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HANDBUCH
DER
KLASSISCHEN
AnERTüMS-WISSENSCHAZT
in systematischer Darstellung
mit besonderer Rücksicht auf Geschichte und Methodik der einzelnen
Disziplinen.
In Verbindung mit Gymn.-Rektor Dr. Äutenrieth (Nürnberg), Prof. Dr.
Ad. Bauer (Graz), Prof. Dr. Blass (Kiel), Prof. Dr. Brugrmann (Leipzig),
Prof. Dr. Busolt (|üel), Prof. Dr. v. Christ (München), Prof. Dr. Flasch
(Erlangen), Prof. Dr. Gleditsch (Berlin), Prof. Dr. Günther (München),
Prof. Dr. Heerdegren (Erlangen), Oberl. Dr. Hinrichs t (Berlin), Prof.
Dr. Hommel (München), Prof. Dr. Hübner (Berlin), Prof. Dr. Jul. Jung (Prag),
Dr. Knaack (Stettin), Priv.-Doz. Dr Krumbacher (München), Dr. LoIIingr
(Athen), Prof. Dr. Niese (Marburg) Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Nissen
(Bonn), Priv.-Doz. Dr. Öhmichen (München), Prof. Dr. Pöhlmann (Erlangen),
Prof. Dr. 0. Richter (Berlin), Prof. Dr. Schanz (Würzburg), Geh. Oberschulrat
Prof. Dr. Schiller (Giessen), Gynm.-Dir. Schmalz (Tauberbischofsheim), Ober-
lehrer Dr. F. Stengel (Berlin), Professor Dr. Stolz (Innsbruck), Prof. Dr.
üngrer (Würzburg), Geheimrat Dr. v. Urlichs t (Würzburg), Prof. Dr. Moritz
Voigt (Leipzig), Gymn.-Dir. Dr. Volkmann (Jauer), Dr. Weil (Berlin), Prof.
Dr. Windelband (Strassburg), Prof. Dr. Wissowa (Marburg)
herausgegeben von
Dr. Iwan von Müller,
ord. Prof. der klassischen Philologie in Erlangen.
Fünfter Band, 3. Abteilung.
Die griechischen Sakralaltertümer und das Bühnen
wesen der Griechen und Eömer.
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MÜNCHEN.
g. H. BECK'SCHE VERLAGSBÜCHHANDLUNG (OSKAR BECK).
1890.
Die
griechischen SakralaltertQmer
und das
Bülmenwesen der Griecben und Römer,
Bearbeitet
von
Dr. Paul Stengel» ^^„^ Dr. Gustav Oehmiehen,
Oberlehrer ^ITBerliD. Privatdosent an der Universit&t Mänchcu.
it 8 Tafeln
iywU»m»o'*;4iia
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MÜNCHEN.
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG (OSKAR BECK).
1890.
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^ LTBRARY
I OF THE
I LELAND STANFORD JUNIOR
ly ÜNfVERSlTY.
Alle Rechte vorbehnltcn.
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C. U. Bcck'Bche Buchdruckerei in NördliuRcn.
Spezielles Inhaltsverzeichiiis
von Band V,* 3. Abteilung.
Seite
Ä. Die grriechischen Kültusaltertümer von Dr; Paul Stengel.*)
EinleituDg.
Begriff und Quellen der Diszipliu (§1) 3
Geschichte der Disziplin (§2) 4
Allgemeine Charakteristik der griechischen Religion (§ 3) . . . . 6
1. Die Kultusstätten.
Älteste Stätten der Gottesverehrung (§4) 10
a) Altäre 12
ßiofxog (§5) 12
iaxnqa (§6) 14
kaxla (§7) 15
b) Tempelbezirke und TempelgQter.
xifXBvog Bedeutung, Heiligkeit, Grösse; Benutzung der TempelgQter (§ 8) 15
c) Tempel.
Wo man Tempel zu erbauen pflegte (§9) 17
Einrichtung und Grösse der Tempel (§10) 18
Kultbilder (§10) 21
Zweck und Bedeutung der Tempel (§11) 21
Staatsschatz und Weihgeschenke in Tempeln aufbewahrt (§12) . 22
Asyle (§13) 22
2. Kultusbeamte,
a) Priester.
Kein eigentlicher Priesterstand (§14) 24
Beaufsichtigung durch den Staat (§15) 24
Obliegenheiten und Pflichten der Priester (§16) 25
Rechte und Bedeutung der Priester (§17) 26
Anzahl der Priester (§18) 26
Alter der Priester (§19) 27
Besondere Anforderungen und Vorschriften (§20) 27
Ansehen und Auszeichnungen der Priester (§21) 28
Einkünfte der Priester (§22) 28
Besetzung der Priesterstellen.
Erbliche Priestertümer (§23) 31
Wahl durchs Volk (§24) 32
Wahl durchs Los (§ 25) 32
Kauf von Priesterstellen (§26) 32
Priest^rtitel (§27) 33
Priestertracht (§28) 33
b; Gehilfen und Diener der Priester.
UqonoLoif inifiijyioif xrJQvxeg, naqdaixoi, (§29) 34
*) Die vorliegende Abhandlung lag bereits Im Okiober 1889 im Druck abgeschlossen vor.
Der Ycrfiuscr.
VI Spezielles InhaltsTerzeichnis von Band V, 8« Abteilung.
Seite
Uqo(pvXaxBg, t^dxo^m, vnoCdxo^ot (§ 30) 35
UQorafAiat (§31) 36
Tempelsklaven (§32) 36
Extraordinär mit gottesdienstlichen Funktionen betraute Personen (§ 33) 37
c) Seher und Weissager.
€c) Die Mantik.
Wesen und Bedeutung der Mantik (§34) 37
Zufällige Zeichen. xXtjdoyeg, (fnjf^aiy xiqtcta (§ 35) . . . . 38
Andere Zeichen (§36) 39
Träume (§37) 39
Vogelschau (§38) 40
Nicht zufällige Zeichen (§39) 42
Hieroskopie (§40) 42
agidyirct. Besondere Arten der Hieroskopie (§ 41) .... 43
Würfelorakel und Verwandtes (§42) 45
fidvTBig, j|f^}7<r^oAd^oe und Sibyllen (§ 43) 45
ß) Die Orakel.
Zeichenorakel. Dodona (§ 44) 47
Orakel des Zeus Ammon (§ 45) 48
Zeusorakel in Olympia (§46) 49
Weissageorakel. Bedeutung Apollons als Orakelgott. Delphoi. Die
Pythia. Einfluss des Orakels (§47) 49
Andere Orakel (§48) 53
Fragen, die man den Orakeln vorlegte (§49) 53
Traumorakel, des Asklepios, des Amphiaraos in Oropoe (§ 50) . 54
b. Kultushandlungen.
a) Das Gebet (§52) 57
Hymnen (§53) 58
b) Der Fluch (§54) 59
c) Der Eid (§ 55) 60
Beschwörungen und Zauberei (§56) 62
d) Die Weihgeschenke.
Geweihte Gegenstände (§57) 63
Heilige Herden und Tiere (§58) 66
Menschen geweiht (§59) (jQ
e) Die Opfer.
Bedeutung der Opfer. Homerische Zeit Verbrennen. Heiligkeit des
Feuers (§60) 67
Unblutige Opfer: Backwerk, Früchte, Käse, Weihrauch (§61) . 68
änvqa (§62) 71
Spenden (§63) 72
Blutige Opfer. Zu Hause geschlachtete Tiere und Opfer von Privat-
leuten (§64) 73
Öffentliche Fest-, Dank- und Bittopfer (§65) 74
Ausführung eines Speiseopfers (%(i^) 76
Verwendung des Opferfleisches. Massenopfer. Beteiligung am Opfer (§ 67) 80
Beschaffenheit der Opfertiere (§68) 83
Opferbare Tiere. Von verschiedenen Göttern verschiedene bevorzugt.
Wild und Fische nicht geopfert (§69) 83
&co^ivia (§70) 85
Opfer für chthonische Gottbeiten (§71) 85
Sühn- oder Bussopfer. Ihre Bedeutung (§ 72) 87
Menschenopfer (§73) 88
Ersatz für frühere Menschenopfer (§74) . 91
Andere Sühnopfer und ihre Eigentümlichkeiten (§ 75) .... 92
Opfer für Meeres- und Flussgottheiten (§76) 94
Eidopfer (§77) .... 94
Spesielles InhaltsTerzeichnia von Band V, 8. Abteilang. YH
Seite
Heroenopfer. Entstehung und Bedeutung des Heroenkultus (§ 78 a) . 9G
Totenkultus und Totenopfer (§ 78 b) 99
Zu welcher Tageszeit die Opfer dargebracht wurden (§ 79) . . . 101
Farbe der Opfertiere (§80) 102
Geschlecht der Opfertiere (§81) 103
Alter der Opfertiere (§82) 105
f. Keinigungen und Sühnungen.
Homerische Zeit. Mordreinigungen (§83) 106
Reinigungen eines ganzen Volkes. Epimenides (§ 84) .... 108
Lustrationsgebrftuche und Ceremonien (§ 85) 110
Wodurch man sich eine Befleckung zuzog (§ 86) 112
d-eoi xtt&ägaioi und dnotgonaioi (§ 87) 113
Woher die Sitte der Reinigungen entlehnt ist (§88) . . . 114
Die Orphiker (§89) 114
g) Die Mysterien.
Eleusinische Mysterien.
Geschlechterkulte. Eleusinische Religion und ihre Aufnahme in den atheni-
schen Staatskultus (§90) 115
Bedeutung der Mysterien und Inhalt der eleusinischen Ofifenbarungen (§91) 118
Eleusinische Kultusbeamte (§92) 121
Aufnahme in die Mysterien (§93) 122
Die kleinen Mysterien (§94) 122
Die grossen Eleusinien. dQtofAeya, XeyofAeytt, dytovsg (§ 95) . . . 123
Filialen des eleusinischen Mysteriendienstes (§ 96) . . . 125
Die samothrakischen Mysterien. Eabiren (§97) 126
Geschlossene Kultgenossenschaften, igayoi, ^iaaoir, oqyBtovH (§ 98) . 127
Kultuszeiten.
a) National feste.
Einfnhrung der Feste (§99) 129
Bedeutung der Wettkämpfe.
of) Die olympischen Spiele (§ 100) 129
Gottesfriede. Einladung zum Fest. Einführung der verschiedenen
Kämpfe (§ 101) 131
Olympia (§ 102) 132
Die mit der Leitung des Gottesdienstes und der Spiele betrauten Be-
amten (§ 103) 133
Fünftägige Festfeier in Olympia. Wettkämpfe der Knaben. Gymni-
sche Agone der Männer (§ 104) 134
Hippische Agone (§ 105) 137
Pentathlon, Ephedrie, Waffenwettlauf (§ 106) 140
Abschluss des Festes. Ehren der Sieger (§ 107) .... 142
Gelehrte und Künstler in Olympia. Keine verheirateten Frauen (§ 108) 144
ß) Die pythischen Spiele (§ 109) 145
y) Die isthmischen Spiele (§110) 147
(f) Die nemeischen Spiele (§111) 148
b) Die Feste der einzelnen Staaten.
Verschiedenheit der Zeitrechnung. Monatsnamen. Wichtigkeit der Feste
(§112) 149
a) Athenische Feste.
Hekatombaion : Kronien, Synoikien, kleine und grosse Panathenaien
(§113) 151
Metageitnion (§114) 155
Boedromion: Nekysia, grosse Eleusinien (§115) . . . . 156
Pyanopsion : Pyanopsien, Oschophorien, Theseen, Thesmophorien, Apa-
turien, Chalkeen (§116) • . 157
Maimakterion (§117) 161
Poseideon: Haloen, ländliche Dionysien (§118) . . . . 161
VIII Spesielles InhaltsTerseichnis von Band Y, 8. Abteilnng.
Seite
Gamelion: Lenaien, Gamelien (§119) 162
Antbesterion : Anthesterien, kleine Mysterien (§ 120) . . 163
Elaphebolion : Elaphebolien, grosse Dionysien (§ 121) . 166
Munichion: Delphinien, Munichien, Olympieen (§ 122) 167
Thargelion: Thargelien, Bendideen, Kallynterien und Plynterien (§ 123) 168
Skirophorion: Skiropborien, Arrhephorien, Dipolien (§ 124) . 170
Andere Feste: Brauronien, Proerosien u. s. w. (§125) . . 172
ß) Feste anderer Staaten.
Peloponnesiscbe Feste. Karneen (§126) 173
Feste in Theben, Plataiai, Delphoi, Dolos, Rhodos u. s. w. Heroen-
feste (§ 127) 175
Yerzeichnis der Abbildungen zu den Knltnsaltertflniern«
Tafd L
Fig. 1. OpferaoeDe nsd Altar. Bracbstficke einer rotflg. Yaae des British Mtueum. Nach Journal of Hei-
lenic Btndies IX 1.
Flg. 2. Adoranten, ein Opferachwein führend. Belief im Museum zu Theben. Nach Mitt des D. Arch . Inst.
zu Athen IV 1879 Taf. 16.
Fig. S. Opferscene von einer rf. Vase ans dem Louvre. Nach Daremberg et Saglio Dict. 8. 1584 n. 8115.
Fig. 4. Opferzug von einer sf. boiotischen Vase des Brit. Museum. Nach Joum. of Hell. Btud. Fol. T^ YII.
Fig. 5. Opferscene von einer rf. Vase. Altar aus Feldsteinen. Nach Yases Lamberg Paris 1813 I 23.
Fig. 6a. Altar mit Dionysosherme von der Schale des Hieron Berlin n. 2290. Nach Wiener Yorjegeblitter
Serie A Taf. lY. Benndorf 1879.
Fig. 6b. Altar mit Palme und Dreifuss daneben. Yon der Troilosschale des Euphronios. Nach Wiener Yorlege-
bl&tter Serie Y Tat 6, Ck>nze 1871.
Tafel IL
Fig. 1. Tempel des Apollon Didymaios bei Milet. Nach den „Antiquities of Jonia**
(herausgegeben von der QeseUschaft der Dilettant!) gez. von Kettner.
Fig. 2. Zeustempel in Olympia. Nach Abel Bleuet, BÖtticher und Curtius gez. von
Th. Böhm.
Fig. 8. Parthenon. Nach Penrose, BÖtticher, Stuart und Falkenberg gez. von
Schulze.
Alle drei im Maasstabe von 1 : 400.
Fig. 4. Grundriss des Parthenon nach W. Dörpfeld in den Mitt. des D. Arch. Inst, zu Athen YI 1881 Taf. XII.
Denbm&Ier der Baukunst
herausgeg. von den
) Studierenden der Sgl.
Technischen Hochschule
Berlin, Liet I.
Tafel III .
Fig. 1. WeihgMchenk des Nearchos von der Akropolis zu Athen. Werk des Antenor. Nach Btudniczka im
Jahrb. d. D. Arch. Inst. U 1887 8. 141.
Flg. 2. Kanephore aus Paestum. Bronzestatuette im Berliner Mus. mit Weihinschrift an Athena. Na<di Arch.
Ztg. 1880 Tat 6.
Flg. 8. Dreifuss nach dem Siege von Plataiai in Delphoi aufgestellt. Nach der Bekonstruktion von P. Graef
bei Fabricius Jahrb. des D. Arch. Inst. I 8. 189.
Fig. 4. Geweihte Lanzenspitae im British Museum. Nach Joum. of Hell. 8tud. Fol. Tat XL
Fig. 5. Zwei Augen. Yotivrelief an Zeus Hypsistos, Berlin n. 720. Nach dem Original gezeichnet.
Tafel IV.
Fig. 1. Betende. Nach einer Münze des Berliner Kabinets gezeichnet (auch im Jahrb. desD. Arch. Inst I 1886
a 12).
Fig. 2. Betender. Innenbild einer Trinkschale im Brit. Museum. Nach Jahrb. des D. Arch. Inst. 18. 12.
Fig. 8. Mystenweihe. Beliefdaratellung auf einer Aschenume im staatlichen Mus. in Bom. Nach Bullettino
deUa comm. archeol. com. 1879.
Tafel V.
Fig. Waflienwettlauf von einer 8chale des Berliner Mus. n. 2307. Nach Jahrb. des D. Arch. Inst. II 8. 105.
Fig. 2. Springer mit Halteren. Yon einer rt Panaitiosschale der Sammlung Bourguignon in Neapel. Nach
Arch. Ztg. 1884 Tat 16.
Fig. 8a. Speerwuif, Sprung, Diskoswurf. Yon einem panathen. Preisgefiss des Museums in Leiden. Nach Arch.
Ztg. 1881 Tkf. 9.
Flg. 8b. Diskoswexfer. Yon einem Krater aus <3apua im Berliner Museum. Nach Arch. Ztg. 1879 Tat 4.
Flg. 4. Faustkimpfer. Yon der Durisschale Berlin 2284. Nach Arch. Ztg. 1883 Tat 2.
Hg, fit. Bamendo Ylergeapanne. Yon der Durisschale Berlin 2288. Nach Arch. Ztg. 1883 Taf. 1.
Ilf. eik BlB^kinpfor. Yon einer rf. Yase des Berliner Museums n. 2158. Nach Gerhard Trinkschalen und Ge-
TUL20.
Von der Durisschale Berlin 2288. Nach Arch. Ztg. 1883 Tat 2.
•Wvttitaiif. Mosaik in der YUla AlbanL Nach Gerhard Antike Bildwerke Taf. 68, 1.
Spezielles InhaltsverzeiolmiB von Band V, 8. Abteilnng. IX
Reite
B. Das Bühnenwesen der Griechen und Römer
von Dr. Gustav Oehmichen.
1. Einleitung.
BOhnenspiele (§1) 181
Alte Bühnenspiele (§2) 181
Perioden in Athen (§3) 182
Perioden in Rom (§4) 183
Alte Bühnenkunde (§5) 183
Neuere Forschung (§6) 183
Quellen im allgemeinen (§7) . 184
Dramen (§8) 185
Urkunden (§9) 186
Alte Forschung (§10) 187
Theatergebäude (§11) 188
Marken (§12) 189
Bildwerke (§13) 189
2. Die staatlich -gesellschaftlichen Grundlagen der attischen
BQhnenspiele.
A. Einrichtung im allgemeinen.
Veranlassung, Arten (§14) 191
Festzeit (§15) 191
Festort (§16) 192
Festordnung: Grosse Dionysien (§17) 192
Festordnung: Lenäen, kleine Dionysien (§18) 194
B. Persönliche Verhältnisse.
Archen (§19) 195
Choreg (§20) 196
Agonothet (§21) 199
Dichter-Didaskalos (§22) 200
Schauspieler (§23) 203
Übrige Darsteller (§24) 205
Die dionysischen Künstler (§25) 205
Preisrichter (§26) 206
Zuschauer (§27) 207
C. Sonstiges.
Besorgung der Mittel (§28) 209
Kosten (§29) 211
Rechtsschutz (§30) 211
3. Die staatlich-gesellschaftlichen Grundlagen der römischen
Bühnenspiele.
A. Im allgemeinen.
Veranlassung, Arten (§31) 212
Festzeiten (§32) 213
Festori; (§33) . . 214
Festordnung (§34) 215
B. Persönliche Verhältnisse.
Festleiter (§35) 216
Spieluntemehmer (§ 36) 217
Dichter (37) 217
Darsteller (§38) 218
Zuschauer (§39) 219
G. Sonstiges.
Besorgung der Mittel (§40) 221
Kosten (§41) 222
4. Die äusseren Mittel der Darstellung.
A. Theatergebäude.
BegriflF (§42) 222
Speelellu InhaltsveraeiobniB von Band T, S. AbteilnuK.
Teile. Arten (§43)
Gnindmasa, Gnindfigiir (§U) 226
Grundriss des griechUchen Tbeatere (§45) 228
Grandriaa des römischen Tbeatera (§46) . 230
Baupiste (§47) 232
Zuschaueiring {§ 48) 233
Orchestrnrauiii (§ 49) 235
Bühnengebäude (§50) 23Ö
Akustik (S 51) 238
SchntzTomch hingen (§52) 23SJ
B. Ausstattang der Küame.
Im allgemeinen (S S3) 239
Thyraelo (§54) '.!!*. 242
BOhneDtnasctiinerie {§ 55) 243
BühneDschmuck, Vorhang (§56) 244
Obermaschinerie (§57) 24(J
Untermasohinerie (§58) 248
C. AoBstattUDg der Daratellor.
Im allgemeinen (§59) 248
Masken {§(10) 251
Fnaabekleidung (§61) . 253
Ttagisohe GewBnder (§ 62) . . . . ' ^ ] | ] [ 254
GewBnder im Satyrepiel (§63) ' 257
Gewänder der Komödie (§64) .' .' , 258
Kopfbedeckung, Abzeichen (§ 05) 260
Flöte (§ 66) '.'.'.'.'.'.'. 262
. Die Daretellung.
A. Begleitende Umslfiode.
Auswahl, Bearbeitung der Stücke (§ 67) 263
Einübung (§68) 264
Anklindigimc (§69) .... 265
Vorfeier (§70) 2(i(i
Einleitung des Wettkampfes (§71) 267
Preiskröniing, Siegesfeier (§72) 268
Verhalten der Zuschauer (§73) ! 271
ß, Foraion der Daretellung,
Die Teile des Vortrags (§74) 272
Griechiscber Chor im allgemeinen (§ 75) . . . , 274
Vortrag der Parabase (§76) 277
Vortrag der Staaima (§771 ! ! ! ! . 278
Epeisodischer Zwischen Vortrag (§78) 279
Chor im gemischten Vortrag (§79) 281
Einzug. Auszug (§80) 282
Der rümische Chor {§ 81) , . 285
Vortrag der Schauspieler (§82) ! ! ! ! 285
Musikbegleitimg (§83) '. ! ! ! 288
Ooberdensprache (§84) ' 289
Marsch, Tanz (§85) ....!!!'!' 292
Mündlicher Tortrag (% SS) ....',,.[ \ . 29b
C. Die darstellenden Künste.
Im allgemeinen (§87) 296
Kunst der Ausstattung (§88) ' .' 297
Begleitende Tonkunst (§ 89) . , . . | i . i ' ' 299
Kunst der Chorenten (§90) 299
Griechische Schauspielkunst (§91) . . 299
Ibimlscfae Schauspielkunst (§92) ! ! . 302
Spezielles InhaltsyerzeichniB von Band V, 8. Abteilnng. XI
Yeneiehnls der Abbildnngeii zum Bfihnenwesen der Griechen und Rdmer.
Tafel L
Flg. 1. TtaeAter zu Epidauros. (Qrandrira)
Fig. 2» (links) nnd Fig. 2b (rechts) AufHm und Durchschnitt des Böhnengcbäudes in Orange. Vgl. Titfol n.
(Fig. 2a in der Bichtang der Achse des Theatera, Linie EF in Fig. S ; Fig. 2b in der Richtung der
Orchestraeinginge, Linie CD in Fig 3.)
Tafel IL
Fig. 3—6. Grundrisse des Bühnengeb&ndes in Orange (Fig. 8 u. 6, nach und vor der Aufdeckung, im angegebeneu
Maasstabe, Fig. 4 u. 5, für den 8. Stock nnd darüber, in der Hälfte des üasastabes).
Tafel IIL
Fig. 7. Tragischer Schauspieler (Elfenbeinatatuette.)
KB. Fig. l nach den Praktika der athenischen archäologischen Gesellschaft vom J. 1888, Fig. 7 nach
Monumenti d. Inst XI 18, alles übrige nach CARI8TIE (s. zu § 11).
Nachträge und Berichtigungen
zu den griechischen Kultusaltertüniern.
S. 10 Anm. 6 lies 27 statt 35.
S. 15, 20, 125, 126 1. Eabiren st. Kabeiren
S. 38 Z. 17 1. erfordert st. erfordern.
S. 63 Amu. 6 1. Hdb. IV st. V.
S. 77 Anm. 11 Z. 4 1. Abbildung st. Abbildungen.
S. 77 Anm 13 und S. 82 Anm. 7 1. ort ovSk C. ^. st. oVrow C. i.
S. 79 Anm. 13 1. IvdQaxa st. IvdaQxa.
S. 82 Anm. 13 1. Anm. 14 statt eben.
S. 90 letzte Z. Text: 1. Targelien st Thargelien.
S. 93 Z. 18—19 tilge die Worte: wenn - will
S. 97 ZI. 11 von unten 1. 8) st. 7).
S. 102 Z. 5 von unten 1. 19) st 10).
S. 111 Anm. 6 l. nvQ st. nvg,
S. 120, 123, 124 1. lacchos st Jacchos.
S. 122 Z. 16 1. Relief einer Aschenume st. Vasenbilde.
S. 135 Z. 24 1. deshalb st. dcsshalb.
S. 167 Anm. 15 hinzuzufügen: Busolt Jahrb. f. Phil. 1887 S. 33 ff.
S. 173 Anm. 14 Z. 3 1. 36 st 33.
Berichtigimgen zum Bahnenwesen S. 304.
A.
Die griechischen KultusaltertOmer
von
Dr. Paul Stengel,
Oborlclircr am kp^l. Joaclilmstlialachcn GymnaniiiDi zu Berlin.
Handbuch der kUaa. AltertimawiflaenBcliafl. V. 3. Abtlg. 1
Inhalt.
EinleituDg.
1. Kultuaetätten.
2. Kultusbeamtc.
8. KaltnBhandluDgcn.
4. KultOBzeiten.
Einleitung.
a. Begriff, Quellen und Geschichte der Disziplin.
I. Wenn „die Reproduktion des klassischen Altertums durch Erkenntnis
und Anschauung seiner wesentlichen Äusserungen" (Ritschl Opusc. V S. 7)
Aufgabe der Philologie im weitesten Sinne des Wortes ist, so fallt es den
Kultusaltertümern zu, die Äusserungen des religiösen Lebens, die Gottes-
dienste und die sakralen Institutionen darzustellen. Wie jedes Gebiet der
Altertumswissenschaft berührt sich auch dieses vielfach mit verwandten, —
mancher religiöse Brauch wird nur aus den Eigentümlichkeiten des Privat-
lebens, manche heilige Satzung nur aus den Einrichtungen des Staatswesens
verständlich, — ja es ist von der Mythologie, d. h. der Religionskunde,
eigentlich nicht zu trennen. Ist Kultus und Gottesverehrung der Zweig
gewesen, auf welchem die schönste Blüte an dem unvergleichlichen Baum
hellenischen Lebens erwachsen ist: Poesie und Kunst, so war die treibende
Kraft doch die Religion selbst. Gottesdienst und alle Formen und Arten
seiner Bethätigung sind ohne Leben und ohne Seele, vergegenwärtigt man
sich nicht jeden Augenblick auch den Glauben und das Empfinden des
Volkes, das sie geschaffen und geübt hat. So wird eine kurze Charakteristik
der griechischen Religion auch die Kultusaltertümer einleiten müssen. Ist
es darnach unumgänglich, teilweise in das nächstliegende Gebiet überzu-
greifen, so ist andrerseits eine Beschränkung auf dem eigensten durch die
Verhältnisse geboten: wir haben nur von Attika und einigen Brennpunkten
des religiösen Lebens der Hellenen, wie Delphoi oder Olympia, so aus-
führliche Nachrichten, dass wir uns ein Bild von den Gottesdiensten machen
können; von den meisten Staaten und Städten wissen wir so wenig, dass
ich auch abgesehen von der Zersplitterung des Stoffes und von Wieder-
holungen, die dann unvermeidlich geworden wären, auf eine zusammen-
hängende und geschlossene Darstellung ihres Kultus verzichten und mich damit
begnügen musste, besondere Eigentümlichkeiten gelegentlich hervorzuheben.
Hoffentlich ermöglichen es fortgesetzte Inschriftenfunde künftig einmal, auch
an dieses Unternehmen erfolgreich heranzutreten. An Vorarbeiten fehlt es
schon heute nicht mehr.
Die Quellen, aus denen wir unsere Kenntnis schöpfen, sind die
Litteratur und die Monumente, also: die Werke der Schriftsteller, die In-
4 A. Die griechisohen Enltnaaltertümer.
Schriften, bildliche Darstellungen aus dem Altertum und Überreste von
Bauwerken. Die letztern sind erst in neuester Zeit reichlich erschlossen
worden, und Dank dem Wetteifer der civilisierten Nationen, die immer
genauer die alten Stätten durchforschen und den die Schätze bedeckenden
Schutt forträumen, fliessen sie immer ergiebiger. Namentlich durch die
Inschriften, von denen ein sehr grosser Teil sakrale Bestimmungen enthält,
ist unsere Kenntnis erheblich gefördert worden. — Von den Schriften der
Alten, welche Teile der Kultusaltertümer behandelten, wie Istros, Polemon
u. a., sind uns nur Fragmente geblieben, wie andere antiquarische Notizen
in den Scholien, Lexicis, bei Athenaios und späteren Autoren erhalten.
Besonders wichtig ist Pausanias, der im einzelnen zwar nicht immer zu-
verlässig, doch eine dankenswerte Fülle von Details aus dem ganzen
Oriechenland zusammenträgt.
Über die Sammlung der Inschriften Hinrichs im Hdb. I, S. 342 flF.
Die übrigen monumentalen Quellen sind für die Kultusaltertümer grössten-
teils dieselben wie für die Privataltertümer. Ich füge daher den Hdb. IV
S. 337 von Iw. Müller genannten Werken, von denen inzwischen Bau-
meister's Denkmäler vollendet, Daremberg's Lexikon um ein weniges ver-
mehrt worden ist (bis Buchstab D), nur den Hinweis zu auf die 43 Jahr-
gänge der Archäologischen Zeitung und das seit 1886 an ihre Stelle ge-
tretene Jahrbuch des K. Deutschen Instituts, die Mitteilungen der Athe-
nischen Abteilung, die Eplicnieris archaiohgike und das von den Franzosen
herausgegebene JBulUtin de correspondance hellenique.
2. Die neuere Litteratur reicht in ihren Anfangen bis auf die
grossen französischen Gelehrten des 16. Jahrhunderts zurück. „Sie strebten
zu einer allseitigen stofflichen Erkenntnis des Altertums auf der Basis
lebendiger Sprachkenntnis hin. Aber die Bartholomäusnacht brachte wie
der Frost einer Mainacht der zarten Blüte vorzeitiges Welken; und die
Polyhistorie, die aus ihren Anregungen erwuchs, war der Gegensatz zu der
Konzentration, die allein zur Grundlegung einer Wissenschaft führen konnte"
(üsener, Philologie und Geschichtswissenschaft, Bonn 1882 S. 6). Unt^r
den Gelehrten des 17. Jahrhunderts, die sich durch Sammelfleiss aus-
zeichneten, dabei aber völlig unkritisch verfuhren, ist vor allem Joh.
Meürsius zu nennen (1579—1639), dessen zahlreiche Monographien am
Ende des Jahrhunderts in den von Jac. Gronov herausgegebenen Thesaurus
antiquitatum graecarum aufgenommen wurden, nach ihm J. Ph. Pfeiffer
und John Potter (die genaueren Angaben über ihre Werke bei Busolt,
Hdb. IV S. 8 f.), und für die Kultusaltertümer besonders wichtig J. G.
Lakemacher, der Verfasser der Antiquitates Graccae (Helmstedt 1734).
Dann wies Bentley der Philologie neue Bahnen, doch zog die Altertums-
wissenschaft, soweit sie sich die Erkenntnis antiken Lebens zur Aufgabe
stellte, nur indirekten Nutzen aus den lediglich die Kritik fördernden, ja
schaffenden Arbeiten des grossen Mannes und der in seinem Geist Fort-
wirkenden. Den realen Gehalt der antiken Litteratur zuerst lebendig er-
fasst und in farbigen Bildern zur Anschauung gebracht zu haben, ist das
Verdienst der Gelehrten der Pariser Akademie des Inscripfions et Beiles-
Lettres, Barthelemy's Voyage du jeunc AnacJiarsis (Paris 1788) atmete
Einleitang. (§ 2.) 5
einen neuen Geist und erschloss den Gebildeten, was die Gelehrten bis
dahin anderen und durch ihre den Blick beengende Einseitigkeit trotz aller
Vielwisserei auch sich selber verschlossen hatten, und Ste-Croix* Histoire
de la religion secrete des anciens peuples (Paris 1774) und Recherches sur
les mysteres du paganlsme (1784) erhoben sich ebenfalls weit über die
Leistungen der Vorgänger. Im nächsten Jahrhundert übernahm Deutsch-
land die Führung. Fr. Aug. Wolf's grosser Schüler A. Boeckh verschaffte,
nicht ohne heftigen Widerspruch zu finden, der Altertumswissenschaft in
dem vorher bezeichneten Sinn die gebührende Stellung. Seine Staatshaus-
haltung der Athener (zuerst 1817. 2 Bde., 2. Aufl. 1851, 3. Aufl. bes. von
M. Fränkel 1886), die Sammlung der griechischen Inschriften und zahl-
reiche andere Arbeiten auf dem Gebiet der griechischen Antiquitäten machten
Epoche. Daneben behaupten W. Wachsmuth's Hellenische Altertumskunde
(Halle 1826—30. 4 Bde., 2. Aufl. 1846. 2 Bde.) und auch des Holländers
VAN Limboürg-Brouwer Histoire de la civilisation morale et religieuse des
Grecs (Groningen 1832—42. 8 Bde.) einen ehrenvollen Platz. Weit über-
treffen aber wurde alles, was bisher auf dem speziellen Gebiet der Sakral-
altertümer geleistet war, durch Chr. Aug. Lobeck*s Aglaox)hamus sive de
theologiae mysticae Graecorum causis (Königsberg 1829. 2 Bde.). Doch
fehlte es noch immer an einem die »gottesdienstlichen Altertümer" zu-
sammenfassenden, auf der Höhe der wissenschaftlichen Forschung stehenden
Lehrbuch. Ein solches herzustellen unternahm Karl Friedrich Hermann,
der in dem ersten Bande des die gesamten griechischen Antiquitäten um-
fassenden Werkes die Staatsaltertümer bereits (1831) herausgegeben hatte.
Sein Buch erschien 1846 (2. Aufl., nicht wesentlich verbessert, von B. Stark,
Heidelberg 1858). Es ist noch heute wegen der zahlreichen Litteratur-
angaben unentbehrlich, und bequem zu benutzen, weil die Hauptstellen
der Schriftsteller stets ausgeschrieben sind. Die Kritik lässt zu wünschen
übrig, das homerische Zeitalter ist sehr dürftig behandelt. Nach ihm hat
G. F. Schoemann seine „griechischen Altertümer" geschrieben (2 Bde.,
1. Aufl. Beriin 1855, 3. 1871, Bd. H 1873). Der zweite Band (S. 126—600)
enthält „das Religionswesen" mit Ausschluss oder doch nur nebensächlicher
Berücksichtigung der homerischen Zeit, die am Anfang des ersten Bandes
besonders behandelt ist. Es ist dies die vorzüglichste systematische Dar-
stellung der Kultusaltertümer, die wir besitzen, „das Muster einer im besten
Sinne populären Darstellung" (Lipsius in Bursian's Jahresbericht I 2, 1873
S. 1335). Seit dem Erscheinen dieses Buches haben die Inschriften viel
neues Material zugeführt, und manche treffliche Monographie hat es ver-
wertet, die Ausgrabungen haben vieles in ein anderes Licht gestellt, kurz
des Neuen ist so viel dazugekommen, dass eine Neubearbeitung des Stoffes
wenn noch nicht dringendes Bedürfnis, so doch eine lohnende Aufgabe zu
sein scheint. Als vor nunmehr zwei Jahren der verehrte Herausgeber des
Handbuchs mich ersuchte, die Bearbeitung der griechischen Kultusalter-
tümer zu übernehmen, entschloss ich mich dazu nicht ohne schwere Be-
denken. Grosse Teile des Gebiets, das ich in Angriff nehmen sollte, hatte
ich bisher nur gestreift, selbständig gearbeitet nur auf einem verhältnis-
mässig kleinen Räume. Die mir gestattete Frist war kurz, und ich wusste.
6 A. Die griechischen Eoltnsaltertttmer.
dass die Stunden, die ich zu dieser Arbeit erübrigen müsste, mir nicht
reichlich zugemessen sein würden. Und das Wichtigste: W. Dittenberger
bereitete die neue Ausgabe der HERMANN*schen Gottesdienstlichen Alter-
tümer vor — war meine Arbeit da notwendig? Nach meiner Überzeugung
ist keiner unter den Lebenden so mit allem Rüstzeug für das Werk ver-
sehen, wie Dittenberger, und mehr als eine Abhandlung der letzten Jahre
hatte gezeigt, wie tief fundiert seine Studien, wie gross seine Beherrschung
des Stoffes war. Doch ich wollte und sollte mich ja auch mit ihm nicht
messen, und enthalten musste das Handbuch die Kultusaltertümer doch
unter allen Umständen. So bin ich denn der ehrenvollen Aufforderung
des Herrn Herausgebers gefolgt. Niemand wünscht mehr als ich, dass
Dittenberger's Buch recht bald erscheinen und neue Kenntnis ver-
breiten möge.
Litteratur: Ausser den bereits genannten Werken: Stviir, Die Beligionssystemo
der Hellenen u s. w., Berlin 1838, Chr. Pcttebsen, Religion der Griechen in Krsch und
Grubbr's Encyklop., Bd. 82, Leipzig 1864. Rinck, Religion der Hellenen, Zürich 1854,
2 Bde. VON Lasaulx, Akademische Abhandlgg., Würzburg 1844. Georg Grote, (^ riech.
Mythologie und Antiquitäten, aus der griech. Geschichte übers, von Th. Fischer, Leipzig
1856, Bd. 1. L. Preller, Griech. Mythologie, 3. Aufl. von Plew, Berlin 1872, 2 Bde.
Von der 4. Aufl., besorgt von C. Robert, ist 1887 die erste Hälfte des ersten Bandes
erschienen (für die Altertümer besonders durch grössere Berücksichtigung der Heortologio
und stärkere Betonung der Verschiedenheit der Lokalkulte wichtig und fördernd). M. Duncker,
Geschichte des Altertums, Bd. HI. Naeoelsbach, Homerische Theologie, 2. Aufl. von
AuTENRiETH, Nürnberg 1861, Nachhumer. Theologie, Nürnberg 1857. E. Guhl und W.
KoNER, Das Leben der Griechen und Römer nach antiken Bildwerken, 5. Aufl., Berlin 1882.
b. AUgremeine Charakteristik der griechischen Religion.
3. Es ist bis jetzt ein ebenso vergebliches Bemühen gewesen, die An-
fänge der griechischen Religion bis in eine weit hinter Homer zurückliegende
Vergangenheit zu verfolgen, wie ihren Ursprung bei entlegenen Völkern
aufzufinden, und die vergleichende Mythologie, die diesen Zielen vor-
zugsweise nachgeht, hat gesicherte Resultate, welche das Verständnis der
Religion der Hellenen wesentlich förderten, kaum noch gewonnen. *) Augen-
scheinlich ist in der stets fluktuierenden, sich stets mit andern Elementen
versetzenden und neu bildenden Sage viel weniger vom alten gemeinsamen
Stammbesitz übrig geblieben, als in der Sprache, wo die auseinandergehen-
den Völker doch einen festeren Kern, gleichsam etwas Substanzielles, mit-
nahmen, was schon seiner Natur nach widerstandsfähiger und wohl auch
bereits ausgebildeter, Veränderungen und Neugestaltungen weniger ausge-
setzt war. Aber auch wirkliche Übereinstimmung der Vorstellungen und
Sagen verschiedener Völker beweist nicht, dass eines sie vom andern ent-
lehnt hat: „Der Ursprung ist derselbe, die Volksphantasie, aber diese hat
zu verschiedenen Zeiten bei verschiedenen Völkern das Gleiche hervorge-
bracht. Analogie ist es, was Mythenerklärung lehrt; sobald sie auf die
Descendenztheorie dabei überspringt, gerät sie in ein Labyrinth." 2) — Nicht
minder missglücken mussten die Versuche, die griechischen Götter mit
') Vgl. L. FbiedlInder in d. Jahrbb. f.
Phil. 1873 S. 305 flf. nnd in d. Deutschen
Rundschau, XIV. Jahrg., I.Heft Oktober 1887
S. 97 flf.
*) V. WiLAMOwiTz, Philol. Unters. VII
S. 225 Anm. 23.
Einleitung. (§ 3.) 7
Naturkräften oder -erscheinungen zu identifizieren. „Die griechische Religion
ist keine Naturreligion." *) „In der Seele des Menschen entstehen die
Götter. Es ist nicht nur falsch, es ist Lästerung, wenn man sie in der
Aussen weit sucht und ApoUon zu einem seelenlosen Feuerball macht." ^)
Jene Sätze und Lehren streifen nicht nur der Dichtung den Glanz und Duft
ab, ohne etwas Befriedigendes an die Stelle zu setzen, sie sind „durch-
aus dazu geeignet, das Verständnis der griechischen Religion zu ver-
bauen." 3) — Ebenso verfehlt ist es, der Urzeit des Hellenenvolkes den
Glauben an nur einen Gott oktroyieren zu wollen. „Der Monotheismus
bedingt einen Grad philosophischer Abstraktion, eine Ausbildung des Denkens,
welche nur sehr vorgeschrittene Zeiten, vielleicht überhaupt nur Individuen,
nicht Völker, erreichen."*) Aber welche Götter, wie viele und wie ent-
wickelte die Griechen in ihre europäische Heimat herüberbrachten, wer will
es sagen? Dass manche der später verehrten noch fehlten, andere erst hier
ausgestaltet und fortgebildet wurden, lässt sich beweisen; will man weiter
gehen, verliert man den Boden unter den Füssen. Erst unter dem grie-
chischen Himmel sind die griechischen Götter geworden, was sie waren,
und was sie uns sind. Hier sind sie in scharf begrenzten Formen und zur
vollen Eigentümlichkeit ausgebildet worden, hier wurden sie täglich aufs
neue geboren.^) Die ganze Natur wird von Göttern belebt und erfüllt, der
Trieb und die Fähigkeit zu personifizieren ist fast unbegreiflich, und jeder
Gott bleibt ein Individuum, das sich die Freiheit seines Willens und dio
Selbstbestimmung wahrt, wie der einzelne Mensch, innerhalb des Kreises,
den das von Ewigkeit her ordnende Weltgesetz auch um den Gott gezogen
hat, und dessen Schranken er nicht ungestraft überschreiten darf. Überall
von Göttern umgeben fühlte der Grieche sich sicherer und wohler. Es
waren Wesen nach seinem Bilde geschaffen, zwar unsterblich und unver-
gleichlich mächtiger, aber fähig zu leiden und zu freuen sich wie er, nicht
vollkommen, aber eben darum menschlicher. Sie stiegen vom Olymp und
zeugten seine Königs- und Heldengeschlechter, sie umgaben ihn auf Schritt
und Tritt. Nicht bloss in der mythischen Zeit, im Kindesalter des Volkes:
die Athener jauchzen der Göttin noch zu, als sie auf dem Wagen des
Peisistratos in die Stadt einfährt (Herod. I 60), imd bauen dem Fan einen
Altar, als er dem Philippides begegnet und ihm verspricht, er werde den
Seinigen helfen, wenn sie ihn mehr verehrten (Herod. VI 105), und wieder
Jahrhunderte später, als schon eine andere Religion die Welt zu erobern
begann, werden ihre Boten Paulus und Barnabas für Hermes und Zeus
gehalten und können die Ehrenbezeugungen der Menge nicht hindern (Act.
apost. XIV 11 flf.).
Die einzelnen Götter sind an Macht und Weisheit verschieden, wie die
einzelnen Menschen. Zeus hat tiefere Einsicht auch in das Walten der
Moira und lenkt leidenschaftsloser den Gang der Ereignisse. Und ebenso
verschieden ist der Grad der Verehrung, welche die einzelnen Gottheiten
in den verschiedenen Staaten, ja Häusern geniessen. In Orchomenos wur-
^) Leubs, Pop. Aufs.* S. 118. *) V. Wilamowitz, Isyllos S. 97 Anm.
*) V. "Wilamowitz, Isyllos S. 97 Anm. *) Vgl. Bursian, Charakter des griecb.
^) Lehrs a. a. 0. | Mythus 1875 S. u. v. Wilamowitz a. a. 0.
8
A. Die grieohischen Knltosaltertümer.
den die Charitinnen, in Thespiai Eros, in Naxos Dionysos am meisten ver-
ehrt, und manche Familie hat zu einer besonderen Schutzgottheit am liebsten
gebetet. Dazu kam, dass die griechischen Stämme sehr verschieden bean-
lagt waren, und der Stimmung und Neigung des Volksstammes entsprach
das Bild seiner Götter. Auch die Verschiedenheit der Schicksale und des
Wohnorts musste auf die Ausgestaltung der Götter von grösstem Einfluss
sein. Die Wanderungen schoben viel durcheinander, die Kolonisten nahmen
altes mit und vermittelten das Eindringen von neuem, ^) die Fremden, welche
massenhaft als Metoiken aufgenommen wurden oder ganze Niederlassungen
bildeten, verehrten zum Teil ganz andere Gottheiten. Verboten konnte ihnen
dies um so weniger werden, als man ihre Götter ja gar nicht leugnete, und
so finden wir denn auch schon in früher Zeit Privatkulte ausländischer Gott-
heiten. Im Jahr 333 bitten kyprische Kaufleute, die sich im Peiraieus
niedergelassen haben, die Athener möchten ihnen gestatten, ein Heiligtum
ihrer Aphrodite zu gründen, wie sie den Ägyptern erlaubt hätten, eines für
Isis zu stiften ^) und im zweiten Jahrhundert ersuchen in Dolos ansässige
Kauf leute aus Tyros die Athener um die Erlaubnis, ihrem Gotte Baal Marcod
auf der Insel ein Heiligtum zu errichten.^) Die thrakische Bendis war schon
zu Piatons Zeit Staatsgöttin, und in Athen wurde ihr ein Staatsfest, die
Bendideia, gestiftet,'*) Pan wird nach der Schlacht bei Marathon unter die
Staatsgötter aufgenommen,^) der ^rjfir] und EiQrjrr] werden nach dem Siege
am Eurymedon Altäre gestiftet,^) und die Homer noch unbekannte Heroen-
verehrung ist zu Pindars Zeit allgemein. Dionysos ist ein hoch angesehener
Gott geworden und wird in einer Weise verehrt, die den orientalischen
Einfluss unverkennbar zeigt; die vornehmsten Gottesdienste sind die My-
sterien der Demeter und Persephone, — Gottheiten, die bei Homer eine
ganz untergeordnete Stellung einnehmen. Neue Beinamen haben das Wesen
der Götter vielfach erweitert und verändert, kurz ewiger Fluss und ein
ewiges Werden. Etwas wie ein Dogma gab es nicht, an dem nicht gerüttelt
werden durfte, und das eine Generation der anderen als teures Vermächtnis
überlieferte, auch keinen Religionsunterricht und keinen eigentlichen Priester-
stand, der die Religion hütete. Und trotz alledem darf man nicht nur von einer
griechischen Religion sprechen, die von Homer an dauert ein Jahrtausend
und länger, sondern auch behaupten, dass diese Religion trotz aller Ent-
wicklung und Veränderung, trotz der Durchsetzung mit so vielen fremden
Elementen im wesentlichen dieselbe geblieben ist. Zwei Gründe sind es
hauptsächlich, die ihr diese Kraft und diese Stabilität verliehen: Was auch
im Laufe der Zeiten herübergenommen wurde, das blieb auf griechischen
Boden verpflanzt, nicht mehr das Alte, sondern wurde so völlig umgestaltet,
dass etwas Neues entstand, das von seinem Geist durchdrungen sich or-
ganisch ins Hellenentum einfügte. Und das zweite: Der Kultus war ein
Heiliges. Ihn übte der Sohn, wie er ihn vom Vater hatte üben sehen,
und über ihm wachte der Staat. Mochte jeder glauben, was er wollte.
«) Vgl. Fbänkbl in Böckd's Staatsh.'
Anm. 705.
«) CIA. II 168.
») CIG. 2271.
*) S. ScHOKMANN Gr. Altt.« II 166.-
^) S. SCHOEMANN OpUSC. III 489 f.
«) Schol. Aischin. Tim. p. 742. Plut.
Kim. 13. ScHOMARN Gr. Altt» U 175 A. 5.
Einleitung. (§ 3.)
beten, wie und zu wem er wollte, opfern oder nicht, wenn er nur öffent-
lich nicht die Oötter leugnete und vor allen Dingen den bestehenden Kultus
nicht angriff. Nach dem Gesetz und Brauch des Staates die Götter ver-
ehren, das ist €v<r€ßeg;^) wer das Herkömmliche zu zerstören droht, der
macht sich der aaißsia schuldig und wird vom Staat, der die bestehenden
Einrichtungen zu schützen hat, verfolgt.^) Die Anklage erheben konnte
jeder Bürger, denn eine geistliche Aufsichtsbehörde gab es nicht.') Nicht
wegen Unglaubens werden Protagoras, Anaxagoras, Sokrates u. a. vor
Gericht gezogen, sondern weil sie Propaganda für ihre Irrlehren zu machen
suchten, weil sie das Fortbestehen des alten Kultus gefährdeten.^) An
ihm etwas ändern durfte höchstens die Volksversammlung, und diese wird
es auch nie ohne vorherige Genehmigung des Orakels gethan haben.*) —
Wie die Gottesdienste und somit in gewissem Sinne die Religion, so hatte
der Staat auch die Heiligtümer und das Eigentum der Götter zu schützen.
Entheiligung oder gar Beraubung der geweihten Bezirke und Tempel wurde
streng bestraft. Verlangte der Staat in Gefahren und Nöten die Hilfe der
Götter, so musste er auch ihnen geben, was das Ihre war. Freilich ist
es oft ausgesprochen worden, dass die reine Gesinnung und Frömmigkeit
den Göttern die Hauptsache sei,^) aber was eine grosse Menge sich unter
Frömmigkeit dachte, sagt Piaton (Euthyphron 14 E): Man schliesst eine
Art Vertrag mit dem Gott; erhält er, was er zu fordern hat, so ist er
auch verpflichtet zu leisten und zu geben, was der Mensch bedarf. So war
man tolerant ohne Grenze, was das Glaubensbekenntnis des Einzelnen an^
betraf, denn ein allgemeines existierte nicht, und deshalb kann von einem
Gewissenszwang nie die Rede sein, aber man wachte über den Institutionen,
über jeder praktischen Bethätigung des religiösen Sinnes. Vergegenwärtigen
wir uns das, so wird es uns nicht mehr so wunderbar erscheinen, dass
die Komiker sich auch über die Götter so lustig machen durften. Man
hat diese Scherze wohl nicht für gefährlicher gehalten, als die Verspottung
anderer staatlicher Einrichtungen, die zu beseitigen oder auch nur herab-
setzen zu wollen den Spöttern in Wirklichkeit nicht in den Sinn kam.
Übrigens wird keinem Aufmerksamen entgehen, wie Aristophanes keines-
wegs alle Götter gleich behandelt; verspottet werden eigentlich nur die
aus der Fremde aufgenommenen oder die, welche nach der Sage den Platz
im Olymp erst später erhielten. Poseidon spielt eine ganz andere Rolle
als Herakles, Dionysos oder gar die thrakischen Daimonen, und über dio
jungfräuliche Schützerin der Stadt oder Apollon wagt auch der Kühnste
keinen frechen Scherz.^) Lukian hätte in der Zeit des Aristophanes seine
Sachen wohl noch nicht schreiben dürfen.
') Xen. Mem. IV 3, 16.
•) Vgl. Leop. Schiiii>t, Ethik der Griechen
II 24flf.
') Vgl. OsiAKDKB über d. Religionsver-
gehen im Korrespondenzblatt fUr die Ge-
lehrten- und Realschulen Württembergs 1887
u. 1888 S. 453 flf.
*) Vgl. Meier-Schoemann, Att. Prozcss'
S. 366 f. ScHOBMAKN, Gr. Altt. Anhang II
584 ff.
5) Schobmann, Gr. Altt. II 167.
^) S. z. B. Bebnays Theophrast üb. d.
Frömmigkeit S. 68 und die Inschr. aus Lindos
auf Rhodos bei Lebas-Foucart, Inscr. de la
Grece, Teil II. § 5 S. 171.
') Av. 830 ff. macht sich der Dichter
nur über die Projektmacher lustig. Man
vergl. Thesm. 1136 ff., Nub. 568 ff., Equ.
551 ff. u. s. w.
10
A. Die griechischen Ealtasaltertümer.
Und damit kommen wir auf einen Punkt zurück, den wir schon
berührt haben: das Eindringen fremder Kulte und fremder Gottheiten in
Griechenland, welches keineswegs zu allen Zeiten gleich stark gewesen ist.')
Erst in nachhomerischer Zeit sind Einflüsse des Auslandes nachweisbar,
und noch Jahrhunderte lang bleiben sie gering. Götter werden nicht so
leicht erworben und tauschen sich nicht so leicht aus wie Waren. „Semiten
und Ägypter, die den Hellenen trotz ihrer alten Kultur nichts hatten ab-
geben können als ein paar Handfertigkeiten und Techniken, abgeschmackte
Trachten und Geräte, zopfige Ornamente, widerliche Fetische für noch
widerlichere Götzen,**^) blieben ihnen immer innerlich fremd. Trotz der
Eigenart aber des hellenischen Geistes und trotz der Grundverschiedenheit
seiner Götter von den Gottheiten der Völker, mit denen der Grieche zuerst
in Verkehr trat, strömte, wie wir gesehen haben, allmählich auch auf
diesem Gebiet immer mehr Fremdes in das Land. Vielleicht noch mehr
als alle die vorher angeführten Gründe ermöglichte und erleichterte diese
Aufnahme der heterogensten Elemente der merkwürdige Umstand, dass die
kindliche Vorstellung der homerischen Zeit, die griechischen Götter herrschten
überall,^) sich auch später erhielt. Herodot identifiziert ohne weiteres die
ägyptischen Gottheiten mit den griechischen, deren Namen und Wesen
gleich verschieden von ihnen waren, und so alle Folgenden bis in die späteste
Zeit.^) Dieser uns fast unerklärlichen Leichtigkeit im Identifizieren des
Ungleichartigsten entsprach die Fähigkeit zu assimilieren. Was einmal als
gleich oder verwandt angenommen war, das wurde dann auch thatsächlich
gleich oder verwandt gemacht. Nach Alexander dem Grossen überfluten
dann freilich die ausländischen Götterdienste Griechenland in einer Weise,
dass ein Verai*beiten des Fremden auch dem so ungemein elastischen hel-
lenischen Geiste nicht mehr möglich ist, und was bisher in vereinzelten
Fällen vorgekommen war, wird jetzt ganz allgemein: die neuen Götter
erhalten ihre Kulte neben den alten und überflügeln und verdrängen diese
mehrfach. Doch es ist Aufgabe der Mythologie, dies im einzelnen zu ver-
folgen und darzustellen: hier mag es genügen, Wesen und Entwicklung
der Religion in so flüchtigen Umrissen gezeichnet zu haben; auf Einzeln-
hoiten einzugehen, soweit es erforderlich scheint, wird sich im folgenden
Gelegenheit bieten.
1. Die Kultusstätten.
4. Ein kindliches, frommes Volk, das sich auf Schritt und Tritt von
Göttern umgeben glaubte, musste an gewissen Stätten ihre Gegenwart
besonders lebhaft fühlen ; nicht an den Orten, die dem Fuss und Blick des
Menschen entrückt waren, wo ihre Paläste standen, sondern da, wo der
Sterbliche selbst wandelte und wohnte. Auf der Höhe der Berge, in dun-
kelnden Hainen, in geheimnisvollen Grotten stellte die Phantasie sie sich
^) Vgl. hier namentlich E. Plew, Die
Griechen in ihrem Verh. zu den Gottheiten
fremder Völker. Programm von Danzig 1876
erster Teil.
-; V. WiLAMowiTz, Hom. ünt. 215. Vgl.
Hermes XVIII 404.
3) Vgl. Plew a. a. 0. S. 3.
*) Vgl. z. B. Diod. I 25. Plut. Quaest.
symp. IV 6. Nonn. XL 369 u. s. w.
1. Die Koltasstätten. (§ 4.)
11
vorzugsweise weilend vor, je nachdem man der Eigenart des Gottes ent-
sprechend hier oder dort einen Lieblingsplatz vermuten konnte. Und in
solcher Umgebung schuf man die ersten Stätten ihrer Verehrung; *) ur-
sprünglich gewiss einfach genug: eine Baumgruppe, die, im Kreise gepflanzt,
ein schattiges Dach bildete, einen Steinhaufen, der als Altar dienen konnte.
Aber als man sich an gemeinsamen, von einer Mauer umschlossenen Wohn-
sitzen vereinigte und Städte baute, genügten solche Heiligtümer dem Be-
dürfnisse nicht mehr, vor allem deswegen nicht, weil der schützende Qott
innerhalb des Mauerringes wohnen musste. So wurden Qötterwohnungen
{v€(6g^ vrjog von vaiw), Tempel, erbaut. — In homerischer Zeit sind in allen
befestigten Städten und wohl auch in anderen grösseren Ansiedlungen
Tempel vorauszusetzen. Z 297 wird ein Tempel der Athena, E 446 und
H 82 einer des Apollon auf der Burg von Ilios erwähnt, B 549 ein Tempel
der Athena in Athen, / 404 und vA 80 einer des Apollon zu Pytho, und
aus Y 274 (vgl. fi 347) darf man wohl auch auf Tempel in Mykenai
schliessen. Als Nausithoos die Phaiakenstadt gründet, baut er auch Götter-
tempel (cA 10), und die Gefährten des Odysseus geloben dem Helios zur
Sühne für ihren Frevel nach glücklicher Heimkehr einen Tempel zu stiften
(/i 345 ff.). Daneben existieren dann noch die natürlichen Heiligtümer,
welche wir als die ältesten vorauszusetzen haben, und die sich auch später
immer, namentlich auf dem Lande, neben den durch Menschenhand ge-
schaffenen erhalten haben. So ist die Grotte in Ithaka (v 103 ff.), welche
einen besonderen Eingang für die Unsterblichen hatte {v 111 f.), ein Heilig-
tum der Najaden, und Odysseus pflegte ihnen hier Opfer {v 350) und
andere Gaben (r 358) darzubringen. Eine andere den Nymphen geweihte
Stätte ebenfalls in Ithaka ist ein Pappelhain nahe der Stadt, von einer
Quelle durchrieselt. Dort ist ein Altar errichtet {q 210 f.), wo die Wan-
derer zu opfern pflegen, und Odysseus ihnen oft fette Schenkelstücke ver-
brannt hat {q 240 ff.). Auch Apollon hat einen heiligen Hain, wo ihm
Hekatomben dargebracht werden {v 276 ff.), Spercheios hat an den Quellen
des Flusses ein räfievog und einen Brandopferaltar (^ 148), auf dem ihm
Widder geopfert werden, deren Blut man in das Wasser strömen lässt.
Auf dem Gipfel des Ida hat Zeus rtfisvog und Altar (0 48), und in Paphos
Aphrodite {0- 3ß3). — Dass der Gott sich dauernd in seinem Tempel auf-
halte,^) hat man ebensowenig geglaubt, wie dass er immer an den sonst
ihm geweihten Stätten weile; er besucht ihn nur, um sich an den ihm dort
aufbewahrten Kleinodien und Kostbarkeiten'*) zu erfreuen, wie er sich bei
den Opfern der Menschen zum Mitgenusse einfindet; sein Auge ruht be-
sonders oft auf seinem Heiligtum, und der Mensch darf deshalb, wenn er
ihn hier anruft, der Erhörung am sichersten sein. — Dass in homerischer
Zeit die Zahl der geweihten Plätze, auf denen sich nur Altäre befanden,
ungleich grösser gewesen ist, als die der Tempel, lässt sich schon aus den
angeführten Stellen schliessen, noch viel zahlreicher aber waren Altäre,
die einfach an einem geeignet scheinenden Orte aufgebaut, von einem
') Vgl. Hkkmakn, G. A. § 14.
') Vgl. OvEBBECK, Gesch. der griech.
Plastik I 4G.
») r 274, H 82, fi 347, cf. n 185.
12
A. Die griechischen Kaltnaaltertümer.
grösseren geheiligten Bezirk gar nicht umgeben waren. So haben die
Oriechen an der troischen Küste zwar keine Tempel erbaut und keine
T€fxtvij geweiht, wohl aber eine Reihe von Altären errichtet. *) Diese Sitte
erhielt sich, nicht bloss auf dem Lande, sondern auch in Städten und an
viel besuchten Orten, wo es dann daneben noch Tempel gab.
a. Altäre.
5. Betrachten wir jetzt die Altäre, diese einfachsten aller Eult-
stätten, zuerst.**)
Unter den drei Bezeichnungen, welche wir für die verschiedenen
Arten von Altären augewandt finden: «crnof, fVx«?«, ßoofiog ist die letzte
weitaus die häufigste und für die grosse Mehrzahl der Altäre allein ge-
bräuchlich. In den ältesten Zeiten waren diese Altäre gewiss von der
grössten Einfachheit, aus Steinen oder Rasenstücken kunstlos aufgeschichtet,
und auch später kommen so primitive Exemplare vor. 3) Oft waren sie ja
auch nur zu einmaligem Gebrauch bestimmt, und in diesem Fall ver-
schwendete man natürlich niemals Mühe und Kosten daran. Aus Steinen,
die am Ufer liegen, lässt Apollonios Rhod.*) die Argonauten bei ihren
Landungen sich die Opferaltäre erbauen, und bei Theokrit (Id. XXVI 3 flf.)
stellen Frauen aus Reisig und Blättern Altäre her, welche genügen, um
ihre aus Backwerk bestehende Opfergabe darauf zu verbrennen. Pausanias
(IX 3, 4) berichtet sogar von einem Fest der Boiotier, an dem sie einen
grossen Altar aus Holz erbauen, den sie dann zugleich mit den darauf
liegenden Opfertieren verbrennen. Auch Altäre, die öfters benutzt wurden,
waren bisweilen wenig dauerhaft,^) bei weitem die meisten aber waren
solide und mehr oder weniger kunstvoll und prächtig aus besserem Material
erbaut, nur zum Fundament pflegte man unbehauene Steine zu verwenden. <^)
Die Form der Altäre war sehr verschieden, namentlich derer, die nicht
als Opferstätten dienten. Vor dem Hause pflegte ein ßwfjLog dyvuvg zu
stehen, ein Obelisk, der gewöhnlich dem Apollon geweiht war,^) im Hofe
oder Hause ein Altar des Zeus Herkeios,^) und vielleicht befanden sich
auch in anderen Wohnräumen kleine Altäre,^) auf denen man Weihrauch
verbrennen oder Blumen und andern Schmuck niederlegen mochte. Aber
auch die Brandopferaltäre waren ihrer Gestalt wie ihrem Material nach
völlig verschieden. Es gab runde,*®) quadratische (Paus. V 14, 5) und
längliche (Paus, ebenda) Altäre, und jede einzelne Art zeigte wiederum so
') A 808, cf. e 249.
^) Hermann 6. A. §§17 etc. A. de
Molin De ara apud Graecos, Berl. Diss.
1884. Daremberg et Saglio Dict. unter ara
I, 347 ff. mit vielen Abbildungen, Baum eisteb,
Denkmftler S. 55 f.). Vgl. die angehängte
Taf. I n. 1 - 6.
3) S. z. B. Paus. VIII 35, 8.
*) Arg. I 1123, II 695. Vgl. Ovebbeck,
Heroische Bildwerke S. 324.
^) Paus. VI 24, 2, cf. V 13, 5.
") Weniger Der Gottesdienst in Olympia,
Sammig. v. Vortr. v. Vikchow u. Holtzen-
DOBFF XIX Serie S. 412.
^) Hesych. u. Harpokr. u. flyviivg, Wel-
CKBB, Griech. Götterl. I, 494, de Molin S. 24.
B) X 334, 379. Kratinos bei Mbineke
frgm. Com. HI p. 377, Poll. VHI 341.
Petersen, Der Hausgott^sdienst der Griechen
S. 50. Vgl. auch Bader, de diis naxQMoig
Schleusingen 1873 S. 10 ff. u. Kastobches im
'A^yaloy IX 1880 S. 422 ff.
») Cf. Lobeck, Agl. H 1239, de Molin
S. 26 f.
'^) Cf. Eustath. ad Od. q 209, de Molin
S. 67 f., der namentlich auch bildliche Dar-
stellungen nachweist.
1. Die Enltasstätten. (§ 5.)
13
viele Abweichungen in Bildung und Stilisierung, dass man auch darnach
wieder besondere Gruppen scheiden kann.^) Mitunter waren sie auch mit
Hörnern geziert.*) Völlig ungleich war auch die Grösse und Höhe.*) In
Syrakus gab es einen Altar, der ein Stadion lang war;*) der Altar des
Zeus in Olympia hatte nach Pausanias^) einen Umfang von 125 und eine Höhe
von 32 Fuss und der berühmte Altar zu Pergamon war über 12 Meter hoch.
So gi*osse meist aus Marmor gefertigte Altäre waren an ihren Seitenflächen
dann gewöhnlich mit Skulpturen geschmückt. An dem Altar der ephesischen
Artemis sah man Bildwerke von Praxiteles, ß) und die verstümmelten Reste
der Figuren des pergamenischen Zeusaltars sind jetzt der Stolz unserer
Hauptstadt. Auf den Platten anderer waren Inschriften eingegraben, die
eine Widmung') oder auch Opferbestimmungen enthielten, wie sie uns
mehrfach, z. B. aus Lesbos (Cauer Del.* n. 435) und Thasos (Röhl, IGA.
n. 379) erhalt-en sind. Andere waren mit Farben geschmückt.®) Einen
merkwürdigen Altar, der auch zu den sieben Weltwundern gerechnet wurde,
gab es in Delos; er war ganz aus Ziegenhömern verfertigt.*) Sodann hatte
man Altäre, die aus der Asche der verbrannten Opferstücke bestanden.
Pausanias zählt eine ganze Reihe aus verschiedenen Orten Griechenlands
auf;^^) in Olympia hatte der Altar des Zeus einen solchen Aschenaufsatz,
zu dem von dem bedeutend grösseren Unterbau Stufen aus Asche hinauf-
führten. Man opferte die Tiere auf dem unteren Teil und trug nur die
Schenkel hinauf, um sie dort zu verbrennen. Bei Milet soll es einen Altar
aus dem geronnenen Blut von Opfertieren gegeben haben, i') Auch Altäre
ans natürlichem Fels scheinen vorgekommen zu sein.^^)
Wenn schon Privatleute in ihren Häusern und Höfen, Künstler in
ihrer Werkstatt*^) Altäre zu haben pflegten, so durften diese in öflFentlichen
Gebäuden, Palästren *^) oder auf den Versammlungsplätzen der Volksgemeinde
noch weniger fehlen,*^) am wenigsten aber auf der Akropolis, dem heiligsten
und gewöhnlich auch ältesten Teil der Stadt. ^*'») Aber nicht bloss die Städte
waren voll von Altären, ^^) auch auf dem Lande waren sie nicht seltener als
heute in katholischen Gegenden Kapellen und Heiligenbilder. An Kreuz-
wegen wurde Hekate verehrt {ivoSia, TQioShig),^^) auf Bergen^*) und an den
Grenzen ^^) pflegte namentlich Zeus Altäre zu haben, an den Landstrassen
Hermes.*^)
Altäre, welche auf vielbetretenen Plätzen standen, waren in der
') DB MOUN S. 61 ff.
«) Anthol. Pal. VI 10, 3, Archäol. Ztg.
1866 tab. 206.
») DB Molin S. 66 ff.
^) Diod. XVI 83.
•) Strabo XIV 641 B.
») Flut. Arist 19 etc.
«) Bull, de corr. hell. VI 310 cf. Cür-
Tius, Die Alt. Y. Ol. tab. I, II. in d. Abh. d.
Berl. Akad. 1881.
') Callim. hymn. in Apoll. 60.
><^) V 13, 5; 14, 6; 15, 5; IX 11, 5.
'*) Paus. V 13, 6.
") Cf. Paus. II ' 32, 7 Cübtius und Kaü-
PBBT, Atlas von Athen, tab. VIII.
") Paus. V 15, 1.
^*) Arist. Nub. 178 f.
'S) Xen. Hell. II 3, 52, Antiph. de chor.
§ 45, Herod. V 46, Thuk. VI 54, Paus. V
15, 3 etc.
»«) Paus. I 26, 6, Plut. Per. 13. cf. db
Molin S. 48 f.
*') S. besonders Aisch. Ag. 88 ff.
'8) Vgl. Theokr. Id. II 36 und Schol.
dazu etc.
'^) Beispiele gesammelt bei de Molin
S. 34.
") Cf. Plato Leg. VIII 842 E.
2») Schol. zur Od. n 471 etc.
14 A. Die griechischen Enltnaaltertümer.
Kegel durch eine Umfriedigung*) oder eine herumgezogene Kette*) ge-
schützt.
Wichtiger für den Kultus sind die Opferaltäre, deren sich einer oder
mehrere vor jedem Tempel befanden.'^) . An ihnen wurden die Tiere ge-
schlachtet, das Blut ward hinaufgegossen ^) und die Opferstücke verbrannt.
Aber auch im Innern der Tempel befanden sich Altäre,'^) in der Regel wohl nur
zu unblutigen Opfern dienend,^*) sicher wurden an ihnen niemals Tiere
geschlachtet)
Bisweilen war ein Altar mehreren Göttern {O^eol av/ußwfiaiy ofio-
ßcofuoi) geweiht.®) So gab es in Athen auf dem Markt einen Altar der
Zwölf Götter,***) auch einen, der der Aphrodite und den Nymphen gemeinsam
war,*") und im Amphiaraosheiligtum bei Oropos einen, der für fünf Götter-
gruppen bestimmt war. Doch waren dann die den Einzelnen gehörigen
Teile genau bezeichnet und abgegrenzt.**)
6. Eine andere Art von Altären sind die sogenannten eaxdQai.^^) Bei
Homer hat das Wort diese Bedeutung noch nicht, sondern bezeichnet nur den
„Herd* und wird synonym mit hu'rj gebraucht.*^) Da der Herd, auf dem
der Mensch sich seine Nahrung bereitet, eine gewisse Heiligkeit hat**) und
zudem die einzig geeignete Stätte ist, auf der in Ermangelung eines Altars in
einfachen Hütten bei häuslichen Opfern den Göttern die Weihestücke ver-
brannt werden können, ist es nur natürlich, dass Eumaios hier den Eber
schlachtet (J 420) und dann auch die aTJcaqynaia verbrennt (J 429). Dass
Homer die iaxccQai sonst als Opferstätte nicht kennt, hat seinen Grund
darin, dass sie für den Kult der Heroen und Toten bestimmt sind (Schol.
Eur. Phoin. 274), welcher der epischen Zeit noch fremd ist. — Die sax^qa
ist eine hügelartige Erhebung, bedeutend niedriger als der ßwfjLogy^^) mit
einem Loch, welches bis in das gewachsene Erdreich hinabführt, von dem
das Blut aufgenommen werden muss.*^) Die geschlachteton Tiere werden
auf ihnen ganz verbrannt; wird einem Heroen w$ x^eni geopfert, so ist dazu
auch ein /?(ö/«6$ erforderlich.*^) Die ursprüngliche Bedeutung „Feuerstätte* hat
•) Paus. X 88, 3.
') Plut.Dec.orat. p. 847 A.
^) ßüjfiol TiQovttoi Aisdi. Suppl. 494,
Herod. II 135 etc. cf. de Molin S. 52 f.
*) Einige rrbaltcne Altäre zeigen Ver-
tiefungen, offenbar zur Aufnahme des Bluts
**) Paus. I, 34, 2 cf. JlQaxuxa t^g iv
U&, \lQx. 'Er. 1884, Athen 1885, Ekgelmakn
im Jahre sber. des Philol. Vereins, Ztscbr. f.
d. Gw. 1887 S. 1()5.
") Schol. Kur. Phoin. 274 u. 284, Po».
I, 8, Ammonios bei Harpokr. u. iox^ga.
bestimmt, das dann vielleicht durch einen i Neanthes v. Kyzikos bei Eustath. ad Öd.
" " "^ C 305, CIA. Ill 190, cf. DE Molin S. 2 f.,
06 f., Michaelis. Arch. Ztg. 1867 S. 9.
MoMMSEN, Heortologie S. 257, Loewy, Jahrb.
des D. Arch. Inst. II 1887, S. HO.
»3) Vgl. 1 15J), 420, Q 93, T 304, /375, 378.
'*) Vgl t] 153.
*-'') S. die Abbildung eines Reliefs der
Kanal an einer Seitenwand hinunter abfloss
(s. DE Molin 65 f.).
^) Paus. V 14, 5, II 17, 6, Eur. Ion.
115 etc.
♦>) Cf. Paus. V 15, 6 DE Molin S. 54.
Doch kommen Ausnahmen vor. Vgl. Eur.
Andr. 1113, Herod. VI «1 und die Inschr.
von Kos im Journ. of Hell. Stud. IX S. 328 Villa Albani, Jahrb. d. Arch. Inst. 1887, II
ZI. 7 f. I S. 109.
^) Auch Paus. II 35. 5 nicht.
**) Maurer: Dearis Graecorum phiribus
(leis in commune positis (Darmstadt 1885).
») Plut. Dec. erat. p. 847 A.
'"j Kühler. Mitt. dos D. Arch. Inst, in
Athen II 1877 S. 246.
**) Cf. Nissen, Pompejan. Studien S. 286,
NiTzscH zur Od. II S. 15, III S. 161 etc.
»') Paus. II 10,1. Bildliche Darstellung
eines Heroenaltars bei Schreiber, Kulturhist.
Atl. Taf. XV n. 17.
1. Die Enltnsstätten. (§ G 8.)
15
iüxdqa nie verloren, und insofern diese auch auf keinem Altar fehlen
darf, der zu blutigen Opfern benutzt wird, kann man dann auch von einer
süxctQa ßiafiov sprechen,') oder der ganze ß(üf.i6g wird metonymisch iaxf^Qu
genannt,*) namentlich wenn er klein und niedrig ist.**) Wenn umgekehrt
den Heroen geweihte ßumoC erwähnt werden, ohne dass von göttlicher Ver-
ehrung derselben die Rede ist,-*) so hat man darunter keine Opferaltäi*e
zu verstehen.
Nahe verwandt mit den iaxccQM sind die Opfergruben, die man in
Heiligtümern chthonischer Gottheiten oder Heroen entdeckt hat^) oder nach-
weisen kann.^) In Samothrake ist „an der ausgezeichnetsten Stelle**^) des
dorischen Marmortempels „eine etwa halbkreisförmige Öffnung gefunden
worden, welche durch eine besonders dicke Marmorplatte ziemlich senkrecht
nach unten ganz hindurchgeht und oben einen Falz zur Aufnahme eines
verschliessenden Deckels bildet. Es ist ursprünglicher Boden, auf welchen
das Loch herabreicht. "* Auch Spuren und Überreste von verbrannten
Opfertieren haben sich daselbst gefunden. In dem Kabeirenheiligtum bei
Theben wurde „die eine der beiden neben einander liegenden Opfergruben
(jede 0,90 m breit, 2,10—2,20 m lang und c. 1,50 m tief) bis oben mit
Schenkelknochen angefüllt"* gefunden.*) Auch sie waren durch einen Deckel
verschliessbar.
7. Eine dritte und letzte Bezeichnung für Altäre ist dann noch «Vria,
ein Wort, das bei Homer auch nur „Herd** bedeutet. Namentlich die der
Herdgöttin geweihten Altäre, wie man sie vor allem in den Prytaneen
hatte,') pflegen mit diesem Namen bezeichnet zu werden. Die saticci waren
jedenfalls den icxagai ähnlicher als den ßcojnoi^ doch wird der Name auch
auf diese übertragen, ^oj
b. Tempelbezirke und Tempelgüter.
8. Wir wenden uns jetzt zur Betrachtung der sog. Ts^ibvri und der
Tempelgüter.i')
Ehe es Tempel gab, gab es geweihte Bezirke, Haine oder umfriedigte
Stücke Landes, in deren Mitte ein Altar stand. In homerischer Zeit fanden
wir Tempel nur in grösseren Städten oder an Orten, die für besonders
heilig galten, diese den Göttern zugeeigneten heiligen Plätze dagegen häufig.
Aber auch später, als die Tempel zahlreicher wurden, blieben diese Be-
zirke, und zwar umgaben sie den Tempel, wo der Raum es gestattete.
Eur. Andr. 1138.
*) Aisch. Pere. 205 ia^uga ^oißov Eur.
Phoin. 291 AoUov i., Paus. IV 17, 3, i. lov
'EQxeiov etc. Vgl. Poll. X 65.
') Cf. DE Molin S. 5.
*) Z. B. Paus. 1 1, 4, I 35, 2.
^) Im Asklepieion zu Athen (Eöhleb,
Mlti des Archäol. Inst, zu Athen II 1877
S. 233 ff., 254 f.), im Eabeirentempel auf
Samothrake (Archftolog. Untersuchungen auf
Samothr. I, 20f, II, 15 ff, Taf. IV, Fig. 1,
Taf. V und VI), im Heiligtum der Kabeiren
bei Theben Döbpfkld, Mitt. des Arch. Inst.
zu Athen XIII 1888 S. 91 und 95.
•) Vgl. Paus. X 4. 10, IX 18, 4, IX
39, 4 u. CoNZB, Arch. Unt. auf Sam. I S. 21.
') a. a. 0. I S. 20 f.
^) DuRPFELD, Mitt. des Arch. Inst, zu
Athen XIII 1888 S. 95.
®) Pbeller-Robebt, Gr. Myth. I 427, de
Molin S. 13.
»0) Aisch. Eum. 282 itnitt ^oißov Paus.
I, 42, 1 t. M^eujy. Eine fort« iy r^ yatft
Inschr. v. Kos Joum. of Hell. Stud. IX S.
328 ZI 7
»') Cf. Etym. M. u. je'fAsyog, Poll. I 8
16
A. Die griechischen Enltnoaltertümer.
oder sie bestanden als selbständiges Heiligtum J) Ein mit Bäumen be-
pflanztes Ttfievog hiess aXaog,^) und dieser Name wurde für derartige Heilig-
tümer so gewöhnlich, dass selbst ein baumloses, einem Gott geheiligtes
Stück Land so genannt werden konnte. 3) Der Teil des Tt'fisvog^ auf welchem
der Altar oder der Tempel des Gottes stand, war am heiligsten und durfte
oft nur zu gewissen Zeiten von den dazu Berechtigten^) oder überhaupt
nicht betreten werden.^) In solch einem Fall waren die Grenzen deutlich
bezeichnet, bisweilen der ganze Raum durch eine Mauer abgeschlossen.^)
Dass ein Verbrecher oder Unreiner das Ugin» nicht betreten durfte, war
selbstverständlich,^) bisweilen wurde auch Enthaltung vom Beischlaf oder
gewissen Speisen während mehrerer Tage vorher von dem Besucher eines
Heiligtums verlangt;^) von andern mussten sogar bestimmte Tiere fern-
gehalten werden. So durften in lalysos auf Rhodos den heiligen Bezirk
der Alektrona Pferde, Esel, Maultiere, überhaupt Lasttiere nicht betreten.
Ebenso waren Schafe fernzuhalten;^) in andere wiederum durften Schweine ^^)
oder Hunde'') nicht hineingelassen werden. Gewöhnlich wird mit dem
Namen isqov der innere Teil des rtfisvog bezeichnet, '2) doch wird er auch
auf das ganze ausgedehnt.'^) Die rsfitvi] sind oft sehr gross. Xenophon
bestimmte nach glücklicher Beendigung des Feldzuges den zehnten Teil der
Kriegsbeute zum Ankauf eines Gutes in Lakonien, auf dem er der ephe-
sischen Artemis einen Tempel erbaute.'*)
Ein anderes, dem Dionysos heiliges Grundstück hatte eine Grösse von
3320 Schoinoi,'^) und die ganze krisäische Ebene bei Delphoi war der
Artemis, Leto und Athena Pronoia geweiht.'*') Überhaupt gehörten diese
TSfuvij öfters mehreren Gottheiten gemeinsam, allerdings nur solchen, die
sich nahe standen.'^) Die Art der Benutzung dieser Tempelgüter war
verschieden. Der engere Bezirk des IfQor durfte niemals angebaut oder
sonstwie ausgenutzt werden,'^) aber zuweilen wurde diese Bestimmung auf
die ganze dem Gott geweihte Umgebung ausgedehnt. So sollte die er-
wähnte krisäische Ebene unbebaut bleiben,'^) und als die angrenzenden
Stämme sie beackerten, entstanden die heiligen Kriege, welche Griechen-
lands Untergang herbeiführten. Ebenso hatten Demeter und Köre zwischen
Eleusis und Megara ein Stück geweihten Landes, ^^) das den Namen oqy^
führte, weil es nur von wildwachsenden Pflanzen bestanden war,*') und
ähnliches wird uns auch von anderen Heiligtümern berichtet.*^) Auch
Paus. I 18, 7; V Iß, 1.
«) Paus, l 21, 9; VIII 37, 7; VIII 42,
5; X. 32, 6.
3) Strabo IX 412.
*) Z. B. Paus. VI 20, 4; VIII 31, 5.
») Soph. Oid. Kol. 117, Paus. VIll 31
2; 38, 5.
«) Paus. VI, 20, 4.
') Cf. DiTTENBEROER, Syll. 379; Thcophr.
bei Poq)liyr. de abst. II 27; Bernays S. 80 f.
»*) Vgl. S. 35 u. s. Plut. Quaost. symp.
III C, 4.
») DrrTEND. Syll. 357.
»«) DiTTEKB. Syll. 358; Strabo XII 575.
'') Plut. Qu. rom. 111 p. 290 A.
>2) Herod. VI 75; Paus. V G, 4.
»3) Paus. VII 30, 2.
»*) Anab. V 3, 9.
»*) CIG. 5774.
»«) Aiscbin. g. Ktesiph. § 108 p. 499.
") Vgl. z. B. Paus. VII 23, 5.
1«) Vgl. Ephem. Archaiol. 1857 n. 3139.
»") CIA. II 545.
2<>) Hclladios bei Phot. bibl. p. 535.
2') Cf. Herod. VI 75; Paus. III 4, 2;
Epbem. arcb. 1888 III S. 31 ZI. 15. Bull,
de corr. hell. XIII S. 434 ff. Göttlino,
Ges. Abhandlungen I S. 121.
^'') Soph. Trach. 400; Paus. II 25, 3;
CIG. 25G1.
1. Die Eültusstätten. (§ D.) 17
Gewässer waren mitunter den Göttern geweiht, und die Fische durften
dann entweder gar nicht gefangen werden*) oder gehörten den Priestern.*)
Weitaus häufiger wurde das Temenos benutzt und verwertet, in der Regel
so, dass es verpachtet wurde.*) Die Bedingungen darauf bezüglicher Kon-
trakte sind uns zum Teil inschriftlich erhalten. Die Pächter haben Bürgen
zu stellen, und der Kontrakt gilt als aufgehoben, wenn der Zins nicht
regelmässig gezahlt wird.^) Die Art und Weise der Benutzung wird öfters
bis ins Kleinste vorgeschrieben und durch die minutiösesten Bestimmungen,
deren Nichtbefolgung Geldstrafen nach sich zieht, Vorsorge dafür getroffen,
dass der Wert des Grundstücks in keiner Weise vermindert werde. ^) Die
Kontrolle war streng; bisweilen wird das Grundstück mehrmals im Jahre
von Beamten inspiziert, die eigens dazu ernannt werden.^) Auch Forsten
und Weidetriften, ^) Häuser») und Gewässer,^) die den Tempeln gehörten,
wurden verpachtet. Ein andermal wird ein Stück des Tempelgebietes für
die dem Heiligtum gehörenden Herden bestimmt, ^^) oder Strafgelder für
jedes Stück Vieh festgesetzt, welches auf der heiligen Trift weidet, ohne
dass der Eigentümer zu einer Benutzung derselben berechtigt ist.*0 *^^
auch auf Privatgrundstücken gehörten in Attika die Ölbäume (jioQtai) mit-
unter der Göttin, und ihr Ertrag wurde verpachtet.") Erworben und ver-
mehrt werden konnten Tempelgüter entweder durch Schenkungen und
Stiftungen,*^) oder es konnten aus den Zinsersparnissen des vorhandenen
Tempelvermögens neue Landankäufe gemacht werden. **) Sehr grosse Ein-
nahmen flössen den Tempeln auch aus Strafgeldern zu, die auf den Bruch
von Verträgen oder andere Vergehen gesetzt waren.'"')
c. Tempel.
9. Die wichtigsten Stätten des Kultus sind die Tempel. 'ß) Sie wurden
zum Teil auf Kosten des Staates,^') zum Teil von reichen Privatleuten**^)
gestiftet. In ältester Zeit scheinen sich die Kultstätten im Palast selbst
befunden zu haben. >^) In Mykenai ist der Haupttempel der Burg später
auf den Fundamenten des Anaktenhauses erbaut worden. Nicht anders war
») DiTTEKBBBOER Syll.364; Paus. VII 22,
2 ; Diod. V 3.
*) Paus. I 38, 1.
3) DiTTEKBRBGER Syll. 253; CIA. I 283
u. s. w. Vgl. BoECKH Staatsh.s I 372 ff.
*) Lebas-Waddinoton Inscr. de l'Asie
Min. m n. 331 u. 416.
^) S. bes. die sog. tabulae Heraclecnses
CTG. 5779. Vgl. Newton Die griech. Inschrif-
ten übersetzt v. Imelmann. Hannover 1881.
S.45ff.; CIG. 5774.
«) Rakgabe Antiqu. hellen. IIS. 174n.476.
' ) Aristot Pol. VI p. 1321 b 30 ; Thuk. V 53.
8) CIA. II 817; 1^283.
») CIA. II, 1056 ;C.Curtiusim Herrn. IV 188.
>°) In Delphoi: Bulletin de corr. hell. VII
1883 S. 429.
I
'2) Lys. TtBQi atjxot, p. 260. Schoemakn
Gr. A.3 II 196, BoECKH a. a. 0. I 374.
») Z. B. CIG. 3641 b, 4474; vgl. Rhein.
Mus., XVII I 262.
^*) Lebas- Waddington Inscr. de TAsie
Min. III n. 331, 416. Vgl. Swoboda in den
Wiener Studien XI 73 f.
»*) RöHL IGA. 110, CIG. 158, CIA. II 841,
Bull, de corr. hell. 1889 S. 281 Inschr. von
Tegea ZI. 25 f.
«•) Abbildungen auf Tafel II 1-4.
^^) Wie genau und ausfuhrlich dann die
Vorschriften, und wie streng die Kontrolle
war, darüber vgl. CIA. 1 354; Inschr. aus
Lebadeia im 'Jdijyttioy IV S. 369.
>») CIG. 2448, Xen. Anab. V 3, 9.
**) ScHucHABDT Bericht über die Sitzung
") In Tegea: Inschr. im Bull, de corr. der archäol. Gesellschaft in der Wochenschrift
hell. 1889 S. 281 ff. i für klass. Phil. 1888 S. 733 f.
Handbuch der klam. Altf^rtumswiMsenscIuift. V. 3. Abtlg. 2
18 A. Die griechiBohen Knltusalterittiner.
es in Tiryns und in Athen.') Die meisten Tempel befanden sich auf den
Akropolen der Städte. In der Regel wird ein Ort schon lange durch
Opfer- und Altardienst oder Orakel berühmt gewesen sein, ehe an ihm
Tempel errichtet wurden. Dass dies in Olympia der Fall war, haben die
Ausgrabungen ergeben,^) und wo konnte man überhaupt einen passenderen
Ort zur Errichtung eines Tempels finden, als wo bereits ein geweihter
Bezirk mit einem Opferaltar vorhanden war?*) Sonst waren für die Wahl
des Platzes mancherlei Rücksichten bestimmend. Im allgemeinen wurden
freiliegende, weithin sichtbare und der Berührung mit dem täglichen Ver-
kehr möglichst entzogene Orte bevorzugt,^) doch kam es auch darauf an,
welchem Gott das Heiligtum geweiht sein sollte. Chthonischen Gottheiten
baute man die Tempel in der Ebene, die andern, vor allen Zeus, zogen die
Höhen vor. 5) Die noXiovxot d^sol mussten auf der Burg wohnen, andere
wurden als äyogaToi auf dem Markt verehrt, noch andere hatten ihre
Tempel vor den Thoren.«) Auch die Tempel, welche sich inmitten der Stadt
befanden und von einem grösseren iegov nicht umgeben sein konnten, waren
durch einen nsqißoXog von grösserem oder geringerem Umfang von den
profanen Wohnstätten getrennt.'') Dieser schloss dann häufig zugleich
andere zum Heiligtum gehörige Gebäude ein, wie Priester Wohnungen oder
bei den Tempeln der Heilgötter Krankenhäuser, Ställe für das Opfervieh, ^)
ja bisweilen umfasste er mehrere, verschiedenen Göttern geweihte Tempel.')
Dass dieser Bezirk ebenso wenig oder noch weniger als ein Täfisvog ver-
unreinigt werden durfte, versteht sich von selbst. Gefässe mit Weihwasser
{jreQiQQavTijQia) standen ringsum, damit der Eintretende sich besprengen
konnte,*") und der Unreine durfte den Raum überhaupt nicht betreten. Au
Pracht, Grösse, Aussehen unterschieden sich die einzelnen Tempel nicht
weniger als die Altäre. Hatte man diese errichtet, um den Göttern darauf
Opfer darzubringen, so war der Grund zur Erbauung jener wohl, dass
man die Weihgeschenke sicher unterbringen wollte.
10. Alle Tempel erhoben sich auf einem Unterbau, der gewöhnlich
stufenartig anstieg. Doch waren diese Stufen zu hoch, um auf ihnen empor-
steigen zu können, und so musste denn namentlich dem Eingange gegen-
über ein treppenartiger Einsatz zur Benutzung für die Tempelbesucher an-
gebracht werden. Die Zahl der Stufen war ungerade, denn es galt für ein
gutes Vorzeichen, die erste und letzte Stufe mit dem rechten Fuss zu
betreten.^*) In der Regel bildeten die Tempel ein längliches Viereck mit
einem ziemlich flachen Giebeldache. Das Giebelfeld {aevog^ äiTiofia), war
^) Und 80 ist Od. 17 81 ^Athena begab
sich in das Haus des Erechtheus'* zu ver-
stehen. ScHucHABDT Sitzungsberichte der
Arch. Gesellsch. Arch. Anzeiger 1889 S. 62 f.
DöRPFELD Miit. des D. Arch. Inst, zu Athen
1887 S. 207. Vgl. Wachsmüth Ber. der sächs.
Ges. der Wiss. 1887 S. 403.
*) Wenigeb Der Gottesdienst in Olympia,
Vortr. V. Virchow u. v. Holtzendorff XIX 413.
») */' 148, 9 48, & 363.
*) Xen. Mem. III 8, 10; Paus. IX 22, 2.
^) Vgl. Archäol. Unters, auf Samothrake
II 23.
») E. CüRTius Jahrb. f. Phil. 185G S. 142
') Paus. I 20, 2.
^) Inschr. aus Rhodos bei Dittbnbergeb
Ind. lect., Halle S. 1887 S. IX.
») Paus. I 18, 7; II 2, 1; Rangabi^ Ant.
hellen, n. 820.
»<>) Eur. Jon 449, Theophr. bei Porph. de
abst. II 27, Bernays S. 86 f.. Poll. I 8.
>') ViTBuv III 3. Vgl. Bötticher Tek-
tonik I 125 ff.
1. Die KnltnsBt&tten. (§ 10.)
19
oft mit den herrlichsten Skulpturen geschmückt, welche Scenen aus der
Götter- oder Heroensage darst.ellten.^) Auch an den Metopen befanden sich
häufig ähnliche, in Relief gearbeitete Darstellungen. An dem Artemision in
Ephesos war an 36 Säulen der untere Teil des Schaftes mit mehr als
lebensgrossen Figuren in Hochrelief geschmückt.*) Häufig wurde der Ein-
druck und die Wirkung dieser Bildwerke wie auch der Tempel wände selbst
durch Anwendung von Farbe belebt und erhöht,*) namentlich pflegten sich
die Figuren des Giebelfeldes von einem blauen oder roten Hintergrund
abzuheben. Rundbauten mit Kuppeldach finden sich in Griechenland erst in
römischer Zeit.*) — Stieg man die Treppe hinauf, so gelangte man zuerst in
den Pronaos, einen Vorbau, dessen Seitenwände Verlängerungen der Tempel-
wand waren, der aber vorn nur durch eine Säulenreihe abgeschlossen war.
Hier pflegten Weihgeschenke zu stehen, und man konnte auch diesen Raum
absperren, indem man die einzelnen Säulen durch Gitter verband. Dahinter
lag der eigentliche vaog, auch trrjxog genannt, die cella, welche den Hauptteil
des Tempels bildete. Durch die sich nach aussen öffnende Tbür^) empfing
dieser Mittelraum das Licht, besonders grosse Tempel hatten noch eine Öffnung
im Dach.^) Im Hintergrunde dieses Raumes befand sich das Götterbild,^) wel-
ches wohl nur ausnahmsweise in einem Tempel fehlte, davor ein Altar für un-
blutige Opfer und neben diesem Tische zum Niederlegen von Weihgeschenken.
Waren diese wertvoll, so fanden sie in dem arjxog meist auch ihren blei-
benden Platz. Grössere Tempel hatten dann in der Regel noch einen dem
Pronaos entsprechenden Hinterbau, den Opisthodomos,®) der aber nicht
immer durch eine Säulenreihe, sondern oft durch eine Wand abgeschlossen
war. Es war dies notwendig, wenn hier Schätze aufbewahrt wurden. Fast
alle Tempel hatten Säulen vor dem Pronaos {vaog nQoazvXog), sehr viele
auch am Opisthodomos {äfiifinQotrTvXog), und die bedeutenderen auch auf den
Langseiten (nsQtJiTSQog). Besonders prächtige Tempel waren von doppelten
Säulenreihen umgeben {StnrsQog), und das Olympieion in Athen hatte an seinen
beiden Giebelseiten sogar dreifache Reihen.^) Ganz verschieden war die
Grösse der Tempel. Herodot (HI 60) nennt als den grössten aller ihm
bekannten Tempel den der Hera in Samos, dessen Länge 346 und Breite
189 Fuss betrug. Doch gab es später noch grössere; der Tempel der Artemis
in Ephesos war ohne Stufenunterbau 104,39 Meter lang und 49,98 Meter
breit, mit dem Stufenunterbau 127°», 40 lang und 73"°, 15 breit. Nach
dem Brande wurde er in derselben Grösse wieder aufgebaut.*^) Der erst
') Vgl. die Vorderansicht des Athena-
tempels in Aigina bei Baumeister Denk-
mäler S. 261.
«) Arch. Ztg. 1873 S. 72.
') BüBSiAN in Jahrb. f. Phil. 1856 S. 432.
*) Vgl. Pyl Die griech. Rundbauten,
Greifewald 1861.
*) ßörncHEB Tektonik II 84 ff.
^) In der Regel nur die selten vorkom-
menden dexaatvXoi. Dass der achtsäulige
Tempel des olympischen Zeus in Athen eine
oben offene Cella hatte (Yitrüv III 2 § 8).
war eine Ausnahme. Die Thüren, durch welche
das Licht einströmte, waren deshalb auch
sehr gross: die des Parthenon hatte z. B.
5 Meter Breite und 10 Meter Höhe. Vgl.
Hermann Die Hypäthraltempel der Alten,
Göttingen 1844.
^) Vgl. Fränkel in Böckh's Staaishaush.^
11 Anm. 266.
") Schol. Luk. Timon. c. 53.
9) 0. Müller Archäologie § 288.
*®) E. CuRTius Ephesos, Altertum und
Gegenwart, Berl. 1882 II 116: ,In der Grund-
fläche etwa viermal so gross als der Par-
thenon zu Athen und etwa l'/snial so gross
9*
20 A. Die griechischen KnltuBaltertümer.
von Hadrian vollendete Tempel des Zeus Olympios in Athen hatte eine
Länge von c. 107,60 und eine Breite von über 52 Metern. Der Parthenon
ist 69,51 Meter lang, 30,86 Meter breit und c. 14 Meter hoch. Der
Mittelraum war ein Quadrat mit einer Seitenlänge von 30,86 Metern (Heka-
tompedos). Das Grössenverhältnis der einzelnen Teile war in den ver-
schiedenen Tempeln ebenfalls verschieden. So war der ayjxoq des Eleu-
sinischen Tempels 51,96 Meter lang, während die Länge des ganzen Gebäudes
nur 63,52 Meter betrug. Freilich diente der auch mit Sitzplätzen ver-
sehene Raum hier ganz besonderen Zwecken, und ein Opisthodom fehlte. Die
Anlage der Tempel war in der Regel so, dass der Eingang, dem das Gesicht
des Götterbildes zugewandt war, nach Osten lag, doch gab es auch nach Norden
orientierte Tempel, wie die beiden Eabeirentempel auf Samothrake, ') den
Tempel des Amphiaraos bei Oropos,^) und den Apollontempel in Phigaleia.
Dieser hat allerdings noch eine zweite nach Osten sich öffnende Thür, und
das Bild des Gottes mag immerhin nach dieser Richtung geschaut haben. ^)
Nach Westen waren Tempel niemals orientiert. Wo die Sonne zur Rüste
ging, suchte man die Toten. ^) Auch die Priester, welche Alkibiades ver-
fluchen, wenden sich nach Westen.^) — Wurde einer Gottheit ein neuer
Tempel erbaut, weil der alte den Ansprüchen nicht mehr genügte, so wurde
dieser nicht immer beseitigt. So gab es einen alten und einen neuen Athena-
tempel auf der athenischen Akropolis, einen alten und neuen Dionysostempel
und einen alten und neuen Asklepiostempel ^) am Nordfusse der Burg, so
zwei Kabeirentempel in Samothrake.^) — Zuweilen gehörte ein Tempel
mehreren Gottheiten. Das konnten dann sogenannte vaoi 6inXot^ Doppel-
tempel, sein, die sich nach entgegengesetzten Richtungen hin öffneten,^) so
dass jeder Gott seine besondere Cella hatte, oder derselbe Raum war meh-
reren geweiht und nicht immer einer Hauptgottheit vorzugsweise.®) In
diesem Fall befanden sich dann auch mehrere Altäre und Götterbilder im
Tempel.^®) — Einige Tempel hatten noch ein Adyton^*) oder Megaron, ein
Allerheiligstes, das nur die Priester zu gewissen Zeiten betreten durften.**)
Bisweilen war dies ein unterirdisches Gemach.*"^) An dem im vierten Jahr-
hundert erbauten Kabeirentempel bei Theben befand sich ein im Westen
angebautes grosses Hintergemach, welches mit der Haupteella in keiner
als der Dom zu Köln crbob sich der Neubau
auf einem mächtigen Unterbau von 10 Stufen
mit seinen rings umher geführten Doppcl-
reihen von CO Fuss hohen Säulen.*
*) Archäol. Unters, auf Samothr. II 31.
') S. V. WiLAMOWiTz im Hermes XXI
97.
3) BöTTiCHEB Tektonik IV 97 ff. -- Über
Tempelorienticrungon s. Nissen Rhein. Mus.
XXVIII 513 ff., XXIX 369 ff., XL 329 ff. und
besonders XLII (1887) S. 28 ff. Vgl. auch
desselben Verfassers Templum, Berl. 1869
S. 162 ff.
*) Vgl. Athen. IX 78 p. 409. Soph. Oid.
Tyr. 178.
Athen TT 174.
') Archäol. Unters, auf Samothr. II 26.
•*) Paus. II 25, 1; VIII 9, 1.
») Thuk. IV. 97; Paus. I 14, 1; 18, 7;
41, 4; II 11, 2; VIII 32, 1. Vgl. Lobeck
Agl. 150.
^0) Paus. I 32, 2; II 11, 6.
^*) S. Darembebg et Saglio Dict. u. ady-
tum I 91 f. — Wo Herodot vom Tempel der
Athena auf der Burg spricht, sind /ueyaQoy
und ttdvtoy Synonyma (vgl. VII 140 f.). Dör-
pfeld Mitt. des Arch. Inst, zu Athen 1887
S. 200 A. 2 S. auch Preller-Robert Griech.
Myth. I 197 A. 1.
*'^) Paus. X 32 9.
») Lys. Andok. (VI) § 51. »») Paus! II 2,' 1;' VII 27, 1. Vgl. IX
») Köhler Mitt. des D. Arch. Inst, zu , 8, 1 und Lobbck Agl. S. 830 ff.
1. Die EnltoBBtätten. (§ 11.)
21
direkten Verbindung stand. Die darin gefundenen Opfergruben beweisen,
dass dies ein eigenes Opfergemach war.') Der Raum scheint unbedacht
gewesen zu sein.*) Etwas ähnliches finden wir in Idalion auf Kypern, wo
ein Tempel, dessen Fundamente Ohnefalsch-Richter neulich blossgelegt hat,
neben dem Hauptraum einen zweiten enthielt mit einem Altar, der zur Dar-
bringung blutiger Opfer bestimmt war. 3)
Es ist schon gesagt, dass in historischer Zeit das Kultbild des
Gottes (ayaXfia) in seinem Tempel nur ausnahmsweise fehlte,^) abgesehen
von den Heiligtümern der Hestia, wo die auf dem Altar immer erhaltene Flamme
das Bild der Göttin vertrat, und man sie sich selbst unter diesem Symbol
vorstellte. 5) Ob die homerische Zeit schon Götterbilder kennt, ist zweifel-
haft;^) jedenfalls haben nicht alle Tempel eines besessen.^) Die ältesten
Idole waren aus Holz {^oavov), und mögen unschön genug gewesen sein,
doch wo sich einige erhalten hatten, machte sie das Alter ehrwürdig, und
man bewahrte sie wie eine Reliquie auf.*) Die meisten Götterbilder waren
aus Marmor oder Bronze, nur wenige aus Elfenbein und Gold, das um
einen Kern von Holz gelegt wurde. Die berühmtesten unter diesen
waren die Kolossalstatuen des Zeus im Tempel zu Olympia und der
Athena Parthenos auf der Burg zu Athen, beide von Pheidias. Kaum
mehr den Namen von Götterbildern verdienen die sogenannten Hermen,
Säulen mit einem Kopf darauf, vor denen sich oft auch ein kleiner Altar,
auf dem unblutige Opfer dargebracht werden konnten, befand.^)
Wie manche heiligen Bezirke und tsQa^ so waren auch viele Tempel
nur bestimmten Personen oder zu bestimmten Zeiten zugänglich. Dass ein
Unreiner ihnen nicht nahen durfte, bedarf nicht der Erwähnung, aber bei
vielen war der Besuch auch sonst beschränkt oder Laien gänzlich verwehrt.
Als Gründe für diese Bestimmungen werden oft Legenden angeführt'*^), die
eben auch nur erfunden waren, um den alten Brauch zu erklären. Einige
Tempel durften nur von Männern, andere nur von Frauen betreten werden,'*)
für manche bestanden noch andere Vorschriften.'*)
11. Welchem Zweck dienten nun die Tempel? Wir müssen annehmen,
dass sie mehr des Gottes als der Menschen wegen da waren. Ihm waren
sie erbaut, sein Bild und seine Schätze fanden dort Unterkunft und Sicher-
heit, sie waren seine Wohnung und sein Eigentum. Aber der Gott war
durch dieses Heim, das ihm der Mensch inmitten der eigenen Wohnstätten
erbaute, diesem näher gerückt, und gern sah er den Menschen als Gast in
') Dörffeld Mitt. des Arch. Inst, zu
Athen. 1888 S. 91 f.
^) Ebenda S. 96.
*) Ber. der Archäol. Gesellsch. Wochen-
schr. f. klass. Phil. VI 1889 S. 532.
*) Paus. IX 25, 4; X 33, 11.
*) Paus. II 25, 1.
«) Z. 92 (cf. 303)* lässt sich wohl auch
anders erklären Vgl. Stekoel in d. Wochen-
schrift für klass. Phil. 1884 S. 1574 flf.
^) Vgl. Helbio das homer. Epos'-» S.422 flf.
«) Paus. IX 40, 3. — Ober die Kult-
bilder und ihre Ausschmückung siehe auch
Martha les sacerdooes Athön. Paris 1882
S. 45 ff.
') Abbildungen bei Gerhard Akadem.
Atlas, Beriin 1868 Taf. LXV, vgl. dazu Akad.
Abb. II 509 f. S. die angehängte Taf. I
fig. Üa.
>ö) Plut. Quaest. Rom. 16, Quaest. gr. 40.
") Herod. III 37; VI 135; Paus. II 35,
4; III 20, 4; VI 20, 4; VIII 47, 4; 11 4, 7;
Athen. VI p. 262 C u. s. w.
'-') Vgl. ScHOEMANN Gr. A.*» II 208 f.
22
A. Die griechischen Enltasaltertümer.
seinem Heiligtum, sei es dass er sich bittend oder Dankopfer spendend, sei
es dass er sich zur Teilnahme an einer Festfeier nahte. Festfreude und
Gottesdienst waren ja aufs engste verbunden, durchdrangen einander so
ganz, dass die vornehmsten Kultstätten, die Tempel, auch immer der Mittel-
punkt der so zahlreichen Feste des lebensfrohen Volkes waren. Theater
und Volksspeisung waren Gottesdienst, und d^vaia heisst oft nur festlicher
Schmaus.^) Fanden diese Feiern nun auch nicht im Innern eines Tempels statt,
so betrat doch wohl jeder Festgenosse bei solchen Gelegenheiten den hei-
ligen Raum, und der Tempel, den man eben besucht hatte, und in dessen
Nähe und Anblick das Fest stattfand, gab dem Ganzen eine höhere und
weihevollere Stimmung.
13. Aber noch eine andere Bedeutung hatten die Tempel: schon früh
galten sie als die sichersten Orte zur Aufbewahrung der Staatsschätze
wie des Vermögens einzelner.*) So war der Staatsschatz des Athenischen
Reiches seit 438 im Opisthodom des Parthenon aufbewahrt.^) Ebenda be-
fand sich auch der Schatz der Göttin, in den ausser vielen Weihgeschenken
und Stiftungen von Privatpersonen der Zehnte aller Kriegsbeute, auch
des eroberten Landes, und ein Sechzigstel der Tribute floss.*) Alljährlich
wurde ein Inventar aufgenommen, und der Schatz den Nachfolgern in der
Verwaltung übergeben, alle vier Jahre an den grossen Panathenaien Ver-
zeichnisse des Vorhandenen auf Marmortafeln eingegraben. Diese uns zum
Teil erhaltenen Inschriften*) geben uns einen Begriff von der Menge
und Kostbarkeit der dort aufgehäuften goldenen und silbernen Wertgegen-
stände, Statuen, Kränze, Schalen, Lampen, Hals- und Armbänder, Ringe
u. s. w.«) Nicht minder reich waren der olympische Zeustempel und der
des ApoUon auf Dolos.'') Auch der Artemistempel zu Ephesos besass sehr
kostbare Weihgeschenke,®) und aus inschriftlich erhaltenen Rechenschafts-
berichten^) ersehen wir, dass auch hier grosse Summen von ihren Eigen-
tümern deponiert waren und ebenso gewissenhaft wie der dem Tempel selbst
gehörende Schatz verwaltet wurden. Vielleicht haben einige Tempel auch
Prägstätten besessen und Münzen geschlagen. ^^)
13. Aber nicht bloss Geld und Gut gewährten Tempel die grösste
Sicherheit, auch Menschen, die ihre Zuflucht dahin nahmen, fanden hier
Schutz. Eigentlich war jeder Tempel und jedes tsqov ein a<TvXov, d. h. un-
Z. B. Herod. Vm 99 ;Philoch. bei Athen.
VI 46 p. 245 C ; cf. Paus. VII 22, 8.
') S. SwoBODA Über griech. Schatzver-
waltung, Wiener Studien X (1888) S. 278 ff.
u. xr S. 65 ff.
• 3) BoECKH Staatshaush.» I 195 ff.; Fran-
KEL, ebenda II Anm. 268; Busolt Hdb. IV
216; ScHOEMANN Gr. A. I 444; Kibchhoff
Zur Geschichte des Athen. Staatsschatzes im
5. Jahrh. Abh. d. Berl. Akad. 1876.
*) CIA. I 226-272; Kirchhopf Abh.
• der Berl. Akad. 1876 S. 32 ff.; v. Wilamo-
wiTZ Ky dathen S. 28 ff. ; Gilbert Gr. Staats-
altt. I 236 ; s. aber auch Dörpfeld Mitt. des
Arch. Inst, zu Athen 1887 S. 203 ff. und
LoLLiNo Hdb. IX Halbband 1888 S. 344 ff.
5) Namentlich der Jahre 434—403.
*) Vgl. Nbwton-Imelmann a. a. 0. S. 16 f.;
BoECKH Staatsh.» II S. 134 ff.
') Vgl. V. WiLAMOwiTz Kydathen S. 29;
A. MoMMSEN in BuRSiAN*s Jahresbericht 14
Jahrg. 1886 S. 349 ff.
**) Wood, Ephesos Inscr. from the Theatre
no. 1.
®) Vgl. Lebas- Waddington Inscr. de
l'Asie Min. HI S. 56 n. 136a.
^®) Vgl. E. CüRTiüs Über den relig. Cha-
rakter der griech. Münzen in den Monats-
berichten der Berl. Akad. 1869; Numismatic
Chronicle 1870 S. 91 ; Lenormant la Monnaie
dans l'Antiquit^ II 82.
t Die KültnsBt&tten. (§ 12 -13.) 23
verletzlich, und selbst einen Verbrecher ohne weiteres von einem Altar oder
einem Götterbilde, zu dem er sich vor seinen Verfolgern geflüchtet hatte,
wegzureissen, galt wenigstens unter Umständen für Frevel, ganz beson-
ders aber forderte es die Rache der Götter heraus, wenn man sich an den
ihnen heiligen Stätten an einem Unschuldigen vergriff. *) Doch boten nicht
alle Heiligtümer gleiche Sicherheit,^) unbedingte nur die verhältnismässig
nicht zahlreichen Freistätten, welche vorzugsweise den Namen Asyle führten
und die als solche dann allgemein anerkannt waren.') Arkadien besass
deren zwei: das Heiligtum der Athena Alea zu Tegea und das des Lykaios
bei Megalopolis. In jenem fand König Tansanias, der wegen seines schimpf-
lichen Vertrages nach der Schlacht bei Haliartos verurteilt worden war,
Schutz bis zu seinem Lebensende,^) in diesem lebte König Pleistoanax neun-
zehn Jahre, bis er endlich begnadigt wurde. ^) Auf Kalauria gab es ein
Heiligtum des Poseidon, welches das Asylrecht hatte, ^) bekannt durch die
Flucht und den Tod des Demosthenes, in Phlius eines der Ganymede,') und
in der hellenistischen Zeit war namentlich auch Samothrake mit seinem Ka-
beirenheiligtum als Asyl berühmt.®) In Euripides Ion 1315 wird geklagt, dass
diese Asyle Gerechten und Ungerechten in gleicher Weise zu gute kämen, und
in Asien gab es zur Zeit des Tiberius so viele, dass ihre Menge bedenklich
wurde. ^) Im eigentlichen Griechenland hat sich ein wirklicher Übelstand wohl
nie geltend gemacht, da auch der, welchem es gelungen war, ein Asyl zu
erreichen, doch nur so lange doi*t verweilen konnte, wie seine Mittel ihm den
Aufenthalt gestatteten. Alle andern Heiligtümer aber gewährten vollends nur
auf kürzeste Zeit Schutz. Nötigenfalls konnten die Flüchtlinge ausgehungert
werden, wie dies mit dem des Landesverrats beschuldigten Pausanias ge-
schah, i^) und auch sonst fand man wohl Mittel, sie zum Verlassen des Altars
oder Tempels zu nötigen; ^*) verurteilte Verbrecher ^*) aber oder überwundene
Feinde anzutasten, scheuten sich wohl nur besonders Gottesfürchtige. Dass
Agasilaos nach der Schlacht bei Koroneia eine Anzahl Besiegter, die im
Heiligtum der Athena Itonia Schutz gesucht hatten, unverletzt entliess, fiel
offenbar als etwas Ungewöhnliches auf,* 3) und die Mysterieninschrift von
Andania befiehlt den Priestern geradezu, Schutz suchenden Sklaven, deren
Beschwerde sie nicht begründet fanden, ihren Herren auszuliefern.*^)
») Xen. Hell. IV 4, 3; Thuk. III 81;
Herod. VI 91 ; vgl. L. Schmidt Ethik U S. 20
u. s. w.
') In Athen flüchteten sich verfolgte
Sklaven in das Theseion; ausserdem scheint
nur das Heiligtum der Eumeniden in dieser
Beziehung Bedeutung gehabt zu haben. S.
Köhler im Hermes VI 102 f. Schoemanw-
Meieb Att. Prozess' S. 626, wo auch die
Belege, über andere Sklavenasyle Gil-
bert Griech. Staatsaltert. Leipzig 1881 u.
1885. II 288.
») Vgl. Schobmann Gr. A. II 210 ff.;
FöRSTEB, de asylis Graecorum, Breslau 1847 ;
Jaenisch, de Graec. asyl., Göttingen 1868
und besonders Barth, de asylis Graecorum,
Strassburger Diss. 1888, wo die Asyle am ! Plut. Ägcs. 19.
übersichtlichsten nach Landschaften geordnet j ^*) Dittbnbeboeb Syll. 388 2U. 80 ff.
sind, und Darembbbo et Saolio Dict. u.
dffvXia I 505 ff.
*) Xen. Hell. HI 5, 25; Plut. Lys. 28;
Paus. lU 5, 6 f.
^) Thuk. V 16.
«) Strabo VIII 374.
^) Paus. II 13, 3.
8) Plut. Pomp. 24; Livius XLV 5; vgl.
Arch. ünt. auf Sam. II 110 f.
9) Tac. Ann. IV 14; cf. III 60 f.; vgl.
E. Cürtius Ephesos, in Altert, und Gegen w.
1882 H 121.
»0) Thuk. IV 134.
»') Vgl. Thuk. I 126.
»-) Vgl. Lykurg Leokr. § 93.
") Xen. Hell. IV 3, 20; Ages. XI 1;
24
A. Die griechischen Enltusaltertümer.
2. Kultusbeamte«
a. Priester.
BosBLEB. De gentibus et familiis Ätticae acicerdotalibiis, Darrastadt 1833. Kreuseb,
Der Hellenen Priesterstaat, Mainz 1822. Hbimbbod, De Ätheniensium sacerdoübus, Glei-
witz 1854. Adrian, Die Priesierinnen der Griechen, Frankfurt 1821. Pauly's Realencyklop.
u. sacerdos VI 638 ff. Martha, Les aacerdoces Aiheniena, Paris 1882. E. Cubtius, Das
Priestertum bei den Hellenen, Altertum und Gegenwart, Berl. 1882 H S. 38 ff. Sohoemann,
Gr. Altt.3 II S. 410 ff. Hermann, Gottesdienstl. Alt.« g§ 33-36, cf. 10, 11. Lehmann, Quae-
stimies sacerdotales. Part, prior, Königsberger Dissertation 1888. J. Töpffer, Attische Ge-
nealogie, Berlin 1889.
14. Einen eigentlichen Priesterstand hat es in Oriechenland nie ge-
geben. Viele Gründe machten dies unmöglich. Es gab keinen Religions-
unterricht, keine Predigt, und man bedurfte nur in seltenen Fällen eines
Vermittlers zwischen sich und der Gottheit. Das Haupt der Familie durfte
zu Hause selber die Opfer vollziehen, die &vaiai natQioi brachte der Vor-
stand des Geschlechts,*) für den Staat thaten es zum Teil die Magistrate,^)
Reinigungen und Sühnungen durften von Laien vorgenommen werden,') ja
diese konnten selbst die Mantik erlernen.^) Eine Vorbildung und Erziehung
für das priesterliche Amt gab es nicht. ^) Wer aber Priester geworden
war, war Diener eines bestimmten Heiligtums; ein engeres Aneinander-
schliessen der Priester verschiedener Tempel fand nicht statt, eher war
man wohl auf das grössere Ansehn und die reicheren Einkünfte des andern
elfersüchtig, ein Standesgefühl konnte sich nicht bilden. Dazu kam, dass
sehr viele Priester nur kurze Zeit amtierten, und selbst unter denen, in
deren Familie ein Priestertum erblich war, viele neben ihren priesterlichen
noch andere Stellungen im Staate bekleideten, oft so hohe und sie so in
Anspruch nehmende, dass das priesterliche Amt, welches ihre volle Thätig-
keit ohnehin nur bei Festen erforderte, neben diesen sehr in den Hinter-
grund getreten sein muss.^)
15. In homerischer Zeit spielen die Priester, wenn sie auch
hohes Ansehen geniessen, noch keine bedeutende Rolle. Sie sind Vor-
steher und Diener eines bestimmten Heiligtums, aber die Opfer werden
von den Fürsten vollzogen, ohne ihre Mitwirkung Eide geschworen und
Verträge geschlossen, manche Verrichtungen, die ihnen später obliegen,
von den Herolden besorgt. Bedürfte das Heiligtum nicht jemandes, der
es hütete und in Ordnung hielt, so könnte man ihrer entraten. Das wird
später freilich anders, aber die Pflege des Kultus liegt doch niemals aus-
schliesslich in ihrer Hand. Wie der ßatrtXevg der homerischen Zeit^ so sind
in Sparta die Könige, ist in Athen der Archen Basileus in gewissem Sinne
der höchste priesterliche Beamte,^) der namentlich auch die geistliche
^) Es gab sogar eigene Priester des Ge-
schlcchtskultus. Vgl. Dittenberoer im Her-
mes XX 7 f., 22 A. 2; Töpffer Att. Genea-
logie S. 22 und im allg. Badkr de diis na-
TQtooig, Gymnas.progr., Schleusingen 1873.
•^) Vgl. Martha a. a. 0. S. 7 f.
3) Herod. I 35. Vgl. Lobeck Aglaoph.
S. 669.
*) Xen. Kyrup. I 6, 2; Anab. V 6, 29.
^) „Zum Priester ist jedermann gut ge-
nug, ** sagt Isokrates II 6, Worte, in denen
,1 Geringschätzung des Priesteramts übrigens
nicht liegt, sondern nur die Überzeugung,
dass seine Funktionen ihrer Natur nach keine
besondere Befähigung verlangen.*' Ditten-
bebger im Hermes XX 1 Anm.
^) S. Dittenbeboer ebenda S. 34 u. 39.
') Vgl. Aristot. Pol. III 14 p. 1285 a.
2. Die Eültnsbeamten. (§ 14—16.)
25
Jurisdiktion übte.^) Überhaupt wird der Kultus von Staatsbeamten beauf-
sichtigt und die grossen Staatsfeste und Staatsopfer werden von ihnen,
zum Teil persönlich, geleitet. Der Archen Eponymos und der Polemarch
haben bestimmte priesterliche Funktionen,^) die Strategen bringen Opfer
dar,^) ebenso die Prytanen für das Wohl des Staats,^) und diese nament-
lich haben auch sonst je nach ihrer Stellung in den verschiedeneu Staaten
mehr oder weniger mit dem Staatskultus zu thun.'^) Ausserdem liegt es
in der Natur des gegenseitigen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche,
wenn man so sagen darf, und es liegen zahlreiche inschriftliche Zeugnisse
dafür vor, dass auch das Ritual und die Opferordnung für die Tempel
nicht von den Priestern, sondern von den Staaten d. h. also von der Volks-
versammlung festgesetzt und geregelt wurde, ^) und ebenso andere wichtige
Bestimmungen, die den Oottesdienst betrafen, ihrer Entscheidung vorbe-
halten blieben.^) Gewiss werden die Priester bei der Abfassung dieser
Dekrete mitgewirkt haben, werden Vorschläge gemacht und Ratschläge
erteilt haben, aber gesetzliche Bestimmungen konnten sie nicht erlassen.
Ihre Pflicht war es, die Ausführung derselben zu überwachen und Über-
tretungen zu strafen, kleinere selbständig und aus eigener Machtvollkommen-
heit, in schwereren Fällen Anzeige bei den zuständigen Behörden zu
machen.®) So beschränkte sich der Dienst des Priesters auf die Sorge für
das Heiligtum, dem er unter Aufsicht des Staates vorstand.
IC. Ursprünglich war der Priester wohl der einzige Beamte des
Heiligtums. Verrichtungen wie das Reinigen und Schmücken des Tempels,^)
Holz-, Wasserholen u. a. wird er durch Sklaven, die ihm persönlich ge-
hörten, haben ausführen lassen, das geringe Tempelvermögen selber ver-
waltet haben. '^) Aber auch später, wo zu manchem Tempel ein ganzes
Heer von Bediensteten gehörte, stehen an der Spitze stets die Priester
(IsQeTg) oder die Priesterinnen {tegeiat). Allerdings waren sie niemals die
Vorgesetzten aller für den Tempel angestellten Beamten, da die Obliegen-
heiten der einzelnen zu verschieden waren, aber eine besondere Stellung
verlieh ihnen schon das Verhältnis, in dem sie allein zu der Gottheit standen.
Der Priester kannte das Ritual seines Tempels und hatte darüber zu wachen,
er verrichtete oder beaufsichtigte die Opfer, die dort gebracht wurden,^')
er hatte den ganzen heiligen Bezirk vor Entweihung und Verunreinigung
zu wahren und, falls irgend etwas beschädigt war und der Erneuerung bedurfte,
an zugehöriger Stelle die Anträge zu stellen, ^ 2) er hatte die Gebete und
Vgl. BüsoLT Hdb. IV 157.
») Demosth. g. Meid. 9 ff.; PolJ. VIII 91.
Vgl. ScHOEMANN a. a. 0. S. 414 und Gilbert
Gr. Staatsaltt. I 241 f.
») CIA. II 302, 471a b, gemeinschaftlich
mit Priestern CIG. 3595.
M CIA. II 390, 392 u. s. w.
*) Vgl. ScHOEHANK Gr. A. II 415.
8) DrrTENBBBOEE Sjll. 373, CIA. II 477 b;
Thuk. IV 98. Vgl. Newton Die griech. In-
schriften, übers, von Imelmann S. 52 u. 70.
^) Vgl. DrTTEVBERGER Syll. 388 und die
Bemerkungen Sauppes im ind. lect. Göt-
tingen 1880/81 S. 8 f.
®) Vgl. die Inschr. v. Oropos im Hermes
XXI 91 ZI. 9 ff.
®) DiTTENBERGER Syll. 369.
'") Vgl. SwoBODA Wiener Stud. XI 1889
S. 80.
' ') Dass im Heiligtum des Gottes selbst
ein Besucher auch in Abwesenheit des Prie-
sters opfern durfte, war gewiss nur unter
ganz ausnahmsweisen Verhältnissen gestattet.
S. d. Inschr. v. Oropos im Hermes XXI 92
ZI. 27 f. Vgl. auch Dittenberger Syll. 376,
8 u 323
' •») CIA. II 403, 404; Martha im Bull,
decorr. hell. II 419.
26
A. Die griechiBchen EnltasaltertÜiner.
vorgeschriebenen öffentlichen Fürbitten zu verrichten, er war dafür ver-
antwortlich, dass jedes Opfer rechtzeitig und in gebührender Weise geschehe,
und er erhielt in erster Linie Belohnung und Belobung dafür, wenn während
seiner Amtsführung all dies ordnungsmässig ausgeführt und geleistet war,')
er spricht den Fluch aus gegen Frevler,^) bestraft jeden, der das geringste
vom Eigentum des Oottes entwendet,^) und schützt den, der sich zu seinem
Tempel geflüchtet.^)
17. Wenn diese Pflichten und Rechte dem Priester durch das Gesetz
übertragen waren, so ergaben sich andere aus der Ausübung seines Amtes.
Die Priester hatten allein Zutritt zu dem AUerheiligsten, sie allein waren
im stände, aus den Opfern und aus Zeichen den Willen der Götter zu er-
kennen und in die Zukunft zu schauen, sie waren die natürlichen Inter-
preten der Gottheit. Denn eigentliche fidvTsig wurden nur ausnahmsweise
befragt 5) und dann gewiss sehr selten ohne Hinzuziehung von Priestern,
noch seltener aber wird ein Laie so viel von der Mantik verstanden haben,
dass er sich auch ohne Priester, seiner eigenen Einsicht vertrauend, die
Zeichen und Absichten der Himmlischen zu deuten und zu erkennen ver-
mass. Freilich begegnen wir häufig Misstrauen und Unglauben gegen den
guten Willen und gegen das Können auch der Priester,^) aber all das be-
einträchtigte den Glauben an sie im allgemeinen wohl kaum und hinderte
gewiss nur ganz wenige, sich ihrer zu bedienen.
18. Die Zahl der an den einzelnen Tempeln angestellten Priester war
sehr ungleich;*^) an den meisten gab es gewiss nur einen, ^) und wohl an
keinem wurde die Zeit und Kraft dieses einen so voll in Anspruch ge-
nommen, dass er nicht neben seinem Ehrenamte noch einer bürgerlichen
Beschäftigung hätte nachgehen können. ^) Auch hatten bisweilen zwei nahe
bei einander liegende Tempel derselben Gottheit nur einen Priester;*^) so
die beiden Tempel des Dionysos in Athen, wie die Theatersitze bezeugen.*')
In der nachrepublikanischen Zeit kam es auch vor, dass dieselbe Person
mehrere Priesterämter auch an Heiligtümern verschiedener Gottheiten zu
gleicher Zeit verwaltete;'*) dass jemand nach einander mehreren vorstand,
war natürlich immer erlaubt. '3)
In vielen Heiligtümern wurde das Priestertum von einer Frau be-
kleidet,'^) an anderen gab es Priester und Priesterinnen nebeneinander.'*)
CIA. II 373 b, 374, 567 b: Foucabt,
Bull, de corr. heU. II 2 1886 S. 96.
*) Lys. g. Andok. 51 etc.
') CIA. II 841.
*) DiTTBNBEBGBR Syll. 388 ZI, 80 ff.;
SCHOEMAKN Gr. A. II 211.
*) Wie wenig zwischen fÄayreig und Uger;
unterschieden wird, darüber s. 11. A 62, £1
221, Plat. Polit. p. 290 C, Symp. p. 202 E.
Der Priester war gewiss in unzähligen Fällen
zugleich der fAavug,
«) Xen. Kyrup. I 6, 2; Eur. Iph. Aul. 961;
Plato Rep. II p. 364 b; Plut. Lyk. 9 u. s. w.
•) Aristot. Pol. VI (VII) 8 p. 1322.
«) Vgl. Diod. I 73.
®) S. V. WiLAMOwiTZ Inschr. v. Oropos
im Hermes XXI 93.
»0) Vgl. KöHLEB Mitt. des D, Arch. Inst
zu Athen II 255 mit Anm. 2.
»') CIA. III 261 ff. Vgl. CoNZE in den
archäol. Untersuch, auf Samdthrake II 26,
DiTTENBEBOEB itid. schol. Hai, acst. 1887 de
sacris Bhod. II S. IV; Döbpfeld Mitt. des
Arch. Inst, zu Athen 1387 S. 195.
1*) CIG. 1446, 2720, 2820; Bull, de corr.
hell. 1888 S. 84.
»») CIG. 2270 u. s. w.
^*) Z 300 ; DiTTENBEBGEB Syll. 371 ; Paus.
VII 25, 13 etc.
>») Paus. VIII 13, 1; CIA. II 610 etc.
2. Die Eültasbeamten. (§ 17—20.)
27
Nicht selten wurde das Priestertum eines Gottes von einer Frau*) und
umgekehrt einer Qöttin von einem Manne verwaltet.*)
19. Auch das Alter, in dem die Priester standen, war ganz verschieden.
Wir finden Mädchen 3) und Knaben,^) die einem Priestertum vorstehen, bis
sie mannbar werden, daneben ganz alte Priester und Priesterinnen. •'^) Piaton ^)
hält ein Alter von 60 Jahren für den Priester am geeignetsten; im all-
gemeinen wird jedoch das Manuesalter die Regel gewesen sein.') Standen
Kinder®) oder hochbetagte Personen, wie letzteres bei den lebenslänglich ver-
walteten Priestertümern sicherlich oft der Fall gewesen ist, einem Heiligtum
vor, so werden ihnen jedenfalls zur Anleitung und Unterstützung bei ihren amt-
lichen Verrichtungen, deren selbständiger Ausführung sie noch nicht oder
nicht mehr gewachsen sein konnten, andere Beamte beigegeben gewesen sein.
20. Manchen Priestern oder Priesterinnen war Keuschheit geboten
entweder lebenslänglich^) oder für die Dauer ihres Amtes *^) oder endlich
nur eine gewisse Zeit vor Ausübung priesterlicher Funktionen,*') andere
waren verheiratet.**) Auch Enthaltung von gewissen Speisen wurde
bisweilen von den Priestern verlangt. So durften die Priester des Poseidon
in Megara *3) und die Priesterin der Hera in Argos **) keine Fische, die
Priesterin der AtTiena Polias in Athen keinen einheimischen frischen Käse
geniessen. *^) Mitunter erstrecken sich solche Vorschriften auf alle diejenigen,
welche das Heiligtum betreten wollen, und es ist mit Sicherheit anzunehmen,
dass die Priester, die sich ständig in dem Heiligtum aufhielten, diesen
Bestimmungen ebenfalls unterworfen waren. Eine Inschrift aus Lindos auf
Rhodos *^) ordnet an, dass jeder Besucher des Heiligtumes sich an den drei
vorhergehenden Tagen des Genusses von Linsen und Ziegenfleisch und einen
Tag frischen Käses zu enthalten habe, eine andere aus Attika*') verbietet
Knoblauch und Schweinefleisch. Auch die allgemein geltende Bestimmung,
dass jeder nur im Zustande vollkommener Reinheit, auch des Körpers und
der Kleidung, der Gottheit nahen dürfe, findet auf die Priester in erhöhtem
Masse Anwendung. Pausanias*®) berichtet, dass der Priester und die Prie-
sterin der Artemis Hymnia in Orchomenos nicht in öffentlichen Bädern
baden, ja das Haus eines Privatmannes nicht betreten durften, um sich
nicht etwa zu verunreinigen, und dieselbe Bestimmung habe für die Priester
der Artemis in Ephesos bestanden. Auch sonst mussten sie sich vor Ver-
unreinigungen natürlich mehr als jeder Andere in Acht nehmen. Piaton *^)
will so weit gehen, den Priestern die Teilnahme an einem Begräbnis zu
») Z. B. Paus. II 33, 3; IX 27, 5.
2) Z. B. Paus. VIII 47, 3; Ephem. archaiol.
N. F. 1. 1862 n. 96.
«) Z. B. Paus. II 33, 2, VII 26, 3
*) Z. B. Paus. VIII 47, 2, X 34, 4.
5) Paus. VI 20, 2; PJut. Num. 9.
6) Leg. VI 759 d.
') Vgl. die luschr. bei Petersen und
V. LuscHAN Reisen im sw. Kl. As. Wien 1889
II 45 n. 83.
») Vgl. DiTTENBEROEB Syll. 369.
») Plut. Num. 9; Paus. IX 27, 6.
>«) Z. B. Plut. de Pyth. orac. c. 20.
»0 Vgl. Demosth. g. Androt. p. 618 § 78,
g. Neair. p. 1371 §71.
»2) Z 299; Paus. IV 12, 4 u. s. w.
'3) Plut. Quaest. sjrmpos. VIII 8, 4.
*^) Ail. de nat. anim. IX 65.
'^) Strabo IX 11 p. 395; Athen. IX 17
p. 375 C.
*®) Lebas-Foucart Inscriptions de la
Grece, Teil II sect. 5 p. 171.
") DiTTENBBRGER Syll. 379.
»«) VIII 13, 1.
»ö) Leg. XII 3 p. 947 c.
28 •^* 1^0 griechiBchen Ealtusaltertümer.
untersagen, damit sie auch nicht in entfernte Berührung mit einer Leiche
kämen.
31. Selbstverständlich war es, dass der Priester ein unbescholtener
und angesehener Bürger, *) und ebenso, dass er frei von allen körperlichen
Gebrechen (aytiij^)'^) sein musste.^) Besondere Schönheit war eine Em-
pfehlung, bisweilen wohl Erfordernis.'*) Aber auch die Gnade der Götter
musste sichtbar über ihrem Diener walten. Wie nur die naidsg dfitpixkaketg^
Kinder, denen noch beide Eltern lebten, als Gehilfen bei heiligen Hand-
lungen hinzugezogen wurden, so mussten in Messene Priester und Prieste-
rinnen ihr Amt niederlegen, wenn ihnen ein Kind starb. ^) So strenge Vor-
schriften bestanden natürlich nicht überall; aber einen offenbar vom Unglück
Verfolgten wird man sicherlich nicht für geeignet gehalten haben, ein
Priestertum zu bekleiden. So sehen wir also, dass, wenn auch keine be-
sondere Begabung zur Bekleidung des Priesteramtes gehörte, doch mancherlei
Anforderungen an die Inhaber gestellt wurden, was dann natürlich nicht
wenig dazu beitrug, i|ir Ansehen zu erhöhen. Schon bei Homer heisst es
von dem Priester des Idäischen Zeus, dass er wie ein Gott im Volke ge-
ehrt ward,®) und gleicherweise von dem des Skamandros,^) und Theano,
die troische Priesterin der Athena, ist die Gemahlin eines der Vornehmsten *)
und nach späterer^) Sage die Schwester der Königin. i^) In Halikarnass
wird von der Bewerberin um das Priestertum der Artemis verlangt, dass
sie eine beiderseitig aristokratische Abkunft im dritten Gliede nachweise,^')
und ähnlicher Bestimmungen mag es viele gegeben haben. ^^) Äussere Aus-
zeichnungen mancherlei Art verliehen der Stellung der Priester einen be-
sondern Glanz ^^) und machten das Amt auch den Höchstgestellten begehrens-
wert. An manchen Orten Griechenlands wurden sogar die Jahre nach Priestern
bezeichnet, ^^) in der Volksversammlung und bei allen öffentlichen Festen
hatten sie Ehrenplätze,^'') in Athen sassen sie bei den Schauspielen neben
den höchsten Beamten, wie die Inschriften auf den Sesseln im Dionysos-
theater beweisen.*®) Auch Kränze wurden ihnen nach guter Amtsführung
durch besondere Ehrendekrete verliehen,*^) oder sie erhielten die Erlaubnis,
bei allen öffentlichen Wettkämpfen bekränzt zu erscheinen.*^)
22. Die Einkünfte der Priester*^) wai-en natürlich sehr ungleich.
Bei grossen und besuchten Heiligtümern müssen sie recht bedeutend gewesen
>) Aristot. Pol. IV (VII) 9 p. 1329 a; Paus.
VII 27 3.
'') S. Etymol. M. u. d. W.
3) Vgl. Plato Leg. p. 759; Dittenbergeb
SyU. 3G9; Athen. VII p. 300 A. - Verschnit-
»0) Eur. Hek. 3; Verg. Aen. VII 320;
vgl. Apollod. III 12, 5.
^*) DiTTEKBEBOEB Syll. 371.
") Poseidipp. bei Athen IX p. 377 B.
>3) Vgl. z. B. Plut. Quaest rom. 113.
iene Priester wurden nur in Kulten, die aus **) CIG. 3794, 5475, 5491. Lbbas-Wad-
dem Orient hertibergonommen waren, ver- dikoton III 1536, 1541 add. Noch mehr
Beispiele bei Doermer De Graecorum sa-
crificulis qui Ugonom dicuntur, Strassb. Diss.
1883 S. 36 u. 71.
^5) CIG. 101, 23.
»6) CIA. III 2G1 ff.; s. auch CIA. II 589
u. 325, II 550 etc.
«) // 004. '') Z. B. CIA. II 477b.
') E 78. ^*) Inschr. aus Sinope im Bull, de corr
«) Z 299. hell. 1889 S. 300.
«) Vgl. n 718. i '«) Vgl. Martha a. a. 0. S. 115 ff.
langt, und diese Stellen wurden dann wohl
auch nur von Ausländern bekleidet, cf. Strabo
XIV p. 041 ; ScHÖMANN a. a. 0. II 427.
*) Vgl. Paus. VII 24, 3; IX 10, 4 etc.
s) Paus. IV 12, 4. Vgl. aber auch Schö-
MANN Gr. A. II 430.
2. Die Enltnsbeamten. (§ 21—22) 29
sein. Eine erythräische Inschrift *) führt eine ganze Reibe dort käuflicher
Priestertümer auf. Der höchste Preis für das des Hermes Agoraios beträgt
4610 Drachmen, der niedrigste für das der Ge nur 10. Nehmen wir nun
selbst an, dass diese Priestertümer auf Lebenslang gekauft wurden,^) so
ist ein Preis von weit mehr als 4000 Drachmen für ein solches Amt in
einem doch ziemlich unbedeutenden Gemeinwesen immerhin ein recht er-
heblicher. Mehrere andere Priestertümer in demselben Ort werden mit
über 1000 Drachmen bezahlt. Denkbar wäre ja nun allerdings, dass es
den Käufern weniger auf den Gewinn als auf die Ehre angekommen sei,
aber Verluste werden sie in der Regel doch auch nicht haben erleiden wollen,
und der geringe Preis vieler Priestertümer^) zeigt auch wieder, dass die
Ehre, ein solches Amt zu bekleiden, wenigstens nicht unter allen Umständen
eifrig gesucht wurde.
Die Einkünfte setzen sich aus mancherlei Dingen zusammen, und die
Bestimmungen darüber sind an den verschiedenen Orten verschieden. Sehr
viele Priester hatten Amtswohnungen in dem heiligen Bezirke, wie schon
bei Homer {i 200) der Priester des Apollon in dem heiligen Haine des
Gottes wohnt. Pausanias^) berichtet von einem Heiligtum in Elatea, wo
alle Bediensteten des Tempels in dem rtpsvog wohnten. Das ist aber gewiss
kein vereinzelt dastehender Fall gewesen, sondern höchst wahrscheinlich
die Regel; vermieten einige Tempel doch ihnen gehörige Häuser sogar an
Privatleute, um ihre Einkünfte zu mehren. *) Der Priester des Amphiaraos
wohnt in der Stadt Oropos und ist nur verpflichtet, wenigstens jeden dritten
Tag in dem seiner Obhut anvertrauten, von der Stadt entfernten Heiligtum
anwesend zu sein, während dem vswxogog^, wie es scheint, der ständige
Aufenthalt daselbst vorgeschrieben war.^) In besuchten Heiligtümern, die
nicht innerhalb der Stadt lagen, haben die Priester jedenfalls stets eine
Amtswohnung gehabt.^) Die bedeutendsten Einkünfte der Priester bestanden
wohl in dem Anteil, den sie von den Opfertieren erhielten. Der Scholiast
zu Aristoph. Vesp. 695 u. Plut. 1185*) sagt kurz, den Priestern kämen die
Felle und die Schenkel der Opfertiere zu. Das ist nun zwar nicht ganz
richtig, da in Sparta z. B. die Könige die Häute von allen bei den Staats-
opfern geschlachteten Tieren erhielten,^) und in Athen bekanntlich die Felle
aller bei grösseren Staatsopfem geschlachteten Tiere für Rechnung der
Staatskasse verkauft wurden, ^o) und auch sonst bestätigt sich die Angabe
des Scholions nicht in vollem Umfange, aber gross genug war der Vorteil,
den die Priester aus den ihnen bestimmten Opferanteilen zogen, bei allen
einigermassen bedeutenden Tempeln ohne Zweifel. So bestimmt z. B. die
halikarnassische Inschrift, ^0 ^^s die Priesterin die Felle aller bei Staats-
opfem geschlachteten Tiere erhalten solle, ausserdem ein Schinkenstück und
*) DiTTENBEBGEB Syll. 370. | Inschr. v. Chios Mitt. des D. Arch. Inst, zu
«) DlTTEKBEBGEB Syll. II S. 356' AniH 3.
Bbucohakn Philo]. Anz. 1886 S. 439. Siehe
aber auch Lehmann a. a. 0. S. 50 ff.
*) S. die Zusammenstellung bei Heb-
bbecht disserit, philoL Ärgent. sei. X 23 f.
*) X 34, 4.
s) Vgl. BöCKH Staatsh.8 I 375.
•) Inschr. Hermes XXI S. 91. Vgl. d.
Athen 1888 (XIII) S. 166.
^) Amtswohnung eines Daduchen Ephem.
arch. 1883 S. 126 ZI. 9.
^) Dasselbe Suidas u. xtDXaxghfjg,
9) Herod. VI 57.
10) BöCKH Staatsh.3 II 108 f.
") DiTTENBEBGEB Syll. 371.
30
A. I)ie griechischen SaltasalieriÜmer.
mehrere andere Fleischteile von jedem Tier, von Privatopfern nur Fleisch;
ein attisches Dekret ^ ordnet an, dass die Priesterin Fleischstücke und zum
Teil auch die Häute erhalten solle, ein anderes,*) dass ihr bei allen Privat-
opfern von kleineren Tieren ein Schinkenstück, von Rindern die Haut zu-
fallen solle. Sehr häufig erhalten sie einen oder alle Schenkel des ge-
opferten Tieres, 3) eine Schulter,**) das Schwanzstück (oo'yvg)^), die Zunge,^)
ja auch die Ohren werden ihnen einmal zugewiesen.'') Doch beschränkte
sich ihre Einnahme keineswegs auf Teile des Opfertieres selbst. Der Ka-
lender von Kos bestimmt z. B., dass der Priester, welcher dem Herakles
das Rind opfert, drei Mass Gerste und drei Viertel Weizen, vier Schalen
Honig, zwölf Schafkäse, eine Last dürres Reisig, eine Last Holz, drei
Hemichoa Wein und, wie es scheint, einen neuen Ofen®) erhalten solle.
Ebenso weist die raykonische Opferordnung dem Priester Mehl und Wein
zu.^) Auch Backwerk, Früchte und andere Dinge, die auf die Opfertische
gelegt wurden, ^^) fallen ihnen zu. Ausserdera erhalten sie Geld für das
Vollziehen der Opfer ^^) und eine Entschädigung für ihre Auslagen, i*) bis-
weilen auch eine Remuneration aus dem Tempelschatze. ^2) Die Priesterin
der Pergäischen Artemis in Halikamass bekommt für die allmonatliche
Fürbitte von der Bürgerschaft eine Drachme, und darf in dem Monat, in
welchem das öffentliche Opfer stattfindet, eine Kollekte halten, deren Ertrag
ihr zufallen soll, wobei es ihr jedoch nicht gestattet ist, in die Häuser zu
gehen.'*) Auch von den Einkünften aus den Tempelgütem haben viele
Priester ohne Zweifel einen Anteil erhalten, sei es nun, dass ihnen ein
Teil der Pachtsumme zugestanden, sei es, dass ihnen die Nutzniessung
eines unverpachteten Gutes oder eines Anteils daran gewährt wurde. ^•'^)
Wird doch, wie wir aus einer chalkedonischen Inschrift erfahren,**) einem
Priester sogar ein Stück Land, das gar nicht einmal dem Tempel, sondern
dem Staaate gehört, bis auf weiteres zur Nutzniessung überlassen. Auch
lässt sich annehmen, dass von den Zinsen, welche die oft sehr grossen
Tempelschätze brachten, '') die Priester einen Anteil erhalten haben. Und
») CIA. II 631.
«) CIA. II 610.
^) Opferkalender von Eos im Journ. of
Hell. Stud. IX S. 328, 334, 335.
*) Inschr. aus Sinopo Bull, de corr. hell.
1889 S. 300.
^) DiTTEKBERGER Syll. 376, luschr. aus
Sinope a. a. 0. Vgl. Poll. II 95, aber auch
Ktyra. M. 691, 18.
^) Inschr. aus Sinope a. a. 0., aus Cliios
in den Mitt. des D. Arch. Inst, zu Athen
XIII (1888) S. 166, DiTTENBEROEB Svll. 373.
') Journ. of Hell. Stud. IX S. 335 ZI. 62.
^) inyog xaiyog. Vielleicht ist ein Ofen
oder Herd zur Bereitung des Opferraahles neu
hergestellt worden — vgl. S. 335 ZI. 56 — ,
der nach dem Gebrauch dann dem Priester
überlassen wurde.
*) DiTTENBERGER Syll. 373. Mehr solcher
Bestimmungen bei Stengel Quaest. sacrific.
Progr. des Joachimsth. Gymnas. Berl. 1879
S. 15 ff. Martha a. a. 0. S, 120 ff. Reisen
im südwestl. Kleinas. v. Petersen u. v. Lu-
scHAN, Wien 1889 II S. 35 u. 55.
»•>) CIA. II 841b. Artemid. Oneir. HI 3.
Vgl. Dion. Hai. II 23.
") CIA. II 610, 841b.
»0 BöcKH Kl. Sehr. IV 404. Es wird
dies bei Privatopfem die Regel gewesen sein,
doch scheint es auch vorgekommen zu sein,
dass der Opfernde die Abgaben an den Tem-
gel selbst zu entrichten hatte. Inschr. aus
»ropos Hermes XXI 92.
»») DiTTENBERGER Svll. 371 ZI. 33 ff.
»*) DiTTENBERGER Syll. 371 ZI. 26 ff.
**) Hom. hymn. in Apoll. 353. Inschr.
aus Tegea im Bull, de corr. hell. 1889 S. 281,
wo dem Priester und dem Hierothytes die
Berechtigung zuerkannt wird, eine bestimmte
Anzahl von Tieren auf der heiligen Trift zu
weiden.
^ö) DiTTENBKRGER Syll. 369.
") BöcKH Staatsh.3 I 522 f.
i. Die EnltaBbeamien. (§ 23).
31
noch manche andere Vorteile flössen ihnen zu. So gehörten die Fische
aus den Rheitoi bei Eleusis ausschliesslich der Priesterschaft J) Vorteil
und Ehre zugleich war es, wenn Priester im Prytaneum gespeist wurden,
wie dies namentlich auch für den Hierophanten und den Daduchen in Athen
bezeugt ist,*) oder wenn ihnen ein Ehrenplatz bei den Sttnva Srn^iöaia zu-
erkannt wird, wie dem Priester des Asklepios in Chalkedon.^) Auch Be-
freiung vom Militärdienst wurde ihnen zuweilen gewährt. -*) Wohlhabende
und freigebige Priester erwarben sich Ehre und öffentliche Anerkennung
dadurch, dass sie nicht nur alle ihre Pflichten in vollstem Masse erfüllten,
sondern auch zur Feier der religiösen Feste aus ihrem Privatvermögen
beisteuerten, damit sie desto glänzender begangen werden könnten, oder
auf eigene Kosten Tempel oder Tempelgeräte wiederherstellen Hessen.^)
23. Die Art der Besetzung der Priestertümer war verschieden. f')
Einzelne waren in bestimmten Familien erblich.'') Solch ein Recht leitete
sich in den meisten Fällen gewiss daher, dass ursprünglich eine Familie
einen Privatkult gepflegt hatte, von welchem andere ausgeschlossen waren, ^)
dass dieser dann Staatskult wurde, die Verwaltung, d. h. also das Priester-
tum aber den Nachkommen jener alten Familie überlassen wurde.®) Auch
wenn jemand ein Heiligtum gebaut oder wiederhergestellt hatte, konnte er
in der Weise dafür belohnt werden, dass das Priestertum seiner Familie
zugesprochen wurde. ^®) Die Beispiele von solchem Forterben des Priester-
arots in bestimmten Familien sind nicht selten. Am bekanntesten ist, dass
der eleusinische Hierophant dem Geschlecht der Eumolpiden in Athen an-
gehören musste, der Daduchos, der Keryx und der Altarpriester (o inl
ßfo^Kfi) dem Geschlecht der Keryken.^^) Die Eteobutaden besassen das
Priestertum der Athena Polias und des Poseidon-Erechtheus,^^) die Hesy-
chiden hatten den Kult der Eumeniden zu beaufsichtigen, ^ 3) und so noch
viele Familien.^-*) In welcher Weise die Erbfolge innerhalb der Familie ge-
regelt war, wissen wir nicht genau, und es mag dies auch in den einzelnen
Fällen verschieden gewesen sein;^^) sicher ist, dass Linealsuccession nicht
überall stattfand. So erbt ein Priestertum des Poseidon in Halikarnass,
') Paus. I 38, 1.
2) CIG. 184, 191.
') DiTTENBEBOER Syll. 369; vgl. Luk.
Symp. I 9.
*) So dem Priester des Poseidon Heli-
konios in Sinope, Inschr. im Bull, de corr.
hell. 1889 S. 300.
^) CIA. II 325; CIA. II 374; CIG. 3599;
DiTTENBEROER Syll. 356. Bull, de corr. hell.
1888 S. 85. Ephem. arch. 1887 S. 177 ZI. 17 flF.
*) Martha a. a. 0. S. 24 ff.; Lehmann
Qnaest. sacerdot. 1 ff.
^) Vgl. namentlich Bossler a. a. 0. W.
Wachsmuth Hellen. Altertumskunde* II 620 ff.
TöpppER Att. Geneal.
^) Solche Familienkulte erwähnt z. B.
Herod. V 66, cf. VI 56; Lys. g. Andok. 11
Vgl. Petersen Der Hausgottesdienst der
Griechen, und Lobeck Agl. 271 ff.
') Herod. VII 153, wo die Nachkommen
des Telines, des Vorfahren Gelons und Hie-
rons auf diese Weise für ihre Familie die
erbliche Würde der Hierophantic erhalten.
Vgl. Lübbert melet. in Pind. etc., Bonner
Lektionskatal. 1886/87 S. V ff.
^^) Lebas-Foucart Inscriptions, Pelopou-
ndse 243, vgl. auch CIG. 459.
*') Vgl. Dittenberger im Hermes XX
1 ff. und TöPFFER Att. Geneal. unter den betr.
Geschlechtern.
»2) Etymol. M. 386, Preller-Robert Gr.
Myth. I 207.
") Schol. Soph. Cid. Kol. 489; Polemon
ed. Preller p. 91.
*^) Beispiele ausser bei Bossler auch
ScHOEMANN a a. 0. II 423, 424 Anm. 1 und
am ausführlichsten Töpffer Attische Genea-
logie unter d. betr. Geschlechtern.
**) Martha a. a. 0. 35 ff. Ditten-
berger Hermes XX 22 ff.
32 A. Die griechischen EnltnsalteriÜiiier.
das einer Familie gehört, nach Generationen fort, so dass auf den Vater
sämtliche Söhne folgen, dann sämtliche Enkel, die Söhne des ältesten Bruders
zuerst, darnach die des zweiten und so fort. *) Bisweilen wurde das Priester-
tura auch unter den Angehörigen des Geschlechtes verlost,^) oder der Älteste
erhielt es.*^) Dass wegen eines Vergehens des Priesters der Familie das
Recht der Weitervererbung entzogen werden konnte, geht aus Plut. Quaest.
graec. 38 hervor, doch war solch ein Fall gewiss selten genug.
24. Ein anderer Modus der Besetzung war die Wahl durchs Volk,
die aber nicht sehr häufig gewesen zu sein scheint. W^enn es von Theano*)
heisst: ii]v ydq TQdeg ^x^rjxav 'Ax^r^vaitfi iegsiav, so ist daraus einerseits
nicht ein unbedingt sicherer Schluss auf gleiche Sitte bei den Griechen zu
ziehen, andrerseits erfahren wir nicht (wie Schoemann a. a. 0. II 425 richtig
hervorhebt), von wem die Einsetzung ausgegangen ist, und ob dabei ganz
freie oder auf ein bestimmtes Geschlecht beschränkte Wahl stattgefunden
hat. Jedenfalls werden später durch Volkswahl hervorgegangene Priester
mehrfach erwähnt.^)
25. Am häufigsten erfolgte die Wahl der Priester durchs Los; dann
konnte die Gottheit sich den würdigsten Diener selber erlesen.^) Auch
wenn keine Wahl geeigneter Männer, unter denen das Los entscheiden
sollte, voranging,') waren Untaugliche von der Bewerbung natürlich aus-
geschlossen,») und die Zahl der Kandidaten war wohl in der Regel von
vornherein eine beschränkte.^) Streitige Fälle entschied in Athen der Archon
Basileus.^®)
26. Eine vierte Art der Besetzung der Priestertttmer war die, dass
die Stellen verkauft wurden. Dass dies in der Litteratur nur einmal^')
erwähnt wird, ist ein Zufall; die Inschriften ^^j lehren uns, dass der Verkauf
von Priestertümern gar nicht selten war. ^3) Der Erythräische Stein **) zählt
allein ungefähr vierzig Priestertümer auf, die dort zu verschiedenen Preisen
verkauft wurden, der halikarnassische^^) gibt genau die Bedingungen an,
unter denen das Amt verkauft werden soll und schreibt der Priesterin
Rechte und Pflichten vor. Dass der Käufer das Priestertum auch selber
bekleidet, ist nicht notwendig, nur darf er es natürlich keiner ungeeigneten
*) DiTTENBERGER Syll. 372. Dil ganzcD
sind 27 Priester in dem Dekret verzeichnet.
'^) Cf. PJut. Dec. oratt. p. 843 f. Vgl. zu
der Stelle aber auch Töppfer Att. Genea-
logie 124 ff.
3) CIG. 2448 ZI. 29 ; CIA. II 410.
^) II. Z 300.
6) Paus. VII 27, 1; CIG. 2270 ZI. 18;
vgl, 434; CIG. 10G4, 2347, 3067; Rov. Arch.
XV 207.
«) Plat Lfg. VI p. 759 C. CIA. II 622,
567 b u. s. w. — Gleichzeitige Wahl eines
Ersatzmannes, der im Fall des Todes oder
der Unfähigkeit des ersten das Priestertum
übernehmen soll Bull, de corr. hell. IX 1885
S. 6 n. 2. Vgl. DiTTENBERGER Indcx. lect.
Halle Som. 8(> S. V. Einsetzung eines Pries-
ters auf Befehl des Orakels Dittenberoer
Svll. 368 =- CIA. III 1654; infolge eines
iWumes Artemidor Oneir. V 1.
') Vgl. Cicero in Verr. II 125.
*) Vgl. Aristot. Polit. IV (VII) 9 p. 1329a.
») Vgl. Demosth. g. Eubul. § 46 u. 47
p. 1313.
»ö) Poll. VIII 90.
") Dion. Hai. II 21.
*'') Gesammelt und behandelt von Heb-
brecht dissert. philol. Argent sei. X 1 ff.
Vgl. DiTTENBERGER SvlI. 371 pracf., Leh-
mann a. a. 0., Anthes Quaestt. epigraph. 1885
S. 25 ff. ; ferner die Inschrift von Chios in d.
Mitt. des Arch. Inst, zu Athen XIII (1888) 166.
'^) Freilich besitzen wir noch kein Bei-
spiel aus Athen.
>*) DiTTENBERGER SjH. 370.
>5) DiTTENBERGER Syll. 371.
2. Die EaltoBbeamien. (§ 24—28.)
33
Persönlichkeit übertragen. ^) Erfolgt die Zahlung nicht sogleich oder nicht
vollständig, so sind Bürgen zu stellen.^) Sehr zweifelhaft ist es, ob unter
Umständen auch schon die Anwartschaft auf ein noch nicht erledigtes
Priestertum verkauft worden ist;^) dagegen war es gestattet, dass der
Priester dem für den Fall seines Todes bestimmten Nachfolger das Amt
schon bei Lebzeiten überliess {6ia(Tvvi(TTrj<rig),^)
Die Dauer der Amtsführung war, wie sich schon aus dem Voran-
gehenden ergeben hat,^) in den meisten Fällen entweder lebenslänglich
oder auf ein Jahr beschränkt.^)
Die Einsetzung eines sein Amt auf Lebenszeit antretenden Priesters
wurde festlich begangen,^) eine eigentliche Weihe fand aber nicht statt.
27. Bisweilen führten die Priester besondere Titel. So werden in
Megara Priester des Poseidon Hieromnemonen®) genannt, in Tarsos der des
Herakles Stephanephoros,^) in Theben der des Apollon Daphnephoros,^^) eine
Priesterin der Aphrodite in Sikyon Lutrophoros.^^)
Ein Archiereus*') findet sich erst in späten Urkunden, namentlich in
Kleinasien. ^^) Der Titel wird zuweilen dem Präsidenten eines Priesterkolle-
giums beigelegt, zuweilen führt ihn der Vorsteher eines an den betreffenden
Orten bestehenden Kultes.^'*)
28. Auch äusserlich unterschieden sich die Priester durch ihre Tracht
von der Menge. Sie waren mit dem langen, ungegürteten Chiton be-
kleidet,^^) der von Männern im gewöhnlichen Leben seit der Mitte des
fünften Jahrhunderts nicht mehr getragen wurde. In der Kegel war
dieser von weisser Farbe, bisweilen von purpurner, ^<') oder er hatte
einen Purpursaum. ^'') Der Archen von Plataiai, ein Hoherpriester, trägt
weisse Kleidung, legt aber an dem Tage, an welchem er den in den Perser-
kriegen Gefallenen das grosse Totenopfer bringt, purpurne an.^^) Es scheint
überhaupt, dass bei jeder gottesdienstlichen Handlung, die sich auf die
Unterirdischen bezog, die Purpurfarbe bevorzugt wurde, ^^) während den
obem Göttern Weiss genehmer war.^®) Natürlich legten die Priester bei
Feierlichkeiten auch ein besonderes Ornat an. In Eleusis trug der Daduchos
bei den Mysterien die Fackel, angethan mit einem purpurnen Gewände und
einen Myrtenkranz auf dem Haupt. Noch prächtiger war das Kostüm
M S. DiTTBVBKBGEB im Hermes XVI 169 ff.
') Vgl. Lehmann a. a. 0. S. 47 ff.
3) Vgl. Bbüchmann Philol. Anz. XVI
(1^86) S. 445 ff. and dagegen Lehkann a. a.
O. S. 42 ff.
*) Vgl. DiTTENBEBOBB Syll. S. 536 not. 5.
^) S. z. B. auch die Inschrr. n. 83 u. 84
in Bd. II der Reisen im sw. Kleinas., Wien
1889.
^) Vgl DiTTENBBBGEB im Ind. lect., Halle
Sommer 1887 S. V.
^} S. DiTTENBEBOEB im Hermes XVI 175
und vgl. auch Athen. XII p. 549 F.
8) Flut Quaest. symp. VlII 8, 4.
«) Athen. V p. 215 B. Vgl. Keil Schedae
epigraph. 1855 S. 32.
»«j Paus. IX 10, 4.
^^) Mehr Beispiele bei Hebmann G. A.'^
§ 35 A. 2, ScHOEMANN Gr. A.' II 421 ff.,
DoEBMEB a. a. 0. S. 36 u. 71 f.
»«) S. Schobmann Gr. A. II 435 f., 0.
HiBSCHFELD in d. Abhandlgg. der Berl. Akad.
d. Wiss. XXXV (1888) S. 876 f., 887 f.
'3) CIG. 2184, 2421. Bull, de corr. hell.
1887 S. 249, 299 f. u. s. w.
**) Vgl. Newton-Imelmann a. a. 0. S 60.
^^) S. die Abbildungen bei Michaelis
Parthenon Taf. XIV Fig. 34. und v. Sybel
Katalog der Skulpturen zu Athen 153, 2130.
»«) Strabo XIV 648. Vgl. Athen. V 47
p. 211 B.
'') Athen. V 54 p. 215.
^®) Plut. Arist. 21.
»*') Vgl. Aisch. Eum. 1028. Lys. g. And. 51.
20) Plato Leg. XII 956 a.
Bandbnoh der klaoi. AltertuniBWiflaenflohafl. Y. 8. Abtlg.
3
34 A. Die grieohisohen KnltiiBaliertÜmer.
des Hierophanten.*) Wohl alle Priester trugen langes Haar,*) beim Gottes-
dienst Kränze,*) oft Stäbe in den Händen,*) wie schon Chryses bei Homer
{A 15) mit einem goldverzierten Szepter erscheint. — Auch kam es vor,
dass bei gewissen feierlichen Gelegenheiten Priester und Priesterinnen in
der Tracht und mit den Attributen der Gottheit, welcher sie dienten, er-
schienen. In Pellene trat die Priesterin der Athena — i/ xaXXiaur^ xai
lLi€y{<rT7] T&v naQÖ^bvwv — bewaffnet und mit dem Helm auf dem Haupte
auf,^) die Priesterin der Artemis Laphria zu Patrai fuhr in einem von
Hirschen gezogenen Wagen,*) und ein Priester der Demeter zu Pheneos
legt sogar die Maske der Göttin an.^)
b. Gehilfen und Diener der Priester.
29. Aristoteles polit. VH (VI) 8 p. 1322b nennt unter den priester-
lichen Beamten der grösseren, ein zahlreicheres Kultpersonal und einen
umfassenderen Verwaltungsapparat erfordernden Heiligtümer die isQonotof^
rao(pvlax€g und rafAiai %(av isqwv x^'Jiwarcor, Wie schon die Namen zeigen,
sind die Funktionen aller sehr verschieden, und darnach auch ihre Stellung
und ihr Verhältnis den eigentlichen Priestern gegenüber. — Am nächsten
stehen den Priestern die teQonoioi, ihre Untergebenen sind auch sie kaum,
wenn sie auch verpflichtet gewesen sein werden, bei der Ausübung ihres
Amtes in diesem oder jenem den Weisungen der Priester Folge zu leisten.*)
Gewöhnlich treten sie als Kollegium auf: zwölf in Kameiros auf Rhodos,^)
zehn in Athen, ^^) an andern Orten vier^^) oder zwei, **) selten nur^*) wird
einer erwähnt.^*) Wie die tsQeig werden sie durchs Los bestimmt*^) oder
gewählt und zwar vom Volk^«) oder von der ßovXri^^'^) auf ein Jahr^®) oder
zu einem bestimmten Zweck auf kürzere Zeit.^^) Ihnen liegt vorzüglich
die Sorge für die Opfer ob, zu denen sie alles Notwendige zu beschaffen
haben. ^<^) Eine auf die kleinen Panathenaien bezügliche Inschrift ^^) trägt
ihnen auf, für einen bestimmten Preis die Opfertiere anzukaufen, sie in
feierlichem Zuge zum Altar der Athena Polias zu führen und zu opfern,
und dann das Fleisch demen weise an die einzelnen Bürger zu verteilen.
In Eleusis nehmen sie das den Göttinnen von den Hellenen dargebrachte
Getreide in Empfang, bewahren es auf, verkaufen es^^) in Gemeinschaft mit
dem Rat und schaffen dafür vom Volk beschlossene Weihgeschenke an.^»)
») Vgl. TöPFFKR Att. Genealogie S. 46 f.
2) Horod. II 36, PJut. Arist. 5 etc.
») Schol. Soph. Oid. Kol. 681.
*) Inschr. v. Kos im Journ. of Hell. Stud.
IX 334 ZI. 10.
*) Polyaen. VIII 59 p. 331 Wölfl.
«) Paus. VII 18, 12.
') Paus. VIII 15, 1. Mehr Beispiele bei
Back De Graecorum caerimofiiis, in quibus
homines deonim vice ftmgehantur, Berl.
Diss. 1883.
®) Über d. Isgonoioi s. besonders Doer-
XER l>e Graecorum sacrificulis qui legonoioi
dicuntur dissert, Artjent. 1883, auch Bobckh
Staatsh.3 I 273.
«) Bull, de corr. hell. V 336 flF. I Anm. 398.
»0) Etym. Magn. p. 469, Poll. VIII 107.
^0 CIG. 2953b, CIA. II 581.
^2) CIG. 2157.
") Vgl. DoEKMER a. a. 0. S. 19.
»*) CIG. 2056.
'^) CIA. II 581, 611.
^«) Demosth. g. Meid. 21 § 115.
") U&tjvaioy VI p. 482.
»^) CIA. I 188.
'^) UihjyMoy a. a. 0.
20) DiTTENBERGER Syll. 373. Inschr. aus
Keos bei Halbherr im Museo ItcUiano di
antichitä class. I 220 ZI. 11 ff.
«») DiTTENBERGER Syll. 380.
") Vgl. Ephem. arch. 1888 HI 55.
") Fränkel in BoECKu's StÄatsh.» II 62*
2. Die EaltoBbeamten. (§§ 29—30.)
35
Auch mit der Beaufsichtigung und Verwaltung der Heiligtümer und der
Tempelschätze haben sie zu thun^) und bei der Niederlegung ihres Amtes
Rechenschaft abzulegen.*) Wie den Priestern kann auch ihnen Strafgewalt
übertragen werden,^) wie diese erhalten sie Antöile von den Opfertieren*)
und nach guter Amtsführung Belobung und Kranz. 5) Dass ihre Stellung
und ihre Pflichten nicht überall dieselben waren, ist natürlich und erhellt
zur Genüge aus dem Gesagten.«) Verwandt mit den uQonoioi sind die (in
nichtattischen Inschriften häufig erwähnten) emi^irjnoi,^) Sie sind ein Jahr
im Amte,®) aber treten nur in den einzelnen Monaten in Funktion.^) Fleisch-
verteilung ^®) und Anordnung der grossen Opfermahle ^0 scheint ihnen vorzugs-
weise obgelegen zu haben. Auch sie erhalten Anteile von den geopferten
Tieren^*) und die übliche Anerkennung nach tadelloser Aratsver waltung. ^5)
Dass die tsqonoioC wie die imfii^vioi an einigen Orten, wo ihre Funktionen
dann freilich auch noch andere gewesen sein mögen, höchst vornehme Be-
amte waren, geht daraus hervor, dass sie dort die eponymen Beamten
sind.^*) Dass auch die uns öfters begegnenden teQo&vva^^'^) und Isqovojhoi^^)
hauptsächlich mit den Opfern zu thun gehabt haben, lässt sich vermuten.
— Femer gehören hierhin die sog. Parasiten, die- unter anderm die
dem Tempel zukommenden Getreidelieferungen eintrieben und die Fest-
schmäuse ausrichten halfen, i') und die xtjQvxfg oder tegoxrjQvxeg, die in home-
rischer Zeit ja die eigentlichen Opferer sind, aber auch später dabei be-
hilflich sind,^®) Gebete verrichten ^'•*) und bisweilen auch gleich den Parasiten -*')
ihren Anteil vom Opferfleisch erhalten. *9 — Eine bestimmte Art von Herolden
sind die (rnoviotpoQoi, die wir in Eleusis finden, und nahe stehen ihnen auch
die ndyeiQo^ und olvoxooi, denen wir gleichfalls in Eleusis und in Olympia
begegnen.**) Schliesslich mögen hier noch die von der Volksversammlung
gewählten ßowvai Erwähnung finden, die auch [mit der Anschaffung von
Opfertieren betraut wurden.*^)
30. Nächst der würdigen Feier der Feste und Opfer, also der Sorge
für die gebührende Verehrung der Gottheit, lag den Priestern die Sorge für
den Tempel und den heiligen Bezirk überhaupt ob. Unterstützten die vorher
genannten Beamten und Gehilfen sie vorzugsweise in jener, so standen
ihnen solche hierbei nicht weniger zur Seite, und eben diese scheint Ari-
stoteles a. a. 0. kurz mit vaotpvXaxsg zu bezeichnen. Dazu gehören z. B.
') CIG. 2266, 2953b. Vgl. Frankel a.
a. O. Anm. 268, Föücart Des ass, 24.
«) CIA. II 581.
