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Full text of "Die grundlehren der astronomie nach ihrer geschichtlichen entwickelung dargestellt"

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REESE LIBRARY 






UNIVERSITY OF CALIFORNIA. 

<^cc&ssio)i No, 0^/3 (^ ' ClassNo. . ^ | 




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DIE GRÜNDLEHREN 



DER 



ASTRONOMIE 



NACH IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKELUNG DARGESTELLT 



VON 



HUGO GYLD^N, 

ASTR0N03I DER K. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
IN STOCKHOLM. 



DEUTSCHE, VOM VEEFASSEB BESOBGTE ÜHD EBWEITEBTE AüSaABE. 



MIT 33 HOLZSCHNITTEN. ^ , ^ 



LEIPZIG, 

^ VERLAG VON WILHELM ENÖELMANN. 
1877. 



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VORWORT. 



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l/as vorliegende Buch verdankt seine Entstehung zu- 
nächst dem Wunsche des Verfassers, seinen schwedischen 
Landsleuten eine elementare Darstellung jener Arbeiten und 
Entdeckungen darzubieten, in denen die neuere Astronomie 
ihre Begründung fand und durch welche zugleich die Vor- 
stellungen des Alterthums und des Mittelalters von dem Welt- 
gebäude auf immer vernichtet wurden. Es waren also be- 
sonders die Leistungen Kepler's und Newtons auf dem induc- 
tiven Forschungsgebiete, deren Entstehung, Entwickelungsgang 
und Tragweite in angemessener Kürze vorgefllhrt werden 
sollten, und zwar so, dass nicht nur die gewonnenen Resultate 
selbst, sondern auch ihre innere Noth wendigkeit hervortrat. — 
Diesem Kerne wurde die Darstellung anderer Theile der 
astronomischen Wissenschaft angereiht, und namentlich er- 
schien eine allgemeine üebersicht des Entwickelungsganges 



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IV Vorwort. . . 

derselben vor der sogenannten »Reformation der Sternkunde« 
geboten, welcher daher auch ein Drittheil des ganzen Buches 
gewidmet wurde. 

Die Folgerungen der Newton sehen Lehre von der all- 
gemeinen Gravitation lassen sich erst genügend würdigen, 
wenn sie mit den Resultaten der neueren, in so hohem Grade 
verfeinerten Beobachtungskunst verglichen werden. Die Be- 
schreibung der wesentlichsten Methoden und Hülfsmittel, 
durch die man zur Kenntnis^ der scheinbaren Bewegungen 
der Gestirne gelangt, durfte also in unserem Buche nicht 
fehlen. In solcher Weise entstand eine Darlegung der astro- 
nomischen Lehren, die allerdings nicht auf grosse Vollstän- 

I 
digkeit Anspruch macht, welche aber doch das Wesenflichste 

und gewissermassen das Fundament des ganzen Lehrgebäudes 
enthält, indem die wichtigsten Forschungen der Neuzeit, wenn 
auch in gedrängter Kürze, in dem vierten Kapitel ihre Berück- 
sichtigung fanden. 

Bei 4^r Darstellung konnte die mathematische Ausdrucks- 
weiBe mM ohne weitläufige Umsdireibungen nöthig zu machen 
entbehrt werden; dass al^er durch die Anwendung mathe- 
matischer BezeiQbPTingen das Yardtändniss der aatronomisehen 
Lehren eher erleichtert a}s erschwert wird, dürfte kaum zu 
bezweifeln sein. Dem Verf^^sser der M^canique Celeste ist 
es zwaii' gelujigen^ in einem meisti^rhaften Werke: £2:position 
du systfemß du mjonde die Lehren der Astronomie ohne Hülfe 
der. algiebr^iisQhen ßezeiQhnungen d^-rzulegen, allein die Schön- 
heiten jen^r Darstellung werden wohl vorzugsweise nur von 



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Vorwort. v 

deBe» gewürdigt werden können, die in der Matii^ematik nicht 
unbewandert di^d; und jedenfalls dürfte dLe Erklärung de8 
induetiven Forschung«praceB8es sehwerlieh in der gewöhnliclien 
Sprache gelingen, weil man bei diesen Farsehungen haupt- 
sächlich eben mit Zahlen operirt. — Man wird in diesem 
Buche nicht wenige Zahlenangaben finden ; sie sind angeführt, 
um das Wesen der Induction bei astronomischen Untersuch- 
ungen zu veranschaulichen, in selteneren Fällen auch um 
Resultate derselben zu geben. 

Das Maass der mathematischen Kenntnisse, welches zum 
Verständniss unserer Darstellung vorausgesetzt wird, ist in- 
dessen ein sehr geringes, und beschränkt sich eigentlich auf 
die Bezeichnungsweise der Algebra. Die Grundformeln der 
Trigonometrie konnten freilich auch nicht ohne grosse Nach- 
theile bei der Wiedergabe asti'onomischer Untersuchungen 
entbehrt werden ; eine kurze Ableitung der wichtigsten dieser 
Formeln schien daher nicht unzweckmässig. Durch eine solche 
Anordnung hofft man dem Buche den Zugang zu einem grösse- 
ren Publikum bereitet und erleichtert zu haben. 

Die deutsche Ausgabe ist keineswegs eine blosse Ver- 
deutschung der schwedischen ; vielmehr wurde die von anderer 
Hand ausgeführte Uebersetzung vom Verfasser umgearbeitet 
und wesentlich vermehrt ; namentlich ist das vierte Kapitel in 
mehrfacher Weise erweitert worden. Der Ausländer erlaubt 
sich daher die Nachsicht der deutschen Leser zu erbitten, 
wenn die Behandlung der Sprache nicht allen Anforderungen 
entsprechen sollte; er bedürfte dieser Nachsicht noch mehr, 



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VI Vorwort. 

hätte er nicht das Glück gehabt, in seinem Freunde Herrn 
Dr. B. Engelmann einen eben so umsichtigen wie kenntniss- 
reichen Förderer dieser Ausgabe zu finden. 
Stockholm, im Februar 1877. 

Der Verfasser. 



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INHALT. 



Seite 

Einleitung 1 

I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis zu Ne wton's 
Entdeckung des Gesetzes der allgemeine^ Schwere. 

§ 1 . Die älteste Beobachtungskunst 23 

§ 2. Die Astronomie der Chinesen, Chaldäer u A 32 

§ 3. Die ältere griechische Astronomie 44 

§ 4. Das Sonnensystem 52 

1. Die Sonne 53 

2. Der Mond 60 

3. Die unteren Planeten : Merkur und Venus 73 

4. Die oberen Planeten: Mars, Jupiter und Saturn . ... 79 

5. Uyigleichheiten in den Bewegungen der Himmelsköiper 83 
§ 5. Die Erklärung der Ungleichheiten in den Bewegungen der 

Sonne, des Mondes und der Planeten durch die griechischen 

Astronomen, insbesondere der Alexandriner Schule .... 107 

§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Kepler's Gesetze ... 120 

§ 7. bie Präcession 152 

II. Kapitel. Newton's Gesetz 4^' allgemeinen Schwere. 

§ 8. Galilei's mechanische Entdeckungen 155 

§ 9. Sätze aus der Mechanik 1 59 

§ 10. Newton's Entdeckung des allgemeinen Gravitationsgesetzes . 176 

§ Jl. Weitere Folgen aus Newton's Gravitationsgesetz 204 

III. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

§12. Coordinaten im Raum und auf der Sphäre 250 

§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente 267 

§ 14. Von den wahren, scheinba^ren und mittleren Oertern der 

Himmelskörper 317 



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VIII Inhalt. 

Seite 

IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

§ 15. Die Bestimmung der Entfernungen der Himmelskörper . . 324 

§ 16. Die kleinen Planeten 339 

§ 17. Die Cometen 344 

§ 18. Die Doppelsterne 356 

§19. Helligkeit der Sterne 367 

§ 20. Scheinhare Vertheilung der Sterne 375 

§21. Die Bewegungen der Sterne 381 

Anhang. 

I. Die Grundformeln der sphärischen Trigonometrie 394 

II. Elemente der Körper des Sonnensystems . .^ 398 

Register 401 

Berichtigungen und Nachträge 408 



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Einleitung. 



l/urch ihre Eigenschaft, beim Eintreten gewisser Bedingungen 
ZQ leuchten, oder Licht auszusenden, sind wir im Stande, die Materie 
im Welträume direct wahrzunehmen. Wir finden sie in ungeheuren 
Entfernungen: theils ist sie zusammengeballt zu immensen, kugel- 
förmigen Körpern , die wir im Allgemeinen mit dem Namen Sterne 
bezeichnen , theils erscheint sie uns in ungeheurer Ausbreitung , häu- 
fig ohne genau geformte und bestimmte Begrenzung und im Zustande 
einer für unsere irdischen Begriffe ganz ungewöhnlich geringen Dich- 
tigkeit. Solche Anhäufungen von Materie in gasförmigem Zustande, 
oder von materiellen Partikelchen , erblicken wir unter den Nebel- 
flecken , in den Cometen , in den kosmischen Schwärmen (Wolken) , 
die, in die Nähe der Erde gekommen , uns das Schauspiel der Stern- 
schnuppen gewähren. 

Nach dem Anfang oder dem Ursprung der Materie zu fragen, 
ist vergeblich ; wir sind im Gegentheile darauf angewiesen , in unse- 
ren Gedanken die Materie als immer vorhanden gewesen zu betrach- 
ten . Und würde Jemand wirklich im Ernste eine derartige Frage stel- 
len , so müsste er doch schliesslich zugeben , dass er den Ursprung 
höchstens auf eine Umformung zurückführen könne. — Jedenfalls 
müssen Ursachen vorhanden gewesen sein, welche die Materie in 
solche Formen verwandelten , dass die sinnliche Auffassung derselben 
möglich wurde, wenn sie es nicht immer war ; diese Ursachen können 
aber doch nur solche gewesen sein , die ihrer Leistung und Fähigkeit 
zu wirken wegen, die Voraussetzung der Materie uns abnöthigen. 
Ebensowenig wie wir die Materie vernichten können , sondern sie nur 
in solche Formen umzusetzen vermögen , dass sie sich unserer Wahr- 

Gylden, Astronomie. \ 



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2 Einleitung. 

nehmung entzieht, ebensowenig ist es möglich, eine erste Entstehung 
der Materie irgendwie uns vorzustellen. Die Materie ist also, nach 
unserer uothwendigen Auffassung derselben , ohne Anfang und ohne 
Ende. 

Soweit wir den Raum mit unseren Fernröhren durchdringen 
können , erblicken wir die Materie in Form fein schimmernder Nebel- 
welten , die zum grossen Theile aus einer Unzahl von Sternen beste- 
hen, welche nur in Folge der unermesslichen Entfernung als so dicht an 
einander gedrängt erscheinen. Je vollendeter unsere optischen Hülfs- 
mittel geworden sind, desto tiefer haben wir unsere Blicke in den Welt- 
raum werfen können , aber noch nie sind wir an eine Begrenzung, 
ein Ende der Materie gekommen ; wir können daher annehmen , dass 
tiefer gehende Blicke leuchtender Materie auch in noch grösserer 
Entfernung begegnen werden. Es kann uns nun ziemlich gleichgül- 
tig sein , ob wir sagen , dass die Materie ohne Grenzen vorhanden, 
oder ob sie innerhalb einer Begrenzung eingeschlossen ist ; jedenfalls 
sind die Grenzen von so ungeheurer Ausdehnung, dass wir sie nie 
werden erfassen können , und sie folglich als für uns gar nicht vor- 
handen ansehen dürfen. 

Trotzdem die tägliche Erfahrung uns das Entgegengesetzte zu be- 
weisen scheint, müssen wir doch der Materie, und zwar auf Grund der 
Art und Weise wie wir dieselbe auffassen, eine allgemeine Eigenschaft 
zuertheilen , die nämlich, in Bewegung zu sein. In der That, 
es bedürfte der Vorstellung eines Atlas , welcher den Himmel trägt, 
oder von Aehnlichem , um nicht bei einiger üeberlegung einzusehen, 
dass wir uns den Begriff der absoluten Ruhe gar nicht bilden können. 
Wenn uns nämlich ein Punkt in Ruhe erscheint , so ist diese Ruhe 
nur eine relative gegen einen andern Punkt , der dieselbe Bewegung 
mit ersterem hat, die wir aber nicht kennen. Einen Punkt, von dem 
wir behaupten könnten , dass er in absoluter Ruhe wäre , können wir 
uns gar nicht denken, und wir könnten , wenn ein solcher auch wirk- 
lich vorhanden wäre, doch nie diese seine Eigenschaft erkennen. 
Wenn wir aber uns eine absolute Ruhe durchaus nicht vorstellen kön- 
nen , ^0 dürfen wir auch nicht nach der Ursache der Bewegung fra- 
gen : die Bewegung braucht keine Ursache zu haben , und es hätte 
überdies keinen Sinn , nach der Ursache dessen zu fragen , von dem 
wir uns das Entgegengesetzte gar nicht vorstellen können. Wir 



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Einleitung. 3 

können höchstens nach der Ursache der einen oder der andern Art 
von Bewegung fragen, und müssen dies auch thnn , sobald die Bewe- 
gung als nicht geradlinig und gleichförmig erkannt wird. 

Eine weitere Eigenschaft der Materie ist uns durch die Erfah- 
rung bekannt; wir wissen nämlich, dass jede materielle Partikel 
jede andere anzieht, oder überhaupt, dass die Molecüle auf einan- 
der auch in der Ferne einwirken. Insofern diese Einwirkung in der 
gewöhnlichen Anziehung besteht , nennen wir sie die allgemeine 
Schwere. Diese Eigenschaft der Materie bewirkt, dass die Körper 
im Welträume nicht in geradlinigen Bahnen und mit gleichförmiger 
Geschwindigkeit fortschreiten, wie es der Fall sein würde, wenn 
keine Fernewirkung stattfände. Die allgemeine Schwere oder An- 
ziehung muss daher als eine Kraft betrachtet werden, d. h. als eine 
Ursache, die Aenderungen in den schon stattfindenden Bewegungen 
hervorbringt. — Die Eihwirkung der Schwerkraft ist nicht unabhän- 
gig von der Entfernung der angezogenen Molecüle, sondern nimmt 
ab , wenn diese grösser wird , und zwar im umgekehrten Verhältniss 
des Quadrats derselben. 

Dächten wir uns die Materie ohne die Eigenschaft der Fernewir- 
kung, d. h. alle äusseren Kräfte im Welträume weg, so dürften wir 
den verschiedenen Körpern im Welträume keine andere als geradlinige 
und gleichförmige Bewegungen beilegen ; denn um solche in irgend 
einer Beziehung abzuändern , sie zu verstärken oder abzuschwächen, 
oder ihre Richtungen zu verändern, ist das Vorhandensein einer Kraft, 
d. h. einer Ursache , unbedingt erforderlich. 

Der Begriff der Anziehung führt zu dem Begriffe der Masse. 
Wir können zwar »die Masse« an und für sich nicht definif en , aber 
wir können die Gleichheit zweier Massen, und folglich auch ihre 
Ungleichheit ausdrücken. Wenn nämlich zwei Körper einen dritten 
in derselben Entfernung ganz gleich anziehen, so sagen wir, dass die 
beiden ersten die gleiche Masse haben; umgekehrten Falles würde 
der eine der beiden ersten Körper eine grössere Masse haben als der 
andere, und zwar derjenige, der die stärkere Wirkung ausübt. Es 
ist daher bloss eine Umschreibung, wenn man sagt , die Molecüle zie- 
hen einander an im Verhältniss ihrer Massen. 

Die allgemeine Schwere bewirkt indessen, dass die Bewegungen 
im Welträume nicht geradlinig und nicht gleichförmig sind , sondern 

1* 



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4 Einleitung. 

dass die Körper sogar häufig in geschlossenen Bahnen nm einander 
sich bewegen. Die Natur der Bahnen, sowie die Gesetze der Bewe* 
gung in denselben hängt offenbar von zwei wesentlich verschiedenen 
Umständen ab , nämlich erstens von der Richtung der Bewegung und 
der Geschwindigkeit des Körpers , so wie diese in einem gegebenen 
Zeitpunkte sein würden , wenn keine anderen Körper eine Femewir- 
kung ausübten ; zweitens aber von der zufälligen Lage und den (rela- 
tiven) Massen solcher Körper , die jedenfalls vorhanden sind , wenn 
auch mitunter zur Zeit in so grosser Entfernung , dass ihre Einwir- 
kung ausserordentlich gering erscheint. Es schliesst dies nicht aus, 
dass ein Körper, der gegenwärtig von sehr geringen oder kaum merk- 
lichen Kräften angegriffen wird, früher oder später in solche Lage 
zu anderen Körpern kommt, dass die auf seine Bewegung wirkenden 
Kräfte sehr bedeutend werden. 

Die Wissenschaft von. den Gesetzen dieser Bewegungen hat man 
Astronomie genannt. Unter dieser Bezeichnung fasst man aber 
nicht nur die Untersuchungen , die auf die wirklichen Bewegungen im 
Welträume Bezug haben, zusammen, sondern man rechnet hierher 
auch alle Fragen , die sich auf die scheinbaren Bewegungen der Ge- 
stirne beziehen, also auf solche Bewegungen , die aus der Bewegung 
der Erde (der fortschreitenden sowohl wie der rotatorischen) schein- 
bar entstehen ; endlich die Ermittelung der scheinbaren Ortsänderun- 
gen der Gestii-ne am Himmel , die auf den Eigenthümlichkeiten des 
Lichtes beruhen , also auf seiner Foi-tpflanzungsgeschwindigkeit und 
seiner Brechung in der Atmosphäre. 

Die astronomischen Untersuchungen können, oder vielmehr müs- 
sen auf awei von einander principiell verschiedenen Wegen geführt 
werden , nämlich auf einem inductiven und auf einem deductiven ; 
was auf dem einen gefunden wird , muss auf dem andern bestätigt 
werden , und zwar innerhalb einer im Voraus bestimmten Genauig- 
keitsgrenze. Sollte aber die Bestätigung ausbleiben , so wird das Er- 
gebniss der ganzen Untersuchung als ungenügend erachtet. 

Durch astronomische Beobachtungen bestimmt man die Richtun- 
gen, in denen die Himmelskörper zu den entsprechenden Zeiten ge- 
sehen werden. Vergleicht man solche, zu verschiedenen Zeiten auf- 
gefasste Richtungen desselben Gestirns mit einander , so gelangt man 
zur Kenntniss der scheinbaren, am Himmelsgewölbe beschriebenen 



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Einleitung. 5 

Bahn desselben. Diese scheinbare Bahn ist nun freilich in der Regel 
etwas ganz anderes, als die wirklich im Räume beschriebene Curve. 
Die scheinbaren Bewegungen folgen nämlich nicht nur aus den wirk- 
lichen Bewegungen, sondern spiegeln zum grosseh Theile nur die der 
Erde wieder. So ist z. B. die scheinbare jährliche Umlaufsbewegung 
der Sonne um die Erde allein veranlasst durch die wirkliche Bewe- 
gung der Erde um die Sonne. Ausserdem erblicken wir stets die auf 
dem scheinbaren Himmelsgewölbe projicirten Bewegungen und kön- 
nen bis jetzt nicht direct die Veränderungen des Abstandes von uns 
wahrnehmen. — Allein auf alle Fälle gewinnt die Astionomie gerade 
aus diesen , direct aus den Beobachtungen hergeleiteten scheinbaren 
Bewegungen, oder wenn man so will, aus den Beobachtungen selbst 
neue Data und neues Forschungsmaterial. Es ist daher nöthig , im 
Besitze von Methoden zu sein, durch die man mit Leichtigkeit die 
Bewegungen auf der Sphäre untersuchen kann . Solche Methoden ha- 
ben einen rein geometrischen Charakter und ihre Gesammtheit nennt 
man die sphärische Astronomie. 

Mit diesem Theile der Astronomie hängt die Beobachtungskunst 
oder die sogenannte practische Astronomie aufs Innigste zu- 
sammen. Wie schon oben gesagt wurde , besteht das Resultat einer 
astronomischen Beobachtung in der Auffassung einer Richtung, d. i. 
mit anderen Worten , in der Bestimmung der Lage eines Punkte^ auf 
der als eine Sphäre gedachten Himmelskugel, oder, wie man mit 
einem technischen Ausdrucke sagt, in der Angabe der sphärischen 
Coordinaten dieses Punktes. 

Die weitere Untersuchung erfordert nun die Lösung einer ganz 
besondern Aufgabe , nämlich die : aus den von der Erde , die selbst 
in Bewegung ist , angestellten Beobachtungen die wirklichen Bahnen 
der Himmelskörper zu bestimmen. Die Methoden, welche zur Lösung 
dieser Aufgabe ersonnen sind, fasst man unter dem Namen theo- 
rische Astronomie zusammen. 

Endlich kommt es darauf an , aus der erkannten wirklichen Be- 
wegung eines Himmelskörpers oinen Schluss auf die Kräfte zu ziehen, 
die seine Bewegung beeinflussen , sowie diejenige Bewegung zu be- 
stimmen , die stattfinden würde , wenn die wirksamen Kräfte plötzlich 
aufhörten zu wirken. Dieses Gebiet der Forschung hat man auch die 
physische Astronomie genannt. — Hiermit endet der Faden 



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6 Einleitung. 

der inductiven Untersuchungen auf dem asti'onomischen Gebiete. 
Wie man leicht einsieht , läuft dieser in seinem letzten und höchsten 
Stadium auf die Forschungen hinaus, welche die Lehren, von den Be- 
wegungen und Kräften im Allgemeinen , sowie von dem Zusammen- 
hang beider zu entdecken und zu erweitern bezwecken, also auf 
die Lehren der Mechanik. — Die Astronomie hängt demnach aufs 
Engste mit der Mechanik zusammen, weshalb auch La place den 
theoretischen Theil der erstgenannten Wissenschaft die Mechanik des 
Himmels (M^canique Celeste) genannt hat. 

Die Aufgaben der theorischen und physischen Astronomie sind 
im Grunde genommen , wenn man sie von der inductiven Seite auf- 
fasst, unbestimmt und können deshalb entweder gar nicht oder wenig- 
stens in verschiedener Weise gelöst werden. Es kann aber gerade 
im Laufe der Untersuchung, besonders wenn man sie auf deductivem 
Wege zu bestätigen sucht, eine Annahme (Hypothese) sich als so 
wahrscheinlich herausstellen , dass man an ihrer Richtigkeit , wenig- 
stens im Wesentlichen, gar nicht mehr zweifeln kann. Dies wird 
durch die folgenden Betrachtungen sogleich einleuchten. 

Ursprünglich wissen wir weder ob die Erde sich bewegt, noch, 
wenn dies auch angenommen würde , wie diese Bewegung beschaffen 
sei. Wenn ich mich aber selbst in Bewegung befinde, ohne deren Be- 
schaffenheit zu kennen, und einen Gegenstand sehe, von dem ich auch 
nur weiss , wie seine Bewegung mir erscheint , so kann ich unmög- 
lich entscheiden , wie dieser Gegenstand seinen Ort im Baume wirk- 
lich verändert. Vor allen Dingen müsste der Abstand des beweg- 
lichen Gegenstandes von meinem bewegten StandpunktiB in jedem 
Augenblicke bekannt sein, oder auch das Gesetz, wonach die Ver- 
änderungen des Abstandes vor sich gehen , nebst einer Angabe , wo- 
nach die relativen Werthe dieser Abstände in bekanntem Maasse aus- 
gedrückt werden können. Solche Abstände zu bestimmen ist aber eine 
äusserst schwierige Aufgabe , die nur in höchst seltenen Fällen di- 
rect gelöst werden kann. In dem Sonnensysteme gelang es Kepler, 
Abstände der Planeten zu bestimmen , sowie die Aenderung der Ent- 
fernung zwischen der Erde und der Sonne ; Alles ausgedrückt in der 
mittlem Entfernung der beiden letztgenannten Himmelskörper, welche 
als Einheit angenommen wurde. Diese Bestimmung gelang ihm aber 
nur dadurch, dass er annehmen konnte, dass die Planeten nicht min- 



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Einleitung. 7 

der wie die Erde sich in geschlossenen Bahnen um die Sonne beweg- 
ten , so dass ein jeder Körper nach einem siderischen Umlaufe an 
denselben Punkt im Räume zurückkommt. Um die Untersuchung 
selbst durchführen zu können , mussten Beobachtungen , die sich über 
viele Umläufe erstreckten, mit einander verglichen werden. Ein 
Glück, dass der Planet Mars, den seine Untersuchungen zunächst be- 
trafen , eine relativ so kurze Umlaufszeit hat ! — Wenn nun aber 
keine derartige Bestimmung möglich ist , wenn wir nicht wissen , ob 
wir es mit Umlaufsbewegungen zu thun haben oder mit Bewegungen 
anderer Natur, dann ist, wie gesagt , die Aufgabe unbestimmt. Sie 
wird möglicherweise dann lösbar , wenn wir durch Hinzuziehung sehr 
vieler Beobachtungen gewisse allgemeine Gesetze der Bewegung er- 
mittelt haben , auf Grund welcher wir die einzelnen Beobachtungen 
mit einander verbinden können. 

Gewöhnlich lassen sich die scheinbaren Bewegungen, auch wenn 
man die wirklichen gar nicht kennt , durch passende räumlich-geo- 
metrische Annahmen anschaulich machen, oder, wie man auch sagt, 
sich erklären. So z. B. konnte die scheinbare Bewegung der Sonne 
dadurch erklärt werden , dass man ihr eine wirkliche Bewegung um 
die Erde zuschrieb, aber diese scheinbare Bewegung konnte ja auch, 
wie sie es factisch ist, nur eine Reflexion der Erdbewegung sein. Es 
waren also zwei mögliche Erklärungsarten vorhanden , und jede ein- 
zelne entsprach vollkommen in derselben Weise der durch die Beob- 
achtungen ermittelten scheinbaren Bewegung der Sonne ; und zu die- 
sen hätte man beliebig viele hinzufügen können , sobald einmal die 
Annahme der Bewegung beider, Körper zugelassen war. Bald musste 
sich zwar herausstellen , dass die beiden Körper um einander in Be- 
wegung waren, aber um welchen gemeinsamen Punkt, konnte aus den 
Beobachtungen der Sonne allein nicht entschieden werden. — Der- 
gleichen geometrische Erklärungen von den Bewegungen der Sonne, 
des Mondes und der Planeten hat man seit undenklichen Zeiten ver- 
sucht , und hat sie Weltsysteme genannt. Das letzte derselben war 
das Copemicanisch-Kepler'sche , von dem wir jetzt sagen können, 
dass es mit der Wahrheit so nahe übereinstimmte , wie nach dem da- 
maligen Stande der Beobachtungskunst beansprucht werden konnte, 
und noch jetzt bleibt die Ansicht des Copernicus , dass die Sonne im 
Sonnensysteme still steht, stets näherungs weise richtig, sowie es auch die 



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8 Einleitung. 

Gesetze bleiben , welche Kepler 's Namen tragen. Allein die wahren 
Gesetze der Planetenbewegungen finden wir auch in diesem Systeme 
keineswegs wieder. Die Sonne bewegt sich im Sonnensysteme um 
den Schwerpunkt des ganzen Systems , der freilich häufig innerhalb 
des Sonnenkörpers fallt, und die Gesetze der Planetenbewegungen 
werden durch mathematische Ausdrücke angegeben, die eine sehr 
grosse Anzahl Glieder enthalten , von denen nur wenige , aber aller- 
dings die grössten, in dem Kepler'schen Systeme berücksichtigt waren. 
Diese höchst glücklich durchgeführte Induction Kepler's war noth- 
wendig , um zu der Entdeckung der allgemeinen Schwere zu gelan- 
gen , die später ihre Bestätigung gerade in den Abweichungen der 
Kepler'schen Gesetze von den Ergebnissen der Beobachtung fand. 
Nachdem das Gesetz der allgemeinen Schwere entdeckt war, musste 
man schliessen , dass die Masse oder die Anziehungskraft der Sonne 
die der Planeten sehr viele Male übertreffe ; auch könnte man Ver- 
suche machen, die Massen der Planeten untereinander, sowie mit 
der Sonnenmasse zu vergleichen. 

Die astronomische Wissenschaft war hiermit auf dem Punkte an- 
gelangt , dass man die Gesetze der Planetenbewegungen auf deduc- 
tivem Wege ermitteln konnte. Man kannte die Umlaufszeiten der 
verschiedenen Planeten mit grosser Genauigkeit, man kannte die 
Lage und die Form ihrer Bahnen, endlich hatte man die Massen der- 
selben, wenigstens die der grösseren, bestimmt. Es war nun nur 
noch eine Aufgabe der Mechanik, nicht nur die Gesetze Kepler's, 
sondern auch eine Theorie der Planetenbewegungen zu entwickeln, 
welche der immer steigenden Genauigkeit der Beobachtungen ent- 
sprach. Auf deductivem Wege konnte man also die scheinbaren Be- 
wegungen der Sonne und der Planeten im Voraus berechnen , worauf 
eine Vergleichung mit der beobachteten Bewegung zur Bestätigung 
der Annahmen diente, welche der theoretischen Berechnung zu 
Grunde gelegen hatten , d. i. der Bestimmungen der Bahnelemente 
sowie der Massen. Zeigten sich aber Unterschiede , die grösser wa- 
ren, als dass sie der Unsicherheit der Beobachtung zugeschrieben 
werden konnten, so war es jetzt möglich, die früheren Bestimmungen 
zu verbessern. 

Nach der Entdeckung der allgemeinen Schwere war es nicht 
mehr die Aufgabe der Astronomen^ neue Weltsysteme zu construiren. 



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Einleitung, 9 

Man kann sie vielmehr jetzt , wenigstens insofern sie die Asti'onomie 
des Sonnensystems beti'ifft , als eine zweifache bezeichnen : nämlich 
als Bahn- und Massenbestimmung , und als Vorausberechnung. Das 
Problem der Bahn- und Massenbestimmung kann auch noch in ande- 
rer Weise formulirt werden, wodurch dasselbe etwas allgemeiner aus- 
gedrückt wird und das Ziel, welchem wir uns auf dem inductiven 
Wege der Forschung nähern können, vollständig angiebt. 

Wenn keine Kräfte wirkten , so würde die Bewegung eines Kör- 
pers, wie schon oben gesagt wurde , mit gleichförmiger Geschwindig- 
keit in der Richtung einer geraden Linie vor sich gehen. Wir würden 
daher die Lage des Körpers zu jeder beliebigen Zeit angeben können, 
wenn wir 1 . die Lage des Körpers zu einem bestimmten Zeitpunkte 
und 2. seine Geschwindigkeit und die Richtung seiner Bewegung 
kennen. Die Lage im Räume wird nun stets durch drei Grössen, den 
drei Dimensionen entsprechend , angegeben ; man nennt diese Grös- 
sen Coordinaten. Die Geschwindigkeit wird durch die Angabe , wie 
viel der Körper sich in einer beliebigen Zeiteinheit fortbewegt, aus- 
gedrückt, und die Richtung der Bewegung durch zwei Winkelgrössen 
angegeben. Diese drei letzten Bestimmungsstücke lassen sich aber 
durch drei andere ersetzen, nämlich durch die Veränderungen, welche 
die drei Coordinaten in der Zeiteinheit erleiden. Wenn also keine 
Kräfte wirken, so ist die Bewegung eines Körpers und seine Lage zu 
einer beliebigen Zeit durch sechs Bestimmungsstücke vollständig be- 
stimmt ; diese sechs Grössen wollen wir Elemente der Bewegung nen- 
nen. So lange keine Kräfte wirken, bleiben sie selbstverständlich 
unverändert ; wenn aber Kräfte vorhanden sind , so erleiden sie ge- 
wisse Aenderungen, die von der Grösse (Intensität) der Kraft und 
von der Richtung, in welcher sie angreift , endlich auch von den Be- 
wegungselementen selbst abhängen. Dies ist folgendermaassen zu 
verstehen. Wir denken uns einen Körper in Bewegung, ohne'dass 
Kräfte diese Bewegung beeinflussen; seine Bewegungselemente für 
einen gewissen Zeitpunkt , d. h. seinen Ort im Räume zu derselben 
Zeit, ebenso wie die Richtung und Geschwindigkeit seiner Bewegung 
setzen wir auch als bekannt voraus ; endlich denken wir seine Bewe- 
gung nach einem bestimmten Zeitpunkte von Kräften angegriffen, die 
zu einem zweiten Zeitpunkte zu wirken aufhören. Diese Kräfte be- 
wiiken nun, dass die Geschwindigkeit des Körpers und im Allgemeinen 



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10 Einleitung. 

auch seine Richtung verändert wird. Zu dem zweiten Zeitpunkte 
werden daher die Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung des Kör- 
pers im Allgemeinen andere Werthe haben als zu dem ersten, und da 
die Kräfte nun zu wirken aufgehört haben , so werden diese neuen 
Werthe unveränderlich sein. Berechnet man aber nun, mit der neuen 
Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung , aus der zu dem zweiten 
Zeitpunkte stattfindenden Lage des Körpers im Räume den Ort , wel- 
cher dem ersten Zeitpunkte entspricht , so wird man finden , dass die 
auf solche Weise berechnete Lage nicht mit derjenigen tibereinstimmt, 
die vor dem Eingreifen der Kräfte stattfand . Somit sind alle Bewe- 
gungselemente verändert worden. 

Sobald die Bewegungselemente eines Körpers zu einer gewissen 
Zeit ebenso wie die Kräfte , die auf ihn wirken , gegeben sind , so 
lässt sich seine Bewegung stets nach den Regeln der Mechanik be- 
rechnen ; wenigstens ist die Aufgabe eine ganz bestimmte , und ihre 
Lösung kann nur auf mathematische Schwierigkeiten stossen. Anders 
verhält sich aber die Sache , wenn man die Bewegung kennt und die 
Kräfte ermitteln will , welche die Veränderungen der Bewegungsele- 
mente oder der durch bekannte Kräfte verursachten Bewegungser- 
scheinungen bewirkt haben. Wüsste man, dass die unbekannte 
Kraft stets in einer einzigen Richtung wirkte , so würde man dieselbe 
ziemlich leicht ermitteln können ; aber in der Regel muss man anneh- 
men , dass die Kraft von einem Punkte aus wirkt , der selbst in einer 
noch unbekannten Bewegung begriffen ist, und zweitens kann man ja 
auch nie im Voraus wissen , ob nicht mehrere Kräfte vorhanden sind, 
d. h. Kräfte, die in verschiedenen Richtungen wirken. Die Aufgabe, 
aus der Bewegung, die als bekannt vorausgesetzt wird, die wirkenden 
Kräfte direct zu bestimmen, ist daher unlösbar , weil sie unbestimmt 
ist. Da ihre Lösung jedoch durchaus nothwendig ist , so muss man 
versuchen , sie auf indirectem Wege zu lösen , indem man gewisse 
Hypothesen aufstellt, welche die zur directen Lösbarkeit fehlenden 
Bedingungen ersetzen . Auf solche Weise ist man auch stets verfah- 
ren. Im Anfang beti-achtete man nur solche Kräfte, von deren Da- 
sein man im Voraus Kenntniss hatte, also z.B. die Einwirkungen der 
verschiedenen Planeten auf einander ; später wurde man jedoch ver- 
anlasst Kräfte zu suchen, von deren Existenz man durch den unmit- 
telbaren Anblick sich nicht überzeugen konnte. Hierher gehört die 



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Einleitung. 1 1 

Entdeckung des Neptun, ebenso die Untersuchungen über die Ursachen, 
welche die sog. veränderlichen Eigenbewegungen von Sirius und 
Procyon bewirken. Bei diesen Untersuchungen ist man stets von der 
Voraussetzung ausgegangen , dass die Ursache der zu bestimmenden 
Kraft in dem Vorhandensein eines einzigen noch unbekannten Kör- 
pers zu suchen sei. Durch die später erfolgte optische Entdeckung des 
Neptun wurde diese Annahme in dem ersten Falle aufs Glänzendste 
bestätigt ; in den beiden anderen Fällen ist die Richtigkeit der An- 
nahme im Wesentlichen wahrscheinlich, jedoch keineswegs erwiesen. 
Man hat zwar einen Begleiter zu Sirius gefunden und auch in der 
neuesten Zeit einen zu Procyon *) , deren Vorhandensein die beob- 
achteten Bewegungserscheinungen der Hauptsterne zu erklären 
scheint ; die Beobachtungen sind aber bis jetzt weder zahlreich ge- 
nug, noch zu diesem Zwecke hinreichend genau y um den Beweis zu 
liefern , dass in jedem der beiden genannten Stemsysteme nur zwei 
Körper vorkommen. Der blosse Anblick der betreffenden Systeme 
durch mächtige Fernröhre ist noch weniger entscheidend ; man hat 
sogar im Sirius-System mehrere Sterne wahrzunehmen geglaubt , ob- 
gleich solche Wahrnehmungen bisher sich nicht als unzweifelhaft er- 
wiesen haben. Es ist aber nicht genügend, die Anzahl der Körper 
zu bestimmen, welche in einem gegebenen Falle merkliche Anziehun- 
gen ausüben, und die Gesetze ihrer Bewegungen zu wissen ; auch die 
Form derselben ist zu berücksichtigen bei der Berechnung der An- 
ziehung. So lange der Körper als kugelförmig angenommen werden 
kann , darf man zwar die Masse desselben als in den Mittelpunkten 
vereinigt ansehen und also das Newton' sehe Gesetz , welches eigent- 
lich für materielle Punkte gilt, unmittelbar anwenden, indem man die 
betreffenden Körper als solche betrachtet. Ist die Figur des Körpers 
jedoch eine andere, so muss das Gesetz der Anziehung im betreffen- 
den Falle besonders ermittelt werden, was dadurch geschieht, 
dass man die Anziehung der einzelnen Molecttle summirt. Wenn 
jedoch die Entfernungen zwischen den verschiedenen Körpern so 
gross sind, dass die Dimensionen letzterer als verschwindend im Ver- 
hältnisse zu den Abständen angesehen werden dürfen , so ziehen die 
Körper sich wieder in derselben Weise an, als ob ihre Massen in den 



*) Die Existenz des letztern wird indessen noch bestritten. 



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12 Einleitung. 

Mittelpunkten vereinigt wären. Bei den Bewegungen der Himmels- 
körper ist ihrer grossen Entfernungen wegen diese Annahme nur 
ausnahmsweise unstatthaft, allein in einzelnen Fällen muss dennoch 
auf die Figur des anziehenden Körpers Rücksicht genommen werden, 
wie es z. B. bei der Bewegung des Mondes um die Erde nöthig ist. 
Zu den Untersuchungen über die Natur der Kräfte , welche im Welt- 
räume wirksam sind , gehören daher auch die , welche auf die Figur 
der Himmelskörper Bezug haben. 

Einer ganz andern Art von Kräften, als der bisher betrachteten, 
müssen wir noch gedenken, nämlich solcher, die aus dem Wider- 
stände , welchen die Körper bei ihren Bewegungen erleiden können, 
entstehen. Wir wissen zwar gegenwärtig sehr wenig daiHber, inwie- 
fern die Bewegungserscheinungen, die man bisher durch den ver- 
mutheten Widerstand des sog. Lichtäthers erklären wollte , wirklich 
auf diese Ursache zurückzuführen sind , oder wie ein solcher in ver- 
schiedenen Theilen des Weltraums sich verhält ; allein daran , dass 
ein Wide^-stand existirt , wenn auch vielleicht unmerklich für unsere 
Beobachtungen, lässt sich nicht zweifeln. Sollte es auch Theile des 
Weltraumes geben , die absolut leer wären — wir können uns dies 
nur schwer vorstellen, — so giebt es doch andere Theile, welche von 
Materie in äusserst fein vertheilter Form erfüllt sind und die von 
Himmelskörpern durchzogen werden, ohne dass wir indessen im Stande 
wären, den höchst geringen, nichtsdestoweniger aber existirenden Wi- 
derstand zu erkennen. Es ist daher anzunehmen, dass der Widerstand 
in verschiedenen Theilen des Raumes ein sehr verschiedener, sowie 
dass seine Grösse Veränderungen unterworfen ist , da doch ein ge- 
wisser Theil des Weltraumes zu einer Zeit mit einem mehr, zu einer 
andern Zeit mit einem weniger dichten StoflFe erfüllt sein kann. 

Wenn wir also nun sagen , dass das Ziel , welches dem astrono- 
mischen Forscher vorschweben muss, lediglich darin besteht, die 
Bewegungselemente der Himmelskörper zu einer ge- 
gebenen Zeit, sowie die Kräfte, welche auf die Bewe- 
gungen einwirken, zu erkennen, so haben wir alle Fragen 
umfasst, die der Astronomie angehören. Unter Kräften verstehen 
wir nämlich nicht nur die Attractionskraft und noch weniger bloss 
die Form dieser Kraft, deren Erkenntniss von Newton heiTtihrt. 

Wie in jeder Naturwissenschaft, so ist auch die Methode der 



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Einleitung. 13 

Astronomie wesentlich eine induetive ; die Deduction , obwohl für die 
positive Sicherheit , welche das Ergebniss der Untersuchung schliess- 
lich beanspruchen muss, nicht weniger wesentlich; dient doch zu- 
nächst nur dazu , die Ergebnisse der Induction zu bestätigen oder 
eventuell anzuzeigen, wie dieselben verbessert werden sollen. — 
Nicht selten tritt der Fall ein , dass man die Induction nicht zu Ende 
führen kann, d. h. nicht die Bewegungselemente oder die Kräfte in 
genügender Weise bestimmen kann; in solchen Fällen müssen an 
Stelle des Erkannten Hypothesen substituirt werden. Denn es ist 
wesentlich, dass man, wenn der deductive Weg eingeschlagen wird, 
von der nöthigen Anzahl Bewegungselemente sowie von Kräften 
ausgeht, diese mögen nun wirklich bestimmte oder auch nur hypo- 
thetische sein; im andern Falle würde das Wesen der Deduction 
aufgehoben sein und einem reinen Empirismus Raum gegeben. Die 
Astronomie ist zwar gegenwärtig mehr als jede andere Naturwissen- 
schaft frei von Empirismus, aber Spuren davon kommen doch hin und 
wieder auch hier vor. So ist es z. B. noch nicht vollkommen gelun- 
gen, die Bewegung des Mondes durch bekannte Kräfte zu erklären ; 
da man aber für gewisse practische Zwecke (Längenbestimmungen 
u. dgl.) möglichst genaue Mondörter nöthig hat, so war man gezwun- 
gen, die Theorie in empirischer Weise zu ergänzen. 

Wir müssen nun noch Fragen berühren , die zwar nicht unmit- 
telbar für die Astronomie , so wie wir sie oben aufgefasst haben , von 
Interesse sind, die aber doch mitunter den Gang der astronomischen 
Forschungen beeinflussen können. Wir meinen hier die Fragen 
über die physische Beschaffenheit der Himmelskörper. Insofern 
diese nun von unveränderlicher Form und Masse sind, hat die 
physische und chemische Beschaffenheit derselben allerdings kein 
Interesse für die Astronomie, denn es darf als ausgemacht angesehen 
werden , dass die Anziehung der Massen von der chemischen Natur 
ihrer Molecüle durchaus unabhängig ist. Allein die Voraussetzung 
einer solchen ünveränderlichkeit ist keineswegs statthaft, wenngleich 
sie auch bei den Gestirnen nicht merklich von der Wahrheit abwei- 
chen wird. 

Die Materie ist in steten Umwandlungen begriffen. Hier ver- 
dichtet sie sich, dort gehen die Partikelchen auseinander. Das Bei- 
spiel der Verdichtung können wir an unserer eigenen Erde wahrneh- 



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14 Einleitung. 

men. Jährlich, vielleicht täglich kommt aus dem Welträume Materie 
zu der Erde in Form von Sternschnuppen oder kosmischem Staub ; 
dass die Masse der Erde hierdurch zunehmen muss , ist einleuchtend, 
aber diese Vermehrung muss wohl sehr gering sein , denn sonst hätte 
sie an der Rotationsbewegung der Erde bemerkt werden müssen. In- 
dessen, wenn auch quantitativ sehr gering, so findet sie doch unzwei- 
felhaft statt, und es ist sehr möglich, dass wir gerade durch eine sehr 
genaue Untersuchung der Rotationsbewegung der Erde, sowie einiger 
hiermit zusammenhängender Fragen, die Vermehrung der Masse ent- 
decken können. — Es wirdzwar gewöhnlich angenommen, dass Nichts, 
was der Erde zugehört, von derselben sich entfernen kann , aber un- 
denkbar ist es keineswegs, dass dies doch stattfindet. Es wäre dazu 
nur nöthig anzunehmen, dass die Atmosphäre sich bis zu der Höhe 
erstrecke , wo die Schwungkraft der Schwere gleich wird . — Aber 
wenn auch von der Erde oder den festen Himmelskörpern keine Par- 
tikel sich entfernen können, so giebt es doch andere Anhäufun- 
gen von Materie , deren Theile einen sehr losen Zusammenhang mit 
einander haben ; solche sind die Cometen , Stemschnuppenschwärme 
oder kosmischen Wolken u. dgl. mehr Wir kennen einen Cometen 
(den Biela' sehen) , der sich zuerst in zwei völlig getrennte Körper 
theilte, die beide, wie es fast unzweifelhaft ist, sich einige Zeit nach- 
her vollständig auflösten. Die Bewegungen solcher Körper müssen 
aber auch untersucht werden, oder wenigstens die ihrer Schwer- 
punkte. Nun gilt zwar der Satz, dass die Bewegung des Schwer- 
punktes unabhängig ist von den Veränderungen und Umsetzungen 
der Molecüle, aber wenn ganze Theile abgetrennt werden , so ist die 
Bewegung des Schwerpunktes der übrigbleibenden Theile nicht mehr 
mit der Bewegung vergleichbar, wie sie vorher für den Schwerpunkt 
des ganzen Systems gefunden wurde. Ausserdem wird in Folge des 
Abtrennungsprocesses eine Reaction hervorgerufen , welche die Be- 
wegungen der einzelnen Theile beeinflusst. Wenn also die Bewe- 
gung eines solchen Körpers verfolgt wird , so müssen selbstverständ- 
lich die physikalischen Processen die seine Constitution verändern, 
nach Möglichkeit berücksichtigt werden. — Ein anderer Umstand 
kommt hinzu. Wir beobachten nicht direct den Schwerpunkt der 
Körper, wenigstens nicht derjenigen, die von uns aus messbar er- 
scheinen. Bei den Planeten nehmen wir an, dass der Schwerpunkt 



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Einleitung. 15 

mit dem optischen Mittelpunkt der Scheibe zusammenfällt , bei den 
Cometen wiederum , dass der hellste Punkt im Kopfe derselben die 
Lage des Schwerpunktes angiebt. Solche Annahmen sind aber nicht 
immer richtig, Bei dem Monde z. B. hat es den Anschein, dass der 
Schwerpunkt nicht mit dem geometrischen Mittelpunkte des Mond- 
körpers zusammenfällt, und bei den Cometen kann man wohl voraus- 
setzen , dass Schwankungen in der gegenseitigen Lage des Schwer- 
punktes und der Stelle der grössten Lichtentwickelungen nicht selten 
sind. Es scheint nun allerdings, dass solche Schwankungen nicht 
sehr beträchtlich sind ; ganz zwecklos dürfte es jedoch nicht sein , die 
Phasen der Lichtentwickelung in den Cometen bei den Untersuchun- 
gen über ihre Bewegungen zu berücksichtigen. 

Im Vorangehenden ist angedeutet worden , worin die astronomi- 
schen Untersuchungen bestehen und was sie bezwecken ; in welcher 
Weise sie ausgeführt werden , wollen wir in dem vorliegenden Buche 
darzustellen versuchen , und zwar so , dass auch Derjenige , welcher 
mit den mehr verwickelten mathematischen Operationen nicht ver- 
traut, und dem die mathematische Bezeichnungsweise nicht geläufig 
ist, sich doch eine deutliche Vorstellung davon machen kann. 



Nicht in jedem Zeitalter hat man die Aufgaben der Astronomie 
so aufgefasst, wie wir sie auf den vorhergehenden Blättern dargestellt 
haben. Neben diesen, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, rein astro- 
nomischen Forschungen findet man nicht selten zu ganz anderen 
Zwecken angestellte Untersuchungen und Speculationen , die aber bis 
zu einem gewissen Grade mit ersteren verwandt zu sein scheinen. 
Wir denken hier in erster Linie an die Bemühungen, Kenntnisse über 
die physische Beschaffenheit der Himmelskörper zu erlangen , Bemü- 
hungen, die übrigens in neuester Zeit von grossem Erfolg gekrönt 
worden sind. Der Zweck solcher Untersuchungen ist an und für sich 
ein ganz anderer als der der Astronomie , obgleich die Kenntniss der 
physischen Vorgänge auf den Himmelskörpern auch bei reiu astrono- 
mischen Untersuchungen von Wichtigkeit sein kann. 

Die Astronomie oder die Sternkunde hat zu allen Zeiten ein 
weit allgemeineres Interesse gefunden , als sie durch ihre Eigenschaft 
als exacte Wissenschaft allein hätte erwecken können. Die allge- 



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16 Einleitung. 

meine Anschauung hat in derselben mehr als nur allein einen Zweig 
des menschlichen Wissens finden wollen, hat von der Wissenschaft 
von den Sternen viel mehr gefordert als nur die nüchterne Kenntniss 
ihrer Bewegungsgesetze. Die Pracht des gestirnten Himmels in all 
seiner unergründlichen Tiefe mochte wohl in dem ahnungsvollen Sinn 
ganz andere Fragen wachgerufen haben ; Fragen , welche zu beant- 
worten zwar ausserhalb der Grenzen der Wissenschaft liegen , um so 
mehr aber von der Phantasie angeregt werden. Die strenge Regel- 
mässigkeit , welche sich im Verlauf der himmlischen Erscheinungen 
offenbart , in welchem Verhalten steht sie wohl zum ewigen Willen 
der Gottheit? Kann dieselbe gleichsam nur als Sinnbild der Unver- 
änderlichkeit ihres Willens betrachtet werden oder ist hiermit ein 
anderes , den Menschen unfassliches Ziel verknüpft , von dessen Er- 
foi'schung er sich doch so schwer losreisst? Dergleichen Fragen, von 
einem erhabenen Gefühl der Andacht und Ruhe begleitet, welches 
die Betrachtung des Sternenhimmels hervorruft , veranlasste ein reli- 
giöses Element neben der rein astronomischen Forschung, — ein 
Element, welches zuweilen einen höchst wesentlichen Einfluss auf die 
Entwickelung der Astronomie ausübte , ja möglicherweise die ersten 
astronomischen Theorien ins Leben rief. 

Die Kulturgeschichte lehrt uns , wie bei den Naturvölkern das 
Blau des Himmels als Sitz der Gottheit angesehen war; wie man, von 
dieser Vorstellung ausgehend , die Erscheinungen der Sternenwelt als 
unmittelbare Manifestationen ihres Willens betrachtete. Dass »der 
höchste Wille « nöthigenfalls der Sonne und dem Monde ein »Halt« 
gebieten könne, scheint auch bei den höher stehenden der Völker des 
Alterthums ziemlich allgemein angenommen worden zu sein. Kein 
Wunder also, dass die Weltanschauungen der Alten in hohem Grade 
von dem Standpunkte ihrer astronomischen Kenntnisse beeinflusst wa- 
ren. Die Astronomie galt mitunter als eine heilige Wissenschaft, die 
alsdann von den Priestern cultivirt wurde. Spuren einer solchen 
Auffassung finden wir noch heut zu Tage, indem einige der Kirchen- 
feste nach dem Lauf der Sonne und des Mondes angesetzt werden 
und nicht etwa an demselben Datum jedes Jahr wiederkehren. Es 
ist anzunehmen, dass mehrere Völker des Alterthums , *oder richtiger 
ihre Priester, nicht unbeträchtliche astronomische Kenntnisse erlangt 
hatten , obgleich die Spuren dieser Kultur sich meistens in der 



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Einleitung. 1 7 

Dämmerung der Vorzeit verlieren. Wir erinnern an die Chinesen, 
die Indier, die Aegypter^ deren Kenntnisse vielleicht auch den Juden 
überliefert wurden; femer die Babylonier, deren Priester Chaldäer 
genannt wurden^ und endlich die Griechen , von denen man doch an- 
nehmen kann, dass ihre ^ersten Kenntnisse von andern Völkern 
entlehnt waren, die aber dann , soweit uns überliefert worden ist, viel 
weiter als ihre Vorgänger kamen. 

Die poetische Lehre von der Sphärenharmonie — ohne Zweifel 
ihrem Ursprung nach eine Tochter der idealen Naturauffassung — 
t]*ägt nichtsdestoweniger den Grundzug einer astronomischen Theorie 
in sich, obgleich sie sich keineswegs im genügenden Grade zutreffend 
erwies, wenn man auf die astronomischen Erscheinungen, d. h. die 
scheinbaren Bewegungen der Himmelskörper , Rücksicht nahm. Im 
Gegentheü forderten diese , wenn die Theorie dem entsprechen sollte, 
was die unmittelbaren Beobachtungen unzweifelhaft an den Tag leg- 
ten, solche Modificationen der ursprünglichen Vorstellungen eines 
Systems von Krystallsphären , dass es nicht als in Wirklichkeit be- 
stehend angesehen werden konnte. Auch ist es wahrscheinlich, dass 
mehrere hervorragende Astronomen der alten Zeit der Lehre von der 
Architektonik des Himmels keine reelle Bedeutung beimassen, ob- 
gleich sie ihre Theorien so ausbildeten, als wäre die Lehre wahr; ihre 
Bemühungen gingen nur auf eine geometrische Erklärung der ver- 
wickelten scheinbaren Bewegungen der Planeten aus , nicht aber soll- 
ten sie feststellen, in wie weit diese Erklärung physisch möglich sei 
oder nicht. 

Im Mittelalter wurde ein Irrweg eifrig verfolgt , den man als mit 
der Astronomie zusammenhängend ansah, nämlich die so viel bespi*o- 
chene und früher in so hohem Ansehen stehende Astrologie, ein Ei'be 
von den Babyloniem , oder aus noch älteren Zeiten stammend. Eine 
Wissenschaft konnte die Astrologie nie sein , höchstens eine wissen- 
schaftliche Kunst, die den Zweck hatte , aus der Stellung der Plane- 
ten und Fixsterne am Himmelsgewölbe in einem gewissen Augen- 
blicke — gewöhnlich der Geburtsstunde eines Menschen — dessen 
zukünftige Schicksale zu sehen und voraus zu sagen. Die philosophi- 
schen Anschauungen des Mittelalters begünstigten das Unwesen der 
Astrologie, die sich damals zur höchsten Blüthe entfaltete. Man stellte 
sich, nach den Ansichten des griechischen Philosophen Aristoteles, 

txylden, Astronomie. 



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18 Einleitung. 

vor, dass die Planeten mit subjectiver Natur begabte Wesen seien, 
oder dass sie wenigstens von solchen Wesen regiert würden Diese 
übten, der allgemeinen Vorstellungsart entsprechend, einen willkür^- 
liehen Einfluss auf das Schicksal der Menschen. — Man sieht , dass 
die Astronomie und Astrologie eigentlich nie gleichzeitig bestehen 
konnten , denn die Astronomie setzt Gesetze voraus , nach denen die 
Himmelskörper sich bewegen , und lehrt , wie deren Lage am Himmel 
zu verschiedenen Zeiten berechnet werden soll. Die Astrologie hin- 
gegen kümmert sich wenig um Gesetze, sondern erblickt in der jedes- 
maligen Stellung der Himmelskörper den Ausdruck der Willkür über- 
sinnlicher Wesen. Gleichwohl war dieser Widerspruch weniger auf- 
fallend, so lange man nicht im Stande war, die Bewegungen der Pla- 
neten genügend zu erklären, und also eine gewisse Willkür in den- 
selben annehmen zu (können glaubte. In späteren Zeiten trug man 
indess kein Bedenken , sogar so weit zu gehen , dass man nach astro- 
nomischen Regeln das Aussehen des Himmels zu entwerfen oder, wie 
es hiess, die Nativität zu stellen versuchte, wo man nicht einmal durch 
unmittelbare Anschauung oder Beobachtung davon Kenntniss hatte. 
Ein in historischer Beziehung merkwürdiges Denkmal findet man in 
dem von Kepler für Wallen«tein's Geburtsstunde berechneten und er- 
klärten »Angesicht des Himmels«. In den letzten Zeiten ihres Beste- 
hens nahm die Astrologie einen mehr physikalischen Charakter an. 

Die Astrologie brauchte daher astronomische Untersuchungen 
nicht auszuschliessen , sondern förderte solche sogar bis zu einem ge- 
wissen Grade. Und in ähnlicher Weise haben andere Missrichtungen 
in der Auffassung der Kenntnisse , zu denen man durch das Studium 
der Erscheinungen am Himmel gelangen kann , wohl das Ziel der 
Astronomie zeitweilig in Schatten zu stellen, die Entwickelung der 
Wissenschaft jedoch nicht völlig zu hindern vermocht. Seit der Zeit, 
zu welcher die Geschichte anflKngt die Schicksale der Menschheit zu 
erzählen, finden wir Spuren einer astronomischen Wirksamkeit , zwar 
gering und häufig kaum die Benennung wissenschaftlicher Bestrebun- 
gen verdienend , aber doch im Grunde dasselbe Ziel verfolgend , das 
heut zu Tage den Kern der Astronomie ausmacht, nämlich die Kennt- 
niss der Gesetze von den Bewegungen der Himmelskörper. 

Abr wenn auf diese Weise die Astronomie als die älteste der 
Wissenschaften angesehen werden kann , deren Ahnen in die Zeiten 



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Einleitung. 19 

vor einer verlässlichen Geschichtsforschung zurückzuführen sind, so ist 
dies doch nur in so weit richtig , als das Ziel dieser Wissenschaft im- 
mer dasselbe geblieben ist. Dagegen hat ihre Behandlung im Wech- 
sel der verschiedenen Zeitalter wesentliche Veränderungen erfahren 
und sie selbst ist mit der steigenden Kultur in ganz neue , früher un- 
geahnte Entwickelungsstufen getreten. Die Methoden, nach welchen 
man jetzt vermittelst wissenschaftlicher Forschung die Wahrheit 
sucht, sind denen ganz entgegengesetzte geworden , welche man frü- 
her anwendete; die Möglichkeit, hinreichend genaue Data für astrono- 
mische Untersuchungen durch Beobachtungen Zugewinnen, ist ungleich 
grösser, und vor allen Dingen , die Weltanschauung eine gänzlich 
andere geworden .als zu der Zeit, wo der Philosoph von Stagira die 
Natur beschrieb und ihre Erscheinungen zu erklären versuchte. 

Es giebt indessen keine Entwickelungsperiode in der Geschichte der 
Astronomie, in welcher diese Wissenschaft sich im Wesentlichen ausge- 
bildet hätte, ohne dass der Grund hierzu in einer vorhergehenden gelegt 
worden wäre, oder ohne eine nothwendige Folge vorhergehender Ar- 
beiten zu sein. Die Ideen und Ansichten, welche jetzt allgemein an- 
genommen sind, wurzeln, so sehr sie auch gegen das streiten, was 
vor Newton's Zeit als Wahrheit galt , doch in Arbeiten , die vor der 
Zeit dieses grossen Denkers abgeschlossen wurden. Ja, ohne sein 
Verdienst im Geringsten schmälern zu wollen, kann man sagen , dass 
die wichtigste astronomische Entdeckung, die jemals gemacht worden 
ist^ nämlich die der allgemeinen Schwere , zu Newton's Zeit nur als 
die reife Frucht der Forschungen vergangener Zeiten zu betrachten 
war, welche der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit nicht lange mehr 
hätte entgehen können. 

Können wir uns jetzt auch als auf einem sehr hohen wissen- 
schaftlichen Standpunkt stehend ansehen im Vergleich zu den alten 
Astronomen , so dürfen wir demungeachtet doch die Bedeutung der 
Arbeiten, die sie für uns gethan haben, nicht unterschätzen. Wir 
dürfen uns um so weniger hierzu verleiten lassen , als es durchaus 
keine leichte Sache ist , die Länge des Weges zu beurtheilen, den sie 
zurückgelegt haben, oder die Grösse der Schwierigkeiten zu über- 
sehen, welche dabei zu überwinden waren und die im Verhältniss zu 
dem damaligen Kulturzustand überhaupt geschätzt werden müssen. 
Für uns, die wir wissen, dass die Erde sich um eine Axe dreht, deren 

2* 



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20 Einleitung. 

Richtung während, eines kürzeren Zeiti-aums als unveränderlich im 
Welträume angesehen werden kann, ist es nicht schwer , einzusehen, 
wie die scheinbaren täglichen Bewegungen der Gestirne , welche Be- 
wegungen eben eine "Folge dieser Drehung sind, sich gerade so ge- 
stalten müssen, als wenn die Himmelskörper an der inneren Seite 
einer Sphäre befestigt wären, welche sich um die Erdaxe dreht. Als 
aber die Kenntniss von der Erdumdrehung noch nicht gewonnen war, 
wie schwer musste nicht da die Entdeckung der geometrischen Gesetze 
für die tägliche Bewegung der Gestirne sein ; und muss nicht gerade 
diese Entdeckung, die dennoch gemacht wurde, als von der aller- 
grössten Wichtigkeit fttr die Astronomie erachtet werden ? Vor dieser 
Entdeckung und zu einer Zeit , wo man noch kaum eine Ahnung von 
der wirklichen Grösse der Himmelskörper und ihrer Entfernungen 
hatte , gab es durchaus keine Veranlassung , die Rotation der Erde 
anzunehmen ; eben diese Entdeckung ist es aber, der wir es zu dan- 
ken haben, dass wir endlich zu der Einsicht des wahren Sachverhalts 
gekommen sind. 

Nicht minder wichtig ist die Entdeckung der jährlichen Bewe- 
gung der Sonne unter den Sternen , worauf die Dauer des Jahres be- 
ruht. Man kann sagen , dass die Astronomie mit dieser Entdeckung 
ihren Anfang als Wissenschaft nahm ; denn um zu dieser zu gelan- 
gen, waren nicht nur wirkliche Beobachtungen des Gestirns in ver- 
schiedeuen Punkten seiner Bahn erforderlich, sondern auch eine wis- 
senschaftliche Gedankenarbeit nothwendig , durch welche die Beob- 
achtungen mit einander combinirt werden mussten, um zu der Kennt- 
niss der scheinbaren Bahn zu führen. Berücksichtigen wir nun die 
höchst einfache Ali;, auf welche die astronomischen Beobachtungen 
ursprünglich ausgeführt wurden, sowie den Umstand, dass die schein- 
bare Bewegung der Sonne aus einer täglichen und jährlichen sich zu- 
sammensetzt, so müssen wir zugeben, dass die Schwierigkeiten weder 
wenige noch geringe waren, welche überwunden werden mussten, 
bevor die Entdeckung der jährlichen Bewegung der Sonne möglich 
wurde. Soviel wir wissen, sind die ersten astronomischen Beob- 
achtungen dadurch angestellt worden, dass man den sog. heliakischen 
Aufgang der Himmelskörper verfolgte , das ist die Jahreszeit , zu der 
ein Gestirn zuerst in der Morgendämmerung sichtbar wird. Durch 
solche Wahrnehmungen , wahrscheinlich eine Reihe von Jahren fort- 



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Einleitung. 21 

gesetzt, fand man, dass die Zeit , welche zwischen zwei aufeinander 
folgenden heliakischen Aufgängen desselben Fixsterns verflosS; gleich 
gross war, welchen Stern man auch zn den Beobachtungen ausge- 
wählt hatte. 

Dass die alten Astronomen die tägliche Bewegung der Gestirne 
durch die Annahme einer wirklich bestehenden Krystallsphäre er- 
klärten, welche sich in 24 Stunden einmal um ihre Axe drehte, darf 
nns nicht verwundern. ]ßine solche Annahme lag am nächsten und 
widersprach nicht den höchst unvollkommenen physikalischen Vor- 
stellungen von der Natur, welche in älteren Zeiten herrschten — die 
Widersprüche wurden erst bei der Erklärung der Planetenbewegun- 
gen auffilllig. — Die entgegengesetzte Annahme , dass die Erschei- 
nung der täglichen Bewcjgung nur eine Folge der Axendrehung der 
Erde sei, war demnach nicht nothwendig und mnsste eher als verfrüht 
angesehen werden in Zeiten, wo man schwerlich ausreichende Gründe 
für dieselbe hätte anführen können. Demungeachtet fehlt es nicht an 
Speculationen in dieser Richtung. Der Pythagoräer Philolaos nahm 
eine gewisse Bewegung der Erde, an, welche von einigen Forschem 
der Geschichte der Astronomie als identisch mit der Rotation der Erde 
um ihre Axe angesehen worden ist. Dies ist jedoch nicht ganz richtig. 
Die Speculationen des Philolaos scheinen nicht eigentlich auf Beobach- 
tungen gegründetgewesenznsein, sondern bis zu einem gewissen Grade 
auf eine allzu lebhafte Phantasie. Er ptellte sich eine andere als die von 
den Menschen bewohnte Erde vor, die indess nicht zu sehen war, weil 
sie von dem Erdboden verdeckt wurde. Diese eingebildete Erde nannte 
er Gegenerde (dvTi^^fttov) und nahm an , dass Erde und Gegenerde 
sich um ein Centralfeuer (lorfa) drehten. Dies Centralfeuer blieb für 
die Menschen allerdings stets unsichtbar, aber sein Widerschein ver- 
anlasste den Glanz der Sonne. Die Philologie des Mittelalters hat die 
Sätze des Philolaos nicht vollständig enträthselt, und sie deshalb nicht 
in richtiger Weise aufgefasst. Man nahm an, dass Philolaos mit 
•Hestia die Sonne gemeint habe, und Copemicus behielt diese alte 
Annahme bei, gab sich auch nur als denjenigen aus, der, die alte 
Ansicht wieder neu belebte, indem er die Lehre von der Bewegung 
der Erde um die Sonne veröffentlichte. — Wir wissen ebenfalls von 
andern griechischen Astronomen , dass sie die Möglichkeit der Bewe- 
gung der Erde nicht ausschlössen , aber nie scheint eine eigentliche 



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22 Einleitung. 

Lehre, welche die Bewegungserscheinungen am Himmel in genügen- 
der Weise erklärte, aufgestellt worden zu sein. 

Aus dem Yoranstehenden dürfte hervorgehen , dass die Astro- 
nomie schon lange vor der Epoche der modernen Wissenschaft Ge- 
genstand wissenschaftlicher Behandlung gewesen ist, und dass die 
alten Astronomen Einsichten in dieselbe gewonnen haben, welche den 
Grundstein ihrer späteren Entwickelung gelegt und dieselbe erst er- 
möglicht haben. Es ist daher kein unbedeutendes Maass von Kennt- 
nissen, welches der alten Astronomie und der Astronomie unserer 
Tage gemeinsam ist. — Obgleich es nun zwar nicht die Absicht ist, 
im Folgenden einen Abriss der Geschichte der Astronomie zu geben, 
so möge docli das , was seit älteren Zeiten in dieser Wissenschaft 
erkannt worden ist, von einem geschichtlichen Standpunkt aus be- 
trachtet werden. Eine solche Behandlung des Gegenstandes schien 
am besten geeignet zu sein , das Wesen der Astronomie sowohl als 
Wissenschaft, wie auch als Produkt der menschlichen Kultur und 
Gedankenarbeit darzustellen. 



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I. Kapitel. 

Geschichtlicher Ueberbliek bis zu Newton's Ent- 
deckung des Gesetzes der allgemeinen Schwere. 

§ 1. Die älteste Beobachtungskunst. 

Der nächstliegende Zweck, welcher mit astronomischen Beob- 
achtungen verfolgt wird, ist der, die scheinbare Lage eines Himmels- 
körpers am Himmelsgewölbe, d. h. die Richtung desselben in einem 
gewissen Augenblick zu bestimmen. Wie solche Bestimmungen jetzt 
ausgeführt werden , wie man solche Richtungen angiebt und welche 
Benennungen dabei gebraucht werden , wird später ausführlicher be- 
schrieben. Für den Augenblick gentigen einige kurze Andeutungen. 

Man denke sich , um die Lage eines Gestirns am Himmel anzu- 
geben, eine Anzahl Kreise über das Himmelsgewölbe gezogen, ebenso 
wie man auf der Erdoberfläche Meridiane und Parallelkreise angiebt. 
Wenn der Mittelpunkt eines solchen Kreises mit dem der Sphäre (der 
Himmelskugel) zusammenfällt, heisst er ein gross ter Kreis. Der 
Kreis, den der Horizont (d. i. die Ebene, welche ein ruhiges Gewäs- 
ser bildet) an der Himmelskugel abzuschneiden scheint, ist ein solcher 
grösster Kreis, und ebenso sind es die, welche senkrecht auf dem Ho- 
rizonte stehen und sich in den Punkten über unserem Scheitel (Zenith) 
und unter unsem Füssen (Nadir) schneiden. Diese Kreise werden 
Höhen kr eise oder Vertikalkreise genannt, und ihr gemeinsamer 
Mittelpunkt fällt natürlich mit dem Auge des Beobachters, d. i. mit 
dem Mittelpunkte der scheinbaren Himmelssphäre zusammen. Den 
Abstand eines Gestirns vom Horizonte, gezählt in Graden u. s. w. auf 
dem durch dasselbe gehenden Höhenkreise, nennt man die Höhe des- 



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24 I- Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

selben. Die Höhen der Gestirne fär verschiedene Zeiten zu bestimmen, 
oder die Zeiten , zu welchen eine bestimmte Höhe stattfand , war eine 
Hauptaufgabe der älteren astronomischen Beobachtungen. 

Die Bestimmungen der Zeit der heliakischen Aufgänge waren 
gewissermassen eine Art Höhenbeobachtungen. Man beobachtete, um 
diese Zeiten zu bestimmen, den Tag, an welchem das Gestirn zuerst 
in der Morgendämmerung am östlichen Horizonte wahrgenommeiT 
werden konnte , also die Zeit , zu der die Höhen des Sterns und der 
Sonne um so viel von einander verschieden waren , dass ersterer eben 
aus den Sonnenstrahlen heraustrat. Nach der Zeit des heliakischen 
Aufganges wurde der Abstand zwischen beiden Gestirnen immer 
grösser und grösser, was daran zu erkennen war, dass der Stern zu 
einer immer früheren Stunde aufging , oder immer früher und früher 
im Meridian erschien (d. h. im Süden , wenn der Beobachter auf der 
nördlichen Erdhalbkugel sich befindet). Endlich erreichte der Ab- 
stand vom Stern zur Sonne seinen grössten Werth, indem ersterer 
um Mittemacht im Meridian zu sehen war. Hierauf begann der Ab- 
stand wieder sich zu vermindern , bis der Stern am westlichen Hori- 
zonte nach dem Sonnenuntergänge erschien und in den Sonnenstrah- 
len verschwand. Aus den Beobachtungen der heliakischen Auf- und 
Untergänge konnte man auf die Zeiten schliessen, wo Stern und Sonne 
eine solche gegenseitige Lage zu einander hatten , dass beide gleich- 
zeitig im Meridian erschienen. 

Eine sehr alte und sehr einfache Methode , die Höhe der Sonne 
zu bestimmen, bestand darin, dass der Schatten eines aufrecht stehen- 
den Gegenstandes gemessen wurde, dessen lineare Höhe bekannt 
war. Wurde eine Stange ab (Fig. 1) aufgerichtet, deren Länge im 
pjg I Voraus gemessen war , so 

wurde die Höhe der Sonne 
durch die Länge des Schatz 
tens auf einer wagerechten 
Ebene, etwaauf einer Diele, 
bestimmt, wie die folgen- 
den Beispiele zeigen. Be- 
trug die Länge des Schatz 
tens die Hälfte der Linie aCy also 6c = ^ ac , so war die Höhe der 
Sonne 60^; war wieder die Länge des Schattens gleich mit der der 




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§1. Aeiteste Beob&chtungskunst. 25 

Stange, also bc' =s ab, so betrug dieHöhe derSonne 45"; wenn end- 
lich der Schatten so fiel, dass die Lftftge derVerfoindnng&linie ac" das 
Doppelte der Stangenlftiige betrag, so war die Höhe der Sonne 30". 
— Wnrde kein Schatten von der Stange geworfen , so war die Sonne 
im Zenith, nnd ihre Höhe betrag demgemäss 90". Solche Höhen 
von 90" worden mitnnter einfach aach dadurch geschätzt, dass man 
wahrnahm, wie der Boden eines tiefen Brnnnens von den Sonnen- 
strahlen beleuchtet wurde. 

Um mit grösserer Bequemlichkeit die Länge des Schattens zu 
jeder Zeit messen zu können, richtete man ein besonderes Instrument 
eigens dazu ein, das man Onomon benannte; um zugleich die Höhe 
der Sonne damit bestinmien zu können, berechnete man eine Tabelle, 
aus der die Höhe unmittelbar zu entnehmen war, sobald man das 
Yerhftltniss der SchattenLänge zur Länge der Stange kannte. Die 
Berechnung einer solchen Tabelle erforderte einige Kenntnisse des- 
jenigen Theils der Mathematik, den man Trigonojmetrie nennt, 
deren Anfangsgründe den Alten jedoch nicht ganz fremd waren. Das 
Instrument selbst bestand in der erwähnten Stange , oder überhaupt 
in einem aufgerichteten Gegenstande', dessen Höhe ein für allemal 
festgestellt war und der vertikal auf horizontalem Boden aufgerichtet 
war, so dass man leicht .vermittelst eines eingetheilten Messstabes 
die Länge des Schattens bestimmen konnte. Oft errichtete man den 
Gnomon auf hohen Gebäuden ; eine eigentliche Stange war alsdann 
nicht nöthig , man brachte vielmehr auf der Spitze des Gebäudes eine 
Platte an, die mit einem Loche', das die Sonnenstrahlen durchliess, 
versehen war. Der helle Fleck im Schatten, welcher von der Platte 
gebildet wurde, diente nun zur Bestimmung der Schattenlänge , denn 
die Lage des hellen Fleckens Hess sich sicherer auffassen, als die ver- 
waschene Begrenzung des Schattens. 

In der Einleitung ist bereits angedeutet worden , dass man von 
uralten Zeiten her die tägliche Bewegung der Himmelskörper auf die 
Weise vor sich gehend dachte, als ob sie an einer hohlen Sphäre be- 
festigt wären, die sich in einem Zeiträume von 24 Stunden einmal um 
eine Axe drehte. Die zwei Punkte, an denen die Axe die Oberfläche 
der Sphäre berührte, mussten natürlich in Ruhe bleiben , und je wei- 
ter ein Gestirn von diesen Punkten , welche man Pole nannte , ent- 
fernt war, desto gi*ös&er musste auch seine Bewegung sein. Man 



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26 I- Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

denke sich nun Kreise auf die Oberfläche der Sphäre in der Weise 
gezogen , dass sie sämmtlich durch die beiden Pole gehen , alsdann 
haben sie alle einen gemeinsamen Mittelpunkt, der zugleich Mittel- 
punkt der Sphäre ist; mithin sind sie auch grösste Kreise. Es ist 
auch einleuchtend, dass sie von einer Ebene, die durch den. Mittel- 
'punkt senkrecht auf die Umdrehungsaxe gelegt ist, in zwei gleich 
gi*osse Hälften getheilt werden ; denn eine gerade Linie , durch den 
Mittelpunkt eines Ki-eises gelegt , theilt diesen stets in zwei gleiche 
Theile, und jeder durch die Pole der Sphäre gezogene Kreis wird von 
einer solchen geraden Linie geschnitten, welche in der erwähnten 
Ebene liegt. Auf jedem Kreise haben wir also nun vier Punkte ^ die 
in gleichen Abständen von einander liegen , nämlich die beiden Pole 
und die beiden Durchschnittspunkte mit der auf der Umdrehungsaxe 
senkrechten Ebene. Dies wird veranschaulicht durch die nebenste- 
hende Figur 2. Dieselbe zeigt einen der genannten grössten Kreise, 

der mit der Ebene des Papieres zu- 
*^^' ^' sammenföllt: ist der Mittelpunkt 

der Sphäre und PP' ihre Umdre- 
hungsaxe. Denkt man sich nun eine 
Ebene durch 0, senkrecht auf die 
Axe PP' gelegt, so ist dieselbe auch 
senkrecht auf der Ebene des Papie- 
res. In der Figur können wir dies 
in keiner anderen Weise versinnli- 
chen , als durch den perspektivisch 
angedeuteten Kreis EÄE'A ', * wel- 
cl^en die Ebene an der Oberfläche 
der Sphäre ausschneidet. Die gerade Linie EE\ die in der fraglichen 
Ebene liegt, schneidet nun offenbar den Kreis EPE'P' in der Weise, 
dass die Bogen EP, PE', E'P' und P'E einander gleich sind. In 
derselben Weise sieht man, dass jeder andere durch die Pole gehende 
Kreis auf der Sphäre in zwei gleiche Theile getheilt wird durch zwei 
Punkte, die auf dem Kreise AEA' E' einander diametral gegentlber 
liegen. Jeder solcher Halbkreis wird femer in der Mitte von den Po- 
len geschnitten, so dass derAbstand jedes Punktes des Kreises i4J?^'^' 
von jedem der Pole -stets 90° beträgt, oder einem rechten Winkel ent- 
spricht. Dieser zuletzt genannte Kreis heisst Aequator, wenn- 




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§1. Aelteste Beobachtungskunst. 27 

gleich man nnter dieser Benennung eigentlich die Ebene versteht , in 
der er liegt. 

Durch die Beobachtungen der heliakischen Aufgänge verschie- 
dener Sterne einerseits , sowie durch die Messungen der Sonnenhöhen 
im Meridian zu verschiedenen Jahreszeiten anderseits konnte man zu 
dem Schlüsse gelangen, dass die jährliche Bahn der Sonae ein gross- 
ter Kreis auf der Himmelskugel ist , dass sie aber nicht in der Ebene 
des Aequators liegt, sondern in einer anderen, Ekliptik genannten, 
die gegen den Aequator um ohngef^hr 23^° geneigt ist. Man fand 
nämlich , dass die Sonne bei der Sommersonnenwende um ebensoviel 
vom Aequator nach Norden entfenit war , wie bei der Wintersonnen- 
wende nach Süden. Nachdem diese Einsicht einmal gewonnen war, 
hatte es keine besondere Schwierigkeit mehr, vermittelst Messungen 
der Sonnenhöhen sowohl die Höhe des Aequators über dem Horizonte 
(oder die Höhe des Pols) , als auch die Neigung der Sonnenbahn gegen 
den Aequator zu bestimmen. Misst man nämlich die Mittagshöhe 
(d. h. die Höhe im Meridian] der Sonne an einem gegebenen Ort so- 
wohl bei der Sommer- wie bei der Wintersonnenwende, so findet man 
offenbar die Höhe des Aequators genau in der Mitte , d. h. man er- 
hält die Aequatorhöhe einfach dadurch , dass man das arithmetische 
Mittel von den zu den Sonnenwenden gefundenen Sonnenhöhen 
nimmt. Die Schiefe der Ekliptik, d. h. die Neigung der Son- 
nenbahn gegen den Aequator, ist wiederum [einfach die Hälfte des 
Unterschiedes der gefundenen Sonnenhöhen. Dass man die Sonnen- 
höhen gerade im Meridian messen muss, beruht darauf, dass man als- 
dann unmittelbar Bögen auf demjenigen Höhenkreise abmisst , der 
sowohl durch die Sonne wie durch die Himmelspole geht. 

Es galt jedoch , nicht nur die Bewegung der Sonne , sondern 
auch die der andern Himmelskörper zu ermitteln. Die Höhen des 
Mondes konnten zwar mit dem Gnomon gemessen werden, aber die 
andern Körper hatten nicht genug Leuchtkraft , um die Messung des 
Schattens zuzulassen. Man ersann daher verschiedene astronomische 
Messapparat« , von welchen wir indess nur das Astrolabium und die 
Armillarsphäre erwähnen wollen. 

Das Astrolabium ist ein Instrument, dessen Bestimmung es ist, 
bei der Messung der Höhen angewendet zu werden und welches in 



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28 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

vieler BeziehDpg mehr Bequemlichkeit bei der Handhabung darbietet 
als der Gnomon. Das Astrolabium besteht wesentlich aus einem 
in Grade eingetheilten Ring, in dessen Mittelpunkte ein Lineal zum 
Visiren so befestigt ist, d^ss dasselbe nur in der Ebene der Grad- 
theilung gedreht werden kann. Nachdem das Instrument an einem 
daran befindlichen Ringe aufgehängt und das Lineal horizontal ge- 
stellt worden ist, zeigt ein Strich auf letzterem (Index) auf 0*^. Wenn 
femer das Lineal auf einen Gegenstand gerichtet wird, indem das In- 
strument sonst in seiner Lage verbleibt , so zeigt der Index unmittel- 
bar die Höhe des Gegenstandes in Graden. Das Astrolabium wurde, 
der Bequemlichkeit seines Gebrauchs wegen , viel von den Seefahrern 
zur Bestimmung der geographischen Breiten benutzt, und erst im 
vorigen Jahrhundert von dem ihm allerdings überlegenen Hadley- 
schen Sextanten verdrängt. 

Die Armillarsphäre besteht aus einem System von in Gra- 
den eingetheilten Ringen oder Kreisen, von denen einer um einen sei- 
ner Durchmesser gedreht werden kann. Dieser Durchmesser wird mit 
der ümdrehungsaxe des Himmelsgewölbes parallel gestellt, so dass 
das eine Ende gegen den Nordpol des Himmels, das andere gegen 
den Südpol zeigt. Auf dem drehbaren Kreise konnte man nun, ohn- 
geföhr wie mit dem Astrolabium , die Höhe der Gestirne einvisiren 
und messen, jedoch nicht unmittelbar die Höhen über dem Horizonte, 
sondern über dem Aequator. Diese vom Aequator gerechnete Höhe 
nennt man dieDeclination des Gestirns; sie ist nördlich oder süd- 
lich , je nachdem der Himmelskörper in der nördlichen oder südlichen 
der beiden , von der Ebene des Aequators abgetheilten Himmelshalb- 
kugeln sich befindet; den durch die Pole und den fraglichen Himmels- 
körper gehenden Kreis nannte man hiemach Declinationskreis. 

Ausser den Declinationen der Himmelskörper konnte man auch 
vermittelst der Armillarsphäre die Winkel messen , welche die ver- 
schiedenen Declinationskreise init einander bildeten, oder die ent- 
sprechenden Neigungen der von 'diesen Kreisen bestimmten Ebenen 
gegen einander. Man pflegt jedoch nicht solche Winkel zwischen 
zwei beliebigen Declinationskreisen anzugeben , sondern wählt einen 
bestimmten Declinationskreis als Ausgangspunkt und zählt die Winkel 
der übrigen von diesem aus. Hierbei verfolgt man zwei verschiedene 
Systeme. In dem einen wählt man denjenigen Declinationskreis, der 



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§ 1 . Aelteste Beobachtungskunst. 29 

darch das Zenith des Beobachtnngsortes geht, als AusgaBgspunkt. 
Dieser Declinationskreis liegt in derselben Ebene , wie der Erdmeri- 
dian des Ortes und wird Meridian genannt , ebenso wie auch die ge- 
nannte Ebene diesen Namen trägt. Es ist klar, dass der Meridian als 
ein Declinationskreis durch die Pole gehen muss ; da er aber auch 
durch das Zenith und — weil er ein grösster Kreis ist — auch durch 
das Nadir geht, so steht er senkrecht auf dem Horizonte , den er im 
Süd- und Nordpunkte schneidet. Da nun das ganze Himmelsgewölbe 
relativ zur Erde sich dreht, der Meridian eines Ortes aber zu dersel- 
ben eine unveränderliche Stellung hat , so müssen die verschiedenen 
Gestirne nach und nach den Meridian passiren , d. h. ihre Declina- 
tionskreise müssen nach und nach für einen Augenblick mit dem Me- 
ridian zusammenfallen. Den Winkel, welchen der Declinationskreis 
eines Gestirns mit dem Meridian bildet, nennt man Stundenwin- 
kel. Dieses System ist abhängig von dem Standpunkte des Beob- 
achters auf der Erdoberfläche, denn der Stundenwinkel desselben Ge- 
stirns kann, von verschiedenen geographischen Orten aus betrachtet, 
sehr verschieden sein , wenn nämlich diese Orte unter verschiedenen 
Meridianen liegen. — Das zweite System beruht auf dem Declina- 
tionskreis der Sonne in dem Augenblick , wo dieses Gestirn von der 
südlichen Halbkugel über den Aequator in die nördliche tritt , oder 
durch den sog. Frühlingspunkt geht. Die Winkel, welche von 
diesem Declinationskreise aus gezählt werden, nennt man Rectas- 
censionen; der Stundenwinkel des durch den Frühlingspunkt 
gehenden Declinationskreises , oder kurz, der Stundenwinkel des 
Frühlingspunktes heisst Sternzeit. — Die ganze Peripherie (Um- 
kreis) eines jeden Kreises wird in 360° (Grade) getheilt; einenBogen 
von 15^ nennt man auch eine Stunde; es gehen mithin 24 Stunden 
auf einen Umkreis. Da nun eine Umdrehung des Himmels darin be- 
steht , dass jedes Gestirn , jeder Punkt des scheinbaren Gewölbes, 
mithin auch der Frühlingspunkt , einen vollen Umkreis um die Welt- 
axe beschreibt, dass mithin die Stundenwinkel aller Punkte am Him- 
mel während der Zeit einer Umdrehung um 360*^ wachsen, so ent- 
spricht die Zeit einer Umdrehung des Himmels (oder der Erde) dem 
Durchlaufen der 24 Stunden auf dem Kreise. Ein jedes Gestirn 
braucht also, sofern es nicht auch in anderer Weise beweglich ist, ein 
Vierundzwanzigstel der Umdrehungszeit des Himmels, — welchen Zeit- 



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30 



I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 



räum man auch eine Stunde Stemzeit nennt, — um in seiner täglichen 
Bahn eine Stunde oder 15 Grad zu durchlaufen. Nach Feststellung 
dieser Begriffe sagt man, dass die Umdrehungszeit des Himmels (oder 
der Erde) 24 Stunden Stemzeit beträgt. 

Der bewegliche Kreis , von dem wir schon als zur Armillar- 
sphäre gehörend, gesprochen haben, wird von einem anderen ein- 
geschlossen, der dem Aequator entspricht; derAequatorkreis ist end- 
lich von einem dritten umschlossen , welcher den Meridian vorstellt 
und beim Beobachten so genau wie möglich in der Ebene desselben 
eingestellt werden muss. Die Axe des Instruments (die Weltaxe dar- 
stellend) ist so in dem Meridianring befestigt , dass dieselbe mit der 
Weltaxe parallel ist , sobald der Meridian des Instruments mit dem 
des Orts zusammenfällt. Der Aequatorkreis kann so gedreht werden, 
dass der Nullpunkt seiner Graduirung sowohl mit dem Meridian , als 
auch mit dem Frühlingspunkt zusammenfällt, je nachdem man die 

Stundenwinkel oder die Rectascen- 
sionen bestimmen will. Das Aus- 
sehen des Instruments ist in der 
Fig. 3 dargestellt, die auch ohne 
eine weitere Erklärung verständ- 
lich sein dürfte , da die Buchsta- 
ben dieselbe Bedeutung in Bezug 
auf das Instrument haben, wie bei 
der vorhergebenden Figur in Be- 
zug auf den Himmel. Man hatte 
auch andere Arten von Armillar- 
sphären , die wir jedoch hier bei 
Seite lassen. 

Da der Frühlingspunkt nur 
durch eine Definition , keineswegs 
aber durch einen unmittelbar sichtbaren Punkt anzugeben ist, so kann 
auch der Nullpunkt des Aequatorkreises bei der Armillarsphäre nicht 
unmittelbar gegen denselben gerichtet werden. Man erreicht jedoch 
das Ziel, wenn man diesen Nullpunkt gegen einen Stern richtet , des- 
sen Rectascension schon bekannt ist und das Visirlineal gegßn einen 
andern , dessen Rectascension man bestimmen will. Man bestimmt 




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§ 1 . Aelteste Beobachtungskunst. 31 

auf solche Weise den Unterschied der Rectascensionen beider Sterne, 
zu welchem man blos die bekannte Rectascension des ersteren zu addi-^ 
ren braucht, um die des zweiten zu erhalten. — Durch die Rectascen- 
sion und Declination ist die Lage eines Gestirns am Himmel vollkom- 
men bestimmt, in derselben Weise wie die geographische Lage eines 
Punktes an der Erdoberfläche durch seine geogi*aphische Länge und 
Breite angegeben wird. 

Noch muss gezeigt werden , wie die Rectascension eines Sterns 
direct bestimmt wird, oder, wie man sagt, die absolute Rectascension; 
denn wenn die Bestimmung dieser auch nur für einen einzigen Stern 
vorliegt , so findet man die Rectascensionen aller übrigen Himmels- 
körper, wie schon erwähnt wurde, durch diesen. Es ist schon gesagt 
worden, dass die Rectascensionen von dem Punkte des Aequators 
aus gerechnet werden, durch den die Sonne bei der Frühlings-Tag- und 
Nachtgleiche geht. Die Rectascension der Sonne ist demnach 0^ 
in dem Augenblicke , wo ihre Declination 0° beträgt , oder wo die 
Sonne aus der südlichen Hemisphäre in die nördliche übergeht. Hier- 
auf gründet sich unmittelbar die Art und Weise, die man zur Bestim- 
mung der absoluten Rectascension eines Sterns verfolgt. Man hat 
nämlich weiter Nichts zu thun, als den Rectascensionsunterschied 
zwischen Stern und Sonne gerade in dem Augenblicke zu messen, wo 
die Declination des letzteren Gestirns von südlicher zu nördlicher über- 
geht : der gefundene Unterschied ist alsdann unmittelbar die absolute 
Rectascension des Sterns. — Aber ebenso einfach wie diese Beob- 
achtungsweise in theoretischer Hinsicht zu sein scheint, ebenso schwer 
ist die wirkliche Ausführung. Die erste Schwierigkeit, welche die 
alten Astronomen zu überwinden oder zu umgehen hatten , lag darin, 
dass sie nicht unmittelbar einen Stern mit der Sonne vergleichen 
konnten, da ja die Sterne am Tage mit den blossen Augen nicht ge- 
sehen werden können. Sie führten daher diese Vergleichung mittel- 
bar durch den Mond aus , zu Zeiten , wo derselbe zugleich mit der 
Sonne sichtbar war, was, wie bekannt, oft genug der Fall ist. So- 
bald die Sonne untergegangen war, verglich man den Mond mit einem 
Stern, wodurch die Rectascension des letzteren schliesslich berechnet 
werden konnte. Indess zog diese Bestimmungsmethode bedeutende 
Fehler nach sich , da der Mond sich in der Zwischenzeit der beiden 
Vergleichungen bewegte,, d. h. seine Rectascension änderte, und 



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32 1. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

diese Aenderung den alten Astronomen nicht mit hinlänglicher Ge- 
nauigkeit bekannt war. 



§ 2. Die Astronomie der Cliiiieseii^ Chaldäer u. A. 

Nach Laplace*) ist das älteste zuverlässige Denkmal astrono- 
mischen Wirkens durch den Jesuiten Gaubil in China aufgefunden 
worden. Einem alten Manuscripte zufolge erzählt dieser, dass der 
Kaiser Tscbu-kong im Jahre 1100 v. Chr. die Sonnenwenden 
mittelst eines Gnomon beobachtet und dabei gefunden hätte , dass die 
Schiefe der Ekliptik gegen den Aequator 23° 54' war.**) Jedoch 
fehlen nicht Andeutungen von noch älteren Beobachtungen. So wird 
von einer Sonnenfinstemiss berichtet, die nach neueren Berechnungen 
im Jahre 2128 eingetroffen ist, und von einem Cometen, der im Jahre 
2296 unter Kaiser Jao*s Regierung sich gezeigt haben soll. Die 
Chinesen scheinen sich schon sehr früh Regeln zur Vorausberechnung 
von Sonnen- und Mondfinsternissen , die eine wichtige Rolle in ihrem 
Religionscultus spielten, gebildet zu haben; wenigstens wird von 
zwei Astronomen (Hi und Ho) berichtet, dass sie ihr Leben verwirk- 
ten, weil sie die oben erwähnte Finstemiss nicht richtig vorausgesagt 
hatten. Diese Regeln beruhten jedoch sicher nicht auf irgend wel- 
chen astronomischen Theorien, oder auf der Kenntniss von den wirk- 
lichen Bewegungen der Sonne und des Mondes und wie diese Bewe- 
gungen sich von Punkten auf der beweglichen Erdoberfläche darstell- 
ten, sondern waren nur auf empirischem Wege gewonnen worden. 
Uebrigens müssen die Nachrichten hierüber mit grösster Vorsicht auf- 
genommen werden ; von Vielen sind sie auch bezweifelt worden. — 
Es wird noch erzählt, dass die Länge des Jahres unter Kaiser Jao auf 
365^ Tage bestimmt worden sei, also sehr nahe dem wirklichen 
Thatbestande. 



*) Exposition du Systeme du Monde. Edit. II. pag. 370. 
**) Es ist jetzt erkannt "worden, dass die Schiefe nicht unveränderlich 
ist, sondern jedes Jahr sich um eine kleine Grösse ändert. Gegenwärtig 
vermindert sich diese Schiefe um 0','48 jährlich. Da nun die Schiefe zu 
unserer Epoche 23° 27' beträgt , so sieht man , dass das chinesische Re- 
sultat nicht sehr fehlerhaft sein kann. 



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§ 2. Astronomie der Chinesen, Chaldäer u. A. 33 

Bei den Chaldäern — ursprünglicli der Herrscher- und Priester- 
stamm der Babylonier — stand die Astronomie in hohem Ansehen, 
nnd es kann nicht bezweifelt werden , dass diese ziemlich weit in den 
Kenntnissen der Erscheinungen am Himmel gekommen waren. Nach 
Aristoteles und Callisthenes haben babylonische Priester Alexander 
dem Grossen , nachdem dieser Babylon erobert hatte , mitgetheilt, 
dass ihre ältesten Beobachtungen sich bis zum Jahre 1903 vor ihrer 
Zeit, also bis etwa 2230 v. Chr. erstreckten. Von den Chaldäern 
weiss man mit grösserer Sicherheit, dass sie die Finsternisse nach 
empirischen Regeln vorhersagen konnten. Sie scheinen nämlich be- 
merkt zu haben, dass die Finsternisse in nahezu derselben Grösse nach 
einer Periode von 18 Jahren (6585 J^ Tage oder 223 Lunationen) 
wiederkehrten. Auf diesen Cyclus, der Saros genannt wird, haben 
ihre Regeln wahrscheinlich sich gegründet. 

Die Kenntniss der Chaldäer vom Cyclus Saros beweist, dass ihre 
Zeitrechnung auf Werthe der ümlaufszeiten der Sonne und des Mon- 
des gegründet war, die der Wahrheit sehr nahe kamen. Da nun die 
Zeitrechnung oder die Chronologie einer der wichtigsten Gegenstände 
der astronomischen Forschungen bei den Völkern des Alterthums war, 
so dürfte es hier am Platze sein. Einiges davon in Kürze zusammen- 
zustellen. 

Das in der Natur am nächsten liegende Maass für die Zeitrecli- 
nung ist der Tag , oder die Zeit , welche zwischen zwei aufeinander 
folgenden Sonnenculminationen , d. h. Durchgängen durch den Meri- 
dian, verfliesst. Sehr leicht war es, den Augenblick der Culmination 
festzustellen, denn hierzu war nur erforderlich, die Zeit wahrzuneh- 
men , zu welcher der vom Gnomon geworfene Schatten am kürzesten 
war ; bemerkte man zugleich die Richtung , in welcher der Schatten 
fiel , so hatte man ein für alle Mal die Richtung des Meridians be- 
stimmt und brauchte in der Folge nur noch zu beobachten , wann der 
Schatten in dieser Richtung fiel , um die Culminationszeit der Sonne 
oder den Mittag zu erhalten. — Unsere gewöhnlichen Sonnenuhren 
beruhen im Wesentlichen auf einer derartigen Einrichtung. Ein Stift 
wird auf einer, gewöhnlich horizontalen Tafel aufgestellt, auf der 
die Richtung des Meridians aufgezeichnet worden ist. Das Zusam- 
menfallen vom Schatten des Stiftes , der in der Ebene des Meridians 
stehen muss, mit der bezeichneten Meridianrichtung giebt das Mit>- 

Gyld^n, Astronomie. 3 



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34 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

tagsmoment. Will man auf der Tafel die Richtungen verzeichnen , in 
die der Schatten zu den verschiedenen Tagesstunden fällt, so muss 
der Stift parallel mit der Weltaxe gestellt werden , denn sonst wtlrde 
der Schatten zu denselben Stunden in verschiedenen Jahreszeiten 
nach verschiedenen Richtungen fallen. 

Indess war es mühsam, die Zeit nach Tagen zu zählen , weil die 
Kürze dieser Zeiteinheit, selbst um sehr massige Zeitabschnitte zu 
bezeichnen, sehr grosse Zahlen veranlasst hätte. Man suchte dieses 
Umstandes wegen nach anderen und längeren Zeiteinheiten , und fand 
solche in den Umlaufszeiten der Sonne und des Mondes. Es kam 
hierbei nur noch darauf an , zu entscheiden , ob diese Zeitperioden 
unveränderlich sind, d. h. ob der eine Sonnenumlauf genau so viele 
Tage dauert wie der andere , und in gleicher Weise , ob der eine 
Mondumlauf gleiche Zeit wie der andere beträgt. Um dies zu ent- 
scheiden, hätte zwar eine Untersuchung über die Unveränder- 
lichkeit des Tages vorangehen müssen, d. h. ob die Drehung des 
Himmels (oder der Erde) stets dieselbe Zeit dauerte; es scheint jedoch 
nicht, dass die alten Astronomen sich je mit dieser Frage beschäftigt 
haben. Uebrigens war die Vorstellung von der Gleichförmigkeit und 
Unveränderlichkeit der himmlischen Bewegungen so tief in der alten 
Weltanschauung begründet, dass eigentliche Untersuchungen hier- 
über als kaum nöthig erscheinen mochten. Die Forschungen der Al- 
ten über die Länge des Jahres und des Monats tragen jedoch eine in- 
directe Bestätigung der Annahme der Unveränderlichkeit dieser drei 
verschiedenen Zeitmaasse in sich. 

Veranlasst durch die Frage nach den Umlaufszeiten der Sonne 
und des Mondes , müssen wir darstellen , wie solche angegeben wer- 
den , und wie man sie theils auf feste , theils auf bewegliche Punkte 
bezieht. Die Zeit, welche die Sonne braucht, um ihre ganze schein- 
bare Bahn am Himmel, d. i. die Ekliptik zu durchlaufen, nennt man 
das siderische Jahr oder die siderische Umlauf szeit der 
Sonne. Diese Zwischenzeit muss stets dieselbe sein, von welchem 
Punkte der Sonnenbahn man auch die Zählung des Jahres anfängt; und 
zwar würde, wenn der Frühlingspunkt unveränderlich in der Ekliptik 
wäre , die Sonne immer nach dem Zeiträume eines siderischen Jahres 
wieder zum Frühlingspunkte zurückkehren. Die Sache verhält sich 
jedoch nicht ganz so. Der Frühlingspunkt oder überhaupt die beiden 



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Astronomie der Ohinesen, Ohaldäer u. A. 35 

Punkte, in denen dei'Aequator mit der Ekliptik sich schneidet, schrei- 
ten auf der letzteren fort mit einer sehr nahe gleichförmigen Ge- 
schwindigkeit und zwar in der Richtung gegen die Bewegung der 
Sonne. Wir werden später auf diese Erscheinung, die schon im Al- 
terthum erkannt war, zurückkommen : vor der Hand mag es genüge» 
zu erwähnen, dass diese Bewegung 50 Sekunden jährlich beträgt unÄ 
dass sie die Präccssion der Nachtgleichen benannt wird. 
Da nun' die Bewegung des Frtihlingspunktes gegen die Bewegung der 
Sonne gerichtet ist , so ist die Zeit , welche die Sonne braucht, damit 
ihre Rectascension um 360° wächst, selbstverstündlich kürzer, als ein 
siderisches Jahr. Diesen Zeitraum , der nöthig ist , damit die Sonne 
von einem Zusammentreffen mit dem Frtthlingspunkt denselben wie- 
der erreicht, nennt man das tropische Jahr oder die tropische 
Umlaufs zeitderSonne. Um di^se beiden Perioden mit einan- 
der vergleichen zu können , theilen wir ihre Werthe in Tagen mit 
und zwar wie neuere Bestimmungen sie ergeben haben : 

Das siderische Jahr beträgt 365?256358 oder 365 Tage 6 Stun- 
den 9 Min. 9,324 Sekunden. 

Das tropische Jahr beträgt 365T242201 oder 365 Tage 5 Stun- 
den 48 Min. 46,166 Sekunden. 
Ebenso spricht man von einer siderischen und tropischen Umlaufs- 
zeit des Mondes ; die wirkliche Umlaufszeit in Bezug auf einen festen 
Punkt des Himmels ist die siderische , die Umlaufszeit in Bezug auf 
den Frühlingspnnkt ist wieder die tropische Umlaufszeit des Mondes. 
Nach neuern Bestimmungen beti*ägt : 

die siderische Umlaufszeit 27l7» 43^11,58 
die tropische « 27 7 43 4,7 

Ausserdem unterscheidet man beim Monde die synodische, ano- 
malistische und draconitische Umlaufszeit, welche Benennun- 
gen hier sogleich erklärt werden sollen. 

Es ist schon die Rede davon gewesen , dass die Sonne sich in 
einem grössten Kreise bewegt : streng genommen bewegt sie sich in 
einer Ebene , die durch den Mittelpunkt der Erde geht.*) Ebenso 

*) In Wirklichkeit bewegt sich die Erde in einer Ebene, die durch 
den Mittelpunkt der Sonne geht; in beiden Fällen treten jedoch dieselben 
Erscheinungen auf, so dass wir bei der Erklärung der Alten vorläufig 
bleiben können. 

3* 



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36 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

bewegt sich der Mond in einer Ebene , die durch den Mittelpunkt der 
Erde geht, in Folge dessen auch die Mondbahn als ein grösster Kreis 
am Himmel erscheint. (Von einem Punkte auf der Erdoberfläche be- 
trachtet , ist dies nähemngsweise richtig, von dem Mittelpunkte aus 
in aller Strenge.; Die Ebene der Mondbahn ist gegen die der Son- 
nenbahn (Erdbahn) um einen Winkel von beiläufig 5^ geneigt. 

Wenn zwei Ebenen mit einander einen Winkel bilden , sich also 
schneiden, so geschieht der Schnitt stets längs einer geraden Linie. 
In der Astronomie, wo es sich häufig um die Durchschnittslinie zweier 
Bahnebenen handelt, nennt man dieselbe Knotenlinie; die Punkte 
aber, in welchen sich die grössten Kreise , die von den Ebenen an 
der Himmelssphäre abgeschnitten werden , schneiden , nennt man 
Knoten. Der Abstand (im Bogen) auf der Ekliptik zwischen einem 
der Knoten und dem Frühlingspunkt heisst wieder die Länge des 
Knotens. Die Lage der Durchschnittslinie der Sonnenbahn und der 
Mondbahn oder die Knotenlinie der Mondbahn ist nicht unveränder- 
lich, sondern dreht sich in der Ekliptik auf solche Weise, dass die 
Knoten in einem Zeitraum von 18^ Jahrep einen ganzen Umlauf 
vollenden. 

Die Mondbahn ist in der Wirklichkeit kein Kreis , obgleich sie 
uns auf den ersten Anblick so erscheint, sondern eine Ellipse, in 
deren einem Brennpunkt die Erde steht.*) In Folge dessen ist der 
Abstand des Mondes von der Erde nicht unveränderlich derselbe, son- 
dern zeitweise etwas grösser, zeitweise geringer als die mittlere Ent- 
fernung dieser beiden Körper. Den Punkt in der Mondbahn , wo der 
Mond der Erde am nächsten ist, nennen die Astronomen Perigäum, 
den gegenüberliegenden hingegen , wo die grösste Entfernung von 
der Erde stattfindet, Apogäum. Beide Punkte werden auch Apsi- 
den genannt , und die gerade Linie , welche sie verbindet , nennt 
man Apsidenlinie. Ebensowenig wie die Knotenlinie behält 
die Apsidenlinie eine unveränderte Lage im Räume , sondern ist in 
einer stetigen Drehung in der Bahnebene begriffen. Hieraus folgt, 
nun, dass die Apsiden Kreise am Himmel beschreiben; die Zeit, 
welche zu einem Umlauf dieser Punkte nöthig ist, beträgt 8^^ Jahre. 



*; Von der Ellipse soll in einem spateren § eingehender gesprochen 
werden. 



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§ 2. Astronomie der Chinesen, Chaldäer u. A. 37 

Nachdem diese Begriffe festgestellt worden sind , ist es leicht, 
die Bedeutung der oben erwähnten ungleichen ümlaufszeiten des Mon- 
des zu erkläi'en. Die synodische Umlaufszeit bezieht sich auf die 
gegenseitige Lage der Sonne und des Mondes ; sie ist also die Zeit, 
welche der Mond braucht , um seine Bahn in Hinsicht auf die ver- 
änderliche Lage der Sonne in der Ekliptik zu durchlaufen , also die 
Zeit von einem Vollmond zum andern , oder von einem Neumond zum 
andern. Man bemerkt leicht, dass der synodische Monat länger als 
der siderische sein muss; denn wenn wir z. B. vom Neumonde aus- 
gehen , so hat der Mond nach einem siderischen Monat zwar wieder 
die frühere Sonnerilage erreicht , während der Zwischenzeit aber hat 
die Sonne sich etwas vorwärts bewegt, und um sie einzuholen, braucht 
der Mond noch einige Zeit. Der synodische Monat beträgt: 
29* 12« 44™ 2*9. 

Die Zeit, in welcher der Mond , von einem seiner Knoten aus- 
gehend, denselben wieder erreicht, ist der draconitische oder Dra- 
chenmonat; in der Zeit des anomalistischen Monats durchläuft der 
Mond wieder seine Bahn von Perigäum zu Perigäum, also die ganze 
Bahnellipse. 

Die bekannte Erscheinung der Mondphasen hängt von der ver- 
änderlichen Stellung der Sonne und des Mondes zur Erde ab. Der 
Mond wird beleuchtet von der Sonne ; die eine Hälfte derselben ist 
also hell, nämlich die, welche der Sonne zugekehrt ist ; die andere 
Seite ist dunkel. Es ist nun leicht einzusehen, dass man von der 
Erde aus die ganze beleuchtete Mondhälfte nur dann sehen kann, 
wenn die Erde in der Richtung zwischen Sonne und Mond , oder der 
Mond, wie man sagt, in Opposition sich befindet; alsdann islt es Voll- 
mond. Sollte jedoch der Mond bei einer solchen Configuration der 
drei Himmelskörper zugleich in der Nähe eines seiner Knoten sich 
befinden, so würde er auch sehr nahe in der Ebene der Ekliptik sein. 
Sonne, Erde und Mond würden alsdann nahezu in derselben geraden 
Linie liegen, in Folge dessen die Sonne vom Monde aus als von der 
Erde verdeckt erscheint. Der Mond ist mit andern Worten dann in 
den Erdschatten eingetreten und erhält also kein Sonnenlicht; die 
Mondscheibe wird verdunkelt und die Erdbewohner haben das Schau- 
spiel einer Mondfinsterniss. — Beim Neumonde ist der Mond zwischen 
Sonne und Erde getreten, er befindet sich in Conjunction mit der 



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38 I. Kijpitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

Sonne; von seiner befeuchteten Seite können wir dann nichts sehen. 
Ist er aber zugleich in einem seiner Knoten oder deren nächster Nähe, 
so kann er die Sonne ganz oder theilweise für die Erdbewohner ver- 
decken: wir haben alsdann Sonnenfinsterniss. — Kurz nach dem 
Neumonde bemerkt man nach Sonnenuntergang eine schmale, 
gegen die untergehende Sonne gebogene Sichel der beleuchteten 
Mondhälfte am westlichen Himmel. Diese wird breiter und breiter, 
je mehr der Mond sich am Himmel von der Sonne entfernt: 7| Tage 
nach dem Neumonde ohngeßlhr) erscheint der Mond zur Hälfte be- 
leuchtet, d.h. wir sehen die Hälfte seiner wirklich beleuchteten Hälfte. 
Es heisst nun : der Mond ist in seinem ersten Viertel. Beiläufig 
7| Tage nach dem ersten Viertel tritt die Opposition ein; wieder 
7| Tage später ist der Mond in seinem letzten Viertel und erscheint 
jetzt wieder zur Hälfte erleuchtet , und zwar auf der Seite , welche 
gegen die aufgehende Sonne gerichtet ist. Die beleuchtete Mondsichel 
wird jetzt immer schmäler und verliert sich endlich in den Sonnen- 
strahlen. Es ist jetzt wieder Neumond. — Neumond und Volhnond 
nennt man auch die Syzygien, das erste und das letzte Viertel 
die Quadraturen. Den Verlauf der Mondphasen nennt man eine 
L un a t i n ; die Zeit einer solchen ist demnach der synodische Monat. 

Man bemerkte schon frühzeitig, dass Mondfinsternisse nur bei 
Vollmond eintraten , Sonnenfinsternisse hingegen nur bei Neumond. 
Hierdurch wurde man hingewiesen auf die Ursache der Mondphasen, 
nämlich dass der Mond nur mit reflectirtem Sonnenlicht leuchtet. *) 

Durch Aufzeichnungen der Finsternisse entdeckten die Chaldäer 
die schon oben erwähnte Periode S a r o s , die in dem folgenden Satze 
besteht : **) 

223 synodische Monate umfassen einen Zeitraum von 6585 Ta- 
gen 7 Stunden 43 Minuten, oder ohngeftlhr 18 Jahre und 11 Tage 
das Jahr zu 365^ Tagen gerechnet) ; dieser Zeitraum umfasst aber 
sehr nahe 239 anomalistische und 242 draconitische Monate. Nach 
dieser Periode wiederholen sich die Mondfinsternisse in derselben 



*, Um die Zeit des Neumondes geschieht es oft , dass man den dun- 
keln Mondkörper in einem schwachen aschgrauen Lichte bemerkt. Dieses 
Licht ist von der Erde reflectirtes Sonnenlicht ; denn bei Neumond er- 
scheint die Erde vom Monde aus vollständig erleuchtet. 

**) Ideler, Handbuch der math. und techn. Chronologie I, p. 206. 



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§ 2. Astronomie der Chinesen, Chaldäer u. A. 39 

Ordnung und derselben Grösse. — Die Länge des synodischen Mo- 
nats, welche die Chaldäer bestimmt hatten , ist nur um 4^ Sekunden 
fehlerhaft. 

Die astronomische Zeitrechnung der Aegypter scheint ganz iden- 
tisch mit der der Chaldäer gewesen zu sein, weshalb einige Schrift- 
steller auch der Meinung sind , dass die Chaldäer sie von den Aegyp- 
tem entlehnt hätten; gleichwohl ist das Entgegengesetzte wahrschein- 
licher. Aber ausser den gewöhnlichen chronologischen Perioden be- 
merkt man bei den Aegyptern eine ganz eigenthtimliche , nämlich die 
sogenannte Sothisperiode. Diese Benennung rührte von dem 
Stern Sirius her, den die Aegypter Soth, Seth und auch Sothis 
nannten. Sie hatten bemerkt, dass der heliakische Aufgang dieses 
Sterns einige Zeit vor dem Steigen des Nilflusses eintraf, und dass sie 
somit in dem ersten Gewahrwerden desselben ein zuverlässiges Zei- 
chen der für sie äusserst wichtigen Nilüberschwemmungen besassen. 
Die Zeit zwischen zwei heliakischen Aufgängen ist genau ein sideri- 
sches Jahr; da sie aber das Jahr zu nur 365 Tagen rechneten, so 
mussten die heliakischen Aufgänge des Sterns nach und nach zu ganz 
anderen Jahreszeiten eintreffen. Mit jedem Jahre vergrösserte sich 
der Unterschied ohngefähr um ^ Tag ; stieg der Unterschied endlich 
bis zu einem ganzen Jahre, so war eine sogenannte Canicularperiode 
Hundsternperiode) oder Sothis vollendet, da nun wieder die heliaki- 
schen Aufgänge des Sirius in dieselbe Jahreszeit fielen wie zu Anfang 
der Periode. Eine Sothisperiode umfasst demnach 
4 X 365 = 1460 Jahre. 

Ideler nimmt die erste Sothisperiode als vom Jahre 1322 v. Chr. 
beginnend an, so dass mit dem Jahre 138 eine !=*olche Periode ver- 
flossen sei.* 

Dass die alten Aegypter die Kunst verstanden , ihren Meridian 
zu bestimmen, zeigen uns die Monumente ihrer Baukunst , welche bis 
zu unsern Tagen den Einwirkungen der Zeit und Verheerungen der 
Menschen widerstanden haben. Ohne mit Herrn Piazzi Smith im Ge- 
ringsten überein zu stimmen , der in den Pyramiden das Zeugniss er- 
blicken will, dass die alten Aegypter auf einer Kulturhöhe standen, 
die der unsern mindestens gleich , wenn nicht noch überlegen war, 

*i Ideler, Chronolog. I, p. 131. 



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40 I- Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

und der aus den Dimensionen derselben die verborgene Weisheit ihrer 
Urheber enträthseln zu können glaubt^ braucht man doch nicht in Ab- 
rede zu stellen, dass bei ihrer Ausführung astronomische Zwecke mit ver- 
folgt worden sind. Es sind nämlich entweder die Seiten der Pyramiden 
oder auch die Diagonalen zwischen ihren Ecken so genau nach Süd 
und Nord, Ost und West orientirt , dass eine Absicht bei ihrer Aus- 
führung uns nicht entgehen kann ; diese setzt übrigens eine nicht un- 
bedeutende Einsicht voraus, wie astronomische Beobachtungen ange- 
stellt werden müssen. 

Da die Bahn des Mondes nur wenig gegen die Ekliptik geneigt 
ist , so sehen wir diesen Himmelskörper am Himmel stets in der Nähe 
der scheinbaren Sonnenbahn. In der Gegend dieser beiden Bahnen 
bemerkt man noch eine Anzahl anderer Körper, welche nicht wie die 
Sterne unveränderlich am Himmel befestigt erscheinen , sondern be- 
weglich sind und im Allgemeinen in derselben Richtung wie Sonne und 
Mond die Zone zu beiden Seiten der Ekliptik durchlaufen. Diese 
Himmelskörper werden Planeten genannt, und die Zone, innerhalb 
welcher sowohl sie , wie auch Sonne und Mond sich bewegen , nennt 
man den Zodiakus oder den Thierkreis. 

Da nun alle diese Körper stets in der Nähe der Ekliptik blei- 
ben, so hat man häufig vorgezogen , die Lage derselben auf diese als 
Grundebene zu beziehen, anstatt auf den Aequator. Man denke sich 
eine gerade Linie durch den Beobachtungsort senkrecht auf die Eklip- 
tik gezogen ; diese Linie trifft, wenn sie nach beiden Richtungen ver- 
längert wird, die scheinbare Himmelskugel in 'zwei Punkten , welche 
die Pole der Ekliptik genannt werden; durch die Pole denke 
man sich fenier Kreise gelegt , von welchen einer durch den Früh- 
lingspunkt geht, die anderen hingegen durch die Oerter der verschie- 
denen Himmelskörper. Den Bogen eines solchen Kreises zwischen 
der Ekliptik und dem Ort des Körpers nennt man die Breite ; unter 
dem Namen Länge versteht man wiedemm den Bogen auf der Eklip- 
tik, der zwischen dem Breitenkreis und dem Frühlingspunkt liegt. 
Länge und Breite entsprechen somit vollständig Rectascension und 
Declination und können aus letzteren durch eine einfache trigono- 
metrische Rechnung gefunden werden , wobei man auch die Schiefe 
der Ekliptik kennen muss. Es leuchtet ein, dass die Breite der Sonne 



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§. 2. Astronomie der Chinesen, Chaldäer u. A. 41 

stets Null ist*), sowie dass die Breite der übrigen jetzt besprochenen 
Himmelskörper stets klein sein muss , denn sie sind ja stets in der 
Nähe der Ekliptik. In der That beträgt die Breite des Mondes und 
der Planeten immer nur wenige Grade.**) 

Wenn aber auch die Bewegungen der Planeten insofern Aehn- 
lichkeit mit denen der Sonne und des Mondes zeigen, dass ihre schein- 
baren Bahnen in der Nähe der Ekliptik liegen, so ist doch in anderer 
Beziehung ein wesentlicher Unterschied zu bemerken. Die Sonne und 
der Mond durchlaufen ihre Bahnen, beide mit nahezu gleicher Ge- 
schwindigkeit in. allen Punkten derselben und gehen dabei stets vor- 
wärts in dem Sinne , dass ihre Rectascensionen oder Längen zuneh- 
men ; die Planeten hingegen bewegen sich , wie ßs von der Erde aus 
erscheint, in einer weniger regelmässigen Weise. Zuweilen scheinen 
sie unbeweglich unter den Sternen zu verweilen , mitunter sogar eine 
rückläufige Bewegung zu haben ; aber im Grossen und Ganzen schrei- 
ten sie doch vorwärts in derselben Richtung wie Sonne und Mond. 
In dieser Richtung vollenden sie auch ganze Umläufe, ähnlich wie die 
letztgenannten Himmelskörper , und man unterscheidet auch bei den 
Planeten siderische, tropische, und synodische Umlaufszeiten. Wir 
führen jetzt diese Umlaufszeiten an und zwar nach neueren Bestim- 
mungen , und unter Berücksichtigung , dass sie sich eigentlich um die 
Sonne bewegen. Wenn wir dann im Laufe unserer Darstellung ältere 
Werthe dieser Umlaufszeiten erwähnen , so haben wir einen Verglei- 
chungspunkt zur Beurtheilung der Sicherheit dieser älteren Bestim- 
mungen. 

Trop. Üml.-Zeit 
in Tagen 

87.9684 

224.6954 

686.9297 

4330.5936 

10746.9487 

*) In Folge von Umständen , die wir später erörtern werden , ist die 
Breite der Sonne nicht genau. Null ; sie steigt jedoch nie bis zu einer Se- 
kunde, eine in den Beobachtungen der Alten vollkommen verschwindende 
Grösse. 

**) Hier werden nur die fünf in den ältesten Zeiten schon bekannten 



Planet 


Sid. Üml.-Zeit 




in Tagen 


Merkur 


87.9693 


Venus 


224.7008 


Mars 


, 686.9798 


Jupiter 


4332.5848 


Saturn 


10759.2198 



Syn. 

Jahre 




Üml.-Zeit 
Tage 
115.8 


1 


218.7 


2 


48.9 


l 


33.6 


1 


12.8 



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42 I- Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

In einem späteren Paragraphen werden wir eingehender die 
Eigenthümlichkeiten darlegen , die bei den Bewegungen der Planeten 
schon in früheren Zeiten bemerkt wurden ; erst bei dem intelligenten 
griechischen Volke gelangte die Kenntniss derselben zu einer solchen 
Höhe, dass sie für uns Interesse haben kann. Es ist zwar durchaus 
nicht unmöglich, dass schon früher andere Völker in dieser Hinsicht 
sich zu derselben Höhe wie die Griechen aufgeschwungen hatten , al- 
lein es fehlt uns hierüber jede sichere Nachricht. Zu dem Weni- 
gen, was uns von den Bemühungen älterer Völker, die Bewe- 
gungen der Planeten zu erkennen, überliefert worden ist, gehören die 
aus dem alten Indien stammenden Bestimmungen der Umlaufszeiten«. 
Man kennt noch gewisse , aus den Zeiten der alten indischen Kultur 
herrührende Zahlenangaben , aus welchen die nachstehenden Werthe 
der siderischen Umlaufszeite'n abgeleitet worden sind : 

Merkur (Budha*) 87.9697 

Venus (Cukra) • 224.6985 

Mars (Mungala) 686.9808 

Jupiter (Brihaspati) 4332.3206 

Saturn (Cani) 10765.7750 

Die Eintheilung des Thierkreises in' Sternbilder ist uralt: 
man kann jetzt nicht mehr sagen , woher dieselbe rührt , aber es ist 
anzunehmen , dass wenigstens die Grundztige derselben an derselben 
Stelle zu suchen sind ; denn die Benennungen , die bei den verschie- 
denen VölkeiTi vorkommen , sind zu gleichförmig , als dass man nicht 
an eine Ueberlieferung denken müsste. Man hat auf verschiedene 
Weise und durch gelehrte Hypothesen die Entstehung der Figuren 
zu deuten gesucht, denen die Sternbilder ihre Namen verdanken, 
aber ein eigentliches Resultat ist hierbei nicht gewonnen worden. 
Die Gruppirung der Sterne innerhalb der verschiedenen Sternbilder 
erinnert nämlich höchst selten an die Figur, die den Namen des 
Sternbildes hergegeben hat, weshalb die Benennung unzweifelhaft 



Planeten gemeint , nämlich Merku», Venus, Mars, Jupiter und Saturn. 
Diesen schliessen sich die in neuerer Zeit entdeckten Uranus und Neptun 
in Hinsicht der geringen Neigung ihrer Bahnen gegen die Ekliptik an ; 
unter den zwischen Mars und Jupiter befindlichen sog. kleinen Planeten 
finden sich dagegen einige mit erheblicher Neigung. 



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§ 2. Astronomie der Chinesen, Chaldäer u. A. 43 

anderen Ursachen zugeschrieben werden muss. Man hat z. B. unter 
anderem die Ansicht aufgestellt , dass die Benennung der Sternbilder 
des Thierkreises in irgend einem Zusammenhange mit der Jahreszeit 
stehe, zu der die Sonne in einem gewissen Sternbild sich befand. 
Man hat z. B. vermuthet, dass die Benennung »Waage« zu der Zelt 
entstand, wo die Sonne am Herbstäquinoctium in diesem Stembilde 
sich befand, und folglich Gleichgewicht zwischen der Länge des Ta- 
ges und der Nacht eintrat. 

Der Thierkreis umfasst 12 Sternbilder, nämlich den Widder, 
den* Stier, die Zwillinge, den Krebs, den Löwen, die 
Jungfrau, die Waage, den Scorpion, den Schützen, den 
Steinbock, den Wassermann und die Fische. Jedes dieser 
Steinbilder erstreckt sich über ohngeföhr 30" der Ekliptik, also 30" 
in der Länge, weshalb man die Länge eines Himmelskörpers dadurch 
angeben konnte, dass man das'^Sternbild nannte , in dem er sich be- 
fand. Um solche Angaben jedoch etwas bestimmter zu machen, 
theilte man die Ekliptik in zwölf gleiche Theile, von denen jeder 30" 
umfasst, und nannte diese Theile Zeichen. Das Zeichen des Widders 
rechnet man von dem Frühlingspunkt 30" vorwärts der Länge nach, 
so dass das Zeichen des Stiers bei 30" anftlngt und bis 60" in der 
Länge sich erstreckt. Indessen ist der Frühlingspunkt, wie schon 
hervorgehoben worden ist, kein fester Punkt in der Ekliptik oder un- 
beweglich in Bezug auf die Sterne, weshalb die Sternbilder, von 
denen die Zeichen ihre Namen erhalten hatten , allmälig vorrtickteu 
und mit anderen Zeichen zusammenfielen. Gegenwärtig liegt z. B. 
der Frühlingspunkt im Sternbilde der Fische ; das Sternbild des Wid- 
ders fällt wieder mit dem Zeichen des Stiers zusammen u. s. w. 

Das Himmelsgewölbe zu beiden Seiten des Thierkreises hat man 
ebenfalls in Sternbilder eingetheilt. Auf der nördlichen Hälfte haben 
wir die bekannten Sternbilder des grossen und kleinen Bären; 
indem letzteren liegt der nördliche Weltpol. Weiter die Leyer, 
den Schwan, Oepheus, Cassiopeja, Perseus, Auriga 
der Fuhrmann), Bootes u.a. Der Aequator geht durch die pracht- 
vollen Sternbilder Orion und den Adler, sowie durch andere, 
weniger in die Augen fallende, wie z. B. den Wallfisch, den kleinen 
Hund, mit dem schönen Stern Procyon, die Schlaijge und 
Ophiuchus. In den Sternbildern der Fische und der Jungfrau 



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44 I. Kapitel. Geschichtlicher Üeberblick bis Newton. 

schneiden sich die Ekliptik und der Aequator, d. h. im ersteren 
Sternbilde liegt der Frühlingspunkt und im letzteren der Herbstpunkt. 
— Die Sternbilder des südlichen Himmels sind meistens in neueren 
Zeiten benannt worden; jedoch haben verschiedene darunter ihre 
Namen schon im Alterthume erhalten, wie z.B. dergrosseHund 
mit Sirius, dem hellsten Fixstern des ganzen Himmels, der Fluss 
Eridanus (von den Aegyptern Nilfluss genannt] ; die südlichen 
Sternbilder des Thierkreises u. a. Der südliche Weltpol liegt in dem 
unscheinbaren Stembilde des Octant, dieses aber ist von einigen 
Sternbildern umgeben, deren Anblick ein ausserordentlich pracht- 
voller sein soll, wie z. B. das südliche Kreuz. 



§ 3. Die ältere griechische Astronomie. 

Als Vater der griechischen Astronomie wird Thaies, einer der 
sieben Weisen, genannt. Es wird ihm nicht nur die Vorhersagung 
einer Sonnenfinsteiiiiss zugeschrieben , sondern auch die Entdeckung, 
dass die Sonnenbahn gegen den Aequator geneigt ist.*) Thaies war 
geboren um das Jahr 640 v. Chr., also zu einer viel späteren Zeit, 
als bei andern Völkern die astronomischen Kenntnisse eine solche 
Ausbildung erlangt hatten , dass die Schiefe der Ekliptik nicht nur 
erkannt, sondern auch gemessen war. Von Thaies weiss man indess, 
dass er oft und lange in Aegypten gewesen ist ; es liegt also nahe, 
anzunehmen, dass er das Meiste , was ihm von den Griechen zuge- 
schrieben wird, in jenem Lande sich angeeignet habe. 

Die Lehren und Kenntnisse des Thaies wurden fortgepflanzt 
und ausgebildet durch Schüler, Freunde und Nachfolger. Man zählt 
zu diesen unter Andern Pythagoras, Anaximander und Ana- 
xagoras. Der Letztere verdient wohl hauptsächlich nur deshalb in 
der Geschichte der Astronomie einen Namen, weil ihm die An- 
sicht zugeschrieben wird, die Meteorsteine seien kosmischen Ur- 
sprungs. Man bringt seine Ansicht in Verbindung mit dem Erschei- 
nen eines Meteors am Aegos Potamos im Jahre 466 v. Chr. — Von 



*) Die von Thaies vorhergesagte Finsterniss dürfte im Jahre 585 v. 
Chr. stattgefunden haben. 



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§ 3. Die ältere griechische Astronomie. 45 

Anaximander, dem Freund Thales\ wird gesagt, dass er der Urheber 
der ersten Landkarten sei. Pythagoras (geboren zu Samos um das 
Jahr 584 v. Chr.) ist jedenfalls der bekannteste unter den Männern, 
welche der Sage nach den Unterricht des Thaies genossen haben sol- 
len. Jedoch gehörte er nicht der von Thaies gestifteten ionischen 
Schule an, bildete vielmehr eine neue , indem er den pythagoreischen 
Bund zu Eroton in Grossgriechenland stiftete. Die Thätigkeit dieses 
Bündnisses, dessen Mitglieder sich bald über die bedeutendsten Städte 
ausbreiteten, ist durch spätere Berichte in einem sagenhaften Dunkel 
erschienen. Der Urheber selbst wird gewissermaassen als ein Halbgott 
verehrt ; man lässt ihn sich seiner eigenen und Anderer Praeexistenz 
erinnern, Thieren gebieten , in den Hades hinabsteigen und endlich 
die Harmonie der Sphären hören. Indess ist es unzweifelhaft, dass er 
die Fortschritte der Mathematik gefördert hat ; ihm haben wir die 
Entdeckung des sog. pythagoräischen Lehrsatzes zu verdanken , über 
die er sich selbst dermaassen gefreut haben soll , dass er den Göttern 
eine Hekatombe opferte. — Unter den Py thagoräern , zu denen der 
in der Einleitung erwähnte Philolaos gehörte , scheint die Lehre von 
der Bewegung der Erde ein Gegenstand der Discussion gewesen zu 
sein. Es ist jedoch kaum anders denkbar, als dass Pythagoras selbst 
die Theorie der Sphärenharmonie angenommen hatte; durch seine 
Vorliebe für Mathematik und Musik und durch ihre so zu sagen hand- 
greifliche Verbindung der tibermenschlichen Welt mit der Sinnen weit, 
musste diese Lehre ihm in hohem Grade zusagen. 

Die astronomische Chronologie wurde durch die Griechen nicht 
unwesentlich vervollkommnet , und in dieser Beziehung dürften ihre 
Arbeiten vor Aristoteles die grösste wissenschaftliche Bedeutung ha- 
ben. Das Problem, welches hier vorlag, bestand im Folgenden. 
Während die Astronomen oder Solche, die versuchten , astronomische 
Genauigkeit in der Zeitrechnung zu beobachten , das Sonnenjahr als 
Zeiteinheit anwendeten und die Länge desselben in Tagen auszu- 
drücken suchten , rechnete das Volk die Zeit nach den Mondumläu- 
fen. Um nun diese beiden Arten von Zeitangaben mit einander ver- 
gleichbar zu machen , war es nöthig, das Verhältniss zwischen der 
* Zeit eines Sonnenumlaufs und der eines Möndumlaufs hinlänglich ge- 
nau und zu gleicher Zeit übersichtlich anzugeben. Dies geschah 
durch Meton 432 v. Chr. Die nach ihm benannte Periode oder 



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46 I. Kapitel. Geschichtliclier Ueberblick bis Newton. 

Cyclus ist darauf gegründet, dass 19 Jahre sehr nahe 235LuBationen 
entsprechen. Die Zeit nämlich , welche 19 tropische Jahre umfasst, 
ist um 9 Stunden 35 Minuten kürzer als 6940 ganze Tage; die Zeit 
aber, innerhalb welcher 235 Lunationen vollendet werden, 7 Stun- 
den 29 Minuten kürzer als die genannte Anzahl Tage. Wenn also 
19 Jahre dem Mondwechsel nach in 235 Monate vertheilt werden , so 
kehren diese nach Verlauf dieser Periode an demselben Tage des Jah- 
res wieder. Durch eine solche Vertheilung erhalten ein Theil der 
Monate 30, ein anderer Theil 29 Tage, und von den 19 Jahren ent- 
halten 7 Jahre 13 Monate ^ die übrigen hingegen nur 12. 

Ohngeftlhr 100 Jahre nach Meton wurde sein Cyclus von Ka- 
li p p o s verbessert, der vier Meton' sehe Perioden zusammenschlug und 
von der Anzahl Tage, welche diese umfassten, einen Tag fallen Hess. 
Auf diese Weise wurde der Fehler in der Meton' sehen Periode we- 
sentlich vermindert. 

Die Regel des Meton ist vielfach in Gebrauch gewesen , und wird 
sogar noch bei der christlichen Festreclmung angewendet. Nach einer 
noch in Kraft stehenden Bestimmung — man sagt, dass sie von dem Con- 
cil von Nicäa herrührt — soll das Osterfest auf den ersten Sonntag des 
auf das Frühlingsäquinoctium folgenden ersten Vollmondes fallen. Heut- 
zutage wäre es nun freilich kein Bedürfniss , das Datum des Ostersonn- 
tags mit Hülfe der Meton'schen Regel zu berechnen, die überdies zuwei- 
len grosse Abweichungen von der beabsichtigten Bestimmung veranlassen 
kann ; aber dieselbe ist in den Kirchengesetzen angenommen und unver- 
ändert beibehalten seit der Zeit, wo die Bewegungen der Sonne und des 
Mondes noch keineswegs so genau bekannt waren , wie es von der heuti- 
gen Wissenschaft verlangt werden muss. Im Laufe verschiedener Jahr- 
hunderte wurde indessen'die üngenauigkeit der Meton'schen Regel, auch 
so wie sie von Kalippos verbessert war, bemerkt; der Fehler war bei 
jeder einzelnen Periode von keiner Bedeutung, aber derselbe^ vermehrte 
sich im Laufe der Jahrhunderte und nach 312f Jahren betrug derselbe 
sogar einen ganzen Tag. Zur Zeit des Papstes Gregorius XIII war dieser 
Fehler oder die üngenauigkeit der Meton'schen Regel bis auf 3 Tage ge- 
stiegen und man war nun darauf bedacht , dieselbe zu verbessern , was 
auch auf eine höchst einfache Weise geschehen konnte. Wir theilen die 
einfachen Regeln mit , nach denen man die Zeit des Osterfestes berech- 
nen kann, und bemerken bloss zuvor, dass man unter der Benennung 
Ostertermin das Datum des Ostervollmondes versteht. 

Die Goldene Zahl nennt man die Ordnungsnummer des Jahres in 
dem Meton'schen Cyclus ; mau findet dieselbe , indem man 1 zu dem nu- 
merischen Werthe des Jahres (gerechnet in der christlichen Aera) legt 



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f 




Goldene Zahl. 


Ostertermine. 


11 


24. März 


12 


12. April 


13 


1. April 


14 


21. März 


15 


9. April 


lö 


29. März 


17 


17. April 


18 


fi. April 


19 


26. März 


nerkt werden, 


dass sie nur f 



§ 3. Die ältere griechische Astronomie. 47 

und die Summe durch 19 dividirt; der Rest ist die Goldene Zahl. Aul' 
solche Weise findet man z. B., dass die Goldene Zahl des Jahres 1877 
16 ist. Nachdem die Goldene Zahl bekannt ist, findet man den Osterter- 
min oder das Datum des Kirchen-Oster-Vollmondes nach einer Tabelle, 
die hier mitgetheilt wird und die für den Gregorianischen Kalender gilt, 
also sowohl in katholischen wie protestantischen Ländern zur Anwen- 
dung kommt. 

Goldene Zahl. Ostertermine. 

1 13. April 

2 2. April 

3 22. März 

4 10. April 

5 30. März 

6 18. April 

7 7. April 

8 27. März 

9 15. April 
10 4. April 

Bei dieser Tabelle muss jedoch bemerkt werden , dass sie nur für 
die Jahre von 1700 bis 1900 gilt. 

Der erste Sonntag nach dem Ostertermine ist also zugleich der erste 
Ostertag. Den Ostertag kann man auch direct herleiten und zwar nach 
einer sehr einfachen Regel, welche Gauss aufgestellt hat, und die natür- 
lich nur eine arithmetische Folgerung der Meton'schen Regel sein kann. 
Dieselbe wird hier ohne Hinzufügung der Ableitung mitgetheilt , da diese 
nur in rein arithmetischer Beziehung von Interesse ist. 

Der numerische Werth des Jahres soll durch drei verschiedene Zah- 
len dividirt werden, nämlich durch 19, 4 und 7; hierdurch entstehen drei 
verschiedene Reste, welche in dem Fall, wo die Division gerade aufgeht, 
gleich Null zu setzen sind. Diese Reste bezeichnen wir durch « , h und c 
Mit m und n bezeichnen wir ferner zwei ganze Zahlen , deren numerische 
Werthe weiter unten angegeben werden sollen. 

Man dividire nun : 

m -h 19« durch 30 und nenne den Rest d , 
w-|-26-f-4c-f-6</ durch 7 und nenne den Rest e, 
alsdann trifft der Ostersonntag auf den 

(22 H- (^ -f- e)ten März 
oder auf den 

[d-\-e~ 9)ten April. 

Im Julianischen Kalender , der noch heutzutage bei den Russen und 
Griechen in Gebrauch ist, gelten die Werthe w = 1 5 und n = 6 , aber im 
Gregorianischen Kalender haben w und n verschiedene Werthe in den 
verschiedenen Jahrhunderten ; es ist 



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48 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

von 1582 bis 1699 m = 22 ; n = 2 
» 1700 » 1799 w= 23; n = 3 
» 1800 » 1899 m = 23; n = 4 
» 1900 » 1999 w = 24; n = 5. 
Im Julianischen Kalender wird das tropische Jahr genau zu 365i Ta- 
gen, also etwas zu gross angenommen ; daher werden in diesem Kalender 
eine grössere Anzahl Tage gerechnet werden müssen, als in Wirklichkeit 
verflossen sind ; das julianische Datum ist also etwas zurück gegen das 
gregorianische. Gegenwärtig beträgt der Unterschied 12 Tage. 

Das Zeitalter , in dem Kalippos lebte , zeichnete sich durch die 
liöchste Blüthe der giiechischen Kultur aus ; in dieser Zeit bemühten 
sich die Freunde des Wissens oder der Weisheit, d. h. die Philoso- 
phen, vielfach, den Bau der Welt oder das Weltsystem oder, wie es 
auch genannt worden ist , die Architektonik des Himmels zu erken- 
nen, und ihrem Zusammenhange mit einer Gottheit oder den Ideen 
des Uebersinnlichen auf die Spur zu kommen.*) In diesen Zeiten kei- 
men die Wissenschaften, die wir Kosmologie und Kosmogonie 
nennen ; immerhin sind sie damals nur wenig gefördert worden, denn 
das Meiste , was von den Philosophen des Alterthums hierüber ge- 
schrieben worden ist , reducirt sich auf die Darstellung der Mythen, 
sowie auf Speculationen , die doch im Grunde von Mythen ausgehen. 
Wie die Weltanschauung Vieler von den Mythen beeinflusst worden 
ist, können wir noch heute in dem Festhalten an der mosaischen 
Schöpfungsgeschichte wahrnehmen. 

Es wird angenommen, dass die Lehre von den verschiedenen 
Himmelssphären zum ersten Male von Aristoteles in ein System ge- 
bracht wurde. Zwar blieb für die späteren Astronomen Vieles zu er- 
gänzen und zu verbessern übrig, im Grossen und Ganzen behielt 
jedoch das Weltsystem nicht nur im Alterthum, sondern auch im Mit- 
telalter das aristotelische Gepräge. Seine Weltansicht konnte auch 
sehr wohl mit der des alten Testaments in üebereinstimmung ge- 
bracht werden, und so geschah es , dass die Lehren des Aristoteles 
von den Mönchen und Scholastikern des Mittelalters als ebenso unan- 
greifbar angesehen wurden, wie ihre kirchlichen Dogmen. 

Aristoteles wurde zu Stagira inMacedonien 384 v.Chr. geboren. 



*j Heutzutage verwechselt man oft das Wort Philosophie mit Meta- 
physik. 



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§ 3. Die ältere griechische Astronomie, 49 

Nicht mit Unrecht wird er der Vater der Naturgeschichte genannt; 
Alles, was von den Gegenständen der Natur und ihren Erscheinungen 
zu seiner Kenntniss kam, stellte er zusammen und beschrieb es in seinen 
Schriften mit grosser Sorgfalt : sogar zu erklären versuchte er die Er- 
scheinungen. Eine eigentliche Naturwissenschaft zu begründen ge- 
lang ihm jedoch nicht; die Ursache lag wohl hauptsächlich in der 
Art seines Philosophirens , das nur zu Absurdidäten führen konnte, 
sobald man durch dasselbe zur Erklärung der Naturerscheinungen 
gelangen wollte. Indessen bleibt die Naturphilosophie des Aristoteles 
immerhin denkwürdig genug, so dass wir uns nicht versagen können, 
ein von Whewell mitgetheiltes Probestück hier nach v. Littrow's 
Uebersetzung zu wiederholen. 

