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Full text of "Die Kalkschwämme. Eine Monographie .."

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DIE 
FALKSCHWA NE 


EINE MONOGRAPHIE 


IN ZWEI BÄNDEN TEXT UND EINEM ATLAS MIT 60 TAFELN ABBILDUNGEN 


VON 


ERNST HAECKEL 


ERSTER BAND 


(GENERELLER THEIL). 


BIOLOGIE DER KALKSCHWÄMME. 


BERLIN. 
VERLAG VON GEORG REIMER. 
1872. 


BIOLOGIE 


DER 


KALKSCHWÄNMNME 


(CALCISPONGIEN ODER GRANTIEN) 


VON 


ERNST HAECKEL 


DOCTOR DER PHILOSOPHIE UND MEDICIN, ORDENTLICHEM PROFESSOR DER ZOOLOGIE 
UND DIRECTOR DES ZOOLOGISCHEN INSTITUTS UND DES ZOOLOGISCHEN MUSEUMS 
AN DER UNIVERSITÄT JENA. 


BERLIN. 
VERLAG VON GEORG REIMER. 
1872. 


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Geschichte der generellen (morphologischen und physiologischen) Untersuchungen 


Inhaltsverzeichniss 


des ersten Bandes. 


Biologie der Kalkschwämme. 


Erster Abschnitt. 


Einleitung in die Biologie der Kalkschwämme. 


Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


über Kalkschwämme } A 
Aelteste le nohungen über Kalksehtrkiime 


Geschichte und Kritik der speciellen (systematischen) Fonkeeteeknu gen über Kalk- 


von 
von 
von 
von 
von 
von 
von 
von 
von 


Robert Grant 
George Johnston 
Bowerbank 
Lieberkühn . 
Oscar Schmidt . 
Köllıker 
James-Clark . 
Miklucho-Maelay 
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Eigene Untersuchungen des Verfassers . 


Die Species Br Oklnpbgtan. o 


Tabelle zur Reduction der Genera und Aedies di Vebaronger u ‚ie 


definitiven Bezeichnungen des natürlichen Systems . 
Die Genera der Caleispongien . 


15 
2. Untersuchungen 
3. Untersuchungen 
4. Untersuchungen 
5. Untersuchungen 
6. Untersuchungen 
7. Untersuchungen 
8. Untersuchungen 
9. Untersuchungen 
10. Untersuchungen 
als 
schwämme 
T. 
2. 
3. 
4. 


Reduction der Genera des Prodromus auf die Balken EN Knete 


Systems 


Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 
I. Methode der philosophischen Untersuchung 


"I. Methode der empirischen Untersuchung 


Seite 


61 


63 
68 


VI Inhaltsverzeichniss des ersten Bandes. 


III. Methode der systematischen Classification : 
1. Methode der natürlichen und künstlichen Casakatidn : 
2. Die Stammform der Kalkschwämme (Olynthus) 
3. Die Zweigformen der Kalkschwämme AR 
4. Classifications-Methode des natürlichen Systems 
5. Classifications-Methode des künstlichen Systems 
6. Tabellarische Uebersicht des natürlichen Systems der Kallledtärikme «) 
7. Tabellarische Uebersicht des künstlichen Systems der Kalkschwämme 


BO. . 2 RUE TR Dal 202 ee 


Zweiter Abschnitt. 
Morphologie der Kalkschwämme. 


Drittes Kapitel. Anatomie. 


I. Generelle Anatomie. : 

1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie . or 
Verschiedene Auffassungen des en 
Morphologische Individualität der Spongien . 

Stufenfolge der organischen Individualitäten . 
Individualität der Plastiden 
Individualität der Idorgane . 
Individualität der Personen 
Individualität der Cormen 
Physiologische Individualität der dbonsien 
Die Spongien als actuelle Bionten 
Die Spongien als virtuelle Bionten 
Die Spongien als partielle Bionten 

2. Grundformen-Lehre oder Promorphologie 
1. Grundformen der Plastiden 
2. Grundformen der Idorgane 
3. Grundformen der Personen 
4. Grundformen der Stöcke 

Il. Speeielle Anatomie . 
1. Histologie 
A. Die Gewebe des Eutodermne EN ne Gasteel. Blattes . 

a. Die Geisselzellen . - 
Structur der Geisselzellen . - & 
Formzustände und Lagerung der Geiseclaellen - 

b. Die Spermazellen . 
Structur und Formwerth der Spermskellen 
Ursprung und Lagerung der Spermazellen c 

c. Die Eizellen . . FRI OFTEN: 
Structur der isellen, RR 
Ursprung und Lagerung der Eizellen £ 


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Inhaltsverzeichniss des ersten Bandes. 


B. Die Gewebe des Exoderms oder des Dermal-Blattes . 
a. Das Syneytium Bere 
Die Kerne des Syneytium . 
Die Sareodine des Syneytium . 
Die Granula des Syncytium 
Die Spieula-Scheiden 
b. Die Spicula oder Nadeln des Kalk-Skelets 
Zusammensetzung des Skelets aus Kalknadeln 
Elementare Structur der Spicula .. o > 
Chemische und physikalische Beschaffenheit der Spieula ä 
Hauptformen und Nebenformen der Spicula . 
I. Dreistrahler (Trisceles) . 
Specielle Formen der Dreistrahler 
1. Regwäre Dreistrahler (Trisceles eguläres)" 
2. Sagittale Dreistrahler (Trrsceles sagittales) 
3. Irreguläre Dreistrahler (Trisceles irregulares) 
II. Vierstrahler (Terrasceles) 
Formen der Vierstrahler 
. Reguläre Vierstrahler (Terrasceles Terre) 
2. Sagittale Vierstrahler (Terrasceles sagittales) 
3. Irreguläre Vierstrahler (Tetrasceles irregulares) 
Gestalt der Schenkel bei den Drei- und Vierstrahlern 
III. Stabnadeln (Monosceles) . 
1. Gleichpolige Stabnadeln ÜMindreeies ndblopolke) 
A. Strieknadeln (Monosceles bacillosae) 
B. Spindelförmige Stabnadeln (Mon. Baesförines) 
C. Pfriemenförmige Stabn. (Mon. subuliformes) 
2. Ungleichpolige Stabnadeln (Mon. diplopolae) 
. Keulenförmige Stabnadeln (Mon. elavatae) . 
. Kolbenförmige Stabnadeln (Mon. rhopalotae) 
. Griffelförmige Stabnadeln (Mon. stiliformes) 
Lanzenförmige Stabnadeln (Mon. hastiformes) 
Nähnadelförmige Stabnadeln (Mor. perforatae) 
Eigenthümliche Formen von Stabnadeln 
Grössen-Verhältnisse der Spieula 


Hesbaub 


2. Organologie . ge 
A. Das Canal-System . ph: sr ER TE TE 
a. Das Gastrocanal-System eo es: Salem 
Das Gastrocanal-System der Larven r 
Die drei Hauptformen des Gastrocanal- Kykiens A 
1. Gastrocanal-System der Asconen . : 
Die Loch-Canäle oder Poral-Tuben der Akon 
2. Gastrocanal-System der Leuconen b 
Die Ast-Canäle oder Ramal-Tuben der eicchen 
A. Der baumförmige Typus der Ast-Canäle 
B. Der netzförmige Typus der Ast-Canäle . 


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VIII Inhaltsverzeichniss des ersten Bandes. 


C. Der traubenförmige Typus der Ast-Canäle 
D. Der blasenförmige Typus der Ast-Canäle 
3. Gastrocanal-System der Syconen . 6 
Die Strahl-Canäle oder Radial-Tuben abe Byacnen 
Die Magenhöhle (Gaster) 
Magen-Verlust oder Lipogastrie 
Die Gastral-Poren und Gastral-Ostien 
Die Dermal-Poren und Dermal-Ostien 
Die Mundöffnung (Osculum) 5 
Die Mundhaut (Membrana oscularis) 
Mundverlust oder Lipostomie . 
Gastrocanal-System der Cormen . I 
b. Das Intercanal-System oder Intervascular-System . 
1. Das Intercanal-System der Asconen s 
Die Pseudocanäle oder Intercanäle der Asonyen 
Pseudoporen und Pseudodermal-Östien . 
Pseudogaster oder Scheinmagen . 
Pseudostoma oder Scheinmund 
2. Das Intercanal-System der Leuconen . 
Die Intercanäle der Leuconen 
3. Das Intercanal-System der Syconen 
Die Intercanäle der Syconen . ! er: 
Einströmungs-Canäle und Ausströmungs- -Canäle 1 Bnonkien 
B. Das Skelet-System . Kuala ER, 
Combinationen der verschiedenen Nadelormen . 
Gesetzmässige Anordnung der Nadeln . 
a. Das Skelet-System der Asconen . ur 
Anordnung der Spicula im Skelet der Asoenen B 
b. Das Skelet-System der Leuconen 
Dermal-Skelet der Leuconen . 
Parenchym-Skelet der Leuconen . 
Gastral-Skelet der Leuconen 
c. Das Skelet-System der Syconen . 
Dermal-Skelet der Syconen an 
Tubar-Skelet der Syconen . . . ...*. 
Gastral-Skelet der Syconen 5 
Peristom-Skelet der Kalkschwämme . 


Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


I. Ontogenie oder Keimesgeschichte 
Eifurchung und Morula . 
Planula oder Flimmerlarve . 
Gastrula und Planogastrula 
Ascula und Protascus 
Protospongia und Prololnaihaa &, As Dr 
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Inhaltsverzeiehniss des ersten Bandes. 


II. Phylogenie oder Stammesgeschichte 

Phylogenie des Olynthus SARA IE 

Phylogenie der drei Familien des nattirlichen Systems 

Phylogenie der Genus-Formen des natürlichen Systems 

Phylogenie der Species-Formen des natürlichen Systems . 

Phylogenie der Formen des künstlichen ‚Systems Bo B 

Hypothetische Stammtafel über die Descendenz der Bpodien jdbe natürlichen 
Systems £ 3 h ST 

Stammbaum der ee nen ee naktirlaker: Spsterus a 

Stammbaum der Genus-Formen des künstlichen Systems . 


Dritter Abschnitt. 
Physiologie der Kalkschwämme. 


Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


I. Physiologie der vegetativen Funetionen . 
1. Trophologie (Physiologie der Ernährung) . 
Wasserströmung : art: 
Richtung und Weg der Nskreisckannk 
Geschwindigkeit und Dauer der Wasserströmung 
Nahrungsaufnahme und Verdauung . 
Respiration . N A RAEE ER: 
Secretion und en Biokrystallisation 
Pigmentbildung und Färbung . 
Anpassung 
Anpassung der Individualität 
Anpassung der Cormus-Form 
Anpassung der Person-Form 
Anpassung der Idorgan-Form . 
Anpassung der Plastiden-Form 
Wachsthum . : } 
Anorganisches Wecheihum, des Skelets - 
Organisches Wachsthum des Weichkörpers 
Verwachsung oder Concrescenz 
2. Gonologie (Physiologie der Kornflansong) 
Sexuelle Fortpflanzung. Befruchtung 
Gemmulabildung 
Vererbung ı 
II. Physiologie der animalen Kdelianen 
1. Mechanik (Physiologie der Bewegungen) . 
A. Automatische Bewegungen 
Geisselbewegung . Hiotknsnte Sud air ie 
Uebergang der Geisselbewegung in amoeboide Beregung 
AopBoide, Baweptnp see ers nee ee een 


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402 
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L. 


IL. 


Siebentes Kapitel. 


Die 


Achtes Kapitel. 


Inhaltsverzeichniss des ersten Bandes. 


B. Neuromusculäre Bewegungen . c 
Totale Contractionen des rnoytium. 
Partielle Contraetionen des Syneytium. . » 2. 2 2 2.0. 
2. Psychologie (Physiologie der Vorstellungen) . 


Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


Chorologie (Physiologie der Verbreitung) . 
1. Topographische Verbreitung TA:UR: 

Bathygraphische Verbreitung . 

Geographische Verbreitung z 

Chorologische Tabelle über die geographische, Narbreiinng der Ab 
spongien-Species - 

5. Kosmopolitische und narticaläre Bhaciek 

6. Caleispongien-Fauna des atlantischen Reiches 

7. Caleispongien-Fauna des pacifischen Reiches 

8. Caleispongien-Fauna des indischen Reiches 

9. Uebersicht einzelner Faunen . 

10. Generelle chorologische Resultate : 

11. Chorologische Tabelle über die hehe) Vorne der) Calci 

spongien-Genera 


PVecologie (Physiologie des Baushalte) 


» oo 


Vierter Abschnitt. 
Philosophie der Kalkschwämme. 


Stammform der Spongien 

Spongien und die Protozoen 

Spongien und die Acalephen > 

Stamm der. Pflanzenthiere (Zoophyten ode Coelenteraten) 
Keimblätter-Theorie und der Stammbaum des Thierreiches 
Leibeshöhle und die Darmhöhle der Thiere . 
Ursprung des Mesoderms und der Geschlechts-Organe 
biogenetische Grundgesetz . 


Prineipien der Classification . 


Begriff und Descendenz der Species u : BE 
Generische und specifische, connexive und idsitorische Varietäten 
Polymorphose und Polymorphismus 


Ursachen der Formbildung .-. ea Far 


Die 


Kalkschwämme und der VE 


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449 


Die Stellung der Kalkschwämme im Thierreiche. 


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Die Kalkschwämme und die Descendenz-Theorie. 


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Vorwort. 


Die Veranlassung zu der vorliegenden Monographie der Kalkschwämme gab mir 
vor fünf Jahren der Wunsch, die Wahrheit der Descendenz-Theorie auf einem 
Wege zu beweisen, der bisher noch nicht betreten, wohl aber von vielen Seiten als der 
sicherste Weg zu ihrer Begründung gerühmt worden ist. Dieser Weg ist die umfassende 
und möglichst vollständige monographische Bearbeitung einer kleineren Organismen- 
Gruppe, verbunden mit dem speciellen Nachweise des genealogischen Zusammenhanges 
aller darin enthaltenen, als Species, Genera ete. unterschiedenen Formen: mit einem 
Worte: Der analytische Beweis von der gemeinsamen Descendenz aller 
Species einer einheitlichen Gruppe. 

Man kann diesen Weg der Beweisführung als die „analytische Lösung des 
Problems von der Entstehung der Arten“ bezeichnen, im Gegensatz zu der 
synthetischen Lösung, wie sie schon 1809 von LAamArck in seiner bewunderungs- 
würdigen „Philosophie zoologique“ versucht, und dann ein halbes Jahrhundert später 
mit dem glänzendsten Erfolge von CHartes Darwın in seinem epochemachenden Werke 
„On the Origin of Species“ ausgeführt worden ist. Dieser synthetische Weg führt zur 
Ueberzeugung von der Wahrheit der Descendenz-Theorie durch die vergleichende Be- 
trachtung der grossen biologischen Erscheinungsgebiete, welche uns in der vergleichen- 
den Anatomie und Ontogenie der Organismen, in der Paläontologie und Systematik, in 
der Chorologie und Oecologie entgegentreten. Den überzeugenden Beweisgründen, welche 
uns diese Erseheinungs-Gebiete sowohl einzeln für sich, als auch besonders in ihrem 
harmonischen Zusammenhange liefern, hat Darwın noch die neue und geniale Selec- 
tions-Theorie hinzugefügt. Ebenso überzeugend hat CArL GEGENBAUR in seinen clas- 
sischen „Grundzügen der vergleichenden Anatomie“ (II. Auflage, 1870), sowie 
in seinen mustergültigen „Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere“ 
(1864— 1872) dargethan, dass die Erscheinungen der vergleichenden Anatomie nur mit 
Hülfe der Descendenz-Theorie eines wahren Verständnisses und einer natürlichen Erklä- 
rung fähig sind. Endlich habe ich selbst versucht, in meiner „generellen Morphologie 
der Organismen“ (1866) die Wahrheit der Descendenz-Theorie durch ihre consequente 
Anwendung auf das gesammte Gebiet der organischen Formen-Wissenschaft synthetisch 
zu beweisen und der letzteren dadurch zugleich ein mechanisch-causales Fundament zu 
geben. Die wichtigsten Prineipien dieses synthetischen Beweises habe ich in meiner 
populären „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ (1868; III. Aufl. 1872) einem grösseren 
Leserkreise zugänglich gemacht, 


XI Vorwort. 


Ich gestehe offen, dass dieser synthetische Beweis für die Wahrheit der Ab- 
stammungslehre, der durch die generelle, vergleichende, philosophische Betrachtung all- 
gemeiner Erscheinungsreihen geliefert wird, in meinen Augen unendlich schwerer wiegt, 
als jeder analytische Beweis, wie immer derselbe geartet sein mag. Allein die Er- 
fahrung hat gezeigt, dass die grosse Mehrzahl der heutigen Naturforscher anders denkt. 
Noch heute sind die Meisten (und darunter berühmte Biologen ersten Ranges) der An- 
sicht, dass durch Darwın das Problem von der Entstehung der Arten nur neu wieder 
aufgestellt, aber nicht gelöst worden sei. Man verlangt nach neuen und sicheren „Be- 
weisen“ dafür, und zwar nach analytischen Beweisen. Nun gut, dieser „analytische 
Beweis“ wird hier in der Monographie der Kalkschwämme in dem Sinne, wie Viele von 
Jenen wünschen, versucht, und wie ich hoffe auch überzeugend durchgeführt. Es wird 
hier zum ersten Male der Versuch gemacht, die ‚‚dona species‘‘ bis in die letzten und 
dunkelsten Schlupfwinkel der dogmatischen Systematik zu verfolgen, sie bei nacktem 
Leibe zu fassen, und durch ihr Hervorziehen an das kritische Tageslicht zu zeigen, dass 
sie ursprünglich immer eine ‚‚mala species‘‘ ist. Jeder denkende und aufrichtige 
Systematiker, der sich das natürliche und das künstliche System im zweiten Bande die- 
ser Monographie angeeignet hat, wird zugeben, dass es wahre „Species“ in dem dog- 
matischen Sinne der Schule überhaupt hier nicht giebt. Man weise mir unter denjeni- 
gen Caleispongien-Arten, von denen zahlreiche Individuen-Massen untersucht 
worden sind, irgend eine bona species im Sinne der Schule nach, und ich gebe die 
ganze Descendenz-Theorie Preis. 

Als einen sehr glücklichen Zufall muss ich es anerkennen, dass ich gerade 
zu der Zeit, als ich den Plan zu einer solchen analytischen Behandlung des Species- 
Problems entwarf, mit derjenigen Thiergruppe näher bekannt wurde, die sich in ganz 
vorzüglichem Maasse für eine solche Behandlung eignete, Die Spongien verdienen 
wegen ihrer einfachen Organisation, ihrer ausserordentlichen Form-Flüssigkeit, ihrer un- 
gewöhnlichen Variabilität und Polymorphose für jenen Zweck den Vorzug vor den mei- 
sten, ja, wie ich glaube, vor allen anderen Thieren. Die „bona Species“ erscheint hier 
in einem völlig anderen Lichte als in dem gewohnten. Unter den verschiedenen Spon- 
gien aber sind wiederum die Kalkschwämme diejenigen, welche in dieser Beziehung 
bei weitem die lehrreichsten Erscheinungen darbieten, schon desshalb, weil zu ihnen die 
einfachsten und ursprünglichsten Formen der Klasse gehören, die Aseonen; an ihrer 
Spitze der höchst wichtige Olynthus, der den Schlüssel für das Verständniss der gan- 
zen Spongien-Classe in ähnlicher Weise giebt, wie der Nauplius für die Crustaceen-Classe. 

Nun war es ein höchst glückliches Zusammentreffen, dass ich die erste nähere Be- 
kanntschaft der Kalkschwämme, und zwar dieser Asconen, gerade in jener Zeit machte, 
als ich nach Abschluss der „generellen Morphologie“ das Bedürfniss fühlte, die dort be- 
gründete allgemeine Auffassung der organischen Formverhältnisse an einem speciellen 
Objecte zu prüfen, und die dort versuchte synthetische Lösung des Species-Problems 
durch eine analytische Monographie einer Species-Gruppe zu ergänzen. Es war im 
Februar 1867, als ich während meines Aufenthaltes auf der canarischen Insel Lanzerote 
in der merkwürdigen 4scetla blanca einen Kalkschwamm kennen lernte, der sowohl durch 
die primordiale Einfachheit seiner Organisation, wie durch die wunderbare Mannichfal- 
tigkeit seiner Individualität und äusseren Körperform mein lebhaftestes Interesse auf 
diese wenig bekannte Thiergruppe lenkte. Als ich dann hierdurch angeregt tiefer in 


Vorwort. XIT 


ihre Morphologie eindrang, überzeugte ich mich bald, dass dieselbe in ganz ungewöhn- 
lichem Maasse den Bedingungen entspreche, deren Erfüllung für jene beabsichtigte ana- 
lytische Behandlung des Species-Problems erforderlich schien. Unter diesen Bedingungen 
schienen mir namentlich folgende vier erfüllt werden zu müssen, und durch die Kalk- 
schwämme wirklich erfüllt zu werden. 

Die erste Bedingung für eine erfolgreiche Durchführung der Aufgabe musste rela- 
tive Einfachheit der Organisations-Verhältnisse sein. Offenbar wird 
bei allen höheren Thierstämmen, bei den Vertebraten, Mollusken, Arthropoden, Echino- 
dermen und den meisten Würmern ein solcher Versuch schon durch die organologischen 
Complicationen ausserordentlich erschwert. Alle diese Thiere besitzen eine wahre Leibes- 
höhle, ein echtes Coelom, und ein damit zusammenhängendes Blutgefäss-System, ferner 
meistens mannichfach gestaltete Drüsen, Respirations-Organe, besondere Geschlechts-Or- 
gane etc. Alle diese differenzirten Organe fehlen dem Stamme der Zoophyten oder 
Coelenteraten, bei denen das einzige Höhlen-System des Körpers durch die Darmhöhle 
und ihre unmittelbaren Ausläufer dargestellt wird. Unter den Zoophyten aber verdienen 
wieder die Spongien den Vorzug vor den Acalephen, weil bei den Schwämmen bloss 
die beiden ursprünglichen Keimblätter (Entoderm und Exoderm) die Wand der 
Darmhöhle zusammensetzen, während bei den Nesselthieren sich bereits zwischen beiden 
das dritte (mittlere) Keimblatt, das Mesoderm mit seinen mannichfaltigen Producten 
entwickelt. Auch fehlen den ersteren die Extremitäten (Tentakeln), die sich bei den 
letzteren so mannichfach ausbilden. Anderseits verdienen die Spongien den Vorzug vor 
den noch einfacher organisirten Protozoen, weil diese letzteren sich noch nicht zu dem 
äusserst wichtigen Entwickelungszustande der Gastrula erhoben haben, welchen die 
Spongien mit allen höheren Thieren theilen. 

Als zweite Bedingung für die analytische Behandlung des Species-Problems muss 
die überwiegende Bedeutung der morphologischen und das Zurück- 
treten der physiologischen Verhältnisse bezeichnet werden. Je weniger 
sich eine Organismen-Gruppe durch vielfache Anpassung extensiv differenzirt hat, 
je weniger sie also physiologisches Interesse darbietet, desto höher ist ihre mor- 
phologische Bedeutung, desto mehr dürfen wir hoffen, den genealogischen Zusammen- 
hang der Formen durch den Nachweis der Vererbung zu erkennen. Dieser Bedingung 
genügen die Spongien mehr, als alle höheren Thiere, und sie bilden in dieser Beziehung 
innerhalb der Zoophyten-Gruppe den äussersten Gegensatz zu den Siphonophoren mit 
ihrer vorgeschrittenen Arbeitstheilung. Wer das Interesse der Thiere nach den physio- 
logischen Curiositäten (Parasitismus etc.) beurtheilt, die sie bieten (wie z. B. LEuckArr), 
der wird die Spongien für höchst langweilige Thiere erklären; wer hingegen von mor- 
phologischem Standpunkte aus die geheimnissyolle Umbildung der organischen Formen 
Schritt für Schritt verfolgen will, der wird hier durch die tiefsten Einblicke in dieses 
wahre „Wunder der Schöpfung“ belohnt werden. 

Eine dritte Bedingung ist, dass die betreffende Organismen-Gruppe sich durch rela- 
tiv starke Flüssigkeit und Biegsamkeit der organischen Form, durch 
weite Variabilität auszeichne. Diese erfüllen die Spongien im höchsten Maasse. Schon 
Oscar Scuuipr, der den weitesten Ueberblick über das formenreiche Gebiet der Spongien- 
Classe besitzt, hat bemerkt, dass sie in dieser Beziehung ‚Alles bisher Dagewesene über- 
steigen“. Die Kalkschwämme überbieten aber gerade hierin, und besonders durch ihre 


XIV Vorwort. 


unglaubliche Polymorphose und Metrocormie alle übrigen Spongien. Insbesondere das 
characteristische Detail der äusseren Körperform, welches bei allen höheren Thieren in 
erster Linie zur Species-Unterscheidung dient, ist bei den Kalkschwämmen für diesen 
praktischen Zweck völlig werthlos.. Aber auch die wichtigsten inneren Form-Verhält- 
nisse sind im höchsten Maasse der Variabilität unterworfen. 

Eine vierte Bedingung für das Gelingen unserer Aufgabe ist, im Gegensatze zu den 
eben erwähnten drei Bedingungen, rein äusserlicher Natur, und betrifft die möglichste 
Vollständigkeit und Reichhaltigkeit des systematischen Untersuchungs- 
Materials. Will man wirklich das Speeies-Problem in der hier versuchten Weise an- 
greifen, so muss erstens die Species-Zahl der gewählten Gruppe möglichst vollständig 
zugänglich sein, und zweitens müssen wenigstens von einzelnen Species sehr zahl- 
reiche Individuen untersucht und verglichen werden können. Dieser Bedingung 
scheinen die Kalkschwämme zunächst sehr wenig zu entsprechen. Denn wenn schon im 
Allgemeinen die Spongien nicht zu den Lieblingen der sammelnden Museums-Zoologie 
gehören und daher in den meisten Sammlungen im Verhältnisse zu ihrer noch lebenden 
Arten-Zahl sehr schwach vertreten sind, so gilt dies ganz besonders von den Kalkschwäm- 
men. Die meisten Caleispongien sind viel unahnsehnlicher und kleiner, zarter und zer- 
brechlicher als die Mehrzahl der übrigen Spongien. Ausserdem sind sie an allen Mee- 
res-Küsten viel seltener als die letzteren, und an manchen ausgedehnten Küstenstrichen, 
an denen Kieselschwämme eben nicht selten sind, scheinen Kalkschwämme ganz zu fehlen. 
Als ich daher vor fünf Jahren bei Beginn meiner Untersuchungen die Dürftigkeit des 
damals zugänglichen Materials und die geringe Zahl der bekannten Species kennen lernte, 
durfte ich kaum hoffen, genügende Mengen von Arten und Individuen zur Untersuchung 
zu erhalten. Indessen beschloss ich doch wenigstens den Versuch zu wagen, nachdem 
ich mich einmal von der vorzüglichen Bedeutung der Kalkschwämme für das Species- 
Problem überzeugt hatte. Ich richtete daher brieflich an alle Fachgenossen, in deren 
Besitze ich Kalkschwämme vermuthen .und von- denen ich Bereitwilligkeit zur Unter- 
stützung meines Unternehmens erwarten konnte, die Bitte, mich durch Zusendung von 
Material zu unterstützen. Das Ergebniss dieses Versuches überstieg bei Weitem meine 
Hoffnungen, und ich brachte in Folge der nachstehend verzeichneten gütigen Zusendungen 
eine Sammlung von Caleispongien zu Stande, welche weit reichhaltiger und vollständiger 
war, als ich früher jemals erwarten durfte. Alle bisher beschriebenen Arten waren da- 
rin vertreten. Diese sind sämmtlich nebst den neuen Species im System des zweiten 
Bandes möglichst genau beschrieben und im Atlas des dritten Bandes dureh Abbildungen 
ihrer characteristischen Skelettheile illustrirt; letztere habe ich selbst auf das Sorgfältigste 
mit Hülfe der Camera lucida gezeichnet. 

Das Ergebniss dieser systematischen Arbeit zeigte, dass die bis dahin beschriebene 
Arten-Zahl nur einen ganz kleinen Bruchtheil der Gruppe bildete. Unter den hundert 
und elf Arten des natürlichen Systems, welche sich auf Grund jener Zusendungen und 
des mir selbst angehörigen Materials unterscheiden liessen, habe ich zwei Drittel (74 Spe- 
cies) als neu, ein Drittel (37 Arten) als bekannt aufgeführt; in Wahrheit aber ist die 
Anzahl der neuen Arten noch grösser, da ich mehrere Bezeichnungen der älteren Lite- 
ratur (z. B. Ascandra complicata, Leucandra ananas, Sycandra coronata ete.) für Species 
verwendet habe, die bisher entweder noch gar nicht oder doch nicht hinreichend kennt- 
lich und genau beschrieben waren. 


Vorwort. XV 


Den nachstehend verzeichneten Herren, welche die Güte hatten, meine Bitte zu 
erfüllen, spreche ich hiermit für ihre freundlichen Zusendungen meinen verbindlichsten 
Dank aus: 

Acassız (ALExAnDer): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Cambridge. 
Arınan (Prof.): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Edinburgh. 
BarBoza vu BocaszE (Prof.): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Lissabon. 
Bessers (Dr. Emm): Die Kalkschwämme seiner Privat-Sammlung. 

BrLeEX (Dr. Wırnerm): Eine Sammlung von Kalkschwämmen von Südafriea. 

Borau (Dr. HemeiıcH): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Hamburg. 
Crararboe (Prof. Enovarn): Die Kalkschwämme seiner Privat-Sammlung. 

Enters (Prof. Erssr): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Erlangen. 
EscHuwark (Prof.): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Christiania. _ 
Fissc# (Dr. in Bremen): Die Kalkschwämme der II. deutschen Nordpol-Expedition. 
FrAUENFELD (Ritter Geore von): Die Kalkschwämme des Hofnaturaliencabinets in Wien. 
GILDEMEISTER (Epvarn, in Bremen): Eine Sammlung von Kalkschwämmen von Japan. 
Harrervmann (Capitain, in Bremen): Einige Kalkschwämme aus dem Pacifischen Ocean. 
Herrer (Prof. Camil): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Innsbruck. 
Koc# (Dr. Gorruızg von): Die Kalkschwämme seiner Privat-Sammlung. 

Koren (Dr. in Bergen): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Bergen. 
LacazE-Dururers (Prof.): Eine Sammlung von Kalkschwämmen von der Normandie. 
LiEBERKüHn (Prof. N.): Die Kalkschwämme des anatomischen Museums in Marburg. 
Mr&yre (in Paris): Eine Sammlung von Kalkschwämmen von der französischen Küste, 
Mixtucno (Macray): Fragmente von Kalkschwämmen seiner Privat-Sammlung. 
Mozsrus (Prof.): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Kiel. 

Norman (Reverend A. Mrrrr): Die Kalkschwämme seiner Privat-Sammlung. 
PERcEvAL-WrIGHT (Prof. in Dublin): Eine Anzahl von britischen Kalkschwämmen. 
Prrers (Prof.): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Berlin. 

Ranprorr (in Thorshavn): Eine Anzahl Kalkschwämme von den Far-Oer-Inseln. 
Ray-LAnke£ster (in Oxford): Einige exotische Kalkschwämme. 

Sars (Prof. in Christiania): Eine Sammlung von norwegischen Kalkschwämmen. 
Schmerz (in Hamburg): Eine Anzahl Kalkschwämme aus dem Museum Godeffroy. 
Scauir (Prof. Oscar): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Gratz. 
ScHuLtzE (Prof. Max): Die Kalkschwämme des anatomischen Museums in Bonn, 
Semper (Prof. Carr): Die Kalkschwämme seiner Privat-Sammlung. 

Sıegorp (Prof. C. Tu. v.) Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in enden 
Sırskr (Dr.): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Triest. 

Soxper (in Hamburg): Eine Anzahl von Kalkschwämmen aus seinem Herbarium. 
STEENsTRUP (Prof.): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Kopenhagen, 
STRASBURGER (Prof. Envarp): Eine Anzahl von Kalkschwämmen aus Neapel. 

Weısmann (Prof.): Die Kalkschwämme des zoologischen Museums in Freiburg. 

Ganz besonderen Dank schulde ich meinem Freunde Oscar Scuuipt, welcher mit der 
grössten Liberalität alle in seinem Besitze befindlichen und von anderen Seiten ihm zu- 
gesendeten Kalkschwämme, darunter viele neue und interessante Arten, mir zur Bear- 
beitung überliess. Besonders werthvoll war mir aber diese Sammlung desshalb, weil sie 
die Originale der von O. Scuuir beschriebenen Arten enthielt. Ausserdem war mir von 


XVI Vorwort. 


besonderem Werthe die Sammlung britischer Kalkschwämme, welche auf die freundliche 
Fürbitte von Cuartes Darwın der Reverend A. MerrE-Norman in Burnmoor Rectory, 
(Durham) mir zur Untersuchung zu übersenden die Güte hatte. Diese Sammlung enthält 
nicht allein zahlreiche Exemplare von den meisten britischen Arten, sondern auch Ori- 
ginale von allen denjenigen Arten, welche in den beiden grundlegenden Faunen der bri- 
tischen Spongien von Jomsston und Bowersank beschrieben sind. Für die Feststellung 
der Identität der letzteren und der von mir genau untersuchten atlantischen Species war 
mir Norman’s Sammlung desshalb unschätzbar, und sie ersetzte mir- zugleich den Mangel 
der reichen Sammlung von BoweErsank, welche mir leider nicht zugänglich war. 

Die Formen-Reihe von Kalkschwämmen, welche ich aus den angeführten Zusen- 
dungen zusammenstellen konnte, wurde noch wesentlich ergänzt und bereichert durch 
diejenigen Caleispongien, welche ich selbst bei Gelegenheit früherer Reisen gesammelt 
hatte: 1854 in Helgoland, 1856 und 1865 in Nizza, 1859 in Neapel, 1860 in Messina, 
1867 auf der canarischen Insel Lanzerote und an der africanischen Küste bei Mogador, 
sowie auf der Rückreise bei Algesiras und Tarifa, in der Strasse von Gibraltar. Indessen 
war dieses Material, namentlich bezüglich der untersuchten Individuen-Menge, für meinen 
Zweck noch lange nicht ausreichend. Ich unternahm daher, theils um grössere Indivi- 
duen-Massen zu sammeln, theils um die Beobachtungen über lebende Kalkschwämme zu 
ergänzen, noch zwei Reisen an die Meeresküste. Im August und September 1869 be- 
suchte ich die Westküste von Norwegen, wo ich namentlich in der Nähe von Bergen, 
und dann auf der Insel Gis-Oe, einige Meilen südwestlich von Bergen, eine reiche 
Ernte von Kalkschwämmen hielt. Besonders wichtig wurde mir auf letzterer Insel eine 
kleine Bucht in der Nähe von Brandesund, welche ich im System des zweiten Bandes 
als Goethe-Bucht bezeichnet habe, und welche ausser der sehr häufigen Leucandra nivea 
drei der formenreichsten Species, nämlich Ascetta coriacea, Ascandra variabilis und Sy- 
candra compressa in einer ausserordentlichen Fülle von Formen und Individuen enthält. 

Im März und April 1871 ging ich nach dem adriatischen Meere, wo ich bei Triest 
nur wenige Kalkschwämme antraf, hingegen an der spongienreichen Küste Dalmatiens, 
und zwar auf der Insel Lesina, nicht allein alle bis dahin beschriebenen Caleispongien- 
Arten des adriatischen Meeres, sondern auch manche instructive neue Arten in Fülle fand. 

In Lesina erfreute ich mich der liebenswürdigen Unterstützung des Don GREGORIO 
Buccıc#, in Triest der freundlichen Hülfe des Herrn Dr. Sırskr, in Bergen der freund- 
schaftlichen Theilnahme der Herren Danıerssen und Koren, denen ich hiermit für ihre 
wohlwollende Förderung meiner Zwecke meinen verbindlichsten Dank abstatte. 


Jena, am 18. August 1872. 


Ernst Heinrich Haeckel. 


Erster Absehnitt. 


Bınleivwn eg 
in die 


Biologie der Kalkschwämme. 


Haeckel, Kalkschwimme. I. 1 


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7 


Erstes Kapitel. 


Historische Einleitung. 


Il. Geschichte der generellen (morphologischen und physiologischen) 
Untersuchungen über Kalkschwämme. 


1. Aelteste Untersuchungen über Kalkschwämme. 


Die Kalkschwämme (Grantien oder Calcispongien) haben erst in neuerer Zeit 
die Aufmerksamkeit der Naturforscher auf sich gezogen. Es sind erst 92 Jahre ver- 
flossen, seit die erste, dürftige Beschreibung von zwei Caleispongien-Arten erschien; 
und erst 46 Jahre, seit der englische Naturforscher Grant das Kalk-Skelet dieser 
Thiere erkannte und darauf hin dieselben als Kalkschwämme den übrigen Schwäm- 
men, den Hornschwämmen und Kieselschwämmen, gegenüber stellte. 

Die Geschichte unserer Kenntnisse von den Kalkschwämmen und ihrer Organi- 
sation ist daher kurz und inhaltsarm, wie diejenige von den Schwämmen überhaupt. 
Keine andere Klasse des Thierreichs ist bisher so wenig gewürdigt und so auffallend 
vernachlässigt worden, als die Klasse der Spongien. Keine andere Klasse hat im 
Verhältniss zu ihrer Bedeutung so wenige Bearbeiter gefunden und eine so dürftige 
Literatur aufzuweisen. Auch hat wohl, wie ich schon früher gelegentlich aus- 
sprach, „keine andere Klasse des Thierreichs und des Pflanzenreichs, welche eine 
ähnliche Anzahl von häufigen, ansehnlichen und mannichfaltigen Formen enthält, 
bis in die neueste Zeit die Naturforscher über ihre eigentliche Natur so in Zweifel 
gelassen und eine solche Menge widersprechender Ansichten hervorgerufen“. Diese 
Erscheinung ist doppelt auffallend, wenn man bedenkt, dass die Schwämme in allen 
Meeren verbreitet sind, dass unter ihren zahlreichen Arten viele sich durch Gestalt 
und Färbung auszeichnen, dass der gemeine Badeschwamm (Euspongia) seit den älte- 
sten Cultur-Zeiten in allgemeinem Gebrauche ist, und dass der Süsswasserschwamm 
(Spongilla) in den süssen Gewässern fast aller Erdtheile vorkommt. 

Wenn trotzdem bis in die neueste Zeit unsere Kenntniss der Spongien überhaupt 
unverhältnissmässig zurückgeblieben ist, so gilt dies in ganz besonderem Maasse von 

1 * 


4 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


den Kalkschwämmen. Denn unter den übrigen Schwämmen giebt es wenigstens ein- 
zelne Formen, welche aus verschiedenen Gründen schon seit den Zeiten des ARISTO- 
vers Beachtung gefunden haben und theilweise von diesem grossen Forscher des 
Alterthums beschrieben worden sind. Unter den Hornschwämmen hat der Bade- 
schwamm wegen seiner allgemeinen praktischen Verwendung und seines damit ver- 
knüpften mercantilischen Werthes seit mehr als zwei Jahrtausenden das Interesse 
der Naturforscher, Sammler und Kaufleute erregt. Unter den Kieselschwämmen hat 
eine ziemliche Anzahl verschiedener Formen theils durch ansehnliche Grösse, theils 
durch ihre auffallende Aehnlichkeit mit Corallen, theils durch häufiges Vorkommen 
die Aufmerksamkeit der Beobachter auf sich gelenkt. Ganz anders steht es mit 
den Kalkschwämmen. Diese sind erstens durchschnittlich viel kleiner und unansehn- 
licher, als die Hornschwämme und Kieselschwämme. Zweitens sind sie in allen Mee- 
ren viel seltener und auch da, wo sie verhältnissmässig häufig vorkommen, doch viel 
ärmer an Individuen und an Arten, als die übrigen Schwämme. Drittens endlich 
sind die Kalkschwämme durchgängig viel zartere und viel leichter zerstörbare Or- 
ganismen, als die übrigen Spongien, und besonders in getrocknetem Zustande höchst 
fragil. Daher sind sie auch in den zoologischen Sammlungen bisher äusserst dürf- 
tig vertreten gewesen, und nicht allein viele kleinere, sondern selbst manche grosse 
und berühmte europäische Museen (wie z. B. das Reichs-Museum in Leyden) enthal- 
ten noch heute nicht einen einzigen Kalkschwamm. Zu allen diesen Hindernissen, 
welche bisher unsere Kenntniss der Kalkschwämme erschwerten, gesellen sich dann 
noch die mancherlei Schwierigkeiten, welche in der eigenthümlichen Organisation 
dieser Thiere selbst liegen. So erscheint es denn am Ende weniger befremdend, dass 
noch nicht ein halbes Jahrhundert verflossen ist, seit wir überhaupt Etwas von der 
Organisation der Kalkschwämme wissen, und noch nicht ein viertel Jahrhundert, seit 
wir sie etwas genauer kennen. 