») CIA. II 631.
'•) DiTTENBEROER Syll. 380. Inschr. v.
Kos im Journ. of Hell. Stud. IX 334 ZI. 22 f.
») CIA. II 581.
^) Vgl. DoEBMER S. 37 ff., HoMOLLB im
Bull, de corr. hell. VI 1 ff.
^) Vgl. über sie Doermer a. a. 0. S. 65 ff.
») CIG. 3641b.
•) S. BoECKH im CIG. II p. 1133.
'«) Bull, de corr. hell. VI p. 256 f.
^ *) Mova. tijg ivayyeX. ff/oA. in Smyrna
1880 n. 186 p. 141.
>«) CIG. 2448.
*^) Ross Inscr. Gr. ined. 175.
'*) DiTTEBEROER Syll. 159, CIG. 3723,
3595 etc.
•*) CIG. 5491, Bull, de corr. hell. 1889
S. 281 u. 8. w.
»«) CIG. 3595 u. s. w.
") PoU. VI 35, Athen. VI 27 p. 235.
Vgl. Meier Hall. Encykl. d. Wiss. u. K. III
11 S. 418 ff.
»8) Athen. XIV 79 p. 660.
»») CIA. II add. 57 b.
20) Athen. VI 27 p. 235.
2») S. Stengel Jahrb. f. Phil. 1879 691 f.
**) Vgl. DiTTENBEROER im Hemies XX
29 f.
") Vgl. BoECKH Staatsh.^ I 274.
3*
36
A. Die griechischen Knltiusaltertüiner.
die häufig erwähnten veünnoioi, ^) deren Aufsicht alles den Bau und die Er-
haltung des Tempels Betreffende unterstand, und die ieqoifvXaxeq,^) Staats-
beamte, die mit den Priestern zusammen wirkten, vor allem aber die
v€(ü7i6qoi, oder ^oxoqoi mit ihren vtio^oxoqoi.,^) Der Name bedeutet ursprüng-
lich Tempelfeger — und als Küster begegnen uns v€(ox6qoi auch in In-
schriften — ,^) wird aber in späteren Jahrhunderten, wenigstens in Asien,
ein Titel von höchster Auszeichnung.^) Es gab auch weibliche vetoxoQoi.^)
31. An dritter Stelle nennt Aristoteles a. a. 0. die Tafiiai zwv tegdv
XQr^iidxwv d. h. die Schatzmeister der in den Tempeln aufbewahrten Schätze.
Uns gehen hier nur die teQoiafjum'^) etwas an, die nicht mit der Verwal-
tung der grossen in den Tempeln deponierten Staatsvermögen zu thun
haben, sondern mit den zur Erhaltung des Heiligtums und zu gottesdienst-
lichen Zwecken bestimmten Summen,^) daneben dann aber auch zu anderen
Dienstleistungen, wie sie der Kultus mit sich bringt, herangezogen werden
können.^) Oft führen auch sie nur den einfachen Namen rafiiai.^^) Sie
gehören zu den «unentbehrlichsten Tempelbeamten und sind auch für kleinere
Heiligtümer, welche kein zahlreiches Personal haben, vorauszusetzen. Im
Amphiaraostempel bei Oropos „hat offenbar weder Priester noch Küster
den Schlüssel zum Opferstock, ^ ^^) und auch die Priesterin der pergäischen
Artemis zu Halikarnass darf die Kasse nicht selber öffnen. ^^)
32. Schliesslich besass jedes grössere Heiligtum eine erhebliche An-
zahl von Sklaven {tegoSovXoijy denen die niederen Verrichtungen, wie Holz-
hauen, Wassertragen, die Bestellung der dem Tempel gehörigen Ländereien
und ähnliche Geschäfte oblagen. ^^) Sie rekrutierten sich entweder aus Kriegs-
gefangenen^^) oder gingen durch eine Gession ihres Herrn in den Besitz
des Tempels über.^^) Dass diese Sklaven es besser hatten als andere, geht
schon daraus hervor, dass sie sich selber oft eine Summe ersparten, für
die sie sich dann durch Beamte des Tempels, dem sie fortan angehören
wollten, von ihren Herren loskaufen Hessen, ^ß) Manche Tempel der Aphro-
^) DiTTENBEROEB Syll. 353, 371 u. s. w.
2) CIG. 5545 etc.
») DlTTENBERGEB Syll. 358, 467.
^) S. z B. Hermes XXI 91 und die Be-
merkungen von V. WiLAMOwiTz S. 94.
6) CIG. 3190, 3201, Reisen im südwestl.
Kl.As. I n. 53 D b.
«) S. z. B.j Paus. Tl 10, 4. Mehr bei
FoucART Des as8. S. 192.
') Vgl.SwoBODA Wiener Stud. XI (1889)
65 ff.
") DiTTENBERGER Syll. 357. Bull. de corr.
hell. VII 481. — Denn Staats- und Tempel-
scbatz werden natürlich getrennt verwaltet,
und auch die aus letzterem zu bestreitenden
Ausgaben werden staatlicherseits kontrolliert.
Vgl. KiRCHUOFF Zur Geschichte des Athen.
Staatsschatzes im 5. Jahrb., Abhndlgg. der
Berl. Akad. 1870, und Swoboda Wiener Stu-
dien X 278 ff. und XI 65 ff. Wie der Staat
Zuschüsse zu sakralen Zwecken leistet, so
macht er andrerseits auch wieder Anleihen
bei Tempeln (Thuk. I 121, 143 u. s. w.) und
streicht unter Umständen auch Überschüsse
ein (DiTTENBEROER Syll. 388, Swoboda W.
St. XI 76).
®) Vgl. DiTTENBEROER Syll. 294.
»") Vgl. Fränkel in Böckh's Staatsh.»
II Anm. 263.
**) V. WiLAMowiTz im Hermes XXI 95.
^'^) DiTTENBEROER Svll. 371, 34 f.. SWO-
BODA in d. Wien. Stud. XI 71 u. 76. — Über
Rechenschaftsablegung der Priester vgl. Mar-
tha a. a. 0. S. 133 ff., Böckh Staatsh.' I
238, Fränkel, ebenda II Anm. 263, Swoboda
in d. Wien. Stud. X 278 ff. -- Besondere
xXsidovxoi des Asklepios CIA. II 958.
»3) Vgl. Paus. X 32, 8, V 13, 2 u. s. w.
'*) Strabo VI 257, Athen. IV 173 E,
Otfr. Müller Derer 254 ff.
^*) Vgl. FoüCART Mem. sur Vaffranchis-
sement des esclaves, Paris 1867, E. Cürttcs
De tnanumisswne sacra Graecorum in Anecd,
DelpK Berl. 1843.
^®) Hierüber wie über die Formen solcher
Freilassungen s. Newton-Imelmaitk a. a. O.
S. 61 ff.
2. Die Knltnsbeamten. (§§ 31—34.) 37
dite besassen eine grosse Anzahl weiblicher Hierodulen, Hetären, die von
ihrem Verdienst eine Abgabe an den Tempel entrichteten, wie wir es
namentlich von Eorinth wissen. *) Wie gross ein Tempelpersonal bisweilen
war, davon geben die Schilderungen des Artemisdienstes in Ephesos einen
Begriff.«)
33. Ausser diesen ständigen Tempelbeamten und Dienern gab es eine
Reihe solcher, die zu einem bestimmten Zweck gewählt wurden und dann
nur bei Gelegenheit ihre Dienste ausübten, entweder wiederholt und regel-
mässig, oder nur einmal. So ordnet eine Inschrift aus Stratonikeia, in
Karien') an, dass dreissig Knaben aus guter Famib'e als Chor gewählt und
in das Ratsgebäude, wo sich die Bildsäulen des Zeus Panamerios und der
Hekate befinden, gebracht werden und hier weiss gekleidet, bekränzt und
Lorbeerzweige in der Hand haltend, einen Hymnus singen sollen. Wird
einer von ihnen Ephebe oder stirbt einer, so soll ein neuer an seine Stelle
gewählt werden. Dasselbe Dekret ermächtigt den Priester der Hekate,
alljährlich noch einen anderen Knabenchor zu wählen, welcher den üblichen
Hymnus der Göttin zu Ehren singen soll. Auch sonst waren Musiker,
namentlich Flötenspieler, beim Gottesdienst unentbehrlich, da ja Musik und
Gesang fast jedes Opfer begleitete. — In Elis gibt es ein Kollegium
von sechzehn Frauen, die im Dienst des Dionysos und der olympischen
Here mitwirkten.*) — Dann aber erheischte jede grössere Festfeier die Mit-
wirkung vieler eben nur bei dieser Gelegenheit aktiv am Gottesdienst Teil-
nehmenden. So unterstützten vierzehn Matronen, ysqaQai genannt, die
Basilissa bei der Anthesterienfeier in Athen, leisteten die xavrjipoQoi und
fQQT^fpoQoi an den Panathenaien ihre Dienste;'*) als äXsxQig auf der heiligen
Mühle das Korn zur Festfeier der Göttin gemahlen zu haben, ist einer
Athenerin lebenslang eine wertvolle Erinnerung,®) und den Wein bei den
Opfermahlen zu schenken, rechnen sich die Söhne der Vornehmsten zur Ehre. ^)
c. Seher und Weissager.
ct. Die Mantik.
Bouch^-Lbclercq, Histoire de la diiHnationy Paris 1879. Hebmann, G. A.'* § 37—42.
ScHOBMANN, Gr. A.' 278 — 310. Völckeb, Wesen und Ursprung der griech. Mantik in Allg..
Schulztg. 1831 Nr. 144—146. Wachsmuth, Hellen. Altertumskunde II 584 ff. Mezoer in
Pauly's Realencykl. II 1113 ff. u. divinatio. Naeoelsbaoh, Nachhom. Theol. 162 ff. Homer,
Theol.» 168 ff. Leop. Schmidt, Die Ethik der Griechen, Beri. 1882 II 53 ff. E. Cubtius,
in Altertum und Gegenwart' I 170 ff.
34. Der Glaube, dass die Gottheit dem Menschen durch Zeichen zu
erkennen gebe, was er zu thun oder zu unterlassen habe, ist unter den
Griechen zu jeder Zeit allgemein gewesen.^) Solche Zeichen können erbeten
werden, oder sie werden von den Göttern aus eigenem Antrieb gegeben.
») Athen. XIII 32 p. 573. Strabe VI
418, vgl. RoscHEB Lex. der Myth. I 392 «F.,
Bbckeb-Göll Charikles I 50.
*) Strabo XIV 950. Vgl. Paus. VUI 13. 1 u.
mehr bei Pbelleb-Robebt Gr. Myth. 1 330 A. 1.
») 2. Jahrh. p. Chr. CIG. 2715.
1883.
6) CIA. HI 917, 918, 887.
®) Aristoph. Lys. 644 u. Schol.
^) Athen. X 24 p. 425 A.
8) Vgl. Aisch. Prom. 484 ff. Plat. Symp.
' " " ' " 1. C.
p. 188c, Cic. de div. I 38, § 82. Vgl.
'*) S. Wenioeb Das Kollegium der 16 i Wachsmuth Die Ansichten der Stoiker Ober
Frauen etc., Progr. des Gymnas. zu Weimar | Mantik und Dämonen, Berlin 1860.
38 A. Die griechischen Knltnsaltertüiner.
Viele kann jedermann deuten, andere vermag nur der Kundige zu erklären.
Die Alten selbst unterscheiden zwei Arten von Mantik: die natürliche oder
kunstlose und die kunstmässige. ^) Die erste beruht auf unmittelbar von
den Göttern ausgehender Offenbarung, wie sie namentlich durch Träume
und Orakel gegeben wird. Insofern auch ein Traum der Deutung, ein
Orakel der Auslegung bedürfen kann, erheischen auch diese Zeichen Inter-
preten und gehen somit schon in die zweite Art über. Zu dieser werden
aber insonderheit alle die Zeichen gerechnet, deren Verständnis allein dem
Kundigen erschlossen ist. Sie zu deuten, ist eine Kunst, die erlernt wer-
den kann, doch muss bisweilen eine besondere Begabung dafür mitge-
bracht werden, die nur einzelnen durch die Gnade der Götter verliehen
wird. Dies ist nun auch wieder eine göttliche Erleuchtung, eine Offen-
barung. So ist also eine strenge Scheidung zwischen beiden Arten nicht
möglich.
35. Betrachten wir zuerst die Zeichen, die entweder zufallig begegnen,
oder deren Herbeiführung, wenn sie einmal erbeten und gesucht werden,
keine besonderen Mittel und Vorbereitungen erfordern.
Die einfachsten solcher Zeichen sind die sogenannten xXrjdov^q oder
^ri^ai,^) Worte oder Laute, die zur guten Stunde gesprochen oder ver-
nommen werden, absichtslos und anscheinend nichtssagend, aber doch
bedeutend durch irgend ein auffälliges Zusammentreffen und eine plötzlich
sich aufdrängende Beziehung. Eine solche ^r^firj {v 105) oder ein xXrjSciv
(120) ist es, dass Odysseus die Magd den Freiern das Verderben wünschen
hört gerade in dem Augenblick, als er zu Zeus darum gebetet hat, oder
dass Telemach den Segenswunsch des alten Aigyptios vernimmt {ß 35),
den dieser ausgesprochen, noch ehe er weiss, dass Telemach die Versammlung
berufen hat. — Eine ähnliche Bedeutung wie das gesprochene Wort kann das
Niesen haben. Penelope , freut sich, als Telemach laut niest, wie sie eben
den Wunsch nach der Heimkehr des Gemahls ausgesprochen hat, und auch
Eumaios sieht dies als ein gutes Zeichen an {q 541 ff.). Als Kleanor in
der Versammlung die Lage der Zehntausend für gar nicht so hoffnungslos
erklärt, und gerade in diesem Augenblick einer niest, schickt das ganze
Heer /ti^ oQfujj seine Gebete zu den Göttern empor. •'^) Hierhin sind auch
die sog. o/iyai oder oa<rai zu rechnen, Worte oder Verkündigungen, die
Zeus (0 250) und andere Götter den Betreffenden zukommen lassen.*) —
Ferner gehören hierhin die rägatay gleich den y^/ia* teils erbeten, teils
zufallig begegnend. Dem Nestor wird auf seine Bitte ein te'Qag gezeigt,
als er nicht weiss, welchen Weg er auf der Rückfahrt von Troja einschlagen
soll {y 173), Blitz und Donner zeigen Odysseus an, dass Zeus ihm die Be-
strafung der Freier gelingen lassen will,^) ein Blutregen verkündet das
Morden in der Schlacht,®) Blitz') oder Regenbogen®) Krieg oder Sturm,
Pseudoplut. devita Hom. c 212, Cic. 1 *) V 129, a 282, ^ 216, tt 90, vgl. 1 89 etc.
de div. I () § 11, II 11 § 26. ^) (p 415, v 101 ff., cf. n 320.
•') Aisch. Prom. 486. S. darüber beson- ß) A 53 f.
ders Wyttbnbach zu Julian or. ed. Schaefer •) K 8.
p. 150. ") P 548.
5) Xen. Anab. III 2, 9.
2. Die KnltTisbeamteii. (§ 35-37.) 39
Kometen/) Meteorsteine,*) Sonnen- und Mondfinsternisse,^) Erdbeben ^) deuten
ebenfalls meist auf kommendes Unheil.^)
Sodann sind die ivodioi aviißoXoi «) zu erwähnen, Begegnisse, die unter-
wegs aufstossen und besonderer Beachtung gewürdigt werden, weil der
Reisende meist einen bestimmten Zweck verfolgt und voll Erwartung ist.^)
36. Wenn diese Zeichen auch auf Verständigere Eindruck machten,
und ihre Bedeutsamkeit ziemlich allgemein Glauben fand,^) so ist das Gebiet
anderer, die den Abergläubischen bewegten, völlig unbegrenzt,^) und wenn
man auch nicht zu widersprechen wagte, als es vor der Einnahme Athens
durch die Perser hiess, dass die Schlange der Athena den Honigkuchen
nicht beiührt, die Göttin selbst also die Stadt verlassen habe,*^) so blieb der
Spott der Gebildeten und Vorurteilsfreien bei andern Gelegenheiten doch
nicht aus, und die Art von Sehern, die aus der Deutung gar zu alltäg-
licher Vorkommnisse ^ ^ ein Gewerbe machten, stand denn auch verdienter-
massen in schlechtem Ruf.^^)
37. Weit wichtiger als die bisher erwähnten Zeichen sind die Träume. *3)
Prometheus nennt sieunter den tQwiovq noXXovq fxavrixrjg (Aisch. P. v. 484), die
er die Menschen zu ihrem Heile gelehrt habe, zuerst. Der Glaube, dass die
Seele, wenn der Körper vom Schlaf gefesselt ist, freier und weiter sehe,
mehr zu erkennen vermöge und deshalb auch fähiger sei, die Offenbarungen
der Götter zu verstehen, ist sehr verbreitet gewesen.**) Auf welche Weise
aber konnten die Götter, wenn sie nicht leibhaftig erscheinen wollten, wie
dies im Zeitalter der Sage ja allerdings oft genug geschieht, dem Menschen
leichter, man könnte sagen, Mitteilungen machen, als in Träumen, wo
sogar Rede und Gegenrede gewechselt werden kann,^^) was nicht einmal
beim Orakel angängig war? ovag ix Jiog itstiv heisst es bei Homer (-4 63),
und die ganze spätere Zeit bewahrt diesen Glauben an prophetische Träume.*^)
Dass freilich nicht alle bedeutend waren, musste auch das kindlichste Volk
bereits erkannt haben.*'') Oft schicken die Götter absichtlich täuschende
Träume, um zu verführen und zu verderben,*^) aber viel häufiger wahrhafte.
Ein Traum verkündet Penelope, dass Telemach gerettet werden soll,*'-^) dass
Odysseus zurückkehren und die Freier töten wird,*^) dem Polykrates*^) und
Diod. XV 50.
«) Flut. Lys. 12.
») Thuk. VII 50. Plut. Nik. 23.
*) Thuk. II 8, Xen. Hell. III 2, 24.
*) Vgl. Bouch^-Leclercq a..a. 0. 1 196 ff.
«) Aiscb. Prom. 487.
') Vgl. Hbbmann G. A. § 38 A. 15,
ScHOEMANN Gr. A. II 294 f., Lobeck Agl.
828 Anm., E. Cubtius in d. Jahrb. f. Phil.
1856 S. 142.
«) Vgl. Xen. Mem. IV 7, 10, Apol. 12 ff.
^) Eine kleine treffliche Auswahl s. bei
ScHOEMANN Gr. Altt.» II 293 ff.
'0) Herod. VIII 41.
**) Die oixocxonixij (cf. Suidas u. oiio-
viatixij) ist eine besondere Art der Mantik.
") Vgl. Soph. Ant. 1036, Aisch. Ag. 1195,
»3) S. BoucHE-L. I 277 ff., BöchsenschOtz
Traum u. Traumdeutung im Altertum, Ber-
lin 1868.
'*) Vgl. ausser den von Schoemann 299
und BücHSEifscHÜTz a. a. 0. 7 ff. beigebrach-
ten Zeugnissen Aisch. Eum. 104 f., wo Leurs
für ßgoTüßy : xogdSy (Augen) schreiben wollte.
»5) Vgl. z. B. <f 795 ff.
*®) S. selbst Aristoteles {7i$qI rrjs xad^
vnvov fxayuxijg c. 2) und Piaton (Rep. IX 1
p. 571, Tim. p. 71 D).
»') S. Od. T 561 ff., V 87, wo zwischen
vTiag und oyag unterschieden wird. Vgl.
Aisch. Prom. 486.
'8) B 6 ff.
»») <f825 ff.
.") T 535 ff.
Herod. IX 95 u. s. w. i **) Herod. III 124.
40 A. Die griechiBohen Ealtnsaltertümer.
dem KimoD,^) dass ihnen der Tod bevorsteht, und so unzählige Male.
Die Art, wie der Gott das Kommende verkündigt, ist natürlich verschieden.
Mitunter werden Traumdaimonen *) oder eigene Gebilde, «cfcoia,») geschickt,
die dann unzweideutig reden; oft ist die Bedeutung der vorgeführten Bilder
so klar, dass sie der Erklärung kaum bedürfen ^) und von den Betreffenden
selbst mit Sicherheit gedeutet werden,*^) meistens müssen sie von Kundigen
ausgelegt werden, und schon Homer scheint Traumdeuter zu kennen,^) in
manchen Fällen endlich wird ihr Sinn erst nach dem Eintreffen des Ereig-
nisses bekannt.^) Wie entwickelt die Kunst der Traumdeutung war, und
welchem Bedürfnis sie entgegenkam , . beweist am besten die Thatsache,
dass es viele Bücher und Sammlungen gab, die sich mit Oneirokritik be-
schäftigten und ein System hineinzubringen versuchten.^) Eine dieser
Schriften ist uns ganz erhalten : das Buch des Artemidoros aus dem 2. Jahr-
hundert n. Chr.
38. Einer der wichtigsten Zweige der Mantik ist dann die oltovoffxo-
niTti] oder oiwvo(rxo7tia,^) Die Vögel sind die freiesten Tiere, ihre Be-
wegung ist die willkürlichste und vom Menschen am wenigsten zu bestim-
mende; ein anderes Tier kann man dadurch, dass man sich ihm in den
Weg steÜt oder es durch einen Zuruf ängstigt, veranlassen, einen bestimmten
Weg einzuschlagen; oft ist dieser schon durch die örtlichen Verhältnisse
vorgeschrieben, oder die Möglichkeit, dass es sich da oder dorthin wende,
beschränkt. Zudem sieht man Vögel weit häufiger als andere in Freiheit
lebende Tiere — und natürlich konnten nur solche als Boten der Götter
gelten — , sie erscheinen plötzlich in Räumen, die dem Fuss des Menschen
unerreichbar sind, kommen aus luftiger Höhe, in der man sich auch die
Götter thronend denkt, und ihren Flug zu beobachten und zu verfolgen,
reizt schon den kindlichen Sinn besonders. Natürlich ist ebensowenig wie
jeder Traum jeder Vogel bedeutend. ^^) Wie alle andern können auch die
Vogelzeichen erbeten sein, oder sie kommen unerwartet, sie können so
einfach sein, dass jeder sie versteht, oder so seltsam, dass nur der Kundige
sie zu deuten vermag, wie alle andern werden sie in späterer Zeit kompli-
zierter, und die Beobachtung erstrockt sich auf immer mehr Eigentümlich-
keiten. Schon bei Homer finden wir den Glauben an Weissagevögel völlig
entwickelt, und auf ihren Flug wird sorgsam geachtet; es gibt bereits oian
ricrofi', die sich darauf besonders verstehen.^*) Der rechts erscheinende Vogel
galt für glückbedeutend, der links für unheilverkündend. Wollte man
ein Zeichen abwarten, so begab man sich wohl an einen geeigneten Ort,
ein oiwvoaxoTttTor,^^) und hier scheint man sich dann mit dem Gesicht nach
Norden gewandt zu haben, so dass der günstige Vogel dem Beobachtenden
von Sonnenuntergang hergeflogen kam, der im is^id also von links her ^')
») Plut. Kim. 18.
3) cf79ß. ■ I 127 ff.
*) T 535 ff., Aisch. Pers. 179 ff.
^) Xen. Anab. III 1, 12 ff, Plato Krit.
c. 2 p. 44 A.
«) E149.
") Herod. UI 124, Cic. de div. I 23 § 46.
^) Vgl. BüchsensghGtz a. a. 0. 45 ff.
*) Aisch. Prom. 458 ff., BoüOHE-LEOLEBog
•ö) o 532, ß 181 f.
^') fl858, P218.
'') Paus. IX 20, 1. Vgl. Soph. Ani 1012,
Dion. Hai. I SO.
^3) Vgl. ß 154.
2. Die Kaltosbeamten. (§ 38. 41
nach Osten fliegende gutes bedeutete. ') Kam der Vogel unerwartet, so galt
wohl immer, was man rechts von sich sah, für glücklich, was dem Schauenden
zur Linken erschien, für ungünstig. So werden Diomedes und Odysseus,
als sie nachts in das Lager der Troer schleichen, durch einen rechts von
ihnen schreienden Vogel, . den sie in der Dunkelheit gar nicht sehen können,
ermutigt (K 274 ff.), so erscheinen o 160 u. 525 ganz unerwartet Vögel,
offenbar nicht von einer bestimmten Himmelsrichtung, sondern nur zur
Rechten der betreffenden Personen. — Nicht alle Vögel galten für gleich
bedeutungsvoll, vor allen sah man die grossen Raubvögel, die olcovoi, dafür
an: den Adler, TeXeiorarov neterjvm'j den Vogel des Zeus,*) den schnellen
Habicht, den Boten Apollons,^) überhaupt die ya^ilfcovvxoi olwvoi;*) dann
freilich auch andere. 5) — Was die Vogelzeichen bedeuten, ist in vielen
Fällen auch der Laie zu beurteilen im stände, nicht bloss, wenn er sich
selber ein solches erbittet, wie Priamos Si 310 ff., sondern überall da, wo
es sich nur um die Richtung des Fluges handelt. Auch wenn der Vogel
in besonderer Situation erscheint, oder ein Zusammentreffen von Umständen
die Erscheinung besonders merkwürdig macht, weiss der Kluge das Zeichen
zu deuten. So erkennt Helena, als der Adler mit der geraubten Gans
davonfliegt,^) ebensogut wie der Seher Theoklymenos an dem Habicht, der
die Taube zerreisst,') dass das Zeichen die Vernichtung der Freier durch
Odysseus verkünde, und als dör Adler das Hirschkalb auf den Altar des
Zeus IlavoiKfatoq fallen lässt, sind die Griechen ebensowenig zweifelhaft,
was das zu bedeuten habe,^) wie die sieben vornehmen Perser, die den
Smerdis ermorden wollen, als ihnen die von den Habichten verfolgten Geier
erscheinen.^) Atossa wagt sich nicht zu gestehen, was der siegreiche
Kampf des Habichts mit dem Adler bedeute, ^^) und hört es gern an, dass
das Zeichen vielleicht nicht so schlimm sei,^^) aber was die beiden sich
über den Köpfen der Ithakesischen Volksversammlung zerfleischenden Adler
bedeuten, ^2) der Kampf des Adlers mit der Schlange ^3) oder das Zerreissen
der trächtigen Häsin durch einen schwarzen und einen weissen Adler, ^^)
das kann doch nur ein Seher erklären. — Das Erscheinen mancher Vögel
bedeutet schon an und für sich Glück oder Unglück; Prometheus lehrt die
Menschen unterscheiden, welche Vögel ihrer Natur nach günstig, und welche
ungünstig sind, ^^) und auch die Lebensweise und Eigentümlichkeit der ein-
zelnen ist nicht gleichgiltig und muss beobachtet werden. ^^) — Dass aus
dem Schrei der Vögel geweissagt wird, ist nicht nachweisbar. Ertönt er
seitwärts, so zeigt das nur die Anwesenheit eines Vogels an, den man
sonst vielleicht gar nicht bemerkt haben würde, ^^) und gilt natürlich als
>) M 239 f. Vgl. Plat. Leg. VI p. 760 D,
NiTzscB Anm. znr Odyss. I 91 f., Ernesti
Homer ed. za M 289, Hebm ann § 38 A. 10 u. s. w.
«) a 315, vgl. Xen. Anab. VI 1, 23.
») o 526.
*) Aisch. Prom. 488.
5) K 274, Flut. De Pyth. orac. 22. Vgl.
Hebmanit G. A. § 38 A. 7 n. s. w.
•) o 160 flF.
^ o 525 ff.
") S 247 ff.
») Herod. III 76.
»») Aisch. Pars. 205 ff.
' ») 525 f.
'•) ß 154.
'3) 3/200.
'*} Aisch. Ag. 114 ff.
^'•) Aisch. Prom. 489, vgl. Paroimiogr. gr.
228 f., Anton. Lib. p. 207, 219, 221 Westerm.
>«) Aisch. Prom. 490 ff.
''') Vgl. A:275.
42
A. Die griechischen Knltusaltertümer.
ein ebenso oder doch fast so gutes resp. schlimmes Zeichen, als hätte
man den Vogel fliegen sehen.
Wie üblich die Vogelschau war, geht schon daraus hervor, dass olwviq
oder oQviq häufig geradezu WeissagevogeP) oder Prophezeiung überhaupt 3)
bedeutet, ja es sind uns sogar Bruchstücke einef auf Divination aus dem
Vogelfluge bezüglichen Inschrift erhalten.*)
39. Wir kommen jetzt zu den nicht zufälligen Zeichen, d. h.
also denen, die der Mensch selber herbeizuführen sucht und zwar durch
noch andere Mittel als das blosse Gebet. Die Beobachtungen werden hier
an einem bestimmten ad hoc vorbereiteten Objekt gemacht. Wenn alle
bisher behandelten cjj/iara aus der Initiative der Götter hervorgingen oder
doch nur aus Gnade von ihnen geschickt wurden, so können sie sich hier
der Beantwortung der ihnen vom Menschen gleichsam vorgelegten Frage
in den meisten Fällen gar nicht entziehen, insofern gewisse Zeichen, seien
es nun günstige oder ungünstige, an dem der Beobachtung ausgesetzten
Gegenstande hervortreten müssen. — Es liegt in der Natur der Sache,
dass die Deutung dieser Zeichen in der Regel schwieriger und gewöhn-
lich auch wichtiger ist als die der zufallig begegnenden: schwieriger,
weil die Beobachtung der verschiedenen Merkmale meistens so kompli-
ziert ist, dass nur der Erfahrene ihren Sinn versteht, wichtiger deshalb,
weil solche Fragen an die Götter gerichtet zu werden pflegen, wenn man
vor einer Entscheidung oder einem bedenklichen Unternehmen steht. Sel-
tener als jene wagt demgemäss der Laie solche Zeichen selber zu deuten.
Sie gehören zu dem genus artifidosum,^) das den Sachverständigen er-
fordert.
40. Unter allem, was hier in Betracht kommt, ist weitaus am wich-
tigsten und häufigsten die sogenannte Hieroskopie d. h. das Wahrsagen
aus den Eingeweiden des geopferten Tieres und gewissen Erscheinungen
bei der Opferhandlung. ^) Homer kennt die Eingeweideschau noch nicht.
Die Gedichte erwähnen Ovoaxoovg und zwar einmal (i2 221) zugleich mit
f^idvii€g und leQtjeg als Leute, auf deren Rat man etwas geben müsse, aber
auf welche Weise sie aus den Opfern weissagten, ja ob sie dies überhaupt
gethan, wissen wir nicht. Alle Vermutungen darüber beruhen lediglich auf
der einen Stelle, wo wir sie neben Priestern und Sehern als kluge Männer
bezeichnet fanden. Aus dem Namen ist nur zu schliessen, dass sie mit
dem Verbrennen der Opferstücke zu thun gehabt haben,') aus x 321 flF.,
wo von Leiodes, dem xhvocxoog der Freier in Ithaka, die Rede ist, höchstens,
dass sie bei dem Opfer Gebete gesprochen haben; dass aber jener Leiodes
selbst ein sehr unglückliches Beispiel für einen der Zukunft kundigen Weis-
sager ist, darauf hat schon Lobeck (Aglaoph. 263) hingewiesen. Vielleicht
glaubte man, dass ihre Beschäftigung sie gleich den hQfisq den Göttern
•) Vgl. Xen. Anab. VI 1, 23.
») 522, Sl 219.
^) Herod. IX 91, vgl. schon 3/243.
*) Aus Ephesos CIG. 2953 a.
'-) Cic. de div. I 18 § 34 u. s. w.
«) Aisch. Prom. 492 ff. Vgl. Boüchk-
Lbol. 1 166 flf.
^) Lobeck Phrynichus, Leipzg. 1820 S.
523, Leo Meter in d. Beitr. zn den indogeim.
Sprr. VI 1881 S. 127.
2. Die KultuBbeamten. (§ 39-41.)
43
besonders lieb und vertraut machen musste, und darauf mag denn auch
ihr Ansehen beruht haben. 9
Ob die Griechen die Eingeweideschau von einem fremden Volke ge-
lernt und angenommen haben, oder ob sich Glaube und Kunst selbständig
bei ihnen entwickelt hat, ist ebenfalls ungewiss. ^) Unmöglich ist das letztere
jedenfalls nicht, und Übereinstimmungen sind nicht immer durch Entlehnung
zu erklären, am wenigsten dann, wenn der Ursprung einer gemeinsamen
Sitte sich aus so naheliegenden Gründen erklären lässt wie hier. Es lag
daran, zu erkennen, ob der Gottheit das Opfer genehm sei, und wenn man
in ältester Zeit sich damit begnügte, schöne und, nach dem äusseren An-
schein zu urteilen, gesunde Tiere darzubringen, so wird man später eben
auch die innem Teile auf ihre normale Beschaffenheit und Gesundheit hin
untersucht und aus dem Befunde seine Schlüsse gezogen haben.
Dass immer mehr Merkmale beobachtet, und die Deutung immer
künstlicher wurde, ist ganz natürlich und entspricht der Entwicklung, die
auch die andern Arten der Mantik genommen haben.
Die Eingeweide müssen glatt und von guter Farbe, ^) vor allen Dingen
aber die Leber gesund sein ;^) ist die Bildung der Lappen (loßoi) nicht
normal, oder fehlen diese sogar, so gilt das für ein sehr schlimmes Zeichen.'^)
Auch die Galle ist wichtig,^) schon deshalb, weil sie in der Kegel den
Göttern verbrannt wird,') wie ihnen denn auch andere Teile der (TTtXdyxvcc
zukommen.®)
Natürlich wurde nicht aus den Eingeweiden jedes geopferten Tieres
prophezeit, denn in unzähligen Fällen ist Opfertier nichts anderes als
Schlachttier, ^) und nur wenn man ein Zeichen wünschte, fand Eingeweide-
schau statt. Benutzt konnte dazu jedes Tier werden, das man den Göttern
anbieten durfte, also alle essbaren Haustiere. ^^)
Wenn Tansanias (VI 2, 2) sagt, dass Hunde zur Hieroskopie nicht benutzt
wurden, so ist das gewiss auf alle nicht essbaren Tiere auszudehnen; Hunde
wurden unter diesen nur am häufigsten geopfert, *i) aber prophezeit wurde
aus den Eingeweiden von Pferden, Eseln u. s. w. sicherlich ebensowenig.
41. Besonders wichtig war die Hieroskopie im Felde. Empfahl diese
Art der Mantik sich hier, wo es am wichtigsten war, die Ratschlüsse der
Götter zu erfahren, schon dadurch am meisten, dass sie die ausgebildetste
war und für die zuverlässigste galt, so kam hinzu, dass diese Zeichen in
jedem Augenblick befragt werden konnten. So nimmt es nicht wunder,
dass uns hier eine ganz besondere Art von Opfern, eigens zum Zwecke der
') Über die ^vtxrxooi s. Nitzsch, Anm.
z. Od. I 220, VöLCKEB Allg. Schulztg. 1158,
Navoelsbach Hom. Theolog.^ 205 u. s. w.
') Vennutungen darüber s. 0. Müller
Etnisker II 185, Schobhann a. a. 0. 11 287
n. 8. w.
») Aisch. Prom. 493 f.
*) Aisch. Prom. 495, Schol. Ariatoph.
Vesp. 831.
*) Xen. Hell. UI 4, 15, Plut. Ages. 9,
Kim. 18 u. 8. w.
'} Ai8ch. Prom. 495,
') Athen. IV 27 p. 146, Porph. De antr.
Nymph. 18, vgl. Plut. Praec. conj. 27.
8) Athen, a. a. 0., Plut. Phok. 1, Schol.
Aristoph. Vesp. 1144, Orph. Arg. 314.
«•) Vgl. Athen. V p. 179 D, IV p. 150 F,
p. 166 F u. 8. w.
^^) Ausgenommen natürlich Geflügel, vgl.
Athen. IX p. 380 A u. s. w.
*^) S. Stengel im Progr. des Joachims-
thal. Gymnas., Berl. 1879 S. 25 u. in Fleck-
eisen's Jahrb. 1883 S. 371.
44
A. Die griechischen Kaltnaaltertümer.
Weissagung veranstaltet, begegnet: die sog. cyayia.*) Sie werden vor wich-
tigen Entscheidungen, meist in gefahrlicher Lage, dargebracht und sollen die
Götter versöhnen; das ist gelungen, wenn diese das Opfer gnädig annehmen,
d. h. also wenn es günstig ausfällt, und in diesem Fall glaubt man sich
dann auch ihrer Zustimmung zu dem bevorstehenden Unternehmen und
ihrer Hilfe versichert. Diese Opfer werden denn auch stets von iiavtstq
vollzogen und sind namentlich vor Schlachten, gefährlichen Märschen
und dergl.2) durchaus notwendig. Die Art der Weissagung kennen wir
leider nicht. 3) Wahrscheinlich galt das bereitwillige Hingehen des Tieres
zur Opferstätte und das ruhige Verhalten beim Empfangen des Todes-
streiches hier ganz besonders für ein günstiges Zeichen,^) aber dass dieses
nicht allein entscheidend war, geht daraus hervor, dass das Opfer zu Ende
geführt werden musste, ehe man der guten Vorbedeutung gewiss war und
zur Ausführung des Unternehmens schreiten durfte. Dies dauerte eine
geraume Zeit, die man unter allen Umständen ruhig abwarten musste.
Selbst wenn der Feind schon angreift, lässt man sich beschiessen, erleidet
grosse Verluste, aber nicht eher wird der Kampf aufgenommen, als bis der
l^LccvTig günstige Zeichen verkündet.^) Die kriegerischen Lakedaimonier
nehmen zu diesen aipdyta eigens Tiere aus der Heimat mit,^) um ja nicht
einmal in Verlegenheit zu kommen.^) Ausser diesen nur bei besonderen
Anlässen vorgenommenen Opfern wurden die regelmässigen tega dargebracht,
die dem Heere den täglichen Fleischbedarf lieferten, und auch aus diesen
wurde prophezeit;®) oft finden wircyaym und tsQa nebeneinander.**) Letztere
werden auf Befehl und in der Regel im Beisein des Feldherm von Priestern
vollzogen, und es findet bei ihnen die gewöhnliche Eingeweideschau statt; ^^)
dass auch dabei ein iiavtiq sich beteiligt, ist natürlich nicht ausgeschlossen. ^>)
Diese durften also bei keinem Heere fehlen, ^^) und man gab sich vielleicht
ebensoviel Mühe, einen bewährten fidvug für den Feldzug zu gewinnen,
wie einen tüchtigen Führer an die Spitze zu stellen, ^^) und kargte weder
mit Ehrenbezeugungen noch Belohnungen.^*) Der Feldherr war allerdings
nicht verpflichtet, dem [xccvtig zu folgen, ^^) der ja irren und selbst absicht-
lich täuschen konnte, ^^) aber sicherlich ist es selten vorgekommen, dass ein
Führer sich trotz der Warnungen des Sehers zum Angriff oder zu einer
Belagerung entschloss. Waren die Zeichen ungünstig, so gab man die
Unternehmung lieber auf,^') oder man wiederholte die Opfer so lange, bis
sie endlich nach Wunsch ausfielen.^**) Wenn rd Ugd im tov nqwtov hqeiov
^) Über die (T(pdyitt, insbesondere auch
über die Ausdehnung dieser Bezeichnung auf
andere Opfer s. Stengel im Hermes XXI
307 flF.
2) Xen. Anab. IV 3, 18, Herod. VI 76.
^) Die Vermutungen von HiSBifANN a. a.
0. § 38A. 20, ScHOEMANN II 291 A. 3, K. W.
Krüoeb, Rehdantz zu Xen. Anab. I 8, 15 und
anderen sind unrichtig oder unsicher.
*) Hermes XXI 310, vgl. 312 A. 1.
^) Xen. HoU. IV G, 10; Herod. IX 61, 62,
72; Flut Arist. 17, 18.
«) Xen. Resp. Lac. XIll 3.
') Paus. IX 13, 2.
8) Herod. VII 219, Xen. Anab. I 7, 18.
9) Xen. Anab. VI 5, 21; I 8, 15; IV 3,
9 und 18.
»0) Xen. Anab. II 2, 3 ; VI 5, 2.
»0 Xen. Anab. V 6, 29.
^'^) Vgl. auch V. WiLAMowiTZ Kydathen
80.
13) Herod. IX 33 «F., Paus. III 11, 6.
^*) Paus. IX 10, 3 f., Xen, Anab. I 7, 18,
1*) Plato Lach. p. 199 A.
J«) Xen. Anab. V 6, 29, vgl. Kyrup. 1 6, 2.
'') Herod. VI 76, Thuk. V 54.
18) Xen. Hell. HI 1, 17 ff., IV 1, 22;
Plut. Arist. 18 f.
2. Die SoltaBbeamten. (§§ 42—43.)
45
Ytyv€Tai, so gilt dies für ein besonders gutes Zeichen.^) Auch im Frieden
kann zu jedem Opfer, namentlich wenn der Staat es darbringt, ein /Äarng
hinzugezogen werden,*) für gewöhnlich aber genügt der isQevg, der, fort-
während mit Opfern beschäftigt, sich auch auf die Eingeweideschau und
die Deutung anderer Zeichen, wie sie beim Opfer vorkommen konnten,
besonders verstehen musste.^) — EIq gutes Zeichen war es, wenn das Opfer-
tier ohne Sträuben zum Altar hinging,^) oder gar vor dem Schlachten mit
dem Kopfe nickend gleichsam selbst sich mit seinem Schicksal einverstanden
erklärte, und man verschmähte es auch nicht, durch besondere Mittel diese
Omina künstlich herbeizuführen.^) Riss das Tier sich los und lief davon,
oder stürzte es gar vor dem Schlachten tot zu Boden, so wurde dies um-
gekehrt für ein schlimmes Zeichen angesehen.^) Auch aus der Art, wie
die Opferstücke verbrannten, wurde geweissagt. Besonders achtete man
auf die Bewegungen des Schwanzes während des Verbrennens. ') Ebenso
war es wichtig, wie das Steissbein®) und die Galle mit ihrem verschiedenen
Feuchtigkeitsgehalt verbrannte,^) und auch aus der Flamme selbst wurden
Zeichen entnommen. Neben anderen Arten der Hieroskopie hat Prometheus
die Menschen auch die ifXoywnä ar^fiara zu deuten gelehrt.*®) Ein schlimmes
Zeichen war es, wenn die Flamme nicht brennen und die Opferstücke nicht
verzehren wollte.**) Auch die Art, wie der Rauch oder Weihrauchdampf
aufstieg, war nicht gleichgiltig,*^) und so erforderte denn auch das Auf-
schichten des Holzes auf dem Brandopferaltar Sorgfalt.* 3)
42. Neben diesen üblichen und deshalb wichtigen Arten der Mantik
gab es dann, ebenso wie wir es vorher bei den zufalligen Zeichen gefunden,
noch unzählige andere, deren sich der Abergläubische zu bedienen pflegte.
Hierhin gehören die (in Kleinasien häufiger vorkommenden) Würfel- und
Buchstabenorakel; *^) ferner wurden Siebe angewandt, um Zeichen zu er-
halten,*^) Eier wurden über Feuer gehalten, und das Bersten und Aus-
schwitzen der Schale beobachtet,*^) und noch viele solcher Mittel, aus denen
man die Zukunft erkennen wollte, werden erwähnt;*^) ihrer noch mehr
aufzuzählen, wäre jedoch zwecklos.
43. Alle diese Zeichen, die zufälligen wie die absichtlich herbei-
geführten, konnte auch der Laie beobachten und zu deuten versuchen, aber
lieber verliess man sich natürlich auf den fiditig, und war ein solcher zu
haben, so zog man ihn in wichtigeren Fällen gewiss immer zu Rate. So
fehlte er, wie wir gesehen haben, bei den a^ayicc niemals. Er deutete die
sich darbietenden Erscheinungen nicht nur sicherer, sondern sah auch mehr.
') Xen. Anab. VI 5, 2.
») Xen. Hell. III 3, 4.
ä) Plato 8ymp. p. 202 E, Polit. p. 290 C.
*) Flut. Fei. 22.
^) Flut. Quaest. symp. VIII 8, 3, Schol.
Aristoph. Fax 900, Schol. Apoll. Rhod. Arg.
I 415.
«) Flut. Fyrrh. 6.
7) Schol. Arist. Fax 1053, 1054.
^) Aisch. From. 497.
») Soph. Ant. 1009 f., Schol. Eur. Fhoin.
1255 f. mit Valkenabbs Anm. zu 1261.
»«) Aisch. From. 498.
»») Soph. Ant. 1005 ff., vgl. Eur. Suppl.
155, Fhoin. 954.
'•') Laert. Diog. VIII 20.
»2) Aristoph. Fax 102«.
'*) Faus. VII 25, 6, Schol. Find. Fyth.
IV 337. Vgl. KAiBELEpigr. gr. 1038 ff. und
im Hermes X 193 ff., XXIII 532 ff.
»5) Theokrit. III 3, Luk. Alex. 9, Fhi-
lostr. Apoll. Tyan. VI 11 p. 114 Kays.
**) Schol. Aisch. Fers. 185, Lobeck Agl.
410.
") S. Foll. VII 188, Suid. u. oitoyttruxy
und TtQotpijreia.
4(j A. Die griechiBchen KnltuBaltertümer.
Silanos, der Seher des jungem Kyros, erkennt aus den Opfern, dass inner-
halb der nächsten zehn Tage eine Schlacht nicht stattfinden werde, ^ Tei-
resias versteht sich trotz seiner Blindheit auf die Deutung der Vogel-,
Flammen- und anderer Zeichen besser als jeder andere,^) und als die
Schlange die Sperlinge verzehrt und dann versteinert wird, vermag Kalchas
allein zu sagen, was das Wunder bedeutet,') und zwar d^eonQontwv dyc-
Qsv€v.*) Schon hieraus sehen wir, dass die überlegene Kunst des fiaiTtg
nicht bloss auf seiner grösseren Erfahrung beruht, die Götter haben ihm
vor andern die Gabe der Weissagung verliehen. Diesen Glauben finden
wir bereits in der homerischen Zeit. Kalchas verkündet, was ApoUon ihm
eingibt,*) und Helenes vernimmt die Stinmie der ewigen Götter,®) dass dem
Hektor der Tod noch nicht bestimmt sei. Gleich Ärzten und Baumeistern
sind daher die fxdvrsig gesuchte Leute, und man lässt sie sich weither
kommen.^) Bisweilen wird die Kunst vererbt und pflanzt sich Generationen
hindurch fort. So ist schon bei Homer der Seher Theoklymenos ein Sohn
des untadligen ndvrig {X 291) Melampus (o 225), einer seiner Vorfahren
heisst Mantios (o 242), einen andern, Polypheides, hat ApoUon zum besten
Seher unter allen Sterblichen gemacht (258), und auch Amphiaraos gehört
der Familie an (244,252).*) Später finden wir dann auch ganze Seher-
geschlechter erwähnt. Besonders berühmt sind die lamiden^) und Kly-
tiaden *®) in Olympia**) und die Telliaden, denen wir an verschiedenen Orten
Griechenlands begegnen.*^) Verschmähten diese Seher es nun auch nicht,
allerlei Zeichen zu beobachten und aus ihnen zu weissagen,*') so war doch
wichtiger, was sie aus unmittelbarer göttlicher Eingebung, x^eotpogr^TMy wie
Aischylos **) von Kassandra sagt, oder h'd-soi^ ivd-ovaid^ovrsg^ vom Gott er-
griffen, verkündeten.*^) Solche Aussprüche konnten sich auf eine nahe be-
vorstehende Zukunft beziehen, wie die Weissagung des Teiresias **) über
die Schicksale des Odysseus, der Kassandra über Agamemnons und ihre
Ermordung,*') oder auf Ereignisse, die erst in femer Zeit eintreten sollten.*®)
Dieser Glaube ward dann Veranlassung, solche Orakel zu sammeln. Wie
die Römer die sibyllinischen Bücher, so besassen auch die Griechen Xoyia
und xQTjaiiovg, Orakelsprüche, die Sehern der Vorzeit zugeschrieben und zu
geeigneter Zeit vorgeholt wurden. Unter den Namen solcher mythischer
Seher begegnen uns Bakis und Musaios am häufigsten, namentlich bei dem
gläubigen Herodot.*^) Die bedeutendsten solcher Sammlungen werden sich
») Xen. Anab. l 7, 18.
») Soph. Ant. 998 ff.
3) B 300 ff.
<) h 322.
••) A 385, vgl. A 8G f.
«) n 53.
') Q 382 ff.
^) Vgl. EoKEBMANN Melampus und sein
Geschlecht.
») Find. Ol. VI, Herod. V 44, IX a3.
'ö) Paus. VI 17, (}; Archaeol. Ztg. 1878
100 ff.
*') Vgl. pRELLER-RoBBBT Gricch. Myth.
I 143, auch E. Curtiüs Altäre von Olympia,
^') Mehr Beispiele s. bei Schoemaitk
Gr. A. II 308 ff.
»») Vgl. Soph. Ant. 998 ff.. Paus. I 34, 3.
»*) Ag. 1140, vgl. 1216.
'») Vgl. Plato Phaidr. 244 c, Apolog. VII
22 c.
»») X 100 ff.
^^) Aisch. Ag.
»8) Z. B. Herod. VIII 90.
^') Vgl. Passow Musaeus, Leipzig 1810,
Lobeck Agl. 299. Richabd Hendess or acuta
Graeca, quae apud scriptores Graecos Lati"
nosque extant, Halle 1877. Gustav Wolfp
Porphyrit de philosophia ex orac^üis hattri-
Abb. der Berl. Akad. 1881 S. 10 ff. ; enda Ubrortim reliquiae, Beilin 1856. Kaibel
2. Die SaltuBbeamten. (§ 44.) 47
im Besitz der Staaten und Regierungen oder einzelner Priesterschaften be-
funden haben. So besassen die Peisistratiden eine, die später Kleomenes
nach Sparta entführte,^) und auch die lakedaimonischen Könige Hessen die
pythischen Orakel aufzeichnen;*) aber auch viele Private rühmten sich im
Besitz solcher Schätze zu sein. Aus diesen Büchern weissagten sie dann,
behaupteten daneben aber gewöhnlich auch selber Seher zu sein und galten
denn wohl auch meistens dafür. Ein solcher xQiianoXoyog ist Diopeithes,
der vor der Wahl des Agesilaos die Spartaner vor einem lahmen König-
turne warnte,') Amphilytos, der dem Peisistratos weissagte,**) und viele
andere, die sich nicht immer grossen Ansehens und guten Rufes erfreuten.*^)
Endlich sind die Sibyllen zu erwähnen, zum Teil vielleicht auch
historische Persönlichkeiten.^) In den ältesten Zeugnissen wird nur eine
genannt, später kennt man viele; am berühmtesten bleibt die von Erythrai.*^)
Völlig zurück traten aber alle diese Weissager und alle ihre Aussprüche
vor der Bedeutung der eigentlichen Orakel, zu denen wir uns jetzt wenden.
ß. Die Orakel.
44. Alle Zeichen kamen von den Göttern, und sie richtig zu verstehen
und zu deuten, war auch nur durch ihre Gnade und Erleuchtung möglich.
Sprach sich in diesem Glauben oder Aberglauben schon die Überzeugung
aus, dass die Himmlischen in liebevoller Besorgnis für den Sterblichen gern
bereit seien, ihm durch Rat und Warnung zu nützen,^) so lag der Gedanke
nicht fern, dass gewisse Stätten besonders von ihnen ausersehen und be-
stimmt seien, wohin der Zweifelnde sich wenden und wo er ihre Stimme
stets vernehmen konnte.^) Das sind die /xaiT««, Orte, wo geweissagt wird,
oder wie sie auch heissen, XQV^^W^^ Stätten, wo man roTg x^eoTg xQ^^^^h
sich xqrjaiiovg holen kann.^®) Wir nennen sie Orakel.
Kein Gott ist geeigneter und fähiger, Orakel zu geben, als Zeus, der
schon bei Homer navofitpaTog heisst,^^ dessen Auge alles sieht'*) und dessen
Gedanken so tief sind, dass kein Seher sie ganz ergründet. '') Ihm gehört
denn auch das älteste griechische Orakel, von dem wir Kunde haben. Als
Achilleus den geliebten Freund in den Kampf sendet, ruft er den Zeus an,
den ferne wohnenden, der in dem winterlichen Dodoua waltet, wo die Seiler
umherwohnen, die Hypopheten des Gottes, welche ihre Füsse nicht waschen
und auf dem Erdboden ruhen,***) und von Odysseus heisst es,*^) dass er
nach Dodona gegangen sei, um dort aus der hochragenden Eiche des Zeus
den Willen des Gottes zu vernehmen. Dieses Dodona lag in Epeiros ^^) am
Epigr. gr. 1033 ff. Pomtow de oracuUs quae ! Klausen, Aeneas u. d. Penaten I 203 ff. Ora-
extani graecis irimetro iambico composüis,
Berl. Diss. 1881.
Herod. V 90.
2) Vgl. Herod. VI 57.
») Xen. Hell. HI 3, 3, Plut. Ages. 3.
*) Herod. I 62.
») Vgl. Aristoph. Equit 1085, Vesp. 380,
Schol. Av. 988.
«) Vgl. Preller-Robkrt Gr. M. 1 382.
^) S. Pbrllek-Robert a. a. 0. E. Maass
De Sibyllaruin indicHnis. Bouchb-L. II 33 ff.
cula Sihyllina ed. Alexakdre Paris 1841.
«) Vgl. Plut. de El ap. Delph. 1.
») Vgl. Xen. Mem. I 1, 0.
'«) Vgl. Ephoros bei Strabo IX 422.
") -9 250.
»•^) Hes. Erg. 207.
") Hes. frgm. 190 Marksch.
»*) 77 233 ff.
»*) I 327, r 290.
*^) Man hat es auch in Thessalien ge-
sucht. Vgl. Welckbr Griech. Götterlehre I
48
A. Die griechiBohen SultuBaliertü^er.
Fusse des Berges Tmaros oder Toinaros. Es war ein Zeichenorakel ; aus
dem Rauschen der Zweige entnahm man den Willen des Gottes, den man
sich wohl im Baume selbst gegenwärtig dachte,^) und die Priester deuteten
die Töne und verkündeten den Fragenden die Antwort. 3) Zu Herodots
Zeit gab es dort auch drei weissagende Priesterinnen, ^) nQO/.imTug'^) oder
nQO(prjTiä€gy^) doch haben die Priester daneben niemals gefehlt.') Seit dem
vierten Jahrhundert ist auch von einem dodoneischen Becken, das die
Kerkyraier gestiftet haben, und von xXfjQoi die Rede.^) Eine eherne Geissei,
die ein Knabe hielt, wurde vom Winde in Bewegung gesetzt und schlug
dann gegen das metallene Becken;^) ob aber auch aus diesen Klängen
prophezeit wurde, ist ungewiss. Ebenso ist unsicher, ob aus dem Murmeln
der wunderbaren Quelle, die am Fusse der Eiche floss,^^) geweissagt wurde, ^^)
oder ob die Priester sich aus ihr wie an andern Orten Begeisterung tranken.*^)
Dodona blieb das bedeutendste Zeichenorakel in Griechenland. Kroisos hat
es beschickt, ^^) Athen und Sparta haben es wiederholt von Staats wegen
befragt, ^^) und unter den erhaltenen Fragetäfelchen befindet sich auch eines
von der Stadt Taren t.^^) Viele Jahrhunderte hat sich das Orakel des grössten
Ansehens erfreut. Am Ausgang des dritten zerstört,**^) wurde es zwar
wieder aufgebaut, bestand aber nicht mehr lange.
45. Fast ebenso berühmt wie Dodona war das Orakel des Zeus
Ammon in Libyen, in der Oase Siwah, unfern von Kyrene gelegen, wo
ebenfalls aus Zeichen geweissagt wurde. ^^) Eigentlich ist.es also kein grie-
chisches Orakel, doch dürfen wir es hier nicht übergehen, denn es hatte
die grösste Bedeutung für Griechenland. Niemals fehlt es, wo die wich-
tigsten griechischen Orakel aufgezählt werden; Delphoi, Dodona und das
ammonische Orakel ist die immer wiederkehrende Dreizahl. ^^) Ammon war
von den Griechen früh mit ihrem Zeus identifiziert worden, ^^) und man
dachte sich offenbar in Dodona und in Libyen denselben Gott Orakel ei^
199. Unqer im Philol. XX 577 ff. Bbbok
Phüol. XXXII 126. Niese Rhein. Mus. XXXII
288. Schobmann Gr. A. II 327.
') Vgl. Carapanos Dodone et ses ruines,
Paris 1878. Unqek Phüol. XXIV 390 f.
V. WiLAMOwiTZ Antigonos v. Karystos 135 A.
Wacbnig De oracttlo Dodoneo, Breslau 1885.
Bouchj^-Leclercq a. a. 0. II 277 ff. H. Pom-
Tow in d. Jahrb. f. Phil. 1883 S. 345 ff. Wie-
seleb Götting. Nachr. 1879 S. 1 ff. Von älteren
Arbeiten v. Lasaulx Das pelasgische Orakel
des Zeus zu Dodona, 1841. Gerlach Dodona,
Basel 1859. Vgl. auch Stutzle Das griech.
Orakelwesen u. bes. d. Orakelstätten zu Do-
dona und Delphi, I. Progr. des Gymnas. zu
Ellwangen 1888, und über d. Orakel u. d.
Mantik überhaupt Döhlee in der Sammlung
V. ViBcuow u. V. Holtzendobfp 1872 Heft 150.
'^) Hes. frgm. 149 Marksch. Bötticheb
Baumkultus 111. Der Baum wird bald dQvg,
bald cftiyoQ genannt; es war eine Eiche (Prel-
ler u. Dodona in Pault's Realencyklopädie
II 1191).
^) Vgl. al TtQoayyoQoi &Qv6g Aisch. Prom.
832, noXvyXtüTTov dQvos Soph. Trach. 11(58.
*) Herod. II 54. — Über den Namen
Peleiaden s. Prelleb-Robebt Gr. Mytli. I
125 A. 1.
5)' Vgl. Paus. X 12, 10.
«) Strab. VII 328.
7) S. Strabo IX 402 und die Inschriften
bei Carapanos a. 0. pl. XXIV— XL p. 68 f.
8) S. Pbelleb-Robbbt a. 0. I 124 A. 3.
») Strabo excerpt. VII 329.
»0) Plin. h. n. II 228.
*') Serv. zu Verg. Aen. III 40G.
»-) ScHOEMANN Gr. A. II 329.
»3) Herod. I 46.
1») Xen. De vect. VI 2, Paus. VIII 11
Ende. Plut. Phok. 28. Demosth. Meid. p. 531.
'^) Cabapanos 70, PI. XXXIV n. 1.
") Polyb. IV 17.
*') Pabthey Das Orakel und die Oase
des Ammon, Abb. der Berl. Akad. 1862. E.
Plew Programm von Danzig 1876 S. 15 ff.
Bouche-Lecl. II 338 ff.
»») Plato. Leg. V p. 738 c. Aristoph. Av.
716, Cic. de div. I 1. I 43.
»») Vgl. Plew a. 0. 18 ff.
2. Die KultaBbeamien. (§ 45—47.)
49
teilen,*) durch die Kyrenaier war das Orakel bekannt geworden, und wenn
wir Herodot (I 46) Glauben schenken dürfen, war sein Ruhm schon im
sechsten Jahrhundert so verbreitet, dass der lydische König Kroisos auch
zu ihm sandte. Sparta, Elis, Theben^) standen früh in Beziehungen zu
ihm, und auch Kimon soll es kurz vor seinem Tode befragt haben, ^) am
berühmtesten aber wurde es durch den Zug Alexanders des Grossen/) Die
Art der Weissagung wird uns von Diodor (XVII 50) und Curtius (IV 7, 24)
am deutlichsten beschrieben. Priester trugen das Bild des Gottes auf den
Schultern, eine grosse Prozession folgte, Frauen und Jungfrauen sangen
einheimische Lieder. Aus den Schwankungen und Bewegungen des Bildes
erkannte der Trpoyjjrry^ den Willen des Gottes und verkündete ihn den
Fragenden.
46. Unter den Zeusorakeln ist dann noch wichtig das olympische,^)
das freilich an Bedeutung jenen beiden auch nicht annähernd gleichkam
und von Staatswegen nur selten befragt zu sein scheint.^) Hier wurde
aus Opferzeichen ge weissagt, und das Sehergeschlecht der lamiden,^) welches
die Mantik ausübte, vermochte aus den Zeichen mehr zu erschliessen, als
dies der gewöhnlichen Hieroskopie möglich war.^) Dass das Orakel nament-
lich zu der Zeit der grossen Spiele in Anspruch genommen wurde, lässt
sich denken.^)
47. Alle diese Zeusorakel überstrahlte der Glanz des Apollonorakels
zu Delphoi.^*^) ApoUon ist früh zum Orakelgott xar* H^oxr^v geworden,
Jiog nqo^ifsrfi iaxl Ao^iaq naxqog,^^) Wenn Zeus bei Homer IlavofifpttTog
{0 250) heisst und die meisten atj/Äara und thqava sendet, so weissagt
doch schon Kalchas, was Apollon ihm eingibt, ^^) und nach dieser Richtung
hin scheidet und entwickelt sich immer mehr der Einfluss und die Bedeu-
tung beider Götter für die Mantik: dem Zeus gehören die bedeutendsten
Zeichenorakel, dem Apollon die Spruchorakel, der Wille des Zeus wird
aus Zeichen und Erscheinungen erkannt, den Willen Apollons verkündet
der Mund des von ihm begeisterten Sehers.'^) Wo in Ekstase prophezeit
wird, ist sie hervorgerufen von Apollon;") Kassandra ist von ihm zur
Seherin gemacht, und zur eigenen Qual muss sie sehen und sagen, was sie
doch nicht wenden kann, und in dem Kallimachischen Hymnos (in Del. 89)
wird Apollon angerufen: Zwinge mich nicht, gegen meinen Willen zu
weissagen.
') Vgl. Herod. II 55 ff.
«) PaoB. III 18, 3; V 15, 11; IX lü, 1.
») Plut. Kim. 18.
<) Arrian Anab. VI 3, 2. Vgl. 0. Hibsch-
FELD in d. Abhndig. der Berl. Akad. XXXV
(1888) 834.
*) Vgl. StraboVIII 353, Paus. V 14, 8;
Bouchä-Lecl. II 332 ff.
•) Vgl. Plut. Ages 11, Xen. Hell. IV 7, 2.
^) Vgl. die olympischen Inschriften in
der Arch. Ztg. 1880 ed. Dittenberoer S. 58 ff.
Neben ihnen fungieren die Klytiaden als
«) Pind. Ol. VIH 3, vgl. Schol. Pind. Ol.
VI 111 und 119, Curtius Die Altäre von
Olympia, Abb. der Berl. Akad. 1881 S. 14 ff.
«) Vgl. Paus. VI 8, 2, Philostr. Her. II
6 p. 293.
'**) Litteratur: Pbeller in Pauly's
Realencyklopädie II 900 ff., Schoemann a. a. 0.
II 311 ff., Preller-Robert Gr. Myth. I 285 ff.,
GöTTE Das delphische Orakel etc., Leipzig
1839, G. WoLFF De novissima oracidorum
aetate, Berlin 1854, GöttlinoGcs. Abhandlgg.
II, Bouch^-Lecleroq a. a. 0. III 39 ff., A.
MoMMSEN Delphica, Leipzig .878, U. Pohtow
zur Topograpnie von Delphi, Berlin 1889.
»') Aisch. Eum. 19 vgl 616 ff.
'') A 86 f., 385, vgl. o 252, wo Apollon
den Polypheidcs zum Seher macht.
»«) Vgl. Piaton Apol. VII c ; Phaidr. p. 265.
") Vgl. Paus. I 34, 3.
Handbuch der klass. AltcrtamswiaseDScbaft. V. 3. Abiig.
50 A. Die griechiBchen SaltiiBaltertümer.
Homer kennt Weissagungen in Ekstase noch nicht, wohl aber finden
wir auch bei ihm schon ein Beispiel, wo der Seher eine Vision hat und,
der Gegenwart entrückt, verkündet, was er zu schauen wähnt, ^ und auch
das Pythische Orakel ist dem Dichter bereits bekannt. Agamemnon ist
hingegangen, um es über den Ausgang des Krieges zu befragen, und Apollon
hat ihm geweissagt, dass die Erfüllung nahe sei, wenn die Besten im Heere
in Streit gerieten.-) / 405 werden die wohlgefüllten Schatzkammern der
felsigen Pytho^) erwähnt, und man darf daraus wohl den Schluss ziehen,
dass das Orakel schon damals häufig aufgesucht wurde. In welcher Weise
die Orakel aber erteilt wurden, darüber erfahren wir nichts. Die Sage
von der Gründung des Heiligtums gibt am ausführlichsten der homerische
Hymnos auf Apollon. Nach ihm ist Apollon selbst der Stifter. Lange
sucht der Gott nach einer passenden Stätte, bis er in die krisäische Ebene
am Fuss des Pamass gelangt. Auf einem Felsplateau in der Schlucht von
Delphoi lässt er von Trophonios und Agamedes den Tempel erbauen, nach-
dem er zuvor die den Ort hütende Schlange mit seinem Pfeile erlegt.
Delphingestalt annehmend schwimmt er zu einem Schiff kretischer Männer,
das gerade vorbeifährt, lenkt es nach Erisa, gibt sich den Schiffern als
Gott zu erkennen, befiehlt ihnen, ihm einen Altar als Delphinios^) zu er-
richten, und heisst sie seines Heiligtums warten.
Nach Aischylos (Eum. Anf.), welcher der delphischen Legende folgt,
gehört das Orakel zuerst der Ge, dann der Themis, dann der Phoibe, und
von dieser erhält es endlich Apollon.*) — Wenn der Dichter des Hymnos
den Zusammenhang des Orakels mit Kreta betonte, so finden wir auch in
dieser Sage den Versuch zu erklären, wie ein iJLavTeTov x^onov^^) das doch
ursprünglich Eigentum der Erdgöttin gewesen sein musste, in den Besitz
ApoUons gekommen sei. Denn das Adyton des Tempels stand über einem
Schlund, der kalt^e Dämpfe ausströmte, die den, der sie einatmete, in eksta-
tische Erregung versetzten.') Beide Sagen können nur den Wert aller ex-
plikativen Mythen beanspruchen: auch die delphische Legende zeigt uns,
dass das Orakel von jeher im Besitz Apollons gewesen ist.^) — Der alte
Tempel brannte im Jahr 548 ab ^) und wurde im Auftrage der Amphiktyonen
von den aus Athen verbannten Alkmaioniden schöner wieder aufgeführt.
W^ie reich und prächtig das Heiligtum gewesen ist, davon können wir uns
eine Vorstellung machen, wenn wir hören, dass die Phoker 10,000 Talente
blossen Metallwertes dort fanden, dass Sulla viele herrliche Kunstwerke
mitnahm, Nero es plünderte und Plinius doch noch etwa dreitausend Sta-
tuen in Delphoi zählte.^") Pausanias^') fand zwar die Schatzhäuser leer, aber
doch noch unendlich viele Zeugen der alten Pracht, und der herrliche Drei-
») V 345 ff.
2) & 77 ff.
») Vgl. B 519.
*) Der Name Delphoi findet sich zuerst
Homer, hymn. XXVII 14 Baum, und bei He-
rakleit Fragm. bei Plut. de Pyth. or. 21.
*) Vgl. Paus. X 5, 3.
«) Eur. Iph. T. 1249.
') Cic. de div. I 36 § 79, Strabo IX 419,
Diod. XVI 20, Justin. XXIV 6, vgl. Bakde-
K£R*s Griechenland 134 ff., Mommsen Delphica
12 f., LoLLiNo im Hdb. HI 131.
'*) Anders A. Momhsen Delphica 1 ff. Er
nimmt an, dass das Orakel ursprünglich dem
Poseidon und der Gaea gehört habe. Vgl.
78 f
"») Herod. II 180, V 62.
'^) Hist. nat. XXXIV 17.
»•) X 11, 1.
2. Die SoltiiBbeamten. (§ 47.)
51
fuss, das Weihgeschenk der Hellenen nach ihrer grössten That, *) stand dort,
bis ihn Konstantin entführte. (Taf. III Fig. 3.)
Unter den zahlreichen priesterlichen Beamten sind ausser dem tiqo-
^r^trfi namentlich die fünf oatoi^) zu nennen, später auch Prytanen und
Archonten, über deren Thätigkeit wir aber nicht näher unterrichtet sind.^)
Im Ad3rton des Tempels, in welches die Kassotis hinunterströmte,
stand über dem Schlünde ein gewaltiger vergoldeter Dreifuss, auf dessen
Becken eine kreisförmige durchbrochene Scheibe (oAjUog) lag, worüber dann
der Sitz für die Pythia angebracht war.*) Davor lag der 6fx(faX6g, ein
kuppeiförmiger weisser Stein, der Mittelpunkt der Erde, wo einst die beiden
von Zeus aus Ost und West ausgesandten Adler zusammengetroffen waren. ^)
Zu beiden Seiten standen goldene Adlerbilder, die bei der Plünderung
durch die Phoker auch geraubt wurden.«)
Die Seherin, welche die Orakel verkündete, soll in älterer Zeit eine
Jungfrau in der Blüte der Jahre gewesen sein, später aber, da einer ein-
mal Gewalt angethan war, wurden nur ältere Personen zu diesem Amte
gewählt.') Diese Sitte bestand vielleicht schon zur Zeit des Aischylos.*)
Natürlich musste die Erwählte untadliger Herkunft, Jungfrau und von gutem
Rufe sein, Adel und Vornehmheit waren vielleicht, auch als die Blüte des
Orakels ihren Höhepunkt erreicht hatte, nicht erforderlich; zu Plutarchs
Zeit war die Pythia eine einfache Landmannstochter. ^) Ursprünglich sollen
nur einmal im Jahre Orakel gegeben worden sein, im Monat Bysios,i^) dann
aber wurde das Orakel so sehr in Anspruch genommen, dass zwei Pythien
sich fortwährend ablösten, und noch eine dritte zur Aushilfe bereit war;
zu Plutarchs Zeit genügte es bereits wieder, dass monatlich einmal Orakel
erteilt wurden. ^ ') An Unglückstagen, rfihQai a7toq>Qdd€q^ durfte die Pjrthia
niemals den Dreifuss besteigen,-^) aber auch sonst musste durch Opfer und
andere Zeichen erforscht werden, ob der Tag zum Orakelgeben günstig sei.^^)
War dies der Fall, so begab sich die Pythia, nachdem sie zuvor Reinigungen
vorgenommen hatte, ^^) in goldenem Haarputz und langem Gewände >^) ins
Adyton, trank aus der Kassotis, nahm Lorbeerblätter in den Mund und
kaute sie'«) und bestieg den Dreifuss. Neben ihr stand der nqoifjf^trfi^^'^) dem
auch die Fragen mündlich oder schriftlich mitgeteilt wurden.**) Die Reihen-
folge der Fragenden {jysonqonoiy^) wurde durchs Los bestimmt,*®) sofern
>) Herod. IX 80, Paus. X 13, 5.
*) Plut De def. or. 49.
») Vgl. A. MoMMSEN Philol. XXIV 1.
*) Vgl. BrCnstsd Reisen und Unterss.
in Grchld. I 115 ff.. Müller de tripode Del-
pkico, dies. Götting. 1820, Wieskleb Ab-
hndlgg. der Göttinger G eselisch, der Wisssch.
Bd. XV 221 ff.
6) Find. Pyth. IV 4 mit Schol. Pyth. VII
134, VIU 85, Aisch. Sept. 747, Abbildung
bei RocHETTB mon. inöd. T. 37^ vgl. Bötticher
Omphalos, Berlin 1859 S. 8.
•) Diod. XVI 30 flf.
') Diod. XVI 26.
•) Eom. 38, vgl. Eur. Ion 1339.
») Plut. De def. or. 51, De Pyth. or. 22.
**) Vgl. Plut. Quaest. graec. 9, A. Momm-
8EN Delph. 18 f.
* *) De def. or. 9, Quaest. gr. 9.
»^) Plut. Alex. 14.
'») Vgl. Eur. Ion. 421, Plut. De def.
or. 51.
»*) Schol. Eur. Phoin. 230.
»^) Plut. De Pyth. or. 24.
'°) Luk. bis accus. 2.
'') Plut. De def. or. 49, cf. Herod. Vlll 30,
^8) S. GöTTLiNo Ges. Abhndlgg. H 59.
u. vgl. Carapanos a. a. 0. p. 36 ff., Frage-
täfelchen von Dodona.
>») Herod. I 07, Plut. Kim. 18.
20) Aisch. Eum. 32.
52 A. Die griechischen Soltnsaltertümer.
nicht einem von ihnen das Recht der ngoiiavteia^ des Vortritts, zustand.*)
Durch die gasartigen Ausdünstungen, die aus dem Schlünde aufstiegen,
wurde die Pythia in Ekstase versetzt und sprach nun mehr oder weniger
zusammenhängende Worte, die dann von den Propheten in oft recht schlechte
Hexameter, 2) später auch in andere Versmasse ^) gebracht und den Fragen-
den mitgeteilt wurden. Bisweilen wurden die Autworten auch in prosa-
ischer Form gegeben.*) Oft muss sich die Pythia in einem Zustande be-
funden haben, der sie unzurechnungsfähig machte,^) und die Priester mussten
dann sehen, was sie aus ihi*en Worten und Ausrufen machen konnten. Ab-
sichtlicher Betrug aber wurde gewiss selten verübt. Vereinzelte Fälle kamen
ja vor,^) und einmal hören wir sogar, dass eine Pythia abgesetzt wurde,
weil sie bestochen ein falsches Orakel gegeben haben sollte,^) aber im all-
gemeinen haben in der Blütezeit des Orakels sicherlich die Pythia wie die
Priester selber geglaubt, dass der Gott durch sie spräche, und wenn die
klugen Männer, die meistens auch über die Verhältnisse der Fragenden
wohl unterrichtet gewesen sein werden, auch alle Vorsicht anwandten und
gern dunkel und zweideutig blieben,^) wo sie ihrer Sache nicht sicher waren,
so wäre doch das ungemeine Ansehen, dessen sich das Orakel Jahrhunderte
lang erfreute, gar nicht zu erklären, wenn man häufigen Betrug voraus-
setzen wollte. Lysander machte in Delphoi, Dodona und bei dem ammoni-
schen Orakel Bestechungsversuche, aber überall wurde er abgewiesen und
schliesslich verraten,®) und aus dem Vorwurf des erbitterten Patrioten De-
mosthenes r] Ilvd^ia (piXinni^ei^^) dürfen wir auch noch auf keine Unred-
lichkeit schliessen.**) Manche Verdächtigung ist gewiss auf die Sonder-
interessen und den Partikularismus der griechischen Stämme zu schieben,
denen gegenüber Delphoi gewissermassen international oder neutral war,*^)
aber freilich änderten sich ja auch die Zeiten und mit ihnen die Autorität
des Orakels.
Der Einfiuss von Delphoi ist zwar von neueren zum Teil überschätzt und
auch auf Dinge ausgedehnt worden, mit denen das Orakel nichts zu thun
hatte, *•"*) doch ist er in der That ausserordentlich gross gewesen.**) Ohne den
Rat des Gottes pflegte man keine Kolonie auszusenden,^^) die berühmtesten
Gesetzgebungen wurden auf seine Einwirkungen zurückgeführt,^^) die wich-
tigsten politischen Fragen durch die Aussprüche der Pythia entschieden^^*)
vor allen Dingen aber holte man seinen Rat und seine Bestimmungen in
religiösen und auf den Kultus bezüglichen Fragen ein^^). Auch im Auslande
») Vgl. Herod. I 54, Plut. Perikl. 21,
DiTTKNBEBGEK Syll. 323, 8.
^) Vgl. Plut. De Pyth. or. 5.
») Cic. de div. II 5(3 §116.^
*) Plut. tjsqI tov firj X9^^ tfifistga vvv
jijv llv9ltty, Schol. Thuk. II 8.
">) Plut. De def. or. 51.
«) Vgl. z. B. Herod. V 63.
•) Ilerod. VI (>6.
8) Vgl. Cic. de div. II 56.
») Diod. XIV 13, Plut. Lys. 25.
»«) Vgl. SCHOEMANN Gf. A. II 46 f.
>^) Vgl. Beknhabdy Griech. Litgescb.
I 398.
^*) Vgl. Schoemann Gr. A. II 43 ff..
Preller in Pauly's Realenc. II 907 f.
'^) Cic. de div. I 1, Herod. V 42.
>«) Plato Leg. I Anf. Plut. Sol. 14, Schol.
Pind. Ol. X 17.
") Herod. VI 52, Paus. UI 1, 5, Plut
Arist. 11.
") Xen. Mem. I 3, 1, Plat. Leg. VI 739c;
>«) Plut. Dem. c. 20, Cic. de div. II 57 j Paus. VI 9, 3; X 10, 1, Dittenb. SvU. 13, 4;
§118. i Bull, de corr. hell. XIII Eleus. Inschr. 434 ff.
^<) Vgl. Döhler a. a. 0. 15 ff. j ZI. 47, vgl. Jacobs verin. Schrr. III 355 ff.
2. Die EnltaBbeamten. (§ 48—49.) 53
war das Orakel früh berühmt. Schon König Midas von Phrygien soll es
befragt haben, Gyges von Lydien sandte Geschenke,') Alyattes schickte
hin,') und Kreises wandte sich wiederholt mit Anfragen nach Delphoi,
stiftete unglaubliche Schätze in das Heiligtum und beschenkte auch die
Priester.^) Aber auch nach dem Westen hin war sein Ruhm gedrungen.
Das etruskische Caere hatte eine eigene Schatzkammer in Delphoi,^) Tar-
quinius Superbus schickt« seine Söhne hin,^) Q. Fabius Pictor führte eine
ganze Gesandtschaft hin,*) und noch Cicero befragte es.') Unter Nero, der
über dem heiligen Schlund Menschen schlachten liess,^) stellte das Orakel
eine Zeitlang seine Thätigkeit ein, ganz verstummt scheint es erst unter
Konstantins Regierung zu sein.^)
48. Neben diesen drei bedeutendsten gab es nun noch zahllose andere
Orakel, deren Ansehen sehr verschieden war, vor allem in Boiotien und
an der kleinasiatischen Küste. Eins der berühmtesten war das Apollonorakel
zu Didjrmoi bei Milet, nach der Familie, in deren erblichem Besitz es sich
befand, gewöhnlich das Branchidenorakel genannt '^) (Abbildung des Tempels
Taf. n Fig. 1). Auch hier weissagte eine Priesterin, nachdem sie sich aus
einer Quelle Begeisterung getrunken, und ein Prophet teilte ihre Aussprüche
den Fragenden mit. ^ ^) Es wird auch unter den Orakeln genannt, die Kroisos
beschickte, '') und noch Seleukos sandte reiche Gaben hin.^^)
Auch das klarische Orakel bei Kolophon^^) und das zu Patara in
Lykien**) zählen zu den bedeutenderen. — Im eigentlichen Griechenland ist
dann besonders noch das Apollonorakel zu Abai in Phokis zu nennen, an
das sich auch bereits Kroisos gewandt hatte, ^*) und das sich durch seine
Reichtümer und Weihgeschenke auszeichnete; >') femer das des ptoischen
Apollon bei Akraiphia in Boiotien,*^) eines zu Tegyra bei Orchomenos,'*) und
das des ismenischen Apollon zu Theben. ^^) In Argos gab es im Heiligtum
des Apollon Deiradiotes eine Wahrsagerin, die sich durch den Genuss von
Opferblut in Ekstase versetzte. '0 — ^^^ andern apollinischen Orakel, die
uns noch genannt werden, haben wohl nur eine lokale Bedeutung gehabt,
und es ist überflüssig, hier Namen zu häufen, denn mehr als die Namen
wissen wir von ihnen nicht.**)
49. Sehen wir zum Schluss noch, welcher Art die Fragen waren, die
man diesen Orakeln vorzulegen pflegte. Es wäre ganz verkehrt, zu glauben,
dass sie nur von Staaten und Königen in wichtigen politischen oder in An-
gelegenheiten des Kultus zu Rate gezogen wurden. Selbst das Orakel von
>) Herod. I 13 f.
^ Herod. I 19.
>) Herod. I 46 ff.
*) Strabo V 220.
») Liv. I 56.
•) Liv. XXII 57, XXIU 11.
') Flui Cic. 5.
») Cass. Dio LXm 14.
•) Vgl. 6. WoLFP de nov. or. aet. p. 9.
'•) Herod. VI 19, Paus. VII 2, 4, vgl.
Gelzeb de Branchidis, Schoekborn über d.
Wesen des Apollon und die Verbreitung seines
Dienstes, Berl. 1854.
»») Herod. I 46.
«3) CIG. 2852.
»*) Strabo XIV 642, Paus. VII 3, 1, Tac.
ann. II 54.
«*) Herod. I 182; Paus. IX 41, 1.
»•) Herod. I 46.
'') Herod. VIII 33.
»8) Herod. VIH 135; Paus. IX 23, 3.
»») Plut. De def. or. 5, Pelop. 16.
2<>) Herod. I 52, V 59 ff. Paus. IX 10.
»») Paus. II 24, 1.
^^) Eine kleine Sammlung s. bei Schoe-
MANN Gr. A. II 323 ff., vgl. auch Lebeque in
>») Jamblich. De myst. HI 11. ; d. Revue arch^l. VH (1886) 245 ff.
54 A. Die griechischen EoltuBaltertümer.
Delphoi wird verhältnismässig wenig mit solchen Fragen zu thun gehabt haben.
Dass die Schriftsteller von ihnen häufiger sprechen, und die hierauf bezüg-
lichen Antworten des Orakels sich im Gedächtnis erhielten, liegt nur daran,
dass dies eben wichtige Sachen von allgemeinem Interesse waren. ^) Ge-
legentlich aber erfahren wir doch auch, mit welchen Anliegen sich Privat-
personen an die Orakel zu wenden pflegten, und zwar auch an die bedeu-
tendsten zu einer Zeit, wo sie im höchsten Glanz standen. Chairephon
fragt in Delphoi, ob es einen Weiseren gebe als Sokrates,^) Xenopfaon,
welchen Göttern er opfern solle, um aus dem Feldzug, den er mitzumachen
beabsichtige, wohlbehalten und glücklich heimzukehren, 3) Glaukos, ob er
ihm anvertrautes Geld, dessen Veruntreuung nicht nachzuweisen wäre, zu-
rückerstatten solle, ^) bei dem Branchidenorakel wird angefragt, ob man einen
fremden Flüchtling, der sich im Vertrauen übergeben habe, ausliefern dürfe,*)
die merkwürdigsten Fragen aber haben sich auf den Bleitäfelchen, die man
bei den Ausgrabungen in Dodona gefunden hat, erhalten.^) Da erkundigt
sich einer, ob das Kind, mit dem seine Gattin schwanger gehe, auch wirk-
lich von ihm sei,^) ein anderer, wer ihm seine Polster gestohlen habe,^) ein
dritter, ob es ihm Gewinn bringen würde, wenn er Schafzucht triebe,^) eine
Frau, welchen Göttern sie opfern müsse, um zu genesen, 'o) Eltern, ob es besser
für ihr Kind wäre, wenn sie es so oder so mit ihm machten^*) u. s. w.
Wenn die bedeutendsten Orakel sich herbeiliessen, auf solche Fragen Ant-
wort zu geben, so kann man sich denken, dass die kleineren wohl selten
in wichtigeren Angelegenheiten angegangen sind. Dass man ein Orakel,
welches eine ungünstige Antwort gegeben hatte, sogleich darauf noch ein-
mal dringender und um besseren Bescheid flehend befragte, kam wohl nur
in verzweifelten Fällen vor.^^)
50. Aber auch an den Orakelstätten gaben die Götter nicht bloss
durch Zeichen und Worte ihren Willen zu erkennen, sondern auch durch
Träume. Solche Traum orakel werden hauptsächlich von Kranken auf-
gesucht, die im Schlaf die Weisungen und Verordnungen des Gottes em-
pfangen. Das berühmteste dieser Orakel war das des Asklepios zu Epi-
dauros in Argolis, wo sowohl der Reichtum des Tempels wie die zahllosen
Stelen, die den Namen, die Beschreibung des Heilverfahrens und den Dank
des Genesenen enthielten, von dem Glanz und dem Zuspruch des Heilig-
tums zeugten.***) Zwei von den sechs Tafeln, die im Heiligtum aufgestellt
den Pilgern die bedeutendsten Wunderkuren verkündigten, sind vor kurzem
aufgefunden worden **) und unterrichten uns genau von dem dort üblichen
Heilverfahren. Der Tempel hat einen eigenen Schlafraum. Dort hat nun
^) Über die grosse Zahl der Kultusorakel
s. PoMTOw in d. Jahrb. f. Phil. 1883 S. 358 f.
') Plato Apol. V § 21.
•') Xen. Anab. III 1, 0.
*) Uerod. VI 86, vgl. v. Wilamowitz
7) Carapanos S. 75 PI. 36 n. 2,
8) S. 75 PI. XXXVI n. 1.
^) S. 80 PI. XXXVIII.
'«) S. 73 PI. XXXV n. 1.
»») S. 79 Pi. XXXVII n. 8.
Isyllos 13 f. ' '2) Vgl. Herod. VII 141.
^) Herod. I 157 flf. '^j p^us. II 27, 2 f., Strabo VIII 374.
^) PoMTow Die Orakelinschriften von Do- '*) Ephemeris archaiol. 1883 S. 197 ff.,
dona, Jahrb. f. Phil. 1883 S. 305 ff. u. Cara- 1885 S. 1 ff.. 85 f., vgl. v. Wilamowitz im
PANos a. a. 0., vgl. Robert im Hemies XVIII Hermes XIX 448 ff.. Zacher im Hermes XXI
466 ff. i 467 ff., DiELS in Nord und Süd Bd. 44 S. 29 ff.
2. Die EnltaBbeamien. (§ 50.)
55
der Kranke gewöhnlich einen Traum, der ihm irgend ein Operationsver-
fahren zeigt, das mit ihm vorgenommen wird. Am Morgen erwacht er
und ist gesund. Viele der beschriebenen Fälle lassen keinen Zweifel da-
rüber, dass während der Nacht an dem Bewusstlosen wirklich eine Operation
vollzogen ist. Einige Schilderungen sind übertrieben und ausgeschmückt,
die meisten erlogen. Die religiösen Zeremonien und die Vorbereitungen
zur Inkubation werden von den Priestern vorgenommen, die Operationen
selbst von den heilkundigen Asklepiaden, also Ärzten, vollzogen. Die
Träume werden natürlich den Priestern mitgeteilt; in späterer Zeit erhalten
die Kranken daraufhin ärztliche Anweisungen und Verordnungen, und die
Kuren sind dann auch nicht mehr so wunderbar; die völlige Heilung findet
nicht mehr in der Inkubationsnacht selbst statt, sondern die Behandlung
dauert längere Zeit, und wiederholt geben neue Träume die neu anzuwen-
denden Mittel an. Eine ziemlich umfangreiche Inschrift aus Hadrianischer
Zeit schildert uns eine solche Heilung in ihrem ganzen Verlauf, und zwar
keine ganz unsinnige Wunderkur, wie wir sie ausser in den erwähnten In-
schriften bei Aelius Aristides zur Genüge beschrieben finden, i) Der geheilt
Entlassene bekennt dankerfüllt, dass alle ihm im Traum verordneten Mittel
trefflich gewirkt und seine Gesundheit wiederhergestellt hätten. Die Honorare
waren oft sehr bedeutend, und der Gott wusste dafür zu sorgen, dass er
nicht darum betrogen ward.*) — Ähnlicher Heiligtümer gab es sehr viele
in Griechenland.') Nächst dem Epidaurischen waren die angesehensten das
zu Trikka in Thessalien, das zu Kos und besonders das Pergamenische. —
Auch Traumorakel anderer Gottheiten^) werden erwähnt, die ebenfalls von
Kranken konsultiert wurden, aber sicherlich nur lokale Bedeutung gehabt
haben. *'^) — Dann gab es aber auch Traumorakel, an die man sich auch
mit andern Anliegen wandte. Ein solches war das des Amphiaraos zu
Theben, wo einst der Seher von der Erde verschlungen sein sollte,^) welches
später (um 420 etwa) nach Oropos verlegt wurde.') Kroisos®) und Mardonios ^)
liessen es befragen, und Hypereides ^^) erwähnt einen Fall, wo ein im Tempel
schlafender Bürger Offenbarungen über die Zugehörigkeit eines strittigen
Stück Landes, das neben dem Tempelbezirk lag, abwarten musste. Philo-
stratos^i) beschreibt uns die Vorbereitungen und Bräuche, denen sich die
Orakelsucher zu unterziehen hatten. Vor der Inkubation mussten sie dem
Amphiaraos einen Widder opfern und auf dem Felle schlafend das Traum-
gesicht erwarten. Aus einer kürzlich in Oropos gefundenen Inschrift aus
dem Anfang des vierten Jahrhunderts v. Chr. erfahren wir, dass in dem
Schlafraum die Männer und Weiber gesondert östlich und westlich von dem
^) V. WiLAMOWITZ I^lloS 116 ff., Vgl.
auch das in Aristophanes rlutos geschilderte
Verfahren
«) Paus. X 38, 1 u. DiBLs a. a. 0. 34 f.
») Vgl. ScHOKMAiw a. a. 0. 332 ff., G.
Kbüoeb Theologumena Patisaniae, Leipzig
1860 p. 46, Yebcoutre in der Revue archöol.
VII (1886) 22 ff., 106 ff., Röscher Myth. Lex.
1884 S. 626 f.
*) Wohl auch nur chthonischer (vgl.
V. WiLAMOWITZ Isyllos 96) : Dionysos, Pluton.
5) Paus. X 33, 5, Strabo XIV 649, 650.
^) Prelleb Oropos und das Amphia-
reion, Ber. d. kgl. sftchs. Ges. d. Wiss. 1852
S. 168 ff.
DiTTENBERGER iud. loct. Hai 1888/89
IV ff.
8) Herod. I 46.
«) Herod. VIII 134.
»«) Pro Euxenipp. XXVII f. Blass.
»') Vita Apoll. T. II 37.
56
A. Die griechischen EultoBaltertüiner.
Altar lagen. In Thalamai in Lakonien hatte Pasiphae einen Tempel,^) in
dem auch die spartanischen Ephoren Traumoffenbarungen empfingen, und
noch einige andere werden uns genannt.^) — Eigentümlich und vielleicht
einzig in seiner Art war das Orakel des Trophonios in Lebadeia in Boiotien,
das uns Tansanias, der es selber besucht hat, sehr ausführlich beschreibt.^)
Schon mehrere Tage ehe der Fragende zu dem eigentlichen Orakel zuge-
lassen wurde, musste er Opfertiere darbringen, deren Eingeweide von einem
ficcrtig untersucht wurden ; am Abend vorher wurde ein Widder geschlachtet,
dessen Blut man in eine Grube hinabströmen Hess. Fiel auch dies Opfer
günstig aus, so trank der Betreffende aus den Quellen des Yergessens und
der Erinnerung und wurde, mit einem linnenen Gewand angethan, nach der
Orakelstätte geführt. Aus einer gemauerten Vertiefung stieg er durch eine
Öffnung auf einer Leiter in einen noch tiefer gelegenen Raum, legte sich
auf den Boden, schob die Füsse durch ein Loch und wurde darauf schnell
und gewaltsam in das innere Adyton hinabgerissen. Hier sah er allerlei
wunderbare Erscheinungen, auch Tiere und Schlangen, denen er mitge-
brachte Honigkuchen vorwarf, mancher vernahm auch eine Stimme, und
mit den Füssen voran wurde er durch dieselbe Öffnung, durch die er ge-
kommen war, auch wieder nach oben gezogen. Die Priester fragten dann
den halb Bewusstlosen, was er gesehen und gehört habe. Auch dies Orakel
entbehrte nicht des Ansehens; Eroisos beschickte es, wie alle andern be-
rühmten griechischen Orakel,^) und im nächsten Jahrhundert befragte es
Mardonios,^) ja es scheint sich ganz besonders lange erhalten zu haben. 7)
51. Es bleiben uns noch übrig die Totenorakel {vsxQOfiawfTa^
xpvxo(AavT€Ta^ xpvxonofxnsTa,)^) — Eine Andeutung oder Spur davon schon
in der Odyssee zu erblicken, sind wir nicht berechtigt. Lobeck ^) hat ganz
recht, dass Odysseus nicht selbst hätte in die Unterwelt hinabzusteigen
brauchen, wenn er ein Totenorakel hätte befragen können. — Ein Toten-
orakel des Teiresias, von dem wir hören, *<^) scheint von den erwähnten
Traumorakeln nicht sehr verschieden gewesen zu sein. Bekannter ist ein
thesprotisches bei Kichyros,*^) das Periander einmal befragt haben soll,**)
und eines zu Herakleia am Pontes, an das sich König Pausanias wandte^ i^)
sodann eines am Vorgebirge Tainaron in Lakonien, ^^) wo es auch einen
Eingang zur Unterwelt geben sollte.**) Am bedeutendsten von allen war
vielleicht das Totenorakel am Avernischen See bei Kumae, wo Priester
nach allerlei Gebeten und Opfern die gewünschte Seele zitierten, die dann
auch Rede stand. *^) — Dass ausserdem Geisterbeschwörer überall den Aber-
gläubischen die Seelen Verstorbener herbeizuführen vermochten, bedarf kaum
der Erwähnung.
') V. WiLAMowiTz Hermes XXI 91 ff.
2) Flut. Kleora. 7, vgl. Paus. III 26, 1.
^) ScHOEMANN a. a. 0. 335 f.
*) IX 39.
*) Herod. I 46.
«) Herod. VHI 134.
') Flut. De def. or. 5, vgl. Schoemann
Gr. A. II 340.
«) NlTZSCH Z. Od. III 152, VöLCKER Allg.
Schulztg. 1831 S. 1166.
») Agl. 316.
»^) Flut. Do def or. 44.
»') Faus. IX 30, 3; I 17, 5.
^2) Herod. V 92.
^») Flut. Kim. 6.
'*) Flut. De sera s. num. vind. 17.
'">) Fru8. m 25, 4.
") Strabo V 244, Diod. IV 22.
2. Die EaltoBbeamten. (§ 51.) 8. EaltaBhandlangen. (§ 52.)
57
3. Kultushandlungen.
a. Das Gebet.
Litteratur: E. v. Lasaulx Studien des klassischen Altt 137 ff., Hebmann G. A. § 21,
ScHOEMANN Gr. Altt' II 257 ff., Nabgelsbach Homer. Theol. 185 ff., Nachh. Theol. 212 ff.,
L. Schmidt Ethik der Griechen II 30 ff., Dabembebo et Saglio Dictionnaire u. adoratio I 80 ff.
(mit vielen Abbildungen), Voihllieme Quomodo veteres adoracerint, Hall. Diss. 1887 (über
die Geberden der Betenden), 0. Gbuppe Die Griech. Kulte u. Mythen, Leipzig 1887 I 559 ff.
52. Das Gebet spricht eine Bitte aus oder einen Dank für irgend
etwas Gutes, das man empfangen hat, oder es ist eine zur Formel gewordene
Äusserung, mit der man gottesdienstliche Handlungen begleitet. Die Bitt-
gebete sind die häufigsten, und sie werden vorzugsweise, fast ausschliess-
lich, durch den allgemeinsten Ausdruck für Gebet: svxi] bezeichnet. ^ Eine
Danksagung oder vielleicht richtiger Lobpreisung heisst ijiaivogJ) — In den
homerischen Gedichten finden sich Dankgebete kaum; beim Opfer wird
von den Frauen der herkömmliche Ruf {oXoXvyiAog) ausgestossen, oder der
Gott wird durch Gesänge gefeiert;^) hat man zu danken, so knüpft sich
wohl auch daran gleich wieder eine Bitte. ^) Die Bittgebete selbst haben
etwas formelhaftes, was sich nicht nur in dem so häufig wiederkehrenden ^)
,Wenn doch Vater Zeus und Athene und Apollon'' zeigt, sondern auch in
ernstlich gemeinten Gebeten.^) Innigkeit, das Bestreben, den Gott zu rühren,
der Ausdruck des Vertrauens und der getrösteten Hoffnung findet sich
nirgends; statt dessen überall der möglichst ausführliche^) Anruf des
Gottes, oftmals eine Erinnerung an die stets reichlich dargebrachten
Opfer,®) die kurze bestimmte Bitte und zum Schluss häufig ein Gelübde für
den Fall der Erhörung. ^) Die Götter sind ein Bild des Menschen: herz-
liche Dankesworte für geleistete Hilfe hätten damals keinen befriedigt,
und die Aussicht nur darauf schwerlich einen zum Helfen veranlasst; hätte
jemand seine Bitte aber nicht mit einer ehrfurchtsvollen Anrede, die Ahnen
und Würden des Gebetenen gebührend berücksichtigte, beginnen wollen,
so wäre ihm dies sehr verdacht worden. Mit dieser Vorstellung von den
Göttern hängt zusammen, dass man laut betete. ^^) Auch später behalten
die Gebete etwas wenn nicht formelhaftes, so doch offizielles, wie man
namentlich auch aus Aristophanes ersehen kann.^^) Freilich würde eine
andere Zeit, wenn sie nur Fragmente unserer gedruckten Gebete über-
kommen hätte, über diese auch nicht viel anderes urteilen, und dass auch
die Hellenen anders beten konnten, zeigt das Gebet des Sokrates,^^) das
des Chors in Aischylos Agamemnon ^^) und manches andere. ^'^)
Ohne Gebet pflegte man keine wichtigere Handlung zu beginnen. ^^)
Der Redner rief die Götter an,*®) die Volksversammlungen und Gerich ts-
') Piaton Leg. VII 801. vgl. 415 B.
«) Aristoph. Plut 745, Xen. Symp. IV 49.
') A 472 ff.
*) A 451 ff!, y 356 ff.
*) B 371, J 288, H 132, U 97, rj 311,
<F 235, w 376.
«) Vgl. das xXv&i fABv ß 262, cf 762 u. s. w.
') Vgl. n 233 ff., A 451 ff., r 275 f.
u s w
' «)' 372 ff., (f 763 f., Q 240 ff. u. s. w.
9) Z 308 f. u. s. w.
»0) Vgl. H 195.
^') Vgl Lvsist 833, wo der Anklang an
Homer jedenfalls absichtlich ist, Nub. 563 ff.,
Thesm. 1136 ff., Equ. 551 ff. u. s. w.
'•') Xen. Mem. I 3, 2.
") 160 ff.
'*) Vgl. Plato Alkib. II 143 A.
") Vgl. Hes. Erg. 339.
'*) Vgl. Demosth. ne^l aretp, Anf.
58 ^ ^10 griechisohen Ealtasaltertümer«
Verhandlungen wurden mit Gebet eröffnet, die Festfeiem damit einge-
leitet.
An welche Gottheit man sich in seinem Gebet wandte, hing zumeist
davon ab, worum man bat, denn die Machtsphären und Wirkungskreise
der Götter waren verschieden, und nicht von jedem war die Erf&llung
einer bestimmten Bitte zu erwarten. Sehr oft aber bestimmte auch die
Nähe eines Heiligtums, des Meeres oder irgend ein zufälliges Begegnis
den Betenden, diese oder jene Gottheit anzurufen;^) bisweilen muss erst
ein Orakel^) oder ein Seher*) Auskunft geben, an welchen der Himmlischen
man sich zu wenden habe. — Vor dem Gebet pflegte man sich die Hände
zu waschen*^) oder auch reine Kleider anzulegen,^) häufig bekränzte man
sich oder nahm Zweige in die Hand, die man mit Wolle zu umwinden
pflegte.^) — Das Gesicht wandte man nach der Richtung, in der man die Gott-
heit vermutete,^) im Tempel also nach dem Götterbilde. Betete man zu den
obern Gottheiten, so erhob man die Hände zum Himmel,^) die innern Hand-
flächen nach aussen, also von sich selbst abgewendet*®) (Taf. IV Fig. 1);
einem Altar oder Götterbilde gegenüberstehend pflegte man jedoch nur die
rechte Hand zu erheben (Taf. IV Fig. 2; Taf. I Fig. 2); betete man zu
Meeresgottheiten, so streckte man die Hände der sich vor einem aus-
breitenden Fläche entgegen ; * *) bei Anrufung der Unterirdischen kniete oder
setzte man sich auf den Boden und stemmte die Hände auf die Erde*^)
oder stampfte wohl auch mit dem Fusse,*^) um die Aufmerksamkeit des
Gottes zu erregen. Sonst war das Niederwerfen oder Niederknieen selten,")
man betete in der Regel stehend und mit unbedecktem Haupte.*^) Auch
war es üblich, Götterbildern oder Heiligtümern im Vorbeigehen durch Zu-
werfen einer Kusshand seine Verehrung zu bezeugen {jiQoaxvvsTv).^^)
53. Zu den Gebeten gehören auch die im Kultus eine so grosse
Rolle spielenden Hymnen,*^) die je nach den Gelegenheiten, bei denen
sie vorgetragen, oder nach den Göttern, denen sie gesungen wurden,
verschiedene Namen hatten. nQoaodta heissen die Prozessionslieder, die
*) Vgl. Xen. Oikon. VI 1, Antiphon VI | Betender und Gelobender. Diese erheben
den Oberarm nur ein wenig, der Unterarm
ist halb in die Höhe, halb nach vom ge-
streckt, die Hand dem Götterbilde oder Altaxe
zugewendet. Nach Voullieke 18 ff.
*') J 351 und mehr bei Voullieme 24.
'2) l 568, Hymn. in Apoll. 333 (155
Baum.), vgl. Aisch. Fers. 674 ff.
^3) Cic. Tusc. II 55.
»*) Vgl. Theophr. Char. 16, aber auch
die Reliefs bei v. Sybel Katalog der Skulp-
turen etc. n. 342 u. 1108 und Müller- Wie-
seler Taf. 62 n 794.
»5) JI 231, W 194, y 185, Find. Nem. V
19, Herod. I 31, Flut. Quaest. Rom. 10, vgl.
Marquardt Rom. Alt. IV 468, Voullieme a.
a. 0. 7 f.
45, Arrian de vonat. 34. — S. L. Schmidt
Ethik 11 31 f.
'') Vgl. L. Schmidt Ethik II 34 f.
3) Xen. Anab. III 1, 6.
*) Theophr. Char. 16.
*) ß 261, U 230.
«) rf 750, Q 48.
') Flut. Thes. 18, Schol. Aristoph. Flut.
383 u. s. w.
») « 364, n^ 143. Herod. IX 61.
^) il 301, Z 257, t 294, Aisch. Sept. 156,
Eur. El. 592 u. s. w. Vgl. Conze Jahrb. des
D. Arch. Inst. I (1886) 12, ferner — auch
für das Folgende — Sittl in den Verh. der
Fhilologenversamml. in Zürich 1888 S. 50 ff.
u. besonders Voulueme a. a. 0. 18 ff., 24 ff.
*") Vgl. Daremberg u. Saolio Dict. a. | *•) Luk. De saltat. 17, Apul. Apol. p. 301,
a. 0., Furtwaengler Jahrb. des D. Arch. ! vgl. Böttiger Kunstmythol. 152, Voullieme 11,
Inst. I 218. Zu der hier abgebildeten Gemme
vgl. aber Heydemanx Jahrb. des D. Arch.
Inst. 111 1>88 S. 149. Übrigens ist wahrschein-
lich zu unterscheiden zwischen den Geberden
Abbildung bei Schreiber Kulturhist. Atl. XIV 3.
") Flato Leg. 111 700, Frokl. bei Fhot.
bibl. 985 Hoesch., vgl. Hom. hymn. in Apoll.
149, Paus. X 7, 2.
8. EoltiiBhandlangen. (§ 53 -54.)
59
man auf dem Wege zum Tempel zu singen pflegte, vTtoQxrjfiaTa Lieder,
die mit entsprechenden Bewegungen des Körpers, also einer Art Tanz be-
gleitet wurden. Am häufigsten wird der Paian erwähnt, ein Name, der
ursprünglich ein dem Apollon und der Artemis heiliges Lied bezeichnet,
dann aber auch auf Lieder, die beim Trinkgelage vorgetragen wurden,^)
und vor allem auf Schlachtgesänge ausgedehnt wird.^) Der diO^vqafxßog^
ursprünglich ein bei Dionysosfesten gesungenes Kultuslied, bezeichnete später
auch andere in freieren Rhythmen sich bewegende Gesänge. lovXog ist ein
Lied für Demeter, die Spenderin voller Garben, ovniyyog für Artemis') u.
s. w. Wahrscheinlich besass jeder Tempel seine besonderen Hymnen, die
nicht bloss altertümliche Texte gehabt haben werden, sondern auch ihre
bestimmten Melodien (i'djuoe).^) Begleitet wurden die Gesänge namentlich
mit Kitharaspiel, das vor allem im apollinischen Kultus üblich war, und
mit der Flöte, die wiederum im Dionysoskult beliebt war. Die Ausbildung
von Chören zum Hymnengesang war daher eine religiöse Verpflichtung des
Staates, und die (S. 37) besprochene Inschrift aus Stratonikeia^) zeigt uns,
welche Sorgfalt darauf verwendet wurde. Erhalten ist uns von Gesängen
dieser Art sehr wenig,®) denn weder die orphischen noch die homerischen
Hymnen sind liturgische Gesänge, und der Hymnos des Philosophen Kle-
anthes auf Zeus^) ist eine Art Mustergebet, das praktisch nie zur Ver-
wendung kam.
b. Der Finch.
Litteratur: Hermann G. A.* § 22 Anf., cf. § 9. Schoemann Gr. A.» II 265 ff., v. La-
8AULX Studien des klass. Altt. 159 ff, Naeoelsbach Nachhom. Theo!. 350 f., L. Schmidt
Etiiik I 83 ff., Newton Die griech. Inschriften, übers, v. Imelmann 83 ff., 90 f.
6i. Ein Gebet ist auch der Fluch {aqd xardga snaQce),'^) Man fleht
von den Qöttem Strafe oder Vernichtung auf das Haupt eines Feindes
oder Übelthäters herab, und zwar unbedingt, wenn die That, derentwegen
der Betreffende verwünscht wird, bereits begangen ist, oder bedingt, d. h.
also für den Fall, dass jemand eine solche That sich zu Schulden kommen
lassen würde. Diese Verwünschungen können von einzelnen oder von
ganzen Gemeinden und Staaten ausgesprochen werden. In Athen fluchte
ein Priester aus dem Geschlecht der Buzygen dem, der einem andern die
einfachsten Dienste der Nächstenliebe versagen oder einen Toten unbeerdigt
liegen lassen würde, ^) der Herold in seinem Gebet vor Eröffiiung der Volks-
versammlung den Vaterlandsverrätern,*^) und ähnliche Beispiele finden sich
in anderen Staaten.**) Wie hier die Drohungen gegen etwaige Verletzer
der natürlichen Menschenrechte oder der bestehenden Gesetze gerichtet
') Xen. Symp. II 1.
«) Xen. Efell. II 4, 17; IV 2, 19; vgl.
Thnk. VI 32 u. s. w.
») Athen XIV p. 619 B.
*) Vgl. Aristot Pol. V (VIIIJ 7 p. 1341b,
Plut. De mus. 6.
*) CIG. 2715.
^) 8. das kürzlich aufgefundene Prozes-
sionslied des Isyllos von Epidauros auf Apollon
und Asklepios, v. Wilamowitz Isyllos 13 flf.,
Kaibel Epigr. gr. 1025—1032, vgl. Welcker
opusc. II 271 u. WEiaoEB das Kollegium der
16 Frauen Progr. Weimar 1883 S. 8.
^) Frgm. phil. Gr. ed. Mullach I 151.
^) Ob man z. B. q 494 ff. als Gebet oder
Fluch bezeichnen sollte, wäre schwer zu ent-
scheiden. Der Ausdruck «^«, agätsi^ai kann
eben auch beides bedeuten. Vgl. x ^^'^*
9) Diphil. bei Athen. VI 35 p. 238, Schol.
Soph. Ant. 255.
»") Isokr. Panog. 42 § 157, cf. Aristoph.
Thesmoph. 337, 365 u. Plut. Arist. 10.
>») Vgl. CIG. 3044, 3059, 2691, Ditten-
BERGER Syll. 364.
60 A. Die griechischen Knltasalteritlmer.
werden, so spricht man Verwünschungen auch gegen Übelthäter aus, deren
man nicht habhaft werden kann. So wurde Alkibiades feierlich von den
Priestern verflucht/) und als er dann wieder in das Vaterland zurück-
kehrte, wurde dieser Fluch zurückgenommen {a(po<n(odijvai).^) Ungleich
häufiger waren natürlich die Verwünschungen, mit denen beleidigte oder
geschädigte Privatpersonen ihre Feinde verfolgten. Um den Fluch wirk-
samer zu machen, grub man ihn in Form einer Dedikation in ein Täfelchen,
meist aus Blei,*"^) das man dann in der Wohnung des Verfluchten vergrub
oder an einer den unterirdischen Gottheiten geweihten Stätte verbarg.^)
Newton hat eine Anzahl solcher Täfelchen in einem der Demeter Persephooe
und dem Hades heiligen Bezirk in Knidos gefunden.^) Diebe, Untreue,
Verleumder werden darauf der Strafe der Götter überantwortet, und eine
andere Inschrift^) zeigt uns, dass bisweilen auch die Furcht vor der Er-
füllung des Fluches die Übelthäter veranlasste, Genugthuung zu leisten.
Am zahlreichsten sind die Verwünschungen, welche gegen Verletzer von
Gräbern gerichtet sind. Man pflegte die Täfelchen, worauf sie eingezeichnet
waren, den Verstorbenen mit ins Grab zu legen. Den Göttern der Unter-
welt, heisst es da, soll der Grabschänder verfallen sein, und alles mögliche
Unheil ihn treffen.^) Besonders zahlreich sind die Beispiele von Ver-
wünschungen gegen solche, die es wagen sollten, in dem Erbbegräbnis
einer bestimmten Familie ihre Toten zu bestatten.^) Auch Behörden, denen
dann dafür eine Summe Geldes zur Verfügung gestellt ist, werden an-
gerufen, die Schuldigen zu verfolgen,^) oder Erben ihrer Erbschaft für ver-
lustig erklärt, falls sie nicht für den Frieden des Grabes sorgten. ^^)
c. Der Eid.
Litteratur: HERKAim Gottesdienst]. AJtt.^ § 22, Schoemaitn Gr. Altt' U 267 ff.,
V. Lasaulx Stud. des klass. Alt. 177 ff., Naeoelsbach Hom. Theol. 103 ff., Nachhom. Theol.
241 ff., L. Schmidt Ethik I 88 ff., 11 3 ff., u. s. w.
66. Auch der Eid ist ein Gebet oder ein Fluch, eine Verwünschung,
in der der Schwörende für den Fall eines Meineids die Strafe oder das
Verderben auf sich selbst herabruft.**) — Der griechische Ausdruck oQxog
bezeichnet nicht nur den Schwur selbst, sondern auch die Sache, bei welcher
man schwört,**) und drittens den über den Eiden wachenden und die Mein-
eide rächenden Gott.**0 Der Schwörende setzt irgend einen ihm teuren
Gegenstand gleichsam als Pfand dafür ein, dass er die Wahrheit sage, und
ruft die Götter an, ihm diesen zu rauben, falls er lüge. Gewöhnlich ist
es das eigene Leben und Glück und die Wohlfahrt der Angehörigen, die
auf das Spiel gesetzt werden soU,*^) oft ein anderer Besitz, ^^) namentlich ein
») Plut.Alk.22,Lys.inAndok.§51p.252. I ») Vgl. CIG. 2826.
~ ~ ^0) Vgl. CIG. 2824, C. Wachsmüth Rhein.
Mus. N. F. XVIII 560 ff., G. Hibschfkld in
d. Königsberger Studien 1888 S. 85 ff.
»^) II. r 264 f , Lys. g. Eratosth. § 10 etc.
>^) Z. B. Archilochos frgm. 94.
") Hes. Theog. 400, 785, Babr. fab. L 18,
Find. Nem. XI 30, vgl. Pyth. IV 166.
^*) Plut. Quaest. rom. 44, Deraosth. Ari-
stokr. 67 f., Lys. Eratosth. § 10. a. s. w.
2) Plut. Alk. 33, Diod. XIII 69.
3) Vgl. z. B. Arch. Ztg. 1881 S. 310.
*) CIÜ. 5773.
*) History of Disco veries II 2 S. 720 ff.
«) CIÜ. 3442.
") Vgl. CIG. 916, die Inscbr im U&ijyaioy
X 1881 S. 541.
^) S. d. Inscbrr. in d. Reisen im sw.
Kl. As. V. BENin)ORF etc., Wien 1889, z. B.
Bd. II 27. , '^) II. J 233, Aisch. Sept. 510.
8. Snltashandlangen. (§ 55.)
Cl
solcher, an dessen Genuss man sich gerade erfreut.^) Auch der Hand-
schlag bedeutet nichts anderes. Man setzt den wertvollen Körperteil zum
Pfände ein.*) Angerufen werden entweder alle Götter oder eine beschränkte
Anzahl. Besonders häufig ist die Dreizahl, ^) die sich aus den verschiedensten
Gottheiten zusammensetzt. Wird eine grössere Reihe genannt, so nimmt
Hestia die erste Stelle ein,*) sehr oft wird nur ein Gott angerufen. 5) Na-
türlich setzte sich im Laufe der Zeit bei regelmässig sich wiederholenden
Vereidigungen bestimmter Beamten auch eine bestimmte Form des Schwures
fest, die man dann in dem gegebenen Falle ausschliesslich anwandte,^) und
ebenso hatten verschiedene Orte und Staaten Götter, bei denen sie vorzugs-
weise schwuren, z. B. Pellene die Artemis Soteira,^) Elis den Heros
Sosipolis.®) — Bei Beteuerungen im privaten Leben bedienten sich manche
der sonderbaren Form, beim Hunde, bei der Gans oder ähnlichen Dingen
zu schwören, wie dies ja namentlich von Sokrates bekannt ist, und die
Sage nannte Rhadamanthys als den Erfinder und Lehrer dieser Sitte. ^) —
Wollte man dem Eid eine besondere Feierlichkeit geben, so legte man ihn
an einem geheiligten Orte ab, wo man der Nähe der Gottheit gewisser
war,^^') und die Legende wusste dann gewiss von Beispielen zu berichten,
wo die Strafe der Gottheit den Meineidigen ereilt hatte. Bisweilen wurden
bei den Eidleistungen Opfertiere geschlachtet, die der Schwörende berührte,
und deren Fleisch, weil das Tier verflucht war, ganz vernichtet wurde;
gewöhnlich aber begnügte man sich mit dem Ausgiessen einer Spende.
Das Opfer hat hier eine symbolische Bedeutung: der Schwörende erklärt,
dass er, falls er die Unwahrheit sage, selber das Schicksal des Tieres er-
leiden wolle und die Vernichtung auf sein eigenes Haupt herabrufe, ^ ^^^^
dass sein Blut vergossen werden solle, wie der rote Wein, den die Erde
schlürfte. 1^) — Denselben Sinn hatten auch andere symbolische Hand-
lungen, wie das Versenken eines schweren Gegenstandes in das Meer. ^3)
In besonders schwierigen und peinlichen Fällen erbot man sich wohl auch,
sich einem Gottesurteil zu unterziehen, glühendes Metall in die Hand zu
nehmen, durch Feuer zu gehen, ^^) Ochsenblut zu trinken >^) oder sich anderen
Gefahren auszusetzen.^^) Bei dem Flusse der Unterwelt, der Styx, schwören
nur Götter, und dieser Eid, wie der ähnliche bei den Titanen dort unten
im Tartaros, ^^) bedeutet auch nichts anderes, als dass der Gott sich für den
Fall, dass er falsch schwöre, den Tod anwünscht, und die Strafe, welche
der Sage nach über einen meineidigen, doch unsterblichen Gott verhängt
wird,>*) kommt dem Tode am nächsten.
>) Od. T 304.
^) K. SiTTL Bericht über die Verhandlgg.
elc. Wochenschr. f. klass. Phil. 1888 S. 49 f.
^) Vgl. schon T 258 f., Beisp. s. Damentl.
bei V. Lasaulx a. a. 0. 179.
*) Vgl. Pbeunbr Hestia- Vesta 18.
^) Id den Komödien des Aristophanes,
die das attische Volksleben in so vieler Hin-
sicht am treuesten widerspiegeln, am häufig-
sten Posndon.
«) Poll. Vm 122, Schol. Aischin. g. Tim.
§ 144, Deinarch in Demosth. § 47.
'J Paus. VII 27, 1.
«) Paus. VI 20, 2, mehr Beisp. s. bei
Hermann G. A. 22 A. 9.
*•) Schol. Aristoph. Av. 521.
»«) Paus. 11 2, 1, VIII 15. 2.
>») Andok. Myst. § UÜ, Aischin. g.Tim.
§ 114, PseudO'Demosth. Neair. § 10 u. s. m\
'-') Vgl. IL r 300 f.
") Herod. 1 165, Plut Arist. 25.
»^) Soph. Ant. 2G4 «f., und Schol. dazu.
'^) Paus. VU 25, 8.
^^) Pbeller Polemon. p. 12t) ff.
»•) S 279.
»«) Hes. Theog. 792 ff.
62
A. Die griechischen Knltnmdteitftmeir.
Die Zahl der in den griechischen Staaten geforderten und geleisteten
Eide war erstaunlich gross. Nicht nur dass Archonten^^ Strategen,^)
Hellanodiken ^) und alle anderen Beamten^) in Athen und anderswo^)
schwören mussten, die Gesetze zu beobachten, dass die grosse Menge der
jährlich erlosten Geschworenen einen Eid ablegen musste,^) dass alle Bürger
sich eidlich zum Gehorsam gegen die Gesetze verpflichteten J) auch jeder
Kläger und jeder Verklagte hatte vor Gericht einen oder mehrere Eide zu
leisten.^) Es ist unter diesen Umständen gar nicht fraglich, dass die Zahl
der geschworenen Meineide sehr beträchtlich war.^) Dazu kam, dass
das Gesetz den Meineid nicht bestrafte; das überliess man den Göttern.
So wirksam die Furcht vor ihnen nun auch bei den Frommen und Red-
lichen gewesen sein mag, und so zahlreich die Äusserungen des Absehens
vor dem falschen Schwur und des Glaubens an die göttliche Gerechtigkeit
und Rache auch sind,^^) so finden wir doch von Homer an das ganze Alter-
tum hindurch auch Zeugnisse dafür, dass sehr viele sich über jene Bedenken
hinwegsetzten. Dem Autolykos hat Hermes selber die bewunderte Kunst,
die Menschen durch Meineide zu betrügen, verliehen,^ >) und Lysandros
scheute sich nicht, es offen auszusprechen, Knaben müsse man mit Würfeln,
Männer mit Eiden betrügen. ^^) Allerdings sollen die frommen Athener auch
hierüber strenger gedacht haben. ^^)
56. Iqh schliesse hier einige kurze Bemerkungen über Beschwörungen
und Zauberei an, denn jene sind nichts anderes als eine Art Gebete, und
die Zauberei ist wieder mit ihnen aufs nächste verwandt. — In homerischer
Zeit ist von beiden kaum die Rede. Durch Besprechungen {inaoiia() stillt
man das aus der Wunde fliessende Blut,^^) und dankbar empfängt man die
ifdquaxa aus der Hand derer, welchen die Götter es verliehen haben, die
den Kräutern innewohnende Kraft zu erkennen. ^^) Wo die Grenze zwischen
natürlicher Heilkraft und Wunder oder Zaubermittel ist, weiss das kind-
liche Zeitalter noch weniger zu unterscheiden als ein heute noch nicht
ausgestorbener ähnlicher Aberglaube. Wenn Machaon auf MenelaosV^) oder
Paieon auf Aphrodites*') Wunde schmerzstillende (pccQfiaxa legt, so erscheint
der Erfolg kaum weniger wunderbar als die Wirkung von Helenas ägyp-
tischem Zauberkraut, ^^) das den davon Geniessenden augenblicklich allen
Kummer vergessen lässt, oder die des jUwAt;,»») das den Odysseus fest macht
gegen die Zauberkünste der Kirke. Die Verwandlung aber seiner Gefährten
und ihre Rückverwandlung ist eben ein Märchen wie viele andere der
Odyssee, einem Kinde glaublich wie die Geschichte vom Schlauch des Aiolos,
') Poll. VIII 86, PJat. Phaidr. p. 235,
Plut. Sol. 25.
^) Lys. IX 15, Deinarch. g. Philokl. 2.
3) Paus. V 24, 2.
*) Lykurg, g. Leokr. § 79.
^) Xen. Resp. Lac. XV 7. Plut. Pyrrli. 5.
«) Piaton Apol. 24, vgl. M. Fbänkel im
Hermes XIII 452 ff.
^) Xen. Mem. IV 4, 10, vgl. Lys. Erat. 47.
«) BusoLT Hdb. IV 180, Schoemann Gr.
Altert.' II 276, Sciioemann-Meikr' Att. Pro-
zess 152 ff., 825 ff., 898 ff. u. s. w.
«) Vgl. Lys. Theomn. I 11, Isai. IX 19,
Demosth. Timoth. 66 f , Neair. 10 u. s. w.
»0) r 278, J 158 ff.. Xen. Anab. II 5, 7,
vgl. Schmidt Ethik II 3 ff.
i'O Od. T 395 ff
^^) Plut. Lvs. 8, Apophthegm. Lac. Lys.
4 p. 229 c, mehr bei Schmidt Ethik II 5 ff.
*') Vgl. Suid. u. Uruxf} nicrig.
'*) r 457.
»^) cf 220 ff.
»«) J 218 ff.
>') J 401.
•«) & 219 ff.
>«) X 305.
8. Kultnahmiidlimgen. (§ 56 -57.) 63
den Rindern des Helios, dem Meergreis Proteus oder der Verwandlung des
Helden selbst durch Athena. Etwas anders wird es in der spätem Zeit.
Da treten Beschwörer und Zauberer auf mit dem Anspruch, eine Kunst
zu besitzen, vermöge deren sie die Götter veranlassen, ja zwingen könnten, ')
Orakel zu geben, vermöge deren sie Geister zitieren,^) Steine reden lassen,^)
den Mond vom Himmel holen,*) Liebe einflössen,'») von Krankheiten be-
freien oder sie herbeiführen könnten.^) Grösseren Umfang gewann dieser
Aberglaube erst in späterer Zeit, wo die Daimonenlehre sich immer mehr
verbreitete, und namentlich auch der Glaube an den bösen Blick und an
Schutzmassregeln davor allgemeiner wurde ;0 immer aber gaben sich vor-
zugsweise Ausländer mit der Ausübung solcher Künste ab.^)
d. Die Weihgeschenke.
Hauptquellen: Die Inschriftea bei Boeckh Staatsh.' II 134 ff., Anthologie Buch VI.
— Litteratur: Schoemakn Gr. A.^ II 213 ff., Hebmann G. A.* § 20, Cürtius Nachr. der
Kgl. Ges. d. Wisssch. 1861 n. 21, Newton d. Gr. Inschr. übers, v. Ikelmann 79 ff., Curtius
Deutsche Rundschau 43 (1885) S. 192 ff. über den Zehnten u. s. w.
57. Wir haben bereits bei der Behandlung der Kultusstätten gesehen,
wie grosse Reichtümer und wie wertvolle Kunstgegenstände einzelne Tempel
besassen. Waren die herrlichsten Weihgeschenke, die ganz Oriechenlahd
oder ein einzelnes Volk gestiftet hatte, nationale Denkmäler, Zierde, Stolz
und Ruhm des Vaterlandes, so war es doch auch schon von den frühesten
Zeiten an Sitte, dass der einzelne, um sich die Götter geneigt zu machen,
ihnen Gaben darbrachte. Die Weihgeschenke sind gewiss ebenso alt, wie
die Opfer und haben ursprünglich nur den Sinn und Zweck, die Götter zu
erfreuen, sich ihrer Gunst zu versichern oder ihren Zorn zu besänftigen.
Man gibt das, woran man sich selbst erfreut und was man für einen wert-
vollen Besitz achtet, tt 185 verspricht Telemach dem Odysseus, den er
für einen Gott hält, Opfer und xqvfsea Swqo, Z 303 trägt Hekabe ein kost-
bares Gewand in den Tempel der Athena, / 274 bringt Klytaimnestra
reiche Dankesopfer auf den Altären dar und weiht ausserdem nolld dyak-
^ava,^) Gewebe und Gold, H 82 verspricht Rektor die Waffen des be-
siegten Gegners in den Tempel des Apollon zu stiften, und die Gefährten
des Odysseus geloben dem Helios zur Sühne für ihren Frevel einen Tempel,
in den sie dydXfxara noXXd xal iad^Xd legen wollen {ji 346 f.) Man sieht,
es sind dieselben Gaben, die man geehrten Fremden als Gastgeschenke
mitzugeben pflegt, der Sitte folgend und mit dem Wunsche, sie sich al^
Freunde zu erhalten. Je nach den Gebern waren denn auch die Gegen-
stände, welche man den Göttern darbrachte, von der verschiedensten Art
und dem verschiedensten Wert. Die Athener bauten zum Dank für einen
Sieg eine Halle in Delphoi;*^) nach dem Siege bei Plataiai weihten alle
») Eur.Ion.375,Kallim.hymn.inDel.89. 1 Gesch. der Medizin T 433 flf.
«) Vgl. C. DiLTHEY Rhein. Mus. N. F.
XXVII 375 ff.
') Orph. Lith. 355 ff.
*) Aristoph. Nub. 748.
'•') Schol. Demosth. De f. leg. § 281.
*) Hippokr. de morbo sacr. p. 14 f. Diez.
Plut. Quaest. symp. V 17, vgl. IjObeck Agl.
221 ff., Iw. MGlleb Hdb. V 459 c. d., Haeser
') Vgl. 0. Jahn Ber. der Sachs. Ges. der
Wisssch. 1855 S. 28 ff., Darembero et Saolto
Dict. Bd. I unter amuletum.
^) Demosth. De fals. leg. p. 431 u. s. w.
®) Später bedeutet (iyaX/na in der Regel
Götterbild, Weihgeschenke heissen aya^tj/btartf,
^^) KoLDEWEY Mitt des Arch Inst, zu
Athen IX 264 ff.
64
A. Die griechischen KnltiiBaltertÜmer.
Hellenen in Delphoi einen riesigen goldenen Dreifuss, der sich auf einer
aus bronzenen Schlangenleibern gebildeten hohen Säule erhob, die sich
noch heute im Hippodrom zu Konstantinopel befindet >) (Taf. IH Fig. 3),
und in Olympia eine Kolossalstatue des Zeus. 2) Nach der Schlacht bei
Salamis wurde ebenfalls ein Kolossalbild zu Delphoi aufgestellt,^) wie nach
dem Siege von Marathon das Erzbild der Athena Promachos auf der Burg
von Athen,^) und auch die kürzlich in Olympia wieder aufgefundene Nike
des Paionios ist ein Weihgeschenk der Messenier und Naupaktier, hergestellt
von dem Zehnten der Kriegsbeute.'^) Der Säbel des Mardonios und der
silberfUssige Sessel, auf dem Xerxes während der Schlacht bei Salamis sass,
befanden sich einst unter den Weihgeschenken auf der Akropolis,^) und der
Helm, der von Hieron nach seinem Siege über die Tyrrhener 474 dem
olympischen Zeus geweiht wurde, ist noch heute erhalten.^) Auch sonst
ist das Weihen von Wafifenstücken, wie Panzern,®) Helmen,®) Schilden*®)
und Lanzenspitzen * ^) (Taf. HI Fig. 4) nicht ungewöhnlich. Die Tarentiner
scheinen einmal den zehnten Teil aller Wafifen, die sie von den Thuriem
erbeutet hatten, nach Olympia gesandt zu haben. ^^) Einen kolossalen Stier
aus Bronze stifteten die Eretrier dem Zeus in Olympia.*^) Und nicht
bloss zum Dank, auch als eine Art Sühnopfer pflegte man Weihgeschenke
aufzustellen, um die Götter wieder zu versöhnen.'*) So stiften die Lake-
daimonier auf Anordnung des delphischen Orakels nach dem Tode und
der wenig ehrenvollen Bestattung des Königs Pausanias Statuen,*^) die
Athener nach der Ermordung der Kyloniden,*^) die Argeier nach einem
Blutbade, das bei einem Bürgerzwist angerichtet war.*^) (Geweihte Sta-
tuen Taf. HI Fig. 1—2.) Viel zahlreicher, wenn auch natürlich meist
weniger wertvoll waren die Weihegaben Einzelner. Ein mächtiger König
wie Kroisos freilich vermochte auch hierin ganze Staaten zu überbieten,
und namentlich Delphoi war von ihm mit überreichen Schätzen bedacht
worden,*^) Seleukos H. und Antiochos Hierax beschenkten den Tempel des
didy maiischen ApoUon bei Milet ebenfalls aufs reichste,'^) aber das waren
doch Ausnahmen. Ganz gewöhnlich war es, dass Sieger in Wettspielen die
errungenen Preise einem Gotte weihten. Da diese sehr oft in DreifUssen
>) Herod. IX 81; Paus. X 13, 3, vgl.
Frick Jahrb. f. Phil. Suppl. III 485 ff. und
Bd. 85 1862 S. 441 ff., Röhl IGA. 70, Fab-
Kicius im Jahrb. des D. Arch. Inst. 1886 I
176 ff. mit rekonstruierender Abbildung.
^) Herod. IX 81.
») Herod. VIII 121.
*) Paus. I 28, 2.
^) CuRTius Arch. Ztg. 1876 VIII 178, und
über die Sitte «den Zehnten** zu weihen, der-
selbe in d. Dts. Rundschau Bd. 43 (1885)
S. 192 ff. Vgl. auch Herod. VII 132, Xen.
Hell. III 3, 1 u. 8. w.
**) Demosth. g. Tiraocr. 24 p. 1 29, Paus.
I 27, 1, Schol. Thuk. II 13.
') Im Brit Museum, Röhl IGA 510.
«) Z. B. CIA. II 667.
«) Z. B. Olymp. Inschr. n. 417, Archäol.
Ztg. 1881 S. 338.
^») Herod. VIII 27, Paus. X 19, 3, Ai-
schin. g. Ktes. 3 p. 116.
*^) Über eine nach Ol^pia gestiftete
Lanzenspitze mit der Inschrift «von den La-
kedaimoniern*' s. Curtius in d. Arch. Ztg.
1876 S. 181 f.
^*) Lanzenspitzen 01}inp. Inschr. 299.
Arch. Ztg. XXXVlI 149, 1881 n. 386, S. 83
f., Journ. of Hell. Stud. Taf. 11.
»») Paus. V 27, 9, Olymp. Inschr. n. 31,
Arch. Ztg. XXXIV (1876) S. 226 f.
^*) Vgl. Curtius Altertum u. Gegenwart
II 145.
>^) Thuk. I 134.
^«) Paus. I 28, 1.
»') Paus n 20, 1.
»«) Herod. I 50 ff., 92. V 36, VHI 35.
;») CIG. 2852—2859 Verzeichnisse der
jährlich dem Tempel vermachten Weihge-
schenke.
d. Saltushandlongen. (§ 57 ) 65
bestanden, ist unter den Weihgeschenken auch kaum ein Gegenstand häu-
figer. In Athen hatte eine Strasse ihren Namen von den Dreifüssen er-
halten, die der Peribolos des nahen Dionysostempels nicht mehr zu fassen
vermochte, und die deshalb auf der Strasse aufgestellt werden mussten.^)
Auch die Kränze, welche Sieger als Ehrenpreis erhielten, hing man in den
Tempeln der Oötter auf.^) Wer in den grossen Nationalspielen einen Sieg
errungen hatte, stiftete zuweilen seine Statue oder ein Bild der Pferde,
deren Schnelligkeit er den Erfolg verdankte.^) Von reichlichem Gewinn
oder nach der Errettung aus einer Gefahr^) pflegte man den Göttern eine
Gabe darzubringen; so Kaufleute, ^) Bergwerksbesitzer, ^) Fischer,') Land-
leute, die eine gute Ernte gemacht hatten,^) Schiffer nach gefahrvoller
Fahrt, ^) und besonders auch Kranke nach ihrer Genesung.^®) Diese pflegten
dem Asklepios eine Abbildung des geheilten Gliedes zu weihen. ^ ^) In dem
berühmten Heiligtum des Gottes auf Kos soll Hippokrates seine medizi-
nischen Studien gemacht haben, und in Delphoi zeigte man ein Skelet aus
Erz, welches der gefeierte Arzt dorthin gestiftet haben sollte. *-) Aber auch
der Handwerker durfte seine Werkzeuge, mit denen er sich das tägliche
Brot verdiente, der Musiker sein Instrument, der Maler seinen Pinsel, der
Ackersmann seinen Pflug, der Jäger die Haut oder das Geweih des erlegten
Wildes weihen. >^) Noch mehr: Zum Dank, dass ihm das Kraftstück ge-
lungen, setzt ein gewisser Bybon aus Euboia auf den gewaltigen Feldstein,
den er mit einer Hand über Manneshöhe geschleudert hat, eine Inschrift,
die seine That verkündet, und stiftet ihn nach Olympia. ^^) Auch Klei-
dungsstücke brachte man den Göttern dar, und namentlich der Tempel
der brauronischen Artemis muss voll davon gewesen sein.^^) Jungfrauen
weihten ihren Gürtel bei der Vermählung, ^ 6) Jünglinge beim Eintritt in das
Mannesalter ihr Haar, ebenso Mädchen vor der Hochzeit i') und Frauen
nach der Genesung. ^^) Die meisten Weihgeschenke aber bestanden in
Statuen,*^) goldenen und silbernen Opfergeräten und Schmucksachen, Lampen,
Figuren und anderen Kunstwerken, so dass mancher Tempel einem modernen
Museum nicht unähnlich gewesen sein wird^®) und im Laufe der Jahr-
hunderte nicht bloss das Interesse des Neugierigen zu reizen, sondern auch
*) Vgl. WiESELKR Abh. der Götting. Ges. i **) Beispiele s. Anthologie B. VI ; Arrian
d. Wiss. XV 303 flf. i de venat. 33: Flui Quaest. rom. 4. Vgl. Da-
«) Xen. Hell. III 4, 18. Vgl. Herod. 1144. rembehg Dict. I 168.
«) Paus. VI 6 etc. ! '*) Röhl IGA. 370.
*) CIA. III 1427. 1474.
*) Herod. IV 152.
«) Paus. X 12, 2.
') Paus. X 9, 2.
*) CIG. 139, und über die an verschie-
dene Tempel entrichteten dnaQx^^^ von allen
Ernten Dittenberger Syll. 13, Herod. IV 33
und mehr bei Sauppe Att. et Eleus. im ind.
lect, Göttingen 1880/81 S. 6.
•) Diog. Laett. VI 59; vgl. Archäol. Unters.
auf Samothr. II 110.
>o) CIA. ni 1453 ff.
»») CIG. 1570 b, Köhler Mitt. desD. Arch.
Inst. II (1877) 253 f. — Doch auch anderen
Göttern: vgl. die Abbildung Taf. HI Fig. 5.
»«) Paus. X 2, 4.
Hmndbuch der klara. AlterttuiigwiaBeiiBchaft. V. 3. Abtlg.
'«^j CIA. n 751-765, BoECKH Staaish.^
II 283 f.. Michaelis Parthenon 307 ff.
»«) Paus. II 33, 1.
'') Wblckeb Gr. Götterl. I 576, Wie-
seler im Philol. 1854 S. 712 ff.
^») Paus. II 11, 6. Die ausführlichste
Zusammenstellung von Haarweihen nament-
lich für Zeus Panemeros im Bull, de corr.
hell. XII (1888) 481 ff.
»») Vgl. die Inschrr. CIA. III 1422 ff.
und die Abbildungen Taf. 111 Fig. 1-2.
'-«0) Vgl. Jacobs Verm. Schrr. III 469 ff.,
CuRTius in Altert, u. Gegenwart* I 99, A.
MoMMSEN in Bursian's Jahresbericht 1888
S. 351.
60 A. Die griechischen Caltasaltertümer.
dem Studium des Künstlers und Altertumsforschers reiches Material zu bieten
vermochte.
Dass man wie sein Gebet oder sein Opfer, so auch sein Weihgeschenk
dem Gotte darbrachte, dessen Hilfe man begehrte, oder dem man seinen
Dank zu schulden glaubte, ist selbstverständlich, und ebenso bedarf es
kaum der Erwähnung, dass die berühmten und grossen Heiligtümer un-
endlich viel reichere Schätze besassen als die kleinen und unbedeutenden.
Der Tempel des Zeus zu Olympia oder der des ApoUon zu Delphoi ver-
mochte die Menge der Weihgeschenke nicht zu fassen, und da man natür-
lich nicht jeden Gegenstand in dem Peribolos frei aufstellen konnte, musste
man eigene Schatzhäuser (O^r^accvgoi) in der Nähe der Tempel errichten,
wo dann alles untergebracht wurde.*)
68. Ausser diesen Weihgeschenken besassen manche Tempel heilige
Herden {Isqu ßoaxrjixara), in deren Besitz sie auf ähnliche Art gelangt
sein werden.*) Diese wurden auf den zu den Tempeln gehörigen Ländereien
geweidet und an den Festen der Gottheit zu den Opfern verwandt, aber
auch gleich den Tempel gütern verpachtet. 3) In den Artemisheiligtümern
wurde namentlich auch Wild gepflegt.'*) Dies war natürlich nicht zum
Opfer bestimmt, sondern wurde der Göttin zur Freude unterhalten,*) wie
der Hera in Argos heilige Pferde gehalten wurden, ß) Auch sonst wurden
in den Heiligtümern mancher Götter Tiere gepflegt, die für ihre Lieblinge
galten, z. B. Hähne,') Pfauen und Perlhühner,®) Schlangen, 9) Mäuse.*<>) Auch
heilige Fische werden öfters erwähnt, * *) und sie zu schonen wird aufs nach-
drücklichste eingeschärft;**) ebenso waren die Schildkröten in der Nähe
eines Heiligtums des Pan in Arkadien dem Gotte heilig und durften nicht
verletzt werden.*^)
59. Schliesslich wurden auch Menschen den Göttern geweiht. ^^)
In alter Zeit mag es mitunter vorgekommmen sein, dass hier und da einer
der Geweihten der Gottheit als Opfer fiel,*^) sonst wurden sie Tempel-
sklaven. Über die Stellung und die Obliegenheiten dieser haben wir
schon oben (S. 36) gehandelt, und so mag hier nur noch erwähnt
sein, dass in älterer Zeit ganze Scharen solcher den Göttern Geweihter
ausgesandt worden sein sollen, um irgendwo eine Kolonie zu gründen,
wie die Magneten in Asien, **') die Dryoper in Asine, ^ ^) die Rheginer in Italien. *®)
Dass Jungfrauen der besseren Stände der Aphrodite ihre Keuschheit
weihten und sich in ihren Heiligtümern preisgaben, kam nur in asiatischen
Tempeln häufiger vor, in Griechenland war es auch an den Orten, wo der
») Herod. 1 14, 51; III 57; IV 102; Paus. ' •) Ailian De nat an. XI 2.
VI 19, 1 ; X 11, 1 ff. '") Ebenda XII 5.
2) Paus. X85, 4; Babr. fab. 37; Herod. »») Paus. VII 22, 2; Diod. V 3; vgl.
IX 93; Diod. IV 80, vgl. IV 18, XIV 110, Ailian De nat. an. XII 30.
XVI 27; Plut. Luculi. 10; Polyb. IV 19, 4.
^) Wescher in den memoires presentes
. . ä Vacademie des inscriptions, Serie I tom.
VIII (1869) 54 f.
*) Paus. X 35, 4; Xen. Anab. V 3, 9. | Poljb.'XII 5; Strabo Xfll ßoi.
&) Paus. VIII 10, 4. »«) Plut. Pyth. orac. 16.
«) Diod. IV 15.
') Aristot. bei Athen. IX 46 p. 391.
^) Athen. XIV 70 p. 655.
»«) DiTTENBEROER Syll. 364.
'3) Paus. VIII 54, 5.
'^) Vgl. Eurip. Ion 323.
'^) S. Tzetz. zu Lykophr. 1141; vgl.
b. XII 5 ; Strabo X "
»«) Plut. Pyth. orac
»') Paus. IV 34. 6.
>«^ Strabo VI 257.
8. KoltuBhandlmigeii. (§ 58 - 60.) 07
orientalische Kult der Göttin starken Einfluss geübt hatte, eine sehr seltene
Ausnahme. Am berühmtesten wegen seiner (über tausend) Hierodulen war
der Tempel der Aphrodite in Korinth.^)
8. Die Opfer.
Litteratur: Schoemann Gr. Altert.^ II 221 ff., Hermann Gott. Altert.* § 24—28,
Nakgklsbach Hom. Theol. 304 ff., Nachhom. Thcol. 194 ff., L. Schmidt Ethik der Griechen
II 40 ff., 0. Schmidt Die Opfer in der Jahvereligion und im Polytheismus, Hall. Dissertation
1 877, BöcKH Staatshaushaltung' I 267 ff.
60, Eine Art von Weihgeschenken sind auch die Opfer. Nicht bloss
von dem, was dem Menschen durch die Gnade der Gottheit zu dauerndem
Besitze verliehen ist, soll dieser ein Anteil abgegeben werden, sondern auch
von dem, was er flüchtig geniesst. Welche Vorstellungen, welcher Glaube
oder Aberglaube die Menschen zuerst zum Opfern trieb, ist schwer zu
sagen. Ob es das Gefühl gewesen ist, dass die von der Natur ihm frei-
willig dargebotenen Früchte*) ein Raub seien, dass einem Tier das Leben
zu nehmen etwas Unerlaubtes sei, und als Sühne hierfür von dem Geraubten
den Mächten, die es geschaffen und gegeben, ein Teil geboten wurde? Ob
es von Anfang an der Wunsch war, der Gottheit durch eine Gabe frohen
Dank für ihr Geschenk zu spenden? Es sind dies Fragen, die allgemein
überzeugend nie werden beantwortet werden, und deren wahrscheinlichste
Lösung nur zu versuchen hier nicht der Ort ist, da wir es nicht mit der
Religion und dem Kultus der Menschheit, sondern allein der Griechen zu
thun haben.
In der homerischen Zeit sind alle grösseren Opfer heitere Mahlzeiten,
und die Götter denkt man sich an dem Genüsse teilnehmend.^) Die Himm-
lischen beanspruchen die Opfergabe als ihr göttliches Recht, und werden
sie vernachlässigt, so strafen sie den Säumigen,'^) wie sie andrerseits dem,
der ihnen reichliche Opfer bringt, Segen verleihen. 5) Zu den Aithiopen
begeben sie sich selbst^) und erfreuen sich Tage lang mit ihnen gemeinsam
an Schmaus und Wein,^) und auch bei anderen besonders begnadeten
Sterblichen nehmen sie unter Umständen in menschlicher Gestalt am Opfer-
mahle teil. Athena speist mit ihrem Schützling von der heiligen Heka-
tombe der Pylier,^) und tausend Jahre später werden Paulus und Bamabas
für Hermes und Zeus gehalten, und man bringt bekränzte Rinder, um sie
ihnen zu opfern.*^) So menschlich gedachten Göttern durfte man auch von
der eigenen täglichen Speise anbieten. Übermittelt werden konnte den in
unerreichbarer Höhe Thronenden ihr Anteil nur; indem man ihn ver-
brannte;*^) an dem aufsteigenden Fettdampf mochten sie sich dann er-
freuen. *i) Zudem war das Feuer das reinste Element, das alles Unsaubere
') Strabo VHI 378 aye'aeaay ay^Qcg ' **) y 51 ff., Ö7. vgl. 435 f. und t; 201 ff.
jitti yvt€ux€g^ also Unfreie. *) Act. apost. XIV 11 ff., vgl. Stenokl
^) Denn Opfer sind sicher älter als der in Jahrb. f. Phil. 1883 S. 3G1 Anni. 5 u. Anm. i>.
Ackerbau. i ***) Hei Homer Svbiv; UQCvety heisst
') ^" 206 f., tj 201 ff. u. s. w., vgl. Paus. schlachten, atpairety durch einen Schnitt oder
IV 27. 1 ; VIII 2, 2 u. s. w. I Stich dem (^ 42(3 bereits getöteten) Tiere das
*) 11. / 535 ff. Blut entziehen, (ie'^eiy opfern. Vgl. Stkngel
^) X 170 f., Q 240 f.. ;' 58, cT 703 ff., i in Jahrb. f. Phil. 1885 S. 102 f., auch Pkkuner
V 365 ff., vgl. Hes. Erg. 33(i ff. , Hestia-Vesta 190 ff.
«) a 22 ff.. V' 205 ff. I >') ^ 301, 9 549 u. s. w.
"} A 423 ff.
5*
G8 A. Die griechischen Kultasaltertümer.
am gründlichsten vernichten und tilgen konnte. >) Ursprünglich hatte es
den Göttern allein gehört und sollte ihnen vorbehalten bleiben,*) bis Pro-
metheus gegen den Willen der neidischen es den Sterblichen mitteilte. Am
Feuer allein konnte man keine Verunreinigung wahrnehmen, auch wenn
es mit Unreinem in Berührung gebracht war. Trotz alledem glaubte man,
dass auch ihm die Reinheit seiner Natur abhanden kommen könnte, und
zu den Opfern war daher nicht jedes Feuer zu gebrauchen. Nach der
Schlacht von Plataiai erklärte das delphische Orakel, das Feuer in der
Umgegend sei durch die Barbaren besudelt, zur Siegesfeier sollte man
reines Feuer aus Delphoi holen, ^) und in Argos löschte man in einem Hause,
in dem ein Todesfall vorgekommen war, alles Feuer aus und holte zur Zu-
bereitung des Leichenmahles neues aus einem Nachbarhause.^) Dasselbe
geschah in Lemnos an einem jährlich gefeierten Reinigungsfest, zu dem
man dann Feuer aus Dolos kommen liess,'^) und eine ähnliche Bedeutung,
wie das Brennen der ewigen Lampen in den Heiligtümern der Hestia und
anderer Götter^) hatten wohl auch die Fackeln, welche die Argeier der
Demeter und Köre in Gruben versenkten:') es ist ein Weihen und Dar-
bringen des heiligen Feuers selbst. — Bisweilen wurden zur Unterhaltung
des Opferfeuers auch besondere Holzarten verwandt, wie bei den Opfern
des Zeus in Olympia, wo nur das Holz der Weisspappel {levxtj), die He-
rakles eingeführt und zuerst benutzt haben sollte, gebraucht werden durfte,^)
oder der Aphrodite in Sikyon, wo Wachholderholz verlangt wurde. ^) Zu
anderen Opfern durften nur die sog. vr^ifciha ^ida verwandt werden, Holz
von Weinstöcken oder Feigenbäumen war verboten, i®)
Gehen wir jetzt zu den Opfern selbst über.
61. Es empfiehlt sich der Übersichtlichkeit wegen, die unblutigen
vorweg zu nehmen und gesondert zu behandeln. — Wie zu den blutigen
Opfern alle essbaren Haustiere genommen wurden, so zu diesen alle Speisen,
die man selbst genoss. Telemach verbrennt bei seiner Abfahrt aus Pylos
einen Teil seiner Reisekost, ^ denn ein grösseres Mahl zuzurüsten, hat er
nicht Zeit, und Odysseus in der Höhle des Kyklopen Käse,^*) von dem er
und seine Gefährten selber essen, und wenn unfromme Leute, wie die
Freier in Ithaka,^^) es auch bisweilen unterlassen haben mögen, so war es
jedenfalls Brauch, wenn eine grössere Gesellschaft ein Mahl bereitete, zu-
erst den Göttern einen Anteil zu weihen.**)
a) Der Gewöhnlichkeit der Nahrungsmittel entsprechend ist unter den
») Vgl. Eur. Herc. für. 937 und die 1 «) Paus. I 2G, 7.
Sagen von dem Feuertod des Herakles oder i ') Paus. II 22, 4.
der beabsichtigten Läuterung und Vergött- I ») Paus. V 14, 3; vgl. V 13, 2.
Hebung des Achilleus durch seine Mutter ^) Paus. II 10, 4.
Thetis, Pkellkr-Robkrt Gr. Myth. II 256 ^^) Philocboros im ScholionzuSoph. Oid.
u. 400.
'^) ScHOKHANK Opusc. acad. II 279.
••) Flut. Ari^t. 20.
<) Flut. Quaest. graec. 24 p. 29(> f.
^) Fhilostr. Her. XIX 14; mehr darüber ^-) i 232.
bei SciioEMANN a. a. 0. II 223 f. S. auch | '^) Berniiakdi a. a. 0. S. 3 f.
Wecklein im Hermes VII 447 f. j '*) Vgl. z. B. Athen. V p. 192 B.
Kol. 100.
11) o 222, vgl. Berkhabdi d. Trankopfer
bei Homer Progr. d. Kgl. Grvmnas. zu Iieipzig
1885 S. 4f.
3. KaltoBhandlnngen. (§ 61.) 69
unblutigen Opfern keines häufiger, als Backwerk.*) nimava^^) ns'nfAaTa^^)
/eafa»^) werden allen Göttern geopfert, und zwar werden sie ihnen ganz
in derselben Weise dargebracht wie Tieropfer; den Himmlischen werden sie
auf Altären,^) den Unterirdischen und Toten auf der itfxdga oder auf dem
Grabe verbrannt,^) den Meeres- ') oder Flussgottheiten *) ins Wasser geworfen.
Oft werden sie nur auf die Altäre gelegt und fallen dann den Priestern
anheim.^) Der gewöhnlichste Ausdruck für Opferkuchen ist neXavog, Im
Gegensatz zu allen andern Benennungen werden hiermit ausschliesslich
Kuchen bezeichnet, die wirklich verbrannt wurden, von denen also auch
die Priester nichts gemessen durften.*^') So kommt es denn, dass das Wort
katachrestisch fUr Opfergabe überhaupt gebraucht wird, und auch blutige
Opfer 1^) oder eine in die Flamme gegossene Ölspende**) damit bezeichnet
werden. Bisweilen wurde den Kuchen eine eigentümliche Form gegeben,
die irgend eine Beziehung auf die Gottheit hatte, der man sie darbrachte.
So erhielt Artemis-Selene in Athen runde Kuchen, welche das Aussehen
des Vollmonds haben sollten, und die mit Lichtern besteckt waren, *^) und
Apollon soll solche in Gestalt von Lyren, Bogen oder Pfeilen empfangen
haben;'*) der Göttermutter opferte man yaXa^iag^ einen Brei aus Mehl und
Milch, wie ihn wohl nährende Frauen oder eben entwöhnte Kinder essen
mochten.**^) Besonders häufig aber sind die Nachbildungen von Tieren.*")
Auf solche Weise helfen sich Philosophen, wie Pythagoras und Empedokles,
die gegen die Tötung eines Tieres religiöse Bedenken haben, *^) Belagerte,
denen die Fleischnahrung ausgegangen ist,*^) und besonders Arme, denen
Tiere zu teuer sind.*^) Wenn nun gar an einem Fest wie bei den Diasien
in Athen eigentlich keine anderen Opfer zugelassen werden sollen, als
Tiere, so lässt sich denken, dass die Zahl der näfxfiava elg ^cicov fioQ^dg
rezvnwfxtva hier sehr beträchtlich war.*^) Aber auch wo solche Gründe
wegfielen, wurden diese keineswegs ungewöhnlichen und bei einzelnen
^) Vgl. Lobeck de Graecorum placoitia \ von dem den Göttern geweihten Back-
Sftcris, Königsberg 1818, Aglaoph. 1050 ff., werk nichts assen. ist selbstverständlich.
Stengel in den symbolae Joachimicae Berhn ! Ein Kuchen ist ja nur ein Teil alles 6e-
1880 I 173 f. und besonders 0. Band das j backenen und vertritt die Stelle der von
Attische Demeter-Kore-Fest der Epikleidia, . einem Tier verbrannten Schenkel- und son-
Progr. der Margarethenschule Berlin 1887 stigen Stücke.
S. 4 ff. »') Eur. Alk. 851 ; vgl. Aisch. Eum. 265
«) Aristoph. Thesmoph. 285, CIA. III 77, 1 mit 304 f.
CIA. II 1651, Diog. liaert. VIII 13. '^) Aisch. Ag. 96.
») CIG. 3599, Paus. I 26, 6. 1 ") Athen. XIV 53 p. 645 A; vgl. Poll. VI
*) Paus. III 23, 5. ! 76; Prelleb-Robert Griech. Mythol. 1 312.
^) Inschr. v. Kos im Joum. of Hell. Stud. ^*) Stephan. Byz. u. niitaQa.
IX (1888) 328 ZI. 7, 335 ZI. 31 u. 49, Paus. »») Vgl. Lobeck Agl. 1069, CIA. II 470.
VTII 2, 3, Menandros bei Athen. IV p. 146 F., '«) Vgl. Stengel Jahrb. f. Phü. 1881
vgl. p. 172 D. Abbildung eines dreispitzigen S. 399.
Opferkuchens z. B. bei Gerhard Akad. Atlas, i '^) Porphyr. Pyth. 22; Athen. I 5 p. 3 E
Berl. 1868 Taf. LXV 2. u. Sturz zu Empedokl. 15.
•) Aisch. Pers. 523, Luk. Katapl. 2. »«) Plut. Luc. 10, Appian bell. Mithr. 75.
') Paus. III 23, 5. ^^) Suid u. nonava u. ßov^ iß&ofjios; Pro-
*) Paus. X 8, 5. klos zu Plat. Polit. p. 419; Hesych. u. ß. ißS,
») Aristoph. Plut. 661 u. Schol. CIA. III 1666; Müller frgm. bist, graec. I
»•) Schol. zu Aristoph. Plut. 661 ; Aisch. 362, 16.
Pers. 203; Eur. Ion 707, vgl. 226, Hei. 1334 «") Vgl. Thuk. I 126 u. Schol. dazu,
u. s. w. - Dass die Opfernden selbst
70 A. Die griechischen Knltusaltertllmer.
Gelegenheiten vielleicht zur Regel gewordenen *) Opfer dargebracht.^) Be-
sondere Erwähnung verdienen die sog. [Ashtoinim. Wie Honig in den
Spenden für Unterirdische {fifiXiyfiaTo) enthalten war, so sind auch diese
Kuchen bestimmt, die chthonischen Mächte zu versöhnen. Man gab sie
den Toten mit, um den Kerberos zu besänftigen,') der ihnen den Eintritt
in die Unterwelt wehrte,*) warf sie aus demselben Grunde den Schlangen
vor, wenn man in die Höhle des Trophonios hinabstieg, ^) und fütterte damit
die heilige Schlange der Athena auf der Burg. ^) Einen ähnlichen Kuchen (a^c-
(TtrJQa xriQiov) erhalten Gottheiten, denen vrjipdha zu spenden üblich war.')
b) Nächst Fleisch und Brot bildeten Früchte den Hauptbestandteil
der Nahrung, und so finden wir denn auch diese sehr oft unter den Opfer-
gaben genannt. Am häufigsten scheint Demeter, wie das ja auch natür-
lich ist, diese Opfer erhalten zu haben. In Arkadien^) opferte man ihr
alle veredelten Früchte ausser der Granate, und in der Stadt Phigalia
Baumfrüchte, Weintrauben, Honig, wozu man noch ungereinigte Wolle
auf den Altar legte, die man iftit Öl begoss.^) Auch an anderen Orten
brachte man ihr die Erstlinge der Feldfrüchte dar.><^) Herakles erhält
Trauben ^0 und andere Fruchtopfer,* 2) Früchte auch Poseidon.^') Der Ar-
temis werden an ihrem Altar Ährenkränze niedergelegt ^*) und andere reife
Feldfrüchte geopfert, *5) die Göttermutter empfangt Weizen, Gerste, Wein
und was die Jahreszeit sonst von Früchten bringt, 1^) ebenso Gaia;") der
Leto bringt man in Delphoi Lauch dar,*®) der Iris in Dolos Nüsse, *^) dem
Dionysos und andern Göttern reife Herbstfrüchte. 2^) Zu diesen Opfern ge-
hört auch die sog. Eiresione, ein mit allerlei Früchten behangener Ölzweig.
An den Thargelien und Pyanopsien weiht man diese Gaben dem Helios
und den Hören, 21) wie denn der Monat Pyanopsion auch seinen Namen von
den gekochten Hülsenfrüchten haben soll, die man dem ApoUon dar-
brachte.^-) Ja auch Früchte müssen ebenso wie Backwerk entsprechend
zugerüstet die Stelle von Tieropfern vertreten. In dem städtischen Demos
Melite zu Athen wurden dem Unheil abwehrenden Herakles, der dort einen
Tempel hatte, 2^) statt eines Rindes ixi^la geopfert, Äpfel, in die man
Hölzchen statt der Beine und der Hörner steckte, ^^) und Pollux (I 30)
>*) Xon. Anab. V 3, 9.
**) Athen. IX 52 p. 476 u. Dittekbergeb
Syll. 377.
^^) Hesych. u. PBxvai«,
'») Athen. IX p. 372 A.
'9) Athen. XIV p. 645 B.
2«) CIA. III 77, vgl. CIA. U 631.
*) Paus. IX 39, 5; Aristoph. Nub. 507; ; «ij gchol. Aristonh. Kqu. 729, Plut. 1054,
Poll. VI 76. ' Suid. u. ei^eaiwvtj, Forph3rr. De abst. II 7;
«) Herod. VIII 41. j vgl. Eustath. ad II. p. 1283 u. Prbllkr-
') CIA. 11 1651, vgl. unten S. 72 und ' Robert Gr. Myth. I 262.
Ad^vmoy X 556. , ''') Poll. VI 61 ; Plut. Thes. 22; Harpokr.
®) Paus. VIII 37, 4. I u. Uvayoipia u. Suid. u. JlvayetpuiSyoc.
») Vgl. Athen. XIV 646 E, Bekker Anec-
dot. p. 249.
') CIA. III 77. Piaton Phaon bei Athen.
X 58 p. 441 F. v. 8.
^) Schol. Aristoph. Lys. 601 u. Suid. u.
d. W.
*) Vgl. TöPFFER Att, Geneal. 172 f.
») Paus. VIII 42, 5.
'») Dion. Hai. II 74.
*') Ailian de nat. anini. VI 40.
*-) Paus. IX 19, 4.
'3) Plut. Thes. h. . Vgl. V. WiLAMowiTz Kydathen 150.
'*) Paus. VII 20, 1.
") Vgl. V. Lkutsch Philol. Suppl. 1 130.
2^) Zenob. V 22 =- Paroimiogr. gr. I
p. 124 nach Apollodör negl &€tSy, Said. u.
MtjXetog iJQnxXrjg, Hesych. u. MijXtar li^axXi^f,
8. KnltuBhandlaxigMi. (§ 62.)
71
berichtet, dass die Boioter ihm ein gleiches Opfer gebracht haben. >) Auch
die Lokrer sollen Gurken auf dieselbe Weise zugerichtet und statt eines
Kindes geopfert haben. ^)
c) Aber auch von den andern Nahrungsmitteln des Menschen er-
hielten die Götter ihren Anteil. Ausser den genannten gehörte zu den
gewöhnlichsten noch der Käse, und so kann es denn nicht fehlen, dass
wir auch ihn unter den Opfergaben häufig genannt finden.^) — Auch Honig-
waben legte man auf die Altäre.^)
Endlich muss noch der Weihrauch hier Erwähnung finden, wenn er
auch nicht mehr ein Speiseopfer ist. Gewöhnlich ist er nur eine Beigabe
grösserer, teils unblutiger,^) teils blutiger^) Opfer, doch kommt er auch
als selbständiges Opfer vor. 7) Namentlich auf den Altären, die sich im
Innern der Tempel befanden, pflegte er den Göttern zu Ehren verbrannt
zu werden.**) So finden wir in den Verzeichnissen der Tempelinventare
denn auch mehrfach grosse Mengen von Weihrauch und anderen wohl-
riechenden Kräutern und Spezereien aufgeführt.^)
63. Einzelne Kulte liessen blutige Opfer überhaupt nicht zu. So gab
es auf der Burg zu Athen einen Altar des Zeus Hypatos, auf dem nichts
Lebendes geopfert werden durfte,*^) und wahrscheinlich bestand für den
Kultus des Sosipolis in Elis dieselbe Vorschrift. ^ ') Unblutig sind jedenfalls
auch die sog. anvqa oder axaTtva^ feuerlose Opfer, gewesen, i*) wie solche
Athena in Lindos auf Rhodos,*') Apollon auf einem Altar in Dolos empfing. **)
Auch den Musen wurde öfters so geopfert,*'^) desgleichen der Aphrodite **)
und hier und da wohl auch andern Göttern.*') Wie die Lindier, die sich
überhaupt durch den Besitz sonderbarer Kulte auszeichnen,*^) sich ofi^enbar
auf die ihnen eigentümlichen Athenaopfer etwas zu gute thun,*^) so scheinen
die ixnvQa leqd auch sonst für besonders heilig und den Göttern wohl-
gefällig gehalten worden zu sein.*<>) Auf welche Weise diese Opfer den
») Vgl. Stengel Jahrb. f. Phil. 1881
S. 398 flf.
*) Paroiiniogr. gr. I p. 116, Zenob. V 5;
Pseudoplut. Prov. Alex. 24 (Didot. II p. 165).
3) CIG. 2448, Meoandr. bei Athen. IV
27 p. 146, Eustath. ad II. £ 575 und mehr
Beispiele bei Stengel in d. Jahrb. f. Phil.
1882 S. 672.
*) CIA. III 1662. 1667.
*) Paus. V 15, 6; VI 20, 2.
•) Vgl, NiTzscH zur Odyssee II 15.
') Hes. Erg. 338, Luk. De sacrif. 12.
*) II. Z 270 301.
9) Vgl. CIG.' 2852 B, CIG. 5773 u. s. w.
'0) Paus. I 26. 6.
» «) Paus. VI 20, 2 f.
'^) Pausanias (IX 41. 5) erwähnt zwar,
dass in Chaironeia vor dem dort verehrten
Szepter des Agamemnon ein Tisch stand, auf
den täglich Fleisch gelegt wurde, vgl. aber
die Angaben über das d^^lische Opfer bei
HEBMAinr G. A.» g 17 A. 4.
>») Pind. Ol. 7 u. Schol. zu VII 86 ; vgl.
Heffter Gottesdienste auf Rhodos II 11,
DiTTBNBERGER ind. loct, Hallo S. 1887 S. VII.
>*) Diog. Laert. Vm 13; Porphyr. De abst.
II 28 ; vgl. Bernats Theophrast üb. d. Fröm-
migkeit 119.
>*) Athen I p. 8 E. Vgl. Brunck Anal.
II p. 193 n. 17.
'**) Hesych u. xagnunug; vgl. Tac. bist
II 3 u. Preller-Robert Gr. Myth. I 356.
*^) Ail. De nat. anim. X 50 ; Porph. De
abst. IV 55. Vgl. Schol. Aristoph. Pax 1019
aber auch Dittenberger Syll. 374 und Böckh
Staatsh.« II 119 u. weiter unten § 113 bei
d. £vyoixitt.
»») Vgl. Philostr. imag. II 24; Paus. IX
12, 1; Apoll. Bibl. II 5, 11, Konon dieg. 11.
»») Vgl. Pind. Ol. VII.
***) Vgl. Aisch. Ag. Anf. und Bernats
Theophrast 119. Dass auch an den kleinen
Altären, die sich bisweilen vor den Hermen
befanden, unblutige Opfer dargebracht zu
werden pflegten, haben wir schon oben S. 21
gesehen.
72 A. Die griechischen Ealtnsaltertümer.
Göttern übermittelt wurden, oder ob sie die Priester von den Altären weg-
nahmen/) wissen wir nicht. ^)
ß3. Endlich gehören die Trankopfer oder Spenden in dieses
Kapitel.^) Wenn wir davon hier sogleich diejenigen ausscheiden, welche
beim Mahle und Gelage nach jeder neuen Füllung des Mischkruges den
Göttern dargebracht zu werden pflegen, und ebenso die, welche bei Toten-
bestattungen in den brennenden Scheiterhaufen gegossen oder in Krügen
darauf gesetzt werden,^) weil beide als eigentliche Opfer nicht anzusehen
sind,^) so haben wir noch zu unterscheiden zwischen Spenden, die als
selbständiges Opfer dargebracht werden, und solchen, die nur ein an-
deres, gewöhnlich blutiges Opfer begleiten. Wie man Wein trank, auch
ohne dazu etwas zu essen, so spendete man auch den Göttern häufig, ohne
ihnen gleichzeitig noch eine andere Opfergabe darzubringen.^) Solche
Spenden bestanden aus gemischtem Wein — wusste man ja doch, dass die
Götter selbst den Nektar sich mischten') — und zwar in demselben Ver-
hältnis gemischt, wie man ihn selber trank. Von dem Weine, den Hekabe
ihm bringt, soll Hektor zuerst dem Zeus spenden und dann selbst trinken;^)
um der Athena zu spenden, mischt Nestor den Mischkrug, ^) ebenso Alkinoos
für Zeus ^^) u. s. w. Aber nicht alle Götter erhalten Weinspenden, mehrere
verlangen einen nüchternen Trank {vrj^dXia), aus Milch, Honig und Wasser
gemischt (ßsktxQatov), Der Mnemosyne, den Musen, der Eos, dem Helios,
der Selene, den Nymphen, der Aphrodite Urania bringen die Athener
vritpdXia tsQa dar, wie uns Polemon berichtet, und Philochoros fügt noch
den Dionysos und die Töchter des Erechtheus hinzu. ^0 Es wird diese Sitte
also nicht als eine allen Hellenen gemeinsame überliefert, und ebenso ist
zu beachten, dass unter den genannten Gottheiten keine ist, der grössere
Speiseopfer dargebracht zu werden pflegten. Was den Dionysos anbetriiDft,
so ist wohl anzunehmen, dass er vrjqdha nur erhielt, wenn der chthonische
Charakter des Gottes in den Vordergrund trat, wie dies z. B. bei seiner
Verehrung in den Mysterien der Fall war.»*) Denn die Götter der Unter-
') Vgl. Paus. IX 19, 4. \ Kohles in d. Mitt des D. Arch. Inst zu Athen
'^) Eine Abbildung eines Tempeltisches I 143, aber auch Bergk in d. Jahrb. f. Phil.
mit Opfergaben s. Schreiber Kulturhist. Atlas 1860 S. 383 A. 68.
Taf. XVII n. 13. «) Vgl. Stephani cwnpte rmdu 1873
') S. von neueren Arbeiten K. Bern- . S. 1 13 ff.
HARDi d. Trankopfer bei Homer, Progr. des i ^) A 528, e 93.
Kgl. Gymnas. zu Leipzig 1885, u. Stengel im ^) Z 258 ff.
Philol. XXXIX 378 ff., im Hermes XVII 329 ff, ») ;' 393 f.
XXII 645 ff. und besonders Jahrb. f. Philol. , i") i? 164, v 50.