»Gleich im Eingange der Schrift: De Coelo, beweist er »»die Voll- 
kommenheit der Welt«« auf folgende Weise : »Die Dinge, aus welchen die 
Welt besteht, sind alle solide Körper, und sie haben daher alle drei Dimen- 
sionen. Aber drei ist unter allen Zahlen die vollkommenste , denn sie ist 
die erste aller Zahlen (weil nämlich eins noch keine Zahl ist, und weil man 
statt zwei auch beide sagen kann, während drei diejenige Zahl ist , durch 
die wir auch alles bezeichnen können) ; überdies hat diese Zahl drei auch 
einen deutlichen Anfang, eine Mitte und ein Ende u. s. w. Man sieht, wie 
daraus unmittelbar* folgen muss, dass diese Welt die vollkommenste von 
allen möglichen Welten ist, und dass überdiess diese ganze Beweisart 
wieder nur auf blossen Meinungen über die einzelnen Wörter der gemei- 
nen Sprache gebaut ist.« 

Das zweite Beispiel, aus demselben Buche , fängt mit den folgenden 
Worten an : »Die einfachen Elemente der Natur müssen auch einfache Be- 
wegungen haben. So haben auch in der That Feuer und Luft ihre natür- 
lichen Bewegungen aufwärts , Wasser und Erde aber abwärts , beide in 
gerader Richtung. Aber ausser diesen (geradlinigen) Bewegungen giebt 
es auch noch eine kreisförmige , die jenen Elementen nicht natürlich ist, 
obschon sie eine viel vollkommenere Bewegung ist, als jene. Denn der 
Kreis ist selbst eine vollkommene Linie , und eine gerade Linie ist dies 
nicht. Es muss daher auch etwas geben , dem diese vollkommene , kreis- 
förmige Bewegung ebenfalls natürlich ist. Daraus folgt aber klar und un- 
widersprechlich, dass es eine gewisse Essenz (ioia) von Körpern geben 
muss, die ganz verschieden von jenen vier Elementarkörpem , die gött- 
licher als diese sein, die daher auch über diesen stehen müssen. Denn 
wenn diejenigen Dinge, die sich in einem Kreise bewegen , in einer unna- 
türlichen Bewegung begriffen sein sollten , so wäre es doch wunderbar, 
oder vielmehr es wäre ganz absurd , dass eben diese unnatürliche Bewe- 
gung zugleich die einzige immer fortgehende und wahrhaft unendliche 
Bewegung sein sollte, da doch alle unnatürlichen Bewegungen sehr bald ein 

(ry 1 den , Astronomie. ^ 



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50 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

Ende nehmen müssen. Aus allem diesem folgt, denn so müssen wir schlies- 
sen, dass es ausser den vier Elementen , die wir hier auf der Erde um uns 
haben, noch ein anderes von uns entferntes Element geben muss, das 
desto vollkommener ist , je weiter es von uns absteht.« — Dieses fUnfte 
und vollkommenste aller Elemente des Weltalls ist denn das, was die 
späteren lateinischen Schriftsteller über Aristoteles die »Quinta Essentia« 
genannt haben , und zugleich das , was noch jetzt , in unserem gewöhn- 
lichen Sprachgebrauche, unter der Benennung der »Quintessenz« selbst 
dem gemeinen Manne bekannt ist.« 

Der Gedankengang und mehrere der Ausdrücke in der angeführ- 
ten Znsammenstellung erinnern an die Vorstellungen , die dem un- 
entwickelten Verstände des Mittelalters geläufig waren. Die Geister- 
beschwörer, Alchemisten u. dgl. m. konnten Kreise, Dreiecke und 
andere mathematische Figuren nicht entbehren , die in Folge ihrer 
Vollkommenheit mächtig genug waren , die Elementargeister inner- 
halb oder ausserhalb ihrer Begrenzung zu bannen. — So wenig man 
nun auch die Pseudophilosophie und die wilden Conceptionen des Mit- 
telalters Aristoteles allein zur Last legen darf, besonders da seine 
Schriften von arabischen Bearbeitern verunstaltet worden waren, 
so kann doch nicht geleugnet werden , dass sie in seinen philosophi- 
schen Lehren eine gewichtige Stütze fanden. Dass gleichwohl das Mit- 
telalter an Kühnheit und Verwegenheit in der Beweisführung seinen 
Meister Aristoteles noch übertreffen konnte, werden wir gleich an einem 
Beispiel sehen, das aus dem Werke Apelt's »die Reformation der Stern- 
kunde« entlehnt ist. Es werden hier verschiedene Sätze aus einer 
Schrift »De docta ignorantia« des Cardinais Nicolaus von Cusa ange- 
führt, welcher ausserdem dadurch bemerkenswerth ist, dass er der Erde 
eine gewisse Bewegung zuschrieb, obgleich diese Bewegung keineswegs 
die copernicanische war. Zwei dieser Sätze sind die folgenden : 

1. »Je grösser der Halbmesser eines Kreises ist, desto flacher; d. i. 
desto geringer wird die Krümmung seines ümfangs. Die Peripherie des 
grössten Kreises, welche grösser als jede zu gebende ist, wird also gar 
keine Krümmung mehr haben, d. i. sie wird eine Gerade sein. Bei der 
Linie, deren Länge unendlich ist, d.i. bei der grössten Linie, giebt es also 
keinen Unterschied des Geraden und Krummen, vielmehr besteht ihre 
Krümmung gerade in ihrer Geradheit.« 

' ' 2. »Da das Unendliche oder das Grösste nicht Mehreres, sondern nur 

^Eins sein kann , so kann ein unendlich grosser Triangel auch nicht aus 

mehreren , sondern nur aus einer Linie bestehen. Da er aber demohn- 

geachtet nicht aufhört ein Triangel zu sein , d. i. drei Seiten zu haben, 



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§ 3. Die ältere griechische Astronomie. 51 

so ist jene unendliche Linie drei , und diese drei sind doch nur eine 
einzige.« 

»So spielt er mit diesen Widersprüchen , indem er das als das abso- 
lut Grösste voraussetzt, was gerade ohne Ende immer grösser werden 
kann und daher niemals vollendet ist. Diese Widersprüche haben ihm 
aber eine Bedeutung für seine mystische Theologie. Denn so wie sich die 
grösste Linie zu den Linien verhält, so soll sich das Grösste überhaupt zu 
Allem verhalten. Daher ist ihm jenes unendlich grosse Dreieck, das nichts 
Anderes als die grösste Gerade selbst ist, ein Symbol der göttlichen Drei- 
einigkeit.« (Apelt: Die Reformation der Sternkunde, pag. 17 und 18.) 

Wenn nun Sätze , wie die von Aristoteles und dem Cardinal von 
Ousa, heutzutage nicht mehr aufgestellt und als vernünftig angesehen 
werden können , so gebührt das Verdienst davon in nicht geringem 
Grade der Astronomie. Diese Wissenschaft ist nämlich, wenigstens 
bis jetzt , in höherem Grade als die anderen Naturwissenschaften ein 
Produkt sowohl der Gedankenarbeit als auch der durch Beobachtun- 
gen gewonnenen Erfahrung. Diese beiden Factoren controUiren sich 
gegenseitig und verhindern, wenn sie gleichmässigvorschreiten, solche 
grobe Verstösse gegen eine gesunde Logik und ein gesundes Wissen, 
wie sie uns vergangene Tage in vielen Beispielen hinterlassen haben. 
Das Studium der Astronomie hat die menschliche Vernunft entwickelt 
nnd geschärft , nicht zum Auffinden von Spitzfindigkeiten , sondern 
' zur Ermittelung der Wahrheit. Ausserdem haben die Einsichten in 
die Natur der wirklichen Bewegungen der Himmelskörper unsere An- 
sichten über den Bau der Welt wesentlich verändert. Das Glauben 
des Mittelalters ist durch ein positives Wissen ersetzt worden. 

Im aristotelischen Weltenbau ist die Erde in den Mittelpunkt der 
Schöpfung versetzt; der Himmel, d.h. der Theil des Weltganzen von 
seiner äussersten Grenze bis zu dem Monde , der sich um die ruhende 
Erde seiner Natur nach kreisförmig bewegt, ist eine von den vier Ele- 
menten verschiedene, viel höhere und vollkommenere fünfte Substanz 
(laCa, Essenz, Aether) ; einfach, imponderabel, ewig, und bildet eine 
Kugel. Der Himmel, der Aufenthaltsort der seligen Geister, ist in 8 
Sphären getheilt. lieber der 8ten Sphäre, primum mobile (das erste 
Bewegliche) genannt^ thronen die höchsten Geister oder Götter; unter 
der Sphäre des Mondes herrsehen aber die vier Elemente. — Die 
Himmelskörper bestehen aus derselben fünften Substanz wie der Him- 
mel, jeder für sich kugelförmig , mit Leben und Thätigkeit begabt ; 



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52 I* Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

sie bewegen sich in den verschiedenen. Sphären des Himmels, an dem- 
selben befestigt, und mit ihnen um die Erde. Sie erzeugen durch 
die Schnelligkeit ihrer Bewegung in der die Erde zunächst umgeben- 
den Sphäre Licht und Feuer [vgl. den Artikel Aristoteles in Pauly's 
Keal-Encyclopädie der classischen, Alterthumswissenschaftj . 

Die Anzahl der Sphären wurde indess später bedeutend ver- 
mehrt, in der Meinung , dadurch die astronomischen Thatsachen bes- 
ser erklären zu können , von denen man nicht umhin konnte zu he- 
merken , dass sie der Richtigkeit von Aristoteles' Weltenbau wider- 
sprachen. Die besseren der griechischen Astronomen, auf deren Ar- 
beiten wir später zu sprechen kommen , haben doch schwerlich diese 
Krystallsphären als wirklich bestehend angenommen, sondern in ihnen 
bloss geometrische Begriffe gesehen , mit deren Hülfe sie die Bewe- 
gung der Sonne, des Mondes und der Planeten zu erklären suchten. 
Welche Eigenthümlichkeiten man bei diesen Bewegungen wahrnahm, 
werden wir im folgenden Paragraphen zu zeigen versuchen. Wir 
meinen dabei natürlicherweise die Bewegungen, welche die Himmels- 
körper, von einem Punkt an der Erdoberfläche aus gesehen , auszu- 
führen scheinen , folglich diejenigen , welche durch die unmittelbare 
Wahrnehmung zu unserer Kenntniss gelangen. 

§ 4. Das Sonnensystem. 

Je mehr die astronomische Beobachtungskunst ausgebildet wurde, 
d. h. mit je grösserer Genauigkeit und Sicherheit man die Richtung 
auffassen konnte, in welcher ein Himmelskörper in einem gegebenen 
Augenblicke von einem Punkt der Erdobei*fläche aus gesehen wurde, 
desto mehr konnte dessen Bewegung in ihren Einzelnheiten der Gegen- 
stand astronomischer Forschung werden. Bei der Genauigkeit, mit 
welcher astronomische Beobachtungen gegenwärtig angestellt werden 
können, ist man im Stande, viele Eigenthümlichk xiten in der Bewe- 
gung der Sonne, des Mondes und der Planeten zu erkennen , welche 
in den Zeiten der alten Griechen, ja selbst zur Zeit des grossen New- 
ton nicht geahnt werden konnten. Ein grosser Theil dieser Eigen- 
thümlichkeiten — solche nämlich , die ihrer quantitativen Gering- 
fügigkeit wegen der directen Wahrnehmung entgingen — wurde auf 
deductivem Wege entdeckt, nachdem das Newton'sche Gravitations- 
gesetz bekannt geworden war. Es scheint aber jetzt am angemessen- 



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§4. Daft SonnensyBtem. (1. Die Sonne.) » 53 

sten, nicht alle diese Einzelnheiten sogleich zu beachten , sondern die 
Bewegungen zn betrachten , wie sie durch eine weniger entwickelte 
Beobachtungsknnst anfgefasst werden konnten , und dieses um so mehr, 
als die feinere Detailkenntniss erst dann von Interesse sein wird, wenn 
man sie auf der Grundlage einer richtigen Theorie erlangen kann. 

Während die Beobachtungsknnst unserer Tage den Ort oder die 
Lage der Himmelskörper am scheinbaren Himmelsgewölbe mit einer 
Genauigkeit angiebt, die weniger als eine Bogensekunde beträgt, war 
man in älteren Zeiten unsicher auf mehrere Minuten , und erst dem 
grossen Beobachter TygeBrahe gelang es, obschon er noch ohne 
Femrohr beobachtete, die Beöbachtungsfehler (Unsicherheit der Be- 
obachtungen) bis auf die Bogenminute einzuschränken. Hieraus 
folgt, dass die alten Astronomen die Bewegungen innerhalb des Son- 
nensystems nur in groben Zügen kennen konnten , aber auch diese 
waren schon verwickelt genug , um (ihren ganzen Scharfsinn auf die 
Probe zu stellen. 

Wir führen nun hier das Wesentlichste über die Gesetze der Be- 
wegungen an, welche in den alten Zeiten ^an den Körpern erkannt 
wurden, die als zum Sonnensysteme gehörend, oder als beweglich an- 
gesehen wurden . Dieser Körper giebt es sieben : nämlich Sonne, Mond, 
Merkur, Venus, Jupiter und Saturn. Uranus und Neptun sind erst in 
neueren Zeiten aufgefunden worden und ebenso der Schwärm der 
kleinen Planeten. 

l. Die Sonne. 

Unter den Bewegungen der Himmelskörper ist die der Sonne von 
der Erde aus gesehen die einfachste , obgleich die Untersuchung der- 
selben nicht die leichteste war. Der Grund zu den Schwierigkeiten 
ist in dem Umstände zu suchen , das^ die Lage der Sonne relativ zu 
den Fixsternen oder, wie man sagt, ihr relativer Ort nicht unmittel- 
bar beobachtet werden konnte, da kein Fixstern gleichzeitig mit der 
Sonne für das blosse Auge sichtbar ist. Es wäre am einfachsten , die 
Bewegung eines Gestirns aus solchen relativen Oertem zu bestimmen, 
da man dabei annehmen kann , dass die Fixsterne wirklich unver- 
änderliche Lagen am Himmel haben. Schwieriger dagegen wird die 
Untersuchung, wenn man erst auf die Lage am Himmel in Bezug auf 
die Sterne aus der beobachteten Richtung, die auf eine mit der Erde 



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54 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

verbundene Ebene bezogen ist, schliessen soll. Hier ist also ein Unter- 
schied vorhanden, indem man einerseits durch relative Bestimmungen 
Bestimmungen der relativen Lage) gewissermaassen den Lauf des 
Gestirns unter den Sternen sogleich übersehen kann ; andrerseits be- 
stimmt man aber Richtungen , bezogen auf Ebenen oder gerade Li- 
nien , deren Lage durch eigens dazu angestellte Beobachtungen er- 
kannt werden muss. Auf diese letzte Art werden dieBectascensionen 
und Declinationen oder die Längen undBreiten unabhängig von jeder 
früheren Bestimmung oder absolut erhalten. 

Man sieht leicht ein , dass relative Bestimmungen leichter aus- 
geführt werden können als absolute, denn sie haben ja nur den Zwecke 
die Unterschiede in Rectascension und Declination oder in Länge und 
Breite anzugeben, was man nöthigenfalls durch Winkelmessungen 
von zwei bekannten Sternen bewerkstelligen kann. Bei den absoluten 
Bestimmungen ist es vor allen Dingen nöthig, die Lage des Horizontes 
und des Meridians im Räume zu erkennen ; man muss mit anderen Wor- 
ten die Neigung der Weltaxe gegen den Horizont und den Abstand 
des Frühlingspunktes von dem Meridian, also die Stemzeit kennen. 
Ebenso muss die Richtung des Meridians auf dem Horizonte bekannt sein . 
Die Richtung des Meridians, sowie die der .Weltaxe, lässt sich zwar 
ein für allemal sehr genau erkennen , es ist aber nicht eben so leicht» 
diese Lage zu fixiren. Das Instrument, womit man beobachtet — 
wir wollen annehmen , es sei eine Armillarsphäre — muss so auf- 
gestellt werden , dass die Axen und Ebenen desselben wirklich mit 
den entsprechenden Richtungen im Räume zusammenfallen , oder we- 
nigstens müssen die Abweichungen der Lage des Instruments von der 
beabsichtigten Lage erkannt sein , sofern sie merklich sind. Um die 
Mühe, die von dem Orientiren (Einstellung in die richtige Lage oder 
Berichtigung) des Instruments unzertrennlich ist , zu vemngern , hat 
man sogenannte feste Instrumente construirt, d. h. solche, die in ge- 
wisser Beziehung eine unveränderliche Aufstellung haben. Hierdurch 
ist Vieles gewonnen , jedoch nicht so viel , wie wohl erhofft wurde ; 
denn es hat sich gezeigt, dass keine Aufstellung auf die Dauer abso- 
lut unveränderlich ist. Das Fundament , worauf das Instrument auf- 
gestellt wird, ist Verschiebungen unterworfen, und das Material, aus 
dem das Instrument verfertigt wurde, dehnt sich aus und zieht sich 
zusammen in Folge der Temperaturänderungen. Man muss daher 



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§4. Das Sonnensystem. (1. Die Sonne.) 55 

zufrieden sein, wenn nur die Aenderungen der Aufstellung nicht 
allzugross sind und wenn sie einigermaassen gleichförmig vor sich 
gehen 7 so dass man sich begnügen kann , die Lage des Instruments 
von Zeit zu Zeit zu prtlfen. — DerGnomon war ein Instrument dieser 
Art; die Höhe desselben sollte ein fflr allemal gemessen sein und 
auch die Richtung des Meridians konnte man dauernd bezeichnen; 
allein die Höhe konnte durch mancherlei Umstände, namentlich durch 
Temperatur- und Witterungsverhältnisse geändert werden , und auch 
die auf der Ebene aufgezeichnete Richtung des Meridians konnte 
leicht von der beabsichtigten abweichen. Man sieht z.B. nicht selten, 
dass hohe Gebäude, wie Kirchthürme u. dgl., mit der Zeit eine etwas 
schiefe Stellung annehmen , was natürlich zur Folge haben kann, 
dass der Mittagsschatten in einer veränderten Richtung fällt. 

Bei den geringen Ansprüchen , die man in älteren Zeiten an die 
Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen stellte, war der Gno- 
mon jedoch eine sehr nützliche Vorrichtung, und so diente derselbe 
auch dazu , die gegen den Aequator schiefe Lage der Sonnenbahn zu 
erkennen , sowie die Neigung beider Ebenen mit einer relativ hohen 
Genauigkeit zu bestimmen. Hiermit war es aber nicht genug ; man 
hatte zwar die Lage der Bahnebene bestimmt , aber weder über ihre 
Form , noch über die Geschwindigkeit in den verschiedenen Theilen 
derselben konnte auf Grund der Beobachtungen mit dem Gnomon 
direct etwas ermittelt werden.. Nur die Umlaufszeit der Sonne oder 
die Länge des Jahres ergab sich durch solche , sowie durch verschie- 
dene andere Beobachtungsarten, wie z. B. durch Beobachtungen der 
heliakischen Aufgänge. Hiermit wäre nun freilich die ganze Frage 
abgethan , denn nach den Ansichten der Alten war die Sonnenbahn 
ein Kreis und die Bewegung in demselben gleichförmig, d.h. die Ge- 
schwindigkeit in jedem Punkte der Bahn dieselbe. Es zeigte sich 
jedoch , wie wir sehen werden , dass dies nicht in aller Strenge der 
Fall ist. 

Um nun die Bewegung der Sonne in ihrer Bahn zu untersuchen, 
müssen die Längen dieses Gestirns zu verschiedenen Zeitpunkten 
durch unmittelbare Beobachtungen gegeben sein, oder auch die Rect- 
ascensionen. Denn ist die Schiefe der Ekliptik einmal bekannt, so 
lässt sich die Länge aus der Rectascension durch eine sehr leichte 
trigonometrische Rechnung finden. Welche Schwierigkeiten indessen 



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56 I- Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

bei solchen Bestimmungen von Rectascensionen der Sonne überwun- 
den werden mussten , ist oben angedeutet worden ; um so mehr muss 
daher die Umsicht bewundert werden, mit welcher es schon den Grie- 
chen gelang , die Eigenthümlichkeiten der Sonnenbewegung zu ent- 
decken und also Kenntnisse zu erlangen , welche die Ansichten der 
Philosophen häufig als unrichtig oder ungenügend erwiesen. 

Efi dürfte nicht unangemessen sein , gerade hier eine Icurze Er- 
läuterung einzuschalten, wie die Astronomen unserer Tage die Rect- 
ascensionen der Himmelskörper und folglich auch die der Sonne be- 
stimmen. Man wird dadurch im Stande sein , die ausserordentliche 
Ueberiegenheit unserer Hülfsmittel den früheren gegenüber zu beur- 
theilen, sowie auch das Wesen der Aufgabe besser zu übersehen. — 
Wir erinnern uns , dass die Stemzeit dasselbe ist, wie der Stunden- 
winkel des Frühlingspunktes. In der Zeit einer Erdumdrehung ändert 
sich der Stundenwinkel um 360*^ oder |um 24 Stunden, zu gleicher 
Zeit aber auch die Stemzeit um denselben Betrag. Die Zeit — na- 
türlich Sternzeit — welche verfliesst, ist also das'Maass der Aende- 
rung des Stundenwinkels. — Der Stundenwinkel wird von dem Meri- 
dian aus gerechnet ; wenn also ein Gestirn durdi den Meridian geht 
oder culminirt, ist sein Stundenwinkel gleich 0^ ; zu gleicher Zeit ist 
aber die Sternzeit gleich der Bectascension des Gestirns, denn die 
Rectascension ist ja eben der Winkel zwischen demDeclinationskreise 
des Frühlingspunkts und dem des Gestirns , das jetzt als im Meri- 
diane angenommen wird , welcher Winkel unter dieser Voraussetzung 
der Stunden Winkel des Frühlingspunktes, also die Sternzeit ist. Hat 
man daher einen Apparat , welcher die Zeit apgiebt , also eine nach 
Sternzeit regulii-te Uhr, und beobachtet man an derselben die Zeit, 
zu der ein Gestirn den Meridian passirt , so ist diese Angabe zugleich 
die Bectascension des Gestirns. 

Gegenwärtig besitzt^man Uhi*en, die mit grosser Genauigkeit das 
Fortschreiten der Zeit angeben , d. h. die Umdrehungszeit der Erde 
in Stunden, Minuten und Sekunden eintheilen. Solche sind entweder 
Pendeluhren oder sog. Chronometer, Apparate , deren Beschreibung 
jedoch die vorgesteckten Grenzen dieses Buches überschreiten würde. 
Ausserdem hat man so eingerichtete Fernröhre ^^ dass sie nur gegen 
Punkte des Meridians gerichtet werden können , und wenn dies auch 
nicht in aller Strenge der Fall sein sollte, so besitzt man doch leicht 



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§4. Das Sonnensystem. (1. Die Sonne.) 57 

anzuwendende Mittel, iim das Resultat der Beobachtung in solcher 
Weise zu berichtigen, dass es mit dem identisch wirdy welches man 
erhielte, wenn das Femrohr genau im Meridian gestanden hätte. 
Vermittelst dieses Femrohrs, welches Durchgangs^ oder Passagen- 
instrument oder auch Mittagsrohr genannt wird , sieht man das Ge- 
stirn, wenn es im Meridian sich befindet, und beobachtet zugleich die 
Zeit, wann solches ein^fft. Es kommt nuü noch darauf an, die Stern- 
zeit zu bestimmen , d. h. zu entscheiden, ob die Uhr die Stemzeit 
richtig angiebt, oder, wenn dies nicht der Fall ist, um wie viel die 
Uhr unrichtig zeigt. Dies geschieht wieder dadurch, dass man den 
Meridiandurchgang eines Gestirns, dessen Rectascension bekannt ist, 
beobachtet. Wenn die Uhr richtig die Zeit zeigt , so muss sie in dem 
Augenblicke , wo das Gestim culminirt , genau die Anzahl Stunden, 
Minuten und Sekunden angeben , welche die Rectascension des Ge- 
stirns enthält, umgekehrten Falles müsste man den Fehler der Uhr 
(die sog. Uhrcorrection) ermitteln. 

Zu den Zeiten der griechischen Astronomie war es nun zwar 
nicht unmöglich , den Cnhninationsaugenblick aufzufassen , denn die 
Richtung des Meridians konnte mit einer verhältnissmässig genügen- 
den Genauigkeit gezogen werden ; allein der Zeitunterschied zwischen 
zwei Culminationsmomenten konnte nicht angegeben werden. Man 
besass nämlich damals nur Sand- oder Wasser- und Sonnenuhren. 
Die letzteren waren natürlich unbrauchbar bei Nacht, und auf den 
regelmässigen Gang der ersteren war es nicht möglich sich zu ver- 
lassen. — Die Sonnenbeobaohtungen blieben daher mangelhaft: ent- 
weder musste man sich mit dem Ausweg begnügen, der bei den abso- 
luten Rectascensionsbestimmungen eingeschlagen wurde , nämlich die 
Vergleichuiig mittelst des Mondes, oder auch aus den heliakischen 
Aufgängen den Weg der Sonne unter den Sternen zu ermitteln su- 
chen. Es giebt indess vier Punkte der Sonnenbahn, in denen die 
Länge der Sonne vermittelst des Gnomon hergeleitet werden konnte, 
nämlich die Punkte, welche von dem Frühlingspunkte respective 90®, 
180° und 270® in der Länge abstehen, wozu der Frühlingspunkt selbst 
als vierter hinzukommt. Wenn die Sonne im Frühlingspunkte steht, 
ist ihreDeclination 0® und dieser Moment konnte am Gnomon bemerkt 
werden . Im zweiten Punkte , in welchem sich die Sonne zur Zeit der 
SoHun^sonnenwende befindet, beträgt die Declination nach Norden hin 



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58 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

ebenso viele Grade, Minuten und Sekunden, wie der Winkel enthält, in 
welchem derAequator gegen die Ekliptik geneigt ist, also wie die Schiefe 
der Ekliptik . Zur Zeit des Herbstäquinoctiums, wo die Länge der Sonne 
180*^ beträgt, steht sie wieder im Aequator ; ihre Declination ist folg- 
lich 0". Zur Zeit der Wintersonnenwende endlich hat sie vom Frtlh- 
lingspunkte aus 270 Grade in der Länge zurückgelegt und ihre De- 
clination ist jetzt wieder gleich der Schiefe der Ekliptik , aber süd- 
lich. Das Eintreten der Sonne in diese vier Punkte konnte am Gno- 
men wahrgenommen und die Zwischenzeiten wejiigstens in Tagen 
oder sogar noch näher angegeben werden. Dadurch, dass man nun 
lange Zeiten hindurch den Lauf der Sonne verfolgte, gelangte man zu 
der Erkenntniss, dass diese Zwischenzeiten, die auch Jahreszeiten 
genannt werden, einander nicht völlig gleich sind. Herbst und Winter 
zeigten sich etwas kürzer als Frühling und Sommer. Hierdurch war 
erwiesen , dass die Bewegung der Sonne , wenigstens von der Erde 
aus gesehen, keineswegs gleichförmig ist , sondern dass dieselbe , um 
die vier gleichen Theile ihrer Bahn zu durchlaufen , ungleiche Zeiten 
nöthig hat. — Im Anfange des Januars durchläuft die Sonne ohnge- 
fähr 1° r täglich, im Anfang Juli hingegen nur 57'. 

Weil der Stand der Sonne am Himmel, ihr Auf- und Untergehen 
von so grosser Bedeutung nicht nur für das bürgerliche tägliche Le- 
ben , sondern überhaupt für alle Verhältnisse auf der Erdoberfläche 
ist, so war es natürlich , dass man die Tage nach der täglichen Be- 
wegung der Sonne rechnete. Man nannte also die Zeit zwischen zwei 
auf einander folgenden Sonnenculminationen einen Tag , und theilte 
dieselbe in 24 Stunden ein, welche jede 60 Minuten und diese wie- 
derum 60 Sekunden haben. Diese Zeitabschnitte dürfen jedoch nicht 
mit den gleichbenannten Abschnitten der Sternzeit verwechselt wer- 
den, die sämmtlich etwas kürzer sind. Weil nämlich die Sonne sich 
von Westen nach Osten bewegt , also der gemeinsamen täglichen 
Bewegung aller Himmelskörper entgegen, so ist die Sonne in der Zeit 
einer Erdumdrehung ein Stück am Himmel fortgerückt , so dass sie 
etwas später in den Meridian kommt, als wenn sie unbeweglich unter 
den Sternen wäre; der Sonnentag dauert daher etwas länger ald 
der Stemtag. Die Sonnentage sind aber auch einander nicht gleich 
und zwar aus zwei Ursachen. Wie wir schon gesehen haben, ist die 
Bewegung der Sonne zuweilen etwas schneller, zuweilen etwas lang- 



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§ 4. Das Sonnensystem. (1. Die Sonne.) 59 

samer ; während des Verlaufs eines Stemtages hat sich demnach die 
Sonne in den verschiedenen Jahreszeiten ein mehr oder weniger lan- 
ges Bogenstück ostwärts bewegt , welcher Bogen natürlich eine ver- 
schiedene Zeit erfordert, um den Meridian zu passiren. Zweitens ge- 
schieht aber die Bewegung der Sonne nicht im Aequator oder parallel 
desselben , sondern in der gegen ihn geneigten Ebene der Ekliptik. 
Wäre nun auch die Bewegung der Sonne in der Ekliptik vollkommen 
gleichförmig, so wttrden doch die während eines Tages durchlaufenen 
Bögen, die eihander alsdann gleich wären, nicht eben so grossen 
Bögen auf dem Aequator entsprechen , und folglich auch nicht glei- 
chen Stnndenwinkeln oder Zeiten, die nöthig sind für die verschiedenen 
Bogenstücke, den Meridian zu passiren. Die Bewegung der Sonne ist 
zuweilen parallel mit dem Aequator (zur Zeit der Sonnenwenden) , zu- 
weilen findet sie aber in schräger Richtung statt, und in diesem Falle 
entspricht der wirklich durchlaufene Bogen einem kleinereu auf dem 
Aequator. Man bemerkt auch leicht, dass der Bogen auf dem Aequa- 
tor desto geringer wird, je näher demselben die Bewegung der Sonne 
vor sich geht; denn legt man Declinationskreise durch die Endpunkte 
eines Bogens auf der Sphäre , so werden diese desto weiter ausein- 
ander liegen, je näher der betreffende Bogen einem der Pole liegt. 

Die wirklichen oder .wahren Sonnentage werden nach den Cul- 
minationen der Sonne bestimmt und können , da diese in nicht ganz 
gleichen Zeitintervallen auf einander folgen, nicht von gleicher Dauer 
sein. Im bürgerlichen Leben rechnet man jedoch jeden Tag immer 
gleich lang ; um sich dieses anschaulicher zu machen, denke man sich 
eine sog. mittlere Sonne, die den Aequator in derselben Zeit durch- 
läuft wie die wirkliche Sonne die Ekliptik , aber mit gleichförmiger 
Geschwindigkeit. Die Zeit zwischen zwei auf einander folgenden Cul- 
minationen dieser nur fingirten Sonne wird einmittlererSonnen- 
tag genannt und giebt das unveränderliche Maass der sog. mittle- 
ren Zeit ab. — Da der mittlere Sonnentag und der Stemtag beide 
unveränderlich sind, so ist auch ihr Verhältniss zu einander constant. 
Es ist leicht, dasselbe anzugeben. 

Das tropische Jahr enthält genau einen Stemtag mehr als mitt- 
lere Sonnentage. Hieraus folgt, dass man die Länge eines Stemtages 
in mittlerer Sonnenzeit ausdrückt , indem man die Stunden , Minuten 
und Sekunden des ersteren mit dem Brache 



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60 I- Kapitel. Geschichtlichet Ueberblick bis Newton. 

365,242201 



366,242201 
1 



oder mit 

^ ~ 366,242201 
multiplicirt. 

Durch Ausführung dieser Multiplication findet man : 
einStemtag = einem mittleren Sonnentag — 3" 55?909 (mittl. Zeit) 
ein mittl. Sonnentag = einem Stemtag + 3"56?555 (Stemzeit). 

DenOulminationsaugenblick der mittleren Sonne nennt man mitt- 
leren Mittag ; es ist klar, dass die Stemzeit in diesem Augenblick an 
jedem Tage einen andern Werth hat, da die mittlere Sonne sich un- 
unterbrochen von dem Frühlingspunkte entfernt; die Stemzeit im 
mittleren Mittag wächst jeden Tag um 3™56?555. 

Dör Unterschied zwischen mittlerer und wahrer Sonnenzeit wird 
Zeitgleichung genannt; diese ändert natürlich ihren Werth fort- 
während im Verlaufe der verschiedenen Jahreszeiten . Erwägt man die 
verschiedenen Umstände, welche die Veränderlichkeit des wahren Son- 
nentags bedingen, so sieht man leicht ein, dass er bei der Wintersonnen- 
wende am längsten ist , hauptsächlich weil die Bewegung der Sonne 
zu dieser Zeit am schnellsten ist. Durch mathematische Berücksich- 
tigung aller hierher gehörenden Umstände findet man femer , dass 
der kürzeste wahre Sonnentag Mitte September eintrifft. Man findet 
weiter, dass die Zeitgleichung ihren grössten Werth an den folgen- 
den Tagen und zu dem nebenstehenden Betrage hat : 

Febr. 12 -h 14™ 31« Juli 26 + 6™ 12'' 

Mai 14 — 3 53 Nov. 3—16 8 

und endlich, dass sie viermal jährlich Null ist, nämlich den 15. April, 
den 14. Juni, den 31. August und den 24. December. 

2. Der Mond. 

Die Bewegung des Mondes unter den Sternen ist sehr leicht zu 
verfolgen , weshalb man auch bald seine siderische Umlaufszeit mit 
einem hohen Genauigkeitsgrade ermittelt hatte. Während eines Um- 
laufs konnte man — wenn man sich nicht einer tieferen Detailunter- 
suchung befleissigte — die Mondbahn als einen grössten Kreis am 



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§ 4. Das Sonnensystem. (2. Der Mond,) 61 

HimmeL ansehen, mit einer Neigung von etwa 5*^ gegen die Ekliptik. 
Man bemerkte jedoch bald , dass dies keineswegs in aller Strenge der 
Fall war, sondern dass der Mond, nachdem er einen Umlauf vollendet 
hatte, nicht auf denselben Punkt wieder zurückkam, von dem er aus- 
• gegangen war ; man bemerkte , mit andern Worten , dass die Durch- 
schnittspunkte der Mondbahn mit der Ekliptik, die sog. Knoten, nicht 
eine unveränderliche Lage am Himmel haben , sondern dass sie sich 
im Gegentheil ziemlieh schnell von Osten nach Westen in der Eklip- 
tik fortbewegen. Während des Verlaufs eines Jahrhunderts vollenden 
sie 5 ganze Umläufe und darüber noch 134*^: ihre Umlaufszeit ist 
mithin ohngefähr 18f JnJire. Man bemerkte ferner, dass die tägliche 
Bewegung des Mondes zu verschiedenen Zeiten nicht unbeträchtlich 
verschieden sei, so dass dieselbe -innerhalb jedes Umlaufs von 12° bis 
1 5° variirt. Die Punkte der Mondbahn , wo die tägliche Bewegung 
den grössten und kleinsten Werth hatte, waren zwar einander ent- 
gegengesetzt, aber auch ihre Lage am Himmel war veränderlich. 
Ihre Umlaufsbewegung ist eine ziemlich rasche ; im Jahrhundert voll- 
enden sie 1 1 Umläufe und 109" (vergl. S. 36) , also ist die Umlaufszeit 
etwa 8^ Jahre. 

Hier stellte sich also sehr bald eine gross«e Verschiedenheit in der 
Natur der Mondbewegung, verglichen mit der der Sonne, heraus. 
Von den Punkten am Himmel, wo die Sonnenbewegung ihren gröss- 
ten und kleinsten Werth hat , konnte man nicht auf Grund blosser 
Beobachtungen sagen, ob sie beweglich seien oder nicht (das letztere 
wurde angenommen) ; hingegen war es ganz unmöglich , diesen Um- 
stand bei der Mondbewegung zu übersehen.*) Auch die Lage der 
Sonnenbahn im Räume musste als unveränderlich angesehen werden, 
denn die kleinen Aendeningen derselben , welche die theoretischen 
Untersuchungen unserer Tage erwiesen haben , waren zu jener Zeit 
völlig ungeahnt. Die Bewegung des Mondes verrieth aber noch andere 
Eigenthümlichkeiten , zu denen keine entsprechenden bei der Sonne 
bemerkt wurden. Es waren dies Aenderungen in der Mondbjewegung, 
die auch von der Sonnenbewegung abzuhängen schienen , indem sie 



*) Die Apsiden der Sonnenbahn ändern in der That ihre Lage am 
Himmel, allein diese Bewegung ist sehr gering und beträgt nur etwa 11" 
jährlich. 



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62 I- Kapitel. Greschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

sich regelmässig nach dem Yerlanfe eines synodischen Monats wieder- 
holten. 

lieber die Natur dieser' Eigenthümlicbkeiten in der Mondbewegung 
können wir am leichtesten Bechenschaft ablegen , indem wir seine Länge 
in der Bahn durch einen mathematischen Ausdruck dargestellt denken. 
Das erste Glied dieses Aui^druckes kann eine reine Constante sein , d. h. 
eine numerisch gegebene Zahl, die in keiner Weise veränderlich ist. 
Diese Grösse würde nun hier davon abhängen , von welchem Punkte aus 
man die Länge des Mondes in seiner Bahn rechnet. Das zweite Glied ent- 
hält den Betrag der täglichen Bewegung des Mondes und zwar den mitt- 
leren Werth derselben, multiplicirt mit der Anzahl Tage , die verflossen 
sind, seitdem der Mond die im ersten Gliede gegebene Länge hatte. Das 
zweite Glied kann demnach beliebig gross werden ; nach 27 Tagen beträgt 
dasselbe 360°, denn so viele Tage braucht der Mond, um einen Umlauf zu 
vollenden. Das dritte Glied ist von der Beschaffenheit , dass dasselbe 
zwar ununterbrochen seinen numerischen Werth ändert , jedoch so , dass 
dieser stets durch zwei bestimmte Grenzen eingeschlossen wird. Die 
Aenderungen kehren periodisch nach einem anomalistischen Monat wie- 
der. Dieses Glied schwankt zwischen — 6** 17' und -|- 6** 17' und nimmt 
nach und nach alle dazwischenliegenden Werthe an, wonach der Verlauf 
sich umkehrt, so dass dieselben Werthe, aber in umgekehrter Reihenfolge 
zum Vorschein kommen. Hierauf wiederholt sich die Erscheinung genau 
in derselben Weise. Dieses Glied nennt ma,nMittelpunktsgleichung. 
Im Perigäum und Apogäum verschwindet dasselbe ; dazwischen wird es 
bemerkbar in der eben beschriebenen Weise. 

Zu diesen drei Gliedern finden sich entsprechende bei der Sonne, 
nämlich die Länge der Sonne dem Anfang der Zeitrechnung entsprechend, 
die mittlere tägliche Bewegung , multiplicirt mit der Anzahl Tage , die 
verflossen sind seit Anfang der Zeitrechnung, und endlich die Mittelpunkts- 
gleichung, welche bewirkt , dass die Bewegung zuweilen etwas rascher, 
zuweilen etwas langsamer vor sich geht und folglich auch die Ungleich- 
heit der Jahreszeiten veranlasst. Diese drei Glieder genügten, um die 
Bewegung der Sonne so genau , wie sie die Alten aus den Beobachtungen 
erkennen konnten, zu erklären. Bei der Mondbewegung genügten sie 
jedoch nicht; es mussten, wie schon angedeutet, noch einige Glieder be- 
rücksichtigt werden, damit die berechneten Längen die beobachteten in 
gehöriger Weise wiedergaben , oder mit andern Worten , damit der beob- 
achtete Lauf des Mondes der Genauigkeit der Beobachtungen entspre- 
chend gedeutet werden konnte. Von solchen Gliedern giebt es drei, die 
gross genug sind , um auch bei der geringeren Genauigkeit der älteren Be- 
obachtungen der Aufmerksamkeit nicht leicht zu entgehen, wenn der Mond 
nur einlgermaassen vollständig in allen Punkten seiner Bahn verfolgt 
wurde. Dass sie demohngeachtet nicht alle schon von den Griechen er- 
kannt wurden, beruhte darauf, dass diese den Mond gewöhnlich nur zur 



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§ 4. Das Sonnensystem. (2. Der Mond.) 63 

Zeit des Neu- oder Vollmonds^ oder auch zur Zeit der Quadraturen beob- 
achteten. 

Das erste dieser Glieder nennt [man die E v e c t i o n ; sein Betrag 
schwankt zwischen -h 1*" 20' 30" und — 1*^ 20' 30" und nimmt wie die Mit- 
telpunktsgleichung der Reihe nach alle zwischenliegenden Werthe an. Die 
Periode dieses Gliedes fällt jedoch nicht mit dem anomalistischen Monat 
zusammen, sondern ist etwas länger. Zur Zeit der Syzygien, also zur Zeit 
der Finsternisse, verläuft jedoch die Evection genau in derselben Weise 
wie die Mittelpunktsgleichung und kann daher von dieser nicht in den 
Beobachtungen unterschieden werden. Ohne Kenntniss der Evection fin- 
det man daher, wenn man sich bloss auf Beobachtungen von Finster- 
nissen beschränkt, einen fehlerhaften Werth für die Mittelpunktsglei- 
chung und zwar einen zu kleinen. Bei den Quadraturen vermischt sich die 
Evection ebenfalls mit der Mittelpunktsgleichung, aber veranlasst nun 
eine scheinbare Vergrösserung der letzteren. Durch Combination von 
Beobachtungen , die sowohl Conjunctionen und Oppositionen , wie auch 
Quadraturen angehörten , entdeckte Ptolemäus die Evection. 

Später wurden zwei andere Glieder entdeckt , nämlich die Varia- 
tion und die jährliche Gleichung. Die Variation verschwindet so- 
wohl zur Zeit der Syzygien , wie auch zur Zeit der Quadraturen ; bei den 
Octanten, d. h. den vier Punkten , welche in der Mitte zwischen den vier 
vorhergenannten liegen, erhält sie ihre grössten Werthe, die entweder 
4- 35' 42" oder — 35' 42" betragen. 

Die Periode der jährlichen Gleichung ist ein Sonnenjahr ; ihre gröss- 
ten Werthe sind + iri2" und — U' 12", also kaum gross genug, um von 
griechischen Astronomen bemerkt werden zu können. — Die Variation 
hätte aber entdeckt werden können, wenn nur der Mond in mehreren 
Punkten seiner Bahn beobachtet worden wäre. 

Wir müssen hier noch zwei Eigenthümlichkeiten in der Mond- 
bewegung erwähnen, von denen die erste allerdings weder von den 
alten Astronomen erkannt war, noch erkannt werden konnte, die aber 
beide von der allergrössten Bedeutung sind , wenn die Bewegung des 
Mondes richtig, angegeben werden soll. — Zuerst nennen wir eine 
gewisse üngleichförmigkeit in der mittleren Bewegung oder der mitt- 
leren Geschwindigkeit des Mondes, die in einer sehr langsamen Aende- 
nmg dieser Geschwindigkeit besteht. Diese Aenderung konnte erst 
bemerkt werden, nachdem zuverlässige Mondbeobachtungen sich über 
mehrere Jahrhunderte erstreckten. Wir haben im Vorhergehenden 
gesehen , wie die Rotation der Erde ein Mittel gewährte , die Zeit zu 
messen , wie aber auch die Umlaufszeiten der Sonne und des Mondes 
dazu angewendet wurden , indem man feststellte , wie diese sowohl 



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64 I- Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

eine gewisse Anzahl ganzer Tage , als auch einen Bruchtheil dersel- 
ben enthielten. Dass dies geschehen konnte , beruhte auf dem Um- 
stand, dass sich alle diese Perioden als unveränderlich erwiesen. Noch 
bis auf den heutigen Tag hat man keine Veränderungen in der üm- 
laufszeit der Sonne nachweisen können — die Zeit des einen Umlaufs 
kann zwar um eine Kleinigkeit von der Zeit des anderen verschieden 
sein, aber das Mittel aus einer Anzahl Umläufen in einem Jahrhundert 
bleibt stets dem Mittelwerthe der Umlaufszeit in irgend einem andern 
Jahrhundert gleich , selbst wenn letzteres um viele Jahrhunderte von 
ersterem entfernt liegt. — Eben so wenig hat man bis jetzt — und 
wir besitzen gegenwärtig vorzügliche Mittel um solches zu erkennen — 
eine Veränderung in der Rotationsgeschwindigkeit der Erde nachwei- 
sen können, obwohl diese Frage von Zeit zu Zeit von den ersten Män- 
nern der Wissenschaft untersucht worden ist. Vergleicht man aber 
die siderische Umlaufszeit des Mondes , wie sie aus neueren Beobach- 
tungen hervorgeht, mit der in älteren Zeiten bestimmten, so wird eine 
Vermehrung der mittleren Geschwindigkeit des Mondes, oder eine 
Verminderung seiner siderischen Umlaufszeit bemerkbar. In Folge 
dieser Aenderung der mittleren Geschwindigkeit ist die Länge des 
Mondes seit der ältesten uns mit Sicherheit bekannten Finstemiss 
um 1^ 48' verändert worden, d. i. mit anderen Worten : würde man 
mit der jetzt geltenden siderischen Umlaufszeit rückwärts rechnen, so 
würde die Länge des Mondes um den genannten Betrag falsch gefun- 
den werden. 

Endlich erwähnen wir eine auch in den rohesten Beobachtungen, 
wenn sie überhaupt so genannt werden dürfen, leicht bemerkbare 
Ungleichförmigkeit der Mondbewegung , die indess schon im Alter- 
thume als eine scheinbare erkannt wurde. Diese Ungleichförmigkeit 
gehört nämlich nicht, wie die früheren , der Länge des Mondes an, 
sondern beeinflusst nur die Lage des Mondes in Bezug auf den Hori- 
zont des Beobachtungsortes, und da sie ausserdem sehr bedeutend ist, 
so war es nicht schwer, sie auch bei einer weniger entwickelten Beob- 
achtungskunst zu entdecken , ja man konnte sogar die Ursache der- 
selben angeben. Wir werden daher jetzt nicht, wie bei der Ueber- 
sicht der übrigen »Ungleichheiten« der Mondbewegung, nur das 
auf empirischem Wege gefundene Resultat angeben, sondern sogleich 
auf deductivem Wege die Nothwendigkeit der in Frage stehenden 



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(-...■^. - •■•■) 

§4. Das Sonnensystem. (2. Der Mond.l%<^ / .-, 05,^^ 

Erscheinung zu begründen suchen. — Die Thatsache, dass die täg- 
lichen Bewegungen der Gestirne am Himmel immer gleichmässig, 
d. h. zu jeder Zeit mit derselben Geschwindigkeit vor sich gehen, 
gerade als ob sie an der Himmelssphäre befestigt wären, die in einem , 
Sterntag sich gleichförmig um die Weltaxe dreht, beruht nun darauf, 
dass die Weltkörper von der Erde in ungeheuren Entfernungen ab-, 
stehen , so dass die Dimensionen des Erdkörpers , welcher, wie wir 
wissen, nahezu die Form einer Kugel hat , im Vergleich zu diesen 
Entfernungen geradezu als verschwindend angesehen werden können . 
Vom Mittelpunkte der Erde aus erscheint die tägliche Bewegung stets 
so, wie vorher beschrieben wurde; von einem Punkte an der Erd- / 
Oberfläche hingegen etwas anders, wenn der fragliche Himmelskörper 
der Erde so nahe is% dass der Durchmesser der letzteren zum Abstände 
des Himmelskörpers in einem bemerkbaren Verhältnisse' steht. Wie 
gesagt sind diese Abstände in der Regel so gross , dass die Erde wie 
ein Punkt daneben verschwindet, allein der Mond macht hiervon eine 
Ausnahme. Der Winkel, unter welchem 'der Halbmesser des Erdkör- 
pers von einem Himmelskörper aus erscheint, wird die Parallaxe 
des letzteren genannt, und die Parallaxe des Mondes kann bis zu 
einem ganzen Grade und sogar etwas darüber steigen ; sie konnte da- 
her unmöglich unbemerkt bleiben. — Eine merkliche Parallaxe beein- 
flusst allerdings nicht die Culminationszeit des Himmelskörpers , aber 
sie verzögert seinen Aufgang und beschleunigt seinen Untergang. 
Hierin besteht die sog. parallactische Ungleichheit des 
Mondes, welche der Aufmerksamkeit der alten Astronomen nicht 
entging.*) 

Es ist klar, dass ein jedes Gestirn eine Parallaxe haben muss ; 
die allermeisten sind jedoch so klein , dass sie sogar mit . unsem 
vollkommensten Instrumenten nicht gemessen werden können, und 
folglich unmerklich sind. Ist jedoch die Parallaxe eines Gestirns 
merklich, so veranlasst sie, dass letzteres in einer geringeren Höhe 
erscheint als sonst. 

Es ist dies leicht mit Hülfe der nachstehenden flgur 4 einzu- 
sehen. 



*; In der neueren Astronomie versteht man unter der Benennung 
parallactische Ungleichheit etwas anderes als in früheren Zeiten. 

6 y Id ^ n, Astronomie. 5 



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66 I- Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

Fig. 4. 




iVist ein Punkt auf der Erdoberfläche, von dem*aus man den Him- 
melskörper 'S beobachtet. HH^ deutet die durch den Ort iV gelegte Hori- 
zontalebene (den sog. scheinbaren Horizont; an, hh' aber die durch den Mit- 
telpunkt der Erde gelegte Horizontalebene (den sog. geocentrischen Hori- 
zont). — Je weiter nun S von den Punkten iVund Jif rückt, desto kleiner 
wird der Winkel MSN; mithin nehmen die Geraden MS und NS mehr 
und mehr dieselbe Richtung an und werden endlich mit einander parallel, 
wenn S'm unendlicher Entfernung gedacht wird. — Der Winkel HNS 
istdiescheinbareHÖhe des Objectes S, der Winkel h MS hingegen 
seine geocentrischeHöhe; der Unterschied beider, oder der Winkel 
iüf ÄiV^, ist die Höhe nparal laxe des Gestirns. Man bemerkt leicht, dass 
die Höhenparallaxe am grössten ist , wenn der Körper im Horizonte , also 
in der Richtung NH gesehen wird , dass dieselbe hingegen verschwin- 
det, wenn die Höhe 90** beträgt, d. h. wenn das Gestirn im Zenith, also 
in der Richtung MN, beobachtet wird. Die Parallaxe im Horizonte nennt 
man Horizontalparallaxe. 

'Mit Hülfe derselben Figur ist es nun atich sehr leicht, sich eine deut- 
liche Vorstellung davon zu bilden , dass ein Himmelskörper über dem 
geocentrischen Horizonte früher 'als für den Beobachter auf der Erdober- 
fläche aufgeht und ebenso, dass er später untergeht. 

Da nun in Folge der Parallaxe der Mond etwas kürzere Zeit über 
dem (scheinbaren) Horizonte ist , als es ein anderer Himmelskörper 
sein würde, dessen wirkliche Lage an der Himmelssphäre , vom Mit- 
telpunkt der Erde aus gesehen , dieselbe wie die des Mondes , sein 
Abstand aber grösser wäre, so entsteht die bereits erwähnte TJngleich- 
förmigkeit in der täglichen Bewegung des Mondes, d.h. die parallac- 
tische Ungleichheit , welche , um berechnet werden zu können , die 
Kenntniss der Mondparallaxe erfordert. 



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§ 4. Das Sonnensystem. (2. Der Mond.) 67 

Man bemerkt leicht, dass die ParaUaxe sofort berechnet werden 
kann , wenn man ausser der Höhe des Gestirns über dem Horizonte 
noch seine Entfernung kennt, sowie die Orösse des Erdhalbmessers. 
Umgekehrt wird man die Entfernung durch Rechnung ermitteln kön- 
nen, wenn die Parallaxe bekannt ist. — Die Theorie der Parallaxe 
setzt also yoraus , dass sowohl die Figur wie auch die Dimensionen 
der Erde bekannt seien : dass man im Alterthume hierhergehörende 
Fragen überhaupt zu behandeln anfing, beweist aber, dass man schon 
damals andere und richtigere Vorstellungen von der Erde hatte , als 
die, welche im Mittelalter geläufig wurden. Und so war ed auch in 
der That. Es wird behauptet, dass schon Anaximander (570 v. Chr.) 
die Kugelgestalt der Erde angenommen hätte ; von Aristoteles wissen 
wir es gewiss , wenngleich seine späteren Commentatoren gerade auf 
diesen Punkt wenig Gewicht gelegt zu haben scheinen. Er sagt: die 
Srde ruht fest im Mittelpunkt der Himmelssphären, selbst eine Kugel, 
deren Umfang 40 Myriaden Stadien beträgt.*) Er schliesst dies aus 
der Form des Erdschattens bei Mondfinsternissen, ebenso wie aus 
dem Umstände , dass in verschiedenen geographischen Breiten ver- 
schiedene Sternbilder zu sehen sind. — Ueberhaupt mochte mau 
wohl bemerkt haben, dass der Weg, der auf der Erde in der Richtung 
des Meridians zurückgelegt wurde , der Aenderung des Winkels zwi- 
schen der Weltaxe und dem Horizont proportional ist. 

Schon früh machte man Versuche , die Grösse der Erde , diese 
als eine Kugel angenommen , zu bestimmen. Ein von Eratosthenes 
(ohngefähr 250 v. Chr.) ausgeführter derartiger Versuch ist für uns 
von um so grösserem Interesse, als man heutzutage , der Hauptsache 
nach, dasselbe Princip wie er verfolgt, nur mit unvergleichlich voll- 
kommeneren Hülfsmitteln. Eratosthenes bemerkte nämlich, dass die 
Städte Alexandria und Syene in Aegypten fast genau auf demselben 
Erdmeridian lagen. Femer glaubte er voraussetzen zu dürfen, dass 
Syene unter dem nördlichen Wendekreis läge, und zwar aus dem 
Grunde, weil ein aufrechtstehender Gegenstand, also ein Gnomon, 
am Mittage zur Zeit des Sommersolstitiums keinen Schatten warf. 
Er maass nun den Meridianabstand der Sonne vom Zenith zur näm- 



*j Pauly, Enc. Art. Astr. 



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68 I« Kapitel. Geflchichtlicher Ueberblick bis Newton. 

liehen Zeit, welcher Abstand alsdann mit dem Unterschiede der Pol- 
höhen oder geographischen Breiten der beiden Stftdte gleich sein 
musste. Er fand so dnrch Messung, dass der Breitennnterschied 
7^ 12' betrug, dass mithin auch der Bogen zwischen Syene und Alex- 
andria , auf dem gemeinsamen Meridiane gemessen , von derselben 
Grösse war. Nun wusste er, dass der Abstand zwischen diesen bei- 
den Städten zu 5000 Stadien gemessen war; den ganzen Umfang der 
Erde konnte er also nach der folgenden Analogie berechnen : Erd- 
umkreis: 5000 = 360° : 7° 12' = 360° : 7|° 
woraus folgt : 

Erdumkreis = 250000 Stadien, 
^ Erdhalbmesser = 39789 Stadien, 
oder in runder Zahl, wie sie von Erathostenes angegeben wurde ^ 
40000 Stadien. 

Von der Genauigkeit dieses Resultates können wir uns keine 
ganz klare Vorstellung machen , weil uns die Lftnge eines Stadium» 
nicht sicher bekannt ist. Darf man indessen annehmen, dass ein Sta- 
dium 184,72 Meter enthält*), so wii'd fQr den Erdumkreis eine 
Länge von 

46180000 Meter 
gewonnen, während der wahre Werth etwa 40000000 Meter be- 
trägt. Der beträchtlichste Theil der Abweichung dürfte von der man- 
gelhaften Messung der Entfernung zwischen den beiden Endpunkten 
des Bogens herrühren. 

Die Entfernung des Mondes vom Mittelpunkte der Erde konnte 
natürlich nicht direct gemessen werden ; man war im Gegentheile 
gerade genöthigt, diese Entfernung dadurch zu bestimmen , dass man 
die Parallaxe in einem gegebenen Fall unmittelbar maass. Um eine 
solche Messung vornehmen zu können , beobachtete man den Mond 
in ungleichen Höhen; da nun diese in verschiedener Weise von 
der Parallaxe beeinflusst waren , so konnte der Werth der Horizon- 
talparallaxe hieraus ermittelt werden. Man bestimmte also eigentlich 
die paraliactische Ungleichheit, die aber nur eine einzige Unbekannte, 
nämlich die Entfernung des Mondes enthält, vorausgesetzt , dass ent- 



*) In Pauly 's Encyclopädie wird das Stadium zu 569 par. Fuss an- 
gegeben, was mit der obigen Annahme sehr nahe übereinstimmt. 



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§ 4. Das Sonnensystem. (2. Der Mond.) 69 

weder diese Entfernung sich nicht verändert, oder auch dass man die 
Aendemngen derselben kennt. Hipparch, der grösste Astronom des 
Alterthnms, untersuchte die Mondbewegnng und fand dabei die par- 
allactische Ungleichheit. Er soll auch , aber auf indirectem Wege, 
die Parallaxe^ selbst ermittelt haben, und zwar aus Finstemissbeob- 
aehtungen. Bei der Berechnung hat er sieh indess eines Werthes der 
Sonnenparallaxe bedient, der sehr fehlerhaft war. Wenn er trotzdem, 
wie behauptet wird , für die Mondparallaxe sehr nahe den richtigen 
Werth gefunden hat, so muss dies auf einem Zufall beruhen. 

Die Horizontalparallaxe des Mondes ist aber nicht unveränder- 
lich; sie variirt von 57' bis 61'. Gegenwärtig sind diese Aendemn- 
gen sehr genau bekannt , so dass man nur einen einzigen Werth der 
Parallaxe zu kennen braucht, um denselben ftlr jede Zeit durch Rech- 
nnng zu finden. Zu Hipparch's Zeit verhielt sich die Sache jedoch 
nicht so. Das Gesetz, wonach die Entfernungen der Himmelskörper 
sich ändern, war unrichtig angenommen worden, und so kam es, dass 
sich zuweilen sehr grobe Fehler bei der Berechnung der parallacti- 
schen Ungleichheit einschlichen, obgleich der mittlere Werth der Par- 
allaxe sehr nahe richtig gefunden war. Dass unter solchen Umstän- 
den die Bestimmung der Lage des Friihlingspunkts oder der absolu- 
ten Rectascensionen erheblich fehlerhaft ausfallen konnte , ist nicht 
zu bezweifeln. (Vgl. § 1.) 

In späteren Zeiten hat man ein anderes Verfahren gewählt , um 
die Mondparallaxe zu bestimmen. Man misst jetzt die Meridianhöhen 
des Mondes an zwei, in der Richtung des Meridians von einander 
möglichst entfernten Punkten auf der Erdoberfläche , die aber am 
zweckmässigsten so nahe wie möglich auf demselben Meridian liegen . 
Der Unterschied der geographischen Breiten der beiden Beobachtungs- 
punkte muss hierbei als bekannt vorausgesetzt werden , so dass der 
lineare Abstand derselben in Theilen des Erdradius oder in irgend 
«inem bekannten Maasse ausgedrückt werden kann. — Wir wollen 
nun sehen, wie man auf Grund solcher Beobachtungen die Mond- 
parallaxe ableiten kann. 

Der Kreis PQP'(Fig. 5) stellt einen Erdmeridian vor, auf welchem P 
nndP' die beiden Beobacbtungspunkte bedeuten, deren gegenseitige Lage, 
d. h. der Bogen PP\ in Graden u. s. w. bekannt ist. Denkt man sich nun 
den Mond im Punkt üf, so sind die beiden Höhen MPH, und MP'H', 



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70 



I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 



die wir als durch Beobachtungen bekannt annehmen. Da ferner der Win- 
kel POF' sowie die Grösse des Erdradiuß OP als gegeben vorausgesetzt 

Fig. 5. 




werden, so findet sich durch trigonometrische Rechnung der Winkel 
rPO =r PP'O und unmittelbar hieraus der Winkel H,PF' = H'P'P, 
Die Berechnung dieser Winkel ist von dem Mondorte völlig unabhängig. 
Da nun aber die beiden Mondhöhen bekannt sind , so finden sich unmit- 
telbar auch die beiden Winkel MPP* und MP'P\ der erste dieser ist 
gleich der Summe der Winkel H,PP' und MPH,, der zweite hingegen 
gleich der Summe von MP'H' und WP'P\ Wir haben jetzt ein Drei- 
eck, in dem eine Seite [PP') sowie zwei Winkel [MPP' und MP'P) be- 
kannt sind ; durch trigonometrische Rechnung findet man nun die beiden 
übrigen Seiten des Dreiecks, nämlich ifefPund MP'y sowie den Winkel 
PMP', Hiermit wäre der Abstand des Mondes von Punkten auf der Erd- 
oberfläche ermittelt, der Abstand vom Mittelpunkte der Erde ergiebt sich 
dann durch eine leichte Rechnung. — Aus Beobachtungen , die gleich- 
zeitig in Berlin und am Gap der guten Hoffnung angestellt wurden, hat 
man die Horizontalparallaxe des Mondes zu 57 '5" bestimmt. Spätere, von 
dem dänischen Astronomen 1 u f s e n ausgeführte Berechnungen , wobei 
eine grosse Anzahl Beobachtungen untersucht wurden, ergaben den Werth 
57' 2:6. 

Es könnte nun scheinen , als wenn die Parallaxe oder die Ent- 
fernung der Sonne in derselben Weise wie die des Mondes zu ermit- 
teln wäre, und es ist wohl möglich^ dass man versucht hat, zu diesem 
Zwecke den nämlichen Weg einzuschlagen ; allein es musste sich bald 
zeigen, dass auf diesem Wege nichts zu erreichen war. Der Abstand 



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§ 4. Das Sonnensyßtem. (2. Der Mond.) 71 

der Sonne von der Erde ist nämlich so gross im Verhältniss zum Ba- 
dius der letzteren, oder die Parallaxe der Sonne so klein , dass alle 
directen Messungen derselben* zu keinem Resultate von einiger Ge- 
nauigkeit geführt haben und führen konnten. Zu den Zeiten der grie- 
chischen Astronomie konnte man auf solche Weise nicht einmal die 
geringste Vorstellung von dieser Entfernung erlangen. Man weiss 
jetzt , dass diese Parallaxe ohngefähr 8'/85 beträgt , gelangte aber 
erst in den letzten Decennien zu dieser Kenntniss. Bis zur zweiten 
Hälfte dieses Jahrhunderts hat man allgemein die Sonnenparallaxe 
zu 8'/57 angenommen, also um etwa-j^g- ihres Werthes falsch, wäh- 
rend die Astronomen des Alterthums die Mondparallaxe bis auf etwa 
^ des ganzen Betrages bestimmen konnten. — Eine so geringe 
Grösse konnte früher weder gemessen noch überhaupt bemerkt wer- 
den , und so schwebten die Alten in völliger Unkenntniss über die 
wahre Entfernung der Sonne . Wie D e 1 a m b r e *) mittheilt , wurde 
gewöhnlich nach Aristarch angenommen, dass die Sonne 19 Mal wei- 
ter von der Erde entfernt sei als der Mond ; ihre Parallaxe wurde 
also etwa 3' angenommen , folglich viel zu gross. Hipparchus hätte 
zwar eine erheblich kleinere Parallaxe vermuthet , konnte und wollte 
dieselbe aber nicht gegen die Ansicht seines Zeitalters behaupten. 
Man schreibt ihm jedoch eine sehr sinnreiche Methode zu, diese Grösse 
zu bestimmen, und, obgleich sie nie zu einem zuverlässigen Resultate 
geführt hat, so muss sie doch hier erwähnt werden, um von dem 
erfinderischen Geiste des Urhebers zu zeugen. 

Diese Methode lässt sich durch die folgende geometrische Con- 
stmction erkennen (vgl. Fig. 6) . 

Es seien ad, be und cf drei gerade, mit einander parallele I^inien, 
"welche von der Geraden mnp in der Mitte geschnitten werden, und deren 
Endpunkte an denselben Geraden ahc und def liegen; es ist nun augen- 
scheinlich, dass die Summe der Winkel anm und cnp gleich der Summe 
von den Winkeln nah und neb ist^ diese letztere Summe ist aber wieder 
sehr nahe gleich der Summe von nmb und npb , und dies ist um so mehr 
der Fall, je weiter die drei Linien ad, be und cf von einander abste- 
hen im Verhältniss zu ihrer eigenen Grösse. 

Betrachtet 'man nun c/ als einen Durchmesser des Sonnenkörpers 
und be als einen solchen des Erdkörpers, so ist ad ein Durchmesser des 



*) Histoire de l'astronomie ancienne II. pag. 207. 



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72 



I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 



8chattenkegelft, welchen die Erde wirft. Nimmt man femer an , dass der 
Erdschatten auf der Mondscheibe beobachtet wird , so haben die Winkel, 

Fig. 6. 

e 
* 




deren Relationen oben auseinandergesetzt wurden, folgende Bedeutun- 
gen. Der Winkel »m& ist di^Mondparallaxe, npb die Sonnenparallaxe, 
cnp der scheinbare Halbmesser der Sonne; und endlich, wenn eine Ebene 
senkrecht auf die Gesichtslinie durch den Mondkörper gelegt wird , so ist 
€tnm der scheinbare Halbmesser des Kreises , welcher durch diese Ebene 
von dem Kegel abgeschnitten wird. Wenn also dieser Halbmesser beob- 
achtet wird , und ausserdem die Mondparallaxe und der scheinbare Halb- 
messer der Sonne bekannt sind , so findet man die Parallaxe der Sonne 
mittelst der angeführten Relation. Man hat nämlich , wenn der Halbmes- 
ser des Schattenkegels mit /bezeichnet wird, die Parallaxen der Sonne 
und des Mondes mit tc und p, sowie der Sonnenradius mit r : 

Tz^r -\rf— p. 
Um den Radius des Schattenkreises mit möglichster Genauigkeit zu be- 
stimmen , versuchte man denselben aus der Zeitdauer einer totalen Mond- 
finstemiss zu ermitteln. Dieselbe wahrzunehmen war jedoch nicht 
leicht, denn die Grenze des Schattens zeigt sich' so unbestimmt, dass 
man nicht mit der erforderlichen Genauigkeit die Zeit fixiren kann , zu 
der die totale Verfinsterung anfängt oder aufhört. 

Aristarchus vonSamos (um 200 v. Chr.) ersann eine andere Methode, 
die, wie berichtet wird, in späteren Zeiten zu einem leidlichen Resultate 
geführt haben soll.*) Seine Methode ist die folgende. Zur Zeit der Qua- 



*) Von Aristarch wird gesagt, dass er wegen Irreligiosität angeklagt 
wurde, weil er lehrte, dass die Himmel unbeweglich seien, die Erde sich 
aber um die Sonne und zugleich um ihre eigene Axe drehe (in Pauly's 
Encyclopädie nach Plutarch). — Delambre berichtet hierüber : »Plutarque 
au Li vre II des Opinions des Philosophes, Chap. XXIV, dit qu'Aristarque 
rend le Soleil immobile , aussi bien que les 6toiles, et qu'il fait toumer la 
terre autour du cercle solaire, c'est-a-dire , sans doute, le long de 
l'ecliptique; il ajoute que ses inclinaisons fönt que le disque est 
obscurci. Ce passage obscur est sans doute alt6r^; on peut conjecturer 
qu'apr^s avoil* parl6 du mouvement annuel , Tauteur aura voulu dire que 
le mouvement de rotation servait ä expliquer le jour et la nuit.« 



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§ 4. Das Sonnensystem. (2. Der Mond.) 



73 



dratur oder Dichotomie, wo die Mondscheibe von der Erde aus gerade 
zur Hälfte belenchtet erscheint, ist der Winkel zwischen Erde und 

Fig. 7. 




Sonne — wenn diese Körper vom Monde aus betrachtet werden — ein 
rechter. Wird zu einem solchen Zeitpunkte der Winkel zwischen der 
Sonne iS) und dem Mond [M] von der Erde [T] gemessen, so sind zwei 
Winkel im Dreiecke SMT bekannt und man findet durch trigono- 
metrische Rechnung das Verhältniss der Seiten MT und MS. Aris- 
tarch bestimmte dieses Verhältniss zu etwa ^ , während es in Wirklich- 
keit etwa nur 7^ beträgt. Dieses höchst wenig befriedigende Resul- 
tat wurde veranlasst theils durch die Kleinheit der Sonnenparallaxe, theils 
aber durch die Schwierigkeit, den Moment genau aufzufassen, wo der 
Mond gerade zur Hälfte beleuchtet war. — Es wird femer berichtet, dass 
Hipparch für die Halbmesser r und /die Werthe r = 15' und/= 39' ge- 
funden habe , woraus tt = 2.' 7 und ^ = 5K3 folgen. Wäre die Sonnen- 
parallaxe als unmerklich angenommen worden , so hätte man die Mond- 
parallaxe zu 54' gefunden. Nach den Angaben in Delambre's Histoire de 
l'astronomie ancienne soll Hipparch durch; Berechnung von Sonnenfinster- 
nissen auf die Zahl 57' gekommen sein, aber auch dies unter Annahme 
der falschen Sonnenparallaxe. 

Zuverlässigere Methoden, welche man in neueren Zeiten zur Be- 
stimmung der Sonnenparallaxe ersonnen hat , sollen später erörtert 
werden. 

3. Die unteren Planeten Merkur und Venus. 

Für uus Bewohner des Nordens ist die Bewegung des Plane- 
ten Venus bei weitem von grösserem Interesse , als die des Merkur, 
denn letzteren sind wir äusserst selten im Stande mit blossen Augen 
zusehen. Hierzu kommt noch, dass Venus überhaupt einen weit 



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74 I. Kapitel. Geschichtlicher Uebeiblick bis Newton. 

schöneren Anblick gewährt, als der unscheinbare Merknr, der nur 
ganz kurze Zeit nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang in 
der Nähe des Horizonts wahrzunehmen ist. — Die Bewegungser- 
scheinungen dieser beiden Planeten sind überdies einander ziemlich 
ähnlich, weshalb wir hauptsächlich die Eigenthümlichkeiten d er Be- 
wegung der Venus zu betrachten brauchen und dann nur in aller 
Kürze die Punkte anzugeben haben , in denen Merkur Abweichun- 
gen zeigt. 

Wenn von Sonne und Mond abgesehen wird , so ist Venus das 
schönste Gestirn am Himmel. Es glänzt mit mildem , ruhigem Lichte 
auf dem tiefblauen^ aber noch nicht völlig dunklen Himmelsgrund als 
Abendstem. Nicht minder erfreut uns der Anblick des Morgensterns, 
wenn wir in der Frühe das Freie suchen. 

Es war wohl nicht ganz leicht, die Erkenntniss zu erlangen, 
dass diese beiden Erscheinungen zu demselben Himmelskörper gehö- 
ren : in Griechenland soll Pythagoras zuerst ihre Identität entdeckt 
haben. Hierdurch wurde aber sogleich eine ganz besondere Eigen- 
thümlichkeit im Laufe der Venus dargelegt, nämlich die, dass sie der 
Sonne bei ihrer Bewegung um das Himmelsgewölbe folgt , indem sie 
sich nie von letzterer sehr weit entfernt. Man sieht den Planeten 
nämlich nie anders als einige Zeit nach Sonnenuntergang der Sonne 
folgend, oder auch vor Sonnenaufgang der Sonne vorausgehend. 

Die scheinbare Bahn der Venus ist eine wenig geöffnete Curve, 
die sich um die Sonne schliesst und die sich also mit ihr durch den 
Thierkreis bewegt. In Bezug auf die Sterne ist die Bahn aber eine 
wesentlich andere und mehr verwickelte. Denkt man sich eine Spur, 
die den Weg des Planeten unter den Sternen bezeichnen würde , so 
wäre dies eine Linie, die bald in der Richtung der Sonnenbewegung, 
bald wieder in der entgegengesetzten Richtung fortliefe , und die da- 
bei in Schlingen verwickelt erschiene. Der Planet bewegt sich also 
hin und her um die Sonne und geht unter den Sternen meistens vor- 
wärts, d. h. in der Richtung der Sonnenbewegung, zuweilen aber 
auch rückwärts. Die rechtläufige Bewegung nennt man auch eine 
directe, die rückläufige eine retrograde Bewegung. 

In keinem Punkte ihrer Bahn entfernt sich die Venus viel 'von 
der Ekliptik, so dass ihre Breite stets sehr gering ist. Ihre Bahn hat 
daher nur eine geringe Neigung gegen die Sonnenbahn. — Den 



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§. 4. Das Sonnensystem. (H. Merkur und Venus.] 



75 



Winkelabstand des Planeten von der Sonne, von der Erde* aus gesehen, 
nennt man seine Elongation; diese kann |bei Venus höchstens 
48*^ betragen. 

Um nun die scheinbare Bahn der Venus völlig anschaulich zu 
machen und zugleich ein Beispiel zu geben , wie man den Lauf theils 
durch Rectascensionen und Declinationen (oder Längen und Breiten) , 
theils durch eine bildliche Darstellung angiebt , werden hier zunächst 
eine Reihe Rectascensionen und Declinationen angeführt , die Jedem 
zehnten Tag des Jahres 1S76 angehören. Diesen fügen wir die gleich- 
zeitigen Rectascensionen und Declinationen der Sonne hinzu , damit 
auch die auf die Sonne bezogene Bewegung ersichtlich werden kann. 



Datnm 


Bectascensionen 


Declinationen 


Rectascensionen 


Declinationen 


der Venus 


der Venus 


der Sonne 


der Sonne 


Jan. 1 


2011 31m 


— 20° 37' 


18h 45«» 


— 23« 3' 


Jan. 11 


21 22 


— 17 12 


19 29 


— 21 52 


Jan. 21 


22 10 


— 13 1 


20 12 


— 19 59 


Jan. 31 


22 56 


— S 15 


20 54 


— 17 29 


Febr. 10 


23 41 


— 3 9 


21 34 


— 14 28 


l^ebr. 20 


25 


+ 26 


22 13 


— 11 3 


Märzl 


1 9 


+ 7 17 


22 51 


— 7 21 


März 11 


1 53 


+ 12 12 


23 28 


— 3 28 


März 21 


2 37 


-h 16 40 


4 


+ 29 


März 31 


3 23 


+ 20 29 


41 


+ 4 24 


April 10 


4 9 


+ 23 29 


1 17 


+ 8 10 


April 20 


4 56 


+ 25 33 


1 54 


+ 11 43 


April 30 


5 41 


+ 26 37 


2 32 


+ 14 57 


Mai 10 


6 24 


+ 26 42 


3 11 


+ 17 47 


Mai 20 


7 3 


+ 25 54 


3 50 


+ 20 6 


Mai 30 . 


7 35 


+ 24 25 


4 31 


+ 21 52 


Juni 9 


7 59 


+ 22 30 


5 12 


+ 23 


Juni 19 


8 10 


+ 20 27 


5 53 


+ 23 27 


Juni 29 


8 6 


+ 18 34 


6 35 


+ 23 13 


Juli 9 


7 46 ' 


+ 17 7 


7 16 


+ 22 19 


Juli 19 


7 20 


+ 16 14 


7 56 


+ 20 46 


Juli 29 


7 1 


+ 16 


8 36 


+ 18 38 


Aug. 8 


6 59 


+ 16 17 


9 15 


+ 16 


Aug. 18 


7 11 


+ 16 45 


9 52 


+ 12 56 


Aug. 28 


7 35 


+ 16 59 


10 29 


+ 9 32 


Sept. 7 


8 6 


+ 16 42 


11 5 


+ 5 52 


Sept. 17 


8 43 


+ 15 43 


11 41 


+ 23 



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76 



I. Kapitel. Getohicbtlicher CeberUiok bis Newton. 





RectoMensioneB 


DecUnationen 


BeeUaceatfionen ' 


DecUnationen 


Datum 


der Venus 


der Venus 


der Sonne , 

1 


der Sonne 


Sept. 27 


9t» 22» 


-h 13» 58' 


12b 17« 


— i«5r 


Oot. 7 


10 4 


4-11 27 


12 53 


— 5 43 


Oct 17 


10 46 


4- 8 14 


13 30 


— 9 28 


Oct. 27 


11 29 


H- 4 29 


14 8 


— 13 


Nov. 6 


12 12 


'H- 20 


14 48 


— 16 10 


Nov. 16 


12 56 


— 4 1 


15 28 


— 18 54 


Nov. 26 


13 41 


— 8 22 


16 10 


— 21 4 


Dec. 6 


14 28 


— 12 31 


16 54 


— 22 35 


Dec. 16 


15 16 


— 16 14 


17 38 


1 —23 22 


Dec. 26 


16 6 


— 19 18 


18 22 


— 23 22 



Diese Oerter des Planeten nnd der Sonne sind aber nicht beob- 
achtet worden , sondern ans den gegenwärtig sehr genau bekannten 
Bewegnngen dieser Himmelskörper berechnet. Dies hindert uns jedoch 
nicht, die angeführten Werthe als direct ans den Beobachtungen ent- 
nommen anzusehen , denn sie sind ja in der That nur Resultate sol- 
cher, und zwar so vieler, dass die unvermeidlichen Beobachtungsfeh- 
ler zum grossen Theile vernichtet worden sind. Indem wir sie nun 
als beobachtete Werthe ansehen, suchen wir die scheinbare Bahn des 
Planeten und lösen somit eine der ersten Aufgaben in der Astronomie : 
nämlich aus beobachteten Oertem eines Himmelskörpers seine schein- 
bare Bahn herzuleiten. Gegenwärtig braucht man wohl selten diese 
Aufgabe zu behandeln, denn es giebt Methoden , durch die man aus 
beobachteten Oertem sogleich die wahre Bahn berechnen kann. Al- 
lein die ersten astronomischen Kenntnisse fingen nothwendig mit dem 
Auffassen der scheinbaren Bewegungen an, und es ist überdies noth- 
wendig , sich von der Erscheinung , zu der man die Erklärung sucht, 
ein klares und anschauliches Bild zu verschaffen. Um nun die schein- 
bare Bahn der Venus bildlich darzustellen, tragen wir auf ein mit par- 
allelen und senkrechten Geraden durchkreuztes Papier Punkte ein, 
deren Abstände von zwei gegen einander senkrechten Scalen den 
Rectascensionen und Declinationen des Planeten entsprechen. Bei 
der folgenden Figur S sind zwar die Ereuzlinien mit Ausnahme der 
beiden Scalen weggelassen, aber trotzdem sieht man schon durch 
Augenmaass, dass die Abstände der eingetragenen Punkte , so genau 
wie es hier nöthig ist, den Zahlen in der vorhergehenden Zusammen- 



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§ 4. Das SoDnensystem. (3. Merkur und Venus.) 



77 







Stellung entsprechen. So sieht man z. B. aus der Figur, dass die 
RectascensioB am 25. Mai etwa 7^ 20*" und dieDeelination + 25^ ist. 
Die Figur giebt uns also ein Bild der scheinbaren Bewegung des Pia- 



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78 I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

neten in der Zeit vom 5. Mai bis 12. October des Jahres 1876 ; durch 
das Verbinden der eingetragenen Punkte erhält man nämlich die un- 
unterbrochene Spur, welche seinen Weg am Himmel darstellt. Die 
mit bezeichneten Punkte repräsentiren wieder die Oerter der Sonne 
zu den nebenstehenden Tagen , so dass die diese Punkte verbindende 
Curve einen Theil der Ekliptik darstellt. Auf dieser Linie bewegt 
sich die Sonne ununterbrochen in derselben Richtung , während der 
Planet, wie es auch die Figur zeigt, sich hin und her bewegt. In der 
Zeit vom 20. Juni bis Anfang August ist die Bewegung rückläufig. 

Vergleicht man die zu den verschiedenen Zeiten stattfindenden 
relativen Lagen des Planeten zur Sonne , so wird man alsbald bemer- 
ken , dass die rückläufige Bewegung einige Zeit nach dem Eintreflfen 
der grössten östlichen Elongation anfängt. Während dieser Bewegung 
begegnet der Planet der Sonne und wird einige Zeit darauf westlich 
von dieser, also als Morgenstern bemerkt. Hierauftritt ein Stillstand 
(Station) in der Bewegung ein , dem wieder eine directe Bewegung 
des Planeten folgt. Diese Bewegung ist jedoch Anfangs unbedeutend 
und geringer als die der Sonne , weshalb der Abstand zwischen den 
beiden Gestirnen noch zunimmt; endlich erreicht die westliche Elonga- 
tion ein Maximum, indem die Bewegungen der Sonne und des Planeten 
einander gleich sind. Die directe Bewegung des Planeten ist indes- 
sen jetzt in stärkerem Zunehmen begriffen, woraus folgt, dass 
derselbe sich wieder der Sonne nähern muss. Unter fortwährender 
rechtläufiger Bewegung geht der Planet hierauf an der Sonne vorbei, 
seiner grössten östlichen Elongation als Abendstern entgegen , wor- 
auf die soeben beschriebenen Bewegungserscheinungen von neuem 
anfangen und in ähnlicher Weise sich wiederholen. 

Der Planet Merkur zeigt in seinen Bewegungen eine grosse Aehn- 
lichkeit mit den eben dargestellten der Venus ; doch sind die Wechsel 
bei ersterem schneller als bei letzterer. So dauert z. B. die retro- 
grade Bewegung bei Merkur nur etwa 17 Tage, während Venus ohn- 
gefähr 41 Tage rückläufig ist. Ebenso beträgt die grösste Elonga- 
tion des Merkur kaum die Hälfte von der vorhin für Venus ange- 
gebenen : sie steigt nur bis 23°. Daher trifft es nur selten ein, dass 
dieser Planet den blossen Augen in nördlichen Gegenden sichtbar 
wird. Für Orte, die weit vom Aequator liegen, bildet nämlich die 
Ekliptik einen ziemlich spitzen Winkel mit dem Horizonte ; da femer 



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§ 4. Das Sonnensj^stem. (3. Merkur und Venus.) 79 

Merkur sich stets in der Nähe der Ekliptik bewegt , so kann seine 
Höhe kurz nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang nie sehr 
erheblich werden. Ehe es genügend dunkel geworden ist, um diesen 
nicht besonders leuchtenden Himmelskörper zu bemerken , ist er oft 
schon dem Horizonte so nahe gekommen , dass sein Licht in aufstei- 
genden Dtlnsten verschwindet. 

Durch das Femrohr betrachtet, zeigen sowohl Merkur wie Venus 
Phasen in derselben Weise wie der Mond, nämlich so, dass immer nur 
die der Sonne zugewendete Seite beleuchtet erscheint. 

Bei diesen beiden Planeten wurde endlich eine Ungleichförmig- 
keit in der Bewegung bemerkt, [die von derselben Natur wie die Mittel- 
punktsgleichung der Sonne und des Mondes ist. Es wäre natürlich 
sehr schwer, dieselbe hier zu bestimmen , da die scheinbaren Bahnen 
an und für sich schon sehr verwickelt sind , und namentlich bei Mer- 
kur war sie äusserst schwierig zu ermitteln. Man konnte aber ihr 
Vorhandensein schön daraus erkennen , dass die grössten Elongatio- 
nen nicht immer gleich waren ; dieser Winkel schwankt bei Merkur 
um mehrere Grade. In dem nächsten Abschnitte werden wir an einem 
etwas leichter zu behandelnden Beispiele zeigen , wie es möglich ist, 
die Mittelpunktsgleichung gewissermaassen von den übrigen »Verwor- 
renheiten« der Bewegung auszuscheiden. 

4. Die oberen Planeten: Mars, Jupiter und Saturn. 

Diese drei Planeten zeigen in ihrer Bewegung so viel Aehnlich- 
keit, dass wir einen derselben als Typus für die ganze Gruppe aus- 
wählen können , und nur dessen Bewegung genauer zu beschreiben 
haben. In dieser Absicht nehmen wir Mars, theils weil gewisse Eigen- 
schaften der Bewegung bei ihm deutlicher hervortreten als bei den 
beiden andern, theild weil dieser Planet seine Lage unter den Sternen 
schneller verändert und also in kürzerer Zeit die Eigenthümlichkeiten 
derselben offenbaren muss. 

Man ist sogleich im Stande, einen ganz wesentlichen Unterschied 
in der Bewegung des Mars und z. B. der Venus zu entdecken. Wäh- 
rend letztere nie eine gewisse Grenze von der Sonne überschreiten 
konnte , erblicken wir Mars in jedem beliebigen Winkelabstand von 
der Sonne ; jedoch so , dass er stets in der Nähe der Ekliptik bleibt. 
Dagegen finden wir bei Mars eine Eigenthümlichkeit wieder , die sich 



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'SO I* Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

auch bei Merkur und Yenus vorfand , niemals aber bei der Sonne und 
dem Monde bemerkt wurde, die nämlich y dass seine Bewegung , ob- 
wohl vorwiegend direct, doch mitunter retrograd wird, und bei den 
Uebergängen von der directen zur retrograden Bewegung, oder um- 
gekehrt, Stillstandspunkte hat. Der Verlauf dieser Bewegung ge- 
staltet sich ohngefähr in folgender Weise. Nachdem der Planet ans 
den Sonnenstrahlen herausgetreten, geht er in directer Bewegung 
vorwärts. Diese Bewegung ist jedoch langsamer als die der Sonne 
und nimmt überdies noch beständig ab, bis sie endlieh für eine kurze 
Zeit ganz und gar aufhört. Der Planet scheint jetzt am Himmels- 
gewölbe still zu stehen und seine westliche Elongation beträgt dann 
etwa 137". Hierauf fUngt die rflckläufige Bewegung an, wobei die 
Elongation noch mehr vergrössert wird und endlieh 180" erreicht: 
der Planet steht alsdann in Opposition zur Sonne. Nun wird die 
rückläufige Bewegung immer langsamer und geht nach einem kurzen 
Stillstande des Planeten in eine rechtläufige über, die jedoch langsa- 
mer als die der Sonne ist , so dass der Planet von diesem Himmels- 
körper eingeholt wird. Hieraiif wiederholen sich die beschriebenen 
Bewegungserscheinungen genau in derselben Weise ; nur können die 
Bewegungsphasen in den verschiedenen Umläufen etwas verschie- 
den sein. 

Um den scheinbaren Lauf des Mars noch anschaulicher darzu- 
stellen, geben wir davon eine Zeichnung , wie vorhin fftr die Bewe- 
gung der Venus. Die hierher gehörende Figur (9) ist jedoch nach einem 
etwas anderen Plan als die vorhergehende entworfen. Hier wird näm- 
lich angenommen, dass von einem Himmelsglobus, auf dem die schein- 
bare Bewegung aufgezeichnet worden ist, die Aequatorealzone ausge- 
schnitten und nachher auf die Ebene des Papiers ausgebreitet wurde. 
Um eine solche Operation wirklich als ausfahrbar ansehen zu können^ 
mnss man sich den Globus aus einem dehnbaren Stoff, etwa aus Eaat- 
»chuk verfertigt denken. Nach dieser Erklärung dürfte die Bedeu- 
tung der Figur sofort einleuchten. Der mittlere ELreis stellt den 
Aequator vor, und ist in 24 gleiche Theile, jeder einzelne eine Stunde 
in Rectascension darstellend, eingetheilt : dieser Kreis entspricht also 
der Rectascensionsscala in der vorhergehenden Figur. Eine Dediiia- 
tionsscala ist hingegen hier nicht angebracht, sondern dieOerter des 
Planeten sind einfach nach dem Augenmaasse eingetragen worden, 



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§ 4. Das Sonnensystem. (4. Mars, Jupiter und Saturn.) 



81 



wobei angenommen wurde , dass der Abstand des mittleren Kreises, 

sowohl vom inneren wie vom äusseren, ohngefähr 2Z^^ (Schiefe der 

Ekliptik] betrage. Die Figur kann daher keine grosse Genauigkeit 

beanspruchen, die auch bei den kleinen 'Dimensionen unerreichbar 

geworden wäre. 

Fig. 9. 




"- Trotz der kleinen Dimensionen sieht man aber zur Genüge die 
Bildung der Schleifen , wo die rückläufige Bewegung eintritt ; fügen 
wir femer hinzu, dass der Planet am 28. November 1864 in Oppo- 
sition war, so sehen wir auch deutlich , wie diese ohngefthr in der 
Mitte der rückläufigen Bewegung einfiel. Die Erscheinung der rück- 
läufigen Bewegung hat aber auch bei Mars , wie bei Merkur und Ve- 
nus, eine deutlich ausgesprochene Beziehung zur Stellung des Plane- 

Gyld^n, Astronomie. u 



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J 



82 I. Kapitel. Geachichtliober Ueberblick bis Newton. 

ten gegen die Sonne. Bei Merknr und Yenns wurde die rückläufige 
Bewegung zu der Zeit wahrgenommen, wo Planet und Sonne an ein- 
ander Yorbeigittgen ; bei Mars dagegen lur Zeit der Opposition. 

Bei Mars ist die Bewel^ng von einer ziemlich erheblichen Mit- 
telpnnktsgleichnng beeinflusst, die hier relativ leicht zu entdecken 
ist. Im nächsten Abschnitte wird gezeigt, wie man diese Ungleich- 
förmigkeit von den andern trennen kann , wenigstens so weit , dass 
man ihren Einfluss so zu sagen handgreiflich sehen kann ; hier wer- 
den w\r uns darauf beschränken , einige Umstände zu erwähnen , bei 
denen sich das Vorhandensein der Mittelpunktsgleichung, wenn auch in 
ganz roher Weise zeigen muss. — Wenn eine merkliche Mittelpunkts- 
gleichung vorhanden ist, so giebt sie sich dadurch zu erkennen , dass 
die Geschwindigkeit in verschiedenen Punkten der Bahn verschieden 
ist, und zwar so, dass die Punkte der grössten und kleinsten Ge- 
schwindigkeit diametral einander gegenüber liegen. So ist es wenig- 
stens bei der Sonne und bei dem Monde der Fall. Bei den Planeten 
wird zwar der einfache Vorgang durch das Vorhandensein anderer 
Einflüsse getrübt, aber eine Spur solcher Einflüsse musste doch leicht 
genug wahrzunehmen sein. Und so verhält es sich auch in der That. 
Bei Mars z. B. ist die synodische Umlaufszeit grösser als die sideri- 
sche. Es kann daher vorkommen, dass der Planet z. B. zwischen 
zwei Oppositionen zwei Mal in dem Punkte seiner Bahn gewesen ist, 
wo die grösste Geschwindigkeit stattfindet, oder auch umgekehrt, 
zwei Mal in dem Punkte der geringsten Geschwindigkeit. Eine er- 
hebliche Mittelpunktsgleichung muss sich folglich darin zu erkennen 
geben ; dass die Zwischenzeiten der Oppositionen verschieden gross 
sind. Dies wird auch durch die Erfahrung bestätigt. Es fanden näm- 
lich Marsoppositionen statt an folgenden Tagen : 

Zwischenzeit 

1858 Mai 16 . . , . ^ 

1860 Juli 17 2 Jahre 63 Tage 



1862 October 5 
1864 November 28 
1867 Januar 10 
1869 Februar 13 
1871 März 20 
1873 April 27 
1875 Juni 20 



2 - 80 
2-55 

2 - 43 

2 - 34 

2 - 35 

2 - 39 

2 - 54 



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§ 4. Das Sonnensystem. (5. Ungleichheiten.) 83 

Wie man sieht, sind die Zwischenzeiten nicht nnerheblich von 
einander verschieden ; die Unterschiede kehren aber in periodischer 
Reihenfolge wieder, woraus die Gesetzmässigkeit der Erscheinung 
hervorgeht. 

Die Bewegungen der Planeten Jupiter und Saturn sind denen 
des Mars vollkommen analog ; ^ihre siderisehen Umlaufszeiten sind 
jedoch erheblich grösser, nämlich respective 11.27 und 29.46 Jahre. 
Ebenso dauert die Zeit der rückläufigen Bewegung länger als bei 
Mars , obgleich die dabei zurückgelegten Bögen am Himmel kleiner 
sind. Die Zeit des Rückganges dauert bei Jupiter 1 19 Tage, bei Sa- 
turn 136, während sie bei Mars nur 70 Tage in Anspruch nimmt. 
Die rückläufige Bewegung fängt für Jupiter bei einer Elongation von 
117® an, bei Saturn, wenn die Elongation 108" beti'ägt. Beide lau- 
fen stets in der Nähe der Ekliptik , so dass ihre Breiten immer klein 
sind. 

5. Ungleichheiten in den Bewegungen der Himmels- 
körper. 

Das Wort »Ungleichheit in der Bewegung « oder kurz »Ungleich- 
heit«, wird sehr häufig in der Astronomie gebraucht ; die Anwendung 
dieser Benennung setzt aber voraus , dass man übereingekommen ist, 
welche Bewegung als ohne Ungleichheit oder so zu sagen die regel- 
rechte sei. Man könnte z. B. jede Abweichung von d^r geradlinigen 
und gleichförmigen Bewegung eine Ungleichheit nennen. Die alten 
Astronomen sahen die Bewegung im Kreise für viel vollkomme- 
ner an als jede andere , und diese konnte , ihren Ansichten nach, 
nicht anders als gleichförmig sein. Sie nannten daher jede reelle oder 
scheinbare Abweichung von der gleichförmigen Bewegung im Kreise 
Ungleichheit. Die Astronomen der Jetztzeit verknüpfen freilich 
eine andere Bedeutung mit diesem Worte , aber vor der Hand wollen 
wir bei der Tenninologie der Alten bleiben. Bei der Sonne und den 
Planeten hatten sie zwei wesentlich verschiedene Ungleichheiten ken- 
nen gelernt, nämlich eine, die sog. ei-ste Ungleichheit (Del ambro 
nennt sie in6galitö zodiacale) , welche nur von der Lage des betref- 
fenden Körpers in seiner Bahn abhängig war , und eine andere , die 
sog. zweite, welche in einer gewissen Verbindung mit dem Abstände 
des Planeten von der Sonne stand. 

6* 



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84 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bi» Newton. 

Die Bewegung der Sonne war von der zweiten Ungleichheit frei. 

Bei der Bewegung des Mondes war diese Ungleichheit auch 
nicht zu bemerken ,' indem gerade das Charakteristische derselben in 
der rückgängigen Bewegung und den damit verbundenen Stillstands- 
punkten bestand , die Bewegung des Mondes aber durchaus rechtläu- 
fig ist. Indess fanden sich beim Monde andere Ungleichheiten » die 
zwar von der Sonnenlage abhängen, aber sich nicht durch rückläu- 
fige Bewegungen manifestiren. Von diesen Ungleichheiten war nur 
die Evection den Astronomen der alexandrinischen Schule, von denen 
sie auch entdeckt wurde, bekannt. 

Zu diesen Ungleichheiten kamen noch die in der Breite , die bei 
sämmtlichen Planeten vorhanden waren ,. und auch bei dem Monde, 
wenn man seine Breiten einer Ungleichheit zuschreiben wollte ; diese 
waren jedoch zum Theil als eine einfache Folge der Neigung seiner 
Bahn gegen die Ekliptik anzusehen. Bei den Planeten stand die 
Sache etwas» anders : die Bildung der Schleifen und 4er nicht ganz 
einfache Verlauf der Breitenänderung gaben der ganzen Erscheinung 
mehr den Charakter einer Ungleichheit. 

Die Ungleichheiten in der Sonnen - und Mondbewegung wurden 
zuerst von Hipparch wissenschaftlich untersucht. Dieser grosse 
Forscher, welcher als der Begründer der wissenschaftlichen Astrono- 
mie anzusehen ist, wurde zu Nicaea in Bithynien geboren. Er be- 
gann seine wissenschaftliche Thätigkeit in seiner Vaterstadt , später 
siedelte er nach Rhodos über und endlich nach Alexandria. Man hat 
Beobachtungen von ihm aufbewahrt, die sieh von dem Jahre 160 
bis 125 V. Chr. erstrecken, und durch welche er sich ein dauerndes 
Denkmal gesetzt hat. — Seine ersten Bemühungen scheinen eine 
möglichst genaue Bestimmung der Umlaufszeit der Sonne bezweckt 
zu haben.*) Auch hat er die Länge des tropischen Jahres bis auf 
^i™ gefunden. Nach Ptolemäus ist nämlich aus seinen Untersuchun- 
gen hervorgegangen 

Länge des Jahres: 3 6 5* 5»^ 55°^ 12« **). 
Seine nächste Untersuchung betraf die Ungleichheit der Sonnen- 
bewegung , die Mittelpunktsgleichung , oder, wie sie damals genannt 
wurde, die Prostaphäresis. Zu diesem Zwecke bestimmte er 

*) Montucla, Histoire des math^matiques, tome I, pag. 269. 
**} D e 1 a m bre , Eis oire de rastronoraie ancienne, tome II, pag. 1 1 1 . 



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§. 4. Das SonnenBystem. (5. Ungleichheiten.) 85 

die Länge der Jahreszeiten und bemerkte, dass die Zeit von demFrüh- 
lingsäquinoctinm zu dem Sommersolstitium 94|Tage, die von dem 
Sommersolstitium zu dem Herbstäquinoctium hingegen nur 92| 
Tage betrage. Aus diesen Daten konnte er eine Tafel entwerfen, 
die den Betrag der Mittelpunktsgleichung für jeden beliebigen Zeit- 
punkt des Jahres angab. Wie er auf den Unterschied in der Dauer 
des Frühlings und des Sommers eine Theorie aufbaute, wird im näch- 
sten Paragraphen erläutert ; hier genüge die Bemerkung, dass , wäh- 
rend die Sonne im nördlichen Theile der Ekliptik 187 Tage verweilt, 
sie im südlichen Theile nur 11 S\ Tage, also bedeutend kürzere Zeit 
bleibt. 

Hierauf wandte Hipparch seine Aufmerksamkeit der Bewegung 
des Mondes zu, die er hauptsächlich auf Grund der beobachteten 
Finsternisse untersuchte. Zunächst bestimmte er die Umlaufszeit des 
Mondes, indem er Beobachtungen von älteren Finsternissen mit neue- 
ren verglich und die beobachtete Zwischenzeit durch die Anzahl der 
Mondumläufe theilte. Sein Resultat ist sehr genau ; nach einer An- 
gabe bei Delambre fand er die mittlere Dauer des synodischen Mo- 
nat« zu 

29^ 12^^ 44«^ 3«33 
also mit den neuesten Bestimmungen (2? 9) fast übereinstimmend ; der 
Unterschied kann überdies zum Theil durch die seculäre Aenderung 
der Geschwindigkeit des Mondes erklärt werden. 

Wenn nun die sog. erste Ungleichheit vorhanden ist, so können 
die einzelnen synodischen Umlaufszeiten nicht genau gleich sein, 
denn der Mond z. B. muss ausser einem vollen Umlauf noch ein Stück 
in seiner Bahn durchlaufen, welches einmal in der Gegend der schnell- 
sten, einmal in der der langsamsten Bewegung liegen kann. Aus dieser 
Verschiedenheit der synodischen Umlaufszeiten wurde es ihm mög- 
lich, die erste Ungleichheit zu bestimmen. Weil er sich aber nur auf 
Finsternisse beschränkte, so fand er den Betrag der Mittelpunktsglei- 
chnng um so viel unrichtig, als sie von der Evection beeinflusst war. 
Die Untersuchungen über die Bewegungen der Planeten musste 
er seinen Nachfolgern überlassen ; er selbst scheint nur die Umlaufs- 
zeiten derselben ermittelt, Alles aber vorbereitet zu haben, diese Un- 
tersuchungen mit Erfolg vornehmen zu können. — Ohngefilhr 300 
Jahre nach Hipparch unternahm es Claudius Ptolemäus , seine Arbeit 



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86 



I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 



zu Ende zu führen. Ihm haben wir auch den grössten Theil dessen 
zu verdanken , was wir über die griechische Astronomie wissen. In 
einem grossen Werke ((uyoIXy] auvra^i^ oder *Almagest) stellte er die 
Untersuchungen Hipparch's zusammen und fügte eigene hinzu. Dieses 
Werk ist glücklicherweise der Zerstörung entgangen, und wir können 
in demselben die Entdeckung der Evection, sowie die Untersuchun- 
gen über die Ungleichheiten der Planetenbewegung kennen lernen. 
Aus diesem Werke theilen wir zunächst die mittleren Bewegungen 
mit , die Ptolemäus nach Hipparch angenommen hat , und fügen die 
aus jenen Bewegungen folgenden Umlaufszeiten hinzu. 





Mittlere t&gliohe 


Umlaufszeit ii^ 


UmlanfsEeitin 




Bewegung 


Jahren 


Tagen 


Merkur 


14732':40 


0.24085 


87.969 


Venus 


5767.71 


0.61520 


224.699 


Mars 


1886.61 


1.88077 


686.945 


Jupiter 


299.23*) 


11.8580 


4331.11 


Saturn 


120.55 


29.4341 


10750.7 



Die erste Ungleichheit wurde bei den unteren Planeten aus den 
Elongationen , bei den oberen aus der Verschiedenheit der einzelnen 
synodischen Umlaufszeiten bestimmt. Der Weg , der dabei verfolgt 
wurde, ist zu lang und bietet dabei zu wenige interessante Punkte 
dar, um hier beschrieben zu werden. Das Verfahren kann indess all- 
gemein charakterisirt werden : man legte eine gewisse Hypothese über 
die geometrische Natur der Bewegung der Untersuchung zu Grunde, 
d. h. man schuf sich im Voraus ein Bild der Bahn und suchte durch 
die Beobachtungen bloss gewisse numerische Verhältnisse zu bestim- 
men. Es liegt in der Natur der Sache , dass auf diese Weise keine 
allgemein richtigen Regeln für die Berechnung der Lage des Plane- 
ten am Himmel hergeleitet werden konnten , sofern die zu Grunde 
gelegte Hypothese nicht zuMlig richtig war. Wir sagen mit Absicht 
zufällig, denn es waren zu dieser Zeit weder genügend, zahlreiche und 



*) Die Angabe bei Delambre (astr. anc.II, p. 313) ist offenbar durch 
einen Druckfehler entstellt; es muss sein: mouv. propre en un jour 
O'' V 59" 14"' . . . statt 0« 4' 57" 14"' . . . 



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§ 4. DaB Sonnensystem, (5. Ungleichheiten.) 87 

genaue Beobachtungen vorhanden, noch wurden sie in gehöriger 
Weise benutzt , um solche allgemeine Eigenschaften der Bewegung 
constatiren zu können; auf Grund welcher die Aufstellung einer 
Hypothese weniger willkürlich gewesen wäre. Jedoch konnte es 
sich recht wohl ereignen, dass die wirkliche Bewegung durch die, 
mit Hülfe der Hypothese und der numerischen Bestimmungen erzielte 
Theorie theilweise recht gut wiedergegeben war. Die Kunst, 
diese Wiedergabe möglichst auszudehnen , war es eben , was damals 
erstrebt wurde. — Im Geiste der heutigen WissenschafI; würde man 
die Aufgabe zunächst so formuliren. Es sei eine Beibe Oerter eines 
Planeten durch Beobachtungen gegeben; von der Bewegung wisse 
man weiter nichts , als dass sie in einer geschlossenen Bahn vor sich 
geht, d. b. dass der Planet nach einiger Zeit an demselben Punkte 
wieder anlangt, bei dem er einmal gewesen. Die Beobachtungen geben 
aber schon bei einer flüchtigen Betrachtung zu erkennen , dass die 
Bewegung eine Abhängigkeit zeigt , sowohl von der Lage des Plane- 
ten relativ zu dem Frfihlingspunkte, wie auch von der Lag« r^elativ 
zur Sonne, oder mit andern Worten, eine Abhängigkeit von der Länge 
des Planeten, wie auch von seiner Elongation. Es wird nun veriangt, 
das Gesetz dieser Abhängigkeit zu ermitteln und zu bestimmen , so 
dass man die Länge des Planeten zu einem beliebigen Zeitpunkte ver- 
mittelst desselben herleiten kann. Um zu zeigen, wie diese und ähn- 
liche Aufgaben gelöst werden können, und zwar unabhängig von jeder 
Hypothese , aber auch ohne Absicht , vor der Hand eine physische 
Erklärung der Erscheinung zu geben, werden wir von gewissen tech- 
nischen Hülfsmitteln aus der Mathematik Gebrauch machen müssen. 
Diese dürften nun freilich den meisten Lesern bekannt sein , allein in 
der Hoffnung, dass dies Buch auch von Solchen gelesen wird , denen 
die mathematische Ausdrucksweise nicht mehr ganz geläufig ist , er- 
lauben wir uns an dieser Stelle eine kurze Digression über 

dieHaupteigenschaften der trigonometrischenLinien, 

sowiejäber die Darstellung von Curven durch 

Gleichungen. 

Durch den Mittelpunkt des Kreises bcb'c' (Fig. 10) ziehen wir zwei 
gerade Linien h b' und c c' senkrecht gegen einander. Der ganze Umkrds 



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88 I- Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

wird bekanntlich in 360® eingetheilt, so dass , wenn man die Gradtheilung 
mit dem Punkte b anfangend denkt, und zwar in der Richtung 6 c, die Bo- 
gen 6c, beb', bcb'c' und bcb'c'b resp. 90«, 180°, 270° und 360° betragen. 
— Auf der Geraden b'ab, die uns als eine Scala dienen mag, zählen wir 
alle linearen Längen in horizontaler Richtung, indem wir den Radius ab 
als Einheit des Längenmaasses annehmen und den Nullpunkt der Scala in 
den Mittelpunkt verlegt denken, und zwar so, dass alle Längen rechts von 
a positiv genommen werden und alle Längen links von demselben Punkte 
negativ. Nach diesen Bestimmungen wird z. B. die Länge der Linie ap 
durch einen positiven ächten Bruch (gewöhnlich Decimalbruch) angege- 
ben ; die Länge von c q ist auch eine positive Grösse , die aber grösser als 
1 ist; die Länge von ab ist hingö^gen gleich — 1. In derselben Weise 
werden die linearen Längen in vertikaler Richtung auf der Linie cc' ge- 
rechnet, und zwar positiv vom Punkte a nach oben und negativ vom sel- 
ben Punkte nach unten. Daher ist die Länge der Linie mp eine positive 
Grösse, deren numerischer Werth kleiner als 1 ist; ac ist gleich -{- 1 und 
a c' gleich — 1 . 

Fig.;iO. 



Nach Feststellung dieser Bestimmungen nehmen wir argend einen 
beliebigen Punkt m auf der Peripherie des Kreises, und ziehen durch den- 
selben diejrerade amq, die zugleich durch den Mittelpunkt des Kreises 
geht; femer legenwir den Perpendikel mp senkrecht auf «6. Da nun der 



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§ 4. fDas Sonnensystem. (5. Ungleichheiten.) • 89 

Badius des Kreises sicb^ immer gleich bleibt und stets den absoluten 
Werth (d. h. die Länge ohne Rücksicht auf die Richtung) Eins hat , so 
beruhen die Längen der Linien ap und mp nur auf der GrOsse des Win- 
kels tnab. Wenn dieser Winkel, der von b aus gerechnet wird, ist, so 
fällt m mit b zusammen; die Länge von ap ist dann gleich ab oder gleich 
-f- 1 und die Länge von mp ist gleich 0; ist wieder mab gleich 90®, so 
fällt m mit c zusammen und man hat alsdann a^ = 0, a« » + 1 ; wird 
mab ISO®, so ist der Punkt m nach 6' gertickt; ap wird nun auf der lin- 
ken Seite von a liegen und ist folglich gleich —1, während mp den Werth 
hat; im Punkte c' endlich ap gleich und mp = — 1 sein. — Wir be- 
zeichnen nun der Kürze halber den Winkel mab mit dem Buchstaben 9 
und nennen die Gerade mp , d. h. den Abstand vom Endpunkte des Bo- 
gens «p von der Geraden ab: Sinus des Winkels oder Bogens <p, ferner 
das Stück ap : Cosinus von cp. 

Abkürzend bezeichnet man also : 

mp s= Sin 9 ; ap — Cos 9. 

Nach den vorhergehenden Auseinandersetzungen hat man demnach : 
Sin 0® = ; Cos 0® = + 1 



Sin 90® = 


+ 


1 ; Cos 90® = 


Sin 180®« 




; Cos 180® = — 1 


Sin 270® « 


— 


1 ; Cos 270® « 


Sin 300® « 




; Cos 360® = -f- 1 


U. 8. w. 




u. s. w. 



Nachdem pythagoräischen Lehrsatze ist das Quadrat, weichesauf der 
Hypothenuse in einem rechtwinkligen Dreieck aufgezeichnet wird, gleich 
der Summe der Quadrate auf den beiden anderen Seiten, was so zu verstehen 
ist, dass die Gleichheit sich auf den Flächeninhalt bezieht. Der Flächen- 
inhalt eines Quadrats wird nun, wie bekannt, dadurch erhalten, dass man 
die in Zahlen angegebene Länge der Seite mit sich selbst multiplicirt. In 
dem Dreiecke map haben wir also nach dem pythagoräischen Lehrsatze: 

amX am s=s mp x mp -{- apx ap 
oder 

am' = mp!^ -|- ap^ ; 
da aber 

am s= 1 ; mp = Sin cp ; ap = Cos «& 
so hat man den ganz allgemeinen Satz : 

1 = Sincp2H-Cosy2. 
Die Linien nb und cq nennt man resp. Tangente und Cotan- 
gente des Winkels «p; die Linien an und aq heissen Secante und Co- 
secante von 9. Wir werden hier keine weiteren Definitionen dieser 
Ausdrücke geben , denn ihre Bedeutung ist auch aus der von Sinus und 
Cosinus herzuleiten. — Die beiden Dreiecke amp und anb sind ähn- 
lich, folglich hat man die Analogie : 

ap : ab SS mp : nb = am : an^ yfC ' "^ '' * 



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90 • I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

oder 

Cosjp _ Sin cp 
1 ^ Tang 9 " 
woraus : 

^ Sin <p c! 1 

ferner hat man aus den Dreiecken amp und acq^ wo eq parallel mit ab 
angenommen wird, 

ap : mp = cq : ac 

am : mp = aq : ac 
oder 

Cotang CD == — — S ; Cosec 9 = ^; — . 
® ^ Sm cp ' ^ Sm 9 

Dies sind die Fundamentalbeziehungen zwischen den Grössen , die 
mit Sinus, Cosinus u. s. w. benannt werden; aus ihnen lassen sich eine 
Reihe anderer mit Leichtigkeit herleiten, die jedoch hier kein weiteres 
Interesse haben. Die fraglichen Grössen nennt man auch trigonome- 
trische Linien oder trigonometrische Functionen des Argu- 
ment s cp. Der Grund zu dieser Benennung liegt darin, dass man mit ihrer 
Hülfe drei unbekannte Bestimmungsstücke eines Dreiecks berechnen 
kann , wenn die drei anderen , worunter wenigstens eine der Seiten sich 
befinden muss, bekannt sind. Wir werden an einigen einfachen Beispie- 
len sehen, wie solche Berechnungen auszuführen sind. 

Fig. 11. 

Auf der Seite a b des 

rechtwinkligen Dreiecks 
ah?n (Fig. 11) nehmen wir 
den Punkt d und ziehen 
von diesem die Gerade 
dp senkrecht auf ab bis 
zum Punkte p , wo sie die 
Seite am trifft. Die Drei- 
ecke adp und abm sind 
also ähnlich, woraus 
folgt: 
ad:ab=dp :bm=ap:afn. 

Nimmt man ap als 

Einheit des Längenmaasses 

an, und bezeichnet den 

. Winkel ma6 pit cp, so ist 

ad =^ Cos ^ \ dp := Sin cp, 

womit die obigen Analogien zu den folgenden Bestimmungen führen : 

ab = amx Cos cp ; &m ss= am x Sin cp, 
welche Formeln die Länge 4er Seiten ab und bm geben, sobald die Länge 



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(I) 



§4. Das Bonnensystem. (5. Ungleichheiten.) 91 

der Hypothenuse am sowie der Winkel cp bekannt sind ; umgekehrt findet 
man a m aus einer der Formeln : 

ab hm 

Cos cp Sm (p 
Nach der letzteren dieser Formeln berechnet man z. B. die Entfer- 
nung des Mondes, wenn seine Horizontalparallaxe und der Halbmesser des 
Erdkörpers bekannt sind. Nehmen wir z. B. die erstere zu 57' 30" und 
den Erdhalbmesser zu 859 geogr. Meilen an , so findet sich , da man aus 
den trigonometrischen Tafeln erhält 

Sin 57' 30" = 0.016725, 

859 
Abstand des Mondes s= ^^^705 ~ 51'^59 geogr. Meilen. 

Wir führen noch, jedoch ohne den Beweis, die Formeln an, wodurch 
der Sinus und Cosinus einer Summe oder Differenz zweier Winkel gefun- 
den wird ; diese sind : 

Sin {x -I- y) = Sin a; Cos y -f- Cos x Sin y 
Sin (x — y) = Sin x Cos y — Cos x Sin y 
Cos (ic -j- y) = Cos X Cos y — Sin a: Sin y 
Cos {x — y) s« Cos X Cos y -f- Sin x Sin y 
Hieraus folgen nun eine grosse Menge anderer Formeln , von denen 
wir nur einige wenige anführen, die später gebraucht werden. Setzt man 
X = 90^, so ergiebt sich : 

Sin (90*» -h y) == Cos y ; Sin (90« — y) = Cos y 
Cos (90«' -i- y) = — Sin y ; Cos (90« — y) = Sin y. 
Setzt man x = 180«, so folgen : 

Sin (180« + y) = _ Siny ; Sin (180« — y) = Sin // 
Cos (180« + y) = — Cos y ; Cos (180« — y) = — Cos y. 
Setzt man a; = y, so findet man : 
'a; Sin 2 x = 2 Sin x Cos x 

Cos 2 X = Cos X Cos X — Sin x Sin x. 
Addirt man aber zu der letzten Gleichung 

1 = Cos X Cos X -f Sin x Sin x, 
so findet sich 

(b) Cos^ 2 o; == 2 Cos j: Cos j; — 1, 

und ebenso findet man durch Subtraction 
(c; Cos 2 X = 1 — 2 Sin x Sin x. 

Die Gleichungen (I) geben.endlich : 

Sin X Cos y = i Sin (jr -f- y) -f i Sin ix — y) 
Cosa; Sin y = i Sin [x H- y) — i Sin {x — y) 
Coöa; Cos y = i Cos (a; -|- y) — i Cos [x — y) 
Sin X Sin y = — i Cos (x -\- y) -\- i Cos {x—y). 
Schon seit den ältesten Zeiten hat man besondere Aufmerksamkeit 
auf das Problem verwendet, ein Quadrat zu construiren , dessen Flächen- 
inhalt mit dem eines gegebenen Kreises gleich sei \ und dies keineswegs 



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92 I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

ohne Ursache , da die Lösung der fraglichen Aufgabe für den Fortgang 
anderer Untersuchungen von grösster Wichtigkeit war. Diese Aufgabe 
hängt indess mit einer anderen auf das Engste zusammen , nämlich mit 
der, die Länge der Peripherie eines Kreises zu finden , wenn die Länge 
seines Halbmessers bekannt ist. Diese beiden Fragen machen den Kern 
des berühmten Problems aus, welches »Quadratura circuli« genannt 
wird, und an dessen Lösung sich in alten Zeiten so Viele vergebens ver- 
sucht haben. Jetzt weiss man , dass das numerische Verhältniss des Um- 
kreises zum Durchmesser nicht durch eine exacte Zahl angegeben werden 
kann, sondern nur näherungsweise, etwa durch einen Decimalbruch , der 
ins Unendliche fortgeht, ohne jemals abzubrechen. Man kennt aber gegen- 
wärtig so viele dieser Decimalen , dass das in Rede stehende Verhältniss 
von dem Umkreis zum Durchmesser hinlänglich genau bekannt für alle 
Fälle ist, in denen die Kenntniss von dessen numerischem Werthe erfor- 
dert wird. Gewöhnlich bezeichnet man die Länge der halben Peripherie 
desjenigen Kreises, dessen Halbmesser 1 ist , mit dem Buchstaben ic ; für 
diese Länge hat man nun den folgenden Werth : 

11 = 3.14159265368979 

Ausser diesen hier angefahrten Decimalen sind noch mehrere hun- 
dert berechnet worden ; ihre Kenntniss ist indessen nicht sonderlich alt. 
Im Jahre 1596 gab Ludolph ein Werk heraus, worin die Zahl it zum 
ersten Mal mit 20 Decimalen berechnet war; vor seiner Zeit gab man die- 
selbe meistens in der Form eines gewöhnlichen Bruches an, welcher jedoch 
mehr oder weniger von dem wahren Werthe abweichen musste. Da die 
Genauigkeit, mit der man in den verschiedenen Zeiten und bei den ver- 
schiedenen Völkern die fragliche Grösse angeben konnte , kein ganz un- 
wichtiges Zeichen des damaligen Culturzustandes ist , führen wir einige 
Angaben hierüber an. Um dabei auf eine bequeme Weise die verschie- 
denen Angaben mit einander vergleichen und also ihre Genauigkeit be- 
urtheilen zu können, geben wir auch die Werthe der rationalen Brüche in 
Form von Decimalbrüchen an. 

22 

Die Angabe it =« -- = 3.1429 ist uralt, und es dürfte schwer fal- 
len, ihren Ursprung zu ermitteln. In Anbetracht der besonders einfachen 
Art und Weise , in der die Zahl ir hier angegeben wird , ist die Abwei- 
chung in der dritten Decimale vom richtigen Werthe nicht als sehr gross 
anzusehen. In vielen Fällen ist diese Angabe daher von grossem Werth. 

Der berühmte Archimedes wies nach, dass die Zahl ti zwischen 

22 

y = 3.1429 

und 

. 223 

-^ = 3.1408 

liegen müsste. — Das Mittel dieser beiden Grenzwerthe weicht in der 
vierten Decimalstelle von dem richtigen Werthe.ab. 



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§'4. Das Sonnensystem. (5. Ungleichheiten.) 93 

Der bereits erwähnte Cardinal Nicolaus von Cusa hat auf verschie- 
denen Wegen die Zahl tz zu bestimmen gesucht; nach seinen Angaben 
hierüber scheint er in der Bestimmung 

IC» 3.1423 
der Wahrheit am nächsten gekommen zu sein. 

Von den Indiem wird gesagt, dass sie den Näherungswert h 
0007 

gekannt haben , der nur um 7 Einheiten in der 6t«n Decimalstelle unge* 
nAU ist. 

Am genauesten von allen bekannten Näherungsbrüchen und zugleich 
sehr leicht zu merken ist der Werth 

,r«^=: 3.14159292, 

welcher von dem wahren um nur 0.00000027 abweicht. Derselbe wurde 
von einem Holländer Metius gefunden ungefähr zu derselben Zeit, als 
Lndolph's Arbeit bekannt gemacht wurde. 

Sobald die Länge der Peripherie des Kreises, dessen Halbmesser 
= 1, ermittelt war, lag keine Schwierigkeit mehr vor, sowohl die Länge 
eines beliebigen Kreisbogens , als auch den Flächeninhalt eines Kreises 
anzugeben. Demgemäss hat man, wenn r den Radius eines beliebigen 
Kreises bezeichnet, für die Länge seiner Peripherie den Ausdruck 

27cr, 
nnd für die Länge eines Bogens von cp Graden : 

sein Flächeninhalt ist wieder 

woraus folgt , dass die Lange einer Seite desjenigen Quadrats , das mit 
dem Kreise gleichen Flächeninhalt hat, 

rl/iTcs rx 1,77245 

oder sehr nahe 

904 

In dieser einfachen Formel liegt die Lösung der berüchtigten Aufgabe, 
die Quadratur des Kreises zu finden. 

Es kann noch bemerkt werden, dass 

TZ ^^ T 

die Länge eines Kreisbogens von 1** =■• -TöTp = r x 0.0174533 

« » » ». » r= ,J!^^1> = r X 0.00029089 

180 X bO 

» » >. » » 1" = 77J77-^^-^^— r7:=rx0.O000o4848. 

1 80 X 60 X 00 



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94 1. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

Es ist genugsam bekannt, dass eine Gleichung zwischen zwei unbe- 
kannten Grössen unbestimmt ist. Aus der Gleichung 

können wir z. B. keineswegs die Unbekannten x und y bestimmen ; thei- 
len wir aber der Grösse x willkürlich die Werthe 0, 1, 2, 3 u. s. w. zu , so 
nimmt y der Reihe nach die folgenden , völlig bestimmten Werthe an : 0, 
i, 1,1, u. 8. w. Mit jedem bestimmten Werthe' von x correspondirt mit an- 
dern Worten ein völlig bestimmter Werth von y. Den Zahlen, welche 
nach und nach für x substituirt werden, entspricht also eine andere Reihe 
Zahlen, welche Werthe von y repräsentiren. Diese Reihe lässt sich im 
Allgemeinen durch eine Linie darstellen , ebenso wie wir vorhin den Lauf 
der Planeten durch Curven anschaulich machten. Um zu zeigen, wie eine 
solche Darstellung ausgeführt wird, wie mit andern Worten der Bedin- 
gung, welche die gegebene Gleichung ausspricht , gleichsam in sichtbarer 
Weise genügt wird , werden wir die Linie aufzeichnen , welche dadurch 
entsteht, dass man alle Werthe von y, die den willkürlich angenommenen 
ic-Werthen entsprechen, als Abstände von einer Geraden ansieht , auf der 
die a;-Werthe aufgetragen werden. In der Figur 1 1 sind zwei Linien a h 
und ac senkrecht aufeinander durch den Punkt a gezogen; die erste die- 
ser Linien nehmen wir als Scala der a;- Werthe , die andere als Scala der 
y-Werthe an. — Nehmen wir nun, vom Punkte a ausgehend, ein bestimm- 
tes Stück auf der a;-Scala oder 4>-Axe, z. B. «6, so haben wir, um einen 
Punkt auf der fraglichen Linie zu finden , vom Endpunkte dieses Stücks, 
also von d eine Senkrechte zu ziehen , und von dieser das Stück e?^ = 
\ad abzuschneiden. Schreibt man o; statt ad und y statt d^, so sieht 
man , wie die Beziehung zwischen den beiden Linien d'p und a d der vor- 
gelegten Gleichung genügt. Ist ferner 6 m = i a 5 , so ist auch m ein Punkt 
der Linie , welche unsere Gleichung darstellt. Nimmt man in derselben 
Weise mehrere Punkte an, so findet man, dass alle Punkte, die so gelegen 
sind , dass ihre Abstände von der a:-Axe die Hälfte der entsprechenden 
a;-Werthe oder a;-Längen betragen , auf einer geraden Linie liegen. Die 
Gleichung 

y -\x 
wird also durch eine gerade Linie dargestellt. — Für Punkte links von 
a c werden die iP- Werthe negativ und für Punkte unterhalb der Linie a h 
werden die y-Werthe negativ. 

Die zusammengehörenden Werthe von x und y, welche die Lage 
eines Punktes bestimmen, nennt man dieCoordinaten dieses Punktes, 
und zwar die rechtwinkligen Coordinaten. Die Linien ah und 
ae, welche nach jeder Richtung als unendlich weit ausgezogen gedacht 
werden können, nennt man die rechtwinkligen Coordinatenaxen , 
und zwar heisst ah die ic-Axe oder Absei ssenaxe und ac die y-Axe 
oder Ordinatenaxe. Der Punkt a wird endlich Origo oder An- 
fangspunkt der Coordim ten s^ennnnt. 



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§ 4. Das Sonnensystem. (5. Ungleichheiten.) 95 

Es wurde soeben eine Gleichung des ersten Gfades behandelt und 
es zeigte sich, dass dieselbe durch eine Gerade dargestellt wurde. Man 
kann nun ganz allgemein zeigen, dass jede Gleichung ersten Grades durch 
eine Gerade dargestellt wird. In der That , wie jene Gleichung auch be- 
schaffen sein mag, so kann man sie stets durch Ausführung einer Reihe 
von Rechnungsoperationen in der folgenden Form darstellen: 

wo a und h zwei ganz;bestimmte, numerisch gegebene Grössen bedeuten, 
die wir hier der Allgemeinheit wegen mit Buchstaben bezeichnet haben. 
Man sieht aber sofort aus dieser Gleichung , dass die y-Coordinate* weni- 
ger das bestimmte Stück h , zur a;-Coordinate in einem unveränderlichen 
und bekannten Verhältniss a steht (es bezeichnet die Tangente des Win- 
kels, welche die Gerade mit der ar-Axe bildet). Wenn dies aber eintrifft, 
so fällt die fragliche Linie immer mit den Hypothenusen der verschiede- 
nen rechtwinkligen Dreiecke zusammen, deren Seiten an dem rechten 
Winkel (Katheten) resp. x und y — h sind. 

Wir werden jetzt, der Vergleichung wegen, eine Gleichung des 
zweiten Grades behandeln, d. h. eine solche , in der die Potenzen x^ und 
y* sowie das Product xy vorkommen können.*) Um dabei den möglichst 
einfachen Fall zu behandeln, wählen wir die Gleichung 

aß-\-y^^i. 
Die Eigenschaft der Linie, welche diese Gleichung darstellt, ist nun 
äusserst leicht zu finden. Bezeichnen wir nämlich den Abstand eines 
Punktes vom Origo, d. i. z. B. den Abstand ap (Fig. 11) mit r, und den 
Winkel , welchen die Verbindungslinie der beiden Punkte (also in dem 
angeführten Beispiele die Linie ap) mit der a;-Axe macht, mit 9 (also den 
Winkel j^ae^), so ist 

X =^ r Cos 9 ; y = r Sin cp 
(in dem angeführten Beispiele i^i a d ^ x \ dp =^ y) . 

Die vorgelegte Gleichung wird nun , wenn die Werthe von x und y 
eingesetzt werden, 

r2 Cos 'f -f r2 Sin cp2 = 1 
oder 

r2 (Cos 92 ^ Sin ^2) = 1 ; 
da aber 

Cos cp2 -f Sin cp2 = 1, 
so ist auch 

r2= t 
oder 

r= 1, 



*) Wie bekannt, bezeichnet man x . x mit x*^ und y . y mit y*^ und 
nennt deiche Producte, wo die Factor en gleich sind, Potenzen. So ist x^ 
die zweite Potenz von x ; ^ß die dritte Potenz von y etc. 



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96 I. Kapitel. Geschichtlicher Üeberblick bis Newton. 

welche Beziehung für jeden Punkt der durch die vorgelegte Gleichung 
repräsentirten Linie gilt. 

Die Linie aber , die so beschaffen ist , dass der Abstand eines jeden 
ihrer Punkte von einem gewissen unveränderlichen Punkte a derselbe 
bleibt, nennt man Kreis ; die Gleichung 

ar2 ^ y2 == 1 

ist also die Gleichung eines Kreises , dessen Mittelpunkt im Origo liegt 
und dessen Radius den Werth 1 hat. 

Wir wenden uns jetzt zur Darstellung einer Gleichung, die, wie wir 
sogleich sehen werden, in der genauesten Beziehung zu der Aufgabe steht, 
die Ungleichheiten in den Bewegungen der Himmelskörper zu bestimmen. 
Es ist dies die Gleichung 

y « Sin X, 
Theilen wir die Abscissen-Scala in Grade und die Ordinaten-Scala in ge- 
wöhnliche Längenabschnitte ein , so ist die Linie leicht zu construiren. 
Die Dimensionen derselben würden jedoch willkürlich werden , wenn wir 
keine Beziehung zwischen den Längen der Grade auf der Abseissenaxe 
und der Längeneinheit auf der Ordinatenaxe feststellen. Will man aber 
X und y in denselben Einheiten ausdrücken, so muss statt 1 80® die Länge 
3.14159 ...= i: angenommen werden. 
Die Curve, welche der Gleichung 

y = Sin « 
entspricht , nennt man Sinuslinie ; da y = , wenn ar « , so geht sie 

durch den Anfangspunkt der Coordinaten; für a; = ^ ist y = 1 ; ftirar= tt 

3 
ist y » ; für a; = -^^ i: ist y = — 1 ; für a: = 2?: ist y = u. s. w. Die 

Curve schneidet also die a;-Axe jedesmal, wenn x den Betrag eines Viel- 
fachen von TT hat ; dazwischen liegt sie abwechselnd oberhalb und unter- 
halb der a;-Axe. — Wir müssen aber noch einige andere Punkte der Curve 
bestimmen. 

Nimmt man auf der Peripherie eines Kreises sechs Punkte in glei- 
chen Abständen von einander, so werden dadurch sechs gleiche Bogen 
abgetheilt, deren jeder einzelne 60** umfasst. Verbindet man nun die 
Punkte theils unter sich, theils mit dem Mittelpunkte des Kreises , so ent- 
stehen sechs gleichschenklige Dreiecke , von denen leicht bewiesen wer- 
den kann , dass sie auch gleichseitig sind. Die Summe der drei Winkel 
eines Dreiecks beträgt nämlich immer 180®; zieht man von dieser Summe 
den Betrag des Winkels am Mittelpunkte von 60® ab , so bleibt 120® für 
die Summe der beiden Winkel an der Peripherie. Diese sind aber gleich, 
da die Radien desselben Kreises gleich grossen Seiten gegenüber- 
stehen, folglich sind alle Winkel dieser sechs Dreiecke einander gleich 
und betragen 60®. In jedem Dreiecke sind daher auch die drei Seiten ein^ 
ander gleich, und da zwei von diesen Radien sind, so muss auch die dritte, 



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§ i. Das SonpensystelD. (5. UBgieichheiten.) 97 

oder die Verbindungslinie zweier Punkte die Länge des Halbmessers haben . 
Die Hälfte einer solchen Verbindungslinie oder C h'O r d e ist aber, wenn 
der Radius als Einheit angenommen wird , gleich dem Sinus des halben, 
zwischen den beiden Punkten liegenden Bogens. Hieraus ergiebt sich 

Sin 30«= Sin ^=2* 
Nach dieser Bestimmung können wir vier neue Punkte der Sinuslinie in- 
nerhalb jeder Periode bestimmen. Es ist nämlich 

•K «. /^ . T[\ ^. /. . ir\ 1 



Sin -^ =.9i„(2. +|)=Sin(4.H-|.)=....- 2 



Si„(._|)=Si„(3. _|)=Sin(5.-|)=. 
Sin U-*-^] = Sin (3« + l") = Sin jsit + f) = • 

Sinj -|).Sin(2._|)=8in(4.-|) = . 

Femer erhält man aus der Gleichung 

Sin «^2 + Cos tp2 = I , 



2 
2 
2 



wenn man cp « 45** »= — setzt, und beachtet, daes Shi —■ « Cos -^ 



womit erhalten wird : 
Sin ^ 

Sin 

Sin 



Sin-^=-]/|=- 0,7071. 

-Sin(2. -f|)=...-]/4 
(.-|) = Sin (3.-1)«. ..==]/! 



Sin(-|) = Sin(2.-|)=...=^|/T 

Mit diesen Werthen können wir schon eine ganze Beihe der Pijnkte 
der Sinuslinie angeben und uns also auch eine Vorstellung ihres Laufs 
bilden. Die folgende Zusammenstellung giebt eine Anzahl Werthe von x 
nebst den dazu gehörenden Werthen von y ; in jder Figur 12 sind sie als 
Abscissen und Ordinaten eingetragen worden. 

Fig. 12. 



Gyldtfn, Astronomie. 



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98 I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

X, a = — i- 1: ==*r— 0.5236 ; y, « - y 



u. s. w. u. s. w. 

Analog mit der Sinuslinie wird die Cosinuslinie construirt, nämlich 
die Linie, welche die Gleichung 

y = Cos X 
darstellt. Endlich lassen sich auch , ohngefahr in der angeführten Weise, 
Linien aufzeichnen, deren Gleichungen von der allgemeinen Form 

y = a Sin a: -f- ^ Cos x 
sind, wo a und b unveränderliche, numerisch gegebene Grössen be- 
zeichnen. In der Astronomie , wie auch in andern Naturwissenschaften, 
die mathematisch behandelt werden , hat man sehr häufig Veranlassung, 
noch zusammengesetztere Ausdrücke von Sinus und Cosinus zu betrach- 
ten, wie etwa der folgende : 

y = aSinx -\-b Cos ar -f c Sin 2 a; + rf Cos 2a: -f . . . . 
Die Anzahl der Glieder ist hier nicht einmal immer bestimmt , sondern 
sehr häufig sogar unendlich gross ; man macht aber alsdann stets die Vor- 
aussetzung, dass die Werthe der Coefficienten a, b, c, d, n. s, w. abneh- 
men und bei einem gewissen Gliede völlig unmerklich werden , dass man 
also, um einem im Voraus bestimmten Genauigkeitsgrade zu gentigen, nur 
eine begrenzte, und gewöhnlich sehr massige Anzahl Glieder zu berück- 
sichtigen braucht. Ist aber dies der Fall, so kann man auch den Werth 
vony, welcher einem gegebenen Werthe von a: entspricht , mit jeder ver- 
langten Genauigkeit berechnen , und folglich sich ein anschauliches und 
klares Bild von dem Verhalten des mit y bezeichneten Ausdruckes bil- 
den , indem man der Grösse x nach und nach verschiedene Werthe zu- 
ertheilt. 

Man wird aber nicht selten bei astronomischen Untersuchungen Ge- 
legenheit haben , Ausdrücke zu behandeln , die zwar durch eine der vor- 
hergehenden ähnliche Form dargestellt werden können, nämlich durch 
(1) y = Aq-^ Ai Cos X -\- A2 Cos 2 ar -H . . . 

+ Bx Sin ar -h ^2 Sin 2ar + . . . 
wo aber die Coefficienten ^, ^1, .... ^1, ... . nicht, wie vorhin, unver- 
änderliche numerische Grössen bedeuten , sondern selbst von dem Argu- 
mente X abhängen. Gewöhnlich werden sie dann auch durch trigonome- 
trische Linien angegeben , bei denen aber das Argument nicht x, sondern 
eine andere Grösse 2 ist , die indess in bekannter Weise mit x zusammen- 
hängt. Man wird also z. B. haben 



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§ 4. Das Sonnensystem. (5. Ungleiehheiten.) 99 

(2) ^, « 3fo -f 3fi Cos « -fr 3f2 Cos 2z + . . . 

-f Ni Sin 2 -f iVb Sin 2z + . . . 
und ähnliche Ausdrücke für die übrigen Coefiicienten Aq, A^, ... Bi, 
B2 . . . Hier bedeuten nun die IHq, 3fi, . . . . numerisch gegebene Grös- 
sen, die also nicht verändert werden können. Es giebt jedoch Fälle , ob- 
gleich sie nicht so häufig vorkommen, wo man die eben angegebene Be- 
trachtungsweise noch weiter fortsetzen muss. — Wir halten uns indess 
dabei nicht weiterauf, denn die Ausdrücke (1; und (2) werden uns hin- 
reichende Mittel gewähren, die Bewegungserscheinungen der Himmels- 
körper so weit zu untersuchen, wie es in diesem Buche beabsichtigt wird. 
— Andrerseits war es aber durchaus nothwendig, das Vorhergehende be- 
sonders hervorzuheben, wenn man es nicht als allgemein bekannt und ge- 
läufig voraussetzen wollte. Der Ausdruck (I;, worin die Coefficienten die 
Bedeutung des Ausdruckes (2) haben , ist nämlich der allgemeine Typus 
der Formeln, durch welche man die Gesetze der Bewegungen am Himmel 
darstellt. In vielen Fällen werden die Formeln einfacher und bestehen 
aus einer begrenzten Anzahl Glieder , sie können aber bis auf wenige 
Ausnahmen stets auf die vorgelegte Form zurückgeführt werden. — Ohne 
sich die Eigenschaften der trigonometrischen Grössen vergegenwärtigen 
zu können , ist es vollständig unmöglich , eine Vorstellung von den astro- 
nomischen Erscheinungen zu erhalten. Wir beabsichtigen ja eine Dar- 
stellung der Astronomie als Bewegungslehre der Gestirne zu geben und 
keineswegs eine Beschreibung d^r Mondoberfläche oder eine Abhandlung 
über die Bewohner der Planeten. 

Nach dieser Digression auf dem mathematischen Gebiete gehen 
wir wieder zu den Ungleichheiten der Planetenbewegungen zurück. 
Wir werden dabei zunächst versuchen , die erste Ungleichheit bei 
Mars zu constatiren und zu ermitteln , trotzdem seine Bewegung fort- 
während von dem Einflüsse der zweiten Ungleichheit affijirt ist. Zu 
diesem Zwecke theilen wir die viertägigen Bewegungen des Planeten 
in der Länge mit, wie sie in verschiedenen Himmelsgegenden , aber 
bei derselben Elongation gefunden wurden. Wir suchen daher die 
Zeitpunkte auf, wo der Planet 6 Stunden nach der Sonne cnlminirt 
und die , zu welchen er 6 Stunden vor der Sonne dien Meridian pas- 
airt. Seine jedesmalige Länge fügen wir hinzu. 

