen. 
Sah« finb bann oergangen, ohne bafj eine ©erübrung ftattge: 
funben ^ätte. 3m ©lärj 1859 fanbte et mir ein gebrudteS 
Schema auSgefüdt jurücf: „Karl gerbinanb ©ujjfow, geb % 17.©lärj 
1811 in ©erlin, gegenwärtig in SreSben priüatifirenb", unb fügte 
bann hinju: 

„Sie äußern Sata meinet Sehens finben fidj in ber neueften 
Auflage beS ©onöerfationSlepfonS am richtigften. 9118 ©ntwid: 
tungSmomente möchte icb folgenbe bejeichnen. ©lein ©eginn War 
ein oödig unliterarifcber, wenn man bie Siteratur in bet Se= 
bingung be8 SnhaltS burcb bie gorm finben muff. 91de8, wa8 
fpäter in mir jurn Sotfdjein fam, war nur anfangs latent 
oorbanben. ©lebt Sinn war mebt auf Ülction gerichtet, als auf 
bie gebet, iperborgegangen au8 ber pietiftifch -- büreaufratifch= 
militärifcben ©ertiner SBelt bon 1829 unb 30, felbft ber £>egel-- 
fchen Sehre als einer bamals nur antiliberalen abgeneigt, abop= 
tirte ich bie 3B. ©lenjel’fche ©olemif als 9luSbrucf beS burfchen= 
fcbaftlicben SBefenS, beffen $auptrichtung Staat unb Nationalität, 
beffen äftfjetifche Sntegration oorjugsweife bie Romantif unb 
3ean ©aul war. 3<b h a &te S?eine. 3<h gewöhnte mich febr 
fcbwer an bie Nacftric^t, bah ©ötne 3ube war. 3<b 8’ n 9 1831 
ju ©lenjel, um ihn im Siteraturblatt ju unterftüfcen unb würbe 
(20 3abr alt) bon ihm nur ju ben 8®eden feiner ©olemif 
berwanbt, bie tbeilS perfönlidj, tbeilS fcbablonenartig war nach 
gewiffen Kategorien, benen er 9lde8 anjWängte. ©lein urfprüng: 
lieb weiches, ja bamals pr ßtjrif geneigtes SBefen (ich fc^rteb 
©erfe) würbe bon ihm perhorrefcirt unb nur pr ©olemif an: 
geftachelt. ©feine überwiegenbe Stimmung blieb bie actibe, icb 
möchte fagen confpiratorifdje für bie äußeren politifchen Buftänbe 
Seutfd>lanb8 unb borjugSweife bie ©onftitutionalifirung ©teufjenS. 
So arbeitete ich für Stottert, SBelcfer, SB. Sdjulj unb 9lnbre, 
bie bamals politifche ©lätter fcbrieben. 

„©leine probuctibe 9lber war nur bie beS $umorS unb ber 
Sronie. Bur boHen Satire hatte ich jutriel Sprif, Sentiment 
talität. Stad) biefer Slichtung hin fdjrieb ich meine erften Sachen, 
„Stero" j. ©. ift ganj unter ben ©inflüffen beS Sied’fchen ®e= 
fchmartS getrieben. 

„3<h weih nicht, wohin i<h fo gefommen wäre, wenn ich 
nicht burch ben pribaten Spott anbrer jüngeren Ütutoren, oor= 
jugSWeife SaubeS, auS biefer SBeife berbrängt worben wäre. 
Ser Bufatl unb bie gleite literarifche Stellung brachten mich 
ihm nahe, obgleich mir feine burfdjifofe Unreife unb wieber auch 
commisartige Unbilbung wiberlich waren. Siefe ganje Stiftung 
ftü|te fich auf $eine. 

„Surdj bas Stubium ©eorge Sanbs unb bie Xljat ber 
Stieglifc fam ich auf bie größere SBaljrheit ber ©rregung unb 
befam mehr ©bitwärme. @8 folgte eine bebeutenbe Beit in 
unferm ©eifteSleben. 3ebe Siteraturgef Richte ift unwahr, bie 
ohne ©egeifterung bon ben Sahren ,1833 bis 1836 fpricht. 
Slahel, ©ettina, ©arnljagen, bie Siteratur über ©oetfje, bie 
bamals unbebingt höchft achtbare franjöfifd)e Siteratur (©.Sanb, 
©alpe, be Signp, Samartine, Samennais), bann Sulwer, ber 
©proncultuS, alles bas war neu. Sie in ber ©olitif erftorbene 
©ewegung fe|te fich in ber Kunft unb Siteratur fort. Sarübet 
fatirifiren ober ben ©erbammungSftab brechen, ift unoerantwort: 
lieh- ®ie literarifdj'poetifche gorm galt wenig, bie 3been= 
Welt war SdeS. 

„SaS „junge Seutfchtanb" war ein Slefultat biefeS „©eifteS: 
frühlings". @8 würbe ein Stichwort wie je|t „BufunftSmufif". 
©in ©unb bon Stutoren 4 la 3unge ©ermanen war nicht ba. 


Ser ©unbeStag machte burch fein ffiinfdjreiten eine „Schule" 
barauS. 

„Sie erhöhten SBadung meines ganjen SBefenS brachte 
mich utit ©lenjel in ©rudj, ber nur allein pitante Kritifen 
fchreiben wollte unb fich über Saube, SBienbarg, SDtunbt ärgerte, 
©r berbot mir bie ©ejietjung p ihnen unb neigte fchon ftarf 
ju feiner rein ©örreS’fchen Schwanfung, pr firchlichen unb poli: 
tifchen Sleaction. 

„®rft 1834, wo ich nach granffurt a. SR. jog unb mich 
in ©oetljeS Sehen unb Sitten mehr bertor, fam mir bas poe: 
tifche ©ewu^tfein pt boderen Klarheit. Sie, welche meine „SBadp" 
oertheibigen modten, um mich non bem 33orwürfe ber Sltheifterei 
ju reinigen, brachten eS auf p fagen: „Unb bann — ein fo 
unbebeutenber Stoman —." 3<h holle (auf ©efahr ber 9ln: 

mafjung) SBadp für bie bamalige Beit poetifch für ni^t fo un: 
bebeutenb. 3<h flefte^e ferner, bah i<h fürjli^ meine Kritifen 
im Siteraturblatt beS ©hönij (1835) wieber las unb fie an 
jebem Slnbern anerfennen würbe. Sie finb oft grob, aber 
burchweg naib, aufrichtig unb fagten adeS bas juerft, was 
je^t über bamals erfdjienene SBerfe überad p lefen ift. 3<h 
wünfehte, ein Siterarljiftorifer läfe biefe Arbeiten in ber Beit: 
fchrift felbft. 

„3n ber bann folgenben Seit würbe ich baS Opfer jweier 
©erhältniffe. 1) SaS Schidfal ber 3Badh hotte mich ifolirt, 
mir überad Schwierigfeiten gemacht, meine Kritifen überad 
geinbe. ©lein eignes Können War mir felbft berbunfelt. 3<h 
taftete unficher. SamalS h<Ui’ ich 5 ur ®ül)ne gehen foden! 
3ch befa| noch bie rechte chaotifche ©ährung, aus ber heraus 
baS Srama ©utturmoment werben fann. 3<h gerieth aus 
©letandjolie p „©lafebow". ©S ift ba p erwägen, ob ich nicht, 
ganj entgegengefefet gegen bie gewöhnlich wiber mich erhobene 
Slnfchulbigung, ich franjöfire ober liehe bie ©erfonen über Sen: 
benjen fdjwahen u. bgl., fowohl in Seraphine wie in ©lafebow 
unb bielen Heineren Arbeiten, auch in SBadt), lange bor Suer: 
bach u. 91., natürliche SebenSpftänbe, boltsthümliche Situationen, 
au8 bem Sorfe, ber Sehrerwelt, bem ^anbwerfleben fchilberte. 
@S fehlte mir nur bie pfammenfaffenbe ©eftaltungSfraft, bor= 
jüglich ber ©egriff: SBaS unterhält? SBaS fpannt? 3<h fonnte 
nicht berwirteln unb p einem Schluffe gipfeln. 

„2) ©egann eine ©lifere beS SebenS. 3ch heiratete, würbe 
bon ben Regierungen berfolgt unb Würbe literarifdjer Proletarier. 
3rt| muhte Sournale rebigiren unb gerieth in baS ganje ©lenb 
ber Heinen alltäglichen Siteraturjuftänbe. ©rbittert burch meine 
Sorgen, burch 9lnfeinbungen unb ©eringf<hä{pngen berfümmerte 
ich foft in Hamburg. Unb hoch ift eS ungerecht, ju überfeljen, 
WaS ich bamals in bem Kampf ber Kölner SBirren, ber gehbe 
mit Seo unb ben ^gelingen u. f. w. leiftete. Sie heutigen geuide: 
toniften, bie baS grohe SBort führen, $erru 3uüan Schmibt 
feine SEBeiSheit nachbeten, fodten meine jerftreuten fteinen Schrif: 
ten lefen; fie würben mehr finben, als fie je|t leiften. Sie ©e: 
wegung bet „$adif<ben Sohrbüchet" berfchlang adeS baS. Siefe 
traten bod Pnmahung unb mit profefforifchem RimbuS auf. 
Sie hotten bie gotmeln bon $egel, ben 3«holt bom fo fchnöbe 
abgewiefenen „jungen Seutfchlanb". 

„Hamburgs Sheaterlebcn weefte bie nun wieberfehrenbe 
Reigung jur ©ühne. Rur war babei ju bebauern, bah bie 
©efanntfehaft mit ber prattifchen ©ühne auch bie ©länget im 
©efolge hotte. Schoufpieler hingen fich on mich, bie mir für 
bie höheren 91nfotberungen picht förbertidj waren. Sennoch gab 
ich öaS Signal ju einer neuen 9lntbeitnahme an ber ©ühne. 
SaS ©ute hotte ich bon bet ©efanntfehaft mit bem „Sheater: 
publicum", bah mir bamals überhaupt erft bie ©erantmort: 
licfjfeit beS ©efchriebenen oor bem Sefenben Har würbe, 
©leine ganje 9tutorfchaft machte burch gefdjeiterte ©erfudje furcht- 
bare Krifen, j. ©. ben Surdjfad bon „Schule ber Reifen" in 
Hamburg, ©lein Seben geftaltete fich immer ernfter. ^>äuS: 
licheS Seib nagte an 9ldem. Sorge unb ©ntbehrung oerfolgten 
mich- ©rft burch bie Reife nach ißaris 1842 fam ein neuer 
SebenSfdjwung. 3<h hotte bann grohe ©rfolge. „B*>Pf unb 
Schwert" fchrieb ich in ©lailanb, „Urbilb beS Sartüffe" in 


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396 


Nr. 51. 


® i t OSfgetiroflrt. 


granffurt. 2)ie Heine 3ournotiftt! gab idf auf. „Uriet Hcofta" 
fcfjrieb td) in ©atiS. 

„1837 (fo ftatt 1847) belom XiedS ®ramaturgenpoftert 
in SJreSben. 3<f) trat iptt mit ©egeifterung füt bie SJlöglidjifeit 
eines ©influffeS bidjterifdjen ©ttttteS auf bie ©cpaufpielfunjt an 
unb ^abe tnepr geleiftet, als, tüte jefct übtic^, aitSpofaunt nmrbe. 
3<f) unterbrüdte gejliffentlidj jebe öffentliche Slnerfennung, um, 
im Sertrauen gefagt, meinen neibifdjett ©ljef nicht ju reijen. 
®et ©often ^örte bei Sluflöfung beS 2)reSbetter XpeaterS im 
3a!jre 1849 auf. 

„3ch toiH bon bet bann fommenben 3eit unb bet @egen= 
matt nicht fptechen. 3lbet ich glaube, es ift ungerecht, in einem 
Slutorleben, wie bem meinigen, baS in bet Xljat ein Sieben 
wat (boH ©chmetj unb gteube) nur nach ber ju allen Seiten 
boHftönbig jutteffenben ©oMommenljett bet Seiftungen ju net= 
langen. 3<h bin bet moberne 2lutor, bet ohne Sltnt unb ®unft 
bet gürflen, ganj nut burch fi<h felbft beftept, unb hoch nicht 
wiebet bet moberne Hutot, bet eine einzige Sraft benufct, um 
©anb nach ©anb oottjujcpretben unb ad mfiitum unb ad libitum 
arbeitet. MeS, Was ich fdjtieb, ift Signatur itgenb eines @nt= 
widlungSftabiumS in mir. 9Ran, fage, ich eitiwidelte mich bon 
ber Unreife aus; gut; man etlenne nur an, bafj ich unter bem 
©inftufj bon Umftänben mich entwidelte, bie eine geWiffe normale 
©ebeutfamteit für baS ganje geiftige Seben ber Station bon 1830 
an haben. SBeil ich als Stieger ftritt unb $u ©ferbe fafj, 
fonnte ich nicht friebliche Jütten bauen als reiner Sunftbichter. 
3dj frage, wer mein gragment „SKarino gatieri" bom 3 a h re 
1834 im HJlorgenbtatt („©lijjenbudj") lieft, warum foll ber 
nicht annehmen, bafj ich «in ganj refpectabler gormpoet ge: 
worben wäre, wenn ich gewollt hätte ober — mein Xdmon mir 
nicht ewig jugeraunt hätte, ba ift etwas im ©aterlanb in Qbv 
fahr, geh’ unb fchiite ober löfche! Sbenfo baS gragntent „®ie 
@räfin ©ftper" bon 1839. Steine ©egner brehen baS ÄtleS 
fteiltd) um unb fagen: @r hing fich an SlUeS, was gerabe 
paffirte, folgte nur ber Stöbe u. f. w. X)a8 ift ©etleumbung, 
gänjlidheS ©etlennen meinet Statur unb beS XrangeS, aus bem 
ich nun einmal baö geworben bin, was ich bin, ober wofür ich gelte. 

„Sch habe nicht gelefen, was Sulian ©chmibt in feiner 
Siteraturgefchichte über mich fagt, ich glaube aber, er imputirt 
mir eine ftetS oerlehrte Stellung jur gefunben ©ernunft unb ©total. 
(Sr hat barin Stecht, bah ich unter bem (Sinbrud eines buntein 
©cfühlS arbeite. 0b baS fo friedlich ift? 0b nicht bie halbe 
beutfdje Siteratur feit 0pi| eine träumerifche unb taftenbe ift?" 

Xamit brechen biefe ©elenntnifjblätter ab. Slnftatt fie 
weiter ju führen, will ich liebet auf bie @efd)idjte beS jungen 
XeutfdjlanbS einmal jutücHommen, um ju jeigen, wie fich ber 
©unbeStag, ber (Srfinber bet „Schule" feiner $eit baju' fteUte 

(Böttingen, 12. ®ec. 1879. 

K. (Soebefe. 


-ferbiitanb ^reiltgrath« (Erklinge. 

9Son XOiüjelm Sudjner. 

(ftottfefcunfl.) 

©eben toir über einige ©ebiebte ^inmeg, bei »eldjen man 
über greitigrat^ Slutorfcbaft i»eifelbaft fein fann, jo fiitben 
mir im 3abrgang 1830 eine größere 3abl öon Dichtungen, 
»eiche stoeifelloS bon greitigratb ^errü^ren. 3n ttlr. 6 bom 
6. gebruar toirb ber große Deich in ©oeft befungen, etmaS 
lang, aber bie ©djttberung beS in feiner liefe ruljenben SWi^em 
fcbloffeS ift oortrefftid). 

®on (Bolb finb feine Sinnen, 

Die dauern bon Ärpftatt, 

3$on ©chutelj baö Dach, unb brinnen 
(Blän$t funlelnb mancher Saat. 

Die {tollen Pforten prahlen 
®on Sahn unb Diamant, 

Unb bunte SRufchelfchaien 
SSebecfen rings bie SBanb. 


§ier ift eö, m im fühlen 
(Bemach bie ÜJH$e ruht; 

Sluf »eichen Seetangbfühlen, 

Umfpielt pon blauer gluth. 

$ter thront, bom lauten ©tranbe 
Entfernt, baS ffiaffertoeib, 

Unb grüne $rachtgctoanbe 
Umfchlteßen ihren Seib. 

$ed ^aareS bidßte Siechten 
berühren »eich b*n 
3n ihrer feuchten Rechten 
|>ült fie ben Silienftiel; 

Unb fehmuefe SBafferbirnen 
Umft^hn fie $aar bei ^aar, 

Ura»allt bie h*>hm ©timen 
^om bunlelblauen §aat. 

Unb im trpftallnen §aufe 
3« feiner SRitte, feft 
58er»ahrt, ift eine ftlaufe; 

S3on ©lüttem, »ie ein ÜReft 
Um»ölbt; bon fch»anten 3»eigen 
Unb knospen leid umjpielt; 

3)ie heben fich u nb neigen, 

(Bleich »ie bom SBeft gefühlt. 

Unb tritt man an bie ©ch»eHe, 

Die ernft ein ©iorch bemalt, 

Unb blieft hinein $ur gelle, 

Der grünen, — »eiche Fracht l 
Da fleht man, bon bem ©piele 
Der 8»eige halb berbeeft, 

(Banj Ueiner ^inber Diele 
&uf SRnfcheln auögeftrecft. 

; Unb oftmals fpricht bie 9thmphe 

Des bunfeln SBogenblauS: 

,/&lieg aus, bu fcerr ber ©ümpfel 
(Betreuer ©tord^I flieg aus/ 

Stimm eins ber Keinen Kräutchen, 

Die »arm mein §auch befeelt, 

Unb bring’S ben jungen ßeutchen, 

Die neulich fich bermählt!" 

Drum rath' td^ jebem ©äare, 

DaS jünöft fich wß berbanb: 

©tradfS, fommt ihr bom Slltare, 

@eht ju beS Deiches ©tranb; 

Unb naht mit frommem ©üme 
Der fRije goUmem Dhron, 

Dann fchenft fie eurer ©tinne 
@e»iß ben fchönßen £ohn! 

9tr. 7 bringt eine „©allabe", »eiche ben jähen lob bon 
breißig Knaben beim ©islauf furj unb frifch erjählt; 9tr. 8 
bom 20. gebruar bas ©ebidht „Das ffiaüronbet am ©ranbrnegS- 
Dh^re ju ©oeft", »ieber abgebrudt unter ben 3ugenbgebichten 
im erften Sanbe ber ©efammelten Dichtungen bon 1877, 3« 
9tr. 10 feiert ein JangeS, „ben fdjönen ©emohnerinnen ©oeßs 
unb bem Domfüfter §u ^fifa" gemibmeteS ©ebießt in humorißU 
fcher ©Seife ben Dh urra ber DhomaSfirche, »eb^er aus ©ehm 
fn^t na^ ben auf bem alten ©Batte luftmanbelnben Suttgfrauen 
fchief gemorben. 3lr. 11 enthält baS ©ebicht „Der SKauerthurm 
auf bem Ulridj$»atte jn ©oeft'^, ein »ahreS ©enrebilb, »el^eS 
um feiner frifthen Kürje unb fräftigen plaftifchen DarftettungS' 
»eife mitten nicht bergeffen ju »erben berbient. @S tautet: 

©teh! Purpur fepimmert im Dften! 
es bönunert! ber SKorgen graut! 

©chritt tönet im grün bemooften 
©efteine beS ÄüujchenS ^aut. 

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Nr. 51 


Hit <5 e j e nmaxt 


397 


, 34 nahe bem $^urm; ich f4aue 

hinein, — mein S3unf4 ig erfüllt! 

, 34 W in bern alten ©aue 

9lu« alten Seiten ein ©ilb. 

$o4 oben auf Xhurme« Sinne, 

55a flattert bet Stabt $anter, 

Unb f4aut mit tropigem Sinn 
9to4 geinbe« 8elte*9teüier. 

• Selehnt auf bie Jpeßebarte, 

Steht bort ein rüftiger Sttamt, 

Unb blicft bur4 bie SRauetfcharte, 

Unb geht bie ©elagrer an. 

Sin 3üngling mit blauen ftoljen 
(Bluthaugen, barnif4umhüßt, 

9Rit ©ogen unb Spieg unb Sollen, 

Si|t bort auf budligem Sd^ilb. 

55ort f41ummern, in büfterer Sde, 

93on nä4tli4^ S5to4 c matt, 

9luf wärmenbeit 9Rantel« 55ede 
3toei alte .§üter ber Stabt. 

55a tniebem bet geinbe Stoffe, 

55a tönet ber Jpöroer S4aß; 

Gefiebert J4wirreu @ef4offe 
herüber jurn feften 3Baß. 

55a greifen fte aß’ $um ©ogen, 

©etreten be« 2Bafle« Saum; — 

Jpeß prahlet bie Sonn’! entflogen, 

©erf4wunben ift, ad)! mein Xraum. 

9tr. 14 oom 3. 9lprit bringt ba« bereite unter ben 3ugenb; 
gebieten wieberabgebrudte „SRöttenthor", bie bebeutenbfte ber auf 
©oeft bejüglidjen Dichtungen; einige bajwifchen eingeftreute 
Ueberfefcungen au« bem ©nglifchen mügen übergangen toerben. 
3n ßtr. 28 t)om 10. 3uü finben wir ein &war nicht gerabe 
eigenartige«, aber feljr anmutige« „©ommerlieb'', welche« al« 
einjig erhaltene« ©eifpiel berartiger Dichtung greiligrath« fyn 
mitgetheitt werben mag. 

Sin f4öner, braungelodter ftnabe, 

So na^t ber Sommer unfern ®öh’n; 

Sr nabt mit golbnem Sauberftabe, 

Umfäufelt öon be« SSefte« SBehn. 

55ie Stirn betränkt mit bärt’gen Behren, 

Umf4wirrt, umgirrt oon ©ögelein, 

3m ©infenfötb4en fap’ge ©eeren, 

So jiebt er ftob bur4 gtur unb $ain. 

Sr winft, unb warme Strahlen fenbet 
55ie Sonne oon be« Bether« ©lau; 

938obin er feine S4ntte wenbet, 

5)a grünt, ba prangt, ba lacht bie Bu. 

Sr winft, unb f4war$e SBolfen Rieben, 
öJeborfam feinem Sauber ftob; * 

55umpf murmeln 55onner, ©lipe glüben, 

Unb milber Siegen rauf4t betab. 

Sr winft, unb Segen trduft au« ©Settern; 

Sie fliebn; oerjüngt ftebt ring« bie Bu, 

Unb auf ben $almen, auf ben ©Wttent, 

©erlt fiiberbell be« Siegen« $bau. 

Bm frduterrei4en ©erge«bange, 

. , ßttit Slödleinf4aß unb ©tfißen, irrt 

55ie $eerbe weibenb; mit ©ejange 
5olgt forgfam iljr ber treue $irt. 

Sfef4wüpig nturmelnb eilt bie SBeße 
55e« ©ä41ein« tauf4enb bur4 ba« $hal; 

55en Äiefelgrunb flieht bie goreße, 

Unb f4neßt empor hn Sonnenftrabl. 


Siing« ftebt ba« ftorn in grüntn Streifen, 

Soweit mein fpähenb Slug’ nur fiebt; f 

S« wogt unb wallt, halb wirbf e« reifen; 

Unb brüben fingt bie &er4’ 4 r Sieb. 

„ 5)ie ©ögel 3Witf4ern in ben ©üf4en; 

Sie fingen aß' be« Sommer« ^ßrei«; 

Sie haben fidj im Dhatt, bem frif4en, 

Unb wiegen fi4 auf f4wanlem Siei«. 

Dir 55anf, bu bolber, brauner Änabe! 

Bdj halb, f4on halb wirft bu entfliebn! 

9Bi4 bo4 ber grtihling beinern Stabe, 

55i4 Wirb un« halb ber $erbft ent&iebn. 

Sio4 prangt bur4 bi4 in Sornmerf4öne 
55ie groge, herrliche Siatur; 

Buf benn! mein Sommerlieb, fo töne, 

9io4 ift e« Seit/ ber Sommergur! 

911« ©egenftüd gu biefer jierlichen @infad^^eit bringt SRr. 
33 oom 14. 9luguft eine ©allabe „äRarcu« ©urtiu«", göttliche 
Strophen in ©chitler’fcher ober ®örner'f<her 55iction; bagegen ift 
ba« in SRr. 47 Dom 20. SRooember abgebruefte ®ebi<4t „55er 
^anbfehuh be« gürften ©lü^er non Säahlftatt" fo gerieft im 
©off«tone gehalten, bag man barüber jweifelhaft fein fönnte, ob 
e« non greitigrath nerfagt fei; ba e« inbeg gut gearbeitet ift, 
auch feinen Flamen trägt, währenb bie wenigen anberen poeti* 
fdhen SRitarbeiter be« ©oefter SBo^enblatte« ben ihrigen angeben 
ober bo4 anbeuten, fo ift e« bennoch wahrf4einlidh, bag ba« 
®ebi4t non greitigrath h^öh rt - 
I 6in in fföln wohnenber 3ugenbfreunb greiligrath« lieh ben 
Sanb bem alternben S)i<hter; berfelbe antwortete am 3. 3uti 
1871: „Sielen 35anf für bie freunbli4e SKittheilung be« ©oe^ 

| fter 9Bo4enblatte« nom 3ah rc 1830! 55er erneuerte 91nblicf 
biefer alten, jum Sheit ganj non mir nergeffenen Sachen hot 
nti4, ich fann ®i^ wohl geftehen, ganj eigenthümlich ergriffen. 
S5o<4 bürfte faum eine« biefer $oemata ber Erhaltung Werth fein. 

| @« pnb eben 91nfänge, ©d^ülerarbeiten, ®yercitien, fchwanfenb, 
j unfelbpftänbig, nachahmenb. SBie geht man e« j. ©. bem ®urtiu« 
j an, bag bie ©^iUer’föenSatlaben ihn gejeugt haben! Sprache unb 
1 gorm h fl b’ ich freilich fö™ bamal«, ju meiner eigenen Ser- 
wunberung h*ut* ao4 mehr al« nor nierjig Sahren, leiblich 
genug beherrfdbt 91ber fonft — nein lieber greunb, wir wollen 
biefe Änabenwerfe ruhig mobern laffen!" Unb bei biefer ®nt^ 
Reibung nerblieb e« and) bei erneutem 2tnbrängen be« greunbe«. 
Säenn ber 55ichter bei feinen Sehweiten ein SBieberhernorfuchen 
biefer „fßueritia" fidh nerbat unb über eine berartige fßubUca^ 
tion, wie fie einmal ohne feine ®enehmigung ftattfanb, in einem 
©riefe fich jümenb au«lägt, fo ift bie« feht erflärlich. gür 
un« liegt bie Sache anber«. greiligrath ift ber er ift; bie 3Kit- 
theilung biefer Sugenboerfuche f4mälert feinen 55icbterrubm 
ebenfowenig wie ge ihn fteigert; unb fo finb mit ooUem SRechte 
bereit« in ber erften, nach greiligrath« lobe oeranjtatteten ®e? 
fammtau«gabe feiner 55i4tungen einige biefer oon ihm felbft 
oerworfenen gugenbpoefien, glei^fam al« hiftorifche äRertfteine 
feiner Sntwicfetung, mitgetheilt. 

91uch berSahrgang 1831 be« ©oefter SBochenblatte« bringt 
eine SReihe oon ©ebichten greiligrath«. ©leidh in 9lr. 1 00 m 
1. 3anuar lernen wir ben 25id)ter oon einer gan§ neuen ©eite 
fennen; er bientet für bie S3eihoacht«befcheerung ber 2Baifen= 
finber jwei einfach fchöne geiftliche ßieber, in welchen ber Schmer^ 
um bie eigne Serwaifung na^jittert. 9ln eine fReilje oon ©e^ 
bichten be« oorhergehenben 3ahrgange« erinnert in ÜRr. 26 00 m 
25. Suni „©onp unb je^t ober 9lbler unb Schlüge!"; e« preift 
bie groge Sergangenheit ber alten ^anfegabt. S5a« ®ebi4t er¬ 
innert in ber ©efammthaltung an ©4cafenborf« Sieb oon ben 
beutf4*n ©täbten, ber ©trophenbau ift begen Sieb 00 m fRheiu 
na^gebilbet; im Uebrigen jeigt e« in feiner oaterlänbifchen ©e- 
finnung unb fräftigen ®iction einen entfehiebenen gortfc^ritt; nur 
ift e« fo lang, bag e« p4 ber SRitthetlung an biefer ©teile 
entjieht. Der Jahrgang 1831 be« ©oeper SBo4enblatte« f41i^gt r 

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398 


®te ®ejenmart 


Nr. 51. 


wie er begonnen, mit jwei SBeihnachtSliebem für bie SBaifen^ 
finber, t>bn benen baS erfte fo jWeifetloS grbitigrathS . Sinter; 
eigent^ümlid^feit befunbet, baß eS be$ habet auSgefprochetten 
SanfeS beS SBaifenbaterS an ben ©erfaßer nicht beburfte, um 
ben Flamen beS ©erfafferS ju erraten; baSfelbe ift bereite in 
ber ©efammtauSgabe abgebrudt. greiligrath mar barnalS im 
©egriffe nach 3lmfterbam überjujtebeln unb hotte fo feinen ©runb 
mehr, ben ©oeftern foine, im Uebrigen ficherlich nicht unbelannte 
2lutorfdhaft tforjuenthalten. 

Beim fi<h im ©oefter Bodhentflatt greiligrath fichtltch tttd^i 
ganj frei füt)tt, wenn er ben SKitbürgern nur ben ©chaum auf- 
tifdft, ber auf bem botten ©edher feiner fßoefie fdhwamm, fo läßt 
er. fich forglofer gehen in einem anbern SEBocijenblatt, welches 
meitab an ber Dftgrenje SßeftfalenS erfchien, in bem Klinbener 
©onntagSblatt, einer „baterlänbifchen 3eitf<hrift jur ©eteljrung 
unb Unterhaltung onS bem ©ebiete beS Schönen unb Küfclichen", 
herausgegeben Don Dr. Kicot. Kieper. SaS ©tatt macht weit h^h er ^ 
Slnfprficfje als baS ©oefter: eS bringt feine Sttnjeigen, fottbern 
bemüht fi<h, burch allerlei ©ebidjte, Kobetten, gefchidjtliche unb 
fonft wiffenfchafttiche Stuffäfce gu ergöfcen unb gu belehren, fügt 
baju meftfcilifche Sofalcorrefponbenjen. greiligrath hotte W x t 
entfernt bon ©oeft, feinen ©runb, feinen Kamen ju verbergen, 
roeldEjer uottftanbig ober hoch burch bie 5tnfangSbudhftaben an* 
gebeutet erfdE)eint. Ser Sichter eröffnet bie Keihe feiner ©ei* 
träge am 27. Suni 1830 mit bem ©ebicht „SaS arabifdfje Koß 
in ber grembe", als ättefteS Seugntß ber fremblänbifche Stoffe 
heranholenben Kidjtung beS Sichters bon ©ebeutung. #ier bie 
erfte ber fieben Strophen: 4 

. gern auf bem gelblichen ©anbe ber Büfte, 

Unter beS Arabers toanbernbem gelt, 

Bar’S wo ben freunbtidjen Sag ich begrüßte, 

Shn unb bie fdfjönc, bie lachenbe Belt. 

©oll bon ber 2lh ncn / ber feurigen, Ktutlje, 

©rüßte ich toiehernb beS hüttenbauS Kunb, 

Unb meine Klutter, bie bräunliche ©tute, 

Sedte mir fofenb ben rötlichen 9Runb k. 

®ußerbem enthält ber Soh*0ong eine Slnjahl bon poetifdhen 
Uebertragungen aus bem ©nglifdhen. 

äBährenb beS 3oh*eS 1831 iß Soeiligrath merfwürbig 
fchtoeigfam; erft Kr. 48 bom 27. Kobember 1831 enthält aber^ 
malS ein bisher nicht wteber beröffentlichteS ©ebicht „SaS Korb¬ 
licht", ein bortrefflicfjeS ©egenftütf gum „3RooSthee". @S fei hier 
beShalb gang mitgetheilt: 

§eß glängt, befä’t mit ©temen, 

SeS BinterhimmelS ©lau, 

Soth ber nörblichen ©efte genten 
Umbüftert bämmernb ©rau. 

Unb wölbenbe ©ogen umfließen 
SaS ©rau, fo weiß Wie ©djuee, 

Unb Ieuchtenbe ©traßleu fließen 
2luS ben ©ogen in bie h^h- 

Kotßgtühenber ©treifen ©lifcen 
3udt wie ©djWerter ßinburch, 

9U8 wollt’ eS flammenb befchüpen 
Sie gülbne ©ternenburg. 

Unb ©äulen, feuerfatben, 

Keiljen ju haßen fich f<hlanf; 

Unb ährenftarrenbe ©arben 
Bogen ben Suft entlang. 

©on Sicht gewimmerte ßähne 
Sutchfahten bie geuerßuth; 

Unb fpipige Sra^enjähne 
Umtröpfelt rauchenbeS ©lut. 

2CIS blipten taufenb ©emitter, 

©o flammt baS Kacßtgefitht; 

Unb bur<h baS lohenbe ©itter 
Sächelt ber ©terne Si^t. 


3ept regt ft(h auf feinem Shroue ’ 

, tim ©ol ber Binter unb fcßnaubt, 

* Unb flicht bie Strahlen als $roue , 

Um fein bereiftes h ttU Pt- 

t , SeS norbifchen KeiterS Kappe 
Bieljert hinauf im Sauf; 

SaS Kennthier unb ber Sappe' 

> ©chlagen bie Rügen auf. 

Sa braußen auf ben ©aßen, * 

Bie baS murrt unb fummt unb raunt!' 

SaS ©olf in bichten ©laßen 
©ieht jagenb empor unb ßaunt. 

Sie gatnumwunb’ne ©pule 
©erläßt baS SKütterlein, 

©rßebt fich ^ cm ©tuhle 
Uni) ftarrt in ben glühen ©chein; 

©lag gern im blutigen SJleere 
©ine blutige Qufunft fehn; 

©ieht ßrettenbe ÄriegeSheere 
Unb tro|iger ©anner Be!jn. 

Ser ©änger in ßiller greube 
©erläßt baS bunfle hmtS, 

©ießt ben hintmel im ©trahlenfleibe, 

©reitet feljnenb bie Slrme auS: 

0 fönnt’ ich Süfte burcheilen, 
geh fchtoänge mich auf, empor! 

Sch träte burch biz ©äulen 
hinein $u ber h®ß^ Xhor! 

©efdjißen beS tletherS Beiten 
j Boflt’ ich auf leichtem Äahn! * 

| tluf ben ©ogen »ottf ich reiten 

| Sen himmel hinab, hinan! 

Sie ©chtoerter wollt’ ich fchtoingen, 

! Sie tlehren tooHt’ ich mähn, 

Sie Srathen toottt’ ich bezwingen, 

Sn glammen mich ergehn! 

Ser Seute SJlurmeln unb ©ummeit 
Sönte herauf ju mir, 

Ser ich au f leud^tenben fhtntmen 
groftfehtoangern Bolfen führ’! 

D lönnt’ ich Öüfte burcheilen, 

Sch fchtoänge mich auf, empor! 

©rtlömme bie fchlanten ©äulen, 

©prengte baS feurige Sljor! 

SaS ift gewiß ein greiligrathS burdhauS würbigeS ©ebicht, 
unb hoch fonb er es »nachmals ber Slufnahme nicht wertp, fo 
baß es joerfchollen ift. tlnbere bagegen fanben ©nabe nor bem 
I ftrengenKichter, „Ser ©lutnenKadhe", „Sie ©dhneibergefeflen", beibe 
im Secember 1831; h ar * baneben ein fchwer- mtb weidhmüthtgeS, 
j in ber non ©rabbe als „matthiffonifch" bejeichneten SBeife em- 
j pfunbenes ©ebicht „Sie Seiche".. 

| (©<$tu& folgt.) 


Jlas ber ^auptftabt. 

Km KPeibna^teu., 

Sn ben ©lanw nnfereS bieSjährigen BeihnachtSfefteS fällt ein 
mächtiger bmtller ©Ratten hinein, ©r geht auS bon ber Kotl), bie hn 
Oßeit unfereS ©aterlanbeS Sörfer unb ©täbte belagert, bie auch anber= 
toärtS unb auch in ben ©traßen ber houptftabt fo üieler häufer ©chtoeßen 
befept hält. Birb es oereinten Kräften gelingen, ße $u bertreiben, fte 
ju jtoingen, baß fte bie ©elagerung aufgebe, bebor ©erjtoeißung ßch 

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Nr. 51. 


ffli? (&t$tnma r t 


399 


ber belagerten bemächtigt? ©ie fdjlimm ift eS, baß eine joldje Stage 
Zu pellen nicht als überffüffig uni) thöricht erfc^etnt — baß barauf, 
wenn fo gefragt wirb, nicht fdfjon erwibert werben tann mit ber Äntwort: 
©S ip gelungen! 

Lodj etwa§ ÄnbereS ift eS, was bieSmal unfere ©eihnadjtSfreube 
Zit beeinträchtigen ujtb ju ftören broht. ©S geht bei uns ein ©efpenP 
um, welches bie „äRißmüthigleit" genannt wirb. Sie zeigt ftch in 
allen Greifen ber ©JefeUfchaft, fie bringt in alle Läume ein, fie oerbirbt 
Ellies, waS angenehm unb erfreulich fein fönnte. ©S iß bei unS ein 
Don eingeriffen, wie er mitunter in einer gamilie herrfcht, bie, nad); 
bem fie lange .geit im ©ohlpanb gefeffen hat, burch Unglücf unb eigene 
(Schulb in Verarmung gelommen ift. Da fipen nun bie einzelnen 2Rit; 
glieber ber gamilie oergrämelt unb ärgerlich um ben bürftig befteflten 
Difcß herum, unb ftatt fid) gegenfeitig zu ermuntern unb gemeinfam 
barüber zu berathen, wie in beffere Verhältniffe wieber hinaufjulommen 
fei, fallen fie einanber mit häntifdjen Lebensarten au, ©ineS bem Än= 
bern bie Sdjutb baran beimeffenb, baß es fo Weit gefommen. 

Solche 3nftänbe aber ftnb auf bie Dauer nicht zu ertragen, unb 
ernftlich müffen wir bafür forgen, baß eS halb bei uns anberS werbe. 
Von oben nach unten, wie auch oon unten her nach oben muß mit ©ifer 
baran gearbeitet werben, baß bie äRißmüthigleit wieber bahin oer; 
fchwinbe, wohin fie gehört. ©enn nur ein geber baS Seine thut unb 
bie Sache fo anfieht, als wäre eS feine Aufgabe im ©efonbereu, Äbljülfe 
ju fchaffen: bann wirb baS fatale ®ejpenß halb gebannt fein unb an 
feiner Stelle wirb wieber bei uns einziehen baS liebliche ©efen mit bem 
lachenben ©lief unb bem oertrauenSoolIen $erjeu, baS oor fahren, als 
es noch oorlam, oon unS „bie greube" genannt würbe. 

Loch fahen wir eS nicht wieber. ©S fcheint jurüdoerfchwunben zu 
fein in jene grembe, aus ber eS früher bo<h in bie harte fteinerbaute 
©eit fich hinein wagte, grieblofigfeit unb greublopgleit regieren jept. 
©er tann noch fagen, baß er ohne geinb fei. ©ahrfcheinlich ift auch 
ber alte Klausner ober ©remit, wenn ein foldjer noch irgenbwo in einer 
gelshöhle ober im tiefften ©albe häufen follte, nicht mehr recht ruhig 
unb üergnügt. Vielleicht janft er mit fich felbß ober WWgt in oer; 
brießltcher Stimmung nach ben tleinen üier= unb fechSfüßigen Dhieren, 
bie harmlos unb ahnungslos in feine K laufe tommen mit ber freunb; 
liehen Äbficfjt, ihm ent wenig Unterhaltung unb gerßreuung zu bereiten. 