1887 S. 649 ff. ' '') Im Schol. zu Soph. Oid. Kol. 100,
<) II ^f 170 f., 237, a 781, Eur. Iph. bei Preller Polemon 74. Die Bestätigung
Taur. 633 ff Vgl. Kaibel Epigr. gr. 1034. dieser Angaben durch andere Schriftsteller
*) Die ersten werden nur bestimmten s. Jahrb. f. Phil. 1887 S. 650 f. Vgl. auch
Gottheiten in feststehender Reihenfolge ge- CIA. II 1651, wo Helios und Mnemosyne
bracht (vgl. z. B. Prkl-ner Hestia-Vesta 4 ff.), Honigkuchen erhalten, die anderen genannten
und das Gefühl, damit ein Opfer darzubringen, ' Gottheiten gewöhnliche nonava, Bemerkens-
hat woh) keiner der Libierenden gehabt; die wert sind auch die dort erwähnten ytitpalifn
letzten hatten wohl nur den Zweck, die Flamme ßta/nol.
anzufachen und das Verbrennen zu befördern, *-) Plutarch Praec. sanit 19 p. 132 F
oder sofern sie aus Wein bestanden, die ver- sagt auch ausdrücklich xai yag avrw r«
glimmenden Scheite zu löschen. Vgl. U. , Jioyvao) noXXfcxig vrjtpaXia &vofi€y.
8. Kaltashandlangen. (§ 63 -64.) 73
weit hassen den Wein.^) Auch die Eumeniden verlangen x<^ac t' doirovg,
vr^ifctha fuftli'yfxava,^) und von vr^<pdXia für Demeter erfahren wir aus Dio-
nysios von HaJikamass (I 33, 1). Ebenso verlangen Nephthys und Osiris
lifXixQaxov^^) und auch der Despoina wird auf ihrem Altar in Olympia kein
Wein gespendet.*) Auch bei Totenbeschwörungen waren nach Porphyrios*)
weinlose Spenden üblich, wenngleich die Praxis hier verschieden gewesen
zu sein scheint,^) und nach Apollonios Rhodios') werden dieselben auch
bei der Reinigung von Mördern angewandt. Aber auch der Kult an-
derer Götter schloss bisweilen die Weinspenden aus, wie der des Zeus
Hypatos in Athen®) oder des Sosipolis in Elis.^) Auch auf dem Altar
aller Götter in Olympia spenden die Eleier keinen Wein/^) und ebenso
verschmäht ihn die Hemithea im Chersones. * *) Endlich werden Honig-
spenden für Pan und Priapos erwähnt. ^^) In den meisten Fällen wird es
sich hier sicherlich nur um einfache Trankopfer handeln, nicht um Spenden,
die neben einem Tieropfer dargebracht werden. Von dem Altar des Zeus
Hypatos in Athen wird ausdrücklich bezeugt, dass auf ihm ovdhv ^jtiiffvx^v
geopfert werden durfte, und auch für Sosipolis werden nur navroTa x^vfud-
fiaia erwähnt. Jene Spenden aber, die gelegentlich blutiger Opfer dar-
gebracht werden, behandeln wir besser mit diesen zusammen, nicht bloss
weil sie ein Teil von ihnen sind, sondern auch weil sie oft so charakte-
ristisch für das Ganze sind, dass die Bedeutung des Opfers gerade durch
sie Beleuchtung und Erklärung erhält.
Gehen wir jetzt zu den blutigen Opfern über.
Man teilt sie am zweckmässigsten ein in Speiseopfer, d. h. solche von
denen gegessen wird, und in solche, deren Fleisch nicht zur Speise be-
nutzt, sondern vernichtet wird. Zu jener Klasse gehört erstens die grosse
Menge der zum täglichen Bedarf geschlachteten Tiere, von denen in der Regel
die Götter ihren Anteil empfingen, sodann alle Fest- und Dank- und die
gewöhnliehen Bittopfer, zu dieser aber die Opfer für chthonische Gottheiten,
die Sühn- oder Bussopfer, die Eidopfer, die Heroen- und Totenopfer.
64. Wie heute bei uns, so hat man auch im Altertum, namentlich
in den Städten, zu Hause verhältnismässig selten ein Tier geschlachtet;
man kaufte den Fleischbedarf beim Metzger ein.^^) Ob dieser nun beim
Schlachten der Tiere die bei einer Opferdarbringung üblichen Gebräuche
beobachtet hat, ist uns nicht sicher überliefert, doch lässt sich annehmen,
dass jedes Schlachttier wirklich auch als Opfertier angesehen und behan-
delt wurde.**) Sicherlich fanden hierbei nicht alle die feierlichen und zeit-
raubenden Ceremonien statt, die wir bei jedem eigentlichen Opfer finden,
und ebenso gewiss hat man sich über die sonstigen, die Beschaffenheit des
») Vgl. Porphyr. De antro Nymph. 18 ') Argon. IV 712.
u. CIA. III 77. «) Paus. I 26, 6.
«) Aisch. Eum. 107 ; Soph. Oid. Kol 100 ' ») Paus. VI 20, 2. S. darüber Stengel
n. Schol. dazu; Paus. II 11, 4; Soph. Oid. im Hennes XXII 645 f.
Kol. 481 mit Scholion u. s. w. i >«) Paus. V 15, 6.
») CIA. III 77. ") Diod. V 62.
^) Paus. V 16, 6. '•') Anthol. gr. VI 232.
*) De antro Nymph. 28. '»j Schoemann Gr. A. IP 554.
«) Vgl. X 27. , »*) Vgl. ArtemidorVp. 253, 2 Hercher.
74 •^* I^io griechiBchen Knltusaltertllmer.
Opfertiers betreffenden Bestimmungen hinweggesetzt, aber die Hauptsache
wird nicht unterlassen sein: man wird den Göttern einige wertlose Stücke
des Tieres verbrannt haben. Es lässt sich vermuten, dass der Fromme,
der seinen Braten beim Metzger kaufte, Gewissensskrupel gehabt haben
würde, wenn er dies nicht voraussetzen durfte, ebenso wie heute der
strenggläubige Jude darauf hält, seinen Fleischbedarf von einem Händler
zu beziehen, der das Tier kauscher geschlachtet hat. Wo ein Tier im
eigenen Hause geschlachtet wurde, versäumte man die einfachsten Opfer-
ceremonien wohl kaum jemals. >) Hier vertrat der Hausherr die Stelle des
Priesters, aber verstand er sich nicht auf die Gebräuche, oder hatte er nicht
Lust, sie persönlich zu vollziehen, so zog er einen fiayeiQog zu, zu dessen
Kunst auch diese Fertigkeit gehörte.^) In wohlhabenden Häusern wird
ein solcher sich in der Regel schon unter dem Dienstpersonal befunden
haben. ^) Aber bei weitem nicht alle von Privaten dargebrachten Opfertiere
wurden im Hause geschlachtet. Man führte sie zu einem bestimmten Heilig-
tum und übergab sie dem Priester, damit dieser sie opfere. Hatte er die
dem Gotte zukommenden Stücke (i€Q(6(rvva) verbrannt, so empfing er selbst
für seine Bemühungen einen Anteil (O^eofjiOQta), und der Eigentümer des
Tieres nahm das übrige Fleisch nach Hause, wenn er es nicht etwa vorzog,
es mit seinen Gästen an Ort und Stelle zu verzehren. Zu Hause konnte
dann ein Mahl bereitet werden, zu dem die Freunde eingeladen wurden,^)
oder es ward diesen ein Stück Opferfleisch zum Geschenke gesandt,') oder
endlich man salzte das Fleisch ein und bewahrte es zu späterem Gebrauche
auf. Doch war es wohl eine Ausnahme und galt als unschicklich, dass
man alles für sich behielt.^) Bisweilen brachten mehrere Familien oder
Freunde ein gemeinschaftliches Opfer dar, dessen Fleisch dann unter alle
verteilt wurde,') oder ein ganzes yävog veranstaltete ein Opfer.*) — Die
Veranlassungen zu solchen Opfern waren natürlich verschieden. Im Hause
werden die Tiere namentlich von Landieuten sehr häufig nur geschlachtet
sein, wenn man eben des Fleisches bedurfte, und wer hiervon alles
Oller fast alles für sich behielt, dürfte darum kaum getadelt worden sein.
Sehr oft gab ein Familienfest oder der Wunsch, Gäste bei sich zu bewirten,
den Anlass ; häufig auch wird man dem Gotte zum Dank für etwas Gutes,
das man empfangen hatte, oder wenn man ihm mit einer Bitte nahte,
ein Opfer dargebracht haben. — Die fromme Gesinnung konnte sich darin
zeigen, dass man ein wertvolles Tier opferte, wie auch darin, dass man
bessere und reichlichere Stücke verbrannte.
ii^y. Durch nichts anderes als durch die Menge der Tiere, ein grösseres
Gepränge und die Zahl der Teilnehmer unterscheiden sich von diesen pri-
') Vgl. Athen. V p. 179 D. i *) Xen. Mem. III 11, IX 4; Aristoph.
2) Athenion bei Athen. XIV 80 p. 661 ; ' Plut. 227 u. s. w.
*) Theokr. id. V 139; Plut. Agcs. 17:
Xen. Hell. IX 3, 14 u. s. w.
«) Theophr. Char. 9; Athen. V p. 177 F;
Plut. De adulat. et amico 28 § 68 B, De fratr.
amore 7 p. 481 D u. s. w.
Athen. IV 70 p. 170; IX 29 p. 382 u. s. w.
Vgl. Bader de dm nttxQMoig, Progr. v. Schien
singen 1873 S. 15.
^) Dass vom Hausherrn oder seinen Söh
nen selbst dargebracht« Opfer den Göttern
unter allen Umständen lieber waren, als die, ^) Isai. er. IV 33.
welche man durch Bedienstete vollziehen Hess, ^) Inschr. aus Chics in den Mitt. des
ist aus Athen. I p. 9 B nicht zu schliessen. | D. Arch. Inst, zu Athen XIII (1888) 166.
8. Enltuahandlimgen. (§ 65.) 75
vaten die grossen Fest-, Dank- und Bittopfer, welche der Staat oder
die Gemeinde darbringt, {Jr^fiorskHg x^vciai). In homerischer Zeit, wo man
regelmässig wiederkehrende Feste zu Ehren der Götter entweder noch gar
nicht kennt oder doch nur sehr selten feiert,') werden grosse Opfer, an denen
die Masse des Volkes teilnimmt, veranstaltet, wenn man sich einen frohen
Tag machen und dabei zugleich einem Gotte Ehre erweisen will. So
opfert Nestor in Pylos dem Poseidon eine Hekatombe von Stieren, 2)
lange Reihen von Bänken sind am Gestade des Meeres aufgeschlagen, und
die ganze männliche Einwohnerschaft vergnügt sich mit dem Hirten seiner
Unterthanen; und ähnlich werden uns alle andern grösseren Opferfeierlich-
keiten beschrieben.^) Später finden diese Massenopfer an den zahlreichen
Festen statt. Ferne Kolonien senden Opfertiere dazu, und der Staat er-
schöpft seine Kassen,^) um würdig die Bürgerschaft zu speisen und die
Götter zu ehren. Daneben finden zu allen Zeiten grosse durch beson-
dere Ereignisse veranlasste Dankopfer statt. Aigisthos und Klytaimne-
stra bringen sie dar, als ihnen der Mord Agamemnons gelungen,^) die
homerischen Helden geloben sie, wenn ihnen die Erlegung eines Feindes
glücken, ß) oder sonst ein grosser Wunsch erfüllt werden sollte.'') Vor der
Schlacht bei Marathon verpflichten sich die Athener, der Artemis so viele
Ziegen zu opfern, als sie Perser erlegen würden, und als sie dann die ver-
sprochene Zahl nicht aufbringen können, opfern sie wenigstens fünfhundert,
und fortan wird am Jahrestage der Schlacht dies Opfer wiederholt.®) Nach
einem erwünschten Friedenschluss,^) einem geglückten Überfall,'^) einem
wichtigen Beschluss,*0 '^ö™ Empfang einer frohen Nachricht'*) werden
Dankesopfer gebracht, und so natürlich noch bei vielen andern Gelegenheiten.'^)
Ebenso häufig sind die Bittopfer. Um ApoUon zu versöhnen, führt Odys-
seus eine Hekatombe zum Opfer nach Chryse,'^) und die Zurückblei-
benden opfern ebenfalls eine,'') Agamemnon schlachtet dem Zeus einen
Stier mit der Bitte um Sieg, und von den Übrigen opfert einer dem,
der andere jenem Gotte, auf dass er dem Tode und der Gefahr in
dem bevorstehenden Kampfe entgehe;'*^) vor der Abfahrt von Troja werden
grosse Opfer veranstaltet und die Götter angefleht, eine günstige Seefahrt
zu geben;'') Hekabe gelobt der Athena zwölf Kühe, wenn sie dem Wüten
des Diomedes Einhalt thun wolle,'®) und Achill spendet dem Zeus, als er
sorgenvoll den Freund in den Kampf schickt.'^) Die spartanischen Könige
opferten vor der Schlacht den Musen, damit sie die Namen der Helden
berühmt machten,*«) Frauen den Nymphen mit der Bitte um Kindersegen,*')
Vgl. V 15ß, (p 258 u. unten § 99. 1 Schol. zu Aristoph. Equ. 1320.
2) y 7 flf. »3) S. z. B. Luk. Dial. mcretr. VII 1 ;
Paus. I 27, 9.
»*) J 431, 458 ff.
'*) A 315 ff.
'<») B 400 ff.
>) Vgl. J 315 ff, 457 ff.
*) Vgl. BöcKH SiaaiBhaushaltung' 1 265 ff.
^) y 273.
6\ j J20.
7) y 873. 'M r 144 ff., 159, 178 f.
«) Plut. De malign. Herod. 26; Toll. III »«) Z 308 ff.
21 ; vgl. A. MoMMSEN Heortologie 212 ff. , '») 225.
») Xen. Hell. VII 4, 36. I «") Plut. Lyk. 21, Instit. Lacon. 16 p.
»<>) VII 2, 23. 238 Ö, De cohib. ira 10 p. 458 F.
") VI 5, 49. I '') Kur. El. 785, vgl. 625.
'^) BvayyiXia dveiy, Xen. Hell. IV 3, 14;
76
A. Die griechischen EnltuBalierttUner.
und so wird es der Anlässe im Leben des einzelnen und des Volkes
tausende gegeben haben, wo man sich mit Gebet und Opfer an eine Gott-
heit wandte, um ihre Hilfe und ihren Segen zu erlangen. An ein wichtigeres
Unternehmen machte sich wohl niemand, ohne vorher geopfert zu haben.
66. Suchen wir uns jetzt ein Bild von der Ausführung eines Speise-
opfers in allen seinen Einzelnheiten zu machen.^)
Zuerst wurde das Opfertier mit Binden, Schleifen und Kränzen ge-
schmückt, 2) den Rindern wurden bisweilen die Hörner vergoldet,') bei
einigen grossen Festen geschah dies sogar regelmässig, und die Kosten dafür
wurden wie für alle übrigen Vorbereitungen und Veranstaltungen von
vornherein ausgeworfen und festgesetzt.*) Ebenso festlich geschmückt
waren die Opfernden selbst. Sie legten reine Gewänder an*^) und setzten
sich Kränze aufs Haupt. In homerischer Zeit fehlt der Kranz noch, später
ist er so unentbehrlich, dass bei Aristophanes ^) eine Frau klagen kann,
sie habe früher mit Kranzwinden viel Geld verdient, aber seitdem Euri-
pides die Menschen gelehrt habe, es gebe keine Götter, und es sei thöricht
zu opfern, gehe es ihr schlecht. Der Kranz war nicht nur ein Schmuck,
sondern entsprechend der heiteren Stimmung, die bei jedem Speise-
opfer herrschen sollte und herrschte, auch ein Zeichen der Freude,^)
und man fühlte sich, wenn man ihn während der heiligen Handlung
auf dem Haupte trug, wohl auch unter dem Schutze der Gottheit.**) Als
Xenophon während eines Opfers die Nachricht vom Tode seines Sohnes
empfängt, nimmt er den Kranz ab, aber als er hört, dass er tapfer käm-
pfend gefallen sei, setzt er ihn wieder auf und vollendet das Opfer. ^) Auch
Minos soll, als er auf Faros den Charitinnen opfernd den Tod des Andro-
geos erfuhr, den Kranz abgenommen haben, woher es dann auf der Insel
Sitte geworden sei, bei den Opfern dieser Göttinnen unbekränzt zu er-
scheinen.*^*) Die Wahl der Blumen oder Blätter, aus denen man die Kränze
wand, hing davon ab, welchem Gotte das Opfer dargebracht wurde, denn
die meisten hatten ihre Lieblingspflanzen, die ihnen besonders wohlgefielen,
und verschmähten wiederum andere. Doch waren hierin Glaube und Ge-
bräuche an den verschiedenen Orten nicht übereinstimmend.^*) — In einem
schönen Korbe, der bisweilen vergoldet gewesen sein mag,*^) befanden sich
die Opfergeräte, die heilige Gerste, und was sonst etwa noch erforder-
lich war;**) dieser wie auch das Becken, welches das Wasser {x^Qvitp)
enthielt, wurde vor dem Beginn der Opferhandlung in der Richtung von
links nach rechts um den Altar herumgetragen.**) Dann wurde von dem
auf dem Altar brennenden Feuer ein Scheit {daXiov, s. Hesych. u. d, W.)
^) Schilderungen bei den Alten II. J
458 ff., ^ 414 ff., Eur. Herc. für. 922 ff., Ari-
8tx)ph Fax 937 ff., Dion. Hai. VII 72 u. s. w.
^) Eur. Heracl. 529. Act. Apost. XIV
11 ff. u. 8. w. Vgl. Taf. I Fig. 4—5.
') K 294, r 384.
*) DiTTENBEROER Syll. 70, BöcKH Staatßb.»
IT 84 ff. Der Preis für die Vergoldung be-
trug pro Rind etwa eine Mark.
») Flut. Cons. ad Apoll. 34 p. 119 B.
6) Thesm. 447 ff.
") Athen. XV 16 p. 674.
«) Vgl. Aristoph. Flut. 21.
») Diog. Laert. II 54, Flut. Cons. ad Apoll.
34 p. 119 A.
»«) Apoll. Bibl. III 15, 7; vgl. Flut
Fraec. sanit. 19 p. 132 F. Andere Beispiele
8. Athen. IV 17 p. 139 und Paus. II 11, 4.
>') Flut. Quaest. rom. 112.
^^) Schol. zu Aristoph. Acham. 242.
'») Eur. El. 791 ff.
'*) Aristoph. Fax 957, Athen. IX 76 p. 409.
d. Ealtuahandlimgen. (§ 6ö.)
77
genommen und in das Wasser getaucht/) wodurch dies geweiht wurde.
Alle Teilnehmer benetzten nun ihre Hände' damit und besprengten sich und
den Altar.*) Hierauf wurde die Opfergerste 5) herumgereicht, von der ein
jeder ein weniges auf den Kopf des jetzt zum Altar geführten Tieres
(vgl. Taf. I Fig. 4 u. 5) streute *) und wohl auch in die auf dem Altar lodernde
Flamme warf, denn das Hinzufügen der Brotfrucht kann doch keinen andern
Sinn gehabt haben, als dass den Göttern, die an dem Opfermahl teilnehmen
sollten, auch diese geboten werden müsste, wie sie ja auch Fleisch und Wein
erhielten, ganz wie die Menschen, die sie zu Gaste luden.^) Ein Herold fragte
Ttg rffie; worauf die Antwort ertönte noXXol xccyaO-ot/*) Darauf ward ein
Gebet gesprochen.^) Dass es als ein gutes Zeichen angesehen wurde, wenn das
Tier ruhig zum Altar ging und dort mit dem Kopfe nickte, und dass man
dies Omen auch auf künstliche Weise herbeizuführen verstand, haben wir
bereits gesehen (S. 45). Jetzt wurden dem Tier einige Haare vom Kopfe
abgeschnitten und ins Feuer geworfen.^) Damit hatte es die Todesweihe
empfangen,^) und der eigentliche Opferakt nahm seinen Anfang. ^^) Alle An-
wesenden wurden zu frommem Schweigen aufgefordert, ^0 ^^d während der
Gott angerufen ward, das Opfer gnädig anzunehmen, ^^) ertönte Flötenmusik. ^^)
») Kur. Herc. für. 928.
2) Aristoph. Lysistr. 1129.
*) oXai, bei Homer ovXai, ovXoxvxai,
Ob die Gerste geschroten war oder aus ganzen
Körnern bestand, ist nicht entschieden (ein
Verzeichnis der wichtigsten Untersuchungen
darüber bei Schokmann Gr. Alt.» II 239 A. 6,
s. auch Plut Quaest. graec. 6 jp. 292 c und
Bebnays Theophr. 41 u. 52). Das Wort ist
nicht sicher gedeutet, und ein Brauch wie
der der Megarer beim Opfer des Tereus,
statt der Gerste kleine Steine zu benutzen
(Paus. I 41, 8) und nicht etwa Sand, gestattet
ebensowenig den Schluss, dass man sonst
ganze Körner geopfert habe, wie der Um-
stand, dass Eumaios auf die FleischstOcke,
die er den Göttern verbrennt, Mehl, nicht
Kömer streut (I 429), den umgekehrten.
Sicher ist trotz der entgegenstehenden An-
gaben im Schol. zu Aristoph. Equ. 11(37 =
tSuid. u. oXttl, Schol. zu II. A 449 und Od.
y 441. dass die Griechen kein Salz bei-
mischten (s. Athenion bei Athen. XIV 80 p.
661 und die Bemerkungen von Schweio-
HAU8EB zu der Stelle Bd. VII 672. Vgl. Plut.
Quaest. symp. VIII 8, 2).
^) Arist. Pax 962 ff., Schol. zu Aristoph.
Nub. 260; vgl. Schol. zu Equ. 1167.
5) Vgl. Julian Reden V 176 D u. Hkr-
MAKif G. A.2 ^ 28 A. 2.
«) Arist. Pax 968 mit Schol. = Suid. u.
') Arist. Pax 973 ff.
«) Eur. El. 811.
•) Vgl. Eur. Alk. 74 ff.
*ö) Xorft^/edi^a», die heilige Handlung
beginnen (Arist. Av. 959, Eur. Herakl. 529
u. s. w.) bezeichnet dann auch namentlich
diese Prozedur, wird jedoch auch allgemeiner
von den Vorbereitungen zum Opfer überhaupt
gesagt. Vgl. y 445 und mehr bei Hermann
a. a. 0. § 28 Anm. 12.
>') €V(ptj/ÄtTT€ oder svfprjfAi« iaru) Ari-
stoph. Acharn. 237 und Schol. dazu, Av. 958,
Inschr. v. Kos im Joum. of Hell. Stud. IX
335 ZI 32 u. s. w. Vgl. die Abbildungen bei
Schreibeb Kulturh. Atl. XIV 4.
»«) / 171 f., Aristoph. Thesm. 295 ff.
13) Wie der Kranz wurde auch diese erst
in nachhomerischer Zeit üblich, ist dann aber
bei jedem Speiseopfer auch ebenso unent-
behrlich wie jener. Dem Herodot (I 132)
fällt es als eigentümliche persische Sitte auf,
dass keine Flötenmusik die Opfer begleitete,
und die Stellen, an denen ihrer Erwähnung
geschieht, sind nicht minder zahlreich als das
Vorkommen des Instrumentes selbst auf bild-
lichen Darstellungen von Opferscenen. S.
PoU. I 38, IV 86 ff.; Athen. VUI p. 349 C;
Paus. VIII 38, 6; Plut. Quaest. symp. II 1, 5
p. 632 D; Dio Chrysost. Or. XXII 57. Ab-
bildungen bei Baumeister Denkmäler des
klassischen Altertums u. Opfer II 1107, Arch.
Ztg. 1845 Taf. 35 u. 36 u. s. w. — Das Unter-
bleiben des Flötenspiels beim Opfer ist ein
Zeichen der Trauer, wie das Fehlen des Kran-
zes, und kommt daher ebenso ausnahmsweise
oder noch seltener vor. Ein Beispiel liefert
das bereits erwähnte Opfer der Charitinnen
in Faros (Apoll. Bibl. III 15, 7; Plut. Praec.
sanit. 19 p. 132 F), wo der Mythos den
seltsamen Brauch zu erklären versucht. Vgl.
Plut. de aud. poet. II p. 16 D u. önov Cv^
iaiiv iljdtwg x. 'Ent^x. 21, 8 p. 1102 A. Tu
Tenedos gab es ein Heiligtum, das kein
Flötenspieler betreten durfte (Plut. Quaest.
graec. 28 p. 297 D), augenscheinlich weil
es eine Stätte der Trauer sein sollte.
78 •^* ^i® griechischen Knltnsaltertttmer.
Dann wurde das Tier geschlachtet. Grössere, namentlich Rinder, pflegten dabei
zuerst durch einen Schlag, der mit einem Beile oder einer Keule auf den
Kopf geführt wurde, betäubt zu werden, i) oder es ward ihnen mit der
Schneide des Beiles der Nacken ^) oder der Hals durchschlagen.^) Das Messer
war natürlich, auch wenn zum Schlachten ein anderes Instrument angewandt
wurde, bei jedem Opfer unentbehrlich,*) schon um die Kehle des Tieres zu
öffnen und ihm das Blut zu entziehen.^) Beim Schlachten soll dem
Tiere der Kopf zurückgebeugt worden sein, so dass es den Himmel anzu-
schauen schien,^) und den kleineren wie Schafen und Ziegen wurde dann
einfach mit einem Messer der Hals durchschnitten, oft so, dass man sie dabei
hochhielt.') Auf eine eigentümliche Art wurden der Despoina zu Methy-
drion in Arkadien die Opfertiere geschlachtet: man hieb sie in Stücke.^)
In Hermione war es an den der Demeter gefeierten Ghthonien Brauch,
dass vier alte Frauen vier Kühe mit Sicheln im Tempel selbst schlach-
teten.^) Das Blut Hess man entweder direkt auf den Altar laufen (Taf. I
Fig. 3) oder fing es in einer Schale {<r(pdytov, c^aytrov)^") auf und goss es
darauf. 1') Damit glaubte man dann wohl das Leben des Tieres selbst der
Gottheit darzubringen. In homerischer Zeit stiessen die beim Opfer etwa
anwesenden Frauen, wenn das Tier den Todesstreich empfing, bestimmte
Rufe aus (oXoXvyij^ üXoXvyfxog oXokv^stv).^^) Vielleicht hatten sie eine her-
kömmliche Melodie, jedenfalls war es kein Klagegeschrei.**) Später trat, wie
wir gesehen, dafür die Flötenmusik ein. Hierauf zog man dem Tier die Haut
ab, nahm die inneren Teile (cTikdyxva) heraus, zerlegte es und sonderte die
Stücke, welche die Götter empfangen sollten.'*) Die fTTiXayxva werden zuerst
zubereitet, gewiss deshalb, weil sie am schnellsten gar wurden. Einzelne
Teile davon wurden verbrannt,*^) wohl die wertlosesten wie die Galle, ^'^j
die nur bei Opfern, welche der Hera als Ehegöttin gebracht wurden,
fortgeworfen wurde.*') Mit völlig ungeniessbaren Teilen geschah dies über-
haupt.*®) Ausnahmsweise wurde auch das Herz verbrannt.***) In die Flamme
geworfenes Talg beförderte das Verbrennen, und Weihrauch beseitigte die
aufsteigenden unangenehmen Gerüche. ^^) Darauf kostete man ein weniges
von den frnXayxva^ die dann wohl grösstenteils von den Dienern und Sklaven,
») Dion. Hai. VII 72 p. 1459 ; Apoll, j p. 1459 u. s. w. Vgl. die Abbilduog bei Da-
Rbod. Arg. I 420; Od. I 425. | rehbebo Dict. I 1587 Fig. 2127.
') Od. r 449: Apoll. Rbod. Arg. I 429 f. ' >«) y 450, vgl. d 767, Z 301.
Plut. Quaest. symp. VI 8, 1.
*) Strabo XV p. 733, Abbildungen bei
Darembeko Dict. I 1584 f.
5) I 420, r 454.
®) J 459 u. Schol. dazu, Orpb. Argon.
310. Vgl. die Abbildung des Stieropfers des
Mithras in Baumeirtek's Denkin. 925 n. 990.
') Die Beine nach oben auf der Abbil-
dung bei Daremberg I 1187 Fig. 2127. Vgl.
Kur. El. 813 f. — Mehr bei Stengel in d.
3) Kur. Hei. 1584; Soph. Ai. 290 ff . ; | >») Kurykleia jauchzt, als sie die Freier
hingeopfert sieht (/ 408).
^*) Die «7i«p/a£ (Od. $ 440, Schol. Ari-
stoph. Plut. 000, Dion. Hai. VII 71 etc.) oder
IcQüiavy« (Ameips. bei Athen IX p. 388 E,
Bekker Anecd. p. 44, 9).
'^) r 9; Athenion bei Athen. XIV 80
p. 001 A; Schol. zu Aristoph. Fax 1069 u. IKW.
»«) Menandr. bei Athen. IV 27 p. 146.
'') Plut. Conj. praec. 27.
'») Vgl. Schol. Aristoph. Fax 717; Flut
Ztschr. f. d. Gw. 1880 S. 739 ff. Vgl. die Phok. 1, De cup. div. 5; vgl. Schol. zu II.
Abbildung Taf. I Fig. 3. j J 520. zu Aristoph. Vesp. 1144 u. Kqu. 1179.
**) Paus. VHI 37, 5. >») Orph. Arg. 314.
») Paus, n 35, 4. «") Inschr. v. Kos im Joum. of Hell.
'«) Poll. X 05. Stud. IX 334 u. s. w.
•') Athen. VI 201 K; Dion. Hai. VII 72
d. EnltaBhandlimgen. (§ 6G.) 79
sofern auch diese am Opfer teilnehmen durften, verzehrt wurden.*) Von
dem Übrigen empfingen die Götter in homerischer Zeit namentlich die
Schenkelknochen (firjQia),^) die in Fett eingehüllt samt einigen Fleisch-
stückchen auf dem Altar verbrannt wurden.^) Eumaios schneidet von
jedem einzelnen der grossen Stücke, in die der Eber zerlegt ist, etwas ab,
um es den Göttern zu opfern,*) verbrennt dann aber noch ein grösseres
Stück Fleisch als hauptsächlichste Opfergabe. *'^) Später verbrennt man
namentlich den unteren Teil des Rückgrats und den Schwanz,^) aber
auch andere Knochen, an denen man mehr oder weniger Fleisch liess.*^)
Doch war in diesem Punkt die Praxis nicht nur der Einzelnen, sondern
auch der Völker immer verschieden. Die Frommen Hessen den Göttern
mehr zukommen,^) andere beschränkten sich auf das Notdürftigste, um nur
der Form zu genügen.^) Den Lakedaimoniern sagte man nach, dass sie
bloss Knochen verbrannten,**^) und die Kärglichkeit der Karischen Opfer
war sprichwörtlich.**) In dem Opferkalender von Kos *2) wird angeordnet,
dass von den Opfertieren für Hera und Zeus Polieus die IvJoqu ivdtQetai
und auf dem Altar im Tempel verbrannt werden. Es sind damit ausser
dem Eingeweide, wahrscheinlich die nicht abgehäuteten Köpfe und Füsse
der Rinder gemeint,* 3) die dem getöteten Tier gleich zu Anfang ab-
geschnitten und bei Seite gelegt werden.**) Der mykonische Stein *^) be-
stimmt, dass dem Zeus Chthonios und der Ge Chthonia äsQxa (xtkava ge-
opfert werden sollen.**^) Wir werden darunter also vermutlich die abge-
häuteten Köpfe und Füsse der schwarzen Opfertiere zu verstehen haben. - Bei
Homer finden wir auch ein Zungenopfer erwähnt.*^) Abends als die Gesell-
schaft nach Hause aufbricht, werden mit der letzten Spende auch die
Zungen der geschlachteten Tiere dem Gotte zu Ehren verbrannt. Auch
später bleibt es Sitte, dem Opfertier die Zunge auszuschneiden und sie be-
sonders zu legen;**) sie wird aber nicht mehr den Göttern verbrannt, son-
dern es empfangen sie entweder die Priester*^) oder, namentlich bei den
*) A 464, Ari8ix)ph. Fax 1040 u. s. w.
») Vgl. Hkrmaiw G. A. § 28 A. 21 und
Palky %i/p(m the sacrificial sense of fÄtjgoi and
f^flQitt in den Transact. of Cambr. Pbil. Soc.
1879 p. 202 f., der (AriQla als Fleischstrcifen,
Koteletts, erklärt. Dagegen auch Jebb 8oph.
Ant. (Cambridge 1888) zu Vers 1011. Kin
Beispiel des Verbrennens von Schweine-
^) Aristoph. Av. 900, Menandr. bei Atben.
IV 27 p 140, Pberekr. bei Clemens Stromat.
p. 716.
»«) Plat. Alkib. II p. 149a, vgl. Plut.
Apophtbegm. 1 p. 172 A u. p. 228 D, Lyk. 22.
*') S. Suid. u. KttQixov 9vua.
'») Journ. of Hell. Stud. IX :^28 ii. 335.
") Vgl. Hesycb. u. h'dtcQTrt,
Schenkeln findet sich bei Homer nicht. i ^*) Vgl. die Änm. v. Hfckh im Joum. of
=») A 460, B 423, fÄ 360. Vgl. Schol. i Hell. Stud. a. a. 0.
zu Apoll. Rhod. Arg. III 1033 u. Nitzsch zur | '^) Dittekberokr Syll. 373, 2«.
Odyssee I 223. , ***) cf«^r«, wofür Dittenberökr cf' tTini
*) ^ 428. Vielleicht ist diese Sitte ab I geschrieben hat, ist durch Latyschew Bull,
und zu auch später noch beobachtet worden, ' de ccrr hell. XII 462 ausser Zweifel gestellt,
s. Dion. Hai. VII 72 p. 1494 ff. ' '•) y 341.
^) ^ 435 f. Vgl. Bernhardi a. a. 0. S. 4. I ^*) Aristoph. Av. 1705 und Didymos im
•) Menandr. bei Athen. IV 27 p. 146, Schol. dazu, Menandr. bei Athen. XIV 7<I
Schol. Aristoph. Pax 1054 u. Ran. 223. Vgl. I p. 659 E; Plut. Phok. 1, De cup. div. 5;
WiESELER im Philol. X 389 f. i Apoll. Rhod. Arg. I 518.
') Aristoph. Plut. Ilg8 u. Schol. dazu, j *®) DiTTENBEROERSyll.373u 376, Inschrr.
Av. 900, Soph. Ant. 1010. Vgl. die Abbil- aus Chios in d. Mitt. des D. Arch. Inst.
dang in Baumeisteb's Denkm. 1107 n. 1303. zu Athen. XIII (1888) 166, aus Sinope im
«) Vgl. G. Hebmann zu Aisch. Prom. Bull, de corr. hell. 1889 S. 300.
100 f. Schoexann Prometheus S. 115.
80
A. Die griechiflchen KnltuBaltertÜmer.
SfjliioTskeTg d^vatat^ die Herolde, die bei der Opferhandlung Dienste geleistet
haben. ^) Das übrige Fleisch wurde, wenn es an Ort und Stelle verzehrt
werden sollte, gebraten, nur bei den Opfern der Hören in Athen gekocht^)
Wenn die Opfergaben auf dem Altar verbrannten, goss man Spenden von
gemischtem Wein darauf, 3) und zwar beteiligten sich hieran alle An-
wesenden^). Ebenso brachte man nachher während des Opfermahles von jedem
neugemischten Mischkrug eine Libation dar,^) und die ganze Festlichkeit schloss
wohl stets mit einer Spende.*^) Reinen Wein durfte man bei Speiseopfem
nicht spenden, weil der Wein ja den Göttern als Trank angeboten wurde,
und ungemischter Wein für ungeniessbar galt. Die Gefährten des Odysseus
bringen einmal beim Opfer eine Wasserspende.') Auch dies ist nicht auf-
fallend: sie müssen selbst statt des Weines Wasser trinken und können
also auch den Göttern nichts Besseres bieten. Wahrscheinlich sind solche
Spenden in ähnlicher Lage öfters vorgekommen.^)
Ebenso selbstverständlich wie Flötenmusik war das Absingen von
Paianen beim Opfer. ^) Ausnahmen werden als auffallig erwähnt. *^^) Eine
sehr alte thasische Inschrift i^) verbietet denPaian bei Opfern für die Nymphen
und ApoUon wi^npr^yäTTfi. Auch Reigen und Tänze pflegten sich anzu-
schliessen,**) wie diese ja nie fehlten, wo Festfreude herrschte.^*)
67. An grossen Staatsfesten, wie den Panathenaien, fanden Volks-
speisungen statt. Ein uns erhaltenes Dekret**) ordnet an, dass die isgonom
zu dem Feste für 41 Minen, ungefähr 3300 Mark,*^) Opfervieh anschaffen
sollten. Das Fleisch sollte dann unter die auf der Akropolis versammelten
Bürger und Metoiken^^) verteilt werden, und jedes Mitglied eines Demos
seine Portion*^) erhalten. *») Ausser dem gebratenen wurde rohes Fleisch
verteilt,*^) das sich jeder zu Hause zubereiten mochte, wann und wie
er wollte. Auch Leckerbissen zum Nachtisch und vor allem Wein durften
') Aristoph. Plut. 1110 u. Kallistratos
im Schol. dazu. Ausfuhrlicheres daiHher bei
Stengel d. Zunge der Opfertiere in d. Jahrb.
für Phil. 1879 S. 687 flf. Mit Angaben wie
Poll. VI 55 'Egfiov d^ xX^Qos tj TiQuitt] ruiy
xQCtoy uoiQUf oder Piaton Kratyl. p. 401 D
71^0 naytijy &Buiy rfj 'Eati<f tiqvjxh ngodvetry
ist bei der Dürftigkeit der Nachrichten darüber
nicht viel anzufangen. Über das letzte vgl.
pREUNER Hestia-Vcsta 9 ff., auch Preller-
KoBERT Gr. M. I 427 f.
2) Philochoros bei Athen XIV 72 p. 656 A.
Eine Abbildung mit Opfertieren beschäftigter
fiayeiQoi bei Darembero u. Saolio I 1501
Kig. 1988.
^) Inschr. v. Kos im Joum. of Hell. Stud.
IX 335 ZI. 50 und mehr Beispiele bei Stengel
im Hermes XVII 329 f.
*) Eur. Kykl. 469 f.
'*) Plut. Quaest. symp. V 4, 1. Bern-
iiARDi a. a. 0. 20 f.
^) Man brachte diese, bisweilen mit noch
einer andern letzten Opfergabe, entweder dem
(Jotte dar, welchem die Tiere geopfert waren
(;' 332 ff.), oder dem Hermes. Diese letzte
nach dem Gotte igu^g benannte (AUien. I
p. 32 B, Poll. VI 16. 100) und ihm allein zu-
kommende Spende war zu gleichen Teilen
gemischt (Stratb's bei Athen. IX p. 473), und
mit ihr beschloss man jedes Gelage (vgl.
schon t] 137).
') u 362.
«) Vgl. Bernays Theophr. 91.
") IL A 473, Athen. XIV 626 B.
»«) Athen. IV 17 p. 139 D.
»0 RöHL IGA. 379.
'•^ A 473, Plato Leg. VIII p. 835. vgl.
Poll. IV 95, Plut. De aud. poet. II p. 16 D.
*^) Vgl. Hom. Hymn. in Ap. 149 ; Paus.
X 7, 2; Etym. m. p. 690 u. ngoGi^dtoy,
^*) DlTTENBEROER Syll. 380.
*^) Über den Preis der Rinder vgl. Böckh
Staatsh.8 I 93 ff. und Fräjikel II 21 * Anm.
127 ff.
^®) S.v.WiLAMowiTz im Hermes XXII 220.
^") Vgl. Plut Quaest. symp. II 10, 7.
^«) Vgl. C1G.'2906, CIA. II 578, Dittkn-
BERGER Syll. 380.
'^) DlTTENBEROER Syll. 348 mit Anm. 9.
d. KaltuBhandlimgen. (§ 67.)
81
bei der Bewirtung nicht fehlen, i) Aus dem bekannten marmor Sandmccnse-)
erfahren wir, dass zum Feste des Gottes in Delos 109 Rinder für den auf-
fallend hohen Preis von 8419 Drachmen, ungefähr 6800 Mark, angekauft
wurden. Der schönste Stier (ßovg rjye/xoivy) wurde mit einem ungeheuren
Preise bezahlt,*) und von dem Tyrannen Jason von Pherai wird uns be-
richtet,^) dass er die Stadt, welche zu den pythischen Festen das statt-
lichste Rind lieferte, mit einem goldenen Kranze belohnte. Die auserlesene
Färse, welche Hera beim Festopfer in Kos empfing, durfte nicht weniger
als 50 Drachmen kosten.^) -- Auch die angesehenen und vornehmen Bürger
empfingen ihren Anteil vom Opferfleisch, und zwar nahmen sie nicht bloss
an dem Opfermahle teil, sondern erhielten auch bei der Fleischverteilung
bessere und reichlichere Portionen. Für die Buleuten wird ein besonderes
Opfermahl zubereitet.^) Das Dekret aus Halikamass^) bestimmt, dass die
Frauen der Prytanen von den öffentlichen Opfern denselben Anteil erhalten
sollen, wie die Priesterin, und eine auf die kleinen Panathenaien bezüg-
liche Inschrift nennt ausser den Prytanen die neun Archonten, die Stra-
tegen, Taxiarchen, die Kanephoren u. s. w., die vorweg xard tu tml^oiu
ihre Portionen empfangen sollen.^) In Sparta ist der Erlös aus den Fellen
der Opfertiere eine Haupteinnahme der Könige, ^^) und auch an anderen
Orten erhält der König seinen besonderen Anteil von den Opfern. ^ ') Ausser-
dem pflegten Leuten, die sich um den betreffenden Kultus verdient gemacht
hatten, Vergünstigungen und Vorteile bewilligt zu werden. So soll Mnasi-
stratos in Andania die Felle der bei der Mysterienfeier geschlachteten Tiere, >^)
ein gewisser Philokedes von den Opfern der Lamptrenser,") und ein Kalli-
damas von denen der Peiraienser *^) Fleischanteile bekommen, die Phyleo-
machiden von dem Rinde, das dem Zeus an den Kameen in Kos geopfert
wird, die Hufe und Afterklauen (onXd xal TaQCog), von den Schafen die
Schulter, aus welcher der Anteil für den Priester ausgeschnitten wird,**'»)
die Nestoriden Fleisch vom Rücken. ^^) Ganz gewöhnlich aber war es, dass
allen denen, die beim Opfer Dienste geleistet hatten, ein Stück Fleisch
überlassen wurde; so dem ^vXsvg^ der das Holz zu den Opfern für den
olympischen Zeus lieferte, ^^) und dem Flötenbläser, dem Schmied und dem
Töpfer, die bei dem Festopfer in Kos beschäftigt gewesen waren. *^) Fanden
Wettkämpfe statt, so erhielten bisweilen auch die Sieger einen besonderen
Anteil.*^) Solche Bewirtungen aber gab es nicht bloss bei den grossen
Festopfem, auch ein Privatmann veranstaltete sie gelegentlich. So opferte
») DiTTENBEBGEB Syll. 348; CIG. 1625,
CIA. II 570.
*) DiTTENBEBGEB Syll. 70; BüCKii Staats-
h.» I 75 flF.
») Athen. VI 27 p. 235; Xen. Hell. VI
4, 29. BöcKH zu CIG. 1688 ZI. 32 nimmt
eine zweite Bezeichnung: ßovg ijgtjg an; da-
gegen A. MoMMSEN Delphica 190 u. 226 f.
*) CIA. II 545.
*) Xen. Hell. VI 4, 29.
^) Inschr. im Journ. of Hell. Stud. IX
3^8 ZI 5
Schol. Aristoph. Pax 893.
") DiTTENBEBGEB Syll. 371.
•) DiTTENBEBGEB Syll. :180.
^*>) Herod. VI 57.
»') Herod. IV 161.
»2) DiTTENBEBGEB Syll. 388.
»3) CIA. II 582.
'*) CIA. II 589.
»^) Journ. of Hell. Stud. IX 328.
»«) Ebenda 335 ZI. 54. Vgl. auch 324
ZI. 4 ff.
*') Paus. V 13, 2.
'«) Jouni. of Hell*. Stud. IX 335 ZI. 55 f.
^*) Paus. V 16, 2. Inschr. im Movaetof
T^g EvayyBk. 2'/oA. in Smyrna 1878 S. 21.
Bftndbuch der Uaat. AitertumswisseoachAft. V. 3. Abtlg.
82
A. Die griechiBchen KultuaaltertÜmer.
Konon einmal eine wirklieh vollzählige Hekatombe und bewirtete alle
Athener. *) Von den Opfern, die der Hestia gebracht wurden, durfte nichts
nach Hause mitgenommen oder anderen mitgeteilt werden.*) Es findet
dieser Brauch seine Erklärung darin, dass ihr nur im Prytaneion^) oder
im Hause geopfert wurde, und dass die Gäste sich von den Speisen, mit
denen sie bewirtet wurden, noch etwas nach Hause nahmen, schickte sich
eben nicht. Vereinzelt finden sich solche Bestimmungen auch für andere
Opfer.^) Das Fell des Tieres verblieb bei Privatopfern in der Regel dem
Eigentümer, doch fiel es, wie wir gesehen haben, auch nicht selten den
Priestern zu.^) Die Häute der bei den grossen Staatsopfern geschlachteten
Tiere gehörten in Athen dem Staate.^)
Massenopfer sind schon in den heroischen Zeiten ganz gewöhnlich.
Durch eine Hekatombe glauben sich die homerischen Helden die Gunst der
Götter sicherer zu erwerben, als durch ein kleineres Opfer, und schwerlich
ist die später zuweilen ausgesprochene Ansicht,^) dass es auf die Grösse
des Opfers hierbei gar nicht ankomme, jemals die allgemeine gewesen.
Doch ist in erster Linie ohne Zweifel die Veranlassung zu Opfern von
hundert und mehreren hundert Tieren auf einmal der Wunsch und das
Bedürftiis gewesen, die Volksmenge festlich zu bewirten. Glanz und Freude
des Festes wurden so erhöht, und Göttern und Menschen war in gleicher
Weise genuggethan. Ausser den Hundertopfern, den Hekatomben,^) gab es
Zwölfopfer (i(od€Kr/g),^) und ganz gewöhnlich waren die irßirrt;«^ oder t^it-
Tvaiy die aus drei verschiedenen Tieren zusammengesetzt waren. ^®)
Beteiligen durften sich an den Opfern alle Bürgerund Metoiken,^')
sofern sie nicht durch eine Verschuldung dies Recht verwirkt hatten.**)
Hinsichtlich der Fremden war die Praxis verschieden; zu einigen wurden
sie zugelassen, 1^) in den meisten Heiligtümern durften jedoch sicherlich nur
Bürger Opfer darbringen.*^) Überall aber war wohl dafür gesorgt, dass
ein anderer für den fremden Gast das gewünschte Opfer vollziehen konnte.
') Athen. I 5 p. 3 D. Vgl. XII p. 532 E.
Eustath. zur Od. »; 298 p. 1579, He-
sych. u. 'KarUt. Paroimiogr. gr. I 97 und
mehr bei Preuner Hestia- Vesta 74 ff. Vgl.
auch RiNCK Hei. der Hell. H 11.
«) CIA. n 470, 478, 482.
*) Vgl. DiTTEKBEROER Syll. 378 und d.
Inschr. v. Kos im Journ. of Hell. Stud. IX
328 ZI. 3, 8, 29, 47, (>1. S. auch Ditten-
BEROER Syll. 373 ZI. 2G u. 28 f.; dcaytia^toy
ttvrov.
'-) Beispiele S. 29 f.
*) Bitten BEROER Syll. 374 und Böckh
Staatsh.'» II 108 f.
") Eur. frgm. Dan. 329. Plut. ötiov Cfjy
iany rjd. x.'En. 21, 8 p. 1102. Vgl. Ber-
NAY8 Theophrast 74, Kiessling zu Hör. carm.
III 23 u. 8. w.
**) Der Gebrauch des Wortes ist früh
kataeh restisch geworden. Schon bei Homer
besteht die Hekatombe, die Nestor dem
Poseidon opfert, aus 81 Stieren (;' 59, vgl.
7 ff.). Ebenso bestand sie nur in den selten-
sten Fällen aus Rindern. Wenn nicht lauter
kleinere Tiere geschlachtet wurden (J 120,
^ 873), so begnügte man sich mit einem
(kxaxofAßfi ßovTtQtDQos, ßoaQX^s: PJot Quaest
symp. IV 4, 2; Eustath. zu X 130. Vgl. Dit-
tenberqer Syll. 13, 36 f., Mohksen Heort
257 Anm., Kirchhoff zu CIA. I 5) oder
wenigen Rindern (j4 316).
») Soph. Trach. 760, Hesych. u. dtodex^de^
^valai, Inschr. im Bull, de corr. hell. VI 215.
^^) Am ausführlichsten darüber Stengel
in d. Jahrb. f. Phil. 1886 S. 329 ff.
^^) Vgl. V. WiLAMowiTz im Hermes XXII
215, 220 ff.
'^) Oft für eine bestimmte Zeit, z. B.
CIG. 3562 zehn Jahre.
") Vgl. Eur. El. 795 und die eben er-
wähnten, nicht selbstverständlichen Verbote.
S. auch BöcKH Staatsh.n 273 f.
'*) Z. B. der Hera in Argos Herod. VI 81 ;
in Amorgos Dittenberoer Syll. 358; vgl. 373,
26. Deshalb ist es auch ein Zeichen von der
Besitznahme einer Stadt, wenn der siegreiche
Feldherr der Hauptgottheit in ihrem Tempel
opfert: Arrian Anab. II 16; Xen. HeU. HI 1, 23 f.
d. KultoBhandlimgeii. ($ GS -69.) 83
sei es, wie am natürlichsten, der Proxenos seines Staats,') oder in Er-
mangelung eines solchen die Stadt,*) oder ein Bürger, der selbst den
Priester vertrat.^) Ausnahmsweise kam es auch vor, dass einem Opfer
Weiber,*) oder umgekehrt Männer^) fern bleiben mussten. Beschränkter
war natürlich die Zahl der Teilnehmer, wenn eine geschlossene Gesell-
schaft, z. B. ein bestimmter Demos, das Opfer darbrachte. Durch ein
Dekret wird dann wohl einem verdienten und verehrten Manne, der nicht
Mitglied des Demos ist, das Recht verliehen, an dessen Opfern teilzu-
nehmen;^) eine seltene Ausnahme ist es, dass andere ganze Demen sich be-
teiligen.^) Sklaven waren in der Regel ausgeschlossen.^)
68. Die Opfertiere mussten von der besten Beschaffenheit sein.
Weder ein krankes noch ein durch irgend einen Fehler verunstaltetes Tier
eignete sich zum Opfer. ^) Nur den Lakedaimoniern wurde nachgesagt,
dass sie auch verstümmelte Tiere opferten.*^) Vereinzelte Fälle kamen
jedoch auch sonst vor. Die Artemis in Amarynthos soll den Beinamen
KoXamg erhalten haben, weil ihr Agamemnon einen tadelhaften Widder
{xoXov xQiov) geopfert habe,'') und die Eretrier opferten ihr weiter xoXoßd
(verstümmelte Tiere).'*) Auch an andern Orten mag man leicht ein Auge
zugedrückt haben. '^) Wie sorgfältig man jedoch bei der Auswahl der
Tiere, die zu den grossen Festopfern bestimmt waren, zu Werke ging,
zeigen die Inschriften, welche die hqonoioC und inifirjvioi mit der Be-
schaffung und Prüfung beauftragen.'*) Um vor Verwechslungen oder
Täuschungen sicher zu sein, zeichnete man die betreffenden Tiere wohl
auch durch ein besonderes Merkmal.'^) In Delphoi wandte man besondere
Mittel an, um die Opfertiere auf ihre Gesundheit hin zu untersuchen.'^)
69. Zu Speiseopfem waren natürlich nur essbare Tiere zu brauchen.
Ihre Zahl ist ziemlich beschränkt. Suidas u. xß-vcov und ßovg i'ßdofiog
bezeichnet als opferbar Schaf, Schwein, Rind, Ziege, Huhn, Gans, und
nennt damit eher zu viel als zu wenig. Denn Gänse hat man wohl nur
der Isis geopfert, und vielleicht auch ihr nicht als Speiseopfer, '7) und auch
Hühner oder Hähne wurden nur gewissen Gottheiten, wie dem Asklepios'^)
und Herakles, 'ö) häufiger geopfert. Wahrscheinlich wurden aber auch diese
ganz verbrannt. ^^) Da man nun Eselfleisch nur ass, wenn man nichts
s
*) DiTTENBKEOER Svll. 373, 9.
^) Wenigstens der Opferhandlung selbst:
Paus. II 35. 7; Dittenb. Syll. 373, 21 ff.
Vgl. § 116.
«) CIA. II 582, 589.
') Plut. Thes. 14.
^) Ausnahme bei Atheh IV 31 p. 149 C.
Vgl. VI 81 p. 262 C.
•) Aristot. bei Athen. XV 16 jp. 674;
DiTTENBEBQEB Sjll. 388, 70 f.; Paus. X 35, 4;
PoII. I 29; Plut De def. or. 49 p. 437 B;
Luk. 7f€gl ^va. 12. — Das Verschneiden
wurde nicht als Verstümmelung angesehen.
»•) Plato Alk. II p. 149 A.
") Schol. Aristoph. Av. 873, vgl. Kailim.
^) Vgl. DiTTENBERQER Syll.323mitnot. 5. i frgm. 76.
*) DiTTENBBROER Syll. 323. ") All. De nat. anim. XII 34.
) DiTTENBEROEB Syll. 376, 8. ") S. d. Inschrift von Oropos u. v. Wi-
LAMowiTZ im Hermes XXI 95.
'*) Vgl. S. 34 f.
»6) DiTTBNBEBGEB Syll. 388,^ 71, Porph.
De abst. I 25, vgl.CIG. 3599 ZI. 21 und die
Bemerkung Böckh's dazu.
»6) Plut. De def. or. 49.
»') Vgl. Bebnays Theophr. 106 u. 186,
WoLPF die Geflogelopfer der Griechen im
Philol. XXVIII 188 ff.
»«) Plato Phaid. p. 118 A, Artemidor
Oneir. V 9.
'») Plut. Quaest. symp. VI 10, 1; CIA.
III 77.
»0) S. die Abbildung in d Arch. Ztg.
1883 S. 311 bespr. von Fb. v. Duhn und vgl.
6*
84
A. Die grieohischen Kaltnsaliertümer.
Besseres hatte/) und diese verschmähte Speise den Göttern nicht anbieten
durfte, 2) bleiben nur die vier erstgenannten Tiere übrig. Unter ihnen sind
nicht alle jedem Gotte gleich willkommen. Demeter zieht die Schweine
vor,^) Dionysos Schweine und Ziegen/) angeblich weil diese Tiere Saaten
und Weinpflanzungen am meisten beschädigen/) dem Poseidon sind Stiere
die liebsten Opfertiere/) der Athena Kühe/) der Artemis opferte man
vorzugsweise Ziegen®) u. s. w. — Manche Gottheiten verschmähten, wenn
nicht überall, so doch an einigen oder an den meisten Orten diese oder
jene Opfertiere. ^) So Aphrodite die Schweine,**^) doch opferte man ihr
solche in Argos an einem Fest, das darnach seinen Namen hatte (Tcrrij^i«),!»)
und in Pamphylien.^^) Verboten werden diese Opfer wahrscheinlich auch
überall da gewesen sein, wo Schweine vom Tempelbezirk femzuhaltea
waren, ^^) oder selbst der, welcher Schweinefleisch genossen oder schweins-
lederne Schuhe anhatte, diesen nicht betreten durfte. ^^) Der Hera wurden
Ziegen nur von den Lakedaimoniern^^) und vielleicht auch von den Eo-
rinthiern geopfert. ^^) In Epidauros und Tithorea durfte man dem Asklepios
keine Ziegen opfern,*'') während dies in Kyrene geschah;*®) auf die Burg
von Athen durften sie überhaupt nicht hinaufgebracht werden.*^) In Phokis
gab es ein Heiligtum der Isis, wo weder Schweine noch Ziegen geopfert
werden durften, 2®) und die schon erwähnte Inschrift aus Thasos**) verbietet
den Nymphen und dem Apollon Schafe und Schweine, den Charitinnen
Ziegen und Schweine zu opfern. Es ist dies das einzige Beispiel, dass
auch Schafopfer untersagt werden. Rinder durften jedem Gotte geopfert
werden, nur die Ackerstiere sollten geschont werden, 22) doch kommen auch
hier Ausnahmen vor: in Lindos auf Rhodos werden sie dem Herakles,^^)
von den Thebanern dem Apollon 2^) geopfert. Auch Ochsen, die als Zug-
tiere dienten, opferte man nur, wenn nichts anderes mehr da war.^^) Sehr
Plut. Ages. 33. — Flut. Quaest. symp. VI
10, 1 kann ebenso dafür wie dagegen spre-
chen. Sonst vgl. noch Luk. Jup. trag. 15,
Ail. De nat. anim. V 28, Porphyr, vit. Py-
thag. 30.
*) Porphr. De abst. I 14; Xen. Anab.
II 1, C; Luk. Asin. 33; Schol. Aristoph. Vesp.
194: Poll. IX 48.
2) Ob in Dolphoi dem Apollon Esel ge-
opfert worden sind, ist mehr als zweifelhaft;
vgl. BöcKH zu CIG. 1H88, Ahbbns Dialekte
484, ScHOEMANN Gr. A. II 232.
^) Schol. Aristoph. Ran. 338, Ail. De
nat. anim. X 1(>; llygin. Fab. 277.
*) Schol. Aristoph. Plut. 1129; Komut
71€qI t^etHy 30 p. 217 ; Inschr. v. Kos im Joum. |
of Hell. Stud. IX 335 ZI. 46.
^) S. die angef. Stellen bei Lobeck Agl.
828
* «) ;' 6 Soph, Oid. Kol. 887 u. s. w.
') Z 92; CIA. II 1Ü3; Schol. zu Aristoph.
Nub. 385 u. s. w.
«) Xonoph. Anab. III 2, 12; Ail. Var.
bist. II 25; Lenormakt Hccherches archeol.
ä Eleiisis n. 25 p. 70 ff. u. s. w.
*) Vgl. Stengel Quaest. sacrif. Progr.
des Joach. Gymn. Berlin 1879 S. 27 ff.
^^) Caueb Del. inscr.* n. 435 ; Aristoph.
Acharn. 793 ; Paus. II 10, 4 u. s. w.
'') Athen III 49 p. 96; Eustath. zur II.
A 417 p. 853.
**) Der '^. Kaatvifjnq Kallim. bei Strabo
IX 483.
»«) CIG. 5069.
»*) DiTTBNBBBGEB Syll. 358; Strabo XII
575 ; Diod. V 62.
»5) Paus. III 15,^7. ^
»«) Hesych. u. aU alya u. Zenob. I 27.
'') Paus. X 32, 8.
»«j Paus. II 26, 7; vgl. v. Wilamowitz
Isyllos 86.
»») Athen. XIII 51 p. 587.
20) Paus. X 32, 9.
''') RöHL IGA. 379.
") Ail. Var. bist. V 14; De nat anim.
XII 34 ; Bahr. Fab: 37 ; Schol. Arat. Phain. 132.
") Philostr. Imag. II 24; vgl. Parthen.
dieg. 11; Lactant. De falsa rel. I 21.
") Paus. II 10, 1; IX 12, 1. — Später
wurden die Opfer von Pflugochsen wohl ge-
wöhnlicher. Luk. De sacrif. 12; vgl. Juvenal
X 270.
") Xen. Anab. IV 2, 22 u. 25.
8. EaltuBhandlimgen. (% 70—71.) 85
auffallend muss es auf den ersten Blick erscheinen, dass unter den Speise-
opfern niemals^) Wild und sehr selten Fische erwähnt werden, obwohl
beides in historischer Zeit zu den beliebtesten Speisen gehörte. Der Grund
ist offenbar der, dass man kein totes Tier an den Altar der Götter
bringen durfte. Wild jedoch wurde meistens auf der Jagd erlegt; wenn
es aber gefangen war, so war der Transport des lebenden Tieres nicht
leicht, und hatte es sich, wie dies gewiss oft genug der Fall war, im Netze
oder Fangeisen eine Verletzung zugezogen, so war es zum Opfertier schon
ohnehin nicht mehr geeignet. Mit den Fischen verhält es sich nicht viel
anders. Ohne Schwierigkeit kann nur der Aal lebend nach einem ent-
fernteren Orte befördert werden, und so ist es denn auch nicht gar zu
auffallend, dass die Boioter ihre gepriesenen Aale aus dem Kopaissee auch
den Göttern darbrachten, wenngleich „allen Fremden dies sonderbar schien.* *)
Natürlich wurde den Göttern dann nicht ein bestimmter Teil des Fisches,
sondern ein ganzer,*) oder vielleicht auch mehrere verbrannt. Von Thun-
fischfangem erhält Poseidon nach einem reichen Fange den ersten Fisch,^)
und auch der Hekate,*) Köre®) und dem Priapos') soll eine bestimmte
Fischart (rpiyAi^) geopfert worden sein. Wie es mit den letztgenannten
Opfern gehalten worden ist, wissen wir nicht; Speiseopfer pflegen diesen
Gottheiten sonst nicht dargebracht zu werden. Die Thunfische sind dem
Poseidon sicherlich an dem Orte, wo der Fischzug stattgefunden, auf einem
improvisierten Altar geopfert worden; wenn aber berichtet wird, dass die
Phaseliten einem Heros eingesalzene Fische opferten,^) so ist ein solches
Opfer nur zu den unblutigen zu rechnen, nicht anders als Backwerk oder Käse.
70. Eine eigentümliche Art von Speiseopfern — denn dahin müssen
wir sie wohl rechnen — sind die sog. x^€o^6via^ die lectisternia der
Kömer, Göttermahle, die namentlich den Dioskuren,^) doch auch andern
Göttern, wie dem Herakles, der Demeter, dem Dionysos ^<>) dargeboten werden.
Das Opferfleisch wird dabei von den Priestern und eingeladenen Gästen
verzehrt.
71. Wir kommen jetzt zu der zweiten Klasse der Opfer.
Dahin gehören erstens alle, die man chthonischen Gottheiten
darbrachte.
*) Wenigstens an keiner auf nur einige | 94 £f.
Glaubwürdigkeit Anspruch machenden Stelle. \ *) Athen. VIIp. 297 C u. D ; vgl. Menandr.
S. Hermes aXII 95. Auch wenn die betref-
fenden Worte des Porphyrios De abst. II 25,
wie Bebnats S. lOo meint, von Theo-
phraet herrühren, können sie nichts beweisen,
denn die ganze Auseinandersetzung ist ten-
denziös (s. Bbrnats 103 ff.). Um zu zeigen,
dass die Menschen um des eigenen Genusses
willen nicht von den verwerflichen Tieropfem
lassen, werden die wohlschmeckendsten Tiere
erwähnt, die nicht leicht zu erlangen sind.
Für wahrscheinlicher aber halte ich es, dass
Porphyrios, der phoinikische Hirschopfer
kannte (vgl. Jahrb. f. Phil. 1883 S. 365 Anm.
20), die Hirschopfer hinzugesetzt hat. Am
ausführlichsten über die Wild- und Fisch-
opfer der Griechen Stengel im Hermes XXII
bei Athen. VIII 67 p. 365 und IV 27 p. 146.
') xad-aylCsty bei Menandr. Athen. VIII
67 p. 365.
*) Athen. VII 50 p. 297 E und p. 303 B,
Polyaen. VI 24.
») Apollodor bei Athen. VII 126 p. 325;
vgl. Komut. 34 p. 232.
«) Athen. VII p. 325 F u. 330 C.
') Anthol. Pal. X 9, 14 u. 16. — Übri-
gens vergl. noch Julian orat. V p. 176 D.
^) Antigonos v. Karystos bei Athen. VII
p. 297 E, vgl 303 B.
^) Deneken De theoxetiiis^ Diss. Berlin
1881 S. 4.
»«) Ebenda 25 ff.
86
A. Die griechiachen EnltuaalierttUner.
Speiseopfer durften dies nicht sein, da man die Unterirdischen nicht
zum gemeinschaftlichen Mahle laden konnte. So muss das ganze Tier hin-
gegeben werden. Es sind diese Opfer denn auch sehr selten. Hades hat
in keiner Stadt einen Altar, sagt der Scholiast zu U. / 158, und dass in
der That das Vorhandensein eines solchen etwas Aussergewöhnliches war,
beweist der Umstand, dass eine besondere Legende erklären musste, wie
man in Elis zu diesem Altar gekommen war.^) Von Opfern aber ist hier
so wenig die Rede, wie bei Strabo (VIII 14 p. 344), der von einem räfievoq
des Gottes in derselben Landschaft berichtet.^) Wenn ihm überhaupt Opfer
gebracht wurden,^) so geschah dies wohl nur von Totenbeschwörem und
Leuten, die Totenorakel befragten. In Athen haben von den Gottheiten
mit ausgeprägt oder ausschliesslich chthonischem Charakter nur die Eume-
niden einen eigentlichen Kultus gehabt, und die Sage erzählt ausführlich,
wie sie dieser Ehre teilhaftig geworden sind.'*) In ihrem Heiligtum, das
kein Unberufener betreten durfte, und dem niemand ohne einen Schauer
nahen mochte,^) brachte man ihnen nachts^) blutige^) und unblutige^)
Opfer dar, nachdem man vorher dem Hesychos, dem Daimon des Schweigens,
geopfert hatte. ^) Der Leib der Tiere wurde verbrannt.*®) In Athen
opferte man ihnen vor der Geburt von Kindern und vor Eheschlies-
sungen,**) die Sikyonier feierten ihnen alljährlich ein Fest, wobei sie träch-
tige Schafe darbrachten,*^) und in Megalopolis wurde ihnen und den Chari-
tinnen zusammen geopfert.*^) Die Trankopfer, die man ihnen spendete,
durften keinen Wein enthalten, ^^) sondern bestanden aus einem Gemisch
von Honig und Milch, wohl mit Wasser verdünnt,'*) dem sogenannten
luXixQatov^ das man den Unterirdischen auszugiessen pflegte;*^) denn das
heiter und froh stimmende Getränk der Lebenden, der Wein, ziemte ihnen
nicht. ^0
Zu den entschieden chthonischen Gottheiten gehört dann ferner Hekate.
Ihr werden namentlich Hunde geopfert.*^) Ein anderes ihr eigentümliches
Opfer bestand darin, dass die Wohlhabenden an jedem Neumond am Abend
Töpfe mit zubereiteten Speisen an die Kreuzungspunkte der Strassen stellten,
') Paus. VI 25 3.
') Vgl. RoscHEB Myth. Lexik. 1887 S.
1787 ff. Zeus-Hades d. i. Zeus Chthonios er-
hält niXttvoq und /017 Eur. frgm. 904.
') Ober ein Lektisternium für Fluten
in Athen CIA. II 948-950. Vgl. Köhler im
Hermes VI 108.
**) Aisch. Eum. Schluss.
^) Vgl. Soph. Oid. Kol.
^) Aisch. Eum. 105.
') Ebenda 1006.
«) Aisch. Ag 70.
^') Polemon im Schol. zu Soph. Oid.
Kol. 100. Vgl. TöPFFEB Att. Geneal. S. 172
A. 1.
'®) Aisch. Eum. 1006, wo schon der
Ausdruck a(pdyta dies beweist. (Vgl. Her-
mes XXI 317 ff.), Istros im Schol zu Soph.
Oid. Kol. 42: oXoxavrijaayri'.
»>) Aisch. Eum. 835.
»^) Paus. II 11, 4.
*^) Paus. Vin 34 2.
^*) Soph. Oid. KoL 100; Aisch. Eum. 107.
Vgl. Jahrb. f. PhU. 1887 S. 651 Anm. 7 u.
653 Anm. 17.
'^) Schol. Soph. Oid. Kol. 155; Eustath.
z. Od. X 519. Stengel im Philol. 1880 S. 379
und in d. Jahrb. f. Phü. 1887 S. 653.
**) Porphyr. De antro Nymph. 18. Vgl.
die Inschrift von Kos im Jonm. of Hell. Stud.
IX 8. 334, wo neben dem Speiseopfer ein
Schwein ganz verbrannt zu sein scheint
{\x]aQ7rtovn rov fjiev /ofl^o»»]), und demnach
sowohl otyog xBxqttfiivog wie fieXixQaroy ge-
spendet wird.
'^) Aisch. Eum. 727 ff.
»«) Paus. III 14, 9; Plut. Qoaest. rem.
52. 68. 111, Aristoph. nach dem Schol. zu
Theokr. id. II 12; Schol. zu Aristoph. Pax
277: Lykophr. Kass. 77 mit Schol.; Suid.
u. KttQtxoy Ovfitt; Erasmus. Adag. p. 221 u.
Carica victima.
8. EnltaBhandlimgen. (§ 72).
87
um die sie sich dann nicht weiter kümmerten. Arme Leute kamen und
holten sie sich heim.^) In Aigina soll sie vor allen andern Göttern ver-
ehrt worden sein.*) — Persephone ist dem Mythos entsprechend, der sie nur
einen Teil des Jahres im Hades zubringen lässt, nicht ausschliesslich Göttin
der Unterwelt und ist namentlich im Kultus so unzertrennlich mit der Mutter
verbunden, dass die ihr gebrachten Opfer sich von denen der Demeter
nicht unterscheiden. Dagegen zeigen durchaus chthonischen Charakter die
Opfer, welche die Windgottheiten empfangen.') Dem Typhon wird ein
schwarzes Lamm geopfert,*) dem Boreas schlachtet Xenophon cr^ay««,'»)
und in Titane bei Sikyon bringt ein Priester den Winden alljährlich in
einer Nacht geheimnisvolle Opfer dar.^) — Nun kann aber jeder Gott
einen chthonischen Charakter annehmen, sei es dass die Vorstellung des
Menschen, der ihm seine Verehrung bezeugen will und ihm mit Gebet und
Opfer naht, diesen auf ihn überträgt, sei es dass ein vereinzelter alt-
hergebrachter Kultus ihn bewahrt hat und festhält. Zeus wird sehr ge-
wöhnlich als Chthonios ^) angerufen und verehrt, der Gott des Weines und
der ausgelassenen Festfreude, Dionysos, steht der Unterwelt so nahe, wie
kaum ein anderer,®) ja selbst ApoUon empfangt Opfer wie die Unter-
irdischen;^) ebenso Hermes, Demeter, Poseidon, Artemis und andere. Man
kann da nicht mehr scheiden zwischen Opfern, die diesen Gottheiten zum
Zeichen der Verehrung dargebracht werden und die dann eben nur des-
wegen nicht Speiseopfer sind, weil sie chthonischen Göttern geweiht
werden, und zwischen eigentlichen Sühnopfern. Die Veranlassung beider
ist dieselbe: das Gefühl der Angst, die dunkle Empfindung, man müsse den
erzürnten oder seiner Natur nach dem leicht lebenden Menschengeschlecht
immer abholden Gott versöhnen; und die Ausführung beider ist dieselbe:
das völlige Hingeben des Opfers, an dessen Genuss teilzunehmen man ein
Grauen empfindet. Mag man ein Opfer, wie es die Inschrift von Thera
CIG. 1464 oder die attische CIA. III 77 anordnet, für ein chthonischen
Gottheiten zu Ehren dargebrachtes erklären, und ein anderes (Kaibel Epigr.
gr. 1034), welches das Orakel den Bürgern einer Stadt zur Abwendung
der Seuche dem ApoUon und der Artemis zu veranstalten befiehlt, für ein
Sühnopfer, ganz sicher wird die Entscheidung selbst in diesen einfach lie-
genden Fällen nicht sein, und in vielen andern muss sie vollends ungewiss
bleiben, weil die Opfernden offenbar selbst eine solche Scheidung nicht vor-
genommen und sich nicht darüber klar zu werden versucht haben.
72. Die Sühnopfer *^) sind ebensowenig wie die Sühn- und Reinigungs-
ceremonien, die man mit einem Schuldbefieckten vornahm, ursprünglich grie-
') Schol. zu Arisioph. Flut. 594 und
mehr bei Stengel in den Symbol. Joach.
Berlin 1880 1 167. Pbeller-Robert Gr. Myth.
I 225
2) Paus. II 30, 2.
*) Vgl. Stengel: D. Opfer der Hell, an
die Winde im Hermes XVI 846 ff.
*) Aristoph. Ran. 847 f.
^) Anab. IV 5, 4. Der Ausdruck wird
niemals von Speiseopfern gebraucht.
*) Paus. II 12, 1.
^) Z. B. DiTTENBERGER Syll. 373.
") Prelleb Gr. Myth.' I 564 ff.
«) Paus. Vni 38, 6; II 24, 1.
^®) Vgl. V. Lasaülx Sühnopfer der Grie-
chen u. Römer in d. Akad. Abhandig. WOrzb.
1844 S. 236 ff. DoNALDSON in d. Transactions
of Edinburgh. 1876 S. 432 ff. Schmidt Die
Opfer in der Jahvereligion und im Poly-
theismus Dies. Halle 1877 S. 40 ff. Stengel
in d. Jahrb. f. Phil. 1883 S. 361 ff.
g8 A. Die grieohischen EnltaBaliertttmer.
chisch. Der Begriff der Sündhaftigkeit ist noch den homerischen Helden völlig
fremd, und ein Sühnopfer wäre ihnen und ihren Göttern gleich unverständlich.^)
Wann diese eingeführt sind, ist nicht leicht zu sagen. Allgemeiner üblich
geworden sind sie wohl erst in der freud- und hoffnungslosen Zeit, in der
auch die Mysterien sich entwickelten. — Sie sind etwas ganz anderes als
die vordem üblichen Opfer: kein Mahl, sondern eine freiwillige Entäusserung
eines werten Gutes, durch dessen Hingabe und Vernichtung man ein Ver-
gehen gegen einen Gott wieder gut zu machen meint und ihn zu bewegen
sucht, die gefürchtete Strafe nicht zu verhängen oder gnädig damit ein-
zuhalten. Ganz besonders aber werden sie dargebracht, wenn man sich
zu einer gefahrvollen Unternehmung anschickt; man hofft so dem drohenden
Verderben zu entgehen und den Erfolg zu erlangen, ohne den Neid der
Gottheit zu wecken. Eine Gabe zum Genuss für die Himmlischen sind
diese Opfer ebensowenig wie jener Ring, den Polykrates — nicht in ein
Heiligtum stiftete, sondern ins Meer warf. Sie sind Präventivmittel, und
die Bezeichnung Bussopfer wäre vielleicht richtiger als Sühnopfer.
Ob nun wirklich gleich die ersten Sühnopfer Menschen waren? Ob
man nur durch Vernichtung eines Menschenlebens den erzürnten Gott be-
schwichtigen und versöhnen zu können vermeinte? Doch sicherlich wohl
nur dann, wenn man das eigene Leben verwirkt zu haben glaubte. Und
nicht jede Schuld, nicht jedes Glück braucht so schwer gebüsst zu werden,
nicht jede Gefahr droht den Tod. In unzähligen Fällen hat man gewiss
von Anfang an geglaubt, mit einem andern Opfer auszukommen; nur wo
man wirklich um sein Leben bangte und im Begriff stand, es um Gewinn
oder für Vaterland und Besitz in die Schanze zu schlagen, wird ein solches
Opfer für notwendig gehalten sein, und nur aus diesem Grunde, nicht weil
sie einer barbarischen Zeit angehören, werden die ersten Opfer, die man als
Sühnopfer ansehen muss, — und von ihnen berichtet bereits das Epos — -
Menschen gewesen sein. — Die Entscheidung, ob ein Opfer zu den Sühn-
opfern zu rechnen ist, wird in vielen Fällen auch dadurch erschwert, dass
die Eigentümlichkeiten der Opferhandlung nicht geschildert oder auch nur
angedeutet werden, und dass meist nur die Schriftsteller der besten Zeit')
die technischen Ausdrücke, die auf den Charakter des Opfers schliessen
lassen, streng richtig anwenden. Unzweifelhaft haben wir es mit Sühn-
opfern zu thun, wo Menschen geopfert werden, und mit diesen wollen wir
uns daher zuerst beschäftigen.^)
73. Die homerische Zeit kennt wie kein anderes Sühnopfer so auch
Menschenopfer noch nicht, denn die von Achilleus aus Rache und dem
gefallenen Freunde zur Genugthuung geschlachteten Troer (^ 175) sind
als solche natürlich nicht anzusehen. Doch sagten wir schon, dass sie viel
jünger nicht sein können, da bereits aus dem alten epischen Sagenkreise,
der im ganzen derselben Zeit angehören wird, wie die homerischen Ge-
^) A 314 ist von keinem solchen die ^) Litterat ur: Hermann G. A.* § 21,
Rede, vgl. Donaldson a. a. 0. S. 433 und Schoemann, Gr. A.' II 250 flf., Donaldson a.
Stengel a. a. 0. S. 309 Anm. 31. | a. 0. S. 455 ff., der sie überhaupt für die
'') Vor allen Xenophon, dann namentlich I Griechen leugnet, Stengel a. a. 0. 362 ff.
auch Herodot, Thukydides und die Tragiker. ,
8. Kultnahandlimgeii. (§ 73.) 89
sänge, die Stimmen herüberklingen, die von ihnen zu erzählen wissen.
— Der König rouss sein ältestes Kind opfern, ehe die gefahrliche See-
fahrt von Aulis angetreten wird,^ und Polyxene muss als Sühnopfer bluten,
ehe man sich auf die Heimfahrt begibt.^) Schon die Alten haben diese
mythischen Menschenopfer in diesem Sinne aufgefasst. Aischylos nennt
Iphigeneia ein „windstillendes Opfer**') und „ein Beschwichtigungsmittel
thrakischer Stürme**,'^) und Euripides lässt den Neoptolemos unzweideutig
aussprechen, dass der Zweck der Opferung Polyxenes sei, günstige Winde
für die Heimfahrt zu erlangen.^) Dass aber auch später vor Beginn grös-
serer Seefahrten solche Opfer dargebracht wurden, scheint aus Aisch. Ag.
146 ff. hervorzugehen. Wenn es sicher ist — und es zweifelt ja wohl
kaum jemand daran — , dass die Hellenen die Menschenopfer von den
Orientalen angenommen haben, so ist nichts wahrscheinlicher, als dass
man sie bei solchen Anlässen zuerst von Phoinikern hat vollziehen sehen.
War es bei ihnen doch sogar Sitte, unter den vom Stapel laufenden
Schüfen, um sie gegen Gefahren zu feien, Menschen zu zerquetschen.*^)
So soll denn auch Menelaos, als er, nach Ägypten verschlagen, durch
widrige Winde oder Windstille festgehalten wird, ägyptische Kinder ge-
opfert haben, ^) und als Agesilaos sich in Aulis zum Feldzuge gegen die
Perser einschiffen will, verlangt ein Traumgesicht von ihm, dass er ein
Menschenopfer bringe; doch schlachtet er in Erinnerung an Iphigeneias
Opferung nur eine Hindin.^)
Sodann hat man Menschen bei dem Beginn eines Feldzuges oder
vor einer Schlacht geopfert. Sage wie Geschichte liefern Beispiele. Als
in den Herakleiden des Euripides (405 ff.) Demophon sich gegen die
Argeier rüstet und vorher die Xoyia naXmä rf.de yfj aoivrjQia erkundet,
lauten sie verschieden, aber in einem stimmen alle überein: man müsse
eine Jungfi-au schlachten. Als Theben von den Sieben belagert wird, er-
klärt Teiresias, es gebe nur ein Mittel, die Stadt zu retten: Kreon müsse
seinen Sohn opfern; und der Sturm wird abgeschlagen, als der Knabe sich
wirklich das Schwert in den Hals gestossen.^) Erechtheus erhält das
Orakel, dass er siegen werde, wenn er eine seiner Töchter opfere,*^) Leos
opfert alle drei,*') und Kodros rettet sein Volk, indem er durch Hingäbe
seines Lebens selbst die Bedingung erfüllt, an die der Gott den Sieg ge-
knüpft hat.^') Als die Schlacht bei Salamis beginnen soll, zwingt man den
Themistokles, drei gefangene Perser zu opfern,*'*) vor der Schlacht bei
^) Stasinoe in den Eypria, Welckeb | ^) Herod. II 119. Damit zu vergl. (f
Ep. Cycl. II 101. Damit zu vergleichen B 360 flF., 582.
303 ff., / 145 u. Lbhrs Aristarch» 176
^) Arktinos in der Jliapersis bei Wel
CKEB a. a. 0. 185, 229, 523. Vgl. damit y
8) Flut. Ages. 6. Vgl. Xen. Hell. III
5, 3.
») Eur. Phoin. 890 ff., Apoll. Bibl. III
130 ff. und 8. Stbkoel in d. Jahrb. f. Phil. \ 6, 7.
1883 S. 367 f. Anm. 28. »«) Apollod. Bibl. III 15, 4; Eur. frgm.
") navffayefjiog &vüia Ag. 214.
*) intodog Bgijxlttiv arifjLÜxtov Ag. 1418.
*) Hek. 536 ff., vgl. 900 f., 1289 f.,
auch Ovid. met. XII 439 f. und Verg. Aen.
Erechth 359; Demosth. Epitaph. 27; Suid.
u. TtttQ&eyoi,
^^) Photius u. XeuxoQioy aus Phanode-
mos; Ail. Var. bist. XII 28.
II 116. I >-') Lykurg, g. Leokr. § 20 p. 86 f. Vgl.
•) Valer. Max. IX 2. Vgl. Gaidoz in d. auch Herod. VII 220 u. Xen. Hell. 1 14, 18 f.
Revue arch^l. VIII (1886) S. 192 f. >=») Piut. Them. 13, Aristid. 9, Pelop. 21.
90 A. Die griechischen EnltaBaliertümer.
Leuktra wird von Pelopidas ein Menschenopfer verlangt, und nur das zu-
fällige Erscheinen eines blonden Füllens und die Geistesgegenwart eines
menschlichen Sehers ersparen dem Feldherrn die traurige Pflicht; das
schreckliche Jungfrauenopfer aber des verzweifelten Messenierhelden wird
wohl wirklich stattgefunden haben. ^) Am häufigsten sind Menschenopfer
gebracht worden, wenn eine Seuche das Land verheerte, oder Hungersnot
es heimsuchte. Epimenides soll bei der Reinigung Athens einen Jüngling
geopfert haben, 3) in Sparta und in Syrakus wird bei ähnlicher Veranlassung
eine Jungfrau gefordert,'^) und dass man auch sonst bei solchen Gelegen-
heiten, wie bei andern grossen Unglücksfällen, die das Volk trafen, zu
Menschenopfern seine Zuflucht nahm, wird uns mehrfach überliefert.^) Alle
diese Opfer werden also gebracht vor einer wichtigen Entscheidung^) oder
in gefahrvoller Lage, besonders dann, wenn das Leben vieler aufs Spiel
gesetzt werden soll oder bedroht ist, und die Götter werden angefleht, es
sich genügen zu lassen an diesem einen ihnen freiwillig hingegebenen Leben
und die andern zu schonen.^) Aber freiwillig muss nicht nur die Gabe
derer sein, die einen aus ihrer Mitte zum Altar schleppen: auch dieser
selbst muss sich zum Tode bereit erklären. Galt es schon für ein un-
günstiges Zeichen, wenn ein Schlachttier widerstrebend zur Opferstatte
gezogen werden musste, so war dies hier in erhöhtem Masse der Fall.*)
Doch auch abgesehen von solchen ausserordentlichen Gelegenheiten fanden
Menschenopfer statt. So wurden an den Lykaien, einem Fest, das dem
Zeus Lykaios in Arkadien gefeiert ward, noch im zweiten Jahrhundert
nach Chr. Menschen geopfert,^) und auch in Rhodos soll Kronos^^) alljähr-
lich ein solches Opfer empfangen haben. Freilich nahm man hierzu einen
todeswürdigen Verbrecher.^*) In Leukas wurde dem Apollon, der ja vor
allen andern Kad-aQttiog^ Sühngott, ist, an dem ihm jährlich gefeierten
Feste ein Mensch (negiipruia^ eigentlich Reinigungsmittel) von den steilen
Felsen des Vorgebirges ins Meer gestürzt. Blieb er am Leben, so nahmen
bereitstehende Kähne ihn auf und schafften ihn über die Grenze. ^^) Ja in
Athen sollen am Thargelienfeste alljährlich zwei Menschen {g>aQfiaxoi oder
xa&dgfiaza) zur Sühne für die Übrigen und zur Reinigung der Stadt ge-
schlachtet worden sein.* 3) Sicher ist, dass in lonien im 6. Jahrhundert an
den Thargelien Menschen geopfert worden sind.*^)
') Plut. Pel. 20 f. I und Verg. Aen. V 815: unum pro muUis
') Paus. IV 9, 2 u. 5; vgl. Plut. Parall.
XX p. 310 D.
3) Vgl. unten S. 108 f.
*) Plut. Parall. 35 p. 314 C, XIX p.
310 B; Jo. Lydius De mens. p. 113.
'-) Schol. Arist. Equ. 113(3, Plut. 454,
Kan. 730 ; Helladios in Phot. Bibl. 279 p. 534,
Tzetz. Chil. V 726 IF.
«) Athenaios XI 15 p. 466 C erzählt,
dass auch bei der Gründung von Methymna
ddbüur caput u. s. w.
») Vgl. Eur. Herakl. 550 f. ; Athen. XIII
78 p. 602 ; Eur. Phoin. 890 u. s. w.
») Paus. VIII 8, 7 3; vgl. Bernays Theo-
phr. 189 und Welckeb El. Sehr. III 160 ff.
^^) Üb^ d. Bedeutung dieses Gottes vgl.
Rhein. Mus. XIX 632 u. Stengel a. a. 0.
S. 363.
''} Porph. De abst. II 54.
»«) Strabo X 452.
eine Jungfrau ins Meer versenkt worden sei. *^) Harpokr. u. tpagfiaxog. Vgl. darüber
Vgl. Plut. Sept. sap. conv. 20. , Stengel im Hermes XXII 86 ff. u. 647 A. 1
') Dies ist z. B. aus Eur. El. 1024 ff. und dagegen Töppfer Rhein. Mu«. 1888
zu entnehmen, und Philon bei Euseb. Praep. | S. 142 ff.
ev. IV 16 p. 156 D bezeugt es ausdrücklich. : *^) Hipponax frgm. bei Bbrok P. L'
Vgl. auch Plut. De def. orac. 14 p. 417 C | S. 475.
3. EnltoBhandliuigen. (§ 74.)
91
Auch sonst kamen gewiss ab und zu Menschenopfer vor,*) aber ge-
wöhnlich sind sie in Griechenland nie gewesen. Man hat sie leider bisweilen
für notwendig gehalten, doch stets als etwas Grässliches und dem Hellenen-
tum eigentlich Fremdes empfunden. [Aischylos^) nennt das Menschenopfer
arofiog^ dem Pelopidas und seinem Heer erscheint es naQavofiog und ßccQ-
ßuQog^) und Pausanias^) nennt es eine ^ävr] d-vaCa,^)
74. So wundern wir uns denn auch nicht, dass wir häufig Opfern
und Gebräuchen begegnen, die offenbar — und meist fügen die alten
Schriftsteller dies selbst hinzu — an die Stelle eines früheren Menschen-
opfers getreten sind.ß) Vor allem im Kult der Artemis.') Schon früh er-
zählte die Sage, dass die Göttin in Aulis für Iphigeneia eine Hindin unter-
geschoben habe.^) Auch in Achaja, wo ihr in alter Zeit alljährlich ein
Jüngling und eine Jungfrau zum Opfer gefallen sein sollen, sind, wie uns
überliefert wird, diese Opfer bald eingestellt.^) Eine andere Sage lässt
den Herakles eine Ziege wie eine Jungfrau schmücken und sie statt der
Tochter zum Altar der Artemis Munichia führen,*") und eine Spur von
einstmals ihr dargebrachten Menschenopfern werden wir auch in der Geis-
seiung der Knaben am Altar der Artemis 'OgO^ia in Sparta erblicken, die
öfters, auch in historischer Zeit, den Tod eines Knaben zur Folge
hatte. ^0 Auch Dionysos* 2) verzichtete bald auf Menschenopfer. In Potniai
in Boiotien soll er selbst eine Ziege untergeschoben und sich in der Folge
mit diesem Opfer begnügt haben;* 3) in Tenedos nährte man ihm eine
trächtige Kuh, und wenn sie geboren hatte, pflegte man sie wie eine
Wöchnerin, und dem Kalbe legte man Schuhe an und führte es gleich
einem Menschenkinde zum Altar, der Priester aber, der es schlachtete,
wurde mit Steinen beworfen und musste fliehen bis an das Meer.*^) Aber
nicht bloss in den Kulten mit regelmässig wiederkehrenden Opfern wurde
man menschlicher, auch in den anderen Fällen, wo in alter Zeit Menschen-
opfer dargebracht worden waren, müssen die Götter sich bald mit Tieren
begnügen. Vor allem im Felde. Vor Schlachten,»'») gefährlichen Märschen,
namentlich Flussübergängen *^) und sonstigen wichtigen Entscheidungen, wie
sie ein Feldzug mit sich bringt,*') brachte man jetzt die (f^üyia dar, Sühn-
und Weissageopfer zugleich.*^) Die Lakedaimonier nehmen, wenn sie ins
») Vgl. z. B. Herod. VII 197, IX 119
und besondere Porph. De abst. II 54 f.
2) Ag. 149.
») Plnt. Pelop. 21.
*) VII 19, 3.
*) Vgl. auch Eur. Iph. Taur. 465.
*) Vgl. Servius zu Verg. Aen. II 116:
sciendum, in sacrts simulata pro veris accipi.
') Der «SchlächteriD*, Robebt in Pbkl-
LKES Gr. Myth.* I 296 f. A. 2.
«) Vgl. Stbkoel, a. a. 0. 366 f. Anm. 24.
Eur. Ipb. Taur. 1458 ff. Aischylos sagt von
einer Errettung Iphigeneias nichts. Vgl. v.
WiLAMowrrz im Hermes XVIII 259.
») Paus. VII 19. 2 f.
^**) Paroimiogr. gr. I p. 402.
»•) Paus. III 16, 7. Vgl. SCHOEMANN
Gr. A.» I 273, II 255; Pbelleb-Robbbt Gr.
Myth. I S. 308. S. auch Eurip. Iph. Taur-
1458 ff. und Bbbnays Theophr. S. 117.
**) (ofÄTjffxijgy (üfiddiog. Vgl. Pbellbb
Gr. Myth.» I 569 ff. Schoemann Gr. A. II 251
u. s. Paus. VII 21, 1.
»3) Paus. IX 8, 1.
'*) All. De nat anim. XII 34. - - Vgl.
ferner Schoemann Gr. A. II 500 f., 515 f.
Pbelleb-Robebt Gr. M^th. I, 170 Anm. 2.
Dabembebo et Saolio Dict. u. Agrionia 1 167.
") Herod. VI 112, IX 45; Xen. Anab.
I 8, 15 u. s. w.
>«) Xen. Anab. IV 3, 18; Aisch. Sept. 378.
'') Vgl. z B. Herod. VI 76.
'®) Stengel im Hermes XXI 308. —
Der Ausdruck ist für Menschenopfer so ge-
wöhnlich (Eur. Hek. 111, 121; Ion. 278;
Or. 658 u. s. w.), dass bei den Tragikern
92
A. Die griechischen Eultasaliertümer.
Feld ziehen, (f^ayia nrntoTa mit,^) und wenn sie den Feind zu Gesicht be-
kommen, (X(fayia^€Tai x'i^ai^of,*) und zwar wird diese Ziege der Artemis
'Ayqoxäqa geopfert,^) die sie auch sonst mit Enyalios zusammen verehren.*)
75. Von den andern Sühnopfern müssen zunächst geschieden
werden die Opfer, welche man bei der Reinigung Schuldbefleckter
schlachtete,'») so ähnlich sie auch auf den ersten Blick einem Sühnopfer
sehen mögen. Dort hat das Opfer nicht den Zweck, die Götter zu ver-
söhnen, sondern das Blut soll die Befleckung aufsaugen und durch seine
reinigende Kraft tilgen, und statt des Blutes können auch andere Mittel
mit demselben Erfolge angewandt werden: hier soll der Zorn der Gatter
dadurch, dass man ihnen ein Leben hingibt, versöhnt werden. Wer
Reinigungsopfer bringt, oder richtiger sie durch einen andern für sich
bringen lässt, hat sich durch ein bestimmtes Vergehen befleckt, Sühn-
opfer bringt der, welcher mit einer Schuld behaftet zu sein fürchtet.*)
Schwieriger ist es, wie gesagt, einen Unterschied zwischen eigentlichen
Sühnopfern und Opfern an chthonische Gottheiten zu machen. Besser zu
den ersten rechnet man wohl alle die Opfer, welche Zeus Meilichios^)
empfing,**) ein euphemistischer Beiname, der auch auf andere Götter^) und
mehr appellativ auf xhfoi überhaupt übertragen wird. Ein ihnen von den
Phokern dargebrachtes Sühnopfer schildert Pausanias (X 38, 4), aber bisweilen
werden auch sie einfach mit chthonischen Gottheiten identifiziert.^®) Sodann
empfängt Apollon, welcher ja früh schon zum Ka&ccQaiog xat i^oxr^v ge-
worden ist, Sühnopfer. In Athen werden ihm die Thargelien gefeiert, in
Argos soll man ihm Wölfe geopfert haben,**) und es gab wohl keinen
Ort in Griechenland, wo ihm nicht Sühnopfer gebracht wurden. **) Als
Sühnopfer sind auch die Hunde anzusehen, welche die spartanischen Epheben
dem Enyalios oder Ares opfern.* 3) Ferner sind dahin au rechnen die eigen-
tümlichen grossen Wild- und Geflügelopfer, die Artemis Laphria in
Patrai empfängt,**) und das ganz ähnliche Opfer, das derselben Göttin
in Messene dargebracht wird.*^) Die Tiere werden lebendig in die Flammen
öfters ein wie ein Opfeiüer wehrlos hinge-
schlachteter Mensch atpayiov heisst, auch
wo von einem Opfer gar nicht die Rede ist
(z. B. Eur. Or. 842, 1614). Von Tieren wird
atfdyiov in dieser abgeschwächten Bedeutung
nie gesagt.
1) Xen. Resp. Lac. XIII 3; Paus. IX
13 2.
2) Xen. Resp. Lac. XIII 8.
5) Xen. Hell. IV 2. 2; Plut. Lyk. 22.
^) Poll. VIII 91. — Nach Paus. III
19, 9; Plut. Quaest. rom. 111 (vgl. Porph. De
abst. II 58) haben die spartanischen Epheben
auch diesem Gotte Menschenopfer darge-
bracht. Die Ziege wird aber für den Menschen
namentlich in Artemiskulten substituiert. Vgl.
auch Aisch. Ag. 232, wo Iphigeneia /(/lat^er;
dixrjv geopfert wird.
5) Vgl. unten S. 111 f.
«) Vgl. Aisch. Eum. 281 flf. 448ff.,Choeph.
1059 f.
^) Schon Herodot (I 44) nennt Zeus
xa&aQfftos. Eine ähnliche Bedeutung hat der
Beiname ^vxdaiog. Vgl. Eustath. zur Od.
17 116 p. 1572.
») Xen. Anab. VII 8, 5. Vgl. Paus. II
20, 1 u. Stengel a. a. 0. S. 370 f.
9) Z. B..auf Dionysos Athen. 11 p. 78 C,
vgl. Soph. Ant. 1143; Aphrodite Antnol. gr.
V 226 u. s. w.
»0) Z. B. Kaibel Epigr. gr. 158.
^•) Schol. zu Soph. El. 6, vgl. Hesych.
u. XvxoxToyog,
>2) Vgl. Paus. II 24, 1; VIII 38. 6; III
13, 3; CIG. 1688; Plut. Quaest. gr. 3. — Aber
auch anderen Göttern bringt man diese Opfer,
um ihren Zorn abzuwenden (anoTQonaia):
dem Hermes Paus. V, 1, 15; dem Asklepios
Artemid. Oneir. V p. 264, 66 ; den »soi ano-
TQonaiov überhaupt Paus. II 11, 2.
") Paus. III 14, 9; Plut. Quaest. rom. 111.
'*) Paus. VII 18, 7.
»*) Paus. IV 31, 7.
d. EultiiBhaiidlimgen. (§ 75.) 93
getrieben. Die wilde Lust an der Vernichtung des Lebenden, die dieser
Göttin nach der Auffassung vieler Stämme eigentümlich ist, spricht sich
auch in solchen Opfern aus.
Gegessen wurde natürlich von keinem Sühnopfer etwas, ^) denn das
Opfertier oder der geopferte Mensch war fluchbeladen.*^) — Unblutige Opfer
sind hier unstatthaft. Die Situation, in der man die ag^dyia bringt, ist
derartig, dass der Glaube begreiflich ist, nur das Opfer eines Lebenden
sei ein Äquivalent für das zwar nicht verfallene, aber doch gefährdete
eigene Leben, und in den andern Fällen werden die Götter so finster oder
geradezu so grausam und an Zerstörung sich erfreuend gedacht, dass man
ihnen auch nur mit Blutopfem zu nahen wagte. Ob diese aber überall
ein Menschenopfer vertreten sollten, ist, wie wir schon bemerkten,
eine andere Frage. Sicher ist, dass nicht der Leib, wie bei den Speise-
opfem, sondern das Leben des Tieres bei allen Sühnopfem die Hauptsache
ist, und eben deshalb finden wir auch bei Sühnopfern so auffallend viele
nicht essbare Tiere angewandt.^) Gerade dies beweist auch der Brauch
an dem Sühnfest der Diasien, dass der Arme, welcher kein Tier besitzt,
wenn er ausser den blutigen Opfern, die der Staat für alle darbringt, noch
eines für sich besonders opfern will, dem Backwerk, das er in die Flamme
wirft, die Gestalt von Tieren geben muss. Ebenso ist in dem Charakter
der Opfer eine andere Eigentümlichkeit, durch die sie sich vor allen übrigen
auszeichnen, begründet: es fehlen bei ihnen die Spenden.*) — Was schliess-
lich die Opferhandlung selbst angeht, so haben wir schon gesehen, dass
in einzelnen Fällen die Tiere lebendig verbrannt wurden, bei weitem am
häufigsten wurden sie, wie auch die Menschen, geschlachtet und dann ver-
brannt^) oder auf andere Art vernichtet.^) Die Art und Weise des Schlach-
tens ist dieselbe wie bei allen Tieren, die nicht den himmlischen Göttern
als Speiseopfer dargebracht werden, wie die Anwendung des Ausdrucks
dvrefAvetv zeigt; ^) man schneidet den Tieren den Hals durch ^) und lässt
das Blut von der Erde aufsaugen.^) Bisweilen finden wir das charakte-
ristische tXdaxeax^at gesagt. ^^)
^) Schon deshalb darf man ein Kosten i wenn dazu noch Zeit ist. S. Hermes XX [
des Menschenfleisches nicht annehmen (vgl. | 310 f. Kaibel Epigr. gr. 1034 werden die
V. Lasaulx a. a. 0. S. 23 ; Starck bei Heb- Spenden andern Gottheit«n dargebracht als
MAurs G. A.'^ § 27 Anm. 3; auch Dümiiler die Tiere.
im Rhein. Mus. 1887 S. 196) trotz einiger ent- ; *) Eupolis Dem. Frgm. 120 Kock.
gegenstehender Sagen, die sich auf den Kult j Tzetz. Chi]. V 726 ff. — Bildliche Darstel-
des Lykaischen Zeus beziehen. Vgl. Welcker i lung eines Opfers für Artemis Agrotera bei
Kl. Sehr. III S. 163 ff. 1 Th. Scdreiber Kulturhistor. Atlas Leipzig
«) Vgl. besonders Porph. De abst. II 44. 1888 Taf. XV n. 16.
«) Paus. VIII 38, 6; X 38, 4.
') Herod. II 119, VIT 191 ; Arrian. Ind.
20 u. 8. w. Latein.: caedere, z. B. Verg.
Aen. V 772.
^) Schol. zu Apoll. Rhod. Arg. I 587 u.
Stengel in der Ztschr. f. d. Gw. 1880 S.
737 ff.
^) Kaibel Epigr. gr. 1034 u. s. w.
10) Z. ß. Paus. III 13, 3; Herod. VII
178. Vgl. placare bei Verg. Aen. II 116.
') Vgl. auch Hesych. u. äyefioSxag und
Ijactant. De falsa rel. 1 21.
*) S. Stengel im Hermes XXII 645 ff.
— Arrian Anab. VI 19, 5 findet ausser dem
Schlachten {irtparr eivhiernicht ganz genau für
ctpayid^Btf^M: vgl. Herodot. VI 76) der Stiere,
die ins Meer versenkt werden, noch eine ^vaiu
statt, bei der auch gespendet wird. Über
Ähnliche Doppelopfer vgl. Stengel Jahrb. f.
Phil. 1883 S. 375 f. Anm. 47. Neben den
Cfftiyitt werden immer Uqu dargebracht,
94 •^* I^io grieohisohen EnltoBaltertümer.
76. Wir schliessen hier die Opfer an, welche Meeres- und Fluss-
gottheiten in die Fluten versenkt zu werden pflegen.*) Es geschieht dies
nicht mit allen Opfern, die diesen Gottheiten dargebracht werden. Wie
das Meer und die Ströme des gebirgigen Landes bald finster grollend und
voll wilder Zerstörungswut, bald heiter lächelnd und Segen spendend er-
scheinen, so die Gottheiten selber, und so bringt man denn einerseits dem
Poseidon an Altären frohe Speiseopfer dar,*) ebenso dem Spercheios,*) dem
Alpheios,*) dem Kladeos,"^) und vor allen dem Acheloos, dem einzigen Strom
Griechenlands, der allgemein und nicht bloss von den Anwohnern verehrt
wird,*') andrerseits versenkt man auch Tiere und andere Opfer in ihrer
Tiefe, und diese dürfen dann nur als Sühnopfer aufgefasst werden. Das
erste derartige Opfer wird bereits von den Troern dem Skamandros dar-
gebracht ((P 132); sie stürzen ihm lebende Rosse ins Wasser. Aber es
sind eben Barbaren, die dies Opfer, dessen Seltsamkeit dem Achilleus auf-
fallt, vollziehen.') In späterer Zeit finden wir ähnliche Opfer jedoch auch
bei den Griechen. Zwar haben sie den Flussgöttern niemals Pferde und
vielleicht überhaupt keine Tiere in die Fluten geworfen,*) aber doch un-
blutige Opfergaben, 9) und dem Poseidon sind Rosse und Stiere oft genug
in die Wogen gestürzt worden, wenn auch nicht immer lebend. Alexan-
der schlachtet ihm, an der Mündung des Indos angelangt, Stiere und wirft
sie ins Meer.^^) Das Blut wird man dabei in einer Schale aufgefangen
und dann ebenfalls ins Wasser gegossen haben. ^^) Mithridates stürzt vor
dem Beginn des Krieges gegen die Römer dem Poseidon ein Gespann
weisser Rosse in 's Meer,**) ebenso Sextus Pompeius,*^) und ^in ähnliches
Opfer bringen ihm die Argeier. ^*) Stiere und andere Opfertiere werden
auch der Demeter und der Persephone von den Syrakusiem alljährlich in
die Quelle Kyane versenkt, die aufgeschossen sein soll, als Hades hier
die Erde spaltete, um mit der geraubten Köre in der Unterwelt zu ver-
schwinden. *5)
77. Den Sühnopfern nahe verwandt sind die Eidopfer.*«)
Ausführliche Schilderungen davon finden wir schon bei Homer. T253 ff.
schlachtet Agamemnon einen Eber, den er nachher ins Meer werfen lässt
') Vgl. Stengel in d. Jahrb. fDr Phil.
1882 S. 733 flf. und im Philo!. 1879 S. 182 ff.
2) Od. r Qn., a 25; Eur. Hei. 1584;
Aristoph. Av. 566 u. s. w.
3) II. «/M46ff.
>«) Aman. Anab. VI 19, 5.
>») Vgl. Athen. VI 261 D.
'*) Appian Bell. Mithr. 70 p. 480.
") Cass. Dio XLVIII 48.
1*) Paus. VIII 7, 2. Vgl. EustÄth. zu II.
*) A 227; Paus. V 14, 5. | * 131 p. 1227 u. zu ^' 148 p. 1298.
»5) Diod. V 4 und IV 28. Hierhin ge-
5) Paus. V 10, 2.
«) Ephoros Frgm. 27 M., cf. Röhl IGA.
104, DiTTENBERGER Syll. 373, 38. Köhler Mitt.
des aich. Inst, zu Athen 1885 S. 282, Piaton
Phaidr. 230 ß und 263 D, Paus. I 34, 2;
I 41, 2. S. auch Koscher Myth. Lex. S. 7 f.
u. V. WiLAMowiTz Eurip. Herakl. I 272.
') Vgl. ScHOEMANN Gr. A.» 11 232, Sten-
gel Jahrb. f. Phil. 1882 S. 734.
^) a(f((TTsiy oder ^veiy eig Toy noxttfiov
bedeutet nur, dass man das Blut statt auf
den Altar ins Wasser strömen lässt. Vgl.
DiTTENBERGER Syll. 373, 37.
^J Paus. X 8, 5.
hört auch der ganz ähnliche Brauch der
athenischen Thesmophoriazusen, den chthoni-
sehen Gottheiten lebende Ferkel in tiefe
Gruben zu stürzen (Schol. zu Luk. Dial. mer.
II 1 im Rhein. Mus. XXV 549). Auch dies ist
ein Sahnopfer. Dagegen sind die Pferde-
opfer für Helios nicht hierher zu rechnen.
Sie sind entschieden ungriechisch. Vgl.
Herod. I 131 ; Xen. Anab. IV 5, 35; Strabo
XI 513 und mehr bei Stekgel im Philol.
1879 S 183
»«) S. Stengel in d. Jahrb. f. Phil. 1883
S. 376 ff.
3. EnltoBliandliingen. (§ ?G- 77.)
95
Beim Beginn des Opfers hat er dem Tier einige Haare abgeschnitten, die
er das Gebet sprechend offenbar in der erhobenen Hand behält, r 103
bringen Griechen und Troer Lämmer zum Opfer; dem obersten der Götter,
Zeus, und dem allsehenden Helios wird je ein männliches geschlachtet, der
Gaia ein weibliches. Auch ihnen wird (271 flf.) Haar oder Wolle abge-
schnitten und den vornehmsten Griechen und Troern in die Hand ge-
geben, um sie zu verantwortlichen Teilnehmern des Eides zu machen.')
Die geschlachteten Tiere nimmt Priamos mit zur Stadt, um sie dort zu
vergraben oder sonstwie zu beseitigen. 2) Zweck und Sinn des Opfers
sind schon hier völlig klar: der Schwörende verflucht sich für den Fall
des Meineids und ruft die Götter an, ihn das Schicksal des Tieres er-
leiden zu lassen, wenn er den Schwur nicht halte. ^) In nachhomerischer
Zeit nimmt man nicht mehr das abgeschnittene Haar des Opfertieres in
die Hand, sondern schlachtet das Tier vor dem Schwur, zerlegt es und fasst
die Fleischstücke an^) oder tritt darauf,^) Krieger tauchen auch wohl
Hand oder Waffen in das in einem Schild aufgefangene Blut.^) Auch wird
es Sitte, ausschliesslich ausgewachsene {täXeioi)'^) und männliche Tiere zu
opfern, hauptsächlich Eber, Widder und Stiere.**) Doch finden wir alle zu-
sammen nur bei besonders feierlichen Opfern,^) häufiger den Eber^®) oder den
Stier ^') allein. Dass der Widder allein nie erwähnt wird, ^2) kann nur Zufall
sein; in den allermeisten Fällen ist nur von isqu xtXeia die Rede, worunter
dann gewiss auch öfters jene ganze Trittys zu verstehen sein wird. Zwei-
mal finden wir Pferde erwähnt: Paus. III 20, 9; Aristoph. Lys. 192. Hier
bringen heldenmütige Weiber das Opfer, und schon der Scholiast bemerkt
richtig, dass damit auf die Amazonen angespielt werden soll,^^) dort Tyn-
dareos, als er die Freier der Helena schwören lässt. Es ist dies Opfer,
wenn es auch der mythischen Zeit angehört, auffallend, aber nur weil es
vereinzelt dasteht, denn da es hier wie bei Sühnopfern nur auf das Leben
des Tieres ankommt, ist ein nicht essbares an und für sich zum Opfer
ebenso gut geeignet. Bei internationalen Eidopfem muss sich, wie das in
der Natur der Sache liegt, ein Volk dem andern in seinen Gebräuchen
akkommodieren. Das Opfer muss stets ein gemeinsames sein, wie die
Völker vereint werden sollen. Deshalb mischen schon Griechen und
Troer ihren Wein in einen Krug.*^) So erzählt Xenophon,^^) dass bei
^) Vgl. Eustath. zu E 273.
») Schol. zu r 310.
») Vgl. S. 60 f.
*) Herod. VI 68; Lyk. g. Leokr. § 20;
Isai. VII 16; Arißtoph. Lys. 102 u. 202;
Aischin. De falsa leg. § 87 p. 264; Antiph.
TT. r. 'Hp. (f. 130, 12.
*) Demoeth. g. Aristokr. § 68 p. 642;
Paus. III 20, 9; Dion. Hai. Vll 50 p. 1422,
V I p. 844.
•) Aisch. Sept. 44; Xen. Anab. II 2, 9.
^) Andok. Myst. § 98, Pseudodetnosth.
g. Neaira § 60 p. 1365; Thuk. V 47; Inschr.
aus Erythrai im Hermes XVI 197.
«) Schol zu T 197.
») Demosth. g. Aristokr. § 68 p. 642;
Flut. Pyrrh. 6; vgl. Xen. Auab. II 2, 9.
»0) Paus. IV 15, 4 ; V 24, 2.
1») Herod. VI 68; Aisch. Sept. 44.
^^^) Das Zitat des Aristophancs Lys. 189
(vgl. Aisch. Sept. 44) fÄtßoaq:((yovaag statt
TttvQoafpayovyTeg wage ich als Beispiel nicht
anzuführen.
**) Dass die Griechen in der That von
Pferd eopfem der kühnen Reiterinnen gefabelt
haben, ersehen wir aus Pseudokallisth. III 25.
^*) r 269. Vgl. Stengel im Hermes
XVII 330. — Herodot erwähnt mehrfach die
Gebräuche fremder Völker bei Eidopfern und
bemerkt ausdrücklich, dass dieselben auch
bei Verträgen mit Fremden beobachtet wür-
den (III 8, IV 70, I 74.)
>*) Anab. II 2, 9.
96 A. Die grieohiBohen EnltiiBaltertümer.
einem Vertrage mit den Persern ausser Stier, Eber und Widder ein Wolf
geopfert wurde, was bei einem Yertragsopfer zwischen Hellenen natOrlich
nie geschehen sein würde. Gegessen wird selbstverständlich von dem
Fleisch der Tiere, die den Mächten des Todes geweiht und mit Fluch be-
laden waren, nichts.-) Talthybios schleudert den Eber, welchen Agamem-
non geschlachtet hat, ins Meer,^) Tyndareos vergräbt die Stücke des ge-
opferten Pferdes,^) öfters wurden die Tiere wohl auch verbrannt.^) Einem
bestimmten Gott wird das Eidopfer nicht dargebracht. Wenn es II. r 103 f.
heisst, dass die Lämmer Zeus, Helios und der Gaia geschlachtet werden
sollen, T197 der Eber dem Zeus und dem Helios, Herod. VI 68 der Stier
dem Zeus, so bedeutet das nichts anderes, als dass diese Götter besonders
angerufen werden, Zeugen des Eides und Rächer des Meineides zu sein;^)
von dem fluchbeladenen Tier zu geniessen, wird ihnen so wenig zugemutet,
wie den Menschen.^)
Die Spenden fehlen beim Eidopfer niemals. Das Ausschütten des
Weines hat denselben Sinn, wie das Schlachten des Tieres. Man betete,
das Gehirn des Meineidigen möchte auf die Erde verspritzt werden, wie
der Wein.^) So ist nichts natürlicher, als dass gerade bei diesen Opfern
das Tier besonders häufig fehlt; ^) man schlachtet es nur, um dem Ganzen
einen feierlicheren Charakter zu geben, gewöhnlich genügt schon das (fnovddg
nouTa&at.^^) Und zwar ist der Wein, der bei diesen Spenden gebraucht
wird, ungemischt,^') da er zum Trinken ebenso wenig bestimmt ist, wie
das Fleisch der Tiere zum Essen. — Für die Art des Schlachtens sind
wieder die Ausdrücke Ttfiveiv und evTSjuvHv bezeichnend,* 2) wie denn auch
Tofua nur von Eidopfern gesagt wird.
78. a. Endlich gehören zu den x^vaiai ayevaToi^^) die Heroen- und
die Totenopfer.'*)
Beide sind erst nachhomerisch und nachhesiodisch, denn der alten Zeit
ist der Glaube an Unsterblichkeit fremd, und so kann denn auch von einem
Kultus Verstorbener nicht die Rede sein.'^) — Der Name ijQoog ist bei Homer
^) Plutarch De Is. et Osir. 46 berichtet, 1 - ^^) B 341, J 159. Vgl. Stengel im
dass die Perser bei gewissen Sühnopfern einen Hermes XVIE 330.
**) Vgl. Eur. Suppl. 119G; Stbkgkl
Ztachr. f. d. Gw. 1880 S. 737 ff. u. Jahrb. f.
Phil. 1885 S. 103 f.
»») Plut. Praec. san. 124 B.
**) Über fleroisierung und Heroen ver
ehiiing vgl. Hebmamn G. A.* § 10, Schob-
mann Gr. Alt^ II 153 ff., Lbhrs Pop. Anfs.'
S. 320 ff.. Nabgelsbach Nachh. Theol. S. 105
ff., NiTzscH zur Od. III 163 ff., Keil Ana-
lecta epigr. et onomat. Leipzig 1842, Oblebt
Beiträge zur Hcroenlehre der Griechen, Ijau-
ban 1875 u. 1876. Wassner De heroum
apxid Graecos cuUu, Kiel 1883 u. a. Über
Vergötterung 0. Hibschfbld Abhandigg. d.
Bori. Akad. d. Wissensch. XXXV (1888) S, 8:W
ff., S. 844 f., Welckbr Gr. Götteri. HI 299 ff.
Wolf schlachteten.
*) Schol. zu T 208.
3) r 2t>7 f.
*) Paus. III 20, 9.
^) Schol. zu T 2ti8, r 310; vgl. CIG.
add. 2501 b und Paus. V 24, 2, wo das
XQrjffdtti „etwas damit anfangon** sich auf
die Art; des Bcseitigens bezieht.
«) Vgl. T 258 ff., die Inschr. im ^&tj-
yatoy V (187G) S. 101.
') Schol. zu r 310.
^) r 300 f. — Blut selbst wird (ausser
Wein) bei der Vereidigung der Priester in
Andania ausgegossen: DiTTBNBBfiGBR Syll.
3H8 3
' 'ö)*l :3:U = T 288; Diod. III 71 Ende.
^^) 6i'ot»'04' xfft ero^xof' ist ein technischer , Vgl. Dittbnbergek Syll. S. 355 not. 12.
Ausdruck geworden (CIG. 2554, 2555), ja | •*) Vgl. Lehrs Pop. Aufs.« 8. 304 ff.,
man sagt sogar anot'&iig rtfiyety, z. B. Eur. v. Wilamowitz Hom. Ünt^ S. 204, Stengel
Hei. 1234. ; Jahrb. f. Phil. 1883 S. 373 ff.
S. EnltuBhandliingen. (§ 78 ) 07
nur eine Bezeichnung der Edelen oder trefflicher Männer überhaupt,^) und
die , einzige Ehrengabe,^ die man Toten darbringen kann, ist die abge-
schorene Locke und die Thräne, die von den Wangen rinnt. *) Die Tiere,
welche Odysseus X 30 fif. schlachtet, sind keine Opfer, ihnen zum Genuss
und zur Ehre dargebracht, sondern sie sind notwendig, weil allein ihr
warmes Blut die Beschwörung der Schatten ermöglicht, und das Fleisch
wird, wenn überhaupt jemandem, dem Hades und der Persephone verbrannt
(A 45 ff.), die unfruchtbare Kuh aber, die Odysseus nach glücklicher Heim-
kehr in Ithaka zu opfern verspricht (A 30 f.), ist schon deshalb mit den
später üblichen Totenopfern gar nicht zu vergleichen, weil sie an einem
ganz andern Orte, fern von den Gräbern der Verstorbenen geopfert werden
soll. Noch viel weniger aber dürfen wir^) die aus Rache und dem ge-
fallenen Freunde zur Genugthuung geschlachteten Troer und die Pferde und
Hunde, die mit dem Leichnam des Patroklos (^ 166 ff.), oder die Schafe
und Kinder, die mit dem des Achilleus (o) 66 ff.) auf dem Scheiterhaufen
zugleich verbrannt werden, Opfer nennen; werden ja doch selbst Waffen
mit den Toten zusammen verbrannt {X 74 ff.). — Es lässt sich annehmen,
dass in der Zeit nach Homer zuerst die Helden der Sage, namentlich die
durch das Epos berühmt gewordenen, einen Kultus erhielten;^) leiteten sie
doch meist ihr Geschlecht von den Göttern ab und erhoben sich schon da-
durch über die gewöhnlichen Menschenkinder. Lange blieb man jedoch bei
ihnen nicht stehen. Warum sollte man die Helden der Gegenwart, die
ihrem Vaterlande nicht weniger genützt hatten, minder ehren? Als der
Glaube an Unsterblichkeit allgemeiner geworden war, stifteten die dank-
baren Mitbürger ihren grossen Toten allenthalben Kulte. Brasidas tritt
nach seinem Siege bei Amphipolis an die Stelle des alten dort verehrten
Heros,***) die bei Marathon Gefallenen werden beim Totenopfer ausdrücklich
als Heroen angerufen, <^) Lykurg erhält ein Isqov,'^) und Lysander wird
gar zum Gott erhoben.') Die spätere Zeit wird immer freigebiger. So
werden einem Phrurarchen Diogenes in Athen nach seinem Tode heroische
Ehren zuerkannt,^) und die Epheben bringen ihm an dem nach ihm benann-
ten Feste in seinem rtfisvog ein Opfer dar;*^) ja Lysimachos wird in Samo-
thrake bereits zu seinen Lebzeiten durch einen Kultus geehrt, ^^ König
Antiochos von Kommagene stiftet sich selbst ein Heiligtum, setzt Priester
ein, die jährlich an seinem Geburts- und Krönungstage eine Feier veran-
stalten sollen, deren Beibehaltung er auch seinen Nachfolgern durch
ein Gesetz zur Pflicht macht, ^^^ u^d Orakel befehlen die Heroisie-
rung unschuldig Gemordeter, damit dem Lande die Rache ihres Alastor
(Kachegeistes) erspart werde.*-*) Aus ihrem Grabe können die Heroen
>) a 423, & 483. •) Vgl. Köhler Mitt. des Arch. Inst, zu
*) cf 197 f., vgl. n 450 f. Athen IX (1884) S. 298.
'«) CIA. II 4G9, 470.
**) Vgl. d. Inschr. in d. Archäol. Unters,
auf Sam. II 85.
^'^) PucHSTEiN in den Sitzungsber. der
preiiss. Akad. d. Wiss. 1883 I 51 ff.
'^) Herod. V 114; Paus. VIII 23, 5; 53,
1. Vgl. VIII 41, 1; II 3, <>.
») Vgl. L. Schmidt Kthik II 28.
*) Vgl. Lehbs Pop. Aufs.*^ S. 355, Nae-
GELSBACH Nachh. Theol. S. 105.
*) Thuk. V 11.
«) Paus. I 32, 4.
') Herod. I 66.
®) Plut. Lys. 18. Vgl. 0. HiRscHPELD a.
a. O. S. 833.
Baudbuch der klass. Alterlumswiaseniicbaft. V. 3. Abtlg.
98 A. Die grieohiachen EnltoBaliertümer.
auf die Oberwelt hin wirken , *) und werden sie gebührend verehrt,
so ist eine solche Grabstätte ein Quell des Segens für das ganze Land,-)
ja man holt ihre Gebeine bisweilen aus der Fremde, um sie aufs neue
in der Heimat zu bestatten. 3) So ist denn auch ihr Kultus ähnlich wie
der der Flussgötter, die auch nur ein bestimmtes Land befruchten und
segnen, in der Regel nur ein lokaler,**) an den betreffenden Orten aber oft
nicht weniger ausgebildet und angesehen als irgend ein Götterdienst. ^) Sie
bilden inderThateine Mittelstufe zwischen Göttern und gewöhnlichen Toten,*')
und dem entspricht die Verehrung, die sie geniessen. Es kann ihnen ge-
opfert werden wg tjQfoi^ und dann unterscheiden sich die Opfer in nichts
von denen anderer Verstorbener, oder cHg ^eiT,^ und dann werden ihnen
Speiseopfer wie den Himmlischen dargebracht.^) Pindar, bei dem wir zu-
erst entschiedenen Glauben an ein Fortleben, an Lohn und Strafe nach
dem Tode finden,^) kennt bereits beide. Dem Herakles und seinen Söhnen
werden Totenopfer gebracht, eine Saig, von der nur sie geniessen,^) and
dem Tlepolemos werden Schafe geopfert (oartsQ tlf^f/J.i") Ja es gibt Fälle, wo
demselben Heros zugleich dg O^eo) und ai^ t^gtoi geopfert wird, so dass dem-
gemäss von dem einen Teil des Opfers gegessen werden darf, der andere
aber verbrannt wird. Solche Opfer werden dem Herakles in Sikyon^O ^^^
inThasos*2) dargebracht, dem Achilleus an seinem Grabe von den Thes-
salem.*^) Die ausführliche Beschreibung des letztgenannten ist am lehr-
reichsten. Alljährlich fährt man nach der Troas hinüber; zwei Stiere, von
denen der eine schwarz ist, werden mitgenommen. Dann werden Graben
gegraben, und der schwarze Stier geschlachtet (og rsd-vemi. Das Blut
lässt man unter Anrufung des Achilleus in die Gruben laufen, und der
Leib des Tieres wird verbrannt. Am Meeresufer wird dann der andere Stier
geopfert und zwar dg O^eoK Von diesem werden nur die üblichen Stücke
verbrannt. Das Fleisch nimmt man auf das Schiff und führt es mit sich,
um es nicht in Feindesland zu verzehren. Das Gewöhnliche ist natürlich,
dass einem Heroen nur auf eine Art geopfert wird, entweder dg ^«^H, wie
z. B. dem Theagenes in Thasos,'*) oder dg r^Qm,^^) wie dem Aithidas
von den Messeniern.**^) Auch konnte es vorkommen, dass jemandem zuerst
heroische, später aber göttliche Ehren zuerkannt wurden.^') — Die bei
Heroenopfern gewöhnlichen Opfertiere sind Widder und Stiere, letztere
namentlich da, wo nicht ein einzelner, sondern die Stadt das Opfer bringt.
Dem Amphiaraos,»'') dem Kalchas,*^) dem Pelops^^j u. s. w. werden Widder
geschlachtet, dem Aristomenes bringen die Messenier alljährlich an seinem
») Vgl. Lbhrs Pop. Aufs.« S. 324 f.
'') Vgl. z. B. Aristid. IT p. 230 Dind.
Plut. Thcs. 36. Kim. 8. Vgl. Ohlebt
Teil 1870 S. 20 ff.
»j Pli
a. a. O. II
«») Paus. II 10, 1.
'«) Herod. II 44.
13) Philostr. Her. XIX p. 741.
»*) Paus. VI 9, 2.
*) Vgl. z. B. Plut. Sol. 9; Herod. VIII 04. »^) mg re^yetou (z. B. Philostr. Her. XIX
^) Vgl. Paus. V 4, 1 u. ScHORMANN Gr.
Alt. II 150 f.
ß) Vgl. z. B. Plato Republ. 427 B.
"') Vgl. Diod. IV 1.
'') Vgl. Olymp. II. frgni. 90 u. 97 Böckii.
«) Isthm. ir Ol [III 74J. vgl. Ol. I 90 f., t '«) Strab. VI 284.
VIII 77. «0) Paus. V 13, 2.
»«J Ol. VII 77. ;
741) ist nur ein anderer Ausdruck für
dieselbe Sache. Vgl. auch Paus. X 4, 7.
»«) Paus. IV 32, 2.
") Plut. Virt. mul. 18.
'8) Paus. I 34, 4.
S. Knltiuihandliuigen. (§ 78.) 90
Grabe ein Stieropfer,*) wie auch die Athenischen Epheben dem Diogenes
zwei Stiere opfern. =^) Besonders feierlich sind die Opfer an den nolvdrögia,
den Massengräbern der in Schlachten Gefallenen. Ein solches bringen die
Athener in Marathon dar,^) die Arkader in Phigalia,^) die Megarer den
in den Seeschlachten bei Arteraision und Salamis Umgekommenen,^) und
die Plataier allen in der Schlacht bei Plataiai gebliebenen Hellenen.^) Die
Schilderung dieses Opfers ist besonders interessant. Eine lange Prozession,
der ein Trompeter vorausgeht, verlässt mit Tagesanbruch die Stadt und
geht zu den Gräbern, Wagen mit Myrten und Kränzen und ein schwarzer
Stier folgen, freie Jünglinge tragen Wein und Milchspenden, Öl und Salben,
denn kein Sklave darf hierbei eine Dienstleistung verrichten, da die Männer
für die Freiheit starben. Den ganzen Zug schliesst der Archen mit rotem
Chiton bekleidet und mit einem Schwert umgürtet, eine Urne tragend.
Er wäscht selbst die Grabsteine und salbt sie mit wohlriechendem Öl,
schlachtet dann den Stier eig nügav,"^) d. h. so, dass das Blut in die Feuer-
stätte fliesst, betet zu Zeus und Hermes Chthonios und ruft die Tapfern,
die für Hellas starben, zum Mahl und Blutgenuss; hierauf mischt er einen
Mischkrug Weins und giesst die Spende aus mit den Worten: ich trinke
zu den Männern, die für die Freiheit der Hellenen starben. Diese Feier
findet alljährlich statt, wie überhaupt alle Heroen, die nicht göttliche Ehren
gemessen, jährliche Opfer empfangen.®) Dass man ihnen diese, wenigstens
überall da, wo man es auf dem Grabe selbst nicht konnte, auf einer iaxo^Qcc
darzubringen pflegte, ist bereits (S. 14 f.) erwähnt; dieser niedrige Altar
in Omphalosform (s. Taf. I Fig. 2) aber ist wahrscheinlich nur eine Nach-
bildung der Grabhügel (xfiiiaxa). — Eine Ehre, die der Staat einzelnen
besonders verdienten Männern zu teil werden Hess, konnte von den dank-
baren Hinterbliebenen jedem der Ihrigen erwiesen werden. Sicherlich nicht
viel später als die Heroenverehrung ist
b) der Totenkultus allgemein üblich geworden.^) Auch die Heroen
waren ja nichts anderes als erhabene Tote.*^) Es ward herrschender Glaube,
dass die früher Verstorbenen den Verwandten und Freund nach seinem Tode
in der Unterwelt empfingen, und dass sie ihm freundlich entgegenkämen, dafür
hatte er, so lange er auf der Oberwelt weilte, durch Opfer und Spenden, die
er an den Gräbern darbrachte, zu sorgen. >i) Auch für dieses Leben versprach
man sich wohl mehr Segen und Frieden, wenn man die Pflichten der
Pietät gegen die Toten gewissenhaft erfüllte. Dass bei den Thessalern
viele nicht einmal den Eltern die Totenopfer darbrachten, war höchst auf-
fallend,**) und selbst im frühesten Alter verstorbenen Kindern versäumte
man in der Regel nicht Spenden zu giessen und die Ehren zu erweisen.
») Paus. IV 32, 4.
^) CIA. II 469, 470.
») Paus. I 32, 4; CIA. II 471.
^) Paus. VIII 41, 1.
*) CIG. 1051.
«) Plut Aristid. 21.
"*) Vgl. die auf Naxos gefundene Insclir.
im 'Ja^yaioy X 1881 S. 107.
*) Paus. VU 19, 3; 20, 5; X 34, 5. | »*) Philostr. Her. p. 744.
7*
») Vgl. schon Pindar Ol. VIII 77.
*^) In späteren Grabinschriften wird jeder
Tote Heros genannt: vgl. z. ß. Mitt. des
Arch. Inst, zu Athen XII 1887 S. 349 ff.
n. 111 u. s. w.
»') Vgl. Aisch. Ag. 1522 ff.; Frgra. 281
Herrn.; Soph. Oid. Tyr. 13, 56 ff.; Antig. 71,
888 ff. Eur. Or. 674 ff. ; u. s. w.
100 ^» ^i® griechischen KaltoBaliertümer.
die den Toten gebührten J) Dies geschah in Athen und wohl auch sonst
mindestens einmal im Jahre, und zwar am Geburts- ^) oder am Todestage ^)
des Verstorbenen. Dass ausserdem an den vieler Orten gefeierten jähr-
lichen Totenfesten^) von den Angehörigen an den Gräbern der Ihrigen
Opfer oder Spenden dargebracht sein werden, ist wahrscheinlich; auch
konnte durch besondere Begegnisse ein ausserordentliches Opfer veranlasst
werden.^) Ebenso ist es nur natürlich, dass in der dem Todesfall unmittel-
bar folgenden Zeit wiederholte Totenfeier stattfanden.^) — Selbstverständ-
lich waren die den gewöhnlichen Toten dargebrachten Opfer einfacher und
weniger kostbar als die meist von Staats wegen besorgten Heroenopfer. ^)
In Athen verbot es Solon bei Totenopfern ein Rind zu schlachten,*) offen-
bar um den Aufwand zu beschränken, und ähnliche Bestimmungen gab es
jedenfalls auch an andern Orten. *^) Doch blieben andere blutige Opfer
am Grabe '^) gewöhnlich, vor allem Schafopfer.**) Daneben kamen
Frucht-*^) und Kuchenopfer *^) vor; doch werden diese wohl meist von
Ärmeren dargebracht sein, denen ein Tieropfer zu kostspielig war; denn
bei keinem andern Opfer kam es gerade auf das Blut so an, wie bei Toten-
opfern. Mag die Vorstellung der homerischen Zeit, dass der Genuss von
Blut den Schatten für eine kurze Zeit Bewusstsein und Leben zurückzugeben
vermöge, auch früh aufgegeben sein, so blieb doch der Glaube, dass sie
sich an nichts mehr erquickten als an diesem ihnen selbst durch den Tod
entzogenen eigentlichen Elemente des Lebens. Pindar (Ol. I 94) nennt ein
Heroenopfer alpaxovQia^ Blutspende; ini t6 dttnvov xat at/iaxovQiav lädt
der Archen von Plataiai die Toten,**) und ebenso ruft Neoptolemos den
Schatten seines Vaters an, heraufzukommen und das Blut des Opfers zu
trinken.*'*) Demgemäss werden den Toten alle Opfer an oder auf ihren
Gräbern dargebracht. Durch ein Loch, das zu diesem Zwecke gegraben
wurde, oder sich wohl auch dauernd im Grabhügel befand, liess man wie
bei den auf einer icxaQa dargebrachten Heroenopfern das Blut ins Erd-
reich strömen,**^) verbrannte dann den Leib des Tieres*') und vergrub
•) Plut. Cons. ad uxor. XI p. 012 B. | Syll. n. 468 u. Köhler Mitt. des Arch. Inst.
^) Vgl. ScHOEMANN ad Isaeum p. 222 F; j zu Athen I 141.
'®) nqoatfttyin, nqoaqittyfAata Dittenb.
Syll. 468, 12; Eur. Alk. 845. Vgl. Schok-
MANN Gr. Alkt.» II 572 A. 3.
>') Z. B. Eur. El. 92 Luk. Nekyiom. 9.
Plut. Cat. mai. 15. — Hadrian befahl am
Grabe des Alkibiades jährlich ein Rind zu
opfern (Athen XIII p. 574 F). Das ist ein
smgulUrer Fall. Eur. Hei. 1258 wird es ge-
radezu als barbarische Sitte bezeichnet, ein
Pferd oder einen Stier als Totenopfer zu
schlachten. Einem skythischen Heros, dem
Arzt Toxaris, soll denn auch in Athen an
seinem Grabe jährlich ein Koss geopfert
worden sein (Luk. Skyth. 2).
'*) Thuk. III 58.
CüRTius Altert, u. Gegenw. II 18.
») Athen. XII p. 522 F.
*) Vgl Schobmann Gr. Alt.' II 477 f.,
Köhler Mitt. des Arch. Inst, zu Athen II
1877 S. 245, 254 f., Cürtius Altert, u. Ge-
genw. II 18 ff.
^) Z B. durch beängstigende Träume:
Atossa in Aisch. Pers., Klytaimnestra in
Aisch. Choeph., Soph. El.
«) Vgl. Iw. Müller Hdb. IV 463d.
•) Ausnahmen kamen natürlich vor. Be-
kannt ist das Testament der Epikteta (GIG.
2448); ähnlich bestimmt ein reicher Mann
aus Elatea in Phokis, dass sein Andenken
durch ein Fest, verbunden mit Spielen und
Opfern geehrt werde (Bull, de corr. hell. ; '*) Luk. Katapl. 2.
X 1886 S. 381 f. n. 18. - Vgl S. 97 Anm. i »^) Plut. Aristid. 21.
12). Doch sind das dann ja auch nicht mehr ' ^^) Eur. Hck. 586.
die gewöhnlichen Totenopfer. | '*^) Paus. X 4, 7.
«) Plut. Sol. 21. ! »') Paus. IX 18, 4; 19, 3. Vgl. Mitt.
*) Vgl. die Inschr. von Keos Dittenb. j des Arch. Inst, zu Athen 18S7 XII 138.
3. EaltuBhandlangen. (§ 79.) 101
die Asche. Die Schlachtung der Tiere geschah in derselben Weise wie bei
Opfern für chthonische Gottheiten und bei Stihnopfem. Der Kopf des Tieres
wurde zur Erde gebeugt,'^) und dann der Hals durchschnitten. 3) — Wie die
andern Opfergaben, so sind auch die Spenden^) lediglich für den Toten
selbst bestimmt. 5) Sie bestanden aus Wein, Wasser, Milch, Honig und
Ol. Doch wird höchst selten alles zugleich gespendet.^) Das gewöhnliche
Trankopfer ist Wein und fieXixQator^ d. i. ein Mischtrank aus Milch und
Honig.'') Der Wein war mit Wasser gemischt,*) wie ihn die Toten einst
auf der Oberwelt getrunken hatten, und ohne Zweifel ist auch der andere
aus Honig und Milch bestehende Trank im Leben häufig genossen worden,^)
vielleicht besonders von Kindern ^'^) und von Schwachen, und diesen ähn-
lich hat man sich ja wohl die dfievrivd xaQTjva auch gedacht.
Es erübrigt noch die Betrachtung einiger anderer Eigentümlichkeiten
der verschiedenen Opfer.
79. Nicht alle wurden zu derselben Tageszeit dargebracht. Den
himmlischen Gottheiten opferte man am Morgen oder Vormittag,^*) den
chthonischen, Heroen und Toten am Abend oder in der Nacht. ^*) Dachte
man sie sich doch selbst in ewiger Nacht wohnend, ^^) während jene gleich
den Menschen sich des Tages erfreuten und in der Nacht ruhten. Eine
attische Inschrift (CIG. 70) schreibt vor, das Fleisch der bei einem Speise-
opfer geschlachteten Tiere vor Sonnenuntergang zu verteilen, und noch
genauer bestimmt ein Dekret aus lulis auf Keos die Zeit, wann das Opfer-
mahl zu veranstalten sei.^^) Wurde es aber wirklich einmal erst nach
Sonnenuntergang beendigt, so war dies doch Ausnahme,*'^) wie denn wohl
auch die Sitte der Einwohner von Tithorea, die Opfer am Feste der Isis
erst am Nachmittag zu beginnen, aus dem fremdländischen Charakter des
Gottesdienstes zu erklären ist.**^) Häufiger jedoch kam es vor, dass man
Opfer, die hauptsächlich zum Zwecke der Weissagung veranstaltet waren,
längere Zeit fortsetzte, bis man endlich günstige Zeichen erhielt; doch
^) Gegessen wurde von einem Toten-
opfer niemals etwas. S. Stengel in d. Jahrb.
f. Phil. 1883 S. 375 f. A. 47.
•-») Schol. zu II. A 459, zu Apoll. Rhod.
Frgm. 365 N.) oder Milch (Soph. El. 894,
Plut. De daem. Soor. 0) allein genannt fin-
den. S. NiTzscn zur Od. ITI 162 u. Stengel
in d. Jahrb. f. Phil. 1887 S. 653.
Arg. I 587 und mehr bei Stengel in der ^) Plut. Arist. 21.
Ztschr. f. d. Gw. 1880 S. 737 IF. ») Vgl. Antimachos Frgm. 18 flf. Stell;
') So finden wir hier denn auch die Pind. Nem. III 77; Ail. De nat. aoim. XV 7.
^") Ein Mischtrank aus Milch und Honig
ist z. B. auch die erste Nahrung des Zeus-
kindes, vgl. Prblleb-Robert Gr. Mythol.
für jene Opfer charakteristischen Ausdrücke
wieder: ausser den gewöhnlichsten ivaylCsty
(Paus. VIII 34. 2; II 10, 1; Apoll Bibl. II 5,
2 u. B. w.) und xa»n)iC€iy (Paus. VI 20. 2). 1 1 133.
iyr/fÄyeiy (Thuk. V 11; Plut. Sol. 9) und »') Vgl. y 335 f.
lXäax€ff^tti, namentlich wo es darauf an- ^') Schol. zu Find. Jsthm. III 110 bei
kommt, den gefUrchteten Groll des Toten zu Abel II p. 422 F; Schol. zu Apoll. Rhod. Arg.
versöhnen (Herod. V 47). I 587 ; Proculus — vielleicht nach Philocho-
*) X^> seltener Xoißij wie Soph. El. 52, ros, vgl. Lobeck Agl. S. 412 Anm. a — zu
CIG. 956, 2596. Hes. Erg. 763; Plut. Quaest. rom. 34 p. 332.
*) Stengel im Philol. XXXIX 378 ff. u. ") Od. X 19 u. s. w.
in d. Jahrb. f Phil. 1887 S. 653 f. '*) DittenbergerSvII. 348; vgl. Anm. 11
«) Aisch. Pers. 610 ff. S. 462 u. Iw. Müller Hdb. IV 443 b Anm. 5.
') Eur. Iph. Taur. 158 ff. Or. 114 f. •*) Vgl. Athen. V 18 p. 591 E.
Luk. Char. 22 u. s. w. — jueXlxQaroy ist ^^') Paus. X 32, 9.
wohl auch anzunehmen, wo wir Honig (Soph.
102 ^* ^® griechischen EaltoBalieriümer.
stellte man auch diese jedenfalls noch vor Sonnenuntergang ein.*) — Die
Nacht gehörte den Mächten der Finsternis und des Todes. Der Schatten
Klytaimnestras erinnert die Erinyen an die Opfer, die sie ihnen zu nächt-
licher Stunde, wo man keiner andern Gottheit damit nahe, gebracht habe;^)
Trophonios empfängt nächtliche Opfer, ^) ebenso der in den Mysterien eine
Rolle spielende Dionysos oder Sabazios,^) und ein Orakel befiehlt den Mes-
seniern nachts eine Jungfrau als Sühnopfer zu schlachten.^) Das Fleisch
der den xf^eol Meikixiot geopferten Tiere muss vor Tagesanbruch beseitigt
sein,^) und bei Athenaios VII p. 276 E wird die Ansicht ausgesprochen,
dass das Fleisch der nachts geschlachteten Opfertiere leichter verwese. —
Nicht anders bei Heroen- und Totenopfem. Selon fährt nach der Weisung
des delphischen Orakels nachts nach Salamis hinüber, um dort den Lokal-
heroen zu opfern,') die Pheneaten bringen dem Myrtilos nächtliche Opfer,®)
und in Titane, wo von zwei gemeinschaftlich verehrten Heroen der eine,
Alexanor, heroische, der andere, Euamerion, göttliche Ehren geniesst, em-
pfangt jener seine Opfer erst nach Sonnenuntergang.^) Ebenso bringt
Orestes an dem Grabe seines Vaters, *^^) bringen die Argonauten an dem
des Dolops * ^) das Totenopfer in der Nacht dar.
80. Auch hinsichtlich der Farbe der Opfertiere galten verschiedene
Bestimmungen und Gebräuche. ^^) Die Alten selbst berichten uns nur, dass
es Regel gewesen sei, den oberen Göttern hellfarbige, den unterirdischen
und den Toten schwarze Tiere zu opfern. *3) Doch sind sicherlich zu Speise-
opfern auch dunkelfarbige Tiere benutzt worden, wenn man andere auch
vorgezogen haben mag. In der Odyssee y 6 wird dem Poseidon eine ganze
Hekatombe schwarzer Stiere dargebracht,^^) demselben Gott werden dann
auch wieder weisse'*) oder rötliche ^^) Tiere geopfert. Ausnahmslos hell-
farbige Tiere hat wohl nur Helios empfangen,*') den anderen Göttern scheint
man sie namentlich als freudiges Dankopfer dargebracht zu haben, **^) doch
galten sie wohl auch sonst als die den Göttern wohlgefälligsten. *®) — Zu
Sühnopfern gebrauchte man sowohl schwarze wie weisse Tiere. Epimenides
soll bei der Reinigung Athens schwarze und weisse Schafe geopfert haben,^»)
und auch Hekate empfing schwarze 2*) und weisse Hunde 22) als Sühnopfer.*^)
Verderblichen Winden pflegte man, um sie zu besänftigen, schwarze
') Xen. Hell. IV 1, 22.
2) Aisch. Euni. 108 f.
3) Paus. IX 39, 4.
*) Diod. IV 15.
*) Paus. IV 9, 2.
•) Paus. X 38, 4.
') Plut. Sol. 9.
«) Paus. VIII 14, 7.
») Paus. II 11. 7.
»^•) Eur. El. 90.
'») Apoll. Rhod. I 587.
im Schol. u. Kornut. negi &Baiv 22.
'^) DiTTENB. Syll. 373, 5 u. 10; Find. Ol.
XIII 69 (99).
'«) Find. Fyth. IV 205 (365).
^') II. r 103; Rhod. Inschr. bei Ross
Hell. II S. 112; Fhilostr. Her. XI 1 p. 309.
^«) Hom. Hymn. XXXHI 10 Baum.; Luk.
Dial. mer. VII 1; Aristoph. Av. 971; Dfttknb.
Syll. 388, 67.
'^) S. d. Inscbr. in d. Mitt. des Arcb.
Inst, zu Athen 1882 S. 72.
'2) Am ausführlichsten darüber Stengel '^^) Diog. Laert. I p. 110. Vgl. Livius
in den Jahrb. f. Fhil. 1886 S. 321 ff. XXII 10.
»3) S. das Apollonorakel bei Euseb. Fraep. ! «tj p^us. TU 14, 9.
ev. IV 9, 2; Arnob. Adv. gent. VII 19; Schol. i -•2) Aristoph. Dait. frgm. 12 Bergk.
zu II. ^' 30. I •-«) Plut. Quaest. rom. 68.
'*) Vgl. dazu d. Bemerkung von Didymos
3. EoltaBhandlangen. (§ 80 - 81.) 103
Tiere darzubringen,') doch wird uns auch von dem Opfer eines weissen
Hahnes zu demselben Zwecke berichtet.^) Zur Abwendung einer Pest
befiehlt das Orakel schwarze Tiere zu opfern, 3) und Widder von derselben
Farbe schlachten neben Menschenopfern die Taulantier, als Alexander gegen
ihre Stadt anrQckt.'^) Chthonische Gottheiten empfangen schwarze Tiere.^)
Ebenso die Heroen. Dem Aristomenes wird an seinem Grabe ein schwarzer
Stier geschlachtet,^) dem Pelops in Olympia'') und dem Kalchas in einer
griechischen Kolonie Unteritaliens ein schwarzer Widder,®) die Thessaler
opfern dem Achilleus a!^ iJQm einen schwarzen Stier und einen anderen
oig r^€fp^^) und auch der Archen der Plataier schlachtet an den Gräbern
der Gefallenen einen schwarzen Stier J^) Auch den Toten werden schwarze
Tiere geopfert. Die Thessaler schlachten dem Dareios ein schwarzes Lamm,'^)
Orestes auf dem Grabe seines Vaters ein schwarzes Schaf.**') — Nur ein
Opfertier war allen diesen sonst geltenden Bestimmungen und streng be-
obachteten Gebräuchen nicht unterworfen: das Pferd. Die Griechen haben
nur weisse Pferde geopfert.*^) Mithridates versenkt dem Poseidon ein Ge-
spann weisser Rosse ins Meer,*^) Pelopidas opfert statt der geforderten
Jungfrau ein hellfarbiges Füllen,*^) ja die Athener sollen dem skythischen
Heros Toxaris, der angeblich bei einer Pest als Arzt Dienste geleistet hatte,
an seinem Grabe ein weisses Ross als Totenopfer dargebracht haben. *^)
81. Auch das Geschlecht der Opfertiere *^) war nicht gleichgiltig. —
Sehr gewöhnlich war es, Göttern männliche, Göttinnen weibliche Tiere
darzubringen. 1®) Doch sind die umgekehrten Fälle so zahlreich, dass man
von einer Regel nicht sprechen darf.*^) Das Richtige ist, dass einzelne
Gottheiten Tiere bestimmten Geschlechts verlangten, andere nicht. Dem
Zeus pflegte man männliche Tiere darzubringen, ebenso dem Poseidon,
Herakles und Asklepios, der Hera scheinen umgekehrt nur weibliche ge-
opfert zu sein. Apollon erhielt auch weibliche Tiere; *^) vor allem werden
solche sich oftmals in den grossen Hekatomben befunden haben, ^0 welche
diesem Gotte vorzugsweise dargebracht wurden; ebenso durften dem
Hermes weibliche Tiere geopfert werden.*^) Umgekehrt erhalten Artemis 2^)
») Ari8toph.Ran.848f. Vgl. Vergil. Aen. ' »*) Pkt. Pel. 22. Uier^ay&6g; dasselbe
III 120. Tier wird Xevxog genannt Flut. Amat. narr.
») Paus. II 34, 2. III 20 p. 774 D.
3) Kaibel Epigr. gr. 1034. '•) Luk. Skyth. 2. Vgl. Stekgel Jahrb.
*) Arrian Anab. 15. | f. Phil. 1886. S. 324 Anm. 7.
^) IL ri03 Dittbuberoeb Syll. 373,26; >') Am ausführlichsten darüber Stengel
Istros im Schol. zu Soph. Oid. Kol. 42; Plut. , in d. Jahrb. f. Phil. 1886 S. 324 ff.
Lac. 10. Quaest symp. VI, 8, 1 Appian Bell. ! "^) II. r 103 f., ^ 147; Paus. IX 3, 4 u.
Mithr. 75. Vgl. Od. x 527; Paus. X 29, 1; s.w. Vgl. Arnob. Adv. gent. VII 19; Euseb.
Philostr. Imag. XI 33.
•) Paus. IV 32. 3.
') Paus. V 13 2.
8) Strabo VI 284- vgl. Od. X 32.
») Philostr. Her. XIX p. 741.
'«) Plut. Aristid. 21.
» ») Philostr. Her. XIX p. 743.
>«) Eur. El. 516. - Bisweilen legte der
Opfernd« selbst dunkle Kleidung an (Apoll.
Rhod. Arg. 1204 f. ; Cass. Dio XLVIII 48).
»3) S. Stehoel im Philol. XXXIX S. 184 f.
Praep. ev. IV 9; Porphyr. De antro nymph. 6.
^») S. CIA. II 610: DiTTENB. Syll. 373,
17 ; Aristoph. Av. 971 mit Schol. ; Plut. Quaest.
symp. VI 81 u. s. w.
20) Paus. II 24, 1, RöHL IGA. n. 379.
— Vgl. dazu DE Molin De ara ap. Graecoa
S. 72 u. Stekobl in d. Jahrb. f. Phil. 1886
S. 326 A. 4.
»») Vgl. z. B. Xen. Hell. VI 4, 29.
^2) S. d. Lesbische Inschr. bei Cauer
Del.^ n. 435.
»^J Appian Bell. Mithr. 70 p. 480. 1 ") Paus. IX. 19, 5; vgl. IV 31, 5; VII 18,
101
A. Die griechischen Ealtasaltertümer.
und bisweilen Aphrodite ^) auch männliche zum Opfer. Am häufigsten von
allen Göttinnen wurden der Demeter männliche Tiere dargebracht,*) nament-
lich bestand das grosse Rinderopfer am Eleusinienfest vorzugsweise aus
Stieren und Ochsen,^) dagegen durfte man der Athena, wenigstens im
eigentlichen Griechenland,*) nur weibliche Tiere opfern,*) wie denn auch
am Panathenaienfest nur Kühe geschlachtet wurden. **) Auch die chthoni-
schen Gottheiten empfingen Tiere beiderlei Geschlechts zum Opfer;') die
Heroen aber nur männliche.^) Den Toten durfte man wahrscheinlich beide
opfern.®) Eigentümlich ist es, dass zu Eidopfern nur männliche Tiere ge-
nommen wurden, ^^) hauptsächlich Stier, Widder, Eber.^^ Vielleicht hängt
damit zusammen, dass auch zu den sog. TQitTveg, bei denen dieselben Opfer-
tiere sehr gewöhnlich waren, ^2) ausschliesslich männliche Tiere benutzt
wurden. *3) Verschnittene Tiere durfte man ohne Zweifel jedem Gott dar-
bringen, welchem männliche geopfert zu werden pflegten, und abgesehen
von den TQitTVfg, Eid- und Heroenopfern wird nur in vereinzelten Fällen
einmal ausdrücklich ein evogx^fi verlangt.**)
82. Für das Alter der Opfertiere wird bei Speiseopfern in der Regel
die Rücksicht auf die Brauchbarkeit des Fleisches massgebend gewesen sein.
Folgte einem grossen Festopfer eine Bewirtung des Volkes, so war schon
wegen des grossen Fleischbedarfs notwendig, dass die Hauptmasse der
Opfertiere ausgewachsen war. Doch auch bei anderen Gelegenheiten werden
häufig ausdrücklich tegeia räXeia verlangt.^*) Wahrscheinlich hat man auch
geglaubt, dass das Opfer eines in der Vollkraft stehenden Tieres den
Göttern am liebsten sei.*^) Die Wahl des fünfjährigen Ebers, den Eumaios
schlachtet (f 419), wird freilich durch die Rücksicht auf den Gast bestimmt,
und ebenso die des fünfjährigen Stieres, mit dem Agamemnon die Helden
7. — Kallim. Frgm. 76 Schnei. ; Euphronios
im Schol. zu Aristoph. Av. 873; Anton. Liber.
13; Hesych. u. BgavQioyia u. xangotpayog.
») Cauer Del.'' n. 435; vgl. Plut. Thes.
18 u. Tac. bist. II 3.
>) CIG. 14G4; Eupolis nach dem Scbol.
zu Sopb. Oid. Kol. 1600.
3) CIA. II 467, 468, 470.
*) Eine üiscb« Inscbrift CIG. 3599 be-
iiohlt ihr ausser einer Kuh einen Widder
darzubringen, meines Wissens das einzige
Beispiel eines männlichen Opfertiers. Zu
Paus. I 27, 9 vgl. Plut. Thes. 14 u. Stengel
in den Jahrb.f. Phil. 1886 S. 328.
*) Schol. zu IL B 550; zu Soph. Oid.
Kol. 1600; II. Z 93: ^ 728; Inschr. v. Kos
im Joum. of Hell. Stud. IX 328 f. u. s. w.
ß) CIA. II 471 ; DiTTBNBEBOER Syll. 380,
19 IF.
Od. Ä 30; II. r 103; Plut. Luc. 10;
Istros im Schol. zu Soph. Oid. Kol. 42 u.
CIG. 1464; Dittenb. Syll. 373, 17; Kaibel
Epigr. gr. 1034.
«) Paus. I 34, 4; IV 32, 3: V 13. 2;
Strabo VI 284; Philostr. Her. XIX p. 741;
CIA. II 4(>9 u. 470. Unter den ots reXeto
am Anfang der Opferordnung von Kos im
Joum. of Hell. Stud. IX 324 sind also nicht
weibliche Schafe zu verstehen.
^) Nach den Scholien zu Od. X 30 und
X 522 durften ihnen nur weibliche Tiere ge-
opfert werden, vgl. jedoch Stengel in den
Jahrb. f. Phil. 1881 S. 80 u. 740.
»«) Schol. zu II. T 197. Stengel in den
Jahrb. f. Phü. 1883 S. 377. r 103 wird aUer-
dings ein weibliches Lamm geopfert, doch ist
diese Abweichung durch den Zusatz, dass es
der Ge geweiht sein solle, wie das männliche
dem Helios, wohl hinlänglich erklärt. Zu-
dem handelt es sich hier um kein griechi-
sches, sondern um ein troisches Opfer.
") Demosth. g. Aristokr. § 68 p. 642;
Plut. Pyrih. 6; Xen. Anab. H 2, 9.
'^) S. die Zusammenstellungen in den
Jahrb. f. Phil. 1886 S. 320 ff.
**) S. Hesych. u. rgiKtva u. Istros im
Etymol. M. u. XQUtvav ^valav p. 768, 17.
*^) Z. B. für Poseidon Dittenbbrger Syll.
373, 6 u. 10.
''*) S. d. Inschrr. Dittenb. Syll. 373, 17,
35 f.; 375; Rangabe Antiqu. hell. n. 821b;
\4^vMov 1879 S. 408; vgl. Schol. zu Soph.
Ant. 1012.
'«) Vgl. d. Schol. zu Arist. Ach. 785.
3. Ealtashandlniigen. (§ 82.) 105
nach dem heissen Schlachttage hewirtet und vor allem Aias, der den ge-
fahrlichsten Kampf bestanden hat, ehren will {H 315), aber ß 403 wird
dasselbe stattliche Tier geopfert, um dem Zeus eine besondere Ehre zu
erweisen, und mit einer xeXrjeaaa ixarofißii^) glaubte man doch auch den
Göttern das wohlgefälligste Opfer darzubringen. Einen dreijährigen Widder
verspricht Ganymedes dem Zeus ;^) zu den feierlichen Dreiopfern, den vor-
her besprochenen TQnTvsg, sollen nur dreijährige Tiere verwandt worden
sein,-'*) und in Athen verbot ein altes Gesetz, ein 8chaf, ehe es geschoren
war oder gelammt hatte, ^) oder Lämmer vor der ersten Schur zu
opfern."^) Eine Inschrift von Keos*') enthält die genauesten Bestimmungen
über das Alter, das die Opfertiere haben sollen. Das Kind und das
Schaf sollen die Zähne bereits gewechselt haben, ^) und das Schwein
nicht älter als 19 Monate sein. Eine pergamenische Inschrift^) bestimmt,
dass nach der Anordnung des Orakels der Pallas eine zweijährige Färse,
dem Zeus, dem Bakchos und dem Asklepios dreijährige Rinder geopfert
werden, die Mysterieninschrift von Andania für die MeydXoi O^eoi ein
zweijähriges Schwein,^) die Opferordnung aus Mykonos für Semele, Dio-
nysos, Zeus Chthonios und die Ge Chthonia jährige Tiere. ^'^) — Wenn wir
sehen, wie unendlich häufig neben den Opfern ausgewachsener Tiere Kälber, i^)
Lämmer, ^=^) Ferkel*') und Zicklein*^) geopfert wurden, so werden wir uns
auch über die Verschiedenheit dieser Bestimmungen nicht wundern. Man
opferte eben alles, was man selbst zu essen pflegte. Auffallen muss da-
gegen, dass die Opfer noch saugender Tiere ganz gewöhnlich sind, und
zwar nicht bloss bei Reinigungsopfern. ^^) Schon bei Homer *^) geloben Pan-
daros und Merioncs dem Apollon eine Hekatombe neugeborener Lämmer,
falls ihr Pfeilschuss erfolgreich sein würde,*') und das ganze Altertum hin-
durch finden wir yaXad^t^va hq^ia als etwas durchaus Gewöhnliches er-
wähnt. In zahlreichen Inschriften werden sie den rtXeia in einer Weise
gegenübergestellt, dass wir annehmen müssen, sie seien kaum seltener ge-
wesen als diese.*") Auch die Notiz bei Hesychios (u. rtXHo), dass die einen
jährige Tiere, die anderen schon alle, die über zehn Tage alt seien, für
TkXfioi erklärten, lässt darauf schliessen, dass die Opfer noch saugender
^) Vgl. Stengel in den Jahrb. f. Phil.
1885 S. 103.
^) Luk. Dial. deor. IV 2.
^) Istros im Etym. M. u. TQixxvav dvaiay.
*) Androtion bei Athen. X 17 p. 375.
^) Philochoros bei Athen. I 16 p. 9. Als
Grund für diese Bestimmungen wird aller-
dings die Rücksicht auf die Zucht der Tiere
angegeben. Es fällt dies in dasselbe Kapitel
wie das Verbot Solons, ein Rind zum Toten- I VI 2, 2 u. s. w.
opfer zu schlachten, oder die fast allgemein j ^^) Vgl. Aisch. Eum. 430 u. s. w.
beobachtete Sitte, Ackerstiere nicht zu opfern. ! ^^) J 120, ^' 873.
®) DiTTENBERGEK SjU. 348. j *^) Vgl. hier wie überhaupt für das fol-
«) DlTTENBERGER Syll. 388, 68.
»<>) DllTEKBERQER Syll. 373, 24 ff.
»») Luk. Dial. mer. VII 1; Babr. Fab. 37;
Arrian De venat. 34 u. s. w.
'-') DiTTENB. Syll. 388, 67 f.; Rangabe
Ant. hell. II n. 2336 ; Paus. II 10. 1 u. s. w.
'3) Athen. IV p. 139 B; IV 72 p. 172 A;
IX 54 p. 396 C u. D u. s. w.
^*) Ross Hellen. II p. 112 n. 45; Paus.
^) Wohl die ersten beiden, welche die : gende Stengel in den Jahrb. f. Phil. 1882
Tiere nach Vollendung des ersten Lebens-
jahres verlieren. — Vgl. An>tot. Hist. anim.
VI 21 p. 145 Aub. u. Wim. - Die letzten
beiden wechseln sie erst dreijährig.
«) Kaibel Epigr. gr. 1035.
S. 246 f. Vgl. auch Hes. Erg. 543 u. 592.
'«) DiTTENB. Syll. 371, 31 f. CIA. II
610, ii^2; CIA. I 4: vgl. CIA. II 631 und
BöcKH Kl. Sehr. IV 408 f. u. s. w.
106 A. Die griechiflcheii Enltasaltertttmer.
Tiere an der Tagesordnung waren J) Auch scheint es hier keinen Unter-
schied gemacht zu haben, welcher Gottheit die Tiere dargebracht wurden;
eine Spur davon könnte man einzig darin finden, dass die jungfräuliche
Athena die a^vya oder adfirjva legeTa vorzieht,*) während der mütterlichen
Demeter umgekehrt Muttertiere,^) mit Vorliebe trächtige,*) geopfert werden.
f. Reinigrungren und Sühnungren.
Litteratur: Hehmann Gottesdienst!. Altt.' §23. Schoemann Griech. Altt. IL' 352 ff.
V. Lasaulx Die Sühnopfer der Griechen und Römer (in den Akadem. Abhndlgg Würzbarg
1844 S. 236 ff.). Naeoelsbach Nachhomerische Theologie S. 356 ff. James Donaldsok on
the Expiatory and Substitutionary Sacrxfices of the Grecs in den Transactions of ihe
Boyal Society of Edinburgh Bd. XXVII (1876) S. 427-465.
83. Es ist bereits erwähnt worden, dass kein Unreiner das Heiligtum
eines Gottes betreten oder an einem Opfer teilnehmen durfte. Wer war nun
unrein? Wenn später einmal in Epidauros im Vorhof des Asklepiostempels
zu lesen war:
Nur wer rein ist, betrete die Schwelle des duftenden Tempels;
Niemand aber ist rein, ausser wer heiliges denkt, ''^)
so liegt der älteren Zeit nichts ferner als solche Vorstellungen. Das ho-
merische Zeitalter kennt nur das Erfordernis äusserlicher Reinheit.^) Tele-
mach reinigt in der Meerflut die Hände, ehe er sie betend zu Athena er-
hebt,^) Penelope wäscht sich vor dem Gebet und legt reine Kleider an,®)
Hektor scheut sich mit ungewaschenen, von Blut und Staub besudelten
Händen dem Zeus zu spenden,'*') Achilleus reinigt Hände und Becher aufs
sorgfältigste, ehe er dem Gotte das Trankopfer ausgiesst,^®) und als die
Pest aufhört, opfert man dem ApoUon die Hekatomben erst, nachdem das
ganze Heer sich auf die Aufforderung Agamemnons gereinigt hat, und alles
Unsaubere abgethan und ins Meer geworfen ist.^*) Von der Vorstellung
aber, dass es noch eine andere Unreinheit geben könne als die des Körpers,
findet sich in den Epen nicht die geringste Spur, denn aus der blossen
Erwähnung des Ixion an einer zudem noch interpolierten Stelle ^^) lässt
sich ganz gewiss nicht schliessen, dass der Dichter die Sage von der Rei-
nigung des Mannes durch Zeus gekannt habe.*^) Aber nicht lange dauerte
es, da empfand man, dass wenigstens einer, der seine Hand mit dem Blut
*) Kälber, Lämmer, Ferkel saugen alle \ jangfräulichen Athena ein trächtiges Schaf
beträchtlich länger als zehn Tage. Vgl. i dargebracht wird (S. 335 ZI. 57), wie denn
Lenz Naturgesch. Gotha 1851 I 654 u. 468. i in Patmos auch Artemis schwangere Opfer-
') ßoiig ^vig fjx^arag Z 93, K 292, y | tiere nicht vorschmäht zu haben scheint
382 ; fioaxov uCvyog uyvov Kaibkl Epigr. gr. (Kaibel Epigr. ^. 872)
1035, 21.
') CIA. 11 467 povq XQOfflag; Dittenb.
Syll. 388, 68 avy inlroxa.^
*) Dittenb. Syll. 373 vy iyxvfxoya; Kor-
nut. ncQi &€tüy 28 p. 211: &vovat' d'vg iy-
xvfÄoyag JfjfitjTQi ndyv oixelag. Opferord-
nung Yon^Kos im Joum. of Hell. Stud. IX 335
ZI. 61: oig rsXia xveooa. — Dasselbe Opfer
empfängt Rhea (ebenda S. 328 ZI. 3), und
auch den Eumeniden (Paus. II 11, 4) und
in Boioticn der Pelarge (Paus. IX 25, 6)
werden trächtige Tiere geopfert. Am auf- ") S 317
fallendsten ist es, dass in Kos selbst der | ^') Vgl. Schobmann a. a. 0. U 354.
*) ayyeirj d ean (pQoyeiy octa Porphyr.
De abst. II 19. Vgl. Clemens AI. Stromat
V 1 p. 652 u. IV 22 p. 628. Die Über-
setzung des Distichons ist von Jakob Beb-
NAYS : Theophrast über die Frömmigkeit S. 67.
®) Vgl. NiTZScu zur Odyssee I 310 u. A.
') ß 261.
») cf 750, Q 48.
») Z 266 ff.
»0) // 228 ff.
>») J 313 ff.
3. EultuBhaiidlaiigeii. (§ 83.) 107
eines gemordeten Mannes besudelt hatte, einer umständlicheren Reinigung
bedürfe, als einer blossen Abwaschung des Blutes, dass er, um wieder als
Unbefleckter vor Göttern und unter Menschen erscheinen zu können, sich
einer feierlichen unter bestimmten Geremonien vorgenommenen Lustration
unterziehen müsse. In homerischer Zeit besteht die einzige Mordsühne
in einer Wertentschädigung an die Verwandten des Erschlagenen,*) und
als der Mörder Theoklymenos dem Opfer Telemachs beiwohnt, wird auch
dieses nicht durch seine Anwesenheit entweiht;*) in der Aithiopis des Ark-
tinos aber^) muss Achilleus nach der Ermordung des Thersites sich einer
Purifikation unterziehen, begibt sich nach Lesbos, opfert dort und wird
dann von Odysseus gereinigt.*) Wie die Blutschuld die erste war, die eine
derartige Reinigung zu erfordern schien — und es ist wieder sehr charak-
teristisch für die Anschauungen der älteren. Zeit, dass der unfreiwillige
Mörder sie nicht minder auf sich lud, als der absichtliche^) — , so blieb
sie auch später, als noch manches andere für verunreinigend angesehen
wurde, immer die schwerste Befleckung und erheischte, auch wenn der
Forderung des Gesetzes genuggethan war, die ernsteste Sühnung, nament-
lich wenn der Gemordete ein Stammesgenosse {iiitfvXiog) war.^) Durch
das Blut, das an der Hand des Mörders geklebt hatte, war nicht nur
äusserlich sein Leib besudelt: die Befleckung {fivtrog, fitaafia) blieb an
ihm haften, auch wenn die wahrnehmbaren Spuren der That getilgt waren,
wie ein Krankheitsstoff, der auch andere, die mit ihm in Berührung kamen,
ergreifen konnte; und diese Unreinheit war nicht so leicht los zu werden.
Es war notwendig, die über die That zürnenden Götter, die Manen des Ge-
mordeten und seine Verwandten, denen nach alter Satzung die Pflicht der
Blutrache oblag, zu versöhnen. Schon bei der ersten Reinigung, von der
uns die Sage berichtet, sehen wir den Mörder, Achilleus, das Land, in
dem die That verübt war, verlassen. Geschah es auch nur auf kürzeste Zeit,
lediglich zum Zweck der Purifikation, so ist doch auch hier schon derselbe
Gedanke, dieselbe Ansicht, die später die Verbannung des Mörders fordert,
unverkennbar: in dem Land, wo der Erschlagene gelebt, auf dem Boden,
der sein Blut getrunken hat, darf der Mörder nicht weilen, die Manen des
Toten lassen ihm da keine Ruhe. Aber geht er ins Ausland, so ist es
grausam und gottlos, ihm die Reinigung zu verweigern. Zeus selbst hat
einst den Ixion gereinigt und der Sage nach damit das erste Beispiel und
Vorbild gegeben,') auch andere Götter versagen den Sterblichen diese Gnade
nicht,®) da dürfen es die Menschen ebensowenig: Orestes wird in Troizen ge-
reinigt,^) und derPhryger Adrastos vom lydischen König Kroisos.i<^) Be-
merkenswert ist, dass die Ceremonie nie von Priestern vollzogen wird.**)
>) / 633 (f., B 665, iV 574 u. 697, V' 89,
o 224, I 380, <p 27 (f.
«) o 222 ff.
') DuNTZER FragmeDte der cp. Poes.
S. 16; Welckeb Ep. Cvklus II 521 = Km
das GefQhl des Beflecktseins, das von der
Gemeinschaft der Götter ausschloss, noch
nicht so lebhaft und quälend empfand.