Datum Länge Aenderung der Länge in 4 Tagen 

a) Der Planet cnlminirt 6 Stunden nach der Sonne 

l^ 52' 
1 47 
1 46 
7* 



1850 März 31 


97° 


1852 Mai 6 


132 


1854 Juni 7 


165 



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100 I. Ka|Hte1. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 



1856 Juli 9 


198« 


1858 Aug. 26 


247 


1860 Nov. 26 


335 


1863 Jan. 23 


33 


1865 März 11 


80 


b) Der Plan 


et cula 


1851 Oct. 25 


121»^ 


1853 Nov. 30 


• 157 


1855 Dec. 28 


188 


1858 Jan. 30 


221 


1860 März 19 


268 


1862 Juni 7 


344 


1864 Aug. 10 


52 


1866 Oct. 9 


106 



1« 


52' 


2 


15 


2 


34 


2 


8 


1 


53 


er de 


1" 


49' 


1 


41 


l 


46 


1 


54 


2 


10 


2 


35 


2 


21 


1 


53 



Ein flüchtiger Blick auf diese Zahlen genügt schon , um zu er- 
kennen, dass die Bewegung am langsamsten ist etwa bei der Länge 
von 160^ und am schnellsten bei 340°. Die Beziehung zwischen Ge- 
schwindigkeit und Länge könnte man feiner anschaulich machen, in- 
dem man die Curve aufzeichnete , welche die viertägige Geschwindig- 
keit als Ordinaten zu den entsprechenden Längen als Abscissen wie^ 
dergiebt. Man würde auf diese Weise eine Curve finden , die grosse 
Aehnlichkeit mit den Sinus- und Cosinuslinien zeigt, und da überdies 
die Periode der Aenderung in der Geschwindigkeit offenbar mit der 
tropischen Umlaufszeit des Planeten zusammenfällt , so liegt es sehr 
nahe, die Aenderung in der Länge als vom Sinus und Cosinus der 
Länge abhängend anzusehen. Die viertägige Längenändernng be- 
zeichnen wir durch h, die Länge selbst durch X und setzen also ver- 
suchsweise : 

h = Aq + Ai Gosk + B^ Sin X, 
wo Aq, i4| und B^ als numerische Grössen anzusehen sind, die 
wir soglefch bestimmen werden. Zeigt es sich alsdann, dass die 
auf 'solche Weise erhaltene Formel mit angemessener Genauigkeit 
die wirklich stiittfindende Geschwindigkeit der jedesmaligen Länge 
wiedergiebt, so hat man jedenfalls und unzweifelhaft gefunden, 
wie die Erscheinung vor sich geht, d. h. man hat den mathemati- 
schen Ausdruck für die Aenderung der Länge in verschiedenen 
Punkten der Bahn erlangt. — Um nun die Bestimmung der noch 



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§.4. Das Sonnensystem. (5. Ungleichheiten.) 101 

nnbekannten Ooefficienten wirklich auszufliliren , wählen wir aus der 

ersten Reihe drei beobachtete Werthe, die zu Längen gehören, welche 

von einander um ohngef^hr 180*^ verschieden sind.*) Auf solche 

Weise erhalten wir die drei folgenden Gleichungen: 

1865 März 11: l^ 53' = Aq + A^ Cos 80° + B^ Sin 80° 

1856 Juli 9: 1 52 = ^ + .4, Cos 198 + 5, Sin 198 

1860 Nov. 26 : 2 34 = ^ + A^ Cos 335 -f B^ Sin 335 

oder, wenn man die Tafelwerthe von Cos 80°, Sin 80°, Cos 198°, 

u. s. w. einsetzt : 

1° 53' = ^ ■+* 0.174 A^ + 0.984 B^ 

i 52 fis» i4o — 0.951 ^^ — 0.309 Ä, 

2 34 Ä ^ 4- 0.906 ^4 —0.423 ^4 

Subtrahiren wir der Reihe nach die beiden ersten dieser Gleichungen 

von der dritten, so bleiben die zwei : 

0° 41' Ä 4- 0.732 A^ — 1.407 B, 
42 «-+-1.857^4 — 0.114^4 

I §57 
Multipliciren wir hierauf die erste dieser Gleichungen mit ' und 

ziehen das Resultat von der zweiten ab , so bleibt eine einzige Glei- 
ehnng übrig, aus der sofort folgt : 

Ä, =— 18' . ' 

Naehdem diese Bestimmung gewonnen ist , ergiebt sich aus einer der 
vorhergehenden GleiehuBgen : 

A ^ + 21', 
und hiermit endlich : 

4 « + 2° 7' 
Wir erhalten also die Formel : 

Ä = -(- 2° 7' + 21' Cos X — 18' Sin X 
Bereehnen wir nun naeh dieser die Werthe von ä, indem wir die 
Längen aus ^er Reihe (a) nach und nach in dieselbe einsetzen, so er- 
geben »ich ißiilgende Werthe, denen wir die beobachteten Werthe von 
h an die Seite stellen : 



*) Die angeführten Werthe von /* sind zwar nicht beobachtet, son- 
dern aus der berechneten Bewegung des Mars entnommen worden. Nichts 
bindert jedoch, sie hier als unmittelbare Resultate der Beobachtung anzu- 
sehen, bei denen die Beobachtungsfehler unmerklich klein sind. 



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1 02 I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 



X 
97° 


h (Rechnung) 
l°47' 


h (Beobachtung) 
l°52' 


132 


1 40 


1 47 


165 


l 42 


1 46 


198 


1 52 


1 52 


247 


2 15 


2 15 


335 


2 34 


2 34 


33 


2 15 


2 8 


80 


1 53 


1 53 



Wir sehen aus dieser Zusammenstellung, dass die berechneten Werthe 
die beobachteten nahe, jedoch nicht ganz wiedergeben. Wir hätten 
daher mehrere Glieder der Formel hinzufügen mttssen , also zunächst 
die beiden 

^2 Cos 2 X + Ä2 Sin 2 X , 
um einen vollständigeren Anschluss zu erzielen. Diese Rechnung wer- 
den wir jedoch nicht ausführen , denn es giebt auch einen andern 
Grund, weshalb die drei ersten Glieder die beobachtete Bewegung 
nicht genau darstellen. Es wurde nämlich vorausgesetzt, dass die 
verschiedenen Werthe von h genau zu demselben Werthe der Elonga- 
tion gehören sollten, während sie eigentlich nur zu gleichen Rect- 
ascensionsunterschieden zwischen der Sonne und dem Planeten gehö- 
ren. Der Einfluss der zweiten Ungleichheit kann daher die Werthe 
von h etwas beeinflusst haben , so dass der Einfluss der ersten nicht 
so rein hervortritt. Da die angeführte Rechnung jedoch bloss als ein 
Beispiel anzusehen ist, wie man Naturgesetze aus Beobachtungen ber-r 
leitet, ohne die Ursache derselben weder zu kennen , noch aufzusu- 
chen, so schien die Zeit, welche eine sorgfältigere Behandlung der 
Aufgabe erfordert hätte, verloren gewesen zu sein. 

Für verschiedene Werthe der Elongation lassen sich nun For- 
meln aufstellen , die zwar in formeller Hinsicht der obigen ähnlich 
sind , bei denen aber die numerischen Werthe der Coefficienten ver- 
schieden ausfallen werden. Sobald nun eine vollständige Reihe sol- 
cher Ausdrücke berechnet worden ist, d. h. sobald man solche in 
einer ziemlichen Anzahl und für verschiedene Elongationen (so dass 
die Elongationswerthe ziemlich gleichförmig über den ganzen Umkreis 
vertheilt sind) kennt, so lassen sich die verschiedenen Reihen der Co- 
efficienten ebenfalls in Formeln bringen, wie es die Gleichung (2) ver- 



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§4. Das Sonnensystem. (5~. Ungleichheiten. 



103 



langt. Die Grösse z bedeutet jetzt die £k>ngation des Planeten. 
Dass die Elongation hier als Argument angenommen werden muss, 
geht daraus hervor, dass die OoeMcienten A^, Ai u. s. w. dieselben 
Werthe bei denselben Elongationen haben müssen. Man sieht nun 
wie es möglich ist, die Bewegung eines Planeten durch eine Formel 
darzustellen , und damit ist das höchst wesentliche Resultat erreicht 
worden, dass man genau weiss, wie die Erscheinung verläuft und von 
welchen Veränderlichen (hier Länge und Elongation) sie abhängt. 
Man weiss also genau, was zu erklären ist. 

Bei einem zweiten Beispiele wollen wir die Rechnung etwas voll- 
ständiger ausführen : es betrifft dieses die Ermittelung der ersten Un- 
gleichheit bei der Sonnenbewegung.. Um diese Ungleichheit zu 
ermitteln, führen wir zwölf Werthe der Sonnenlänge an, die zwar 
nicht beobachtet worden sind, die aber hier die Stelle von beobachte- 
ten Werthen vertreten. ' 



Datum 
1867 Jan. 




Länge der Sonne 
(Beob.) 
280° 38/0 


Länge der Sonne 
(Rechn.) 
280° 38.0 


t 
0.0000 


Febr. 




312 


11.1 


312 


9.9 


0.0848 


März 




340 


26.4 


340 


25.2 


0.1615 


April 




11 


16.4 


11 


15.7 


0.2464 


Mai 




40 


35.6 


40 


35.6 


0.3285 


Juni 




70 


27.0 


70 


25.9 


0.4134 


Juli 




99 


5.7 


99 


3.1 


0.4956 


Aug. 




128 


41.2 


128 


37.2 


0.5804 


Sept. 




158 


30.9 " 


158 


30.8 


0.6655 


Oct. 




187 


48.0 


187 


44.2 


0.7474 


Nov. 




218 


35.1 


218 


34.1 


0.8333 


Dec. 




248 


50.2 


248 


50.9 


0.9145 



Die Zahlen in der dritten Columne bedeuten die , aus der weiter 
unten abgeleiteten Formel berechneten Längen der Sonne; in der 
letzten Columne ist die vom Anfang des Jahres verflossene Zeit , und 
zwar in Bruchtheilen des Jahres aufgeführt. — Wenn nun die Bewe- 
gung gleichförmig wäre , so würde die Länge proportional der Zeit 
zunehmen; mau würde daher dieselben Werthe erhalten müssen, 
wenn Von jeder Länge das Product 360® ^ abgezogen wird. Führen 



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104 I- Kapitel. Geschichtlicbef üeberbllck bis Newton. 

wir jedoeh diese Rechnung für die verachiedenen Wetthe von t aa^, 
so ergeben sich 



Jan. 




280« 


38.'0 


Febr. 




281 


38.1 


Mftrz 




282 


17.4 


April 




282 


33.5 


Mai 




282 


18.8 


Juni 




281 


37.2 


Juli 




280 


41.7 


Aug. 




279 


43.5 


Sept. 




278 


56.1 


Oet. 




278 


43.2 


Nov. 




278 


57.3 


Deo. 




279 


37.6 



In diesen Zahlen ist nun deutlich der Einfluss einer Ungleichheit 
zu bemerken , deren Periode ein Jahr ist ; wir sind daher darauf hin- 
gewiesen, die Länge der Sonne, die wir mit © bezeichnen , zunächst 
durch den Ausdruck 

= ^(, ^- 360*^ t + A^ Cos 360« t + B^ Sin 360« t 
darzustellen. Um die drei Unbekannten zu bestimmen, wählen wir 
die Beobachtungen von Jan. 1, Mai l und Sept. 1 und eriialten : 

28Q*»38:o = ^o-i-^i 
360«+ 40 35.6 = ^+118«l«:8-f ^, Cos (118«16:8)+^i Sin (118*' 16:8) 
360 +158 30.9 = ^ + 239 34.8+ ^i Cos (239 34.8) +^i Sin (239 34.8) 

Aus diesen Gleichungen erhält man nun , genau in derselben 
Weise wie bei dem vorigen Beispiele : 

Aq = 280« 36.'9 

A,= + l.l 

B^ = + 156.3 
Unsere Formel wird also : 

= 280« 36/9— 360« / -+ l.'l Cos 360«^ +- 1« 56;3. Sin 360«^ ; 
werden in diese die verschiedenen Werthe von t eingesetzt, so erhält 
man die Zahlen der dritten Columne. Die Vergleichung dieser Zahlen 
mit den beobachteten giebt zu erkennen, da^s unsere Formel die Son- 
nenlängen bis auf wenige Minuten genau angiebt ; sie ist daher voll- 
kommen hinreiehend , die Beobachtungen der Alten ,^ deren Genauig- 
keit kaum auf 10 Minuten geschätzt werden darf, wieder^ugeb^. 



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§ 4. Das Sorniensy Stern . (5. üttgteicbheiten.) 105 

Und hierin liegt die Erklärung, weshalb in der Sonnenbewegting keine 
weitere Ungleiehkeit als die Mittelpnnktsgleichung gefunden wurde, 
welche durch das Glied 

1*^ 56/3 Sin 360° t 
gegeben ist. Bei der Genauigkeit der heutigen Beobachtungen sind 
die angeführten Glieder jedoch bei weitem nicht genügend, die 
wirkliche Länge der Sonne wiederzugeben. Die vollständige For- 
mel für die Sonnenlänge enthält eine grosse Anzahl von Gliedern, 
wovon jedoch die grössten in dem obigen Ausdruck« schon enthalten 
sind; es giebt aber noch ein Glied, das über eine Minute beträgt. 
Streng genommen ist nämlich 
O = 280*^ 37/6 + 360*^ t 

-f 0/4 Cos 360° t -\- l« 55/1 Sin 360° t 

4- 1/2 Sin 2 X 360° i 

+ mehrere kleine Glieder. 
Wir sehen aber schon aus dem Angeführten , wie äusserst leicht es 
jetzt ist, auf Grund der Beobachtungen die Kenntnisse der Alten zu 
erlangen; aber freilich haben wir dabei die empirische Untersuekangs- 
methode in ganz anderer Weise anzuwenden verstanden , als es im 
AHeriliiime geschehen war. 

• Die Ungleichheiten des Mondes können in genau derselben Weise 
ermittelt und bestimmt werden. Auf Grund btosser Beobachtungen 
findet man die Mittelpunktsgleiehung, dieEvection, die Variation und 
die jährlidbe Gleichung, ohne die geringste Vorstellung der Ursachen 
zu haben, welche diese Ungleichheiten herv<Mrbringen . — Die Periode 
der Mittelpnnktsgleichung ist bei dem Monde jedoch nicht seine tro- 
pische, sondern seine anomalistische Umlaufszeit, und so ist es auch 
streng genommen bei der Sonne und bei den Planeten , obgleich der 
Unterschied hier sehr gering ist. Wir führen nun die wichtigsten 
Glieder im Ausdrucke für die Länge des Mondes an , und bezeiehnen 
dabei : 

die mittlere Länge des Mondes, d. h. die Glieder (.l^) -f- 360° ^, 

wo (tIo) den constanten Theil von Aq und t die in der tropischen 
Umlaufszeit des Mondes als Einheit ausgediUckte Zeit bedeu- 
tet, mit m ; 

die Länge des Mondperigäums mit tt, 
und setzen m — 7t = ^ ; 



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106 I- Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

in derselben Weise die entsprechenden Grössen bei der Sonne mit 
m! y TZ und g\ Die Länge des Mondes findet sich nun aus der Formel : 
^ = Jo + ^^^"^ / + ^4^ Cos ^ + A^ Cos 2^ +i43 Cos 3^ + . . . 
+ Ä, Sin g + Äi Sin lg +i?3Sin 3j+ . . . 
wo 

Jo= (4) +11/2 Sin (/' 

.1, = 1° 20/5 Sin (2 IC — 2 m') 

.12 = 35/7 Sin (2ic — 2 m') 
^ i43 unmerklich 

Äi = 6« 17;3 + V 20/5 Cos (2ir — 2 m') 

^2 = 12/8 + 35/7 Cos (2 IC — 2 m') 

^3 = 0/6 
Will man die Mittelpunktsgleichung , Evection , Variation und j&hr- 
liche Gleichung von einander trennen , s6 ist dies leicht auszuführen. 
Es ist alsdann: 

Mittelpunktegl. =6° 17:3 Sin g + 12/8 Sin 2j+ 0/6 Sin 3 ^+ . . . 
Evection = 1" 20/5 Sin (2 m — 2 m' — g] *) 

Variation = 35/7 Sin (2 m — 2m') 

jährl. Gleich. = 11 .2 Sin j' . 

Die angeführten Beispiele dürften genügen , um zu zeigen , wie 
die Bewegungen der Himmelskörper dargestellt oder angegeben wer- 
den können , ohne dass man eine Spur von dem empirischen Wege 
abweicht. Man kann dabei die Uebereinstimmung mit den Beobach- 
tungen unbegrenzt weit treiben, denn hierzu ist weiter nichts aöthig, 
als die Anzahl der berücksichtigten Glieder in entsprechender Weise 
zu vergrössern. In der Folge werden wir sehen, wie man versucht 
hat , 4ie Bewegungserscheinungen zu erklären , erst durch geometri- 
sche öonstructionen, dann durch die Sätze der Mechanik, bis es end- 
lich gelang, dieselben aus einem einzigen Princip herzuleiten , näm- 
lich aus dem Princip der allgemeinen Schwere. 



*) Wenn der Mond sich in Opposition mit der Sonne befindet , ist 
m — m' = 180° oder = , also 2m — 2m' = 360*» oder = ; in beiden 
Fällen hat die Evection den Werth — 1** 20 .'5 Sin g und fällt folglich zu- 
sammen mit dem Gliede 6® 17. '3 Sin g. Ohne Kenntniss der Evection wird 
man daher aus den Finsternissen den Coefficienten der Mittelpunktsglei- 
chung zu etwa 5** bestimmen. 



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i 5. Erklärung der Ungleichheiten durch die Griechen. 107 

§ 5. Die Erklärung der Ungleichheiten in den Bewegun- 
gen der Sonne, des Mondes und der Planeten durch die 
griechischen Astronomen, insbesondere der Alexandriner 

Schule. 

Kaum waren die Bewegungserscheinungen der Himmelskörper 
einigermassen bekannt , so versuchte man schon , dieselben zu erklä- 
ren ; ja, noch bevor man sich eigentlich Rechenschaft ablegen konnte 
von dem, was am Himmel vor sich gehe, wusste man schon die Grund- 
züge des Himmelsbaues und die Einrichtung des Mechanismus , wel- 
cher das Werk im Gange hielt, auf Grund blosser Ideen anzugeben. 
Je mehr nun aber die Einzelheiten der Bewegungserscheinungen er- 
mittelt wurden, desto mehr mussten die ursprünglich einfachen Vor- 
stellungen , die a priori entstanden waren , mehr verwickelten Platz 
machen, und endlich wurde der einfache und schöne Bau des Him- 
mels mit den Sphären von Krystall , deren Bewegung Töne in schön- 
ster Harmonie erzeugten , dermassen durch Reparaturen und Zubau- 
ten verunstaltet , dass ein gewöhnlicher gesunder Menschenverstand 
nicht mehr föhig war, an die Wirklichkeit eines solchen widersinni- 
gen Machwerks zu glauben. Die Natur des Menschen ist jedoch, 
namentlich auf weniger entwickeltem Bildungsgrade, merkwürdig dog- 
matisch angelegt , und so glaubte man lange Zeit an das Vorhanden- 
sein der sieben Himmel, obgleich sie von den vielen krummen Wegen 
der Epicjkel dermassen durchlöchert sein mussten , dass die Haltbar- 
keit des Ganzen unmöglich begriffen werden konnte. 

Im Vorhergehenden wurde bereits hervorgehoben , wie nicht nur 
Sonne und Mond, sondern auch die oberen Planeten, wenn man ihre Be- 
wegungen in ganz groben Zügen betrachtet, also ohne Rücksicht auf die 
beiden Ungleichheiten — Kreise um die Erde zu beschreiben scheinen. 
Auch die Planeten Merkur und Venus, die sich niemals über gewisse 
Grenzen von der Sonne entfernen , begleiten die letztere und nehmen 
auf diese Weise Theil an der gemeinsamen Bewegung der beweglichen 
Himmelskörper. Es lag deshalb sehr nahe , dies als Gesetz anzuneh- 
men , da sowohl die unmittelbaren Wahrnehmungen eine solche Be- 
wegung anzudeuten schienen , als auch die Annahme der Kreisbewe- 
gungen um die Erde nur. zu gut mit den früher geläufigen Ansich- 
ten von dem Verhältnisse der Erde zum Weltall übereinstimmte. 



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1 08 1. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

Indem man sich also den Himmelsraum in Krystallsphären eingetheilt 
dachte, erhielt man eine ganz ungezwungene und, wie es schien, genü- 
gende Erklärung der Bewegungen dadurch, dassman sich die verschie- 
denen Himmelskörper als an den Sphären befestigt vorstellte, welche in 
einer mehr oder weniger langen Zeit um gewisse Axen sich drehten . 
Nach der Dauer dieser Schwingnngszeit schätzte man auch die Ab- 
slände der beweglichen Himmelskörper, und dachte sich demgemäss 
dieselben in folgender Ordnung von der Erde entfernt : 

1. Sphäre der Mond {^) 

2. » Venus ($) ' 

3. » Merkur (g) 

4. » die Sonne (Q) 

5. » Mars ((^f) 

6. •» Jupiter (2|_) 

7. » Saturn ("^) 

8. » die Fixsterne. 

Diese Anordnung ist schon von Aristoteles angenommen worden ; sie 
Hegt aber auch dem ptolemäischen Systeme ursprünglich zu Grunde. 
Unter dieser Benennung versteht man wohl meistens die Anordnung 
der Welt , wie sie vor Copernicus angenommen wurde , weil die Ver- 
suche, Erklärungen föT die Bewegungen der Himmelskörper in üeber- 
einstimmung mit der herrschenden Weltansicht zu finden, in dem ptole- 
mäischen Werke, dem Almagest, zusammengestellt sind. Als eigentli- 
cher Urheber des Systems ist Ptolemäus aber keineswegs anzusehen. 

Sobald man anfing, die Bewegungen der Himmelskörper auf 
Grund sorgfältiger Beobachtungen zu untersuehen , konnte man nicht 
umhin , die Ungleichheiten in den Bewegungen wahrzunehmen , die 
jedoch in der vorher erwähnten einfachen Weltanordnung durchaus 
keine Erklärung fanden. Wie sehr es auch mit der herrschenden Mei- 
nung im Widerspruch stand, so konnte doch die, durch die unmittel- 
baren und leicht zu wiederholenden Wahrnehmungen fes%estellte That- 
saohe nicht geleugnet werden ; man musste einräumen, dass die Bewe- 
gungen weder gleichförmig erschienen , noch dass die Bahnen immer 
grösste Kreise am Himmel seien ; ja man sprach sogar von dem unbe- 
rechenbaren und launenhaften »Tanz« der Planeten. — Die Ursachen 
der entdeckten Anomalien konnte man in keiner Weise ergründen 
und hielt sie daher auch bloss für scheinbar. An zwei Voraussetzungen 



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§ 5. Erklärang der Ungleichheiten durch die Grieehen. }09 

hielt mam. nämlich unerachtttteiiich fest : nämlich ei*stens daran , dass 
die Bewegungen der Himmelskörper keine andern als kreisförmige 
sein könnten, und zweitens, dass die Erde in Ruhe sei.*) — Aber 
wenn . nun auch die Ursachen der Ungleichheiten immer verborgen 
bleiben mussten , so war man doch bemüht , wenigstens eine geome- 
trische Erklärung der Erscheinungen am Himmel zu finden. Man 
glaubte nämlich annehmen zu müssen , dass die wirkliehe Bewegung 
des Planeten nicht die sei , welche unmittelbar am Himmel zu sehen 
war, sondern dass man nur die Projection der wirklichen Bewegung 
auf der Himmelssphäre wahrnähme. Mit diesem Grundsatze war die 
Bahn einer wissenschafüichen Forschung eröffnet ; zwar wurde diese 
durch die zwei oben erwähnten rein dogmatisehen Voraussetzungen 
gehemmt und beschränkt , allein man wusste auf aitdere Weise das 
Feld der Hypothesen in gehöriger Weise zu erweitem , so dass man 
eine jede Bewegung geomekisch hätte construiren können , ebenso 
wie wir vorhin die Bewegungen durch trigonometrische Linien dar- 
stellten. Man räumte nämlich ein : 

dass der Mittelpunkt der Bewegung nieht mit dem Mittelpunkte 
der Erde zusammenzufallen brauche ; und dass die wirklichen Bewe- 
gmigen aus mehreren Kreisbewegungen zusammengesetzt sein könn- 
ten , m der Weise , dass auf der Peripherie des erste» Kreises der 
Mittelpunkt eines zweiten beweglich sei, an dessen Peripherie der 
Plazet seine Bewegung voUfCihrte , oder auch , dass der Mittelpunkt 
eines dritten J^eises an der Peripherie des zweiten Kreises in Bewe- 
gung sei, u. s. w. 

Das Problem, welches den Astronomen Griechenlands aufgege- 
b^ war, besteht also in Folgendem: durch ein System von 
gleichförmigen Bewegungen in kreisförmigen Bahnen 
die Ungleichheiten in den scheinbaren Bewegungen 
der Sonne, des Mondes und der Planeten zu erklären. 

Schon zu Zeiten Plato's und Aristoteles' war diese Aufgabe an- 
geregt und auch Lösungen derselben versucht worden , indess gelang 
es erst Hi|>pArch, die Lösung wissenschaftlich zu Ende zu ftihron, 
d. h. nicht nur die mathematischen Gesetze solcher Bewegungen ab~ 



*) Wenn auch Einige die Rotation der Erde behaupteten, so scheint 
dies doch keine allgemeiner angenommene Lehre geworden zu sein. 



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110 I* Kapkel. (leschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

zuleiten , sondern auch, durch Vergleichung dieser mit den Beobach- 
tungen , gewisse unbekannte Grössen , von denen man nur ^nsste, 
dass sie unveränderlich seien, zu bestimmen."^ 

Was nun zunächst die erste Ungleichheit betrifft, die einzige, 
welche von Hippai*ch untersucht worden zu sein scheint, da er eigent- 
lich nur die Theorie der Sonnen- und Mondbewegung behandelte , so 
konnte dieselbe in zweierlei , von einander scheinbar ganz unabhän- 
giger, Weise erklärt werden , nämlich entweder durch die Hypothese 
eines excentrischen Kreises, oder auch indem man die Bewe- 
gung als in einem Epicykel vor sich gehend annahm. Es wurde 
jedoch später bemerkt , dass beide Hypothesen in geometrischer Be- 
ziehung genau dasselbe leisteten , so dass man nach Belieben die eine 
oder die andere anwenden , dagegen aber auch nicht auf Grund der 
Beobachtungen entscheiden konnte, welche mehr Wahrscheinlichkeit 
für sich hatte — eine Frage übrigens, welche die Astronomen desAl- 
terthums wohl wenig bekümmert haben mag. 

Die Hypothese vom excentrischen Kreise bestand einfach 
darin, dass man annahm , der Mittelpunkt der Bewegung falle nicht 
mit dem der Erde zusammen. Der Abstand zwischen diesen beiden 
Mittelpunkten wurde Excentricität genannt und dessen Verhält- 
niss zum Halbmesser des Kreises musste aus llen Beobachtungen be- 
Fi g. 1 3 . j stimmt werden . In der Fig . 1 3 

ist diese Hypothese veranschau- 
licht. Wir nehmen an, dassz. B. 
die Sonne der Peripherie ab de 
entlang in Bewegung ist, dass 
diese Bewegung aber nicht von 
dem Mittelpunkte n dieses Kreises, 
sondern vom Punkt w« innerhalb 
desselben gesehen wird. Da man 
aber von dem letzteren Punkte 
die Bewegung sieht , ohne eine 
Aenderung des Abstandes wahr- 
nehmen zu können , so scheint der bewegte Punkt der Peripherie 



*) Frühere Versuche sind jedenfalls ohne nachhaltigen Einfluss auf 
die Astronomie geblieben. 



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§ 5. Erklärung der Ungleichheiten durch die Griechen. 111 

a'Vd'e' entlang zu laufen. Wenn aber die Bewegung in der Peri- 
pherie ab de gleichförmig ist , so kann sie nicht längs der Peripherie 
a'Vd'e gleichförmig erscheinen. Fangen wir nun an, die scheinbare 
Bewegung zu untersuchen , wie sie sich vom Punkte m aus darstellt. 
Während die Sonne den Bogen ah zurückgelegt hat, ist ihre von 
der Erde m gesehene Länge um den Winkel a'mc' gewachsen, weil 
die Sonne in der Richtung mbc' gesehen wird. Die Länge der Sonne 
ist folglich nicht nur um den Winkel dmV , welcher mit dem Winkel 
anh gleich ist, gewachsen, sondern noch dazu um den Winkel 6'mc', 
dessen Grösse sowohl von dem Winkel an 6, wie auch von der Excen- 
tricität m n abhängt. Es ist nun sehr leicht einzusehen , dass die Be- 
wegung der Sonne am schnellsten erscheinen muss, wenn sie der 
Erde am nächsten ist, also im Punkte a, am langsamsten hingegen 
im Punkte e, wo sie am weitesten von der Erde absteht. Die Hypo- 
these des excentrischen Kreises leistet also wenigstens darin das Er- 
wUnschte , dass man durch sie die grösste und kleinste Geschwindig- 
keit in diametral entgegengesetzten Punkten findet. Aber auch über 
den ganzen Verlauf der scheinbaren Bewegung giebt sie einen befrie- 
digenden Aufschlttss , wenn man keine grössere Genauigkeit als die 
der älteren Beobachtimgen beansprucht. Dies wollen wir beweisen. 

Wenn die Excentricität im Verhältniss zum Halbmesser, den wir 
als Einheit annehmen , sehr klein ist , so ist auch der Bogen b'c' sehr 
klein, und wir können denselben seinem Sinus gleichsetzen.*) Wir 
haben unter dieser Voraussetzung : 

6'c' = Sin b'm e' — Sin m bn = Sin B 
(der Winkel mbn werde der Kürze wegen B genannt) . 
Den Winkel a'mb' r= anb bezeichnen wir mit g und haben, einem 
Satze aus der Trigonometrie zufolge, den wir später zu beweisen Ge- 
legenheit haben werden : 



*) Aus der Fig. 1 ersehen wir sogleich , dass der Bogen b m grösser 
ist als mp, aber kleiner als bti. Es ist also 

Sin 'f < ^ < Tang «p 
oder 

Sin « 

ist nun «p, also auch Sin ^ sehr klein , so kann man Sin 'f ^ als unmerklich 
ansehen und also den Sinus mit dem Bogen vertauschen. 



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112 1« Kftpitel. G680faicbtUeher UeberbHek bis Newton. 

Sin Ä : 81n ^ = e : ö m 
oder 

hm 
Nach einem schon von Euklides beWieseaeti Satze ist aber im 
Dreiecke mbn: 

S 4 8 

ftm = 6w + mn — 2 mn X bn Cos ^ 
d.h. 

b m = Vi — 2e Cos j + e'^ ; 
folglich ist 

e Sin g ^^ 



Sin jB 



Vi — 2e CoBQ + e2 
Dieser Ausdruck für B ist jedoch nicht der bequemste z^r Ver- 
gleichung mit den Beobachtungen ; wir wollen ihn daher etwas um- 
formen, was in höchst einfacher Weise geschehen kann. — Die üm- 
foimung betrifft zunächst den Ausdruck 

Vi — 2eCos^ + e2 
Addiren und subtrahiren wir die Grösse e^ Cos g^ zu den ^Gliedern 
unter dem Wurzelzeichen, und erinnem wir uns dabei , dass 
1 — 2 e Cos ^ + e^ Cos ^2 == (1—6 Cos g]^ , 
so können wir sofort schreiben 



Vi — 2e Cos ö + e2 = (1 _ e Cos g)V^ + Tr^ ^^J^ , tv 

^ ^ ^ ^^ ^ ' (1 — e Cos g)^ 

Mit diesen Werthen wird nun 

e Sin 5' ^ 



Sin 5 = 



1 — e Cos ^ * t/ e2 Sin g2 



(1 — eCos^)2 
Wenn nun e ein sehr kleiner Bruch ist , so kann «2 häufig als 

ganz verschwindend angesehen werden: für e = -- z. B. ist e2 = 

-— . Wir können alsdann alle Glieder, die mit e'^ multiplicirt sind, 

ganz und gar weglassen , da sie das Kesultat doch nicht merklich zu 
verändern im Stande sind, und haben also : 

1 — e Cos g 



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§ 5. Erklärung der Ungleichheiten durch die Griechen. 113 

wobei zu bemerken ist, dass in diesem Ausdrucke nur solche Glieder 
fehlen, die mit e^ multiplicirt sind, und also, unserer Voraussetzung 
gemäss, weggelassen werden können. Multipliciren wir hierauf Zähler 
und Nenner in diesem Ausdruck mit 1 -[- e Cos g , wodurch der 
Werth des Ausdruckes natürlich nicht verändert wird , und beachten 
wir dabei , dass 

(1 — e Cos 9)(l +e Cos g) =^ \ — e^ Cos g^, 
so erhalten wir, indem wir wieder das Glied im Nenner, welches mit 
e^ multiplicirt ist, weglassen, 

Bin B = e Sin g- (1 + e Cos g) =? e Sin ^ + ^e^ Sin 2g 
in welcher Formel nur solche Glieder fehlen, die mit e^ multipli^ 
cirt worden sind, sowie noch kleinere. — Wenn nun aber e eine sa 
kleine Grösse ist, dass die dritte Potenz derselben als unmerklich an- 
gesehen werden darf, so kann man auch B statt Sin B schreiben , so 



B = eBing + ^e^8mg. 

Die mittlere Länge der Sonne, also den Winkel bnp = b'mp', 
wenn mp' oder wpdie Richtung des Frühlingspunktes angiebt, nen* 
nen wir 0, und haben also für die vom Punkte maus gesehene Länge 
den Ausdruck : 

Q = m + e Sin 5 + ic2 Sin 2g. 

Damit nun die periodischen Glieder der Mittelpunktsgleichung der 
Sonnenbewegung entsprechen, muss e=l° 55/1 und^e2=l/2 sein. 
Um e in Theile des Radius zu verwandeln, muss 1° 55/1 =115/1 
mit der Länge des Bogens , welcher einer Minute entspricht , multi- 
plicirt werden, also mit der Zahl 0.0002909; man erhält somit 

e a= 0.03348. 
Multiplicirt man hierauf die Hälfte dieser Zahl mit ß = 115/1, so er- 
hält man, in Minuten ausgedrückt, 

1^2 ==1/97, 
also einen etwas grösseren als den richtigen Werth des Coefficienten 
von Sin 2g. Der Unterschied ist jedoch nicht grösser, als dass er 
durch die üngenauigkeit der alten Beobachtungen vollständig ver- 
deckt würde, und somit zeigt es sich , dass die Hypothese des ex- 
centrischen Kreises vollkommen genügte , die im Alterthume beob- 
achtete Bewegung der Sonne geometrisch darzustellen. — Bei dem 
Monde gentigte sie indess nicht. 

Gjldön, Astronomie. § 



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114 I- Kapitel. GeBchichtlicher Ueberbliek bis Newton. 

Aus den Coefficienten von Sin g, nämlich 6^ 17/3 , findet man, 
wie zuvor 

e= 0.10975, 
womit ferner erhalten wird 

.^f2 = 20/70. 

Der wirkliche Werth des Coefficienten von Sin 2^ ist jedoch 
nur 12/8 ; die Hypothese giebt ihn mithin um 8' zu gross an. Rela- 
tiv noeb grössere Unterschiede würden sich bei noch höheren Gliedern 
zeigen. Die Hypothese, dass der Mond sich in einem excentrischen 
Kreise um die Erde bewegt, ist demnach falsch , oder bedarf auf alle 
Fälle wenigstens noch gewisser Zusätze , um nicht Resultate zu ver- 
anlassen , die sogar unter der Genauigkeit der alten Beobachtungen 
stehen würden. 

Genau eben so weit, wie mit der Hypothese des excentrischen 
Kreises , kommt man mit der Annahme , dass die Bewegung in einem 
Epicykel geschähe. Vereinigt man beide Hypothesen, so kann auch 
das zweite Glied in der Mittelpunktsgleichung des Mondes hergestellt 
werden. Wir wollen nun diese letztere Hypothese beleuchten. Fig. 14 
veranschaulicht die fragliche Bewegung. Es wird angenommen, dass 

Fig. 14. 



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§ 5. Erklärung der Ungleichheiten durch die Griechen. 115 

der Mittelpunkt des Kreises ab sich auf der Peripherie mm' fortbe- 
wegt, während der Himmelskörper den Kreis ab durchläuft, und 
zwar sind die Umlaufszeiten in den beiden Kreisen einander gleich, so 
dass der Himmelskörper einen gleich grossen Bogen indem£picykel[so 
wird der Kreis ab genannt) durchläuft, wie der Mittelpunkt des Epi- 
cykels auf dem Umkreise mm'. Es folgt nun hieraus, dass, wenn 
der Mittelpunkt m nach m' vorgerückt ist , der Himmelskörper, wel- 
cher ursprünglich in a angenommen war, in dem Punkte a ' sich be- 
findet, und zwar so, dass der Winkel mom' gleich dem Winkel oin'a' 
ist. Die Linie a'm' bleibt mithin stets parallel mit sich selbst. — 
Man kann sich also auch die Sache so vorstellen , dass der Himmels- 
körper unbeweglich auf dem Kreise ab bleibt, welcher alsdann aber 
nicht als in Rotirung gedacht werden darf, sondern nur vorwärts ge- 
schoben wird ohne zu rollen , so dass ein beliebiger Durchmesser des- 
selben stets parallel mit sich selbst bleibt. 

Der Winkiel mom' bezeichnet nun den Zuwachs der mittleren 
Länge, also den Winkel, welchen wir vorhin mit g bezeichneten \ der 
Abstand am ist die Excentricität, indem der Halbmesser 07/3 als Ein- 
heit angenommen wird; der Winkel a'om' ist endlich der Unterschied 
zwischen der von der Erde aus beobachteten und der mittleren Länge, 
derselbe also, welcher oben B genannt wurde . Aus dem Dreiecke a'o m! 
findet man nun genau dieselben Ausdrücke wie oben , und zwar auf 
demselben Wege. 

Nur kurz wollen wir jetzt 'noch andeuten , wie die beiden Hypo- 
thesen mit einander verbunden werden können. Wir nehmen also an, 
dass der Mittelpunkt des Epicykels auf einem excentrischen Kreise 
beweglich ist. Die Länge dieses Mittelpunktes wird nun durch die 
Formel 

1 = m 4- e Sin G + \e^ Sin 2 G 
ausgedrückt, wo m die mittlere Länge des fraglichen Mittelpunktes und 
G den von ihm durchlaufenen Bogen auf dem excentrischen Kreise 
bedeuten. Wir denken uns nun den Radius des Epicykels so klein, 
dass sein Produkt mit e vernachlässigt werden kann; fenier dass 
die Bewegung im Epicykel doppelt so schnell ist als im excentrischen 
Kreise, d. h. dass der Körper den Epicykel zweimal durchläuft 
während der Mittelpunkt des Epicykels den excentrischen Kreis 
einmal umkreist; alsdann haben wir zu der Länge L das Glied 

8* 



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Il6 I.Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

Y Sin 2 G 

hinzuzufügen, wo 7 so bestimmt werden mnss^ dass ^^^ + Y den 
beobachteten Coefficienten wiedergiebt. Es wurde gefunden 

|e2 = 20/70, 
Werth des Coefficienten 1 2.80 

also Y = — 7.90 

oder, in Theilen des Radius, 

Y = — 0.00230. 
Das negative Vorzeichen deutet an , dass die Bewegung im Epicykel 
rückläufig gedacht werden muss. 

um die Evection zu erklären , bedurfte es eines zweiten Epicy- 
kels , und wären mehrere Ungleichheiten bekannt gewesen , so hätte 
man wohl nicht beanstandet, das System entsprechend auszu- 
dehnen. 

Wenn man nun auch auf diese Weise die Bewegung in der Länge 
genügend darzustellen vermochte, so gab es doch einen Umstand, der 
leicht hätte zeigen können, dass der ganzen Theorie jede reelle Grund- 
lage fehlte. Dieser Umstand besteht darin, dass die Bewegungen des 
Mondes in verschiedenen Punkten seiner Bahn von Aenderungen sei- 
nes Abstandes von der Erde begleitet sind , die in der epicyklischen 
Hypothese keineswegs mit den wirklichen Aenderungen identisch 
sind. Es kann nämlich sehr leicht bewiesen werden , dass die Ge- 
schwindigkeit eines Himmelskörpers , mag er sich nun in einem Epir 
cykel oder in einem excentrischen Kreise bewegen ; in verschiedenen 
Punkten der Bahn im umgekehrten Verhältniss zu der entsprechen- 
den Entfernung von der Erde steht. Da nun femer der scheinbare 
Durchmesser des Mondes in demselben Verhältniss zu- oder abneh- 
men muss, wie die Entfernung von der Erde ab- oder zunimmt, so 
folgt, dass die Geschwindigkeiten sich wie die scheinbaren Durchmes- 
ser verhalten müssen, wenn die Theorie der Epicykel oder des excen- 
trischen Kreises wahr sein soll. Nennen wir die Geschwindigkeiten 
zu zwei verschiedenen Zeitpunkten v und v', sowie die zu denselben 
Zeiten stattfindenden scheinbaren Durchmesser d und d\ so muss also: 

V d 

sein, woraus folgt 



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§ 5. Erklärung der Ungleichheiten durch die Griechen . 117 

V 

Prüfen wir diese Formel an einem Beispiele. Am 6. Mai 1865 war 
d = 29/5, und während desselben nahm die Länge des Mondes zu 
um 1 1° 8/6 , oder es war v = 708/6 ; den 22. Mai desselben Jahres 
hatten die entsprechenden Grössen folgende Werthe : d! = 32/9 ; v' 
= \4P 38/3 = 878/3. Berechnet man aber d' aus der Formel 

708.6 
so findet sich 

d' = 36/56, 
also um 3/66 grösser als der wirkliche Betrag. Hätte man dagegen 
eine andere Hypothese anwenden können, welche, indem durch sie die 
Längenbewegungen in genügender Weise erklärt worden wären , zu 
der Gleichung 

ld\^ 



oder 



v' \d') 

d'=di/i. 



geführt hätte , so hätte man zugleich eine Erklärung der Aende- 
rungen des Abstandes gehabt ; denn nach der zuletztgenannten For- 
mel findet sich 

d' = 32/84, 
also sehr nahe mit dem wahren Werthe übereinstimmend. 

Es ist schwer zu entscheiden, in wie weit man es den alten 
Astronomen anrechnen soll , dass sie nicht die Nothwendigkeit einer 
Hypothese der angedeuteten Art einsahen. Der Unterschied von 
fast vier Minuten oder ohngefähr ^ der ganzen Mondscheibe hätte 
wohl ihrer Aufmerksamkeit kaum entgehen können , wenn dieselbe 
auf diesen Umstand einmal gerichtet worden wäre. Und hier hätten 
sie ja fast das einzige Kriterium gehabt , die Richtigkeit ihrer Hypo- 
thesen zu prüfen. — Aber anderseits lag es zu sehr in der ganzen 
Art und Weise der damaligen Zeit , bei wissenschaftlichen Untersu- 
chungen nur auf die allernöthigsten empirischen Data Rücksicht zu 
nehmen; und vollends die von den Philosophen gutgeheissene 
Theorie durch Empirismus corrigiren zu wollen , konnte ihnen nicht 



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118 I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

in den Sinn kommen. Dass man also eine derartige Prüfung unter- 
liess, kann somit erklärt, wenn auch nicht entschuldigt werden. Wenn 
aber, wie fast vermuthet werden kann , die alten Astronomen bloss 
bezweckten, Regeln aufzufinden, nach denen die Oerter der Himmels- 
körper im Voraus berechnet werden können und in keiner Weise eine 
physische Erklärung der Bewegung zu geben versuchten , so war ihr 
Verfahren ein durchaus richtiges, obgleich ein sehr unbequemes; 
denn sie konnten mit ihren Epicykeln nur das leisten , was wir mit 
den Cosinus- und Sinus- Ausdrücken zu leisten im Stande sind. Bei 
der Vergleichung beider Methoden , welche wir die geometrische und 
die analytische nennen können, sinkt die Wagschale sehr bald zu 
Gunsten der letzteren. Die Behandlung der aufeinanderfolgenden 
Epicykel wird äusserst lästig , hingegen ist es ein Leichtes , eine hin- 
reichende Anzahl Glieder in den Ausdrücken (1) und (2) (Art. 5 des 
vor. §) zu berücksichtigen. 

Im Vorhergehenden hatten wir Gelegenheit zu sehen, wie die so- 
genannte erste Ungleichheit in der Bewegung der Himmelskörper ver- 
mittelst einer der zwei angeführten geometrischen Hypothesen ihre 
Erklärung fand. Wie es scheint, wurde diese Ungleichheit allge- 
mein durch den excentrisehen Kreis dargestellt , da der Epicykel in 
anderer Weise eine nützliche Verwendung fand. Es ist nämlich leicht 
einzusehen , wie die Bewegung in dem Epicykel so gedacht werden 
kann, dass die Erklärung der zweiten Ungleichheit daraus hervorgeht. 
Wie man aus der Fig. 14 unmittelbar sieht, kann die Bewegung, vom 
Piinkt aus gesehen, während einer begrenzten Zeit, die jedoch ver- 
grössert wird in dem Maasse wie der Halbmesser des Epicykels zu- 
nimmt , jede beliebige Geschwindigkeit annehmen , nur muss die Ge- 
schwindigkeit im Epicykel genügend gross vorausgesetzt werden. 
Wenn aber die Geschwindigkeit im Epicykel grösser ist als die 
seines Mittelpunktes , so giebt es offenbar Fälle , wo die Bewegung 
rückläufig erscheinen muss. Solche Fälle treten dann ein, wenn die 
Bewegung des Planeten im Epicykel der Bewegung des Mittelpunktes 
entgegen gerichtet ist, also z. B. da, wo der Planet im Punkte 
b sich befindet. 

Im Almagest finden sich nun Angaben sowohl über die Ge- 
schwindigkeiten der verschiedenen Planeten in den Epicykeln und 
über die Bewegung ihrer Mittelpunkte, als auch über die Verhältnisse 



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Planet 


Tägl, Bfeweg. im Epi« 


Merkur 


3° 6' 24'/l 


Veaus 


36 59.4 


Mars 


27 41.7 


Jupiter 


54 9.0 


Saturn 


57 7.7 



§ 5. Erklärung der Ungleichheiten durch di^ Griechen. 1 1 9 

der Halbmesser der Epicykel zum Halbmesser det excentristhefl 
Kreise. Die absoluten Werthe dieser Halbmesser konnte man natör^ 
lieh nicht bestimmen, da die Erde als unbeweglich vorausgesetet 
wurde ; nur der Mond erwies sich als nahe genug, um seine Entfernung 
zu messen. Wir theilen zunächst diese Bewegungen und Verhält- 
nisse mit , weil man durch Kenntniss derselben eine völlig detitliche 
Vorstellung des Ptolemäischen Systems erhält.*) 

Tägl. Beweg, des Mittelj^unkts 
der Epic. auf dem eic. Ereilte. 
0° 59' 8:'3\ Bewegung der 
59 8.3/ Sonne 
31 26.6 
4 59.2 
2 0.6 

Bei den zwei unteren Planeten Merkur und Venus wurde also an- 
genommen , dass die Mittelpunkte ihrer Epicykel dieselbe Bewegung 
wie die Sonne haben ; dass diese Planete^ sich in der That um die 
Sonne bewegten , wurde schon im Alterthume von Einigen angenom- 
men. Die übrigen Epicykel bewegten sich langsamer, am langsamsten 
der des Saturn ; die Bewegung im Epicykel wird hingegen rascher, 
je weiter der Planet von der Erde entfernt ist; bei Saturn ist diese 
Bewegung nur unbedeutend langsamer als bei der Sonne. 

Die Halbmesser der Epicykel bezeichnen wir durch /*, die der 
excentrischen , oder, wie sie auch genannt wurden, der deferirenden 

f 
Kreise löit d ; für die Verhältnisse -— finden sich nach Delambre die 

d 

Werthe : 

L 

d 
Merkur 0.3838 
Venus 0.7196 
Mars 0,6579 
Jupiter 0.1917 
Saturn 0.1083 



ent- 
nommen. Tome II, p. 313. 



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120 I.Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

Merkur ist folglich stets der Bonne näher als Venus ; bei den oberen 
Planeten werden die Epicykel stets kleiner im Verhältnisse zu den 
Deferenten, je weiter von der Erde die resp. Planeten entfernt sind. 



§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Kepler's Gesetze. 

Das auf Ptolemäus folgende Jahrtausend war wenig förderlich 
für die Entwicklung der Astronomie. Zwar stand diese Wissenschaft, 
wie es heisst , in hoher Blüthe bei den Arabern , bei denen die Ptole- 
mäischen Lehren, nicht minder wie bei den Christen, zum Glaubens- 
artikel erhoben wurden ; zwar wurden die ümlaufszeiten sehr sicher 
bestimmt und die Abweichung der Ptolemäischen Theorie vom Himmel 
erkahnt ; zwar verwendete ein König , der selbst das Ansehen eines 
Gelehrten genoss, ungeheure Summen, um das System so zu vervoll- 
ständigen, dass es dem, was am Himmel zu lesen war, entspräche, 
allein man verlief sich in das alte Geleis und konnte aus ihm nicht 
heraus. Nur das ging immer mit mehr Klarheit heiTor , dass man 
sich immer mehr und mehr in die Unbegreiflichkeiten hineinarbei- 
tete. Man konnte sich freilich damit trösten, dass »die unbegreiflich 
hohen Werke« auch unbegreiflich bleiben sollten, allein selbst im 
Mittelalter genügte dieser Trost nicht. Auch dieses Zeitalter entbehrt 
nicht ganz der Anregungsmittel, die den Forschungseifer wach hielten, 
so dass das Licht der Wissenschaft nicht völlig erlosch. Es ist kaum 
nöthig zu sagen, dass zu diesen in erster Linie die Kreuzzüge und die 
Eroberung von Constantinopel zu zählen sind. Bis dahin waren die 
Völker des Abendlandes entschieden den Orientalen gegenüber im 
Rückstande ; nur sehr spärliche Ausnahmen von der allgemeinen Roh- 
heit sind bemerklich, und diese hatten keine Gelegenheit sich geltend 
zu machen. In den christlichen Klöstern, fast den einzigen Asylen 
geistiger Beschäftigung in Europa, wurde eigentlich weiter nichts 
Wissenschaftliches vorgenommen, als Abschriften der Werke des 
klassischen Alterthums verfertigt. Es war eine magere Erde , in der 
die zarten Pflanzen der hellenischen Wissenschaft umgesetzt wurden, 
und so darf es nicht verwundern , wenn Unkraut, wie Astrologie 
u. dgl, kräftiger emporblühten, als das Streben nach vorurtheilsfreier 
Erkenntniss. 



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§ 6. Das copeniicaniBche Weltsystem und Kepler's Gesetze. 121 

Unter den arabischen Gelehrten begegnen wir zwar keinem 
Namen, welcher mit dem eines Hipparch oder auch nur Ptolemäus zu 
vergleichen wäre , aber dennoch sind wir den Arabern die grösste 
Dankbarkeit schuldig , denn sie haben wenigstens das Leben der 
Wissenschaft erhalten. Es wird erzählt, dass der Kalif AI Mamun bei 
einem Friedensschluss mit dem griechischen Kaiser Michael III. sich 
ausbedungen habe, die Schriften der griechischen Gelehrten im 
Kaiserstaate ansammeln lassen zu dürfen , die er nachher tibersetzen 
Hess. Auf diese Weise wurde die Astronomie im Kalifate heimisch. 

Unter den bedeutendem der arabischen Astronomen bemerken 
wir zunächst Albategnius (eigentlich Muhamed ben Geber Albatani) , 
welcher im neunten Jahrhunderte lebte. Er soll zuerst die Be- 
wegung des Sonnenperigäums bemerkt haben ; auch hat er die ptole- 
mäischen Tafeln nicht unwesentlich verbessert. Dergleichen partielle 
Fortschritte finden wir auch bei Ebn-Junis, Abul Wefa u. A. Bei der 
Gunst, welche die Astronomie bei den Nachfolgern des Propheten ge- 
noss, musste auch die Beobachtungskunst erweitert werden, und somit 
st es nicht zu verwundem, dass die arabischen Astronomen bessere 
Beobachtungen zu liefern im Stande waren, als von den Griechen auf- 
bewahrt worden sind. Da nun ausserdem die arabische Astronomie 
etwa 800 bis 900 Jahre nach der griechischen in Blüthe stand, so 
musste sie auch die Bewegungen mit einer grösseren Genauigkeit 
erkennen könneti. Ihre Astronomie war jedoch durchaus die grie- 
chische. 

Von Arabien ging die Astronomie nach Spanien übei*. Der König 
Alphons X* von Castilien interessirte sich lebhaft für diese Wissen- 
schaft, insbesondere fftr die Herstellung neuer und zuverlässiger Pla- 
netentafeln, d.h. Tafeln, aus denen die Oerter eines Planeten für eine 
beliebige Zeit durch eine leichte Rechnung entnommen werden konn- 
ten." Zu diesem Zwecke setzte er eine gelehrte Commission zu Toledo 
nieder, dije, aus Mohamedanem, Israeliten und Christen zusammen- 
gesetzt, beauftragt war, die für die Herstellung solcher Tafeln 
nöthigen Arbeiten auszuführen. Im Jahre 1252 wurden sie fertig; 
wie erzählt wird, haben sie volle 40000 Ducaten gekostet, eine Summe, 
die stets als zu gross angesehen worden ist in Anbetracht der 
geringen Fortschritte der Astronomie, welche in diesen Tafeln zu fin- 
den sind. Es ist eben im Grunde nur das alte ptolemäische System, 



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1 22 I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick hU Newton. 

das hier zur Anwendung kam, also in wissenschaftlicher Bezie- 
hung ein rein empirisches Werk , welches überdies nicht einmal alle 
Vorslige eines solchen genoss. Denn die Unriehti^eit der theore- 
tischen Grundlage konnte nicht dadurch völlig gehoben werden , dass 
die Anzahl der Epicykel vergrössert wurde , da einer solchen Ver- 
grösserung doch eine Grenze gesetzt werden mnsste. Trotzdem bilden 
die Alphonsinischen Tafeln ein. glänzendes Denkmal der damaligen 
spanischen Cultur, die, wie bekannt, zerstört wurde, indem die nicht- 
christliche Bevölkerung gewaltsam zur Annahme des Christenthums 
und dadurch zur Auswanderung gezwungen wurde . Es ist bezeichnend , 
dass der König selbst nicht an die Realität des ptolemäischen Systems 
glaubte^ wie solches daraus hervorgeht, dass er geäussert haben soll : 
Wenn ich dabei gewesen wäre, als Gott die Welt schuf, so hätte ich 
ihm manchen guten Rath geben können. Beinen Astronomen 
theilte er jedoch nicht mit , worin diese Vereinfafthungen bestanden 
haben würden.*) 

Es folgen nun zwei Jahrhunderte der tiefsten Nacht, aus der 
kaum eine Spur wissenschaftlichen Streb ens nachgeblieben ist; 
erst im fünfzehnten Jahrhundert erwacÄte der Sinn für die Wissen- 
schaften wieder. Zunächst ist es Italien , wo wir das Aufblühen der 
geistigen Cttltur bemeirken. Durch den häufigeren Verkehr mit den 
aus ihrem Vaterlande ausgewanderten Griechen wurde die Kenntniss 
des klassischen Alterthums mehr verbreitet, die Schriften eines 
Aristoteles, Ptolemäus u. A. mehr gelesen und richtiger verstanden, 
und endlich der Sinn für freie Forschung und freien Gedanken 
entwickelt. — Auf der Hochschule zu Bologna, einer der drei ältesten 
Universitäten**), wurden die mathematischen Wissenschaften mehr als 
anderswo betrieben : man zählte dort viele für die damalige Zeit her- 
vorragende Männer dieser Wissenschaften , und von fernen Landen 
suchte man dort seine Ausbildung in denselben. Unter den Zöglingen 
dieser Universität befand sich auch der später so berühmte Nicola-us 
Copernicus. ***) 



*) Del ambro, Hist. de l'astr. du moyen age, pag. 248. 
**) Die drei ersten Universitäten wurden in Bologna, Salerno und 
Paris gestiftet. 

***) Schon vorher war die astronomische Wissenschaft durch sÄwei 



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§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Kepler's Gesetze. 1 23 

Es wird freilich erzählt , dass Copemicus von seinem Lehrer im 
der Hochschule zu Bologna die ersten Ideen von der Bewegung der 
Erde erhalten habe ; er sagt femer selbst, dass diese Ideen gar nicht 
ihm gehören, da sie schon it den Schriften verschiedener klassischer 
Antoren zn finden sind ; aber er hat diese Ideen dadurch zu seinem 
geistigen Eigenthum gemacht, dass er durch Rechnung zeigte, wie die 
scheinbaren Bewegungen der Planeten auch unter der Annahme, dass 
die Erde sich um die Sonne bewegt, erklärt weixien können. Für die 
Astronomie lag jedoch nicht hierin das Hauptgewicht, sondern mehr 
in seiner Annahme, dass auch die oberen Planeten um die Sonne in 
excentrischen Kreisbahnen sich bewegen. Der Epicykel, welcher zur 
Erklärung der zweiten Ungleichheit dienen sollte, fiel, wie wir so- 
gleich sehen werden, bei dieser Annahme weg, wodurch der Mecha- 
nismus der Himmelsbewegung bedeutend vereinfacht wurde. Die 
Fig. 15 zeigt uns, wie die rückläufige Bewegung der oberen Planeten 
nur eine Folge der Erdbewegung ist. „. 

Wenn nämlich ein oberer Planet, 
der sich in einer gegebenen Zeit vom 
Punkte m nach n bewegt, von der 
Erde aus betrachtet wird , die in der- 
selben Zeit das Bahnstück ab durch- 
läuft , so scheint er in der That eine 
rückläufige Bewegung gehabt zu ha- 
ben, denn seine Länge ist um den 
Winkel nhp vermindert worden . Be- 
ende die Erde sich in Ruhe , so hätte 
der Planet bei dieser reellen Bewegung 
auch noth wendig seine Länge vergrös- 

sert, und zwar um den Winkel mati. Wenn aber die Bewegung des 
Planeten den ganzen Bogen mp beträgt, so scheint er still zu stehen, 
denn seine Länge wird weder vergrössert noch verkleinert. Das Ver- 



Deutsche über die Alpen gebracht worden. Es waren dies Peurbach und 
Regiomontanus. Durch sie wurde die Wissenschaft zu ohngefahr derselben 
Höhe in den Abendländern geführt , wie sie etwa 500 Jahre früher bei 
den Arabern stand. Das Wirken Regiomontan's war namentlich auf die 
geistigen Interessen der Stadt Nürnberg von nachhaltendem Einflusg. 



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124 I.Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

dienst desCopernicns lag eben darin, dass er zeigte, wie die beobach- 
teten Phasen der zweiten Ungleichheit auch in den Einzelnheiten 
ihre Erklärung fanden, obgleich die Annahme der kreisförmigen 
Bahnen, wie der gleichförmigen Bewegungen beibehalten wurde. — 
Für die^Erklärung der ersten Ungleichheit wusste Copemicus indess 
kein besseres Mittel als die früheren, nämlich excentrische Kreise und 
Epicykel ; sein System leistete daher im Grunde nicht das Geringste 
mehr als das alte. Dies beanspruchte er selbst auch keineswegs, son- 
dern wollte nur zeigen , dass er die Bewegungen nach seiner Hypo- 
these ohngeföhr eben so genau wiedergeben könne, wie man es vorher 
gethan hatte. Die Sache ist nämlich die: während die zweite Un- 
gleichheit durch die epicyklische Theorie vollständig erklärt werden 
kann, verhält es sich nicht in gleicherweise mit der ersten. Um 
diese zu erklären , wird man gezwungen , die Anzahl der Epicykel 
desto mehr zu vergrössern, je genauer die Beobachtungen von der 
Bewegung Rechenschaft geben können. 

Einen directen Fortschritt der Astronomie führte das copemi- 
canische Weltsystem also nicht herbei , denn ein solcher zeichnet sich 
stets dadurch aus, dass eine genauere Rechenschaft als zuvor von den 
Thatsachen gegeben wird ; in indirecter Beziehung öffnete seine An- 
nahme jedoch , wie wir bald sehen werden , der astronomischen For- 
schung ein fast unübersehbares Feld, und von allen Errungenschaften 
der menschlichen Cultur giebt es wohl keine, die in ihren Folgen 
von einer so gewaltigen und nachhaltigen Einwirkung auf die 
ganze Denkungsart der Menschen gewesen ist, wie die vom Dom- 
herrn zu Frauenburg ausgesprochene Wahrheit: die Erde ist 
nicht der Mittelpunkt des Weltalls. 

Um nicht missverstanden zu werden , betonen wir nochmals die 
Worte »in ihren Folgen« ; denn die Folge der copemicanischen An- 
nahme war die Reformation der Sternkunde, die in formeller Hinsicht 
von Kepler durchgeführt wurde, welche aber erst durch die grosse 
Entdeckung Newton's , aus der die wahre Ursache der Planeten- 
bewegungen und der Connex zwischen 'Kraft und Materie er- 
kannt wurde, zum Abschluss gelangte. — Copemicus selbst nahm 
die Sonne als im Mittelpunkt der Welt ruhend an : um diese krei- 
sen die Planeten , und das Ganze wird umgeben von der Sphäre der 
Fixsterne. Dies ist allerdings noch sehr verschieden von unserer 



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§6. Das copernicanische Weltsystem und Kepler's Gesetze. 125 

heutigen Auffassang , nach welcher nirgends Rohe , nirgends eine 
Grenze erkannt werden kann, nach welcher wir also auch nie -von 
einem Mittelpunkte der Welt oder von einem Himmel als Wohnplatz 
der Engel und eines nach unseren menschlichen Vorstellungen gestalte- 
ten Gottes sprechen dürfen. Unsere Weltauffassung ist also nicht die co- 
pernicanische, allein sie ist eine Folge der Erkenntniss dieser Wahrheit : 
die Erde bewegt sich. DieEirche hat auch die Tragweite der co- 
pemicanischen Annahme nie verkannt ; sie hat sehr wohl eingesehen, 
dass die Bewegung der Erde etwas ganz Anderes bedeute als nur ein- 
fach einen Widerspruch gegen eine Bibelstelle, die übrigens wohl 
ziemlich unschuldiger Natur ist ; dassvielmehr die Aussichten, welche 
sich den Bewohnern der bewegten Erde enthüllten, zuviel von 
Dingen , die den Sterblichen verborgen bleiben sollten , ans Xicht 
bringen mussten. — Die katholische Kirche protestirt gegen das 
copernicanische Weltsystem, die protestantischen schweigen darüber; 
die unerbittlichen. Consequenzen desselben schrecken eben Diejenigen 
zurück , welche nicht den Muth haben , der Wahrheit ins Gesicht zu 
sehen, wie sie rücksichtslos die Macht der Yorurtheile bekämpft und 
den traditionellen, in priesterliches Gewand gehüllten Dogmen - Glau- 
ben besiegt. 

Copemicns wurde im Jahre 1473 in der damals zum Königreich 
Polen gehörenden Stadt Thom geboren. Nachdem er in Krakau die 
ersten Studien gemacht hatte, unternahm er die Reise nach Italien 
und studirte dort in Bologna, Padua, Pavia und Rom. Nach Hanse 
zurückgekehrt, soll er sich Anfangs um eine Lehrerstelle an der Jagel- 
lonischen Universität zu Krakau beworben haben , wurde aber von 
seinem Oheim, dem Ermländer Bischof Watzelrode, nach der Provinz 
Preussen zurückberufen, wo er als Domherr zu Frauenburg sich seiner 
Wissenschaft in fast ungestörter Ruhe widmen konnte. Er starb da- 
selbst im Jahre 1543. 

In dem copernicanischen Weltsystem haben die Umlaufszeiten 
natürlich , eine andere Bedeutung als im ptolemäischen. Aus den 
ptolemäischen Angaben lassen sich jedoch die Geschwindigkeiten um 
die Sonne leicht herleiten. Für die unteren Planeten sind die täg- 
lichen Bewegungen um die Sonne gleich den Summen der täglichen 
Bewegungen im Epicykel und der Bewegung der Sonne. Bei den 
oberen Planeten dagegen sind die Umlaufszeiten sowohl in Bezug auf 



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1 26 I- Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

die Sonne wie auf die Erde dieselben. Auf diese Weise sind die Ubh 
lanfiizeiten nm die Sonne abgeleitet worden , welche wir oben (pag. 
86) mittheilten. 

Um die scheinbare Bewegung durch Rechnung angeben zu 
können , war es im ptolemäisehen Systeme nöthig , die Verhältnisse 
zwischen den Halbmessern der Epicykel und Deferenten zu kennen ; 
im copemicanischen Systeme hingegen braucht man die Verhältnisse 
der Halbmesser der Planetenbahnen zum Halbmesser der Erdbahn. 
Diese Verhältnisse lassen sich jedoch unmittelbar ans den yorher> 
gehenden finden . Bezeichnet man nämlich den Halbmesser einer Pla- 
netenbahn mit a' y und denkt sieh dabei den Halbmesser der Erdbahn 
als Einheit; so ist : 

a^ für die unteren Planeten Merkur und Venus 

»■=^ ■ 

b) ftlr die oberen Planeten Mars, Jupiter und Saturn 

, d 

f 

Mit den bereits angeführten Werthen des Verhältnisses -j findet 

man also folgende Werthe für die Halbmesser der verschiedenen 
Planetenbahnen : 





a 


Merkur 


0.3838 


Venus 


0.7196 


Mars 


1.5200 


Jupiter 


5.2165 


Saturn 


9.2336 



Vom astronomischen Gesichtspunkte aus betrachtet liegt das 
Charakteristische des copemicanischen Systems darin , dass die Pla- 
neten um die Sonne laufen und nicht um die Erde ; ob die Sonne oder 
die Erde in Bewegung ist, bleibt vorläufig von weniger Bedeutung, da 
die Erklärung der scheinbaren Bewegungen genau gleich gut gelingt, 
welche Annahme man auch gelten lassen will. Aus diesem Grunde 
konnte TygeBrahe auch ein eigenes System aufstellen, in welchem 
die Erde ihren alten Ehrenplatz wieder erhielt, die Planeten aber nm 
die Sonne ki*eisten. Es war eben eine gewisse Zeit nöthig, bevor die 



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§. 6. Das eopernicanisehe Weltsystem und Kepler'» Gesetze. ,127 

physikaliseheA Begriffe se gekllart wurden, dass die Einsprüche, 
welche g^en die eopemikanische Lehre sich erhobeti, mit £rfolg 
widerlegt werden konnten. Indess scheint Tyge mit seinem-System 
wenig durchgedrungen su sein ; schon sein Schttler, Longomontanus, 
änderte es insofern ab , als er die tägliche Bewegung des Himmels 
durch die Axendrehung der Erde erklärte. 

War nun Tyge Bi^ahe weniger glücklich bei der Bekämpfung des 
copeiaicanischen Systems , so sollte er daftlr in andrer Beziehung der 
Astronomie die grössten Dienste leisten. Mit Becbt kann man ihn 
nämlich als den Vater der heutigen Beobachtungskunst ansehen ; der 
Sinn fttr Genauigkeit in den Beobachtungen iet durch ihn erst ei*weckt 
worden. 

Geboren wurde Tyge Brake 1546 zu Knutstorp, einem Gute in 
der damals zu Dänemark gehörenden Provinz Schoonen. Wie er, 
veranlasst durch das plötzliche Aufleuchten eines neuen Sterns in der 
Oassiopeja, den Eutschluss fasste, ein Stemverzeichniss herzustellen, 
ist eine sehr bekannte Begebenheit. Die Ausführung dieses Ent- 
schlusses veranlasste Arbeiten , welche als Grundlagen für die Refor- 
mation der Astronomie von so äusserst durchgreifender Bedeutung 
wurden. — Schon früh stand er in solchem Ansehen, dass dies den 
König von Dänemark bewog, ihm die Inl^el Hveen im Oeresund, ohn- 
weit der jetzigen Stadt Landskrona , zu schenken , um daselbst eine 
Sternwarte zu gründen. Hier erhob sich nun die berühmte »Uranien- 
borg«, wo Tyge Brahe während 2 1 Jahren als Vorsteher wirkte , und 
anf der er durch zahlreiche und mit grösster Sorgfalt angestellte Be- 
obachtungen das Material zu den späteren Untersuchungen Kepler s 
sammelte. 

Die Beobachtungskunst wurde in Tyge Brahe's Händen ganz 
wesentlich vervollkommnet ; er erdachte neue Beobachtungsmethoden 
und erfand neue Instrumente. Zwar hatte man schon früher mg. 
Quadranten und Sextanten zu Winkelmessungen benutzt, d. b. statt 
ganzer Kreise nur Theile derselben. Solche Theile konnten in viel 
grösseren Dimensionen verfertigt werden und erlaubten daher eine 
genauere Ablesung der Winkel an dem eingetheilten Bogen. An 
einem solchen , im Meridiane aufgestellten und an einer Mauev be- 
festigten grossen Quadranten, einem sog. Mauerquadranten, 
bestimmte Tyge Brahe die Meridianhöhen der Gestirne, also auch ihre 



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1 28 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

Declinationeii. Um die Rectascensionsunterschiede zu finden , schlag 
er den folgenden Weg ein. Statt diese Unterschiede selbst auf irgend 
6ine Weise zu bestimmen , maass er den Bogen des grössten Kreises, 
welcher durch zwei Gestirne gelegt wurde. In dem sphärischen Drei- 
ecke, welches durch diese Gestirne und den Weltpol gebildet wird, 
waren nun drei Seiten bekannt , nämlich die Polabstände der beiden 
Gestirne nnd drittens ihr gegenseitiger Winkelabstand. Durch Rech- 
nung konnte hierauf der Winkel am Pole gefunden werden, d. h. der 
von denDeclinationskreisen der beiden Gestirne eingeschlossene Win- 
kel, welcher eben den gesuchten Rectascensionsunterschied ausmacht. 
Zur Messung solcher. Abstände zwischen Gestirnen musste ein Instru- 
ment angewendet werden, mit dem man Winkel in jede beliebige Ebene 
einstellen kann. Tyge Brahe benutzte hierzu einen grossen Sextan- 
ten , der in verschiedenen Ebenen zu Messungen angewendet werden 
konnte. — Eine besondere Aufmerksamkeit wendete er auf die Be- 
stimmung der absoluten Rectascension eines Sterns. Dazu wurde 
der hellste Stern im Widder ausgewählt und wiederholt mit der Sonne 
verglichen. • , 

Tyge Brahe hatte allerdings schon die Absicht, eine Uhr bei den 
Rectascensionsbestimmungen zu benutzen, und dazu einen besonderen 
Apparat consti^uirt, dessen Mechanismus darin bestand, dass Queck- 
silber aus einem Gefässe in ein anderes herunterfloss ; das Fortschreiten 
der Zeit sollte nun nach der Zunahme des Gewichts beurtheilt werden. 
Da es ihm jedoch nicht gelang, auf diesem Wege das vorgesetzte Ziel 
zu erreichen , so wandte er sich vom »Merkuro ab und der Venus zu, 
d. h. er benutzte die Venus statt des Mondes bei der Vergleichung 
der Sonne mit den Sternen, und gab somit die Versuche mit dem 
Quecksilber (Mercurius) auf. 

Die Frucht dieser Bemühungen war nun zunächst ein Sternver- 
zeichniss oder Stemcatalog; so nennt man nämlich ein Verzeiehniss 
von einer mehr oder weniger grossen Anzahl Sterne, deren Rect- 
ascensionen und Declinationen oder auch Längen und Breiten darin 
angegeben sind. Aus früheren Zeiten besass man schon einige derartige 
Cataloge. Der älteste uns bekannte rührt von Hipparch her und ist 
im Amalgest aufbewahrt worden. Später (in der Mitte des 15. Jahr- 
hunderts) beobachtete ein tartarischer Fürst , Ulugh Beigh , auf einer 
für die damalige Zeit sehr grossartig angelegten Sternwarte zu Sa- 



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§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Repler'sX^QBtze. ] 29 ^ ^ 

marcand , und lieferte Steiiiörter, die uns aufbewahrt worden sind. 
Einige andere , weniger bedeutende Catalogarbeiten können hier bei 
Seite gelassen werden. — Die älteren Cataloge wurden von der 
üranienburger Arbeit , was die Genauigkeit betrifft , weit überholt : 
während man Mher keineswegs auf 10 Minuten sicher war, ist bei 
den von Tyge Brahe angegebenen Sternörtem selten mehr als die ein- 
zelne Minute unsicher. 

In jenen Zeiten hatten die Beobachtungen der Fixsterne an und 
für sieh kein weiteres Interesse , als zur Kenntniss der Präcession zu 
fuhren ; mittelbar waren sie jedoch von grosser Wichtigkeit , um die 
Planetenörter bestimmen zu können. Je genauer die Oerter der Fix- 
sterne am Himmel ermittelt waren , desto sicherer konnten auch die 
scheinbaren Bewegungen der Planeten verfolgt werden. Auf der ge- 
nauen Kenntniss dieser Bewegungen beruhte aber damals die Infor- 
mation der Astronomie. 

Nach 21 jähriger Thätigkeit auf Uranienborg sah sieh Tyge 
Brahe veranlasst , Dänemark zu verlassen und nach Prag überzusie- 
deln, wo er von Kaiser Rudolf II . höchst ehrenvoll empfangen und 
ihm die Mittel gewährt wurden, seine astronomische Thätigkeit in er- 
wünschter Weise fortzusetzen. Sein Aufenthalt in Prag dauerte 
jedoch nur kurze Zeit ; nach einem zweijährigen Aufenthalte starb er 
daselbst den 24. October 1601. 

Die Uebersiedelung nach Prag war in ihren Folgen für die 
Astronomie von grösster Bedeutung: der reiche wissenschaftliche 
Nachlass des grossen Beobachters kam hier in die Hände eines wür- 
digen Erben, der die wichtige Erbschaft, die über zwei Jahrzehnte 
ausgedehnte Beobachtungsreihe der Planeten, in der glänzendsten 
Weise zu verwerthen wusste. 

Wir wollen hier keineswegs die Schicksale Kepler's wiederholen, 
sie sind allgemein bekannt und in vielen verdienstvollen Schriften be- 
schrieben. Kepler wurde in Magstadt bei Weil in Württemberg 1571 
geboren ; *) kaum 30 Jahre alt, hatte er schon einen solchen Ruhm 
erworben, dass Tyge Brahe ihn zu sich nach Prag berief (1600), um 
hier mit an der Verarbeitung seines Beobachtungsmaterials thätig zu 



*) Nach einem Leben voller Drangsale starb er (in Regeiisburg) am 
15. November 1630. 

Gyldtfn, Astronomie. g 



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130 I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

sein. Nach dem kurz danach eingetretenen Tode Tyge's flbemahm 
er das Directorat der Prager Sternwarte , in welcher Stellung es ihm 
oblag, neue Pianetentafeln auf Grund der nachgelassenen Beobach- 
tungen zu berechnen. Diese Arbeit führte ihn zu Entdeckungen, 
welche zu den wichtigsten aller Zeiten gehören. Seine Hülfsmittel 
hierbei waren , ausser der Annahme der copemicanischen Lehre von 
der Erdbewegung und den Beobachtungen des Tyge Brahe, die Me- 
thode der Forschung , welche zu erfinden und mit eiserner Ausdauer 
anzuwenden ihm zu grösster Ehre angerechnet werden muss. Es war 
dies die inductive Methode , welche vor ihm nie in solcher Folgerich- 
tigkeit und solcher Ausdehnung angewendet worden , die aber auch 
nie zuvor von solchem Erfolge gekrönt gewesen war. Wir müssen 
nun zunächst , ohne jedoch dem Gange seiner Untersuchungen streng 
zu folgen, darzustellen suchen, wie er, jede frühere Hypothese über 
die Form der Bahnen und die Gleichförmigkeit der Bewegung bei 
Seite lassend , die Figur der Bahnen aus den beobachteten Oertem 
der Planeten zu bestimmen suchte , wobei nur die einzige Annahme 
gestattet wurde , dass die Planeten sowohl wie die Erde nach jedem 
siderischen Umlauf wieder an denselben Punkt im Räume zu- 
rückkehrten. 

Um die Entfernung eines Gegenstandes zu bestimmen , den man 
nicht mit dem Maasstabe erreichen kann, misst man den Winkel, 
unter dem eine bekannte Länge von ihm gesehen wird. Oft ist bei 
astronomischen Messungen der Halbmesser der Erde diese Länge, und 
wir nennen, wie im Vorhergehenden bereits erwähnt worden ist, den 
fraglichen Winkel die Parallaxe des entfernten Gegenstandes. Wenn 
wir z. B. sagen, dass die Parallaxe des Mondes 58' beträgt, so meinen 
wir dainit , dass der Halbmesser der Erdkugel von dem Monde unter 
diesem Winkel erscheint. Dieser Maasstab wird aber zu klein , wenn 
es sich um die Planeten handelt ; denn von diesen erscheint der Erd- 
körper unter so kleinen Winkeln, dass sie im besten Falle von Venus 
nnd Mars, welche Planeten der Erde am nächsten kommen, nur 
I Minute erreichen , ein Winkel , der nicht einmal aus Tyge Brahe's 
Beobachtungen mit Sicherheit zu erkennen war. Man hatte mithin, 
so lange die Beobachtungskunst nicht eine höhere Vervollkommnung 
erreichte ? wenig Aussicht , die Abstände der Planeten durch directe 
Messung ihrer Parallaxen bestimmen zu können, und wenn auch 



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§ 6. Das coperntcanisclie Weltsystem und Kepler's Gresetze. 13| 

solche Versuche in älteren Zeiten angestellt worden wären , so hätten 
sie doch nicht zu irgend einem sicheren Resultate führen können. 

Wenn aber die copemicanische Lehre richtig war, sobesass man, 
da die Erde selbst nach und nach verschiedene Punkte im Räume ein- 
nimmt, ein Mittel, sich eine grössere Grundlinie zu verschaffen : man 
brauchte nur die Richtungen des Körpers , dessen Parallaxe bestimmt 
werden sollte, von zwei verschiedenen Punkten der Erdbahn aus zu 
beobachten. Zweierlei Schwierigkeiten mussten indessen noch besiegt 
werden, bevor man zu dem gewünschten Ziele der Kenntniss der Ent- 
fernung gelangen konnte. Von Kepler, der dadurch eine viel rich- 
tigere Vorstellung als seine Vorgänger von der Form der Planetenbah- 
nen gewann, wurden sie überwunden. 

Die erste zu beseitigende Schwierigkeit hatte ihren Grund darin, 
dass nicht der Planet allein, sondern auch die Erde in Bewegung ist, 
dass man mithin nicht unmittelbar die scheinbare, von der Bewegung 
der Erde herrührende, Ortsveränderung des Planeten von seiner wirk- 
lichen unterscheiden konnte. War aber die Annahme richtig, dass 
die Bahnen der Planeten geschlossene Curven seien, d. h. dass sie 
nach einem siderischen Umlauf um die Sonne zu demselben Punkt im 
Räume zurückkämen, so lag die Möglichkeit nicht fem, diese 
Schwierigkeit zu umgehen. Wählte man nämlich zwei Beobachtungen 
eines Planeten aus , die nach einander, mit einer Zwischenzeit von 
gerade einem siderischen Umlaufe angestellt waren, so waren die 
Richtungen nach demselben Punkte von zwei verschiedenen Punkten 
im Räume factisch bestimmt worden. Die Erde hatte nämlich wäh- 
rend dessen eine gewisse Anzahl ganzer Umläufe vollendet und über- 
dies ein mehr oder weniger grosses Stück ihrer Bahn zurückgelegt ; 
von den Endpunkten dieses Bahnstücks hatte man also die Richtungen 
des Planeten bestimmt. Die Kenntniss dieser beiden Richtungen ge- 
nügt, nm vermittelst Rechnung das Verhältniss zwischen den Ent- 
fernungen des Planeten von der Sonne und von der Erde zu bestim- 
men. — Der Zusammenhang zwischen diesen Richtungen einerseits 
und dem erwähnten Verhältniss anderseits ist mit Hülfe der Fig. 16 
sehr leicht zu finden. In derselben wird der Planet im Punkte P und 
die Sonne im Punkte S gedacht ; aus Gründen , die sogleich erhellen 
werden , ziehen wir drei von der Erde aus bestimmte Richtungen in 
Beti'achtung, obgleich eigentlich nur zwei nöthig wären. Wir nehmen 

9* 



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1 32 I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

Fig. 16. 



ferner an , dass die Erde zu den drei Zeitpunkten sich resp. in a, h 
und c befand. Um die Darstellung zu vereinfachen, haben wir ange- 
nommen , dass die erste Beobachtung zur Zeit einer Opposition statt- 
fand , demzufolge sich die Erde auf der Verbindungslinie S P befand. 
Ausserdem setzen wir voraus, dass die Bewegungen des Planeten 
und der Erde in derselben Ebene vor sich gehen ; eine Voraussetzung, 
die zwar nicht ganz richtig ist, die aber zu keinen bedeutendem Feh- 
lem Veranlassung geben kann , da die Breiten des Planeten immer 
sehr klein sind. Die parallelen geraden Linien ad, he und c/* zeigen 
die Richtung des Frühlingsimnktes an, von den verschiedenen Oertem 
der Erde aus gesehen. Bezeichnen wir nun die drei, von a, b und c 
bestimmten Längen des Punktes P mit den Buchstaben X , X' und T, 
so dass X = Pady X' = Phe und X" = Pcf\ ferner die drei Längen 
der Sonne mit 0, 0' und 0", so hat man = 180° + Päd = 
180° + >^ = 360° — Sad, 0' = 360°— S6e und 0" = Scf. 

Wir bestimmen jetzt in erster Linie das Verhältniss der Entfer- 
nungen PS und Sh, wobei wir bezeichnen PS = r : Sb = R'- 
Dieses Verhältniss findet sich unmittelbar mit Hülfe eines sehr be- 
kannten ti'igonometrischen Satzes, dessen wir uns im Vorhergehenden 
schon einmal bedient haben , nämlich , dassinjedemDreieck 
die Seiten sich zu einander verhalten, wie di^ Sinusse 
der gegenüberliegenden Winkel. 



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§ 6. Das Gopernicanische Weltsystem und Kepler's Gesetze. 1 33 

Der Beweis dieses Satzes ist äusserst einfaeh , so dass wir ihn 
hier einschalten können, um so mehr, da wir dabei die Fignr 16 be- 
nutzen können. Ziehen wir nämlich vom Punkte b die Gerade bm 
senkrecht auf PS^ so ist augenscheinlich, dass die Länge 6m in 
zweierlei Weise angegeben werden kann, nämlich 

bm= Pb Sin SPb 
und 

bm = Sb Sin PSb; 
da nun aber diese beiden Werthe nothwendig einander gleich sein 
müssen, so hat man 

P6 Sin SP6 = S6 Sin PSb 
oder 

Pb : Sb = Sin PSb : Sin SPb 
w. z. b. w. 

Nach diesem Satze hat man nun auch 

PS^ _r^_ SinP&S 
Sb~ R'~ Sin SPb 
Offenbar ist aber auch 

der Winkel PbS = 360^ — 866— Pbe 
d.i. PbS = Q'—X' 

und weil die Summe der drei Winkel in einem Dreiecke stets gleich 
zwei rechten oder gleich 180° ist, so hat man 

den Winkel S P6 = 1 80°~ PbS— PSb . 
Nun ist- aber offenbar 

PSb = Sbe~ Sad 
d.i. PSb = Q—Q' 

Mit diesen Werthen findet man 

SPb= 180« + X'— O 
und gelangt endlich zu der Formel 

r_ _ Sin ( — V) _ ^ Sin(0^— V) 

fi' ~ Sin(180«+A'— 0) ~ Sin (0— V) 
Indem femer Sc mit R" bezeichnet wird, findet man, genau wie 
vorhin, 

r _ Sin (Q'—k") _ Sin (0"— k") 
Ä" ~ Sin (180«+r— 0) "~ Sin (0 - X") 
In derselben Weise, wie soeben auseinandergesetzt wurde, 
könnte man nun beliebig viele Verhältnisse zwischen Planetenabstän- 



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134 I.Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

den und Erdabständen berechnen. Damit ist unser Ziel jedoch noch 
nicht erreicht , denn wir wollen die verschiedenen Planetenabstände 
nnter einander vergleichen oder sie alle in demselben Maasse aus- 
drücken . Hierin liegt die zweite Schwierigkeit. — Im Vorhergehen- 
den ist jedoch schon ein Mittel angedeutet worden, um dieselbe 

V 

zu überwinden. Dividirt man nämlich die Ausdrücke für — , und 

K 

V 

—„ mit einander, so ergiebt sich 
h. 

r_Sin(0— r) Sin(0^~r) 

K "" Sin (Ö— X')' Sin (0"— X") ' 

Durch diese Formel kann man nun zur Kenntniss des Verhältnisses —, 

H 

kommen , und ebenso lassen sich auch , wenn der Planet während 

mehrerer. Umläufe beobachtet worden ist, eine ganze Reihe solcher 

Verhältnisse ermitteln. Gesetzt aber nun, man kenne eine genügende 

»" »'" 

Anzahl Werthe von —, , — >- , u.s.w., so sagt dies nichts Andres, 
H H 

als dass man die Längen verschiedener Abstände der Erde von der 
Sonne kennt, ausgedrückt in einem einzigen R\ Da nun die zu jedem 
E gehörige Länge der Sonne auch bekannt ist , so hat es gar keine 
Schwierigkeit , sich eine vollkommen klare Vorstellung der Sonnen- 
bahn zu bilden , da dieselbe ja leicht auf einem Papier aufgezeichnet 
werden kann. Man wird also auch das allgemeine Gesetz ermitteln 
können, wonach die Entfernung zwischen Erde und Sonne , den ver- 
schiedenen Längen der Sonne entsprechend, verschiedene Werthe er- 
hält ; folglich wird man auch die wahre Entfernung einer beliebigen 
Zeit entsprechend ermitteln können, die aber stets in Einheiten einer 
einzigen , jedoch willkürlich gewählten Entfernung ausgedrückt sein 
wird. Gewöhnlich nimmt man als Einheit die mittlere Eiitfemung der 
Sonne von der Erde, d. h. das arithmetische Mittel aller möglichen 
Entfernungen. 

In dieser Einheit sollen nun auch die Entfernungen der Plane- 
ten von der Sonne ausgedrückt werden, denn wenn Ä*, R", u. s. w. 
auf dieselbe reducirt werden können , so kann es auch mit den Ver- 
hältnissen -7 u. s. w. geschehen. — Es ist offenbar, und geht auch 
11 



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§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Kepler'« Gesetze. 135 

aus der Fig. 1 6 deutlich hervor, dass die von der Erde aus gesehene 
Länge eines Planeten zur Zeit der Opposition dieselbe ist , als wenn 
man sie von der Sonne aus beobachten würde. Die Bahn des Plane- 
ten wird man also erkennen können , wenn • man ihn erstens in mög- 
lichst vielen Oppositionen beobachtet, dann aber auch in Zeitpunkten, 
die genau um die siderische Umlaufszeit von dem Oppositionsmomente 
entfernt sind. Auf solche Weise wird man zu den verschiedenen 
Längen , die als von der Sonne aus beobachtet anzusehen sind , die 
entsprechenden Entfernungen erhalten, und somit die Bahn um die 
Sonne leicht entwerfen können. 

Es dürfte nicht überflüssig sein , durch ein numerisches Beispiel zu 
zeigen , wie man vermittelst der oben entwickelten Formeln sowohl die 
Entfernungen der Erde von der Sonne , oder richtiger ihre Verhältnisse, 
als auch die Entfernungen der Planeten bestimmen kann. Zu diesem 
Zwecke legen wir einige Eichtungen des Planeten Mars unseren Rechnun- 
gen zu Grunde , desselben Planeten , dessen Lauf Kepler zu seinen Ent- 
deckungen führte. Für uns ist es aber keineswegs nöthig , wirklich beob- 
achtete Eichtungen anzuwenden, sondern im Gegentheil vortheilhafter, 
unsere Rechnungen auf schon berechnete Richtungen zu gründen , weil 
wir alsdann nicht den Einfluss der Beobachtungsfehler, die nicht immer 
so ganz gering sind, zu befürchten haben. Wir wählen nun die drei nach- 
stehenden Längen des Mars und der Sonne : 

1) 1864 Nov. 30.80*); X = 69«» 22 .'3;© = 249<> 22:3 (Opposition) 

2) 1866 Oct. 18.78 ; X' = 109 53.6 ; 0' = 205 33.1 

3) 1868 Sept. 4.66 ; X" = 103 51.0 ; 0" = 162 46.9 

Weil die Zwischenzeiten hier gerade die siderische ümlaiifszeit de^ 
Mars betragen, so ist natürlich der Abstand des Planeten von der Sonne 
zu den drei Zeiten derselbe — von dieser Annahme sind wir wenigstens 
ausgegangen — ; nehmen wir die mittlere Entfernung der Erde von der 
Sonne als Einheit an, so ist r = 1.5247. In derselben Einheit ausgedrückt, 
ist JB' = 0.9954 und JB" = 1.0076. Diese Zahlen werden wir aus den obi- 

gen Angaben wiederfinden. Zunächst leiten wir das Verhältniss -^,, ab, 

wozu die erforderlichen Rechnungen die folgenden sind : 

0" — X"= 58*^55:9 

0' — X' = 95 39.5 

.- X' == 139 28.9 

—X" = 145 31.3 
Aus den trigonometrischen Tafeln erhält man ferner : 



*) Man giebt häufig die Theile des Tages in Decimalen statt in 
Stunden, Minuten und Sekunden an. 



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136 I.Kapitel. Geschichtlicher Ueberbliek bis Newton. 

Sin (O" — X") = 0.&5662 
Sin iO' — X') =» 0.99510 
Sin(0 — X') =0.64968 
Sin (O — X") = 0.56610 
womit endlich gefunden wird : 

IS' ^ 0.99510 0.56610 _ 
J2' 0.b5(>52 • 0.64968 ~* 
was bis auf die vierte Decimale mit dem richtigen Werthe übereinstimmt, 
nämlich mit 

jy- 1.0076 

R =^ 0:9954 •"^•^^^^• 

Wäre die Rechnung strenger geführt worden, so liätte man allerdings 
das Resultat nicht verhältnissmässig so Übereinstimmend mit dem wah- 
ren Werthe gefunden , und zwar aus dem Grunde , weil die angewandte 
Formel ohne Rücksicht auf die Neigung der Planetenbahn gegen die Son- 
nenbahn abgeleitet wurde. Diese Neigung ist zwar nicht gross, indessen 
wird der {linfluss derselben doch merklich , wenn man grössere Genauig- 
keit anstrebt. Es hätte nun zwar keine Schwierigkeit gehabt, die Formel 
strenger zu entwickeln, allein dies wäre vollkommen überflüssig ; es kam 
uns nur darauf an, zu zeigen, wie man die Form der Planetenbahnen 
erkennen kann , wenn Beobachtungen in genügender Anzahl vorhanden 
sind , keineswegs aber eine derartige Untersuchung , die überdies jetzt 
nicht mehr in Frage kommt , vollständig durchzuführeti. Wir wollten nur 
zeigen , wie die Induction in diesem Falle ausgeführt werden konnte, und 
wie sie sich auf die, schon zu Kepler's Zeiten bekannte Thatsache nur zu 
stützen brauchte, dass die Bahnen der Planeten geschlossene Gurven sind. 

Berechnen wir nun noch den Werth von r, oder die Werthe, denn 

wir haben deren zwei, nämlich einen aus jedem der Verhältnisse -j^, und 

T 

r^Tt ' Den numerischen Angaben zufolge ist 

„, 0.99510 
0.64968 

'* "^ 0.56610 
Nehmen wir an, um die Werthe von R'nnd -B" in Einheiten der mittleren 
Entfernung 'ausdrücken zu können , dass die Sonnenbahn bekannt sei, 
d. h. nehmen wir an, dass die Werthe JR' = 0.9954 , iJ" = 1.0076 bereits 
bekannt seien, und führen wir diese in die obigen Ausdrücke ein, so er- 
halten wir 

r= 1.5247 
= 1.5246 
welche sowohl unter sich, wie auch mit dem richtigen Werthe r *= 1.5247 
übereinstimmen. 



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§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Kepler's Gesetze. 137 

Das Angeführte dürfte gentgen, um zu zeigen, wie es Kepler 
möglich war, die Form der Bahnen zu erkennen und zn dem ersten 
Gesetze zu gelangen, welches lautet : 

I. Die Planeten bewegen sich in Ellipsen, deren einer 
Brennpunkt mit der Sonne zusammenfällt. 

Die Untersnehnng war jedoch hiermit nicht als abgeschlossen zn 
betrachten. Die Form der Bahnen war allerdings erkannt, aber es 
blieb noch das Gesetz zu bestimmen übrig, welches die Geschwindig- 
keit eines Planeten in verschiedenen Punkten der Bahn angiebt. Um 
nun die Herleitung dieses Gesetzes zu verfolgen , brauchen wir die 
Kenntniss einiger Eigenschaften der Ellipse ; der Verfasser erlaubt 
sich daher wieder eine Digression auf dem rein mathematischen Ge- 
biete, nämlich: 

Ueber die wichtigsten Eigenschaften der Ellipse, 
insbesondere solche, die in der Astronomie häufige 
Anwendung finden. 

Auf der Geraden mn, deren Länge mit 2 a bezeichnet werden mag, 
nehmen wir zwei Punkte / und /i an , in der Weise , dass /i m = /n ; die 

Fig. n. 



Curve, welche die Eigenschaft besitzt, dass die Summe der Abstände 
eines jeden ihrer Punkte von den Punkten / und /i denselben Wertb hat, 
nennt man Ellipse. Wenn also m und n Punkte der Ellipse sind , so muss 
die Gerade mn oder 2a gleich der genannten Summe sein. Auf solche 
Weise ist z. B. die Summe von A/und A/i gleich 2a. Die Punkte/ und 



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138 . I.Kapitel. Geschichtlicher Üeberblick bis Newton. 

/i heissen die Brennpunkte der Ellipse, die Gerade mn ihre grosse 
A X e (a ist also die halbe grosse Axe) und der Punkt o, in der Mitte zwi- 
sehen m und n oder zwischen/ und /i- wird der Mittelpunkt genannt. 
— Die Gerade , welche durch den Mittelpunkt senkrecht auf die grosse 
Axe gezogen und von dem Umkreis der Ellipse begrenzt wird, nennt man 
die kleine Axe, und endlich versteht man unter dem Namen Excen- 
tricität das Verhältniss von of zu on, welches man in der Astronomie 
gewöhnlich mit dem Buchstaben e bezeichnet. Nach diesen allgemeinen 
Definitionen gehen wir an die Ableitung derjenigen Eigenschaften der 
Ellipse , die in der Astronomie unentbehrlich sind. Zunächst suchen wir : 

1. DieGleichung der Ellipse. Um cUese auf ein rechtwink- 
liges Coordinatensystem zu beziehen , denken wir uns ein solches durch 
den Mittelpunkt der Ellipse gelegt, so dass die grosse Axe der Ellipse 
mit der x-Axe der Coordinaten zusammenfällt , ihre kleine Axe hingegen 
mit der y-Axe. Für den Punkt h sind demnach die Coordinaten : ok = x 
und hk = y. 

Da nun/AÄ ein rechtwinkliges Dreieck, so ist nach dem pythago- 
räischen Lehrsatze das Quadrat auf der Seite fh gleich der Summe der 
Quadrate auf den Seiten fk und hk. Bevor wir diese Gleichheit alge- 
braisch ausdrücken , erinnern wir uns , dass fk^ok — of==x — ae 

(weil -^ = e) ; ausserdem bezeichnen wir die Seite/A mit dem Buchsta- 
on 

ben r. Unsere Gleichung wird jetzt : 

(1) ^ = (ar — ac)2 4-y2 -- x^ —laex + a^e^ '•\- y^ 

In derselben Weise findet man aus dem Dreiecke khfi , indem /lA 
mit r' bezeichnet wird, 

(2) r'» = (a; -h ae)^ -^ y^ ^ x^ '•\-2aex -\- «2g2 4. y% 
Zieht matt die erste dieser Gleichungen von der zweiten ab, so bleibt 

(3) r'2 — r2 = 4««a; 

Nun ist aber, wovon man sich auge|Uicklich überzeugen kann, 
r'2 — r2 = (r' -h ™ ' — r) 
und, weil der Punkt A einer Ellipse angehört, 

(4) " r" +r = 2a 
woraus folgt r'2 — r2 = 2 a (r' — r) 

Vergleicht man diesen Werth von r'2 — ^2 mit dem , welchen die Glei- 
chung (3) giebt, so findet man, dass 

Aa&x = 2a (r' — r) 
oder 

(5) r' — r = 2ex 

Die Summe der Gleichungen (4) und (5) giebt uns : 

(6) r' = a-f-ßiP 
und ihre Differenz : 

(7) r =z a — ex 



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§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Keplers Gesetze. 139 

Erhebt man hierauf den zuletzt gefundenen Ausdruck ins Quadrat, 
wodurch erhalten wird 

so hat man einen neuen Werth von r^ erhalten , welcher dem in der Glei- 
chung (1) gegebenen gleich sein muss. Die Gleichsetzung dieser beiden 
Werthe führt uns nun unmittelbar zu der Gleichung der Ellipse ; wir 
erhalten 

x^—1 aex + «2 e2 _j. y2 = «2 _ 2a e« -j- e2 « 
oder 
(8) «2 (1 _ e2) = a;2 (1 — ^) -f y2 

Diese Relation zwischen x und y findet nun für jeden Punkt der 
Ellipse statt, dessen Mittelpunkt mit dem Anfangspunkt der Coordinaten 
zusammenfällt und folglich repräsentirt die Gleichung (8) eine Ellipse. 
Gewöhnlich giebt man derselben jedoch eine etwas andere Form. Die 
Grösse «2(1 — e^) ist nämlich ein Ausdruck für das Quadrat über oq, oder 
über die halbe kleine Axe. Denn denkt man sich gerade Linien von q 
nach/ und /i gezogen, so sind sie einander offenbar gleich, und da ihre 
Summe gleich 2 a sein muss, so ist jede einzelne derselben gleich a. D^r 
pythagoräische Lehrsatz giebt uns demnach 

«2 — a2 e2 _j_ ;^2^ 

oder, wenn oq mit h bezeichnet wird, 

62=:a2(l _e2). 

Wird nun die Gleichung (8) mit a^ multiplicirt , so hat man , nachdem der 
zuletzt gefundene Werth von «2(1 — ^2) eingeführt worden ist, 

«2 62= J2a:2_|_«2y2 

oder 

;r2 v2 

1 = Z_ 4- v'_.- 

«2 ^ 62 

Löst man diese Gleichung in Bezug auf y auf, so findet sich 

6 



;9) y = ± --- ya2 — x2 

wo das doppelte Zeichen + andeutet , dass zu jedem Werthe von x zwei 
Werthe von y gehören sollen , wie es auch in der That der Fall ist , denn 
die Ellipse liegt ja auf beiden Seiten der a;-Axe. Ebenso gehören zu jedem 
Werthe von y zwei Werthe von x. 

2. Polarcoordinaten. Man kann die Lage eines Punktes auch 
in anderer Weise angeben , als durch seine rechtwinkligen Coordinaten, 
d. i. durch seine Abstände von zwei gegeneinander senkrechten geraden 
Linien, z. B. durch sog. Polarcoordinaten. Als wir sagten, die Form der 
Planetenbahn könne ermittelt werden, sobald die Abstände von der Sonne 
nebst den zugehörenden Längen bekannt waren, so haben wir in der That 
die Anwendung der Polarcoordinaten vorausgesetzt, und man wird hieraus, 
schon entnehmen können , worin sie bestehen. Es muss Zweierlei an- 
gegeben werden : der Abstand des in Frage stehenden Punktes von dem 



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140 I. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

Anfangspfunkt der Goordinaten, sowie der Winkel , welchen dieser Ab- 
stand, den man Eadiusvector nennt, mit einer gewissen Grundri<(h- 
tung bildet. Die Gleichung, welche den Zusammenhang zwischen dem 
Radiusvector und dem erwähnten Winkel angiebt, oder mit andern Wor- 
ten, welche für jeden beliebigen Werth dieses Winkels den entsprechenr 
den Werth des Badinsyector giebt, repräsentirt daher auch eine Curve 
und wird die Polargleichung derselben genannt. Der Anfangspunkt der 
Coordinaten heisst gewöhnlich PoL 

Wird der eine Brennpunkt der Ellipse (Fig. 17) als Pol angenommen, 
und deren grosse Axe als Grundrichtung, so ist/Ä « r der Radiusvector 
des Punktes h, und der Winkel n/h der entsprechende Polarwinkel, wel- 
cher in der Richtung von n durch q nach m und davon weiter nach n ge- 
zählt wird. Dieser Winkel wird in der Astronomie die wahre Ano- 
malie genannt; wir werden ihn mit dem Buchstaben / bezeichnen. 

Die Polargleichung der Ellipse erhalten wir unmittelbar aus der 
Gleichung (7). — Erinnern wir uns, dass x^of + fk\ of ^ ae\ fk = 
r Cos/, folglich auch 

ex = ae^ -f- er Cos/, 
so erhalten wir aus der Gleichung (7) 

r s=s a — ae^ — er Qo^f 
oder r (1 -j- e Cos/) = a (1 — e^), 

woraus endlich hervorgeht 

welches die Polargleichung der Ellipse ist in der Form , wie sie meistens 
in der Astronomie zur Anwendung kommt. 

Noch einfacher kann man den Radiusvector in der JiUipse durch 
einen andern Winkel ausdrücken. Wird nämlich kh bis p ausgezogen, 
d. h. bis zu der Peripherie eines um o als Mittelpunkt mit dem Radius a 
beschriebenen Kreises ; verbindet man hierauf o mit p durch eine Gerade 
und bezeichnet den Winkel /?on mit e, so ist 

(11) r = a (1 — cCos£). 
Aus der Figur siebt man nämlich sofort, dass 

X = ö Cos e ; 
wird dieser Werth in die Gleichung (7) eingesetzt , so geht die obige Re- 
lation augenblicklich hervor. 

Setzt man die beiden Werthe, die für x gefunden wurden , einander 
gleich, so erhält man noch die Relation 

(12) a Cos e = r Cos/4- «*• v 

3. Das Verhältniss zwischen den Ordinaten in der El- 
lipse und in dem umschriebenen Kreise. 

Die Gleichung eines um die Ellipse beschriebenen Kreises vom Ra- 
dius a ist 



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§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Kepler's Gesetze. 141 

wo wir xi und yi geschrieben haben, um die Coordinatem des Kreises von 
denen der Ellipse zu unterscheiden. Hieraus findet sich 

In der Ellips« hatten wir 



y = rb — Vö2 _ -pS ; 



a 



setzt man nun xi = x, so wird f/a* — xi^ = Ya'^ — a:^, woraus ferner 
folgt 

(13, y=l 

Das Verhältniss der Ordinaten in der Ellipse zu den Ordinaten im 
umschriebenen Kreise ist demnach unveränderlich, d. h. hatten für jeden 
a^Werth denselben Betrag, wohlverstanden unter der Voraussetzung, 
da SS beide y-Coordinaten zu derselben a^Ooordinate gehören. 

Mit Hülfe dieses Satzes kann man leicht die y-Coordinate in der El- 
lipse durch die excentrische Anomalie ausdrücken. Man hat zunächst 

yi s= kp = a Sin e 
folglich auch 



a — Sin e ; 
a 



da aber 



a ^ 
80 ist y = a |/l —«2 Sin £. 

Anderseits ist offenbar 

y = rSin/. 
. Die beiden Werthe von y müssen aber gleich sein, folglich ist 
(14) a Vr=7« Sin e =r r Sin/, 

welche zusammen mit der Gleichung (12) sowohl die Polargleichung der 
Ellipse, wie auch eine Relation zwischen /und e enthalten. Diese Rela- 
tion findet eine sehr häufige Anwendung in der Astronomie , weshalb wir 
sie ableiten wollen, und zwar unter einer Form , in der r nicht mehr vor- 
kommit. Zu diesem Zwecke addiren wir die Gleichung (12) oder 

r Cos/= a Cos e — ae 
zu der Gleichung (11) und erhalten somit 

r (1 -f- Cos/) « « (1 H- e) (l -h Cos e). 
Durch Subtraction derselben Gleichungen findet man 

r (1 — Cos/) = a (1 H- «) (1 — Cos e). 
Nun ist aber (vgl. Seite 91) 

Cos/= 1 — 2 Sin J/2 s= 2 Cos J/2 — 1 
Cos 5 = 1 — 2 Sin i £2 =^ 2 Sin i 6« — | 



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oder 



142 f. Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

folglich auch 

1 — Co8/= 2 Sin i/; 1 — Cos e = 2 Sin J c« 

1 -f- Co8/= 2 Gosif; 1 -f- Cos e = 2 Cosi £» 

Diese Werthe indie obigen Relationen eingesetzt geben 

2r Cos i/* = 2« (l — e) Cos i e^ 

2r Sin i/2 = 2a (1 + e] Sin i e« 

Wird nun die letzte dieser Gleichungen durch die erste dividirt, so 

entsteht 

Tang i/2 =[^ Tang ie2 

Tang i/=|/[^ Tang ie 

4. Berechnung des Flächeninhalts der Ellipse. 

Wir sahen vorhin, dass die Ordinate in der Ellipse sich zu der bis 
zur Peripherie des umschriebenen Kreises verlängerten Ordinate verhält 
wie b zu a. Dieser Satz bleibt noch gültig , wenn die Ordinaten nicht 
mehr als Linien, also als blosse Längen ohne die geringste Breite ange- 
sehen werden, sondern sehr schmale Vierecke darstellen. Um dies 41ar 
zu machen, denken wir uns a h (Fig. 1 8) als ein Bogenstück einer beliebi- 
gen Curve; ma sei die y-Coordinate des Punktes a,nh die des Punktes 
6: es ist nun klar, dass die Figur amnh kleiner ist als das Rechteck 
amxmn, aber grösser als 6« x mw. In dem Maasse aber, wie die Linie 
m n kleiner wird , fallen diese Rechtecke mehr und mehr zusammen , so- 
dass, wenn die Grundlinie einen äusserst kleinen Werth o hat, der Flächen- 
inhalt der sehr schmalen Figur durch das Product amxh oder bnxh 
gegeben ist. Wenn nämlich o sehr klein ist , so kann man in diesem 
Producte mit gleichem Rechte 5 n oder am setzen, da beide Linien sehr 
nahe dieselbe Länge haben. Diese Länge bezeichnen wir mit y , und ha-, 
ben alsdann den Satz , dass der Flächeninhalt der Figur, wel- 
cher von zwei einander unendlich nahen Ordinaten, dem 
unendlich kleinen Stück 5 auf der jj-Axe und dem unendlich 
kleinen Bogenstück begrenzt wird, dem Producte y.8 
gleich ist. Der Fehler, welcher bei der Aufstellung dieser Formel be- 
gangen wird, ist jedenfalls unendlich klein im Verhältniss zu dem schon 
unendlich kleinen Flächeninhalt, und kann daher vollständig bei Seite 
gelassen werden. 

Mit Hülfe dieses Satzes und der Gleichung (13) schliesst man nun, 
dass, wenn a m ein Bogen der Ellipse und a'b' ein Bogen des umschriebe- 
nen Kreises bedeutet : 



Fig. amnb : Fig. a'mnb' = 6 : a = "j/l — «2 
Da nun diese Relation für alle solche schmale Rechtecke in der El- 
lipse und dem umschriebenen Kreise gültig ist, so bleibt sie auch in 



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§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Kepler'» Cresetze. I43 

Kraft fßr die Summe einer beliebigen Anzahl solcher. In der Fig. 1 7 
haben wir daher 

Fig. 18. 



Fi g. hnk __ Flächeninhalt der ganzen Ellips e = A _ i/i~zr~> 

Fig. pnk'^ Flächeninhalt d. ganzen umschr. Kreises ^ a ~' ^ ~~ ^' 
Der Flächeninhalt des Kreises ist n «*, folglich ist 



der Flächeninhalt der Ellipse =^ r.ah = r^a^y\ — e^ . 

5. Flächeninhalt eines elliptischen Sectors. Man findet 
den Flächeninhalt des Kreissegmentes kpn (Fig. 17) , indem das Dreieck 
opk von dem Sector opn subtrahirt wird. Die Länge des Bogens pn ist 
ae, wobei e nicht in Graden, sondern in Theilen des Badius ausgedrückt 
werden muss; der Flächeninhalt des Sectors opn ist daher: 

i «2 e. 
Der Flächeninhalt des Dreiecks opk ist wieder : 

i oÄ; X p Ä = ^ a2 Sin 6 Cos e. 
Wir haben folglich 

Segm. Ä;/>n = ^«2 (e — gin £ Cos e) 
Da nun aber das Segment khn sich zum Segment kpn verhält wie h zu a, 
seist 

Segm. khn = \ah (e — Sin e Cos e) 
Der Flächeninhalt des Dreiecks /ää ist nun offenbar gegeben durch 
den Ausdruck 

ir2Sin/Cos/. 
Setzt man hier die Werthe 

r Sin/= 6 Sin e ; rCos/=aCoS6 — ae 
ein, SO erhält man 

Dreieck /Ä;Ä = J 06 (Sin e Cos e — e Sin e) . 
Werden nun Dreieck und Segment zusammengeschlagen , so erhält man 
den Inhalt des Sectors, nämlich 
vl6) Sector /AM = 4 a 6 (e — e Sin e) 

Wir wollen noch den Ausdruck eines unendlich schmalen Sectors 
ableiten, welcher Ausdruck unabhängig von der Natur der Curve ist, und 



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144 I* Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

also auch fUr andere Oaryen als die Ellipse gilt. Wir nehmen also an, 
dass der Winkel boa (Fig. 18) sehr klein ist. Der Winkel hon sei mit/ 
bezeichnet, der Winkel aon mit/', so dass boa=f^ — /wird. Bezeich- 
net man femer den Radiusvector ob mit r und oa mit r', so ist derSector 
boa offenbar kleiner als i r2 (/' — /), hingegen grösser als i r'« {f —f). 
Jekleiner nun/'— / wird, desto mehr fallen diese beiden Ausdrücke 
zusammen und geben also , der eine wie der andere , den Flächeninhalt 
des Sectors 6oa an. 

Nach dieser Digression können wir der Entdeckung des Gesetzes 
folgen , welches auf die Geschwindigkeit eines Planeten in den ver- 
schiedenen Punkten der Bahn Bezug hat , mithin des Gesetzes der 
sog. ersten Ungleichheit. — Zunächst wollen wir untersuchen , in 
welcher Beziehung die Geschwindigkeit zu der Entfernung von der 
Sonne steht und werden dabei in rein inductiver Weise zu Wege 
gehen. Die Geschwindigkeit, welche hier betrachtet wird , ist die 
Aenderung des Winkels /" während einer Zeiteinheit, z. B. während 
eines Tages . Man nennt diese Geschwindigkeit Winkelgeschwin- 
digkeit und wir bezeichnen sie mit f — f. — Wird nun der Tag als 
Zeiteinheit gewählt, so kann man annehmen, dass die Winkelge- 
schwindigkeit während desselben constant ist, d.i. dass die Aende- 
rung von /* während eines halben Tages die Hälfte von der Aenderung 
während des ganzen Tages beträgt. *) 

Wir nehmen wieder unsere Data aus der Bewegung des Mars 
und fflhren in der folgenden Zusammenstellung zu den angesetzten 
Tagen die Werthe von /" — f, von den entsprechenden r, 7'^ und end- 
lich von den Producteu r^ [f — f) auf. 







. J 


^~/ 


r 
1.6116 


»•8 

2.5972 


rKf'-fi 


1867 Jan. 


28' 0" 


== 1680" 


4363" 


Febr. 




27 7 


= 1627 


1.6378 


2.6824 


4364 


März 




26 34 


= 1594 


1.6544 


2.7372 


4363 


Apr. 




26 15 


= 1575 


1.6643 


2.7700 


4363 


Mai 




26 14 


= 1574 


1.6649 


2.7718 


4363 


Juni 




26 30 


= 1590 


1.6561 


2.7427 


4362 


Juli 




27 3 


= 1623 


1.6390 


2.6862 


4361 


Aug. 




27 55 


= 1675 


1.6132 


2.6023 


4360 



*) Völlig streng ist dies nicht der Fall; für unsere Betrachtungen 
indessen vollkommen ausreichend. 



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§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Kepler's Gesetze. 145 



Sept. 1 


29' 5" 


= 1745" 


1.5803 


2.4921 


4359 


Oct. 1 


30 28 


= 1828 


1.5440 


2.3840 


4359 


Nov. 1 


32 7 


= 1927 


1.5039 


2.2617 


4359 


Dec. 1 


33 50 


= 2030 


1.4656 


2.1478 


4360 


Jan. 1 


35 33 


= 2133 


1.4300 


2.0449 


4362 


Febr. l 


36 59 


= 2219 


1.4022 


1.9661 


4363 


März l 


37 51 


= 2271 


1.3862 


1.9214 


4363 


Aprül 


38 5 


= 2285 


1.3817 


1.9092 


4363 


Mai 1 


37 36 


= 2256 


1.3906 


1.9337 


4362 



Aus diesen Werthen geht nun auf den ersten Blick hervor, dass 
die Geschwindigkeit grösser wird, je kleiner die Entfernung von der 
Sonne ist; ein einziger Versuch jedoch genügt , um zu zeigen, dass 
die Geschwindigkeit nicht einfach im umgekehrten Verhältnisse zu 
der Entfernung steht. Wählen wir z. B. die Grössen f — /"und r vom 
1. Jan. und 1. Dec. 1867, so finden wir 

1680 1.4656 

-^ = 0.8276 ; ' r^Z = 0.9095. 

2030 ' 1.6116 

Wenn die genannte Proportionalität stattfände , so müsste man ganz 
gleiche Zahlen erhalten haben, was die gefundenen jedoch nicht sind. 
Das Quadrat des letzteren Verhältnisses stimmt aber sehr nahe mit 
dem erste ren überein ; man hat nämlich 
1.465612 



r i.4656 y 
[l.6ll6j "~ 



0.8272. 



Dieses Ergebniss deutet also an, dass die Geschwindigkeit 
umgekehrt proportional dem Quadrate der Entfer- 
nung ist, wie wir auch schon vorher bei dem Monde fanden. 
Wäre nun dieser Satz richtig, so hätte man 

r-f _ r,^ 

ft'-fi r^ 
oder r^ (f -/•) = r, 2 (/;'_/•,) = r^^ (/•/_ f^) = etc. 

WO r, r^y r^, u. s. w. verschiedene Radiivectores , und f, /\, f^, 
u. s. w. die dazu gehörenden Polarwinkel bezeichnen. 

Die obigen Gleichheiten zeigen nun an , dass , wenn die ange- 
führte Relation zwischen Geschwindigkeit und Entfernung richtig ist, 
das Product 

Gyld^n, Astronomie. ^ iQ 



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146 I- Kapitel. Geschichtlicher Üeberblick bis Newton. 

stets denselben Werth haben muss. Dies finden wir auch bestätigt in den 
Zahlen der letzte» Colunme ; diese Zahlen sind allerdings nicht voll- 
kommen übereinstimmend, allein die Unterschiede sind so klein, dass 
der obige Satz jedenfalls als eine sehr grosse Annäherung an die 
Wahrheit betrachtet werden kann. Zu Kepler's Zeiten waren die 
Beobachtungen überdies nicht genau genug, um die kleinen Ab- 
weichungen zu verrathen. 

Das zweite Kepler'sche Gesetz drückt nun eben diese Abhängig- 
keit «wischen Gesdiwindigkeit und Entfernung aus ; gewöhnlich wird 
dasselbe aber in einer etwas anderen Weise ausgesprochen. Wir 
haben gesehen , dass das Product r^{f — f) unveränderlich war, in- 
dem wir nur kleine Werthe von /* — f in die Rechnung zogen. Unter 
der Bedingung, dass f — f sehr klein ist , bedeutet aber das in Frage 
stehende Product den doppelten Flächeninhalt des vom Radius vector 
durchlaufenen Sectors. In jeder Zeiteinheit durchläuft demnach der 
Radiusvector dieselbe Fläche, in zwei Zeiteinheiten die doppelte 
Fläche, in drei Zeiteinheiten die dreifache^ u. s. w. Das zweite 
Kepler'sche Gesetz lautet demnach, wie folgt : 

• II. Die vom Radiusvector durchlaufene Fläche 
wächst proportional der Zeit. 

Die Gleichung (16) giebt uns dön Ausdruck eines elliptischen 
Sectors ; in Folge der beiden Kepler'schen Gesetze muss nun dieser 
Ausdruck der Zeit proportional gesetzt werden , wobei die Zeit von 
dem Augenblicke gerechnet werden muss , wo der Planet in seinem 
Perihelium oder der Sonne am nächsten ist, weil die Sectorfläche als- 
dann den Werth Null hat. Wird aber die unbestimmte und fort- 
laufende Zeit*] mit t, die Zeit dias Periheliums mit Iq bezeichnet, so 
drückt die Differenz t — ^o ^® Z^i* *^s > welche seit dem Perihel- 
durchgang des Planeten verflossen ist. Multipliciren wir diese Zeit- 
differenz mit einem unveränderlichen, aber noch unbestimmten Factor 
K, so ist nach dem Vorhergehenden 

ä:(^— g =4a2l/r=:^(s-~eSin8) 
oder, wenn 



• *) Unter dem Ausdmcke »unbestimmte Zeit« verstehen wir die Zeit, 
welche seit einem unbestimmten Zeitpunkte verflossen ist. 



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§ 6. Dae copernicanische Weltsystem und Kepler's Gesetze. 1 47 

gesetzt wird, 

(17) n [t- — t^) = e — eSine . 

Diese Gleichung, eine Folgerung der beiden Kepler'schen Ge- 
setze , drückt a^s , dass der Radiusvector eine der Zeit proportional 
wadisende Fläebe durchläuft , die von einem elliptischen Bogen be- 
grenzt wird. Die Constante, d. h. die unveränderliche Zahl n, wird 
die mittlere Bewegung des Planeten genannt; man kann sie 
leicht berechnen, wenn die ümlaufszeit bekannt ist. Nach einem 
ganzen UjoaUuf iat s um 360" gewachsen ; bezeichnen wir also die 
Ümlaufszeit mit T, so ist 

n{t+T-tQ) = 360"+£ — eSins. 
Man findet nun, indem die vorige Gleichung abgezogen wird 

nr=360" 
oder 

360° 
T 
eine Formel, deren Richtigkeit übrigens unmittelbar einleuchtet. 

Wird der Tag als Zeiteinheit angenommen , so bezeichnet n den 
Bogen, welchen ein mit gleichförmiger Geschwindigkeit bewegter 
Röi-per in einer kreisförmigen Bahn täglich zurücklegt, vojrausgesetzt, 
dass die Zeit eines ganzen Umlaufs T Tage beti'ägt. Die Grösse 
n[t — ^o) g^ö^* ^öQ Bogen an, welcher seit der Zeit, wo der Planet 
im Perihel war, zurückgelegt worden ist. Man nennt denselben die 
mittlere Anomalie des Planeten. 

Der angeführte Ausdruck für die mittlere Anomalie zeigt , dass 
dieselbe der Zeit proportional wächst ; um durch Rechnung die mitt- 
lere Anomalie für irgend einen Zeitpunkt zu finden , ist deshalb die 
Kenntniss der mittleren Bewegung erforderlich , und ausserdem die 
Kenntniss der Zeit , zu welcher der Planet sein Perihelium passirte, 
welche man auch die Epoche nennt. An Stelle der Epoche kann 
man aber auch die mittlere Anomalie des Planeten zu irgend einer 
festgestellten Zeit t^ angeben , die natürlich als eine Constante be- 
trachtet wird. Bezeichnet man nun diese mit c, die laufende mittlere 
Anomalie mit g^ 8o ist 

10* 



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148 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

Zur Berechnung der wahren Anomalie und des Radinsvector, 
durch welche Grössen die Lage des Planeten in seiner Bahn bestimmt 
ist, wird die Kenntniss der Excentricität e^ sowie der halben grossen 
Axe a und ausserdem die der mittleren Anomalie vorausgesetzt.^) 



*) Bei dieser Berechnung liegt die Hauptsehwierigkeit in der Er- 
mittelung der excentrischen Anomalie oder in der Auflösung der Glei- 
chung (17). Zu diesem Zweck hat man verschiedene Eechnungsmethoden 
ersonnen, von denen wir jedoch nur eine anführen wollen , die besonders 
in den Fällen, wo die Excentricität klein ist,, schnell zum Ziele fuhrt. — 
Wenn nun e sehr klein ist, so kann der Unterschied zwischen e und g nicht 
sehr gross sein ; wir setzen daher zunächst t = g und berechnen einen 
etwas mehr genäherten Werth von e , den wir ei nennen wollen , aus der 
Gleichung e^ = g -j- e Sin g 

Einen noch mehr genäherten Werth £2 finden wir hieraufaus der Gleichung 

^2 = g -\- ^ Sin ei 
und so fährt man so lange fort , bis zwei auf einander folgende Resultate 
identisch werden. 

Ein Beispiel wird das Verfahren deutlich machen. Es sei : ^ = 50**; 
e = 0.05431. Mit Hülfe trigonometrischer Tafeln findet man e Sin g = 

0.04160, welche Zahl, um in Minuten verwandelt zu werden, mit 

IT 

multiplicirt werden muss. Hiernach findet sich e Sin ^ = 143.'0 = 2** 23 .'0 
und El = 52« 23:0. In derselben Weise erlangt man ferner e^ = 52** 27:9 ; 
£3 = 52® 28, 'I , welcher letztere als der wahre Werth von e angesehen 
werden kann. 

Durch eine mathematische Behandlung der Relationen zwischen den 
drei Anomalien findet man 

/= ^ + 2e Sin ^ + J e2 Sin 2^ -h . . . 
Dieses Resultat der Kepler'schen Bewegungsgesetze wollen wir mit der 
entsprechenden Entwickelung der epicyklischen Theorie .vergleichen. 
Wir bemerken dabei leicht, dass die Differenz / — g dem Winkel ent- 
spricht, welcher früher (pag. 111) mit B bezeichnet wurde. Setzen wir in 
der Entwicklung dieses Winkels 2 e statte, wonach natürlich « nur die 
Hälfte der Excentricität im excentrischen Kreise wird, so hat man 

jB = 2eSin^-H2e2Sin2^-j- . . . 
Das zweite Glied ist also schon zu gross , wie auch durch Untersuchung 
der Beobachtungen bereits erwiesen wurde. Für den Mond fand sich 
z. B. (pag. 114) 2^2 = 20.' 70, während die Beobachtungen für den Coeffi- 
cienten2^nur den Werth 12. '8 ergaben. Nach der elliptischen Theorie 
findet sich für diesen Coefficienten : fe2= 12. '9, also beinahe völlig in 
Uebereinstimmung mit dem beobachteten Werthe. Hieraus geht der Vor- 
zug der elliptischen Theorie hervor. 



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§ 6. Das copernicanische Weltsystem und Keplers Gesetze. 149 

Es scheint d&her, dass die Berechnnng der Lage des Planeten in 
seiner Bahn di<B Kenntniss von vier Constanten oder, wie man in der 
Astronomie sagt, Elementen, nämlich c, n^ e und a voraussetzt. 
Wir werden jedoch alsbald sehen , dass die Constanten n und a in 
solcher Weise von einander abhängen , dass die eine unmittelbar 
durch Rechnung gefunden werden kann , wenn die andere bekannt 
ist. Somit bleiben drei Elemente, deren Kenntniss nothwendig 
und hinreichend ist, um den Ort des Planeten in der Bahn zu be- 
rechnen. 

Aber die Lage in der Bahn bestimmt noch nicht den Ort am 
Himmel, nicht einmal in der Ebene der Bahn. Nehmen wir zunächst 
an, um die Darstellung zu vereinfachen , dass die Bahnebene mit der 
Ekliptik zusammenfällt, sowie dass verlangt wird, die von der Sonne 
aus gesehene Länge, oderdie heliocentrische Länge zu finden. 
Diese heliocentrische Länge ist jedoch einfach nur die Summe der 
wahren Anomalie und der Länge des Periheliums, welcher 
Winkel das vierte Element der Planetenbahnen ausmacht. 

Die Beobachtungen haben indessen gezeigt, dass die Breiten der 
Planeten, wenn auch stets ziemlich klein, doch nicht unmerklich sind; 
diese Thatsache findet durch die Annahme eine genügende Erklärung, 
dass die Ebenen der Planetenbahnen nicht völlig mit der Ekliptik zusam- 
menfallen, obgleich der Winkel zwischen den verschiedenen Bahnebenen 
immer sehr klein ist. Die Lage einer Planetenbahn in Bezug auf eine 
Grundebene, z. B. die Ekliptik, wird durch zwei Bestimmungsstticke 
oder Elemente angegeben, nämlich l) durch den Winkel zwischen der 
Ebene der Planetenbahn und der Ekliptik, und 2) durch den Winkel, 
welchen die Durchschnittslinie beider Ebenen mit der Richtung nach dem 
Frühlingspunkt bildet. Den ersteren Winkel nennt man die Neigung 
oder Inclination,den zweiten: die Länge des Knotens. Nun 
hat zwar eine Planetenbahn immer zwei Knoten; man giebt jedoch ge- 
wöhnlich die Länge desjenigen an, von welchem an der Planet bei seiner 
Bewegung eine nördliche heliocentrische Breite erhält. Diese Winkel, 
Neigung und Knotenlänge, sind das fünfte und sechste Element einer 
Planetenbahn. — Die Länge des Perihels hat nun eine etwas andere 
Bedeutung als vorhin , wo die Bahn als mit der Ekliptik zusammen- 
fallend angenommen wurde; diese Benennung bezeichnet jetzt die 
Summe der Länge des Knotens und des Winkels zwischen demPerihel 



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150 I.Kapitel. Geschichtlicher Ueberblick bis Newton. 

und dem Knoten. Der erste Bogen wird in der Ekliptik, der zweite 
hingegen in der Ebene der Planetenbahn gerechnet Häuflg giebt 
man auch nur den Abstand des Perihels vom Knoten als das vierte 
Element an. 

Nachdem die Lage des Planeten in seiner Bahn , sowie die drei Ele- 
mente , welche die Lage der Bahn im Räume bestimmen, gegeben sind, 
lässt sich die heliocentrische Länge und Breite ohne die geringste Schwie- 
rigkeit berechnen. Wir führen die dazu nöthigen Formeln an, ohne jedoch 
dieselben zu beweisen ; nicht deshalb lassen wir den Beweis hier weg, 
weil er zu weitläufig wäre, sondern weil die in Frage stehenden Formeln 
einfach aus den Grundformeln der sphärischen Trigonometrie, die in einem 
Anhange angeführt werden sollen, hervorgehen. 

Gewöhnlich bezeichnet man die heliocentrische Länge und Breite 
mit / und 6, die Länge des Perihels mit r, die Neigung mit t und die Länge 
des aufsteigenden Knotens mit ü , und endlich den Abstand des Perihels 
vom Knoten mit w. Die Summe der wahren Anomalie und des Abstan- 
des des Perihels vom Knoten nennt man das Argument der Breite 
und bezeichnet dasselbe mit u. Zwischen / imd b eirierseits und u aMrei*- 
seits finden sich nun mehrere Relationen , von denen wir nur die folgen- 
den anführen : 

Tang (l — Sl) = Cos i . Tang u 

Tang b = Tang i . Sin (/ — ß.) 

Nachdem der heliocentrische Ort des Planeten nach diesen For- 
meln berechnet worden ist, bleibt noch der geocentrische Ort des- 
selben zu berechnen, d. h. seine von der Erde aus gesehene Länge und 
Breite zu ermitteln übrig. Hierzu ist es erforderlich , die Entfernung der 
Sonne von der Erde zu kennen , die wir R nennen werden , sowie die 
Länge der Sonne 0. Die geocentrische Länge und Breite des Planeten, 
die wir mit X Und ß bezeichnen, sowie seine Entfernung von der Erde : A 
finden sich aus den Formeln : 

A Cos ß Cos X = r Cos b Cos X 4- J2 Cos 
A Cos ß Sin X = r Cos b Sin X -f- JB Sin G 
A Sin ß = r Sin b 
Nach einigen sehr leichten Umformungen dieser Ausdrücke findet iiian 
unter andern 

^ ,. ^^ r Cos 6 Sin (/— 0) 

Tang (X ^ 0) = ^^,Cos5Cos(/-0 ) 

durch welche Formel X sehr leicht zu berechnen ist. 

Im Vorhergehenden haben wir versucht zu zeigen, wie eine vor- 
urtheilsfreie und richtig aügelegte Untersuchung der beobachteten 



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§ f». Das copernicanische Weltsystem nnd Kepler's Oesetze. 1 51 

Bewegung eines Planeten zur Eenntniss der wirklichen Bahn führte 
nad ffihren ransste , sowie znr Einsicht der Gesetze , welche die Be- 
wegung in der Bahn befolgt. Es zeigt« sich dabei , dass die Bahnen 
der Planeten als Ellipsen befunden wurden , deren einer Brennpunkt 
mit der Sonne zusammenfällt , sowie dass die Geschwindigkeit eines 
Planeten in verscJuedenen Punkten seiner Bahn immer so beschaffen 
ist, dass der Radiusvector in gleichen Zeitintervallen gleiche 
Flächenräume durchläuft. Mit Hülfe dieser Sätze kann der geo- 
centrische Ort des Planeten zu jeder Zeit mittelst Rechnung gefunden 
werden, wenn nur die Kenntniss von 7 constanten Grössen oder Ele- 
menten vorher erlangt war. Es wui-de aber schon erwähnt, dass zwei 
dieser Elemente , nämlich die halbe grosse Axe und die mittlere Be- 
wegung, in einer einfachen Relation zu einander stehen , so dass nur 
das eine von beiden angegeben zu werden braucht. 

Kepler verfolgte lange Zeit die Idee, dass eine derartige Relation 
stattfinden müsse, und fand sie auch endlich, und zwar, wie die 
übrigen Gesetze auf rein empirischem Wege. Diesen Weg wollen 
auch wir jetzt einschlagen , um die Richtigkeit seiner Entdeckung 
in einer einfachen Weise constatiren zu können. — In der folgenden 
Zusammenstellung giebt die erste Columne die Namen der Planeten ; 
die zweite giebt die halben grossen Axen nach Ptolemäus, zu der Po- 
tenz 1^ erhoben , die dritte die Umlaufszeiten und die vierte endlich 
die Quotienten der Zahlen in den beiden vorhergehenden Columnen. 

T 





a* 


T 


a* 


Merkur 


0.2378 


0.2408 


1.013 


Venus 


0.6104 


0.6151 


1.008 


Erde 


1.0000 


1.0000 


l.OOO 


Mars 


1.8740 


1.8810 


1.004 


Jupiter 


11.914 


11.8674 


0.996 


Saturn 


28.058 


29.4605 


1.050 



Obgleich die Zahlen der letzten Columne nicht ganz gleich sind, 
so weichen sie doch so wenig von einander ab , dass man die Unter- 
schiede den Beobachtungsfehlern zuschreiben kann. Kepler hielt diese 
Gleichheit auch für völlig erwiesen und gelangte auf solche Weise zu 
seinem dritten Gesetze : 



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152 !• Kapitel. Geschichtlicher Ueberbliok bis Newton. 

III. Die Quadrate, der Umlaufszeiten verhalten 
sich wie die dritten Potenzen der halben grossen 
Axen, oder: die Umlaufszeit dividirt durch die fte Po- 
tenz der halben grossen Axe, hat bei allen Planeten 
denselben Werth. 

Es ist also , wenn T und T, zwei Umlaufszeiten , a und a, zwei 
halbe grosse Axen bedeuten : 

H— ^ 
r,2 ~ a,3 
oder 

womit die halben grossen Axen aus den ümlaufszeiten berechnet wer- 
den können. 

Es liegt in der Natur jeder empirischen Entdeckung, dass sie, 
solange keine theoretische Bestätigung vorliegt, eine absolut bin- 
dende Kraft nicht hat, sondern nur mehr oder weniger wahrscheinlich 
sein kann. So war es der Fall auch mit den Entdeckungen Kepler's ; 
spätere Untersuchungen haben sie im Wesentlichen bestätigt, aber 
auch gezeigt, dass sie keineswegs vollkommen richtig sind. Sie 
dürfen daher nur als die erste Annäherung an die wahren Bewegungs- 
gesetze der Planeten angesehen werden. 



§ 7. Die Präcession. 

Indem wir nun die copernicanische Lehre von der Axendrehung 
der Erde annehmen, wissen wir auch, dass der Aequator eine Ebene 
ist, die durch den Mittelpunkt der Erde senkrecht gegen ihre üm- 
drehungsaxe gelegt, von der scheinbaren Himmelssphäre einen gröss- 
ten Kreis ausschneidet. Es geht hieraus hervor, dass der Aequator- 
kreis am Himmelsgewölbe nur so lange eine unveränderliche Lage 
haben kann , als die Umdrehungsaxe der Erde mit sich selbst parallel 
im Räume bleibt. Umgekehrt muss man also auch schliessen , dass 
die Richtung der Erdaxe nicht dieselbe bleibt , wenn man durch Be- 
obachtungen zeigen kann, dass die Lage des Aequators Veränderungen 
unterworfen ist. Dieses ist aber bemerkt worden , und die Verände- 



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§7. Die Präcession. J53 

rnng selbst nennt man Präcession. Sie besteht in einer sehr lang- 
samen Drehung der Ebene des Aequators in der Ebene der Ekliptik, 
und zwar bleibt die gegenseitige Neigung der beiden Ebenen dabei 
unverändert. *) Es ist also bloss die Durchschnittslinie beider Ebenen, 
die ihre Lage Verändert, was aber zur Folge hat, dass auch die Aequi' 
noctialpunkte ihre Lage am Himmel ändern. Die Erscheinung der 
Präcession besteht demnach darin , dass die Aequinoctialpunkte in 
der Ekliptik rückwärts schreiten , und zwar immer mit derselben Ge> 
seh windigkeit, weshalb die Längen der Gestirne ununterbrochen zu- 
nehmen, die Breiten derselben hingegen unverändert bleiben. — 
Die jährliche Bewegung der Aequinoctialpunkte beträgt ohnge- 
fähr50". 

Die Erklärung dieser Erscheinung ist schon angedeutet worden, 
sie ist in der Bewegung der Erdaxe zu suchen. Es ist leicht einzu- 
sehen , dass die Erdaxe , damit die fragliche Erscheinung hervorge- 
bracht yrerde , sich stetig um den Mittelpunkt der Erde drehen muss 
und also die Oberfläche eines Kegels im Raiime beschreibt. Die Pole 
des Aequators beschreiben daher auch Kreise an dem scheinbaren' 
Himmelsgewölbe, deren Mittelpunkte die Pole der Ekliptik sind. Da 
die Bewegung jährlich nur 50" beträgt, so ist ein Zeitraum von etwa 
26000 Jahren nöthig, damit die Weltpole einen Umlauf vollenden. 
Bei dieser Bewegung kommen sie allmählig in verschiedene Stern- 
bilder. Der Stern, welcher gegenwärtig Polarstern genannt wird und 
jetzt nur l^ 20' vom Nordpole absteht, wird zwar noch einige Zeit 
dem Pole näher rücken, hiemach sich aber wieder entfernen, und 
nach und nach das Recht verlieren , Polarstem genannt zu werden. 
Nach 12000 Jahren wird der Stern Wega (a Lyrae) dem Pole sehr 
nahe sein, und alsdann auf den Namen Polarstern Anspruch machen 
können. 

Der Betrag der Präcession ist zu gross, als dass ihn nicht schon 
die Astronomen des Alterthums hätten bemerken müssen. In einem 
Jahrhundert ändern sich alle Längen der Gestirne um etwas weniger 
als 1 J°, mithin um eine Grösse, die nicht zu übersehen ist, wenn nur 



*) Wenigstens ist die Aenderung der Neigung sehr unbedeutend, 
und beruht grösstentheils darauf , dass die Ekliptik selbst nicht ganz un- 
veränderlich ist. 



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154 I. Kapitel. Geschichtlicher üeberblick bis Newton. 

asti'onomisclie Beobachtungen angestellt und mit einander verglichen « 
werden. Hipparch soll zuerst die Präcession entdeckt haben, in- 
dem er seihe Beobachtungen mit noch älteren verglich. Der jähr- 
liche Betrag derselben wnrde selbstverständlich anfangs sehr unsieber 
bestimmt , nnd während des ganzen Mittelalters waren die Angaben 
hierüber sehr schwankend. Man glaubte sogar mitunter bemerkt zu 
haben, dass die Aequinoctialpunkte eine Zeitlang vorwärts schritten, 
wodurch eine gewisse sehwankende Bewegung der Gestirne bervorge- 
btacht würde. Es zeigte sich jedoch, dass derartige Vermuthungen 
jedes wahren Grundes entbehrten. *) 

Gegenwärtig hat man die jährliche Präcession , wie es seheint, 
sehr sicher bestimmt ; jedoch dürften noch einige Hundei'tel-Secun- 
den in dem jährlichen Beti*age derselben unsicher sein. — Die theo- 
retische Untersuchung hat überdies gezeigt , dass die Erscheinung, 
streng genommen , nicht so einfach ist, wie zunächst vermuthet wer- 
den konnte, dass vielmehr noch einige kleine Glieder vorhanden sind, 
die bemerkt werden können, wenn sehr genaue, zeitlich weit von ein- 
ander abliegende Beobachtungen verglichen werden. Die Theorie 
lehrt nämlich, dass der jährliche Betrag der Präcession nicht zu allen 
Zeiten derselbe, sondern dass er einer sehr langsamen Aendemng un- 
terworfen ist. Bezeichnen wir die jährliche Präcession mit P, und 
nehmen das Jahr als Einheit der Zeit an, die wir von 1750 rechnen, 
so ist 

P== 50721 129 + 01'000244297^ 

In tausend Jahren wird also die jährliche Praecession um ^" ver- 
grössert. 



*) Die Aequinoctialpunkte sind in derThat einer derartigen Schwan- 
kung unterworfen , jedoch einer so kleinen , dass man von der Beobach- 
tungskunst des Mittelalters keine Wahrnehmung derselben annehmen 
kann. 



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II. Kflpitel. 

Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

§ 8. Galilei's mechanische Entdeckungen. 

Ungefähr zur selben Zeit , äh Kepler die Gesetze der Planeten- 
bewegungen erforschte, untersuchte Galilei (geb. in Pisa 1564), 
^ie Körßer, die man ungehindert gegen die Erde fallen lässt , in 
dieser Beilegung sich verhalten. Erfand, dass sie hierbei gewissen 
unveiHnderUcheii und allgemein gültigen Gesetzen unterworfen sind, 
die zu entdecken ihm auf experimentellem^ege gelang. Die Unter- 
suchungen hierüber stellte er in Pisa an, wo er zu der Zeit eine Pro- 
fessur der Mathematik bekleidete. Man erzählt, dass er oft, indem 
er von dem Thurm der genannten Stadt Körper gegen den Boden 
falien üess , zeigte , dass die Fallgeschwindigkeit keineswegs in dem 
Grade wie das Gewicht der Körper zunimmt, wie man vorher mit 
Aristoteles angenommen hatte. — Jetzt wissen wir, dass die Fallge- 
schwindigkeit bei einem derartigen Versuch an Und fttr sich keines- 
wegs von dem Gewicht des Körpets abhängig ist , sondern dass im 
Gegentheil alle Körper mit derselben Geschwindigkeit niederfallen, 
sobald nur die fiewegting im luftleeren Hättm geschieht. Die Luft 
aböjr übt einen Widerstand gegen die Körper bei ihrer Bewegung aus, 
der desto grösser wird , je grösser die Dimensionen der Körper im 
Verhältniss zu ihrem Gewicht sind. Konnte nun auch Galilei diesen 
Umstand bei seinen Eiperimenten nicht beseitigen oder seinem Ein- 
fluss Rechnung tragen, so haben doch seine Versuche deutlich gezeigt, 
wie tinriehtig die ältere Annahme war. 



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156 IL Kapitel. Newtons Gesetz der allgemeinen Schwere. 

In Bezug auf das Gesetz von der Zunahme der Geschwindigkeit« 
während der Bewegung führten seine Versuche zu bestimmteren Re- 
sultaten. Er fand nämlich, das» die Geschwindigkeit während jeder 
Secunde, oder während jeder Zeiteinheit überhaupt, um dieselbe con- 
stante Grösse zunimmt, oder dass die Fallgeschwindigkeit 
der Zeit proportional wächst. Dieser Satz wird das erste 
Galilei'sche Gesetz genannt. 

Hat ein Körper am Ende der ersten Secunde, in der er zu fallen 
anfing, eine Geschwindigkeit erreicht, die wir mit g bezeichnen (man 
giebt g in einem beliebigen Längenmaasse an) , so ist seine Geschwin- 
digkeit am Ende der zweiten Secunde 2(/, am Ende der dritten 
3f/, u. s. w. 