Unb hoch — boch gibt eS noch eine fl ei ne ©eit, in ber bie greube 
noch nicht ausgegangen ift unb auch nicht auSgehen Wirb: bie ©eit ber 
kleinen. 3n biefe ift offenbar äRißmüthigleit — in ber ©eftalt wenig; 
ftenS, in ber pe bei unS ©roßen jept auftritt — noch nicht eingebrungen. 
©oljl h ö rt man auch in biefen beoor$ugten Kreifen einmal bie Lebensart 
fallen: „3ept bin ich Dir ewig böfe!" — Dann aber ift eS entweber 
nicht aufrichtig gemeint ober eS ift ein Verbrechen, baS fich halb als 
unhaltbar ausweift, SebenfallS erwächft eine foldje Äeußerung in biefen 
Greifen nie aus bioergirenben Änpdjten über,Leligion, ©olitil unb 
fociale Verhältniffe, fonbern baS ©an$e fchreibt fich üon einem miß; 
gönnten Äpfel, einem geraubten Kringel ober einem mutwillig jer; 
brodhenen ©uppenlopf her. Daß auch tu ber großen ©eit aus Änläffen 
oon gleichem ©erth oft langwierige Streitigfeiten unb Verfeinbungen 
ihrem* Utfprung nehmen, wirb üielfad) behauptet. Sch weiß nicht, ob eS 
wahr ift, will aber bo<h bie HRöglichleit nicht burchauS tn Äbrebe pellen. 

3u ber fleinen ©eit alfo ift baS ©efpenft „äRißmüthigleit" noch 
uttbefannt. Unb wenn es für bie burch *baS ©efpenft Seibenben ein 
* erlöfenbeS ©ort gibt, wie einer ber neuerbingS beliebt geworbenen 
ÄuSbrüde tautet, fo läßt eS fich huubert gegen eins wetten, baß biefeS 
©ort $uetft oon lleinem äRuitbe gefprochen werben wirb. Lur ift eS 
leiber zweifelhaft, ob auch bie ©roßen eS hören unb berftehen werben. 
3n jebem gatt lohnt es unter biefen Untpänben fich f ß h r beS VerfucheS, 
in bie ©eit ber kleinen einen Vlicf hineinjuthun, unb baju wieber ift 
bie geit um ©eiljnachten außerorbentlich angethan. ©erben boch für 
bie Kleinen befonberS bie ©üben beS ©eihnachtSmartteS aufgebaut, bie 
Zahttofen Dannenbäumchen in ben ©älbern gefchlagen unb auf bie 
Straßen gepflanzt, für fie bie noch weit jahUoferen ©fefferluchen gebaden. 
Da nun bie Steinen feine Scpulb an ben oben beflagten bei unS ob; 
waltenben äRißpänben tragen, fo müßte eS unS eine große ©eruhigung 
gewähren, genau zu Wiffen, baß fie auch unter biefen äRißpänben auf 
feine ©eife werben zu leiben haben. _ 

3m allgemeinen läßt fich hoffen, baß bem alfo fein werbe. Der 
©eihnadhtSmarft wenigßenS, ber feit bem 11. Dccember in ©erlin auf; 


gebaut ift, ßeHt fich als recht gut befahren heraus, unb bie auf bemfelbeit 
geltenben ©reife finb nicht ber Ärt, baß nicht befeßeibenen ©unßhzetteln 
genügt werben fönnte. 

©iitige läge,oor ©eginn beS SRärfteS würbe baS ©erü<ht oerbreitet, 
baß ©eihnachtsbäume in biefem 3ahr uur zu enormen ©reifen zu er; 
ftehen fein würben, unb weit unb breit hörte man baoon unb fprach 
barüber mit Schreden. ©alb aber würbe biefeS ©erüchi erlannt unb 
entlarot als eine teitbenziöfe ©rßnbung, bazu beftimmt, eine fünftlidje 
4>auffe auf bem ©aummarft h^öoizurufen. ©inpehtige machten bar; 
auf aufmerffam, baß bie ©reife fich am ©nbe boch nicht nach ben ©ünfdjen 
ber ©aumhänbler, fonbern nach &em Verhältuiß ztoifepen Ängebot unb 
Lachfrage richten würben. Ä1S nun ber ©aummarft eröffnet war, fteHtc 
. bie 3ahl ber angebotenen ©äume ftch eine fo große heraus, baß 
fofort jebe ©eforgniß fchwinben mußte. 3 n ber Dh Ä l fonnten auch furz 
barauf fchon bie ©lätter berichten, baß ©äume oon 1—20 guß $öhe 
mit unb ohne ©änfd^en zu bur^auS ciüilen, bie ber Vorjahre nicht 
überfteigenben ©reifen gehanbelt würben. 

Äehnlich befriebigenbe Verhältniffe fanb ich au f bem ©ebiete ber 
©fefferfudjen. Sie waren nicht tf>eurcr als fonft, ihr ÄuSfehen war ein 
fehr gutes unb ihr ©ohlgefchmad hat, Wie mir oon oielen Seiten Oer; 
fiebert wirb, noch immer nicht nadjgelaffeit. ©benfo hatten bie 3Rehl= 
wcißchenpreijj nichts ©eängftigenbeS. ©ei Äepfeln unb Lüffen fteüten 
bie ©reife fich fogar gegen frühere 3 a hre etwas niebriger; ein ©eweiS 
bafür, baß baS 3ahr 1B79, wenn auch fchledjt in ©ein unb Kartoffeln, 
boch ß iu gutes Dbft; unb Lußjaljr gewefen ift. 

©erfen wir nun einen ©lid auf bie fonftigen ^errlichfeiten beS 
SRarfteS! @S lohnt fich ber SRülje wohl; benn SRancheS befommt man bort 
Zu fehen, WaS fonft nicht leicht fid) ben Äugen barbieten würbe, ©o fieljt 
man fonft u. Ä. ganze ©eerben oon Sdjaufelpferben, wo fonft ganze glotten 
oon Ärchen Loäh? Unb wie üiel SntereffanteS unb ©rheitembeS finbet fich 
nicht auf bem ^olztiehmarft oor! 3 m ©anzen finb auf biefem ©ebiet 
nur wenig gortfdritte unb Veränberungen zu bemerfen. Die §olzpferbe 
Zeichnen fich immer noch burch ftarf gefrttmmte Lafen aus — WaS oiel= 
leicht in unferer 3 ß U für ein nicht ganz ungefährliches 2Rerfmal gelten 
möchte, ©ahrfcheinlich hat baS eine natürliche ©ferb, welches für alle 
biefe hölzernen Kollegen als UrmobeÜ gebient hat, zufällig eine unge; 
wöhnliche trumme Lafe befeffen. Die Söwen, zumal bie mit rothen 
Sungen, haben immer noch etwas ungemein gibeleS unb auSgelaffen 
SuftigeS. Die Kapen fehen auch tn biefem 3ahr außerorbentlich neu= 
gierig aus, waS zum größten Dh ß ü tu ber Kopfftellung — fie wenben 
alle bie Köpfe nach linlS — unb in ben großen runben Äugen begrünbet 
ift. Die Ärt, wie ©übel in #olz gearbeitet werben, ift gleichfattS bie 
alte geblieben. Sutmer noch wirb ihr gell in, ber gelöritten 2Ranier ge; 
halten, in ber auf ben altaffprifchen Steinbilbern baS §aupt= unb ©art; 
haar ber Könige behanbelt ift. Dem ©unfeh, eine ganze SLenagerie in 
®olz ju erwerben, fteßt auch bieSmal nicht Oiel im ©ege. Lecht gute 
£öwen, §unbe, Äffen, Sämmer unb §ähne würben fchon zu 10-25 ©f. 
abgegeben, ©lephanten bebingten höhere ©reife; boch baS wirb 3eber, 
auch wenn er lein £>agenbed ift, begreiflich puben. 

Unb nun fteHe, wer biefe Dh' crtt,c ^ betrachtet hat, eine ©eredjnung 
an barüber, wie üiel ©eine wohl zufammen nach üier ©ochen noch biefe 
SRillionen hölzerner Vierfüßler haben werben, bie allein für biefeS geft 
hergefteüt unb in ein lurjeS Dafein gerufen worben pnb. Denn Unzer; 
brechliche gibt eS nicht unter ihnen; allen läßt pdf) auf irgenb eine Ärt 
beifömmen unb wären pe fchwerer entzwei ju machen als ©aranüfle. 

$Rit Vorliebe {ehe ich uitr baSjenige an, waS an Iiterarifchen ©ro; 
bucten auf bem ©eihnachtSmarlt am Schloß unb im Snftgarten gefunben 
wirb. 3u Sonberheit pnb eS 'Draumbücher, „©laneten^ unb Heine 
©ilberbücher für Kinber. ©aS bie beiben ©rßen betrifft, fo lann ich 
üerpehern, baß pe immer noch recht gut unb eintreffenb pnb; neue ©nt; 
bedungen aber fcheinen feit einigen 3 a hren in ber 0neirotripe unb 
Äprologie nicht gemacht worben zu fein. Die fleinen ©ilberbücher pnb 
über alles Sob erhaben geblieben, ©er will eS beftreiten, wenn er ben 
VcrS hört, ben ich 9^$ * n ^ cm er ^ Ctt ö ß ffen, baS ich für z ß hu ©fennig 
mir erpanb, unter bem ©ilbe eineS heftig gefprenlelten Dh^^ßö gefunben 
habe, ©r tautet: 

9Rein Kinb, bteS ift ber gaguar, 

©in fchöneS aber falfcheS Dhter; 

grißt feine ©eute bis aufS $aar, 

* Unb wär’S ein ©fei ober Stier, 


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400 


9ic OegMiwuri. 


Nr. 51. 


2Bte gut bocf), ba| uitjere Qugcnb ftü^jeitig frfjon bot brat 3aguar 
gewarnt wirb, bent fie fo leicht fonß mit Vertrauen begegnen lönnte, 
ohne ju alpen, baß fceimtüde unb galfchheit unter feinem fdfjönen geße 
fich oetbergen. 

Sefrt noch einen Vlid auf bie Vuppenbajare, bic um ©eihnacfjten 
Oon fo großer SBidjtigleit finb. @« macht ßch in biefen etwa« bemerk 
bar, ba« nicht unerfreulich iß. 3“ aßen hot eS ^etrfd^aftli^e 
Vuppen unb gewöhnliche Vollöpuppen gegeben. Septere tragen auf« 
gemalte« §aar, ßnb einfach geWeibet, unb mit ihrem Unterjeuge iß e« 
oß nur recht fc^tec^t beßeßt. Die „^errfchaftlichen'' btngegen hoben 
„Wirtliche«" §aar, fchwarp „ Sammetaugen'', ©adjölöpfe unb Vorpßan* 
hänbe unb ßnb prad&tooß angepgen. Die Vollöpüppen nun ßnb aud) 
bie«mal ntd^t anbei«, wie ße bor Sabren fd^on gewefen, bei ben oor* 
nehmen, herrWoftlidijen ^upbeit aber pigt ßch in biefem 3®hr ent* 
fdbieben eine ©enbung pm Veßern: ße ßnb einfacher al« fonß gelteibet. 
Daran« lann man bielleid^t barauf (fließen, baß auch in ben biefen 
Vuppen entfprechenben fhreifen bei großen ©efeßfehaft auf ©infachheit 
mehr al« fonft gegeben wirb. 

©ie fehr iß unfere fteit bap angethan, eine fotche Vetänberuitg p 
beförbernl ©luß ber Schrei ber ©oth, ber burch ba« Sanb fdfjaßt, nicht 
aße« teibig machen, wa« bon Fracht unb Ueberßuß rebet? ©enn aber 
ba« ©eihnacht«feft überhaupt eine Sprache rebet, welche bie £erjen pr 
©litbthätigleit ßimmt, fo müßte ba« bie«jährige ganj befonber« temt 
unb einbringtidf) fprechen. Unb bie«mal mag e« auch noch befonber« 
gut fein, auf fotche Sprache p hören unb nach bem ©ehörten p h«n- 
betn. Vielleicht bemimmt berjenige, ber jept p t Velämpfung ber 
©otlj feinen ©eift änftrengt unb feine $änbe regt, hier ober bort, an* 
geßdß« eine« fleinen ©eihnad^t«baume« auch ba« erlöfenbe ©ort/burch ba« 
Unfriebe in grieben unb ©lißmüthigleit in greube berlehrt wirb. Den 
Verfuch wenigßen« foßte Seber, ber ihn anßeßen lann, nicht fcheuen. 

3. (Trojan* 


Dranwtif^e Äuffityrimjeu. 

„3>te <£e*e.“ 

Drauerfpiel in fünf Aufaügeu bon Arthur gitger. 

Au« meinet Düßelborfer Seit erinnere ich mich no< $ ßh r lebhaft 
einer ©Talung, bie \>tx alte Düßelborfer ©leißer, mein hochverehrter 
greunb Dheobor $ilbebranbt, ber ©later ber aßbelannten ©ernätbe „Die 
Söhne ©buarb«'', „ötheßo unb De«bemona", „Sear an ber Seiche ©or* 
betia«", „Danlreb unb ©h^orinbe^, „Der frartle ©ath«herr", „Der 
Krieger unb fein Kinb", unb wie ße aße heißen mögen, eine« fchönen 
Sommerabenb«, al« wir im 3ocobi’ßhen ©arten um eine ©laibowte 
bereinigt waren, ün« jüngeren pm Veßen gab. ©« war ber Verist 
über bie erße Aufführung be« „Vaulu«'' \ n ber jept lüngß befeitigten 
bretternen „Donhaße" 

Karl 3mmermann (geb. 1796), Dheobor ^ilbebranbt (geß. 1805) 
unb geli* ©lenbet«fohn*»artholbi (geb. 1809) ßanben bamat«, e« war 
um bie ©litte ber breißiger Jgahrc, auf ber $öhe ihre« Schaßen«. Der 
beließe biefe« Drifolhim« pißte laum 40 3®hre mtb ber Qüngße hatte 
bie ©litte ber Swanjtg foeben überfchritten. Dichter, ©laler unb ©tu* 
ßler waren burch bie innigße greunbfehaft miteinanber oerbunben. 
©tenbel«fohn h°ite pm Vebauent feiner rheinijehen gteunbe foeben 
feine Steße al« ftäbtifcher Kapeßmeißer in Düßelborf mit ber be« 
Director« ber ©ewanbhan«concerte in.Seipjig oertaufdjt; aber $um 
Vßngßfeße 1836 führte ihn bie Sehnfucht nach feinen greunben unb 
fein Veruf al« Äünßler noch einmal nach &er lieblichen Stabt am 
©ieberrhein prfid. ©r brachte fein erße« größere« Oratorium, ,,$autu«", 
mit, ba« am erßen Dage be« rheinifd^en ©tußffeße«, bem erßen Vßngft« 
tage, unter ber perfönlichen Seitung be« ©ompontßen pr $faffüh*nng 
gebracht würbe. 

„©« war heiß unb fdhwfil," fo erfühlte nn« ^ilbebranbt, „ber 
Fimmel war mit bichten ©ollen bebedft. ©ir aber achteten nicht auf 
ba« fdhwer brüefenbe ©ettet, nicht auf ba« trübe Sicht unb nicht auf bie 
unbequemen Sipe, ©ir laufd^ten anbadht«ooß. Da« großartige ©erl, 
ba« oon ben impofanten Orcheßer* unb ©hormaßen mit ber boßßen 
Vegeifterung aufgeführt würbe, machte auf uh« OTe einen überwältigen^ 
ben ©inbrud. Unb aße« ba« Schöne unb Debeütenbe, ba« unfre $erjen 


1 fo ttef bewegte, — aße« ba« rührte oon bem jungen, fiebenunb$wan$ig 
Sahre jäh^nben ©lanne her, bet ba oben am $i(tte mit ber Sicherheit 
eine« greifen gelbherrh bie muficitenben $eerfch«en leitete, — oon 
jenem laum bem 3üngling«alter enttüdten ©taime mit bem ßharf ge^ 
fchnittenen, genialen, eblen unb lieben«Würbigen ©eßdfß, ba« bie orien^ 
talifche ttbtuuft beutlich behmbete. ©« hotte etwa« wnnberfam ©aden^ 

• be«: gn bem großen überfüßten Saale würbe e« immer bunflet unb 
fchwüler. Da auf einmal, — in bem großen ©horfape, al« bie Ver= 
tretet be« alten unb neuen ©tauben«, al« ©hriftert, guben unb $eiben 
in heftigem Streite mibereinanber eifern unb ptöplich Wie eine Offene 
barnng unb Verheißung in ber eigenthümlhhen Klangfarbe be« Di«* 
cant« ber Knabenßimmen ber cantus firmus ertönt: „©ir glauben aß’ 
an einen ©ott", — ba lichtete ßch ber Sommerhimmel, bie Vfbigßfonne 
brach burch ba« ©ewöU, bie gotbenen Strahlen fielen juß auf bie ©litte 
| be« Orcheßer«, ßreiften ba« erhöhte Dirigentenpult unb umrahmten ben 
j jungen ©teißer wie mit einer fiimmemben Aureole. 3$ werbe ben 
©inbrud nie üergeßen!" 

So eT^ühlK un« ber alte §itbebranbt. geh oermuthe, baß et biefe 
©eßhichte ößer erfühlt h at ; benn einer fo fdhönen unb tiefen ©rinne« 
ruitg gefchirhl einem einmaligen gelegentlichen Verichte nicht ©c? 
nüge. Vießeicht iß biefe Schilbetung in ©lalerlreifen belannt, unb 
üießeicht h at au ^ Arthur gitger, ber ja fetbß ein fehr begabter 
©taler ift, oon berfelben Kenntitiß erhalten unb in ihr bewußt ober un¬ 
bewußt bie Anregung p ber wirlfamßen unb mächtigßen Scene feine« 
neuen Drama«, „Die $eje", gewonnen. 

©« iß ein fehr merlwürbige« Stüd, burch öeßen Aufführung ßch 
ba« ßeißige unb ßrebfame ©ationaltheater ein wirtliche« Verbienft er* 
worben hot. ©« läßt ßch über ba« Stüd ßreiten; e« läßt ßch laum 
barüber fchweigen. 

©lag man e« nun al« bie Oßenbarung eine« neuen Dalente« mit 
gubel begrüßen unb mit Sob überfdjütten, ober mag man e« al« eine 
unftatthaße Vermeßenheit, al« einen bramatifchen unb ftßhetifchen gteoel 
auf« Scpärfße oerurthexlen, — gleidhoiel; bem einßchtigen gußhauer wirb 
e« nicht in ben Sinn tommen, barüber mit fUhfetynden ober froßtgtm 
Sobe jur Dage«orbnung übtrpgehen. Unb ba« iß hoch immerhin 
etwa«, e« iß meine« ©rächten« fogar fehr oiel. ©« iß oießeidji ba« 
©efentliche. Denn e« bebrütet: baß un« h^ «n eigenartige« Dalent 
entgegentritt, ba«, ob e« bteömal nun richtig ober fehigegriffen'hot, 
für aße g&ße Veachtung p oerbienen fcheint. 

Dem ©amen be« Dichter« bin ich f^on mehrfach begegnet. Unter 
Julius 9lobenberg brachte ber „Salon'' einige Dichtungen oon 

ihm; ich weiß ouch, baß er ein'Drauerfpfel, „Abalbert oon Vtemen", 
gefchrieben hot, in bem i<h geblättert p hoben mich entfhme. Aber 
biefe früheren fchriftßeßerif^ett Arbeiten be« ©later« laßen in Seiner 
| ©eife auf bie merlwürbige Vegabung fchließen, auf bie feist neuße« 
i ©erl, „Die i&eje", hinweiß. ^ 

Da« Stüd fpiett unmittelbar nach Veenbigung be« bteißigjährigen 
Kriege« unb par an ber oßfrießfdjsmünßetfchen ©tenje, wo bie SBe* 
oöUerung p ungefähr gleichen Dheiten au« Katholilen unb Sutheoanem 
gemtfdß iß. Da lebt auf ihrem Schloße Dhalea oon ^atbebrool mit 
| ihrer Schweßer Atmuth- Dhalea hot ß<h Währenb ber blutigeu^taftbeitf* 
lämpfe bem Stubium pgewanbt unb iß unter ber Seitung eine« jübi* 

, f<hen ©eiehrten in bie ©erle ber Vh^ofophen unb ©aturforßher äuge* 

I brungen, um bie ©littet p erwerben, burch bie man p ben Queßen 
ßeigt. Die ©tfenntniß iß ihr nicht gelommen, wohl aber ber ßweifel 1 
an Aßem, wa« ße in ber Kiftberßube gelernt unb bi«her geglaubt hat. 
Die grage: welcher ©ott ber wahre iß, ber ©ott ber Katholifen ober 
ber Sutheraner, bie ßd| nun burch breißig 3ahre mit gener unb Schwert 
| belämpft hoben, ber ©ott ber 3uben, bie feit 16 3ohrhunberten Verfolgt 
I werben, gelangt bei ihr nicht pr ©ntjeheibung. Der griÄe führt ben 
längß tobtgeglaubten ©eliebten hrim, ©bprb oon ©iarba, unb fo fenlt 
bie greube ße oon ihrem bumpfen unb unfruchtbaren ©rübelu ab. 

Da« §auptmotio be« gitger’fchen Drauerfpiel«, ba« mm bramattßh 
oerförpert wirb, hot eine fatale Aehntichleit mit bem, welche« bem ©ab* 
tow’fchen Drauerfpiel, „©in weiße« Vlatt", p ©tunbe liegt ©« iß fo* 
gar gan^ ba«felbe. Der heitttlehrenbe Setiebte frnbet bie oor 3aht* n 
| Verlaßene oößig oeränbert wieber unb in leinet ©eife mehr bem &lbe 
| etttfprechenb, ba« et währenb feiner Abwefenheit oon ihr bewahrt hotte; 

bagegen crfcheint ihm bie jüngere Schweßer, bie, al« er oon bannen pg, 

| noch ein unbeachtete« Kinb War, gau« fo wie bie ©eliebte eiußcn« war, 


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Nr. 51. 


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9te ®egemanrt. 


a«t geit, ba er fte oerlaffeti, unb wie er fic nun wieberaufiitbett gehofft 
batte, Gbaatb Oer liebt fid) in Älmuth, unb nur burch bie ftette ber 
©fich*/ burch baS einft gegebene Bort, wirb er noch on Xhalea gcfefielt. 
Xieje bat oon bem Umfhwunge in ben Gefinnuitgen ihres beliebten, 
ben fie wie ben fteilanb unb Erretter aus ihrem petnigenben Sfepticis= 
mui mit grohlodett begrübt, aanädfit leine Ahnung. Schon Wirb baS 
bräutliche Gemanb ^ergeric^ter, {(hon rüftet fie ftcb $u ber geier, bie fie 
mit Gbaorb auf ewig berbinbfn foß, als ihr burch Älmuth, bie außer 
Staube ift, ihre unfelige Seibenfdjaft für Gbaarb au oerbergen, bie fd)red= 
ließe Bahtheit offenbar wirb. 3n einer ergreifenben unb frönen Scene 
treten bie beiben Schweftern, einanber gegenüber. Xßalea tann nicht 
oon Gbaarb loffen, für ben fie in glühenber Siebe entbrannt ift unb 
beffen Siebe ihre arme Seele erretten foß. Älmuth entfagt. Sie will 
lieber felber ju Grunbe gehen, als ihre geliebte Schwerer ju Grunbe 
richten. 

Seit geraumer Seit hat nun baS geheitmtißooße Befen bet Xßalea, 
hat ihre Beltabgefchiebenheit, bie Gemeinfchaft mit bem jübißheu Ge^ 
lehrten, ber fonberbare fcauSrath, ben fie in ihrem Stubirjimmer ange= 
häuft hat: Schäbel unb Gerippe, bie ©hiolen unb 3nfrumente, hat ihre 
Ungläubigteit, bie (ich baburch manifeftirt, baß fte feit fahren baS 
Gotteshaus gemieben — alles baS hat in ber befdjräntten, abergläubig 
f<h«n, oon fatholifchen unb lutherifchen ganatifent aufgeßeßten Sanb- 
beoölferung über bas Sehloßfräulein bie thorichtejten Gerüchte oerbreitet. 
Sie wirb als $eje oerfeßrien unb ber gläubige Bauer befreuaigt fich, 
wenn Xßalea über feinen Beg fchreitet. (Sin befonberer Umftanb gibt 
biefett unfutnigen Gerüchten neue Nahrung. Xßalea hat bei ber $cims 
lehr ihres Geliebten, um mit ihren fruchtlofen gorfeßungen auch äußer* 
lieh 8 U brechen, aß bie gelehrten Bücher, aus benen fie oergeblich BeiS= 
heit unb Grtenntniß hat feßöpfeu wollen, in eine Äifte geborgen unb in 
ber 9fad)t oergraben laffen. Xte Seute haben in ber Gefpenferfunbe 
unter bem fcoßunberbaum ein Sicht flacfem fehen, unb nachbem fie burch 
fromme Sprüche unb geweihtes Baffer ben XeufelSfpnl gebannt, am 
anbern äRorgen nachgegraben unb bie IHfte gefunben. Xßalea reclamirt 
biefelbe Ohne irgenb welches Siebenten als ihr Gigentßum, unb biefe 
Xßat jache genügt, um in beit Äugen beS bethörten ©oHeS bie ©er* 
muthung, baß baS Scßloßfräuleht mit bem Satan im engeren ©unbe 
flehe, jur Gewißheit au erheben. Ber es aber nodj nicht glauben foßte, 
bem würbe ftch ja heut am §ocßacitStage bie Gelegenheit bieten, bie 
Bahrheit feftjufteUen, benn als rechtfchaffene $eje wirb Xßalea natürlich 
bie heilige S(ßweße ber trtreße nicht übertreten tönnen. 

So murmelt unb flüftert baS aufgeregte ©olf, baS fich auf bem 
ftireßpfape jufammengerottet hat, um baS Brautpaar auf bem Äircß* 
gange au fehen. Xa naht ber Sog: Älmuth mit gejenltem Raupte unb 
oom Beinen gerötheten Äugen ooran, unb hinter bem acuten flßäbcßen 
bie bleiche ©raut im feflicßen Gewanbe unb ber tragifche Bräutigam. 
Schon hat fie ihren guß auf bie Stufe gefept, bie aur &Hrcße hinan' 
führt, baS ©oll jpäßt mit fieberhafter Ungcbulb auf bie „#ese", — ba 
fäßt ihr ©lic! auf bie unglüdlicße Älmuth unb auf ihren Geliebten, 
beffen traurigen 9Rienen fie eS anfieht, wie er nur burch bie ©flicht bei 
biefem ernfßaften Schritte feines SebenS geleitet wirb. Gin Äugenblid 
beS Sch wanfeit!, ein furchtbarer Stampf, unb fie ift entfchloffen, baS 
Opfer nicht anaunehmen. 3Rit bem ÄuSrufe: „3<h tann eS nicht l" 
wenbet fte fich antfept ab, beoor ber binbenbe Schwur gefprocheu ift. 

gür baS ©olf ift biefer Sieg XßaleaS über fich felBft, ift biefe Gut« 
fagmtg natürlich nur ber ©eweiS ihrer Schulb. Sie gilt nunmehr als 
überführte Jpeje. Schon ertönen bie SRufe: „Än ben ©ranbpfaßl!" als 
ber alte ©fatter baawifchentritt, ben erregten Raufen aur Stoße gemahnt 
unb fich XßaleaS, bie er als eine gute unb wohltätige Xante ehrt, an* 
nimmt. Äber ber SRäbelSfüßrer ber ERenge, — eS ift ein Bachtmeifter 
in Gb§arbS Xienf, Samens Subbo, ein fanatifcher ©rotefant, ber 
bef&nbig bie Borte ber Schrift citirt unb eine gana* auffaßenbe ©er= 
wanbtfchaft mit ERarcel in ben „$ugeitotten" befipt — biefer Subbo 
gibt fich nicht bomit aufrieben. Gr oerlangt, baß fich Xßalea nach alter 
©äier Beife auf Gottes heiliges Bort loSfchwören foße. 

Xhalea nimmt bie Bibel,, bie ihr gereicht wirb, in bie aittentbe 
£anb, fte richtet eine begeiferte Änfprache an bie „fremtblichen ©lätter 
„Begeiferung fog ich aus ber ©falmen Gewalt; föfliehe BeiSheit fchöpft 
ich aus bemen Sprüchen — unoerftegbarer Sieberqueß, unerfchöpflicher 
BeiSheitSßort." „Äber," fährt fie mit erhobener Stimme fort, „3pr 
woßt wir biefeS ©uch aum Grenaftfin meiner (jteöanlen fepenV Gure 


gäufc btoßeit mir entgegen; Xhoren, wer fo oiel oerloreu h Q t wie 
ich, Wie ich verloren habe, weil ich biefeS Buch nicht mehr als 
meinen Grenafein achte, ber fragt nach euren.Drohungen nicht. Xiefe 
ehrmürbigen Blätter, ich fic wie baS §errlichfte, baS ßßenfehengeift 
je erfonnen; aber aur geffel woßt 3h r f ic Wir machen; bie gefiel 
aerreifj ich/' 

Unb mit biefett Borten reift fie bie Bibel in Stüden, baft bie 
©lätter umberflattern. Gin Grauen erfaft bie ©erfammlung. Xiefer 
furchtbaren GotteSläfterung gegenüber erftarrt baS ©olf; aber Xhalea, 
bamit noch nicht anfrieben, forbert Gott felbft heraus. Benn eS wirf' 
lieh einen Gott gäbe, „flein genug, bajj er ftrafen unb lohnen tönnte — 
hier feh’ ich! geh bab* ihn beleibigt — ich glaube nicht au ihn. §icr 
fehe ich! herunter beiuen Xonnerteü auf bieS wehrlofe $aupt! Xrifi, 
rä<he beineS SRamenS Ghre, wenn bu einen Flamen h a f* j&ier fielen 
§unberte, bie ein Seichen oon bir erwarten. Bach auf, Scblafenber! ic." 

©on, fürchterlichem Grauen übermannt, oerharrt baS ©olf in 
bumpfem Schweigen. Xa tritt ber Sefuit Xaoer heroor: „Ber bift Xu 
Burm, bem ©errn ber $eer|cbaren ein Bunber au gebieten V Gr bebarf 
nicht beS BunberS; hoch in unferer ©ruf flammt ber töbtliche ©lip auf, 
ben bu gerufen. Äuf! Äuf! Siatholiten, ©rotefanten! Bir glauben 
all’ an einen Gott!" 

Unb mit mächtigem Gebraufe fept bie Orgel ein, uub baS ©olf, 
gleichoiel, ob tatholifch ober lutherifch, ftimmt mit SRacht an: „Bir 
glauben aß’ an einen Gott, Schöpfer Rimmels unb ber Grben." Unb 
bann rafft baS ©olf Steine auf unb fchleubert fte auf bic $eje unb 
GotteSläfterin. Älmuth Wtrb ferner am Äopf oerwunbet, bie greolerin 
aber bleibt unoerfehrt unb wirb oon Gbaarb unb ben Seinigen gerettet. 

Xiefe Schluffcene beS oierten ÄcteS if bei Beitem bie merfwürbigfte 
unb üerwegenfe beS ganjen StüdeS. Sie übt eine erfchütternbe Btrfung 
aus, — eine Birfung, wie man fte faum irgenb einem anbern brama; 
tifchen Berfe uachrühmen fann, wenn bieS aßetn eben fchon ein 9iuhm 
ift. 3« ben mobemen Xramen läfit fich in biefer ©eaiehuug nur eine 
mit biefer aufammen nennen: bie Scene, in welcher 3aba ber ßRaffabäcr 
ben Göpen umftürat. Äber ba geht bie Birfung gerabe nach ber 
entgegengejepten Dichtung hin. Xa if eS ber gotterfüßte Glaube, ber als 
unbeftrittener Sieger baS gdb behauptet, währenb h»c^ bie ftofiefte unb 
brutalfte GotteSleugnung bie Oberhanb erpält — unb wenn auch bte 
ganae Gemeinbe mit ber Orgel unb mit aßen SRegifent einfept: „Bir 
glauben aß’ an einen Gott/' 

Gegenüber ber frechen unb ruchlojen Äction if bie 9teaction, \o % 
ftarf fie auch fein mag, immerhin fthwächlid). Gin unbehagliches, 
peinigenbeS’ Gefühl bemächtigt fich aßer Sahö^cr, mögen fte in firch s 
lieber ©eaiehuug auch aoth fo frei benfen, mögen fte felbf auf bem 
atheififchen Stanbpunlte ber Xhalea flehen. 

XaS ftnb Xinge, bie fich ber ©ühnenbarfeßnng nun einmal burch- 
aus entaiehen. sticht fpiefbürgerliche ©ebenfen ftnb es, welche biefen 
©rotef oeranlafien. Gewiffe Xinge, bie Xaufenbe unb aber Xaufenbc 
noch immer als baS Äßerheiügfe oerehren, als ben Urqueß ber Bahr- 
heit, foßen nicht auf bie aßerweltlichfen ©retter, wo Sug unb ©er* 
feßung eine Äunft if unb Schminfe unb ©ermummung hetrfchen, ge= 
aerrt werben. XaS fagen fogar biejenigen, welche bie grei^cit ber 
©ühne in feiner Beife gefchmälert fehen möchten unb welche eS nicht 
für nöthig erachten, baf Süioral unb Religion burch bie ©oliaeibeljörbe 
gefchüpt werben. GS fagen auch biejenigen, welche in ben Äugen ber 
Gläubigen als arge Sünber unb &eper oerläfert werben. Xenn biefe 
empfnben eS aum äRütbefen als eine auf baS Äeuferfe oerlepettbe Ge= 
jd)mad(ofigleit, baf baS, was ber Mehrheit ber SRenfchen als ehrfurchtS- 
ooß unb heilig gilt, in auSwenbig gelernter ftebe oon berufsmäßigen 
Leuten geläfert unb gefchmäht werbe. 

„Saß unfern Herrgott aus bem Spaß! M fagt ber ferbenbe ©alentiu. 

Unb moau biefer wüfe Spectafel, biefeS Serreißen ber ©ibel, biefe 
GotteSleugnung, biefe $erauSfotberung ber greolerin, ber §immel möge 
feine ©Upe auf fte nieberfchiden, wenn ba oben wirf lieh eine Gewalt 
oorhanben if, um bie Schulbigen aa frafen? Boau biefeS Äeußerfe? 
Xiefer ganae Äpporat if Weber für ben Gharalter noch für bie Situation 
oonnöthen. 3RU oiel geringeren äRitteln ^ötte ben Ättforberungen, 
Welche Stoff unb ©erfönlichfeiten an ben Xichter feßen, in Oiel logifcherer 
Beife Genüge gefiheljen fönnen. Xer Gffect würbe aßerbingS in biefem 
gaße ein oiel geringerer gewefen fein. Xenn biefer Gffect if wie gefagt 
toloffal. Gr tann faum überboten werben. ÄuS oermeßneren ©oranS* 

e 





402 


Ute tfegennrart. 


Nr. 5L 


fepungen ift nie eine Situation entflanben imb niemals mit größerer 
Unerfdjrodenheit, um ein tnilbeS SBort ju gebrauten, burdjgeführt 
toorben. 2tuf ber einen Seite ber frec^fte Unglaube, auf ber anbern 
Seite bie begeifterte ®läubigteit mit Orgelflang. SBer folt&e gactoren 
antoenbet, muß entweber großartig toirlen ober einfach lächerlich werben, 
gitger ift nicht lächerlich geworben, unb bie tiefe SBitfung, bie er erhielt 
hat, mag bon Einigen eben als bie Offenbarung eines neuen unb ge* 
maltigen Talente* gebeutet toorben fein. SRan pte fi<h inbeffen oor 
folgen Uebertreibungen unb fchneßfertigen Deutungen. (Sin ftarteS 
latent ift nngweifelljaft ba; bie talentlofe ©httelmäßtgfeit toürbe fdjon 
oor bem bloßen SSagniffe einer folgen Scene gurücffchrecfen. Äber bie 
H'ectyeit unb ©eroteffenheit allein, bie $ier bie bWjterifche ©ebeuiung 
tueit überragen, finb toenn auch Attribute beS wahren ©alenteS, hoch 
noch immer nicht baS Wahre ©alent fetbft! SBie toeit bie bichterifdje 
©oteng biefeS jebenfafiS febr bemertenSroerthen unb intereffanten Schrift* 
fteßerS reicht, toirb fid) erft entleiben laffen, toenn fiep ber Siebter an 
einem Stoffe übt, ber baS Aufgebot fo getoaltfamer Mittel tote er fte 
bicSmal angetoanbt hat, ttidjt erforberlidb macht unb eine milbere unb 
biScretere ©eljanblung bebingt. 

Um bie Crgählung ber ©efdjichte noch mit einem Sape gum «b* 
fdjluß au bringen, wiß i(b ermähnen, baß ©halea unb «Imuth im 
Schlöffe oon ©bgarb unb ben Seintgen in Sicherheit gebracht, bort 
oou bem toütbenben SBoll förmlich belagert toerben unb baß fdjlteßUch 
©halea, bie ben SBeg gum Glauben toieber betreten miß, oon Subbo 
erßocben toirb, mährenb fie noch im Sterben (SbgarbS unb «ImuthS 
$äitbe bereinigt. 

SBie ich fchon gefagt, ift baS bei SBeitem ©emerfenSroerthefte ber 
Dichtung bie in großer «uSführlichfeit Oon mir befprodpene Schlußfcene 
beS oierten «cteS. ©er lebte «ct ift febr fchwadj. ©ei ber Prüfung 
eines bramatifdjen SBerfeS bonbeit eS ficb aber nicht bloS um ben SBertb 
ober Untoertb einer $auptfituation; es fommen uubere, nicht minber 
wichtige ©inge in ©etraebt. Am beften ift bem ©ichter bie gübrung 
ber fcünblung bis gum Schluß beS oierten ActeS gelungen, ©er Stuf* 
bau ift einheitlich tmb !lar, auch bie Stimmung ber ift gut toieber* 
gegeben. Einige <£barattere unb gwar gerabe biejenigen, toelche nur 
eine wichtige epifobifdje ©ebeutung haben, tote namentlich ber gefuit 
Xaoer, treten plaftifch hwöor. And) bie $elbtn, ©halea, befipt in ber 
(Sbaratterifti! große ©orgüge. ©agegen ift eS bem ©ichter ned^t gelun* 
gen, für ben gelben, (Sbgatb, unb für bie febr überfcpmängliche «lmutb 
ein tieferes gutereffe eytjuflößen. gn ber Sprache übernimmt fub ber 
SchriftfteHer faft beftänbig. ®S ift faft AßeS $u ftarf, au Ooß, au bilber* 
reich, au aufgebaufcht. ©tan höre einige Stellen: 

©halea: beliebter, bift bu noch ba? Seicht jä btoieber oerfchtoun* 
ben, ein fdjötteS, leuchtenbeS ©raumgeficht? geh habt bich! ich halte 

bich! Saß mich oerfinfen in beinern Anblicf.-S^ein, nicht betrach* 

ten. ©aS «uge ift ein blöber Sinn; aber an beinern ©ufen fühlen, 
baß bu ba bift! . . . ©roß, üoß, blenbenb toie bie aufgebenbe Sonne 
ftanb baS (Blücf oor mir! . $ijmnelbo<b heben glügel mich empor; 
geige mir nidjt ben ftaubigen SBeg, ben ich auf müben güßen toanbem 
mußte. ... geh b a &’ ihn toieber! — Schau ihn freunblich au, bu 
fchtoarje Seile, in ber ich mein flagenbeS $erg aur Ruhe toiegte mit 
bem »bbtbmuS ewiger Sänger, gbr golianten, emfte ©efeßen meiner 
(Siufnmfeit, habet ©an! für bie Sdjäpe, bie ihr mir getoiefeit; — aber 
ber gremtb, ber (Singige, ber ©eliebte ift ba, — ich b a b’ ihn mieber — 
fahret wohl, fahret alle wohl! . . . 