Alle älteren Mittheilungen über Kalkschwämme, und zwar vom Jahre 1780 bis 
zum Jahre 1825 (also während eines Zeitraums von 45 Jahren) sind äusserst dürf- 
tig, und geben bloss die oberflächliche Beschreibung der äusseren Körperform und 
der gröberen Structur einiger von den häufigsten nord-atlantischen Kalkschwämmen, 
soweit dieselbe ohne genaue mikroskopische Untersuchung möglich war. So beschrieb 
zuerst Ornuo Fagrıcrus 1780 in seiner berühmten „Fauna Groenlandica“ zwei grön- 
ländische Arten als Spongia eiliata und $. compressa. Dann folgten 6 Jahre spä- 
ter Eruıs und SoLAnDer (1786) in ihren „Zoophytes“ mit der Beschreibung von 
zwei britischen Arten: ‚Spongia botryoides und S. coronata; sie gaben von diesen 
beiden Species zugleich eine Abbildung, die älteste, welche überhaupt von Kalk- 
schwämmen existirt. 

Im vorigen Jahrhundert finden wir mithin die vier ersten Arten von Kalk- 
schwämmen in der Literatur aufgeführt. Dann folgt in unserem Jahrhundert zuerst 


2. Untersuchungen von Robert Grant. 1) 
1814 der britische Naturforscher MovtaGu (also 28 Jahre später), welcher in sei- 
nem „Essay on sponges“ sechs britische Species beschreibt, die später als Kalkschwämme 
erkannt wurden. Aber auch seine Beschreibungen, gleich denjenigen seiner Vorgän- 
ger, betreffen grösstentheils nur die äussere Form; den inneren Bau nur insofern, als 
derselbe ohne Weiteres zugänglich war. Dagegen sind die feineren Verhältnisse der 
inneren Structur, das Wesen der Organisation und namentlich die characteristische 
Form und kalkige Beschaffenheit der Skelettheile diesen älteren Beobachtern ganz 
fremd geblieben. Die Erkenntniss der letzteren Verhältnisse wurde erst möglich 
durch die sorgfältige Anwendung verbesserter Mikroskope, und GrAnT gebührt das 
Verdienst, diese zuerst mit dem glänzendsten Erfolge sowohl bei den Schwämmen 
überhaupt, als bei den Kalkschwämmen im Besonderen angewendet zu haben. 


2. Untersuchungen von Robert Grant. 


Der erste Naturforscher, welcher mit Hülfe des verbesserten Mikroskops und 
chemischer Reagentien den Organismus der Spongien genauer untersuchte und die 
kalkige Beschaffenheit des Skelets bei den Kalkschwämmen erkannte, war der ver- 
diente englische Zoologe ROBERT GRANT. Er veröffentlichte in den Jahren 1825 bis 
1827 in dem Edinburgh Philosophical Journal eine Reihe von ausgezeichneten mor- 
phologischen und physiologischen Untersuchungen über viele Arten von Schwämmen, 
welche für die wissenschaftliche Erkenntniss der ganzen Spongienklasse die erste 
feste und bleibende Grundlage lieferten ! ). 

Fast alle früheren Schriftsteller hatten die Spongien entweder für Pflanzen er- 
klärt oder aber für Polypen gehalten und meistens geradezu mit den Corallenthieren 
in der Abtheilung der Pflanzenthiere (Zoophyta) vereinigt?). Die oberflächliche 
Aehnlichkeit, welche manche Schwämme und manche Corallen im äusseren Habitus 
und in der fleischig-schwammigen Consistenz zeigen, führte namentlich zu einer Zu- 
sammenstellung der Spongien mit den Aleyonien, als nächstverwandten Polypen, und 
so verschaffte sich vielfach die, auch von LamArck vertretene Ansicht Geltung, dass 
die Schwämme gleich den Corallen echte Polypen-Stöcke seien; in den Höhlungen 
der schwammig-fleischigen Massen sollten zahlreiche kleine Polypen-Individuen stecken; 
dass man diese hypothetischen Polypen nicht wirklich beobachten konnte, suchte 


1) ROBERT GRANT, Observations and experiments on the structure and functions of the Sponge. 
Edinburgh Philosophical Journal, 1825, Vol. XIII, p. 94—107; p. 343—346. — 1826, Vol. XIV, p. 113 
—124; p. 336—341. Edinburgh New Philosophical Journal, 1827, Vol. II, p. 121—141. 

2) GEORGE JoHnsTonN hat in seiner „History of British Sponges and Lithophytes‘‘ (1842) die Geschichte 
der Entdeckungen und Ansichten über die Natur der Schwämme von ARISTOTELES bis auf BLAINVILLE sehr 
ausführlich und sorgfältig zusammengestellt (History of opinions and discoveries of the nature of Sponges; 


l. ec. p. 23—75), 


6 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


man sich aus ihrer geringen Grösse, Durchsichtigkeit und Vergänglichkeit zu er- 
klären. Diesen irrigen Ansichten gegenüber führte Grant zum ersten Male den 
Nachweis, dass die Spongien thierische Organismen sui generis seien, deren ganze 
Organisation sich wesentlich von der der übrigen Pflanzenthiere, und namentlich 
der Corallen, verschieden verhalte. Er entdeckte mittelst des Mikroskopes zuerst 
die feinen Poren an der Oberfläche des Schwammkörpers und wies durch sorgfältige 
Experimente nach, dass durch diese Poren beständig Wasser-Ströme in das Innere 
desselben eindringen, welche aus grösseren Oeffnungen (Oscula) wieder heraustreten. 
Mit diesen austretenden Wasserströmen werden sowohl die Exerete als auch „be- 
wimperte Eier“ entleert. Diese von GRANT für Eier gehaltenen Körper sind die 
Flimmerlarven (Planulae), deren Flimmerhaare er bereits deutlich erkannte. Da- 
gegen gelang es ihm nicht, gleiche Flimmerhaare als die Ursachen der Wasserströ- 
mungen im Spongien-Körper nachzuweisen, obwohl er sie (nach Analogie mit den 
Polypen) vermuthete. (Diese „Cilien“ wurden erst 25 Jahre später [1852] von Dosiz, 
und zwar an einem Kalkschwamme entdeckt.) Auch selbstständige Contractionen 
des Schwammkörpers sah GRANT nicht und stellt überhaupt die Contractilität und 
Irritabilität desselben in Abrede. Da die Wasserströme constant durch die mikro- 
skopischen Hautporen in die feineren Kanäle, aus diesen in die gröberen oder in 
eine besondere Centralhöhle (Kloake) treten, und schliesslich durch eine oder mehrere 
grosse Oeffnungen (Oscula) aus dieser entleert werden, so bezeichnet er diese letz- 
teren als Kloaken-Oeffnungen (,Fecal orifices“). Wegen der characteristischen Poren 
nennt GRANT die Schwämme Porophora oder Porifera und trennt sie als be- 
sondere Ordnung von den übrigen Zoophyten !). 


1) Dass Grant wirklich der erste Entdecker der echten mikroskopischen Poren bei den Spongien 
ist, glaube ich aus seiner gesammten Darstellung mit Sicherheit entnehmen zu können. LiEBERKÜHN hat 
später (1859) in seinen ‚Neuen Beiträgen zur Anatomie der Spongien“ (p. 374) behauptet, dass er selbst 
zuerst die mikroskopischen ‚‚Einströmungslöcher‘‘ der Spongien beschrieben und Poren genannt habe, und 
fügt hinzu: „Diese Poren sind etwas ganz anderes, als was GRANT so genannt hat und woraus er Ver- 
anlassung nahm, die Abtheilung der Spongiaceen mit dem Namen der Poriferen zu belegen. Eine 
GrantT’sche Pore ist nieht ein Einströmungsloch, sondern eine durch das Gerüste gebildete, vom Paren- 
chym überzogene Lücke.“ Diese Behauptung LIEBERKÜHN’S ist ganz richtig für die Spongäla und wohl 
für manche andere Kieselschwämme, bei welchen GrAnT oberflächliche Gerüstlücken irrthümlich für Poren 
oder „‚Einströmungslöcher‘‘ gehalten hat. Bei den Kalkschwämmen aber, und grade bei den von GRANT 
am genauesten untersuchten Species derselben (Grantia compressa und @. nivea) giebt es solche Gerüst- 
lücken gar nicht und hier war also auch eine Verwechselung derselben mit Poren gar nicht möglich. Bei 
diesen Kalkschwämmen, und ebenso wohl auch bei vielen anderen Spongien, hat GRANT nach meiner 
Ueberzeugung die echten Poren wirklich gesehen, und ich zweifle um so weniger daran, als auch seine 
sonstigen Beobachtungen von bewunderungswürdigem Scharfblick zeugen. Er erkannte z. B. bereits trotz 
der unvollkommenen Instrumente der damaligen Zeit den Central- Canal in den Kalk-Nadeln der Calei- 


spongien, welcher schwer zu sehen ist und von den meisten folgenden Beobachtern geleugnet wurde. 


2. Untersuchungen von Robert Grant. 7 


Nicht minder als die Entdeckung dieses characteristischen Gefässsystems müssen 
wir es als ein besonderes Verdienst Granr’s hervorheben, dass er zum ersten Male 
die frei schwimmenden „Fortpflanzungskörper“ der Spongien und die ersten Stadien 
ihrer Entwickelung beobachtete. Er beschreibt sie als „Ciliated Ova“, als kugelige, 
eirunde oder länglich-runde kleine Körperchen, welche mit der Wasserströmung aus 
den „Fecal orifices“ austreten, eine Zeitlang mittelst langer Cilien im Wasser frei 
umher schwimmen, dann sich festsetzen, die Wimpern abwerfen, und zu einer Spongie 
auswachsen. Diese Flimmerlarven (Planulae) waren allen früheren Beobachtern 
entgangen. 

Das dritte grosse Verdienst GrAnT’s war die sorgfältige Untersuchung des Skelets 
der Spongien und die Entdeckung, dass dasselbe bei einem Theile der Schwämme 
aus hornigen Fasern, bei einem anderen Theile aus Kieselnadeln und bei einem 
dritten Theile aus Kalknadeln bestehe. Hiernach unterschied er (1826) zum ersten 
Male als drei Hauptgruppen der Schwämme: 

1. Hornschwämme („with horny fibres“), 

2. Kalkschwämme („with calcareous spicula“), 

3. Kieselschwämme („with siliceous spieula“). 
Die erste Notiz über die Existenz von Kalkschwämmen lautet wörtlich: „In other 
sponges, as the S. compressa, nivea, bötryoides, coronata, pulverulenta , the ske- 
leton consists entirely of caleareous spicula, which disappear before the blow-pipe, 
do not scratch glass, and dissolve with effervescence in nitriec, sulphurie and mu- 
riatie acids !).“ 

Noch in demselben Jahre (1826) publieirte GrAnT ausführlichere „Bemerkungen 
über die Structur einiger Kalkschwämme ?).“ Hier werden im Ganzen sechs Arten 
unterschieden, sämmtlich britisch. Besonders sorgfältig und ausführlich werden 
Spongia (Sycandra) compressa und 8. (Leucandra) nivea beschrieben. Nament- 
lich die characteristische Form der Kalknadeln wird sehr genau geschildert. Kürzer 
ist die Beschreibung von S. (Ascaltis) botryoides und von 8. (Ascandra) compli- 
cala, sowie von 8. (Leucandra) pulverulenta und 8. (Sycandra) coronata. Der 
Schlusssatz dieser Arbeit lautet: „There are thus at least six well marked species 
of British sponges, in which the spicula consist entirely of carbonate of lime, which 
forms an important character of distinetion between these species and those con- 
taining a horny or a siliceous axis, and shows an approximation in this obscure genus 
to the more solid polypiferous corals, which, so far as I know, has hitherto escaped 
notice.“ Sowohl die Kalknadeln der Kalkschwämme, als die Kieselnadeln der Kiesel- 


1) ROBERT GRANT, Observations and experiments on the structure and functions of the Sponge. 
(Edinburgh Philosoph. Journ. 1826. Vol. XIV, p. 336.) 

2) RoBERT GRANT, Remarks on the structure of some Calcareous Sponges. (Edinburgh New Philo- 
sophical Journal, 1826. Vol. I, p. 166.) 


8 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


schwämme wurden von GRANT bereits in ihrer Bedeutung für die systematische 
Unterscheidung der Species anerkannt und sehr genau beschrieben. Sowohl in er- 
steren als in letzteren erkannte er bereits den Centralcanal. 


3. Untersuchungen von George Johnston. 


Nächst den bahnbrechenden Arbeiten von ROBERT GRANT, welche das erste Fun- 
dament für die wissenschaftliche Spongiologie legten, ist zunächst sowohl für die 
Kenntniss der Schwämme im Allgemeinen, als für diejenige der Kalkschwämme im 
Besondern, von grosser Bedeutung das Werk eines anderen englischen Naturforschers, 
die 1842 erschienene „Geschichte der britischen Spongien und Lithophyten“ von 
GEORGE JOHNSTON!). Dieses Buch ist der erste Versuch, die Schwämme eines be- 
grenzten Gebietes im Zusammenhange und möglichst vollständig systematisch zu 
unterscheiden, und durch sorgfältige Beschreibung und Abbildung zu erläutern. Bei 
der chaotischen Verwirrung der älteren Literatur und Nomenclatur der Spongien ver- 
dient dieser erste ernstlichere Versuch doppelte Anerkennung. Allerdings sind die 
characteristischen Skelettheile der Spongien von Jomnsron nicht bei hinreichend 
starker Vergrösserung untersucht und daher ihre Darstellung oft ungenügend. Im 
Uebrigen sind aber sowohl die Beschreibungen als die Abbildungen vortrefflich und 
geben den characteristischen Habitus vieler Arten ausgezeichnet wieder. 

Der erste Abschnitt des Jomnsron’schen Werkes giebt zunächst eine „allgemeine 
Uebersicht über Bau und Lebens-Erscheinungen der Spongien“ (p. 5—22), dann eine 
sehr ausführliche „Geschichte der Entdeckungen über die Natur der Schwämme“ 
(p. 23—75). Der zweite Abschnitt enthält die specielle Beschreibung der britischen 
Spongien (p. 77—202)?). Der dritte Abschnitt behandelt die britischen „Lithophyten“ 
(Corallinaden und Nulliporiden) p. 203—242. Schliesslich folgt noch eine lateinische 
„Synopsis Spongiarum et Lithophytorum, quae in aquis britannicis nascuntur, cum 
recensionibus et characteribus emendatis“ (p. 243—255). 

Von den britischen Kalkschwämmen unterscheidet Jomnston 8 verschiedene 
Species (6 „tubular‘ und 2 „erustaceous“); er fasst diese sämmtlich in einer einzigen 
Gattung zusammen, welche er nach dem Vorgange von FLEmingG ®) ihrem Entdecker 


1) GEORGE Jounston, A History of British Sponges and Lithophytes. Edinburgh, 1842. 264 Seiten 
und 25 Tafeln. 

2) JoHNSToN unterscheidet im Ganzen 55 britische Species von Spongien, welche er auf 9 Genera 
vertheilt, nämlich: 1) Tethea (2 Species). 2) G@eodia (1 Species). 3) Pachymatisma (1 Species). 4) Hali- 
chondria (36 Species). 5) Spongüla (1 Species). 6) Spongia (3 Species). 7) Dysidea (2 Species), 8) Hali- 
sarca, (1 Species). 9) Grantia (8 Species). 

3) JoHN FLeminG, History of british animals. Edinburgh, 1828. p. 524: „Genus XIV: Grantia: Po- 


rous, the cartilaginous skeleton strengthened by caleareous spieula“. 


4. Untersuchungen von Bowerbank. 9 


zu Ehren Grantia nennt. Den Character dieses Genus bestimmt er folgendermassen 
(p. 172): „Sponge firmish and inelastic, usually white, multiform, of a close texture 
but porous, and composed of calcareous spicula compacted in a gelatinous base: 
spicula simple and stellated: oscula always distinet. Marine.“ Die Spieula der Grantien 
sind nach JonnsTon theils dreistrahlig, theils einfach; die ersteren umgeben haupt- 
sächlich die Poren und Mündungen; die letzteren treten äusserlich hervor und be- 
schützen die Poren. Wenn die Kalkerde durch Säure entfernt wird, bleibt eine 
gallertige Haut zurück, welche scheinbar ganz structurlos ist; es fehlt die fasrige 
Grundlage der meisten übrigen Spongien; das Gewebe ist ganz unelastisch, und 
dichter als bei letzteren. Die Grantien wachsen meist littoral, oft zwischen den Ebbe- 
Marken. Die Wasser-Strömung scheint im Körper langsamer als bei anderen Schwäm- 
men zu geschehen. JoHnston suchte sie vergeblich zu beobachten, ebenso auch 
Gemmulae und Eier. 


4. Untersuchungen von Bowerbank. 


Dem englischen Mikroskopiker J. S. BOwERBANk gebührt jedenfalls die Anerken- 
nung, dem Studium der Spongien mehr Zeit, Fleiss, Ausdauer und Mühe geopfert zu 
haben, als alle anderen Naturforscher seit den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. 
Seit mehr als drei Decennien ist dieser unermüdliche Beobachter ununterbrochen, viele 
Jahre fast ausschliesslich, mit Untersuchung der Schwämme beschäftigt gewesen. 

Die erste spongiologische Arbeit BOwERBANK’s, welche im Jahre 1841 erschien, 
betraf einen australischen Hornschwamm !). Vier Jahre später gab er die ausführ- 
liche Beschreibung eines neuen Kalkschwammes, Dunstervillia elegans?) (= Sye- 
andra elegans, H.). Weiterhin veröffentlichte derselbe von 1841—1871 eine Reihe 
von kleineren Arbeiten, welche grösstentheils Hornschwämme oder Kieselschwämme 
betreffen und daher für unsere Monographie von keiner Bedeutung sind. Als die 
Kalkschwämme betreffend sind jedoch zwei Aufsätze hier hervorzuheben. Der erste 
(1852) handelt von der Flimmerbewegung der Spongien 3) und weist als deren Organe 
Zellen nach, deren jede ein langes Flimmerhaar trägt. Am deutlichsten sind dieselben 
bei Kalkschwämmen zu sehen und wurden vorzüglich bei Grantia compressa (= Sye- 
andra compressa, H.) beobachtet. Der zweite Aufsatz beschreibt sehr ausführlich die 
Organisation eines Kalkschwammes, der Grantia eiliata (= Sycandra ciliata, H.). 


1) J. S. BOWERBANK, Obseryations on a Keratose Sponge from Australia. Annals and Magazin of 
natural history, 1841, Vol. VII, p. 129—132; Pl. III. 

2) J. S. BowERBANK, Description of a new genus of calcareous sponge. Annals and Magazin of 
natural history, 1845, Vol. XV, p. 297—301; Pl. XVII. 

3) J. S. BowERBANK, On ciliary action in Spongiadae. Transactions of the mieroscopical society. 
1852, Vol. III, p. 137—142. 


10 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


Nächst der anatomischen Structur werden vorzüglich die Lebenserscheinungen be- 
schrieben, das Oeffnen und Schliessen der Poren und Oscula, sowie die Flimmer- 
bewegung in den Radial-Canälen t). 

Das Hauptwerk von BOwERBANK ist die umfangreiche Monographie der Bri- 
tischen Spongien in zwei Octav-Bänden, von denen der erste 1864, der zweite 
1866 erschien?). In diesem Werke, der Frucht seines vieljährigen Fleisses, hat der 
Verfasser fast alle Erfahrungen, die er seit 20 Jahren über die Naturgeschichte der 
Spongien überhaupt gesammelt hatte, niedergelegt. 

Der erste Band der „British Spongiadae“ (der generelle Theil) enthält „The ana- 
tomy and physiology of the Spongiadae“. Ich führe das Inhaltsverzeichniss dieses 
Bandes hier wörtlich an, weil es in sehr characteristischer Weise BOwERBANK’s Auf- 
fassung und Darstellung des Schwamm-Organismus und besonders seine Methode 
der Anordnung und Nomenclatur darlegt. 

I. Organography (p. 1—83). Spieula: Essential skeleton spieula. Auxiliary 
spieula. Connecting spicula. Prehensile spicula. Defensive spieula. Internal de- 
fensive spicula. Spicula of the membranes. Tension spicula. Retentive spieula. An- 
chorate spieula. Spicula of the sarcode. Simple stellate spicula. Compound stellate 
spicula. Spicula of the ovaria and gemmules. Keratode. Membranous tissues. Fibrous 
struetures. Primitive fibrous tissues. Keratose fibrous tissues. Solid simple keratose 
fibre. Spieulated keratose fibre. Hetro-spiculated keratose fibre. Multi-spieulated 
keratose fibre. Inequi-spiculated keratose fibre. Simple fistulose keratose fire. Com- 
pound fistulose keratose fire. Regular arenated keratose fire. Irregular arenated 
keratose fibre. Siliceous fibre. Prehensile fire. Cellular tissue. 

U. Organisation and physiology (p. 83—153). Skeleton. Sarcode. Sar- 
codous system. Interstitial canals and cavities. Intermarginal cavities. Dermal mem- 
brane. Pores. Oscula. Inhalation and exhalation. Nutrition. Cilia and ciliary action. 
Reproduction. Gemmules. External gemmulation. Propagation by sarcodous division. 
Growth and development of sponges. 

III. Classification of the Spongiadae (p. 153—227). Generic characters 
of the Spongiadae. Tabular view of systematic arrangement. Order 1: Calcarea. 
Order 2: Silicea. Order 3: Keratosa. Diserimination of the species of the Spon- 
giadae. 

IV. Terminology, and descriptions of the illustrative Figures (p. 223— 290). 
Die angehängten 37 lithographirten Tafeln enthalten 381 Figuren. Mehr als zwei 
Drittel der Tafeln und der Figuren sind bloss der Darstellung der Spicula gewidmet, 


1) J. S. BoWERBANK, On the organization of Grantia cliata. Transactions of the microscopical so- 
eiety, 1859. New Series, Vol. VII, p. 79—84. 

2) J. S. BOowERBANK, A Monograph of the British Spongiadae. Published for the Ray Society. 
London. Robert Hardwicke. Vol. I, 1864. Vol. II, 1866. 


4. Untersuchungen von Bowerbank. il 


welche in ihren characteristischen Formen sehr getreu wiedergegeben sind. Dagegen 
sind die Abbildungen der Weichtheile zum grossen Theil sehr mangelhaft und offenbar 
ohne Verständniss des Zeichners (W. Lexs Arnpous) angefertigt. Ziemlich werthlos 
sind namentlich die meisten histologischen Darstellungen der Weichtheile !). 

Der zweite Band von BOowERBANK’sS British Spongiadae (der specielle Theil) ent- 
hält auf 384 Seiten die specielle Beschreibung aller britischen Arten, 193 an Zahl. 
Davon kommen 12 auf die Kalkschwämme (Calcarea), 170 auf die Kieselschwämme 
(Silicea), und 11 auf die Hornschwämme (Keratosa). 

Eine specielle Kritik und Uebersicht des umfangreichen BowErBAnk’schen Werkes 
liegt ausserhalb des Zweckes dieser Monographie, und würde um so weniger hier am 
Orte sein, als nur ein sehr kleiner Theil jenes Werkes sich speciell mit den Kalk- 
schwämmen beschäftigt. Das hierauf Bezügliche werde ich selbstverständlich ge- 
wissenhaft berücksichtigen, mich aber bezüglich des ganzen Werkes mit wenigen 
kritischen Bemerkungen begnügen. 

Natürlich muss ein Beobachter, welcher sich über ein Vierteljahrhundert hin- 
durch fast ausschliesslich mit Untersuchung der Schwämme befasst hat, die aus- 
gedehntesten Erfahrungskenntnisse auf diesem Gebiete besitzen. Indessen ist leider 
die Forschungs-Methode BOwERBANK’S so dilettantisch, sein Urtheil so einseitig und 
namentlich seine Darstellung so wenig durch allgemeine zoologische Orientirung ge- 
leitet, dass leider die Frucht seiner dreissigjährigen mühsamen Forschungen keines- 
wegs den) grossen Aufwande von Fleiss und Zeit entspricht. Sämmtliche Arbeiten 
von BOWERBANK verrathen nur zu sehr den wissenschaftlichen Dilettanten, der zwar 
mit wärmster Liebe zum Gegenstande und mit unermüdlicher Ausdauer seine Objecte 
untersucht und beschreibt, aber aus Mangel an umfassenden zoologischen Kenntnissen 
und aus Unbekanntschaft mit den neueren Methoden und Zielen der Wissenschaft 
nicht im Stande ist, sein reiches Material zu beherrschen, und sich über das Detail 
behufs Erreichung allgemeiner Resultate zu erheben. 

Der beste, reichhaltigste und werthvollste Theil von BOwERBANK’S spongiolo- 
gischen Arbeiten ist die sehr genaue und sorgfältige mikroskopische Analyse der 
Skelettheile, der Kalknadeln bei den „„Ualcarea‘‘, der Kiesel-Spicula bei den „,Sili- 
cea“‘ und der Hornfasern bei den .,‚Keratosa‘. Auf die hohe Bedeutung, welche 


1) Der Inhalt des ersten Bandes von BOWERBANK’S „British Spongiadae‘‘ findet sich grösstentheils 
bereits einige Jahre früher in den „Philosophical Transactions‘‘ veröffentlicht, nämlich im Jahrgang 1858 
(Vol. 148, Part II; pag. 279—332, Plate XXIII—XXVI), und ferner im Jahrgang 1862 (Vol. 152, Part II; 
pag. 747—836, und pag. 1087—1135; Plate XXVII—XXXVIII und LXXII—LXXIV). Ebenso wie der 
Text dieser Abhandlungen wörtlich mit demjenigen des ersten Bandes der „British Spongiadae‘‘ überein- 
stimmt, so sind auch die Abbildungen dieselben. Ich werde bei meinen Citaten der Einfachheit halber 
mich stets nur auf die British Spongiadae (,‚Brit. Spong.‘‘), niemals auf die getrennten Abhandlungen in 


den Philosophical Transactions beziehen. 


12 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


diese Hartgebilde nicht allein für die gesammte Morphologie der Spongien, sondern 
namentlich auch für die Classification und speeiell für die Unterscheidung der Arten 
besitzen, hat er mit Recht das grösste Gewicht gelegt. Sehr zu bedauern ist hierbei 
aber, dass er nur sehr wenig Messungen angestellt hat; und doch ist die genaue 
Mikrometrie der Skelettheile grade für die genauere Species-Unterscheidung von der 
grössten Wichtigkeit. Die höchst schwerfällige und gekünstelte Terminologie, welche 
er für die Bezeichnung der Spicula-Formen einführt, ist für den practischen Ge- 
brauch ganz untauglich. Von den 246 Nadelformen ist die Bezeichnung der grossen 
Mehrzahl, wie O. Scumipr richtig bemerkt, „für das Verständniss zu kurz, für den 
Gebrauch zu lang“. Viele Namen sind aus 53—6 Worten und 10—30 Sylben zu- 
sammengesetzt!!) 

Die schwächste Seite von BOwERBANK’sS Arbeiten ist der Mangel an histologi- 
schen Kenntnissen, der bei der schwierigen Untersuchung der Spongien besonders 
in’s Gewicht fällt. Vom eigentlichen Wesen der organischen Zelle, von ihrer Bedeu- 
tung als „Elementar-Organismus“ oder als „Individuum erster Ordnung“, die gerade 
bei den Schwämmen sehr hervortritt, hat er keine Vorstellung. Daher bleibt ihm 
auch das Verhältniss des Skelets zu den Weichtheilen, das Wesen der elementaren 
physiologischen Vorgänge u. s. w. sehr unklar. 

Nicht viel besser als mit dem histologischen steht es mit dem organologischen 
Verständniss BOWERBANK’s und mit seiner Deutung der bezüglichen Beobachtungen. 
Dasjenige Organ-System, welches bei den Schwämmen morphologisch und physio- 
logisch die grösste Rolle spielt, ja eigentlich das einzige differenzirte Organsystem, 
welches diese Thiere (ausser dem Skelet) überhaupt besitzen, ist das Gefässsystem. 
Grade über dieses macht sich aber BOwERBANK zum Theil die wunderlichsten und 
unrichtigsten Vorstellungen. Als Typus der Spongie stellt er sich einen rundlichen 
Körper mit einer centralen Höhle (Kloake) vor, aus deren Oeffnung das Wasser aus- 
strömt. Die Wand dieser Höhle ist von einem einführenden (incurrent) und einem 
ausführenden (excurrent) Gefässsystem durchzogen, welche sich zu einander ver- 
halten wie Arterien und Venen des Wirbelthierkörpers. Die einführenden Kanäle, 
den Arterien entsprechend, entspringen mit weiten Mündungen aus grossen, un- 
mittelbar unter der „Dermal-Membran“ gelegenen Höhlungen (‚‚Intermarginal ca- 
vities“), verästeln sich nach innen hin und lösen sich in ein feines capillares Gefässnetz 
auf, aus welchem die ausführenden Kanäle, Venen entsprechend, entspringen. Diese 
fliessen wieder in grössere Kanäle zusammen, welche sich durch die „Oscula“ öffnen. 

Dieses Schema passt nun auf die grosse Mehrzahl der Schwämme gar nicht, 
und am allerwenigsten auf die verschiedenen Kalkschwämme. Indem BOWERBANK 


1) Als Beispiele führe ich an: 65. „Inflato-fusiformi - acerate-ascendingly -hemispinous Spieula. 
89. Spieulated - eylindro - equiangular - triradiate - vertieillately-spined Spieula.“ Wer soll 246 solcher und 


ähnlicher Namen im Kopfe behalten? 


5. Untersuchungen von Lieberkühn. 13 


dasselbe auf die letzteren anzuwenden versucht, gelangt er zu den unglücklichsten 
Vergleichungen. So hält er z. B. die Radial-Tuben der Syconen für Homologa der 
„Intermarginal-Höhlungen“, welche sich auf Kosten aller übrigen Theile des Gefäss- 
systems colossal entwickelt haben; die Rudimente der letzteren sollen die „shallow 
cavities“ sein, in denen sich die Gastral-Ostien der Tuben öffnen; diese Gastral- 
Östien selbst werden für die Oscula erklärt, während das Osculum selbst „Mouth of 
cloaca“ heisst u.s. w. Auch sonst ist die Deutung der Theile oft sehr willkührlich, 
und meist ohne morphologische Orientirung. Der gröbste Irrthum, in welchen BowEr- 
BANK bei seinen anatomisch-physiologischen Deutungen gefallen ist, dürfte wohl der 
sein, dass er bei den Rindenschwämmen (Geodia, Pachymatisma etc.) die Kiesel- 
kugeln für Eierstöcke erklärt! 

Die Entwickelungsgeschichte ist fast nirgends berücksichtigt. Die Beziehungen 
der Schwämme zu anderen Organismen werden fast ganz ignorirt. Auch die Be- 
ziehungen der verschiedenen Spongien-Gruppen zu einander werden nicht erörtert. 
Wo aber BOWwERBANK sich bisweilen zu Vergleichungen versteigt, da fallen sie höchst 
unglücklich aus. Auch das specielle System ist in Folge dessen sehr unvollkommen. 
Die verschiedensten Formen sind oft künstlich zusammengestellt und die natürlich 
zusammenhängenden auseinander gerissen. Trotz dieser grossen und zahlreichen 
Mängel bleibt BowERBANK’s Monographie der Britischen Spongiaden ein werthvolles 
descriptives Werk, und der grosse Fleiss, die ungemeine Sorgfalt, mit welcher na- 
mentlich alle einzelnen Skelettheile beschrieben sind, verdient alle Anerkennung. 


5. Untersuchungen von Lieberkühn. 


Die nächsten sorgfältigen und ausführlichen Untersuchungen über den feineren 
Bau und die Entwickelung der Schwämme, welche die Angaben GrAnT’s in den 
wesentlichsten Punkten bestätigten, in anderen vielfach erweiterten, wurden (fast 
dreissig Jahre nach GrAnrT’s Publicationen) gleichzeitig von LiEBERKÜHN in Berlin 
und von CARTER in Bombay veröffentlicht. Beide Forscher gingen von dem Studium 
des Süsswasserschwammes (Spongilla) aus. Beide arbeiteten unabhängig von ein- 
ander und kamen theils zu denselben, theils zu sehr verschiedenen Resultaten. Die 
ersten Publicationen CArTter’s beginnen allerdings schon 1847, diejenigen von LiEBER- 
KÜHN erst 1856. Allein die früheren Mittheilungen CArTEr’s (wie theilweise auch 
die späteren) sind sehr ungenau, und namentlich ohne jedes Verständniss der Zellen- 
theorie angestellt, während die Arbeiten LieBEerKÜnn’s viel sorgfältiger und na- 
mentlich in histologischer Beziehung viel brauchbarer sind. Ausserdem hat auch 
dieser letztere schon 1857 Beobachtungen über andere Spongien und namentlich 
1359 werthvolle Untersuchungen über Spongien der verschiedensten Gruppen (Hali- 
sarken, Hornschwämme, Kalkschwämme und Kieselschwämme) mitgetheilt; endlich 


14 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


1865 wichtige „Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien“ geliefert. CARTER da- 
gegen hat sich über 20 Jahre hindurch bloss auf das exclusive Studium der Spongilla 
beschränkt und ist dadurch vielfach zu sehr irrigen Ansichten über den Bau der 
Spongien überhaupt gelangt, wesshalb wir seine Arbeiten erst später anführen. 

Die ersten Mittheilungen LießBEerkünn’s (von 1856) beziehen sich vorzugsweise 
auf die Entwickelungsgeschichte der Spongillen, erläutern jedoch auch mehrfach 
ihren anatomischen Bau. Insbesondere sind hier die ersten zuverlässigen Angaben 
über die sexuelle Differenzirung der Spongien, über die Eier und Spermatozoiden, 
zu finden. Die Spongillen entwickeln sich theils aus „bewimperten Embryonen, 
welche aus Keimkörner-Conglomeraten hervorgehen“, theils durch Vermittelung eigen- 
thümlicher „Cysten oder Gehäuse, der Gemmulae“ !). 

Im folgenden Jahre (1857) publicirte LiEBERKÜHN „Beiträge zur Anatomie der 
Spongien“ 2), in welchen zunächst der feinere Bau der Spongilla näher erörtert und 


1) N. LiEBERKÜHN, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Spongillen (Archiv für Anatomie und 
Physiologie, 1856; p. 1—19; p. 399—414; p. 496—514; Taf. XV und Taf. XVIII, Fig. 8, 9). LieBER- 
KÜHN fasst die Resultate dieser Untersuchungen in folgenden Worten zusammen: „Die Embryonen der 
Spongillen sind mit einem Wimperepithelium auf ihrer ganzen Oberfläche bedeckt. Diese Embryonen 
gehen aus den sogenannten Keimkörnerconglomeraten hervor. Wenn die bewimperten Embryonen sich 
festsetzen, nehmen sie die Gestalt der ausgebildeten Spongille an. Die contractilen Zellen der letzteren 
bilden sich nach dem Zerfall der Keimkörner theils schon in dem bewimperten Embryo, theils erst nach 
dem Verschwinden der Wimpern. Es ist dies eine sogenannte Generatio aequivoca der Zellen oder eine 
extracellulare Zellenbildung. Die Kieselnadeln entstehen innerhalb der Zellen. Das hornartige Gewebe 
der Gerüste und der Gemmulaschalen ist ein Ausscheidungsproduct der Zellen. Die junge Spongilla er- 
hält bald nach der Festsetzung des Embryo einen röhrenförmigen Fortsatz mit einer verschliessbaren 
Oeffnung, aus welcher in einem Flüssigkeitsstrome feste Substanzen ausgeworfen werden. Ausserdem 
findet sich mindestens eine Stelle, durch welche fremde Substanzen zeitweise aufgenommen werden; im 
Uebrigen ist der Körper der jungen Spongille überall geschlossen. In den ausgebildeten Spongillen kom- 
men Wimperzellen vor. Die Nadelgerüste sind kein inneres Skelet der Spongille, sondern ein Gerüst, 
welches sie unter Umständen verlassen kann; letzteres findet häufig statt, bevor die Spongille abstirbt, 
ferner bei der Bildung der Gemmulae. Die Gemmulae sind keine Eier, sondern eine Art von Cysten oder 
Gehäusen, aus denen dieselben Wesen durch den Porus wieder auskriechen, welche sie gebildet haben. 
Sogleich nach dem Auskriechen und auch unmittelbar vor demselben findet Zellentheilung und Bildung 
neuer Nadeln statt. Die ausgekrochenen Spongillen bekommen später röhrenförmige Fortsätze. Entweder 
setzen sie sich nach dem Auskriechen auf dem Gerüst fest, in welchem die sie einschliessenden Gemmulae 
steckten, und leben alsdann in Colonien auf demselben, oder es baut sich ein jedes Exemplar auf dem- 
selben ein neues Gerüst, wenn die Gemmula beim Auskriechen ihres Bewohners sich nicht mehr auf einem 
Gerüst befand. Die als Eier betrachteten Körperchen der Spongillen haben neben Keimkörnern eine 
Keimblase und einen Keimfleck, welche sich in den gewöhnlichen Keimkörnerconglomeraten nicht vor- 
finden. Die als Spermatozoiden angesehenen Gebilde entwickeln sich in unbeweglichen Kapseln und wei- 
chen in ihren Haupteigenschaften nicht von den Spermatozoiden vieler Thiere ab.“ 

2) LieBERKÜHnN, Beiträge zur Anatomie der Spongien. Archiv für Anatomie und Physiologie, 1857, 
p- 376—403; Taf. XV. 


5. Untersuchungen von Lieberkühn. 15 
dann die wesentliche Uebereinstimmung desselben mit dem Bau eines marinen 
Kieselschwammes nachgewiesen wird. Letztere ist die Spongia limbata , JOHNSTON 
(— Chalina limbata, BOWERBANK). Von der Spongilla beschreibt LiEBERKÜHN 
zunächst die äussere Haut, d.h. die Dermal-Membran, welche gleich dem grössten 
Theile des übrigen Körpers aus amoeboiden Zellen (den speecifischen Schwamm-Zellen) 
besteht, und unter welcher sich bei den Süsswasserschwämmen sehr ausgedehnte 
subdermale Hohlräume finden (die „Intermarginal-Cavities“ von BOWERBANK). Die 
ganze äussere Haut ist von zahllosen Poren durchbrochen, welche in sehr wechselnder 
Zahl und Grösse vorkommen, entstehen und vergehen, und oft sämmtlich geschlossen 
werden können. Das Wasser tritt durch die Poren zunächst in die weiten subder- 
malen Hohlräume und von da in die engsten Verästelungen des Kanalsystems, welche 
nach innen hin zu immer grösseren Kanälen zusammenfliessen, und mit den überall 
zerstreuten kugeligen „Wimper-Apparaten“ zusammenhängen. In diesen Höhlungen 
sitzen die Wimperzellen, mit je einer langen Cilie, durch deren Schwingungen der 
Wasserstrom erzeugt wird. Schliesslich tritt das Wasser durch eine oder mehrere 
grosse dünnhäutige Ausflussröhren aus, welche sich gleich den Poren öffnen und 
schliessen können. Durch diese Röhren werden mit dem Wasser auch die „Fort- 
pflanzungskörper“ entleert, „bewimperte rundliche Embryonen“, welche aus befruch- 
teten Eiern („Keimkörner-Conglomeraten“) entstehen. Die Befruchtung geschieht 
durch Zoospermien, welche den Wimperzellen ähnlich, aber viel kleiner sind. Ausser- 
dem werden noch die Bewegungserscheinungen der Zellen und des ganzen Körpers 
beschrieben, und der Verschmelzungs-Process, wenn mehrere getrennte Spongillen 
oder Stücke von solchen zusammenwachsen. 

Ueber eine grössere Anzahl der verschiedensten Spongien erstrecken sich die 
Untersuchungen, welche LieBErkünn später theils in Helgoland, theils in Triest an- 
stellte und 1859 publieirte!). Hier wird zunächst ein Gallertschwamm (Halisarca), 
dann mehrere Hornschwämme bezüglich ihres anatomischen Baues genau beschrieben, 
ferner einige Kalkschwämme und eine grössere Anzahl von Kieselschwämmen. Von 
den Kalkschwämmen untersuchte er zwei Gattungen: Grantia (= Ascandra, H.) 
und Sycon (= Sycandra, H.) (l. c. p. 371—382). Von Sycandra eiliata, H. aus 
Helgoland und von $. vaphanus, H. aus Triest (welche beiden Arten LiEBERKÜHN 
als Sycon eiliatum zusammenfasst), beschreibt er den Magen (die „innere grosse 
Höhle“), die Mundöffnung („Ausflussöffnung“), die Radial-Tuben („Wimperapparate‘“) 
und den Bau des Skelets, ferner die Eier und die Embryonen. 

Bei Ascandra complicata, H. von Helgoland und Ascandra Lieberkühniü, H. 
von Triest (welche LiEBErkÜnn als Grrantia botryoides zusammenfasst), schildert er 


1) Liegerkünn, Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. Archiv für Anatomie uud Physiologie, 
1859, p. 353—382 und 515—529; Taf. IX, X, XI. 