Wenn der Körper zu fallen anfängt, ist seine Geschwindigkeit 
und am Schluss der ersten Secunde g ; er hat jedoch während dieses 
Zeitraums offenbar nur die Weglänge ^g zurückgelegt, mithin ist seine 
mittlere Geschwindigkeit ^g gewesen, weil das KQSultat der Bewegung 
des Körpers dasselbe ist , als wenn der Körper während der Secunde 
mit der constanten Geschwindigkeit ^g niedergefallen wäre. — In 
diesem Falle haben wir die mittlere Geschwindigkeit einfach dadurch 
gefunden, dass wir das arithmetische Mittel aus der Anfangs- und der 
Endgeschwindigkeit bildeten. Im Allgemeinen findet man zwar die 
mittlere Geschwindigkeit in dieser Weise nur dann , wenn die Zwi- 
schenzeit so klein ist , dass die Zunahme während derselben als der 
Zeit proportional angesehen werden darf. Bei dem freien Fall der 
Körper findet dies jedoch immer statt, weshalb hier die mittlere Ge- 
schwindigkeit in dieser einfachen Weise gefunden wird. Die Ge- 
schwindigkeit ist bei dem Beginne der Bewegung und nach t Secun- 
den gt; die mittlere Geschwindigkeit [M] ist also : 

und indem man diese mittlere Geschwindigkeit mit der Anzahl der 
Secunden muLtiplicirt , erhält man die Länge (S) des durchlaufenen 
Weges, nämlich: 

S==:Mtz=^gß 
Auch das Resultat, welches die zuletzt angeführte Gleichung 
enthält , ist von Galilei gefunden worden und wird das zweite Gali- 
lei'sche Gesetz genannt. Dies Gesetz lautet also: die Fallräume 



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§8. Galilei's mechanische Entdeckungen. 157 

I 
verhalten sieb wie die Quadrate der Fallzeiten. — Ein 
Körper, der während der ersten Secunde die Weglänge \g fällt, legt 

in der zweiten das Stock 4^ zurück, in der dritten 9^, u. s. w. 

Die Constante g ist in neuerer Zeit sehr genauen Untersuchungen 
unterworfen worden, sowohl in Bezug auf ihren numerischen Werth , als 
auch in Betreif ihrer theoretischen Bedeutung und ihres Zusammenhangs 
mit anderen Zahlen. Die ersteren ergaben 

g = 9.80896 Meter, 
die letzteren zeigen hingegen, dass dieser Werth etwas verändert werden 
muss, wenn das Niederfallen an verschiedenen geographischen Orten ge- 
schieht. Der obige Werth gilt für die pariser Sternwarte ; nach den Polen 
zu muss derselbe etwas vergrössert werden, wogegen etwas kleinere 
Werthe gelten, je mehr man sich dem Aequator nähert. 

Wie wir sahen , kann- das zweite Gesetz aus dem ersten durch 
Deduction gefunden werden; einige Schriftsteller unterscheiden sie 
deshalb auch nicht von einander, sondern fassen sie in einem Gesetze 
zusammen. Als erstes Gesetz wird auch zuweilen der Satz von der 
Trägheit angeführt, welcher gleichfalls Galilei zugeschrieben wird. 
Diesem Satze zufolge behalten die Körper immer die einmal statt- 
gefundene geradlinige und gleichförmige Bewegung unverändert bei, 
bis eintretende Kräfte dieselbe verändern. 

Durch einen Zufall soll Galilei zur Untersuchung der Schwing- 
ungsgesetze des Pendels geführt worden sein. — Während er einer 
kirchlichen Ceremonie im Dom zu Pisa beiwohnte, beobachtete er eine 
vor dem Altar hängende Lampe — ein Meisterwerk von Benvenuto 
Oellini — , welche , durch irgend einen Zufall aus ihrer Gleichge- 
wichtslage gebracht, hin und her schwang. Vielleicht bemerkte er da 
schon, dass die Zeit jeder Schwingung dieselbe blieb , obgleich die 
Schwingungsamplitude allmälig kleiner wurde. Spätere Versuche 
führten jedenfalls zu dem Gesetze, dass die Zeit, während wel- 
cher das Pendel eine Schwingung vollbringt, unab- 
hängig von der Grösse des Schwiugungsbogens ist. — 
. Theoretische Untersuchungen späterer Zeiten haben jedoch erwiesen, 
dass dieses Gesetz nur annähernd richtig ist, dass aber dasselbe, wenn 
der Schwingungsbogen überhaupt nicht zu gross ist , doch nur unbe- 
deutend von der Wahrheit abweicht. Dagegen hängt die Schwing- 
ungszeit von der Länge des Pendels ab, und diese Abhängigkeit wird 



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158 II. Kapitel. Newtoja's Oeßetz der allgemeinen Schwere. 

äiir€h ein anch vom Galilei entdecktes Gesetz annähernd in folgender 
Weise »nsgedrüekt : die Pendellängen verhalten sich wie 
die Quadrate der Schwingungszeiten, oder: das Quadrat 
ä&r Behvingungszeit, dividirt durch die Länge des Pendels , ist eine 
constaffte Ovte«^ 

Die Eigenschaft , dasa die Sehwingungszeit von der Grösse des 
Schwingungsbogens oder des sog. AusacWagswiukels unabhängig ist, 
hat das Pendel zu einem der wichtigsten Instromente des beobachten- 
den AstiFonoQietB gemacht ; d^un er kann dasselbe in so kleinen 
Schwingungen im Gange halten, dass das Galilei'sche Gesetz textlich 
der Unabhängigkeit der Schwingungszeit von der Grösse des Attfr- 
schlagswinkels als vollkommen richtig angesehen werden kann.' Die 
Dauer der einen Schwingung bleibt daher der der anderen völlig 
gleich, wenn auch die Amplituden geringen Schwankungen unter- 
worfen sind ; mae kann folglich auch sagen, dass z. B. die Zeit einer 
Schwingung genau ^ der Ztdit veu 10 Schwingungen ist. Im P«^el 
hat man somit «in voi^reff liches Instrument, die Zeit zu messen . — 
Gewöhnlich verbindet man das Pendel mit einem Uhrwerk , welöhes 
eiBestheil« (durch ein Gewicht) dazu dient , dasselbe im Schwingen 
zu erhalten, anderntheils (duaroh etin Eäderwerk) dazu, die Anzahl der 
Schwingungen , die von eiman bestimmten Augenblicke an verflossen 
sind, auf einem Ziflferblatt ansttgeben. 

Mit'Galilers Entdeckungen, insbesondere der des Trägheitsge- 
setzes, föngt die Mechanik an, in wissenschaftlicher Weise ausgebildet 
zu werden. *) Vorher hatte man nur sehr unklare yorstellungen von 
der Bewegungslehre g^iabt, und folglich hätte eine mechanische Be- 
handlung der astronomischen Probleme zu einem erwünschten Kesul- 
tate in keiner Weise führen können. 



*) Die Eigenscliaft der Trägheit hat man vis inertiae genannt; 
man hat also gesucht, den Begriff einer Kraft mit derselben zu verbin- 
den , nämlich der Kraft , welche den Körper in seiner geradlinigen Bahn 
gleichförmig fortbewegt. Diese Vorstellungsweise ist sowohl überjüssig 
wie unrichtig (vgl. pag. 2). 



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§9. Sätze aus der Mechanik. 159 



§ 9. Sätze ans der Mechanik. 

Die MebrzaM der im ersten Kapitel erwShnfen üntersncliungen 
war im Grund rein geametrifieh, d. h. man hat in denselben nur ver- 
suclit, ein ge<Hife(triscli6S Bild der Bewegungsgesetze , den die Pla- 
neten in ihrer Belegung folgen, zu finden. Der Erfolg soldier Unter- 
sndnmgen beruhte in erster Linie auf der Znverlässigkeit der Beob- 
achtungen, und konnte deshalb nur als ein relativer angesehen 
werden, — eine theoretische Grundlage für die Astronomie war aber 
hiermit noch keineswegs gefunden. Man konnte allerdings auf Grund 
geometrischer Betrachtungen, sobald einmal die Kepler'schen Gesetze 
bekannt und die Elemente der Planetenbahnen durch Beobachtungen 
bestimmt waren , die Lage der verschiedenen Planeten zu jeder be- 
liebigen Zeit berechnen, und der Vergleich zwischen dieser berechne- 
ten Lage und der beobachteten konnte sowohl dazu dienen, die nume- 
rischen Werthe der Elemente zu verbessern , als auch die Richtigkeit 
der Kepler'schen Gesetze zu bestätigen. Diese Gesetzewaren iiber 
doch nnr der mathematische Ausdruck von Thatsachen , ohne im Ge- 
ringsten ihre physischen Ursachen anzudenten. Man konnte daher, 
und weil der theoretische Grund derselben unbekannt war, niemals 
sicher sein , ob nidht weitere Beobachtungen ihr Aufgeben in ä^in- 
lich«r Weise fordern würden , wie Kepler sich veranlasst fand , die 
Hypothese von der gleichförmigen Bewegung in Kreisbahnen zu ver- 
lassen. Die Astronomie Kepler's war daher auch nur eine rein in- 
ductive Wissenschaft , denn seine Sätze konnte er, als mit dem Ge- 
setze der Trägheit , und folglich auch mit den Lehren der Dynamik 
unbekannt, nicht durch Deduction wiederfinden. Wenn er aber 
dennoch überzeugt war, zur Grenze der Erkenntniss gedrungen zu 
sein, so lag diese Ansicht in einer Weltanschauung begründet, die in 
ihm einen ihrer letzten Koryphäen zählte. Seiner Meinung nach 
waren nämlich jene von ihm auf rein empirischem Wege entdeckten 
Gesetze nnmittelbar dem Willen des höchsten Wesens entsprungen, 
dem es gefiel , sich geometrisch zu manifestiren ; weiteren Ursachen 
nachzuforschen, konnte demnach nicht mehr in Frage kommen. Nur 
die üebereinstimmung derselben mit den Vorstellungen von der 
Sphärenharmonie suchte er mit unglaublicher Mühe nachzuweisen. 



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1 60 11. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Es entsprach zu sehr Keplers tiefsinnig-verwon'ener Weltanschauung, 
überall eigen thümliche, fast mystische Beziehungen zu suchen ^ in der 
Welt der Planeten insbesondere ^urch gewisse Zahlen-Combinationen 
ihrer Bewegungen musikalische Harmonien darzustellen, indem er 
die verschiedenen Geschwindigkeiten der Planeten als verschiedenen 
Tönen entsprechend sich dachte. — Solche Harmonien glaubte er vom 
Schöpfer beabsichtigt und wähnte, durch seine Entdeckungen das 
Mysterium der Schöpfung entschleiert und die göttlichen Absichten 
mit dem Weltsystem und den Gesetzen für die Bewegungen in dem- 
selben erkannt zu haben. 

Um nun eine physische Erklärung der Kepler'schen Gesetze zu 
finden, oder ihre Nothwendigkeit und Tragweite auf deduetivem 
Wege nachzuweisen , muss damit angefangen werden , die Ursachen 
von krummlinigen und ungleichförmigen Bewegungen im Allgemeinen 
zu untersuchen. — Eine jede Ursache , welche die geradlinige und 
gleichförmige Bewegung eines materiellen Punktes zu ändern strebt, 
nennt man Kraft. In älteren Zeiten hat man mit diesem Worte die 
Ursache der Bewegung überhaupt verstanden , indem man nämlich 
glaubte , dass keine Bewegung möglich wäre , ohne dass eine Kraft 
wirkte. Dies ist jedoch nicht richtig : bei der geradlinigen und gleich- 
förmigen Bewegung braucht man durchaus keine Ursache vorauszu- 
setzen, und daif daher auch nicht von Kräften reden. Es lässt sich 
sogar nachweisen , dass es keine fortwirkende Kraft giebt , die bei 
einem ruhenden Körper eine solche Bewegung hervorbringen würde ; 
wohl aber können in Folge von Kräften Bewegungen entstehen, 
welche von einem bestimmten Zeitpunkte an nicht von der 
geraden Linie und der Gleichförmigkeit abweichen. 

Das Princip der Trägheit lässt sich aus vielen , täglich wahrzu- 
nehmenden Thatsachen erkennen , die ohne diese völlig unerklärlich 
sein würden : ein Stein z. B., der mit der Hand in die Höhe geworfen 
wird , fährt noch fort , eine Zeit lang zu steigen , nachdem die Kraft 
(hier die Muskelkraft) zu wirken aufgehört hat. Diese Thatgache zu 
erklären bleibt auch nur so lange schwierig, als man voraussetzt, dass 
die Bewegung von einer fortwirkenden Kraft bedingt ist. Das Princip 
der Trägheit erklärt aber die Fortbewegung vollkommen : diesem zu- 
folge würde der Stein mit gleichförmiger Geschwindigkeit sich in 
einer geradlinigen Bahn fortbewegen, wenn nicht seine Schwere, die 



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§ 9. Sätze aus der Mechanik. 161 

hier die Rolle einer fortwirkenden Kraft; spielt , ihn zur Erde herab- 
zöge. — Man mnss sieh hierbei auch erinnern, dass die Muskelkraft 
nicht etwa den Stein aus der absoluten Buhe in den Znstand der Be- 
wegung versetzt hat , denn der Stein theilte vorhin die Bewegung der 
Erde ; seine Bewegung wurde mithin nur verändert. Das Gesetz der 
Trägheit können wir also so aussprechen: Ein materieller 
Punkt behält seine geradlinige und gleichförmige 
Bewegung bei, so lange keine Kräfte auf ihn einwir- 
ken; wird aber seine Bewegung von Kräften beein- 
flusst, die nach einer Zeit zu wirken aufhören, so 
erlangt er nach dieser Zeit eine Bewegung, die wie- 
der geradlinig und gleichförmig ist. Dieser Satz ist in 
jeder Beziehung von der Erfahrung bestätigt worden , obgleich man 
seine Richtigkeit nicht direct durch Versuche nachweisen kann. Wir 
"können uns nämlich nie einen concreten Fall der geradlinigen und 
gleichförmigen Bewegung denken , viel weniger herstellen , denn im 
Universum sind Kräfte fortwährend wirksam. 

Wir sahen , wie man zu der Annahme geführt wurde, dass die 
Bewegung an und für sich noch keineswegs das Vorhandensein von 
Kräften andeutet. Dagegen liegt es aber schon in dem Begriff der 
Kraft, dass eine solche die schon vorhandene Bewegung ändern, also 
auch einen ruhenden Körper in Bewegung versetzen , oder wenig- 
stens solches erstreben muss. Aus der Grösse dieser Aenderungen 
schliesst man auf die Grösse der Kraft. Die Grösse, um die sich die 
Geschwindigkeit eines materiellen Punktes ändert, dient demnach als 
Maass der Kraft. — Beim Messen der Kräfte oder bei ihrer Verglei- 
chung hindert Nichts, von der gemeinschaftlichen Geschwindigkeit der 
bewegten Punkte vor dem Eingreifen der Kräfte abzusehen, d. h. sie als 
ursprünglich ruhend zu betrachten. In diesem Falle wird die Grösse 
der Kraft gemessen : durch die geradlinige Weglänge, um 
welche der materielle Punkt während einer Zeitein- 
heit, z, B. während einer Sekunde, in Folge dieser 
Kraft fortbewegt wird. Man darf aber hierbei nicht vergessen, 
dass die Kraft in Wirklichkeit nur die Geschwindigkeit ändert , oder 
dem bewegten Punkte eine neue Geschwindigkeit zuertheilt, keines- 
wegs aber die nothwendige Bedingung der Bewegung überhaupt ist. 
Bei der Untersuchung der Wirkungen von Kräften ist jedoch auch 

Gyld^n, Astronomie. | i 



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162 n. Kapitel. Newton'ß Gesetz der allgemeinen Schwere. 

daran festzuhalten , dass eine jede Bewegung , die innerhalb eines 
gewissen Zeitintervalles sowohl der Geschwindigkeit wie der 
Richtung nach gleichförmig ist , als von einer £j*aft hervorgebracht 
gedacht werden darf. 

Die Bewegungen , welche wir im Universum wahrnehmen , sind 
bedingt von Kräften , die eine schon vorhandene Bewegung beein- 
flussen. Nach dem, was soeben hervorgehoben wurde, darf aber 
diese Bewegung als von einer Kraft hervorgerufen gedacht werden, 
und wir thun dies nur, um die Untersuchung zu erleichtem ; denn 
nachdem die ursprüngliche Bewegung durch eine Kraft ersetzt 
worden ist, haben wir die leichtere Aufgabe zu behandeln: ver- 
schiedene Kräfte, die von bekannter Grösse sind und 
in bekannter Richtung wirken, greifen einen mate- 
riellen Punkt an; es wird verlangt, die Bewegung des 
Punktes zu finden. Der Einfachheit wegen betrachten wir zu- 
nächst zwei Kräfte, die einen materiellen Punkt angreifen ; seine Be- 
wegung wird alsdann mit Hülfe des bekannten Satzes vom sog. Par- 
allelogramm der Kräfte gefunden, den man zwar auch mit metaphysi- 
schen Gründen zu beweisen gesucht hat , der aber jedenfalls und zu- 
nächst durch die Erfahrung in jeder Beziehung bestätigt worden 
ist. Dieser Satz lautet : wenn zwei Kräfte einen materiellen 
Punkt gleichzeitig angreifen, so ist die demzufolge 
entstandene Bewegung ihrer Grösse und Richtung 
nach bestimmt durch die Diagonale in dem Parallelo- 
gramm, dessen Seiten durch die Weglängen gegeben 
sind, die der Punkt zurückgelegt haben würde, wenn 
jede der beiden Kräfte allein gewirkt hätte. 

In Uebereinstimmung mit diesem Satze findet man, dass ein Kör- 
per, der im Punkte m (Fig. 19) sich befindet und von zwei Kräften 

angegriffen wird, deren eine während der 
*^^ ' Zeiteinheit und wenn sie allein wirkte, 

dem Körper die Bewegung ma und die 
andere die Bewegung, mh zuertheilen 
würde , in der That in eine Bewegung 
versetzt wird, deren Richtung und Grösse 
während der Zeiteinheit durch die Diago- 
nale m n angegeben ist. Diese Bewegung 



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§d. Sätze aus der Mechanik. 163 

hätte auch durch eine einzige Kraft hervorgebracht werden können, 
durch eine solche nämlich, die in der Kichtnng mn wirkte, nnd 
deren Intensität die Bewegung mn hervorrufen würde. Diese Kraft, 
welche hie^ bloss vorgestellt wirä, nennt man Resultante der bei- 
den Seitenkräfte, die hingegen Comp neu ten genannt werden. — 
Auf dieselbe Weise, wie man die Resultante zu zwei Kräften gefuh- 
den hat, lässt sich auch die Resultante zu dieser und einer dritten 
Componente finden, u. s. w. Man kann also successive die Resul- 
tante einer beliebigen Anzahl Kräfte, die einen Punkt angreifen, 
durch Construction finden. 

Umgekehrt ist man auch im Stande^ die eine Componente zu 
finden, wenn die andere sowie die Resultante gegeben ist. Wäre z. B. 
nur eine Ejraft bekannt, welche strebt, den Körper während der Zeit- 
einheit von m nach a zu bewegen, die wirkliche Bewegung wäre aber 
von m nach n vor sich gegangen , so würde man vollkommen berech- 
tigt sein , auf das Vorhandensein einer zweiten Kraft zu »chliessen, 
welche während derselben Zeit gestrebt hätte, den Körper von m nach 
b zu bewegen. Diese zweite Kraft kann jedoch auch nur eine schon 
vorhandene Bewegung repräsentiren. Anstatt sich den Körper 
als von zwei Kräften angegriffen vorzustellen, kann man sich den- 
selben auch ald bereits in Bewegung denken, und diese dann so, dass 
der Körper gerade das Wegstück zurücklegen würde, um welches ihn 
di« eine Kraft fortzubewegen strebt. Man findet also auch durch die 
Theorie des Kräfteparallelogramms den Einfluss , welchen eine Kraft 
auf die schon vorhandene Bewegung eines Körpers ausübt. — Wenn 
z. B. ein Körper sich in Bewegung befindet und in Folge dessen wäh- 
rend der Zeiteinheit von m nach a fortbewegt , dabei aber zugleich 
von einer Kraft angegriffen ist, welche dem Körper die Bewegung m b 
zuzuertheilen strebt, so geschieht die Bewegung des Körpers nach dem 
Punkte n. 

Mit Hülfe der angefühHen Sätze lässt sieh die Bahn des Steines 
verfolgen, der durch irgend eine Kraft, z. B. die Muskelkraft, aufge- 
^worfen worden ist. Es ist hierbei erlaubt anzunehmen, dass die 
Schwere den Stein in allen Punkten seiner Bahn mit derselben Kraft 
^egen die Erdoberfläche herunterzieht, ebenso dass die Riebtungen, in 
^«reichen diese Kraft wirkt, beständig mit einander parallel bleiben. 
Schliesslich wollen wir vom Widerstand der Luft gegen die Bewegung 

11* 



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164 H. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

gänzlich absehen. ~ Wenn nnn dem Stein eine Bewegung ertheilt 
wird, vennöge welcher derselbe während der ersten Sekunde vom 
Punkte m (Fig. 20) bis Punkt a versetzt würde, die Schwere aber 

Fig. 20. 



gleichzeitig den Stein bis Punkt b herabgezogen haben würde, im 
Fall man ihn hätte frei hemnter fallen lassen, so ist die wirklich 
durchlaufene Strecke durch die Linie mn angegeben. Denken wir 
uns jetzt, jedoch nur für einen Augenblick, dass die Schwere auf- 
hörte zu wirken, so müssten wir nach dem Principe der Trägheit 
schliessen , dass der Stein in Folge seiner erlangten Geschwindigkeit 
und Bewegungsrichtung während der zweiten Secunde den Punkt Ot 
erreichen würde. Die Schwere beeinflusst jedoch diese Bewegung, 
indem sie den Stein das Stück nb^ herunter zu ziehen sucht; die Re- 
sultante ist also np. In ähnlicher Weise verfolgt man den Lauf durch 
die Punkte g, r, u. s. w. während der folgenden Secunden, bis der 
Stein herabgefallen ist. Die Bahn des Steines ist nun keineswegs, 
wie es nach dem Obigen erscheinen könnte, eine gebrochene Linie, 
sondern eine Curve, deren Krümmung sich stetig verändert; je kleiner 
die Zeiteinheit angenommen wird, desto mehi' schmiegt sich die durch 



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§ 9. Sätze aus der Mechanik. 165 

die obige Construction ennittelte gebrochene Linie der wahren Bahn 
des Steines, der sog. Trajectoriean. 

Wie schon oben hervorgehoben wurde , deutet eine Bewegung, 
welche nicht gleichfönnig und geradlinig ist, an, dass Kräfte auf den 
in Bewegung befindliehen Körper einwirken ; wir können also jetzt die 
Aufgabe zu lösen versuchen, diese Kräfte durch Construction oder durch 
Rechnung zu bestimmen. Gewöhnlich handelt es sich jedoch nicht nur 
darum, den augenblicklichen Werth und die augenblickliche Eichtung 
der Kraft zu bestimmen , sondern man will vielmehr das allgemeine 
Gesetz kennen lernen, nach welchem die in den verschiedenen Augen- 
blicken stattfindenden Kraftäusserungen erfolgen. So erfolgt z.B. die 
Einwirkung der Schwere auf den in die Höhe geworfenen Stein nach 
dem Gesetze , dass derselbe während jeder Zeiteinheit (Sekunde] eine 
gleichgrosse Strecke gegen die Erdoberfläche herabgezogen wird, und 
dass alle diese Strecken dieselben Richtungen haben ; und zwar ganz 
unabhängig von der Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung, welche 
zu Anfang der verschiedenen Secunden stattfindet. — Bisweilen ist 
das Auffinden solcher Gesetze sehr leicht; es liegt, so zu sagen, auf 
der Hand ; in andern Fällen müssen grössere Schwierigkeiten über- 
wunden werden , die mitunter den grössten Scharfsinn auf die Probe 
stellen. 

Im vorhergehenden Paragraphen wurde schon erwähnt, dass Ga- 
lilei auf experimentellem Wege die Gesetze für den geradlinigen Fall 
der Körper gegen die Erdoberfläche fand und nachweisen konnte ; wir 
wollen nun versuchen, die Natur derjenigen Kraft zu ermitteln, deren 
Folge jene Gesetze sind. Hier müssen wir nun zuvörderst die Be- 
merkung einschalten, dass , wenn die beiden Componenten im Kräfte- 
parallelogramm zusammenfallen , die Resultante gleich ihrer Summe 
wird. Mpn überzeugt sich sehr leicht von der Richtigkeit dieses Aus- 
spruchs , indem man sich den Winkel zwischen den Seitenkräften 
immer kleiner und kleiner werdend und endlich verschwindend denkt. 

Lässt man einen Körper herabfallen, ohne demselben eine andere 
Bewegung zu ertheilen als die, welche durch seine eigene Schwere be- 
dingt wird, so erlangt derselbe am Ende der ersten Sekunde eine 
Geschwindigkeit, die wir vorhin mit g bezeichneten. Hörte nun die . 
Schwere auf zu wirken , so würde der Körper mit eben dieser Ge- 
schwindigkeit seinen Weg gegen die Erdoberfläche fortsetzen , wäh- 



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1 66 H. Kapitel. Newtons Gesetz der allgemeinen Schwere. 

rend er in der ersten Sekunde mit der mittleren Geschwindigkeit ^g 
herabfiel. Während der zweiten Sekunde filllt der Körper aber nicht 
das Stttck Qy sondern das Stück ^g (wie man aus der Formel ^^^^ • 2^ 
— ^9 • l^ findet), also ein grösseres Stück, als wenn er seinen Weg 
ohne Einwirkung einer £j*aft fortgesetzt hätte. Diese Kraft ist es ge- 
rade, die wir kennen lernen wollen. — Wir haben also nun die 
Resultante gleich ^g und überdies wissen wir, dass die eine Com- 
ponente g beti'ägt ; nennen wir die zweite , noch unbekannte Compo- 
nente x, so ist 

x + 9 = i9 
woraus folgt : 

x^^g 

welches ausdrückt , dass der fallende Körper in der zweiten Sekunde 
von einer Kraft beeinflusst wurde, die allein seine mittlere Geschwin- 
digkeit während derselben Zeit um ^(/ vergrössert, folglich ebensoviel 
wie in der ersten Sekunde. Ebenso findet man, dass die am Ende 
irgend einer Sekunde erlangte Geschwindigkeit in der nächst- 
folgenden um g vergrössert ist, dass also die Kraft mit derselben 
Intensität wirkt, unabhängig von dem Abstand des Körpers von der 
Erdoberfläche , ebenso wie von dessen Geschwindigkeit oder von der 
Zeit, die er schon gefallen ist. Die Schwere wirkt mithin hier wie 
eine constante Kraft. *) 

Indem wir nun zu der Untersuchung von krummlinigen Be- 
wegungen übergehen, müssen wir wieder einige Bemerkungen vor- 
ausschicken. — Wenn eine gerade Linie durch zwei Punkte einer 
Curve gezogen wird , und der eine dieser Punkte dem andern inmier 
näher rückt und endlich mit demselben ganz zusammenfällt, so nennt 
man die Grenzrichtung, welche die gerade Linie annimmt, die Tan- 
gente der Curve in dem fraglichen Punkte. Diese (geometrische) 
Tangente darf jedoch nicht mit der trigonometiischen Tangente (vgl. 
pag. 89) verwechselt werden. — Wir denken uns nun einen Kör- 



*) Dieses Resultat ist nicht in aller Strenge richtig , aber seine Un- 
richtigkeit kapn erst bemerkt werden , wenn der Körper Räume durch- 
läuft , die im Verhältniss zu den Dimensionen des Erdkörpers merklich 
sind : alsdann bedürfen aber auch die Galilei'schen Fallgesetze entspre- 
chender Modificationen. 



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§ 9. Sätze aus der Mechanik. 167 

per, der unter dem Einflüsse irgend welcher Kräfte sich in einer 
krummlinigen Bahn bewegt , sowie dass diese Kräfte, wenn der Kör- 
per einen gewissen Punkt a (Fig. 21) seiner Bahn erreicht hat, zu 
wirken aufhören; die Bewegung des Körpers wtirde nun in einer 
Biehtnng fortgehen , welche durch die Tangente der Bahn in dem be- 
treffenden Punkte bestimmt ist, sowie mit derselben Geschwindigkeit, 
mit der der Körper in diesem Punkte anlangte. 

Wir wollen j etzt die Kraft in dem Falle ermitteln , wo der Körper sich 
in einer CuiTe bewegt, wo also etwa die gekrümmte Linie nahm (Fig. 
21) ein Stück der Bahn vorstellt. Den Körper denken wir uns im Punkte 
a angekommen und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, dass 
derselbe sich in der Zeiteinheit um das Stück a d auf der Tangente 
ae fortbewegen wüide. In diesem Punkte a denken wir uns ferner 
einen Kreis derBahncurve möglichst genau angeschmiegt, so dass der 
Kreis dieselbe Krümmung hat wie die Trajectorie in diesem Punkte ; 
wir dürfen alsdann voraussetzen, dass der sehr kleine Bogen ab ge- 
meinsam für die Trajectorie und für den Krümmungskreis ist. Den 
Radius dieses Kreises , dessen Mittelpunkt wir in o annehmen , und 
welcher die Ki'ümmung der Bahnlinie im Berühningspunkte angiebt, 
nennt man Krümmungsradius ; wir bezeichnen denselben mit R. — 
Die wirkliche Bewegung des Körpers in der Zeiteinheit sei nun a b ; 
wir ziehen bc parallel mit da und nehmen an 6c = ad. Die Kesul- 

Fig. 21. 



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1 68 II- Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

tante ist also ab (als eine gerade Linie betrachtet) und die eine Com- 
ponente ist ad =:^bc; unsere Aufgabe, die zweite Componente zu 
finden , ist nun eine rein geometrische , nämlich die , die Grösse des 
Stückes aczu bestimmen. Zu diesem Zwecke machen wir von einigen 
aus der Elementargeometrie bekannten Sätzen Gebrauch , welche auf 
unseren Fall angewendet, zu folgender Proportion führen *) : 

ac : ab = ab : af 
woraus folgt 

ac = — 
2R 

Wir haben bisher die Zeiteinheit als so klein angesehen, dass der 
während derselben durchlaufene Bogen der Trajectörie mit dem ent- 
sprechenden Bogen des Krümmungskreises identificirt werden konnte ; 
Nichts hindeii; , dieselbe auch so klein zu wählen, dass wir diese 
Bögen als ein Stück einer geraden Linie voraussetzen dürfen. Bei 
dieser Annahme erhält man für ac den folgenden Ausdruck, in dem 
V die Länge des Böge ns zwischen a und b bezeichnet, 

(1) ac=- 

Bezeichnen wir hierauf mit T die Umlaufszeit im Krümmungs- 
kreise, d. h. die Anzahl Zeiteinheiten, welche der Körper braucht, 
um mit der constanten Geschwindigkeit v den ganzen Umkreis zu 
durchlaufen, so ist 

27c7? 
T 
mithin auch 

(2) «c=-i-y2- 

und dies ist der Ausdruck für die mittlere Geschwindigkeit , mit wel- 
cher der Körper während der ersten Zeiteinheit gegen den Mittelpunkt 



*) Diese Sätze lauten: 1) Wird in einem Halbkreise ein Dreieck ein- 
geschrieben, so ist der Winkel an der Peripherie oder dem Durchmesser 
gegenüber ein rechter. 2) In Dreiecken mit gleichen Winkeln (ähnlichen 
Dreiecken) verhalten sich die Seiten des einen wie die entsprechenden 
des andern. Die Dreiecke abc und b cf sind gleichwinklig und geben 
daher die obige Proportion. 



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§ 9. Sätze aus der Mechanik. 169 

des Krümmiingski'eises herabfiele, wenn seine Bewegung plötzlich ge- 
hemmt würde. 

Wir sehen , wie die wirkliche Bewegung a 6 in die zwei Compo- 
nenten ad und ac zerfällt« man bemerkt aber auch leicht, dass die 
Componente a c nur dann die ganze Kraft repräsentirt, wenn die in a 
erlangte Geschwindigkeit durch ad = bc angegeben wird. In diesem 
Falle wirkt die Kraft in der Richtung des Krümmungsradius. Der 
allgemeinerQFall, wo die Kraft in einer anderen Richtung wirkt, kann 
indessen auf den einfacheren zurückgeführt werden. — Wir denken 
uns die Linie ad [Fig. 22) die eigene Geschwindigkeit (d. h. die Ge- 
schwindigkeit, mit der der Körper in a ankommt) darstellend, ab die 
Resultante aus dieser Geschwindigkeit und einer Kraft, welche wäh- 
rend der Zeiteinheit dem Körper die Bewegung ap beigebracht hat. 
Diese letztere Bewegung kann jedoch in zwei Componenten zerlegt 
werden, von denen die eine in die Richtung des KiUmmungsradius, 
die andere aber in die der Tangente fällt : diese Componenten seien 
ac und cp = dq. Die Resultante ab kann jetzt als aus den Compo- 
nenten aq und ac entstanden gedacht werden , von welchen die letz- 
tere bereits durch die Ausdrücke (l) und (2) gefunden wurde, indem 
wir mit v den Bogen a6 bezeichneten : die Componente aq^ ist abef 
aus der eigenen Bewegung des Körpers ad und der Componente dq 
zusammengesetzt, also auch von der einwirkenden Kraft abhängig. 

Fig. 22. 



Diesen Ueberschuss kann man aber auch berechnen , wenn man nur 

die Richtung ap kennt, d. h. den Winkel, welchen die Richtungen 

dp und ac mit einander bilden. Diesen Winkel pac bezeichnen wir 

diurch P und finden alsdann : 

ac = ap Cos P ; dq = cp = ap Sin P, 
folglich auch 



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1 70 II. Kapitel. Newton'« Gesetz der allgemeinen Schwere. 

dq =^ acTangP; 
die ganze Kraft ap finden wir wieder ans der Formel 

ac 
«^ = 01^ . 
oder aus 

ap = Väc^ + cp^ = acVl -t-TangP^ *) 
Diese Formel zeigt uns, dasä in den Fällen, wo P einen kleinen 
Werth hat, der Unterschied zwischen ap und ac in noch viel höherem 
Grade als gering , oder wie man sagt als eine kleine Grösse höherer 
Ordnung anzusehen ist ; denn wenn schon Tang P einen kleinen nu- 
merischen Werth hat, so ist das Quadrat daron noch viel geringer. 

Wäre z. B. Tang P = ^V » »^ ^^ ™*° '^^^S ^^ = Txnr • I» ^^^ 
Natur giebt es eine Menge Fälle, in denen P wirklich einen so kleinen' 
Werth hat, da^s man, wenigstens in einer ersten Annäherung, 
setzen luum 

ap = ac. 
Sowohl ap wie dq können als mittlere Geschwindigkeiten ange- 
sehen werden , die dem beweglichen Körper von der Kraft zuertheilt 
worden sind ; t^ill man jedoch die am Schluss der Zeiteinheit erlangte 
Endgeschwindigkeit alsMaass für die Kraft ansehen, so hat man bloss 
die gefandenen Ausdrücke mit 2 zu multipliciren. Bezeichnen wir 
demgemäss die in der Richtung des Krümmungsradius wirkende 
Componente mit p , die gegen ihn senkrechte aber mit u , **) so 
haben wir 

p = 2ac = ^ = -^ 

u = -^Tang P= -^^ Tang P; 
indem man femer die totale Kraft mit cp bezeichnet, wird 



*) Hieraus findet sieh auch die ganz allgemein gültige Relation 

1 



1/1 -h Tang P2 «= -^^^^ See P. 

**) Der Krümmungsradius fällt mit der sog. Normale zusammen, 
d. i. der Richtung, welche im Berührungspunkte senkrecht auf der Tan- 
gente steht. 



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§ 9. Sätze ans der Mechanik. 17 1 

Wenn überdies P einen so kleinen Werth hat , dass Cos P mit der 
Einheit vertanscht werden darf, so ist.einfach 
,.. v^ 47r2B 

Geßtützt auf diese Fonnel können wir folgenden Satz aus- 
sprechen : 

Wenn ein Körper sich in einer Bahn bewegt, 
welche von einem Kreise sehr wenig abweicht, und 
. ist die bei dieser Bewegung wirkende Kraft stets 

I gegen die Nähe des Mittelpunktes gerichtet, so ist 

die in jedem Punkte der Bahn wirkende Kraft pro- 
portional dem Quadrate der totalen Geschwindigkeit 
r 9 und umgekehrt proportional dem Krümmungsradius. 

Wir können hinzufAgen, dass der Fehler dieses Satzes 
; nur von der Ordnung des Quadrats der Abweichung 

I zwischen der Richtung zum Mittelpunkte und der 

I Bicbtung der Kraft ist. 

Trifft es noch zu, dass die Geschwindigkeit ihren mittleren 
Werth zu der Zeit annimmt, wo auch der Krümmungsradius seinen 
mittleren Werth hat , so können wir den folgenden , wichtigen Aus- 
druck anwenden 

47c2a 



(4) cp = 



^0^ 



wo a den mittleren Werth des Eüümmungsradius und T^ die wirkliche 
Umlaufszeit des Körpers in seiner Bahn bedeutet. 

Die Oomponente p wird gewöhnlich Centripet al kraft, die 
Componente ^Tangentialkraft genannt ; man nennt die letztere 
so, weil sie in der Richtung der Tangente wirkt. 

Aus dem Angeführten geht nun die wichtige Thatsache hervor, 
dass ein Körper sehr wohl eine krummlinige Bahn beschreiben kann, 
obne dass eine Kraft in dieser vorwärts treibt ; die Tangentialkraft 
kann zwar die Geschwindigkeit in der Richtung der Tangente be- 
schleunigen , sie kann dieselbe aber auch verzögern , und am aller- 
wenigsten braucht man sie einer Kraft zuzuschreiben ., die in dieser 
Hichtung angreift;. 

Eine , in ihrer Grösse mit der Centripetalkraft vollkommen 
gleiche, ihrer Richtung nach aber entgegengesetzte Kraft heisst 



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1 72 11. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Centrifngalkraft; wir werden sehen, unter Welchen Umständen 
sie auftreten kann. Man kann sich die Sache in folgender Weise 
denken. Wenn ein Körper, den wir wie bisher immer einfach als 
einen materiellen Punkt betrachten , einige Zeit hindurch in kreisför- 
miger Bewegung gewesen ist , und wenn die Kraft, die hierbei wirk- 
sam war, plötzlich aufhören würde zu wirken , so würde der Körper 
mit gleichförmiger Geschwindigkeit sich in der Richtung der Tangente 
fortbewegen. Betrachten wir die Fig. 21, so sehen wir sogleich ein, 
dass der Abstand des Körpers von dem Mittelpunkte des Kreises, 
in der ersten, nach dem Aufhören des Krafteinflusses folgenden Zeit- 
einheit, sich um ein Stück vermehrt, das mit ac gleich ist. Der Kör- 
per würde also eine Bewegung erhalten, die man sich entstanden 
denken kann durch eine Kraft von solcher Beschaffenheit , dass die- 
selbe während der Zeiteinheit dem Körper eine Geschwindigkeit von 
der Grösse der Centripetalkraft, aber in entgegengesetzter Richtung, 
zu ertheilen strebt. Wenn der in Bewegung befindliche Punkt mit 
dem Mittelpunkte o fest verbunden ist, so kann die Bewegung, welche 
die Centrifngalkraft zu veranlassen strebt , natürlich nicht zu Stande 
kommen , diese Kxaft strebt aber unausgesetzt, so lange die Kreisbe- 
wegung dauert, das Band zwischen dem beweglichen Körper und dem 
Mittelpunkt der Bewegung zu lösen, und in vielen Fällen wird sie in- 
tensiv genug , diese Verbindung zu überwinden, wo dann der beweg- 
liche Körper weggeschleudert wird. Man kann sich sehr leicht hier- 
von überzeugen, wenn man an einer nicht gar zu starken Schnur 
einen Bleiklumpen befestigt und denselben in Kreisbewegung versetzt, 
während man mit der Hand das andere Ende der Schnur festhält. 
Bei starker Bewegung wächst die Centrifugalkraft und zwar im Ver- 
hältniss wie das Quadrat der Umlaufszeit kleiner wird, — endlich er- 
reicht sie die Grenze , wo die Schnur zerreisst und der Bleiklumpen 
fortgeschleudert wird. — Weil die Erde sich um eine Axe dreht, sind 
alle Körper an ihrer Oberfläche mehr oder weniger der Centrifugal- 
kraft unterworfen. Um die Wirkung dieser Kraft an verschiedenen 
Punkten der Erdoberfläche zu berechnen, hat man für T die Um- 
drehungsgeschwindigkeit der Erde zu nehmen , und für R den senk- 
rechten Abstand des betreffenden Punktes von der Rotationsaxe. 
Für Punkte am Aequator ist dieser Abstand gleich dem Halbmesser 
des Erdkörpers, an den. Polen ist derselbe Null; mithin verschwindet 



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§ 9. Sätze aus der Mechanik. 173 

auch da die Centrifiigalkraft. Wir wollen sie nnn für einen Punkt am 
Aeqnator, wo sie am gr^ssten ist, berechnen. Um diese Rechnung 
auszuführen, müssen wir die Rotationsgeschwindigkeit der Erde 
kennen, ebens(t wie ihren Halbmesser; den hiermit gefundenen 
Werth dividiren wir dann durch g, oder die von dfer Schwerkraft be- 
wirkte Fallgeschwindigkeit, nachdem diese Kraft eine Sekunde ge- 
wirkt hat. Wir erhalten auf solche Weise das Verhältniss der Cenjtri- 
fugalkraft zur Schwerkraft. 

Die Erde vollendet ihre Umdrehung in einer Zeit von 861*64 
Sekunden mittlerer Zeit; diesen Werth haben wir für T anzuwenden, 
da g unter der Annahme der Sekunde als Zeiteinheit bestimmt worden 
ist. Da feine;* g in Meter abgegeben ist, so muss auch R in demselben 
Maasse ausgedrückt werden. Für den jetzigen Zweck genügt es, von 
der ursprünglichen Definition des Metermaasses auszugeh^en und also 
anzuuehmeu, dass der Abstand vom Aequator bis zum Pol 10000000 
Meter beträgt. Der Umfang des Kreises ist aber 2irÄ, folglich 
haben wir 

2 TTfi = 40000000. 
Den Werth von g haben wir schon früher mitgetheilt (vgl. p. 157). 
Es findet sich nun 

4tc2jR _ 1 
gT'^ ~289' 
woraus hervorgeht, dass die Schwere der Körper am Aequator 
in Folge der Oentrifugalkraft um ^|^ vermindert ist. Hörte die Ro- 
tationsbewegung der Erde plötzlich auf, so würden alle Körper am 
Aequator an Gewicht zunehmen und zwar ebenfalls um -^^ . 

Die von Galilei gefundenen Gesetze für die Schwingungs- 
bewegung des Pendels könnte man durch eben so einfache Betrach- 
tungen ableiten wie die, welche zu den oben gefundenen Sätzen führ- 
ten ; man hätte dabei von der Annahme auszugehen, dass die einzige 
wirkende Kraft die Schwere der Pendelkugel sei. Umgekehrt könnte 
man auch aus diesen Gesetzen folgern, dass die hier wirkende Kraft 
in der Schwere besteht. — Weil jedoch diese Deductionen bei der 
Darstellung der astronomischen Theorien und deren Entwicklung kein 
unmittelbares Interesse haben, so können wir dieselben übergehen und 
uns damit begnügen , nur die folgende Formel anzuführen , welche 
die Relation zwischen der Schwingungszeit des Pendels [t] , dessen 



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174 n. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Länge (/) Hiid der durch die Schwere verursachten Fallgeschwindig- 
keit am Ende der ersten Sekunde [g] angiebt. Diese Formel, in wel- 
cher TT, wie vorher, die Ludolph'sche Zahl bezeichnet, ist 

wobei indessen der Ausschlagwinkel des Pendels als sehr klein vor- 
ausgesetzt wird. 

Unter Centralbewegung versteht man diejenige Bewegung, 
bei der die Kraft stets von ein und demselben Punkte (Kraftcentrum] 
aus wirkt; im Uebrigen kann die Kraft von beliebiger Natur sein. 
In Bezug auf solche Bewegungen gilt ein Satz, welcher in der Mecha- 
nik und namentlich für die Theorie der Planetenbewegungen von 
grosser Bedeutung ist. Diesen Satz wollen wir noch ableiten. 

Im Punkte o (Fig. 23) denken wir uns ein Kraftcentrum, mithin 

Fig. 23. 



die Kraft stets nach demselben gerichtet ; in a sei ferner ein Körper 
mit einer solchen Geschwindigkeit angekommen , dass derselbe wäh- 
rend der nächsten Zeiteinheit den Weg ah durchlaufen würde. Die 
Gentralkraft Öieilt dem Körper jedoch während dieser Zeiteinheit die 
Geschwindigkeit nc mit, so dass seine resultirende Geschwindigkeit 



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$. d. Sätzd aus der Meehanik. ] 75 

durch die Diagonale ad dargestellt wird. Der K($fper würde nun in 
der zweiten Zeiteinheit mit der Geschwindigkeit de tsx ad fortbewegt 
werden, wenn nicht die CentraUtraft ihre Wirkung ansttbte; diese 
ertheilt aber dem Körper während der zweiten Zeiteinheit eine neue 
Geschwindigkeit, etwa die Geschwindigkeit df, so dass die während 
der zweiten Zeiteinheit erlangte resultirende Geschwindigkeit dg ist. 
— Aus der Elementargeometrie entlehnen wir nun den Satz, dass, 
wenn zwei Dreiecke auf derselben, oder auch auf 
gleich, grossen Grundlinien stehen und überdies zwi- 
schen denselb^en parallelen Geraden, sie denselben 
Flächeninhalt haben. Diesem Satze zufolge sind die Dreiecke 
aod und deo einander gleich, und ebenso die Dreiecke dpe und dog. 
Hieraus folgt femer, dass 

Dreieck aod =s Dreieck dog. 

In derselben Weise beweist man die Gleichheit der folgenden 
Dreiecke und gelangt somit zu dem Satze: dass alle Dreiecke, die 
von zwei Abständen des bewegten Körpers vom Kraftcentrum gebil- 
det werden, und bei weli^en der Winkel an diesem Centrum der Ge- 
schwindi^eit während einer Zeiteinheit entspricht^ gleich sind. — 
Die Bewegung geschieht jedoch nicht in Wirklichkeit längs der ge- 
brochenen Linie adgk . . ., sondern in einer Curve, .welche sich 
diesen Punkten anschmiegt; wenn ab^* die Zeiteinheit hinreichead 
klein angenommen wird, so kann der Unterschied zwischen de« frag- 
lichen Dreiecken und den entsprechenden Sectoreja yemachlässigt 
werden, da derselbe unendlich klein wird im Yerhältniss au den schon 
sehr kleinen Seetoren (vgl. pag. 1 43) ; man erlangt demnach den fol- 
genden, in aller Strenge geltenden Satz: Wenn sich einKörpev 
unter dem Einfluss einer Centralkraft bewegt, so be-r 
schreibt der Radiusvector (d. i. der Abstan.d des beweg- 
ten Körpers vom Kraftcentrum) während gleicher Zei- 
ten gleiche Flächen. 

Sobald also di« Theorie der Gentralbewegung bekannt war, und 
man annehmen konnte , dass das Kraftcentrum mit der Sonne zusam- 
menfiel, musste das zweite Kepler'sche Gesetz von selbst einleuchten. 

Hiermit sehliessen wir die Darstellung der mechanischen Lehr- 
sätze ab ; ctie bereits angeführten werden genügen , um übersäen zu 
können, worin das grosse von Newton entdeckte Naturgesetz besteht.. 



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176 II. Kapitel. Newtons Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Zwar werden wir nicht seinem Wege im Einzelnen , nnd namentlich 
nicht seiner Darstellung folgen können , allein die Natnr der allge- 
meinen Schwerkraft zn erkennen, dürfte nns doch gelingen. 



§ 10. Newton's Entdeckung des allgemeinen Oravltations- 



Z wischen Kepler's Entdeckung der Gesetze der Planetenbe- 
wegung nnd Newton' 8 theoretischer Herleitnng derselben aus dem 
Principe der allgemeinen Schwere liegt ein Zeitraum von mehr als 
einem halben Jahrhundert. Während dieser Zeit entwickelte sich 
mehr und mehr die Vorstellung, dass von der Sonne , die in dem co- 
pernicanisch-kepler'schen Weltsysteme das Centrum der Welt aus- 
machte, auch die Kraft ausginge, welche die Bewegungen d^r Plane- 
ten veranlasst. — Schon Kepler hatte sich etwas Derartiges gedacht, 
allein da er weder das Gesetz der Trägheit noch* die Lehre von der 
Centralbewegung kannte, so mussten seine Speculationen hierüber 
das Ziel verfehlen. Er glaubte nämlich, dass die Kraft, welche die 
Planeten um die Sonne dreht , ungefähr beschaffen sei wie die vom 
Centrum aus wirkende Kraft, durch welche die peripherischen Theile 
eines Schwungrades herumgedreht werden. Nicht unähnlich waren die 
Phantasien des C a r t e s i u s , die jedoch eine Zeitlang sehr begierig auf- 
genommen wurden . — Dass solche Vorstellungen in keiner Weise zur 
Erklärung der empirisch erkannten Bewegungsgesetze führen konnten, 
fst selbstverständlich, und sie stehen auch nicht im geringsten Znsammen- 
hangmit derspäterenTheorie. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahr- 
hunderts fing man an, die Lehre von der Centralkraft und ihren Wir- 
kungen aufzustellen, und auf dieser Basis konnte die Natur der in- 
nerhalb des Sonnensystems wirkenden Kraft untersucht werden. — 
Die Aufgabe war eigentlich jetzt nur noch die , die Natur der Kraft 
zu ermitteln , welche von der Sonne aus , als Kraftcentrum , die von 
Kepler gefundenen Gesetze veranlasst ; die Proportionalität der vom 
Radiusvector durchlaufenen Flächenräume zu den Zeiten g^b nämlich 
zu erkennen , dass das Kraftcentrum mit dem Sonnenkörper zusam- 
menfiel. An der Lösung dieser Aufgabe wurde von mehreren Gelehr- 
ten gearbeitet , kurz bevor Newton das Resultat seiner Arbeiten der 
königlichen Societät in London übergab. Die ganze Zeit war sich 



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§ 10. Newton's Entdeckung des allgemeinen Gravitation^gesetzes. 1 77 

dessen bewusst, dass eine grosse epochemachende Entdeckung bevor- 
stand, und möglicherweise hat sogar R. Hooke noch etwas vor 
Newton gefunden, dass die Anziehungskraft umgekehrt proportional 
dem Quadrate der Entfernung wirke. Die Untersuchungen Newton*s er- 
streckten sich jedoch viel weiter , und die Resultate derselben haben eine 
ungleich höhere Bedeutung , indem er die Anziehung als eine allge- 
meine Eigenschaft der Materie erkannte. Da3 von ihm erkannte Na- 
turgesetz können wir zunächst folgendermaassen ausdrücken : Jedes 
Molecül oder jeder materielle Punkt zieht jeden an- 
dern an , und zwar befolgt diese Anziehung das Gesetz, dass sie ver- 
mindert wird im Verhältniss des Quadrats der Entfernung; die An- 
ziehung ist mithin umgekehrt proportional dem Qua- 
drate der Entfernung. Wird die Gleichheit der Massen unab- 
hängig von dem Newton'schen Gesetze definirt, so muss diesem Ge- 
setze noch hinzugefügt werden, dass die Anziehung direct 
proportional der Masse ist; man kann aber auch sagen, 
dass zwei Körper, dieselbe Masse besitzen, wenn sie 
einen dritten in derselben Entfernung mit derselben 
Intensität anziehen. 

Das Newton'sche Gesetz zerlegen wir mit Whewell (History of 
the inductive sciences) in fünf verschiedene Sätze , und werden jeden 
einzeln beleuchten und beweisen. 

I. Die Kraft, womit die Sonne die ve.xschiedenen 
Planeten anzieht, ist umgekehrt proportional den 
Quadraten der respectiven Entfernungen. 

Die Richtigkeit dieses Satzes lässt sich , wenigstens näherungs- 
weise, sehr leicht einsehen. Die Bahnen der Planeten sind Ellipsen, 
die sehr wenig von der Kreisform abweichen ; auch gehöi-t die mitt- 
lere Geschwindigkeit weder zum grössten noch zum kleinsten Krüm- 
mungshalbmesser, sondern zu einem dazwischen liegenden. Wir ha- 
ben also für die Kraft den Ausdruck 

' 4 7:2 a 

Nach dem dritten Kepler'scben üesetze ist aber 

wo k eine für alle Planeten gemeinsame Constante bezeichnet; mit 
Eücksicht auf diese Relation wird 

Cryld^n, Astronomie. 10 



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17S n. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

4w2 1 

woraus folgt , dass man die Kraft der Sonne erhftlt , indem man die 

constante Zahl -^ durch n^ dividirt. Die Richtigkeit des obigen 
Satzes ist somit erwiesen. 

II. Jeder Planet wird in verschiedenen Punkten 
seiner Bahn in solcher Weise angezogen, dass die an- 
ziehende Kraft umgekehrt proportional dem Quadrat 
des Radiusvector ist. 

Dieser Satz folgt aus den beiden ersten Kepler'schen Gesetzen 
oder daraus, dass die Kraft eine Centralkraft ist , die von dem einen 
Brennpunkte einer Ellipse aus wirkt. Der Zusammenhang zwischen 
den Prämissen und dem Resultate ist hier nicht so ganz leicht zu Hber- 
sehen ; in Anbetracht seiner Wichtigkeit darf aber eine kurze An- 
deutung nicht übergangen werden. 

Wir erinnern uns vor allen Dingen des Ausdruckes 
_ t;2 
'^ "" Ä Cos P ' 
welcher im vorhergehenden Paragraphen gefunden wurde. Die in 
dieser Fonnel vorkommenden Grössen müssen nun alle durch r aus- 
gedrückt werden, d. h. durch die Entfernung des Planeten von der 
Sonne. Zu (ttesem Zwecke werden wir uns einiger Oonstnictionen aus 
der Lehre von der Ellipse bedienen , ohne uns jedoch bei den Bewei- 
sen derselben aufzuhalten. — Den beweglichen Körper nehmen wir 
an im Punkte M (Fig. 24) , in welchem auch die Tangente PP^ an 
die Ellipse gelegt worden ist. Die Kraft wirkt nun von dem Brenn- 
punkte F aus, die Centripetalcomponente aber in der Richtung des 
Krümmungsradius oder senkrecht zu der Tangente , also in der RicJi- 
tung MN, Der Winkel zwischen diesen beiden Richtungen ist FMN, 
derselbe, den wir vorhin mit P bezeichneten. Nehmen wir nun an, 
dass der Planet während der sehr kleinen Zeiteinheit den Bogen MM' 
zurücklegt, den wir, ohne merklich zu fehlen , als eine gerade Linie 
betrachten dürfen, und tragen wir auf der Geraden PP^ das Stück 
PP' = MM' ah von dem Punkte P, in welchem der Perpendikel 
PF die Gerade PPx trifft;, so gelangen wir zu folgenden Ergebnis- 
sen. Erstens ist, wie man leicht einsieht, das Dreieck PFP' dem 



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\ 



/ 



] 



[ 



§ JO. Newton'« Eatdecknng: des aH^meinen OravitationflgÄset^es. 1 79 

Flg. 24. 



Dreiecke od<a- Sector MF AI' gleich, den der Sadiusvectpr wÄlirend 
der Zeiteinheit beschreibt. Die Fläche dieses Sectors ist aber eine 
Constante, d. h. sie hat immer denselben Werth , folglich hat das in 
der oben beschriebenen Weise constmirte Dreieck PFP' auch immer 
einen coBstanten Werth , wo auch der Pimkt M sich auf der Ellipse 
befinden mag. Der Flächeninhalt dieses Dreiecks ist also 

4 PP' X PF' = C 
m0 C Q^e Oomtaate bezeichnet , deien Werth wir ttforigens jetst nieht 
bedttrfen. 

Den gemachten Annahmen gemäss ist wieder PP' gleich der 
totalen Geschwindigkeit während der Zeiteinheit , die wir mit v be- 
zeichneten; ferner ist der Winkel PFM gleich dem Winkel FMN, 
weil PF nnd MN einander parallel sind ; da nun FM = r, so haben 
wir 

PF=r Cos PFM = r Cos P 
und 

12* 



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180 n> Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

rr Cos P= 2C 
oder 

2C 



V = 



r Cos P 

Mit diesem Werthe erhalten wir aus dem oben angeführten 
Werthe von cp : 

_ J_ 4C^ 
'^ ~ r2 fiCos P3 • 

Die Länge des Krümmungshalbmessers in einer Ellipse findet 
sich nun durch die folgende Construction . Durch den Punkt N, wo 
die gerade Linie MN die halbe grosse Axe der Ellipse schneidet, zie- 
hen wir die Gerade ANB parallel der Tangente PPi, Von den 
Punkten A und B-, in welchen diese Linie die Radienvectoren oder 
deren Verlängerungen schneidet , ziehen wir femer Senkrechte gegen 
letztere, die sich stets in einem Punkte C schneiden werden , welcher 
auf der Verlängerung von MN liegt. Das Stück MC ist nun der 
Kiümmungshalbmesser im Punkte M, den wir durch R bezeichnet 
haben. — Es ist nun leicht einzusehen, dass 

AM=RCos P 
und ferner, weil auch A NM ein rechter Winkel' ist, dass 
MN= AM Co^ P=R Cos P2 . 

Fällt man vom Punkte N Perpendikel auf die Radien FM und 
F'M , so werden die Stücke MD und ME abgeschnitten , die , wie 
man beweisen kann , nicht nur unter sich gleich sind , sondern auch 
stets dieselbe Länge haben, wo auch der Punkt M auf der Ellipse lie- 
gen mag. Diese constante Länge bezeichnen wir mit K, und haben 
also Ä' r= T)M. Nun ist aber 

DM=MNGobP 
folglich erlangen wir auch, indem der gefundene Werth von AfiV be- 
rücksichtigt wird, 

K=R Cos Pi . 
Dieser Werth von R Cos P^ giebt uns endlich 

_ 1 4C2 

? — ^.2 ^' 

welcher Ausdruck die Richtigkeit des zweiten Satzes beweist , weil 

4C2 ' 

der Factor — — - constant, also unabhängig von r ist. 
K. 



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§ 10. Newton's Entdeekung des allgemeinen Gravi tationsgesetxes. 181 

m. Dieselbe Ursache, welche die Schwere der Kör- 
per aufder Erdoberfläche veranlasst, bedingt auch die 
Centralkreft bei der Bewegung des Mondes; die Schwer- 
kraft an der Erdoberfläche verhält sich zu letzterer 
wie die Quadrate der Halbmesser der Mondbahn und 
des Erdhalbmessers. 

Auch dieser Satz geht ohne Schwierigkeit aus empirischen Da- 
ten hervor. Die Kraft, mit welcher die Erde auf die Bewegung des 
Mondes einwirkt, können wir nach der Formel für die Centripetal- 
kraft berechnen ; wir haben also 

4ic2rt 

wo T die siderische Umlaufszeit des Mondes und a dessen mittlere 
Entfernung von der Erde bedeutet. Wie im Vorhergehenden (pag. 
35) angegeben wurde , ist die siderische Umlaufszeit des Mondes 
27T 7st 43m ^ 39343 Minuten oder = 60 X 39343 Sekunden. 
Die mittlere Entfernung ist wiederum sehr nahe gleich dem sechzig- 
faehen des Erdhalbmessers. Bezeichnen wir letzteren durch R , so 
haben wir also 

_ 4it2ÄX60 _ 4ic2ä 

^ ~~ 602 X (39343)2 ~ 60 (39343)2 
oder, weil 27t i? = 40000000 Meter, 
^ _ 40000000 7c 
^""3 (39343)2 • 
Ftthren wir die Berechnung dieses Ausdruckes aus , so finden wir 
_ l 
* ~ 369,52 • 
Diese Kraft wollen wir nun mit der Schwerkraft an der Erdober- 
fläche vergleichen. Wenn letztere eine Sekunde unbehindert wirkt, 
so ertheilt sie den Körpern die Geschwindigkeit (j = 9.81 Meter, 
jene wiederum dem Monde die Geschwindigkeit 9. Das Verhältniss 
beider ist 



also fast genau 



1 =3565,0 = (59,7)2 






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182 II- Kupitel. Newtons Ge»ett der aUgemekien Seliwere. 

Es m*s8 noch hinzngefflgt werden , dass die Erdmässe fast g^ten so 
wirkt, als ob sie allein im Mittelpunkte ooncentrhrt wäito; diefiekwer- 
kraft verhält sich also anch in diesem Falle nmgekehrt wie äi% Qua^ 
drate der Entfernungen. 

IV. Die Sonne wirkt nicht nur anf die Planeten, 
sondetn auch anfalle übrigen Körper, wo sie sich auch 
befinden mögen, mit einer anziehenden Kmft ein, also 
anch anf den Mond. In ähnlicher Weiset ziehen aneh di^ 
Planeten sowohl sich nnter einander wie die Sonile an 
im nmgekehrten Verhältniss der Quadrate der gegen- 
seitigen Entfernungen. 

Die Beweise der beiden ersten Sätse haben gezeigt, dasä die 
Keplefsehen Gesetze zu der Annahme Mner Kraft führen müssen, 
welche von der Sonne aus im u^igekehrten Verhältniss des Quadrats 
der Entfemüüg die Planeten anzieht. Die Sicherheit diedes Resul- 
tates beruht in erster Linie auf der Genauigkeit der Beobachtungen ; 
denn die Kepler'schen Gesetze siüd vermittelst Indnction ans solchen 
hergeleitet, weshalb man schon a priori kaum annehmen kann , dass 
sie absolut richtig seien. Nähme man aber nmgekehrt die Newton- 
sehe Theorie als richtig an\ so würden die K^ler'schen Gesetze dar- 
aus unmittelbar als vollkommen richtig abgeleitet werden können, 
aber wohlverstanden nur unter der Bedingung, dass keine andere 
Kraft ausser der Anziehungskraft der Sonne auf die Bewegung der 
Planeten einwirkte. Unset viertel Satz äagt jedoch aus, dass dies nicht 
der Fall ist^ sondern dass die Himmelskörper einander gegenseitig an- 
ziehen. — Bei der Bewegung des Mondes z. B., für den die Erde 
der hauptsächlich anziehende Körper ist, bemerkt man die Anzie- 
hungskraft der Sonne sehr deutlich ; seine Bewegung mit Hülfe der 
Kepler'schen Gesetze darzustellen wurde zwar versucht , man konnte 
aber dabei zu keinem befriedigeüden Resultate gelangen. Ohne die 
gleichfalls störende Anziehungskraft der Sonne würde der Mond mit 
kaum merklichen Abweichungen eine Kepler'sche Ellipse um die 
Erde beschreiben. Aber auch die Bewegungen der Planeten müssten 
Abweichungen von jenen Gesetzen verrathen , da ja diese gleichfalls 
einander anziehen sollen, vorausgesetzt dass ihre Massen nicht ganz 
unmerklich wären. Unser vierter Satz kann also, streng genommen, 



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§ 10. Newtoa's Entdeckung des allgemeinen GraTitationsgesetzes. 183 

nicht mit den Kepler'schen Gesetzen bestehen ; dies hindert jedoch 
keineswegs, dass diese Gesetze sehr nahe mit den wirklichen Bewe-* 
goBgi^esetzen übereinstimmen, da ja doch die Einwirkungen der 
Planeten sehr klein, wenn auch nicht ganz unmerklich sein können. 
Auf Grand der Thatsachen wollen wir also jetzt entscheiden , ob die 
Gesetze Kepler's in aller Strenge richtig sind, oder ob dieselben , un-* 
serm vierten Satze gemäss, einer Modification bedürfen. 

Die Gesetze sollen zunftchst , da sie aus den beobachteten Pia- 
netenbewegnngen hervorgegangen sind, dieselben wiedergeben , aber 
auch der Bewegnng des Mondes müssten sie entsprechen, sollte ihnen 
eine ganz allgemeine Bedeutung zuerkannt werden. Die thatsäch- 
liehe Mondbewegimg ist nun allerdings von solcher Art , dass man 
eine elliptische Bahn annehmen muat, ebenso dass die Bewegung dem 
zweiten Kepler'schen Gesetze folgt, allein durch diese beiden Annah- 
men kann man nnr die Bewegung während einer relativ sehr kurzen 
Zeit und anch nur in sehr rohen Zügen wiedergeben : man kann sich 
Rechenschaft; über die Mittelpnnktsgleichung geben, aber die Be- 
wegnng der Apsiden ebenso wie die Ungleichheiten: die Evection, 
Variation und jährliche Gleichung, anderer nicht zu gedenken, blei- 
ben dabei vollkommen unerklärt. 

Am Sehluss des § 4 wurde bereits hervorgehoben , dass jene 
Ungleichheiten durch gewisse, numerisch gegebene Coefificißnten, 
multiplicirt mit gewissen Sinusfunctionen, dargestellt werden. Dieses 
Ergebniss ist direct aus den Beobachtungen erlangt worden und in 
jeder Weise unabhängig von der Theorie. Zeigt es sich aber, dass 
die Einwirkung der Sonne auf die Bewegung des Mondes — wenn 
diese Einwirkung nach dem Newton'schen Gesetze stattfindet — ge- 
rade solche Ungleichheiten und Veränderungen der Bahn veranlasst, 
wie die Beobachtungen an den Tag legen, so würde man in die- 
sem Umstände den Beweis für die Richtigkeit des vierten Satzes er- 
blicken können , wenigstens insoweit sich derselbe auf Sonne , Erde 
und Mond bezieht. — Diesen Beweis hat nun Newton geliefert. Er 
hat gezeigt, wie sich die genannten Ungleichheiten, ebenso wie die 
Bewegung der Apsiden und Knoten auf Grund der attrahirenden Ein- 
wirkung der Sonne berechnen lassen, und dass die Berechnung im 
Allgemeinen den Beobachtungen genügt; nur die Anziehungskraft 
der Sonne , verglichen mit der der Erde in demselben Abstände von 



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tS4 11. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

dem Monde, müsste ans den Beobachtungen bestimmt werden. Dies 
heisst mit anderen Worten, dass die theoretische Berechnung der 
Evection, Variation und der jährlichen Gleichung, sowie die von den 
Bewegungen der Apsiden und der Knoten , ausser der Kenntniss der 
betreffenden elliptischen Bahnelemente (also Excentricität , Neigung 
u, s. w. nur das Verhältniss der mittleren Entfernungen zwischen 
Sonne und Erde und zwischen Mond und Erde ; sowie die Verhält- 
nisse der drei Massen als bekannt voraussetzt. Auf welche Weise die 
Berechnung dieser Ungleichheiten ausgeführt wird, wollen wir im 
nächsten Paragraphen durch einige Andeutungen zu zeigen versu- 
chen ; irgend welche vollständigere Auseinandersetzung dieses Gegen- 
standes kann schon deshalb hier nicht gegeben werden , weil dabei 
sehr tiefgehende mathematische Kenntnisse des Lesers vorausgesetzt 
werden müssten. 

Die Einwirkung der Sonnenmasse auf die Bewegung des Mondes 
ist besonders auffallend, dagegen ist die gegenseitige Einwirkung der 
Planeten auf einander im Allgemeinen nicht sehr erheblich ; aber je 
mehr man sich bemüht hat, diese Einwirkungen in Uebereinstimmung 
mit dem Newton'schen Gesetze zu berechnen und je mehr die Ge- 
nauigkeit der Beobachtungen zugenommen hat , desto mehr hat auch 
hier die Uebereinstimmung zwischen Beobachtung und Rechnung ge- 
zeigt, dass jeder Körper im Sonnensystem jeden andern anzieht. 

V. Die allgemeine Attractionskraft, mit welcher 
alle Körper aufeinander wirken, geht von jedem Mo - 
lecül der Körper aus und wirkt auf jedes Molecül; 
wenn ein Theil eines Körpers abgetrennt wird, wirkt 
der ti brig bleiben de Theil mit ein er geringeren Kraft, 
als vorher der ganze Körper. 

Es war nicht leicht, einen directen Beweis für diesen Satz zu 
finden ; es wäre hierzu erforderlich gewesen , die verschiedene Ein- 
wirkung untersuchen zu können , welche einzelne Theile von Him- 
melskörpern auf einander ausüben. Auf der Erde konnte man na- 
türlich hierzu geeignete Versuche anstellen ,. da solche aber jedenfalls 
nur sehr kleine Theile im Ver&ältniss zum ganzen Erdkörper betref- 
fen konnten, so wären äusserst feine Instrumente und ganz besonders 
sinnreich ausgedachte Beobachtungsmethoden erforderlich gewesen, 



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§10. Newton's Eii<}deckang des allgemeinen Gravitationsgesetzes. 185 

um die sehr geringen Einflüsse wahrnehmen und constatiren zu kön- 
nen. In späteren Zeiten sind solc^ie Experimente indessen gelangen, 
indem man sie folgendermaassen einrichtete. Eine Metallstange wurde 
an einem feinen, gedrehten Faden aufgehängt , der in der Mitte der 
Stange befestigt war, demnach so , dass die Stange in ihrer Gleich- 
gewichtslage eine vollkommen horizontale Stellung einnahm. An 
beiden Enden der Stange waren ausserdem Bleikugeln befestigt , die 
genau gleiches Gewicht hatten und also nicht die Gleichgewichts- 
lage der Stange störten. Wenn nun eine grössere Bleikugel in 
die Nähe der einen von den aufgehängten gebracht wurde , jedoch 
nicht in der Verlängerung der Stange , zeigte sich deutlich eine Ein- 
wirkung, indem die Stange in solche Bewegung versetzt wurde , dass 
sich die aufgehängte Kugel der grösseren näherte. Liess man nun 
die grössere Kugel ihre Lage in der Nähe der einen von den beiden 
aufgehängten Kugeln beibehalten , so ftthrte die Stange eine pen^el- 
artige Bewegung um den Aufhängungspunkt aus, gerade wie das 
gewöhnliche Pendel seine Oscillationen in Folge der Einwirkung der 
ganzen Erdmasse ausfährt. Wir haben im Vorhergehenden (pag. 174) 
gesehen , dass diese Einwirkung durch die Zeit , welche das Pendel 
zum Vollbringen seiner Oscillationen braucht, bestimmt werden kann, 
und ebenso lässt sich auf die Kraft schliessen , ' mit welcher die grös- 
sere Kugel die kleinere anzieht. Auf diesem Wege kann man also 
das Verhältniss zwischen der anziehenden Einwirkung der Erde und 
der Bleikugel finden, wobei natürlich Rücksicht auf die Dimensionen 
der beiden anziehenden Massen zu nehmen ist. Da nun die Masse 
proportional der Anziehung ist , wenn diese auf dieselbe Entfernung 
reducirt wirÄ, so lässt sich in dieser Weise das Verhältniss der Blei- 
masse zur ganzen Erdmasse finden. 

Statt des Verhältnisses der Massen zweier Körper giebt man 
auch häufig, namentlich wenn es sich um irdische Gegenstände han- 
delt, das Verhältniss ihrer Dichtigkeiten an oder auch das ihres 
specifischen Gewichtes. Diese Begriffe müssen wir erläutern. Einen 
jeden Körper kann man sich als aus einer sehr grossen Anzahl Mo- 
lecttle oder Massenelemente zusammengesetzt vorstellen, und man 
sagt, in Uebereinstimmung damit, dass ein Körper desto mehr Masse 
hat, je grösser die Anzahl seiner Molecüle ist , oder dass die Masse 
dieser Anzahl proportional ist. Diese Mdeeüle können aber in einem 



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1 g6 II. Kiqntel. Newton'» Gesetz der allgemeinen Schwere. 

mehr oder weniger grossen Banme vertiieüt lein , aad es ist klar, ; 

dass sie , je grösser das VolunieB ist , welcbies sie aasfttUen , desto ' 

mehr von einander entfernt sind. Man sagt, wenn dieselbe Quantität I 

Materie in einem grösseren Baume yertheilt ist, dass sie weniger 
dicht ist, als wenn sie einen geringeren Raum ausfüllt. Zwei an ' 

Grösse sehr verschiedene Körper können daher dieselbe Masse haben; 
die Materie ist in d^n einen nur in anderer Weise vertheüt als im 
anderen. — Körper mit gleicher Masse und' von demselben Volumen 
haben aacfa gleiche Dichtigkeit ; die Dichtigkeit ist aber desto gerin- 
ger, je grösser das Volumen ist, während die Masse dieselbe bleibt, 
und umgekehrt. Auf Grund dieser Begriffe hat man die folgende 
Relation zwischen Masse (m), Volumen (t;) und Dichtigkeit (d) fest- 
gestellt 

m^s^ V .d. 

Wenn also das Verhältniss zwischen den Massen der Bleikugel 
und der ganzen EIrde durch Versuche bestimmt worden ist, findet man 
mit Httlfe der obenstehenden Relation anch das Verhältniss der Dich- 
tigkeit des Bleies zu der mittleren Dichtigkeit der Erde, natürlich 
unter der Voraussetzung , dass das Verhältniss der respectiven Volu- 
mina bekannt ist. — Wird die Dichtigkeit des Wassers al8 Einheit 
genommen, so ist die Dichtigkeit des Bleis 11.34; für die mittlere 
Dichtigkeit der Erde hat man im Mittel aus versohiedenen und nach 
verschiedenen Methoden ausgeführten Bestimmungen den Werth 5.5 
gefunden. 

Durch die Versuche mit den Bleikugeln ist nun unzweifelhaft 
bewiesen worden, dass die Erde nicht nur, als Ganzes betrachtet, eine 
attrahirende Einwirkung ansübt^'^sondern auch , dass einzelne Theile 
derselben, entsprechend dem Verhältniss ihrer Massen, wirken. Aber 
auch durch Versuche anderer Art hat man den Beweis für diese wich- 
tige Thatsache gefunden. — Wenn die Erde eine vollkommene Ku- 
gelform hätte, in der die Materie duix^haus gleichförmig vertheüt 
wäre, so würde die Anziehungskraft, welche von dem ganzen Erdkör- 
per ausgeübt wird, beständig gegen ihren Mittelpunkt gerichtet sein.' 
Dies ist aber, genau genommen, keineswegs der Fall. Genauere Messun- 
gen der Erdoberfläche haben ergeben, dass dieselbe ein an den Polen 
abgeplattetes Sphäroidist, d.h. eine Figur, deren Schnitte vermittelst 
einer Ebene Kreise sind, wenn die schneidende Ebene parallel mit dem 



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§ 10. Newton'B Emtdeckung de» allgemeinen Gravitationsgesetzes. 187 

Aeqpaier li^, abdr ElüpsoB, wenn dieae Ebene senkrecht auf 
dem AeqliatfNr steht, liftn katin aber aneh jetzt , wenn die Erd- 
oberfläche in iroUkommener Strenge als eine soiehe Figur betrach- 
tet und aiss^rdem die Gleichförmigkeit der Massenveith^lnng ange- 
Bommen wird ^ die an jedem Pnnkt der Erdeberflftche stattfindende 
Biehtnng der Schwerkraft berechnen. Lasst man nnn ein Senkblei 
in der Nähe eines bedentonden und frei stehenden Berges niederhän* 
gen, so wird man — vorausgesetzt dass hinreichend feine Messwerk* 
zeuge angewandt werden — wahmehmeii, dass die Richtung des 
Lothes um Ewiges vcm der Biditnng abweicht, wekhe die sphäroidi- 
sehe Brdfignr veranlassen mftsste. Die an verschiedenen Seiten des 
Berges angestellten Versuche führen zu der Gewissheit , dass die At* 
^actionskiaft des B^ges diese Abweichung der LoÜilinie von der 
KMrmaleD Richtung der Schwere veranlasst. Derartige Abweichun- 
gen nennt mangewöhnlichLoöalattractionen. -~ Solche örtliche 
Anziehungen werden häufig bemerkt, auch wenn kein Berg in der 
Nähe zu finden ist , oder die Beschaffenheit der Gegend keineswegs 
dieselben vermuthen läset ; man ist aber jetzt von der Richtigkeit des 
Newton^'sehen Gesetzes so vollkonmien überzeugt , dass man kein Be- 
denken trägt, diese Abweichungen entweder durch die Annahme von 
miterirdisehen Bergen zu erklären, worunter wir die Anhäufung der 
Materie mit grösserer Dichtigkeit als ;der normalen an der Erdober- 
fläche verstehen, oder auch vtm unterirdischen Thälern , je nachdem 
sich die Abweichungen in der Nachbarschaft verhalten. Wenn das 
Loth an mehreren Puakten gegen eine von ihnen eingeschlossene 
Stelle abgelenkt wird, muss eine unterirdische grössere Masse ange- 
nommen werden, im entgegengesetzten Falle aber Materie von gerin- 
gerer Dichtigkeit. Die Anwesenheit der Materie von geringerer Dich- 
tigkeit bringt nämlich in diesem Falle, wo die Umgebung mit dich- 
terer erflllit ist , dieselbe Erscheinung hervor, als ob von der Höhle 
eine zurflckstosdende Enft ausginge. So hat man gefunden , indem 
die Abweichungen an verschiedenen Punkten der Umgebung der Stadt 
Moskau untersucht wurden , dass in der Nähe oder unter der Stadt 
selbst bedeutrade unterirdische Höhlen vorhanden sind ; ebenso hat 
man angenommen, dass sich das HimaUyagebirge über unterirdischen 
Fundamenten oder beträehtlichen Massen erhebt. 

Zu Newton*^ Zeit wurden dergleichen Versuche und Untersucbun- 



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188 II. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

gen, wie die zuletzt erwähnten , weder ansgefflhrt noch konnten sie 
ausgeführt werden, weil hierzu ganz besonders fein eonstroirte Mess- 
Instrumente und Apparate nöthig sind ; aber nichtsdestoweniger ge- 
lang es Newton, wenigstens theil weise , darzuthun , dass jedes Mas- 
senelement dem allgemeinen Gravitationsgesetze unterworfen ist. Er 
konnte nämlich zeigen, dass Sonne und Mond nicht allein die Erde 
als Gesammtmasse anziehen , sondern auch und eigentlich jedes ein- 
zelne bewegliche Molecül derselben ; und zwar ist es das Wasser der 
Oceane, das durch seine Menge und seine Beweglichkeit den Bestand- 
theil des Erdkörpers bildet , an welchem man die in Rede stehende 
Erfahrung machen konnte. — Bei flüchtigem Nachdenken könnte 
man meinen, dass sich das Wasser, indem es sowohl der Anziehungs- 
kraft des Mondes wie des festen Erdkörpers unterworfen ist, vorzugs- 
weise um den Ort der Erde ansammeln würde , in dessen Zenith der 
Mond sich gerade befindet, weil dieser Punkt dem Monde am nächsten 
ist. Indessen verhält sich die Sache nicht so, und der Fehler einer 
solchen Vorstellungsweise würde in dem Umstände zu suchen sein, 
dass weder der Mond noch die Erde fest im Welträume sind , sondern 
im Gegentheil jeder der Einwirkung anderer Anziehungen unterwor- 
fen. Die Wassermenge, welche auf der dem Monde zugewendeten 
Hälfte der Erdoberfläche vorhanden ist , wird allerdings von diesem 
Weltkörper stärker angezogen als der feste Erdkörper, weshalb auch 
dieser Theil der Oceane einen Wasserberg oder eine grosse Welle 
bilden muss, deren Rücken gegen den Mond gerichtet ist. Der übrige 
Theil des Wassers, auf der andern Seite der Erde , wird aber wieder 
weniger angezogen , weil er weiter von dem Monde entfernt ist als 
der feste Erdkörper , dessen Masse hier als im Mittelpunkte concen- 
trirt gedacht werden darf. Die Folge dieser Verschiedenheit in der 
Anziehung kann natürlich keine andere als die sein , dass der feste 
Erdkörper dem Mond etwas mehr genähert wird, als das Wasser auf 
der dem Monde abgewandten Halbkugel. Dieses Wasser muss also 
streben, eine Welle zu bilden , deren Rücken von dem Monde abge- 
wendet ist ; das Resultat der Einwirkung des Mondes auf die Gewäs- 
ser der Erde ist daher das folgende. Sowohl an dem Punkt der Erde, 
in dessen Zenith der Mond steht , wie auch an dem diametral gegen- 
überliegenden, erhebt sich die Spitze einer Wasserweile , und weil — 
in Folge der Drehung der Erde -• verschiedene Punkte nach und 



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§ 10. Newton's Entdeckung des allgemeinen Gravitationsgesetzes. 189 

nach unter den Mond , d. h. auf die Verbindungslinie zwischen den 
Mittelpunkt von Erde und Mond zu lieg^d kommen, so schreiten diese 
Wellen in derselben Richtung wie die scheinbare Bewegung des Mon- 
des oder in entgegengesetzter der Erddrehung vor. Die Eracheinung 
dieser Wellenbewegung ist allbekannt unter dem Namen Ebbe und 
Fluth. In Folge des Annähems der erwähnten Wellen steigt das 
Wasser in den Oceanen und namentlich an den Küsten und in Meer- 
engen, wo die Wellen sich nicht frei fortbewegen können , zweimal 
während vierundzwanzig Stunden und zweimal sinkt es wieder zurück. 
Wären hier keine Nebenumstfnde vorhanden , so würde die höchste 
Höhe des Wassers in dem Augenblicke eintreffen, wo der Mond den 
Meridian passirt , entweder sichtbar im Süden , wo er — vorausge- 
setzt dass der Beobachter sich auf der nördlichen Halbkugel befindet 
— dem betreffenden Ort am nächsten ist , oder [im Allgemeinen un- 
sichtbar) im Norden, zu welcher Zeit die Entfernung vom Monde am 
grössten ist. Verschiedene Ursachen bewirken indessen, dass die 
Erscheinung keinen so regelrechten Verlauf nimniuk. Der Meeresboden 
und die Configuration der Küsten legen dem regelmässigen Vorwärts- 
schreiten der Fluthwelle Hindemisse in den Weg , weshalb die ver- 
schiedenen Phasen von Ebbe und Fluth gewöhnlich einigt Zeit nach 
dem Meridiandurchgang des Mondes eintreffen. Der Unterschied ist 
für verschiedene Orte verschieden, bleibt sich aber für denselben 
Ort gleich, soweit nicht zufällige Störungen eintreten, wie z. B. 
Stürme in der Nachbarschaft u. dgl. m. Hat man deshalb einmal die 
Verspätung des Hochwassers beobachtet , so kann man für die Zu- 
kunft die Zeiten voraussagen , zu welchen das Hochwasser eintreten 
wird, was auch in den nautischen Kalendern für die wichtigsten 
Hafenplätze geschieht. Die fragliche Verspätung nennt man Hafen- 
zeit (englisch tide). 

Aber Ebbe und Fluth entstehen nicht allein in Folge der An- 
ziehungskraft des Mondes auf die Bestandl^eile der Erde , auch die 
Sonne veranlasst eine analoge Erscheinung, die jedoch quantitativ ge- 
ringer ist. E» kann einen Augenblick paradox erscheinen , dass die 
Bonne, deren Anziehungskraft auf die Erde unvergleichlich viel 
grösser ist als die des Mondes, nidits destoweniger geringere Fluth- 
wellen als der Mond verursacht ; indessen ist die Erklärung hierfür 
ebenso einfach wie leicht gefunden. Man braucht nämlich nur daran 



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190 il. KiHritel. Newtoa'« Gtotetz der ftUgemeioen Schwere. 

zu danken, dasi Ebbe nad Flnth in Foige ungleicher Bntwiifaing der 
betreflSenden Hinmeiskörper snf das Wasser nnd anf den festen Erd^ 
körper enteteben , das» jdier die Vencbiedeiifaeit dieser Ekmikvng 
nnr eine Folge der versekiedenen EniferMingen ist. Führt man die 
Berechnung dieser Einwiiiningen ans, so wird OMn leicht finden, dass 
die Sonneninth geringer als die Mondflufh sein muss. Diies ist anch 
durch Beobachtungen vollkommen bestfttigt werden. -^ Wenn Benne 
und Mond gleiciuseitig cuhniniren , sei es im Norden oder im Siden, 
oder auch so, dass das eine Gestirn im Sttden cniaiimrt, wfihrend das 
andere im Norden unter dem HorizontK den Meridian passirt, so ist 
die FMh stets höher, als wenn beide Gestirne 6 Btonden nach ein* 
ander euhniniren. Durch Vergieicfanng der Höhen des Hochwassers 
zu den verschiedenen Aspecton kann man das VethftUnies der beiden 
Einwirkun^n ermitteln, und man hat dabei gefanden, dass die 
Bonnenflttth nur f, oder genauer 0.4255 der Mondfinth Jbeträgt. Es 
ist schwer, aus den Beobachtungen von Ebbe und Fkith eine gmaue 
und sichere Bestirnnying dieses Verhältnisses zu erlangen, aber inner- 
hin erhiüt man anf diesem Wege eine approximative BestimmoDg der 
Mondmasse im Yerhitttiiss »ir Bonnenmasse. 

Wir bezeichnen durch r den Abstand des Mondes w« einem 
Punkt der Erdobeifläche , den wir uns, der Ein&diheit wegen, anf 
der VerbindungBlinie der Mittelpunkte von Erde und Mond denken ; 
femer den Halbmesser der Erde mit a und die Masse des Mondes mit 
m ; die Wirkung der Anziehung des Mondes auf den ^agüehen Punkt 
ist nun nach Newton's Gesetz gegeben duireh den Ausdrvck : 

m 

und die amS den festen Brdkörper, dessen Masse wir als im Mittel- 
punkte concentrirt denken, durch : 

m 

Der Unterschied foeoder Wirkungen beträgt : 

/! 1 \_ o(2r4-a) 

Nun ist aber a ziemlich klein Im VerhältaisB %u r ; wir dflrfen daher, 
umsomehr, da wir keine sehr grosse Genauigkeit erstreben, a neben r 
vemachüssigen, und hid>en alsdann den Ausdruck 



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§ 1 0. Newton'B Entdeckung des allgemeinen GravitatioftsgetBetKes. 191 

für die Grösse, um welche das Wasser «ehr gegen äen ICond erhoben 
wird, als der ganze Brdkörper. 

In äknlieber Weise findet man den Ansdniek 

Ma 

für die Solarfluth , wenn M die Sonnenmasse und R die Entfernung 
der Sonne bezeichnet. Durch Division dieser beiden Ausdrücke findet 
man das Verhältniss der Solarfluth zur Lunarfluth, und da dieses Ver- 
hältniss durch Beobachtungen zu 0.4255 ermittelt wurde, so hat 
man: 

0.4255 = --- ♦ 

Nimmt man die Erdmasse als Einheit an, so ist Jl/ = 319455*); 

R 

femer ist, wie neuere Untersuchnngen ergeben haben: — = 385,05. 

Hiemach findet sich 

ein Werth , der nahe genug mit exacteren , auf rein astronomischen 
Wegen gefundenen Bestimmungen der Mondmasse übereinstimmt. 
Diese geben nämlich : 

Weil Ebbe und Fluth von der Entfernung des Mondes von der 
Erde abhängen , so müssen die Fluthhöhen zu den Zeiten , wo der 
Mond in seinem Perigäum ist, grösser sein, als zu den Zeiten des Apo- 
gäums. Dies ist auch deutlich zu bemerken, wenn die Beobachtungen 
über die Erscheinungen des Hochwassers während eines längeren Zeit- 
raumes fortgesetzt werden , und in derselben Weise kann man in dem 
Verlauf des periodischen Steigens und Sinkens des Meerwassers viele 
Eigenthümlichkelten der Sonnen- und Mondbewegung sich abspiegeln 



*) Dieser Werth, welcher von Hansen herrührt, weicht nicht un- 
erheblich von älteren Bestimmungen ab. Derselbe steht aber in voller 
Harmonie mit den neueren Bestimmungen der Bonnenparaliaxe. 



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192 11- Kapitel. Newton's Oesetz der allgemeinen Schwere. 

sehen ; um so mehr, je sorgfältiger die Beobachtungen angestellt wer- 
den. Es ist demnach kein Zweifel mehr darüber, dass die Ursache 
von Ebbe und Fluth in der Anziehungski*aft der Sonne und des Mon- 
des zu suchen ist, und dass diese Himmelskörper nicht nur 
die Erde als Gesammtmasse, sondern auch ihre ein- 
zelnen Theile, jeden für sich, anziehen. 

Dass aber auch der feste Erdkörper in seinen verschiedenen 
Theilen dem allgemeinen Gravitationsgesetze unterworfen ist, konnte 
aus folgenden Gründen erwiesen werden , obgleich die Bestätigung in 
einzelnen Punkten erst nach Newton's Zeit erfolgte. Wäre die Erde 
eine homogene Kugel, d. h. eine Kugel, in welcher die Masse voll- 
kommen gleichförmig vertheilt ist, so dass die Dichtigkeit in jedem 
Punkte dieselbe bleibt , so könnte die Einwirkung des Mondes nur in 
einem Streben bestehen, die gegenseitige Entfernung beständig zu 
vermindern, genau so, als wenn die ganze Erdmasse in ihrem Mittel- 
punkte vereinigt wäre. Die Einwirkung müsste aber andere Folgen 
haben, wenn die angezogene Masse innerhalb einer nicht kugelförmi- 
gen Oberfläche vertheilt wäre, deren Dimensionen nicht verschwindend 
kleine Werthe im Verhältniss zu der Entfernung der sich anziehenden 
Körper hätten. Wie aber schon früher erwähnt wurde, ist die Figur 
der Erde nicht vollkommen die einer Kugel, obgleich die Abweichung 
von einer solchen nicht sehr erheblich ist. Die genauen Messungen 
ergaben, dass der Durchmesser des Erdsphäroids von Pol zu Pol 
127 13725 Meter beträgt, während ein Durchmesser in der Ebene des 
Aequators sich auf 12757431 Meter beläuft; der Unterschied beträgt 
43706 Meter oder beiläufig 5.7 geographische Meilen. So klein die- 
ser Unterschied auch erscheinen mag, so ist er doch bei der ver- 
hältnissmässig nicht allzu bedeutenden Entfernung des Mondes und 
der Sonne von der Erde gross genug, um die Einwirkung beider 
Körper auf verschieden gelegene Theile des Erdkörpers bemerkbar 
werden zu lassen, eine Einwirkung, die nicht bemerkt werden könnte, 
wenn die Erde vollkommen kugelförmig wäre, und die überhaupt 
nicht stattfinde, wenn nicht jedes einzelne Molecül der Erdmasse an- 
gezogen würde. 

Die Ermittelung dieser Einwirkung des Mondes und der Sonne 
geschieht nach rein mechanischen Regeln, von denen wir einige im 



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^ lO. Newton^s fintdecknng des allgemeinen Orayitationsgesetzes. Id3 

Vorhergehendeii bereits angefUhrt haben. In Bezug auf einen Körper, 
der ans mehreren materiellen Punkten besteht , müssen jedoch noch 
einige hinzugefdgt werden. — Wir mtissen indessen hierbei die grösste 
Kürze beobachten und uns eigentlich nnr auf Andeutungen beschrän- 
ken, hauptsächlich weil die elementare Entwicklung derselben mei- 
stens nur auf längeren Umwegen erreicht werden könnte. Trotzdem 
ist der Ausgangspunkt nicht weniger einfach und einleuchtend wie 
bei den Regeln, nach welchen die Bewegung eines materiellen Punktes 
ermittelt werden kann; derselbe bildet nämlich nur eine Erweiterung 
der bereits vorgetragenen Principien , aber die mathematische Dar- 
legung der Bewegungsgesetze eines Körpers ist in weit höherem Grade 
verwickelt als die eines materiellen Punktes. 

Die Bewegung eines freien , festen Körpers ist eine zweifache : 
nämlich eine fortschreitende im Räume und eine drehende um einen 
Punkt im Innern, welcher der Schwerpunkt des Körpers genannt 
wird. Derselbe ist durch die folgende Definition bestimmt. Wie auch 
ein fester Körper oder ein festes System materieller Punkte beschaffen 
sein mag , so giebt es innerhalb desselben doch stets einen Punkt von 
solcher Beschaffenheit, dass das ganze System in Ruhe sein würde, 
wenn es nur in diesem befestigt und jeder materielle Punkt des Sy- 
stems von parallelen und gleich grossen Kräften angegriffen wäre. 
Dieser Punkt ist eben der Schwerpunkt. Wenn aber ein «Aderer 
Punkt des Systems befestigt wäre, jedoch so, dass die übrigen unge- 
kindert sich um denselben in unveränderlichen Abständen bewegen könn- 
ten, so würde das ganze System eine solche Lage einnehmen oder einzu- 
nehmen streben , dass der Schwerpunkt auf der geraden Linie liegen 
würde , die durch den befestigten Punkt parallel mit den Richtungen 
der Kräfte gezogen wird. Hierbei können jedoch zwei ganz verschie- 
dene Fälle eintreten. In dem einen liegt der Schwerpunkt in der 
Richtung von dem festen Punkte, in welcher die parallelen Kräfte das 
ganze System zu ziehen streben : eine kleine Verrückung des Systems 
aus der Gleichgewichtslage würde in diesem FaUe nur eine kleine, 
auf diese Lage zurückgehende Bewegung verursachen, falls das System 
sich selbst und den gegebenen Kräften überlassen würde. Befindet 
sieh dagegen der Schwerpunkt auf der entgegengesetzten Seite des 
festen Punktes, so wird die Bewegungserscheinung eine ganz andere, 
wenn das System um ein Unbedeutendes aus der Gleichgewichtslage 

Gyld^n, AstTonomie. ^3 



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l94 ' n. Kapitel: Hewton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

verrückt wird. Der Schwerpunkt würde nämlich jetzt, und mit 
ihm alle übrigen Punkte des Systems, Halbkreise um den festen 
Punkt beschreiben, und erst nach Vollendung dieser Bewegung in 
die Gleichgewichtslage kommen , welche aber alsdann die des ersten 
Falles sein würde. Bekanntlich nennt man die erste Art sta- 
biles, die zweite hingegen labiles Oleichgewicht; bei erste- 
rer liegt, wenn wir materielle Systeme auf der Erde betrachten, 
der Schwerpunkt unter dem Befestigungspunkte, bei der zweiten 
darüber. 

Als Beispiel dieser beiden Arten von Gleichgewicht kann man 
sich das Verhalten einer gewöhnlichen Rollscheibe denken, die leicht- 
beweglich um einen Stift drehbar ist , welcher durch einen beliebigen 
Punkt der Scheibe geht. Man kann nun freilich die Rollscheibe so 
balanciren , dass das Gleichgewicht stattfindet , während der Mittel- 
punkt , den wir uns als mit dem Schwerpunkt zusammenfallend den- 
ken, über dem Aufhängepunkt liegt. Hierbei ist aber das Gleichge- 
wicht labil ; die kleinste Verrückung , welche dasselbe stört , hebt es 
auch ganz und gar auf, und die Rolle dreht sich um den Stift, bis sie 
in die neue und stabile Gleichgewichtslage kommt , wo der Schwer- 
punkt senkrecht unter dem Aufhängepunkt liegt. 

In Bezug auf einen Körper, der in Bewegung ist , hat man vor 
Allem den nichtigen Satz festgestellt, dass die Bewegung des Schwer- 
punktes stets unabhängig von der Bewegung der verschiedenen ihn 
umgebenden Massentheile ist ; und umgekehrt, dass deren Bewegung 
wieder unabhängig von der Bewegung des Schwerpunktes ist. Die 
Gültigkeit dieses Satzes bleibt auch dann noch bestehen , wenn das 
bewegliche System nicht starr ist, d. h. nicht die Form emes ein- 
zigen festen Körpers hat, sondern aus mehreren, in verschiedener 
Bewegung befindlichen Körpern zusammengesetzt ist. Demnach hat 
der Umstand, dass die Planeten in Bewegung um die Sonne sind, 
nicht den geringsten Einfluss auf die Lage des Schwerpunkts im Raum 
oder auf seine eventuelle Bewegung. Die verschiedenen Lagen der 
Planeten können nur bedingen, dass die Sonne innerhalb des Systems 
verschiedene Lagen einnimmt in Bezug auf dessen gemeinsamen 
Schwerpunkt. Der Schwerpunkt des Planetensystems ist fest, wenn 
man von der jedenfalls stattfindenden gemeinsamen Bewegung im 



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§ JO. Newton*» Entdeckung des allgemeinen Gravitationsgesetzes. '195 

Räume, an der die Sonne und alle Planeten theilnehmen , absieht; 
Sonne und Planeten hingegen sind in Bezug auf diesen beweglich. 

Auf der anderen Seite sind die Bewegungen innerhalb des 
Sonnensystems, d. h. in Bezug auf den gemeinsamen Schwerpunkt, 
voUkonmien unabhängig von der Bewegung dieses Punktes im Räume. 
Diese Bewegung kann höchstens einen indirecten Einfluss ausüben, 
dadurch nämlich , dass das Sonnensystem durch dieselbe in die Nähe 
grösserer Massen geführt werden könnte , deren Einwirkung auf die 
relativen Bewegungen innerhalb des Systems merklich werden 
würde. 

Auch die Kräfte, welche innerhalb eines Systems wirksam sind, 
dasselbe mag starr oder frei sein , üben keinen Einfluss auf die Be- 
wegung des Schwerpunktes. Die Erde könnte z.B. den durchgreifend- 
sten Veränderungen unterworfen sein, ihre äussere Figur eine ganz 
andere werden und die Massenvertheilnng im Innern vollständig 
umgestaltet werden , ihr^ Schwerpunkt würde dessenungeachtet fort- 
fahren, die bisherige Bahn um die Sonne zu beschreiben. — Nur 
wenn materielle Theile abgetrennt und in den Raum fortgeschleudert 
würden, müsste die Bewegung des Schwerpunktes der übrig bleiben- 
den Masse eine andere werden als zuvor. 

An der Bewegung des Schwerpunktes im Räume nehmen die ein- 
zelnen Massen des Systems natürlich Theil ; jeder feste Körper würde 
also auch , wenn keine äusseren Kräfte auf ihn einwirkten, wie ein 
materieller Punkt in einer geradlinigen Bahn mit gleichförmiger Ge- 
schwindigkeit fortschreiten. Diese Bewegung ist aber nicht die ein- 
zige. Die einzelnen Theile eines Körpers können auch um seinen 
Schwerpunkt in Bewegung sein. Weil aber jeder zum Körper ge- 
hörende Punkt mit diesem unveränderlich verbunden ist — denn 
sonst würde der Körper kein fester sein — so sind die Abstände 
der verschiedenen Partikelchen vom Schwerpunkte unveränderlich 
dieselben, und folglich muss jeder Punkt bei seiner Bewegung auf 
der X)berfläche einer Sphäre bleiben , die um den Schwerpunkt als 
Mittelpunkt beschrieben und deren Halbmesser gleich der unver- 
änderlichen Entfernung des Partikelchens vom Oentrum ist. Es ist 
klar, dass die Bewegungen sämmtücher Punkte eines Körpers um den 
Schwerpunkt vollständig gegeben sind, wenn man nur die eines ein- 
zelnen Punktes kennt. 

13* 



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Id6 ' II- ^pitel. Kewton's (besetz der allgemeinen Sehwerd. 

Diese Bewegung eines Körpers wm. den Schwerpunkt nennt man 
seine Rotationsbewegung; zur Erklärung derselben hat man 
ebensowenig die Aanahme von Kräften nöthig, wie bei der gerad- 
linigen Bewegung eines Punktes. Während letztere Bewegung aber 
sehr einfach ist und ihre Gesetze leieht in der mathematisches Ans- 
drueksweise anzugeben sind , bedarf es schwer zugänglicher Hfllfs- 
mittel , um die Natur der Rotationsbewegung auch bei vollst&idiger 
Abwesenheit von äussern Kräften zu erkennen. Anfangs betrachtete 
man nur den einfacheren Fall dieser Bewegung , wo der Körper stets 
um dieselbe Axe rotirt. Sämmtliche Rotationen, die wir bei den 
Himmelskörpem kennen, gehören auch diesem Falle an , wenigstens 
sind die Abweichungen der wirklichen Rotationsbewegungen von 
dieser Regel äusserst gering. Das allgemeine Gesetz der Rotation 
wird jedoch hierdurch nicht ausgedrückt. Tiefere mathematische 
Untersuchungen der in Rede stehenden Frage haben nämlich gezeigt, 
dass man zwar den Körper als während einer sehr kleinen Zeit um 
•ine Axe rotirend ansehen kann, dass aber diese Axe die Lage inner- 
halb des Korpus fortwährend ändert. Die Bewegung dies^ Axe ist 
theiis abhängig Y(m der MassenverÜieüung innerhalb des Körpers, 
theils von ihrer Lage , die zu einer gegebenen Zeit vollkommen will^ 
kürlich ist. Die Lage der Rota^onsaace kann nämlich jede beliebige 
sein, ohne dass man deshalb anzunehmen braucht, eine besondre 
Kraft sei hierbei wirksam gewesen ; ist aber diese Lage fUr irgend 
einen Zeitpunkt bestimmt und kennt man die Massenvertheilung im 
Körper, so kann man durch mathematiscke Analyse ^ese Lage für 
jeden andern Zeitpunkt bestimmen. 

Indessen kann die Rotation um den Schwerpunkt atich so be^ 
schaffen sein, dass sie stets um dieselbe, durch den Bchweiputkt 
gehende Axe stattfindet, wobei die einzelnen Partikelohen des Körpers 
mit gleiefafcVrmiger Geschwindigkeit Kreise beschreiben mm Mittel- 
punkte, die sämmtlich auf der Rotationsaxe liegen ; B&t^eh sind die 
Punkte an dieses Axe selbst unbeweglich. Diese Art TonRotat»)tt fin- 
det immer dann statte wenn die Axe während einer endlichen Zeit die- 
selbe Lage im Körper beibehalten hat. Hat der Körper überdies eine fort- 
schreitende Bewegung , so Meibt die Rotaäonsaxe stiets parallel mit 
sich selbst im Baume, dies Alles unter der Voraussetzung, dass keine 
äussern Kräfte einwirken, sowie dass die Massenvertheihmg keine 



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§ 10. Newtons Entdeckung des allgemeinen Gravitatiousgesetzes. 197 

Aendernng erleidet. Geschieht letateres, so mnAS die Rotutionshewa*- 
gUQg nothwendig gelindert werden. 

Ein soh^ber Fall zeigt sieh uns in der Rotation der Erde. 
A priori können wir 3war picht wissen, ob die Botationsaxe im Erd> 
körper eine unveränderliche Lage hat oder nicht ; das letztere wäre 
wsdirscheinlieher, weil es daa Allgemeinere ist. Aber die genauesten 
Beobachtungen haben bisher nichts anderes zu erweisen yennocht, 
als dass die Umdrehnngsaxe stets dieselbe Lage im Erdkörper beibe- 
hält, woraus folgt, dass sie auch dieselbe Richtung beibehalten würde, 
wenn keine äussern Kräfte wirksam wären. Hiemach dürfen wir 
aber auch schliessen, dass, wenn die Richtung dieser Axe nicht die- 
selbe bldben aoUte , äussere Kräfte die Rotationsbewegung der Erde 
beeindussen, falls man nicht die geänderte Richtung bedeutendem 
Veränderungen der Massenveriheilung zuschreiben kann. Angestellte 
Rechnungen haben jedoch erwiesen, dass durch letzteres die Richtung 
der Erdaxe nur höchst unbedeutend verändert werden kann. — Der 
Umstand, dass die Drehungsaxe — wenigstens wenn wir von sehr 
kleinen Grössen absehen — dieselbe Lage innerhalb des Erdkörpers bei- 
behält, ist übrigens »ehr beachtenswerth. Wir dürfen denselben schwer- 
lich einem Zufall zuschreiben , denn ein solcher ist höchst unwahr- 
scheinlich ; wir müssen vielmehr annehmen, day die Erde in solcher 
Weise entstanden und ausgebildet worden ist, dass die Masse sieh 
symmetrisch um die Rotationsaxe gelagert und durch ihre Beweglich- 
keit die etwaigen ursprünglichen Schwankungen vernichtet hat. 

Es wurde schon oben hervorgehoben, wie die Massenvertheilung 
der &de gestattet, dass die Anziehungskraft des Mondes auf einzelne 
Theile des Erdkörpers bemerklich werden kann. Der Einfluss dieser 
Anziehung ist nun an der Rotation der Erde zu erkennen. Um die 
unter dem Einflüsse der Anziehungskraft des Mondes vor sich gehende 
Rotationsbewegung zu finden, ist es vor allen Dingen erforderlich, die 
Einwirkung dieser Kraft auf die einzelnen Theile des Erdkörpers zn 
berechnen. Diese Berechnung für jeden einzeln angezogenen Partikel 
oder auch für eine grosse Anzahl solcher anzustellen, ist jedoch nieht 
nöthig, sondern es genügt für die Anziehung ein allgemeiner mathema- 
tischer Ausdmek , in welchen die Coordinaten der Partikel als unbe- 
stimmte Grössen eingehen, für die man, wenn es gefordert wird, 
nach und nach verschiedene numerische Werthe einsetzen kann. 



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198 n. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Man kann BOgar einen Ausdruck erhalten , aus dem durch sehr ein- 
fache mathematische Operationen die Componenten der Anziehung, 
in irgend einer beliebigen Weise zerlegt, gefunden werden. — Nach- 
dem die Wirkungen auf die Terschiedenen Punkte somit gegeben sind, 
findet man auch, wie ^ie vorhandenen Rotationsbewegungen dersel|;^en 
geändert werden. — Die Anziehung des Mondes auf den gesammten 
Erdkörper findet man hierauf, indem die Anziehungen auf die ein- 
zelnen Massentheiile sudimirt werden, und in derselben Weise ergiebt 
sich auch die Gesammtwirkung des Mondes auf die Rotation des Erd- 
körpefs, wobei jedoch der Umstand nicht tibersehen werden darf, dass 
die Elemente der Masse mit einander fest verbunden sind, so dass also 
die Bewegung eines einzigen die der übrigen bestimmt. In Folge 
dieses Umstandes wird ein grosser Theil der erwähnten Einwirkung 
vernichtet; denn während der Mond strebt, die Rotationsbewegung 
des einen Elementes zu vergrössem, wird die des diametral gegenüber 
liegenden Elementes verringert. Die ganze Einwirkung würde voll- 
ständig vernichtet werden, wenn die Erde eine Kugel wäre. Es 
könnte scheinen , als ob die Summirung der partiellen Einwirkungen, 
weil ihre Anzahl, unendlich gross ist , eine über alle Maassen müh- 
same Arbeit verursachen würde ; dies ist jedoch nicht der Fall. Die 
höhere Mathematik bietet Methoden dar, durch welche derartige Sum- 
mationen mittelst weniger, häufig sehr leichter Operationen ausge- 
führt werden können, wenn nur die Glieder, die summirt werden 
sollen, durch einen allgemeinen Ausdruck gegeben sind. 

Es wurde soeben angedeutet, wie man durch Rechnung den Ein- 
fluss des Mondes auf die Rotationsbewegung der Erde finden kann. 
Die Berechnungen selbst müssen wir übergehen; sie können nicht 
in Kürze mitgetheilt werden , und erfordern überdies, wie schon er- 
wähnt wurde, keine geringen Einsichten in die höhere Mathematik. 
Ein Punkt muss jedoch hervorgehoben werden. Es scheint, dass 
bei den erwähnten Summationen die Vertheilung der Masse im roti- 
renden Körper bekannt sein müsse, weil ja davon die Lage des 
Schwerpunktes im Körper und auch seine Gleichgewichtslage unter 
dem Einflüsse paralleler Kräfte abhängt. Aber wenn auch diese Ver- 
theilung nicht bekannt ist, wie sie es der Natur der Sache nach 
nicht sein kann , da man weder ins Innere der Erde tief genug 
eindringen, noch durch sonstige Mittel die Dichtigkeit in den tieferen 



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§ 10. Newton'B EntdecknDg des allgemeinen Gravi tationsgesetzes. 1 99 

Erdschichten und deren Veränderung direct ermitteln kann, so lässt 
sich doch die in Frage stehende Einwirkung angeben; wenn auch 
unter einer unbestimmten Form. Das Resultat erscheint nämlich 
multiplicirt mit einem unbekannten Coefficienten oder Factor, welcher 
gerade von der Massenvertheilulig abhängig ist. Sobald aber das Re- 
sultat einmal unter einer solchen Fonn erhalten worden ist, wird man 
immer Wege finden , den in Rede stehenden Factor auf Grund der 
zu verschiedenen Zeiten beobachteten Richtung der Erdaxe zu be- 
stimmen. Man kann sich auch eine ungefähre Vorstellung über den 
Betrag des fraglichen Coefficienten dadurch verschaffen , dass man 
die Dichtigkeit der Erdmasse als in allen Punkten gleich annimmt. 
Man würde alsdann auf Grund der als bekannt angenommenen ellips- 
oidischen Figur der Erdoberfläche einen gewissen Werth für diesen 
Factor berechnen können, mithin auch, wenn die Mondmasse bekannt 
ist, die Einwirkung des Mondes auf die Rotation der Erde. Die 
Hypothese, dass die Dichtigkeit im Innern der Erde gleichförmig sei, 
ist jedoch nur auf reine Vermuthung begründet ; sie kann daher mög- 
licherweise sehr falsch sein und es giebt sogar sichere Anzeichen, 
dass sie nicht richtig ist.*) 

Newton untersuchte die vereinigten Wirkungen von Sonne und 
Mond auf den rotirenden Erdkörper ; freilich keineswegs vollständig, 
aber doch so, dass sein Resultat das Wesentliche der neueren Theorie 
der Erdrotation andeutete. Dieses Resultat ist kurz folgendes. Die 
Rotationsgeschwindigkeit der Erde um ihre Axe (welche die Beobach- 
tungen als fast vollkommen unveränderlich innerhalb des Erdkörpers 
erwiesen haben) bleibt unverändert, auch bei der Einwirkung der 
Anziehungen von Sonne und Mond. Dagegen veranlassen diese, dass 
die Rotationsaxe ihre Lage im Räume ändert, d. h. dass dieselbe zu 
verschiedenen Zeiten andere Richtungen annimmt. Diese Verände- 
rungen in der Richtung der Erdaxe sind in Hinsicht ihres Verlaufes 
von zweierlei , wesentlich verschiedener Art. Erstens wird durch die 
vereinte Einwirkung von Sonne und Mond auf den sphäroidischen 



*) Da die mittlere Dichtigkeit der Erde 5.5 ist (vgl. pag. 186) , die 
Dichtigkeit an der Oberfläche indessen kaum 3, so folgt schon hieraus die 
Unrichtigkeit der Hypothese, wenigstens hinsichtlich der höher gelegenen 
Erdschichten. 



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200 U. Kapitel. Newton's Geaetz der allgemeinen Schwere. 

Erdkörper eine langsame Drehung der Erdaxe veranlasst, indem die- 
selbe, oder ricl^tiger, ilire Verlängerung nach beiden Richtungen 
Kreise an der scheinbaren Himmelskugel beschreiben. Da femer die 
Botationsaxe senkrecht auf dem Aequator steht, so folgt, d^ss anch 
diese Ebene in einer Drehung begriffen sein muss. Während der- 
selben behält die Erdaxe fast unverändert dieselbe Neigung gegen 
eine durch den Schwerpunkt des Erdkdrpers senkrecht auf der Eklip- 
tik gezogene Gerade , folglich bleibt auch die Neiguug des Aequa- 
tors gegen die Ekliptik stets dieselbe. *) Die gegenseitige Lage dieser 
beiden Ebenen ändert sich also nur dadurch, dass ihre Durchschnitts- 
linie sich um den Schwerpunkt der Erde und zwar in der Ekliptik 
mit gleichförmiger Geschwindigkeit dreht, ebenso wie die Erdaxe um 
die auf der Ekliptik stehende senkrechte Linie. — Die zweite Wir- 
kung des Einflusses von Sonne und Mond auf die Erdrotation ist eine 
periodische Schwankung der Erdaxe, durch welche auch die Lage der 
Aequinoctialpunkte periodisch verändert wird. Auch entsteht eine 
gleichfalls periodische Aenderung der Schiefe der Ekliptik. 

Die Erscheinung von dem Rttckschreiten der Aequinoctialpunkte 
oder die Präcession haben wir schon im Vorhergehenden besprochen. 
Das allgemeine Gr^vitationsgesetz ermöglicht also eine physische Er- 
klärung dieser schon aus dem Alterthume bekannten Erscheinmig, 
die bis hierher nur geon^etrisch behandelt worden war. Anderseits be- 
weist aber gerade die Präcession, dass Sonne und Mond die einzelnen 
Theile des Erdkörpers und nicht nur die Erdmasse als Ganzes an- 
ziehen. — Das periodische Schwanken der Erdaxe wur^e schon von 
Newton angegeben , konnte aber zu seiner Zeit noch nicht aus den 
Beobachtungen erkannt werden; erst Mitte des 18. Jahrhunderts 
wurde die Aussage Newton's durc^ die feinen Messungen Bradley's 



Ifewton's üntevsuphungen beruhen zum grossen Theil 5^uf 
geometrischen Cpnstpictionen ; nach seiner Zeit aber fand man i^ 
4er algebraischen Analyse ein leichter anzuwendendes und in Fqlge 
dessen kräftigeres Mittel, die Einwirkung der Anziehungen zu ermitt- 



*) Die Ekliptik ändert selbst ihre Lage im Baume, obgleich se)ir 
langsam , folglich ist auch die Schiefe der Ekliptik aus diesem Qrunde 
einer Veränderung unterworfen. 



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'" ■ ') 



§10. Newton's Entdeckung des allgemeinen GrayitationsgesemcK ^M}- 

teln. Mit Hülfe derselben wurde nun die Theorie der Erdrotatioo 
vollständiger von d'Alembert untersucht. Es zeigte sich dabei, dass 
die Schwimkung der Erdaxe, welche Nutation genannt wird, durch 
mehrere Glieder ausgedrückt werden niU38. Das grössie dieser ist 
dasselbe, dessen Existenz Newton vorhersagte ; seine Periode ist die 
Umlaufszeit der Mondknoten, oder 18f Jahre. Bezeichnet man die 
Länge des aufsteigenden Knoteos mit Q , so hat man für die Aende- 
mng , welche die Längen der Sterne in Folge der Nutation erfahren, 
deo Ansdruißk 

— 17:'24Sin Q 
and für die Asnderung der Sdbiefe 

-f 9:'24 Cos Ö 

Die numerischen Coefficienten dieser Ausdrücke hängen indessen 
in der Weise von einander ab , dass sobald der eine bekannt ist , der 
andere durch eine sehr einfache Rechnung gefanden werden kann. 
Man braucht daher nur einen derselben aus Beobachtungen zu be- 
stimmen. — Wird der erste dieser Coefficienten mit iVj, der zweite 
mit N und die Schiefe der Ekliptik mit 6 bezeichnet, so i^t die Rela- 
tion zwischen diesen Coefficienten die folgende : 
iVi = 2Cotange.iV 

In Folge der Präeession wachsen alle Längen der Himmelskör- 
per jährlich um 507376. Diesen Betrag bezeichnen wir mit P, und 
werden jetzt eine ebenso einfache wie nützliche Relation zwischen P 
und iV anführen, die gunz und gar durch theoretische Betrachtungen 
gewoimen worden ist. Wir bezeichnen hierbei die, schon bei d^ 

m R^ 
Frage von Ebbe und Fluth vorkommende Grösse — — mit a? , und 

M r^ 

den besprochenen, von der Massenvertheilung im Innern der Erde ab- 
hängigen Fliptor mit y ; alsdann ist 

iV=^ 0. 24356a?. y 
jP= (0, 91769 -t-0.91006aj)y 
woraus dnrcb Division folgt 

0.24356 ag 
~ 0.91769 + 0.9100603 
Aus den Beobachtungen über Ebbe und Fluth folgt 

0? = 2.3502 



v« 



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202 II. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Wird dieser Werth eingesetzt, so findet man 

Ar= 0.1872 P 

Nun ist P dnrch Vergleichung der zu verschiedenen Zeiten be- 
stimmten Längen der Sterne zu 50''376 gefunden worden; be- 
rechnet man mit diesem Werthe den von N, so findet sich 

N = 9'/43 
welcher allerdings von dem richtigen Werthe 9''24 etwas abweicht, 
jedoch nicht mehr, als dass der Unterschied durch die Unsicherheit 
des aus Ebbe und Fluth ermittelten Werthes von x vollkommen 
erklärt werden könnte. 

Hat man aber auch den Werth von A^ durch Sternbeobachtungen 
ermittelt, so lässt sich die Mondmasse bestimmen ; auf diese Weise 
hat man für sie ^ der Erdmasse gefunden. Die Mondmasse lässt sich 
aber auch auf anderem Wege ermitteln, wonach man wieder eine Be- 
stimmung des Nutationscoefficienten erhalten kann. Die Bewegung 
der Erde um die Sonne geschieht nämlich nicht genau in einer Eep- 
ler'schen Ellipse, sondern der Mond verursacht einige kleine Ab- 
weichungen davon : aus diesen wurde der Werth „^ ^^„ für die 
^ 79.667 

Mondmasse gefunden. 

Die grosse Uebereinstimmung der so auf ganz verschiedenen 
Wegen gefundenen Werthe für die Anziehungskraft des Mondes be- 
weist die Richtigkeit der Voraussetzungen, auf welche die Theorie 
der Bewegungen gebaut ist , mithin auch die Richtigkeit des New- 
ton'schen Gesetzes , von welcher Seite aus es auch betrachtet werden 
mag. 



Bisher haben wir das Wesen des Newtou'schen Gesetzes so dar- 
gestellt, wie es in der Astronomie aufgefasst zu werden pflegt , dabei 
wird aber stillschweigend ein Sprung gemacht, dessen Berechtigung 
noch nachgewiesen werden muss. Die Anziehung zweier materieller 
Punkte auf einander, deren Massen m und m' sind , wird nämlich 
durch den Ausdruck 



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§ 10. Newton's Entdeckung des allgemeinen Gravitationsgesetzes. 203 

dargestellt, wo r die Entfernung beider Punkte von einander be- 
deutet und f die gegenseitige Anziehung zweier Masseneinheiten in 
der Einheit der Entfernung. Demnach ist die Anziehung des Mondes 
auf die Erde genau dieselbe , wie die der Erde auf den Mond , aber 
die Wirkungen beider Anziehungen sind sehr verschieden. Durch 
die Anziehung wird nämlich eine mechanische Arbeit verrichtet, die 
gleich dem Producte aus der Beschleunigung (zuertheilten Geschwin- 
digkeit) und der beiVregten Masse ist. Dieses Product, welches in unserm 
Falle gleich der Anziehung sein muss, nennt man auch bewegende 
Kraft. Bezeichnet man nun die Beschleunigungen der Massen 
m und m! mit — 5 und — s (das negative Vorzeichen, weil die An- 
ziehung die gegenseitigen Entfernungen zu vermindern strebt), so 
haben wir 

- mm! , „mm' 

oder 

Es sind also die durch die Anziehung bewirkten Be- 
schleunigungen und nicht die Anziehungen selbst^ 
welche den anziehenden Massen proportional sind. 
Die Anziehung wird indessen nie direct gemessen, sondern man 
schliesst auf sie durch ihre Wirkungen , nämlich durch die beschleu- 
nigende Kraft. In der Astronomie bestimmt man durch Beobach- 
tungen die Beschleunigungen s und s' und berechnet hierauf die 
Massen m' und m und sagt dann wohl auch , um sich zugleich die 
physische Erklärung zu vergegenwärtigen, dass man die Anziehungen 
bestinmit hat; streng genommen hat man aber mit der Anziehung 
selbst nichts zu thun. 



• Isaak Newton, von dem gesagt wird, dass er zugleich der grösste 
und der glücklichste Mann der Wissenschaft war, weil es nur ein 
Weltsystem zu entdecken gab, wurde den 25. Dec. 1642 zu Wools- 
thorpe, einem kleinen Dorf inLincolnshire in England, geboren. Von 
armen Eltern stammend, erhielt er erst als fast Erwachsener Gelegen- 



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204 II- Kapitel. Newton'g Gesetz der allgemeinen Schwere. 

heit, die Vorkeniitnisse sich anzaeigiien, welche sn seinen Universität»- 
Studien nöthig waren. Diese begannen im Jahre 1660 zu Cambridge, 
wo er neun Jahre spAter als Proiessor angestellt wurde. In Folge 
einer in der Stadt anßgebrocbenen Epidemie begab er sieh 1666 auf 
das Land , und hier soll das gelegentliche Niederfallen eines Apfels 
in einem Gartep zuerst den Gedanken in ihm erweckt haben, bei die- 
sem einfachen Fallen möchte dieselbe Kraft wirken, welche den Mond 
in seiner Bahn um die Erde festhült. -^ Im Jahre 1667 wurde die erste 
Auflage seines grossen Werkes »Fhilosophiae naturalis Prin- 
cipia mathematica«, worin er seine Untersuchungen über da^ 
Gesetz der allgemeinen Schwere niederlegte, verOffentlioht. 

Newton starb als Vorsteher der königliehen Münze zu London 
1727, wo er auch, und zwar in der Westminster-Eathedrale unter 
den ersten Männern Englands begraben liegt. In dem Zimmer, wo 
er geboren wurde, findet sich eine Marmortafel mit der Inschrift 
von Pope : 

Nature and nature's law lay hid in night; 
God Said ; »Let Newton be«, and all was light. 

§ 11. Weitere Folgen aus Newton's Grayitatlonsgesetz. 

Mit der Entdeckung des Princips der allgemeinen Schwere war 
die Astronomie an dem Punkte angelangt, wo es möglich wurde, die 
Gesetze der Bewegung auf deductiTem Wege hensnleiten. Aus die* 
sem einzigen Grundsatze ergaben sich nicht nur die Eepler'schen Ge- 
setze wieder, sondern wurden auch die Eigenthtkmlichkeiten der Be- 
wegungsersoheinungen in einer weit vollständigeren Weise erkannt, als 
es durch dielnduotion damals möglich gewesen wäre. Der deduotive 
Gang der Untersuchung musste hierbei den Weg, welchen die Lehren 
der Mechanik vorschrieben, befolgen. 

Die erste Aufgabe, welche die Astronomie nach der Newton- 
schen Entdeckung der Mechanik stellte , betraf die Bewegung zweier 
materieller Punkte , welche nur ihrer gegenseitigen Ansiehnngakraft 
unterworfen sind. — Die Vermuthung liegt nun nahe, dass die Eep- 
ler'sehen Gesetze als das Resultat dieser Untersuchung hervorgehen 
würden, da doch Newton sein Gesetz ^itdeekt hatte , indem er von 
der Kepler'schen Bewegungstheorie ausging. Und in der That, diese 



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$11. Weitere Folgen aus Newton*8 OtaTitatioBdgesetz. 205 

Vermnthnng ist auch bestätigt worden : die maäiematische Analyse 
gestattet, von Newton's Princip ausgeleM, die toilsttil^ge Auf- 
lösung des fraglichen Problems. Jedocb zeigt die genauere mathe- 
matische Untersuchung der vorliegenden Frage, dass die Kepler'schen 
Gesetze gewissermaassen nur als besondete Fälle allgemeinerer Ge- 
setze zu betrachten sind, die immer gelten, wenn die Anzahl der sich 
anziehenden Körper auf zwei beschränkt bleibt. — Nach dem ersten 
Kepler'schen Gesetze bewegen sich die Planeten in Ellipsen um die 
Sonne, deren Mittelpunkt mit dem gemeinsamen Brennpunkte sämmt- 
licher Bahnellipsen zusammenfällt; die analytische Behandlung des 
Problems zeigt aber, dass die Ellipse niaht die einzig mögliche Form 
der Bahnen ist , wenn zwei materielle Prunkte , die sich gegenseitig 
nach dem Newton'schen Gesetze anziehen, sich um einander bewegen. 
Dieses Gesetz gestattet nämlich ebenso gut , dass die Trajeotorien 
Parabeln oder Hyperbeln sind , also Curven , die mit der Ellipse die 
Klasse der sogenannten Kegelschnitte bilden , und zu der auch noch 
der Kreis und die gerade Linie als besondere Fälle zu rechnen sind. 
Der Umstand, dass die Bahnen der Planeten Ellipsen sind, muss jetzt 
als ein rein zufälliger angesehen werden , der von dem Verhältnisse 
der Bewegungselemente zur Anziehungskraft der Sonne abhängt. 
Würde die Geschwindigkeit eines Planeten durch irgend eine Ursache 
bis zu einer gewissen Grenze vergrössert werden , so würde derselbe 
eine Parabel beschreiben ; bei einer noch grösseren Geschwindigkeit 
würde die Bahn eine hyperbolische sein. 

Die Benennung Kegelschnitte rührt bekanntlich davon her, 
dass die fraglichen Linien entstehen , wenn die Oberfläche eines Kegels 
mittelst einer Ebene geschnitten wird. Liegt die schneidende Ebene senk- 
recht zur Axe des Kegels, so wird ein Kreis abgeschnitten. Denkt 
man sich die schneidende Ebene in einer gegen die vorige etwas geneig- 
ten Lage , so entstehen Ellipsen, und zwar so lange , bis die Ebene mit 
der Seite des Kegels parallel wird ; in diesem Falle ist der Schnitt eine 
Parabel. Wird die Neigung der Ebene gegen die Kegelaxe noch geringer, 
80 entstehen Hyperbeln. Man kann übrigens auf kürzerem Wege zur Ein- 
sicht in die Natur der drei krummen Linien gelangen, als wenn man sie 
durch ebene Schnitte eines Kegels entstanden denkt. 

Diese drei Curven haben nämlich auch die Eigenschaft gemein- 
sam , dass der Abstand eines jeden Punktes der Curve von einem ge- 
wissen Punkte (Brennpunkt) in einem unveränderlichen Yerbältniss zu 
der Entfernung des Ersteren von einer gegebenen geraden Linie (Di- 



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206 n. Kapitel. Kewton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Fig. 25. rectrix) steht. Aus dieser Eigenschaft 

lässt sich die Gleichung der Kegel- 
schnitte sehr leicht herleiten. 

Es sei abc (Fig. 25) der Bogen 
eines Kegelschnittes und m ein Punkt 
desselben ; femer sei F der Brennpunkt 
und hk die Leitlinie (Directrix) ; nach 
der genannten Eigenschaft muss nun, 
wenn wir mit e das constante Verhält- 
niss bezeichnen, 

Fm : mn = e : 1 
oder 

(1) Fm = e . mn 

sein. 

Bezeichnen wir hierauf denRadiusvector-F«i durch r und die wahre 
Anomalie mFb durch/, so erhalten wir für das Stück e F den Ausdruck 

rCos/; 

es ist aber •_ 

mn = dF — eF , 

folglich auch 

mn = dF — r Cos f 
Die Gleichung (1) giebt uns hierauf 

r=e (dF — rCoBf) 
edT 



d.i. 



1 4-eCos/ 



Führen wir in diesem Ausdrucke den Specialwerth / = 90^ ein, und 
bezeichnen den entsprechenden Werth von r mit ^, so findet sich 

f^eJdF^'jF 
und wir erhalten schliesslich 

*^' *"^1 -höCos/ 

welches die allgemeine Polargleichung der Kegelschnitte ist. Die Linie 

Fg s=^ nennt man den Parameter und das Verhältniss e die Excen- 

tricität. 

Vergleichen wir hierauf die gefundene Gleichung (2) mit der Polar- 
gleichung der Ellipse [Gl. (10) § 6], so werden wir diese beiden Gleichun- 
gen als vollständig identisch finden, wenn wir nur den Parameter aus der 
Formel 

(3) ^=^«(1—^2) 

bestimmen. Hierbei muss jedoch vorausgesetzt werden, dass e kleiner als 
die Einheit ist , weil die Excentricität der Ellipse stets kleiner als 1 ist 



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§ 11. Weitere Polgen aus Newton's Gravitationsgeöetss: 207 

und weil sonst p negativ ausfallen würde , was hier keinen Sinn hätte. 
Es muss, mit anderen Worten, da 

Th 

vorausgesetzt werden, dass die Entfernung des Punktes b von der Leit- 
linie grösser ist, als seine Entfernung von dem Brennpunkte. 

Wir seheil jetzt den Parameter p als unveränderlich an , und werden 
untersuchen , welche Veränderungen die Ellipse erleidet , wenn die Ex- 
centricität vergrössert und endlich der Einheit gleich wird. ^ Aus der 
Gleichung (3) folgt zunächst , dass die grosse Axe desto grösser wird , je 
mehr die Excentricität sich der Einheit nähert ; diese Gleichung giebt uns 
nämlich 

woraus das Gesagte unmittelbar hervorgeht. Denn je mehr sich e dem 
Grenzwerthe 1 nähert, desto kleiner wird die Differenz 1 — e^ und desto 
grösser in Folge dessen a. Erreicht endlich e diesen Grenz werth, so wird 
a unendlich gross, weil eine endliche Grösse, durch Null dividirt, einen 
unendlich grossen Werth erhält. Zugleich hört die krumme Linie aber 
auf, die der Ellipse charakteristische Eigenschaft zu haben, nämlich die, 
geschlossen zu sein ; sie zerfällt vielmehr in zwei Zweige, die sich immer 
mehr und mehr von einander entfernen. Dass die Sache sich wirklich so 
verhält , lässt sich sehr leicht aus der Gleichung der Parabel entnehmen, 
die wir nun auch, auf ein rechtwinkliges Coordinatensystem bezogen, an- 
geben werden. 

Weil e = 1, so hat man 

p = fF = dF=^bF -i-Td, 
aber aus demselben Grunde ist auch 

bF=Td 
Es ist mithin 

p==2bd = 2bF 
oder 

hd = bF^\p 
Bezeichnen wir nun die Gerade hl durch x und a l durch y, so haben 
wir aus dem rechtwinkligen Dreiecke «^2^ die folgende Relation zwischen 
X und y. 

^=^y^-{- (x—TF)^ 
oder, weil 

7F^Jd==X'{-ip, 

(^ + i^)2 = y2 + (a: _ i^)2 

d. 1. 

y^=^2px 
oder 

tf = ±:y2px 



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IL Kapitel. M6wi<!»n*s Oesetz der allgememen Schwere. 

Hieraus ist ersichtlich, dass die Parabelzweige sieh unimterbrochen 
von der Axe dl , die hier als a;-Axe angenommen wurde, entfernen und um 
so mehr, je mehr der Abstand vom Scheitel b zunimmt. 

Erhält e Werthe , die die Einheit übersteigen , so entstehen Hyper- 
beln. Diese er weitem sich noch stärker als die Parabeln , was man schon 
daraus entnehmen kann , dass der Winkel / niemals volle t80*^ erreicht. 
Es liegt nämlich in der Natur der Sache , dass r niemals einen negativen 
Werth erhalten kann, was jedoch der Fall sein würde für/= 180**, wenn 
e grösser als 1 ist. Es ist nämlich Cos 180® = — 1 , folglich |ftir diesen 
Werth 

welcher Werth nothwendig negativ ist , so oft e die Einheit übersteigt, 
was aber bei der Hyperbel stets der Fall ist. Viele andere interessante 
und bemerkenswerthe Eigenschaften dieser Curve müssen wir hier hei 
Seite lassen, und können dies auch um so mehr thun , als man bifiher rm 
ausnahmsweise sich veranlasst gesehen hat , hyperbolische Bahnen bei 
HiiÄmelskörpem vorauszusetzen. — Ein Körper, der sich in parabolischer 
oder hyperbolischer Bahn um die in deren Brennpunkte befindliche Sonne 
bewegt, kann nur einmal in die Nähe der Sonne kommen ; danach entfernt 
er sich ununterbrochen. 

Wie schon oben erwähnt wurde, beruht die Beschaffenheit der 
Bahn , also ob diese ein Kreis , eine Ellipse , eine Parabel oder eine 
Hyperbel ist, auf einem gewissen Verhältnisse der relativen Geschwin- 
digkeit des einen Körpers (in Bezug anf den ändern nnd fdi^ einen 
gewissen Augenblick geltend) zu der anziehenden Kraft des andern, 
mithin zu der gleichzeitigen Entfernung beider Körper. Hier ist je- 
doch nicht die Winkelgeschwindigkeit gemeint, also nicht die, welche 
durch die Veränderungen deö Winkels f angegeben wird, sondern die 
ganze, während der Zeiteinheit vor sich gehende Ortsveränderung 
des einen Körpers relativ zum andern. Während einer sehr kleinen 
Zeit kann diese Ortsveränderung als geradlinig angesehen werden, 
woraus folgt, wie man sich mit Hülfe der Fig. 18 leicht überzeugen 
kann, dass die Geschwindigkeit, die wir mit v bezeichnen wollen, 
durch die Formel 



v = Vr2(/*' — /*)2+ (r'_r)2 
erhalten wird, wo r, r', f und f dieselbe Bedeutung haben wie 
pag. 44. 

Wenn die Bahn eine Ellipse mit sehr kleiner Excentricität ist, 



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§11. Weitere Polgen aus Newton*s Oravitationagesetz. 209 

so bleibt r — r stets sehr klein im Verhältniss zn dem Producte 
r (/" — f] ; man kann daher näherimgsweise setzen 

t, = r (/■'-/) 

Wir müssen jetzt zwei Bemerkungen einschalten. Die eine be- 
zieht sich auf die anziehende Einwirkung der Körper auf einander, 
wenn diese an und für sich nicht als materielle Punkte betrachtet 
werden dürfen. Wenn eine Masse gleichförmig oder homogen inner- 
halb einer kugelförmigen Oberfläche vertheilt ist, so zieht dieser Kör- 
per, wie in der Mechanik bewiesen wird, andere Körper genau so an, 
als ob die ganze Masse im Mittelpunkte concentrirt wäre. Der an- 
dere Fall, wo man die Anziehung eines Körpers als die eines mate- 
riellen Punktes, d. h. dessen Masse als im Schwerpunkte vereinigt an- 
sehen darf, findet statt, wenn die Dimensionen des Körpers überhaupt 
sehr klein sind im Verhältniss zu den Entfernungen , in welchen er 
wirkt, oder in welchen auf ihn eingewirkt wird. Sowohl die Planeten 
wie die Sonne sind sehr nahe kugelförmig und ihre gegenseitigen 
Entferaungen sehr gross im Verhältniss zu ihren Dimensionen. In 
Folge dieser beiden Umstäpde kann man in dpr Regel die Himmels- 
körper als materielle Punkte ansehen. 

Die zweite Bemerkung betrifft die Frage, wie relative Be- 
wegungen untersncht werden sollen , wenn Kräfte auf sie einwirken. 
Wir haben im Vorhergehenden (vgl.pag. 194) bereits erwähnt, dass 
sich der Schwerpunkt eines Systems von Körpeni oder materieller 
Punkte unabhängig von den Bewegungen der verschiedenen Molecüle 
des Systeibs bewegt und umgekehrt , dass die Bewegung des Schwer- 
punktes durchaus keinen Eiiifluss auf die Bewegungen innerhalb des 
Systems ausübt. Die üntersnehungen über die relativen Bewegungen 
können daher stets so angeordnet werden , als ob der Schwerpunkt 
fest im Räume wäre , oder, wie man sagt , relativ zum Schwei'punkt 
und zn den durch denselben gehenden festen Richtungen oder 
Axen. Andrerseits wäre es auch ganz unmöglich, üntersuehungen 
über die absoluten Bewegungen vorzunehmen ; denn hierzu wäre die 
Kenntniss wenigstens eines absolut festen Punktes im Räume erfor- 
derlich , eine Kenntniss , die wir jedodi in keiner Weise erlangen 
können . Das Princip , nach welchem man bei der Untersuchung der 
relativen Bewegungen vollständig von der Bewegung des Schwerpunkts 

Gyldön, Astronomie. , \a 



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2l0 il. Kapitel. Newton*8 tiesetz der allgemeinen Schwere. 

absehen darf, ist daher von fundamentaler Bedeutung ; ohne dasselbe 
wäre eine Astronomie überhaupt nicht möglich. 

Aber nicht genug damit, dass mau nur die relativen Bewegungen 
in Bezug auf den Schwerpunkt des Systems zu betrachten braucht ; 
wenn das System vollkommen frei ist, d. h. wenn die einzelnen Kör- 
per sich unbehindert in der Weise bewegen können , wie es ihre Be- 
wegungselemente und gegenseitigen Fernwirkungen auf einander er- 
heischen, so kann man auch alle Bewegungen auf einen bestimmten 
Körper des Systems beziehen , der alsdann als ruhend angenommen 
wird. In dieser Weise betrachtet man gewöhnlich die Sonne als 
ruhend innerhalb des Sonnensystems , und bezieht auf ihren Mittel- 
punkt die Bewegungen der übrigen Körper. Die jedesmalige Lage 
des Sonnenmittelpunktes relativ zum Schwerpunkte des ganzen 
Sonnensystems lässt sich aber leicht angeben , und somit kann man 
auch, wenn dies vortheilhaft erscheint, die Bewegungen auf den 
Schwerpunkt des Systems beziehen. 

Um den Mittelpunkt der Sonne als Brennpunkt beschreiben die 
Planeten, in naher Uebereinstimmung mit Kepler's Gesetzen, Ellipsen ; 
da aber der Brennpunkt nicht eine unveränderliche Lage innerhalb 
des Systems hat , so können die Bahnen auch nicht immer dieselbe 
Lage in Bezug auf den Schwerpunkt haben. 

Es giebt aber auch Körper oder Anhäufungen von Materie (die 
Cometenj , welche in sehr nahe parabolischen Bahnen um die Sonne 
laufen. Die Excentricitüt der Bahnen dieser Körper ist häufig so 
wenig von der Einheit verschieden, dass man aus den Beobachtungen 
der scheinbaren Bewegung nicht entscheiden kann, ob die Bahn eine 
sehr lang gestreckte Ellipse oder eine Hyperbel ist, oder ob man es 
mit einer parabolischen Bahn zu thun hat. Obgleich der letztere Fall, 
als g'anz speciell, nicht wahrscheinlich ist, nimmt man doch der Ein- 
fachheit wegen gewöhnlich an , dass die Excentricität gerade 1 be- 
trägt , und ist dazu auch vollkommen berechtigt , da der Unterschied 
der wirklich stattfindenden Excentricität von der Einheit meist nicht 
bemerkt werden kann. 

Die Art des Kegelschnittes , welchen ein Körper um die Sonne 
beschreibt, hängt, wie schon oben angedeutet, von einem gewissen 
Verhältnisse ab , in welchem seine Geschwindigkeit in einem gege- 
benen Augenblicke zu der gleichzeitigen Entfernung von der Sonne 



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§11. Weitere Folgen aus Newton's öravitationsgeseiz. 211 

steht. Es wird nun in der Mechanik gelehrt und bewiesen, dass die 
Bahnen um die Sonne stets Ellipsen sind , wenn die Geschwindigkeit 
des Körpers zu einer beliebigen Zeiit geringer ist als der Werth von 

^.•|/ 2(Jf-fm) 

wo r die zu derselben Zeit stattfindende Entfernung von der Sonne 
bedeutet, M und m die Massen der Sonne und des bewegten Körpers, 
und endlich k eine Constante, deren numerischer Werth von den Ein- 
heiten abhängt, durch die man Masse, Zeit und Entfernung ausdrückt. 
Nimmt man für alle Massen die Sonnenmasse als Einheit , ferner den 
mittleren Sonnentag als Zeiteinheit, sowie die mittlere Entfernung der 
Erde von der Sonne als Einheit der Entfernungen, so ist 

k = 35487188 
oder, in Theilen des Radius ausgedrückt : 

k = 0.01720209895. 
Dagegen ist und verbleibt die Bahn eine Hyperbel , wenn die 
Geschwindigkeit des Körpers zu irgend einem Zeitpunkte grösser 
wäre, als der Werth des obenstehenden Ausdruckes , worin r den zu 
demselben Zeitpunkte geltenden Werth des Radinsvector bedeutet. 
— In dem Specialfalle endlich, wo 



„-yiiü 



-i-m) 



ist die Bahn eine Parabel. Diese Sätze wollen wir durch einige Bei- 
spiele erläutern. 