(Sbgarb: ©ie <8Uocfe labet; toie jauchgertbet (SngelSgrnß fcbaHt ihre 
Stimme bureb bie Sanbe tc. 

gn biefem b°^ en ©mte ift baS gange Stüd gehalten, gn bei 
Sprache oor «ßem wirb ber ©ichter ftch no$ einer bebeutenben ©t&ßi* 
gung gn befleißigen haben. 

«ber ich wU* mich uicht länger habet aufhalten, geh will ihm bie 
greube eines erften unb großen ©rtumpheS nicht burch tritifebe ©e* 
mängelung trüben, «rthur gitger h«t ficb bur^ baS ©rauerfpiel ,,©ie 
^eje^ mit einem Schlage öeadjtung oetfehafft; er hat gegeigt, baß er 
ben SJhitb beS ©alenteS befrpt unb Wirb nun in feinen folgenben «t* 
beiten gn beweifen haben, baß er bie ©eachtung bauernb oerbient unb 
baß er auch mit weniger febroffen ©Mitteln wirflich ©emerfenSwertheS gu 
ieiften oermag. 

©aS Stüd fanb am Stationaltheater unter ber oerftänbigen unb 
gcjchtcftcn btegie beS ©irectorS üan ^eß eine febr forgfame «ufführung, 


mit gräulettt Suhrlanbt in ber ©itelroDe. ®S ift gu bebauern, baß fuh 
biefe ©Ahne, bie feit gabren reblich beftrebt ift, ben «ufgaben eitteS 
guten öolfStheaterS gerecht gu werben, bie bet billigen ©reifen bie 
©ramen ber Älafftler unb intereffante neue ©iebtungeu in forgfälttger 
©inftubirnug unb fauberer, gum ©heil glängenber «uSftattnng gur «uf* 
führung bringt, eine fo geringe Unterppung Oon Seiten beS ©ubliatmS 
finbet. ©er ©egrünber, ©err ®umtau, hat ftch nach twtgem mühfeügcn 
btingen erfchöpft gurüefgiehen müffen. $en Robert ©u^h®4 hat ftch 
burch gabre abgemüht unb atte-gugträftigen SRittel angewanbt, um bie 
©b*üAabmc ©ubltcumS gu gewinnen. Sein Streben hat* bie 
jcbmeicbelbaftefte «nerfenmmg oon -Seiten -beS Äronpringcn, beS ©ringen 
©eorg unb anberer hochftehenben ©erfönlichfeiten gewonnen, bie ©reffe 
hat ihn nach Kräften gu förbern gefugt; auch « hat nach ©ctlu^ 
feines ©ermögenS ben ^ampf gegen bie <9teichgftltigteit aufgeben müffen. 
$err ©aul ©orSborf hat eS mit glängenben «uSftatiungen ber üafftfehen 
SBerfc im Stile ber Sfteitttnget oerfucht: oergeblich- gept hat ftch ^err 
oan §eß ber fchwierigen «ufgabe untergogen, biefe ©Ahne auf bie Stufe 
eines populären unb befugten ©beaterS gu erheben. (Sr oerfucht eS oor 
«Hern, mit einem intereffanten Repertoire bie ©beilitabme gu erzwinge«. 
(Sr hat mit „«ntoniuS unb (Sleopatra^ begonnen, er hat RiffelS tnter* 
effartteS unb poetifcbeS ©reiSftüd „«grteS oon ©terau" in gefchtcfter unb 
würbiger gnfeenirung anfgeführt, jept alfo ,,©ie $eje" oon «rthur 
gitger; unb als näcbfte Roottät ift „SBch bem, ber lügt!" oon ©ritt* 
parger angetünbigt. ©tan fieljt, baß gleiß, (Sifer unb anfiänbtgeS Stre* 
ben bie leitenben ©rtneipien ber ©irection ftnb. ,Unb gum Sohn bafür 
bei einem ooKen unb burchfchlagenben (Srfolge — ein leeres $auS! ©te 
©reffe ift nicht mächtig genug, um folgern Uebelftanbe gu ftet^rn; aber 
fie barf unb foH immer wieber auf benfelben ^imt>eifen. SBaS bebeuten 
benn bie frönen RebenSarten über bie Rothwenbigfeit einer guten 
©oltsbühne in ©erlin, wenn biefer SoltSbühne bie ©tittel gur C^ifietig 
oerfagt werben? paul Cinbam 




©ie Haltung (SitglanbS in ben europäifchen Angelegenheiten fo* 
wie ber (Snglänber auf Reifen unb in ber continentalen ©efeflfehaft hat 
neuerbkigS wieber manche he*be ^ritit Oeranlaßt. ©aß eine Ration ohne 
permanente foflfpielige Armee, eine Ration oon $aufleuten unb Shop* 
fceperS, wie fie ber große Rapoleon nannte, überall mttgureben ftch 
berauSnimmt, ift an unb für fleh faft unerträglich. «IS nach bem lepten 
©tirfenlriege oon einem möglichen gweiten Kampfe gwifchen bem rufftfehen 
©ären unb bem engltfchen Söwen gefprochcn wnrbe, gueften beeinflußte 
Organe bie «chfeln. ©aS folbatenarme brittfehe Reich follte eS mit bem 
norbtfehen Äoloß aufnehmen! ©iefe ©reifftgteit erfchien ben guten Seilten 
wie eine ©erfünbigung gegen ben heiligen ®eift militärif^er Obferoang. 
Aber (Snglanb ließ ftch nicht irre machen nnb beftanb barauf, baß Ruß* 
lanb ben Sonbertractat, welchen eS ber gu ©oben geworfenen ©ürfei 
abgerungen, oieüeicht auch abgetauft hatte, einem europäifchen «teopag 
gur geeigneten Reoifion unb ©ortbetur oorlege. Rach langem biploma* 
tifchen $in* unb ^erfchreiben fepte ©eaconSficlb gum (Srftatmen ber ba* 
malS noch oor Ru^enfreunblichteit unb ^garenanbacht erfterbenben Gaffer 
feinen SBißen burch. ©er Kongreß trat in ©erlin gufammen unb bie 
Ruffen gogen ben Mrgeren. AßerbingS war bann fpäter beS öffentlichen 
unb heimlichen @efpötte$ über biefen erbärmlichen ©erliner grieben fein 
(Snbe. ©iSmarci, fo würbe geflüftert, habe ihn gugelaffen, um nur oor 
ber §anb Ruhe gu fehaffen. f Aber ber ©ractat fei baS ©apter nicht 
Werth, auf welchem er gefchrieben würbe unb nach ein paar gabren 
werbe er tu bie Rwmpeltammer ber Archioe geworfen werbjn, wo tr mit 
ähnlichen ©robucten ^o^ex StaatSfunft ungeftört tnobem tönne. ©ie 
beutfehe $auptftabt aber werbe auf ben Ruhm, baß ber erfte Kongreß, 
ber in ihren ©lauern getagt, eine welthiftorifche &omÖbte aufgeführt 
habe, fich wohl nicht aßgubtel einbilben. Unb eS blieb nicht bet biefem 
(sPefcbwäp, welchem eine gange gahl bon ©lättern in profunben ©etrach* 
tungen nach Kräften fecunbirte. Ruffifche Agenten gogen mit rubelge* 
fpieften ©afchen nach bem ©altan unb arbeiteten weiter an ber ©efreiung 
ihrer cpriftli^en ©rüber, wühlenb unb fchürenb, wie eS bie flaoifchnt 
(Smiffäre oerftehen. gürft ©onbufoff nannte öffentlich ben ©erliner 
grieben eine Offenbcuhiabe, wurbf beS wegen oon Sioobia 'aus amtüd} 


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Nr. 51. 


Bit <5 t 3 e na»« r t, 


403 


belabouirt unb geimlkg getröPet. Seitbem ift mancher ERonat inl 
äcmb gegangen. Aet gulibertrag iß p (Egten gefommen unb bal 
©tener Elbfommen bom October fiat geseigt, baß man gier besüglitg bei 
©erfd, bal unter ben Elufpicien bei ftaifetl unb bei Eteitglfanslerl 
gcfettigt wnrbe/feinen Spaß berßegt. (Englanb gat in EBien nitgt mit 
tmterseitgnei, aber ßcg bei bebeutfamen Wietel, ber igm am Bolporul 
ßnft maegte unb feine Kräfte für ben Äampf in Eigen Inbirett begaflirte, 
naturgemäß getslttg gefreut. Beaconlpelb gatte aljo einmal tbieber gut 
fpecultrt unb ben 2R\tffc« blieb bal Etocgfege». Efotg in Benebig gaben 
bie (Englänber in biefen Aagen Eietgt bemalten. Aie Italiener wollten 
einen weiteren Ageil ber ERatfulftrtge reßauriren, baß gctßt in igrer 
abfcgeuliegen mobemen Eltt bemusteren. Aa lieg Etffrton all etgtel 
■ßulturöoll einen gegarniftgteu Btoteß bemegmen, (El fam p ERedtingl 
in Osforb unb anberlwo, bie &u fünften ber Rettung bei ©uitbers 
Werfel an ben fiagunen enetgiftge Evolutionen faßten. Aie gtalteuer 
mären wütgenb barüber, bag ft cg gogn Bull ancg gier mieber in Ainge 
miftge, bie ign nicgtl angingen. Aal italienische ERinißerium nagm 
fich ober boeg ber Satge an unb notißctrte bem engliftgen Botfcgafter in 
Etom, bet fragliche föeftaurationlptan ftamme aul bet bßteiegijegen Seit 
unb fei längt* fißirt. Summa: Aie ERarfulfircge blieb erhalten, ber benetia= 
nifche ERunicipialratg befielt feine funßfcgänberifcgen ^läne tief beftgämt 
in ber Aafcge unb ber ERenfcggeit würbe, Aanf ber englifegen gnterbentton, 
bie Trauer um ben SBerluft einel geweiften ERonumentel erfpart. SRatgs 
bem ÄUel vorüber War, fegtieb bie Airnd einen igrer beften, galb emfU 
haften, gumorißtfegen ßeitartifel, ber beit Bemeil lieferte, bag mit 
Aelanel Aobe bie guten Ambitionen bei Blattel ntegt Oerloren ftnb. 
Aelane war ognegin feit einigen Stegen nitgt ntegr berantwortlicger 
heraulgeber ber Aimd, bie igtern früheren (EgefsEiebacteur einen ber 
ftgönften SReftologe gewibmet gat, welche bie neuere Bublicißif mogl in 
ägnlttgen gällen aufweifen möchte, Elulsüge ber meiftergaften Arbeit 
finb in mehrere beutfege S^itungen übergegangen. Aiefe gaben jebotg einen 
Bunft niegt genug beamtet, bieüeitgt autg abßcgtlicg überfegen. (Einei 
ber Segeinutiße bei grogen (Etfolgel ber Aimel unter Aelanel Seitung 
beßanb nämtieg barin, bag er Aag unb Elacgt auf bem ^often war, 
Elllel birtgirte unb überwatgte, aber felbft wenig ober faft gar nicgtl in 
bem Platte ftgrieb. Unfere SRebacteure ßnb bon ber Elrbeitllaß erbrüeft 
unb müffen überbiel gagr aul gagt ein jagllofe Seitartifel unb @ntre= 
gletl liefern. 2Ber bal weig, wirb ignen mancgerlei Unplömmlicgfeiten 
unb ÜRiggriffe jugute galten, aber autg ben noeg immer preeären 
©nflug ber beutfegen treffe begreiflitg pnben. 

« 

* ■ * 

Stammburg ber ttatianai-Gtolerie» 
heraulgegeben bon ER. Qorban. (Berlin, Eiub. Stguper.) 

„3n jebem beutfegen häufe war el egebem Braucg, im „Stammbueg" 
Eiamen, SBaggen unb Sinnfgrutg ber Sufapen aufjunegmen, um fernen 
©efdjiecgtern funbe p »ermitteln. Elutg bem ftoljen Aempel, meldger 
ber beutf^en Äunp unferel Qagrgunbertl in ber SReicglgauptpabt er= 
richtet ift, foll ein folcgel ©egaubueg nidgt feglen, begen Blätter gagr 
um 3agr burtg Bilb unb SBort oon ber in feinen ERauern fieg fantmeln^ 
ben $finßterfamilie erjäglen/' ERit biefen ggantapeboll orientirenben 
EBorten bietet ptg in bem borliegenben ©ebenfwerf Wieberum ein göcgft 
beifaUlwertgel 3^9”^ öon bem ®eiße bar, in bem ERaf Sorban bie 
igm übertragene Aufgabe all Seiter ber fßationatgalerie erfagt gat unb 
confequent ju löfen fuegt. EBir empfangen mit ber anregenben Elulficgt 
auf iägrlicg peg emeuembe Spenben pnäcgß bie Bilbnigc bon jWölf 
Äünplem unb fe eine fßrobe igrer Äunp in IRabirungen bon frember 
unb eigener h an ^> ©garafterißifen aul ber geber bei h crau ^ 5 
geberl, weldge neben ben entfegeibenben ERomenten bei Sebenlgangel bal 
tünplerifcge Siefen jeber Sinjelerfcgeinung nadg Eigenart unb Bergältnig 
pr ©efammtgeit in fnapper Sagung abgerunbet beranfegauliegen. Bei 
ber Elulwagl finb nicht beftimmte ©epcgtlpunfte maggebenb gemefen. 
SRan lann bamit nur einbetfianbeu fein, greigeit unb EBecgfel pnb 
baburtg gewagrt; Elnfprüdge ein für aüe ERal prüefgewiefen, hoff^ungen 
gleitgtnößig enegt. Aag ^nattl an ber Spige pegt, iß wogl bodg fein 
8«faü. Aal bei EReifterl, bon h^nl EReqer rabirt, wirb wie 

bie anberen gier notg gebotenen ^ünßlerbilbniße boh biefer h a ”b ben 
aufmerffamen Beftngem ber legten Shmßaulßellung in freunblicger ©r= 
inuerung fein. @. Sorberg rabirte bap bal „fagentifdgegen^, aul bem 


©emäibe: „EBie bie Eliten fungen, fo jwitftgem autg bie jungen." Saft 
motgte itg annegmen,. bag erß bal BeWugtfein über eine fo aug£rorbent= 
litge unb bem 3»cdt entgegenwatgfenbe Jfraß p berfügen, ben ©Ibanfen 
an bie Elulfügrung unferel thmßbrebietl Boben pnben lieg. Aie Un* 
feglbarfeit, mit ber Sorberg bei ber benlbar ftörfßen Berfleinemng ben 
Sormentgarafter feßpgalten unb ben Qkiß bei fremben ÄunßWerfl, jei 
d bem B*ufel ober bem EReigel entfpmngen, in ferner boDen Sutenßtät 
wieberjuftgaffen bermag, erftgeint gerabeju einzig. Aie hög* bü fünfte 
lerifegen O^fammteinbrutfl beßimmt fitg bon igm aul. SBenn bie ans 
beren Beiträge baneben ntegr ober weniger egrenboll beßegen, fo pugt 
bal bon eigener Aüdgtigfeit, mit ber fitg p befreunben jebem iiebeboüen 
Betmtgter leiegt gelingen mug. (Stne boüßänbige Eln^äglmtg* wirb bie 
Agetlnagme ferner Greife bem SBerfe am fitgetßen pwenben. SEBtr pn= 
*ben neben bem Botträt BteHerl, bei EReifterl Obgfieul unb Seufotgea, 
beibel bom SReger rabirt. ftextwc El. EBittig unb feine Gruppe h ö 0 fl t 
unb 3lmael bon gorberg; ERenjel natg ber Büße bon $R. Begal unb 
®önig griebri(g II.- aul bem glötenconcert rabirt bon EReger; Ärdncrl 
Bilbnig' bon Sorberg nnb eine eigengänbige Babirung bd EReißerl natg 
ber „herbßlanbfcgaft mit hoigwilb^; & ERegergeim, natg bem in Aan^ig 
bepnblitgen, bon feinem Sogne Baut gemalten Bübnig, in ganpr Sigur 
an ber Stapelei fipenb, ebenfo wie bei EReißerl „Eluf ber Bleitge" bon 
Sorberg mbirt; Aücferl Borträt bon bemfelben unb bje bom Äünßler 
eigengänbig rabirte Sanbjcgaft bon IRügen; Stepetf bon EReger unb 
„Stute nnb güllen^ bon gorberg; h fl trer bon bemfelben unb bal ERor* 
cellultgeater bon grau BegalsBormentier, Bleibtreu unb ^öntg SBUgeim 
bei Äöniggräg, beibel bon EReger; $. b. h e g^tn bon EReger unb bd 
ftünßlerl „geßmorgen^, bon igm felbß rabirt; enblitg Et. Begal bon 
EReger unb ERerfur nnb Bfg<ge oon gorberg. 

Aie „Stnnfprücge", weltge gorban biefen „SRanten" nnb „SBappen^ 
beigefügt gat, geben bem fegönett Bucge feinen Bottgegalt. gn bal geß= 
gewanb jener fonntäglitgen Spratge gefleibet, ber el »erliegen iß, burtg 
bie Btäcifton igrer Begripibeßimmungen nitgtl bon ber ftgwungboHen 
©laßicität unb bem Elcicgtgum igrel gormenftgapel einjubügen, erftgetaen 
mir biefe concentrirten, ftetl p poßtiben Äefultaten gelangenben Cgarafters 
riße wie Äatetgilmen ber ^iptßbcurtgeilung, nicht nur mußergültig für 
ElUe, bie in gleicher EHtgtung ßreben, fonbem meinem ©mpßnben natg 
autg bor allen tgrdgleicgen bap aulgerüßel*, bie Besiegungen stoiftgen 
Äunß unb Babltcum p felbßßänbiger ßebenlfraft emporjubringen unb 
mit ber ßtebe s«t ^unß bie ©rfeimtntß für bal E^fen berfelben in 
glei^em gorptgritt ju ergalten. EBie er gebem bal Seine anl ßiegt 
ju siegen, s« ßattlitgem (ginbrttdf s« orbnen unb für bie EBelt in Harer 
Ueberpcgt su inbentaripren berßegt, bal mlgen igm f ünßler unb ftunßs 
frennbe mit wärmßer E[nerfennung bauten. 

Aem Eöertge bei gngaltl entfprttgt bie Elulßöttnng. Btofeßor 
EBanberer (wenn itg nitgt irre in ÜRümbetg) gat bie 8 e i<gnungen su 
bem ftgbnen Aitel in holsf<gnitt unb s«tn Ornament bd ^inbanbd ge= 
liefert, weltger, abgefegen bon gier nnb ba mangetnber Energie ber Aetgntf, 
auf bem EMbeau mobemer Seißuttglfägigfeit ßegt. (Ein rabirtel Blatt 
trägt bie EBibmung an bie tfronprinseffm bei beutftgen Eiettgl. — 
ERötgte biefer jugenbfriftge lErßling einer ßattlitgen 3«gl Oon Etacgfolgerit 

bie EBege ebnen. Cg. f. 

* 

* * 


Operns&gclul bon hermann ftaulbatg. Aarßellungen 
beliebter Opernjcenen, natg Origipalgemälben bei Äünftlerl 
pgotograpgifcg reprobucirt bon gr. Btutfmann in SRüntgeu. 
Berlin, Sari Bracf. Aie bilger erftgienenen 8 Blätter iHußriren Seenen 
aul bem „greiftgüp", „gtgaro", „Aon guan", „gibelio /# , „Barbier^, 
„Etotgfäppcgen", ben „hugenotten" nnb ber „weißen Aarne". „©er bie 
klänge im ©ebätgtniß unb h^cn trägt, weltge bie betreßenbeu Com= 
pontßen biefen gier bon bem ERaler geftgilberten bramatiftgen Borgängen 
geliegen gaben, bem werben pe beim Elnblitf btefer Blätter nnwiHfärlitg 
unb ungerufen mieber lebenbig werben, glettgfam baraul entgegentönen. 
Aal ip aber botg erß bal rechte 8iel, Weltgel ein 3*itgner bon Opern* 
iUußrationen su erßreben gat. Aag hc^uonn ftaulbatg d erreitgte, ift 
bie beße ftritif feiner Setßung/' Aie Blätter erftgeinen in brei Elul=> 
gaben: in ©toßsEtogal*, in goltos unb in Äabinetformat; in ben betben 
lepten gormaten pnb pe autg burtg eine elegante ERappe in einem ge= 
fcgloPenen Ellbum bereinigt. 


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404 


lie «egenmart 


Nr. 51. 


$allbetgtv8 !|5rad)taiiSgabe Bon „©djüfer« SBcrlen" liegt Sie beibett ffünfüer fabelt fi<$ bie Arbeit fo geteilt, bog Subutig 

jept mit bem Erfteinen bcr tepten Lieferungen 61—65 oollenbet üor Pietft bie zuplreiten Meinen in bcn Tejt gebrudten unb eine tjatBe 

«nb »ir paben nun einen ©dritter, »ie bad beutft* Volf tpa lange ©eite fiiüenben gelungen übernommen pat, »äprenb bie größeren bie 

entbehrt pat. Diefe lebten Lieferungen'enthalten ben©tlu% bed breigig= Voll jette füüenben ©eenen foinie bie Initialen unb ©tlugoignetteu bon . 


jährigen Ärieged unb fcerzog Alba ju Nubolffabt, mit Silbern oerfepen 
auf jene pifforift s 0 etwue, gebiegene unb geiffüoße Art, bie an ben bor= 
betgegangenen ^iflorifc^en Abffhnitten biefed SBerfed und fo überraftten 
burch bie Sülle bon (£ulturge[dji(btli<bein, intereffanten Porträts unb 
lebendüoüen gejc^tdbtlxc^en ©eenen, meiere eingepenbed ©tubium unb 
bie Äunff ber Ntoler und pier fid)tbar bor klugen pingezaubert. Niit 
biefeit Lieferungen finb bie hier Väube bed Prattwerfed fertig, »eite 
in i^ren eleganten unb geftmadoollen Einbänben fft fo oertodenb ald 
Seftgef(hen! präfentiren. Ueberbliden »ir jept biefe Prachtausgabe bon 
ben Eebitten an bis jum ©tlug, fo brängt fft und ber Eebanfe auf, 
bag biefe gfluffrationen nicht nur ein fünftleriffher ©trnud, eine jehöne 
Verförperung ber ©Köpfungen unfered nationalen Richters finb, fon? 
bern auch zugleit bie einbrucfdboCifte unb tieffte Erläuterung zu ©tilletd 
SBerfen, »eiche felbft bänbereiche Erflärungen nicht fo geben lönnen. 
Dad groge unb hoch fo bequeme gormat ber hier Vänbe, ber fchöne 
Drud, bie ppantöffeooüen Silber unb Verzierungen unb bie prächtigen 
Einbänbe oetüollffänbigen ben Einbrud etned geffgeffpenfed für bad Leben, 
ben biefe SBerfe ©chiüerd in fo popem Erabe befipen. 

* 

* * 

Tp. Eaeberp pat fft feit längerem auf bem nieberbeutfehen 
Sprachgebiete mit Erfolg bewegt unb namentlich burch oorliegenben 
Vanb plattbeutf^er Dichtungen*) eine »ertpoofle Vereiterung 
bcr Literatur in biefem 3btom geliefert. Der Krittler nimmt aüerbingd 
mit gerechtem SNigtrauen faft jebe neue Erfcheinung biefer Art in bie 
t>anb, benn oerfehlte, geift? unb geffhmbdlofe Nachahmungen Neuterd 
unb Erothd hoben in ben lepten gapren ben Vfidjermarft fo ftarf über= 
fttoemmt, bag jenes SNigtrauen in manchen Greifen fchon gront §u 
machen broht gegen bie oon ftlaud Eroth »amt bertretenen oölferoer= 
binbenben 3been einer bemünftigen nieberbeutfehen Literaturbewegung 
überhaupt. Ein Elüd ift ed baher, »emt oon 8*tt zu $tit hier ein 
rechter Dichter auftritt unb burch feine Leitungen be»eift, bag bie 
Originale hoch not uitt audgeftorben finb. Eaeberp ift ein folter. 

Er ffplägt in ben „Liebem " tiefe unb oft ergreifenbe Däne in meiftend 
formbollenbeter SBeife an. Dabei ent»idelt er eine feffelttbe Vielfeitig= 
feit in Npptpmud unb ©trophenbau, zeigt ffdj einmal im eleganten Ee= 
»anbe ber Äunffbittung, bann int einfat ftutudlofen bed Volfdliebed 
uttb gibt enblit aut einige Ted hiugeftriebene ftinberlieber. 

S&äprenb fo ber erfte Tpeil bed Vuted ben Verfaffet ald einen 
ftäpbaren Lprifer erfentten lägt, begegnen »ir in bem z»eiten, ben 
„Läuften", einem geftidten humoriftiften Erzählungdtalente. Die 
©prate ift bet ben petOoi;ragenberen Anefboten, »ie „De plattbütfte 
Vreeo", ohne ber Urfprünglitfeit bed gbiomd Abbruch z u tpun, mit 
groger 3 art^cit gehanbhabt; nur ftabe, bag mehrere ©tüde minber 
gelungen finb! Diefe SBaprnepmung fott unb barf inbeffen nnferer aufs i 
rittigen Empfehlung ber fonff oorzüglit audge»ählten uttb oom Ver= 
leger elegant audgeftatteten Eebittfammlung leinerlei Eintrag thun; 
benn bem begabten Autor ift auf alle gälle ein ehrenooüer piap unter 
beit jüngff belannt geworbenen munbartliten ©cpriftftellem einzurättmen. 

** s - i 

4 ? * ; 

Not lurz oor Dhoredjtlug »ollen »ir auf einige SBerfe hiu»eifen, j 
bie oon bem Verfaffer unb Verleger bazu beftimrat ftnb, ald geffgeftenfe j 
ben SBeipnattdtift Z u ffpntüden. J 

3 n einem nahezu 600 ©eiten ftarfen golioprattbanbe liegt und I 
grip Neuterd SNeifferWerf „Ut mine ©tromtib" oor (SBidmar, * 
Nofiod unb Lubmigdluft 1878, Verlag ber $inftorg’ften ©ofbuthuu^* | 
lung). Ed ift eine »irtlite Prattaudgabe in reichem, geftmadoollem , 
Einbanbe, tppographift uufd ©tönfte audgeftattet; flarer, ftarfer unb ' 
fauberer Drud auf ftarlem unb gutem Papiere, unb oon Lub»ig 
pietft unb OttoEmilLaumit UOOriginalilluftrationen geftmüdt. 

*) 3ulltappl Leebet unb Läuftcn oon Äarl Dljeobor Eaeberp. 
Ntit bret Driginalgebitten Oon tlaud Eroth, Dheobor ©torm uttb 
Theobor ©outap. Hamburg. 1879, 3 . g. Nitter. ' 


•0. E. Lau audgeführt ftnb. Diefer leptere Mnftler,*ein Lattbdmann 
bed Ditterd, begegnet und hier zum erftenmal. Er führt fit burt bie 
oortreffluheit SHüftrationen fo günftig »ie nur rnöglit ein. Die Vtlber 
finb »irffam, humorooll unb oon bem Eeifte bed Ditterd infpirirt — 
feine eigenwilligen Eapriccien gelegentUt ,etned *bitteriften SBetfed, 
fonbern »irllite 3Huftratiotten, b. h- bilblite DarfteHungen ber bitterts 
ften ©töpfungen unb Ausführungen ber Oom Ditter gegebenen An= 
regmtgen. Diefer Aufgabe bed bilbüten Eommentard wirb Lubwig 
Pietft tu fiouj meifterliter SBeife gerett. ©eine Darfteßung bed 
3 ufpector Sräftg, bed, ©awermann, bed grip Dribbelfip, — unb 
»ie bie löftliten fomiften Dqpen, bie in ber Literatur bed beut= 
ften $umord bauemben ©ip gewonnen hoben, alle h c *gen utbgen, 
— ftnb ett Neuter’fte Eeftalten, fo luftig unb originell unb 
tarafteriftift, »ie ber groge Ditter fie geftaffen unb in Unfrer 
Vorftellung feftgebilbet h®t. Unb wie trefflit finb biefe lleinen Vtlbet 
componirt, jebed einzelne ift ein reizenbed Eenrebilb. Die fleigige $anb, 
bie eine ber gewanbteften gebern unter ben beutften geuiUetontfien 
führt, hot offenbar bie §anbhabung bed ©tifted nitt Oerlernt. Lnbwig 
Pietft beweift mit biefen fleinen ^abinetftüden, bag fein DoppeTtalent 
unter ber in ben lepten gohuu foft audftlieglitm Pflege feiner ftrift* 
ftelleriftm SSirffamfeit in feiner SBeife gelitten pot. Den gremtben 
bed grogen plattbeulftcn Ditterd fei biefed SBerl angelegentlit tm= 
pfoplen. 

* 

Ein fepr liebendwürbiged unb finniges Eeftenl, bad namentlüh tn 
ben Greifen unfrer grauen unb gungfrauen grogen Anflang ftnben toirb, 
ift bie fepr ftbn unb reit audgeftattete Ausgabe jened herrlitm Lieber? 
cpflud grauenliebe unb Leben oon Epamiffo (Leipzig, Verlag oon 
Abolf Dipe), ber aut burt bie Eompofition oon Nobert ©cpiunann 
aübefannt geworben ift. Nun paben biefe tiefinnigeu Dtttungen oon 
Epamiffo aut tpren maleriften Eomponifteu gefunben: Paul Dpumanh, 
beffen zorted Talent fit gerabe für ben Vorwurf, ben er gewählt pat, 
ganz befonberd eignet. Ed finb freunblite, im beffen ©inne gemfttp? 
lite Vilber oon einer feltenen Anmutp unb Lieblitlcit unb fo gefällig 
unb »irffam, »ie alle ©töpfungen biefed potbegabten ftünffletd. Dort 
bie Neprobuction in Littbrud oon A. grift in Verltn ift ber Zünftler 
ZU feinem ooüffen Nette gelangt. A3ir paben pier eben bie unoerfeprte 
unb Unmittelbare Neptobuction ber geitnung, »ie fte ber Ntaler ent? 
»orfen pat. Die einzelnen Eebitte finb mit paffenben, fepr geftmad? 
ooüen Umrahmungen oerziert, bie in oorzüglitem §olzftnitt oon 
Degetmeper in Leipzig audgeführt finb. Der ©utffrud auf ffarfem 
Äupferbrudpapier ift oon ber berühmten Officin oon Eiefede unb 
Deürient geleiffet »orben. Ebenfo ift ber geftmadooHe Etnbaitb nat 
einem Ntuffer and bem XYT. gopTpunbert bed pötffcn Lobed »ertp. 

* \ 

Unter bem Titel Earlo = Album pat bie Verlagdbutpanblurtg oon 
Ebwin ©tloemp in Leipzig z c hu Lanbftaften biefed eigentpümliten 
Smprooifatord Earlo, ber ald fogenannter „ Eoncertmaler" fcftnell be- 
famtt geworben ift, in Littbruden Oeröffentlitt. Diefe Neprobuctionen 
taffen jebenfalld bie merfwürbige Veranlagung biefed fcpneUfettigeu 
Virtuofen erfennen unb finb ald gmproüifationen gewig fepr intereffemt. 
8 « ihrer rittigen SBürbigung mügte nur jebem einzelnen Vlatte pht? 
Zugefügt »erben*, „gn 25 ober ht 30 Nlinuten audgefüprt in grögtetn 
gormate mit rittigen Delfarben." Denn bie ffenograppifte Eeftwinbig? 
feit in ber $erffellung biefer Vilber coram populo tff eine ber be? 
merfendwertpeffen Eigenftaften biefer eigenartigen Ännffblätter. 

% 

2Bir paben uot einige poetift« VJerfe anzufüpren, benen »ir 
mit biefer furzen Anzeige in feiner SBeife gerett zu »erben beanfpruteit. 
Die gufenbungeit oon Vütern in ben fepten 3Bot?n Oor SBeipuatteü 
futb eben fo uugewöpnlit ffarfe, bag bon einer eingepenben Vefpretung 
oon oom herein Abffanb genommen »erben, unb bag fft ber Veritt- 
erffatter babei genügen laffen mug, bad Erfteinen ber einzelnen Vüter 
Zu conffatiren, unter bem Vorbehalte, fpäter, nat »iebergewonnener 
Nfuge auf bad eine ober anbere SBerl zurüdzugreifen. Unter biefem 
Vorbehalte alfo regiffriven »ir für peut not folgenbe SBerfe. 

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Nr. 51 


2Ht $rg*nntart. 


405 


©ebicpte bon «ictor «lütpgcn (Seidig 1880, Verlag bon ©bwin 
©tploemp). Xer «erfaffer ift ein feinfinniges poetifcpeS Talent; er pat 
fid^ fdjon burep feine früheren Arbeiten bie Aufmerffamfeit ber ftritif 
unb bie «eaeptung beS «ublicumS erworben. Victor «lütpgen ift einer 
ber «dbacteure ber „©artenlaube". Einigen biefer Xicptungen finb wir 
fepon früh« begegnet, unb wir haben uns an bem reifen ©ebanten, ber 
warmen ©mpfinbung unb ber fauberen gorm erfreuen tonnen. 

©ebicpte bon ©rnft ©eperenberg (Seip^ig 1879, @.$eit). 2 . Aufl. 
©elegentlicp beS ©rfcpeinenS ber erften Auflage bon ©cperenbergS ©e? 
bitten brauten biefe Blätter eine eingepenbe Äriii! berfelben aus ber 
geber Albert XrägerS. Xer foeben erfepienenen, überaus elegant aus? 
geftatteteu ^weiten Auflage mögen einige ber erften gewibmeten SBorte 
beS bamaligen Siecenfenten als ©ntpfeplung bienen: „Xaft er auch ein 
Xicpter bon ©otteS ©naben beweift jebe ©troppe feiner ©ebicpte, bereu 
©ejamjntauSgabe ber freubigften Aufnahme fteper fein barf. AuS berti 
«olititer ben attenjepen erraten ju wollen, bürfte nic^t immer glüden, 
pier bereinen fiep «eibe p einem untrennbaren ©anpn. Xerfelbe Abel 
ber ©eftunung, bie gleite Eingabe an alles ©eliebte unb ©rwäplte, bie 
freubige ©elbftberleugnung, ber unbeugfame SJhttp in jebem Kampfe 
fmb auch ber «ulsjcptag feiner übrigen Sieber, bie bon Aßent fingen, 
WaS je ein beutjcpeS §erj bewegt, ein beutfcpeS ©emütp ergriffen." ©ei 
au<p biefe peile ©efammtauSgabe bamit ber ©nnfi weiter Greife empfohlen. 

Ueber «ubolf «aumbaep pat bie „©egenwart" bor einiger Seit 
einen eingepenben Artitel gebraut unb ben Xicpter beS „Slatorog" unb 
ber „Sieber eines faprenben ©efeHeit" als ein auSgepicpneteS, peroor? 
ragenbeS unb liebenSwürbigeS Talent eparafterifirt. Siubolf «aumbaep ber? 
bient in ber Xpat unter ben jüngeren Xicptern mit in erfter Steife genannt p 
werben. 3” aßen feinen Siebern fprubelt bie ecple attunterfeit, ein ge= 
funbet unb einheitlicher §umor. Steue Sieber eines faprenben 
©efellen (Seippg, «erlag bon 21. ©. StebeSfinb), ift ber Xitel feines 
nenften ©ebicptbucpeS, baS fepon benjenigen, ber fic^ nur oberflächlich 
mit bemfelben betannt p rnaepen bie ©elegenpeü gehabt pat, aufs Sleue 
non ben eigenartigen «orjügen biefeS originellen unb frifepen XicpterS 
überzeugt. §ier müffen wir noep befonberS bie reipnbe AuSftattung 
rühmen, wie benn überhaupt in biefer «ejiepung ber beutfepe «uep? 
panbel in ben lepten gapren bie rüpmlicpften gortfdritte p ber 5 eignen 
bat. «on Xrugulin in lateinifcpen ©urfioletterrt mit gefcpmadüoflett 
Äopfleiften gebrudt, in rotpem Seberbanbe mit ©olbpreffung, jebenfallS 
nad) einem SRufter ber Sienaiffance, maept biefeS atlerliebfte «uep ben 
freunblicpften ©inbrud. 

’gerbinanb ©rofj, ber jepige Üiebacteur beS geuifletonS ber „graut- 
furter Seitung", ber fiep bnrep feinen ©ieg bei ber «reiSbewerbuttg um baS 
befte geuißeton perft in weiteren Greifen betannt gemacht bat, pat feine 
Siebet unter bem anfptucbSlofen Xitel: ©ebidbte (Seipjig 1879, «er= 
lag bon Heinrich «feil), pfammengefteßt. SBir wieberbolen noch einmal, 
. baft wir mit biefen Anführungen teineSWegS unfre tritifebe «fliept gegen 
biefen talentboöen ©dbriftfteller erfüllt p haben wäbnen, fonbem nur ber 
Orbnmtg halber bor ABeipnacpten baS eingegangene SJtaterial anfünbigen 
wollen. 2 öir haben ba noch ju nennen: 

SBalbgeheimnift, ein focialeS Härchen bon U. graut, Bremen 
1880, «erlag bon 3 - Äühtmann. 

♦ 

X)aS «ibliographifcbc 3aftitut beranftaltet p billigen «reifen unb 
in berbältnifjmä&ig bortrefflicher AuSftattung eine ©ammlung ber neuen 
aRufterüberfepungen ber flaffifc^en SBerfe. ©S finb foeben erfebienen 
Römers Obpffee unb 3^aS, im «erSmajj ber Urfcbrift überfept bon 

g. 3 B. ©hrenthal, in gefchmadboßen Seinwanbbeden gut gebunben. 

* 

©rlaucbte ©eifter, ein ©itatenfebap als ©eburtStagScbronit, $u= 
gleich ©ebent« unb Xagebucbblätter für jeben Xag beS 3ab*e£ öon 
X. A. ©cpmibt. (3toeite bermehrte Auflage, «remerhafen, «erlag bon 
S. bon «angerow). 8 U irbem Xage beS 3abreS ift ber 9iame beS an 
bem betreffenben Xage gebornen, berühmten, ober wenn ein foldjer nicht 
gefunben werben tonnte, befannten 3RanneS aufgefübrt mit einem bie 
«erfönlicpleit biefeS „erlauchten ©eifteS" (baratterijirenben SRotto aus 
unfern Xicbtem. XaS gegenüberliegenbe Sölatt ift unbebrudt geblieben, 
jo bafc eS p weiteren ßtotijen ber ©eburtS= unb ©ebenftage benupt 
werben tann. «iograpbifdfje Zotigen über bie einzelnen ©eiftesbelben 

befdbUeftqt baS büöfcb auSgeftattete «ucp. 