16 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


den „mannichfaltig verästelten Körper“ als „dünnwandigen Hohleylinder“, dessen Aeste 
am obern Ende Ausströmungsöffnungen tragen. „An der Wand desselben unterscheidet 
man eine äussere Haut, welche keine deutlichen Zellengrenzen erkennen lässt und 
hin und wieder mit kleinen Löchern versehen ist. Letztere führen in einen Hohlraum, 
der sich durch die ganze Wand erstreckt. Die nach innen sehende Grenze der Wand 
wird durch eine Lage sehr bestimmt gegen einander abgegrenzter kleiner Zellen 
gebildet.“ Ferner fand er „bei Zerreissung des lebenden Körpers grosse Stücke 
zusammenhängender Wimperzellen, ausserdem auch die gewöhnlichen beweglichen 
Parenchym-Stücke.‘“ 

Viel umfassender und eingehender sind die anatomischen Angaben, welche LIEBER- 
künn 6 Jahre später (1865) über den Bau der Kalkschwämme mittheilt!). Die 
Ascandra (Grantia) besteht danach „aus einem Netzwerk verzweigter cylindrischer 
Röhren, deren Wandungen aus zwei Schichten von Geweben zusammengesetzt sind, 
nämlich aus einer Schicht contractilen Parenchyms und aus einer Lage von Wimper- 
zellen, welche die Innenfläche des contractilen Gewebes bedecken. Die Einströmungs- 
löcher sind mikroskopisch und durchbrechen an den verschiedensten Stellen die Wand 
des Hohleylinders. Sie führen direct in die Hohleylinder das Wasser ein, und an 
offenen Enden der vielen Hervorragungen strömt es wieder aus“ (l.c. p. 734). Das 
Resultat dieser Untersuchungen fasst LIEBERKÜHN in folgenden Sätzen zusammen (|. c. 
p. 738): „Man muss sich vorstellen, dass die Grantien aus einem Substrat, der Gallert- 
oder contractilen Substanz bestehen, das eine freie Aussen- und eine mit Wimper- 
epithel besetzte Innenfläche besitzt. An allen Theilen des Schwammkörpers kommt 
die contractile Substanz vor, das Wimperepithel kann dagegen stellenweise fehlen; 
Wimpervorrichtungen ohne contractiles Substrat existiren nicht. Contractiles Paren- 
chym ohne Wimperbesatz bildet bei den Grantien die Umgebung der Ausströmungs- 
öffnungen an den freien Enden der Cylinder, und auch sonst kommen an der Körper- 
wandung in dem Umfang der Einströmungsöffnungen kleine Strecken ohne Wimperbelag 
vor. Die Anordnung der Nadeln macht keine Schwierigkeit: sie stecken theilweise 
im contractilen Parenchym fest, welches Scheiden um sie herum bilden kann, theil- 
weise ragen sie über die Aussenfläche des Körpers frei hervor, theilweise geschieht 
das auch in die mit Wimpern besetzte Körperhöhle hinein, ja selbst die contractile 
Substanz kann die die Wimperzellenlage durchbrechenden und in die Höhle hinein- 
sehenden Nadelstücke noch überziehen.“ 

Die Resultate seiner Untersuchung der Syconen fasste LIEBERKÜHN (. c. p. 747) 
in den Worten zusammen: „Die Syconen bilden einen spindelförmigen oder eylindri- 
schen Sack, dessen Wandungen nach aussen ausgestülpt sind zu nahezu kegelförmigen 


1) N. Liegerkünn, Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien. Archiv für Anatomie und Physiologie, 
1865; p. 732- 748. Taf. XIX. 


6. Untersuchungen von Oscar Schmidt. 7 


Hervortreibungen. Diese bestehen wie die Wandungen der Grantien aus einem Sub- 
strat von contractiler Substanz und aus dem Wimperepithel, das die Innenfläche der 
Hohlkegel auskleidet. Die Hohlkegel sind an ihren frei hervorragenden Theilen mit 
den Einströmungsöffnungen versehen; wo sie zu der gemeinsamen Körperhöhle mit 
ihren Basen zusammenstossen, sind die Ausmündungsstellen der Wimperhöhlen in die 
gemeinsame Körperhöhle, welche am oberen Ende die Ausströmungsöffnung des 
ganzen Schwammes trägt. Diese Wimperapparate treten zuerst als Zellenanhäufungen 
in der glatten Wand des Körpers auf, welche sich allmählich ausbuchtet und so zu 
der Wimperhöhle auswächst.“ 


6. Untersuchungen von Oscar Schmidt. 


Die spongiologischen Arbeiten von Oscar SCHMIDT, welche vor mehr als zehn 
Jahren begonnen und seitdem mit wachsendem Erfolge bis zur Gegenwart fortgesetzt 
wurden, können in mehrfacher, namentlich in morphologischer und systematischer 
Beziehung , als die wichtigsten Forschungen bezeichnet werden, welche bis jetzt über 
die Naturgeschichte der Schwämme veröffentlicht wurden. Ohne gegen seine ver- 
dienstvollen Vorgänger GRANT und JOHNSTON, BOWERBANK und LIEBERKÜHN unge- 
recht zu sein, können wir Oscar ScHmipr’s Arbeiten schon desshalb als die werth- 
vollste Bereicherung der Spongien-Literatur bezeichnen, weil er bestrebt war, das 
ganze Erscheinungsgebiet dieser Thierklasse im Zusammenhange zu beherrschen, auf 
vergleichend-anatomischem Wege Licht in das Chaos ihrer mannichfaltigen Formen- 
Masse zu bringen, und durch Anwendung der Descendenz-Theorie zu ihrem 
wahren Verständniss zu gelangen. Die Untersuchungen von ScHamipr sind in meh- 
reren kleineren und fünf grösseren Arbeiten niedergelegt, welche von 1862— 1870 in 
Zeiträumen von je zwei zu zwei Jahren erschienen. 

Die erste Anregung zu seinen Spongien-Untersuchungen erhielt Oscar ScHmiprT 
durch den höchst unvollkommenen Zustand der systematischen Literatur in dieser 
Thierklasse. Noch vor 12 Jahren war die Species-Kenntniss der Spongien, und na- 
mentlich der mittelländischen, so mangelhaft, „dass die gemeinsten der venetianischen 
und triestiner Arten nach den vorhandenen Werken nicht zu bestimmen waren. Was 
für andere Gruppen der niederen Organismen zum Theil schon im vorigen Jahrhundert 
geschehen, Feststellung der hauptsächlichsten Arten, das fehlte für die Spongien.“ 
ScHmipr war daher nicht im Stande, auch nur die häufigsten der zahlreichen 
Schwamm-Arten, welche er bei wiederholten Besuchen des adriatischen Meeres er- 
halten hatte, zu bestimmen, und begab sich im Herbst 1561 nach Dalmatien, um an 
Ort und Stelle umfassend und genau die adriatische Spongien-Fauna kennen zu lernen. 
Hier sammelte und beobachtete er zuerst bei Zara und Sebenico, auf der Rückreise 


' auch bei Triest und Venedig. Die hier gesammelten Erfahrungen sind niedergelegt 
Haeckel, Kalkschwäimme. 1. 2 


18 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


in einem Werke, welches die erste sichere Grundlage für die Kenntniss der Mittel- 
meer-Spongien bildete!). Dasselbe enthält: 1. Historische Erläuterungen, betreffend 
einige frühere Arbeiten über die Schwämme des adriatischen Meeres; 2. allgemeine 
Bemerkungen über die Kalk- und Kieselgebilde, und 3. über die Vertheilung der Arten 
im Beobachtungs-Gebietee Dann folgt (p. 13—79) die systematische Beschreibung 
von 115 Species (darunter 95 neue), welche auf 29 Genera und 6 Familien vertheilt 
werden (1. Caleispongiae, 2. Ceraospongiae, 3. Gummineae, 4. Corticatae, 5. Hali- 
chondriae und 6. Halisareinae). Die Kalkschwämme characterisirt Schmipr als 
„Spongiae parvae, plerumque albicantes, corpore spiculis calcareis pertexto“, unter- 
scheidet davon 5 Genera mit 11 Arten, und bemerkt dazu: „Die Kalkschwämme 
bilden eine kleine, aber bestimmt abgegrenzte Familie, deren Arten sich durch das 
Vorhandensein von Kalknadeln auszeichnen. Unter letzteren walten solche mit drei, 
ziemlich in einer Ebene liegenden oder eine stumpfe Pyramide bildenden Strahlen vor. 
Ihr Vorkommen ist an keine bestimmte Tiefe gebunden. Doch gehören die meisten 
der Litoralzone an.“ 

Zwei Jahre später veröffentlichte Oscar ScHMiprT eine zweite Abhandlung, deren 
grösster Theil der Histologie der Spongien gewidmet ist 2). Dieselbe beschreibt und 
erläutert ausführlich: 1. die Sarcode als wesentlichen Bestandtheil des Schwamm- 
körpers; 2. die Körnchen und Körnchen -Conglomerate; 3. Isolirte Sarcode-Theile, 
echte Zellen, Wimperkörbe; 4. die Fasern und Fibrillen der Hornspongien; 5. Ueber- 
einstimmung der Ergebnisse mit Max Schurtze’s Protoplasma-Theorie; 6. die syste- 
matische Stellung der Spongien. Dann folgen als zweiter Abschnitt systematische 
Ergänzungen und Beschreibung neuer Arten aus dem Adriatischen Meere; unter 
letzteren drei neue Kalkschwämme. 

Die histologischen Untersuchungen beziehen sich grösstentheils auf Hornschwämme, 
nächstdem auch auf Kieselschwämme; Kalkschwämme wurden nicht untersucht. Vor- 
zugsweise erörtert SCHMIDT die Sarcode-Frage und sucht den Nachweis zu führen, 
dass der grösste Theil des Körpers bei allen Schwämmen nicht aus persistirenden 
Zellen, sondern aus Sarcode oder aus freiem Protoplasma, mit oder ohne eingestreute 
Kerne, bestehe. Er läugnet überhaupt die Existenz der „vorzugsweise so genannten 
Schwammzellen der Autoren, sofern sie die Grundmasse des Schwammes bilden sollen“. 
Die Hornfasern der Hornschwämme lässt er direct aus erhärteten Sarcode-Strängen 
entstehen. ScHhmipr constatirt ferner, dass die Schwämme aus einfachen Eizellen 
sich entwickeln, und dass aus diesen zunächst vielzellige bewimperte Embryonen 


1) Oscar ScHMIDT, Die Spongien des adriatischen Meeres (Leipzig 1862; 88 S. 4° und sieben 
Kupfertafeln). Ich werde dieses Hauptwerk kurz unter der Bezeichnung ‚‚Adriat. Spong.‘‘ eitiren. 

2) Oscar Scumipt, Supplement der Spongien des adriatischen Meeres, enthaltend die Histologie 
und systematische Ergänzungen (Leipzig 1864; 48 Seiten 4° und 4 Tafeln). Ich werde diese Schrift 


stets als „Adriat. Spong. I. Supplem.‘“ eitiren. 


6. Untersuchungen von Oscar Schmidt. 19 


hervorgehen. Diese bleiben theilweise selbstständig (Wimperzellen, Eier), theilweise 
verschmelzen sie mit einander zur Bildung der Sarcode. Schmipr vergleicht in dieser 
Beziehung die Spongien mit den Radiolarien, bei denen nach meinen Untersuchungen 
(Monographie der Radiolarien. Berlin 1862) ebenfalls ein Theil des Körpers aus selbst- 
ständig bleibenden, ein Theil aus verschmolzenen Zellen besteht. Diese Auffassung 
der Spongien -Histologie ist speciell für die Kalkschwämme vollkommen richtig, wie 
ich nachher im Einzelnen zeigen werde. Ausgehend von jenem Vergleich mit den 
Radiolarien stellt Scammr die Schwämme mit diesen zusammen zu den Rhizopoden 
und gruppirt die Klassen der Protozoen (abgesehen von den Gregarinen) folgender- 
massen: I. Protozoen mit Pseudopodien: 1. Acyttarien, 2. Radiolarien. II. Protozoen 
ohne Pseudopodien: 3. Spongien, 4. Infusorien. 

Der wichtigste Theil dieser Arbeit (des I. Supplements) ist die Bestimmung des 
Individualitäts-Begriffes der Spongien, welche ScHhmipr in den Worten zusammenfasst: 
„Der eine Theil der Spongien ist als Einzel-Individuen, der andere als Stöcke auf- 
zufassen. Diejenigen Schwämme, welche regelmässig nur eine Ausströmungs-Oeffnung 
besitzen, sind Einzel-Individuen (Sycon, Caminus). Die Concentrirung der Lebens- 
Erscheinungen dieser Spongien spricht sich also darin aus, dass das Wassergefäss- 
system, diese für den Spongien -Typus jedenfalls fundamental wichtige Einrichtung, 
ein einheitliches ist. Die Spongien mit mehreren oder vielen Ausströmungs - Oeft- 
nungen sind dagegen Thiercolonien.“ Mit dieser Auffassung war zum ersten Male das 
persönliche Individuum der Spongien annähernd richtig aufgefasst. 

Abermals zwei Jahre später publicirte Oscar ScHMipr eine dritte Abhandlung t), 
deren Hauptaufgabe die Zusammenstellung, Kritik und Reduction der Benennungen 
war, welche Schmipr und BOwERBANK unabhängig von einander für die Spongien- 
Genera in das System eingeführt hatten. Es waren nämlich die systematischen 
Haupt-Arbeiten dieser beiden Forscher, welche das ganze System der Spongien auf 
neuer Grundlage aufbauen sollten, in einem und demselben Jahre, 1862, erschienen, 
und keiner von Beiden hatte von der gleichzeitigen Arbeit des anderen Kenntniss 
gehabt. BOWERBANK hatte seine britischen Spongien nach anderen Principien unter- 
sucht, mit anderen Namen benannt, und nach anderen Gesichtspunkten classificirt, 
als Schmipr seine adriatischen Schwämme. So erscheinen denn in diesen beiden 
wichtigen, gleichzeitig erschienenen Werken die beiden Faunen, britische und adria- 
tische, einander völlig fremd. Wie Scumivr selbst richtig bemerkt, „würde die heil- 
loseste Verwirrung eintreten, wollte man auf diesen Beschreibungen fortbauen, ehe 
eine Vergleichung und Auseinandersetzung stattgefunden. Dieselbe hat aber nicht 
bloss, so zu sagen, ein philologisches und literarisches Interesse; sie ist an sich für 


1) Oscar ScHmipT, Zweites Supplement der Spongien des adriatischen Meeres; enthaltend die Ver- 
gleichung der adriatischen und britischen Spongien-Gattungen (Leipzig 1866; 23 Seiten 40 mit einer Tafel). 
Ich werde diese Schrift stets als „Adriat. Spong. II. Supplem.‘“ eitiren. 


2% 


20 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


die Spongiologie von grösster Wichtigkeit.“ ScHMmiprT unterzog sich dieser sehr müh- 
samen, aber unentbehrlichen Redaction, indem er nach England reiste und dort 
BOWERBANK’S reiches Material an Ort und Stelle einer sorgfältigen Durchsicht und 
Vergleichung unterwarf. Die Resultate derselben sind in dem „zweiten Supplement“ 
zusammengefasst, in welchem ausserdem auch noch einige andere, inzwischen er- 
schienene spongiologische Arbeiten, namentlich von KÖLLIKER und LIEBERKÜHN, eine 
kritische Erörterung finden. 

Der erste Abschnitt des II. Supplements behandelt die „Morphologischen Diffe- 
renzen“ in der Auffassung des Spongien-Organismus und vorzüglich seines Canal- 
systems bei Schmipr und bei BOwERBANK. Insbesondere greift Schmipr die „Inter- 
marginal-Cavities“ an, welche BowERBANK bei den Rindenschwämmen (Geodia, 
Pachymatisma etc.) beschrieben und irrthümlicherweise mit den Radial-Tuben der 
Syconen in Homologie gestellt hatte, indem er die Gastral-Ostien der letzteren für die 
„Oscula“ erklärte. Diese ebenso gezwungene als undurchführbare Homologie wird 
widerlegt und gezeigt, dass vielmehr der ganze Körper der unverästelten Syconen ein 
einziges Individuum mit einem Osculum repräsentirt. 

Der zweite Abschnitt des II. Supplements erörtert die „Generischen Charactere“ 
und die Prineipien, nach denen die Gattungs-Begriffe von beiden Autoren aufgefasst 
sind. ScHaipr zeigt, dass BOwERBANK dabei viel zu einseitig das Hauptgewicht auf 
die Lagerung der Skelettheile gelegt und die wichtigere Form derselben zu wenig 
berücksichtigt habe. Letztere ist aber gerade an erster Stelle zu verwerthen. 

Der dritte Abschnitt enthält die specielle „Kritik und Synonymie der Gattungen“ 
und versucht die britischen und adriatischen Genera im Einzelnen zu reduciren. Für 
uns sind hiervon nur die ersten beiden Seiten (p. 7, 8) von Interesse, welche die 
Kalkspongien behandeln. Die Zusammenstellung ergiebt: 1. Grantia, BOWERBANK 
— Sycon, Dunstervillia, Ute, Schmivr. 2. Leucosolenia, BOWERBANK — Nardoa, 
Grantia, SCHMIDT. 3. Leuconia, BOWERBANK — Grantia, ScHmipr. 4. Leuco- 
gypsia, BOWERBANK ist von Leuconia desselben Autors gar nicht wesentlich ver- 
schieden, wie Schmipr mit Recht hervorhebt. 

Wiederum zwei Jahre später erschien eine dritte Abhandlung Oscar Scuuipr's, 
welche die Kenntniss der Spongien -Fauna des Mittelmeeres wesentlich erweiterte und 
abrundete, hauptsächlich aber durch ihre genealogische Auffassung des Spongien- 
Systems wichtig ist!). Sie enthält im ersten Abschnitte (p. 1—23) die „Specielle 
Beschreibung der Spongien der Küste von Algier“, welche grösstentheils von LAcaAze- 
Duruıers bei der „Exploration scientifique de l’Algerie“ gesammelt worden waren. 
Es sind im Ganzen 77 Arten, unter denen sich auffallender Weise nicht ein einziger 


1) Oscar ScumiDT, Die Spongien der Küste von Algier, mit Nachträgen zu den Spongien des adria- 
tischen Meeres (Drittes Supplement. Leipzig 1868; 44 Seiten mit 5 Tafeln). Ich werde diese Schrift als 
„Algier. Spong.‘‘ oder als „‚Adriat. Spong. III. Supplem.“ eitiren. 


6. Untersuchungen von Oscar Schmidt. 91 


Kalkschwamm befindet. Der zweite Abschnitt (p. 24—32) bringt „Ergänzungen zur 
Spongien-Fauna des adriatischen Meeres und Beschreibung der bei Cette beobachteten 
Arten“. Es wird darin ein neuer adriatischer Kalkschwamm, Syconella quadrangu- 
lata, beschrieben (— Sycortis quadrangulata, H.), als Repräsentant eines neuen 
Genus, welches sich durch ein „Osculum ohne Strahlenkrone, aber am Ende eines 
dünnhäutigen, schornsteinartigen Aufsatzes“ auszeichnet und von den nächstver- 
wandten Gattungen Sycon, Dunstervillia, Ute unterscheidet. Unter den „Spongien 
aus den Umgebungen von Cette“ werden drei Arten Kalkschwämme erwähnt, darunter 
als neue Species Ute viridis. 

Der dritte Abschnitt (p. 33—41) ist der wichtigste Theil dieser Arbeit und er- 
läutert „die Verwandtschaftsverhältnisse der mittelmeerisch -adriatischen Spongien‘“. 
Dieser Abschnitt ist desshalb von Bedeutung, weil darin zum ersten Male die Natur- 
geschichte der Schwämme im Lichte der Descendenz - Theorie betrachtet und dadurch 
plötzlich das tiefe Dunkel erhellt wird, welches bisher dieses wenig erforschte Gebiet 
verhüllte.e Während Schmipr sich anfänglich gegen die Descendenz-Theorie ableh- 
nend oder doch kühl, dann schwankend und zweifelnd verhalten hatte, ist er jetzt 
durch seine 8 Jahre hindurch fortgesetzten sorgfältigen Schwamm - Studien bereits zu 
einem entschiedenen Anhänger des Darwinismus geworden, und weist nach, wie 
sich die ausserordentlich verwickelten Verwandtschafts- Verhältnisse der mittelmee- 
risch-adriatischen Spongien - Gattungen eben nur durch die Abstammungslehre über- 
haupt begreifen und erklären lassen. Der auf S. 35 mitgetheilte Stammbaum erläutert 
dies mit einem Blick. Was die Kalkspongien betrifft, so werden dieselben darin allen 
übrigen Schwämmen als eine eigenthümliche Gruppe gegenüber gestellt und in zwei 
Abtheilungen gebracht: Sociales (Leucosolenia, Clathrina, Nardoa, Leuconia, 
Syeinula) und Solitariae (Üte, Dunstervillia, Sycon, Syconella). „Die Calci- 
spongien stehen eben so isolirt, so zahlreich die Fäden, welche die anderen Spongien 
mit einander verbinden.“ Den Kalkschwämmen gegenüber stehen alle übrigen 
Schwämme, welche von der gemeinsamen Grundform der Halisarcinen abzuleiten sind, 
„die das Schema der Spongien in einfachster Weise realisiren“. Von den Halisarcinen 
aus entwickeln sich nach der einen Richtung hin die Gummineen und Corticaten; 
nach der anderen Richtung hin die Ceraospongien und Chalineen, aus diesen die 
Compagineen und Fibrineen. Namentlich unter den Fibrineen (Scopalina, Desma- 
eidon) findet Schmipr „eine Reihe sogenannter Arten in einem Zustande der Un- 
sicherheit und Veränderlichkeit, welcher sie theils als verkümmernde, theils als 
werdende Arten characterisirt, und wodurch sie für die Descendenztheorie und die 
genealogische Systematik von höchstem Interesse werden.“ Auch liefern sie „klare 
Beispiele, wie durch Accommodation eine Gattung in eine andere umgewandelt ist“. 

Die fünfte und letzte grössere Spongien-Arbeit von Oscar Schmipr, welche aber- 
mals zwei Jahre später erschien, ist unter allen seinen Abhandlungen die lehrreichste 


23 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


und wichtigste, einestheils weil sie das bisher ausschliesslich untersuchte engere 
Spongien-Gebiet des Mittelmeeres verlässt, „die Säulen des Hercules überschreitet‘ 
und das viel weitere atlantische Gebiet mit einem weit reicheren Materiale umfasst; 
anderntheils weil der Verfasser inzwischen seine morphologischen Anschauungen zu 
voller Reife entwickelt und in den letzten Jahren bezüglich der wichtigsten Probleme 
unter dem befruchtenden Einflusse des „Darwinismus“ völlig reformirt hatte!). Man 
kann dieses Werk auch als den ersten Versuch zu einer wahren „vergleichenden 
Anatomie der Spongien“ betrachten, insofern darin die höchst mannichfaltigen 
Formen der Schwämme, namentlich auch ihrer mikroskopischen Skelettheile, zum 
ersten Male auf einfache Grundformen zurückgeführt, für die Erkenntniss der 
Stammes- Verwandtschaft im weitesten Umfange benützt und also phylogenetisch 
verwerthet werden. Obgleich Schmipr hierzu schon in den „Spongien von Algier“ 
den Anfang gemacht und auch daselbst bereits seine völlige Bekehrung zum Dar- 
winismus offen ausgesprochen hatte, ist dennoch die Frucht derselben, das dadurch 
erzeugte wahre Verständniss der Formen erst in den Grundzügen der atlantischen 
Spongien-Fauna völlig sichtbar. Dieses Werk wird für alle weiteren Arbeiten, welche 
das System der Schwämme (mit Ausnahme der Kalkschwämme) umfassend erkennen 
und weiter ausbilden wollen, in Zukunft die unentbehrliche Grundlage sein. Die 
Kalkschwämme sind dabei nicht berücksichtigt, da Schmp deren Bearbeitung meiner 
schon damals begonnenen Monographie freundlichst überlassen hatte. Der wichtigste 
Theil des Werkes sind die einleitenden „Betrachtungen zur Systematik“ (p. 1—12), in 
welchen der Verfasser das Ungenügende aller bisherigen Olassifications-Versuche dar- 
thut und das natürliche, d. h. das genealogische System der Spongien auf neuer 
Grundlage, auf der Basis der Descendenz-Theorie zu reformiren unternimmt. Das 
schliessliche Gesammt-Ergebniss aller seiner Untersuchungen gipfelt in dem, von mir 
schon 1869 ausgesprochenen Satze: „Die ganze Naturgeschichte der Spongien ist eine 
zusammenhängende und schlagende Beweisführung für Darwin.“ 

Der erste Abschnitt der „Betrachtungen zur Systematik“ behandelt die „Grund- 
formen und Variabilität der Kieselkörper“; der zweite „die Fasernetze und die Grup- 
pirung der Harttheile‘“; der dritte die „Anpassungs- und Vererbungs-Bildungen (Ana- 
logien und Homologien)“. Die hierbei entwickelten Ideen sind die bedeutendsten und 
fruchtbarsten, welche bisher für das Verständniss des Formen-Chaos der Spongien- 
Welt gegeben wurden, und sie setzen namentlich den rein descriptiven Arbeiten 
BOWERBANK’S gegenüber die weite Kluft in helles Licht, welche die erklärende 
Morphologie von der bloss beschreibenden trennt. 

Die „specielle Beschreibung der im (atlantischen) Beobachtungs-Gebiete vorkom- 
menden Spongien“ hat für unsere Arbeit nur insofern specielles Interesse, als am 


1) Oscar Schmivr, Grundzüge einer Spongien-Fauna des atlantischen Gebietes (88 Seiten mit 


6 Tafeln), Leipzig 1870, Ich werde diese Schrift als „‚Atlant, Spong.“ eitiren, 


7. Untersuchungen von Kölliker. 23 


Schlusse der sorgfältigen Gattungs-Diagnostik der Kiesel- und Hornschwämme auch 
noch eine Anzahl von Kalkschwämmen kurz beschrieben und durch Abbildungen er- 
läutert werden, welche an der Grönländischen Küste gesammelt waren und welche 
Scumipr schon früher (1869) kurz beschrieben und benannt hatte !). Da die frühere 
Beschreibung weniger zugänglich und in der „Spongien-Fauna des atlantischen Ge- 
bietes“ (p. 72— 75) grösstentheils wörtlich abgedruckt ist, werde ich mich bei meinen 
Citaten immer auf die letztere, neuere Publication beziehen (,„Atlant. Spong.“). Die 
Zahl der Grönländischen Spongien-Arten beträgt neun, aus den Gattungen Leucoso- 
lenia (1), Nardoa (1), Leuconia (1), Syeinula (3), Sycon (2), Ute (1). Am Schlusse 
der Atlantischen Spongien-Fauna fasst Schmipr die „Resultate für die Kenntniss der 
geographischen Verbreitung und für die Systematik“ zusammen (p. 73—84) und legt 
seine neuesten Ideen von dem „natürlichen Systeme“ der Spongien in einem Stamm- 
baume (p. 83) nieder. Danach entspringen aus der hypothetischen Gruppe der 
„Protospongiae“ als zwei getrennte Zweige einerseits die Kalkschwämme, anderseits 
alle übrigen Schwämme. 


7. Untersuchungen von Kölliker. 


Ueber den feineren histologischen Bau der Spongien, der bis dahin vorzugsweise 
durch Lieserkünn’s sorgfältige Untersuchungen bekannt war, wurden weitere Mit- 
theilungen 1864 durch KÖLLIKER in seinen „Icones histologicae“ gegeben ?). Die- 
selben beziehen sich grösstentheils auf den feineren Bau der Kiesel- und Horn- 
schwämme. Doch sind auch den Kalkspongien darin einige Seiten gewidmet (p. 68— 
65; Taf. VII, Fig. 10; Taf. VIII, Fig. 3; Taf. IX, Fig. 4—8). Untersucht wurden 
von ihm zwei Arten, ein Sycon (Dunstervillia elegans — Sycandra elegans, H.), 
und ein Ascon (Nardoa spongiosa, KÖLLIKER, wahrscheinlich = Ascaltis cerebrum, 
H. oder A. Gegenbauri, H.).. Von Sycandra (Dunstervillia) beschreibt er die 
Radial-Tuben als „Wimpercanäle“, und dazwischen die radialen Intercanäle als „nicht 
flimmernde Canäle, die Ausströmungscanäle zu sein scheinen“. Die Eier findet er 
„in der Wand der Wimpercanäle, unmittelbar nach aussen von dem Epithel“. Von 
Ascaltis (Nardoa) untersuchte KÖLLIKER eine Auloplegma-Form, welche dicke, 
kugelige oder platte, mundlose Stöcke bildete, aus einem dichten engmaschigen Ge- 
flechte feiner Röhren zusammengesetzt. Es scheinen ähnliche Stöcke gewesen zu sein, 
wie ich auf Taf. VIII von Ascaltis cerebrum abgebildet habe. Die sehr entwickelten 
Intercanäle, welche sich bei allen solchen dicht geflochtenen Asconen-Stöcken zwischen 


1) Oscar Scumipr, Vorläufige Mittheilungen über die Spongien der Grönländischen Küste. (Mit- 
theilungen des naturwissenschaftlichen Vereins für Steiermark. 1869. Band II, Heft 1, p. 1—9). 

2) A. KöLLiker, Icones histologicae oder Atlas der vergleichenden Gewebelehre. I. Abtheilung. Der 
feinere Bau der Protozoen. Leipzig 1864 (Spongiae p. 46—75. Taf. VII—IX). 


94 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


den inwendig flimmernden Röhren (den Magenröhren) finden, haben KÖLLIKER in 
einen Irrthum verführt. Er hält nämlich die engen und vielfach anastomosirenden 
Intercanäle für „Ausströmungs-Canäle, welche der grossen Centralhöhle von Dunster- 
villia und Sycon entsprechen“; die anastomosirenden Magenröhren dagegen erklärt er 
für „dünnwandige Röhren, die von einem schönen Flimmerepithel ausgekleidet ein 
Netz von Wimpercanälen darstellen, wie es noch bei keiner Spongie gesehen ist“. Ich 
werde unten bei Besprechung des Intercanalsystems der Asconen auf diese Deutung 
zurückkommen. Er unterscheidet übrigens an der Wändung der Flimmercanäle „zwei 
Lagen, ein die Spieula tragendes Parenchym, das die nicht flimmernden Gänge be- 
grenzt, und ein Flimmerepithel auf der anderen Seite, zwischen welchen Lagen da 
und dort die Eier eingeschoben sind“. Das „die Nadeln tragende Gewebe (unser Exo- 
derm) besteht aus einer homogenen oder leichtstreifigen Grundsubstanz, mit ein- 
gestreuten länglichen Körpern (den Kernen des Syncytium), in denen KÖLLIKER 
bestimmt Zellen zu erkennen glaubt; die Scheiden der Spieula fasst er als eine 
selbstständige Bildung auf, „die vielleicht mit der Entwickelung dieser zusammen- 
hängt und der Rest von Bildungszellen ist“. Ausserdem fand er noch da und dort 
gegen das Flimmer-Epithel zu etwas grössere rundliche Zellen einzeln oder in 
Menge“, deren Bedeutung ihm unbekannt blieb. (Dies waren wohl unreife Eier.) 
Die reifen Eier „gleichen auf’s Täuschendste multipolaren Ganglienzellen mit ver- 
ästelten Ausläufern“. 

Die histologischen Verhältnisse, welche KöLLıker bei den Kalkschwämmen be- 
schreibt, fand er zum Theil auch bei den übrigen Schwämmen wieder; zum Theil 
zeigten diese aber auch eigenthümliche Verhältnisse. Sehr verbreitet findet er na- 
mentlich „eine Gewebsform mit Zellen und Zwischensubstanz“; ferner bei manchen 
Spongien (Aplysinen, Gumminen, Corticaten) ein „Fasergewebe aus spindelförmigen 
Zellen“. Für allgemein verbreitet hält er die „Parenchymzellen, die bei keiner 
Spongie zu fehlen scheinen“. Er unterscheidet vier verschiedene Zustände dieses 
Parenchyms: „a) Zellige Parenchyme mit gut begrenzten kernhaltigen Zellen; 
b) Parenchyme mit spärlicher Zwischensubstanz; ce) Parenchyme mit viel Zwischen- 
substanz, in der runde, spindelförmige oder sternförmige Zellen liegen; d) Parenchyme, 
in denen gar keine zellenähnlichen Körper, sondern nur Zellenkerne und eine wech- 
selnde Anzahl von Körnchen sich finden.“ Aus der Gesammt-Organisation der Spongien 
zieht KÖLLIKER den Schluss, dass dieselben zu den Protozoen zu stellen sind, sich 
aber sonst am meisten an die einfachsten Coelenteraten anschliessen. 


8. Untersuchungen von James-Clark. 


H. JAMES-CLARK in Pennsylvanien veröffentlichte 1866 einen Aufsatz: „On the 
Spongiae ciliatae as Infusoria flagellata; or observations on the structure, animality 


8. Untersuchungen von James-Clark. 35 


and relationship of Leucosolenia botryoides, BOWERBANK“!). In dieser Arbeit ver- 
sucht der Verfasser, welcher von den Schwämmen überhaupt nur eine einzige Ascon- 
Art kennt, und von allen übrigen Spongien keine Form näher untersucht hat, den 
Beweis für seine sonderbare Ansicht zu führen, dass die Schwämme weiter Nichts als 
Colonien von Flagellaten, und zwar Monaden, seien. Er beschreibt sehr genau, nach 
Beobachtungen mit sehr starken Vergrösserungen, die Form und Structur von 15 ver- 
schiedenen Flagellaten aus 10 besonderen Gattungen, und mitten unter diese (übrigens 
sehr bunte) Gesellschaft wird als „Monaden-Stock“ ein Kalkschwamm aus der 
Asconen-Familie gesetzt, welchen CLArk für Leucosolenia botryoides, BOWERBANK 
hält?). Er beschreibt sehr genau den anatomischen Bau der Ascon-Röhren und ihre 
Zusammensetzung aus zwei verschiedenen Lagern. Das äussere Lager, „eytoblaste- 
matous layer“ (unser Exoderm) ist ganz hyalin und structurlos und enthält die 
Spieula. Das innere Lager „monadigerous layer‘ (unser Entoderm) besteht aus den 
Monaden oder Flagellaten (unseren Geisselzellen). Ihre Lagerung wird derjenigen 
der Einzelthiere im Pyrosoma-Stock verglichen. -Jede Monade oder Geisselzelle hat 
eine lange Geissel (welche an ihrer Basis von einem Kragen umgeben ist), zwei con- 
tractile Blasen und eine Mundöffnung! Letztere hat CrArk allerdings nicht gesehen; 
aber sie muss da sein, weil die ähnliche Flagellaten-Form Codosiga eine besitzt (ein- 
fache Petitio Principii!). Diese Monaden hält CrArk für die einzigen wesentlichen 
Theile des Schwammes; alles Uebrige: Exoderm, Spicula, Poren, Oseula u. s. w. sind 
für ihn unwesentlich! Das Exoderm ist bloss „Common dormitory“ für die Monaden- 
Gesellschaft. Und darauf hin erklärt er alle Spongien für Infusoria ciliata, und 
prophezeit, dass man künftig alle verschiedenen Schwämme in verschiedene Flagel- 
laten-Familien: Monadoidae, Bicosoecoidae, Codosigoidae, Anthophysoidae etc. ein- 
ordnen werde! 


9. Untersuchungen von Miklucho-Maclay. 


Einen wichtigen Beitrag zur Kenntniss der Kalkschwämme lieferte 1868 Nıco- 
raus MiktucHno-MacrAy>). Derselbe hatte im Winter 18%6/,, mich auf meiner 
Reise nach den canarischen Inseln begleitet und dann auf meine Veranlassung während 


1) Memoirs Boston Soc. nat. hist. Vol. I, Pt. 3. 1866. Ein Auszug aus dem Inhalte dieser Abhand- 
lung, welche auch als selbstständige Schrift 1867 in Cambridge erschien, befindet sich im American Journal 
of Science 1866, Vol. 42, p. 320—326, sowie in den Annals and Mag. of nat. hist. 1866, Tom. XIX, 
p- 13—18. 

2) Die echte Leucosolenia botryoides, BOWERBANK (— Ascaltis botryoides, H.) hat bloss dreistrahlige 
und vierstrahlige Nadeln (keine Stabnadeln). Hingegen hat die von CLArk beschriebene Art bloss Drei- 
strahler und Stabnadeln (keine Vierstrahler) und ist wahrscheinlich = Ascortis fragilis, H. 

3) N. Mikzucno-MAcrAYv, Beiträge zur Kenntniss der Spongien. (Jenaische Zeitschrift für Mediein 


und Naturwissenschaft, 1868. Band IV, p. 221—240; Taf. IV und V.) 
. 


26 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


unseres dreimonatlichen Aufenthaltes auf der Insel Lanzerote die Untersuchung der 
reichen Spongien-Fauna dieser Küste begonnen. Ich konnte selbst einen Theil seiner 
Beobachtungen controliren und mich mit eigenen Augen von deren Richtigkeit über- 
zeugen. Dies gilt namentlich von der merkwürdigen Polymorphose der Guancha, 
während ich von der angeblichen Gemmula-Bildung derselben Nichts gesehen habe 
und die bezüglichen Mittheilungen für irrthümlich halten muss. 

Der grösste Theil der Beobachtungen von MıkLucHo bezieht sich auf einen neuen 
Kalkschwamm, welchen er Guuncha blanca nannte (= Ascetta blanca, H.); und die 
interessanteste Thatsache, welche er an demselben entdeckte, ist die ausserordent- 
liche, alles bisher Bekannte weit übertreffende Vielgestaltigkeit dieser Art. Das war 
das erste Beispiel der merkwürdigen Polymorphose, welche bei den Kalkschwämmen 
so verbreitet ist, und welche ihre Systematik so ausserordentlich erschwert. Mı- 
KLUCHO fand von seiner Guancha blanca theils unmittelbar neben einander sitzend, 
theils sogar auf einem Stocke vereinigt, mindestens drei (eigentlich sechs) verschiedene 
Formen, welche nach der bisher üblichen Classification der Kalkschwämme in ebenso 
viele verschiedene Genera hätten vertheilt werden müssen. Von den drei Haupt- 
formen der Guancha glaubte er die eine (Form A) in Schmipr’s Genus Ute, die 
andere (Form D) in desselben Genus Nurdoa und die dritte (C) in ein neues Genus 
stellen zu müssen. Daneben hätte er für drei andere Formen (B, E und G) noch 
drei andere Genera aufstellen können. Trotz der ganz verschiedenen äusseren Ge- 
stalt dieser Formen zeigten alle dennoch ganz denselben feineren Bau, und namentlich 
dieselbe characteristische Nadelform, und documentirten dadurch, wie durch ihr ge- 
meinsames Vorkommen, ihre Abstammung von einer Art. 

Der zweite Abschnitt von MıknucHo’s Beiträgen handelt „über den coelente- 
rischen Apparat der Schwämme‘ und bringt die ersten Beobachtungen (vorzüglich an 
Guancha blanca angestellt) über wechselnde Stromes-Richtung bei Schwämmen. Das 
Wasser kann durch die „Schornsteine“ oder die sogenannten „Ausströmungs- Oeff- 
nungen“ der Spongien nicht bloss ausströmen, sondern auch einströmen. Der einfache 
Leibes-Hohlraum der Guanch«a ist der Magenhöhle der Coelenteraten und seine Oeff- 
nung oder das sogenannte „Osculum“ der Mundöffnung der letzteren homolog. Auch 
der feinere Bau der Grancha und die Entwickelung von „bewimperten Embryonen“ 
im Innern ihrer Magenhöhle wird zu Gunsten dieser Ansicht gedeutet. Dem, ent- 
sprechend pflichtet MıkLucHo der zuerst von LEUCKART (1854 in seinem „Jahres- 
berichte“) ausgesprochenen Ansicht bei, dass die Spongien nicht (wie bisher fast alle 
anderen Zoologen annahmen) Protozoen, sondern Coelenteraten seien. In dem letzten 
Abschnitt (IV.) „über die Stellung der Schwämme in der Thierreihe“ erläutert er 
diese Verwandtschaft näher und kommt zu dem Ausspruche: „Die jetzt lebenden . 
Schwämme und Coelenteraten sind aus gemeinschaftlichen Grundformen entstanden, 
wobei aber die ersteren eine viel niedere Differenzirung eingegangen sind und zum 
Theil sich rückgebildet haben.“ r 


9. Untersuchungen von Miklucho-Maclay. 27 


Ganz irrthümlich sind die Mittheilungen, welche MıxLucno über „Gemmula- 
bildung bei Guancha“ macht (p. 228). Solche kommt überhaupt bei Kalkschwämmen 
niemals vor. Auch die Beobachtungen über den feineren Bau der Grancha sind zum 
Theil sehr ungenau. Die dünne Köperwand soll aus einer Zellenschicht und einer 
davon ausgeschiedenen, structurlosen und kernlosen Cuticula bestehen. Eine solche 
kommt aber bei Kalksckwämmen niemals vor. Die angebliche „Cuticula“ ist das 
Exoderm, in welchem Kerne und Nadeln liegen. Die Spieula sollen dagegen nach 
MıxLucHo „frei zwischen den Zellen“ liegen (was niemals der Fall ist). Die Haut- 
poren, welche die ganze Magenwand durchsetzen, beschreibt er als „sehr enge Canäle, 
die die äussere Hülle durchbrachen und sich in der mittleren Zellenschicht verloren ; 
bis in die verdauende Cavität liessen sich dieselben nicht verfolgen.“ Auch die Be- 
schreibung der Embryonen ist sehr maıgelhaft. Wichtig ist dagegen, was er „über 
die Stockbildung der Schwämme“ durch Verwachsung oder Concrescenz (p. 235) mit- 
theilt, und ich werde hierauf ausführlich zurückkommen. Später hat MixLucHo 
(1870) noch einen anderen Kalkschwamm als Baeria ochotensis beschrieben; doch ist 
diese Beschreibung sehr ungenau und ohne allgemeinen Werth. 