Zu Anfang Juli jedes Jahres ist die Aenderung der Entfernung zwi- 
schen Erde und Sonne höchst unbedeutend ; wir können daher, ohne merk- 
lich zu fehlen, geradezu setzen 

' t? « r (/' — /) = 1.01705 X (57' 12'') 
= 1 .01705 *x 3432" = 3490'.' 5. 
Auf der andern Seite hat man aber 



fc|/üL±^ = 49,6':3 



wobei die Erdmasse, ihrer Geringfügigkeit wegen, vernachlässigt worden 
ist. Man hat somit gefunden, dass die Geschwindigkeit der Erde um 

die Sonne geringer ist als der gleichzeitige Werth yon kl/ ^ "*" ^\ 

woraus folgt , dass die Bahn der Erde eine Ellipse sein und eine solche 
bleiben muss, so lange keine anderen Kräfte als die Anziehungskraft der 
Sonne einwirken. 

14* 



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212 n. Kapitel. Newton'9 Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Durch Beobachtungen über die Bewegungen der Sternschnuppen 
hat man gefunden , dass ihre relative kosmische Geschwindigkeit , wenn 
man diese in Bogenmaass ausdrückt, sich auf etwa 5000" beläuft. Diese 
Geschwindigkeit gehört zu einer Entfernung , welche der Einheit gleich 
zu setzen ist, da doch die Sternschnuppen nur in der nächsten Nähe der 
Erde wahrgenommen werden können; man sieht also, dass diese Ge- 
schwindij^keit sehr nahe der der parabolischen Bewegung entspricht, wo- 
durch man zu dem Schlüsse berechtigt ist, dass. die Sternschnuppen, inso- 
fern sie nicht zur Erde herabfallen , parabolische Bahnen um die Sonne 
beschreiben. In solchen Bahnen bewegt sich auch die Mehrzahl der uns 
sichtbaren Gometen. Wir gelangen hierdurch zu der Einsicht , dass diese 
Himmel skörpex nicht eigentlich zu unserem Sonnensystem zu zählen, 
sondern dass dieselben, nachdem sie durch die Anziehungal^raft 4er Sonne 
aus den Tiefen des Himmels in unspreNähe herangezog^ sind, dabei eine 
solche Geschwindigkeit erlangt haben , dass sie sich wieder aus der At- 
tractionssphäre der Sonne entfernen. In einzelnen Fällen geschieht es 
jedoch , dass der Comet während seines Laufe durch das Sonnensystem 
durch die Anziehungskraft der Planeten von seiner parabolischen Bahn so 
abgeleijkt wird, dass derselbe , ^enn die Anziehung der Planeten aufge- 
hört hat merklich zu sein, eine elliptische Bahn um die Sonne beschreiben 
muss. In diesem Falle gehört der Comet unserem Sonnensysteme dauernd 
an, bis eine etwaige grosse Annäherung an einen Planeten die Bahn wie- 
der 80 umgestaltet, dass das Gestirn sich in derselben aus dem Systeme 
entfernen kann. 

Das zweite Kepler'sche Gesetz entspricht vollkommen dem Prin- 
cipe welches in der Mechanik unter dem Namen das Princip der 
Flächen bekannt ist. Wir hatten schon im Vorhergehenden Ge- 
legenheit zu sehen, wie die vom Radiusvector durchlaufenen Flächen- 
räume in allen den Fällen der Zeit proportional sind , wo sich ein 
materieller Punkt unter dem Einflüsse einer Centralkraft bewegt, 
dieser möge übrigens von einer ganz beliebigen Natur sein. 

In Betreff des dritten Kepler'schen Gesetzes dagegen lehrt die 
deductive Untersuchung, dass es nicht vollkommen richtig ist, sondeni 
vielmehr in formeller Hina^cliit m einem wesentlichen Fehler leidet. 
Dass dasselbe dessenungeachtet auf empirischem Wege entdeckt und 
dabei als richtig befunden werden konnte, beruht, wie wir sogleich 
sehen werden , auf dem Umstand , dass die Massen der Planeten im 
Verhältnisse zu der Sonnenmasse sehr klein sind. 

Bezeichnen wir die Sonnenmasse mit M, die eines Planeten mit 
m und die gegenseitige Entfernung beider Himmelskörper mit /', so 



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§11. Weitere Folgen aus Newtoü's Gravitationsgesetz. 21 3 

ist, in Uebereinstimmung mit dem Newton' sehen Gesetze , der Aus- 
druck für die durch die Anziehungskraft der Sonne verursachte Be- 
schleunigung des Planeten : 

M 

♦»2 

r 

und die durch die Anziehungskraft des Planeten bewirkte Beschleu- 
nigung der Sonne : 

m 

Die Beschleunigung relativ zur Sonne ist daher, weil beide An- 
ziehungen die Körper einander zu nähern streben : 

M + m 

Für die Kraft, welche bei Umlaufsbewegungeti die Beschleuni- 
gung gegen das Kraftcentrum bewirkt, können wir jedoch noeh einen 
andere];! Ausdruck angeben, wobei wir, wie vorhin, voraussetzen, 
dass die Kraft nach dem Newton^schen Gesetze wirkt. Im Vorher- 
gehenden fanden wir schon, unter der Voraussetznn^, dass die 
mittlere Geschwindigkeit des bewegten Körpers gleichzeitig mit 
seiner mittleren Entfernung vom Kraftcentrum stattfindet, den 
Ausdruck 

4Tc2a , 

-72-" 

für die Kraft, womit der Bewegliche in der Entfernung a dem Kraft- 
centrum genähert wird. In einem anderen Punkte der Bahn , dessen 
Radiusvector r sein möge , wird der bewegte Körper mit einer Kraft 
angezogen , die man , nach dem Newton'schen Gesetze , dadurch er- 
hält, dass der obige Ausdruck mit dem Quotienten — multiplicirt 

wird. Man erhält somit für die Kraft, womit ein Planet von der 
Sonne angezogen wird, den Ausdruck 

4Tc2a^ 

J2 2 

und diesem mnss der vorhin gefundene Ausdruck für die Beschleuni- 
gung proportional sein. Indem man mit f einen constanten, 
sogleich näher zu bestimmenden Factor bezeichnet, kann man da- 
her setzen: 



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214 U- Kapitel. Newtons Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Der Factor f hängt von den Einheiten ab , die man für Masse , Zeit 
und Entfernung gewählt hat ; bleibt man bei den früheren AnnaE- 
men, so ist 

und hat man zugleich M = 1 zn setzen. 
Aus der Gleichung 

o» _ Ä:2(l4-m) 

geht nun sogleich hervor, dass das Verhältniss ^ keineswegs , wie 

es das dritte Kepler'sche Gesetz ausspricht, für alle Planeten dasselbe 
sein kann, da es doch von der Masse m, welche bei den verschiedenen 
Planeten als verschieden anzunehmen ist, abhängt. Der Umstand, 
dass für dieses Verhältniss trotzdem ein constanter Werth auf empiri- 
schem Wege gefunden wurde, ist nur dadurch zu erklären , dass die 
Massen der Planeten sehr klein im Vergleich mit der der Sonne sind, 
so dass sie , wenn die Beobachtungen nicht sehr genau sind , keinen 
bemerkbaren Einfluss aasüben können. 

Den Werth der Constante k haben wir bereits angeführt; man kann 
ihn aus der Formel 

Ä= ^^ gl 
1/1 -hm T 
berechnen. Dabei ist es gleichgültig, zu welchem Planeten die Werthe 
von a, T und m gehören , wenn sie nur sicher genug bestimmt sind. Da 
man aber die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne als Einheit an- 
nimmt, so empfiehlt es sich , die Berechnung auf die Werthe der sideri- 
schen Umlaufszeit der Erde und der Erdmasse zu gründen, weil man als- 
dann für a einfach die Einheit zu setzen hat. Gauss, nach welchem die 
Constante k die Gaussische Cunstante benannt wird, nahm an 

T = 365,2563835 

und 

__ 1 

^^ 354710 
und fand hiermit den oben angeführten Werth von k, welcher durch 
neuere Bestimmungen von T und m nur unbedeutend verändert wor- 
den ist. 

Wenn k in Sekunden angegeben ist, muss auch 27r als im Winkel- 
maasse ausgedrückt angesehen werden, d. h. die Grösse 360** oder 1296000" 



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§11. Weitere Folgen aus Newton's Gravitationsgesetz. 2 1 5 

« 

bezeichnen. Es bedeutet alsdann ^— die mittlere tägliche Bewegung des 

Planeten , eine Grösse , die wir im Vorhergehenden mit n bezeichneten. 
Man hat also auch 

|/l -hm 
Diese Formel kann auch dazu dienen , die halbe grosse Axe einer 
Planetenbahn zu berechnen , wenn die mittlere Bewegung des Planeten, 
sowie seine Masse bekannt sind. Wir wollen eine solche Berechnung an- 
führen. Die Umlaufszeit des Planeten Jupiter ist sehr genau bekannt 
durch Beobachtungen, die sich über einen bedeutenden Zeitraum er- 
strecken. Wenn auch die einzelnen Beobachtungen nicht immer beson- 
ders genau sein sollten, würde dieses doch, in Anbetracht der langen 
Zwischenzeit, nur einen unbedeutenden Einfluss auf die Genauigkeit der 
aus denselben hergeleiteten mittleren Bewegung des Planeten ausüben 
können. Man darf hiernach den Werth 

w = 299':i286 
als sehr sicher annehmen. — Die Masse des Jupiter ist zwar nicht mit der- 
selben Sicherheit bestimmt wie die mittlere Bewegung, man weiss aber 
doch, dass dieselbe sehr nahe ^^^^ der Sonnenmasse beträgt; der Fehler 
kann höchstens eine oder zwei Einheiten des Nenners betragen. Auf die 
Bestimmung von a kann diese Unsicherheit indess nur einen ganz gering- 
fügigen Einfluss ausüben. Auf Grund der obigen Data findet sich nun aus 
der Formel 

/ÄML±m) ^^5 20284 

ein Werth, der bis auf die letzte Decimale sicher sein dürfte. 

Von besonderer Wichtigkeit ftir die Entwicklung der Astronomie 
wurde die Entdeckung des Fernrohres, eines Instrumentes, mit dessen 
Hülfe man in den Stand gesetzt wurde , Objecte am Himmel wahrzu- 
nehmen und zu beobachten, die zu lichtschwach sind, um mit blossen 
Augen gesehen werden zu können, oder die , in Folge ihrer Nähe 
an helleren Objecten , von letzteren nicht ohne besondere Htilfsmittel 
zu unterscheiden sind. Wir werden später auf die Dienste zurück- 
kommen, welche dieses Instrument der Astronomie geleistet hat, hier 
aber nur an eine Entdeckung vermittelst desselben erinnern , welche 
später von der grössten Bedeutung für die Bestimmung der Jupiters- 
' masse wurde. Als Galilei Kenntniss von einem in Holland construir- 
ten Apparate erhielt, welcher aus einigen in einem Rohre eingefüg- 
ten Glaslinsen bestehen und dazn dienen sollte ,' entfernte Objecte, 
wenn man sie durch das Rohr betrachtete , scheinbar zu nähern, 



..\ß 



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216 n. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

setzte er selbständig ein ähnliches Instrument , also ein Fernrohr zu- 
sammen. Bei Betrachten des Himmels machte er sofort die interes- 
sante Entdeckung , dass der Planet Jupiter, bei seiner Bewegung um 
die Sonne , von vier Monden begleitet wird. Diese Monde nannte er 
Mediceische Sterne, eine Benennung, die indess später wieder aufge- 
geben wurde. Die Anziehungskraft des Jupiter ist nun eine solche, 
dass sie diese vier Monde zwingt, in geschlossenen Bahnen, die Ellip- 
sen mit sehr geringer Excentricität sind, um den Planeten zu kreisen. 
Die Grösse dieser Anziehungskraft muss daher bestimmt werden kön- 
nen, wenn man die Geschwindigkeiten der Monde um den Hauptkör- 
per kennt, sowie ihre mittleren Entfernungen. Wie man nun 
aus diesen Da^ten den Betrag der Jupitersmasse im Verhältniss zur 
Sonnenmasse ableiten kann, ist nicht schwer anzugeben. 

Durch m und m' bezeichnen wir die Masse des Jupiter und die 
eines seiner Monde , wobei wir die Sonnenmasse als Einheit nehmen. 
Wir bezeichnen ferner durch T die ümlaufszeit des Jupiter um die 
Sonne und mit T^ die des Satelliten um Jupiter, beide Umlaufszeiten 
in mittleren Sonnentagen ausgedrilckt. Durch a und a^ bezeichnen 
wir endlich die halben grossen Axen der Jupitersbähn und der Mond- 
bahn. Wir haben nun zunächst die Gleichung: 

aber ausserdem muss noch die folgende bestehen : 

denn die Einheiten für Masse , Entfernung und Zeit sind in beiden 
Gleichungen dieselben, weshalb auch dieConstante k denselben Werth 
haben muss. Durch Division dieser Gleichungen erlangt man : 



-ms 



Nimmt man femer an, dass die Masse des Satelliten im Verhältniss 
zu der des Haneten als verschwindend betrachtet werden darf, ebenso 
wie auch die des Jupiter im Vergleich zur Sonnenmasse, so wird 
einfach 

m 



-im 



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§11. Weitere Folgen aus Newtons GravitatioBBgesetz. 217 

Durch genaue Messungen hat man für den ersten (d. i. den nächsten) 
der Jupitersmonde gefunden 

ö, = 0.002819 

und durch Beobachtungen der häufig vorkommenden V^finsterungen des 

Mondes hat man seine Umlaufszeit sehr genau ermitteln kc^imen; sie 

beträgt 

ri= 1.76914 

Mit diesen Werthen, dem bereits angeführten von a und dem früher mit- 

getheilten von T findet sich nach ausgeführter Rechnung 

"*=Töiri 

also ziemlich genau übereinstimmend mit dem , welcher bei der Berech- 
nung von a zur Anwendung kam. Bei der Bestimmung der Jupitersmasse 
hat man indess auch andere Methoden befolgen können, wodurch etwas 
abweichende Resultate erlangt worden sind. — Da nun dleKenntniss von 
»» vetrlangt wird bei der Herleitung von «, und diese Grösse wieder erfor- 
dert wird, um die Masse zu bestimmen , so könnte es auf den ersten Blick 
erscheinen , als ob man sich in einen logischen Kreis verwickelte , wenn 
man die Bestimmungen in der beschriebenen Weise auszuführen sucht. 
Dem ist aber nicht so. Wenn man auch die Masse des Planeten gleich 
Null setzt, so erhält man doch einen Wertli für a , der hinreichend genau 
ist, um bei der Berechnung von m angewendet werden zu können; denn 
ein etwaiger Fehler in der Bestimmung von a von dem Betrage , welcher 
hier zu befürchten wäre, kommt nicht in Betracht gegenüber der un- 
vermeidlichen Unsicherheit in der Bestimmung von «i . Führt man in- 
dessen die Rechnung zweimal ans, indem man a mit der beiläufig bekann- 
ten Planetenmasse bestimmt, und hierauf die Berechnung von m mit die- 
sem Werthe von a wiederholt, so kann matn sicher sein , das» bei Aer Be- 
stimmung von, m aus der Unsicherheit von a kein in Betracht kommender 
Fehler nachgeblieben ist. Der ganze Rechnungsprocess ist im Grunde 
genommen weiter nichts, als eine durch successive Annäherungen bewerk- 
stelligte Auflösung von zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten. Bei 
astronomischen Untersuchungen sieht man sich oft veranlasst, m ähn- 
iielifcer Weise zu Werke zu gehen. 

Die Massen des 8atanL und der in späteren Zeiten entdeckten 
Planeten Uranus und Neptun hat man ebenfalls vermittelst der Be- 
wegungen iha-er Satelliten bestidsunt. 

Die auf empirischem Wege erfolgte Entdeckung des dritten Kep- 
ler' sehen Gesetzes beweist zwaar, dass die Massen der Planeten sehr 
klein, im Verhältniss zur Sonnenmasse sind , aber als unmerklich darf 
man sie demohngeachtet keineswegs annelunen > sobald die Genauig- 
keit der Beobachtungen nur ein wenig über die zu Kepler'» Zeiten 



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218 n. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

erreichte hinausgeht. Es entsteht demnach die Frage, wie die Be- 
wegungen der Planeten beschaffen sein mögen , wenn dieselben nicht 
nur von der Anziehungskraft der Sonne, sondern auch von gegenseitigen 
Anziehungen beeinflusst sind? Die Beantwortung dieser Frage, eine 
der wichtigsten, welche die theoretische Astronomie zu lösen hat, ist, 
wenn man sie in ihrer grössten Allgemeinheit betrachtet, bei dem 
heutigen Standpunkte der mathematischen Analyse unmöglich. Es 
ist gegenwärtig nicht erreichbar, die Beschaffenheit der Bewegungen in 
einem Systeme durch Deduction anzugeben , wenn die Zahl der Glie- 
der mehr als zwei beträgt , und wenn die einzelnen Massen gegen- 
seitig nach dem Newton'schen Gesetze sich anziehen ; es ist uns also 
auch nicht möglich , die in einem solchen Systeme beobachteten Be- 
wegungen durch dieses Gesetz zu erklären, wenn auch der wahre 
Erklärungsgrund ausschliesslich in demselben zu suchen wäre. Die 
Aufgabe ist jedoch keineswegs weder unlösbar noch unbestimmt, aber 
sie ist in mathematischer Beziehung so verwickelt , dass man bisher 
nicht vermochte, die Bewegungsgesetze der beweglichen Massen unter 
allgemein gültiger Form anzugeben, d. h. die durch verschiedene, 
in mehreren Richtungen wirkende Kräfte beeinflusste Bewegung 
durch eine algebraische Formel darzustellen. 

Glücklicherweise ist für die Astronomie als inductive Wissen- 
schaft die ganz allgemeine Auflösung des fraglichen Problems vor 
der Hand nicht erforderlich , und namentlich , wenn es sich um die 
Bewegungen der Planeten handelt, treten verschiedene Umstände 
hinzu, welche die Aufgabe so wesentlich erleichtern , dass sie lösbar 
wird. Zwar wird die Lösung nicht denselben Charakter erhalten, wie 
bei der Bewegung von nur zwei materiellen Punkten, indem man 
das Resultat nicht direct in algebraischer Form erhalten, sondern nur 
durch successive Annäherungen herleiten kann. Man wird aber dabei 
die Näherungen stets soweit treiben können , oder mit denselben so 
lange fortfahren, bis das Resultat die gewünschte Genauigkeit er- 
reicht hat. Wenn man also nur bei der mathematischen Entwicklung 
den gehörigen Scharfsinn beobachtet hat, so darf man sicher sein, 
dass auch die feinsten Details des Einflusses , welchen die verschie- 
denen Planeten nach dem Newton'schen Principe auf die Bewegungen 
der andern ausüben, nicht verborgen bleiben werden. 

Die erleichternden Umstände im Sonnensysteme beruhen 



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§11. Weitere Folgen aus Newtons Gravi tationsgesetz. 219 

wesentlich darauf, dass ein einziger Körper, nämlich die Sonne, alle 
anderen an Masse bei weitem überwiegt, so dass man in einer ersten 
Annäherung die Einflüsse der Raneten auf einander ganz und gar 
vernachlässigen kann. Man erhält somit die Kepler'schen Gesetze als 
dieser ersten Annäherung entsprechend. Die Elemente der verschie- 
denen Planetenbahnen sind femer der Art , dass sie die zweite An- 
näherung ausserordentlich erleichtem. Namentlich sind die ersten 
Auflösungen der Aufgabe, die Verbesserungen der Kepler'schen Be- 
wegungsgesetze durch Rechnung zu finden , wesentlich auf den Um- 
stand gebaut , dass die Excentricitäten der Planetenbahnen sehr ge- 
ring, und die verschiedenen Bahnebenen nur wenig gegen ein- 
ander geneigt sind ; denn aus diesem Gmnde kann die gegenseitige 
Annäherung der Planeten nie sehr erheblich werden , was wieder ein 
allzugrosses Anwachsen der anziehenden Kräfte verhindert. 

Die Berechnung dieser Verbesserungen lässt sich indessen 
auch nicht mit einem Male ausführen ; man hat vielmehr auch hier 
nöthig, dieselbe durch successive Annäherungen zu erzielen. Wir 
nennen nun die zweite Annäherung dasjenige Resultat, welches 
man für die fraglichen Verbessemngen findet, wenn man stets alle 
solche Glieder weglässt , die bei den auszuführenden Entwicklungen 
mit höheren Potenzen oder Producteö der Planetenmassen als die 
ersten erscheinen. 

Um nun zu der zweiten Annäherung überzugehen , in welcher 
die ersten Potenzen der gegenseitigen attrahirenden Einwirkungen der 
Planeten in Betracht gezogen werden , hat man sich zunächst daran 
zu erinnem, dass diese Einwirkung durch einen mathematischen Aus- 
dmck dargestellt werden muss , welcher der Masse des anziehenden 
Planeten direct proportional, und dem Quadrate des Abstandes vom 
angezogenen Planeten umgekehrt proportional zu setzen ist. Diese 
Entfernung kennt man zwar, streng genommen, nicht; denn wäre 
dieselbe auch für einen gegebenen Augenblick bekannt , so würde 
man doch ihre Veränderungen nicht angeben können, wei\n nicht 
eben die Aufgabe schon gelöst wäre, die uns augenblicklich be- 
schäftigt.^ Dagegen kennen wir stets einen genäherten Werth dieser 
Entfernung : denjenigen nämlich , welchen man erhält, wenn man die 
Bewegungen der beiden Planeten nach den Kepler'schen Gesetzen be- 



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220 II- Kapitel. Newton s Gesetz der allgemeinen Schwere. 

rechnet. Der Fehler dieser auf sdehe Weise berechneten Entfemong 
ist selbstverständlich von demselben Betrage, wie die Abwei^mig d«r 
beiden Planeten von ihrer nach den Kepler sehen Gesetzen bereehBe- 
ten Lage im Ranme. 

Wir nehmen der Einfachheit wegen vorläufig an, dass ausser der 
Sonne nur zwei Planeten zum Systeme gehören. Ihre gegenseitige 
Entfernung bezeichnen wir mit p, diejenige Entfernung aber, welche 
stattfinden würde , wenn beide Körper sich in Kepler'schen Ellipsen 
bewegten, mitp^; es ist nun klar, dass der Unterschied p— po als 
aus zwei Gliedern besteKend gedacht werden muss, von welchen das 
eine mit der Masse m des einen Planeten, und das zweite als mit 
der Masse m' des anderen Planeten multiplicirt erscheint. Wir können 
demnach setzen 

p = Pj, 4- m fi + m' fi' 
wo die Grössen R und Bl uns vor der Hand noch ganz unbekannt 
sind und jedenfalls eine sehr verwickelte Zusammensetzung haben. 
Für die Berechnung der zweiten Annäherang sind sie überdies gar 
nicht erforderlich, wie wir sogleich sehen werden. 

Aus der angesetzten Gleichung sieht man sofort, dass 
^ _ 1 1 

P'~ P^(l I ^^ + ^'^Y 

Multiplicirt man links mit 

/^ mR + nJK )^ 

P ' 

mÄ4-m'ir\2 









)' 



^ P 

so findet man , indem alle Glieder, die mit Quadraten oder höheren 

Poteneen von m und m' oder mit ihren Producten multiplicirt sind, 
weggelassen werden, weil sie, unserer Voraussetzong nach, unmerk- 
lich klein sind, 

-K = — „ — 2m— „ — 2m -— 
r Pö^ Po^ po^ 

Nur in dem Falle, Wo p^ sehr klein wird, könnten die weggelas- 

senen Glieder merklich werden, und dann würden auch 2m— ^ 

Po' 



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§11. Weitere Folgen »us Newton's ßrayltationageaetz. 221 

und 2 m' — - beträchtliche Werthe annehmen können. Das erste Glied 

Po' 
rechter Hand in der sntletzt angeführten Gleichung würde aladann 

möglicherweise nicht einmal annäherungsweise statt -r angewendet 

P 
werden köBn«ii. Aber dergMchen kleine Werthe von po komneii 
unter den Planeten nicht vor ; die Bahnen derselben sind, wie gesagt, 
sehr wenig excentrisch und dabei von so verschiedener Gcrösse, 
dass eine bedeutendere Annf^heruiig zwischen zwei Planeten unmög- 
lich ist.*) 

Kaeh d^m Newton'scben Gesetze erfUirt nun die Masse tn durch 
die An^iiehun^kraft der Masse m' eine Beschleunigung, welche dem 
Ausdrucke 

- = -.— 2m2~- — 27/rm'— ^ 
P^ po^ Po' Po'^ 

proportional ist. Lässt man die beiden letzten Glieder rechts vom 

Glevdiheitszeichen weg, so begeht man einen Fehler, der von der 

Grös^nordn^ng m^ und mm' ist. Da ab&v m und m' schon an und 

für sich sehr kleine Grössen sind , so müssen ihre Quadrate und Pro-r 

duc^ es 'm noch viel höherem Maasse sein ; die Glieder, die man bei 

der zweiten Ann&herung weggelassen hat, sind daher auch sehr 

häufg. völlig unmerklich. — Durch die zweite Annäherung findet man 

nun die Aenderungen , welche die nach den Kepler'schen Gesetzen 

berechneten Oerter des Planeten erleiden in Folge der Krait 

Po^ 
Diese Aei^4erungen nennt man Störungen erster Ordnung. 

Nicht immer genügea zwei Annäherungen, d. h. die Störungen 
erstem Ordnung ergeben. nicht stets mit der erforderlichen Genauigkeit 
den ganzen Einfluss der störenden Kraft. In solchen Fällen müssen 
die Annäherung(8n fortgesetzt werden. Es müssen znnäohst die Grös- 
sen R ua4 A' ermittelt werden, was meistens zwar sehr mühsam , je^ 



*) Es wird hierbei nicht an die sog. kleinen Planeten zwischen Mars 
und Jupiter gedacht, von denen wohl einige einander sehr nahe kommen, 
deren Massen aber zu klein "feind , um im Allgemeinen Einflnss ausüben 
zu können. 



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222 n. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinefi Schwere. 

doch nie anausffilirbar ist. Nur in sehr seltenen Fällen hat man es 
nöthig gefunden, weiter als zu der Berechnung der Störungen zweiter 
Ordnung zu gehen , d. Ji. zu denen, die mit m^ und mm' multipli- 
cirt sind. 

Bei der Berechnung von Störungen erster Ordnung betrachtet 
man den Einfluss eines jeden störenden Planeten besonders ; man ist 
dazu berechtigt , weil die Producte verschiedener Massen nicht vor- 
kommen sollen. Man kann also die Rechnung stets so anstellen, als 
ob nur drei Körper dem Systeme angehörten , nämlich die Sonne und 
zwei Planeten, wovon der eine als gestörter, der andere als störender 
Planet betrachtet wird. Aus diesem Grunde ist die Aufgabe, die 
Störungen zu ermitteln, unter dem Namen des Problems der 
drei Körper berühmt geworden. Ursprünglich verstand man 
zwar unter dieser Benennung nur die specielle Aufgabe , welche sich 
auf die Bewegung des Mondes bezog , später wurde aber die Bedeu- 
tung des Namens verallgemeinert. 

Der Einfluss der Störungen wird in verschiedener Weise ange- 
geben. Entweder giebt man die Verbesserungen an, welche den ge- 
radlinigen Ooordinaten des Planeten hinzuzufügen sind , wenn diese 
nach den Kepler'schen Gesetzen berechnet wurden , oder man bringt 
auch die Correctionen an , welche dem elliptischen Radiusvector und 
der wahren Anomalie hinzugefügt werden sollen, sowie die Störung 
der Breite. Von dem Astronomen Hansen ist endlich eine dritte 
Form der Störungen angegeben worden, die in vieler Hinsieht 
als die zweckmässigste angesehen werden muss. Hansen verbessert 
zunächst die mittlere Anomalie, berechnet also, um wie viel die Ano- 
malie des gestörten Planeten durch den Einfluss der Störungen ge- 
ändert wird. Mit dieser so verbesserten mittleren Anomalie wird die 
wahre Anomalie und der Radiusvector in gewöhnlicher Weise berech- 
net, worauf letzterer mit einem Factor, der sich von der Einheit um 
den Betrag des Störungseinflusses unterscheidet , multiplicirt werden 
muss. Endlieh wird die Störung der Breite besonders berechnet. — 
Bei dem Monde bringt man die Störungen an seiner Parallaxe an, 
statt den Radiusvector zu corrigiren ; diese Störungen nennt man 
jetzt auch parallactische Ungleichheiten, unter welcher Benennung in 
älteren Zeiten etwas Anderes verstanden wurde (vgl. pag. 6^5) . 
Mit einem gemeinsamen Namen bezeichnet man die in irg 



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§11. Weitere, Folgen aus Newton's Gravitationsgesetz. 223 

einer der angeführten Arten ausgedrückten Stömngswerthe als 
Störungen der Coordinaten; im Gegensatz hierzu spricht man 
von Störungen der Elemente, welche die Anwendung jener 
ttberfltissig machen. Man kann sich nämlich ^an den sechs elliptischen 
Elementen solche Verbesserungen , die natürlich mit der Bewegung 
der Körper ununterbrochen andere Werthe annehmen, angebracht 
denken, dass der wahre Ort des gestörten Körpers aus den verbesser- 
ten Elementen nach den gewöhnlichen , für die elliptische Bewegung 
geltenden Regeln gefunden werden kann. Die Elemente sind alsdann 
nicht als Constanten anzusehen, sondern ändern sich ununterbrochen 
mit der Zeit. 

Man wird hier eine Parallele ziehen können zwischen der Be- 
wegung nach den Kepler'schen Gesetzen und der Bewegung, auf 
welche keine Kräfte einwirken. Im zweiten Falle sind die Be- 
wegungselemente unveränderlich, d. h. der bewegliche Körper 
schreitet mit gleichförmiger Geschwindigkeit in seiner geradlinigen 
Bahn fort. Wird aber der bewegliche Körper dem Newton'schen Ge- 
setze gemäss nach einem Kraftcentrum hingezogen , so ändern sich 
die Bewegungselemente fortwährend , denn sowohl die Geschwindig- 
keit wie auch die Richtung der Bewegung werden im Allgemeinen in 
jedem Augenblicke andere Werthe annehmen. Der Körper bewegt 
sich alsdann in einem Kegelschnitte, aber die sechs Bahnelemente haben 
dabei unveränderliche Werthe ; sind sie bekannt, so lassen sich die 
Bewegungselemente in jedem Augenblicke vermittelst Rechnung 
finden, sind wiederum die Bewegungselemente und die Kraft bekannt, 
so kann man die Bahn , folglich auch die Bahnelemente angeben , in 
welchen der Körper unter dem Einflüsse der Gentralkraft sich zu be- 
wegen gezwungen ist. Nichts hindert daher, die Bewegung des 
Körpers so zu berechnen , als ob er sich in einer geraden Linie be- 
wegte, insofern man nur auf die Aenderungen der Bewegungsele- 
mente gehörig Rücksicht nimmt. Man muss mit andern Worten die 
Richtung der geradlinigen Bahn ebenso wie die Geschwindigkeit in 
derselben aFs steten Veränderungen unterworfen betrachten. Diese 
Anschauungsweise wäre jedoch wenig vortheilhaft bei Bewegungen, 
die sehr bald den Einfluss der Kraft ven*athen , und somit wird es 
wohl auch Niemandem einfallen, die Bewegungen der Planeten in sol- 
cher Weise zu behandeln, aber undenkbar sind Fälle nicht, wo diese 



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224 n. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

BetrachtUBgsweifle die natürlichste wäre.. — Wenn nim auch andere 
Kräfte als die Gentralkraft merkliohen Einflnse ausüben, so hört die 
Bahn des Beweglichen auf, ein Kegelschnitt zu sein. Die elliptischen 
oder parabolischen oder hyperbolischen Bahnelemente werden mithin 
ihre Eigenschaft verlieren Constanten zu sein. Es hindert jedoch 
nichts, die Bahn fortwährend als einen Kegelschnitt anzusehen, wenn 
man nur in gehöriger Weise die Veränderungen der Bahnelemente 
berücksichtigt. Im Planetensysteme ist eine solche Anschauungs- 
weise eine ganz naturgemässe , denn die störenden Kräfte sind sehr 
klein im Verhältniss zu der Gentralkraft , mithin sind auch die Ver- 
änderungen der elliptischen Bahnelemente der Planeten nicht sehr 
beträchtlich. Man betrachtet also in der That eine Reihe von El- 
lipsen, die allmälig und ununterbrochen in einander übergehen. Sie 
haben die bemerkenswerthe Eigenschaft, dass, wenn die störende 
Kraft plötjslioh zu wirken aufhörte, der Planet fortfahren würde, sich 
in der diesem Augenblicke entsprechenden Ellipse zu bewegen. 
Diese Ellipsen heissen auch osculirendeEllipsen, weil sie sich 
der wirklichen Bahn in jedem Augenblicke anschmiegen. 

Das Verfahren, den Verlauf einer Bewegungserscheinung dadurch 
anzugeben, dass die Constanten einer einfacheren als veränderlich 
angesehen werden, nennt man die Methode der Variation der 
Cons tauten. Sie ist von Lagrange erfunden und znr Lösung des 
Störungspioblems angewandt worden. Auch bei der Lösung vieler 
anderer Aufgaben spielt sie eine hervorragende Holle. 

Es kann nun keineswegs unsere Absicht sein , im Detail die Be- 
rechnung der Störungen anengeben , denn hierzu wäre ein weit ver- 
wicJtelterer mathematischer Apparat erforderlich, als der, über wi- 
chen wir hier verfügen dürfen ; allein zur Würdigungv der Stellung, 
welche die Astrononüe als Wissenschaft einnimmt und um zu er- 
läutem , in wie weit die empirische Erkenntniss durch die Deduotion 
bestätigt worden ist, müssen wir wenigstens die allgemeine Form der 
Störungen , sei es von Coordinaten oder von Elementen , herzuleiten 
such««!. 

Die Figur 26 stellt nun zwei Bahnellipsen dar, die wir der Ein- 
fachheit wegen in derselben Ebene denken; die Störungen der Breite 
werden zwar alsdann unseren Betrachtungen ganz entgehen, allein theils 
sind sie sehr gering, wegen der kleinen Neigungen der Planetenbahnen gegen 



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§ 11. Weitere Folgen aus Newtons Gravitationsgesetz. 225 

einander , theils lassen sie sich durch ganz analoge Ausdrücke angeben, 
die wir als Form der übrigen Störungsausdrttcke finden werden. Der 
Punkt F sei nun der gemeinschaftliche Brennpunkt der beiden Ellipsen 
dhm'e und gmf, in welchem wir uns also auch den Mjttelpunkt des 
SonnenkOrpers denken. Im Punkte F denken wir uns femer ein recht- 
winkliges Coordinatensystem , dessen Axen d Fe und k Fl sind , in den 
Punkten m und m' endlich die beiden Planeten , deren Massen mit den- 
selben Buchstaben m und m' bezeichnet werden mUgen. Di« Coordi- 
naten der Masse m sind also: x = Fa und y = am, die der Masse m' : 
x\ = Fh und^i = hm'. Die Massen m und m' werden zwar nicht stets 
genau auf den entsprechenden Ellipsen liegen , wir dürfen sie aber in un- 
mittelbarer Nähe derselben annehmen. 

Figur 26. 



Die Kraft, womit der Planet m von der Masse m' angezogen wird, 
ist nun dem Ausdrucke 

Gylden, Astronomie. J5 



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226 II- Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 



Ui— ^)2-h(yi-y)2 
proportional, weil [xi — a;)2 4- (yi — y)2, dem pythagoräischen Satze zu- 
folge, gleich dem Quadrate der Entfernung zwischen m und m ' ist. Es 
handelt sich a1)er darum , den Einfluss der störenden Kraft auf die rela- 
tive Bewegung um die Sonne zu finden ; von der Einwirkung der Madse 
in' auf m muss daher der Einfluss ersterer auf die Sonne abgezogen 
werden. Derselbe ist gegeben durch den Ausdruck 

r2 ' 
wo r den Radiusvector des störenden Planeten bezeichnet. 

Nun ist es aber nicht genügend, nur die Quantität der störenden Ein- 
wirkung anzugeben ; auch die Richtung , in welcher sie wirkt , muss be- 
rücksichtigt werden. Zu dem Zwecke zerlegt man die störende Kraft in 
zwei Componenten — in drei, wenn die beiden Planeten sich nicht in der- 
selbenEbene bewegen—, welche mit bekannten Richtungen parallel sind. 
Wir wollen die Coordinatenaxen als diese Richtungen wählen. Man sieht 
nun leicht , wenn man sich an den Satz vom Parallelogramm der Kräfte 
erinnert, dass die beiden Componenten der directen Einwirkung von m' 
aufm sich zu der Resultante verhalten, wie die Seiten mc und m* c zur 
Seite mm' . Die beiden Componenten sind demnach durch die Ausdrücke 

m' mc ___ m' [xi — x) 

[x,-x)^-\-[y,-y]^ ' ;^^' [{Xi -r- xyi + (y, - y)«]* 

und 

m' m' c «»' (yi — y) 

(^|--^)2-+-(y,— y)2 • ^a^m' "■ [(ari— a:)2-H{yi— y)2]i 
gegeben. In derselben Weise erhält man die Componenten der Einwirkung 
von m' auf die Sonne durch die Ausdrücke 

m' Xj 

und 

Die Unterschiede der entsprechenden Componenten geben nun die 
Componenten der Einwirkung von m' auf die relative Bewegung von w, 
oder die durch diese Einwirkung verursachten relativen Beschleunigun- 
gen in der Richtung der Coordinatenaxen. Nennen wir diese Beschleuni- 
gungen S" und Tj", so haben wir demnach : 

!t/f ^ m' [Xj^ x) _ m' Xj 
[(^i-^)2-f-(yi-y)2]i r'3 
„ ^ m' (yi — y) _ m' y^ ^. 
^ [(a:i-^)2-f-(yi-y)2]l r'3 ' 

*) Diese Gleichungen sind nicht vollständig , dürften indessen un- 



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§11. Weitel^ Polgen aus Newton's GravUationsgesetz. 227 

Aus diesen Ausdrücken geht zunächst hervor, däss die Werthe von i" 
und 7]" stetigen Veränderungen unterworfen sind , weil die beiden Plane- 
ten ununterbrochen in Bewegung sind, und ihre Coordinaten mittin stetig 
verändert werden ; femer dass diese Werthe sehr verschieden sein kön- 
nen, je nach der gegenseitigen Lage der beiden Planeten; drittens aber, 
dass die Aenderungen von 5" und tj" an gewisse Perioden gebundöü sein 
müssen, da doch anzunehmen ist, dass die beiden Planeten nach einer 
längeren oder kürzeren Zeit wieder in dieselbe Lage zu einander kom- 
men. — Die Werthe von £" und tj" würden nun ohne jegliche Schwierig- 
keit numerisch zu berechnen sein, wenn nur x und xi , y und yi bekannt 
wären. Streng genommen kennt man diese Grössen jedoch nicht , da sie 
die wahren Coordinaten der beiden Körper vorstellen und nicht diejeni- 
gen, welche stattfinden würden, wenn die Bewegungen nach den Kepler- 
sehen Gesetzen vor sich gingen. Handelt es sich aber um die Berechnung 
der StöruQgen erster Ordnung, so können, wie erwähnt wurde , Mrx, xi, 
y und y\ ihre elliptischen Werthe angenommen werden , d. h. diejenigen, 
welche aus der elliptischen Theorie hervorgehen. 

Auf solche Weise findet man genäherte Werthe für die Componenr 
ten der Beschleunigung, welche für denselben Zeitpunkt gelten , zu wel- 
chem die Werthe von x\ u. s. w. gehören; zu einem anderen Zeitpunkte 
haben die Coordinaten andere Werthe, mithin auch die in Frage stehen-^ 
den Componenten. Man kann sich aber ein Zeitintervall so klein denken, 
daas die Aenderungen der Componenten während desselben äusserst ge- 
ring und , so dass , wenn man die Werthe der Componenten fOr die Mitte 
des ZeitinterValles berechnet , man anzunehmen berechtigt ist , dass die 
so gefundenen Werthe während des ganzen Intervalles unyeränderi: 
gültig bleiben. Ist nun ?o die Componente , welche für den Anfang des 
Zeitintervalles gilt, und ^\ die zu Ende desselben geltende , so ist das 
arithmetische Mittel 

i (?ö -h ?;') 

ein Werth für die ;)?-Componente der Beschleunigung , welche der Körper 
m durch die Anziehung der Masse m' erhalten hat, ein Ausdruck, der 
desto genauer wird, je kleiner das Zeitintervall ist, je weniger mithin die 
Werthe ?ö und S'/ sich von einander unterscheiden. Für das zweite Zeit- 
intervall , das wir mit dem ersten als gleich gross denken , wird man in 
derselben Weise die Beschleunigung 

erhalten u. s. w. Man sieht also , dass die Summe der während « Inter- 
vallen stattgefundenen Beschleunigungen, welche Summe wir mit S's-^'o 
bezeichnen wollen, durch den Ausdruck 



serm Zwecke entsprechen, welcher nur der sein kann , einen ersten Ein- 
blick in die Störungstheorie zu gewähren. 

15* 



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228 11- Kapitel. Newtons Geaetz der allgeineiiieii Schwere, 

W 6% - 5'o = i £% + Ti -h 5", + . . . ^\^t -h 1 K 

gegeben ist. Diaselbe ist aber anderseits weiter nichts , als- der zu. £nde 
des 8^^^ Intervalles erlangte Zuwachs an Geschwindigkeit in der Biclktung 
der a:-Axe ; denn jede partielle Beschleunigung trägt dazu bei , die Ge- 
schwindigkeit zu ändern, welche unverändert bliebe, wenn keine Be- 
schleunigung stattfände. £ine ähnliche Formel findet man für den Zu- 
wachs der Geschwindigkeit in der Bichtung der y-Axe. 

Es musB hier hervorgehoben werden, daes die Gr($sse ^o ^^^ nicht 
doreh <Me Gleichung (a) bestimmen lässt, was in der Natur der Sache 
liegt, da sie aus den Einfiüssen des stüretiden Planeten hervorgegangen 
ist, welche vor der Zeit stattfanden, von welcher an wir diesen Einfluss 
jetzt gerechnet haben. Sie muss entweder aus frtlh«ren Rechnungen 
oder a«8 Beobachtungen bestimmt werde», 'oder man kann sie auch so 
wählen, dads einer gewissen Bedingung bei der Bestimmung der ellipti- 
schen Elemente genügt wird. Nhomt ma» z. B>. an, Um» die elliptischen 
Etemente für den Augenblick OBonliren , den wir als Anfang des ersten 
Zeitintervalles festgestellt haben, so niuss c'o gleich Null gesetzt werden, 
uiiid zwar deshalb, well der wahre Ort und die wahre Geschwindigkeit in 
diesem Auj^ublicke micK den Kepler' sehen Gesetzen aus den osculiren- 
den Elementen ermittelt werden können , ohne dass man irgend welche 
Störnngsbeitiüge an den, ans den elttpdsohen Elementen berechneten Co- 
ordin^ten. hinzuzisfligen branchte. In d^selben Weise verhält es sieh 
mit der Grüsse y) a. — Auf alle Fälle aber lassen sieh diese Gr^iseen be- 
sdnimen, aoi das« man, durch die Gleichung (ft) und ihre analoge für y)'^, 
jederzeit den Betrag bereeknem kann , um welchen die Gesobwindigk'eit 
de» Planeten m in Folge des Einflusses der Masse m' verändert worden 
ist; mitilin lässt sich auch die wahre GdseÜwindigkeit de» Planeten in 
jedem^ Zettpuakte berechnen. 

Wenn man aber die Geschwindigkeit in jedem Zeitintervalle — wel- 
ches wir so klein annehmen, dass die Werthe von i' und rj' während, des- 
selben als der Zeit proportional veränderliich angesehen werden kön- 
nen, — kennt, so ist es auch sehr leicht, die Aenderuhgen des Ortes oder 
die der Coordtnaten zu berechnen. Der von einem Körper während einer 
gewissen Zeit durchlaufene Weg ist nämlich durch die Summe aller wäh- 
rend dieser Intervalle stattgefundenen mittleren Geschwindigkeiten ge- 
geben. Während des ersten Zeitintervalles erhält demnach die or-Co- 
ordinate den Zuwachs : 

während des zweiten : 



ei-?o = U£'o + 5'i; 



so dass die am Schlüsse des »ten intervalles durch die Störung veranlasste 
Aenderung der a:-Coordinate 

(b) ?H - ?o = 4 ^0 -f ri + ^'2 H- . . . + 5«^. -f- 4 6. 

beträgt. 



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§ 10. Newton's Entdeckting des aUgemeinen Gravitationsgesetzes. 229 

Die Glosse ^o ist, wie vorhin die Grösse ?'o , in gewisser Weise will- 
Mrlieh, ind^m sie so bestimmt werden mnss , dass der beobachtete Ort 
und die beobachtete Geschwindigkeit des Planeten wiedergefunden 
werden, wenn diese, wie sie aus den elliptischen Elementen folgen, 
wegen des Einflusses der Btäningen verbessert werden. Operirt man 
mit Elementen, die fKr den fraglichen Zeitpunkt osculirten, so muss 
^ gleich Null angenommen werden. — Eine der Gleichung (b) voll- 
kommen ähnliche, aus welcher der störende Einfluss auf die y-Co- 
ordinate hervorgeht , findet man für tj« — tqo- — Würden die beiden 
Körper m und w' sieh nicht in derselben Ebene bewegen , so mttsste noch 
eine dritte Coordinate angegeben werden, welche senkrecht auf defr durch 
die so- und ^-Axen gelegten Ebene steht. Für dieselbe würde man in der 
soeben besehriebenen Weise die Grösse C'« — C© ermitteln können , welche 
die Aenderung der dritten Coordinate , die gewöhnlich mit z bezeichnet 
wird, angiebt; der Ausdruck C» — Co würde dann die Aenderung der Ge-^ 
schwindigkeit bezeichnen. Wir wollen nun noch die allgemeine Bedin- 
gung angeben , welcher die sechs Grössen S, tq, C, ?', "n' und C' gentigen 
müssen. Es- seien «o, 60, co, die drei Coordinaten des Planeten m, a'o, 5'o, 
Co die drei Componenten seiner Geschwindigkeit, wie diese Grössen nach 
den Kepler'schen Kegeln für den Zeitpunkt gefunden werden, für wel- 
chen die Störungen berechnet werden, und indem irgend welche osculi- 
rende Elemente der Bechnung zu Grunde gelegt worden sind. Dies vor- 
ausgesetzt , müssen die sechs Grössen «o -|- So , &© -l- "Ho » ''o -f- Co , 
a'o-\- 5'o, 60 + 'j'o und c'o -\- Co die Bewegungselemente des Planeten m zu 
dem in Frage stehenden Zeltpunkte sein. Rechnet man aber mit Elemen- 
ten, die gerade für diesen Zeitpunkt osculiren, so findet man sogleich die 
wahren Werthe der Coordinaten und der Componenten der Geschwindig- 
keit, oder der Bewegungselemente , die wir nun mit XQ,yQ,ZQ , x'q , y'Q 
und z'o bezeichnen wollen. Die an diese Grössen anzubringenden StÖ- 
ningsverbesserungen sind demnach Null, wie oben hervorgehoben wurde. 
Zugleich hat man offenbar die Gleichungen : 

5o == ^0 — «0 ; S'o = ^'0 — «'0 
•^0 = yo — *o ; -^'o = y'o — *'o 

Co = 2o — Co ; C'o = 2'o — c'o 
welche nicht nur deshalb von Wichtigkeit sind , weil sie die geometrische 
Bedeutung der Grössen So u. s. w. darlegen , sondern auch da durch sie 
der Unterschied der zu verschiedenen Zeiten stattfindenden osculirenden 
Elemente ermittelt werden kann, wenn die Störungen der Coordinaten 
berechnet worden sind, und umgekehrt. 

Durch Additionen^ wie sie die Gleichungen (a) und (b) vorschreiben, 
lassen sich nun die Störungen -während einer beliebigen Zeit berechnen. 
Man geht dabei stets von einem System osculirender Elemente aus und 
setzt demnach die Grössen ?o> u. s. w., welche für die Anfangsepoche — 
die zugleich Osculationszeitpunkt Ist — , gelten, gleich Null. Im Grunde 



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230 11- Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

berechnet man in dieser Weise nur Unterschiede von Störungswerthen, 
denn man kann bei dieser Berechnungsart nicht ermitteln , um wie viel 
die osculirenden Elemente schon durch die Störungen beeinflusst sind. 
Allein man wird damit stets der Bewegung des gestörten Körpers folgen 
können, wenn auch in einer etwas unbequemen Weise. Die durch der- 
artige Additionen berechneten Störungen nennt man daher auch rela- 
tiveStörungen. Will man jedoch, wie es für manche Untersuchung 
und namentlich um die Natur des Störungseinflusses zu erkennen wichtig 
ist, den vollständigen Betrag derselben ermitteln , so muss man vor allen 
Dingen versuchen, die fraglichen Additionen algebraisch auszuführen. 
In diesem Punkte liegt die eigentliche Hauptschwierigkeit des Störungs- 
problemes. Wie diese überwunden wird und die sog. absoluten Stö- 
rungen erlangt werden, müssen wir noch anzudeuten versuchen. 

Zunächst sei bemerkt, dass die Gleichungen (A) die Beschleunigun- 
gen während einer Zeiteinheit angeben, die als so kurz angenommen wer- 
den muss, dass die Werthe von x, y, u. s. w. innerhalb derselben nicht 
merklich verändert werden ; diese Zeiteinheit muss daher, streng genom- 
men, unendlich kurz sein. Durch die Gleichung (a) findet man die Ge- 
schwindigkeit in derselben Zeiteinheit ausgedrückt , d. h. man erhält die 
während einer solchen Zeiteinheit stattfindenden Coordinatenveränderun- 
gen. Es wäre aber nun keineswegs bequem , ein solch kleines Zeitinter- 
vall als Zeiteinheit anzunehmen, und dies um so weniger, als dieses Inter- 
vall bei verschiedenen Störungsaufgaben sehr verschieden angenommen 
werden kann. Drückt man dasselbe aber in mittleren Tagen aus und be- 
zeichnet es dabei mit x, so müssen die Werthe der Grössen ^ oi ^i » u- s- w- 
als mit dem Factor A^t., multiplicirt gedacht werden, wo h die Gaussische 
Constante bedeutet. Die Grössen ^"o, SV , u. s. w. müssen demnach 
auch mit diesem Factor multiplicirt sein ; da sie aber die Beschleunigung 
während der Zeit t bedeuten , so müssen sie den in Frage stehenden Fac- 
tor nochmals enthalten. Statt der Gleichungen (A) erhalten wir demnach 
die folgenden : 

ri" ^ k^m'{yi — y) k^m' y. 

Wir werden später sehen , dass der sehr kleine Factor in den Aus- 
drücken von £ und r^ nicht mehr vorkommen wird. 

Den Abstand Fm (Fig. 26) bezeichnen wir durch r, den Abstand 
Fm* durch r', und die Winkel mFe und W Fe mit cp und cp' ; aus der Fi- 
gur findet man unmittelbar, dass 

a;8 + yJ = r2;iC«, +y2j«r^2 

a: =5 r Cos (j> ; x\^r* Cos cp' 
y = r Sin cp ; yf^ r' Sin ^' 
«a?! -|- yyi = rr' Cos (<p' — <p) 



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§ 10. Newton's Entdeckung des allgemeinen Gravitationegesetzes. 231 

woraus ohne Mühe die folgende Gleichung sich herleiten lässt : 

(^— a:)2-f- (yi_y)2«a:2 + y2^_a;,2_|_yj2_2 {xxi -[- yi/^) 
s= r'2 + ,^ — 2 rr' Cos (<p' — ^) 
Wir betrachten jetzt nur den Fall, wo der störende Körper sich stets 
weiter entfernt vom Centralkörper befindet, als der gestörte; derRadiusvec- 
tor r'ist alsdann immer grösser als der Radiusvector r. In dem Ausdrucke 

{{xi - x)^ + (yi - y)»( ^•'«/i - ^p Cos (cp' - ;p) +^,f 

ist daher das Verhältniss -y stets kleiner als 1 . Wir haben schon früher 

(pag. 112) angedeutet, wie ein derartiger Ausdruck durch eine unendliche 

Reihe dargestellt werden kann ; hier entspricht das Verhältniss — der 

Grösse, welche dort e genannt wurde. Es ist nun leicht einzusehen , dass 
die ersten Glieder dieser Reihe 

1h-3^,Cos(cp'-cp) 

sein müssen ; denn multiplicirt man Zähler und Nenner in dem obigen Aus- 

f 
drucke mit 1+3-7 Cos (cp' — tp) , so bleiben im Nenner nur solche Glie- 
der übrig, die wenigstens mit dem Quadrate von -y multiplicirt sind , und 

welche deshalb nicht die beiden ersten Glieder der Reihenentwicklung 
beeinflussen können. — In den meisten Fällen würde man zwar nicht 
weit mit den zwei aufgestellten Gliedern kommen, allein sie genügen, um 
zu zeigen, wie die Aufgabe behandelt wird , besonders wenn wir hinzu- 
fügen, dass die folgenden Glieder höhere Potenzen des Verhältnisses -7 , 
sowie auch höhere Vielfache des Winkels <p' — «p enthalten. 
Aus den Gleichungen (B) erhalten wir mm -. 

^' = - *»^'^^ + 3*..'^l^Cos(cp'-<p) V 

Zu diesen Gleichungen wollen wir einige Bemerkungen hinzufügen. 
Wird die Masse des gestörten Planeten vernachlässigt , so darf man statt 
Ä* die Grösse 

einführen (vgl. pag. 215) ; wir wollen ausserdem zeigen, wie die Winkel 



*) In diesen Gleichungen ist ein kleines Glied weggelassen, das mit 
-jfj multiplicirt ist. 



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232 II. Kapitel, Newtons Gesetz der allgemeiuen Schwere. 

<f und cp' durch die Anomalien und Perihellängen ausgedrückt werden. 
Aus der Fig. (26) sieht man, indem die wahren Anomalien mit /und f , 
die Perihellängen mit n und n' bezeichnet werden, dass 
der Winkel eFf^n' — iz 
» » 9 = / -|- ^ — it' 

?' = /' . 
mithin 

Wenn diese Werthe in die zuletzt angeführten Ausdrücke für £" und tj" 
eingesetzt werden , so erhält man , in Berücksichtigung der pag. 91 ge- 
gebenen Formeln für die Reduction der Producte von Sinussen und Co- 
sinussen : • 



(0){ 



+ Cos(/H-r — ir')l 

-t-Sin(/-|-ir — ir')j 

Für die Additionen , welche in den Gleichungen (a) und (b) vorkom- 
men, sind die gefundenen Ausdrücke noch nicht die geeignetsten; um 
diese zu erhalten, müssen vielmehr die Radienvectoren und die wahren 
Anomalien durch die mittleren Anomalien, d. h. direct durch die Zeit 
ausgedrückt werden. Eine solche Ausdrucksweise bleibt indess nur so 
lange vorth eilhaft, als die Excentricitäten sehr klein sind. Ist dies aber 
der Fall, so lässt sich die Transformation in folgender Weise ausführen. 

Indem die mittleren Anomalien mit g und g' bezeichnet werden, gel- 
ten die Gleichungen (vgl. die Note pag. 148) : 

/=^-j-2eSin^ ; /' = /-h2e'Sin^' 
die richtig sind, insofern die Glieder, welche mit höheren Potenzen von e 
und e' multiplicirt sind, als unmerklich vernachlässigt werden dürfen. Man 
hat nun auch 

Sin / = Sin ^ Cos (2 e Sin g) 4- Cos g Sin (2 e Sin g) 
Cos/= Cos^r Cos (2 e Sin g) — Sin g Sin (2 e Sin g) 
sowie ähnliche für Sin /' und Cos /'. Indem nun alle Glieder, welche 
das Quadrat von e enthalten , weggelassen werden , darf man Eins statt 
Cos (2e Sin g) und 2 e Sin g statt Sin (2e Sin^r) setzen, wodurch man zu 
folgenden Ausdrücken gelangt : 

Sin/ = Sin g -^ e Sin 2g ; Cos/ = — e 4-*Cos g -\- e Cos 2 g 
und ebenso 

Sin/' = Sin g' + e' Sin 2g' ; Cos/' = — e' + Cos g' + e' Cos 2g' 
Die Polargleichung der Ellipse giebt ferner : 



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§ 10. Newtons £«|deGkung des allgemeinen GravitationsgeBetzeB. 233 



r = 



(^T 



J+«Cog/' l-f-e'Coa/ 

Lässt man auch hier alle Glieder bei Seite , die mit einer höheren 
Potenz von e oder e' als der ersten multiplicirt sind , so finden sich die 
Ausdrücke : 

- Oos/ = — J « -h Cos 47 + i ß Co« 2^^ 

^Sin/=Sin^ — icSin?^' 
(^y = 1 + 3 c' Cos g' 
Cos 2/' = — i e' Cos ^' 4- Cos 2/ + i «' Cos» / 
(^y Sin /' = -1 e' Sin ^' + Sin 2</' + J c' Sin 8(7 

Mit Hülfe dieser Ausdrücke lassen sich alle Glieder in den Glei- 
chungen (C) umformen. Man findet, wenn auch das Product ee' als un- 
merklich angesehen wird, 

r^^) ^Cos (/+^)= — I e Cos ^ + Cos ig-i-A] -{-ieCof^(2g— A) 
+ |e' Cos (/ + </■+■ -4) + ie' Cos (^' - ^r ^ ^) 
r^y^Sin if+A) =»— fcSin^ + Sin (^ + -4)— ^ e Cos (2^— ^) 
-^ |6' Sin [g' + g-{-A)— Je' Sin [g' — g — A) 
(?)' 'a ^^® ^^ ^' -/-^) = Cos W -g-A)-ie Cos (2^' - A] 
■i-ieCos{2g' + 2g^A)—ie'Go8{g'—g—A)-^ie'CoB{^g'^g-'A) 
ivf a ^*^ ^^-^^ — f—A) = Sin (2^' _ ^ — ^) >-| e Sin (2^' — ^) 
+Vsin(V + 25r-^)-ic'Sin(^'-(7-^)+i«'Sin(3/-(7-^) 
wobei der Winkel iz — n' mit A bezeichnet worden ist. Mit Hülfe dieser 
Werthe werden dann die Gleichungeij (C) umgeformt. 

Aus den angeführten Ausdrücken geht hervor , dass die Grössen 6" 
und Yj" aus einer Anzahl Glieder zusammengesetzt sind , deren jedes die 
allgemeine Form 

3fCos(»V — »>+ Q) 
oder 

iVSin{ty + f>+ Q) 
hsibt Dabei bezeichnen 31 und N constante Coi^fficienten, die nur von den 
Elementen abhängen, und ebenso bezeichnet Q eine constante Grösse ; 
i und t' stellen ganze Zahlen vor, die positiv und negativ sein können und 
4en Werth Null p^cht nus^PhUessen ; g mä g' sind epdlip)i diß mittleren 
Anomalfep. 



(B) 



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234 n. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Es ist aber 

g^n(t — to)^c; ^' = n' (< — <o) + C 
wobei n und n' die mittlerenBewegungen, c und c'die mittleren Anomalien 
zu der Zeit wo < = <o bedeuten. 

Wir können jetzt auf die Entwicklung der Grleichungen (a) und (b) 
zurückkommen. — Wenn £% berechnet werden soll , hat man in allen 
Gliedern , die in dem allgemeinen Ausdrucke für £" (die erste der Glei- 
chungen C) vorkommen, für die Zeit den Werth t^ zu setzen; ?i' wird mit 
dem Werthe <i = <o ■+• '^ > £2 ™it <2 = ^0 H- 2 x berechnet , u. s. w. Um 
nun die in der Gleichung (a) vorgeschriebene Operation auszuführen, hat 
man die Specialausdrücke für Si', 62, u. s. w. einzuführen, wonach man 
eine Reihe von Gliedern erhält, von denen jedes einzelne selbst eine 
Summe ausmacht. Es hindert Nichts , jedes dieser Glieder besonders zu 
betrachten, und man wird finden, dass die Mehrzahl derselben in gleicher 
Weise behandelt werden muss. — Wir betrachten nun das Glied 

JfCo8(»Y — »>+ Q) 

t2 



welches in dem Ausdrucke für -| vorkommt, und wollen das entspre- 



chende Glied in — herleiten. Zunächst schreiben wir dasselbe in der 

T 

Form : 

M Cos ((»'»' — in) (^ — <o) + »'c' — ie-j- Q) 
oder 

MCoB[a(t—to) + B] 
wenn wir, der Kürze wegen «'n' — in mit a und »'c' — ic -^ Q mit B 'be- 
zeichnen. Dieses Glied hat nun in den Ausdrücken für Ei' , 5',' , u. s. v. 
nachstehende Werthe : 

in^ MCo%(B) 

in^^ MCos [oLT-i-B) 

in^ Jtf'Cos(2aT-|-^) 






in^ MGoB (sax-h J5). 



Man sieht also , dass zur Bildung der Summe — die Ausdrücke der 

Summen : 

X (^ + CoBaT-f-Goß2aT-|-Oo8 3oT 4-....-HC0S (s— l)ax-f-iCossaT) 

und 

X (Sin ax 4- Sin 2aT 4- . . . . + Sin (s — 1) ax -h i Sin sax) 

erforderlich sind. Diese Ausdrücke können wir uns jedoch sehr leicht 

verschaffen. Gehen wir nämlich von der bekannten Gleichung aus 



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§11. Newton's Entdeckung des allgemeinen GravitationsgeBetees. 235 

i + i Cos ax = Cos i aT . Cos i olx *) 
und multipliciren den Werth rechts mit k^ — 1 — , so finden wir unmit- 

telbar : 

;i) 4 + i Cos ax = i Sin ax Cotang ^ax 

Multipliciren wir ebenfalls die rechte Seite der leicht zu erhaltenden 
Gleichung: 

4 Cos «T -f- i Cos 2ax s= Cos fax Cos \az 

mit ■ „, , ^ , so ergiebt sich, weil 
Sin^ax' ® 

Cos J ax Sin i ax =s J Sin 2 ax — ^ Sin ax , 

(2) i Cos ax + i Cos 2ax =s 4 (Sin 2ax — Sin ax) Cotang |ax 

In derselben Weise findet man ferner: 

(3) i Cos 2ax -f i Cos 3ax = 4 (Sin 3ax — Sin 2ax) Cotang Jax 
und allgemein : 

(s) i Cos (s— l)ax-|-JCossax = J(Sin3ax— Sin(s — l)ax)Cotang iai 

Addiren wir nun alle diese Gleichungen, von (1) bis (s) , so erhalten 
wir, indem der Factor x noch hinzugefügt wird : 
t (i -f Cosax rh . . . + i Cos sax) = ^x Sin sax Cotang iox 

== s^-=-i — Cos iax Sin sax 
Sin i ax ^ 

Wenn wir nun die ganze Zahl s hinreichend gross annehmen , so können 
wir uns x in beliebiger Weise klein denken; diese Betrachtungsweise 
führt jetzt keine Unbequemlichkeit mit sich , denn wir brauchen die ein- 
zelnen Glieder nicht mehr wirklich zu addiren , da ihre Summe aus der 
obigen Formel direct berechnet werden kann. Wir können daher ohne 
Weiteres uns x als unendlich klein vorstellen , wie es auch nöthig ist, da- 
mit das Resultat der Rechnung völlig scharf werde. In diesem Falle darf 
man aber auch ^ax statt Sin ^ax schreiben und Cos ^ax gleich der Ein- 
heit setzen. Unsere Formel wird dann die folgende sein : 

W X (4 + Cos at -I- . . . -h Cos s ax) « Sina«-<o) 

OL 

WO wir für das Froduct x s den Werth t — ^ geschrieben haben. 

Um die zweite Summenformel herzuleiten, haben wir: 
i Sin ax = Sin i ax Cos i ax = i (1 — Cos ax) Cotg lax 
i Sinax -H i Sin 2ax=: Sin jax Cosiax = 4(Cos ax — Cos2ax) Cotg ^ax 

u. 8. w. 

Hieraus leiten wir ab, wie im vorigen Falle, 
X (Sin ax -I- Sin 2ox -h . . . -h Sin (s— 1) ax -h Sin sx) 



Sinlax 



Cos 4ax (1 — Cos s ax) 



*) Vgl. pag. 91. 



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236 11- Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

oder 

(ß) T (Sin ai + Sin 2aT -h . . . -h Sin (ß — l)aT -f i Sin s ox 

^ 1 — Cos Ol (< — <b) 
a 
Bei dieser Summation entsteht also ein unveränderliches Glied, näm- 
lich — , und ein trigonometrisches, nämlich 

Cosa jt^tQ) 
a 
Das erste Glied vermischt sich gewissermassen mit dem constanten Gliede 
i So > ^^^ 2^&f IQ ^^^ Weise, dass au^dere Quantitäten , welche in dersel- 
ben Grösse als Glieder eingehen , entspceehende Aenderuogen erleiden. 
Die Grösse S« selbst muss stets einer gewissen Bedingung genügen, einer- 
lei, aus i^elchen Theilen dieselbe auch zusammengesetzt sein mag. Wenn 
die Elemente für den Zeitpunkt <o osculiren , so muss £© gleich Null sein. 
Sehen wir also von den constanten Gliedern ab, zu deren Bestimmung 
stets die Berücksichtigung besonderer Umstände erfordert wird , so kön- 
nen wir die folgende einfache Begel aufstellen : 

Wenn die Entwicklung, welche -^ oder -^ darstellt, 

ein Glied der Form 

If Cos [(»'«' — in) {< — <o) + Q\ 

enthält, so wird die Grösse — oder — ein entsprechendes 

TT 

Glied enthalten, welches beträgt: 

^J^'i:. Sin [(»' n' - in) [t - to) + Q] . 

Ist wieder das Glied in -ö- oder -^von der Form 

T^ T* 

N Sin [(»'n' — in) [t^UA + Q] 
so beträgt das entsprechende Glied in — oder -*- 

- i'n'^in ^""^ f '*'"*' ~ * '^^ « - <o) + Q] 

Genau in derselben Weise werden die Glieder in $ und tt] gebildet: 
das Glied 

Jf Cos [(»'n' — in) {« — «o) ■+■ Q] 

im Ausdrucke für-^oder — giebt zu dem Gliede 
T^ t2 

^ Cos[{»'n'-»») (< — <o) + Q] 



in £ oder tj Veranlassung, und, in derselben Weise, das 
Glied 



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§11. Newton's Entdeckung de» allgemeineii Gravitationsgeoetaes. 237 

JV^Siö [(»'«' — in) {t ^ ^) -I- Q] . ' 

ifi— oder -^ ZU den Glied 6 

in ^ oder tj. 

£0 giebt aber noch eine zweite Gattung von Gliedern in V^der A, 

Bämlwb 6oKihe» ^e oonatant «nd al«o niekt mit einer trigonometrisQhett 
Grösse multiplicirt sind. Die Sumxnation solcber Gileder mass nach an- 
deren Regeln bewerkstelligt werden, die aber sehr leicht zu erhalten 
sind. Nehmen wir z. B. an, dass in ^ das Glied h sieh vorfönde, so hätten 

winn — : 

T 

'z [\k + h -\- k -\- ...-[' k ■\- \k) = k [t — to) 
da die Anzahl der Glieder s -f 1 ist. 

In dem Ausdrucke für ^ haben wir aus demselben Gliede die 
Summe 

Ä't^l + 2 4- 3 -h . . . -f s - 1 4- i s; 
für welche man sehr leicht den Ausdruck ' 

Ut3s2= ja:< — <o)- 
findet. 

Aus den angeführten Regeln zur Bildung der Glieder in £ und y; 
können wir mm aweierlei schliesaen. Erstens, dass die Störungsaus- 
drücke aus einer sehr grossen Anzahl von mehr oder weniger merk- 
liehen Gliedern bestehen , von denen die Mehrzahl mit trigonometri- 
schen Grössen multiplicirt und demnach von periodischer Natur ist, 
während andere proportional der Zeit oder dem Quadrate der Zeit 
wachsen. Zweitens sehen wir aber, und dies ist eine sehr wichtige 
Bemerkung, dass Glieder in den eigentlichen Störungsansdrüeken, 
also in ^ und 7], merklieh, oder sogar bedeutend werden können, wenn- 
gleidi die entsprechenden Glieder in ^' nnd y" sehr klein sind. Hier- 
zu ist nur erforderlieh , dass der IHvisor f n — / n einen genügend 
kleinen Werth habe. Wenn aber diese Grösse, die zugleich in dem 
trigonometrischen Ausdrucke als mit der Zeit multiplicirt vorkommt, 
klein ist , so muss die 2!eit um so mehr anwachsen , damit der Bogen 
oder »das Argument« sich um 360^ ändert; die Zeitdauer, innerhalb 
welcher das betreffende Glied alle Phasen durchläuft, oder die sog. 
Periode des Gliedes, wird also um so grösser sein, je kleiner der 
betreffende Divisor ist. Man trifft daher unter Gliedern von langer 
Periode vorzugsweise solche an , die bedeutend sind. 



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238 n. Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Mit diesen allgemeinen Resultaten müssen wir uns hier begnügen, 
denn die mitgetheilten Entwicklungen sind nieht vollständig genug, 
um die numerische Bestimmung der einzelnen Störungsglieder mit 
einer irgendwie nennenswerthen Genauigkeit zuzulassen. Wir kön- 
nen höchstens nachweisen, wo grosse oder merkliche Glieder zu 
suchen sind , aber ihren Betrag können wir nur ganz beiläufig an- 
deuten. Indessen, zur Bestätigung der Newton'schen Weltansieht 
wird auch dieses nicht unwesentlich seih. 

Gewöhnlieh werden die Störungen der Länge und des Radius- 
vectors angegeben, statt die der rechtwinkligen Coordinaten. Der 
Uebergang von dem einen zu dem andern Systeme ist jedoch leicht 
auszuftihren. 

Nennen wir a, h, p und m die nach den Kepler'schen Gesetzen be- 
rechneten Werthe von x, y, r und cp , so sind die Differenzen dieser Grös- 
sen offenbar aus den Störungen hervorgegangen ; die erstgenannten Diffe- 
renzen haben wir oben mit £ und ri bezeichnet und auch ihre Form im 
Allgemeinen ermittelt , es bleibt uns also übrig r — p und 9 — w durch g 
und 7] auszudrücken. Nun ist aber 

a: a= a -f- ? = r Cos cp = [p -|- (r — p)] Cos [w + (<p — »)] 
y s= 6 -+- T] = r Sin 9> « [p -h (r •— p)] Sin- [w -f (9 — «)] 
Subtrahirt man von diesen die Gleichungen 

a = p Cos Ol 

6 = p Sin OD, 

welche dör elliptischen Bewegung entsprechen, so bleibt, indem wir <p — <» 

statt Sin (cp — 00) und 1 statt Cos (9 — co) setzen, und auch das Product 

(r -^ p) (<p — 0)) vernachlässigen : 

5 SÄ (f — p) Coö 0) — p Sin 00 (<p — w) 
7] « (r — p) Sin oj H- p Cosw («p — ») 
Wird die erste dieser Gleichungen mit Cos m, die zweite mit Sin <» multi- 
plicirt, so erhält man nach Addition und unter Berücksichtigung , dass 
Cos 0)2 -I- Sini«2 =s 1, 
£ Cos cü H- IQ Sin w = r — p 
Multiplicirt man hingegen die erste mit Sin a> und die zweite mit Cos 0», 
so erhält man, wenn die erste von der zweiten abgezogen wird, 

— 6 Sin 0» -|- Tfj Cos CO = <p — 0) 
Die Grösse cp — oj enthält die Störungen der Länge , denn die Grösse tt' 
ist sowohl in <p wie in oj die wahre Perihellänge des störenden Planeten. 

Führen wir die Werthe aus (D) in den Gleichungen (C) ein , so wer- 
den wir unter andern Gliedern auch die folgenden finden : 



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§11. Newtoq's Entdeckung des allgemeinen Gravitationsgesetzes. 239 

^» ^ • • • - T^ (7') '*'" ^^« {2i7'- ^] 
^"S • • - T^' (■^)'^'^ Sin [^g^^A] 
In ^ und T) erhalten diese Glieder, da i' ^ 2 und t » 0, die Werthe : 
in? ... l,„'(^)'(j)%C08(2/_^) 

in, ... »^'(|.j'(j)%8in(2/-^) 
Nun ist 

wenn wir aber das Quadrat von e ye machlässigen wollen , so können wir 
sogleich 

m^g-{- A 
setzen, weil die obigen Ausdrücke schon mit e multiplicirt sind. Das be- 
treffende Glied in 9 — oi, oder in der Längenstörung wird also 

Ä '"' (^)'(^)*' [Si«(2jy'-^) Co8(i7H-^)^Cos (2^'-^) Sin [g + A]^ 

- Ä-'(«^r(^r^Sin[2,'.-2,-2^ + ,] 

mithin, der Form nach, identisch mit der Evection in der Mondbewegung. 
Der Coefficient ist hier allerdings wesentlich fehlerhaft gefunden worden, . 
was nicht verwundern darf, da die ganze Herleitung desselben nicht in 
vollständiger Weise geschah , allein eine ungefähre Vorstellung von des- 
sen Betrag können wir uns verschaffen. Zufolge der Relation, zwischen 
den Massen der Sonne , eines Planeten und dessen Mond einerseits, und 
den dazu gehörenden Umlaufszeiten oder mittleren Bewegungen und mitt- 
leren Abständen andererseits, welche auf pag. 216 angeführt wurde, muss 
der Factor 



•■(:-)■&) 



sehr nahe den Werth 1 haben. Die Excentricität der Mondbahn beträgt : 

e == 0.0549 ; 

multipliciren wir diesen Werth mit -f^ und verwandeln das Product in 
Bogenminuten, so finden wir 106', während der Coefficient der Evection 
in der That nur etwa 80' beträgt. 

Die Evection ist die grösste Störungsungleichheit in der Mondbewe- 
gung, trotzdem sie mit der Excentricität multiplicirt ist ; die Ursache die- 
ser Erscheinung findet man leicht in dem Umstände , dass der Divisor w' 

ziemlich klein im Verhältniss zu n ist ; das Verhältniss — beträgt in der 
That ungefähr 13. 



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240 II- KafHtol. Newtons Eiitctockung der allgemeinen Bebvere. 

Die StürungsauBdrücke der Planetenbewegungen enthalten Glieder, 
welche der Evection analog sind, aber nicht immer gehören gerade diese 
zu den grössten: dafUr haben andere Glieder zuweilen sehr grosse Werthe. 
In Folge der Einwirkung des Saturn auf die Bewegung des Jupiter erfährt 
z. B. die Länge des letzteren die Störung 

— V Sin (2^ — hg') 4- W Cos (2^ — 5^') 

wo g die mittlere Anomalie des Jupiter und g' die des Saturn bedeutet. 
Die entsprechende Ungleichheit in der Saturnbewegung ist wieder 

— 17' Sin (5^'.— 2</) — 39' Cos (5^' — 2g) 

Dass gerade diese Glieder unter den vielen so gross werden , beruht dar- 
auf, dass der Divisor 

5fi'~.2n 
sehr klein im Yerhältniss zu n oder n' ist. In der That ist 

n = 299':t286 

n' = 12e':4548 

woraus folgt 

2w — 5/i' = 4':016S 

und 

r "---. 1^=554.-. ;r-A.-r= 8«». 

L5 71' — 2 Hj 1^5 n — 2 n] 

Die Periode eines Gliedes findet man offenb^ir, indem der ganze Um- 
kreis, ausgedrückt in Sekunden , durch den ebenfalls in Sekimden aus- 
gedrückten Werth von »'»' — *w getheilt wird. Man findet durch eine 
solche Rechnung, dass die Periode der soeben betrachteten Glieder 
'2S3.3 Jahre beträgt. 

Der Bedingung, dass i'n' — in sehr klein sein soll, wird genügt, 
wenn das Yerhältniss der mittleren Bewegungen ?«' und n sehr nahe com- 
mensurabel ist ; denn in diesem Falle ist dieses Yerhältniss auch wenig 
verschieden von dem Yerhältnisse der ganzen Zahlen i' und ». Wenn indes» 
der Unterschied dieser ganzen Zahlen einigermassen erheblich ist, so wird 
das entsprechende Störungsglied trotzdem gewöhnlich klein, weil das- 

t' — t i t' 

selbe von der Grössenordnung e oder e ist. Man sieht aber ein, 
dass man zu diesem Schlüsse nur dann berechtigt ist , wenn die Excen- 
tricitäten sehr klein sind ; ist dies nicht d«r Fall , so könnten bei grösse- 
ren Werthen von i oder t merkliehe oder sogar sehr grosse Glieder vor- 
kommen, und in Folge dessen eine sehr grosse' Anzahl von Gliedern nö- 
thig werden, um die Bewegung eines Himmelskörpers mit der erwünsch- 
ten Genauigkeit anzugeben. In solchem Falle erfordert die Aufgabe zu 
ihrer Lösung andere Htllfsmittel als die oben angedeuteten. 

Man kann sich leicht geometrisch veranschaulichen, wie bedeutende 
Störungsglieder entstehen müssen , wenn die mittleren Bewegungen der 
beiden Planeten nahezu commensurabel sind. Wir bedienen nns zu die- 
sem Zwecke der Fig. 26 und werden nachweisen, wie dann der störende 
Einfluss während mehrerer Umläufe stets im selben Sinne wirkt, und »ich 



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1 1 . Newtoa's EntdeekimK des allj?emeii>en Grjivitations^eBetzes. 24 1 

also aDhäuft. Wir nehmen beispielsweise an , dass der Planet v* etwas 
mehr als zwei Umläufe in derselben Zeit wie der Planet wi' einen voll- 
endet ; wir setzen ferner voraus, dass sich der Planet m zu einem gewis- 
sen Zeitpunkte im gi befindet und der Planet in' gleichzeitig in h. Wenn 
nun m' nach einem ganzen Umlauf wieder in h angekommen ist , hat m 
zwei ganze Umläufe und ausserdem den kleinen Bogen g^g^ in seiner Bahn 
zurückgelegt ; m befindet sich also jetzt in ^2 > während zu gleicher Zeit 
m' in Ä ist. Nach einem nochmaligen Umlauf von m' befindet sich m in 
g, u. 8. w. Während mehrerer Umläufe nehmen daher die beiden Plane- 
ten nahezu dieselbe gegenseitige Stellung relativ zur Sonne ein, und zwar 
gerade zu der Zeit, wo ihre Einwirkung auf einander am grössten ist. 
Hierdurch entsteht jedesmal beinahe dieselbe Störung , welche sich also 
anhäuft und eine 'beträchtliche Grösse erreichen kann. — Wäre dagegen 
der eine Planet zu einer gewissen Zeit z. B. in m und der andere gleicli^ 
zeitig in h, so würde während mehrerer Umläufe keine grosse Annäherung 
stattfinden können und folglich auch keine grosse Störung. Man sieht 
auch leicht ein, dass das Vorhandensein der Excentficitäten nothwendig 
ist , damit die kleinste Entfernung während gewisser Umläufe geringer 
als während anderer werden soll; bei kreisförmigen Bahnen würde der 
kleinste Abstand immer dann eintreffen, wenn der eine Planet an dem 
andern vorbeiginge, und er ist in allen Umläufen genau derselbe. 

Yennittelst Operationen, die denen ziemlieb ähnlich sind , durch 
weiche die Störungen der Poiarcoordinaten ans 5 und t; ermittelt wur- 
den, lassen sich auch die Störungen der Elemente durch die der Coor- 
dinaten ausdrücken. Wir können uns jedoch hierbei nicht auf- 
halten, sondern müssen uns darauf beschränken , einige Sätze anzu- 
führen, welche die Säcularstörungen der Elemente betreffen. 

I. Die halben grossen Axen der Planetenbahnen 
und also auch die mittleren Bewegungen sind keiner 
Säcularstörung unterworfen. 

Dieser Satz ist von Wichtigkeit für die Stabilität des Sonnen- 
systems; denn wenn die Axe einer säculären Veränderung unter- 
worfen wäre, mithin proportional der Zeit wüchse oder abnähme, so 
müsste eine gegebene Pianietenbahn ununterbrochen erweitert oder zur 
sammengezogen werden. Gesetzt, die Erdbahn wäre solchen Ver- 
änderungen unausgesetzt unterworfen, so müsste im Laufe der Zeiten 
die Erde dann entweder in dem jetzi^n Abstand des Merkur Oder in ^ 
dem des Jupiter sich um die Sonne bewegen; Welchen £)influs9 die 
hieraus entstehenden Verhältnisse auf das Schicksal . des Uensohen-« 

6yl den, Astronomie. |g 



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242 II- Kapitel. Kewton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

geschlechts ansflben würden, brancht niebt weiter ausgeführt zn werden . 
Gleichwohl gilt der Satz von der säculären ünveränderlichkeit der 
grossen Axe oder der mittleren Bewegung nur so lange, als man sich 
begnügen kann, die Störungen erster und zweiter Ordnung zu berück- 
sichtigen; aber dessenungeachtet steht es fest, dass die Störungen 
höherer Ordnung während der nächsten JahThunderte völlig un- 
merklich bleiben, und Jahrtausende vergehen müssten, bis diese 
Störungen irgend welchen merklichen Einfluss auf die Lebensverhält- 
nisse des Menschengeschlechts ausüben könnten. 

II. Die Excentricitäten und die gegenseitigen Nei- 
gungen der Bahnen unterliegen zwar keiner eigent- 
lichen säculären Störung, jedoch periodischen Stö- 
rungen von so langer Dauer, dass dieselben zu einer 
gegebenen Zeit vollkommen den Charakter von säcu- 
lären haben. 

Auch dieser Satz ist von Wichtigkeit bei der Beurtheilung der 
früheren oder späteren Zustände unseres Sonnensystems. Wenn das 
in diesem Satz ausgesi^roohene Yeriiältniss nicht stdlAfi&it^, hätte die 
Erde zu einer früheren Epoche ihrer ikisfenz als Körper in einer 
sehir excentrischen Ellipse Bieh um die Sonne bewegen können. 
Dabei wäre die Erde in ihjrem Pexiheliuan einer Hitese ausgesetzt 
ge weilen , üe kein um bek&snter Organismus hätte vertragen kön- 
nen; in ihriNn; Aphelium hingegen einer excessiven Kälte. — Bei 
einer fortlaufend veränderten Neigung der Erdbahn könnte wie- 
derum zweierlei einfti-effen , was die Oeconomie des menschlichen 
Lebens wohl wesentlich beeinträchtigen würde: nämlich entweder 
könnte der Unterschied zwischen den Jahreszeiten aufhören , indem 
die Ebene der Ekliptik mit der des Aequators zusammenfallen würde, 
oder es könnte auch der Unterschied zwischen den Klimaten an ver- 
schiedenen Orten verschwinden , wenn nämlieh diese beiden Ebenen 
senkrecht auf einander stünden. 

III. Dagegen siftd die Längen der Perihelien und 
der Knoten säculären Veränderungen unterworfen, 
wodurch dieselben alle Werthe von 0® bis 360^ anneh- 
men können. 



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§ 11. Newton'g Entdeckung des allgemeinen GravitationsgesetzeB. 243 

* 

Diese VeWtnderangeii siücl äbet ehtte wesentlicheti Einflnss so- 
wohl auf den Bestand des Planetensystems, wie auch auf die specielleii 
VerhAltsisde des meüsohliolien Lebens. 

Die Aeodeningeö der Excenfc^icitäten , Neigungen , Perihelien 
und Enotetf hiit man dnreh die beobachteteü Bewegungen der Him- 
melskörper unmittelbar gefunden , ebenso die grossen periodisehen 
üff^ichheiten der Mon^bewegilHg und die sog. Säcularänderung der 
miMereii littn^ des Mondes. Durch die Deduction sind sie bestätigt 
worden, indem mau vermittelst der mathematischen Analyse die- 
Behhissfolgierungen atts dem NeWton'schen Principe gezogen hat. 
Dabei ist es* aber nicht bei dieser einfachen Bestätigung geblieben'. 
Die mathematische Behandlung des St5rttngsproblems fShrt, wie oben 
gezeigt wurde, zu der Kenntniss einer s^hi^ grossen Anzahl Sförungs- 
glieder oder Ungleichheiten , die man auf emjHrischem Wege nicht in 
dier efrwüBischtan Vollständigkeit hätte entdecken können. Werden 
aber alle Ungleichheiten mit gehöriger Schärfe berechnet und bei 
der VoraBsberechniing berücksichtigt, so lässt sich erwarten, dass 
die letztere desto mehr mit der Beobachtung übereinstimmen werde, 
je mehr die Beobachtungsknsst fortschreitet. Und wenn dieser Er- 
wartung auch nicht voltetändig genügt wird, so wissen wif doch jetzt 
genisu, in welcher Weise die Ursachen zuden Abweichungen zwischen 
der theoretische Vorausbereehiiung und der Beobachtung zu suchen 
sind. Zunächst muss« untersucht werde», oh nicht die rein elliptii- 
schen Elemente des bewegten Körpers Verbesserungen bedürfen : von 
Zeit zu Zeit müssen solche ünzweifeUiatft angebracht werden, denn 
mit steigender Zahl und Güte der Beobachtungen wird man auch die 
Elemente mit immer wachsender Genauigkeit bestimmen, und also 
auch ältere Werthe derselben verbessei^ können. In zweiter Linie 
mnss an die Verbesserung der angenommenen Werthe für die Massen 
der störenden Planeten gedacht werden. 

W^l die Störungs^ieder die Werthe der verschiedenen Planeten- 
massen als Factoren enthalten , kann mm mn der Grösse eines ge- 
wissen Störungscoefficienten , wenn derselbe unmittelbar aus den Be- 
obachtungen' bestimmt werden konnte, die betreuende Planetenmasse 
ermittehi. Namentlich sind die Coefficienten der Säcularstömngen 
hierzu geeignet, denn ihr Betrag wird durch das Anwachsen der Zeit 
in beliebigem Maasse vergrössert. Auf diesem Wege sind auch die 

16* 



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244 II. Kiipitel. Newtons Gesetz der allgemeinen Schwere. 

Massen derjenigen Planeten bestimmt worden , die nicht von Monden 
begleitet sind [vgl. pag. 217). 

Die Verhältnisse zwischen der Anziehungskraft der Sonne, der 
Erde und des Mondes hat man mit ziemlich grosser Genauigkeit be- 
stimmen können, unabhängig von dem gegenseitigen Einfluss der be- 
treffenden Massen auf die resp. Bahnbewegungen; dagegen war es 
schwierig, durch dii'ecte Methoden das Verhältniss der grossen Axen 
der Erdbahn und der Mondbahn zu bestimmen. Diese Schwierigkeit 
beruht hauptsächlich auf dem geringen Betrag der Sonnenparallaxe, 
deren Bestimmung auch daher verhältnissmässig unsicher bleiben 
muss. Die Berechnung der Mondstörungen erfordert aber, wie wir 
schon gesehen haben, die Kenntniss dieses Verblltnisses. Um an der 
weiteren Entwicklung der Untersuchung nicht verhindert zu sein, 
wurde die Verbesserung dieses Verhältnisses als eine Unbekannte an- 
gesehen und als solche in den Störungsausdrttcken eingeführt. Indem 
die Vorausberechnung , welche jetzt diese unbekannte Grösse enthält, 
mit den Beobachtungen verglichen wird, kann letztere jedoch be- 
stimmt werden. Durch die Untersuchungen der Mondbeobachtnngen 
wird man also zur Kenntniss der Sonnenparallaxe gelangen können, 
denn wenn das in Frage stehende Verhältniss und die Mondparallaxe 
bekannt sind , so ergiebt eine einfache Multiplication die Sonnenpai^ 
allaxe. Bis nach der Mitte dieses Jahrhunderts hatte man für die 
9onnenparallaxe den von Encke bestimmten Werth 

/ = 8':57116 
angenommen. Aus der Untersuchung über die Bewegung des Mondes 

hatte nun Hansen gefunden, dass das Verhältniss -7 mit dem Factor 

a 

1.03573 multiplicirt werden müsse, damit den Beobachtungen genügt 

werde;*) nimmt man also an, dass der früher benutzte "Werth der 

Mondparallaxe fehlerfrei sei, so muss der angeführte Werth von jo' 

Auch mit 1.03573 multiplicirt werden, wonach man den verbesserten 

-Werth von p' findet, nämlich 

/=8:'8774. 

Durch eine etwas anders angelegte Bechnung, bei der man sich von 



*) Hansen, Darlegung der theoretischen Berechnungen der in den 
Mondstafeln angewandten Störungen, U, pag. 269. 



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§ 11. Newtoü's Entdeckimg des allgemeinen Gravitationsgesetzes. 245 

der Annahme über die Mondparallaxe frei machen konnte, fand Han- 
sen den Werth 

;?' = 8:'9159. 

Aus dem Vorhergehenden dürfte hervorgehen , dass die nume- 
rische Berechnung der Störungen mindestens sehr weitläufig und 
mühsam ist , wenn man die Coefficienten aller verschiedenen Glie- 
der mit der erwünschten Genauigkeit erhalten will. Besonders die 
Säcnlarstömngen und diejenigen von sehr langer Periode sind zu- 
weilen äusserst schwierig zu berechnen. In dem berühmten Werke 
Mecanique Celeste hat Laplace darauf hingewiesen, wie 
manchmal in Folge der doppelten Summation Störungen von sehr 
langer Periode entstehen , wo man sie ohne eine besondere ünter- 
snehung nicht erwartet hätte. Die grosse Ungleichheit in der Jupiters- 
und Satumsbewegung gehört hierher, ebenso die Säcularänderung der 
mittleren Länge des Mondes, die mit der erforderlichen Sicherheit zu 
berechnen bisher nicht gelang. Nach Hansen's Rechnungen beträgt 
dieselbe 12'/18, aber zwei andere Astronomen, Adams und Delau- 
nay, haben nur die Hälfte dieses Werthes gefunden. Die Erklärung 
dieses Unterschiedes, oder die Bestätigung des einen oder des andern 
Werthes, mit einem Worte , die genügend exacte Berechnung dieses 
Coefficienten ist ein Wunsch, dessen Erfüllung man von der nächsten 
Zukunft wohl erwarten darf. — In früheren Zeiten, wo die Theorie 
der Störungen noch weniger entwickelt war als jetzt , sah man sich 
mitunter gezwungen , die Coefficienten einiger Störungsglieder empi- 
risch, d. h. direct aus den Beobachtungen zu bestimmen ; man musste 
also auf die streng theoretische Vorausberechnung verzichten , da 
die Länge der numerischen Rechnungen nicht zu bewältigen war. 
Zuweilen hat man auch vermuthet, dass die Kewton'sche Form des 
Attractionsgesetzes nicht dem wahren Naturgesetze völlig entspräche, 
oder auch , dass noch unbekannte Kräfte thätig wären , über deren 
Dasein man nur durch ihre Wirkungen Auskunft erhalten könnte. 
Die erste Vermuthung hat sich bisher stets als irrthümlich erwiesen, 
die zweite aber in einigen Fällen eine glänzende Bestätijgung ge^ 
fnnden. 

Man hatte vergebens gesucht, durch die bekannten ELräfte 
gewisse Abweichungen in der beobachteten Bewegutig des Planeten 
Uranus von der vorausberechneten zu erklären. Die A,bweichungeB 



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246 II- Kapitel. Newton's Gesetz der allgemeinen Schwere. 

zeigten sich d«bri als «u regelmässige und bedeutende , als dass ier 
Gedanke hätte aufkommen können, sie seien eine Folge vonBeobaeh- 
tungsfehlem. Hier wirkte also zweifelsohne eine noch unbekannte 
Kraift, die iiii Folge ihres sichtbaren EUnflusses aufiBufinden sein 
BUisste. Wie sehr auch andere Ansichten sich geke&d zu machen 
auchten, man blieb schliesslich doch dabei stehen, dass die constatirte 
Einwirkimg ihre Erklärung in dem Vorhandensein eines bis dahin 
ioiQch ^nbekannten transuraniscbea Planeten finden würde. Den Ort 
dieses Planeten auf Grund seiner bekannten Einwirkung auf die Be- 
wegung des Un^ius zu finden , war die erste Aufgabe in ihser Art. 
Sie wurde unge^filhr gleichzeitig von Leverrier und Adams in 
Angriff g^iommen und glücklich zu Ende geiführt, wenngleich die Ar- 
beiten Leverrier's etwits früher bekannt gemacht wurden und denmaeb 
sein Name meistens mit der Entdeckung des neuen Planeten, der 
Neptun genaomt wurde, In Verbindung gebrJMi^ht wird. Wir wollen 
noich mit einigen Worten da^ Geschichtliche der Lösung dieser Auf- 
gabe erwähnen. 

Schoin lange war es bekannt , daas die mittleren Abstände der 
verschiedenen Planeten von der Sonne , wenn auch nicht exact, 
so doch mit einem gewissen Grad von Annäherang durch die 
folgenden Ausdrücke (die sog. Tit ins 'sehe oder Bode'selie Seihe) 
angegeben werden köftnen : 









der wiry. Abstwd 


Merkur 


0.4 = 


0.4 


0.39 


Venu^ 


0.4 -f- 0.3X2^ = 


0.7 


0.72 


Erde 


0.4 4-0.3X2 = 


1.0 


1.00 


Mars 


0.4 + 0.3X22== 


1.6 


1.52 



Jupiter 0.4 + 0.3X24= 5.2 5.20 

Saturn 0.4 + 0.8 X 2» == 10.0 9.54 

JJranus 0.4 + 0.3 X 2«= 19.6 19.18 

Die Vennutbm^g lag n^n nabe, i^ der piMe^^ A^»Und des 
neuen l^laneton annäheimd äm^ den Au^itoefc 

0.4 + 0.3X2'= 38.8 
ge^peben sein nMlsste. Mit diesem Wertibe ko^nnten ^nlM^i die 
Störungen m der Bewegwg d^ Ur«ous , lAsoferipi sie aidit von der 
£xcentricität des störenden Planetoi f^bhängen, berecbniet werd^» 



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§ 11. Newton's Entdeckong des allgemeinen Gravi tationBgesetzes. 247 

aüerfiii^s nor dar Eorm nach , ienn sowohl die Masse wie auch die 
mittlere Läs^ des a^bekaalnteIl Planeten zu der bestimmten Epoche 
waren noch TöUig unbestimmt. Die Masse erscheint aber nar als 
Factor und die mittlere Länge nnr in den Argimenten der 8tdnmgs- 
gUeder ; diese beiden Unbekannten sind daher leicht au trennen. 

Haben wir a. B. eine Ungleichheit, deren Form wir kennen, und von 
der ans auch einige, durch Beobachtungen gegebene numeriscfae Werthe 
bekannt sind, also 

Bi=^xA Cos [F^ + y) 
B^^xA Cos (F2 H- y) 
wo Bi und Bi swei bekannte Werthe der Ungleichheit sind , x ^ie unbe- 
kannte Masae, A ein gegebener CoefficiMit, d«r nur von domVeiiiältnisse 
der grossen Axen oder von dem der mittleren Bewegungen abhängt , Fi 
und F2 die Aenderungen des Arguments, also die bekannten Grössen 
(t'n' — in) [ti — <o) und (i'w' — in) {t\ — <o) » und endlich y die unbe- 
kannte mittlere Länge (weniger einer bekannten Grösse) bedeuten , so er- 
hält man die unbekannten GrÖMon durch die Auflösung d<er angesetzten 
Gleichungen. Diese Gii^chnngen können aneh in folgender Weise ge- 
schrieben werden : 

Bi = X A Cos Fx Cos y — xA Sin -Fi Sin y 
B2 = X A Sin F2 Cos y + xA Cos F^ Sin y 
Wird nun die erste dieser Gleichungen mit Cos JF2 , die zweite aber mit 
Sin -Fl multiplicirt, so giebt die Summe derProducte : 

Bi Cos J^2 -h -»2 Sin -Fl = a: ^ Cos y Cos {F2 — Ft) 
und ebenso findet man : 

— Bi Sin JP2 + Bi Cos Fi^xA^iny Cos (-F2 — JPi) 
Hieraus lassen sich die Grössen x Cos y und x Sin y unmittelbar berech- 
nen. Nachdem die Werthe dieser Grössen bekannt sind, findet man x und 
y durch eine trlgonometriache Bechnung. Es sei also : x Cos y » m ; 
X Sin $f » » , alstoan hat man 

_- . m n 

Die grossen Ungleichheiten sind jedoch vorzugsweise solche, welche 
an lange Perioden gebunden sind, und also vondenExcentiicitäten ab- 
hängen. Die Exeentricität des vermutheten Planeten musste daher auch 
als eine Unbekannte angesehen werden und demzufolge auch die Länge 
des Perihels. Hierdurch wurde die Aufgabe natürlich viel schwieri- 
ger, es gelang aber doch , dieselbe in befriedigende Weise zu lösen, 
trotzdem noch ein Uni^nd diese Lösung erheblich erschwerte. Die 



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248 n. Kapitel. Newton s Gesetz der allgemeineQ ScfaweTe. 

mittlere Bewegung des venntttheten Planeten war niUnlich nur hypo- 
thetisch angenommen worden , konnte mi^in nicht ua^heblieh von 
dem wahren Werthe abweichen. War aber dieses der Fall, so rnnss- 
ten die Grössen F sehr unsicher werden , wenn es sich um Ungleich- 
heiten langer Perioden handelte ; ja die Unsicherheit konnte in Folge 
dessen so gross sein, dass die Lösung möglicherweise ganz illusorisch 
wurde. Es ist nun schwer zu beurtheilen, inwiefern die Entdeckung 
des Neptun vom Glücke begünstigt worden ist. Wie dem auch sei, 
der Planet wurde auf der Berliner Sternwarte sehr nahe an der Stelle 
des Himmels aufgefunden, an welcher Leverrier ihn vorausgesagt 
hatte. Der Vorgang dieser Entdeckung wird in folgender Weise er> 
zählt. Als die Mittheilung von Paris auf der Berliner Sternwarte an- 
langte , beeilte sich der damalige Assistent der Sternwarte , Herr 
d'Arrest, eine kleine Karte der bezeichneten Himmelsgegend zu 
entwerfen , um die Aufsuchung des Planeten zu erleichtem. Kaum 
hatte er hierauf das Fernrohr nach der betreffenden Himmelsgegend 
gerichtet, so trat der Observator Dr. Galle hinzu , sah in das Fem- 
rohr und — erblickte den Planeten. 



Sowohl durch Induction wie auch^ durch Deduction hat man also 
gefunden, dass die wahren Bewegungsgesetze der Himmelskörper 
analytisch durch eine grosse Anzahl Glieder ausgedrückt werden 
können ; deren einige der Zeit oder auch den höheren Potenzen der 
Zeit proportional wachsen, die meisten aber periodischer Natur sind. 
Alle diese Glieder hängen im Grunde aber doch nur von einer ge- 
ringen Anzahl willkürlicher Grössen ab, nämlich von den Bewegungs- 
elementen der sich anziehenden Körper und deren Massen. Aus 
den Beobachtungen dürfen nur diese Unbekannten bestimmt werden, 
denn sonst würden die Ausdrücke der Gesetze ihren theoretischen, 
oder sagen wir lieber, ihren wissenschaftlichen Charakter verlie- 
ren. Erst wenn femere physische Bedingungen hinzukommen, wenn 
z. B. die Körper sich nicht wie Punkte anziehen, oder wenn die 
Bewegungen durch Widerstand beeinflusst werden, dürfen fernere Un- 
Jbekannte eingeführt werden. Die Anzahl dieser muss zwar von der 



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§ 11. Newton's Entdeckung des allgemeinen Gravitationsgesetzes. 249 

Theorie vorgeschrieben sein ; diese Forderung hindert indessen 
keineswegs^ dass man , um den Gang einer Untersuchung zu erleich- 
tern, eine grössere Anzahl von Unbekannten, als zu der man eigent- 
lich berechtigt wäre, unmittelbar aus den Beobachtungen bestimmt ; 
nur muss man dabei erinnern , dass schliesslich bloss die gesetzliche, 
d. h. die durch die ursprünglichen Bedingungen des Problems be- 
stimmte Anzahl der willkürlichen Grössen sich vorfinden darf. Eine 
Untersuchung kann nämlich unter gewissen Umständen ganz wesent- 
lich erleichtert werden , wenn die directen Ergebnisse der Beobach- 
tung erst in andere Form zusammengefasst werden, als wie sie ur- 
sprünglich vorliegen. Man kann z. B. die Coefficienten der Reihen 
(1) und (2) (pag. 98 und 99) als Unbekannte ansehen, und die wei- 
tere Untersuchung auf diese Coefficienten gründen. Auch sieht man 
zuweilen eine bereits bekannte Grösse als eine Unbekannte an , und 
bestimmt sie zugleich mit den wirklich unbekannten Grössen. Es 
soll hiermit ein Criterium zur Benrtheilung der Sicherheit der ganzen 
Untersuchung erlangt werden. 



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Ul. Kapitel. 

Die BeolwMshtiiiipkniist nnscrer Zeit. 

§ 12. Coordinaten im Baum und auf der Sphäre. 

Wenige Dinge sind an nnd fär sich so ohne Interesse , wie das 
Resultat einer einzelnen astronomischen Beobachtung. DaAseU^e be- 
steht, wie schon hervorgehoben wurde, in der Angabe zweier Winkel, 
welche für eine gewisse, ebenfalls angegebene Zeit gelten. Durch 
eine vereinzelte astronomische Beobachtung erfährt man also weiter 
nichts, als dass ein gewisser Himmelskörper zur Zeit der Beobach- 
tung eine gewisse Lage am Himmel eingenommen hat; dies ist 
Alles. Auch aus zwei Beobachtungen kann eigentlich nicht viel ge- 
schlossen werden, denn zur Bestimmung der sechs Bewegungselemente 
genügen nicht die vier, in den zwei Beobachtungen bestimmten Win- 
kel. Es giebt indessen Fälle, wo man sich mit dem begnügen muss, 
was aus zwei Beobachtungen zu erforschen ist, z. B. wenn die 
scheinbare Bewegung gleichförmig auf der Himmelssphäre erscheint. 
Dies ist, mit wenigen Ausnahmen, immer bei den (sog.) Fixsternen der 
Fall. Ihre Bewegungen erscheinen uns äusserst langsam und dabei 
durchaus gleichförmig, so dass wir aus tausend Beobachtungen genau 
dasselbe erfahren würden wie aug zwei, vorausgesetzt, dass diese 
zwei absolut genau wären. Unter gewissen Voraussetzungen lassen 
sich indess auch aus diesen Daten einige für die Astronomie wichtige 
Schlussfoigerungen ziehen , die uns genügen müssen , bis die genauen 
Beobachtungen sich über solche Zeiträume erstrecken, dass die 
Kräfte, welche auf die Bewegungen einwii-ken, in der Ungleich- 



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§ 12. Cknordinftlen im Raum und »ijif der Sphlbre. 251 

l&rmigikeit dersriben bemerkbar werden. Wann der Zeitpunkt ein- 
treten wird , zu welchem wir die Bewegungen der Sterne im AUge- 
mdUien als ungleichförmig zu erkennen im Stande sind, läast sieh 
jeUA noch nicht ahnen, deraelbe wird uns jedenfalls aber desto näher 
gerückt, mit je grosserer Schärfe wir die Richtungen der Gestirne zu 
den einzeln^i Zeitmomenten auffassen können , je grösser mithin die 
Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen wird. 

Es gab eine Zeit , wo man die Sterne als unbeweglich am Him-* 
melBgew^lbe ansah. Man nannte sie daher Fixsterne, eine Be- 
nennung , die lange , obgleich grundlos , beibehalten worden ist , da 
wir die Bewegung als eine allgemeine Eigenschaft der Himmels- 
körper ansehen müssen, und Bewegungen bei einer sehr grossen An- 
zahl von Sternen bereits iconstatirt worden sind. 

Wenn wir hetitzutage sagen, ditös die scheinbaren Bewegungen 
der Sterne gering sind , so m«inen wir dawit , dass der Betrag dieser 
Bewegimgen während einer massigen Zeit nur mit Mllhe durch 
Beobachtungen zu erkennen ist. ffur ui sehr wenigen FäUen wtitde 
ea Reilingen , die Beiwegung zu constatiren aus Beeba^htnngem , die 
dnrefa den Zeitraam eines Jahres von einander entfernt wÄren ; eine 
grosse Anzahl Bewegungen wdrd man erkennen können, wenn die 
Beoteehtungen 10 Jahre umfassenf; aber die. AnzaU der Sterne, 
deren Bewegung noch geringer erscheint, ist eine weit grössere. Bei 
erhöhter Genauigkeit der einzelnen Beobaehtnii^n werden die nöthi- 
gen Zwisdienzeiten Tcrhältnissmäsaig redneiit, oder die Sicheriieit 
dea B^ultats eine gröss^e. 

Die Wissenschalt harrt noch der Beetinunung, welche die Un- 
^leichlörmigkeit der Bewegung bei dMs Ster&Mi eonstatiren soll, 
durch welche also ScUHase auf die Natur der wirkende Kräfte ge- 
zogen wenden k(Minten. Soll aber, bevor dieses gelungen ist, eine 
Astronomie der Sterne oder eine aogenannte Stellarastronomie 
naö^oh sein, so ist sie es nur auf Grund von Aehnlichkeit 
und Uel)ereinstimmnng in den seheinbanen Bewegungen der ein- 
zelnen Sterne, wenn man sie in gewisse Gruppen ziaaadnmiensteUt. 
Utttersucbongen hierRlfeer ^fordern die Kenntnis» der scheinbaren 
Bewegungen einer sehr grossen Anzahl Sterne ; denn, die Enschei- 
nnngen der Stembewegungen werden voraassiehtlieh so verwickelt 
s^n , dass das Gemeins^aftliche dera^en erst aus sehr vielen 



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252 in. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

Binzelbewegungen zu ersehen sein wird. Hieraus erwächst aber die 
Nothwendigkeit , die Beobachtungen, denen zugleich eine möglichst 
hohe Genauigkeit gegeben werden muss , auf eine sehr grosse An> 
zahl von Sternen auszudehnen. Diese Forderungen lassen sich schwer 
mit einander vereinigen. Eine genauere, mit mehr Sorgfalt ausge- 
führte Beobachtung erfordert natürlich mehr Zeit, als ein^ mit weni- 
ger Umsicht und Mühe angestellte. Es muss daher im Allgemeinen 
etwas von der höchsten eiTeichbaren Genauigkeit aufgeopfert werden, 
damit die Anzahl der beobachteten Sterne nicht eine gar zu geringe 
bleibt; Beobachtungen unter einem gewissen Genauigkeitsgrade 
können jedoch nur einen vorübergehenden Werth haben , indem sie 
sicherlich früher oder später von genaueren ersetzt werden. 

Die Astronomie des Sonnensystems steht allerdings gegenwärtig 
auf einem sehr hohen Standpunkt, als abgeschlossen sind aber die zu 
derselben gehörenden Untersuchungen deshalb keineswegs anzu- 
sehen. Wir können nicht wissen, welche Fragen in der Zukunft; an- 
geregt werden , die sich auf die Bewegungen der Himmelskörper be- 
ziehen , deren Bahnen ganz oder theilweise innerhalb der Planeten- 
welt liegen , aber wir könnten mehrere Aufgaben anführen , deren 
Lösung längst in Angriff genommen wäre , wenn die Genauigkeit der 
Beobachtungen eine wesentlich grössere wäre, als sie in der That ist. 
Jede Vervollkommnung der Beobachtungskunst wird unsere Kennt- 
nisse von den Bewegungen der Planeten, und der übrigen zum Sonnen- 
systeme gehörenden Körper stets erweitern ; die Elemente der Pla- 
netenbahnen werden sicherer ermittelt werden können, die ver- 
schiedenen Massen sich mit grösserer Schärfe ergeben, und so- 
mit wird es auch sowohl möglich wie nothwendig sein, den ein- 
zelnen Planetentheorien eine grössere Vollständigkeit zu- geben, als 
gegenwärtig der Fall ist. Man wird Einflüsse in Betracht ziehen 
können, die zwar bekannt sind, aber ihrer Geringfügigkeit halber bis- 
her vernachlässigt werden konnten; man wird indess auch Ursachen 
entdecken, welche die Bewegungen beeinflussen , aber bis jetzt un- 
bekannt waren. 

Aus alle dem folgt , dass die Fortschritte der Astronomie 
wesentlich von der Vervollkommnung der Beobachtungskunst ab- 
hängen. Sind die einzelnen Beobachtungen auch völlig ohne Interesse, 
so sind sie nichtsdestoweniger durchaus unentbehrlich für die fernere 



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§ 12. Coordinaten im Baumimd auf der Sphäre. 253 

Entwickluiig der astronomischen Wissenschaft. Damit soll aber 
keineswegs gesagt sein , dass eine jede Beobachtung für die Astronor^ 
mie verwerthet werden wird. Man könnte mit sehr geringer Mühe 
Beobachtungen ansammeln, deren Genauigkeit unter der Mittelmässig- 
keit wäre , aber voraussichtlich würde der aus diesen erzielte Gewinn 
verhältnissmässig noch geringer sein. 

Der astronomische Forscher muss mit der Zuverlässigkeit der 
astronomischen Beobachtungen genau bekannt sein ; er würde sonst 
oft Gefahr laufen , eine Bewegung da zu vermuthen , wo nur die un- 
vermeidlichen Beobachtungsfehler eine Verschiedenheit zweier Orts- 
bestimmungen veranlasst haben ; er würde mithin zu Untersuchungen 
verleitet werden , denen die reelle Grundlage fehlte , und gegen 
Illusionen nicht geschützt sein, Entdeckungen gemacht zu haben, 
denen jede Realität abginge. Mehr noch als früher ist es jetzt 
dringend nothwendig, sich genaue Rechenschaft über die Genauigkeit 
det Beobachtungen abzulegen. Zu Kepler's Zeiten war das Beobaoh- 
tungsmaterial , worauf er seine Forschungen gründete , hinreichend 
genau, um die Entdeckung der drei Gesetze zu erlauben: es hätte 
möglicherweise noch etwas weiter gereicht, wenn Kepler im Besitze 
der erforderlichen mathematischen Hülfsmittel gewesen wäre, d. i. 
^enn die Theorie der mathematischen Induction zu seiner Zeit ihre 
heutige Ausbildung gehabt hätte. Gegenwärtig besitzt man aber 
Mittel, um die Beobachtungen gehörig auszunutzen ; statt dass schon 
angestellte Beobachtungen ihrer Bearbeiter harren, sieht sich der For- 
scher nur zu häufig gezwungen, seine Untersuchung abzubrechen, und 
das Ergebniss fernerer Beobachtungen abzuwarten. Dass man also 
unter solchen Umständen mitunter in die Versuchung geräth, die Ge- 
nauigkeit der Beobachtungen zu überschätzen und demzufolge den 
zukünftigen Ergebnissen gewissermaassen vorzugreif^ , ist leicht er- 
klärlich; aber d)en deshalb ist grösste Vorsicht und grösste Vor- 
nrtheilslosigkeit vor allem nöthig. Die Kritik, welche die Wis- 
Benschaften so ausserordentlich gefördert hat, muss es sich hier 
hauptsächlich zur Aufgabe machen, die Resultate astronomischer 
Forschungen von dem Nimbus illusorischer Genauigkeit zu befreien 
und diese auf ein richtiges Maass zurückzuführen , sollte es sieh auch 
dabei herausstellen, dass die Untersuchung zu keinem positiven 
Eesuitate geführt hätte. 



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254 III- Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

' DieKenirtniss derBeobaehtungsmothoden ist also durcfafttts notii- 
wendlg , um die Sicherlieit benrtheilen und würdigen zu können, 
d«reti die astronomischen Ergebnisse der allgemeinen Ansieht naeh 
sieh erfreneA. Wir düi^en daher nicht unterlassen, wenigstens die 
hauptsAchliohBten dieser Methoden hier vorauführen und zu er- 
klären. Da nun der Zweck einer astronomischen Beobachtimg die 
Anffindung nnd Fkinmg d<cr Riditnng eines Himmelskörpers ist, so 
mflssen wir zunächst darstellen , wie man die Richtangen der 6e- 
stifDe angiebt. Das Wesentliche hiertlber ist allerdings schon im 
erstem Paragraphen angeführt worden , allein eine kurze , und dabei 
mehr systematische Wiederholung dtrfie nichtsdestowenigier ange- 
messen sein. 

Durch zwei geradlinige Ooordinaien giebt man die Lage eines 
Punktes itt einer gegebenen Ebene an (ygl. pag. 94j, um aber die 
Lage eines Punktes im-Biuime zu bestrarraen, müssen drei Ooovdinaten 
aingegeben weiden*. Als sekho^ wiendet man> sehr oft die drei Ab- 
stände des Punkles von< dsei auf einander senhrecditen Ebenen an. 
Diese Ebenen worden Coordinaten ebenen genannt, ihre Dmrch- 
sehniftsUnie», dio ebenfalls gegen einander senkrecht sind, G o Ordi- 
nate naiven und der gemeinschaftliche Dnrohachnittspunkt Origo 
oder Anfangspunkt der Coordinaten, welche selbst als 
reehtwiaklige bezeichnet werden. 

Mittelst der nachstehenden Figur 27 soll das Gesagte voran- 
sehanlicht werden ; in derselben denken wir uns die durdi Ponkte 
ungedeutoten Linien als ansserhaib der Ebene de» Papieres liegend, 
so dafls die Axe Y senkrecht auf der Ebene XOZ steht. Die Gerade 
npy welche in der Ebene XOY liegt und parallel mit G Y ist, steht 
also auch senkrecht auf der Ebene XOZ und der Axe OX, Die Ge- 
rade mriy welche als ausserhalb der Ebene des Papiers liegend ge- 
dacht wird, ist wiederum parallel mit der Aie Z, Die drei Coordi- 
naten op =ss: x^ pn = y und mn = js, welche die Lage des Punktes 
m voUsiändig bestimmen, sind demnach senkrecht gegen die drei Co- 
ordinateaebenen YOZ, XOZ und XOY, 

StUtt der geradlinigen Coordinaten wendet man auch oft polare 
jui (y^. pag. 139). Solche räd z. B. der Abstand Om ssr, der 
Winkel mOn^s^i <f und- der Winkel JCOw == t)/, welcher letztere 
Winkel in der Ebene XOY liegt. Die Angabe von PolarcooidivateB 



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§ \t. Coordinaten im Raum und auf der Spbftre. 255 

Flg. 27. 



setzt voraus, dass man sich über eine Grundebene (hier die 
X F- Ebene) , eine Grundrichtung in dieser Ebene (hier die 
Richtung OX] und einen Anfangspunkt (hier der Punkt 0) ver- 
ständigt hat. Wie man leicht sieht, gentigen diese Bestimmungen 
auch zur Angabe der Lage der Coordinatenebenen in dem recht- 
winkligen" Systeme. Die XOF- Ebene föUt mit der Grundebene zu- 
sammen; die FOZ- Ebene ist zugleich senkrecht gegen die Grund- 
ebene und die Grundrichtung gelegt und geht durch den Anfangs- 
punkt ; die XOZ- Ebene endlich steht senkrecht auf der Grundebene 
und fällt mit der Grundrichtung zusammen. 

Es ist sehr leicht , die Relationen zwischen den rechtwinkligen 
und den Polar-Coordinaten , die einen Punkt im Räume bestimmen, 
anzugeben , und da diese ftelationen eine sehr häufige Anwendung 
finden, so wollen wir sie anführen. '— Aus dem rechtwinkligen Drei- 
ecke mOn (Pig. 27) findet man zunächst 

j3 = mn = Om . Sin mOn ; On=Om. Cos mOn 
Das rechtwinklige Dreieck nOq in der Ebene XOY giebt uns 
ferner 
X = Op = qn = On,GoBnOp : y = np = Oq= On.SinnOp 



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2r>6 III. Kapitel. Die Beobaclitunj^skunst unserer Zeit. 

Mit Hülfe dieser Beziehungen findet man sofort 

X = Om. Cos wOn. Cos wOp = rCoscpCos^ 
y = Gm. Cos mO?». Sin nOp = 7'Co8<pSin<]/ 
z = Om.Sin mOn = ?*8incp 

Man denke |sicli eine Sphäre mit dem Radius r um den Mittel- 
punkt beschrieben ; die Winkel 'f und ^j^ können alsdann durch 
entsprechende Bögen von grössten Kreisen angegeben werden ; diese 
Bögen nennt man die sphärischen Coordinaten des Punktes 
oder seine Coordinaten auf der Sphäre. Ohne die Entfernung r zu 
kennen, kann man selbstverständlich auch nicht den Radius der 
Sphäre angeben, dessenungeachtet aber die sphärischen Coordinaten, 
welche die Richtung bestimmen. Es ist daher gleichgültig , wenn es 
nur auf die Angabe der Richtung ankommt, mit welchem Radius die 
Sphäre beschrieben worden ist; die sphärischen Coordinaten bleiben 
sich dabei stets gleich, wohlverstanden wenn sie im Bogenmaasse 
ausgedrückt sind. Da nun aus astronomischen Beobachtungen die 
Richtungen der Himmelskörper bestimmt werden sollen, so kann man 
auch sagen, der Zweck derselben sei die Bestimmung der sphärischen 
Coordinaten von Punkten, deren Entfernung man nicht kennt. Die zu 
verschiedenen Zeitpunkten bestimmten sphärischen Coordinaten der 
Gestirne sind die Data , auf welche sich die asti'onomischen Unter- 
suchungen stützen müssen. 

Die Punkte, in denen die Axe OZ eine um als Mittelpunkt 
beschriebene Sphäre schneidet, werden die Pole desjenigen grössten 
Kreises genannt, welchen die Sphäre von der Ebene XOY aus- 
schneidet. Daher sagt man auch, dass die Axe OZ gegen die Pole 
des genannten grössten Kreises gerichtet ist. 

Durch astronomische Beobachtungen findet man unmittelbar die 
sphärischen Coordinaten stets auf den Standpunkt des Beobachters 
als Anfangspunkt der Coordinaten bezogen. Die Grundrichtungen 
und Grundebenen können aber verschiedene sein. Bei den Be- 
obachtungen selbst, wie bei der Angabe ihrer unmittelbaren Re- 
sultate^ dienen gewöhnlich der Horizont oder der Aequator als Grund- 
ebenen. 

Horizont nennt man die Ebene, welche durch den Standpunkt 
des Beobachters senkrecht auf die Richtung der Schwerkraft ge- 



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§ \t. Coordinaten im Raum und auf der Spiiäre. 257 

legt wird. Von dem geocentrischen Horizonte (vgl. pag. 66) wird 
selten gesprochen. 

Aequator wird diejenige Ebene genannt, die senkrecht 
auf die Rotationsaxe der Erde durch den Standpunkt des Beobachters 
geht : der geocentrische Aequator ist mit jener Ebene parallel , geht 
aber durch den Mittelpunkt des Erdkörpers. Man spricht auch von 
dem heliocentrischen Aequator, d. h. der Ebene, welche, ebenfalls 
senkrecht auf der Rotationsaxe der Erde, durch den Mittelpunkt der 
Sonne geht. Diese Ebene ist nicht mit dem Sonnenäquator zu ver- 
wechseln , dessen Lage durch die Richtung der Sonnenrotation be- 
stimmt wird. 

Die Durchschnittslinie des Aequators und des Horizontes be- 
stimmt die Richtung von Ost nach West. 

Die Pole des Horizontes heissen Z e n i th und Nadir; ersterer 
liegt oberhalb der Ebene , der andere unterhalb.*) Die Pole des Ae- 
quators nennt man Welt pole, und unterscheidet den nördlichen 
und den südlichen. 

Die Ebene , deren Lage durch das Zenith und den Nordpol des 
Aequators, sowie durch den Standpunkt des Beobachters bestimmt 
wird, nennt man Meridian. — Die Schwere ist an allen Punkten 
der Erdoberfläche sehr nahe, wenn auch nicht immer in aller Strenge, 
gegen ihre Umdrehungsaxe gerichtet. Man darf daher fast immer an- 
nehmen, dass die Rotationsaxe im Meridian liegt. 

Die Gerade , in der sich Horizont und Meridian schneiden, wird 
Mittagslinie genannt ; sie bestimmt die Richtung von Süden nach 
Norden und ist eine sehr häufig angewandte Grundrichtung bei astro- 
nomischen Beobachtungen. Eine zweite Grundrichtung wird durch 
die Durchschnittslinie des Aequators und des Meridians bestimmt; 
die dritte ist die Richtung der Aequinoctialpunkte, also der Durch- 
schnittslinie des Aequators und der Ebene der Sonnenbahn. 

In dem Coordinatensysteme , dessen Grundebene der Horizont 
und dessen Grundrichtung die Mittagslinie ist, nennt man die Coordi- 
nate, welche von dem Winkel ^ gemessen wird, A z i m u t h , die an- 



*j Sobald der Anfangspunkt bestimmt ist, kann man auch von den 
Polen der Ebene sprechen; sie liegen auf der gegen die Ebene senkrech- 
ten Geraden, welche durch den Anfangspunkt geht. 

Gjrld^n, Astronomie. j^'j 



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258 in. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

dere, dem Winkel cp entsprechende, heisst Höhe. Das Azimnth 
wird auf dem Horizonte vom Südpunkte aus durch Westen, Norden 
und Osten zurück nach dem Südpunkte gerechnet, also von 0^ bis 
360°. Die Höhe rechnet man dagegen von 0° bis 90°; nur selten, 
aber doch zuweilen, namentlich wenn an hoch gelegenen Punkten be- 
obachtet wird , kommen negative Höhen vor ; alsdann erscheint das 
Gestirn unter dem Horizonte. Statt der Höhe giebt man oft das 
Complement zu 90°, oder die sog. Zenithdistanzas. Wird die 
Höhe mit h und die Zenithdistanz mit z bezeichnet, so ist also 

J5==90°— Ä. 

Wählt man den Aequator als Grundebene und seine Durch- 
schnittslinie mit dem Meridian als Grundrichtung, so entspricht ^ dem 
Stundenwinkel und cp der Declination. Der Stundenwinkel 
wird von Süden durch West , Nord und Ost zurück nach Süden ge- 
rechnet, kann also volle 360° durchlaufen. In Folge der Alen- 
drehung der Erde scheinen alle Gestirne Kreise um die Erdaxe zu 
beschreiben , wobei ihre Stundenwinkel gleichförmig zunehmen , in- 
sofern nicht das Gestirn eine eigene Bewegung hat , welche eine ün- 
gleichförmigkeit in der Aenderung des Stundenwinkels hervorruft. 
Die Declinationen der Gestirne erleiden keine Aenderungen in Folge 
der scheinbaren täglichen Bewegung : sie werden gerechnet vom Ae- 
quator bis zu den Polen, also von 0° bis 90°; nördliche Declinationen 
bezeichnet man mit dem Zeichen -|-, die südlichen hingegen mit — . 
Das Complement der Declination nennt man Poldistanz; bezeich- 
net man dieselbe mit p, so ist 

• p = 900 — 8. 
Für südliche Declinationen wird p grösser als 90°. Die Poldistanzen 
werden vom Nordpol bis zum Südpol gerechnet, also von 0° bis 180°; 
man hat daher nicht nöthig , durch besondere Zeichen südliche und 
nördliche Gestirne zu unterscheiden. 

Die bis hierher angeführten Coordinaten sind diejenigen, welche 
am einfachsten direct bestimmt werden können; bei den Unter- 
suchungen über die wirklichen Bewegungen der Gestirne sind sie je- 
doch nicht die zweckmässigsten , und zwar weil sie auf eine Grund- 
richtung bezogen sind, die an der Axendrehung der Erde Theil 
nimmt. Sowohl Azimuth als Höhe und Stunden winkel erleiden daher 
viel raschere Aenderungen als die Bewegungen der Gestime selbst 



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§ 12. Coordinaten im Raum und auf der Sphäre. 259 

veranLassen. Man verbindet nun, um sich von dem Einflüsse der täg- 
lichen Bewegung frei zu machen, den Aequator, als Grundebene, 
mit der Aequinoctiallinie als Grundrichtung. Die Coordinate 9 ist 
hier dieselbe wie im vorigen Systeme, entspricht also derDeclination. 
Die andere Coordinate, also der Winkel ^, ist in diesem Systeme aber 
die Rectascension oder die gerade Aufsteigung des Ge- 
stirns. Die Rectascension wird nicht in derselben Richtung gezählt 
wie der Stundenwinkel oder wie das Azimuth , sondern umgekehrt, 
so dass ein gewisser Punkt am Himmel zu einer gegebenen Zeit eine 
desto grössere Rectascension hat, je geringer sein Stundenwinkel ist. 
Gewöhnlich giebt man die Rectascensionen in Stunden an, deren jede 
15^ entspricht (vgl. pag. 29). 

Bei astronomischen Untersuchungen wendet man auch mitunter, 
früher häufiger als jetzt , ein viertes Coordinatensystem an, welches 
die Ekliptik als Grundebene und die Linie der Tag- und Nacht- 
gleichen zur Grundrichtung hat. Die Coordinaten in diesem Systeme 
werden Länge (Longitude) 'und Breite (Latitude) genannt, wovon 
die erste dem Winkel ^ , die zweite wiederum dem Winkel 9 ent- 
spricht. Die Länge wird in demselben Sinne wie die Rectascension 
gezählt, also der täglichen Bewegung entgegen, und von 0° bis 360^; 
die Breite zählt man von 0*^ bis 90*^; sie ist nördlich, so oft das Ge- 
stirn auf der nördlichen Seite der Ekliptik liegt, im entgegengesetzten 
Falle südlich. 

Durch directe Beobachtungen werden gewöhnlich die Höhen 
oder Zenithdistanzen und die Azimuthe oder auch die Zeiten, zu 
denen die Azimuthe der Gestirne Null sind, bestimmt, es ist aber be- 
quemer, bei den astronomischen Untersuchungen entweder die 
Rectascensionen und Declinationen , oder auch die Längen und 
Breiten der Himmelskörper zu kennen. Hierdurch entsteht die Auf- 
gabe , welche eine der wesentlichsten in der sphärischen Asti'onomie 
ist , nämlich : wenn die sphärischen Coordinaten eines Punktes in 
einem Coordinatensysteme gegeben sind , die Coordinaten desselben 
Punktes in einem anderen Systeme durch Rechnung zu finden. 
Selbstverständlich müssen hierbei die Neigungen der verschiedenen 
Grundebenen, die Lage ihrer Durchschnittslinien, sowie die Lage der 
Grundrichtungen bekannt sein. Die Festlegung dieser Bestiinmungs- 

17* 



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260 III- Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

stücke ist daher ein wichtiger Gegenstand der beobachtenden 
Astronomie. 

Wir werden nun sehen , wie die in Frage stehende Aufgabe auf 
die Auflösung eines sog. sphärischen Dreiecks zurückgeführt wird, 
welche Auflösung bekanntlich den Hauptgegenstand der sphärischen 
Trigonometrie bildet. Die Entwicklung der bei dieser Lösung vor- 
kommenden Formeln liegt hier ziemlich auf der Hand, wir wollen 
indesseh mit diesen den Text nicht belasten, sondern auf den Anhang 
verweisen. 

Wir stellen uns eine Sphäre vor, deren Mittelpunkt (Fig. 28) 

Fig. 28. 



mit dem Standpunkt des Beobachters zusammenfällt. Den Meridian 
denken wir uns als mit der Ebene des Papiera zusammenfallend, also 
durch den grössten Kreis HZH' Z! bestimmt; die grössten Kreise 
HW H' Ö und EW R' Ö stellen wir uns vor als in Ebenen liegend, 
dife senkrecht gegen die Ebene des Papieres stehen , sowie als die 
erste dieser Ebenen den Horizont, als zweite hingegen den Aequator. 
Die Linie HH' ist alsdann die Mittagslinie und EEf die Grundrich- 



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§ 12. Coordinatea im Raum und auf der Sphäre. 261 

tnng des Systems, dessen Coordinaten der Stündenwinkel nnd die 
Declination sind. Die Gerade ZZ', welche durch den Punkt gebt 
und senkrecht auf dem Horizonte steht , trifft die Sphäre im Zenith 
und Nadir. Die Punkte P und P' entsprechen' den Polen des Aequa- 
tors, ersterer dem nördlichen Weltpol, letzterer dem südlichen. Die 
Punkte W und Ö endlich geben die Durcbschnittslinie des Horizonts 
und des Aequators (den West- und Ostpunkt) an. 

Durch den Punkt S auf der Sphäre , wo wir uns das Bild eines 
Gestirns denken , legen wir zwei grösste Kreise , von denen der eine 
durch die Punkte Z und Z\ der andere aber durch die beiden Welt- 
pole geht. Der erstere dieser grössten Eireise sehneidet den Horizont 
im Punkte A , der zweite den Aequator im Punkte T, Man be- 
merkt nun ohne Schwierigkeit, dass der Bogen HA das Azimuth 
des Gestirns repräsentirt , SA seine Höhe, während der Stunden- 
winkel und die Declination durch die Bögen E T und S T dargestellt 
werden. Der Bogen /f^ wird jedoch, wie man leicht bemerkt , von 
dem. sphärischen Winkel HZA' gemessen, so da»» der Winkel AZH' 
oder SZP das Supplement des Azimuthes zu tSO^ sein muss. Wird 
demnach das Azimuth mit a bezeichnet, so ist 

SZP=lSO''—a. 
Der Winkel EPT oder ZPS misst wiederum den Stundenwinkel, 
welchen wir mit t bezeichnen. 

Die Summe der Höhen des Aequators und des Pols beträgt, wie 
man aus der Figur sogleich bemerkt, 90*^; bezeichnen wir die letz- 
tere, welche offenbar gleich der Zenithdistanz des Aequators ist, mit 

cp, so ist 

ZP=HE= 90°— (p. 

Schliesslich bezeichnen wir die Zenithdistanz ZS des Gestirns 
mit z und seine Declination mit 5, so dasa SP = 90*^ — 8. 

Die drei Bögen «SZ, SP und ZP, welche sämmtlich Bögen 
grösster Kreise sind, bilden auf der Oberfläche der Sphäre ein sog. 
sphärisches Dreieck, dessen Seiten js, 90°— 8 und 90° — cp sind, 
und dessen Winkel 180°— a, t und der Winkel ZSP, welcher der 
parallactische Winkel genannt wird. Wenn drei von diesen Grössen 
durch Beobachtung oder anderweitig bekannt sind, findet man 
die drei übrigen durch trigonometrische Rechnung. Der Uebergang 
von Azimuth und Höhe oder Zenithdistanz zu Stundenwinkel und 



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262 111- Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

Declination oder Poldistanz , oder umgekehrt , geschieht also einfach 
nach den Regeln, nach welchen sphärische Dreiecke aufgelöst 
werden. 

Dagegen geschieht der Uebergang vom Stnndenwinkel zur 
Rectascension , ohne dass man nöthig hat , trigonometrische Formeln 
anzuwenden. Nehmen wir z. B. an, dass W den Frühlingspunkt 
bezeichnet, so ist die Rectascension des Punktes S durch den Bogen 
WT angegeben. Der Bogen EW ist aber der Stnndenwinkel des 
Frühlingspunktes oder die Stemzeit, die wir mit 6 bezeichnen. In- 
dem wir also mit a die Rectascension des Gestirns bezeichnen, haben 
wir, wie aus der Figur unmittelbar zu ersehen ist, 

Mit Hülfe dieser Formel kann man einerseits die Stemzeit finden, 
wenn der Stundenwinkel eines Gestirns, dessen Rectascension bekannt 
ist, durch Beobachtung bestimmt wird , andrerseits aber die Rectas- 
cension , wenn die Stemzeit bekannt ist. Für einen Punkt im Meri- 
dian ist der Stundenwinkel 0^ ; wenn man demnach an einer Uhr, 
welche die Stemz^eit angiebt, den Augenblick beobachtet, zu welchem 
ein Gestirn den Meridian passirt , so hat man unmittelbar auch seine 
Rectascension (vgl. pag. 57). Von Rectascension und Declination 
geht man zu Länge und Breite über mit Hülfe von Relationen , die 
denen ganz ähnlich sind, welche zwischen Azimuth und Höhe einer- 
seits und Stunden Winkel und Declination andrerseits stattfinden. Wie 
die Neigung der beiden Fundamentalebenen im vorigen Falle durch 
die Polhöhe gegeben war, so ist esjetzt die Schiefe der Ekliptik, welche 
bekannt sein muss, um die in Frage stehenden Transformationen aus- 
führen zu können. 

Die Formeln , welche den Uebergang von Höhe und Azimuth zu 
Declination und Stundenwinkel vermitteln, finden auch Anwendung, 
wenn man die Polhöhe eines Ortes und die Declinationen der Gestirne 
aus beobachteten Höhen und Azimuthen bestimmen will. Verschie- 
dene einfachere Fälle dieser idlgemeineren Aufgabe finden dabei zu- 
gleich ihre Erledigung. Man erhält z. B. die Polhöhe aus einer be- 
obachteten Höhe oder aus einem Azimuthe , wenn ausser der Stem- 
zeit die Rectascension und Declination des beobachteten Gestims be- 
kannt sind. Im umgekehrten Fall findet man entweder die Declination 
oder die Rectascension , wenn eine dieser Coordinaten und die Pol- 



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§ 12. Coordinaten im Raum und auf der Sphäre. 263 

höhe bekannt sind nnd wenn überdies die Steinzeit, sowie die 
Höhe oder das Azimnth des Gestirns durch Beobachtung ermittelt 
wurde. 

Die Relation zwischen der Höhe eines Gestirns und seiner Decli- 
nation ist am einfachsten im Meridian ; man hat hierbei drei verschie- 
dene Fälle zu unterscheiden, nämlich 1) das Gestirn culminirt südlich 
vom Zenith (der Beobachtungsort sei auf der nördlichen Halbkugel) , 

2) das Gestirn culminirt zwischen dem Zenith und dem Pole , und 

3) das Gestirn befindet sich bei seiner unteren Culmination zwischen 

dem Nordpole und dem Horizonte. Im ersten Falle ist 

8 = Ä — (90®— cp) ==cp — 55 ; 
im zweiten 

8 = <p4-^ ; 
und im dritten 

8= 180^—9 — J5. 
Die Richtigkeit dieser Beziehungen findet man sofort bei Betrachtung 
der Fig. 28. 

Sowohl die Rectascensionen als die Declinationen werden am 
einfachsten bestimmt, wenn "die Gestirne im Meridian beobachtet 
werden. Die Sternzeit der Culmination .ergiebt nämlich unmittelbar 
die Rectascension, und die Declination findet sich nach einer der so- 
eben angeführten Formeln , vorausgesetzt , dass die Polhöhe des Be- 
obachtungsortes bekannt ist. Man hat daher Instrumente construirt, 
deren Femröhre nur in der Ebene des Meridians beweglich sind und 
folglich nur gegen culminirende Sterne gerichtet werden können. 
Solche Instrumente nennt man Mittags fernröhre oder Pas- 
sageninstrumente: ist das Instrument mit einem eingetheilten 
Kreise versehen , an dem die Höhen oder Zenithdistanzen gemessen 
werden können, so heisst es Meridiankreis. 

Weil die Erde um eine Axe rotirt, deren Richtung während des 
Verlaufs eines Tages keine merkliche Aenderung erleidet , so scheint 
das Himmelsgewölbe sich mit allen Gestirnen während dieses Zeit- 
raumes um die genannte Axe zu drehen. Die täglichen Bahnen der 
Himmelskörper erscheinen uns demnach als Kreise, deren Mittel- 
punkte auf der Weltaxe (d. i. der Verlängerung der Erdaxe) liegen 
und deren Durchmesser immer kleiner werden , je näher den Polen 
die betreffenden Kreise gelegen sind. Da nun die Umlaufsbewegung 



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264 III. Kapitel. Die BeobachtUDgskunst unserer Zeit. 

in jedem dieser ELreise immer dieselbe Zeit, nftnälich die ümdrehungs- 
zeit der Erde, erfordert, so ist die scheinbare Bewegung offenbar 
desto geringer, je näher ein Gestini einem der Pole liegt. — Diese 
Kreise sind dem Aequator parallel und liegen entweder vollständig 
über dem Horizonte , oder theilweise über und theilweise unter dieser 
Ebene , oder endlich ganz und gar unter derselben. Im ersten Fall 
wäre der Stern immer sichtbar, wenn nicht der Glanz des Sonnen- 
lichtes das schwache Licht der übrigen Gestirne überstrahlte: man 
nennt solche Sterne Circumpolarsterne. Im dritten Falle da- 
gegen kann das Gestirn nie über den Horizont kommen und demnach 
nie sichtbar sein. Demnach können verschiedene Sternbilder, die 
den südlichen Theil des Himmels schmücken , von unsern nördlichen 
Gegenden aus gar nicht gesehen werden. Liegt endlich die tägliche 
Bahn eines Himmelskörpers theilweise über und theilweise unter dem 
Horizonte , so schneidet diese Bahn den Horizont in zwei Punkten, 
einem östlich und einem westlich gelegenen. Von dem Gestirn, 
welches sich eben im östlichen Durchschnittspunkte befindet, sagt 
man: es geht auf ; sinkt es dagegen durch den westlichen unter den 
Horizont, so sagt man: es geht unter. Mit Hülfe der Fig. 28 ist 
leicht zu ersehen , dass ein Gestirn circumpolar ist oder nicht unter- 
geht, wenn seine Declination grösser als die Höhe des Aequators über 
dem Horizonte ist, d. h. grösser als 90^ — cp, oder mit andern Wor- 
ten, wenn seine Poldistanz kleiner als die Polhöhe des Beobachtungs- 
ortes ist. Die Circumpolarsterne haben zwei sichtbare Culminationen, 
eine obere (für einen Beobachter auf der nördlichen Halbkugel) im 
Süden, und eine untere im Norden. 

Vermittelst der trigonometrischen Relationen zwischen Azimuth 
und Höhe einerseits und Stundenwinkel und Declination andrerseits, 
kann man für eine gegebene Polhöhe den Stundenwinkel und das 
Azimuth eines Gestirns mit grösster Leichtigkeit berechnen , wenn 
Declination und Höhe bekannt sind. Nimmt man an , dass die Höhe 
0^ beträgt , so findet man sofort den Stundenwinkel beim Aufgange 
oder Untergänge und also bei bekannter Rectascension auch die Zeit, 
wann das Gestirn auf- und untergeht. Das Azimuth, welches bei 
dieser Voraussetzung gefunden wird , giebt den Punkt am Horizonte 
an, wo der Auf- resp. Untergang stattfindet. 