* 

* * • 


gür ben ©pejfart. ©in Xidfterbucb. ^erauSgegeben oon Wilhelm 
SRüller unb 3Raj «eilhad in Afcbaffenburg 8 . 244©. Afchaffeu? 
bürg 1880, ©ommiffionSoerlag 001 t A. Sßailanbt. 

Xer ©rtrag ift für‘arme ©peffarte» beftimmtl günfunb= 
ftebjig beutfehe Xi^ter — barmtter bie beften — f)abtn fi<h h» CT 511 
einem eblem 8 ioed bereinigt unb in ebelftet gorm. gür fte Unb ihre 
Abfubten möge baS feböne ©ebidjt fpredben, welches OScar b. SRebwip 
bem Xicbterbucbe borauSgefcpidt hat. Unb wenn eS biefem pr würmften 
©mpfehlung gereichen wirb, wirb eS in guten $et$ett nicht nur hülfbereite 
Xbeünahme für bie, welchen es pnädbft gegolten, fonbern aud) für bie 
im Often beS «aterlanbeS atothleibenben erweden. 

9tun wirb eS grühling unb grünt eS halb 
3 n «üfeben unb ragenben ©icben. 

Xann ift im beutfehen SReicb tein SEßalb 
Xem ©peffart p begleichen. 

Unb grüftt Xicb brin fo einfam. traut 
©in Xörflein pifd^en ben «äumen: 

„0 glüdltcb, wer fich hier angebaut!" — 
attagft Xu wohl frieblicb träumen. 

Xocb hemme ben ©ebritt! — Xenn, SBanberer, ach, 
ßtur Xrug ift, was Xu gefonnen! , 

SBaS hilft ber Stoth ein fdjWeßenbeS Xach, 

3BaS aß beS XufteS «rönnen? 

Unb hbrft Xu ben junger bon Xhür 511 Xpür 
3Jtit hagerer ^anb nicht podjen? 

@S fchlägt bom $erb fein geuer herfür, 

Xenn ach, was foßen fie fochen? 


Xrum, mag ber Xuft aus faft’gem Sanb, 

Xer Amfel Sieb Xich erquiden, 

©ei hoch für SRenfchemtoth nicht taub, 

«erfdblieft’ fte nicht ben «liden! 

AuS fonnenlichtem StolbeSgrün 
Xrttt ein in bie buntpfige Kammer 
Unb fieh bie Armuib brin fich müh’n 
3 n fonnenlofem 3 ammer! 

Xocb feiert brin ber träftige SRann, 

£ fchilt nicht, baft er träge: 

Ach, bafc er fich nichts erringen tann 
Unb rubn muft A^*t unb ©äge — 

Xrum ftarrt er fo begännt ja breiu, 

SBenn SBeib unb ^inber Weinen; 

Am Uebften möcht’ er ben Xobtenftbrein 
©ich jimment unb ben ©einen. 

3a, Heber SBanberer, h^mme ben gu|, 

SBenn Xir fol<h Xorf begegnet, 

«iS Xu mit flingenbem^grühlingSgruft 
Xer Armuth §ütte gefegnet. 

Sieb, Xlume, «rönnen, «aum itnb ©traud) 

Söirb hoppelt bann Xich laben, 

Unb wirft Xu AtalbeSfrühüng auch 
3n Xeinem §er§en haben! 

OScar b. Stebwip. 

* 

* * 


©Ito Spamero Uüeiljnaihtobttdjer, 


Xer weitbelannte «erlag bon Otto ©pamer in Seipjig tritt 
auch biefeS 3ab* wieber mit einem reichen ©epap bon ßtobitäten bor 
feinen SeferfreiS. ©owobl bie 3ugenb als baS reifere Alter empfangen, 
jebem wie eS plomrnt, gebührenben Xheil baran. ©bie Auffaffung beS 
ju «ietenben leitet bie «eftrebungen biefeS «erlagS, benn ein natür= 
lieber, feiner ©efdfjmad, ber taftboß baS Süchtige aus paffenben Unter= 
haltungSftoffen ber uns umgebenben SBelt fistet, finbet hi« ftetS ben 
2Beg pm ©Uten unb ©cpönen. Unb wer mag eS leugnen, baft nicht 
tiberaß baS 3&eale, baS trefflich erjiebenbe ©lement h«borleuchte, baft 
nicht überaß ber ©ifer ju erlernten ift, ber 3agenb baS «efte p bieten, 
bem weiter levnenbeu Jüngling unb «tanne aber ^anbpaben p geiftiger 
«Übung p reichen, ©in weites ©ebiet für baS Semen, für bie Untere 
haltung unb für geiftigen ©enufc erfdjlieftt fiep bem ©ebübeten, wie bem 


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406 


Sie (SegnutHirt. 


Nr. 51. 


tarnte be« ©olle« ttitb bet 3ug€«b. ©Serfen wir einen SÖU<f über bie 
bieöjäbrige gülle literarifd^er ©oben, io begegnen mir jnerft auf Ijifto* 
rifebent ©ebiete ber giluftrirten 2 Beltgefcbid)te für ba« ©ölf. 
Unter forgfälttger unb eingebenbet ©erüdfiebtigung ber Kulturgefcbtebte 
neu bearbeitet unb bi« jur ©egenwart fortgefübrt Oon Otto b. Koroin. 
©racbtau« 0 abe in acht ©änben ju je 16—18 Lieferungen ober in 22—95 
Lieferungen. 3Rit 2000 ÄbMlbungen, 40—60 Xontafeln, Äarten k. 

©oflenbet liegen Oot ©anb I unb II unter bent Xitel: gilufirirte 
©efebiebte be« Stltertbum«. 8 Rit 500 Slbbilbungen, 22 Xontafeln 
unb acht harten, ©ortrefflieb oerjkbt e« ber ©erfaffer, bie Hauptpuntte, 
auf bie e« für ba« ©ebürfniß ber Lefer anfommt, b Äa u«zubeben, ^ nc 
padenbe Kbarafteripil ber Hauptfiguren ju geben, ben Sufamtnenbang 
ber Hauptrollen mit ben Nebenrollen unb ben allgemeinen (Sulturjuftänben 
borjufübren, unb ganz bejonber« ein fertige« Urteil über ÜRenpben unb 
©adjen in leiChtfafilicber anregenber gorrn bajubieten. 

Preußen« ©efebiebte in ©Sort unb ©ilb. ©in Hau«bucb für 
Sitte. ©on gerb, ©djmibt. Xritte mefentli(b oerbefferte Auflage. SNit 
gegen 700 Xeftittuftrationen, aablreidjen Xonbilbern, ©ilbniffen mit 
gaefimile« unb Namen«unterfChriften, harten :c. Nach SeiChnungen bon 
Lubwig ©urger u. Ä. 3n fecb« Halbbänben ober bret ©änben bon je 
16—18 Heften, ©anb I unb II: Preußen« ©efebidpe in SSort unb ©ilb 
bi« jum 3abre 1816 . H$ r< *u«gegeben ®*>n gerbinanb ©dpnibt. 3Rit 
500 Xestittuftrationen. ©anb HI: Neuepe ©efebidpe ©reußen« bon 1815 
bi« zur SBieberberfteHung be« beutfeben Neieb«. ©on granz Otto unb 
gerbinanb ©cbmibt. SRit etwa 200 Xeytittußrationen, 13 Xontafeln unb 
ZWet harten. 3n nnferen Xagen bat einer ber erpen beutfeben HiPotiler 
ben $lu«fprucb getban, e« fei bebauertidj, wie wenig nuferem ©ölte gerabe 
feine ©efebidpe befannt fei. Unb bo<b ift bie Äenntniß ber ©ergangen* 
beit unfere« ©olle« bei ©eurtbeilung unb ©Sürbigung ber 8eitgef<bidpe 
ganz unerläßlich. Xa« b*er oorliegenbe ©Ser! fott nun bazu beitragen, 
eine merllicbe Lüde unferer nationalen ©Übung au«$ufüKen. 3n gorm 
unb Snbalt gleich anfpredprtb, ift g. ©djmibt« ©ueb berufen, bie ©e= 
jdpdpe unfere« ©aterlanbe« unb ba« ©erftänbniß ber heimatlichen 3u s 
ftänbe in ba« ©emußtfein Sitter zu tragen, ©er erfte Halbbanb, ein 
ftattlicbe« ©ueb, liegt gegenwärtig bor. 

©Sfirbig reibt fieb b^ et an: 

Slluftrirte LiteraturgefChiChtc in üoll«tbümli<ber Xar* 
ftellitng. ©on Otto bon Leijner. 3Rit 300 Sßuprationen, %Qt)b 
reichen Xonbilbern, ©ilbniffen unb ©ortät«gruppentafeln. Nach Beleh¬ 
nungen bon Lubwig ©urger, K. b. Lüttich, ©. ttRörlin«, H- ©ogel u. ©. 
3n etwa 25-30 Lieferungen, ©ollenbet liegt ber erfte ©anb bor unter 
bem Xitel: 3ftlufitrirtc (^efc^icHte be« beutfeben ©ebrifttbumf in ool!«tbüm* 
lieber Xatpettung. ©rfter ©anb. ©on ben erften Anfängen M« jum Knbe 
be« ftebjebnten 3 a b r bnnbert«. SRit 150 XejtiHuprationen unb zehn 
Xonbilbern. Xer ©erfaffer bat berfuebt, bie politif<be ©efdachte unb 
bie ber ©itten auf folcbe ©Seife in bie Xarfiettung ju üerWeben, baß bie 
innige ©erbinbung berfelben mit bem ©ebrifitbum ber einzelnen Seit* 
räume möglicbft llar berbortrete. ©erfdpebene Krfcbeinungen bet Literatur, 
wie ber SRinnegefang unb bie lehrhaften ©ebidjte be« HRittelalter«, ber 
©influß ber SRpfHler, ber Nuffd^mnng bon ber SRitte be« feebsebnten 
3abrbunbert«, bie religiöfe unb galante Xidjtung be« ftebjebnten — 
bleiben unberftänblich, wenn nicht bie gerichtlichen ©timmungen ge=» 
jeiebnet werben, au« welchen fie berborgegangen finb, — ein ©ueb, ba« 
bot&tyümlicb «u fern ftrebt, muß banadj ftreben, nicht nur bie SBerle 
binjupellen, jonbem auch bie Urjachen, au« welchen fie entftanben finb. 
Nnbererfeit« bat ba« ©eftreben,- ein boIl«tbümlicbe« ©ueb ä u Waffen, 
ben ©erfaffer bewogen, bie ältefte ©eriobe, beten gefammte dmpfinbung«= 
art un« fern abliegt, lürjer jufammenjufaffen, unb Unterfucbungen über 
©er«bau unb ©pra<be, welche pcb wenigen ©Sorten nicht geben laffen, 
faft ganj au«jufcblteßen. — Xer ©erfaffer jagt u. Ä. in ber ©onebe: 
„Xergwedbe« ©uebe« erforbert lebenbige 2luf<baulicbleit; be«balb habe ich 
auf bie groben ein größere« ©emiebt gelegt, al« e« gewöhnlich gefebiebt, 
unb habe, wo e« anging, «ugleicb bei ber 2lu«mabl ba« lulturgefcbicbtlicbe 
©lement berüdpebtigt. 3« ^ groben au« ber Literatur be« fecbjebnten 
unb ftebsehnten 3abtbnnbert« war ich bemüht, au« ben Originalen ober 
au« ben neueren !ritif<b bearbeiteten Aufgaben folcbe ju wählen, bie 
nicht in jeher SRufterfammlung aufgenommen finb, habe aber babei bie 
Notbwenbigleit, ben Xicbter ju cbaralteripren, im «fuge behalten/' 

©on (Erzählungen nennen wir: 

Neifen bei ©onnenf^ein unb ©egen, ©u« bem ©abe in bie 


Heimat, ©on ©opbie Xraut. 3Rit 80 Xejttlluftratiotten unb zwei 
Xonbilbern. Xie Xraufjcben ©eifeetzäblungen finb ein überau« wütbige« 
©lieb in ber $ette ber „3ttnftrtrten ©ibliotbet jur Unterhaltung unb ©e^ 
lebrung für flauen unb Sungfrauen" 3« anziebenber gorm führt bie 
©etfafferin ihre Leferinnen in ber gorm einer anmutigen ©rzäb^Ö 
ba« unerfcböpflidhe ©etriebe be« Naturreich« ein. 

NobCrtine. (Erzählung für bie reifere Weibliche 3 u Ö* n &- ^ on 
gTau oon ©awr. Nach bem granzöftfeben frei bearbeitet oen ©• SRicbael. 
iHutorifirte Äu«gabe. SRit fünf Xonbilbern, eingebrudten gffuftrationen tc. 

©eograpbifche (Eulturbilber, wie nicht rninber feffelnbe Nbbanblungen 
au« Länbers unb ©ölferfunbe umfcbließen: 

Stuftralien. ©efebiebte ber ©ntbedung nnb ©olonifation. ©ilber 
au« bem Leben ber Slnfiebler in ©uf<b unb ©tabt. Urfprünglicb b?*au«- 
gegeben oon oon gr. (Eb*ifituann. 3n zweiter oötlig umgeffalteter 
Auflage unb unter ©erüdfiebtigung ber neueften Hanbet«*, ©ewerbe= 
unb ©erlebröoerbältniffe bearbeitet oon Nidjarb Oberlänber. 3EBa« 
ber betannte ©erfaffer ber in oöllig oeränberter ©eftalt oorliegen^ 
ben zweiten Auflage wäbrenb eine« 14 jährigen Stufentbalt« in ben 
anftralifcben Kolonien erlebt unb beobachtet unb wa« er feit feiner 
Nüdfehr auf ©runb ber zuoerläfftgften, meift offfcteKen OueHen ge= 
fammelt unb gefubtet bat, ba« finben wir hier überficbtlicb bargefteHt. 
— Sßegen ber 2Beltaü«ffcel!ungen in ©pbnep unb SRelbourne befcbäftigen 
wir un« je^t mehr al« zuoor mit ben in überrafebenber SBeife auf= 
geblühten Kolonien be« fünften SBelttbeü«. ©in Söer! alfo, welche« wie 
ba« oorliegenbe ein getreue« ©ilb ber bortigen Hanbel«s, ©ewerbe= unb 
©erlebröoerbältniffe fpiegelt, bürfte gerabe jejjt befonber« wiHfommen 
unb namentlich auch benen Oon Nupen fein, welche bie Äuöfteßung in 
©pbneh befchidt haben, unb welche auf ©runb ihrer bort auögefteßten 
gnbuftrieerzeugniffe ©erbinbungen mit ben aufhraliftben Kolonien ans 
Zufnüpfen beftrebt finb. 

Kentralafien. Lanbfcbaften unb ©öller in ftafchgar, Xurgeftan, 
Äafdhmir unb Xibet. Unter ©erüdfiebtigung ber jüngften Kreigniffe in 
Slföbaniffan unb oon Nußtanb« ©eftrebungen unb Kulturberuf. 8weite 
oermebrte unb oerbefferte Stuflage. H**au«gegeben bon griebrieß oon 
He 11 walb. 3n bem üortiegenben ©udhe ip, unb zwar wohl z um er f ten 
SRale in beütfcber ©pracbe, ber ©erfueb gemalt, ein etngebenbere« ©emälbe 
jener Länbergebiete zu entrotten, bie im weiteften ©inne al« Kentral= 
afien gelten. Xie habe SBichtigleit, welche bieje Negion in potitifeber 
Hinficht bureb bie Kreigniffe ber jüngften 3ab*e erlangt bat unb aller 
SBabrfcbeinlicbfeit nach für bie näcbfte Sulunft in nodh fteigenbem 
SNaße bewahren wirb, rechtfertigt ficberlicb einen folgen ©erfueb. 
Xer ©erfaffer hat e« fid) augenfdheinlicb angelegen fein laffen, 
bie ihm zu ©ebote ftebenben Quellen auf ba« ©ewiffenbaftepe zn be= 
nuten unb bureb btxtn Slngabe bem freunbtidhen Lefer bie 2Rögli<bleit 
einer Kontrole fomie ber weiteren ©ertiefung in bie Xetail« zu ge= 
währen. Xie neuepen Kreigniffe in Slfghaniffan ftnb namentlich berüd-* 
rüdfiChtigt unb bie gelbzüge ber Nuffeu, wie nicht rninber bie ©cbwiertg= 
feiten, Welche fieß bem ©erbringen ber Knglänber entgegenpellen, ein- 
gebenber bebanbelt worben. 

Hinterinbifcbe Länber unb ©ölfer. Neifen in ben gluß- 
gebieten be« grawabbp unb SRelong; iu ©irma, Sfanam, ©iam nnb 
Äambobjcba. Unter befonberer ©erüdfiebtigung ber neueften 8ußänbe 
in ©irma bearbeitet oon griebricb oon H e ^lwalb. Sweite oermebrte 
Stuflage. 3n einem geitatter, wo ber ©ötferpertebr {ich mächtig er- 
weitert unb Kuropa nach immer entlegneren Stbfapgebieten bie Haub 
au«ftredt, mußten bie reichen unb frucbtbaren»©ebiete Oftaffen« natur= 
gemäß erhöhte ©ebeutung gewinnen. Xa« oorliegenbe, würbig au«; 
geftattete unb bureb neue Süuftrationen bereicherte ©ueb bat ficb nun 
ber gewiß lobnenben Aufgabe unterzogen, ben ©tanbpunlt unfere« 
heutigen SBiffen« über biefe Länber nieberzulegen, zumal bie ©orgänge 
ber jüngften ©ergangenbeit geeignet finb, in ©ätbe bie Slufmerffamfeit 
in größerem 9Raße auf bie nur mehr bem ©Cheine nach ifolirten ©öller 
binzulenfen. 

Xer Oorgejcbichtticbe SRenfd). Urfprung unb Kntwidtung be« 
SRenfcbengefcblecbt«. gür ©ebilbete aller ©tänbe. Urfprünglicb b^au«* 
gegeben oon SBilbetm ©aer. 3n zweiter, gänzlich umgearbeiteter Stuf* 
läge b^au«gegeben oon griebricb Oon H e ^walb. 9Rit 600 Xejts 
abbilbungen, fecb« Xonbilbern w. Xie zweite Sluflage biefe« bei feinem 
erpen Krfcbeinen fo überan« beifäöig aufgenommenen ©Serie« ^eigt ein 
gänzlich oeränberte« ©nttip. ©tanb bie erfte ©uflage noch unter bem 


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Nr. 51. 




407 


bamalg perrfcpenben $ogma beg 2)retperiobenfpftemg, jo paben Die fett* 
pe* bagegen beutfeperfeitg geführten wuchtigen Angriffe in bagjelbe eine 
foltpe ©refepe gelegt, baß bet ©earbeiter bet jtoeiien Auflage eg unters 
nehmen tonnte, in bem namhaft erweiterten ©anbe ein au8füprlicbe8 
©ernälbe bet ©orgefepiepte im Stammen bet neuen Änfcpauungen ju enk 
werfen, ©o Diel wir mtffen, ift bieg bet erjte ©etfuep biejer Ärt, uub 
ber ©etfaffet, welket leine SRüpe gefreut pat, bie m&glicpfte ©oßßänbig= 
leit jit erreichen, liefert hiermit niept fowopl eine zweite Auflage eiie8 
fepon beßepenben, gern gelefenen ©uepeg, alg ein bem $lan unb bet 
Anlage fowie ben leitenben 3bcen naep oößig neueg, burepaug jelbftftänbigeg 
SBetl. Obwohl populär in ber gafjung, wenbet et fiep in erfter 9ieipe 
an «Ke 2)urcpfotfcper bet Ur= unb ©orjeit fowie an bie greunbe ber 
Ätcpäologie, welken eg ben bermaligen ©tanbpunlt biejer Xigciplia ju 
oermitleln ftrebt. ©einem GJepalte naep batf eg mopl auf bie ©eaeptung 
bet gaepmänner regnen 

hieran reibt fld^: 

3)et SBeltoerlepr unb feine Mittel. 9hmbfcpau über 6cpiff= 
fahrt unb ©Beltpanbel. 3nbuflrie=Äugfteßungen. §erau8gegeben Don 
Dr. 3ul. dngelmann, gr. fiudenbaeper, ©auratb Dr. 0. Sftotpeg, ©cpiffg= 
capitdn Ä. ©cbücf, Dr. ©cpwarze unb 3^1. Süüner. dritte ooßftänbig 
umgearbeitete Auflage. 2Rit 400 $e$tabbilbuugen, Dierzepn Xonbilbern, 
einer 2Belttelegraj>pies fowie einer glaggenlarte in garbenbtuef :c. 
3)iefer in ficb abgejcploffene ©anb wirb Don aßen, bem großen ©erlepr8= 
leben 9täperfiepenben in ben ®anbelg^@mporien unb ©eepläpen unjereg 
©aterlanbeg fowie feiner Sßacpbarlänber, wie nicht minber Don jenen 
Zahlreichen gilngern beg §anbelg wiQlommen geheigen werben, welche 
bie ©ebeutung beg SBeltDerteprg fennen gelernt höben ober ficb in biejeg 
weite GJcbiet einführen laffen woßen. — 2Bir fügen bem noch pinzu, 
baß in einer befonbeten 300 ©eiten langen Äbipeilung bie 3nbuftrie* 
Äugfteflungen big jur ^arijer ©Beltaugfteßung 1878 eingehenbe dt» 
wäpnung gefutiben höben, unb bag ©uch fomit tbatfäcblicb auf ber £öpe 
ber Qtit fleht. 

gür jüngere Äinber liegen Diele prächtige ©änbepen Dor: 

S)a8fcpönfte3Beihnacpt8butp. Artige ® efepiepten für artige ftinber. 
1^0 Heine ©ejepieptepen unb ©rzäplungen für ftnaben unb Stäbchen 
Dpn fechg big acht 3ahrcn. ©on ©. ©pieg unb d. ©licpael. 3weite 
gänzlicp umgearbeitete Auflage ber „Artigen ©efepiepten". 3Rit 50 
Xejtabbiibungen unb Diet ©untbilbern. 

$ag ©uch ber fünften SHnbet* unb ©ollgmärcpen, ©agen 
unb ©chwänle. #etauggegeben Don drnß £aufcp. dlfte Dermehrte 
unb oerbefferte Auflage. 3Rü 60 Xejtifluftrationen, feepg Ion* unb 
Dier ©untbilbern. 2)ag ©uch ftnbet ficher auch biejeg 3öpt wieber 
feinen gewohnten $lap nnterm 3Beipnatptgbaum, Denn bie Äinberwelt 
fucht eg bort. # 

Älruna. $)er 3 « 0 «nb £ieblingg=9ÄärcpeujcpaD. gamiliens 
buch ber jepönften fcaug* unb ©olfgmätepen, ©agen unb ©chwänle aug 
aller Herren Sättbern. #crnuggegeben Don granz Otto, ©ierte Der* 
mehrte unb Derbejferte Auflage, ©lit 150 Xejrtabbilbungen unb einem 
bunten Xitelbilbe. $et ©etdptpum tiefer aug über 80 ©ollg* unb Äinbers 
märchen, ©ollgfagen, alten unb neuen ©efepiepten, ©chnurren unb 
©cptoänlen beßepenben ©ammlung etheßt aug nachfolgeuber 3ufammen= 


fteßung. (58 ftnb behanbelt unb bearbeitet, nicht aug anbeten ©ammeb 
werten nur abgebrudt, fonbern neu erzählt: 18 beutfd^e, 2 poßänbifepf, 
12 jlaDijche, bähmifche, mäprifcp;m«ßa{ptftpe, 3 ruffifche, 7 ftautfepe unb 
magparifepe, 6 bäntfepe unb flanbinaDifche, 4 englijcp=irif<pe, 3 frangös 
fifepe, 3 orientalifcge ©oltgmärcheu unb ©agen k., nebft 16 ©chnurren 
unb ©chwäuten. 

ßugleich reihen fich bem weitere perootragenbe Neuheiten an, fo: 

S)ie fcpönßen griechifchen ©agen aug bem Ältertpum. 
©einen dnfeln unb bereu tleinen greunben erzählt Don ©rof. g. (£arl. 
9tach beffen %o\> c h^auggegebeit Don ^ermann SKehl. 9Rit 84 Xe(t^ 
ißußrationen unb einem Jitelbübe. 

Äug bem SBigwam. Uralte unb neue ©lärchen unb ©agen ber 
norbameritanifchen gnbianer. SSiebererzäplt Don $arl Änorp. 2Rit 
Diet ÄnfanggDignetten unb feepg ^onbilbern. 2)a ber ©erfaffer bag 
3eben unb Xreiben bet ßiothhäute Durch eigene ©eobaeptungen tennen 
gelernt pöt unb in ben SÄptpen ber Ureinwohner Ämeritag Doülommen 
ZU $aufe ift, fo Dürfen biejer „©lärchen? unb ©agenfammlung" mit 
Doßem 9tecptc ^ebiegenpeit unb Originalität nacpgerüpmt werben, 
unb eg ift leicpt Doraugzufagen, bag unfere für bie blumenreiche unb 
poefieooße ©praepe ber Snbianer fo empfänglidpe Sngenb bieje bezau* 
bernben ©rzäplungen alg mißtommene SBeihnadjtggabe begrüßen wirb. 

3)er £epte ber ^ortenfier; eulturgefcpichtlicpe (5rzäplung aug 
bem ©eginn ber römifepen ^aiferzeit. ©on 9t. ©epoener. ©tit 80 
$e£tabbilbungen unb einem Xitelbilbe oon ^ermann ©ogel unb 
^onrab grmijep. 2)ie ©rzäplung fpielt in ber fttit beg gntperatorg 
Äuguftug, welche einerfeitg fepon Diele ber für bie Äinberzeit d^aratte= 
riftijepen (Sulturelemente entpält, anbererfeitg noep ein auggebepnteg 
republitanifcpeg Srbe aufweift. i)azu lommt bag erpäpte gntereffe, 
welcpeg ftetg einet 3^it innewopnt, bie auf ber @renzfcpeibe zweier dnt^ 
midelunggperioben ftept unb begpalb bag ©cpaujpiel einfepneibenber 
©egenfäpe unb bezeiepnenber Kämpfe bieten muß. 3n ben topograppi; 
fcpeu ©efepreibungen unb ben Sanbfcpaftgfcpitberungen pat ber ©erfaffer 
fiep burcpweg auf eigene Änfcpauung geftüpt. $)a8 ©uep iß Don ber 
erften big zur lepten Seile tpeilg in 9tom unb ben ßatinerftäbten, tpeilg 
in ber 9tacpbarfcpaft 9leapelg gefeprieben worben. Unb fo Darf Wopl bie 
Äbfi^t beg Äutorg, ein lebengDoßeg unb anjcpaulicpeg ©ilb ber 3)enl=, 
©efüplgs unb fiebengweije ber 9tömerwelt znr drfepeinung zu bringen, 
alg augerorbenüicp gelungen bezeichnet werben. ^)ie tünßlerifcp in $olZ' 
fepnitt auggefüprten 3ßttpnungen ©ogelg unb drmifcpg fepmüden in reiep^ 
licper Änzapl bag elegant auggeßattete ©ucp. 

Äuf popen Xpronen. @roße ^errfeper unb tßtrieggfürften im 
XVIIL unb XIX. gflprpunbert. 3n ßebengs imb ©efcpicptgbUbern 
unjerer Sngenb unb bem beutfepen ©olle oorgefüprt Don granz Otto. 
3weitc gänglicp umgearbeitete Äuflage. SRit fieben Xon= unb ©unt* 
bilbern unb 180 Xe^tabbilbuugen. @g pat ber aßbehebte drz*pl er 
granz & tt0 M ©eftölten, wie griebriep ben (Uroßen (alg „Älter grip" 
fo populär wie deiner), Äaifer gojef II., ben menfcpenfreunblkpen ©elbß= 
perefeper, unb Napoleon 1., ben ©5lterbezmtnger, augerwäplt unb mit 
tiner ©rünblicpleit unb ©Sahrpeitgtreue bepanbelt, wel^e, unterßüpt 
burep trefflicpe gßnßrationen, bag Don ber ©eriaggbudppanbtung präeptig 
auggeftattete ©ucp fiepet überaß in ben gamilien peimifcp maepen Dürften. 


Ap 4b 4b «, 4b » 4b »JLfiJbdüaJfedfoJb* JtaJtiiJLwAaJü JtmMädb 


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Abonnement der „(§fljfliiBii# pro I. Quartal 1880. 


Berlin W., 4 Behrenstrasse. 


Expedition und Verlag der „Gegenwart“. 


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Mit der nächsten Nummer schliesst das IV. Quartal der „^egtUWörtDiejenigen unserer geehrten Leser, deren > 


Abonnement mit dieser Nummer abläuft, ersuchen wir um baldigste Erneuerung desselben, damit keine Unterbrechung in der regel¬ 
mässigen Zusendung entsteht. Abonnements auf das /. Quartal 1S80 werden von allen Buchhandlungen , Postanstalten und Zeitungs¬ 
expeditionen zum Preise von 4 Mk, 50 Pf \ entgegengeno?nmen. 

Original-Einbanddeeken in Leinwand 

zu dem mit der Nummer 52 schliessenden XVI. Bande der „G t&V t MITt “, sowie zu den früheren Bänden können zum Preise von 
1 Mk. 50 Pf. durch jede Buchhandlung bezogen werden. 


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9it <5*griMiMtrt. 


Nr. 51. 




RUD. SCHUSTER (C. G. LÜDERITZ KUNST - VERLAG) BERLIN. 


Soeben erscheint 


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NATIONALGALERIE. 

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Der größte fpanifche UTaler, fein Ringen 
nnb fein (Triumph/ urtrb uns ' n //IHtttiflo" i 
in anmntbigfler lÖeife poetifdj nahe gerieft 
nnb erweeft in (Ecffteins Darstellung nicht 
nur fünfilerifche, fonbem menfchliche Sym? 
patfpe. (Es ift ein reicher nnb weichet 
Sammetton über bies poetifc^e dfem&ibe 
gebreitet, bas im Colorit unübertroffen ift. 

(Edftein l^at in biefer (E^ählnng eine 
(Tiefe ber ©mpftabung nnb poetifet? Raine? 
tat gejetgi, welche fonfi biefer feefe £Jn? 
mortft l^fnter allen möglichen Phantafte? 
fprtingen nortrefflich 3 n nerbergen fleht. 

(Ucker %*m unb Mm,) 

Der rhythmifche IDohllaut ber Sprache, 
bie £Ülle ber poetifchen Silber, bie leben? 
atfpnenbe Darftellnng, welche bas (E^ähft* 
gleichfam uns nor Rügen 3 aubtrt, fhtb 
Do^üge, welche (Ecfjtein's „murtflo" ben 
gelangenden 3 eitgenöffif<hen €pen an bte 
Seite {teilen. Caasoneou jaosnufttungO 
Rlag ber Dichter nns Rnbalufiens blühenbe 
(SefUbe ober bie öben Strecken ber Dlancha 
fchilbern: jtets erbalten wtr ein lebenbiges, 
ftimmnngsnotles oifb, C^tamataaie.) 

HMf IMH » 




fMbttte», Berffn W., Beßren •6tr«le L 

C.ooole 


Digitized by V j °°S 











JG 52 . 


DSevfht, ben 27. PecemBet 1879, 


Band XYL 





SBcdfenfcbrift für Siteratur, Äunft unb öffentliches Sebeit. 


Herausgeber: '«Sfattf cftttbatt in Serlitt. 


|tkn §inubik erzeigt litt graut. »erleget: öcura ®t«Ke in Berlin. I«« P» «rarfal 4 {Ink 50 ff. 

Rn Bttieben burtfi «Oe ®uc&banblimaett unb «Boftanßalten. ^nfcrate feber 9irt bto Sflejbaltene Brtltaetlf 40 $f. 


$te beutfdjen §anbelBbc}ic^ungcn ben Sfibfeeinjeln. Sott b. 8p. — ©nglanb unb bie irifdjen Sßarteien. ®on Äarl ©Iinb. 
III—V. (Sdj>luf$.) — Literatur unb Äiif: (£i3. $on Hermann Singg. — ftupferftid) unb SRabinmg. Sou ©. fiüble. — 
ftttfiitff* Serbinanb greiiigtatljS ®r(lUnge. Son SBü^elm Sutpner. (Sc&lufc.) — «(ftüanif^eS. Son Saul b’Bbtefl — «ul Per 
yiUfiXll . ^auptflobt: 8nti=£effing^iga. Son 3uüu$ 8tetten^eim. — S)ramatifd|e Huffii^nmgen. $)er gteunb befrgürfleit. ßuftfpiel 

in toier mieten bon @rnft ©id&ert. Sefprod^en bon Saul Einbau. — SJtotijen. Saal fc’giflal) alä ber prafttf(§e Sorbeter, bon 
# Bbraljam Saer. Sefprotpen bon g er bin au b Rillet. — Offene Sriefe unb &nt»orten. — gnferate. 


Sie beatmen üjattMBbeüebatujeti jn ben Jabfeeinfeln. 

2)ie 3ablung3einftellung beS belannten H an tburger HoufeS 
3- 6. ©obeffrop & Sogn, welche jtoar eingeweigtere lauf* 
männifdge Greife nicht überrafegte, aber baS fernerftegenbe 
publicum audb beS VinnenlanbeS lebhafter befepäftigt, als eS 
bei ber augenblidlicben, att commercieHen Ärifen reuten ßett 
fonft ber ffafl i u fein pflegt, b°t bie allgemeine Aufmerlfam= 
feit auf bie beruorragenbe iöetgeiligung beS beutfeben ^>anbet3 
mit ben Snfelgruppen ber ©übfee unb auf bie Stellungnahme 
ber beutfeben iReicgSregierung ju biefen H an belSbejiebungen 
jurttdgelenlt — einer ©tellungnabme, welcher ein groger Speit 
ber SageSbtätter mit Unrecht ben Stempel einer „kolonial* 
politil" aufjubtüden bemüht ift. 

3n bet Xbat finb jeboch bie Sntereffen, welche burch bie 
erwähnte ßablungSeinftellung gefägrbet erdfernen, fo wefent= 
Udje unb tunt fo allgemeiner Vebeutung für bie gortent* 
widelung unfereS übetfeeifepen JpnnbelS, bag eS nur freubig 
ju begrüben ift, wenn fich bie Angelegenheit aus bem {Rapinen 
faufntännifcher Verwidelungen p einet mehr ober minber 
nationalen grage geftaltet unb fo öieüeicbt ein partielles Un= 
glücf auch gkr, wie bie ©efepiepte eS unS oft lehrt, einen 
rräftigen SmpulS pr freien ©ntfaliung rubenber Strafte gibt. 

Sie Oor etwa 30 Sagten oon Hamburg aus mit ben 
©übfeeiitfeln angehtüpften H an bel8oerbinbungen bitten im 
Saufe beS testen SaprjegntS einen augeroroentlicpen Auf= 
fcpwung genommen. 5DaS H au8 ©obeffrop in erfter Sinie, 
ferner bie fjfirmen fR. 3. {Robertfon, äBacgSmutg & Srogmann, 
{Rüge, H^bemann & So., ©ebrüber HetnSgeim — fämmtlich 
in Hamburg refp. ©amoa bomicilirt — breiteten ihre Agen= 
turen unb gactoreien über faft fämmttiche, noch ^etrenlofe 
3nfelgruppen beS Archipels aus, währenb fiep auf ben ©amoa= 
unb Songa=3nfeln, als bem natürlichen 3Rittelpunft, ihre Se-- 
ftrebungen ^u feften HanbelSptägen, oerbunben mit ißlantagenbau 
im gro|arttgften 3Ra|ftab, concentrirten. 

®er H°nbet fcheibet fidb bem entfprechenb in ben Slaufcb= 
banbel mit ben Siügeborenen, in welkem gegen bie ein= 
geführten SJlanufaftur», ©ifen* unb üurjwaaren bie 2anbeS= 
probulte auSgewechfelt werben — unb ben (Import ber ©rjeugniffe 
ber eigenen Plantagen, beten Anlegung fich als eine bringenbe 
SRotbwenbigleit, jugleich aber auch baS lobnenbfte ®efcE)äft 
berauSfteßte. 2Rit bem Anwachsen ber Soncurrenj nämlidb 
unb ber bamit oerbunbenen Steigerung ber fßrobuftenpreife 
galt eS, burch eigenen Anbau bie Seftimmung beS ^reifes 
gewifferma|en in ber H<>nb J u behalten, um einen eoentueden 


Hanbelsoerluft burch ben ©eminn ber Plantagen aus* 
gleichen ju lönnen. 2)a nun fpecieH bie ©amoa*3nfeln ein 
ganj oorjüglicheS ißlantagenlanb befi|en, welches billig ju er= 
palten war, ba ferner baS Slima ben Anbau im hohen ©rabe 
begünftigt unb ArbeitSlräfte oon einjelnen ber überoölferten 
Slachbargruppen leicht unb ju fehr mäßigem Sohn bwnn* 
jujiepen finb, fo gewann ber ißlantagenbau überrafchenb fchnetl 
eine AuSbebnung, bie erwarten lägt, bag er in nicht langer 
Seit ben ^tanbel mit ben ©ingeborenen in bie jweite Sink 
brängen wirb. ©S ift baS fpecieHe SSerbienft beS HwtfeS 
©obeffrop, bieS ißrincip richtig erlannt unb mit ©infegung 
aller Äräfte burchgefübrt ju haben; igm, refp. j. 3* bet, wie 
befannt, mit igm faft ibentifchen „beutfeben HwtbelS* unb 
5ßtantagen=©efeHfchaft ber ©übfeeinfeln" gehören 100 bis 
120,000 Acres ißlantagenlanb, oon benen über 4000 Acres 
in 4 ißflanjungen auf ber Hnnptinfel Upolu unb in einer 
Sßflanpng auf bem nagen ©aoaii bereits in Gultur genom= 
men ftnb. 

©S f(geint uns niept unwichtig, gerabe in bem jegigen Augen= 
blid baS HauS ©obeffrop gegen ben befonberS in früheren 3abren 
oon gewiffer ©eite in ben SSorbergrunb gejogenen SSorwurf ju 
fchüpen, als tpeilten bie auf ben ©obeffrop’fdpen ißlantagen be- 
fchägigten Snfulaner baS f^macpoolle SooS ber Äulis im 
!E)ienfte anberer ^Rationen. Siicpt allein bie gewig unparteiifchen 
Sericgte ber ©apitaine ber beutfeben ÄriegSfchiffe ©ajeHe, Hcttga, 
Augufta unb Ariabne, welche in ben Sagten 1876 bis 1879 
bie Sttfeln befuegten, beweifen baS ©egentgeil, fonbem auch 
oon ben birect gegentgeilig interefftrten Vertretern ©nglanbs 
unb SRorbamerifaS mugte bie tabellofe Seganblung ber frei 
angeworbenen Arbeiter anerlannt werben. ®ie äRtttgeilungen 
beS 2Rr. ©owarb, H a nbel4agenten ber Vereinigten Staaten, an 
ben ÜRinifter SRr. ©ewarb, fowie beS H«^ ©ternbal an ben 
SKinifterpräfibenten oon fReufeelanb, u. A. aber auch baS 
belannte SEßerf beS 3Rr. 3ogn Hörne über ben gibjuAtcbipel 
geben biefe Sgatfacge auSbrüdlicg geroor. 

lieber ben Umfang beS SmportS, fowie ber Ausfuhr auf 
ben Xonga= unb @amoa=3nfeln liegen uns einige niept un= 
intereffante ßaptenangaben oor: An ber ©efammteinfupr im 
3apre 1876 im SSertpbetrage Oon 1.606,000 2War! waren 
beutfdpe Smporteure mit 1,290,000 ÜRarf — im 3apre 1877 
oon 1,687,420 ERarl mit 1,247,420 SDiatl betpeiligt; ber SBertp 
beS ©efammtejport in ben gleichen 3agren betrug 2,566,000 
refp. 2,503,400 2Rart, an benen ber beutfege £>cinbel mit 
2,386,000 refp. 2,216,800 2Rarl participirte. §iocfi über= 
rafegenber ift oietteiegt folgenbe 3 u f°wmenftetlung ber für 
{Rechnung beutfeper Häufet allein nach ©uvopa auSgefüprten 


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Goo fe 



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fflt t Gegenwart. 