^) Vgl. Lobeck Agl. 968.
«) Vgl. Paus. II 20, 7.
KBL Epigr. gr. Frgm. I 33. ^) Pherekyd. Frgm. 103; Aischyl. Eum.
*) Es ist auffallend, dass der noch ün- 440 f. u. 717 f., frgm. 197 Herm.
gereinigte ein Opfer bringen darf, und wohl ») Apollod. II 1, 5.
auch ein Beweis dafür, dass man in den ^) Paus. II 31, 7.
heroischen Zeiten, auch als sich bereits das ' ^^) Herod. I 35.
Bedürfniss einer Reinigung zu zeigen begann, { > >) Lobeck Agl. 669.
108
A. Die griechischen Enltnaaltertümer.
Die spätere Zeit macht einen Unterschied zwischen absichtlichem und
nicht beabsichtigtem Todschlag, zwischen gerechter und ungerechter
Tötung. ^) Wer den Buhlen bei der Gattin, Tochter, Mutter oder Schwester
bei der That ertappte und ihn tötete, wer einen Geächteten oder einen
Tyrannen-) erschlug, brauchte nicht gereinigt zu werden,^) ebensowenig,
wen die Richter von der Schuld freigesprochen hatten. Für unerlaubten
vorsätzlichen Mord gab es keine Sühne, wer ihn begangen, durfte das Land
nie wieder betreten; wer ohne seine Absicht getötet hatte, musste auf eine
bestimmte Zeit in die Fremde gehen, durfte aber, wenn er gereinigt war
und sich mit den Verwandten des Erschlagenen ausgesöhnt hatte, in die
Heimat zurückkehren; unvorsichtiger Todschlag beim Waffenspiele machte
nur eine Reinigung notwendig. Dem unvorsätzlichen Mörder wurde die
Reinigung auch in der Heimat nicht versagt. Er verliess darnach das Land
mindestens auf ein Jahr*) auf einem vorgeschriebenen Wege.^) War die
Strafzeit abgelaufen, so söhnte er sich mit den Angehörigen des Getöteten
aus, was diese ihm nicht verweigern durften, unterzog sich nochmals einer
Reinigung und war dann ganz restituiert.^)
Doch mehr als diese halb rechtlichen Fragen gehen uns hier die
religiösen Ceremonien d. h. die Art der Reinigung selbst an.
Am ausführlichsten wird uns die Reinigung Jasons und Medeias nach
dem Morde des Absyrtos geschildert. ^) Die Mörder stellen sich Kirke als der
Reinigung bedürftig vor, ohne zu sagen, wer sie sind, und Kirke erfüllt
ihre Bitte,' ohne zunächst darnach zu tragen, wie Kroisos den Adrastos
reinigt, ehe er weiss, mit wem er es zu thun hat. Auch hier zerfallt der
Reinigungsakt in zwei Teile, wie der in der Aithiopis erwähnte: in die
eigentliche Reinigung und das Versöhnungsopfer; nur dass hier, wie natür-
lich, die Reihenfolge die umgekehrte ist. Kirke schlachtet ein noch sau-
gendes Ferkel, lässt das Blut des Tieres über die Hände der Mörder fliessen,
und wäscht diese, den Zeus Katharsios anrufend, mit Wasser ab, das sie
darnach durch eine Dienerin fortschaffen lässt. Darauf begibt sie sich an
den Herd des Hauses, verbrennt hier unblutige Opfer und giesst weinlose
Spenden ins Feuer, wiederum die Gnade des Zeus anrufend, der die Eri-
nyen besänftigen solle. Das Ferkel darf als fluchbeladen nicht auf dem
Herde verbrannt werden, sondern wird wohl von den Dienerinnen zusammen
mit dem verunreinigten Wasser beseitigt worden sein.^)
Hi, Noch viel umständlicher und wichtiger sind die Reinigungen
eines ganzen Volks. Diese werden teils in regelmässigen Zwischen-
räumen vorgenommen, auch ohne dass eine besondere Veranlassung vor-
liegt, weil man nicht wissen kann, ob nicht durch irgend eine verborgene
Missethat der Zorn der Gottheit erregt ist, und es vermeiden will, erst
duich eine über das Land verhängte Seuche oder andere Heimsuchungen
») Vgl. Isokr. Paneg. 10.
'^) Vgl. Zelleb in den Ber. der preuss.
Akad. der Wiss. 1887 S. 1140.
•^) Meier-Schoemakn'^ Att. Prozess 377 f.
*) ((TjeyinvTKTfiöc:, vgl. Plato Leg. IX p. 865.
'•) Demosth. Aiistokr. p. 644.
^) Dass der Reinigung nicht sogleich
oder ganz selbstverständlich die Söhnung
{IXaafAog) folgt, zeigt am besten das Beispiel
des Orestes (s. Aisch. Eum. 448 fF.).
') Apoll. Rhod. Arg. IV 702 ff.
") Vgl. Dorotheos bei Athen. IX 78 p. 410.
S. auch Didymos im Schol. zu Aristoph. Pax
956 u. Athen. IX p. 409 B.
3. Enltashaiidlimgeii. (§84.)
109
darauf aufmerksam gemacht zu werden, teils werden sie angestellt, wenn
man die Stadt durch irgend einen Greuel befleckt glaubt. Jenem Zwecke
dienen die grossen Sühn- und Versöbnungsfeste, wie z. B. in Athen die
alljährlich gefeierten Thargelien, diese finden, wie das in der Natur der
Sache liegt, nur in ausserordentlichen Fällen statt. Keine ist bekannter
und berühmter, als die Reinigung Athens durch Epimenides, den man
nach der Überlieferung dazu aus Kreta holen Hess. Die Mehrzahl der
Kyloniden war von einer Schar Athener unter Führung der Alkmaio-
niden ermordet worden und zwar an Altäi*en, zu denen sie Schutz su-
chend geflohen waren. So war der Frevel besonders schwer. Die Stadt
wurde von einer verheerenden Seuche befallen, und in dieser Not
wandte man sich, da nichts helfen wollte, an den berühmten Sühn-
priester in Kreta. Epimenides kommt und nimmt eine umfassende Reini-
gung der Stadt vor.*) Ehe mit dieser begonnen werden kann, müssen die
Alkmaioniden, welche die Schuld am Morde trugen, das Land verlassen, und
auch die Gebeine der inzwischen verstorbenen Mitschuldigen, die dem Ge-
schlecht angehörten, ausgegraben und über die Grenze geschafl^t werden.
So lange sie sich im Lande befinden, ist eine Reinigung nicht möglich,
weil von ihnen das jniacfia, welches das Land verpestet hat, immer aufs
neue ausgehen würde. Nach der Anordnung des Lustrierenden werden
schwarze und weisse Schafe auf den Areopag gebracht, wo an den Altären
der Eumeniden die Blutthat begangen war. Man dachte sich wohl, dass das
fuaafia an einigen Stellen der befleckten Stadt und des Landes besonders
hafte und von ihnen wie von einem Herd der Ansteckung sich vorzugsweise
verbreite. War ein Schuldbeflekter einen bestimmten Weg gegangen 2) und
hatte sich an bestimmten Stellen aufgehalten, so konnte man diese lustrieren:
hier hatten die Mörder sich noch lange nach der That im Lande befunden
und überall verkehrt, und so Hess man denn die Tiere frei laufen und
überliess es den Göttern, sie hinzuführen, wohin sie wollten. Wo sich ein
Schaf niederlegte, wurde ein Altar errichtet, und an diesem ward es ge-
opfert, und zwar keinem bestimmten Gotte, sondern t([) ngoaijxovTij dem
es zukäme. Deshalb vielleicht schon die Wahl der verschiedenfarbigen
Tiere, weil die chthonischen Gottheiten dunkle, andere weisse verlangten.
Neanthes von Kyzikos (bei Athen. XIII 78 p. 602) berichtet, dass Epimenides
auch ein Menschenopfer für erforderlich gehalten habe, und dass ein schöner
athenischer Jüngling sich freiwillig zu sterben erboten habe, andere Schrift-
steller,-^) dass zwei Menschen geopfert worden seien. ^) Dass Plutarch da-
Flut. Sol. 12, Diog. Laert. I 110; vgl.
112; Athen. XIII 78 p. 002. -- Es kommt
hier wenig darauf an, dass die Sache auf
historische Glaubwürdigkeit keinen Anspruch
machen kann, auch nicht darauf, ob Epime-
nides eine rein mythische Figur oder viel-
leicht ein in Athen eingebomer Priester war
(vgl. V. WiLAMOWiTZ Kydathen 131 u. Hom.
Unters. 210; Töpffeb Attische Genealogie
145): für unsern Zweck ist die Hauptsache,
dass man an die von ihm vollzogene Rei-
nigung Athens geglaubt hat, und dass die
Art der Lustration, die er angewandt haben
soll, in vielen Stücken vorbildlich geworden
ist. — Über Epimenides selbst vgl. die
Untersuchungen von Kohde Rhein. Mus.
XXXIII 208 flF.; Niese Histor. Unters, f. A.
ScHAEFER 1 ff., Bonn 1882; Loeschke Eune-
akrunos-Episode 28 ff., Dorpat 1888; Schul-
TESS De Einmetiide Crete^ Bonn 1877; J.
TöPFFER Att. Geneal. 140 ff.
*) Vgl. Demosth. Aristokr. p. 644.
») Vgl. Diog. Laert. I 110 Ende.
^) Der Name des einen, Kratinos, wiid
übereinstimmend bei Diogenes und Athenaios
überliefert. Die Quelle, welcher Diogenes
110 A. Die grieduBchen EaltoBaltertüindir.
von schweigt, beweist nicht, dass dies Opfer nicht wirklich vollzogen
worden ist,*) sei es nun von Epimenides oder einem andern Sühnpriester,
dessen Name nachher von dem sagenberühmten Kollegen verdrängt und
in Vergessenheit gebracht ist. Bei solchen Gelegenheiten hat man in der
That auch in späterer Zeit Menschenopfer gebracht.
Der Glaube, dass einzelne von den Göttern mit Offenbarungen be-
gnadete Männer sich vorzugsweise auf Reinigungen verstünden, ward bald
allgemeiner, und wie man sich in der Praxis erforderlichen Falls an solche
Sachverständige wandte, so wusste die Sage au berühmte Seher und Priester
der Vorzeit anzuknüpfen, und von Lustrationen, die sie vorgenommen hätten,
zu berichten. So sollte Melampus die Töchter des Proitos gereinigt haben,*)
und Teiresias gab an, wie das Haus des Amphitryon, in dem der kleine Herakles
die von Hera gesandten Schlangen erwürgt hatte, gereinigt werden sollte.')
85. Gebräuche und Ceremonien sind natürlich, wenn ein ein-
zelner Befleckter gereinigt werden soll, ganz andere, als wenn es sich um
ein Land oder eine Stadt oder überhaupt einen grösseren Raum handelt.
Hier fehlt das Blut von Opfertieren niemals, dort ist es nur dann unent-
behrlich, wenn der zu Reinigende selbst Blut vergossen hat; womit freilich
nicht gesagt ist, dass nicht auch in anderen Fällen Blutopfer gestattet
und in bestimmten sogar Sitte geworden waren;*) im allgemeinen aber
gilt, dass bei der Reinigung von Personen unter allen Umständen erforder-
lich nur das Wasser war. Und zwar ist nur fliessendes oder Meerwasser
geeignet, das auf die Dauer nicht befleckt werden kann,^) ein See oder
Teich würde selbst verunreinigt werden.*) Auch scheint das Wasser einiger
Quellen für besonders wirksam gehalten zu sein. Orestes soll mit dem
Wasser der Hippokrene gereinigt worden sein,') Pausanias (H 17, 1) er-
zählt von einem Quell in der Nähe des Heraions bei Mykene, dessen
Wasser man vorzugsweise zu Reinigungen gebrauchte,^) und die Argeier
benutzten den Quell Lerna zu demselben Zweck. ^) In andere Quellen
wiederum durfte man weder Opferblut giessen noch ihr Wasser zu Reini-
gungen gebrauchen.^®) — Bisweilen wird dem Wasser Salz beigemischt,**)
oder der Waschung eine Salbung mit Myrrhenöl hinzugefügt.*^) Auch mit
anklebenden, und deshalb alles Unreine aufsaugenden Stoffen, wie nasser
Erde, Kleien oder Eidottern wird der zu Reinigende bestrichen {ncQi^ir^^a^
bei der Schilderung der oben beschriebenen i ^) Sogar bei der Reinigung von Wohn*
Reinigung folgt, ^wo von Menschenopfern | häusem z. B. nach einem Todesfall scheint
nicht die Rede ist, bringt die Sache mit dem
t'iyog KvXuJycioy gar nicht in Zusammenhang.
Vgl. Piaton Leg. I G42d, der Epimenides erst
zehn Jahre vor beginn der Perserkriege nach
Athen kommen lässt.
>) ScHOEMAüN a. a. 0. II 362 Anm. 2
legt mit Unrecht darauf Gewicht, denn Plu-
tarch schildert die Reinigungsceremonien
überhaupt nicht.
«) Paus. VIII 18, 3; V 5, 5.
3) Theokr. id XXIV 80 ff.
*) Vgl. z. B. Paus. V IG, 5.
••) Eur. El. 794, Iph.Taur. 1193; Kaibel
Epigr. gr. 1034; Paus. IX 30, 4; V 5, G
u. s. w.
Meerwasser angewandt zu sein. Vgl. Röbl
I6A 395a und Dittrnbebqeb Sjll. 468, 15.
Köhler Mitt. des Arch. Inst, zu Athen 187<)
I 143 ergänzt nicht SttX[ttaatj]ir sondern
daX[Xoia]i : mit Lorbeer. Doch ist jetzt durch
das dnoQQaivETai ^a[X](iaa€f in der Inschrift
von Kos im Journ. of Hell. Stud. IX 329
ZI. 22 f. daXiiaatjt wohl auch dort als richtig
erwiesen.
') Paus. II 31, 11.
«) Vgl. Paus. V 15, 6.
*) Hesych. u. Aiqvi],
>o) Paus. I 34, 3.
»1) Theokr. id. XXIV 96.
'') Kleidemos bei Athen. IX 78 p. 410.
8. Ealtashandlimgeii. (§ 85.)
111
7r€^i/mrr«v), >) und dann alles durch Abwaschungen mit Wasser entfernt.^)
Sodann wird der Lorbeer, dem man eine reinigende Kraft zuschreibt,') bei
Lustrationen angewandt; desgleichen die Feige ^) und der Nieswurz.^) Das
wesentliche ist, dass jede Spur der Unreinheit getilgt wird, auch Gerüche.
Zu diesem Zweck wird ein Feuer angezündet,^) und Schwefel, Weihrauch
und stark duftende Kräuter darin verbrannt)
Alles was zur Reinigung angewandt {xad^ctQiiara^ xux^dgaia) und mit
dem Befleckten in Berührung gekommen ist, wird sorgfältig beseitigt, und
zwar vergraben®) oder ins Meer^) oder in einen Fluss^<^) geworfen. Nie-
mand darf etwas davon berühren, ^0 auch das gebrauchto Wasser wird fort-
geschafft.^^) Verbrannt scheint niemals etwas zusein. Beim Verlassen der
Stätte, wo man die xa^a^/iara fortgeworfen hatte, durfte man sich nicht
umschauen. 1*) Wurde ein Tier geschlachtet, so beseitigte man den Leib
und das zur Reinigung benutzte Blut auf dieselbe Weise. Für besonders
wirksam galt das Blut noch saugender Ferkel, ^^) wahrscheinlich erst in
späterer Zeit auch das von Hunden.'^) Ein vereinzelt dastehender Fall ist
es, dass bei der Reinigung des Heiligtums der Aphrodite Pandemos in Athen
eine Taube geopfert wird. *^) Dieser Vogel war ihr heilig, ^^) Schweine '®) aber
verhasst.^^) Mit Ferkelblut wurde der Platz, auf dem die Volksversammlung
abgehalten werden sollte, vor Beginn der Verhandlungen besprengt,*") und
wahrscheinlich jeder Ort, wo eine gi-össere Versammlung stattfinden sollte,
weil ein Befleckter darunter sein konnte; *0 wie denn z. B. die Mysterien-
inschrift von Andania bestimmt, dass der Priester TQetg xotQtcxovg schlachte,
und damit das Theater, das die Festversammlung aufnehmen sollte, reinige.**)
— Polybios (IV 21, 8—9) berichtet uns von einer Reinigung, welche die
Mantineier vornahmen, als sie ihr Land durch die Anwesenheit einiger Ky-
naither, die Bürgerblut vergossen hatten, befleckt wähnten. Zuerst verjagen
sie natürlich die Schuldigen, dann tragen sie die Opfertiere in der ganzen
Stadt und auf dem Lande umher, offenbar auch in dem Glauben, dass so
am sichersten alle Unreinheit sich auf diese übertragen und aus dem Lande
entfernt werden werde. Tanagra soll einst durch Hermes von einer Pest
befreit worden sein, indem er einen Widder um die Stadt herumtrug, und
*) Demosih. De cor. § 259. Vgl. Lobeck
Agl. 652 ff.
^) Flut, de supcrstit. 3; Luk. Dial. mort
I 1, Katapl. 7. negiQgalyBiy Poll. VIII G5.
^) Eur. Ion. 114 ff.
<) Paus. I 37. 4; Eustath. zur Od. 17 116
p 1572. Vgl. auch Stengel in den Jahrb. f.
Phil. 1883 S. 370 u. Töpffeb Att. Geneal. 249.
^) Plut. Quaest. gr. 46.
•) xadiigüioy Tirf, Eur. Her. 937. Vgl.
V. WiLAMowiTz Eur. Her. H 226 f.
') Vgl. Schobmann Gr. A.» II 368.
8) Z. B. Paus. II 31, 11.
») IL J 314.
'«) Paus. V 5, 6; VIII 41, 2.
'») Porph. De abst. II 44.
»^) Athen. IX p. 410.
»«) Schol. Aisch. Cho. 98.
>*; Aisch. Eum. 430 u. 282; Paus. V 16,
5; Schol. Apoll. Rh. Arg. IV 704 u. s. w.
Bildliche Darstellung eines Reinigungsopfers
bei Schreiber Kulturhist. Atlas Taf. XV n. 18.
^*) Plut. Quaest. rom. 68 vgl. 52.
'«) Inschr. im Bull, de corr. hell. 1889
S. 163.
»') Schol. Apoll. Rhod. Arg. III 549 u. s. w.
**) Vergl. die delische Inschr. im Bull,
de corr. hell. VI 22 ZI. 180: x<^''Q<^^ ^^ Ugdr
xa&ttQM, die cleusinische Ephem. arch. 1883
S. 119 ZI. 49: /oripofc &vo xa&[iJQai to Ibq]
6[y] und Joum. of Hell. Stud. IX 326: x«-
»») S. S. 84.
*®) Istros bei Suid. u. nsQiariaQxo^; Ari-
stoph. Ach. 43, Ekkles. 128; Aischin. Tim.
23 u. s. w. Vgl. Gilbert Gr. Staatsalt. I 274.
*') Harpokr. u. Suid. u. xad^agatoy,
2*) DlTTENBERGEB Syll. 388, 68.
112 A. Die griechischen Snltasaltertümer.
alljährlicli wird diese Prozedur von dem schönsten Jüngling wiederholt.
Für besonders geeignet zu solchen Zwecken gilt das Fell eines dem Zeus
Meilichios als Sühnopfer geschlachteten Widders, das sog. Jioq xo^diov.^)
Bei den Sühn- uud Reinigungsfesten wurde es in der ganzen Stadt umher-
getragen, als sollte es in seinen Flocken alles Unreine aufsaugen. 3) Auch
bei Reinigungen einzelner wird es angewandt. Der Betreffende tritt während
des Reinigungsaktes mit dem linken Fusse darauf,^) damit das fiiacfia^ das an
ihm haftet, in das Fell abgeleitet und von diesem aufgesogen werden könne,
wie das Wasser und die andern Substanzen, mit denen sein Leib gereinigt wird.
86. Verunreinigt werden kann man nun durch mancherlei, und es
bedarf kaum der Erwähnung, dass der Abergläubische und Ängstliche,
geradeso wie er in den geringfügigsten Begegnissen ein Omen wittert, auch
durch manches befleckt zu sein fürchtet, worüber der Verständige sich
keine Skrupel macht. Aber es gab auch genug Dinge, die allgemein als
verunreinigend angesehen wurden. Vor allem die Berührung mit Toten.
Vor das Haus, in dem sich eine Leiche befand, wurde ein Gefass mit
Wasser (agädnov),^) das aus einem fremden Hause geholt sein musste,
aufgestellt; wer das Haus betreten hatte, musste sich hier erst reinigen,
ehe er mit andern zusammenkommen durfte. Am Tage nach der Bestat-
tung des Toten mussten nicht nur die Bewohner des Trauerhauses, sondern
dieses selbst gereinigt werden. Ehe dies geschehen, durften nur die aller-
nächsten Verwandten, die von der Befleckung so wie so ergriffen waren
{fiiaivojxeroi)^ das Haus betreten, abgesehen vielleicht von noch einigen
Personen, deren Dienstleistungen unentbehrlich waren. *^) Dann mussten sich
alle Befleckten durch Waschungen des ganzen Leibes reinigen,^) sofern
sie nicht noch umständlichere Reinigungen für gut befanden.») Starb je-
mand €v dr^iioaiffi^ so musste der 6fiiioq gereinigt werden.^) So ist es denn
nur natürlich, dass in fast allen griechischen Staaten ^^) die Toten ausser-
halb der Stadt bestattet werden mussten, und wir verstehen, was für eine
Ehre es war, wenn der Gründer einer Stadt oder sonst ein hoch verdienter
Mann auf der Agora begraben wurde. In besonders heiligen und auf ihre
Reinheit mehr als andere haltenden Orten durfte überhaupt keine Leiche
*) Paus. IX 22, 2. | Anm. 15). Ähnlich ist es gewiss überall ge-
^) S. Lobeck Agl. 183 ff.; Frellbs ed. j wesen; s. Schol. zu Aristoph. Nub. 838, das
Gesetz des Solon Demosth. g. Makart. § 02
p. 1071 und die Inschrift aus Gambnon in
Mysien Dittenb. Syll. 470, 13 ff. Letz-
tere bestimmt, dass Zuwiderhandelnde zehn
Jahre von allen Opfein auszuschliessen seien.
Vgl. Iw. Müller Hdb. IV 462 d f. Dass in
Polemon 139 ff.
^) Der Ausdruck nnodionofÄTieiaO^aij der
fUr solche Reinigungen stehend ist und viel-
fach synonym mit xftd^aiQea&m gebraucht
wird (z. B. Plato Leg. IX 877 e) wird ur-
sprünglich auch nichts anderes bedeuten als
die Suhnmittel in Stadt oder Haus herum- beiden Inschriften nur von Frauen die Rede
tragen und dann wegschaffen. ist, erklärt sich wohl daraus, dass es diesen
*) Lobeck Agl. 185. | oblag, die Leiche zu waschen, zu kleiden
^) Poll. VIII 65. ' u. s. w. Vgl. Isai. Or. VI 41, VIII 22. Beim
^) Ausführliche Vorschriften darüber ent- | Begräbnis folgen beide Geschlechter.
hält ein Gesetz aus Julis auf Keos (Ditten- ') Dittenbeboer Syll. 468, 30 f.
beroer Syll. 468), welches ausser der Mutter, ®j Vgl. Plato Min. 315 D ; Schol. Ari-
Frau, den Töchtern und Schwestern des Ver- stoph. Vesp. 289.
storbeuon auch noch einigen wenigen ent- ®) Demosth. g. Makart. § 58.
f ernter verwandten Frauen und Mädchen den ^^) Über Ausnahmen s. Iw. Müller Hdb.
Zutritt gestattet (Dittenberoer a a. 0. S. 655 IV 463a A. 1.
d. Kaltnshandlimgen. '(§ 86-87.)
113
begraben werden. Bekannt ist die wiederholte Säuberung der Insel Delos
von allen Gräbern und Gebeinen, >) von der denn auch ebenso wie aus dem
Asklepiosheiligtum zu Epidauros alle dem Tode nahen Personen fortgeschafiPt
werden mussten.^) Wie der Tod galt auch die Geburt für verunreinigend.')
Die Wöchnerin, das neugeborne Kind und alle Personen, die bei der Ge-
burt irgendwie beschäftigt gewesen waren, bedurften der Reinigung, die
bei den Letztgenannten sogleich, beim Kinde nicht später als am zehnten
Tage nach der Geburt,*) bei der Wöchnerin am vierzigsten Tage nach der
Entbindung vorgenommen wurde. ^) Aus dem Asklepiosheiligtum in Epi-
dauros und aus Delos wurden Frauen, die ihrer Niederkunft in Bälde ent-
gegensahen, geradeso wie die Sterbenden entfernt.^) — Auch Beischlaf
ward als verunreinigend angesehen,^) wenigstens durfte man sich einem
Heiligtum nicht ohne vorhergegangene Reinigung nahen. Natürlich waren
die Vorschriften, die dafür in den einzelnen Tempeln bestanden, verschieden,^)
und ihre Handhabung war wohl auch öfters in das Ermessen der Priester
gestellt.^) Überhaupt hing es ja in diesen Dingen mehr als irgendwo
anders von der Ansicht und dem Gefühl des einzelnen ab, ob und wo-
durch er sich eine Verunreinigung zuzuziehen glaubte;*®) am bedenklichsten
blieb immer die Berührung mit einem Mörder oder einer Leiche. Plutarch
(Praec. ger. reip. XVH 9) erzählt, dass die Athener in einer Volksversamm-
lung eine zweite Reinigung vornahmen, weil während der Sitzung die
Nachricht eintraf, dass in Argos in einem Bürgerzwist 1200 Männer er-
schlagen worden seien. So glaubte man sich also schon durch das blosse
Anhören der Schreckensthat verunreinigt. Ein attisches Gesetz ' *) aber be-
stimmte, dass, wer einen Toten berührte, sich zehn Tage lang als
verunreinigt anzusehen habe, ein Zeitraum, der schon auf kürzere Frist,
als sonst Regel war, beschränkt zu sein scheint. ^^) Allgemein war die
Sitte, sich vor der Hochzeit einer religiösen Reinigung zu unterziehen. Durch
Bäder ^3) und Sühnopfer**) bereitete man sich auf das neue Leben vor.* 5)
Ebenso ging der Weihe der Mysten eine Reinigung voran, die mit der vor
der Vermählung üblichen in ganz auffallender Weise übereinstimmte.^^)
87. Wenn wir nun fragen, an welche Gottheiten sich die Befleckten
vorzugsweise wandten, so ist dabei erstens zu erwägen, dass die meisten
Reinigungen, wie wir gesehen haben, in einfachen, im Hause vorgenom-
menen Waschungen bestanden, bei denen man überhaupt keinen Gott an-
rief, und zweitens, dass es sich in vielen Fällen, wo eine Sühnung für not-
') 'fhuk. III 104; Herod. I Ü4; Diod.
XII 58.
«) Paus. II 27, 1.
') Zu beidem vgl. auch das Märchen des
Sophron im Schol. zu Theokr. II 12: Prelleb-
RoBEBT Gr. M. I 324 A. 4.
*) Suid. u. djjKpidgofÄia,
^) Censorin De die nat. c. 11, 7 p. 28
Jahn.
•) Paus. II 27, 1.
^) Vgl. schon Hes. Erg. 732 f., Inschr.
V. Eos im Joum. of Hell. Stud. IX 334 ZI. 44
und über Ehebrecherinnen Pseudo-Demosth.
Neair. 87 p. 1374.
Huulbiicb der kl«M. AltertnmswiMenachAft. V. 3.
^) Vgl. DiTTENBEROBB Svll. 379.
9) Vgl. Diog. Laert VIII 43.
»0) Vgl. Theophr. Char. 16; Arrian. De
venat. 32.
**) DlTTENBEROER Syll. 379.
»«) Vgl. Iw. Müller Hdb. IV S. 464b
Anm. 3.
") S. Iw. Müller Hdb. IV S. 447 c.
^*) Aisch. Eum. 835 u. Schol.
»5) Pseudo-Plut. Prov.^ Alex. 16. Vgl.
Demosth. De cor. p. 313.
'*) Lobeck Aglaoph. S. 646 ff. Lovatelu
im Bull, della comiss. archeol. com. 1879
S. 10 f.
Abtlg. 8
114 A. Die grieduBchen Snltasaltertümeir.
wendig gehalten wurde, um ein Vergehen gegen eine bestimmte Gottheit
handelte, deren Gnade und Verzeihung man dann eben auch erflehen musste.
Es kommen also hier nur die Fälle in Betracht, wo die Gottheit über-
haupt durch einen Frevel beleidigt ist, wo der Mensch im Gefühl seiner
Sündhaftigkeit, die ihn von Opfern, Festen, ja der Gemeinschaft der Mit-
menschen ausschliesst, die Erlaubnis der Annäherung, die Fähigkeit mit
Göttern und Menschen zu verkehren, wiederzugewinnen versucht. Dieser
machen ihn nicht etwa böse Gedanken, heimlicher Zweifel an der Gottheit,
innerer Zerfall und Abkehr von dem, was den andern heilig ist, unwert
und verlustig, sondern eine frevelhafte That, wie der Mord eine ist. Und
da wendet er sich dann allerdings an bestimmte Götter, vor allem an Zeus
{fieiki'xiog, xa&dqaiog^ äXe^txaxog, anoTQonaiog u. s. w.) und an ÄpoUon,
dessen Orakel in Delphoi in schwierigen Fällen wohl stets zu Rate gezogen
wurde, •) Abergläubische, namentlich Weiber, die auch wegen anderer Ver-
unreinigung die Hilfe von Winkelpriestern und weisen Frauen i^yxvTQt'
(ftQiai)^) in Anspruch nahmen, auch an Hekate.^) Man brachte ihr Hunde-
opfer*) und vergrub auch wohl die xai>aQnata an den ihr heiligen Kreu-
zungspunkten der Wege.^)
88. Es erübrigt noch die Frage, wo die Hellenen die Sühnungen und
Reinigungen kennen gelernt, und von welchem Volk sie sie angenommen haben.
Denn ursprünglich griechisch sind sie nicht, sonst würde ihrer in den
homerischen Gedichten notwendig Erwähnung gethan sein müssen. Herodot
(I 35) bemerkt bei der Schilderung der Reinigung, welche Kroisos mit dem
Mörder Adrastos vornimmt, gelegentlich, dass die Lyder diese Reinigungen
ganz wie die Hellenen vollziehen. Es ist wohl mit Recht daraus geschlossen
worden,*^) dass die Griechen die Mordsühne von den Lydern entlehnt haben.')
Der Gedanke, dass der Mensch, welcher den Gott erzürnt, einer Sühne
bedarf, ist dem homerischen Zeitalter überhaupt fremd; fürchtet man gött-
liches Strafgericht, so bringt man dem Gott Opfer und Weihgeschenke,
mit denen man ihn erfreuen und günstig stimmen will, aber die BegrifiFe
„sündhaft**, „fluchbeladen** und „Busse** sind dem Griechen damals noch
unbekannt, während sie in den Religionen der asiatischen, vor allem der
semitischen Völker, stets eine grosse Rolle gespielt haben.
89. Orientalische und namentlich ägyptische Einflüsse haben denn
auch — wenn nicht schaffend, so doch weiter entwickelnd — da mitgewirkt,
wo Reinigungen und Sühnungen als berufsmässig betriebene Kunst oder
als formliche Doktrin ausgebildet erscheinen. Es gab ganze Sekten, die
sich damit abgaben, und um ihrem Gewerbe das nötige Ansehen zu ver-
schaffen, führten sie ihre Kunst auf einen Stifter oder Meister der Vorzeit,
») Vgl. z. B. Diog. Laert. I 110. ! S. 371.
*) Plato Min. 315; Schol. Aristoph. Vesp.
289; Etyra. M. 313.
^) Da dies mehr die Mythologie als
den Kultus angeht, verweise ich hier nur
^) Eustath. zur Od. / 481; Harpokr. u.
ö^v&vfiiu, Poll. V 163.
^) S. z. B. Grote Griech. Gesch. üben.
V. Meissner 1 21.
kurz auf Preller-Robert Griech. Mj-ih. I | •) Bernats Theophr. 190 meint, dass die
143 ff. u. 28G ff. u. Röscher Mythol. Lex. Mordstihnung zuerst in Kreta üblich gewesen
1887 S. 1894 f. sei. Vgl. Töpffer Att. Gen. S. 167. S. 259
*) S. Stengel in d Jahrb. f. Phil. 1883 j A. 2.
\
3. Knltushandliingen. (§ 88—89.)
11.
von dem die Sagen berichteten, zurück. ^ Gedichte, denen das höchste
Alter zugeschrieben ward, wurden gesammelt, und je unverständlicher sie
waren, desto grösseren Nimbus lieh ihnen das Geheimnis. Die Melampodie ^)
galt für hesiodisch und schilderte ausser dem Leben des Melampus auch
die Thaten des Teiresias, Ealchas, Amphiaraos und anderer mythischer
Seher und Sühnpriester, ^) am berühmtesten aber wurden die orphischen
Gedichte und die Sekte der Orphiker.^) Hier spielten Reinigungen und
Sühnungen die grösste Rolle, und ihre Notwendigkeit, auch ohne dass eine
bestimmte Befleckung vorhergegangen war, wurde auf das nachdrücklichste
betont, denn der Mensch sei von Anbeginn sündhaft und bedürfe schon
deshalb einer besonderen Busse und Sühne und religiöser Weihen.^) As-
kese, dem Wesen des Hellenentums so fremd wie keinem andern Volke
und keiner andern Religion, Vermeidung gewisser Speisen — - und darin
berührten und vereinigten sich die Orphiker mit den Pythagoreern ^) —
Behandlung der Toten und eigentümliche Lehren über den Zustand und
die Schicksale der Seele nach dem Tode bildeten den Inhalt dieser Satzungen
und zeichneten die Sekte aus.^) Es konnte nicht ausbleiben, dass dies
Wesen und Treiben ausartete^) und bisweilen eine Form annahm, dass der
Staat sich veranlasst sah, gegen die Missbräuche einzuschreiten.^)
Allerdings muss man einen Unterschied machen zwischen jenen Or-
phikern, die sozusagen einen Orden bildeten und in diesen aufnahmen, wer
eintreten und sich den Satzungen fügen wollte, und den sog. Orpheotelesten ^^)
und Metragyrten,^^) deren Treiben nur den rohesten Aberglauben ansprach.
Diese gaben vor, durch allerhand Beschwörungen und Zauberwerk Krank-
heiten heilen und die Götter dem Bittenden willfährig machen zu können, i^)
jene versprachen durch geoffenbarte Lehren und Weihen den Ihrigen ein
glücklicheres und würdigeres Leben auf Erden, namentlich aber nach dem
Tode zu ermöglichen und zu sichern, und hätten sie sich auf eine höhere
Stufe erheben und mehr Beifall und Anhang zu erwerben gewusst, so hätten
sie dasselbe Ansehen und denselben Einfluss gewinnen können, wie die
andern Mysterien, zu deren Betrachtung wir uns jetzt wenden.
g. Mysterien und andere geschlossene Vereinigrungren.
Eleusinische Mysterien.
Litteratur: Ste-Croix reclierches sur les mysteres du paganisme, 2 ed. von
SiLVESTBc DE Sacy Paiis 1817. LoBBCK Aglaophamos sive de theologiae mysticae Grae-
corum cauais, Königsberg 1829 S. 1 ff. Otfr. Müller Allg. Encyklopftdie 1 33 S. 287 ff.
*) Vgl. V. WiLAMOwiTZ Hom. Unters.
210 f.
-) Vgl. ficKEBMANN Melampus und sein
Geschlecht S. 14 ff.
. «) Vgl. Herod. II 49; Paus. VIII 18, 3;
V 5 5
'*) Vgl. Eur. Hippel. 952 ff. Gieskke
Rhein. Mus. n. F. VIII 70 ff. Lobeck Agl.
235 ff. Pauly Realenc. III 994 ff. Naeoels-
BACH Nachhom. Theol. 402 ff. 0. Gbuppe
Die griech. Kulte u. Mythen I 632 ff. 0.
Kkrn De Orphei, EpimenidiSy Pherecydis
theogoniis qtMestt. crit. Berlin 1888. Über
Orpheus selbst Töpffeb Att. Geneal. S. 34.
^) Plato Kratyl. p. 400. Vgl. Lobbck Agl.
505 ff. 795 ff. 808 ff.
«) Vgl. Rohde Rhein. Mus. XXV S. 500.
') Diog. Laert. VI 4, vgl. VUI 33.
«) Vgl. Plato Rep. p. 364 D f.
*) Schol. zu Demosth. De fals. leg. p. 431 ;
Demosth. g. Aristokr. I p. 793; Scuoemann
Opusc. II 430.
»») Theophr. Char. 16.
'>) Lobeck Agl. G42 ff. Dabembebo
Dict. I 169 f.
'-') Plato Rep. II p. 364 D f.
8*
116
A. Die griechiBchen KnltiiBalterttLmer.
Pbellkb Id Fault's Realencykl. III S. 83 ff. und V S. 312 ff. mit ausfuhr!. Litteraturangaben.
Gebhard Akad. Abhandlgg. II, Berlin 1868 S. 436 ff. Chr. Petersen Der geheime Gottes-
dienst bei d. Griechen, Hamburg 1848. A. Mommsbn Heortologie 222 ff. Hermann Gottesd.
AJtt.'^ § 32. ScHOEMANN Gr. Altt.» II 377 ff. Naeoelsbach Nachhom. Theologie S. 387 ff. E.
CuRTTus Athen und Eleusis in d. Dts. Rundschau 39 (1884) S. 200 ff. Sauppe Attica und
Eleusinia. Progr. v. Göttingen 1880/81. Lehbs Popul. Aufs.* 315 ff. von Wilamowitz Ky-
dathen 129 ff., Homer. Untersuchungen 207 ff., Dittenbebobb im Hermes XX 1 ff. über die
Eleusinischen Keryken. Aug. Nebe De mysteriorum Eleusiniorum tempore et administra-
tione publica, Dissert. Halle 1886. Höttemann Jahrb. f. Phil. II Abt. 1881 Bd. 134 S.
457 ff. u. 564 ff. J. TöPFFEB Attische Genealogie Berlin 1889 S. 24 ff. über den Eleusin.
Priesteradel. C. Stbube Bilderkreis aus Eleusis. Baumeistbb Denkmäler u. Eleusinia S. 470 ff.
90. Es ist schon die Rede davon gewesen (S. 21), dass es Heilig-
tümer gab, zu denen nicht jedermann der Zutritt freistand, und ebenso ist
erwähnt worden, dass es Gentilkulte unter Aufsicht eines Familienmitgliedes
gab,^) an denen nur die Angehörigen des Geschlechtes teil hatten.^) Was
jene anbetrifft, so kann da von einem geschlossenen und ausschliessenden
Gottesdienst gar keine Rede sein, es handelte sich lediglich um rituelle
Bestimmungen, die nur für das eine Heiligtum galten, und die Männer
oder die Frauen, die es allein zu bestimmter Zeit betreten durften, waren
nichts weniger als eine Gemeinde Auserwählter; aber auch die Glieder
eines Geschlechtes, das seinen besonderen Kultus hatte, machten hierauf
keinen Anspruch. Apollon Patroos und Zeus Herkeios wurden als Schutz-
götter jedes Geschlechtsverbandes verehrt, und wenn eine Familie einen
besonderen Kult vorzugsweise pflegte, so geschah dies aus Pietät gegen
die Überlieferung der Ahnen, nicht weil sie sich auf diesen ihr allein ge-
hörenden Gottesdienst etwas zu gute that und von seinem Besitz und seiner
Übung einen Segen erwartete, dessen die andern unteilhaftig bleiben mussten.
Sollte dies aber auch ausnahmsweise der Fall gewesen sein, so war das
Charakteristische für eine religiöse Gemeinschaft: der Wunsch sich An-
erkennung, Anhang und Ausbreitung zu verschaffen, hier doch in jedem
Falle ausgeschlossen; die Glieder eines bestimmten Geschlechtes hatten
eo ipso teil an dessen Privatkult, wie die eines andern an dem des ihrigen,
und diese engeren Kreise gingen wieder auf in dem grossen der Volks-
gemeinde, wo die Götter des Staates und aller Hellenen verehrt wurden.
Etwas ganz anderes sind die Mysterien, unter denen die bei weitem
bedeutendsten die eleusinischen waren.
Eleusis hat lange als selbständiger Staat bestanden und ist wohl erst
im siebenten Jahrhundert Attika einverleibt worden. 3) Wie der Name des
Ortes selbst ein religiöser zu sein scheint,*) so haben die Bewohner im
Gegensatz zu ihren Nachbarn das religiöse Element und die durch die
gleiche Religion geschaffene Zusammengehörigkeit weit mehr betont als
das politische. Eleusis war ein Priesterstaat. ^) In einem solchen aber
musste sich die Religion, wie sie eine andere Stellung im öffentlichen Leben
hatte, so auch innerlich anders entwickeln. Das Dogma, das sonst in keiner
Religion so zurücktritt wie in der hellenischen, spielt hier eine hervor-
ragende Rolle, *^) und in den Sagen tritt das heldenhafte Element hinter
1) Vgl. CIA. III 1276.
2) Vgl. Lobeck Agl. 271 ff.
^) Vgl. V. Wilamowitz Kydathen 124 ff.
Att. Geneal. 41 f.
*) V. Wilamowitz ebenda S. 130 A. 50.
^) Ebenda S. 131.
«) Ebenda S. 129 f.
8. Koltashandlimgen. (§90.) 117
dem frommen zurück.^) Bereits im 7. Jahrhundert finden sich denn auch
die ersten Spuren der später so berühmten Mysterien. Demeter, erzählt
der Hymnos (473 ff.), habe den Fürsten von Eleusis die Anweisung über
die einzurichtenden Ceremonien {dqr^anoavvr^v tegm») gegeben und allen die
heiligen ogyia gezeigt. ,, Beglückt wer das geschaut von den Menschen^,
heisst es dann weiter (480 ff.), „wer aber ungeweiht der Heiligtümer
(ateXrjg leQm) und unteilhaft, der hat nimmer gleiches Los, auch gestorben
unter der wüsten Finsternis**, und V. 486 ff.: „Hochbeglückt, wen der erd-
bewohnenden Menschen jene Göttinnen geneigten Sinnes lieb haben. Als-
bald schicken sie ihm zum Herdgenossen (etpsanor) in das grosse Haus
den Reichtum, der den sterblichen Menschen Fülle gewährt.***)
Die Annexion von Eleusis durch die Athener wird ungefähr in die-
selbe Zeit fallen, aus welcher der Hymnos stammt. Der Staat der Krieger
und der Staat der Priester war nun eins geworden, wie sollten die viel-
fach ungleichartigen Elemente verschmolzen werden? Athen übernahm,
wie es den Boden erobert hatte, auch den Kultus dos unterworfenen
Stammes. Der eleusinischen Demeter wurde ein 'EXevainov mit umfassen-
dem te'uei'oc; gegründet vTto noXei,^) obgleich Demeter in der Stadt ihren
Kultus schon hatte. Zu eigentümlich war diese Demeter und ihr Dienst
bereits ausgestaltest, nur eine Stiftung, die recht eigentlich Filiale war,*)
konnte den Anforderungen der Göttin und der Ihrigen genügen, und sollte
Eleusis im Staate aufgehen, musste man ihnen auch in Athen gerecht
werden. Nicht sogleich wird der neue Gottesdienst weitreichende Ver-
breitung und Wirkung gefunden haben; nach allem, was wir wissen, war
das eigentümliche Wesen der Mysterien, das später so grossen Einfluss
übte, um diese Zeit auch erst in unscheinbarem Keime enthalten, und den
folgenden beiden Jahrhunderten war es vorbehalten, es zur Entfaltung zu
bringen.'») Die Zeit war günstig dazu;**) Schaffensfreudigkeit und Thaten-
drang war erstorben, man war über die Vergangenheit hinaus und hatte
vielfach mit ihr gebrochen, war unbefriedigt von der Gegenwart und bangte
vor der Zukunft, da am östlichen Himmel sich immer drohender die Wolken
ballten, und der Sturz auch des alten Hellas durch die unwiderstehliche
Persermacht nur eine Frage der Zeit schien. In dieser dumpfen, drücken-
den Schwüle hörte man gern auf Stimmen, die von Hoffnungen auf ein
besseres Jenseits sprachen, die den Gläubigen Unsterblichkeit verhiessen
und ein schöneres Dasein nach dem Tode. Wohl mochte sich mancher
geistvolle Mann abwenden auch von diesen neuen Lehren, verachtend und
verzweifelnd, wie mancher dem Vaterland, das er aufgab, den Rücken
wandte,^) aber die Frommen, die geistlich Armen und Bedürftigen lauschten
^) £benda S. 134 ff. j fÄvarijQia bezeichnet die Gegenstände^ des
') Die Übersetzung ist von Lehbs Pop. | Geheimdienstes gleich t« fÄvarixü oder anoQ-
Aufs.^ S. 318 f. ' Qt]Ta und zweitens die rituellen Handlungen
') V. WiLAMOwiTZ Kydathen 128. | des Gottesdienstes (Lobeck Agl. 55 f.).
*) CIA. I 1; Kydathen 128. | ß) Vgl. v. Wilamowitz Hom. Unters.
*) Auch der Name fdvariJQia findet sich 215 ff.; auch Lübbert De Pindaro theologiae
zuerst bei Herodot (II 51) und zwar für den orphicae censore, Lektionsverzeichnis v. Bonn
samothrakischen Gottesdienst, oQyia schon 1888/89 Anf.
im Demeterhymnos, ausserdem teXeraly was ^) Vgl. Hom. Unt. 217.
recht eigentlich ,die Weihen ** bedeutet.
118 A. Die griechischen Ealtasaltertümer.
doch den neuen Propheten, welche begeistert verkündeten, wo und wie
man die Erlösung finden könnte. In jener Zeit muss eine Reform des alten
Demeterdienstes vor sich gegangen sein, Peisistratos wird wie andere Gottes-
dienste, so auch diesen zum Staatskult gemacht haben. ^) Die vornehmen
eleusinischen Priestergeschlechter werden, ihre Rechte sich möglichst wah-
rend, ihre Einwilligung gegeben, und der Demos die neue Einrichtung ge-
billigt haben.*) Freilich handelte es sich hier noch um etwas ganz anderes
als die Erhebung eines Privatkultes zu einem öffentlichen oder die Ein-
führung eines neuen Gottesdienstes von Staats wegen. Die staatlich ge-
schützten, staatlich überwachten und gepflegten Mysterien behielten einer-
seits einen ausschliessenden Charakter und nahmen andrerseits einen inter-
nationalen an. Nur die Bürger des athenischen Staates, die sich ein-
weihen Hessen, hatten teil an ihnen, ebensogut aber jeder andere Hellene,
der sich unter die Mysten aufnehmen lassen wollte. Es ist nicht zu be-
zweifeln, dass das Ansehen und die Verbreitung der eleusinischen Mysterien
dadurch dass der Staat sie, man möchte sagen, übernahm, wesentlich ge-
fördert wurde, aber ebensowenig ist zu verkennen, dass ihre Bedeutung
eben dadurch leicht beeinträchtigt werden konnte und vielleicht beeinträch-
tigt worden ist. Wäre es möglich gewesen, die Autorität auch ohne den
Schutz des Staates zu erringen und zu bewahren, die Mittel auch ohne
seine Subvention aufzubringen, so konnte die unabhängige, in ihrer Stellung
mit keinem der bestehenden Staatskulte zu vergleichende Kirche einen
ganz unberechenbaren Einfluss gewinnen. 3) Der Staat nahm seine Pflichten
ernst, wie wir namentlich aus einem Psephisma ersehen, das die änaqxai
bestimmt, die die attischen Grundbesitzer und Kleruchien von ihrer
Getreideernte an den eleusinischen Tempel zu entrichten haben.*) Und
dies Interesse war begründet, denn „von dem abstrakten Werte der
eleusinischen Offenbarungen mag man so gering denken, wie man will:
den Wert, den Tausende, und auch die Besten, ihnen beigelegt haben,
und den Trost, den sie aber Tausenden gespendet haben, soll man schätzen
für die Zeit, wo die Offenbarung frisch war.*^)
91. Was war nun aber der Inhalt der Offenbarungen, die
die in die Mysterien Eingeweihten empfingen, und welche Hoffnung ward
ihnen gegeben, welcher Trost, der den XJnge weihten vorenthalten blieb?
Die Eingeweihten mussten schweigen über alles, was sie gesehen und ge-
hört hatten,^) und diese Pflicht verstand man ihnen so einzuschärfen, den
Verräter mit solch einem Bangen vor einer Strafe zu erfüllen, dass ihr
Gottesdienst in der That allen andern ein Geheimnis blieb, und auch wir
fast nur auf Vermutungen angewiesen sind. Es ist von fivarixoi Xoyoi und
fivcTixd dQWfieva die Rede,') die „dem Gläubigen die Überzeugung gaben,
dass der Geweihte im Jenseits den Göttern selige Reigen tanzt [Aristoph.
') Ebenda S. 209 f. S. 207 ff. Vgl. die Inschr. in d. Ephem.arch.
2) Ebenda S. 209. 1888 III S. 47.
3) Vgl. V. WiLAMOWiTZ Hom. ünt. 213. 1 "") v. Wilamowitz Hom. Unt. S. 208.
*) DiTTENBEROER SvH. 13; FoüCART im ! ^) Aristoph. Equ. 282; Paus. I 38, 7 ete.
Bull, de corr. hell. IV 225 ff. vgl. Vril (1884) ' ') Paus. II 37, 3; III 22, 2; IX 30, 6;
S. 194 ff. Sauppe Attica et eleusinia IVogr. i Plut. Sol. 9; Is. (>8 u. s. w.
Göttingen. 1880/81. Lipsivs Leipz. Stud. III ,
8. Enltoshaiidlimgen. (§91.)
119
Ran. 325 ff.], während der nicht Geweihte sieh in Strömen Kotes wälzt
[Plato Phaidon 69; Aristid. Eleus. 421] oder in das durchlöcherte Fass
schöpft**^) [Paus. X 31, 3].*) Auf welche Weise man diese Hoffnungen
erweckte und zur Gewissheit machte, darüber lässt sich Zuverlässiges nicht
sagen. Von Predigten und Unterweisungen kann gar keine Rede sein,
auch nicht von Enthüllungen, die sich von den Voraussetzungen des na-
tionalen Glaubens lossagten und eine andere Religion an seine Stelle setzen
wollten. Das hat Lobeck unwiderleglich bewiesen. Es wird sich eben
jeder bei dem, was er hörte und sah, das Seine gedacht haben, und den
einen wird mit gläubiger, froher Zuversicht erfüllt haben, was dem andern
dunkle Ahnung erweckte und dem dritten abgeschmackt und lächerlich
schien. Jedenfalls war die Sache so ernst und machte solch einen Ein-
druck, dass auch der Ungläubige sich frechen Spottes enthielt, und dass
der Staat, wenn er einmal gegen Mysterienfrevler einschreiten musste, sich
der Zustimmung der Menge versichert halten durfte.^) — Man hat die
Weihen sehr treflfend mit den „Gnadenmitteln* der christlichen Kirche^)
verglichen und sie geradezu ein „Sakrament genannt.^) Für die Gläu-
bigsten haben sie offenbar eine solche Bedeutung gehabt. „Gesegnet, wer,
nachdem er das geschaut, unter die Erde geht, er kennt das Ende des
Lebens und den Zeusgegebenen Anfang" sagt Pindar,^) und ähnlich So-
phokles:") „Dreimal glücklich die Sterblichen, die, nachdem sie die Weihen
geschaut, in den Hades gehen, denn ihnen allein wird dort zu teil zu leben,
den übrigen alle Übel dort,"*) Aristophanes ^) lässt den Chor der Ein-
geweihten in der Unterwelt singen: „Denn wir allein haben Sonne und
heiliges Licht, die wir eingeweiht waren und ein Leben geführt haben
gottesfürchtig gegen Fremde und Angehörige," *^) und eine Inschrift sagt
geradezu, das Sterben sei den Eingeweihten kein Übel, sondern ein Ge-
winn. ^0 £s bezogen sich also die Verheissungen auf das Leben nach dem
Tode, doch wird der Glaube, durch die Weihen den Göttinnen besonders
empfohlen und lieb geworden zu sein, wie schon der Hymnos auf Demeter
(487 f.) dies andeutet, auch die Hoffnung erweckt haben, schon in diesem
Leben grösseren Segens teilhaftig zu werden. **) Voraussetzung war also
der Glaube an individuelle Unsterblichkeit der Seele, ^^) und diesen zu er-
wecken und zu befestigen, wird demnach vor allem Zweck des gemein-
samen Gottesdienstes gewesen sein. Wie in unserer Kirche, namentlich
der katholischen, viele sich schon dabei beruhigen, der Kirche anzugehören,
und von dem Gebrauch ihrer Gnadenmittel schon das Heil erhoffen, so
haben ohne Zweifel auch sehr viele der Eingeweihten geglaubt, dass die
Einweihung selbst sie aller verheissenen Segnungen versichere, und in ein-
*) V. WiLAMowiTz Hom. Unt. 208.
^) ^gl- Auch Otto Jahn Darstellungen
der Unierwelt auf römischen Sarkophagen
S. 276 u. 8. w.
3) CIA. IV 274; Lys. g. Andok. Vgl.
Meieb-Schoevann Att. Prozess^ S. 368 f.
A. 482, S. 158 u. 183.
*) Schoemann Gr. A.^ II 397.
^) V. WiLAMOwiTz Hom. Unters. 208.
«) Frgm. 137 Bbbgk^
^) Bei Plut. De audiend. poet. 4 p. 21
D. Frgm. 719 Ddf.
») Lehbs Pop. Aufs.« S. 320.
») Kan. 455 flF.
'0) Lehrs a. a. 0. S. 319.
") Ephem. arch. 1883, 81. — Ähnliche
Äusserungen s. Isokr. Paneg. 6 § 28 und
mehr bei Lobeck Agl. 51 £f.
'^) Vgl. z. B. Cic. de leg. II 14.
") V. WiLAMOWiTZ Hom. Unt. 208.
120 ^' ^^ griechisohen Knltasaltertümer.
fältiger Frömmigkeit, bei den gottesdienstlichen Feiern in Andacht sich
berauschend, voll Dank gegen die Gottheit die Erlösung, die ihnen hier
geboten wurde, freudig zu ergreifen gesucht. Dass trotzdem viele sich
nicht einweihen Hessen,^) darf uns ebensowenig wundem, wie dass heute
nicht alle in den Schoss der „allein selig machenden^ Kirche flüchten, oder
viele sich der Sündenvergebung und Seligkeit verheissenden kirchlichen
Gnadenmittel nicht bedienen. Doch muss die Zahl der Eingeweihten schon
früh recht beträchtlich gewesen sein. Herodot (VIII 65) erzählt, dass sich
vor der Schlacht von Salamis bei Eleusis eine Staubwolke erhoben habe,
„wie von 30000 Menschen'', aus der es geklungen habe, wie der Jakchos-
ruf der Mysten. Es ist darnach wahrscheinlich, dass schon zu der Zeit,
als diese Geschichte erzählt wurde, also doch vermutlich bald nach 480,
die Zahl der in die eleusinischen Mysterien Eingeweihten etwa 30000 be-
tragen habe. Es brauchen dies nicht bloss Athener gewesen zu sein,
Herodot sagt ausdrücklich: jeder Hellene, der es wünscht, lässt sich ein-
weihen, und ob in noch früherer Zeit die Erwerbung des athenischen
Bürgerrechts Vorbedingung war, ist auch nicht ausgemacht.') Freilich
wird die Zahl der fremden Teilnehmer zu jener Zeit noch sehr gering ge-
wesen sein, denn wenn die Mysterien damals schon die Bedeutung gehabt
hätten, wie etwa zur Zeit des peloponnesischen Krieges, wäre es undenk-
bar, dass der Spartaner Demarat von ihnen so gut wie gar nichts wusste.^)
In den fünfzig Jahren zwischen 480 und 430 haben sie ihren Ruhm ge-
wonnen. Das ist die Zeit, in der das attische Reich geschaffen wurde, in
der Athen in jeder Hinsicht die Führerin des ganzen Hellas war. Mit der
Machtstellung Athens sank auch die Bedeutung und das Ansehen der
Mysterien wieder. Sie bestanden Jahrhunderte fort, aber während sie einst
wirklich dem religiösen Bedürftiis frommer und kluger Männer genügt
hatten, wurden sie zu äusserlichen Ceremonien, die trotz alles ihnen zeit-
weise wieder aufgetragenen äusseren Glanzes ohne Inhalt und Leben waren.
Cicero, der selbst eingeweiht ist, scheint zwar noch mit Achtung und Be-
wunderung von ihnen zu sprechen,^) ebenso Pausanias,^<^) doch ist hinter
den klingenden Phrasen wohl nicht mehr viel zu suchen. Noch Kaiser,
wie Hadrian und Mark Aurel, Hessen sich aufnehmen,^) aber welch eine
Wandlung sich in der religiösen Bedeutung der Mysterien schon damals
vollzogen hatte, zeigt nichts mehr als die Thatsache, dass der Kult der
Sabina, der Gemahlin Hadrians, mit dem Kult der eleusinischen Gottheiten
verschmolzen war. ') Der Christ Valentinian verbot alle nächtlichen Feiern
mit Ausnahme der eleusinischen Mysterien,^) und die streitbaren Kirchen-
väter beschäftigen sich mit keinem andern heidnischen Kultus so angelegent-
lich, aber all das kann nur beweisen, dass sie einst bedeutend waren. In
der Kaiserzeit scheinen sie bereits jeden Einfluss auf das Leben des Volkes
verloren und nur noch ein Schattendasein geführt zu haben, dessen lange
») Vgl. Lehks Pop. Aufs.» S. 317 flf.
'^) Vgl. Nebe a. a. 0. S. 9, der aus Istros
fr. 20 Müller fr. bist. Gr. 421 u. Apollod.
XI 5, 12 diesen Schluss zieht.
^) Herod. a. a. 0. I/Obeck Agl. 282.
ScHOEMANN a. a 0. II 382 A. 1.
*) De leg. II 14 § 36.
^) V 10, 1; X 31, 11.
®) DiTTENBEBOEB Hemies XX 33.
') CIA. III 12; 899; CIG. 1073.
»j Zosim. IV 3 p. 176
8. Kaltoshandlnngen. (§ 92.) 121
Dauer von der einstigen Fülle der Lebenskraft zeugt; denn sie bestanden
bis zum Ende des vierten Jahrhunderts.^)
i)i. Betrachten wir jetzt das mehr Ausserliche: die Beamten und
Würdenträger und ihre Funktionen, und die Festfeiern der Eingeweihten,
und versuchen wir dabei eine Vorstellung davon zu gewinnen, auf welche
Weise und durch welche Mittel auf die Gemüter der Gläubigen ein-
gewirkt wurde.
Der vornehmste Kultusbeamte war der Hierophant.^) Sein Name
weist schon darauf hin, dass er die geheimnisvollen Heiligtümer und Ge-
bräuche zu zeigen und zu erklären hatte. ^) Er gehörte dem Geschlecht
der Eumolpiden an, und diesem allein stand das Recht der Exegese zu.^)
Neben ihm gab es noch eine hgogiamg,^) die ebenfalls aus dem Geschlecht
der Eumolpiden war.*) Beide waren, wenigstens in späterer Zeit, hieronym,')
durften also in ihrem Amte ihren Namen nicht führen. Wahrscheinlich
war es dem Hierophanten auch nicht gestattet, neben seinem priesterlichen
noch ein anderes Amt zu bekleiden.») — Die drei folgenden Priester, welche
dem Hierophanten im Range am nächsten standen, gingen aus dem Ge-
schlecht der Keryken hervor. Von ihnen ist der bedeutendste der Da-
duchos,^) über dessen Funktionen wir fast nur wissen, dass er gemeinsam
mit dem Hierophanten den Erntezehnten für die eleusinischen Gottheiten
einzutreiben hatte; ^^) darnach der xyjqv^^ in der nachklassischen Zeit Icqq-
^Q^^ genannt. '0 Ihn^ l&S ^ vielleicht ob, die Opfer zu beaufsichtigen.^^)
Der dritte ist der Altarpriester, 6 im ßwfi^.^^) Alle vier Ämter waren
lebenslänglich ^^) und erbten in einer bestimmten Familie weiter. ^*) Daneben
gab es dann noch eine Reihe anderer Kultusbeamten, wie den tegevg na-
vayi'jq^^) und die anoviotpogoiy^^) Herolde, welche den Gottesfrieden ver-
kündigten und zur Festfeier einluden.^') Auch sie wurden aus dem Ge-
schlecht der Eumolpiden oder der Keryken gewählt.*^) — Die Oberaufsicht
über die Mysterienfeier und ihre Leitung stand, da es ein Staatskultus
war, dem Archen Basileus zu.^^) Zur Seite standen ihm dabei vier Epi-
meleten,*®) die auch die Aufsicht über die sonst im Laufe des Jahres vor-
geschriebenen Opfer zu führen hatten. 2*) Von ihnen wurde einer aus dem
^) Zosim. a. a. 0. Vgl. v. Lasaulx Der
Untergang des HeUenismus S. 84 Anm. 242.
2) TöPFFBB Att. Geneal. 44 flF. 70 f.
«) Vgl. Diog. Laert II 101, VII 186, die
Lexikographen u. Uqoqxxvirjg und Töpffeb
a. a. 0. S. 47 f.
^) Andok. myst. 116. Dittenbebgeb im
Hermes XX 12. Töpfpbb 71 f.
^) EAiBEL£pigr. gr. 863. Vgl. Pbelleb
in Paults Realenc. III 90 f. Mommsbn Ueortol.
236 f. TöpppKB S. 51.
•} TöPFFBB S. 63 flF.
') CIA. III 900, 901, 914. Kaibel a.
a. 0. Luk. Lexiph. 10. Vgl. Dittenbebgeb
Herm. XX 13 Anm. 1. Töpffeb S. 52 f.
^) Dittenbebgeb a. a. 0. S. 35; Töpffeb
S. 53 f.
*) Dittenbebgeb SyU. 13 und im Hermes
XX 14, wo auch gezeigt wird, dass die Da
Lykomiden übergegangen ist. Töpffeb S.
86 f.
»0) CIA. IV 27 b. Vgl. Töpffeb S. 87.
11) Dittenbebgeb im Hermes XX 18 f.
TöPFFBB S. 87 f.
»*) Pbelleb a. a. 0. III S. 90.
•3) Vgl. Töpffeb S. 88.
1^) Dittenbebgeb im Hermes XX 20 f.
Töpffeb S. 88.
15) Dittenbebgeb a. a. 0. S. 22 flF. Töpffeb
S. 51. 64. 89 f.
1«) Dittenbebgeb a. a. 0. S. 27 f.
>^) Aischin. II § 133 f.
1«) Dittenbebgeb a. a. 0. S. 29. Töpffeb
S. 80 u. 90.
^*) Pbelleb a. a. 0. >S. 89, Dittenbebgeb
a. a. 0. S. 30.
2^) Aristot. bei Harpokr. u. inifiBktjTtjg
T(oy fxvartjQiiüy. Vgl. CIA. III 1188.
dachenwQrde nie auf das Geschlecht der | =<>) £phem. arch. 1887 S. 173 u. 177.
122
A. Die griechischen Knltasaltertttmer.
Geschlecht der Eumolpiden, einer aus den Keryken gewählt,*) wie denn
überhaupt die Mitglieder dieser beiden Geschlechter auch abgesehen davon,
dass ihnen ausschliesslich die höchsten Priester entnommen wurden, noch
mancherlei Pflichten und Rechte hatten.*) — Die Aufsicht über die Ge-
bäude, Tempelgüter, Geräte und Kostbarkeiten hatte das Kollegium der
ernfftdraiy^) an die auch die aus dem Verkauf des heiligen Getreides von
den tsQOTToioi eingenommenen Geldbeträge abgeliefert wurden,*) sofern nicht
anderweitige Verwendung beschlossen war."^) Die Dauer ihres Amtes be-
trug vier Jahre, die iegonoioi wechselten jährlich.®) Besonderen Tafum
ToTv xheotv lag die Verwaltung des gemünzten Geldes ob.')
93. Wer in die Mysterien aufgenommen werden wollte, hatto
sich deshalb an einen Eumolpiden oder Keryken zu wenden, und dieser
weihte ihn dann.^) Er brauchte selbst kein priesterliches Amt zu bekleiden,
es genügte, dass er einem der beiden Geschlechter angehörte.^) Der Akt selbst
hiess iivtTv oder fivaTaywysiVj der Weihende fivaTaywyogJ^) Eine Vorstellung
von den dabei üblichen Ceremonien können wir vor allem aus einem Vasen-
bilde gewinnen, das ErsiliaLovatelli im Bull, della commissione archeol. com.
1879 S. 5 flf. veröffentlicht und besprochen hat (Taf. IV Fig. 3). Der
Einzuweihende steht, ein Löwenfell übergeworfen, mit nackten Füssen in
demütiger Haltung vor einem Priester, die Rechte hält das Opferferkel, ^0
auf dessen Kopf der Priester eben Wasser giesst, die Linke Opferkuchen.
Die nächste Scene stellt wohl die Weihung selbst dar. Der Betreifende
sitzt auf einem Sessel, das Haupt und den ganzen Körper bis auf den
rechten Arm und einen Teil der Brust von einem Gewände verhüllt, die
Linke scheint eine Fackel zu halten. Hinter ihm steht eine Frau, wahr-
scheinlich die Hierophantin, . die ihm eine Getreideschwinge {Kxvov) über
das Haupt hält, das Symbol der Reinigung und Läuterung. Die dritte
Gruppe zeigt Demeter sitzend, in der Linken eine Fackel haltend, von einer
Schlange umwunden, deren Kopf der nun wahrscheinlich zum Epopten ge-
wordene Myste^*) liebkost. Der Göttin zur Rechten steht Persephone, eben-
falls eine Fackel tragend.
Aufgenommen konnte jeder Hellene werden, ^^) nur wer durch Blut-
schuld oder ein anderes Vergehen verunreinigt war, war ausgeschlossen
gleich den Barbaren;**) Sklaven durften eingeweiht werden.*^)
94. Alljährlich wurden zwei grössere Feste gefeiert, die kleinen
^) In der Diadochenzeit scheint die Zahl,
vermutlich vorübergehend, auf zwei redu-
ziert zu sein. Dittbnbebgeb SyU. 386 und
im Hermes XX 80. Vgl. Töpffeb S. 78 f.
^) S. DiTTKNBERGEB im Hermes XX 30 f.
Töpffeb S. m flf.
'') CIA. II 682 c. Vgl. 834 b. Ephem.
arch. 1883 S. 109 flf. 1888 (III) S. 41 flf.
*) Ephem. arch. 1888 (III) S. 55.
^) Bull, de corr. hell. IV 225.
«) Ephem. arch. 1888 n. 41 u. 47.
'j CIA. II 605. III 5, 731. Swoboda
Wiener Stud. X 729 f.
«) CIA. IV 1.
^) Dittenbergeb im Hermes XX 31 flf.
Töpffeb S. 77.
»0) Lobeck Agl. 29 flf.
»^) Vgl. Schol. zu Aristoph. Ach. 747,
Fax 375; Epicharm. im Etym. M. p. 255 u.
") LOVATELLI S. 14.
»» Vgl. Herod. VIII 65.
*■*) LOBECK Agl. 15.
**) KocK Frgm. com. II 473. S. Lobeck
Agl. 19. Schoemann Gr. Alt.» II 384 Anm.
6. DiTTENBEBOEB Syll. 388, 18, wo der Ma-
ximalpreis der Kleider, welche die Sklavinnen
bei der Mysterienfeier in Andania tragen
dürfen, festgesetzt wird.
8. EnltaBhandlnngen. (§93-95.) 123
Mysterien im Anthesterion (Februar)*) zu Agrai,^) einer Vorstadt Athens,
und die grossen Eleusinien im Boedromion (September). 3) Über beide sind
wir sehr mangelhaft unterrichtet. Von den kleinen Mysterien wissen wir
nur, dass hier Demeter hinter Persephone und auch Dionysos zurücktrat,*)
dass der Feier eine Reinigung voraufging, und wahrscheinlich dramatische
Darstellungen oder lebende Bilder, die sich auf die Kultuslegende bezogen,
einen Teil des Festes ausmachten. <^) Die Einweihung in diese Mysterien
musste der in die grossen vorangehen.^) Gs scheint demnach die Aufnahme
unter die fivtrtai nur im Anthesterion möglich gewesen zu sein. Doch
wurde auf den Wunsch oder Befehl mächtiger Personen wenigstens in
späterer Zeit auch eine Ausnahme gemacht.^) Leuten, die nur noch auf
eine kurze Lebensfrist zu rechnen hatten, hat man die Auftiahme vielleicht
zu jeder Zeit bewilligt.*) Ein halbes Jahr nach der Einweihung in die
kleinen konnte man sich in die grossen Mysterien aufnehmen lassen. Auch
hier gab es noch verschiedene Grade, und die Aufnahme unter die Epopten,
die Schauenden, wurde nicht sogleich gewährt.^)
95. Die grossen Eleusinien,*^) die wie die kleinen in die Mitte
einer sieben- bis achtwöchentlichen Ekecheirie fielen, * *) begannen spätestens
am 16. Boedromion.**) Dieser Tag hiess aXads fuLvaraiJ^) Es fand also an
ihm eine Reinigung der Mysten, die sich nach der Bekanntmachung (tt^ö^
Qr^tTig^ ngoayoQcvaig) des Basileus schon am Abend vorher in Athen ver-
sammelt haben werden, im Meere statt. Wer zum ayv^fiog^*) nicht recht-
zeitig erschienen war, konnte wohl auch an einem der nächsten Tage, ehe
die Festversammlung die Hauptstadt verlassen hatte, nachträglich aufge-
nommen werden.*^) Bis zum 20. blieb man in Athen, und diese Zeit mag
mit feierlichen Umzügen zu den Heiligtümern und mit Opfern ausgefüllt
worden sein. Am 20.*^) begaben sich alle Festgenossen, in späterer Zeit
mit weissen Kleidern angethan,*') auf der heiligen Strasse {isQci 666g) nach
Eleusis. Jakchoszug hiess die Prozession nach dem Gotte, dessen Bild
von dem Jakchagogos voraufgetragen wurde.**) Es ist eine Gottheit, dem
Bakchos nahe verwandt, der Gott der lärmenden Freude. Unter fort-
währendem Rufen seines Namens und heiligen Gesängen bewegten sich
^) Ad. Schmidt Griech. ChroDoL, Jena i ^^)S. darüber nameDÜich MoMMSBNHeort
1888 S. 290 setzt das Fest auf den 19—21 I 224 flf. Schobmann Gr. A. II 386 flf.
Anthesterion an. <*) Dittenberoeb Syll. 384b.
«) Plut. Demetr. 26. Vgl. Gbbhabd
Akad. Abb. II 174 ff. Mommsbn Heortol.
373 ff.
') Aristid. I 422.
*) Schol. Aristoph. Plut. 845. Mommsbn
Heortol. 373. Hebmann G. A.^ § 58 A. 29.
*) Steph. Byz. u. Agra. Polyaen. Stra-
teg. V 17.
«) Plut. Demetr. 26. Plato Gorg. 497 c.
') Plut. Demetr. 26. Cass. Dio LIV 9.
'^) Plut. Phok. 6. Polyaen. Strateg. III
11.
>*) Mommsbn Heort. S. 222 Anm. Vgl.
die eleusin. Inschr. Ephem. arch. 1887 S. 177
ZI. 20.
'*) S. Hesych. u. d. W.
i*^) S. Paus. II 26, 7 u. Schobmann Gr.
A.» II 387.
'^) Schol. Aristoph. Ran. 324. Mommsbn
Heort. 229 setzt den Zug auf den 19ten an,
^) Vgl. Aristoph. Pax 371 ff. 1 das Eintreffen in Eleusis nach Sonnenunter-
') Lobeck AgI. 54 u. 123 ff. Mommsbn
Heortol. 22 f. Schoemann Gr. A.» II 394.
Auch in der Inschrift von Andania ist von
TtQtarouvijria die Rede Dittenbbbgeb Syll.
388 ZI. 14, 50, 68. | 17 ff.
gang, also auf den 20ten.
»') CIA. HI 1132. PhUostr. Vit. soph.
p. 58, 15 Kays.
''') Vgl. Ephem. arch. 1887 S. 177 ZI.
124 ^* ^i® griechiBchen EiiltiiBaltertümer.
die Zelintausende gewiss langsam genug fort, an mehr als einer Stelle
der an Erinnerungen und Denkmälern reichen Strasse ^) ihren Marsch unter-
brechend. Wohlhabende Frauen fuhren auf Wagen, ^) bis ein Gesetz des
Lykurgos dies untersagte.-^) So mochte der Tag, da die Strecke vier Stunden
Weges betrug, wohl hingehn. In den folgenden Tagen fand dann die Haupt-
feier statt: Opfer, ö) Fackel tanze *) und vor allem die nächtlichen Feiern
in den geschlossenen Räumen.^) Nach gewiss wiederholt vorgenommenen
Reinigungen,^) mehrtägigem Fasten, sodann dem Genüsse des xvxetiv, eines
Mischtranks, den auch Demeter, nachdem sie in ihrer Trauer lange jede
Speise verschmäht hatte, zuerst zu sich genommen haben sollte,^) und nach
mancherlei anderen Vorbereitungen ^^) fand sich die Menge in lautloser Stille
und zunächst jedenfalls in tiefer Finsternis in dem ungeheuren Tempel-
gebäude, das seinem Zweck entsprechend, einem Theater ähnlicher war,
erwartungsvoll zusammen. Vielleicht wurden für die erst vor einem halben
Jahr in die kleinen Mysterien Aufgenommenen und für die älteren Epopten
besondere Feiern veranstaltet.**) Den Mittel- und Glanzpunkt bildeten td
dQoifxeva,^^) die dramatischen Darstellungen und lebenden Bilder. Der Hiero-
phant erschien in prächtigem Gewände mit der königlichen Kopfbinde, '^)
und ohne Zweifel wurde alles, was Kunst und Technik zu leisten ver-
mochte, aufgeboten, um den sinnlichen Eindruck möglichst überwältigend
zu machen.*^) Gegenstand der Darstellungen waren Scenen aus dem Sagen-
kreise der gefeierten Götter: der Demeter und Persephone, des Jakchos,
des Hades. *^) Bei einer ähnlichen Feier in Arkadien wird unter anderem
die Rückkehr der Persephone aus dem Hades dramaartig dargestellt,^^) und
selbst für den samothrakischen Kultus ist ein dem Umherirren der ihres
Kindes beraubten Demeter gleicher Vorgang bezeugt.*') Die Ifyofxeva hatten
wahrscheinlich in erster Linie den Zweck, das Gesehene zu erklären; aber
auch so weit sie etwa selbständige Bedeutung hatten und in Mitteilungen
aus den tcgol Xoyoi^ aufgezeichneten Legenden hieratischen Inhalts, be-
standen,^^) kann man sie höchstens, wie dies auch geschehen ist, mit der
Liturgie in unsern Gottesdiensten vergleichen und darf ihnen in dem Ganzen
nur eine untergeordnete Stellung zuweisen. Es war ein Gottesdienst, be-
») Herod. VIU 65. ' S. 176.
'^) Vgl. SCHOEMANN a. B. 0. S. 388 f.
3) Aristoph. Flut. 1013 f.
*) Flut. Dec. orat. Lyk. 7.
^) DiTTENBEROEB Syll. 13. CIA. I 5
U. 8 W
«) Soph. Oid. Kol. 1045; Aischyl. im
Schol. dazu; £ur. Ion 1075 ff.
'') Strabo IX 375.
^) Vgl. Mitt d. Arch. Inst, zu Athen
XIV 124.
^) Flut. Quaest. symp. IV 4, 1. über
den xvxBiov s. besonders Röscher in d. Jahrb.
f. Fhil. 1888 S. 523 f.
") S. TöPFFER Att Geneal. »S. 46 f.
**) Vgl. Faus. V 10, 1 und Lobbck Agl.
44 flf.
") Vgl. FoucABT im Bull, de corr. hell.
VII (1883) 397 flf. Förster Raub und Rück-
kehr der Fersephone S. 19 fif. Ober den Zu-
sammenhang des Dionysos und überhaupt
der chthonischen Gottheiten mit den My-
sterien Ephem. arch. 1886 S. 25 flf. u. Fou-
CART le culte de Pluton dans la religion
eleus. TöPFFER Att. Geneal. 34.
*•) Lebas-Foucart inscr. de la Grece II
6 n. 352 h.
^0) S. Hermann G. A.^ § 32 A. 18. »^) Archäol. Unters, auf Samothr. II 26.
''^) Vgl. MoMMSEN Heort. 261 f. '*) Vgl. d. Inschr. v. Andania Dittbn-
'2) d(}(}y bedeutet in Beziehung auf den beroer Syll. 388, 12 f. Faus. VIII 15, 2.
Kultus stets das Geheimnisvolle. Faus. II i Apul. Metam. XI 16.
12, 1 und Frisdländer Lobecks Briefwechsel
3. KnUnshandlimgen. (§ 96.)
125
stimmt durch die sinnliche Pracht der Ausstattung, die durch die Musik
wirksam unterstützt ward,*) zu berauschen und in verzückte Andacht zu
versenken, Mittel, die ja auch heute noch nicht verschmäht werden und
nicht versagen. Fühlt die Menge sich ergriffen und von dem Gefühl der
frommen Stimmung, die sie gern für Frömmigkeit nimmt, befriedigt und
erbaut, so kann der einzelne immerhin tiefe und nachhaltige Eindrücke
empfangen, die auf seine religiösen Empfindungen, seinen Glauben und
dann vielleicht auch auf seinen Lebenswandel bestimmenden Einfluss haben
mögen. Das Entführen des Lebendigen in die Unterwelt, das Auf ersteh n
zu neuem Leben, das Vorführen von Scenen aus dem Leben, das der
Seligen einst wartet, und vielleicht auch von Qualen, die den andern be-
vorstehen,*) zudem die Menge der Gläubigen und ihr frohes Bekenntnis —
das alles muss in der That geeignet gewesen sein, den Glauben an Unsterb-
lichkeit zu wecken und vielleicht auch Vorsätze zu guten Werken. Denn
den Guten und Gottesfürchtigen hatte die Göttin zuerst Gnade erwiesen
und ihnen dauernd verheissen.^) Daran aber, dass „die Entwicklung eines
tieferen in den Mysterien verborgenen Sinnes für eine kleine Zahl von
Auserwählten aufgesparf" sei,-^) ist wohl nicht zu denken. Es blieb einem
jeden überlassen, wie viel er darin finden wollte und konnte.
An den letzten Tagen des Festes fanden im Anschluss an die My-
sterienfeier auch ccydvsg statt, ^) und zwar gymnische, hippische und musi-
sche. Die ersten beiden, schon von Pindar^) erwähnt, wurden in alter
Zeit in jedem dritten und fünften Jahre gefeiert, später jährlich, aber im
dritten und fünften Jahre mit besonderer Pracht. Scenische Spiele sind
nicht sicher bezeugt. Den Beschluss soll eine Wasserspende aus thönernen
Gefässen {nXrjfxoxom) zu Ehren der Toten gemacht haben.')
96. Es gab in Griechenland an mehreren Orten Filialen des eleu-
sinischen Mysteriendienstes, z. B. in Phleius,^) in Megalopolis und in
Pheneus in Arkadien,^) und auch in Ephesos feierte man einer Demeter
KaQnoffoQoq 0€(X/.io(p6Qog Mysterien, ^o) Natürlich bewahrten diese Kulte im
einzelnen ihre Eigenart. Am genauesten unterrichtet sind wir über die
Mysterien von Andania in Messenien. Schon einmal nach der Wiederher-
stellung Messenes durch Epameinondas erneuert, scheint der Kult dann
wieder unterbrochen zu sein. Denn ein umfangreiches Dekret aus dem
Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. ordnet die Feier aufs neue an
und bestimmt alle Einzelheiten aufs genaueste.^*) Die vorzugsweise ver-
ehrten Götter sind die ^uyaXoi i>«oi', die Kabeiren, daneben Demeter, Apollon
Karneios, Hermes, die Hagna. Das Fest fand wahrscheinlich im Hoch-
sommer statt. *^) Auch hier hat der Staat die Oberaufsicht, und fünf vom
>) Vgl. Paus. IX 27, 2.
^) Vgl. Gerhard Akad. Abh. II 352
A. 98.
^) Vgl. Aristoph. Ran. 455 ff. Lehrs
Pop. Aufs.^ 8. 319.
*) ScHOEMANN Gr. A.» II 899.
^) MoMMBEN Heort. 263 f. und besonders
Nebb a. a. 0. S. 16 ff.
«) Ol. IX 150, XII 157. Isthm. I 81.
7) Athen. XI p. 496. Vgl. Pol!. X 74 und
I
Bernays Theophrast üb. d. Frömmigkeit 95 f.
®) Paus. II 14, 1.
») Paus.' VIII 14,' 8 und 15, 1 ff. Vgl.
Lobeck AgI. 43 ff. Schoemakn a. a. 0. 401 f.
Gerhard a. a. 0. 351 ff.
10) DiTTENBEROER Syll. 390.
^') Sauppe Die Mysterieninschr. von An-
dania Gott. Ges. d. Wisssch. VIII 217 ff.
DiTTEN BERGER Syll. 388.
'*) Saüppe a. a. 0. 270.
126
A. Die grieckiBchen Knltasalierittmei*.
Demos eingesetzte Kommissare haben die finanzielle Verwaltung in Händen,
der Reinertrag aber des Festes fliesst in den Staatsschatz.
97. Ausser den eleusinischen waren in Griechenland am berühmtesten
die samothrakischen Mysterien.
Litteratar: Lobeck Agl. 1109 fif. Schoemann Gr.A.^ II 403 fif. Archftol. Untersuch,
auf Samothrake von Conzb, Bbnndorf etc. 107 fif. Dabembbro et Saglio Dict. u. Cabiri I
S. 757 flF.
rd KccßsiQiüv oQyia auf Samothrake werden zuerst von Herodot (II 51)
erwähnt. Die samischen Kolonisten, heisst es dort, hätten sich die Weihen
von den älteren Bewohnern, die sie auf der Insel vorfanden, angeeignet.')
Über das Wesen der Kabeiren *) haben namentlich die jüngsten Aus-
grabungen in dem Heiligtum bei Theben einiges Licht verbreitet. Das
Kind Dionysos und seine Pfleger spielen in dem Kultus, der sich von Athen
aus verbreitet zu haben scheint, eine besondere Rolle. Das Dogma vom
Tode und der Auferstehung fand auch hier mythischen und bildlichen Aus-
druck, und der chthonische Charakter der Gottheiten trat wie in allen
Mysterien 3) bedeutsam hervor. Dies wird bestätigt durch die Lage des
Tempels am Fusse der Anhöhe*) und durch die oben^) beschriebenen Opfer-
vorrichtungen. „Zu Schutzmächten der Seefahrt sind die samothrakischen
Gottheiten offenbar erst im Lauf der Zeit durch ihren Inselsitz in dem von
Stürmen besonders heimgesuchten thrakischen Meere geworden.*'*') „Zur
Zeit Herodots war das Kabeirenheiligtum ein kleines, bescheiden aus ein-
heimischem Stein aufgeführtes Gebäude, wie die Ausgrabungen erwiesen
haben."«) Berühmt wurden diese Mysterien erst im vierten Jahrhundert,
und zur Zeit der Diadochen standen sie in solchem Ansehen, dass sie sich
wohl den eleusinischen an die Seite stellen durften. Namentlich Seefahrer
Hessen sich einweihen, denn gegen die Gefahren des Meeres sollten die
Kabeiren besonders schützen, und der neue Tempel füllte sich mit den
herrlichsten Weihgeschenken.') Philipp von Makedonien und Olympias
liessen sich aufnehmen, Lysimachos schenkte dem Heiligtum sein besonderes
Interesse und seinen mächtigen Schutz, «) Perses von Makedonien und Pto-
lemaios VI Philometor fanden auf der durch ihr Asylrecht geschützten
Insel eine Zuflucht,^) und man erzählte, dass schon Agamemnon und Odys-
seus die Weihen empfangen hätten. ^^)
Die Aufnahme scheint zu jeder Zeit stattgefunden zu haben. ^^) Es
wird dies das Zweckmässigste gewesen sein, da viele vor Antritt ihrer See-
fahrt die Weihen verlangt haben werden. — Das Fest ist wahrscheinlich
im Hochsommer gefeiert worden. '^)
Auch an andern Orten Griechenlands wurden die Kabeiren verehrt.*-)
M Vgl. Arch. Unt. auf Sam. II 107.
2) Vgl. Pbeller Griech. Myth.» I 700 flf.
ScHOEMANN B. B. 0. 403 f. 0. Kern Wocheii-
schr. f. klass. Phil. 1889 S. 698 flf.
^) Vgl. FoucABT im Bull, de corr. hell.
VII 387 ff.
*) Arch. ünt. a. Sam. 11 23.
^) S. 15. Vgl. auch Schol. Aristoph.
Fax 277.
«J Arch. Uut. a. Sam. II 108.
7) Diog. Laert. VI 59.
**) luschr. in d. Arch. Unters, a. Sam.
II 85.
») Arch. ünt. a. Sam. I 20.
•") Schol. zu Apoll. Rhod. Arg. I 917; zu
II. A 334, U 100.
^') 0. Hirschfeld in den Arch. Unt. a.
Sam. I 39.
^') S. ScHOEMANN a. a. 0. 406. Dabem-
bbro et Saolio Dict. I 767 ff.
d. KnltoBhandliingen. (§ 9?— 98.) 127
Dem samothrakischen am verwandtesten war wahrscheinlich der Kultus in
dem Heiligtum an der Strasse von Theben nach Thespiai, dessen Reste
neulich blossgelegt sind.^
In späterer Zeit werden auch Isismysterien erwähnt. 2) Nur be-
sonders von der Göttin Berufene wurden in diese aufgenommen, und die
Zahl der Teilnehmer war wohl niemals beträchtlich.
98. Geschlossene Kultgenossenschaften waren auch die sog.
tQavot, ^taaoi und die Orgeonen.
Litteratur: Hauptwerk Foucabt Des associations religieuses chez les Grecs, Paris
1873. 0. Luders Die dionysischep Künstler, Berlin 1873 Anf. Cabl Schafeb in d. Jahrb.
f. Phil. 1880 S. 417 ff. Böckh Staatsh.» I 312 f. und von älteren Werken v. Holst l)e
eranis veterum Chraec, imprimia ex iure AU., Leyden 1832. S. auch die Inschrr. CIA. III
1324 ff. und über die Orgeonen v. Wilamowitz £urip. Herakl., Berlin 1889 I 57.
Es sind dies religiöse Vereinigungen, hauptsächlich von Ausländern, 3)
die in ihrem Kreise eine ihrer Landesgottheiten verehrten. Als nach den
Perserkriegen der Seehandel Athens eine grossartige Ausdehnung gewann,
strömten Kaufleute und Gewerbtreibende aus allen Ländern namentlich in
der Hafenstadt Peiraieus zusammen und Hessen sich dort zu dauerndem
Aufenthalt nieder. Diese Fremdenkolonien kamen nun beim Staat um die
Erlaubnis ein, irgend einer ihrer heimischen Gottheiten ein Heiligtum er-
richten zu dürfen, und das wurde ihnen dann auch gestattet.^) Bisweilen
errangen diese Gottesdienste ein so grosses Ansehen, dass sie unter die
Staatskulte aufgenommen wurden,*) aber auch wenn dies nicht ge-
schah, suchten die Mitglieder der Korporationen ihrer Genossenschaft'
ganz die Verfassung und das Aussehen der herrschenden Staatskulte zu
geben. Sie stellten Priester, Schatzmeister und andere Kultusbeamte an,
erliessen Dekrete und verhängten über die Ungehorsamen Geldstrafen oder
schlössen sie aus ihrer Gemeinschaft aus,*) ja sie erkannten verdienten
Priestern heroische Ehren zu.^) Aufgenommen wurde jedermann, der ein-
treten und sich den Bestimmungen fügen wollte, auch Frauen, Freigelassene
und Sklaven, und jedes Mitglied hatte dieselben Rechte.') Zwei in den
Silberbergwerken von Laurion aufgefundene Inschriften ®) aus dem zweiten
Jahrhundert nach Chr. enthalten die Aufforderung zur Bildung eines ^gavog
zu Ehren des Mrjv TVQavvog und Kultus Vorschriften, die der Stifter selbst
entworfen und dekretiert hat. Der Stifter aber ist ein Sklave, der in den
Bergwerken arbeitet, und dem ein verlassenes Heroon als Tempelgebäude
dienen niuss. Andere Steine verzeichnen lobend die Namen der Wohl-
thäter und frommen Stifter, welche Tempel gebaut und wiederhergestellt
oder die Kosten für die Feste freigebig bestritten haben. ^) Bei der Organi-
sation und Stellung dieser Vereinigungen war man ja auch naturgemäss auf
^) Mitt d. D. Arch. Inst, zu Athen
XIII (1888) 81 ff. Vgl. S. 412 ff. 0. Kern
in den Ber. der Arch. Gesellsch. in d.
Wochenschr. f. klass. Philol. 1889 VI 698 ff.
*) Apul. Metam. IX Ifi. Vgl. Schoemann
a. a. 0. 407 ff.
') Doch nicht ausschliesslich. Vgl. LiP-
sius in BuBSiANS Jahresher. II 1876 S. 1389 f.
C. Schäfer a. a. 0. S. 418.
*) Vgl. die Inschr. in der Revue arch^ol.
1864 S. 399 und die ohen S. 8 angeführten
Beispiele.
*) FoucART a. a. 0. 20 ff., 33 ff.
*) Mitt. des D. Arch. Inst, zu Athen IX
1884 S. 291.
') FoucART a. a. 0. 5 ff.
«) CIA. m 73, 74 (DlTTENBERGER Syll.
379).
9) CIA. II 986 ff.
128 ^* ^^^ griechischen Enltosaltertümer.
die Opferwilligkeit einzelner reicher Mitglieder angewiesen. Manche dieser
Kulte scheinen ein geringes Ansehen genossen zu haben; sie werden häufig
verspottet^) und haben dies zum Teil ohne Zweifel verdient.*)
Daneben gab es noch andere Vereine, die eigentlich nichts mehr
mit der Religion zu thun hatten, aber doch den Namen eines Gottes als
Aushängeschild gebrauchten und sich nach ihm bezeichneten. Die wich-
tigsten sind die der Dionysiasten d. i. Schauspielergesellschaften. ^) Ein
anderer Verein hatte den Herakles zum Schutzpatron erkoren; die Zahl
der Mitglieder war auf sechzig festgesetzt, Schmausereien und lustige Ge-
lage Hauptzweck der Gesellschaft.'*) Geradezu verrufen war der Verein
des Ithyphallos,^) und dergleichen mit edlen und unedlen Tendenzen und
Gepflogenheiten gab es noch viele. ^)
Von den Privatkulten der Geschlechter haben wir schon wieder-
holt gesprochen. Neben ihnen gab es dann noch einen weiteren Kultus
der Phratrien und oft auch einen engeren der einzelnen Familien. Über
das Apaturienfest, welches jene in Athen alljährlich im Monat Pyanopsion
begingen, wird unter den Festen zu handeln sein; von dem häuslichen
Kultus der Familien ist gelegentlich der Hausaltäre (S. 12) der Opfer
(S. 73 f., 82 f.) und der Reinigungen (S. 112 f.) bereits die Rede gewesen.
Besonders wichtig war er bei Eheschliessungen und Begräbnissen; doch fallt
dies Kapitel mehr in das Gebiet der Privataltertümer, ^) und so mag denn
hier nur noch erwähnt werden, dass in vereinzelten Fällen eine Familie
sich veranlasst sah, eine Gottheit als Schutzpatron in ihrem Hause beson-
ders zu verehren, sei es infolge alten Herkommens,®) oder weil die Macht
derselben sich an ihr besonders wirksam erwiesen hatte. ^) Schliesslich ist
noch zu bemerken, dass auch die Staatssklaven an einigen Orten ihre be-
sonderen Kulte hatten.^®)
4. Kultuszeiten.
a. Die Nationalfeste.
a. Die olympischen Spiele.
Litteratur: Rathoebeb in Ebsoh u. Gbuber*s Encyklop. III Sect. 3 S. 114 ff. u.
S. 293 ff. — J. H. Krause Olympia, Wien 1838 mit einem alphabei Verzeichnis der olymp.
Sieger. Krause Hellenika, die Gymnastik und Agonistik der Hellenen, Leipzig 1841. 2 Bde.
mit vielen Abbildungen. Krause in Pauly's Realencykl. V 899 ff. u. III 990 ff. F. Kikd-
scHER Das Programm der Olympien in Jahk's Jahrbb. Suppl. XI 485 ff. K. Fr. Hermann
Gottesdienstl. Altt.« S. 178 ff., 312 ff. Schoemann Griech. Altt.» II 50 ff. E. Cürtius in
Altertum u. Gegenwart II 1882 S. 129 ff., 157 ff., 185 ff. Ad. Bötticher Olympia, Beilin
1883 mit vielen Abbildungen, Situationsplänen und Rekonstruktionen. K. Curtius u. Adlbb
») Vgl. FoucART a. a. 0. 55 ff. ^) S. Iw. Müller Hdb. IV 447 c f., 461c
'') Vgl. FoucART a a. 0. 153 ff. , ff. und auch Kastorches im *Jfhjyaioy IX
^) Hauptwerk 0. Lüders Die dionysi- 422 ff.
sehen Künstler, Berlin 1873. Foucart De «) Vgl. Aristoph. Av. 1534 u. 704.
colhgiis scenicorum artificum apud Graecos.
Herod. V 66.
») Plut. Timol. 30. Cornel. Nep. Timol.
c. 4. Vgl. auch Kader De diis nnr^^Mg,
*) Vgl. Athen. XIV 3 p. 014 u. VI 70
p. 200.
») Vgl. Demosth. g. Konon p. 1202 § 17
und p. 1207 § 34 ff. I »«) Vgl. Dittekberoer ind. lect. Halle S.
«) S. Schoemann a. a. 0. 542 ff. und l 1887 S. VIII f.
LüDEKs a a. 0. Erster Abschnitt. {
Progr. des Gymnas. zu Schleusingen 1873.
4. KaltoBzeiten. (§99-100.) 120
Olympia und Umgegend mit 2 Karten und einem Situationsplan, Berlin 1882 (mit
besonderer Berücksichtigung der Bauten). — Fb. Mie Quaestiones agonisticae Diss.j
Rostock 1888.
*90. Die Hellenen hatten keinen Feiertag, der unserem Sonntag oder
dem Sabbath der Juden entsprochen hätte, dafür aber eine grosse Zahl
von Festen, die zu bestimmten Zeiten begangen wurden. — Homer scheint
noch keine regelmässig wiederkehrenden und periodisch gefeierten Feste
zu kennen,^) bei Hesiod finden wir bereits den Glauben, dass es Glücks-
und Unglückstage gebe, dass der siebente dem ApoUon heilig sei,^) der
fünfte den chthonischen Gottheiten gehöre,^) und in der folgenden Zeit
muss das ganze System der den verschiedenen Göttern geweihten Monats-
tage ^) geschaffen und ausgebildet sein. Man wird für jeden bestimmte
Opfertage festgesetzt haben, und daraus haben sich dann allmählich
und in immer grösserer Zahl die periodischen Feste entwickelt. Wie
es bei der Eigenart und dem Partikularismus der Staaten und Städte in
Griechenland, der sich auf religiösem Gebiet nicht am wenigsten geltend
machte, nicht anders sein kann, finden wir auch in den Festen der ein-
zelnen die mannigfachsten Unterschiede. Doch ein Band gab es, das die
Hellenen auch hier vereinte, das sie fester zusammenschloss und sie sich
ihrer Zusammengehörigkeit inniger bewusst werden Hess, als selbst eine
dem gemeinsamen Vaterland die Vernichtung drohende Kriegsgefahr: die
grossen Nationalfeste.
100. Als Achilleus den gefallenen Freund bestattet, da weiss der
tief Trauernde das Leichenbegängnis nicht würdiger zu feiern als durch
Kampfspiele. ^) Am Wettrennen der Wagen, Faustkampf, Ringen, Lauf,
Waffen wettkampf, Wurf einer schweren Metallkugel, Bogenschiessen, Speer-
werfen erfreuen sich die Helden, und die leidenschaftliche Teilnahme an
jedem einzelnen Wettspiel lässt das ganze Heer alles andere vergessen.
Und als Alkinoos seinen schwermütigen Gast erheitern und ihm das Schönste
zeigen will, was sein gottgesegnetes Volk aufzuweisen vermag, veranstaltet
auch er Wettspiele.^) Im Lauf, Ringkampf, Springen Diskoswurf und
Faustkampf zeigen die Jünglinge ihre Kraft und Gewandtheit. Nicht an-
ders in der historischen Zeit. „Die Hellenen gedachten später eine grössere
Streitmacht nach den Thermopylen zu senden, denn es war gerade um
diese Zeit das Olympische Fest", sagt Herodot,') weit entfernt, das ge-
fahrliche Säumen zu tadeln; und als die Zehntausend nach den fürchter-
lichen Strapazen des Rückzuges zum ersten Mal wieder Boden betreten,
*) Die einzige Spur davon wäre viel- 1 .Jahreszeit findet sich keine Andeutung. B
leicht in der Erwähnung eines dem Apollon i 550 f. wird eine io^xri nicht erwähnt. Vgl.
in Ithaka gefeierten Festes (v 1.56, vgl. q> \ darüber übrigens auch Döntzbr Rp. Cykl.
258) zu finden. Doch scheint es zweifelhaft, i 12 u. 26; Köchly De gen. Catal. forma 15.
ob wir hier wirklich eine jährlich oder auch ! ^) Erg. 770 f.
monatlich wiederkehrende Feier anzunehmen i ^) Erg. 802 ff.
haben; denn dass das Fest auf einen Neu- | ^) S. das Scholion zu Aristoph. Plut.
mond fiel, ist nicht ausgemacht (s. Stengel , 1126, Nub. 616. Vgl. Ijobeck Agl. 430 ff.
im Hermes XIX 304 ff., v. Wilamowitz Hom. Schoemann Gr. Altt.' II 441 flf.
Unters. 54 f.. Stengel in der Wochenschrift I f») «/' 258 ff.
f. klass. Philol. 1884 S. 1576 f.), und von , e) ^ 100 flf.
einer andern Fixierung auf einen bestimmten ^ •) VII 206; vgl. VIII 26 und E. Cübtiüs
Zeitpunkt oder auch nur eine bestimmte | Altt. u. Ggw. II 129 ff.
Handbach der klaas. AUertumswiaseDschaft. V. 3. Abtlg. 9
130
A. Die griechischen KnltoBaltertllmer.
wo die hellenische Sprache an ihr Ohr klingt, und sie ihrer Rettung sicher
zu sein glauben, da wissen sie ihrer Freude keinen bessern Ausdruck zu
geben und den Göttern nicht schöner zu danken, als indem sie Wettkämpfe
veranstalten.*) „Die Gymnastik trat in den Dienst der Religion*, und
das freudige Zurschaustellen und Aufbieten der Jugendkraft, des herrlichsten
Geschenkes der Gottheit, war ein Opfer wie die Erstlingsgabe von den
Früchten des Feldes, die Statue des Künstlers, die den Tempel als Weih-
geschenk schmückte, oder der fromme Hymnos des Dichters. 2) Die Freude
der Hellenen an den Eampfspielen ist also so alt, wie unsere Kunde von
dem Volk, ja Homer kennt bereits alle später üblichen Arten des Wett-
kampfes. Beschränkten sich die hippischen (äym'sg tnnixoi) auf das Rennen
von Zweigespannen, weil jene Zeit weder Viergespann noch Reiter kannte,
so finden wir unter den gymnischen Spielen {ayüvsg yvfivtxoi) sogar eines,
das uns später nicht mehr begegnet: das iBogenschiessen. Doch von einem
nationalen Fest, das aller Griechen Stämme froh vereinte, weiss Homer
noch ebenso wenig wie von einem Kranz, der alle die Preise, welche der
Reichste dem Sieger verleihen kann, an Wert unendlich übertriflft. — Die
spätere Zeit bemühte sich, die Stiftung der grossen Nationalspiele bis in
die sagenhafte Vorzeit hinaufzurücken, und früh genug ist sie sicherlich
erfolgt. Pelops, Oxylos, Herakles werden als Stifter oder Erneuerer der
olympischen Spiele genannt, dann seien sie wieder in Vergessenheit ge-
raten, bis endlich auf Veranlassung des delphischen Orakels Iphitos, König
von Elis, dem dabei Lykurgos von Sparta seine Unterstützung lieh, sie
wieder eingeführt habe.^) Beide sollen es durchgesetzt haben, dass wäh-
rend der Festzeit Gottesfrieden {dxexsigia) herrschte, und noch Pausanias sah
in Olympia eine uralte eherne Scheibe, den sog. Diskos des Iphitos, auf
der das Gebot des Gottesfriedens eingegraben war.-^) Seitdem sollen
die olympischen Spiele alle vier Jahre regelmässig gefeiert worden
sein.^) Doch einigermassen sicher wird der Boden erst später. Im Jahre
776 soll der Eleier Koroibos einen Sieg im Wettlauf errungen haben, und
von da an beginnt die Rechnung nach Olympiaden, wenn sie auch erst
Jahrhunderte später durch Timaios zu allgemeiner Anerkennung gelangte.^)
Seit dieser Zeit sollen Siegerverzeichnisse angelegt und regelmässig fort-
geführt sein.^) Der Kranz soll auf Anordnung des delphischen Gottes zum
«) Xen. Anab. IV 8, 26 flf.
2) S. CüBTius a. a. 0. S. 131; Schoemann
a.a.O. II 71.
») Paus. V 4; Strabo VIII 344. Vgl.
Krause Olympia S. 20 fF., Bötticheb Ol. S.
78 flf. u. 8. w.
*) V 20, 1.
5) Paus. V 8, 2 f.
«) Paus. V 8, 3; VIII 26, 3; Strabo VIII
345 u. 8. w.
^) Die Verzeicbnisse sind uns erhalten
von Jul. Afrikanus bei Euseb. XQ^^- ^^y- 1
p. 39 ff. (Die erste Bearbeitung v. J. Sca-
liger De emendatione temporwn, Paris 1583,
Genf K529. Thesaurus tenipp. Leyden 1600.
Vgl. ScHEiBEL «/. iSculigeri oXvfATuddtoy ttra-
yqnfffi, Berl. 1852.) Doch sind hier fast nur
die Sieger im arädioy aufgeführt, nach denen
die betr. Olympiade benannt wurde (Xen.
Hell. 12. 1; 113, 1; Krause Olymp. 60 f.;
CuBTius Altt. u. Ggw. II 149; Böttichbb Ol.
S. 147, und im allg. Ideleb Uandb. der Chro-
nologie). Dass sie für die ersten Jahrhun-
derte keinen Anspruch auf historische Glaub-
würdigkeit machen dürfen, ist selbstverständ-
lich (vgl. Mahaffy im Journal of. Hellen.
Stud. II 1882 S. 104 f., Bötticher a. a. 0.
S. 87), aber auch für die spätere Zeit sind
sie nicht durchaus zuverlässig. (S. Ditten-
berqer in der Arch. Ztg. XXXV 1877 S. 37.)
Ausserdem hat uns Pausanias in den EHaka
viele Namen von Siegern überliefert, andere
4. EultiiBEeiten. (§ 101.) 131
ersten Mal in der siebenten Olympiade gegeben worden sein, und seitdem
blieb der Agon ein axsipaviTrfi.^)
101. In alter Zeit gehörte die Alpheiosebene, in der Olympia lag,
den Pisaten, doch wurde sie ihnen schon früh von denEleiem abgenommen;^)
endgiltig entschieden wurden die Kämpfe erst, als es den Eleiern mit Hilfe
der Spartaner gelang, Pisa zu zerstören.^) Seitdem war Elis, wo der
geweihte Ort lag, ein heiliges Land, oder sollte es wenigstens sein;*) nie-
mand sollte es mit den Waflfen in der Hand betreten.'») Das war freilich
nicht durchzusetzen, auch diese Fluren wurden wiederholt der Schauplatz
von Kämpfen und wilder Verwüstung ;ß) anders aber war es in der Isqo-
^r^via^ der Zeit, wo die heiligen Spiele stattfinden sollten."') Wenn sie
herannahte, zogen die anovdofpoQoir, „die Friedensboten des Zeus'',^) zu allen
Hellenen und verkündeten die exsxsiQia, wo jeder Waflfenlärm schweigen
solle und Frieden herrschen, so weit die griechische Zunge erklinge.
Schwere Geldbussen wurden dem Staat auferlegt, der sich etwa nicht fügte,-')
zeitweilige Ausschliessung von den Spielen oder andere empfindliche Strafen,
die zu verhängen die Eleier das unbestrittene Recht hatten, waren so
gefürchtet, dass auch der Widerwillige sich fügte, ^^) und der Mächtige zur
Busse bereit war, selbst wenn er eine Entschuldigung zu haben glaubte. ^^)
Die (fTrovdoffOQot selbst waren vornehme Leute, sehr oft die Söhne der
obersten Kultusbeamten in Olympia, der &€ox6Xoiy^^) lauter Eleier, ^ 5) die
gewiss mit Gefolge reisten und überall würdiger Aufnahme gewiss waren.
Sie überbrachten die Einladungen zum Fest, im Namen des olympischen
Zeus mehr noch, als im Namen ihres Staates. Immer grösser ward der
Ruhm der Spiele, und wenn mit Sicherheit anzunehmen ist, dass das Fest
zuerst nur ein elisches war, dann allmählich ein peloponnesisches wurde, ^'*)
so beteiligten sich doch schon im 7. Jahrhundert ^^) auch andere hellenische
Staaten, und bald gab es keine Kolonie mehr, die nicht durch Entsendung
von Wettkämpfern oder Theorien den Glanz der Feier zu erhöhen beitrug.
Wie die Beteiligung wuchs, wurden dann allmählich dem Wettlauf, der
ursprünglich das einzige Kampfspiel gewesen sein soll,*«) immer neue Agone
hinzugefügt, >') und so dehnte sich die Gesamtfeier, die noch bis zur 77. Olym-
piade (472) an einem Tage stattgefunden haben soll,^^) in Kurzem auf fünf
Tage aus.^^) In der 14. Olympiade (724) soll zuerst der Doppellauf (rfiavAo^)
eingeführt sein,^®) vier Jahre darauf der Dauerlauf {SoXixog),^^) in der 18. Ol.
lernen wir aus den in Olympia gefundenen
Inschriften kennen (veröffentlicht in der Arch.
Ztg. von Jahrg. XXXIV (1876) an).
*) Phlegon nfQi nov ^OXvfin. Franz ed.
II p. 140. Vgl. Dion. Hai. I 71 ; Diod. IV
14. Kbause Ol. 158 f.
«) Straho VIII 355; Paus. VI 22, 2; vgl.
Xen. Hell. III 2, 31 u. Mib a. a. 0. S. 7 ff.
«y Paus. V 10, 2.
*) Vgl. BöTTicHBE S. 83 ; Schoemamn Gr.
A. n 51.
6) Straho VIII 357; Polyb. IV 73.
•) Paus. III 8, 2; V 20, 2; Xen. Hell.
VII 4, 28 ff.
») Vgl. Krause Ol. S. 41 ff.
*) Vgl. Pind. Isthm. II 23.
») Thuk. V 49.
'0) Vgl. Paus. V 21, 3.
") Vgl. Demosth. De falsa leg. § 335.
'-') Arch. Ztg. XXXVI (1878) S. 176.
»») Ol. Inschr. n. 14 Arch. Ztg. XXXV
(1877) S. 55; Ephem. arch. 3486, 3487; Pind.
Isthm. II 23.
^^) Vgl. BöTTICHER Ol. S. 84.
^^) Vgl. BöTTicnER Ol. S. 121.
>o) Paus. V 8, 2.
'') Vgl. CIA. II 978.
>«) So Paus. V 9, 3.
»») Pind. Ol. V 6 mit Schol. Krause
Ol. S. 69.
•''0) Paus. V 8, 3.
2') Paus, ebenda; Dion. Hai. VH 72.
132 A. Die griechischen Enltasaltertttmer.
(708) kamen das Pentathlon und der Ringkampf {TiccXrj) dazu/) Ol. 23
(688) der Faustkampf {nvyfii}), Ol. 25 (680) das Wettrennen der Vier-
gespanne {iTTTtcov TsXemv dqofioq^ agfia, Ttd-Qinnov), Ol. 33 (648) das Wett-
reiten {xäXrfi) und das Pankration.^ In der 37. Ol. (632) wurden zum ersten
Mal Knaben zu den Wettkämpfen zugelassen und zwar zum Lauf und Ring-
kampf, vier Jahre später auch zum Pentathlon; doch blieb es hier bei dem
einen Mal, angeblich weil die lakonischen Knaben in diesem besondere Aus-
dauer erfordernden Kampf den andern zu sehr überlegen waren ;^) dagegen
wurde in der 41. Ol. (616) dauernd der Faustkampf der Knaben einge-
führt. 3) Erst Ol. 145 (200) wurden Knaben auch zu dem schwierigen
Pankration zugelassen.^) In der 65. Ol. (520) sah man zuerst den Wett-
lauf der Männer in Waflfen (onXixmv Sgofiog).^) Später erfuhren nament-
lich die hippischen Kämpfe vielfache Bereicherung, die mehr oder weniger
Beifall fand. In der 93. Ol. (408) liefen zum ersten Mal Zweigespanne
{aifV(aQig).^) Auch versuchte man Rennen mit Maultiergespannen (a7ri;t'i;)
und Wettreiten auf Stuten {xdXnrj) einzuführen, doch hatte diese Neu-
erung keinen langen Bestand.^) Ol. 99 (384) liefen zum ersten Mal
Viergespanne noch nicht ausgewachsener Pferde {nciXcDv S^^ara), Ol. 128
(268) auch Zweigespanne {(XvvcoQig ndXwv), Ol. 131 (256) endlich unaus-
gewachsene Reitpferde {nwXog xtXi-g^). Ol. 96 (396) wurde auch ein Wett-
kampf der Herolde und Trompeter eingeführt.^) Wer von den ersteren
Sieger blieb, dem ward ausser dem Kranze die Ehre zu teil, die Namen
der Sieger ausrufen zu dürfen.^) Das Fest war ein pentaeterisches, wurde
also alle vier Jahre gefeiert, und zwar in der heissesten Sommer-
zeit. Der Festmonat [ItQoimp'ia) begann entweder mit dem Neumond,
welcher der Sommersonnenwende der nächste war, gleichgiltig ob vor- oder
nachher fallend, oder der ihr folgte;^) die Feier des Festes selbst fiel
in die Vollmondszeit, also in die zweite Hälfte des Juni oder in den
Anfang des Juli. In mehr als einer Beziehung war der Hochsommer mit
seiner brennenden Hitze gerade für eine solche Feier, wie sie in Olympia
stattfand, ungeeignet, aber sei es nun, dass man ein uraltes heiliges Fest
nicht verlegen wollte, sei es, dass die Länge der Tage für die Unbequem-
lichkeiten entschädigte und sie ausglich, — man wollte es nicht anders
haben und fühlte weder Sonnenglut noch Staub. ^)
102. Olympia war ein heiliger Ort. Ständigen Aufenthalt hatten da-
selbst nur die wenigen, welche mit dem Kultus des Zeus und der andern
dort verehrten Götter dauernd zu thun hatten.*^) Die vornehmsten der
^) Paus. a. a. 0. { ist im wahrscheinlich: Dittbnberoeb will dies
2) Paus. V 9, 1. ■ aus Ol. Inschr. n. 261 Arch. Ztg. XXXVIl
3) Paus. V 8, 3. Vgl. d. olynip. Inschr. ; (1879) S. 132 (vgl. die Inschr. S. 210) schlies-
n. 50 Arch. Ztg. 1877. sen. G. Hirschfeld führt in der Ztschr. f.
*) Paus. V 9, 1. Id. Österreich. (>yinnas. 1882 S. 491 fif. aus,
'") Paus. V 8, 3. I dass es sich hier nicht um die olympischen
*^) Paus. V 22, 1. I Spiele handle. So auch Mie Quaest agon.
■) Vgl. Poll. IV 87 ff. Athen. X 7 p. S. 22 ff. Nero habe nur einmal gewaltsam
415. Ol. Inschr. n. 337 in d. Arch. Ztg. i diese Neuerung durchgesetzt (Suet. Ner. 23).
1H80 S. 54 u. u. 3()9 ebenda S. 105. Cic. ") Böckh Mondcykl. I IG, Bötticher a.
ad fam. V 12. | a. 0. S. 78. Krause Ol. S. 69 f.
Dass in der Kniserzeit auch musische '-*) Vgl. namentlich Lukians Anach.
und scenische Agono üblich geworden sind, j ^") Vgl. Weniger Der Gottesdienst in
4. Enlinszeiten. (§ 102—103.)
133
Kultusbeamten, die &fox6Xoi, deren drei alle vier Jahre für die Dauer der
Zeit von einem Fest bis zum andern {fiercxexrjQov) erwählt wurden, und
deren einer monatlich die Opfer zu besorgen hatte, ^) und die anoviofpoQoi
wohnten jedenfalls in der Hauptstadt Elis und begaben sich nach Olympia
nur, wenn ihr Amt sie dahin rief,^) ebenso wohl die andern Beamten, deren
namentlich die Inschriften eine Reihe erwähnen,^) wenn auch einer der
ficivzfig, einige e^rjp^Taf und viele Priester und niedere Kultusbeamte stets
zur Stelle gewesen sein werden.*) — Der von einer Mauer umgebene ganz
den Göttern geweihte Raum der Altis ^) war besonders heilig. Hier stand
der Tempel des Zeus mit dem Bilde des Pheidias, das Heraion, das Pe-
lopion, das Metroon, der riesige Zeusaltar mit seinem Aschenaufbau und
eine Reihe anderer Altäre, an denen die allmonatlichen Opfer stattfanden;^)
der Raum war erfüllt von den herrlichsten Bildwerken und Weihgeschenken,
namentlich auch den Statuen der Sieger. Doch wie eine seltene Blume
sorglich gepflegt wird, bis sie sich endlich zur kurzen Blüte entfaltet, so war
eigentlich alle diese Pracht und Herrlichkeit, all dieser Götterdienst und all das
zahlreiche Personal nur da, um an fünf Tagen innerhalb eines vierjährigen
Zeitraums Göttern und Menschen ein Schauspiel zu bieten so grossartig
und so edel zugleich, wie es in dieser Art nie seinesgleichen gehabt hat.
,Wie das Quell wasser die Schätze des Erdbodens und das Gold die Güter
des Reichtums" ') übertrifft, so überstrahlten die olympischen Festspiele
alle andern.®)
103. Betrachten wir jetzt zuerst kurz das ganze Personal und den
Beamtenapparat, der mit den Vorbereitungen zu den Spielen und ihrer
Leitung zu thun hatte {vi^evai, diauO-brai %ä ^OXvfima), — Die Vor-
nehmsten darunter waren die ^EXXavoötxat,^) Es soll anfangs nur einen
gegeben haben, ^o) dann zwei, später neun, zuletzt zehn, wahrscheinlich aus
jeder Phyle einen.**) Es waren angesehene Bürger aus Elis, die sich auf
der tegd oSog die Küste des Meeres entlang, unterwegs ein Opfer dar-
bringend, von Elis nach Olympia begaben. Sie hatten die Kämpfer in die
Listen {levxcofxa) einzutragen, sie zu prüfen, ihnen den Eid abzunehmen,
auf strenge Beobachtung aller Kampfgesetze zu achten, die Preise zuzu-
erkennen, den Kranz auf das Haupt des Glücklichen zu drücken und
schliesslich dafür zu sorgen, dass die Statuen der Sieger mit den Unter-
schriften in der vorschriftsmässigen Weise angefertigt und aufgestellt
wurden.*^) Wahrscheinlich wurden für jede Olympiade neue Hellanodiken
Olvnipia bei Vibchow u. v. Holtzendorff
XIX Serie. Heft 443. Cübtius d. Altäre v.
Olympia Abb. der Berl. Akad. d. Wiss. 1881
S. 3flf
') Paus. V 15, 5.
*) Vgl. Arch. Ztg. XXXV (1877) S. 98.
•) S. DiTTEivBERisBB Arch. Ztg. XXXVI
(1878) S. 98 f., S. 178, 210. Arch. Ztg. 1880
S. 58 f.. BöTTICHER Ol. S. 151 ff.
*) Vgl. CuRTius Abb. der Berl. Akad. d.
Wiss. 1881 S. 18, 28, 38.
*) Paus. V 13 ff. BöTTICHER 161 ff. Vgl.
Robert Olympische Glossen im Hermes XXIII
424 ff.
*) Paus. V 13 u. 14. Curtius-Adler
Olympia u. Umgegend S. 35 ff. Curtius
Abb. der Berl. Akad. d. Wiss. 1881 S. 3 ff.
') CuRTiTJS Altt. u. Ggw. II 132.
») Find. Ol. I Anf. Vgl. Krause Ol.
S. 16 f.
«) Paus. V 9, 4 f.; VI 3, 3. Krause Ol.
S. 124 ff.; BöTTICHER S. 148 f.
^®) Aristot. bei Harpokr. u. ' EXXayodixai.
* ^) Vgl. ScHOEMAiTN a. a. 0. II 60 u. be-
sonders H. Förster De HeUanodicis Olym-
picis, Leipz. Diss. 1879. Mie a. a. 0. S. 15 f.
'') Vgl. Luk. De imag. § 11.
134
A. Die griechischen Kultnsaliertümer.
ernannt, die sich zehn Monate in Elis auf ihr schwieriges Amt vorzu-
bereiten und mit allen Einzelheiten vertraut zu machen hatten. Eine
Berufung gegen ihre Entscheidung konnte bei der ßovXrj erfolgen, die zwar
nichts mehr redressieren, wohl aber ungerechte Hellanodiken verurteilen
konnte.^) Ihnen zur Seite standen alvrat unter einem ciXvTccgxr^Q,*) die
nach ihrer Anordnung etwaige Ungehörigkeiten verhindern oder bestrafen
mussten, also eine Art niederer Polizeibeamten waren. Daneben waren
Herolde, Flötenbläser {avXrjtaiy anoviavXai),^) ein fidysigog,^) ein fvAfil^,
der das Holz zu den Opfern zu besorgen hatte, *'^) und viele andere Per-
sonen mit der oder jener Obliegenheit betraut.
104. Versuchen wir uns nun das Bild einer olympischen Fest-
feier vor Augen zu führen.
Gewiss schon geraume Zeit vor dem Beginn des Festes mussten
alle, die mit den Vorbereitungen zu den Spielen zu schaffen hatten, an
Ort und Stelle sein. Die Rennpferde bedurften der Pflege nach der oft
weiten Reise, die sie zurückgelegt hatten, vielleicht auch der Vorübungen
auf dem noch unbekannten Terrain, die Kämpfer selbst durften nicht erst
im letzten Augenblick eintreffen, die grosse Menge der Verkäufer musste
rechtzeitig ihre Buden aufschlagen und alles in Stand setzen. Die Fest-
gesandtschaften {d^€0)Qiat) aus fernen Kolonieen und allen Städten Griechen-
lands kamen an und überboten sich im Entfalten von Pracht und Pomp,^)
und so wuchs die Menge täglich, bis endlich der von allen ersehnte Augen-
blick herangekommen war. Am ersten Tage des Festes fanden noch keine
Spiele statt. ^) Man brachte dem olympischen Zeus ein grosses Opfer
{ßov&ima), daneben wurde auch der andern Götter und Altäre nicht ver-
gessen, man begrüsste alte Freunde, bewunderte den aufs herrlichste ge-
schmückten festlichen Ort, unterrichtete sich über die Agonisten und ihre
mutmasslichen Leistungen. Hellanodiken und Kämpfer schwuren vor der
Bildsäule des Zeus Horkios im Rathause, erstere, dass sie recht richten,
letztere, dass sie sich jeder Unredlichkeit und jeder absichtlichen Verletzung
des Gegners enthalten wollten, und dass sie während der letzten zehn
Monate sich in der für Olympiakämpfer vorgeschriebenen Weise der Übungen
beflissen hätten. Für Knaben leisteten ihre erwachsenen Angehörigen den
Eid.^) Die Hellanodiken hatten sich zu überzeugen, dass nur freigeborene
Hellenen,^) die nicht wegen daäßeia oder aus sonst einem Grunde^*^) aus-
geschlossen waren, sich um die Ehre des Wettkampfs bewarben. Dann
fand die Prüfung der Knaben und jungen Pferde statt. ^') Unter den väksioi
Vnnoi durfte man so junge Pferde laufen lassen, wie man wollte, ^^) ebenso,
») Paus. VI 3, 3.
*) Luk. Hermot. 40.
■') Arch. Ztg. 1878 S. 178.
*) Ebenda. Vgl. n. 110 u. öfter. S.
auch Arch. Ztg. 1880 S. 57 ff. u. Schubart
in d. Jahrb. f. Phil. 1883 S. 480 f.
^) Paus. V 13, 2.
«) Thuk. V 16. Vgl. Cic Tusc. V 3 § 9.
") Vgl. hier wie überhaupt für das Fol-
gende IIoLWERDA in der Arch. Ztg. 1880 S.
lt)9 ff. S. auch MiE a. a. 0. S. 32 ff.
*) Paus. V 24 2.
«) Dion." Hai. Vll 6; Herod. V 22.
'") Thuk. V 49 f. Xen. Hell. III 2, 21.
Paus. VI 2, 1. Plut. Theni. 25.
") Vielleicht wurden an diesem Tage
auch die Lose gezogen, welche die Kämpfer-
paare oder -gruppen und die Schranken für
die Gespanne oder den Platz der Rennpferde
bestimmten (Bötticher Ol. S. 128 f.).
»*) Vgl. Paus. VI 2, 1.
4. Eultuszeiten. (§ 104.) 135
wie es Knaben und Jünglingen nicht verwehrt wurde, mit Männern zu
kämpfen, wenn sie und die Richter überzeugt waren, dass sie stark genug
dazu seien J) Für die Knaben war überhaupt keine bestimmte Altersgrenze
vorgeschrieben. Agesilaos setzte es durch, dass Eualkes trotz seiner Grösse
noch unter den Knaben laufen durfte, wo er natürlich mehr Aussicht auf
den Sieg hatte, ^) und der Messenier Damiskos siegte als Zwölfjähriger.^)
— Am nächsten Tage begannen die Wettkämpfe, und zwar die der Knaben.*)
Wie wir gesehen haben, beschränkten sie sich bis zum Jahre 200 auf
Wettlauf, Ringen und Faustkampf. — Ein noch gesteigertes Interesse
nahmen die Kämpfe des dritten Tages in Anspruch, wo die Erwachsenen
ihre Kräfte massen. Mit dem ersten Sonnenstrahl begaben sich die Hella-
nodiken, mit Purpurgewändern bekleidet, die Herolde und die Kämpfer,
diese nackt ^) und mit Öl gesalbt, durch den verdeckten Eingang, welcher
die Altis mit dem Stadion verband,^) in die Rennbahn, wo der Wettlauf ^)
stattfinden sollte. Auf breiten, durch Pfosten von einander getrennten Stein-
platten, deren sich zwanzig an jedem Ende der Bahn befanden, nahmen
die Läufer den Platz ein, den ihnen das Loos angewiesen hatte. ^) Man
begann mit dem Dauerlauf {dohxog). Wahrscheinlich musste die 192 Meter
lange Bahn*) 24mal zurückgelegt werden.^®) Die Angaben, welche von
7mal 20 oder 24 Stadien sprechen, ^^) sind aus verschiedenen Gründen un-
glaublich. Einer der berühmtesten dohxodqoiioi, war der Lakedaimonier
Ladas.^^j Darnach kam der einfache Wettlauf {axadi^ov) an die Reihe.
Wie er der älteste und ursprünglich einzige Kampf gewesen sein soll, so
musste der Sieg hierin auch später besonders ehrenvoll bleiben schon dess-
halb, weil nach dem Sieger die Olympiade benannt wurde. Das Stadion
wurde nur einmal durchmessen, aber man lief in tiefem Sande, wo der
flüchtige Fuss nicht Halt und Widerstand fand.^^) Die Läufer wurden durchs
Los in Gruppen zu vier geteilt,**) die jedesmaligen Sieger stritten dann
wieder unter einander. Heftiges Schwingen der Arme begleitete die wind-
schnellen Bewegungen der Beine. *^) Der Argeier Dandes war einer der ge-
feiertsten axadiodqoiioi^^^) sonst zeichneten sich namentlich die Krotoniaten
in dieser Kampfart aus. » ') Dann schritt man zu dem Doppellauf [d(avXoq), * »)
Hier war die Bahn zweimal, hin und zurück, zu durchmessen. Waren diese
Kämpfe beendigt, begann der Ringkampf (ndkrj).^^) Zwei Arten waren
*) Paus. VI 14, 1.
2) PlutAges. 13.' Xen HeU. IV 1, 40.
») Paus. VI 2, 5.
^) PJut Quaest. symp. II 5, 1.
^) Bis 716 sollen die Wettläufer mit
einem Schurz bekleidet gewesen sein Paus.
I 14, 1. Vgl. Thuk. I 6. Krause Ol. S.
339 ff.
*) CuBTius- Adler Ol. u. ümg. S. 31. G.
UiBSCHFELD Ztschr. f. d. österr. Gymnas. 1882
S. 499 ff.
') Krause Hellenika Agon. I 337 ff.
&q6(iov bei Darembero Dict. 1 1644 Fig. 2230.
'») Vgl. Krause Hell. I 360 f.
»') Schol. zu Soph. El. 686. Suid. u.
^«) Paus. II 19, 6; III 21, 1.
'») Luk. Anach. 27 p. 909.
**) Paus. VI 13 2.
»^) Krause Hell, f 367 ff. S. d. Abbil-
dung bei BöTTicHER S. 90. Vgl. S. 225.
'«) Diod. XI 53 p. 443.
»') Strabo VI 262.
»«) Paus. VI 13, 2, vgl. V 17. 3; Schol.
") BöTTicHER S. 223 ff. Vgl. Hauser | Aristoph. Av. 292. Vgl. auch Hauser Jahrb.
Jahrb. des D. Arch. Inst. II 1887 S. 103 f. i d. D. Arch. Inst. II 106.
») 600 olympische Fuss, der Fuss = j '») Krause Hell. I 423 ff. Abbildung
0,3204 Meter. Curtius-Adler a. a. 0. S. 30. Taf. V Fig. 6a und 6b; auch bei Baumeister
BÖTTICHER S. 225 f. Abbildung von ^ohxo- Denkm. S. 1435 Fig. 1589.
136 ^' ^^® griechischen Ealtasaltertümer
üblich: entweder musste der Gegner dreimal zu Boden geworfen werden
(rgid^sir), oder man setzte auf der Erde liegend den Kampf so lange fort,
bis der eine der beiden Ringer sich durch Ausstrecken der Hand für be-
siegt erklärte {äTtayoQeven^, Die zweite Art wurde in Olympia beim Pan-
kration angewendet. Bei der ersten kam es auf Körperkraft vielleicht
weniger an als auf Gewandtheit. Gelang es dem einen seinen Gegner zu
umfassen, so war der entschieden Stärkere ja im Vorteil, und von dem
berühmtesten Ringer des Altertums, dem Krotoniaten Milon, der sechsmal
zu Olympia siegte, *) wird berichtet, dass er seinen Gegner durch sein Körper-
gewicht zu Boden zu drücken pflegte; aber um den siebenten Kranz brachte
ihn sein Mitbürger Timasitheos, der dem Gefürchteten so geschickt auszu-
weichen verstand, dass er ihn überhaupt nicht umschlingen konnte.
Plötzliches Wegziehen des Beines oder ein schneller Sprung in den
Rücken waren besonders geübte Kunstgriffe, um den Gegner zu Fall zu
bringen. Natürlich währte solch ein Kampf oft sehr lange.*) Nach den
Ringern traten die Faustkämpfer auf {^vyfiri),^) Es war der grau-
samste und gefährlichste Kampf, verschönt und veredelt aber auch durch
die Art, wie ihn der vollendete Meister betrieb. Hände und Unterarm
wurden mit Riemen umwunden, die bisweilen noch mit Buckeln aus Blei
besetzt waren. ^) Beide Arme gebrauchte man gleichmässig zum Schlagen
und zum Parieren. Verstümmelungen gehörten nicht zu den Seltenheiten,
und auch Todschläge kamen vor.^) Doch war es der höchste Ruhm, weder
einen Schlag empfangen noch ausgeteilt zu haben und durch beständiges
geschicktes Parieren den Gegner so zu ermüden, dass er sich für besiegt
erklären musste.^) Zu den berühmtesten Faustkämpfern gehörte der
Rhodier Diagoras.'') Den Schluss der Kämpfe bildete das nayxQccTiov^
welches für die schwierigste Leistung galt.®) Es ivar eine Vereinigung
von Ring- und Faustkampf, ^) und nur die stärksten Männer durften es
wagen, darin aufzutreten. ^<^) Gewandtheit, Schnelligkeit und List konnten
wohl aber auch dem Schwächeren einmal zum Siege verhelfen. ^ >) Da hier
auch das Würgen des zu Boden geworfenen Gegners gestattet war, war
selbst ein tödlicher Ausgang nicht ausgeschlossen.^^) Zu diesen gefährlichen
Kämpfen werden sich niemals viele Bewerber gemeldet haben, und nur bei
ihnen wird es vorgekommen sein, dass ein bekannter und gefürch teter
Kämpe, dem niemand sich entgegenzustellen wagte, den Sieg axovixC (ohne
sich staubig zu machen) errang. In der 218. Olympiade hatten sich zwei
zum Faustkampf gemeldet, von denen der eine aber zu spät eintraf, so
») Paus. VI 14, 2.
2) Schol. Find. Nem. VII 106 B.
3) Krause Hell. I 497 ff. Abbildung
8. Taf. V Fig. 4; auch bei Baumeister Denkm.
S. 524 n. 5G5, 566.
*) Abbildungen dieser caestus bei Böt-
«) Dio Chrysost. Orat. XXIX 12 p. 541.
Paus. VI 12, 3.
') Find. Ol. VII 15 ff.
») Paus. VI 15, 3. Krause Hell. I 534 ff.
^) Doch blieben die Hände hier unbe-
wehrt. Abbildung bei Darembero u. Saglio
TiCHER S. 99. 8. auch Hülsen in d. Mitt. ; Dict. I 520.
des Inst. Rom. Abt. IV 1889 R. 175 f. Vgl. »«) Paus. VI6, 2; 11, 2. Vgl. Demosth.
Schol. Plato Rep. I p. 397. g. Meid. § 71 p. 537.
*) Ail. Var. bist. X 19. Plato Gorg. 71 »') Find. Tsthm. 111 63 ff.; Philostr. Imag.
p. 51(;, Protag. 80 p. 342. Paus. VHI 40, II 6; Plato Leg. VII p. 795.
3; Schol. Find. Ol. V 34 B. , >0 Paus. VHI 40, 2.
4. Eultiuizeiten. (§ 105.) 137
dass sein Antagonist den Sieg ohne Kampf erwarb. >) Die berühmtesten Pan-
kratiasten waren Theagenes aus Thasos und der Thessaler Pulydamas. Jener
soll an verschiedenen Orten im ganzen vierzehnhundert Kränze errungen
haben,^) in Olympia siegte er im Faustkampf und vier Jahre darauf im Pankra-
tion.') Von seiner Stärke erzählte man Wunderdinge, und in seiner Heimat
wurden ihm nach seinem Tode heroische Ehren erwiesen.^) Noch mehr
Kraftstücke wurden von Pulydamas berichtet.'^) Ausgezeichnete Pankra-
tiasten waren auch die Söhne des Rhodiers Diagoras, von denen der jüngste,
Dorieus, in drei auf einander folgenden Olympiaden den Kranz erwarb.^)
— So war der ganze Tag mit Kämpfen ausgefüllt, denn das Pankration
dauerte, auch als die Wettspiele auf mehrere Tage verteilt waren, ^) zu-
weilen bis in die Nacht hinein.^) Der Mond mag dann noch lange den
xwfiog der glücklichen Sieger beleuchtet haben.
105. Am vierten Tag erreichte das Fest seinen Höhepunkt. Er brachte
die glänzenden hippischen Agone^) und den zweiten Teil der Männer-
kämpfe. — An Pracht und Herrlichkeit übertraf alle andern Arten der
InnodQOfxta das Rennen der Viergespanne. Man fuhr auf niedrigen, mit
zwei, meist nur vierspeichigen, Rädern versehenen Wagen, die hinten offen
waren, den homerischen Streitwagen ganz ähnlich. Die vier Pferde waren
neben einander gespannt, die beiden äusseren zogen an Strängen, die an
den vorderen Wagenbügeln befestigt waren, zwischen den beiden innen
laufenden befand sich die Deichsel. ^^) Der Wagenlenker hielt die Zügel
mit beiden Händen, in der einen ausserdem das xtvxqov oder die fidtm^y
eine Rute mit vielen kurzen Peitschenschnüren. Wie lang die Rennbahn
{iTtnodQOfxog) ^ *) war, wissen wir nicht, doch da sie zwölfmal in wildem Laufe
durchmessen wurde, kann sie kaum länger als zwei Stadien '') gewesen
sein. Die Pferde hatten dann immer 4V2 Kilometer zurückzulegen, und
eine noch grössere Strecke hätte jedenfalls ihre Kräfte erschöpft und die
Schnelligkeit beeinträchtigt. Die linke Langseite des Hippodroms vom Ab-
lauf aus gerechnet wurde durch einen niedrigen sich lang hinstreckenden
Hügel begrenzt; diesem parallel laufend war in einer Entfernung von weit
über hundert Metern rechts ein Erdwall aufgeschüttet, etwas länger als
der Hügelrücken. In Halbkreisform schlössen sich am Ende der Bahn
beide zusammen. Hier befand sich in der Mitte ein Durchgang, dem Ab-
lauf also gerade gegenüber. Nahebei erhob sich der sog. Taraxippos, einem
3) Paus. VI 6, 2.
*) Paus. VI 11. 3.
'^) Paus. VI 5, 3 ff.
«) Thuk. III 8; Paus. VI 7, 1.
^) Vgl. Paus. V 9, 3.
^) Ol. Inschrr. 147 u. 148 in der Arch.
') Paus. V 21, 5. — Ein Sieg dxoytil
konnte auch gewonnen werden, wenn der
Gegner von einem vorher bestandenen andern
Kampf so ermüdet war, dass er den zweiten
nicht mehr wagen konnte, was selbst einem
Theagenes passierte (Paus. VI 6, 2). Viel-
leicht ist die strenge Strafn, die ihn traf, i Ztg. 1878 S. 91.
dem Umstand zuzuschreiben, dass nun über- *) Krause Hellen. I 557 ff.
baupt kein Pankration stattfinden konnte, I ^^) Abbildung bei Bötticheb S. 116.
was dann begreiflichen Unwillen erregt haben , *0 Paus. VI 20 beschreibt den Hippo-
mochte. Ol. Inschr. n. 87 Arch. Ztg. XXXV drom. Antike Schilderungen eines Wagen-
(1877) S. 189 wird ein Faustkämpfer erwähnt, , rennens hauptsächlich 11. ¥• 362 ff.; Soph.
der in Pytho axoyiri gesiegt habe, ebenso ' El. 700 ff.
Paus. VI 7, 2.
«) Paus. VI 11, 2.
>2) Ol^-mp. Stadien, also 384 Meter.
138 ^* ^10 grieohisohen EultiiBaltertümer.
runden Altar ähnlich, vielleicht ein altes Grabmal. Oanz in seiner Nähe
muss sich die eine Zielsäule (vvaaa) befunden haben, wo die Wagen um-
bogen. Dieser gegenüber in der Längsaxe der Bahn befand sich die zweite
vvaaa, geschmückt mit der Statue der Hippodameia, die im Begriff ist,
den siegreichen Pelops zu bekränzen. Wer nach dem zwölften Durch-
messen ^) der Bahn hier zuerst anlangte, war Sieger. Gegenüber dem die
Bahn schliessenden Halbkreis befand sich die Ablaufstelle {äg>€(rtg). Damit
kein Gespann von vornherein vor dem andern einen Vorsprung habe, hatte
man eine kunstvolle Einrichtung getroffen, deren Erfinder Kleoitas war.
Tansanias (VI, 20, 7) vergleicht die Vorrichtung mit dem Bug eines Schiffes.
Vor der Stoa des Agnaptos, die den Eingang des Hippodroms architek-
tonisch abschloss, befanden sich die Stände für die Wagen, und zwar so
angeordnet, dass die Stoa die Grundlinie eines ungefähr gleichschenkligen
Dreiecks bildete. Die Seiten waren über vierhundert Fuss lang, die linke
etwas kürzer als die rechte, wahrscheinlich einen breiten Eingang offen
lassend. In einem Winkel von etwa 60 Grad mögen die beiden Schenkel
vorn, unweit der vvaaa mit der Statue der Hippodameia, zusammengelaufen
sein. In der Mitte dieses so gebildeten Dreiecks befand sich ein Altar, der
zu jedem Fest neu übertüncht wurde. Auf ihm lag ein eherner Adler,
an der Spitze des Dreiecks schwebte ein Delphin. Beide waren durch eine
Maschinerie in Verbindung gesetzt. Das Zeichen zum Beginn des Rennens
wurde dadurch gegeben, dass der Delphin sich senkte, und der Adler auf
dem Altar sich in die Luft erhob. An dem rechten Schenkel des Dreiecks
befanden sich die Wagenstände, einer schräg hinter dem andern. Beim Beginn
des Rennens wurden die Seile nacheinander heruntergelassen, vor dem hin-
tersten Wagen zuerst. Befand sich dieser neben dem vor ihm stehenden,
so fiel da das Seil, und so fort, bis im Verlauf weniger Sekunden alle
Wagen in Bewegung waren. ^) Der Vorteil, den die weiter nach vorn
stehenden Wagen deshalb hatten, weil sie zugleich weiter nach innen
standen, und so der in der Mitte der Bahnbreite befindlichen vvaaa näher
waren, wurde dadurch aufgewogen, dass der hintere Wagen schon in vollem
Lauf war, wenn das Seil vor dem vorderen fiel, sich also schon im Schwung
befand.^) Rasenden Laufes stürmten nun die Rosse dahin. Es kam vor
Find. Ol. III 33 (35) mit Schol. Vgl.
Ol. VI 75, Schol. zu Ol. II 83 und Pyth. V 27.
-) Bildl. DarstclluDg rennender Vierge-
spanne Taf. V Fig. 5; auch bei Schreiber
Kulturhist. Atl. Taf. XX n. 10.
') Vgl. Gr. V. LEmfDORFF Hippodromos.
Einiges über Pferde und Rennen im Griech.
Altt., Berl. 1876 S. 28 und Gühl u. Koner
Leben der Gr. u. R , 5. Aufl. 1882 S. 14« flf.
Wagen der rechten Reihe suchen und eine
Schwenkung nach links machen müssen, um
die erste vor der Spitze des Dreiecks liegende
vt'oaa zu umfahren, während jene gerade-
aus fuhren. Der erste Nachteil konnte viel-
leicht dadurch beseitigt werden, dass man
den linken Schenkel des Dreiecks vorschob,
der zweite grössere blieb trotzdem bestehen.
Zudem hätte Pausanias die ganze Vorrichtung
Die Plätze der Gespanne an dem hnken 1 kaum mit einem doch sehr gleichmässig ge
Schenkel des Dreiecks wären sonst ungleich
ungünstiger gewesen. Diese Wagen hätten
natürlich ebenso wie die andern von links
nach rechts um die vordere yvcca herum-
bauten Schiffsbug vergleichen können, wenn
die Abweichung der beiden Schenkel, die
dann den Winkel auch bedeutend vergrössem
musste, eine so erhebliche war, wie wir es
fahren müssen, hätten also nicht bloss einen in diesem Fall annehmen müssten. Wurden
weiteren Weg gehabt, sondern auch gleich , die Wagen nur von der rechten Seite abge-
beim Beginn des Rennens sich erst einen lassen, so fällt auch das Bedenken weg, dass
Platz zwischen den bereits dahinstürmenden ein so langes Seil, wie es zwischen den bei-
4. Eultuszeiten. (§ 105.) 139
allem darauf an, möglichst kurz um die vvaaai umzubiegen. Das linke
Pferd musste zurückgehalten und nahe herangedrängt werden, dem rechten
Hess man die Zügel schiessen. Die richtige Leitung von vier neben einander
gehenden Rossen erforderte ganz besondere Geschicklichkeit. Ein Wagen-
lenker suchte dem andern natürlich den bei weitem günstigsten Platz un-
mittelbar an der Zielsäule abzugewinnen, und so ist es denn kein Wunder,
dass an diesen gefährlichen elfmal zu überwindenden Stellen, wo die Leiden-
schaft manchen Lenker blind und alle rücksichtslos gegen die andern ge-
macht haben wird, häufig Unglücksfalle vorkamen. — Die Zahl der kon-
kurrierenden Gespanne war sehr gross, da nicht verschiedene Rennen statt-
fanden, wie im Stadion, sondern alle auf einmal liefen. Dass die Sieger
einzelner td^eiq hier noch einmal fuhren, ging wegen der völligen Er-
schöpfung der edlen Tiere nicht an. Pindar (Pyth. V 46) preist einen
Sieger, der in einem Rennen von 41 Wagen allein den seinigen glücklich
durch alle Fährlichkeiten gesteuert habe. Wenn in Pytho so viele liefen,
haben wir in Olympia wohl nicht weniger vorauszusetzen.^) Alkibiades
schickte einmal sieben Viergespanne zugleich nach Olympia. Er erhielt
nicht nur den Preis, sondern seine Wagen behaupteten auch den zweiten
und dritten, 2) oder zweiten und vierten 3) Platz. ^) Neben diesem aufregend-
sten und prächtigsten aller Kämpfe gab es dann eine Reihe anderer hip-
pischer Agone. Wie sie aufeinander folgten, wissen wir nicht.*) Dass das
Rennen mit Maultiergespannen, wie das Reiten auf Stuten nur einigemale
stattfand, haben wir oben gesehen. Dauernd erhielt sich das Rennen mit
dem Zweigespann ausgewachsener Pferde (avvfaQig tsXsiwv Tnnwv), das zum
erstenmal 404 stattfand,®) ebenso das mit vier jungen Pferden {Ttoilwv
aQfia), welches 380 eingeführt wurde, und das erst 264 aufgekommene
Rennen mit einem Zweigespann junger Pferde. Die letzten beiden hatten
die Bahn nur achtmal zu durchmessen.'') Früh schon war das Wettreiten
(xäXrfvi, TfXeu»}) eingeführt worden (648), seit 256 auch auf noch nicht aus-
gewachsenen Pferden. Einmal sah man auch Zehngespanne junger Pferde
in Olympia laufen; der Kaiser Nero wollte auch hierin der Welt ein noch
dichterische Übertreibung nicht zu denken.
Dreiecks der Grundlinie zunächst angenom- Da die zweirädrigen Wagen sehr kurz waren,
hatten 30 etwa auf der über 400 Fuss langen
linken Seite Platz; zudem hindert nichts, an-
zunehmen, dass in demselben Oikema zwei
Wagen neben einander stehen konnten.
») Eurip. bei Plnt. Alk. 11.
3) Thuk. VI IG.
*) Flut. Alk. 11. — Preise haben diese
sicherlich nicht erhalten, aber dass auch
sonst des zweiten ehrenvoll erwähnt wurde,
ersehen wir auch aus anderen Stellen (z. B.
Herod. VI 122; vgl. Bötticher S. 126).
^) Vielleicht gingen die Rennen der
den hintersten Ständen an den Schenkeln des
men werden müsste — zudem noch schräg
gespannt — unmögUch mit Sicherheit von
zwei Leutjn (Paus. a. a. 0.) hätte gehand-
habt werden können (L£Hin)0RFF S. 29). Lehn-
DOBFF (S. 32) vermutet, dass die Schuppen
am linken kurzem Schenkel des Dreiecks
sog. Eühlställe gewesen sind, wo die erhitz-
ten Pferde sogleich eingestellt und abgerieben
werden konnten. Pausanias, der die Wagen
auch links ablaufen lässt, hat wohl nicht
genaue Erkundigungen eingezogen und die
im römischen Cirkus - wo der linke Schenkel
des ganz stumpfwinkligen Dreiecks mit schrä- | ntoXot voran, wie die Kämpfe der Knaben.
ger Grundlinie weit vorgeschoben war —
fiblicbe Art des Rennens ohne weiteres auf
Olympia übertragen.
>) Lehndorfp S. 30 ff. hält so viele Ge-
Bpamie für unmöglich. Zehn [Soph. El.] schei-
nen ihm schon zu viel. Doch ist hier an
Bei den Panathenaion war es so (CIA. II
966).
®) Paus. V 8, 3.
') Schoi. zu Pind. Ol. III 33 u. Pvth,
V 30 f.
140 A. Die griechischen Ealtasaltertümer.
nicht gesehenes Schauspiel bieten. -^ Den Sieg in den hippischen Spielen
errang nicht der Wagenlenker oder der Reiter, sondern der Besitzer der
Pferde. Lenkte oder ritt er sie selbst, so erhöhte das seinen Ruhm.*)
Der Kranz war also eine Prämie für das Züchten edler Rosse, nicht für
die Kunst der Führer. Als einst ein Reiter bald nach Beginn des Rennens
abgeworfen wurde, das Pferd aber trotzdem das Rennen regelrecht fort-
setzte und zuerst am Start erschien, erhielt der Besitzer den Preis. ^) So
beteiligten sich denn auch reiche Damen an diesem vornehmsten Sport.
Die erste, welche mit einem Viergespann in Olympia siegte, war Kyniska,
die Schwester des Agesilaos,^) und es scheint, dass es nicht bei diesem einen
Siege geblieben ist.^) Die Makedonierin Belestiche siegte mit einem Zwei-
gespann junger Pferde,^) und von einem Denkmal, das sieben Mitglieder
einer elischen Familie darstellte, die in Olympia Siege gewonnen hatten,
gehören zwei der vier erhaltenen Namen Frauen an, welche avvwQidi ts-
Xe((f und aQiiarir n(ohx(^ gesiegt hatten.')
10(}. Auf die hippischen Spiele folgte der Fünfkampf (när^ad-Xor).^)
Die Reihenfolge der fünf Einzelkämpfe war wahrscheinlich: Lauf, Diskos,
Sprung, Speerwurf, Ringen.^) Die Kämpfer wurden in Gruppen geteilt,
wahrscheinlich zu je drei; war die Gesamtzahl durch drei nicht teilbar,
dann die übrigbleibenden zu zweien. Schnell hintereinander liefen die ein-
zelnen rd^eic durch das atddiov^ und die Helianodiken konstatierten die
Sieger. Darauf schritt die erste Abteilung zum Diskoswurf.*") Der Diskos
war eine etwa zwei Kilogramm schwere, metallene Scheibe von Linsen-
form. Es kam lediglich auf die Weite des Wurfs an, und geübte Kämpfer
vermochten ihn über hundert Fuss weit zu schleudern. Vielleicht schon
während die erste Abteilung sich hiermit beschäftigte, mass sich die zweite,
von andern Kampfrichtern beaufsichtigt, im Sprung (SA/ia). 'i) Der Springer
hatte die äXxT^Qsg in der Hand, steinerne oder metallene Schwungkolben,
unseren Hanteln ähnlich, die, während des Anlaufs an die Brust gehalten,
im Moment des Abspringens heftig nach vorn geschwungen dem Sprunge
grössere Kraft und Sicherheit verliehen.*-) Der Krotoniate Phayllos, der
berühmteste Springer des Altertums, soll so zu Pytho einen Sprung von
») Sueton Nero 22 f.
2) Ol. Inschr. n. 19 Arch. Ztg. 1876
S. 138 ff. Vgl. Find. Ol. I 34; Isthm. I 15 ff.
«) Paus. VI 13, 5 f.
*) Paus. III 8, 1.
^) Ol. Inschr. n. 301 Arch. Ztg. XXXVII
1879 S. 151 flf.
«j Paus. V 8. 3.
^ •) Ol. Inschr. n. 346 Arch. Ztg. 1880
S. 56 f.
") PiNDER Über den Fünfkampf der
Hellenen, Berlin 1867. Holwerda in der
Arch. Ztg. 1881 S. 205 flf. Fedde Der F.
der Hell. Progr. des Gymnas. St. Elisabet
den Fünfkampf der Hellenen u. s. w. Leip-
zig 1889.
®) PiNDER S. 15 u. 115 f.^ vermutet:
Sprung, Speer, Lauf, Diskos, Ringen, andere
anders, s. Fedde S. 7 f.
") Krause Hell. I 442 flf. Böttichkb
Ol. S. 107 ff. mit AbbildgK. Fedde in d. Jahrb.
der dts. Tumkunst Jahrg. 1886 S. 219 ff. u.
S. 305 ff. Abbildungen Taf. V Fig. 3 a und
3 b. S. auch Schkeiber Kulturhist. Atl. Taf.
XX n. 5 u. Baumeister Denkm. S. 1003
n. 1211.
» ') Krause a. a. 0. I 383 ff. Bötticher
Ol. 104 ff.
Breslau 1888, dessen Darstellung ich mich '-) Marqüardt Über den Sprung der
anschliessc. Die ältere Litt^ratur (nament- Alten mit den Halteren, Monatsschr. fQr
lieh Krause Hell, l 476 ff.) findet man bei Tumwesen, Berlin II 3 S. 129 ff. Abbildung
PiNDER u. Fedde erwähnt u. kurz besprochen. | von Springern Taf. V Fig. 2 und 3a.
Nicht mehr benutzen konnte ich Fedde Über 1
3. KnliiiBseiten. (§ l06.) 141
55 Fuss Weite ausgeführt haben. ^) Waren mehr als zwei Abteilungen
gebildet, so konnte die diitte gleichzeitig mit den ersten beiden, die mit
dem Diskoswurf und Sprung beschäftigt waren, das Speerwerfen {dxm'-
Tiov)*) vornehmen. Die dazu benutzte Waffe war kurz, dünn und leicht
und mit einer langen Spitze versehen. Mit Sicherheit ist anzunehmen,
dass es ein Zielwurf war.^) Jeder warf dreimal. Die kämpfenden Ab-
teilungen konnten ihre Stände wechseln, und so gleichzeitig immer drei
Tcc^eig, wie sie das Los zusammengeführt hatte, beschäftigt werden. Das
bot den Vorteil der Zeitersparnis und den Zuschauern, die jetzt am dritten
Tage, nachdem sie so viel gesehen, durch die Wiederholungen derselben
Kämpfe sonst doch vielleicht ermüdet wären, ein mannigfaltigeres Bild.
Jeder mochte dem Spiele zusehen, das ihn am meisten interessierte. Dann
schritt man zum Ringkampf. Wieder bestimmte das Los die Paare. War
die Zahl durch zwei teilbar, so rangen die Betreffenden miteinander; wie
in allen vorhergehenden Kämpfen wurden die Sieger festgestellt, und dann
die Siege der einzelnen in den verschiedenen Kampfarten zusammengezählt.
Wer die meisten errungen hatte, erhielt den Kranz. Da die Kampfarten
ganz verschieden waren, und keiner in jeder Meister sein konnte, wird es
höchst selten vorgekommen sein, dass einer in mehr als drei von den fünf
Kämpfen Sieger blieb. Hatten zwei gleich viele Siege errungen, so ent-
schied abermaliges Ringen zwischen ihnen endgültig. Komplizierter wurde
die Sache, wenn die Zahl ungerade war, und so einer beim Ringen
keinen Gegner fand. Es konnte dieser Fall ebensogut beim Pankration
oder Faustkampf eintreten, doch da dort nur wenige Kämpfer aufzutreten
pflegten, wird die Schwierigkeit in der Regel dadurch ihre einfache Lösung
gefunden haben, dass der eine Sieger nun noch mit dem Übriggebliebenen
zu kämpfen hatte. Unter allen Umständen war es also ein grosser Vor-
teil, so ausgelost zu werden; man hatte in jedem Fall einen Kampf weniger
zu bestehen, als der um den Kranz ringende Gegner. Der so vom Lose
Begünstigte hiess ^tpsSgog,*) Wie aber nun, wenn viele Paare miteinander
stritten, und viele Sieger aus diesen Kämpfen hervorgingen, wie es im
Ringen beim Pentathlon stets der Fall sein musste? Und wie wenn wirk-
lich zum Pankration oder zum Faustkampf sich eine grössere Zahl ge-
meldet hatte? Sollten die aus den Paarkämpfen hervorgegangenen Sieger
nun wieder miteinander kämpfen, und der Todmüde, der schliesslich alle
anderen ' Gegner geworfen hatte, es dann noch mit dem ganz frischen
Ephedros aufnehmen? Das wäre unbillig gewesen, und mit der Lösung,
welche Holwerda gefunden, ist die Frage jetzt wohl entschieden: der
Ephedros blieb nicht bis zuletzt unbeteiligt, es wurde vielmehr nach dem
ersten Gange eine neue Losung zwischen den Siegern und dem Ephedros
vorgenommen. Ein seltsamer Zufall hätte es sein müssen, wenn dann das Los
') Anthol. graec. app. epigr. n. 297 II I weilen knieond geworfen wird (s. d. Abbil-
S. 851 Jacobs. i düng bei Böttichkr S. 109), zeugt für den
■'*) Krause a. a. 0. I 465 ff. Bötticher Zielwurf.
Ol. S. 111 ff. Abbildung Taf. V Fig. 3a. ^ *) Luk. Hermot. 40 f. über die so^.
•*) Für einen Weitwurf scheint Find, i Ephedria s. namentlich Holwerda in der
Pyth. I 42 zu sprechen, s. aber Find. Ol. X Arch. Ztg. 1881 S. 171 f , auch Fehde Der
71 und XIII 93. Auch dass der Speer bis- | Fünfkampf, Breslau 1888 S. 25 Aura.
142 A. t^ie griechiBohen ^nltasaliertflnie]*.
denselben Mann zum zweitenmal ausschiede) So bestand der Ephedros
zwar immer einen Kampf weniger, als der niemals Ausgeloste, aber doch
nicht mehrere. Wurde es einerseits mit Recht als eine Gunst des Schick-
sals betrachtet, Ephedros zu werden, so war andrerseits die Ehre grösser,
den Sieg zu erringen, ohne jemals ausgeschieden zu sein. Das heben die
Inschriften der Sieger denn auch besonders hervor, 2) wie im umgekehrten
Fall die Hellanodiken darauf hielten, dass der Sieger ausdrücklich bemerkte,
er sei Ephedros gewesen. 3)
Der letzte Kampfe) war der inkitciv Sgofiog^ ein Wettlauf voll-
ständig gerüsteter Krieger, schon seit 520 geübt. '^) Es wurden hier keine
Abteilungen gebildet, sondern alle Bewerber liefen auf einmal, wie beim
Dauerlauf, wahrscheinlich aus demselben Grunde, aus dem es dort und
bei den hippischen Kämpfen geschah: weil die Erschöpfung eine Wieder-
holung des Kampfes zur Unmöglichkeit machte. Später trugen die Läutei
nur noch den Schild. Die Bahn wurde wie beim Diaulos zweimal durch-
messen.^) — Am Abend dieses Tages wird dann wie am vorhergehenden
ein Festmahl der Sieger stattgefunden haben. Denn wenn auch die Namen
noch nicht durch den Herold ausgerufen waren, so hatte doch schon jeder
von ihnen aus der Hand eines Hellanodiken den Palmenzweig empfangen,')
und nicht bloss ihre Freunde und Mitbürger mochten es sich zur Ehre
anrechnen, sie zu bewirten.
107. Der fünfte und letzte Tag brachte den glänzenden Abschluss
des ganzen Festes. Schon lange hatten die Zweige des wilden Ölbaums
(xoTH'o^), zum Kranze gebogen,^) auf dem ehernen Dreifuss, später auf dem
kostbaren Tische dagelegen, den Kelotes, ein Schüler des Pheidias, aus
Gold und Elfenbein gefertigt hatte;®) ein Knabe, dem noch beide Eltern
lebten {dfi(fi&akt]g naig), hatte sie mit goldenem Messer von dem heiligen
Baume geschnitten, den das Orakel einst selbst bezeichnet hatte; ^^') jetzt
traten die Sieger davor, ein Hellanodike nahm den Kranz ^^) und drückte
ihn auf die Stirn des Beneideten, und die weithin schallende Stimme des
Herolds verkündete dem jauchzenden Griechenland den Namen seines stolzen
Sohnes, des beglückten Vaters und des Staates, dem er angehörte. Das
Leben konnte nichts Köstlicheres bieten, als diese Ehre und diesen Augen-
') HoLWERDA meint, man hätte dem Be- ] Olymp. 1G8 f.
treffenden von vornherein ein Los geben ■ *) xAcrcfo? Paus. V 7. 4; Ipyo? Ol. Tnachr.
können, das mit einem Hachstaben bezeich- | Arch. Ztg. XXXV (1877) S. 55 etc. Rath-
net war, der sich nochmals in der Urne be- i okbbr a. a. 0. S. 132.
fand. Möglich ist das ja sicherlich gewesen. ") Paus. V 12, 3; 20, 1 f.
2) n. 146—148 in der Arch. Ztg. 1878
S. 90.
3) Ol. Inschr. 28 Arch. Ztg. XXXIV 1876
S. 223 ein Pankratiast.
*) Artemid. I 63. Mie a. a. 0. S. 36
bezweifelt diese Anordnung auf Grund von
Paus. V 9 3.
^) BöTTicHER Ol. S. 91 f. mit Abbildg.
Vgl. auch Häuser Jahrb. des D. Arch. Inst.
II 1887 S. 102 ff. Abbildung Taf. V Fig. 1.
c) Aristoph. Av. 291 f.
'J Plut. Quaest .synip. VlII 4, 1; Krause
»«) Paus. V 13, 3.
^^) Die Kränze waren wohl nicht alle
gleich: Plut. tisqI ev&vfA. 13. Krause Ol.
161 f. Hermann G. A. § 50 Anni. 23. -
Mie a. a. 0. S. 30 f. will aus Paus. V 21,
12 folgern, dass der Kranz sofort nach Be-
endigung der betr. Kämpfe den daraus her-
vorgegangenen Siegern gereicht sei. Schol.
zu Pind. Ol. III 33 p. 97 B. sagt, dass alle
Kränze an einem Tage ausgeteilt worden
seien.
4. KnltoBzeiteii. (§ lOl) 143
blick, und als einst Diagoras an einem Tage zwei seiner Söhne im Schmuck
des Ölkranzes sah, ward ihm begeistert zugerufen: „Stirb Diagoras, denn
in den Himmel wirst Du nicht steigen/*) — Es war dem Sieger gestattet, sich
als den Bürger eines fremden Staates ausrufen zu lassen. Welche Stadt hätte
es sich nicht zur Ehre angerechnet, ihm das Bürgerrecht zu schenken, welche
nicht alles aufgewandt, ihn zu belohnen ! ^) Die verleugnete Vaterstadt aber
entehrte und bestrafte den Abtrünnigen wohl in der Regel.*) Nach der Preis-
verteilung brachten die Sieger dem Olympischen Zeus ein Opfer dar, und
auch von den zahlreichen andern Altären wird der himmelan steigende
Rauch den Göttern das Dankesopfer der Sterblichen emporgetragen haben.
Prozessionen, eine prächtiger als die andere, durchzogen den heiligen Ort,
die Theoren suchten den Reichtum und die Macht ihres Staates durch
glänzendes Auftreten nach Möglichkeit zur Schau zu stellen, und der reiche
Alkibiades, welcher mit 28 Rennpferden erschienen war, wie selbst kein
König vor oder nach ihm,^) lieh sich die kostbaren Gefässe und Schau-
stücke der athenischen Gesandtschaft, um bei seinem Aufzug damit zu
prunken.^) Dann folgte das Festmahl im Prytaneion, das die Eleier den
Siegern gaben.'') Aber auch die Übrigen gingen nicht leer aus. Alkibiades
bewirtete, als er mit seinen Viergespannen gesiegt hatte, die ganze an-
wesende Menge,®) ebenso ein gewisser Leophron,^) und wenn so grossartige
Freigebigkeit auch zu den Seltenheiten gehören musste, so blieb sicherlich
auch der Ärmste nicht ohne eine Einladung zu einem Mahl, das die Gesandt-
schaft oder ein reicher Bürger seiner Stadt ausrichtete.^^) Hymnen er-
klangen zu Ehren der Götter ^0 und Siegeslieder zu Ehren der Helden des
Festes. Pindar, Simonides, Euripides besangen ihren Ruhm, und vor Jahr-
tausenden stand in goldenen Lettern geschrieben im Tempel der Athena
zu Lindos das Lied, das uns heute noch entzückt, wie einst des Diagoras
Mitbürger. ^2) — Dann trennte man sich, um zur Heimat zurückzukehren,
oft genug, um wieder die Waffen zu ergreifen gegen einander, oder wie
einst in dem denkwürdigen Jahre 480 gemeinsam gegen einen fremden
Feind. Doch waren die folgenden Ereignisse auch noch so gewaltig, gingen
die Wogen einer stürmischen Zeit auch hoch, den Ruhm des Siegers von
Olympia spülte keine flüchtig hinweg. Im Triumph geleiteten ihn die
Seinen nach Hause, auf einem von vier weissen Rossen gezogenen Wagen
fuhr er ein in die Vaterstadt, ^^) die ihre Mauern niederriss, einem solchen
Sieger gern diesen Weg eröffnend,^*) und Rom vermochte seine Triumpha-
toren, die ihm die Welt bezwangen, nicht mehr zu ehren. ^•''') Im Tempel
der Hauptgottheit ward der Kranz aufgehängt, das kostbarste Weih-
geschenk. ^^) Dann ging es zum Siegesmahle, das die Stadt dem Gefeierten
») Luk. Anach. 15. I »<>) Herod. VI 122; Diod. XIV 109.
2) Plut. Pelop. 34. Cic. Tusc. I 4G. »') Vgl. Find. Ol. IX 1 und Schol.
'^) Pau8. VI 18, 4. '•^) Find. Ol. VII. Vgl. das Schol. bei
*) Paus. VI 13 1; 18, 4. Boeckh p. 157 f.
^) Plut. Alk. 11. I '^) Diod.XIII82;vgl.Cas8.DioLXIII20.
•) Andok. g. Alkib. 29 p. 126 B. I '*) Plut. Quaest. symp. II 5.
^) Paus. V 15, 8. ^^) Cic. pro Flacco 13.
») Plut. Alk. 12. 'ß) S. Aristoph. Plut. 1088 u. vgl. Xen.
') Athen. I 3 p. 3. Hell. 111 4, 18. Aus Find. Ol. VIII 10, Ol.
144 A. Die grieohischen EaltoBaliertflmdr.
gab.^) Wieder erklangen die Siegeslieder, ^) und im engeren aber desto
herzlicher teilnehmenden Kreise wiederholten sich die Ehrenbezeugungen
von Olympia. Für alle Zeit aber wurden die Sieger im Prytanei^n ge-
speist,^) erhielten die Proedrie bei Festspielen *) und andere Vergünstigungen.^)
In Olympia selbst aber an heiliger Stätte durfte der Sieger zum Gedächtnis
eine Statue errichten lassen, deren von den Hellanodiken kontrollierte
Unterschrift seinen Ruhm den nachfolgenden Oeschlechtern meldete, aber
erst dem, der dreimal gesiegt hatte, war es gestattet, sein Porträtstand-
bild aufstellen zu lassen.^) Auch wer durch Zufall des Sieges verlustig
gegangen war, durfte eine Statue weihen, wenn er auch den Kranz nicht
erhielt.'') Besass ein Sieger nicht die Mittel dazu, so trat gewiss seine
Stadt für ihn ein, ja sie wird es sich oft selbst als Ehre ausgebeten haben,
das Bild stiften zu dürfen.^) Reichen Leuten, die mit dem Viergespann
gesiegt hatten, ward es auch erlaubt, ein Bild des mit Rossen bespannten
Wagens samt dem Wagenlenker in den Zeustempel oder ein anderes
Heiligtum in Olympia als Weihgeschenk zu stiften,^) doch scheinen dies
nur Miniaturbildnisse gewesen zu sein.^^)
108. Aber nicht bloss um in den Kampfspielen aufzutreten oder ihnen
zuzuschauen, zog man nach Olympia: das Zusammenströmen aller Hellenen
zu dem Fest bot auch Gelehrten und Künstlern eine erwünschte Ge-
legenheit, sich bekannt zu machen und Ruhm zu erwerben, ^i) Hier soll
Herodot den begeisterten Zuhörern einen Teil seines Geschichtswerkes vor-
getragen haben, ^^) Gorgias erwarb durch seine oratorischen Leistungen
solchen Ruhm, dass später ein Angehöriger auch ihm eine Statue setzen
durfte,'^) Lysias, Hippias, Prodikos und viele andere suchten und fanden
hier Beifall, i^) der Maler Aetion stellte ein Gemälde aus, und Oinopides
eine eherne Tafel mit astronomischen Berechnungen, ^ß) Auch politische
Beratungen und Verhandlungen mögen in Olympia gepflogen sein, und
wichtige staatliche Verträge wurden hier am besten zu allgemeiner Kenntnis
gebracht. ^ ^)
Verheirateten Frauen war der Besuch der olympischen Spiele bei
Todesstrafe untersagt, ^^) mit einziger Ausnahme der Priesterin der Demeter
Chamyne, die sogar einen besonderen Ehrenplatz hatte, ^^) Jungfrauen war
IX Anf. u. Schol. p. 207 f. B., Boeckh expl.
ad Ol. IV introd. folgt nicht, wie Miis will,
dass die Kränze in Olympia selbst geweiht
») Paus. VII, 2; Dittenbebgeb Syll. 287.
»«) Paus. V 12, 5. Vgl. d. Ol. Inschr. n.
301 Arch. Ztg. XXXVII 1879 S. 151 ff.; Paus.
wurden. i VI 14, 1; Ol. Inschr. n. 390 Arch. Ztg. 1881
») S. Krause Ol. S. 197.
2) Schol. zu Find. Ol. IX 3.
=^) Plato Apol. 30 E. Plut. Arist. 27.
S 89
»') Vgl. Krause Ol. S. 183 ff.
'-') Luk. Herod. I p. 833.
*) Xenophanes bei Athen. X G p. G14. ", '^) Arch. Ztg. XXXV (1877) S. 43. Vgl.
•') In Athen z. B. verordnete ein Gesetz
des Solon, dass jeder Olympionike 500 Drach-
men erhalte, und damit scheint eine früher
Übliche grössere Summe nur herabgesetzt zu
sein (Flut. Sol. 23).
Faus. VI 17 7.
•*) Flut! Dec. erat. 3; Luk. Herod. 3
p. 834.
'') Luk. Herod. 4 f. p. 834 f.
^®) Ail. Var. bist. X 7.