10. Untersuchungen von Carter. 


Die spongiologischen Arbeiten des englischen Naturforschers H. J. CARTER er- 
strecken sich über einen Zeitraum von beinahe einem Vierteljahrhundert, indem seine 
erste Publication bereits 1847 erschien. Allein alle seine frühern Arbeiten betreffen 
ausschliesslich den Süsswasserschwamm, die Spongilla, der zwanzig Jahre hindurch 
fast sein einziges Beobachtungs-Object bildete, und erst in den letzten fünf Jahren hat 
er angefangen, auch andere Schwämme in den Kreis seiner Untersuchungen zu ziehen. 
Namentlich datiren seine Untersuchungen über Kalkschwämme erst aus den letzten 
beiden Jahren, und dies ist der Grund, wesshalb wir dieselben erst an dieser Stelle 
anführen. 

Die älteren Arbeiten Carrer’s über Spongilla !) sind für uns hier nur insofern 
von Interesse, als die darauf gegründeten irrthümlichen Ansichten über die Organi- 
sation der Spongien lange Zeit hindurch einen bedeutenden Einfluss übten und in viele 
Lehrbücher übergingen. Dass Carrer’s mühsame, über zwei Decennien mit uner- 
müdlicher Ausdauer fortgesetzte Beobachtungen keine brauchbaren Resultate lieferten, 
liegt theils an seiner höchst einseitigen Untersuchungs- Methode und seinem Mangel 


1) H. J. Carter, Notes on the species, structure and animality of the freshwater Sponges in the 
tanks of Bombay (Transactions of the Bombay medical and physical society of 1847. Abgedruckt in 
Annals and Magazin of natural history 1848, p. 303—311. Andere Arbeiten CArTER’S über Spongila 
finden sich in den Annals and Magazin of natural history von 1849 (Vol. IV, p. 81); 1854 (Vol. XIV, 
p- 334); 1857 (Vol. XX, p. 21); 1859 (Vol. III, p. 12) und 1861 (Vol. III, p. 290). 


28 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


an vergleichendem Urtheil, theils an der unglücklichen Wahl seines ausschliesslichen 
Untersuchungs-Objectes. Es ist nämlich grade der Süsswasserschwamm, die Spongilla, 
einer von denjenigen Schwämmen, welche nicht allein der genaueren Beobachtung, 
sondern auch der richtigen Beurtheilung und dem wahren Verständniss des Spongien- 
Organismus die allergrössten Schwierigkeiten entgegen setzen, und sich grade für den 
Beginn spongiologischer Untersuchungen am wenigsten eignen. Daher ist es gewiss 
in hohem Masse zu bedauern (und auch von anderen Gesichtspunkten her kaum zu 
begreifen), dass CARTER sich während seines vieljährigen Aufenthalts in Bombay, an 
der Küste des indischen Oceans, wo er in seltenem Masse die beste Gelegenheit hatte, 
die reiche und noch so wenig bekannte Spongien-Fauna des indischen Oceans zu 
untersuchen, ganz exclusiv auf den Süsswasserschwamm beschränkte, den er eben so 
gut in England hätte untersuchen können. 

Schon in meinem Aufsatze „über den Organismus der Schwämme und ihre Ver- 
wandtschaft mit den Corallen“ hatte ich die Ansicht ausgesprochen, dass man diese 
Verwandtschaft zum Theil desshalb so lange übersehen und den Spongien-Organismus 
falsch gedeutet habe, weil die genauesten anatomischen Untersuchungen der neueren 
Zeit ihren Ausgangspunkt von dem Süsswasserschwamm (Spongilla) und dem ge- 
wöhnlichen Badeschwamm (Eispongia) nahmen. „Gerade diese beiden Formen 
weichen aber vielfach bedeutend von der ursprünglichen und typischen Bildung der 
ganzen Klasse ab, sind durch Anpassung an besondere Existenz- Bedingungen vielfach 
modifieirt und rückgebildet worden, und verleiten daher leicht, zumal da ihre Unter- 
suchung verhältnissmässig schwierig ist, zu irrthümlichen Auffassungen.“ (Jenaische 
Zeitschr. f. Med. u. Naturw. Bd. V, 1869; p. 214). Gegen diese Meinung hat nun 
CARTER neuerdings entschieden protestirt, und meint, dass ich nur desshalb die Caleci- 
spongien vorzugsweise hervorhebe und für das Verständniss des Spongien-Organismus 
bevorzuge, weil ich nichts Anderes kenne. Er sagt: „If HAEckEL had the same 
opportunities that I have had of studying the development of Spongilla, he would 
not have given a preference to the Caleispongiae for this purpose.“ Hierbei befindet 
sich aber CARTER entschieden im Irrthum. Ich kenne die Anatomie und Ontogenie 
der Spongilla aus eigenen Untersuchungen seit dem Jahre 1358. Ich würde aber 
dadurch nimmermehr, auch wenn ich seit jener Zeit ununterbrochen bloss mit dem 
Studium der Spongilla mich beschäftigt hätte, zu den Ansichten gelangt sein, welche 
in der vorliegenden Monographie der Kalkschwämme entwickelt und auf das verglei- 
chende Studium grade dieser Gruppe fest begründet sind!). Das liegt eben an dem 


1) CARTER sagt in den Annals and Magazin of natural history 1871, Vol. VIII, p. 21: „As a me- 
dallist in the classes of comparative anatomy and of human anatomy at University college in 1836—37, 
as a practical and experimental observer of Spongilla in its living state, for many years, when it 
grew in the tanks elose to my door at Bombay, and as a practical and experimental observer, for the 


last two years, on the marine sponges, both siliceous and calcareous, also in their living state, I 


10. Untersuchungen von Carter. 29 


Umstande, dass die Mehrzahl der Kieselschwämme im Allgemeinen, und die Spongilla 
im Besonderen sich viel weiter durch Anpassung von dem erblichen Urbilde, dem ur- 
sprünglichen Typus oder der Stammform der Spongien entfernt haben, als es bei den 
Kalkschwämmen der Fall ist. Das geht namentlich aus der stark modificirten Form 
ihrer Flimmerlarven und aus ihrer weiteren Ontogenese überhaupt hervor, aus dem 
traubenförmigen Typus ihres Astcanal-Systems, aus der Reduction ihres Entoderms, 
aus ihren Individualitäts- Verhältnissen u. s. w. 

Für diese meine Auffassung kann ich CARTER gegenüber kein vollgültigeres Zeug- 
niss anführen, als dasjenige von LIEBERKÜHN selbst. Auch dieser Anatom hatte, wie 
CARTER, seine Spongien-Untersuchungen an der Spongilla (1356) begonnen, hatte 
mehrere Jahre lang den gröberen und feineren Bau und die Ontogenese dieses Süss- 
wasserschwammes auf das Genaueste untersucht und war erst später zu anderen 
Spongien übergegangen. Aber erst nachdem er die Kalkschwämme einer sehr 
sorgfältigen Untersuchung und Vergleichung unterworfen, gelangte er zu demjenigen 
Verständniss des Spongien-Organismus, welches in seinen „Beiträgen zur Kenntniss 
der Kalkspongien“ neun Jahre später (1365) niedergelegt ist. Auch LiEBERKÜHN 
lernte erst durch Anwendung der bei den Kalkschwämmen gewonnenen Resultate die 
übrigen Schwämme und namentlich die Spongilla verstehen. 

Die Spongillen-Studien von CARTER sind daher für uns hier, wie schon bemerkt, 
lediglich desshalb von Bedeutung, weil derselbe daraus eigenthümliche Anschauungen 
über die Natur der Spongien überhaupt schöpfte, Anschauungen, die später sehr ein- 
flussreich wurden. Anfänglich (1847) kam CARTER zu dem Schluss, dass der ganze 
Schwamm weiter Nichts als ein stockähnliches Aggregat von proteus-artigen Wesen, 
eine Colonie von Amoeben sei. Ein Jahr später (1848) giebt er aber diese Ansicht 
auf und betrachtet den Schwamm als ein Mittelglied zwischen Thier und Pflanze. 
Neun Jahre später (1857) stellt er statt dessen die neue Ansicht auf, die eigentlichen 
Thiere des zusammengesetzten Schwammstocks seien die „flaschenförmigen Säcke“ 
(„ampullaceous sacs“, identisch mit den „Wimper-Apparaten“ von LIEBERKÜHN, den 
„Wimper-Körben“ von Schuipr, unseren „Geissel-Kammern“). Vier Jahre später 
endlich (1871) bekehrt sich Carter zu der inzwischen aufgestellten Ansicht von 
JAMES-CLARK, dass die eigentlichen Schwammthiere „Monaden“ oder „Infusoria fla- 
gellate“ seien, die „‚monade-like bodies“, aus denen die „ampullaceous-sacs“ zusammen- 
gesetzt sind (unsere Geissel - Zellen). 


think it might be assumed at least that, both by early education and subsequent opportunities, I ought to 
be qualified to give an opinion in this matter.“ Ich muss bedauern, diesen Anspruch des ‚‚medallist, 
practical and experimental observer‘‘ nicht anerkennen zu können. Gerade weil sich CARTER 20 Jahre 
lang nur mit der Spongilla beschäftigte, gerade weil er sie nur im lebenden Zustande, und 
nieht mit Hülfe mikrochemischer Reagentien untersuchte, ist sein Verständniss der Spongien so unvoll- 


kommen geblieben, abgesehen davon, dass er überhaupt kein morphologisches Urtheil besitzt. 


30 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


Erst im Jahre 1870 schrieb CARTER einen Aufsatz „über die Structur der See- 
schwämme“ 1), welcher mit dem völlig irrtnümlichen Satze beginnt: „The „ultimate 
structure“ of the marine is, mutatis mutandis the same as the „ultimate structure“ of 
the freshwater sponges“. Zunächst bespricht er die „Ampullaceous sacs“ (die „Geissel- 
kammern“), welche er 1857 als die eigentlichen Thiere des Schwammkörpers ange- 
sprochen hatte, die Polypen ähnlich in das spongiöse Parenchym desselben eingesenkt 
und aus einer Lage von inwendig flimmernden Zellen zusammengesetzt seien. 1859 
war CARTER zu der Ansicht gelangt, dass diese Körper nicht innerlich flimmernde 
Säcke, sondern äusserlich flimmernde Ballen, Volvocinen ähnlich, seien — eine 
Ansicht, die völlig unbegreiflich erscheint, sobald man nur einfach an die Lage der 
Geisselkammern denkt, die ja fest in der massiven Sarcode des Schwamm-Parenchyms 
eingebettet liegen! Wie sollen sich die Flimmerhaare, wenn sie äusserlich den 
„Wimper- Apparaten“ aufsitzen, überhaupt bewegen? Sollen sie in der Sarcode des 
Exoderm rotiren? 1861 hatte denn auch schon CARTER selbst diesen wunderlichen 
Einfall zurückgenommen und liess nun die Cilien wieder inwendig im Hohlraum des 
„ampullaceous sac“ sich bewegen. Den unvereinbaren Widerspruch zwischen diesen 
entgegengesetzten Ansichten suchte er nun 1870 dadurch auszugleichen, dass er die 
Cilien abwechselnd inwendig und auswendig an der Geisselkammer sich bewegen liess! 
(l. ce. p. 329). Dabei unterlässt es CARTER nicht, sich darüber zu beklagen, dass seit 
seiner Entdeckung der „ampullaceous sacs“ vor 12 Jahren Niemand (ausgenommen 
JAMES-CLARK) von denselben gesprochen habe, ein Umstand, der nur bei den nicht 
englisch lesenden Autoren verzeihlich sei. Dieser Vorwurf ist eben so sonderbar, als 
ungerechtfertigt. Denn erstens hat CARTER selbst sich fast gar nicht um die deutsche 
Literatur bekümmert, und kennt gründlich weder die Arbeiten von O. SchMmipr, noch 
von LIEBERKÜHN, der schon viel früher (1857) die kugeligen „Wimper- Apparate“ be- 
schrieben und grade bei Spongilla so genau untersucht hatte?); zweitens aber ver- 
gisst er, dass BOWERBANK schon 1359 die wimpernden Höhlungen und die Wimpern 
selbst bei Gruntia compressa sehr genau beschrieben hatte. Auch führt er drei 
Seiten später (p. 332) selbst an, dass O. Schmivr die „Wimperkörbe“ von Reniera 
= Isodictya) schon 1864 beschrieben und abgebildet habe. 

CARTER theilt nun 1870 mit, dass er die von ihm bei Spongilla zuerst entdeckten 
„ampullaceous sacs“‘ (welche BOWERBANK schon 1852 bei Grantia und LIEBERKÜHN 
1857 bei Spongilla, 1859 bei Grantia beschrieben hatte) jetzt (1370) auch bei ver- 


1) CARTER, On the ultimate structure of marine Sponges. Annals and Magazin of natural history 1870, 
Vol. VI, p. 329—341. 

2) CARTER glaubt (noch 1870!) nicht allein der einzige Beobachter der Wimperkammern (ausser 
JAMES-CLARK) zu sein, sondern auch der einzige, welcher die Entwickelung der Spongille aus der Gem- 
mula oder dem „seed-like body‘ beobachtet habe. Er weiss also nicht, oder ignorirt die Thatsache, dass 


LiEBERKÜHN schon seit 1856 die vollständige Entwickelung der Spongilla aus der Gemmula beobachtet hatte. 


10. Untersuchungen von Carter. 31 


schiedenen marinen Spongien, sowohl Kieselschwämmen als Kalkschwämmen, gefunden 
habe: Ueberall ist der flaschenförmige Sack aus einer Lage von „tessellated ciliated 
sponge-cells“‘ zusammengesetzt, und überall sind diese Säcke die einzigen Organe der 
Nahrungs- Aufnahme, weil sie allein bei Fütterungs- Versuchen die Farbstoff- Körn- 
chen aufnehmen. Sie allein sind auch die Träger der Pigmente bei den gefärbten 
Schwämmen (was nicht richtig ist!). 

Höchst unglücklich sind weiterhin die Reflexionen, welche CARTER in demselben 
Aufsatze (1870) über die Verwandtschafts-Verhältnisse der Spongien zu anderen Thier- 
gruppen anstellt. Indem er nämlich meine Ansichten über die Verwandtschaft der 
Kalkschwämme und der Corallen bekämpft, glaubt er vielmehr die nächsten Ver- 
wandten der Spongien in den Tunicaten und zwar in den Ascidien zu finden (. c. 
p: 335). Das Tertium comparationis zwischen beiden Gruppen ist erstens der Mangel der 
Nesselzellen und zweitens der Besitz einer Egestions-Oeffnung oder Kloake. Bei den 
Spongien, wie bei den Aseidien wird die Nahrung durch eine Oeffnung aufgenommen 
und durch eine andere ausgestossen. Auch dass einige Ascidien in ihrem Mantel 
Spicula bilden, scheint CARTER sehr wichtig, und ebenso, dass der Körper der zu- 
sammengesetzten Ascidien, wie derjenige der Spongien von Canälen durchzogen wird. 
CARTER meint schliesslich, dass in ähnlicher Weise wie die „Foraminiferen“ (Dif- 
/Ingia!) die niedersten Formen der Corallen seien, so anderseits die Spongien die 
„initiative forms‘ der Bryözoen und Tunicaten seien (!). Eben so gut wie die Ascidien 
hätte er auch den Amplioxus als nächsten Verwandten der Spongien anführen können! 

In seiner letzten Spongien- Arbeit?!) (1871) giebt CARTER zunächst die Beschrei- 
bung von zwei britischen Kalkschwämmen und dann die Bestätigung der von JAMES- 
CLARK beobachteten directen Aufnahme geformter Körperchen (Indigo - Körnchen) von 
den Geisselzellen. Diese sah CARTER sowohl bei Kieselschwämmen, als bei Kalk- 
schwämmen (Grantia compressa), und er legt darauf ein so ausschliessliches Ge- 
wicht, dass er darauf hin auch CrArk’s Schlüsse adoptirt und die „monade-like mono- 
eiliated cell“ für das „eigentliche Schwamm -Thier“ („Sponge-cell-animal“) erklärt; 
allerdings mit der Einschränkung, dass dasselbe abwechselnd bald „Rhizopod“, bald 
„fagellated Infusorium“ sei (p. 11). Schliesslich sucht CARTER in dem vorher schon 
angeführten Sinne sehr eingehend meine Ansichten über die Verwandtschaft der 
Spongien und Coelenteraten (vorzüglich durch Berufung auf Cliona corallinoides) zu 
widerlegen. Ich werde auf diese Widerlegung später ausführlich zurückkommen. 


1) H. J. CARTER, A Description of two new Caleispongiae, to which is added confirmation of Prof. 
JAMES CLARK'S Discovery of the true form of the sponge-cell (animal), and an account of the polype-like 
pore-area of Oliona corallinoides, contrasted with Prof. E. HarckerL’s View on the relationship of the 


sponges to the corals.“ (Annals and Magazin of natural history, 1871, Vol. VIII, p. 1—27, Pl. I, II.) 


32 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


11. Eigene Untersuchungen des Verfassers. 


Meine eigenen Untersuchungen über Caleispongien wurden, wie ich bereits in der 
Vorrede erörtert habe, vor fünf Jahren (1367) begonnen, vorzüglich veranlasst durch 
die interessante Guaneha blanca von MixLucHo, deren merkwürdige Polymorphose 
und höchst einfache Structur ich im Februar 1367 auf der canarischen Insel Lanzerote 
aus eigener Anschauung hatte kennen lernen. Die Resultate, welche Mıxtucno da- 
mals erhielt, und welche mir derselbe grösstentheils unmittelbar demonstriren konnte, 
hatten mein Interesse an diesem merkwürdigen Kalkschwamm um so mehr gereizt, als 
sie sehr wenig mit den Anschauungen von der Spongien-Organisation harmonirten, 
welche ich durch frühere, 1853 begonnene Beobachtungen der ‚Spongilla erhalten 
hatte. Ich ging also bei Beginn meiner genaueren spongiologischen Untersuchungen 
zunächst von der canarischen Gxancha (Ascetta) blanca aus und unterzog ausserdem 
nur die nächstverwandten Kalkschwämme aus anderen Asconen -Gattungen (besonders 
Ascandra complicata von Helgoland, 4. Lieberkühnii von Triest und 4. variabilis 
aus Norwegen) der genauesten anatomischen Untersuchung. Ich darf diesen Zufall als 
einen sehr glücklichen Griff bezeichnen. Denn die Asconen sind die einfachsten und 
daher lehrreichsten von allen Kalkschwämmen, und verbreiten desshalb am meisten 
erklärendes Licht, nicht allein über diese Gruppe, sondern über die Organisation der 
Schwämme überhaupt. 

Erst nachdem ich mich über die gröberen anatomischen Verhältnisse, sowie über 
die feinere histologische Structur dieser Asconen gehörig orientirt hatte, geleitet durch 
LIEBERKÜHN’S treffliche Anatomie seiner Grantia botryoides (= Ascandra compli- 
cata, H.), ging ich zur Untersuchung der übrigen Kalkschwämme, der Leuconen 
und Syconen über, und fand bald, dass diese beiden sehr verschiedenen Gruppen in 
verschiedener Weise von der ursprünglichen Gruppe der Asconen oder Micro- 
poreuten abzuleiten seien. Die Leuconen oder Cladoporeuten fand ich am meisten 
dem Bilde entsprechend, welches man gewöhnlich, von Spongilla, Halichondria und 
Euspongia ausgehend, sich von dem Typus des Spongien-Baues entwirft. In den 
Syconen oder Orthoporeuten dagegen glaubte ich ganz eigenthümliche Spongien zu 
erkennen, welche durch ihren radialen Körperbau sich an die Coelenteraten, und na- 
mentlich an die Corallen unmittelbar anschlössen. Von den Leuconen ging ich nun 
weiter zur Untersuchung der übrigen Schwämme, der Hornspongien und Kieselspon- 
gien, über, und fand in der That, dass alle wesentlichen Organisations - Verhältnisse 
derselben bei jener Gruppe der Kalkschwämme wiederzufinden sind. Zu einem vor- 
läufigen Abschlusse dieser Untersuchungen und zu einer Uebersicht ihrer Resultate 
gelangte ich im Sommer 1869 und legte dieselben in einem Aufsatze „über den 


11. Eigene Untersuchungen des Verfassers. 33 


Organismus der Schwämme“ nieder, welcher im Juli 1869 (noch vor Antritt meiner 
Reise nach Norwegen) gedruckt wurde !). 

Die wichtigsten Resultate meiner Untersuchungen fasste ich damals in folgenden 
allgemeinen Sätzen zusammen (l. c. p. 212): „Die Schwämme sind den Corallen unter 
allen Organismen am nächsten verwandt. Gewisse Schwämme sind von gewissen Co- 
rallen nur durch den geringeren Grad der histologischen Differenzirung, und nament- 
lich durch den Mangel der Nesselorgane verschieden. Die wesentlichste Organisations- 
Eigenthümlichkeit der Schwämme ist ihr ernährendes Canalsystem, welches dem 
sogenannten coelenterischen Gefässsystem, oder dem Gastrovascular-Apparat der Coe- 
lenteraten, und namentlich der Corallen, sowohl homolog als analog ist. Bei den 
Schwämmen entstehen, ebenso wie bei den Corallen und wie bei den Coelenteraten 
überhaupt, alle verschiedenen Theile des Körpers durch Differenzirung aus zwei ur- 
sprünglichen, einfachen Bildungshäuten oder Keimblättern, dem Entoderm und Ecto- 
derm. Diese beiden Blätter entstehen durch Differenzirung aus den anfangs gleich- 
artigen Zellen, welche (aus der Eifurchung hervorgegangen) den kugeligen Leib des 
flimmernden Embryo oder der primitiven Larve (Planula) zusammensetzen. Aus dem 
inneren oder vegetativen Keimblatt, dem Entoderm, entsteht das ernährende Epi- 
thelium des Canalsystems und die Fortpflanzungsorgane. Aus dem äusseren oder 
animalen Keimblatt, dem Eetoderm, entstehen alle übrigen Theile.“ 

Entsprechend dieser Ansicht von der nächsten Verwandtschaft der Spongien und 
Corallen suchte ich dann zunächst die Stellung zu bestimmen, welche die Spongien im 
Systeme der Coelenteraten oder Zoophyten einzunehmen haben. Dass die Schwämme 
wirklich in dieser Gruppe, und nicht unter den Protozoen (zu denen sie bisher ge- 
wöhnlich gestellt wurden) ihren natürlichen Platz finden, hatte bereits LeuckArT 
1854 behauptet, und seitdem in seinen Jahresberichten die Schwämme stets zu den 
Coelenteraten gestellt. Ich versuchte diese Stellung nun fester zu begründen, und 
besonders genetisch durch den Nachweis der beiden Bildungshäute oder Keim- 
blätter sicher zu stützen; und indem ich den einzigen durchgreifenden morpho- 
logischen Unterschied zwischen den Schwämmen und den übrigen Coelenteraten in 
dem Mangel der Nesselzellen bei den ersteren fand, schlug ich vor, den Stamm 
oder das Phylon der Pflanzenthiere (Coelenterata oder Zoophyta) in zwei 
Hauptäste (Subphylen oder Claden) zu theilen: I. Schwämme (Spongiae s. Pori- 
fera) und II. Nesselthiere (Acalephae 5. Cnidae s. Nematophora) ; letztere 


1) Ernst HAEcKEL, Ueber den Organismus der Schwämme und ihre Verwandtschaft mit den Corallen 
(Jenaische Zeitschrift für Mediein und Naturwissenschaft, 1870, Band V, p. 207—235). Das zweite Heft 
dieses Bandes, welches diesen Aufsatz und zugleich den „Prodromus eines Systems der Kalkschwämme‘“ 
enthielt, erschien im September 1869; eine englische Uebersetzung gab DarLras in den Annals and Magazin 
of natural history von 1870 (IV. Serie. Vol. V. „On the Organisation of Sponges and their relationship to 


the corals‘‘ p. 1—13; p. 107—120; ,‚‚Prodromus of a system of the Calcareous Sponges“‘ p. 176—191). 
Haeckel, Kalkschwämme. 1. 3 


iR 


34 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


würden in die drei Klassen der Corallen, Hydromedusen und Ctenophoren zerfallen 
(l. e. p. 213). 

Massgebend für meine ganze Auffassung des Spongien-Organismus wurde gleich 
von vorn herein der Umstand, dass ich unter den Asconen den Olynthus (und das 
Prosycum, einen Olynthus mit geschlossenen Hautporen) als die einfachste Form er- 
kannte, von welcher ausgehend das Verständniss für alle übrigen Spongien-Formen zu 
suchen sei. Dieser Olynthus (oder das Prosycum mit geöffneten Hautporen) ist ein 
ganz einfacher, cylindrischer, eiförmiger oder länglich runder Schlauch, mit einer 
einzigen grösseren Oeffnung. Diese letztere ist als Mundöffnung, die Höhlung des 
Schlauches als Magen zu deuten. Die dünne Magenwand oder Leibeswand besteht 
aus zwei verschiedenen Schichten oder Blättern. 

Die innere Schicht, das Entoderm, entspricht dem inneren oder vegetativen 
Keimblatt des Embryo der höheren Thiere, und besteht aus einer einzigen Schicht 
von Geisselzellen (oder Flimmerzellen mit je einem langen Flimmerhaar); einzelne 
von diesen Geisselzellen verwandeln sich in die zur Fortpflanzung dienenden Zellen 
(Keimzellen: Eier oder Sporen); diese Keimzellen sind grosse, nackte, hüllenlose 
Zellen, welche amoeboide Bewegungen ausführen. Da nun diese Keimzellen die Fort- 
pflanzung, die Geisselzellen aber die Ernährung des Schwammes besorgen, so kann 
man das ganze Entoderm auch functionell wirklich als vegetatives Blatt be- 
zeichnen. 

Die äussere Schicht der Magenwand oder Leibeswand, das Exoderm (oder Ecto- 
derm) entspricht hingegen dem äusseren oder animalen Keimblatt bei den Embryonen 
der höheren Thiere. Dasselbe besteht aus innig verschmolzenen nackten Zellen, deren 
Kerne in dem vereinigten Protoplasma anfänglich immer (und meist auch noch später) 
deutlich sichtbar bleiben. Weil dieses kernhaltige Protoplasma-Lager wirklich aus 
ursprünglich getrennten Zellen durch nachträgliche Verschmelzung derselben ent- 
standen ist, bezeichne ich es als Syneytium oder Sarcodine (nicht als Sarcode, 
wenn man unter diesem Begrifte freies und ursprüngliches, noch nicht in Zellen diffe- 
renzirtes Protoplasma versteht). Innerhalb dieses Syncytium entstehen die Skelet- 
theile der Schwämme als innere Plasma-Producte. Das Syncytium ist mithin skelet- 
bildend und die Körperoberfläche deckend, ausserdem aber auch contractil und em- 
pfindlich. Es vollzieht zugleich die animalen Functionen der Bewegung, Empfindung, 
Stützung und Deckung, und kann also auch functionell wirklich als animales Blatt 
bezeichnet werden. 

Ebenso wie in der Structur und Zusammensetzung dieser beiden Bildungshäute 
die Schwämme mit den Nesselthieren übereinstimmen, ebenso gleichen sie ihnen auch 
in der Entwickelung derselben. Aus dem Ei entsteht in Folge totaler regulärer Fur- 
chung ein einfacher kugeliger oder länglich-runder Körper, der anfangs aus gleich- 
artigen kugeligen nackten Zellen zusammengesetzt ist. Dann entsteht im Inneren 


11. Eigene Untersuchungen des Verfassers. 35 


des Zellenhaufens eine kleine centrale Höhle (der Magen), welche nach aussen durch- 
brechend sich eine Oeffnung (das Osculum oder die Mundöffnung) bildet. Die Ober- 
fläche bedeckt sich mit Flimmerhaaren und nun schwärmt der Embryo als freie 
Flimmerlarve (Planula) eine Zeit lang umher. Dann setzt er sich nach einiger Zeit 
fest, verliert sein äusseres Flimmerkleid und verwandelt sich so unmittelbar wieder in 
ein Prosycum, einen becherförmigen Körper, dessen dünne Leibeswand oder Magen- 
wand aus den angeführten beiden Blättern besteht. Der junge Kalkschwamm ist nun- 
mehr nicht wesentlich von einer jungen Coralle oder einer jungen Hydra verschieden. 

Die Hautporen, diese für den ganzen Spongien -Organismus so characteristische 
Einrichtung, entstehen erst nachträglich, indem an verschiedenen Stellen der dünnen 
Magenwand vergängliche Löcher entstehen, welche das Wasser in die Magenhöhle 
eintreten lassen, aus welcher es dann durch die Mundöffnung entfernt wird. Ein und 
derselbe Ascon erscheint als Prosycum, wenn die Poren der Magenwand geschlossen 
sind, als Olynthus, wenn sie sich geöffnet haben. Ort und Zahl der Hautporen sind 
wechselnd. Morphologisch sind also diese characteristischen Poren, nach denen 
GRANT die Spongien -Classe „Porifera“ nannte, ohne Werth. Physiologisch haben sie 
aber auch nicht die ihnen bisher zugeschriebene Geltung, indem sie bisweilen völlig 
verschwinden können und dennoch Wasser durch die Mundöffnung oder die „Aus- 
strömungs- Oeffnung“ sowohl ein- als austritt. Ueberdies besitzen auch die Corallen 
Hautporen. 

Die Skelettheile der Kalkschwämme sind Nadeln oder Spicula, welche aus einer 
Verbindung von kohlensaurem Kalk und einer organischen Substanz bestehen. Ihre 
mannichfaltigen Formen lassen sich auf vier Grundformen reduciren: Einfache, haken- 
förmige, dreistrahlige und vierstrahlige Nadeln. Sie entstehen als „innere Plasma- 
Producte‘“ innerhalb des Syneytiums des Exoderms. 

Die schwierige Frage von der Individualität der Schwämme suchte ich, aus- 
gehend von der Entwickelungsgeschichte und von der Homologie des Olyntlus und 
der einfachen Acalephen-Person (Hydra oder Actinia) zu lösen. Jeder Schwamm, 
der eine besondere Magenhöhle besitzt, ist als ein einfaches Individuum oder als eine 
„Person“ aufzufassen; jeder Schwammkörper, der aus zwei oder mehreren Personen 
besteht, als Stock (Cormus). Hiermit war wesentlich die Ansicht von Oscar ScHMiprt 
bestätigt, dass jeder Theil des Schwammkörpers, der eine besondere Ausströmungs- 
öffnung besitze, als ein „Individuum“ aufzufassen sei. Indem nun viele Personen mit 
einander verwachsen und nachträglich die Mundöffnungen (Oscula) ganz oder theil- 
weise zuwachsen können, entstehen mannichfaltige Verhältnisse, die für die systema- 
tische Unterscheidung der Genera gut verwendbar erscheinen. Indem aber anderseits 
bei einer und derselben Species diese Verhältnisse der Individualität und der Mund- 
öffnung höchst variabel erscheinen, gestaltet sich die Systematik sehr verwickelt und 
es kann der Fall eintreten, dass ein einziger Cormus Formen auf sich vereinigt trägt, 

3* 


36 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


die verschiedenen Genera des Systems entsprechen. Diese Polymorphose, welche 
schon MıkLucHo bei seiner Guancha blanca gefunden hatte, ist unter den Kalk- 
schwämmen sehr verbreitet, und für die Species-Frage höchst lehrreich. Die orga- 
nische Species ist hier gleichsam ‚‚in statu nascenti“ zu beobachten. Indem ich nun 
diese höchst merkwürdigen und bisher gar nicht beachteten Verhältnisse für. die 
Descendenz-Theorie verwerthete, gelangte ich zu dem Satze: „Die ganze Natur- 
geschichte der Spongien ist eine zusammenhängende und schlagende Beweisführung 
für Darwin.“ 

Der „Prodromus eines Systems der Kalkschwämme“, welchen ich 
jener ersten Mittheilung unmittelbar folgen liesst), ist durchgängig auf diese An- 
schauungen gegründet, und versucht durch Aufstellung eines künstlichen Systems zu 
zeigen, wie sich die höchst biegsamen und allenthalben durch Uebergänge verbun- 
denen Formen der Caleispongien dem Zwange eines solchen logisch durchgeführten 
Systems gegenüber verhalten. Ich habe absichtlich diesen Prodromus ohne alle wei- 
teren Erläuterungen hingestellt, in der Erwartung, dass jeder denkende Leser selbst 
seine Bedeutung verstehen werde. Dies war aber keineswegs der Fall. Vielmehr 
haben alle Leser, welche sich kritisch darüber geäussert haben, voran R. LEUCKART, 
die beabsichtigte Bedeutung nicht verstanden. Nur Oscar Schmipr macht eine 
einzige Ausnahme. Er bemerkte sofort in seinen „atlantischen Spongien“ (p. 2): „Wer 
bei den Spongien sein Hauptgeschäft auf die Species- und Gattungs-Macherei ver- 
legt, wird ad absurdum geführt, wie HAEcKkEL in seinem Prodromus mit köstlicher 
Ironie gezeigt.“ 

Die angeführten Untersuchungen betrachtete ich nur als Vorarbeiten für die 
vorliegende Monographie der Kalkschwämme. Um dieselben durch weitere Beobach- 
tungen zu ergänzen und eine grössere Menge von lebenden Kalkschwämmen an ihrem 
natürlichen Standorte zu untersuchen, sowie Massen von Individuen zu sammeln, 
unternahm ich noch zwei Reisen an die Meeresküste. Im August und September 
1869 beobachtete und sammelte ich an der norwegischen Küste bei Bergen und 
Brandesund; im März und April 1571 an der dalmatischen Küste auf Lesina und in 
Triest. Das Resultat dieser fortgesetzten Untersuchungen, welche ich an einem 
überaus reichen Materiale anstellte, war eine fast vollständige Bestätigung aller 
meiner früheren Angaben?). Nur in einem einzigen wesentlichen Punkte hatte ich 
mich zu corrigiren, indem ich meine früher gehegten Zweifel an der sexuellen Dif- 
ferenzirung der Spongien durch Nachweis der Zoospermien bei den Kalkschwämmen 
beseitigte. Ich fand, dass .die Zoospermien der Schwämme Nichts weiter sind, als 


1) Ernst HAECKEL, Prodromus eines Systems der Kalkschwämme (Jenaische Zeitschrift für Mediein 
und Naturwissenschaft, 1870, Band V, Heft 2, p. 236—254). 
2) Ernst HAEcKEL, Ueber die sexuelle Fortpflanzung und das natürliche System der Schwämme 


Jenaische Zeitschrift für Mediein und Naturwissenschaft, 1871, Band VI, p. 641—651). 


1. Die Species der Caleispongien. 37 


modifieirte Geisselzellen des Entoderms. Einige andere, mehr untergeordnete Punkte, 
in denen ich meine früheren Anschauungen berichtigte und vervollkommnete, werde 
ich an den betreffenden Stellen in der Monographie anführen. 


II. Geschichte und Kritik der speciellen (systematischen) Untersuchungen 
über Kalkschwämme. 


1. Die Species der Calcispongien. 


Die speciellen systematischen Untersuchungen, welche bisher über die Kalk- 
schwämme angestellt wurden, haben aus verschiedenen Gründen zu keinem festen 
Resultate führen können. Trotzdem die Zahl der bisher untersuchten und beschrie- 
benen Caleispongien sehr gering war, herrscht dennoch in der Benennung und Cha- 
racteristik ihrer Genera und Species bereits dieselbe arge Verwirrung, welche die 
Systematik der Spongien überhaupt so sehr erschwert. Obwohl bekanntlich in vielen 
Abtheilungen der systematischen Zoologie und Botanik (besonders in den niederen 
Gruppen) die Confusion in Betreff des Inhalts und Umfangs der Genera und Species 
nicht gering ist, so dürften dennoch die Spongien in dieser Beziehung alle übrigen 
Abtheilungen überbieten, oder doch sicher zu den allerschlimmsten gehören. 

Die Ursachen dieses systematischen Chaos liegen theils in den Autoren, theils 
an dem Objecte selbst. Ich werde dieselben in dem nächsten Kapitel und im vierten 
Abschnitte, wo ich meine Methode der Benennung und Classification zu rechtfer- 
tigen habe, näher untersuchen. Hier will ich mich darauf beschränken, die Genera 
und Species der Kalkschwämme, welche bis zum Jahre 1871 (inclusive) von den 
Autoren unterschieden worden sind, der historischen Reihenfolge nach aufzuführen und 
auf die definitiven, von mir im zweiten Bande dieser Monographie angenommenen 
Bezeichnungen zu reduciren. Ich werde zuerst die Species, dann die Genera auf- 
führen. Hinter die Species-Namen der Autoren habe ich die Species - Bezeichnung 
gesetzt, welche ich in meinem „Natürlichen System der Kalkschwämme“ (in der 
ersten Abtheilung des zweiten Bandes) beibehalten habe. Die vor diesen Namen 
gesetzte Zahl ist die laufende Species-Nummer des „Natürlichen Systems“. Diese 
Namen sind mit aufrechter Schrift, die synonymen Bezeichnungen der Autoren da- 
gegen mit cursiver Schrift gedruckt. 

I. Ormo FaAgrıcıus gab 1780 in seiner „Fauna Groenlandica“ (p. 448) die erste 
Beschreibung von zwei Kalkschwämmen: 

1. Spongia eiliata (l. c. No. 466) — 94. Sycandra ciliata, H. 
2. Spongia compressa (l. c. No. 467) = 109. Sycandra compressa, H. 


38 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


II. Eruıs und SoLanner theilten 1786 in ihren „Zoophytes“ (p. 190) die 
Beschreibung und Abbildung von zwei Caleispongien mit. (Die Abbildungen sind 
die ältesten, welche überhaupt von Kalkschwämmen existiren.) 

1. Spongia botryoides = 19. Ascaltis botryoides, H. 


c 


2. Spongia coronata = 95. Sycandra coronata, H. 

III. MonrAacu veröffentlichte 1814 „An Essay on Sponges“ (in den „Me- 
moirs of the Wernerian Natural history Society“. Vol. II, part. I, p. 67). Unter den 
daselbst beschriebenen Schwämmen befinden sich sechs Species von Kalkschwämmen, 
nämlich: 


14. Spongia coronata = 95. Sycandra coronata, H. 
15. Spongia botryoides — 19. Ascaltis botryoides, H. 
18. Spongia foliaceea == 109. Ascandra compressa, H. 
21. Spongia amanas — 66. Leucandra ananas, H. 
22. Spongia complicata —= 32. Ascandra complicata, H. 
37. Spongia coriacea = 2. Ascetta coriacea, H. 


IV. ROBERT GRANT, welcher 1826 das Kalkskelet der Kalkschwämme entdeckte 
und darauf hin zum ersten Male diese Spongien als wesentlich von den anderen 
Schwämmen verschieden bezeichnete, unterschied damals sechs Arten derselben 
(Edinburgh Philosophical Journal, Vol. XIV, p. 556; Edinb. New Philos. Journ. 
Vol. I, p. 166): 


1. Spongia compressa == 109. Sycandra compressa, H. 
2. Spongia nivea — 70. Leucandra nivea, H. 

3. Spongia botryoids == 19. Ascaltis botryoides, H. 
4. Spongia complicata = 32. Ascandra complicata, H. 
5. Spongia pulverulenta = 66. Leucandra ananas, H. 
6. Spongia coronata — 95. Sycandra coronata, H. 


V. Rısso beschrieb in demselben Jahre (1326) die beiden ersten Kalkschwämme 
aus dem Mittelmeere. Alle vorher angeführten Arten waren im nord-atlantischen 
Ocean (an den britischen Küsten und in Grönland) beobachtet worden. Rısso gründete 
für diese beiden mediterranen Kalkschwämme das neue Genus Sycon (Histoire na- 
turelle de Nice et des Alpes maritimes, Vol. V, p. 368, Pl.X, Fig. 61). Da die Be- 
schreibung Rısso’s sehr oberflächlich ist, kann man nur mit einiger Wahrscheinlich- 
keit vermuthen, dass diese beiden Sycon-Arten folgenden Species unseres Systems 
entsprechen: 

162. Sycon Humboldti = 105. Sycandra Humboldti, H. 
163. Sycon Poireti —= 64. Leucandra aspera, H. (?) 


VI. Jomn Freming, welcher 1828 in seiner „History of British Animals“ 
(p. 524) zum ersten Male alle Kalkschwämme in eine besondere Gattung zusammen- 


1. Die Species der Caleispongien. 39 


stellte, und diese ihrem Entdecker zu Ehren Grantia nannte, unterschied damals 
fünf verschiedene Arten von Grantien (No. 112—116 seines Systems): 


112. Granlia compressa —= 109, Sycandra compressa, H. 
113. —  botryiids = 19. Ascaltis botryoides, H. 
114. — ..ciliata — 94. Sycandra ciliata, H. 
115. — pulverulenta —= 66. Leucandra ananas, H. 
116. —  nivea — 70. Leucandra nivea, H. 


VI. Bramvitue schlug sechs Jahre später (1834) in seiner „Actinologie* 
(p. 530) vor, das Genus der Kalkschwämme, welches FLEMmInG zuerst Grantia ge- 
tauft und welches Grant selbst bald darauf Lexcalia genannt hatte, nunmehr als 
Caleispongia zu bezeichnen. Die fünf Species, welche er von Caleispongia anführt, 
sind dieselben, welche FLemıngG 1828 als Species von Grantia aufgestellt hatte. 
Ausserdem beschreibt er noch einen anderen Kalkschwamm (dessen wahre Natur ihm 
aber unbekannt blieb) als Alcyoncellum. 


1. Caleispongia compressa == 109. Sycandra compressa, H. 
2. — botryoids = 19. Ascaltis botryoides, H. 

BF — ciliata — 94. Sycandra ciliata, H. 

4. — pulverulenta —= 66. Leucandra ananas, H. . 

5 — nivea —= 70. Leucandra nivea, H. 