Nr. 52. 


©robufte oon beit oerfcpiebenen ©ruppen beS Archipels, als 
bett Songa*, ©amoa*, gibji*, Sarolinen*, ©efeflfcpaftS*, aRarfpaß*, 
Sflice*, ©ilbertS*, Sufe of ?)orf=3nfeln. Ser SEBertp beS @£= 
portg betrug nämlich: 


1876 an 


1877 an 


1878 an 


Sopra (getroctnete SocoSfeme) 

©aumwoße. 

©aumwoflenfaat. 

SocoSgarn. 

©erlfcpalen. 

«Sdjilbpatt. 

3ufamtnen: 

Sopra. 

©aumwoße. 

©aumwoflenfaat. 

Sanble*©üffe. 

SocoSgarn. 

©erlfcpalen. 

©cpilbpatt. 


3ufammen 


Sopra .... 
©aumwoße . . 
©aumwoflenfaat. 
Sanble=©üffe. . 
SocoSgarn . . 
©erlfcpalen . . 
©cpilbpatt . . 


3ufammen 


3905000 SKarf-l 
654000 „ 
94000 „ 
6000 „ 
548000 „ 
2000 „ 
5209000 3Rarf. 

4722000 2ßärf.1 
686000 „ 
101000 „ 
5000 „ 
13000 „ 
565000 „ 
11000 „ 
6103000 3Rarf. 

4896000 SUtarf-l 
1108000 „ 
115000 „ 
244000 „ 
6000 „ 
638000 „ 
14000 „ 
7021000 3Rarf. 


Siefe $af)len beweifen bie ftete Steigerung bes beutfchen 
Sjports um fo fcplagenber, als bie ©reife bet au8gefüprten 
SBaaten auf bem beutfchen 3Rarft in ben lebten SaPren oer* 
pältnihmähig fepr niebrige waten unb fiep erft im laufenben 
Sabre gehoben hoben; ber Sjport wirb aber oorauSficptlicp 
fcpon in ben näcpften Sohren eine nocp umfangreichere AuS* 
bepnung gewinnen, ba ber größere Xpeil ber Socosplantagen 
erft jefct jur ooflen SrtragSfäpigfeit gelangt, unb mit bem 
rationellen Anbau non 3 u d!etrobr, gteiS unb Saffee, welcher 
fich bisher noch in bem ©erfucpsftabium befanb, nunmehr 
energifcp unb mit gtänjenben quantitatioen unb qualitatioen 
©efultaten oorgegangen ift. 

Siefe in bem beutfchen überfeeifcpen Jpanbel unübertroffen 
baftehenben ©efultate oeranlafiten bie ©eicpSregierung, bereits 
am 1. ©ooember 1876 einen aReiftbegünftigungSoertrag mit 
ben Xonga=3nfeln abjufchliepen, weicher bie Seutfcpen bejüg= 
lieh beS Sanberwerbs, fowie aßet ©erfeprS* unb £>anbels* 
intereffen aßen anberen Nationen gleicpfteflt unb ihnen einen 
$afen mit Äoplenftation auf ber ©aoau*3nfel einräumt; ein 
gleicher ©ertrag würbe am 3. Suli 1877 mit ben ©amoa* 
3nfeln oereinbart. 

Snzwifcpen hotten bie ^Bereinigten ©taaten, beten Stuf» 
merffamfeit, fowie bie SnglanbS, fich ouf ben eine immer 
bominirenbere ©teßung einnehmenben beutf<pen §anbel ge* 
richtet, ben #afen ©apapago auf ber Snfel Sutuila erworben 
unb fcploffen mit ben ©amoanern am 17. Sonuar 1878 eben* 
faßS einen aReiftbegünftigungSoertrag, wiefen aber gleichzeitig 
baS ihnen angetragene ©rotectorat unter Hinweis barauf ab, 
baff fie ben Srwerb oon Solonien nicht beabfieptigten. Siefen 
©tanbpuntt fijirte 3Rinifter ©emarb bem taiferlich beutfchen 
©efanbten oon ©chlöjer auäbrücflicp mit ben SEBorten: „We 
want only trade no dominion.“ Xropbem erflärte im 
gebruar 1878, unter bem lebhaften ©roteft ber englifcpen unb 
beutfchen ©ertreter, ber norbamerifanifepe Sonful ©riffin aus 
bem äufjeren Anlafj einer älteren, englifcp=famoaner «Streitig* 
leit, bafe « bie ©amoa*Snfeln unter ben Schuf} feiner ©egie* 
rung ftefle. 

SieS einerfeits, anbererfeitS bie oergeblichen ©emüpungen, 
eine rücfpaltslofe Srfüflung ber in bem ©ertrage oom 3. Suli 
1877 oereinbarten ©egünftigungen für SeutfcplanbS Sntereffen 


ju erlangen, oeranlafjte ftpliehlich bie ©efcplagnapme ber $äfen 
©aluafata unb galealili burch @. 3R. «Schiff Ariabne. Srft 
nach bem befinitioen Abfcptuf} beS am 24. Sonuar 1879 
Unterzeichneten greunbfcpaftS* unb aReiftbegünftigungS* 
oertrageS würben biefe $äfen freigegeben, nadpbem auch ber 
Sonful ©riffin inzwifchen abberufen unb burch 3Rr. Sawfon 
erfept worben war. Ser nunmehr zu Stecht beftepenbe ©er* 
trag fiepert ben Seutfdjen bie ©echte ber meiftbe* 
günftigten ©ation unb behält ihnen bie alleinige An* 
tage etner ©tation in bem §afen oon ©aluafata oor; er 
gewährt ihnen ferner ooße ©efreiung oon allen ©teuern, 
3öllen unb ÄriegSleiftungen, geftattet bie (Erwerbung 
oon ©runbbefih unb bie SrridEjtung oon ©ebäuben, ÜRaga* 
Zinen unb Säben unb beftimmt fdjliefjlich, bah bie ©egierung 
oon Samoa feine SRonopote, Sutfchäbigungen ober 
©orredjte zuw ©achtheile beS beutfchen ^anbels ober 
ber Angehörigen beS beutfchen ©eidjes bewißigen bürfe. 
©erträge gleichen Snholts würben ferner mit ben Sflice*3nfeln, 
ber Soluit* unb ©alitf*@tuppe unb ben Sufe of ©orf=3nfeln 
abgefd)loffen; auf le^teren würben bie Jpäfen 3Rafaba unb 
3Riofo* fäuflich erworben unb auf Soluü eine Äoljlenftation 
angelegt 

SBährenb bie Unternehmungen beS Kaufes ©obefftopASohn 
jenfeitS beS DceanS aufblühten unb fich, feitbem bie beutfepe 
glagge fiep bort Achtung unb ©efpect erworben, immer mehr 
confolibirten, untergruben mihlidjje commercieße ©erwiefetungen 
ben Srebit beS Kaufes in Suropa. Obwohl baS SetriebS* 
lapital ber girma bei ©eginn ber ©übfeefpeculation felbft für 
bie weitgeljenbften Unternehmungen auSreicpenb fepien, wie benn 
bamals 3- S. ©obeffrop & ©opn in ber Spat als eins ber 
beftfunbirteften ^äufer Hamburgs galt, fo legten boep befon* 
berS bie grojjartigen fianbfäufe unb ber ©tantagenbau, beffen 
SrtragSfäpigfeit erft im feepften Sopre, wie wir oben be* 
merften, peranreift, enorme Summen feft; wäprenb aber biefe 
nur augenblicflicp bracpliegenben SBertpe eine fiepere unb fepr 
pope ©entabilität für bie Snfunft erwarten liehen unb tn 
feiner SBeife eine ©erfcplecpterung ber Sage ber girrna perbei* 
gefüprt hätten, würbe ber weitaus gröbere Speit aßer bis* 
poniblen 3Rittet burep ©peculationen in piepgen Snbuftrie* 
unb fpecieß ©ergwerfSwertpen abforbirt. SnSbefonbere finb 
es bie DSnabrücfer Söerfe, welcpe enorme ©ummen oer* 
fcplungen paben, aber auch bie anberen nach ber ÄrifiS beS 
SapreS 1873 in ben £>änben ber gitma oerbleibenben unb 
gröhtentpeils in Sepot gegebenen SEBertpe erforberten feit mepr 
als 6 Sapren burep ben unaufhörlich finfenben SourS ftete 
©aepfepüffe unb ©ücfzoplungen an bie ©orfepuhgeber, welcpe 
fcpliehlicp bie eigenen Äräfte überfepritten, ben weiteren ©etrieb 
ber ©übfee*StabliffementS gefäprbeten unb zn immer umfang* 
reieperer Snanfprmpnapme beS SrebitS zwangen. 

Sie lange angebapnten greunbfepaftsoerträge ber beutfchen 
©egierung mit ben bebeutenberen unabhängigen Snfelgruppen 
ber ©übfee fepienen bie Situation beS bereits wanfenben Kaufes 
aufs ©eue befeftigen zn woflen, weil fie ber bisper immer 
noep auf unfieperem gunbament rupenben, Oon raftlofer Sou* 
currenz — ober auch öurep bie unzuoerläffige Haltung ber Sin* 
geborenen — bebropten ©peculation eine unantaftbare ©runblage 
barboten, ©epon naep bem erften mit ©amoa abgefcploffenen 
©ertrage glaubten fiep ©obeffrop & ©opn burep bie Umwanb* 
lung ihrer Unternehmung in eine Actiengefeßfcpaft, „bie beutfepe 
§anbels= unb ©lantagengefeßfcpaft ber ©übfee", flott maepen 
Zu fönnen; bie ©rünbung berfelben mit einem ©runbfapital 
oon 5 3Rißionen ging oucp witflicp oor fiep, aber ber ©e* 
gebung ber Actien fteluen fidp unüberwinblicpe §inberniffe ent* 
gegen, bie fiep zom niept geringften Speil auf bie SingangS 
erwäpnten panbelSpotitifcpen ©^wierigfeiten bis znr Unter* 
jeiepnung beS befinitioen ßReiftbegünftigungSoertrageS unb auf 
bie eigenmächtige ©teßungnapme beS ameritanifepen SonfulS 
©riffin in ©amoa zurücffüpren laffen. ©ur ein 3 e P nte ^ ber 
Actien würbe oon fremben girmen gezeichnet, aber aui biefeS 
3epntel braepte feinen baaren Srtrag, fonbent biente zur Secfung 


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Nr. 52. 


Bit dejenroart. 


411 


alter ©erbinbliepteiten — 9 / 1# bagegen übernahmen ©obeffrop & 
Sohn felbft unb biefe 9 / 10 mußten bereits im gtüpjapt biefeS 
Sabres an ©aring ©rotper8 in Sonbon oerpfänbet werben, ba 
biefeS IpauS nur unter biejer ©ebingung in eine weitere 
Prolongation feines Slcceptcrebits willigen wollte. 2Rit biejer 
Operation war baS ©cpicffal oon 3- ©. ©obeffrop & ©opn 
befiegelt, ja felbft bie Peinerträge ber oon ber ©übfee ein» 
treffenben Sabungen tarnen nicht mehr ihm jugnte, jonbern 
mußten ju ©unften ber beutjchen §anbelS= unb Plantagen* 
pefeßfcpaft ajjeroirt werben, auf beren SRarnen baS @eftf)äft 
je|t geführt würbe. Pacf)bem nunmehr bie ©rolongationSjeit 
ber ©rebite oon ©aring ©rotper8 abgelanfen unb bie anber* 
weitigen ©emühungen, baS alte Hamburger ^anbelSpauS ju 
ftüpen, ju feinem Pefultat geführt hotten, muffte baSfelbe feine 
gaptungSeinftetlung erflaren unb es liegt bie ©efapt nahe, 
bafj baS bei ©aring ©rotherS hinterlegte Pfanb oerfällt unb 
bamit ber wefenticpfte Antpeil an ben mit beutfcher ©netgie 
unb beutfchem Kapital geschaffenen ©tabliffements in frernbe 
$änbe — an baS AuSlanb übergeht! hiermit jugteicp aber 
würbe SeutfcplanbS ©etheiligung an bem gefammten ©übfee* 
hanbet auf ein pöcpft unbebeutenbeS SRinimum rebucirt unb 
bie rege englifche ©ortcurrenj würbe fiep beeilen, baS neu* 
gewonnene Abfapgebiet gänjlicp an fich ju jiepen. liefen 
Irnnbel aber wiberftanbSloS aufjugeben, wäre ein niept gut ju 
ntaipenber wirtpfcpaftlicper gehler — er tnu| $eutfcplanb 
unter allen Umftänben erhalten bleiben! 

jpierju ift in erfter Sinie bie fchleunige ©inlöfung ber bei 
©aring ©rotherS für ca. 2,400,000 Piarf oerpfänbeten Stetten 
nothwenbig. ®er ©ebanle an eine Staatliche ©eihülfe lag nahe 
unb in ber 2pat ift ja unter ähnlichen ©erpältniffen grofjen 
inbuftrieUen Unternehmungen, oon beren ©eftepen baS ©Johl 
ober SBepe oon ‘Jaufenben abhängt, wieberholt eine, wenn auep 
nur inbirecte Unterftüpung feitenS ber ^Regierung ju Xtjeil 
geworben. Sicherem ©emebmen nach h at ^ e gitma ©obeffrop 
es an ©emühungen in biefet Picptung niept fehlen laffen, ja 
unfet leitenber ©taatSmann foQ fiep petfönlicp für baS ßuftanbe* 
tommen eines Arrangements burep bie ©eepanblung refp. burep 
eine ©ruppe bebeutenber ©erliner ginanjträfte intereffiren 
— es finb wopl aber wefentlicp ©rünbe politifcper Patur 
gewejen, bie bisher eine offenfunbige ©taatshülfe importun 
erfepeinen liefen. 2)urcp eine folcpe märe ber giScuS ber tpat* 
fäcplicpe ©efipet beS überfeeifepen ©tabliffements geworben unb 
bie Pegierung hätte burep biefeS Sefiptpum unwiüfürlicp in 
eine actioe ©olonialpolitif pineingebrängt werben tonnen, bie 
ihren Abfi(pten unb bem allgemeinen Sntereffe wenigftenS oor* 
läufig fern liegt. 

3n bet Spat muff unb fann bie fpitlfe auep opne Unter* 
ftüpung beS Staates gefepafft werben. 3)ie Sßege, welcpe „ber 
Gentraloerein für ^anbelSgeograppie unb görberung beutjeper 
Sntereffen im AuSlanb" angibt, fepeinen bie näcpftliegenbften: 

„SBir poffen," fagt baS Organ beS genannten ©ereinS, 
„baff junäepft ber Hamburger SofatpatriotiSmuS es fiep ange* 
legen fein laffen werbe, bie beutjepe #anbels= unb Plantagen* 
gefeflfepaft ben 2)eutfcpen ju erpalten. 2Sir poffen ferner, baff 
ein ©erliner ©onfortium bie SRittel aufbringen pelfe, welcpe 
nötpig finb, um bie oon obiger girma bei einem engtifepen 
©antpaufe oerpfänbeten Actien gebaepter ©efetlfcpaft einjutöfen. 
SBBir glauben barauf um fo mepr jäplen ju bürfen, als bie 
genannte Hamburger ©übfeegefeüfcpaft feit einer gröferen Peipe 
oon Sapren gefcpäftlicp günftige ©rfoige aufjuweifen oermag 
unb ber galt ber girma 3- ©• ©obeffrop & ©opn niept auf 
ÜRifjerfolge in ber ©übfee, fonbent auf mifjglücfte Unter* 
nepmungen in 2)eutfcplanb felbft jurüefjitfüpren ift. Sie 
©cpmierigfeiten, mit benen inSbefonbere bie ©egeljepifjfaprt ju 
tämpfen pat, bie niebriaen graepten, bie mehrjährige Snbufirie* 
unb i>anbelstrife u. f. f. tonnten gleichfalls niept opne ©inftujj 
auf bie gefcpäftlicpe Sage gebaepter girma bleiben." 

Pacp ben neueften Pacpricpten haben nunmepr auep einige 
grofje ginnen ein Arrangement mit ©aring ©rotperS angebahnt 
unb baS genannte $auS fepeint einer ©inigung niept abgeneigt 


— hoffentlich beruht biefelbe aber niept auf ber Anwenbung oon 
©aUiatiomitteln, fonbem bebingt bie ootte ©inlöfung beS ganjen 
©fanbobjecteS oermittelft einer auf bie überfeeifepen ©tabliffe¬ 
ments aufjunepmenben ©rioritätSanleipe. SBenn aisbann eine 
genaue Prüfung ber gefammten ©erpältniffe ber beutf epen $anbels* 
unb ©lantagengefeUfcpaft oon unterrichteter, aber gänjlicp un¬ 
parteilicher ©eite aus ftattgefunben pat, unb fobalb auf ber 
©runblage biefer ©rmittelungen eine Peconftruction ber ©e* 
fettfepaft ermöglicht ift, bann wirb auep baS beutjepe Kapital — 
felbft opne SRüdficpt auf jeitweilige Opfer — einer ©egebung oon 
Actien fiep willig erweifen, wenn niept aus birectem jpeculatioem 
Sntereffe, fo boep aus billiget ©erüeffieptigung ber ©ebeutung 
jener ©tabliffements für ein weiteres Aufblühen ber über* 
feeifepen ^anbelsoetbinbungen ©eutfeplanbS. Unb eine folcpe 
©etpeiligung beutf epen Kapitals fann oieHeicpt jenen SmpulS 
anregen, beffen wir in ber ©inleitung erwäpnten, unb oon bem 
wir eine ©rpöpung unfereS PationalwoplftanbeS erpoffen bürften. 
©erabe bie in bem ©übfeearepipel abgefcploffenen ©ertrüge 
paben pierju ben reepten SSeg eingeleitet, ben wir uns niept 
burep bie ©epranfe eines Unfalls oerlegen laffen bürfen — 
fie jeigen, baff wir niept ber ©rwerbung oon ©olonien 
bebfitfen, bafe mir niept mit unberechenbaren Opfern in fremben 
Sßelttpeilen ©rootnjen ju erobern brauepen, fonbem bap wir 
auf frieblic^em SBege überall feften gup faffen fönnen, wo 
unfere ©nergie, unfere faufmännifepe ©infiept unb SeiftungS* 
fäpigfeit uns bie ©oncurrenj mit anberen Pationen überwinben 
iäpt, unb wo wir uns in geeigneter SBeife ben ©epup erwerben 
fönnen, ber unferem §anbet, unferer 3nbuftrie unb unferen 
überfepüffigen ArbeitShäften neue gelber ber Spätigfeit ftep 
ju eröffnen erlaubt! £j. t>. 5p. 


(fnglanii unb bie iriftpen Parteien. 

8 on Karl Slinb. 

i 

v (S<W«6-) 


in. 


©on ben 6,000,000 3ren gehören etwa 1,500,000 bem 
wefentlicp proteftantifepen ÜRorboften ber Snfel an, wo eine 
fepottifdp*englifepe ©inwanberung fipt. ®iefe bilbet bie 
ftarfe klammer, mit ber bas ©ilanb am SReiepe pängt ober 
gepalten wirb. ®ort, in Ulfter, finb japlreiepe ©ereine für 
ben ©epup beS fReiepeS oorpanben — bie fog. Oranien* 
©efellfepaften unb bie greimaurer*2ogen. ©onferoatio, 
infofern fie fiep an bie entfpreepenbe ©artei bieSfeitS beS 
©t. @eorgS=©anal8 anlepnen, jeigen bie freimauterifepen 
Oranien *äRänner Srlanbs boep ftarf unabhängige ©inneS* 
art, ba fie immer auf ber SBaept fiepen unb niept feiten 
auep mit bem ©ebapren ber englifepen SorieS wenig ju* 
frieben finb. 

©S pat, ©nbe beS oorigen Saprpunberts, eine ßeit ge* 
geben, wo grlänber ber oerfepiebenften Abfunft unb opne 
jRüefficpt auf baS religiöfe ©efenntnijj ftep jufammenfepaarten, 
um auf bem £8ege ber Umwäljung, gegenüber einer eng* 
perjigen AbelSregiemng, ©elbftftänbigfeit unb greipeit ju er* 
fämpfen. 2)aS 3ung=3rlanb ber ©ierjiger 3apre, beffen 
Unternehmen (1848) fo jämmerlich im ©emüjegarten ber 
Sßittwe SRalonep enbigte, war ein fepwacper SRadpflang jenes 
AufftanbeS oon 1798. ©eitbem pat ber, fepon unter 

0’©onnel fo mäeptige fatpolifepe ©influp im irifepen 
©arteimefen immer tiefer gegriffen. 2>er immpfe ©laubenS* 
pa§ ift eifrigft gefepürt worben; niept minber ber ©tammeS* 
pap jwifepen angeblichen Gelten einer* unb Angelfaepfen 
anbererfeits. 

ÜRun ift eS im ©runbe ganj tpöriept, oom reinen Gelten* 
tpum ber Sren ju fpreepen. ©inmal finb fie oon alter 3eit 
her eine SRifepung oon Gelten unb 3beriem, ju benen fiep 
früpjeitig germanifepe ©tämme gefeilten, bie bie gleichen fRameti 


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412 


Die $ egen wart. 


Nr. 52. 


trugen, »me äpnlicpe auf bem europäifdpen geftlanbe. ©obann 
paben, wenn bie ®ef«ptS}üge unb bie ©cpäbelforni irgenbnrie 
mafjgebenb ftnb, opne groeifel auep femitifcpe (ppöni}ifcpe) 
SBölferfcpaften, unb in iprern ©efolge pamitifdp=afrifanifcpe, 
ftarfe ©puren auf ber Snfel jurütfgelaffen. ®ann ’ fam bie 
meprpunbertjäprige Htrrfdpaft norb=germanifcper Sßifinger. 
©pater festen fid) nieberbeutfcpe gläminger meprfacp um bie 
Stuften feft. ©nblicp nmrben ©romweß’jcpe ©olbaten naep 
lipperarp gebraut; ipre Slbfömmtinge ftnb freilich au ©e= 
finnung „^iberniftger als bie ^ibernier" geworben. 

3cp recpne in biefer 8luf}äplung nicpt, was bie 3ren fetbft, 
in ihrer fagenpaften ©efcpicpte, non ben girbolgen, benTuatp 
be Tannan u. f. W., ober non bem griecpifcpen gelben ißar* 
tpalon erjagten. (Sine SJtufterfarte alter möglichen Stämme 
ift 3tlanb jebenfafls. Slucp fiept man, neben ben }urücf= 
gebliebenften Äöpfen, manchmal wirtlich, namentlich unter ben 
irifcpen grauen, ein ©efidpt, baS an affprifcpe (Bilbnerei ober 
an ebetfteS ©riedpentpum erinnert. 

2)er ©pracpe nadp ift baS 3ten»olf in feiner ungeheueren 
ÜReprpeit heute englifcp. ©rfifcp rebet nur noch ein unbe= 
beutenber (Brudptpeit ber unteren ©tänbe im ©üben unb SBeften. 
3m ^pbe^ar! hörte ich nut eine ©ruppe non fünf ÜRännern, 
bie unter einanber ©rfifcp fpracpen. ©in lebenbeS etftfcpeS 
©cprifttpum gibt eS nicht mepr, wäprenb bodp bie — ganj 
reicpstreuen unb proteftantifdpen — SÜBalifer auf bieSfeitigem 
(Boben ipr Sfpmrifcp, baS eine anbere feltifdpe ilRunbart ift, in 
ber Schule, in SBücpern unb 'XageSbtättern noch Pflegen unb 
ber überwiegenben ERepr}apl nach öiS }ur ©tunbe »pmrifcp 
als ipre SÄutterfpracpe reben. 

SBaS foß ba, bei biefen ©praepoerpältniffen unb biefer 
©tammeSmifcpung in 3rlanb, bie (Bepauptnng üon bem 
Äeltentpum gegenüber bem „©affenadp"? 

S3on 1848 bis }um Strimfnege war eS in 3rtanb mit 
ber (BolfSbewegung }iemüdp ftill geworben. ®er befannte 
©prucp: „©nglanbs (Berlegenpetten finb 3rtanbs ©e= 
legenpeiten" tauchte jebocp fofort wieber auf, als bie brit= 
tifcpe @ee= unb HeereSmadpt eine geit lang unfähig fdpien, gegen 
fRuftlanb etwas auSjuridjtett. SBer bie religiöjen Bewegungen 
etwas genauer »erfolgt, mag auS ©tatiftifen erfepen, bah öie 
größere iRacpgibigfeit gegen baS latpolifcpe 3rlänbertpum »on 
©eiten ber englifcpen (Regierung in jenen ÄriegSjapren plöft* 
Ucp um ein sRerflicpeS junapm. Ter unerwartete ißarifer 
grieben fcpläferte inbeffen bie faum gewecften Hoffnungen iri* 
fcper Unjufriebenen wieber ein. 

ÜRit bem SluSbrucp beS SlufftanbeS in 3nbien fam eine neue 
SluSfidpt. S)ie entjünblicpe ©inbilbungSfraft mancher 3ren bticfte 
bem gaße ber englifcpen Hrtrfcpaft als einem unoermeiblichen 
©reignift entgegen. 2Jiit Spannung erwartete bie burdp baS 
ultramontane (Blatt „Nation" »ertretene Partei, welcpe H<*l s 
tung Subwig (Bonaparte unb ber gar jeftt einnepmen 
würben. (Bon bem Sage an, wo bie SRiebermeftelung ber 
©nglänber in (Delpi gemelbet warb, fam wieber Sebpaftigfeit 
in bie Partei ber irifcpen (Rebeßen. Slucp ber UttramontaniS* 
muS »erftieg fiep in Stlanb, wie in ©nglanb, feit 1857 unter 
SullenS unb ©arbinal SBifemanS güprung }U einer Sin* 
maftung, wie fie »on ©nglanb bis bapin noch nie gebulbet 
worben war. 

©leicpjeitig tauepte bie rotpe Hanb beS irifcpen (Bepm* 
gericptS wieber an aßen ©den nnb ©nben auf. ®ropbriefe 
gingen im fianbe perum, wie jur geit ber „©iepenperjen" 
(Hearts of Oak), ber äBeifjfittel (White Boys), unb ber 
„^Rechten Serie" ober „SRecptSburfcpen" (Right Boys). 
Hinter ©den nnb gäunen, ja auf offener Strafte unb im 
XageSlicpt, unb »or ben klugen ber im gelbe ärbeitenben, 
fanben japlreicpe ©rmorbungen »on ©utsuerwaltern unb ®tunb= 
jins=©intreibem ftati gaft immer blieben bie Später unent= 
bedt. 83ergebenS würben pope ©ummen für ben Singeber 
auSgefept SBäprenb fiep teiept Singeber ber ßRitfcpulbigen für 
bie ©ntpüflung unb Slnjeige ber politifepen SSetfcpwörungen 
fanben (fogen. approvers, benen bafür ©traflofigfeit jugefiepert 


ift), gelang eS feiten, auf äpnlicpe SBeife ben Slnftiftern ber 
Slderbaumorbe auf bie ©pur }u tommen. 

Seiber beperrfepte bie papiftifepe Srüberfcpaft in jenen 
Sapren bie irlänbifcpen Parteien, ob biefe fiep ju ber ^Jadpt» 
reform befannten, ober als „Stepealer" ber ftaatlicpen 83ereini= 
gung mit ©nglanb entgegentraten, ober eine bemofratifepe ©o= 
carbe aufftedten. 9Rit äuSnapme einiger SBenigen, wie ©mitp 
O’Srien, ber ben SSerfucp »on 1848 gemaept nnb bafür ge» 
büftt patte, fonnte man mit gug fagen, baft fo jiemtiep aße 
Parteien in 3rlanb burep ipren ©cpweif, wenn niept burep 
ipre Häupter, in einem gemeinfamen ultramontanen SFlattenlönig 
jufammenpingen. ©S fann baper faum SBunber nepmen, baft 
auep biefer Sage im Hpöe-^Jarf neben bem Sanner eines 
rabicalen Vereins beS japlreicp »on 3ren bewopnten Sonboner 
S5ejirfs ©pelfea, eine mädptige gapne erfepien, bie auf ber 
einen ©eite ben peiligen SSater, auf ber anbent ben »on 33ar= 
ben angefungenen Äönig »on Sara aufwieS. ©S ift immer 
berfelbe unerquidtiepe ÜRifcpmafcp, in bem jeboep bie ultra= 
montane garbe entfliehen burepfeplägt. 

. IV. 

©emerfenSwertp finb bie, gegen ©nbe ber günfjiger 3apre 
inSrlanb»erfudpten bonapartiftifepen ©inwitfungen. Subwig 
iRapoleon patte, gegen ©nglanbs SBunfcp, fiep plöftlicp * ent= 
fcploffen, ben rufftfepen Ärteg abjubredpen, unb baburdp ben 
griebenSfdpluft erjwungen. Stacpträglicp war er in gepeimen 
Berfepr mit ber Petersburger ^Regierung getreten, fuepte fiep 
für ben beoorftepenben italienifcpen gelbjug nadp aßen ©eiten 
pin freie §cm b ju maepen, unb lieft beSpalb ©enblinge u. 81. 
nadp 3rlanb gepen. 

®er gwed war augenfdpeinlidp, ber englifdpen ^Regierung, 
bie feinen auf ©a»open unb fRijja gerichteten Ißlänen feinb- 
licp entgegenftanb, im eigenen Sanbe ju tpun ju geben. 3Äit 
einem Biale fepien man in ben Suilerien »on gewiffen Sln= 
wanblungen „gefcpidptlicper gitneigung" ju 3rlanb befaßen ju 
fein, x ©o lieft Subwig iRapoleon u. 81. für} »or 1859 ber 
fatpolifepen Äapefle in Slugprim eine Sln}apl foftbarer 3Reft= 
aewänber }ufteflen, bie ber bortige ißriefter jebeSmal bei ber 
geier beS SlnbenfenS an einen in ber ©cplacpt bei Slugprim 
(1691) gefaßenen fran}öftfcpen gelbpemt tragen foßte. 3ene 
©cplacpt war einer ber wieptigften Kämpfe }Wtfdpen papiftifeper 
Sieftauration unb bem mobemen ©nglanb. grantreiep ftanb 
bamals auf ©eite 3rlanbS. 

3n ber Xpat napm bie irifdpe Serfcpwörung ber ißpönip 
©efellfcpaft bamals beträdptlidpen Umfang an. gaplreicpe 
SSerpaftimgen fanben in aßen Xpeilen ber 3nfel, in ©fibbereeu, 
Äißanteb, Äemnare, Sralee, S3antrp, SBelfaft, Stntrim unb a. 0. 
ftatt. 3Ran pörte »on näcptlicpen 35rißübungen ber ißpönip 
SRänner auf ben Häßrl» »on Äerrp, »on einem ©inöerftänb- 
nift mit 3ren in ben (Bereinigten Staaten, »on SBaffen, bie 
burep ein unter irifdper glagge fegelnbeS ©epiff eingefcpmuggelt 
worben, u. bgl. m. @S unterliegt faum einem gweifel, baft 
iRapoleon III. biefe (Bewegungen unter ber H an ö wenigfteuS 
mit ©elb}ufcpüffen geförbert patte. @S lag ipm baran, öng= 
tanb }u befepäftigen. 3)aft bie (Berfcpwörung nidpt geringe 
ÜBerbreitung patte, ergab fiep aus einem be}eicpnenben Um* 
ftanbe: fofort naep ben geftnepmungen fegelte eine auffaßenb 
grofte 8ln}apl ^ßerfonen nadp Slmerifa unb Sluftralien ab. 

Um ben gufantmenpang }Wifcpen ber napoleonifcpen 
©taatsfunft unb bem äöieberaufleben ber irifcpen (Bewegung 
für} »or 1859 (wofür icp bamals meprfaep (Beweife erpielt) 
bem Sefer näper }u legen, »oirb eS »ießeidpt gut fein, an eine 
SRittpeilung }u erinnern, bie am 10. Sanuar 1852, ein paar 
SBodpen naep Subwig (BonaparteS ©taatSftreidp, in bet ,jSöl= 
nifepen geitung" etf^ien. Sie ftammte offenbar »on unter* 
ridpteter, b. p. offieiöfer ©eite, nnb jeigt, baft nn ©Ipfee aße 
$läne »on langer H, a ”ö P«r angelegt würben, ©o lautete 
ber merfwütbige ißarifer (Brief: 

„(Bin icp reept unterrichtet, unb icp pabe aße Urfadpe, eS 
}u glauben, fo wiß SouiS iRapoleon, wie im 3nnem, fo auep 


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Nr. 52. 


33 i* ® egennntr t 


413 


nach Stufen, eine tätige fßolitil an bie ©teile ber fegt bloö 
negativen treten laffert. gür eine fotdje tgätige unb lüfjne 
fßolitil, meint Souiö Napoleon, wäre fiorb fßalmerfton 
allein ein bereitwilliger SBunbeggenoffe. 2)er ißräfibent 
will nämlich $ur Söfung ber orientalifdjen grage 
brängen — babei auf ©nglanbg ©eite fielen — fo= 
bann beffen SSeiftanb in Stalien, wo er int Sunbe mit 
^iemont gegen Oeftreid) einfdjreiten will, in 2ln= 
fpruch nehmen. 2)ie Nepublil (grantreidj) foll burcb 
©aDotjen unb Nijp oergrögert, ©arbinien bafär burch 
fßarma, fßiacenp, ©uaftalla, SNobena unb Succa ent* 
fcgäbigt, unb jur 8tu8füljrung beg fßlaneg — gegen 
Oeftreidjg ©infpradjjc — lein Krieg gefdjeut werben, 
©nglanb aber bafür forgen, bag ber italienische Krieg 
nicht ju einem europäifdjen augarte." 

2)ieg war 1852 geschrieben. §ier faljen wir ben ruffi* 
fdjen Krieg — bag englif^=franjöfifc^e Sünbnig — ben ita* 
lienifchen Krieg — bag Sömtbnig Napoleonö mit ©arbinien — 
bie Sergrögerung fjranfreichg burch ©abogen unb Nijja — 
bie SKadjtoermeljrung fßiemontö — bie englifdje Neutralität 
— unb bie „Sofalifirung beg Kriegeg", SBort für SEBort oor* 
auggefagt. Unb jwar Stüeg in ber Drbnung, in ber eg er¬ 
folgte. fßalmerfton, auf welchen Napoleon jähtte, war inbeffen 
1859 wägrenb beg italienifchem Kriegeg nicht am Nuber. 
2)ie englifcge Neutralität rnugte alfo mit hülfe irifdfjer 
3ettelungen geförbert werben; unb für biefen fJaQ gatte man 
in ben 2uilerien, wie gefagt, fdjon rechtzeitig inögeljeim Sor* 
forge getroffen. 

Y. 

3u Nuglanbg Sortljeil wäre eg l)eute, tonnte mau 3r* 
lanb in ber jegigen Weltlage in umfaffenberem 5D?age für 
bie Säljmung ©nglanbg oerwenben. Ueber bie erfte Nieber* 
läge im 3nlutanb, über bie ©rmorbung ©aoagnarig in Kabul 
unb bie Schwierig!eiten beg afgljanifchen ^elbpcjeg, ift in 
irifchen fßfaffen* unb h*>nte=Nufer=S3lättern öiel gejubelt wor* 
ben. 2>er Subei war freilich oon furjer SDauer. 5lud) trifft 
eg fi<h für bie gefdgworenen geinbe ©nglanbg etwag unan* 
genehm, bag in all ben Kämpfen fo Diele freiwillige irifche 
©olbaten mitmachen, — benn ber 3« fcglüpft gern in ben 
rotgen Nodt —, unb bag an ben nachträglichen Siegen @ng= 
lattbg biefe tapferen Söhne ©ring ihren guten Slntgeil hotten 
unb wohl ftetö haben werben. 

S33ag nun Nuglanb betrifft, fo ift bie Nieinung in Stlanb 
fehr getgeilt. SEBägrenb bie home*Nuler, bie Nationaliften, bie 
genier unb bie Ultramontanen alle gern ©nglanb in Schwierig: 
feiten oerwicfelt fehen, ift bag gufammenwirfen mit Nuglanb 
burch ben religiöfen ©egenfag pnfdjen bem Katholicigmug unb 
ber griechifchen Nedgtgläubigleit gehemmt, an beren ©pifce ber 
3ar=fßapft p ftehen behauptet, ©teidgwogl wirb man faum 
fehlgehen, wenn man annimmt, bafj auch StDifcgen ©t- ?ßeterg= 
bürg unb einem ber irifchen Unpfriebenen ba unb bort 
ein SSerbinbunggfaben befteht. SBenigfteng lägt bie Sprache 
einiger ber geftigften irifchen SSiberfadger ©nglanbg biefen 
©dglug p. 

SÄit fluger SÖeredhnung hat ber jej}t tgätigfte irifche gügrer 
bie §ome=Nule=®ewegung plöglicg apfg ©ebiet ber ©runb* 
eigenthum8*Neform übergefpielt. Unpieifelgaft finb bie 
SWigftänbe im bereinigten Königreich in biefer Sejiegung auger* 
orbentlich; eine Stbhülfe erfcgeint bringenb geboten. 3nt eigene 
liehen ©nglanb ift bie einft freie SSauernfdjaft p' einem ge= 
brüdten ©tanbe Don biogen tagelöhnern ober Koffäthen 
herabgefunten. 3n Srlanb trat früher noch bie berwidelte, 
höchst nachtheilig wirlenbe ©inridhtung ber Slfterpadjt lgnp. 
Ueberbieö entftanb unb entfteht für Srlanb burch bie anbauernbe 
Slbwefengeit ber grogen ©utggerrn, bie augwärtg ben ©rtrag 
ihrer Sefifcungen Detjehren, ein weiterer berluft. 2)a inbeffen 
ber 3urüdfehrenbe leicht ber behmfugel oerfäöt, ift eine 2len= 
berung biefer ©ewohnheit freilich fchwierig. 

©eitbem nun aber ein 2anbreform=©efefc für Srlanb 
erlaffen würbe, finb eher bie guftänbe ©nglanbg alg bie Der* 


hältnigmägia fcljlimmeren p bejeidhnen. SebenfaHg ift beiber= 
feitig bie beffernbe $anb burdjgreifenb anplegen. 5Dag geubah 
wefen ntug hüben wie brüben gebrochen werben. 3tn bie 
©rörterung biefer grage will ich h eutc nicht herantreten. 

SJtittlerweile ftegt fo Diel feft, bag alle fßarteien ©nglanbg 
einig finb in bem ©ntfdjluffe, ben auf Soderung ober 3 er " 
reigung ber Neidfjgeinljeit abjielenben geinb ftd} nicht über 
ben Kopf wachfen p laffen. 2)ie ©inmüthigleit, bie fich in 
golge ber neueften irifdhen Vorgänge gezeigt hat, ift eine 
augerorbentliche. ©oüte man in ©t. fßetergburg etwa meinen, 
©nglanb liege fidE) burch e > n hometulerifcheg S^attenfpiel an 
ber SEBaub ing SBodghorn jagen, fo wirb bie ©nttäufegung eine 
gewaltige fein. Unb täme eg etwa pm 3ufammenftog jwifchen 
ben beioen, bereitg in Slfien fich *ug SBeife beg Slugeg bliden* 
ben Nlächten, fo werben bie Nuffen bereinft Schon fegen, wag 
unter Slnberm auch „irifche $iebe" finb. 