*) Fun. bist. nat. XXXIV 4 p. IC. ' '•) Thuk. V* 18; Faus.'v 23, 3: Ol In-
■) Ol. Inschr. n. 147 Arch. Ztg. 1878 ■ sehr, in d. Arch. Ztg. XXXIV 187G S. 128 f.
S. 90 f. Im allg. vgl. Chr. Scherer De ■ '«) Faus. V G. 5.
Olyuipioiiicarum Statuts, Oötting, Diss. 1885. ^^) Fauy. VI 20, G. Vgl. Ol. inschr. n.
«; Vgl. Faus. VI 17, 2. , 30 Arch. Ztg. 187G S. 22G.
4. SultoBzeiten. (§ 108-109.) 145
ö
die Teilnahme gestattet, doch werden ihrer niemals viele anwesend ge-
wesen sein.^
Länger als ein Jahrtausend ist das Fest in Olympia gefeiert worden,
893 verbot es der Kaiser Theodosius,^) 30 Jahre später liess Theodosius IL
Feuer an den heidnischen Tempel legen, die Erdbeben von 522 und 551
verwandelten den Ort, wo hellenisches Leben so voll und reich pulsiert
hatte, wie nirgends sonst, in ein Trümmerfeld,^) und Jahrhunderte lang
wälzten die Wogen des Alpheios Schlamm und Sand darüber, das schützende
Leichentuch, das uns die Roste der einstigen Herrlichkeit erhalten hat.
ß. Die Pythischen Spiele.
Litteratur: Krause Die Pythien, Nemeen und Isthmien, Leipzig 1841 (Hellenika
II 2). Weniger: Über die religiöse Seite der grossen Pythien, Breslau 1870, Über das Kol-
legium der Thyaden, Eisenach 187(). A. Mommsen DelphicA 1878 S. 149 ff. Hermann Gott.
Altt« § 49. ScHOBMANN Gr. Altt.8 II Ü5 ff.
109. Das zweite Nationalfest, das dem olympischen an Ruhm und
Ansehen zunächst stand, war das pythische. Es wurde in der krisäischen
£bene am Fuss des Parnass gefeiert. Apollon selbst sollte es gestiftet
haben, nachdem er, von dem Morde des Drachens gereinigt, lorbeerumkränzt
wieder eingezogen war. Andere nannten Amphiktyon oder Diomedes, den
Tydiden, als Begründer.^) Sicher ist, dass das Fest ein altes Apollonfest
war, welches die Priesterschaft von Delphoi leitete, und dass an ihm ein
musischer Agon stattfand, wo Kitharoden Paiane auf den Gott sangen.'*)
Die Feier war ursprünglich ennaeterisch, aber nach der Zerstörung Krisas
Ol. 48, 3 (586 V. Chr.)*^) wurde auch dies Fest alle vier Jahre begangen,
und zwar in jedem dritten Olympiadenjahr') im Monat Bukatios*^) (d. h.
der Stieropfer), der dem attischen Metageitnion entsprach,^) also etwa Mitte
August. Von 586 an, wo die Amphiktyonen die Leitung übernahmen *«)
und den Agon der Flötenspieler und gymnische Kämpfe hinzufügten,^^)
werden dann auch die Pythiaden gezählt.*-) Schon die zweite Feier Ol.
49, 3 (582) brachte grosse Veränderungen. Während der Agon bisher ein
XQrilxaiiTYfi gewesen war, die Preise also in Wertgegenständen bestanden
hatten, wurde er von da ab ein avetfavirrfiA^) Gleichzeitig wurden die
Wettkämpfe durch Einführung der Viergespanne bereichert, und die kla-
genden, zur Flöte gesungenen Lieder wieder abgeschafft. * Nach und nach
fügte man wie in Olympia immer neue Wettspiele hinzu, und zwar
') Vgl. ScHOEMANN a. 0. II 59; Krause | Gedichte in den zu Ehren Tn. Mommsen 's
Ol. S. 56 f. herausgeg. philo). Abhandlgg. und im Lek-
*) Cedren. bist. comp. 326 D. I tionsverzeichnis v. Marburg W. 1880/81 u.
') Ausgrabungen v. Olymp., mit Abbil- ' S. 1887. S. auch v. Christ in d. Sitzungsber.
düngen der Trümmerstätte; Exped. scientif. i der bayr. Akad. d. Wiss. 1888 S. 390 ff.
en Maree. Auch Bötticher Ol. S. 33 u. 400 ') Diod. XV 60; Paus. X 7, 3.
u. BücKiNO Monatsber. der Berl. Akad. d. I «) CIG. 1688. Köhler CIA. II p. 319.
Wiss. 1881 S. 315 ff.
*•) Vgl. Krause a. a. 0. S. 6 ff. Momm-
sen Delph. S. 168 ff
*^) Kirchhoff in d. Monatsber. der Berl.
Akad. d. Wiss. 1864 S. 129 f. u. 135. Vgl.
Krause a. a. 0. S. 30 ff.
Strabo IX 421. Vgl. Paus. VIII 50, 3. i »^) Strabo a. a. 0. Mommsen Delph. S.
«) S. BoECKH Find. II 2 p. 207. — Bbrgk I 166 ff. S. auch CIA. II 545.
P. l.< S. 12 ff. tritt mit gewichtigen Gründen ^') Paus. X 7, 3.
für Ol. 49, 3 (582) ein. Dagegen wieder ") S. Busolt Griech. Gesch. I 476, vgl.
Leop. Schmidt Chronologie der Pindarischen | 492. v. Christ a. a. 0.
Eandbach der klam. Altertuiutrwiasenacluift. V. 3. Abtlg. IQ
146
A. Die griecbischen KnltaBalierttbiidr.
sowohl musische^) als gymnische und hippische. Kithärspiel ohne Gesang,
der Waffenwettlauf, das Rennen mit dem Zweigespann ausgewachsener
Hesse und andere Spiele wurden allmählich noch in das Programm auf-
genommen, und höchst wahrscheinlich auch schon früh die ursprünglich
auf einen Tag beschränkte Feier auf mehrere Tage ausgedehnt. Zur Zeit
des Sophokles findet das Rennen bereits an einem den gymnischen Spielen
folgenden Tage statt, ^) und diese selbst scheinen wieder am Tage nach den
musischen vorgenommen zu sein. 3) Was die Feier von der olympischen
wesentlich unterscheidet, ist die Übung der musischen Kämpfe. Au^h die
imdfi^fig hatten an den Pythien von jeher eine ganz andere Bedeutung,
als in Olympia, und in späterer Zeit stritten sogar Dichter und Logogra-
phen um den Kranz.'*) Dazu kam der am ersten Tage des Festes vor-
getragene vofiog llvd^ixog,^) und wenn das Interesse für diesen Teil der
gebotenen Schauspiele vielleicht schon früh hinter anderen zurücktrat, so
blieb er doch, fasst man die religiöse Bedeutung des Festes ins Auge, nicht
bloss ein wichtiges Stück, sondern vielleicht der Mittelpunkt des Ganzen.
Es war eine musikalische Aufführung, vielleicht von dem mimischen Spiel
eines Künstlers begleitet, die durch kunstvollen Vortrag und wechselnde
Rhythmen den Kampf Apollons mit dem Drachen in allen seinen Stadien
zur Vorstellung bringen sollte.^) Die gymnischen Kämpfe unterscheiden
sich von den olympischen namentlich dadurch, dass die Beteiligung der
Knaben in Pytho eine grössere war. Sie traten auch im dohxog und
diavXog auf, und das Pankration der Knaben wurde schon 144 Jahre
früher als in Olympia eingeführt.') Auch dadurch, dass ihre Kämpfe nicht
an einem besonderen Tage abgehalten wurden, sondern der betreffende
Kampf der Männer immer dem der Knaben sogleich folgte,^) scheint diesen
eine grössere Bedeutung zugestanden worden zu sein. Grossartiger noch
als in Olympia ist wohl das Hauptopfer gewesen, das dem Apollon dar-
gebracht wurde. ^) — Die Aufsicht hatten, wie gesagt, die Amphiktyonen.
denen dabei ein €mjisXi]Ti]g^^) und i^LaariyoifOQoi^^) zur Seite standen. Die
Erteilung des Preises erfolgte in derselben Weise wie zu Olympia: der
Sieger erhielt einen Palmzweig ^2) und darnach den Lorbeerkranz. 1^) Ein
Knabe, dessen Eltern noch lebten, schnitt die Zweige von einem Baum im
Thal Tempe.^^) Der Sieger erhielt das Recht, eine Statue aufzustellen,*^)
und entsprechend der grösseren Wertschätzung der rednerischen Leistungen
in Pytho durfte der eitle und reiche Gorgias es wagen, zum Andenken an
^) Diese fanden wie in Nemea in einem
Theater statt (Luk. nQog x6r cinaid. § 9 p. 108),
das Olympia nicht bcsass.
«) El. 698 f.
^) Plut. Quaest. symp. II 4. Philostr.
Apoll. Tyan. VI 10 p. 238.
*) Plut. Quaest. svmp. V 2. Krause a.
a. 0. S. 4C u. 27 f.
*) Strabo IX 421 f. ; Schol. zu Find. Pyth.
Arg. p. 297B.: Poll. IV 79 fF.
•) GuHRAUER Der pythische Nomos,
Jahrb. f. Phil., Suppl. VIII 311 ff. K. v. Jan
Verhandlgg. der 39. Philol. Versammig. zu
Zürich 1888 S. 70 ff. Mommsen Delph. S.
191 ff. Vgl. auch V. Jak Philol. XXXVIII
S. 378 ff. GüHBAUBB Jahrb. f. Phil. 1880
S. 703 ff.
') Paus. X 7, 3.
^) Plut. Quaest. symp. II 5, 1.
») Vgl. Xen. Hell. VI 4, 29 f.
'**) Plut. Quaest. symp. II 4, 2. Momm-
SEN Delph. S. 167 nimmt mehrere an.
'*j Luk. TtQog anaid. § 9 ff .
^2) Plut. Quaest. symp. VIII 4, 1.
^'A Paus. X 7, 4.
'*) Schol. zu Pind. Pyth. Arg. p. 298 B.
»5) Paus. X 9, 7; Arch. Ztg. 1873 S. 57.
4. Knltuszeiten. (§ 110.)
147
seinen Erfolg ein vergoldetes Standbild an ausgezeichneter Stelle aufzu-
richtend) Dass auch zu diesem Fest ganz Griechenland Theorien sandte,
Prozessionen, Epinikien, Festmahle die Feier verherrlichten, bedarf kaum
der Erwähnung.*)
y. Die Isthmischen Spiele.
Litteratur: Krause Hellenika II 2 S. 165 ff. Hermann G. A.- § 49. Schoemann
Gr. AJt» II S. 68 ff. Unoer Die Isthmien und Hyak. im Philol. XXXVII (1877). S. 1 ff.
110. Das dritte^) grosse Nationalspiel waren die Isthmien, die bei
Scheines in der Nähe des Diolkos auf dem Isthmos von Korinth gefeiert
wurden.^) Auch ihre Stiftung suchte man in die mythische Zeit hinauf-
zurücken. Poseidon soll selbst die Feier zu Ehren des im Meere umgekom-
menen Melikertes angeordnet,^) nach einer anderen Sage Theseus sie nach
dem Morde des Sinis oder des Skiron eingesetzt haben. ^) Das Fest wurde
trieterisch gefeiert,') wahrscheinlich im Frühling^) jedes zweiten und vierten
Olympiadenjahres. Poseidon empfing das Hauptopfer, wie es scheint, vor
der Abhaltung der Kampfspiele. ^) Die Korinthier hatten die Leitung der
Spiele; doch wurden diese auch nach der Zerstörung der Stadt nicht aus-
gesetzt, sondern von den Sikyoniern besorgt, bis das von Cäsar neu erbaute
Korinth sie wieder übernehmen konnte. ^^) Den Athenern war die Proedrie
bei der Festfeier zugestanden, wohl deshalb weil Theseus im allgemeinen für den
Begründer galt,^*) während die Eleier überhaupt ausgeschlossen waren.**)
Wie bei allen Nationalspielen ward auch vor den Isthmien Gottesfriede
angekündigt.*^) Die Kampfspiele waren die üblichen gymnischen und hip-
pischen. '*) Preiserteilungen in musischen Wettkämpfen lassen sich vor der
Kaiserzeit mit Sicherheit nicht nachweisen, dann werden Kitharoden,*^)
Dichter*^) und Sänger*') bekränzt. Wahrscheinlich haben die Spiele also
auch mehrere Tage gedauert. Der Sieger erhielt wie überall Palmzweig *»)
und Kranz. *^) In alter Zeit soll es ein Fichtenkranz {nixvg) gewesen sein,*")
Pindar kennt nur Eppichkränze («rtAirot'),**) und zwar soll man vertrock-
neten Eppich genommen haben, *^) zur Erinnerung daran, dass die Spiele
einst zu Ehren eines Verstorbenen gestiftet seien. Auch lange nach Pindar
») S. Arch. Ztg. 1877 S. 46 f.
«) Vgl. Krause a. a. 0. S. 3G ff.. S. 51 ff.
») Bergk P. 1.* S. 18 n. 1 S. 20; Keil
Schedae epigraph., Progr. v. Schulpforto 1855
S. 4 f.; RoEBL IGA. 419. Ol. Inschr. Arch.
Ztg. XXXV S. 189 u. 0. ScHROEDER in d.
Ztschr. f. d. Gw. 1882 Jahresber. VIII 45.
*) Strabo VIII 369.
^) Schol. zu Pind. Isthm. Arg. p. 514 f. B.
«) Schol. zu Pind. a. a. 0. Plut. Thes.
25. CIG. 2374. Die Inschrift setzt die Grün-
dung der Spiele 995 Jahre vor ihrer Abfas-
sung an. Jedenfalls bestanden sie schon zu
Solons Zeit: Plut Sol. 23; vgl. Diog. Laert.
I 55
'') Pind. Nem. VI 40.
«) Unoer Philol. XXXVIl 3 ff. v. Christ
Sitzungsber. der bayr. Akad. der Wiss. 1889
^ 1 ff
») Vgl. Xen. HeU. IV 5, 1.
»«) Paus. II 2, 2.
") Plut. Thes. 25.
»'^) Paus. V 2, 3; VI 3, 4; IG, 2.
") Paus. V 2, 1. Vgl. II 15, 1.
*^) Pind. Isthmische ; Paus. VI 15, 3u.s. w.
^*) Nero: Suoton Ner. 22 ff. Cass. Dio
LXIII 21. Vgl. Luk. Ner. 3.
'8) Plut. Quaest. symp. V 2, 10.
'") CIG. 1212; vgl. 1719. 1720.
'8) Plut. Quaest. symp. VIII 4, 1.
^») S. Krause a. a. 0. S. 197 ff.
20) Plut. Quaest. symp. V 3, 1; Schol.
zu Apoll. Rhod. Arg. III 1240. Unger Philol,
XXXVIl 9 f.
•''') Neni. IV 88, Ol. XIII 31, Schol. zu
Pind. Isthm. Arg. p. 514 B. Vgl. Schol. zu
Ol. XIII 45.
") Schol. zu Pind. Ol. XIII 45, III 27;
zu Apoll. Rhod, III 1240. Vgl. aber Pind.
Nem. IV 88 und Droysen im Hermes XIV 3.
10*
148 A. Die griechischen Eultasaltertümer.
finden wir den Eppich, ^) doch wurde später die Fichte eingeführt, vielleicht
erst in der Kaiserzeit. ^)
(f. Die nemeischen Spiele.
Litteratur: Krause Hell. II 2 S. 107 ff. Hermann G. A^% 49. Sohokmann Gr.
Altt.» II S. 67 f. J. G. Dboysen im Hermes XIV 1 ff.
111. Das vierte und letzte der grossen Nationalfeste waren die
Nemeen. Sie wurden in dem Thal Nemea zwischen Kleonai und Phleius
gefeiert.^) Eingesetzt sollen sie sein von den Sieben, die gegen Theben
zogen, zu Ehren des Arcfaemoros, des kleinen Sohnes des Königs Lykurgos,
der von einer Schlange getötet wurde, während seine Wärterin den dursten-
den Helden den Weg zu einer Quelle wies.*) Nach andern Sagen soll
Herakles die Spiele nach der Erlegung des nemeischen Löwen gestiftet,
oder sie erneuert und dem Zeus geweiht haben. *'^) Zur Zeit Pindars wurden
die Spiele zu Ehren des Zeus gefeiert.'') Die Leitung hatten anfangs die
Kleonaier, doch bald riss sie das mächtigere Argos an sich. Vorüber-
gehend besassen sie dann wiederum die Kleonaier, die auch Pindar (Nem.
X 42) als ctyiovoK^eTai nennt, und noch Jahrhunderte später rivalisieren
beide Staaten,') bis die Argeier dann endgültig das Vorrecht behaupten.^)
Auch dies Fest war ein trieterisches.^) Die eine Feier fiel in das vierte
Olympiadenjahr, ^^) und zwar in den Monat Pancmos, wie es saheint, in den
Hochsommer; ^*) in welches Olympiadenjahr die andere fiel, wissen wir nicht
sicher, ^=2) ja auch in welcher Jahreszeit sie stattfand, ist zweifelhaft. Man
sollte annehmen, dass zu Wettkämpfen, wie sie dort geübt wurden, nur
der Sommer geeignet war, Pausanias aber erwähnt an zwei Stellen ^^)
Winternemeen {x^ijAeQivd)^ und eine sehr späte Inschrift ^*) scheint die An-
gabe zu bestätigen. Man hat die Worte des Pausanias dahin zu erklären
gesucht, dass er von einer Winterfeier spreche, die der Kaiser Hadrian
neben den weiter bestehenden alten Nemeen in Argos eingerichtet habe,^-'^)
doch hat auch diese Annahme gewichtigen Widerspruch gefunden. "'5) —
Das Fest wurde in derselben Weise gefeiert wie die übrigen. Vor dem
Beginn wurde der Qottesfriede geboten,*') die fremden Staaten schickten
ihre Theorien,*®) Männer und Knaben traten in den üblichen gymnischen
Diod. XVI p. 079; vgl. Plut. Quaest. ! '<>) Schoemann Proleg. zu Flut Ag, u.
Klcom. p. XXXVIII ff.; Heinrichs in d. Zt-
schr. f. d. Gw. IX 1855 S. 208 ff. Hermakn
6. A. § 49 Anm. 17, wo auch die ältere
sytnp. V 8, 2.
*) Plut. Quaest. svmp. V 3, 1 ff. Luk.
Anach. § 9 u. 16. Vgl. Plin. h. n. XV 10
p. 36 u. CIG. 234. [ Litteratur.
=*) Strabo VIII 377; Paus. II 15. ; »') Hermann Monatskunde S. 73.
*) Apollod. III 6, 4. Schol. zu Find. ^^) Vgl. ausser den Anm. 10 angeführten
Nem. Arg. p. 424 f. B. Pbeller Gr. Mytb.^ i Schriften Krause S. 119 ff. u. v. Christ in
II 356 f. d. Sitzungsber. der bayr. Akad. d. Wiss. 1888
B) Schol. zu Pind. Nem. Arg. p. 424 f. B.
Das Marmor Par. setzt die Einführung 987
Jahre vor seiner Abfassung an, also zwei
Olympiaden später als die Isthmien (CIG.
2374).
8) Pind. Nem. IT 4 f.
') Vgl. Plut. Arat. 28.
8) Vgl. DissEN zu Pind. Nem. p. 381 f.
bei Böckh; Krause a. a. 0. S. 108.
^) Schol. zu Pind. Nem. Arg. p. 425 B.
S. 390 ff.
»•') n 15, 2; VI 16, 4.
'*) CIG. 4472, vielleicht aus d. J. 214 p.
Chr. s. Droysen Hermes XIV 6 f.
»5) Unger im Philol. XXXIV 1875 S. 50
ff. und XXXVII 524 ff.
*") Droysen im Hermes XIV 1 ff.
'') Pind. Nem. III 2. Vgl. Xen. Hell.
IV 7, 2 f.
'8) Demosth. g. Meid. § 115.
4. EultaBzeiten. (§ 111-112.) 149
Kämpfen auf,*) Alkibiades sandte auch hierhin seine Viergespanne,^) und
besonderen Ruhm erntete, wer einen nemeischen Sieg zu Siegen fügte, die
er in den andern drei Spielen errungen hatte, so dass er sich als negioSo-
vUifi bezeichnen durfte.^) Interessant ist, dass schon zu Philopoimens Zeit
ein Agon von Kitharoden stattfindet.'*) Der Sieger erhielt Palmzweig*'')
und Eppichkranz {aäXivov),^)
Zum Schluss mag noch erwähnt werden, dass alle vier grosse Fest-
spiele in vielen Städten Griechenlands Nachahmung fanden und mit Agonen
gefeiert wurden, vor allen die Olympien.')
b. Die Feste der einzelnen Staaten.
Littoratur: Hermann Gott. Ali« S. 281 ff. Schobmann Griech. Altt.'» II S. 439 ff.
Adolf Schmidt Handbuch der griech. Chronologie ed. Fb. ROhl, Jena 1888 S. 264 ff. Für
Athen A. Mommsen Heortologie, Leipzig 18G4. Über die Bedeutung der Feste L. Schmidt
Ethik II 16 f., ihre Kostspieligkeit Böckh Staatshaush.'* I 265 ff.
112. Fanden wir an den grossen Nationalfesten ganz Griechenland
vereint und für den Augenblick sich in ein Ganzes fügend und darin auf-
gehend, so zeigt sich wiederum die Zersplitterung und Sonderung der
Staaten nirgends auffallender als in der Feier der Feste, die jeder für sich
beging. Jede Stadt verehrte eine Gottheit vorzugsweise und vernachlässigte
andere. In Athen z. B. trat Hera im Kultus völlig zurück, während sie
in andern Städten wie in Argos die erste Stelle einnahm, ja Nebengott-
heiten wie die Chariten, Asklepios, Eros wurden an bestimmten Orten
am meisten verehrt.^) Schon dieser Umstand bedingte, dass auch jeder
Staat seine besonderen Feste hatte. Es kam hinzu die Verschiedenheit der
Zeitrechnung. Nicht alle Griechen rechneten den Jahresanfang von dem-
selben Zeitpunkt an,^) die meisten hatten ihre besonderen Monatsnamen,
und Neuerungen und Verbesserungen in der Chronologie fanden durchaus
nicht allgemeine Annahme.
Genauer unterrichtet sind wir nur über Athen, und auch hier weist
die Überlieferung zahlreiche Lücken auf; für die andern Staaten haben
namentlich die Inschriften manches Material geliefert, doch ist dies so
fragmentarisch und so zufällig, dass eine systematische Behandlung ihrer
Festkalender vorerst auf grosse Schwierigkeiten stösst.
Allgemein nahm man ein Mondjahr von 354 Tagen an und brachte
es mit dem Sonnenjahr dadurch in Übereinstimmung, dass man in be-
stimmten Zeiträumen einen dreizehnten Monat einschaltete,^®) noch ehe die
») Krause a. a. 0. S. 134 ff.
*) Paus. I 22, (i. Vgl. Athen. XII 9
p. 534 D.
^) Doch kommt dieser Titel erst später
vor: Athen. X p. 415 A; Cass. Dio LXIII, 8;
^) Zusammenstellung der kleineren 01ym>
pien bei Krause Olympia S. 202 ff.; der
Pythien Hell. II 2 S. 53 ff., s. auch Preller
Gr. Myth.-* I S. 267 f.; der Isthmien Krause
Hell, n 2 S. 207 ff.; der Nemeen ebenda
CIA. IV 6829 u. 8. w. Eine Sammlung von I S. 146 f. S. auch G. Hirschfeld Ztschr. f.
Periodoniken bei Krause Ol. S. 402 ff. d. Österreich. Gymnas. 1882 S. 494 f.
*) Plut. Philop. 11; Paus. VIII 50, 3.
5) S. Krause a. a. 0. S. 143.
«) Pind. Nem. VI 43 f. u. Schol. dazu.
1
*•) Vgl. Sam. Wide De sacris Troezeni-
orum, Hermionensium, Epidauriorum. Up-
sala 1888.
Schol. zu Pind. Ol. XIII 45 p. 274 B. Plin. | ») Böckh Mondcyklen S. 29 ff., Schoe-
Hist. nat. XIX 46 p. 158. Vielleicht sind | mann a. a. 0. S. 448 f. Ad. Schmidt a. a. 0.
eine Zeitlang Eichenkränze gegeben worden S. 123 f.
CIG. 234. Vgl. Droysen a. a. 0. S. 2. '®) Es kam aber auch vor, dass in dem-
150 ^* ^i® griechischen Knltnsalteiiamer.
Abweichung gar zu gross und fühlbar geworden war. Die Athener scheinen
in jedem di'itten, sechsten und achten Jahre einen 3fvv€Qog IlocfiSeüiv hin-
zugefügt zu haben, so dass in einer Periode von acht Jahren der Ausgleich
stattfand, weshalb man dann diese Oktaeteris auch als ein grosses Jahr
(luyag inavxoq) zu bezeichnen pflegte. Nach demselben Prinzip verfuhren
auch die übrigen Griechen, wie die verbreitete und später allgemein übliche
Rechnung nach Olympiaden und Pythiaden beweist, die beide eine halbe
Oktaeteris ausmachten.^) Der Schaltmonat zählte 30, die übrigen 29 {xoiXoqn)
oder 30 Tage. Sie begannen mit dem Neumond, und der ganze Monat wurde
in drei Dekaden geteilt:*) lir.vog taxa(X6vov^ lAsaovvxog oder im däxa^ y^i-
roiTog. Die 9 oder 10 Tage des letzten Drittels wurden rückwärts ge-
zählt, der dsvvbQtt ^d^tvoiTog folgte die ft'ij xat vta, der letzte Monatstag.
— Den Jahresanfang rechneten die Athener vom ersten Neumond nach
der Sommersonnenwende. Der erste Monat, der also ungefähr unserem
Juli entsprach, hiess Hekatombaion, der 2. Metageitnion (August), 3. Boe-
dromion (September), 4. Pyanopsion (Oktober), 5. Maimakterion (November),
6. Poseideon (Dezember), 7. Gamelion (Januar), 8. Anthesterion (Februar),
9. Elaphebolion (März), 10. Munichion (April), 11. Thargelion (Mai), 12. Ski-
rophorion (Juni). In anderen Staaten führten die entsprechenden Monate
andere Namen, in Delphoi z. B. Apellaios, Bukatios, Boathoos, Heraios.
Daidophorios, Poitropios, Amalios, Bysios, Theoxenios, Endyspoitropios,
Herakleios, Iliaios.') Häufig finden wir dieselben Namen an andern Orten
wieder, wie einen Thargelion in Delos, Paros, Ephesos und anderswo,^)
doch bezeichnete dann der übereinstimmende Name durchaus nicht immer
den gleichen Monat. ''^) Noch grösser werden die Abweichungen in den den
einzelnen Gottheiten geweihten Tagen gewesen sein. In Athen z. B. soll
der 3. 13. 15. und 28. jedes Monats der Athena gehört haben,^) was an
andern Orten, wo sie weniger verehrt wurde, nicht anging, der siebente
wiederum war nicht bloss in Athen dem ApoUon geweiht.^) Andrerseits
werden auch dieselben Tage am nämlichen Orte als verschiedenen Gott-
heiten heilig bezeichnet.^) — Sehr üblich war es, die Namen der Monate
von den Hauptfesten, die in ihnen gefeiert wurden, zu entlehnen, wie in
Athen den Skirophorion, Pyanopsion u. a.
Wie wichtig den Griechen ihre Feste waren, und wie sie alles andere
selben Jahr mehrere Monat« eingeschaltet 1 1885, 3 S. 407 ff. u. Daremberg Did I 825 ff.
wurden. Vgl. Kirchhoff Monatsber. der ' *) Preller-Robert Griech. Myth. I 261
Berl. Akad. 1859 S. 739 ff. = Anm. 2. Vgl. S. 263 Anm. 2 u. s. w.
*) 432 stellte Meton in Athen einen neuen ^) Vgl. Schoemakn a. a. 0. II 448 f.
19jähngen Cyklus auf, der aber erst später 'j Tzetz. zu Lykophr. 519, Prokl. zu Hes.
eingeführt wurde. S. Ad. Schmidt a. a. 0. Erg. 778, Schol. zu IL B 38.
S. 434 ff., 620 ff. ■) Prokl. zu Hes. Erg. 798; Plut. Quaest.
') Ad. Schmidt a. a. 0. S. 148 ff. j ^p. VIII 1, 2; Diog. Laert. II 44. Vgl.
^) Kirchhoff Monatsber. der Berl. Akad. Herod. VI 57.
1864 S. 1:34. Vgl. Hermes XXI 176 ff. von I ») Schol. Aristoph. Plut 1127: Xagtci»^
Kos; Bull, de corr. hell. 1881. 25 v. Delos: rQinjy Nub. 616: eV cfc «ftrrt^^ ror nocet-
Mitt. des Arch. Inst, zu Athen XIII (1888) ' dcuVa rtfuay. Vgl. Plut. Quaest rom. 25 und
8. 307 f. V. Kyzikos und im allg. Bischoff mehr bei Schoemakn a. a. 0. II 441 f. Lobeck
De fastis Graecorum antiquioribuSf Leipzig Agl. 430 ff. Preller-Robert Gr. M. I 391
1884. über Solische u. dorische Kalender La- ' u. s. w. Vgl. ausser den angef. Stellen auch
tyschew St. Petersburg 1883 (russisch). S. Theopomp. Frgm. 283; Demosth. PhiL Ip. 36;
auch A. MoMMSEi« in Bursias^s Jahrcsber. CIG. 1034 u. s. w.
4. Knltuszeiten. (§ 113.) 151
darüber vergossen und versäumten, könnte uns in Erstaunen setzen. Die
Spartaner schicken der Earneen wegen keine EUlfstruppe nach Marathon,^)
eine durchaus ungenügende Streitmacht nach Thermopylai,^) und erscheinen
im peloponnesischen Kriege aus demselben Grunde wiederholt nicht recht-
zeitig auf dem Platze,-"^) Agesilaos entlässt die Amyklaier aus dem Lager,
damit sie zu Hause die Hyakinthien feiern können,-^) und Demosthenes
macht den Athenern die schwersten Vorwürfe, dass ihre Feldherren über
Festen und Prozessionen das Lager und das Schlagen vergässen, und dass
für die Panathenaien und grossen Dionysien mehr Geld aufgewandt würde,
als für die Ausrüstung der Flotten.^) Mag zunehmende Vergnügungssucht
namentlich in Athen ihr Teil hierzu beigetragen haben, ^) der alleinige Grund
war sie nicht: wie die Götter auf Opfer und Erhaltung ihrer Tempelschätze
Anspruch hatten, so verlangten sie auch eine würdige Begehung ihrer
Feste. Die Athener thun sich etwas zu gute darauf, dass sie die meisten
Feste feierten und die frömmsten von allen Hellenen seien. ^) Nur an einem
Tage des Jahres soll man in der Stadt keine Opfer dargebracht haben, ^)
und jeder sechste Tag soll ein Festtag gewesen sein.'-*) — Nicht jeder Fest-
tag war gleich heilig und vornehm. Nur an den hohen waren Gerichts-
sitzungen, Volksversammlungen und überhaupt öffentliche Arbeiten und
Geschäfte untersagt, ^^^) und nur für die Eleusinien, wo zahlreicher Besuch
von auswärts zu erwarten war, wurde eine längere Ekecheirie (von 7 — 8
Wochen) verkündet. ^^
a. Athenische Feste.
113. Das erste am Anfang des Jahres auf den ersten oder siebenten
Hekatombaion fallende Fest galt dem Apollon.*^) Man hatte die längsten
Tage, die Sonne beschrieb die grössten Kreise, und so wird man des Sonnen-
gottes zuerst gedacht haben. ^3)
Das nächste Fest, auf den 12. fallend, ^^) waren die Kronien {Kqovio),^^)
Kekrops soll es gestiftet haben. ^^) Es scheinen an ihm nur unblutige
Opfer dargebracht zu sein, denn ein diqixaxixiv wird nicht erwähnt,*^) und
an Holokausta zu denken, liegt kein Grund vor, wogegen die Analogie mit
dem Kult des Zeus Hypatos, den auch Kekrops gestiftet haben soU,*^) und
der blutige Opfer ausschloss,^^) nahe genug liegt. 2®)
») Herod. VI 106.
-) Herod. VII 206.
3) Thuk. V 54 u 75.
*) Xen. Hell. IV 5, 41.
*) Demostb. 1 Olynth. 20; vgl. 1 Phil.
26 u. 35; Flut. De glor. Athen. 6.
^) Vgl. Isokr. Areop. 11.
') Perikles bei Thuk. II 38. Vgl. Xen.
Staat der Ath. III 8. III 2; Plato Alk. II
p. 148 a; Lyk. in Leokr. 15; Paus. I 24, 3;
Act. apost. XVII 22.
«) Schol. zu Thuk. II 38.
^) Schol. Aristoph. Vesp. 663. Beides
ist glaublich. Die Zahl der Festtage ^ilrde \ ^«) Paus. VIII 2, 3.
den unsrigen etwa gleichkommen. | ^'^) Paus. I 26, 5.
»0) Ad. Schmidt a. a. 0. 263 f. S. 371 flf. , »«) Vgl. Mommsen Heort. 110.
MoMMSEN Heort. S. 93 ff.
'0 DiTTEKBEBOEB Syll. 384 b.
>-) S. Etymol. M. u. 'Exarofjßaiaiy, K.
Fr. Hebmann Monatskunde S. 56 f., S. 79 f.
Mommsen Heort S. 104 ff. Ad. Schmidt Gr.
Chron. S. 265 ff.
") S. Etym. M. a. a. 0. Bekkeb Anecd.
I p. 247 u. 'Exato^ßauiy.
'*) Demosth. Timokr. 26.
'*) Mommsen Heort. S. 108 ff. Pbeller-
RoBEBT Griech. Myth. I 52.
'«) Philochoros nach Macrob. Sat. 1 10, 22.
") Vgl. DiTTENBEBOEB Syll. 374.
152
A. Die grieohiBchen Ealtnsaltertümer.
Es folgten am 16. Hekatombaion *) die Svvoixia.^) Es war ein altes
Fest, das eigentlich wohl der Athena galt, aber früh mit dem Synoikismos
des Theseus in Verbindung gebracht wurde. ^) Wahrscheinlich erst nach Been-
digung des peloponnesischen Krieges ward das grosse Eireneopfer hinzuge-
fügt/) von dem die Hautgelder im Jahre 334 allein 924 Drachmen betrugen.^)
In demselben Monat wurden dann noch zu Ehren der Hauptgöttin,
der Ux^rjvä Ilohdg^ die Panathenaien (Ilavad-r^vma) gefeiert.^) Die Stif-
tung des Festes schrieb man Erichthonios zu,^) Theseus soll es er-
neuert und nach der Einigung der Gemeinden den bisher üblichen Namen
U&r'jvma in navaO-r^vaia geändert haben.®) Auf Peisistratos wird die Ein-
richtung der grossen (fieyala) Panathenaien zurückgeführt,^) die pentae-
terisch in jedem dritten Olympiadenjahr^^) am drittletzten Hekatombaion, ^ i)
der für den Geburtstag der Athena galt,^*) gefeiert wurden.*^) Es unter-
liegt keinem Zweifel, dass auch die kleinen Panathenaien auf den 28. des
Monats fielen. ^^) Auch sie waren ein hohes und glänzendes Fest, wenn
auch von den grossen so in den Schatten gestellt, dass wir nur selten von
ihnen hören. Eine nächtliche Feier ^^) mit Fackellauf ging dem eigentlichen
Festtage voran; mit Sonnenaufgang begann die grosse Prozession durch die
Stadt nach der Burg, um der Göttin den Peplos zu bringen.*^) Dort fand
ein grossartiges Opfer und eine Volksspeisung statt. Auch kleinere gym-
nische und hippische Agone, unter diesen eine besondere Art, bei denen
ein Mann {dnoßazrfi) vom Wagen absprang, neben dem Gespanne herlief
und sich dann wieder hinaufschwang, werden erwähnt, ^^) und da diese am
28. nicht stattgefunden haben können, müssen wir die Dauer des Festes
mindestens auf zwei Tage (27—28) ansetzen.^®)
Ungleich glänzender gestaltete sich das Fest in jedem vierten Jahre. ^*)
Der Hauptfesttag blieb der 28. Hekatombaion ; wie lange es im ganzen
') Plut. Thes. 24; Schol. Aristoph. Fax
1019.
2) MoMMSEN Heort. S. 111 ff. Böckh
Staatsh.^ II 119. v. Wilamowitz Eydathen
120 f.
3) Thuk. II 15. Vgl. C. Wachsmuth im
Rhein. Mus. XXIIl 178 ff.
*) V. Wilamowitz a. a. 0.
*) DiTTENBEBGER Syll. 374. Vgl. COL-
LiOKON annuaire des Hudes grecques XVI
Paris 1882 S. 111. -- Vordem und bei an-
dern Gelegenheiten mag auf dem Altar der
Eirene niemals Blut vergossen sein (Aristoph.
Fax 1019 mit Schol. Vgl. Mommsen Heort.
S. 115).
«) Hermann Gottesd. Altt.* § 54, Schoe-
MANN Griech. Altt.'» II 467 ff. A. Mommsen
Heort. 116 ff. Meier Panathenäen in der
Allg. Encykl. der Wiss. u. K. III 277 ff
Michaelis Parthenon 211 ff., 318 ff., wo
auch (S. 318) noch ausführlichere Litteratur-
angaben. Krause in Pauly's Realenc. V
1105 ff.
^) Harpokr. u. Suid. u. Ilaya&ijyaia
Apollod. III 14, f).
«) Paus. VIII 2, 1 ; Plut. Thes. 24.
») Schol. Aristid. Panath. III 323 Dind.
(p. 189. 4).
'') CIG. 251; Lys. XXI 1.
") Schol. Plat. Rep. p. 327 a. Vgl. Eur.
Herakl. 777.
»») Schol. II. 9 39; vgl. Athen. UI p. 98 B.
^^) In der spätem Eaiserzeit wurde das
Fest im Frühling begangen (Himer. erat. III
p. 426 f.; vgl. Giris 21. Mommsen Heort.
S. 134 f.; Meier a. a. 0. S. 281.
^*) Mommsen Heort. S. 129 ff.
*•') Dittenberoer Syll. 380.
»«) Schol. Plat. Rep. p. 327a; Schol. zu
Aristoph. Equ. 569. Nach dem Schol. zu
Eur. Hek. 468 u. Harpokr. u. ninXog fand
die Darbringung nur an den grosseü Pana-
thenaien statt.
'') Marm. Par. CIG. 2374. CIA. II 966.
Michaelis Parth. S. 215 u. 324 f. Bildl.
Darstellung bei Schreiber Kulturhist. Atlas
Taf. XXV n. 6.
»8) Vgl. Mommsen Heort S. 205.
^^) rd^eydXa JlayaSijyaia'DiTi'EüBEROEK
Syll. 2. 263 und öfter, gewöhnlich auch nur
JJttVtt&rirKKt genannt.
4. KnltosEeiten. (§ 113.) 153
dauerte, wissen wir nicht, doch werden nicht weniger als sechs Tage an-
zunehmen sein. ') Wie alle grossen durch Agone gefeierten Feste hat auch
dies allniählich immer mehr Erweiterungen erfahren. In der Zeit der
Peisistratiden wurde es namentlich durch die Zuziehung von Rhapsoden
bereichert,*) die aus den homerischen Gesängen vortrugen. 3) Weitere
musische Wettkämpfe wurden unter Perikles hinzugefügt,-*) und eine In-
schrift aus dem 4. Jahrh. v. Chr.*) nennt Kitharoden, Auloden, Kithar-
spieler und Flötenbläser. Von den Kitharoden erhalten die fünf besten
Geldpreise von verschiedener Höhe, der erste ausserdem einen goldenen
Kranz, und auch für die anderen sind mehrere Preise ausgesetzt; den Kranz
erhält immer nur der vorzüglichste. Auch die gymnischen und vor allem die
hippischen Agone ^) wurden vermehrt. In den ersteren wurden die Kämpfer
nach ihrem Alter in drei Klassen geteilt: naTdeg^^) äyavfioi^) und
civiQsg. In dieser Reihenfolge treten sie auch auf, und zwar die Knaben
in fiinf Kämpfen: dem Wettlauf, ^) Pentathlon, Ringkampf, Faustkampf,
Pankration. In denselben Wettkämpfen produzieren sich darnach die
ayävsioi. Die Preise bestehen in Krügen mit Öl von den heiligen Bäumen
(fiOQiai) der Athena in der Akademie.*®) Jedesmal werden zwei Preise er-
teilt, und zwar erhält der erste Sieger immer fünfmal so viel als der
zweite, die Knaben 30 — 50 bez. 6 — 10, die äyevcioi 40 — 60 bez. 8 — 12
Krüge,**) so dass auch der Geldwert ganz erheblich war. Dass im
Laufe der Zeit auch kleine Änderungen eintraten, ist selbstverständlich.
So wird in einer Inschrift aus der letzten Zeit der Republik**) ein dohxog
Ttaidwv erwähnt. — Über die Wettkämpfe der Männer sind wir weniger
imterrichtet, da sie auf der ältesten und wichtigsten ^Urkunde *') fehlen.
Doch lässt sich aus andern Inschriften ^ *) und den erhaltenen Vasenbildern ^^)
schliessen, dass sie noch umfangreicher als die der Unerwachsenen, *^) und
die Preise entsprechend grösser waren. Besonders reichhaltig war das
Programm der hippischen Kämpfe.*^ Ausser den gewöhnlichen Rennen
mit Vier- und Zweigespannen ausgewachsener {adrjgtdyoi) und junger Pferde
traten auch Paradewagen {^evyrj Ttofirtixa) und Kriegswagen (a^/iara noXs-
*) Sauppb Commentat. de ioscr. Pana- | *^) Lnk. Anarch. 9; Michaelis Parth.
then. ind. schol., Göttingen Som. 1858 p. 7. ; S. 322. Vgl. Herod. V 82.
UfoiOfSEii Heort S. 204.
«) Plat. Hipparch. p. 228 B.
») Lykurg. Leokr. 102.
*) Flut. Per. 13. Vgl. Bbbukb De wu-
9ict8 Panathenaeorum certaminibus, Bonn
1865 u. Reisch De musicis Graecorum cer-
taminibus, Wien 1886.
*) DiTTENBEBGER Syll. 395; Sauppe a.
a. 0.
«) Vgl. CIA. U 966, 968, 969.
^ In späterer Zeit wird auch eine
TMQttixfjy devriQic und rgitt] rjXixia unterschie-
den CIG. 282.
*) Wahrscheinlich vom 16.-20. Jahre.
MoMXSBN Ueort. S. 141 f.
9) Das atä^ioy Jlaya^^^rjytttxoy wird öfters
erw&hnt z. B. Dittenbkroer Syll. 111, 124.
Bildl. Darstellung des Grundrisses hei Schrei-
beb Kultnrbist. Atlas Taf. XXVI n. 3.
**) Viele solcher Amphoren sind uns er-
halten (s. Michaelis Parth. S. 323 f.j. Sie
tragen ausser der Aufschrift; rcSy U^ytj^ey
äaXcjy das Bild der Göttin (Mich. Parth. S.
212 Anm. ; Mayer Gig. u. Tit. 271) und gewöhn-
lich auf der Rückseite Darstellungen von
Wettkämpfern. Auch der Name des Archen
ist in der Regel angegeben.
»2) DiTTENBEROBR Syll. 398.
*') DiTTENBERGER Syll. 395.
1*) Vgl. Z. B. DiTTENBERGER Syll. 403.
CIA. II 966, 968.
*^) Eine Reihe von Abbildungen in den
Monum. dell' Instit. vol. X tav. XLVII bis
XLVII g, XLVIII-XLVIII n. (1877).
»«) Vgl. MomiSEN Heort. S. 143 ff.
^') S. ausser den Inschrr. Dittenberger
Syll. 395 u. CIA. II 967 Krause in Pauly's
Realencykl. V 1106 f. u. Mommsbn H. 153 ff.
154 •^* ^^^ griechischen EaltuBmltertttmer.
liiKrrr^Qiety avvwqideq noXefiiaxrQim)^) auf, ferner Reiter in voller Rüstung
{xelrfctr TrokcfiKTTr-Qift)) und Speerkämpfer zu Pferde {dxovrf^ovTsg dtp innov).^)
Auch in diesen Kämpfen erhielten der erste und der zweite Sieger Krüge
mit Öl. Dann folgte die Pyrrhiche, ein Waffen tanz, der einen Kampf
nachahmte, 3) wiederum von den drei Altersklassen besonders ausgeführt.
Die siegreiche Partei erhielt ein Rind im Wert von 100 Drachmen*) als
Preis {vixriTtjQia), das dann zum Opferschmause verwandt wurde. — Dieses
Spiel bildete den Übergang zu dem dycov evavÖQiag.^) Jede Phyle stellte
eine Anzahl ausgewählter Männer, die sich durch Grösse, Kraft und Schön-
heit auszeichneten.^) Die stattlichste Schar erhielt wieder ein Rind als
Ehrenpreis. Diese Unterhaltungen füllten vermutlich die Festtage bis zum
27. abends aus. Dann begann die Pannychis^) mit ihrem Fackelwettlauf
{XafinaSo(fOQta).^) Man lief von der Akademie aus durch den Kerameikos ^)
in verschiedenen Abteilungen, die wohl von einzelnen Phylen gestellt waren.
Die vordersten trugen brennende Fackeln, die sie den ihnen Nacheilenden
übergaben. So ging die Fackel von Hand zu Hand; jeder einzelne aus
den gleich zahlreichen Gruppen musste sie weiter tragen; wer (als letzter
seiner Abteilung) das Ziel mit brennender Fackel zuerst erreichte, war Sieger,
doch fielen Ehre und Ehrenpreis ^^) wohl der ganzen rd^ig zu, aus welcher
der Sieger hervorgegangen war. - Die Regatta {vswv afiikka\ die in unserer
Inschrift als der letzte Agon aufgeführt wird, fand vermutlich erst am 29.
statt, ^^) magjedoch hier gleich mit erwähnt werden. Die Phyle, deren Schiff ge-
siegt hatte, erhielt 300 Drachmen ; ausserdem wurde noch Geld zu einem Opfer-
schmaus und vielleicht auch noch ein Siegespreis für das zweite Schiff gezahlt.
Der 28. war der höchste Festtag. Wie an den kleinen Panathenaien **)
begann am frühesten Morgen die Prozession, die sich durch die Haupt-
strassen bewegend'^) der Göttin den Peplos darbrachte. Es war dies ein
höchst kostbares Gewebe, von kunstfertigen Frauen und Jungfrauen (^qy^-
(TThat) 1 ») angefertigt. Neun Monate vorher war die Arbeit von vier jungen
Mädchen, den sog. dQQij^oQoi,^^) bereits begonnen worden. Auf saffran-
farbigem Grund ^^) waren die Gigantenkämpfe gestickt, ^^) an denen
Athena ja der Sage nach hervorragenden Anteil genommen hatte.
Erst in späterer Zeit,^*) wo man unterwürfiger war, hat man auch mäch-
') CIA. II 968, 969.
2) CIA. II 968.
3) S. Kbause Hell. I 883 ff.
*) BoECKH Staatsh.^ I 95 Anm. a u.
Fkänkel ebenda II Anm. 130 S. 21 *.
*) Harpokr. u. svaydgia. Xen. Mein. III
3, 12. Sauppe a. a. 0. S. 8 ff. Dittbnbeboer
Syll. S. 385 not. 11.
«) Athen. XIII p. 565 F.
") Dittenbergeb Syll. 380.
*•) Kine Abbildung von Wettläufern mit
Fackel Taf. V Fig. 7.
'^) Wecklein im Hermes VII 443 ff. auch
für das Folgende zu vergleichen.
^^) Bei den Panathenaien Mgia, Vgl.
*') Über den Weg, den sie nahm, s. Thuk.
VI 56, Plut. Demetr. 12 und mehr bei Mi-
chaelis Parth. S. 213, S. 327 ff.. Wachs-
MUTH Stadt Athen S. 285, Löschkb Ennea-
krunosepis. 13, v. Wilajiowitz Kydathen
S. 203, auch E. Cubtius Sitzungsberichte der
Berl. Akad. 1884 S. 504.
»*) Vgl. U. Köhler Mitt. des Athen. Inst
VIII 57. Bull, de corr. hell. 1889 S. 170.
V. WiLAMOwiTz Eur. Her. I 346.
^ *) Etym . M. u. XaXx^ia u. uqQf^fpoqBiv, Har-
pokr. u. dQQtj(fOQ€iy, Michaeus Parth. S. 329.
»«) Eur. Hek. 466.
") Schol. zu Eur. Hek. 469; Prokl. zu
Plat. Tim. p. 26.
Wecklein a. a. 0. S. 441 Anm. 3, aber auch | '*) Aristoph. Equ. 565 beweist nicht das
FRA>'CKELinBöCKHsStaat8h.3II31*Anm.l91. Gegenteil. Vgl. Michaelis Parth. S. 212.
»') MoMMSEN Heort. S. 198. Stüdniczka Altgriech. Tracht Wien 1886
»2) Dittenbebobb SyD. 380. | S. 137 A. 17.
4. KaltnsEeiten. (§ 1 14.)
155
tigen Gewalthabern einen Platz neben den Göttern eingeräumt, nicht ohne
sich des Unrechts bewusst zu werden. ^ Dies Gewebe wurde — wenigstens
an den grossen Panathenaien ^) — als Segel an Raaen und Mast eines Schiffes
befestigt') und so durch die Strassen geführt. Herodes Attikus vervoll-
kommnete die Maschinerie so, dass es sich wie schwimmend selbst zu be-
wegen schien.^) Das Gewebe wurde dann in den Tempel getragen und
seit Pheidias Zeit wahrscheinlich dem grossen Goldelfenbilde der Polias um-
gehängt oder als Vorhang daneben befestigt.*) Der Festzug selbst ist
von der Hand desselben Künstlers dargestellt worden und schmückte als
Relieffries den Parthenon. Die ganze freie Bürgerschaft Athens beteiligte
sich. Die Archonten, die Schatzmeister der Göttin, die Hieropoioi, Stra-
tegen, Taxiarchen, die Geleiter {noixnsTq) und- die Kanephoren,^) welche
die heiligen Opfergeräte trugen,^) schritten festlich geschmückt in dem Zuge,
Abgesandte aus fernen Kolonien, die mit Opfervieh zum Feste eingetroffen
waren,®) die sog. x>allo(f6Qoi\^) besonders ausgewählte schöne Greise, Öl-
zweige in den Händen tragend, die Metoiken mit Opfergerät, ^^) Kuchen und
Gefassen,^0 ^^^ Sieger aus den Wettkämpfen an den vorhergehenden Tagen,
gerüstete Krieger ^2) verliehen dem Bilde Glanz und Mannigfaltigkeit,^')
Priester und Diener führten die Hekatombe,**) Herolde hielten die Ordnung
aufrecht,^*) bis endlich alles auf der Burg angelangt war, wo an dem grossen
Altar, der vor dem Tempel der Polias stand, ^*^) das ungeheure Opfer dar-
gebracht wurde, von dem dann das ganze Volk festlich gespeist ward.*')
Die Leitung der Spiele lag zehn alle vier Jahre neu gewählten ad-Xo-
^«raii8) oder dywvo&äxat^^) ob, die Ordnung der Pannychis, der Pompe
und des Opfers den tsQonoioi.^^)
Die Kosten des Festes waren natürlich sehr beträchtlich. Manches
wurde von den Wohlhabenden bestritten. So war die Ausrüstung und Ein-
übung der Pyrrhiche,**) die Euandrie und Lampadarchie^^) eine Leiturgie.*^)
Die Hauptkosten trug der Schatz der Athena,**) also der Staat. ''^^)
114. In dem folgenden Monat, Metageitnion, wird nur ein kleineres
Fest erwähnt, das dem Apollon gefeiert wurde. 2*^)
») Vgl. Plut. Demetr. 12. Diod. XX 46.
^) S. Pbelleb-Robebt Griech. Mythol. I
212 Anm. 5; Dittenb. Syll. S. 226 Anm. 6
u. ScHUBEBT im Hermes X 448. Über den
ninXog überhaupt Studniczka a. a. 0. S. 136 £f.
») CIA. UI 70a; Paus. I 29, 1; Harpokr.
u. roneioy, Michaelis Parth. S. 329.
*) Philostr. Vit. Soph. II 1, 5.
^) S. DöBFFELD Miti des Arch. Inst, zu
Athen 1887 S. 199 f.
«) Dittenb. Syll. 380.
^} Harpokr. u. xayrjtpoQoi und mehr bei
MiCHAEus Parth. S. 329 f.
*•) DiTTEifB. Syll. 12 A, Schol. zu Ari-
stoph. Nub. 386.
*) Xen. Symp. IV 17; Aristoph. Nub.
540 und Schol.
»0) Poll. III 55; Harpokr. u. Suid. u.
axagyr^fpogoi.
»') S. Michaelis Parth. S. 330. Gilbest
Gr. Staatsaltt. I 173.
»«) Lys. XIII 80 f.
") Demosth. IV 26, XXI 171. Michaelis
Parth. S. 331.
»*) Dittenb. Syll. 380, vgl. 12 A.
^^) Poll. VIII 103.
»»j Thuk. I 126.
") Dittenb. Syll. 380; Aristoph. Nub.
386 mit Schol. u. s. w.
>8) Dittenb. Syll. 44, 6; Poll. VIII 93.
»») Luk. Nigr. 14.
«0) Dittenb. Syll. 380, 31 flf. Vgl. Dobb-
xeb De sacrificulis Graecorum qui Uq,
die., Strassburger Diss. 1883 S. 28 f. u.
S. 44 f.
^») Lys. XXI 4; Böckh Staatsh.' I 547.
Vgl. S. 543.
''-) Andok. g. Alk. (IV) 42.
") Böckh a. a. 0. I 536 f.
^*) Dittenb. Syll. 44 ; Böckh a. a. 0. II 5 f.
25) Böckh a. a. 0. I 521 f.
-^) Lysimachides bei Harpokr. u. Mcta-
156
A. Die griechischen Knltasaltertttmer.
116. Reicher an Festen war wieder der Boedromion.
Am fünften feierte man ein allgemeines Totenfest, die NBxvaia oder
Nsneaia^^). Man opferte der Ge*) und wird im übrigen die Toten auf die-
selbe Weise, wie bei den privaten Gedächtnisfeiern, geehrt haben.
Eine Fortsetzung der Totenfeier, die sich aber zu einem Sieges-
fest gestaltete, brachte der nächste Tag. Er war dem Gedächtnis der
bei Marathon Gefallenen geweiht. 3) Die Schlacht hatte zwar nicht an
diesem Tage stattgefunden,^) aber einerseits lag es nahe, das Fest den
Nexvaia anzuschliessen, andrerseits den nächsten der Artemis heiligen
Tag*) zu wählen, denn ihr galt die Feier. Artemis Agi*otera hatte von
jeher einen kriegerischen Charakter,^) und so hatte der Polemarch, wie
man erzählt, ihr denn auch vor der Schlacht so viele Ziegen zu opfern gelobt,
als Feinde erschlagen werden würden.^) Als die Menge zu gross war, setzte
man die Zahl der Ziegen auf fünf hundert fest, und der Polemarch musste
fortan alljährlich am 6. Boedromion dies Opfer darbringen.^) Auch fand
an diesem Tage die Pompe der Epheben iv ZnXoig zu Ehren der Göttin
statt. ^) Vielleicht folgten dem Marathonfest unmittelbar (am 7.) die Bor^-
dQOfnia, die dem Monat den Namen gegeben haben sollen, ein Fest, wo
Apollon als Helfer in Kampfesnot verehrt wurde. ^®)
Am 12. desselben Monats soll dann noch ein anderes Dankfest {xciQi(T'
TijQia) zur Erinnerung an den Sturz der dreissig Tyrannen gefeiert
worden sein.*^)
Das Hauptfest des Monats und eines der grössten überhaupt waren
di^ grossen Eleusinien, die vermutlich vom 16. bis zum 25. dauerten.
Sie sind bereits früher in dem Abschnitt über die Mysterien (S. 123 ff.) be-
handelt, und es soll hier nur noch darauf hingewiesen werden, wie schon
die Thatsache, dass um die Mitte des Metageitnion eine Ekecheirie ange-
sagt ward,^^) die Annahme ausschliesst, es habe das Fest als solches einen
exklusiven Charakter gehabt. Vieles war ja nur für die Eingeweihten be-
stimmt, deren Zahl auch gross genug war, aber der 20., der lakchostag,
war einer der höchsten Feiertage überhaupt; es wurden an ihm weder Ge-
yBixi'uuv = Suid. u. d. W. Vgl. Demosth.
41, 11; Plut. De exil. 6 p. 601 D. Momiisen
Heort S. 205 fF. Preller-Robert Griech.
Myth. I 263. Schoema>'n Gr. Altt.^ II An-
hang S. 598 f.
') Harpokr. Suid. Phot. u. NefiBceiu;
Bekker Anccd. p. 282. Mommsen Heort. S.
209 ff. ScHOEMANN Gr. A.» II 477 f. — Nach
Bekker Anecd. 231 und Hesych. u. Teviaia
führte das Fest auch den Namen reviai«.
So hiessen die Totenfeiern, welche einzelnen
Verstorhenen von ihren Verwandten veran-
staltet wurden (Petersen Geburtstagsfeier
S. 302, liOBECK Phryn. p. 104, Baehr zu
Horod. IV 26). Schoemann's Vermutung (a.
a. 0.), dass dieser Name dann fälschlich auf
das allgemeine Totenfest übertragen sei, hat
viel für sich.
'-') Hesych. u. reyktriu vgl. u. "Slgattt
vexvaitt.
») Plut. De Herod. mal. 26; Poll. lU 21;
Schol. Aristoph. Equ. 657. Ailian Var. hist
II 25 sagt, das Fest habe am 6. Thargelion
stattgefunden.
*) S. BöCKn Mondcykl. S. 64 ff. u. Töpffer
Quaesi Pisistrateae 137.
^) Den 6ten des Monats; vgl. Prokl. zu
Hes. Erg. 783; Diog. Laert. II 44.
«) Xen. Hell. IV 2, 20, Resp. Lac. XIII
7; Plut. Lyk. 22; Poll. VIII 91.
') Xen. Anab. III 2, 12; Plut. De glor.
Athen. 7 p. 343 F; Schol. Aristoph Equ. 660;
Ail. Var. hist. II 25.
«) Plut. De mal. Herod. 26; Poll. VIH 91.
9) CIA. II 467—469; Dittenberger Syll.
347 7.
' »<>j Plut. Thes. 27; Philoch. bei Harp. u.
ßotjdgofna; Etym. M. 202, 45.
»M Plut. De glor. Athen. 7.
J«) DiTTENBERGER SyD. 384b.
4. Soltuszeiten. (§ 115-116.) 157
richtssitzungen abgehalten, noch sonstige öffentliche Geschäfte vorgenommen,^)
und an den grossen gymnischen, hippischen und musischen Agonen (S. 125)
durfte sich natürlich jedermann beteiligen.
116. Mit dem nächsten Monat, dem Pyanopsion, begann der Herbst,
und Beziehungen auf diese Jahreszeit sind in dem Feste, nach dem der
Monat heisst, unverkennbar. Die Ilvavoxpia *) wurden dem Apollon an dem
ihm heiligen Tage, dem 7., gefeiert 8) und hatten ihren Namen von den
gekochten Bohnen,*) den Herbstfrüchten, die man dem Gotte als anaqxaC
darbrachte. Ausserdem wurde ihm eine flgeauivirj, ein Olivenzweig, der
mit Feigen, Kuchen, Schälchen voll Honig, Öl und Wein behangen war,'»)
von einem Knaben, dem noch beide Eltern lebten, in den Tempel getragen.*^)
Ihn begleiteten andere, ebenfalls Eiresionen tragend, die sie dann an den
Thüren ihrer Häuser befestigten,') ähnlich wie es bei uns auf dem Lande
mit den Erntekränzen geschieht. Später wurde das Fest mit der Theseus-
legende in Verbindung gebracht. Von Kreta heimkehrend sollen die Ge-
retteten alles, was sie noch von Essbarem hatten, zusammengeschüttet
und verzehrt haben, und damit wollte man die eigentümliche Art des
Opfers erklären.^) Dass es ursprünglich ein Erntedankfest war, dafür
zeugt ausser den Gebräuchen die Notiz im Scholion zu Aristoph. Plut. 1054:
man habe das Fest dem Helios und den Hören gefeiert.
Ganz ähnlich ist es einem zweiten Erntefest ergangen, dessen Datum wir
nicht kennen, das aber auch in diese Zeit gefallen sein muss: den Oscho-
phorien. Sie wurden dem Dionysos und der Athena Skiras zum Dank
für die Wein- und Olivenernte gefeiert*) und waren genannt nach zwei
Knaben, welche mit traubentragenden Weinreben (ocx^*) in den Händen
der festlichen Schar, die vom Dionysosheiligtum in der Stadt zum Tempel
der Athena Skiras im Phaleron zog, voraufgingen. ^) Sie trugen den alter-
tümlichen langen Chiton, der dem Frauengewande ähnelte, und daran
anknüpfend erzählte die Sage, unter den sieben Mädchen, die Theseus nach
Kreta mitführen sollte, hätten sich zwei verkleidete Knaben befunden, und
zur Erinnerung daran habe Theseus, als er nach glücklicher Heimkehr das
Fest stiftete, angeordnet, dass die Oschophoren Mädchenkleider trügen.
In dem Zuge befanden sich auch die sog. SemvotpoQoi, Frauen, welche
Speisen mitnahmen, die sie, am Ziele angelangt, wohl unter die Jugend
verteilten. Einst sollten die Mütter der vierzehn Schlachtopfer ihre Kinder
bis zu dem Schiffe geleitet haben, ihnen Reisekost mitgenommen und sie
unterwegs durch Erzählen von Märchen zerstreut haben. Das alles wurde
jetzt nachgeahmt, und die Stelle jener Mütter vertraten wahrscheinlich die
dtiTtvoifoQoi. Im sog. Oschophorion, einem Platze beim Tempel der Athena
Skiras, wurde dann ein Opfer dargebracht, wie einst Theseus nach seiner
Ad. Schmidt a. a. 0. S. 272 u. 705. 1 ^) SchoJ. Aristoph. Equ. 729, Plut. 1054.
«) Plut. Thes. 22; CIA. III 77; Harpokr. Vgl. Porph. De abst. II 7.
u. üvayoipia; Phot. u. IIvayeipKüy, *) Plut. Thes. 23; Moxmsen Heorto].
») Plut. Thes. 22.
*) Poll. VI 61 ; Athen. IX 408 A, XIV
648 B.
*) Plut. Thes. 22; Suid. u. eigeaiuiytj.
•) Eostath. zu II. X 495 p. 1283.
S. 271 flf.; Pbeller-Robert Griech. Mythol.
I 207 f.; ScHOEMANN Gr. Altt.» II 487 f.
») Prokl. bei Phot. Bibl 322; Harpokr.
u. oaxoffOQoi u. ^HTivotpoQoi ; Bekker Anecd.
239.
158
A. Die griecliischen Saltasaltertttmdr.
Errettung dort auch gethan haben sollte. Auch von einem Wettlauf wird
berichtet, den zehn Knaben, aus jeder Phyle einer, auf derselben Weg-
strecke zwischen Dionysos- und Athenatempel ausführten.*) Wer zuerst
ankam, erhielt einen aus Öl, Wein, Honig, Käse und Mehl gemischten Trank,
die sog. nsvrankoa.^)
Das eigentliche Theseusfest, die Or-aeia, fand am 8. Pyanopsion
statt ^) Nach den Perserkriegen hatte das Orakel befohlen, die Gebeine
des Heroen von Skyros zu holen und in der Heimat zu bestatten.^) KimoD
hatte dies ausgeführt und dann das Fest, wenn nicht gestiftet, so doch zu
seiner Bedeutung erhoben. Es fanden Kampfspiele und Wettrennen statt, *'^)
eine Parade der Epheben^) und ein grösseres vom Staat bestrittenes Opfer,')
das vielleicht vorzugsweise den Armen und Bedürftigen zu gute kam.^)
Mit dem Hauptfest verbanden sich kleinere Feiern, die mit dem Kult des
Helden in loserer Beziehung standen. So wurde am Tage zuvor dem Kon-
nidas, der in Troizen des Th^seus Erzieher gewesen sein sollte, ein Widder
als Totenopfer geschlachtet^) und den Amazonen geopfert,*®) und vielleicht
schlössen sich die Leichenspiele, die zu Ehren des Androgeos gefeiert
wurden,**) auch zeitlich an die Theseen.*^)
In demselben Monat wurden der Demeter und Persephone die
Thesmophorien*^) gefeiert, und zwar in den Tagen vom 9. bis zum
13. Pyanopsion.*^) Das Fest war von anderen insofern wesentlich ver-
schieden, als es nicht ein allgemeines war. Nur unbescholtene Bürger-
frauen i'^) durften daran teilnehmen,'^) nachdem sie sich durch neun-
tägige Enthaltung des ehelichen Umgangs vorbereitet hatten.* 7) Der
erste Tag des Festes hiess 2ri]via.^^) An ihm begaben sich die Frauen
nach dem etwa eine Meile von der Stadt gelegenen Demos Halimus.*^)
') RoBEBT im Hermes XX 356 Anm. 2
und in Preller's Gr. Myth.* 1 208 Anm. 3 ver-
mutet, dass die beiden Sieger die Anführer
der Festprozession wurden, eine Annahme,
die in der That die Schwierigkeiten glück-
lich zu lösen scheint.
«) Athen. XI 495 F; Schol. Nikand. Ale-
xiph. 109.
3) Plut. ITies. 3G.
*) Plut. Thes. 36. Kim. 8.
^) CIA. II 422; Gellius Noct. Att. XV
20. Hesych. u. Innodgofiog.
«) DiTTENBEROER Syll. 347, 20.
') DiTTENB. Syll. 374. 70 u. 78.
^) Aristoph. Plut. 628 u. Schol. dazu.
») Plut Thes. 4.
'«) Ebenda 27. ^
'*) Hesych. u. fV EvQvyvn "y^^ I 1332.
'*) Über die Epitaphien, welche in meh-
reren attischen Inschriften neben den Theseen
erwähnt werden (Dittenb. Syll. 347, Momm-
8EN Heort. S. 282), s. namentlich Sauppe
Nachrichten der Göttinger Ges. der Wiss.
1864 S. 199 ff. Es war dies die Bestattungs-
und in späterer Zeit Gedenkfeier der in
Schlachten für das Vaterland Gefallenen, die
mit Reden, Paraden und Fackeliauf begangen
wurde (Thuk. I 34; Demosth. De cor. p. 321
§ 288).
'') Prbller Demeter und Persephone
S. 339 ff. Derselbe in der Ztschr. f. d. Alter-
tumswiss. 1835 S. 785 ß. Hermann Gottesd.
Altt.2 § 56. RiNOK Relig. der Hellenen II
123 ff. SoHOEHANN Gr. Altt.' II 482 ff. A.
MoMMSEN Heortol. S. 287 ff.
»*) Schol. Aristoph. Thesm. 80. — Ad.
Schmidt a. a. 0. S. 275 f. setzt die Festtage
auf den 10— 14ten an. Vgl. Schobmann Gr.
Altt.» II Anhang S. 596 f.
'^) Aristoph. Thesm. 330.
^°) Wenigstens an den Hauptakten; von
einzelnen Teilen der mehrtägigen Feier waren
vielleicht auch Jungfrauen nicht ausgeschlos-
sen (Schol. zu Theokr. Id. IV 25; Prsllbb
Dem. u. Pers. S. 343 Anm. 30; Lehrs Popul.
Aufsätze« S. 290 Anm.).
»') Ovid. Met. X 434; Plin. Hist. nat
XXIV 9.
1«) Schol. zu Aristoph. Thesm. 834. Dass
die Sxlga (Schol. Thesm. 834, vgl. Stephan.
Byz. u. ^xiQos) kein Teil der Thesmophorien
waren, hat Robert im Hermes XX 394 ff.
bewiesen. Vgl. Rohde Hermes XXI 116.
^^) Schol. Aristoph. Thesm. 80.
4. KaltasEeitdn. (§ 116.)
159
Dort fand am 10. eine Feier statt unter allerlei ausgelassenen Scherzen und
Neckereien.*) Da diese der Demeter und Köre galt, einen immerhin aus-
schliessenden Charakter hatte und in mancher Beziehung der eigentlichen
Mysterienfeier ähnelte,^) wird sie auch geradezu iivatriQia genannt.^) Am
11. fand die' avodog statt,*) d. h. also die Rückkehr der Frauen nach Athen,
oder der Zug von der Stadt zum Thesmophorion.^) Vielleicht hielt man
schon an diesem Tage ein festliches Mahl, das wohlhabende aus den ein-
zelnen Demen gewählte Frauen den übrigen gaben ;^) denn der nächste
Tag war ein Fasttag.') Wahrscheinlich wurde an demselben das eigen-
tümliche Sühnopfer ^) dargebracht, welches das Scholion zu Lukian Dial.
mer. IL 1*) ausführlich schildert: die Frauen versenken lebende Ferkel*®)
in einen Schlund (xdaixara^ iityaqa, advta),^^) zu Ehren des Eubuleus,
dessen Schweine, als die Erde sich beim Raub der Persephone spaltete, ver-
schlungen sein sollen, ausserdem nldaiiata, Backwerk von symbolischer
Gestalt.**) Später werden die verwesten Überreste von den sog. ävtlr^-
TQim (Schöpfweibern), die sich drei Tage des Umgangs mit Männern ent-
halten haben müssen, wieder heraufgeholt,*^) und abergläubische Leute mi-
schen sie unter die Saat, sich davon besondere Fruchtbarkeit versprechend.
Der letzte Tag des Festes (der 13.) hiess KakhyeveiaM) Er wurde im
Gegensatz zu dem voraufgegaugenen ernsten mit lasciven Tänzen*^) und
Spielen**) und wohl auch mit einem Opferschmaus*') begangen. Zum Be-
schluss des Festes scheint den Göttinnen abermals ein Opfer dargebracht
zu sein.*®)
Das wichtigste Fest des Monats waren die Apaturien.*^) Sie waren
insofern kein eigentliches Staatsfest, als sie von den Phratrien begangen
wurden, die seit Kleisthenes ihre politische Bedeutung verloren hatten,^®)
doch gab der Staat seinen Zuschuss zu der Feier, ^i) die mehr als eine an-
^) Plut. Sol. 8; Hebmann G. A. § 56
Anm. 25.
«) Vgl. RoBEBT im Hermes XX 370.
») Clemens Alex. Protr. 29 P. Vgl.
Arnob. V 2.
*) Schol. Aristoph. Thesm. 80.
*) Hesych. u. ayodog; Robert a. a. 0.
S. 374.
•) Isai. Or. VHI 19 u. III 80 mit Schoe-
xann's Anm. S. 265.
7) Schol. Arist. Thesm. 80 n. 376; Ari-
stoph. Av. 1518; Plut. Is. u. Osir. 69; De-
mosth. c. 30, wo fälschlich der 16te Pyanop-
sion angegeben wird.
®) RoBEBT im Hermes XX 374 weist mit
Recht darauf hin, dass diese Annahme mit
der Angabe des Scholiasten zu Aristoph.
Thesm. 376: es fände an diesem Tage keine
^vcitt statt, durchaus nicht im Widerspruch
stehen würde. &v<ria hcisst Speisopfer, Opfer-
schmaus.
*) Mitgeteilt von Rohde Rhein. Mus.
XXV 549. Vgl. Clemens Alex. Protr. II 17
p. 14 P.
^^) Lobeck Agl. 831; Rohde a. a. 0.
S. 552 f.
") Wahrscheinlich bei dem Thesmopho-
rion auf der Pnyx. Robebt a. a. 0. S. 734.
>^) Schlangen und Phallen, vgl. Robde
im Hermes XXI 124.
»3) Robebt a. a. 0. S. 373 glaubt, dass
dies 8 Monate später an den Skirophorien
geschah; dagegen Rohde im Hermes XXI
123 u. A. MouMSEN in Bubsians Jahresbe-
richt XV. Jahrg. 1887 zwölftes Heft S. 373 f.
»*) Schol. Arist. Thesm. 80. Vgl. Pbelleb
Griech. Myth.' I 640 f. Anm. 3 u. Hebmann
§ 56 Anm. 19.
'*) xviauog oder oxXaa^a, Poll. IV 100.
'*) Suia. u. /aAxt(fVxdi' dltoy^a,
") Hesych. u. dlttyyiAa.
^*) Hesych. u. ^tjfÄia.
'») Hebmann G. A.« § 65 S. 389 f. Sciioe-
MANN Gr. Alt.^ II 546 ff. Mommsen Heortol.
S. 302 ff. Dabembebo et Saolio Diction. I
300 f. Ad. Schmidt a. a. 0. S. 276 ff. Bu-
soLT Hdb. IV 145. — Über die Bedeutung
des Namens s. Meieb De gent. Att. p 1 1 ff.
Vgl. auch V. WiLAMOwiTZ Hermes XXI 112
Anm. 2 u. Töpffeb Att. Gen. 106 ff.
2«) ScHOEMANN Gr. Alt.» I 385, H 546;
BüsoLT Hdb. IV 144 f.
»*) koQxrjg dfmoreXovs Schol. zu Aristoph.
Ach. 146. Vgl. Meieb a. a. 0. p. 12.
160
A. Die griechiBchen KoltasalteriÜmer.
dere för das öffentliche Leben von Wichtigkeit war. — Die Tage des
Festes sind uns nicht überliefert, nur dass es in den Pyanopsion fiel, er-
fahren wir. 9 Nach der wahrscheinlichsten Berechnung*) fand die drei-
tägige Hauptfeier vom 19. — 21. statt. 3) Der erste Tag hiess ioQnia oder
doQnsia^ der zweite dvaqQvaiq, der dritte xovqeiotig,^) Der höbhste Festtag
war wahrscheinlich der zweite,*) der seinen Namen angeblich vom Schlachten
der Opfertiere ^) hatte, die dem Zeus Phratrios und der Athena dargebracht
wurden, der dritte aber war insofern der wichtigste, als an ihm der Akt
stattfand, der die Veranlassung des ganzen Festes war: die Väter brachten
ihre in der letzten Zeit geborenen Kinder, um sie den versammelten Phra-
teres vorzustellen und von dem Phratriarchos ihre Namen in die Listen
der Phratrie eintragen zu lassen.') Der Vorstellende schwur, dass er das
Kind mit einer ihm rechtmässig vermählten Bürgerin erzeugt habe,^) und
darauf erfolgte die Abstimmung der Mitglieder der Phratrie.^) Jeder,
der ein Kind anmeldete, hatte ein Opfertier zu liefern (xovqsiov oder
/t«ror,i<^) mit dessen Fleisch dann die der Phratrie Angehörenden be-
wirtet wurden. Auch war es üblich, dass Väter an diesem Tage ihre Söhne
ein Zeugnis von ihren Fortschritten im Unterricht ablegen und sie nament-
lich Stücke aus den in der Schule gelesenen Dichtern vortragen Hessen. >')
An diese drei Hauptfesttage scheinen sich noch zwei andere angeschlossen
zu haben, die entweder vorangehen oder ihnen folgen konnten. >^) Vielleicht
brachte man an diesen seine Verehrung und Opfer auch andern Oöttern
dar, deren Berücksichtigung an diesen Festen teils vorausgesetzt werden
muss, wie die des Schutzgottes aller Phratrien, des ApoUon naTQqiogy und
des Zeus,^^) teils bezeugt ist, wie die des Dionysos Melavaiyig^*) und des
Hephaistos, der mit am Herde angezündeten Fackeln und Hymnen ge-
feiert wurde.*"')
^) Theophr. Char. 3. Schol. zu Aristopli.
Acb. 146.
'^) Ad. Schmidt a. a. 0. S. 278 ff.
^) MoMMSEN Heort. nimmt den 27 - 29ten
an. Andere Ansätze s. ebenda S. 304 Anm.
*) Schol. zu Arist. Ach. 146, Fax 890;
Suid. u. UuttTovQia; Poll. VI 102, III 5
U. 8. W.
°) Schol. zu Arist. Fax 890; Momiisen
Heort. S. 307 Anm. 2.
•) Schol. Arist. Ach. 146 (vgl. Fax 890):
(tt'ttQQveiy = homer. ttvegveiy A 459.
') CIA. 11 841b. S. 535 u. äQx^toXoy,
deXrloy 1883 S. 161 ff.; Busolt Hdb. IV
S. 145. xovQ((OTis von xovqos.
«) Isai. VII 16, VIII 19. Andok. Myst.
§ 127; Ephem. arch. 1888 HI S. 6 ZI. 107 ff.
») Demosth. Makart. 14; 82; Neair. 59.
^0) Schol. Arist. Ran. 798; Harpokr. u.
fietoy u. ficittytjyog; CIA. II 841b: Poll. VIH
107: v7i€Q fikv tiov uQQiviov ro xovqbiov
t&voyf tm^Q dk rtHv y^rjXeuoy rijy yttfirjXlay.
Schol. Arist. Ran. 798: ficToy vniQ rcHy vUoy.
Vgl. Ephem. arch. 1888 HI 11 ff.
'') Fiat. Tim. p. 21 B.
»*) Athen. IV 71 p. 171 E; Ad. Schmidt
a. a. 0. S. 278 ff.
>») Vgl. Ephem. arch. 1888 III 15.
'*) Schol. Arist. Ach. 146; vgl. Paus. II
34, 1.
^^) Istros bei Harpokr. u. Aa^/ra;. Pkel-
LER-RoBERT Gr. Myth. I 180. Mommsek Heort.
S. 311 f., der die Chalkeen den Apatarien
unmittelbar folgen lässt, setzt auf den Abend
vorher das von Folemon bei Harpokr. a. a. 0.
bezeugte apaturische Fackelfest an und meint,,
dass eben dies die Hephaisteia gewesen seien.
Ad. Schmidt Gr. Chron. S. 283 identifiziert
es mit den Prometheia. Beides ist unwahr-
scheinlich, da von einem Fackelwettlauf
bei Istros nicht die Rede ist (Valesius aller-
dings ^eoyres statt (hvoyTes), zu dem auch
die Frachtgewänder, die erwähnt werden,
nicht passen würden. Die drei Fackel wett-
läufe aber an den Fanathenaien, Hephaisteen
und Fromctheen waren so grossaitig, dass
andere ähnliche Veranstaltungen daneben
gar nicht in Betracht kamen. Vgl. Weck-
lein im Hermes VH 437 ff. Ad. Schmidt
S. 281 f. — Über Apaturien in anderen
Staaten s. Schoemann a. a. 0. H 548.
4. Eoltiuizeiten. (§ 117-118.) 161
Am letzten Tage des Monats wurden den beiden kunstfertigsten
Göttern, dem Hephaistos und der Athena die Xalxeta^) gefeiert, die auch
U&i^vaia geheissen haben sollen. 2) Wahrscheinlich war es in erster Linie
ein Fest der Handwerker und Metallarbeiter. Dass an diesem Tage auch
die Ergastinen mit dem Weben des Peplos für Athena begannen, haben wir
schon erwähnt. Sehr möglich ist, dass am Vorabend der Chalkeen der
Fackelwettlauf zu Ehren des Hephaistos stattfand.^)
117. Im folgenden Monat, dem Maimakterion, gab es kein grösseres
Fest. Die stürmische Winterszeit hatte begonnen, die Tage waren dunkel
und unfreundlich: man wandte sich mit Opfer und Gebet an den zür-
nenden Zeus juai/iaxrryg *) und suchte ihn zu versöhnen.^) — Eine ähnliche
Bedeutung muss das Opfer gehabt haben, das am 20. des Monats dem
Zeus yewQyog dargebracht wurde.*)
118. Der Poseideon brachte zwei Feste, in denen Freude und
Dank für die wichtigsten Nahrungsmittel, die das Jahr gespendet hatte,
zum Ausdruck kamen. Das Getreide war gedroschen, und der neue Wein
begann trinkbar zu werden:') der Demeter, Köre und dem Dionysos feierte
man die jiXtpa,^) das Tennen- oder Dreschfest, ^) dem letzteren allein
die ländlichen Dionysien. Beide Feste wurden vorzugsweise von der Land-
bevölkerung begangen, in den einzelnen Demen, die Haloa namentlich in
Eleusis.i^^) An ihnen fand auch eine Prozession zu Ehren des Poseidon statt, ^*)
der auch den Beinamen ^vtakimog führte, und von dessen Beziehungen zu
Demeter die Sage viel berichtete. ^^) Das Fest hatte einen mysterienartigen
Charakter und scheint in Eleusis wenigstens hauptsächlich von Frauen gefeiert
zu sein, deren hergebrachte obscöne Scherze auch hier wieder ihre Rolle
spielten. ^^) Von Staats wegen wurde der Demeter und Köre ein grösseres
Opfer dargebracht, wenn auch wohl nicht alljährlich; >^) ein dywv ndxQiog
wird in einer eleusinischen Inschrift ^^) erwähnt.
Das bedeutendere Fest waren die Jiovvaia, zum Unterschied von
den .städtischen t« xat dygovc genannt. ^^) Dass sie in den Poseideon
fielen, ist mehrfach überliefert,*^) das genauere Datum ist unbekannt.*^)
*) Eustath. zu n. B 552, Harpokr. u.
XaXxettt, Poll. VIII 105. Mommsen H. S. 3 11 ff.,
für identisch hält. Rohdb im Rhein. Mus.
XXV 557 ff.
Hebmann § 56 Anm. 82 u. 33, Scuoemann *) Harpokr. u. 'JXt^te, Philochoros bei
II 472, Pbbllbr-Robert Gr. M. I 181
') Said. u. XttXxeTtt.
») Ad. Schmidt a. a. 0. S. 280 f. Vgl.
Mommsen Heori S. 311 f.
*) Harpokr. u. Suid. u. MaifictxTtjgKoy.
^) Plut. De coh. ira 9 p. 758 C. Eustath.
zur Od. (f 481 p. 1985, 10. — Ob das in
diesem Monat gefeierte Fest den Namen
Maimakteria führte, ist ungewiss. Mommsen
Heort S. 317 ff.; Hermann G. A. § 57 Anm.
1—4; ScHOEMANN B. B. 0. II 504; Pbeller-
RoBEBT Gr. M. I 131.
•) CIA. III 77.
') Vgl. Mommsen Heort. S. 324 f.
Müller Frg. bist. gr. I 411.
>^) Pseudodemosth. Neair. § 116; Bbkkeb
Anecd. p. 384, 5.
^') Bekkeb Anecd. p. 385.
»-) Preller Griech. Myth.« I 479 ff. J.
Töpffer Att. Genealogie S. 32 u. 252 ff.
»3) RoHDE a. a.O. Töpffer Att. Geneal. 93 f.
>*) Dittenberger Sy 11. 374 b mit Anm. 20,
BöcKH Staatsb.» II 125. S. aber auch Töpffer
S 95 f
'*) Ephem. Archaiol. 1887 S. 5 ZI. 40.
»«) Aischin. Tim. § 157. Aristoph. Ach.
250 etc. - Hermann 6. A. § 57 A. 8 ff.
Mommsen Heort. S. 323 ff. Scuoemann Gr.
8) Schol. zu Luk. Dial. mer. VII 4 im ; A.^ II 489 ff.
Rhein. Mus. XXV 557. Hermann G. A. § 57 I ") Theophr. Char. 3; Bekker Anecd.
A. 5—6; Mommsen Heort. S. 320 ff., der [ p. 235, 6 u. s. w.
Haloen und das Zeusfest im Maimakterion | ^*^) Ad. Schmidt a. a. 0. S. 285 meint,
Haiidbuch der kUsB. AltertumBwissenschaft. Y. 3. Abtlg. 11
1G2
A, Die griechischen Knltiuialtertftiiier.
Es war ein fröhliches Fest, welches unter allerlei Belustigungen und Possen
in den einzelnen Ortschaften gefeiert wurde. Auch die Sklaven, die ja
in den Weinbergen gearbeitet und bei der Bereitung des Weines ge-
holfen hatten, waren nicht ausgeschlossen J) Aristophanes ^) schildert uns
in komischer Weise, wie ein Bauer mit seiner Familie das Fest feiert. Die
Tochter trägt den Opferkorb auf dem Haupte, ein Knecht den Phallos,^)
das Gesinde schliesst sich der Prozession (no^nY)) an, die Hausfrau schaut
vom Dache zu. Natürlich hat sonst nicht das einzelne Haus, sondern der
Demos sich zur Feier vereinigt.*) Mädchen trugen Opferkörbe und Krüge,
andere den Phallos,^) einer führte den zum Opfer bestimmten Bock, und
unter Absingen von Liedern auf Dionysos und ^dkrjg, den personifizierten
Phallos, bewegte sich der Zug zu einem Altar des Dionysos, wo dana das
Opfertier geschlachtet wurde.®) Man nannte diese Opfer d-soivia.'^) Unter
den mannigfachen Scherzen und Neckereien, durch die sich das Fest aus-
zeichnete, war namentlich beliebt der sog. aaxioXiaafiog oder die MxoiJUa.
Ein Schlauch wurde aufgeblasen, mit Öl eingerieben, und nun galt es
hinaufzuspringen und balancierend sich möglichst lange stehend darauf zu
halten.^) Bereits im fünften Jahrhundert führten bemittelte Gemeinden zu-
erst auf dazu hergerichteten Tanzplätzen, dann in den immer zahlreicher
entstehenden Theatern Dramen auf, wie sie an den grossen Dionysien in
der Stadt seit mindestens 534 üblich waren, und bald bildete dieser Teil
des Festes gewiss in allen grösseren Orten den Glanzpunkt.^) Natürlich
sind die Dionysien nicht überall gleich lebhaft und prächtig gefeiert worden.
Ein Ort, der sich durch Weinbau auszeichnete und grösseren Gewinn daraus
erzielte, musste es den anderen auch bei dieser Gelegenheit zuvorthun. Im
Demos Ikaria wurde Dionysos besonders verehrt, ^^) man feierte ihm dort
die Al(6Qa^^) zum Andenken an den Tod der Erigone, der Tochter des
Ikarios oder Ikaros, die ihm den Staphylos geboren hatte, und hier sollen
denn auch zuerst die dramatischen Darstellungen regelmässig geworden
sein.^^j Xm grossartigsten feierte man die Dionysien im Peiraieus,*') wobei
sich auch Athen von Staats wegen beteiligte.^*)
119. Der nächste Monat Gamelion brachte ein dem vorigen ver-
wandtes Fest, die yir^vaia d. h. das Kelterfest. *^) Es wurde in dem
dass die verschiedenen Gemeinden es an ver-
schiedenen Tagen feierten. In Myrrhinus
nach CIA. II 578 am 19. Poseideon.
') Flut. g. Epikur. 16.
«) Ach. 241 ff.
») Vgl. Schol. Ach. 243.
*) Uarpokr. u. ^eolyiny.
^) Auen bei den grossen Dionysien spielt
dieser eine Rolle. Vgl. Dittenberoer Syll.
12, 12. CIA. II 321.
«) Plut. De cupid. div. 8.
') Harpokr. u. d. W.
«) Poll. IX 121; Schol. Aristoph. Plut.
1129; Verg. Georg. II 384. Vgl. Rühnken
ad Tim. lex. p. 51. Darembero u. Saolio
Dict. u. Askolia S. 473 mit Abbildungen.
^) Vgl. V. WiLAMOwiTz im Hermes XXI
615 u. in Eur. Her. I 5(> ff.
^0) Hermann G. A. § 13 A. 4. Schoe-
MANN Gr. A. II 490 f. Preller Gr. Myth.»
I 551. Vgl. d. Inschr. im Americ. joum. of
archaeol. IV 421 ff.
• ») Etym. M. 42, 3. Vgl. Darembbrg et
Saolio Dict. I 171 f. u. Aiora.
^^) Athen. II 11 p. 40 B. Schoemaitn a.
a. 0. II 490 f. Christ Hdb. VII 154.
»>j Dittenberoer Syll. 296, 20. Auch
besass die Hafenstadt früher ein steinernes
Theater als Athen (vgl. v. Wilamowitz im
Hermes XXI 597 ff., 602).
>*) Dittenberoer Syll. 374 6, 72, 79.
ßöcKH Staatsh.s 11 107 f. Vgl. v. Wilamo-
witz Eur. Her. I 23.
'^) Bekker Anecd. p. 235, 6. Schol. zu
Hes. Erg. 506 (502). Hermann G. A. § 57
A. 22 ff. MoMMSEN Heort. S. 832 ff. Schox-
4. KnltusEeiten. (§ 119 - 120.)
163
grossen dem Dionysos geweihten Lenaion, ^) das in vorthemistokleiscber
Zeit noch ausserhalb der Stadt lag,*) mit einer Prozession^) gefeiert. Jeden-
falls hat es mehrere Tage gedauert/) da für die Chöre, die zu Ehren des
Gottes Dithyramben sangen, früh dramatische Vorstellungen eintraten,^)
die dann der Mittelpunkt des Festes wurden und, mit grosser Pracht und
grossem Kostenaufwand von Seiten des Staates vorbereitet und zugerüstet, ^)
die herbeigeströmte Menge entzückten.^)
Ein mehr privates Fest und in dieser Hinsicht den Apaturien ähnlich
waren die Game lien.^) Gewiss gedachte man bei dieser Gelegenheit auch
der Ehegöttin Hera, aber ob die Feier „der heiligen Hochzeit" {leQog yäfiog)^
falls eine solche überhaupt in Athen stattfand,^) mit ihnen in Zusammen-
hang stand und zusammenfiel, ist sehr zweifelhaft.
120. In den folgenden Monat, Anthesterion, fiel das dritte grosse
Dionysosfest,^*^) die '-^ri^fCTjj^ea,'!) welche vom 11. — 13. gefeiert wurden. i*)
Der erste Tag hiess üiO-oipa^^^) der zweite Xoeg^^^) der dritte Xvxqoi.^^) Jli»
&<Hyia heisst Fassöffnung. Der Gährungsprozess des Weines war beendigt,
man füllte ihn aus den Fässern in Kannen, der Hausherr brachte ein Opfer
und vergnügt^ sich mit den Seinen, denen sich an diesen festlichen Tagen
auch die Sklaven gesellten, an Schmaus und Trinkgelage.*^) Alles schmückte
sich mit jungen Frühlingsblumen und schritt in fröhlichem Zuge einher;
auch die Kinder, die über drei Jahre alt waren, i^) beteiligten sich, das
Erscheinen der Gottheit wenn nicht im neuen Weine, so in der wieder-
auflebenden Natur feiernd. Die Choes, d. h. der Kannentag, waren der
höchste Festtag. ^^) Eine Prozession begab sich nach dem Lenaion und ge-
leitete die Basilissa oder Basilinna, die Gemahlin des Archen Basileus, nach
dem älteren Dionysostempel,*®) der wahrscheinlich durch ein in weitem Um-
kreis herum gelegtes SeiH^) vor der Zudringlichkeit Profaner geschützt
XAKK Gr. A. II S. 493 ff. und Anhang S. 59G ff.
Pbslleb Gr. Myth.' I 553 f. Fritzsche De
Lenaeis. Böckh Kl. Sehr. V 65 ff. Letzteres
auch für die Qhrigen Dionysosfeste zu ver-
gleichen.
*) Hesych. u. Xrjyauiy, Etym. M. 361,
39. Vgl. Paus. I 20, 3 u. mehr bei v. Wi-
LAXOwiTZ Hermes XXI 617 f. Anm.
*) V. WiLAMOwiTz Hermes XXJ 620.
») Demosth. g. Meid. § 10 p. 517.
*) An. Schmidt a. a. 0. S. 287 vermutet
vom 19~22ten Gamelion.
*) Vgl. V. WiLAMowiTz im Hermes XXI
6U ff.
*) Über die Staatsopfer vgl. Dittenber-
GEB ^11. 374 u. BöCKH Staatsh.» II 107 ff.
114.
») Etym. M. 361, 39. Demosth. g. Meid;
g 10. Plato Protag. p. 327 E. Schol. Arist.
Equ. 547. Vgl. Pseudodemosth. Neair. 76
u. Thuk. II 15.
«) Etym. M. 221, 1. Mommskn Heort.
S. 343 f. Ad. Schmidt a. a. 0. S. 288 f.
setzt den Hauptfesttag auf den 24. an.
•) Phot. u. Hesych. u. legSg yd/uo?, Etym.
M. 468, 52 bezeugen sie, vgl. aber Robebt
in Prelleb's Gr. M.* I 165 A. 3.
»«) Vgl. Thuk. II 15.
»>) Gerhard Akad.Abh., Berl. 1868 II
150 ff. Hermann G. A. § 58 A. 6 ff. Momm-
sen Heort. S. 345 ff. Schoemann a. a. 0. II 495
ff. Preller Gr. Myth.' I 554 f. 0. Gilbert
Die Festzeit der att Dionysien, Göttingen
1872, will Lenaieu u. Anthest«rien identifi-
zieren.
*2) Harpokr. u. /of? nach Apollodor.
") Plut. Quaest. symp. VIII 10, 3; III
7, 1.
•*) Harpokr. u. d. W.
•^) Harpokr. u. d. W. nach Philochoros.
Vgl. Schol. Aristoph. Ach. 1076 u. über die
Bemerkung des Didymos ebenda Mommsen
Heort. S. 346.
»«) Plut. Quaest. symp. III 7, 1. Schol.
Hes. Erg. 370 (366). Vgl. Zenob. Prov. IV
33 und Athen. X 50 p. 437 u. 488.
»') Philostr. Her. XIII 4 (p. 725 Kays.);
Etym. M. 109, 12.
'8) Pseudodemosth. Neair. § 76—78 p.
1371.
**) Phot. u. ^iaQ(( tjfAt'ga zu vergl. mit
PoU. VIII 141. S. Mommsen Heort. S. 354.
11*
Iß 4 A. Die griecluBchen Snltiuialtertümer.
war. Vierzehn vornehrae Frauen, die der Basileus gewählt hatte, die sog.
FsQaqai^ geleiteten sie in den Tempel, der bis dahin wie alle andern
Gotteshäuser in der Stadt in diesen Tagen verschlossen gewesen war;^)
unter Beihilfe eines Hierokeryx ^) nahm die Basilissa, die ihrem Manne als
Jungfrau vermählt und von echt attischer Abkunft sein musste,^) ihnen
einen Eid ab, in dem sie Keuschheit und Frömmigkeit gegen den Gott
versicherten, wie auch, dass sie die Feier der Oeoina regelmässig begangen
hätten.^) Nach mancherlei heiligen Ceremonien an den vierzehn Altären
des Gottes und im Tempel^) begab sich die Basilissa allein in das ab-
geschlossene Allerheiligste. des Tempels, denn der Sinn all dieser Gebräuche
war, dass sie sich dem Dionysos veimählen sollte.^) Draussen aber steigerte
sich der Festjubel. Als Bakchanten kostümiert und in anderen Masken
durchzogen ausgelassene Leute die Strassen,^) und Yorüberfahrende neckten
die Begegnenden von ihren Wagen herab. ^) Dann begann ein grosses
Trinkgelage. Jeder der Zechenden erhielt eine eigene Kanne {xovg), die
nicht, wie dies sonst üblich war, aus einem gemeinsamen Mischkrug
gefüllt wurde, angeblich weil einst Orestes während des Choenfestes nach
Athen gekommen sei, und als Unreiner und Fluchbeladener einen beson-
deren Krug erhalten hatte. ^) Ein Trompetensignal wurde gegeben, die
Zecher setzten die Kanne an den Mund, und wer zuerst ausgetrunken hatte,
erhielt als Preis einen Schlauch Weines. ^^) Speise und Trank musste der
einzelne sich selber beschaffen, ^^ doch scheint der Staat die Mittel dazu
gewährt zu haben ^^) und vielleicht mehr als das; denn dieser Tag brachte
auch andere Ausgaben, da die Eltern den Sophisten und wohl auch andern
Lehrern an ihm das Honorar für den Unterricht ihrer Kinder zu zahlea
pflegten. 1^) Sich von dem Treiben zurückzuziehen und das Fest lieber im
privaten Kreise zu feiern, scheint für prüde gegolten zu haben.**) — Der
dritte Tag des Festes, die Xvtqoi, hatte einen ganz anderen Charakter^
Die Kränze, mit denen am Tage vorher ein jeder geschmückt gewesen war^
hatte man abends abgelegt, um den Krug gewunden und sie der PriesteriiP-
des Dionysos übergeben:*^) der letzte Tag war den chthonischen Gottheite
•) Athen. X 49 p. 437 C.
^) Vgl. TöPFPER Att. Gen. 184.
3) Pseudodemosth Neair. 75 u. 78. Poll.
VIII 90.
*) Vgl. TöPPFER Attische Genealogie
S 12
^*) Etym. M. 227, 3G. Poll. VIII 108.
Harpokr. u. Hesych. u. regagal.
^) Pseudodemosth. Neair. 73. Hesych.
u. Jioyvaov yu^og,
^) Dion. Hai. VII 72 p. 1491. Philostr.
Apoll. Tyan. IV 21 (p. 73 Kays.). Vgl. Imag.
p. 381, 1. V. WiLAMowiTz Eur. Her. I 59.
Abbildung in d. Arch. Ztg. 1852 XXXVII 2,
'0) Arißü)ph. Ach. 1000 f. Ail. Var. hist^
II 41. Vgl. Atben. X 49 p. 437 C, wo al^-
ursprünglicher Preis ein Kuchen genann^^
wird, u. Schol. Aristoph. Ach. 1002. Auclm
Kränze sind den Siegern wohl verabreicht:^
worden (s. ausser Schol. Ar. Ach. 1 002 Athen.^
a. a. 0.). Zu den noQvai, welche Aristo^
phanes Ach. 1091 erwähnt, vgl. Aniigono»
V. Karystos bei Athen. X 50 p. 437 £.
»») Aristoph. Ach. 1067 u. 1085. Athen.
VII 2 p. 276 C. MoMMSEN Heort. 363.
^'^) Plut. Reip. ger. praec. 25.
'3) Eubulides bei Athen. X 49 p. 437 D.
Vgl. übrigens auch Böckh Staatsh.' II 16.
bei Darembkko et Saglio Dict. I 1128. ! ^^) Plut. Anton. 70. Dass Knaben nicht
**) Suid. u. Phot. u. T(( 6x Tioy (i^a^tov j daran teilnahmen, sondern lieber einer Ein-
(JX(jj^fA€CTa. ladung ihrer Lehrer folgten, denen sie eben
*) PhnnodcinoH bei Athen. X 49 p. 437. | Geld und Geschenke gebracht hatten, ist
Eur. Iph. T, 922 ff. Schol. Arist. Ach. 961. nur natürlich. Anders Mommsen Heort S. 360.
Plut. Quaest. symp. II 10 u. s. w. j *») Phanodem. bei Athen X 49 p. 437 C.
4. Enltaszeiten. (§ 120).
165
geweiht, zu denen im Kult ja auch Dionysos gehörte. Man kochte dem Ge-
leiter der Toten, dem chthonischen Hermes, Früchte aller Art,i) that sie
in Töpfe (xvTgm) und brachte sie zum Opfer dar, natürlich ohne selbst
etwas davon zu geniessen.*) Doch entbehrte auch dieser Tag der heitern
Festlichkeiten nicht ganz, wenn sie auch selbstverständlich ernsterer Natur
waren als die des vorhergehenden Tages. Es wird von Wettkämpfen be-
richtet,^) und vielleicht fand auch im Theater eine Probe der Schauspieler
statt, die an den grossen Dionysien auftreten sollten.^) — Die Anthesterien
scheinen ursprünglich eine andere Bedeutung gehabt zu haben als die später
zu Tage oder wenigstens in den Vordergrund tretende. Wie wir gesehen
haben, waren auch die beiden ersten Tage als tjfitQM fiiaqai bezeichnet,'^)
die Tempel der Himmlischen waren geschlossen, man sagte, dass die Toten
umgingen, und traf allerlei abergläubische Vorkehrungen gegen die unheim-
lichen Besuche. <^) Spuren davon, dass das Fest einmal ausschliesslich den
Unterirdischen gegolten habe, sind in dem Opfer am Chytrentage deutlich
erhalten, vielleicht auch in dem Namen Xoh.g, dem Haupt- und möglicher-
weise einmal einzigen Festtage, an weichem auch später die Toten ihre xoi^
erhielten.'') So ist es denn auch nicht unwahrscheinlich, dass die vdqoffOQia^^)
eine Wasserspende für die bei der Sintflut Umgekommenen, auf den 13.
Anthesterien fielen,^) und mit ihnen das Fest abschloss, wie die Feier der
eleusinischen Mysterien mit den nXrjfioxoai beschlossen worden sein soll
(S. 125).
In demselben Monat wurden die kleinen Mysterien bei Agrai ge-
feiert, über die bereits gehandelt ist (S. 123), und am 23.^^) ein Fest £ür
Zeus Meilichios, die Jtdaia.^^) Man feierte es ausserhalb der Stadt, ^')
vielleicht am Ilissos.^^) Wie wir schon aus dem Beinamen des Gottes
schliessen können, war es ein Sühnfest, ^^) und etwaige Festschmäuse ^^) haben
auf keinen Fall etwas mit den Opfern zu thun, die man an diesem Tage
dem Zeus darbrachte; dem Charakter des Festes entsprechend müssen die
Tiere ganz hingegeben werden, ^*^) Von ähnlichen Festen aber unterschieden
*) Dass man sie am Tage und nicht in
der Nacht bereitete, wie sonst Opfer an die
Unterirdischen, erwähnt der Scholiast zu Arist.
Ran. 218 ausdrücklich. Mehr als die Be-
merkung, dass hier von dem gewöhnlichen
usus abgewichen werde, ist aus dem Scha-
lion nicht herauszulesen. Vgl. aber Momm-
8EN Heort 346.
^j Schol. Aristoph. Ach. 1076 u. Ran.
218.
') Philochoros im Schol. zu Arist. Ran.
218; CIA. III 93.
*) Plut. Dec. orat. Lyk. VII 10 p. 841.
Hebmai^n 6. A. 58 A. 6. Momksen Heort.
386. — Der Fackelwettlauf, den man nach
der Inschrift Ross Demen p. 29 für die spä-
tere Zeit allgemein annahm, ist durch Dit-
TENBEBG£R*s richtigere Lesung des Steins
(CIA. III 93, vgl. De ephfbis Att, p. 41 A. 3)
beseitigt.
») Eustath. ad II. Sl 526. Phot. u. fiiuQd
55.
®) Uesych. Phot. Suid. u. fiinQul i^fifQui.
^) Schol. Arist. Ach. 961.
8) S. Hesych. u. d. W.; Etym. M. 774,
») Theop. im Schol Arist, Ach. 1076;
MoMMSEN Heort. 365, Hebhann G. A. § 58
A. 22.
»") Schol. Arist. Nub. 408.
»') Hebmann G. A.* § 58 A. 23—24;
ScHOEHAKN Gr. A.' II 504 f. Mommsen Heort.
379 ff. 0. Bai^d Die att. Diasien, Progr. der
Viktoriaschule Berl. 1883. Pbelleb-Robebt
Gr. M. I 130 f.
'») Thuk. I 126.
»3) MoMMSBN 380 f. Band S. 11.
") Schol. Luk. Ikarom. 24: fiBta rivoq
arvyyorrjTog.
»*) Vgl. Band S. 15 f. und über Arist
Nub 407. Mommsen Heort. S. 383.
>«) Xen. Anab. VII 8, 4. Vgl. Luk.
rim. 7.
10() A. Die griechischen Knltusaltertttmer.
sich die Diasien dadurch, dass an ihnen nicht der Staat für alle das Sühn-
opfer darbrachte, sondern die Bürger für sich den Gott durch eine Qabe
zu versöhnen suchten. Der Arme, der Schaf oder Schwein nicht aufzu-
wenden hatte, formte sich Tiere aus Kuchenteig und opferte diese statt
des Lebendigen.^)
121. Das erste Fest des folgenden Monats, des Elaphebolion,
waren vermutlich die Elaphebolion, die man der Artemis feierte.
Man brachte ihr Kuchen in Gestalt von Hirschen zum Opfer, >) doch
wird das Fest kein staatliches, und die Beteiligung keine allgemeine ge-
wesen sein.
Das Hauptfest, zugleich das glänzendste nächst den Panathenaien,
galt wieder dem Dionysos, wenngleich das religiöse auf den Kult des
Gottes unmittelbar zu beziehende Element durch die grossen Schauspiele,
die bald den Mittelpunkt der Feier und des Interesses bildeten, in den Hinter-
grund gedrängt wurde. Es waren die grossen Jiovvaicc^^) zum Unter-
schied von den im Poseideon in den Demen gefeierten tcc iv ixatei^) oder
rd /iiaydXa^) genannt. Eingeleitet wurden sie durch die Asklepieia, die
auf den 8. des Monats fallend als nqoaywv bezeichnet werden,®) und an
denen dem Asklepios grössere, vom Staat bestrittene Tieropfer dargebracht
wurden.') Vom 9. bis 13. wurden die Dionysien selbst begangen, deren
Leitung dem Archon Basileus oblag.®) Festzug ^) und grosse Opfer') mit
vorzüglicher Beteiligung der Epheben,^^) die auch die Statue des Gottes
aus dem Tempel ins Theater schafften, i^) werden den ersten Tag ausgefüllt
haben, Knabenchöre und lyrische Agone*^) wahrscheinlich den zweiten.*^)
Dann folgten wohl drei Schauspieltage, an denen in der Blütezeit Athens
die grössten Dichter um den Preis rangen. ^^) Einen besondern Glanz ver-
lieh dem Feste die Anwesenheit der Bündner, die zu diesem Termin ihre
Tribute brachten. ^•'^) Vor ihren erstaunten Blicken entfaltete Athen dann
all seinen Reichtum und seine Herrlichkeit.^^) Die Tribute wurden talent-
weise aufgeführt, ^^) den Bürgern der Stadt grosse Summen als Theorika
») MoMMSEN Heort. 393. Nach Poll. VI
75 wurden dem Gotte zu Ehren ungeheure
Brote umgetragen.
*0) DiTTENBBBOBB Syll. 347.
>') CIA. II 470.
*^) DiTTENBEROEB Syll. 4*20.
»») MoMMSEN Heort. 394 f.
^*) MoxMSEN 8. 396. Sauppe a. a. 0.
Fbänkel in Böckh's Staatsh.» II 63* Anm. 407.
Chbist Hdb. VII 147. Vgl. die Inschriften
CIA. II 394 ff. und über die Anfänge des
Schauspiels v. Wilamowitz im Hermes XXI
615 ff. t)ber die Verleihung von Dreif&ssen
als Preis für die besten ChOre Aristid. I
p. 841 Dndf.
'^) Eupolis im Schol. zu Arist Ach. 503
vgl. 377.
^«) V. Wilamowitz Kydathen 31 f., Eur.
«) Aischin. g. Ktesiph. § 67. ' Her. II 49.
") DiTTENBEBOER Syll. 374. ^') Tsai. VHI {avfjLfiax,) 82. Vgl. Frah-
") Poll. VIII 89. KEL in Sallets numismat. Ztschr. III 392 f.
») Thuk. I 126 und Schol. dazu: 7rf>-
fittXtt Big f^i^tov fiOQ(fug XBXvnoifiiva. Vgl.
übrigens auch Hebmaitn Philo]. II 1 ff.
^) Bekkeb Anecd. 249 u. Athen. XIV
55 p. 646 E.
') Hebmakn G. A. § 59. MoMHSEN Heort.
387 ff. ScHOEMANNGr A.3 11498 f. Pbelleb
Gr. Myth.'I 555 ff. Sauppe in den Ber. der
Sachs. Ges. d. Wiss. 1855 Anf. Chbist Hdb.
VII 147. Vgl. auch A. Mülleb Griech. Btih-
nenaltt.. Freiburg 1886 und Köhleb Mitt. des
Athen. Inst. III (1878) S. 104 ff.. 229 ff. Über
die Zeit der Einführung (peisistrateisch) auch
V. Wilamowitz Kvdathen S. 133, Homer.
Unters. 209, Eur. Her. I 86, II 48.
*) Dittenbebgeb Syll. 347 u. 374.
») Dittenbeboeb Syll. 140, 37: 141, 32;
162, 75.
4. Enliiuizeiten. (§ 121 -122.)
167
ausgezahlt, 1) zahlreiche Opfertiere geschlachtet,^) und das ganze Volk fest-
lich bewirtet.^) Eipen eindrucksvollen Teil der Feier bildete es, dass die
herangewachsenen Söhne der im Kriege gefallenen Bürger auf die Orchestra
geführt und vor der versammelten Menge vom Staate mit Waffen beschenkt
wurden.*) Den Abschluss des Ganzen bildete am 14.^) wieder ein einer an-
dern Gottheit gefeiertes Fest: die Pandia. Ursprünglich wohl ein grosses
Zeusfest von politischer Bedeutung^) wurde es durch die Panathenaien in
Schatten gestellt und zu einer Appendix der Dionysien, wenn auch wohl
niemals ganz unbedeutend.'')
122. Im zehnten Monat, dem Munichion, wurden am 6. oder 7.^)
dem ApoUon die Delphinien^) gefeiert. Es scheint ein Sühnfest gewesen
zu sein, das man bei der Eröffnung der Schiffahrt veranstaltete. Im Del-
phinion soll Theseus vor seiner Ausfahrt nach Kreta gebetet und dem
Apollon den mit weisser Wolle umwundenen Ölzweig der um Schutz
Flehenden niedergelegt haben, '^) und so wurde denn auch dieses Fest ähn-
lich wie die Pyanopsien und Oschophorien mit dem Nationalheros in Ver-
bindung gebracht. Von der Feier selbst erfahren wir nur, dass am 6.
Jungfrauen (xoqm iXatrxofievai) sich nach dem Delphinion begaben, um dort
Apollon und wohl auch Artemis anzuflehen. ^^)
Am 16. wurden der Artemis Movvtx(ci^^) auf der gleichnamigen
Halbinsel die Munichien gefeiert. ^^) Es wurden ihr die sogenannten
ilAifKfwvreg^^) geopfert, runde Kuchen, welche, mit Lichtern besteckt,
din Bild des Vollmonds vorstellen sollten. Mit diesem Fest vereinigte
man die salaminische Siegesfeier,^-^) wie man die marathonische auf das
A^rtemisfest am 6. Boedromion gelegt hatte, obgleich weder die eine
noch die andere Schlacht an dem betreffenden Tage geliefert worden
war.^^) In späterer Zeit fand zur Feier des Festes eine Regatta der
Epheben statt, i«)
Wahrscheinlich auf den 19. fielen die Olympieen,*') die Peisistratos
bei der Gründung des neuen Olympieions gestiftet zu haben scheint.^®)
») Demosth. IV (1 Phil.) 35. Böckh
Staatsh.» I 283 f.
') DiTTEKBEBOEB Svll. 374. BöcKH Staats-
b.» JI 107 f.
') Vgl. Fbänkel Anm. 779 in Böckh's
Staatsh.' II 113 *.
*) Aischin. III 154; Plato Menex. 248 E;
vgl. Isoer. VIII 82.
^) Demosth. g. Meid. 8. 9.
•) S. V. WiLAMOwiTz Kydathen S. 133
a. über andere Auffassungen Mohhsen Heort.
S. 60 A. 1.
') Vgl. CIA. II 570.
^) S. Pbelleb-Robebt Gr. M. I 260 A. 3.
^) MoMMSEN Heort 398 ff. Schoemann
Gr. A.« II 454 f.
»«) Plut. Thes. 18.
*^) Vgl. Pbelleb-Robebt Gr. M. I 312
A. 2.
»2) Mommsen Heort. S. 403 ff.
*») Athen. XIV 645 A; Poll. VI 75;
Etym. M. 94, 56; Suid. a. d. W. Vgl. Band
Die Epikleidia, Progr. d. Margaretenschulo
Berl. 1887 S. 4.
>*) Plut De glor. Athen. 7 p. 350 A.
^^) Über das Datum der Schlacht bei
Salamis Böckh Mondcvkl. S. 69 f. Ad.
Schmidt Perikl. II 106 f. und Griech. Chron.
S. 295 meint, dass die Schlacht bei Salamis
auf Eypros gefeiert worden sei, die thatsäch-
lieh auf den 16. Munichion gefallen sei (nach
Plut. De glor. Athen. 7, vgl. Lysand. 15).
»«) CIA. II 471 u. Plut De glor. Athen.
7 p. 350 A.
*^) Mommsen Heort. 412 f. Stabk in
Hebmann's G. A. § 60 A. 5. Eöhleb in d.
Monatsber. der Berl. Akad. d. Wiss. 1866
S. 348.
*^) Mommsen Heort. 413. Pbelleb-Robebt
Gr. M. I 132. Vgl. V. Wilamowitz Hom.
Unt S. 209 Anm.
168
A. Die griechischen Kaltusaltertttmer.
Zeus wurde an ihnen durch ein grosses Opfer ^ und eine Pompe bekränzter
Reiter^) gefeiert.
123. In der heissen Sommerszeit des nächsten Monats, des Thar-
gelion, wurde das grosse Sühnfest der Qagyrjkia gefeiert.^) Der Name
bezeichnet eigentlich die von der heissen Sonne gereiften*) Erstlinge der
Feldfrüchte,'») und diese opferte man auch an dem Feste den Gottheiten^
die sie gezeitigt hatten, dem Helios und den Hören,®) und wie an denk.
Erntefest der Pyanopsien wurden Eiresionen dargebracht.') Doch war di^
eigentliche Bedeutung des Festes noch eine andere. Wie beim Beginn de^
Frühlings an den Diasien Zeus versöhnt werden musste, so jetzt beim Ein —
tritt der gefährlichen, oft Seuchen mit sich bringenden Sommerszeit, ApoUon^-
der schon den Xoifiog der Ilias veranlasst hatte, der Sühngott xax* i^oxv^v.
Der 6, war der Artemis heilig, der Göttin, die vor allen die schwerste]
und wirksamsten Sühnopfer, Menschenleben, forderte, der Tag, an dei
Theseus mit den Opfern nach Kreta gezogen war:^) er eignete sich zui
Sühne und Reinigung wie kein anderer. Im Kult war nun Artemis freilicl
hinter dem Bruder zurückgetreten, wie dieser auch den Helios verdrängt;::::^
hatte, und ihm galten die Opfer der Feldfrüchte, ^) wie die zur Reinigunj
der Stadt dargebrachten, aber doch wurde für diese, vermutlich von sehi
alter Zeit her, der 6. festgehalten.^") Demeter Chloe auf der Burg empfangl
einen Widder, i*) und nach einer freilich nicht über jeden Zweifel erhabene]
Nachricht ^^) hat man in Athen auch in historischer Zeit alljährlich einei
Mann und eine Frau^^) aus der Stadt hinausgeführt und als Sühnopfer ge-
schlachtet.^^) Über die Einzelheiten der Feier sind wir sonst nicht unter-
richtet, doch darf wohl ausser andern Ceremonien das Herumtragen einet
Jiog xoidiov vorausgesetzt werden.
^) DiTTENBEBOER Syll. 374.
2) Flut. Phok 37.
^) Hermann g 60 A. 6 ff. Mohmsbn
Heort. 414 ff. Mannhardt Mythol. For-
schungen 1884 S. 124 ff. Treller-Robert
Gr. M. I 2(31 f.
*) Etym. M. 443 19; Hesych. u. Sag-
ytjXict,
B) Krates bei Athen. III 80 p. 114 A.
«) Schol. Arist. Equ. 729, Plut. 1054.
Vgl. Porphyr. De abst. II 7; Bbkker Anecd.
263 u. %^tt()ytjXitt,
') Schol. Arist. Equ. 729.
«) 6 Munichion Plut. Thes. 18.
^) Vgl. Mommsen Heort. 422; Scuoemann
(Jr. A.3 II 455 A 7.
»•^j Diog. Laert. II 44.
»^) Schol. Arist. Lys. 835; Schol. Soph.
0. K. 1600 nach Brunck.
*^) Istros bei Harpokr. u. (pctQuaxog. Vgl.
Stengel im Hermes XXII 86 ff. u. Mann-
hardt a. a. 0. S. 126, 129, 131; u. dagegen
J. TöPFFER Rhein. Mus. 1888 S. 142 ff.
*^) Diese Angabe des Hesychios u. (pag-
fAttxol hat mehr innere Wahrscheinlichkeit
als die dvo uyffgas bei Harpokration.
'^) Dass in lonien an dem auch dort ge-
feierten Targelienfeste Menschenopfer üblic
waren, ist sicher (Hipponax Frgm. bei Bbbgl
P. 1.* S. 475; vgl. Hermes XXU 647 A. 1)
ebenso darf nicht daran gezweifelt werden
dass in alter Zeit dieselben Opfer in Athe
fUr notwendig befunden, und dass sie auci
später bei Misswachs und ansteckende
Krankheiten gerade in dieser Zeit, wo beid
sich bemerkbar machte, vollzogen werde
sind (die Zeugnisse dafür im Hermes XXITI^
92), später aber werden doch wohl, wie iifc^
allen ähnlichen Fällen, Schafe fUr die Men —
sehen eingetreten sein, und man wird als<^
wohl anzunehmen haben, dass Istros von
einer Vergangenheit spricht, auf deren grau-
same und abergläubische Gebräuche man
später nur in grosser Bedrängnis zurttckgriff.
Mir wenigstens scheint es — abgesehen von
andern Unwahrscheinlichkeiten — unglaub-
lich, dass Theophrast (bei Porphyr. De abst.
II 27 Bbrnays S. 86) sich mit der Anspie-
lung auf die attischen Tauropolien (Bbbn.
S. 117) begnügt haben sollte, wenn zu seiner
Zeit noch an den Thargelien Menschen ge-
opfert wurden, und er diese den vorher von
ihm genannten karthagischen und arkadischen
Menschenopfern an die Seite stellen konnte.
4. Knltaszeiten. (§ 123 )
169
Wie grosse Bedeutung der Staat dem Feste beimass, geht wohl
auch daraus hervor, dass der Archen Eponynios mit der Sorge dafür be-
traut war.*) Der nächste Festtag hatte einen heitaren Charakter, wie wir
dieser Vereinigung von Trauer und Freude, von Gedenken und zagem Ver-
ehren der chthonischen Mächte und von frohem Dank gegen die Himm-
lischen in den griechischen Festen ja schon häufiger begegnet sind. ^) Apollon
empfing die ersten vom heissen Sonnenstrahl gereiften Früchte, und Fest-
zug und musikalische Agone ^) feierten den gnädigen, segnenden Gott.
Am 19. beging man seit der Zeit des Perikles^) der thrakischen Göttin
Bendis zu Ehren die BevdCdsia,^) Es war eine der Artemis verwandte und früh
mit ihr identifizierte ^) Gottheit, deren Kult sich zuerst im Peiraieus festsetzte,
wo sie nahe der Artemis Munichia einen Tempel besass.^) Da sie unter die
Staatsgötter rezipiert worden war, wurde ihr an ihrem Feste auch von Staats
wegen ein Opfer dargebracht.®) Eine besondere Merkwürdigkeit verlieh dem
Feste ein Fackel Wettrennen zu Pferde, 9) oflFenbar thrakischen Ursprungs. >®)
Auch Prozessionen fanden statt, und zwar die der Athener und der thra-
kischen Ansiedler gesondert.^)
Auf denselben Tag fielen nach Photius^O die KaXXvvTriqia^ die
in engem Zusammenhange mit den nXvvvrjQia stehen.*^) Das Datum
der letzteren ist nach Photius a. a. 0. der 29., aus Plutarch Alkib.
3413) ergiebt sich jedoch der 25.**) Es waren Sühn- oder Reinigungs-
feste, die man der Athena feierte, von anderen vor allem dadurch unter-
schieden, dass die Reinigung zunächst nicht den Feiernden selbst, son-
dern dem Tempel und dem Bilde der Göttin galt.*^) KaXkvvtrjQia bedeutet
wohl das Ausfege-,*®) nXvvtr^Qia das Waschfest. Während der Säuberung
war der Tempel durch Seile abgesperrt;*^) am 25., jedenfalls dem Haupt-
festtage, wurden dem Götterbilde Kleider und Schmuck von den sog. Praxier-
giden abgenommen,*®) und nachdem die nXviTQtdeg oder Xorrgideg^^) und
«) Poll. yill 89.
') Verglichen werden kann damit unser
Osterfest mit dem voraufgehenden Karfreitag.
') Demosth. g. Meid. 10; Lys. XXI 1;
Antiph. VI (De saltat.) 11; Dittenbekoeb
SyU. 420 cf. 112, 34.
*) Plat Rep. I p. 327 ff. mit Schol.; Prokl.
zu Tim. 9 B, 27 A.
^) Hkbmann G. A. § 60 A. 22; Momm-
SEH H. 425 f. Pbblleb-Robert Gr. M. I 327 f.
•) Herod. IV 33, V 7.
') Xen. Hell. II 4, 11.
•) DiTTEKBEBGEB Sjll. 374.
») Plato Rep. Anf.
'«) Vgl. RoscHBB Mythol. Lex. 1884
S. 780; Weoklbin im Hermes VII 438.
") u. KaXXvyjiJQia,
") SoHOEMAiTK Gr. A. II 472 und Petbb-
8KN Feste der Pallas, Hamburg 1855, S. 11
steUen die Plynteria voran. Dagegen Momm-
bbk H. S. 429, Pbbüneb Hestia-Vesta S. 483.
MomisBN S. 439 ist geneigt, Ealljnterien wie
Bendideen fttr eine Vorbereitung oder Vor-
. feier der Plynterien anzusehen; Ad. Schmidt
a. 8. 0. S. 299 nimmt zweitägige Bendideen
an; der erste Tag, „die sogenannten Kallyn-
terien", sei auf den 19ten gefallen, .die
eigentlichen Bendideen* auf den 20ten. Über
das Fest selbst vgl. auch Töpffeb Att. Ge-
neal. S. 133 ff.
»3) Vgl. Diog. Laert. II 44.
^*) Schoemann u. a. suchen beide An-
gaben in der Weise zu vereinigen, dass sie
das Doppelfest vom 19 - 29ten dauern lassen.
Vgl. ausser Momhsen Heort. S.427 ff. Pbelleb-
RoBEBT Gr. M. I 209 A. 3 u. Ad. Schmidt
a. a. 0. S. 299 f. Letzterer hält eintägige
Plynterien fQr sicher und den Tag der Feier
für wandelbar.
*^) Vgl. die Bestimmungen über die Rei-
nigung des Heiligtums der Aphrodite Pan-
demos, die am Tage, wo die nofintj zu
Ehren der Göttin stattfindet, vorgenommen
werden soll (Athen. Inschr. im Bull, de corr.
hell. 1889 S. 163).
*^) BöTTicHEB Tektonik II 169 u. Momm-
SEN Heort. S. 428.
»') Poll. Vm 141.
^«) Plut. Alkib. 34.
*•) Phot. a. a. 0. Hesych. u. XovtQideg,
170
A. Die griechischen Knltusaltertümer»
der xctravinxrfi alles gereinigt hatten, die Statue selbst verhüllt und in
Prozession zum Bade ans Meer geführt, ^ am Abend aber unter Fackel-
schein^) in die Stadt zurückgebracht. Dieser Tag galt für unglücklich,
weil die Göttin nicht in der Stadt anwesend war, und kein öfifentliches
Geschäft durfte dann vorgenommen werden. 3) In der Prozession wurden
Feigen umgetragen, ^) angeblich weil sie die erste Nahrung des zur Kultur
übergehenden Volkes gewesen waren,*) in Wirklichkeit wohl, weil sie bei
Lustrationen sehr häufig angewandt wurden;^) Athena aber empfing ein
Schaf als Sühnopfer. ^) Die Sage brachte die ganze Feier mit Aglauros
in Verbindung, die als erste Dienerin oder Priesterin der Göttin für ihr
Haus und ihren Schmuck zu sorgen gehabt habe, nach deren Tode aber
alles ein Jahr lang ungereinigt geblieben sei,^) und sicherlich wurde bei
der Feier auch ihrer gedacht.^)
124. Der letzte Monat, Skirophorion, hatte seinen Namen von dem
Fest der ^xiqoipoQia^^^) Ad^ am 12.**) der Athena gefeiert wurde.**) Ein
anderer Name desselben Festes war 2x(qcc.^^) Beide sind abzuleiten von
axiQog, der weisse Kalksteinboden. *^) Es war ein Weiberfest wie die Thes-
mophorien,*'^) und wie an diesen, so war auch hier den Teilnehmern Keusch-
heit geboten.*«) Eine Prozession begab sich unter Führung des Erechtheus-
priesters, der einen grossen Sonnenschirm (cxiqov) trug, nach Skiros, einem
zwischen Athen und Eleusis gelegenen Ort, wo das erste Ackerfeld gewesen
sein sollte,*^) und wahrscheinlich ein Tempel der Athena Skiras stand.**)
Man meint, dass der Sonnenschirm andeuten sollte, die Vegetation bedürfe
in der heissen Jahreszeit des Schutzes gegen den Sonnenbrand.*^) Gewiss
ist, dass auch Sühnceremonien stattfanden.*^)
Eng zusammengehörig mit diesem Feste scheinen die 'EQQr^tpoQta oder
'AQQTjffOQia^^) gewesen zu sein. Dass sie in den Skirophorion fielen, ist über-
liefert, ebenso dass sie der Athena galten,**) über alles Übrige sind wir fast
nur auf Vermutung angewiesen; auch der Name ist unerklärt.*^) Zwei
^) Plut. a. a. 0. MoHMSEN Ueort. S.
430 ff.
2) fA6Td (fütrog CIA. II 469 ZI. 10; 470,
11; 471, 11. S. aber auch Dittenberoeb
De epheb. Atf. 63, der dies auf die Oscho-
phorien bezogen wissen will.
3) Plut. Alk. 34; Xen. Hell. I 4, 12.
Vgl. Poll. VIII 141.
*) Hesych. u. Phot. u. ijyrjrtjQia. Etym.
M. 418, 49. Eustath. zur Od. cu 341 p. 1399,
30.
») Athen. III 6 p. 74 C.
ö) Vgl. S. HO Anm. 15.
') CIA. I 3.
^) Phot. u. KaXXv3rif]Qia.
^) Hesych. u. IlXvi^rJQia.
'*) Hermann G. A. § 61. Schoemann
Gr. A. II 474 f. Mommsen Heort. 440 ff.
Robert im Hermes XX 349 ff. Vgl. Rohdb
im Hermes XXI 116 ff.
*») Schol. Arist. Ekklcs. 18.
^-) Robert a. a. 0. S. 376 erklärt es für
eia Demeterfest, an welchem auch dem von
den Athenern ermordeten eleusinischen Heros
Skiros ein Sühnopfer gebracht sei (S. 377 f.).
Dagegen Rohde a. a. 0. 117 ff. Dass neben
der Athena auch der Demeter gedacht wurde,
scheint sicher. Vgl. Schol. Arist. Ekkles. 18.
TöPFFER AtL Gen. 119 f.
»») Robert a. a. 0. S. 862 f.
»*j Robert a. a. 0. S. 349 ff.
»*) Schol. Arist Thesm. 834; Steph. Byz.
u. axiQog. Robert S. 364. Vgl. Rohdb S. 116.
••*) Philochoros Frgm. 204; Phot u. t^o-
TtrjXlg.
1^) Plut Conj. praec. 42; Lysimachides
bei Harpokr. u. axlgoy; Paus. I 36, 3; Ro-
bert a. a 0. S. 361 f.
IS) Rohde im Hermes XXI 120 f.
>9) S. Schoemann II 474, Töpffbb Atfc.
Geneal. 120 u. a., aber auch Robebt S. 361.
*®) Suid. u. Jiog xi^dioy,
-1) Schoemann Gr. A. II 474; Mommsen
Heort. S. 443 ff. Prbllbb-Robbbt Gr. M. I
210 f.; TöPFFER 121.
«0 Etym. M. 149, 13.
3') PrellbbRobert Gr. M. I 211 A. I.
4. EnltiiBseitexi. (§ 124.)
171
Mädchen im Alter von 7 — 11 Jahren') aus vornehmen Familien, welche
im Dienst der Athena Polias auch bei andern Kultusakten verwandt wurden,
spielten bei diesem Feste, von dem sie auch ihren Namen {aQQr^g>oQoi) er-
halten hatten, die wichtigste Rolle. Die Priesterin der Athena übergab ihnen
Eisten mit geheimnisvollen Heiligtümern, die sie nachts in eine Grotte bei
dem Heiligtum der Aphrodite ev xr^notg trugen, von wo sie wieder andere
dnoQQrjTu nach der Burg zurückbrachten.') Vielleicht hatte das Fest,
das in die heisseste Jahreszeit fiel, den Zweck, reichlichen Tau zur Er-
frischung der Pflanzen herabzuflehen.')
Am 14.*) wurden dem Zeus die Jinokicc^) gefeiert. In den merk-
würdigen Gebräuchen dieses gewiss sehr alten Festes hat sich am deut-
lichsten der Ausdruck der Empfindung erhalten, dass der Mensch nicht
das Recht habe, um seines Genusses willen einem Tier das Leben zu rauben,
ein Gefühl, dessen Spuren wir fort und fort begegnen,^) und das, wenn es
auch niemals allgemeiner geteilt wurde und deshalb ohne praktische Be-
deutung blieb, doch auf alle Opfersitten unverkennbaren Einfluss geübt
hat; am wenigsten aber sollte man seinen Arbeitsgenossen, den Ackerstier,
töten.'') Auf einen vermutlich mit einer Erzplatte bedeckten^) Altar des Zeus
Polieus auf der Burg, dessen Priester dem Geschlecht der Thauloniden ent-
nommen sein musste, wurden Opferkuchen, Weizen und Gerste gelegt.
Dann wurde der zum Opfer bereit gehaltene Stier von dem sog. xetTQiddrjg^
um den Altar getrieben, und sobald er von den Körnern frass, trat der
Priester {ßovtpovog)^) heran und tötete das Tier, das die dem Gotte ge-
hörende Opfergabe geraubt hatte. Doch der Rächer des Frevels hatte
sich selbst versündigt; er hatte ein Leben vernichtet, über das er kein
Recht besass. Eiligst warf er das Beil von sich und floh. Und man
verfolgte und richtete ihn wie einen Mörder. Er und alle andern,
die beim Opfer beschäftigt gewesen waren, wurden im Prytaneum vor Ge-
richt gestellt, und schliesslich das Werkzeug, mit dem die That vollbracht
worden war, verurteilt und ins Meer geworfen. Dem Tier selbst aber,
das man ins Leben nicht mehr zurückrufen konnte, versuchte man wenig-
stens ein Scheinleben zu geben: die Haut wurde ausgestopft, und der so
wiederhergestellte Stier wie ein lebender vor den Pflug gespannt ^<^) Von
dem Fleisch, das wieder ein bestimmter dccivQog zerlegen musste, ^^) der, wie
^) Aristoph. Lys. 641. BEKKEBAnecd.202
u. aQ^(poQ€Ty; Etym. M. 149, 20. Prbllkb-
Robert Gr. M. S. 210 A. 8.
«) Paus. 1 27, 4. Vgl. Schol. Aristoph.
Lysistr. 642.
^) Istros im Schol. zu Aristoph. Lysistr.
642 igOTjffOQia' rj yccQ^EQaj^ nofinevovai ifj
Kixqonoq ^vyaxQL Vgl. Lobeck Agl. 873
und CU. Ill 887.
*) Schol. AristFax 419; Eiym. M.210,30.
^) Hermann G. A. § 62 A. 15 ff. Schoe-
MANN Gr. A. II 505 f. Momhsen Heort. S.
449 ff. Band De Diipoliis, Leipz. Dissert.,
Halle 1873; G. F. Unoer im Philol. XXV 6;
0. Jahn Giove Polieo, Leipz. 1865. Vgl.
auch Bernays Theophrast S. 121 ff. Töpffbr
Att. Gen. 149 ff.
•) Vgl. Porphyr. De abst. II mit seinen
Gewährsmännern.
^) Vgl. S. 84 u. V. WiLAMOwiTz Eur.
Her. I 60.
8) Theophr. bei Porph. De abst. II 29
Bernays S. 88 f.
») Paus. I 24, 4; Schol. Arist Nub. 984;
Suid. u. 9avX(oy. Vgl. Meier De gent. Ätt
46. Porphyr, a. a. Hesych. u. ßovtvnogy
ßov(poyia, Bovxrjg. Uno er Philol. XXV 6.
Die Ceremonie selbst führt den Namen Bu-
phonia. Töpffer Att. Gcneal. 149.
»«) Theophr. bei Porph. De abst. II 30
Bernays S. 90; Ail. Var. bist. VHI 3; vgl.
Paus. I 24, 4; I 28, 11; Porph. De abst II 10.
>*) Theophr. bei Porph. De abst. II 30,
Töpffer Att. Gen. S. 150 ff.
172
A. Die griechisohen KnltoBaliertümer.
auch der xevtQiddr^g und ßovrinog,^) dem Geschlecht der Eeryken ange-
hört zu haben scheint,^) bereitete man ein Mahl, denn nur ein Speise-
opfer bedurfte solch einer Entschuldigung und Rechtfertigung vor den
Göttem. Vielleicht ist ursprünglich an den Dipolien wirklich nur ein Rind
geschlachtet worden, später begnügte man sich damit nicht, wenn natür-
lich auch nur mit dem ersten Stier, der von der Opfergerste gefressen
hatte, jene Ceremonien vorgenommen wurden, und es fand auch an diesem
Feste eine xQsavofiia statt. ^) Wahrscheinlich schlössen sich an dies Fest
die auf den Steinen*) öfters erwähnten Opfer für Zeus Soter oder die
Diisoterien an,^) von denen im Jahre 334 das Hautgeld 1050 Drachmen
betrug.^) Hauptort der Feier war der Peiraieus,^) wo Zeus Soter und
Athena Soteira einen Tempel hatten ®) und mit Lectistemien geehrt wurden.^)
— In der Stadt selbst aber brachten am letzten Tage des Jahres die Ar-
chonten demselben Gotte ein anderes feierliches Opfer, i®) dessen Ausführung
in späterer Zeit dem Priester übertragen zu sein scheint. ^0
125. Ausser den genannten gab es in Athen noch mehrere andere
Feste, deren Datum sich nicht ermitteln lässt. Dazu gehören die der
Artemis ursprünglich in Brauron, später aber, als es ein Brauronion auf
der Burg gab,**) wohl auch in Athen gefeierten Brauronien.*^) Vielleicht
war das Fest penteterisch.**) Die Mütter stellten der Göttin ihre jungen fünf-
bis zehnjährigen Töchter vor,*'») die unter dem Namen aQxzoi^^) wahrscheinlich
fünf Jahre lang im Heiligtum der Göttin bestimmte Dienste zu verrichten hatten.
Es war also ein Frauenfest. *^) Die Art der Feier, über die wir nur sehr unvoll-
kommen unterrichtet sind, zeigt in mehr als einer Beziehung Spuren von früher
einmal der Göttin dargebrachten Menschenopfern. Es werden ihr Ziegen ge-
schlachtet,*^) und einem Manne wird mit einem Schwert am Nacken eine
Wunde beigebracht, damit zur Versöhnung der Göttin Menschenblut fliesse.*^)
*) 6 ßovy xaraßttXXijy Hesych. a. a. 0.
'"*) TöPFFEB a. a. 0.
3) Theophr. bei Porph. De abst. II 30.
Vgl. Bekker Anecd. 221 u. ßov(poyia: noX-
Xovg ßovg. desgl. Etym. M. p. 210, 31. —
Band a. a 0. S. 25 ff. hält die Dipolien für
ein Erntefest, mit dem später die Buphonien
vereinigt seien. Die Bedeutung des Festes
sei, Zeus für das Spenden der vegetabilischen
und animalischen Nahrung zu danken (S. Gl).
*) CIA. II 162c, 460, 469, 741.
^) MoMHSEN Heort. 452 f. Fränkel in
BöcKii's Staatsh.' II S. 110 Anm. Ad. Schmidt
a. a. 0. S, 300. Köhleb not. zu CIA. II 741
S. 103. Vgl. Dittenberoer Syll. S. 549
Anm. 15; Robert in Preller's Gr. Myth.*
I 151 f. Anm. 3.
^) Dittenberoer Syll. 374; Böckh Staats-
h.^ II 108
") Vgl. '^Ifhjvttioy IX 234.
«) Strabo IX 395; Paus. I 1, 3.
») Ranoab^ Ant. hell. 794.
>o) Lvs. XXVI 6 (g. Euandr.) p. 790.
'^) CIA. II 325 u. 326; vgl. Robert a. a.
0. ; V. WiLAMOWiTz Antigonos v. Karystos
249 u. 345, Köhler im Rhein. Mus. XXXIX
296 Anm. 1.
") Paus. I 23, 9. Vgl. v. Wilamowitz
Kydathen 129 A. 47; CIA. II 751 ff.
") Hermann G. A. § 62 A. 15, 18 ff.;
MoMMSEN Heort 409 ff. ; Schoemai^n Gr. A'
II 480 f.; Preller-Robebt Gr. M. I 312 ff.
»*) Poll. VIII 107. Vgl. CIA. II 729;
Robert in Preller's Gr. M.^ I 314 A. 2, aber
auch MoMMSEN Heort. S. 406 A. 2.
^^) Schol. Aristoph. Lys. 645. Harpokr.
u. Suid. u. €(Qxrcvaai.
^®) Lobeck Agl. S. 74 V. aqx^a&m, Lbhbs
Rhein. Mus. XXVI 638 von äe^xroi. Ge-
wöhnlich mit Bärinnen erklärt. Vgl. v. Wi-
LAMOwiTz im Hermes XVIII 259 A. 1.
") Vgl. Herod. VI 138 u. IV 145.
^^) Hesych. u. BQavQtoyloig ; Varro De
ro rast. I 2, 19; vgl. Poll. VIII 107.
»") Eur. Iph. Taur. 1458 ff. Zur Loka-
lität vgl. V. WiLAMOwiTz im Hermes XVIIl
254. — Back De Graecorum caerimoniis, in
quibus homines deorum vice fungehantur,
Berl. Diss. 1883 S. 28 vermutet, dass die
aQxroi als Bären ausstaffiert worden seien,
und die Priesterin im Kostüm der Jägerio
Artemis sie verfolgt habe.
4. KoltuBseiten. (§ 125-126.) 173
Von Demeterfesten sind noch die Proerosien ') und Epikleidien*)
zu erwähnen. Die ersteren sollen einst auf Anweisung des Orakels ge-
stiftet sein, als ganz Griechenland von Miss wachs heimgesucht war,^) und
wurden in späterer Zeit in Eleusis mit grossen Opfern unter besonderer
Beteiligung der Epheben begangen,'*) die letzteren können wohl als Speicher-
fest, gefeiert zum Dank für die Bergung der Getreidevorräte, bezeichnet
werden.^) Erwähnt werden mögen ferner die Adonia^) die im Hoch-
sommer') vorzüglich von Frauen, namentlich auch Hetären, gefeiert wurden,
die Hermaia,^) welche dem Hermes galten, die Herakleia, die dem Hera-
kles zu Ehren besonders in Marathon mit Agonen gefeiert wurden,^) und
das Fest der Eumeniden oder Semnen, bei dem das Geschlecht der Hesy-
chiden eine hervorragende Rolle spielte. ^'^)
Auf eine eingehendere Behandlung der Festcyklen der andern grie-
chischen Staaten müssen wir verzichten, schon weil unsere Quellen dafür
zu spärlich und dürftig sind, und von der blossen Nennung von Namen,
wie sie die Steine uns immer reichlicher liefern, absehend, uns damit begnügen,
die wichtigsten und bekanntesten Feste zu erwähnen und kurz zu be-
sprechen.
ß. Feste anderer Staaten.
126. Zu den ältesten und angesehensten Festen der Peloponnes
gehörten die in Amyklai gefeierten Hyakinthien. ^ i) Das Fest galt dem
ApoUon und hatte seinen Namen von Hyakinthos, der, nach der gewöhn-
lichen Version ^^) ein Sohn des Amyklas und Liebling Apollons, von diesem
durch einen unglücklichen Diskoswurf getötet worden war. Es fiel in den
Monat Hekatombeus,^^) der dem attischen Skirophorion,*^)oderThargelioni^)
entsprach. Die drei Tage des Festes, dem sich vielleicht die Hekatom-
baien ^^) anschlössen, 1') von denen der Monat wohl seinen Namen erhalten,
hatten wie andere Apollonfeste traurigen und heitern Charakter zugleich.
Man beklagte den Tod und feierte die Auferstehung des gottgeliebten
Knaben. ^^) Weder das Singen des Paians, noch der Schmuck der Kränze,
MoMMSBV Heoit. 75 ff., 218 ff.; Schob-
I 416 f.
MANw II 486; Hebmann § 56 A. 28. ») Paus. I 15, 4. Find. Ol. IX 98; Schol.
*) Hebmann § 62 A. 5; Schoemann II
486. Band Programm der Margaretenschule *®) Vgl. Töpffeb Att. Gen. 170 ff.
Berlin 1887 I. Teil, der sie nach CIA. III
77 auf den 15. Metageitnion ansetzen zu
wollen scheint.
') Schol. Aristoph. Equ. 729. Suid. u.
IlQotj^ocitt. Vgl. Isokr. Panath. VII 31.
^) DiTTENBEBGEB Syll. 347, 28.
*) Hesych. u. y.7iixX€idta. Pbelleb De-
meter u. Fers. S. 325 f.
•) Flut. Alk. 18; Nik. 13. Dittenbebgeb
Syll. 427, 9. Hebmann § 62 A. 34. Fbel-
leb-Robebt Gr. M. I 362 u. 379. Dabem-
BEBG et Sagljo Dict. u. Adonis I 72 f.
') Thuk. VI 30; Flato Leg. V 738 C,
Phaidr. 276 B.
8) Aischin. Tim. 10; Schol. Fiat. Lysis
206 D. Vgl. DiTTENBEBGEB Syll. 121; SüHOB-
MANN Gr. A. II 527; Pbelleb-Robebt Gr. M.
Find. Ol. XIII 184.
»') Hebmann G. A. § 53 A. 36 f. Schoe-
mann Gr. A.' II 457 f. Pbelleb-Robebt Gr.
M. I 248 f. Ungeb Fhilol. XXXVIl 13 ff.
»2) Vgl. Pbelleb-Robebt Gr. M. I 248
A. 2.
»«) Hesych. u. d. W.
>*) Latyschew Dor. u. äol. Kai. S. 133,
BiscHOFF Leipz. Stud. VII 369 ff., Busolt
Jahrb. f. Phil. 1887 S. 33; Nissen Rhein.
Mus. XLII 46 ff.: Hekatombaion.
»^) Ungeb a. a. 0. u. Jahrb. f. Phil. 1888
S. 529 ff.
»«) Strabo VIII 362.
' ^) Ungeb Philol. XXXVIl 32. Vgl. Herod.
IX 3; 11.
***) Vgl. Schoemann u. Prelleb-Robebt
a. a. 0.
174
A. Die griecluBchen SaltasaltertÜmer.
noch irgend welche Ausgelassenheit war am ersten Festtage gestattet,')
der zweite war gerade durch musische Chöre ausgezeichnet, denen sich
Spiele und reiche Opfer anschlössen. Sparta war an diesem Tage verödet,
weil alles nach Amyklai strömte, auch die Sklaven nahmen teil,^) und von
den Amyklaiern selbst durfte keiner fehlen.^) Wahrscheinlich wurde an
diesem Tage auch das uralte Bild des Gottes *) mit einem neuen Chiton
bekleidet, den spartanische Frauen alljährlich webten;*^) auch eine nächt-
liche Feier scheint stattgefunden zu haben.®) — Wohl noch wichtiger und
bedeutender war das Fest der Karneien,^) das ebenfalls dem Apollon
{KaQveTog) zu Ehren im Hochsommer begangen wurde. Über die Feier in
Sparta sind wir etwas genauer unterrichtet,®) mehr oder weniger ähnlich
ist das Fest aber auch in der übrigen Peloponnes und an andern Orten
gefeiert worden.^) Es begann höchst wahrscheinlich an dem dem Apollon
heiligen siebenten Tage des Monats Karneios ^^) und dauerte bis zum 15. ^O
Vor diesem Tage, also dem Vollmond, pflegten die Spartaner selbst in
dringenden Fällen nicht ins Feld zu ziehen. ^^) Der ursprüngliche Charakter
des alten Festes ist, in Sparta wenigstens, früh verändert worden. Wie aus
dem Beinamen des Gottes zu schliessen ist,'^) galt ihm die Feier ursprüng-
lich als dem Beschützer der Herden, bald aber trat die kriegerische Seite
des Gottes, der einst dem einwandernden Stamm der Derer vorangezogen
sein sollte, ^^) in den Vordergrund. Doch scheint die Art der Feier viele
Eigentümlichkeiten des alten ländlichen Festes bewahrt zu haben, wenn
ihnen auch eine andere Bedeutung untergelegt wurde. Man errichtete im
Freien Lauben (axtdöeg), in denen eine bestimmte Anzahl der Festteil-
nehmer wie im Feld biwakierte und alles auf das Kommando eines Herolds
verrichtete.^^) Vielleicht hat auch bei den musischen Agonen, die bei
dem Apollonfest nicht fehlten,^®) kriegerische Musik die Flöte der Hirten
abgelöst. Auch von einem Wettlauf wird berichtet, bei dem es für ein gutes
Zeichen galt, wenn der Vorläufer von einem der ihm Folgenden (axafpvXo-
dQOjxoiy^) eingeholt wurde. Mehrfach erwähnt wird femer das Fest der
Gymnopaidien,^®) an dem besonders die Jugend, die einst die Kriege
führen sollte, ihre Kraft und Gewandtheit zu zeigen hatte, und ruhmvoll
bestandene Kämpfe in Liedern gepriesen wurden. Neben Apollon scheint in
Sparta namentlich die kriegerische Artemis Verehrung genossen zu haben. *^)
1) Didymos nach Polykrates bei Athen.
IV 17 p. 139 D. Vgl. Paus. III 19, 3.
*) Athen, a. a. 0.
») Xen. Hell. IV 5, 11. Ages. II 17.
^) Paus. III 19. 1 f. Vgl. Thuk. V 23 f.;
Polyb. V 19.
6) Paus. III IG. 2.
6) S. Eur. Hei. 1470.
'') Hermann G. A.^ § 53 A. 30 ff. Schoe-
MANN Gr. A.^ II 458 ff. Preller-Robert Gr.
M. I 250 f.
*) S. Demetr. v. Skepsis bei Athen. IV
19 p. 141 E f. Bekker Anecd. I 303.
*) Vgl. Preller-Robebt a. a. 0.
^^) Für Kyrene bezeugt durch Flut. Quaest.
aymp. VIII 1, 2.
") Vgl. Eur. Alk. 445.
»«) Herod. VI 106, VII 206.
*») S. Pbeller-Robbrt Gr. M. I 251 A. 2.
»*) Theoponip im Schol. Theokr. V 83
und mehr bei Preller- Robert I 251 A. 1
u. 2. S. auch LüBBitRT, Diatriba in Phid.
loc. de Äegidis et sacris Carneis, Bonn 1883
u. ind. lect. aest. Bonn 1883.
»*) Athen. IV 19 p. 141 E f.
»«) Hellanikos bei Athen. XIV 37 p. 635 E.
'') Hesych. u. dyrjxrjg und Ka^yeäua.
»8) Hermann G. A. 53 A. 39 ff. Schoe-
MANN Gr. A. II 460.
^") Über das Fest der Artemis 'O^&ia und
die Geisselungcn der Knaben an ihrem Altar
vgl. S. 91 u. Preller-Robert Gr. M. I 308
A. 3; über die Opfer für die 'Aygoxi^a S. 92.
4. Knltoszeiten. (§ 1^7.)
175
127. In Argos, wo Hera als Hauptgöttin verehrt wurde, i) waren
das wichtigste Fest die Heraia oder Hekatombaia,^) die mit grossen Opfern
und Agonen begangen wurden.^) Der Aphrodite feierten die Argeier die
Hysteria,*) an denen man der Göttin Seh weine zum Opfer brachte, die sie
sonst verschmähte.'^) — InHermione gab es ein Demeterfest, Chthoneia ge-
nannt, an welchem die Göttin reiche Opfer empfing.^) — In Theben
blühte der Kultus des Herakles, und man feierte ihm dort die Herakleia oder
lolaeia.^) Dem Apollon (Iafir]viog) zu Ehren beging man alle acht Jahre das
Fest der Daphnephorien,®) wobei der Prozession ein mit Lorbeer und Blumen
umwundener und mit Bändern verzierter Olivenstab {xatnci) vorangetragen
wurde. — Alle sechzig Jahre feierte man in ganz Boiotien die grossen
Daidala,^) alle sieben in Plataiai die kleinen zur Erinnerung an die Wieder-
versöhnung und Vereinigung des Zeus und der Hera.^<^) Das Fest hatte
seinen Namen von dem Schnitzbild der Göttin, das man in bräutlichem Schmuck
auf dem Hochzeitswagen einherfuhr. In derselben Stadt, bei der die letzte
glorreiche Schlacht gegen die Perser auf altgriechischem Boden geschlagen
war, feierte man zur Erinnerung daran dem Zeus die Eleutheria^^) mit
Agonen.**) — In Orchomenos genossen die Chariten besondere Ver-
ehrung, >^) und man feierte ihnen die Charitesien mit musischen Agonen.*^)
— In Tanagra hatte Hermes ein Fest, an dem der schönste Jüng-
ling ein Lamm auf seinen Schultern um die Stadtmauer tragen musste zur
Erinnerung daran, dass einst der Gott selbst auf solche Weise die Stadt
gereinigt und von einer Seuche befreit habe.*^) Die Aigineten feierten
der Hera gleich den Argeiern die Heraia, *ß) und dem Apollon die Del-
phinien.*') — Korinth zeichnete sich durch seine Aphroditefeste aus,*®)
Epidauros durch seinen Asklepioskultus, und die zu Ehren des Gottes
gefeierten Asklepieia waren namentlich durch die damit verbundenen Spiele
berühmt.-*) — Einen reichen Festcyklus besass Delphoi, die Stadt des
Apollon. 20) Die Theophanien feierten die Wiederkehr des Gottes, der den
») Vgl. Pbklleb-Robebt Gr. M. I 160 f.
«) Schol. Find. Ol. VII 83; Palaiphat.
51. Hebhanic G. A. § 52 A. 1 f. Schoe-
XANN Gr. A. II 515; Prbllbr-Robert Gr. M.
I 168.
') Find. Nem. X 22; Dittenbeboeb Syll.
398, 6.
^) Hermann G. A. § 52 A. 7; Preller-
RoBERT Gr.M. I 881 A. 2.
^) Kallimachos bei Athen. III 49 p. 96 A.
Eostath. zu II. A All p. 853.
^) Ail. Hist. anim. XI 4; Dittenberoer
Syll. 389.
') Schol. Find. Ol. VII 153; Hermann
G. A. § 63 A. 12.
«) Prokl. in Phot. Bibl. p. 321 Bekk.
Schoemann Gr. A. II 463 f. Hermann G.
A. § 63 A 28. Preller-Robert Gr. M. I
288 A. 1.
•) Paus. IX 3, 4.
^0) Flut, bei Euseb. Fraep ev. III p.
83 ff. Paus. IX 2, 7; 3, 1 ff. Hermann
G. A. § 63 A. 22 ff. Schoemann Gr. A. II
516 f.
»0 Strabo IX 632; Flut. Arist. 19; 21.
Hermann G. A. § 63 A. 9. Vgl. Preller-
Robert Gr. M. I 151.
'«) Dittenberoer Syll. 398. 11.
»») Find. Ol. XIV, Paus. IX 35.
>*) CIG. 1583. 1584.
"^) Paus. IX 22, 2.
»«) Schol. Find. Pyth. VHI 113.
") Schol. Find. Pyth. VHI 88 und mehr
bei Preller-Robert Gr. M. I 258 A. 2.
^8) Alexis bei Athen. XIII 33 p. 574.
Eine Zusammenstellung von Aphroditefesten
anderer Staaten von Hunzfker m Daremberg
u. Saolio Dict. u. Aphrodisia S. 307 f.
»») Schol. Find. Nem. III 145; Ditten-
beroer Syll. 398. 4. Vgl. Mitt. des Arch.
Inst, zu Athen II 1877 S. 244 f. u. s. w.
««) Hermann G. A.» § 64 A. 1 ff. Schoe-
MANN Gr. A. II 460 ff. Preller-Robert Gr.
M. I 265 ff. und am ausführlichsten A. Momm-
SEN Delphika, Leipzig 1878.
176 •^* I^io griechischen KoltiiBaltertümer.
Winter bei den Hyperboreern zugebracht hatte;*) die Theoxenien^) waren
gleichsam das Festmahl, bei dem alle Götter und auch bevorzugte Sterb-
liche den Gott begrüssten; die Soterien,^) 279 zum Andenken an die Ver-
nichtung der Gallier gestiftet, priesen Apollon als Retter aus Gefahren und
wurden später alljährlich mit Agonen gefeiert;^) das ennaeterisch begangene
Septerion^) galt der Erinnerung an die Erlegung des Drachens und die
Reinigung des Gottes, und das glänzendste Fest, die Pythien, vereinigte
alle vier Jahre ganz Hellas an der geweihten Stätte. — Fast ebenso berühmt
war Del OS, die Geburtsstätte des Gottes, durch seine Apollonfeste. Hier
wurden ihm die ApoUonia gefeiert,^) wahrscheinlich am 7. Thargelion, der
für den Geburtstag des Gottes galt,^) und im Monat Anthesterion eines der
glänzendsten Feste von ganz Griechenland, die Delien,^) deren Feier sich
namentlich in jedem vierten Jahr grossartig gestaltete^) und durch musi-
sche,*®) gymnische und hippische**) Agone ausgezeichnet war. Am 6. Thar-
gelion feierte man auch den Geburtstag der Artemis.*^) — In Arkadien,
wo namentlich der Zeuskult blühte,*^) ist besonders merkwürdig das Lykaien-
fest.*^) Es scheint an ihm der grausame Brauch der Menschenopfer sieb
am längsten erhalten zu haben,**) doch wird auch von Wettspielen be-
richtet, deren Preise in Wertgegenständen bestanden.*®) — Patrai beging
ein grosses Artemisfe^t, wobei alle möglichen Opfertiere lebendig in die
Flamme geworfen wurden,*^) und ein anderes, an welchem ein altes Holz-
bild der Göttin aus einem andern Tempel nach dem Heiligtum in der Stadt
getragen wurde. *^) — In Tegea wurden der Athena Alea die Aleaia mit
Kampfspielen gefeiert,*^) in Pelle ne der Demeter Mysia ein siebentägiges
Fest, zum Teil mit Ausschluss der Männer,^®) und ein anderes dem Dionysos
Lajnpter.2*) — Von den Inseln zeichnete sich Sa mos durch seinen Hera-
dienst aus. Man feierte ihr hier wie in Argos und an andern Orten Heraia;^^)
femer die Toneia, wobei man ein Bild der Göttin im Gebüsch versteckte,
^) Herod. I 51. Hinrichtung Phokions hatte (vgl. Mommsek
*) Plut. De ser. nura. vind. 13 p. 557 F; | Heortol. 402 A. 3. Ad. Schmidt Gr. Chrono).
MoMMSEN Delph. 300 ff. Deneken De tlieo- '. 292 f.). Am 19ten Munichion wardie Theoiie
orefiiis 8; Prblleb-Robkrt Gr. M. I 2G5 A. 4 | bereits zurückgekehrt,
u. 8. w. ^) Thuk. III 104. RoBEBT in Prellbrs
») MoMMSEN Delph. 215 ff. Gr. M. I 246, v. Wilamowitz Eur. Her. I
*) DiTTENBEROER Syll. 404, Vgl. 150. \ 340.
*) Plut. Quaest. gr. 12 p. 293 ß, De def. ' '<>) Plut. Nik. 3; Luk. De salt. IG.
or. 14 p. 418 A f.; Schoema>'n Gr. A. II , >») Thuk. III 104; Dittenberoer Syll.
4G1 f.. Preller-Robert Gr. M. I 287 f «121, 16.
«) Bull, de corr. bell. 1883 S. 105 ff. ' »*) Diog. Laert. II 44.
Robert im Hermes XXI 161 ff. und in Prel- ") Preller-Robert Gr. M. I 126 ff.
lkr's Gr. M.^ I 246. '*) Hermann G. A. § 15 A. 18; Schoe-
') Robert im Hermes XXI 162, 169. mann Gr. A. II 507.
^) A. MoxusEN in Bursians Jabresber. i ^^) Tboophr. bei Porpb. De abst. II 27.
1886, 3 S. 338 erkennt zwar Roberts Aus- ' Vgl. S. 90.
fQhrungen, dass die athenische Theorie zur | *•) Schol. Pind. Ol VII 153. Vgl. Xen.
Feier der Delien im Anthesterion abgegangen Anab. I 2, 10.
sei, als richtig an, will aber beide Feste zu- , *') Paus. VII 18. 7.
sammenwerfen, so dass der erste Tag der , *^) Paus. VII 20, 4.
zweitägigen Feier Delia. der andere Apollonia ' *'•) Paus. VIII 47, 3. Vgl. die Inschr.
geheissen habe. — Roberts Abhandlung er- im Bull, de corr. hell. 1889 S. 281 ff.
ledigt auch die für andere Fragen der *^) Paus. VII 27, 4.
Heortologip wichtigen Bedenken (vgl. S. 167 ^ij p^us. VI! 27, 2.
f.}, die man hinsichtlich des Datums der . ^-) Athen. XII 30 p. 525 £.
4. Kultnueiieii. (§ 127.)
177
Ein ihr zürnendes Entweichen vor Zeus erinnernd. — Rhodos war
namentlich der Kult des Helios eigentümlich.') Alle vier Jahre ^) feierte
man ihm hier die Ulisia mit Prozession, Opfer ^) und musischen, gymni-
schen*) und hippischen®) Agonen. Dem Dionysos zu Ehren wurde von
Staats wegen in Rhodos das Fest der Jiovvaia veranstaltet, an welchem
Wettkämpfe von Chören und Schauspielen stattfanden,^) und die Lindier
feierten demselben Gotte die Sfifvd'ia.^) — In Knidos wurde Aphrodite
am meisten verehrt,*) in Kos Asklepios,^®) doch hatte hier auch Demeter
ein grösseres Fest {0aXvaia),^^) und in jedem zweiten Jahr feierte man
Kameen.**) — Kreta war durch seinen Zeusdienst berühmt.'^) In der
idäischen Höhle sollte der Gott geboren sein, ^^) dort sollten die Kureten seine
Jugend beschützt haben, *^) dort seine Hochzeit stattgefunden haben, zu deren
Gedächtnis in Knossos alljährlich ein Fest gefeiert wurde,*®) dort endlich
zeigte man auch sein Grab.*^) Die Gottesdienste werden auch als Mysterien
bezeichnet*®) und erinnern durch die Auffassung des Gottes als Verstor-
benen und Wiedererstandenen **) an den auch in andern Mysterien verehrten
Zagreus,*®) doch wurde von der Feier niemand ausgeschlossen. '0 — ^^ Sici-
lien wiederum, wo sich die Sage vom Raube der Persephone durch Hades loka-
lisiert hatte, finden wir dem entsprechend den Demeter- und Koredienst beson-
ders verbreitet.**) Dieser galten vorzugsweise die Theogamia^^) und Ana-
kalypteria,**) jener die Thesmophoria.**) Daneben scheint auf der Insel der
Herakleskultus besonders entwickelt gewesen zu sein.*®) — Schliesslich mag
noch erwähnt werden, dass unter den zahlreichen der Artemis gefeierten
Festen*^) die ephesischen besonders glänzend waren.*®)
Neben den Göttern hatten überall die Heroen ihre Feste. So feierten
die Athener den Helden von Salamis durch die Aianteia,**) neben denen zu
Ehren eines heroisierten Phrurarchen später die Diogeneia aufkamen, 3")
') Athen. XV 12 p. 672 A.
*) S. DiTTEKBEBGEB De sttcTts Rhod. im
ind. lect. Halle. Sommer 1886 S. Y ff.
*) Ro88 Inscr. ined. HI p. 28 n. 277.
*) Xen. Ephes. V 11, 2.
*) Istros un Schol Find. Ol. VII 146.
Arch. epigr. Mitt. aus Österreich VII 1883
8. 110 n. 2. Rev. arch^ol. n. s. XIII 1866
S. 163 n. 12 u. 13.
•) Rev. arch^ol. n. s. XITI S. 185 n. 10,
Ross Hell. II 98 d. 23.
') Diod. XIX 45. Arch. epigr. Mitt. aus
österr. VII 1883 S. 111 n. 3.
*) DiTTEKBEBOEB a. a. 0. S X ff. Vgl.
ScHXTKACHEB im Rhein. Mus.X LI S. 233 ff.
•) Paus. I 1, 3.
*«) Pbelleb Gr. Myth.»I428, Hebmaun
G. A. § 67 A. 20.
>') Theokr. Id. VII 135 ff. Pbelleb Gr.
Myth.» I 633. Hebmann G. A. § 67 A. 21.
") Joum. of Hell. Stud. IX 328 ZI.
10 ff.
>») Pbelleb-Robebt Gr. M. 1 132 ff. Schob-
KAKN Gr. A. II 508 f. Hebmann G. A. § 67
A.24ff.
^^) Eallim. in Jov. 4. ApoUodor I 1, 6.
Diod. V 70 u. s. w.
'*) Straho X 472. Eur. Bacch. 120.
»«) Diod. V 72.
") Luk. De sacrif. 10.
»8) Eur. Frgm. 475. Schol. Plat. Leg.
446 Bekk.; Lobeck Agl. S. 1121 ff.
»») Vgl. Eur. Frgm. 904; Pbelleb-Robert
Gr. M. I 135.
") Pbelleb Gr. Myth.* I 564 u. s. w.
") Diod. V 77.
") Pbelleb Gr. Myth.» I 644. Hebmann
G. A. § 6^ A. 17 ff.
") Poll. I 37.
") Schol. Pind. Ol. VI 160.
") Athen. XIV 56 p. 647 A. Hebmann
G. A. § 68 A. 24.
««) Thuk. VII 73; Diod. IV 24.
'^) ^S^- Dabembebo et Saolio Dict. u.
Artemisia I 441.
««) Dion. Hai. IV 25; Xen. Ephes. I 2.
20) Dittenbeboeb Syll.347, 24; Hesych.
u. d. W. Hebmann G. A. § 02 A. 46.
»oj Dittenbeboeb a. a. 0. Vgl. S. 97.
B»ndbnch der Umm. Altertunwwineiiachftft. Y. 3. AbtIg.
12
178
A. Die griechischen Kaltasaltertttmer.
die Aigineten die Aiakeia,^) und die Einwohner von Oropos die
phiaraa.^) Namentlich ausgebildet war der Kult des Pelops und der
podameia in Elis,^) ausser denen auch noch Sosipolis besonderer ]
genoss.^)
Find. Ol. VII 156; Nem. V 78 mit
Schol.
*) DiTTEKBEBGEB 5. Syll. 398,
») Paus. V 22, 2; VI 20, 4; V
U. 8. W
*) Paus. VI 20, 2; 25, 4.
r
B.
Das Bohnenwesen
der Griechen und Romer
von
Dr. Gustav Oehmichen,
Privatdozent an der Uuivenität in München.
12
Inhalt.
1. EiDleituDg.
2. Die staatllch-geaellschattllchen Ortmdlagen der attischen Bühnensplele.
8. Desgleichen der römischen Bähuensplelc.
4. Die Äusseren Mittel der Darstellung.
5. Die Darstellung.
1. Einleitung.
1. Bühnenspiele. Bühnenspiele sind erdichtete oder wirkliche Er-
lebnisse, welche in ihrem Werden, in der Regel ohne jede Berücksichtigung
der Gegenwart, durch Handlung {igäfia) zur Anschauung gebracht werden.
Nach dem Ernsten oder dem Heiteren des Stoffes, den dargestellten Cha-
rakteren, der Ausstattung und der Art der Darstellung (Vortrag mit oder
ohne Musik und Tanz) zerfallen sie in eine Reihe von Arten. Als Kunst-
werke haben sie natürlich keinen Zweck ausser sich; dessenungeachtet
können sie wie die übrigen Kunstwerke einem Nebenzwecke dienen.
2. Alte Bühnenspiele. 1. Die Bühnenspiele der Griechen und Römer
waren nicht tägliche Schaustellungen, sondern Teile öffentlicher Feste, die
meist aus religiösem Grunde, gewöhnlich zu Ehren einer Gottheit, aber
auch aus Anlass von Leichenbegängnissen, Triumphen u. dgl. veranstaltet
wurden. Entwickelt haben sie sich in Attika, und zwar aus dem Dionysos-
kultus. Herkunft und Veranlassung haben im wesentlichen diejenigen Eigen-
tümlichkeiten hervorgerufen, durch welche sich die Bühnenspiele des Alter-
tums von denen der Neuzeit so sehr unterscheiden. Nebenbei waren frei-
lich auch Sitte und Gewohnheit massgebend.
2. Von der grössten Bedeutung war die Öffentlichkeit des Festes, die
Teilnahme der ganzen Festgemeinde. Die grosse Zuschauermenge hatte zur
natürlichen Folge das Spiel in ungedeckten, grossen Räumen und dieses
wieder das Spiel bei Tageslicht. Die Grösse und Unbedecktheit der Räume
bewirkte aber auch, dass die Handlung im Freien, auf der Strasse, auf
einem Platze, nicht im Innern der auf der Bühne angedeuteten Häuser spielte.
3. Die Grösse des Theatei*s und zugleich entweder das Religiöse der
Feier oder die Sitte waren für andere Eigentümlichkeiten bestimmend. Die
Darstellung der Frauenrollen durch Männer war nötig teils wegen der
unzureichenden physischen Kraft der Frauen, teils wegen ihres durch die
Sitte gebotenen Zurücktretens im öffentlichen Leben. Ihre Ersetzung durch
Männer war zudem durch den Gebrauch der Masken erleichtert. Die
Masken aber waren eine Weiterentwicklung der bei den dionysischen
Festen herkömmlichen Vermummung, die beibehalten wurde, weil bei der
Grösse des Theaters ein Mienenspiel nur für die wenigsten wahrnehmbar
war, besonders aber weil sie die Darstellung von Frauenrollen durch Männer
ermöglichte und weil sie die Stimme klangvoller und stärker machte. Die
132 'S. Das BtUmenweseii der Ghriechen' und Bdmer.
Vergrösserung der tragischen Darsteller durch Kothurn, Onkos u. dgl.
entsprach endlich einesteils dem Ernste der religiösen Feier, war aber auch
andrerseits bei der teilweise recht bedeutenden Entfernung der Zuschauer
von der Bühne etwas ganz Natürliches.
4. Nicht die Menge der Zuschauer, wohl aber Herkunft des Dramas
und Volkssitt« war ausschlaggebend für andere Eigentümlichkeiten. Der
Chor wurde lange Zeit in Griechenland und teilweise auch in Rom ver-
wendet, das Orchestisch-Musikale fehlte bei keinem Drama, und zwar
weil die Bühnenspiele sich aus den Tanzgesängen des Chors entwickelt,
Gesang und Tanz zur Gewohnheit gemacht hatten. Nur für die Einrichtung
der Wettkämpfe bei den dramatischen Aufführungen, besonders in Athen,
war die Neigung des Volkes allein entscheidend.