6. Alcyoncellum gelatinosum = 103. Sycandra aleyoncellum, H. 


VII. GeoRGE Jomssron behielt 1842 in seiner „History of British Sponges 
and Lithophytes“ (p. 172) für das Genus der Kalkschwämme die ursprüngliche Be- 
nennung Grantia von FLEMInG bei und unterschied ausser den sechs bereits bekann- 
ten noch zwei neue Arten, nämlich Grantia lacumosa und @. fistulosa. Diese acht 
Grantia-Species entsprechen folgenden Arten unseres natürlichen Systems: 


1. Grantia compressa == 109. Sycandra compressa, H. 
2. —  lacunosa —= 21. Ascortis lacunosa, H. 

3 — ciliata — 94. Sycandra ciliata, H. 

4 —  botryoids = 19. Ascaltia botryoides, H. 
5. — pulverulenta = 66. Leucandra ananas, H. 
6. .—  fistulosa — 65. Leucandra fistulosa, H. 
7 — nivea — 70. Leucandra nivea, H. 

3... —  ceoriacea —= 2. Ascetta coriacea, H. 


IX. BOWERBANK beschrieb 1845 einen neuen afrikanischen Kalkschwamm aus 
der Algoa-Bay unter dem Namen Dunstervillia elegans (Annals and Mag. of nat. 
hist. Vol. XV, 1845, p. 297, Pl. XVID. Später gab BowErBANK, im II. Bande seiner 
„British Spongiadae“ (1866) die ausführliche Beschreibung von zwölf britischen Ar- 
ten von Kalkschwämmen, welche er auf vier verschiedene Genera vertheilte. Von 
diesen entspricht das erste Genus (mit 4 Arten), für welches allein er FLemıng’s 


40 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


Bezeichnung Grantia beibehielt, unserer Familie der Syconen. Das zweite Genus 
(ebenfalls mit 4 Arten), welches BowErBAnk Leucosolenia nannte, fällt zusammen 
mit unserer Familie der Aseconen. Das dritte und vierte Genus, Leuconia (mit 
3 Arten) und Leucogypsia (mit einer Art) entsprechen zusammen unserer Familie 
der Leuconen. Diese Classification BOwERBANK’S war nach LIEBERKÜHN’S Tren- 
nung der Grantien (= Asconen) und Syconen der erste Versuch, die Gruppe der _ 
Kalkschwämme in verschiedene Genera einzutheilen. Wir werden die Bedeutung die- 
ses Versuches nachher erörtern und wollen hier bloss noch hervorheben, dass Bo- 
WERBANK in den „British Spongiadae“ sonderbarer Weise mit keinem Worte seines 
früher aufgestellten Genus Dumstervillia gedenkt, obwohl die diesem zu Grunde lie- 
gende afrikanische Dunsterwillia elegans nicht nur generisch, sondern sogar specifisch 
identisch ist mit demjenigen Kalkschwamme, welchen er in den „British Spongiadae“ als 
Grantia tessellata beschreibt. Wenn wir die 12 englischen Kalkschwamm- Arten 
von BOWERBANK, sowie die früher von ihm beschriebene Dumnsterwillia und das 
später als Grantia virgultosa bezeichnete Aleyoncellum auf die Benennungen unseres 
natürlichen Systems redueiren, so ergiebt sich folgende Syonymie: 


1. Grantia compressa — 109. Sycandra compressa, H. 
2... — .ciliata — 95. Sycandra coronata, H. 
3... — ensata — 106. Sycandra glabra, H. 

4. —  tessellata — 104. Sycandra elegans, H. 
5. Leucosolenia botryoides = 19. Ascaltis botryoides, H. 

6. — contorta == 31. Ascandra contorta, H. 

1: — lacunosa = 21. Ascortis lacunosa, H. 

8. — coriacea = 2. Ascetta coriacea, H. 

9. Leuconia nivea — 70. Leucandra nivea, H. 
10. — fistulosa — 65. Leucandra fistulosa, H. 
{hl —  pumila — 52. Leucaltis pumila, H. 
12. Leucogypsia Gossei —= 60. Leucandra Gossei, H. 
13. Dunstervillia elegans == 104. Sycandra elegans, H. 
14. Grantia virgultosa — 103. Sycandra aleyoncellum, H. 


X. Lisserkünn legte seinen oben mitgetheilten Untersuchungen über. Kalk- 
schwämme 5 verschiedene Arten zu Grunde, nämlich den adriatischen Sycon Hum- 
boldtii, welchen er getrocknet untersuchte, und 2 Arten von Helgoland, sowie 2 Ar- 
ten von Triest, welche er an diesen beiden Orten lebend beobachtete. Irrthümlich 
hielt derselbe die beiden Helgoländer Arten für identisch mit den beiden Triestiner 
und zugleich für identisch mit den beiden britischen, als Grantia ciliata und @. 
botryoides beschriebenen Arten. Durch genaue vergleichende Untersuchung zahl- 
reicher Original-Exemplare von beiden Fundorten habe ich aber folgendes Resultat 
erhalten: 


1. Die Speeies der Caleispongien. 41 


1. Grantia botryoides (Helgoland) = 32. Ascandra complicata, H. 
2 —  botryoides (Triest) — 33. Ascandra Lieberkühnii, H. 
3. Sycon eiliatum (Helgoland) — 94. Sycandra ciliata, H. 

4. — . eiliatum (Triest) — 97. Sycandra raphanus, H. 

5. —  Humboldtü (Venedig?) = 105. Sycandra Humboldtii, H. 


XL Oscar Schmipr hat in seinen verschiedenen, oben bereits angeführten, spon- 
giologischen Werken im Ganzen 22 verschiedene Arten von Kalkschwämmen beschrie- 
ben und grösstentheils zugleich abgebildet. Diese vertheilen sich nach der „Kritik 
und Synonymie der Gattungen“, welche er im II. Supplemente der adriatischen Spon- 
gien (p. 7), und nach der „Verwandtschaftstabelle“, welche er in den Spongien von 
Alsier (p. 35) gegeben hat, auf 9 verschiedene Gattungen, von welchen er 5 zu den 
Caleispongiae soeiales, 4 zu den Caleispongiae solitariae rechnet. Ich werde auf diese 
Eintheilung später bei der Kritik der Gattungen zurückkommen und gebe hier nur 
die Reduction der von Schmipr angeführten 22 Arten auf die Species meines natür- 
lichen Systems. Die adriatischen Arten habe ich mit (A), die grönländischen mit 
(G) bezeichnet. Zu bemerken ist noch besonders, dass Scumipr’s Sycon eiliatum 
von Triest identisch mit seinem Sycon raphanus (= Sycandra raphanus, H.), sein 
Sycon Humboldtii identisch mit seiner Dunstervillia coreyrensis (— Sycundra Hum- 
boldti, H.) und die als Sycon raphanus angeführte grönländische Art = Sycandra 
arctica, H. ist. 

A. Calcispongiae sociales. 


1. Leucosolenia Lieberkühnii (A) = 33. Ascandra Lieberkühnii, H. 

2 E— pulchra (A) —= 1. Ascetta primordialis, H. (?) 

a. Fabrieü (G) — 22. Ascortis Fabricüi, H. 

4. Clathrina clathrus (A) —= 3. Ascetta clathrus, H. 

5. Nardoa reticulum (A) — 30. Ascandra reticulum, H. 

6. Leuconia solida (A) — 53. Leucaltis solida, H. 

7 _ stilifera (G) —= 73. Leucandra stilifera, H. 

8. Syeinula aspera (A) — 64. Leucandra aspera, H. 

9. — penieillata (G) — 66. Leucandra ananas, H. 

10. — Egedii (G) — 58. Leucandra Egedii, H. 

1l. —  celavigera (G) — 109. Sycandra compressa, H. 
B. Caleispongiae solitariae. 

12. Ute chrysalis (A) —= 83. Syeilla chrysalis, H. 

13. —  viridis (A) —= 384. Syeyssa viridis, H. (?) 

14. — glabra (A) —= 106. Sycandra glabra, H. 

15. — utrienlus (G) — 110. Syeandra utriculus, H. 


16a. Dunstervillia coreyrensis (A) = 


16b. Sycon Humboldtü (A) eat Humboldt, D, 


42 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


94. Sycandra ciliata, H. 


| 


17a. Sycon eiliatus (G) 


17b. —  eiliatus (A) = 

Lands _ 97. Sycandra raphanus, H. 
19. —  raphanus (G) —= 107. Sycandra arctica, H. 

20. —  selosus (A) — 99. Sycandra setosa, H. 

21. —  capillosus (A) —= 98. Sycandra capillosa, H. 

22. Syconella quadrangulata (A) = 91. Sycortis quadrangulata, H. 


XI. J. E. Gray veröffentlichte 1867 in den Proceedings of the Zoological So- 
ciety of London (p. 492—558) „Notes on the Arrangement of Sponges, with the De- 
scription of some new genera“. Das ganze System der Spongien wird darin in einer 
höchst sonderbaren und wahrhaft abenteuerlichen Weise umgestaltet. Von den Kalk- 
schwämmen unterscheidet er 11 Genera mit 19 Species, welche sich auf 3 Familien 
vertheilen (Grantiadae mit 15 Arten, Alcyoncellidae mit 3 Arten und Aphrocera- 
sidae mit 1 Art). Ich werde auf dieses höchst unnatürliche System später in der 
Kritik der Gattungen zurückkommen und begnüge mich hier damit, die 19 von GrAY 
aufgeführten Arten auf die Species meines natürlichen Systems zu reduciren. Man 
kann aber schon aus der bunten Reihenfolge, in welcher die verschiedensten Calci- 
spongien durch einander stehen, und die nächstverwandten Arten weit getrennt sind, 
auf die wissenschaftliche Werthlosigkeit dieses „Arrangements“ schliessen. | 

I. Familie: Grantiadae, Gray. 


1. Grantia eiliata —= 94. Sycandra ciliata, H. 

2. Ute capillosa —= 98. Sycandra capillosa, H. 

3. — ensata — 106. Sycandra glabra, H. 

4. Artynes compressa — 109. Sycandra compressa, H. 

5. Leucosolenia botryoids == 19. Ascaltis botryoides, H. 

6 u contorta —= 31. Ascandra contorta, H. 

de — lacunosa —= 21. Ascortis lacunosa, H. 

8 —_ coriaceq — 2. Ascetta coriacea, H. 

9. Leuconia nivea — 70. Leucandra nivea, H. 

10. — fistulosa — 65. Leucandra fistulosa, H. 

il, —  pumila — 52. Leucaltis pumila, H. 

12. Leucogypsia Gossei —= 60. Leucandra Gossei, H. 

[3: — algoensis = 60. Leucandra algoensis, H. (?) 

14. Clathrina sulphurea = 3. Ascetta clathrus, H. 

15. Lelapia australis —= 43. Leucetta pandora, H. (??) 
I. Familie: Alcyoncellidae, Gray. 

16. Alcyoncellum gelatinosum = 103. Sycandra aleyoncellum, H. 

17. Dunstervillia tessellata — 104. Sycandra elegans, H. 


18. —_ corcyrensis = 105. Sycandra Humboldtii, H. 


1. Die Species der Caleispongien. 45 


III. Familie: Aphrocerasidae, Gray. 
19. Aphroceras alcicornis — 62. Leucandra alcicornis, H. 


XII. Mixtucno-MAcrAy hat die Zahl der Kalkschwämme um zwei interes- 
sante Arten bereichert, nämlich seine G@uancha blanca von der canarischen Insel 
Lanzerote und Bueria ochotensis aus dem Meere von Ochotsk. Ausserdem hat er 
noch drei canarische Species von Kalkschwämmen aus der Gattung Nardoa erwähnt, 
welche aber sämmtlich nur Farben-Varietäten einer Art sind. Nach unserem. natür- 
lichen Systeme sind diese Arten auf folgende Synonyme zu redueiren: 

. Guancha blanca — 55 Ascetta blanca, H. 

. Nardoa canariensis —= 

. Nardoa rubra —=? 13. Ascaltis canariensis, H. 
. Nardoa sulfurea — 


» oo 


5. Baeria ochotensis — 72. Leucandra ochotensis, H. 


XIV. CARTER hat schliesslich in der letzten Zeit (1871) ebenfalls noch zwei 
neue Caleispongien von der britischen Küste beschrieben und abgebildet (Annals and 
Mag. of nat. hist. 1871, Ser. IV, Vol. VIII, p. 1, 3, Pl. I, Fig. 1—12). 

1. Trichogypsia villosa — 49. Leucyssa incrustans, H. 
2. Leuconia Johnstonii —= 71. Leucandra Johnstonii, H. 


XV. Der „Prodromus eines Systems der Kalkschwämme‘“, welchen 
ich 1869 im fünften Bande der „Jenaischen Zeitschrift für Mediein und Naturwissen- 
schaft“ veröffentlichte (p. 236—254), enthält den Entwurf zu einem künstlichen Sy- 
stem der Caleispongien, in logischer und consequenter Durchführung der Grundsätze, 
welche bis dahin von den Autoren für die Classification und Benennung dieser Thiere 
aufgestellt worden waren. Ich konnte damals bereits, gestützt auf das reiche von 
mir untersuchte Material, 132 verschiedene (künstliche) Species unterscheiden, wel- 
che sich auf 42 Genera vertheilten. Indem ich die Kritik dieser Genera demnächst 
folgen lasse und die systematische Bedeutung des Prodromus überhaupt im vierten 
Abschnitte dieses Bandes erläutern werde, beschränke ich mich hier darauf, die 132 
im Prodromus aufgeführten künstlichen Arten auf die Benennungen zu reduciren, 
welche dafür im natürlichen Systeme der Kalkschwämme, in der ersten Abtheilung 
des zweiten Bandes dieser Monographie beibehalten worden sind. Die nachstehende 
Uebersicht enthält in den beiden Columnen links Genus und Species des Prodromus 
(in Cursiv-Schrift), in den beiden Columnen rechts (in stehender Schrift) die ent- 
sprechende Bezeichnung des natürlichen Systems. 


44 


Erstes Kapitel. 


Historische Einleitung. 


2. Tabelle zur Reduction der Genera und Species des „Prodromus“ auf die 
definitiven Bezeichnungen des natürlichen Systems. 


3. 


2, 


3. 


Prosycum 
Olymnthus 


Olynthium 


, Amphoridium 
, Amphoriscus 


. Sycarium 


. Syconella 


. Sycum 


oo pP wm m 


. simplieissimum 
. primordiale 

. simplex 

. guancha 

. cyathus 

. poecillum 

. hispidus 

. nilidum 

. splendidum 
10. 
Ihile 
. una 


viride 
chrysalis 


. eyalhiscus 

. ampulla 

. rhopalodes 

. compressum 

. utrieulus 

. villosum 

. vesica 

. quadranguluta 
. proboscidea 

. tubulosa 

. eiliatum 

. areticum 

. coronatum 

. giganteum 

Di: 
28. 
29. 
. ovatum 


alopecurus 
tessellatum 
ananas 


. elavatum 
2. lanceolatım 
. lingua 

. tergeslinum 


. raphanus 


11. Ascyssa 
1. Ascetta 
1. _ 

5% u 

. Ascandra 

. Asculmis 

. Ascandra 


. Syeyssa 
. Sycilla 
. Sycandra 


. Sycortis 
. Sycandra 


66. Leucandra 
. Sycandra 


troglodytes 
primordialis 
primordialis 
blanca 
echinoides 
armata 
complicata 
nitida 
nitida 
viridis 
chrysalis 
urna 
ceyathiscus 
ampulla 
compressa 
compressa 
utriculus 
villosa 
raphanus 
quadrangulata 
raphanus 
coronata 
ciliata 
arctica 
coronata 
ciliata 
ampulla 
elegans 
ananas 
ciliata 
villosa 
ciliata 
compressa 
raphanus 
raphanus 


10. 


14. 


15. 


16. 


2. Reduction der Genera und 


, Dunstervillia 


Artımas 


‚ Ute 


. Cyathiseus 
. Dyssycum 


Dyssyconella 


Syeinula 


N 
Leueosolenia 


36. 
3lle 
38. 
39. 
40. 
. elegans 


capillosum 
setosum 
Humboldtii 
inflatum 


petiolatum 


2. corcyrensis 


Schmidtü 


. Lanzerolae 
. formosa 

. compressus 
. ubrienlus 

. rbopalodes 
. villosus 

. glabra 

. ensala 

. aclinia 

. fistulosum 
. penieillatum 
5. elavigerum 
. solidum 

. periminum 
53. pumila 

. camimus 

. aspera 

. Egedi 

. echinata 

. coralloides 
. troglodytes 
. dietyoides 
. himantia 

. complicata 
. guancha 

. pulchra 

. Ihamnoides 
. robusta 

. Lieberkühni 
. Fabrieü 


. botryoides 


Species des Prodromus, 


45 


98. Sycandra capillosa 
99. — setosa 
105. _- Humboldtii 
9% — raphanus 
96. — ampulla 
104. — elegans 
105. = Humboldtii 
105. En Humboldtii 
104. _ elegans 
104. — elegans 
109. _— compressa 
110. —_ utrieulus 
109. — compressa 
100. — villosa 
106. glabra 
106. _ glabra 
62. Leucandra aleicornis 
65. — fistulosa 
66. — ananas 
109. Sycandra compressa 
53. Leucaltis solida 
54. — bathybia 
52: — pumila 
59. Leucandra caminus 
64. — aspera 
58. = Egedii 
66. _- ananas 
11. Aseyssa  troglodytes 
11. _ troglodytes 
1. Ascetta _primordialis 
2. — coriacea 
32. Ascandra complicata 
5. Ascetta blanca 
iv — primordialis? 
24. Ascortis fragilis 
33. Ascandra Lieberkühnii 
33: — Lieberkühnji 
22. Ascortis Fabrieii 
19. Ascaltis botryoides 


46 


17. 
18. 


19. 


20. 
=1. 
22. 
23. 
24. 


25. 
26. 


27. 


28. 


29. 
30, 


31 


Leueosolenia 


Soleniscus 


Tarrus 


Tarroma 
Clathrina 
Syeidium 
Sycodendrum 
Artynium 
Aphroceras 
Sycothamnus 
Leuconia 


Nardoa 
Nardopsis 


Coenostomella 


Clistolynthus 
Sycocyslis 


Erstes 


75. 
76. 
17. 
78. 
eh 
80. 
31. 
82. 
83. 
34. 
85. 
86. 
37. 
88. 
39. 
90. 
91. 
92. 
9. 
94. 
9. 
96. 
gie 
98. 
99. 
100. 
101. 
102. 
103. 
104. 
105. 
106. 
107. 
108. 
109. 
110. 
111. 
112: 
113. 


Kapitel. 


Grantü 
Darwinii 
Goethei 
Lamareckü 
Gegenbauri 
amoeboides 
variabilis 
contorta 
echinoides, 
loculosus 
densus 
guancha 
reticulatus 
labyrinthus 
spongiosus 
canariense 
rubrum 
sulphureum 
sulphurea 
loculosa 
gelatinosum 
compressum 
ramosım 
procumbens 
compressum 
aleicornis 
[ruticosus 
nivea 
Gossei 
stilifera 
algoensis 
solida 
quancha 
lacunosa 
gracilis 
reliculum 
caminus 
vesicula 


oviformis 


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Historische Einleitung. 


19. Ascaltis botryoides 
15. —_ Darwinii 
18. _ Goethei 
16. —— Lamarckii 
17. — Gegenbauri 
32. Ascandra complicata 
39. — variabilis 
3% = contorta 
34. — echinoides 
1. Ascetta primordialis 
28. Ascandra densa 
5. Ascetta blanca 
30. Ascandra reticulum 
3. Ascetta clathrus 
17. Ascaltis Gegenbauri 
13. — canariensis 
13. _ canariensis 
13. = canariensis 
3. Ascetta clathrus 
1. — primordialis 
103. Sycandra aleyoncellum 
109. — compressa 
94. — eiliatum 
9. — raphanus 
109. — compressa 
62. Leucandra aleicornis 
40. Leucetta primigenia 
70. Leucandra nivea 
60. = Gossei 
73. _ stilifera 
60. —_ Gossei (?) 
53. Leucaltis solida 
5. Ascetta blanca 
21. Ascortis lacunosa 
28. Ascandra densa 
30. — reticulum 
59. Leucandra caminus 
6. Ascetta vesicula 
94. Sycandra ciliata 


3. Die Genera der Caleispongien. 47 


‚Sycocystis 114. compressa — 109. Sycandra compressa 

— 115. utrieulus — 10: —_ utrieulus 
32, Artynella 116. compressa = 109. _ compressa 

—_ 117. rhopalodes — 409: — compressa 

— 118. utrieulus = 110. _ utriculus 
33. Lipostomella 119. clausa — 40. Leucetta primigenia 

— 120. capsula = 46. Leucilla capsula 
34. Sycorrhiza 121. coriacea —= 2. Ascetta coriacea 

_ 122. corallorrhiza —= 23. Ascortis corallorrhiza 
35. Aulorrhiza 123. intestinalis — 16. Ascaltis Lamarckii 
36. Auloplegma 124. loculosum —= 1. Ascetta _primordialis 
37. Sycophyllum 125. lobatum — 109. Sycandra compressa 

— 126. compressum — 1109! = compressa 
38. Artynophyllum 127. compressum = 109. —: compressa 
39. Sycolepis 128. inerustans — 49, Leucyssa incrustans 


= 129. pulvinar 56. Leucortis pulvinar 


40. Guancha 130. blanca 5. Ascetta blanca 
41. Thecometra 131. loculosa ==, ‚Li _ primordialis 
42, Sycometra 132. compressa — 109. Sycandra compressa 


3. Die Genera der Calcispongien. 


Die Genera der Kalkschwämme haben bisher in nicht geringerem Masse, als die 
Species dieser Thiergruppe , von den verschiedenen Naturforschern , die sich mit ihrer 
systematischen Beschreibung und Unterscheidung beschäftigten, eine sehr verschieden- 
artige Beurtheilung erfahren. Die verschiedensten Kalkschwämme sind von vielen 
Autoren unter gleichem Gattungs-Namen, umgekehrt aber auch oft eine und dieselbe 
Species unter mehreren sehr verschiedenen generischen Bezeichnungen beschrieben 
worden. Während aber bei den Characteristiken der Species meistens die ungenügende 
Untersuchung und Beobachtung an der systematischen Verwirrung Schuld war, so hat 
bei den Characteristiken der Genera noch weit mehr Unheil der Mangel an festen 
Olassifications-Prineipien und an kritischem Urtheil bei den meisten Autoren an- 
gerichtet. Um aus diesem Chaos herauszukommen, erscheint es mir am zweckmässig- 
sten, zunächst die Genera der bisherigen Autoren in historischer Reihenfolge mit den 
ursprünglichen Characteristiken wörtlich anzuführen, und darauf dann eine Kritik und 
Reduction derselben folgen zu lassen. 

I. Jonn Freming fasste 1828 zum ersten Male sämmtliche Kalkschwämme in 
einer besonderen Gattung zusammen, welcher er, ihrem Entdecker zu Ehren, den 


48 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


Namen Grantia gab. Seine Genus-Characteristik lautet: Grantia: „Porous, the 
cartilagineous skeleton strengthened by calcareous spicula“ !). 

ll. ROBERT Grant selbst, der zuerst die kalkige Beschaffenheit des Skelets bei 
den Kalkschwämmen entdeckt hatte?), wollte nachher (1829) die Benennung Grantia 
in Leucalia und noch später (1861) statt dessen in Leuconida umgeändert wissen®). 

II. A. Rısso vertheilte 1826 die sämmtlichen Schwämme des Mittelmeeres in 
zwei Genera: Sycon und Spongia. Das Genus ‚Sycon enthielt nur zwei Species (S. 
Humboldti und $. Poireti); beide sind offenbar Kalkschwämme (wahrscheinlich 
Sycandra Humboldti und Leucandra aspera). Der Gattungs-Character lautete: 
„„Sycon: Corpus elongato-ovatum, paululum ineurvum, antice apertum, abrupte acu- 
minatum, ciliatum, postice clausum, rotundatum; ventriculus corporis longitudinis; 
superficie interna cellulis numerosis, ovatis, excavatis sculpta“ ®). 

IV. BramvirLe fasste 1834 sämmtliche Kalkschwämme ebenfalls in einem 
Genus zusammen, und nannte dies Caleispongia, um damit den Character dieser Gat- 
tung, den übrigen Schwämmen gegenüber, auszudrücken. Seine Characteristik lautet: 
„Caleispongia: Corps peu mou, peu 6lastique, en forme de masse irröguliere, poreux, 
traverse par des caAnaux irreguliers, ouverts A Pexterieur par des oscules, et compose 
d’une substance subcartilagineuse, soutenue par des spicules de nature calcaire, et la 
plupart stelliforme“ 5). BramvirLe führte unter seinem Genus Caleispongia die- 
selben fünf Species auf, welche FLemmnG unter Grantia zusammengefasst hatte. 
Ausserdem aber beschreibt er noch einen anderen Kalkschwamm, von dem er nicht 
entscheiden will, ob er ein wirklicher Schwamm oder eine Coralle (Alcyonium) sei, 
unter dem Namen Alcyoncellum gelatinosum, wit folgendem Gattungs-Character (]. c. 
p. 529): „Corps fixe, mou, subgelatineux, solidifi€ par des spieules tricuspides, phy- 
toide; & branches peu nombreuses, cylindriques, fistulaires, termindes par un orifice 
arrondi, & parois 6paisses, composees de granules reguliers, polygones, alv&oliformes, 
pere6s d’un pore & l’exterieur et ä interieur.“ Dieser Kalkschwamm ist unzweifelhaft 
unsere Sycandra aleyoncellum (= Grantia virgultosa, BOWERBANK) ®). 

V. GEORGE Jonnsron behielt 1842 für die Kalkschwämme, von denen er acht 
britische Species unterschied, FLemıng’s Gattungs-Namen Grantia bei und gab dem- 


1) Joun FLEMInG, History of British animals. Edinburgh 1828. p. 524. 

2) RoBERT GRANT, Porifera. Edinburgh Eneycelopaedy , Vol. XVIII, p. 844. 

3) Ros£RT GRANT, Porifera Leuconida. Tabular View of the primary divisions of the animal king- 
dom. 1861. 

4) A. Rısso, Histoire naturelle de l’Europe meridionale et partieulierement de Nice et des Alpes 
maritimes. Paris 1826. Tome V, p. 368. 

5) BLArnviLLE, Manuel d’Actinologie ou de Zoophytologie. Paris 1834. p. 530. 

6) BOWERBANK, On the generie name Aleyoncelum. Annals and Magazin of natural history, 1869. 
Vol. III, p. 84. 


3. Die Genera der Calcispongien. 49 


selben folgende Characteristik: ‚„‚Grantia: Spongiae plerumque albicantes minutissime 
porosae nec vi resiliendi praeditae, e spiculis calcareis multiformibus in membrana 
gelatinosa contextae; osculis rotundis planis. — Parvum sed nitidum genus, fucos 
confervasque littorales amans, nec rupes effugiens (vgl. p. 9)). 

VI. J. S. BowErBAnk beschrieb 1845 einen neuen afrikanischen Kalkschwamm 
unter dem Namen Dunstervillia elegans und gab dem” neuen Genus Dumnstervillia 
dabei folgende Characteristik: „Sponge calcareous, outer surface arranged in polygonal 
plates or compartments. Body composed of simple, straight angulated canals, ra- 
diating from the central axis of the sponge?).“ Später (1862) unterschied BOwER- 
BANK unter den Kalkschwämmen vier verschiedene Genera: Grantia, Leucosolenia, 
Leuconia und Leucogypsia. Er nahm dabei keine Rücksicht auf die bereits 3 Jahre 
früher (1859) von LIEBERKÜHN vorgenommene Trennung der Caleispongien in Grantien 
und Syconen. Die Characteristik, welche BowErBANnK 1862 seinen vier Gattungen 
gab, und welche er 1364 in den „British Spongiadae“ beibehielt, lautet wörtlich ?): 
1. Grantia (Brit. Spong. Vol. I, p. 162; Vol. II, p. 1): „Sponge furnished with a 
central cloaca, parietes constructed of interstitial cells, more or less regular and 
angular in form, disposed at right angles to the external surface, and extending in 
length from the outer to very near the inner surface of the sponge, where each 
terminates in a single osculum.“ 2. Leucosolenia (Brit. Spong. Vol. I, p. 164; Vol. II, 
p. 2): „Sponge fistular. Formed of a single layer of triradiate and other spicula, 
surrounding a large central cloaca, which extends into all parts of the sponge.“ 
3. Leuconia (Brit. Spong. Vol. I, p. 164; Vol. II, p. 2): „Sponge furnished with 
cloacae, one or more. Parietes of sponge formed of a mass of irregularly disposed 
interstitial membranes, and triradiate and other spicula; permeated by sinuous ex- 
current canals, the oscula of which are irregularly disposed over the surfaces of the 
cloacae.“ 4. Leucogypsia (Brit. Spong. Vol.I, p. 165; Vol.II, p.2): „Sponge massive, 
without cloacae; formed of irregularly disposed membranous tissues and spicula. 
Oscula at the external surface.“ 

VI. N. LieBEerkÜünn unterschied 1859 unter den Kalkschwämmen zwei Genera, 
Grantia und Sycon, indem er bemerkt: „Es möchte wohl am übersichtlichsten sein, 
aus den Kalkspongien zwei Gattungen zu bilden, zu deren einer die unregelmässig 
verästelten Formen zu rechnen wären, während zu der anderen die eine einfache 
Spindel oder einen Kegel bildenden gehörten. Für die erstere Gattung schlage ich 


1) GEORGE JoHNnSToN, A history of British Sponges and Lithophytes. Edinburgh 1842. p. 251 
(and p. 172). 


2) J. S. BowERBANK, Description of a new genus of calcareous Sponges. Annals and Magazin of 
nat. hist. 1845. Vol. XV, p. 297—301; Pl. XVII. 
3) J. S. BOwERBANK, On the generie characters, the speeifie characters and on the method of exa- 


mination of the Spongiadae. Philosophical Transactions. London 1862. Vol. 152, p. 1093. 
Haeckel, Kalkschwämme. I. 4 


50 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


den Namen Grantia vor, für die letztere den Namen Sycon, mit welchem bereits 
Rısso dieselbe Form belegte“ 1). 

VIII. Oscar Schmivr hat in seinen verschiedenen spongiologischen Arbeiten 
im Ganzen neun verschiedene Genera von Kalkschwämmen unterschieden, welche er 
1868 in seiner „Verwandtschaftstabelle der mittelmeerisch -adriatischen Spongien‘ 2) 
in zwei Abtheilungen gruppirt: a: Calcispongiae Sociales: 1. Leucosolenia, 
2. Clathrina, 3. Nardoa, 4. Leuconia, 5. Sycinula. b: Caleispongiae Soli- 
tariae: 6. Ute, 7. Dunstervillia, 8. Sycon, 9. Syconella. Eine vollständige Cha- 
racteristik von allen neun Gattungen hat Schmipr nicht gegeben. In seinem ersten 
Werke, den adriatischen Spongien, hat er nur fünf Genera characterisirt®). Wenn 
man diese Gattungs-Diagnosen mit den kürzeren Bemerkungen zusammenstellt, welche 
er über die anderen Genera macht, und mit demjenigen, was er im zweiten Supple- 
mente (1866) über das Verhältniss seiner adriatischen Gattungen zu BOWERBANK’S 
britischen Genera bemerkt*), so ergiebt sich nach Schmipr’s Auffassung etwa fol- 
gende Characteristik seiner neun Caleispongien-Genera: I. Calcispongiae so- 
ciales (Kalkschwämme mit mehreren oder vielen Ausströmungsöffnungen): 1. Leu- 
cosolenia, BOWERBANK: „dünnwandige verästelte Röhren ohne entwickelte Ausströ- 
mungs-Canäle“. 2. Nardoa, Scumipr: „verflochtene Röhren, bei welchen die Lücken 
des Balkensystems in ganz eigenthümlicher Weise das Ausströmungssystem vertreten“. 
3. Clathrina, GRAY, besteht „aus unregelmässig sich verflechtenden und verbindenden 
soliden Balken, die zwei sehr differente Schichten besitzen, eine äussere farblose mit 
Spicula, eine innere, gelbliche, körnige ohne Nadeln; keine Hohlräume!“ 4. Leuconia, 
BOWERBANK (= Grantia, ScHMipr), Kalkschwämme „unregelmässig massig oder 


1) N. LiEBERKÜHN, Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. Archiv für Anat. und Physiol. 
1859, p- 372. 

2) Oscar Schmidt, Algier. Spongien, 1868, p. 35. 

3) Oscar Schar, Adriat. Spongien, 1862, p. 14— 18. 

I. Sycon, LIEBERKÜHN. Caleispongiae corpore plus minusve regulariter fusiformi vel saceiformi, 
aut pedunculato, aut infra globoso. Sinus centralis plerumque regulariter saceiformis et simplex desinit 
in oseulum spieulorum simplieium longiorum corona eircumdatum (Species: 1. $. ciliatum, 2. S. Humboldtüi, 
3. S. raphanus, 4. 8. setosum, 5. S. asperum). 

II. Dunstervillia, BowERBANK. Caleispongiae globosae vel fusiformes. Osculum unicum spi- 
eulorum corona eircumdatum. Sinus centralis regularis. Corporis superficies regulariter reticulata, qui 
adspeetus spieulorum peculiarium nidis vel fasciculis effieitur (Species: D. coreyrensis). 

III. Ute, O. Scumipr. Caleispongiae subregulares saceiformes. Osculum amplum in fine anteriori, 
eorona spiculorum non munitum (Species: U. capillosa). 

IV. Grantia, LIEBERKÜHN. Caleispongiae forma irregulariter tuberosa vel ramosa. Corporis sinus 
irregulares in unum vel compluria oscula desinunt (Species: 1. @. Lieberkühnü, 2. @. pulchra, 3. @. solida). 

V. Nardoa, 0. Schmipr. Caleispongiae superficie lacunosa vel favosa, canalibus sinuosis amplio- 
ribus parietes corporis perforantibus. Parenchyma fragilius (Species: N. reticulum). 


4) 0. Scuuipt, Kritik und Synonymie der Gattungen. Adriat. Spong. II. Supplem. p. 7. 


3. Die Genera der Calcispongien. 51 


knollig, bei fortgesetztem Wachsthum ihre Oscula vermehrend, mit unregelmässigen 
und verästelten Einströmungsgängen. Oscula nackt“. 5. Syeinula, Scuamipr t), Kalk- 
schwämme, „unregelmässig massig oder knollig, bei fortgesetztem Wachsthum ihre 
Oscula vermehrend, mit unregelmässigen und verästelten Einströmungsgängen. Oscula 
mit einer Strahlenkrone“. I. Caleispongiae solitariae. (Kalkschwämme mit 
einer einzigen Ausströmungsöffnung.) „Alle mit regelmässiger Schlauchstructur der 
Wandung“: 6. Ute, Scumipr. Das Osculum weder mit einem Strahlenkranze, noch 
am Ende eines dünnhäutigen Schornsteins. 7. Dunstervillia, BOWERBANK. Osculum 
mit einer aufrechten und einer zweiten, fast horizontalen Strahlenkrone. 8. Sycon, 
Rısso. Osculum nur mit einer einfachen Strahlenkrone. 9. Syconella, ScHMipr. 
Oseulum ohne Strahlenkrone, aber am Ende eines dünnhäutigen, schornsteinartigen 
Aufsatzes. 

IX. J. E. Gray hat 1367 „Bemerkungen über die Classification der Schwämme“ 
veröffentlicht, welche das System dieser Thierclasse auf ganz neuer Grundlage auf- 
richten sollten. Leider ist diese Arbeit so ohne alle gründliche Kenntniss der Spon- 
gien und ihrer Literatur, so ohne alle consequente Logik völlig willkührlich zu- 
sammengestellt, dass sie gar keinen wissenschaftlichen Werth besitzt und nur als 
literarische Curiosität von Interesse ist. Indessen muss ich der Vollständigkeit 
halber hier dennoch den die Kalkschwämme betreffenden Theil reprodueiren (l. c. 
p- 553—558). Gray ordnet die „Subelass: Porifera calcarea“ in drei Familien 
mit 11 Gattungen ?). 


Fam. 1. Grantiadae. 


Sponge tubular or massive, pierced with a tubular cloaca. Outer surface 
strengthened with three-rayed spicules. 


*Sponge tubular, isolated or clustered. 

I. Grantia, BOWERBANK. Sponge tubular, fusiform, globular or bag-like, 
hispid. Oscules terminal, surrounded by a single series of cilia. Spicules triradiate, 
rays equiangular, elongate (Grantia ciliata). 

U. Ute, OÖ. Schmipr. Sponge tubular solitary, sac-shaped or fusiform, more or 
less pedunculated. Oscules terminal, not crowned with a series of cilia (1. U. ca- 
pillosa, 2. U. ensata). 


*Sponge tubular, with one or many terminal oscules. 
II. Artynes, Gray. Sponge tubular, compressed, simple or lobed above, 
with an oscule terminating each lobe. Surface even. Mouth of oscule without eilia. 
Spicules of outer surface clavate, bent. Skeleton three-rayed (Artynes compressa). 


1) ©. Scumipt, Adriat. Spong. II. Supplem. p. 7 und Algier. Spong. (III. Supplem.) p. 29, 35. 
2) J. E. Gray, Notes on the arrangement of Sponges, with the Desceriptions of some new Genera. 


Proceedings of the Zoological Society of London, 1867, p. 492—558. 
4 * 


52 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


*** Sponge massive, with a tubular cloaca. 

IV. Leucosolenia, BOWERBANK. Sponge tubular, formed of a single layer 
of triradiate and other spieula. IV A. Arborescent (1. L. botryoides). IV B. Massive 
(Nardoa, 2. L. contorta, 3. L. lacunosa). IV C. Incrusting. Spicula minute (4. L. 
coriacea). 

V. Leuconia, GRANT. Sponge massive, permeated by sinuous canals, strengthened 
with irregularly placed triradiate and other spicula (1. L. nivea, 2. L. fistulosa, 
3. L. pumila). 

VI. Leucogypsia, BOWERBANK. Sponge massive, with oscules on outer sur- 
face and no cloaca, formed of irregularly disposed membranes and spieula (1. L. Gossei, 
2. L. algoensis). fl 

VI. Clathrina, Gray. Sponge branched; branches slightly compressed, 
variously and irregularly anastomosing. Oscules at the end of the smaller branches. 
Spicula triradiate, rays blunt (C. sulfurea). 

VII. Lelapia, Gray. Sponge? Spicules calcareous, elongate fusiforme, with 
two more or less elongated nearly parallel branches at one end (L. australis). 


Fam. 2. Aleyoncellidae. 

Sponge tubular, simple or branched. Outer surface tessellated, formed of square 
perforated cells. Oscules terminal. 

IX. Alcyoncellum, BLAINVILLE. Sponge soft, subgelatinous, slightly branched 
(A. gelatinosum). 

X. Dunstervillia, BOwERBANK. Sponge tubular, fusiform or globose, hispid. 
Surface even, tessellated. Oscules single, terminal, surrounded with two series of 
cilia, one vertical, and the other expanded horizontally. Spicules of skeleton three- 
rayed, rays equal; of fringe rigid, fusiform (1. D. tessellata, 2. D. corcyrensis). 


Fam. 3. Aphrocerasidae. 

Sponge tubular, branched, formed of two coats; outer coat of simple fusiform 
spicula, placed side by side in the longitudinal axis of the stem and branches. Inner 
coat and network of interlaced fibres, placed in all directions. Branches simple, 
attenuated and open at the tip. 

XI. Aphroceras, Gray (A. aleicornis). 

Da dieser systematische Versuch von Gray (wenn wir von O. Schmipr's Ein- 
theilung der Kalkschwämme in Solitariae und Sociales absehen) bis auf meinen Pro- 
dromus der einzige Versuch war, die Genera der Caleispongien in Familien zu ver- 
theilen, so muss ich hier noch einige kritische Worte hinzufügen. Für Jeden, der 
nur einigermassen mit der Systematik der Spongien vertraut ist, bedarf es keines be- 
sonderen Hinweises darauf, dass dies Spongien-System in Bezug auf Willkühr der An- 
ordnung, völligen Mangel an Logik und Unnatürlichkeit der Auffassung das Aeusserste 


3. Die Genera der Caleispongien. 53 


leistet. Diese gerechten Vorwürfe werden aber dadurch zu der schwersten Anklage, 
dass Herr Gray weder die Spongien aus eigener Untersuchung genau kennt, noch die 
betreffende Literatur ordentlich verglichen hat. So kommt es denn, dass dieser ganze 
systematische Versuch nicht mehr Werth hat, als der beliebige Einfall eines Dilet- 
tanten, der jeder gründlichen Kenntniss sowohl des Gegenstandes als der bezüglichen 
Literatur entbehrt; er hat nicht mehr Werth, als das berüchtigte Machwerk von 
DUCHASSAING DE FOMBRESSIN und GIOVANNI MICHELOTTI über die „Spongiaires de la 
mer caraibe“ (1864). Wie dieses letztere Werk jedes wissenschaftlichen Werthes ent- 
behrt und nur Confusion in der Literatur anrichtet, so gilt dasselbe leider auch von 
den obigen „Notes“ von Gray. Die scharfe Kritik, welche BowERBANK!) und O. 
Schaipr ?) darüber ausgesprochen haben, ist noch viel zu milde. Eigentlich ist voll- 
ständiges Ignoriren die einzige gerechte Strafe für solche wissenschaftlichen Sünden, 
und zugleich das einzige Mittel, um den nutzlosen Ballast möglichst bald wieder aus 
der Literatur zu entfernen. Da jedoch Herr Gray wegen der ungeheuren Masse über- 
flüssiger Gattungsnamen, welche er in die systematische Zoologie geworfen hat, bei 
vielen Systematikern ein grosses, obwohl unverdientes Ansehen geniesst, und da jener 
Versuch zu einer Gruppirung der Caleispongien eben bisher (ausser Schumipr’s und 
meinen Versuchen) der einzige war, so muss ich hier ausdrücklich die völlige Un- 
brauchbarkeit und Werthlosigkeit des Grav’schen „Dys-Arrangements“ constatiren. 
Ich glaube dieses harte Urtheil nicht besser motiviren zu können, als dadurch, dass 
ich seine völlig willkührlichen und gänzlich unzutreffenden Diagnosen vorstehend 
wörtlich abgedruckt habe und nun den Leser auffordere, damit die thatsächlichen 
Verhältnisse der Caleispongien-Classification, wie sie sich aus dem natürlichen und 
dem künstlichen Systeme des zweiten Bandes dieser Monographie ergeben, zu ver- 
gleichen. In den Diagnosen der bunt durch einander gewürfelten 11 Gattungen ist 
geradezu Alles entweder falsch oder für den Genus-Character werthlos. Die drei 
Familien aber, in welche Gray die Kalkschwämme eintheilt, haben ungefähr die- 
selbe Berechtigung, welche folgende Classification der Säugethiere haben würde: 
Erste Gruppe (entsprechend den Aphrocerasidae): Säugethiere mit einem langen 
Rüssel und grossen Ohren: der Elephant; zweite Gruppe (entsprechend den Alcyon- 
cellidae): Säugethiere mit einer grossen Mähne am Halse: der Löwe, der Seelöwe 
und das Löwenäffchen; dritte Gruppe (entsprechend den Grantiadae): alle 
übrigen Säugethiere. 