^ifetatut ttttb ^uttfi. 


<tis. 

©efeffelt liegt ber Strom in $aft, 

2>em 3ugeftornen wirb in blauen 
Krpftatlen bie gebunbne Kraft 
gerftfidelt au§ bem Seib gehauen. 

Unb jebeö Stüd ein Sommertraum! 

©in Silb Don Sonnlicgt, Ntonbeghelle, 

3Bo gifche fpielten, wo ber Saum 
S)en ©chatten warf pr Haren SBefle. 

35ßo ff inbet igr ©eg^tegen Hug 
Slm Ufer ftgenb wieberfchauten, 

Sich Schwalben mit bem leichten glug 
3u tauchen unb p rug’n getrauten. 

D fhöneg längftDergang’neg ©lüd! 

Nun lommt eg um ©gampagnerflafchen 
Nodg alg ©rinn’rung fühl prüd — 

Unb möchte geh im Xraum ergafchen. 

Nun jaubert um beg Kranlen $aupt 
®ie tobte SBeße frifcheg Seben, 

Um, wie Don Schatten nodg umlaubt, 

2)ag wag ge war, bem Slut p geben. 

©8 töfen aug ber ftarren glutg 
Sich hcüe perlen, freunbtich bringen 
Sichtftrahlen in bie giebergtuth 
Unb Eiland nagt auf fangen Schwingen. — 

®uch, nne burdjg Schaggewölb’ ein hört, 

©tinlt tief bag ©ig in ff ellerräumen, 

Unb überwacht bie ©ägrung bort 
Unb gütet oor bem Ueberfctjäumen. 

Sebodj am liebgen wär’g noch S a n$, 

SBeit braugen, wo ben Stahlfchuh binbet 
®ie Sugenb bei ber Sacfetn ©lanj, 

SBo rafchem glug’g bie 8*it entf^winbet. 

Entmann £ingg. 


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414 


9t* Äfgenmurt. 


Nr. 52. 


ÄttpferfKd) ttttb ttuMrttng. 

SBäljrenb uns bie $^otograp^ie unb neuerbingS ber Sicht» 
brucf mit einer oerfdjwenberifchen Süße fünfttertfdjer ©aben 
überschütten unb baS gefammte funftgefcßtchtliche SRateriat immer 
weiteren Steifen jugänglidj machen, ift begreiflicher SOBeife Oor 
biefen oolfSthümlidien ißublicationen bie ariftolratifdhe Sunft beS 
©rabftidhelS unb ber Rabirnabel in ben ^intergrunb gebrdngt 
worben. Ser Sünftter beS ftrengen SinienftidjS, ber oft biete 
Jahre an bie StuSfüIjrung einer einjigen glatte fefcen muß, 
finbet feiten jene Unterftüfcung, ohne welche er fein SBer! nicht 
ju unternehmen oermag, unb felbft im günftigften gaße finb 
feine Arbeiten baS ©rgebniß einet aufopfernben Eingabe, welche 
ihren beften Sohn in ber ftißen ©efriebigung eines ibeal ge* 
Stimmten ©emütheS finben muß. Rur bei ben granjofen wirb 
ber ®upferfti<h wie bie Rabirung mit Siebe gepflegt, bei uns in 
2)eutfd|tanb aber wetteifert feit einer Reepe oon fahren SSBien 
auf biefem ©ebiete mit ben ©eftrebungen in IßariS. Ju SSien 
ift es einerfeits ber faiferlidje §of, ber unter ber Stegibe beS 
funftfinnigen DberftlämmererS ©rafen ©remteoiße uns mit ben 
©radhtwerfen über bie SBaffenfammlung unb bie Schafctammer, 
fowie bie laiferlichen Suftfdjtöffer befchenlt hat; anbrerfeitS ift 
es bie ©efeßfchaft für oeroielfältigenbe Sunft, welche in raftlofer 
lEpätigfeit «in« Stnjahl trefflicher ©ublicationen heroorgerufen 
hat; enblich tritt audh ber Unternehmungsgeist bebeutenber Such» 
pänblet ehrentoß mit in bie Reihe. 

Um junädfjft oon ben Arbeiten ber ©efellfthaft für 
oeroielfältigenbe Sunft ju Sprechen, über welche ich juie|t 
üor einem Japre berichtet höbe, fo ift bie Oon ihr gegrünbete 
Beitfdjrift „®ie graphifchen Sünfte" mit bem öierten reich auS» 
geftatteten §efte unter ber Rebaction Oon Dr. Dsfar ©erggrün 
jum Stbfcpluß ihres erften Jahrganges gelangt unb hot bas erfte 
f?eft beS jweiten ausgegeben. ©S ift eine nach ©ehatt unb 
StuSftattung reichhaltige unb merthooße ißubtication, bie neuere 
bingS audh baS Sicptbrudfoerfapren in ben Stejs ihrer ®arftet= 
lungSmittel aufgenommen hpt. Unter ben neueften JBuftrationen 
bemerlen wir namentlich eine effectooße Rabirung SBörnleS nach 
bem pochpoetifcpen ©emälbe ber Seba oon ©orreggio, währenb 
bagegen bie ®anae beSfelben SReifterS in einer nicht fehr ge: 
lungenen Binfographie wiebergegeben ift. SBeü gelungener er: 
Scheinen bet ©anprneb unb bie Schule StmorS aus ber Sonboner 
Rationalgalerie, auch ber Sicptbruc! nach SlubouinS Stich oon 
Jupiter unb Slntiope ift eine nicht unwißfommene ©eigabe, welche 
fammt ben übrigen oben erwähnten Sarfteßungen einen Stuffafc 
oon Dr. $ugo oon Ifcpubi über ©orreggioS mptpologifche 2)ar» 
fteflungen begleitet. Rußerbem heben wir auS bemfelben fpeft 
noch hetoor baS effectooß oon $echt rabirte SSruftbilb SRafartS, 
fowie bie meisterhaften Rabirungen oon Verlorner (Sitte grau 
aus SBaleS), J. fß. #efettine (©reftwid garm), oon erftaunlidjer 
©infadppeit unb SBaprpeit beS SufttonS, ferner eine wirhingS= 
üoße Rabirung oon #ecpt nach SööcftinS ©ernälbe einer alt= 
römifcpen Xaoerne in ber ©alerte Schacf, einen Stich oon 
SBittmann nach einer ber ebelften ©ampagnalanbfdhaften J. SB. 
Schirmers. 3)iefe fdpöne Strbeit begleitet einen oon ©erggrün 
mit SBürme getriebenen Refrotog beS trefflichen, ju früh öets 
ftorbenen ÄünftterS, beffen ©itbniß in einem fein burchgefüprten 
Stich öon JaSper beigegeben ift. ©rwägt man bie Reichhaltig» 
leit unb baS oielfeitige Jntereffe, fowie bie oorjüglidje tünftle= 
rifdpe StuSftattung biefet fcpönen ©ublication, fo bebarf es taum 
weiterer SBorte, um bie ©eftrebungen beS SßereinS ber aßge» 
meinen Speilnapme aufs Racpbrüdlicpe ju empfehlen. 

Run gehört aber befanntlich ju ben weiteren größeren 
Unternehmungen ber ©efeßfchaft baS ©aleriewerf älterer 
SReifter, welches in feiner elften Sieferung ben meifterlidp 
burchgeführten Stich SBagenmannS nach ©orreggioS ©antjmeb aus 
ber ©eloebere ©alerie enthält. @8 ift ein SBer! tiebeooßfter 
Eingabe, bei welchem man mit Jntereffe Oerfolgt, wie ber. Sünftler 
bemüht gewefen ift bie fpröbe Xecpnil beS ©rabftidhels für bie 
SBiebergabe iber^'jarteften Sufttöne jenes großen SReifterS beS 
£>eßbuntetS ju fdhmeibigen. 


©on bem anbem großen Unternehmen, ber ©ubtication aus 
ber ehemals ©fterpajh’fchen ©alerie ju ©uba=©eft finb neuer» 
bingS bie 6. unb 7. Sieferung erfcpienen, jebe aus oier Stichen 
ober SRabirungen beftepenb. ®ie altitalienifdhe Schule ift mit 
einer lieblichen SRabonna ©riöeßiS in einem forgfältigen fein 
auSgeführten Stich ©ifeenharbts, einer ©eburt ©hrifti oon 
®omenico ©hirlanbajo, oon bemfelben Zünftler rabirt, bann einer 
ÜRabonna granceSco granciaS, welche ©. SRartin überaus jart 
geftochen h°t, oertreten, ©on Riebetlänbern finben wir eine 
jener effectöoflen Sanbfdhaften ©an ber SReerS trefflich rabirt oon 
SBörnle, ein Stißleben oon be #eent in einer geiftreichen Rabi» 
rung oon ©reup, ber auch bie ißferbetränfe oon ißh^‘PP SBouWerman 
mit aßem maletifdhen Reij wiebergegeben hat, währenb SBörnle 
wieber ein grofjeS gamitienbilb oon 2t. ©upp nicht minber 
dharalteriftifch oorführt. ©on ben in jener ©alerie fo reichlich 
oorhanbenen Spaniern ift ÜRurißo bieSmal mit einer heiligen 
gamilie nach einer Rabirung oon Raujdher aufgenommen, einer 
jener ©ompofitionen, in welchen ber grofje SReifter baS beliebte 
Ipema mit ber harmlofen Raioetät einer Jbpße behanbett. SBir 
fönnen nach fo oieten trefflichen ©aben ber ©efeßfchaft wieber: 
holt nur bie wärmfte 2lner!ennung auSbrüdfen unb ihr fdhöneS 
Streben ber tljatfräftigen 2h e ^ na h me °ßer tunftgebilbeten Greife 
empfehlen. 

“küä) ein anbereS grofjeS ©ateriewcrl, oon welchem wir 
fdhon früher berichteten, jeigt fich in rüftigem gortfchreiten: bie 
Oon $. 0. SRiethte.hetauSgegebenen, mit 2ept oon ©. o. Sü^ow 
begleiteten Rabirungen UngerS, nach ber faiferlichen ®e: 
mälbegalerie beS ©eloebere. Jwei Sieferungen, bie 8. unb 9., 
jebe auS Oier ©lättern in größtem golioformat befteljenb, finb 
lürplich auSgegeben worben. 3« ben föftlichften Schäden ber 
©alerie gehört ber 2lltar beS heil. Jtbefonfo, welchen Rubens 
nach feiner Rücflehr auS Jtatien im 2luftrage beS Regenten ber 
Riebertanbe, ©rsherjog SttbrechtS auSgeführt hat. ©S ift ein 
Sriptpcpon im größten 3Ra^ftabe, welches im SRittetbilbe ben 
heil. Jtbefonfo barfteßt, Wie er Oon ber SRabonna im ©eifein 
eines $offtaatS oon ©ngetn ein pradjtooßeö SRelgewanb empfängt. 
2luf ben gtügeln fieht man einerfeits ben ©rjherjog, anbrerfeitS 
feine ©emaljlin oon ihren Sdhufepatronen empfohlen in ©er: 
ehrung oor ber SRabonna Inien. 2tn ®raft bet ©hatafteriftil, 
neroiger SBucht materifcher SBirfung, inniger SBahrheit beS 2luS= 
brucfS, feierlich großartiger Slnorbnung gehören biefe SBerle ju 
ben herrlichften Sihöpfungen beS großen flanbrifdhen SReifterS. 
S)ie Slußenfeite enblich enthält bie f^öne Scene ber heil, gamilie, 
welche unter einem Slpfelbaum ruht, oon beffen Btoeigen heitre 
©ngelfnaben emfig grüßte brechen, um baS ©hrifttinb bamit ju 
erquicfen. Unger hat biefe oier ©tätter in ihrem ooßen maleri» 
fchen Reij, ihrer eben fo jart abgetönten als fräftigen SBirtung 
mit freier SReifterfchaft wiebergegeben. ®aju lommen noch int 
Jept brei flotte Rabirungen nach ©ilbniffen beSfelben SReifterS, 
SJaifer SRapmitian I., §erjog ©h^*PP ben ©uten oon ©urgunb, 
unb ben Jnfanten ßatl gerbinanb barfteßenb. 

S)ie 9. Sieferung bietet eine größere SRannidhfattigfeit beS 
JnhaltS. Bunädhft jene noble SRabonna mit brei ^eiligen, in 
Welcher Sijian jtch auf ber frühen ©ntwictlungSftufe jeigt, wo 
©inflüffe ©iorgioneS unb fßatmaS in ihm noch nacpftingen, wäh 5 
renb fein ©eniuS beginnt, fidh ju feiner ganjen ©röße unb grei= 
heit ju erheben. Unger ift auch biefer üon feinen hoßänbtfchen 
Sieblingen fo weit abweidhenben Sunftridhtung mit hhtgebenbem 
©erftänbniß gerecht geworben; bagegen ift ihm in ber Reineren bem 
lept eingefügten SRabonna, welche einer noch früheren ©pochelijianS 
angehört, ber Sopf minber gut gelungen, währenb baS löftlidje oor 
ber SRutter ftehenbe unb oon ihr gehaltene ©hriftuSfinb in feiner 
ooßen Sieblidjleit erfdheint. SBie ber große Oenejianifche SReifter, 
Oon ber Stufe SefliniS auSgehenb, ftch aßmählidh ju ben herr: 
ließen Raffifdhen Jppen emporringt, burdh welche er über aße feine 
Schutgenoffen poch hiuauSWachfen foßte, jeigen biefe beiben ©it» 
ber in anjieljenber SBeife. ®aS folgenbe ©latt gibt in ungemein 
wirlungsooßer Seßanblung baS berühmte gamitienporträt beS 
©etajquej wieber, eines ber bebeutenbften SBerte biefeS großen 
SReifterS. SRan fieht ihn felbft im $intergrunbe beS tiefen ©e= 


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Nr. 52. 


Hie Gegenwart. 


415 


macß& an einem großen Porträt malen, wäßrenb im Sorber« 
grunbe feine gahtreieße gamitie bargefteflt ift: ec^te fpanifcße 
Sßpert non marfanter ©igentßümtichfeit, anfprucßStoS unb fcßlkßt 
angeorbnet, aber bureß bie fßrägnang ber ©ßarafteriftif unb bie 
Wunberbare malertfcße Soßenbung non feffetnbem fReig. 3n treuer 
unb tebenSöofler SBiebergabe biefeS bebeutenben SEBerfeS ßat Unger 
feine Oofle SReifterfcßaft bewährt, gerner tag offenbar feinem 
IRatureß ber ©egenftanb beS fotgenben SlatteS, meines ©orreggioS 
©anpmeb barfteßt, unb oiefleitßt toirb man beim 93ergteid> mit 
bem oben ermähnten SSBagenmann’fcßen ©ließ finben, baß ber 
topf beS ©öttertieblingS an ßteig ber formen etwas eingebüßt 
ßat, Wäßrenb freilich eine Äraft ber Sießtwirfung erreicht ift, 
weteße in jenem Statte gu ©unften beS ©efammttoneS meßr oer« 
feßleiert worben ift. SaS nierte Statt führt wieber in freier 
fraftooßer Seßanbtung ein« jener SDteiflerwerle oan SßdS nor, 
in welchen biefer große Sünftter bie fetbftbewußte oorneßtne ©le« 
gang ber ©aoaliere feiner 3eit nerewigt hat. giigen wir noch 
ßingu, baß ber Seft mit ber forgfättigften Seßerrfcßung beS fünft« 
wiffenfchafttichen SRateriaß unb mit feinem Serftänbniß ber 
fünftlerifeßen ©igentßfimließfeiten anmuthige Älarßeit beS Sor« 
tragS öerbinbet, fo hoben wir bie Sorgüge biefer ebenfo praßt« 
noßen atS gebiegenen S«btication angebeutet 

3m Stugenbtid, ba Wir biefe feiten abflßtießen, fommt uns 
bie geßnte ßieferung gu, bie an SReicßßattigfeit ben früheren nicht 
nachfteßt wie fie an ©cfjönheit ihnen ebenbürtig erfeßeint. SBir 
Wollen nur furg erwähnen, baß fie oon fRembranbt ben fingen: 
ben 3üngting, eine madjtooflc $eflbun!etftubie, Oon SenierS baS 
3nnere eines SauernßaufeS, oon Xigian eine feiner ftrahtenbften 
nnb entgüdenbften ß. gamilien, oon Sreugßet eine jener berb: 
humoriftifchen ffirmeffen enthält, Währenb ber Sejrt mit ben 
Heineren SRabirungen ber äRagbatena nach Oan Stjd, ber Säuern: 
ßoeßgeit nach SenierS, fowie ber SRüdfeite oon SigianS ß. 
gamitie gefeßmüdt ift. fiebere !am gu Sage als man fieß oer« 
antaßt faß. baS Silb oon Seinwanb auf H°fi gu übertragen. 
®ie8 mertwürbige Statt bietet baßer einen feßr Wertßooßen 
Seitrag gur Seurtßeitung ber Xedßnif unb beS SerfaßrenS 
SigianS, bem man ßier reeßt eigentlich „hinter bie ©outiffen" 
Mieten fann. 

Sie gtängenbe SReißenfolge biefer SEBiener Sraeßtwerfe möge 
für bieSmat bie ßRonograpßie über baS ©eßtoß ©tern be: 
feßließen, weteße bureß bie ©entratcommiffion gu ©rforfeßung unb 
©rßattung ber Senfmale ßerauSgegeben, fürgließ im Sertag ber 
Hof« unb ©taatsbruderei erfeßienen ift. gerftet ßat bureß feine 
©cßüter bie Stufnaßme auSfüßren taffen, SouiS 3<tcobi ßat bie 
Arbeiten ber Supferftecßer übermaeßt, ^racßooina unb 3aSper 
ßaben bie SRabirungen auSgefüßrt, unb ber bejeßreibenbe Sejt 
rüßrt bon 3ocob gatte ßer. SieS mertwürbige ©ebäube würbe 
in ber SRäße oon fßnig auf bem weißen Serge bureß ©rgßetgog 
gerbinanb, ben Stifter ber berühmten Slmbrafer ©ammtung, naeß 
feinen eignen tßtänen in gorm eines fecßsftraßtigen Sternes er« 
baut. ©3 ift eins ber origineflften ®entmäter unfrer ßtenaiffance 
unb atS foteßes feßon in meiner ©efeßießte ber beutfeßen SRe« 
naiffance gewürbigt worben, ©ine erfte, aber noeß ungenügenbe 
fßubtication gab bann Ütrcßiteft Saum im ©eemann’fcßen Sertag 
ßerauS. 3ef}t liegt eine 3Ronograpßie oor uns, bie mit ber ßöcß: 
ften Dputeng unb in ber tßpograpßifcßen Soßenbung auftritt, 
wie wir fie oon ben aus ber berühmten SEBiener ©taatsbructerei 
ßeroorgeßenben SEBerfen gewohnt finb. Siergeßn Safetn in elegant 
bureßgefüßrten Stießen geben ©runbriffe, Surcßfcßnitte unb bie 
gaßtreießen töfttießen Ornamente biefeS reigooßen SentmatS, baS 
ben üppigen ©eift ber ooßentwictetten ^ocßrenaiffance atßmet. 
tRamentticß entgälten bie gaßtreießen Selten ber ©äte unb ©e« 
mäeßer bureß bie gragiöfen ©intßeitungen, bie feinen ©tieberun« 
gen unb ben geiftreießen meift mßtßotogifcßen, ßie unb ba ftart 
ins ©totifeße fpietenben figürlichen ©eßmudt. Son biefem erßat: 
ten wir bann auf fünfgeßn weiteren in trefftießem Sicßtbrud auS« 
geführten Safetn genauere ttnfcßauung auf ©runb Oon ©ips« 
abgüffen, bie naeß biefen töfttießen ©tuefbecorationen genommen 
finb. ©nbtieß iß jebe ©eite beS SejteS mit praeßtooßen breiten 
SRanbteiften im ©efcßmact ber ebetften Uatieniflßen IRenaiffance 


eingefaßt, fo baß bie gange Subtication ftiß als eine ißren 
©egenftanbe ebenbürtige erweift. s 

SRicßt unintereffant übrigens iß bie ©efeßießte beS mert« 
würbigen SentmatS. 3«nö<hß fßweßen ßeß feßon in ber gangen 
gorm bie borneßmen SebenSgemoßnßeiten unb bie ©efeßmacfS: 
rießtung ber Slütßegeit ber SRenaiffance aus. StßeS atßmet 
ßeitren fiebenSgenuß, üppiges Seßagen. Son ben feeßs Stbtßei« 
tungen beS fternförmigen ©runbriffeS ift eine atS SreppenßauS 
oermenbet; fie birgt in ißrem Sern nießt btoS bie ftatttieße 
Haupttreppe, fonbern naeß ber beliebten ©itte jener Seit, bie 
fieß am oputenteßen in ©ßamborb auSfprießt, im mittleren 
Sfeiter eine gweite atS ©eßnede angelegte Stiege. 3«* Haupt« 
gefeßoß werben fobann bie fämmtlicßen Säume bureß breite ©or= 
ribore getrennt, bie oon ber Setipßerie ftraßtenförmig in einem 
centraten potpgonen Suppetfaate gufammentreßen, ber g. S. aulß 
in SaQa^i 0 ^ Sißa SRotonba ben SRittetpuntt ber Stntage aus« 
maeßt, unb ben in unferer Seit Semper ebenfo in feiner Sißa 
fRofa gu SreSben oerwenbet ßat. Siefet Äuppelfaat empfängt 
bureß bie am äußeren ©nbe ber feeßs ©orribore angebrachten 
genfter eine genügenbe Seteucßtung. Sie fettfame ©runbrißform 
ber fünf eingetnen ©emäcßer, bie auS einem oerfeßobenen rauten« 
artigen Siereet befteßen, erßätt bureß paßenb angebrachte Sßanb« 
nif^en angeneßme URanuichfattigteit. IRoeß ßößer ift aber ber Steig 
ber ftuefirten Seien, bie jebeSmat naeß einem anbern ©*unb« 
motio gegtiebert unb becorirt finb. 

9luS ber fpäteren ©efeßießte beS merfmürbigen Sauwerts 
erwäßnen wir nur, baß eS Oor ber ©eßtaeßt am Weißen Serge 
baS Hauptquartier beS ungtüdtießen SSintertönigS war. Später 
tarn es in bie Häobe bet SRilitäroerWattung, bie aus ben !oß« 
baren SRäumen ein Sotoermagagin maeßte! ©o ßtieb biefer un« 
Würbige Suftanb, bis im Saßre 1866 naeß ber ©eßtaeht Oon 
Söniggräß beim H^rrannaßen ber S reu ß en bie Serwattung eS 
für geratßen ßiett, baS ©eßtoß feßteunig gu räumen. ÜRun 
ftrömte aße SSett in bie fo lange ßermetifcß üerfeßtoffen geßat« 
tenen Säume unb ftaunte über bie tßraeßt biefeS „oerWunflßenen" 
©Stoffes. 3tber naeß Hetfteß««9 beS griebenS (eßrten bie tyuU 
oeroorrätße gurüd, unb ber Sau Würbe oom SRititär wieber in 
Sefcßtag genommen. Ütßein bie 2tufmer!fam!eit ber SEBett mar 
nun einmal barauf ßingetenft Worben, unb bon aßen ©eiten 
erßoben fieß Stimmen, Weteße bie greigabe biefeS töfttießen ®tei« 
nobS ber SRenaiffance bertangten. Slueß ber Untergeießnete ßat 
bamatS (1872) in feiner ©efeßießte ber beutfeßen SRenaiffance 
in naeßbrüefließer SEBeife jene gorberung auSgefpro^en. ®S ge« 
reießt nun ber ©entratcommiffion gu ßoßem Stußm, baß fie 
burlß unabtäffige Sorfteßungen enbtieß ber feßier aßmäeßtigen 
äRititäroermaltung ben ebten Sau entriffen unb ißn je|t ber 
Sewunberung ber SEBett gurüdgegeben ßat. 3ßr fcßöneS SEBerl 
ßat fie aber bureß bie oortiegenbe S u btication gefrönt, bie an 
gebiegener oorneßmer tßraeßt felbft ßoeßftiegenbe SEBünfeße übertrifft. 

IX). £übfe. 


Jerbtttatti» JretlißrathB Ärmlinge. 

S5on tPilßetm Sudjner. 

(SHtttS.) 


Slueß naißbem greitigratß ©ingang 1832 ßeß naeß Stmfterbam 
begeben, bleibt er bem SERinbener ©onntagSbtatt getreu. 9tr. 6 
oom 5. gebruar entßätt ein bisßer nießt wieber ßeroorgetaueßteS 
anmutßigeS ©ebießt, weteßeS wegen feiner gormooßenbung unb 
weil eS ben Sießter oon einer neuen ©eite geigt, ßier eine ©tefle 
oerbient: 


©eßneebatt unb groftblumen. 
SBenn ber groß, ber Uuge (Särtner, 
fiommt, bie ©eßeiben gu behängen, 
Unb am genfter, haus unb feltfam, 
Sie gefronten Stumen glängen, 


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416 


ffl \t (Sjgfnnmrt. 


Nr. 52. 


Strömt bapn nicht ein wonnig Sehen 
ilnb ein liitbeS, laues Soden 
Unb ein lauer grüf)lingSobem 
$luS ben falten ©lumengloden? 

Serben bie phantaft’fchen formen 
Sticht zu Stofen, ©^aaint^en? 

Uebergieftt bie meinen Kelche 
Sticht ber Sauber bunter Dinten? 

Scheucht ein milbeS, buft’geS Hauchen 
Sticht beS Sinters bitt’re Kälte? 

Sirb beS SimmerS weifte Dede 
Sticht jum blauen Himmelszelte ? 

Sirb bie Heine, traute Stube 
Sticht ein zweiter grü^IingSgarten, 
fReicH an ©lumen, reich an SQtäbchen, 
Die ber ©tonten forgfam »arten? 

Dönt eS md)t, als rauföten ©lätter, 
Dönt eS nicht, als furrten grnmen? 

Dönt es nicht, »ie baS ©efdfjmetter 
©on zehntaufenb ©ögelftimmen? 

2 llfo »ie bem frommen dichter 
SRitten in beS Sinters Schweigen 
StoS ben fiarren groftgebilben 
Blumen, fd^ön unb bunt, erfteigen; 

Sie bie ©öglein ihn umfingen, 

Sie bie Raiter ihn umgaufeln, 

Sie bie Heinen (SIfenfinber 
Sich in feinen Soden fchaufeln: 

2 Hfo mag im Iuft’gen Senze 
Buch ber Sinter ihn umfrieren, 

Unb ber grüne ©lang ber giuren 
Sich iu giodcnfturm oerlieren. 

Dräumenb lieg 1 ich auf bem Stüden 
Unterm grünen Schneeballfitrauche, 

Unb bie meinen ©tomenbäfte 
Sch»anten in ber Süfte Hauche. 

groftgebome genßerbtomen 
Senben leifeS grühlingSahnen, 

Unb ein buffger ©tfithenfehneebatt 
SOtag an Sturm unb Sinter mahnen. 

Sahrlich! fchon erblicf ich Slocfcn I 
Xraunl eS ftarren fchon bie SSächel 
©lifcemb in bem Strahl beS SRonbeS 
9tuht bie »eite, weifte giäche. 

Unb befchneit finb alle Däd)er; 

«fleS ift fo licht, fo hefte l 

Stuf bem ©tfe tönt ber Schlittjdfjuh, 

Saufenb fliegen giodenbäfte. 

$elzberhüftte, rüft’ge ©iänner 
Sanbeln rafch, mit »eiten Schritten, 
Unb ich fpamte meinen Kenner 
©or ben leichten, flücht’gen Schütten. 

Seinen Hals, ben fchön gefrümmten, 
Hebt er, baft ber Söhne Ringeln 
glattem; baft bie rein geftimmten 
©lödleüt heil »ie Silber Hingeln. 

Siflig läftt er mir bie Säßet, 

Unb gehorfam meinem Stufe 
Stof bem glatten Schoftenfpiegel 
Xanjt baS Doppelpaar ber Hufe. 

Scftneibenb »ehn beS Sinters Sinbe 
Um uns her im ©ortoärtSetleu. 

SluS beS Stoffes »eiten StÜftera 
Steigen blaue Dampfesfäulen. 


Seinen jungen Schnurrbart zieren 
9ieif unb winterliche Saden; 

Doch ein ew’ger grühting lächelt 
©or mir auf bem fünften Staden. 


Denn im Schlitten, »etdfj auf ©olftem, 

Sifct bie Schönfte aller Schönen, 

Der bie ©loden meines H^enS 
Unb beS Schlittens ©loden tönen. 

Sonne! Sonne! meine H&ube, 

Die beS SteunerS Silbheit zehnten, 

Siuhn auf ihren weiften Schultern, 

Die ben weiften Schnee bekämen. 

Sonne! Sonne! oft berühr’ ich 
Sie burch Sufatt ihre Sangen, 

Swifchen meinen 3 ü 0 *to ft|t fte, 

Siejn einem Step, gefangen. 

Senbet jept baS Haupt jurüde 
Sit ber greube lichten ©liden; 

Stidt unb lächelt, baft bie gebern 
3preS H^teS fch»anlenb niden; 

Horcht erröthenb meinen ©itten — 

Stiemaitb laufet zu biefer Stunbe! — 

Unb baS füfte Siecht ber Schlitten 
lieb* ich aus auf ihrem Snnbe. 

Unb ber Schlitten wirb zum Dempel, 

Strb zum füllen Heiligthume — 

Sär’S hoch Sahrheit, »eifter Schneebaft, 

Sinterüche Sommerblume! 

Dann erfcheinen in 9tr. 10 „Der SDtohrenfürft", in Sir. 11 „Die 
©ilberbibel", in 3tr. 24 „2Betterteu<hten in ber ©fingftnacht", in )' 

9tr. 37 baS humoriftifche „Sier 9toftf<h»eife". ghneu folgen im 
gahrgang 1833 ber „9tebo", ^omie.als ©robe aus einem gleich 
falls fetig uerfdjollenen »eftfältfdjen Dafdjenbuche ©unloba „Die / 
SluSwanberer". 

®S macht einen merfmürbigen ©inbrud, biefen unbergäng« 
liehen (Schichten hier zu begegnen, jmifchen herzlich altbäterifdhen 
Stoffäpen über Beleuchtung, Dbftfultur, (Eholeramittet, SJtaitran!« 
recepten ic., zu fehen, »ie ber junge fftiefc fo befcheibentlich in 
bie Stuergengefeftfdhaft hereintritt, unb baft ber Herausgeber in 
feiner Seife zur ©rfenntnift oon ber Sebeutung unb ©igenthüm« 
lidhfeit beS jungen ©oeten gefommen zu fein fcheint, bem er feine 
©palten öffnete; nicht minber freubig überrafcht eS uns, zu feften 
»ie ber beifpiettoS getoiffenftafte junge Dichter fo borzügliche 
©oefien, »ie „DaS SRorblicht", nachmals nidht ber Aufnahme in 
feine (Sefammelten Didhtungen ȟrbigte. 9ioch fonberbarer aber 
erfdheint cS uns, »enn »ir greiligrath hier, »oht zum erften 
unb einzigen 2 Ral in feinem Seben, als ÜRobeUifteu begegnen, 
gn ber fttummer bom 13. Stobember 1831 beginnt „Der 
Sggefterftein. ©rzählung bon gerbinanb g^', mit ber Semerfung 
„Sur 5ßreiSbe»erbung eingefanbt^. Die 9lobeHe geht burch fünf 
Stummem, eine ins ©reite gemalte Sehaitblung ber SolfSfage, 

»ie ber Deufel ben SJteifter beS berühmten uralten ©ilb»erfeS 
an ber ©teingruppe, eine Kreuzabnahme barftellenb, um bereu 
©ollenbung zu berhinbern, mannichfach berfuchte, aber fchlieftlidh 
an ffialtherS unb feiner fdhönen ©raut ffunigunbe grömmigfeit 
Zu ©chanben »arb. @S ift eine Ärbeit, »eiche in ihrer phan= 
taftifch^romantifchen gärbung, ber blumenreichen DarfteHung ganz 
entfliehen ben jungen Dilettanten berräth; bemtodj »arb für 
bie Erzählung, »ie uns 9tr. 1 beS nächften gahrgangS berichtet, 
ber erfte ©reis, beftehenb in einer golbenen ©rufinabel mit bem 
Kopfe ÄriftippS, bem ©erfaffer H^rm gerbinanb greiligrath 
aus ©oeft zuerfannt. Der Dichter gebeult alsbalb bamach biefer 
gugenbarbeit gegen einen greunb nur mit »egtoerfenbem Ädhfel^ 

Zudcn; er hut fpater über fein nobelliftifcheS SrfttingStoerf nie« 
mals gefprochen, bemfelben jebenfalls fein zweites folgen taffen. 

Such nachbem er bereits burch ®h a miffo unb @ch»ab in 
einen^»eiteren Kreis eingeführt »orben, blieb greiligrath bem 


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Nr. 52. 


Die Äegsnmnrt. 


417 


altoäterifchen SÖIatte getreu, in welchem er eine Steife feiner 
fdjöttften Sidjtungen jutn erften äRale ber SBett borgelegt hatte, 
feilte ihm wenigften« einige Ueberfefeungen mit. {Rur ein bi«= 
ber unbefannteS Originalgebicht §abt ich noch gefunben unb 
jwar in 9tr. 45—47 beS 3ahrgange$ 1835. ®S gebärt ju 
berjenigen Slrt, welche ©hamiffo, mit bem greiligrotb bamal« 
bereit« in brieflicher Sßerbinbung ftanb, ob ihrer @rä{jlicf)!eit, 
ihrer fReigung jur SBlutmalerei ber warf; baS ©ebicht „Siger 
unb SBärter" fieht ganj barnach aus, als ob es mit bem 
„©djahingirai" ©hamiffo borgelegen unb, non bem feinftnnigen 
SDiarate jurüdgewiefen, tya in ber ®unfelbeit beS SDtinbener 
©onntagSblatteS eine 3uflucht gefunben hätte. Sin mächtiger 
Sieger ift non einem inbifdjen dürften bem Könige bon 
©ngtanb jum ©efdjenf gemalt worben; es begleiten ihn bei 
ber Sahrt über bas SReer fein inbifdjer SBärter unb beffen 
(Beliebte. Siefe aber wenbet einem engtifdjen Offijier ihr #erj 
ju unb gewährt bemfelben nächtliche Biifammenfünfie; ber SBächter, 
welcher hterbon Äunbe hat, läfjt bas Sihiet los, bamit es baS 
SBerf ber SRaclje übernehme; ber Siger ftürjt fief) auf ben ffing- 
länbet, welcher nächtlicherweile bie SRauer beS 3roingerS über; 
fteigt, unb jerreifjt ihn. Sa« ift gef^ilbert mit all ber padenben 
firaft ber Seibenfchaft unb Sarfteüung, wie fie bem Seichter ju 
©ebote ftanb; aber erfreulich ift eS nicht: ffreiligrath h a * wohl 
baran gethan, baS gtäfjlidje ©ebicht auSjufonbern. 

{Roch ein ©ebicht aus jener 3eit mag hier erwähnt werben, 
Welches inbefj nicht in irgenb einem ber genannten ©lütter ab; 
gebrueft erfcheint, fonbern wohl nur als Slugblatt auSging; baS-- 
felbe erfcheint um beSWiDen befonberS bebeutfam, weil es uns 
jeigt, baff Sreiligrath feineSWegS erft in ben oierjiger Sahnen 
politifdje Sichtungen toerfa&te, wie man oielfach irrig meint. 
Schon bie Sammlung bon 1838 beutet in ©ebidjten, wie „Sie 
itifche SBittwe", in ben beiben Siebern für SuHerS „ißhönij" 
auf bie SBunben ber Seit hin; ber „©djei! am ©inai", welcher 
übrigens meine« ©ragten« nicht 1830, fonbern £>erbft 1833 
gebietet Warb, erfcheint als eine in baS jierlidje {RantenWerf 
ber IJJoefie oerhüHte politifche ©atire; baS nachfolgenb in feinet 
erften größeren §älfte mitjutheilenbe ©ebicht aus bem Sommer 
1831 trägt eine ganj entfliehen politifche garbe. SaS ®d)ü|en; 
feft im guni war bamatS, ift üieüeicht noch, baS $auptfeft ber 
©oefter, unb ffreiligrath nahm mit bollem $erjen baran ’Xfytü. 
als Sänget, 8t$ex, Leiter unb — Sichter, ©o lieferte er jutn 
©chfifcenfeft bon 1831 unter ber Ueberfchrift „fflafchenfrieg" fol* 
genbe Strophen, mit ihrer Einbeulung auf {ßolenS unb Belgiens 
Erhebung, auf bie Sultrebolution, ein SBorfpiel ber fpäteren poli; 
tifdjen Sichtung, auch in ber Sorm für einen 21jährigen fßoeten 
ein SReifterftüd. 


Sebenb judt ber Oft, ber SBeft! 

Srübe, {ebnere Seiten! 

Sticht« ift heilig, nicht« ift fefl! 

Selbft an be« geweihten 
SJapfte« Ihren 
(Spielte fchon 

:Hom ein wenig {Rebellion! 

@o fpricht mancher weife SDtann 
Jtlagenb jefct jur ©tunbe. — 

38a« geh’n un« bie Xfixten an? 

Saut fingt tn bie SRunbe: 

CBlangerheOt 
3ft ba« Seit! 

6agt, wa« {Ammert un« bie Seit? u. f. w. 

Sie Bahl ber gebrueften, aber oerfchoHenen Sichtungen 
greiligrath« hätte fich an biefer ©teile noch bermehren laffen, 
manche« ber Sluferftebung würbige ©ebicht ift nur aus 
SJtanget an {Raum unterbrüeft worben; änbere freilich finb wir!; 
liehe „fßuetilia, ©jercitien", wie fte ber Sichter nachmals nannte, 
fertig in ber gorrn, aber unfelbftftänbig, anlehnenb an Eöltp, 
Körner, ©chenlenborf tc. ^ebenfalls wirb uns aus ber Setrach; 
tung biefer bom SBerfaffer berworfenen ©ebichte bie ffirfenntnifi 
fommen, bafj greiligrati) mit einer ganj erftaunlidjen Sicherheit, 
©ntfehiebenheit, Strenge in ber StuSwahl beffen borging, was er 
ber SBelt in feinet erften Sammlung barbot. 3m ©egenfafc ju 
manchen anbern jungen Sichtern h“U e Setbinanb greiligratb 
jwei grofse SSortheile: benjenigen ber fdjönften ©efcheibenbeit, 
fobafj er wie träumenb, mit höchfter SSetwunbetung bie Stimmen 
begeifterten Seifaü« oernahm, welche ihn alsbalb begrüßten; 
fowie ferner, bafj er in ©chwab unb ©hamiffo bie wohlmeinenb; 
ften, feinftnnigften, gefdjmadbollften ©erather fanb. Sie pracht; 
ooDe Sichtergabe war fein eigenfteS ©eftfcthum; aber biefen beiben 
trefflichen SKännetn, benen er mit Wahrhaftem Sagen bie ©itte 
oortrug, ihnen bie erfte Sluflage feiner ©ebichte wibmen ju bürfen, 
banft er eS, ba| fie ihn befeftigten in biefem fitraffen ©eWufjt; 
fein bet ^Jfliäht, nicht« Unreife«, UnfelbftftänbigeS, UnfchöneS 
hinausgehen ju laffen. Siefe ftrenge ©elbftjucht h at Serbinanb 
greiligrath bie fünften Früchte getragen; ein ganjer, fertiger 
SOlann, ein grofeer Sinter, trat er au« ber ©tifle einer Welt; 
abgefchiebenen weftfälifchen ßleinftabt hinaus oor ganj Seutfchlanb. 