3. Perioden in Athen. Vier Hauptperioden werden wir annehmen
dürfen. Die Anfänge von 584 bis ungefähr 500 sind dunkel. Ein lang-
sames gleichmässiges Fortschreiten in Dichtung wie Darstellung ist vor-
auszusetzen. Die zweite Periode ist die Zeit des fünften Jahrhunderts,
die Blütezeit, die wir in drei Abschnitte zerlegen. Die äschyleische Zeit
nennen wir den Anfang bis zum ersten Auftreten des Sophokles (468).
Aeschylos ist der Schöpfer wie der tragischen Dichtung so der Darstellung.
Was er schuf; blieb im wesentlichen bestehen. Ihm wurde verdankt die
Einführung der dem grossen Theaterraume und den erhabenen Charakteren
der Tragödie angepassten Bühnentracht und die Erfindung wirkungsvoller
Maschinen. In seine Zeit fallen, von ihm angeregt oder doch sicher gefördert,
der Bau des Theaters und die Stiftung neuer Festspiele. Was Aeschylos
allein begonnen, wurde in dem zweiten Abschnitte dieses Jahrhunderts, in
der äschyleisch-sophokleischen Zeit, harmonisch ausgestaltet, in der
Dichtung wie in der Darstellung. Besonders die Einführung des dritten
Spielers und der gemalte Bühnenschmuck fallen in diese Zeit. Mit Aeschylos
Weggang aus Athen begann die sophokleisch-euripideische Zeit. Die
wichtigsten Änderungen, welche jetzt eintraten, betrafen die Festordnung
und waren vorgenommen zu Gunsten der Spieler. Auf Betreiben des
Sophokles wurde wohl jetzt erst die Thätigkeit der Schauspieler auf mehrere
Tage verteilt, womit der Wegfall der inhaltlichen Verknüpfung der Dramen
in Verbindung stand, und weiter wurde 457 oder 456, vielleicht gleichfalls
auf Veranlassung des Sophokles, für die tragischen Spieler Wettkämpfe ein-
gerichtet. Diese waren die natürliche Folge der Trennung der Schauspiel-
kunst von der Dichtkunst und beförderten die selbständige Entwicklung der
darstellenden Kunst. In die gleiche Zeit scheinen die wichtigsten Ände-
rungen in den Einrichtungen des komischen Spieles zu fallen. Nachlassen
der künstlerischen Schaffenskraft in Dichtung und Darstellung, aber Hebung
der schauspielerischen Technik waren die Haupteigentümlichkeiten des vierten
Jahrhunderts oder der dritten Periode. Sie schloss formell mit einer Neu-
regelung des Bühnenwesens unter Demetrios von Phaleron (CIA. II 1289 und
§ 21). Die letzte, weniger bekannte Periode bezeichnet den allmähligen
Untergang auch der dramatischen Kunst, das Aufhören der schöpferischen
Dichtung und das Überhandnehmen des Handwerksmässigen in der Dar-
stellung der dionysischen Künstler (§ 25).
t Binleitmig. (§3-6.) 183
4. Perioden in Born. Wir können in Rom drei Perioden der Bühnen-
geschicfate ansetzen. Die erste trifft ungefähr zusammen mit dem sechsten
Jahrhundert der Stadt, von Livius Andronicus erster AuflFührung (240) bis
zum Tode des Terenz (159). Sie zeichnete sich aus durch dichterische
Schaffenskraft und rege Teilnahme der Zuschauer; die Darstellungsmittel
dagegen waren äusserst einfach und das Spiel wahrscheinlich in mehr als
einer Beziehung mangelhaft. Die zweite fällt ziemlich zusammen mit dem
siebenten Jahrhundert der Stadt, denn sie reicht bis in die augusteische
Zeit. Sinken der Dichtkunst, Steigen der Schauspielkunst (Einführung der
Masken), überhandnehmender Luxus in der Ausstattung sind die Kennzeichen
dieser Periode. Die dritte ist die Verfallzeit. Ausserlich zwar wurde
vieles besser, geordneter (steinerne Theater, Theatergesetze des Augustus
u. a.), aber der Mimus, der schon in der zweiten Periode zu ungehörigem
Ansehen gelangt war, und der Pantomimus gewannen die unbeschränkte
Herrschaft. Die Tragödie und Komödie fanden nur kleine Zuschauerkreise,
und es war auch nur mehr das Mimische und Musikale der Darstellung,
was Bewunderung erregen sollte und erregte.
6. Alte Bühnenkunde. 1. Die Bühnenkunde ist die systematische
Darstellung des Bühnenwesens, neben welcher, wie bei allen historischen
Wissenszweigen, eine genetische möglich oder doch erstrebenswert ist. Jede
Bühnenkunde, also auch die alte zerfallt in vier Teile. Der erste umfasst
die Lehre von den staatlich-gesellschaftlichen Grundlagen des Bühnenwesens,
d. h. von seiner Einrichtung und Verwaltung und seiner Stellung im staat-
lichen und gesellschaftlichen Leben. Der zweite Teil handelt von den
äusseren Mitteln der Darstellung, von den Theatergebäuden und ihrer Aus-
stattung und von der Ausstattung des Darstellerpersonales. Die Aufgabe
des dritten und vierten Teiles endlich ist die Lehre von der Dichtung und
Darstellung der Bühnenspiele.
2. Eine alles Nötige umfassende, logisch gegliederte Bühnenkunde
besitzen wir noch für kein Volk. Der folgende Versuch strebt sie an, bleibt
aber unvollständig, denn er lässt die Lehre von der Bühnendichtung weg,
weil für sie die Zeit noch nicht gekommen ist, und gibt ausserdem aus
Mangel an Raum die Lehre von der Darstellung nur im Abriss. Er hat
natürlich diejenigen Eigenschaften, die ein erster Versuch zu haben pflegt,
dessen ist sich der Verfasser wohl bewusst.
6. Neuere Forschung. Sechs Männer sind es, durch deren Arbeiten
der Aufbau der alten Bühnenkunde ermöglicht worden ist: Gottfried Her-
mann, BoECKH, Welcker, Ottfried Müller, Ritschl und Wieseler. Die me-
trischen Studien von G. Hermann und die metrischen und musikgeschichtlichen
von Boeckh haben den Weg geebnet zur Erkenntnis des äusseren Baues und
des Vortrages der Dramen. Hermann hat ausserdem durch anregende Lehr-
thätigkeit, durch Einzeluntersuchungen, besonders aber durch einschneidende
Besprechungen von Werken anderer zur Aufhellung dunkler Punkte oder
doch zur Verbesserung der Forschungsweise wesentlich beigetragen. Auch
BoECKH hat anregend gewirkt, und durch seine Abhandlung über die dio-
nysischen Feste und seine Staatshaushaltung der Athener sind die äusseren
184 B. Das Btthnenweaen der Ghriedieii und Römer.
Bedingungen der attischen Bühnenspiele erst genau erkannt worden. Mit
WfiLCKEB aber begann die Erforschung des inneren Baues der griechiscben
Tragödie. Die Erkenntnis des inhaltlichen Zusammenhanges der äschyleischen
Dramen ist die Grundlage der Forschung geworden, und sie ist sein Werk.
An Welcker schloss sich Ottfried Müller an in seiner berühmten Aus-
gabe der Eumeniden. Sie war der erste von grossen Gesichtspunkten aus-
gehende Versuch einer zugleich Dichtung und Darstellung umfassenden
Erklärung. Das bis auf Ritschl nur kümmerlich angebaute Feld des
römischen Bühnenwesens fand durch diesen die grösste Förderung. Die
Einrichtung und Verwaltung der römischen Bühnenspiele in der Blütezeit
hat er in allen wesentlichen Teilen klar gelegt. Was die Vorgänger nur
gestreift, dilettantisch oder gar nicht behandelt hatten, die Frage nach den
baulichen und bildlichen Denkmälern, das setzte sich Wieseler als Lebens-
aufgabe; er ist der Begründer der scenischen Denkmälerkunde geworden.
— Durch Fleiss, Gewissenhaftigkeit und Scharfsinn haben sich femer A.
ScHOENBORN Und SoMMERBRODT auf uusorom Gebiet einen ehrenvollen Namen
erworben; und mit Dankbarkeit zu erwähnen sind die zusammenfassenden
Arbeiten von Ludw. Friedlaender, 0. Ribbeck und Albert Müller.
Zu Metrik, Musik vgl. Hdb. II 497. 500. 609. 6. Hkbmavn De choro Eumenidum,
Lpz. 1816 (Op. II 124); Rezension von E. 0. Müllbb's Eumeniden (Op. VI 2 und VII);
De re scaenica in Aeschyl. Orestea (Op. VIII 158 ff.); De choro Vesparum (Op. VIII 253 ff.);
Aeschylosausgabe u. a. — Auo. Boeckh Vom Unterschiede der attischen Lenäen, Anthe-
sterien und ländlichen Dionysien in Abh. der Berl. Akad. 1816/17 (Kleine Schriften V);
Staatshaushaltung der Athener. Berl. 1817. 3. A. 1886. — F. 6. Welckbb Die Aeschyl.
Trilogie Prometheus, Dannst^dt 1824; Nachtrag dazu, Frankf. 1826; Die griech. Tragödien,
3 Bde., Bonn 1839-41. — E. 0. Mülleb Aeschylos Eumeniden, Gott. 1833; Anhang dazu
1834; Geschichte der griech. Litteratur. — Fb. Ritsohl Parerga zu Plautus und Terenz,
Lpz. 1845; dazu Op. II. — Fr. Wiesblbb Das Satyrspiel, Gott. Studien 1847 II; Ober die
Thymele des griech. Theaters, Gott. 1847; Theatergebäude und Denkmäler des BQhnen-
Lesens (abgekürzt: Denkm.), Gott. 1851; Das griech. Theater in der Allgemeinen Ency-
klopädie von Ersch und Gruber, Sektion I Bd. 83 (abgekürzt: Enc.) und eine Reihe von
klemeren Schriften. — (Stellensammlung: L. G. Grysar De Doriensium eomoedia, Colon.
1828; de Graecorum tragoedia qualis fuerü circa Demosthenis tempora, Colon. 1830;
Über den Zustand der röm. Bühne zur Zeit Ciceros in Allg. Schulzeit 1832 S. 313 ff.
GoTTL. Carl Wilh. Schneider Das Attische Theaterwesen, Weimar 1835 (gut). Ernst
VON Letttsch Gnindriss zu Vorlesungen über die griechische Metrik, Gott. 1841. C. E.
Geppert Die altgriech. Bühne, Lpz. 1843.) — Auo. Schoenborn Die Skene der Hellenen,
Lpz. 1856. — Sommerbbodt Scctenica, Berl. 1876 (gesammelte Abhandlungen). — Lüdw.
Fbiedlaendeb bei Marquardt und Mommsen Röm. Altertümer VI* (= Mabqvabdt Röm.
Staatsverwaltung III'^; Rom. Sittengeschichte, besonders IP). — 0. Ribbbck Die rOmische
Tragödie, Lpz. 1875; Gesch. der röm. Dichtung, 2 Bde., 1887, 1889. — A. Müllbe Lehr-
buch der griech. Bühnenaltertümer, Freiburg i/B. 1886 (= E. F. Hbbkanm^s Lehrb. d. gr.
Ant. III 2); vorher Jahresberichte im Philologus, Bd. 23 und 35. Vgl. WscKLEni in Bubsian-
Mülleb's Jahresbericht für die klass. Altertumswissenschaft.
7. Quellen im allgemeinen. Die bühnenkundlichen Quellen sind sehr
verschiedener Art. Wir können sie einteilen in unmittelbare und mittel-
bare und beide wieder in schriftliche und nicht schriftliche. Zu den un-
mittelbaren schriftlichen Quellen gehören die Dramen und die auf das
Bühnenwesen bezüglichen Gesetze und Inschriften. Zu den unmittelbaren
nicht schriftlichen Quellen sind zu rechnen die Theaterüberreste und die
Eintrittsmarken. Mittelbare Quellen sind die Überreste alter Forschungen
nebst Einzelnotizen der Schriftsteller und die Bildwerke. Da das Quellen-
material nicht reichlich fliesst, müssen alle Quellen kombinatorisch benutzt
1. Emleitnng. (§ 7—8.) 1 85
werden, allerdings nach Massgabe ihres Wertes. Ausschlaggebend sind,
wenn sie fliessen, die unmittelbaren Quellen, denn in den mittelbaren ist
die Wahrheit unabsichtlich oder absichtlich getrübt. Die Nachrichten näm-
lich, welche von den Eompilatoren der späten Zeit überliefert werden, sind
oft von diesen selbst nicht mehr verstanden und infolge dessen verwirrt
wiedergegeben worden, die Bildwerke aber geben in der Regel keine Illu-
strationen in unserem Sinne, Abbilder des Geschehenen, sondern sind Nach-
ahmungen von mehr oder weniger freier Art. Beiderlei Quellen müssen
vor ihrer Benutzung erst präpariert werden, d. h. Zusätze müssen entfernt,
das umgestellte richtig gestellt werden u. dgl., was schwierig und oft nicht
möglich ist. In der folgenden Einzelbesprechung werden zunächst die schrift-
lichen, dann die nicht schriftlichen Quellen angeführt werden.
8. Dramen. 1. Die erhaltenen Dichtwerke sind gewiss gute Quellen,
aber da sie nicht nach scenischen Gesichtspunkten ausgewählt, iu dieser
Hinsicht vielmehr lückenhaft sind, haben wir kein Recht sonst gut beglau-
bigte Nachrichten unbedingt zu verwerfen. Vorsicht ist durchaus angezeigt.
Wir erfahren aus den Dramen öfter mit Sicherheit, dass etwas da war oder
geschah, aber nicht, wie es war oder geschah. Wenn z. B. Dareios aus
der Tiefe erscheint und dahin, wie ähnlich Prometheus, wieder verschwindet,
so muss eine Vorrichtung für Versenkungen vorhanden gewesen sein; über
ihre Beschaffenheit lässt sich aber nichts sagen, so wenig wie über die der
sonstigen Maschinen und des Schmuckes. Aus denselben Umständen er-
schliessen wir mit Gewissheit, dass die schauspielerische Thätigkeit auf der
Bühne stattfand, nicht in der Orchestra. Ebenso sicher schliessen wir auf
Gesmg bei melischen Partieen und auf Tanz, wenn die Worte darauf führen.
In manchen Fällen können wir umgekehrt sicher folgern, dass etwas über-
haupt nicht da war oder geschah. So konnte z. B. die Nachtzeit nicht
künstlich vor Augen geführt werden, ebensowenig Sturm, Staub u. dgl.,
obwohl davon gesprochen wird. In der Mitte liegen eine Reihe andrer
Fälle, in denen wir nicht bestimmt zu sagen wissen, ob etwas wahrzu-
nehmen war oder nicht. Wenn z. B. in den älteren Stücken des Aeschylos
der Bühnenschmuck gar nicht oder fast nicht erwähnt wird, so dürfen wir
zwar wohl mit einigem Recht auf das Fehlen eines gemalten Hintergrundes
schliessen, nicht aber auf das Fehlen jegliches Schmuckes. (Die Hinterwand gar
als fehlend anzunehmen verbieten ausser andern Umständen die Perser 230
und die Nachricht über die Phönissen des Phrynichos in der Hypothesis
desselben Stückes.) In ähnlicher Ungewissheit befinden wir uns in betreff
der Zeit des Auftretens liegender Personen im Anfang des Stückes, in
betreff der Zahl und Thätigkeit der stummen Personen u. s. w. Also aus
den Dramen ist mit Sicherheit nicht allzuviel zu entnehmen; sie geben
meist nur Andeutungen, und der nachforschende Verstand muss aus andern
Momenten sein Urteil bilden, das natürlich, je nachdem man die Gesamt-
kultur des fünften Jahrhunderts auffasst, verschieden ausfallen wird. Im
allgemeinen aber hat ohne Zweifel G. Hermann das Richtige getroffen, wenn
er für das fünfte Jahrhundert in Bezug auf die scenische Ausstattung an-
nimmt, nur das Notwendige sei angegeben worden, vieles der Phantasie
überlassen geblieben (ed. Aesch. II 649 ^ Op. VIU 158 u. sonst).
186 B. Das Bühnenwesen der Oriechen und Römer.
2. Ähnliche Schwierigkeiten wie die bisher allein beachteten griechi-
schen bieten die römischen Dramen. Es kommt aber noch eine hinzu da-
durch, dass diese nichts weiter sind als mehr oder minder freie Bearbeitungen
griechischer Stücke. Die römischen Dichter haben sicherlich mancherlei
her übergenommen, das im Anfang der römischen Bühnentechnik entweder
gar nicht zur Darstellung gelangte oder doch in anderer Weise, als die
Worte andeuten.
M. Haupt De scaena Ächamensium Arist, etc., Ind. schol. hib. Berl. 1872. J. Nik-
JAHB Quaest. Ärist. scaen., Dias. Greifsw. 1877; Com, scaen,, Prog. Halle 1888. U. von
WiLAMOwiTz-MoELLENDORF Henues 21*^« 597 ff. (Die Reaktion gegen die frflhere Willkür
ist gewiss angebracht, aber man darf auch nicht zu weit gehen, wie die eben genannten.)
Über Bühnenausstattung. Auftreten und Abtreten: A. Schoenbobn Skene 111 ff. (jetzt meist
veraltet). A. Müller Bühn. 108 ff. Die Ausgaben von Wbcklbik, Kook, Dziatzko u. a.
Über Vortrag s. Abschnitt V.
9. Urkunden. Über die Wettkämpfe in Athen wurden Protokolle
aufgenommen und wahrscheinlich im Archiv aufbewahrt. Wie die Auf-
führungen hiessen auch die Protokolle Didaskalieen. Ebenso hiess das Werk,
das Aristoteles auf Grund der Protokolle oder der didaskalischen Inschriften
(s. u.) verfasste. Aus diesem Werk des Aristoteles haben wir Reste bei
verschiedenen Schriftstellern, die man gleichfalls Didaskalieen (1) nennt.
In späterer Zeit wurden die Protokolle verkürzt auf Marmorplatten gegraben,
von denen Reste gefunden worden sind. Zunächst die didaskalischen
Inschriften (2) für komische Spiele im Jahre 354 f., für tragische 420 flf.,
für komische 341 flf. u. s. w. In ihnen sind in der Folge, wie der Richter-
spruch lautete, die dramatischen Dichter mit ihren Stücken und den diese
spielenden Protagonisten genannt; am Schluss der siegende Protagonist.
Ferner die grosse dionysische Siegerliste (3), in der die Choregei* und
Sieger in den lyrischen Agonen der Knaben und Männer und in dem
komischen und tragischen Agon verzeichnet waren. Die ältesten Reste
sind nicht vor der Mitte des vierten Jahrhunderts abgefasst. Nach diesen
oder den Protokollen selbst sind die „Siege* {NTxai) des Aristoteles aus-
gearbeitet. Kleinere Siegerlisten (4) mit Angabe der siegenden Tra-
gödiendichter, Komödiendichter und Protagonisten, welche an den dionysi-
schen oder lenäischen Wettkämpfen gesiegt hatten. Die Zahl hinter ihnen
bedeutet die Anzahl ihrer Siege. Andrer Art sind die choregischen In-
schriften (5) oder die Tafeln, welche von den siegenden dramatischen
Choregen zum Andenken an den Sieg aufgestellt wurden. Von diesen sind
uns nur wenige bekannt, während die Inschriften, welche lyrische Ghoregen
betreifen, zahlreich sind. Ausserdem kommen in Betracht Ehrenbeschlüsse,
Verträge, Gesetze (6), die auf das Bühnenwesen Bezug haben. Besonders
wichtig ist das Gesetz des Euegoros. Von den Inschriften der übrigen grie-
chischen Städte (7) sind die wichtigsten die von Delphi, Orchomenos, Oropos,
Delos, Samos, Jasos, Rhodos. Auch in Rom gab es Aufzeichnungen der
Spiele, die aber bald litterarisch verwertet wurden (§ 10).
ü. KoEHLEB Mitteilungen d. kais. deut. arch. Instituts zu Athen 3'* 104 ff. Th.
Berok Rhein Mus. 34'» 300 ff. Lipsiüs Berichte üb. d. Verh. d. k. sächs. Ges. d. Wiss.
ph.--h. K. 1885 S. 411 ff., 1887 S. 278 ff. G. Oehmichen Sitzber. der Münch. Akad. 1889
Bd. II 140 ff. - Zu 1: Gesammelt CIG. p. 350. V. Kose Aristot. pseudepigr. 559 ff. A.
MüLLEB Bühn. 311 ff. — Zu 2: CIA. II 972. 973. 974. 975. 976. (972 bleibt es zweifelhaft,
ob die Agone von 420 ff. auf Lenäen oder Dionysien zu beziehen sind, deshalb werden sie
1. Einleitung. (§ 9-10.) 187
im folgenden nicht berficksichtigt). — Zu 8: CIA. II 971 a— e; dazu lEfftj/aeQig agx- 1886
S. 268 und 1887 8. 23. — Zu 4: CIA. II 977 (die letzten sind bis jetzt nicht geschieden
und werden deshalb im folgenden auch nicht berücksichtigt). CIG. 229. 230 (zu sehr ver-
stOmmelt). - Zu 5: Gesammelt bei Bbinck Diss. Hai. VII 100 ff. (CIA. II 1280 ff.) Plut.
Them. 5 (öffi.) nlrcata tijg vlxrjg aye&tjxe routvrrjv dfftyoagnjp l^ovra' Sefi. ^geaggiog
iz^^y^h ♦^>'*/of idida<rx€y, 'Jdeifiayrog fjQX^*'' Koehlbb Hermes II 23: a) MytjaiatQatog
Miaywyog, JioneiSijg JioSiaqo iyogijyoyj [Ji\xtttoy€'yr]g idldaaxey, b) Äfyrjaiuaxog Myrj<rt~
argaro, y. Ssoiiuo ix^^y^^* '^QitfQtoy ididaffxay, [noXvx]äQTjg K[ta}]fÄ(oyog i[di\da(ix€y, (In a
sind zwei yerscniedene Siege verwandter Ghoregen, die demselben Dichter dienten. Das
gleiche ist in b der Fall; nur sind da auch zwei verschiedene Dichter. An Synchoregie
ist nicht notwendig zu denken.) Arist. Polit. 1341 A ^fetd ta Mrjdixd . . . xm ydq iy Aaxe-
dttlfioyi Tiff /o^Jyyof ttvrog tjvXtjffe r^ X^Q^y f"^' negl 'J&ijyag ovrto inexioQlttiSByy toaxB axeddy
ol TtoXXol nay iXev&£Qtoy uereixoy avtijg' d^Xoy dd ix tov niyaxog, oy dyi&rixE Sgaamnog
'Exq^ayridp /o^i^yiyVaf. Vgl. Kaibel Epigr. 925. EoifiHLEB Mitt. Athen 7®* 348. Bbinck
Diss. Hai. VII 139. (Kaibel erklärt allein richtig: xKTaotfOQovyrt bezieht sich auf die Be-
krSnznng während der Aufführung. Da an ländliche Dionysien schwerlich zu denken ist,
so gab es damals komische Choregen in Athen.) Eobhlbb Mitt 3^^ 237. Dittenbebobb
Syll. 417. Bbikok 145. — Zu 6: z. B das Gesetz des Euegoros Dem. Mid. 10. — Zu 7:
Vgl. MüLLEB Bühn. 378». 384 ff. Bbinck 183 ff. Kaibel Hermes 23«» 268 ff. — Sitz-
inschriften: HObneb lacrissioni esiatenti sui aedili di teatri ed anfiteatri antichi, Annali d. J.
28" 52 ff. Vgl. R. Lancuhi Buü, d. com, arch, communale di Roma 8«* 236 ff.
10. Alte Forschung. 1. Der erste, welcher die Bühnenkunde wissen-
schaftlich in Angriff nahm, war Aristoteles. Seine Schriften über die Didas-
kalieen und die dionysischen Siege sind oben (§ 9) erwähnt worden, und
seine Poetik ist bekannt. Fortgesetzt wurden diese Untersuchungen von
den Schülern des Aristoteles, ferner von den Gelehrten in Alexandreia und
auch in Pergamon. Aber ausser der Poetik sind alle Schriften verloren;
wir haben nur kümmerliche Reste. Auf die alexandrinischen Gelehrten
geht wahrscheinlich das zurück, was Pollux aus der Theatergeschichte
König Jubas II. von Mauretanien geschöpft hat (Rohde). Oemeiniglich
weroien seine Angaben zu gering geachtet. Er gibt freilich manches ver-
wirrt wieder; aber das spricht nicht gegen die Güte seiner Quelle. Auch
die Annahme ist nicht gerechtfertigt, dass seine Quelle nur die spätere
Zeit in Betracht gezogen habe, denn es lässt sich zeigen, dass die ursprüng-
liche Quelle eine wirklich historische war und nicht bloss die spätere Bühne
im Auge hatte. Das für uns wichtigste Buch ist das vierte, denn es bringt
zum Teil unschätzbare Nachrichten über die Arten des Tanzes (99 — 105),
über Chor, Choreuten u. dgl. (106 — 110), über chorische Gesänge (111 f.),
über Schauspieler und Darstellung (113 f.), über die Bühnentracht (115 — 120),
über das Theater im allgemeinen (121 f.), die Teile des Theaters (123—132),
über tragische (133 — 142), satyrische (142) und komische Masken (143 — 154).
Neben Pollux kommt besonders Lukian in Betracht. *
2. Bei den Römern war der eifrigste und gewissenhafteste Forscher
M. Terentius Varro von Reate. Leider sind seine Schriften zur Bühnen-
kunde alle verdrängt worden durch die Auszüge, die seine Nachfolger
(Sueton) gemacht. Besonders zahlreich sind die Bruchstücke seiner drei
Bücher de scaenids originibus (Cichorius). Aus seiner Schrift de scaenicis
actionibus stammen wahrscheinlich die erhaltenen Didaskalieen zu Terenz
(Dziatzko, Leo). Wichtig sind ferner neben Vitruvs Lehre das elfte Buch
Quintilians und was unter Donats Namen läuft.
3. Ausser Vitruvs Schrift ist keine Lehre über die Baukunst aus
dem Altertum erhalten, und deshalb ist sie so ausserordentlich wertvoll.
138 B. Das Bühnenwesen der Griechen nnd Römer
Für uns in Betracht kommt besonders das fünfte Buch. Es finden sich
dort eine Grundrissbeschreibung des römischen (V 6 f.) und eine des grie-
chischen Theaters (V 8), dazwischen Bemerkungen über die sonstige Anlage
und über die Ausstattung des römischen Theaters. Seine bis jetzt freilich
noch unbekannten Quellen waren trefflich, das zeigt sich immer mehr.
Bedauerlich ist einzig, dass Vitruv für römische Praktiker schrieb und
deshalb nur diejenigen Partieen seiner Vorlage auszog, welche ihm besonders
empfehlenswert schienen.
Zu 1 : E. RoHDE De J, Pollucis in apparatu scaenico enarrando fontibus, Lpz. 1869.
Die Maskenbeschreibungen sind übersetzt von Witzschel in Paültb Realenc. V 1376 ff.
unter Persona. Lukian: P. Schulze Jahrb. für kl. Phil. 1S5, 117 ff. Tzetzes: Max Cons-
BBUCH Comment. in hon. Studemundi, Stra£sb. 1889. — Zu 2: Cichoeius Com. Ribbeck.,
Lpz. 1888 S. 417. Dziatzko Rhein. Mus. 20" 570 ff., 21«« 64 ff. Leo ib. 38" 218 ff.
Hermes 24^^ 67 ff. Vgl. H. Gebstenbbbg De Eugraphio Terentü interprete, Dias. Jena
1886. — Zu 3: A. Müller Philol. 23«« 284; 45" 239; Bühn. 16 ff. A. Tbb<jübm La science
romaine ä Vepoque d' Auguste, Paris 1885. G. Oehmichen Griech. Theaterbau, Berl. 1886
S. 1 ff., 165 ff. (Die von jeher anstössigen Worte tribua centris sind zu tilgen, wie ein
von mir dem Rhein. Mus. überreichter Aufeatz nachweist.)
11. Theatergebäude. 1. Ohne die schriftlichen Nachrichten würden
uns die erhaltenen Theatergebäude in der Hauptsache unverständlich sein.
Die Bedeutung des Zuschauerraumes zwar würden wir wohl richtig erraten,
nicht aber die der Bühnenanlage. Deshalb ist es verfehlt allein von der
baulichen Anlage aus zu urteilen. Solange die monumentale Forschung
noch in den Anfängen steht, müssen wir äusserst behutsam vorgehen. Es
ist unbedingt notwendig, dass wir von den zahlreichen Überresten zunächst
diejenigen ganz beiseite lassen, welche eine genügende bautechnische Prü-
fung noch nicht gefunden haben, und das sind freilich die meisten. Auch
die müssen ausser Betracht bleiben, deren Bühne umgebaut worden ist.
Zu ihnen gehören gleichfalls sehr viele. Es bleiben dann allerdings nur
wenige Gebäude übrig, aber sie genügen trotzdem vorläufig.
2. Zu den wichtigsten gehören zwei römische Theater, das zu Aspendos
in Pamphilien und das zu Orange (Arausio) in Frankreich, und zwar wegen
der zum grossen Teil erhaltenen Bühnenhinterwand, die sonst nirgends zu
finden ist. Von griechischen Theatern kommt das unlängst ausgegrabene
epidaurische vorzugsweise in Betracht, wegen seines Alters und wegen
seiner zum Teil erhaltenen altgriechischen Bühne. Es war von Polyklet
erbaut worden und galt als das schönste der Welt. Pausanias, der dies
berichtet, meint offenbar den älteren Polyklet, und neuere Prüfungen be-
stätigen die Richtigkeit seiner Meldung (Fürtwängler).
3. Die übrigen in der Neuzeit ausgegrabenen und untersuchten Theater
haben die Wichtigkeit nicht, welche man ihnen zum Teil beilegt, denn sie
sind entweder ganz abnorm (Thorikos) oder haben umgebaute Bühnen
(Assos, Sikyon u. a.). Auch die neugefundenen römischen haben keinen
grossen Wert, weil wir die römische Bühne durch sie nicht besser kennen
lernen. Nur das von Oropos verdient besondere Aufmerksamkeit wegen
der Bühne, nicht etwa wegen der auf der Bühnenvorderwand gefundenen
Inschrift; gegenüber dem datierbaren Theater zu Epidauros steht es aber
an Bedeutung zurück.
Wieseleb Denkm. T. I. II. III. A. (noch unentbehrlich). Stback Theatergebände,
Potfidam 1849 (mit gleichem Massstab für alle). IjOBde Skene, Berl. 1860. Baümsistbr
1. Eixdeitnng. (§ 11-13.) 189
Denkro. unter Theater. — Wissbleb Enc, Bd. 83, 164 ff. A. Müller Gr. Bahn. § 2.
Fbibdlakdbb-Mabq. IIP. — Zu 1: Obhmichen Griech. Theaterbau, Berl. 188G (hier ist keine
ZnsammenfasRung gewöhnlicher Art beabsichtigt, sondern eine neue Methode der Forschung
aufgestellt und begründet). — Zu 2: Aspendos: Texier Description de VAsie mineure III
pl. 232-241 (S. 218 f., 241); beschrieben von Schoenborn Skene 26. 83 ff. (Die Ver-
öffentlichung einer neuen Aufnahme ist angekündigt.) Orange: A. Cabistie Les monuments
cmtiques ä Orange, Are de triamphe et Tlieätrcy Paris 1856. (Die Ergänzung der Bühnen-
hinterwand ist Yom bühnenkund liehen Standpunkt aus verfehlt; trotzdem wird die Innen-
ansicht bei Bauxeisteb Denkm. 1821 wiederholt). Epidauros: ngaxuxu x^g iy U^yaig (tQX'
irai^iag, 1881 und 1883. Vgl. A. Mülleb Bühn. S. 5 f., § 4 und 5 in den Anm. Oeh-
ncHEH Theaterbau 51 ff. Fübtwanolbb Berl. Phil. Woch. 1888 S. 1486. K. Ddmon Le
thedtre de Polydete, Paris 1889. ~ Zu 3: Oropos: ÜQaxnxei u. s. w. 1886.
12. Marken. 1. Es gibt eine nicht allzugrosse Reihe kleiner Scheiben
oder Marken (tesserae) aus Elfenbein oder Knochen, die man mit Recht
als Theatermarken bezeichnet hat. Auf der einen Seite derselben ist das
Bild einer mythischen oder historischen Person oder ein Emblem dargestellt,
auf der andern eine Zahl und gewöhnlich auch ein Name in griechischer
Sprache zu lesen, der Bezug hat auf die Vorderseite. Die Zahl ist fast
immer sowohl römisch (oben) als griechisch (unten) angegeben. Ohne Zweifel
stammen diese Marken aus der Kaiserzeit, wo für Griechen und Römer
gemeinsam gespielt wurde (Friedl. 537). Das Bild bedeutet wahrschein-
lich den Keil, die Zahl die Sitzreihe. Da keine höhere Zahl als fünfzehn
vorkommt, so dürfen wir annehmen, was auch das kostbare Material an-
zudeuten scheint, dass sie für vornehme Theaterbesucher bestimmt waren,
welche nach römischer Art (§ 39) die unteren Sitzreihen einzunehmen pflegten
(anders Benndorf 38).
2. Ausserdem haben sich andere Marken, insbesondere unzählbare
Bleimarken {piombi) gefunden; letztere in Gestalt von kleinen Münzen, mit
den verschiedensten Bildern und Aufschriften versehen. Dass unter ihnen
auch Theatermarken sind, kann nicht wohl bestritten werden (nicht scenisch
ist die Marke mit Dionysos, dem Dreifuss und dem Namen Erechtheis Nr. 42).
Ob diese aber aus frühen Zeiten stammen, d^rf man billig bezweifeln.
Zu 1. AJs Theatermarken gleichzeitig erkannt von Wibseler und Hekzen. Abb.
Monum. d. Inst, IV t. 52 f. Wibseler Denkm. III ycf. IV 13-21. CIG. 8579 ff. Wie-
8KLBB com. de tess. etc., Ind. Gott. 186G und 1866/67; dazu Hübneb Monatsber. Berl. Ak.
1867 S. 769 f. Behndobf Beiträge zur Kenntnis des attischen Theaters (S.A. aus Zeitschr.
f. iSetr. Gymn. 26") S. 36 ff. — Zu 2: Bbnndobf a. 0. 41 ff. A. Dümoht De plumheis
apud Graecos tesserü, com. I., Paris 1870. Engel Bull, de corr. hell. 8** 1 ff. — Vgl. Ch.
RoBEBT Melanges d'arcMologie 7" 39 ff. Blanchet Revue archeol 1889 März ff.
13. Bildwerke. 1. Zu den scenischen Bildwerken im weiteren Sinne
rechnen wir auch die bühnenmythologischen, d. h. solche, welche sich vor-
zugsweise in der Behandlung des Mythos an die Bühnenaufführungen an-
schlössen. Einzelne stammten wohl schon aus dem fünften Jahrhundert
(Arndt 68 ff.), im ganzen aber waren sie Erzeugnisse der späteren Zeit,
in der durch die Wiederaufführungen der Tragödien der grossen Meister
die Bühne einen massgebenden Einfluss auf die Kunst gewann (Robert IV).
Die alte Komödie hat, wie es scheint, gar keinen Einfluss ausgeübt, doch
wohl nicht bloss des für die damalige Kunst unbrauchbaren Stoffes wegen,
sondern auch weil Wiederaufführungen nicht stattfanden. Unteritalische
Vasen, etruskische Aschenkisten und römische Sarkophage bieten uns Reste
dieser Kunstübung. Benutzt sind sie bis jetzt bloss für die Rekonstruktion
190 ^« ^^^ Bühnenwesen der kriechen und ftömeif.
verlorener Tragödien; allein trotz der Freiheit, mit der die Nachbildner
verfuhren, trotz der Zufügung und Weglassung von Figuren, trotz der
Änderungen in Stellung und Geberden werden sie auch für die Erkenntnis
der scenischen Aktion Ausbeute gewähren, allerdings erst dann, wenn die
übrigen Quellen nach dieser Richtung die gebührende Beachtung gefunden
haben werden. Denn dass die Originale wie im Stoff so auch in der Aktion
der Bühne mehr oder weniger gefolgt sein werden, ist wohl nicht zu be-
zweifeln.
2. Der rein scenischen Bildwerke gibt es nach ihrem Inhalt drei
Arten: Charakter- und Sittenbilder aus dem Theaterleben (Genre), blosse
Sinnbilder, besonders Masken, und Bühnenaktbilder oder Maskenbilder. Die
letzteren unterscheiden sich von den bühnenmythologischen Bildwerken wie
von den Lebensbildern dadurch, dass die dargestellten Figuren in bühnen-
mässiger Aktion und in voller Bühnentracht, d. h. mit aufgesetzten Masken
erscheinen. Nach der Kunstart sind die scenischen Bildwerke Gemälde
auf Wänden und Vasen, Miniaturen, Mosaiken, Bilder auf Münzen, ge-
schnittenen Steinen u. dgl., Relief- und Rundbilder aus Thon, Marmor,
Bronze. Die Wandgemälde der vom Vesuv verschütteten Städte Kampa-
niens bieten uns eine Fülle von scenischen Bildern jegliches Inhalts (Helbig,
Maass). Weniger zahlreich sind naturgemäss die Reliefbilder (Schbeibeb).
Aktbilder der attisch-römischen Komödie nebst Masken finden sich als
Miniaturbilder in den Handschriften des Terenz zu Rom, Mailand, Paris
(Leo), Masken und Aktbilder in einer vatikanischen Mosaik aus Etrurien
(Millin). Satyrspieler lernen wir besonders aus einer Vase von Ruvo kennen
(Wieseleb VI 2) und einer Mosaik aus Pompeji (Wies. VI 1). Vasenbilder
sind die einzigen Bildquellen für die Phlyakographie (Heydehann); für die
Aktion der Tragödie und Komödie lehren diese nichts.
3. Für die Beurteilung des Wertes der scenischen Bildwerke ist
wichtig die Zeit ihrer Entstehung und das Kunstvermögen ihrer Schöpfer
oder Nachbildner. Es wäre Völlig verfehlt anzunehmen, dass die ältesten
Bildwerke am meisten der Wirklichkeit entsprechen, denn die Wahrheit
ist im Gegenteil um so grösser, je geringer die schöpferische Kraft ist.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist der Umstand, dass wir scenische
Aktbilder attischer Herkunft nicht besitzen. Wahrscheinlich hat es auch
niemals welche gegeben, und das ist auch ganz natürlich, denn die attische
Kunst schreckte vor dieser Nachbildung der Wirklichkeit zurück. Zwar
kamen zur Zeit Alexanders scenische Bildwerke auf, aber sie waren nicht
Maskenbilder. Ebenbilder sind wahrscheinlich der Gorgosthenes des Apelles
und der Tragöde mit dem Knaben des Aristeides (Plin. 35, 93. 100; cf. 140),
Personifikationen sind die Tragödie und Komödie des Aetion (Plin. 35, 78).
Dass die von Plinius (35, 141. 113) erwähnten scaenae des Piraeicus keine
Aktbilder waren, geht deutlich aus den Worten des Schriftstellers hervor
(tonstrinas sutrinasque pinxit . . . [e diverso bis Veteribus Zusatz], hie scaeniis
optime pinxii, sed hominem pingere non potuit). An Maskenbilder könnte
man höchstens denken (Maass 155), wenn Plinius (35, 114) von Calaies
comicae tahellae anführt; doch notwendig ist auch dies nicht, denn es hindert
uns nichts Lebensbilder anzunehmen, die ähnlich den Buveser Satyrspielern
2. Die ■taatl.-geseÜBchaftl. Grundlagen der attischen Bühnenspiele. (§ 14.) 101
mit der Maske in der Hand dargestellt waren. Die Erfindung der Masken-
bilder ist der zweifelhafte Ruhm Alexandreias, dies ist die notwendige
Folgerung aus den Ergebnissen der Untersuchungen über die Relief bilder
(ScHBEiBEB 50. 8. 25) und die kampanischen Wandgemälde (Helbig K. 18).
Die phlyakographischen Aktbilder sind vermutlich durch jene angeregt,
jedenfalls haben sie nicht Einfluss auf Ägypten geübt. Hiernach ist der
Wert dieser Bildwerke leicht zu ermessen. Wir haben nicht Scenen der
attischen, sondern der alexandrinischen Bühne vor uns und nicht blosse
Illustrationen, sondern mit gewisser Freiheit nachgebildete Darstellungen
dramatischer Scenen. Abweichungen anderer Art kommen auf Rechnung
der zum Teil aus dem Gedächtnis kopierenden Wandmaler. Engeren An-
schluss an die Bühne haben die Miniaturen und deshalb stehen sie trotz
ihrer Roheit an Bedeutung nicht hinter jenen zurück. Die Originale der
aus dem neunten Jahrhundert stammenden Bilderhandschriften gehören
vermutlich in eine frühe Zeit. Diese Zeit genauer zu bestimmen (Leo)
ist misslich. Die Mosaiken und die andern Bildwerke lassen sich zeitlich
noch nicht näher ansetzen.
Zu 1: C. RoBEBT Bild und Lied (= Philol. Untersuchungen, Heft V). J. Vogel
Scenen Euripid Tragödien in Vasengemälden, Lpz. 188Ö. Paul Arndt Studien zur Vasen-
kunde, Lpz. 1887. Vgl. 'Eq>rifÄBQig «>/. 1887 my. 5, dazu Robert Berl. Phil. Woch. 8»«
1582. — Zu 2: Wibseler Denkm ; Satyrspiel; Monumenti scenici m Annali delV Instituto
arch. 25" 29 ff., Taf. AB. CD. E; Ann. 31*» 368 ff, Taf. N. 0. P.,.dazu Monum. d. I. VI
35; Ann. 43" 97 ff., Taf. G. H. I. Müller Bühn. 226 ^ 241'. 245*. 258». 274 ff. (Lit-
teratur). Vgl. B. Arnold bei Baumeister Denkm. u. Chor, Lustspiel etc. F. Dümmler Rhein.
Mus. 43'^ 355 ff. - - Wandgemälde: Wolfg. Helbig Untersuchungen über die kampan.
Wandmalerei, Lpz. 1873; Wandgemälde der vom Vesuv verschütteten Städte Campaniens,
Lpz. 1869. £. Maass Afpreschi scenici di Potnpei in Annali d. L 53**' 109 ff., dazu Mon.
d. I. XI 30. 31. 32. SoGLiANo Le pitture murali campane scoverte 1867—1879, Napoli
1881. Fbesuhk Pompeji, die neuesten Ausgrabungen etc. 1878—81, Lpz. 1882. - Relief-
bUder: Th. Schreiber Die Brunnenreliefs aus Palazzo Grimani, Lpz 1888. (Neue Abb. zu
erwarten von dems. Die hellenist. Relief bilder, Lpz. 1889 ff., T. 89—92.) — Phlyakographie :
Hbtdemaiin Neuntes Hallesches Winckelmannsprogr. 1884; Jahrb. des kais. deut arch Inst.
1 " 260 ff. (mit Lit.). A. S. Murray Journal of Hell Studies, 1887 S. 51 ff. Taf. 62. —
Mosaik: Millin Descripiion d'une mosaique ant, du Mus. Pio.-Clem, ä Borne, 1819 (=
Wiesel. Denk. VII f.). — Miniaturen desTerenz: Leo Rhein. Mus. 38*^ 335 ff. A. Möller
Bahn. 199 '. — Terrakotten zahlreich : Die antiken T., Bd. 1. (Pompeji) ed. von Rouden Stuttg.
1880. Bd. IT Kekul^ Berl. u. Stuttg. 1884. Vgl. M. Hertz Arch. Zeit 31 '^ ngff. T. 12.
— Elfenbeinstatuette: Robert Annali 1880 S. 206 ff. = Mon. XI 13. — Ober Masken vgl.
Robert Arch. Zeit. 36^« 13 ff. T. 3. 4. 5; Athen. Mitt. 3'» 83 ff. T. 2.
2. Die staatlich-gesellschaftlichen Grundlagen der
attischen Bühnenspiele.
A. Einrichtung: im allgremeinen.
14. Veranlassung, Arten. Die attischeu Bühnenspiele waren staat-
lich eingerichtete, im unbedeckten Theater stattfindende Aufführungen dra-
matischer Dichtungen zum Zweck der Verherrlichung der Dionysosfeste.
Die Dichtungen waren Tragödien, oft verbunden mit einem Satyrspiel, und
Komödien, deren Begriffe als bekannt vorausgesetzt werden.
15. Festzeit. 1. Ausgestattet mit Bühnenspielen waren nur drei
von den vier dionysischen Festen: die Lenäen im Monat Oamelion (Januar
bis Februar), die grossen oder städtischen Dionysien im Elaphebolion (März
192 B. Das BühnenweBen der Chrieohen und ftömer.
bis April) und die kleinen oder ländlichen Dionysien im Poseideon (Dezemb 3r
bis Januar). Von diesen waren aber nur die beiden ersten Landesfeste,
d. h. vom Staat gefeiert: die kleinen Dionysien waren Feste der Demen
oder Bezirke, nur dass an den Dionysien im Piräus der Staat Anteil nahm,
insofern als er einen Zuschuss leistete (CIA II 741*).
2. Das Fest, welches zuerst von Staats wegen mit Bühnenspielen
gefeiert wurde, waren die Lenäen. Im Jahre 534 nämlich wurde die erste
Tragödie in der Stadt durch Thespis aufgeführt. Das Fest wird nicht
genannt, kann aber kein anderes gewesen sein als die Lenäen, weil die
grossen Dionysien damals entweder noch nicht gestiftet oder noch nicht
scenisch waren. Ob seit dieser Zeit jährlich tragische Aufführungen statt-
fanden, ist fraglich; wir dürfen es aber nach Analogie der römischen Spiele
(§ 32) vermuten. Jedenfalls ist die Annahme, dass nur in einzelnen Jahren
tragische Aufführungen veranstaltet wurden, nicht beifallswürdig, denn wohl
im Verfall, nicht aber im Beginn der Blüte lässt ein Volk nach in der
Verherrlichung der religiösen Feste. Sicher haben aber seit ungefähr 500
jährlich an den Lenäen Aufführungen von Tragödien stattgefunden und
spätestens seit 472 auch von Komödien. Beides lehren die Inschriften.
3. Aus ihnen erfahren wir weiter, dass seit 472 das grosse dionysische
Stadtfest, mag es in diesem Jahre gestiftet oder umgestaltet worden sein,
durch komische und tragische Spiele gefeiert wurde. Bis in die letzte Zeit
der neuen Komödie haben Aufführungen an beiden Festen stattgefunden,
für die grossen Dionysien sind sie noch aus der Kaiserzeit bezeugt (CIA m
78 ff.), doch fielen sie seit dem dritten Jahrhundert zuweilen aus (CIA II 975).
4. Von den kleinen Dionysien wissen wir sehr wenig. Es ist nicht
unglaublich, was vermutet wird, dass an ihnen zuerst Bühnenspiele gegeben
wurden; doch waren diese dann wohl private Unternehmungen. Im übrigen
dürfen wir vermuten, dass sie erst, nachdem die grossen zur vollen Ent-
wicklung gelangt waren, die erforderliche Fürsorge von Seiten der Demen
gefunden haben.
ßoBCKU Kleine Schriften V 65 ff. (= Berl. Akad. 1816/17). A. Mommsbn Heortologie,
Berl. 1864. 0. Ribbeck Anfänge und Entwicklung des Dionyskultus in Attika, Kiel 1869.
KoEBLEB Athen. Mitt. 3^» 241 ff Bbbok Rhein. Mus. 34'» 292 ff. A. Müllbb Bflbn. 308 ff.
V. WiLAMOwiTZ-MoBLLENDOBF Heruies 21^^ 597 ff. Obhkiühbm Sitzber. Mttneh. Ak. 1889
II 140 ff.
16. Festort. Von den kleinen Dionysien abgesehen, haben nach
Herstellung des Theaters (§ 28) die Aufführungen, soviel wir wissen, nur
in diesem stattgefunden. Für die vorausliegende Zeit gehen die Zeugnisse
auseinander: nach den einen sind Holzgerüste auf der Marktorchestra auf-
geschlagen worden, nach den andern, wohl richtigen, im heiligen Bezirk
des Dionysos im Lenäon. in der Nähe des späteren Theaters.
Wieseleb disput. de loco etc. Gott. 1860. Allg. Enc. I 83, 174 ff. Wachsmutr
Stadt Athen 51 0^ A. Mülleb Philol. 35'« 292 ff. Bahn. § 10. v. Wilamowitz Hermes
218« 597 ff, Oehmichen Sitzber. Münch. Ak. 1889 II 122 ff.
17. Festordnung. 1. Über die Festordnung der grossen Diony-
sien lässt sich nach den neuesten Untersuchungen ungefähr Folgendes fest-
stellen. Das Fest wurde seit 472 vom 5. bis 14. Elaphebolion gefeiert
und bestand aus zwei Hauptteilen, einem lyrischen und einem dramatischen.
2. Die 8taatl.-geaellBohafU. Onindlagen der attischen BühnenBpiele. (§ 16—17.) 193
Der lyrische Teil dauerte drei Tage: am ersten fand eine Pompe oder ein
Festzug statt, an dem die lyrischen Chöre beteiligt waren, und an den
beiden folgenden Tagen je ein Wettkampf der Knabenchöre und der Männer-
chöre. Zwischen die beiden Hauptteile fiel auf den 8. Elaphebolion das
wohl aus früherer Zeit stammende Opfer für Asklepios. Solange es nur
drei tragische Spieltage gab, begann der zweite Hauptteil des Festes mit
dem auf den Opfertag folgenden Tage. Am 9. Elaphebolion wurde eine
Vorfeier abgehalten, bestehend aus einer gottesdienstlichen Handlung im
Dionysosheiligtum {nQodyfov iv r^) i€Q([}) und einem Festzug (xwfiog), an dem
die dramatischen Darsteller teilnahmen und der im Theater mit einer An-
kündigung der folgenden Spiele (auch nQoaywv) endete. Es folgten darauf
am 10. die komischen und am 11. bis 13. die tragischen Aufführungen.
Als aber später die letzteren auf vier Tage ausgedehnt wurden, verschob
man die Vorfeier auf den Opfertag, die komischen Spiele auf den 9. und
den Anfang der tragischen auf den 10. Elaphebolion.
2. Charakteristisch für die attischen Bühnenspiele ist es, dass sie vor
sich gingen in Gestalt von Wettkämpfen oder Agonen. An den grossen
Dionysien gab es von Anfang an zwei dramatische Wettkämpfe, einen
komischen und einen tragischen. Solange die Dichter selbst als Spieler
der Hauptrollen oder als Protagonisten auftraten, also bis in die sopho-
kleische Zeit (§ 22), waren nur diese nebst ihren Choregen am Wettkampf
beteiligt. Seit 456 oder 457 jedoch traten in den tragischen Spielen Wett-
kämpfe der Protagonisten hinzu (§ 23). Diese waren unabhängig von den
Dichteragonen, d. h. der preisgekrönte Protagonist brauchte nicht derselbe
zu sein wie der Hauptspieler des siegenden Dichters. Von Wettkämpfen
dAr komischen Protagonisten hören wir nichts (vgl. § 23 *).
3. Die Zahl der wettkämpfenden Protagonisten war, solange die tragi-
schen Dichter je vier oder je drei Stücke (Absatz 4) aufführten, gleich jener
der Dichter (anders bei zwei Stücken : s. § 23 ^). Diese aber betrug für den
tragischen Agon drei. Ebenso gross war anfänglich die Zahl der Dichter,
welche am komischen Agon teilnahmen; 'doch wurde ihre Zahl seit etwa
400 auf fünf erhöht (Hyp. Ar. Plut. Madvig 471). Ausnahmen traten in-
sofern ein, als es in späterer Zeit, im vierten Jahrhundert, gestattet ge-
wesen zu sein scheint, dass ein Dichter oder Schauspieler zweimal seine
Kraft versuchte (CIA H 972. 975; Plut. an seni 3, 7).
4. Im komischen Agon kämpften die Dichter immer nur mit je einem
neuen Stück, im tragischen während der Blütezeit mit je vier (Tetralogie),
d. b. drei Tragödien (Trilogie) und einem Satyrspiel oder statt dessen einem
andern Schauspiel, und so ist es gewesen seit Einrichtung der Bühnenspiele
an den grossen Dionysien. Das Ende des tetralogischen Wettkampfes ist
nicht bekannt. Wir wissen nur (CIA II 973), dass im vierten Jahrhundert
je drei oder zwei Tragödien mit einem einzelnen vorausgehenden Satyrspiel
zur Aufführung gelangten. Eine Erweiterung der scenischen Spiele trat
in dieser Zeit dadurch ein, dass vor dem eigentlichen Agon, d. h. vor den
neuen Stücken eine Tragödie eines verstorbenen Dichters {nakaid) aufge-
führt wurde, deren Protagonist wohl nicht am Wettkampf teilnahm (Plut.
Qu. conv. 9,6; Rohde 269). Als alte Tragödien sind euripideische gewählt
HfuH^i"* der kUn. Altertmuswinenachaft. V. 3. AbtIg. 13
194 B. Das Btthnenwesen der Oriechen und Bömer.
worden (CIA II 973), vermutlich aber auch sophokleische (Dem. de f. leg.
246; Kaibel Hermes 238», 268 ff.; über Aeschylos §22). Dasselbe fand
in späterer Zeit, im zweiten Jahrhundert, auch vor dem komischen Agon
statt: Menander, Philemon u. a. werden als Dichter von aufgeführten alten
Komödien genannt (CIA II 975).
5. Über die Spielordnung im einzelnen, die Dauer und die Reihenfolge
der Stücke liegen Nachrichten nicht vor. Wir haben oben drei bis vier
Tage als Dauer der tragischen Spiele in der Blütezeit angesetzt. Im all-
gemeinen spricht dafür der Umstand, dass ein Einzeldrama mit chorischer
Aktion im Durchschnitt über 2^2 Stunde zur Aufführung erforderte, dass
man also mehr als drei bis vier solcher Stücke an einem Tage in der
Regel nicht wohl zu spielen vermochte, selbst wenn man sehr früh damit
anfing. Auf ungetrennte Aufführung der Tetralogieen, also auf drei tragische
Spieltage deutet ferner der inhaltliche Zusammenhang, in welchem die Stücke
des Aeschylos standen. Nach Auflösung dieses Zusammenhanges der Stücke
seit Sophokles war die ungetrennte Aufführung der Dramen eines Dichters
allerdings nicht mehr notwendig, und so scheint es, dass in sophokleisch-
euripideischer Zeit jeder Dichter an jedem Spieltage ein, bzw. zwei Stücke
aufführte. Dies geschah vermutlich in Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit
der Schauspieler. Während sie früher in fast übermenschlicher Weise gegen
zehn Stunden hintereinander thätig waren, wurde ihre Thätigkeit nunmehr
auf mehrere Tage verteilt. Solange den drei Tragödien eines Dichters ein
Satyrspiel folgte, mögen die vier Stücke auf drei Tage verteilt worden sein;
als aber später ein viertes Schauspiel an Stelle des Satyrspiels gegeben
wurde, darf man eine Vermehrung der Spieltage auf vier vermuten. Im
vierten Jahrhundert dagegen wurden die Stücke der Dichter zwar wieder
ungetrennt an je einem Tage gespielt, aber nicht von denselben Spielern,
was bis dahin die Regel gewesen zu sein scheint (Rohde^ 161). Ob von
den elf Stücken im Jahre 341 das alte Drama und das Satjrrspiel an einem
Tage vor den neuen Tragödien zur Darstellung kamen, ist nicht zu sagen.
Doch liegt die Annahme von vier Spieltagen am nächsten. — Die Reihen-
folge der Dichter war durchs Los bestimmt (§ 22*),
Mehr hierüber Sitzber. Münch. Ak. 1889 II 115 ff. Berl. Phil. Woch. 1887 S. 1058 f.
Fbeericks Com. Phil. Ribbeck, Lpz. 1888 S. 205 ff. Frühere Lit. A. MOllbb Btthn. 320 ff.,
besonders Sauppe Berichte der k. 8. G. d. Wiss. 1855 S. 18 f. E. F. HsBiiANir Gottesd.
Alt. § 59. A. MoMMSEN Hcortologie. Über einzelnes Madyio Kleine phil. Schriften 450.
RoHDE a) Rhein. Mus. 38^» 269 ff. b) ib. 39«* 160 f.
18. Festordnung; Lenäen, kleine Dionysien. 1. Die Nachrichten
über die Spiele an den Lenäen und den kleinen Dionysien sind ausser-
ordentlich dürftig; in Bezug auf die Festordnung wie auf die Regelung der
Beteiligten. Es sei hier alles Bekannte zusammengestellt, so dass in den
folgenden Paragraphen nur mehr von den Spielen an den grossen Dionysien
die Rede zu sein hat.
2. An den Lenäen folgten nach dem Gesetz des Euegoros die Komödien
auf die Tragödien, und diese Spielordnung scheint bestanden zu haben, seit-
dem überhaupt Komödien an den Lenäen zur Aufführung gelangten. In
Gestalt von Wettkämpfen gingen die Spiele wohl von Anfang an vor sich,
wenigstens seitdem sie jährlich stattfanden. Darauf deuten die Nachrichten
2. Die BtaatL-gesellschaftl. Grundlagen der attischen Bühnenspiele. (§ 18—19.) 195
des Suidas und die Inschriften. Nach Einrichtung der dramatischen Wett-
kän^)fe an den grossen Dionysien verloren die Lenäen an Ansehen, aber
wohl nur in Bezug auf das tragische Spiel, denn die berühmteren Dichter
der Komödie haben ihre meisten Siege an den Lenäen gewonnen (Münch.
Ak. 156). Dieser verschiedenen Bedeutung gemäss hat wohl im fünften
Jahrhundert dem Wettkampf der tragischen Schauspieler an den grossen
Dionysien ein Wettkampf der komischen Spieler an den Lenäen entsprochen.
Die Zahl der teilnehmenden Dichter und Schauspieler scheint wie an den
grossen Dionysien in der Regel drei gewesen zu sein, denn drei Dichter waren
beteiligt, als das Gerüst in der 70. Ol. einstürzte (Suidas Pratinas), und auch,
als des Aristophanes Achamer, Ritter, Wespen, Frösche zur AufFührung
gelangten. Im Komödienagon kam von jedem Dichter je ein Stück zur
Darstellung; die Zahl der tragischen Stücke ist unbekannt. Nur das ist
sicher, dass im Beginn weniger als vier Stücke zur Aufführung gebracht
wurden; anfänglich von jedem Dichter wohl nur je eins, später dazu ein
Satyrspiel (Pratinas). Wie die Zahl der aufgeführten Stücke wird auch die
Dauer der Wettkämpfe, die Zahl der Spieltage verschieden gewesen sein.
Nach Philochoros bei Athenäos (XI 464 E) hat der Komödiendichter Phe-
rekrates angegeben, dass bis zu seiner Jugend die Spiele nach dem Früh-
stück begannen. Dies bezieht sich wahrscheinlich auf die Zeit vor 472.
Wenn nun damals schon mit Tetralogieen gekämpft wurde, müssen drei
tragische Spieltage angenommen werden, denn für mehr als vier Stücke
reichte ein Tag dann ganz sicher nicht hin. Es ist nicht unmöglich, dass
in später Zeit die Zahl der Tragödien vermindert und somit die Zahl der
Spieltage herabgesetzt wurde. — Mit der Leitung des Festes war nach
PoUux (8, 90) der Archen König betraut; ob von allem Anfang an, steht
nicht ganz sicher. Als Choregen und Choreuten waren nach einem Scholion
zu Aristophanes (Plut. 953) an den Lenäen auch Metöken beteiligt.
3. Noch viel weniger wissen wir von der Festordnung der kleinen
Dionysien. Unbekannt ist, ob überall wie im Piraeus ein doppeltes Fest-
spiel, Komödien und Tragödien, gegeben wurde. Die Reihenfolge der Spiele
im Piraeiis war nach dem Gesetz des Euegoros wie an den grossen Dio-
nysien. Die agonistische Gestalt der Spiele kann nicht mit Sicherheit be-
hauptet werden. Die Zahl der Dichter, der Stücke, der Spieltage ist
nirgends genannt. Neue Stücke scheint man in der Regel nicht gegeben
zu haben, vielmehr meist nur alte; daher die Bekanntschaft der Athener
mit der attischen Bühnenlitteratur. Für die Dichter und Darsteller wie für
die Ausstattung werden geringere Kosten aufgewendet worden sein, ent-
sprechend den Mitteln, über welche die Demen zu verfügen hatten. Dem
Demarchen stand die Leitung zu.
Zu 2: A. Müller Bahn. 316 f., 326 f., 331V OEBMiCHEy Sitzber. Münch. Ak. 1889
II 150 ff. Über CIA. II 972. 977 s. zu § 9. Über Metöken Thümseb Wiener Studien 7,
57 ff. BoBCKH Staatsh. P 623 f. von Wilamowitz-M. Hermes 22«' 215 ff. — Zu 3: Haus-
BOULLiBB La vie municipale en Attiqxie, Paris 1884. Vgl. Bück American Journal of
Arch, 4" 421 ff. 5»» 18 ff.
B. Persönliche Verhältnisse.
19. Archon. Mit der Festleitung der grossen Dionysien war der
13*
196 B. Das Bühnenwesen der Oriechen nnd Römer.
oberste Jahresbeamte Athens, der erste Archen, bis gegen Ende des vierten
Jahrhunderts betraut (Poll. 8, 89; vgl. § 21). Ihm lag es also ob die
Bestallung der Choregen (§ 20) zu besorgen oder zu überwachen, die ge-
eigneten Dichter-Didaskaloi (§ 22) auszuwählen, ihnen die Ghoregen (§ 20),
in nachäschyleischer Zeit auch die Protagonisten (§ 23) zuzulosen und ihnen
Beistand zu gewähren, falls die Choregen ihre Pflicht nicht voll erfüllten
(Xen. Hier. 9, 4). Ferner hatte er zu sorgen für eine gerechte und un-
gestörte Durchführung des Wettkampfes, indem er die Richter (§26) aus-
loste und beeidigte, die Sieger vielleicht auch bekränzte (Athen. V 217 A),
die Zuschauer (§ 27) aber und Darsteller in Ordnung hielt. Letzteres ge-
schah mittels der Theaterpolizei oder der Rhabduchen, welche ihren Stand
in der Mitte der Orchestra hatten (Wieseler Thym. 43 ff.). Die ohne Zweifel
unter des Archons unmittelbarer oder mittelbarer Leitung stehenden Wächter
hatten das Recht zur Aufrechterhaltung der Ordnung von ihren Stäben
Gebrauch zu machen, und zwar nicht bloss gegenüber den Zuschauem,
sondern auch den Dichtern und Darstellern gegenüber, wie uns Aristophanes
im Frieden (734 c. schol.) lehrt. Es scheint selbstverständlich, ist aber nicht
ausdrücklich überliefert, dass der Archen als Festleiter verpflichtet war
die Gebote der Religion zu erfüllen, d. h. die nötigen Opfer zu bringen, die
Festzüge zu leiten u. dgl.
20. Ohoreg. 1. Der Choreg hatte eine ganz eigentümliche Stellung.
Einerseits nämlich war er nichts weiter als Steuerzahler, indem er von
Staats wegen verpflichtet war für einen gewissen Teil des Aufwandes bei
dem Festspiele aufzukommen, andererseits aber stand er in Verbindung
mit dem Spielunternehmer und hatte Anteil an dem gewonnenen Siege.
Von dem lyrischen Choregen unterschied sich der dramatische besonders
dadurch, dass jener gemeinsam mit einer oder (an den Thargelien) zwei
Phylen am Wettkampf beteiligt war, dieser mit einem Dichter-Didaskalos
(§ 22). Mit der Phyle hatte also der dramatische Choreg nichts zu schaffen
(Lipsius 1885 S. 412 ff. Brinck 90 f.).
2. Bestanden hat die Einrichtung der dramatischen Choregie sicher
seit ungefähr 500; vorher mögen die Pisistratiden oder Freiwillige den
Chor gestellt haben, und gedauert hat sie bis gegen Ende des vierten Jahr-
hunderts, wo sie vom Staat, bzw. vom Agonotheten übernommen wurde
(§ 21). Die Anzahl der Choregen entsprach der Anzahl der Dichter-Didas-
kaloi. Eine Änderung soll in dieser Beziehung eingetreten sein unter dem
Archen Kallias 412 f., insofern als die Last der Choregie auf zwei Bürger
verteilt wurde (Synchoregie). Zutrauen erweckend ist diese Nachricht, in
dieser Form wenigstens, nicht gerade, trotzdem sie sich mit der Autorität
des Aristoteles brüstet, denn Inschriften sprechen nicht dafür (die einzige,
die es scheint, § 9^, ist anders zu erklären) und die Bemerkungen des
Lysias (21,1 ff.) dagegen. Jedenfalls ist die Neuerung nicht von langem Be-
stände gewesen, wie die grosse dionysische Siegerliste (d) beweist. Ganz un-
glaublich aber klingt eine andere Nachricht desselben Gewährsmannes, dass
nicht lange nach der Einrichtung der Synchoregie auf Betreiben des Kinesias
die ganze Institution abgeschafft worden sei, also sowohl die komische wie
die tragische Choregie. Hier liegt sicher ein Missverständnis vor, denn
2. Die 8taatl.*geaellBohaffcl. Grundlagen der attischen Bühnenspiele. (§ 20.) 197
von verschiedenen anderen Nachrichten abgesehen, weist schon die grosse
dionysische Siegerliste tragische und komische Choregen für das vieiie Jahr-
hundert nach und seit etwa 400 ist die Anzahl der komischen Choregen
sogar vermehrt worden. Von einer dauernden Abschaffung kann also gar
keine Rede sein. Man kann auch nicht wohl an eine Unterbrechung der
Spiele denken, und so dürfte die Nachricht, wenn überhaupt etwas Wahres
an ihr ist, wohl nur zu beziehen sein auf eine Neuordnung, nach welcher
gegen früher ein geringerer Aufwand von seiten des Choregen erforder-
lich war.
3. Die dramatische Choregie wurde geleistet von Bürgern (Schol. Ar.
Plut. 953. BoEOKH St. I ^ 537 ff.) ; die Höhe des Einkommens, welche zur
Leistung verpflichtete, ist unbekannt. Ebenso Zeit und Art der Bestallung
der für das jedesmalige Fest nötigen dramatischen Choregen. Da die Phylen
als solche beim dramatischen Agon, im Gegensatz zum lyrischen, nicht be-
teiligt waren, wird die Bestallung nicht durch sie und den Archen, wie
beim lyrischen Agon (Hyp. II Dem. Mid.), sondern durch Organe des Staats
(Rat, Volksversammlung) vorgenommen worden sein. Die Verteilung der
Choregen auf die einzelnen Dichter geschah durch den Archen.
4. Die hauptsächlichste Pflicht, wenigstens im fünften Jahrhundert,
die dem Choregen oblag und von der er auch den Namen hat, war die
Stellung und Ausstattung des Chores, sowie die Teilnahme an der Einübung.
Ausser dem Flötenbläser hatte der komische Choreg für eine Komödie 24
ordentliche Choreuten zu stellen, der tragische im ganzen anfänglich nur
zwölf, später fünfzehn. Die Vermehrung des tragischen Chores scheint auf
Anregung des Sophokles geschehen zu sein (Vita, Suidas), Aeschylos aber
hat von seinem Choregen den grösseren Chor nie verlangt oder doch wenig-
stens immer nur zwölf Mann als Choreuten in Verwendung genommen
(Wecklbin Sitzber. Münch. Ak. 1887 I 83^). Dass der tragische Chor von
zwölf bis fünfzehn Mann in allen Stücken des Dichters zu spielen hatte,
nicht etwa in jedem Stück ein neuer, gleich grosser Chor, wie man früher
annahm, ist zwar nicht überliefert, scheint aber mit ziemlicher Sicherheit
aus den Angaben über den gemachten Aufwand hervorzugehen. In Demo-
sihenes Zeit waren die Kosten des lyrischen Choregen viel bedeutender als
die des tragischen (nXäov nokhp Dem. Mid. 156). Das gleiche war am
Ende des fünften Jahrhunderts der Fall, da im Jahre 411 f. der Aufwand für
einen tragischen Choregen mit 3000 Drachmen, für einen lyrischen dagegen
mit 5000 berechnet werden durfte (Lys. 21, 1 ff.). Hätte der tragische
Choreg für jedes Drama zwölf bis fünfzehn Mann stellen müssen, also un-
gefähr soviel wie der lyrische (50), dann wären seine Kosten nicht bloss
gleich gross, sondern grösser als die des lyrischen gewesen, denn er hatte
ausser dem Aufwand für die Choreuten noch weitere nicht geringe Kosten
zu bestreiten (Absatz 5). Eine Verringerung der Zahl der tragischen
Choreuten in später Zeit ist nicht gerade wahrscheinlich, aber immerhin
denkbar (Wieseleb Denkm. XIII 2); ganz abgeschafft aber ist der tragische
Chor nicht worden, da ihn Demosthenes noch erwähnt und die Aufführung
alter Tragödien ohne ihn nicht gut denkbar ist (Müller Bühn. 342). Da-
gegen scheint in der Komödie eine Minderung der Anzahl eingetreten zu
198 S« ^<M Btthnenwesen der Oriechen nnd Römer.
sein; ob jedoch schon am Ende des fünften Jahrhunderts, ist fraglich (Ab-
satz 2). Gestellt aber wurde der komische Chor dem Anschein nach bis
in die Zeiten des Philemon und Menander, zuletzt allerdings wohl in sehr
geringer Zahl und nur zum Zweck des (musikalen-mimischen) Spieles in
den Zwischenakten (Vita Arist. v. Christ Handb. VII 237 ^. Mülleb Bühn.
343^). Den Chor brachte der Choreg selbst zusammen; dies wird zwar
nirgends gesagt, liegt aber in der Natur der Sache begründet. Beschränkt
in der Auswahl war er einzig dadurch, dass er nur Bürger als Choregen
wählen durfte (§ 18). Aus seiner Phyle brauchten sie wohl nicht zu sein,
wie es vermutlich die lyrischen Choreuten sein mussten: er war ja nicht,
wie der lyrische Choreg, im Namen der Phyle am Wettkampf beteiligt.
Besoldung ist bezeugt (Staat der Ath. I 13), desgleichen Beköstigung wäh-
rend der Übungszeit (Plut. de glor. Ath. 6 p. 349 A). Zum Zweck der Ein-
übung des Chores wie der Schauspieler hatte er ein Lokal zur Verfügung
zu stellen {xoqtjybTov Bekk. An. 72, 17). Die Einübung der Schauspieler und
des Chores war Sache des Dichter-Didaskalos (§ 22), aber der Choreg war
dabei interessiert und schon aus diesem Grunde Mithelfer. Es liegt kein
genügender Grund vor die Angaben alter Forscher zu bezweifeln, nach
denen in früherer Zeit, wie der Name schon andeutet, der Choreg die Füh-
rung des Chores übernommen habe (Schneider Att. Theat. 139^**. Müller
Bühn. 384^), natürlich nur dann, wenn er dazu befähigt war. Es mag
sogar nicht selten vorgekommen sein, dass er die Stelle eines Flötenbläsers
versah. Aristoteles wenigstens erzählt (zu § 9^), dass im fünften Jahr-
hundert in Athen die Auletik allgemein geübt wurde, und erwähnt dabei
einer Tafel, welche der Choreg des komischen Dichters Ekphantides mit
einer hierauf bezüglichen Mitteilung aufgestellt habe. War er nicht selbst
Flötenbläser, so hatte er einen solchen anzuwerben, zu besolden und wohl
auch zu beköstigen wie die Choreuten (nicht mehr als einen, auch Aristo-
phanes Vögel nicht: Kaehler Com. Ribbeck. 517). Dies ist aus den In-
schriften zu schliessen. Genannt werden auf ihnen m. E. nur die Personen,
welche als Sieger oder Mitsieger aus dem Wettkampf hervorgegangen waren
und, natürlich ausser dem Choregen, vom Staat ihren Ehrensold empfangen
hatten. Nun sind aber auf den scenischen Inschriften die Auleten niemals
genannt, während auf den lyrischen Inschriften der Aulet seit dem vierten
Jahrhundert verzeichnet ist, und zwar anfangs nach, später vor dem Dichter-
Didaskalos, entsprechend dem Ansehen, zu dem die Auletik nach und nach
gelangt war. Also war nur der lyrische Flötenbläser seit dem viei'ten
Jahrhundert Mitsieger und direkt vom Staat abhängig, die übrigen nicht.
Die Nachrichten, welche von einer Zulosung der Auleten durch den Archon
berichten, sind deshalb auf lyrische Wettkämpfe des vierten Jahrhunderts
zu beziehen (Dem. Mid. 13. Hyp. II). Für die Choreuten und den Flöten-
bläser und vielleicht auch für die Schauspieler hatte der Choreg die Ge-
wänder und Masken zu liefern, die wohl nur anfänglich jedesmal neu her-
gestellt wurden: später waren sie zu mieten (PoU. 7, 78).
5. Die Stellung des Chores war im Beginn die wesentlichste, aber
nicht die einzige Aufgabe des Choregen. In späterer Zeit, als eine Ver-
minderung der Mitgliederzahl wenigstens des komischen Chores eingetreten
2. Die BtaatL-gesellBohaftl. Grundlagen der attischen Bühnenapiele. (§ 21.) 19g
war, überwogen wahrscheinlich die übrigen Leistungen, der Name aber
blieb, was an sich leicht erklärlich ist und durch die Inschriften bestätigt
wird. Die Scholiasten freilich scheinen von diesem Wechsel in der Bedeu-
tung des Wortes keine rechte Vorstellung gehabt zu haben, und daher
rühren wohl ihre zum Teil unglaublichen Angaben (Absatz 2). Dass der
Choreg dem Dichter Hilfspersonal zur Verfügung stellte, darf man an-
nehmen, denn zwei bis drei Spieler reichten zur Aufführung der Dramen
seit Aeschylos sicher nicht hin. Wie viel er aber stellte, ist nicht mit
Bestimmtheit zu sagen. Verpflichtet war er, so scheint es, nur zu wenigem.
Vermutlich war er durch das Gesetz nur gehalten zur Anwerbung einer
festen Zahl von Statisten und Ersatzchoreuten. Die Statisten {x(a(pcc nQoa-
(üTta, SoQvgiOQi^ficeTa) wurden ständig gebraucht als Begleiter vornehmer
Bühnenpersonen, in stummen Rollen (Pylades) und zur Darstellung des
Volkes (Soph. Oed. R.). Ersatzchoreuten aber werden schwerlich gefehlt haben,
denn für den Fall der Krankheit u. dgl. mussten Vorkehrungen getroffen
werden, selbst wenn, was aber wenig wahrscheinlich ist, die Einübung des
dramatischen Chores kürzere Zeit in Anspruch nahm als die des lyrischen.
In später Zeit scheint er dem Dichter auch noch einen Gehilfen gestellt zu
haben {vnodiddaxa},og). Aber die Doppelstellung des Ghoregen als eines
Steuerzahlers und eines Unternehmers brachte es mit sich, dass er oft, den
Wünschen des Dichters entsprechend, über die gesetzliche Verpflichtung
hinausging. Dieses mehr gestellte Personal, vierter Schauspieler, Neben-
chor (Aesch. Eum.), und seine Aktion wurde, nach einigen Angaben zu
schliessen, wie die Stellung dieses Personals Parachoregema genannt. Vgl.
Abschnitt V.
6. Die einzige, freilich hochgeachtete Belohnung, die dem Choregen
winkte, war die Ehre des Sieges über seine Gegenchoregen. Als Andenken
an den errungenen Sieg stellte er eine Tafel auf (zu § 9 ^) und weihte auch
wohl die Zurüstung {axevi] Lys. 21, 4), wie ähnlich der lyrische Choregen-
sieger den als Preis gewonnenen Dreifuss.
L1P8IU8 Berichte d. k. s. Ges. d. Wis. ph. h. K. 1885 S. 412 ff. BsmcK Diss. Hai.
Vn 90 f. Sonstige Litteratur Müller Bühn. 330^. 418. (Die dramatische Choregie ist zu
trennen von der lyrischen, deshalb sind die früheren Aufstellungen vielfach zu ändern.
Die oben gegebenen Andeutungen wollen als vorläufige angesehen sein.) — Zu 2: Schol.
Ar. Frteche 404 'Eni yovv KaXXiov totirov tpTjffly 'jQmroteXijg, oti avy&vo i^oSe ^oQtjyeiy
td Jioyvaia totg xqayia&oTg xal xtafÄipffoig * taate Xtttag rjy tt^g xal negl toy Arjya'ixoy aytoya
avmoXij, XQ^^^ ^* varegoy ov noXXtß tiyi xal xa&ä-na^ TiegieiXe Kiyrjaiag tag ^oQfjylag (all-
gemein tragische und komische). Zum letzten Satz vgl. Schol. Ar. Frösche 153: o Kiyrjaiag
inQ€eyfjLaT§vcato xatd xtoy xwuixuiy, (6g etey dxoqi^yrjxoi,. Platonios de diff. com. p. XIII
28 Dübn. schliesst von dem Fehlen der Chorika im Aiolosikon des Arist. auf Fehlen der
Choregen, was offenbar unzulässig ist. Ähnlich falsch die Vita Ar. Dochs. Boeckh P 538 f.
21. Agonothet. Dem zentralistischen Zuge der Zeit folgend und
in Bücksicht auf die Ansammlung des Kapitales in den Händen weniger
Familien, vereinigte man gegen Ende des vierten Jahrhunderts, wahrschein-
lich unter Demetrios von Phaleron (316 — 307), die Funktionen der Archon-
ten und sämtlicher Choregen in einer einzigen Person, dem Agonotheten.
Er war also zugleich Festleiter und Festgeber. Seine Thätigkeit galt nicht
als eine eigentlich amtliche {^qx^'D^ sondern als eine kommissarische (im--
fiiXsHx). Auf ein Jahr wurde er vom Volke erwählt und nach Ablauf des-
200 B. Das Bühnenwesen der Grieohen und Römer.
selben hatte er Rechenschaft abzulegen. Ein Ehrendekret war der Dank
für ausgezeichnete Leistungen. In seiner Eigenschaft als Festleiter hatte
er die Festspiele, die in sein Jahr fielen, ordnungsmässig zu veranstalten,
die nötigen Opfer zu besorgen, überhaupt wohl alles das zu thun, was
früher dem ersten und zweiten Archen als den Festleitern obgelegen hatte.
In seiner anderen Eigenschaft als Festgeber hatte er die Chöre zu werben,
einüben zu lassen, zu unterhalten u. s. w., gerade wie früher die Ghoregen.
Er hatte dann aber noch die weitere Pflicht die Preise und Honorare für
die Darsteller zu bezahlen, die früher der Staat selbst hergegeben hatte.
Die Kosten dieser Leistung waren bedeutend: sieben Talente sind einmal
aufgewendet worden. Ob der Agonothet Zuschüsse vom Staat empfing, ist
nicht zu sagen; man könnte es höchstens aus dem Umstände schliessen,
dass in den Inschriften der Staat als Choreg bezeichnet wird (o Sijfiog
fX^Q^Y^t); doch ist diese Bezeichnung möglicherweise eine blosse Formel.
Gehilfen hatte er jedenfalls zur Seite; aber wir erfahren nichts über sie.
— Die Einrichtung der Agonothesie hat im dritten Jahrhundert noch be-
standen. Für die beiden folgenden Jahrhunderte fehlen Zeugnisse. In der
Kaiserzeit werden neben dem Archen als dem Agonotheten wieder Cho-
regen genannt. Mit den alten Namen wird man auch die alten Einrich-
tungen, zum Teil wenigstens, wieder hergestellt haben. Näheres ist nicht
bekannt.
KoBHLBB Athen. Mitt. 3" 232 ff. 4'» 328«. Bbdtck Disa. Hai. VII 95 ff. Vgl. FbXnkel
zu BoECKH Staatshaush. P Amn. 765 (in Bd. II).
23. Dichter -Didaskalos. 1. Der Dichter -Didaskalos {didatfxaXog^
später noirjrr^g) war im allgemeinen ein Unternehmer, der mit der Staats-
verwaltung ein Übereinkommen traf, nach welchem er gegen gewisse Be-
lohnungen und mit Unterstützung des Staates eine bestimmte Anzahl von
neuen Dramen zur Aufführung brachte. Anfanglich war seine Thätigkeit
eine ungemein vielseitige: er war Textdichter und zugleich Komponist der
musikalen und orchestischen Partieen des Dramas, ferner Regisseur, der
für die Einübung der Darsteller, für die Ausstattung u. dgl. zu sorgen hatte,
und endlich Schauspieler (Arist. Rhet. 3, 1, 4. Plut. Sol. 29), d. h. offenbar
Spieler der Hauptrolle, Protagonist. Im Laufe der Zeit traten mancherlei
Beschränkungen dieser Thätigkeit ein: es kam Hilfe in der Regie, im Kom-
ponieren u. dgl. hinzu. Von allen jedoch ist für sein Verhältnis zum Staat
nur eine wesentlich: das Aufhören der schauspielerischen Wirksamkeit. Es
entstand nämlich jetzt neben dem Dichter-Didaskalos ein ihm beigeordneter
Unternehmer, der Protagonist (§ 23). Der Übergang von der einen zur
andern Einrichtung scheint sich allmählich gebildet zu haben, da Aeschylos
noch schauspielerisch thätig war, sein jüngerer Zeitgenosse Sophokles nicht
mehr, wegen Schwäche der Stimme, wie die Vita sagt. Wenn nach So-
phokles noch einige Male der Dichter bei der Aufführung seines Werkes
als Schauspieler mitwirkte, so beweist dies nichts als die Möglichkeit der
Vereinigung zweier Funktionen, wie sie auch sonst vorgekommen ist. .
2. Die Leistungen des Staates dem Unternehmer gegenüber werden
in beiden Perioden verschieden gewesen sein. Das Honorar, das jeder
Dichter empfing (Schol. Ar. Fried. 697. Frö. 367. Ekkl. 102. Hesych fUiX&og.
2. Die 8taatL*ge86lLiohaftl. Onindlagen der attischen BUhnenspiele. (§ 22.) 201
Madyio 449), wird im Verhältnis höher in der ersten Zeit gewesen sein,
in welcher der Unternehmer zugleich Spieler war und etwaige Gehilfen zu
besolden hatte. Dasselbe hat möglicherweise beim Preis stattgefunden,
welcher nur einem der Wettkämpfer zu teil wurde, zugleich mit einem
Epheukranz. Die Höhe beider ist unbekannt.
3. Von den Pflichten des Dichter-Didaskalos war von je her die
wesentlichste die Regie, und hierfür scheint ihm auch in erster Linie das
Honorar gewährt worden zu sein, daneben in der ersten Periode für das
Spiel, nicht für die Dichtung. Wir dürfen hierauf schon aus der Benennung
schliessen. Die alten Dramendichter Thespis, Pratinas u. a. hiessen Tänzer,
weil sie tanzen lehrten {oQxrjavad Athen. I 22 A), und Didaskalos wurde
der Unternehmer genannt, offenbar weil seine Hauptaufgabe das Einstu-
dieren der Stücke war {dtddaxetVy didaaxaXia). Die Frage nach der Zu-
lässigkeit der Stellvertretung, die viel Streit hervorgerufen hat, scheint
entschieden durch die inschriftlichen Dichterlisten (s. zu 3): dem Staat gegen-
über gab es keine Vertretung; sieggekrönt und in die Listen eingetragen
wurde nur der, welcher den Chor erhalten und die Didaskalie durchgeführt
liatte. Einen Gehilfen mochte er sich nehmen, wie es Sophokles gethan zu
haben scheint (lophon), oder sich vom Choregen stellen lassen (xoqoSiSm-
xaXog Dem. Mid. 58. A. Müller Bühn. 358. 406), aber dies änderte seine
Stellung nicht.
4. Die andere wichtige Aufgabe des Unternehmers war die Lieferung
eines oder mehrerer neuer Dramen. Dem Staat als Veranstalter der Spiele
kam es hierbei wesentlich auf die dramatische Neuheit, nicht auf den Ur-
heber an. Es blieb also dem Unternehmer freigestellt eigene oder fremde
Werke zur Aufführung zu bringen, vorausgesetzt, dass sie den gesetzlichen
Anforderungen entsprachen. Auf welche Weise er in den Besitz der fremden
Dichtung kam, ob durch Erbschaft oder durch Kauf oder durch ein sonstiges
Übereinkommen, das war eine durchaus private Angelegenheit des Unter-
nehmers, um die sich der Staat nicht kümmerte, solange keine Gesetzes-
verletzung stattfand. Über die Bekanntgabe des Namens des Verfassers
erfahren wir nichts ; aber eine Verpflichtung zur Nennung des Namens war
schwerlich vorhanden. Neuen Dramen gleich gerechnet wurden früher auf-
geführte, wenn sie eine Umarbeitung erlitten hatten (Kock Ar. Frö.^ 17*. A.
MüLLEB Bühn. 323^). Ausnahmen von dieser Regel fanden gewiss nur ganz
selten statt (? Hyp. IH Ar. Frö.). Unzweifelhaft bezeugt ist nur der Fall,
wo es sich um die Aufführung äschyleischer Dramen nach dem Tode des
Dichters handelte. Seine Dichtungen sollten, so lautete ein Volksbeschluss,
dem grossen Toten, ihm allein, zu Ehren (Vita), als neue angesehen werden,
und jeder, der wollte, sollte mit ihnen zum Wettkampf zugelassen sein,
d. h. doch wohl mit ihnen den Sieg erringen dürfen (etwas anders Rohde
289 f.).
5. Dieser Fall ist zugleich die einzige Ausnahme von der Regel über
die Zulassung der Unternehmer. Sonst nämlich hing die Zulassung ab von
dem Ausfall einer vorausgehenden Prüfung durch den Archen. Der Zweck
dieser Prüfung war offenbar der, von den sich anmeldenden Unternehmern
die passendsten in nötiger Anzahl auszuwählen; aber über Zeit und Gegen-
202 B. Das Bühnenwesen der Griechen und Römer.
stand der Prüfung sind wir nicht näher unterrichtet. Wir werden an-
nehmen dürfen, dass sie beträchtliche Zeit vor der Aufführung stattfand,
wie wohl auch die Wahl der Choregen (§ 20), und aus dem Verhältnis des
Didaskalos zum Staat ist zu schliessen, dass sie sich erstreckte sowohl auf
die persönliche Würdigkeit und Regiefähigkeit des Unternehmers als auch
auf die Neuheit und Angemessenheit der Dramen, nicht bloss auf letzteres,
worauf allerdings einige Zeugnisse zunächst deuten (Rohde 262 ^ A. Müller
Bühn. 350 f.) Bei der Abschätzung der persönlichen Würdigkeit kam nicht
in Betracht die Staatsangehörigkeit, wohl aber vielleicht jugendliches Alter
oder Aussehen (Ar. Wplk. 530), das für einen Dirigenten nachteilig war,
und die Häufigkeit der bisherigen Zulassung, denn auch jüngeren Kräften
musste Raum gewährt werden (Madvig 449). Aus letzterem Grunde, scheint
es, ist einmal Sophokles zu Gunsten des wenig angesehenen Gnesippos zu-
rückgewiesen worden (Kratin. bei Athen. XIV 638 F). Zugleich mit der Zu-
lassung wurde vermutlich über die Reihenfolge der Zugelassenen entschieden,
d. h. über die Ordnung, in der sie in den Wettkampf zu treten hatten
(§ 17); sie wurde wahrscheinlich durchs Los bestimmt (Ar. Ekkl. 1159).
Und zu gleicher Zeit wird den Zugelassenen auch der Chor zugewiesen
worden sein, d. h. zunächst der Choreg, der den Chor zu stellen hatte (§ 20) :
darauf deutet wenigstens die technische Bezeichnung der Zulassung {xoqov
Xafißdveiv; das Gesuch heisst /. ahstv).
6. Besondere Einrichtungen mussten getroffen werden, als es Sitte
geworden war neben den neuen Dramen Stücke verstorbener Dichter auf-
zuführen (§ 17). Zunächst in Bezug auf die Übernahme der Didaskalie.
Abgesehen von den Dramen des Aeschylos, die eine Ausnahmsstellung er-
halten hatten (Absatz 4), wurden die alten Stücke von einem Protagonisten
zur Aufführung gebracht (Koehler Athen. Mitt. 3'** 115 f.), der wahrschein-
lich damit vom Archen gegen Entschädigung beauftragt war. Diese Ein-
richtung, bei der Regisseur und erster Schauspieler eine Person war, brachte
einen Missstand mit sich. Die Schauspieler-Regisseure nämlich widerstanden
nicht der Versuchung den Text der Dichter willkürlich umzugestalten.
Derselbe Missstand wird in Bezug auf die Dramen des Aeschylos eingetreten
sein, wie aus dem gleich anzuführenden Gesetz zu ersehen ist. Wunder
nimmt dies nicht: die Aufführer werden ja wohl meist Schauspieler gewesen
sein, die vielleicht sogar mitspielten. Um dem Unwesen wenigstens auf
der städtischen Bühne ein Ende zu machen, wurde eine neue Einrichtung
getroffen. Ein Gesetz des Lykurg (s. u.) bestimmte, dass ein Staatsexemplar
der drei grossen Tragiker angefertigt und im Archiv aufbewahrt werden
sollte und dass der Protagonist nur nach Massgabe dieses Exemplars die
Regie führen, bzw. spielen durfte.
Auf die ehrenvolle Stellung, welche die Dichter im gesellschaftlichen
Leben einnahmen, braucht hier nur hingewiesen zu werden.
Madvig Kleine philol. Schriften. Rohde Rhein. Mus. 38" 287 ff. A. MOllbb Bühnen-
alt. § 28. — Zu 3: Zuletzt Briel De Callistrato et Philonide, Berl. 1887; dazu Hiller
Philol. Anzeiger 17, 361 flf. J. van Lbeitwen Mnemos^e 16®* 251 ff. In die SiegerÜBte
war nicht Aristopbanes, sondern Kallistratos und Philonides eingetragen: vgl. Sitzber.
Münch. Akad. 1889 II 152 ff. (Dies Ergebnis bleibt bestehen, wenn auch die Ansetzung
der Dichter S. 155 nach CIA. II 971 >> etwas zu ändern sein dürfte.) — Zu 6: Plut Vit« X
or. p. 841 F.: eiatjyeyxe de vofjtovg . . . toy di <6s /«Äxaf eixoyag aya&siyM X(ov no^fjjiüy
2. Die staatL-geselLichaftl. Omndlagen der atÜBchen BUhnenspiele. (§ 23.) 203
JürxvXov SoaoxXiovg EvQinl&ov xai tag tgayt^diag avttuy iy xoiyip yQa^pttfjiivovg (pvXdtTSiy
xtti roy T^$ noXstog y^aufiar^a naQayayiyytuaxeiy toTg vnoxQtyofdsyaig (ol t;. sind Protagonisten :
RoHDE 271) * ovx i^eiyM ydq avtds vnoxqlyea^ai (?). Reiche Litteratur s. Sommerbrodt
Scaenica 253 ff.
23. Schauspieler. 1. In den Verhältnissen der Schauspieler sind
zwei wesentlich verschiedene Perioden zu unterscheiden: eine frühere bis
Aeschylos, in welcher die Dichter selbst als Protagonisten thätig waren,
und eine spätere, in der dies nicht mehr geschah. In der ersten Periode
waren die Schauspieler, welche die Nebenrollen übernahmen, nichts weiter
als Gehilfen des Dichters, also von diesem abhängig, vermutlich auch in
Rücksicht auf die Besoldung. Der erste, welcher einen wirklichen Schau-
spieler als Gehilfen beizog, soll Aeschylos gewesen sein, vor ihm also soll
der Dichter alle Rollen selbst gespielt haben. So berichtet wenigstens
Aristoteles (s. u.), und wir sind genötigt diese Nachricht anzunehmen,
obwohl sie äusserst unglaubwürdig ist. In späterer Zeit bediente sich
Aeschylos auch eines zweiten Gehilfen, vielleicht nach dem Vorgange des
Sophokles, der die Neuerung angeregt zu haben scheint, dass vom Staat
dem Dichter drei Schauspieler zur Verfügung gestellt wurden.
2. In der zweiten Periode, über die allein wir etwas Genaueres wissen,
erhielten die Schauspieler eine grössere Selbständigkeit und Bedeutung.
Früher bloss Gehilfen des Dichters, waren sie jetzt von diesem unabhängig,
ordneten sich zu Gruppen, einen Protagonisten an der Spitze, und schlössen
selbst mit dem Staate Verträge ab. Der Staat richtete einen Wettkampf
für sie ein, und zwar 456 oder 457 für die tragischen Spieler an den
grossen Dionysien, dem einer für die komischen Spieler an den Lenäen
entsprochen zu haben scheint (Sitzber. Münch. Ak. 1889 II 145. 158); er
übernahm ihre Besoldung und wies sie den Dichtern zu. Mit einem Schlage
allerdings scheint diese Neuordnung nicht zu stände gekommen zu sein:
Aeschylos wenigstens konnte den Protagonisten mit seinen Genossen noch
nicht vom Staat erhalten, da er selbst noch die Hauptrolle spielte und nach
der Vita Kleander und Mynniskos als Gehilfen heranzog (Rohde 279 f.).
Auch die Nachricht des Istros in der Vita des Sophokles, dass dieser die
Stücke auf die Schauspieler zugeschnitten habe {nqoq rag tpvaeiq avtSv
yQaif)ai)y kann auf eine Übergangszeit gedeutet werden (Rohde 281).
3. Der Protagonist war also jetzt eine Art Unternehmer, indem er
sich dem Staat gegenüber verpflichtete mit zwei Gehilfen alle ordentlichen
Rollen, wozu auch die Frauenrollen gehörten, in einem oder mehreren
Stücken gegen Honorar zu spielen. Falls er zur festgesetzten Zeit nicht
erschien, was allerdings wohl erst gegen Ende des vierten Jahrhunderts
vorgekommen sein wird, hatte er eine Strafe zu erlegen (Plut. Alex. 29).
Die Gehilfen besoldete er selbst, wie er sie auch stets selbst gewählt
haben wird. Die schriftstellerischen Zeugnisse hiefür gehen zwar nicht
über die Zeit des Demosthenes hinaus, aber die inschriftlichen Angaben
lassen weiter schliessen (Rohde 271. 280. 283. A. Müller Bühn. 360 f.).
Die Höhe des Honorars, das er für sich und seine Gehilfen empfing, ist
für die gute Zeit Athens nicht überliefert (sonstige Angaben A. Müller
Bühn. 345). Der im Wettkampf siegende Protagonist erhielt ausserdem
204 S* "^^^ Bühnenwesen der Griechen und Römer.
einen Preis (Madvig 450), dessen Höhe unbekannt ist, und hatte eine
gewisse Begünstigung bei der Zulassung zu einem späteren Agon (Absatz 5).
4. Über die Zulassung und Verteilung der Protagonisten an die
Dichter erhalten wir eine einigermassen, aber nicht völlig genügende Auf-
klärung durch eine lexikographische Notiz (zu 4), die wir auf das fünfte
Jahrhundert beziehen dürfen, weil sie den Wettkampf von fünf komischen
Dichtern noch nicht berücksichtigt. Hiemach hatten die Protagonisten,
welche am Spiel teilzunehmen wünschten, sich beim Archen zu melden.
Diesem stand ohne Zweifel das Recht der Abweisung zu, und er wird von
ihm bei mangelhafter Leistungsfähigkeit Gebrauch gemacht haben. Ver-
mutung über seine Information in Absatz 5. Aus den angenommenen
Bewerbern wurde die nötige Anzahl durch das Los ausgeschieden und den
Dichtern behufs Einübung zugewiesen. Wie die Festordnung (§ 17) wird
die Zuweisung in verschiedenen Zeiten verschieden gewesen sein. Solange
die Stücke eines Dichters von einem einzigen Protagonisten aufgeführt
wurden, musste die Anzahl der ausgelosten Protagonisten gleich jener der
Dichter sein. Bei der Zuweisung an diese sind zwei Fälle denkbar: ent-
weder diente der zuerst ausgeloste Protagonist dem durchs Los bestimmten
ersten Dichter (§ 22) und so fort, oder die Dichter wählten sich nach Mass-
gabe ihrer durchs Los bestimmten Reihenfolge je einen der ausgelosten
Protagonisten aus. Als in der Folgezeit im tragischen Agon jeder Prota-
gonist von jedem Dichter je ein Stück spielte, muss ein anderes Verfahren
stattgefunden haben. Im Jahre 341 (§ 9') war die Ordnung die, dass
jeder Protagonist von den drei an je einem Tage zur Aufführung kommen-
den Trilogieen einmal das erste, einmal das zweite und einmal das dritte
Stück spielte. Die Anzahl der Protagonisten, früher gleich jener der Dichter,
war jetzt im tragischen Agon natürlich abhängig von der Anzahl der zum
Wettkampf bestimmten Dramen; man brauchte also, wenn von jedem der
drei Dichter nur zwei Stücke aufgeführt wurden, wie im Jahre 340 (§ 9*),
auch nur zwei Protagonisten.
5. Einigen Protagonisten wurden gewisse Vorrechte eingeräumt. So
war zunächst, wie wir aus derselben Quelle schliessen dürfen, derjenige
Protagonist, welcher im Festspiel den Preis davongetragen hatte, für das
nächste Jahr von der Losung befreit, d. h. er wurde auch für das Fest
des folgenden Jahres den betreffenden Dichtern zugeteilt, ohne dass das
Los über seine Zuweisung entschied. Ein ähnliches Vorrecht, scheint es,
schaffte Lykurg insonderheit für die komischen Protagonisten. Nach Plu-
tarch (zu 5) fand in früherer Zeit einen Monat vor den grossen Dionysien
ein Wettkampf komischer Protagonisten statt, bei dem es sich wohl nur
um die rein schauspielerische Leistung und um Vorführung einzelner Rollen
handelte und welche vermutlich, wenigstens nebenbei, den Zweck hatte
den Archen über die Leistungsfähigkeit der sich anmeldenden Protagonisten
zu unterrichten. Dieser Wettkampf war eingegangen, wurde aber von
Lykurg wieder eingerichtet, und zwar mit der Neuerung, dass der Prota-
gonistensieger die Vergünstigung erhielt ohne weiteres am Agon der grossen
Dionysien zu spielen. Ein bloss schauspielerischer Agon tragischer Prota-
gonisten scheint gleichfalls eingesetzt gewesen zu sein (Alciphr.*|Ep. III 48.
2. Die 8taatl.-ges6llBohaftL Grundlagen der attiaohen Bühnenspiele. (§ 24—25.) 205
RoHDE 278 *. Müller Bühn. 363 *), ob aber mit gleicher Vergünstigung für
den Sieger, ist nicht zu sagen.
6. Da die staatlichen Einrichtungen Ausflüsse des Volkswillens sind,
so kann es nicht zweifelhaft sein, dass den zu Gunsten der Spieler ge-
troffenen Einrichtungen eine Hebung ihres Ansehens im Volk vorausgegangen
war. Und dieses Ansehen hat sich im Laufe der Zeit noch mehr gehoben, so
dass die Schauspieler völkerrechtlich als unverletzlich galten und im Kriegs-
falle zu Gesandtschaften benutzt wurden, wie Neoptolemos (Dem. de f. leg.
315. de pace 6). Ihr zum Teil ungebundenes Leben that diesem Ansehen
keinen Eintrag, wennschon es Tadel fand (vgl. Dem. de cor. 262).
Wblcksb Die griech. Trag. Bd. II. Schäfer Demosthenes 2. A. Madyio Kl. phil.
Schriften. Rohde Scaenica, Rhein. Mus. 38 ^^ 269 ff. Voelker Diss. Halenses IV 149 ff.
A. Müller Bühn. § 14. (Über den Namen vnoxQitijg s. Sommerbrodt Scaenica 259 ff.
Rhein. Mus. 80'^ 456 ff.). — Zu 1: Arist. poCt. 4, 16 xal x6 re xioy inoxQixwy nX^^os i^
ivog eig dvo nqmxog AtaxvXog ijyayB (dagegen DnmoRF PSG.* proll. 9. Ritschl Vorl.) x«t
xd tov x^^ ^Xdxtioce xal xok Xoyoy nqiaxayiüyiaxrjv nageaxsvfeae, XQstg di xai axtjyoyga-
fpLtcy £o<poxX^s. Das letztere ist mindestens ungenau, ebenso wie die betreffenden Nach-
richten in der Vita, bei Suidas und La^rt. Diog. 3, 56. Dem Aeschylos schreibt die Ein-
führung Themist. 26 p. 316 D zu; vgl. Gramer An. Par. I 19. -- Zu 4: Pbotios (Suidas)
und Hesychios yef^ijaeis vnoxqixioy ' ol noirjtai iXäfißayoy XQets imoxQixdg xXtjQf^ yefiT^&ey-
xaq, vnoxQiyofiiyovg xd ^QdfiuxUy toy 6 yixijaag eig xovnioy axgixog {dxQixtog Ues.) TtaQsXaf^-
ßdyeto. Vgl. RoHDB 270 ff. und Beri. Phil. Woch. 1887 Sp. 1053 ff. — Zu 5: Plut. Vita
X or. p. 841 E/F eiaijyeyxe youovg^ xov uky tibqI xtSy xfof^t^dtoy, dytuya xotg XvxQoig inixsXeiy
ifpdfiMoy iy r^ d^edxgt^ xal xoy yixtjaayxa eig daxv xaxaXiyBC^ai, ngoxegoy ovx i^oy,
dyaXaußdyfoy xoy dytSya ixXeXomoxa. Dazu Fritsche De Lenaeis 52. Rohde 276. Da
xmfjLi^aoi komische Schauspieler und Aufführungen, später auch Dichter bedeutet, kann man
nicht unbedingt entscheiden, welcher Art der Agon war.
24. Übrige Darsteller. Die dramatischen Choreuten, Flötenbläser
und Hilfespieler waren vom Choregen (§ 20) angeworben und standen des-
halb zum Staat in keinem Yertragsverhältnis. Zur ungestörten Einübung
und Aufführung der Stücke war es indessen nötig, dass sämtliche Spieler
nicht durch anderweitige Pflichten in Anspruch genommen wurden. Und
so waren denn die Choreuten, zu denen wir die Musiker und Hilfsspieler
rechnen dürfen, vom Kriegsdienst befreit (Dem. Mid. 15. Boeot. de nom. 16).
Zwar werden die dramatischen Choreuten nicht im besonderen als dienstfrei
angeführt, allein dass der Staat ihnen das gleiche Vorrecht gewährt habe
wie den lyrischen, dürfte wohl nicht zu bezweifeln sein. Und ähnlich wie
der lyrische Chor wird auch der dramatische als heilig angesehen worden
sein (Müller Bühn. 3356).
25. Die dionysischen Künstler. 1. Der Glanz der scenischen Spiele
Athens wirkte bestimmend auf die übrigen Staaten ein. Dionysische und
andere Feste wurden weit und breit mit dramatischen Spielen gefeiert. In
Syrakus führte Aeschylos Stücke auf, in Makedonien Euripides. Philipp,
Alexander und seine Nachfolger waren eifrige Förderer der Bühnenkünste,
und die griechischen Städte waren nicht zurückgeblieben. Theater wurden
überall gebaut, und die Bühnenkünstler vermehrten sich. Wandernd durch-
zogen sie das Land schon zur Zeit des Demosthenes, und im Laufe der
Jahre wurde die anfangs lose Organisation eine straffere. Es entstanden
festgeschlossene Vereine {avvo6oi) der Bühnenspieler, die sich dionysische
Künstler nannten {ol nsQi tov Jiovvaov xExvixai). Durch Inschriften am
besten bekannt sind die Genossenschaften zu Athen, Argos und Teos.
206 B. Bas fiühnenwesen der Qrieohen nnd Römer.
2. In Athen hatte schon Sophokles (Vita) einen Musenverein gestiftet,
der zwar eine Förderung der darstellenden Kunst angestrebt haben wird,
aber eine Genossenschaft in der späteren Art sicherlich nicht gewesen ist.
Wann und wie der neue Verein in Athen entstand, ist nicht überliefert;
aber Aristoteles gedenkt schon der dionysischen Künstler (Probl. 30, 10),
und aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts stammt das eine der
beiden Amphiktyonendekrete (CIA. II 551), welche die athenische Genossen-
schaft betreffen. Danach scheint es, dass die Einrichtung der Agonothesie
(§ 21) und die Gründung des dionysischen Vereines nicht weit auseinander
fallen. Jedenfalls waren im dritten Jahrhundert sowohl die staatlich ge-
troffenen Einrichtungen als auch die Verhältnisse der beteiligten Künstler
zum Staat ganz andere als in den früheren Jahrhunderten. Über das
Einzelne freilich sind wir nicht näher unterrichtet.
3. Die dionysischen Vereine waren staatlich anerkannte Genossen-
schaften, mit dem Rechte juristischer Personen und andern Vorrechten aus-
gestattet. Die Staaten bewilligten ihnen diese um so eher, als der Haupt-
zweck der Vereine ein heiliger war, Verehrung insbesondere des Dionysos,
aber auch anderer Gottheiten durch gottesdienstliche Feier und Veranstaltung
von musischen Darstellungen. Nebenbei verfolgten sie natürlich auch ihre
Standesinteressen: so wurden wahrscheinlich ausser der Erhöhung der Ein-
künfte Ausbildung oder Fortbildung in eigenen Übungshäusern und Schaffung
eines Heims für die wegen des Herumwanderns als heimatlos geltenden
Mitglieder erstrebt und erreicht. Mitglieder waren nur Männer, und zwar
freie Männer. Doch setzten sich die Genossenschaften nicht bloss aus
scenischen Darstellern zusammen, vielmehr umfassten sie auch Dichter und
nichtscenische musische Darsteller verschiedener Art: Rhapsoden, Kitharoden,
Auloden, Kitharisten, Auleten u. a. Und dies geschah, weil nach und nach
alle Arten musischer Aufführungen, nicht bloss scenische, von den diony-
sischen Vereinen übernommen wurden. Die Chöre scheinen ganz oder zum
Teil aus den Bürgern der Stadt gewählt worden zu sein, in der die Gesell-
schaften spielten (CIG. 1586. Foucart 64. Müller Bühn.405«. 342). An der
Spitze stand ein Vorstand (leQsvg), der auf ein Jahr gewählt wurde und
wieder wählbar war; ihm zur Seite standen ein Schatzmeister {iTiifieXrp^i^g^
Tafiiag) und andere Beamte. Aufführungsverträge wurden durch eigens
dafür bestellte Mitglieder {e^yolaßoi) vermittelt; in fremden Orten waren
Agenten (jtQo^evoi) für die Genossenschaften thätig. Es ist natürlich, dass
so organisierte Vereine ein ziemliches Ansehen genossen und dass einzelnen
Mitgliedern reiche Ehren erwiesen wurden; aber ihr sittliches Verhalten
war von jeher und blieb anstössig (Arist. Probl. 30, 10. Gellius N. A. 20, 4).
Welckeb Griech. Tragödien III. Foucjlbt De collegiis scenicorum artificum aptid
Graecos, Paris 1873; vgl. Les associations religieuses chez les Grees, Paris 1873. 0. Lüdebs
Die dionysischen Künstler, Berl. 1873. Ludw. Friedländbr De artifictbus Dionysiacis,
Ind. schol. hib., Königsb. 1874; vgl. Rom. Sittengeschichte 11^. 0. Ribbeck Rom. Tragödie,
Lpz. 1875 (Einleitung). H. Saüppe Comm. de coUegio artificum scaenicarum atticarum.
Ind. schol. aest., Gott. 1876. Lolling Mitteilungen d. k. deut. arch. Inst. Athen. 3^' 135 fr.
MüLLEB Bahn. 376 ff. von Jan Verh. der 39. Philologenvers, in Zürich 1887 S. 71 ff.
26, Preisrichter. 1. Leider sind die Ergebnisse scharfsinniger Unter-
suchungen (Sauppe, Petersen) nicht mehr haltbar, seitdem sich gezeigt
8. Die staatL-gesellschaftl. Grnndlagen der attischen Bühnenspiele. (§ 26—27.) 207
hat, dass die dramatischen Wettkämpfe von den lyrischen bestimmt zu
scheiden sind (zu § 20). Sicher steht nur weniges, so zunächst, dass die
Kampfrichter (xQnaC) in den dramatischen Agonen ausgelost wurden, und
zwar vor dem Spiel (Müller Bühn. 370 ^). In Betreff des komischen Agons
wird insonderheit berichtet, dass fünf Richter thätig waren (Zenob. cent.
3, 64. Hes. nevre xqnai. Schol. Ar. Vö. 445) und dass sie ihr Urteil auf
Täfelchen schrieben (Zenob. a. 0. Aelian V. H. 2, 13). Über den tragischen
Wettkampf erzählt Plutarch (Kimon 8) etwas. Sein Bericht ist zwar in
mehrfacher Hinsicht an&tössig, aber in der Hauptsache nicht zu verwerfen.
Er betrifft die erste Aufführung des Sophokles, seinen Wettkampf mit
Aeschylos. Es herrschte grosse Parteinahme für und wider den jungen
Dichter. Der Archen loste die Richter nicht aus, sondern bestimmte die
zehn Strategen stellvertretend zu urteilen, wahrscheinlich ihres Ansehens
wegen, nicht weil sie zugleich Vertreter der Phylen waren. Dieser Aus-
nahmsfall beweist nichts für die Zahl der tragischen Preisrichter: es können
gewöhnlich zehn, es können aber auch fünf gewesen sein, wie im komi-
schen Agon.
2. Die Aufgabe der Preisrichter war unparteiisch die gesamte Auf-
ffihrong zu beurteilen. Die Ausstattung war ein wesentlicher Umstand bei
der Beurteilung (Isaeos de her. Dicaeog. 36); doch kam auch die Komposition
in Betracht (Aelian V. H. 2, 13). Nach Aelian scheint es, dass die Preis-
richter nur den Namen des Dichters aufschrieben, den sie als Sieger er-
klärten, nicht auch zugleich den des mitsiegenden Choregen. In welcher
Weise die zweite und dritte, bezw. vierte und fünfte Stelle bestimmt wurde,
bleibt dabei dunkel. Unbekannt ist auch das Verfahren bei der Abstim-
mung über die Protagonisten.
H. Saüppe Berichte üb. d. Verh. d. k. sftchs. Ges. d. Wiss. zu Lpz. ph.— h. K. 1855
S. 1 ff. £. Petebsen Über die Preisrichter der grossen Dionysien. Progr. Dorpat 1878.
MüLLEB Bahn. 369 ff. 418. H. Lipsius Berichte etc., Lpz. 1885 S. 419 f.
27. Zuschauer. 1. Berechtigt zum Besuch des dionysischen Theaters
waren Bürger, Metöken und Fremde; Sklaven wohl nur als Geleiter. Ob
auch Frauen und Kinder Zutritt hatten, ist eine viel behandelte Frage,
bei der mancherlei nicht recht erwogen worden ist. Nicht berücksichtigt
ist die Möglichkeit, dass sich verschiedene Nachrichten nicht auf die drama-
tischen Aufführungen der Stadtfeste, sondern auf die der ländlichen Dionysien
oder bloss auf den dionysischen Festzug an dem grossen Stadtfest beziehen
können. Auch der Witz der Komödiendichter ist nicht gehörig zu Rate
gezogen worden (Madvio Kl. Sehr. 456). Bei reiflicher Erwägung scheint
es, dass im fünften und vierten Jahrhundert den Frauen und jüngeren
Knaben nicht das B^cht zum Besuch der städtischen Komödienaufführungen
zustand, wohl aber zum Besuch des tragischen Agons (Piaton Gesetze II
658 C). Die Komödien des Aristophanes stimmen mit dieser Auffassung
(Frieden 50 f. 765 f. Vögel 793 ff.) oder widersprechen wenigstens nicht
(auch nicht Frieden 964). Doch ob Recht, ob nicht, das ist für die Bühnen-
kunde wenig wesentlich: Thatsache ist, dass Frauen und Kinder in dieser
Zeit den dramatischen Aufführungen in der Stadt nicht beizuwohnen pflegten.
Für die Tragödienaufführungen geht dies zwar nicht aus den Zeugnissen
208 B. Bas Bühnenwesen der Griechen nnd Römer.
hervor, aber doch aus der Grösse der Stadt und des Theaters. Im Anfange
des peloponnesischen Krieges gab es in Attika mit Einschluss der siebzehn-
jährigen und der Ritter ohne jeden Zweifel über 30,000 Bürger (H. Schenkl
Wiener Studien 2 »MGS flf.) und wenigstens halb so viel Metöken. Bei der
Beliebtheit der scenischen Spiele besuchte sicherlich ein sehr grosser Teil
der Einwohner nebst den Fremden das Theater. Dieses hat aber in seiner
grössten Ausdehnung nur 27,500 Sitzplätze (höchstens 15,000 nach J. P.
Mahaffy Academy 1889 4. März Nr. 887). Es bleibt somit so gut wie
kein Raum für Frauen und Kinder. Später allerdings war es anders.
2. Gemäss dem äusseren Zwecke der Bühnendarstellungen als einer
gottesdienstlichen Feier sollte man erwarten, dass die gesamte Gemeinde,
soweit es rechtlich oder möglich war, teilnahm, ohne zur Zahlung von
Eintrittsgeld verpflichtet zu sein. Aber nur im Beginn war es so, in der
Pisistratidenzeit. Seit wann und warum es der Staat ablehnte den Zuschauern
freien Eintritt zu gewähren, ist nicht zu entscheiden. Nach späten Nach-
richten geschah es zur Vermeidung vorgekommener Ungehörigkeiten (Schol.
Luc. Tim. 49. Lex. &€(oqix6v). Es entsprach einigermassen dem Wesen der
Sache, dass Perikles den Bürgern das Eintrittsgeld ersetzte (§ 29). All-
gemein wird angenommen (mit Saüppe), dass es zwei Obolen betrug und
dass es an drei Tagen zu erlegen war. Wenn das richtig ist, dann sind
unter den drei Tagen wahrscheinlich tragische Spieltage zu verstehen.
Es erheben sich aber Bedenken gegen diese Annahme, die indessen hier
nicht dargelegt werden können (vgl. Lipsius 416).
3. Von der Zahlung des Eintrittsgeldes befreit waren einzig diejenigen,
denen der Staat Ehrenplätze bewilligt hatte. Es gab also eigentlich nur
zwei Arten von Sitzplätzen: Ehrensitze und gewöhnliche Sitzplätze. Zu
Ehrensitzen war bestimmt die unterste Sitzreihe {nQoeÖQia: PoUux 8, 12L
133. Phot Suid. TtQoeiQoi). Priester, Archonten, Kultusbeamte hatten hier
ihren Platz. So melden die aus der Kaiserzeit stammenden Inschriften
(CIA. III 240 ff.), so wird es aber auch früher gewesen sein. Gegen Ende
des vierten Jahrhunderts erhielten die Nomophylakes (Lex. Cantab. s. v.)
Ehrenplätze, die Priesterinnen wohl erst in der Zeit, als Frauen das Theater
häufiger zu besuchen pflegten. Die für die letzteren bestimmten Sitze waren
höher gelegen, ein Beweis, wie es scheint, dass sie ihnen erst später zu-
gewiesen wurden. Dies waren die Ehrenplätze, zu denen das Amt berech-
tigte; es gab aber auch solche, welche besonders verliehen wurden (Müller
Bühn. 294) zum Dank für ausgezeichnete Leistungen an Feldherrn, Wohl-
thäter, Waisen Gefallener, Epheben oder aus besonderen politischen Gründen
an fremde Gesandte und Kaufleute. Ihre Lage im Theater ist unbekannt.
Über die Anordnung der übrigen Zuschauer wissen wir sehr wenig. Wir
erfahren nur, dass die Feldherren zusammen sassen (Theophr. Ghar. 5), dass
es eine besondere Abteilung wie für die Epheben {itprjßixov) so für den Rat
gab {ßovXevuxov: Schol. Ar. Vögel 794. Pollux4, 122). Aus diesen Angaben
scheint aber zu folgen, dass die phylenweise Anordnung der Zuschauer,
die man voraussetzen darf, erst spät eingetreten ist (vgl. § 48). Wenn das
Gesetz des Phyromachos (Schol. Ar. Ekkl. 22) aus unbekannter Zeit Bezug
hatte auf das Theater, sassen nach seinem Erlass die etwa anwesenden
2. Die 8taatl.-g6aell8ohaftl. Qnmdlagen der attischen Bühnenepiele. (§ 27 -28.) 209
Frauen getrennt von den Männern und die Hetären getrennt von den
Bürgerinnen; vorher aber nicht. Und dass auch später keine Trennung
statt hatte, zeigt Lukian (Tanz 5). Die Fremden sassen gleichfalls unge-
trennt (Arist. Fried. 45. Dem. de. cor. 28. Theophr. Char. C). Theaterdiener
sind vermutlich bei der Einnahme der Plätze thätig gewesen. Andere als
die Orchestraeingänge (§ 48 ^) durften wahrscheinlich nicht benutzt werden,
denn nur in diesen werden die Kassen gewesen sein. Gegen Schluss der Vor-
stellung scheint man von der Zahlung des Eintrittsgeldes abgesehen zu haben
(Theophr. Char. 30. Bjenndobf 28). Wozu die bleiernen Theatermarken ge-
dient haben, bleibt dunkel; die übrigen waren wohl Legitimationszeichen
für die Proedristen, die notwendig geworden zu sein scheinen, als die
Ehrenplätze vermehrt wurden. (Vgl. § 12. 39).
4. Die rege Anteilnahme der Athener wird am besten bewiesen durch
die Festordnung: Zuschauer, welche es über sich gewannen ganze Tage
lang im Schauspielhause zu sitzen, werden sich schwerlich wieder finden.
Theopomp rückt den Athenern ihre Vorliebe für das Theater mit Unrecht
vor (Justin. 17, 9), denn verglichen mit den andern Völkern zeigten die
Hellenen und besonders die Athener in der Veranstaltung der Feste einen
edlen Oeschmack, der auch dann nicht ganz zurücktrat, als in der Zeit des
Verfalls asiatische und später römische Einflüsse sich geltend machten.
Auch in der Würdigung der Bühnenkünste waren die Athener unübertroffen.
Durch die Ehrerweisung, die sie dem grössten Tragiker zu teil werden
liessen (§ 22), ehrten sie sich selbst. Mochte auch wie überall die Menge
mitgerissen werden; dass sie sich hierzu mitreissen Hess, das ist eben ent-
scheidend. Und vollständig Recht hat Lessing, wenn er im zweiten Stück
der Hamburgischen Dramaturgie sagt: „Es ist nur ein Athen gewesen, es
wird nur ein Athen bleiben.** — Benndorp Beiträge 4 ff. (§ 12). Müller
Bühn. § 20. Lipsius Berichte 1885.
C. Sonstiges.
28. Besorgung der Mittel. 1. Es ist in der Natur der Sache be-
gründet, dass der Staat, bzw. der Gemeindebezirk für die Herstellung und
Instandhaltung der nötigen Gebäude sowie für ihre Ausstattung zu sorgen
hatte. Was den Theaterbau anlangt, so ist diese Fürsorge zum Teil be-
zeugt durch die Geschichte des dionysischen Theaters in Athen und die
Verpachtung des piräischen (CIA. II 573). Hiernach dürfen wir annehmen,
dass auch vor der Errichtung eines festen Theaters die Gerüste {fxQta) für
Darsteller und Zuschauer auf Veranlassung und Kosten des Staates vor
dem Feste neu hergestellt oder doch neu aufgeschlagen wurden. Mit diesem
verschwenderischen Verfahren brach man bald, wahrscheinlich nach 500 und
vor 472 (Suidas u. Pratinas). Um die Wiederkehr eines Einsturzes der
früher auf ebenem Boden aufgeschlagenen Gerüste zu vermeiden, verlegte
man den Schauplatz an den Burgfelsen und stellte mit Benutzung desselben
einen weniger gefahrbringenden Zuschauerraum und eine entsprechend festere
Bühne her. An ein Theater ganz oder grossenteils. aus Stein brauchen wir
hierbei nicht notwendig zu denken, da des Suidas Worte ((lyxoiofxr^x^r^) nicht
unbedingt darauf führen. In der Finanzverwaltung des Redners Lykurg,
H»t.dbiicb der klass. AltcriumBwissenschaft. V. 3. Abtlg. 14
210 B. Das Bühnenwesen der Griechen und Römer.
also sicher auf Staatskosten, wurde das Theater vollständig ausgebaut. Mit
Ausnahme der Vorrückung der Bühne nach späterem Geschmack scheinen
wesentliche Änderungen seitdem nicht vorgenommen worden zu sein.
2. Auf öffentliche Kosten erbaut waren ferner wahrscheinlich die
übrigen Theater Attikas; für das piräische wenigstens ist dies aus der Ver-
pachtung mit ziemlicher Sicherheit zu erschliessen. Ein staatliches Gebäude
war auch das sog. perikleische Odeion, das bei der Hauptprobe (§ 67) be-
nutzt wurde. Es gab endlich einige Gebäude, die in gewisser Beziehung
zum Bühnenwesen standen: das Rathaus der dionysischen Künstler (r(3r
T€xvn(üv ßovXevTTjQiov), ihr Heiligtum {thfuvog tmv tsxv,) und das Übungs-
haus [MekiTbiov oixog), aber über ihre Besitzer oder Erbauer lässt sich eine
sichere Entscheidung nicht treffen (Lit. Müller Bühn. 105 f.). Erst in den
Zeiten des Verfalles, als fremde Mäzenaten Athen ihre Gunst zuwandten,
wurden öffentliche Gebäude für musische Zwecke auf fremde Kosten er-
richtet. Das im suUanischen Kriege verbrannte Odeion wurde von Ario-
barzanes H von Kappadokien (f 52 v. Chr.) neu erbaut. An derselben Stelle
errichtete um 170 n. Chr. Herodes Attikos das in Resten noch erhaltene
Odeion. Von Augustus Schwiegersohn Agrippa stammte das Agrippeion im
Kerameikos, das Philostrat Theater nennt, das aber schwerlich ein wirk-
liches Theater war (Philostr. Vit. Soph. 2, 5, 3; vgl. 2, 8, 2).
3. Die Verwaltung des Theaters war verpachtet im Piraeus und ohne
Zweifel auch in Athen (vgl. CIA. H 164, 32 mit Dem. de cor. 28). Der Pächter
{x^faTQcivtjg, a^xeri'krcör) übernahm die bauliche Instandhaltung des Theaters
(so im Piraeus), vermutlich auch die Aufbewahrung der Ausstattungsgegen-
stände, und zahlte eine gewisse Summe an den Staat. Dafür erhielt er
das Recht das Eintrittsgeld für sich zu erheben; für ausserordentliche
Ehrengäste scheint der Staat gezahlt zu haben (Dem. de cor. 28). Der im
Wortlaut erhaltene Pachtvertrag im Piraeus war, wohl ausnahmsweise, mit
einer Gesellschaft von vier Pächtern abgeschlossen, welche zusammen 3300
Drachmen zahlten. — Über die Besorgung der Bühnenausstattung und der
Bühnentracht sowie über die Bezahlung der Maschinisten und ähnlicher
"Gehilfen wird nichts berichtet. Es ist möglich, dass die Pächter hierzu
angehalten wurden (Müller Bühn. 344); es können aber auch die Gboregen
zum Teil dazu verpflichtet gewesen sein {Tiagaaxsvij Plut. Dem. 29).
C. Wachsmuth Stadt Athen. A. Milcuhoefer bei Baumeister Denkro. o. Athen.
LoLLiNO in Iw. Müllers Handb. III 290 ff. A. Müller Griech. Bühnenalt. § 10 u. S. 343 f.
-- Zu l: U. VON VVilamowitz-Möllendorff 21®* 597 ff.; dazu Sitzber. der bayr. Akad. 1889
II 131 ff., 165 ff. Das Theater ist aufgenommen von Ziller und besprochen von Julius
in LüTzows Zeitschrift für bild. Kunst Bd. 13. Vgl. Abb. im Handb. III 352. (Neue Aus-
grabungen sind geuiacl worden, und die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse steht in Aus-
sicht. Die neuen Thats .hen haben wir mit Dank, aber die daran geknüpften Hypothesen
mit grösster Vorsicht aufzunehmen. Ich bin berechtigt zu erklären» dass dio letzteren, so-
weit sie bis zum Juli 1888 bekannt waren, bei einer Nachprüfung an Ort und Stelle durch
Herrn Dr. Julius, desson Sachkenntnis und Urteilsfähigkeit meines Lobes nicht bedarf, als
nicht bei falls würdig befunden worden sind. Übrigens' hat das dionysische Theater Athens
schon längst an Wichtigkeit verloren, seitdem sich herausgestellt hat, dass im fünften Jahr-
hundert ein steinernes Bühnengebäude nicht vorhanden war, und besonders seitdem das
epidaurische ausgegraben worden ist: § 11.) — Zu 2: Vgl. Müller Bühn. 106. Piraeus-
theater: Curtius und Kaupert Karten von Attika, Text 1 66 (ähnlich dem dionysischen in
Athen). Theater in Thonkos: VV. Miller und W. Cushino Paperfs of the Amertcan ScJiool
at Athens 5 (1885.87) 1 ff. T. 1-7. Das perikleische Odeion lag westlich vom Theater.
2. Die 8taatl.-gesellBclitk!tl. Qrandlagen der attiechen Bühnenepiele. (§ 29-30.) 211
(So LoESCHCKB. Entscheidend ist Andokides I 38 deiaag: Diokleides fürchtet sich dem
Komastenschwarm zu begegnen. Bei Loeschckes Ansatz Progr. Dorpat 1883 S. 10, 1884
S. 22*® ist alles in Ordnung; nicht so bei Lollikos Handb. Ilf 326', 329': denn wenn D.
sich schon beim Propylaeon des Dionysions befindet, ist er über jene Gefahr hinaus.
Übrigens standen die Statuen im Theater, nicht neben dem Propylaeon.) Herodes Attikos
(ungeföhr 102 -- 177) baute das Odeion bald nach dem Tode seiner Gattin Regilla, welcher
vor 171 eintrat: Bubesch Rhein. Mus. 44®* 403 f. Abb. der Reste: Monum. VI 16 f.
29. Kosten. 1. Dass der Staat allein für die Kosten der städtischen
Bühnenspiele aufkam, haben wir gesehen, denn die Auslagen der Choregen
oder Agonotheten (§ 20 f.) und die des Theaterpächters (§ 28) unterschieden
sich von den gewöhnlichen staatlichen Leistungen nur durch die Form.
Wie hoch sich die Summe belief, welche der Staat aus der Staatskasse für
die Opfer und für die Siegespreise und Honorare der Dichter und Schau-
spieler (§ 22 f. 25) aufzuwenden hatte, ist nicht überliefert. Die Kosten der
Choregen waren schwankend, denn es kam nicht wenig auf Freigebigkeit
an; im ganzen aber waren sie verhältnismässig gering (§ 20. Lys. 21, 1 ff .
BoECKH Staatsh. P 545). Da die Höhe der vom Theaterpächter an den
Staat zu zahlenden Summe nicht bekannt ist, so kann auch die Summe
nicht berechnet werden, die ihm für seine Mühe und seinen Aufwand
übrig blieb.
2. Die Zahlung des Schaugeldes (O^eoDQixov) an die Bürger war eine
ganz eigentümliche Einrichtung, deren Beurteilung nicht leicht fällt. In
der Zeit des Demosthenes (in Leoch. 37) und ohne Zweifel auch früher er-
hielten das demenweise zur Verteilung kommende Schaugeld nur diejenigen
Bürger, welche in den Bürgerbüchern der Demen {Xr^^iuQxixd ygafAfiazeta)
eingetragen waren, und nur, wenn sie selbst erschienen (Hyperid. in Dem. p.
IS** BL). Perikles hatte es eingeführt nach Plutarch (P. 9). Anfänglich wurde
es nur an den scenischen Festen verteilt, später auch an andern Festen zur
beliebigen Verwendung (Dem. in Leoch. 37. Ol. I 20. Liban. Hyp. Dem.OI.I
p. 8). Man mag überlegen wie man will, ganz freizusprechen dürfte Perikles
nicht sein. Dem Wesen der Feier wäre es angemessen gewesen, wenn das
Eintrittsgeld ganz aufgehoben worden wäre. Wollte man den Besuch des
Theaters von selten der Metöken oder auch der Frauen beschränken, um
Platz für die Bürger zu schaffen, so hätte es genügt nur von jenen Be-
zahlung zu verlangen, den sich legitimierenden Bürgern dagegen freien
Eintritt zu gestatten. Dass man aber das Schaugeld allen Bürgern ohne
Ausnahme auszahlte, auch denen, die das Theater nicht besuchen wollten
oder konnten, wenn sie nur das Geld selbst abholten (es müssen ziemlich
viele gewesen sein: § 27 0> d^ts war durch die Sache nicht geboten und
war der Anfang des ärgerlichen Krebsschadens in der Staatswirtschaft
Athens.
BoECKH Staatshausbaltung der Athener P 274 ff. Busolt oben IV 124. 160. 198.
Behndobf Beiträge 22 ff. (§ 12). Fickelscherer De theoricis Ath. pecunm com,, Lpz. 1877.
SO. Rechtsschutz. Sehr bald nach Beendigung der grossen diony-
sischen Festfeier wurde im Theater eine Volksversammlung abgehalten, die
Bezug hatte auf das vorausgegangene Fest. In dieser wurde nicht bloss
über Belohnungen für ausgezeichnete Leistungen der Beamten beschlossen,
sondern auch über Klagen entschieden, die wegen vermeintlicher Verletzung
der; Festordnung vorgebracht wurden. Klagen gegen den Archen konnten
14*
212 B. Bas Bühnenwesen der Oriechen und Römer.
also hier geführt werden (Dem. Mid. 9), ob auch gegen die Kampfrichter
und Dichter, ist zweifelhaft. Vgl. H. Sauppe Berichte, Lpz. 1855 S. 12. A.
MoMMSEN Heortologie 388 flf. • A. Mülleb Bühn. 73. 374.
3. Die staatlich-gesellschaftlichen Grundlagen der
römischen Bfihnenspiele.
A. Im allgremeinen.
31. YeranlasBung, Arten. 1. Wie die attischen waren die römi-
schen Bühnenspiele Aufführungen dramatischer Dichtungen, die im unbe-
deckten Theater aus mehr oder weniger religiöser Veranlassung stattfanden;
aber sie unterschieden sich von jenen in mehrfacher Hinsicht.
2. Sie waren zunächst nicht, wie in Athen, zu Ehren des Dionysos
eingerichtet, ja überhaupt nicht zu Ehren eines einzigen Gottes, sondern
dienten zur Verherrlichung verschiedener religiöser Festlichkeiten (§ 32)
und in der Eaiserzeit auch bloss zur Feier freudiger Ereignisse (Absatz 4).
An Dionysos erinnerte im römischen Bühnenwesen eigentlich nur der Altar
dieses Gottes, der nebst dem der jeweils gefeierten Gottheit auf der Bühne
aufgestellt gewesen sein soll (§ 53).
3. Femer gab es zwar in Rom wie in Athen ständige Jahresfeste,
welche mit Bühnenspielen ausgestattet waren {ludi annui), aber daneben
auch ausserordentliche, nur einmal, nicht jährlich eintretende Feste mit
Bühnenspielen, die sich in Athen nicht fanden (Ritschl 286 ff. Friedl. 497 *.
529). Sie wurden veranstaltet infolge von Gelübden, besonders in Kriegs-
zeiten (Votivspiele, ludi votivi), bei Einweihung von öffentlichen Bauten
(Dedikationsspiele), z. B. von Tempeln (Plaut. Pseud. didasc.) und besonders
von Theatern, ferner bei Gelegenheit von Triumphen (Triumphalspiele) und
endlich aus Anlass der Säcularfeier (Säcularspiele, ludi saeculares: Mar-
QUARDT StV. III«385ff.).
4. Dazu kommt aber noch, dass solche ausserordentlichen Spiele auch
von Privatpersonen veranstaltet werden konnten {ludi privativ Gegensatz
puhlici), während es in Athen nur staatlich geleitete gab; doch waren jene
nicht völlig ohne staatliche Anteilnahme. Der Staat nämlich gewährte den
Veranstaltern von Privatspielen dasselbe Recht in Bezug auf den Gebrauch
der Lictoren und der Toga praetexta wie den staatlichen Festgebern (Momh-
sen StR. P 407) und verlangte ausserdem, dass Nichtsenatoren zuvor die
Erlaubnis des Senates einholten (Dio C. 60, 23. Friedl. 490). Gegeben aber
wurden Privatspiele vorzugsweise bei Gelegenheit von Leichenfeiern (ludi
funehr esj, wie uns die Didaskalieen zu Terenz lehren, in der Kaiserzeit
allerdings auch bei blossen freudigen Ereignissen (Friedl. 489 f.). Über
die Privatspiele des Kaiserhauses unten § 32 ^.
5. Wie die Anlässe waren auch die Arten der Bühnenspiele in Rom
mannigfaltiger als in Athen. Zwar die beiden Hauptarten, Tragödie und
Komödie, waren im grossen und ganzen dieselben. Die zwei Unterarten
nämlich, in die jede von ihnen zerfiel, je nachdem die Verfasser sich mehr
an die griechischen Vorbilder anschlössen {fabula crepidata und paUicUä)
8. Die 8taatl.-ge8ellachaffcl. Gnmdlagen der römischen Bühnenspiele. (§ 31 —32.) 213
oder in freierer Weise römische Stoffe verwerteten (fabula praetexta und
togata)f schieden sich von einander mehr durch Ausserlichkeiten. In Rück-
sicht auf die Darstellung lässt sich zwischen den altgriechischen und römi-
schen Hauptarten nur ein wesentlicher Unterschied erkennen : im römischen
Drama wurde der Chor ausgeschlossen oder wenigstens in Mitgliederzahl
und Thätigkeit bedeutend beschränkt, dagegen die übrigen Darsteller ver-
mehrt (§ 38); doch ist auch dieser Unterschied vermutlich schon in neu-
attischer Zeit eingetreten und von den Römern nur herübergenommen
worden. Aber der Beigaben und Nebenarten gab es mehr in Rom als in
Athen.
6. Wie in Athen lange Zeit das Satyrspiel oder ein viertes Schau-
spiel als ein heiteres Nachspiel auf die tragischen Stücke folgte, so wurde
in Rom die Atellane als Nachspiel verwendet, eine kurze Posse mit
stehenden Rollen (Pappus, Bucco, Maccus, Dossenus), die allerdings auch
selbständig aufgeführt wurde. Sie stammte aus der kampanischen Stadt
Atella (anders Mommsen RG. II K. 13) und wurde anfänglich von römischen
Jünglingen in Masken improvisiert, eine Sitte, die vielleicht auch dann noch
fortdauerte, als bereits atellanische Dichtungen von wirklichen Schauspielern
aufgeführt wurden (Mommsen ib.).
7. In Ciceros Zeit (ad fam. 9, 16) wurde sie als Nachspiel durch den
in Latium wohl alteinheimischen Mimus verdrängt, der in der Kaiserzeit
die dramatischen Hauptarten völlig verdunkelte, ein Beweis neben andern
für die eingetretene Geschmacksverrohung der Römer, denn es war der
Mimus nichts weiter als eine gemeine Posse. In bühnentechnischer Hin-
sicht unterschied er sich von den andern Arten besonders dadurch, dass
Frauenrollen nicht wie sonst durch Männer, sondern durch Frauen gespielt
wurden und dass die Schauspieler ohne den niederen Schuh der Komödie
(socctis) und ohne Masken auftraten, offenbar weil das Grimassenspiel als
Hauptsache galt und durch nichts gehindert sein sollte. Weitere Eigen-
tümlichkeiten waren eine närrische Bühnentracht {centunculus, ricinium,
phcMus) und Thätigkeit der Schauspieler auf dem vorderen Teil der Bühne,
den nach hinten ein Zwischenvorhang (siparium) abschloss.
8. Kurz sei auch der balletartigen Aufführungen gedacht, die in der
Kaiserzeit zur Ausbildung gelangten. Der Pantomimus war ein dramati-
scher Tanz eines Einzeltänzers, der verschiedene Rollen und Situationen
meist eines Mythos mimisch darstellte, während ein Chor unter Musik-
begleitung sang. Mehr balletartig war die dramatische Pyrrhiche, da sie
von mehreren Tänzern und Tänzerinnen aufgeführt wurde.
Lit. fOr § 31—41: Ritschl, Kibbeck, Friedlaehdeb s. § 6. Th. Mommsen Römische
Geschichte; Römisches Staatsrecht 1 - 111 (im HaDdb. der röm. AltertQmer von Mabquabot
DDd Mommsen I — III}; CIL. I p. 361 ff. MABguASDT Römische Staatsverwaltung I~III (im
Handb. der röm. Alt. IV - VI). Dziatzko Terenz Phormio (Einleitung).
32. Festzeiten. 1. Von den römischen Jahresfesten sind für die
Bühnengeschichte vier besonders wichtig, weil an ihnen zuerst und lange
Zeit hindurch jährlich eigentliche Bühnenspiele stattfanden: die Megalesien
im April, das Apollofest im Juli, das Rüraerfest im September und das
plebejische Fest im November.
214 B. Bas Bühnenwesen der Griechen nnd Römer.
2. Das älteste Fest, das Hauptfest, das zu Ehren von Jupiter ge-
feiert wurde, war das Römerfest (ludi Romani; zuweilen auch magni und
maximi genannt, dann aber zu unterscheiden von dem ebenso genannten
Votivfest). An ihm fanden zuerst regelmässige BühnenauffQhrungen statt.
Anfanglich freilich, seit 390/364, waren diese nur Darstellungen etruskischer
Pantomimen; eigentliche Bühnenspiele gab es erst, seit Livius Andronicus
im Jahre 514/240 eine Tragödie und eine Komödie über die Bühne gehen
Hess (Liv. 7, 2).
3. Das plebejische Fest {ludi plebeji) wurde schon im Jahre 554/200
durch dramatische Aufführungen verherrlicht, wie die Didaskalie zum Stichus
des Plautus meldet (Studemund Com. in hon. Mommsen I. 782 ff.).
4. Ende des dritten Jahrhunderts wurden in Rom zwei neue Kulte
eingeführt, der des Apollo 542/212 und der der phrygischen Oöttermutter
550/204. Das Apollofest {ludi ApolUnare<) war von allem Anfang an
scenisch, allerdings die ersten paar Jahre nur jährlich neu gelobt und erst
seit 246/208 ein ordentliches Jahresfest (RrrscHL 292. XXII f.).
5. Dagegen wurden die Megalesien oder das Fest der grossen Mutter
{ludi Megalenses, fieyakrj) erst mehrere Jahre später, 560/194, zu einem
scenischen gestaltet (Liv. 34, 54).
6. Ausser den ausserordentlichen Festspielen, die an keine Jahreszeit
gebunden waren, gab es nur die ebengenannten vier Feste, welche in der
republikanischen Zeit mit eigentlichen Bühnenspielen gefeiert wurden, denn
für das Florafest im April-Mai {ludi Florales) sind nur Mimen bezeugt
(Arnob. 3, 23. 7,33) und Bühnenspiele am Ceresfeste im April {Uidi Cerialcs)
werden erst in der Kaiserzeit erwähnt (Tac. Hist. 2, 55. Juv. 14, 262. Ritschl
287). Gedauei*t aber haben sie bis in die späte Kaiserzeit: sie werden u. a.
noch genannt im Kalender des Philocalus aus dem Jahr 354 (CIL. I
p. 332 ff.).
7. Seit Sulla, Caesar, Augustus trat eine Vermehrung der regel-
mässigen mit Spielen versehenen Feste ein (Friedl. 502 f.). Ausdrücklich
als scenisch werden in der Kaiserzeit genannt das Fest der Ceres (Ab-
satz 6) und die von Livia zu Ehren des Augustus eingerichteten palatini-
schen Spiele {ludi P.). Die letzteren nahmen unter den scenischen Festen
der Römer eine Sonderstellung ein, indem sie zwar wie die ordentlichen
Feste jährlich wiederkehrten, aber doch eigentlich nur kaiserliche Privat-
spiele vor einem, wie es scheint, beschränkten Zuschauerkreise waren (CIL.
I p. 385. Friedl. 490 e).
Zu ludi Romani: Th. Mommsbn Rhein. Mus. 14^^ 79 ff. (Rom. ForschuDgen IT 42 ff.).
Holzapfel Philol. 48®* 369 ff. (ursprüDglich nicht, aber bereits 536/218 im September
gefeiert).
33. Festort. 1. Das Verhältnis zwischen Spielort und Verehrungs-
stätte des zu feiernden Gottes verdient eine eingehende Prüfung. Nach den
bisher beachteten Zeugnissen kann es nicht zweifelhaft sein, dass anfänglich
die Bühnenspiele in Rom vor sich gingen entweder wie in Athen in der
Nähe eines Heiligtums der zu feiernden Gottheit oder, bei Leichenfeiern,
auf dem Forum.
2. Die Spielplätze aber wurden verlegt, wie es scheint, nachdem die
3. Die staatL-gMellBchaftl. Grundlagen der römischen Bühnenspiele. (§ 33-34.) 215
drei steinernen Theater von 699/55 bis 741 13 errichtet worden waren
(§ 40). Ob diese Theater einzeln oder insgesamt bei den einzelnen Fest-
spielen in Benutzung kamen, ist unbekannt. Neben den steinernen wurden
aber alljährlich noch viele Theater aus Holz aufgeschlagen, und zwar in
den verschiedensten Teilen der Stadt.
Zu 1: WiLH. Hahn Scaenieae qtiaestiones Plautinae, Diss. Greifs w. 1867 S. 2 fF.
(richtig, aber nicht erschöpfend). Vgl. Cic. de harusp. resp. 12 Nam quid ego de Ulis
ludis loquar, qw>8 in Palati o nostri maiores ante templum in ipso Matris magnae
compectu fieri celebrarique volueru9it. Dio C. 56, 46. Joseph. Ant. J. 19, 1, 13. Augustin
de civ. dei 2, 26 u.a. — Zu 2: Vitruv 5, 5, 7 tnulta theatra quotannis Romae facta; an
verschiedenen Orten nach Sueton Caes. 39; Aug. 43; Dio Cass. 61, 17. Mehr Friedl. 531 ^.
84. Festordnong. 1. Zirkusspiele, d. h. Wettfahrten und Wettrennen
dienten anfänglich zur Verherrlichung der römischen Feste; sie wurden
beibehalten, solange das römische Reich bestand. Als die Biihnenspiele
in Aufnahme kamen, wurden viele Feste zweiteilig gestaltet; den Schluss
bildeten dann regelmässig die Zirkusspiele (Merkel Ovid. Fast. XLV). Zu-
erst mit Zirkusspielen, später auch mit Bühnenspielen ausgestattet war das
Römerfest und wahrscheinlich auch das plebejische. Umgekehrt scheint es
bei den Festen des Apollo und der Göttermutter gewesen zu sein. Die
erste Feier des Apollofestes dauerte nämlich nur einen Tag, an dem sceni-
sches Spiel stettfand (Ritschl XXII f. 292), und Zirkusspiele an den Mega-
lesien erwähnt Cicero wenigstens nicht (zu § 32*; doch vgl. CIL. I p. 391).
Wie diese Jahresfeste werden auch die nur einmal staatlich veranstalteten
und mit Bühnenspielen versehenen Feste zweiteilig gewesen sein. Nicht
zugleich mit Zirkusspielen ausgestattet waren unseres Wissens nur die
Saecularspiele, die kaiserlichen Privatspiele auf dem Palatin, überhaupt viel-
leicht alle oder doch die meisten Privatspiele.
2. Die Gesamtdauer fast aller Feste ist in den verschiedenen Zeiten
verschieden gewesen: ursprünglich meist nur eintägig, stieg sie im Laufe
der Zeit auf 8 bis 14 Tage und mehr und nahm in später Zeit zum Teil
wieder ab. Wie die Gesamtdauer hat auch die Dauer des rein scenischen
Teiles zu- und abgenommen, doch ist uns gerade hierüber am wenigsten
überliefert. Das Römerfest dauerte 563 191 bis 583/171 im ganzen zehn
Tage, vor Caesars Tode fünfzehn und gleich darauf sechzehn, aber im Jahr
354 nur vier Tage. Mehr als eintägig waren die plebejischen Spiele schon
547/207 (Liv. 28, 10), im Anfang der Kaiserzeit umfassten sie vierzehn,
dagegen 354 nur fünf Tage. Das Apollofest, anfänglich nur eintägig, war
bereite 564/190 mehrtägig (Juli 11—13: Liv. 37, 4), später achttägig. Ähn-
lich mögen sich die Megalesien erweitert haben; sicher wissen wir nur aus
den Kalendern der Kaiserzeit, dass sie vom 4. bis 10. April stettfanden.
(Das Ceresfest dauerte acht Tage, das Florafest sechs, später vier.) Die
ausserordentlichen mit Bühnenspielen gefeierten Steatefestlichkeiten werden
wie im ganzen so in ihrer Dauer den ordentlichen ähnlich gewesen sein;
doch haben die Säcularspiele immer nur drei Tage gedauert, von denen
nur einer zu Theaterspielen benutzt wurde (Marquardt StV. III ^ 385 flf.).
Die gleiche Zeit beanspruchten anfänglich die kaiserlichen Privntspiele im
Palatium, später fünf Tage.
3. Eine andere, dem Römertum ganz eigentümliche Vermehrung der
216 B. Bas Bühnenwesen der Griechen und BOmer.
Spieltage trat ein infolge vermeintlicher Religionsverletzung {violata religio:
RiTSGHL 306 ff.)- Die kleinste Störung oder Unterbrechung konnte das Spiel
ungültig machen. Um das Verfehlte auszugleichen, musste der betreffende
Teil des Spieles, ein Tag gewöhnlich, von neuem gegeben werden (ein Tag:
ludi semel, dfem unum instaurati; drei Tage: /. ter, per triduum {.). Es
konnte aber auch vorkommen, dass das Gesamtspiel von der Priesterschaft
für ungültig erklärt wurde; dann musste es ganz neu angefangen werden
{ludi toti instaurati). Diese vollständige Wiederholung ist in einzelnen
Fällen sogar mehrmals verlangt worden (Z. his, quinquies toti t.). Es scheinen
solche Ungültigkeitserklärungen auch absichtlich herbeigeführt worden zu
sein ; indessen doch wohl mehr beim Zirkusspiel als beim Bühnenspiel, denn
Claudius, der beschränkende Bestimmungen erliess (Dio C. 60, 6), traf diese
in Rücksicht auf die Zirkusspiele.
4. Wettkämpfe fanden auch in Rom statt, aber was wir darüber er-
fahren, ist ausserordentlich wenig (Ritschl 229 ff.). Schauspielerwettkämpfe
werden zuerst in den erhaltenen Prologen der Dramen des Plautus erwähnt,
die abgefasst wurden, als diese Dramen seit der Mitte des zweiten Jahr-
hunderts zur Wiederaufführung gelangten. Vielleicht waren sie aber schon
zu Plautus Lebzeiten eingerichtet. Wettkämpfe der Dichter können nur
vermutet werden, denn die hierauf bezüglichen Angaben sind nicht unzwei-
deutig; es steht also nichts im Wege sie ganz zu leugnen (Ribbeck 670).
Über die Zahl und Reihenfolge der Wettkämpfe hören wir nichts. Im
übrigen ist nur sicher, dass anfänglich immer nur neue Stücke gefordert
wurden und dass in Ciceros Zeit (de nat. deor. 1 , 28) das Spiel in der Frühe
begann, denn ob in der Zeit des Plautus täglich nur ein Stück gespielt
wurde (Mommsen RÖ. I g. Ende, „PmJKcmwi*), bleibt fraglich.
B. Persönliche Verhältnisse.
35. Festleiter. 1. Bei den Privatspielen hatten die Leitung der
Spiele die Veranstalter; Leiter der staatlich veranstalteten Spiele {curatores
ludorum) waren immer Beamte. Diese aber waren nicht, wie die Archonten
Athens, bloss Festleiter, sondern zugleich auch Festgeber, denn mit der
vom Staat für das Fest bewilligten Summe reichten sie nicht aus. Die
Leitung der ausserordentlichen Staatsfeste stand den Konsuln zu (Mommsen
StR. II 22 129 ^ 910»; Res gest. Div. Aug.« 62 f.). Mit der Spielleitung an
den scenischen Jahresfesten waren bis auf Augustus hauptsächlich die Ädilen
betraut: die Curulädilen an dem Römeriest und den Megalesien, die Volksädilen
dagegen am plebejischen Fest; nur für die Apollinarspiele war der Stadt-
prätor zu sorgen verpflichtet. Im Jahre 732-22 jedoch übertrug Augustus
die Leitung dieser Spiele den Prätoren (Mommsen StR. II 1 * 510 ').
2. Dem Festleiter lag zunächst ob die Beschaffung der nötigen Dich-
tung, die Anwerbung, Besoldung und Beaufsichtigung (§ 38) der Spieler,
bis zur Erbauung der steinernen Theater und in gewissen Fällen auch
später die Herrichtung und Ausstattung des Spielplatzes und in früherer
Zeit wenigstens die Bereitstellung der erforderlichen Bühnenkleidung (Plaut.
Pers. 159). Beim Feste selbst hatte er hauptsächlich für Ordnung während
des Eintrittes der Zuschauer und wohl auch während der Darstellung zu
8. Die staatL-gesellschaffcl. Grundlagen der römischen Bühnenepiele. (§ 35— 37.) 217
sorgen und schliesslich die Preisverteilung vorzunehmen (Plaut. Poen. 37).
Zu seiner Verfügung standen Gehilfen [dissignatores), welche von Lictoren
begleitet das Einnehmen der Plätze durch die Zuschauer zu überwachen
hatten.
3. Es ist begreiflich, dass die Festgeber bei dem wachsenden Reich-
tum und Luxus Mittel aufzuwenden hatten, die weit über den Staatszuschuss
hinausgingen. Schulden, Erpressungen, wirtschaftlicher Ruin waren die
Folgen davon schon im zweiten und mehr noch im ersten vorchristlichen
Jahrhundert. Das Übel dauerte, wenn auch weniger heftig, in der Eaiser-
zeit fort, in der allerdings die eigentlichen scenischen Spiele den andern,
besonders den Fechterspielen gegenüber bedeutend an Ansehen verloren,
also einen verhältnismässig geringeren Aufwand erforderten. Die Kaiser
suchten wiederholt zu helfen durch einschränkende Bestimmungen und
ausserordentliche Unterstützungen, doch ohne durchschlagenden Erfolg, wie
es scheint (Mabquardt StV. II » 85 f. Friedl. ib. III « 488 f.).
36. Spielontemehmer. 1. Die wichtigste Rolle im römischen Bühnen-
wesen hatte ohne Zweifel der Spielunternehmer, der einigermassen dem
Direktor eines Privattheaters unserer Zeit entspricht. Er stand an der
Spitze einer Schauspielergesellschaft {grex, caterva : § 38), war ihr Direktor
{dominus gregis), zu gleicher Zeit Hauptschauspieler {actor, acior primarum
partium) und Regisseur. Bekannt sind uns als Aufführer plautischer und
terenzischer Stücke T. Publilius Pellio (Studemünd Com. Momms. 800 f.)
und Ambivius Turpio.
2. Dem Spielgeber gegenüber verpflichtete sich der Unternehmer zur
Aufführung eines (oder mehrerer) Stücke durch seine Truppe. Neuheit oder
Überarbeitung des Stückes war anfanglich Bedingung; das Stück aus-
zuwählen und anzukaufen war Sache des Unternehmers. Durch den An-
kauf wurde wohl das volle Eigentumsrecht erworben (Ritschl 327 flf.),
nicht bloss das Recht der ersten Aufführung (Dziatzko Rhein. Mus. 21 ^^
471 ff.). Die Auswahl stand auch dem Unternehmer zu, als nach dem
Tode des Terenz die Aufführungen alter Stücke beliebt wurden (Cic. de
off. 1, 31, 114). Wenn Sp. Maecius Tarpa in Ciceros Zeit (ad div. 7, 1, 1)
als Begutachter von Dichtungen thätig war (cf. Com. Cruq. Hör. Sat. I 10,
88), so ist zu schliessen, dass neue Dramen nicht mehr durch den Unter-
nehmer, sondern durch den Spielgeber ausgewählt und bezahlt wurden.
3. Den ausbedungenen Lohn, dessen Höhe unbekannt ist, erhielt der
Unternehmer wahrscheinlich für sich und seine Gesellschaft zusammen;
jedenfalls wurde seine Thätigkeit als Unternehmer nicht gesondert von der
als Hauptspieler honoriert (zu § 38^). Dass aber die erstere in Ansatz
gebracht wurde, ist an sich wahrscheinlich und geht auch hervor aus der
nicht recht klaren Verpflichtung zur Entrichtung einer Strafsumme bei
Missfallen des aufgeführten Stückes (vgl. Ritschl 328 f.)
37. Dichter. 1. In Rom hatte der Dichter nicht entfernt die Be-
deutung wie in Athen. Ganz zu geschweigen der Abhängigkeit von den
griechischen Vorlagen, war er nur Textschreiber {scriba), nicht zu gleicher
Zeit Tondichter und orchestischer Komponist, ein Verhältnis, das aller-
218 B* ^&s Bühnenwesen der Griechen und Römer.
dings schon in Athen eingetreten war (§ 22). Er war aber ferner, was
bezeichnend ist, auch nicht Regisseur, wie immer in Athen; er hatte nur,
wie es scheint (Terenz Haut. proL), bei der Rollenverteilung zu sorgen.
Auch Livius Andronicus machte von dieser Regel wohl keine Ausnahme
(Leo Hermes 24»» 77).
2. Was man von einem Dichter verlangte, war also nicht viel mehr
als die Lieferung eines neuen oder überarbeiteten Textes, zu dem er von
einem Komponisten die Musik hatte setzen lassen {nwdos facere, auch
modulari). Nach den Didaskalieen war des Oppius Sklave Marcipor für
Plautus und des Claudius Sklave Flaccus für Terenz als Komponist thätig.
Die Höhe der Kaufsumme, gegen welche der Dichter sein Eigentumsrecht
abtrat (§ 36), wird nirgends angegeben; denn die 8000 Sesterzen, die
Terenz für zwei Aufführungen des Eunuchen erhielt, waren sicherlich nicht
die Kaufsumme (Ritschl 332**).
3. Es war hauptsächlich die Annahme eines Lohnes, welche das An-
sehen der Dichter schädigte, denn der gewerbsmässige Geldgewinn galt in
Rom als unehrenhaft. Das Korporationsrecht, welches den Dichtern mit
den Schauspielern zusammen bald eingeräumt wurde, änderte hierin nichts.
So kam es, dass während der Blütezeit der römischen Bühne meist Nicht-
römer von niederem Stande, geborene Sklaven, Taglöhner, Schullehrer,
als Bühnendichter thätig waren: Livius Andronicus, Ennius, Plautus,
Terenz u. a.
38. Darsteller. 1. Die zu einer Truppe vereinigten Darsteller bil-
deten keine Genossenschaft nach Art der dionysischen Künstlervereine, die
aus Griechenland, den hellenisierten Ländern und aus Rom bekannt sind
(§ 25). Die römischen Schauspielervereine unterschieden sich von jenen
besonders dadurch, dass sie nicht zugleich religiöse Zwecke verfolgten
(Friedl. 538^). Die Zahl der Mitglieder und die Aufgabe der einzelnen
sind nicht genauer bekannt; doch dürfen wir voraussetzen, dass jede
Truppe wenigstens so viel ordentliche Schauspieler in sich schloss, als zur
Aufführung eines Dramas gehörten. Dazu brauchte man aber mehr als
drei, wie Diomedes (491, 2K) ausdrücklich angibt und aus den Dramen zu
schliessen ist. Diese Schauspieler hatten alle ordentlichen Rollen zu spielen,
mit Ausnahme des Mimus (§ 31) auch die Frauenrollen, denn Schauspie-
lerinnen, und zwar komische, werden erst in ganz später Zeit erwähnt
(Donat Ter. And. 4, 3). Daneben bedurfte die Gesellschaft eines Sängers
(Liv. 7, 2), eines Flötenbläsers, mehrerer Statisten und Maschinisten; die
letzteren könnten allerdings auch vom Spielgeber gesondert gemietet worden
sein. Für den Fall, dass die Gesellschaft, bzw. ihr Vorsteher eine Tra-
gödienaufFührung nach griechischer Art übernahm, bedurfte sie ausserdem
eines vermutlich nicht starken Chores.
2. Die Besoldung der Darsteller ist ungenügend bekannt, denn was
wir erfahren, bezieht sich fast nur auf einen 'der beiden grössten Schau-
spieler der Römer, Roscius, gibt also keinen Massstab für die Besoldung
im allgemeinen (vgl. Ribbeck 658). Es waren bedeutende Summen, die
man ihm zu zahlen bereit war: Sechs Millionen Sesterzen, sagt Cicero
(p. Roscio 8), hätte er in zehn Jahren verdienen können, wenn er nicht
8. Die 8taatl.-g6aell8chaftl. Gmndlagen der römischen Bühnenspiele. (§ 38—39.) 2 1 9
vorgezogen hätte gar nichts mehr zu nehmen. Hierbei war aber der Unter-
nehmergewinn mit eingeschlossen (zu 2). Die Preise, welche die Sieger
im Schauspielei wettkam pf erhielten, scheinen anfänglich Palmen gewesen
zu sein; später waren es Kränze {coroUae) aus Silber- oder Goldblech
(Varro LL. 5, 178; danach Plin. N. H. 21, 5), in der Kaiserzeit wohl ge-
wöhnlich Bargeld (Ribbeck 658. Friedl. 541 f.). Wie für ausgezeichnete
Leistungen besondere Belohnungen, so traten Strafen, und zwar Schläge,
für Vergehen ein {qui deliquit, vapulahit: Plaut. Cist. Schluss). Die Straf-
gewalt der Beamten erstreckte sich auch auf die Zeit, wo nicht gespielt
wurde; doch beschränkte sie Augustus auf die Spielzeit (Suet. Aug. 45)
oder hob sie ganz auf (Tac. An. 1, 77).
3. Der Beruf der eigentlichen Schauspieler, nicht die Thätigkeit der
Dilettantenspieler, galt wie jener der Dichter wegen des Gelderwerbes im
allgemeinen als unehrenhaft. Freigelassene oder Sklaven waren daher
hauptsächlich als Schauspieler tbätig. Die letzteren erhielten ihre beruf-
liche Ausbildung auf Veranlassung ihrer Herren, welche aus der Vermie-
tung der ausgebildeten Sklaven ein Geschäft machten (Gic. p. Rose. 10 f.).
Rechtlich blieb ihre Stellmig jederzeit herabgedrückt; doch hat sie sich in
gesellschaftlicher Beziehung im Laufe der Zeit gebessert, ohne Zweifel
wesentlich infolge der Verbreitung griechischer Denkungsweise. Folge
griechischer Anschauung und Vorbild zur Nachahmung war Sullas intimer
Verkehr mit Schauspielern (Plut. Sulla 36). Ruhm und Reichtum, die
Roscius und Aesopus erwarben, verschafften auch der Kunst und den Ge-
nossen Ansehen. Das von Caesar und den späteren Machthabern veran-
lasste Auftreten vornehmer Römer auf der Bühne (Suet. Caes. 39. Friedl.
540'), Augusts gemilderte Strafbestimmungen trugen weiter dazu bei, den
Stand gesellschaftlich zu heben ; doch haben die Schauspieler im allgemeinen
nicht die gleiche Teilnahme gefunden wie Wagenlenker und Fechter.
Zu 2: Macrobius 3, 14, 13 tanta autem fuit gratia et gloria (Roscius), ut mercedem
diumam de püblico müle denarios sine gregalibiis solus acceperit. Hier ist m. E. nicht
der usus der Auszahlung hervorgehoben, sondern nur zur leichteren Veranschaulichung das
Einkonunen pro Tag berechnet. Anders Ribbeck 658.
39. Zuschauer. Ihrem Wesen entsprechend war der Besuch der
römischen Bühnenspiele mit Ausnahme wohl bloss der kaiserlichen Privat-
spiele (§ 32) jederzeit unentgeldlich allen Gemeindemitgliedern, Männern
wie Frauen, gestattet. Keine Berechtigung dagegen zum Besuch hatten die
Sklaven (Cic. de har. resp. 12, 26. Ritschl 223. XIX f. MoMMSENStR. V 350«).
Wenn sie dennoch in der Kaiserzeit das Theater besuchten (Friedl. 491^),
so dürfen wir dies auffassen als einen Widerspruch zwischen Sitte und
Recht. Das gleiche scheint zu gelten von den in Rom sich aufhaltenden
Fremden, natürlich mit Ausnahme der vom Staat zum Spiel geladenen Ge-
sandten und anderer Gäste.
2. Solange es einen Zuschauerraum aus Holz oder Stein noch nicht
gab (§ 40), standen die Zuschauer ungesondert. Erst 560/194 wurde für
die Senatsmitglieder zur grossen Unzufriedenheit der Nichtbegünstigten der
vordere Teil des Zuschauerplatzes, wahrscheinlich durch einen Verschlag,
abgesperrt (Ritschl 215 f. Friedl. 530 «. Ribbeck 648). Derselbe Platz,
220 ^* ^^^ Bühnenwesen der Ghriechen nnd Römer.
d. i. die sogenannte Orchestra wurde ihnen vorbehalten in den später er-
richteten Theatern, auf den auch die Gäste des Staats geführt wurden
(zu 2). Nach dem Senat wurden auch dem Ritterstande gesonderte Plätze
zugewiesen, und zwar die ersten vierzehn Sitzreihen nach den Senatoren-
plätzen. Dies geschah vielleicht schon bei Mummius Triumph über Griechen-
land 609/145 (RiTSCHL 227. Ribbeck 650), sicher vor dem Theatergesetz
des Roscius {lex R, theatrdlis) vom Jahre 687/67, nach welchem sie den
Rittern zurückgegeben wurden. Unter Augustus trat eine einschneidende
Neuordnung ein {lex Julia theatralis), die wahrscheinlich im ganzen dauernd
blieb. Danach wurden die Stände weiter geschieden: Die untersten Klassen
erhielten die am weitesten von der Bühne entfernten obersten Sitzreihen
zugewiesen; die Frauen durften nicht mehr gemischt mit den Männern
sitzen, sondern mussten gesonderte Plätze ebenfalls auf dem obersten Teil
des Zuschauerraumes {summa caveä) einnehmen. Auch Ehrenplätze für
Priesterschaften und Beamte werden erwähnt (Arnob. 4, 55); ob sie ihnen
aber von Augustus bestimmt worden sind, ist nicht zu entscheiden. Die
Plätze über den beiden Eingängen zur Orchestra (§ 49), entsprechend un-
gefähr unseren Prosceniumslogen, galten offenbar als die vornehmsten, denn
auf dem einen Tribunal nahm neben dem Spielleiter der Kaiser, auf dem
anderen unter den Vestalinnen die Kaiserin Platz (Friedl. 536, besonders
Anm. 2).
3. Ursprünglich herrschte gewiss volle Freiheit beim Einnehmen der
Plätze; später hatten sich die Eintretenden den Anordnungen der Platz-
anweiser (§ 35) zu fügen. In der Kaiserzeit kam der Gebrauch der Theater-
marken auf. Ob sie zur leichteren Auffindung der Plätze oder zur Legi-
timation oder zu beiden Zwecken dienten, ist nicht zu entscheiden (§ 12.
27). Engherzige Verhaltungsvorschriften scheint es nicht gegeben zu haben;
in der Kaiserzeit herrschte sogar grosse Freiheit, und die Theaterpolizei
griff wohl nur dann ein, wenn die Äusserungen des Beifalls oder Missfalls
eine Spielunterbrechung verursachten.
4. Die von Griechenland herübergenommenen Bühnenspiele fanden in
der römischen Gesellschaft nicht den Boden, auf dem sie sich zur vollen
Blüte hätten entwickeln können. Anfangs fehlte es zwar nicht an voller
Teilnahme, wohl aber an genügender Vorbildung; aber als diese dann ein-
trat, hatte die Teilnahme in einer wesentlichen Hinsicht nachgelassen, denn
der von Anfang an etwas einseitige Geschmack der Italiker für das, was
Auge und Ohr erfreut, war in Rom in dieser Einseitigkeit schon ziemlich
fortgeschritten. Nicht Dichtung und Darstellung verbunden war es, was
fortfuhr die Römer anzuziehen, vielmehr die letztere fast allein, nicht die
Schönheit der in Worte gekleideten Gedanken, sondern die Schönheit des
mimisch-musikalen Elementes und die Pracht der Ausstattung. Die in
dieser Art beschränkte und immer beschränkter werdende Teilnahme war
allerdings ausserordentlich rege. Schon bald nachdem der Wettkampf der
Schauspieler eingerichtet war, entstanden Parteien, deren Mitglieder zum
Teil lebhaft agitierten (Plaut. Amph. Prol. 64 ff.). Aber es war nur ein
natürliches Fortschreiten des angedeuteten Geschmackes, dass mit der Zeit
diejenigen Gattungen der Bühnenspiele bevorzugt wurden, welche wir nicht
8. Die staatL-geBellBohaftl. Gmndlagen der römischen Bflhnenspiele. (§40.) 221
mehr zu den eigentlichen rechnen, Mimus, Pantomimus, orchestische Dar-
stellungen. Vorzüglich auf diese haben wir die ungemeine Teilnahme der
Römer zu beziehen, die sich durch ein gewerbsmässiges Claquewesen und
durch arge Tumulte in der Kaiserzeit äusserte (Tac. An. 1, 77. Friedl. 542).
Zu 2: Über lex Julia th. Hübnek Annali 28^^ 60 ff. Säet. Aug. 44 Romas legatos
liberarum sociarumque gentium voluit in orchestra consistere. Also war es vorher anders.
Auch spftter Gesandte in der Orchestra: Tac. An. 13, 54. Suet. Claud. 25. Die C. 68, 15.
Fribdl. 535. Ehrenplfttze fOr Beamte, Priester: Mommsen StR. V 390 ff. 322 ^ Fhiedl.
535. 471.
C. Sonstiges.
40. Besorgung der Mittel. 1. Der Tbeaterbau war im wesentlichen
Sache der spielleitenden Beamten und der privaten Spielgeber; aber der
Staat legte ihnen lange Zeit ganz eigentümliche Beschränkungen auf. Er
stand dem sich entwickelnden Bühnen wesen nicht gerade freundlich gegen-
über und zeigte diese Gesinnung insbesondere bei Herstellung der Schau-
gerüste. Nur das für die Darstellung Notdürftigste wurde anfänglich auf-
gerichtet, eigentlich nur eine Bühne von Holz, die wie das spätere Holz-
theater nach jeder Auflführung wieder abgebrochen wurde. Der Zuschauer-
raum war wahrscheinlich nur durch hölzerne Schranken eingefasst und
hatte keine Sitze, höchstens nur einen erhöhten Platz für den Spielleiter
in der Nähe der Bühne (Ribbeck 76). So blieb es die ganze Zeit des
Plautus; die einzige Änderung, welche 560/194 eintrat, war die Absperrung
der Senatorenplätze (§ 39). Ein Theater nach griechischer Art {theatruvi
et proscaenium) wurde 575/179 am Apollotempel errichtet, doch bald wieder
abgebrochen. Erst 580174 erhob man sich zu einem dauernden Steinbau
der Bühne, der von Staats wegen durch die Censoren besorgt wurde (Liv.