X. Miktucnho-MaAcraAy hat zwei neue Genera von Kalkschwämmen aufgestellt: 
Guancha und Baeria. Die Gattung Guancha gründete er auf den kleinen, von ihm 
auf der canarischen Insel Lanzerote beobachteten, und durch seine Polymorphose 


1) BOWERBANK, Annals and Mag. of nat. hist. 1869, Vol. III, p. 84. 
2) O0. Scumipr, Adriat. Spong. III. Supplem. (Algier. Spong.) p. 33. 


54 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 

ausgezeichneten Asconen (Guancha blanca). Er vermochte denselben eben wegen 
dieser Vielgestaltigkeit nicht in Schmipr’s System einzureihen, da er ihm verschie- 
dene Formen desselben (Ute, Nardoa und andere) zu repräsentiren schien!). Das 
andere Genus, Baeria, gründete er auf einen Leuconen aus dem ochotskischen 
Meere (Baeria ochotensis). welchen er nach den bestehenden Systemen zu Leuconia, 
BOWERBANK (— Grantia, Scumipr) hätte stellen müssen 2). Eine Genus-Characte- 
ristik hat er weder von Gu«ancha noch von Baeria gegeben. 

XI. CARTER hat schliesslich 1871 (ohne Genus-Diagnose) ein neues Calci- 
spongien-Genus: Trichogypsia aufgestellt und als dessen Repräsentanten eine Leu- 
con-Art beschrieben, welche ich schon 2 Jahre früher im Prodromus als Sycolepis 
incrustans aufgeführt hatte. 

XI. Der „Prodromus eines Systems der Kalkschwämme“, in welchem ich 
1869 die bis dahin beschriebenen Species der Caleispongien nebst den neuen von 
mir untersuchten Arten zusammenstellte und auf Grund des bestehenden künstlichen 
Systems zu classificiren versuchte, enthält 42 Genera, unter denen sich 12 alte und 
30 neue Gattungs-Namen befinden. Bevor ich die Beziehungen dieser Genus-Be- 
zeichnungen zu denjenigen des „künstlichen Systems der Kalkschwämme“ (im II. Bande 
dieser Monographie) feststelle, erscheint es nothwendig, zunächst die sehr verschiedene 
Bedeutung hervorzuheben, in welcher die bisher gebräuchlichen Genus- Namen von 
den verschiedenen Autoren angewendet worden sind. Es folgt demnach hier zunächst 
eine Kritik der Genera. 

1. Grantia, der älteste Name für die Kalkschwämme, wurde 1828 von FLr- 
mınG als Genus-Bezeichnung für sämmtliche Species dieser Gruppe eingeführt, und in 
demselben Sinne 1842 von Jonnston beibehalten. Später ist aber die Bezeichnung 
Grantia nur als Genus-Namen für einen Theil der Caleispongien angewendet, und zwar 
1859 von LiEBERKÜHN für die Asconen, 1862 von BOWERBANK für die Syconen, 
und in demselben Jahre von O. Schmipr für die Leuconen. Wollte man demnach 
wirklich die Bezeichnung Grantia als Genus-Namen für einen Theil der Kalkschwämme 
beibehalten, so könnte dies nach unzweifelhaftem Prioritäts-Rechte nur für die 
Asconen geschehen. Denn diese hat LieBERKÜHN schon 1859 Grantia genannt, 
während BOWERBANK erst drei Jahre später dafür die Bezeichnung Leucosolenia ein- 
führen wollte. Da aber unter @rantia (wie ich aus den mir vorliegenden Sammlungen 
noch deutlicher als aus der Literatur ersehe) die meisten deutschen Autoren Leu- 
conen, die meisten englischen Autoren dagegen Syconen verstehen, so dürfte es 
wohl am besten sein, diesen Namen als Genus-Bezeichnung ganz fallen zu lassen, 


1) N. Mıxrucno-MacrAy, Beiträge zur Kenntniss der Spongien. Jenaische Zeitschr. für Med. u. 
Nat. 1868, Band IV, p. 230—232. 
2) N. MıkzucHo-MAcAyv, Ueber einige Schwämme des nördlichen stillen Oceans und des Eismeeres. 


Memoires de l’Academie imperiale de S. Petersbourg. 1870, Tom. XV, p. 16. 


3. Die Genera der Caleispongien. 55 


und nur im Sinne seines ursprünglichen Autors als Collectiv-Bezeichnung für sämmt- 
liche Kalkschwämme anzuwenden, also synonym mit Caleispongia , BLAINVILLE. 

2. Sycon nannte schon 1826 Rısso zwei Kalkschwämme, von denen er nicht 
wusste, dass sie Caleispongien seien. Der eine von diesen ist wahrscheinlich ein Sycon 
(Sycandra Humboldti, H.?), der andere ein Leucon (Leucandra aspera, H.?). Später 
wendete zuerst LiEBERKÜHN (1859) die Bezeichnung Sycon wieder an, und zwar für 
echte Syeonen (Sycandra eiliata von Helgoland). ©. Scumipr beschränkte nachher 
den Namen auf diejenigen Syconen, welche „ein Osculum mit einer einfachen Strahlen- 
krone“ besitzen (= Sycarium, H.). Ich gebrauche die Bezeichnung Sycon hier in 
weiterem Sinne, indem ich sie auf alle Orthoporeuten des Prodromus ausdehne. 

3. Caleispongia führte 1834 Brammvivte in gleichem Sinne als einzige Genus- 
Bezeichnung für alle Kalkschwämme ein, wie FLEemInG und JoHNnsTon Grantia an- 
wendeten. Die Benennung Caleispongiae ist seitdem von den meisten übrigen Autoren 
als systematische Collectiv-Bezeichnung für sämmtliche Kalkschwämme beibehalten 
worden, und hat demnach bald den Werth einer Familie, bald einer Ordnung, bald 
einer Subelasse erhalten. 

4. Aleyoncellum (gelatinosum) nannte 1834 BLAmsvirte die Sycandra aleyon- 
cellum, H. (103. Species meines natürlichen Systems). Da er ihre Kalkschwamm- 
Natur nicht erkannte, und überhaupt nicht wusste, ob sie eine Spongie oder eine 
Coralle sei, trennte er sie von seiner Gattung Culcispongia ab. Quoy und GAYMARD, 
welche das Alcyoncellum gelatinosum , BLAINVILLE (= Sycandra aleyorcellum, H.) 
gesammelt und an BLAINVILLE zur Untersuchung abgegeben hatten, haben später in 
der „Voyage de l’Astrolabe“ (Tome IV, p. 203) unter dem Namen Alcyoncellum spe- 
ciosum einen gänzlich verschiedenen Kieselschwamm beschrieben und abgebildet, 
nämlich die Corbitella speciosa, Gray (Euplectella speciosa, OwEn). Dabei haben 
sie aber als Diagnose des Genus Aleyoncellum die von BLAINVILLE für den oben ge- 
nannten Kalkschwamm gegebene Characteristik wörtlich beibehalten! Freilich 
passt nun kein einziges darin angegebenes Merkmal des Kalkschwammes (4. 
gelatinosum) auf den in jeder Beziehung völlig verschiedenen Kieselschwamm (A. 
speciosum), der auch äusserlich nicht die geringste Aehnlichkeit mit ersterem hat. 
Indessen wird über diesen Widerspruch nur derjenige Leser erstaunt sein, welcher 
nicht mit der grenzenlosen Liederlichkeit und Leichtfertigkeit der Messieurs Quoy et 
GAYMARD bereits aus ihren übrigen literarischen Machwerken bekannt ist. Wie schon 
BOWERBANK in seiner Notiz „On the generic name Alcyoncellum“ (Ann. Mag. nat. 
hist. 1869, Vol. III, p. 34) gezeigt hat, ist dieser Name für keinen Kalkschwamm 
verwendbar. 

5. Dunstervillia nannte 1845 BowerBank einen neuen afrikanischen Kalk- 
schwamm als Typus eines neuen Genus, welches sich durch die zierliche Täfelung 
der äusseren Oberfläche des glatten rundlichen Körpers auszeichnen sollte. Auch 


56 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


0. Scnmipr behielt 1862 dieses Genus bei und bemerkt dazu: „Nach Habitus und Bau 
schliessen sich die Dunstervillien eng an die Syconen an. Ich bin jedoch mit BoweEr- 
BANK einverstanden, dass die eigenthümlichen Nadelbündel, welche eine besondere 
Schicht bilden und die Oberfläche wie getäfelt oder genetzt erscheinen lassen, an sich 
hinreichen zur Aufstellung einer Gattung.“ Die Characteristik derselben lautet 
(Adriat. Spong. 1862, p. 16): „Corporis superficies regulariter reticulata, qui ad- 
spectus spiculorum peculiarium nidis vel fascieulis efheitur.“ Später hat Schmipr 
(1866) ausser der „gefelderten Aussenseite“ auch „die doppelte Strahlenkrone“ in die 
Gattungs-Diagnose mit aufgenommen (II. Supplem. p. 7), und noch später (1868) 
die letztere allein berücksichtigt: „Osculum mit einer aufrechten und einer zweiten, 
fast horizontalen Strahlenkrone“ (III. Supplem. p. 29). Indess ist dieser doppelte 
Peristomkranz ein so variables Merkmal, dass er nicht einmal zur Characteristik 
einer künstlichen, geschweige denn einer natürlichen Gattung ausreicht, wie ich so- 
wohl bei Sycandra elegans, H. (= Dunstervillia elegans, BOWERBANK), als bei $. 
Humboldtü, H. (= Dunstervillia coreyrensis, ©. Schmipr) gefunden habe. Ebenso 
wenig characteristisch ist die „getäfelte oder gefelderte Oberfläche“, welche bei den 
verschiedensten Syconen mehr oder weniger deutlich ist. Daher muss das Genus 
Dumstervillia ganz wegfallen. Auch scheint sein Autor, BOWERBANK, es selbst ganz 
aufgegeben zu haben, da er seine Dumsterwillia elegans (von 1845) 21 Jahre später 
(1866) im II. Bande der British Sponges als Grantia tessellata beschreibt, ohne des 
früheren Namens mit einem Worte zu gedenken. 

6. Aphroceras nannte 1858 J. E. Gray ein neues Genus von Kalkschwämmen, 
von welchem er folgende Characteristik gab: „Sponge tubular, branched, without any 
large superficial oscules, formed of two distinet coats, externally covered with simple 
fusiform calcareous spicula, placed side by side in the longitudinal axis of the stem 
and branches, forming an even coat; inner surface of the tube lined with a minute 
network of interlaced fibres placed in all directions; branches simple, tapering, at- 
tenuated at the tip, with a round terminal contracted aperture“ (Gray, Description 
of Aphroceras, a new genus of Calcareous Spongiadae. Proceed. of the Zoolog. Soc. 
1858, p. 113; Pl. X, Fig. 1, 2). Später (1867) hat Gray die einzige Art der Gat- 
tung, Aphroceras alcicornis, mit etwas modifieirtem Character sogar zum Reprä- 
sentanten einer besonderen Familie: Aphrocerasidae erhoben. Wäre die angegebene 
Diagnose auch nur annähernd richtig, so würde sich dieser Kalkschwamm sehr auf- 
fallend von allen übrigen unterscheiden. Allein die Beschreibung von Gray ist ganz 
oberflächlich und unrichtig, und offenbar nur nach einer höchst flüchtigen Unter- 
suchung angefertigt. Ich habe die Lexcandra aleicornis (62. Species des natürlichen 
Systems) nach Gray’s Original-Exemplaren sehr sorgfältig untersucht und dabei ge- 
funden, dass dieser Leucon nicht generisch von anderen Leucandra-Arten zu unter- 
scheiden ist (Band II, p. 186). Indessen habe ich die Bezeichnung in einem anderen 


3. Die Genera der Caleispongien. 57 


Sinne für mein künstliches System beibehalten, indem ich den Begriff auf „mundlose 
Leuconen-Stöcke“ ausdehnte. 

7. Leuconia wollte Roserr Grant 1861 als gemeinsamen Gattungs-Namen für 
sämmtliche Kalkschwämme einführen, nachdem er bereits früher (1829) dafür die 
Bezeichnung Lexcalia (statt Grantia) in Vorschlag gebracht hatte. Indess ist dieser 
letztere Name nicht in Aufnahme gekommen. Lexconia hat dagegen BOWERBANK 
1862 wieder aufgenommen und als Bezeichnung für diejenigen Kalkschwämme benutzt, 
welche ein unregelmässig verästeltes Canalsystem, gleich den meisten Kieselschwäm- 
men, besitzen. Allerdings stellte BOwERBANK daneben noch eine zweite Gattung der- 
selben auf, welche er Lewcogypsia nannte (s. oben p. 49). Gray adoptirte beide Gat- 
tungen. Indessen ist diese letztere von der ersteren nur dadurch etwas verschieden, 
dass die grosse Körperhöhle (Magenhöhle) bei Leucogypsia viel kleiner und die davon 
ausgehenden verästelten Canäle überhaupt enger sind, als bei Lerweonia. Schon O. 
ScHaIprT hat dies 1866 (im II. Supplem. p. 8) ganz richtig beurtheilt. In der That ist 
es unmöglich, die Leuconien von den Leucogypsien zu trennen. Im Prodromus hatte 
ich Leuconia als Genus-Namen in einem etwas engeren Sinne gefasst. Indessen 
halte ich es jetzt für angemessener, Leucones in weiterem Sinne alle diejenigen 
Kalkschwämme zu nennen, welche ich im Prodromus in der Abtheilung der Clado- 
poreuta zusammengestellt hatte. 

8. Leucogypsia, von BOwERBANK 1862 aufgestellt, fällt nach dem eben Ge- 
sagten mit Lexconia zusammen und ist durch keinen scharfen Differential-Character 
davon zu trennen. Ich benutze den Namen Leucogypsia für ein Subgenus meiner 
Gattung Leucandra, zu welcher auch die von BOwERBANK als Typus von Leuco- 
gypsia beschriebene L. Gossei gehört. 

9. Leueosolenia, ebenfalls von BOwERBANK 1862 aufgestellt, umfasst nach 
seiner Characteristik im Wesentlichen dieselben Kalkschwämme, welche meine na- 
türliche Familie der Asconen oder Microporeuten bilden. Es sind dieselben, 
für welche Liegerkünn 1359 die Bezeichnung @rantia in Vorschlag gebracht hatte. 
ScHMIiDT hat (1866) den Gattungsbegriff in engerem Sinne gefasst, indem er nur 
einen Theil dieser kleinen Kalkschwämme Lewcosolenia, einen andern Theil Nardoa 
nannte, und später hat er von dieser nach Gray’s Vorgange auch noch Clathrina 
abgetrennt. Ich würde für sämmtliche Asconen die Bezeichnung Leuecosolenia bei- 
behalten haben, wenn nicht dieser sechssylbige Name sich sehr wenig als Stammwort 
für alle davon abzuleitenden Bezeichnungen eignete, eben so wenig als meine eigene 
Benennung Mieroporenta. Ich ziehe daher den zweisylbigen Namen Ascon vor. 

10. Üte nannte O. Scumipr 1862 solitäre Kalkschwämme mit einfachem nackten 
Osculum, „ohne Strahlenkrone und ohne schornsteinartige Ausflussröhre“. Die Gat- 
tung wurde in diesem Sinne auch von Gray adoptirt. Alle von beiden Autoren 
aufgeführten Arten dieses Genus sind nacktmündige Syconen und entsprechen 


58 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


unserem künstlichen Genus Syeurıs. Dagegen haben andere Autoren, wie ich aus 
den Manuscript-Bezeichnungen mehrerer mir vorliegenden Sammlungen ersehe, die 
Bezeichnung Ute (sich wörtlich an Scnmipr’s Diagnose haltend) überhaupt für „nackt- 
mündige Personen“, nicht allein unter den Syconen, sondern auch unter den Leu- 
conen und Asconen gebraucht. Es dürfte daher am passendsten sein, diese Be- 
zeichnung ganz fallen zu lassen. 

11. Nardoa stellte O. Schmidt 1862 für eine Ascon-Form auf, deren Körper 
„ein labyrinthisches, lückenreiches Geflecht“ bildet. Später (1866) unterschied er sie 
von Leucosolenia dadurch, dass „die Lücken des Balkensystems in ganz eigenthüm- 
licher Weise das Ausströmungssystem vertreten“. Mrkxtucno nannte (1868) eine 
Auloplegma-Art (A. canariense) Nardoa. Die von den Autoren zu Nardoa ge- 
rechneten Formen verhalten sich bezüglich ihrer Mündung sehr verschieden, und ent- 
sprechen verschiedenen Gattungen meines künstlichen Systems: „Nardorus, Nardopsis, 
Tarrus, Tarropsis, Auloplegma“. Uebrigens ist der Name Nardoa bereits 1840 von 
GrAY für eine Echinodermen-Form (ein Asteriden-Genus) verbraucht, und schon dess- 
halb nicht weiter anwendbar. 

12. Clathrina wurde 1867 von Gray für eine Ascon-Form (Ascetta clathrus) 
aufgestellt, welche sich nach O. Schmipr dadurch auszeichnen sollte, dass der Körper 
aus soliden, unregelmässig sich verflechtenden und verbindenden Balken bestünde. In 
der That sind diese Balken aber hohl, wie die Röhren aller Asconen, und die Art, 
welche als Typus die Gattung constituirte, ist ein Auloplegma. Im Prodromus hatte 
ich den Gattungsnamen Clathrina für die Ascetta clathrus und die nahe verwandte 
A. loculosa beibehalten, weil bei diesen beiden Asconen die hohlen Röhren oder Canäle 
„inwendig fächerig sind, nämlich durch unregelmässige Scheidewände in zahlreiche, 
mit einander communieirende Fächer zerfallend, in denen sich die Embryonen be- 
finden“ (Prodrom. p. 245). Indessen habe ich mich nachher überzeugt, dass diese 
Eigenthümlichkeit keineswegs ein constanter Genus-Character, nicht einmal ein aus- 
Teichender Species-Character ist. Bei Ascetta clathrus giebt es Auloplegma - Stöcke, 
von denen ein Theil der Röhren fächerig, ein Theil nicht fächerig ist (var. mirabilis; 
Band II, p. 31). Das Genus Clathrina fällt demnach weg. CArTEr hat kürzlich ver- 
sucht, Gray’s Namen Clathrina sulfurea zu rehabilitiren, indem er ihn auf die Tarrus- 
Form von Ascellta coriacea anwendet, welche er irrthümlicherweise für identisch mit 
A. elatkrus hält (Ann. and Mag. of nat. hist. 1871, Vol. VII, p. 278 „On the nomen- 
clature of Clathrina, Gray“). Indessen giebt er keinerlei neue Argumente, welche 
dieses Genus aufrecht erhalten könnten. Clathrina im Sinne CARTER’S ist nach seiner 
hier gegebenen Beschreibung identisch mit dem (1869) aufgestellten künstlichen Genus 
Tarrus des Prodromus. 

13. Artynes, von Gray 1867 für eine einzelne Sycandra-Species ($. compressa) 
aufgestellt, ist in seinem Sinne gar nicht haltbar, da die betreffende Art sich gar nicht 


3. Die Genera der Caleispongien. 59 


wesentlich von anderen nächstverwandten Sycandra-Arten unterscheidet. Im Pro- 
dronus hatte ich diesen Namen für eine neue Gattung beibehalten, welche als solche 
(durch ihre fächerige Magenhöhle) ebenfalls nicht genügend characterisirt ist. Ich 
verwende die Bezeichnung Artynas gegenwärtig (im künstlichen System), da sie ein- 
mal eingeführt ist, in verändertem Sinne für eine Leuconen -Gattung. 

14. Lelapia wurde 1867 von Gray auf eine einzige, von BOwERBANK abge- 
bildete Nadelform (einen gabelförmigen Dreistrahler) ohne jede sonstige Kenntniss des 
Kalkschwammes, zu dem sie gehörte, gegründet. Die Gattung ist somit völlig un- 
haltbar und der Name fällt weg. Dreistrahler von solcher Gestalt kommen bei sehr 
verschiedenen Kalkschwämmen (z. B. Leucetta pandora, Leucortis pulvinar) gemischt 
mit anderen Formen vor. 

15. Syconella nannte O. Schmmr 1868 diejenigen solitären Syconen, deren 
Osculum ohne Strahlenkrone sich am Ende eines dünnhäutigen, schornsteinartigen Auf- 
satzes befindet. Wir behalten den Namen für unser künstliches System in demselben 
Sinne bei, zur Bezeichnung der. solitären rüsselmündigen Personen unter den Syconen. 

16. Syeinula bezeichnete Schmipr 1868 den früher von ihm als Sycon asperum 
bezeichneten Kalkschwamm, als Typus der Leuconen mit „Strahlenkrone“. Wir ver- 
wenden aus mnemotechnischen Gründen (um nicht von Sycon abgeleitete Namen in 
die Leuconen-Familie hineinzubringen) den Namen Syeinula für unser künstliches 
System in verändertem Sinne, indem wir darunter solche Syconen - Stöcke begreifen, 
deren Personen sämmtlich rüsselförmige Oscula besitzen. 

17. Guancha (blanca) nannte Mixwucno 1858 (ohne Gattungs-Cha- 
racteristik!) eine Ascon-Art, bei welcher er verschiedene generische Varietäten 
beobachtete, und die er desshalb in keiner der bestehenden künstlichen Gattungen 
unterbringen konnte. Die Guancha blanca verhält sich aber in dieser Beziehung 
nicht anders, als viele andere Asconen, und daher fällt Guancha als Genus-Name fort. 
Diejenige Form der Guancha blanca. welche auf einem und demselben Stocke mehrere 
verschiedene generische Varietäten vereinigt trägt, fällt unter unser künstliches Genus 
Ascometra. Als natürliche Species gehört Guancha blanca nach ihrer Nadelform 
zum Genus Ascetta. 

18. Baeria wurde 1870 von MıkrucHo als neues Genus (ohne Gattungs- 
Characteristik!) für einen Kalkschwamm aufgestellt, welcher sich in keiner Be- 
ziehung generisch von den nächstverwandten Leuconen der Gattung Leueandra (be- 
sonders L. Johmstoniä) unterscheiden lässt. Nach dem bestehenden künstlichen 
Systeme hätte Mxwucno die Baeria ochotensis zu dem Genus Leuconia, BOWERBANK, 
genauer zu dem Genus Dyssycus des Prodromus stellen müssen. Baeria muss daher 
als Genus-Name für Kalkschwämme ganz wegfallen. 

19. Trichogypsia nannte CARTER 1871 eine Leuconen-Art, welche ich bereits 
2 Jahre früher als Sycolepis inerustans aufgeführt hatte, und welche im natürlichen 


60 Erstes Kapitel. Historische Einleitung. 


Systeme als Zeveyssa inerıstans (49. Species) beschrieben wird. Der Name Tricho- 
gypsia ist daher entbehrlich. 

Wenn wir die Resultate der vorstehenden Kritik der bisher von den Autoren auf- 
gestellten 19 Caleispongien-Genera zusammenfassen, so bleiben davon nur folgende 
sieben Genera übrig, welche in das künstliche System (in der zweiten Abtheilung 
des zweiten Bandes) übergehen: 1. Grantia, FLEMInG, synonym mit Caleispongia, 
BLAINVILLE, gebrauchen wir zur collecetiven Bezeichnung sämmtlicher Kalkschwämme, 
im Sinne ihres ursprünglichen Autors. 2. Sycones, Rısso, nenne ich in erweitertem 
Sinne die Familie der Caleispongien, welche ich im Prodromus als Orthoporeuten be- 
zeichnet hatte. 3. Leucones nenne ich (statt Leuconiae, GRANT) die Familie der 
Kalkschwämme, welche den Cladoporeuten des Prodromus entspricht. 4. Aphroceras, 
Gray, gebrauche ich in verändertem Sinne für eine künstliche Leuconen- Gattung. 
5. Artymes, GrAY, verwende ich ebenso in veränderter Bedeutung für eine künstliche 
Leuconen-Gattung. 6. Syeinula, O. Schmipt, behalte ich, ebenfalls in verändertem 
Sinne, für eine Syconen-Gattung bei. 7. Syconella, ©. Schmipr, verwende ich, im 
Sinne ihres Autors, für ein künstliches Syconen-Genus. Die übrigen 12 Genera der 
Autoren fallen weg. Die Uebersicht erleichtert die folgende historisch-kritische Zu- 


sammenstellung: 

Grantia, FLEemınG (1828) — Grantia, H. (= Caleispongia, BLAINVILLE). 
Grantia, Jounston (1842) == Grantia, H. (= Caleispongia, BLAINVILLE). 
Grantia, LIEBERKÜHN (1859) = Ascon, H. (== Leucosolenia, BOWERBANK). 
Grantia, ©. Schmipr (1862) = Leucon, H. (= Leuconia, BOWERBANK). 
Grantia, BOwERBANK (1862) = Sycon, H. (= Sycon, LIEBERKÜHN). 
Grantia, Gray (1867) — Sycon, H. (= Sycon, LIEBERKÜHN). 
Sycon, Rısso (1826) — Sycon, H. (= Sycon, LIEBERKÜHN). 
Sycon, LIEBERKÜHN (1859) = Sycon, H. (= Grantia, BOWERBANK). 
Sycon, O0. ScHmipr (1862) — Sycon. H. (== Grantia, BOWERBANK). 
Leucalia, GrAnT (1829) = Grantia, H. (= Caleispongia, BLAINVILLE). 
Calcispongia, BLAINVILLE (1834) —= Calcispongia, H. = Grantia, FLEMING). 


Aleyoncellum, BLAINVILLE (1834) — Sycothamnus, H. (Typus: Sycandra aleyoncellum). 
Aleyoncellum, Gray (1867) —= Sycothamnus, H. (Typus: Sycandra aleyoncellum). 
Dunstervillia, BOwERBANK (1845) —= Sycarium , H. (Typus: Sycandra elegans). 
Dunstervillia, O. Schmmpr (1862) —= Sycarium, H. (Typus: Sycandra Humboldtü). 


Dunstervillia, GrAY (1867) — Sycarium, H. (Typus: Sycandra tessellata). 
Aphroceras, GrAY (1358) — 4Aphroceras, H. (Typus: Leucandra aleicornis). 
Leuconia, GRANT (1861) — (aleispongia, H. (= Grantia, FLEMING). 
Leuconia, BOWERBANK (1862) = Leucon, H. (= Grantia, ©. SCHMIDT). 
Leuconia, 0. Scumipr (1866) = -Imphoriscus, H. (Typus: Leucandra solida). 


Leuconia, Gray (1867) — Leıucon, H. (= Grantia, 0. SCHMIDT). 


4. Reduction der Genera des Prodromus auf die Genera des künstlichen Systems. 61 


Leucogypsia, BOWERBANK (1862) —= Amphoriscus, H. (Typus: Leucandra Gossei). 


Leucogypsia, GraY (1367) — Amphoriscus, H. (Typus: Leucandra Gossej). 
Leucosolenia, BOWERBANK (1862) = Ascon, H. (= Grantia, LIEBERKÜHN). 
Leucosolenia, O. Scumipr (1866) — Soleniscus, H. (Typus: Ascandra Lieberkühnii). 
Leucosolenia, Gray (1867) = Ascon, H. (= Grantia, LIEBERKÜHN). 
Ute, 0. Schmipr (1862) —= Sycurus, H. (Typus: Sycandra glabra). 
Ute, Gray (1867) — Syeurus, H. (Typus: Sycandra glabra). 
Nardoa, O. Schmipr (1862) — Nardorus, H. (Typus: Ascandra reticulum). 
Nardoa, MıkLucHo (1868) — Auloplegma, H. (Typus: Ascortis canariensis). 
Clathrina, Gray (1867) — Auloplegma, H. (Typus: Ascetta elathrus). 
Clathrina, ©. Schumipr (1868) — Auloplegma, H. (Typus: Ascetta elathrus). 
Clathrina, CARTER (1871) — ET anns DER (Typus: Ascetta coriacea). 
Artynes, Gray (1867) — Sycurus, H. (Typus: Sycandra compressa, H.). 
Lelapia, Gray (1867) — ?? (Typus: Ein gabelförmiger Dreistrahler!). 


Syconella, 0. Schmipr (1865) —= Syconella, H. (Typus: Sycortis quadrangulata). 
Sycinula, O. Scamior (1868) —= Dyssycarium, H. (Typus: Leucandra aspera). 
Guancha, Mixtucno (1368) = Ascometra, H. (Typus: Ascetta blanca). 
Baeria, Mıxtucno (1870) == Dyssycus, H. (Typus: Leucandra ochotensis). 
Trichogypsia, CARTER (1871) = Dyssycus, H. (Typus: Leucyssa incrustans). 


4. Reduction der Genera des Prodromus auf die Genera des künstlichen Systems. 


Die 42 Genera, welche ich 1869 im Prodromus aufführte, enthielten 12 von den 
so eben kritisirten alten Gattungen der Autoren, und 30 neue Genera, welche ich in 
consequentem Ausbau des künstlichen Systems aufzustellen genöthigt war. Ich habe 
den grössten Theil dieser, im Prodromus gebrauchten Gattungs-Namen in dem künst- 
lichen Systeme, welches die zweite Abtheilung des zweiten Bandes enthält, beibe- 
halten, soweit es nach der hier befolgten und im nächsten Kapitel zu rechtfertigenden 
Methode der Nomenclatur möglich war. Indessen fällt eine Anzahl von den Gattungs- 
namen des Prodromus fort, theils weil sie nach der eben durchgeführten Kritik nicht 
mehr haltbar sind, theils weil ich Gattungs-Charactere, welche ich bei Abfassung des 
Prodromus für sehr wesentlich hielt, nachträglich als unwesentlich erkannt habe. So 
sind namentlich zu vereinigen: Prosycum mit Olynthus; Dunstervillia mit Syca- 
rium; Ute mit Sycurus; Cyathiscus mit Dyssycus; Leucosolenia mit Sole- 
niscus; Arlynophyllum mit Sycophyllum; Sycorrhiza und Aulorrhiza mit Aulo- 
plegma. Ferner haben eine veränderte Bedeutung bekommen die Genera: Ampho- 
ridium, Amphoriscus, Sycarium, Artynas, Sycinula, Artynium, Aphroceras, Syco- 
thamnus, Artynella. Die nähere Rechtfertigung dieser Reduction enthält der zweite 
Band. Das Resultat derselben zeigt übersichtlich nachstehende Tabelle, in welcher 


T 


62 


Erstes Kapitel. 


Historische Einleitung. 


die Gattungsnamen des Prodromus mit cursiver, die Gattungsnamen des künstlichen 
Systems mit stehender Schrift bezeichnet sind. Die obsoleten Namen, welche über- 
flüssig geworden, und weder im künstlichen, noch im natürlichen Systeme mehr anzu- 


wenden sind, habe ich durch ein + bezeichnet. 


Diejenigen Gattungsnamen des Pro- 


dromus, welche mit veränderter Begriffsbestimmung in das künstliche System über- 
gehen, sind durch ein * gekennzeichnet. Da die Genus-Bezeichnungen des Prodromus 
noch nicht in die Literatur übergegangen sind, geschieht durch diese Veränderungen 
kein Nachtheil, während der durch die neue Nomenclatur erreichte Vortheil für den 
Gebrauch des natürlichen und künstlichen Systems sehr bedeutend ist. 


1. Prosycum 

2. Olynthus 

3. Olynthium 

4. Amphoridium*) 
5. Amphoriscus* 


5. Syearium:® 


. Syceumy 

. Dumstervilliay 

. Artynas* ) AU. 
. Üter \ FE 
. Cyathiscus | 


6 
7. Syconella 
3 
) 


. Dyssycum 

. Dyssyconella 
. Syeinula* 

. Leucosolenia 
. Boleniscus 


. Tarrus 


. Tarroma 
. Olathrina tr 
. Syeidium + 


22. Sycodendrum == 21. Sycodendrum 

un 23. Artynium* 

3. Olynthium 4. Apkroceras* | m, lan 
25. Sycothamnus* ; 

7. Sycurus 26. Leuconia j Zu unluecl 
27. Nardoa — 22. Nardorus 

8. Syconella 23. Nardopsis — 23. Nardopsis 

UHR 29. Coenostomella = 26. Coenostomella 

2 Syaalum .) 30,.Glistoiynilusi ae 0A 
31. Sycocystis ) 

7. Sycurus 32. Artynella* | 12. Sycocystis 
33. Lipostomela == 11. Lipostomella 

DI 34. Sycorrhiza } 

5. Dyssyconella 35. Aulorrhiza — 34. Auloplegma 

6. Dyssycarium 36. Auloplegma 

13. Soleniscus a sa n “ er um 38. Syeophylium 

28. Tarrus 39. Sycolepis’; — 35. Aphroceras 
40. Guancha r 

30. Tarroma 41. Thecometra} — 37. Ascometra 

19. Sycothamnus 42. Sycometra — 39. Sycometra. 


Zweites Kapitel. 


Methodologische Einleitung. 


I. Methode der philosophischen Untersuchung. 


„Die wichtigsten Wahrheiten in den Naturwissenschaften sind weder allein durch 
Zergliederung der Begriffe der Philosophie, noch allein durch blosses Erfahren ge- 
funden worden, sondern durch eine denkende Erfahrung, welche das Wesentliche 
von dem Zufälligen unterscheidet, und dadurch Grundsätze findet, aus welchen 
viele Erfahrungen abgeleitet werden. Dies ist mehr als blosses Erfahren, und wenn 
man will, eine philosophische Erfahrung!).“ 

Diese Worte von JOHANNES MÜLLER, mit denen ich in meiner „generellen Mor- 
phologie der Organismen“ das vierte Kapitel, die methodologische Einleitung in diese 
Wissenschaft, eröffnet habe ?), mögen auch hier dazu dienen, die leitenden Grund- 
sätze zu bezeichnen, denen ich bei Ausarbeitung dieser Monographie der Kalk- 
schwämme gefolgt bin. Diese Grundsätze sind keine anderen, als diejenigen, welche 
eigentlich in jeder streng wissenschaftlichen Arbeit selbstverständlich befolgt werden 
sollten. Es sind die Grundsätze von der nothwendigen Wechselwirkung der Empirie 
und der Philosophie, der Erfahrung und der Erkenntniss, der Beobachtung und der 
Reflexion. In jeder reifen und entwickelten Wissenschaft werden diese fundamentalen 
Principien so allgemein anerkannt, dass der Verfasser einer Monographie, die nur ein 
verhältnissmässig kleines Wissens-Gebiet speciell umfasst, nicht genöthigt ist, in der 
Einleitung seine methodologischen Grundsätze erörtern zu müssen. In der Biologie 
dagegen, in der Zoologie sowohl als in der Botanik, erscheint eine solche Erörterung 
oder mindestens ein Bekenntniss der Methode, welche der Verfasser befolgt hat, 
keineswegs überflüssig. 

Die Zoologie, wenn man darunter die wissenschaftliche Thierlehre in ihrem 
ganzen Umfange versteht, befindet sich gerade gegenwärtig in einem Entwickelungs- 


1) JoHAnnes MÜLLER, Handbuch der Physiologie des Menschen. II. Band. p. 522. 
2) Ernst HAECKEL, Generelle Morphologie der Organismen. I. Band. p. 63—108: Viertes Capitel: 
Methodik der Morphologie der Organismen. 


64 Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 


Stadium, in welchem der beständige Hinweis auf jene leitenden Grundsätze mehr denn 
je geboten ist. Nachdem die ältere Naturphilosophie in den ersten drei Decennien 
unseres Jahrhunderts vergeblich den Versuch gemacht hatte, die rein empirisch be- 
triebenen Zweige der Thierkunde, die Anatomie und Entwickelungsgeschichte, wie die 
Systematik, unter die Herrschaft allgemeiner Grundsätze zu bringen, nachdem diese 
verdienstlichen Bestrebungen allerdings zum grossen Theile durch die Schuld ihrer 
eigenen, mehr wild-phantastischen als streng-philosophischen Methode gänzlich ge- 
scheitert waren, entwickelte sich als Rückschlag gegen dieselbe, im zweiten Drittel 
unseres Jahrhunderts, ein nackter Empirismus, welcher schnell zur ausschliesslichen 
Herrschaft in allen biologischen Disciplinen gelangte. Man glaubte jetzt, das letzte 
Ziel der Biologie allein in der exacten Beobachtung und Beschreibung der That- 
sachen zu finden und verwarf jedes Streben nach philosophischem Verständniss ihrer 
Bedeutung. Ueberall zersplitterte sich die zoologische Forschung in die mi- 
nutiöseste Untersuchung der unbedeutendsten Einzel-Verhältnisse und verlor dabei das 
grosse Ganze völlig aus den Augen. So entstand das bunte Chaos von zusammen- 
hangslosem Detail-Kram, welches gegenwärtig die wissenschaftlichen Zeitschriften 
und die meisten Bücher über Zoologie (mit Inbegriff der Anatomie, Histologie, Ent- 
wickelungsgeschichte und Physiologie der Thiere) anfüllt. So entstand die gegen- 
wärtig herrschende Verwechselung von Kenntnissen und Erkenntniss, von Wissen und 
Begreifen, und der Irrthum, dass durch blosses Sammeln von Thatsachen, ohne philo- 
sophische Durchdringung und Kritik derselben, das Gebäude der Wissenschaft er- 
richtet werde. In vielen zoologischen Werken, deren Verfasser zu den Autoritäten 
des Faches gehören, ist diese Principlosigkeit stillschweigend oder selbst eingestan- 
denermassen zum Princeip erhoben, und damit der fortschreitenden Entwickelung der 
Wissenschaft mehr geschadet, als ihr durch den Zuwachs an neuen Thatsachen ge- 
nützt wurde. 

Das philosophische Chaos, welches in Folge der allgemeinen Ausbreitung und An- 
erkennung solcher grundsatzlosen Grundsätze in der Zoologie nothwendig eintrat, ist 
allerdings zum grossen Theil aus dem unreifen Jugendalter dieser Wissenschaft und 
aus ihrem eigenthümlichen Entwickelungsgange zu erklären. Insbesondere ist dabei, 
wie ich in meiner Rede „über Entwickelungsgang und Aufgabe der Zoologie“ !) hervor- 
gehoben habe, der Umstand zu berücksichtigen, „dass die verschiedenen Zweige der 
Thierkunde sich in auffallender Isolirung und Unabhängigkeit von einander entwickelt 
haben; dagegen zum Theil in engstem Zusammenhang mit verschiedenen anderen 
Wissenschaften.“ Anatomie und Physiologie, Entwickelungsgeschichte und Palaeon- 
tologie, galten als selbstständige Wissenschaften, die von der „eigentlichen Zoologie“, 


1) Ernst HaeckEr, Biologische Studien, I. Heft. 1870. (Jenaische Zeitschr. für Med. und Naturw. 
V: Band, 1869. p. 353.) 


I. Methode der philosophischen Untersuchung. 65 


d.h. von der speciellen Systematik der Thiere, gänzlich verschieden seien; und 
doch sind alle jene Disciplinen nur integrirende Bestandtheile der generellen Zoologie. 
Statt dass nun alle diese untrennbaren Bestandtheile, die erst in ihrer gegenseitigen 
Durchdringung und Ergänzung die wirklich „wissenschaftliche Zoologie“ constituiren, 
ihren gemeinsamen Vereinigungspunkt in der „Zoologischen Philosophie“ hätten 
suchen und centripetal zu einem einheitlichen Ganzen sich verbinden sollen, gingen 
ihre centrifugalen Richtungen immer weiter aus einander und suchten sich immer 
mehr zu isoliren. 