Jtfnkamf^cs. 


Sturmgeläut unb $nbterbampf, 
Srieg auf allen ©eiten! 

{Renner fdjnauben tn ben Sampf, 
©lufge §eere ftreiten! 
©chlachtgefang, 

©«hwerterüang 

Xbnen bang bie Seit entlang. 

Stand;e« ©taatentol wirb fcpeu 
Unb jertritt bie Seichfel, 

Freiheit ift ber SSelt ©efeprei, 
Sümenb grollt’« bie SQeid&fel. 

3b* ©ebrau«, 

Sumpf unb grau«, 

Somtert laut jum greiheitsftraub. 

Um ben Saum ber Freiheit tanjt 
Srabant auf bem ßopfe; 
ffrantreüh« ßilte wirb oerpflanjt 
Äu« bem alten Sopfe. 

©lutherhellt 
©ah’« bie SBelt — 

Ob ber neue Sopf auch hält ? 


©ine recht malerifche ©tuppe, jene ber Äbgeorbneten, bie 
fich in SDlarfeiUe einfehifften, um brüben in ber algierfdjen ©o; 
lonie bie wunben Friede in Stugenfchein ju nehmen unb bem 
oielfachen SBeh unb Sich ber Solonialbeoölferung ihr Oh< ju 
leihen! Sin ber @pi|e ber UnterftaatSfecretör im {Dlinifterium 
für öffentliche Slrbeiten, $err ©pprian ©irarb. ©ine marfige, 
faft berbe ©rfcheinung, breitfdjulterig, ©lafelopf mit rauhem 
fchwarjen S3art unb wenig Slnfpruch auf ©leganj, bafür aber 
ungeheuer rührig. Unter bem ©ommanbo be« ^errn ©irarb 
manöbrirt bie Slotte teifenbet Sollsoertreter wie eine ßüraffier; 
fchwabron. Strenge fßünfttidjteit unb abfolute SRannSjucht 
werben oon allen Sheilnehmem geforbert, SRarobe ober S8afc^i= 
bojuls mögen jurüdbleiben unb auf eigene Sauft reifen, ©in 
junger ©ecretär unb jwei {Bürger au« bem Separtement be« 
$etrn ©irarb begleiten benfelben. 

Sen ©rau; unb SBei^bärten alle ©hte! @ie finb jiemlich 
jahlteich- Siefen SppuS bet Sranjofen alten höflichen Schlage«, 
bet bie Sunfi befifct, mit einer grü|enben ^anbbewegung ben 
©rüfeenben ju gewinnen, unb beffen ganje« SBefen ritterlich an* 
gehaucht ift, fteßt un« $etm Seoaffeur oor, ber SSertreter beS 
0ife Departements unb ber Patron eine« höchft amüfanten SBe* 
bienten, Slnatole, ber fich * n einem Serne’fchen {Reiferoman oor; 
trefflich machen würbe; $err Siercot au« bem Separtement 


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418 


9i* Äegenmuri. 


Nr. 52. • 


be l’Ain ift ein fdjlichter ßanbarjt, int betragen einfach unb 
leutfelig wie feine engeren ßanbsleute aus bem ©ebirge; er 
wirb nur launig, wenn ootn ©terus bie Siebe ift, bann erwärmt 
er ftdj unb rätf) bringenb, ja nicht ben etwaigen griebenS; 
betljeuerungen ber ©faffen ©tauben ju Renten; H err ©arobet 
bagegen, ber ©rwählte Oon ©ariä, ber rabicale ©opanj, beffen 
man bebiente, um Tljier8 ju ftürjen, ift in ©utmütljigfeit 
wie aufgelöft, er hat jeben potitift^en ©rod in ©larfeide jurüd; 
gelaffen unb fühlt fich auf afrifantfchem ©oben ganj als Tou» 
rift, er bewunbert bie ßanbfchaft, nimmt feinen Antheit an 
ben oerfchiebenen ©anfetten, erlaubt fiel) l>ie unb ba eine Partie 
©carte unb rühmt fid), feit SBochen feine Seitung ange» 
rührt ju haben. dagegen politifirt in einem fort ber qued= 
jtlberne Abgeorbnete beS 3nbre;Tepartement8, Herr ßeconte, ber 
an jebem Strohhalm eine braftifefje moralwfonomifche Abhanb» 
lung ju fnüpfen berfteht. Tabei fpielt ^err ßeconte glöte, 
bittet recht fc|nurrige ffnitteloerfe unb fammelt allerlei Taub 
für ein SWufeum, baft er in feinem TepartementShauptort ein* 
rieten möchte. $err ©iflaüt jeichnet fi<h burch fein mahnen; 
artiges ßodenhaar unb feinen wadenben ©art „une barbe de 
fleure“ au8; ber 3ufad gefeilt ju biefem Herrn ©iHain ben 
befannten ©ertreter Don ©erfaideS, Herrn Albert Soll). Tiefer, 
ein junger SJiann mit intelligenten @efi<f)t8jügen unb oon fehr 
aufgewedtem Temperament, trägt fich mit hohe» ©länen, er fief|t 
ben Augenblid Oorau8, wo Herr Albert ©reop bie Herrlich 5 
feiten be8 ©icefönigthumS herzlich fatt befommen Wirb unb wo 
man a!8 jweiten Eioilgouöerneur einen Abgeorbneten fuchen wirb, 
ber mit ben Angelegenheiten ber ©olonte bewanbert unb babei 
gut protegirt ift. ©ei Weitem nicht fo hochtrabenbe A6ftdjten 
fönnen Herrn Arthur ©icarb, bem jooialen ßebemann jugefchrieben 
Werben. Tiefer ©ruber beS oor jwei Sohren oerftorbenen 
SRinifterS ber ÜRationaloertheibigung hat nur ben 3wed, bräben 
in Afrifa Süthen; unb grauenftubien anjufteUen. ®r erfunbigt 
fich ftetS nach bem beoorftehenben 3Renu, unb wenn er mit ber 
Haub über ©tim unb ©adenbart fährt, oerräth biefe felbft; 
gefällige ©eberbe atterljanb ttnternehmungSgelüftc gegen bie mau; 
rifchen ©ouboirS ber ©aSljba. Ter ruhige, bebächtige SRofel 
©arfait ift ba8 literarifthe gactotum be8 berühmten ©erlag8haufe8 
ßbop, ber elegante 3Renarb Torian ein ©djwiegerfohn be8 bürget; 
liehen „Sanonenminifterö ber ©elagerung", unb Herr ©amifle 
göret), beffen Slame fich ebenfalls mit ber ©elagerung oerquidt, 
War ßommanbant ber ©eineflotide. Tie algierifchen Abgeorb; 
neten bilben an ©orb beS ©aIerh;Tampfer8 eine recht bunte, 
lebhafte unb animirte ©efeflfthaft 


Herr Albert ©rböp, ber ©ioilgouoerneur oon Algier, ift 
etwa 5—6 Sahre jünger als fein ©ruber ber ©räfibent. Tie 
©rfdjeinung beS republifanifthen ©icefönigS ift auf bem erften 
©lid burdjauS nicht fo prägnant wie bie feines ©ruberS. ©reop 
Stummer ©ins ift um einen ßopf größer als ©reop Stummer 3toei, 
feine ©eftalt ift Oiel maffioer unb bie djatafteriftifefje ®(a|e beS 
mächtigen ©Säbels fehlt bei ©rbbt) bem 3weiten. Unb bennoef), wenn 
man beibe ©rüber auf 30 bis 40 ©chritt Entfernung betrautet, 
fällt bie Aehnli<hfeit ber ©efichtScontouren auf unb erjeugt eine 
beinahe täufchenbe gHufion. Allein biefe finbet ihr ©nbe, fowie 
man an Herrn ©reotj ben 3»>eiten herantritt. SBährenb fein ©ruber, 
ber ©räfibent, in feinem Auftreten würbeood, aber ohne jeben 
Affect ift unb fich f<hli<ht u»b einfach bewegt, hat P<h Herr 
©rSüp bet 3weite als ©orbilb einen methobiftifchen ©aftor gewählt 
unb copirt treu bis jum ©eroiliSmuS baS 9Rufter. ©tetS in feier= 
licheS ©chwarj gell eibet, ben Sftod jugefnöpft, baS weifte $aar 
über bie ©tirne nach geiftlidjer SRobe jurüdgefämmt, bie Augen 
ftetS nach oben gerichtet, als wollte er bie himmtifche ©in» 
gebung erfleh», einen gut einftubirten 3»g um bie bleichen 
hageren ßippen — man fönnte glauben, er würbe bei jebem 
©peedj ftatt mit bem üblichen „Messieurs“ mit bem Weiheooden 
„Mes chers fröres du Jesus Christ“ beginnen, ©ei ihm flieftt für= 
wahr nicht ber ©ebefchwaU aus ben mageren ßippen, o nein, 
ba tröpfelt jebeS SBBort unb fällt gewichtig auf ben ©oben. Herr 


©rfeoi) hatte feine forgenfreie ©fiftenj. Tie Algierer finb nicht 
leicht ju regieren unb no^ weniger fönnen fie jufrieben geftettt 
werben, weil Seber oon ihnen etwas AnbereS oerlangt. 

TaS ©ioilregiment, welches ber ©ruber beS ©räftbenten 
einführen fott, galt ben ßeuten als ein Talisman, ber alles 
©ute het= unb alles ©öfe wegjaubern fönnte. 2Jlan War feft 
überjeugt, baft alle bie Klagen unb ©efchwerben, welche fo oft 
über baS SWittelmeer bis in bie ©erathungSfäle oon ©erfaideS 
brangen, aufhören würben, fowie an ©teile eines ©enerals ein 
fchwarjet grad treten würbe. Aber £>ert ©r60p hot biefe 
Hoffnungen nicht erfüllt unb er fönnte fie nicht erfüllen, benn 
er fam ja nach Afrifa als ein oollftänbiger ©euling unb er 
muffte juerft fidh orientiren. TaS tftut Herr ©r6üp nach ßeibeS» 
fräften, et Oerf^lingt förmlich ©ücfjer, Tractate unb Tocnmente 
mit Wahrem Hoifthnnfl^* Auf bem ©ouoernementSpla| oer* 
wünfehen bie ©erwalteten ben ©erwalter, weil et noch nichts 
geleistet t»at. 

* 

* * 


Tie ©nglänber, welche lange 3eit bie ©roberung biefeS 
TheilS oon ©orbafrifa burch granfreich mit fehr fdjeelen Augen 
betrautet haben, unternehmen je|t einen förmlichen 3noafton8jug 
nach Algier. TaS her*li<h gelegene Torf ©tuftapha oor ben 
Thoren bet colonialen Hauptftabt bebedt fich nach unb nach mit 
©itlen, Welche burdjweg englifchen gamilien gehören ober folchen 
oermiethet werben. Tie ©runbftüde, welche noch oor einigen 
Saljren oollftänbig werthloS waren, fteigen enorm im ©reife, 
unb bie ©igenthümer ber ju oermiethenben ßanbhäufer beginnen 
Anfprüche ju erheben, welche bereits an bie maftlofen gorbe» 
rungen ber cioilifirteften ©abeorte erinnern. SBenn ein reicher 
©nglänber aber entfchloffen ift, bem heimatlichen ©pleen nnb 
ben ©ebeln ju entfehlüpfen, fo fommt eS ihm fürwahr auf einige 
hunbert ober taufenb grancS ©tietlje mehr nid|t an. Tic ©reife 
halten fich baljer. Tie SBirtlje bürften übrigens, genau bemerft, 
fo unb fo oiel für bie AuSficht auffchreiben, benn baS ©anorama, 
Weites fich i» ben güften beS oben auf bem 3Jtuftapbat)ügel 
ftehenben ©eobachterS entrollt, braucht feinen ©ergleich ju fürsten. 
Tie ungeheuere Ajurfläche beS SRittelmeerS Oor ben Augen, rechts 
bie blenbenb weifte Hmifermaffe t, er ^ a ftah, linfS bie ©ipfet beS 
AtlaSgebirgeS, über welche ber Tjor bjura Wie ein fteinemer 
©ott emporragt, ringS herum bie üppigen ßanbhäufer, beten 
©ärten eine beinahe tropifche glora giert — man fühlt fich 
parabiefifch Wohl in biefer transparenten ßuft! 

Tie ©eKeggiaturgelüfte ber ©nglänber befchränfen fich nicht 
bloS auf SRuftapha, etwa oier ©tunben oon Algier hat ein 
wagljalfiger unternehmenber ffopf eine ©abeanftalt errichtet, 
bie faft auSfdjtieftlich Oon Arabern unb ©ritten benufyt 
wirb. Hantmam ©hija, fo heiftt ber ©abeort, frönt ben 
©ipfel eines ©ergeS, auf bem früher eine römifche ©tabt 
geftanben, wie es bie jahllofen Ueberrefte oon Stein unb ©larmor 
jeigen. ©anj oben, mitten unter ben ©uinen plätfehert unter 
fteinernen ©ewölben bahinroüenb ein ©ach fochenben SBafferS. 
©S ift bie Quelle oon Hammam ©htja. Tie ©tilitäröerwal; 
tung leitet baS SBaffer nach einem für oerWunbete Dffijiere unb 
©olbaten eingerichteten ßajareth- Ter Unternehmer ber ©abe* 
anftalt führt es feinen ©Sannen unb feinem Hotel ju. Tiefes 
Hotel ift mit adern ©omfort eingerichtet unb" entbehrt gar nichts 
oon adebem, WaS ber attfprudjöoodfte fturgaft ju forbem ge» 
wohnt ift. Ter ©inbrud hier auf einem afrifanifchen ©efimfe eine 
©UniaturauSgabe beS ©ranb Hotel mit feinem ganjen Apparate 
unb ber OorfdjtiftSmäftigen Table d’höte;®üche ju finben, ift 
ganj merfwütbtg. Ter unternehmenbe ©eift aber, ber auf ben 
©ebanfen oerfiel, hier eine giliale oon ©aben;©aben ju er» 
richten, ift ein ßponefe, Herr ArteS Tufour, ber ©ohn beS be» 
fannten ©aint»@imoniften. Tie 3bee war feine üble, benn bie 
Anftalt ift überfüdt, abgefehen oon ben Taufenben oon Arabern, 
bie fich in ben rofigen, eigens hergeftedten „Cures“ ben heilfamen 
unb oom fioran oorgef^riebenen Sßafchungen unterjiehen — 
natürlich gegen erftedliche unb wieberholte Abgaben. 


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Nr. 52. 


Hie (Segcnmari. 


419 


S8ci einem ©antett im Dean tyatte idj Gelegenheit, bie 
nähere ©elcmntjdjaft einer eiitljeintifdjen Hodjtooljtgeboren ju 
madjen. ©or Slßem ein alter Slgtja mit bem prachtootlften 
©atriard)enbart unb Keinen funletnben Äugen. ®er SRann fat) 
fe^r treuherzig brein unb niefte bejaljettb, wenn ein neben mir 
ft^enber @aft, ein granjofe, feine Beugettfdjaft anrief, bafj fidj 
bie Offiziere beS arabifdjert ©uteauS unb bie ein^eimifd^en 
ß^efä gani gut Bert rügen. ®a8 Ißfanb biefeS ©inüernetjmenS 
f^iöerte überbieS auf bem weiften ©urnuft: baS 0ffijiet= 
freuj ber ©ftrentegion neben ber ©intrittsfarte für baS eben 
ftattgefunbene SBettrennen. ©in ©ebuinenanfüljret mit einem 
wahren Sanbüengeficftt war baS ©iSaBiS beS gemütftlidjen 
ÄgljaS; an ber ©pi$e feiner ©oumd wäre eS nidjt geheuer 
gtwefen, bem ÜKanne irgenbmo in ber SBüfte ju begegnen, 
©o fteße i<h mit ben Salb Bor, welcher — wenn bie Sage 
richtig ift — bem ©djäfer feinen lebten Rammet wegftetßen 
würbe, um bann mit bem franjöftfcfjen ©ap’tan ju tftetfen, bamit 
biefer ein Äuge jubrüde. ©in Shalifat mit breifachem lur* 
ban um ben ©urnuft oerooüftünbigte baS Irio. @r foD 
ein gar frommer ÜJlann fein, er trän! währenb beS 2>iner8 
leinen SBein. ®er Ägfta unb ber ©ebuine wagten ebenfalls 
nicht, fi<h au bie glafchen ftetattjumadjen unb blieben beim 
SBaffet, obwohl fie. Wie mir ber franjöftfche Senner behauptete, 
bem ©afte ganj gerne huibigten. 2)iefe „afjimiKrten" arabifchen 
Häuptlinge fprechen im SonoerfationStone ein burtftauS erträg» 
ftcfteS unb beinahe accentlofeS granjöfifd}. Stur wenn fie, Wie’S 
öfter gefchieht, auf bem ©ife einer längeren SRebe tanjen wollen, 
werben fie poffirlich unb Berfalien in jenes feltfame Sauberwelfch, 
Welches unter bem Spottnamen ©ahirfprache befannt ift. ©8 
gehört übrigens jutn Sport, fo einen Ägfta ober ©d&eif, ber fich 
auf ben ©djönrebner ftinauSjpielt, jum ©ortrage ju brängen, 
um feine SBarbarifirung beS fftanaöfifdjen hinterher ju belaßen. 
®te jüngeren Araber ftnb fchon Borgefchrittener, bie ©arifer 
©ouleBarbfprache übt auf fie ihren SRetj unb e8 ift fomtfdj, Bon 
einem foldjen Serl im langen flatternben ©urnuft bie paar 
btijjbummen SRebeWenbungen, bie momentan in ben ©tufcerfreijen 
ihr ©lüd machen, mit aller Ueberjeugung wieberholen ju hören. 


©eifpteL SRan tritt in ein SaffeehauS, jwei ben ©oumS 
angehörenbe SReiter taffen fich au f baS ©oplja nieber. ®er eine 
Berlangt einen SRitdjfaffee. ®er Äufwärter antwortet, er höbe 
feine 3Kil<h mehr. S)er Äraber fnurrt unb Berlangt immer im 
reinflen SouleBarbfranjöfifch ein ©tüd ©adwerf. 3)er ©ar^on 
lann auch bieSmai nicht bienen. Stun lagt ber unjufriebene 
Äraber ein praffetnbeS geuerwetf Bon Epithetons los, wie fie 
nur ber gewanbtefte ©outeBarbier in feinem SRepertorium befi|t 
@r Berwünfcht bie „Boutique“, wo man nichts befomme unb 
ben „Patron de la bolte“. $aä ÄßeS fo ungezwungen unb 
natürlich, als wäre er ein Sinb ber ©efleBißer ©orftabt unb 
nicht ein ©oljn ber SBüfte. 2Ran mag ruhig fein, bie Seute 
taffen fich ~ afjtmiliren. 

paul mrefl. 


Jliw bet ^cntpfflabt. 


Die ^nti-Äeffing-ßigtt. 

S)ic lepte 3ahre3nummer einer SBodjenfdjrift eignet fiel) befonberS 
Zur Aufnahme eines ArtilelS, melier »ie ber Dorliegenbe eigentlich ein 
Küdtölid ift, obfdfjon ich i^n nicht als einen folgen bezeichnet ^abe. 
S)ie tleberfchrift meines ArtilelS ift bie girata eines ©ereinS, welker 
— sit venia verbo — in ber ©ilbung begriffen ift !unb fomit eine 
Grfcheinung barftcllt, auf toeldjer baS Auge beS SRücfblicfenben als auf 
einer ^ertoorragenben fofort haften bleibt, unb eine foldf)e (Srft^einung 
ift, ®ie man jugeben toirb, eine SCntis£e[fing=£iga o^ne 8®eifel. 


®ie Sefer biefer SBod^enfc^rift »erben üiefleicijt Don bem genannten 
herein nod^ nichts gehört ^aben, ba er aHerbingS biefen Slugenblid noh 
nicht an baS ßid^t beS XageS getreten ift. Äber id) ^offe, !eine 
3nbiScretion begehen, »enn id^ fd|on jefet Einiges Don i^m erjage. 
9iad^bem id(j burt^ bie Slufforberung, i^m beijutreten, auSgeaeid^net 
»orben, glaube ic^ audfj berechtigt ju fein, baS publicum auf i^n auf= 
merffam ju machen, unb fo zugleich ber bie ©inlabuug begleitenben 
93itte, in meinen Greifen nach Ärftften für ben neuen herein §u Dürfen, 
thunlichft Genüge p leiften. 

$ie SSorgefchichte ber Stnti*ßefrutg*ßiga ift bie faft aller feohl- 
thötigen Vereine. @S §at ftch in ben Greifen bet Verehrer unferer 
ftlaffiter ein S3ebürfntb h^uSgefieHt, baS fidfj natürlich halb als ein 
lüngft gefühltes entpuppte, bem nun abgeholfen »erben foU. 3n bürren 
Porten auSgebrüdtt: es »ar unb ift baS ©ebürfni| Dorhanben, 
einen Älaffilet »eniger ju h^^^n. 5)ie dünner, »eiche am 
fch»erften unter biefer <£rfenntni| litten, entfliehen fich nach langen 
unb ernften ©erathungen enblich bafür, ßejfing aus ber SReihe ber 
ßlaffifer hinaus p baüotiren, unb eS gefchah bieS Denn auch e *neS 
Slbenbs mit über»ftltigenber üRajoritüt. Son breiphn 3ln»efenben — 
bie 3*hl breijehn erfchien ihnen ni<ht als ein böfeS Daten, »ar fogar 
mit SSorbebadfjt getodhlt, ba fie fich für unfterblich h a l te n — alfo 
Don breiphn Sln»efenben erhielt ßeffing ein 3)upenb fd^»arjer Äugeln, 
»omit fein 6d§icffal entf«hieben »ar. ^Beiläufig fei er»ähnt, bag ber 
herr, »eichet bie »eifje Äugel geworfen hatte, $»ar ertlürte, er habe in 
ber Qerftreuung fo gehanbelt, unb Derficherte, eS foHe nicht »ieber Dor* 
lommen, aber baS half ihm nichts, er mußte austreten. 

S)ie j»ölf fchmarjen Äugelmänner nun grünbeten am felben ?[benb 
bie &nti=ßeffings£iga unb entwarfen bie Statuten. § 1 berfelben lautet: 
3»edf beS SBereinS „2)ie Äntisßeffingsßiga'' ift, mit allen gefeplichen 
SRitteln bahin p »irfen unb feines unDerfucpt p laffen, bem Derberb^ 
liehen ßefftng Kultus ein mögliche jähes <£nbe p bereiten unb bem 
$otfe ber Genfer enblich bie ftugen über ben 9tutor beS Nathan p 
öffnen. 

§ 2 gibt bann an, »ie biefeS Deffnen ber Slugen p gefchehen habe. 
3n 3 eit angen, S3rofchüren unb JBoIfSberfammlungen füllte bie SötaSfe 
Dom Äntlip ßeffingS geriffen unb er felbft in feiner gangen hahlh^it 
enthüllt »erben. Um ben betreffenbett 3eüangen bie »eitefte 85er= 
breitung $u oerfchaffen, follten ?lufforberungen .jum Abonnement auf 
biefelben maffenhaft unb gratis pr Sertheilung lommen, bie ©rofehüren 
»arm empfohlen »erben unb bie öffentlichen ©erfammlungen gegen 
ein mäßiges (£ntr6e, auch ©erichterftatter liberaler ©lätter, ge= 
öffnet fein. 

©ei ber Debatte über biefen Paragraphen -ftettte ich ben Antrag, 
bie Siga »olle befchließen, eine billige Ausgabe Don ßeffingS Söerlen 
p Deranftalten unb fo auch bem SRinberbegüterten Gelegenheit su geben, 
fich felbft Don ber DöHigen SBerthlofigleit ber poetifchen, profaifchen unb 
bramatifeßen Arbeiten beS genannten hetm p überzeugen. Aber mein 
Antrag fanb leiber nicht bie nötige Unterftüpung, naepbem einer ber 
Grünber ber Siga baS SBort gegen benfelben ergriffen hatte. $et S'iame 
beS SRebnerS ift mir entfallen, unb er f«h»eBt mir auch nicht auf ber 
3unge, obfehon ber $err ein allgemein belannter Publicift fein fott. 3« 
ben fchärfften, Don lautem ©eifall begleiteten, AuSbrüdfen fabelte er 
meinen ©orfchlag, ba bie Annahme beSfelben bap führen würbe, baß 
bie befonberS auf religiöfem Gebiet fo oerberblidjen Anfichten SeffingS 
gerabe biejenige ©erbreitung fänben, »eiche bie Siga Derhinbem müffe, 
eS fofte, »aS eS »olle. 9iur mit 3Rüh e entging ich einem DrbnungS= 
ruf. ^Dagegen »urbe ber Antrag, ben ber mir, »ie gefagt, un* 
befannte Publicift {teilte, bahin gehenb, bei ben Sntenbanjen unb 
3)irectoren ber beutfehen ^h eater ju bewirten, baß fte ihr ^Repertoire 
Don SeffingS, ohnehin nur noch mit berühmten Gäften jiehenben Stüdten 
fäubern, mit allen Stimmen gegen bie eine eines SchaufpielerS, ber ben 
Grafen Don ©tuchfall in HRUtna Don ©amhelm zu feinen Dorzüglichften 
SRoKen zählt, z um Befchluß erhoben. 

äRan mag an biefer flüchtigen $arfteHung ermeffen, mit Welcher 
Gnergie bie Anti * Seffings Siga ihr 8«l Derfolgt. Äaum noch brauche 
ich ausführlich za fagen, »eiche Grünbe Domehmlidh bie gegen Sefftng 
gerichtete Strömung herborgerufen hat, eine Strömung, Deren SBeHen* 
fchlag in unferm ©erein ohne btn falfcpen Seffing=GuItuS enblich 

Derfchlingen Wirb. GS ift fa auch bie h&chß e Seit. 3Ran braucht nur 
ben einen Kamen zu h ör * n / mit welchem Seffing bezeichnet wirb, — er 


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420 


9ie degenmart 


Nr. 52. 


lautet: 9Meclame*Dtcpter, — um ein$ufepen, baß pier eine nidpt mepr ju 
unterbrütfenbe ©eweguug begonnen pat. Den größten Unwillen erregt 
natürlich ber ©atpan, ben einer ber geiftüoUßen ßigamitglieber mit einer 
öanfierSfrau üergleicpt, bie man im Dpeater immer mit brei Gingen 
fepe, beren Dpal punbert fcpöne garben fpielt. Das ©Mitglieb, welcpeS 
biefen treffenben Vergleicp aufßellte, gab augleicp bem Verein ben 3Bapl= 
fprudp, ber auep bie ©inlabungen jum Beitritt jcpmücft. Um nämlicp 
baS ©Motto, welcpeS öeffittg auf ben 9Matpan gefegt pat, gerniffermaßen 
toieber eprltdp ju machen, tnbem er ipm einen $la| gab, an ben er 
beffer paffe, wäpUe er ipn für bie SJiga: Introite, nam et hic Dii sunt! 
tretet ein, benn auep pier finb ©öfter! 

Einmal bet 9Matpan, fei nocp ermähnt, baß jebeS ©Mitglieb Oer« 
pflichtet ift, in ber nädpßen ©ipung, Weldpe am erften ©onntag beS 
3anuar ftattfinbet, bie Äritif einer ber ©cpriften SeffingS einaureidpen. 
3<P pabe miep bereit erflärt, in einer ©arobie beS genannten bramatifdpen 
©ebicptS ben jerfepenben unb üolfSüergifteten ©eiß beSfelben offen bar« 
aulegen. Diefe meine Arbeit nenne icp: 9Matpan ber Dumme. 

Die ©ipungen ßnben in einem ©ierlolal ßatt. Auep bieS pat feine 
©ebeutung. ©efanntlicp pat Sefßng unter anberen SBeinliebern eines 
unter bem Xitel „Der Dob" oerfaßt, in meinem er fagt, er pabe ben 
Dob überliftet unb „@wig muß icp alfo leben". Um nun nidpt eine 
©affton, welcpe fiefßng ju folcper Ueberpebung üerfüprte, gewiffermaßen 
gut $u Reißen, pat ßcp bie ßiga audp in biefem $un!t üon Seffing loS= 
gefagt unb fiep für bunfleS ©ier entfliehen. 

©o fcpließt benn baS Qapr 1879 wenigftenS in ©erlin mit einer 
peroorragenben literarifcpen ©cpöpfung ab. ©ädpfienS mepr oon ipr. 

3uf. Stettenpeim. 


Üramatifdie 3Uptyrttnijen. 

J)er gfreuttb bes 

Sußfpiel in oier Acten Oon ©rnß SB icp er t. 

„9hm, mie wat’S?" fragte ber ©alte, ber oorforglidp bie grau 
©emaplin am Keinen AuSgange beS ©cpaufpielpaufeS erwartete. 

„SBie foff’S gewejen fein?" antwortete bie ©attin. 

DaS iß naep meinem ©radpten bie bünbigße ftritif, bie fiep über 
baS ßußfpiel oon ©rnß SBiepert geben läßt. 

Auf eine jebe wefentlicpe Sfrage, bie in S3ejug auf baS ©tüct geßellt 
werben fann, läßt fiep am beften mit „ja unb nein" antworten. ©S iß 

unterpaltenb, aber eS iß bisweilen auep gar niept furjweilig. Vieles 

iß conoentioneff, Zieles iß aber audp wieberum originell. ©inigeS iß 
fepr gefcpielt, AttbereS jiemliep unbepolfen. ^urjum, eS iß niept leicpt, 
biefem ßußfpiel gegenüber eine beßimmte Haltung einjunepmen. 3eben= 
falls iß eS niept ba$u angetpan, bie fritifepe Seibenfcpaftlicpfeit ju ent= 
feffeln. 9Mur bie ^arteilidpfeit würbe baS ©tü<f mit ©ntfcploffenpeit 
toben ober tabeln fönnen. 

„Der greunb beS Sürßen" gepört ju benjenigen ©tücfen, bie man 
fiep ganj gern einmal anßept, opne baß man gerabe baS ©ebürfniß 
füplt, ße gefepen §u paben. @S pat feinen fepr tiefen ©inbrudf gemaept; 
unb eS pat, wenn eS mir geßattet iß, perfönliep $u fpreepen, auf miep 
fo wenig gewirft, baß icp miep fdpon peute anßrengen muß, um mir 
nur bie Oon SBiepert erfttnbene §anblung wieber §u oergegenwärtigen. 
2lber eS pat miep auep burepauS niept unangenepm berüprt. Qm ©egem 

tpeil! 3^P miep mit bem publicum an atlerliebßen ©in§elpeiten 

oß erfreuen fönnen. 

Die ©d&Wierigfeit, über ben „Sreunb beS gürßen" ein feparf 
prädßrteS S^otum abjugeben, erflärt fiep baper, baß MefeS ©tücf in ben 
SBerfen SBiepertS eine mittlere ©tellung einnimmt — eine ©tellung, wie 
fte etwa SBiepert felbß unter ben ntobemen Dramatifem bepauptet. SBir 
fommen alfo aus bem SWittleren gar niept perauS. 

DiefeS neuße ßußfpiel iß weniger frifep unb lebenbig, als „©in 
©epritt oom SBege", unb entpält feinen fo gut gejeiepneten ©parafter, 
wie ben ©utSbefiper oon Srrefinau im „9farr beS ©lüefS"; eS iß aber 
oiel gelungener als „©ine gtau für bie SBelt" unb „Die SReatißen". 
Dei ber ©parafterifirung biefeS neuften SußfpietS unb bem SSerfud^e, 
bie $anblung ju fairen, wirb ßep ber Hinweis auf ©aeflänber fcpwer= 
liep umgepen laßen. 


Die ©efepiepte f^riett an einem Keinen #ofe. Der gürß iß ein 
liberaler 9Kann, ber greunb beS Sürßen, ber — woju fofl id^ ben 
ßefer auf bie Solter fpannen? — unter uns gefagt audp ein S&*ß iß. 
wenn er fiep audp Dr. SOhrttpuS nennt, iß ebenfalls gan$ oon freifUmigen 
Sbeen bur(pbrungen unb fdpreibt fogar &uffä|e für bie „Deutfdpe 9hutb= 
fepau", auf bie in ben ^rofpecten, weldpc bie Ouartale einleiten, oiel- 
leidpt Oon ©eiten beS SSerlagS nodp befonberS pingewiefen wirb. Daß 
ber niept Oerborgene Sürß auep eine ©oufine pat, bie er nadp einer 
teßamentarifepen S3eßimmung peiratpen foll, aber gerabe aus biefem 
©runbe niept peiratpen Witt, beffen ungeadptet fepließlidp aber boep 
peiratpet, gepört ju ben ©etbßoerßänblidpfeiten. 

9iacpbem ber Äejer burep biefe Oorweg genommene KnfKärung un» 
gefäpr ebenfo unterridptet iß, wie ber Sufdpm^ nadp ber ©fpoßtion 
— benn audp biefem te&teren bleibt wenig &u erratpen übrig — fann 
iep oon ber ^anblung felbß einige SBorte fagen. 

Der §er$og lernt in einem ©abe einen intereffanten 9Jtann fennen, 
Dr. ÜJtattpuS, ber burdp feine perfönli^en ©igenfepaften bie Stufmerflam= 
feit ©erenifßmi erregt unb bte Sreunbfcpaft beS regierenben $ernt ft(p 
erwirbt. Dr. SttaltpuS iß offenbar eine oomepme Statur, ©r getjt 
nidpt nadp ben ©pren, bie ein §er$og ^u erweifen oermag, will Weber 
Orben nodp Xitel, no(p ©tellung, nodp ©efdpenfe, unb gerabe burdp biefe 
Uneigennüßigfeit befeftigt er fiep, wie natürtiep, immer mepr im Ver¬ 
trauen beS ®erjogS. Dr. 3JiattpuS pat audp eine 9hcpte, S*äulein ©äcilie, 
ein einfadpeS, bcfdpeibeneS, woplerjogeneS 9Räb(pen, beffen ©dpönpeit 
unb fittlidpe Vorzüge baS §erj beS Sürßen gewinnen. Der #er$og 
aber foll, wie fdpon angebeutet, fidp mit einer ebenbürtigen ©oußne naep 
ber unabänberlidpen ©afcung eines DeßamenteS epeücp oerbinben, mit 
ber ffSrinjeffin ©äcilie — apa! benft ber Sefer unb ßu^t bei biefer 
eigentpümlidpen $omonpmität — ber 9tidpte beS ©rin&en 0Sfar, beS 
©pefs ber mebiatifirten ©eitenlinie, mit weldper baS no(p regierenbe 
perjoglicpe $auS feit 3apren in S^ißiB^tcn lebt, ©epon aus biefem 
©runbe iß ©rinjeffin ©äcilie bem $erjog, ber ße gar nidpt fennt, pöcpß 
unangenepm. ©erenifßmuS ßept feiner oorgefepenen ©raut mit ben= 
felben ©efüplen gegenüber wie jener Owwßtimtötnann : w gdp fenne jwar 
bie Slbßdpten ber Regierung nidpt, aber icp mißbillige ße!" 

Der ®erjog will fiep alfo über alle graufamen ©eßimmungen pin= 
Weg, weldpe bie Sreipeit feiner ©ntfdpließungen beeinträdptigen, bem 
3uge feines ^er^enS folgenb, mit ber 9htpte beS Dr. ©taltpnS oerepe- 
licpen. 9lber ba treten nodp einige ©cpmicrigfeiten in ben SBeg. Der 
öexjog pat nämlicp in einer überfcpwänglidpen Knwanblung bem Dr. 
SttaltpuS baS brüberli(pe „Du" angetTagen. Dr. ©taltpuS gept auf 
biefeS Anerbieten nidpt mit bemjenigen ©ntpufiaSmuS ein, welcpeS ber 
regierenbe §err erwarten ju bürfen glaubte. Der Doctor pält fogar 
eine woplgefcßte SRebe über bie ©dpneKfertigfeit ber Swß^nb unb ber 
iß barüber fo erzürnt, baß er in offenbarer Ungnabe oon feinem 
früperen Sreunbc, bem Opeim unb ©ormunbe feiner geliebten ©äcilie 
fepeibet. 

9tadp maneperlei SwifdpenfäHen, bie idp übergepen Witt unb barf, 
erfäprt ber ^erjog, baß ber früper geliebte Dr. ©faltpuS unb ber ßetS 
gepaßte ^?rin§ DSfar ibentifdp ßnb. 9htn, meine idp, iß eS bodp gerabe 
fein Unglücf, wenn ein §erjog erfäprt, baß baS oon ipm geliebte 
Sütäbdpen anfällig biefelbe Dame iß, bie ipm naep ben ©eßimmungen 
feines fürßlidpen §aufeS aur ©attin auSerforen iß, baß audp in ipren 
Abem fürßlidpeS ©lut rollt. Aber ber fteraog nimmt bie ©adpe fepr 
übel. @r pält baS Alles für eine unwürbige We ber ränte= 

jücptige $rina OSfar gefepmiebet pabe, um ipn, ben ®eraog, jn feffeln; 
unb er meint, baß S&tinaefßn ©äcilie biefer ©tadpination ipre ^anb 
geboten, baß ße ben $eraog alfo nidpt liebe, fonbem ipn einfaep pabe 
einfangen wollen, ©rß als ber ^eraog oon ©äcilie erfäprt, baß audp 
fie üon iprem wapren ©taube nicptS geapnt, unb gerabe wie ber &er$og 
Oom $rina OSfar, ber ja übrigens nur baS ©eße im Auge gepabt, ßdp 
pabe täufepen laßen — ba erß berupigt ßdp ber ®eraog. DaS ©ttßüer= 
ßänbniß, baS ipn aeitweilig oon Dr. ©faltpuS, nunmepr ©rmjen OSfar, 
entfernt patte, wirb befeitigt, ber &eraog peiratpet bie ©onfhte itnb 
Sßrina OSfar, ber freifinnige ©Mitarbeiter angefepener ©MonatSfdpriften, 
maept ßdp feine ©Mebiatifirung ju 9hißen, um fdpleunigß ein anmutpigeS 
junges ©Mäbdpen, bie Dodpter einer ©eneraün, §u peiratpen. 

3<p bin in biefem furagefaßten unb unüottßänbigen ©eridpte über 
fepr Vieles fdpweigfam pinweggegangen, über affe bie Keinen $offabalen, 
welcpe baS ©tfepeinen beS Dr. ©MaltpuS perüorruft, über oiele jum 


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Nr. 52. 