41, 27, 5). Dies war zwar für die betreffenden amtlichen Festgeber eine
nicht unwesentliche Erleichterung, da sie nunmehr nur noch die nötigen
Holzschranken aufzuschlagen hatten; für die Zuschauer aber blieb alles
beim alten: sie mussten nach wie vor stehen. Um dem Missstand abzu-
helfen versuchte man, wie es scheint (Tertull. de sp. 10), wiederholt, sicher
599/155 ein dem griechischen ähnliches festes Theater zu bauen. Aber der
Senat schritt ein, aus Furcht vor Verweichlichung der römischen Jugend
oder um besonders die Frauen vom Besuch des Theaters abzuschrecken
(Ribbeck 650): das Theater musste wieder abgebrochen werden, und den
Zuschauern wurde das üblich gewordene Mitnehmen von Sesseln verboten.
Doch hatte diese Strenge nicht Bestand; denn wahrscheinlich schon seit
Mummius Besiegung Griechenlands, seit 609/145, wurde jedesmal ein voll-
ständiges Theater aus Holz aufgeschlagen, aber nach der Aufführung wieder
abgebrochen. Dieses verschwenderische, nur durch des Senats Anschauungen
veranlasste Verfahren blieb fast ein Jahrhundert herrschend, bis durch
Pompeju§ 699/55 das erste steinerne Theater erstand, dessen zerstörte Bühne
Augustus wieder herstellen liess. Es fasste nach der Notitia (Handb. III
911) 17,580 Sitzplätze, nach Plinius (NH. 36, 115) sogar 40,000. Zwei
ebensolche wurden noch vor Christus im Jahre 13 fertiggestellt: das eine
mit 11,510 Sitzen durchBalbus, das andere, noch in Resten erhaltene, mit
20,500 Sitzen durch Augustus (Marcellus). Doch kam der Gebrauch von
222 ^* ^&8 Bühnen wesen der kriechen nnd Römer.
Holztheatern nicht ab: aus der Kaiserzeit wenigstens liegen hierfür Zeug-
nisse vor (s. zu § 33).
2. Über die Beschaifung der übrigen Mittel erfahren wir nur, dass
in republikanischer Zeit die Spielgeber die Bühnentracht {omamenta) von
Lieferanten (charagi) mieten konnten (Plaut. Pers. 159; vgl. Trin. 858) und
dass es in der Kaiserzeit ein eigenes Gebäude {summum choragium) für die
Darstellungsmittel gab, welches eine besondere Verwaltung hatte.
Zu 1: aber die Theater aus Stein vgl. 0. Richter im Handb. III 862. 865. — Zu 2:
über das summum choragium 0. Hibschfbld Untersuchungen auf dem Gebiet der röm.
Verwaltungsgeschichte, Berl. 1875, S. 182 flF.
41. Kosten. Für die ordentlichen Feste wie wohl auch für die
ausserordentlichen warf der Staat eine bestimmte Summe aus. Dieses
Spielgeld (lucar) wurde den betreffenden Beamten ausgezahlt aus der Staats-
kasse {aerarium: Mommsen StR. II P 59*). Nur über die zur Auszahlung
gekommenen Summen, nicht über die von den Beamten und Privaten auf-
gebrachten Gelder liegen einige Nachrichten vor. Leider geben sie bloss
die Oesamthöhe des ausgegebenen Spielgeldes an; doch belehren sie uns
wenigstens über das Wachsen der staatlichen Beiträge überhaupt und somit
wohl auch der für das eigentliche Bühnenspiel im besonderen. Das Spiel-
geld für die Römerspiele betrug bis zu den punischen Kriegen 200,000 As.
Für ein Votivspiel {ludi magni) im Jahre 537/217 wurden 333,333 V» Sesterzen
bestimmt (Liv. 22, 10, 7). Seitdem wird die für das Römerfest ausgesetzte
Summe gleichviel betragen haben (Friedl. 488^). Sehr gering war die
542/212 für die Apollinarspiele verwendete Summe: 12,000 As. Nachdem
im Laufe der Zeit die Geldanweisungen erhöht worden waren, betrug im
Jahre 51 n. Chr. das Spielgeld für das Römerfest 760,000 Sesterzen, für das
plebejische 600,000 und für das Apollofest 380,000. Da Augustus im Jahre
737/17 den betreffenden Beamten erlaubte das Dreifache des staatlich Be-
willigten aus eigenen Mitteln zu verwenden, so wird als Gesamtaufwand
in diesem Jahre wohl nicht weniger als das Vierfache der oben genannten
Summen anzunehmen sein. Vgl. Marqüardt StV. IP 85 ff. Friedl. ib. III*
487 f.
4. Die äusseren Mittel der Darstellung.
A. Theatergrebäude.
42. Begriff. 1. Die musischen Schauhäuser der Griechen und Römer
oder Theater in weiterem Sinne zerfielen in eigentliche Theater und Odeien.
Die eigentlichen Theater waren für eine sehr grosse Zuschauermenge be-
rechnet und infolge dessen grosse und unbedeckte Anlagen, die in erster
Linie zur Aufführung von Dramen dienten, daneben aber auch zur Auf-
führung anderer musischer Kompositionen. Ihre sonstige Benutzung zu
Volksversammlungen, Gauklerspielen, in römischer Zeit zu Fechterspielen,
Tierhetzen u. dgl. ändert den Begriff nicht und geht uns hier nichts an.
Die Ansicht, dass eigentliche Theater in später Zeit auch bedeckt gewesen
seien (u. a. Wieseler Enc. 163), ist an sich nicht unglaublich, lässt sich
aber nicht bestimmt erweisen.
4. Die änsseren Mittel der Darstellnng. (§41-42.) 223
2. Die Odeien waren verhältnismässig kleinere bedeckte Räume, be-
stimmt für Rezitationen und nichtchorische Aufführungen. Ihrer Gestalt
nach waren sie den Theatern, immer im engeren Sinne, ähnlich. Eine
besondere Gattung anzusetzen für Gebäude in voller Kreisform scheint ihrer
Bedeutung nicht zu entsprechen. Wir können nämlich, abgesehen von einem
neugefundenen, aber noch nicht bekannt gemachten Rundbau, nur zwei mit
einiger Sicherheit als solche annehmen, und beide sind vereinzelte Versuche.
Das erste ist die Skias in Sparta, erbaut um 600 vom älteren Theodoros
von Samos. Sie ist, soweit wir zu erkennen vermögen, ohne Einfluss auf
die Folgezeit geblieben, entweder weil ihre Gestalt, wenn auch für die
Baugeschichte bedeutungsvoll, doch für die Akustik nicht günstig war oder
weil das von Perikles erbaute Odeion, das als das schönste der Welt be-
zeichnet wird (C. MüLLEB FHG. II 254), für alle übrigen mustergültig wurde.
Ein zweiter, vielleicht letzter Versuch wurde erst spät unter Hadrian in
Rom gemacht (zu 2).
3. Die Lehre vom Theaterbau als ein Abschnitt der Bühnenkunde
ist bestimmt zu unterscheiden von der entsprechenden kunstgeschichtlichen
Lehre, was bis jetzt nicht geschehen ist. Diese hat es vorzugsweise zu
thun mit der Idee des Schönen, wie sie sich im Theaterbau geäussert hat,
und mit den Mitteln, durch welche sie zur Anschauung gebracht worden
ist, während sie die Frage nach dem Zweckdienlichen geringere Aufmerk-
samkeit schenkt. Umgekehrt hat die bühnenkundliche Theaterbaulehre es
wesentlich nur zu thun mit der Frage nach dem Nützlichen, ganz ent-
sprechend der Stellung, die das Theater als Mittel zum Zweck im Bühnen-
wesen einnimmt. Demgemäss ist es unsere Aufgabe nicht das Künstlerische
und Technische der Theatergebäude zu prüfen ; wir haben vielmehr unsern
Blick zu richten auf das Ganze und seine Teile in ihrer Bestimmung als
Mittel dramatischer Aufführungen. Da die Odeien nicht eigentlich sceni-
schen Zwecken dienten, hätten wir sie von unserer Betrachtung ganz aus-
zuschliessen; indessen verdienen sie, wenigstens die erhaltenen aus jüngerer
Zeit stammenden Reste Berücksichtigung als monumentale Quellen wegen
ihrer theaterähnlichen Gestalt.
WiBSELEB Enc. 159 ff. (Theater, Odeion), 202 ff. (Teile des Theaters); dazu A. Müller
Philol. 35^« 191 ff. 303 ff.; Bühn. § 7. — Zu 1: Theater heisst im allgemeinen der Ort, wo
geschaut wird, Schauplatz (Schauen im prägnanten Sinn wie ^ena^ai), dann in immer
engerer Bedeutung Schauplatz für gymnische und musische Agone, für musische (musikale
und scenische), für scenische. Letztere Bedeutung schon bei Thukydides 8, 93. Theater
bedeutet femer sehr oft Zuschauer, z. B. bei Herodot G, 21 und Aristophanes. Für Zu-
schauerraum ist das Wort wohl erst in römischer Zeit gebraucht worden ^ ganz bestritten
von Wieseleb Enc. IGO^; einiges richtig dagegen A. Müller Philol. 35'* 292; Bühn. 48 f.).
Endlich soll es vorgekommen sein für Schauspiel; doch ist es in dieser Bedeutung bei
ScbrifUtellem nicht nachzuweisen (Müller Bühn. 40). Schwerlich steht es für den Ort,
wo gespielt wird: Bühne. — Zu 2: toSetov, &iaxQoy, &. vntoQotfioy theatrum tectum, ^ea-
TQoiidig oidftoy. - Skias in Sparta: oixog axQoyyvXog Et. M. p. 717 axing. — Trajans
Odeion: ^itirgoy fiiya xvxXotfQsg Tiayra^oi^ey Paus. 5, 12, 4. Dio C. 69, 4. — Perikles
Odeion: Schol. Dem 24, 37. Phot. Suid. üidetoy 'JStjyr^aiy äancQ ^iargoy, ö ninoifjxey,
uis (paai, n. und fast ebenso Bekker An. I 317. Plut. Perikles 13 eixoya xai fjiifitjfjLa Ttjg
ßaaiX£(og axriyrjg, dgl. Paus. 1, 20, 3. Schol. Arist. Wesp. 1109 xonog ^euTQOBidtjg. Letz-
teres ist nicht zu verbinden mit Hesych. wdtToy ' xonog, iv ^ nQiy xo diaxQoy xaxaaxcva-
c&fjyai ol (Htiffiodoi x(u ol xi&agtitdol ^ytüyi^oyxo: vgl. Wachsmuth Stadt Athen 503*. 277 (553
nur Versehen). Das perikleische Odeion war also theaterf5rmi^, nicht rund. Die Ver-
gleicbung des 0. mit dem Helm des P. bei Plutarch (Witz des Kratinos) passt auf beides,
224 ^* I^&s fiülmenwesen der Örieohen und fiömer.
ist also nicht entscheidend. Die Theater form hat dieses 0. doch selbstverständlich vom
dionysischen Theater in Athen, denn im sechsten Jahrhundert war das 0. höchst wahrschein-
lich ein blosser Platz (ronos bei Hesych oben: vgl. z. B. Schol. Arist FrO. 131). Hienach
hat das Odeion seinen Ursprung im griechischen Theater. Dies ist kurz angedeutet in m.
Griech. Theaterbau 112 ff.
43. Teile, Arten. 1. Nach dem Zweck hatte das alte Theater wie
jedes Schauhaus zwei Teile: einen für die Darsteller und einen für die
Zuschauer. Nach der Gestalt dagegen gab es drei Teile : einen von innen
nach aussen aufsteigenden Raum, den aufsteigenden Zuschauerraum oder den
Zuschauerring, einen vor der RingöfiFnung liegenden länglich viereckigen
Bau, das aus einem Yorderraum und einem Hinterraum bestehende Bühnen-
gebäude^ und einen von beiden eingeschlossenen ebenen Teil, den Or-
chestraraum.
2. Nach dem Verhältnis der Grösse, in dem diese Teile zu einander
standen, zerfielen die Theater in eine griechische und eine römische Axt, und
je nach der Gestalt des Bühnenvorderraumes die griechische Art wieder
in eine ältere und eine jüngere Unterart. Römisch nennen wir die eine
Art, nicht etwa weil sie ihre Eigentümlichkeiten erst bei den Römern ge-
funden hat, sondern weil sie in Italien und den übrigen von römischer
Kultur beeinflussten Ländern zur ausschliesslichen Geltung gelangt ist. Im
griechischen Theater hatte der aufsteigende Zuschauerraum die Gestalt
eines über den Halbkreis hinausgehenden Ringes und war vom Bühnen-
gebäude durch offene Eingänge zum Orchestraraum getrennt. Das ältere und
das jüngere griechische Theater imterschieden sich von einander nur dadurch,
dass in jenem den Bühnenvorderraum eine Bühne mit Rampen oder Treppen
zur Seite füllte, während ihn das jüngere griechische Theater ganz als
Bühne verwertete. Das römische Theater hatte als aufsteigenden Zuschauer-
raum einen fast niemals über den Halbkreis hinausgehenden und immer
parallel zur Bühne abgeschnittenen Ring, eine weniger hohe und meist
breitere (längere) Bühne als das jüngere griechische Theater, der zur Seite
zuweilen Nebenräume oder Flügel angebracht waren, und war schliesslich
durch Überdeckung der Orchestraeingänge zu einem einheitlichen Bau ge-
staltet.
3. Begründet war diese Gestaltung und Umgestaltung der Theater
in erster Linie durch das dramatische Spiel und die Veränderungen, die
es durchmachte, in zweiter Linie durch die Bedürfnisse der Zuschauer.
Die ungemein grosse Zuschauermenge, für welche die Festspiele veran-
staltet wurden, drängte von selbst auf eine konzentrische Anlage der Zu-
schauersitze und auf eine möglichst grosse Annäherung des Darsteller-
raumes an die Mitte des Zuschauerraumes. Im griechischen wie im römischen
Theater ist diesem Bedürfnis Rechnung getragen worden; der Unterschied,
den ihre Gestalt aufweist, ging hervor aus den Erfordernissen des drama-
tischen Spieles.
4. Seitdem es ein griechisches Drama gab, seitdem Thespis den ersten
Schauspieler erfunden hatte, brauchte man zwei gesonderte Plätze zur
Aufführung desselben, einen ebenen, zum Tanzen geeigneten Raum, Or-
chestra, für den Chor, dessen Aktion einen wesentlichen Bestandteil des
griechischen Dramas ausmachte, und einen erhöhten Platz, der durch eine
4. Die äusseren Mittel der Darstellnng. (§ 43.) 225
Wand in einen vorderen und einen hinteren Teil geschieden war, für den
Schauspieler. Erhöht musste der Platz sein, damit der Schauspieler, nicht
verdeckt durch die Ghoreuten, allen sichtbar seine von Anfang an wich-
tige und immer wichtiger werdende Thätigkeit entfalten konnte, und eine
Wand nebst Hinterraum durfte nicht fehlen, wenn der Schauspieler zur
Durchführung mehrerer Rollen seine Tracht wechseln musste. Beides er-
scheint uns naturgemäss und selbstverständlich, trotzdem wird es bestritten.
Hiemit war der Grund zum späteren Bühnengebäude gelegt, denn es war
der Anfang einer Bühne und eines Bühnenhinterhauses gegeben. Wie sich
aber die Entwicklung vollzog, wann zuerst eine Thür in der Wand war,
wann der Hinterraum bedeckt wurde, wann zuerst und wann später eine
Verbreiterung und Erhöhung des Bühnenraumes eintrat u. dgl., das sind
Fragen, zu deren Beantwortung uns die Mittel fehlen und wahrscheinlich
immer fehlen werden. Wir haben uns zu halten an den ältesten bekannten
Darstellerraum im Theater zu Epidauros, dessen Verhältnisse als regel-
mässige gelten dürfen (Theaterbau 164 flf.) und in Oropos in der]]* Haupt-
sache wiederkehren. Die Bühne war dort ein länglich viereckiger Bau von
3Vsm Höhe, etwa 3 m Tiefe und 24 m Breite, auf den von rechts und links je
eine Rampe führte. Davor lag ein ebener Raum in genau derselben Breite,
aber grösserer Tiefe, und in dessen Mitte ein kreisrunder Platz mit einem Durch-
messer von rund 20 m (§ 49). Breite und Tiefe der Bühne war ohne jeden
Zweifel durch das dramatische Spiel allein bedingt, desgleichen wohl auch
die Höhe. Anders bei der Grösse des Orchestraraumes. Die Gleichheit seiner
Breite und jener der Bühne war natürlich und vielleicht für das Spiel nötig;
aber sie war auch erforderlich für die Zuschauer, denn eine geringere Breite
hätte für einen gewissen Teil der Zuschauer den Überblick über die Bühne
unmöglich gemacht. Über den Grund der grösseren Tiefe des Orchestra-
raumes lässt sich nichts Bestimmtes sagen: entweder war sie in gewissen
Fällen für den dramatischen Chor nötig, oder sie war bedingt durch einen
Nebenzweck. Im letzteren Fall ist man geneigt an kyklische Aufführungen
zu denken. Dieser tiefe Orchestraraum nun war die Ursache, dass im grie-
chischen Theater das Bühnengebäude vom Mittelpunkt des aufsteigenden
Zuschauerraumes ziemlich fern blieb und dass der Ring des Zuschauerraumes
über einen Halbkreis hinausging.
5. Für die in der Folgezeit eintretende Erweiterung des Bühnenvorder-
raumes und für den Wegfall der Treppen liegt der Grund auf der Hand:
es sollte das unbequeme Treppensteigen der Schauspieler vermieden werden.
Diese Erweiterung der Bühne hatte aber keine Folge für die Gestaltung des
Orchestraraumes und des Zuschauerringes, offenbar doch wohl weil die jetzige
Bühnenmitte immer als eigentlicher Spielplatz genügte und eine Verbreiterung
des Orchestraraumes aus Rücksicht für die Zuschauer nicht nötig war.
6. Die Umgestaltung des griechischen zum römischen Theater war
hauptsächlich aus der Veränderung der Bühnenspiele hervorgegangen. Der
Chor, der wohl schon im vierten Jahrhundert viel von seiner früheren Be-
deutung eingebüsst hatte, war mit der Zeit ganz bedeutungslos geworden
und verschwand beinahe aus dem römischen Drama. Es lag also nahe oder
vielmehr es erforderte das Gefühl, dass die wenigen nur noch zum Gesang
Handbuch der klaae. Altertumswiseenschaft. V. 3. Abtlg. 15
226 ^* ^^ Bühnen wdsdn der Chriechen und Römer.
bestimmten Choreuten, auf die der Chor beschränkt war, nicht in dem für
ihre Zahl und Thätigkeit jetzt unverhältnismässig grossen Orcbestraraum,
sondern dort aufgestellt wurden, wo die übrigen Darsteller ihren Platz
hatten. Dies ist vermutlich schon in Griechenland, sicher in Rom geschehen.
Die Annäherung des Bühnengebäudes an den Mittelpunkt des Zuschauer-
ringes, der zur Bühne parallele Abschluss des letzteren und die Verkleine-
rung des Orchestraraumes nach der Tiefe waren die einfache Folge. Die
Breite des Orchestraraumes blieb aber aus demselben Grunde wie im jüngeren
griechischen Theater ungeändert. Die wegen Fortfall des Choreinzuges jetzt
geringere Breite der Orchestraeingänge und die parallelen Mauern, durch
welche sie hindurchführten, legte eine völlige Verbindung beider Teile des
Theaters nahe, eine künstlerische Abrundung der gesamten Anlage, wie sie
ähnlich schon im Odeion vorhanden war, das dem römischen Theater über-
haupt als Vorbild gedient zu haben scheint.
44. Qrundinass, Orundfigur. 1. In Vitruvs Konstruktion des römi-
schen Theaters spielt der Durchmesser desjenigen Kreises eine grosse Rolle,
durch den der Orchestraraum mitbegrenzt wird. Vorzugsweise die Bühne
wird durch ihn bestimmt. Nach Vitruvs Grundriss des römischen Theaters
beträgt der Abstand der Bühnenhinterwand vom Kreismittelpunkte Vi Durch-
messer, und dies ist zugleich die Tiefe der Bühne, während für ihre Breite
(Länge) zwei Durchmesser angegeben werden. Ferner sind die Verhältnisse
der architektonischen Teile (Säulenstuhl, Säule, Architrav) für jedes der
drei Stockwerke, in welche Vitruv die Bühnenhinterwand gliedert, durch
Teile jenes Durchmessers bestimmt. Auch die Höhe der bedeckten Orchestra-
eingänge soll Ve desselben Durchmessers betragen. Wie aber die Lehre
vom Grundriss nur auf einzelne der erhaltenen Theater passt (Theaterbau
91 flf.), also wohl nur ein Auszug aus einem umfassenderen Werke ist (ib.
164 ff.), so wird auch die Lehre vom Aufriss nicht eine allgemein befolgte
Regel (vgl. Aspendos, Orange), sondern nur eine Vitruvs Geschmack ent-
sprechende Auswahl der Vorschriften seines Gewährsmannes sein. Doch
mag dem sein, wie ihm wolle, das ist jedenfalls unzweifelhaft, dass die
alten Baumeister ein Grundmass gehabt haben: denn jene Lehre als Erfin-
dung Vitruvs hinzustellen kann niemanden einfallen, der Vitruvs Buch
einigermassen kennt.
2. Wie kommt nun aber der Durchmesser des Orchestraraumes zu
der Ehre als Grundmass zu dienen? Auffallend ist sicher seine Wahl, denn
der Orchestraraum ist keine Grösse, die auf eigenen Füssen steht; sie ist
vielmehr (vgl. § 43) abhängig im älteren griechischen Theater von der
Bühnenbreite, im jüngeren griechischen und im römischen Theater von der
Breite des mittleren Bühnenraumes, des eigentlichen Spielplatzes. Eine be-
stimmte Antwort ist noch nicht zu geben; es scheint aber, dass man sich
gewöhnt hat den Durchmesser des Orchestraraumes als Grundmass anzu-
setzen, als die Bühnenbreite aufhörte dem Durchmesser des Orchestraraumes
gleich zu sein. Die Breite des Mittelbaues der Bühne als Grundmass an-
zugeben war vielleicht deshalb unthunlich, weil die Grenzen des eigent-
lichen Spielplatzes nicht immer architektonisch ausgedrückt wurden. Mehr
werden hoffentlich weitere Untersuchungen lehren. Hier genügt es gezeigt
4. Die äusaeren Mittel der Darstellnng. (§ 44.) 227
zu haben, dass das so wichtige Grundmass nicht von der unselbständigen
Grösse des Orchestraraumes hergenommen worden ist, sondern von dem
Hauptteil jedes Theaters, dem Bühnenraum.
3. Das Grundmass konnte bei einer konzentrischen Anlage, wie der
Zuschauerring war, nicht oder doch nicht unmittelbar zur Anwendung
kommen. Bei einer solchen war vielmehr eine Gliederung durch Radien
in gleichem Abstand von einander das Allernatürlichste. Man konnte nun
den Kreisbogen, der die untere Grenze des Zuschauerringes bilden sollte,
in gleiche Teile zerlegen und die Radien durch die Teilungspunkte ziehen.
Doch ist dieses Verfahren nicht gewählt worden, wie Vitruv und eine Reihe
von Theaterüberresten beweisen, und zwar aus einem ganz triftigen Grunde.
Es gab ja zwei Räume im Theater von ganz verschiedener Gestalt, einen
ringförmigen Zuschauerraum und ein länglich viereckiges Bühnengebäude;
sie symmetrisch zu verbinden und zu gliedern und damit ein harmonisches
Ganzes zu schaffen musste sich jeder Baumeister vornehmen, der zugleich
Künstler war. Die Fäden dieser Verbindung konnten nirgendwo anders
zusammenkommen als im Orchestraraum, und das war der Teil eines Kreises,
dessen Durchmesser das durch die Bühne gegebene Grundmass bildete. Mit
diesem Kreise war ein Mittel zur ebenmässigen Gestaltung der ganzen An-
lage gegeben; wir nennen ihn deshalb den Grundkreis oder ürkreis. Um
ihn aber verwerten zu können, musste man noch ein anderes Mittel haben,
eine in den ürkreis eingeschriebene Figur, die Grundfigur. Der beabsich-
tigten Ebenmässigkeit wegen war Gleichheit notwendig und der Gliederung
des grossen Zuschauerringes wegen Vieleckigkeit. Andrerseits brauchte
man zur Bestimmung der Bühnengrenzen grosse Sehnen. Um allen diesen
Erfordernissen zu entsprechen, langte natürlich ein einziges gleichseitiges
Vieleck nicht aus; jede Schwierigkeit aber war gehoben, wenn man mehrere
gleichseitige Vielecke von wenigen Ecken unter gleichem Abstand der Ecken
in den Ürkreis einschrieb. Mittels Radien, Vieleckseiten, Tangenten u. s. w.
konnte nun der Grundriss zu einem Baue entworfen werden, der nicht nur
harmonisch, sondern auch praktisch gestaltet war.
Das Werk des Herrn Dumon (§ 11) ist mir durch die Güte des Verfassers erst zu-
gegaDgen, nachdem das Obige längst geschrieben war; es scheint am passendsten hier
anmerkangswcise Stellung zu ihm zu nehmen. Vor 1886 hielt man sich nur an Vitruvs
Lehre. In meinem Griech. Theaterbau wurde das Unzulängliche derselben unwiderleglich
dargethan und zugleich der Forschung ein neuer Weg gezeigt: Erweiterung der vitru vischen
Lehre mittels der TheaterQberreste. (Ich bedauere meine Methode durch mehr als zwei
Beispiele klargemacht zu haben: der mehr als Anhang beigegebene Überblick über die
fibrigen Theater hat trotz ausdrücklicher Warnung dahin geführt, dass die nur methodo-
logische Arbeit als eine nach Abschluss zielende angesehen wurde.) Ddmon findet zwar
die neue Art und Weise der Forschung „ing^nieuse**, ist aber von ihr nicht befriedigt und
schlagt deshalb eine neue vor: er verwirft Vitruv gänzlich und sucht unabhängig von
diesem, zunächst in Polyklets Theater, den vom Baumeister entworfenen Plan wiederzu.
erkennen. Es ist nun allerdings nicht unmöglich, dass es Theater gegeben habe, deren
Konstruktion mit der vitruviscben nicht verwandt ist. In der Betonung dieser Möglichkeit
erkenne ich einen Fortschritt und Dumoks Versuch halte ich in methodologischer Hinsicht
für so vortrefflich, dass ich zahlreiche Nachfolge wünsche. Tritt sie ein, dann wird sich
ja bald zeigen, inwieweit Ddmon Recht hat. Vorläufig aber können wir seinen Ergebnissen
nicht zustimmen, hauptsächlich aus folgenden Gründen. Die Rekonstruktion des polykleti-
sehen Planes erscheint als zu künstlich, wenn vier moduU zur Anwendung kommen; sie
berücksichtigt nicht die radiale Gliederung des Zuschauerringes; sie weicht endlich in
wesentlichen Punkten nicht ab von der zugleich aus Vitruv und den Resten gewonnenen.
15*
228
B. Das Bühnenwesen der Griechen und Römer.
(Seitliche und vordere Begrenzung der Bühne und des gesamten Bfihnengebftndes, natürlich
nach Massgabe des von Dumon mit Recht ein wenig erweiterten Urkreises.) — Es ist wohl
kaum nötig anzumerken, dass im folgenden nur das Allgemeingültige hervorgehoben, auf
die durch besondere Umstände veranlassten Abweichungen dagegen nur ausnahmsweise
hingewiesen werden konnte.
45. Qrondriss des griech. Theaters. 1. Die Gliederung des Zu-
schauerringes und des Bühnengebäudes war abhängig von einem Urkreis und
einer in ihn eingeschriebenen Grundfigur (§ 44). Die Einschreibung geschah
derart, dass eine Vieleckseite parallel zur anzulegenden Bühne lief (wag-
rechte Vieleckseite). Die häufigsten Grundfiguren waren drei gleichseitige
Sechsecke oder sechs gleichseitige Dreiecke, dann gleichseitige Fünfecke,
Zehnecke, Vierecke, Siebenecke. Ganz ungewöhnlich war die Grundfigur
in den Theatern zu Athen und im Piräus, nämlich ein Zweiundzwanzig-
eck. Vitruv schreibt drei Quadrate vor. Trotzdem diese Form ausser-
ordentlich selten war, nehmen wir sie doch als Beispiel, vorzüglich weil
sie dem Anfänger am verständlichsten sein dürfte. Vgl. den Holzschnitt.
N Z'" L A Ä7 O
Grandrin des grleohiachen Theaten (3 Qoftdnte).
In den Urkreis A— M, d. h. ABCDEFGHJKLM, sind die drei Quadrate MCFJ,
ADGK und BEHL so eingeschrieben, dass die Quadratseite MJ parallel der
Bühne (Bühnenhinterwand NO) liegt. Der Durchmesser PQ ist gleichfalls
parallel zur Bühne; wir nennen ihn den wagrechten Durchmesser.
2. Die Gestalt des Zuschauerringes war abhängig von Urkreis und
Grundfigur, insofern als sie gegeben war einerseits durch den Urkreis selbst
und einen oder mehrere konzentrische Kreise von grösseren Durchmessern,
andrerseits durch die Radien, welche durch die Ecken der Grundfigur hin-
durchgingen. Seine Grenzen nach der Bühne zu oder die Analemmata
waren die verlängerten Radien, welche, von der Mitte des Zuschauerringes aus
gerechnet, jenseits des wagrechten Durchmessers diesem zunächst lagen,
also in unserem Falle AA" und HH'. Die äusseren Spitzen des Zuschauer-
raumes waren manchmal, in Epidauros und sonst, abweichend gestaltet.
4. Die äoBseren Mittel der Darstellimg. (§ 45.) 229
Die Grenze nach dem Orchestraraume zu war der Urkreisbogen, A— H auf
unserem Holzschnitt, der in einigen Fällen auf beiden Enden, gewöhnlich vom
wagrechten Durchmesser an, erweitert wurde entweder durch senkrecht zur
Bühne stehende Tangenten oder, in Epidauros, durch Kreisbögen mit anderen
Mittelpunkten. Die obere Grenze, den nach der Bühne blickenden Zu-
schauern im Rücken, war in der Regel eine der unteren Grenze, dem Ur-
kreise, konzentrische Kreislinie von verhältnismässig gleicher Länge, A" — H"
im Holzschnitt. Der Abstand beider Linien war natürlich durch die Menge
der Sitzplätze bedingt. Von ürkreis und Grundfigur war aber auch die
Gliederung des Zuschauerringes abhängig. Je nach der Breite des Zu-
schauerringes wurde dieser entweder in zwei oder selten in drei Stockwerke
(sehr selten gar nicht) zerlegt, und zwar durch einen oder zwei Umgänge.*
Diese waren konzentrisch mit der unteren und oberen Begrenzung. Auf
unserem Holzschnitt ist nur einer, A' — H', angegeben. Dies war die kon-
zentrische Gliederung des Zuschauerringes; die radiale wurde durch Treppen
bewerkstelligt, welche in der Richtung der durch die Ecken der Grundfigur
hindurchgehenden Radien liefen, AA" bis HH" im Holzschnitt. Die so gebil-
deten, einander fast immer gleichen, keilförmigen Abteilungen des Zuschauer-
ringes wurden Keile genannt. Ihre Anzahl war natürlich verschieden je
nach der Anzahl der Ecken der Grundfigur. Zuweilen waren im Oberstock
die Treppen verdoppelt und dadurch die Keile halbiert.
3. In den meisten Fällen war auch die Anlage des Bühnenhauses
durch dieselbe Grundfigur bestimmt; einige Male, wie es scheint, durch eine
andere, dann immer quadratische, die wir Bühnengrundfigur nennen wollen.
Der Grundriss des Bühnenhinterhauses ist noch zu wenig bekannt; er scheint
einer bestimmten Regel nicht gefolgt zu sein. Die verlängerte wagrechte
Grundfigurseite, Quadratseite MJ in unserem Beispiel, war gewöhnlich die
vordere Grenze des Bühnenvorderraumes (Bühnen vorderwand). Vorspringen
und Zurückweichen einzelner Teile dieser Grenze ist nicht selten zu be-
obachten. Die hintere Grenze, das ist die Bühnenhinterwand oder die
Vorderwand des Hinterhauses, war gegeben durch die parallele Tangente,
manchmal auch durch eine etwas weiter vom Urkreis abstehende parallele
Linie. In unserem Holzschnitt ist es die Tangente NO. Es kam auch
vor, dass als hintere Grenze die wagrechte Grundfigurseite oder eine andere
Sehne angenommen wurde; dann wurde natürlich die vordere Grenze weiter
vorgeschoben. Die Länge des gesamten Vorderraumes betrug einen Durch-
messer des ürkreises, vermehrt um eine Grundfigurseite. Wir finden sie
in unserem Falle, wenn wir die Quadratseite MJ auf beiden Seiten um je
einen Halbmesser des Ürkreises, also bis M' und 3' verlängern. Geglie-
dert wurde der Bühnenvorderraum durch senkrecht zur Bühne gezogene
Tangenten des Ürkreises, durch PP" und QQ" im Holzschnitt. Zuweilen
waren vielleicht statt der Tangenten nahe liegende parallele Linien gewählt.
Von den drei so gebildeten Teilen des Bühnenvorderraumes war der mitt-
lere, erhöhte Teil die eigentliche Bühne, P'Q'Q 'P" im Holzschnitt; die Neben-
räume, M'P'F'N und Q'J'OQ" im Holzschnitt, waren Rampen oder Aufgänge
zur Bühne. So war es wenigstens im älteren griechischen Theater; im
jüngeren waren die Seitenräume mit dem Mittelstück gleichmässig erhöht,
230
B. Das Bühnenwesen der Ghrieohen und Römer.
also ohne Rampen. Aus Vitruv ist zu vermuten, dass durch ürkreis und
Grundfigur ausserdem die drei Thüren in der Bühnenhinterwand (nicht
zugleich die der seitlichen Teile der jüngeren griechischen Bühne) bestimmt
waren: die mittelste durch den senkrechten Durchmesser und die beiden
andern durch die beiden verlängerten Radien, welche durch die dem senk-
rechten Durchmesser zunächst oder zweitnächst liegenden Grundfigurecken
hindurchgingen. Vgl. die vom Mittelpunkte Z ausgehenden punktierten
Linien unseres Holzschnittes. Bei einer quadratischen Grundfigur nähern
sich die Thüren allerdings zu stark, und man mag sie wohl etwas abwei-
chend gelegt haben; bei andern Grundfiguren war das Prinzip ganz gut
durchführbar.
46. Omndriss des rOm. Theaters, l. Wie im griechischen waren
auch im römischen Theater Zuschauerring und Bühnenanlage abhängig von
einem Urkreis und einer in ihn eingeschriebenen Grundfigur. Über die
Grösse des Urkreises s. § 44 ^. Gleichseitige Sechsecke und Dreiecke kamen
AT 1J~T7 W rj' P a
Orondrifls des römischen The«ten (4 gleichseitige Dreiecke).
auch im römischen Theater als Grundfiguren am häufigsten zur Verwendung,
nur nicht sechs gleichseitige Dreiecke, die gebräuchlichste Grundfigur des
griechischen Theaters, dagegen oft vier gleichseitige Dreiecke, die sich in
keinem griechischen Theater finden lassen. Daneben sind als Grundfiguren
gebraucht worden gleichseitige Fünfecke und Zehnecke, Siebenecke und Vier-
zehnecke. Vitruv verlangt vier gleichseitige Dreiecke. Wir wählen seinen
Grundriss als Beispiel für unseren Holzschnitt und zeichnen in den Urkreis
A— M vier gleichseitige Dreiecke unter gleichem Abstand der Elcken ein:
AEJ, BFK, CGL und DHM.
2. Des Zuschauerringes Grenzen nach der Bühne zu, die Ana-
lemmata, waren immer parallel zur Bühne, was im griechischen Theater
nie der Fall war. Sie wurden gebildet durch eine zur Bühne parallele
Linie, welche durch die dem wagrechten Durchmesser zunächst gelegenen
4. Die änsseren Mittel der Darstellimg. (§ 46.) 231
Grundfigurecken gezogen wurde. In unserem Holzschnitte sind diese Grund-
figurecken die Punkte A und G, welche zugleich die Endpunkte des wag-
rechten Durchmessers sind. Die durch sie gezogene Linie A"6", durch
welche die Grenzen des Zuschauerringes nach der Bühne zu gegeben sind,
deckt sich demnach mit dem verlängerten wagrechten Durchmesser. Derselbe
Fall trat in ungefähr der Hälfte aller römischen Theater ein; er war be-
gründet in der Grundfigur. Im andern Fall, d. h. wenn die betreffenden
Grundfigurecken nicht mit den Endpunkten des wagrechten Durchmessers
zusammenfielen, wurde trotzdem öfter ebenfalls der verlängerte wagrechte
Durchmesser als Grenze gewählt; infolge dessen wurden dann die Endkeile
ungleich den übrigen Keilen. Die untere Grenze des Zuschauerringes war
ein Bogen des Urkreises, A — G in unserem Holzschnitt, die obere meistens
ein je nach Bedürfnis mehr oder weniger weit vom Urkreis abstehender
konzentrischer Kreisbogen, in unserem Fall A" — G". Die Gliederung des
Zuschauerringes war ähnlich der im griechischen Theater: er war gewöhn-
lich durch einen oder zwei konzentrische Umgänge in zwei oder drei Stock-
werke zerlegt, durch A' — G' in unserer Figur, und radial durch Treppen
geteilt, deren Lage die durch die Grundfigurecken hindurchgehenden Radien
angaben. In unserem Holzschnitt sind die Treppen mit AA" bis GG" be-
zeichnet. Wie im griechischen Theater war die Zahl der Keile je nach
der Grundfigur verschieden, und wie dort so waren hier die Keile einander
gleich. Nur die Endkeile hatten in der Hälfte der Fälle eine von der der
übrigen verschiedene Grösse, denn sie konnten mit den mittleren Keilen
nur dann gleich gross sein, wenn die zur Bühne parallele Linie, durch
welche die Lage der Analemmata bestimmt wurde, mit dem wagrechten
Durchmesser sich deckte; sonst wurden sie fast durchweg nach oben zu
schmäler. Vitruv verlangt die Anlegung der Orchestraeingänge in den
Endkeilen; aber nur in ursprünglich griechischen, später umgebauten Thea-
tern sind solche Eingänge zu finden. Eine Erweiterung des Zuschauer-
ringes trat gewöhnlich dadurch ein, dass man die Eingänge zur Orchestra,
zwischen Zuschauerring und Bühne, überdeckte und mit Sitzplätzen versah.
Dies waren die sog. Tribunale.
3. Für Begrenzung und Gliederung der Bühne war derselbe Urkreis
und, wohl nur mit ganz wenigen Ausnahmen, dieselbe Grundfigur bestim-
mend. Für das Bühnenhinterhaus ist eine Grundrissregel nicht zu erkennen.
Der Bühnenvorderraum wurde nach rückwärts begrenzt wie der griechische,
d. h. also durch die wagrechte Tangente oder seltener durch die parallele
Grundfigurseite. Vitruv verlangt das letztere; wir haben umgekehrt die
Tangente NQ als Bühnenhin ter wand in unserem Holzschnitt angenommen.
Meist lief diese Wand wie im griechischen Theater in gerader Linie, zu-
weilen war sie indessen nach dem Hinterraum zu ausgebaucht. Die vordere
Bühnengrenze oder die Bühnenvorderwand war, etwas ähnlich wie die Ana-
lemmata, bestimmt durch den wagrechten Durchmesser oder durch die
parallele Sehne, welche gleich war dem grössten Abstand der Grundfigur-
ecken innerhalb einer Hälfte des Crkreises. Das letztere ist in unserem
Holzschnitte angenommen: die Sehne ST ist gleich dem Abstand der Grund-
figurecken AH, und dieser ist der grösste Abstand der Grundfigurecken
232 ^* ^^^ BtÜmenwesen der Griechen nnd Römer.
innerhalb der Urkreishälfte AGHJELM. Es kam vor, dass die Analemroata
durch den verlängerten wagrechten Durchmesser gebildet wurden und ebenso
die BUhnenvorderwand. In diesem Falle fehlten die sonst gewöhnlich vor-
handenen Zwischenräume für die Orchestraeingänge, und diese wurden
dann wohl in den Endkeilen angelegt, ungefähr so, wie Vitruv will. Die
Breite (Länge) des Bühnenvorderraumes war gleich zwei Durchmessern des
Urkreises oder seltner wie im griechischen Theater so gross wie ein Durch-
messer und eine Grundfigurseite zusammengenommen. In unserem Holz-
schnitt ist das erstere gewählt worden: danach ist RVQN der BQhnen-
vorderraum, und zwischen AA" und RS, Gö" und TV sind die mit Zu-
schauersitzen überdeckten Orchestraeingänge. Der ganze, ungeteilte Yorder-
raum war die Bühne, der eigentliche Spielplatz natürlich nur die Mitte.
Zwei Thüren führten von den Seiten her auf die Bühne und ebendahin
gewöhnlich drei, aber auch fünf durch die Bühnenhinterwand. Die drei
Thüren in der Mitte der Bühnenhinterwand waren durch ürkreis und Grund-
figur bestimmt. Die mittelste war durch den senkrechten Radius gegeben,
wie im griechischen Theater, die beiden andern auf drei Arten: entweder
gewöhnlich durch die senkrecht zur Bühne gezogenen Tangenten des Ur-
kreises oder durch die Linien, welche von den dem wagrechten Durchmesser
zunächst gelegenen Grundfigurecken senkrecht zur Bühne gezogen wurden,
oder wie im griechischen Theater durch die verlängerten Radien, welche
durch die dem senkrechten Durchmesser zunächst gelegenen Grundfigur-
ecken hindurchgingen. In unserem Holzschnitt ist die erste und letzte die Art
durch punktierte Linien angegeben: die Thüren und P sind durch die
senkrechten Tangenten AO und GP bestimmt und die Thüren L' und J'
durch die Radien ZL und ZJ, welche über die dem senkrechten Durch-
messer DE zunächst gelegenen Grundfigurecken L und J hinaus ver-
längert sind.
4. Römische Theater lassen sich aus dem Grundriss als solche er-
kennen, wenn sie entweder einen Zuschauerring von höchstens einem Halb-
kreise und eine Bühnenbreite von zwei Durchmessern oder eines von beiden
haben. Die Bühnen tiefe gibt kein Unterscheidungsmerkmal ab, wie man
bisher nach Vitruv gemeint hat.
47. Bauplatz. Vitruv verlangt, dass man für das Theater einen
recht gesunden Platz auswähle; insbesondere dürften die Zuschauer, da
sie lange still zu sitzen hätten, nicht durch schlechte, aus Sümpfen kom-
mende Winde belästigt werden. Auch müsse der Hitze wegen, die sich
sonst erzeuge, das Theater so gelegt werden, dass die Zuschauer nicht
nötig hätten nach Süden zu schauen. Di^ Rücksicht auf das Wohlbefinden
der Zuschauer war in später Zeit sicherlich massgebend ; aber ebenso sicher
ist, dass sie nicht die einzige war. Was die neueren Forscher hierüber
lehren, ist nichts als ein Raten und fast ganz verfehlt. Auf schöne Aus-
sicht hat man schwerlich jemals Rücksicht genommen, denn schon wegen
der Höhe des Bühnengebäudes hätton die Zuschauer sie nicht geniessen
können. Ebensowenig begründet ist die Annahme, dass man belebtere Stadt-
teile, die Gegend am See und dgl. gern als Bauplatz ausgewählt habe: das
Umgekehrte Hesse sich leichter darlegen. Nur die Bemerkung ist richtig.
4. Die ftnaseren Mittel der DarBtellnng. (§ 47--48.) 233
dass man das Theater vorzugsweise in griechischen Ländern, aber auch,
ausser in Rom, sonst meistens an eine Anhöhe anzulehnen liebte, um die
Kosten des Unterbaues zu sparen oder zu verringern. Aber diese Be-
merkung hat mit der Wahl des Bauplatzes nichts zu schaffen; denn der
Hügel gab es viele, und die Hügel hatten verschiedene Abhänge, an die
sich die Theater anlehnen konnten. Ganz besonders verfehlt ist das, was
über die Lage des athenischen Theaters behauptet wird: der südöstliche
Abhang des Burgfelsens sei gewählt worden, damit die Zuschauer vor dem
Nordwind geschützt wären und von dem am Morgen von der Seeseite her-
kommenden Winde Erfrischung erhielten. Die den ganzen Tag im Theater
sitzenden Athener brauchten doch wohl eher nachmittags als vormittags
eine Erfrischung, und dass die Marathonkämpfer sich vor ein wenig Nord-
wind gefürchtet hätten, ist eine Eigenschaft, die man nicht gewohnt ist
ihnen beizulegen. Massgebend in Athen war vielmehr die Lage des Dio-
nysosheiligtums: man hat den Südosten der Akropolis gewählt, weil man
80 im Angesicht des zu ehrenden Gottes die Festfeier begehen konnte.
Wie in Athen wurde im Anfang wenigstens auch in Rom (§ 40) und ebenso
wohl in andern Städten die Verehrungsstätte der jeweils zu ehrenden Gott-
heit berücksichtigt. Wie weit diese Rücksicht ging, gegen welche Götter
sie genommen wurde, wann und wo man anfing sich über sie hinwegzu-
setzen, das sind Fragen, zu deren Beantwortung die Mittel nicht ganz zu
fehlen scheinen.
Litteratur fQr §§ 47 bis 52: Wibseleb, Sommerbbodt, A. Mülleb, Ritschl, Ribbecx,
Fbibdlandbb 8. § 6; vgl. § 11 und B. Abnold Das altrömische Theatergebäade, Würz-
bnrg 1873.
48. Zuschauerring. Wir haben im vorhergehenden als untere
Grenze des Zuschauerringes {cavea^ x^eargov i. e. S., nicht xoTXov) einen
Bogen des Urkreises bezeichnet. In einigen Theatern ist aber noch der
Rand des Orchestraraumes für Zuschauersitze verwertet worden. Der
Kürze wegen fassen wir im folgenden diese in den Begriff des Zuschauer-
ringes ein.
1. Nach der Technik lassen sich zwei Arten unterscheiden: ein jün-
gerer ganz massiver Bau, der entsprechend der Aussenfront des Bühnen-
gebäudes nach aussen in mehrere Stockwerke gegliedert war, und ein
älterer, welcher mit Benutzung einer Anhöhe errichtet war und nach aussen
wohl meist durch eine Mauer abgeschlossen wurde. War bei der letzteren
Art die benutzte Anhöhe felsig, so wurden die Stufen teilweise aus dem
Felsen gehauen, wie z. B. in Athen. Bei erdigem Boden wurden die stei-
nernen Stufen unmittelbar, wohl sehr selten mittels einer besonderen Unter-
lage auf den Boden gelegt. Grössere Abweichungen von einem gleich-
massigen Aufsteigen wurden durch Abtragung oder Ausfüllung, bzw. durch
massiven Bau ausgeglichen. Massiver Bau war besonders bei den End-
keilen von nöten, die nach der Bühne zu sehr oft Abschlussmauern ver-
langten, weil der Boden selten ganz muldenförmig gestaltet war. Zuweilen
hat man da, wo gar kein oder nur ein niederer Hügel zur Verfügung
stand, sich durch Aufschüttung einen genügend grossen künstlichen ge-
schaffen, wie in Mantineia und Megalopolis.
234 B. Das Bühnenwesen der Chrieohen und Römer.
2. Die Grösse des Zuschauerringes war natürlich sehr verschieden je
nach dem zu erwartenden Besuch: ganz grosse und sehr kleine kommen
vor. Die Höhe war der Akustik wegen (§ 51) an ein gewisses Mass ge-
bunden. Aus dem gleichen Grunde war die aufsteigende Linie eine gerade.
Je nachdem der Zuschauerring auf eine grosse oder kleine Zuschauer-
menge berechnet war, wird der Aufstieg mehr sanft oder mehr steil ge-
wesen sein.
3. Die Sitze waren wie der ganze Zuschauerring konzentrisch
mit dem ürkreise angeordnet. Sie bestanden hauptsächlich aus Stein-
bänken. Die einzelnen Plätze waren auf ihnen im römischen Theater
durch Linien abgegrenzt (Arnold 9), im griechischen dagegen nicht; eine
Ausnahme soll in dieser Beziehung das athenische Theater machen (Müller
Bühn. 9P). Die gewöhnliche Sitzstufe bestand aus einem eigentlichen
Sitzraum und einem Kaum für die Füsse. Der erstere war in der Regel
etwas über ^'s m hoch und tief (breit). An ihn stiess, aus demselben Stein
gearbeitet, der Fussraum des Zuschauers der nächsthöheren Sitzreihe. Dieser
war etwas vertieft und, da er auch als Gang benutzt wurde, ebenfalls
ungefähr V» ni tief (breit). Die Oberfläche des Sitzraumes war gewöhnlich
wagrecht oder auch, wie in Epidauros, leise nach hinten geneigt; in ein-
zelnen Fällen war sie vertieft, wohl zur Aufnahme der Sitzkissen. Die
Vorderseite der Sitze war zuweilen eine senkrechte Fläche, gewöhnlich aber
trat sie nach unten zu in mannigfacher Profilierung zurück und gewährte
somit Raum zum Zurückziehen der Füsso. In manchen Theatern gab es
eine oder zwei, in Epidauros sogar drei Sitzreihen, die mit steinernen Rück-
lehnen versehen waren; sie standen unmittelbar hinter oder vor einem
Umgang. Zuweilen scheinen die Lehnen aus Holz gewesen zu sein (Syrakus).
Nach den Treppen zu hatten einige auch Seitenlehnen (Epidauros). Ausser-
dem gab es in Reihen und einzeln Lehnsessel mit Rücken- und teilweise
mit Seitenlehnen, offenbar Ehrensessel {O^qovoi^ xad^ädgai). Sie standen auf
breiteren Stufen, und zwar in Griechenland vorzugsweise zunächst der Or-
chestra, in Rom ausser in der Orchestra (§ 49 *) wohl sicher auch auf den
Tribunalen über den Orchestraeingängen (§ 39 *).
4. Es sprechen einige Umstände dafür, dass, wenn auch nicht die
Einzelsitze, so doch die Sitzreihen und die Keile {xegxiSeg^ cunei) numeriert
oder anders kenntlich gemacht waren, allerdings wohl erst in später Zeit.
In Syrakus hatten die Keile Namen von fürstlichen Personen oder Göttern
(CIG. 5369) ; auch aus Rom ist ein Keil des Germanicus bekannt (Tac. An.
2, 83). Da in Athen Statuen in jedem Keil aufgestellt waren und zum
Teil erhalten sind, so hat man wohl mit Recht vermutet, dass die oben
erwähnten Namen der Keile von den in diesen aufgestellten Statuen her-
rühren. Mit dieser Annahme stimmen gut die erhaltenen Theatermarken
(§ 12). In Athen, wo zur Zeit Hadrians diesem Kaiser jede Phyle je eine
Statue in je einem Keil setzte, waren 12 Keile vermutlich nach den Phylen
benannt, deren Namen in den Aufschriften der gesetzten Statuen standen
(CIA. III 469). In früherer Zeit freilich wird es anders gewesen sein,
da wir von anderen Benennungen hören (§ 27 ^).
5. Die Hauptumgänge {praecinctionum itinera^ iUnera, viae), durch
4. Die äusseren Mittel der Darstellung. (§ 49.) 235
welche der Zuschauerring in Stockwerke {Sice^cif^iaTa, ^o^vai) zerlegt wurde,
waren ziemlich breit, in Epidauros z. B. 1,90 m. In Rücksicht auf die
Akustik war hinter ihnen eine Mauer {praecinctio, diazoma, baltetis) aufge-
richtet in einer dem Steigungswinkel des Zuschauerringes entsprechenden
Höhe. Je nach Umständen, scheint es, hat man hin und wieder einen
ähnlich breiten Umgang hinter der obersten Sitzreihe angelegt. Ein kleiner
Umgang findet sich ausserdem nach der Sesselreihe (Athen) oder nach der
ersten mit Lehnen versehenen Sitzreihe eines Stockwerkes (Epidauros).
6. Die Treppen {ascenstis, scalae, scalaria, itinera), welche die Keile
auf beiden Seiten begrenzten, waren schmal, nur so breit, dass eine Person
bequem auf-^ odör absteigen konnte. Die Treppenstufen waren halb so hoch
wie die Sitzstufen, in Athen ausnahmsweise gleich hoch, aber etwas nach
vom geneigt. Von der Mauer des Hauptumganges an mussten natürlich
die Treppen ein Stück aufwärts steiler sein als sonst, um die durch den
Umgang unterbrochene Steigungslinie wieder zu erreichen.
7. Die an einen Felsen oder erdigen Hügel angelehnten Zuschauer-
ringe scheinen vielfach nur von den Orchestraeingängen aus zugänglich
gewesen zu sein ; es finden sich aber auch Eingänge von oben her in Epi-
dauros, Pompeji und sonst; in Athen führte sogar ein Weg durch den Zu-
schauerraum. In den halbmassiven und noch mehr in den ganz massiven
Zuschauerringen dagegen, also besonders in römischen Theatern, gab es
Gänge oder Korridore und Treppen im Innern, welche die Zuschauer durch
die sog. Vomitorien zu den Sitzen führten.
49. Orchestraraum. 1. Wir unterscheiden im giiechischen Theater
zwischen Orchestraraum, dem ganzen ebenen zwischen Bühne und Zuschauer-
ring liegenden Räume, dem Parterre, und dem inmitten dieses Raumes
liegenden Platze, der Orchestra, die vom Tanze des Chores diesen Namen
und sonst auch wohl den Namen Konistra fährte. Was wir bis jetzt von
der Orchestra des griechischen Theaters wissen, ist uns fast nur aus Epi-
dauros bekannt; aber Epidauros ist massgebend. Der Orchestraraum ist
dort folgendermassen gestaltet. Vgl. den Grundriss auf der ersten Tafel.
Der Urkreis geht nicht unmittelbar hinter dem Rücken der ersten Sitzreihe
entlang, wie nach dem kleinen Plan der athenischen archäologischen Gesell-
schaft anzunehmen war (Theaterbau 51 ff.), sondern schliesst auch den
hinter dieser Sitzreihe befindlichen Umgang ein, wie neuerdings richtig er-
kannt worden ist (Dumon). Der die Grenze bildende Bogen des Urkreises
ist auf beiden Seiten etwas erweitert. Der wagrechte Durchmesser des
Orchestraraumes beträgt über 27 m (88 Fuss nach Dumon, der den zur
Anwendung gekommenen Fuss auf 0,310606 m berechnet). In der Mitte
des Orchestraraumes ist der eigentliche Tanzraum oder die Orchestra, eine
Kreisfläche, deren Durchmesser drei Viertel des wagrechten Durchmessers
des Urkreises beträgt. Dieser Durchmesser war danach in acht gleiche Teile
zerlegt worden, von denen die sechs mittleren den Durchmesser der eigent-
lichen Orchestra bildeten, während die äusseren Teile den gleich zu er-
wähnenden Gürtel, die Sitzreihe und den dahin terliegenden kleinen Umgang
durchschnitten. Die Orchestra war ungepflastert, also eine mit Recht so
zu nennende Konistra. Ein nicht hervorragender steinerner Rand ist ihre
236 B. Das Bühnenwesen der Griechen und BOmer.
Einfassung, und in der Mitte ist, ebenfalls nicht hervorragend, ein runder
Stein mit 0,71 m im Durchmesser eingelassen, dessen Mittelpunkt ein 5 cm
tiefes und 8,5 cm breites Dübelloch bildet. Zwischen der Sitzstufe und
dem Orchestrarand ist ein steingepflasterter Gürtel, der sich entsprechend
der Erweiterung des Urkreisbogens nach der Bühne zu auf 2,84 m erweitert
und 0,21 m tiefer liegt als die Orchestra; das letztere deshalb, weil er
ausser als Gang auch als Abzugskanal für das sich ansammelnde Wasser
zu dienen hatte. Hierauf deuten mit Bestimmtheit die je zwei Abzugs-
löcher, die sich auf beiden Seiten in der Nähe des wagrechten Orchestra-
durchmessers finden. Die Orchestraeingänge {tkxqoSoi, siaoSoi) waren wie
die Seiteneingänge zur Bühne durch Pfeiler und Thüren al)g€teperrt. Die
einen führen mittels der Rampen auf die Bühne hinauf, die andern in die
etwas tiefer liegende Orchestra hinab. Die Breite der Orchestraeingänge
beträgt über fünf Meter, sie war also mehr als genügend, selbst in dem
Falle, dass der Chor in Gliedern von sechs Mann einmarschierte. Die
übrigen bekannten griechischen Orchestren sind mit Ausnahme des Theaters
in Oropos und des Odeions in Knidos alle gepflastert, sie stammen also
wahrscheinlich aus späterer Zeit. Ein besonderer Gang war nach der
Pflasterung nicht mehr nötig, trotzdem findet er sich öfter. Das Regen-
wasser wurde wie in Epidauros durch Kanäle abgeleitet. Auf verschliess-
bare Orchestraeingänge deutet eine Inschrift, die in Pergamon gefunden
worden ist (Conze Sitzber. Berl. Ak. 1884 S. 15).
2. Die Grenze zwischen Zuschauerring und Orchestraraum machte im
römischen Theater ein Umgang, der zuweilen nach der Orchestra zu von
einer niederen Mauer begleitet war. Eigentümlich war einigen römischen
Theatern, dass sie innerhalb des so abgegrenzten Raumes mehrere Sitz-
reihen oder doch Stufen hatten. Im übrigen waren die römischen Orchestra-
räume den griechischen ähnlich.
Die Orchestra in Oropos ist in mehrfacher Hinsicht merkwürdig. £8 gab dort^ wie
es scheint, nur ein Abflussloch ffir das Regenwasser, und daher rührt es wohl, dass der
Orchestragürtel auf der einen jedenfalls höher gelegenen Seite ganz schmal, auf der andern
Seite mit dem Abflussloch dagegen breit ist. Auffällig, weil ohne Analogie sind die fünf
unregelmässig aufgestellten Thronsessel innerhalb jenes Gürtels. Auch die Orchestraein-
gänge scheinen von der Regel abzuweichen.
50. Bühnengebäude. 1. Dem Material nach zerfielen die Bühnen-
gebäude in hölzerne und steinerne. Dazu kamen noch einige Mittelgattungen:
solche, deren Unterbau aus Stein und deren Oberbau ganz oder zum Teil
aus Holz war, und solche, die wohl ein steinernes Bühnenhinterhaus, aber
keine steinerne Bühne hatten, deren Bühne vielmehr für den jedesmaligen
Gebrauch neu aufgeschlagen wurde (Aspendos, Kreta). Erhalten ist natür-
lich vom Holzbau nichts, aber da der Steinbau aus dem Holzbau hervor-
gegangen ist und da noch in der Kaiserzeit, in Rom wenigstens (§ 33),
hölzerne Bühnen aufgeschlagen wurden, so haben wir, von den Anfängen
abgesehen, nicht den geringsten Grund für den Holzbau eine andere Kon-
struktion vorauszusetzen wie für den Steinbau. Die länglich viereckige
Gestalt des Bühnengebäudes und sein Verhältnis zum Zuschauerring sind
oben schon erwähnt worden (§ 43).
2. Das Bühnenhinterhaus (crxijvi^, scaena), dessen Tiefe in der Regel
4. Die äUBBeren Mittel der Darstellimg. (§ 50.) 237
vermutlich vier bis sechs Meter betrug (in Orange und auch sonst noch
mehr), dessen Höhe und Breite aber sich nach der vorderen Anlage richtete,
war von der Strasse aus zugänglich und bestand, wenigstens in Aspendos
und Orange, aus drei Stockwerken. Jedes der Stockwerke enthielt mehrere
Zimmer, die natürlich mit dem Vorderraum unmittelbar oder mittelbar durch
Thüren verbunden waren. Vgl. die Grundrisse des Bühnengebäudes zu
Orange auf Tafel IL
3. Die Grenze zwischen Hinterhaus und Vorderhaus war eine hohe
Mauer, die Bühnenhinterwand {scaena bei Vitruv). Sie soll nach Vitruv
der Akustik wegen mit der äusseren Begrenzung des Zuschauerringes gleich
hoch und in drei Stockwerke gegliedert sein. Das letztere war der Fall
in Orange, wie die Abbildung auf Tafel I zeigt, und in Aspendos. Der
architektonische Schmuck der Mauer war in der späteren Zeit, besonders
in Rom sehr reich. Die vor ihr liegende Bühne, die viele Namen hatte
(zu 3), war nach vorn offen, ebenso nach den Seiten im älteren griechischen
Theater; nur an den unteren Enden der auf die Bühne führenden Rampen
oder Treppen waren Pfeiler und Thüren {nagaax/jvia?), wie das epidaurische
Theater besonders zeigt. Vgl. Tafel I und § 49. Erst im jüngeren grie-
chischen und im römischen Theater war ein Abschluss durch Seitenwände
bewerkstelligt worden, die Vitruv versurae procurrentes nennt und auf die
zuweilen, nicht immer. Flügelbauten folgten. Als Höhe der Bühne verlangt
Vitruv für das griechische Theater zehn bis zwölf Fuss und für das
römische höchstens fünf Fuss, und damit stimmen im allgemeinen die Über-
reste. Ihre Tiefe wird wohl in allen grösseren Theatern drei bis vier
Meter betragen haben; in Epidauros ist sie, selbstverständlich mit Ein-
rechnung der vorderen Mauer und ihrer Ausladung, über drei Meter tief,
in dem ganz kleinen Theater zu Oropos geht sie allerdings nicht über zwei
Meter hinaus. An den Enden der älteren griechischen Bühne, d. h. da,
wo die Rampen oder Treppen an sie anstiessen, war die Tiefe zuweilen
vergrössert durch quadratische Vorsprünge nach der Orchestra zu. Wir
sehen sie im epidaurischen Theater auf Tafel I. Die durchschnittliche
Bühnenbreite des älteren griechischen Theaters ging wohl über zwanzig
Meter hinaus; die des jüngeren griechischen und des römischen Theaters
war erweitert bis auf das doppelte Mass. Der Fussboden der Bühne war
gedielt, und deshalb ist mit ziemlicher Sicherheit Bedachung anzunehmen.
Spuren einer solchen sollen in Orange und Aspendos zu finden sein. Als
Bühneneingänge hatte das ältere griechische Theater drei Thüren in der
Bühnenhinterwand, je eine Rampe oder Treppe an beiden Seiten und eine
hölzerne Treppe vorn (§ 54). Das jüngere griechische Theater wich inso-
fern ab, als es statt der zwei seitlichen Treppen zwei Nebenthüren seitlich
vom Mittelbau in der Bühnenhinterwand hatte. Im römischen Theater gab
es gewöhnlich wieder bloss drei Thüren in der Bühnenhinterwand, dazu
kamen aber, im Gegensatz, wie es scheint, zum jüngeren griechischen Theater,
zwei Thüren in den seitlichen Bühnenmauem und ausserdem noch eine
oder zwei steinerne Treppen nach der Orchestra zu. Das Hyposkenion
oder der kellerartige Unterraum unter der Bühne, der mit dem Hinterhaus
in Verbindung stand, war nach vorn von der Orchestra durch eine Mauer
238 B. Das Bühnonwesen der (hiechen und Römer.
getrennt, die wir früher immer die Bühnen vorderwand genannt haben, die
aber richtiger Hyposkenionsmauer zu benennen wäre, weil sie nur so hoch
ist wie die Bühne. Sie war mit Säulen und nach Pollux auch mit Statuen
geschmückt. Thüren in ihr gab es wohl nur im älteren griechischen
Theater. In Epidauros finden sich, wie auch unser Grundriss auf Tafel I
erkennen lässt, mehrere: eine zweiflügelige in der Mitte, je eine in den
quadratischen Vorsprüngen an den Bühnenenden und ausserdem je eine da,
wo die Rampen an die Bühne stossen. Die letzteren haben möglicherweise
für den Chor gedient (Müller Bühn. 27^); die Bedeutung der andern Mauer-
öfifnungeu ist ganz unbekannt. In Oropos zeigt die betreffende Mauer nur
eine Thüröifnung in der Mitte; ob daselbst zwischen den Pfeilern Holz-
tafeln mit Gemälden aufgestellt waren, wie in dem Bericht der athenischen
archäologischen Gesellschaft vermutet wird, scheint eicht sicher zu stehen,
denn die Inschrift auf dieser Mauer darf auf die Bühne bezogen werden,
auf der sie, weil nicht in die Luft gemeisselt werden konnte, nicht wohl
anzubringen war.
Zu 3: Die zahlreichen Benennungen der BQhne sind zusammengestellt hei Wibsblbb
£nc. 206 ff. A. Müller Bühn. 53 ff. Es sind folgende: axrjyti und acaena, ngocxijyioy
und proscaenium^ kayeToy, oxgißag und puljntum, ßrjfjia, spät oQXfjozQK. Zu oxqißag vgl.
Sitzher. MQnch. Ak. 1889 II 108 f., zu vnoaxijyioy Sommsrbbodt Scaenica 140.
51. Akustik. Solange man in Holztheatern spielte, war es nicht
nötig auf die Akustik ein besonderes Augenmerk zu richten. Nötig da-
gegen wurde es, als man die Theater aus Stein errichtete, und zwar um
so mehr, je grösser der Zuschauerring wurde. Vorteilhaft waren für die
Akustik von Haus aus die im griechischen wie im römischen Theater ge-
ringe Tiefe und die immer beibehaltene Dielung der Bühne, im griechischen
ausserdem die hölzerne Thymele (§ 54) und in beiden die konzentrisch
hintereinander aufsteigenden Sitzreihen der Zuschauer. Ausser der Sorge
für Abhaltung von Störungen der Steigungslinie (§ 48) war die Hauptauf-
gabe des Baumeisters die Herstellung einer gleichen Höhe des Bühnen-
hauses und des Zuschauerringes. Beide Vorschriften gibt Vitruv. Soweit
es sich kontrollieren lässt, scheint die erstere im wesentlichen befolgt
worden zu sein; von der zweiten können wir dasselbe nur vermuten. Mit
diesen Vorkehrungen hat man sich wohl meist begnügt. Doch ist daneben
(seit wann, ist unbekannt) noch eine ganz eigentümliche Verbesserung der
Akustik vorgenommen worden, nicht in Rom, wie Vitruv ausdrücklich be-
richtet, aber in andern italischen und in griechischen Städten. In Nischen,
die je nach der Grösse des Theaters in einer bis drei Reihen ringsum im
Zuschauerräume angebracht waren, wurden eherne, im Notfall auch thönerne
Schallgefasse von verschiedenem, genau abgestimmtem Klange derart auf-
gestellt, dass sie ganz ungehindert die von der Bühne kommenden Töne
aufnehmen konnten, um sie dann verstärkt und verschönt zurückzuwerfen.
Nischen für solche Schallgefasse sollen sich in einigen Theatern gefunden
haben: in Gerasa und Aizanoi und auf Kreta.
Üher Vitruvs Lehre A. Müller Philol. 23«« 510 ff. BQhn 43 ff, Wibsrlbr Enc.
234 ''. A. WiLMANNS Com. in hon. Mommseni 254 ff. A. Terquem La science romaine ä
Vepoqiie d^Aiigtiste, Paris 1885, S. 107 ff. Alb. Eichhorn Die Akustik grosser Räume
nach altgricchischer Theorie, Berlin 1888, S. 44 ff. 55 ff. Vgl. J. Durm Handhuch der Ar-
chitektur Hl.
^
4. Die äuBseren Mittel der Darstellung. (§ 51-58.) 239
52. Schutzvorrichtungen. 1. Gegen Feuersgefahr sich zu schützen
hatte man bei einem Spiel am Tage und in einem unbedeckten Räume
wohl niemals Anlass. Gefahrdrohend war einzig die Gebrechlichkeit der
hölzernen Zuschauersitze. Aber gleich anfangs lehrte Athen, wie man sich
dieser Gefahr erwehren konnte, indem man einen Bergabhang als Zu-
schauerraum und Stein als Baumaterial wählte. Zu schützen hatte man
sich aber gegen das, was bei einem Spiel im Freien und von teilweise
langer Dauer unvermeidlich eintrat: gegen Regen, Sonnenstrahlen und ihre
Folgen, gegen Durst und Hunger. Doch lange Zeit, das dürfen wir an-
nehmen, kannte man hiegegen keine anderen Vorkehrungen, als die sich
eine jeder selbst verschaffte (Müller Bühn. 303) oder die etwa ein frei-
gebiger Spielleiter durch Bewirtung gewährte. Nur die Möglichkeit frisches
Wasser im Theater zu bekommen wird schon früh geboten worden sein,
denn von den zahlreichen Quellen, Brunnen, Zisternen, die man in den
Orchestraräumen und in der Nähe der Theater erkannt hat, waren manche
wohl schon vor oder doch seit Errichtung der Theater vorhanden.
2. Gegen Platzregen schützten anfänglich die zufallig in der Nähe
der Theater befindlichen Baulichkeiten; aber man scheint daselbst in nicht
allzu später Zeit auch absichtlich solche angelegt zu haben, die Schutz ge-
währen konnten, wie Odeien, Gymnasien und andere, und hat endlich
eigens für diesen Zweck Säulenhallen errichtet, die natürlich auch ausser-
halb der Spielzeit benutzt wurden. Vitruv wünscht sie hinter dem Bühnen-
haus angelegt und mit Gartenanlagen verbunden, und diese Lage hatten
mehrere. Daneben sind aber auch Portiken auf der Höhe des Zuschauer-
ringes erbaut worden, deren Anlage nach Vitruv zugleich in Rücksicht auf
die Akustik wünschenswert war.
3. Allgemeine Schutzvorrichtungen gegen Sonnenstrahlen haben die
Griechen in ihrer guten Zeit nicht gekannt. Sie kamen zu ihnen durch
römischen Einfluss, und die Römer wiederum lernten sie bei den Kam-
panern kennen. So berichtet wenigstens Valerius Maximus (2, 4, 6), nach
dem ihre Einführung in Rom durch Q. Catulus ins Jahr 676/78 fällt. Es sind
dies die sog. Vela, Segeltücher, die, an Masten befestigt, den Zuschauerraum
überdeckten. Die Masten waren in durchlöcherte Steinplatten oder Kragsteine
eingelassen, die an dem oberen Teil der Umfassungsmauer des Theaters
angebracht waren und in Resten noch vorhanden sind (Pompeji, Orange).
Masten wurden vielleicht auch im Theater selbst aufgestellt: es finden sich
wenigstens Löcher im Umgang zu Syrakus, die dazu gedient haben könnten.
Nicht lange darauf soll Pompejus zuerst Wasser ins Theater geleitet haben,
wohl ohne Zweifel nach dem Vorbild anderer Städte (Segeste, Syrakus).
Und in dieser Art von Vorkehrungen schritt man schnell fort, denn schon
Lukrez und Horaz erwähnen Druckwerke, mittels deren wohlriechende
Wässer gehoben wurden, um in Strahlen auf die. Zuschauer herabgelassen
zu werden. Vgl. Fbiedländer 533 f.
B. Ausstattungr der Räume.
53. Im allgemeinen. 1. Die Theater wurden nebenbei benutzt zur
Anbringung von Standbildern und Inschriften. Wenn Dichter und musi-
240 B. Das Bühnenwesen der Griechen und BOmer.
sehe Darsteller durch Setzung von Standbildern und Anbringung von Ehren-
inschriften geehrt wurden, so wundem wir uns nicht, auch nicht, wenn
die gleiche Ehre hervorragenden Bürgern, Staatsmännern und Feldherren,
widerfuhr, denn es ist denkbar und zum Teil bezeugt, dass es geschah
aus Rücksicht auf die Verdienste jener Männer um die dramatische Kunst.
Wohl aber dürfen wir Anstoss nehmen und die eingetretene Geschmacks-
rohheit beklagen, wenn in später Zeit in Athen Bauchrednern und ähn-
lichen Leuten die gleiche Auszeichnung zu teil wurde (Athen. I 19 £, B).
2. Diese Standbilder und Inschriften wurden vorzugsweise innerhalb
des für die Zuschauer bestimmten Raumes aufgestellt, Inschriften wurden
aber auch an den äussern Mauern angebracht. Der Raum der Darsteller
war für derartige Aufstellungen seinem Zwecke nach minder geeignet und
wurde auch vermutlich in der guten Zeit der Hellenen dazu nicht benutzt:
dem Römertum blieb es vorbehalten die Bühnenhinterwand wie mit an-
derem Schmuck so auch mit Statuen zu überladen, weil es für das Wesen
des dramatischen Spieles ein Verständnis nicht besass oder bald wieder
verlor (§ 39*). Ausser den für die jedesmalige Aufführurg nötigen Bild-
säulen war keine andere zur Aufstellung geeignet als die des Gottes, dem
die Spiele galten. So wurde in Athen das Bild des Dionysos abends vor
der Aufführung unter Fackelschein von den Epheben aus dem Tempel
geholt und in der Orchestra, jedenfalls in der Nähe des Altars (§ 54), auf-
gestellt (CIA. II 470 f.). In Rom und auch wohl sonst, wo es keine dem
Dionysos geweihten Festspiele gab, wurde ebenso passend auf der linken
Seite der Bühne ein Altar der gefeierten Gottheit errichtet, dazu aber auf
der rechten Seite noch ein Altar zu Ehren des Schutzgottes der dramati-
schen Spiele, des Dionysos. Die Standbilder beider Gottheiten dürfen wir
uns daneben aufgestellt denken; Donat (de com.j freilich erwähnt nur die
Altäre.
3. Wichtiger für uns als dies ist die übrige Ausstattung der Dar-
stellerräume: Gerüste, Maschinen, Schmuck, Satzstücke und dgl. Um sie
haben sich, wie es scheint, in Athen Aeschylos und nach ihm Sophokles
verdient gemacht, in Rom als Ädilen C. Claudius Pulcher 655/99 und Lucius
und Marcus Licinius Lucullus 675/79 (zu 3). Ihre Gestaltung war bedingt
durch das Spiel im Freien und am Tage und durch das Fehlen eines Vor-
hanges in griechischer Zeit (§ 56). In gewissen Fällen waren Maschinen
nötig, um das Innere der Gebäude zu zeigen, vor denen die Handlung des
Stückes sich abwickelte. Eine besondere Einrichtung verlangten die oberen
Gestelle, da sie nicht mit einem oberen Boden der Bühne, sondern nur mit
dem Bühnenhinterraum in Verbindung standen. Manches konnte überhaupt
nicht oder doch nur andeutungsweise dargestellt werden. So besonders
die Licht- und Witterungserscheinungen. Die Nachahmung von Blitz und
Donner war jedenfalls mangelhaft; die Nacht deutete man anfangs gar
nicht, später durch schwarze Vorhänge an (vgl. Muhl9); anderes, wie Hagel,
Staub und dgl., sich vorzustellen überlies man wahrscheinlich immer der
Phantasie der Zuschauer. An diese wurden auch in Bezug auf Zeit und
Raum Ansprüche gemacht, solange kein Vorhang da war. Personen, die
schon lange vor Beginn des Stückes als knieend, liegend oder gar schlafend
4. Die äusseren Mittel der Darstellimg. (§ 53.) 241
gedacht werden sollten, musste sich der Zuschauer so vorstellen, obwohl
er sie kurz vorher erst die betreffende Stellung hatte einnehmen sehen.
Die Umständlichkeit der Scenenverwandlung bei fehlendem Vorhang war
der Anlass, dass der Zuschauer Häuser auf der Bühne neben einander dar-
gestellt sah, die in Wirklichkeit von einander entfernt waren, ja dass er
in Aristophanes Acharnern dasselbe Haus bald als auf dem Lande, bald
als in der Stadt befindlich zu betrachten hatte.
4. Die Offenheit der Bühne und die aus dieser hervorgehende Gleich-
förmigkeit der Bühne und der Bühnenausstattung brachte es mit sich, dass
die Teile der Bühne und der Bühnenausstattung je nach ihrer Lage eine
bestimmte Bedeutung annahmen. Insbesondere gilt dies von den seitlichen
Eingängen zur Bühne und zur Orchestra: die rechts vom Schauspieler
liegenden bezeichneten die Landseite, die links liegenden die Stadt- und
Seeseite. Dies ist so zu verstehen, dass man die von rechts her auf-
tretenden Personen sich angekommen dachte auf Landwegen, die von links
her aber aus der Stadt oder dem Hafen (zur See). Von der linken Seite
traten auch die Meergötter auf, während die übrigen meist auf der Ma-
schine (§ 57) erschienen. Augenscheinlich hat sich diese Typik in Athen
entwickelt, denn im athenischen Theater war grossenteils rechts vom Schau-
spieler das attische Landgebiet und der Zugang zu Lande aus der Fremde,
links aber die Stadt und der Hafen. Über das Entstehen und den Vorgang
dieser Typik erfahren wir nichts; doch da sie sich eigentlich von selbst er-
gab, dürfen wir ihren Beginn ziemlich früh ansetzen, und da sie die nötige
Orientierung für den weder mit dem Text noch mit einem Theaterzettel
versehenen Zuschauer in ausserordentlich bequemer Weise bewerkstelligte,
so wird sie so lange bestanden haben, als das griechische und römische
Drama auf einer offenen Bühne gespielt wurde.
Litteratur für §§ 53 bis 58: Wieselsb, Sommebbrodt, Schökborn, A. Müller, Rib-
BBCK, Friedlakder s. § 6. Vgl. § 8. 10. Nie. Weckleik Philologus 31 '^ 439 ff. Bernh.
Abhold Das altrömische Theatergebäude, Wttrzburg 1873. Joh. Mühl SymhoUie ad rem
scaenicam Ächamensium Aviumque Äristophanis accuratius cogn., Aagsbarg 1879. —
Zu 3: Gramer Anecd. Paris. I 19 ei fihv drj ndyra rig ^^<r/i;A^ ßovXetai rd negl xrjv axrjvtjy
evQijfiata ngoayefÄeiv, ixxvxXijuat« xai itsqinxtovg xal fÄrjxaydgj i^ojargag te xal ngoaxijyia
(Gerüst, Maschine) xai dtateyiag xal xegavyoffxoneta xai ßgovxBia xai ^eoXoyeia xai yegd-'
vovg xrA. Vgl. Aeschylos und Sophokles Vitae. Valerius Max. 2, 4, 6 Claudius Fulcher
scaenam t>arietate colorum adumbratnt vacuis ante pictura tabulis extentam (dies ist ohne
Zweifel fibertrieben; nur Weiterbildung ist anzunehmen: vgl. Ribbeck Rom. Trag. 653).
Fest. epit. p. 57 Claudiana tonürua appellahantuVf quia Claudius instituit, ut ludis post
scaenam coiectus lapidum ita fieret, ut veri tonitrus similitudinem imitaretur . nam antea
leves admodum et parvi sonitus fiebant, ctim clavi et lapides in lahrum aeneum coicerentur,
Valerius Max. 2, 4, 6 {scaenam, nicht Periaktenj versatilem fecerunt Luculli. — Zu 4:
Poliux 4, 126 nag' ixdtega dk xujy dvo &vg(oy ttav negi trjy fjiiorjy aXXai dvo eiey dy, fiia
ixat^gto^ey — rtgog (ig al nsglaxioi avfjtnenijyaaiy — , jj fdey de^id (d. h. Thür: vgl. unten
hidyst und Schönborn 71. Niejahr 1888 S. 4) xd e^to noXetog drjXovaa, ij d* ixign xd
ix noXstog, fidXtaxa xd ix Xifi^yog, xai d^eovg xb ^aXaxxlovg indyei xai ndyS-' oca ina^^i-
axsga oyxa ij fArixavrj (pigevy ddvyaxei. ei di inicxgatpetey al negiaxxoi, rj de^id uey dfjielßei
xonoy, dfitpoxegai dk /cJ^«»' vnaXXdxxovciy. xtoy uiyxoi nagodtay rj fjiey de^id aygoS-ey rj
ix Xtfjiiyog rj ix noXetag dyei ' ol di dXXa^o^ey ne^oi dcpvxyovfxeyoi xaxd xrjv etegay
Bialaffiy. Vitruv 5, 6, 8 versurae procurrentes, quae efficiunt una a foro {ix noXetog)^
aifera a peregre aditus in scaenam. Bei Poliux ist mit Rohdb De J. PoUucis fontibus 61
dygo^ey rj vor dXXaxo^ey zu stellen. Rechts und links ist für die Bühneneingänge gesagt
vom Standpunkt des Schauspielers, für die Orchestraeingänge vom Standpunkt des Zu-
schauers. Danach haben die seitlichen Bühneneingänge und die Orchestraeingänge di«
Bftndbuch der Uaae. Aliertumswiflsenscbtft V. 3. Abtig. 16
242 B. Das Bühnenwesen der Qiieohen und BOmer.
gleiche Bedeutung: Ifo) noXeiog = dygo&ey 17 aXXaxo&By = a peregre; he noXetagy ix
hfjiivog = ix X, 1] ix 71, = (Vitruv abgekürzt) a foro,
54. Thymele. 1. Aus akustischen Gründen wurde im griechischen
Theater die ursprünglich ungepflasterte, später gepflasterte Orchestra (§ 49)
mit einem Brettergerüst überdeckt. Dies hätten wir auch dann anzunehmen,
wenn es nicht überliefert wäre. Doch deutet darauf schon Aristoteles
(Probl. 11, 25), und andere Nachrichten bezeugen ausdrücklich ein Gerüst
in der Orchestra, das Thymele hiess und für die Aktion des Chores bestimmt
war. Def Ausdruck Thymele kommt her von Opfern (&v€iv) und bedeutete
m. E. die Opferstätte, und zwar entweder bloss den Altar, auf dem ge-
opfert wurde, oder den Altar und den Platz um ihn oder vor ihm, der
von den Sängern und Tänzern benutzt wurde. In der letzteren Bedeutung
ist das Wort im ßühnenwesen verwendet worden. Es ist also die Thymele
ein in der Orchestra aufgeschlagenes Gerüst mit einem Altar in der Mitte
oder an der Seite; Orchestra ist nur ein anderer Name dafür.
2. Man nimmt jetzt gewöhnlich an, dass das Gerüst viereckig war
und den Platz zunächst der Bühne ungefähr bis zum Mittelpunkt des
Orchestraraumes einnahm. Doch erheben sich dagegen gewichtige Be-
denken. Die einzige Quelle, auf die man sich berufen kann, ist jung und
sagt zudem nicht das aus, was man aus ihr herausliest. Die dionysische
Thymele diente femer auch für lyrische Chöre (Pratinas bei Athen. XIV
617 C. Ulpian Dem. Mid. p. 532); dass man aber zwei Gerüste an demselben
Feste und an derselben Stelle aufgeschlagen habe, ist höchst unwahrschein-
lich. Der gewichtigste Grund gegen jene Ansicht ist endlich der, dass
kein rein griechisches Theater zu finden ist, dessen Orchestraraum auf
einen Halbkreis beschränkt worden wäre, und doch wäre ein solcher Raum
für ein dem dramatischen Chor dienendes viereckiges Gerüst nicht bloss
genügend, sondern auch ausserordentlich praktisch gewesen, denn die Grup-
pierung sämtlicher Darsteller um den Mittelpunkt der Gesamtanlage, der
Schauspieler auf der Bühne und der Choreuten auf der Thymele, hätte
ihr Spiel am besten wahrnehmbar gemacht (§ 43*)- Hiegegen wird wohl
der Einwand nicht gemacht werden, dass sämtliche griechischen Theater
zugleich auch für kyklische Aufführungen eingerichtet gewesen seien. Nach
alledem halten wir dafür, dass die Thymele eine wenigstens nach dem
Zuschauerringe zu kreisrunde Gestalt hatte, von einem Durchmesser, der
wie in Epidauros um etwa ein Viertel kleiner war als der des ganzen
Orchestraraumes oder des Urkreises. Ihre Höhe ist unbestimmbar, nur
dass sie geringer war als die der Bühne, lässt sich aus den Dramen ab-
nehmen, z. B. aus Aristophanes Wespen 1514, und noch besser aus der
Treppe, welche nach einigen phlyakographischen Bildwerken von ihr auf
die Bühne führte.
WiESELBR Thymele; Edc. 203 ff. SoDstige Litteratur: A. Müller Bahn. 131 ff.
Berl. Phil. Woch. 1887 Sp. 1008. — Zu 1: Isidor Or. 18,47 (wohl nach Varro!) thymelici,
quod olim in orchestra stantes cantabant super pulpitum, quod thymele vocäbatur. Pollax
4, 123 »vfAt'Xtj, £i>f ßijfÄit Ti oSffa €ir€ ßtofiog. Mehr Müller Bühn. 129. — Zu 2: Suidas
und Et. M. unter ffxfjytj stelle ich so her: Ixrjin^ iaxiv tj ^iatj (hvga rov d-edigov, naga-
axrjvva de t« Ip&bv xal ey&ey rrjg fAtffrjg d^tfQag ^/«Ax« xttyxeXXa, (oy tä iyjog xai xijg fjtiatjg
&VQag fj oQxrjdTQay, tj i'ya acttpbavBQoy eXno} \axriyrj »;], fXBxd rrjy axriyrjy ev&vg xal td na^a-
oxrjyitt y o^jifjyeyr^a. avrtj de iariy 6 ronog 6 ix ffayidtay l/wy tö eda^og, dtp ov ^ecrr^i-
4. Die änaaeren Mittel der Darstellung. (§ 54—55.) 243
^ovaiy ol fitfioi * l<rr^ fjieta xrjy ogj^ijatQay ßatfiog rov Jioyvaov, rexqdytovoy oixodofitjfitt
xayoy inl rov fjiiaov, og {ö Et. M.) xaXeTxai d-vfieXtj nag« (ngog Et. M.) to Sveiy . ^er« dk
Ttjy ^vfÄcXtjy ri xoylaxQa [oqxv^^^^^ rovtiaxi xo xdxo} idatpog xov &6dxgov. In spitzen
Klammern steht, was nach Hermes 6^^ 490 Cod. Flor. Greg. Naz. mehr bietet; nur 17 ö^-
XV^tga füge ich hinzu. Damit ist eine volle Ergänzung gewonnen und die jüngere Nomen-
klatur (pQxij(fXQtt = Bühne) erwiesen, [axtjytj rj] und [oQxijtrxga] sind ursprünglich Rand-
bemerkungen eines kundigen Lesers gewesen, die bei Suidas fehlen; im Et. M. steht
trxrjyij 17 überflüssig und hat ogxv^^Q^ das Richtige verdrängt. Der ßtafjtog ist hier kein
Idaffog (dies ist nur oqxv^'^Q^ und xoyiaxQo), sondern bloss ein Altar. Wer dieses Zeugnis
zu Grunde legt, muss den Altar am Rande der Thymele ansetzen, nicht in der Mitte.
55. Btthnenmaschinerie. Die wichtigste Maschine war das söge-
nannte Ekkyklem. Dies war eine Art Wagen, eine über Rädern befestigte
Platte (Schol. Ar. Ach. 408), welche dazu diente, das Innere der durch den
Bühnenschmuck vorgestellten Behausung offenbar zu machen, indem sie
aus der Thür auf die Bühne herausgedreht wurde {ixxvxXeXv^ alaxvxXeiv),
Nach Pollux war ein Ekkyklem für jede der drei Hintergrundsthüren vor-
handen. Seine Breite war natürlich durch die Breite der Thür bedingt;
seine Tiefe oder Länge muss nicht ganz unbedeutend gewesen sein, wenn
in Aeschylos Eumeniden der ganze Chor neben Orestes darauf Platz finden
konnte; seine Höhe endlich durfte ein gewisses Mass nicht überschreiten,
um das Herabsteigen der mit Kothurnen belasteten Spieler nicht allzusehr
zu erschweren. Der Gewährsmann des Pollux nimmt mit anderen eine
Exostra genannte Maschine als gleichbedeutend mit dem Ekkyklem an,
einige (zu § 53^) dagegen nicht; eine Entscheidung ist nicht zu treffen.
2. Zur Anbringung des seitlichen Bühnenschmuckes waren die soge-
nannten Periakten bestimmt, je eine auf einer Seite. Die Periakte war
ein dreiseitiges prismatisches Gestell, das auf einem Zapfen ruhte. Höhe
und Breite sind unbekannt; auch ihr Stand ist nicht genau zu bestimmen.
Wir wissen nur, dass die Periakten seitlich von den drei Hintergrunds-
thüren angebracht waren. Nach Pollux (zu § 53^) scheinen sie im jüngeren
griechischen Theater, denn nur dies hat fünf Thüren, nach den äusseren
Thüren zu, der vierten und fünften in der Bühnenhinterwand, gestanden
zu haben. In Epidauros, und ähnlich in dem älteren griechischen Theater,
haben sie wohl ihren Platz auf den quadratischen Yorsprüngen an den
Enden der Bühne gehabt, sodass die auf den Rampen aufsteigenden Dar-
steller zwischen Bühnenhinterwand und Periakte hindurchgingen.
3. Zur Aufnahme des hinteren Bühnenschmuckes wäre wohl die
hölzerne Bühnenhinterwand, nicht aber die steinerne mit ihren hervor-
springenden Säulen und Gebälkstücken geeignet gewesen. Es scheint, dass
man ein hölzernes Gerüst hierfür benützte, das wie der Wandschmuck
selbst Proskenion hiess. Eine Stelle wenigstens nennt eine Maschine so
(zu § 53») und andere deuten auf ein Gerüst (Athen. XHI 587 B. Phot. Suid.
NdvYiov), Der Abstand des Gerüstes von der Bühnenhinterwand ist unbe-
stimmbar. Die Breite desselben ist mindestens dem Abstand der Periakten
von einander gleichzusetzen, und seine Höhe wird einem Stockwerk der
Bühnenhinterwand entsprochen haben, denn auf dem Gerüst war wahr-
scheinlich das in den Dramen öfter erwähnte Dach angebracht, das Pollux
mit Distegie bezeichnet.
Im Theater zu Oropos findet sich auf der Hyposkenionsmauer (ßühnenvorderwand)
folgende Inschrift: . . . (t\ytoyo^exrjaag t[o] nQoaxijyioy xai rovg niy[ttxag ... Es ist
IG*
244 B. Das Btthnenwesen der Griechen und BOmar.
schon am Schlnss von § 50 darauf hingewiesen, dass eine Nötigung das Wort nqoaxtjy^ov
auf die Hyposkenionsmauer zu beziehen nicht vorliegt. Wenn wir die gleich darauf er-
wähnten nivaxeg in Rücksicht ziehen, so dürfen wir bei nqocxi^viov an eine Bedeutung
denken, die ähnlich der oben festgestellten ist: die nlvaxBg nämlich werden nur einmal
erwähnt (Pollux 4, 131 xtnaßXijfiara Si rcpuafAtna rj niyax€g ijaay l/ovre; yqatpdg jß
XQ^itf Ttoy ^Qafjtdxaty 7rQocq>6Qovg)y sie dienen zum Schmuck der Bühne, nicht der Hypo-
skenionsmauer; eine andere Bedeutung aber in der Inschrift von Oropos anzunehmen, er-
scheint uns unstatthaft.
66. Bühnenschmuck, Vorhang. 1. Die Skenographie oder die
malerische Ausschmückung der Bühne ist in der äschyleisch-sophokleischen
Zeit aufgekommen. Nach Anstoteles (Poet. 4) war es Sophokles, der den
Anstoss hierzu gab, nach Vitruv (VII praef.) und der Vita aber war es
Aeschylos. Für den letzteren hat Agatharchos gemalt, der auch eine An-
leitung hierzu {commentanus) hinterliess, wie ähnlich später Demokritos und
Anaxagoras. Es wäre verfehlt anzunehmen, dass erst mit der Einführung
der Skenographie die Bühne ihren Schmuck erhielt, denn der Sprung von
der nackten Bühnenhinterwand zur Prospektmalerei wäre zu gross. Wenn
Pollux noch für die spätere Zeit neben gemalten Tafeln {nivaxeg^ vgl. tahu-
lata) Webereien (tJyac^ara) als Schmuck erwähnt und wenn wir sonst
{Anont/m, de com.) von anderen Vorhängen hören, so dürfen wir getrost für
die ältesten Stücke des Aeschylos, in denen ein Wandschmuck nicht oder
nicht bestimmt genug erwähnt wird (Perser), wie überhaupt für die Auf-
führungen unmittelbar vor Erfindung der Skenographie Anwendung von
gewebten Vorhängen voraussetzen.
2. Die Ausschmückung des Hintergrundes war natürlich an die
Gestalt der festen Bühnenhinterwand gebunden: die Thüren konnten zwar,
wo es nötig war, verdeckt, aber weder vermehrt noch verlegt werden. Die
Schmuckthüren waren also immer den festen Thüren entsprechend. In der
Regel zeigte auch die geschmückte Bühne drei Thüren im Hintergrund.
Dies folgt aus der typischen Bedeutung, welche *diese Thüren nach dem
Bericht Vitruvs und dem etwas unklaren des Pollux hatten. Jede stellte
den Eingang zu einem Hause, d. h. dieses selbst dar. Durch entsprechen-
den Schmuck wurde die Mittel- oder Hauptthür {mediae valvae) oft kennt-
lich gemacht als Eönigspalast in der Tragödie, als Privathaus in der
Komödie und als Höhle im Satyrspiel. Die Nebenthüren waren, wenn sie
gebraucht wurden, durch entsprechend ähnlichen Schmuck umgestaltet in
Nebenhäuser. Nach Pollux bedeutete in der Tragödie die für den Schau-
spieler rechts liegende Thür die Gastwohnung {^evoiv), die linke die Be-
hausung der Sklaven (««^xri^, ergasiulum). Für den Scenenwechsel waren
bestimmte Vorkehrungen getroffen, ob schon im fünften Jahrhundert, bleibt
dabei fraglich. Nach Varro (zu 2) gab es einen drehbaren (scaena ver-
silis) und einen verschiebbaren {scaena ductilis) Schmuck der Bühnenhinter-
wand. Der erstere, wohl zu unterscheiden von den Periakten, scheint aus
Tafeln bestanden zu haben, die, auf der Vorder- und Rückseite bemalt,
nach Bedürfnis künstlich {machinis quibusdam) gedreht wurden. Der andere
Schmuck bestand aus übereinander gelegten Tafeln, von denen die vorderen
nach links und rechts weggezogen werden konnten, um die dahinter stehen-
den sichtbar werden zu lassen.
3. Während d e Schmückung des Hintergrundes in der Hauptsache
4. Die änaseren Mittel der Darstellung. (§ 56.) 245
dazu diente, die Behausungen der im Drama vorgeführten Personen anzu-
deuten, benutzte man die Periakten zur Anbringung des Seitenschmuckes,
durch den die Lage des Ortes der im Stück vor sich gehenden Handlung
kenntlich gemacht wurde (zu § 53*). Auf den drei Seiten der rechten
Periakte wurden die Tafeln oder Vorhänge angebracht, welche eine Gegend
(Xf^ga) darstellten, auf denen der linken solche, die eine bestimmte Örtlich-
keit {TOTTog) in der auf der rechten Periakte bezeichneten Gegend angaben.
Die Scenenänderung war somit höchst einfach. Blieb die Gegend im Ver-
laufe der Handlung dieselbe, änderte sich aber die Örtlichkeit, so wurde
die linke Periakte allein gedreht und zeigte dann, wie im Ajas des So-
phokles, auf einer anderen Seite eine andere Örtlichkeit. Verrückte sich
aber die Handlung in eine andere Gegend, so musste natürlich die rechte
Periakte gedreht werden und mit ihr die linke, wie wir es in den Eume-
niden des Aeschylos anzunehmen haben. Man hat den Gebrauch der
Periakten im fünften Jahrhundert mit Unrecht geleugnet. Die Einfachheit
der ganzen Einrichtung und ihre Notwendigkeit in einer Zeit, die keine
Theaterzettel kannte, lässt auf frühe Einführung schliessen. Die erhaltenen
Dramen widersprechen diesem Schluss durchaus nicht, und die Überlieferung
(zu § 53 ^) weist die Erfindung der Periakten in die äschyleisch-sophokleische
Zeit. Viel eher darf man ihre Verwendung in Rom bezweifeln. Nur
Vitruv, sonst kein Römer, spricht von ihnen ; aber er erwähnt zugleich den
Bühnenschmuck des Satyrspieles, sodass bei ihm eine Vermengung grie-
chischer und römischer Bühnen Verhältnisse wohl denkbar ist. Dazu kommt,
dass die römische mit Zwischenvorhängen versehene Bühne einer solchen
Einrichtung leichter entbehren konnte als die immer ofifene griechische.
4. Satzstücke vervollständigten den Bühnenschmuck. Natürlich
konnten nur solche gebraucht werden, welche der Bühne als einem freien,
meist vor Gebäuden liegenden Platze entsprachen. So werden in den er-
haltenen Tragödien besonders oft Altäre und Standbilder von Göttern als
auf der Bühne befindlich erwähnt, femer Grabdenkmäler, Erdsitze u. dgl.
und in der Komödie mancherlei Hausrat. Dagegen waren die Warte, die
Mauer, der Turm, das Phryktorion, welche Pollux anführt, schwerlich Satz-
stücke; sie standen vielmehr, wie es scheint, ähnlich wie die Distegie, in
irgendwelcher Weise mit dem für den Schmuck des Hintergrundes be-
stimmten Rahmenwerke in Verbindung (§ 55 ^). Ein Mittelding zwischen
Satzstück und Maschine war in Rom das in später Zeit öfter erwähnte
Pegma, das zu künstlichen Verwandlungen diente. Es war ein Gerüst in
Gestalt eines Hauses, das zusammensinken konnte. Allerdings wird es
vorzugsweise im Amphitheater zur Anwendung gekommen sein, doch muss
es etwas diesem Ahnliches auch im Theater gegeben haben, denn nach
Sueton (Nero 11) kam in einem Lustspiel ein brennendes Haus vor, das zu
plündern der Kaiser Nero den Schauspielern gestattete.
5. Einen Vorhang hat das ältere griechische Theater nicht gehabt.
Als Beweis genügt hierfür vollständig die nach drei Seiten hin offene Bühne.
Auch im jüngeren griechischen Theater wird er gefehlt haben, wenigstens
solange als die Thymele vom Chor benutzt wurde, denn einzig und allein
passend war er da, wo durch ihn der gesamte Darstellerraum, wozu im
246 ^' ^^^ Bühnenwesen der Griechen und BOmer.
griechischen Theater die Orchestra, bzw. Thymele gehörte, vom Zuschauer-
raum abgetrennt werden konnte. Eine Stelle, die mit Sicherheit auf den
Vorhang in unserem Sinne bezogen werden könnte, ist nicht zu finden
(A. Müller Bühn. 168^). Das römische Theater dagegen besass einen Vor-
hang {aulaea), der bei Beginn des Stückes in das Hyposkenion hinabgelassen
und nach Schluss desselben wieder in die Höhe gezogen wurde (Ovid. Met.
3,111. Verg. G. 3,24). Die Vertiefung, in die er verschwand, ist in man-
chen Theatern noch zu erkennen, z. B. in Pompeji (Overbeck-Maü Pom-
peji* Fig. 91). Nach Donat (de com.) gebrauchte man in den Zwischen-
akten, wie auch beim Mimus (§ 31 ^), einen besonderen Vorhang, Zwischen-
vorhang (siparium). Dieser teilte sich wie Penstergardinen in der Mitte
und wurde nach beiden Seiten auseinander gezogen. Er war, wie es
scheint, eine Verbesserung desjenigen, der aus der attalischen Erbschaft
621/133 nach Rom gelangte. Gewöhnlich nimmt man allerdings an, dass
der letztere der Hauptvorhang war, dass es also vor jenem Jahre in Rom
keinen Vorhang gegeben habe; doch ist diese Annahme nicht zwingend.
Za 2: Servius ad Verg. Georg. 3, 24 scaena autem qucie fiebat aut versüü erat
aut ductilis . versilis tum erat, cum subito tota machinis qutbusdam vertebatur et aliam
picturae fadem ostendebat, ductilis tum, cum tractis tabulatis hac atque iUac species
picturae nudabatur interior . unde perite utrumque tetigit dicens : rersis discedat fron-
tibus, singula singulis complectens sermonibus, quod Varro et Suetonius commemorant,
— Zu 5: Donat de com. p. 12R. auJaea quoque in scaena intexta stemuntur, quod pictus
ornatus ex Attalica regia Itomam usque perlatus est . pro quibus siparia aetas posterior
accepit: est autem minutum velum, quod populo obsistit, dum fabularum actus commutantur,
57. Obermaschinerie. 1. Über den drei Thüren des Hintergrundes
der Bühne scheinen drei Maueröifnungen vorhanden gewesen zu sein. So
ist aus den Nachrichten der Alten zu vermuten (zu 1), und die Theater-
Überreste widersprechen nicht, denn sie haben solche Offnungen, wenn auch
nicht genau über den Thüren. Das Theater von Aspendos scheint hiefür
entscheidend zu sein; das zu Orange enthält grössere Abweichungen, wie
Tafel I zeigt. Diese Maueröffnungen waren nötig, um die oberen Maschinen
von hinten her vorzuschieben. Von den beiden oben seitlich über den
Nebenthüren sichtbar werdenden Maschinen (zu 1) war die linke die
vorzugsweise so genannte Maschine (iirixccvtj, machina), auf welcher mit
Ausnahme der Meergötter (§ 53**) Götter und Heroen der Luft {rovq iv
oäQi) erschienen, um die verwickelte Handlung durch einen Machtspruch
zu lösen {d^eog ano iiirjxcevrj(;, dem ex machina). Nach PoUux wurde in der
Komödie an dieser Stelle eine anders als in der Tragödie gestaltete Ma-
schine angewendet, die, nach dem Namen zu schliessen {xQairj)^ eine Kari-
katur der tragischen gewesen zu sein scheint (Wecklein 451). Mit dem-
selben Namen wurde jedoch, vielleicht erst in später Zeit, ein Haken be-
zeichnet, mittels dessen in der Tragödie Personen gehoben wurden. Jene
Maschine muss einige Ähnlichkeit mit dem Ekkyklem gehabt haben; sie
war also wohl wie dieses eine Art Wagen zum Vorrollen (vgl. Eur. Ion
1569). Sie hing an Tauen {altßqai), deren Befestigung unbekannt ist, und
hatte wohl daher noch den Namen Aiorema. Mittels dieser Taue konnte
sie auf die Bühne herabgelassen und von dort wieder hinaufgezogen werden.
Es ist natürlich, dass eine solche Maschine nicht zu sehr belastet werden
4. Die äaMereu Mittel der Darstelliixig. (§ 57.) 247
durfte, und deshalb kam das, was zu schwer für sie war, von der linken
Seite auf die Bühne (zu 53^).
2. Die Beschaffenheit und die Bedeutung der über der rechten
Nebenthür schwebenden Maschine werden nicht angegeben (zu 1); aber
wir dürfen eine gewisse Ähnlichkeit mit der erstgenannten voraussetzen.
Es liegt die Vermutung nahe, dass sie mit dem sog. Stropheion ein
und dasselbe war. Dieses aber diente nach Pollux, wohl im Gegensatz zu
den Luftheroen der linken Maschine, den gottgewordenen Heroen und denen,
welche zur See oder im Krieg ihr Leben eingebüsst hatten. Pollux dunkle
Worte erhielten etwas Licht, wenn man das Stropheion als dieselbe Ma-
schine ansehen dürfte wie den Kran {y^Qocvog), der zum Emporheben von
Leichnamen bestimmt war.
3. Gleich wenig bekannt ist die Einrichtung über der Mittelthür.
Sie wird als Götterbühne oder Theologeion bezeichnet. Zum Herablassen
war sie schwerlich bestimmt; sie scheint vielmehr nur ein oberes Ekkyklem
gewesen zu sein, welches beim Herausschieben die im Himmel versammelten
Götter zeigte (vgl. Sommerbrodt 155 f.). Vielleicht hatte sie eine halb-
runde Gestalt und dann von dieser einen zweiten Namen: Hemikyklion.
War das nicht der Fall, so bleibt die Bedeutung des letzteren dunkel,
ebenso wie die des Hemistrophion, denn aus Pollux Worten ist lüar-
heit nicht zu gewinnen.
4. Für Blitz und Donner waren besondere Maschinen vorhanden
{x€Qavro(Xxo7t€Tov und ßQovreTov), Die erstere wird bezeichnet als eine hoch-
gestellte Periakte (tt. viprjXrj)^ gab also wohl den Blitz nur malerisch an;
die letztere war nicht immer die gleiche: die Hauptsache war dabei eine
metallene Tafel oder ein ehernes Gefass, das im Bühnenhinterhause {vno
%ry (Txryvijr, post scaenam), und zwar vermutlich in einem oberen Stock des-
selben aufgestellt war. Die gewünschten Töne wurden durch Steine hervor-
gerufen, die daran geschlagen oder hineingeworfen wurden. Eine Ver-
besserung der Donnermaschine bewerkstelligte in Rom Claudius Pulcher
(zu 533).
Zu 1 : Scbol. Luc. Philops. 7 avto^ey vnig tag nag* ixdxega t^g fJLiarjq tov ^eaTQov ^'gag
— avtai (fl ngog tfjy evS^eiay tov ^etirgov nXergay avst^ysaay, ov xal 17 axtjyrj ital x6 TJQoaxij-
viov i(ni — fitjxtxyajy dvo fteretoQt^oueyuiy rj i^ dgiateQtSy &eot^g xal rJQtoag iyegxiyiie
nagev&v, uianBQ Xvtriy cpigoytag x(ov tturixdytay xal tovtov nuQadfjXovfiiyoVy tag ov XQij
äniarsTy rotg igtafjiiyoig, irtBl ^eog nageffti X(o e^yto, ^ ftrjdiy ddvyaroy ixteXeiy, Die
zweite fATjxavrj wird nicht weiter erwähnt, auch von Pollux nicht Dieser sagt von der
linken 4, 128: ij fjitjxayij d^ ^eovg deixyvtn xai ^gaig rovg iy digv, BMeqotpoytag n JIco-
aiag, xal xetrai xatd rrjy dgifftegay ndgodoy, im^g ttjy ffxrjytjy to v%pog . d i(niy
iy rgaytodltf fÄtj^cyi], tovto iy xtufjuaditf xgddrj. {xQadtj gleich Haken: Hesych xgddtj und
Plut. Prov. 116). Luc. Philops. 29 ^eoy dno fArjyayijg ineurxvxXtj&ijyai fioi. Bskkeb Anecd.
208 (firixttyiq) ixxvxXtjfjLaxog ti sldog. Suidas Itomjina • 6 BeXXego<p6yrtjg , . . uetitogog di
tttgerat. inl urjxayijg . rovxo di xaXeTrai itoQTjfia . iy avrß di xarrjyoy rovg d'eovg xal rovg
iy digt TtoXovytag. Vgl. Pollux 4, 131. — Zu 2: Pollux 4, 132 uiffneg xal ro atgotpstoy,
o Tovg TjQüjg EXBi> Tovg eig to d-eroy fxed^eattjxotag i} tovg iy nBXdyBi rj noXiuta teXevtdStrrag,
4, 180 ij d^ yigayog fitjxdyfjfid ti iatty ix fxetetoQov xatatpegofAeyoy, ig)' agnayp atifiatog,
(0 xc/9>;T«e rj 'TJtog dgnd^ovoa to adSfAa tov Mifxyoyog, — Zu 3 : Pollux 4, 130 dno dh tov
^soXoyeiov oytog vnig ttjy axrjyrjy iy ii^ei iuLfpaiyoytai &eoi, tag 6 Zevg xal ol negl
avtoy iy ^'vxootaci(f. Man beachte hierbei die Worte vnig tfjy axrjyrjy iy vt/;et; ver-
glichen mit den zu 1 angeführten xatd trjy dQiategdy ndgodoy vjtig trjy axrjyrjv to iiipog,
lehren sie, dass das ^eoXoyeioy in der Mitte war, nicht xtctd ndqodov. Vgl. die Abb. 1832
in Baumeisters Denkmälern.
248 B. Das Bühnenwesen der Chrieohen und BOmer«
58. üntermaschinerie. 1 . Über diese kann man nur Vermutungen
aussprechen, da PoIIux, wie oft, unklar ist. Uns dünkt Folgendes am
wahrscheinlichsten. Es gab zwei Treppen und zwei Versenkungen, durch
welche die Bühne mit dem darunter liegenden Hyposkenion in Verbindung
stand; sie dienten vorzugsweise dazu, Personen von unten aufisteigen oder
nach unt6n verschwinden zu lassen. Die Treppen scheinen nach den
Enden der. Bühne oder Bühnenmitte zu gelegen zu haben. Ihre Richtung
entsprach jener der Treppen im Zuschauerring, d. h. sie waren nach dem
Mittelpunkt des Orchestraraumes gerichtet. Sowohl die rechte wie die
linke (oder bloss die rechte) hiess die charonische Stiege {at x^^riM
xXifiaxeg). Wohl auf der rechten erschienen die Geister der Abgeschiedenen,
wie z. B. der des Dareios in Aeschylos Persern, während die linke den
irgendwie mit der Unterwelt in Verbindung stehenden Gottheiten, wie den
Erinyen, diente. Auf die letztere Vermutung führen uns die früher be-
sprocheneu Nachrichten, nach welchen die oberen Götter und die Luft-
heroen oft von links oben auftraten (§ 57 ^), die Meergötter dagegen von
der linken Seite (§53*). Die Versenkungen {ävaniäafiiata) lagen, wie
es scheint, in der Nähe der Treppen. Nur von der einen erfahren wir,
dass sie für Flussgötter und ähnliche Personen bestimmt war. Die Ver-
senkung, mittels welcher Prometheus verschwand, war wohl die links
gelegene.
2. Da die römische Bühnenausstattung sich im allgemeinen ganz an
die griechische angeschlossen hat, so ist die Nachricht sehr auffallend, dass
in Rom eine Vorrichtung zum Erscheinen von Geistern ganz vorn an der
Bühne, da, wo der Vorhang in den Unterraum hinabgelassen wurde (§ 56^),
sich befunden habe. Es dürfte daher geraten sein jene Nachricht mit
Vorsicht aufzunehmen, und dies um so mehr, als das eine Wort, auf das
es ankommt, nicht unverletzt überliefert ist.
Litteratur bei A. Müller Philol. 23" 335 f.; 35'« 304; Bühn. 149 f. — Zu 1: PoUux
4, 132 tcl di jifa^ctfVtot xXifiaxeSy xatd t«^ ix ttSy idtoXitay xa&odovg XH/ievai, ta Btdtala
an' ttvrüiy äyaneftnovffiy * r« dk dyaniiafjiaxa, ro fjiiy iatty iy tj axrjyf (nicht zu urgieren),
cJff TtorafAoy ay^XS-eiv rj roiovroy xt TiQoffionoy, t6 di negl rovg dyaßa&fAOvg (linke Treppe),
d(p (oy dvißaivoy 'Egiyveg, Hier heisst xard gegenüber, entsprechend (Schnbidbb Att
Theater Anm. 124) wie 4, 131 (ijfÄixvxXioy) xard zrjy o^jjfiycrrocty. Vgl. zu § 57*, wo vnho
tag . . . &vqag = xatd xrjy uQiaxBQdy ndgodoy, — Zu 2: Schol. Bob. in Cic. Sest. 59, 126
ut Folydori umhra aecundum consuetudinem scaenicorum ab inferiore aukiei
{aulae die Hands.) parte procedat Vgl. Abnold 18. Ribbbok 655. Fbieolandbb 548.
C. Ausstattung: der Darsteller.
59. Im allgemeinen. 1. Die Ausstattung der Darsteller war ver-
schieden nach den verschiedenen Arten, in die das Drama zerfiel: nach
Tragödie, Satyrspiel und Komödie mit ihren Unterarten. Ein wesentlicher
Unterschied zwischen der römischen Tragödie und Komödie und der spä-
teren griechischen scheint nicht vorhanden gewesen zu sein, sodass eine
getrennte Besprechung nicht erforderlich ist. Auf einzelne Unterarten des
Dramas: Phlyakographie, Atellane, Mimus, Pantomimus, kann hier nicht
eingegangen werden; das Notwendigste davon ist bereits kurz angedeutet
in § 31 (vgl. § 64). Trotz der Verschiedenheit hat die Ausstattung viel
Gemeinsames und steht in grossem Gegensatz zu der des neueren Dramas.
4. Die &ii88eren Mittel der Darstellimg. (§ 58-59.) 249
Für die eigentümliche Gestaltung der Ausstattung waren wesentlich die
Entwicklung des Dramas aus der dionysischen Festfeier, das Spiel im Freien
und vor einer sehr zahlreichen Zuschauerschaft und schliesslich Sitte und
Gewohnheit.
2. Dass die Phallophoren, aus deren Gesängen die Komödie entstanden
ist, von allem Anfang an vermummt waren, ist ja wohl leicht begreiflich
und ebenso, dass diejenigen es waren, welche den Gott und sein Gefolge
darstellten und aus deren Gesängen in uns unbekannter Weise die Tra-
gödie und das Satyrspiel erwachsen sind. Religiöse Scheu war es, die es
verhinderte, dass die hergebrachte Yermummung bei der Umgestaltung
des ernsten Dithyrambos und der Schwanke der Phallophoren in Tragödie
und Komödie abgeschafft wurden. Aber wie die Vermummung so wurde
auch die Tracht im allgemeinen, in der Komödie wenigstens anfänglich,
beibehalten. Man verwendete also in der Tragödie die langen bunten Chi-
tonen, welche der dithyrambische Chor, wie vor dem peloponnesischen
Kriege die Athener, getragen haben wird, und in der Komödie die bis
dahin üblichen Verkleidungsstücke der Phallophoren. Selbstverständlich kam
hinzu, was die Weiterentwicklung des Dramas mit sich brachte, d. h. ver-
schiedene Tracht für Männer und Frauen und in der Komödie ausserdem
Annäheiimg an die Volkstracht.
3. Das Spiel im Freien und vor einer grossen Zuschauermenge war
zugleich mit massgebend für die Ausstattung der Personen. Auf das
Mienenspiel musste von Anfang an verzichtet werden: es wäre ja für die
ferner sitzenden oder stehenden Zuschauer nicht wahrnehmbar gewesen.
Deshalb war der religiöse Zwang des Gebrauches der Masken nicht im
Widerspruch mit den praktischen Bedürfnissen, ein Grund mehr zu ihrer
Beibehaltung. Es kam aber noch ein anderer, wenn auch weniger wesent-
licher Grund hinzu, ein akustischer: die feste und festgeschlossene, nur
mit einer Schallöffnung versehene Maske machte die Stimme klangvoller
und deshalb auch vernehmlicher (Gellius 5, 7). Wer daher mit Lukian,
der auch die Kleidung verspottet, den Gebrauch der Masken, in der früheren
Zeit wenigstens, lächerlich findet, beweist nur, dass er nicht imstande ist
wissenschaftlich zu urteilen. Die weite Entfernung eines grossen Teiles
der Zuschauerschaft von der Bühne machte ferner eine künstliche Ver-
grösserung der Darsteller wünschenswert. Sie trat allerdings vorzugs-
weise nur in der Tragödie ein, weil die Komödie und zum Teil auch das
Satyrspiel eine lebhaftere Aktion verlangte, bei welcher jene Vergrösserungs-
mittel nur hinderlich gewesen wären. Eine besondere Rücksicht auf die
in der Handlung des Stückes auftretenden Personen ist dabei schwerlich
genommen worden, denn die Vergrösserung fand statt wie bei Göttern und
Heroen so auch bei Dienern; bei den letzteren freilich nicht immer. Die
Verlängerung geschah durch hohes Schuhwerk (§ 61) und durch den Onkos,
einen Haaraufsatz auf der Maske (§ 60^), die Verbreiterung aber durch
Anbringung künstlicher Körperteile (Poll. acoficcriov?) unter der Kleidung:
eines künstlichen Bauches (nqoyaatq(diov) und einer künstlichen Brust
{7tQ0(fT€QVlil OV),
4. Sitte und Gewohnheit kam als dritter Grund hinzu. Als die reli-
250 ^* ^CM Bühnenwesen der Griechen und Römer.
giöse Bedeutung schwand, hätte man, zwar nicht die Gewandung — das
wäre unpraktisch gewesen — , wohl aber die Masken abschaffen dürfen.
Aber allerdings hätte man dann auch für eine Vermehrung der Schauspieler
sorgen müssen, weil es nach griechischem Geschmack unangänglich ge-
wesen wäre, dass derselbe Spieler ohne Maske mehrere Hauptrollen, männ-
liche wie weibliche, spielte. Eine unausbleibliche Folge wäre es dann
weiter gewesen, dass man auch Frauen zum Spielen herangezogen hätte.
Aber gerade die Voraussicht dieser Folge hielt von der Abschaffung der
Masken ab: die Stellung der Frauen blieb ja, trotz mancherlei Erleich-
terungen, immer eine gedrückte und ihre physische Kraft war immer gleich
unzulänglich für ein gi*osses Theater. Also auch noch in späterer Zeit
hatte man gute Gründe für die Beibehaltung der Masken, sodass Lukians
Spott nicht einmal für diese Zeit gerechtfertigt ist.
5. Gegen diese Folgerungen spricht nicht die späte Einführung der
Masken für die gewerbsmässigen Schauspieler in Rom, denn sie beweist
nur die römische Barbarei. Weil nämlich die jungen römischen Bürger in
der Atellane in Masken aufzutreten pflegten, wurde dieses den verachteten,
weil um Lohn dienenden wirklichen Schauspielern untersagt (Festus p. 217);
sie mussten sich kümmerlich mit Haaraufsätzen {gaUri, galeariä) und mit
Bemalung des Gesichtes behelfen. Also bloss um eines kindischen Vor-
rechtes willen zwang man die Spieler sich des Gebrauches der stimmver-
stärkenden Masken zu begeben und ertrug man das Unschöne der Dar-
stellung von Frauenrollen durch Männer ohne Masken. Bezeichnend und
die Richtigkeit unserer Auffassung beweisend ist die Unzufriedenheit,
welche jene Vorschrift bei den gewerbsmässigen Darstellern hervorrief. Es
waren nämlich Schauspieldirektoren, welche endlich, allerdings erst in der
Zeit nach Terenz, die Einführung der Masken durchsetzten: Minucius Pro-
thymus für die Tragödie und Cincius Faliscus für die Komödie. So be-
richtet Donat. Dass den Herren vom Senat und vom Ritterstand die
Neuerung nicht recht gefiel, wie Cicero meldet, ist ja wohl begreiflich:
sie mochten das Mienenspiel nicht missen, an das sie sich gewöhnt, das
aber die fern sitzenden Bürger zu verfolgen ausser stände waren. Wenn
in später Zeit gestattet war, dass Frauen auf der römischen Bühne auf-
traten (§ 38^), so war das eine neue Barbarei, denn man duldete offenbar
eine Überanstrengung der Kräfte. Abschaffen Hessen sich die Masken nur
in bedeckten Theatern, also in solchen, die für eine kleinere Zuschauer-
menge berechnet waren. Ihre Einrichtung hätte aber eine Umgestaltung
der gesamten Organisation zur Folge haben müssen. Da dies nicht anging
oder nicht gewünscht wurde, hätte man auch bei bedeckten Theatern mit
der Abschaffung der Masken nichts erreicht als eine Halbheit.
Litteratur zu §§ 59—65: Wieseleb, Sommerbrom', Müller, Fbiedlandeb, Ribbbck
8. § 6. Vgl. § 13; ferner Herm. Dierks De tragicorum histrionum habitu scaenico apud
Graecos, Gott. Diss. 1883 (dazu A. Müller Philol. Anzeiger 15, 139); Ober das Kostdm
der griechischen Schauspieler in der alten Komödie, Arch. Zeitung 43** 31 ff. — Zu 5:
Donat de com. p. 10, 1 R. j)ersonati primi egisse dicuntur comoediam CmctW Falisctis,
tragoediam Minucius Prothymus, Dagegen Diomedes p. 489 K. personia vero uii primus
coejiit Roscius Gallus, praecipuus histrio, quod oculis perversis erat nee satis decorus sine
personis nisi parasitus pronuntiahat. Cicero de or. 3, 59, 221 (nostri veteres) personatum
ne Boscium quidem laudahant. Den Widerspruch hebt Ribbsck Rom. Trag. 661. Anders
4. Die änsseren Mittel der Daretellimg. (§ 60.) 251
erklftrt Fbiedländsb 546 mit Hoffsb de peraonarum U9u in Terentn comoediis, Halle
1877, 11 ff.
60. Masken. 1. Die Masken {nqianDna^ nQoaiöneia^ personae) wurden
nicht bloss von den eigentlichen Schauspielern, sondern auch von den Sta-
tisten und Choreuten getragen; von dem Musiker aber wohl nur aus-
nahmsweise, wie z. B. in Aristophanes Vögeln 861. Sie waren keine blossen
Gesichtsmasken, sondern helmartig, mit Haaren bedeckt. Gefertigt wurden
sie aus gegipster Leinwand oder aus Holz. Dass sie schwer waren, be-
weisen die Filzkappen, welche man zur Schonung der Kopfhaut unterlegte
(ülpian Dem. de f. 1. p. 421). Sie hatten eine weite Mundöffnung und zwei
kleinere für die Augen. Auf dem vorderen Teil des Scheitels befand sich
bei gewissen Masken ein dreieckiger Aufsatz oder Onkos, über den hinweg,
ihn verdeckend, das Haar ging. Siehe Tafel III. Wie ein Visier wurden
sie über den Kopf gezogen und unter dem Kinn mit Bändern befestigt.
Ein Henkel zum Tragen oder Aufhängen war oberhalb angebracht. £s
gab auch Halbmasken (Wieseler Denkm. V 53); indessen ist ihre Verwen-
dung auf der Bühne zu bezweifeln.
2. Die Herstellung der Masken war Sache des Maskenmachers {axevo-
noiog, nQotrwTtonoiog), dessen Bedeutung für eine Bühne, die auf ein Mienen-
spiel verzichtete, nicht gering gewesen sein kann. Anstoteles weist auch
in der Poetik 6 auf diese Bedeutung hin. Doch war es natürlich, dass
im Anfange und noch in der ersten Zeit der Choregie dem Dichter die
Direktive zustand, und so lesen wir auch bei Suidas von Weiterbildungen
der Masken auf Veranlassung der Dichter. Zwar was von Thespis be-
richtet wird, ist nur Vermutung; wenn aber dem Choirilos ein ungenanntes
Verdienst, dem Phrynichos die Einführung der Frauenmasken und dem
Aeschylos die Bemalung zugeschrieben wird, so ist das nicht unglaublich.
Nur dürfen wir die Neueinrichtungen nicht als plötzlich entstandene an-
sehen, denn auch Phrynichos wird gewiss durch weisse Färbung der Frauen-
masken diese von den Männermasken unterschieden haben. Auch andere
Dichter und später auch Schauspieler mögen sich um die Weiterbildung
der Masken bemüht haben, doch ist das wenige, was mitgeteilt wird, nicht
glaubwürdig (Lit. Müller Bühn. 272»).
3. Als das griechische Drama zu typischen Rollen gelangte^ entstanden
natürlich sich gleichbleibende Masken oder Charaktermasken {nQwsvana
eraxsva) neben nicht typischen (ixtrxsva n.), die immer nur für eine und
dieselbe Person, wie den hörnertragenden Aktäon, den blinden Phineus, den
Thanatos, dienen konnten. Jene erhielten dann zur Unterscheidung von
ähnlichen bestimmte Namen, und zwar nach verschiedenen Gesichtspunkten,
so nach den Charaktereigenschaften und der gesellschaftlichen Stellung der
dargestellten Person, nach Alter, Haar, Gesichtsfarbe und dgl. PoUux be-
richtet am ausführlichsten hierüber, und mit ihm stimmen die römischen
Schriftsteller überein (Arnold 34 f.), aber nur ausnahmsweise, soweit sich
bis jetzt darüber urteilen lässt, die bildlichen Überreste (Robert). Vor-
läufig haben wir uns an die schriftlichen Quellen zu halten. Für die
Tragödie zählt Pollux 28 verschiedene Masken auf: sechs Greise, acht junge
Männer, drei Diener, elf Frauen. Als Masken des Satyrspiels erwähnt er
254 B. Das Bühnenweaen der Orieohen und Römer.
eines hohen hölzernen Untersatzes bedienten, sagen ausdrücklich die Schrift-
steller und bestätigen zu einem Teile die Bildwerke, z. B. auch die von
uns auf Tafel III wiedergegebene Elfenbeinstatuette. Alles übrige beruht auf
Vermutung. Weil die griechischen Namen {xoO^.^ «Vi^O Stiefel mit hohen
Schäften bedeuteten, hat man Schäfte auch för den Kothurn vorausgesetzt,
ob mit Recht, muss dahingestellt bleiben, denn es gab auch Frauenschuhe,
welche Kothurne hiessen. Nicht unwahrscheinlich dagegen ist, dass die
Kothurne der Bühne, wie es von denen des gewöhnlichen Lebens berichtet
wird, für jeden der beiden Füsse passten. Die Frauenkothurne des Alltags-
lebens hatten viereckige Sohlen, und die Abbildungen, wie auch unsere,
zeigen zum Teil viereckige Untersätze; deshalb könnte man geneigt sein solche
auch für die Bühnenkothurne anzunehmen. Indessen bieten andere Bild-
werke eine ganz andere Form, sodass vorläufig nichts zu entscheiden
ist. Aeschylos wird die Erfindung der Kothurne zugeschrieben, unter an-
deren von Horaz in der Dichtkunst 280 und von Suidas, doch ist die
Nachricht der Vita glaublicher, die von einer Erhöhung der Kothurne durch
Aeschylos Meldung macht. Sie blieben dauernd im Gebrauch, denn von einer
Abschaffung bei den Römern hören wir nichts (Diomedes p. 490 K) und
Lukian erwähnt sie noch. Dass der tragische Chor, der zu tanzen hatte,
die hohen Kothurne nicht brauchen konnte, ist selbstverständlich; und wie
die Choreuten haben wohl auch einzelne Bühnenpersonen niederes Schuh-
werk getragen. Dies ist zwar nicht aus den Bildwerken zu schliessen,
welche nichts zur Entscheidung beitragen, wohl aber aus PoUux Worten
{xox^oQvoi xai iußdäsg) und aus Sophokles Lebensbeschreibung, nach welcher
dieser für Schauspieler und Chor ein weisses Schuhwerk erfunden hat
{Xsvxal xgrjntisg), das zwar auch hoch, aber wegen der Ledersohlen (Bekker
Anecd. 273) und wegen seiner gleichzeitigen Bestimmung für den Chor
nicht so hoch gewesen sein kann als die eigentlichen Kothurne.
2. Von dem Schuhwerk der Satyrspieler wissen wir nichts Bestimmtes,
denn wenn die Satyrn in den Abbildungen nakte Füsse zeigen, so ist darauf
natürlich nichts zu geben. Die nicht zum Satyrkreis gehörenden Bühnen-
figuren des Satyrspieles haben wohl meist tragisches Schuhwerk getragen,
wenn auch vielleicht nicht den hohen Kothurn. Dagegen ist sicher, dass
in der Komödie niederes Schuhwerk (soccm) zur Anwendung gekommen
ist. Der griechische Gesamtname dafiir {Sfißdöeg^ Pollux ifißdrai) war,
wie es scheint, hergenommen von der am öftesten vorkommenden Form,
sodass es nicht nötig ist für alle Spieler gleiches Schuhwerk anzuehmen.
Ganz abgesehen von ungewöhnlichen Fällen, waren bei Aristophanes sicher
die Schuhe der Männer {SfißdSeg, uiaxiüvixai) und die der Frauen {xod^oqvoi^
Ihqaixai) von einander geschieden, denn sonst hätten sich die Weiber in
den Ekklesiazusen zu ihrer Verkleidung nicht des männlichen Schuhwerkes
zu bedienen brauchen. Eine Abweichung des auf der Bühne verwendeten
Schuhwerkes von dem des gewöhnlichen Lebens ist schwerlich vorgekommen.
Anders in Rom; hier war der Halbschuh (5occus), wie die Gewandung,
wenigstens in republikanischer Zeit, für die Männer blosse Bühnentracht,
da ihn damals nur die Frauen zu tragen pflegten (Voigt im Handb. IV 880).
63. Tragische Gewänder. 1. Es ist glaublich, dass ausser Aeschylos
4. Die äusseren Mittel der Darstellung. (§ 62.) 255
auch Choirilos und Sophokles für die Einrichtung der Bühnentracht ge-
wirkt haben (zu 1), allein in der Hauptsache war es doch Aeschylos, der
sie bestimmte. Er hat sich an die attische Tracht der Bürger und der
dionysischen Priester angelehnt, er scheint aber auch Anregungen aus
fremder Sitte empfangen zu haben. Die von Aeschylos in den Grundzügen
festgestellte Bühnentracht ist im ganzen unverändert geblieben, im Gegensatz
zur Tracht des gewöhnlichen Lebens. Daraus folgt, dass die Volkstracht,
wenn sie auch anfänglich einiges von der auf der Bühne eingebürgerten
angenommen zu haben scheint, doch im Laufe der Zeit von der Bühnen-
tracht abgewichen ist. Im einzelnen ist freilich dies alles noch nicht unter-
sucht. Es war aber nicht bloss die Gewohnheit, die am Alten festhält,
sondern es war die der Würde der Tragödie entsprechende Pracht der
Gewänder, von der die Schriftsteller melden, und insbesondere das prak-
tische Äussere nach Form und Farbe, welche die dauernde Beibehaltung
der tragischen Bühnentracht bewirkten.
2. Im ganzen machte sie den Eindruck einer weiblichen Tracht durch
die Buntheit der Farben, besonders aber durch die langen faltenreichen
Untergewänder und ihre Gürtelung unmittelbar unter den Achseln. S. Taf. III.
Dies war wohlweislich berechnet. Einerseits nämlich erschienen die so
bekleideten Bühnenpersonen, wie ja auch Frauen im allgemeinen, grösser,
als sie in Wirklichkeit waren, und halfen somit zur Erreichung desselben
Zweckes, den Kothurn und Onkos verfolgten; andrerseits aber war der
Faltenreichtum der Untergewänder durchaus nötig, um die Vorwärtsbewegung
der Bühnenpersonen nicht zu hemmen und um ihnen auch das Nieder-
knieen zu ermöglichen (Mon. d. Inst. XI Taf. 30, 4). Ganz besonders prak-
tisch war es ferner, dass ein chitonartiges Untergewand von einem und
demselben Spieler in verschiedenen Rollen, männlichen wie weiblichen,
beibehalten wurde, sodass beim Wechsel der Tracht kein eigentliches Umziehen
nötig war, vielmehr nur ein Überwurf oder selten ein anderes chitonartiges
Gewand darüber gezogen zu werden brauchte. Dieses Untergewand war
das sog. Poikilon, das den Namen nach den farbig eingewebten Figuren
hatte. Es ging bis auf die Füsse und war im Gegensatz zur gewöhnlichen
Tracht mit langen, bis auf die Hand reichenden Ärmeln, vielleicht sogar
mit Handschuhen {x^iQiieg?) versehen. Der Gürtel war, wie schon erwähnt,
hoch oben auf der Brust angebracht, wie Strabo S. 530 bezeugt. Die vati-
kanische Mosaik (§ 13 2), welche trotz ihres nicht hohen Alters den schrift-
lichen Angaben am meisten entspricht, zeigt senkrechte und wagrechte
Streifen statt der Figuren und die gleiche Länge für alle Personen, sodass
die auf andere Bildwerke begründete Annahme kürzerer Untergewänder
für Personen niederen Standes nicht ohne Vorsicht aufzunehmen ist (Wie-
seler Denkm. zu VIII 12. IX 1).
3. Von den gewöhnlich vorkommenden Obergewändern zählt Pollux
nur eine Reihe von Namen auf, sodass eine nähere Bestimmung so gut
wie unmöglich ist, denn die Tracht des gewöhnlichen Lebens, welche man
zur Erklärung heranzuziehen pflegt, beweist nicht genug für die Bühnen-
tracht. Nur dass es zum Teil Prachtgewänder waren, ist mit Sicherheit
teils aus den Namen selbst, teils aus anderen Nachrichten zu schliessen.
256 ^* ^^^ Bühnenweaen der Oriechen und Römer.
Die auffälligsten scheinen die Xystis und die Batracbis gewesen zu sein;
das erstere trugen die Könige (Schol. Ar. Wölk. 70), das andere war nach
der froschgrünen Farbe so genannt.
4. Ausserdem gab es Obergewänder, die nur gewissen Personen zu-
kamen, ähnlich wie die nichttypischen Masken. So war das Agrenon
{dyQrjvov) die besondere Tracht des Teiresias und andrer Seher, ein netz-
förmig aus Wolle geflochtener Überwurf, der den ganzen Leib bedeckte.
Gewisse Herrscher, wie Atreus, Agamemnon xal otyoi toiovtoi, trugen das Kol-
poma(x6A7ra)jtia), das über demPoikilon angezogen wurde (fVtrfüVTo), also wohl
wie dieses chitonartig, mit Ärmeln versehen und zu gürten war, ungefähr
wie es zwei Figuren der vatikanischen Mosaik zeigen (Wieseler Denkm.
VIII 2» und VII 1*). Ähnlich geformt scheint der Krokotos {xgoxunog) oder
das safranfarbige Gewand gewesen zu sein, nach Aristophanes Ekklesiazusen
(332. 315), welches Dionysos gleich den Athenerinnen über dem unteren
Chiton trug. Jedenfalls war es dieses Gewand, welches mit dem bunt-
gestickten Gürtel {(ictaxalKSTTji^i av&iv^) gegürtet wurde. Krieger und Jäger
wurden durch eine purpurne Chlamys kenntlich gemacht, die verschiedenen
Arten von Unglücklichen durch verschieden gefärbte Gewänder, insbesondere
Flüchtige durch schmutzige Kleidung (Sophokles Oed. Colon. 1597), Trau-
ernde durch schwarze. Letzteres erwähnt PoUux nicht, aber es geht
aus Euripides Dramen hervor (Dierks Diss. 28). Zerlumpte Kleidung endlich
ist in Anwendung gekommen zur äusseren Charakterisierung von Leuten
wie Philoktet und Telephos.
5. Es ist selbstverständlich, das der bisher allein behandelten ungewöhn-
lichen Kleidung männlicher Personen eine ungewöhnliche der weiblichen ent-
sprochen haben wird: schwarze Kleidung für Frauen in Trauer finden wir
ja auch z. B. in Aeschylos Choephoren 11, womit wenigstens eine Figur
der vatikanischen Mosaik verglichen werden kann (Wieseler Denkm. VIII
2^). Pollux gibt die ungewöhnliche Kleidung speziell nur von der könig-
lichen Frau an: sie war das purpurne Schleppgewand (crv^Tog, avQiia?\ das
wahrscheinlich über das Poikilon gezogen wurde und über das dann noch
ein weisser Mantel (tficcTiov) mit einem Purpurrand, das Parapechy {TJ^agd"
Tiijx^ Poll. 7, 53), geworfen wurde. War dieselbe Frau aber in Trauer
(tfjg i^ iv (fvfiffOQ^, sc. T^g ßatnlsvovatjg), so bestand ihre Kleidung aus
einem schwarzen Schleppgewand mit einem blauen oder apfelgrünen
Überwurf.
6. Die tragische Tracht der Römer wich, wie schon angedeutet, im
allgemeinen nicht ab von der griechischen. Nur im Anfang wurde statt der
griechischen Heldentracht die Doppeltoga (laena) verwendet, die Opfertracht
der Flamines, für die dann später ein sich noch mehr der griechischen
Form anfügendes Gewand (palla) gewählt wurde. Nicht als grundsätzliche
Abweichung, sondern nur als natürliche Weiterbildung ist es anzusehen,
wenn in der nationalen römischen Tragödie (fabula praetexta) die auftreten-
den Könige und Feldherren in dem Gewände erschienen, in dem die Römer
ihre Grossen zu sehen gewohnt waren, in der purpurverbrämten Toga.
Auch der Gebrauch der purpurfarbenen Tunica ist noch nicht als grund-
sätzliche Abweichung zu betrachten. Diese ist vielmehr erst eingetreten
4. Die äiisserea Mittel der Darstellimg. (§ 63.) 257
nach dem Überhandnehmen des Luxus gegen Ende der republikanischen Zeit,
als nach Valerius Maximus (2, 4, 6) P. Lentulus Spinther die Darsteller
mit versilberten Kleidern versah und M. Aemilius Scaurus nicht nur durch
die Grösse des erbauten Theaters und durch übertriebene architektonische
und malerische Ausschmückung der Bühne, sondern auch durch Anschaffung
goldgestickter Purpurgewänder alles Vorhergehende zu verdunkeln suchte.
Es ist bezeichnend für den römischen Oeschmack, dass ihm dies gelang:
noch Plinius erzählt in seiner Naturgeschichte mit ungewöhnlicher Er-
regung davon (36, 114 f.), und andere Festgeber suchten es jenem einiger-
massen nachzuthun.
Zu 1: Suidas unter Choirilos und Aeschylos ; Vita Aeschylos; Grameb Anecd. Paris.
I 19 €i fxky &rj ndyra tig ^Är/t»Aa* ßovXeiai td ticqI trjy axrjyrjy BVQi^fjLaxa nQoaytfjLBiy . . .
das hier Fehlende oben zu§t58') xai nov xal ^ rar i dag xai ßarQa^tdag xai xo&o^yovg
ai tavji td noixiXa, cvQfKfxd je xal xaXvnrqay xal xoXntafia xai naQdnrj^v xai dygrjyoy
al vnoxQtxrjy inl xta devx^QO) xoy xglxoy * 17 xai £o(poxXfjg eaxiy a xovxtay ngoasfArj^^a-
tj'aaxo xai ngoae^svQsyy iari xoTg ßovXofjtiyoi^g igiCeiy xal iXxeiy in' dfjiqxa xrjv (ftjfitjy
tov Xoyov. (Dieser Text nach Studemund Phüologus 46^^ 26.) Suidas unter XoiQiXog * ovxog
xaxd Xivag xoig ngoffotneioig xal xfj axsvfj xtoy axoXtoy inex^igtjae. Über Aeschylos vgl.
SoMMBRBRODT Scaenica 183 ff. Entscheidend dürfte sein, trotz Dibbks Diss. 11, was
Aeschylos selbst bei Aristophanes in den Fröschen 1061 sagt: xal ydg xoTg Ifiaxloig tj/AnSy
XQoiyxai noXv aefAvoxeQoujiy. — Zu 5: Pollux 4, 117 . . . xal ^onaXa xal Xeoyx^ xal nav-
xevxiay fJtiQrj xgayixijg oPd^elag axev^g. 118 yvyaixeiag di ovQXog nogtpvgovg, nagantj/v
Xsvxoy — xijg ßaaiXEvovat]g^ xijg dk iy <fvfji(fOQi^ 6 fjikv avgxog fjiiXag, x6 di inißXrjfia yXavxoy
fj /jirjXtyoy, Dies bezieht sich alles nur auf die königliche Frau, denn der Gegensatz ist
nicht im Anfang von § 116 zu suchen, wie die dort angegebenen xaXvnxga und na^axa-
XvjixQa beweisen, sondern ist im Folgenden enthalten, d. h. in der nur einzelnen Mftnnern
zukommenden tragischen Tracht. — Zu 6: ygl. Usbneb Rhein. Mus. 23®^ 676 ff. Ich habe
oben mit der Änderung des Namens eine Änderung der Tracht vorausgesetzt. Wem dies
zu kahn ist, der streiche es. Plinius N. H. 36, 114 (tiveatrum Scauri) scaetia ei triplex in
ältüudinem CCCLX columnarum in ea cit^itate, quae sex Hymettias non tülerat mie
probro civis amplissimi . ima pars scaenae e marmore fuit, media e vitro, inaudüo etiam
postea gener e luxuriae, summa e tahulis inauratis; columnae, ut diximus (36, 6), ima£
duodequadragenum pedum; signa aei'ea inter columnas, ut indicavimus (34, 36), fuerunt
III m. numero; cavea ipsa cepit hominum LXXX m,, cum Pompeiani theatri totiens
amplificata urbe tantoque maiore populo sufficiat large XXXX m. sede . relicus adpa-
ratus tantus Attalica veste, tahulis pictis, cetero choragio fuit, ut in TiMCulanam villam
repartatis quae superfluehant cotidiani usus deliciis, incensa vUla ab iratis servis con-
cremaretur HS, [CCC],
63. Gewänder im SatyrspieL Pollux führt nur die Tracht der
Thiasoten des Dionysos an. Aus seinem Schweigen und nach den hier
einschlägigen Abbildungen (Wieseler Denkm. VI) ist zu schliessen, dass
die übrigen im Satyrspiel auftretenden Personen, mit wohl nur wenigen
Ausnahmen (Herakles), in der Tracht der Tragödie gekleidet waren. Als
der wildeste im Gefolge des Dionysos galt der Papposeilen. Sein Gewand
{xoQTaXoq) war ein dichtbehaarter kurzer gegürteter Chiton aus Ziegenfell,
unter dem Hosen aus gleichem Stoflf hervorschauten. Bildwerke zeigen
ihn auch eingehüllt in ein mit Zotteln versehenes Gewand, das trikotartig
den ganzen Leib mit Ausnahme der äusseren Teile bedeckte. Genannt
werden femer als zur Seilenstracht gehörig ein grösserer buntgestickter
Überwurf (ro ^^gaiov td Jiovvmaxov), desgleichen ein kleinerer {x^avig
dv^irr^) und endlich ein purpurfarbener {(foivixovv i/ÄOTiov), Daneben fehlten
natürlich wirkliche Tierfelle nicht {veßQtc, aiy^); nur das Pantherfell {TraQ-
daXfj) war, weil zu teuer, meist durch Weberei nachgeahmt. Die Chor-
' Satyrn hatten in ihrer Tanztracht ausser einem fleischfarbenen Trikot nichts
Haodbuch der Uam. AltertmoBwiaaenaobaft. V. 8. Abtlg. 17
258 B. Das Bühnenwesen der Grieohen und Römer.
als einen Schurz aus Ziegenfell, an dem vom ein Phallos und hinten oben
ein Schwanz angeheftet waren. Vgl. Wieseleb Satyrspiel.
64. Qewänder der Komödie. 1. Die männlichen Personen der
Phlyakographie waren mit einem trikotartig anliegenden Ledergewand
bekleidet, das den ganzen Körper bis zu den Knöcheln, den Handwurzeln
und dem Hals einhüllte. Über dem Rumpfe hatten sie dann noch ein
Gewand, das vorn am Bauch und oft auch hinten ausgestopft war und
unter dem an der betreffenden Stelle ein lederner Phallos sichtbar wurde.
Offenbar sollten diese beiden Stücke nicht als eigentliche Kleider erscheinen,
sondern den nackten Leib eines Menschen in Verzerrung darstellen. Und
verzerrt war auch das, was die Spieler der Phlyakographie sonst etwa sich
angelegt hatten. Unteritalische Vasenbilder belehren hierüber (Wieseler
Denkm. IX; vgl. § 13).
2. Nach dieser Tracht hat man sich allgemein die der alten Komödie
vorgestellt; erst ganz kürzlich ist dagegen Widerspruch erhoben worden
(Heydemann: s. § 13), und dies mit vollem Recht, denn beide haben nichts
mit einander zu schaffen. Phlyakographische Scenen mit Anklängen an die
von Aristophanes behandelten Stoffe sind höchstens Übertragungen ins
Phlyakographische und gestatten keinen Rückschluss. Die Herkunft der
Komödie von den Gesängen der Phallophoren beweist nichts für die Bühnen-
tracht in Aristophanes Zeit, denn wie die Tragödie sich loslöste von den
Fesseln des Dithyrambos, so dürfen wir eine Weiterentwicklung der Komödie,
ein Ablassen von der Ungebundenheit der Phallophorenzüge gegen Mitte
oder Ende des fünften Jahrhunderts voraussetzen. Es entscheiden die er-
haltenen Dramen, und sie sprechen gegen phlyakographische Tracht auf
Aristophanes Bühne. Aristophanes sagt ausdrücklich in den am grossen
Stadtfest aufgeführten Wolken 537, dass seine Komödie, im Gegensatz zur
früheren, sittsam sei. Wenn trotzdem ein paar Stellen vorkommen, in
denen der Phallos eine Rolle spielt, so beweist dies nur die Ausgelassen-
heit des attischen Witzes, nichts weiter, nicht, dass zu jeder Zeit von
sämtlichen Männern der Phallos getragen worden sei. Nicht einmal für
die frühere Komödie ist der allgemeine Gebrauch des Phallos aus jener
Stelle der Wolken zu folgern, denn es hindert uns gar nichts die dort
gemeinten Phallosträger auf den Umzug oder Komos an einem Tage vor
dem dramatischen Agon zu beziehen, von dem oben die Rede war (g 17>).
Beim Umzug aber durfte die Komödie an ihren Ursprung erinnern, also
einen Phallophorenzug vorführen. Wäre ausserdem die Zuschauerschaft
daran gewöhnt gewesen, dass auf der Bühne die Männer ständig den Phallos
zeigten, so hätten ihn auch die Weiber in den Ekklesiazusen 68 bei ihrer
Verkleidung vorbinden müssen, eine Situation, die Aristophanes auszubeuten
sicher nicht unterlassen haben würde. Ebensowenig zeigten die Gewänder
in Aristophanes Stücken Verwandtschaft mit den phlyakographischen. Es
ist nämlich die Annahme ganz verfehlt, dass in einzelnen Fällen völlige
Nacktheit eingetreten sei und dass aus dieser auf trikotartige Bekleidung
nach Art der Phlyakographie geschlossen werden müsse. Das Gegenteil
ist richtig: der untere Chiton blieb immer auf dem Leibe, auch bei Mnesi-
4. Die äusseren Mittel der Darstellimg. (§ 64.) 259
lochos in den Thesmophoriazusen 214 ff., den alten Männern in der Lysi-
strate 662 ff. und dem Sklaven in den Vögeln 947, denn die in diesen
Stellen erwähnte Exomis der Alten war ein chitonartiges Obergewand (zu 2),
wie es ähnlich der offenbar verhältnismässig reich bekleidete Sklav getragen
haben wird. Wenn endlich in den Fröschen 46 der mit dem langen Kro-
kotos bekleidete Dionysos nur die Löwenhaut abzulegen brauchte, um als
sein eigener Diener zu erscheinen, so ist nicht einmal ein solcher in phlya-
kographischer Tracht erschienen. Von nicht minderer Wichtigkeit ist Pollux
Schweigen: er erwähnt wohl die abweichenden Masken der alten Komödie,
von einer so grundsätzlichen Abweichung in der Kleidung meldet er auch
nicht ein Wort. Kein Zweifel also: die alte wie die neue Komödie kannte
in der Hauptsache keine andere Bühnentracht als die Volkstracht. Phan-
tastische Tracht bei phantastischem Stoff und Abweichungen im einzelnen
sind natürlich hierbei nicht ausgeschlossen. Ob und wann die letzteren
eingetreten sind, dies zu prüfen wird dann erst angebracht sein, wenn der
hier einschlagende Teil der Lehre von der Volkstracht aufgebaut sein wird.
Die Volkstracht selber zu beschreiben ist nicht Aufgabe der Bühnenkunde.
Vorläufig dürften folgende Bemerkungen genügen.
3. Die nicht nachlässigen Bildwerke zeigen männliche Personen in
dicht anliegenden Hosen und zuweilen in Ärmeln aus demselben Stoff. Man
hat hier mit Recht auf eine Art Trikotanzug geschlossen, der unter der
eigentlichen Kleidung getragen wurde. Der Name dafür {(fwfjiduov?) ist
unbekannt, und unbekannt ist auch die Zeit der Einführung. Sie ziemlich
früh anzusetzen liegt nahe, denn angewendet war Trikot schon im Satyr-
spiel (§ 63) und das gleiche Bedürfnis war in der Komödie von allem An-
fang an vorhanden. Die Tragödie nämlich verdeckte durch das Poikilon
alles, was an Armen und Beinen der Spieler unschön war in Form oder
Farbe; die Volkstracht, die man in der Komödie verwendete, that dies
nicht. Mit der Einführung der Trikotbekleidung aber war diesem Mangel
im wesentlichen abgeholfen.
4. Es war aber die Fest tags tracht, nicht die Alltagstracht des Volkes,
an die sich die komische Bühnentracht anschloss. Zwar ist dies nicht über-
liefert, aber es scheint selbstverständlich. Wenn die Zuschauer am Feste
des Gottes festlich gekleidet erschienen (§ 73) und wenn die tragischen
Spieler in alter feierlicher Tracht hervortraten, können die komischen Spieler
nicht wohl in Alltagstracht erschienen sein; daher ist auch für die alte
Tragödie bunte Tracht vorauszusetzen. Wie aber die Festtracht des Volkes
manchen Wechsel erlebt haben wird, im kleinen wenigstens, so auch die
Bühnentracht. Unbedingte Nachfolge freilich ist nicht anzunehmen, denn
ein konservatives Element war wohl in der komischen Bühnentracht gerade
so vorhanden wie in der tragischen, und das war die typische Bedeutung
einzelner Kleidungsstücke und besonders die der Farbe der Kleider. Mochte
Stoff und Schnitt sich ändern, mochte die Art des Anlegens und Umlegens
der Oewandung eine andere werden: gewisse Kleidungsstücke, gewisse
Farben blieben die Zeichen, woran man Alter, Geschlecht, Beruf der auf-
tretenden Personen erkannte. Unabänderlich freilich scheint auch diese
Typik nicht gewesen zu sein, denn die Farben in den Bildwerken stimmen
17*
260 ^« ^f^ Bühnenwesen der Griechen und Römer.
nicht immer überein mit den schriftlichen Nachrichten bei Pollux, Donat
und anderen, wie auch diese selbst sich nicht decken. Weiss waren nach
Pollux die Gewänder für die älteren Männer, von verschiedener Purpurfarbe
für die jüngeren; grün und himmelblau für die älteren Frauen, doch weiss
für die Priesterinnen wie für die Mädchen u. s. w. Das weisse Mäntelchen
der Sklaven deutete wohl auf ihre Festtracht. Auch weibliche Prunkge-
wänder (nagdnrixv^ (fvfifierQia) kamen vor, doch wird nicht gesagt, für
welche Personen.
5. Von der phantastischen Tracht der Komödie können wir uns
nur eine annähernde Vorstellung aus Aristophanes Dramen machen. Im
allgemeinen werden Andeutungen genügt haben: So hatten z. B. die
Wespen hinten einen Stachel (1075 c. schol.) und die Wolken bunte Kleider
(schol. 289).
6. Es braucht hier wohl nur kurz darauf hingewiesen zu werden,
dass die lateinischen Übersetzungen und Bearbeitungen griechischer Komö-
dien (fahulae palliatae), wie sie dem Inhalt nach das Ausländische betonten
und betonen mussten, so auch in einer Tracht zur Aufführung gelangten,
die völlig verschieden von der römischen war; dass aber umgekehrt die
nationalen römischen Komödien (fabulae togatae u. a.) in römischer Tracht
aufgeführt wurden.
Zu 2: Pollux 4. 118 f. xtafjiixrj &^ ia&tjs * i^tofiig — aaxi di /«roiv Xevxo^ actifjtog
xaxd xrjy ägtareony nXevQay ^a(prjy ovx l/cuv, äyyantog, ye^oyttay di (poQtjfia — , Ifjidtioy,
xaf4nvXi]y (foiyixfg rj fiBXa(jin6Q(fVQoy Ifjidxioy — woQtjfjia yetotiQioy — , ^iJQtx, ßaxrtjQiaf ditp"
S-^ga — im itoy dygoixioy . , , rß di xtay dovXtoy i^tuuldi, xal IfAccxl&ioy xi ngoaxeixai Xevxoy^
Ö iyxoußcjfAa Xe'ysxaiy rj inlggijfjitt. 7, 47 ^'''fioy di c fiiy nfitpifiMx^Xog — iXev&igtoy ayijfsa,
6 di txegofjitiaxetXog — oixextoy, x6 di noixiXoy Jioyvaov /itwV ß«x/MCOf. jJ cf* i^tofug xal
neQißXtjfitt 7jy xnl x^xtoy ixsQOfjida^aXog. Der hegofjidaxaXog ^ixwy und 17 x(oy dovXtoy i^ta-
fjilg scheinen ein und dasselbe zu sein. Da die Worte yegoyxaty di (poorj/na sich schwerlich
auf das Folgende, sondern wie auch (pogrj/Ltct yetox^gaty und irtl xtSy aygoixtoy auf das Vor-
hergehende beziehen, so gab es zwei Arten von i^to/nideg: eine der Greise, welche an der
linken Seite kein Ärmelloch hatte, und eine der Sklaven, an der rechts ein solches Loch
fehlte. Sie unterschieden sich weiter dadurch, dass die Sklavenexomis als Chiton diente,
die der Alten aber über einen unteren Chiton gezogen wurde. Das letztere war der Fall
in Aristophanes Lysistrate 662. Die Greise waren also mit zwei Chitonen bekleidet (/iroiV
und i^iüfÄig) wie die Frauen {xirtoy und xgoxtoxog: Arist. Ekkl. 332 cö 315). Nach anderen
Nachrichten scheint 03, dass die Exomis auch anders denn als Chiton umgelegt werden
konnte. Vgl. Wieseler Satyrspiel 167 ff.; Denkm. 73 *> f. 91». Beckbb-Göll Charikles III
207. Blümneb Privatalt 176 ». A. Mülleb Bühn. 260*. 249*.
65. Eopfbedeckung, Abzeichen. 1. Wie die Masken und die Ge-
wandung so dienten auch die Bedeckung und der Schmuck des Kopfes und
die von einzelnen Personen getragenen Gegenstände zur Charakterisierung
ihrer Träger. Das Verhältnis dieser auf der BQhne verwendeten Gegen-
stände zu denen des gewöhnlichen Lebens ist unbekannt; nur vermuten
können wir, dass zuweilen in der Komödie, besonders in der alten, Kari-
katuren eingetreten sein werden.
2. Die eigentliche Kopfbedeckung fehlte in der Regel, wie ja auch
sonst im Leben der Griechen und Römer. Eine Ausnahme machten be-
sonders Reisende, und so trug auch Ismene einen Hut {xvv^) in Sophokles
Oidipus in Kolonos 313, als sie dem Vater von Korinth nach Athen nach-
eilte, ebenso Iris in Sophokles Inachos (250 Nauck). Ähnlich wird Hermes
den Petasos getragen haben, wenn wir uns in dieser Hinsicht nach einem
>
4. Die äusseren Xittel der Darstellung. (§ 65.) 261
phlyakographischen Vasenbilde richten dürfen (bei Wieseler Denkm. IX 11).
Eine Ausnahme machten ferner die alten Männer: Strepsiades in Aristo-
phanes Wolken 269 und die alten Sklaven in den Wespen 445 trugen
eine Kopfbedeckung (xvvij). Auch die Schiflfer trugen einen Hut {causiu)
nach Plautus Miles IV 4, 41 ff., und für Odysseus v^ar nach Donat (de com.
p. 11, 13 R.) der Filzhut (pileus) unerlässlich. Dareios Haupt bedeckte in
Aeschylos Persern nach Vers 661 die königliche Tiara, die auch Pollux
nennt. Frauen zogen unter besonderen Umständen einen Teil des Ober-
gewandes über den Kopf, wie Antigene in Euripides Phönissen 1490 und
einige Figuren der vatikanischen Mosaik (WiESELERDenkm. S. 49*; VII 5. 11).
Für Frauen kamen ausserdem nach Pollux in der Tragödie der Schleier
{xaXvTTTQa: vgl. zu § 62*) und das Haarband (ßiTga) in Verwendung. Des
letzteren und der Haube (xsxQvtpaXog) gedenkt Euripides bei der Verkleidung
des Mnesilochos in Aristophanes Thesmophoriazusen 257. Die Hetären
der späteren Komödie waren nach Pollux mit einem grösseren (fittga) oder
kleineren {tmvfiiov) Haarband oder mit Gold im Haar geschmückt, die
Hetärenmutter mit einem purpurfarbenen Haarbändchen. Bekränzung des
Hauptes trat wie im Leben häufig ein: Kränze trugen besonders die, welche
mit froher Botschaft vom Orakelsitz zurückkehrten, ferner die, welche auf
dem Wege vom oder zum Gelage waren, in der neueren Komödie die
trunkenen Sklaven und sonst nach den Abbildungen die Musiker.
3. Die Götter hatten ihre bekannten Abzeichen: Athene die Ägis in
Aeschylos Eumeniden 404, Apollon Köcher, Pfeile und Bogen im selben
Stück 181 (Eur. Alk. 35), Hermes das Kerykeion, Herakles auf der vati-
kanischen Mosaik die Keule, nach Pollux, wie es scheint, zugleich die
Löwenhaut, Dionysos und sein Gefolge ausser im Satyrspiel auch in Euri-
pides Bakchen die bakchischen Abzeichen (O-v^aog^ TVfiTtava, reßgig). Schwer-
ter {/xdxcciQai), auch volle Rüstung {Tiavrsvxtcc) führten Kriegshelden, den
Bogen der sophokleische Philoktet (287); das Theaterschwert war nach
Achilles Tatius (3, 20) bekannt. Zweige, mit wollenen Binden umwunden,
zeigten Schutzflehende an. Scepter hatten die Könige, Stäbe die älteren
Männer und die Seher, wenigstens Kassandra in Aeschylos Agamemnon 1265.
In der Komödie waren, wie nach Pollux zu vermuten ist, die Stäbe der
Alten Krummstäbe (xafinvlai), die nach Istros in der Vita Sophokles er-
funden haben soll, die also wohl auch in der Tragödie vorkamen; und in
der That findet sich hierfür ein Beispiel in den pompejanischen Wand-
gemälden (Mon. XI 32, 17). Da nach den Abbildungen, mit denen Ovid
Am. 3, 1, 13 stimmt, die Stäbe schräg und meist in der linken Hand ge-
tragen wurden, so haben sie natürlich nicht, wie vermutet worden ist, zur
Stütze für die auf hohem Kothurn einherschreitenden tragischen Spieler
gedient, sondern waren blosse Abzeichen. Einen Stab {ßaxxr^qia^ kayw"
ßoXov) führten in der Komödie auch die Landleute, daneben aber noch den
Lederkittel {it^d'tQa) und den Ranzen {nrJQo); in der Tragödie wird es
nicht anders gewesen sein, wenn auch Pollux nur den Lederkittel erwähnt.
Der gerade Stab (aQstfxog), den in der Komödie der Kuppelwirt trug, wird
wie seine Kleidung nach Art der Protzen gewesen sein. Ein Schurz (iinXrj)
machte ferner in der Komödie den Koch kenntlich, Salbenfläschchen (Aijxv-
262 B* ^CM Bülmenwesen der Griechen und Römer.
-^og) und Striegel (aTlsyyig) den schon durch seine Kleidung auffallenden
Parasiten.
66. Flöte. 1. Das vom Flötenbläser benutzte Ton Werkzeug war die
Doppelflöte {ailogy iibia). Die einfache Flöte, die überhaupt nur aus-
nahmsweise zur Verwendung gekommen ist, wurde höchst wahrscheinlich
niemals im Drama gebraucht, denn Erwähnung geschieht ihrer in scenischen
Nachrichten nirgends und auf scenischen Bildwerken findet sich nur die
Doppelflöte. Diese entsprach wahrscheinlich unserer Klarinette (ohne die
Klappe), hatte aber einen dumpferen Klang, der mit mymy in Aristophanes
Rittern 10 nachgeahmt wird. Hergestellt wurde sie meist aus Schilfrohr,
das in Griechenland in erster Linie der Kopaissee lieferte, aber auch aus
Holz, besonders aus Buchsbaumholz, und aus Knochen. Das Mundstück
iCevyog), das oft gemeinsam für beide Rohre war, enthielt für jedes Rohr
eine Zunge {y^d^TTä), nach welcher es auch, wie es scheint, Zunge genannt
wurde. Nach Theophrasts Pflanzengeschichte 4, 11, 7 zu schliessen, wurde
es meist aus demselben Stoff gefertigt wie der übrige Teil der Flöte. Das
Rohrstück (ßofißv^) war ursprünglich dünn und mit wenigen Löchern ver-
sehen, erhielt aber mit der Zeit mehr, auch solche, die mittels drehbarer
Ringe nach Belieben geschlossen werden konnten, ausserdem aber eine
grössere Mündung, eine Weiterbildung, deren Unzweckmässigkeit für das
Drama zu tadeln Horaz in der Dichtkunst 203 ff. guten Grund hatte.
2. Nach Varro hatte die rechte Flöte die Hauptstimme (ifwentiva)^
die andere die Nebenstimme {succentiva). In Terenzens Zeit kamen nach
den Didaskalieen im römischen Drama vier verschiedene Arten von Flöten
zur Anwendung: die gleichen {tibiae pares), die ungleichen (impares), die
zwei rechten {duae dextrae) und die Sarranen (Sarranae). Es wird nicht
mit Unrecht vermutet (Dziatzko), dass die beiden ersten Arten aus je
einer rechten und linken Flöte bestanden. Was die Sarranen bedeuten
sollen, ist nicht zu erraten; da zwei linke in den Didaskalieen niemals er-
wähnt werden, so ist die Gleichsetzung dieser mit Sarranen, wie sie bei
Donat zu finden ist, wenig glaublich. Nach Diomedes waren auch die den
Chorgesang begleitenden Flöten (choraulicae tibiae) verschieden von den
sonst gebrauchten {pythaulicae). Ob im griechischen Drama gleichfalls ver-
schiedene Flötenarten verwendet wurden, ist nicht überliefert.
3. Beim Spiel der Doppelflöte bediente sich der Musiker oft einer
Mundbinde {'^ogßsid, atofilg, xsiXwttjq^ capistrum). Dies war ein ledernes
Band, welches vom Hinterkopf aus über Backen und Lippen ging und oft
auch mittels eines anderen über den Scheitel sich hinziehenden Bandes
festgehalten wurde. Da, wo das Band den Mund bedeckte, war natürlich
ein Loch angebracht, durch welches das Mundstück gesteckt wurde. Die
Erleichterung, welche durch das Anlegen der Mundbinde offenbar bezweckt
war, bestand wahrscheinlich darin, dass beim Anblasen das Entweichen der
Luft verhindert wurde.
Fr. Aüo. Gevaebt Histoire et theorie de la musique de Vantiquite II, Gand 1881,
270 ff. 647 f. K. VON Jan Jahrbücher für PhüoL 119'» 582 ff. 1218» 543 ff.; Allg. mus.
Zeit. 16®^ 469 ff.; bei Baumeisteb Denkmäler unter Flöte. Ernst Graf De Graecorum
veterum re musicUf Marburg 1889, 2 ff. Dziatzko Rhein. Mus. 20®* 594 ff. — Zu 2: Varro
de re rust. 1, 2, 15 dextra tibia alia quam sinistra, ita tarnen ut quodammodo sit con-
4. Die äusseren Mittel der Darstellung. (§ 66.) — 5. Die Darstellung. (§ 67.) 263
iuncta^ quod est altera eiusdem carminis modorum incentiva, altera auccentiva. Biomedes
p. 491, 27 E. quando enim ckorus canebat, choricis tibiis t. e. choraulicis artifex concine'
bat, in canticis autem pythaulicis responscibat,
5. Die Darstellung.
A. Begleitende Umstände.
67. Auswahl« Bearbeitung der Stücke. 1. Über die Grundsätze,
welche bei der Auswahl der neuen Dramen beobachtet wurden, sind wir
nicht unterrichtet. Dass bei der Zulassung der Dichter-Didaskaloi in Athen
der künstlerische Wert der neuen Dramen mit in Berücksichtigung gezogen
wurde, kann nicht bezweifelt werden (§ 225). Auch in Rom kam er in
Betracht, nicht erst in der Zeit Ciceros, wo Tarpa als Sachverständiger zu
Rat gezogen wurde (§ 36 *), sondern schon früher. Wenigstens berichtet
Sueton in der Vita, dass Terenz, als seine Andria aufgeführt werden sollte,
an einen Sachverständigen gewiesen wurde. In Athen, wo der Dichter zu-
gleich Regisseur war, wurde natürlich das Stück ganz nach den Intentionen
des Dichters, ohne Abänderung, eingeübt und aufgeführt. In Rom dagegen,
wo die Regie den Händen des Dichters entwunden war, sollen in früherer
Zeit die Schauspieldirektoren, wenigstens bei Komödienaufführungen, von
der Komposition insofern abgewichen sein, als sie, um die Zuschauer am
Weglaufen zu hindern, die Zwischenspiele zwischen den Akten fortfallen
Hessen (zu 1).
2. Bei der Auswahl alter Dramen hat sicher der Oeschmack der
Zuschauer die Hauptrolle gespielt. Nach den athenischen Inschriften (§17^)
zu schliessen, sind nämlich Stücke von Euripides, Menander, Philemon öfter
als andere zur Aufführung gelangt, also von den Dichtern, deren Beliebt-
heit auch aus andern Nachrichten und nicht zum mindesten aus den Be-
arbeitungen der Römer bekannt ist. In Rom war es ähnlich. Plautus
Stücke hatten viele Jahre die römische Bühne beherrscht und wurden auch
nach des Dichters Tode weiterhin aufgeführt. In der Folgezeit verdrängt durch
die mehr graecisierenden, feineren, aber auch zahmeren Dichtungen unter
anderen des Terenz, lebten sie nach des letzteren Tode im Anfange des
siebenten Jahrhunderts der Stadt von neuem auf der römischen Bühne auf,
entsprechend dem jetzt wieder nach volkstümlicher Kost und urwüchsiger
Kraft verlangenden Geschmack der Zuschauer. — Neben dem Geschmack
der Zeit kamen bei der Auswahl der Stücke auch die Fähigkeiten in Be-
tracht, welche die aufführenden Protagonisten oder Schauspieldirektoren,
bzw. ihre Gehilfen besassen oder zu besitzen glaubten. An den Höfen der
Herrscher und auch sonst spielten die griechischen Schauspieler ohne Zweifel
in der Regel die Stücke, welche Glanzrollen für sie enthielten (vgl. Dem.
de f. I. 246). Von den römischen bezeugt dasselbe ausdrücklich Cicero de
off. 1, 31, 114: sie wählen, sagt er, nicht die dem Kunstwert nach besten
Stücke (optimas fabulas), sondern die, welche ihren besonderen Neigungen
und Gaben am meisten entsprechen {accommodatissimas).