Vergebens hat Kart Ernst Baer in seiner classischen „Entwickelungsgeschichte 
der Thiere“ schon 1828 gezeigt, dass „Beobachtung und Reflexion“, Empirie und Phi- 
losophie sich nothwendig bei jeder wissenschaftlichen zoologischen Untersuchung die 
Hand reichen müssen, und dass selbst eine Wissenschaft, wie die Ontogenie, welche 
bloss aus „Beobachtung“ der Thatsachen zu bestehen scheint, erst durch die philo- 
sophische „Reflexion“ zur eigentlichen Wissenschaft wird. Vergebens hat drei 
Decennien später CHARLES DArwın durch seine Reform der Descendenz - Theorie die 
Bahn geöffnet, auf der wir ‚allein zu den Endzielen unserer Wissenschaft gelangen 
können. Unbekümmert um diese allgemeinen Endziele vergräbt sich die Zoologie 
immer mehr in das endlose Detail der Special-Forschung und die grosse Mehrzahl der 
emsigen Arbeiter auf diesem unermesslichen Gebiete ist lediglich bemüht, durch neue 
Beobachtungen die ungeheure Masse der zusammen gehäuften Thatsachen zu ver- 
mehren, ohne Ahnung davon, dass diese „Beobachtungen“ erst durch die daran ge- 
knüpften „Reflexionen“ bleibenden wissenschaftlichen Werth erhalten. 

Diesem thatsächlichen Zustande der heutigen Zoologie gegenüber erscheint es 
dringend geboten, bei jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen, welche ernsten Gefahren 
derselbe herbeiführt, wie die quantitative Vermehrung der Kenntnisse mit der quali- 
tativen Verminderung der Erkenntniss einhergeht, und wie hinter den scheinbar glän- 
zenden äusseren Fortschritten in der That sich sehr verderbliche innere Rückschritte 
verbergen. Die Zoologen müssen wieder denken lernen, und die exacten Beobachter 
müssen sich zu philosophischer Betrachtung entschliessen, wenn diesem verderblichen 
Zustande gesteuert und der zunehmenden Verwilderung der Wissenschaft Einhalt ge- 
than werden soll. 

In der That kann jeder ernsthafte und gründliche Forscher, dem der wahre Fort- 
schritt seiner Wissenschaft am Herzen liegt, sich diese Vorstellungen nicht oft genug 
wiederholen. Wenn diese Vorstellungen aber leider in allen Gebietstheilen der Zoo- 
logie berechtigt sind, so haben sie vor Allen im Gebiete der niederen Thiere ihre 
Gültigkeit. Denn gerade hier ist der Mangel an Urtheil und die Verwilderung der 
Begriffe am grössten; gerade hier wird gegen die Gesetze der Logik am meisten ge- 
fehlt; gerade hier wird die strenge, empirisch-philosophische Methode am meisten ver- 
nachlässigt und ist doch am dringendsten nöthig. Im Gebiete der niederen Thiere ist 


Haeckel, Kalkschwämme. 1. 5 


66 Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 


es aber wieder vorzüglich die Abtheilung der Spongien, von welcher das vielleicht am 
meisten gilt. Der denkende Leser, welcher die bisherige Spongien-Literatur in dieser 
Beziehung kritisch prüft und vergleicht, wird nicht leicht eine grössere Verwirrung 
und einen grösseren Mangel an strenger Methode finden, als in den Arbeiten der 
meisten Spongiologen, namentlich von BOWERBANK und JAMES-CLARK, vor Allen aber 
von GRAY und CARTER sich offenbart. 

Dieser Verwirrung gegenüber bin ich in meiner Monographie der Kalkschwämme 
bemüht gewesen, vor Allen Klarheit in die Begriffe und Ordnung in die Masse der 
Thatsachen zu bringen. Die Grundsätze, nach welchen ich dabei verfahren bin, habe 
ich im vierten Kapitel meiner generellen Morphologie ausführlich erörtert, und es 
liegt kein Grund vor, dieselben hier nochmals speciell zu rechtfertigen. Es sind 
dieselben Grundsätze, welche SCHLEIDEN in der philosophischen Einleitung zu seinen 
„Grundzügen der wissenschaftlichen Botanik“ methodisch entwickelt hat, und welche 
in JOHN Stuart Mırrv’s inductiver Logik systematisch begründet sind. 

Diesen Grundsätzen gemäss habe ich mich bestrebt, einerseits in der Beobach- 
tung und Darstellung der Thatsachen auf das Genaueste zu verfahren, und die Einzel- 
heiten möglichst weit durch die sorgfältigste Analyse zu verfolgen; anderseits die 
daraus sich ergebenden allgemeinen Schlüsse im Hinblick auf das einheitliche Ganze 
durch vergleichende Synthese der verwandten Erscheinungen möglichst fruchtbar 
zu gestalten. Einerseits habe ich die Inductionen durch zahlreiche und sorgfältige 
Beobachtungen sicher zu begründen gesucht; anderseits bin ich in den daraus ab- 
geleiteten Deductionen so weit gegangen, als es ohne Widerspruch mit anderen 
Thatsachen-Reihen erlaubt erschien. Denn wie die Analyse nicht ohne die Synthese, 
so kann auch die Induction nicht ohne die Deduction zu einer vollständigen Erkennt- 
niss gelangen. „Nur beide zusammen, wie Aus- und Einathmen, machen das Leben 
der Wissenschaft.“ (GOETHE.) 

Wie weit ich durch diese empirisch -philosophische Methode gekommen zu sein 
glaube, zeigt am meisten der vierte Abschnitt dieses Bandes, in welchem ich mich 
bemüht habe, die aus der Untersuchung der Kalkschwämme gewonnenen Resultate 
auch für weitere Gebiete der Zoologie, und namentlich für die allgemeine Entwicke- 
lungsgeschichte zu verwerthen. Ich sehe voraus, dass der herrschende Empirismus 
diese „Philosophie der Kalkschwämme“ verwerfen und die darin aufgestellten all- 
gemeinen Anschauungen als „unberechtigte Speculationen“ bekämpfen wird.. Hier- 
gegen darf ich mich wohl mit den Worten vertheidigen, welche BArr in der Vorrede 
zu seiner „Entwickelungsgeschichte der Thiere“ sagt: „Es war vielleicht zu kühn, 
jene allgemeinen Umrisse schon jetzt zu geben. Dennoch hoffe ich Dank zu verdienen, 
wenn ich sie jetzt gebe und zur Prüfung und Berichtigung auffordere; denn irrige, 
aber bestimmt ausgesprochene allgemeine Resultate haben durch die Berichtigung, 
welche sie veranlassen, und die schärfere Beachtung aller Verhältnisse, zu der sie 


I. Methode der philosophischen Untersuchung. 67 


nöthigen, der Wissenschaft fast immer mehr genützt, als vorsichtiges Zurückhalten 
in dieser Sphäre. Anders ist es mit der Beobachtung. Diese kann nie genau 
‚genug sein.“ 

Das Problem, dessen Lösung in dieser „Philosophie der Kalkschwämme“ auf 
einem neuen Wege versucht ist, das Problem von der „Entstehung der Arten“, ist im 
eigentlichsten Sinne ein empirisch-philosophisches Problem. Weder der speculative 
Philosoph, der die empirische Basis der Beobachtung verschmäht, noch der exacte 
Beobachter, welcher von der philosophischen Speculation nichts wissen will, werden 
jemals im Stande sein, dieses Problem zu lösen, oder auch nur seine Lösung wesent- 
lich zu fördern. Dass dieses Problem zu den wichtigsten gehört, dass von seiner Be- 
antwortung „die Frage aller Fragen für die Menschheit, die Frage von der Stellung 
des Menschen in der Natur“ abhängt, das ist jetzt fast einmüthig, sowohl von den 
Gegnern wie von den Anhängern der Entwickelungs-Theorie anerkannt. Wenn es mir 
nun gelungen sein sollte, durch die „Philosophie der Kalkschwämme‘“ auf diese Frage 
ein neues Licht zu werfen, und das „Species-Problem“ von einer neuen Seite zu lösen 
oder doch seiner Lösung näher zu bringen, so verdanke ich diesen Erfolg lediglich der 
hier befolgten empirisch-philosophischen Methode, der Verbindung von Analyse und 
Synthese, von Induction und Deduction. 

Die herrschende Lehre von der Constanz der Species ist ein reines Dogma, 
welches man nimmermehr durch „exacte Beobachtungen“, sondern nur durch philo- 
sophische Kritik vernichten kann; und die herrschende Teleologie in der Auf- 
fassung der organischen Formen ist ein Ausfluss des falschen biologischen Dualis- 
mus, welchen der auf wahre Natur-Erkenntniss gegründete Monismus nur durch 
beständiges Festhalten an dem Prineip der Causalität zu widerlegen im Stande ist. 
Indem die Descendenz- Theorie die „Entstehung der Arten“ durch die mechanische 
Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung erklärt, überträgt sie das Causalitäts- 
Princip auf das bisher davon fast unberührte Gebiet der organischen Entwickelungs- 
geschichte und erklärt die Ontogenesis durch ihren Causal-Nexus mit der Phylogenesis. 
Findet nun der kritische Philosoph die hier gezogenen Schlüsse in vollem Einklang mit 
den Thatsachen-Reihen, welche der exacte Empiriker aus der Biologie der Kalk- 
schwämme an das Licht gefördert hat, so werden wir umgekehrt aus diesem Einklang 
auf die Richtigkeit der von uns angewendeten philosophischen Methode zurück- 
schliessen dürfen und in der „Philosophie der Kalkschwämme“ eine Widerlegung der 
teleologischen Natur-Betrachtung und des Dualismus, eine neue Stütze für die mecha- 
nische Natur- Auffassung und den Monismus finden. 


or 


68 Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 


II. Methode der empirischen Untersuchung. 


1. Untersuchung in lebendem Zustande. 


Die empirische Untersuchung, die Beobachtung der gröberen sowohl als der fei- 
neren Structur- Verhältnisse, der Entwickelung und der Lebens- Erscheinungen, be- 
gegnet bei den verschiedenen Kalkschwämmen in sehr verschiedenem Masse nicht 
unerheblichen Schwierigkeiten. Da nun die Angaben, welche die bisherigen Beob- 
achter der Caleispongien über ihre Untersuchungs-Methoden zur Hebung dieser 
Schwierigkeiten gemacht haben, nur sehr vereinzelt, unvollständig und unzureichend 
sind, so erscheint es nicht überflüssig, hier die verschiedenen Methoden anzugeben, 
nach denen ich selbst meine Untersuchungen angestellt habe, und zu denen ich zum 
Theil erst nach mehrjährigen Versuchen gelangt bin. Mehrere von diesen Methoden 
erleichtern die schwierige Beobachtung ausserordentlich, und ich theile sie hier um 
so lieber mit, als es mir nur erwünscht sein kann, wenn die in dieser Monographie 
enthaltenen Angaben durch nachfolgende Untersuchungen kritisch geprüft und be- 
stätigt werden. 

Zunächst ist natürlich die Untersuchung lebender Kalkschwämme unerlässlich, 
um die Lebens-Erscheinungen dieser Thiere, insbesondere die Strömungs - Phä- 
nomene, die Bewegungen der Geisselzellen, die amoeboiden Bewegungen der Eier, die 
Contractionen des Syncytium, namentlich Verschluss und Oeffnung der Poren, der 
Mundöffnung u. s. w. zu beobachten. Eine vollständige und verhältnissmässig leichte 
Einsicht erlangt man in alle diese Verhältnisse am besten bei den Asconen, während 
die Syconen viel grössere und die Leuconen die grössten Schwierigkeiten entgegen- 
stellen. Welche Bedeutung in dieser Beziehung gerade den Asconen zukömmt, hat 
LiEBERKÜHN richtig erkannt. Dieser sorgfältige Beobachter ist selbst erst (1865) 
durch die genaue Untersuchung lebender „Grantien“ (= Asconen, H.) zu voller Klar- 
heit über alle die verschiedenen Lebens-Erscheinungen und die wichtigsten morpho- 
logischen Verhältnisse der Spongien gelangt, welche er bei seinen, zehn Jahre früher 
begonnenen Untersuchungen der Spongilla und anderer Kieselschwämme nur unvoll- 
ständig und ungenügend hatte erforschen können. Unzweifelhaft sind unter allen jetzt 
lebenden Spongien die Asconen diejenigen, deren Untersuchung in lebendem Zustande 
die wichtigsten und klarsten Aufschlüsse über Wesen, Bau und Lebenserscheinungen 
der Schwämme überhaupt giebt. Ihr eingehendstes Studium kann jedem Spongiologen 
nicht genug empfohlen werden. 

Da die Asconen durchschnittlich die kleinsten unter allen bekannten Schwämmen 
sind, und da bei den meisten Asconen die dünne Magenwand mehr oder weniger farb- 
los und durchsichtig ist, so kann man viele Formen derselben unverletzt in lebendem 


II. Methode der empirischen Untersuchung. 69 


Zustande sowohl bei schwacher als bei starker Vergrösserung beobachten. Man sieht 
dann ohne weiteres die Zusammensetzung des Exoderms, die Hautporen in demselben 
und die Wasserströme, welche durch letztere eintreten, durch die Mundöffnungen aus- 
treten. Bei manchen Asconen ist die Magenwand so dünn, dass man sogar mit Hülfe 
sehr starker Vergrösserung durch das dünne Exoderm hindurch die Geisselzellen des 
Entoderms, die Schwingungen ihrer Geisseln und die „Pulsationen‘“ der contractilen 
Vaeuolen in ihrem Protoplasma deutlich erkennen kann, wie zuerst JAMES-CLARK von 
Ascortis fragilis angegeben hat. 

Weit deutlicher und klarer sieht man allerdings alle Verhältnisse, wenn man ein 
eylindrisches Röhrchen von einem lebenden Ascon mit einer scharfen Scheere durch 
einen Längsschnitt halbirt, und nun an der inneren (gastralen) Oberfläche der 
beiden Schnitthälften das Entoderm, an der äusseren (dermalen) Oberfläche das Exo- 
derm studirt. Eine wichtige und lehrreiche Ergänzung zu den so gewonnenen Resul- 
taten giebt die Untersuchung von Querschnitten, welche man ebenfalls mittelst 
einer feinen Scheere von Ascon-Röhren gewinnt, und welche zuerst LIEBERKÜHN bei 
Ascandra complicata angefertigt hat. 

Uebrigens sind keineswegs alle Ascon-Arten und alle verschiedenen Formen, 
welche wir als „generische Varietäten“ des natürlichen Systems, als „Genera“ des 
künstlichen Systems aufführen werden, in gleichem Masse für die Untersuchung in 
lebendem Zustande geeignet. Von den letzteren ist selbstverständlich die einfachste 
Form, Olynthus, dafür bei weitem am meisten passend. Da der Olynthus nur ein 
ganz einfaches, dünnwandiges und durchsichtiges Röhrchen darstellt, das an einem 
Ende eine einfache nackte Mundöffnung besitzt, am anderen Ende auf fremden Kör- 
pern (meistens Algen) aufsitzt, so kann man denselben in völlig unverletztem Zustande 
lebend unter das Mikroskop bringen. Man schneidet an einer eben aus dem Meere 
genommenen Alge (am besten einer dünnästigen Floridee oder Conferve) unter See- 
wasser einen Zweig ab, auf welchem Olynthen sitzen, und bringt denselben, ohne 
ihn aus dem Seewasser herauszunehmen, in ein untergetauchtes Glasschälchen. In 
diesem kann man nun, ohne Anwendung eines Deckgläschens, den völlig frischen, le- 
bendigen und unberührten Olynthus sowohl bei schwacher als bei starker Vergrösse- 
rung längere Zeit beobachten und nimmt die meisten daran vorkommenden vitalen 
Phänomene gewöhnlich ohne Mühe wahr. Viel weniger als diese solitären Asconen, als 
Olyntiues und die nächstverwandten Olynthiden (Olyntkella, Olynthium, Clistolynthus) 
eignen sich zur Untersuchung in lebendem Zustande die meisten socialen Asconen. 
Von diesen muss man in der Regel erst ein Stück abschneiden, da der ganze Körper, 
wenigstens für die Untersuchung bei starker Vergrösserung, zu gross und meist auch 
zu undurchsichtig ist. - 

Unter den natürlichen Arten der Asconen sind am meisten für die Untersuchung 
der Weichtheile (sowohl im lebenden als im todten Zustande) diejenigen geeignet, bei 


70 Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 


denen die Spicula im Exoderm am lockersten und spärlichsten liegen, und die grössten 
Zwischenräume zwischen sich lassen, also namentlich die meisten Arten der Genera 
Ascetta, Ascilla und Ascyssa. Dagegen sind viel schwieriger zu untersuchen die- 
jenigen Asconen, bei denen die Spicula sehr zahlreich und dicht liegen und nur wenig 
Zwischenraum frei lassen. Dies ist bei den meisten Arten der übrigen Gattungen, 
insbesondere Ascandra der Fall. Als ganz vorzüglich tauglich kann ich empfehlen: 
im Mittelmeere Ascetta primordialis, Ascetta clathrus, Ascaltis cerebrum; im nord- 
atlantischen Ocean (Küsten von Norwegen, England, Frankreich): Ascetta coriacea, 
Ascorlis fragilis, Asculmis armata. 

Nächst den Asconen sind unter den Kalkschwämmen die Syconen diejenigen, 
deren Untersuchung in lebendem Zustande die meisten Aufschlüsse liefert. Dies er- 
klärt sich daraus, dass ja eigentlich jeder solitäre Sycon, jede Sycon - Person 
(Syeurus ete.), als ein Asconen-Stock aufzufassen ist, dessen zahlreiche Personen, 
überall auf der Dermalfläche eines primitiven Olynthus durch strobiloide Knospung 
entstanden, die „Radial-Tuben“ des Sycurus bilden. Diejenigen Syconen, bei denen 
diese ursprüngliche Bildung zeitlebens deutlich persistirt, bei denen die Radial-Tuben 
völlig frei bleiben und nicht mit einander verwachsen, sind daher am besten zu unter- 
suchen: Sycetta primitiva, S. sagittifera, Sycaltis conifera; weniger gut Sycandra 
ciliata und S. coronata. Wenn man bei diesen Syconen (mit freien Radial-Tuben) 
einen Tubus vom lebenden Sycon abschneidet und unter das Mikroskop bringt, so 
erhält man dieselben Resultate wie bei Untersuchung eines Olynthus. Weniger ge- 
eignet, doch in mancher Beziehung auch sehr lehrreich, sind die übrigen Syconen, bei 
denen die Radial-Tuben entweder theilweise (mit den sich berührenden Kanten) oder 
völlig (mit ihren ganzen, sich berührenden Flächen) verwachsen sind. Hier liefern 
sowohl Querschnitte als Längsschnitte der ganzen Sycon-Person sehr instructive 
Bilder. Hinreichend dünne longitudimnale und transversale Durchschnitte sind voll- 
kommen durchsichtig und lassen alle Verhältnisse deutlich erkennen. Auch unter den 
Syconen sind, wie unter den Asconen, diejenigen Species am meisten geeignet, bei 
welchen die Skelet-Bildung am wenigsten differenzirt ist, und die Spicula verhältniss- 
mässig spärlich und locker im Exoderm liegen, also namentlich die meisten Species 
der Genera Sycelta, Syeilla, Sycaltis; am wenigsten brauchbar sind die meisten 
Arten von Sycandra. 

Die grössten Schwierigkeiten bieten der Untersuchung (besonders im lebenden, 
aber auch im todten Zustande) die Leuconen dar. Diese Kalkschwämme verhalten 
sich in Bezug auf die Bildung des Canalsystems und der davon abhängigen Verhält- 
nisse wie die Kieselschwämme und Hornschwämme. Alle die verwickelten Umstände, 
welche bei diesen letzteren (namentlich bei der am meisten untersuchten Spongilla) 
die Erkenntniss erschwert und den Fortschritt der Spongiologie so lange Zeit auf- 
gehalten haben, finden sich auch bei den Leuconen wieder. Auch hier ist gewöhnlich 


II. Methode der empirischen Untersuchung. 7t 


das Entoderm mit seinem Geissel-Epithel sehr redueirt und auf eine verhältnissmässig 
geringe Ausdehnung beschränkt, während das mächtige Exoderm mit seiner massen- 
haften Skeletbildung fast allein den ganzen Schwammkörper zu bilden scheint. Auch 
hier orientirt man sich über das wahre Verhältniss beider Theile und über die eigent- 
liche Bildung des Canalsystems erst durch geduldiges und lange fortgesetztes Studium 
zahlreicher Schnitte, welche nach allen Richtungen durch den lebenden und durch den 
todten Körper gemacht worden sind. Aber erst nach langen Anstrengungen und 
vielen vergeblichen Versuchen gelangt man hier (bei den Leuconen wie bei den Kiesel- 
und Hornschwämmen) bezüglich der Lebens-Erscheinungen, des Verhaltens der leben- 
digen Form- Elemente u. s. w. schliesslich zu denselben Resultaten, welche die Unter- 
suchung der Syconen und noch viel mehr diejenige der Asconen schon nach kurzer 
Zeit leichter und müheloser gewährt. 

Um die einzelnen Elementar-Theile in lebendigem Zustande isolirt zu untersuchen 
und ihre physiologischen und morphologischen Eigenschaften mit Hülfe der stärksten 
Vergrösserungen zu beobachten, genügt bei den Asconen ein einfaches Zerzupfen der 
Röhrenwände mit Nadeln. Bei den Syconen und Leuconen müssen in gleicher Weise 
die Schnitte untersucht werden, welche mit einer Scheere oder einem sehr scharfen 
Rasirmesser gewonnen sind. Diese Schnitte müssen theils longitudinale und trans- 
versale Schnitte des ganzen Körpers in verschiedenen Höhen sein; theils Schnitte, 
welche parallel der gastralen und parallel der dermalen Fläche, und zwischen beiden 
mitten durch das Wand-Parenchym verlaufen. 


2. Untersuchung in todtem Zustande. 


So wichtig und unerlässlich die Untersuchung der Kalkschwämme in lebendem 
Zustande ist, so würde es doch ganz ungenügend sein, sich auf diese ausschliesslich 
zu beschränken, wie es z. B. CARTER, MıkrucHo und andere Beobachter gethan 
haben. Vielmehr ist die genaueste Untersuchung der Caleispongien auch in todtem 
Zustande höchst wichtig und liefert Resultate, welche die an lebendigen Thieren ge- 
wonnenen Anschauungen wesentlich ergänzen und bereichern. Insbesondere ist für 
die Erkenntniss der feineren Structur-Verhältnisse die Untersuchung der Gewebe mit 
Hülfe chemischer Reagentien hier, wie überall in der Histologie, unerlässlich. 

Man muss die todten Kalkschwämme theils in feuchtem, theils in trockenem Zu- 
stande untersuchen. Die erstere Methode liefert über die Weichtheile, die letztere 
über das Skelet die wichtigsten Aufschlüsse. 

Die Untersuchung der todten Kalkschwämme in feuchtem Zustande, welche 
vorzugsweise für die Histologie der Weichtheile, aber auch für die Organologie des 
Gefässsystems, höchst wichtig ist, geschieht theils an frischen Objeeten, unmittelbar 
nach eingetretenem Tode, theils an Weingeist-Präparaten. An Kalkschwämmen, 


722 Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 


welche man während des Absterbens, sowie unmittelbar nach eingetretenem Tode 
untersucht, sind einzelne Verhältnisse, namentlich der Verschluss der Poren, der 
Mundöffnungen u. s. w. sehr gut wahrzunehmen. Viel lehrreicher aber sind die Calei- 
spongien, welche man, unmittelbar nachdem sie aus dem Meere genommen wurden, in 
starken Weingeist gesetzt hat. An diesen Spiritus-Präparaten sind viele histologische 
Verhältnisse (wie z. B. die Kerne der Geisselzellen und das Syncytium, die Scheiden 
der Spicula etc.) leicht und sicher zu beobachten, welche man an lebenden Kalk- 
schwämmen nur selten oder gar nicht deutlich wahrnehmen kann. Ausserdem aber 
sind solche Weingeist-Präparate viel besser, als die lebenden Thiere, für die Unter- 
suchung mit verschiedenen Reagentien, Tinctionen u. s. w. geeignet. 

Das wichtigste Mittel, um die Weichtheile in feuchtem Zustande näher unter- 
suchen zu können, ist die Anwendung verdünnter Säuren, durch welche die 
kohlensaure Kalkerde aus den Skelet-Nadeln des Exoderm entfernt, und das ganze 
Exoderm völlig durchsichtig wird. Am besten ist es, stark verdünnte Essigsäure, 
Salzsäure oder Salpetersäure langsam einwirken zu lassen. Die Kerne der Geissel- 
zellen und des Syneytium, die Spicula-Scheiden u. s. w. treten dann in dem durch- 
sichtigen Parenchyme deutlich hervor. 

Nächstdem ist die Färbung des Parenchyms (entweder vor oder nach Entfer- 
nung der Kalkerde durch Säuren) von grossem Werthe. Die Tinction mit Carmin- 
lösung ist wohl die beste; auch die Färbung mit Jodlösung, mit Goldchlorid u. s. w. 
liefert gute, aber nicht bessere und nicht wesentlich verschiedene Resultate. Je nach- 
dem man den Kalkschwamm kürzere oder längere Zeit in der tingirenden Flüssigkeit 
hat liegen lassen, tritt die characteristische Färbung der Weichtheile schwächer oder 
stärker hervor. 

Die Tinctions- Methode, welche bisher noch nicht für die Spongien angewendet 
wurde, ist sowohl für die Kalkschwämme als für die übrigen Schwämme desshalb vom 
grössten Werthe, weil die Producte des Exoderm (Syncytium, Spieula etc.) sich 
entweder gar nicht oder nur sehr blass färben, während die Producte 
des Entoderms (Geisselzellen, Spermazellen, Eier) sich mehr oder weniger 
intensiv färben. Am intensivsten ist die Färbung der Eier. Man wird also durch 
die Tinctions-Methode auf die einfachste Weise in den Stand gesetzt, Ausdehnung und 
Verbreitung des Entoderms zu bestimmen, was namentlich für die Leuconen sehr 
werthvoll ist. Das dunkel gefärbte Geissel-Epithel des Canalsystems setzt sich nach 
der Tinction scharf und deutlich von dem umschliessenden blassen Exoderm ab, wäh- 
rend vorher die Grenzen beider (besonders an dickeren Schnitten) oft gar nicht zu er- 
kennen sind. Vorzüglich schön treten bei den Leuconen, deren Geissel-Epithel auf 
sackförmige Erweiterungen der verzweigten Canäle beschränkt ist, diese „Wimper- 
Apparate“ („flaschenförmige Säcke“ von CARTER, Geisselkammern, H.) nach statt- 
gehabter Tinction als dunkel gefärbte Blasen mit einer Schicht von Geissel-Epithel 


II. Methode der empirischen Untersuchung. 73 


deutlich hervor. Auch bei den Kiesel- und Hornschwämmen kann man diese Organe 
mittelst jener Methode am leichtesten auffinden. 

Die Anwendung von Glycerin in verschiedenen Verdünnungs-Zuständen ist bei 
den feuchten, namentlich bei den gefärbten Präparaten von Kalkschwämmen sehr vor- 
theilhaft, um die dunkeln oder undurchsichtigen Theile aufzuhellen und durchsichtig 
zu machen. 

Die Untersuchung der todten Kalkschwämme in getrocknetem Zustande ist 
ebenfalls unentbehrlich und für die Erkenntniss vieler Verhältnisse ganz unschätzbar. 
Dies gilt vor Allem für das Skelet, weniger für die Weichtheile. Doch sind von den 
letzteren namentlich die Poren und die Hohlräume des Canalsystems an getrockneten 
Präparaten theilweise viel besser als an feuchten zu untersuchen. 

Um den ganzen Vortheil der Untersuchung von Kalkschwämmen in trockenem 
Zustande zu haben, darf man sie nicht unmittelbar nach ihrer Entfernung aus dem 
Meere trocknen, sondern erst nachdem sie einige Zeit in Weingeist gelegen haben. 
Wenn man Caleispongien gleich frisch, nachdem sie aus dem Meere genommen sind, 
trocknet, so verändern sie sich mehr oder weniger bedeutend. Das Syneytium con- 
trahirt sich langsam; die Poren schliessen sich theilweise oder ganz; Exoderm-Theile, 
welche bei dem langsamen Absterben und Eintrocknen in Berührung kommen, ver- 
kleben oder verschmelzen mit einander; die Skelettheile verschieben sich oft be- 
trächtlich u. s. w. Es entstehen so mancherlei Bildungen, welche blosse Kunstpro- 
ducte und nicht am lebenden Schwamme zu finden sind. Auch zersetzen sich die 
Weichtheile dabei theilweise und gehen verloren, bleiben vermöge ihres Salzgehaltes 
hygroskopisch und verlieren mit der Zeit immer mehr. Wenn man dagegen Kalk- 
schwämme unmittelbar aus dem Meere in starken Weingeist thut, so werden sie 
augenblicklich getödtet, und wenn man sie dann nach einiger Zeit an der Luft trocknet, 
so bleiben alle Theile in derselben characteristischen Gestalt, Lagerung und Ver- 
bindung erhalten, welche sie bei Lebzeiten des Schwammes besassen. 

Vor Allem wichtig und unentbehrlich ist die Untersuchung von Kalkschwämmen 
in getrocknetem Zustande für die Kenntniss des Skelets in seinen mannichfaltigen 
Differenzirungs-Zuständen. Nur von getrockneten, nicht von frischen oder feuchten 
Caleispongien lassen sich mit dem Messer hinreichend dünne Schnitte anfertigen, um 
alle Verhältnisse in der Zusammensetzung des Skelets vollständig zu erkennen und 
zu übersehen. In Canada-Balsam werden die getrockneten Weichtheile solcher 
Schnitte ganz durchsichtig, während nur die Kalk-Spieula des Skelets scharf her- 
vortreten. Eine zweckmässig angelegte Sammlung solcher Schnitte von getrockneten 
Kalkschwämmen in Canada-Balsam ist ein Museum, in welchem man alle Verhält- 
nisse in der Skelet-Bildung dieser Thiere jeden Augenblick ohne weitere Präparation 
erkennen, übersehen, und vergleichend betrachten kann. Jedoch sind diese Präparate 
in den drei Familien der Kalkschwämme nach etwas verschiedener Methode anzufertigen. 


74 Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 


Bei den Asconen können viele von den einfacheren Formen ohne Weiteres 
ganz in Canada-Balsam eingeschlossen werden, so namentlich die Olynthiden und 
Clistolynthiden, und die zarteren Formen der Soleniseiden und Auloplegmiden. Doch 
ist es bei allen diesen immerhin zur vollständigen Kenntniss nothwendig, wenigstens 
einen Längsschnitt und einen Querschnitt durch das einfache Olynthus-Röhrchen oder 
durch einen Ast des Soleniscus hinzuzufügen. Bei den anderen Formen der Asconen, 
bei den Nardopsiden, Tarromiden und Ascometriden, sowie bei vielen Formen von 
Solenisciden und Auloplegmiden, sind stets mehrere Schnitte durch den getrockneten 
Kalkschwamm erforderlich, um eine vollständige Vorstellung vom Bau des Ganzen 
zu erhalten. Insbesondere muss bei allen diekeren Stockformen (ausser den Längs- 
und Quer-Schnitten) ein äusserer Flächenschnitt von der Dermalfläche und bei den- 
jenigen, bei welchen sich ein Pseudogaster entwickelt, ein innerer Flächenschnitt 
von der Pseudogastral-Fläche genommen werden. 

Bei allen Leuconen ist eine grössere Anzahl von Schnitten des getrockneten 
Schwammes erforderlich, um vollständige Einsicht in die Zusammensetzung des 
Skelets zu erhalten. Abgesehen von den besonderen Schnitten, welche hier die ver- 
schiedenen socialen Formen (Polyleuconen) erfordern, müssen von jeder solitären 
Person (Monoleucon) folgende Schnitte gemacht werden: 1) ein mittlerer Längsschnitt 
durch den ganzen Körper (durch die Längsaxe des Magens); 2) mehrere Quer- 
schnitte (senkrecht auf die Längsaxe) in verschiedenen Höhen, und zwar minde- 
stens drei: nahe der Basis, in der Mitte der Längsaxe, und nahe der Mundöffnung ; 
3) ein innerer Flächenschnitt von der Gastralfläche; 4) ein äusserer Flächenschnitt 
von der Dermalfläche; 5) mehrere Schnitte parallel der gastralen Fläche; 6) mehrere 
Schnitte parallel der dermalen Fläche. In vielen Fällen müssen dann noch besondere 
Schnitte durch einzelne Theile des Leucon-Körpers, und bei zusammengesetzten Leu- 
conen natürlich durch verschiedene Theile des Stockes gemacht werden. Namentlich 
sind durch das Osculum und die nächstgelegenen Theile oft noch verschiedene 
Schnitte zu legen. 

Bei den Syconen endlich sind ebenfalls stets mehrere Schnitte erforderlich, 
um die Zusammensetzung ihres Körpers, und namentlich des Skelet-Baues vollständig 
zu erkennen. Abgesehen von besonderen Schnitten, die bei einigen besonders diffe- 
renzirten Formen nöthig werden, sind hier folgende Schnitte zu machen: 1) ein 
mittlerer Längsschnitt durch den ganzen Körper (durch die Längsaxe des Magens); 
2) mehrere Querschnitte in verschiedenen Höhen (insbesondere ein basaler Quer- 
schnitt, unter dem Grunde des Magens, ein äquatorialer Querschnitt durch die Mitte 
der Längsaxe und mehrere orale Querschnitte in der Nähe der Mundöffnung; 3) ein 
innerer Flächenschnitt von der Gastralfläche; 4) ein äusserer Flächenschnitt von der 
Dermalfläche; 5) mehrere Längsschnitte, parallel der Längsaxe, zwischen der gastralen 
und dermalen Fläche. Ausserdem müssen in vielen Fällen noch diagonale Schnitte 


III. Methode der systematischen Classification. 75 


in verschiedenen Richtungen hinzukommen. Die grösseren Schnitte müssen mit einem 
sehr breiten und flachen Rasirmesser, die kleineren theilweise mit dem spitzen Theil 
eines kleinen und schmalen Scalpelles angefertigt werden. 

Die Beobachtungen, welche ich während eines Zeitraumes von fünf Jahren nach 
der hier angegebenen Methode über die Kalkschwämme angestellt habe, sind mit 
möglichst grosser Sorgfalt ausgeführt und dürfen auf Zuverlässigkeit Anspruch 
machen. Insbesondere bin ich bestrebt gewesen, das Detail der morphologischen 
Verhältnisse möglichst genau darzustellen und überall, wo es anging, die Formen 
durch sorgfältige Messungen mathematisch zu bestimmen. Jede einzelne Form 
ist wiederholt, in den meisten Fällen oft mehr als zehnmal gemessen, und die mit- 
getheilte Zahl das Resultat dieser wiederholten Messungen. Das Material, welches 
in dieser Beziehung der zweite Band, das „System der Kalkschwämme“, liefert, ist 
sehr reich und um so werthvoller, als gerade die am sorgfältigsten gemessenen 
Skelettheile durch ihre relative Constanz die Vererbung und durch ihre un- 
begrenzte Variabilität die Anpassung der Formen ausgezeichnet erläutern und das 
Problem von der „Entstehung der Arten“ auf das Einfachste lösen. Die umfang- 
reiche Sammlung von Präparaten, welche ich von allen Formen der Kalkschwämme 
angelegt habe, gestattet es, die Richtigkeit der bezüglichen Messungen und Beschrei- 
bungen in jedem Augenblicke genau zu controliren. 


III. Methode der systematischen Classification. 


1. Methode der natürlichen und künstlichen Classification. 


Die Methode der Classification und Benennung, welche ich in dem zweiten Bande 
dieser Monographie, in dem „System der Kalkschwämme“, angewendet habe, weicht 
von den üblichen Methoden, welche bisher von den Systematikern angewendet wurden, 
in mehrfacher Hinsicht ab. Ich habe in diesem systematischen Theile zwei ver- 
schiedene Systeme der Kalkschwämme neben einander gestellt: ein natürliches und 
ein künstliches System. Das natürliche System, welches sämmtliche Species als 
blutsverwandte Zweige eines gemeinsamen Stammbaumes auffasst, verfolgt als Ziel 
die Phylogenie der Caleispongien und sucht synthetisch die verwandten Formen 
durch die Erkenntniss ihrer Blutsverwandtschaft zu verknüpfen. Das künstliche 
System hingegen, welches in der bisher üblichen Weise alle einzelnen Species als 
selbstständige und von einander unabhängige Organisations-Formen betrachtet, sucht 
lediglich die factisch bestehenden Unterschiede zwischen allen einzelnen Formen 
durch analytische Sonderung möglichst bestimmt zu erkennen und durch Gruppi- 


76 Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 


rung in verschiedene subordinirte und coordinirte Kategorien übersichtlich auszu- 
drücken. Demgemäss sind nach Zahl, wie nach Umfang und Inhalt ihres Begriffes 
die natürlichen Species wesentlich von den künstlichen verschieden, wie auch die 
Methode ihrer Aufstellung und Characteristik wesentlich verschieden ist. Denn das 
natürliche System legt das Hauptgewicht auf die Vererbung und berück- 
sichtigt daher in erster Linie die inneren Structur-Verhältnisse; das künst- 
liche System hingegen lässt sich mehr durch die Anpassung bestimmen und 
zieht vor allen die auffallenden äusseren Form-Verhältnisse in Betracht. 

Diese beiden Systeme der Kalkschwämme können nicht allein neben einander 
bestehen, sondern sie sind sogar beide für die vollständige Erkenntniss der morpho- 
logischen Verhältnisse in dieser Gruppe unentbehrlich. Den Beweis dafür werde ich 
im vierten Abschnitte dieses Bandes führen, in welchem ich überhaupt das von mir 
aufgestellte System der Kalkschwämme zu rechtfertigen und die nähere Bedeutung 
des natürlichen und des künstlichen Systems zu erörtern habe. Hier dagegen, in 
der methodologischen Einleitung, habe ich nur mit wenigen Worten die bei jener 
Classification verfolgten Principien und die dabei angewendete Methode insoweit zu 
erläutern, als für das Verständniss des zweiten und dritten Abschnittes dieses Bandes 
erforderlich ist. Ich glaube diesen Zweck am einfachsten zu erreichen, wenn ich die 
genetische Richtung des von mir eingeschlagenen Weges kurz skizzire, die einfachste 
Urform oder die wirkliche Stammform der Kalkschwämme (Olynthus) in ihren wesent- 
lichsten Characterzügen schildere, und daran die kurze Characteristik der abgelei- 
teten Formen schliesse, welche sich nach verschiedenen Richtungen hin von jener 
gemeinsamen Grundform ableiten lassen. 


2. Die Stammform der Kalkschwämme. 


Die vergleichende Anatomie und Ontogenie der Caleispongien lässt uns die ge- 
meinsame Stammform dieser Thiergruppe mit demjenigen Grade der Sicherheit er- 
kennen, welcher überhaupt in der Phylogenie erreichbar ist. Diese Stammform ist 
der Olynthus (O. primordialis, Taf. 1, Fig. 1; O. gracilis, Taf. 6, Fig. 1; O. fra- 
gilis, Taf. 11, Fig. 6—9; O. armatus, Taf. 15, Fig. 1). 

Olynthus ist ein einfacher, unverästelter, schlauchförmiger Körper von dem 
morphologischen Werthe einer einaxigen ungegliederten Person. Die Gestalt des 
Körpers ist sehr einfach: eylindrisch, spindelförmig, eiförmig oder birnförmig. Es ist 
nur eine einzige Axe unterscheidbar, die Längsaxe oder Hauptaxe (Axon prin- 
eipalis). Die dünne Wand des Körpers umschliesst eine einfache geräumige Höhle, 
die Magenhöhle (Gaster s. Ventriculus). Diese Höhle öffnet sich an dem einen 
Pole der Längsaxe (an dem oberen oder oralen Pole) durch eine weite, meist kreis- 
runde Oeffnung, die Mundöffnung (Oss. Osculum), während der entgegengesetzte 


III. Methode der systematischen Classification. 17 


Pol (der untere oder aborale Pol) zur Anheftung des Schwammkörpers auf dem 
Meeresboden dient. 

Die dünne Wand der Magenhöhle, die Körperwand oder Magenwand (Paries 
gastrica) besteht beim Olynthus aus zwei dünnen Membranen oder Blättern, welche 
zwar fest an einander liegen, aber anatomisch und genetisch völlig verschieden sind. 
Das äussere Blatt oder das Hautblatt (Lamina dermalis) ist dem Exoderma 
der übrigen Zoophyten, das innere Blatt, das Darmblatt oder Magenblatt (Lamina 
gastralis) dem Entoderma der letzteren homolog. Demgemäss entspricht das 
erstere dem äusseren Keimblatte oder dem animalen (sensoriellen) Blatte, das letz- 
tere dem inneren Keimblatte oder dem vegetativen (trophischen) Blatte bei den 
Embryonen der höheren Thiere. 

Das Hautblatt (Lamina dermalis) oder die äussere Schicht der dünnen 
Magenwand des O/ynthus, das Exoderma (e in den angeführten Figuren), besteht 
aus einem kernhaltigen Protoplasma-Lager (Syneytium), welches aus einer 
Schicht von innig verschmolzenen Zellen zusammengesetzt ist und die Kalknadeln 
des Skelets umschliesst. (Taf. 1, Fig. 2, 3; Taf. 8, Fig. 14e; Taf. 11, Fig. 6—9e; 
Taf. 13, Fig. 2, 3e) Nur die bleibenden und sich vermehrenden Zellenkerne (d) 
zeigen die Zahl und Lagerung der Zellen an, aus deren Verbindung das Syncytium 
besteht. Die Kalknadeln (Spicula) sind umschlossen von der structurlosen Grund- 
substanz, welche sich an der Oberfläche der Nadeln zu besonderen Nadelscheiden 
(Vaginae spieulares) verdichtet. Die Grundsubstanz selbst (Sarcodine) ist homogen 
und structurlos, farblos, durchsichtig, sehr elastisch und contractil, und enthält ausser 
den Zellenkernen und Nadeln nur noch feine Körnchen von sehr wechselnder Zahl, 
Grösse, Lagerung und Beschaffenheit. Die Kalk-Nadeln des Skelets sind entweder 
dreistrahlig (Trisceles) oder vierstrahlig (Tetrasceles) oder einfach (Stab- 
nadeln, Monosceles). Das Skelet besteht entweder bloss aus einer dieser drei 
Nadel-Arten oder aus einer Combination von zweien derselben oder aus allen dreien. 