Üt $tgnttt*ri 


421 


Xßeil recht luftige unb mehlige (Epifoben; aber eS märe mirtlicß jmed; 
loS, bem ©ericßie einen größeren Umfang ju geben. die ßarmloje ein¬ 
fache fiuftigfeit, toie fie in biejen ©eenen ßerrfeßt, mirft eben nur bon 
ber ©üßne herab, unb eS iß einer ber mefentlidjen ©or$üge ©SicßertS, 
baß er biefe ©Sirfung beS (Einfachen unb NnfprucßSlofeu fo genau fennt 
unb fich auf bie ©timenbuttg biejer befcheibenen Eßittel mit meifer diS= 
cretion befeßräntt. die fympathifeße unb liebenSmürbige ©cßriftßeßer; 
natUT (Ernft Sicherte fprießt fich auch in biefem ©Serie aus, baS, mie 
ich noch einmal jum 6cßluffe bemerlen miß, menn auch uid)t $u ben 
gelungenßen, fo hoch teweSmegS ju ben mißlungenen Arbeiten beS 
tüchtigen ©üßnenbicßterS $u rechnen iß. 

die ©orßeßung, melcße baS Stüd am königlichen Stßaufpielßaufe 
gefunben hat, iß burchtoeg eine Oorjüglicße ju nennen, da mir nicht 
ben ganzen Settel abjehreiben moßen, fo foll für heute nur ber Name 
beS ©afteS angeführt merben: grau Niemann - Seebach, melche in ber 
(Epifobe einer beutjcß= unb franjöfifcß^oerberbenben granjößn burch ißren 
frifthen §umot uns eine ganj neue ©eite ißreS fchaufpielerifchen XalenteS 
offenbart hat der ©eifall, ber nicht jurn geringen Steile ber Oefammt- 
barßellung galt, mar lebhaft. paul £inbau. 


3?0ti}eit. 

der ^erjog oon (Eumberlanb iß trop feiner auSßcßtSlojen 
Prätentionen ein intereffanter ßßann. ©on £>annoOer ober ©raunjeßmeig 
mirb er nun unb nimmer eine ©cholle üanbeS erhalten. daß er aber 
bem Nießbrauch öon feeßveßn NHßiouen Xßalern megen einer legiti= 
mißifchen SNarotte fo lange gaßre entfagt, iß hoch in unjerem Seit= 
alter ber ameritanifeßen ©elbmacßer unb ©örfenjobber ein Stüd Nomantit, 
mofür mir ihm fchon früher in biefen ©lättern eine gemiffe ©emun= 
berung nicht borenthalten hüben. das beutfehe Neuß, U)ie bie ©Seit 
einmal aus burchlauchtigem ©fcunbe bernommen hat, hütet moßl, bie 
(Eumbertanb’fcßen Sinfen in einer ©parbüchfc aufeufammeln. ©iS aum 
Xobe beS königS ©eorg fanben biefe Sinfen bie betannte myßeriöje 
©ermenbung. Ntan nannte baS cuphemißifch ben NeptilienfonbS unb 
meinte, bie fraglichen Scßriftßeßer fammelten bamit ohne Steifet Ö^oße 
Neicßtßümer. ©ber biefe Herren merben fchmerlich biel bon bem golbenen 
Negen berfpürt haben. ©ebürfniffe ber ©rmee unb SBarine haben feßr 
mahrfcheinlich baS befte Xßeil abgefchöpft erhalten. ©IS invmifeßen 
©eorg V. $u feinen ©ßnen heimgegangen mar, ^ielt menigßenS ber frühere 
preußtjeße ginanjminifter nach feinen eigenen, menn nicht öffentlichen, 
hoch beglaubigten ©eußerungen eine anbermeitige ©eßimmung ber frag= 
liehen ©eibet nicht mehr für gefeplicß juläjfig. die ginfen beS ©Seifen^ 
fonbS blieben alfo tßatfäcßlicß unberührt, unb bie Neptiiien erhielten 
noch meniger, baS heißt bon biefem gonbS gar nichts, momit ihnen auch 
gan$ recht gefeßaß. Ob ber gegenmärtige ginanjminißer über bie gefep= 
liehe Sage ber ©ache anberS beult, als fein ©orgänger, ift nicht belannt 
gemorben, aber bis auf Weiteres, mie üorßcßtige gournalißen fich a “S= 
jubrüden pflegen, unmahrfeßeiniieh. £>err ©Sinbtßorß brauchte alfo nicht 
beSmegen neulich, im ©egenfap §u bem ©roS feiner Partei, für bie ©e^ 
milligung ber geheimen gonbS $u ftimmen, meil ein angebliches Erränge* 
ment mit bem #er$og bon (Euntberlanb in ber gerne minien foßte. 
NeuigleitSlrämer puhen baS aus ber Haltung ber lleinen äReppener 
Perle jufammenconjecturirt, gan§ fo mie fie aus ben ßingemorfenen 
Äeußerungen.ber malitiöfen (Ejcettenä^ag für Xag bie intereffanteften, menn 
auch etmaS monotonen, Offenbarungen über ben ©tanb beS (EulturlampfeS 
fertig fchmieben. SSBaS aus ben feit Sftitte guni hörigen gapreS, bem XobeS= 
tage beS SBelfenlönigS, angefammelten Stufen feines faißrten ©ermögenS 
merben foll, menn ber #erjog bon (Eumberlanb einmal bernünßig mirb, 
ober aus Noth eine Xugenb macht, barüber mirb fich Niemanb ben köpf 
^erbrechen. 3)er ^erjog foü ein gutmütiger Priitj fein, menn er auch 
oieKeicht an ©enie unb ©egabung griebrich bem ©roßen unb bem erften 
Napoleon etmaS naefffiehen bürfte. gebenfattS iß er fanßer geartet als 
.fein ©orfapr (Ernß Nuguft, ber feiner S^tt in (Englanb benfelben Xitel 
getragen hatte unb bon bem manche fcßlintme güge erzählt mürben. 
(Er patte in $annober einen Pebicure mofaißhen ©elenntniffeS. 5US 
biefer einmal in ehrfurchtSboüen ©efühlen mit ber Operation befchäftigt 


■ mar, melcher bie gütßen fo gut mie einfache Sterbliche fich periobifch 
unterjiehen müffen, fragte ©e. SNajeßät in brüSler Sßeife: 3Bie bicl 
guben gibt eS in fcannober? 3)er ipeißünßler nannte erfchredt unb 
ftammelnb.eine möglichft befd^ränlte gahl* Subiel, rief ber könig, noch 
immer jubiei! XaS galt bamalS für ein boSpafteS ©fort. ©eut§utage, 
mo ber antifemitifche kreu^ug in bie iWobe lommt unb bie liberalen 
in biefem Puntt mie in manchem anberen ihr trabiüonetteS Programm 
bergeffen haben follen, mirb jener (Eumberlanb'fche SBip mopl etmaS 
milber beurteilt merben. könig (Ernß Nuguß ließ eS atterbingS babei 
nicht bemenben. ©eine Ungnabe ereilte auch noch anbere Staatsbürger, 
©elanntlich machte ihm bie böfe Sieben ber ©öttinger ©eiehrten biel 
ju fchaffen, unb er erlaubte fich eines XageS bie fehr unehrerbietige ©e= 
merhmg, Profefforen hätten lein ©aterlanb, fie gingen ßetS hin, mo 
ihnen am meißen geboten mürbe! Xie Xräger beutfeper SBiffenfchaft 
haben biefe ©efchulbigung bon hoher ©eite, bie obenbrein in noch mehr 
j cpnifcher, auf bem Xrudpapier nicht mieber ju gebenber SBeife gefaßt 
J mar, maprlich nicht berbient. Xie ©flirten ber ©öttinger Uniberfität 
merben einen <Eh? e ntrtap in ber veitgenöffifchen ©efd^ichte behaupten, unb 
J mie fie felbft mit bem ©ormurfe ber ©aterlanbSlofigleit unb beS jmeifel* 
haften Patriotismus niemals lei<htftnnig unb perfönlich rancünßS um= 
gegangen finb, fo tonnte auch ihr ©ebädfjtniß burch bie f<hlhrane Nach= 
rebe beS vomigen ^errfcherS nicht gefchmälert merben. Xie Nachmelt 
mirb ihnen nicht bergeffen, baß fie ber ©unß beS ©ugenblidS ju miber» 
ftehen mußten unb auch innerli^, im ebelften Sinne, liberal unb unab¬ 
hängig maren. 

* 

* * 

©aal X’gillah als ber praltißhe ©orbeter bon Abraham ©aer, 
(Eantor unb ©efangSleprer ber iSraelitifchen ©emeinbe ju ©othen- 
burg in ©chmeben. ©oHftänbige Sammlung ber gotteSbienftlicheu 
©efänge unb Necitatioe ber gSraeliten, na^ polmfchen, beutfehen 
(aschk’naßischen) unb portugiefifchen (sephardischen) fBeifen, nebß 
aßen betreffenben rituellen ©orfchriften unb ©ebräud^en. 

©in Prachtmerl in jeber ©eviehung! Unb ein ßhöneS 8«<hcn unferer 
befreienben S^t. Xie biel gefchmähcten ©efänge ber burch gahrhunberte 
berachteten ©pnagoge liegen uns hier bor, in einer NuSgabe, bie burch 
Schönheit, klarheit, ©oraehmheit, fchon bem ßüchtigften ©lide imponirt. 
©Selcher gortfehritte in ber Xenl* unb ©efühlSmeife ber gebilbeten ©Seit 
beburfte eS um derartiges möglich 5« machen! Unb mie erfreulich ift 
eS vu hören, baß ein fchmebifcher NeichStagSabgeorbneter, Dr. ®eb-' 
lanb, ber ^auptförberer ber ©eröffentlichung mar, bie an 6000 9Jtarl 
loßete unb bon ©rettfopf & ftärtel fo hergefteßt mürbe, mie man eS 
bon biefem berühmten $aufe ßetS ju ermarten berechtigt iß. 

Sahireiche (Eoüegen beS ©erfafferS h^öen eS bielfach auSgefprochen, 
baß bie ßeißmtg beSfelben eine ganj außerorbentliche fei — ebenfo an- 
erfennenSmerth burch ben gleiß, ber baju gehörte (er hoi 15 gapre 
baran gearbeitet!) als burch bi e kenntniffe, baS Urtheil, ben ©efeßmad, 
ben fie erforberte. Sie ftimmen barin überein, baß biefet „prattifeße 
©orbeter'' unter aßen bis jept erfeßienenen ©efängen für bie Pßege 
unb ©eibeßaltung beS trabitioneßen ©efangeS unb ber in ben Syna¬ 
gogen eingefüßrten Niten, unbeßritten ben ßöcßßen ©Sertß befipe. der 
geübtere (Eantor ßnbe barin bie beutfehe unb polnifcße ©ortragSmeife 
ftreng unb correct auSeinanber gehalten unb confequent bureßgefüßrt, 
ber ungeübtere aber eine ßeßere Anleitung, eine Schule oon unfdjäp; 

] barer ©ebeutung. 

I ©on ber ©roßartigleit beS .©SerfeS mirb eS eine gbee geben, menn 
} man ßört, baß an 1500 ©efänge barin enthalten finb — mit ben &n= 

I merlungen unb bergl. umfaßt eS 358 goliofeiten. 

! Neben bem fpecißfd&en Nupen, ber biejer Sammlung beimohnt, ift 
j fie aber für ben Xontünftler eine £lueße auSerlefener ©enüffe, ßetS neuer 
erfrifeßenber Anregung, ©iele ber hier oortiegenben ©efänge ßnb oon 
1 fo rüßrenbera SluSbrud, anbere Oon fo linblicß reinem (Eßoralter, mieber 
1 anbere Oon fo großartiger kraft, baß fie ergreifenb mirlen, menn man 
1 aueß, mie es meißenS ber gaß fein mirb, Oon ben XejteSmorten nichts 
Vu enträtßfetn oermag. Sie feßeinen oft ßßelobien, mie ße fteß, impro- 
oißrt, bem §er$en entreißen unb man begreift laum, mie fteß folcße 
Xonergießungen bureß lange gaßrßunberte fortpßanjen tonnten, oßne je 
aufgefeßrieben morben ftu fein. Unb nun bie Drginalität einer großen 
Slnvapl berfelben! Unfere mufüaiijche dentmeije iß heutigen XagS jo 
Ooßftänbig beßerrjeßt 001 t unjerer moberneu Harmonie, baß mir uns, 
oßne berfelben entzogene ©runblagen, launt meßr eine Ntelobie üorßeßen 


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422 


Sie (Segettomrt, 


Nr. 52. 


formen. $ier ober finben wir fortwäprenb ©efänge, bie wir mit ihren zu* 
fälligen ©alb* unb&nberthalbtönen niept in unfer ©pftem einzwängen lönnen 
unb bie tropbem einer tonartlicpen SöafiS, ober wie man eS nennen mag, 
niept ermangelu. Der Herausgeber beflagt in bem Borwort, baß ipui 
ber Kaum nid)t geftattet habe, Begleitungen für bie Orgel $u geben. 
DiefeS Bereuen ift baS ©htzige, was ihm borzuwerfen ift, unb fein 
guter ©eniuS war eS, uidfjt bie Äoftbarleit größerer BluSbehnung, ber 
ihn babor bewahrt hat Kur in ben feltenften gatten lögt ftd) unfer 
Harmoniefpftem auf ©efänge anwenben, bie niept bemfelben entfproffen 
finb. ©S gibt eine intereffante Sammlung armenifeper ßirepengefänge, 
bie Durch fotege parmonifepe Unterlagen gänzlich berborben Worben ift. 
Die wenig $at}treidjen Kümmern, bie im üorliegenben SBerfe mit einer 
Orgelbegleitung berfepen ftnb, paben pierburep berloren. Kur bie ©in* 
ftimmigfeit paßt für folcpe Sieber, fei eS baß fie bon ©inzelnen gelungen 
werben, fei eS baß BHIe mit einftimmen — baS menfehheittiepe Sufatn* 
menftngen lann eigentlich nur im ©inHang ftattfinben. 

Der mufilalifdje Hifforifer wirb in biefem 933erfe reiche Ausbeute 
finben unb feine Beobachtungen werben ihm erleichtert burd) bie ein* 
fachen Bezeichnungen beS Herausgebers. ©r hat nämlich alle SBeifen, als 
alte, neue, beutle, portugiefifepe, ^otnifche burch ein paar Buchftaben 
fennbar gemacht unb nur bie uralten, thpijcpen ohne Klerfmal gelaffen. 
(Die wenig zahlreichen portugiefifepen finb bie werthlofeften unb tragen 
ihren mobemen jübeuropäifepen ©paralter in unberblümter Offenheit.) 
Die uubergänglichften Denfmäler unferer Donfunft ftnb bie, bie feinen 
unterblieben Kamen tragen. 

©in theuereS 933erl, biefer Borbeter, aber ein foftbareS — eS fei 
allen gorfepero unb Donbicptem, allen Schulen unb Bibliothefen aufs 
9S8ärmfte empfohlen. Dropbem wir Scpäpe bor unS aufgefpeiepert haben, 
mit welchen uns unfere armen reifen ©enieS befchenft, eS thut wohl, 
auch einmal aus biefen „grünen ©ewölben" perauSzufommen unb Dänen 
ZU horchen, bie zu unS fprechen wie Stimmen ber Katur. (Sine folche 
Bottesftimme ift auch eine ©otteSftimme. 

(ferbinanb filier. 

* 

* * 

©anberS’ ©örterbuep ber Hauptfchwierigfeiten in ber 
beutfehen Sprache. Keben ber fleinen, bis jept fchon in 11 Auflagen 
erfepienenen BluSgabe feines „fturzgefaßteS ©örterbuep ber Haupt* 
fchwierigfeiten in ber beutfepen Sprache" (188S.), hat ber berühmte 
©praepforfeper Brofeffot Dr. Daniel ©anberS foeben bie grobe BluS* 
gäbe beSfelben wichtigen unb mit bem ungeteilteren Beifall unb Danf 
beS fßublicumS empfangenen ©erleS unter bem Ditet: „©Örter buch 
ber Hauptfchwierigfeiten in ber beutfepen Sprache" (361 S.) 
in ber Saugenfd&eibffcpen BerlagS=Bucphanblung (Berlin 1880, Breis 
3 Kt., gcb. 3 Kt. 60 Bf») erfcheinen taffen. Die etfie Auflage ber fleinen 
Ausgabe erfchien bor 7 fahren; ber Erfolg ift ein beinahe beifpiellofer, 
wenn man bebenft, baß biefeS wertpbolle, wichtige. ©er! nicht burch 
©rlaß ber Behörben unb Schulzwang, wopl aber burch feinen großen 
eigenen inneren ©ertp in Diele Schulen eingeführt ift. Diejenigen, bie 
eS noch nicht tennen, wollen fiel) inbeffen fein bloßes Schulbuch barunter 
boxftellen. Das ©er! begegnete gleichfam einem allgemeinen Berlangen 
beS beutfehen BublicumS, ja ber beutfehen Kation im ©roßen unb 
©anzen, bie Durch ben beutfcp=frauzöftfchen Ärieg unb burch bie praftifchen 
fpracßlichen Bemühungen Stephans auch auf bie fpracpttche Einheit unb 
bie 933icptigfeit ber Sprache beS BaterlanbeS befonberS aufmerffam ge* 
macht worben War. Den Sweef beS Heineren, wie auch beS größeren 
©erleS, hat ber Berfaffer in bem Borwort beiber folgenbermaßen 
beratlgemeinert: ,,©S gibt im Deutfcpen, wie in jebet noch in lebenbiger 
gortentwicflung begriffenen Sprache, unberührt Don ben allgemein an* 
erfannten Kegeln, bie allen ©ebilbeten geläufig unb üertraut ftnb unb 
gegen bie fie beShalb niemals berftoßen Werben, eine nicht geringe Bin* 
Zopi bon gällen, in benen fleh ber Sprachgebrauch noch nicht — ober 
hoch minbeftenS noch nicht ganz entfepieben unb zweifellos — feft ge* 
fteüt hat unb in benen baS Sdjwanfen bei ©ebilbeten unb felbft bei 
©chriftftellem eine Unfieperpeit erzeugt, ob bie in einem beftimmten galt 
neben einanber botfommenben berfepiebenen gormen unb BluSbrudS* 
weifen gleich berechtigt ftnb, ober Welche bie richtigere ober bietleicht bie 
allein richtige fein Dürfte. .. . $n Derartigen Smeifelfäüen unb überall 
ba, wo für gebilbete Deutfcpe in bem ©ebrauch ihrer Klutterfpracpe 
fleh grammatifche Schwierigleiten perauSftellen Dürften, fott baS bor* 
liegenbe Buch fcpnelle unb ftepere BfoSfunft ertpeüen.©S ift unber* 


meiblich, baß in einem Buch Wie bem borliegenben ber ©ine noch manches 
für ihn graglicpe bermißt, währenb ein Anbeter maitdheS für ihn be* 
reits ©ntfeßiebene als überflüfftg bezeichnet. Docp poffe unb wünfepe 
ich, im ©anzen unb ©roßen baS richtige Ktaß getroffen unb ein pral* 
tifcheS Kachfcplagebuch gegeben zu haben, baS Bielen in nicht feltenen 
gällen ein erwünfehter Kathgeber fein unb in weiten Greifen baS ©einige 
Zum richtigen ©ebrauch unferer reichen, fernen, theuren Ktutterfpracpe 
beitragen lann unb wirb." gn Wie reichem Kloße biefer ©unfeh in 
©rfüüung gegangen, beweifen bie 22 Auflagen ber bis Dahin nur ber* 
öffentlichten fleinen Ausgabe. DaS 933er! ^füllte ein wirHich gefühltes 
Bebürfniß ber SchriftfteHer, ber ©ebilbeten ber Kation, ber Stubenten, 
ber Schüler höherer klaffen wie ber ßeprenben felbft; eS überrafcht 
alfo auch leineSwegS, baß bie zahlreichen, aus allen ©egenben beS 
BaterlanbeS unb über beffen ©renzen hiuauS unauSgefept an ben Ber* 
faffer ergepenben Anfragen über grammatifche Schwierigleiten unb gweifel* 
fälle ipn überzeugen mußten, „baß auch eine umfaffenbere, weiter 
gehenben Blnfprücpen genügenbe Bearbeitung bem Bebürfniß Bieler ent* 
gegenfommmen würbe" (Borwort zur großen BluSgabe). ©ine folcpe, 
„unter Beibehaltung ber urfptünglidjen Blnlage, Doch unter forgfamer 
Berücffichtigung ber mir zugelommenen Anfragen unb beS Demgemäß 
erweiterten ©eftchtSfreifeS", bietet ^ierntt Daniel SanberS ben ©e* 
bilbeten unb ben nach ber rechten Bilbung Berlangenben. 

* 

* * 

fltrütg non (Otto Spmnrr in Ceipjig* 

BUS eine Specialität gingen aus bem Spamer’fchen Berlag bie 
bielbeliebten unb begehrten Brebiere perbor, bon benen als bie neueften 
wir folgeube nennen: 

Brebier ber Danzlunfi Die Dänze hei beit ©ulturböllern bon 
ben älteften Seiten bis zur ©egenwart. Kebft einem Bfapange: Danz* 
repertoire für Heinere unb größere ©efeKfchaftSlreife. Bon Bllbett 
©ZerwinSfi. Klit 60 Dejtiffuftrattonen unb einem Ditelbilbe. Danz* 
leprer Bllbert ©z^winSfi, bon bem fchon früher eine nunmehr längft im 
Buchhaubel bergriffene „©ef^ichte ber Danzlunft" erfchienen, hat eS ft<h 
Zur Aufgabe gemacht, in biefer Kichtung bahnbrechenb borzugehen, unb, 
inbem er zum erffen Klale bie Kefultate feiner methobifchen Stubien 
unb praftifchen ©rfahrungen auf bem ©ebiete ber Drcheftif bem größeren 
Bublicum zugänglich macht, ein 993erf gefchaffen, baS bornehmlich ge* 
eignet ift, bem ©ultuS ber Schönheit zu bienen unb fomit im allgemeinen 
Sntereffe bilbenb unb belehrenb zu wirlen. 

Brebier ber ©leganz. Blaubereien unb ©ntpüHungen aus bem 
Doilettenzimmer unb Salon. Kpthgeber am Buptifch unb in ©efeü* 
fchaftsfragen. Sur BerboUftänbigung ihres Kloben* unb DoiIetten*Bre* 
bierS h^rauSgegeben bon Johanna bon Spbow, JKitarbeiterin beS 
„Bazar". 923ie fchon ber ausführlich gehaltene Ditel befagt, ift baS 
„Brebier ber ©leganz" als ©rgänzungSmittel beS „Kloben* unb Doi* 
tettenbrebierS" gebacht, tropbem aber ein unabhängiges, in ftch abge* 
runbeteS ©anzeS, baS auch felbftftänbig feine B&tfgabe zu erfüllen ber* 
mag, nämlich: im Doilettenzimmer ber grau ein praltifcher Kathgeber 
Zu fein. 

Brebier ber Sanbwirthin. Kathgeber für Hausfrauen auf bem 
Sanbe, Deren Döcpter unb Stellbertreterinnen foWie für Solche, benen 
bie gührung einer größeren £anbmirthfchaft obliegt Bon ©hriftiane 
Steinbrecher. Klit 60 DejtiKuftrationen unb einem Ditelbilbe. DiefeS 
gefcpmacfboll auSgeftattete Brebier bietet eine gülle beS 903iffenSwerthen, 
gefchöpft aus ©rfahrungen, bie burch langjährige Sehrthätigleit auf laub* 
wirthfcpaftlichem ©ebiete gewonnen würben. ©S ging aus bem ©unfepe 
herbor, jener großen Blnzapl bon grauen, welche, ohne berufsmäßige 
Borbilbung, bom ©efehief an bie Spipe einer großen £anb* ober ftäbti* 
fchen ©irthfepaft gefteüt werben, eine Blnleitung zu bieten, aus ber 
fiep, Wenn auch nicht gleich BllleS, fo Doch gar KlancpeS lernen läßt. 

Brebier ber häuslichen Delonomie. ©ine HauS* unb 2Birth= 
fchaftSgabe für grauen bom Stanbe. BUS Bfaleitung zur Berbreitung 
häuslichen ©omforts auf ©runblage georbneter Berhältniffe unb ölono* 
mif^er ©effchtspunfte. H^auSgegeben bon ©rna bon Dpirnau. ©in 
HauSwefen mit ©efepief, Umficpt unb Sparfamfeit zu leiten, baß fiep ber 
©atte nirgenbS wopler als in feinen hier Bfäplen füplt, baS HauSwefen 
fo zu füpren, baß fiep Der ©oplftanb ber gamilie mehrt, unb bie Äinber 
fo zu erziehen, baß biefeiben gebeten unb nüplid^e KUtglieber bet 
menfchlicpen ©efetlfchaft werben, Das ift eine äunfi, welcpe gelernt fein 


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Nr. 52. 


9tt $r$*!tmart 


423 


uritt, unb ^tcrju gibt baS „Vreüier ber häuslichen Eefonomie" bic 
befte Anleitung. ES fhtb bie grüßte langjähriger Erfahrung unb Ve* 
obadjjtung, welche bic Verfafferin in biefem Vnepe niebetgelcgt hat. 

Rathgeber für bienenbe SRäbdjen unb grauen. Pra!tifd)er 
©egweifer bei Verrichtung aller bienftlichen Vorfomtmtiffe unb ©efc^äfte 
in VauS, küdfje, Äetter unb ©arten, in ber kinber* unb kranlenftube; 
fotpie Darlegung aller fonftigen !ßflid^ten unb Erforberniffe in Vegug 
auf gute ©itten unb richtiges Benehmen. Unterweifung unb 9la<^^ülfc 
für ©oldje, Welche ftc^ $u einer gefepieften unb gern gefebenen VauS* 
genofftn unb Wienerin auSbilben wollen. Von Velene SRarheim. 
SRit einer Einführung non grau Emma ©uttfe. XaS oorliegenbe Vuch 
Wenbet fub an bie bienenben SJtäbchen unb grauen. Aber eS ift oor 
Allem ein ©efchenfbudj — baS ^eigt, man ertoartet nicht, bafe ein Xienft* 
mäbepen aus eigenen Mitteln baSfelbe laufe; eS ift oielmehr beftimmt, 
tum ber $anb ber Verrin in bie ber Wienerin gefegt ju »erben. ©o ift 
eS auch bie Verrin, bie juerft überzeugt »erben möchte, »elcbe Vorteile 
ibr felbft erwachfen, »enn fie ihrer Wienerin ©elegenheit bietet, fich 
burch bie hier gegebenen Rathfchläge unb Untermeifungen ju belehren. 

Xem Vebürfniffe guter Seetüre, nicht fentimental gewürgt, boeb ebel 
unb oolfsthümlich gehalten, entfpridjt ein neuer 8»eig beS ©pamer’fdjen 
Verlags in ber Verausgabe oon VolfSbüchera. X>ie Xenbeng biefeS 
Unternehmens finbet ihre fefte VafiS auf bem ©emüthSleben unb ber 
VerjenSrichtung unfereS beutfehen Volles. Auf ihr bauen ft(h bann alle 
bie ©djöpjungen auf, mit benen bieSmal bie VerlagShanblung baS 
beutfehe Voll erfreut. ES finb ^anblic^e Vänbchen, b^übfdh auSgeftattet 
unb »eil für geben berechnet, ber an bem fittfich ©chönen ©efatten 
finbet, mäfcig billig geftettt. 

Einer über ober: Ein HRann, ein ©ort. Ergäljlung aus bem 
»irflichen Seben. Von Sub»ig Vabidjt. 9Rit kopfleiften, gnitialen 
unb oier Xonbilbem oon SB. ElaubiuS. 

Steifen im ginftern. Vier abenteuerliche ©efchichten ergäbt für 
Alt unb gung. Von grang Otto, dritter erweiterter Abbrud. SRit 
Xejtilluftrationen, kopfleiften, Xonbilbem ic. 

Aus bem gugenbleben eines VanbwetlerS. Reue SebenS* 
bilber; nach eigenen Erlebniffen niebergefchrieben. Von karl ©eife. 
9Rit kopfleiften, gnitialen, fedjS Xonbilbem nach SB- EfaubiuS. Eine 
lehrreiche ©cpilberung beS bewegten gugenbfebenS karl ©eifeS, ber 
mit häftigen ©trichen unb frohem Vumor ‘feine Erlebniffe angiehettb gu 
jeichnen oerftanben. 

Epfer beS Aberglaubens, grrthumS uub ©ahnS. Er* 
gählungen unb Enthüllungen aus uralter Seit bis in unfere Xage. Von 
E. SRichaeL SRit kopfleiften, Xejtabbilbungen unb brei Xonbilbem. 
Aberglaube, grrthum unb ©ahn haben oon jeher oieleS unb fch»ereS 
Unheil geftiftet unb fich leiber auch bis in unfere Xage, »enn auch be* 
beutenb oerminbert, gleich ©djmaropergebilben fortgepflangt, bafj eine 
Vorführung abfehredenber Veifpiele unb baran getnityfter Erllärungen 
üoHberechtigt erfdjeint 

XaS grofse SooS ober: ©lüdStreffer unb SJtillionäre. 
E. ©eisflog unb V- Sfchoße nachergählt oon g. E. Pb. körbet. SRit 
kopfleiften, gnitialen unb Xitelbilb. Unter obigem Xitel finb einige 
bem Seben entnommene, fpannenbe ©efchichten gefammelt, aus benen ju 
erfehen, »ie SRanche oft einem Xreffet na^jagen, »ühtcnb fte baS befte 
SooS lüngft fchon, unbe»u&t, bei fich tragen. 3Ran fann ber üRotaf biefer 
Erjählungen ben ©ebanlen entnehmen, »ie glücflich 2Ran<her im Vefih 
beSfeiben »etben tönnte, »enn er fich %n ber nötigen Einficht, ©elbft? 
erfenntni^ unb Xb^afi aufjuraffen oermöchte! 

Xe blattbütfche ViSmard Xat iS ViSmarcfS Seben un Xabten, 
mit XöntjeS un SliemelS barto. 9iuutgee»en üan ©i Ilern © ehr ö ber. 
9Rit 40 fine ViHerS Oan V* SüberS. 

XaS Rettungsboot ober: Xie Selben ber Äüfie. Rach bem 
Englifdhen beS R. 5R. Vaßanthne; mit einem Anhänge: ©efen, giele 
«nb Einrichtung ber beutfehen ©efeüjcbaft §ur Rettung ©chiffbrüchiger. 
Von Emil SDEit Oier Vuntbilbem unb in ben Xegt gebrueften 

Abbilbungen. 

Verühmte Reifenbe, ©eograpb'u unb Sönberentbecfer im 
nSun^ehnten gahrhunbert. Von Richarb Eberlünber. RHt ÄOhf^ 
leiften, gnitialen unb Xonbilbem. 


\ 

Offene ^rtefe »nb JUtitnorten. 

Von einem »iffenfehaftlich h®thP^h c uben SRanne erhielten »ir bie 
folgenbe Sufcfjrift; 

Vochgeehrter Verr Rebacteur! 
geh mache mir Hoffnung, bafc ©ie biefen Seilen Aufnahme in Shr 
gefchäbteS Vlatt gönnen, benn ich behanbfe in ihnen nicht nur eine 
öffentliche, fonbern zugleich ghte eigne höuSliche Angelegenheit. ©oUen 
©ie ben guten Rainen ghrer Seitfchrift gewährt fehen? ©oUen ©ie 
etwa leiben, baß biejefbe ©edjentoart genannt wirb? ©enn nicht, bann 
eifern fte gegen bte Unfitte, bte oon ber Vühne her mehr unb mehr oor* 
bringt, in ber AuSfprache, felbft in ber AuSfprache ber getragenen Xc= 
clamation baS ©chlu6=§ burch 4 ober j ju erfeben. geh habe in einer 
VorfteHung beS königlichen ©chaufptelhaufeS füralich in ber Xhat oon 
einem ©^aufpieler fortwährenb %t$tu ftatt gegen fagen hören, ja, ©djlag 
auf ©chlag (— ober nach biefer AuSfprache ,,©d)läd) auf ©djlädj") 
fielen bie »iberwärtigften Verftümmelungen unferer guten ©prache ans 
Ehr beS SuhörerS. ©e4 ftatt ©eg, Sur je unb Viirjer ftatt Vürge 
unb Vürger, fäht ftatt fagt, lieget, beforiht, Reicht, bejer&erdjt, ernieb* 
riiht, „Sicht biefer »urch^ — ift baS Alles nicht ein ©räuel? 

geh »ünfehe mit biefen Seilen bie öffentliche Aufmerffamfeit auf 
biefe Verlehrtheit ju fenlen, bie hier in Verlin ihre ©tätte hat, ja, ge= 
rabeju gelehrt »irb unb eine immer gröfeere, oöllig regellofe AuSbehnung 
gewinnt, ©chon wirb baS g felbft an ©ilbenanfangen ins h oerwanbeit: 
»ie entfeplich Hang eS Oon ber Sippe eines tragifchen SiebhaberS: 
©orchen! beim Abfcpieb oon ber Vraut, ftatt ©orgen! XaS ift eine 
hochgefchraubte, forcirte AuSfprache, bie $u einer ©efchmacflorigfeit, ju 
einer Sacherlichfeit wirb. Unb obenein wenben bie einzelnen ©chaufpieler 
unfrer Vofbühne oerfchieben Weit biefe AuSfprache an! 

geh betrachte jebeS d) an ©teile beS g gefprodjen als eine Eon= 
ceffion an bie Vequemfichleit ober Xeutlichfeit ber AuSfprache. XarauS 
ergeben fich aber bereits bie engen ©rennen ber Anwenbung. Surg ift 
jebenfaHS ebenfo beutlich auSjufprechen wie Snrch, unb bie Umfepung 
inS l bei biefem ©orte nicht einmal ju befürchten, unb obenein liegt 
biefe näher nnb wäre richtiger als bie in baS frernbe $. 


26 Appleton ©treet, Eambribge, SRaff., 
ben 22. Ectober 1879. 

©eehrte Rebactionl 

Xie fehr gelungene ©chilberung wenigftenS einer ©eite beS amert^ 
fanifchen ©tubentenlebenS auf ber Unioerfät Varoarb, welche in ber 
„©egenwart^ (Rr. 38 unb Rr. 39 biefeS gahreS) erfchten, papt eher auf 
bie Suffänbe üor einigen gahreu, als auf bie jepigen. 2Rit bem Amts« 
antritt beS ^räftbenten, b. % RectorS, Eliot, im gahre 1869, fingen 
mächtige Aenberungen an, bie noch nicht ju Enbe Pnb. ES würbe ju 
oiel Seit nehmen, biefe Aenberungen auch uur oberflädhlich su charalterte 
firen, hier fei nur erwähnt, bafc hazing unb Raufereien jwifchen beu 
SRitgliebem oerfchiebener klaffen faft fchon Oöttig unbefannt geworben, 
ja baS „klaffongefühl", jener enge Patriotismus ober ParticulariSmuS, 
ber früher bie ©tubenten beSfelben gapreS jufaramenhielt, jept laum 
mehr eyiftirt. XieS ift eine natürliche golge ber gegenwärtigen Sem* 
freiheit. geber grefhman t)arf, Oerfteht fich uach einer Prüfung im 
©egenftanb, fogleich feine ElectioeS (EurfuS) je nach feiner Vefähtgung 
wählen, eS ftept ipm frei, fich hauptfä<hli<h ber SRathematil, ber Ehemie, 
©riechif^ ic. $u wibmen. gm Vörfaal fleht man heutzutage neben 
einanber SRitglieber gwei, brei ober fogar aller oier klaffen, mährenb 
früher eine fd)arfe ©onberung ber klaffen ftattfanb. 

VochachtungSOoH unb ergebenft 
XPiüiam <Loot, Assistant Professor. 


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424 


Nr. 52. 


9» ii f e t a t e. 


Der neue Catalog der 

Collection Litolff 

ist durch jede Musikalienhandlung gratis 
und franco zu beziehen. 




JH$auiin fmii fit tatftt filmt«. 


Soeben ift erfdjienen unb in allen ©udjs 
banblungen $u haben: 

Xn|ihlif(|c Stationen. 

9?eue Solge ber „9Kobernen Dper" 
oon 

Sßrofeffor @b. $att§U(f in SBien. 
20s t |ail ktr v. Sn ir kn gmiisfillikitiiitn. 
©reis elegant gebunben 6 JL 

Berlin, ©ereil f. Seutföe ßiteratur 

(A. §ofntann). 


Ein kinderloser Volksschullehrer wünscht 
ein Kind } das einer speciellen Erziehung 
bedarf, in Pflege zu nehmen, um demselben 
seine ganze Mussezeit zu widmen. Briefe an 

C. D&nnmeier, Kiel, Gaarden. 


©erlag Don ©ermann Coftenolle in 3emu 

(SteMrijtc 

Don 

*o# Sfittftler. 
dfteite, 

non bew Derfafler felbß fehr vermehrte 
unb neroefferte 3 fofUtge* 

SfUt Porträt. 

©odj eleg. auf <Sl)amoi&hapier gebruett 
brodj. 5 X, in eleg. ©enaiffancebanb mit 
©olbffeitt 7 JC 


3)iefe ©ebnete be« feligen$errn3Jlinifter§ 
Don SRüljler, (gjceUenj, fanben bei ihrem 
e^en ©rfcheinen Dor fahren, al$ berfelbe 
fid) noch nicht in fo ^o^er amtlicher Stel* 
lung befanb, einftimmia Durch bie bamaU 
no4 unjMrteiifche ©reffe ©er Im« nnb ber 
©robinjen eine gan$ oot§ügltche ©eurthei= 
lung unb eine allgemeine Dom ©ublitum 
als bie ®r$eugniffe eine* wahren dichter* 
©di©© güufUg Aufnahme, bet fie auch 
gegenwärtig gernifi finb. 



SRebacteur §. Sttuftrator §c5of}. 

3 » ©Üb itttb SBort: Originell ttitb Jiilant. 


SBtr fönnen nur bann prompte ßiefetungen alter Stummem garantiren, wenn 
ba* Abonnement fpateftens bis jum 1. §amtar erneuert ift. 

JßreiSpro Quartal 2 Statt 25 ißf. bei aßen Sßoftäiutern u. 93udjf)anblgn. 


Pie ’gJerCagö^attdfuttg Jl. <$ofmamt & @o. 

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fortgefü^tt bi« jum galjte 1879. 

«ßretl ll .« 

©erlin, ben 2. J)ecember 1879. 


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jfamilienblatt. 


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Jfret non jebem etnfeittgen politifdjen ober fonfefs 
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Das erfle Quartal ^880' enthält unter Knberem: 

JUetn 0nAti Port Ofuen. Roman mm tan# Hopfen. JKtt 
3fnu|lrationen bon IDoibemar frtebrttft. — Sa| bet »1ef< 
mappc bet jFttunbin. Jäobtfle t>on ernfl UWt&ert — 0ie 
i^cDttppe. <Et 3 ä 5 Iung bon ©tintttfc ^epbei. — fetner: efmr 
.Robeile bon ll. $. jfransof, btitörrm« üSeittige bon ^erng, 
Buöjet/ %. b. epi/ 3bMte, % Ranlle u. b. %. 
3nufbrationtn erften Ranotf nttft «nai^, O. ßtcöttt, AotfpoII, 
Bttbetg, dbtütsntt, ^trpotefftp, ^pangenbetg ic. 

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3“ 5° Pf* öar< b oDt Budjljanblungen unb pogan^alten. 



_Oittj« «tue geilag t Mn bei ©erlagataibb anblnnfl %. «. arotfb««» t« geMnig. 

U«M«U*a, yntta, H.W, »toinrctnjtnufn: 4. gflt bit «ebactisn «et«it»ottIi(b: #r«r| Stift« in anlin. f*ytbttt«n, yrrtin W n «rbien• 6tcabe 4. 

»tui b»n |k 0. |nl«n in 

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