Der nördlichste Punkt der Ekliptik hat eine nördliche Declina- 



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§ 12. Coordinaten im Raum und auf der Sphäre. 265 

tion , deren Grösse durch die Neigung dieser Ebene gegen den Ae- 
quator bestimmt wird ; ihr südlichster Punkt hat eine gleich grosse 
südliche Declination. Es ist klar, dass diese beiden Punkte 12 Stun- 
den nach einander culminiren. Ein Himmelskörper, welcher sich in 
der Nähe der Ekliptik befindet und 12 Stunden nach der Sonne cul- 
minirt , hat demnach eine südliche Declination, wenn die Sonne eine 
nördliche hat und umgekehrt. Unter nördlichen Breiten culminirt die 
Sonne im Sommer ziemlich hoch über dem Horizonte, weil ihre Decli- 
nation nördlich ist , aber Himmelskörper in der Nähe der Ekliptik, 
welche dann um Mitternacht , also 1 2 Stunden nach der Sonne cul- 
miniren , müssen südliche Declinationen haben und können in Folge 
dessen nur geringe Höhen erreichen. Hierdurch erklärt sich die be- 
kannte Thatsache, dass der Mond und die Planeten im Sommer 
niedrig am Horizont erscheinen , im Winter dagegen , wo die Sonne 
bei ihrer Culmination sehr niedrig steht , hoch am Himmel zu sehen 
sind. 

Durch Beobachtungen findet man unmittelbar die sphärischen 
Coordinaten der Himmelskörper, bezogen auf den Standpunkt des Be- 
obachters als Anfangspunkt ; für weitere Untersuchungen ist es je- 
doch erforderlich , diese Coordinaten auf andere Anfangspunkte zu 
beziehen , gewöhnlich auf die Mittelpunkte der Sonne oder der Erde. 
Die Nothwendigkeit einer solchen Reduction tritt ein , wenn der Ab- 
stand des in Frage stehenden Himmelskörpers massig gross ist im 
Verhältniss zu den Abständen der verschiedenen Anfangspunkte; 
sind aber die Entfernungen zwischen diesen als verschwindend klein 
im Verhältniss zu dem Abstände des Gestirns anzusehen, so sind die 
Coordinaten gleich, auf welchen Anfangspunkt sie auch bezogen 
sein mögen. Ein Stern z. B., dessen Abstand vom Sonnensysteme 
im Vergleich zur Entfernung der Erde von der Sonne ausserordent- 
lich gross ist, erscheint von jedem dieser Körper aus in derselben 
Kectascension und derselben Declination; mit sehr wenigen Aus- 
nahmen gilt dies für alle Sterne. Wir wollen nun in Kürze zeigen, 
wie man die Reduction von einem Anfangspunkt auf einen andern 
ausführt, weil solche Reductionen sehr häufig bei den astronomischen 
Arbeiten vorkommen. 

Wir bedienen uns der Fig. 27 (pag. 255), wo O und O' zwei Anfangs- 
punkte bezeichnen. Die rechtwinkligen Coordinaten des Punktes m, be- 



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266 III- Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

zogen auf den Anfangspunkt O, sind Op » a; , pn=^ y und nm «^ 2; be- 
zieht man wiederum die Coordinaten auf den Anfangspunkt O', so sind 
sie O'p' = x'\ p'n'ssy' und n'ms=z'\ endlich sind die Coordinaten 
des Punktes O bezogen auf O' als Anfangspunkt : o'q', q'z' und Z'O, diese 
wollen wir mit a, b und c bezeichnen. Nun sieht man sogleich, dass 

(fp' « O'g' -h q'p' = O'q' -{-Op, 
d. h. x' ssa X -\- a, 

und in derselben Weise findet man 

Um von diesen Formeln Gebrauch zu machen , wollen wir die Aus- 
drücke ableiten , durch welche man die geocentrische Rectascension und 
Declination eines Gestirns herleitet, wenn die von einem Punkte der Erd- 
oberfläche gesehene Rectascension und Declination bekannt sind. Die 
geocentrischen Coordinaten bezeichnen wir mit a' und h\ die von der Erd- 
oberfläche aus gesehenen mit a und 6 ; die respectiven Entfernungen seien 
endlich r' und r; wir haben alsdann (vgl. pag. 256) : 

x' s= r' Cos h' Cos a' ; x = r Cos h Cos a 
y' = f ' Cos 6* Sin a' ; y = r Cos 5 Sin a 
z = r' Sin 5' ; a = r Sin h. 

Die Ausdrücke der Grössen a , b und c leiten wir unter der Voraus- 
setzung ab , dass die Erde eine vollkommene Kugel ist ; diese Annahme 
genügt in den meisten Fällen, ohne dass dadurch irgend welcher bemer- 
kenswerther Fehler entstünde. Den Halbmesser der Erdkugel bezeich- 
nen wir mit p. — Um nun die Ausdrücke für a, b und e aufzustellen, 
brauchen wir die Rectascension und die Declination fUr den Standpunkt 
des Beobachters, vom Mittelpunkte der Erde aus gesehen, oder, was das- 
selbe ist, da die Erde als eine Kugel angenommen wird, die Rectascension 
und die Declination des Zeniths am Beobachtungsorte. Die Rectascension 
des Zeniths ist aber offenbar dasselbe wie der Stundenwinkel des Früh- 
lingspünktes, also die Sternzeit, die Declination des Zeniths ist wiederum 
identisch mit der Polhöhe des Ortes (vgl. pag. 262 und 263). Wir erhal- 
ten demnach 

a = p Cos cp Cos 
6 = p Cos cp Sin 
c = p Sin <p. 
Die Relationen zwischen a' und 5', a und h finden sich also, wie folgt : 
r' Cos h' Cos a' = r Cos 5 Cos a -h p Cos cp Cos 
r' Cos 6' Sin a' = r Cos S Sin a -|- p Cos tp Sin 
r' Sin 6' = r Sin 5 -H p Sin tp. 
Aus diesen Gleichungen können zwar a' und h' berechnet werden, 
allein man kann sehr leicht aus ihnen andere Formeln ableiten , welche 
die Differenzen a' — a und 5' — 5 direct geben und welche ihrer grösseren 
Bequemlichkeit wegen den vorhergehenden vorzuziehen sind. Multiplici- 



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§ 12. Coordinaten im Baum und auf der Sphäre. 267 

ren wir die erste der obigen Gleichungen mit Sin a und die zweite mit 
Cos a, so erhalten wir nach Subtraction der Producte : 

(a) r' Cos V Sin (a' — a) = p Cos «p Sin B— a) . 

Durch ein ähnliches Verfahren findet man ferner die Gleichung : 

(b) r' Cos h' Cos (a' — a) = r Cos S -f- p Cos cp Cos (0 — a) 

und durch Division der Gleichungen (a) und (b) erhält man sogleich : 

'0 Tanir fa' ^ a) = P Cos y Bin (B -^ a) 

'^^ ^^""^ ^" *) - r Cos 8 + p Cos cp Cos (B — a 

Die Herleitung der entsprechenden Formel für Tang (8' — 5) erfor- 
dert einige Zeilen mehr ; wir begnügen uns daher, eine genäherte Formel 
zu geben, die indess in den allermeisten Fällen genügt. Der Unterschied 
a' — a ist nämlich fast immer so gering, dass der Cosinus desselben gleich 
Eins gesetzt werden darf, alsdann erhält man aus (b) : 

r' Cos 8' = r Cos 5 -h p Cos «p Cos (B — a) . 
Da nun ausserdem 

r' Sin 8' = r Sin 8 4- p Sin cp , 
so ergiebt sich : 

r Sin (8' — 8) = p [Sin cp Cos 8 ~> Cos cp Sin 8 Cos (B — «)] 
r'Cos (8' — 8) = r -h p [Sin cp Sin 8 + Cos cp Cos 8 Cos (B — a)] 
woraus wieder durch Division Tang (8' — 8) erhalten wird. 

Gewöhnlich ist das Verhältniss -r , welches den Sinus der Horizon- 

talparallaxe des Gestirns bedeutet, bekannt (vgl. pag. 65 und 91); hat 
dasselbe einen kleinen Werth — und dies ist mit Ausnahme des Mondes 

stets der Fall — so kann — mit -^ vertauscht werden ; ausserdem können 
r r 

die höheren Potenzen dieser Grösse weggelassen, sowie die Bögen a' — a 
und 8' — 8 für die resp. Tangenten und'die in Bogen ausgedrückte Hori- 
zontalparallaxe ip) für den Sinus von p gesetzt werden. Wir finden also : 

^^^ «'-«=^^^in(B-a) 

(6) 8' — 8 = |> [Sin cp Cos 8 - Cos cp Sin 8 Cos (B — a)] 

Eine grosse Anzahl Formeln können in der soeben angeführten 
Weise abgeleitet werden, unter andern die, welche pag. 152 gegeben 
wurden zur Berechnung des geocentrischen Orts, wenn der heliocen- 
trische bekannt ist. 



§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 

Die Bestimmung der gegenseitigen Lage der verschiedenen 
Gmndebenen und Grundrichtungen muss natürlich den eigentlichen 
astronomischen Ortsbestimmungen vorausgehen, d. h. mit andern 



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268 ni. Kapitel. Die Beobacbtungskunst unserer Zeit. 

Worten, man muss erst wissen, von welcher Anfangsrichtung und in 
welcher Ebene ein Winkel gemessen werden soll , bevor man an die 
wirkliche Messung gehen kann. Die Lage einiger dieser Ebenen 
hängt ausschliesslich vom Standpunkte des Beobachters ab. So 
hat jeder geographische Punkt seinen eigenen Horizont, dessen Lage 
für denselben ganz eigenthtimlich ist, obwohl mehrere Orte dieselbe 
Polhöhe oder auch denselben Meridian haben können ; im ersten Falle 
liegen die Orte auf demselben mit dem Erdäquator parallelen Kreise, 
im zweiten Falle dagegen auf demselben Erdmeridian. Die gegen- 
seitige Lage des Aequators und der Ekliptik ist dagegen in keiner 
Weise von dem Standpunkte des Beobachters abhängig, ebensowenig 
wie die Durchschnittslinie beider Ebenen, d. i. die Richtung der Ae- 
quinoctialpunkte. Die wichtigsten Methoden, welche zur Bestim- 
mung der Lage dieser Ebenen und Grundrichtungen dienen , sollen 
nun ganz kurz angedeutet werden. 

Die Lage des Horizontes wird durch die Bedingung bestimmt , dass 
die Schwerkraft der Erde am Beobachtungsorte senkrecht gegen diese 
Ebene gerichtet sein soll. Hieraus folgt unmittelbar ein höchst einfaches 
Mittel, die Lage derselben anzugeben. Man lässt nämlich ein Gewicht an 
einem Faden herunter hängen, dessen oberes Ende in irgend einer Weise 
befestigt worden ist. Dieser Faden wird, wenn er biegsam ist und die 
Ruhelage eingenommen hat, die Richtung der Schwerkraft angeben, 
woraus folgt, dass alle geraden Linien, welche senkrecht gegen den ge- 
nannten Faden gezogen werden, mit dem Horizonte parallel sind. Die be- 
schriebene Vorrichtung nennt man ein Loth. Vermittelst "des Lothes 
findet man also in sehr einfacher Weise , zwar eigentlich und direct eine 
gegen den Horizont senkrechte Richtung , mittelbar aber auch beliebige 
Richtungen in dieser Ebene, mithin die Lage des Horizontes. 

Bei den astronomischen Instrumenten kommt es gewöhnlich nur dar- 
auf an , sie in Bezug auf den Horizont oder die Lothlinie zu orientiren ; 
gewisse Theile des Instruments müssen drehbar sein um eine Axe, die in 
der Horizontalebene liegt, andere hingegen um eine verticale Axe. Um 
die richtige Lage dieser Axen zu prüfen oder eventuell herzustellen, be- 
dient man sich gewöhnlich einer sogenannten Wasserwage (Libelle 
oder Niveau), obwohl man auch, namentlich in früheren Zeiten, die ein- 
fachere Vorrichtung des Lothes zu diesem Zwecke benutzt hat. Die 
Wasserwage besteht der Hauptsache nach aus einer graduirten Glasröhre, 
welche mit irgend einer leichtbeweglichen Flüssigkeit, gewöhnlich Spiri- 
tus oder Schwefeläther, bis auf einen kleinen Raum gefüllt ist. Die Röhre 
ist kein vollkommener Cylinder, sondern etwas gebogen, so dass die Luft- 
blase in ihrem Innern in der Mitte erscheint , wenn die Verbindungslinie 



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§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 269 

zwischen den Endpunkten der Röhre sieh in einer horizontalen Lage be- 
findet. Gewöhnlich ist die Röhre in einer Metallkapsel so eingeschlossen, 
dass bloss ihr graduirter mittlerer Theil sichtbar ist ; die Kapsel ruht auf . 
zwei an derselben befestigten Stützen , welche in solcher Weise einge- 
richtet sind, dass die Wasserwage mit Bequemlichkeit an dem Instru- 
mente angebracht werden und also zur Prüfung der richtigen Lage seiner 
Axen dienen kann. — Die Glasröhre ist in der Kapsel befestigt mittelst 
Schrauben, durch welche ihre Lage zu der die Endpunkte der Stützen 
verbindenden Linie berichtigt werden kann. Wenn nun die Wasserwage 
auf eine vollkommen horizontale Ebene gestellt wird, so soll die Luftblase 
in der Röhre genau in der Mitte einspielen, d. h. die Endpunkte der Blase 
sollen in gleichen Abständen von dem Mittelstriche erscheinen. Obschon 
nun dieses Ziel selten oder nie vollkommen erreicht wird, kann man 
dennoch die Wasserwage unbehindert zu dem beabsichtigten Zwecke an- 
wenden. Man muss nur bei der Anwendung des Apparates das Princip 
befolgen , welches die Beobachtungskunst so wesentlich gefördert hat, 
nämlich durch passend abgeänderten Gebrauch des Instrumentes, seine 
Fehler oder Abweichungen von der mathematischen Idee entweder ganz 
oder doch so viel wie möglich unschädlich zu machen ' suchen. Bei der 
Anwendung der Wasserwage ist es sehr leicht, dieses Princip zu befolgen. 
Man braucht nämlich nur zwei Nivellirungen auszuführen, von denen die 
zweite in der der ersten entgegengesetzten Lage der Wasserwage ange- 
stellt wird. Nivellirt man z. B. eine Axe , die physisch durch einen Me- 
tallcylinder dargestellt wird, in der Richtung von Osten nach Westen, und 
zeigt die Blase a Theile nach Westen und b Theile nach Osten , so würde 
das Westende der Axe um den Winkel ^ (a — b) über dem Horizonte er- 
höht sein , vorausgesetzt , dass die Röhre , in Bezug auf die Endpunkte 
der Stützen , vollkommen berichtigt wäre. Stellt man nun das Niveau 
mit den Stützen um, so dass diejenige, welche erst im Westen stand, nun 
im Osten zu stehen kommt und umgekehrt, so muss man auch, insoweit die 
Niveauröhre richtig eingepasst und die Stützen gleich lang sind, dieselbe 
Ablesung wie vorhin wiederfinden. Gewöhnlich wird sich jedoch her- 
ausstellen, dass die Blase bei dem zweiten Nivellement in einer etwas 
veränderten Lage relativ zu den Strichen zur Ruhe kommt, so dass man 
etwa die Ablesungen a' im Westen und b' im Osten erhält. Diese Ver- 
änderung in der Ablesung beweist, dass die Röhre nicht vollkommen rich- 
tig in die Kapsel eingepasst, oder strenger, dass sie nicht parallel einer 
durch die Endpunkte der Stützen gelegten Linie ist ; indessen findet man 
die wirkliche Neigung der nivellirten Axe gegen den Horizont , indem 
man das arithmetische Mittel aus den beidenBestimmungen bildet, nämlich 
aus i (a — b) und i («' — b'). Von der Richtigkeit dieser Regel kann man 
sich leicht überzeugen. Man denke sich, dass die nivellirte Richtung in 
der That horizontal sei; alsdann sollte a = b sein, und die Differenz a — b 
. rührt ausschliesslich von der mangelhaften Berichtigung des Nullpunktes, 



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270 III. Kapitel. Die BeobachtungskunBt unserer Zeit. 

also der Niveauröhre in der Kapsel her. Setzt man nun das Niveau auf 
der horizontalen Axe um, so muss die Blase jetzt ebensoviel nach Westen 
zeigen, wie vorhin nach Osten ; es erscheint also jetzt, als ob das West- 
ende des Niveaus um den Winkel | (& — a) über dem Horizonte erhöht 
wiire. Vorhin hatten wir in der ersten Lage i [a — b) gefunden ; das Mit- 
tel aus beiden wird Null, wie es auch sein muss, da die Axe als horizontal 
vorausgesetzt wurde. 

Die vermittelst des Niveaus bestimmten Neigungen sind nicht un- 
mittelbar im gewöhnlichen Winkelmaasse ausgedriickt , sondern in Thei- 
len der Niveaugraduirung ; um daher die Resultate der Nivellirungen in 
Sekunden ausdrücken zu können , muss man wissen , wie viele Sekunden 
und Theile der Sekunde dem Abstände zweier Striche auf dem Niveau, 
die als in gleicher Entfernung von einander vorausgesetzt werden , ent- 
sprechen, oder, wie man sich auch ausdrückt, den Werth eines Niveau- 
theils in Sekunden kennen. Die Bestimmung dieses Werthes lässt sich 
leicht bewerkstelligen, wenn man eine Axe nivellirt , deren Neigung man 
in bekannter Weise ändern kann, so dass die Unterschiede der Nivel- 
lirungen unmittelbar in Sekunden bekannt sind. Dividirt man die Anzahl 
der Sekunden eines solchen Unterschiedes mit dem durch die Nivel- 
lirungen gefundenen Unterschied der Niveautheile , so findet man den 
Werth eines Niveautheils. 

Durch Nivelliren in zwei Richtungen, z. B. in einer von West nach 
Ost und der andern von Nord nach Süd, kann man sich von der Horizon- 
talität einer ebenen Scheibe überzeugen, resp. dieselbe berichtigen. 

Die Lage des Meridians wird einestheils durch die Richtung der 
Schwere, also durch die des Lothes, andemtheils durch die Itichtung der 
Weltaxe bestimmt ; um letztere zu finden, müssen die täglichen Beweg- 
ungen der Gestirne verfolgt werden, denn aus diesen Bewegungen ist der 
Begriff der Weltaxe , mithin auch der des Meridians gewonnen worden. 
Um den Meridian zu bestimmen, ist es also zunächst erforderlich, die 
Richtung der Lothlinie festzustellen und hierauf durch Beobachtungen 
am Himmel die Richtungen zu finden, in welchen die Gestirne culminiren. 
Der einfachste Weg , welcher hier gewählt werden kann , besteht darin, 
dem Schatten zu folgen, welchen die Sonnenstrahlen von einer Spitze auf 
eine horizontale Ebene werfen. In der Richtung, in welcher der kürzeste 
Schatten fällt, hat man die Mittagslinie zu ziehen. Um jedoch auf diesem 
Wege ein möglichst genaues Resultat zu erhalten, ist es nöthig, die Be-. 
obachtungen zu den Zeiten anzustellen , wo die Sonne ihre Declination 
nur unmerklich ändert, also während der Solstitien. Zu andern Zeiten 
müsste man durch Rechnung die gefundene Richtung der Mittagslinie be- 
richtigen , weil die Sonne in Folge ihrer eigenen Bewegung nicht die 
grösste Höhe im Meridian erreicht. 

Für astronomische Zwecke würde die geringe Genauigkeit, die man 
auf diese Weise erreichen könnte , keineswegs gentigen ; man bestimmt 



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§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 271 

daher, und auch aus andern Gründen , die Eichtung de» Meridians mit 
denselben Instrumenten , die zu den eigentlichen astronomischen Beob- 
achtungen dienen. Wir müssen uns jedoch darauf beschränken , anzu- 
geben , wie man mittelst des Durchgaagsinstrumentes diese Bestimmung 
ausführt, und können dies auch vm so eher; als andere Methoden in der 
Astronomie weniger häufig Verwendung finden. Bevor wir jedoch an die 
Beschreibung des Dure^angsinstrumentes gehen, müssen einige kurze 
Andeutungen über die optischen Theile der astronomischen Instrumente 
im Allgemeinen yorausgeschickt werden. 

Es i«t bekannt, dass man mit dem Apparat, welcher Fernrohr 
heisst, entfernte, dem blossen Auge oft nicht einmal sichtbare Objecte 
deutlich sehen und unterscheiden kann. Auch dürfte es den Meisten be- 
kannt sein, däss das Fernrohr aus einigen, in passender Weise ge- 
schliffenen und in entsprechenden Entfernungen von einander in einer 
Röhre befestigten Glaslinsen besteht. Diese Glaslinsen sind das Wesent- 
liche hierbei, die Bohre dient nur dazu, sie zusammenzuhalten , was aber 
auch in anderer Weise geschehen könnte, sowie um anderes Licht, 
als das vom beobachteten Objecte ausgesandte , abzuhalten. Das Fem- 
rohr, welches bei astronomischen Beobachtungen angewendet wird, ist 
einfacher als das gewöhnliche ( terrestrische ) ; es zeigt die Bilder 
umgekehrt und wird gewöhnlich das astronomische Fernrohr 
genannt. 

Das astronomische Fernrohr bestehtaus einer grösseren Glaslinse /ä 
(Fig. 29), welche die einfallenden Lichtstrahlen auffängt; diese Linse wird 
dasObjectiv genannt. Die Lichtstrahlen, welche durch den Mittelpunkt 
des Objectives gehen — man nennt sie Hauptstrahlen — setzen ihren 
Weg in's Innere des Fernrohres ungebrochen fort, sie bilden also gerade 
Linien. Alle andern Strahlen aber, welche von einem sehr entfernten 
Punkte a auf dasObjectiv fallen, werden beim Durchgange durch dasselbe 
in solcher Weise gebrochen, dass sie sich in demselben Punkte a' wieder 
begegnen, der auf dem Weg des Hauptstrahls liegt. In Folge dessen wird 
ein Bild des Objectes a im Punkte a' sichtbar und in derselben Weise im 
Punkte b' ein Bild des Objectes b. Man erhält somit umgekehrte Bilder 
von allen Gegenständen, die man mit dem Fernrohre betrachtet. Die Ent- 
fernung dieser Bilder vom Objective aus , welche immer dieselbe bleibt, 
nennt man die Brennweite des Objectives; der Punkt, in welchem 
die verschiedenen gebrochenen, von demselben Gegenstande ausgehenden 
Strahlen einander schneiden, heisst Brennpunkt, jedoch versteht man 
gewöhnlich unter dieser Benennung denjenigen dieser Durchschnitts- 
punkte, welcher auf der optischen Axe der Objectivlinse liegt, d. h. auf 
der Linie, welche die Mittelpunkte der beiden sphärischen Oberflächen 
der Linse verbindet. 

Wenn also ein astronomisches Femrohr gegen ein entfemtes Object 
gerichtet wird, entsteht in der Ebene, welche durch den Brennpunkt 



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272 



III. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 



senkrecht auf die optische Axe gelegt wird , ein umgekehrtes Bild des 
einvisirten Gegenstandes ; dieses Bild wird mit einer andern Linse be- 
trachtet, welche Ocular genannt wird und die Rolle eines gewöhnlichen 
Vergrösserungsglases spielt. Es ist jedoch nicht der Zweck , wenigstens 
nicht für. den Astronomen, die verschiedenen Gegenstände am Himmel 
im Vergrösserungsglase zu betrachten ; ein anderes und viel wichtigeres 
Ziel kann mit dem Fernrohre erreicht werden, das nämlich, eine Richtung 




mit desto grösserer Sicherheit auffassen zu können, je stärkere Ver- 
grösserungen man anwendet. Um dieses Ziel zu erreichen, spannt man im 
Brennpunkte ein Netz von äusserst feinen Fäden auf, die sämmtlich in 
einer Ebene senkrecht zur optischen Axe liegen müssen.*) Wo zwei 



*) Gewöhnlieh wendet man hierzu Spinnenfäden an. 



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§ 13. Astronomisclie Beobachtungen und Instrumente. 273 

solche Fäden einander kreuzen, ist ein Punkt bestimmt, und indem man 
4art$h die Bewegung des Rohres das Bild eines Sterns mit einem solchen 
Pankte, dessen Abstand von der optischen Axe bekannt sein muss, 
zur Coincidenz bringt, wird die Richtung des Sterns aufgefasst und 
fixirt. 

Ein astronomisches Femrohr, welches als Durchgangsinstrument 
angewendet werden soll, besteht gewöhnlich aus zwei, etwas konisch ge- 
formten Rohrhälften fm n h und pgkq (Fig. 29) . Diese Rohrhälften sind 
mit Schrauben am Gubus mnqp befestigt, dessen Flächen mn vmdpq 
natürlich durchbohrt sind, damit die Lichtstrahlen vom Objectiv zum 
Ocular unbehindert gelangen können. An den Seiten des Gubus sind 
starke Metallstücke befestigt, die mit den Zapfend und £ aus gehärtetem 
Stahl enden. Diese Zapfen sind mit äusserster Sorgfalt cylindrisch abge- 
dreht, und bestimmen die Rotationsaxe des Instruments. Wird das 
Durchgangsinstrument auf festen Sternwarten angewendet, so ruhen diese 
Zapfen auf Lagern von Glockenmetall, welche an gemauerten Pfeilern be- 
festigtsind. Diese Lager sind jedoch durch Schrauben ein wenig beweglich, 
damit die Axe ABy wenn nöthig, sowohl in Bezug auf ihre Horizon- 
talität, wie auch in ihrer Richtung von West nach Ost berichtigt wer- 
den kann. 

Das Fadennetz besteht bei dem Durchgangsinstrumente in der Regel 
aus zwei horizontalen und mehreren verticalen Fäden , von welchen die 
letzteren, in genügendem Abstand von einander, gewöhnlich um den mit- 
telsten sjrmmetrisch geordnet sind. Vermittelst Schrauben lässt sich das 
ganze Fadennetz ein wenig in seiner Ebene verschieben , wodurch man 
den Mittelfaden so einstellen kann , dass derselbe eine auf der Rotations- 
axe senkrechte Richtung angiebt. Diese Richtung, welche der Mittelfaden 
bestimmt, wird die optische Axe des Instruments genannt, und mit der- 
selben muss die optische Axe des Objectivs möglichst nahe zusammen- 
fallen. Wenn nun die Rotationsaxe des Instruments genau berichtigt 
ist und ebenso das Fadennetz , so wird ein culminirender^ Stern genau 
über dem Mittelfaden erscheinen, seine Declination mag sein welche 
sie will. 

Nachdem man vermittelst eines Niveaus, welches so eingerichtet ist, 
dass es mit den Stützen auf die Zapfen gestellt werden kann, die Horizon- 
talität der Rotationsaxe berichtigt oder die Neigung dieser Axe bestimmt 
hat, kann man in der folgenden Weise das Fadennetz in die beabsichtigte 
Lage einstellen. Unter dem Objective , das gegen den Nadir gerichtet 
wird, stellt man ein Gefäss mit Quecksilber auf. Hierdurch wird eine 
wagerechte Fläche hergestellt, die man den künstlichenHorizont 
nennt. Von dieser spiegelglatten Fläche wird ein Bild des Fadennetzes 
in das Femrohr reflectirt , das vom Oculare aus gesehen werden kann. 

Gyldtfn, Astronomie. j[g 



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274 ni. Kapitel. Die Beobachtangskunst unserer Zeit. 

Wenn nun das Bild des Mittelfadens von dem Faden selbst bedeckt wird, 
so ist die Verbindungslinie zwischen dem Faden und seinem Bilde, hdt- 
hin auch die Richtung des Lichtstrahls, weicherden Mittelfaden trifft, 
senkrecht gegen den Horizont. Man hatte aber schon vorher die Bote- 
tionsaxe horizontal gestellt, folglich ist auch nun die optische Axe senk- 
recht auf der Rotationsaxe. Wenn indessen die Berichtigung nicht voll- 
kommen gelungen wäre , so bleibt ein kleiner Fehler nach, der Colli- 
mations fehler oder Fehler der optischen Axe genannt wird. Es würde 
zu viel Zeit in Anspruch nehmen , wollte man sich bestreben , den Col- 
limationsfehler stets völlig gleich Null zu machen ; man wird sich daher 
damit begnügen müssen, denselben immer sehr klein zu halten. Der Ein- 
fluBs desselben muss aber mittelst Rechnung bei den Beobachtungen be- 
rücksichtigt werden , weshalb man ihn durch Messung bestimmen muss; 
mehr oder weniger häufig, je nachdem er sich grösseren oder kleineren 
Veränderungen unterworfen zeigt. Zu dieser Messung kann man sich 
verschiedener Methoden bedienen. Der Winkelabstand des Mittelfadens 
von dem Bilde im künstlichen Horizonte ist offenbar gleich dem dop- 
pelten Collimationsfehler ; vermittelst eines beweglichen Fadens und 
einer Mikrometerschraube , von der später die Rede sein soll , lässt sich 
dieser .Winkelabstand messen Und folglich auch der Collimationsfehler 
bestimmen. Dies ist eine Methode; eine andere gründet sich darauf, 
dass der Einfluss des GoUimaiionsfehlers im umgekehrten Sinne wirkt, 
wenn das ganz^ Instrument in den Lagern umgelegt wird« £s ist über- 
haupt ein Grundsatz in der Beobachtungskunst, sich nie darauf zu ver- 
lassen, dass ein Instrument ganz vollkommen ausgeführt oder genau be- 
richtigt worden ist : wo man die Fehler nicht dui'ch zweckmässig angeord- 
nete Beobachtungen in verschiedenen Lagen des Instrumenta unschädlich 
machen kann , müssen dieselben durch Rechnung bei den Beobachtungs- 
resultaten berücksichtigt werden. 

Wir können nun annehmen, dass die Gesichtslinie, welche durch die 
optische Axe und den Kreuzungspunkt der Mittelfäden bestimmt wird, 
bei der Drehung des Femrohrs eine Ebene beschreibt, welche senkrecht 
auf dem Horizonte steht und mithin durch das Zenith geht ; denn wenn 
dies auch nicht streng der Fall sein sollte, so besitzen wir doch die nöthi- 
gen Mittel, um die Abweichungen von dieser Verticalebene bei jeder 
Stellung des Instruments durch Rechnung zu finden , und die Resultate 
den Beobachtungen entsprechend zu corrigiren. Die auf der Rotations- 
axe senkrechte Richtung muss nämlich eine Ebene beschreiben, wenn die 
Zapfen vollkommen gleich dick und cylindrisch sind — etwaige Ab- 
weichungen können jedenfalls berücksichtigt werden — ; durch das Ni- 
vellement kennen wir die Neigung dieser Ebene gegen die Verticalebene, 
so dass es nur eine geometrische Aufgabe ist , den Einfluss der Neigung 
bei jeder Stellung des Instruments zu ermitteln. Weil die Rotationsaxe 
jedenfalls nahe berichtigt ist, so kann man annehmen, dass die Durch- 



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§ IZ. Astronomische Beobachtung;en und Instrumente. 27.*) 

Bchnittslinie dieser beiden Ebenen mit der Mittagslinie zusammenfallt. 
£s ist nun klar, dass der Einflues der Neigung verschwindet , wenn ein 
Gestirn im Horizonte beobachtet wird; richtet man aber das Fernrohr 
gegen, ein Oestim , dessen Zenithdistanz z ist , so beträgt der Bogen zwi- 
schen dem Btern und einem Punkte in der VerticaiebenC; dessen Zenith- 
distanz ebenfalls z ist -. b Cos e, wo b die Neigung der Horizontalaxe be- 
zeiefanet. — Der Mittelfaden würde einen grössten Kreis am Himmel be- 
schreiben , wenn kein CoUimationsfehler vorhanden wäre , d. h. die vom 
Mittelfaden bestimmte Richtung würde bei der Drehung des Instruments 
eine Ebene beschreiben , weil diese !^chtung alsdann senkrecht auf der 
Botationsaxe sein würde. Ist der CoUimationsfehler aber nicht Null, 
80 besclireibt der Mittelfaden einen kleineren Kreis am Himmel, wel- 
cher jedoch mit dem erstgedachten grössten ELreise parallel sein 
muss , da der scheinbare Abstand beider Kreise stets derselbe und zwar 
gleich dem CoUimationsfehler ist. Der Abstand eines Grestims, welcher 
am Mittelfaden beobachtet wird, von einem Punkte, welcher sieh auf dem 
Yerticalkreis in der Zenithdistanz des Gestirns befindet, wird nun durch 
die Summe der Glieder 

b Cos » -I- <5 
gefunden, wo c den CoUimationsfehler bezeichnet. 

Göht nun die genannte , durch die Drehung des (berichtigten) In- 
struments bestimmte Verticalebene auch durch den Pol , so ist sie die 
Ebene des Meridians ; geschieht dieses nicht, so müssen sich doch jeden- 
falls die Verticalebene und der Meridian in der Lothlinie schneiden ; mit- 
hin, wenn a die Neigung beider Ebenen bedeutet , also das Azimuth des 
von der Verticalebene bestimmten grössten Kreises, so ist k.a Sin z der 
Winkelabstand eines Punktes auf diesem grössten Kreise , von dem 
Meridian. Nach der Definition ist a auch der Winkel zwischen der als 
horizontal gedachten Botationsaxe des Instruments und der Richtung 
von Ost nach West; gelingt es, diesen Winkel gleich Null zu machen, 
80 bewegt sich das Instrument im Meridian, vorausgesetzt, dass Nei- 
gung und CoUimationsfehler gleichfalls berichtigt worden sind. — Wie 
diese Grössen bestimmt werden sollen , haben wir schon gesehen ; es 
bleibt noch übrig , das Azimuth des Instruments oder die Grösse a zu 
bestimmen. Wenn dies geschehen ist, findet man den Winkelabstand [d] 
eines in der Zenithdistanz z culminirenden Punktes, welcher am Mittel- 
faden beobachtet wird, von dem Meridian durch die Formel : 
rf = a Sinz -h J Cos z -h c. 

Um nun a zu bestimmen , könnte man einen Stern genau bei seiner 
Culmination beobachten; durch die Schraube am Lager lässt sich das Azi- 
muth so berichtigen, dass der Stern am Mittelfaden erscheint, wenn er 
culminirt. Alsdann wäre «i = 0, und man fände a sogleich, da b, c und z 
als bekannt vorausgesetzt werden dürfen. Allein um das Culminations- 
moment benutzen zu können, muss diö Sternzeit und die Kectascension 

18* 



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276 lU. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

des Steins bekannt sein , die aber erst durch Beobachtungen bestimmt 
werden sollen, und also nicht, wenigstens nicht im Allgemeinen, als be- 
kannt vorausgesetzt werden dürfen. Die tägliche Bewegung bietet 
uns aber selbst das Mittel zur Bestimmung von a; die Zeit, welche 
zwischen der oberen und u^teren Oulmination desselben Sterns verfliesst, 
muss nämlich genau 12 Stunden Sternzeit betragen. Beobachtet man also 
die Durchgangszeit eines Sterns , erst bei der oberen und dann bei der 
unteren Oulmination, so lässt sich aus der verflossenen Zwischenzeit 
schliessen, in welcher Weise die Lager berichtigt werden müssen, damit 
das Instrument in den Meridian kommt. Zeigt es sich, dass die Zeit zwi- 
schen der oberen und unteren Oulmination länger ist als 12 Stunden, 
so ist der westliche Zapfen nördlicher als der östliche; das westliche 
Lager muss folglich etwas nach Süden geschoben werden. 

Bei dieser Berichtigung , sowie bei der Bestimmung von a muss auf 
den Einfluss der Neigung und des Oollimationsfehlers Bücksicht genom- 
men werden. Wir wollen die hierzu erforderliche kleine Rechnung noch 
anführen. — Wenn d sehr klein ist, wie wir es voraussetzen, so ist auch 
der entsprechende Stundenwinkel des Mittelfadens sehr klein ; man kann 
daher seinen Sinus mit dem Bogen vertauschen. Bezeichnet nun^ den 
Stundenwinkel, so ist 

OosS' ^ 
und weil 

so hat man, in Berücksichtigung des Werthes von d . 
^ , Sinz , - Oosa . 1 



OosÖ^ OosÖ^ OosS 

Bei der Anwendung dieser Formel ist zu bemerken, 1) dass z negativ 

genommen werden muss , wenn der Stern nördlich vom Zenith culminirt, 

2) dass Oos h negativ genommen werden muss bei unteren Oulminationen. 

Es ist dies leicht einzusehen. Wenn der Stern nördlich vom Zenith cul- 

minirt, so wirkt das Azimuth auf den Stundenwinkel im umgekehrten 

Sinne , als wenn er südlich vom Zenith wäre. Bei unteren Oulminationen 

wirken ferner Neigung und OoUimationsfehler auf den Stundenwinkel im 

umgekehrten Sinne als wie bei oberen Oulminationen , das Azimuth aber 

in demselben. 

Bezeichnet man endlich die Uhrzeit mit ^ und den Fehler von T mit 

Y, so dass 8 = U-^ 7, 

, . V- . . Sin z , , Oos z , 1 

so hat man: C/ -f- y = a + a 7= — r- + h j= — jr -h c 7= — r : 
* Oos S Oos Oos 5 ' 

für die unteren Oulminationen hat man : 



*) Die Herleitung dieser Formel ist sehr leicht, sie folgt unmittelbar 
aus einer Relation der sphärischen Trigonometrie , deren Beweis wir auf 
den Anhang verschieben. 



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§ 13. Astronomische Beobachtnngen und Instrumen^^P/: ^ 277 \ . >^ 
TT t I loQx • Si^«i rCosai ^ 



' Cos h Cos h Cos h 
Nimmt man an, dass der Stern nahe dem Pole nnd. in seiner oberen 
Culmination ist , also zwischen Zenith und Pol culminirt , so muss das 
Zeichen von a in der ersten Gleichung umgekehrt werden ; die Diffe- 
renz beider Gleichungen giebt dann : 
TT TT i loQi. I Sin«i + Sin« .Coszi+Cosa 2 

Hier sind nun alle Grössen bekannt mit Ausnahme von a und 71 — 7. 
Letztere hängt nur von dem Gange der Uhr ab , die man sehr sorgfältig 
prüfen muss. Bei der heutigen Vollendung der Uhren darf man jedoch 
amiehmen , dass ihr Gang hinlänglich regelmässig ist , um aus zwei be- 
obachteten oberen Culminationszeiten auf die Zeit der zwischenliegenden 
unteren Culmination zu schliessen ; alsdann wäre fi — 7 als bekannt an- 
zusehen, wonach die Berechnung von a in sehr einfacher Weise sich aus- 
führen liesse. Ein geringer Fehler in 71 — 7 übt ausserdem nur einen ge- 
ringen EinflusB auf die Bestimmung von a aus, und zwar aus dem 
Grunde, weil erstere Grösse mit dem kleinen Factor Cos 8 multipli- 
cirt wird. 

Mit der Bestimmung des Azimuthes a sind die Vorarbeiten beendet, 
welche den eigentlichen Beobachtungen am Durchgangsinstrumente vor- 
ausgehen müssen; wir bemerken, dass die Bestimmung absolut ausge- 
führt werden kann, d. h. unabhängig von jeder früheren Bestimmung der 
Rectascensionen. 

Weil die Orientirung des Durchgangsinstrumentes mit sehr viel 
Mühe und Zeitverlust verbunden ist, wenn sie durch successive Beobach- 
tungen berichtigt werden soll , hat man versucht, durch sog. Miren oder 
Meridianzeichen die einmal gefundene Bichtung des Meridians zu fixiren. 
Ein solches Zeichen kann einfach in einer senkrecht auf der Mittagslinie 
und in bedeutender Entfernung vom Instrumente aufgestellten Tafel be- 
stehen, auf welcher ein verticaler Strich gezogen wird. Wenn nun die 
Lage des Mittelfadens relativ zum Meridian einmal erkannt ist , so wird 
die Lage der Tafel so berichtigt , dass der verticale Strich der Richtung 
des Meridians entspricht, wenn das Femrohr auf ihn gerichtet wird. Man 
darf jedoch nicht annehmen, dass die Tafel während einer längeren Zeit ihre 
Lage unverändert beibehält ; die Erfahrung hat nämlich gelehrt, dass die 
Erdschichten kleinen Verschiebungen unterworfen sind, wodurch das Meri- 
dianzeichen ein wenig aus seiner Lage gebracht werden kann ; diese Lage 
muss daher von Zeit zu Zeit geprüft werden. Aber einen unschätzbaren 
Dienst leistet uns auf alle Fälle die Mire, wenn man annehmen kann, dass 
sie wenigstens während eines Tages unveränderlich ist. Die obige Me- 
thode, ebenso wie eine jede, die das Azimuth absolut geben soll , beruht 
nämlich wesentlich auf der Voraussetzung , dass das Azimuth während 
12 Stunden constant bleibt. Diese Voraussetzung entsprichtjedoch oft nicht 



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278 lU. Kapitel. Die Beobachtnngskunst nnserer Zeit. 

der Genauigkeit der eigentlichen Beobachtungen, d. h. das Azimuth 
erleidet wShreiid 12 Stunden häufig Aenderungen , die sehr wohl die Re- 
sultate der Beobachtungen merklich beeinflussen können. Mit Hülfe der 
Mire, deren Aenderungen im Bogenmaasse ausgedrückt , der Entfernung 
wegen, jedenfalls sehr viel geringer als die des Hauptinstrumentes sind, 
kann man das relative Azimuth zu jeder Zeit bestimmen, und hernach das 
absolute Azimuth unter der Voraussetzung berechnen , dass seine Aende- 
rungen durch die Unterschiede der Mirenangaben gegeben sind. 

Die Beschreibung, wie die Lage der Ekliptik bestimmt wird , sollte 
nun eigentlieh folgen; zuvor müssen wir jedoch angeben, wie Rectascen- 
sionsunterschiede am Durchgangsinstrumente beobachtet werden. 

Die eigentlichen Beobachtungen mit dem Durchgangsinstrumente 

bestehen darin, das Zeitmoment aufzufassen, in welchem das Bild eines 

Himmelskörpers von dem Mittelfaden verdeckt wird, oder den Mittelfaden 

»passirt«. Ist das Instrument genau orientirt , so erhält man auf diese 

Weise unmittelbar die Uhrzeit seiner Culmination ; im andern Falle muss 

an der beobachteten Uhrzeit die Correctlon 

Sin z . Cos z 1 

■ o • ' 



Cos B Cos 8 Cos B 
angebracht werden, um die Uhrzeit der wahren Culmination zu finden. 

Der Unterschied zwischen den in solcher Weise corrigirten Culmi- 
nationszeiten zweier Gestirne muss nun den Unterschied ihrer Beotascen- 
sionen unmittelbar geben, insoweit die Uhr genau nach Sternzeit rpgulirt 
ist, d. h. zwischen zwei auf einander folgenden gleichbenannten Culmina- 
tionen desselben Gestirns genau 24 Stunden angiebt, und diese Zwischen- 
zeit gleichförmig eintheilt. Dies ist jedoch im Allgemeinen nicht der 
Fall, weshalb die unmittelbar beobachteten Zeitunterschiede einer Cor- 
rectlon bedürfen , was von der Acceleration oder Retardation der Uhr 
herrührt. Der Uhrgang wird nun entweder dadurch bestimmt , dass man 
mehrere aufeinanderfolgende Durchgänge mit der Uhrzeit vergleicht, oder 
auch dadurch, dass man mehrere Sterne, deren Rectascensionen nach 
zahlreichen vorhergehenden Beobachtungen sehr genau festgestellt wor- 
den sind, nach einander beobachtet. Das letztere Verfahren ist insofern 
vorzuziehen, als man eigentlich nicht voraussetzen darf, dads der Gang 
einer Uhr während des Verlaufs von 24 Stunden vollkommen unverändert 
bleibt, welche Voraussetzung jedoch n(5thig wäre , wenn man den Gang 
aus Beobachtungen bestimmen wollte , die 24 Stunden von einander ab- 
stehen. Einige Bectascensionsdifferenzen muss man freilich hier schon 
im Voraus als bekannt annehmen; das Verfahren ist mithin kein absolu- 
tes , und man scheint sich in einem Kreise zu bewegen ; denn um be- 
kannte Reotascensionsdifferenzen zur Verfügung zu haben, muss nmn sich 
doch irgend einmal auf die Uhr haben verlassen können. — In der That 
ist es auch so geschehen , aber mit dem klaren Bewusstsein , dabei einen 
Fehler begangen zu haben, dem jedoch nicht zu entgehen war. 



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§ 13. Astronomische Beoba^chtungen und Instrumente. 279 

Wenn nun die Abweichungen des Uhrganges ganz regellös »ind, 
d. h. wenn der wirkliche Gang zuweilen etwas grösser, zuweilen wieder 
etwas kleiner als der mittlere ist ; wenn ferner diese Abweichungen keine 
Abhängigkeit von der Tageszeit verrathen, so kann man annehmen , dass 
das Mittel aus mehreren beobachteten Bectascensionsdifferenzen dessel- 
ben Stempaares frei yon den Fehlem de« Uhrganges ist. Es ist aber kei- 
neswegs wahrscheinlich , dass der Uhrgang in einem gegebenen Augen- 
blicke von der Tageszeit völlig unabhängig sei , namentlich wenn die Uhr 
in der Nähe des Instmments aufgestellt ist; imGegentheil muss als höchst 
walirseheinlich angenommen werden, dass der Uhrgang in mehr oder we- 
niger hohem Grade durch die täglichen Temperaturänderungen beein- 
flasst wird. Ans diesem Grunde ist es unumgänglich nothwendig, densel- 
ben Bectascensionsunterschied zu verschiedenen Jahreszeiten zu bestim- 
men, wodurch derselbe auch zu verschiedenen Tageszeiten , mithin unter 
umgekehrten Temperaturverhältnissen beobachtet wird ; denn ein Stern, 
welcher an einem gewissen Datum gleichzeitig mit der Sonne culminirt, 
geht t) Monate später um Mitternacht durch den Meridian. Das Mittel der 
auf diese Weise bestimmten Rectascensionsunterschiede kann man mit 
einigem Recht als frei von den systematischen Fehlern im Gange der Uhr, 
ebenso wie von andem Fehlem, die regelmässig im Laufe des Tages wie- 
derkehren, ansehen. 

-In neuerer Zeit ist es gelungen , die Fehler des Uhrganges wesent- 
lich zu beschränken. Während man früher genöthigt war, die Uhr in 
unmittelbarer Nähe des Durchgangsinstrumentes zu haben , um den Se- 
kundenschlag hören zu können und dieselbe dadurch jeder Teniperatur- 
ändernng aussetzen musste, ist dies gegenwärtig nicht mehr erforderlich. 
Man kann im Gegentheil die Uhr in einem Zimmer mit möglichst gleich- 
massiger Temperatur aufstellen, wenn man sie mit einem elektrischen 
Strome in Verbindung bringt, und zwar so , dass der Strom zu jeder Scr 
künde entweder geschlossen oder unterbrochen wird. Durch eine solche, 
überdies mit einem elektromagnetischen Apparat passend verbundene 
Vorrichtung können die Sekundenschläge am Instrumente gerade so ver- 
nommen werden , als ob die Uhr selbst in unmittelbarer Nähe sich be- 
fände. 

Die Genauigkeit eines beobachteten Durchganges hängt von der 
Schärfe ab, mit welcher man die Fadenantritte der Sterne auffassen kann. 
Um die Genauigkeit der einzelnen Durchgänge noch zu vergrössern , be- 
obachtet man den Stern nicht nur am Mittelfaden , sondern auch an ande- 
ren, ihn symmetrisch umgebenden Seitenfäden. Die an diesen Fäden be- 
obachteten Antrittszeiten können jedoch durch 'eine sehr leichte Rech- 
nung auf den Mittelfaden reducirt werden, d. h. es kann die Zeit berechnet 
werden , zu welcher der Stern am Mittelfaden hätte erscheinen müssen. 
Man erhält somit bei jedem Meridiandurchgang des Sterns mehrere Be^ 
Stimmungen der Zeit seines Durchganges. Die Formel , nach welcher die 



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280 in. Kapitel. Die Beobaebtangskunst unserer Zeit. 

Bediiction auf den Mittelfaden berechnet wird , findet sic^ in derselben 
Weise , wie der Einfluss des Collimationsfehlers auf den beobachteten 
Stundenwinkel. In der That, die Beobachtung an einem Seitenfaden, 
dessen Abstand vom Mittelfaden /ist, muss zu demselben Resultate füh- 
ren, wie eine Beobachtung am Mittelfaden , dessen CoUimationsfehler / 
wäre. Die Reduction berechnet sich daher nach der Formel : 

^ Nachdem die Antrittszeiten an den einzelnen Fäden auf den Mittel- 
faden reducirt worden sind , ist man im Stande , aus der Uebereinstim- 
mung der verschiedenen Bestimmungen einen Schluss sowohl auf ihre 
eigene Grenauigkeit, wie auch auf die des Mittels zu ziehen. Wir führen 
hier zwei Beispiele an , bei denen die Reductionsrechnungen schon aus- 
geführt sind, so dass die angeführten Zahlen unmittelbar die beobachte- 
ten Uhrzeiten des Durchganges durch den Mittelfaden bedeuten. Die be- 
treffenden Beobachtungen wurden den 2. December 1874 auf der Stock- 
holmer Sternwarte angestellt ; es fanden sich dabei : 
Y CeDhei Abweichung 



23h 3§in 4f78 


+ 0!43 


4.08 


— 0.27 


4.13 


— 0.22 


4.37 


-f-0.02 


4.18 


— 0.17 


4.35 


0.00 


4.11 


— 0.24 


4.62 


+ 0.27 


4.50 


+ 0.15 


4.32 


— 0.03 


4.64 


+ 0.29 


4.09 


— 0.26 


23 36 4.35 





zAndromedae 


Abweichung 
vom Mittel 


Oh 3111 47f77 


+ 0?07 


47.74 


+ 0.04 


47.70 


0.00 


47.69 


— O.Ol 


47.77 


+ 0.07 


47.58 


— 0.12 


47.64 


— 0.06 


47.65 


— 0.05 


47.77 


+ 0.02 


47.68 


- 0.02 



3 47.70 



Wenn unbekannte Grössen aus Gleichungen bestimmt werden sollen, 
deren bekannte Glieder durch Beobachtungen gegeben sind , so geschieht 
es oft, dass eine grössere. Anzahl Gleichungen vorhanden ist, als man Un- 
bekannte zu bestimmen hat. In der Regel ist es in solchen Fällen nicht mög- 
lich , sämmtlichen Gleichungen zu genügen ; denn wenn auch die exaeten 
Werthe der Unbekannten gegeben wären und man sie in den gegebenen 
Gleichungen einsetzte, so blieben doch kleine Grössen nach, die den unver- 
meidlichen Beobachtungsfehlem zugeschrieben werden mtissten. Diese 
Erscheinung lässt sich auch in anderer Weise darlegen. Wählt man unter 
den Gleichungen in beliebiger Weise eine so grosse Anzahl heraus, dass 
die Unbekannten bestimmt werden können , so wird man im Allgemeinen 



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§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 281 

andere Werthe fQr dieselben finden, als wenn man die Auswahl in anderer 
Weise vorgenommen hätte. Führtman die so gefundenen Werthe der Unbe- 
kannten in sämmtlichen Gleichungen ein, so wird zwar denjenigen genügt, 
welche zu derBestimmung dienten, bei den übrigen werden aber Ab weichun- 
gen stattfinden und diese jetzt um so grösser sein, als sie nicht nur von den 
Beobachtungsfehlem herrühren, sondern auch von den Fehlem der ge- 
fundenen Werthe für die Unbekannten. Man kann also offenbar die Un- 
bekannten in mehrfacher Weise bestimmen; es fragt sich aber, welche 
von den möglichen Bestimmungen die beste sei, oder wie die beobachte- 
ten Werthe mit einander verbunden werden müssen , damit die Bestim- 
mung der Unbekannten möglichst frei von dem Einflüsse der Beobach- 
tungsfehler werde. Die Antwort auf diese Frage lautet zunächst : die- 
jenige Auflösung ist die vortheilhafteste, welche die 
wahrscheinlichste ist. Beleuchten wir das Gesagte durch ein ein- 
faches Beispiel. 

Das Beispiel soll eine Uhrvergleichung behandeln. Wir nehmen 
an, dass während einer Anzahl Tage zwei Uhren mit einander verglichen 
werden, und zwar immer zu derselben Tageszeit, sowie dass man aus die- 
ser Vergleichung erstens die Differenz der Uhren zu einer gegebenen 
Zeit, zweitens ihren relativen Gang, d. h. die Quantität , um welche diese 
Differenz tägliclv geändert wird , herleiten will. Jede beobachtete Diffe- 
renz {D) führt zu einer Gleichung der folgenden Form , wo ^ die in Tagen 
ausgedrückte Zeit, x die Differenz der beiden Uhren zur Zeit < = 0, und y 
den täglichen relativen Gang bezeichnen : 

Der Kürze wegen führen wir nur drei Gleichungen an , also die Resultate 
von drei Vergleichungen ; wenn wir die Zeit von der ersten Vergleichung 
an zählen , so muss in der entsprechenden Gleichung ^ = gesetzt wer- 
den; in der zweiten Gleichung , die aus der Vergleichung des folgenden 
Tages hervorgeht, hat man ^ ^ 1 anzunehmen , und in der dritten endlich 
< BS 2. Die somit entstandenen Gleichungen sind die folgenden: 
1872 Juni 4 59?30 = x 

» » 5 58.25 ss= a: -h y 

» » 6 56.97 = a; 4- 2y 

Wenn man aus diesen Gleichungen zwei und zwei mit einander ver- 
bindet , so erhält man drei verschiedene Combinationen , und aus jeder 
dieser Combinationen findet man besondere Werthe der Unbekannten. 
Combinirt man die erste Gleichung mit der zweiten, so finden sich 
X s= 59!30 und y = — 1!05; aus der ersten und dritten ergeben sich 
X = 59.30 und y = — 1.165 und aus der zweiten und dritten endlich 
X =s 59.53 und y == — 1.28; aber zugleich zeigt es sich, dass man nicht 
mittelst eines einzigen Systems von Werthen der Grössen x und y den an- 
gesetzten Gleichungen genügen kann. Es ist demnach unmöglich , exacte 
Werthe für die unbekannten Grössen zu finden , d. h. Werthe , welche, in 



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282 ni. Kapitel. Die Beobachtnngskunst unserer Zeit. 

die Gleichungen eingesetzt, diese identisch maehen , und solches ist auch 
in der Natur der Sache begründet ; denn wie könnte man hoffen, vollkom- 
men richtige Werthe von gesuchten Grössen aus Gleichungen zu finden, 
die selbst nicht als völlig richtig angenommen werden können , sondern 
mehr oder weniger durch Beobachtungsfehler entstellt sind. Wenn man 
daher nicht die wahren Werthe der unbekannten Grössen finden kann , so 
muss man wenigstens streben die möglichst besten zu erhalten , zu denen 
die vorhandenen Beobachtungen führen können. 

Die Güte einer derartigen Bestimmung benrtheilt man nach der 
Grösse der übrigbleibenden »Fehler« , wenn man die numerischen Werthe 
der Unbekannten in die gegebenen Gleichungen einführt. Man hat nun 
den Grundsatz aufgestellt , dass das arithmetische Mittel einer 
Anzahl mit gleicher Sorgfalt beobachteten Werthe die 
wahrsoheinlichi^te Bestimmung einer zu ermittelnden 
Grösse ist, welche ausden gegebenen Beobachtungen ge- 
folgert werden kann. Aus diesem Principe leitet man durch eine 
Analyse, die hier nicht mitgetheilt werden kann , den folgenden Satz ab, 
der auch bei Bedingungsgleichungen mit mehreren Unbekannten Anwen- 
dung findet, nämlich: unter allen Syst|emen vonWerthen der 
Unbekannten, welche ans einer gegebenen Anzahl von Be- 
dingungsgleichungen gefolgert werden können, ist das- 
jenige das wahrscheinlichste, welches die Summe der Qua- 
drate der übrigbleibenden Fehler geringer werden lässt, 
als irgend ein anderes System. Nach diesem Satze lassen sich 
Eegeln entwickeln, vermittelst welcher die Werthe der Unbekannten in 
einer ganz bestimmten Weise berechnet werden können. Diese Begeln 
geben zunächst an , wie man aus den gegebenen Bedingungsgleichungen 
ein System von genau so vielen Gleichungen herzuleiten hat, als Unbekannte 
vorhanden sind. Die Gleichungen dieses Systems sind immer vom ersten 
Grade, so dass die Lösung in gewöhnlicher Weise vorgenommen werden 
kann.*) Die Vorschriften, nach welchen unbekannte Grössen in der an- 



*) Die Auflösung zweier Gleichungen ersten Grades mit zwei Unbe- 
kannten ist sehr einfach. Hat man z. B. 

n *= aa; -H fty 
n' = a'x + h'y 
SC) multiplicirt man die erste mit h' und die zweite mit — A, wonach die 
Summe der Producte die folgende wird : 

nh' — n'h sz X [ah' -^ a'h] 

woraus folgt x = —r-, 77 . 

ab — ab 

Indem ferner die erste der angesetzten Gleichungen mit — «'und die zweite 

mit a' multiplicirt wird, findet man aus der Summe der Producte : 

n'a — na 

^'^ äh'-^a'h ' 

Bei grösserer Anzahl der Gleichungen und der Unbekannten wird in 



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§ 13. Astronomisehe Beobachtungen und Instrumente. 283 

gedeuteten Weise bestimmt werden, nennt man die Methode der 
kleinsten Quadrate.*) Der Grund zu dieser Benennung dürfte aus 
dem Voranstehenden zur Genüge hervorgehen. 

Werden nun unsere oben angeführten drei Gleichungen nach der 
Methode der kleinsten Quadrate behandelt, so ergiebt sich : 
= — 174.52 -1-3« + 3y 
0« — 172.19 4-3«-}- 5y, 
woraus man erhält: « = + 59!33S und y «= — 1!165. 

Dass die Lösung durch die Methode der kleinsten Quadrate that^ 
sächlich mit dem Principe des arithmetischen Mittels übereinstimmt, lässt 
sich in unserem einfachen Falle leicht zeigen. Bilden wir aus den drei 
Gleichungen das arithmetische Mittel, so ergiebt sich : 

58M73 =ar-t-y. 
Die Differenzen dieser Gleichung mit der ersten und dritten der ursprüng- 
lichen Bedingungsgleichungen liefern -. 

y = — 1!127 
y = — 1.203 , 
also im Mittel : 

y»* — l?lt)5. 

Wird dieser Werth in der so eben gefundenen Gleichung eingeführt, so 
tindet sich 



nahezu derselben Weise verfahren: man combinirt zwei und zwei der 
Gleichungen und kann wie vorhin jedesmal eine Unbekannte wegschaf- 
fen. Damit fährt man fort, bis eine einzige Unbekannte nachgeblieben 
ist, die direct bestimmt werden kann. 

*) Ohne hier den Beweis ihrer Richtigkeit mitzutheilen , dürfte es 
doch angemessen sein , die Formeln anzuführen , wonach das S]^stem der 
Endgleichungen hergeleitet wird , aus welchem die wahrscheinlichsten 
Werthe zweier Unbekannten gefunden werden. Die Bedingungsgleichun- 
gen seien die folgenden : 

==s n -j- ax -i- bu 

s=r »' 4- a'a: + 6^ 

= w"-f-a"«-H6"y 

u. s. w., 

wo die Grössen n , w', «", u. s. w. aus Beobachtungen gefunden worden 

sind. — Bildet man nun die Summen : 

[na] =:^na-i' n'a' -H w'V -|- . . . 
[nh\^nh 4- «'6' -}- «"6" 4- • • • 

[aa] » aa 4- a'a' 4- «'V' + • • • 
[hh] = bb + b'b' 4- b"b" 4- . . . 

[ab] = ab 4- a'6' 4- a"ft" 4- . . . 
80 nehmen die Endgleichungen folgende Form an : 

= [na] 4- [aa] x -f- [ah] y 
0=: [nb] 4- [ab] «4- \bb]y 
und die wahrscheinlichsten Werthe der Unbekannten werden hiermit : 
^ [ nb\ [ab] — [na] [66] __ [na\ [ab] — [w6l {aa\ 

* \aa] Sbb] — [ab] [ab] ^ "* [aa] [hb] — [ab] [ab] 
In ganz analoger Weise werden die Endgleichungen gebildet, wenn 
die Anzahl der Unbekannten grösser als zwei ist. 



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284 m. Kapitel. Die Beobaehtungskuiut unserer Zeit. 

X ^ 59*33S , 
also genau derselbe wie zuvor. — Im Allgemeinen lässt sich jedoch das 
Prineip des arithmetischen Mittels nur selten so direct anwenden ; denn 
man darf keinesfalls stets die Bedingungsgleichungen direct in Bezug auf 
eine der Unbekannten auflösen, um deren Elimination vorzunehmen. 
Sind daher die Bedingungsgleichungen nicht von vornherein so beschaf- 
fen, dass eine Unbekannte durch das arithmetische Mittel aller Gleichun- 
gen eliminirt werden kann, so müssen die Formeln der kleinstenQuadrate 
zur Anwendung kommen. Wie man zu ganz falschen Resultaten geführt 
werden kann, wenn diese Vorschrift nicht beachtet wird , ist am deutlich- 
sten aus einem Beispiele zu ersehen. Gresetzt es sei an einem Tage eine 
Grösse x 10 mal gemessen worden, und diese Messungen hätten zu der 
Gleichung 

10 a; = 10,0274 
geführt. Am zweiten Tage sei dieselbe Grösse, aber nur ein einziges Mal, 
gemessen ; durch diese Messung möge erhalten sein 

a?s= 1.0029. 
Es wäre nun ganz falsch, wenn man die erste Gleichung zunächst in Bezug 
auf a; auflöste und hiernach das arithmetische Mittel bildete; man würde 
dann finden : 

a:= 1.00282, 
während, wenn man richtig verfahren will , das Mittel aus beiden Glei- 
chungen gebildet, oder die Summe der Gleicliungen durch 11 dividirt 
werden muss. Man erhält somit 

a:= 1.002752. 
Der Grund zu diesem abweichenden Verfahren ist der , dass die erste 
Gleichung 10 mal so grossen Einfluss auf das Resultat ausüben soll als 
die zweite, weil sie aus 10 einzelnen Messungen hervorgegangen ist. Sie 
hat, wie man sich ausdrückt, 10 mal so grosses Gewicht als die zweite. 
Wenn aus Beobachtungen ein Resultat hergeleitet werden soll, so ist also 
genau darauf zu achten , dass jede Bedingungsgleichung ihrem Gewichte 
nach Stimmberechtigung erhält. 

Wenn nun die wahrscheinlichsten Werthe in die Bedingungsglei- 
chungen eingeführt werden , so erhält man in der Regel nicht Resultate 
der Form = 0, sondern es bleiben kleine Grössen nach , die , wie schon 
oben erwähnt , zum Theil davon herrühren , dass die Beobachtungen nie 
absolut fehlerfrei sind, zweitens aber daher, dass man nicht die wahren 
Werthe der Unbekannten in die Gleichungen eingeführt hat , sondern die 
wahrscheinlichsten, welche aber doch mehr oder weniger von den wahren 
abweichen können. Es ist sehr nützlich und zugleich interessant, die Na- 
tur dieser »nachbleibenden Fehler« zu untersuchen , denn nur auf diesem 
Wege ist es möglich geworden , ein Urtheil über die Sicherheit der aus 
den Beobachtungen erlangten Resultate zu gewinnen. Man hat gefunden, 
indem man die restirenden Fehler nach ihrer Grösse ordnete, dass die 



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§ 13. Astronomisclie Beobachtungen und Instrumente. 285 

kleinen Fehler sehr viel häufiger vorkommen als die. grösseren, und über- 
dies dass die Häufigkeit 'nach einem gewissen Gesetze abnimmt, un^ zwar 
desto mehr, je grösser der Fehler ist. Mathematisch drückt man dies 
folgendermassen aus: die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers wird desto 
geringer, je grösser der Fehler ist. 

Selbstverständlich ist die Grenauigkeit eine sehr verschiedene bei 
verschiedenen Instrumenten und Beobachtungsarten. Um nun eine Ver- 
gleichung der Resultate aus verschiedenen Beobachtungen möglich zu 
machen, hat man den Begriff des wahrscheinlichen Fehlers auf- 
gestellt. Hierunter versteht man einen Fehler von solcher Grösse , dass 
ein grösserer Fehler eben so häufig vorkommt, wie ein kleinerer. Theilt 
man also sämmtliche Fehler ihrer Grösse nach in zwei Gruppen ein , so 
dass jede Gruppe gleich zahlreich ist, so ist der wahrscheinliche Fehler 
derjenige, welcher der Grösse nach in der Mitte der beiden Gruppen liegt. 
Die Grösse der einzelnen Fehler hat man hierbei ganz ohne Rücksicht auf 
ihre Zeichen zu betrachten. 

Wir gehen nun zurück zu den Beispielen der auf den Mittelfaden 
reducirten Fadenantritte. Bei dem ersten waren 12 beobachtete Werthe 
des Meridiandurchgangs und bei dem zweiten 10 angeführt. Wir theilen 
also die zwölf Unterschiede zwischen Beobachtungen und deren Mittel 
bei f Cephei in zwei Gruppen, von denen jede sechs Abweichungen ent- 
hält. Die Gruppe der grösseren Abweichungen enthält die Fehler : — 0!43, 
-f- 0!27, -f. 0!24, — 0?27 , — 0!29 und H- 0?26; die der kleineren: + 0!22, 
— 0!02, -h ü!17, O.üO, — 0?15 und 4- 0!03. Man sieht also, dass der wahr- 
scheinliche Fehler kleiner als ± 0!2-l und grösser als ± 0?22 ist; derselbe 
muss demnach ohngefähr Jt Ö!23 sein. Wenn wir nun sagen : der wahr- 
scheinliche Fehler ist ± 0!23, so meinen wir damit, dass Eins gegen Eins 
gewettet werden kann , der Fehler eines Fadenantritts bei y Cephei be- 
trägt nicht mehr als rb 0!23 , und zwar hat man dabei eben so viele 
Chancen zu gewinnen, als zu verlieren. — Bei a Andromedae finden wir 
die folgenden Gruppen, jede aus fünf Fehlern bestehend : — ü!07, — 0Ü07, 
-H ü!12, H- 0!06 und — 0!07 ; — 0!04, 0!00 , -h 0!01 , + 0?05 und + 0!02. 
Der wahrscheinliche Fehler liegt also zwischen ± 0!06 und ± 0^05 ; wir 
können ihn zu ± 0!055 schätzen. 

Bei einer grösseren Anzahl von Beobachtungen würde es zu mühsam 
sein, den wahrscheinlichen Fehler in der soeben beschriebenen Weise zu 
berechnen. Man hat daher ein rein mathematisches Verfahren ersonnen, 
wodurch der Werth des wahrscheinlichen Fehlers durch Rechnung gefun- 
den wird. Weil die Methode nicht den wahren , sondern nur den wahr- 
scheinlichsten Werth geben kann , so muss man sich darauf vorbereiten, 
zuweilen kleine Unterschiede zwischen der durch Rechnung erhaltenen 
Bestimmung und der durch die eben vorgetragene Methode der directen 
Abzahlung zu finden , und dies um so mehr, als die abzählende Methode 
auch nur einen wahrscheinlichen Werth geben kann. Die Uebereinstim- 



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286 



III. Kapitel. Die Beobachtungskuost unserer Zeit. 



mung der durch beide Metboden erhaltenen Besultate wird aber um bo 
grösser sein , je grösser die Anzahl der yorhandenen Fehler ist. Durch 
Rechnung findet man den wahrscheinlichen Fehler nach folgenden Begeln. 
Zunächst werden die Quadrate sämmtlicher Aliweichungen gebildet; die 
Summe dieser wird durch die Anzahl der Beding^ngsgleichungen weniger 
der Anzahl der Unbekannten dividirt , worauf di^ Quadratwurzel aus die- 
sem Quotienten, multiplicirt mit dem constanten Factor 0.6745, den nume- 
rischen Betrag des wahrscheinlichen Fehlers giebt. — Unsere Beispiele 
sollen nun nach dieser Begel berechnet werden. Zunächst finden wir die 
Quadrate der Fehler bei 



f Cephei 


a Andromedae 


0.1859 


0.0049 


0.0729 


0.0016 


0.0484 


0.0000 


0.0004 


0.0001 


0.0289 


0.0049 


0.0000 


0.0144 


0.0576 


0.0036 


0.0729 


0.0025 


0.0225 


0.0049 


0.0009 


0.0004 


0.0841 


0.0004 


0.0676 




Summe = [v2] » 0.6411 


[«2] = 0.0373 


|/M^ 0.2414 


|/ij« 0.0644 


w. F. « ± 0!164 


w. F. == ± 0!043 



Die letzte Bestimmung giebt nicht unbeträchtlich abweichende Re- 
sultate von der früheren, was indess nicht auffallen darf, da die Anzahl 
der betrachteten Fehler in jedem Falle sehr gering war. Eine ganz ge- 
ringe Aenderung im Betrage einiger derselben hätte genügt , um eine viel 
grössere Uebereinstimmung zwischen den durch die beiden Methoden er- 
aielten Besultaten hervorzubringen. 

Wir sehen aber ganz unzweideutig , dass der wahrscheinliche Fehler 
bei Y e p h e i bedeutend grösser als bei a A n d r o m e d a e ist ; den ersten 
können wir zu ± 0!20 , den letzteren zu ± 0!05 schätzen. Die Ursache 
dieser Erscheinung liegt in dem Umstände, dass y Cephei viel nördlicher 
steht als aAndromedae und sich folglich viel langsamer in der täg- 
lichen Bahn fortbewegt. In der That , während ein Zehntel der Sekunde 
bewegt sich a Andromedae über einen Baum von etwa 1| Bogen- 
sekunde, eine Grösse , die man mit den jetzt gebräuchlichen Vergrösse- 
rungen sehr gut sehen kann ; dagegen bewegt sich y Cephei in dersel- 
ben Zeit nur 0"34 , was man nicht immer bei der Art und Weise , wie 
Durchgänge beobachtet werden , bemerken kann. Die Bestimmung des 



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§ 13. Attronomische Beobachtungen und Instrumente. 287 

Ortes von y ^^P^^^ ^st aber trotssdem etwa eben so genau wie die tob 
aAndromedae. Multiplicirt man nämlieh die gefundenen wahrscheinli- 
chen Fehler mit 15 Coso, so erhält man ihren Betrag ausgedrückt in Sekun- 
den des grOssten Kreises ; erst nach dieser Verwandlung sind die bei den 
verschiedenen Sternen gefundenen wahrscheinlichen Fehler mit einander 
vergleichbar. In unserem Beispiele findet man auf solche Weise die 
Werthe 0'.'6S und 0'166, welche näher, als erwartet werden konnte, mit ein- 
ander übereinstimmen. 

Sobald der wahrscheinliche Fehler einer Beobachtung gefunden 
worden ist, erhält man den des Mittels aus mehreren Beobachtungen , in- 
dem ersterer durch die Quadratwurzel aus der Anzahl der letzteren dividirt 
wird. Nimmt man also an , dass der w. F. eines beobachteten Fadenan- 
trittes im.Bogen grOssten Kreises ±0'.'66 beträgt, so beläuft sich der w. F. 
des Mittels aus 9 Beobachtungen auf 

0':66 

Mit solcher Genauigkeit fasst man gegenwärtig die Richtutig eines Him- 
mel8k($rpers durch eine einzelne Beobachtung durchschnittlich auf. Die 
Wiedergabe dieser Richtung ist indess etwas weniger sicher, weil sie von 
der Genauigkeit abhängt, mit welcher die Neigung der horizontalen Axe, 
der CoUimationsfehler und das Azimuth , sowie endlich der Uhrstand und 
ührgang ermittelt werden konnte. Der wahrscheinliche Fehler eines Me- 
ridiandurchganges und folglich auch einer beobachteten Rectascension ist 
demnach grösser als der eines einfachen Durchganges durch das Fadenr 
netz. Wenn die Uhrcorrectionen vermittelst der Rectascensionen bekann- 
ter Sterne, sog. Fundamentalsterne, bestimmt werden , so kann 
man den w. F. einer beobachteten Rectascension unter günstigen Ver- 
hältnissen zu o"A bis 0'^5 oder sogar noch etwas geringer anschlagen. 

Anstatt die Zeitmomente der Fadenantritte nach dem Gehör zu no- 
tiren, indem den Sekundenschlägen der Uhr gefolgt wird, kann man die- 
selben durch Schliessen eines elektrischen Stromes bemerklich machen. 
Der Beobachter hält einen Taster in der Hand, mit welchem er durch einen 
Druck den Strom in dem Augenblicke schliesst, wo der Stern einen Faden 
passirt und somit die Fadenantritte des Sterns signalisirt. An einem so- 
genannten Registrirapparate werden diese Signale vermittelst eines Elek- 
tromagneten sichtbar gemacht, und zwar auf einem fortgleitenden Papier- 
streifen durch Punkte, neben denen andere Punkte in gleichen Abständen 
von einander die Sekundenschläge der Uhr darstellen. Durch Schätzung 
des Abstandes zwischen einem registrirten und einem Sekundenpunkt 
schliesst man dann auf die Zeit des Fadenantrittes. Man erreicht auf diese 
Weise eine etwas grössere Genauigkeit , als wenn man nach dem Gehör 
beobachtet. 

Die Neigung des Aequators gegen den Horizont oder die Polhöhe 
des Beobachtuugsortes bestimmt man durch Messen der Höhen desselben 



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288 ni. Kapitel. Die Beobachtungskunst uneerer Zeit. 

Gestirns in seiner oberen und unteren Oulmination. Die Poldistanz eines 
Sterns sei p ; seine Hohe in der oberen Oulmination sei h , in der unteren 
Ai ; alsdann ist, wenn cp die PolhOhe bezeichnet : 

Ä« 9-f-|>, oder« 180*» — <p— j>*) 

, Aus diesen Gleichungen ist zu ersehen, dass die Polhöhe eines Ortes 
unmittelbar und unabhängig von jeder früheren Bestimmung gefunden 
werden kann, indem das arithmetische Mittel aus den beiden beobachte^, 
ten Höhen h und Ai gebildet wird. Man findet nämlich 

-^ 9. 

Wenn der Stern in seiner oberen Oulmination südlich vom Zenith 
den Meridian passirt, so erhält man die Polhöhe aus der Differenz der bei- 
den Höhen ; es ist in diesem Falle 

Anderseits findet man auch die Poldistanz oder die Declination eines 
Oircumpolarstems, ohne die Polhöhe zu kennen ; culminirt der Stern zwi- 
schen dem Zenith und dem Pole, so ist 



2 

im andern Falle hat man wiederum 
Ä + Ai 



^P 



2 =W-i>-8. 

Nachdem einmal die Polhöhe bestimmt worden ist , findet man die 
Declination derjenigen Sterne , welche nicht in der unteren Oulmination 
sichtbar sind, aus der Formel : 

§=cp — z = 9— (90" — h) . 
Diese Formel gilt indessen nur für Sterne , die südlich vom Zenith culmi- 
niren ; für Sterne, welche zwischen dem Zenith und dem Pole den Meri- 
dian passiren, ist 

jp s= A — cp =r. 90** — 5 
oder 

90<» — 5 = 90° — Ä — cp ; S = cp -f- s . 

Es muss jetzt vor allen Dingen dargelegt werden, wie die Höhen der 
Gestirne im Allgemeinen gemessen werden; denn auf diese Aufgabe 
wurde nicht nur die Bestimmung der Lage des Aequators in Bezug auf 
den Horizont , sondern auch die der Declinationen zurückgeführt. Zur 
Messung der Höhen, oder verticaler Winkel überhaupt , bedient man sich 
eines Femrohres, welches um eine horizontale Axe bewegt werden kann. 
Die Gesichtslinie des Fernrohres beschreibt also , wenn letzteres bewegt 



*) Die letztere Gleichheit findet statt , wenn der Stern südlich vom 
Zenith culminirt. 



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§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. ^gQ , 

■J 
wird, eine verticale Ebene. Parallel mit dieser Ebene, also senkrecht auf i 

die horizontale ümdrehungsaxe des Instruments, ist ein in Grade und 
Theile von Graden eingetheilter Kreis befestigt , und zwar so , dass die 
geometrische Axe des Instruments durch den Mittelpunkt des Kreises 
geht. Nimmt nun der Kreis an^ der Bewegung des Femrohres Theil , so 
wird man an ihm oinmittelbar ablesen können , um welchen Winkel die 
Gesichtslinie des Femrohres gedreht wird , wenn man es nach einander 
auf zwei Gegenstände richtet. Um die verschiedenen Richtungen jedoch 
an dem Kreise wahrnehmen zu können , ist es nothwendig , in der Nähe 
der Theilung einen Punkt fixirt zuhaben, der nicht an der Bewegung des 
Fernrohres Theil nimmt. Bei der Drehung des Fernrohres müssen so viele j 

verschiedene Gradstriche, als dem Winkel zwischen den beiden Richtun- *! 

gen entsprechen , den festen Punkt passiren , und es hat durchaus keine 1 

Schwierigkeit, die Anzahl dieser vorbeigehenden Theilstriche zu zählen, i 

um auf solche Weise den fraglichen Winkel angeben zu können. In der 
Regel sind nämlich die Theilstriche durch Zahlen und ungleiche Länge 
von einander unterschieden, so dass man mit Leichtigkeit erkennen 
kann, wie viele Grade und deren Unterabtheilungen bei dem fixen 
Punkte abzulesen sind. Diese Anzahl von Graden, Minuten, u. s. w. 
nennt man die Ablesung. Der feste Punkt wird entweder auf einer 
kleinen Platte verzeichnet , welche in der Nähe der Theilung irgendwie 
befestigt worden ist und Index benannt wird, oder auch durch einen 
Strich auf einem zweiten, sog. Nonien- oder Alhidaden-Kreise angedeu- 
tet, welcher den ersten, eingetheilten vollkommen umschliesst , übrigens 
aber von den beweglichen Theilen des Instruments isolirt ist , so dass er 
in keiner Weise der Bewegung des getheilten Kreises folgt. 

Wollte man indessen den eingetheilten Kreis nur vermittelst des 
Index oder vermittelst eines einzigen Striches auf dem umgebenden No- 
nien-Kreise ablesen, so würde man keine nennenswerthe Genauigkeit er- 
warten können. Auch bei den am feinsten eingetheilten Kreisen stehen 
doch zwei benachbarte Theilstriche einander nicht näher als 2 Minuten ; 
schätzt man nun die Lage des Indexstriches zwischen den zwei Nachbar- 
strichen auf der Theilung , so kann man im besten Falle diese Lage bis 
auf -^ der Minute angeben. Man kann aber die Richtung eines Himmels- 
körpers zufolge derVergrösserung des Femrohres am Kreise viel genauer 
auffassen, weshalb es als höchst wünschenswerth erscheint, die Genauig- 
keit der Ablesung steigem zu können. Hierzu hat man auch in der That 
verschiedene Mittel erfunden. Das besonders früher am meisten benutzte 
ist der sog. Non ins oder Vernier. Diese einfache Vorrichtung wird 
dadurch hergestellt, dass man auf dem Index oder auf dem festen Kreise 
mehrere Striche neben einander zieht, deren Abstand von dem Abstände, 
der Striche auf dem beweglichen Kreise etwas verschieden ist. Wir neh- 
men an, dass eine hinreichende Anzahl solcher Striche neben dem eigent- 
lichen Nullpunktsstriche gezogen sind , alsdann wird früher oder später 

Oyld^n, Astronomie. lO 



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^ 290 HL Oapitel. Die Beobachtuogakunat unserer Zeit. 

einer derselben mit einem Striche auf dem beweg^lichen Kreise sekr nahe 
coincidiren, wenn der Nullpunktsstrich auch ganz beliebig awischen zwei 
Strichen der Haupttheilung liegt. Von dieser Lage hängt aber selbstver- 
ständlich die Anzahl der Striche ab , welche zwischen dem Nullpunkts- 
striche und dem coincidirenden liegen ; zählt man diese Striche , so kaim 
man umgekehrt auf die Lage des NuUstric^es schliessen. Auf diese Weise 
kann man die Ablesung eines in %' getheilten Kreises mit einer Genauig- 
keit von 2" erhalten. Zu diesem Zwecke muss der Nonius , d. h. die ge- 
theilte Fläche auf dem Nonien-Kreise aus 60 Strichen bestehen, und der 
Abstand dieser Striche von einander 2' weniger 2" betragen, so dass, 
wenn ein Strich auf dem Nonius mit einem Striche auf dem Kreise genau 
coincidirt, die je zwei nächsten Striche 2" von einander abstehen. — um 
die Genauigkeit noch mehr zu erhöhen , bringt man bei Kreisen , welche 
sehr fein getheilt sind , gewöhnlich vier Nonien an , bei gröber getheil- 
ten nur zwei. Die Nonien liegen in gleichen Abständen von einander 
auf dem unbeweglichen Kreise. 

Eine noch viel weiter gehende Genauigkeit erlangt man mit Hülfe 
von Mikrometer schrauben in Verbindung mit Mikroskopen. Schon bei 
der Bestimmung des Collimationsfehlers (vgl. pag. 274) wurde die Be- 
nutzung der Mikrometerschraube erwähnt; ihre Beschreibung müs- 
sen wir jetzt kurz nachholen. Vor Allem handelt es sich hier 
um eine sehr sorgfältig gearbeitete Schraube, deren Gänge möglichst 
gleichförmig fortschreiten. Wird diese Schraube in einer Mutter ge- 
dreht, so erhält sie eine Bewegung vorwärts oder rückwärts je 
nach der Richtung der Drehung. Diese Bewegung kann aber als sehr 
gleichförmig und als den Umdrehungen der Schraube proportional ange- 
sehen werden. Mit Hülfe der Schraube kann man also eine sehr kleine Be- 
wegung hervorbringen , deren Grösse mit Leichtigkeit beurtheilt werden 
kann. Hierzu befestigt man an dem Ende der Schraube, welches angefasst 
wird, eine Trommel , die in gleiche Intervalle durch Striche eingetheüt 
ist; durch diese Vorrichtung lässt sich eine Bewegung beurtheilen, die 
einem sehr kleinen Theile einer ganzen Umdrehung der Schraube ent- 
spricht. Die Mikrometerschraube kann man nun so an dem Mikroskope 
befestigen, dass vermittelst ihrer ein kleiner Rahmen, über dem ein 
Spinnenfaden aufgespannt ist> senkrecht auf der optischen Axe hin und 
her bewegt werden kann ; wird das Mikroskop richtig über der Theilung 
des Kreises aufgestellt , so sieht man den Spinnenfaden zugleich mit den 
Theilstrichen und durch Bewegung der Schraube kann man denselben 
nach und nach mit verschiedenen Strichen zur Coincidenz bringen. Wir 
wollen nun annehmen , dass eine Umdrehung der Schraube den beweg- 
lichen Faden um ein halbes Intervall, d. h. um eine Minute , auf dem von 
2' zu T getheilten Kreise fortführt , sowie dass die Schraubentrommel in 
60 gleiche Theile getheilt ist ; die Drehung der Schraube um einen Trom- 
meltheil entspricht also dem einer Sekunde auf dem Kreise. An der 



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§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 291 

Trommel, deren Bewegung mittelst eines Index abgelesen wird, kann man 
also sehen, um wie viele Bekunden der Faden von derjenigen Lage, wel- 
che dem Anfangspunkte der Theilnng auf der Trommel entspricht, fortbe- 
w^ werden musste, um mit dem nächsten Striche auf dem Kreise zu co- 
incidiren. Es ist also möglich, die Lage des Kreises relativ zum Anfangs- 
punkte der Trommeltheilung, mithin auch die Richtung des Fernrohres 
mit grosser Genauigkeit zu ermitteln ; die Ablesung des Mikroskopes ist 
selten auf mehr als einige Zehntel der Sekunde unsicher. Zur Benutzung 
einer Mikrometerschraube gehört noch die Bestimmung des Werthes einer 
Umdrehung im Bogenmaasse. In dem soeben betrachteten Falle wurde 
zwar angenommen, dass der bewegliche Faden sich unter den Strichen 
der Theilung gerade eine Minute fortbewegen würde, wenn man die Trom- 
mel genau ein Mal umdrehte ; es lagst sich aber nicht erwarten , weder 
dass diese Beziehung zwischen der Drehung der Trommel und der schein- 
baren, im Maasse der Kreistheilung ausgedrückten Bewegung des Fadens 
sich absolut genau herstellen lässt , noch dass sie immer dieselbe bleibt. 
Der Werth einer Umdrehung ändert sich nämlich nicht nur in Folge der 
Temperaturschwankungen , sondern auch , wenn der Abstand des Mikro- 
skopes von der Kreistheilung vergrössert oder verringert wird. Will man 
mit einer Mikrometerschraube eine genaue Messung ausführen, so muss 
der Werth einer Schraubenrevolution (eines Mun ) demnach von Zeit zu 
Zeit untersucht werden , um die abgelesenen Trommeltheile richtig in 
Bogenmaass verwandeln zu können. Diese Untersuchung ist jedoch sehr 
leicht auszuführen : man braucht nur ein Intervall der Kreistheilung mit 
der Schraube zu messen und dabei zu beachten , in welchem Verhältnisse 
die abgelesenen Trommeltheile sich zu der Anzahl von Sekunden verhal- 
ten, welche das gemessene Intervall enthält. 

Bei grösseren Instrumenten hat man gewöhnlich vier Mikroskope, 
die in gleichen Abständen von einander über dem getheilten Kreise be- 
festigt sind ; die Nullpunkte ihrer Trommeln vertretenjetzt die Nullpunkts- 
striche der Nenien , welche zugleich mit dem Nonienkreise wegfallen. — 
Da es v(Mi Wichtigkeit ist, dass die Mikroskope eine unveränderte 
Lage gegen den Horizont beibehalten, so werden sie an einen gemeinsa- 
men sog. Mikroskopenträger befestigt, dessen Stellung mittelst eines 
Niveaus controUirt und dessen Veränderungen gemessen werden können. 
Bei Benutzung von Nonien wird das Niveau an dem Nonienkreise be- 
festigt. 

Die Zuverlässigkeit der Resultate , die man mit dem Kreise erhält, 
beruht natürlich in hohem Grade auf der Genauigkeit, mit welcher 
die Theilungsstriche auf dem Kreise aufgetragen worden sind. Wie 
gross aber auch die darauf verwandte Sorgfalt gewesen sein mag, 
so wird man doch nie annehmen können, dass sie mehr als jede 
andere . menschliche Arbeit von Fehlern frei sei : wenn verschiedene 

19* 



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292 ni. Kapitel. Die BeobaehtttngBkunBt ungerer Zeit. 

Intervalle mit den Mikrometerschrauben geprüft werden , so -wird man 
finden , dass diese nicht yöllig gleich sind , und dass folglich die Theil- 
Btriche nicht mit derselben Genauigkeit auf dem Kreise angebracht sind, 
mit der man ihre Abstände von einander, mithin auch Ton den Nullpunk- 
ten der Schraubentrommeln messen kann. Will man sich deshalb nicht 
mit einem weniger zuverlässigen Resultate begnügen , so muss die Thei- 
lung des Kreises einer genauen Prüfung unterworfen und die Fehler 
der einzelnen Striche bestimmt werden, so dass man sie nachher bei der 
Berechnung der Beobachtungen berücksichtigen kann. — Auch die Trom- 
meln der Schrauben müssen sorgfältig getheilt sein; die Fehler dieser 
Theilungen werden zusammen mit den etwaigen Fehlern der Schrauben 
untersucht und berücksichtigt. 

Die Bestimmung der Höhe eines Gegenstandes besteht darin , dass 
man den Winkel misst, welchen seine Richtung mit dem Horizonte bildet. 
Mittelst des Kreises führt man diese Messung in folgender Weise aus : der 
Gegenstand wird im Femrohre des Kreises eingestellt und zwar so , dass 
der horizontale Faden den einzustellenden Punkt verdeckt*), hierauf wird 
der Kreis abgelesen ; kennt man nun die Ablesung bei horizontaler Lage 
der Gesichtslinie, so giebt die Differenz dieser und der früheren Ablesung 
unmittelbar die gesuchte Höhe. Die Ablesung, welche dem Horizonte 
entspricht , ist aber nicht so leicht zu erhalten , weil man das Femrohr 
nicht unmittelbar gegen einen Punkt in dieser Ebene richten kann, son- 
dern einen solchen erst herstellen muss. Auch ist es nicht möglich , die 
horizontale Richtung mit Hülfe der Wasserwage direct zu bestimmen, 
und zwar deshalb, weil man kein directes Mittel hat, sich davon zu tiber- 
zeugen, dass die Gesichtslinie symmetrisch in Bezug auf die äusseren 
Theile des Fernrohres liegt, auf die man ein Niveau aufsetzen könnte. 

Eine horizontale Richtung , in der das Femrohr eingestellt werden 
kann, lässt sich nun folgendermassen angeben. In gleicher Höhe über 
dem Erdboden werden zwei astronomische Femröhre mit den Objectiven 
gegen einander aufgestellt; beide Femröhre, die man auch Collimato- 
ren nennt, sind mit Fadenkreuzen versehen, welche genau auf einander 
gerichtet werden müssen; alsdann ist aber die Richtung, welche von den 
beiden Fadenkreuzen bestimmt wird, horizontal. Die CoUimatoren sind 
übrigens so eingerichtet, dass man die Gesichtslinien unmittelbar nivelli- 
ren kann ; diese Femröhre sind nämlich um ihre optischen Axen drehbar 
und nicht etwa, wie das Femrohr des Kreises , um eine auf die Gesichts- 
linie senkrechte Axe. Stellt man nun den Kreis , nachdem die horizontale 
Richtung der CoUimatoren hergestellt worden ist, zwischen dieselben auf 



*j Häufig hat man im Felde des Fernrohres zwei horizontale Faden, 
zwischen welchen die Gestirne eingestellt werden. Hellere Sterne beob- 
achtet man jedoch genauer durch Bisection mittelst eines der Fäden. 



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§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 293 

und zwar so, dass das Femrohr des Kreises in der Ebene der durch die 
CoUimatoren bestimmten Bichtung zu liegen kommt, so lässt sich die 
horizontale Kichtung desselben herstellen, indem man es auf das Faden- 
kreuz eines der beiden CoUimatoren einstellt. Die Ablesung des Kreises 
ist jetzt die, welche dem Horizonte entspricht , und den entsprechenden 
Funkt des Kreises nennt man den Horizontpunkt. In der Regel be- 
stimmt man den Horizontpunkt mit beiden CoUimatoren und nimmt das 
Mittel aus beiden Bestimmungen. 

Die Resultate sollten in diesen beiden Fällen — von den unver- 
meidlichen Beobachtungsfehlem abgesehen — genau um 180° von einander 
verschieden sein; allein die Erfahrung hat gezeigt, dass dies nicht genau 
zutriflFt, sondem dass die Ablesungen des Kreises , indem das Fernrohr 
abwechselnd nach zwei, genau um 180** von einander liegenden Punkten 
gerichtet wird , einen davon etwas verschiedenen Winkel ergeben. Die 
Erklärung dieser durchaus constatirten Erscheinung muss in der Biegung 
der verschiedenen Theile des Fernrohres gesucht werden ; in Folge der 
Schwere werden nämlich die beiden Enden des Femrohres etwas gesenkt, 
so dass die Mittelpunkte des Objectives und des Oculars nicht auf dersel- 
ben geraden Linie mit einem Punkte der ümdrehungsaxe des Fernrohres 
liegen. Die Erscheinung ist ganz dieselbe, wie die der Durchbiegung einer 
langen Eisenstange , die in der Mitte untersttltzt ist. — Biegen sich die 
beiden Rohrhälften in genau derselben Weise , so wird der Einfluss der 
Biegung bei den Beobachtungen nicht bemerkt werden können , weil die 
Verbindungslinie zwischen den Mittelpunkten des Objectives und Ocula- 
res in diesem Falle stets parallel mit dem entsprechenden Durchmesser 
des Kreises bleibt, wie auch das Femrohr gerichtet sein mag. Wenn da- 
gegen die Rohrhälften einer ungleichen Biegung unterworfen sind , so 
kann die Gesichtslinie nicht bei den verschiedenen Richtungen des Fern- 
rohres demselben Durchmesser des Ej*eises parallel bleiben, und man 
wird alsdann die Höhen etwas anders finden , als wenn die Biegung nicht 
vorhanden wäre. Die Biegung ist bei verschiedenen Instrumenten natür- 
lich nicht dieselbe , aber immer sehr klein ; bei den besseren astronomi- 
schen Kreisen beträgt sie höchstens einige Sekunden. Diese Grösse ist aber 
erheblich genug, um bei der Genauigkeit der neueren Beobachtungen als 
sehr merklich zu erscheinen, und es muss daher jede gemessene Höhe oder 
Zenithdistanz wegen des Einflusses, der Biegung verbessert werden. Wie 
man leicht bemerkt , ist die Biegung Null , wenn das Femrohr gegen das 
Zenith oder den Nadir gerichtet wir,d, wenigstens sofern die Rohr- 
theile symmetrisch die G^sichtslinie umgeben; hat das Fernrohr da- 
gegen eine horizontale Lage, so muss der Einfluss der Biegung am 
grössten sein- — Mit Hülfe der CoUimatoren lässt sich die Biegung im 
Horizonte bestimmen. — Man hat gute Gründe anzunehmen, dass die Bie- 
gung dem Sinus der Zenithdistanz des beobachteten Gegenstandes pro- 
portional ist (die Erfahrung hat bis jetzt diese Annahme in genügender 



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294 III. K»piteL Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

Weise bettätigt) ; die Correction der beobachteten Zenitfadistansen hat 
daher die Form « 

b Sin £ , 
wo h die Biegung im Horizonte bedeutet. 

Statt den Horizontpunkt zu bestimmen , ermittelt man auch den Na- 
dirpunkt des Kreises, und dies lässt sich sowohl sicherer, wie gewöhnlich 
auch leichter ausführen. Die hierzu erforderliche Operation besteht ein- 
fach darin, dass man den horizontalen Faden mit seinem Bilde im Queck- 
silberhorizonte (vgl. pag. 273) zur Deckung bringt. Bei dieser Einstel- 
lung des Rohres ist die Gesichtslinie genau nach dem Nadir gerichtet und 
die Ablesung des Kreises giebt unmittelbar den Nadirpunkt, von dem der 
Zenithpunkt um 180®, der Horizontpunkt aber um 90® verschieden ist. 

Wenn der Kreis an der Axe des Durchgangsinstrumentes befestigt 
ist, wird das ganze Instrument ein Meridiankreis genannt; ein solcher 
kann also sowohl zur Bestimmung der Rectascensionen, wie auch zu der 
der Meridianhöhen verwendet werden , und liefert folglich auch die Pol- 
distanzen oder die Declinationen der Gestirne. Es giebt aber auch In- 
strumente, die ausschliesslich zur Bestimmung der verticalen Winkel Ver- 
wendung finden, und daher auch Verticalkreise genannt werden. 
Die horizontale Axe, welche sowohl den Kreis wie das Fernrohr trägt, ist 
,bei diesen Instrumenten um eine verticale Axe drehbar, so dass man die 
Lage des Fernrohres in Bezug auf den Kreis mit der grössten Leichtigkeit 
ändern kann : in der einen Lage befindet sich das Fernrohr östlich vom 
Kreise, in der andern westlich. Der Zenith- oder Horizontpunkt ist hier 
sehr leicht zu bestimmen, oder auch die Zenithdistanz eines Gestirns un- 
abhängig von der Bestimmung dieses Punktes zu finden. Wenn nämlich 
die Theilung in der einen Lage des Kreises in demselben Sinne wie die 
Höhe wächst, also eine grössere Ablesung für eine grössere Höhe giebt, 
so müssen in der andern Lage die fahlen abnehmen , je näher dem Ze- 
nith das Fernrohr gerichtet wird; in der einen Lage giebt die Ablesung: 

und in der zweiten 

a, « 360® ^h— H, 

wo H die Ablesung des Horizontpunktes bedeutet. Aus der ersten Ab- 
lesung erhält man : 

und aus der zweiten • 

Ä«=360® — Ol — JH"; 
das arithmetische Mittel aus beiden Bestimmungen giebt also die absolute 
Höhe, imabhängig von jeder Bestimmung des Horizontpunktes; das arith- 
metische Mittel der Ablesungen selbst giebt: 180® — H. 

Bei den Bestimmungen der Höhen , sei es von Gestirnen oder von 
entfernten Gegenständen auf der Erdoberfläche, muss noch ein Umstand 
in Betracht gezogen werden, der einen höchst bemerkenswerthen Erafluis 
auf die Resultate derselben ausübt.— Man weiss, dass die atmosphärisohe 



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§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 293 

Luft, so dünn und durchsichtig dieselbe auch erscheinen mag, gleichwohl 
in merklichem Grade die Fähigkeit besitzt, die Lichtstrahlen zu brechen 
oder von ihrer Anfangsrichtung abzulenken. Auf experimentälem Wege 
kann man sich leicht hiervon überzeugen. Man braucht zu diesem Zwecke 
weiter nichts als ein aus Glasscheiben zusammengesetztes Prisma , wel- 
ches mit einer Luftpumpe communicirt, so dass es mittelst derselben luft- 
leer gemacht werden kann. Wird die Luft im Prisma mehr und mehr 
verdünnt , so findet man , dass Lichtstrahlen , welche durch dasselbe 
gehen, immer merklicher von ihrer ursprünglichen Richtung abgelenkt 
werden. Wenn nun die Lichtstrahlen eines Gegenstandes, der sich ausser- 
halb der Atmosphäre befindet, das Auge erreichen, so haben sie die Luft- 
schichten der Atmosphäre durchlaufen und sind dabei gebrochen worden. 
Dasselbe ist der Fall, wenn die Lichtstrahlen eines terrestrischen Gegen- 
standes durch Luftschichten von verschiedener Dichtigkeit passiren müs- 
sen. In beiden Fällen werden die Gegenstände nicht in der wahren Rich- 
tung gesehen. Der Unterschied zwischen der wahren und der scheinbaren 
Bichtung eines Himmelskörpers nennt man die astronomische Re- 
fraction; für die Verwerthung der astronomischen Beobachtungen ist 
es selbstverständlich von der allergrössten Wichtigkeit, dieselbe in Jedem 
besonderen Falle mit einer der Beobachtungskunst entsprechenden Ge- 
nauigkeit berechnen zu können , um somit aus den beobachteten Richtun- 
gen die wahren zu finden. Wie man leicht einsieht , ist die Ermittelung 
der Refraction oder Strahlenbrechung in der Atmosphäre mit Schwierigkei- 
ten verschiedener Art verbunden. Vor Allem ist die Dichtigkeit der Luft, 
der das Brechungsvermögen proportional ist, innerhalb der Atmosphäre 
nicht überall dieselbe , sondern nimmt allmälig von Luftschicht zu Luft- 
schicht ab in dem Maasse, wie diese sic^ über der Erdoberfläche erheben. 
Die ganze Ablenkung, welche die Lichtstrahlen während ihrer Bahn durch 
die Atmosphäre erleiden , muss daher als aus einer unendlichen Anzahl 
unendlich kleiner Brechungen zusammengesetzt gedacht werden , von 
denen jede einzelne unter der Voraussetzung berechnet werden muss, dass 
die Dichtigkeit der Luft innerhalb der unendlich dünnen Schichten un- 
veränderlich dieselbe ist. Sieht man nun auch von der Schwierigkeit der 
Ausführung dieser rein mathematischen Operation ab , so bleibt dennoch 
eine andere von rein physikalischer Natur nach. 

Um die in Frage stehende Rechnung überhaupt ausführen zu kön- 
nen, ist nämlich die Kenntniss der Dichtigkeit der Luft innerhalb der 
verschiedenen Schichten erforderlich , d. h. mit andern Worten , die des 
Gesetzes , nach welchem die Dichtigkeit der Luft mit wachsender Erhe- 
bung über die Erdoberfläche abnimmt. Zwar lässt sich diese Abnahme 
zum Theil auf theoretischem Wege bestimmen. Nach dem Mariotte- 
schen Gesetze ist nämlich die Dichtigkeit eines gasförmigen Körpers dem 
Drucke proportional, unter welchem sich derselbe befindet ; femer steht 
das Gewicht eines gegebenen Volumens Luft von bestimmter Dichtigkeit 



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296 in. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

im umgekehrten Verhältniss zum Quadrate der Entfernung vom Mittel- 
punkte der Erde. Auf diese zwei Sätze sich stützend , kann man das Ge- 
setz der Dichtigkeitsabnahme in eine Formel bringen, allein diese würde 
nur dann richtig sein, wenn die Temperatur der Luft überall in der gan- 
zen Atmosphäre dieselbe wäre. Dies ist nun aber keineswegs der Fall. 
Sowohl mit der geographischen Lage als auch mit der Erhebung über den 
Erdboden ändert sich die Lufttemperatur. Namentlich ist die zuletzt ge- 
nannte Aenderung eine sehr schnelle, denn, wie zahlreiche, in verschie- 
denen Höhen angestellte Beobachtungen zeigen , nimmt die Temperatur 
um etwa einen Grad Celsius ab für jede Hundert Toisen , die man sich 
über den Erdboden erhebt.*) Die in neuerer Zeit zahlreich ausgeführten 
Luftfahrten, bei denen man die Temperatur in verschiedenen Höhen über 
der Erde beobachtet hat, haben erwiesen, dass die Temperatur fast genau 
gleichförmig abnimmt, d. h. in demselben Verhältniss, wie die Höhe über 
der Erdoberfläche wächst. Die Tragweite dieser Folgerung aus den Be- 
obachtungen bleibt jedoch auf einen relativ geringen Theil der Atmo- 
sphäre beschränkt, weil die höheren Theile nicht erreicht werden können. 
In den unteren Theilen der Atmosphäre ist jedoch die Dichtigkeit der 
Luft am grössten und folglich finden die merklichsten Strahlenbrechungen 
daselbst statt; die Temperaturabnahme in diesen Theilen ist daher für 
uns die wichtigste. Nimmt man nun irgend ein Gesetz für die Tempera- 
turabnahme an, welches diese in den unteren Luftschichten als nahezu 
gleichförmig angiebt, so lässt sich das Gesetz der Dichtigkeitsabnahme 
mit hinlänglicher Genauigkeit für die Berechnung der Strahlenbrechungen 
durch eine mathematische Formel ausdrücken. 

Für die Berechnung der Strahlenbrechungen ist femer die Kennt- 
niss der sog. Brechungsgesetze erforderlich ; diese dürfen wir also nicht 
unerwähnt lassen. — Wir denken uns eine krumme Oberfläche, sowie eine 
Ebene, welche durch drei einander nahe gelegene Punkte derselben geht. 
Rücken nun diese Punkte einander näher und fallen endlich zusammen, 
so nimmt die Ebene eine bestimmte Grenzlage an , welche von der Be- 
schaffenheit der krummen Oberfläche abhängt. Diese Grenzebene nennt 
man die tangirende Ebene der krummen Oberfläche an dem in Frage 
stehenden Punkte. Eine gegen diese Oberfläche senkrechte Gerade, 
welche durch den Tangirungspunkt geht, wird die Normale genannt; so 
ist z. B. der Horizont eine tangirende Ebene der Erdoberfläche, und die 
Richtung der Schwere im Berührungspunkte eine Normale derselben. 

Das erste Brechungsgesetz lautet :Ein Lichtstrahl, welcher 
durch eine krumme Oberfläche geht, wird so gebrochen, 
dass der einfallende und der gebrochene Strahl in der selben 



*) Eine Toise = 1,95 Meter. 



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§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 297 

Ebene mit der Normale des Punktes liegen, in dem die' 
Brechung geschieht. Nimmt man an, dass die Oberflächen der 
verschiedenen Luftschichten wie auch die Erdoberfläche Sphären mit 
einem gemeinsamen Mittelpunkte seien, so wären alle Normalen gegen 
denselben gerichtet.*) Hieraus folgt ersten», dass alle Brechungen in 
Ebenen geschehen, welche durch den Mittelpunkt der Erde gehen, und 
femer, weil der Lichtstrahl von der einen Brechung zu der andern gerad- 
linig fortläuft, dass die ganze Bahn des Lichtstrahles von seinem Eintritt 
in die Atmosphäre bis zum Femrohre des Beobachters in einer Ebene lie- 
gen muss. Diese Ebene muss senkrecht auf dem Horizonte stehen, weil 
sie mit der Eichtung der Schwere zusammenfällt; es geht hieraus hervor, 
dass nur die Höhen oder die Zenithdistanzen derGestime, nicht aber ihre 
Azimuthe von der Eefraction beeinflusst werden. 

Der Winkel zwischen dem einfallenden Strahle und der Normale wird 
der Einfallswinkel genannt, die Neigung des gebrochenen Strahles ge- 
gen die Normale aber der B rech ungs winke L Nach Feststellung die- 
ser Begriffe können wir das zweite Brechungsgesetz so ausdrücken: Das 
Verhältniss zwischen dem Sinus des Einfallswinkels und 
dem Sinus des Brechungswinkels ist für denüebergang aus 
einem bestimmten Medium in ein anderes eine Constante. 
Dieses constante Verhältniss wird auch der relative Brechungs- 
coefficient für den üebergang des Lichtstrahles aus einem Medium in 
ein anderes genannt. Bezeichnen wir den Einfallswinkel mit i , den Bre- 
chungswinkel mit r und den relativen Brechyngscoefficienten mit n , so 
wird das von Snellius entdeckte Gesetz durch folgende Gleichung aus- 
gesprochen: 

Sin i _ 
Sin r 
Wir führen hier die Brechungscoefficienten einiger Stoffe an, und 
haben angenommen , dass der Lichtstrahl aus dem leeren Räume in das 
betreffende Medium übergeht. Die Dichte der Gase bezieht sich auf den 
Druck von 760 Millimeter und die Temperatur von 0® C-**) 



*) Diese Annahme ist nicht völlig richtig, jedoch hat man bis jetzt 
sich mit derselben begnügen zu können geglaubt. 

**) Diese Zusammenstellung ist aus dem Lehrbuch der physikali- 
schen und theoretischen Chemie von Buff, Kopp und Zamminer ent- 
lehnt. 



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298 



III. Kapitel. Die Beobachtnngskunst unserer Zeit. 



Stoffe 


Dichte 


Brechungscoefficient 


Wasser 


1.000 


1.34 


Kronglas 


2.535 


,1.53 


Flintglas 


3.723 


1.64 


Atmosphärische Luft 


0.001323 


1.000294 


Sauerstoff 


0.001420 


1.000272 


Stickstoff 


0.001256 


1.000300 


Chlor 


0.003194 


1.000772 


Wasserdampf 


0.000824 


0.000294 


Schwefelkohleostoffdampf 


0.003437 


0.001500 



Die Höhe über der Erdoberfläche , in welcher die Dichtigkeit der 
Luft aufhört bemerkbar zu werden, ist im Vergleich mit dem Kadius der 
Erdkugel sehr gering. Hieraus folgt, dass der Weg des Lichtstrahles 
durch die Atmosphäre einem sehr kleinen Winkel zwischen den Norma- 
len ihrer Endpunkte entspricht, d. h. zwischen der Normalen in dem 
Punkte wo der Lichtstrahl in die Atmosphäre eintritt und der des Be- 
obachtungspunktes ; dies jedoch nur unter der Voraussetzung , dass der 
Einfallswinkel, also auch die Zenithdistanz des beobachteten Objectes 
nicht zu bedeutend ist.*) Fällt aber der Lichtstrahl mit einer geringen 
Neigung gegen den Horizont ein , so ist sein Weg durch die Atmosphäre 
offenbar sehr bedeutend im Verhältniss zu dem senkrechten Abstand des 
Eintrittspunktes von der Erdoberfläche. Solche Fälle lassen wir hier bei 
Seite und behalten also nur diejenigen im Auge , bei denen die Zenith- 
distanz des beobachteten Objectes massig und der Winkel zwischen 
den äussersten Normalen mithin sehr klein ist.**) Einen kleinen Theil 



*) Den Winkel zwischen zwei Normalen der Erdoberfläche nennt 
man den geodätischen Winkel. 

**) Wäre keine Eefraction vorhanden , so würde der Lichtstrahl sei- 
nen Weg durch die Atmosphäre in einer geraden Linie zurücklegen ; als- 
dann fände man den Werth des geodätischen Winkels {v) aus der Gleichung: 

TT 

— ; — -- s= 1 — Cos 17 -f- Sin t? Cotang z 
a -\- Jl 

wo H die Höhe der Atmosphäre , a den Erdhalbmesser und z die Zenith- 

JT 

distanz bedeutet. Nimmt man für HS,ß geographische Meilen, für _ 

also den Werth j^ an, so wird 

für z = 90o : t; = 4o 3' 

für 2 = 45«: t? = 17 
Durch die Befraction werden diese Werthe zwar etwas geändert , jedoch 
nicht so viel, dass die angeführten Zahlen nicht einen ohngefahren Begriff 
von der Grösse des geodätischen Winkels geben. 



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§ 1 3. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 299 

einer sphärischen Oberfläche kann man jedoch annäherungsweise als eine 
Ebene ansehen, und unter dieser Voraussetzung können wir in sehr ein- 
facher Weise einen approximativen Ausdruck für die astronomische Re- 
fraction herleiten. Um die Ableitung dieses Ausdruckes noch mehr zu 
vereinfachen, erlauben wir uns eine zweite Annahme, die zwar an und für 
sich ganz unrichtig , aber , wie man sogar beweisen könnte , hier gestattet 
ist; wir werden überdies nachher angeben, zu welchen Fehlern unsere 
beiden Vereii^fachungen geführt haben. Diese Annahme besteht darin, 
dass wir überall in der ganzen Atmosphäre die gleiche Dichtigkeit 
der Luft voraussetzen , mithin nur eine einzige Brechung und zwar die 
an der Grenze der Atmosphäre.*) — Wir denken uns jetzt (Fig. 30) , dass 

Fig. 30. 



ein Beobachter im Punkte O ein unendlich weit entferntes Object betrach- 
tet, welches, wenn keine Strahlenbrechung vorhanden wäre, in der Rich- 
tung O «, erscheinen würde. Von diesem Gegenstande geht ein Licht- 
strahl aus, welcher die Grenzebene der Atmosphäre im Punkte b errei- 
chen mag ; die Richtung dieses Lichtstrahles ist vor dem Eintritte in die 
Atmosphäre parallel mit der Richtung O a, , weil das Object in unend- 
licher Entfernung liegt. Nach der Brechung im Punkte h setzt der Licht- 
strahl seinen Weg, ohne eine weitere Brechung zu erleiden, in der Rich- 
tung h O bis zur Oberfläche der Erde fort. Die Gerade OM repräsentirt 
hier den Durchschnitt des Horizontes mit einer Verticalebene, die Gerade 



*) Ob die Atmosphäre eine bestimmte Grenze hat oder nicht , ist bis 
jetzt noch nicht mit Sicherheit entschieden , noch weniger hat man die 
Höhe derselben bestimmen können. Wenn man bei der atmosphärischen 
Strahlenbrechung von dieser Höhe spricht, so meint man diejenige, bis zu 
der die Dichtigkeit der Luft noch merklich ist , indem die Lichtstrahlen 
eine merkliche Brechung oder Reflexion erleiden. Diese Höhe dürfte 
etwa 8 — 10 geographische Meilen betragen. 



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300 ni. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

Oz aber die Richtung der Schwere oder die Normale der Erdoberfläche 
am Beobachtungsorte. Unseren Annahmen gemäss ist hk parallel 
mit OM und z,N parallel mit zO. Der Winkel 2O6 « 06iV ist 
offenbar die scheinbare Zenithdistanz des beobachteten Objectes, der 
Winkel z^ba ^ zOa, wiederum die wahre, d. h. diejenige Zenithdistanz, 
welche beobachtet werden würde , wenn keine Refraction stattfände. 
Wie wir also sehen , ist die scheinbare Zenithdistanz zugleich Brechungs- 
winkel und die wahre Zenithdistanz Einfallswinkel; wir haben daher, 
wenn ersterer mit z und letzterer mit 2 -f- r bezeichnet wird, 

^^° 1' "^ ^' = 1.0002884 *) 
Smz 

oder, weil 

Sin (a + r) = Sin z Cos r + Cos z Sin r 
und r dabei klein genug ist , um die Vertauschung seines Sinus mit dem 
Bogen und seines Cosinus mit der Einheit zu gestatten, 

S^il.r= 0002884 
Smz 

d. i, 

r = 0.0002884 Tang z == 59'.'48 Tang z. 

Dieses ist die abgekürzte Formel, welche bei kleinen Zenithdistanzen die 
Refractionen mit hinreichender Genauigkeit giebt; sie ist, wie wir ge- 
sehen haben, von jeder Voraussetzung über die Dichtigkeits- oder Tem- 
peraturverhältnisse unabhängig. — Um ein Urtheil über die Zuverlässig- 
keit dieser Formel zu gewinnen, führen wir nun eine andere an , die unter 
den Voraussetzungen abgeleitet worden ist , dass die Luftschichten ver- 
schiedener Dichtigkeit die sphärische Form haben , sowie dass die Tem- 
peratur in den niedem Luftschichten für jede 100 Toisen Erhebung um 
lo C, später aber etwas langsamer abnimmt. Man hat so gefunden: 
r = 59':50 Tang z — 0':069 Tang z» + 0':00024 Tang z^ — . . . 
wobei das zweite Glied von der mittleren Dichtigkeit der Atmosphäre 
oder von derjenigen Atmosphärenhöhe abhängt, welche stattfinden würde, 
wenn die Dichtigkeit und Temperatur für alle Schichten dieselbe wie an 
der Erdoberfläche wäre. Erst das dritte Glied ist von der Temperatur- 
abnahme abhängig. Die Vergleickung der abgekürzten Formel mit der 
strengen zeigt, dass jene bei z «= 70» die Refractionen schon um IJ Se- 
kunde falsch angiebt. — In der Nahe des Horizontes erhält man indessen 
nicht einmal durch die angeführte Reihenentwickelung streng richtige 
Refractionswerthe, weil diese Entwicklung zu convergiren aufhört, d. h. 
die Summe der Glieder einem bestimmten endlichen Werthe sich nicht 
nähert, sondern über alle Grenzen wächst, wenn Tang z einen sehr grossen 



*) Dieser Werth des Brechungscoeffic^enten, der für 0« C. und 29.6 
engl. Zoll oder 754 Millimeter Barometerhöhe gilt, ist durch astronomische 
Beobachtungen ermittelt worden. 



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§ 13. ABtroQomische Beobachtungen und Instrumente. 301 

Werth erhält. Für solche Fälle bedient man sich anderer Entwieklungs- 
methoden , die wir jedoch hier bei Seite lassen müssen ; nur einige mit 
Hülfe derselben berechnete Eefractionswerthe, grossen Zenithdistanzen 
entsprechend, wollen wir anführen. Die Uebereinstimmung^zwischen die- 
sen Werthen imd den direct beobachteten Strahlenbrechungen hat ge- 
zeigt , dasa die sehr verwickelte Theorie der astronomischen Strahlen- 
brechung doch schon einen hohen Grad von Vollendung erreicht hat.*} 
Z Befraction wahrscheinlicher Fehler 

870 U'.öl'.'T ± 5':0 

88 18 56.4 ± 8.0 

89 25 24.3 ±20.0 
90* 35 39.6 unbestimmt. 

Die Zahlen in der letzten Columne geben die wahrscheinlichen Ab- 
weichungen an, die man bei den berechneten Befractionswerthen von den^ 
jenigen zu befürchten hat , welche zu den verschiedenen Beobachtungs- 
zeiten wirklich stattfinden. 

Weil das Brechungsvermögen der Luft von ihrer Dichtigkeit ab- 
hängt, diese aber mit demWechsel von Luftdruck und Temperatur verändert 
wird, so muss auch bei der Berechnung der Befractionen auf diese Um- 
stände gehörige Bücksicht genommen werden. Die Dichtigkeit der Luft 
wird dem Barometerstande proportional geändert, weshalb die sog. mitt- 
lere Befraction zunächst mit dem Factor -^ multiplicirt werden muss , wo 

h die zur Zeit der Höhenmessung stattfindende Barometerhöhe bedeutet, 
B aber einen mittleren Barometerstand, für welchen die Bestimmung der 
Befractionsconstante, d. h. des Brechungsvermögens der Luft, gültig ist. 
Femer muss der Factor 

1 

1 -h 0.003665 i 

hinzugefügt werden , wo t die Temperatur (nach Celsius) bezeichnet ; für 

jeden Grad Temperaturerhöhung wird nämlich die Luft um 0.003665 ihres 

Volumens ausgedehnt und ihre Dichtigkeit in Folge dessen in demselben 



*) Die Strahlenbrechung kann man direct beobachten, indem die 
Höhe eines Sterns mit bekannter Declination zu einer bekannten Zeit ge- 
messen wird. Der Unterschied zwischen der berechneten und der beob- 
achteten Höhe giebt unmittelbar die Befraction. — Man kann indessen 
nicht zur Eenntniss der Declinationen gelangen ohne Kenn tniss der Strah- 
lenbrechung; die Constante derselben, d. h. das Brechungsvermögen der 
Luft, muss daher im Voraus bestimmt werden. Diese Bestimmung erhält 
man durch Beobachtung der Meridianhöhen von zwei Sternen in beiden 
Culminationen ; die Messungen führen zu zwei Gleichungen , in welchen 
die Polhöhe und die Befractionsconstante als Unbekannte erscheinen und 
aus denselben bestimmt werden können. Man darf dabei keinen zu tief 
culminirenden Stern auswählen, weil alsdann die Temperaturabnahme 
mit wachsender Höhe in der Atmosphäre einen merklichen Einfluss aus- 
üben würde. 



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302 in. Kapitel. Die Beobachtnngskunst unserer Zeit. 

YerhältsSaae gejrin^er. Um demnach die wahre , im BeobachtangBangen- 
blicke stattfindende Refraction berechnen zu können, muss auf den Stand 
der meteorologischen Instrumente gehörig Rücksicht genommen werden. 

Weil die Strahlenbrechung von so wesentltehem Einflüsse auf die 
Höhenbestimmungen ist, so war es nötiiig , ihre Theorie mit der grössten 
Sorgfalt zu studiren; die Resultate der astronomischen Beobachtungen 
würden sonst zum Theil mit einer solchen Unsicherheit behaftet sein, 
dass durch sie die Astronomie an ihrem Charakter als positiye Wissen- 
schaft nicht unwesentliche Einbusse erleiden wüitle. 

Wenn ein Himmelskörper am Horizonte erscheint , also auf- oder 
untergeht, so übertrifft seine wahre Zenithdistanz die scheinbare von 90» 
um mehr als einen halben Grad. Die Strahlenbrechung beschleunigt 
demnach den scheinbaren Anfgang der Gestirne imd verzögert ihren 
Untergang. 

Bevor wir das Thema der Höhenmessungen verlassen , wollen wir 
eine kleine Reihenfolge von wirklich gemessenen Zenithdistanzen mit- 
theilen, denen wir die Refractionen hinzufügen , um sie in wahre Zenith- 
distanzeo) verwandeln zu können. Die Messungen wurden auf der Stern- 
warte zu Pulkowa mit einem grossen Yerticalkreise angestellt und bezie- 
hen sieh auf den Polarstern in seiner oberen und unteren Culmination. 
Um die resultirenden Zenithdistanzen sogleich mit einander vergleichen zu 
können, ist der Einfluss der Pracession in der Weise berücksichtigt, dass 
die Zenithdistanzen auf den Anfang des Jahres 1843 reducirt wurden. 

Die Messungen ergaben 

Obere Culmination. Untere Culmination. 





Scheinb. 


Wahre 


Scheinb. 


Wahre 


1843 


Zenithdist. Refr. 


Zenithdist. 


Zenithdist. Refr. 


Zenithdist. 


März 16 


280 41' 28'.'43 33';o4 


280 42' l':47 


31o44'42':56 38'.'80 


310 45' 2r.'36 


). 17 


27.63 33.71 


1.34 


42.87 38.58 


21.45 


» 18 


27.89 33.10 


0.99 


43.08 38.28 


21.36 


» 19 


27.73 33.89 


1.62 


42.15 39.10 


21.25 




Mittel = 


28 42 1.36 


Mittel = 


31 45 21.36 




h = 


61 17 58.64 


hl = 


58 14 38.64 



Mit diesen Werthen von h und Ai findet man die Polhöhe der Sternwarte 
zu Pulkowa : 

^ = 59« ^6' 18'.'64 

und die Declination des Polarsterns für 1843,0 : 

I « 90*» — 1« 31' 40':00 « 880 28' 20':00 

Wie absolute Rectascensionen und die RichtHng der Aequinoetial- 
punkte bestimmt werden, ist bereits früher (vgl. pag. 56) angedeutet 
worden; man beobachtet den Rectascensionsunterschied zwischen dem 
Stern, dessen absolute Rectaseension man bestimmen will und der Sonne 
zu der Zeit , wo diese sich gerade im Aequator befindet ; der gefundene 



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§ 13. Astronomisclie Beobachtangen und In»tnimeiite. $03 

Unterschied ist alsdann unmittelbar die gesuchte Eecttsoension , wenn 
die Bestimmung im Frühling ausgeführt wurde , dagegen um genau 180» 
oder 12 Stunden von dieser verschieden , wenn man im Herbst beobach- 
tete. Da nun aber die Beobachtungen im Meridian angestellt werden und 
man nicht darauf rechnen kann, dass die Sonne bei ihrer Culmination am 
Tage der Nachtgleichen gerade Mittags auch den Aequator passirt, so 
kann man die gesuchte absolute Rectaseension auch nicht unmittelbar 
finden, sondern muss zu diesem Zwecke erst eine kleine Bechnung aus- 
führen, bei welcher indess die Schiefe der Ekliptik als bekannt voraus- 
gesetzt werden muss. Je näher jedoch die Sonne bei der Beobachtung 
einem der Aequinoctialpunkte ist , einen desto geringem Einfluss übt eine 
fehlerhafte Annahme der Schiefe auf das Resultat aus. Beobachtet man 
überdies die Sonne einmal bei einer geringen südlichen Declination und 
ein zweites Mal beii einer ohngefähr gleich grossen nOrdlichen , so wird 
das Mittel aus den beiden erlangten Bestimmungen fast völlig frei von 
einem etwaigen Fehler in der Annahme der Schiefe. — Wir nehmen daher 
an, dass die Neigung des Aequators gegen die Ekliptik bekannt ist und 
bezeichnen diese mit 0; durch Rechnung findet man' nun die absolute 
Rectaseension der Sonne, wenn die Declination durch Beobachtung be- 
stimmt worden ist. Die Rectaseension bezeichnen wir mit A und die De- 
clination mit D ; eine Formel aus der sphärischen Trigonometrie giebt 
uns dann : *) 

TangB 
Die Seiten des Dreiecks , aus welchem diese Gleichung hervorging, sind : 
Rectaseension, Declination und Länge der Sonne; der Winkel, welcher 
der zweiten Seite gegenübersteht, ist die Schiefe der Ekliptik. — Bezeich- 
nen wir ferner die Zeit, welche von derSonnenculmination bis zu der eines 
Sterns verfliesst, dessen Rectaseension a ist, mit J, so haben wir -. 

a = ^+ J. 
Da nun A durch die obige Formel gefundeii- wird und T durch die Beob- 
achtung unmittelbar bekannt ist , so lässt sich « nunmehr ohne jede 
Schwierigkeit ermitteln. 

Die Anwendung obigerRechnungsvorschriftenwollen wir jetzt durch 
ein Beispiel erläutern, das wir den Tagebüchern der Pulkowaer Stern- 
warte entnehmen. Zur Zeit des Frühlingsäquinoctiums im Jahre 1843 
wurden folgende Zeitunterschiede zwischen dem Stern a Arietis und 
der Sonne am grossen Durchgangsinstrumente beobachtet und gleichzei- 
tig die Declinationen der Sonne mit dem Yerticalkreise gemessen : 

T D 

1842 März 20. 2»» 0«» 25!75 — 13' 54:83 

» » 21. 1 56 47.66 -|- 9 44.41 



*) Siehe Anhang. 



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304 ni. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

Die Schiefe der Ekliptik nehmen wir auf Grund früherer Beobachtungen 
zu 230 27.7 an, welcher Werth für die beabsichtigte Berechnung hinläng- 
lich genau ist. Mit Hülfe der angeführten Formel findet man nun -die 
Werthe von A : 

A^ — W 3':6 = — . 2ra 8?24 
^ = H- 22 26.7 = + 1 29.79 
und hieraus ergeben sich zwei Werthe von a , nämlich 

a = Ih 58™ 17»51 

1 58 J7.45 

Mittel: 1 58 17.48 

Die Schiefe der Ekliptik würde man durch Beobachtungen von Son- 
nendeclinationen finden, wenn diese genau zu den Zeiten der Solstitien 
angestellt werden könnten ; da man aber nicht erwarten darf, dass das 
Solstitium genau mit der Culmination der Sonne zusammenfällt, so be- 
rechnet man 8 aus der Formel : 

^ ^ Tang D 

Die Anwendung dieser Formel setzt voraus , dass die Eectascension der 
Sonne bekannt sei; stellt man aber die Beobachtungen zu Zeiten, die 
nicht weit von einem Solstitium abliegen, an , so ist A entweder nahe 90« 
oder nahe 270«; Sin A wird alsdann sehr nahe gleich -|- 1 oder — 1 sein 
und ein massiger Fehler in der Annahme von A wird keinen merklichen 
Einfluss auf die Bestimmung von 8 ausüben können. Noch aus einem an- 
deren Grunde empfiehlt es sich , die Bestimmungen von zu den Zeiten 
der Solstitien auszuführen: zu anderen Zeiten wird nämlich Sin ^wesent- 
lich kleiner als 1 und folglich Tang D mit einem Factor multiplicirt , der 
grösser als 1 ist, der Beobachtungsfehler also , welcher an D und folglich 
auch an Tang D haftet , vergrössert in der Bestimmung von Tang 6 ein- 
gehen. 

Folgende beobachtete Declinationen entnehmen wir den Tagebüchern 
der Pulkowaer Sternwarte, und fügen ihnen die entsprechenden genäher- 
ten Rectascensionen der Sonne hinzu. In der letzten Columne stehen die 
nach der angeführten Formel berechneten Werthe von : 

D A % 

1842 Juni 20 + 23** 27' 10.'35 5^ 53« 52?3 23^ 27' 37'.'35 
» 21 * 27 34.58 5 58 1.9 . 37.35 

^ » 22 27 34.44 6 2 11.5 38.15 

Mittel: 23 27 37.62 

Der gefundene Werth von 8 giebt die wahre Schiefe, der Ekliptik 
an ; von dieser unterscheidet sich die sog. mittlere Schiefe um den Betrag 
der Nutation. Von der wahren Schiefe muss die Grösse 

+ 9'.'24 Cos Q 
subtrahirt werden, um die mittlere zu erhalten (vgl. pag. 201). ' Um diese 



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§13. Astronomifiche Beobachtungen und Instrumente. 305 

Grösse zu berechnen , brauchen wir die Länge des Mondknotens ; diese 
findet sich für den 21. Juni wie folgt: 

Q = 291<> 50'. 
Hiermit erhält man : 

+ 9':24 Cos Q = 4- 3':43 ; 
folglich wird die mittlere Schiefe fttr 1842,5 : 

23*'27'34'ri9 
Für 1750,0 hat man die mittlere Schiefe : 

23*»28'18'.'0 
gefunden; in 92.5 Jahren hat die Schiefe sich also um 43''8 vermindert, 
was einer jährlichen Abnahme von 0'.'474 entspricht. Diese Abnahme be- 
ruht darauf, dass die Lage der Ekliptik einer säcularen Aenderung unter- 
worfen ist, während der Aequator seine Lage im Eaume unverändert bei- 
behält (vgl. pag. 153 und pag. 200). Nach sehr langen Zeiträumen kann 
zwar auch in der Lage des Aequators eine Veränderung bemerkt werden, 
der Betrag derselben erreicht aber im Laufe eines Jahrhunderts kaum 
eine Zehntel-Bogensekunde. Die Ursache hiervon ist dieselbe, welche die 
Präcession veranlasst. 

Durch die absolute Rectascension eines Sterns ist die Richtimg der 
Tag- und Nachtgleichenpunkte bestimmt , jedoch nur in Bezug auf die 
Richtung des fraglichen Sterns , also auf eine Richtung , welche an der 
täglichen Bewegung des Himmels theilnimmt. Die in Frage stehende 
Grundrichtung muss indess auch in Bezug auf den Meridian des Beobach- 
tungsortes angegeben werden, und zwar benutzt man hierzu den Winkel, 
welchen eine durch denFrühlingsnachtgleichenpunkt gelegte und auf dem 
Aequator senkrecht stehende Ebene mit dem Meridiane bildet. Dieser 
Winkel ist die Stemzeit des Ortes, weshalb man die Richtung der Aequi- 
noctialpunkte in Bezug auf denTtferidian bestimmt, indem man die Stern- 
zeit ermittelt. Hierzu ist aber nichts weiter nöthig , als die Uhrzeit zu * 
beobachten, zu der ein Gestirn, dessen Rectascension bekannt ist, durch 
den Meridian geht. Nachdem die ührcorrection und auch der Gang der 
Uhr bestimmt worden sind, giebt die gefundene Stemzeit unmittelbar die 
Richtung der Aequinoctialpunkte oder die Rectascension der im Meridian 
befindlichen Punkte an. 

Der Stundenwinkel der Sonne wird auch die wahre Sonnenzeit ge- 
nannt; dieselbe lässt sich offenbar dadurch bestimmen, dass man die 
Culminationszeit der Sonne beobachtet , worauf man durch Anbringung 
der Zeitgleichung (pag. 60) die mittlere Sonnenzeit findet. Weil man 
jedoch den Antritt der Sonnenränder an die Fäden des Durchgangsinstru- 
ments nicht mit derselben Genauigkeit wie den eines Sterns beobachten 
kann, so zieht man es vor, die Sonnenzeit mittelst Rechnung aus der be- 
kannten Stemzeit herzuleiten. — Die Zunahme der Sternzeit , von der 
Culminatiön der mittlem Sonne bis zu einem gewissen Moment , für wel- 
chen man die mittlere Sonnenzeit sucht , ist offenbar gleich der in diesem 

Gyld^n, Astronomie. 20 



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3 06 III. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

Augenblicke stattfindenden Stemzeit weniger der, Stemzeit im mittlem 
Mittag. Die Sternzeit im mittlem Mittag ist aber identisch mit der Rect- 
ascension der mittlem Sonne , welche Grösse man im Voraus für jeden 
Tag des Jahres angeben kann , da die Länge des Jahres ebenso wie der 
Ort der mittlem Sonne zu einer bestimmten Epoche als bekannt voraus- 
gesetzt werden darf. Man erhält also leicht die Zunahme der Stemzeit 
seit dem mittlem Mittag, und diese braucht man nur mit 

1 _i 

366,242201 

zu multipliciren, um die mittlere Sonnenzeit zu erhalten. 

Das Resultat einer astronomischen Beobachtung besteht nicht nur 
in der Bestimmung einer Richtung, sondern auch in einer Angabe der 
Zeit, für welche die Richtung gültig war. Die Genauigkeit , welche bei 
dergleichen Angaben beobachtet werden muss, ist indessen ausserordent- 
lich verschieden. Während die eigentlichen Sterne ihre Lage , von der 
Erde aus gesehen, so äusserst langsam ändern , dass es meistens genügt, 
nur das Jahr der Beobachtung anzugeben, sind die Ortsveränderungen bei 
Körpern, die zum Sonnensysteme gehören, häufig so rasche, dass man aie 
Zeiten, zu denen ihre Richtungen aufgefasst worden sind , bis auf die ein- 
zelnen Sekunden angeben muss. In einer Zeitsekunde nimmt die Länge 
des Mondes um eine halbe Bogensekunde zu , eine Grösse , die ohngefähr 
von derselben Ordnung wie die der Beobachtungsfehler ist, und die da- 
her nicht als unmerklich angesehen werden darf. 

In allen den Fällen , wo die Zeit genauer als in ganzen Tagen ange- 
geben werden muss, ist es auch nöthig , den Meridian zu bezeichnen , für 
welchen die Zeit gilt. Die verschiedenen Meridiane werden von einander 
durch die Differenzen der respectiven Ortszeiten unterschieden , welche 
•für diese in demselben absoluten Augenblicke gelten. Der Anfang 
einer Mond finster niss wird z. B. überall auf der Erde gleichzeitig wahr- 
genommen, wo er überhaupt nur sichtbar ist, aber die Ortszeiten dieses 
Anfanges sind demohngeachtet sehr verschieden. Findet er z. B. um 
1 1 Uhr an einem gewissen Orte statt, so trifft er um 10 Uhr an einem vom 
ersteren 15« westlicher liegenden Orte ein. Die Meridiane der beiden 
Oerter bilden nämlich mit einander einen Winkel von 1 5» oder von einer 
Stunde, weshalb der Stundenwinkel des Frühlingspunktes oder der Sonne, 
also auch die Ortszeit am letzteren Orte, gerade um diese Grösse kleiner 
sein muss als an dem ersten. Den Winkel zwischen denMeridianen zweier 
Orte nennt man ihren Meridianunterschied und drückt denselben in 
der Astronomie gewöhnlich in Zeit anstatt in Bogen aus. 

Es ist keine leichte Aufgabe , den Meridianunterschied zweier Orte- 
zu bestimmen, aber, weil die Lösung derselben nicht nur für die Astro- 
nomie, sondem auch für die Geodäsie, Geographie , sowie für die Schiff- 
fahrt von der grössten Wichtigkeit ist , so hat man weder Mühe noch 



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§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 307 

Kosten gescheut , um passende Methoden zu derselben ausfindig zu ma- 
chen. Von diesen Methoden wollen wir die wichtigsten erwähnen. 

Vor Allem muss die absolute (Stern- oder Sonnen-) Zeit an den bei- 
den geographischen Punkten, deren Meridianunterschied man sucht, mög- 
lichst genau bestimmt werden. Wie diese ermittelt wird, haben wir schon 
oben angeführt ; es kann hier noch hinzugefügt werden, dass ein etwaiger 
Fehler in den Zeitbestimmungen auf den ermittelten Längenunterschied 
keinen Einfluss ausübt, insofern er nur an beiden Beobachtungsorten ge- 
nau derselbe ist. Es ist von Wichtigkeit , dies zu beachten , denn man 
wird dadurch erkennen, dass die Längenbestimmung frei von einem etwai- 
gen gemeinsamen Fehler in den bei den Zeitbestimmungen benutzten 
Stem-Rectascensionen ist. — Sodann kommt es darauf an , die Zeit des 
einen Ortes mit der des andern zu vergleichen, aber dies ist gerade der 
Punkt, wo die eigentlichen Schwierigkeiten sich häufen. 

Eine solche Vergleichung kann nun entweder dadurch ausgeführt 
werden, dass man an beiden Punkten ein gegebenes Signal oder überhaupt 
irgend eine plötzlich stattfindende Erscheinung gemeinsam beobachtet, 
oder auch dadurch, dass die Zeit des einen Ortes auf den andern übertragen 
wird. Dies kann wieder auf zwei Wegen geschehen, nämlich erstens mit- 
telst transportabler Uhren, und zweitens mit Hülfe des electrischen Telegra- 
phen. Würde eine Uhr während des Transportes vollkommen gut gehen, 
d. h. fortfahren, die Zeit des ersten Ortes zu zeigen , so hätte man hierin 
das beste Mittel zur Bestimmung der Längendiflferenz ; aber auch das best 
ausgeführte Chronometer lässt mehr oder weniger in, dieser Beziehung zu 
wünschen übrig. Genügt es auch in Ruhe und in gleichmässiger Tempe- 
ratur allen billigen Anforderungen , so sinkt seine Leistung in der Regel 
doch merklich herab, wenn es den bei einem Transport unvermeidlichen 
StÖssen und hastigen Bewegungen ausgesetzt wird. Man hat sich daher 
häufig einer grossen Zahl von Chronometern bedient , wenn die grösste 
Genauigkeit beabsichtigt wurde, in der Voraussetzung , dass die zufälli- 
gen Fehler im Mittel aus den einzelnen Zeitübertragungen wesentlich ver- 
mindert würden. Die Zeitübertragung mittelst Chronometer kann in die- 
ser Weise zwar zu genauen Resultaten führen, allein die Methode bleibt 
nicht nur zeitraubend und unbequem, sondern auch sehr kostspielig ; man 
wendet sie daher meistens nur zur See an , wo die Längenbestimmungen 
nicht mit astronomischer Genauigkeit ausgeführt zu werden brauchen, 
und in Gegenden, wo noch geographische Ortsbestimmungen ausgeführt 
werden müssen. Seit Einführung der elektrischen Telegraphen bedient 
man sich aber fast ausschliesslich dieser zu den Zeitübertragungen und 
erzielt durch sie mit grösster Leichtigkeit eine staunenswerthe Genauig- 
keit. — Die Geschwindigkeit des elektrischen Stromes ist so gross , dass 
man durch das Schliessen eines solchen fast momentan einen Elektromag- 
neten , der sich in sehr grosser Entfernung befindet , in Thätigkeit ver- 
setzen kann. Auf solche Weise können Signale , welche von dem einen 

20* 



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308 ni- Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

Punkte abgesandt werden und die dortige Localzeit angeben , gleichzei- 
tig an dem andern beobachtet werden; es lassen sich also zwei Uhren mit . 
einander vergleichen, die sehr weit yon einander entfernt sind , denn die 
Sekundenschläge der einen können vermittelst der Telegraphenleitung 
auf der andern gehört werden. Signalisirt ma^ überdies abwechselnd 
von beiden Stationen , so wird das Resultat frei von dem Einflüsse der 
nicht völlig momentanen Fortpflanzung des elektrischen Stromes. Denn 
in Folge dessen würde der Meridianunterschied das eine Mal zu gross 
(wenn der Strom von Osten nach Westen geht), das andere Mal zu klein 
gefunden werden , und da kein Grund vorliegt, dass die Stromgeschwin- 
digkeit in der einen Richtung grösser als in der andern sein sollte , so 
muss man annehmen, dass das Mittel der beiden Bestimmungen frei von 
dem erwähnten Einflüsse ist ; aus dem Unterschiede der beiden Bestim- 
mungen lässt sich dagegen die Stromzeit beurtheilen. In dieser Weise 
hat man gefunden , dass die Geschwindigkeit zwar sehr gross , aber kei- 
neswegs in allen Leitungen dieselbe ist. Wenn die Leitung durch das 
Meer geführt wird, ist sie geringer als bei Leitungen durch die Luft. 

Von den coelestischen Erscheinungen, welche zum Zwecke der Län- 
genbestimmungen beobachtet werden können, nennen wir zunächst die 
Mondfinstemisse. Da der Mond wirklich verfinstert wird, so muss die 
Erscheinung des Anfangs oder des Endes für die beiden Stationen gleich- 
zeitig stattfinden. Wenn also an den beiden Uhren , welche die respecti- 
ven Ortszeiten angeben, die Zeiten des Anfangs und des Endes einer 
Mondfinsterniss beobachtet werden, so ergiebt sich unmittellmr eine Ver- 
gleichung der beiden Uhren , mithin auch die gesuchte Längendifferenz. 
Diese Methode ist sehr einfach, aber auch sehr ungenau; denn der Anfang 
und das Ende einer Mondfinsterniss sind Erscheinungen , die nicht scharf 
aufgefasst werden können. Gegenwärtig fallt es wohl keinem Astrono- 
men ein, zu diesem Zwecke eine Mondfinsterniss zu beobachten. Vor- 
theilhafter sind die Beobachtungen der Jupiters-Trabanten , die auch 
manchmal für geographische Zwecke angestellt werden ; für die Astrono- 
mie und Geodäsie*) bieten indessen auch sie nicht die erforderliche Ge- 
nauigkeit. 