3. Unter solchen Umständen ist es begreiflich, dass bei den Wieder-
aufführungen der Stücke die Texte Abänderungen erlitten. Die Athener
264 B. Das Btthnenwesen der Grieohen und Römer.
hatten sich zwar, wie wir gesehen haben (§ 22 ^), auf des Redners Lykurg
Veranlassung gegen dieses* Mangel an Achtung verratende Verfahren der
Schauspieler, wenigstens was die drei grossen Tragiker betrifft, durch Ge-
setz zu schützen gewusst; aber anderswo war es nicht ebenso, und die
•• ••
erhaltenen Texte legen davon Zeugnis ab. Ähnliche Änderungen sind in
Rom vorgenommen worden. Von Umgestaltungen im einzelnen abgesehen,
haben die meisten plautischen Stücke neue Prologe, die abgefasst wurden,
als die Neuaufführungen eintraten. Auch Schlussscenen sind ganz umge-
staltet worden: von Plautus Poenulus und Terenz Andria liegen sie in
doppelter Gestalt vor.
Zu 1 : Donat praef. Ter. Ad. haec etiam ut caetera huitiscemodi poemata quinque
actus habeat necesse est choris divisos a Graecis poetiSt quae etsi retinendi catisa iam in^
co7iditos spectatores tninime distinguunt Latini comidt metuentes scilicet, ne quis fasti^
diosus finüo actu velut admonitus abeundi reliqitae comoediae fiat contemptor et surgcU,
tarnen a doctis veteribus discreti atque disiuncti stmt. Vgl. praef. Exm. Ribbrck Rom.
Trag. 641 f. FbiedlXndkb 543. Dziatzko Ter. Phorm. S. 31.
68. Einübung. 1. Die grosse Ausdehnung des Theaterraumes, die
genaue Aussprache, welche von der Zuschauerschaft gefordert wurde, die
Übernahme weiblicher Rollen zugleich mit männlichen verlangten von dem
Darsteller eine Stärke und einen Umfang der Stimme, die nur durch lange
und andauernde Übung zu erreichen waren. Das Fehlen eines Souffleurs
setzte zudem eine sichere Einprägung des Textes voraus. So kann es uns
nicht wundern, wenn wir von eifrigen Übungen und mancherlei Vor-
kehrungen der Schauspieler hören. In der Frühe und nüchtern nahmen
die Schauspieler und Choreuten ihre Übungen vor, heisst es in den aristo-
telischen Problemen (11, 22), weil nach dem Essen die Stimme weniger
geeignet ist. Vorsicht in Bezug auf Essen und Trinken und auf die Lebens-
führung überhaupt wird mehrfach erwähnt, sogar die Enthaltung vom
Liebesgenuss, bei Plutarch Symp. 9, 1. Die griechischen Schauspieler
scheinen noch fleissiger gewesen zu sein als die römischen. Cicero rühmt
von ihnen, dass sie Jahre lang sitzend deklamierten und dass sie vor und
nach der Aufführung in verschiedenen Körperlagen Gesangsübungen vor-
nahmen. Zu diesen Übungen bediente man sich wenigstens in Rom und
in der Kaiserzeit auch auswärts eines besonderen Lehrers, der nach dem
Üben der Stimme Phonaskos genannt wurde. Es scheint, dass, wenn auch
nicht anfänglich, so doch später ein solcher Techniker {moßoXsvg, monitor)
mittels eines besonderen Instrumentes {(pcovatrxtxov oQyavov: Plut. Ti. Grach.
2, 5) bei der Aufführung leitend mitwirkte.
2. Selbstverständlich wird es auch gemeinsame Übungen oder Proben
gegeben haben. Das Übungshaus, welches wir aus Athen kennen (§ 28 2),
hat vermutlich hierzu gedient. Aber Proben in unserem Sinne, übungs-
mässige Aufführungen im Theater und mit Benützung der Maschinen hat
es schwerlich gegeben. Wir hören etwas mehr überhaupt nur von einer
Hauptübung oder Generalprobe in Athen, die, vielleicht missbräuchlich,
Proagon genannt wurde und wenige Tage vor den grossen Dionysien im
Odeion, nicht im Theater stattfand. Zwei Stellen (zu 2) belehren hierüber,
von denen die eine nur die tragischen Schauspieler erwähnt. Diese Probe
war aber augenscheinlich sehr verschieden von dem, was wir so nennen
5. Die Darstellung. (§ 68—69.) 265
würden, denn die Schauspieler erschienen ohne Maske und Bühnenkleidung
und spielten zudem im Odeion, wo die Maschinen nicht bereit standen.
Der Zweck, den man mit dieser Übung verfolgte, war also wohl mehr auf
den Vortrag als auf das Sonstige der Darstellung gerichtet. Welche Gründe
bei der Wahl des bedeckten Odeions als des Ortes der probeweisen Auf-
führung massgebend gewesen sind, ist nicht zu sagen; denken lassen sich
verschiedene: Schonung der Stimme, Schutz vor Unwetter, leichtere Ab-
haltung überflüssiger oder störender Zuschauer. Ahnlich scheint die Probe
gewesen zu sein, von der im Prolog 19 ff. des terenzischen Eunuchen die
Rede ist: Zuschauer wenigstens hat es ausser dem festleitenden Ädilen und
einem Gaste nicht gegeben.
Za 1: G. Bernhardt Grundriss der griech. Lit. P 24. 11 2' 120 f. Jahk-BOchbleb
zu Persius 1 17. A. Müller BQhn. 193 ff. Cic. de or. 1, 59, 251 Quid est oratori tarn
necessarium quam vox? tarnen me auctore nemo dicendi stiidiosus Graecorum more tra-
goedorum voci aerviet, qui et annos complwrea sedentes dedamitant et cotidie, antequam
pronuntient, vocem cubantes sensim excitant eandemque, cum egerunt, sedentes ab acutis-
simo sono usque ad gravissimum sonum recipiunt et quasi quodammodo colligunt, Plu-
tarch Reip. ger. praec. p. 813 F fu/uela&M tovg vnoxQiidg, nd&og fiiv tdioy xal ^S-o^ xal
d^ltofjLa rto aytavi ■nQoajL&ivzag, jov di vnoßoXetog dxovoyrag xal firj na^aßaivoyzag xovg
^vd^fAovq xal rd fxitQa xijq Mofjiivrig i^ovalag vno t(oy xQatovvttay (Müller 195^ denkt an
einen „Regisseur, der dafür sorgt, dass bei den Wechselreden der Schauspieler jeder an
richtiger Stelle einßJlt*). — Zu 2: E. Hillbr Hermes 7" 893 ff. E. Rohdb Rhein. Mus.
38^3 251 ff. G. ÖHMiCHEN SiUber. Münch. Ak. 1889 11 103 ff. Aeschin. in Ctes. 67 o ydq
fxi^aXi^av&Qog , . . y^dq>n xj/ijgiurua . . . ixxXrjaiav noiety rovg nQvidyeig xj oydofn lata"
fiivov tov ^Xa(fi]ßoXiitiyog firivog, oi tjy 'JaxXrjnlü) ij ^vala xal 6 n^odyaty iy tß 1$q^
i^f4£Q(f. Schol. dazu: iyiyyoyio nqo xtay fAsydXwy Jioyvaiioy rifAi^aig oXlyaig IjU-
TtQoad^ey iy t^ (^deito xaXov/iiyo) xaSy x^aytodtoy dytay xal inidei^ig, (oy fiiXXovffi d^afid^
x(oy dyü)yi^ea&ai iy xt^ d^edxQio ' dC o ixot/natg {ixvfjttag üsekbr) nqodytay xaXeixai. Biaiaai
de di/a ngoatamay ol vnoxgtxal yv/nyol (nicht in Bflhnentracht). Schol. Arist. Vesp. 1109
«(TTt xonog S^saxQO€idijg (Odeion), iy ^ eiai^aai xd nocfjfAoxa dnayyiXXeiy n^ly xijg Big X(
^eaxQoy dnayyeXlag. Rohde erhebt brieflich Widerspruch gegen meine Auffassung. Die
Sache steht so. Nach meiner Ansicht hat der Scholiast zu Aeschines ein kleines Versehen
begangen und aus dem ihm vorliegenden Material eine an sich richtige Erklärung von
Proagon an unpassender Stelle vorgebracht. Wer, wie Rohdb, diese Annahme für unzu-
lässig hält, muss voraussetzen, dass der Scholiast von der Ansicht ausgegangen sei, der
8. Elaph., der heilige Tag, werde von den grossen Bionysien oXiyaig iqfAi^a^g getrennt. Da
diese Ansicht aber den grössten Irrtum, nicht ein leicht mögliches Versehen enthält,
so meine ich, kann die Wahl zwischen Rohde und mir nicht schwer sein.
69. Ankündigung. 1. In Athen, wo nur wenige Male im Jahre ge-
spielt wurde, wo die Choregen wie die Schauspieler längere Zeit vor der
Aufführung den Dichtern zugewiesen wurden, war es überflüssig den Ein-
wohnern den Spielplan in irgendwelcher Weise vor dem Fest bekannt zu
machen, denn ebensowenig wie die Namen der zum Wettkampf zugelassenen
Dichter werden die der aufzuführenden Stücke so eifrigen Theaterfreunden,
wie die Athener waren, und in einer verhältnismässig so kleinen Stadt
unbekannt geblieben sein. Eine Ankündigung fand allerdings statt, aber
im Theater und nicht vor dem Feste, sondern am Feste selbst. An den
grossen Dionysien wurden die Stücke bei der dramatischen Vorfeier ange-
kündigt, von der im folgenden Paragraphen die Rede sein wird. Ob das
gleiche bei der Vorfeier der Lenäen und der kleinen Dionysien der Fall
war oder ob eine Ankündigung wie in Rom erst am Tage der Aufführung
eintrat, ist nicht zu sagen. Dass aber an diesen beiden Festen überhaupt
eine Ankündigung vorgenommen wurde, dürfen wir besonders deshalb ver-
muten, weil die römische Ankündigung gleich vielen anderen Einrichtungen
266 B. Das Bühnenwesen der Griechen nnd BOmer.
des römischen Bühnenwesens als eine Entlehnung aus Athen anzusehen ist.
Eine Stelle in Piatons Gastmahl scheint auch hiefür zu sprechen; sie be-
zieht sich auf die Lenäen, gedenkt aber nicht ausdrücklich einer Ankün-
digung (zu 1).
2. In Rom wurde der Name des Stückes und seines Verfassers un^
mittelbar vor Beginn der Darstellung, bei der Einleitung (§ 71), vermutlich von
einem Ausrufer verkündet (pronuntiatio tüuU: Ritschl 301 ff.); doch scheint
auch der Prolog die Ankündigung übernommen zu haben (Dziatzko). Ge-
sprochen wurde dieser entweder wie bei Terenz vom Direktor oder von einem
Schauspieler, der nicht sofort zu spielen hatte (Ritschl 19), aber nicht in
der Bühnenti*acht, sondern in einer ganz eigentümlichen Kleidung (Wie-
seleb Denkm. X 8), und mitgeteilt wurde durch ihn alles das, was unsere
Theaterzettel zu enthalten pflegen, und noch mehr als das. Aber die immer
grösser werdende Stadt einerseits und der Ehrgeiz der Spielgeber andrer-
seits machten eine Bekanntmachung längere Zeit vor dem Feste wünschens-
wert, und so scheint es kaum zweifelhaft, dass wie andere Spiele so die
Bühnenspiele lange vor der Aufführung durch Praeconen öffentlich ange-
kündigt wurden. In der Eaiserzeit geschah die Ankündigung auch schrift-
lich, oder wie wir sagen würden, durch Plakate (Sen. Ep. 117, 30).
3. Ahnliche Massnahmen wie in Rom, bzw. in Athen wurden vermut-
lich auch in anderen griechischen und römischen Städten getroffen, doch
erfahren wir nichts davon. Nur venige Nachrichten aus später Zeit mel-
den von ähnlichen Einrichtunger in hellenisierten Städten (Rohde 265):
wir hören unter anderm von einer Vorausverkündung (/rßoavayoJvijorig) und
einem Vorauftreten (nQoeiaodiov) bei Heliodor Aethiop. 8, 17.
HiLLEB, Rohde, Öhmichen wie zu § 68^. Ritschl Parerga. Dziatzko De prologis
Plaut, et Ter. quaestiones selectae, Bonn 1863; Über die Plaut. Prologe, Luzern 1867. Vgl.
Aüo. RöHBicHT Qtiaestiones scaenicae ex prol. Terent. petitae, Strassb. 1885 (Diss. Argent.
IX 294 ff.)- — Zu 1: Piaton Svmp. 194 A/B (Apthon) ayaßaiyoyrog inl toy oxQißayza
(Bühne) ^erd rtoy vnoxgittdy xal ßAixpaytog ivaytia xoaovtt^ 0eäTQ(^, fAiXXoytog im&eUead^a
aavtov Xoyovg.
70. Vorfeier. 1. Unsere Kenntnis beruht auf vier Stellen. Aus
einer Inschrift erfahren wir, dass Proagone in Heiligtümern vorgenommen
wurden, und aus einer Aeschinesstelle (zu § 68^), dass ein Proagon am
achten Elaphebolion, an einem heiligen Tage abgehalten wurde. An diesem
Tage fand aber auch, wie aus dem Gesetz des Euegoros zu folgern ist,
die Vorfeier des dramatischen Teiles der grossen Dionysien statt, die dort
Komos genannt wird. Eine vierte Stelle endlich in Euripides Vita spricht
von einem Proagon, an dem Sophokles Chor und Schauspieler im Theater
vorgeführt habe. Wenn wir diese Stellen, was wir doch wohl dürfen, mit
einander verbinden, so erhalten wir folgendes Ergebnis.
2. Der Proagon, der auch Komos genannt wurde, war die Einleitungs-
feier des dramatischen Teiles der grossen Dionysien. Er fiel auf den
achten Elaphebolion, seitdem die tragischen Spiele vier Tage dauerten, und
diese Dauer erhielten sie vermutlich nach Aeschylos Tode; vorher fiel er
auf den neunten desselben Monats. Er bestand, wie schon § 17 angedeutet
wurde, aus drei Teilen: einer gottesdienstlichen Handlung im dionysischen
Heiligtum {ngodyojv iv t([} «f^)), einem Festzuge oder Komos im engeren
5. Die DarsteUimg. (§ 70—71.) 267
Sinne, dessen Weg wir nicht kennen, und einer Handlung im Theater vor
versammelter Zuschauerschaft, dem Proagon im engeren Sinne. Aktiv be-
teiligt waren an dieser Vorfeier nächst dem betreffenden Festbeamten die
Dichter-Didaskaloi, die Schauspieler und die dramatischen Chöre, vermutlich
aber auch die dramatischen Choregen. Die Beteiligten waren bekränzt,
und bei der Ankündigung im Theater führte jeder Dichter-Didaskalos seine
Darsteller den Zuschauern vor. Wir dürfen wohl voraussetzen, dass bei
der Ankündigung ein Herold mit thätig war.
3. Nach dem Gesetz des Euegoros gab es auch an den Lenäen und
den Dionysien im Piraeus eine Vorfeier, die Pompe genannt wurde; aber
wir wissen nicht, worin sie bestand. Abweichend von der Vorfeier des
dramatischen Teiles der grossen Dionysien war sie gewiss, das sagt schon
der Name. Trotzdem aber könnte auch bei ihr eine Ankündigung der an
den folgenden Tagen aufzuführenden Stücke vorgenommen worden sein,
von der im vorigen Paragraphen gehandelt wurde. — Von einer Vorfeier
vor den Festspielen in anderen Städten wird nirgends etwas erwähnt.
Litteratur wie zu § 68^ — CIA. II 307 Z. 17 ineraeae] &k rovg nQoaytayas rovg
iy totg UgoTg xctttt TU TtdtQia. Gesetz des Euegoros: Dem. Mid. 10 EvijyoQog Binsy, öray ij
Tiounrj ^ r^ Jioyvaw iy JIhqkibI xal ol xiOfit^dol xal ol rgayi^doi, xal 9; int Afjyalt^ noiintj
xat ol TQaytadol xai ol xafAt^doly xoig iy aarei Jioyvaloig rj nofAnvj xal ol nai&eg ^xal ol
ciydgeg Bergk^ xai 6 xiufiog xal ol xmK^Sol xal ol rqayi^doL Vita £ur. Xiyovat di xal
£o(poxX6ay dxovaayraj ort ireXeihrjae (Euripides), avtov fiey IfJLaxm (pai(^ ngoeX^eiy, xoy di
XOQoy xal rovg vnoxQtxäg daretpaytoTovg (sonst umgekehrt) eürayayeiy iy Ttf n^odytoyi xal
daxQvaav xoy dij/ioy.
71. Einleitnng des Wettkampfes. 1. Das wenige, was wir er-
fahren, bezieht sich meist auf Athen. Vor dem Beginn des Wettkampfes
wird wohl das erste ein Opfer gewesen sein. Die Lexikographen gedenken
eines Reinigungsopfers (unter xa^agaiov), das bei Versammlungen des
Volkes vorgenommen wurde, insbesondere bei politischen Versammlungen
und bei festlichen Versammlungen im Theater. Es scheint, dass das Opfer-
tier {x^iQidia fiixQa) auch im Theater zuvor herumgetragen wurde, wie es
bei politischen Versammlungen bezeugt ist von Aeschines Tim. 23. Die-
jenigen, welche das Reinigungsopfer zu besorgen hatten, waren die soge-
nannten Periestiarchoi. Nach Plutarch, dessen Bericht schon in § 26 heran-
gezogen wurde, brachten auch die Feldherren vor dem tragischen Wett-
kampfe ein Opfer {rdg vevofittffiävag anovdaq). Dürften wir uns auf seine
Worte verlassen, so hätten wir anzunehmen, . dass dieses Opfer ein selb-
ständiges war. Da aber seine Angaben im einzelnen nicht als durchweg
zuverlässig gelten können, so ist die Vermutung (Müller Bühn. 369) nicht
zu kühn, dass das Opfer der Feldherren zusammenfiel mit dem Opfer, das
wir bei der Vereidigung der Preisrichter mit Wahrscheinlichkeit voraus-
setzen dürfen.
2. Die Auslosung der Preisrichter geschah ohne Zweifel nach dem
Reinigungsopfer; ob auf der Bühne oder in der Orchestra, ist nicht zu
entscheiden. Die mit einem Opfer verbundene Beeidigung der erlosten
Richter, durch welche sie zu unparteiischem Urteil verpflichtet wurden,
folgte sogleich darauf. Dies ist aus Plutarchs Bericht zu entnehmen und
zugleich aus einigen Eomikerstellen, in denen die Richter an den geleisteten
Eid erinnert werden (juij 'moqxetv Ar. Ekkl. 1160). Nach der Beeidigung
268 B* I)<^ Bühnenwesen der Griechen nnd Bömer.
nahmen die Richter die für sie bestimmten Plätze ein. Wo sich diese
befanden, ist unbekannt; aber wir dürfen als sicher betrachten, dass sie
zu den besseren gehörten, d. h. dass sie dem Darstellerraume nicht allzu
fern waren. Wegen der Fünfzahl und wegen ihrer vor anderen Sitzen
sich auszeichnenden Gestalt könnte man geneigt sein als Richtersitze jene
fünf Sessel anzusehen, welche sich am Orchestrarande in Oropos aufgestellt
finden (zu § 49); doch wäre eine andere Bestimmung der Sessel gerade so
gut denkbar.
3. Hierauf wird dem durchs Los bestimmten ersten Dichter-Didas-
kalos das Zeichen zum Beginn des Spieles gegeben worden sein. Aus
dem Anfang von Aristophanes Acharnern und einer Angabe des Philochoros
schliesst man, dass ein Herold den Dichter-Didaskalos aufgefordert habe
seinen Chor hereinzuführen, dass dieser mit dem Chor in der Orchestra
Dionysos eine Weinspende gebracht, dass nach ihrer Beendigung der Chor
wieder abgetreten sei und dass erst hierauf das Spiel seinen Anfang ge-
nommen habe (Mülleb Bühn. 373). Die angeführten Zeugnisse sind aber
nicht unzweideutig. Dikaiopolis, der nach seiner Erzählung bei Aristophanes
eine Aeschylosaufführung erwartete, statt dessen aber hören musste, dass
Theognis zum Hineinführen des Chores aufgerufen wurde, befand sich aller-
dings im Theater, doch scheint es unmöglich zu entscheiden, ob er die
Vorfeier meint, bei der ja eine Vorführung des Chores durch den Dichter-
Didaskalos bezeugt ist (§ 70), oder ob er den Beginn des Wettkampfes im
Sinne hat. Aus dem andern Zeugnisse aber braucht nicht unbedingt auf
eine feierliche Spende geschlossen zu werden.
4. Auch nicht auf das Fest bezügliche Geschäfte wurden vor Beginn
besonders des tragischen Wettkampfes vorgenommen (Wieseler Enc. 168 f.
Müller Bühn. 76). Nur vermuten können wir, dass es geschah vor der
Auslosung der Richter. Ehrener Weisungen, die hier eintraten, galten als
besondere Auszeichnung, nach Aeschines in Ctes. 43. Es waren hauptsäch-
lich Verkündigungen von Beschlüssen über Ehrenkranzverleihungen , die
hier stattfanden, ferner Vorführungen von Waisen der im Kriege gefallenen
Mitbürger.
5. Von ähnlichen Veranstaltungen in Rom hören wir nichts; es
scheint also, dass, von den vorauszusetzenden religiösen Einleitungen ab-
gesehen, vor Beginn der dramatischen Spiele nichte weiter vorgenommen
wurde als die in § 69 erwähnte Ankündigung.
Zu 1: Plutarch Kimon 8 . . . 'A\pBq>mv 6 «f/oii', tpiXoysixiag ovarjq xai naQtnd^etog
tdSy &€artoy, xQirag fjisv ovx ixXiJQüxre Tor dyiayog^ (og 6h KifAoyy fierd rejy avaxQctrijytDy
nQoeX^üjy eig ro &B«tQoy inoiijaaro xio 9e(p tag yeyofiicfjiiyttg anoy^dg^ ovx dqnjx^y «vxovg
«TieA^c/V, dXX* oQxwaag rjydyxaoB xn&iüM xal XQiyac xrX. -— Zu 2 vgl. Lit. zu § 26. —
Zu 3: Arist. Ach. 10 öre dtj 'xc/iyr)? ngoadoxtoy xoy AiaxvXoyy 6 d^ dyeiney, €uxay\ at
Seoyyc, roy xoQoy. Philochoros bei Athen XI 464 E : *A^tjyaToi roTg Moytnnaxotg dycSai, to
fjiiy TiQCJToy rjgtartjxoteg xal nsTKaxoteg ißd&iCoy inl ttjy ^eay, xal iarBtpayiOfjtiyai i&etoQovy •
nagd de roy dyuiya ndyxa oiyog avxoig Myoxoeho xal rgayijfjiaxa nagefpi^BTOf xal totg
XOQoTg eiatovaiy iyexfoy nly€iv xal 6vrjyti}yiafjiiyoig öv i^enogevoyxo iv^x^oy ndXiy ' fiag-
rvQ6iy dt TovToig xai fpeQexQdxtj xoy X(0f4ix6y, öxi fJiixQ*' "^V^ '^^^' ^"v^^>^ rjXixiag ovx daixovg
eivai xovg &etoQovyxag.
72. Freiskrönung, Siegesfeier. 1. Wenn wir den Wettkampf, der
in Aristophanes Fröschen zwischen Aeschylos und Euripides stattfindet,
6. Die DarBteUnng. (§ 72.) 269
als eine Nachbildung des dramatischen Wettkampfes in Athen betrachten
dürfen, so haben wir anzunehmen, dass der Archen, den bei Aristophanes
784 und 1467 Pluton vertritt, nach Beendigung der Aufführungen die
Richterstimmen sammelte. Der als Sieger erklärte Dichter-Didaskalos
wurde nach Sophokles Vita als solcher durch einen Herold ausgerufen und
wahrscheinlich auch vom Archen bekränzt (Müller Bühn. 346^). Es scheint
selbstverständlich, dass die gleiche Ehre dem siegenden Protagonisten zu
teil wurde; bezeugt allerdings ist sie nur schwach durch den Rhetor Ari-
stides II p. 2 Dind. Und wenn der dramatische Choreg in die Siegerliste
eingetragen wurde, wenn er eine Siegestafel und die Zurüstung weihen
durfte (§§ 9. 20^), so werden wir folgern dürfen, dass er zugleich mit dem
siegenden Dichter, dem er diente, als Mitsieger ausgerufen und bekränzt
wurde.
2. In welcher Weise die Preisrichter ihres Amtes walteten, ob das
Urteil, das sie fällten, immer oder meist gerecht war oder nicht, dies zu
entscheiden ist natürlich nicht mehr möglich, da uns ausser den Texten
weniger Dichter nur vereinzelte und ungenügende Nachrichten vorliegen.
Dass in vielen oder in den meisten Fällen das Urteil der Richter durch
die Äusserungen des Beifalls und des Missfallens von Seiten der Zuschauer
beeinflusst war, dass also die Entscheidung im Grunde genommen zum
grossen Teile in den Händen der Zuschauer lag, kann man als selbstver-
ständlich voraussetzen und ausserdem erschliessen aus der Rücksicht, welche
Aristophanes in mehreren Stellen auf die Zuschauer nimmt, aus dem Bei-
fall, den er von ihnen erbittet (Müller Bühn. 307), aus den Vorwürfen,
die er im Plutos 797 und in den Wespen 58 den anderen Komikern macht,
weil sie, um Beifall zu ernten, den Zuschauern Nasch werk zuwerfen Hessen,
aus den direkten Aufforderungen, die nach Aelian (V.H. 2, 13) zu Aristo-
phanes Gunsten von den Zuschauern an die Richter ergingen, und endlich
aus dem Eifer, mit welchem Freunde der Schauspieler, allerdings in später
Zeit, den Beifall der Zuschauer erwarteten oder hervorzurufen suchten
(Müller ib.). Bestechungen und ähnliche Beeinflussungen der Richter waren
infolge ihrer Auslosung und öffentlichen Thätigkeit nicht leicht zu bewerk-
stelligen. Dass sie aber vorgekommen seien, lässt sich denken; bezeugt
ist es freilich in betreff der dramatischen Preisrichter nicht, denn Demo-
sthenes Angaben in der Rede gegen Meidias 5 und 18 beziehen sich auf
einen kyklischen Wettkampf und Aelians Vorwurf gegen die Richter (2, 8)
ist nur eine Vermutung. Im allgemeinen müssen wir die gefällten Urteils-
sprüche als begründete bezeichnen. Sophokles ist nach der grossen diony-
sischen Siegerliste am grossen Stadtfest allein achtzehnmal die erste Stelle
angewiesen worden, niemals die dritte. Die Zahl der äschyleischen Siege
ist auf ihr nicht angegeben; aber beachtenswert ist, was Quintilian (10, 1, 66)
berichtet, dass nämlich Aeschylos Dramen bei den Wiederaufföhrungen
nach des Dichters Tode (§ 22*) vielmals den Preis davongetragen haben.
Einzelne Vorwürfe, welche man in alter und neuer Zeit gegen das Urteil
der Richter erhoben hat, sind ohne Halt. Übersehen worden ist dabei
hauptsächlich zweierlei: erstens dass beim Urteilspruch nicht die Kompo-
sition allein ausschlaggebend war, sondern Ausstattung und Dichtung zu-
270 ^* ^^ BüHnenweflen der Chrieohen und ROmer.
sammen (§ 26^) und zweitens dass die Richter von jedem Tragiker nicht
bloss ein Stück, sondern mehrere zu prüfen hatten. Wenn also Sophokles
König Oidipus und Euripides Medeia, in denen wir die höchste Kunst
dieser Dichter zu erkennen glauben, nicht mit dem Preise gekrönt worden
sind, so kann dies zum Teil an der mangelhaften Ausstattung, zum Teil
aber auch (Rohde 252 ') an der geringeren Bedeutung der zugleich aufge-
führten Stücke gelegen haben.
3. Eine Siegesfeier (imvixia) wurde nach gewonnenem Siege vom
Dichter-Didaskalos veranstaltet. Dies war ein mit einem Opfer verbundener
Schmaus, an dem die Darsteller teilnahmen. Piaton, der im Oastmahle
173A der Siegesfeier Agathons gedenkt, erwähnt allerdings nur die Chor-
euten, nicht die Schauspieler. Auch seinen Freunden scheint der Dichter
ein Mahl gegeben zu haben; Aristophanes wenigstens weist im Frieden
769 ff. auf ein folgendes Gelage hin, und ähnlich erinnert Piaton 174A an
Agathons Freundesmahl. Ion von Chios beschenkte sogar aus Anlass seines
Sieges sämtliche Bürger Athens mit Wein, nach Athenaeos 3 F. Von Sieges-
festen der Protagonisten hören wir nichts, denn die Feier, welche Likymnios
nach Alkiphron (Ep. 3, 48) veranstaltete, bezog sich sicher nicht auf einen
Tragödienwettkampf, sondern bloss auf einen besonderen Schauspielerwett-
kampf, der uns hier nichts angeht (vgl. Rohde 278^). Dagegen gab den
Choreuten auch der Choreg ein festliches Mahl, nach Aristophanes Ach. 1155.
4. In Rom war die Preiskrönung bedeutend einfacher. Statt be-
sonders eingesetzter Richter entschieden die Festgeber selbst über die Zu-
erkennung der Preise, Wettkämpfe der Dichter gab es wahrscheinlich nicht
(§ 34^), und über die Ausstattung wurde öfifentlich kein Urteil gefällt, da
sie von den Urteilsprechem selbst besorgt wurde. Es waren also wohl
nur die Leistungen der Hauptsehauspieler, bzw. der Direktoren der wett-
kämpfenden Gesellschaften gegen einander abzuwägen. Dass die Stimme der
Zuschauer massgebend war, ist für Rom ebensowenig zu bezweifeln wie
für Athen. Es deuten darauf einzelne Stellen der Schriftsteller, wie des
Macrobius (2, 7, 13), noch mehr aber die von den Leitern und Mitgliedern
der Schauspielertruppen getroffenen Vorkehrungen, die wir vorzugsweise
aus dem Amphitruoprolog 64 ff. kennen lernen. Schon vor der Aufführung
wurden die Zuschauer von den beteiligten Darstellern persönlich, schrift-
lich oder durch Mittelsmänner bearbeitet; Beifallsklatscher oder Claqueurs
(famtores) wurden angeworben, die, im Theater verteilt, für die Zuschauer
den Ton anzugeben hatten, indem sie je nach Verabredung mit Äusserungen
des Beifalls oder des Missfallens vorangingen. Sie waren spätestens in der
Kaiserzeit vollständig organisiert, denn Tacitus nennt in den Annalen mit
Namen einen Führer solcher Stimmungsmacher (1, 16 dux theatralium ope-
rarum: vgl. Friedl. 542 3). Zuweilen mögen die Festgeber freilich auch
gegen die Stimme der Zuschauer ihr Urteil gefällt haben; ob mit Recht
oder Unrecht, lässt sich natürlich nicht entscheiden. Die Prologdichter,
d. h. im Grunde genommen die Schauspieldirektoren, welche den Festleitern
Parteilichkeit vorwarfen, wie im Amphitruoprolog 72 (perfidiose) oder im
Poenulusprolog 37 {iniuria), waren selbst nicht unparteiisch: es war ein
Strich durch ihre Rechnung, wenn die ohne Zweifel unbestechlichen Spiel-
5. Die DarsteUnng. (§ 78.) 271
geber anders urteilten als die grosse Menge, die durch mancherlei Mittel
bearbeitet und geleitet war. Um die gefällten Urteile im ganzen zu wür-
digen, fehlen uns genügende Handhaben ; wir können nur aus den sich oft
abspinnenden Intriken mit einiger Wahrscheinlichkeit folgern, dass nicht
immer die gerechte Sache zum Sieg gelangt sein wird.
Litteratur wie § 26; ferner E. Rohdb Rhein. Mus. 38^^. Ritschl, Ribbeck, Fried-
LÄin>EB 8. § 6. — Zu 4: Bbnndobf Beiträge (§ 12) S. 38 meint, dass der Poenulusprolog
«von dem lateinischen Dichter nicht erfunden, sondern aus einem griechischen Stücke
herübergenommen sei." Dies dürfte zu weit gegangen sein: wenn irgendwo, so rollt in
den Prologen römisches Blut. — Nach Dziatzko in Einl. zu Terenz Phormio sind die
scherzhaften Worte am Schluss der Cistellaria auch ernst zu fassen und ist deshalb anzu-
nehmen, dass die Dirigenten nach gelungenen Aufführungen die tüchtigen Glieder ihrer
Truppe durch einen Festschmaus zu belohnen pflegten.
73. Verhalten der Zuschauer. 1. Dem gottesdienstlichen Charakter
der Aufführungen entsprechend erschienen in Athen die Zuschauer wahr-
scheinlich in Festkleidern : Bekränzung wenigstens wird erwähnt von Philo-
choros (zu § 713). DJe den ganzen Tag dauernden Spiele brachten es mit
sich, dass die Zuschauer es sich bequem einrichteten, dass sie Sitzkissen und
Esswaren ins Theater mitnahmen, um dort Gebrauch von ihnen zu machen.
Wein und Naschwerk wurden ihnen aber auch von anderer Seite geliefert
(zu § 7P), wohl meist von den Choregen; Nüsse und dergleichen zuweilen
von den Dichtern (§ 722). jn ihren Gefühlsäusserungen waren sie ausser-
ordentlich lebhaft, wie überhaupt der Süden. Mit Händeklatschen (xQorog)
und Schreien {d-oqvßog) bezeugte man seinen Beifall {inMvoq), Noch leb-
hafter als der Beifall waren die Äusserungen des Missfallens {fJLitrovg (xrjfieTa,
ixßdXXaiv): es wurde gepfiffen {avQiirsiv), gezischt {tcXw^biv) und gestrampelt
{7iT€Qvoxo7i€Tv). Bei ganz schlechtem Spiel wurden auch, aber wahrschein-
lich nur gegenüber den Darstellern geringerer Rollen, Schläge von den
Zuschauern verlangt und von den Rhabduchen (§ 19) erteilt. Zuweilen
galten die Gefühlsäusserungen einzelnen Theaterbesuchern, aber in erster
Linie natürlich den Schauspielern, die je nach der Art der Äusserungen
triumphierten {svrii.i€Q€h^ oder durchgefallen waren {ixmn%Bi%^\ dass sie aber
auch gegen die Dichtung, bzw. den Dichter gerichtet waren, geht hervor
aus dem Einfluss, den die Zuschauer auf die Preisrichter ausübten (§ 72^),
und ist auch noch besonders bezeugt. Euripides wusste davon zu erzählen.
In einem Nu [uno impetu), sagt Seneca in den Briefen 115, erhob sich
einmal das ganze Theater, um gegen den Spieler und die Dichtung {actorem
et Carmen) loszubrechen, bis Euripides hervorsprang und den Sturm be-
schwichtigte. In ihren Anforderungen waren die Athener aussergewöhnlich
streng, vorzugsweise in Bezug auf reine und deutliche Aussprache: Cicero
rühmt sie wiederholt deshalb. Besonders bekannt ist durch Aristophanes
und anderer Komiker Verspottung das Versehen, das der Schauspieler
Hegelochos beging, als er in Euripides Orestes die Titelrolle übernommen
hatte: statt yaXrjv 6q(ü in Vers 279 verstand man yaXrjv oqco.
2. In Rom ging es womöglich noch lebhafter zu als in Athen. Der
plautische Poenulusprolog belehrt uns unter anderen Nachrichten hierüber;
mag auch manches darin übertrieben sein. Wahres muss doch zu Grunde
liegen, denn ohne Wahrheit kein Witz. Danach sind Störungen des Spieles
nicht ganz selten gewesen. Spätlinge, die hingestellt werden, als ob sie
272 B. Das Bühnenwesen der Griechen nnd BOmer.
den offenbar frühen Anfang des Spieles (§ 34^) verschlafen haben, wurden
durch die Platzanweiser auf ihre Plätze geführt, während der Schauspieler
schon auf der Bühne thätig war; Frauen schwatzten und lachten und Kin-
der schrieen, die von den Wärterinnen mitgebracht waren. Als das Claque-
wesen aufkam, traten andere Störungen hinzu, indem sich die Parteien in
ihren entgegengesetzten Gefühlsäusserungen überboten und dadurch Skan-
dale hervorriefen, grössere allerdings wohl erst in der Kaiserzeit. Es kam
dabei sogar zu Verwundungen und Tötungen, wie unter anderen Tacitus
in den Annalen 1, 77 erzählt. Die Äusserungen des Beifalls {plaudere),
wobei auch Dacaporufen {ndXiv) vorkam, und die des Missfallens {sibilare,
explodere, eicere), die sich wie in Athen vorzugsweise auf die Spieler, da-
neben aber auch auf einzelne Mitbürger, selbst auf den Herrscher, weniger
freilich wohl auf den Dichter bezogen, mussten sich anfänglich auf Klat-
schen, Schreien und Pfeifen beschränken, da Pochen auf den Erdboden
keine Wirkung gethan hätte. Wirkungsvoll, wenn auch nicht ohne Gefahr,
konnte dieses nur sein, als man ein Theater aus Holz hatte. Wahrschein-
lich erst nach und nach waren auch die gestellten Anforderungen hohe
geworden. Klarheit und Deutlichkeit in der Aussprache war auch in Rom
in Ciceros Zeit erste Bedingung. Bei den kleinsten Verstössen, sagt dieser
(zu 2), schreit das ganze Theater. Lieblinge hatten gewisse Vorrechte:
Roscius durfte einmal heiser sein, ohne dass man sich beklagte. Noluit
agere, sagte man dann bloss (Cic. de or. 1, 27, 124), aut crudior fuit. Sein
Schüler zu sein war eine ausschlaggebende Empfehlung.
6. Bbbnhabdt Gnmdriss der griech. Lit. II 2^ 134. A. MOlleb Bühn. 304 ff. (Qber
Hegelochos: 194^ Arist. Ach. 303). Ribbbck 666 ff. Fbibdlasdeb 542 (mehr Sitteogesch.
II). — Zu 2: Cicero Farad. 3, 2 histrio si paulum se movit extra numerum aut st versus
pronuntiatus est syllaba una hrevior aut Umgior, exsihilatur et exploditur. Ähnlich de
or. 3, 50, 196. Or. 51, 173.
B. Formen der Darstellung.
74. Die Teile des Vortrags. 1 . Die darstellenden Künste untei-schei-
den sich von den übrigen in einer wesentlichen Hinsicht dadurch, dass in
der Regel die Person des darstellenden Künstlers eine sichtbare Rolle spielt,
also ein Teil des Kunstwerkes ist. Ausnahmen von dieser Regel sind be-
gründet in besonderen Umständen, wie wenn z. B. ein Ruf oder Gesang
oder eine Musik hinter der Bühne eines besonderen Effektes wegen ertönt.
Ein dauernd unsichtbares Spiel, wie eine Musik im verdeckten Orchester,
war bei dem natürlichen Gefühl der Alten undenkbar. Nach der Teilnahme
der bei der dramatischen Aufführung beschäftigten Darsteller lässt sich
der Vortrag oder die Aktion in drei Teile zerlegen: in schauspielerische,
chorische und gemischte. An der ersten nahmen nur die eigentlichen
Schauspieler und Statisten teil, au der chorischen nur die Mitglieder des
Chores und an der letzten beide. Der Flötenbläser, dessen Thätigkeit im
Drama eine geringere Bedeutung als sonst hatte, war in allen drei Teilen
beschäftigt. Je mehr die chorische Thätigkeit im Laufe der Zeit beschränkt
wurde, desto mehr verschwand diese Dreiteilung, desto mehr fiel insbeson-
dere der gemischte Vortrag weg.
2. Nach der Art des Vortrages {ynoxQici^, actio) bestand jeder dieser
5. Die DarBteUnng. (§ 74.) 273
Teile, wenn auch wahrscheinlich nicht von Anfang an, aus gesprochenen,
gesungenen und parakatalogischen Abschnitten. Die gesprochenen Teile
{inrjj diverhia oder deverhia) wurden deklamiert (Af/fir, xaxaXtysiVj dicere)
in Verbindung mit Körperbewegung. Die Gesangspartieen (jw^Aij, f/jc^««',
cantica) wurden unter Flötenbegleitung gesungen {adeiv^ cantare) und waren
mit mehr oder weniger Tanz verbunden. Es ist nicht unwahrscheinlich,
dass es in der Mitte zwischen diesen beiden Vortragsarten mehrere abge-
stufte Arten gab (Ribbeck 633, Zielinski 288 ff.); doch ist es mit unsern
Mitteln nicht möglich sie festzustellen. Wir fassen daher das, was zwi-
schen dem einfachen Sprechen und dem Gesang liegt, mit einem Namen
zusammen und bezeichnen es mit Parakataloge (^r-};, nqoq x6v avXov xccra-
ksyciv). Im Lateinischen scheint es keine besondere Bezeichnung dafür
gegeben zu haben: unter Canticum im weiteren Sinne verstand man wahr-
scheinlich die Parakataloge mit. Die Parakataloge war natürlich gleich-
falls mit Körperbewegung, zuweilen sogar mit Tanz verbunden und wie
der Gesang von Flötenmusik begleitet.
8. Zu den gesprochenen Partieen gehörten die iambischen Trimeter,
wenn sie nicht in Verbindung mit gesanglichen Teilen standen. Die An-
sicht, dass in allen einfachen Gesprächen der Flötenbläser seine Flöte habe
erschallen lassen, ist mit Recht zurückgewiesen worden (Christ Par. 158 ff.).
Der Hauptgrund, der dagegen spricht, ist bisher noch nicht vorgebracht
worden, und dies ist die Leistungsfähigkeit der Musiker. Der Choreg hatte,
soviel wir wissen (§ 20*), dem Dichter nur einen Flötenbläser zu stellen.
In der Zeit, wo die Aufführung der vier Stücke eines Dichters an einem
Tage stattfand, hätte der Flötenbläser zehn Stunden hintereinander ununter-
brochen thätig sein müssen, wenn er auch Sprechpartieen zu begleiten ge-
habt hätte. Aus der Unmöglichkeit dieser Leistung ist mit Sicherheit
Unthätigkeit des Flötenbläsers während der Sprechpartieen zu folgern.
Wir dürfen wohl noch weiter gehen und sagen: schon von allem Anfang an
gab es Pausen für den Musiker, gab es Deklamation ohne Musikbegleitung;
denn auch ein einzelnes Drama ohne Pause zu begleiten war eine An-
strengung, die über die gewöhnlichen Kräfte hinausging. Was Laert. Dio-
genes 3, 56 von Thespis berichtet, dass er den Schauspieler erfunden habe,
damit der Chor sich erholen könnte, ist wahrscheinlich nur eine Folgerung;
aber ihr liegt eine gesunde Ansicht zu Grunde. Und was vom Chor gilt,
das gilt vom Flötenbläser erst recht. Hieraus folgt, dass auch die trochäi-
schen Tetrameter, die im alten Drama statt der iambischen Trimeter an-
gewendet wurden, ohne Musikbegleitung vorgetragen wurden. Ob auch im
späteren Drama? Es scheint nicht. Der parakatalogische Vortrag hat viel-
mehr vermutlich nach und nach grössere Ausdehnung gewonnen, und so
mögen auch später die Tetrameter parakatalogisch vorgetragen worden sein
(Christ Metrik ^ 680. Par. 165) wie die Anapästen (Ar. Vögel 680) und
andere Versarten, deren Vortrag nach dem Verlust der melodischen
Dichtung nur mehr zu erraten ist. Das römische Drama ist in dieser
Richtung noch weiter gegangen. Gesprochen wurden die einen geringen
Raum einnehmenden Senare, und eigentliche Gesangspartieen waren
wahrscheinlich nur die Einzelgesänge oder Monodieen und die Chor-
Handbuch der klMS. AltcrtamswlaaeDflcbAft V. 3. AbtIg. 1$
274 ^* ^<^ Bflhneiiweson der Griechen und Aömer.
gesäDge der Tragödie; alles übrige gehörte danach ins Gebiet der Para-
kataloge.
WiLH. VON Christ Die Parakataloge im griech. und röm. Drama in den Abhand-
lungen d. bayr. Akad. XIII 3, 155 ff.; Metrik der Griechen nnd Römer*, Lpz. 1879, 675 ff.
0. Ribbeck Rom. Tragödie, Lpz. 1875. Th. Zieunski Die Gliederung der altattischen Ko-
mödie, Lpz. 1885. — Ober diverbium und canticum Ritschl Rhein. Mus. 26 und 27 = Opusc.
III 1 ff. Bergk Philol. 31^^ 229 ff. Die Form deverbium wird empfohlen ausser von
DziATZKO auch von Ribbeck 633.
75. Griechischer Chor im allgemeinen. 1. Einzug, Abzug, Tanz
eines Chores von zwölf oder fünfzehn Mann in der Tragödie und eines
Chores von zwei Dutzend Personen in der Komödie machten eine Gliederung
nötig. Die Leitung hatte der Chorführer. Der griechische Name des
dramatischen Chorführers ist nirgends bestimmt angegeben. Die meisten
Nachrichten beziehen sich auf den kyklischen Chor, dessen Organisation
selbstverständlich nicht massgebend sein kann für die Ermittlung der Glie-
derung des dramatischen. Nur aus einer Vergleichung in Aristoteles Meta-
physik 4, 11, die mit Wahrscheinlichkeit auf den dramatischen Chor zu
beziehen ist, können wir abnehmen, dass der Chorführer Koryphaios und
sein Nebenmann Parastat {naQuaTccrrfi) hiess. Da der tragische Chorführer
in der Mitte eines Gliedes stand, wie unten gezeigt werden wird« so ist
die Folgerung wohl richtig, dass auch der andere Nebenmann Parastat
genannt wurde. Dass aber diese beiden Parastaten eine hei vorragende
Stelle im Chor einnahmen, etwa Unterführer waren, ist aus Aristoteles Ver-
gleichung mit nichten zu schliessen und ebensowenig aus einer anderen
Nachricht in Aristoteles Politik 3, 4 (vgl. Wecklein Jahrb. Suppl. XIU 2160.
2. Eingeteilt war der dramatische Chor in Glieder {(fvoTxoi) und
Rotten iCvyd). Der tragische Chor bestand aus drei Gliedern an-
fanglich zu je vier, später zu je fünf Mann und vier, beziehungs-
weise fünf Rotten zu je drei Mann. Der komische Chor dagegen hatte
vier Glieder zu je sechs Mann und sechs Rotten zu je vier Mann. Ge-
nauer bekannt ist uns nur der tragische Chor zu fünfzehn Mann. Seine
Glieder waren genannt wie die eines lebenden Wesens. Nach Photios war
das linke Glied {agiaTegog atoXxog) den Zuschauern zunächst, das rechte
[Ss^ioq) den Schauspielern. In einem Scholion werden die Mitglieder des
linken Gliedes die ersten des Chores {ot ngdroi tov x^Q^^') genannt. Wir
dürfen also die drei Glieder als erstes (linkes), zweites und drittes (rechtes)
bezeichnen. Beim Chor galt nach jenem Scholion links als das Ehren-
vollere, im Gegensatz zur Ausdrucksweise im Kriegswesen. Hier standen
die schönsten Leute, und der in der Mitte dieses Gliedes stehende Choreut
(o jUfcoroc: rov aQicxsQov) nahm nach Photios die ehrenvollste Stelle ein. Es
kann nicht zweifelhaft sein, dass dies die Stelle des Chorführers war. Seine
beiden Nebenmänner in diesem Gliede hiessen, wie oben bemerkt wurde,
Parastaten und die beiden Flügelmänner wahrscheinlich Tritostaten. Die
in der Mitte befindlichen Choreuten waren nach den Lexikographen die am
wenigsten angesehenen; sie hiessen Laurostaten {XavQa Gasse). Beim tra-
gischen Chor versteht man darunter wohl richtig das ganze zweite Glied.
Bezeichnen wir die einzelnen Choreuten mit kleinen Buchstaben, den Chor-
führer mit einem grossen und nehmen wir, wie im Folgenden immer, oben
6. Die fiarBtellimg. (§ 75.) 275
die Bühne und unten den Zuschauerraum an, so hatte der Fünf-
zehnerchor folgende Stellung.
l m n p = drittes Glied {äQiareQog (ftoTxog),
f g h i k = zweites Glied {XavQotfTciTai),
a h C d e = erstes Glied {ie^iog cFzoTxog).
C ist der Chorführer, b und d sind seine beiden Nebenmänner oder Para-
staten; afl ist die erste Rotte (fvyov), igm die zweite, Chn die dritte, dio
die vierte und ekp die fünfte. — Dieser Stellung des Chores von fünfzehn
Mann wird die des Zwölferchores und des komischen Chores entsprochen
haben, aber zweifelhaft bleibt die Stelle des Chorführers:
4. Glied: t u v w x y
8. Glied: % h l m n o p q r s
2. Glied: c f g h g h % k l m
1. Glied: a B c d a b C d e f.
3. Teilung des Chores in Halbchöre ist nur schwach bezeugt. PoUux
erwähnt Halbchöre: er sagt 4, 107, es scheine, dass Halbchor (ijiu*X<>?'oi'),
Teilung in Halbchöre (dix^gia) und Halbchorgesang {dvTix^Qia) auf ein und
dasselbe sich bezögen; er hat zwar damit vielleicht Recht, aber man sieht
doch zugleich, dass er etwas Sicheres nicht weiss. Diese Angabe nun hat
man ohne weiteres auf den dramatischen Chor bezogen; dem muss man
aber entgegentreten: es kann sein, dass dieser Chor gemeint ist, es kann
aber auch umgekehrt sein. Pollux spricht nämlich vorher allerdings vom
komischen und tragischen Chor, aber zugleich auch vom Knabenchor und
vom Männerchor und erwähnt unmittelbar nach seiner Äusserung über die
Chorhalbierung die Chordrittelung. Diese schreibt er aber, wohlgemerkt,
Tyrtaios zu {TQixoQiav 6^ T. forryor*), der Knaben, Männer und Greise ver-
wendet habe. Wir haben also kein unbedingtes Recht seine Angabe auf
das Drama zu beziehen. Doch dieses zugegeben, handelt es sich bei Pollux
wahrscheinlich nur um eine Ausnahme, um einen Chor, der aus zwei ganz
verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt war (s. u.); für den gewöhn-
lichen aus gleichartigen Bestandteilen zusammengestellten Chor beweist
Pollux Angabe nichts. Und damit stimmt die bei ihm gleich folgende
Nachricht, dass der dramatische Chor in Glieder und Rotten zerfalle {/i^Qi] '
atoTxog, Cvyov), denn aus Pollux Schweigen folgt, dass Halbchöre keine
Teile des dramatischen Chores waren. Dasselbe besagt die sonstige Über-
lieferung: nirgends wird der Halbchöre als einer gebräuchlichen Einrichtung
gedacht; die Lexikographen insbesondere, die doch sonst fast kein Wort
übersehen, wissen nichts von Halbchören. Es sind einzig und allein einige
Überschriften in den Handschriften, bzw. Scholiasten, auf die man sich
berufen könnte; allein es ist allgemein zugestanden, dass diese Angaben
unzuverlässig sind. Ob es eine falsche Lehre ist, auf die sie sich grün-
den, oder ob sie vielleicht aus einer richtigen Lehre entsprossen, aber falsch
angewendet worden sind — an zwei Teile des Chores kann man nämlich
denken in den epeisodischen Zwischenvorträgen des Chores (§ 78) — dies
ist vorläufig nicht zu sagen. Jedenfalls aber können sie für eine regel-
mässige Teilung des dramatischen Chores in Halbchöre nicht beweisend
sein. — Für unsere Folgerung sprechen auch andere Umstände. Hätte
IS*
276 ^* I)^ Bühnenwesen der Griechen nnd Bömer.
eine Teilung des dramatischen Chores regelmässig stattgefunden, so wäre
ein besonderer Führer für den zweiten Halbchor notwendig gewesen; von
einem solchen weiss aber die Überlieferung durchaus nichts (Absatz 1). In
den Zwischenakten ferner ist in der Regel keine Teilung eingetreten (§ 76 f.),
und doch wäre gerade hier die rechte Stelle dafür gewesen. Und wie lässt
sich endlich eine regelmässige Halbchorstellung insbesondere des Fünf-
zehnerchores mit der Meldung (§ 77 ^) vereinigen, dass die Aufstellung des
Chores beim Vortrag (rd räv TQayixciv insdeixvvvxo) eine viereckige war
(iv T6TQaY(6v(i} (SXY'iiiaxi)'^ Augenscheinlich auf keine Weise. — Nur aus-
nahmsweise kam eine Teilung in Halbchöre vor; sie war ohne Zweifel vom
Dichter aus ganz besonderen Gründen vorgenommen. Wir finden zwei
Arten: in Aristophanes Lysistrate stehen sich zwei Halbchöre, der der
Männer und der der Frauen einander feindlich gegenüber, und in Sophokles
Ajas ziehen die früher vereinten Choreuten getrennt nach zwei verschie-
denen Richtungen ab, weil sie so hoffen dürfen Ajas leichter zu finden.
Der zweite Fall, bei dem die Teilung ausserdem etwas Vorübergehendes
war, trat naturgemäss selten ein. Desgleichen aber auch der andere; denn
wenn der alte Erklärer zu Aristophanes Rittern 589 anmerkt, dass eine
Zusammensetzung des Chores aus Männern und Frauen selten vorkam {M(su
6" oTf), wie z. B. in den Vögeln, so ist es selbstverständlich, dass noch
seltener diese Bestandteile räumlich getrennt wurden.
4. Zuweilen trat zu dem regelmässigen Chore noch ein Nebenchor,
wie am Schluss von Aeschylos Eumeniden. Seine Grösse und Gliederung
ist unbekannt. Man pflegt ihn Parachoregema zu nennen (zu § 82).
5. Seine Thätigkeit entfaltete der Chor auf der Thymele. Dies
ist durch Vitruv und Pollux sicher bezeugt. Indessen kamen auch Aus-
nahmen vor. Aristophanes liess ihn ein paarmal hinter der Bühne vor
seinem Einzug in die Orchestra singen, als Musenchor in den Thesmo-
phoriazusen und als Froschchor in den Fröschen, und einmal scheint das-
selbe Euripides gethan zu haben im Hippolytos (R. Arnoldt Eur. 7). Auf
der Bühne erschien der Chor zuweilen im Beginn des Stückes (§ 80); sonst
jedenfalls sehr selten, seltener als man annimmt (A. Müller Bühn. 124 ff.
Philol. 45 85 237 ff.).
Wichtigste Litteratur für §§ 75—80: G. Hebmann, 0. Müller, J. Sommebbbodt s.
§ 6. A. Müller Bühn. 202 ff. — R. Westphal Proll. zu Aeschylos Tragödien, Lpz. 1869.
Chr. Muff Über den Vortrag der chor. Partieen bei Aristophanes, Halle 1872; Die chor.
Technik des Sophokles, Halle 1877 (rez. Hbnsb Jahrb. 117 ^^j. j)^ choro Persarum, F.
Halle 1878; Der Chor in den Sieben des Aeschylos, F. Stettin 1882. R. Arnoldt Die
Chorpartieen bei Aristophanes, Lpz. 1873; Die chor. Technik des Euripides, Halle 1878
(rez. Wbcklein Zeits. f. Gym. 32, 470 ff.); Der Chor im Agamemnon des Aeschylos, Halle
1881. 0. Hense De lonis fab. Eur. partihus chor, 1876; Der Chor des Sophokles, Berl.
1877; Rhein. Mus. 31'' 582 ff. (ABCtragödie des Kallias); ib. 32 "489 ff. (Sophokles). W.
V. Chbist Metrik*; Teilung des Chors im attischen Drama, Abh. bayr. Ak. XIV 198 ff.;
Parakataloge. ib. XIII 155 ff. Myriantheus Die Marschlieder des griech. Drama, Manchen
1873. N. Wecklein Jahrbücher für Phil. Suppl. XIII 215 ff. (Aeschylos). Th. Ziblinski
Die Gliederung der altattischen Komödie, Lpz. 1885. — Zu 1: Aristot. Metaph. 4, 11 {n^o-
tega xai vareg«) . . . t« cff x«r« ta^ty (nur Stellung, nicht Rang), ravra d* icrly oaa
TtQog XI ey (OQiOfieyoy didaitjxe x«r« roy Xoyoy, otoy nagaatatt^g rgito<ndtov ngoregoy, xai
TtagayiJTt] y/jTtjg ' ey^ft juiy yag 6 xogvffttTog, ly&a (ff »; /UfV/; agxV- — Zu 2: Pollux 4, 108
f-tigvi &€ x^gov axoT^og X(a ^vyoy . x(d rgayixov fikv /ogov ^vya -nevxe ix xgmy xai axoT^oi
XQ€is ix niyie . . . 109 o de x(Ofiix6g /o^o; xivxageg xai $ixociy ^cay ol xogevrai, ivyti i^,
5. Die DarBtellnng. (§ 76.) 277
fxacToy di Cvyop ix tBTXaqiav. tnoTxo^ \fk Thragegf Ö ay&Qag ex(oy ixaaros ctotxog, Phot.
tQiTog (iQiarsQov * iy toTg xqayixolq /of orf XQuay oyrtoy (rroixtoy xal ^niyrey ^vytoyf 6 /uey
ttQMTSQog ngog rai ^edt^tp rjy (vom Einzug ist hier keine Rede), o di &B^i6g ngog rta tiqo-
(fxtjyito . avyißaiyey ovy toy /At<roy tov «Qnnegov axolxov rijy iyriuoraTfjy xal rrjy oioy xov
ngtotoardrov /w^ai' inix^ty xal aräciy. Schol. Aristid. 3 p. 535 Dind. ore ydg eüffieüay
ol x^^*- ^^«/'«fff ßadi^oyreg . . . eixoy rovg d^earag iy dQi4rt€Q^ avitoy xal ot ngtotoi ror
X^gov dQUfTSQoy ineTxoy . . . etxa inei&ij iy fiky xoTg xogoTg t6 evtayv/noy xifÄuSxeQoy, iy
de xoFg noXifioig x6 de^ioy. Vgl. Hesych. aQiaxBQoaxdxTjg ' 6 nQtoxoirxdxfjg.
76. Vortrag der Farabase. 1. Die Zwischenakte der alten Ko-
mödie wurden durch chorische Vorträge gerade so ausgefüllt wie die der
Tragödie. Ein grosser Teil des chorischen Zwischenspieles der Komödie
weicht im wesentlichen nicht ab von dem der Komödie und soll deshalb
zugleich mit diesem im nächsten Paragraphen zur Besprechung kommen.
Ein Teil aber ist ganz eigentümlich, und dies ist die Parabase. Da die
Lehre von der Dichtung in unserer Darstellung wegfallt, so düifen hier
ein paar Worte über den Bau der Parabase nicht fehlen. Die Parabase,
die ursprünglich den Schluss des Dramas bildete (Zielinski 184 f.), diente
dem Dichter dazu, mittels des Chores eine Ansprache an die Zuschauer zu
halten. Sie bestand, wenn sie vollständig war, aus zwei Hauptteilen. Der
erste enthielt die eigentliche Ansprache an die Zuschauer, Parabase im
engeren Sinne. Ihr voraus ging eine Einleitung, meist aus einem Nachruf
an die abtretenden Schauspieler oder einer Aufforderung an die Choreuten
oder aus beidem bestehend, und den Schluss bildete ein Epilog, eine ener-
gische Nutzanwendung der in der Parabase entwickelten Gedanken (1. xofi-
iiduovy 2. nagaßaaig, 3. iiaxQov oder nvTyog). Im zweiten Hauptteil fand
sich ein Strophenpaar, das durch eine Anrede an die Zuschauer getrennt
und durch eine andere abgeschlossen war (4. atQOifrj^ 5. iniQQti^ia^ 6. «it/'-
axQOffoq^ 7. ävTenfQQTjfia).
2. Aus den angewendeten Versmassen und aus dem Namen der Teile
darf man mit grosser Wahrscheinlichkeit schliessen, dass nur das Strophen-
paar für Gesang und Tanz bestimmt war, die übrigen Teile dagegen für
parakatalogischen Vortrag. Schwierigkeit macht nur die Frage nach den
vortragenden Pei'sonen, mit der die Frage nach der Chorstellung eng
verknüpft ist. Wir beginnen mit der letzteren. Zwei Stellen, die auf eine
einzige gute Quelle zurückgehen, belehren uns ziemlich genügend. Danach
verliess der Chor bei Beginn der Parabase seine herkömmliche Stellung
{vevofXKTfiävrj atcitrig), d. h. ohne jeden Zweifel die, welche er vor dem Zwi-
schenakte, während des Epeisodions inne hatte, um eine andere, den Zu-
schauern gegenüber {xaravTixQv xov x^forgov) einzunehmen. Hierbei hatte
er eine Schwenkung zu machen (iaTqätfsxo) und kam dann in die Stellung
zu vier Gliedern [iyivovxo axoixoi 6'; iiff^rfi ftrxoixeg), das Gesicht nach der
Mitte des Zuschauerraumes zu gewendet {ngog xovg 0-savdg ßXtnovxeg). Es
ist dies die Stellung, die in Absatz 2 des vorigen Paragraphen angegeben
ist. Nach Vollendung des Vortrages schwenkte der Chor in seine frühere
Stellung zurück, d. i. in die, welche er vor Beginn der Parabase inne hatte.
Eine Teilung des Chores ist in diesem Bericht mit keinem Worte ange-
deutet; sie geht auch nicht hervor aus dem Scholion zu den Wolken 563:
aus diesem kann man höchstens entnehmen, dass bei dem Vortrag der
Strophe der ungeteilte C'hor sich tanzend nach der einen Seite des Zu-
278 B* ^&B Bühnenwesen der Gtrieohen and Bömer,
Schauerraumes hin bewegt habe und darauf beim Vortrag der Gegenstrophe
nach der andern Seite hin.
3. Hiernach haben wir uns den Vortrag der Parabase so zu denken,
dass die Strophen vom Gesamtchor gesungen, die übrigen Teile vom Chor-
führer parakatalogisch vorgeführt wurden. Die neueren Forscher nehmen
für die Strophen fast alle Gesang der Halbchöre an, ohne den entgegen-
stehenden Zeugnissen gerecht zu werden. Den Vortrag der parakatalogi-
schen Partieen weisen die meisten dem Chorführer (im ersten Hauptteil)
und den beiden Halbchorführern (im zweiten Hauptteil) zu, während ein
Forscher (v. Christ) in diesen Teilen die sechs Vordermänner des Gesamt-
chores, bzw. die beiden Vorderreihen der Halbchöre in Thätigkeit sein lässt.
Reiche Litteratur bei R. Abnoli>t Die Chorpartieen bei Aristophanes, Lpz. 1873,
140 ff. W. y. Chbist Die Teilung des Chores im attischen Drama, Abhandlangen bayr.
Akad. I. Cl. Xiy Abt. II; Metrik« 665 ff. — Zu 2: Schol. Arist. Frieden 733 na^aßaaty
ixttXovy dno rov naqaßaiyBiy toy x^9^^ ^^^ ^^^ ysyofjuauiytjg <ndüB(oq Big ttjy xataynxQv
rot* ^Bax^ov oipiy, Sttotb ißovXeto 6 noifjf^g (fiaXBX^yai r* ||ai r^g vno&äcetog äyev rtay
vnoxQirdüy ngog ro d-Boxqov di^d rov X^Q^^ ' itnqitpBto &h 6 x^Q^S xal fyiyovxo aroTxoi iT.
Bira dcBk&oyreg Jrjy xaXovfieyrjy na^aßaaiy iffxoi(poyxo ndXiy eig ttjy nqoxiqay atdaiy. Schol.
Arist. Ritter 508 XiyBrai (fi na^aßaaig ijroi iuBidtj dnrjxtai trjg aXkrig vno&iuBtog 17 inei&ij
nagttßalyBi 6 x^Q^^ '^^^ ronoy, i<ndai fiky yd^ xccrd <notxoy ngog xrjy oqxv^Q^^ (Bühne)
dnoßiXinoyxBg • öray &i ifagaßwaty, itpB^g iaTuireg xal ngog tovg &Batdg ßXinoyxBg toy
Xoyoy noiovyxai. Die gemeinsame Quelle wird aus Suidas bewiesen: dieser bietet nämlich,
was im Schol. Ar. Ri. steht und ausserdem den letzten Satz von Schol. Ar. Frieden. Vgl.
Hephaestion p. 71 xaXBixai ^h nagdßaaigj inec&tj eüreX&oyxeg Big ro &iax^oy (Parodos) xai
dyri^nqoütonoy dXXriXoig cxdyxeg (Epeisodion: s. § 78) ol /o^svrac nagißaiyoy xtd eig ro
^e'argoy dnoßXinoyxBg eXByoy r$ya. Anders urteUen G. Hermann Op. VI 2, 159 f. und R.
Arnoldt 192. 188.
77. Vortrag der Stasima. 1. In den Zwischenakten der Tragödie
wurden mit ganz vereinzelten Ausnahmen, auf die hier nicht eingegangen
werden kann, vom Chor Lieder gesungen, die Stasima genannt wurden.
In der alten Komödie waren es neben den Parabasen (§ 76) wahrscheinlich
auch nur Stasima, die in den Zwischenakten zum Vortrag gelangten. Die
Stellung des Chores während des Vortrages dieser Lieder ist leider nir-
gends bestimmt angegeben. Die neueren Forscher haben verschiedene Ver-
mutungen geäussert, ohne indess zwingende Gründe vorzuführen. Zwei
Umstände gewähren einigen Anhalt. Zunächst die Chorstellung in der
Parabase. Wie die Parabase ist das Stasimon ein Zwischenaktslied, und
da der ähnliche Zweck auf ähnliche Form schliessen lässt, so dürfen wir
voraussetzen, dass die Choreuten während des Vortrags der Stasima in
Gesamtstellung (§ 75 ^) standen, und zwar mit dem Gesicht nicht den Zu-
schauern, die ja nur in der Parabase berücksichtigt wurden, sondern den
Schauspielern zugewendet. Beweiskräftiger ist der zweite Umstand. Gesamt-
stellung ist bezeugt nur für den Einzug des Chores (§ 79). Aber der Ein-
zug war schnell vorbei und ging zudem nicht immer in der oben § 75^
besprochenen Stellung vor sich. Deshalb ist es unglaublich, dass die Be-
nennung der Teile des Chores nur von dem Chor in seiner Marschstellung
hergenommen sei. Es muss, so dürfen wir folgern, eine Gesamtstellung des
Chores auch sonst eingetreten sein. Mit dieser Folgerung steht im Einklang
die Angabe des Photios (zu § 75^ tjv) und die viereckige Aufstellung, die dem
Chor während seines Vortrags zugeschrieben wird (Bekkeb An. 746, 27).
Die Gesamtstellung trat nun aber nicht ein während der Akte (§ 78),
5. Die DarBtellnng. (§ 77—78.) 279
folglich kann sie nur angenommen werden während des Vortrages der
Stasima.
2. Aus dieser Folgerung entspringt eine andere für den Vortrag.
Wenn nämlich in den Stasima eine Teilung des Chores nicht eingetreten
ist, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Strophen und Oegenstrophen
abwechselnd von Halbchören gesungen wurden. Zu dem gleichen Ergebnis
haben die Untersuchungen geführt, die neuerdings über die Vortragsweise
der euripideischen (R. Abnoldt) und äschyleischen Stasima (Wecklein)
angestellt worden sind. Es darf aber hier nicht unerwähnt bleiben, dass
sehr verdiente und feinsinnige Mitforscher zu einem gegenteiligen Ergeb-
nisse gelangt sind (v. Christ, Hense, Muff).
3. Der Vortrag der Stasima geschah sehr wahrscheinlich unter Tanz-
bewegungen. Zwar geben eine Reihe alter Schriftsteller an, dass der Chor
die Stasima stehend gesungen habe; doch beruht diese Angabe ohne Zweifel
auf einer falschen Etymologie des Namens. Stasimon heisst sicher nicht
Stehlied, wie jene meinen. Das Wort ist wahrscheinlich alt, nicht erst
in später Zeit aufgekommen, denn seitdem es ein Drama gab, waren wie
Einzugslieder so auch Zwischenaktslieder da, und mit der Namengebung
kann man unmöglich Jahrhunderte lang gewartet haben. Mag nun Sta-
simon Zwischenaktslied bedeuten oder nicht, jedenfalls steht es nur im
Gegensatz zu Einzug und Auszug, nicht im Gegensatz zu Tanz, sodass
Tanzbewegungen von ihm nicht ausgeschlossen werden dürfen. Wollte man
das, so müsste man von der früheren Tragödie, in der Zwischehlieder
ausser den Stasima jedenfalls etwas ganz Seltenes waren, den Tanz so gut
wie ganz ausschliessen. Dies zu thun verbietet aber die Überlieferung,
nach welcher die ältesten Tragiker von ihrer scheinbar bedeutendsten Thä-
tigkeit geradezu Tänzer genannt wurden.
4. In den Zwischenakten der späteren Komödie, in der wahr-
scheinlich nur ein kleiner Chor zur Verfügung stand, war die Thätigkeit
dieses Chores natürlich eine ganz andere. Wir haben schon oben § 20^
die Vermutung ausgesprochen, dass mehr das musikale-mimische Element
zur Geltung gekommen sein wird, weniger das gesangliche. Noch einen
Schritt weiter ging die römische Komödie (§81 *).
78. Epeisodischer Zwischenvortrag. Wie im neueren Drama so
zerfielen im alten die Akte oder Epeisodien in Auftritte. Die Pausen, die
hier manchmal aus zwingenden Gründen eintraten, wurden durch chorische
Thätigkeit ausgefüllt. Daneben gab es auch kleinere Pausen, wie z. B.
nach längeren Reden der Bühnenpersonen; auch sie wurden durch kleine
Zwischenbemerkungen des Chores verdeckt. Endlich kam es auch vor,
dass vom Zwischenaktslied oder einem andern Lied zur Handlung und um-
gekehrt ein kleiner chorischer Vortrag überleitete. Alles dieses fassen wir
unter epeisodischem Zwischenvortrag zusammen.
1. Die Stellung des Chores war, wie schon angedeutet wurde, in
den Epeisodien eine andere wie beim Einzug oder während des Vortrages
der Stasima. Wir werden hierüber mit hinreichender Sicherheit durch die
zu § 76^ angeführten Stellen belehrt; der Unglauben, den sie gefunden,
280 ^' ^<^ BtÜinenwesen der Griechen und Bömer.
ist nur aus Voreingenommenheit zu erklären. Sie berichten von der Para-
base und der Stellung, welche der Chor vor dieser inne hatte. Da eine
Parabase niemals einem Stasimon unmittelbar folgt oder vorhergeht, so
kann nur diejenige Stellung gemeint sein, in welcher der Chor sich wäh-
rend eines Aktes befand, d. h. die Epeisodienstellung. Wir erfahren, dass
vor der Parabase nicht vier Glieder da waren (aroTxoi S' Schol. Fri.), dass
die Choreuten nicht hintereinander aufgestellt waren {€g)€^rjg ectfatsg Schol.
Ri.), dass sie vielmehr reihenförmig {xaTci aroTxov Schol. Ri.) nach der
Bühne blickten und dass sie einander gegenüber standen {MtmQoaconov
dXXijXoig cxdvrfg Heph.). Auf die letztere Stellung deutet auch Xenophon
(An. 5, 4, 12 xoQoi ävTi<rroixovvT€g). Sich gegenüber stehen und nach der
Bühne blicken konnten sie aber nur dann, wenn sie sich in einem gewissen
Abstand von einander befanden, wenn sie sozusagen den Spielplatz der
Schauspieler von zwei Seiten einschlössen. Mehr erfahren wir aus den
Zeugnissen nicht, und Vermutungen wollen wir lieber zurückhalten. Es
sei nur noch darauf aufmerksam gemacht, dass diese durch Zeugnisse be-
legte Epeisodienstellung des Chores vor jeder anderen schon deshalb den
Vorzug verdient, weil bei ihr die Möglichkeit ausgeschlossen war, dass ein
Choreut über die Köpfe seiner Genossen hinweg mit Bühnenpersonen zu
verhandeln hatte. — Für die Epeisodienstellung der Tragödie fehlen sichere
Zeugnisse; allein es scheint geradezu undenkbar, dass sie von jener der
Komödie dem Grundgedanken nach abgewichen sei.
2. Von den Zwischenvorträgen des Chores während der Epeisodien
sind nach den beteiligten Personen zwei Arten zu unterscheiden: solche,
bei denen mehrere Choreuten beteiligt waren, und solche, die dem Chor-
führer allein oblagen. Jene kamen vor in der verschiedensten Gestalt und
wurden dementsprechend auch in der verschiedensten Weise vorgetragen.
Es waren Gesänge, parakatalogische Partieen und Gespräche, an denen zu-
weilen der Chor in seiner Gesamtheit, öfter aber Teile des Chores, wahr-
scheinlich die beiden sich gegenüberstehenden Hälften, dann aber auch
einzelne Choreuten, in Sprechpartieen ausnahmsweise sogar alle nach ein-
einander teilnahmen. Welche Personen jedesmal vorzutragen hatten, ist
natürlich schwer zu sagen, denn es ist nur aus dem Sinn und dem Vers-
mass zu erschliessen, da die Chorstellung keinen Anhalt gewährt und zu-
verlässige Nachrichten fehlen. Der Fälle, in denen mit Sicherheit auf ab-
wechselnden Einzel Vortrag sämtlicher Choreuten geschlossen werden kann,
gibt es nur wenige; ganz sicher ist nur einer: die Beratungsscene wäh-
rend des Mordes in Aeschylos Agamemnon. — Tanzbewegungen fehlten
auch in den gesanglichen Zwischen vortragen nicht; sie waren sogar teil-
weise sehr lebhaft, je nach der gehobenen Stimmung, welche die Handlung
für den Chor mit sich brachte, wie z. B. in Sophokles Trachinierinnen 205
und Antigene 1105.
3. Die Zwischenreden des Chorführers waren entweder kurze
Bemerkungen nach einer längeren Rede einer Bühnenperson oder Ankün-
digungen einer neu auftretenden Person, auch Abschiedsworte an eine ab-
tretende, oder endlich Anrufungen der Götter und Aufforderungen an den
Chor. Die kurzen Zwischenverse sind meist iambische Triraeter, sie wurden
5. Die Darsiellimg. (§ 79.) 281
also einfach deklamiert. Dagegen bestehen umgekehrt die Ankündigungen
und Aufforderungen gewöhnlich aus Anapästen. Während des parakata-
logischen Vortrages derselben traten die Bühnenpersonen auf, bzw. auch
ab und nahm der Chor oft eine andere Stellung ein.
79. Chor im gemischten Vortrag. 1. Es ist gegenwärtig unbe-
stritten, dass die im gemischten Vortrag dem Chor zufallenden gespro-
chenen Partieen nicht vom Gesamtchor vorgetragen wurden, sondern von
einem einzelnen Choreuten. Kaum zweifelhaft kann es sein, dass dieser
Einzelchoreut der Chorführer war, der allein im Namen des Chores zu
sprechen das Recht hatte. Nicht als Ausnahme ist es anzusehen, wenn
eine vollständige Teilung des Chores eingetreten war, wie in der Lysistrate;
denn in diesem Falle gab es zwei Chöre und zwei Chorführer und von
jedem von ihnen galt dann, was sonst von dem einen Chor und dem einen
Chorführer galt. Uns erscheint es als Willkür, wenn die gesprochenen
Partieen an den Chorführer und seine Nebenmänner verteilt werden, denn
eine Nötigung dazu liegt nicht vor und von einer hervorragenden Bedeu-
tung der Nebenmänner ist nichts bekannt (§ 75 ^). Denkbar wäre es, dass
einmal ausnahmsweise sämtliche Choreuten nach einander zum Wort ge-
kommen wären; doch ist auch dieser Fall nicht sicher nachweisbar.
2. Wo der Chor in eine gewisse Erregung gerät, wo sich das Ge-
spräch zu parakatalogischem Vortrag und Gesang steigert, da hat man
häufig Verteilung des Vortrages auf Einzelchoreuteu oder Chorteile vorge-
nommen. Es ist nicht zu leugnen, dass diese Vortragsweise den lebhaften
Gefühlsausbrüchen manchmal recht angemessen erscheint; doch darf man
in der Verteilung nicht zu weit gehen. In der Regel wird auch hier der
Chorführer allein thätig gewesen sein, abwechselnd zuweilen mit dem Ge-
samtchor. Wo eine Zweiteilung angezeigt erscheint, darf man an die in
den Epeisodien sich gegenüberstehenden Abteilungen des Chores (§ 78 ')
denken. Wer eine noch grössere Teilung voraussetzt, wird die Mitglieder
des besten Gliedes (§ 75 2) heranziehen. Schwerlich zu billigen ist die Ver-
teilung einer gemischten parakatalogisch oder gesanglich vorgetragenen
Partie an sämtliche Choreuten, und zwar besonders aus folgenden Gründen.
Einmal ist eine solche Verteilung nicht bestimmt überliefert; denn Eallias
ABCtragödie, aus der man einen Beweis gefunden zu haben glaubt (Hense),
kann nicht entscheidend sein. Ferner scheint es unglaublich, dass die Ein-
heit oder die Einheiten der Melodie, durch welche ohne Zweifel die ge-
mischte Partie zusammengefasst war, auf so grausame Weise durch Einzel-
vortrag sollte zerhackt worden sein. Endlich, für uns entscheidend ist
der Umstand, dass es gute und weniger gute Choreuten (§ 75 *), also auch
gute und weniger gut« Sänger unter ihnen gab. Aus diesem Umstände
folgt nämlich, dass nicht sämtliche Choreuten geeignet waren schwierige
Solopartieen zu übernehmen. Wenn dies nicht aus der Überlieferung zu
schliesseil wäre, müsste es uns die Überlegung sagen; denn es waren ge-
wöhnliche attische Bürger, aus denen sich die dramatischen Chöre zusammen-
setzten, und es waren ihrer eine grosse Zahl: 36 bis 45 im tragischen und
72 im komischen Wettkampf; dass aber jeder von ihnen so eingeübt wie
282 B. Das Bühnenwesen der Qrieohen und Römer.
ein Schauspieler, jeder von ihnen zu Einzelgesang beföhigt gewesen sei,
dies dürfen wir mit vollster Zuversicht verneinen.
80. Einzug, Auszug. 1. Der Einzug (ndQoiog) wie der Auszug
{a(fodog) des Chores und ebenso, wenn es notwendig war, sein Abtreten
vor Schluss des Stückes (fierMtamg) und sein Wiedereintritt (ininaQodog)
geschah unter Vorantritt des Flötenbläsers in der Elegel durch einen der
Orchestraeingänge. Da diese Eingänge typische Bedeutung hatten (§53^),
musste der Chor, wenn er aus Bewohnern der Stadt bestand, welche den
Schauplatz der Handlung abgab, oder wenn er zur See ankam, durch den
Eingang einziehen, welcher den Zuschauern rechts lag; kam er dagegen
zu Lande aus der Fremde, so fand der Einzug durch den andern Eingang
statt. Es lag in der Natur der Sache, dass der erste Fall der gewöhn-
liche war; und daher erklärt es sich auch, dass die alten Schriftsteller nur
den Einzug des Chores durch den rechten Orchestraeingang berücksichtigen.
Ausnahmsweise erschien der Chor zuerst auf der Bühne, z. B. in Aeschylos
Prometheus und Eumeniden, und stieg erst nach Beendigung seines ersten
Vortrages herab. Nach der gewöhnlichen Annahme wurde der Eumeniden-
chor auf dem Ekkyklem herausgedreht (§ 55 9, der Okeanidenchor im Pro-
metheus dagegen auf einer Flugmaschine herabgelassen. Das letztere dürfte
zu bestreiten sein, trotzdem die Worte des Dichters darauf zu führen
scheinen. Wenn nämlich in späterer Zeit bei entwickelter Bühnentechnik
die Maschine nicht allzusehr belastet werden durfte (§ 57 >. 53 ^), so kann
auch in Aeschylos Zeit der zwölf Personen starke Chor eine solche Ma-
schine nicht benutzt haben; er wird also links vom Schauspieler in einer
weniger auffallenden Weise erschienen sein, sodass Prometheus Worte bei
Aeschylos als dichterischer Ersatz des nicht darstellbaren Herabschwebens
der Okeaniden aufzufassen sind.
2. Der Einzug fand gewöhnlich in der Gliederstellung statt, und
zwar so, dass entweder die Choreuten jedes Gliedes {xaTci txtoixovg) oder
die Mitglieder jeder Rotte (xatd C^yä) hintereinander marschierten. Zwar
wird dies ausdrücklich nur vom tragischen Fünfzehnerchor berichtet, doch
liegt nicht der geringste Grund vor für die beiden anderen Chöre einen
abweichenden Einzug vorauszusetzen. Die Stellung des Chorführers war
beim Fünfzehnerchor, wenn dieser fünf Mann tief (xard txtoixovg) einzog,
in der Mitte des links marschierenden ersten Gliedes (§ 75*). Seine Stel-
lung für den Fall, dass der Chor drei Mann tief (xatd f vycr) einmarschierte,
wird nirgends bestimmt angegeben, es erscheint uns aber als Willkür ihm
seine Stelle in der Mitte des ersten Gliedes zu nehmen und in der Mitte
der links marschierenden Rotte anzuweisen, wie es allgemein geschieht.
Danach dürfen wir für die einziehenden Chöre folgende Stellungen als
regelmässige annehmen (vgl. § 75^):
(Bühne oben, Zuschauerraum unten, Marsch nach links):
t u V iv X y
l m n p i h l m n o p q r s
f g h i /.• ('. f g h g h i k l m
a h r f/ r. a B cd a h C d e f
5. Die Darstellimg. (§ 80.)| 283
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3. Der Einzug oder Abzug des Chores fand ausnahmsweise auch
in anderer als in der eben besprochenen Weise statt. Ausdrücklich er-
wähnt wird von PoUux nur ein Ausnahmsfall, bei welchem jedes Mitglied
des Chores einzeln (xa^* i'va) einzog. Es kamen aber auch andere Aus-
nahmen vor. So zogen die von Anfang an durch das ganze Stück geteilten
Chöre der Männer und Frauen in der Lysistrate getrennt ein. Getrennt,
und zwar von zwei verschiedenen Seiten kommend, zog auch der Chor in
Sophokles Ajas bei seinem Wiedereintritt {inmotQodog) ins Theater ein.
In den Troerinnen endlich liess Euripides mit fadem Kunstgriff einen Teil
des Chores voraus einziehen und den anderen erst folgen, als er herbei-
gerufen worden war. Es mögen noch andere Einzugsformen vorgekommen
sein, wie aus Aeschylos Schutzflehenden und Sophokles Oidipus in Eolonos
zu schliessen ist; denn es scheint kaum bestreitbar, dass in diesen Stücken
nicht der reine Einzeleinzug, den Pollux andeutet, anzunehmen ist, sondern
ein gruppenweiser Einzug.
4. Der Teil des Dramas, in dem der Einzug des Chores stattfand,
hiess Parodos. In Rücksicht auf die Darstellung lassen sich in der Tra-
gödie zwei Arten unterscheiden: die chorische, vom Chor allein vorge-
tragene Parodos und die gemischte Parodos, an welcher sich Bühnenpersonen
beteiligten. Der Einzug des Chores bei chorischer Parodos geschah in
der Regel während des ganzen Vortrages oder im Beginn desselben. In
der älteren Tragödie dienten dazu besonders die dem lyrischen Teil vor-
ausgehenden anapästischen Systeme. Dass diese vom Chorführer allein
parakatalogisch vorgetragen wurden, ist die fast allgemeine Ansicht, der
man nur zustimmen kann. Der Einwand nämlich, dass der Einzelgesang
nicht zum Marsch geeignet sei, ist nicht stichhaltig für den, der da weiss,
dass der Chor gar nicht selten während der anapästischen Monodie einer
Bühnenperson seinen Einzug gehalten hat. Die verschiedene Ausdehnung
der Marschanapäste deutet auf längeren und kürzeren Marsch des Chores ;
doch da die Grösse der Thymele (§ 54 ^) unbekannt ist, lässt sich etwas
Genaueres über den Marsch nicht feststellen (§ 85 ^). Sophokles Antigene macht
von der früheren Gewohnheit insofern eine Ausnahme, als sich Anapäste
zwischen den lyrischen Strophen finden; hieraus ist zu schliessen, dass
bei jeder Strophe gehalten, bei den Anapästen aber weitermarschiert wurde.
Der strophische Teil der Parodos wurde in der Regel vom Gesamtchor
gesungen, und zwar, soweit nicht marschiert wurde, unter Tanzbewegungen.
An Gesang der Halbchöre darf man nur dann denken, wenn der Einzug
des Chores in Halbchören erfolgte; dies geschah aber nur ausnahmsweise
(Absatz 3) und gar nicht bei chorischer Parodos. — Die eben besprochenen
Parodoi haben, vom Marsch und von der anapästischen Einleitung abge-
sehen, eine gewisse Ähnlichkeit mit den Zwischenaktsliedem (§ 77), denn
284 B. Das Bühnenwesen der Griechen und Römer.
wie diese wurden sie vom Gesamtchor in der Gliederstellung vorgetragen.
Hiervon unterscheiden sich einige euripideische, die mehr Ähnlichkeit mit
den epeisodischen Zwischenliedern des Chores (§ 78^) haben, indem bei
ihrem Vortrag Teile des Chores thätig waren, in den Schutzflehenden die
Mütter und die Dienerinnen und in der Alkestis einzelne Choreuten ver-
mutlich des ersten Gliedes (vgl. R. Arnoldt Eur. 153 flF.). — In der ge-
mischten Parodos der Tragödie zeigte sich der Chor in einer Thätigkeit,
die fast ganz seinem Thun in der gemischten Aktion (§ 79) entsprach: der
Chor zog ein meist während eines Vortrages einer Bühnenperson; Chor-
führer, Einzelchoreuten, auch der ganze Chor beteiligte sich am Vortrag.
Es trat somit im Gegensatz zur chorischen Parodos in der gemischten eine
lebhaftere Handlung ein. — Dies war wahrscheinlich auch der Grund, dass
die gemischte Parodos in der Komödie fast alleinherrschend wurde und
dass in den seltenen Fällen, wo die chorische Parodos zur Anwendung
kam, ein grösserer Wechsel im Vortrag eintrat, wie z. B. in den Wespen.
Auf die zahlreichen einzelnen Formen kann natürlich hier nicht eingegangen
werden. Es sei nur noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die von
Mitforschern vorgenommene Verteilung der Chorpartieen unter sämtliche
Choreuten in der gemischten Parodos der Komödie gerade so wenig unsern
Beifall finden kann wie die im gemischten Vortrag (§79*) überhaupt.
5. Der Auszug {ä(foiog) des Chores fand natürlich durch den Or-
chestraeingang statt, der gemäss der typischen Bedeutung zu dem vom
Chore erstrebten Ziele führte. Gewöhnlich wird also hierzu wie zum Ein-
zug der den Zuschauem rechts liegende Orchestraeingang benutzt worden
sein. In beiden Fällen war wahrscheinlich die Chorstellung die gleiche
wie beim Einzug, d. h. so, dass das erste Glied den Zuschauern zunächst
marschierte. Wie beim Einzug scheint auch beim Auszug ausnahmsweise
eine Teilung des Chores eingetreten zu sein: einmal wenigstens begegnet
uns dieser Fall in Aeschylos Sieben, wo die eine Chorhälfte die Leiche des
einen Bruders, die andere die des andern geleitet. Der letzte Akt des
Dramas, an dessen Ende der Chor die Thymele verliess, hiess Exodos.
Ursprünglich war die Exodos wahrscheinlich ein Lied, bei dessen Schluss
der Chor auszog. Den Rest einer solchen Exodos möchte man in Aeschylos
Schutzflehenden erkennen, denn dies Stück wird durch ein mehrstrophiges
Lied beschlossen, an dem wohl ein Nebenchor beteiligt war. Später scheint
bei Aeschylos nur das dritte Stück einer Trilogie durch einen längeren
Vortrag des Chores (Sieben), bzw. Nebenchores (Eumeniden) beendet worden
zu sein, während im ersten und zweiten Stück der Trilogie der Chor unter
parakatalogischem Vortrag weniger anapästischer oder trochäischer Verse
seitens des Chorführers (Choephoren) oder einer Bühnenperson (Agamemnon,
Prometheus) seinen Platz aufgab. In sophokleisch-euripideischer Zeit war
die Regel in der Tragödie die, df^s der Abzug des Chores stattfand, in-
dem der Chorführer die meist aus einem kurzen anapästischen System
bestehenden Schluss verse {i^odiov iitXog) parakatalogisch vortrug. Ganz
abweichend von dieser Einförmigkeit war das Verfahren in der älteren
Komödie. Wenn man alles Nötige berücksichtigt, darf man kühn behaup-
ten, dass kein Schluss dem andern glich. Selbst tanzend Hess Aristophanes
ft Die Darstellang. (§ 81-81) 285
den Chor abziehen, was nach des Dichters eigenem Zeugnis in den Wespen
1536 sonst keiner gewagt hatte.
Zu 2: Pollux 4, 109 xal xatd XQBTg fi^y tiajjeffayy si xard Cvyd yiyoiro tj nuQodog *
ii di xard aroixovg, «yti Tttyts eürfiefftey, ^<f&' or« <f^ x«« x«^* tyte inoiovvto rtjy
ntigodoy. Vita Aeschyli riyig dt <paaiy iy rp fTfidei^ei Tttiy EvfjLByldtay anogadt^y siaaya-
yoyja xoy X^^*' Tocovxoy ixnXij^M loy drjfioy tag xd fiky yrjnia ixiffv^ai, xd di SfißQVtt
i$ttußXü)9ijyai. Diese Angabe bezieht sieb, wenn überhaupt etwas Wahres an ihr ist, viel-
leicht auf die Vorfeier (§ 70).
81. Der römische Chor. 1. Ein Chorführer (magister chori) stand
an der Spitze des römischen nur in tragischen Aufführungen (§ 38 ^ thä-
tigen Chores. Die Anzahl der Mitglieder wird nicht angegeben; man ver-
mutet (Ribbeck), dass sie je nach Bedürfnis gewechselt habe. Jedenfalls
dürfen wir voraussetzen, dass sie, wenn überhaupt, dann doch selten jener
des griechischen tragischen Chores gleichgekommen ist. Hierzu berechtigt
die berufsmässige Ausbildung der Mitglieder und der Ort ihrer Thätigkeit.
Der Schauspieldirektor nämlich wird gewiss die Zahl der technisch gebil-
deten Mitdarsteller, um an Kosten zu sparen, soviel als möglich verringert
haben, die römische Bühne aber, auf der allein der Chor zu thun hatte,
war im allgemeinen schwerlich tiefer als die griechische (§ 50 ^), also für
die Aktion eines Chores von fünfzehn Mann wenig geeignet.
2. Seine Aufstellung und Thätigkeit ist nur ungenügend bekannt.
Dass er auf- und abgetreten sei während des Stückes, ist nicht zu bezwei-
feln (IIibbeck), und auf ein zuweilen lebhaftes Eingreifen in die Handlung
lässt schon der Standplatz schliessen, den er mit den Schauspielern teilte.
Im allgemeinen indessen dürfen wir die Thätigkeit des Chores inmitten der
Akte nicht zu gross ansetzen, denn die am meisten zu Nachbildungen be-
nutzten griechischen Tragödien stammten aus einer Zeit, in der die chorische
Aktion als lästige Fessel empfunden und deshalb beschnitten wurde. In
der Hauptsache waren es die Zwischenaktslieder, die dem römischen Chore
zufielen und die er sang unter Flötenbegleitung des Choraules; für die
hierbei stattfindenden Tänze hatte er einen leidlich grossen Raum, da das
Schauspielerpersonal in den Zwischenakten die Bühne zu verlassen pflegte.
— In der Komödie, die keinen Chor hatte, wurden diese Pausen durch
blosse Flötenmusik ausgefüllt.
0. Ribbeck Rom. Trag. 637 ff. L. Friedländer bei Marquardt IIP 544 f. Vgl.
0. Jahn Hermes II 227 ff. — Zu 2: Donat Arg. Ter. Andr. est igitur attente animadverten^
dum, uhi et quando scaena vacua »it ab omnibus personiSf ut in ea chorus rel tibicefi
audiri possit: quod cum viderhnus, ibi actum esse finitum debemus agnoscere.
82. Vortrag der Schauspieler. 1. In Athen gab es anfänglich
zwei, später drei ordentliche Schauspieler (§23), die in einem gewissen
Rangverhältnis zu einander standen. Der Dichter-Didaskalos, welcher bis
zu Aeschylos Zeit auch als Schauspieler thätig war, spielte natürlich die
Hauptrollen selbst; als dann aber die Schauspielkunst von der Dichtkunst
getrennt worden war, übernahm die Hauptrollen der erste Spieler oder
Protagonist. Da dieser ausserdem dem Staat gegenüber Unternehmer war
und nur ihm im günstigen Falle der Sieg zufiel, so hatte er eine viel an-
gesehenere Stellung als seine mit ihm thätigen Berufsgenossen oder Ge-
hilfen. Doch galt auch die Stelle des zweiten Spielers oder des Deuter-
286 B. Das BühnenweBen der Griechen und Körner.
agonisten noch als ehrenvoll, im Gegensatz zu der des dritten Spielers,
des Tritagonisten. Allgemein bekannt ist der Spott, mit dem Demosthenes
auf seines Gegners Aeschines frühere Thätigkeit als Tritagonist hindeutet.
2. Zuweilen kam zu diesen drei Schauspielern noch ein vierter
ausserordentlicher hinzu. Da der Staat jedem Dichter-Didaskalos nur
drei Schauspieler zur Verfügung stellte (§ 23'), so musste entweder der
Choreg sich zur Anwerbung eines weiteren Schauspielers herbeilassen oder
der Dichter-Didaskalos sich in anderer Weise helfen. Dem bestimmten
Zeugnis des Pollux gegenüber ist nicht zu zweifeln, dass der erstere Fall
vorgekommen ist. Die Aktion eines solchen vierten Spielers nennt Pollux
Parachoregem. Mit demselben Ausdruck werden die Sprechpartieen der
Tochter des Trygäos in Aristophanes Frieden bezeichnet, und ebenso heisst
beim Scholiasten zu Aristophanes Fröschen 209 die Aktion eines Neben-
chores. Es scheint demnach, dass die Thätigkeit aller der Personen, die
der Choreg über seine Verpflichtung hinaus stellte, Parachoregem genannt
wurde, im Gegensatz zur Aktion des ordentlichen Chores. Fügte sich der
Choreg trotz des Bedürfnisses nicht dem Wunsche des Dichter-Didaskalos,
so konnte dieser für eine kürzere Sprechpartie auf der Bühne einen der
Ersatzchoreuten verwenden, die ihm der Choreg wahrscheinlich stellen
musste (§ 20^). Die Thätigkeit dieses vierten Spielers, der kein Berufs-
schauspieler war, nennt Pollux Paraskenion, wie es scheint, im Gegensatz
zur Aktion der eigentlichen Schauspieler, die auch Skeniker hiessen und
deren Thätigkeit vermutlich mit Skenikon bezeichnet wurde (cf. tcc ano
(SxtivTig Aristot. Poet. 12. Tzetzes bei Cramer Anecd. Ox. III 343, 13).
3. Die im Anfang der vierziger Jahre in betreff der Rollenvertei-
lung angestellten Untersuchungen waren zu ungefähr folgenden Ergeb-
nissen gelangt. Als massgebend bei der Rollenverteilung wurde angesehen
der grössere oder geringere Umfang der Rollen. Die grössten Rollen, die
zugleich die schwierigsten waren, weil ein Charakter längere Zeit hindurch
streng durchgeführt werden musste, wurden dem Protagonisten zugewiesen.
Die nächst wichtigen Charakterrollen gehörten dem Deuteragonisten, und
dies waren die Rollen der Personen, welche mit dem Träger der Handlung
am meisten, sei es freundlich, sei es feindlich, zu verkehren hatten. Bei
Sophokles gehörten hierzu besonders die Frauenrollen. Dem dritten Schau-
spieler fielen die sogenannten Nebenrollen zu, d. h. diejenigen, welche zur
Begründung oder Fortbewegung oder zum Abschluss der Handlung nötig
waren: die Rollen der Könige [wenn diese nicht Träger der Handlung
waren], die des Maschinengottes und die Prologrollen {personae protaticae).
Die letzteren waren nach Donats Vorrede zu Terenz solche, welche nur
im Prolog, sonst nicht zu spielen waren, z. B. Klytaemnestras Geist und
Kratos bei Aeschylos. Diese Grundsätze enthalten nichts, was geradezu
unwahrscheinlich wäre, aber sie haben auch keinen wissenschaftlichen Wert.
Die Herren, welche sie aufgestellt haben, sagen zwar, dass sie von ihnen
aus den Dramen selbst herausgesucht worden seien; in Wirklichkeit aber
sind sie vor der Untersuchung nach Massgabe vernünftiger Überlegung
aufgestellt und in die Dramen hineingetragen worden. Die in Athen für die
Dichtcr-Didaskaloi massgebenden Grundsätze, nach denen sie die Rollen-
ft. Die Barstelliing. (§ 82.) 287
Verteilung vornahmen, sind also unbekannt. Dies muss um so eher zuge-
standen werden, als wir nicht erfahren, wo und wann es dem Dichter-
Didaskalos wünschenswert war einen vierten Spieler zu verwenden; denn
dass dieser nur da aufgetreten sei, wo es uns jetzt unbedingt notwendig
erscheint, ist eine unbegründete Voraussetzung neuerer Forscher.
4. Noch weniger erfolgreich konnten die Untersuchungen über die
Rollenverteilung bei den dramatischen Aufführungen in Rom sein, weil die
Zahl der Schauspieler unbekannt ist (§ 38 ^) und weil es auch sonst keinen
festen Anhalt gibt. Aber in einer ganz wesentlichen Hinsicht wich die
römische Art des schauspielerischen Vortrags von der griechischen ab. Die
in einer Rolle vorkommenden Monodieen nämlich {cantica im engsten Sinn)
wurden von einem besonderen Sänger (cantor) gesungen, während der Spieler
dieser Rolle (actor) nur den mimischen Teil des Vortrags durchführte.
Diese barbarische Einrichtung bestand von Anfang an, seit Livius Andro-
nicus, und wurde, wenn auch mit Ausnahmen, immer beibehalten. Die
Gründe hierfür sind unbekannt, denn was der Geschichtsschreiber Livius
von der Entstehung der Aktionsteilung erzählt, ist erfunden. Man thut
den Römern zu viel Ehre an, wenn man an jene griechischen Hyporcheme
erinnert, die von einem Teile des Chores getanzt wurden unter Gesang des
anderen; denn der offenbar sehr lebhafte Tanz machte ein gleichzeitiges
Singen unmöglich, was bei einer Schauspielerrolle nicht der Fall war. Zu-
dem ist es doch ein grosser Unterschied, ob eine chorische Aktion geteilt
wird oder eine einzige Schauspielerrolle.
Vgl. §§ 23 UDd 38. K. F. Hbbmann l)e distributione personarum inter JUstrionea
in trag, Graecis, Marburg 1840. Kabl Bebr Über die Zahl der Schauspieler bei Aristo-
phanes, Lpz. 1844. Fr. Schmidt Über die Zahl der Schauspieler bei Plautus und Tereuz,
Erlangen 1870. Kurt Steffen De actorum in fab. Terent. numero et distributione in den
Acta Soc. Phil. Li^s. II 107 flf. Bosse Quaestiones Terent., Lpz. 1874. — Zu 2: Pollux
4, 109 oTfors Uey avtl TsraQxov vnoxQirov d^ot XLvd Ttjy x^QSvxiiiy eineiy iy ^*<ffl {axtjy^'^),
TtaQaaxfjyioy xuXeTiai x6 ngäy/i«, (og iy 'JyttfjiifJLyoyi JÜ^^kov, 110 s£ d^ xixuqxog tmo-
XQixijg XV nagnfp&iy^aixoj xpvxo naQaxog^yrjfAa oyofAaCsxM. xal nBnQaxB-tti fpaavy avxu
iy Mifiyoyi JiffxvXov. (Eine Änderung des Textes einer neuen Erklärung zu lieb war im
Anfang dieses Jahrhunderts noch zulässig, ist es aber jetzt nicht mehr.) Schol. Arist.
Frieden 114 xu xoiavxa TragaxoQtjyijfAaxa xttXovaiy, ota yvy xd naidla xaXovyxa xov
Ttaxi^a, Schol. Arist. Frösche 209 xavxa xaXctxat nagaxoQtjyijfÄaxa, inBvdrj ovx 6qiayx«i.
iy x(^ dedxQtü ol ßdxgaxoi, ovdk 6 jjfo^d;, dXX^ iato&ey fjLifjLovyxui xovg ßaxgdxovg . o de
dXfj&tSg x^Q^^ ^* "^^^ evaeßiiSy ysxQcSy ffvyiaxtjxey. (Hier ist zu scheiden zwischen dem,
was der Scholiast selbst folgert, und dem, was er überliefert erhalten hat; nur das letztere
ist gut. Die Übei lieferung sagt aber nur, dass beim tt. nicht der eigentliche Chor thätig
ist. Der Scholiast dagegen setzt fälschlich in den Fröschen einen Nebenchor voraus und
folgert dann wahrscheinlich ebenso falsch, dass bei einem n, der Nebenchor unsichtbar
sein müsse.) — Bei der Erklärung dieser Stellen ist man in doppelter Hinsicht fehlgegangen :
erstens hat man Übersehen, dass n. die Aktion bedeutet, und zweitens hat man sich an
eine unpassende Bedeutung von x^Q^YW^ festgeklammert. Die sicher bezeugte Bedeutung
von 71. = Aktion muss festgehalten und von ihr aus der Übergang zu /. gesucht werden.
Ich denke mir diesen so. XoQrjyrjfjia heisst id ipsum quod j)fo^i7/ff ra/., also in eister Linie
der Chor und seine Ausstattung. Da aber der Choreg bei der Einübung und Darstellung
thätig war. so gehört zu dem, was geleistet wird, auch die Einlemung und Aufführung.
Und so steht auch bei Pollux 9, 41: x6 diddaxeiy /o^i7/6tV Demnach heisst /. die
chorische Aktion, wie n, die Aktion des ausser dem Chor vom Choregen gestellten Per-
sonals. — Zu 4: Vgl. § 74*. Livius 7, 2 dicitur (Liv. Andronic,)t cum saepius revocatus
vocem obtudisset, venia petita puerum ad canendum ante tibicinem cum statuisset, canti-
cum e gisse aliquanto magis vigente motu, quia nihil vocis ustvs impediebat . inde ad ma^
num cantari histrionibus coeptum diverbiaque tantum ipsorum roci relicta, Diomedes
p. 491 K. in canticis autem una debet esse persona, aut si duae fuerint, ita esse debent,
288 B. Das BühnenweBon der Griechen und Römer.
ut ex occtdto una audiat nee colloquatur, sed secum, ai opus fuerit, verha faciat. Vgl.
Ribbeck Rom. Trag. 24. 634. Anders Ritschl Op. III 47 f.
83. Musikbegleitung. 1. Nur die Flöte wurde im Drama zur
Musikbegleitung {vttovXsTv) verweudet. Die Annahme, dass zuweilen auch
die-Kithara an Stelle der Flöte erklungen sei, entbehrt der genügenden
Begründung. Der Wettkampf zwischen Aeschylos und Euripides in Aristo-
phanes Fröschen spricht nicht dafür. Euripides hat die Absicht Aeschylos
Unselbständigkeit in der musikalen Dichtung vorzuwerfen (1281). Anklänge
an die kitharodische Musik mochten in Aeschylos Gesängen zu Tage ge-
treten sein, und Euripides betont sie, indem er in übertreibender Weise
Kitharlaute durch Gesang nachahmt ((pXaTToO^Qar: Graf 46. 68). Diese
Auslegung wird bestätigt durch Aeschylos Antwort. Das Schöne, sagt
dieser, was in jener Musik zu finden sei, habe er herübergenommen und
wieder ein Schönes gestaltet {ig t6 xaXov ix tov xaXov ijveyxov 1298: Pia-
tons Gesetze III 700). Von einer Umgestaltung hätte er offenbar nicht
sprechen dürfen, wenn seine Musik gleich den kitharodischen Nomen Kithar-
musik gewesen wäre. Wer solches behaupten wollte, der müsste folge-
richtig zu dem absurden Schluss gelangen, dass bei Euripides auch Musik
durch Schlagen auf Töpfe {oavqdxoig xqoteTv 1305) gemacht worden sei.
Gleich wenig beweisend ist ein anderes Zeugnis für Kitharmusik im Drama
bei Sextus Empir. p. 751, 21: ein Schriftsteller, der Lieder und Stasima
auseinander hält (/i^Ar; xal (STMifia) und ein anapästisches System einem
Stasimon zuweist, verdient nicht den mindesten Glauben.
2. Da im griechischen Drama dem Chor vorzugsweise und anfangs
wahrscheinlich ausschliesslich die Gesangspartieen zufielen, so ist es begreif-
lich, dass die Flöt^nmusik regelmässig in der Nähe des Chores ertönte.
Der Flötenbläser zog beim Abmarsch dem Chore voraus, wie die Über-
lieferung sagt (Suidas i^odiov rof^ioi. Schol. Arist. Wesp. 582), desgleichen
vermutlich beim Einzug, und es ist kaum anders denkbar, als dass er
während der eigentlichen Handlung neben dem Chore auf der Thymele
seinen Platz hatte. Gab es einen Chorgesang vor dem Choreinzug, wie in
Aristophanes Fröschen, so war der Flötenbläser wie der Chor hinter der
Bühne beschäftigt. In gleicher Weise blies vermutlich der Flötenbläser
hinter der Bühne, wenn vor dem Choreinzug von Bühnen personen Monodieen
vorgetragen wurden. Ob immer, ist allerdings fraglich; insbesondere ist
unklar, wo der Musiker stand, wenn der Chor während einer Monodie still
einzog. Es ist möglich, dass zuweilen ein zweiter Flötenbläser zu Hilfe
genommen wurde. Einmal wenigstens ist sicher ein zweiter Musiker thätig
gewesen, in Aristophanes Fröschen, wo neben der Flötenbläserin, die den
Gesang des Epops begleitete, ein anderer Musiker sich hören liess (861).
3. Die Art und Weise des Spieles ist fast ganz unbekannt. Be-
gleitung gesanglicher und parakatalogischer Partieen dürften wir erschliessen
(§ 743). Polyphone Musik gab es nicht (Graf 28. 74); der Musiker blies
dieselbe Melodie, nur ging die eine von seinen beiden Flöten in der Oktave
mit. Nicht unbekannt war der Solovortrag [diavXiov Hesych). Mit Un-
recht scheint ein alter Erklärer zu Aristophanes Fröschen 1264 diesen nur
hinter der Bühne anzunehmen, da Hesych von solcher Beschränkung nichts
6. Die DarsteUnug. (§ 83-84.) 289
weiss. Als der Chor aus der griechischen Komödie zum Teil verdrängt
wurde, als statt der Chorgesänge mimisch-musikales Spiel eintrat (§ 20^),
wird es für das Ohr nichts anderes gegeben haben als Solovortrag des
Flötenbläsers, und die römische Komödie kannte kein anderes Zwischenspiel
während der Akte als Flötenrausik (§ 8V). Ein Zwischenspiel oder Nach-
spiel dagegen zwischen den Abschnitten und am Schluss der Gesangspartieen
hat schwerlich stattgefunden, denn die Stellen, in denen man es annimmt,
enthalten, wie schon angegeben, nur witzige Nachahmungen instrumentaler
und tierischer Töne durch die menschliche Stimme; aus ihnen ist eine Fol-
gerung auf Zwischenspiel oder Nachspiel nicht abzuleiten. Vgl. Christ
Metrik ' 49. Graf s. zu § 66.
84. Geberdensprache. 1. Der mündliche Vortrag der Darsteller fand
statt unter Körperbewegung {xivrjaig crcojuaTixi^, motus). War diese genau
nach dem Takte geordnet, also mit Musikbegleitung verbunden {lQQv3/xog
xiv7j<ng)y so entstand vielfach Marsch oder Tanz, über die im folgenden
Paragraphen gesondert gesprochen werden soll. Die Körperbewegung mit
Ausschluss des eigentlichen Marsches und Tanzes fassen wir zusammen mit
dem Ausdruck Geberdensprache ((r^i^juara, gestus). Dieser Ausdruck passt
insofern nicht gut, als einerseits bei Marsch und Tanz die Geberden gleich-
falls eine wichtige Rolle spielen und als andrerseits nicht jede Körper-
bewegung unter den Begriff Geberde fällt; doch dürfte schwer ein besserer
zu finden sein.
2. Die Körperbewegung des Redners zerlegt Quintilian im dritten
Kapitel des elften Buches nach den Körperteilen, durch welche sie hervor-
gerufen werden, in mehrere Teile: in Bewegungen des Kopfes, des Ge-
sichtes (Miene), des Nackens und Halses, der Schultern, Arme, Hände und
Finger und endlich der Füsse. Ähnlich kann man die körperliche Bewegung
im alten Drama teilen; doch sind zwei Änderungen vorzunehmen. Einer-
seits bleibt das Mienenspiel weg, da es ein solches in Griechenland von
Anfang an und in Rom seit Einführung der Masken nicht gab; nur die
Bewegung des Auges wäre einigermassen zu berücksichtigen, weil sein
Ausdruck (§ 60^) wie seine Richtung für die näher sitzenden Zuschauer
erkennbar war, wie Cicero über den Redner 3, 59, 221 angibt. Andrer-
seits muss aber, da nicht bloss eine Person spielte, die gesamte Körper-
bewegung geschieden werden in Bewegung der Gruppen und Bewegung des
Einzelspielers. Nach dem Zweck, dem sie dienen, zerfallen die Bewegungen
in drei Arten. Grundbewegungen nennen wir die für jede Handlung
unbedingt notwendigen Stellungen und Bewegungen des Körpers und seiner
Teile, wie sie beim Stehen, Sitzen, Knieen, Schreiten, Anfassen, Heben
u. s. w. eintreten. Die zweite Art bilden die sinnbezeichnenden Be-
wegungen, Geberden im engeren Sinn {axr^fiaxa^ significationes); sie haben
den Zweck den bei Geschehnissen oder Mitteilungen von Geschehnissen im
Innern entstehenden Gefühlen und Ansichten in natürlicher Weise Ausdruck
zu geben. Erscheinen sie als Begleiterinnen einer Rede, so tragen sie zur
Verdeutlichung bei; im andern Falle beleben sie die Aktion, indem sie das
Wahrgenommene sich wiederspiegeln lassen. Die dritte Art sind die sach-
bezeichnenden Geberden (iei^eig^ demonstrationes) ; sie unterscheiden sich
Buidbiich der Umi. AltertiiiDcwineDflcliaft. T. 8. Abtlg. 19
290 ^* I'cus Bülmenweseii der Grieohen und Römer.
ganz wesentlich von der vorhergehenden Art dadurch, dass sie nicht wie
jene unmittelbare Gefühlsausbrüche bezeichnen, sondern mit Bewusstsein
etwas kenntlich machen entweder durch Hinweisen auf den Gegenstand
oder durch Nachahmung einer Handlung, z. B. Eitharspiel ohne Eithara
(Quint. 88). Verschiedenheit der Geberden tritt ferner ein je nach Alter,
Geschlecht, Beruf, Gesinnung, Stimmung der agierenden Personen und je
nach der Bedeutung der Handlung. So war die Körperbewegung der Tra-
gödie ihrem ernsten Charakter gemäss langsamer als die der Komödie und
ähnlich die Bewegung der ehrbaren Bürger und Bürgerinnen langsamer
als die der Sklaven, Schmarotzer, Fischer (Quint. 112).
3. Die Geberdensprache der Bühne schloss sich an und musste sich
anschliessen an die Geberdensprache des Volkes und wird deshalb wie diese
mancherlei Wechsel erfahren haben. So wenig aber die Lehre von der
dramatischen Dichtung es nötig hat eine Grammatik der Volkssprache zu
geben, so wenig hat die Lehre von der Darstellung die Aufgabe die Ge-
berdensprache des Volkes vorzuführen. Ihr liegt vielmehr allein ob die
Haupteigentümlichkeiten der scenischen Geberdensprache, ihre wesentlichen
unterschiede von der des Volkes hervorzuheben. Dies kann aber leider
jetzt noch nicht geschehen, erstens weil die Geberdensprache der Griechen
und Kömer noch immer eine wissenschaftliche Bearbeitung erwartet und
zweitens weil die scenischen Bildwerke, aus denen die Geberdensprache der
Bühne genauer zu erkennen sein wird, bis jetzt noch nicht genügend be-
kannt gemacht sind (§13 Leo). Es dürfte deshalb geraten sein hier nur
einige allgemeine Bemerkungen zu machen und auf diejenigen Umstände
hinzuweisen, durch welche ein Abweichen der scenischen Geberdensprache
von der des Volkes bedingt war.
4. Abweichungen traten ein und mussten eintreten, weil die scenische
Geberdensprache eine plastische Kunst war, d. h. weil auf der Bühne
ähnlich wie in der bildenden Kunst die Stellungen und Bewegungen der
auftretenden Personen gewissen Schönheitsgesetzen unterworfen waren. Die
auf der Bühne sichtbaren Einzelpersonen oder Gruppen lassen sich in ihrer
Körperbewegung am ehesten vergleichen mit Werken der Bildhauerkunst.
Sie unterscheiden sich von diesen dadurch, dass sie bei jedem Schritt, den
die Handlung macht, sich in neuen Formen zeigen, also im Gegensatz zu
den Werken der Bildkunst einer fortwährenden Änderung unterworfen sind.
Die Aktbilder, welche das alte Drama gewährte, darf man aber nicht nach
dem Massstabe der neueren Bühnenaktbilder messen, denn sie weichen von
diesen in einem ganz wesentlichen Punkte ab. Die alten Bühnenbilder
waren nahezu Rundbilder, die neueren sind es nicht. Von drei Seiten aus
nämlich konnten im griechischen und römischen Theater die Vorgänge auf
der Bühne beobachtet werden, und die Thätigkeit des griechischen Chores
war sogar allseitig bemerkbar, wie zur Not ein Blick auf Tafel I lehren
kann. In unserm Drama dagegen ist uns fast nur die Vorderansicht der
handelnden Personen gestattet, denn von der Kreislinie, die wir uns um
die auf der Bühne sich abspielende Handlung gezogen denken, bleibt für
die Zuschauer fast nur ein Viertel als Beobachtungslinie übrig, oft, wie
z. B, in Bayreuth und sonst, noch weniger. Die Schwierigkeit, welche im
5. Bid Darstellung. (§ 84.) 291
alten Drama die gruppenweise Aufstellung bereitete, war nun allerdings
nicht so gross, als es auf den ersten Blick scheinen könnte. Die Gruppen
waren ja, vom Chor abgesehen, bei der geringeren Anzahl der Schauspieler
in der Regel klein, und wo ausnahmsweise Statisten in grösserer Anzahl
erschienen, werden sie mehr nach der Bühnenhinterwand zu zurückgetreten
sein oder, wie im Anfang von Sophokles König Oidipus, sitzend oder knieend
vor den Götterbildern versammelt gewesen sein, sodass die Hauptpersonen
sich deutlich aus der Schar der übrigen abhoben. Die Schwierigkeit aber,
die entstand, wenn zwei oder drei Vertreter von wichtigen Rollen sich in
einer Linie aufstellten, sodass für die in gleicher Linie sitzenden Zuschauer
der erste die andern verdeckte, konnte, wenn auch nicht ganz, so doch
teilweise gehoben werden nur durch einen grösseren Abstand der Per-
sonen. Dass diese Folgerung kein Phantasiebild ist, lehren die Bildwerke
(§ 13^), hauptsächlich die Wandgemälde Pompejis, die Relief bilder, die
vatikanische Mosaik und die Terenzhandschriften. Der Figurenabstand in
den Wandgemälden ist ohne jeden Zwang des Raumes so gross, dass an
einen Zufall nicht gedacht werden kann. Nur ein schlagendes Beispiel sei
hier angeführt. In allen andern Bildwerken (Overbeck Gallerie her. Bild.
464 £f.) berührt der kniefällig bittende Priamos den Besieger seines Sohnes,
in den pompejischen Wandgemälden dagegen ist seine vorgestreckte flehende
Hand um eine Mannesbreite von Achills Gewandumriss entfernt, ohne dass,
wie Kopf und Rumpf des Greises lehren, an ein Auseinanderziehen der
Figuren von seiten des Kopisten gedacht werden dürfte. Die Rücksicht
auf die Schönheit der Gruppenbildung im Theater brachte es also mit sich,
dass die Geberde des Flehens nur andeutungsweise, nicht voll zum Aus-
druck kam. — Die plastische Schönheit verlangte femer in der alten wie
ähnlich im neuen Drama eine Abrundung in den Stellungen und Be-
wegungen der Gruppen und Einzelspieler. Einiges in betreff des letzteren
wird auch durch Quintilian angedeutet. So wurde Brust und Bauch nicht
vorgestreckt {odiosa omnis supinitas 122); breitbeiniges Gehen oder Stehen
wurde vermieden (125), desgleichen Gestikulation mit der rechten Hand,
wenn das rechte Bein als Standbein vorgesetzt war (124); die Arme wurden
nur massig weit vorgestreckt (84) und die Hand in der Regel nicht über
das Auge erhoben oder unter die Brust gesenkt (112).
5. Die Körperbewegung auf der Bühne ist aber nicht eine rein pla-
stische Kunst, sie ist vielmehr zugleich eine rhythmische Kunst, d. h.
eine solche, die ihre Formen in gewisser Zeitfolge abändert. Die rhyth-
mische Schönheit verlangte für sich allein, dass die Bewegung eines Körper-
teiles nicht vereinzelt blieb, dass vielmehr die übrigen Körperteile, ja der
ganze Körper an der Bewegung teilnahmen (Quint. 122), um jede Steifheit
zu vermeiden. Wenn die rechte Hand gestikulierte, sekundierte die linke
(114); mit dem Kopf allein zuzuwinken, abzuwinken und dergleichen galt
auf der Bühne geradezu als fehlerhaft (71). Die Einzelbewegung musste
ferner der rhythmischen Schönheit entsprechend abgerundet sein (orbis 105).
— Es war aber der Rhythmus der Geberdensprache auf der alten Bühne
nicht ein freier, sondern abhängig von der Dichtung, von dem Sinn und
dem Vortrag der Worte. So musste die Körperbewegung zunächst in ihrem
292 B. Das Bühnenweseü der Grieöhen und Bömer.
Tempo dem mündlichen Vortrage folgen: die Gestikulation mit der Hand
begann und hörte auf mit den einen bestimmten Gedanken ausdrückenden
Worten (Quint. 106; cf. 159). Selbstverständlich musste die den Sinn be-
gleitende Bewegung der rechten Hand auch auf der rechten Seite enden;
denn endete sie auf der linken Seite, so musste die Hand nach Schluss der
betreffenden Worte nach rechts hinübergezogen werden; diese überschüssige
Bewegung galt aber als fehlerhaft (109). Wurde der mündliche Vortrag
dem Sinn entsprechend lebhafter, schneller, so musste natürlich auch die
Geberde an Lebhaftigkeit zunehmen {gestus cum ipsa orationis ceUritate
crebrescet 111). In diesem Fall ging man zuweilen über die gewöhnlichen
Regeln hinaus: bei Ermahnungen trat ein Tremulieren mit erhobenen
Händen ein, eine Sitte, die in Rom nach Quintilian (103) aus fremden
Schulen eingeführt war.
6. Eine Abweichung der scenischen Geberdensprache von der des
Volkes veranlassten schliesslich die typischen Charaktere des alten
Dramas, von denen oben mehrfach die Rede war (§ 60'. 64*). Dies dürfte
an sich wahrscheinlich sein und wird zudem durch einige Angaben bestätigt.
Donat erwähnt einmal die Gestikulation des Parasiten und mehrmals die
des Sklaven (Leo 338). Nach Quintilian bestand die letztere im Einziehen
des Halses {contractu cermcula 83. 180). Beispiele dafür sind auf Bild-
werken zahlreich zu finden.
WiESBLER Denkm. besonders za T. X. Fr. Leo Rhein. Mus. 38^^ 331 fif. (über die
Oeberden in den Terenzhandschriften). Vgl. ausserdem Baumeister Denkm. unter Geberden-
sprache (in der bildenden Kirnst). Sittl Verh. der 39. Philologenvers, in Zürich 1887 S. 44 fif.
(Geberden des Volkes).
85. Marsch, Tanz. 1. Über die Marschbewegungen und die Tänze
der Schauspieler und des Chores sind wir nur unvollkoromen unterrichtet,
und das wenige, was wir erfahren, bezieht sich dazu fast nur auf das
griechische Drama. Das Auftreten und Abtreten war oft geregelt durch
den Takt der Musik, denn nicht nur der Chor zog vielfach unter parakata-
logischem Vortrag, bzw. Gesang ein und aus (§ 80^- *), sondern auch dio
Schauspieler schritten nicht selten hervor oder zurück während des para-
katalogischen Vortrages besonders anapästischer Verse durch den Chor-
führer (§ 78 3). Selbstverständlich war im allgemeinen die Marschbewegung
in der Tragödie feierlicher und langsamer als in andern Dramen. Für die
tragischen Schauspieler war zudem eine langsamere Bewegung durch den
hohen Kothurn geboten. Aus der Zahl der Takte besonders der anapästi-
schen Systeme, während deren Vortrages der Chor einzog, hat man auf die
Art des Marsches Schlüsse zu ziehen gesucht (u. a. Mtriantheus 122).
Diese sind aber nur im grossen und ganzen richtig, weil sichere Grund-
lagen fehlen. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, dass jeder einzelne
Anapäst das Aufheben und Niedersetzen desselben Fusses bedeutet, dass
also mit einer anapästischen Dipodie zwei Marschschritte gemacht wurden;
allein wir haben keine Angabe über die Grösse dieser Schritte. Es könnte
sein, dass die beiden Schritte soviel betragen haben wie ein römischer passiis,
aber ebenso gut möglich ist, dass der tragische Chor, der hier vorzugs-
weise in Betracht kommt, entsprechend dem langsamen feierlichen Marsche
5. Die DarBtellang. (§ 85.) 293
auch kürzere Schritte gemacht habe. Ferner ist uns unbekannt, von wel-
cher Stelle des Orchestraeinganges aus der Einzug seinen Anfang nahm;
CS wäre z. B. denkbar, dass im Beginn des Marsches der Chor nur den
gegenübersitzenden Zuschauem sichtbar war. Endlich ist, und dies wiegt
am schwersten, die Ausdehnung der Thymele unbestimmbar (§ 54*), sodass
wir den grössten Bogen, den der Chor beim umwandeln auf dem Rande
der Thymele machte, zu berechnen ausser stände sind. Trotzdem aber
dürfen wir, im Hinblick auf die langen anapästischen Systeme in Aeschylos
Dramen und in Sophokles Ajas, mit Zuversicht behaupten, dass zuweilen
ein Parademarsch stattgefunden haben muss, bei dem der Chor mindestens
einmal an den zunächst sitzenden Zuschauern vorbeizog. Aus den häufig
zu findenden kurzen Schlussanapästen (§ 80^) haben wir natürlich umge-
kehrt auf ein ungesäumtes, nicht mit einem Parademarsch verbundenes Ab-
treten des Chores zu schliessen. Über die Art der Marschbewegung wäh-
rend des Stückes, besonders vor und nach den Parabasen und den Stasima
lassen sich kaum Vermutungen aufstellen.
2. Die gesanglich vorgetragenen Partieen des Dramas waren in der
Regel mit Tanz {vjtoQx^fi^^i sdUatio) verbunden. Er wird in einer Reihe
von Stellen ausdrücklich erwähnt (Christ Metrik* 696). Vorzugsweise waren
die Choreuten wie zu Gesang so zu Tanz berufen. Dass der Tanz einen
wesentlichen Teil ihrer Thätigkeit ausmachte, geht hervor aus dem Namen
ihres Standplatzes, der neben Thymele auch Orchestra hiess, und aus der
bereits § 22^ erwähnten Benennung der ältesten Dramendichter, die wegen
ihrer Bemühungen um den Chor als Tänzer bezeichnet wurden. Dem römi-
schen Chor einen regelrechten Tanz abzusprechen liegt kein genügender
Grund vor; denn dass die Bühne nach Abtreten der Schauspieler als Tanz-
platz für einen wahrscheinlich wenig zahlreichen Chor vollkommen genügen
konnte, ist nicht zu bezweifeln (§ 81*). Neben den Chortänzen gab es
aber auch Tänze der Bühnenpersonen, allerdings wohl nicht von Anfang
an, sondern erst seitdem Einzelgesänge auf der Bühne vorkamen. Seit
Euripides, dem Aeschylos in Aristophanes Fröschen 849 die Einführung
kretischer, ohne Zweifel mit lebhaftem Tanz verbundener Einzelgesänge
vorwirft, scheinen Gesänge und Tänze der Bühnenpersonen häufiger ge-
worden zu sein. Diesem Entwicklungsgange entspricht es, dass in Rom
der Spieler einer Rolle nach seiner Hauptthätigkeit geradezu Tänzer {saU
tator) genannt wurde, im Gegensatz zu dem ihm bei seiner Rolle helfenden
Sänger (cantor: § 82 '^). Mit Ausnahme des eben erwähnten Falles im römi-
schen Bühnenwesen fand eine Trennung von Gesang und Tanz im Drama
nicht statt. Fälle, in denen die einen tanzten, die andern sangen, kamen
vor, aber nicht im Drama (Lukian Tanz 16. 30). Wenn im Dithyrambos
der Chorführer mit Gesang und wohl auch Tanz voranging, so beweist dies
nichts für die dramatischen Aufführungen (Graf 58 f.); die übermütige
Komödie mochte sich so etwas ausnahmsweise einmal gestatten, wie Ari-
stophanes Plutos 290 ff. Ganz unglaublich ist die Nachricht (zu 2), dass
der Chor zur Rede einer Bühnenperson getanzt habe. Denn der Tanz war
so gut wie die Worte ein Ausdruck der Gefühle. Was der Führer oder
ein Teil des Chores im Namen aller sprach oder sang, das konnten die
294 B* ^<^ Bühnenweaen der Griechen und Römer.
übrigen mit ihrem Tanz begleiten; aber undenkbar ist, dass die Choreuten
die Sprache des Tanzes redeten, wenn eine Bühnenperson sprach, deren
Gefühle der Chor nicht kennen konnte.
3. Der Tanz war nicht etwa eine blosse rhythmische Bewegung mit
mehr oder weniger künstlichen Wendungen, sondern war viel kunstvoller.
Er bestand aus zwei Bestandteilen, den Tanzfiguren und den Tanz-
schritten. Die Tanzfiguren (a%ri(Aa%a mit und ohne o^xi^orixer) waren das
wichtigste (Athenäos 21 D£f.); es waren mimische Akte, welche die kurzen
Pausen zwischen den einzelnen Tanzbewegungen ((foqai) ausfüllten. Die
Sprache der Hände {xeiQovo/xia) (§ 85) spielte dabei natürlich eine grosse
Rolle. Die Erfindung der Tanzfiguren {a%rifiaTonoiia) war Sache der Dramen-
dichter, solange sie keinen Chorlehrer [xoQoiidMxaXoq) oder Tanzlehrer
{oQx^atoiiidtrxaXog) als Gehilfen hatten. Phrynichos war darin berühmt
und nach ihm Aeschylos. Aber diesem trat schon, wie es scheint, als
Gehilfe Telestes zur Seite. — Nach der Art der Bewegung von einer Tanz-
figur zur andern, nach der Art der Tanzfiguren, deren Zahl eine sehr grosse
gewesen sein muss, gab es natürlich viele Arten von Tänzen. Pollux
führt von einer grossen Reihe leider nur die Namen an. Die am häufig-
sten vorkommende war, wie es scheint, in der Tragödie die Emmeleia, im
Satyrspiel die Sikinnis und in der Komödie der Eordax (Athen. XIV 630 C).
Die Emmeleia, die ursprünglich nichts anderes bedeutete als einen mit
Gesang verbundenen Tanz, war der Würde und dem Ernste der Tragödie
durchaus angemessen {nqsnov xs xai äq^iotTov Piaton Gesetze VII 816 B,
To ßaqv xal t6 C€/xvm' Ath.). Schnelle Bewegungen werden der Sikinnis
zugeschrieben, deren Tanzfiguren dem Charakter der Satyrn angepasst zu
denken sind. Der übermütigen Laune der Komödie entsprach die Aus-
gelassenheit des Kordax {naiYVioiirjg Ath., r^rig alaxQfag xiveT xrjv wstfvv
Schol. Ar. Wölk. 540). Es ist selbstverständlich, dass je nach der ver-
schiedenen Situation in den einzelnen Dramengattungen auch andere als
die gewöhnlichen Tänze vorkamen. So werden die Bühnentänze im Satyr-
drama eine gemässigtere Bewegung gezeigt haben, und so werden die
ernster gehaltenen Lieder in der Komödie mit einem weniger übermütigen
Tanz vorgetragen worden sein (Chbist Metrik' 696); dass in der Komödie
nicht immer der Kordax getanzt wurde, lässt sich auch aus Aristophanes
Wolken 540 abnehmen. In gleicher Weise gab es aber auch in der Tra-
gödie andere als feierlich ernste Tänze; man pflegt sie ohne genügenden
Grund Hyporcheme zu nennen. Während die Emmeleia vermutlich in den
Stasima und den nicht zum Marsch dienenden Teilen der Einzugsgesänge
eintrat, wurden einzelne epeisodische Zwischengesänge des Chores (Sophokles
Trach. 205, Ajas 693), wie auch einzelne Bühnengesänge (Euripides Phoe-
niss. 316), in denen sich eine freudige Stimmung aussprach, mit einem leb-
hafteren Tanze begleitet.
4. Über die Einzelheiten der Tänze fehlen alle Nachrichten. Man
hat Genaueres aus den Dramen selbst herauszusuchen unternommen (Buch-
HOLTZ, Kirchhoff); doch sind die zu bewältigenden Schwierigkeiten zu
gross, als dass sich wenigstens jetzt schon ein befriedigender Erfolg er-
hoffen Hesse. Für die Tanzbewegungen des Chores glaubte man bisher an
5. Die Darstellang. (§ 86.) 295
ü
einem Scholion zu Euripides Hekabe 640 einen Anhalt zu haben. Nach
diesem wandte sich der Chor bei der Strophe nach rechts, bei der Anti-
strophe nach links und blieb stehen bei der Epodos. Aber es hat sich
neuerdings herausgestellt (Crusius Com. Ribbeck. 13), dass die auf Ptole-
mäos zurückgehende Nachricht sich gar nicht auf Evolutionen des Chores
bezieht. Zur Erleichterung für den tanzenden Chor waren auf der Thymele
Linien gezogen (Hesych ygafi/xai); denn dass diese dem Chor nicht in seiner
gewöhnlichen Stellung, sondern bei schwierigen Tänzen dienten, dürfte kaum
noch fraglich sein (G. Hermann Op. VI 2,^145).
Marsch: Christ Metrik^ 687 fif. Mybiantheus Marschlieder. Tanz: Leutsch Meiaik
372 ff. Christ Metrik« 693 ff. Muff Chor. Technik des Soph. 34 ff. E. Gbaf s. § 66.
H. BucHHOLTZ Die Tanzkunst des Euripides, Lpz. 1871. Chr. Kirchhoff Die orchestische
Eurythmie der Griechen, I (Theorie), II (Eurip. Hippel., Soph. Antig.), Altena 1873. —
Zu 2: Schol. Arist. Wölk. 1355 eXsyoy ngog x°Q^^ X/yeiy, ot€ xov vnoxQirov diaxi&Sfjiiyov
Tfjy ^aiy 6 x^Q°s oqxsTtm (wörtlich verstanden, könnte diese Lehre nur in der Komödie
zutreffend sein ; wenn sie überhaupt richtig ist, bezieht sie sich wohl nur auf Zwischenreden
der Bühnenpersonen zwischen chorischen Partieen). Schol. Ar. Frösche 923 (ifjifdeXeia)
xvQltog dk ij uettt fdiXovs oqxV^^^ rgayixij • ol <fi, ij ngog ras ^tjcetg vnoQXV^^^' Fast
ebenso Suidas (fA/A^Xeia. Nach Leutsch Metrik 386 weist die Bedeutung der ol ii auf den
Tanz der Schauspieler; aber nQog bedeutet hier eine Trennung. Ich halte sie für After-
weisheit eines etymologisierenden Grammatikers.
86. Mflndlicher Vortrag. 1. Die drei Arten des mündlichen Vor-
trages (^'cori;, vox)y einfache Deklamation, Parakataloge, Gesang, sind oben
§ 74* schon erwähnt worden. Von den beiden letzten Arten ist wegen
Mangel an Nachrichten wenig zu sagen. Hervorgehoben sei, dass es poly-
phonen Gesang in unserem Sinne nicht gab. Auch über die Deklamation
liegen nur spärliche Nachrichten vor; am meisten haben noch die Lehrer
der Redekunst darüber berichtet, besonders Quintilian (XI 3) und auch
Cicero (de or. III). Wir zerlegen den mündlichen Vortrag der Sprech-
partieen in zwei Teile, in einen sprachlichen oder grammatischen und
einen musikalen. Die Laute nämlich, welche ertönten, bezeichneten einer-
seits Begriffe und Gedanken, gehören also insofern ins Gebiet der Sprach-
lehre; andrerseits waren sie Klänge, die zwar nach Dauer, Höhe, Stärke
und Tempo nicht wie bei Gesang durchweg mathematisch geordnet, die
aber doch durch das Versmass an einen rhythmischen Tonwechsel (Vers-
accent) gebunden waren. ^
2. Was das Sprachliche des mündlichen Vortrags anlangt, so dürfen
wir als sicher annehmen, dass die Regeln, welchen der Redner folgte, auch
für den Darsteller massgebend waren. Danach war in Griechenland die
Aussprache des gebildeten Atheners, in römischen Ländern die feinere
römische Aussprache ein unbedingtes Erfordernis; verpönt war also jeder
Anklang an das Ausländische und Bäurische (Cic. 42). Es braucht kaum
darauf hingewiesen zu werden, dass jeder Buchstabe, jede Silbe, jedes Wort
genau ausgesprochen werden musste und dass die Pausen und die Tonhöhe
sich dem Satzbau sorgsam anzuschliessen hatten (Quint. 33 £f.).
3. Für das Musik ale des Vortrags war in erster Linie entscheidend
die Grösse des Theaters. Sie brachte es mit sich, dass die Stimme, um
auf den weit entfernten oberen Sitzstufen verstanden zu werden, von grosser
Stärke sein musste; und die notwendige Folge davon war, dass der Vor-
296 B. Das BUhnenwesen der Griechen nnd Römer«
trag nur ein verhältnismässig langsames Tempo einschlagen konnte. Das
Tempo war ferner nach der Dichtungsart verschieden, langsamer in der
Tragödie, schneller in der Komödie (Quint. 112); es war aber auch ver-
schieden je nach den Charakteren, in gleicher Weise wie die dem münd-
lichen Vortrag sich anschliessenden Geberden (§ 84'). Mit diesen beiden,
Stärke und Tempo, war gewissermassen der Grundton gegeben, und an
ihn schlössen sich nun an die mannigfaltigsten Abstufungen der Töne nach
Höhe, Stärke und Dauer im einzelnen, je nachdem es die jedesmaligen
Umstände verlangten.
C. Die darstellenden Künste.
87. Im allgemeinen. 1. Im vorhergehenden Abschnitt war von den
Formen der Darstellung die Rede, d. h. von den inneren Mitteln, welche
die Darsteller bei der Auffuhrung in Anwendung zu bringen pflegten. Es
wurde also nur angegeben, was zur Vorführung gelangte. Die Frage nach
dem Wie der Darstellung, die Lehre von den darstellenden Künsten ist
die Aufgabe, welche in diesem letzten Abschnitt behandelt werden soll.
2. Dichtung und Darstellung sind nach unserer Auffassung ein ein-
ziges Kunstwerk; Dichtungen also, die nicht aufgeführt, sondern nur ge-
lesen werden, sind etwas Halbes. Es gibt freilich Leut« mit so grosser
Vorstellungskraft, dass sie beim Lesen von dramatischen Dichtungen oder
Tondichtungen die Aktion sich vollziehen sehen, die Töne erklingen hören;
allein für etwas Vollkommenes werden auch sie diese Art des Genusses
nicht hinstellen wollen. Jedenfalls aber bilden solche Leser nur eine Aus-
nahme und kommen deshalb nicht weiter in Betracht. Wenn wir ver-
gleichen dürfen, so möchten wir Dichtung und Darstellung als ein Gemälde
hinstellen, an dem zwei Maler thätig waren: der eine als Erfinder und
Zeichner und der andere als Farbenkünstler. Der eine erdenkt den Inhalt
des Gemäldes und zeichnet die Figuren in schönen Umrissen des Fleisches
und der Kleidung, gerade wie der Dichter seine Gedanken in Worte von
schöner Form einhüllt. Der Farbenkünstler dagegen muss dem ersten
Maler nachdenken und nachempfinden, aus diesem Nachempfinden heraus
dann den Grundton treffen und mit seinen reichen Farbenmitteln jedes
einzelne so darstellen, dass Zeichnung und Farben eine möglichst vollendete
Einheit bilden. Bei verhältnismässig gleichen Kräften werden beide Künstler
in ihren Leistungen sich decken, im anderen Falle kann durch die Farbe
einzelnes verschönt werden oder an Schönheit verlieren. Ganz ebenso beim
Darsteller. Er empfindet nach, wählt den Gesamtton und führt nun jedes
einzelne in Übereinstimmung mit jenem Ton vor, indem er seine reichen
Darstellungsmittel so entfaltet, dass durch Wechsel im Gleichmass ein ab-
gerundetes Ganze entsteht. Wie der zweite Maler dem ersten kann der
Darsteller dem Dichter an Kräften gleich sein, ihn übertrefifen oder ihm
nachstehen und so gleich Vollendetes leisten, etwaige Schwächen verdecken
oder auch Schönes verzerren. Diese Vergleichung soll nur zur Verdeut-
lichung dienen, denn sie ist nicht durchweg zutrefifend, weil einerseits zwei
Maler in der angegebenen Weise nicht thätig sind und weil andrerseits
bei der Darstellung nicht bloss ein Darsteller, sondern mehrere und nicht
5. Die DarsteUung. (§ 87-88.) 297
bloss Darsteller, sondern auch Leitende und Helfende beschäftigt sind.
Aber es wird jetzt jedenfalls verständlicher sein, wenn wir die Darstellung
erklären als Teil eines Dramas, als die mit allen jenen äusseren und inneren
Darstellungsmitteln ins Werk gesetzte Aufführung einer dramatischen Dich-
tung, welche dieser als einem Kunstwerke zukommen.
3. Nach den Personen, die als Künstler an der Aufführung der alten
Dramen beteiligt waren, lassen sich vier Künste absondern. Die wich-
tigste war natürlich die Schauspielkunst, in Griechenland die Kunst der
auf der Bühne thätigen Künstler {axr^vMoC, scaenici). Von ihr scheiden wir
die Kunst der Choreuten, die in Griechenland auf der Thymele beschäftigt
waren (thymelid), Sie stand an Bedeutung hinter der Schauspielkunst
zurück, denn die Choreuten waren ja nur gewöhnliche Bürger, deren
Leistungen von der Einübung durch den Dichter oder einen besonderen
Chorlehrer abhingen (§ 22'). In Rom war es freilich anders. Es folgt die
Kunst des Flötenbläsers, die im Drama eine geringere Bedeutung als sonst
hatte. Nicht unwichtig war endlich die Kunst der Ausstattung, die einen
Teil der Thätigkeit des Regisseurs bildete. Genau genommen ist die Leitung
der Ausstattung keine darstellende Kunst, weil der Ordner keine sichtbare
Rolle spielt. Indessen gehört sie doch zur Darstellung, ist ein Teil der-
selben und ist andrerseits ohne Zweifel eine Kunst.
4. Von ganz besonderer Bedeutung für die darstellenden Künste in
Athen war die Teilnahme des Dichters an der Darstellung. Er war
bis in die äschyleische Zeit zugleich Spieler der Hauptrollen (§ 22^), ver-
einigte also beide Künste in einer Person, der beste Beweis Ar die Ein-
heit der Dichtung und Darstellung. Er war femer von Anfang an Regisseur
und blieb es; er verteilte also die Rollen, leitete und überwachte die Ein-
übung und Aufführung, und die Art der Ausstattung war immer von seinem
Willen abhängig. Wir werden schwerlich fehlgehen, wenn wir in diesem
Umstände einen der Hauptgründe für die lange Blüte des attischen Bühnen-
wesens erkennen. — Rom wich von dieser Gewohnheit ab: dem Dichter
stand nur ein ganz geringes Recht zu (§ 370- Die Folgen davon waren,
wie wir sehen werden, besonders Mangel im Zusammenspiel, und was da-
mit zusammenhängt, und femer Geschmacklosigkeit in der Ausstattung.
88. Kunst der Ausstattung. 1. Unter Ausstattung eines Stückes
verstehen wir alles das, was eigens für seine Aufführung gestellt wurde,
nicht das, was für die dramatischen Aufführungen überhaupt vorgesorgt
war. Zur Ausstattung eines Stückes gehörten, also der für dieses allein
eingerichtete Bühnenschmuck, die etwa nötige besondere Bühnentracht der
gewöhnlichen Spieler, die Beigabe von Hilfspersonal und dergleichen. —
Trotzdem uns eingehende Nachrichten nicht vorliegen, dürfen wir mit Zu-
versicht behaupten, dass in Athen die Ausstattungskunst hinter den übrigen
Künsten der Darstellung nicht zurückblieb, d. h. dass sie sich ihrer Auf-
gabe immer bewusst war und die ihr gezogenen Grenzen nach keiner Seite
überschritt, weder zu wenig leistete noch zu viel. Damit ist nicht gesagt,
dass sie sich immer gleich war, wohl aber, dass sie mit der Entwicklung
der übrigen Künste gleichen Schritt hielt. Bis zu Aeschylos Zeit war sie
jedenfalls ziemlich primitiv; aber ebenso primitiv scheint die Dichtung und
298 B. Das Bühnenwesen der Ghrieohen und Römer.
die übrige Darstellung gewesen zu sein. Aeschylos schuf dann eine Bühnen-
tracht (§ 62 0» an der die spätere Zeit Halt und Massstab hatte. In äschy-
leisch-sophokleischer Zeit kam die Bühnenmalerei hinzu (§ 56 ^), die sich weiter-
entwickelt, aber jederzeit dem höheren Zwecke sich untergeordnet haben
wird. Übertriebene Ausschmückung der Bühne und des Personals wird
ebensowenig erwähnt wie Stellung einer Menge unnützen Hilfspersonals.
Die Gründe dieser durchaus angemessenen Ausstattung liegen zu Tage.
Einer war der gesunde Geschmack der Athener, denen jede Übertreibung
zuwider war und die sich mit Andeutungen begnügten, weil sie das Wesen
des Dramas in etwas anderem als im Äusserlichen suchten. Es trug zur
Masshaltung in der Ausstattung freilich auch bei, dass diejenigen, welche
die Kosten zu bestreiten hatten, die Choregen (§ 20^), bzw. die Theater-
pächter (§ 28^), nicht su ausserordentlichen Opfern fähig oder bereit waren.
Aber der entscheidende Grund war der nicht aufhörende Einfluss des Dich-
ters. Was dieser für notwendig hielt, wurde geleistet, nötigenfalls nach
vorausgegangenem Schiedsspruch des festleitenden Beamten (§ 19 0; aber
hintangehalten wurde alles, was der Choreg, der Theatermaler oder andere
Mitarbeiter durch einseitige Steigerung ihrer Leistungen gegen die Harmonie
der Dichtung und Darstellung zu sündigen willens waren. — Ungebühr-
licher Luxus machte sich wahrscheinlich nur ausserhalb Athens breit, und
zwar erst als die Herrscher, Alexander und seine Nachfolger, den Bühnen-
künsten gewogen wurden (Plutarch Alex. 29).
2. Alle die Umstände, die dazu beitrugen die Ausstattungskunst in
Athen in ihren Grenzen zu halten, fielen in Rom weg. Mit der politisch-
militärischen Machtentfaltung Roms stiegen Reichtum und Luxus; die Höhe
der Ausstattungskosten kam also für den Festgeber kaum in Betracht. Die
Zuschauer, an Luxus nach und nach gewöhnt, verlangten ihn auch auf der
Bühne; der Dichter aber, der eine einfache, der Dichtung würdige Stafifage
wünschte, stand dieser Neigung der Römer machtlos gegenüber, denn Ein-
fluss besass er nicht und eine Unterstützung von Seiten des Sehauspiel-
direktors hatte er nicht zu erwarten, da es diesem naturgemäss mehr auf
die Gunst des Festgebers und der Zuschauer als auf die Würde der Dich-
tung ankam. Anfänglich freilich, in der ersten Periode (§ 4), wo die
Bühnenspiele noch etwas Neues, die Anteilnahme grösser, Reichtum und
Luxus dagegen noch verhältnismässig geringer waren, begnügte man sich
wahrscheinlich, wie überhaupt in der Herstellung der äusseren Mittel des
Spieles (§§ 40. 53^), mit wenigem. Aber geradezu unsinnig war, wie schon
angedeutet wurde (§ 62^), die Verschwendung, die in der Ausschmückung
der Bühne und der Darsteller in der letzten Zeit der Republik eintrat. Li
gleicher Weise übertrieben war aber auch die Verwendung von Hilfspersonal.
Als Pompejus 699/55 seine Spiele gab, Hess er in einem Stück 600 Maul-
esel mit Beute beladen über die Bühne führen, in einem andern 3000 Misch-
gefässe vorübertragen und in einem dritten eine Menge Fussvolk und Reiter
auftreten. Cicero war einer der wenigen, welche sich von einer solchen
Verhöhnung der Kunst abgestossen fühlten (ad fam. 7, 1, 2). Dass es aber
in der Kaiserzeit nicht besser wurde, braucht kaum erwähnt zu werden
(Horaz Ep. 2, 1, 187).
5 Die Darstellimg. (§ 89—91.) 299
89. Begleitende Tonkunst. Ursprünglich war nach Horaz (Dicht-
kunst 202 ff.) die dramatische Flötenmusik bescheiden und beschränkte sich
auf eine leise Begleitung des Chorgesanges; später aber begnügte sie sich
nicht mehr damit, sondern suchte sie die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken
durch lebhafteres und weichliches Spiel {motum et luxuriem). Diese An-
gabe, die sich nur auf die Anfange des Dramas überhaupt, nicht auf die
des römischen beziehen kann, lehrt uns eigentlich nicht mehr, als wir selbst
zu schliessen vermögen. Solange nämlich der Dichter zugleich Tondichter
und Ghorlehrer war, wird er jeden Übermut des begleitenden Musikers in
seine Schranken zurückgewiesen haben, wie es ja auch in einem Hyporchem
Pratinas einmal der kyklischen Chormusik gegenüber gethan hat (Athen.
XIV 617 B). Aber freilich, als die Dichter nach und nach ihre Fürsorge
auf die rein scenische Aktion beschränkten, für die Tondichtung und die
Einübung des Chores Gehilfen herbeizogen und als die Musiker im vierten
Jahrhundert eine angesehenere Stellung erhielten (§ 20^), wird das Streben
der letzteren nicht ohne Erfolg geblieben sein. Und so mag wohl in Rom
schon von Anfang an das Spiel der Musiker eine grössere Bedeutung ge-
habt haben, als die Vertreter der Blüte des griechischen Dramas gebilligt
hätten.
90. Kunst der Choreuten. Bei der Würdigung der Leistungen des
griechischen Chores darf man nicht vergessen, dass seine Mitglieder Dilet-
tanten waren. Als solche scheinen sie ihre Aufgabe im ganzen trefflich
gelöst zu haben, solange sie sich einer liebevollen Behandlung von seiten
des Dichters erfreuten. Telestes, den Tänzer oder Tanzlehrer, den Aeschylos
verwendete (§ 85^), sieht Athenaeos als Künstler an {xsxvCrrfi I 22 A). Er
war so tüchtig in seiner Kunst, sagt Athenaeos, dass er in Aeschylos Sieben
die Vorgänge (nQayuarn) durch Tanz offenbar machte. Aber schon Euri-
pides fiel der Chor zur Last, wie aus seinem Dramenbau deutlich zu er-
kennen ist. Die rechte Fürsorge für die Einübung des Chores fing also
an zu fehlen, und so wundern wir uns nicht, wenn wir bei Athenaeos (XIV
628 E) einen Komiker aus ungefähr derselben Zeit wie Euripides über Un-
thätigkeit des Chores klagen hören (vvv dh igwaiv ovdtv). — Über die
Kunst der römischen Choreuten erfahren wir nichts; als Berufschoreuten
wird es ihnen an genügender Technik nicht gefehlt haben.
91. Ghdechische Schauspielkunst. 1. Die Beurteilung der dar-
stellenden Künste, insbesondere der Schauspielkunst ist ausserordentlich
schwierig. Während in den dichtenden und bildenden Künsten die er-
haltenen Werke den besten Anhalt gewähren, während auf das staatliche,
gesellschaftliche, religiöse Leben des Volkes aus den überlieferten Gescheh-
nissen mehr oder minder sichere Schlüsse gezogen werden dürfen, sind wir
bei der Würdigung der Bühnenkünste vergangener Zeiten fast ganz auf
zeitgenössische Urteile angewiesen; denn selbst eine eingehende Schilderung
einer Leistung der darstellenden Künste ist kein Abbild der Wirklichkeit,
sondern nur eine Übersetzung, bei welcher der Übersetzer in der Wahl
der Ausdrücke durch persönliche und nationale Anschauungen beeinflusst
ist. Noch schwieriger ist die Würdigung der Schauspielkunst des Alter-
300 B. Das Bülmenwesen der Griechen und Römer.
tums, weil für sie nur wenige Nachrichten vorliegen. Um so eher darf
ein Fehlgriff im Urteil auf Entschuldigung rechnen.
2. Die griechische Schauspielkunst steht im allgemeinen gross da:
sie hat einen Vorzug gegenüber der römischen von Anfang an bis in die
späte Zeit gehabt, das ist das Zusammenspiel der Künstler. Cicero rühmt
dies von ihnen, im Gegensatz zu den römischen Künstlern: oft, sagt er,
dämpft der Deuteragonist oder Tritagonist seine Stimme bedeutend, um den
Protagonisten [natürlich wenn er die Hauptrolle des Dramas spielt] zur
Geltung zu bringen. Zwar bezieht sich Ciceros Urteil auf die zeitgenös-
sische griechische Kunst, aber es kann keinem Zweifel unterliegen, dass
nur eine alte Überlieferung befolgt worden ist, dass ein solches Zusammen-
spiel von Anfang an vorhanden war. Dies folgt nämlich einfach aus der
Stellung des Deuteragonisten und Tritagonisten zum Dichter-Didaskalos,
solange dieser selbst schauspielerisch thätig war, und später zum Protago-
nisten (§ 23»).
3. Über die Schauspielkunst der ersten Zeit bis zur Mitte des fünf-
ten Jahrhunderts und etwas darüber hinaus liegen unmittelbare Zeugnisse
nicht vor. Die viel gepriesene Technik der späteren Zeit scheint auf ge-
ringere technische Leistungen vorher zu weisen; allein so ganz gering
dürfen wir diese doch nicht ansetzen. Die Geberdensprache sicherlich kann
nicht unbedeutend gewesen sein, wenn die selbstspielenden Dramendichter
berühmt waren in der Tanzkunst, wenn sie nicht bloss den Choreuten,
sondern auch andern, die es wünschten, in der Tanzkunst Unterricht er-
teilten (Athen. I 22 A) und wenn sie die Tanzfiguren selbst erfanden. Dass
aber damals schon der Tanz ein kunstvoller gewesen sein muss, lässt sich
am besten ersehen aus der Nachricht über Aeschylos Tänzer Telestes
(§ 90). Auch die Technik des mündlichen Vortrags der Schauspieler kann
nicht untergeordnet gewesen sein: darauf deuten die lang geübte Kunst
des Vortrags der Heldengedichte und die gepriesene Redekunst eines The-
mistokles, Aristeides, Perikles. Was nun aber das Künstlerische anlangt,
das Entsprechende und Harmonische in der Verwendung der inneren Dar-
stellungsmittel, so ist die erste Hälfte des fünften Jahrhunderts und die
kurz darauf folgende Zeit die Glanzzeit. Dies ist an sich wahrscheinlich,
weil die technisch gebildeten und selbstspielenden Dichter die besten Aus-
leger — das sind nämlich die Schauspieler — ihrer eigenen Werke sind;
es ist aber auch aus einer wichtigen Nachricht in Aristoteles Dichtkunst 26
zu erschliessen, welche den Schauspieler Mynniskos betrifft. Aeschylos
hatte, wie aus dessen Vita ganz richtig geschlossen worden ist (Rohde
279 f.), zuerst Kleander als Gehilfen herbeigezogen und später, als drei
Schauspieler zu spielen pflegten, Mynniskos als Tritagonisten. Noch viele
Jahre nach Aeschylos Tode war Mynniskos thätig, denn noch 422 hat er
einen inschriftlich bezeugten Sieg errungen. Während dessen waren neue
Kräfte mit neuen Grundsätzen aufgetreten, unter ihnen Kallipides. In dem
Urteil, welches Mynniskos über die neue Richtung und insbesondere über
Kallipides fällt, dürfen wir den Geist der äschyleischen Schule erkennen;
er nannte aber jenen wegen seines übertreibenden Spieles {v7r€Qßdki.o%ra)
Affe. Dieses eine Wort sagt genug (Sommerbroüt 235); denn offenbar geht
5. Die BarsteUnng. (§ 91.) 301
der Tadel auf die sacbbezeicbnenden Geberden (§ 84^). Auf die äscbyleische
Schule ist wobl aucb zu beziehen, was Quintilian (11, 3, 89) meldet, dass
nämlich einstmals {moris fuit) die etwas auf Würde haltenden Schauspieler
{histrionibus paulo graviaribus) jene Geberden zu meiden pflegten, denn in
Rom war diese Mässigung in Ciceros Zeit wenigstens nicht bekannt (de
or. 3, 59, 220). Ungekünstelt, einfach und zugleich gross war also wie
alles, was Aeschylos schuf, auch seine Darstellung und die seiner Schule.
4. Nach seinem Tode wahrscheinlich erst kam die eben angedeutete
andere Richtung daneben auf, die schliesslich die erste verdrängte. Ver-
anlasst und begünstigt wurde sie durch mehrere Umstände, an denen
Sophokles zum Teil die Schuld trägt. Zwar die Trennung der Schauspiel-
kunst von der Dichtkunst, die den Keim der neuen Richtung enthielt und
die Sophokles durchsetzte (§ 22 0» kann diesem nicht zum Vorwurf gemacht
werden, denn die Vereinigung beider Künste war für die Dauer undurch-
führbar; und auch für die gesonderte Entwicklung der tragischen und
komischen Schauspielkunst, welche zur Förderung der Technik jeder der
beiden Künste beitrug, ist Sophokles nicht verantwortlich, da sie durch die
Trennung der tragischen und komischen Dichtung und das Auftreten des
Dichters als Schauspielers bereits gegeben war. Wohl aber ist es bedauer-
lich, dass er die Einrichtung der Schauspielerwettkämpfe (§ 23^) betrieb
oder doch nicht hintertrieb ; denn sie waren es in erster Linie, welchem nach
und nach eine so ungebührliche Steigerung der schauspielerischen Technik
hervorriefen, dass in Aristoteles Zeit (Rhet. 3, 1) die Bedeutung der Dichter
gegen die der Schauspieler zurücktrat. Die Zuschneidung der Rollen end-
lich nach den Gaben der für ihn thätigen Spieler (§ 23^) war ein Zuge-
ständnis an diese, welches andere nach sich zog, zu Ungunsten von Dich-
tung und Darstellung als einer Einheit. Es ist selbstverständlich, dass die
ersten Hauptvertreter der neuen Richtung noch im ganzen massvoll ge-
wesen sein werden; wir dürfen dies trotz des Vorwurfes, der ihn traf, von
Kallipides voraussetzen und auch wohl von Nikostratos annehmen, dessen
Glanzzeit etwas nach der des Kallipides, etwa in den Anfang des vierten
Jahrhunderts fallen dürfte. Als aber nach dem Tode der grossen Dichter
bei der Wiederaufführung ihrer Dramen in Athen und auswärts die Schau-
spieler, befreit vom Einfluss der Dichter, dieselben Rollen öfter gaben, da
nahm die übertreibende Technik zu; von der andeutungsweisen, dabei selbst-
verständlich dennoch naturwahren Darstellung ging man allgemein zur
unkünstlerischen Nachahmung der nackten Wirklichkeit über. Viele wer-
den zwar in dieser Zeit als berühmte Schauspieler genannt: Polos, Theo-
doros, Aristodemos, Neoptolemos, Thessalos u. a., allein vergebens sucht
man nach einer künstlerischen That, welche ihren Ruhm rechtfertigen
könnte; denn nichts als das Technische wird gepriesen. Bezeichnend und
für uns entscheidend ist es, wenn von berühmten Schauspielern erzählt
wird, dass sie andere als menschliche Laute nachahmten (Tierstimmen u.
dgl.), wie Theodoros {tag TQoxMag) und Parmenon {ti]v vv), und wenn
ihnen dies als Ruhm angerechnet wird.
5. Nach dem vierten Jahrhundert, nach dem Erlöschen der dich-
terischen Schöpferkraft, sank natürlich die Schauspielkunst noch tiefer, am
302 B. Das Bflhnenwesen der Griechen nnd ROmer.
meisten wohl in den halbbarbarischen hellenisierten Ländern des Ostens,
wo sie, dem rohen Geschmack der Zuschauer Rechnung tragend, die wider-
lichsten Kunstgrifife nicht verschmähte (Plutarch Crass. 33). Aber auch im
Westen ging sie gegen früher noch zurück, denn die Vermehrung sach-
bezeichnender Geberden (§ 84^) und die Künstlichkeit der sinnbezeichnenden,
wie das Tremulieren mit erhobenen Händen (§ 84*), sind wohl nur Erzeug-
nisse der griechischen Schauspieler dieser Zeit.
Neueste Stellensammloiig: Voblkeb De Graecorum fahtUarum actaribtiSf Disserta-
tiones Halenses IV. Vgl. Sommebbrodt Scaenica 222 ff. Rohdb Rhein. Mus. 38^' 279 f.
A. MüLLBB Bühn. 184 ff. — Zu 2: Cicero Div. in Caec. 15 ut in actoribtui Graecis fieft
videmua saepe tUunif gut est secundarum aut tertiarum partium, cum possit aJiguanto
darius dicere ^am ipae primarum, mulium submittere, ut ille princeps quam maxime
excellat.
92. Bömische Schauspielkunst. 1. Die römische Schauspielkunst
haben wir als die Fortsetzung der griechischen anzusehen. Der Anfang
war die Zeit der Aneignung der griechischen Technik, und nach einer
kurzen Blütezeit folgte der Verfall. Im allgemeinen fehlte ihr, wie
schon § 91^ angedeutet, das, was die griechische Schauspielkunst bis in
die späte Zeit auszeichnete, das Zusammenspiel. Sie brachte also mehr die
Einzelleistung zur Geltung ohne Rücksicht auf die Einheit des Kunstwerkes.
Im übrigen war sie der nachklassischen griechischen ähnlich. Vorzüglich
Fülle des Ausdruckes in Stimme und Geberde war es, wonach sie strebte,
und besonders die sachbezeichnenden Geberden fanden sehr reichliche An-
wendung, sodass in der Regel der Geist der Dichtung durch die farben-
prächtige Hülle der Darstellung ganz verdeckt wurde. Der Unterschied
zwischen der griechischen und römischen Schauspielkunst lag mehr in
äusseren Dingen, die aber doch nicht ohne Einfluss auf die Darstellung
blieben, insofern als sie die technische Fertigkeit steigerten und das Vir-
tuosen tum noch mehr begünstigten. Die grössere Anzahl der Darsteller
nämlich machte es zunächst möglich, dass die Spieler bei der Rollenver-
teilung nach ihren besonderen Fähigkeiten herangezogen, dass sie also von
einer ihnen weniger zusagenden Nebenrolle befreit werden konnten. Noch
mehr trug zur Hebung der technischen Fertigkeit bei die oben § 82^^ er-
wähnte Verteilung einer Gesangspartie an einen Geberdenspieler und an
einen Sänger; denn nunmehr hatte der vom Einzelgesang befreite eigent-
liche Schauspieler ein engeres Feld der Thätigkeit, auf dem er leichter zu
einer vollendeten Technik gelangen konnte. Aus dieser Beschränkung der
schauspielerischen Thätigkeit ging noch eine andere Eigentümlichkeit der
römischen Schauspielkunst hervor. Während nämlich die griechischen
Schauspieler in guter Zeit nur in einer Dramengattung, entweder in der
Tragödie oder in der Komödie, thätig waren, versuchten sich die römischen
zuweilen auch in der anderen Gattung. Cicero, der offenbar die beiden
grössten Schauspieler seiner Zeit, den Komöden Roscius und den Tragöden
Aesopus im Auge hat, meldet dies im Redner 109.
2. Es war in den römischen Einrichtungen begründet, dass die Lei-
stungen der Schauspieler nicht bloss anfangs, sondern bis in die zweite
Periode (§ 4) hinein geringe waren. Als durch Livius Andronicus das erste
Drama nach griechischer Art aufgeführt wurde, gab es noch keinen römi-
5. Bio Barstellung. (§ 92,) 303
sehen Schauspielerstand. Vorher kannte nämlich Rom als Darsteller ausser
den etruskischen Tänzern (ludiones), die stumm zur Flötenmusik agierten,
wahrscheinlich nur römische Dilettanten. Die ersteren hielt aber von der
Teilnahme am neuen Spiele die Unkenntnis der Römersprache ab und die
letzteren die Verachtung, welche von allem Anfang an die um Lohn dienen-
den Dichter und Schauspieler traf (§ 37^. 38^). Es mussten also andere
fremde Darsteller herangezogen werden, wohl meist Sklaven aus Unter-
italien, die natürlich noch mancherlei Schwierigkeiten in der Aussprache
zu überwinden hatten. Dazu kam aber noch ein anderer wichtiger Um-
stand: die ungemeine Vermehrung der Bühnenspiele am Schluss des dritten
und am Anfang des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts (§ 32); denn die
mit dieser notwendig eintretende Vermehrung der Spieler konnte für die
Entwicklung der Schauspielkunst nichts weniger als günstig sein. Für die
Annahme eines mangelhaften Spieles in der ersten Periode fehlt es auch
nicht an schriftstellerischen Zeugnissen. Oanz besonders wichtig ist; was
Polybios bei Athenaeos XIV 615 A berichtet. Im Jahre 587/167, so er-
zählt er, Hess L. Anicius zur Feier seines Triumphes die berühmtesten
Künstler aus Griechenland kommen. Ihr Spiel war gut, aber die Römer
begriffen es nicht: sie verlangten grössere Lebhaftigkeit. Die griechischen
Künstler improvisierten schliesslich eine Art Prügelei, und dass sie damit
dem Geschmack der Römer entsprochen hatten, sagte ihnen der gewordene
Beifall. Zwar bezieht sich diese Angabe nur auf eine Aktion der Flöten-
bläser und Choreuten; aber aus Polybios Bericht ist zu schliessen, dass das
darauffolgende tragische Spiel auf Wunsch der Römer noch mehr verhunzt
worden sei: er schweige lieber darüber, sagt Polybios, weil er fürchte,
dass man ihm nicht glauben werde. Aus dem Geschmack, den hier die
Römer zeigten, ist doch sicherlich ein Rückschluss auf die Leistungen ge-
stattet, die auf der römischen Bühne den Zuschauern vorgeführt wurden.
Dass aber das Spiel bis in die zweite Periode hinein noch Mängel zeigte,
lehrt uns das Gespräch, das Cicero die berühmtesten Redner der damaligen
Zeit im Jahre 663/91 halten lässt (de or. 3, 56, 214). Cajus Gracchus, der
633/121 seinen Untergang fand, wird dort als Redner seines vollendeten
Vortrages wegen gerühmt; von dieser Höhe der Kunst, heisst es dann
weiter, seien die Redner herabgestiegen, während sie von den Schauspielern
erstiegen wurde (occupaverunt).
3. Es begann also im Anfang der zweiten Periode die Schauspiel-
kunst zu blühen, und bald darauf erreichte sie den höchsten Stand durch
Roscius und Aesopus (Ribbeck R. T. 670 ff.). Roscius Kunst, welcher die
des Aesopus nicht viel nachgestanden zu haben scheint, war um so be-
wundernswerter, als sie keine einfache Weiterentwicklung der voraus-
gehenden griechischen und römischen war, zu dieser vielmehr im Gegensatz
stand. Roscius oberster Grundsatz nämlich war das Masshalten (decere
Cic. de or. 1, 29, 132). Er schloss sich somit an die längst vergangene
Kunst der äschyleischen Schule an. Freilich die einfache Grösse, durch
welche sich jene auszeichnete, war nicht wieder zu erreichen, die sach-
bezeichnende Geberde insbesondere nicht mehr aus Rom zu verbannen.
Aber was hierin zuviel geschah^ das suchte Roscius wenigstens zu mäs-
304 ^* ^^^ BUhnenwesen der Orlechen ,imd ROmer.
sigen und durch Anmut {vent^tas Cic ib. 130) in der Darstellung zu
mildern.
4. Roscius starb um das Jahr 692/62. Seine Schule wird seinen Geist
noch einige Zeit vertreten haben ; aber bald lenkte man wieder in das alte
Fahrwasser ein, und in der Kaiserzeit machte man sich sogar über jene
Kunst lustig. Es war dies nicht anders zu erwarten, denn wohl zu hemmen
vermag ein grosser Geist den Zug der Zeit, doch ihn zu ändern vermag er
nicht. Die kaum zurückgedrängten Übertreibungen traten nun wieder ein.
Es war nichts Seltenes, sagt Quintilian 117, dass geübte Schauspieler durch
Geberden den Becher forderten, Schläge androhten und dergleichen. Man
ging sogar so weit, dass man in der Rolle eines kräftigen Mannes, wenn
man die Worte eines Greises oder Weibes erzählend wiederholte, die zit-
ternde und weichliche Stimme dieser Personen nachahmte. So etwas fiel
selbst einem Quintilian (91) auf, der doch sonst von der Kunst seiner Zeit
eine hohe Meinung hatte, wenn er die Komödienschauspieler Demetrius und
Stratocles als grosse Künstler hinstellt {maximos 178). Uns kann das
letztere Urteil nicht bestechen. Wenn wir das ganze überschauen, werden
wir sagen dürfen: Das römische Bühnenspiel hatte seinen Kreislauf voll-
endet, es hatte aufgehört eine Kunst zu sein und war wieder das geworden,
aus dem es sich entwickelt hatte, eine, wenn auch verfeinerte, Spielerei.
Berichtigung. S. 275 Z. 3 und 5 sind die eingeklammerten Worte umzustellen.
Ferner ist zu lesen: 198, 8 Choreuten; 232, 23 die letzte; 241, 21 Vergang; 277. 12 Tra-
gödie (st. Kom.). Abgesprungen sind u. a. 257, 14 ff. die Anfangsbuclistaben x, x, v.
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