Viel sicherer als die eigentlichen Verfinsterungen lassen sich die 
Bedeckungen der Himmelskörper, namentlich der Sterne, durch den Mond 
wahrnehmen.**) Die Erscheinung einer Bedeckung findet allerdings 
nicht an den zwei Punkten, deren Längenunterschied man sucht, gleich- 
zeitig statt , weil der Mond in Folge seiner grossen Parallaxe von den 



*) Geodäsie ist die Wissenschaft von der Figur der Erde. 
**j Die Bedeckungen der Sonne werden auch Sonnenfinsternisse ge- 
nannt. 



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§ 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 309 

verschiedenen Stationen in verschiedenen Richtungen gesehen wird, wäh- 
rend der Stern und auch nahezu die Sonne in parallelen Richtungen er- 
scheinen. Man kann aber leicht die beobachteten Zeitmomente entweder 
auf einander oder auch auf den Mittelpunkt der Erde reduciren , d. h. be- 
rechnen, um wie viel früher oder später die Erscheinung vom Mittelpunkte 
aus gesehen wurde, als von den beiden Stationen. Nachdem die beiden 
beobachteten Zeitmomente auf den Mittelpimkt reducirt worden sind , er- 
giebt ihre Differenz unmittelbar den Längenunterschied. — Bei diesen 
Rechnungen müssen indess nicht nur die Parallaxe des Mondes (und even- 
tuell die der Sonne} bekannt sein , sondern auch seine Bewegung. Da 
man aber häufig die Längenunterschiede genauer zu kennen wünscht , als 
die Bewegung des Mondes erkannt ist, so benutzt man die Bedeckungen 
mehr zu Verbesserung der Mondstafeln, als zu Längenbestimmungen. Bei 
Reisen spielt indessen die Methode der Längenbestimmungen durch Be- 
deckungen eine grosse Rolle. 

Die Vorausberechnung der Bedeckungen, d. h. der Zeit, zu wel- 
chen eine Bedeckung stattfindet , ist im Vergleich mit anderen astrono- 
mischen Berechnungen einfach; eine vollständige Auseinandersetzung der- 
selben würde trotzdem mehr Platz in Anspruch nehmen, als wir in diesem 
Buche dazu verwenden können. Wir müssen uns daher darauf beschrän- 
ken, eine Andeutung zu geben, wie der Anfang und das Ende einer Be- 
deckung im Voraus berechnet werden , vorausgesetzt, dass die Erschei- 
nungen von dem Mittelpunkte der Erde aus beobachtet würden. 

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Himmelskörper, von denen 
der eine den andern bedeckt, kurz vor und kurz nach der Bedeckung ein- 
ander sehr nahe am Himmel erscheinen; wir können daher, indem wir die 
Erscheinung geometrisch auffassen , annehmen , dass dieselbe auf einer 
Ebene vor sich geht, statt auf einer sphärischen Fläche. Die Rectascen- 
sion und Declination der Sonne (wir setzen voraus , dass dies Gestirn vom 
Monde bedeckt wird) bezeichnen wir mit A und D, und nehmen an , dass 
diese Werthe für einen beliebigen Zeitpunkt T nahe der Conjunctionszeit 
gelten. Die gleichzeitigen Coordinaten des Mondes bezeichnen wir durch 
A' und T', Die Veränderungen sämmtlicher Coordinaten können wir, da 
hier nur eine kuf ze Zwischenzeit in Frage kommt , als gleichförmig an- 
sehen, und nennen die stündlichen Aenderungen von A, D, A' und D' : 
a, rf, a' und d'\ alsdann sind die Rectascensionen der Sonne und des Mon- 
des zur Zeit T-\-t\A-\-at,I)-\-dt, A' -\- a't und D' + d't, wo t na- 
türlich auch in Stunden ausgedrückt sein muss. — Wenn nun der Punkt 
S (Fig. 31) die Lage des Sonnenmittelpunktes zur Zeit T -\- 1 andeutet, 
iWdie des Mondcentrums; wenn femer SQ und Pilf Stücke der Declina- 
tionskreise dieser Himmelskörper darstellen, so haben wir 

SQ^D'—D-j-tid'—d] 
Der Winkel zwischen den Declinationskreisen ist offenbar 
A'— A + t[a' — a] 



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310 III. Kapitel. Die BeobachtungBkunst anserer Zeit. 

Fig. 31. 



und dies wäre auch der Ausdruck für die Seite SP, wenn Sonne und 
Mond sich im Aequator befänden , d. h. wenn D und />' Null [wären; lie- 
gen aber diese Himmelskörper nördlich oder südlich vom Aequator , ;SO 
hat man mit hinreichender Genauigkeit 

ÄP= [A'— A + t[a' — a]] Cos B *). 

Für die Berührungszeit der Ränder von Sonne und Mond muss 
Ä 3/ = 12 + -R' sein [R und R' bezeichnen die scheinbaren Halbmesser 
dieser Himmelskörper) ; aus dem rechtwinkligen Dreiecke SFM folgt 
demnach : 

{R + R'}^ = [^'— A -f- 1 («'- a),2 Cos i>2 4- [D'—D + t [d'—d]]^ . 

Wir haben hier eine Gleichung zweiten Grades, welche in Bezug auf 
t aufgelöst werden muss ; die Lösung wird , falls eine Bedeckung wirk- 
lich stattfindet, zwei Werthe von Vergeben, von welchen der eine dem 
Anfang der Bedeckung und der zweite dem Ende entspricht. Findet aber 
keine Bedeckung statt, so wird dies dadurch angezeigt , dass die beiden 
Werthe von t (die Wurzeln der obigen Gleichung) imaginär werden , d. h. 
die Grösse y — 1 enthalten , welche in der gewöhnlichen Zahlenreihe be- 
kanntlich keinen Platz hat. — Von einem Punkte auf der Erdoberfläche 
aus gesehen, gestalten sich die Bedeckungserscheinungen wegen der 
Grösse der Mondparallaxe wesentlich anders. Um sie zu berechnen, muss 
man in der obigen Gleichung die scheinbaren Rectascensionen und Decli- 
nationen, d. h. die mit der Parallaxe behafteten anwenden. 

Schliesslich erwähnen wir noch zwei Methoden zur Läugenbestim- 
mung, welche beide darauf gegründet sind , dass die Bewegung des Mon- 



*; Der strenge Ausdruck wäre 

Sin Ä'P= Sin [A'— A + t {a'— a]] Cos D; 
man darf aber hier die Sinusse mit den Bögen vertauschen. 



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§13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 311 

des eine sehr rasche ist , so dass sie in der Zeit , während welcher der 
Mond von dem einen Meridian zu dem andern vorschreitet, bemerkt und 
beobachtet werden kann. Bestimmt man nämlich mit Hülfe von Durch- 
gangsinstrumenten die Rectascension des Mondes an zwei verschiedenen 
Stationen, so kann man aus dem Unterschiede der Resultate auf die Zeit 
schliessen, welche zwischen den beiden Culminationen verflossen ist, und 
hieraus lässt sich der Meridianunterschied beider Stationen ermitteln. — 
In ähnlicher Weise findet man die Länge durch Messung der Abstände 
des Mondes von anderen Himmelskörpern (Methode der Monddistanzen). 
An der einen Station wird zu einer gegebenen Localzeit die Winkelent- 
femung des Mondes z. B. von der Sonne gemessen; für einen andern sog. 
ersten Meridian (z. B. den von Greenwich) sind die Monddistanzen im 
Voraus berechnet ; man kann also an der ersten Station sogleich sehen, 
zu welcher Localzeit der zweiten Station die Distanz des Mondes von der 
Sonne diejenige war, welche an der ersten beobachtet wurde. Durch die 
Vergleichung beider Zeiten findet man den Längenunterschied. Selbstver- 
ständlich müssen Parallaxe des Mondes sowie Refraction bei der Verglei- 
chung der Distanzen gehörig in Rechnung gezogen werden ; b^ide können 
grosse Distanzen sehr merklich beeinflussen. Aus diesen Gründen ist die 
Methode nicht bequem*; sie ist aber doch, mit Ausnahme der Chronome- 
termethode, die beste , welche zur See angewendet werden kann. 

Die zur Bestimmung der gegenseitigen Lage der Ebenen und 
Richtungen, auf welche man die Oerter der Himmelskörper bezieht, 
dienenden Methoden schliessen, wie wir im Vorigen gesehen haben, 
die Bestimmung der absoluten Reetascensionen undDeclinationen ein. 
— Die Resultate dieser Bestimmungen sind die Fundamente der Astro- 
nomie. Es ist nun aber wünschenswerth und nothwendig, die Oerter 
einer sehr gi'ossen Anzahl Himmelskörper zu kennen , die absolut zu 
bestimmen gan^ unmöglich wäre. Auch wäre dies für die Astronomie 
keineswegs vortheilhaft , denn bei den astronomischen Untersuchun- 
gen' kommt es mehr darauf an, die relativen Lagen der Himmelskör- 
per unter sich, als ihre absoluten in Bezug auf Ebenen und Richtun- 
gen, die nur von der Erdbewegung abhängen, zu kennen. Zuweilen 
ist es sogar ziemlich gleichgültig, ob z. B. alle Reetascensionen um 
eine kleine Grösse falsch sind , wenn nur eben dieser Fehler für alle 
derselbe ist. Aus diesen Gründen werden die Oerter der «leisten 
Gestirne durch relative Bestimmungen festgestellt , zu denen man bei 
grösseren Abständen und helleren Gestirnen vor Allem den Meri- 
diankreis benutzt. 

Wir sahen (pag. 276) , dass der Unterschied zwischen der beobachte- 



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312 ni. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

ten Culminationszeit eines Gestirns und seinem wahren Meridiandurch- 
gang sich durch die Formel 

c + 6 Cos (y — 5) 4- A; Sin (y — o) 
Cos 
ausdrücken liess. Setzen wir 

b Cos cp -+• Ä Sin cp = m 
h Sin cp — k Cos cp = « 
so hat man für diesen Unterschied : 

w + w Tang S + c See 5 , 
d. h. eine Formel, in der die Declination die einzige Veränderliche ist. 
Die Grösse m vermischt sich mit der Uhrcorrection und braucht daher 
nicht besonders bestimmt zu werden. Die Kenntniss der absoluten Uhr- 
correction ist nämlich nicht erforderlich, sondern blos die ihrer Ver- 
änderungen, weil man ja nur Unterschiede der Rectascensionen bestim- 
men will. — Der Collimationsfehler wird in gewöhnlicher Weise be- 
stimmt , die Grösse n aber durch Beobachtung eines dem Pole sehr nahe 
stehenden Sterns. Man kann auch c und n gleichzeitig aus Sternbeob- 
achtungen finden, was unter gewissen Umständen nicht unvortheil- 
haft ist. 

Bei relativen Bestimmungen pflegt man die verticalen Winkel so- 
gleich auf den Aequator zu beziehen : statt den Horizontpunkt oder den 
Zenithpunkt zu bestimmen, ermittelt man durch Beobachtung eines Sterns 
mit bekannter Declination die Ablesung, welche der Richtung nach dem 
Aequator entspricht. Hiernach erhält man unmittelbar die Declinationen 
oder Poldistanzen, indem von den einzelnen Ablesungen die des Aequa- 
torpunktes abgezogen wird. 

In sehr vielen Fällen ist es indessen weder vortheilhaft noch 
ausführbar, die Ortsbestimmungen der Himmelskörper im Meridian 
vorzunehmen, z. B. dann, wenn das Objeet während ,des Tages den 
Meridian passirt und dabei nicht Lichtstärke genug besitzt, um wahr- 
genommen werden zu können. Die meisten Cometen sind deshalb 
auch von den Beobachtungen im Meridian ausgeschlossen , weil die- 
selben häufig von der Sonne scheinbar nicht sehr entfernt und 
daher nur kurze Zeit nach ihrem Untergange oder vor ihrem Aufgange 
sichtbar sind. Lichtschwache Gegenstände beobachtet man überhaupt 
nicht gw^n im Meridian, weil dazu grosse Fernröhre erforderlich sind, 
denen man , um sie nach verschiedenen Punkten des Himmelsgewöl- 
bes richten zu können, eine andere Aufstellung geben muss , als den 
Meridiankreisen. Unter solchen Umständen vergleicht man das zu 
beobachtende Objeet mit einem nahe gelegenen Stern , dessen Rect- 



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§13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 313 

ascension und Declination durch frühere Beobachtungen bekannt 
sind. Solche Vergleichungen führt man auch dann aus, wenn die 
Kenntniss der absoluten Lage nicht die Hauptsache ist, wie z. B. bei 
den sog. Doppelstemen , wo vorwiegend die Bewegung des einen 
Sterns relativ zu der des andern von Interesse ist. Zu solchen Zwe- 
ckeQ. dienen verschiedene Messapparate, deren Unterschiede davon 
abhängen, ob man mit denselben einigermassen grosse oder nur sehr 
kleine Differenzen zu messen beabsichtigt. Die Einrichtung solcher 
Instrumente werden wir durch eine kurze Beschreibung erläutern. 

Das sog. Aequatoreal ist, dem Principe nach, einer Armillar- 
sphäre nicht unähnlich ; es besteht aus einem Fernrohre , das um eine Axe 
(die sog. Declinationsaxe), welche stets in der Ebene des Aequators 
liegt, drehbar ist. Auf der Axe ist ein getheilter Kreis befestigt , an dem 
man die Richtung des Rohres abliest. Dieser Kreis heisst der Decli- 
nationskreis. Die Declinationsaxe ist aber nicht unbeweglich, braucht 
also nicht beständig dieselbe Richtung einzunehmen , sondern ist in der 
Ebene des Aequators um die sog. Stundenaxe, welche mit der Welt- 
axe parallel sein muss, drehbar. Die Drehung der Declinationsaxe wird 
an einem zweiten Kreise, dem sog. Stundenkreise, abgelesen. — Wäre 
das Instrument vollständig orientirt und auch die Nullpunkte der Kreise 
berichtigt, so müsste man an beiden Kreisen die Ablesung Null erhalten, 
wenn das Femrohr gegen einen culminirenden Punkt gerichtet würde, der 
zugleich im Aequator liegt. Durch eine Drehung um die Declinationsaxe 
richtet man das Fernrohr nach einem andern Punkt im Meridian , dessen 
Declination man am Kreise sogleich ablesen kann , und durch eine Dre- 
hung um die Stundenaxe wird die Richtung einem andern Stundenwinkel 
entsprechen, welcher am Stundenkreise zu ersehen ist. An beiden Krei- 
sen liest man folglich die Declination und den Stundenwinkel eines be- 
liebigen Punktes ab; kennt man die Sternzeit im Einstellungsaugenblicke, 
so findet man unmittelbar auch die Rectascension. — Die Beobachtungen 
mit dem Aequatoreal werden in der Regel so angeordnet , dass man zu- 
erst durch Einstellung eines bekannten Gestirnes die Indexfehler der 
Kreise bestimmt ; hierauf richtet [man das Femrohr auf das zu bestim- 
mende Object, und erhält nun, wenn die dazu gehörige Sterazeit notirt 
wird, die Declination und die Rectascension desselben. 

Die Aufstellung des Aequatoreals ist viel schwieriger zu berichti- 
gen und zu prüfen , als die des Durchgangsinstrumentes oder des Meri- 
diankreises; auch ist sie in der Regel weniger unveränderlich, zum Theil 
weil man solche Instrumente gewöhnlich in Thürmen auf hoch au%emau- 
erten Pfeilern aufstellt , die nicht dieselbe Festigkeit wie die niedrigeren 
Pfeiler der Meridiankreise besitzen können. Wären nicht diese erschwe- 



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314 ni. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

renden Umstände vorhanden, so würde das AequatoreaJ wohl mit Vor- 
theil zu absoluten Bestimmungen verwendet werden können. 

Die Kreise eines Aequatorealinstrumentes sind sehr häufig nicht zu 
eigentlichen Messungen bestimmt, sondern dienen hauptsächlich nur dazu, 
das Fernrohr auf ein Object, dessen Lage am Himmel man beiläufig kennt, 
mit Bequemlichkeit richten zu können. Ein so eingerichtetes Aequato- 
real heisst ein parallactisch aufgestelltes Instrument oder ein 
Instrument mit parallactischerMontirung. Der Messapparat bei die- 
sen Instrumenten besteht in einem meist am Ocularende angebrachten M i - 
kro m e t e r, dessen verschiedeneArten hier kurz beschrieben werden mögen. 
— Das am meisten angewandte ist das Fadenmikrometer. Bei diesem 
ist das Wesentliche ein Fadennetz , von dem ein Faden vermittelst einer 
Mikrometerschraube fortbewegt werden kann, und welches selbst um die 
optische Axe drehbar ist. Häufig ist nur ein einziger fester Faden vor- 
handen, dem der bewegliche dann parallel läuft; oft sind aber noch meh- 
rere Fäden senkrecht gegen den erstgenannten aufgezogen. Die ver- 
schieden eingerichteten Fadennetze bedingen auch verschiedene.Beob- 
achtungsmethoden. Wir betrachten Zunächst das Fadennetz mit mehreren 
senkrecht (gegen den beweglichen) aufgezogenen Fäden. Letzterer wird 
der täglichen Bewegung der Gestirne parallel gestellt und behält wegen 
der parallactischen Aufstellung diese Lage bei jeder Bewegung des Fem- 
rohres bei. Die auf den beweglichen senkrecht stehenden Fäden fallen 
hier stets mit Declinationskreisen zusammen , entsprechen also gewissen 
Stundenwinkeln. Wird das Femrohr in der Kichtung gegen eine gewisse 
Himmelsgegend festgeklemmt , so sieht man nach und nach verschiedene 
Gestirne über die Fäden passiren; die Zeit, welche zwischen den Passa- 
gen zweier Objecto über denselben Faden verfliesst, ist aber ihrem 
Rectascensionsunterschiede gleich , man bestimmt folglich diesen , indem 
man die Durchgangszeiten der beiden Gestirne über die verschiedenen 
Fäden beobachtet. — Zur Bestimmung des Declinationsunterschiedes be- 
dient man sich der Mikrometer schraube. Das ganze Fernrohr wird so ' 
eingestellt, dass das eine und zwar das erste Object währen^, seiner Be- 
wegung durch das Sehfeld von dem , dem beweglichen Faden parallelen 
festen bedeckt wird, während der bewegliche auf das zweite Object ein- 
gestellt wird. Notirt man sich nun die Ablesung der Schraubentrommel, 
und zieht davon diejenige Ablesung ab, welche der Coincidenz der beiden 
Fäden entspricht , so erhält man offenbar den in Trommeltheilen ausge- 
drückten Declinationsunterschied der beiden Objecte. Um diese in Se- 
kunden zu verwandeln, ist es nöthig, den Werth eines Schraubentheils in 
Sekunden zu kennen. Hierzu gelangt man durch die folgende Operation. 
Das Fadennetz wird senkrecht zu der vorigen Lage gestellt , indem man 
dasselbe genau 90® um die optische Axe dreht; der bewegliche Faden 
fällt also jetzt mit einem Declinationskreise zusammen. Zur Beurtheilung 
der Grösse der Drehung ist das Ocular von einem getheilten Kreise um- 



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. § 13. Astronomische Beobachtungen und Instrumente. 315 

geben, den man Positionskreis nennt. Man stellt nun die Schrauben- 
trommel nach und nach auf verschiedene Theilstriche und beobachtet die 
Passagen eines Sterns — am besten eines sehr nördlichen — über den be- 
weglichen Faden in diesen verschiedenen Stellungen. Die beobachteten 
Zeitdifferenzen multiplicirt man mit 15 Cos l und dividirt hierauf die Pro- 
ducte durch die Differenzen der Trommelablesungen ; man erhält somit 
eine Reihe Bestimmungen der gesuchten Grösse. — Auch durch Messung 
des bekannten Rectascensionsimterschiedes eines Stempaares vermittelst 
der Schraube , oder indem man irgend eine in Sekunden bekannte Ent- 
fernung misst und die Anzahl der Schraübentheile mit der bekannten An- 
zahl von Sekunden vergleicht, lässt sich der Schraubenwörth ermitteln. 

Die verschiedenen Theile des Instruments unterliegen dem Einflüsse 
der Temperaturveränderungen , mithin verändert sich auch der Schrau- 
benwerth mit der Temperatur. Es ist daher wichtig , denselben bei ver- 
schiedenen Temperaturen zu bestimmen und bei den eigentlichen Beob- 
achtungen das Thermometer abzulesen , damit man nicht über den jedes- 
maligen Werth eines Trommeltheils in Zweifel ist. 

In den Fällen , wo beide Objecto einander so nahe erscheinen , dass 
. das Auffassen der Passagen — welche jetzt unmittelbar nach einander 
erfolgen — unbequem wird , stellt man zunächst durch Drehung des Po 
sitionskreises das Fadennetz in eine solche Lage , dass einer der auf den 
beweglichen senkrechten Fäden mit der Verbindungslinie der beiden Ob- 
jecto parallel wird; ihre in Sekunden ausgedrückte Entfernung oder die 
Distanz misst man dann in derselben Weise, wie bei der vorigen Beob- 
achtungsart den Declinationsunterschied. Femer wird die Ablesung 
des Positionskreises notirt und ebenso hat man die Richtung der tägli- 
chen Bewegung, oder, durch Hinzufügung von 90*^, die des Declinations- 
kreises auf diesem Kreise bemerkt^ Die Angaben des Positionskreises 
dienen nun dazu, den sog. Positionswinkel zu bestimmen ; so nennt 
man näihlich den Winkel , welchen der durch das eine Object gehende 
Declinationskreis mit der Verbindungslinie der beiden Objecto bildet. 
Der Positionswinkel wird gewöhnlich vom nördlichsten Punkte des De- ' 
clinationskreises durch Osten, Süden und Westen von 0** bis 360o gezählt; 
man findet ihn unmittelbar durch die Differenz der Ablesungen auf dem 
Positionskreise. 

Bei den Messungen von Positionswinkel und Distanz kann man in- 
dessen , wie aus der eben erläuterten Beobachtungsart leicht gefolgert 
werden kann , die auf den beweglichen senkrechten Fäden offenbar ent- 
behren und diese werden daher auch häufig bei Fernröhren weggelassen, 
die zur Messung sehr kleiner Unterschiede bestimmt sind , wie z. B. der 
gegenseitigen Lage von Doppelsternen, deren Componenten oft noch we- 
niger als eine Sekunde von einander abstehen. 

Die Berechnung von Doppelstern bahnen gründet man gewöhnlich 
direct auf die gemessenen Distanzen und Positionswinkel , in andern Fäl- 



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316 III. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. . 

len, wo die Kenntniss der Rectascension und Declination nöthig ist, müs- 
sen erst aus der gemessenen Distanz und Positionswinkel die Differenzen 
in Rectascension und Declination berechnet werden. Zu diesem Zwecke 
dienen die Formeln : 

Cos h (a'— a) = A Sin P 
&'— 5 =ACosP 
wo A die Distanz und P den Positionswinkel bezeichnet und die man 
leicht aus dem Dreiecke ableitet, dessen Seiten («' — a) Cos S , o' — o und 
A sind und wo der Winkel zwischen 5' — 5 und A mit P bezeichnet wurde. 
In der Regel darf dieses Dreieck als ein ebenes betrachtet werden , so 
dass die Formfein der ebenen Trigonometrie unmittelbare Anwendung^ 
finden. 

Bei Objecten, deren Erscheinung eine wenig präcise ist und folglich 
nicht Messungen von höchster Genauigkeit zulässt , benutzt man häufig 
mit Erfolg das sog. Kreis- oder Ringmikrometer. Für Cometen 
und Nebelflecken erlangt man mit Hülfe eines solchen oft fast eben so 
gute Resultate wie mit dem viel complicirteren Fadenmikrometer. Das 
Ringmikrometer besteht einfach aus einem stählernen Ringe, welcher 
sjatt des Fadenkreuzes im Brennpunkte befestigt ist. Im Sehfelde er- 
scheint also statt der Fäden ein Ring.*) Lässt man nun zwei Objecto in 
der Weise das Feld durchlaufen, dass beide Sehnen innerhalb des innem 
Ringkreises beschreiben , so können für jedes Object vier Zeitmomente 
beobachtet werden. Ihre arithmetischen Mittel ergeben die Durchgangs- 
zeiten der Objecte durch den Declinationskreis, welcher durch den Mit- 
telpunkt des Ringes geht. Hieraus findet sich also unmittelbar die Diffe- 
renz der Rectascensionen. Der Unterschied in dei; Declination wird aus 
der verschiedenen Länge der Sehnen gefunden. Nehmen wir an, dass 
beide Objecte durch den Ring nördlich vom Mittelpunkte gehen , so ist 
dasjenige Object nördlicher, welches die kürzere Sehne beschreibt. Ist 
der scheinbare Radius des Ringes bekannt , d. h. in Sekunden gegeben, 
so lässt sich nach einigen geometrischen Betrachtungen der Declinations- 
unterschied berechnen , wobei die Sehnen , also die Differenzen der An- 
trittsmomente der einzelnen Objecte an den Ring, die unmittelbaren Er- 
gebnisse der Beobachtung sind. 

Ein ganz eigenthümliches Mikrometer ist das sog. Heliometer. 
Um ein solches herzustellen, muss das Objectiv nach einem Durchmesser 
in zwei Hälften geschnitten werden, welche aber so einzufassen sind, dass 
sie neben einander und zwar in der Richtung der Schnittlinie verschoben 
werden können. Betrachtet man eine Himmelsgegend mit diesem Instru- 
mente , indem die beiden Objectivhälften die ursprüngliche Lage gegen 
einander einnehmen, also zusammen ein vollständiges Objectiv bilden, so 



*) Gewöhnlich hat man zwei concentrische Ringe und benutzt je 
nach Umständen den grössern oder den kleinern. 



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§ 13. AstronomiBche Beobachtungen und Instrumente. 317 

hat man genau denselben Anblick wie durch ein gewöhnliches Femrohr. 
Man wird aber bemerken, wenn die Objectivhälften auseinander geschraubt 
werden, dass jedes Gestirn zwei Bilder giebt, sowie dass man die Bilder 
zweier Gestirne mit einander zur Coincidenz bringen kann. Hierauf be- 
ruht die Anwendung des Heliometers. — Das ganze Objectiv wird zu- 
nächst so um die optische Axe gedreht, dass die Verschiebung der .Ob- 
jectivhälften in der Richtung zwischen den beiden zu messenden Gestirnen 
geschieht. Alsdann bewegt man die eine Hälfte so weit, dass das eine 
Bild des einen Gestirns mit einem Bild des andern coincidirt. Die Bewe- 
gung wird mittelst der Schraube gemessen , deren Werth und dessen Ab- 
hängigkeit von der Temperatur in gewöhnlicher Weise bestimmt wird. 
Am Objective ist der Positionskreis befestigt, an welchem man den Posi- 
tionswinkel abliest ; am Oculare ist ein kleinerer angebracht, welcher dazu 
dient, der Verschiebung des Oculars , die in der Regel bei allen astrono- 
mischen Instrumenten möglich ist, dieselbe Richtung, wie sie die Verbin- 
dungslinie der beiden Gestirne hat, zu geben. 

Das Heliometer hat in der Geschichte der neuem Astronomie eine 
grosse Rolle gespielt. Auf der Sternwarte zu Königsberg wurde dasselbe, 
nach der Constraction Fraunhofer's, von dem berühmten Astronomen 
Bessel zu Messungen angewendet , welche an Genauigkeit alle früheren 
übertrafen. Vermittelst desselben war Bessel im Stande , die Abspiege- 
lung der Erdbewegijng um die Sonne an einem Fixsterne zu erkennen und 
damit zum ersten Male eine Fixsteraparallaxe zu bestimmen. Später hat 
sich allerdings gezeigt, dass das Vertrauen , welches man nach Bessel in . 
die Leistungen des Heliometers setzte , zum Theil wohl als übertrieben 
bezeichnet werden musste , allein die neuesten Verbesserungen , welche 
durch die Bemühungen der Herren Repsold in Hamburg erlangt worden 
sind, dürften diesem Instmmente einen hohen Rang unter den astronomi- 
schen Mess Werkzeugen dauernd verschaffen. 



§ 14; Ton den wahren, scheinbaren nnd mittleren Oertem 
der Himmelskörper. 

Wenn man die Bewegungen der Himmelskörper auf Grund der 
Veränderungen ihrer beobachteten Richtungen untersuchen will, müs- 
sen diese seU)8tverständlieh auf dieselbe Grundebene und dieselbe 
Grundrichtung bezogen sein. In den überwiegend meisten Fällen be- 
zieht man die Oerter der Gestirne auf den Aequator und die Rich- 
tung der Aequinoctialpunkte ; sowohl diese Grundebene wie auch die 
Grundrichtung sind aber nicht unveränderlich im Räume, sondern 
dem Einflüsse der Präcession und Nutation unterworfen. Diese Ein- 



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31 S III* Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

flüsse ziehen entsprechende Aenderungen der Rectascensionen und 
Declinationen nach sich, so dass man , w.äre die Lage eines Gestirns 
auch wirklich am Himmel unveränderlich , demselben doch eine Be- 
wegung zuschreiben müsste, wenn nicht die erwähnten Aenderungen 
bekannt wären und durch Rechnung bertlcksichtigt werden könnten. 
— Will man die Richtungen eines Himmelskörpers, wie sie zu ver- 
schiedenen Zeiten durch Beobachtungen gefunden worden sind , mit 
einander vergleichen, so muss man zunächst den Betrag der Nutation 
(vgl. pag. 201) von den beiden beobachteten Oertern subtrahiren. 
Es heisst dies, den Ort des Himmelskörpera auf das mittlere Aequi- 
noctium beziehen, welches der Richtung der Weltaxe gegen den Mit- 
telpunkt der Nutationsellipse entspricht *) ; die von dem Einflüsse der 
Nutation befreiten Oerter der Himmelskörper nennt man , in üeber- 
einstimmung hiermit, mittlere Oerter. Im Gegensatze hierzu 
heisst die wirkliche Richtung der Weltaxe gegen einen Punkt auf der 
Nutationsellipse: die wahre Richtung der Weltaxe, der entspre- 
chende Frühlingspunkt : der wahre Frühlingspunkt und auf diese 
werden die wahren Oerter der Gestirne bezogen. 

Die mittleren Oerter der Gestirne ändern sich femer in Folge 
der Präcession ; es ist daher stets nöthig , die Zeit anzugeben , für 
welche ein mittlerer Ort gültig ist. Will man die Bewegung eines 
Himmelskörpers untersuchen , so müssen die mittleren Oerter dessel- 
ben durch Anbringung der Präcession auf denselben Zeitpunkt bezo- 
gen werden ; die Unterschiede , welche dann noch nachbleiben , müs- 
sen , sofern sie nicht von Beobachtungsfehlern herrühren , einer Be- 
wegung (wirklichen oder scheinbaren) zugeschrieben werden. Die 
mittleren Oerter der Himmelskörper bilden also die Grundlage der 
astronomischen Untersuchungen. 

Es ist jedoch nicht möglich, die wahre Lage der Himmelskörper 
direct zu beobachten ; auch wenn der Einfluss der Refraction und 
einer etwaigen Parallaxe durch Rechnung ihre Berücksichtigung ge- 
funden haben, bleibt ein Umstand nach, welcher eine Verschiedenheit 



*) In Folge der Nutation liegen die Punkte , wo die Weltaxe die 
scheinbare Himmelssphäre trifft, auf kleinen Ellipsen, deren Mittelpunkte 
von der mittlem Lage der Weltaxe bestimmt werden. Die Lage dieser 
Mittelpunkte ändert sich in Folge der Präcession. 



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§ 14. Die wahren, scheinbaren und mittleren Oerter der Himmelskörper. 319 

zwischen den beobachteten und den wahren Richtungen bewirkt. 
Von der in sehr schneller Bewegung befindlichen Erde werden näm- 
lich die Himmelskörper nicht genau in derselben Richtung wahrge- 
nommen, welche ihrer wahren Lage entspricht; man bemerkt sie viel- 
mehr in einer Richtung, welche von der wahren um einen Winkel ab- 
weicht, dessen Grösse von dem Verhältnisse der Geschwindigkeit der 
Erdbewegung zu der des Lichtes abhängt. Diesen Winkel nennt man 
die Aberration. Die Geschwindigkeit des Lichtes beträgt ohnge- 
fähr 41820 geographische Meilen in 1 Sekunde; in derselben Zeit be- 
wegt sich die Erde 4,124 Meilen in ihrer Bahn fort. Die grösste 
mögliehe Aberration ist folglich in Sekunden : 

li^ X 206265" = 20:'33 , 

welche Zahl die Constante der Aberration genannt wird. — 
Die Bewegung der Erde ist nun stets sehr nahe senkrecht gegen die 
Sonnenstrahlen, welche wir empfinden, gerichtet; aus dieser Ursache 
ist die beobachtete Sonnenlänge stets um den Betrag der grössten 
Aberration, also um 20'/33 geringer als die wahre Sonnenlänge. Ein 
Gestirn aber, das in der Richtung der Erdbewegung gesehen wird, 
dessen Elongation von der Sonne also 90® beträgt, nimmt man ohne 
den Einfluss der Aberration wahr, also in seiner wahren Lage. 

Durch die folgende Betrachtung dürfte man eine deutliche Vorstel- 
lung von der Entstehung der Aberration gewinnen. Wir stellen uns ein 
Femrohr vor, das vollkommen unbeweglich in Bezug auf den Lichtstrahl 
ist, und' gegen einen Stern gerichtet , welcher genau auf das Fadenkreuz 
eingestellt ist. Denkt man sich nun das Fernrohr plötzlich in einer gegen 
den Lichtstrahl senkrechten Richtung in Bewegung versetzt , so mtisste 
man, da das Licht nicht momentan fortgepflanzt wird , schliessen , dass 
der Lichtstrahl nicht mehr das Fadenkreuz treffen kann. In der Zeit 
nämlich, welche das Licht braucht, um vom Objective nach dem Oculare 
zu gelangen, hat das Femrohr sich ein wenig zur Seite bewegt , so dass, 
wenn der Stern ursprünglich auf dem Fadenkreuze sichtbar war, derselbe 
nun, wo das Femrohr in Bewegung ist, etwas seitwärts gesehen wird. 
In einem Femrohre von 2 Meter Länge beträgt die Verschiebung , dem 
Winkel 2ü'.'33 entsprechend, 2 Zehntel Millimeter. 

Die Geschwindigkeit des Lichtes wurde zuerst von Claus Römer 
gemessen. Seine Absicht ging ursprünglich nur dahin , die Bewegungen 
der Jupitersmonde zu unfersuchen , weshalb er die Zeiten , zu denen die 
Monde in den vom Jupiter geworfenen Schattenkegel eintraten , mit den 



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320 in. Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

im Voraus berechneten Zeiten der Verfinsterungen verglich. Auf Grund 
der somit gefundenen Unterschiede zwischen Beobachtung und Rechnung 
beabsichtigte er die Elemente , welche letzterer zu Grunde gelegen hat- 
ten, zu verbessern. Er fand dabei jedoch auch ein anderes Resultat, wel- 
ches sich später als von der grössten Bedeutung erwies. Es zeigte sich 
nämlich, dass die Finsternisse früher, als berechnet war, stattfanden, 
wenn Jupiter in Opposition, also der Erde am nächsten war. Je grösser 
die Entfernung von der Erde wurde, desto später traten auch die Finster- 
nisse ein, relativ zur Vorausberechnung. Die weitere Verfolgung der Er- 
scheinung ergab etwa 17 Minuten als grössten Unterschied von der Vor- 
ausberechnung , und diese Abweichungen konnten keineswegs durch 
Aenderungen der Umlaufszeiten zum Verschwinden gebracht werden. 
Römer fand selbst die richtige Erklärung dieser Erscheinung und zwar 
darin, dass das Licht eine gewisse, merkliche Zeit braucht, um die Ent- 
fernungen zwischen den Hifiamelskörpem zu durchlaufen. Zur Zeit der 
Opposition ist Jupiter um einen ganzen Erdbahn-Durchmesser der Erde 
näher als zur Zeit der Conjunction; der Weg des Lichtes ist also im zwei- 
ten Falle um diesen Durchmesser länger, als in dem ersten. Man schliesst 
hieraus, dass das Licht 17 Minuten braucht, um den Durchmesser der 
Erdbahn, also 8^ Minuten um den Halbmesser zu durchlaufen. In dieser 
Zeit bewegt sich die Sonne etwa 21'' in der Bahn fort; die Richtung, in 
der wir die Sonne erblicken, oder ihre Länge, ist also um 21" oder ge- 
nauer 20"33 geringer als die wahre.*) 

Das Aberrationsphänomen wurde durch directe Stembeobachtungen 
von dem grossen Beobachter des vorigen Jahrhundert? , Bradley, bei 
der Gelegenheit entdeckt , wo er die Entfernung des Sterns y Draconis zu 
bestimmen versuchte. Während einer langem Zeit beobachtete er näntt- 
lich die Meridianzenithdistanzen dieses Sterns und fand dabei , nachdem 
er die Resultate der Beobachtungen durch Anbringung der Präcession auf 
denselben Zeitpunkt reducirt hatte , bedeutende Abweichungen zwischen 
den verschiedenen Werthen. Die genauere Verfolgung dieser Erscheinung 
führte nun zur Erkennung ihrer jährlichen Periodioität , und hierauf zur 
physischen Erklärung. Die Uebereinstimmung zwischen Beobachtung und 
Rechnung wurde indessen, auch nach gehöriger Berücksichtigung der 
Aberration, nicht so gross , wie man auf Grund der sehr genauen Beob- 
achtungen hätte erwarten können ; die Ursache hiervon wurde gleichfalls 
von Bradley entdeckt. Es zeigte sich nämlich in den Abweichungen der 
Einfluss einer Ungleichheit von nahezu ISjähriger Periode, deren Ursache 
keine andere sein konnte , als die schon von Newton vorhergesagte Nu- 
tation. Diese wurde also durch die Beobachtungen Bradley's factiscli 
erwiesen. 



*) Ueber die verschiedenen Werthe für die Aberrationsconstante 
vgl. pag 323. 



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§14. Die wahren, scheinbaren und mittleren Oerter der Himmelskörper. 321 

Die .durch die Aberration veranlasste Abweichung des Ortes eines 
Gestirns von seinem wahren Orte hängt von dem Winkel ab, den die Rich- 
tung des Gestirns mit der augenblicklichen Richtung der Erdbewegung 
bildet. Da nun diese beiden Richtungen stets angegeben werden können, 
so ist es eine rein geometrische Aufgabe , den Einfluss der Aberration auf 
den Ort des Gestirns durch eine Formel darzustellen , und folglich auch 
zu berechnen. Nimmt man , was hier meistens erlaubt ist , die Erdbahn 
als einen Kreis an, so ist die Richtung der Erdbewegung stets senkrecht 
gegen die Richtung zur Sonne ; indem man femer die Geschwindigkeit 
der Erdbewegung in zwei Componenten zerlegt , von denen die eine senk- 
recht zur Richtung des Sterns ist, so findet sich für diese der Ausdruck 

V Cos (X — O) , 
wo V die totale Geschwindigkeit, X die Länge des Sterns und die der 
Sonne bedeutet. Den Einfluss der Aberration auf die Länge des Sterns 
ergiebt die Formel 

X'-X = -20-'33^^^-®l 
Cos ß 

wo ß die Breite des Sterns bezeichnet ; von ihrer Richtigkeit kann man 

sich leicht überzeugen, wenn man durch die Pole der Ekliptik zwei 

grösste Kreise legt, von denen der eine durch den wahren Ort des Sterns 

geht, der zweite aber durch den mit der Aberration behafteten. 

Die von der Aberration .afficirten Oerter der Himmelskörper nennt 
man scheinbare oder apparente Oerter; X' bezeichnet also die 
scheinbare Länge des Sterns. 

Für den Einfluss der Aberration auf die Breite hat man die Formel 
ß'— ß = -h 20':33 Sin (X — O) Sin ß . 

Für ein Gestirn, dessen Breite Null ist , verschwindet also die Aber- 
ration der Breite. Die Richtigkeit dieses Ergebnisses folgt unmittelbar 
daraus, dass die Bewegung der Erde in der Ekliptik vor sich geht, dass 
mithin die auf der Ekliptik senkrechte Componente der Geschwindigkeit 
Null sein muss. 

In der Regel ist es erforderlich , beobachtete Rectascensionen und 
Declinationen von dem Einflüsse der Aberration, Nutation und Präcession 
zu befreien ; man wird daher Ausdrücke nöthig haben, durch welche jene 
Einflüsse auf die Rectascensionen und Declinationen direct berechnet 
werden können. Solche sind sehr leicht zu erhalten auf Grund gewisser 
Beziehungen, die zwischen kleinen Aenderungen, den sog. Differentialen, 
der Seiten und Winkel in einem sphärischen Dreiecke stattfinden. Bei 
der Ableitung dieser Relationen werden wir uns nicht aufhalten , sondern 
nur die Formeln anführen, die zurReduction der beobachteten Rectascen- 
sionen und Declinationen auf das mittlere Aequinoctium dienen. 

a) Präcession : 
a'-^ a « (46':028 + 20':064 Sin a Tang h) [t — <o) 
S'— l = 20':064 Cos a (< — <o) 
Gyld^B, Astronomie. 21 



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322 lU* Kapitel. Die Beobachtungskunst nnaerer Zeit. 

b) Nutation: *) 

o/— a = — 15':81 Sin Q — [6'.'865 Sin Q Sin a -|- 9'.'223 Cos Q Cos a] Tang 5 

— 1.16Sin20— [O.565Sin20Sina-f-O.551Co820Co8a]Tang5 
o'— S = — 6.86 Sin Q Cos a -|- 9.22 Cos Sin a 

— 0.51 Sin 20Cosa-|- 0.55 Cos 20 Sin a 

c) Aberration: **) 

"/— a = — 20':445 [Cos Cos a Cos 6 + Sin Sin a] See S 
o'— S = -f- 20.445 [Sin a Sin h Cos — Cos S Sin 8] Cos 

— 20.445 Sin Cos a Sin t 

Die Summe der drei Ausdrücke für af — a und h'— o giebt den vollstän- 
digen Unterschied zwischen dem scheinbaren, unmittelbar aus den Beob- 
achtungen gefolgerten Ort eines Sterns für die Zeit t und seinem mittleren 
Ort für die Zeit^o- I>a nun die Werthe dieser Summen sehr häufig be- 
rechnet werden müssen, so hat man sie durch Formeln dargestellt, welche 
für die numerische Berechnung mehr Bequemlichkeit gewähren als die 
obigen. Durch einige ziemlich einfache Transformationen erlangt man die 
folgenden Ausdrücke : 

a'— a = aA-^hB-^cC-\-dD 

l'— B = a'^ -h b'B -h c'C'\- d'D 
wo jetzt a' — a und 6' — o statt jener Summen stehen und also den ge- 
sammten Einfluss der Präcession , Nutation und Aberration enthalten sol- 
len. Die Grössen^, B, Cy D sind von dem Ort des Sterns völlig un- 
abhängig , und enthalten demnach nur die Zeit , S , und andere von 
dem Ort des Mondes abhängige Grössen ; man findet ihre numerischen 
Werthe für jeden Tag des Jahres in den astronomischen Ephemeriden an- 
gegeben, wobei to für den Anfang des Jahres angenommen wird. Die Grös- 
sen a, 5, c, d und a', 6', c', d' hängen nur von der Rectascension und De- 
clination des betrefTenden Sterns , sowie von der Schiefe der Ekliptik ab. 
Für jeden Stern haben sie besondere Werthe und müssen daher für einen 
jeden besonders berechnet werden. Sie ändern sich aber sehr langsam, 
so dass man, wenn sie für zwei Epochen berechnet sind , ihre Werthe für 
die Zeit der Beobachtung sehr leicht erhalten kann. In einigen Stem- 
katalogen sind diese Grössen angegeben , aber für die Mehrzahl der 
Sterne, welche in den jetzt gebräuchlichen Meridiankreisen beobachtet 
werden können, fehlen sie noch. 

Wir rnttesen noch mit einigen Worten angeben , wie die Constanten 
der Präcession , Nutation und Aberration bestimmt werden und fangen 
dabei mit der letzteren an. — Wäre die Sonnenparallaxe einerseits und 



*) Es werden im Texte nur die grössten Glieder der Nutation ange- 
führt ; das von 2 abhängige Glied wird Solarnutation genannt. 



** 



Wir geben diese Formeln mit der üblichen Constante 20'^445. 



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§ 14. Die wahren, scheinbaren und mittleren Oerter der Himmelskörper. 323 

anderseits die Geschwindigkeit des Lichtes mit hinreichender Genauig- 
keit bekannt , so wSre es leicht , die Aberrationsconstante durch Rech- 
nung zu finden. Matt würde zuerst berechnen , wie viele Meilen sich die 
Erde in einer Sekunde fortbewegt und diese Zahl mit der Anzahl Meilen 
dividiren, welche das Licht in einer Sekunde zurücklegt. Auf diesem 
Wege wird man aber gegenwärtig keine sehr genauen Resultate erwarten 
. können. -- Ben directesten Weg zur Bestimmung des Verhältnisses zwi- 
schen der Geschwindigkeit der Erdbewegung un^ des Lichtes dürften die 
Beobachtungen der Jupiterstrabanten darbieten , denn durch ihre Verfiti- 
sterungen erhält man unmittelbar die Geschwindigkeit des Lichtes in 
demBelbenMaasse ausgedrückt, wie die der Erde, und braucht die Sonnen- 
parallaxe also gar nicht zu kennen. Auf diesem Wege hat Delambre den 
Werth 20'.'25 für die in Frage stehende Constante gefunden. Am sicher- 
sten wird man ihn wohl direct aus Stembeobachtüngen finden. Zu sol- 
chem Zwecke muss ein Stern zu verschiedenen Jahreszeiten beobachtet 
werden ; der Einflucs der Aberration durchläuft dabei alle Phasen, wo- 
durch er möglichst verschieden wird und sich also desto mehr von den 
Einflüssen der Präcession und Nutation absondert. Von diesen letzteren 
ändert sich die eine proportional der Zeit und die andere nur wenig im 
Verlauf eines Jahres ; man wird sie auch durch Rechnung berücksichti- 
gen können, da die betreffenden Cons tauten als hinreichend genau vor- 
ausgesetzt werden dürfen, um die während eines Jahres beobachteten 
wahren Oerter auf das mittlere Aequinox am Jahresanfang reduciren zu 
können. Hiernach hat es gar keine Schwierigkeit, die Constante der 
Aberration zu ermitteln, wobei man die Methode der kleinsten Quadrate 
anwenden kann. In solcher Weise ist diese Constante von W. Struve 
zuy20'.'4451 gefunden worden. 

Zieht man von den scheinbaren Oertern den Einfluss der Aberration 
ab, so erhält man die wahren Oerter, aus denen man, wenn sie über einen 
längeren Zeitraum vertheilt sind, die Constanten der Präcession und 
Nutation bestimmen kann. Hierbei muss bemerkt werden, dass alle nume- 
rischen Coefficienten in den Nutationsformeln von einer einzigen Con- 
stante abhängen ; es ist nämlich , wenn 8 die Schiefe der Ekliptik be- 
deutet, 

15':815=^?^iV^, 
Sm 

ß"ftfi^ CQs2e ,^ 

wo A'die Constante der Nutation, welche hier zu 9'.'223 angenommen ist, 
bedeutet.*) 

Jeder beobachtete und von der Aberration befreite Ort giebt also 



*) Die Coefficienten der Solamutation sind auch von N abhängig, 
so dass ihre Bestimmung mit der von N zusammenfällt. 

21* 



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324 HI- Kapitel. Die Beobachtungskunst unserer Zeit. 

zu einer Bedingungsgleichung Anlass , welche die GrOsse N und eine 
zweite Unbekannte, die mit der Zeit multiplicirt erscheint , enthält. Da. 
ferner die Beobachtungen sich über mehrere Jahre erstrecken, so werden 
die Coefficienten der Unbekannten N in den Bedingungsgleichungen ge- 
nügend verschiedene Werthe haben, um dieselbe von dem unbekanntem 
Coefficienten der Zeit abzusondern. Durch die Anwendung der Methode 
der kleinsten Quadrate auf sämmtliche Bedingungsgleichungen wird maa 
also N oder die Constante der Nutation, sowie das der Zeit proportionale 
Glied bestimmen können. 

Die numerischen Coefficienten in denPräcessionsformeln hängen voa 
der sog. Lunisolarpräcession, welche wir in dem Vorhergehenden 
'pag. 201) mit P bezeichneten, folgendermassen ab. Es ist 
m = 46':028 = Cos 9 . P — 0':i79 
n = 2ü':064 = Sin e . P 
wo 

P = 50'.'376 

und die Grösse 0'.'179 entweder aus der Theorie der Planetenstörungen 
entnommen wird, oder auch als eine neue Unbekannte behandelt werden 
kann. Auf alle Fälle ergiebt sich eine Verbindung von m und n aus den 
Beobachtungen der Rectascensionen und n allein aus den Declinationen. 
Hieraus lässt sich endlich die Constante der Präcession oder P berechnen. 

Bestimmt man P aus den Beobachtungen verschiedener Sterne , so 
wird man im Allgemeinen Werthe finden , die mehr von einander abwei- 
chen, als man nach ihren wahrscheinlichen Fehlem vermuthen sollte, wo- 
gegen die Werthe von N in genügender Uebereinstimmung mit einander 
gefunden werden. Diese Erscheinung beweist, dass die Sterne keines- 
wegs unbeweglich am Himmelsgewölbe stehen, sondern dass jeder 
eine ihm eigenthümliche Bewegung hat. Man hat zwar gefunden, dass ein 
Theil dieser Ortsveränderungen nur eine Abspiegelung der Bewegung des 
ganzen Sonnensystems ist ; ein anderer Theil bleibt jedoch den Sternen 
eigen.*) Diese den Sternen eigenthümliche Bewegung erscheint uns bei 
den verschiedenen Sternen so verschieden und bis jetzt so gesetzlos, dass. 
an eine andere Ursache als wirkliche Bewegung gar nicht zu denken ist. 

Die Bewegungen der Sterne erschweren im höchsten Grade die Be^ 
Stimmung der Präcessionsconstante , weil durch sie die Rectascensionen 
und Declinationen ebenfalls der Zeit proportional geändert werden. Ihren 
Einfluss kann man gegenwärtig nicht vollständig beseitigen , sondern nur^ 
durch Beobachtung undVergleichung einer möglichst grossen Zahl Sterne,, 
herabdrticken. Dabei muss auf möglichst gleichförmige Vertheilung der 



*j Man nennt gewöhnlich die Resultante der scheinbaren und wirk- 
lichen Bewegung (motus parallacticus und motus peculiaris) die Eigen- 
bewegung des Sterns, eine Benennung, die wir weder für nothwendig 
noch passend halten. 



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§ 14. Die wahren, scheinbarenund mittleren Oerter der Himmelskörper. 325 

verglichenen Sterne am Himmel geachtet werden , denn dadurch werden 
die parallactischen Bewegungen der Sterne fast TÖllig ohne Einfluss auf 
die Bestinmiung der Präcessionsconstante bleiben. 

Die Resultate der Sternbeobaehtungen, also die für eine gewisse 
Epoche geltenden mittleren Oerter fasst man in den sog. Stemcata- 
logen zusammen. Diese enthalten demnach das Material für künf- 
tige astronomische Forschungen und zwar ist ihre Anwendung eine 
zweifache : erstens findet man in den Catalogen die Oerter der Sterne, 
denen man kleine Planeten, Cometen und Nebelflecke vermittelst 
Mikrometermessungen anschliesst, zweitens ist aus ihnen die Ge- 
schichte des Sternenhimmels zu entnehmen. 

Durch die Bradley 'sehen Beobachtungen aus der Mitte des 
vorigen Jahrhunderts .ist ein vorzüglicher Stemcatalog für die ge- 
nannte Epoche abgeleitet worden ; in ihm findet man die Lage von 
mehr als 3000 Sternen des zu Green wich sichtbaren Himmels. Etwas 
vorher beobachtete Lacaille am Gap die südlichen Gestirne ; leider 
verhinderte sein kurzer Aufenthalt daselbst , den Beobachtungen im 
Allgemeinen eine grössere Genauigkeit zu geben. Im Anfange dieses 
Jahrhunderts stellte Piazzi zu Palermo Sternbeobachtungen an und 
lieferte damit ein werthvolles Verzeichniss von etwa 8000 Positionen. 
Von neueren Catalogarbeiten dürften die auf den Sternwarten zu 
Oreenwich nnd Pulkowa in erster Linie genannt werden müssen. 
Von der letzteren Sternwarte ist allerdings bis jetzt nur ein relativ 
kleiner Theil der Oeffentlichkeit übergeben, allein die Fortsetzung 
wird voranssichtlich demnächst erscheinen, nnd schon ans dem jetzt 
Bekannten lässt sich die hohe Genauigkeit der dortigen Beobachtun- 
gen beurtheilen, aber auch der Schluss ziehen , dass diese noch ge- 
steigert werden kann, wenn gewisse Einflüsse des dortigen ungünsti- 
gen Klimas in vollkommenerer Weise als bisher beseitigt werden kön- 
nen. Alsdann müssen die schon älteren Cataloge von W. Struve 
und Argelander erwähnt werden; der erstere beruht auf Beob- 
achtungen, die zu Dorpat angestellt wurden, und enthält gegen 3000 
Positionen, der zweite auf Beobachtungen zu Äbo , enthält aber nur 
560 Stemörter. Die Positionen dieser beiden Cataloge waren zu ihrer 
Zeit (nm 1830) von allen bekannten die genauesten. Endlich nennen 
wir die Cataloge der Sternwarten zu Armagh (Irland) , Oxford und 
Washington , die Cataloge der besonders nördlichen Sterne von 



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326 nx. Kapitel. Die BeobachtungBkunst unserer Zeit. 

Groombridge und Schwerd, sowie die der südlichen von den 
Sternwarten zn Madras und Melbourne und endliek den aus den von 
Johnson zu St. Helena angestellten Beobachtungen geschlossenen 
Catalog von 6Ö0 Sternen. 

Ausserdem giebt es Cataloge, die eine sehr grosse Anzahl Sterne 
enthalten , bei denen aber eine etwas geringere Genauigkeit erstrebt 
wurde. Sie beruhen meistens auf sog. Zonenbeobachtungen, bei wel- 
chen sehr viele Sterne rasch nach einander beobachtet wurden , in- 
dem der Meridiankreis nur wenig im Sinne der Declination sich be- 
wegen konnte. Zu diesen Arbeiten gehören vor allen die Beobach- 
tungen von Lalande, Bessel und Argelander, femer die 
Zonen vonLamont; die Cataloge von Rtimker (Hamburg) und 
Schjellerup (Kopenhagen) stehen, ihrer Genauigkeit nach, ohn- 
gefähr in der Mitte zwischen den beiden Cataloggattungen. Hierbei 
müssen wir noch eine Arbeit , eigentlich etwas anderer Art , erwäh- 
nen , nämlich das von Argelander publicirte Bonner Stemverzeich- 
niss, die sog. »Bonner Durchmusterung«. Dieses erreicht zwar die 
Genauigkeit der vorgenannten Meridianbeobachtungen nicht , indem 
seine Angaben — zufolge der dem Zweck entsprechend einfacheren 
Beobachtungsmethode — nur auf circa 0?7und 0/1 genau siijd, über- 
trifft aber alle anderen durch die ausserordentliche Anzahl der be- 
obachteten Sterne, welche zwischen dem Nordpol ujjd — 2° Declina- 
tion 324000 tibersteigt und die bis zur 9. Grösse herab wohl voll- 
ständig ist , überdies aber auch eine beträchtliche Zahl von Sternen 
10. Grösse enthält. 



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IV. Kapitel. 

li[euere astronomische Forschimgen. 

§ 15. IMe Bestimmung der Entfernungen der Himmels- 
körper. 

Die Möglichkeit , eine Einsicht in die Natur der \rirklichen Be- 
wegungen zu gewinnen, beruht auf der KenntnisB der Entfernungen 
der Hinunelskörper ; denn ohne sie würde man nicht die Abspiege- 
lung der Erdbewegung oder die sog. paraUactische Bewegung von 
der wirklichen absondern können. Es ist jedoch bis jet3t nur in 
sehr wenigen Fällen möglich gewesen, durch direete Messungen 
solche Entfernungen zu bestimmen^ die Grundlinie, von deren End- 
punkten dergleichen Messungen geschehen können, der Erdbahn- 
durchmesser nämlich , ist fast immer so verschwindend klein im Ver- 
gleich zu den Abständen , dass auch die sorgfältigsten und genaue- 
sten Beobachtungen nicht zur Kenntniss der Parallaxe geführt haben. 

Von den Körpern , welche zum Sonnensysteme gehören , sind es 
die Planeten Mars und Venus , sowie der Mond , fttr die man durch 
direete Messungen die Parallaxen gefunden hat ; in letzterer Zeit ist 
dies auch fdr einen der kleinen Planeten gelungen und dürfte, da die 
kleinsten Entfernungen dieser Planeten von der Erde im Allgemeinen 
nicht sehr verschieden sind , auch für die Mehrzahl derselben gelin-^ 
gen. — Wie die Mondparallaxe durch Messungen der Mondhöhen von 
verschiedenen Punkten der Erdoberfläche aus bestimmt wurde, haben 
wir schon im Vorhergehenden (pag. 69) angeführt; in derselben 






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328 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

Weise hat man auch die Marsparallaxe bestimmt , und zwar stellte 
man hier die Beobachtungen zu der Zeit an , wo die Entfernung des 
Mars von der Erde am kleinsten , seine Parallaxe mithin am grössten 
war. Höchstwahrscheinlich hätte man auch die Parallaxe der Venus 
durch passende Beobachtungen und in nahezu derselben Weise finden 
können ; obwohl aber von solchen Beobachtungen zuweilen die Rede 
gewesen ist, sind dieselben doch bisher unterlassen worden. Die Ur- 
sache hiervon liegt wohl hauptsächlich darin, dass man bei gewissen 
Gelegenheiten den Unterschied zwischen den Parallaxen der Venus 
nnd der Sonne mit mehr als gewöhnlicher Genauigkeit bestimmen 
kann. Diese Gelegenheiten, die jedoch sehr selten sind, finden statt, 
wenn der Planet, von der Erde aus gesehen , vor der Sonnenscheibe 
vorbeigeht. Die Erscheinung ist identisch mit einer gewöhnlicheir 
Bedeckung und mnss daher, falls die Parallaxe des näheren Gestirns 
merklich ist , von verschiedenen Punkten der Erdoberfläche aus ge- 
sehen, in verschiedener Weise stattfinden. Die Zeiten der Ränder- 
berührungen müssen also auch durch die Parallaxe afßcirt werden, 
welche umgekehrt aus der Verschiedenheit der Bertthrungszeiten er- 
mittelt werden kann. Durch die Beobachtungen eines solchen Durch- 
gangs erhält man nun nicht eigentlich die Parallaxe der Venus , son- 
dern die Differenz dieser und der Sonnenparallaxe ; da aber das Ver- 
hältniss dieser Parallaxen in Folge des dritten Kepler'schen Gesetzes 
bekannt ist , so hat es keine Schwierigkeit , die absoluten Parallaxen 
darans zn finden. 

Aus den Venusvorübergängen in den Jahren 1761 und 1769 fand 
E n c k e den bereits angeführten Werth 

8':57116, 
eine neuere, von Herrn Po walky ausgeführte Berechnung derselben Be- 
obachtungen , bei der genauere Längen einiger Beobachtungsorte ange- 
wandt werden konnten, ergab jedoch 

8':832 .*) 
Mit diesen Werthen wollen wir einige andere Bestimmungen vergleichen. 

Die aus den Marsbeobachtungen abgeleitete Marsparallaxe fuhrt so- 
gleich, vermittelst des dritten Kepler'schen Gesetzes, zur Eeinntniss der 
Sonnenparallaxe. Die im Jahre 1862 nach Winnecke's Plan ausge- 



*) Das Resultat des letzten Vorüberganges der Venus ist noch nicht 
abgeleitet worden;- einige provisorische Rechnungen scheinen indessen 
den Werth 8':8 bis 8':9 zu bestätigen. 



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§ 15. Die Bestimmung der Entfernungen der Himmelskörper. 329 

führten Messungen der Meridianhöhen führten nach Newcomb's Rech- 
nung zu dem Werthe 

8:855. 

Aus der parallactischen Ungleichheit der Mondbewegung findet 
Newcomb 

8':839. *) 

Aus der Mondungleichheit der Erdbewegung folgte 

8':809. 

Der von Newcomb angegebene Mittelwerth 

8'.'848 
dürfte der Wahrheit also schon äusserst nahe kommen. 

Die Kenntniss der Geschwindigkeit des Lichtes, ausgedrückt in 
Meilen oder in irgend einem Maasse, durch welches auch derErdhalbmes- 
der angegeben ist, führt ebenfalls zur Kenntniss der Sonnenparallaxe, 
vorausgesetzt, dass die Constante der Aberration bereits bekannt ist. 
Dieser Constante entspricht nämlich eine gewisse Anzahl Sekunden , die 
das Licht braucht, um den Abstand zwischen Sonne und Erde zu durch- 
laufen. Weiss man nun , wie viele Meilen oder wie viele Erdhalbmesser 
das Licht in einer Sekunde zurücklegt , so kann man sogleich die Entfer- 
nung der Sonne in Erdhalbmessern ausdrücken , mithin die Parallaxe der 
Sonne berechnen. Die Versuche von Foucault und später von Cornu 
haben nur wenig von 8'.'9 verschiedene Werthe für die Sonnenparallaxe 
ergeben. 

Sobald die Umlaufszeit eines zum Sonnensystem gehörenden 
Körpers bekannt ist, lässt sich sein mittlerer Abstand von der Sonne 
oder von der Erde ohne jegliche Schwierigkeit in Einheiten der hal- 
ben grossen Axe der Erdbahn , mitbin auch , wenn die Sonnenentfer- 
nung bekannt ist, in bekanntem Maasse ausdrücken. Es ^ebt aber 
häufig Fälle , in denen ein neu entdeckter Himmelskörper — Planet 
oderComet — nur eine kurze Zeit zu sehen ist, und man während der 
Sichtbarkeit demselben nur in einem kleinen Theile seiner Bahn fol- 
gen kann. Um demohngeachtet so schnell als möglich zu einiger 
Kenntniss seiner^ Bahn gelangen zu können , ist vor Allem erforder- 
lich , auf Grund der vorhandenen Beobachtungen die Abstände von 
der Erde oder von der Sonne zu ermitteln. Diese Aufgabe ist aber 
keine leichte und nur durch Annäherungen lösbar. Zwar haben die 
grössten Geometer sich an derselben versucht, allein eine directe 
Methode ist nicht gefunden worden. Das Problem führt entweder auf 



*) Hansen hatte : 8':916 (vgl. pag. 245). 



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330 -^V. Kapitel. Neuere astronomische ForBchnngen. 

OleichuBge» so hohen Grades , dass sie nieht direct lösbar sind , oder 
auch aufsog, transcendente Gleichungen, d. h. solche, wo die Un- 
bekannte in unendlich vielen Gliedern vorkommt, und auch diese kön- 
nen nur durch Annäherungen oder Versuche gelöst werden, Die beste 
Lösung der Aufgabe ist von Gauss in dem Werke Theoria mo- 
tus corporum coelestium*) gegeben; fttr die Cometen, wo 
die Aufgabe eine wesentlich leichtere ist, hat Olbers eine sehr 
zweckmässige Methode ersonnen **) . Die Epoche machenden Ar- 
beiten von Gauss wurden durch die Entdeckung der Ceres (1. Januar 
ISOl) angeregt, welche sonst wohl nicht so leicht wiedergefunden 
worden wäre. 

Die Lösung der in Frage stehenden Aufgabe gründet sieh auf die 
Kepler'schen Gesetze — ohne jegliche Voraussetzung wäre sie unbe- 
stimmt (vgl. pag. 6) . Man nimmt also an , dass der neu entdeckte Kör- 
per sich in einem Kegelschnitte um die Sonne bewegt, sowie dass die 
Sectoren der Zeit proportional wachsen. Aus der Bedingung , dass der 
Körper sich in einer Ebene bewegt , welche durch den Mittelpunkt der ^ 
Sonne geht, lasseiisieh durch rein geometrische Betrachtungen gewisse 
Relationen herleiten, entweder zwischen einem Abstand des neuen Kör- 
pers von der Erde und den Flächen, der Dreiecke , welche zwischen den 
verschiedenen, zu den Beobachtungszeiten stattfindenden Radienvectoren 
liegen, oder auch zwischen mehreren Abständen und den genannten Drei- 
ecksfiächen. Die Ableitung dieser Relationen, bei denen vorausgesetzt 
wird , dass wenigstens drei vollständige Beobachtungen vorliegen , kann 
hier nicht gegeben werden ; wir müssen uns darauf beschränken , nur eine 
derselben anzuführen.***) Wir bezeichnen dabei mit i, Jf, iV und a 
Grössen, die nur von den geocentrisehen Coordinaten des Planeten oder 
Cometen und von den entsprechenden geocentrisehen Sonnenörtem ab- 
hängen, und mit/,/' und /" die Dreiecksflächen zwischen r' und r", 



*) Seit 1865 existirt eine deutsche Ausgabe dieses Werkes von 
Haase (Hannover). — Für Diejenigen, welche sich für die Bahnbesttm- 
mung der Himnaelskörper interessiren , verweisen wir noch auf folgende 
Schriften : 

Oppolzer, Lehrbuch zur Bahnbestimmung der Planeten und Come- 
ten. Leipzig, 1870. 

Klinker fues. Theoretische Astronomie. Braunschweig, 1871. 

W at B o n , Theoretical Astronomy . Philadelphia , 1 868. 

**) Leichteste und bequemste Methode, die Bahn eines Cometen^ zu 
berechnen. Ausgabe von Encke. Weimar, 1847. 

*♦*) Diese Ableitung erlangt man übrigens leicht ^enug mit Hülfe eini- 
ger Sätze aus der analytischen Geometrie des Raumes. 



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§ 16. Die Bestimmung der Entfernungen der Himmelskörper. 331 

zwischen r und r" und zwischen r und r', indem r, r' und r" die Badien- 
vectoren des neuen Gestirns zur Zeit der ersten, zweiten und dritten 
Beobachtung bedeuten. Endlich sei der Abstand des Gestirns von der 
Erde zur Zeit der mittleren Beobachtung p', alsdann ist 

^ f" 

f 

Es wäre nun leicht, p' zu berechnen, wenn die Verhältnisse ^ und 

f 

jji bekannt wären ; aber diese zu finden ist gerade mit grossen Schwie- 
rigkeiten verknüpft. Eine Möglichkeit, die Flächen selbst zu berechnen, 
giebt es nicht , da weder die Seiten noch die Winkel derselben bekannt * 
sind; das einzige, was man von diesen Dreiecken weiss, ist, dass sie sich 
bei kleinen Zwischenzeiten nicht viel von den entsprechenden Sectoren 
unterscheiden. Das Verhältniss zweier Dreiecksflächen unterscheidet 
sich daher auch nui; wenig von dem Verhältnisse der entsprechenden Sec- 
torfen, welches aber, dem zweiten Kepler' sehen Gesetze zufolge, dem Ver- 
hältnisse der respectiven Zwischenzeiten gleich ist. Nennt man also die 
Zeit zwischen der zweiten und dritten Beobachtung ^ , die zwischen der 
ersten und dritten %' und endlich die zwischen der ersten und zweiten ft", 
so dass 

so hat man näherungsweise 

/. — L ^— i_ 

In der obigen Gleichung zur Bestimmung von p' ist nun a eine sehr 

kleine Grösse ; eine etwaige Vernachlässigung in der rechten Seite wird 

daher erheblich vergrössert in den Werth von p' tibergehen. Aus diesem 

Grunde muss man sehr vorsichtig bei der Benutzung der eo eben erwähn- 

/ f 

ten Näherungswerthe ftir^ und ~f sein. Diese Werthe kommen nur in 

dem zweiten aus zwei Factoren bestehenden Gliede der Gleichung vor ; 
der erste dieser Factoren wird in der Begel hinreichend genau gefunden, 
indem man die Verhältnisse der Dreiecke den Verhältnissen der entspre^ 
chenden Zwischenzeiten gleich setzt ; der zweite Factor würde aber den 
Constanten Werth 1 erhalten , welcher Werth , wenn die Zwischenzeiten 
nicht sehr klein sind, so viel von dem wahren abweichen kann , dass die 
Bestimmung von p' dadurch gänzlich fehlerhaft wird. Ein mehr genäher- 

ter Werth für *^ y ist folgender , wo * die Gaussische Constante be- 
deutet (vgl. pag 214) : 



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332 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 



14- 



2r'3 



Hiermit erhält man : 

(1) ap'«X4- 



M+N^ 






eine Gleichung , die indessen zwei Unbekannte , p' und r', hat. Um sie 
auflösen zu können, bedarf man also einer zweiten , welche aber leicht zu 
erhalten ist ; bezeichnet nämlich t]' die Elongation des neuen Gestirns you 
der Sonne zur Zeit der dritten Beobachtung , R' die Entfernung zwischen 
Erde und Sonne, so ist 

(2) r'2 = JR'2 + p'2 — 2 p' JR Cos ij' 

welche Gleichung in derselben Weise, wie früher die ähnlichen pag. 112 u. 
' 231 abgeleitet wird. Aus den Gleichungen (l)und (2) müssen nun die Werthe 
YOn p' und r' gesucht werden, womit die Aufgabe annähernd gelöst ist. Es 
hat dann keine weitere Schwierigkeit, auch die Werthe von pund p", mithin 
auch die von r und r"zu finden, wonach dieVerhältnisse der Dreiecksflächen 
genauer berechnet werden müssen, um einen zweiten Näherungswerth von 
p' zu erhalten. Wenn man, in dieser Weise fortfahrend, einen hinreichend 
genauen Werth von p' gefunden hat, d. h. einen Werth, welcher durch 
eine nochmalige Rechnung nicht verändert werden würde , so ist die Auf- 
gabe vollständig gelöst. 

Bei Cometen ist die Auflösung der Aufgabe etwas einfacher, weii 
für die parabolische Bewegung eine ziemlich einfache Gleichung zwischen 



*) In der Mechanik werden folgende Ausdrücke abgeleitet : 

woraus der im Texte gegebene Werth folgt. 

**) Nimmt man an, dass r' ^ 2,5 (diese Entfernung von der Sonne 
haben die kleinen Planeten beiläufig) , so ist 

J^ = 0.00000947 ; 

wenn d « 0" =« 100 Tage ist, so beträgt 1 + ~^' : 1 .0947 , also ziem- 
lich beträchtlich von 1 verschieden. 



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§ 15. Die Bestimmung der Entfernungen der Himmelskörper. 333 

der Zeit, zwei Radienvectoren und der der Zwischenzeit entsprechenden 
Sehne hier zur Anwendung kommen kann. Diese Gleichung ist : 

Qk%' = {f"'j'r-\- c)^ — "(r" 4- r — c)' *^- 
Die Grössen r", r und c können nun alle durch p oder p" (die Entfernun- 
gen von der Erde bei der ersten und bei der dritten Beobachtung) ausge- 
drückt werden, so dass man im Ganzen vier Gleichungen zwischen diesen 
vier Unbekannten hat, deren Werthe man durch successive Annäherungen 
suchen muss. Eine fünfte Gleichung, nämlich die zwischen p und p", 
welche vom ersten Grade ist, wurde schon benutzt, um aus den vier ersten 
die eine der Grössen p oder p" wegzuschaffen. 

Der Winkel , unter welchem die halbe grosse Axe der Erdbahn 
von einem Himmelskörper aus erscheint, wird die jährliche Parall- 
axe desselben genannt. Dieser Winkel , auch für die entferntesten 
Planeten des Sonnensystems sich auf Grade belaufend, ist nur bei 
sehr wenigen Sternen bemerkbar. Man hat indessen keine Mühe ge- 
scheut, die jährliche Parallaxe einiger Sterne zu ermitteln; ursprüng- 
lich wohl in der Absicht , einen directen Beweis für die copemicani- 
sche Weltansicht zu erhalten , nach welcher die Erde eine Kreisbahn 
um die Sonne beschreibt. Die Constatirung einer Parallaxe beweist 
nämlich, dass das betreffende Object von wenigstens zwei verschiede- 
nen Punkten im Räume aus betrachtet worden ist, mithin auch in un- 
serm Falle , dass die Erde ihre Lage im Räume ändert. Indessen 
alle hierauf verwandte Mühe blieb erfolglos , so dass Copemicus sich 
zu der Erklärung genöthigt sah : die Fixsterne befinden sich in so un- 
ermesslichen Entfernungen von dem Sonnensysteme , dass die ganze 
Erdbahn von ihnen aus nur wie ein einziger Punkt erscheint. Zur 
Zeit des Copemicus waren die astronomischen Beobachtungen jedoch 
noch so ungenau, dass die Entfernungen keineswegs sehr gross zu 
sein brauchten , um den Einfluss der Parallaxe auf die Lage der 
Sterne durch die Beobachtungsfehler gänzlich zu verdecken. Neh- 
men wir z. B. an, ein Stern befände sich in dem zehnfachen Ab- 
stände des Saturns von der Sonne von uns , so würde seine Entfer- 
nung 92 Sonnenweiten betragen; seine Parallaxe würde sich also 
auf 37' belaufen, und wenn der Stern von den beiden Endpunk- 



*) Die Ableitung dieser Gleichung , welche die Euler'sche heJsst, 
ist nicht ganz kurz ; sie gründet sich auf das zweite Kepler'sche Gesetz. 
Für Ellipsen existirt eine analoge , aber complicirtere Gleichung , welche 
von Lambert herrührt. Auf die Anwendung dieser Gleichung ist die 
Methode von Olbers zum grossen Theil gegründet. 



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334 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

ten eines Erdbahndurchinessers aus beobachtet würde , dessen Länge 
zwei Sonnenweiten beträgt, so müssten in seiner scheinbaren Lage 
Veränderungen wahrgenommen werden, die bis auf 74' steigen.*) 
Dies ist eine Grösse, welche auch den Beobachtern vor Tyge Brahe 
nicht entgehen konnte. Eine hundertfache Entfernung des Saturns 
oder eine Parallaxe von 3/7 konnte aber von ihnen nicht mehr ge- 
messen wetden , und der Ausspruch von Copemicus besagt deshalb 
einfach nur, dass die Sterne mehr als 100 Sonnenweiten von uns ent- 
fernt seien; ob aber ihre Entfernungen etwa 1000 Sonnenweiten oder 
mehr beti'ügen, konnte er nicht entscheiden. — Durch die Bemühun- 
gen Tyge Brahe's konnte über iOmal kleinere Grössen als zuvor 
entschieden werden ; es zeigte sich nun , dass die Sterne mehr als 
1000 ja vielleicht mehr als 10000 Sonnenweiten von uns entfernt sein 
mUBsten, wenn die copemicanische Lehre richtig sein sollte; da 
aber solche Entfernungen menschliches Vorstellungsvermögen schon 
fast übersteigen, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn Tyge in der 
Ünmerklichkeit der Parallaxen einen Beweis gegen die copemicani- 
sche Lehre sah. 

Nach Anwendung des Femrohrs bei den astronomischen Beob- 
achtungen (durch P i c a r d und Auzout 1670) that die Beobachtungs- 
kunst, namentlich durch die Bemühungen von Flamsteed und Rö- 
mer, einen erheblichen Schritt vorwärts ; die Stemparallaxen blieben 
aber trotzdem fortdauernd unmerklich. Ein weiteres Jahrhundert und 
in ihm vor allem Bradley , führte endlich die Beobachtungskunst so 
weit , dass nun die einzelne Sekunde keine illusorische Grösse mehr 
war ; jetzt hätten sich also die Parallaxen zeigen müssen , wenn nicht 
die Sterne in mehr als 206265 Sonnen weiten verlegt werden sollten, 
welcher Entfemung eine Parallaxe von 1" entspricht, und die das 
Licht in etwas Über 3 , ein Eisenbahnzug aber in etwa 50 Millionen 
Jahren durchläuft. 

Doch erst im dritten Decennium dieses Jahrhunderts gelang es 
Be ssel und kurz nachher W. S tru ve , Parallaxen bei Sternen nach- 
zuweisen. Bessel beobachtete den Stern No. 61 im Schwan mittelst 



*) Die mittlere Entfernung der Sonne von der Erde nennt man eine 
Sonnenweite; ebenso versteht man häufig imter der Benennung einer 
Sternweite den Abstand eines Sterns , dessen jährliche Parallaxe eine Se- 
kunde beträgt. 



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§ 15. Die Bestimmung der Entfernungen der Himmelskörper. 335 

seines Heliometers und maass dabei die Winkelstände von zwei nahe 
gelegenen teleskopischen Sternen. Diese Abstände änderten sich im 
Laufe des Jahres so, wie es eine merkliche Parallaxe erforderte , und 
diese musste daher mit einer an Gewissheit grenzenden Wahrschein- 
lichkeit angenommen werden ; er bestimmte den Betrag derselben zu 
0l'348 3 mit einem wahrscheinlichen Fehler von 0!'0O95. — Struve 
beobachtete den Stern W e g a (a Lyrae) vermittelst eines Fadenmi- 
krometers nnd fand die Parallaxe 072613 mit dem w.F. 070254. 
Spätere, mit noch grösserer Sorgfalt angestellte Beobachtungen haben 
zwar die Bealität der von Bessel und Struve gefundenen Parallaxen 
bestätigt, allein nicht unwesentlich andere Werthe dafttr gegeben. 

Von allen bisher untersuchten Sternen ist a Cent au ri am 
südlichen Himmel der uns nächste ; seine Parallaxe ist theits auf der 
Sternwarte am Cap der guten Hoffnung von Maclear , theils von 
Moesta in Santiago de Chile bestimmt worden, und beide Astronomen 
haben sehr nahe denselben Werth für dieselbe gefunden , nämlich 
o:'91 und0"88. 

Wir theilen nachstehend ein kleines Verzeichniss der bis jetzt 
bestimmten und einigermassen sicheren Parallaxen mit. 

a Centauri Par. = 0790 

ei^Cygni 0.51 

No. 21285 in Lalande's Cat. 0.51 

No. 34 in'Groombridge's Caf. 0.31 

No. 21258 in Lalande's Cat. 0.26 

No. 7415 in Oeltzen's Cat. (Argelander's Zonen) 0.25 

No. 1830 Groombridge 0.23 *) 

o Draconis 0.22 

Sirius 0.19 

Wega 0.18 

70 p Ophiuchi 0.16 

Wenn ein Stern dem Sonnensysteme nahe genug ist , uta seine Par- 
allaxe zu bemerken , so müssen seine scheinbaren geocentrischen Oerter 
im Verlauf eines Jahres eine aus dieser Ursache herrührende Ungleich- 
heit verrathen; eine Ungleichheit, die eben so wenig wie die Aberration 
stattfinden würde , wenn die Sterne vom Mittelpunkte des Sonnenkörpers 



*j Einige Bestimmungen geben geringere Werthe fiir die Parallaxe. 



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336 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

aus beobachtet werden könnten. Um nun den Einfluss der Parallaxe auf 
den Ort eines Sterns anzugeben , braucht man denselben nur auf den Mit- 
telpunkt der Sonne zu beziehen uhd kann zu diesem Zwecke die Formeln 
pag. 152 benutzen; nennt man die von der Parallaxe afficirte Länge X', die 
von dem Einflüsse der Parallaxe befreite X, so hat man 

X'— X = — p Sin (X — 0) See ß , 
wo p die jährliche Parallaxe des Sterns , und ß seine Breite bedeutet. 
Der Einfluss auf die Breite wird durch die Formel 

ß'— ß = —p Cos (X — 0) Sin ß 
gefunden. Vergleicht man diese Ausdrücke mit den Formeln für die 
Aberration, so findet man sogleich, dass der Einfluss der Parallaxe grade 
dann am grössten ist, wenn die Aberration verschwindet, und umge- 
kehrt ; auf diesem Umstände beruht die Möglichkeit , beide Einflüsse von 
einander trennen zu können. 

Die Formeln für den Einfluss der Parallaxe auf die Rectascension 
und Declination sind die folgenden : 

a'— a = —p See 6 [Cos Sin a — Sin Cos a Cos 0] 
h'-^h^ — ^ [Sin a Sin 5 Cos 9 — Cos 5 Sin B] Sin © 
— /? Sin 5 Cos a Cos 

Offenbar ist die Bestimmung so kleiner Grössen, wie die Stem- 
parallaxeu sich gezeigt haben, mit vielen Schwierigkeiten verknüpft ; 
durch Beobachtungsfehler periodischer Natur (sog. systematische Feh- 
ler) wird man in der Lage des zu untersuchendc^n Sterns häufig eine 
Ungleichheit der Form * 

i4 Cos O + ^ Sin O 
finden können, welche selbstverständlich die Bestimmung der Par- 
allaxe mehr oder weniger beeinträchtigen muss. Wenn nun dieser 
Einfluss von nahezu derselben Grösse wie der der Parallaxe ist , aber 
im entgegengesetzten Sinne wirkt, so wird letztere ganz verdeckt ; in 
anderen Fällen wird man aus den Beobachtungen eine Parallaxe her- 
ausrechnen können, die gar nicht vorhanden ist. Bei Untersuchun- 
gen über die Entfernungen der Sterne muss daher vor Allem das an- 
zuwendende Instrument möglichst sorgfältig geprüft werden , so dass 
man genau weiss , innerhalb welcher Grenzen es zuverlässige Resul- 
tate zu liefern im Stande ist. 

Da also die directe Bestimmung der Stementfemungen mit so 
grossen Schwierigkeiten verknüpft und bisher nur in sehr wenigen 
Fällen gelungen ist, so hat man versucht , auf Grund gewisser, mehr 
oder weniger wahrscheinlichen Annahmen , die relativen Entfemnn- 



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§15. Die BestimmuDg der Entfernungen der Himmelskörper. 337 

gen der Sterne von verschiedener Helligkeit zu schätzen. Die erste 
und nächstliegende Annahme beruht darauf, dass die Intensität des 
Lichtes sich umgekehrt proportional dem Quadrate der Entfernung 
verhält. Wäre also die Leuchtkraft der Sterne überall dieselbe , so 
wtlrde man unmittelbar aus der scheinbaren Helligkeit des Sterns 
seine relative Entfernung berechnen können, ausgedrückt in der Ent- 
fernung eines Sterns von einer gewissen Helligkeit. Die Erfahrung 
lehrt aber, dass die Annahme der gleichen Leuchtkraft bei den ver- 
schiedenen Sternen keineswegs richtig ist. Unter den wenigen Par- 
allaxen , die bis jetzt ermittelt wurden , gehört die Mehrzahl licht- 
schwächeren Sternen an, wogegen verschiedene der helleren ver- 
gebens in Bezug auf Parallaxe untersucht worden sind. Indessen wird 
man bei Betrachtung einer grossen Anzahl Sterne zu der Annahme 
berechtigt sein, dass die mittlere Entfeinung der schwächeren Sterne 
grösser ist als die der helleren. 

Ihrer scheinbaren Helligkeit nach theilt man die Sterne in Clas- 
sen (sog. Grössenclassen] und sagt , dass die hellsten Sterne zu der 
ersten Grössenclasse gehören; die nächstfolgenden zu der zweiten, 
u. s. w., obgleich hier weder von einer wirklichen noch scheinbaren 
Grösse die Rede ist, sondern lediglich nur von der scheinbaren Hellig- 
keit. Bei dieser Eintheilung der Sterne hat man dem Principe zu folgen 
gesucht, dass, wenn von zwei Sternen der eine um ^ schwächer als 
der andere ist , jener genau um eine Steyngrösse heller als der zweite 
gerechnet werden soll. Das Verhältniss der scheinbaren Helligkeit eines 
Sterns von (n-}-l)ster Grösse zu der eines nfer Grösse wird daher 
sehr nahe 0,40 sein, so dass z. B. vier Sterne erster Grösse eben so 
hell erscheinen als 10 Sterne zweiter Grösse, u. s. w. 

Die zweite Hypothese , wonach man die relativen Entfernungen 
der Sterne beurtheilen kann , besteht darin , dass man ihre Verthei- 
lung im Räume , oder wenigstens in verschiedenen Richtungen als 
gleichförmig annimmt. Aus der Anzahl wird man dann auf die mitt- 
lere relative Entfernung der Sterne einer gewissen Grössenclasse 
schliessen können. 

Bezeichnen wir die Helligkeit eines Sterns Ister Grösse mit 1, die 
eines der wten Grösse mit h^, sowie das constante Verhältniss 0,40 mit ö, 
so ist, dem Obigen zufolge, 

K = ^"-* . 

6jld4n, Astronomie. 22 



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338 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

Nehmen wir ferner die mittlere Entfernung eines Sterns Ister Grösse als 
Maass für die Entfernungen, die wir mit M^ bezeichnen, so dass Mi s= \ 
und M^ die mittlere Entfernung eines Sterns nter GrOsse bezeichnet , so 
müsste, dem Satze von der Abnahme der Intensität des Lichtes zufolge, sein : 

'""'"im'' 

oder 

3f„ 1 



' Vh„ (yt 1 



^H = ^r=*='lz:^] und 



M.. 



yr 



Nach der zweiten Hypothese erhalten wir fofgende Ausdrücke : nen- 
nen wir die Anzahl der Sterne, welche sich innerhalb der mit dem Radius 
1 beschriebenen Kugel befinden, k, so ist die Anzahl (Q„) der Sterne 
innerhalb der Kngel, deren Radius 3f„ ist : 

Q„ = &(Jlf,)3.., 

Hieraus findet sich nun auch das Verhältniss 






M 
Vergleicht man diesen Werth von ^ ** mit dem früheren, so findet sich 

oder 



S 






Um nun 5 nach dieser Formel berechnen zu können , müsste man die 
Stcrnmengen Qn und Qf^^ kennen, was jedoch schon deshalb nicht direct 
möglich ist, weil die entsprechenden Radien M^ und -3/«_i unbekannt 

sind. Statt des Verhältnisses ^"' darf man aber das Verhältniss der 

durch Zählung gefundenen Mengen der Sterne von der ersten bis zur 
(» — l)ten, und von der ersten bis zur wten Grösse inclußive anwenden. 
Nach V. Littrow's Zählung der Sterne im Bonner Stemverzeichniss 
enthält der nördliche Himmel 19699 Sterne erster bis inclusive 7ter Grösse, 
und 77794 Sterne bis inclusive 8ter Grösse ; es findet sich demnach 

/ 19699 \f 
^==(77794) =^-^öö^> 
also genau mit dem durch Schätzungen der scheinbaren Helligkeit be- 
stimmten Werthe tibereinstimmend. Aus den Sternen bis 6ter und bis 7ter 
Grösse würde man freilich 



*) Die Volumina zweier Kugeln verhalten sich wie die dritten Po- 
tenzen ihrer Radien. 



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Mn 



$ i6. Die Bestimmung der Entfernungen der Himmelskörper. 339 

S = 0.44Ö *) 
finden, aber doch immerhin einen Werth, welcher dem im Voraus an- 
genommenen 80 nahe steht, dass man wohl den aus der Formel 

folgenden mittleren Entfernungen einiges Zutrauen schenken darf. Diese 
Entfernungen sind in der folgenden Tafel zusammengestellt : / 
Sterne Mittlere Entfernung 

Ister Grösse 1.00 

2ter » 1.54 

3ter » . 2.36 

4ter » 3.64 

5ter » 5.59 

6ter » 8.61 

7ter » 13.23 

8ter » 20.35 



§ 16. Die kleinen Planeten."") 

Die Znsammenstellung, welche pag. 246 von den Entfernungen 
der verschiedenen Planeten gegeben wurde , zeigt eine Lücke zwi- 
schen Mars und Jupiter. Um diese auszufüllen, vermnthete schon 
Kepler einen Planeten, welcher in Folge seiner geringen Grösse bis 
dahin unbekannt geblieben sei ; gleichwohl geschah die Entdeckung 
des ersten Planeten innerhalb der Gruppe, in welcher man gegenwär- 
tig etwa 170 Glieder zählt, ganz unabhängig von jeder Speculation, 
und ist demnach als ein Werk des Zufalls anzusehen. 

Es war der Italiener Piazzi, welcher bei seinen Sternbeobach- 
tungen ein bis dahin noch unbemerktes Gestirn fand , das sich bald 
durch seine bedeutende Bewegung als zum Sonnensysteme gehörend 
zeigte. Seine Entdeckung eröffnete das 19te Jahrhundert, sie ge- 



*) Genaue photometrische Messungen haben indessen den Werth 
5 = 0.426 
ergeben, also mit dem Mittel der beiden im Texte gegebenen Werth e 
übereinstimmend. 

**) Sie tragen auch die Namen Planetoiden und Asteroiden; 
V, Littrow schlug, um die Lage zwischen Mars und Jupiter zu beto- 
nen, den Namen Zenareiden vor. 

22* 



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340 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

schab nämlich am Isten Januar 1801 . Beinahe wäre sie für die Astro- 
nomie fruchtlos geblieben , denn der neue Planet , welcher C e r e a 
genannt wurde, näherte sich scheinbar der Sonne , wodurch er ^ich 
bald den Blicken der Beobachter entzog. Um nach der Conjunction 
denselben wiederfinden zu können, war vor Allem erforderlich, seine 
Bahn um die Sonne herzuleiten. Diese besondere Aufgabe war es, 
welche Gauss zu seiner berühmten Behandlung des Problems: aus. 
drei geocentrischen Beobachtungen die Bahn eines nach den Kepler- 
sehen Gesetzen um die Sonne kreisenden Gestirns zu finden , veran- 
lasste (vgl. pag. 330). Es gelang ihm auch in der That, a,us den 
wenigen vorhandenen Beobachtungen die Bahn der Ceres zu berech- 
nen, und somit auch ihren Ort am Himmel nach der Conjunction vor- 
herzusagen, wo sie auch wiedergefunden wurde. 

Kurz darauf wurden noch drei, zu dieser Giuppe gehörende 
Planeten entdeckt, nämlich Pallas und Vesta von Olbers in Bre- 
men und Juno von H ar d i n g in Lilienthal. Mit diesen schienen die 
Entdeckungen neuer Planeten abgeschlossen zu sein, denn es verflos- 
sen nun vier Jahrzehnte, ohne dass man zu den vier bekannten einen 
fünften hinzufügen konnte. Erst im September des Jahres 1845* 
wurde Asträa von Henke in Driesen entdeckt und im Juli 1847 
gelang ihm eine zweite derartige Entdeckung, die der Hebe. Nur 
wenige Monate später fand Hind in London Iris und Flora. Seit- 
dem ist kein Jahr verflossen, ohne dass nicht wenigstens ein neuer 
Planet entdeckt worden wäre, durchschnittlieh aber hat man jähr- 
lich mehr als fünf gefunden, so dass augenblicklich (Anfang 1877} 
170 bekannt sind. Die Entdeckung neuer Planeten ist indess heut 
zu Tage sehr viel leichter als zu Piazzi's und Olbers' Zeiten ; denn 
durch die Bemühungen verschiedener AstroncMuen ist man jeti^ im 
Besitze sehr genauer Sternkarten , mit Hülfe deren man sich leicht 
überzeugen kann, ob ein neues Gestirn sich innerhalb einer Stemcon- 
flguration befindet oder nicht.*) Zu derartigen Entdeckungen sind 



*) Von Sternkarten mögen genannt werden : Die Berliner , von der 
Akademie der Wissenschaften ausgegebenen Sternkarten; Argelander's 
Durchmusterung des nOrdlichen Himmels , und die ekliptischen Sternkar- 
ten von Chacomac und Hind. 



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§16. Die kleinen Planeten. 341 

astronomische Kenntnisse übrigens nicht erforderlich, sondern nur ein 
gutes Auge und, wie bei Ausübung einer jeden Kunst, Ausdauer und 
TJebung. 

Die Entdeckung des ersten der kleinen Planeten war die Veran- 
lassung der Gaussischen Arbeiten, durch welche die theorische 
Astronomie in wesentlichem Grade umgestaltet wurde; ebenso er- 
wuchs durch die immer steigende Zahl dieser Himmelskörper die 
Nothwendigkeit , die Regeln der Vorausberechnung möglichst zu ver- 
einfachen. Zur der Vorausberechnung gehört aber vor Allem die Be- 
rechnung der Störungen, die bei den kleinen Planeten sehr beti'ächt- 
lich sein können , und wozu die Methoden eigentlich erst von Hansen 
erfunden wurden. Die früher bekannten Berechnungsmethoden, 
welche von Lagrange und Laplace herrühren , erwiesen sich nämlich 
keineswegs als bei den kleinen Planeten anwendbar , indem sie nur 
bei sehr kleinen Werthen der Excentricitäten und Neigungen zum 
Ziele führen können. — Die kleinen Planeten haben also höchst be- 
deutende theoretische Arbeiten veranlasst und somit indirect die Astro- 
nomie sehr gefördert. Die Untersuchung der Bewegungen so vieler, 
an Masse unbedeutender und an und füi- sich wenig interessanter 
Körperchen droht aber der Astronomie lästig zu werden , wenn nicht 
die Vorausberechnungen nqch mehr vereinfacht werden können , als 
es durch Hansen geschehen ist. 

Einige der kleinen Planeten kommen Jupiter so nahe , dass die 
durch diesen Planeten bewirkten Stöningen sehr bedeutend werden ; 
in diesem Umstände dürfte man ein gutes Mittel besitzen , die Masse 
desselben zu bestimmen. Einige Versuche, die in dieser Richtung ge- 
macht worden sind , haben freilich bis jetzt nicht zu einem völlig be- 
friedigenden Resultate geführt ; es ist aber nicht zu bezweifeln , dass 
man einst auf diesem Wege zu einer sehr sicheren Bestimmung der 
Jupitersmasse gelangen wird. 

Das Wichtigste nach der Entdeckung eines neuen Planeten ist, 
seine Bahn um die Sonne zu bestimmen. Unter der Voraussetzung, dass 
die Bewegung den Kepler'schen Gesetzen folgt , sind drei vollständige 
geocentrische Beobachtungen erforderlich, um die sechs Bahnele- 
mente berechnen zu können. Zuerst müssen aus diesen die drei Ab- 
stände von der Erde ermittelt werden, wobei im Allgemeinen der 
Weg eingeschlagen wird , den wir im vorhergehenden Paragraphen 



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342 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

anzudeuten versuchten. Die eigentliche Bestimmung der Elemente ist 
hiernach mit keinen wesentlichen Schwierigkeiten verbunden. 

Aus den drei Abständen von der Erde und den entsprechenden geo- 
centrischen Längen und Breiten (oderBectascensionen und Declinationen) 
leitet man zunächst nach den Formeln pag. 150 die heliocentrischen Län- 
gen und Breiten ebenso wie die drei Radienvectoren ab. Es seien nun l, 
r\ b und 5" die heliocentrischen Längen und Breiten der Planeten bei der 
ersten und der dritten Beobachtung, alsdann hat man zur Bestimmung der 
Elemente % und Q die Gleichungen (vgl. pag. 1 50) : 
Tang b = Tang i Sin [l — Q) 
Tang Ä"= Tang t Sin {l"— Q) 
Durch Division ergiebt sich hieraus 

Tang 5 _ Sin (/ — Q) _ Sin / Cos a — Cos l Sin Q 
Tang b'' Sin [l"-- Q) "" Sin r Cos Q — Cos r Sin Q 
und man findet , wenn Zähler und Nenner links vom Gleichheitszeichen 
durch Cos Q dividirt werden, 

Tang b _ Sin / — Cos l Tang Q 
Tang 5" Sin T— Cos ^"Tang Q 
aus welcher Gleichung Tang Q und folglich auch Q selbst ohne Mühe ge- 
funden wird. Hiemach ergiebt sich Tang ♦ nach einer der zuerst ange- 
setzten Gleichungen. 

Nachdem nun die Elemente t und Q gefunden sind , berechnet man 
nach der Formel (vgl. pag. 150) 

® Cos ♦ 

dreiWerthe von w; diese seien u,u' und u" oder/-j- a>, f'-\- w und/"-}- w. 
Die Polargleichung der Ellipse (vgl. pag. 140 und 206) giebt uns nun fol- 
gende Relationen : 

— = 1 -f-Jc Cos [u — co) 
-4 = 1 +eCos («'— f») 

4-= 1 + cCos (w"— w) 

aus welchen die drei Unbekannten p , e und cd berechnet werden können. 
Die Auflösung dieser drei Gleichungen ist eine äusserst leichte; setzt 
man nämlich 

e Cos m =s X , e Sin a> = y , 
so erhält man drei rein algebraische Gleichungen zwischen p , x und y, 
und wenn diese Grössen berechnet worden sind, ergeben sich e und m -ver- 
mittelst der Formeln : 



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§16. Die kleinen Planeten. 343 



Nachdem der Parameter |? und die Excentricität e gefunden worden sind, 
berechnet man die halbe grosse Axe aus der Formel 

und hiernach findet sich die mittlere Bewegung in Uebereinstimmung mit 
dem dritten Kepler' sehen Gesetze. Die Zeit des Periheldurchganges findet 
man endlich mit Hülfe einer der Grössen /, /' oder /", die , nachdem w 
ermittelt worden ist, als bekannt anzusehen sind. Man berechne nach 
der Formel (vgl. pag. 142) 



Tangie=|/i=^Tangi/ 



eine der Grössen e, e' oder e"; die Zeit tg ergiebt sich alsdann durch die 
Gleichung (vgl. pag. 147) 

^ (< — ^) = e — c Sin e. 
Hat man diese Rechnung mit jedem der drei Werthe von e ausgeführt, so 
giebt die Uebereinstimmung der drei Werthe von dem Elemente to, wel- 
ches natürlich nur einen Werth haben kann , eine Controle über die Rich- 
tigkeit der Rechnung. 

Die drei zu Grunde gelegten Beobachtungen sind aber mit Beob- 
achtungsfehlern behaftet; die aus ihnen gefolgerte Bahn muss daher mehr 
oder weniger fehlerhaft sein. Sobald nun mehrere Beobachtungen erhal- 
ten werden, ist es die Aufgabe des Rechners , die Elemente möglichst zu 
verbessern. Er verfährt dabei in der folgenden Weise. Zuerst wird mit 
Hülfe der genäherten Elemente eine Ephemeride berechnet, d. h. einVer- 
zeichniss der Oerter des Planeten. Die durch diese Rechnung gefundenen 
Oerter werden nun mit den wirklich beobachteten verglichen , wobei sich 
mehr oder weniger grosse Abweichungen zeigen, je nachdem die ersten 
Elemente noch erheblich fehlerhaft sind oder den wahren bereits nahe 
kommen. Diese Abweichungen beruhen zwar auch zum Theil auf Fehlern 
der Beobachtungen, aber diese müssen als ganz zufällig angesehen werden, 
so dass ihr Einfluss desto mehr verringert wird , je grösser die Anzahl 
der Beobachtungen ist. Die Unterschiede zwischen Beobachtung und 
Rechnung können wir also als aus den Fehlem der Elemente beste- 
hend ansehen, mit welchen die Ephemeride gerechnet wurde, und an den- 
selben müssen folglich gewisse, gewöhnlich jedoch ziemlich kleine Ver- 
besserungen angebracht werden , die wir mit c?ß, di, dm, de, dn und 
dto bezeichnen wollen. Wenn nun diese Verbesserungen klein sind , so 
darf man annehmen , dass die Aenderungen des berechneten Ortes den- 
selben proportional sind ; wir können daher setzen 

Beob. a = Berechn. a-^ AdQ -\- Bdi -^ Cdm -{-Dde +Edn-\-Fdto, 
wo ^, -5, ,u. 8. w. gewisse Coefficienten bedeuten, die mit den näherungs- 
weise bekannten Elementen für jede Beobachtungszeit besonders berech- 



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344 ^^- Kapitel. Neuere aBtronomische Forschungen. 

net werden müssen, denn sie hängen selbstverständlich nicht blos von 
den Constanten Elementen ab, sondern auch von dem geocentrischen Orte 
des Planeten. Die Vergleichung der Declinationen giebt zu Gleichungen 
ähnlicher Form Veranlassung. Disponirt man nur über drei Beobachtun- 
gen, so kann man demnach sechs verschiedene Gleichungen aufstellen, 
aus denen die Verbesserungen der sechs Elemente abgeleitet werden kön- 
nen. Diesen sechs Gleichungen muss vollständig genügt werden können, 
d. h. mit anderen Worten : die Elemente müssen sich stets so bestimmen 
lassen, dass drei Beobachtungen vollständig dargestellt werden. Lie- 
gen aber mehr als drei -Beobachtungen vor, so müssen die aus ihnen fol- 
genden Bedingungsgleichungen nach der Methode der kleinsten Quadrate 
behandelt werden, wodurch man die wahrscheinlichsten Werthe der Grös- 
sen d^y di, u. s. w. findet, welche, den entsprechenden der ursprünglich 
angenommenen Elemente hinzugefügt , die wahrscheinlichsten Elemente 
geben. 



§ 17. Die Cometen. 

Die Erscheinung eines Cometen hat zu allen Zeiten die grösste 
Aufmerksamkeit erregt, sowohl wegen seines oft überraschenden An- 
blickes, als auch durch das Geheimnissvolle, womit man geneigt war, 
die Ursache seines Hervortretens zu verknüpfen. Ungeahnt und 
plötzlich erscheinen sie dem unbewaffneten Auge am Himmel und 
eben so plötzlich verschwinden sie ihm, nachdem sie gewöhnlich nur 
eine kurze Zeit sichtbar gewesen sind. Zuweilen haben Cometen 
einen ganz erstaunlichen Glanz erreicht, so dass man sie selbst am 
Tage mit blossen Augen sehen konnte. Die Geschichtsbücher wissen 
von verschiedenen derartigen Fällen zu erzählen, wobei jedoch einige 
Uebertreibung mit untergelaufen sein dürfte. — Kurz nach Cäsar's 
Tod soll ein gi-osser Com et sogar am hellen Mittag sichtbar gewesen 
sein; die Römer glaubten, er sei gekommen, um die Seele des gros- 
sen Dictators nach dem Himmel zu tragen. Glaubwürdigere Aussagen 
versichern von einem Cometen des Jahres 1744, dass er, wenigstens 
Anfang März , die Venus ; in ihrem höchsten Glanz überstrahlt und 
man ihn ohne Mühe am Tage in Fernröhren gesehen hätte. 

So lange man in vollkommener Unsicherheit über den wirklichen 
Ort dieser Erscheinungen schwebte , ob sie innerhalb der Erdatmo- 
sphäre zu verlegen seien oder den Himmelsräumen angehörten , war 



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§ 17. DieCometen. 345 

63 natürlich , wenn man sich in den abenteuerlichsten Vermuthnngen 
über die Cometen , die Art ihrer Entstehung und den Zweck ihrer 
Erscheinung Erging. 

Tyge Brahe und Eepler's Lehrer Mästlin scheinen zuerst die 
Cometen als Himmelsköi-per und nicht als atmosphärische Erschei- 
nungen angesehen zu haben, und Kepler selbst glaubte ihnen gerad- 
linige Bahnen zuschreiben zu müssen. Der Danziger Astronom He- 
velius und ein Geistlicher in Plauen, Dörfel, hatten richtigere 
Vorstellungen von der Natur der Bahnen, indem sie diese als Para- 
beln ansahen ; aber erst der grosse Newton war es, der die Berechti- 
gung einer solchen Vorstellungsweise bewies und zeigte , wie sie mit 
dem allgemeinen Gravitationsgesetze übereinstimmte. - Newton gab 
auch eine Methode an, die parabolischen Elemente einer Cometenbahn 
zu berechnen , welche Methode von seinem Zeitgenossen und Lands- 
manne Halley ausgebildet und auf den damals bekannten Cometen 
angewendet wurde. Später gab Olbers eine für Cometenbi^en 
besonders geeignete Berechnungsmethode, indem er sich auf die 
Euler'sche Gleichung stützte (vgl. pag. 333). 

Halley berechnete die parabolischen Bahnelemente für mehrere 
(24) Cometen und fand dabei , dass die parabolische Hypothese mit 
den vorhandenen Beobachtungen genügend im Einklänge stand , mit- 
hin also berechtigt war. Hierbei wollen wir jedoch nicht unerwähnt 
lassen, dass die Parabel in der Nähe des Periheliums so nahe mit 
einer sehr excentiischen Ellipse oder mit einer Hyperbel , deren Ex- 
centricität sich nur wenig von der Einheit unterscheidet , zusammen- 
föUt , dass es unmöglich war , den Unterschied auf Grund der ziem- 
lich rohen Beobachtungen der damaligen Zeit anzugeben , und dies 
um so weniger, als die Cometenbeobachtungen überhaupt nur ein 
kleines Stück der Bahn in der Nähe des Perihels zu umfassen pfle- 
gen, weil diese Himmelskörper in der Regel zu lichtschwach sind, um 
in grösseren Entfernungen wahrgenommen werden zu können. — Es 
kann auffallend erscheinen, dass die Cometen gerade Bahnen be- 
schreiben sollen, deren Excentricitäten sich entweder gar nicht, oder 
doch nur ganz unmerklich von der Einheit unterscheiden , das Auf- 
fallende verschwindet aber bald bei einem tieferen Eindringen in die 
Natur der Frage. Die parabolischen Bahnen der beobachteten Come- 
ten beweisen nämlich vor Allem, dass dieselben überhaupt sehr grosse 



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poogl^ 



346 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

Dimensionen haben, dass die Cometen aus Räumen ausserhalb des 
Sonnensystems kommen und wieder dahin zurückgehen, und dass sie 
deshalb nicht eigentlich, wenigstens nicht immer, zu diesem Systeme 
gezählt werden dürfen. Dagegen beweist diese Form keineswegs, dass 
nicht auch Cometen mit ganz anderen Bahnen vorkommen können, 
obgleich solche für unsere Augen nicht sichtbar sind, da sie der 
Sonne nicht nahe genug kommen. Damit ein Körper, der sich in einer 
sehr grossen Bahn bewegt , d^r Sonne relativ nahe kommen könne, 
ist nämlich erforderlichj, dass die £xcentricitä,t der Einheit sehr nahe 
gleich ist, was sogleich aus der Formel 

q =z a {\ — e) 
hervorgeht, wo q die kleinste Entfernung von der Sonne ^bedeutet. 
Je grösser der Werth der halben grosse Axe a ist, desto kleiner muss 
der Factor 1 — e sein , damit q die Einheit oder den Abstand der 
Erde von der Sonne nicht wesentlich überschreitet , welches im All- 
gemeinen die Bedingung ist, dass ein Comet von der Erde aus über- 
haupt gesehen werden kann. 

Unter den 24 von Halley berechneten Bahnen fanden sich drei, 
deren Elemente in überraschender Weise einander ähnlich waren. 
Um den Hergang der wichtigen Entdeckung zu veranschaulichen, 
welche sich an diesen Umstand knüpft , wollen wir die betreffenden 
drei Elementensysteme anführen , wobei q , wie oben , die kürzeste 
Entfernung von der Sonne, und T die Zeit des Periheldurchganges be- 
deuten. Es fand sich: 

System I. System II. System III. 



T 1531 Aug. 25,80 


1607 Oct. 26,72 


1682 Sept. 14,80 


TT 301^ 12' 


30 1^ 38' 10" 


301° 55' 37" 


Q 45 30 


48 40 28 


51 11 18 


i 17 


17 12 17 


17 44 45 


q 0,5799 


0,5880 


0,5829 


(Richtung der Bewegung 


retrograd oder entgegengesetzt zu der der 




Planeten.) 





Wie unsere Zusammenstellung zeigt, stimmen die drei Elemen- 
tensysteme zwar nicht vollkommen unter einander überein, aber doch 
so nahe, dass man sie wohl einem einzigen Cometen zuschreiben könnte. 



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§ 17. Die Cometen. 347 

ivelcher sich in einer sehr exeentrischen Ellipse mit einer Umlaufszeit 
von 75 bis 76 Jahren um die Sonne bewegt.*) Die Ursache der Un- 
terschiede in den entsprechenden Elementen, und besonders in den 
Zwischenzeiten der Periheldurchgänge suchte schon Halley nur in 
der störenden Einwirkung der Planeten und vor Allem in der des Ju^ 
piter. — Halley's Ansicht von der Identität der drei Cometenerschei- 
nnngen gewann eine vollkommene und glänzende Bestätigung im 
Jahre 1759, wo der Comet den 12. März wieder durch sein Perihel 
ging. Der Zeitpunkt dieses Periheldurchganges, sowie die Bewegung 
überhaupt während der erwarteten Erscheinung, war im Voraus von 
Clairaut, einem der ersten Bearbeiter des Problems der drei Kör- 
per, berechnet worden. Er stützte sich dabei auf die früheren Beob- 
achtungen und berücksichtigte die während der Zwischenzeit durch 
die grossen Planeten veranlassten Störungen. Seine Rechnungen ga- 
ben den genannten Zeitpunkt zu Mitte April an, mithin etwas über 
einen Monat zu spät* Der Fehler lag jedoch weniger in Clairaut's 
Rechnung als in dem Umstände, dass zu seiner Zeit die Masse des Sa- 
turn noch sehr unsicher bestimmt und der Planet Uranus noch gar 
nicht bekannt war.**) Im Jahre 1835 fand wieder ein Periheldurch- 
gang dieses Cometen statt und zwar am 15. November, nur drei 
Tage später, als eine von Rosenberg er ausgeführte Vorausberech- 
nung angegeben hatte. 

Nach dem Halley'schen Cometen hat man noch verschiedene wie- 
derkehrende oder periodische Cometen kennen gelernt, darunter 
einige mit sehr kurzen Umlaufszeiten. Als ein höchst merkwürdiges 
Beispiel eines solchen müssen wir den Cometen von 1770 erwähnen. 
Die Beobachtungen zeigten hier sehr bald , dass sie nicht durch eine 
Parabel dargestellt werden konnten , sondern deuteten auf eine El- 
lipse hin, in welcher sich der Comet mit einer 5^jährigen Umlaufszeit 
bewegte. Durch Rechnung folgte man nun der Bewegung des Come- 
ten sowohl vor als nach dem Zeitpunkte seiner Entdeckung, und fand 
dabei, dass seine damals stattfindende Bahn durch die grosse Anzie- 



*) In der elliptischen Hypothese erhält man a = 19,17 und e = 0,968. 
**) Uranus wurde am 21. März 1781 von dem älteren Herschel ent- 
deckt. Derselbe war indessen schon vorher von Flamsteed, Bradley , T. 
Mayer und Lemonnier gesehen, obgleich nicht als Planet erkannt worden. 



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348 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

hung des Jupiter veranlasst worden war, als der Comet 1767 diesem 
Planeten sehr nahe kam. Dieselbe Ursache sollte noch einmal die 
Bahn dieses Himm^skörpers gäuElieh verändern, denn im Jahre 1779 
kam derselbe abermals dem Jupiter sehr nahe, ja so nahe , dass der 
Planet mit seinen vier Monden wahrscheinlich durch die Cometen- 
materie ging. In der Bewegung des Jupiter konnte man nach dieser 
Katastrophe keine Veränderung bemerken, woraus man auf eine »ehr 
geringe Masse des Cometen schliessen muss. Dieser wurde aber in 
eine neue Bahn geworfen , in welcher er jedoch nie der Erde nahe 
genug kommen kann , um gesehen zu werden. Auch unsere Erde 
kam damals diesem Cometen sehr nahe und würde , wenn derselbe 
eine merkliche Masse gehabt hätte, wesentliche Störungen erlitten 
haben , die sich besonders in einer Verlängerung der Jahreslänge zu 
erkennen gegeben haben würden. Aus der Abwesenheit solcher Stö- 
rungen schloss Laplace, dass die Masse des Cometen noch nicht -gj^ 
der Erdmasse betrage. 

Von Cometen mit kurzer Umlaufszeit müssen wir zunächst den 
Encke'schen nennen. Dieser ist schon sehr oft gesehen und beob- 
achtet worden, das erste Mal von Pons in Marseille im Jahre 1786. 
Seine Umlaufszeit beträgt nur 3,3 Jahre und seine Bahn, deren Ex- 
eentricität 0,85 ist, fällt gänzlich innerhalb die des Jupiter. Encke, 
der während einer langen Reihe von Jahren dem Laufe dieses Come- 
ten mit seinen Rechnungen folgte , machte dabei die wichtige Bemer- 
kung, dass die wirkliche Bewegung nicht völlig aus demNewton'schen 
Principe zu erklären sei , sondern dass die Beobachtungen eine fort- 
währende Verkürzung der Umlaufszeit andeuteten, wozu eine neue 
Erklärungsursache gefunden werden musste. Er glaubte femer, eine 
solche in der Annahme gefunden zu haben, der Comet bewege sich in 
einem widerstehenden Mittel; hierdurch würde die Tangentialge- 
schwindigkeit vermindert werden und also die Attractionskraft der 
Sonne einiges Uebergewicht erhalten , welches nothwendig eine Ver- 
minderung der halben grossen Axe oder eine Verkürzung der Um- 
laufszeit zur Folge haben würde. Es können jedoch auch noch andere 
Ursachen der bemerkten Verkürzung angegeben werden, und auf alle 
Fälle erscheint es noch als verfrüht, über die Encke'sche Ansicht ein 
definitives Urtheil zu föUen. Ein solches wird vielleicht dann mög- 
lich sein, wenn die störenden Einflüsse der Planeten auf die Bewegung 



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§ 17. Die Cometen. 349 

des Cometen strenger berechnet worden sind , als es bisher geschehen 
konnte. Anch sind die Beobachtnagen einiger zukünftigen Erschei- 
nungen erwünscht, weil die ersten Ortsbestimmungen, welche sieh aaf 
diesen Cometen beziehen , an Genauigkeit Vieles zu wünschen übrig 
lassen. 

Ausser dem Encke'schen kennt man noch 6 Cometen, deren Um- 
laufsfeiten weniger als 10 Jahre betragen und welche in mehr als 
einer Erscheinung beobachtet wordoji sind. Diese sind*), nach der 
Entdeckungszeit geordnet : 

Biela's Comet Umlaufszeit 

der Faye-MöUer'sche Coraet « 

de Vi CO 's Comet ' « 

Brorsen's Comet « 

d'Arrest's Comet « 

Winn ecke's Comet « 

Für eine kleine Anzahl, ausser den eben angeführten Cometen, 
hat man elliptische Bahnelemente, mithin auch die Umlaufszeiten aus 
den Beobachtungen während der Zeit einer einzigen Erscheinung be- 
rechnet. Ebenso kennt man einige Cometen mit grösseren Umlaufs- 
zeiten von 10 bis 100 Jahren, von denen jedoch nur wenige in mehr 
als einer Erscheinung beobachtet worden sind, wie z. B. der Halley- 
sche. Für andere wieder hat man noch grössere Umlaufszeiten her- 
ausgerechnet. Mit wenigen Ausnahmen sind jedoch die Resultate 
von solchen Berechnungen ohne besonderes Interesse. Je grösser 
nämlich die Umlaufszeit gefunden wird , desto unsicherer ist in der 
Regel auch ihre Bestimmung ; die Richtigkeit einer Umlaufszeit von 
mehreren Jahrhunderten können wir nur sehr selten controliren, 
und wenn eine solche auch wirklich noch aus den Beobachtungen mit 
Evidenz hervorgehen würde, so bliebe immer noch übrig, die Stö- 
rungsrechnungen auszufahren, um der Wiederkunft des Cometen 



6.7 Jahre 


7.4 


« 


5.5 


<{ 


5.6 


« 


6.4 


(( 


5.6 


« 



*) Da die Anzahl der periodischen Cometen nicht gross ist, hat 
man sie nach ihren Entdeckern benannt, in einigen Fällen nach den Rech- 
nern. Zum Aufsuchen der Cometen giebt es eigens construirte Fernröhre 
(sog. Cometensucher) , die bei schwacher Vergrösserung eine grosse Liebtr 
stärke und grosses Gesichtsfeld besitzen. 



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350 IV. Kapitel. Neuere astronomiaclie Forschungen. 

sicher zu sein. — Die bis jetzt ausgeführten Bahnberechnungen ha- 
ben aber im Allgemeinen erwiesen , dass die Mehrzahl der Gometen 
sich in sehr langgestreckten, entweder elliptischen, oder parabolischen 
(möglicherweise auch hyperbolischen) Bahnen bewegen und in diesen 
die Grenzen des Sonnensystems überschreiten; sie können deshalb 
auch (wenigstens wenn ihte Bahnen Parabeln oder Hyperbeln sind) 
eigentlich nicht zu diesem Systeme gezählt werden , obschon sie län- 
gere Zeit hauptsächlich der Anziehungskraft der Sonne* gehorchen. 
Es erscheint auch wahrscheinlich, dass die wiederkehrenden Cometen 
mit relativ kurzen Umlaufszeiten ihre jetzigen Bahnen in Folge der 
Anziehung eines der grösseren Planeten erhalten haben ; der Comet 
konnte nämlich einem solchen zufällig sehr nahe und dadurch in eine 
derartige Bewegung kommen, dass eine elliptische Bahn um die Sonne 
entstand. 

Bis Ende des 17ten Jahrhunderts sind etwas über 400 Cometen 
verzeichnet worden, wovon jedoch ein grosser Theil unverbürgt ist. 
Die spärlichen Angaben, deren meiste sich bei den Chinesen finden, 
erlauben nämlich keine Bahnbestimmung und man kann daher nicht 
immer sicher sein, dass ein Come,t wirklich gesehen worden ist. Seit 
dem Jahre 1700 bis jetzt sind gegen 250 Cometenerscheinungen be- 
obachtet worden , von welcher Zahl indessen die Wiederei*scheinun- 
gen schon bekannter Cometen abzuziehen sind, so dass noch etwa 200 
seit dem genannten Zeitpunkte entdeckte Cometen als wirklich neue 
nachbleiben. Bei weitem die gi'össte Anzahl derselben war nur in 
Fernröhren sichtbar, und zwar als schwache, gegen die Mitte gewöhn- 
lich verdichtete Nebel. Oft schien die Verdichtung einen helleren, 
schärfer begienzten Punkt einzuschliessen (den sog. Kern des Come- 
ten) ; auf diesen Punkt, oder in Ermangelung eines solchen, auf die 
hellste Partie des Cometennebels beziehen sich die Beobachtungen, in- 
dem man annimmt, der Schwerpunkt müsse nahezu damit zusammen- 
fallen. — Bei helleren Cometen hat man am Kerne und in seiner 
nächsten Umgebung (der sog. Coma) oft merkwürdige Verändeningen 
und Lichtentwicklungen wahrgenommen ; ebenso zeigen solche in der 
Regel einen Schweif, welcher gleichfalls raschen und bedeutenden 
Veränderungen unterworfen ist. Die Bildung des Schweifes , ebenso 
wie die Lichtentwicklungen in der Nähe des Kernes, lassen auf das 
Vorhandensein von Kräften schliessen , die möglicherweise die Be- 



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§ 17. Die Cometen. 351 

wegung des hellsten Punktes in seiner Bahn um die Sonne beeinflussen. 
Bis jetzt hat man jedoch einen derartigen Einfluss nicht mit Sicher- 
heit constatiren können. 

In neuerer Zeit ist ein sehr enger Zusammenhang zwischen ge- 
wissen Cometen und solchen Sternschnuppensohwärmen, 
welche während ihres Laufes dureh da» Sonnensystem der Erde sehr 
nahe kommen , erkasst worden. Zugleich hat man gefunden , dass 
diese Sehw&rme eine sehr grosse Ausdehnung in ihrer Bahn haben , 
zuweäen sogar dieselbe ausfüllen , so dass sie geschlossene elliptische 
Ringe bilden, in denen die Partikelchen mehr oder weniger dicht ver- 
theilt sind. Die Excentricit&t dieser Ringe ist jedoch sehr beträchtlich; 
aus welchem Grunde die Bewegung in der Nähe der Erde nahezu so 
erscheinen muss,. als ob sie parabolisch wäre. — Hieraus erklären sich 
auch die periodisch wiederkehrenden Sternschnuppenregen. Hat näm- 
lich der Sternschnuppenring eine solche Lage , dass er die Erdbahn 
schneidet oder dass diese durch den Schwärm geht, so muss die Erde 
an einem bestimmten Tage jedes Jahres mit den Sternschnuppen in 
Berührung kommen.*) Diese strömen alsdann in nahezu parallelen 
Richtungen gegen die Erdoberfläche und zwar die meisten gegen den 
Punkt, der gerade gegen die kosmische Bewegung der Sternschnup- 
pen gerichtet ist. — Die Erscheinung eines Sternschnuppenregens 
zeigt indessen nicht unmittelbar den Parallelismus der Bewegungen, 
denn die Gomponenten dieser, welche mit der Gesichtslinie zusammen- 
fallen, können natürlich nicht wahrgenommen werden. Eine Stern- 
schnuppe , welche sich direct auf unseren Standpunkt zu bewegt, 
scheint uns am Himmel still zu stehen; diejenigen Sternschnuppen 
hingegen, welche an der Erde vorbei eilen , seheinen Bögen am Him- 
mel zu beschreiben. Da sie nun alle in einer Richtung gegen die 
Erde strömen oder fallen , so erscheinen sie , wenn wir uns mitten im 



*) Sind die Sternschnuppen innerhalb des elliptischen Ringes nicht 
gleichförmig vertheilt , sondern hauptsächlich in einem gewissen Theile 
des Ringes verdichtet , so kann die Intensität des Sternschnuppenregens 
nicht jedes Jahr dieselbe sein. Bei den Novembermeteoren hat man in 
gewissen Jahren eine besonders grosse Intensität bemerkt , und da diese 
Zeiten um etwa 33 Jahre von einander entfernt liegen , so schliesst man 
mit Recht, dass die ümlaufszeit des Novemberstromes ohngefahr 33 Jahre 
betragen müsse. 



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352 IV.. Kapitel. Neuere aetronomiBche Forschungen. 

Regen befinden, als von einem Punkte am Himmel ausgehend , das 
Himmelsgewölbe nach aUen Richtungen hin durchschiessend. Man 
sieht auch leicht ein, dass die scheinbaren Bahnen in der Nihe des 
erwähnten Punktes sehr kurz sein müssen , in weiterer Entfernung 
von demselben aber länger. Dieser Punkt wird der Radiations- 
punkt genannt; er behält seine Lage am Himmelsgewölbe unter den 
Sternen bei und nimmt also Theil an der täglichen Bewegung des 
Himmels — ein Beweis fUr die kosmische Natur der Sternschnuppen. 
Denn diese behalten ihre Bewegungsrichtnng im Räume bei, wälirend 
der Horizont, auf den wir ihre scheinbaren Bewegungen beziehen, 
seine Lage fortwährend verändert. — Die Lage des Radiationspunk- 
tes eines Steiiischnuppenstromes findet man dadurch , dass mehrere 
scheinbare Bahnen in eine Sternkarte eingetragen werden; man 
wird alsdann sehen, dass sie sich sämmtlich, eventuell nach gehöriger 
Verlängerung, in demselben Punkte schneiden ; dieser Durchschnitts- 
punkt ist eben der Radiationspunkt, dessen Rectascendion und Decli- 
naüon mit einer hier ausreichenden Genauigkeit der Karte entnom- 
men werden kann. Mit dem Radialionspunkte hat man auch die Rich- 
tung bestimmt , in welcher die Sternschnuppen sich bewegen , wenn 
sie sich in Erdweite von der Sonne befinden , mithin eine Tangente 
ihrer Bahn. Diese Richtung ist nämlich offenbar die d«s Radiationa^ 
punktes. Wird nun angenommen , der Strom bewege sich in einer 
Parabel um die Sonne und zwar so , dass das zweite Kepler'sche Ge- 
setz seine Gültigkeit behält , so kann diese aus den vorhandenen Da- 
ten bestimmt werden ; denn die Sonne bestimmt die Lage des Brenn- 
punktes , femer ist ein Abstand , nämlich die Entfernung der Erde, 
bekannt und endlich auch die Richtung der zu dieser Entfernung ge- 
hörenden Tangente. Zu der Ansicht, dass die Bahnen, wenigstens 
sehr annähernd, parabolisch sind, ist man wiederum durch die Kennt- 
niss ihrer kosmischen Geschwindigkeit gelangt , die zu gewinnen auf 
einigen Umwegen gelungen ist (vgl. pag. 212) . Der Astronom Schia- 
parelli gründet seine Herleitung auf Betrachtungen, die wir, haupt- 
sächlich nach einem vortrefflichen Referate in der Vierteljahrsschriffc 
der Astronomischen Gesellschaft *) , hier in aller Kürze anfahren 
wollen. 



*) IIL Jahrgang, 1868. 



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§ 17. Die Cometen. 353 

Mit AuBScblnss des im Augnst jedes Jahres regelmässig wieder- 
kehrenden sog. Lanrentinsstromes können die Stemsehniippen 
— wenn man sie im Allgemeinen und nicht irgend einen einzelnen 
Strom betrachtet — als nahezu in gleicher Häufigkeit aus allen Ge- 
genden des Himmels kommend angesehen werden. Stände die Erde 
still, so müsste, falls die obige Voraussetzung richtig ist, jeder Punkt 
der Erdoberfläche von den Sternschnuppen gleichmässig übersäet wer- 
den, und hierin würde die Axendrehung der Erde keine Aenderung 
hervorbringen. Bei Betrachten des Himmels würde man alsdann 
während jeder Stunde nahezu dieselbe Anzahl Sternschnuppen er- 
blicken. Wäre im Gegentheil die Geschwindigkeit der Erde in ihrer 
Bahn grösser als die der Sternschnuppen, so könnte keine der 
letzteren, deren Bewegung die Richtung der Erdbewegung hätte, 
uns erreichen. Von dem Punkte aus, gegen welchen die Bewegung 
der Erde gerichtet ist, müssten die meisten Sternschnuppen zu 
kommen scheinen , von dem entgegengesetzten dagegen keine. !^in 
Beobachter, in dessen Zenith der erstgenannte Punkt, von Schia- 
parelli Apex genannt, sich gerade befindet, müsste die meisten 
Sternschnuppen sehen, sein Antipode die wenigsten. — In Folge 
der geringen ExcentricitHt der Erdbahn ist die Rectascension des 
Apex immer sehr nahe 6 Stunden geringer als die der Sonne [die 
Richtung der Erdbewegung bildet nämlich mit dem Radiusvector einen 
Winkel, dessen geringster Werth 89° und dessen grösster 91° be- 
trägt) . Der Apex culminirt daher 6 Stunden vor der Sonne , also um 
6 Uhr Morgens , zu welcher Zeit die meisten Sternschnuppen jeden- 
falls gesehen werden müssen , da die Erde eine Bewegung im Räume 
hat. Aber auch 6 ühr Abends, obgleich der Apex dann am tiefsten 
unter dem Horizonte steht , nimmt man Sternschnuppen wahr , und 
zwar auch aus dem Punkte kommend , welcher dem Apex entgegen- 
gesetzt ist. Dieses beweist, dass die mittlere Geschwindigkeit der 
Sternschnuppen in der Entfernung 1 von der Sonne grösser als die 
der Erde ist , weil man sonst keine in dem letztgenannten Punkte er- 
blicken könnte ; denn, damit eine Sternschnuppe in der Nähe dieses 
Punktes sichtbar werden soll , muss sie der Erde nacheilen und die- 
selbe erreichen, wozu offenbar ihre Geschwindigkeit grösser sein muss, 
als die der letzteren. Sind also die genannten Voraussetzungen rich- 
tig, so muss man aus der relativen Häufigkeit der Sternschnuppen zu 

Oyld^n, Agtronomie. 23 



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354 IV. Kapitel. Neuere aatronomische Forschungen. 

yerachiedenen Nachtstunden ihre Geschwindigkeit im Vergleich zu der 
der Erde bestimmen können, und umgekehrt , wenn diese Geschwin* 
digkeit einmal bestimmt worden ist, mnss sich die relative Anzahl der 
Sternschnuppen wfthrend jeder Stunde durch Rechnung ermitteln las- 
sen. Aus den vieljährigen Beobachtungen Coulvier-Gravier's 
leitete Schiaparelli die mittlere Geschwindigkeit der Sternschnuppen 
zu 1,447 ab (die Geschwindigkeit der Erde =1 gesetzt) , wodurch 
er zu der oben erw&hnten Ansicht von der parabolischen Form der 
Stemschnuppenbahnen geführt wurde. — Wir fähren nun einige 
Werthe aus den Beobachtungen Coulvier-Gravier's an nebst den ent- 
sprechenden aus Schiaparelirs Rechnung , die er in absolute verwan- 
delt hat, unter der Voraussetzung, ein Beobachter sehe imMittel wäh- 
rend einer Stunde 10,65 Sternschnuppen. Die üebereinstimmung ist 
so gross, dass man sich von der Richtigkeit der Schiaparelli'schen An- 
sichten sofort tiberzeugt fühlt. 

Stunde Beob. Anzahl Berechn. Anzahl Unterschied 

5 bis 6 Uhr Abends 7,2 5.90 + 1.30 

8 « 9 « « 6.3 7.00 -— 0.70 

11 UhrbisMittem. 9.5 10.05 —0.55 

2 bis 3 Uhr Morg. 16.8 13.47 + 3.33 

5 « 6 « « 13.7 15.33 — 1.63 

Die Bahnen der Sternschnuppen theilen also mit denen der 
Cometen die Eigenschaft , im Allgemeinen parabolisch zu sein , oder 
wenigstens eine von der Einheit nur sehr wenig abweichende Excen- 
tricität zu haben. Es giebt aber noch engere Beziehungen zwischen 
diesen Bahnen. Um diese unmittelbar zu veranschaulichen, führen wir 
die Bahnelemente des Laurentiusstromes einerseits und anderseits die 
des dritten Cometen vom Jahre 1862 an. Sie sind : 

Laurentinsstrom Comet lü 1862 
oder Perseiden *) 

TT 343° 38' 344° 41' 

Q 138 16 137 27 

i 63 3 66 25 

q 0.9643 0.9626 

Bewegung retrograd retrograd 



*) Der ßadiationspunkt des Laurentiusstroms liegt im Stembilde 
Perseus, daher der Name Perseiden. 



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§ J7. DieCometen. 355 

Diese Elemente zeigen also eine ganz auffallende Uebereinstim- 
mnng mit einander. In derselben Weise hat man auch eine grosse 
Uebereinstimmung zwischen den Bahnen der Novembermeteore — 
den sogenannten Leoniden — und der des ersten Cometen von 
1866, sowie zwischen einigen andern Meteorschwärmen und Cometen 
gefunden. 

Hieraus geht nun klar und unwiderleglich hervor, dass Cometen 
und Meteorschwärme in denselben Bahnen sich um die Sonne bewe- 
gen, Und aus diesem Umstände muss man wohl auf einen physischen 
Zusammenhang zwischen Cometen und Sternschnuppen schliessen. 
Welcher Art dieser Connex indessen sei, dürfte gegenwärtig noch nicht 
mit Bestimmtheit angegeben werden können ; es hat den Anschein, 
dass die Meteorschwärme Absonderungen von den Cometen sind, mög- 
lich ist es jedoch auch, dass die in den Schwärmen so äusserst locker 
vertheilte Materie sich unter geeigneten Einflfissen zu den etwas 
mehr consistenten Comet^nkörpem concentrirt. üeber die physi- 
sche Natur der Cometen herrsehen übrigens noch Controversen y die 
Yielleicht erst sehr spät zumAbschluss gelangen und zu einem einiger- 
massen sichern Ergebniss führen werden. Von den Ansichten , die 
über diesen Gegenstand bis jetzt bekannt worden sind , giebt es zwar 
eisige , die in gewisser Beziehung nicht unbegründet erscheinen ; al- 
lein es ist anderseits nicht undenkbar , dass die physischen und che- 
mischen Proeesse innerhalb dieser Gebilde von uns noch nicht ver- 
standen werden können, weil wir keine entsprechenden Vorgänge an 
der Erdoberfläche kennen. Wir kennen z. B. einigermassen die sog. 
anorganischen chemischen Verbindungen und auch die Chemie der 
Eohlenverbindungen (unsere sog. organische Chemie) ; vielleicht giebt 
es aber eine eben so zahlreiche Reihe von Eisenverbindungen, also eine 
Chemie des Eisens, ebenso wie unsere organische Chemie eine Chemie 
des Kohlenstoffes ist, und wer könnte gegenwärtig sagen , unter wel- 
chen Umständen solche Verbindungen eingegangen werden und von wel- 
chen physikalischen Processen sie begleitet sind? — Dass das Eisen im 
Universum sehr verbreitet ist, hat uns die Spectralanalyse gelehrt; 
wir bemerken es aber auch direct an den Meteoriten, die zum grossen 
Theil aus Eisen bestehen. Ausserdem föUt das Eisen in äusserst fein 
vertheilter Form, wie es scheint ununterbrochen zur Erde hernieder. 
Professor Nordenskiöld hat grosse Massen von Schnee einschmel- 

23* 



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356 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

zen lassen und in den Resten ein sehr feines Pulver erhalten , das in 
jeder Hinsicht sich als metallisches Eisen erwies. Der erste Versuch 
geschah in Stockholm, war aber nicht entscheidend, weil es nicht un- 
denkbar schien, der gefundene Niederschlag wäre aus dem Ranch der 
umliegenden Eisenwerke gekommen ; den zweiten Versuch liess er in 
den Wäldern Finnlands vornehmen, den dritten und entscheidenden, 
unternahm er selbst auf Spitzbergen, mehr als 100 Meilen von jeder 
anderen menschlichen Wohnung als seiner eigenen kleinen Colonie 
entfernt , wo also jeder Verdacht eines tellurischen Ursprunges des. 
in Frage stehenden Staubes entfernt war. Das Eisen spielt also im 
Welträume eine grosse Rolle ; welche diese aber ist , wissen wir in- 
dessen noch nicht. 



§ 18. Die Doppelsterne. 

Unter den Hunderttausenden von Sternen, die wir schon mit 
einem massigen Fernrohre unterscheiden, giebt es etwa 6000 und 
wahrscheinlich sogar mehr, die von einem zweiten Stern begleitet 
sind, obgleich der Begleiter mitunter so schwach ist , dass kräftigere 
Femröhre erforderlich sind, um denselben erblicken zu können ; solche 
Stempaare nennt man Doppelsterne. Zunächst könnte man diese 
Erscheinung einfach so erklären , dass bloss die Richtungen beider 
Sterne nahe zusammenfielen, während sie selbst beliebig weit von ein- 
ander entfemt sein könnten. Für einige Doppelsterne ist eine solche 
Erklärung wohl richtig , im Allgemeinen jedoch schon a priori wenig^ 
wahrscheinlich. Die Zahl der Doppelsteme ist nämlich zu gross , als^ 
dass man ihr Vorhandensein blos dem Zufall zuschreiben könnte, 
auch wenn man nicht directe Beweise für Bewegungen hätte, die aus 
einer gegenseitigen Anziehung herrühren. Die bei Weitem grösste 
Zahl ist vielmehr wirklich physisch, zu einem System in mechanischem 
Sinne verbunden; die wenigen Doppelsteme, die dies nicht sind,, 
nennt man optische Doppelsterne. 

Schon bald nach der Entdeckung der ersten Doppelsterne errietb 
man ihren physischen Zusammenhang. Es mnss dabei besonders der 
Mannheimer Astronom Christian Mayer genannt werden, wel- 
cher 1778 die Ansicht von den »Fixsterntrabanten« lebhaft 



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§ 18. Die Doppelsterne. 357 

vertheidigte.*) Der etwas anpassend gewählte Name und einige 
üebertreibungen riefen indessen einen bedeutenden und damals nicht 
unberechtigten Widerspruch hervor. Später wurde jedoch die wahre 
Natur der Doppelsterne von Herschel dem Aelteren wieder- 
erkannt und dargelegt, wonach die Zweifel an dem physischen Connex 
der beiden Componenten der Binarsysteme geschwunden zu sein 
scheinen. 

Herschel, welcher ohngeföhr im Jahre 1780 anfing, den Doppel- 
sternen seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, nahm seine Unter- 
suchungen über dieselben nach längerer Zeit (zu Anfang des Jahr- 
hunderts) wieder auf und fand nun in fast 50 Systemen Aenderungen, 
die sich bald, wie z. B. bei £ ürsae maj. und r^ Coronae 
als wirkliche Bahnbewegungen herausstellten. Ursprünglich scheint 
Herschel der Ansicht gewesen zu sein , die Doppelsterne wären nur 
optisch mit einander verbunden , die gefundenen Bewegungen über- 
zeugten jedoch den vorurtheilsfreien Forscher von der physischen Ver- 
bindung. Er bestimmte die Distanz und Richtung (Positionswinkel) 
bei mehr als 400 Paaren, deren scheinbare Entfernung weniger als 
32" beträgt. Vor Herschel waren nur wenige (von Chr. Mayer etwa 
100) Doppelsterne gemessen worden. 

Nach dem älteren Herschel hat sein Sohn John Herschel zu- 
sammen mit South, vor Allen aber W. Struve durch zahlreiche 
und sorgfältige Beobachtungen unsere Kenntniss von der Anzahl und 
den Umlaufszeiten der Doppelsterne erweitert**); in den letzten Jahr- 
zehnten ist von Ottov. Struve ein besonders werthvolles Beobach- 
tungsmaterial, die Doppelsterne betreflFend, gesammelt, indess noch 
nicht veröflFentlicht worden. Auch die zahlreichen und genauen Dop- 
pelsternbeobachtungen von Dembowski und D u n ö r dürfen wir 
hierbei nicht unerwähnt lassen. 

Von den etwa 6000 gegenwärtig bekannten Doppelstemen hat 
man bereits bei ca. 800 eine Umlaufsbewegung bemerkt, obgleich die 
Perioden derselben nur in den seltensten Fällen weniger als ein Jahr- 
hundert betragen. 

*) Schon etwas vor Mayer hatte Mi che 11 die Wahrscheinlichkeit 
des Verbandes bei den Doppelsternen ausgesprochen. 

**) In dem Hauptwerk Struve's, den»Men8uraemicrometricae«(St.Pe- 
tersburg 1837) finden sich die genauen Messungen von mehr als 2600 dop- 
pelten, drei- und mehrfachen Sternen, bis 32 Sekunden Distanz. 



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358 IV. Kapitel. Neuere astronoraisehe ForschuDgen. 

Bei verBchiedenen BinarBystemen haben sich nicht nur die Um- 
lau&zeit, sondern auch die elliptischen Bahnelemente bestimmen lassen. 
Man ist dabei von der Voraussetzung ausgegangen , dass auch in den ent- 
ferntesten Sternregionen das Newton' sehe Gesetz seine Gültigkeit behält, 
dass mithin die relative Bahn des einen Sterns um den andern eine Ellipse 
sei; in welcher die Bewegung nach den Eepler'schen Regeln vor sich gebe. 
Die Erfahrung hat stets die Richtigkeit dieser Voraussetzung bestätigt, 
wenn auch scheinbare Widersprüche , oder richtiger Abweichungen , die 
ohne Berechtigung Widersprüche genannt wurden, in einigen Fällen sich 
gezeigt haben. Diese beruhten aber einfach darauf, dass die Anzahl der 
Glieder des Systems mehr als zwei beträgt, obgleich nur zwei optisch er- 
kannt waren. Das Newton'sche Gesetz bleibt auch bei solchen Systemen 
in Kraft, aber eben deshalb finden die Kepler' sehen Regeln keine Anwen- 
dung oder können höchstens nur eine erste rohe Darstellung der Bewe- 
gung geben; denn bei den drei- oder mehrfachen Sternsystemen können 
die störenden Massen so bedeutend sein , dass die Reihenfolge von An- 
näherungen, welche bei den Planeten zur Erkenntniss der wahren Bewe- 
gungen führt, ein vollkommen illusorisches Resultat hervorbringen würde, 
indem sie nicht convergent wäre. 

Die Berechnung der elliptischen Doppelsternbahnen ist in gewisser 
Weise einfacher als die der Planeten- und Cometenbahnen , insofern man 
nämlich die ganze Bewegung von demselben Punkte aus betrachtet und 
nicht nöthig hat, dieselbe auf einen dritten, in relativer Ruhe befindlichen 
Punkt zu beziehen.*] Auf einer Ebene, welche senkrecht zu der Gesichts- 
linie (dem sog. Visionsradius) liegt, scheint der eine Stern um den 
andern eine Ellipse zu beschreiben. Diese Ellipse ist nun freilich nicht 
die wahre Bahn, sondern nur eine sog. Projection oder Abbildung der- 
selben auf der genannten Ebene, allein man kann die wahre aus der 
scheinbaren Bahn herleiten, indem man die Lage des als ruhend angesehe- 
nen Sternes innerhalb der Projectionseilipse beachtet. Wäre die schein- 
bare Bahn zugleich auch die wahre , d. h. geschähe die wirkliche Bewe- 
gung in der auf dem Visionsradius senkrechten Ebene, so müsste der 
Stern mit dem Brennpunkte der Ellipse zusammenfallen ; liegt aber die 
wahre Bahn in einer andern Ebene , so findet dies nicht mehr statt. Man 
denke sich die wahre Bahn als einen Kreis , aber um 30® gegen den Vi- 
sionsradius geneigt, alsdann wäre die scheinbare Bahn eine Ellipse, deren 
kleine Axe nur die Hälfte der grossen betrüge.**) Es wäre also in der 
scheinbaren Ellipse : 



*) Wegen der grossen Entfernung der Sterne kann man bei den Be- 
rechnungen der Doppelsternbahnen die Erde als ruhend annehmen. 

**) Die Position einer Geraden von der Länge a auf einer anderea 
Geraden oder auf einer Ebene findet man aus der Formel 

a Cos cp , 
wo cp den Winkel zwischen den beiden Geraden oder zwischen der Gera- 
den und der Ebene bedeutet. 



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§18. Die Doppelsterne. 359 



mithin •» 

e a= 0,8660 . 

Die Brennpunkte liegen folglich der Peripherie der scheinbaren Ellipse 
sehr nahe, während der Stern mit ihrem Mittelpunkte zusammenfUllt. 
Die Brennpunkte der scheinbaren Bahn entsprechen also nicht denen der 
wahren, von denen der eine durch den ruhenden Stern bezeichnet wird, 
aber eben wegen dieser Verschiedenheit ist es möglich , die wahre Bahn 
zu bestimmen. 

Bei den Doppelsternbahnen muss die mittlere Bewegung oder die 
Umlaufszeit von der halben grossen Axe getrennt angegeben werden, weil 
bei den Binarsystemen keine dem dritten Kepler sehen Satze entsprechende 
Relation zwischen diesen Elementen vorhanden ist. Die halbe grosse Axe 
kann, weil die Entfernung des Systems in den weitaus meisten Fällen un- 
bekannt ist, nur in Sekunden angegeben werden. 

Die Untersuchungen der Bewegungen in Binarsystemen sind aber 
mit anderen Schwierigkeiten verbunden als solchen, die nur in einer 
etwas längeren und mühsameren Bahnberechnung liegen könnten. Die 
Messungen der gegenseitigen Lage zwei sehr naher Lichtpunkte sind näm- 
lich nicht selten verhältnissmässig so unsicher, dass die auf Grund solcher 
Messungen berechneten Bahnen nur nach vielen Versuchen und erneuer- 
ten Rechnungen einigermassen richtig gefunden werden konnten. Und 
doch sind die Doppelstemmessungen an und für sich zu den genauesten 
Beobachtungen zu zählen. Man begreift aber , dass bei Bahnen , wo die 
ganze Aenderung der Distanz oft kaum eine Bekunde beträgt , auch die 
heut zu Tage erreichbare Genauigkeit als nicht genügend erscheinen 
musö. Man sieht sich daher auch bisweilen veranlasst , die Bestimmung 
der Bahnelemente ausschliesslich auf Positionswinkel zu gründen, und 
die gemessenen Distanzen nur zur Bestimmung der halben grossen Axe zu 
verwenden. Die Möglichkeit eines solchen Verfahrens beruht darauf, 
dass auch in der Projectionsellipse die. vom scheinbaren Radiusvector 
überstrichenen Sectoren den Zeiten proportional sind. Liegt also eine 
grössere Reihe beobachteter Positionswinkel vor , so dass man aus ihnen 
die der Zeiteinheit entsprechende Aenderung, die wir mit p'—p bezeich- 
nen wollen, ableiten kann , so lässt sich die entsprechende Distanz aus 
der Formel (vgl. pag. 146] berechnen : 

wo c eine Constante und d die in einem willkürlichen Maasse ausgedrückte 
Entfernung bedeuten. Mittelst dieser Formel lassen sich auch zu ver- 
schiedenen Zeiten gemessene Distanzen auf einander reduciren und ver- 
gleichen. Bezeichnet man nämlich eine zweite Distanz mit d\ und die da- 
zugehörende Aenderung des Positionswinkels m\ip[ — /?i , so hat man : 



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360 



IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 



d 






Nach dieser Formel wollen wir nun folgende von verschiedenen Beobach- 
tern angestellte Distanzmessungen mit einander vergleichen. In der ersten 
Columne geben wir die Zeit der Beobachtung , in der zweiten die gemes- 
senen Distanzen, in der dritten die Aenderung des Positionswinkels In 
einem Jahre , in der vierten die der Aenderung von — 5?92 *) entspre- 
chenden Distanzen, welche also aus der Formel 



^ = ^£5 



—P 
92 



berechnet wurden, wo d die gemessene Distanz bedeutet ; in der fünften 
endlich die Namen der Beobachter. Die Messungen beziehen sich auf den 
Stern ?Ursae majoris. 



Zeit 


d 


P'-P 


c^i 


Beobachter 


1826.20 


r:75 


— 8?85 


i':94 


W. Struve 


1831.25 


1.^0 


— 6.30 


1.96 


Sir John Herschel 


1833.23 4 


1.98 


— 6.20 


2.03 


Dawes 


1838.43 


2.26 


— 4.88 


2.05 


W. Struve 


1845.31 


2.57 


— 2.65 


1.72 


Mädler 


1855.29 


2.96 


— 1.94 


1.70 


Secchi 


1857.36 


3.11 


— 1.98 


1.80 


Secchi 


1857.43 


2.75 


— 2.00 


1.60 


Mädler 


1858.00 


2.90 


— 2.04 


1.70 


Jacob 


1863.23 


2.56 


— 2.97 


1.81 


Dembowski 


1865.12 


2.44 


— 3.42 


1.86 


Engelmann 


1869.40 


1.29 


— 10.30 


1.70 


Dun6r 


1871.47 


0.98 


— 19.70 


1.79 


Dunör 


1873.33 


0.98 


— 22.28 


1.90 


Dembowski 


1875.45 


1.08 


— 15.75 


1.76 


Dun6r 



Diese Zusammenstellung enthält bei weitem nicht alle Distanzmes- 
sungen , welche an diesem Stempaare gemacht worden sind. Die Aus- 
wahl haben wir mit Rücksicht darauf getroffen , dass die Veränderungen 
der scheinbaren Entfernung deutlich hervortreten sollten ; wir beabsich- 



*) Die mittlere jährliche Bewegung beträgt — 5?92 ; das negative 
Vorzeichen giebt an, dass die Positionswinkel abnehmen. 



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§ IS. Die Doppeldterne. 361 

tigten aber auch , die Namen der vorzüglichsten Doppelsterabeobachter 
aufzuführen, wobei indessen die Bemerkung wiederholt werden muss, 
dass die Beobachtungen von 0. Struve noch nicht publicirt.sind und folg- 
lich keinen Beitrag zu unserem Beispiele liefern konnten. Wir wollen 
aber noch eine dritte Bemerkung an die gegebenen Zahlen knüpfen. Wie 
man sieht, ist die Uebereinstimmung der einzelnen Messungen eine sehr 
grosse, da der bedeutendste Unterschied nicht einmal eine halbe Sekunde 
beträgt, relativ zu der scheinbaren Entfernung aber müssen trotzdem 
diese Unterschiede als erheblich angesehen werden. Es lässt sich daher 
einsehen, dass man leicht eine beträchtlich fehlerhafte Bahn erhalten 
kann , wenn Distanzen mit einander combinirt werden , von denen einige 
zufallig im einen Sinne und andere im umgekehrten Sinn^ durch Fehler 
entstellt sind. Diese Gefahr ist um so grösser, als die Resultate der ver- 
schiedenen Beobachter nicht selten nach derselben Seite hin abweichen. 
Sehen wir einfach das arithmetische Mittel der angeführten Werthe von 
di als den richtigen Werth der scheinbaren mittleren-Entfemung der bei- 
den Componenten an, so müssen die Abweichungen der einzelnen Bestim- 
mungen von diesem Mittel als Beobachtungsfehler angesehen werden. 
Das Mittel aus den angeführten Bestimmungen wird r.'82 ; die Oorrectio- 
nen der drei Beobachtungen von Dun^r sind demnach -f-0''12, -f- 0"03 und 
•+■ 0''06 , also alle im selben Sinne. Würde nun ein ähnliches Ergebniss 
auch aus anderen Messungen desselben Beobachters hervorgehen, so 
müsste man schliessen, dass er im Allgemeinen die Distanzen zu klein 
misst. Da die Genauigkeit der Doppelstembahnen , welche aus den Be- 
obachtungen durch Rechnung gefunden werden, wesentlich davon ab- 
hängt, dass dergleichen für den einzelnen Beobachter eigenthümliche Ab- 
weichungen (die sog. systematischen Fehler) genau erkannt werden , so 
glauben wir diesen Gegenstand noch etwas weiter verfolgen zu dürfen. 

In seinem kürzlich erschienenen Werke »Mesures microm^tri- 
quesd'^toilesdoubles«*) giebt Herr Dun^r nicht nur die Resultate 
seiner eigenen Messungen, sondern stellt auch die Ergebnisse der frühe- 
ren Beobaqjitungen für diejenigen Sterne, die bei ihm selbst vorkommen, 
zusammen. In vielen Fällen giebt er auch neue Bahnberechnungen , die 
augenblicklich als die genauesten angesehen werden müssen , weil sie auf 
einer grösseren Anzahl Beobachtungen beruhen, als frühere Berechnungen. 
Die Abweichungen der einzelnen Beobachtungsresultate von den aus die- 
sen Elementen folgenden Distanzen und Positionswinkeln dürfen daher 
zum grössten Theil als Beobachtungsfehler angesehen werden. Wir wol- 
len nun sehen, indem wir wieder unser Beispiel den Beobachtungen von 
6 ürsae maj. entnehmen, wie sich diese Abweichungen für die Herren 
Dembowski und Dun6r in einzelnen Jahren verhalten. 



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362 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 



Dem 


bowski 


Dun^r 


1863 


-f (>':o3 




1864 


+ 0.14 




1866 


-f 0.05 




1867 


+ 0.02 




1868 


-0.03 




1869 




+ 0.16 


1870 


— 0.11 


+ 0.08 


1871 


— 0.12 


+ 0.06 


1872 


— 0.15 


+ 0.05 


1873 


— 0.09 


+ 0.04 


1874 


— 0.04 


+ 0.06 


1875 


+ 0.04 


+ 0.08 



£s ist nun unverkennbar, dass zwischen diesen E^eobachtern in den 
Jahren 1870 — 75 eine Differenz von etwa 0"14 obwaltet; Dun^r hat die 
Distanzen zu klein, Dembowski sie hingegen zu gross erhalten. Würde 
man also bei der Bahnbestimmung eine Distanz von jedem der beiden 
Beobachter benutzen, so könnte man eine wesentlich fehlerhafte Bahn er- 
halten.*) Die Fehler bei Dembowski zeigen Überdies das Auffallende, 
dass sie vor 1870 im Mittel positiv waren , während sie nach diesem Zeit- 
punkte negativ sind. Eine allein auf seine Beobachtungen basirte Rech- 
nung hätte dann auch zu einem ungenügenden Resultate fuhren können, 
ja wegen des raschen Zeichenwechsels wäre man sogar versucht gewesen, 
an einen dritten, störende9 Körper im Systeme zu denken, wenn man 
nicht aus Erfahrung wüsste, dass auch die besten Messungen von kleinen 
systematischen Fehlem entstellt sein können, welche zuweilen einen 
höchst nachtheiligen Einfluss ausüben. — Durch Vergleichung der Resul- 
tate verschiedener Beobachter lernt man ihre individuellen Fehler, we- 
nigstens relativ zu einander kennen , und man erhält , indem die hieraus 
hervorgehenden Verbesserungen angebracht werden, ein mehr homogenes 
und voraussichtlich fehlerfreies Material zur^Verarbeitung, als wenn man 
die Ergebnisse der einzelnen Beobachter direct anwenden wollte ; sobald 
diese nicht die Verbesserungen, deren ihre Doppelsternmessungen bedür- 
fen, auf andere, directe Weise ermittelt haben.**) 

In ähnlicher Weise wie die Distanzen sind auch die Positionswinkel 
mehr oder weniger von individuellen Fehlem entstellt ; man nimmt aber 



*) Im Mittel aus allen Beobachtungen sollte die Distanz in den Jah- 
ren 1844 und 1664 gleich gross sein, nämlich 2'.'50; würde man nun statt 
dessen die Bahnberechnung auf die Distanzen 2"43 und 2''57 gründen , so 
würde die Bahn natürlich ganz verschoben. 

**) Dies ist z. B. bei 0. Struve der Fall, der aus der Beobachtung 
künstlicher Doppelsterne seine systematischen Fehler sowohl für die Di- 
stanz, wie für die Positionswinkel abgeleitet hat. 



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§ 18. Die Doppelsterae. 



363 



doch an , dass die Bewegung sicherer aus den Veränderungen letzterer 
erkannt wird , als aus denen der scheinbaren Entfernung, namentlich 
wenn diese sehr klein ist. — Das Angeführte mag als Andeutung genü- 
gen , in welcher Weise das Beobachtungsmaterial gesichtet werden muss, 
bevor man auf Erfolg bei einer Berechnung der Bahn eines Doppelstems 
hoffen kann. 

Die kürzeste gegenwärtig bekannte Umlaufszeit in einem Binai^ 
Systeme findet sich bei No. 42 im Haupthaar der Berenice, sie be- 
trägt etwas über 25 Jahre , nach ihr kommt die im Systeme ( Herculis, 
u. s. w. In der folgenden kleinen, nach der wahrscheinlichen Entfernung 
vom Sonnensysteme geordneten Zusammenstellung geben wir die Um- 
laufszeiten nebst den halben grossen Axen der bisher bekannten Bahnen, 
hauptsächlich um auf die grosse Verschiedenheit der Umlaufszelten bei 
nahezu denselben Entfernungen aufmerksam zu machen, woraus , wie wir 
sogleich sehen werden , auf eine ungleiche Entfernung von uns geschlos- 
sen werden kann. Die Berechnung der Zahlen der letzten Columne soll 
nachher erläutert werden. 



Stern 


ümlaufszeit 
im Jahre 


Halbe grosse 
Axe 


Hypothetische 
Farallaxe 


Centauri 


77.00 


15':5 


0'.'856 


Y Cassiopeiae 


200 


10.25 


0.300 


p Ophiuchi 


94.37 


4.704 


0.227 


^ Bootis 


160.69 


5.591 


0.189 


S Ursae majoris 


60.79 


2.547 


0.165 


^ Librae 


49.05 


1.749 


0.130 


Y Virginis 


1S5.0 


3.97 


0.122 


C Herculis 


34.72 


1.223 


0.115 


2 217a *) 


45.43 


1.01 


0.080 


44 Bootis 


261.12 


3.098 


0.076 


42 Comae 


25.71 


0.657 


0.075 


o Geminorum 


996.85 


7.119 


0.071 


Y Coronae 


41.58 


0.827 


0.069 


a Coronae 


845.86 


5.885 


0.666 


S3J2i 


40.62 


0.715 


0.060 


C Cancri 


62.4 


0.908 


0.058 


2 3062 


112.64 


1.31 


0.056 


X Ophiuchi 


95.88 


0.847 


0.040 


2 1938 


290.07 


1.500 


0.034 


0) Leonis 


107.62 


0.78 


0.034 


T Ophiuchi 


217.87 


1.193 


0.033 



*) Ein vorgesetztes 2 bezeichnet, dass der Stern unter der 
ten Nummer in W. Struve's Catalog (Dorpat, 1827) vorkommt. 



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[\Qi IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

Die Gleichung (vgl. pag. 214) 



ai 



kVm H- m' «= 2t: Y 
welche für die Doppelsteme ebenso gilt, wie für die Köi-per des Sonnen- 
systems, zeigt, dass zu einer kürzeren Umlaufszeit im Allgemeinen auch 
ein kleinerer Werth der halben grossen Axe gehört. Sieht man trotzdem 
die Entfernung der beiden Sterne unter einem nicht gar zu kleinen Win- 
kel, so muss man schliessen , dass die Entfernung des Systems von der 
Sonne eine verhältnissmässig geringe ist Bei einem solchen Schlüsse 
nimmt man indessen an , dass die Summe der Massen m und m' immer 
nahezu denselben Werth hat. Eine solche Voraussetzung ist zwar an und 
für sich vollkommen unmotivirt, allein die wirkliche Entfernung der bei- 
den Gestirne wird nach der obigen Formel nur wenig durch eine etwaige 
Unsicherheit der Massen beeinflusst. Bevor wir dies nachweisen , müssen 
wir die Bemerkung einschalten, dass, wenn k die Gaussische Constante 
bedeutet, Tin Tagen ausgedrückt werden muss; bei den langsamen Be- 
wegungen in den Binarsystemen ist es jedoch bequemer , die Umlaufszeit 
in Jahren auszudrücken ; alsdann muss das Glied zur Bechten durch 
^65,256 . . dividirt werden. Erinnert man sich nun, dass 

365.256 . . 
wenn die Erdmasse neben der Sonnenmasse vernachlässigt wird, so 
schreibt man die obige Gleichung wie folgt : 

, ai 

ym + m' «= -y 
oder 






Aus der zuletzt angeführten Formel sieht man , dass der Werth von a 
proportional der Cubikwurzel aus w + w' wächst : ein achtmal grösserer 
Werth von m + w' würde erst einen zweimal grösseren von a bedingen, 
und damit a verdreifacht werde , müsste man den Werth von m -j- w' sie- 
benundzwanzigmal vergrössern. Letztere würden aber Massen sein , wie 
sie, wenigstens nach unserer jetzigen Kenntniss , wahrscheinlich nicht 
häufig vorkommen dürften. 

Nennen wir B die Entfernung des Doppelstems von uns und p seine 
jähirliche Parallaxe, so ist 

Smjö' 
bezeichnet femer d die in Sekunden ausgedrückte halbe grosse Axe , so 
hat man 

a:^ JRSmd 

und das Product dieser Gleichungen giebt 



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§18. Die Doppelsterne. 365 

^ Sinrf ^£ 

Dieser Werth in dem vorigen Ausdrucke für a eingesetzt, giebt endlich 

d 
P ^^ — g «/ = • 

X^ym + m' 

Setzt man in dieser Formel m + m'= 1 , so erhält man Werthe für 
p, welche hypothetischeParallaxen genannt werden , weil sie nur, 
wenn die gemachte Voraussetzung richtig ist , den wirklichen Entfernun- 
gen entsprechen. In dieser Weise sind die Zahlen der letzten Columne 
der obigen Zusammenstellung gewonnen worden. 

In zwei Fällen können wir die hypothetischen Parallaxen mit wirk- 
lich gemessenen vergleichen , nämlich bei a Centauri und p Ophiuchi. 
Die Uebereinstimmung ist , wie aus der Zusammenstellung pag. 335 und 
der zuletzt gegebenen hervorgeht , in der That eine solche , dass man , in 
Ermangelung directer Messungen , den hypothetischen Parallaxen einige 
Glaubwürdigkeit zuschreiben muss. 

Die Doppelsteme sind nicht die einzigen »Partialsysteme«, die wir 
in den entfernten Himmelsräumen als solche erkannt haben : es giebt noch 
drQi- und mehrfache Gestirne und endlich ganze Stemgruppen , aus einer 
grossen Menge scheinbar zusammengedrängter Sterne bestehend. Die 
Bewegungen in solchen Systemen sind bisher nur sehr mangelhaft erkannt; 
vor Allem wäre zu ihrer Untersuchung eine ganz andere Lösung des Pro- 
blems der drei Körper erforderlich, als wir sie gegenwärtig besitzen. — 
Von den dreifachen Sternen haben wir bereits C Cancri und SLibrae unter 
den Binarsystemen aufgeführt ; der dritte Stern steht entfernter von den 
beiden anderen, die sich zusammen um den dritten bewegen. Bei den fol- 
genden kurzen Beschreibungen einiger dieser interessanten Systeme be- 
zeichnen wir die drei Sterne resp. mit A, B und C 

C Cancri. 

4 I p 

Entfernung zwischen A und J5: 0'.'9, zwischen — — — und C. 5'.'5. 
ümlaufszeit von — "^ — um C etwa 730 Jahre.*) 

E Librae. 
Entfernung zwischen A und B: 1"7, zwischen — "^ — und C: T:2, 
Umlaufszeit unbekannt. 



*) Aus der Umlaufszett des Doppelsterns um den dritten und der 
Entfernung 5"5, welche statt der entsprechenden halben grossen Axe ge- 
nommen wird, folgt die hypothetische Parallaxe : 0'.'062 , also von der im 
Texte gegebenen nicht sehr verschieden. 



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366 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

i Cassiopeiae. 
Entfernung zwischen ^ und ^ : r.'9, zwischen A und C: 7'.'6. Der 
Positionswinkel des Paares A und B nimmt jährlich um etwa 0?25 bis 
0?30 ab. 

eEquulei. 

Entfernung zwischen ^ und J5 : 0'.'87, zwischen -^ — und C: lO'.'OS. 

Die Distanz AB nimmt jährlich um O'.'OIG zu, der Positionswinkel nimmt 

A -+- B 
um 0?816 ab ; der Positionswinkel der Richtung — ^ — bis C wird eben- 

falls vermindert , und zwar jährlich um 0?08. 

In einigen Fällen hat man bemerkt , dass die absolute Bewegung, 
also die Veränderung der Bectascension und Declination nicht der Zeit 
proportional erfolgte. Eine solche Erscheinung hat man bisher yerän- 
derliche Eigenbewegung genannt, welche Benennung indess nur 
auf eine vorübergehende Berechtigung Anspruch machen darf, da eine 
jede uns sichtbare Bewegung in Folge der notorisch vorhandenen Kräfte 
veränderlich sein und also auch veränderlich genannt werden muss, 
obgleich wir bis jetzt noch nicht die Veränderungen zu entdecken im 
Stande sind. 

Es war zuerst B e s s e 1 , welcher die Ungleichförmigkeit d§r Bewegung 
bei Sirius und Procyon bemerkte und er sehrieb sie auch ganz folge- 
richtig dem Einflüsse einer in der Nachbarschaft liegenden Masse zu. Bei 
Sirius ist das Vorhandensein dieser Masse auch durch optische Httlfsmit- 
tel bestätigt worden *) , eine Bestätigung , die in theoretischer Beziehung 
von dem grössten Interesse war und dem Erfolge der Untersuchungen 
Leverrier'sin gewisser Weise an die Seite zu stellen i^t. 

Sirius und Procyon sind also einfach Hauptsteme in Partialsyste- 
men, obgleich man den Begleiter bei Procyon noch nicht mit Sicherheit 
hat nachweisen können.**) 



§ 19. Helligkeit der Sterne. 

Wie die Sterne, ihrer scheinbaren Helligkeit nach, in Grössen- 
klassen eingetheilt werden, haben wir schon im Vorhergehenden er- 



*) Durch A. Clark in Boston im Jahre 1863. 
**) Während des Druckes dieses Buches ist ein Aufsatz von Otto v. 
Struve in dem »Bulletin de l'acad^mie des sciences de St. Pötersbourg« 
veröffentlicht worden , worin er seine vermuthete Entdeckung eines Pro- 
cyonbegleiters als zweifelhaft hinstellt. Vor der Hand muss man also an- 
nehmen, dass das von Struve gesehene Object nur das Product einer 
optischen Täuschung war. 



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§ 18. Die Doppelsteme. 367 

wähnt (vgl. pag. 337). Innerhalb jeder Klasse haben die verschie- 
denen Sterne jedoch nicht dieselbe Lichtstärke , was namentlich bei 
den Sternen erster Grösse auffilllt. Durch genaue photometrische 
Messungen hat man nämlich für diese die folgenden Werthe der 
Lichtstärke gefunden ^ wobei die der Wega als Einheit angenommen 
wurde : *) 



Stern 


Helligkeit 


Sirius 


4.29 


Wega 


1.00 


Rigel 


0.99 


Capeila 


0.82 


Arcturus 


0.79 


Procyon 


0.70 


Atair 


0.49 


Spica 


0.49 


Fomalhaut 


0.34 


Regulus 


0.33 


Aldebaran 


0.30 


Antares 


0.29 



Wir sehen also, dass die Helligkeit des Sirius die des Regulus z. B. 
um mehr als das Zehnfache übertrifift. Im Allgemeinen, und nament- 
lich bei den höheren Klassen, ist die Helligkeit des schwächsten zu 
irgend einer Klasse gehörenden Sterns etwa ^ von der des hellsten 
in derselben Klasse. Wo die scheinbaren Grössen genauer bezeichnet 
werden sollen , giebt man sie nicht nur in ganzen Zahlen , sondern 
auch in Decimalen an, unterscheidet also innerhalb jeder Klasse zehn 
Abstufungen. 

Nach V. Littrow's Abzahlung inArgelander's Durchmusterung 
des nördlichen Himmels giebt es in dieser Hemisphäre 

10 Sterne von der Grösse 1.0 bis 1.9 

37 » » » »2.0 » 2.9 

128 »» » » 3.0 » 3.9 

310 »» » » 4.0 » 4.9 

1016 i> » » » 5.0 » 5.9 

4328 » » » » 6.0 » 6.9 



"*"} L. Seidel, Untersuchungen über die gegenseitigen Helligkeiten 
der Fixsterne erster Grösse (München , 1852). 



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368 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

13593 Sterne von der Grösse 7.0 bis 7.9 
57960 » » » » 8.0 » 8.9 
237544 » » » » 9.0 » 9.5 

Die Gesammtzahl beträgt 314926. Unter Annahme, dass der südliche 
Himmel eben so sternreich wie der nördliche ist , beträgt die Gesammt- 
zahl der Sterne bis zur Grösse 9.5 also über 600000. 

Es ist von Interesse zu berechnen , wie viel Licht die Erde in einer 
sternhellen Nacht von sammtlichen Sternen erhält ; wir können bei einer 
solchen Berechnung die obigen Zahlen benutzen , weil nur die Hälfte des 
Himmels gleichzeitig gesehen werden kann. Bei dieser Rechnung wollen 
wir femer annehmen, dass die mittlere Helligkeit eines Sterns erster 
Grösse 0.5 ist (die Helligkeit der Wega als Einheit gesetzt), die eines 
Sterns zweiter Grösse 0,5 Xyi^ « 0.20, die eines Sterns dritter Grösse 
0.2 X 3^ = 0.08, u. s. w.; wir erhalten alsdann : » 

Gesammthelligkeit von 10 Sternen erster Grösse = 5.0 



37 


» 


zweiter 


» 


s 


7,4 


122 


)> 


dritter 


» 


= 


10.1 


310 


» 


vierter 


» 


== 


9.9 


1016 


» 


fünfter 


» 


s 


13.0 


4322 


» 


sechster 


» 


» 


22.1 


13593 


)> 


siebenter 


. » 


=: 


27.8 


57960 


» 


achter 


» 


=_ 


47.4 



Summe = 142.7 

Aus diesen Zahlen können wir nun zweierlei entnehmen. Erstens 
sehen wir, dass die schwächeren Sterne mehr zu der allgemeinen Hellig- 
keit des Nachthimmels beitragen als die helleren , weshalb auch die An- 
zahl der dem blossen Auge sichtbaren Sterne viel grösser erscheint , als 
man sie durch wirkliche Nachzählung findet. Ohne optische Hülfsmitt^ 
sind nämlich nur die Sterne der ersten sechs Grössenklassen zu unter- 
scheiden ; nur ausnahmsweise gute Augen sehen mehr. Zweitens müssen 
wir aber schliessen , dass der Glanz des Himmels dem der Sonne gleich 
sein würde , wäre der unendliche Kaum in derselben Weise von Sternen 
erfüllt, wie die uns zunächst liegenden Kegionen. Dies ist nun bekannt- 
lich nicht der Fall. Soll man daher zu der Schlussfolgerung gezwungen 
sein, dass die Stemenwelt begrenzt ist, dass es ausserhalb der uns sicht- 
baren Materie einen Raum giebt, der entweder ganz leer ist , oder wo die 
Materie nicht leuchtend genug ist, um uns bemerkbar zu sein? Olbers, 
der berühmte Astronom und Arzt in Bremen , beantwortet diese Frage : 
»Keineswegs. Bei jener Folgerung aus der unendlichen Menge der Fix- 
sterne haben wir vorausgesetzt, dass der Weltraum absolut durchsichtig 
sei, oder dass Licht , aus parallelen Strahlen bestehend , in jeder Entfer- 
nung vom strahlenden Körper ganz ungeschwächt bleibe. Diese absolute 



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§19. Helligkeit der Sterne. 369 

Durchsichtigkeit des Weltraames ist nicht nur ganz unerwiesen , sondern 
auch, ganz unwahrscheinlich.« *) Olbers entwickelt nun ferner die An- 
sicht, dass die Lichtstrahlen bei ihrem unmessbar weiten Weg in merk- 
licher Weise geschwächt werden, dass sie mithin im Welträume eine ge- 
wisse Absorption erleiden. Das Licht der uns nächsten Sterne wird nur 
giuäz unmerklich abgeschwächt; wenn aber die Entfernungen eine gewisse 
Gr^ze erreicht haben , so fängt die Absorption an merklich zu werden, 
und wächst endlich so , dass die ganze Lichtmenge verschluckt wird , so 
dass wir die leuchtende Materie ausserhalb einer gewissen Grenze gar 
nicht mehr erblicken kennen. Gestützt auf die ziemlich winkürliche Axt- 
nähme, dass die absolute Helligkeit des Sirius durch die Absorption uns 
um ^^ geschwächt erscheint , berechnet Olbers die scheinbare absolute 
Helligkeit — also die durch die Absorption yerminderte — für einen 
Stern 

in der Entfernung v«i 84.23 Siriusweiten zu -^ 

' » » » » 178.40 » » -f-^ 

» » » » 285.16 » » 1^ 

» » » » 408.41 » » -j% 

» » » » 554.13 » » ^ 

In der Entfernung von 30000 Siriusweiten würde die absolute Helligkeit 

1977100000 Millionen mal geschwächt sein. 

Diesen Ansichten schliesst sich W. Struvean.**) Er geht aber 
noch weiter , indem er die Grösse der Absorption numerisch zu bestim- 
men versucht. Wir dürfen nicht unterlassen, dem berühmten Gründer 
der Pulkowaer Sternwarte in seinen interessanten Speculationen zu fol- 
gen, wenn wir auch seiner Deduction nur einen subjectiven Werth 
zuerkennen können. Struve berechnet zunächst die raumdurchdringende 
Kraft des HerscheFschen Teleskopes von 40 Fuss Brennweite und findet 
dieselbe — « 663.94 mal die mittlere Entfernung eines Sterns erster Grösse, 
welches sagen will , dass ein Stern von der absoluten Leuchtkraft eines 
Sterns erster Grösse in diesem Teleskope noch sichtbar sein müsste, wenn 
seine Entfernung die genannte wäre. Unter der Annahme, dass die 
Sterne gleichmässig im Baume vertheilt sind, lässt sich 
hiernach die Anzahl Sterne berechnen , welche Herschel im Mittel gleich- 
zeitig in seinem Teleskope hätte sehen müssen. Diese Anzahl berechnet 
Struve zu 3021, während Herschel thatsäcHlich nur 122 gesehen hat. 
Diese somit factisch bewiesene Verminderung erklärt nun Struve durch 
die Absorption, indem er das Stemlicht durch sie dermassen geschwächt 
annimmt , dass die schwächsten Herschei'schen Sterne nicht in der Ent- 
fernung von 663.94 Sternweiten von uns abstehen, sondern nur in 227.78 
mal die mittlere Entfernung eines Sterns erster Grösse.***) 



*) Berliner astron. Jahrbuch für 1826, pag. 115. 
**) Etudes d'astronomie stellaire, pag. 83. 
***} Je ne vois point d'autre explication que celle d'admettre, qiic 

Gyldän, Astronomie. 24 



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370 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

£s ist zwar keineswegs unwahrscheinlich , dass eine Absorption des 
Lichtes im Welträume wirklich stattfindet; allein anderseits kann es 
uns nicht entgehen, dass die Beweise dafür sehr schwache sind. Die 
Betrachtungen von Olbers wie auch von W. Struve beruhen nämlich im 
Grunde auf der Annahme, dass die Sterne im Grossen und Ganzen gleich- 
förmig im Räume vertheilt seien, und zwar so, dass , wenn wir uns einen 
Kegel denken , dessen Spitze sich in unserem Auge befindet und dessen 
Axe nach einer gewissen Himmelsgegend gerichtet ist, die Anzahl der 
Sterne innerhalb eines begrenzten Theiles dieses Kegels dem cubischen 
Inhalt desselben proportional sei. Nach verschiedenen Richtungen hin- 
gegen kann die Sterndichtigkeit eine verschiedene sein , und ist es auch 
in der That. — Das Volumen eines Kegels wächst nun proportional der 
dritten Potenz seiner Höhe , mithin muss auch die Sternenanzahl einer 
gewissen Grüssenklasse proportional der dritten Potenz ihrer Entfernung 
sein. Da man nun aus der Abzahlung der helleren Sterne die Sterndich- 
tigkeit ermittelt hat , so lässt sich — die Annahme der gMchfSrmigen 
Dichtigkeit innerhalb der verschiedenen Kegel festhaltend — die Anzahl 
und die scheinbare Helligkeit der Sterne höherer Grössenklassen durch 
eine leichte Rechnung finden. 

Nennt man Q« die Anzahl aller Sterne von der ersten Grösse bis zur 
Grösse w, M^ die mittlere Entfernung der Sterne nter. Grösse, so hat man 
(vgl. pag. 338) 






bezeichnet man ferner mit B das Verhältniss der Helligkeit zweier, um 
eine ganze Grösse verschiedener Sterne, so ist, weil die scheinbare Hel- 
ligkeit umgekehrt proportional dem Quadrate der Entfernung ist : 



^-[^hM 



Fernere Erwägungen zeigen uns leicht , dass der scheinbaren Hellig- 
keit eines Sterns nter Grösse die Lichtstärke 

entspricht, vorausgesetzt, dass wir die Lichtstärke eines Sterns erster 
Grösse als Einheit annehmen. Die Gesammthelligkeit der Sterne «ter 
Grösse ist daher 



rintensite de la lumi^re d6croit en plus grande proportion que la raison 
inverse des carr^s des distances ; ce qui veut dire qu'il existe une perte 
de lumi^re , une extinction, dans le passage de la lumi^re par Tespace c^ 
leste {^tudes de l'astr. st. pag. 86). 



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§ 19. Helligkeit der Sterne. X^C.^ ,^^37t,v 

und hieraus findet paan 



-"»-I ^»«-1 J 



Q^i 



oder, indem der obige Werth von !! * = J* ^ berücksichtigt wird, 

Man sieht hieraus , dass aus der Annahme , die Sterne seien gleich- 
förmig im unendlichen Weltenraume vertheilt, unmittelbar gefolgert wer- 
den mtisste, dass die Gesammthelligkeit aller Sterne eine unendlich grosse 
ist, weil die Reihe 

vr+(vr)+(vrf+ 

einen unendlich grossen Werth hat. 

Die Annahme der gleichförmigen Dichtigkeit der Sterne ist jedoch 
keineswegs begründet, sobald man sich nicht auf die wirklich gezählten 
Sterne , also auf die neun ersten Klassen beschränkt. Es hindert daher 
nichts, eine zwar anfangs geringe , in grösseren Entfernungen aber merk- 
licher werdende Verminderung der Sterndichtigkeit vorauszusetzen , wo- 
durch die geringere Sternfülle in Herschel's Gesichtsfelde eben so gut eine 
Erklärung fände , als durch die Hyp^othese der Absorption. Nimmt man 
z. B. an, dass die Sterndichtigkeit (-D^) etwa dem durch die Formel 

D„ = (0.9959)^« 
ausgedrückten Gesetze folge, so Hessen sich nicht nur die Ergebnisse 
der Herschel'schen Sternaichungen fgauges of stars) mit der theoretisch 
l>erechneten raumdurchdringenden Kraft seines Teleskopes in Einklang 
. bringen, sondern auch andere Erscheinungen des Himmels erklären , wel^ 
che Struve als durch die Absorption des Lichtes bedingt annahm. 

Bei deu so gänzlich verschiedenen Ansichten, welche auf die Resul- 
tate der Stemzählungen begründet werden können , hat man Gelegenheit, 
«ich von der Unsicherheit der Schlussfolgerungen zu überzeugen , sobald 
eine Untersuchung sich den Grenzen des positiven Gebietes der betreffen- 
den Wissenschaft nähert. Die Stellarastronomie , insofern sie nicht auf 
Grand der Sternbewegungen einige sichere Resultate aufzuweisen hätte, 
wäre daher auch kaum als in das positive Stadium ihrer Entwicklung 
eingetreten anzusehen. Man bemerkt aber nicht selten, wie gerade 
solche Fragen, deren Beantwortung nicht ohne metaphysische Mittel mög- 
lich ist, das Interesse geistreicher Menschen zu erwecken im Stande sind; 
ihr guter Genius und der Scharfblick des Forschers mag sie in vielen 
Fällen auf den richtigen Weg leiten, aber die Gefahr dürfte doch 

24* 



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37 JJ IV. Kapitel. Neuere astronomiiMJhe Forschungen. 

keine so ganz geringe sein , durch subjective Meinungen in einzelnen Fäl- 
len zu Resultaten geführt zu werden, deren Realität im Grunde doch nur 
eine scheinbare und wesentlich auf der Thätigkeit der Einbildungskraft 
beruhende ist. 

Die Helligkeit ist bei einer Anzahl Sterne nicht immer dieselbe ; 
diese anfangs auffallende Erscheinung hat man längst constatirt nnd 
durch sorgfältige Helligkeitsschätzungen gefolgert , dass die Licht- 
stärke bei vielen der sog. veränderlichen Sterne einem perio- 
disehen Wechsel unterworfen ißt. Die Helligkeit ändert sich alsp^ 
etwa wie bei dem Monde, jedoch folgen die Phasen bei den Veränder- 
lichen nicht derselben einfachen Regel , wie bei dem erstgenannten 
Himmelskörper. Die Periode ist nämlich ersteps nicht immer die- 
selbe ; denn es giebt Sterne , bei denen man Veränderungen in der 
Periode des Lichtwechsels nachweisen kann, die selbst einen periodi- 
schen Charakter haben. Zweitens erfolgt die Zunahme d^s leichtes. 

bei den meisten Veränderlichen rascher als die AbnaJime. Drittens- 

^ ..... 

hat mm bei einigen Sternen eine regelmässig fortgehende Verände- 
rang (bei ß Persei und R Cancri Verminderung) der Periodcndaner, 
also eine Veränderung von säcnlarem Charakter bemerkt. Endlich 
besteht der Verlauf der Phasen nicht immer nur in einer Abnahmt 
der Helligkeit vom Maximum zum Minimum na;id Zunahme von Minir 
mura zu Maximum, sondern mitunter folgen mehrere Maxima oder 
Minima auf einander, oder es bleibt auch die Lichtstärke einige Zeit 
lang constant. Bei ßLyrae z.B. — dem bekanntesten Veränder- 
lichen der letzten Art — r schUessen zwei Maxima von n^ezu gleich^ 
Intensitärt ein secundäares Minimnm ein, wobei der Stern jedoch wesen^ 
lieh heller ist, als während des Hauptminimnms. 

Zur Erklärung des Lichtwechsels der veräiiderlichen Sterbe sin$ 
früher Hypothesen aufgestellt worden , di^ wohl mehr von su^jectiver B^ 
deutung waren, als dass sie dem wissjenschaftlichen Bed^ii^fnisse entr 
sprachen, bis es endlich Prof. Zöllner gelftng, die Erscheinungen de» 
Lichtwechsels im Allgemeinen ^uf eine richtige Ursache zurüekznltihren.'^) 
Zöllner schliefst sich den ko«mogomschen Vorstellungen von Kant und 
Lapljace an; er geht von der nunmehr unzweifelhaft feststehenden That- 
Sache aus, dass die Materie in glühendem Zustande, zu Kugeln zus^mmen^ 



*] Zöllner, Photometr. Untersuchungen. Leipzig 18^. 



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§ 19. Helligkeit der Sterne. 373 

geballt, dieWeltkörperWldet, die wir Sterae neaaen. *) Die Temperatur der 
Materie ist aber keiaeswegs tiberall dieselbe. Der feiae kosmische Staub, 
welcher wahrscheialich die Räume erfüllt, die Steraschauppeaschwärme 
Ttad wahrseheialich auch die äuss^ea Theile der Cometea habea jedea- 
falls eine sehr aiedrige Temperatur. Man hat Meteorsteiae kur« aach dem 
MederfaUea in Bezug auf ihre Temperatur untersucht uad diese s^hr aie- 
drig befunden. Y^möge der Ausstrahlung fiadet aua eine Abkühlung der 
gesöhmolzenea Massea »tatt , welcher Process aothweadig mit etaer Ab- 
nahme der Lichtiatea^ttit verbundea ist. Erfolgt diese Abkühluag aber 
ikioiht ^eiehformig über die gaaze Oberfläche des Körpers, go werdea eiaige 
Theile derselbea uas heller erscheiaen als andere , uad die Dotation der 
ganasea Masse muss offenbar die Erscheinung des periodischen Liehtwech- 
«els hervorbriagen. Das Allgemeine der Erscheinuag ist demaach in eiaer 
Tollkommen genilgenden Weise erklärt, denn es sind dabiei keine anderen 
VoraQSsetzuttgen gemacht als solche, deren Berechtigung von selbst ein- 
leuchtet , d. h. aus der Anwendung allgemein gültiger physikalischer und 
Ic^scber Geeetae sich ergiebt. Das Auftreten mehrerer Maxima , sowie 
überhaupt die periocUsch wiederkehrenden Eigenthümlichkeiten der Licht- 
Teränderung lassen sich nach Zöllner durch die Configuration der dunk- 
leren Theile erklären. — Den Grund der langsamen Zu- oder Abnahme der 
Periodendauer sucht Ar^elander in der Aeaderung der Geschwindig- 
keit in Bichtung defr Visionsradius. Eiae derartige Aeaderung der Ge- 
echwindigkeit müsste aämlich auf die Lichtzeit eiaea solchen Eiafluss 
ausüfbea, dass diese nicht der Zeit proportioaal wach sea oder abnehmea 
könnte , wie es bei einer gleichförmigen Beweguag des Sterns der Fall 
«ein würde. Wäre die Lichtzeit stets dieselbe , so würde die beobachtete 
Periodendauer mit der wirklichen identisch sein , bei gleichmässiger Zu- 
eder Abaahme der Lichtzeit fiadet maa allerdiags aicht die wahre Rota- 
tioaszeVt, aUeia maa müsste doch stets deaselbea Werth für dieselbe er- 
haltea. Weaa aber die Aeaderuag der Lichtzeit ia ungleichförmiger Weise 
vor sich geht, so köäaea, wie eiae eiafache Ueberlegung lehrt, die aus 
den Beobachtnagea geschlossenen Perioden aicht identisch erhalten wer- 
den, wenn man sie zu verschiedenen Zeiten bestimmt. — Eine allmälige 
Ausbreituag der duaklerea Partiea oder der »Schlackeabilduag« (aach 
ZöUaer's Ausdrucksweise) muss aatürlich ebeafalls Aeaderungea der 
«cheiabarea Rotatioaszeit hervorbriagen. 



*) Die hohe Temperatur der Soaae lässt kaum eiaen Zweifel dar- 
über, dass sie aus Materie iageschmolzeaemZustaade, umgebea voa eiaer 
glüheadea Gashülle, besteht. Es schiea aagemessea, ia diesem Buche 
keiae Darstelluag der kosmogonischea Hypothese voa Kaat uad La- 
place zu gebea, uad zwar deshalb, weil dieselbe wohl aoch erheblicher 
Modificatioaea bedarf; aameatlich ist die Geschichte der Erde aicht ein- 
fach au^ jeaer Hypothese zu folgera. 



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374 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen; 

Am wenigsten scheint die Zöllner'sche Theorie der Thatsache zu 
genügen , dass Aenderungen der Periode vorkommen , die selbst periodi- 
scher Natur sind. Aber dieser Mangel dürfte vielleicht doch nur schein- 
bar sein. Man denkt nämlich zunächst nur an solche Botationsbewegnn- 
gen , welche um eine mit sich selbst parallel bleibende Axe , die mit dem 
rotirenden Körper* fest verbunden ist , erfolgen ; aber das allgemeine Ge- 
setz der Botationsbewegung ist nicht so einfach. Es kann nur eine Folge 
besonderer Umstände sein, wenn die Kotationsaxe in dem rotirenden Kör- 
per eine unveränderliche Lage hat , im Allgemeinen muss man vielmehr 
voraussetzen, dass diese Axe, die parallel mit sich selbst im Räume 
bleibt, ihre Lage relativ zu den Massentheilen des Körpers fortwährend 
ändert (vgl. pag. 196). Die Oberfläche des Körpers befindet sich alsdann 
in einer zweifachen Drehung , aus welcher die periodischen Aenderungen 
der scheinbaren Rotationszeit vielleicht ganz ungesucht hervorgehen. 

Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch unsere Erde in einem früheren 
Stadium ihrer Entwicklung eine glühende Kugel gewesen ist, dass sie 
aber die jetzige Gestalt ihrer Oberfläche zum grossen Theil plutonischen 
Einflüssen zu verdanken hat. Wir sind demnach nicht gerade zu der An- 
nahme gezwungen , dass die Erde auch stets um ihre jetzige Axe rotirt 
hat, obgleich in der That die Massentheile sich nach und nach so gelagert 
haben, dass die Erde relativ zur Axe eine feste Lage erhielt. Eine Vor- 
aussetzung im entgegengesetzten Sinne , oder dass die Erde in früheren 
Zeiten um andere Axen rotirt hat , würde vielleicht eine Erklärung der 
von den Geologen nachgewiesenen klimatischen Veränderungen vorhisto- 
rischer Zeiten , insbesondere der sog. Eis- oder Glacialzeit ermöglichen. 

Die sog. neuen Sterne , die mitunter am Himmel erschienen 
sind *) , stehen mit den Veränderlichen im engsten Zusammenhange ; 
ihr plötzliches Aufleuchten verdanken sie nach den neuesten Ergeb- 
nissen der Spectralanalyse gewaltigen, Eruptionen glühender Gasmas- 
sen, die sich innerhalb der schon relativ kalten und deshalb dunklen 
Oberflächenkruste entwickeln. Sie überstrahlten , wie der berühmte 
Tychonische Stern, der 1572 in der Cassiopeja erschien, oft selbst 
die Venus zur Zeit ihrer grössten Helligkeit, verschwanden aber meist 
nach wenigen Monaten dem blossen Auge. 



*) Man hat seit 134 vor Chr. 22 notirt; den neuesten erst im No- 
vember 1876. 



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§ 20. Scheinbare Vertheiiung der Sterne. 



375 



§ 20. Scheinbare Vertheiiung der Sterne. 

lieber die Vertheiiung der Sterne am Himmelsgewölbe ist nichts 
Wesentliches zu bemerken, so lange man nur die vier ersten Grössen- 
klassen berücksichtigt; nirgends bemerkt man eine besondere An- 
häufung dieser helleren Sterne und ebensowenig giebt es eine Him- 
melsgegend, wo sie auffallend wenig vertreten wären. Anders wird 
jedoch das Resultat, wenn die lichtschwächeren Sterne, bis zur lOten 
Grösse etwa, in Betrachtung gezogen werden. Man findet dann, dass 
die Sterne in überwiegender Anzahl in der Nähe des schwach schim- 
mernden Gürtels, den wir die Milchstrasse nennen , vorkommen . 
Schon W. Struve konnte nachweisen, dass die Verdichtung der in ge- 
wöhnlichen Meridianinstrumenten sichtbaren Sterne mit der Erschei- 
nung der Milchstrasse in Verbindung steht. Seine Untersuchungen 
sind wesentlich auf die Bessel' sehen Zonenbeobachtungen gegründet. 

Zunächst untersucht Struve die Vollständigkeit der Besserschen 
Zonen, indem er sie mit anderen Sternverzeichnissen vergleicht, und findet 
dabei , dass die Zonen nur 60 Proceut der Gesammtzahl aller Sterne bis 
inclusive 9ter Grösse zwischen — 15® und + 15** der Declination enthalten. 
Es zeigt sich ihm aber auch , dass die Vollständigkeit der Zonen in ver- 
schiedenen Kectacensionen etwas ungleich ist, und mit Berücksichtigung 
dieses Umstandes findet er den Gürtel zwischen — 15® und -h 15° in fol- 
gender Weise von Sternen erfüllt : 



Stunde der 
Rectasc. 




Sterne bis incl. 
9ter Grösse 

2055 


Mittlere Stemzahl 

im Gesichtsfelde 

des HerscheVschen 

Telescops 

9.3 


Relative 
Dichte 

0.34 


1 


1516 


7.4 


0.27 


2 


1609 


7.7 


0.29 


3 


1547 


6.9 . 


0.26 


4 


2146 


21.6 


0.80 


5 


2742 


49.3 


1.82 


6 


4422 


71,4 


2.64 


7 


3575 


67.8 


2.51 


8 


2854 


32.4 


1.20 


9 


1973 


10.4 


0.39 


10 


1631 


5,9 


0.22 


11 


1797 


4.9 


0.18 


12 


1604 


5.0 


0.19 



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376 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 



Stunde der 
Rectasc. 

13 


Sterne bis incl. 
9ter Grösse 

1533 


Mittlere Sternzahl 

im Gesichtsfelde 

des HerscheFchen 

Telescops 

8.7 


Relative 
Dichte 

0.32 


• 
■t 


14 


1766 


8.9 


0.33 




15 


1896 


9.7 


0.36 




16 


1661 


15.8 


0.59 




17 


2111 


37.1 


1.37 




18 


3229 


84.0 


3.11 




19 


2751 


102.1 


3.78 




20 


2566 


40.1 


1.49 




21 


1752 


20.5 


0.76 




22 


1652 


12.8 


0.47 




23 


1811 


8.1 


0.30 





Die Milchstrasse bildet , wie bekannt , einen schwach leuchtenden 
Gtlrtel am Himmel; sie zieht sich, zum Theil gezweigt, auf der nördlichen 
Halbkugel durch die Sternbilder Adler , Schlange , Schwan , Cassiopeja, 
Perseus , Fuhrmann (Auriga) und geht zwischen Orion und dem kleinen 
Hund in die südliche über , wo sie durch die Sternbilder Einhorn (Mono- 
ceros), Schiff, Kreuz, Scorpion und Schlitze mit Unterbrechungen und 
eigenthümlichen Venrweigungen fortgesetzt wird. Dem blossen Auge er- 
scheint sie wie ein zarter, ungleich leuchtender Wolkenzug, in Herschers 
Telescop wurde sie aber grösstentheils in Sterne aufgelöst. Ihr Zug am 
Himmelsgewölbe ist, wenn man von den Verzweigungen und Unregel- 
mässigkeiten absieht, nahezn ein grösster Kreis, dessen Nordpol die 
Rectascension 12*» 33«» und die Declination 30** hat. Den Aequator schnei- 
det sie in nahezu 7^ und 18*> der Rectascension. — Betrachten wir nun die 
Zahlen der vorstehenden Tabelle, so finden wir sogleich, dass der grösste 
Sternreichthum in der Aequatorealzone gerade da stattfindet, wo die Milch- 
strasse die Zone durchschneidet. Schon in der Zusammenstellung der 
Sterne bis incl. 9ter Grösse merkt man diese Thatsache deutlich genug, 
aber bei den Herschel' sehen Sternen ist die Abhängigkeit ihrer Häufigkeit 
von der Milchstrasse noch viel auffallender. 

Dächten wir uns alle Sterne bis incl. 9ter Grösse als innerhalb einer 
Oberfläche eingeschlossen", so könnten wir dieser beiläufig die Form eines 
abgeplatteten Ellipsoides zuschreiben , dessen halbe grosse Axe zu der 
kleinen sich etwa wie 1.3 zu 1 verhält, vorausgesetzt, dass man aus der 
Vertheilung innerhalb der Aequatorealzone auf die am ganzen Himmel 
schliessen darf. Für die Herschel'schen Sterne würden diese Axen sich 
wie 2.3 zu 1 verhalten.*) 



*) Man findet diese Verhältnisse , indem die Kubikwurzeln aus den 
entsprechenden Sternmengen gezogen werden (vergl. p. 338) , 



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§ 20. Scheinbare Vertheilung der Sterne. • 377 

Solche Schltisae gelten indessen nur unter der Voraussetzung, dass 
die Sterndichtigkeit in verschiedenen Abständen derselben Richtungen 
dieselbe ist ; andernfalls muss man schliessen , dass die Sterndichtigkeit 
in den mit der Ebene der Milchstrasse parallelen Schichten verschieden 
ist, und zwar dass sie in dem Maasse abnimmt , wie diese Schichten von 
der genannten Ebene entfernt liegen. In dieser Weise glaubt auch S t r u v e 
sclüiessen zu müssen : er betrachtet sämmtUche uns sichtbare Sterne, also 
auch die Herschel'schen, als zu einem einzigen immensen Sternhaufen ge- 
hörig. Die äussere Form dieses Sternhaufens kennen wir nicht bestim- 
men, wohl aber das Gesetz , nach welchem die Sterndichtigkeit zu beiden 
Seiten der Hauptebene abnimmt. In dieser Beziehung gelangt er zu fol- 
gendem Resultate (wo 9 den Winkel zwischen dem Yisionsradius und der 
Hauptebene der Milchstrasse bezeichnet) • 

Anzahl der Sterne in 
^ Herscher s Telescop 

0** 122.0 

15*» 30.3 

• 300 17.7 

45** _ 10.4 

60*» 6.5 

Nennt man ferner x die senkrechte lineare Entfernung von der Haupt- 
ebene und drückt sie in dem Abstände der Herschel'schen Sterne als Ein- 
heit aus, 90 gelten nach S t r u v e folgende Werthe : 

Mittlere Mittlere Entfernung 

^ Sterndicbtigkeit zwischen zwei Stemen 

0.00 1.000 1.00 

0.05 ' 0.486 1.27 

0.1 0.333 1.46 

0.2 0.239 1.61 

0.3 0.180 1.77 

0.4 0.130 1.97 

0.5 0.086 2.26 

0.6 0.055 2.63 

0.7 0.031 3.19 

0.8 0.014 4.14 

Wir haben diese Zahlen mitgetheilt , weil man sich aus ihnen leicht 

eine Yorstellung über die wirkliche Vertheilung der uns noch sichtbaren 

Sterne bilden kann; es darf aber nicht vergessen werden, dass sie unter 

der Voraussetzung abgeleitet worden sind, dieDichtigkeit innerhalb jeder 

Schicht sei überall dieselbe.— Unter den Sternen der neun ersten Grössen- 

klassen ist die relative Verminderung der Dichtigkeit weit geringer; aus 

den Untersuchungen Struve's kann man z.B. die nachstehenden Werthe 

berechnen, die für die Sterne bis incl. 8ter Grösse gelten. *) 



*) Etades d^astr. s*. p. 75. 



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378 



IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 



X'*i 


Mittlere Sterndicht 


0.0 


1,000 


0.1 


0.81S 


0.5 


0.328 


1.0 


0.284 



Hier erfolgt, wie man sieht , die Abnahme in einem ganz andern Ver- 
hältnisse als bei den Herscherschen Sternen; die Abnahme der Stemfülle 
befolgt mithin verschiedene Gesetze bei diesen beiden Stemkategorien. 

Gegenwärtig besitzen wir in dem grossartigen Werke Argelan- 
der's »Bonner Stemverzeichniss « die Mittel, ähnliche Untersuchungen 
mit grösserer Aussicht auf Erfolg vorzunehmen , als die früheren Zonen- 
beobachtungen Struve gewähren konnten. Wir wollen zunächst einen 
kleinen Auszug aus den Zusammenstellungen Argelan der 's über die 
Sternfülle in verschiedenen Himmelsgegenden geben. **) Dieser Auszug 
enthält die Stemmengen Q; und Qg » sowie die aus Qj nach der Formel 

wo 

S = 0.417, 

berechnete Werthe von Q^ . Aus der Vergleichung der Rechnung mit den 
. Resultaten der Beobachtung lassen sich einige Schlüsse in Bezug auf die 
Vertheilung der Sterne ziehen. Die letzte Columne enthält endlich den 
in Quadratgraden ausgedrückten Flächeninhalt am Himmel, auf welchem 
die in den vorherstehenden Columnen angegebenen Sterne vertheilt sind. 



Himmelsgegend 


Qt 


Q« 


Berechn. Q% 


Fl&chen- 
Inhalt 


die 5 sternärmsten Trapeze 


40 


135 


147 


114« 


am Nordpol der Milchstrasse 


20 


45 


78 


22« 


30« vom Pol 


115 


398 


427 


259« 


50« vom Pol 


143 


471 


531 


254« 


70« vom Pol 


177 


614 


658 


254« 


ungetheilte Milchstrasse 


380 


1390 


1412 


336« 


nördlicher Zweig 


232 


755 


870 


203« 


südlicher Zweig 


194 


729 


721 


205« 


zwischen der Milchstrasße 


' 239 


. 840 


888 


219« 


105« vom Pol 


229 


805 


651 


285« 


125« vom Pol 


141 


471 


524 


267« 


UO«vomPQl 


47 


177 


175 


124« 


die ganze Milchstrasse 


806 


2874 


3002 


744« 



*) Die Einheit für x' ist die mittlere Entfernung der Sterne 8ter Gr. 
**) Einleitung zu dem Vten Bande der Bonner Beob. 
***) Vgl. pag. 339. Die Constante ist ein Mittelwerth aus sehr ver- 
schiedenen photometrischen Messungen ; während die Bestimmung B a= 



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§. 20.. Scheinbare Vertheilung der Sterne. 379 

Die fast durchweg aus der Beobachtung geringer als aus der Berech- 
nung gefundenen Steinmengen deuten an , dass die Stemdichtigkeit fast 
nach allen Eichtungen allmälig geringer wird. Für die Sterne 9ter Grösse 
kann man auf Grund der Argelander' sehen Angaben keine ähnliche Unter- 
suchung anstellen, weil die neunte Klasse bei 'ihm eine sehr grosse Anzahl 
Sterne enthält , die eigentlich zu der lOten Grössenklasse gehören. Ge- 
stützt auf einige, allerdings spärliche Messungen von Dr. E o s ^ n *) kann 
man indessen schlieösen, dass die schwächsten bei Argelander vor- 
kommenden Sterne eigentlich zu der Klasse 10.2 gezählt werden müssen. 
Zählt man nun, einer Angabe von Argelander folgend (Bonner Beob. 
Band V, Einleitung], die Sterne der Klassen 9.4 und 9.5, sowie auch 
die Hälfte der Sterne 9.3 ab , so erhält man für den ganzen Himmelsraum 
der Bonner Durchmusterung als Anzahl der Sterne 9ter Grösse : 

Q9= 182606. 

Wir nehmen ferner als eine Hypothese an, dass die Anzahl der Sterne lOter 
Grösse gefunden wird, wenn man die Summe der Klassen 9.4, 9.5 und der 
halben Klasse 9.3 verdoppelt; diese Hypothese wird Qio eher zu gross als 
zu klein finden lassen , denn die genannte Summe enthält jedenfalls den 
grössten Theil der Sterne bis zur Grösse 10.2. Die Eechnung ergiebt dann 

Qio «= 506338. 

Berechnet man diese Werthe von Qg und Qio nun aus dem sicher er- 
kannten 

Qg = 77794, 

indem letzterer mit |--=j resp, (—7=^) multiplicirt wird, so findet 

sich: 

Qo =^ 289100 ; Qio = 1074000. 

Berechnet man dagegen Qio aus dem aus den Beobachtungen geschlossenen 
Werthe von Q9 , so wird 

Qio » 678600. 

Man findet also in allen diesen Fällen , dass die wirklichen Stern- 
mengen einer gewissen Grössenklasse weit geringer sind, als die aus der 
Anzahl der vorhergehenden Klasse berechneten. Bei den helleren Sternen 
findet dies aber keineswegs , oder doch nur in sehr geringem Maasse und 
dabei unregelmässig statt. Durch die von Struve vorausgesetzte Ex- 
tinction des Lichtes würde die Erscheinung allerdings zum Theil erklärt 
werden können , jedoch nicht vollständig ; auch können wir nicht anneh- 
men , dass der Werth von wesentlich fehlerhaft ist, denn der auf photo- 



0.426 aus den Beobachtungen der Sterne 7— 9ter Grösse abgeleitet wor- 
den ist. 

♦j Bulletin de l'acad. imp, des sciences de St. P^tersbourg 1869. 



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380 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

metrischem Wege von Ros^n gefundene Mittelwerth l ^ 0.417 stimmt 
sehr nahe mit demjenigen überein, welcher sich aus den Werthen von 
Qs , Ol und Qg im Mittel ergiebt, nämlich mit 

l Ä 0.423. 
Aus diesen Gründen scheint man einigermaassen zu dem Schlüsse berech- 
tigt zu sein, dass die Sterndichtigkeit in der mittlem Entfernung der 
Sterne 9ter bis lOter Grösse etwas geringer ist als bei den helleren, ein 
Schluss, der indess , wie man leicht bemerkt , noch sehr der Bestätigung 
bedarf. 

Es liegt nun weder der Schluss zu fem, noch erscheint die Ver- 
muthung zu unbegründet , dass die in gewöhnlichen Instrumenten sicht- 
baren Sterne ein besonderes System , wahrscheinlich von sphäroidischer 
äusserer Form bilden. Obgleich dieses Sternsystem alsdann nicht mit den 
einzelnen Sternen der Milchstrasse in Connex steht, so liegt der Aequator 
des ersteren doch nahezu in der Ebene , welche durch d»s Milchstrassen- 
licht bezeichnet wird. Die Milchstrasse selbst kanten wir uns aber aus 
mehreren oder sehr vielen derartigen Sternsystemen zusammengesetzt 
denken, die wegen der grossen Entfernungen als Nebelmassen erscheinen 
und nur in sehr mächtigen Telescopen in Sternschwärme aufjgelöst 
werden. 

Man bemerkt ausserdem eine grosse Anzahl Nebel, die sogar 
gerade da am häufigsten vorkommen, wo der Himmel an eigentlichen 
Stemen am ärmsten ist. Viele sind in Sterngruppen aufgelöst worden, 
andere aber nicht, und die Spectralanalyse hat gezeigt, dass es unter 
diesen solche giebt, die glühende Gasmassen sind. Aus den epoche- 
machenden Entdeckungen und Beobachtungen von William und Sir 
JohnHerschel geht hervor , dass in der Vertheilung der eigentlichen 
Nebel nahezu das umgekehrte Verhältniss stattfindet, wie bei den Sternen 
uad Sternhaufen : die Nebel erscheinen am zahlreichsten in 12^ Rectascen- 
sion, nahe den Polen der Milchstrasse , am seltensten in der Milchstrasse. 
— Man kennt durch die Arbeiten der beiden H e r s c h e 1 , von d ' A r r e s t , 
Bosse, Dunlopu. A. mehr als 5000 Nebel und Sternhaufen, von denen 
die meisten fteilich nur in lichtstarken Instrumenten wahrzunehmen sind. 

Das interessante Kapitel der Nebelwelt gehört in die beschreibende 
Astronomie; eine auch nur gedrängte Darstellung der Erscheinungen 
dieser merkwürdigen Gebilde würde den Raum , über welchen wir hier 
noch zu verfügen haben , zu sehr in Anspruch nehmen. Nur die eine Be- 
merkung erlauben wir uns , dass diese Erscheinungen mehr in physika- 
lischer als in mechanischer Hinsicht interessante Pimkte darbieten ; die 
fortgesetzten Beobachtungen derselben werden aber sicherlich auch das 
Studium der Nebel immer mehr auf das Gebiet herüberführen , dem diese 
Schrift vorzugsweise gewidmet ist, auf das Gebiet der Astronomie als Be- 
wegungslehre der Gestime. 



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§21. Die BewegUBgen der Sterne. - 38 J 

§ 21. Die Bewegungen der ^erne. 

Schon aus dem Grunde , weil wir keinen materiellen Punkt un^ 
als absolut ruhend vorstellen können , müssen wir dea Sternen Be- 
wegungen zuschreiben, selbst wenn solche nicht dureh die Erfahrung 
bekannt wären. Es handelt sich aber keineswegs vm die Frage , ob 
die Sterne sich bewegen, sondern lediglich nur darum , wie ihre Be- 
wegungen beschaffen sind und ob wir sie bemerken k^njuen. Wegen 
der sehr grossen Entfernungen , auch der nächsten Sterne , müssen 
die Bewegungen in der That sehr bedeutend sein, wenn sie durch die 
Veränderungen der Stemörter bald und in iiuffallendet Weise bemerk- 
lich werden sollen. Sind sie nach ihrer absoluten Grösse mit den Be- 
wegungen der Planeten im Räume vergleichbaj, so können wir sie 
nur durch sehr langsame Aenderungen der Rectaßeeosionen und De- 
cünationen erkennen. In der That sind auch die scheinbaren Bewe- 
gungen der Sterne s^r gering und betragen nur ausnahmsweise mehr 
als eine Sekunde jä];irlich. Die grössten bis jetzt bekannten sind di^ 
der folgenden Sterne : 



Stera 


Jährl. acheinh. Beweg. 


No. 183Q öroombr. 


7';05 


61 Cygni 


5.32 


No. 21185 Lalaade 


4.73 


e Indi 


4.51 


No. 21258 


4.40 


o2 Eridani 


4.09 


|A C^siopej««^ 


3.83 


a Centauri 


3.67 


No. 34 Groombr. 


2.81 


OL Bootis 


2.26 


No. 3077 Bradley 


2.09 


ß Hydri 


2.06 


1 Draconia 


1.93 


T Ceti 


1.90 


s Paronis 


1.63. 


61 Yirginis 


1.45 


Procyon 


1.33 



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382 IV. Kapitel. Neuere astroDomiBche ForscbuDgen. 



Stern 


Jährl. scheinb. Beweg. 


7 Serpentis 


1.32 


85 Pegasi 


1,30 


No. 17415 Oeltzen 


1.27 


Sirius 


1.25 


30 Scorpii 


1.23 


36 Ophiuchi 


1.23 


Yj Cassiopejae 


1.23 


8 Trianguli 


1.20 


20 Crateris 


1.18 


ß Comae Ber. 


1.17 


6 Ursae majoris 


1.13 


70 Ophiuchi 


1.11 


72 Herculis 


1.05 


31 Aquilae 


1.01 



In dieser Zusammenstellung sind die scheinbaren Bewegungen der 
helleren Sterne (sowie auch einiger schwächeren) von mehr als einer 
Sekunde aufgenommen. Da nun die Parallaxen einiger dieser Sterne 
bekannt sind , so können wir uns eine Vorstellung tlber den linearen 
Betrag der Bewegungen bilden und gelangen auf diesem Wege zu 
dem Schlüsse , dass die wirklichen Bewegungen ohngefähr von der- 
selben Ordnung sind, wie man sie im Sonnensysteme findet. 

Stembewegungen wurden zuerst von Ha Hey nachgewiesen, in- 
dem er nach Anbringung der Präcession die im Almagest gegebenen 
Stemörter mit neueren verglich. Er fand in dieser Weise , dass die 
Sterne aTauri (Aldebaran), Sirius undProcyon eine nach Süden hin 
gerichtete scheinbare Bewegung haben. Die Ptolemäischen Oerter 
«teilten sich nämlich um so viel nördlicher als die später durch neuere 
Beobachtungen hergeleiteten heraus, dass die Unterschiede weder den 
Beobachtungsfehlem, noch irgend einem andern Umstände zuge- 
schrieben werden konnten , als dass die genannten Sterne wirklich 
die Erscheinung einer Bewegung darboten. — Im 18. Jahrhundert 
wurde die Kenntniss der Stembewegungen im Ganzen zwar wenig 
gefordert, aber der Gmnd zu ihrer zukünftigen Erforschung durch die 
Torzüglichen Beobachtungen Bradley's gelegt. Erst seit dem Ende 
des genannten Jahrhunderts fangen die Untersuchungen dieses wich- 
tigen und zukunftsreichen Theiles der Astronomie an ausgedehnter 



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§ 2] . Die Bewegungen der Sterne. 383 

und fruchtbringender zu werden. Durch die Catalogarbeiten von 
Piazzi und durch Bes sei's Berechnung der Bradley'schen Beob- 
achtungen (die »Fundamenta astronomiae «) , sowie durch die späteren 
Bemühungen von Str^äve, Argelander, Mädler und endlich 
durch die auf der Greenwicher Sternwarte ausgeführte Vergleichung 
der dortigen Beobachtungen mit den Bradley'schen , besitzen wir 
gegenwärtig die Eenntniss von wohl mehr als 4 000 Bewegungen, d.h. 
von deren Richtung und jährlichem Betrage. In den letzten Jahren 
haben wir überdies von der südlichen Halbkugel werthvolle Beiträge 
durch die Arbeiten in Melbourne und am Cap , sowie der nordameri- 
kanischen Expeditionen erhalten. Im Ganzen sind unsere Kenntnisse 
von den Bewegungen der südlichen Sterne jedoch noch mangelhaft, 
ein Umstand , der bei den stellarastronomischen Untersuchungen um 
so fühlbarer wird , als diese nicht , wi^ es im Sonnensysteme der Fall 
ist, auf die Bewegungen vereinzelter Körper begründet werden kön- 
nen , sondern sich auf Mittelwerthe von Bewegungen , die möglichst 
über den ganzen Himmelsraum vertheilt sind, stützen müssen. 

Die Ermittelung der scheinbaren Stembewegungen geschieht durch 
die Vergleichung von wenigstens zwei , aber besser noch mehreren beob- 
achteten mittleren Oertem des Gestirns, nachdem diese durch Anbringung 
der Präcession auf dieselbe Epoche reducirt worden sind. Ein Beispiel, 
das wir aus Argelander's »Untersuchungen über die Eigenbewegungen 
yon 250 Sternen« entlehnen, wird das Verfahren anschaulich machen. Die 
erste Columne enthält die Namen der Beobachter oder der Sternwarten, 
die zweite das Beobachtungsjahr, die dritte die Zeit des mittleren Aequi- 
noctiums, auf welche die Rectascension und Declination bezogen ist. Die 
vierte und siebente enthalten die den in der dritten Columne gegebenen 
Epochen entsprechenden Rectascensionen und Declinationen ; in der 
fünften und achten findet man die Oerter reducirt auf die Epoche 1855.0, 
welche miteinander bis auf die Beobachtungsfehler übereinstimmen soll- 
ten, falls die Bewegung unmerklich wäre. Aus den Zahlen dieser Columnen 
erhält man den Ort des Sterns sowie seine Bewegung, nämlich : 

No, 21258 Lalande. 
M 1855.0 Jähriiche Aend. Decl. 1855.0 Jährl. Aend. 

lOh 58«n 15M65 --0?4004 H- 44« 16' 13'.'91 + 0':943 

woraus endlich die Zahlen der sechsten und neunten Columne erhalten 
worden sind. Die Unterschiede der Zahlen dieser Columne von den ent- 
sprechenden der beiden vorhergehenden dürfen wir als durch die Fehler 
der Beobachtung hervorgerufen ansehen. 



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3S4 



IV. Kapitel. Neuere aetroDouiisehe Forschungen. 



Catalog 


Epoche 
derBeob. des Ortes 


.il der Epoche 


JR 1855.0 


Lalande 

Bessel 

Bonn 

Pulkowa 

Königsberg 

Bonn 

Bonn 

Bonn 


1793.30 , 1800 
1831.23 1825 
1860.34 i 1855 
1861.69 . 1862 
1862.09 : 1862 
1862,29 1855 
1863.19 1 1855 
1865.25 1855 


loh 55m :u?83 
56 42.21 
58 13.37 
58 36.74 
58 36.49 
58 12.54 
58 12.14 
58 11.38 


lOh 58" 40f31 
24.69 
13.37 
12.82 
12.5S 
12.54 
12.14 
11.38 ! 

: \ 



Bedeutet x die Eectacension (oder Declination) für 1855.0 und y die 

jährliche Aenderung derselben Coordinate, so erhält man aus jeder beoV 

achteten Rectacension , resp. Declination , eine Bedingungsgleichung der 

Form 

Beob. Ort -« X -f y («— 1855.0), 

wo i die Epoche der Beobachtung bezeichnet. Aus zwei Gleichungen köiK 
neu die beiden Unbekannten x und y bestimmt werden. Wir nehmen bei- 
spielsweise die erste und letzte der obigen Hectascensionen heraus und 
erhalten alsdann 

10»» 58«n 40!31 «?= x — 61.70y 
10 58 11.38 «sx-hl0.25y 
Der Unterschied beider Gleichungen giebt 

— 28!93=e71.95y 
oder 

. y ^ ^0?4022 
wonach der Werth : 

x^ 10^58°» 15*50 

gefunden wird. Diese Werthe sind schon den richtigen ziemlich nahe ; 
die vorhandenen Beobachtungen gestatten aber eine genauere Bestimmung 
der gesuchten Grössen. Zu diesem Zwecke wendet man auf sämmtliche, 
aus den gegebenen Beobachtungen hervorgehenden Bedingungsgleichun- 
gen die Methode der kleinsten Quadrate an und bestimmt somit die wahr- 
scheinlichsten Werthe von x und y. 

In dieser Weise hat M ä d 1 e r die Bewegungen von allen in dem Brad- 
ley'schen Cataloge vorkommenden Sternen ermittelt, die Anzahl derselben 
beläuft sich auf 3222. Aus den Einzelresultaten dieser umfassenden Arbeit 
hat er gewisse Mittelwerthe gebildet , aus denen wir beinahe Alles ab- 
leiten können, was bis jetzt über die Natur der Sternbewegungen ermittelt 
wurde; wir führen daher Folgendes aus seiner Arbeit an.*) Mädler 
untersuchte zunächst die Bewegungen innerhalb zwei, mit dem Aequator 



*) Dorpater Beobachtungen Band XIV. 



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fi 21. Die Bewogungea der Sterne. 



385 



Rechn. 


Decl. der Epoche 


Decl. 1858. 


Rechn. 


I0h58«n 4ün7 


4^ 44* a2' &9':5 


-f 44° 15' IS'Il 


-+- 44« 15' 15'.'7 


24.»8 


25 29.3 


49.9 


51.5 


U.33 


1« 18.6 


]6 18.6 


18.9 


12.79 , 


14 4.7 


20.1 


20.2 


12^3 


14 6.4 


21..7 . 


20.0 


n&b 


16 26.3 


20.3 


20.8 


12.19 


16 20.8 


20.8 


21.6 


11.36 


16 23.9 


23.9 


23.6 



parallelen, 30® breiten Zonen, von denen die eine nürdlich (von 0** bis + 30'') 
und die andere südli(äk (von 0° bis —30«) vom Aequator liegt. Die Be- 
wegungen innerhalb Jeder dieser Zonen werden in 24 Gruppen getheilt, 
jede einer Stunde der Rectascension entsprechend. In solcher Weise sind 
die folgenden Mittel werthe entstanden : 



Oyldön, 



Stunde 


Bewegung in 
nördliche Zone 


lt>0 Jahren 
südliche Zone 


Oh. 


+ i':75 


-h 3':74 


1 


-h 2.17 


— 1.90 


2 


-h 4.23 


+ 3.44 


3 


-H 2.44 


— I.Ol 


4 


-h 7.27 


— 4.93 


5 


-H 3.02 


— 2.56 


6 


-h 0.83 


+ 1.75 


7 


r- 2.86 


+ 0.38 


8 


— 4.67 


— 0.27 


9 


— 6.92 


— 0.34 


10 


— 5.01 


— 5.58 


11 


— 3.78 


— 4.03 


12 


— 3.05 


— 9.35 


13 


—12.91 


— 3.23 


14 


— 6.18 


— 3.32 


15 


+ 0.81 


+ 0.29 


16 


— 4.18 


+ 1.95 


17 


+ 0.48 


— 1.78 


18 


+ 1.64 


+ 1.27 


19 


+ 4.98 


+ 3.52 


20 


+ 2.07 


+ 3.65 


21 


+ 5.46 


+ 4.89 


22 


4- 9.46 


+ 3.70 


23 


+ 6.60 


+ 5.10 




Mittel + 0.1566 


— 0.2170 


Astronomie. 




25 



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386 IV. Kapitel. Neuere astronomische Forschungen. 

Das allgemeine Mittel beläuft sich auf nur — 0"0302, ein Beweis, 
dass die bei den Rechnungen angewandte Präcession (die von B es sei 
bestimmte Constante) sehr nahe richtig ist. Denn wäre die Präcessions- 
constante z. B. zu gross angenommen worden, so hätte man die Bewegun- 
gen nothwendig durchschnittlich zu klein finden müssen, was sich durch 
das Vorherrschen des negativen Vorzeichens bemerkbar gemacht haben 
würde (vgl. p. 324). 

Bei einem auch nur flüchtigen Anblick der soeben angeführten 
Zahlenreihen fällt eine gewisse Gesetzmässigkeit, die sich nahezu in 
gleicher Weise in den beiden Zonen zeigt , sogleich auf. Noch deutlicher 
geht dies hervor , und wir erhalten zugleich eine tiefere Einsicht in die 
Natur der Erscheinung , wenn wir aus einzelnen Zahlen eine Formel her- 
stellen, in der Weise, wie es pag. 98 beschrieben wurde. Nachdem aus 
den beiden Zahlenreihen Mittelwerthe gebildet waren , fand sich fUr die 
säculäre Aendemng der Rectascensionen der Ausdruck : 

(a) — O'.'Oa 4- 4'.'98 Cos a — 0':82 Sin a 

— 0.79 Cos 2a — 0.99 Sin 2a 

-h 0.48 Cos 3o — 0.26 Sin 3a 

-h 0.10 Cos 4 a — 0.70 Sin 4a 
u. s. w. 
Von den verschiedenen Gliedern dieses Ausdruckes können wir nur 
dem mit Cos a multiplicirten eine reelle Bedeutung zuschreiben ; die fol- 
genden haben zwar nicht , oder wenigstens nicht ausschliesslich in Beob-^ 
achtungsfehlern ihren Grund , aber wir können für sie keine Bedeutung 
finden, und zwar einfach aus dem Grunde, weil sie nicht stärker abnehmen. 
Vor der Hand müssen wir sie als durch Zufälligkeiten, d.h. hier durch Ac- 
cumulatidn der uns ganz gesetzlos erscheinenden wirklichen Bewegungen 
(motus peculiaris, vgl. pag. 324) entstanden denken. Dass aber das Glied 
4- 4'.'98 Cos a eine wirkliche Erscheinung bei den scheinbaren Bewegungen 
darstellt , ist gar nicht zu bezweifeln ; es bleibt uns also nur noch übrig, 
eine Erklärung für dasselbe zu finden. 

Ebensowenig wie wir die Sterne als fixe Punkte ansehen können, 
dürfen i?f ir uns die Sonne als ruhend im Welträume vorstellen, woraus aber 
folgt, dass an den Sternen scheinbare (parallactische) Bewegungen früher 
oder später wahrgenommen werden müssen, je nachdem sie uns näher 
oder entfernter sind und die Bewegung der Sonne, an der unsere Erde und 
das ganze Sonnensystem theilnimmt, eine mehr oder weniger schnelle ist. 
Noch ist aber zu untersuchen nöthig , in welcher Weise sich diese schein- 
baren Bewegungen gestalten, d. h. wie die Oerter der Sterne in Folge der 
Bewegung des Sonnensystems geändert werden. Wir können dabei von 
den wirklichen Bewegungen vollständig absehen , denn es kommt uns ja 
nur darauf an, die Wirkung der Sonnenbewegung auf die scheinbare Lage 
von Punkten am Himmel zu beurtheilen , einerlei ob diese in Bewegung 
sind oder nicht. — Es ist nun vor Allem einleuchtend, dass in dem Punkte 



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§21. Dife Bewegungen der Sterae. 387 

Q, gegen welchen [die Bewegung des Sonnensystems gerichtet ist, ein 
Stern uns ruhend erscheinen muss, sofern er nicht selbst in Bewegung ist; 
unsere Bewegung bewirkt nur eine Verminderung seiner Entfernung von 
uns, keineswegs aber eine Veränderung seiner scheinbaren Richtung. 
Ebensowenig erscheint uns ein Stern in dem Punkte P, von welchem das 
Sonnensystem sich entfernt, und der also dem Punkte ^ genau entgegen- 
gesetzt liegt, in Bewegung. Hingegen müssen wir die stärksten Bewegun- 
gen an dem Umfang eines grössten Kreises bemerken , der senkrecht auf 
die Verbindungslinie zwischen Q und P um den Standpunkt des Beob- 
achters gezogen ist, und zwar müssen alle Bewegungen von dem Punkte Q 
nach dem Punkte P zu gerichtet erscheinen. Ziehen wir nur eine Zone 
des Himmels, etwa die um den Aequator in Betracht, so finden wir in Be- 
zug auf diese sogleich , dass die grössten Bewegungen gerade da vorkom- 
men müssen, wo der soeben erwähnte grösste Kreis die Zone durchschnei- 
det, also in zwei entgegengesetzten Gegenden. Die Figur 32 wird uns die 
scheinbaren Bewegungen in den verschiedenen Punkten einer solchen 
Zone veranschaulichen. 

Fig. 32. 



Wir denken uns dabei , der Einfachheit wegen , den Punkt Q in der 
Ebene der Zone gelegen und nehmen seine Rectascension zu 18*» =s 270** 
an. Die Punkte o und o' stellen die Oerter des Sennensystems , zwei ver^ 
schiedenen Zeiten entsprechend , dar, und die Geraden ov u^d o'v' reprä- 
sentiren die mit sich selbst parallelen Richtungen des Frühlingspunktes ; 
wir denken uns nämlich die Stemörter stets auf dasselbe Aequinoctium 
bezogen. Die Rectascension eines Sterns im Punkte a, die zu dem ersten 
Zeitpunkte 0*» war , muss zu dem zweiten etwas vergrössert erscheinen, 
weil der Stern jetzt in der Richtung o' a gesehen wird. Dagegen wird die 

25* 



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3S8 IV. Eapkel. Neuere asjferono^ijiclia Foricfaungen. 

Bewegung 4es SonBenByatems eineVermmd^ung der Reotaseitfiuoa eine« 
Sterns h veranlassen, welche ur8prüb)gllch 12^ war, zu dem zw^eiten Zeilr 
punkte aber durch den Winkel v'o'h gegeben ist. Wie man aus 4er flgur 
sofort ersehen kann , bleiben die Bectascensionen der Sterne in 6^^ und 
18^ unverändert. 

Durch Betrachtungen, die denen, durch welche die Bew«)gung im 
excentrischen Kreise erklärt wurde (pag. 111] , sehr ähnlich «ind, findet 
man als allgemeinen Ausdruck für die Aenderung der Rectaseenaica « 
durch die Bewegung des Sonnensystems, welche gegen einen Punkt in der 
fiectascension A gerichtet ist : 

(A Sin (o — A) 
wo fA den Winkel bedeutet, unter welchem die Bewegung oo' vom Punkte 
a oder h erscheint. Dieser Ausdruck lässt sich auch in die Glieder 

— fi. Sin A Cos a + {X Cos A Sin a 
zerlegen, deren Uebereinstimmung mit den zwei ersten periodischen Glie- 
dern der Beihe (a) sogleich ins Auge fällt und der zu den Gleichungen : 

— > Sin A = 4':98 ; ji. Cos ^ = — 0782 
führt. Wir können daher durchaus nicht bezweifeln, dass die beiden, auf 
empirischem Wege gefundenen Glieder (hauptsächlich das erste) nicht 
durch die Bewegung des Sonnensystems ihre Erklärung finden. — Aus 
den angesetzten Gleichungen lässt sich A nicht minder wie .a in bekannter 
Weise (vgl. z. B. pag. 247) bestimmen; man findet alsdann die Werthe 

A = 260<» 32' 
und 

fj. = 5':05 , 
d. h. die Projectiön auf den Aequator der hundertjährigen Bewegung des 
Sonnensystems erscheint in der mittleren Entfernung der Bradley'schen 
Sterne unter dem Winkel 5';05. 

Durch die Untersuchung der Bewegungen in Declination findet man 
auch diese Coordinate des Punktes Q. Die verschiedenen Bestimmungen 
weichen indessen viel mehr von einander ab , als die durch verschiedene 
Forscher gefundenen Werthe von A, indem z. B. W. Struve dieser De- 
clination nur etwa + 14® zuerkennen will, während Argelander 4-30** 
bis-h38^ Lundahl + 28« 49', Otto Struve + 37*» 36', Galloway 
4- Z4P 23' und Mädler 39*» 54' finden.*) Als ein beiläufiger Mittelwerth 
der verschiedenen Bestimmungen dürfte für diese Declination angenom- 
men werden können : 

D B= 4- 36*». 

Man findet femer den Betrag der ganzen Sonnenbewegung, gesehen 
in der mittleren Entfernung der Bradley'schen Sterne , wenn der obige 



*) Die verschiedenen Werthe von A gehen von 255*» bis 265*», der 
letzte dürfte der Wahrheit am nächsten kommen. 



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§ 2f . Die Bewegungen der Sterne. 389 

Werth von [a durch Cos D dividirt wird. In solcher Weise findet man für 
diese Grösse : 

6'.'24. 

Die mittlere Entfernung dei* Bradley'schen Sterne findet sich aus 
ihren scheinbaren Oröösen (vgl. pag. 339) zu 8. 66 mal die mittlere Ent- 
fernung eines Sterns erster Grösse. Hieraus folgt, dass in der Entfernung 
eines solchen Stenls die Säcularbewegung des Sonnensystems unter dem 
Winkel 

6'.'24 X 8'.66 ** 54':0 
erscheinen würde. *) 

In einer berühmten Abhandlung (Recherches sur la parallaxe des 
^toiles fixes) hat Prof. Peters die mittlere jährliche Parallaxe der Sterne 
zweiter Grösse zm bestimmen gesueht mkL diafür den Werth 

&:n^ mit dem wahrsch. Fehler &iOU 
gefunden. Seitdem sind aiber einige neue Parallaxen, namentlich von 
schwächeren Sternen mit starker Bewegung bestimmt worden. Eine aber- 
malige Untersnebung dieses Gegenstandes, wobei die Verschiedenheit der 
Bewegungen in passender Weise berücksichtigt wurde , führte zu einem 
geringeren Resultate, nämlieh zu der mittleren Parallaxe 

P«4 0'r085 
f*f die Sterne erster Grösse.**) Mit diesem Werthe von P kann man 
sich eine Vorstellmig ^on der linearen Bewegung des Sonnensystems bil- 
den; nach iineeren Angaben beträgt dieselbe jährliieh 6.3 Sonnenweiten. 

Beteichnet ^a die jährliche Bewegung eines Sterns in Bectascension 
und äh die in Declination, so gilt die Formel 

« = ]/(Aa)2CosS2 + (AS)2 

für die Berechnung der scheinbaren Bewegung im grössten Kreise, welche 
wir < nennen. Die^ Werthe von a hat Mädler nach der Grösse der be- 
treffendem Sterne geordnet und in Mittel zusammengezogen. Diese Mittel- 
werthe, die wir mit S bezeichnen wollen, sind die folgenden : 

Grösse S 

1 und 2 0'.'2222 

3 0.1683 

4 0.1372 

6 0.0905 

______ 7 0.0865 

*) Otto V. Struve hat für diesen Winkel den Werth 33'.'92 ge- 
funden; seine Untersuchung ist in ganz anderer Weise geführt, vielleicht 
aber auf eine zu geringe Anzahl yon Bewegungen gegründet. 

**) Bei dieser Untersuchung ergaben sich verschiedene Werthe von P, 
je nachdem die bekannten Stemparalfexen nach der Helligkeit der Sterne 
oder nach der .Grösse der Bewegung mit einander combinirt waren. Die 
einzelnen , in solcher Weise erlangten Resultate waren P = 0''6861 und 
P= 0^:0836. 



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390 IV. Kapitel. Neuere astronomiBcl^e Forschungen. 

Soweit wir uns nun auf diese Zahlen verlassen dürfen (die Werthe 
der 6ten und besonders der 7ten Grössenklasse dürften bei Hinzuziehung 
einer grosseren A^izahl Bewegungen noch merkliche Aenderungen er- 
leiden), müssen wir schliessen, dass die wirklichen Bewegungen nicht 
überall in unserem Stemsysteme gleich sind , sondern dass sie im Allge- 
meinen mit zunehmender Entfernung von dem Sonnensysteme wachsen.*} 
Denn wären die wirklichen Bewegungen in jeder Entfernung nahezu die- 
selben, so müssten die scheinbaren Bewegungen in umgekehrter Propor- 
tion der Entfernung abnehmen. Aus den obigen Zahlen kann man aber die 
Formel 

S^ = {/'MI + -^^ 

ableiten, wo Jlf„ die mittlere Entfernung der Sterne nter Grösse bedeutet, 
und es zeigt sich dabei , dass die verschiedenen Werthe so gut von ihr 
dargestellt werden , dass der wahrsch. Fehler des ersten Gliedes nur auf 
± (y.'ÜOaö geschätzt werden darf.**j Dieser Ausdruck weist nun darauf hin, 
dass die wirklichen Bewegungen der Sterne uns unter dem Winkel Qf'Ml 
erscheinen , in welcher Entfernung sie sich auch von uns befinden mögen. 
Aus dem soeben gefundenen Gesetze würden wir wichtige Conse- 
quenzen ziehen können, wenn wir demselben eine grössere Sicherheit bei- 
messen dürften. Der wahrscheinliche Fehler der Grösse 0'.'067 ist aller- 
dings so klein gefunden worden , dass ihre Realität zunächst nicht gut 
bestritten werden kann ; wie schon bemerkt, ist es aber nicht unmöglich, 
dass die ^Werthe für die Sterne der 6ten und 7ten Klasse noch merklich 
geändert werden, und die Bewegungen der noch schwächeren Sterne 
könnten vielleicht zu ganz anderen Resultaten führen, obgleich dies, 
soviel man jetzt beurtheilen kann, nicht sehr wahrscheinlich ist. 

Der Gedanke, dass die uns sichtbaren Sterne — möglicherweise 
sogar die der Milchstrasse — ein gemeinsames System im mechani- 
schen Sinne bilden, ist nicht neu. Schon Kepler hielt die Milch- 
strasse, für einen grossen Stemenring, nahe dessen Centrum die Sonne 
sich befinden sollte, und ähnliche Ansichten findet man später bei 
Huyghens und Wright. Kant stellte sich Sirijus als den Central- 
körper des ganzen Systems vor, wogegen Lambert den Central- 
punkt im Orionnebel vermuthete, hielt aber den Sternhaufen, zu dem 
unsere Sonne gehört, nicht für identisch mit den Stemansammlungen 



*) Wir erlauben uns die Benennung Stemsystem , weil wir ein sol- 
ches für wahrscheinlich halten, ohne dabei doch behaupten zu wollen, 
dass die Befugniss dieser Benennung über alle Zweifel erhaben sei. 

**) Es bleiben die Fehler —01022, + O'.'OOS, -H0':007, + 0':003, 
— 0':004 und + 0':002 nach. 



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§21, Die Bewegungen der Sterne. 391 

der Milchsiarasse , dachte sich vielmehr letztere als aus vielen solchen 
Stornhaufen bestehend. Die Planetenwelt mit der Sonne bildet nach 
ihm ein System erster Ordnung , mehrere Sonnen constitniren einen 
Sternhaufen oder eiu System zweiter Ordnung , mehrere derartige 
Sternhaufen wieder eine Milchstrasse oder ein System dritter Ordnung 
u. s. w. Michell zerlegte die sichtbare Sternen weit in mehrere 
Partialsysteme und vermuthete, dass unsere Sonne ebenfalls zu 
einem solchen gehöre, das er sich aber nicht als aus sehr vielen 
Sternen bestehend dachte, sondern nur aus etwa tausend, oder einigen 
hunderten der hellsten und den rothen Sternen. — Alle diese Spe- 
cuiationen beruhton indessen mehr auf Vermmthungen als auf wirk- 
lichen Untersuchungen und haben daher nur in geschichtlicher Beziehung 
Interesse ; Forschungen von wissenschaftlichem Werthe fangen erst 
mit Herschel d. ä. an. Sein Streben wurde in gewisser Weise von 
Erfolg gekrönt, da er die Bewegung des Sonnensystems nachweisen 
konnte, im Uebrigen gingen seine Bemtihungen, ebenso wie die spä- 
teren von W. Struve, hauptsächlich darauf aus, die gegenwärtige 
Vertheilung des Stemenheerep , die »construction of thehea- 
V e n 8 <£ zu erkennen . Die Resultate der Struve' sehen Untersuchungen^ 
welche gewissennassen die HerscheFschen fortsetzen, haben wir 
schon im Vorhergehenden der Hauptsache nach erwähnt (vgl.p. 375) ; 
sie fiährten zu der Ansicht , die Sterne wären in immer dünner wer- 
denden Schichten um eine Hauptebepe (die der Milchstrasse) parallel 
gelagert.; über die Ausdehnung dieser Schichten wissen wir aber 
nichts. Dächte man sich diese Ausdehnung unendlich gross und die 
Maase sämmtlicher Sterne in der Hauptebene condensirt, so wäre die 
Anziehung in jeder Entfernung von derselben constant, und man 
müsste dann unl^r den Sternen aller Grössenklassen wirkliche Be- 
wegungen von. durchschnittlich gleichem Betrs^ge erwarten . *) Struve 
ist auch der Meinung , man müsse aus den zu seiner Zeit bekannten 
Bewegungen zu einem solchen Schlüsse kommen, indem, seiner Unter- 
suchung zufolge, die scheinbaren Bewegungen in entsprechender 
Weise mit den Helligkeiten abnehmen (Positiones medial p.CLXXXIVj ; 
wir haben jedoch gesehen, dass einige Wahrscheinlichkeit für die ent- 
gegengesetzte Annahme nicht wegzuleugnen ist. 

*) In der Mirchstrasse müssten dann die grössten Bewegungen be- 
merkt werden. 



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392 IV. Kapitel. Neuere astronomisclie Forschungen. 

Eine andere Hypothese , welche sieh mathematisch nnterBuehen 
lässt y ist die , dass die Masse der Sterne gleichförmig innerhalb einer 
immensen Kugel rertheilt ist. Richtig ist eine solche Annahme jeden- 
falls nicht , weil die Sterne nach verschiedefien Richtungen des 
Himmels in sehr ungleicher Menge vorkommen ; allein als eine An- 
näherung mag sie gestattet sein, ebenso wie die ftUhere, dass die Masse 
längs einer Ebene vertheilt ist. — In einem derartigen Systeme von 
kugelförmiger Oestalt (Globularsystem) , wo jeder von den vielen Kör- 
pern im Yerhältniss zu den Dimensionen des gansen Systems so klein 
ist, dass man die Gesammtmasse als gleiehi^nnig vertheilt ansehen 
darf, gestalten sich die Bewegungen in folgender Weise. Die Bahn 
eines jeden einzelnen Körpers ist eine Ellipse, deren Mittelpunkt 
(nicht Brennpunkt) mit dem geometrischen Mittelpunkte des Systeme, 
welcher hier auch der Schwerpunkt ist, zusammenfHUI;. Die einzelnen 
Ellipsen können aber sehr verschieden sein, ihre Excentricitäten kön- 
nen von bis 1 variiren, und auch die Lage der Bahnen ist eine be- 
liebige. Die ümlaufszeit ist för jeden Körper die gleiche, seine mitt- 
lere Entfernung vom Centrum möge grösser oder geringer sein ; aber 
die Geschwindigkeiten in verschiedenen Punkten der Bahnen können 
demohngeachtet sehr verschieden sein. Nur wenn dSe Bahn ein Kreis 
ist, bleibt die Winkelgeschwindigkeit unverändert; in diesem Falte 
müssten also alle Bewegungen vom Centrum aus unter gleichen Win- 
keln erscheinen ; die linearen Geschwindigkeiten würden aber pro- 
portional der Entfernung vom Centrum wachsen. Bei excentrischen 
Bahnen wird jedoch die Geschwindigkeit des Beweglichen um so 
grösser, je geringer die Entfernung vom Mittelpunkte ist; es lässt 
sich daher nicht behaupten, dass die Bewegungen im Glbbularsysteme 
immer gegen die peripherischen Theile hin znnehmen nribssen , oder 
dass man gerade da den Centralpunkt zu suchen hat, wo die Be- 
wegungen am geringsten sind. 

Diesen Umstand hat Mä dl er übersehen, als er die Behauptung 
aufstellte und vertheidigte , der Centralpunkt des »Milchstrassen- 
systems« wäre in den Plejaden zu suchen , deren hellster Stern Al- 
cyone mithin auf die Benennung Centralsonne Anspmcli machen 
könne. Er glaubte zeigen zu können, dass die Bewegungen in dieser 
Region die kleinsten wären und dass sie zunähmen mit der Entfernung 
von dem genannten Stern. Aber nicht einmal dieses Beradtat ist! ven 



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§21. Die Bewegungen der Sterne. 393 

irgend einer reellen Bedeutnng , denn dasselbe war hauptsächlich ans 
den parallactischen Bewegungen der Sterne gewonnen worden , war 
also nur eine einfache Folge der Bewegung des Sonnensystems. 

Wenn aber die kleinsten Bewegungen in der Centralregion statt- 
finden sollen , so müssen die Bahnen Kreise sein , oder doch wenig- 
stens geringe Excentricitätan hahetf ; ahdann muss man aber auch 
vermuthen , dass die Körper überwiegend in derselben Richtung und 
meistens in geringen Neigungen gegen die Hauptebene sich fort- 
bewegen. Von «iiier scAabe« gBrneiiMwanen Bew^ag in* der IQlchh 
strasse hat Mädler jedoch nicht gesprochen und wir wissen von 
emer solchen anieh ^egtdnwftrtig beinahe gar meti» ; dasjenigief, was 
wir dabei vermuthen können, gründeft sidi auf einige wenigö An- 
deutungen, die derselben nicht gerade widersprechen. 

Es ist nicht unmöglich, dass einige der Mädler'schen ßfttze, ob- 
gU»ch ihnen gegenwärtig, die? ianere wisaensohaftliche Begründung 
mang^; stoh- als am die Wahrlicdt streifend erweisen werden. ¥or 
der Hand müssen wir sie als seine subjectiven Meinungen ansehen, 
die in wissenschaftricher Beziehung ohne Interesse sind und welche, 
eben ^eil sie in keiner Weise begründet sind, auf die zukünftige Ent- 
wicklung der Stellarastionomie ohne Einfluss sein wenden. 



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Anhang. 

I. Die Grnndformeln der sphärischen Trigonometrie. 

Die Relationen zwischen den Seiten und den Winkeln; eities sphäri- 
schen Dreiecks — so nennt man die Figur , weiche von drei sich schnei- 
denden grössten Kreisen auf der Sphäre gebildet wird — lassen sich auf 
Grund einiger sehr einfacher geometrischer Betrachtungen herleiten. Man 
braucht nämlich hierzu bloss die Beziehungen zwischen den Coordinaten 
eines Punktes in zwei Systemen aufzusuchen, die beide rechtwinklig sind, 
von denen aber das. eine gegen das andere nm einen gewissen Winkel ge- 
dreht worden ist. . 

Wir betrachten also ein dreiaxiges Coordinatensystem , bei dem wir 
die a;-Axe als fest voraussetzen, so dass eine Drehung des ganzen Systems 
nur um diese möglich ist. Es sei nun c der Drehungswinkel, d. h. der 
Winkel, um welchenfdie neuen Axen oy und oZ' gegen die alten oFund 
o Z geneigt sind ; femer seien oa ^ y und am = z die Coordinaten des 
Punktes m im ersten Systeme, sowie od =^ y' und dm «=a z' die Coordinaten 
desselben Punktes im zweiten Systeme ; ein Blick auf die Figur 33 zeigt 
uns dann, dass 

Fig. 33. 

Z 




^ l 

y =s oh — cd =^ y' Cos c — zf Sin c 
zs^me -{- dh^z' Cos c -f-y' Sin c ; 
überdies ist, weil die ^r-Axe in beiden Systemen dieselbe bleibt, 



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I. Die Grundformeln der sphärischen Trigonometrie. 395 

Setzen wir in den Formeln 119g. 25^, b stutt 90®-^<p und A' statt 
90®— ^ , so entstehen die Ausdrücke: 

ar -B r Sin & Sin A' 
' y = r Sin 6 Gos^' 

z as r Cos h 

worin 5 den Winkel zwischen dem Radiusvector des Punktes m und der 
Z-Axe, also den Winkel Zorn (rig,27 pag.255) bedeutet, ^'hingegen den 
Winkel noq. Bezeichnen wir femer den Winkel zwisc^ien dem Badius- 
vector und der Axe oZ mit a, und mit B den Winkel zwischen oF' und 
der Ftqjection des Badiusvectors in der x'y'-Ebene» so gelten die ana- 
logen Ausdrücke : 

a?' « r Sin a Sin J9 

y'«rSinaC08.P . 

z' s= r Cos a . 

Mit Hülfb dieser Werthe findet man nun augenblicklich nach Weg- 
lassung des gemeinsamen Factors r, und nachdem^ statt 180^—^' ge- 
s^rieben worden ist : 

ISin h Cos A = — Sin a Cos B Cos e -f Cos a Sin c 
Cos h = Cos a Cos c + Sin a Cos B Sin e 
Sin 6 Sin A == Sin a Sin J?. 

Man bemerkt leicht, däss. a, h^ c die drei Seiten des sphärischen 
Dreiecks sind , welches auf der mit dem Radius r beschriebenen Kugel 
von dem Punkte w, sowie den Durchschnittspunkten derAxen oZund oZ' 
mit der Kugelfläche bestimmt ist. Die den beiden ersten Seiten gegen- 
überstehenden Winkel sind -4, B\ den dritten wollen wir mit. C be- 
zeichnen. 

Die soeben erlangten Grundformeln de# i^härischen Trigonometrie 
bleiben selbstverständlich in Geltung , wenn Seiten und Winkel in ent- 
sprechender Weise mit andern Seiten und Winkeln vertauscht werden ; 
so können wir z. B. C stattt ^ und A statt C setzen, wenn gleichzeitig a 
mit c und c mit a vertauscht wird; m«in erhält in dieser Weis^ : 

Sin & Cos C s= Sin c Cos -5 Cos d — Cos e Sin a 
u. s. w. 

Wenn das sphärische Dreieck rechtwinklig iat, so dass z. B. ^ = 90**, 
so werden die Formeln einfacher, man hat alsdann : 

ISin 6 Sin Jl «= Sin a 
Sin h Cos-4 = Cosa Sin c 
Cos h = Cosa Coac 

Die Anwendung der beiden erlangten Formelsysteme wollen wir nun 
an einigen Beispielen beleuchte. 



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396 Anhang. 

detut man m den Gleiehnitgett ^s Systentt IT : 

Ä = tt; -4«=i; e ^ l—Q und a = 5 , 
80 erlangt man aus der zweiten unA dilttetf dieser Gleichungen : 

Tang u Cos t « Tang (?— Q) 
und aus der ersten und zweiten 

also die beiden Gleichungen pag. 152, die bis jetzt unbewiesen geblieben 
waren. t 

Setzen wir fttr die Seiten und Win&el d&s sphSrischen Dreiecks fol- 
gende Ausdrücke : b -a 90^— ß ; ^ « 90« + a ; a «= 90*»— 8 ; ^ = 90**— X ; 
c b: B ; so geben uns die Gleiciiungen I: 
Cos ß Cos X CS Cos l Cos a 
Cos ß Sin X B Sin 8 Sin 8 + Cos h Sin a Cos 8 
Sin ß»Ski ^Cot^---€o8'ISinaSin BS 
»OS welchen Relationen dfe LSnge (X) und Breite fp] berechnet werden 
k($nnen, wenn die Bectascension (a), Declination [h] Und d!e Schiefe der 
Ekliptik (8) gegeben sind. Gewöhi^ich und für logarithmische Rechning 
einfacher rechnet man in folgender Weise, Es wird gesetzt : 

Sin ^ BS m Sin Jf 
Sin a Cos 5 -s tn Cos Jf 
wonach man statt der zweiten und dritten der zuletzt angeführten Glei- 
chungen die folgenden erhSlt : 

Cos ß Sin X « m Cos (M—S) 
Sinß ««rnSin (3f— 8) 
Man hat also die Grössen 

■* Sm a 







Sin( 
*^- Sinüf ' 


Sin a Cos ^ 

GosJlf 




zu 


berechnen, wonach X und ß ans 4^ Formeln 








Tang X = 


m Cos (M—B) 
Cos 8 Cos a "^ 


Tang 


a Cos (3f- 
Cosüf 


-8) 



Tang ß = Tang {M- 8) Sin X 

gefunden werden. — Hülfsgrössen , wie hier Jfund m, finden überhaupt 
häufig Anwendung, um für mnnellsche Rechnungen bequemere Formbin 
zu erlangen. 

In der ersten def Gleichungen (H) setzen wir a =» rf , 6 «= 90®— 6 itnd 
A'^i] aMaim finden wir die Formel 



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I. Die Grundfonneln der sphärischen Trigonometrie. 

aus welcher die pag. 276 gegebene Relation 

d 



3(97 



< = 



CosS 



unmittelbar folgt, wieim d und t als sehr klein angesehen werden. 

In HhnlicJlier Weise leitet man die übrigen Formeln ab, welche in der 
sphärischen Aslronomie gebraucht werden und in unserem Buche vor- 
kommen. 




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398 



n. Elemente der Körpd 



Elemente der acht Hanptplaneten fll 





e*) 


n 


« j 


Merkur 


252*» S' 6:5 


14732?420 


0.38709d 


Venus 


UÖ 6 0.2 


5767.670 


0.723331 


Erde 


25 22.0 


3548.193 


1.000000 


Mars 


HO 22 37.6 


1886.519 


1.523691 


Jupiter 


US 6 27.2 


299.129 


5.202789 


Saturn 


284 44 28.6 


120.455 


9.538*552 


Uranus 


220 9 56.5 


42.233 


19.1826311 


Neptun 


284 19 50.5 


21.555 


30.03697 



Massen, Durchmesser und Rotationszeiten der acht Hanptplaneten. 





Masse 


Durchm. geogr. M. 


Rot.-Zeit. 


Merknr 


1 


670 


24h 5m 


ÜLvlILUl 


4917 00Ö 




Venus 


mVsTF 


1666 


23 21 22'» 


Erde 


\ 


1719 


23 56 4 


314439 




Mars 


SBilsST 


938 


24 37 23 


Jupiter 


1-ilJS 


20004 


9 55 27 


Saturn 


3 S^ 1 


172J4 


10 29 17 


Uranus 


iTTinr 


8226 


— 


Neptun 


TjhsTS . 


7653 


— 


Sonne 


1 


193030 


25 Tage 



I. 

II. 

m. 

IV. 



Umlaufsz. 
Tage 

1.76914 

3.55118 

7.15455 

16.68902 



Elemente der Jupitersmonde. 



Mittl. Entf. 
in Jupiters- 
Halbmess. 

5.944 

9.452 

15.086 

26.535 



Excentr. 

sehr 

gering 

0.001348 

0.007243 



Neigung gegen 
die Jupiters- 
Bahn 



5' 24" 
4 25 
28 
40 58 



Durchm. 

in geogr. 

Meilen 

543 
457 
772 
644 



Ueber die Bedeutung der Buchstaben vgl. § 6. 



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|des Sonnensystems. 

idie Epoche 1850 nach Leverrier. 



399 



e 


IC 


Q 


t 


^.2056048 


75*» 7' 13':9 


46*» 33' 8':8 


70 0» 7«7 


|0.OO68433 


129 27 14.5 


75 19 52.3 


3 23 34.8 


0.O1677O3 


100 21 21.5 


— 


— 


Ö.0932611 


333 17 53.7 


48 23 53.1 


1 51 2.3 


0.0482388 


11 54 53.1 


98 54 20.5 


1 18 40.3 


0,0559956 


90 6 12.0 


112 21 44.0 


2 29 28.1 


Ö.Ü465775 


168 16 45.0 


73 14 14.4 


46 29.9 


0.OO87195 


50 16 39.1 


130 7 45.3 


1 47 0.9 



Elemente der Sainrnsmonde. 



^ 




Umlaufsz. 
Tage 


Mittl. Entf. 

in Saturn- 

Halbm. 


Excentr. 


Neigung 

gegen 

die Ekl. 


I. 


(Mimas) 


0.943 


3.35 


— 


— 


II. 


(Enceladus) 


1.370 


4.30 


— 


— 


III. 


(Thetis) 


1.888 


5.32 


0.011 


28*^ 10' 


IV. 


(Dione) 


2.737 


6.82 


0.003 


28 10 


V. 


(Rhea) 


4.517 


9.52 


0.001 


28 8 


VI. 


(Titan) 


15.945 


22.08 


0.029 


27 34 


VII. 


(Hyperion) 


21.284 


26.79 


0.115 


— 


VIII. 


(Japetus) 


79.330 


64.36 


0.028 


18 38 



Elemente der Urannsmoade naeh Newcomb. 



I. 
IL 
III. 
IV. 



Umlaufsz. 
Tage 



(Ariel) 
(Umbriel) 
(Titania) 
(Oberon) 



2.5204 

4.1442 

8.7059 

13.4633 



Mittlere 

Bcheinb. 

Entf. 

13'.'78 
19.20 
31.48 
42.10 



Excentr. 

0.020 
0.010 
0.00106 

0.00383 



Neigung 
gegen 
die Ekl. 

75?0S 
75.79 
75.06 
75.21 



Länge 

des 

Knoten 

167?01 
163.76 
165.15 
164.91 



Elemente des Neptunmondes naeh Newcomb. 

5T8769 16':295 0.0088 12l?70 183?03 



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400 



Anhang. 






— - pi«'« — 

CD '^W® 



o 

o 
5 



1^ 



«'S 



ö* 80 



TT 
CD 



OD OD OD OD OD (3D 

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a 

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CD 



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3 S» 



^ ^ -4 -^ (y« p p W Ca» ,O0 CO CO 09 CO CO CO In9 b» 

«O « bi O »^ O CO *-4 OD CFJ c;i C£^ H-* »— *.^ *^ *QD io 
CC>C00DC0iU0dt>9b9O|<9|N9O0D^^C>)^-> 



o o © o 



o o o o o 



o o o o o o 



cDco<Dce:£;O^ODC;<~'-^0d$]i«<iaDOdOdac> 

^cSo»C;«^Oü»fc*«'!^««'*®^«''O^ODi& Cfc 
^iS^M,ffe^lOOdO^V<C;<^<cOC^aD--:iOd;C> 



CO lO lo crt 
CO lo c;< ^ 



1^ CO Ol M 



_0«0D;00DOO_ 
OC;^-^^*>-*0Dh5«0 



CO ^ 
O i(k. ^ 
t^ ;o O 



b9i-^ H^H*COK9b9H*CO 

;Ci^OdCO»-*t^99^CO^M.«kOd 

iocoo;oc;i^^co<oodc;<Odko->> 



K» ^ ^ (^ rf^b. 

•^ OD CO c;« ^ 



CD K9 O O 



c;«H*rffc.i^>-*'C;<coi^5— H-*>-*«ocorffc.|^i*k«w 
o»«fei^ti-*^v«e>«A-4a«co»-*aDaDODo> 



K^colo^9fc^^«^*^^•^'!:f•-*>^ 



•CO 
0»Q0^Öi*^CÖ0>C»Oi^l^i^Oi— ©OS^CO 

cnco->4coo)>^0(e<oc;«c;t0^i^co)-^Oi9-^i(k. 






COODCO^O'^k^O^'^^^^^t^MCOCO 
C;iCOfc«9 fe9^t^K9K9lN9_ C^^COC^^CC 

ce,^odi>9o<oe'«cocooDC3ac><oc;iooD-^qs 



-.li^C;iCOO-^»^>^^*^M^^O<DkOcDCO 

i^K9 c;<c;i^ fc«9fe^cocoiUio^h8cn 

C;vCOOd. -tC;«ODIO|^feOCOCOCOiU(X>K9|^ — Od «*. 
C'iC;«h9C0O<0l^O-^<00)<0D>»io<D0)0»|0 



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REGISTER. 



Aberration, 319, 321. 

Ablesung eines Kreises, 289. 

Abscissen, 94. 

Absorption des Lichts im Welt- 
räume, 3G9. 

Adams, 245, 246, 

Aequator, 26, 152, 257. 

Aenderung der Lage, 305. 

Aequatoreal, 313. 

Aequinoctialpunkte, 29, 56, 268, 305. 

Albategnius, 121. 

d'Alerabert, 201. 

Alhidadenkreis, s. Nonienkreis. 

Almagest, 86, 118, 128. 

AlMamun, Kalif, 121. 

Alphons X. von Castilien, 121. 

Anaxagoras, 44. 

Anaximander, 44, 67. 

Anfangspunkt der Coordinaten, 
s. Origo. 

Anomalie, excentrische, 147, 148. 

mittlere, 147. 

wahre, 140. 

Anziehung der Körper, 11, 209. 

Anziehungskraft der Sonne, 213. 

Apelt, 50. 

Apex, 353. 

Apogäum, 36. 

Apsidenlinie, 36. 

Argelander, 325, 326, 367, 373, 378, 
383, 388. 

Argument der Breite, 150. 

Aristarchus, 72. 

Aristoteles, 18, 48, 67, 108. 

Arithmet. Mittel, Satz vom, 282. 

Armillarsphäre, 28, 30. 

d' Arrest, 248, 349, 380. 

Asteroiden, s. Planetoiden. 

Astrolabium, 27. 

Astrologie, 17. 

Gyldön, Astronomie. 



Astronomie, Auffassung im Alter- 
thum, 16. 

Aufgabe, 9, 12, 18. 

Methode, 13. 

physische, 5. 

practische, 5. 

sphärische, 5, 259. 

tneorische, 5. 

Werth f. d. Vernunft, 51. 

Atmosphäre, Höhe, 299. 
Aufgang, heliakischer, 20, 24. 
Auzout, 334. 
Azimuth, 257. 
Azimu thalfehler, 275. 

Bahn, Beschaffenheit der, 208, 211. 
Bedeckungen d. Himmelskörper, 309. 

der Sonne, s. Sonnenfinsternisse. 

Beobachtung, Zweck d. astron., 254. 
Beobachtungsfehler, 53, 359, 362. 

systematische, 336, 361 . 

Bessel, 317,326,334, 366,375, 383,386. 
Bewegung, directe u. retrograde, 74. 

Jährliche, der Sonne, 20. 

eines freien festen Körpers, 193. 

krummlinige, 166. * 

mittlere, eines Planeten, 147. 

parallactische, 327, 386. 

tägliche, der Gestirne, 21, 263. 

Bewegungen der Fixsterne, 250, 381. 

relative, 209. 

scheinbare und wirkliche, 7. 

Bewegungsgesetze, analyt. Ausdruck, 

248. 
Biegung der Instrumente, 293. 
Biela. 400. 
Binarsysteme, 356. 

Bahnen, 358. 

Elemente, 363. 

Bode'sche s. Titiua'sche Reihe. 

26 



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/Go 



402 



Register. 



Bradley, 200, 302, 325, 334, 382. 
Brechungßcoefficienten verschiedener 

Substanzen, 298. 
Brechungsgesetz, 297. 
Brechungswinkel, 297. 
Breite, 40, 259. 
geocentrische und heliocen- 

trische, 150. 

der Sonne, 41. 

Brennpunkt der Ellipse, 13S. 

der Kegelschnitte, 206. 

von Linsen, 271. 

Brennweite, 271. 

Cartesius, 176. 

Cent^albe\«regung, 174. 

Centralfeuer des Philolaos, 21. 

Centralkraft, 174. 

Centralsonne, Mädlcr's, 392. 

Centrifugalkraft, 172. 

Centripetalkraft, 171. 

Ceres, 33Ö, 340. 

Chacornac, 340. 

Chaldäer, älteste Beobachtungen, 33. 

Chronologie, 33. 

Chronometer, 56, 307. 

Circumpolarsteme, 264. 

Clairaut, 347. 

Clark, Alvan, 366. 

Collimationsfehler, 274. 

CoUimatoren, 292. 

Coma, bei Cometen, 350. 

€ometen, Bahnen, 210, 212, 332, 400. 

Beobachtung der, 312. 

Beschaffenheit, 355, 373. 

älteste Erscheinungen, 32. 

Masse, 348. 

periodische, 347, 400. 

Zahl, 350. 

Zusammenhang mit Stern- 

schnujlpen, 351, 355. 
Cometensucher, 349. 
Componenten, 163. 
Conjunction, 37. 
Constante. der Aberration, 319, 323# 

der Nutation, 323. 

der Präcession, 324, 386. 

Coordinaten, rechtwinklige, 94, 5i54i 

sphärische, 256. 

Copernicus, 21, 123, 125. 
Cornu, 329. 
Cosecante, 89. 
Cosinus, 89. 
Cosinuslinie, 98. 
Cotangente, 89. 



Coulvier-Gravier, 354. 
Culmination, 33. 
Cyclus des Meten, 46. 
Cyclus Saros, 33, 38. 

Declination, 28, 258. 

Bestimmung der, 263. 

Declinationsaxe, beim Aequat., 313. 

Declinationskreis, 28. 

beim Aequatoreal, 313. 

Declinationsunterschiede , Bestim- 
mung 'der, 314. 

Deduction, 13, 52, 159,204,218,248. 

Delambre, 71, 72, 83, 86, 323. 

Delaunay, 245. 

Dembowski, 357, 362. 

Dichotomie, 73. 

Dichtigkeit, 185, 298. 

Distanz von Doppelstern en, 315. 

Doppelsterne, optische, 356. 

physische, s. Binarsystemp 

Dörfel, 345. 

Dreiecke, sphärische, 394. 

Dun^r, 357, 361. 

Dunlop, 380. 

Durchgangöinstrument, s. Passagen- 
instrument. 

Durchmusterung, Bortlier; 326, 340, 
378. 

Dynamik, 156, 159. 

Ebbe und Fluth, 188. 
Ebene, tangirende, 296. 
Eigenbewegung der Sterne, 324, 381. 

veränderliche, 366. 

Einfallswinkel, 297. 

Eisen im Universum, 355. 

Ekliptik, 27, 153, 200. 

Elemente, s. Cometen, Doppelsterne, 

Planeten. 
Ellipse, 205, 211. 

Axen, 138. 

Brennpunkte, 138. 

Eigenschaften, 137. 

Flächeninhalt, 142. 

Gleichung, 138. 

Krümmungshalbmesser, 180. 

Ellipsen, osculirende, 224. 
Elongatron, 75. 
Encke, 244, 328, 348. 
Entfernung derPlaneten, Bestimmung 

der, 130. " 
Epagomenentage, 408. 
Epicykel, HO. ♦ 

und excentrischer Kreis, 113. 

Epoche, 147. 



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Kegister. 



403 



Eratosthenes, 67. 

Erde, Abplattung, 192. 

- — «jb^^malige iBe^cbafikjnhtjit, 374. 

Dichtigkeit, 199. 

V Figur, 'im. 

r,Grfi8«e^, 67; 192. 

Masse, 185, 191, 214. 

Rotation^l97. 

Evection, 63^ 289. 
Excentricitftt, 1 10, 1^8, 206. 

Fadenantritte,, öftOftuigkeit d<jr,' 280. 

Fadenmikrometer, 3.14. 

FadennQtz,273:;3a4. 

Fallgesetze, 156. 

Fehler, ^ahr«QhQinlicher, 285. 

FerjiVQhr;, {^stnonom^sches, 271. 

Erfindung, 215. 

Fixsterne,. 251. 

Anzahl etc., s. Sterne. 

Fixsternparallaxen, s. Parallaxe. 
Fixstern trab an ten, 356. 
Flamsteed, 334. 
Foucault, .329. 
Fraunhofer, 317. 
Frühlingspunkt; 29, 56,.2<»8. 
Fundamentalsterne, 287. 

Galilei, 155; 215. 

seine; .Gesetze, ,156. 

Galle,-248. 

Galloway, 388. 

Gaubil, 32. • 

Gauss, 47, 330, 340, 341. 

Gaussische Constantejf^l 1,/214. 

Gegenerde, 21. 

Geocentrische Coorcjiaaten, Ablei- 
tung,. 266. 

Geodäsie, 308. 

Gerade Aufsteigung, s.^Ke^tftscension. 

Gewicht einer ßeobacht,wigv 284. 

Gleichgewicht, 194. 

Gleichung, Eulfex'sche, 333. 

jährliche, 63. 

des Kreises, 96. 

Gleichungen l..und 2. Gij^Mles, /J4, 
95, 282. 

Globularsystem, 392, 

Gnomen, 25, 55. 

Goldene Zahl, 46. 

Groombridge, 326. 

Hafenzeit, 189. 

Halley,.345, 382. 

Hansen, 191, 222,. 244, 245, 329, 341. 



Harding, 340. 
Hauptstrahlen, 271. 
Heliometer, 316. 
Helligkeitsverhältniss der St^fn^- 

klassen, 337, 339, 367, 378. ' 
Henke, 340. 
Herschel,John, 357, ^^i). 

Will., 347, 357, 369, 380, 3^1. 

Herschelq Tele8itpp,«369,. ^75. 
Htjveüus, 345. 
Hi und Ho, 32. 
Himmelskorper.phvsisch^BeachafFen- 

heit, 13, 373. 
Hind, 340. 

Hipparch, 69, Jl,84, 109, 154. 
Höhe, 23, 258. 

Bestimmung. der, 292. 

— — der Sonne, 24. 

Höhenkreise, 23. 
Höhenparallaxe, 66. 
Hooke, 177. 
Horizont, 23, 256,, 2.68. 

künstlicher, 273. 

Horizontalparallaxe, 66. 
HorizontpunkjL eines JCreises, 293. 
Huyghens, ,3^0. 
Hyperbel, 205, 208, 211. 

Jfthr, öid^xisches, 34,,2;14. 

tropisches, ,35, 84. 

Jahreszeiten, 58. 

Ideler, 38, 39. 

Inclination, s. Neigimg. 

Index, ^89. 

Induction, 13, 130, 159,. 218, 248. 

Instrungient mit parallactische*\Mün- 

tirung, 314. 
Instrmnent^lfeihler, ,274. 
Instrumente, ifeste, 54. 
Johnson, 326. 

Jupitermasse, 216^.r^41,^98. 
Jupitermonde, 216. 
Elemente, 398. 

Kalender, Gregorianischer, 47. 

Julianischer, 47. 

.Kalippos, 46. 
Kant, 373, 390. 
Kegelschnitte,. 205. 
Kepler, 6, 8. IQ, 129, 151, 159, 176, 

253, 339, 390. 
Kepler' s Gesetze nur Näherungen, 

182, 219, 

besondere Fälle, 205. 

Knoten, 36. 

26* 



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404 



Register. 



Knoten, Länge des, 36. 
Knotenlinie, 36. 
Kosmologie, 4S. 
Kraft, 160. 

bewegende, 203. 

Centrum, 174. 

Kr&fte, Bestimmung aus Wirkungen, 
10. 

Wirkung auf Bewegung, 9. 

Kreis, deferirender, s. excentrischer. 

excentrischer, 110. 

grösster, 23. 

Kreiseintheilung, 29. 
Kreise, getheilte, 289. 
Kreismikrometer, 316. 
Krümmungskreis, 167. 
Krümmungsradius, 167. 

Lacaille, 325. 
Lagrange, 224, 341. 
Lalande, 326. 
Lambert, 333, 390. 
Lamont, 326. 
Länge, 40, 259: 

ffeocentrische, 150. 

neliocentrische, 149. 

— - des Knotens, 149. 

desPerihels, 149. 

des Mondes, Formel för die, 106. 

Längenbestimmung, 307. 

Laplace, 6, 32, 245, 341, 348, 372. 

Latitude, s. Breite. 

Laurentiusstrom, 353. 

Lehrsatz, pythagoräischer, 45, 89. 

Leoniden, 355. 

Leverrier, 246, 248, 366, 398. 

Libelle, s. Niveau. 

liinien, trigonometrische, 88, 90. 

Littrow, C. V., 338, 339, 367. 

Localattraction, 187. 

Longitude, s. Länge. 

Loth, 268. 

Ludolph, 92. 

Lunation, 38. 

LundaM, 388. 

Lunisolarpräcession, 324. 

Maclear, 335. 

Mädler, 383, 384, 388, 392. 
Mario tte'sches Gesetz, 295. 
Mars, scheinbare Bewegung, 80. 

der Planeten, 214, 243, 398. 

Mästlin, 345. 

Materie, Bewegung der, 2. 



Materie, Umwandlung, 14. 

Ursprung, 1. 

Mauerquadrant desTyge Brahe, 127. 

Mayer, Christian, 356. 

Mecanique Celeste, 6, 245. 

Mediceische Sterne, s. Jupitersmonde. 

Meridian, 29, 257. 

Richtung des, 54. 

Meridiankreis, 263, 294. 

Meridianunterschied, 306. 

Meridianzeichen, s. Miren. 

Merkur, iSichtbarkeit, 79. 

Meteoriten, 355. 

Meteorschwärme, s. Sternschnuppen- 
schwärme. 

Meteorsteine, Ursprung, 44. 

Methode der kleinsten Quadrate, 
283, 344, 384. 

Methode der Variation der Constan- 
ten, 224. 

Metius, 93. 

Meton, 45. 

Michell, 357, 391. 

Mikrometerschraube, 274, 290. 

Mikroskope an Instrumenten, 291. 

Milchstrasse, 375, 380, 391. 

Miren, 277. 

Mittagslinie, 257. 

Mittagsrohr, s. Passageninstrument. 

Mittelpunktsgleichung, 62. 

Moesta, 335. 

Monat, 37. 

Mond, aschgraues Licht, 38. 

bahn, 36. 

bewegung, 182. 

Eigenthümlichkeiten der, 62. 

distanzen, Methode der, 311. 

knoten, Umlaufszeit, 61, 201. 

masse, 190, 202. . 

parallaxe, Bestimmung, 69. 

phasen, 37. 

Motus parallacticus, 324, 387. 

Motus peculiaris, 324, 386. 

Nadir, 23, 257. 

Näherungen bei Bahnbestimmung, 

219. 
Nativität, 18. 

Naturphilosophie des Aristoteles, 49. 
Nebel, 1, 380. 
Neigung der Bahnebenen, 149. 

der Instr.-Axen, 275. 

Neptun, Entdeckung, II, 246. 
Neptunmond, Illemente, 399. 
N^wcomb, 329, 399, 



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Register. 



405 



Newton, 12, 19, 176, 199, 203. 
Nicolaus von Cusa, 50, 93. 
Niveau, 268. 
Nonienkreis, 289. 
Nonius, 289. 
Nordenskiöld, 355. 
Normale, 170, 296. 
Nutation, 201, 318, 322. 

Objectiv, 271. 

Ocular, 272. 

Oerter, mittlere, 318, 322. 

scheinbare (apparente), 321, 322. 

wahre, 318. 

Olbers, 330, 340, 345, 368. 
Olufsen, 70. 
Opposition, 37. 
ürdinaten, 94. 
Origo, 94, 254. 
Osterfest, 46. 
Ostertermin, 46. 

Parabel, 205, 207, 211. 
Parallaxe, 65, 130, 327, 336. 

^jährliche, 333. 

WerthevonSternen,335,363,389. 

Parallaxen, hypotheliache, 365. 

Parallelogramm der Kräfte, 162. 

Parameter, 206. 

Partialsysteme von Sternen, 365. 

Passageninstrument, 57, 263, 273. 

Pendel, Schwingungszeit, 157, 174. 

Perigäum, 36. 

Perihelium, 146. 

Periode der Störungsglieder, 240. 

bei veränderlichen Sternen, 372. 

Perseiden, 354. 
Peters, C. A. F , 389. 
Peurbach, 123. 
Philolaos, 21, 45. 
Piazzi, 325, 339, 383. 
Picard, 334. 
Planeten, 40. 

Bahnen, 210, 330. 

Bahnelemente, 398. . 

• — Bestimmung der, 342. 

Durchmesser 398. 

scheinbare Bewegung, 41 . 

Umlaufszeiten, 41, 42, 86. 

wahre Bewegungen, 218. 

Planetentafeln, Alphonsinische, 121, 
Planetoiden, 339. 
Polarcoordinaten, 139, 254. 
Polargleichung, 140. 
Polarstern, 153. 
Poldistanz/ 258. 



Pole des Aequators, 153, 257. 
— - der Ekliptik, 40. 

der Sphäre, 25, 250. 

Polhöhe, Bestimmung, 287. 
Pons, 348, 400. 
Positionskreis, 315. 

Winkel, 315. 

Potenzen, 95. 
Powalky, 328. 
Präcession, 35, 153, 200, 318, 321, 

324. 
Primum mobile, 51. 
Princip der Flächen, 212. 
Problem der drei Körper, 222. 
P^ocyon-Begleiter, 11, 366. 
Prostaphäresis, 84. 
Ptolemäus, 84, 85, 108, 128. 
Pyramiden, Orientirung, 40. 
Pythagoras, 44. 

Quadratur des Kreises (Quadratura 

circuli), 92. 
Quadraturen, 38. 
Quinta essentia, des Aristoteles, 50. 

Radiationspunkt, 352. 
Kadiusvector, 140. 
Kectascension, 29, 259. 

absolute, 31, 54, 303.* 

Bestimmung der, 56, 263. 

Reclascensionsdiiferenzen , Bestim- 
mung, 278, 314. 
Refraction, astronomische, 295. 
Refractionsformel, 300. 
Regel des Meton, 46. 
Regiomontanus, 123. 
Registrirapparat, 287. 
Reihen, 98. 

Repsold, 317. ' . 

Resultante, 163. 

Ringmikrometer, s. Kreismikrometer. 
Römer, Olaus, 319, 334. 
Ros^n, 379. 
Rosenberger, 347. 
Rosse, 380. 
Rotationsaxen, 196. 
Rotationsbewegung, 196, 374. 
Rümker, 326. 
Run, s. Schraubenrevolution. 

Säcularstörungen der Elemente, 241. 
Saturnmonde, Elemente, 399. 
Sätze, geometrische, 168, 175. 

trigonometrische, 132. 

— '■— der sphärischen Trigonometrie 
394. 



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406 



IWk^^^i^* 



Schiapairdli, 352. 

Schiefe der EklipUk,. ^7,1 153, 200, 

268, 305. 
Schjellerupv 326. 
Schraubenrevolution, 201. 
Schwerd, 326. 
Schwere (alhemeioej, 3, 8, 19, 163, 

173, 181. 
Schwerpunkt, 193. 

' Be^egutig'des, 194, 209. 

des Planetensystems, 194, 210. 

Secante, 89. 

Sector, elliptiAther^ 143. . 

Seidel;'367. 

Sextant, Hadley'sobcr, 28. 

Sinus, 89. 

Sinuslinie; 96. 

Sirius, 44, 366, 390; 408. 

Sirius-Begleiter, 11, 366. 

Smith, Piazzi, 39. 

Snyilius; 297. 

Solarnutation, 322. 

Sonne, Bewegung, 55. 

—iiA Raum, 386. ' 

Sonnenfinsterniss, Beobachtung« der 

ältesten, 32. 

von Thales', 44. 

Sonnenparalla^e, Bestimmung, 71. 

Grösse, '244, 328. 

Sonnentag, 58. 

wahrer und mittlerer; 59. 

Sonnenuhr, 33. 
Sonnenweite, 334. 
Sonnenzeit, mittlere, 306. 

wahre, 305. 

Sopt, Soth, Seth, 39, 408. 

Sothisperiode, 39, 408. 

South, 357. 

Speetralanalyse, Ergebnisse < der, 

374, 380. 
Sphären des Aristoteles ,51. 

der Griechen, 108. 

Sphärenharmonie, \1\ 45, 159. 
Stellarastronomie, 251, 371. • 
Sternaichungen, 371. 
Sternbilder, 42, 43, 44. 

des Thierkreises, 43. 

Sterne, Anzahl, 367, 370, 378. 

dreifache, 365. 

' ^'Enttemuftgen, 339, 377. 

HelKgköit,'337', 367«; 368,-370. 

nfeue 374. 

parailläctisöhef Bewegungen, 387. 

— ^--* Bcheinbare * Bewegungen, 381. 
'— — veränderliche, 372, 



Sterne, < Vettheilong im Kaum^ 337, 

369. 375, '391. 
Sternfülle, 371, 375. 
Sterngrössen, 337. 
Sternhaufen, 380, 391. 
Sternkarten, 340. 
Sternschnuppen, Bahnen, 2J2. 

Geschwindigkeit, 354. 

Sternschnuppenschw&rme, 351. 
Sternsysteme, 380, 390. 
Sterntag, 58, 60. 
Sternverzeichni'Bse; 128. 
Stemweite, 334. 

Sternzählungen, s. Sternaichungen. 
Sternzeit, 29, 56, 262, 305. 
Störungen, 224. 

absolute und relative, 230. 

der Coordinaten, "223. 

der Elemente, 223. 

der Länge und des ' Radius- 

vectors, 238. 

erster Ordöung; 221. 

Strahlenbr^hung, sUEefraotion. 
Struve, Otto, 357,'361,»3»2,'366, ^8. 
' Wilh., ^3, - 335, 834, 357, 

369, 375,' 383, 388, 091. 
Stunde, 30. 

Stundenaxe, beim Aequato9eal,t3>13. 
Stundenkraas, -iMim Aequatoreal ,313. 
Stunden^winkel, 29> 66, 258. 
Syzygien; 38. 

Tag, 33. 
Tangente, 89. 
Tangente einer Curve, 166. 
Tangentialkraft, 171. 
Telegraph, elektrischer, 307. 
Thaies, 44. 

Th eilung der Instrumente, 291. 
Thierkreis, s. Zodiakus. 
Tide, 8. Hafenzeit. 
Titius'sche Reihe, 246. 
Trägheit, 158, 160. 
Trägheitsgesetz, 157, 161. 
Traj'ectorie, 165. 
TscWKong, 32. • 
TygeBrahe(Tycho), 53, 127,334, 345, 
374. 

Uhr, 56, 158. 

Verbindung mit; elektromagn. 

Apparaten, 279/287. 
Uhrgang, 277, 279. 
Ulugh Beigh, 128. 



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Register. 



407 



Umlaufszeit des Mondes, anomali- 
stische, 37. 

draconitische, 37. 

siderische, 35. . 

synodische, äl, 38v85j 

tropische, 35: 

Umlaufszeit der Sonne, s. Jahr. 
Ungleichheit, parallactische, 65, 222. 
Uranienborg, 127. 
Uranus, Entdeckung, 347. 
Uranusmond^^ Elemente, 399. 

Variation, 63, 
YiencrsYoraibiergäiig«) 328* 
Verniisr, s*. NonijiWA 
Vertikalkreiae, s. H^enkreise. 

Instrument, 294. 

Visionsradius, 358. 

Waage, Sternbild, 43. 

A¥ahrscheinlichkeitsrechnung . An- 
wendung auf Beobachtungen, 281 , 
3S4. 

Wasserwage, s. Niveau. 



Weltsystem, des Aristoteles, 51, 

des Copemicus, 124, 176, 333. 

des Kepler, 176. 

des Ptcjl^maeu^ 108. 

— rr de^Tyge.Br»h6». 126. 

Weltsysteme, 7, 48. 

Whewell. 49, 177. 

Widerstand im Weltraum, 12, 34S. 

Winkel, geodätischer, 298. 

W inkelgesch windigkeit, 144. 

Win«ecke, 328, 349.- 

Wrigh^t, 39a. 

Zahl 77, 9X 
Zeit, mittlere, 59. 
ZeitgkichuRg,- 6(lk. 
Z^tfetih^ungf s. Ohronologie. 
Zenw^idwi, s..P,lanetpi4?,n, 
%nith, 2ß, 257.. 
Zönithdistanz, 258. 
Zodiakus, 40. 
Zöllner, 372. 
Zonenbeobachtungpn, 326, 375. 



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Berichtigungen und Nachträge. 



pag. Zeile sUtt : lies: 

11 1 2 T. u. in deji Mittelpunkten im Mittelpunkte 

39 Der nrjiprüngliche Name des »Gestirns der Isis« oder des Sirius 
bei den Aegyptern war S o p t , woraus die Griechen Sothis machten. 
Das ägyptische Jahr hatte in der ältesten Zeit 12 Monate zu 
30 Tagen, denen später 5 Ergänzungstage (Epagomenentage) zu- 
gefügt wurden. Die Einführung der Sothisperiode ist übrigens 
nach neueren Untersuchungen wahrscheinlich bis auf die vorhisto- 
rische Zeit (vor 4500 v. Chr.) zurück zu datiren. ^Vgl. hierüber 
Maspero's Geschichte der morgenländischen Völker im Alter- 
tum, deutsch von Pietschmann, Leipzig 1877, p. 76.] 



67 

81 

l!iO 

150 

201 

213 

233 

335 
347 
363 
363 
3S9 



1 v. u. 

2 V. u. 

8 v. u. 

9 V. u. 
15 V. u. 

5 V. u. 
13 V. o. 



Art. Astr. 
aber 
SinX 
Cos X 
Cotang 9 
4 7rg« 3 
2' 2 2 



12 v.u. 
3 V. u. 
11 V. u. 
22 V. u. 
Der Werth P 
s 
MS 
fernung M >ergl. p 



-Cosf/H-^) 
a 

No. 7415 

21. März 

1 Coronae 

1 Cassiopeiae 



Art. Aristoteles 
also 
Sin/ 
Cos / 

Cotang 20 
47r2«3 

J2,.2 

^Cos{/+^) 
a 

No. 17415. 

13. März 

i\ Coronae 

7] Cassiopeiae 



P = 



0'.'085 wurde vom Verfasser unter der Annahme 

P abgeleitet, wo p die Parallaxe für die mittlere Ent- 

339). 




Druck von Breiikopf und Härtel in Leipzig. 



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