Das Magenblatt (Lamina gastralis) oder die innere Schicht der dünnen 
Magenwand des Olynthus, das Entoderma (i in den angeführten Figuren), besteht 
aus einer einfachen (selten mehrfachen) Schicht von Flimmerzellen, deren jede ein 
einziges, langes, schwingendes Geisselhaar trägt, und welche demgemäss als Geissel- 
zellen (Cellulae flagellatae) zu bezeichnen sind. (Taf. 1, Fig. 7; Taf. 8, Fig. 14j; 
Taf. 11, Fig. 6—9i; Taf. 13, Fig. 2, 3i). Einzelne von diesen Geisselzellen differen- 
ziren sich geschlechtlich und verwandeln sich theils in „stecknadelförmige“ Sperma- 
zellen, z (Zoospermia), theils in amoeboide Eier, g (Ovula). Letztere (g) sind 
grosse, nackte, amoebenartig ihre Form verändernde Zellen mit grossem Kern. Er- 
stere (z) bleiben einfache Geisselzellen. 

Die Magenwand des lebenden Olynthus erscheint gewöhnlich von zahlreichen 
feinen Löchern durchbohrt, den Hautporen (Pori dermales) oder Loch-Canälen 


78 Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 


(Tubi porales) p. Diese Löcher sind mikroskopisch, mit blossem Auge nicht sicht- 
bar, kreisrund oder länglichrund, von wechselnder Form und Grösse. Sie sind keine 
constanten Canäle mit besonderer Wandung, sondern einfache Parenchym-Lücken, 
welche jeden Augenblick an jeder freien Stelle der Magenwand (zwischen den Na- 
deln) entstehen und spurlos wieder vergehen können. Unter gewissen Bedingungen 
werden alle Poren geschlossen, und dann stellt der Olynthus einen einfachen Sack 
vor (gleich einem armlosen Hydra-Leibe), der nur durch eine grosse Mündung, das 
Osculum, sich öffnet. (Auch das Osculum kann sich schliessen, so dass dann der 
Körper eine ganz geschlossene Kapsel bildet.) Dieser zeitweilig auftretende, poren- 
lose Zustand (Prosycum) kann jeden Augenblick wieder durch Bildung neuer Poren 
in den eigentlichen porösen Olynthus übergehen. 

Die Schwingungen der Geisselzellen des Entoderms erzeugen Wasserströmungen, 
welche gewöhnlich durch die Poren („Einströmungslöcher‘“) in die Magenhöhle ein- 
treten, durch die Mundöffnung („Ausströmungsloch“) wieder ausfliessen. Wenn jedoch 
die Poren geschlossen sind, tritt Wasser durch das Osculum eben so wohl ein als 
aus; und wenn umgekehrt das Osculum geschlossen, die Poren aber offen sind, fliesst 
Wasser durch einen Theil der Poren ein, durch einen anderen Theil aus. 


3. Die Zweigformen der Kalkschwämme. 


Mit derselben Sicherheit, mit welcher uns die vergleichende Anatomie und Onto- 
genie der Kalkschwämme auf den Olynthus als ihre gemeinsame Stammform führt, 
mit derselben Sicherheit erlaubt sie uns auch, alle verschiedenen generischen und 
specifischen Formen von jener Grundform abzuleiten, und den Stammbaum der ganzen 
Gruppe wenigstens in seinen wichtigsten Grundzügen zu erkennen. Vier verschiedene 
Entwickelungs-Processe treten uns hier als formbildende Mächte entgegen: 1) die 
Differenzirung des Canal-Systems; 2) die Differenzirung des Skelet-Systems; 3) die 
Stockbildung, und 4) die Mundbildung. 

I. Der wichtigste Differenzirungs-Process, welchen die Caleispongien überhaupt 
erleiden, betrifft die Bildung des Gastrovascular-Systems, und zwar speciell die 
Structur der Magenwand. Die Canäle, welche die Magenwand durchbohren 
und Wasser in die Magenhöhle einführen, sind bald unbeständige Lochcanäle (wie 
beim Obynthus) bald verzweigte Astcanäle, bald gerade unverästelte Strahlcanäle. 
Demnach zerfallen die Kalkschwämme in drei natürliche Familien, Asconen, Leu- 
conen und Syconen. 

II. Demnächst ist für das natürliche System der Calcispongien von grösster Be- 
deutung die mannichfaltige Formbildung der Nadeln (Spicula) und die Art 
und Weise, in welcher das Skelet aus den verschiedenen Nadelformen zusammen- 
gesetzt ist. Sie liefern die einzigen festen Anhaltspunkte zur Unterscheidung der 


III. Methode der systematischen Classification. 79 


Genera und Species des natürlichen Systems. Da nun drei verschiedene Hauptformen 
von Nadeln bei den Kalkschwämmen auftreten und diese in sieben verschiedenen 
Combinationen sich finden, so lassen sich 21 natürliche Genera unterscheiden. 

III. Von geringerer Bedeutung ist die Stoekbildung der Kalkschwämme, die 
jedoch für die Individualitäts-Frage von besonderem Interesse ist. Es kann nämlich 
der reife und entwickelte Kalkschwamm entweder eine einzelne Person bleiben (wie 
Olynthus); oder es kann aus dieser Person durch unvollständige Spaltung (Theilung 
oder Knospenbildung) ein Stock (Cormus) entstehen; oder es kann ein solcher 
Stock auch durch secundäre Verwachsung von zwei oder mehreren ursprünglich ein- 
fachen Personen zu Stande kommen. Die mancherlei eigenthümlichen Verschieden- 
heiten, welche diese Stock-Formen und die Personen, namentlich bezüglich des Ver- 
haltens ihrer Mundöffnungen darbieten, benützt das künstliche System zur Aufstellung 
von sieben Ordnungen, die nach der dreifach verschiedenen Structur der Magenwand 
in neunzehn Familien zerfallen. 

IV. Am wenigsten massgebend für die Classification der Kalkschwämme, weil 
am meisten variabel, ist endlich die Mundbildung. Doch liefern die speciellen 
Unterschiede, welche in der besonderen Form der Mundöffnung vorkommen, immerhin 
ziemlich auffallende äussere Charactere, welche das künstliche System zur Unter- 
scheidung der Genera benützt. 


4. Classifications-Methode des natürlichen Systems. 


Die Methode der Classification, welche das natürliche System befolgt, fasst in 
erster Linie diejenigen Verhältnisse ins Auge, welche sich am strengsten durch Ver- 
erbung erhalten. Das sind bei den Kalkschwämmen die Verhältnisse des Gastro- 
vascular-Systems. Hiernach zerfällt die ganze Gruppe der Caleispongien in drei 
natürliche Familien, welche sich sehr wesentlich durch die Structur-Verhältnisse ihrer 
Magenwand und das Verhalten der dieselbe durchsetzenden Canäle unterscheiden. 
Ich nenne diese drei Familien Asconen oder Microporeuten, Leuconen oder QOlado- 
poreuten, und Syconen oder Orthoporeuten. 

Die erste Familie, die Ascones (Mieroporeuta meines Prodromus), enthält die 
Kalkschwämme mit Lochcanälen (Taf. 1—20). Hier behält die Magenwand 
oder Körperwand constant die einfache Structur des Olynthus bei, der die Wurzel- 
form dieser Familie bildet. Die Magenwand bleibt dünn, und die Canäle, welche 
die Magenwand durchbohren und den Eintritt des Wassers in die Magenhöhle ge- 
statten, sind einfache Parenchymlücken, zugleich Hautporen und Magenporen, 
wie beim Olynthus. Diese Hautporen können jederzeit entstehen und vergehen, an 
einer Stelle der Körperwand verschwinden und daneben an einer anderen Stelle neu 
auftreten. Eine besondere Wandung fehlt gänzlich. Es besitzen daher diese ver- 


80 Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 


gänglichen Hautporen nicht den Formwerth von selbstständigen Organen, von blei- 
benden Canälen, sondern bloss von einfachen, wandungslosen Porencanälen oder 
Loch-Canälen (Tubi porales). Diese einfache Structur erhält sich bei allen 
Asconen constant, mag nun der Körper einfach oder verästelt, mundlos, einmündig 
oder vielmündig, und hinsichtlich der Skeletbildung mannichfaltig differenzirt sein. 
Zu den Asconen oder Microporeuten gehören folgende Genera früherer Autoren: 
Grantia, LIEBERKÜHN; Nardoa, ScHMmiDT; Leucosolenia, BOWERBANK; Clathrina, 
Gray; Guancha, MiKLUcHo, und einige andere. Die ältesten beschriebenen Species 
dieser Familie sind Spongia botryoides (Euuıs und SOLANDER, 1786) und Spongia 
complicata (MontAGu, 1814). Als die Stamm-Art der Asconen betrachte ich die 
Olynthus-Form von Ascetta primordialis (Taf. 1, 2). 

Die zweite Familie, die Leucones (Cladoporeuta meines Prodromus) umfasst 
die Caleispongien mit Astcanälen oder verästelten Wandcanälen (Taf. 21—40). 
Hier wird die Magenwand oder Körperwand constant von ungeraden und verästelten 
Canälen durchzogen, welche mit vielen feinen Hautporen auf der äusseren Hautfläche 
oder Dermalfläche beginnen und mit wenigen, unregelmässig vertheilten, grossen 
Magenporen oder Gastral-Ostien auf der inneren Magenfläche oder Gastralfläche ein- 
münden. Diese Ast-Canäle (Tubi ramales) verästeln sich demnach centrifugal 
und verlaufen unregelmässig gewunden von der Magenhöhle nach aussen, gewöhnlich 
ohne bestimmte Anordnung. Meistens bilden die Ast-Canäle zahlreiche Anastomosen 
und demgemäss ein lockeres oder dichteres Netzwerk innerhalb der Magenwand. 
Seltener fehlen die Anastomosen. Ursprünglich ist jeder Ast-Canal von einer Schicht 
Geisselzellen im grössten Theile seines Verlaufes ausgekleidet; nachträglich jedoch 
geht dasselbe häufig auf kleineren oder grösseren Strecken des Canal-Verlaufes ver- 
loren und zieht sich auf sinuöse Erweiterungen der Canäle („Geisselkammern“) zu- 
rück. Die Zwischenräume zwischen den Canälen sind ausgefüllt von dem verdickten 
Syneytium des Exoderm und den darin enthaltenen Nadeln. Wo das Geissel-Epi- 
thelium fehlt, wird die Wand der Canäle bloss von dem Exoderm gebildet. Die 
Teuconen entstehen aus den Asconen dadurch, dass die Magenwand der letzteren 
durch Wucherung des Exoderms sich verdickt und dabei die einfachen und ver- 
gänglichen Hautporen zu constanten Canälen werden, die sich centrifugal verästeln. 
Zu den Leuconen oder Cladoporeuten gehören folgende Genera früherer Autoren: 
Grantia und Sycinula, ScHMmiDT; Leuconia und Leucogypsia, BOWERBANK; Aphro- 
ceras, GRAY; Trichogypsia, CARTER; Baeria, MıxtucHo. Die ältesten beschrie- 
benen Species dieser Familie sind Spongia ananas, MoxtAacu (1814) und Spongia 
nivea, GRANT (1826). Als die Stamm-Art der Leuconen betrachte ich die Dys- 
sycus-Form von Leucetta primigenia (Taf. 21). 

Die dritte Familie, die Sycones (Ortboporeuta meines Prodromus), enthält die 
Kalkschwämme mit Strahl-Canälen (Taf. 41—60). Hier wird die Magenwand 


III. Methode der systematischen Classification. 81 


oder Körperwand constant aus geraden und unverästelten Canälen zusammengesetzt, 
welche radial gegen die Axe des Magens gerichtet und ganz regelmässig vertheilt 
sind. Diese Strahl-Canäle (Tubi radiales) sind stets ungetheilt, entweder eylindrisch 
oder konisch, oder durch gegenseitigen Druck polyedrisch abgeplattet, prismatisch. 
Jeder einzelne Radial-Tubus hat vollkommen die Structur eines Olynthus. Jeder 
einzelne Sycon ist daher eigentlich als ein Stock von Asconen aufzufassen, dessen 
zahlreiche, regelmässig und dicht neben einander stehende Personen (die Radial- 
Tuben) durch strobiloide Gemmation aus einer einzigen ursprünglichen Person (Olyn- 
thus) entstanden sind; letztere persistirt als Magenhöhle des Sycon. Jeder Radial- 
Tubus mündet in die Magenhöhle mit einer grösseren Oeffinung (Ostium gastrale) ; 
nach aussen dagegen durch die auf seiner distalen Fläche zerstreuten Hautporen, 
welche sich denjenigen der Asconen gleich verhalten; bisweilen hat auch jeder Tubus 
an seinem distalen Ende noch eine grössere Oeffnung (Ostium dermale). Die Radial- 
Tuben bleiben entweder frei, mit weiten Intercanal- Räumen dazwischen; oder sie 
verwachsen der Länge nach mit ihren sich berührenden Rändern, so dass radiale 
Intercanäle dazwischen bleiben; oder sie verwachsen der Länge nach völlig mit ihren 
sich berührenden Flächen, so dass keine Intercanäle dazwischen übrig bleiben. Im 
letzteren Falle communiciren die benachbarten Radial- Tuben durch veränderliche 
Poren ihrer gemeinsamen Scheidewände (Pori conjunctivi). Das Geissel-Epithel 
kleidet bei den Syconen bloss die Innenfläche der Radial-Tuben, nicht die ursprüng- 
liche Magenhöhle aus. Zu den Syconen oder Orthoporeuten gehören folgende Genera 
früherer Autoren: Grantia und Dunstervillia, BOWERBANK; Sycon, LIEBERKÜHN; 
. Aleyoncellum, BLAINVILLE; Ute und Syconella, Scumipr; Artynes, Gray. Die 
ältesten beschriebenen Species dieser Familie sind Spongia eiliata und Spongia 
compressa von OTHo Fagrıcıus (1780). Als die Stammart der Syconen betrachte 
ich die Syeurus-Form von Sycetta primitiva (Taf. 41). 

Während die drei natürlichen Familien der Caleispongien lediglich durch das 
Verhalten der Canäle in der Magenwand unterschieden werden, finden wir dagegen 
die einzigen sicheren Anhaltepunkte zur Unterscheidung natürlicher Gattungen und 
Arten in den Kalknadeln ihres Skelets. Die Form und Zusammensetzung dieser 
Nadeln oder Spicula vererbt sich innerhalb der Species so relativ constant, und 
bietet zugleich allein so feste, mathematisch bestimmbare Verhältnisse dar, dass sie 
für die natürliche Classification der Genera und Species von höchster, ja von allein 
massgebender Bedeutung ist. Ganz naturgemäss unterscheiden sich die Genera nach 
den Hauptformen der Nadeln und ihrer Combinationsweise, während die Species durch 
untergeordnete Gestaltdifferenzen der einzelnen Hauptformen bestimmt werden. 

Es giebt bei den Kalkschwämmen nur drei verschiedene Hauptformen von Spi- 
cula, nämlich 1) Dreischenkelige Nadeln oder Dreistrahler (Trisceles); 2) Vier- 


schenkelige Nadeln oder Vierstrahler (Tetrasceles); und 3) Einfache Nadeln 
Haeckel, Kalkschwimme. I. 6 


82 Zweites Kapitel. Methodologische Einleitung. 


oder Stabnadeln (Monosceles). Jede dieser drei Grundformen bildet entweder 
für sich allein das Skelet der Gattung, oder in Combination mit einer oder mit beiden 
anderen Grundformen. Demnach sind im Ganzen sieben verschiedene Skeletformen 
mathematisch möglich, und alle sieben sind zugleich in der Natur verwirklicht, 
nämlich: 1) Skelet bloss aus Dreistrahlern gebildet (Ascetta, Leucetta, Sycetta). 
2) Skelet bloss aus Vierstrahlern gebildet (Aseilla, Leucilla, Syeilla). 3) Skelet 
bloss aus Stabnadeln gebildet (Aseyssa, Leucyssa, Syeyssa). 4) Skelet aus Drei- 
strahlern und Vierstrahlern zusammengesetzt (Ascaltis, Leucaltis, Sycaltis). 5) Skelet 
aus Dreistrahlern und Stabnadeln zusammengesetzt (Ascortis, Lencortis, Sycortis). 
6) Skelet aus Vierstrahlern und Stabnadeln zusammengesetzt (Asculmis, Leuculmis, 
Syculmis). 7) Skelet aus Dreistrahlern, Vierstrahlern und Stabnadeln zusammen- 
gesetzt (Ascandra, Leucandra, Sycandra). 

Die natürlichen Species, welche innerhalb dieser natürlichen Genera weiter- 
hin zu unterscheiden sind, und deren Zahl sich gegenwärtig auf Hundert und elf 
beläuft, werden bestimmt durch die feineren Formdifferenzen, welche an den drei 
Hauptformen der Spicula auftreten, durch ihre specielle Ausbildung und Differenzi- 
rung an verschiedenen Stellen des Körpers, und durch die bestimmte Art und Weise, 
nach welcher die verschiedenen Formen combinirt und geordnet sind. 


5. Classifications-Methode des künstlichen Systems. 


Die Methode der Unterscheidung und Classification der verschiedenen Formen, 
welche das vorstehend skizzirte natürliche System der Kalkschwämme (in der ersten 
Abtheilung des zweiten Bandes dieser Monographie) befolgt, ist gänzlich verschieden 
von der Methode, welche das bisher ausschliesslich angewendete künstliche System 
der Autoren befolgt hat, und welche ich in consequenter Anwendung der dabei fest- 
gehaltenen Principien in der zweiten Abtheilung des zweiten Bandes durchgeführt 
habe. Das natürliche System legte das grösste Gewicht auf diejenigen Organisations- 
Verhältnisse, welche sich offenbar am strengsten durch Vererbung erhalten: I. die 
typische Bildung des Gastrovascular-Systems, wie sie sich vor Allem in dem Bau 
der Magenwand ausspricht, und IH. die Zusammensetzung des Skelet-Systems aus 
den verschiedenen Spieula-Formen. Das künstliche System hingegen legt grösseres 
Gewicht auf die durch Anpassung bedingten Form-Verhältnisse, nämlich: I. den 
verschiedenen Zustand der Individualität, und II. die verschiedene Mundbildung. 

Bezüglich ihrer Individualität bilden alle Kalkschwämme in ausgebildetem 
und geschlechtsreifem Zustande entweder eine einzelne Person oder einen aus meh- 
reren Personen zusammengesetzten Stock. Demnach unterscheidet das künstliche 
System zunächst als zwei Hauptabtheilungen: I. Einfache oder solitäre Kalkschwämme: 
Monograntiae (s. Calcispongiae solitariae): der Körper (eine Person) ist unver- 


III. Methode der systematischen Classification. 83 


ästelt und enthält eine einzige Magenhöhle. II. Zusammengesetzte oder gesellige 
Kalkschwämme: Polygrantiae (s. Cnleispongiae sociales): der Körper (ein Stock) 
ist verästelt und aus so viel Personen zusammengesetzt, als Aeste (oder Magenhöhlen) 
vorhanden sind. 

Bezüglich der Mundbildung findet sich eine grössere Mannichfaltigkeit vor. 
Demnach zerfällt im künstlichen System zunächst die Abtheilung der Mono- 
grantiae in zwei Gruppen: 1) Dorograntiae: Solitäre Kalkschwämme ohne 
Mundöffnung (Olynthus, Dyssycus, Sycurus); 2) Cystograntiae: Solitäre Kalk- 
schwämme ohne Mundöffnung (Clistolynthus, Lipostomella, Sycocystis). Unter den 
Polygrantien dagegen lassen sich nach der verschiedenen Bildung der Mundöffnung 
nicht weniger als fünf verschiedene Ordnungen unterscheiden, nämlich: 3) Cormo- 
grantiae: Stöcke, bei denen jede einzelne Person ihre eigene Mundöffnung besitzt 
(Soleniscus, Amphoriscus, Sycothamnus); 4) Coenograntiae: Stöcke, bei denen 
alle Personen zusammen nur eine einzige gemeinsame Mundöffnung besitzen (Nar- 
dorus, Coenostomus); 5) Tarrograntiae: Stöcke, deren Personen sich gruppen- 
weise durch gemeinsame Mündungen öffnen; oder Stöcke, die aus zwei oder mehreren 
Coenograntien, d.h. einmündigen Stöcken, zusammengesetzt sind (Tarrus, Artynas) ; 
6) Cophograntiae: Stöcke ohne alle Mundöffnungen (Auloplegma, Aphroceras, 
Sycophyllum): 7) Metrograntiae: Stöcke, welche aus zwei oder mehreren der 
vorher aufgeführten Formen zusammengesetzt sind (Ascometra, Leucometra, Syco- 
meta). 

Während so das künstliche System einestheils nach der Individualität, andern- 
theils nach der Anwesenheit und Zahl der Mundöffnungen nicht weniger als 7 Ord- 
nungen und 19 Familien unter den Kalkschwämmen unterscheidet, zerfällt sie diese 
weiterhin in 39 Genera, welche durch die besondere Form der Mundöffnung 
characterisirt werden. Diese kann nämlich entweder I. ganz einfach „nackt“ sein; 
oder II. „rüsselförmig“, d.h. in ein dünnhäutiges, enges, meist cylindrisches Rohr 
(„Rüssel“) verlängert; oder endlich IH. „bekränzt“, d.h. von einer Peristomkrone 
oder von einem Kranze frei hervorragender, sehr dünner und langer Stabnadeln 
umgeben. Indem nun diese drei verschiedenen Mundformen bei allen vorher ange- 
führten mündigen Individualitäts-Formen vorkommen können, so ergeben sich für 
das künstliche System der Kalkschwämme 39 verschiedene Genera, welche in der 
nachstehenden Tabelle (C) übersichtlich zusammengestellt sind. 


84 


A. Tabellarische Uebersicht der 21 Genera und drei Familien des 
natürlichen Systems der Kalkschwämme. 


I. Ascones. | II. Leucones. | III. Sycones. 
Skelet - Struktur. Grantien mit Loch- | Grantien mit Ast-Ca- | Grantien mit Strahl- 
Canälen nälen Canälen 
Spieula sämmtlich dreistrahlig | 1. Ascetta 8. Leucetta. 15. Sycetta 
Spieula sämmtlich vierstrahlig 2. Ascilla 9. Leueilla 16. Syeilla 
Spicula sämmtlich einfach 3. Ascyssa 10. Leucyssa 17. Sycyssa 
j ils dreistrahlig, theil 
re ns ON Me 4. Ascaltis 11. Leucaltis 18. Sycaltis 
vierstrahlig | 
- - . hlie th il BET,” 
nn en 5. Ascortis 12. Leucortis | 19. Syeortis 
einfach 
i ) i hlig, theil : 5 
ga a en 6. Asculmis 13. Leuculmis | 20. Syculmis 
einfach | 
i i istrahlig, theil 
Pape ie 7. Ascandra | 14. Leucandra | 21. Sycandra 


vierstrahlig, theils einfach. 


B. Tabellarische Uebersicht der 7 Ordnungen und 19 Familien des 
künstlichen Systems der Kalkschwämme. 


Die 7 Ordnungen des künstlichen Systems I. Ascones. II. Leucones, III, Sycones. 
sind durch die Individualität, die 19 Fa- | Grantien mit Loch- | Grantien mit Ast-Ca- | Grantien mit Strahl- 
ınilien durch die Wandstructur bestimmt. Canälen | lan Canälen 

I. DorosrAnTıae. Der Kalkschwamm 
bildet eine Person mit einer | 1. Olynthida 2. Dyssycida 3. Sycarida 


Mundöffnung. 


II. Cystosrantıaer. Der Kalkschw. 
bildet eine Person ohne Mundöffn. 


4. Clistolynthida 


5. Lipostomida 


6. Sycocystida 


III. CoRMOGRANTIAE. Der Kalk- 
schwamm bildet einen Stock mit 
lauter mündigen Personen. 


7. Soleniscida 


8. Amphoriscida 


9. Sycodendrida. 


IV. Cornosrantıae. Kalkschwamm 
ein Stock mit einer einzigen ge- 
meinsamen Mundöffnung. 


10. Nardopsida 


11. Coenostomida 


V. Tarrocrantuar. Kalkschwamm 
ein aus mehreren einmündigen 
Stöcken zusammengesetzter Stock. 


12. Tarromida 


13. Artynida 


VI. CopHoGRANTIAE. Kalkschwamm 
ein Stock ohne Mundöffnungen. 


14. Auloplegmida 


15. Aphrocerida 


16. Sycophyllida 


VII. Merrocrantıar. Kalkschwamm 
ein aus verschiedenen 
schen Formen zusammengesetzter 
Stock. 


generi- | 


| 


17. Ascometrida 


18. Leucometrida 


19. Sycometrida. 


85 


C. Tabellarische Uebersicht der 39 Genera des künstlichen Systems 
der Kalkschwämme. 


2 |Individualität und Beschaf-) I Ascones, | II. Leucones. | III, Sycones. 
3 fenheit der Mundöffnung. Grantien mit Loch- | Grantien mit Ast- |Grantien mit Strahl- 
[@) Canälen Canälen Canälen 
„ |Eine Person mit nackter 
“3 Mundöffnung. 1. Olynthus 4. Dyssycus 7. Syeurus 
ä |Eine Person mit rüsselför- 
& miger Mundöffnung. 2. Olynthella 5. Dyssyconella |8. Syconella 
8 |Eine Person mit bekränzter 
A Mundöffnung 3. Olynthium 6. Dyssycarium |9. Sycarium 
u.,8 
3 = Eine Person ohne Mundöff- 
& E nung. 10. Clistolynthus | 11. Lipostomella | 12. Sycoeystis 
© Ein Stock mit lauter nackt- e 
3 mündigen Personen. 13. Soleniscus 16. Amphoriscus |19. Sycothamnus 
3 Ein Stock mit lauter rüssel- 
© | mündigen Personen. 14. Solenula 17. Amphorula |20. Syeinula 
E Ein Stock mit lauter kranz- 
> mündigen Personen. 15. Solenidium |18. Amphoridium | 21. Sycodendrum 
s Ein Stock mit einer einzi- 
‚Ss gen nackten Mundöffnung. | 22. Nardorus 25. Coenostomus — 
= Ein Stock mit einer einzigen 
5 rüsselförmigen Mundöft- 
2 nung. 23. Nardopsis 26.Coenostomella —_ 
3 |Ein Stock mit einer einzigen 
3 bekränzten Mundöffnung. |24. Nardoma 27.Coenostomium — 
Ein aus mehreren Nardorus- 
oder Coenostomus-Stöcken 
‚3 zusammengesetzter Stock |28. Tarrus 31. Artynas — 
E Ein aus mehreren Nardopsis- 
= oder Coenostomella-Stöcken 
& zusammengesetzter Stock |29. Tarropsis 32. Artynella — 
5 Ein aus mehreren Nardoma- 
oder Coenostomium-Stöcken 
zusammengesetzter Stock |30. Tarroma 33. Artynium — 
a3 
ee: Ein Stock ohne Mundöffnung | 34. Auloplegma |35. Aphroceras | 36. Sycophyllum 
°h 
‚ © |Ein aus mehreren verschie- 
7 s= denen generischen For- 
= & men zusammengesetzter 
&| Stock. 37. Ascometra |38. Leucometra | 39. Sycometra 


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Zweiter Abschnitt. 


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Kalkschwämme. 


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Drittes Kapitel. 


Anatomie 


I Generelle Anatomie 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 


Die erste Aufgabe, welche bei der wissenschaftlichen anatomischen Analyse jedes 
Organismus dem Biologen entgegentritt, ist die Bestimmung und Erkenntniss seiner 
Individualität, oder „die Erkenntniss der Naturgesetze, nach denen sich die orga- 
nische Materie in diesem Naturkörper individualisirt, und meistens einen einheit- 
lichen, aus Individuen verschiedener Ordnung zusammengesetzten Formen -Complex 
bildet“. Diese ebenso wichtige und interessante, als schwierige und verwickelte Auf- 
gabe fällt jenem Theile der allgemeinen Anatomie anheim, welchen man Tectologie, 
Individualitätslehre oder Structurlehre nennen kann !). Allerdings pflegen die meisten 
Biologen diese Frage bei Seite zu schieben, indem sie entweder die Schwierigkeit 
ihrer Lösung scheuen, oder umgekehrt die Antwort darauf für allzu einfach und fast 
selbstverständlich halten. Indess liefern gerade die Spongien den schlagenden Be- 
weis, dass weder diese noch jene im Rechte sind, und dass eine richtige Erkenntniss 
der Individualitäts-Verhältnisse und der dadurch bedingten Structur und Zusammen- 
setzung die erste Vorbedingung für jedes tiefere Verständniss des Organismus ist. 
Dies wird allein schon durch den Umstand bewiesen, dass nicht weniger als vier 
ganz verschiedene Ansichten darüber existiren, was man bei den Kalkschwämmen, 
und bei den Schwämmen überhaupt, als „das eigentliche Individuum“ zu betrachten 
habe. Die einen betrachten als solches die isolirte „Schwammzelle“; andere jedes 
einzelne „Wimperorgan“ oder jede Geisselkammer; eine dritte Ansicht findet das 


1) Ernst HAECKEL, Generelle Morphologie der Organismen. 1866. Drittes Buch: Generelle Tecto- 
logie oder allgemeine Structurlehre (Individualitätslehre) der Organismen. Band I. $. 239—374. 


90 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. ! 


„eigentliche Individuum des Schwammes“ in der „Person“ und eine vierte endlich 
in dem ganzen Schwammstocke oder Cormus. 

Zur Lösung dieser Widersprüche stütze ich mich auf diejenige Individualitäts- 
Theorie, welche ich im dritten Buche meiner generellen Morphologie (Bd. I, p. 239 
—374) entwickelt habe. Da, wie ich dort (S. 253) hervorhob, gerade die Schwämme 
für die Frage von der organischen Individualität sehr instructiv und merkwürdig 
sind, so benütze ich diese Gelegenheit, sie ausführlicher zu erörtern, um so lieber, 
als ich meine frühere Theorie dadurch theils im Ganzen fester begründen, theils im 
Einzelnen berichtigen kann. Ich weiss sehr gut, dass jene Tectologie keine end- 
gültige Lösung des schwierigen Individualitäts-Problems enthält und bin mir der 
Schwächen, welche meinen Versuchen zu seiner Lösung anhaften, wohl bewusst. 
Aber eben so sehr bin ich noch heute, wie damals, von der Ueberzeugung durch- 
drungen, dass die Individualitäts-Lehre zu’ den wichtigsten Grundfragen der philosophi- 
schen Morphologie gehört, und dass wir nur durch wiederholte und ernstliche Versuche, 
von verschiedenen Seiten her, uns allmählig ihrer richtigen Lösung nähern werden. 

Den Kern meiner Individualitäts- Theorie habe ich in den Worten zusammen- 
gefasst: „Wir werden erstens genau und scharf zu unterscheiden haben 
zwischen der morphologischen und der physiologischen Individua- 
lität des Organismus und wir werden zweitens sorgfältig die Indivi- 
dualitäten verschiedener Kategorien (verschiedener Stufen oder Ord- 
nungen) zu sondern haben, aus denen sich der ganze Organismus 
zusammensetzt (S. 265). Das morphologische Individuum oder die organische 
Formeinheit (,,Morphon‘“) zerfällt in sechs verschiedene, subordinirte Kategorien 
oder Ordnungen von Individuen, und jede dieser Ordnungen tritt in bestimmten Or- 
ganismen als physiologisches Individuum oder als organische Lebenseinheit 
(,Bion‘‘) auf. Diese sechs Ordnungen der organischen Individualität sind folgende: 

I Plastiden oder Plasmastücke (entweder kernlose Plastiden [Cytoden] 
oder kernhaltige Plastiden [Zellen]). 

U. Organe oder Werkstücke (entweder einfache [homoplastische] oder 
zusammengesetzte [heteroplastische] Organe). 

UI. Antimeren oder Gegenstücke (z.B. die fünf gleichwerthigen Theile 
des Echinodermen-Körpers, die vier radialen Stücke des Medusen-Körpers). 

IV. Metameren oder Folgestücke (Segmente oder Zoniten, die hinter 
einander gelegenen gleichwerthigen Abschnitte des Wirbelthier-Körpers, des Glieder- 
thier-Körpers u. S. w.). 

V. Prosopen oder Personen (z. B. der ganze entwickelte Körper des Glieder- 
thiers, der „Spross“ oder Blastus des Corallenstocks). 

VI. Cormen oder Stöcke (z, B. der aus mehreren Personen zusammenge- 
setzte Corallenstock). 


1. Individualitäts-Lehre oder Teectologie. 91 


Die physiologische Individualität des Organismus (das „Bion“) kann 
durch jede dieser sechs Stufen der morphologischen Individualität (des „Morphon“) 
in ausgebildetem Zustande repräsentirt werden. Alle sechs Morphonten können als 
Bionten auftreten. Ausserdem aber müssen wir noch drei verschiedene Erscheinungs- 
weisen der physiologischen Individualität unterscheiden, nämlich das actuelle, das 
virtuelle und das partielle Bion (l. c. p. 334). Actuelles Bion ist jeder reife Or- 
ganismus, welcher den höchsten Grad morphologischer Individualität erreicht hat, 
der ihm als ausgewachsenen Repräsentanten der Species zukommt (z.B. der ver- 
zweigte Spongien-Stock). Virtuelles Bion ist jeder unreife Organismus, welcher 
noch nicht jenen höchsten Grad morphologischer Individualität erreicht hat, zu dem 
er sich entwickeln kann (z. B. die Eizelle des Schwammes). Partielles Bion 
endlich ist jeder Theil des Organismus, welcher die Fähigkeit besitzt, nach seiner 
Ablösung (entweder vom actuellen oder vom virtuellen Bion) längere oder kürzere 
Zeit sich selbst zu erhalten und Lebenserscheinungen zu bewirken, ohne sich jedoch 
zum actuellen Bion entwickeln zu können (z. B. isolirte Geisselzellen der Spongien). 

Obwohl ich die Grundgedanken dieser Individualitäts- Theorie auch jetzt noch 
für richtig halte, und glaube, dass sie viele schwierige morphologische Fragen zu lösen 
im Stande ist, so gestehe ich hier doch gern, dass sie in der strengen Consequenz, 
mit welcher ich sie für alle Organismen in der generellen Morphologie durchgeführt 
habe, nicht ohne Zwang und Willkühr aufrecht zu erhalten ist. Gerade der Ver- 
such, mit ihrer Hülfe die sehr verwickelte Individualitäts-Frage der Schwämme zu 
lösen, wird uns zu einer angemessenen Reform derselben hinführen. Wir werden 
uns dabei nicht bloss auf die Kalkschwämme zu beschränken brauchen, sondern unsere 
Betrachtungen auf die ganze Classe der Spongien ausdehnen können, da sich Kalk-, 
Horn- und Kiesel-Schwämme hierin nicht wesentlich verschieden verhalten. Zu- 
nächst müssen wir zu diesem Zwecke die bisherigen Ansichten über die Individualität 
der Schwämme recapituliren. 


Verschiedene Auffassungen des Spongien-Individuums. 


Die älteren Biologen, welche sich mit den Schwämmen beschäftigten, fassten 
ganz allgemein und ohne Bedenken jeden Schwammkörper, mochte derselbe eine ein- 
fache Person (wie Sycurus, Tethya) oder einen verzweigten Stock (wie die meisten 
Spongien) darstellen, als ein natürliches Individuum auf. Sie verfuhren bei dieser 
Anschauung mit derselben Naivetät, mit welcher der Laie einen Baum oder einen 
Corallenstock, nicht minder als den Badeschwamm, mit dem er sich täglich wäscht, 
selbstverständlich als ein „Individuum“ betrachtet. 

Als man dann später, vorzüglich durch die Untersuchungen von LiEBERKÜHN 
und CARTER, die Anatomie der Spongillen näher kennen lernte, und dabei zu der 


92 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


Ansicht gelangte, dass der ganze Weichkörper der Schwämme ein Aggregat von 
locker verbundenen, theils amoeboiden, theils fimmernden Zellen darstelle, glaubte 
man in diesen Zellen die „eigentlichen Individuen“ des Schwammkörpers gefunden 
zu haben. Die amoeboiden Schwammzellen verhielten sich nach ihrer Isolirung in 
der That ganz wie freie, selbstständige Amoeben, krochen umher, streckten form- 
wechselnde Fortsätze aus, zogen sie wieder ein, nahmen feste Körperchen als Nah- 
rung in sich auf u.s.w. Es war daher gewiss ganz natürlich, dass die beiden ge- 
nannten Naturforscher, denen wir überhaupt die ersten genaueren Untersuchungen 
über die Histologie der Spongien verdanken, auf den Gedanken kamen, der ganze 
Schwamm sei eine grosse, aus vielen einzelnen Amoeben zusammengesetzte Rhizo- 
poden-Colonie. Gerade der Süsswasserschwamm, die Spongilla, welche jene beiden 
Autoren zunächst allein untersuchten, besteht in überwiegender Masse aus solchen 
amoeboiden Zellen und ist daher vorzugsweise zur Stütze dieser Auffassung geeignet. 
CARTER sprach daher schon 1848 die Ansicht aus, dass die ganze Spongille ein 
grosser Coloniestock von proteusartigen Thieren seit). LiEBERKÜHN bemerkte (1856) 
dazu, „dass die Spongillen sich bei dieser Annahme am meisten an Bekanntes an- 
schliessen“ 2). Er hat jedoch späterhin diese Auffassung ganz fallen lassen, während 
CARTER sie zwar auch später verliess, aber in neuester Zeit wieder darauf zurück- 
kam). Auch Perry ®) schliesst sich derselben an und erklärt jede einzelne Schwamm- 
zelle für einen Rhizopoden, während er die Flimmerzellen, als nicht zur Spongie 
gehörig, ausschliesst. Wie LiEBERKÜHN richtig bemerkt, würde, da die junge Spongille 
ganz allein aus amoeboiden Zellen zusammengesetzt ist, die Entwickelungsgeschichte 
für diese Ansicht so darzustellen sein: Einzelne Rhizopoden (oder Amoeboiden) bilden 
sich zu Flimmerzellen aus, andere verwandeln sich in Samenkapseln, noch andere 
in Eier u.s. w. Die grosse Mehrzahl der Spongillen-Zellen behält aber ihre ur- 
sprüngliche Rhizopoden -Natur bei. Der ganze Schwamm würde mit einem Worte 
als eine polymorphe Amoeben-Colonie aufzufassen sein, deren einzellige Individuen 
(die Amoeben) durch weit gehende Arbeitstheilung sehr verschiedene Formen und 
Functionen angenommen haben. 

Der CArrer’schen Ansicht, dass die Schwämme Rhizopoden-Stöcke, und dem- 
nach das „eigentliche Individuum“ die amoeboide Schwammzelle sei, steht unter den 
neueren Ansichten am nächsten diejenige von H. JamEs-CLArk>). Dieser Mikro- 


1) CARTER, Annals and Mag. of nat. hist. 1848, Vol. I. p. 303. 

2) LIEBERKÜHN, Zeitschr. für wissensch. Zool. 1856. VIII, p. 310. 

3) CARTER, Annals and Mag. of nat. hist. 1870, Vol. VI, p. 329. 1871, Vol. VIII, p. 6—14. 

4) PERTY, Zur Kenntniss kleinster Lebensformen in der Schweiz, p. 185. 

5) JAMES-CLARK, „On the Spongiae Ciliatae as Infusoria Flagellata; or Observations on the Struc- 
ture, Animality and Relationship of Leucosolenia botryoides“. Proceedings Boston Society, 1866; Americ. 
Journ. of Science, 1866, und am ausführlichsten in den Memoirs Boston Society, Vol. I, part. III. 1867. 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 95 


skopiker fasst ebenfalls die Spongien als Colonien oder Stöcke von einzelligen Or- 
ganismen auf, will aber als solche nicht die amoeboiden Zellen, sondern die Flimmer- 
zellen angesehen wissen. Der Unterschied von der Anschauung Carrer’s erklärt sich 
einfach daraus, dass JAMES-CLARK nicht von den Kieselschwämmen (Spongillen) aus- 
geht, sondern von den Kalkschwämmen, und zwar ist es nur eine einzige Ascon- 
Species, Ascortis fragilis (von ihm als Leucosolenia botryoides bezeichnet), auf welche 
er seine Theorie stützt. Gerade bei diesen Asconen tritt allerdings die Flimmer- 
zelle ganz besonders als anatomisches Element in den Vordergrund, und da diese 
Flimmerzelle wirklich stets eine einfache, mit einem einzigen langen Flimmerhaar 
versehene Geisselzelle ist, und auch sonst gewissen Geisselschwärmern oder Flagellaten 
höchst ähnlich ist, so trägt CLark hierauf allein hin kein Bedenken, alle Schwämme 
für „Infusoria flagellata“ zu erklären. Um dies zu beweisen, beschreibt er sehr genau 
eine Anzahl Flagellaten und zeigt, dass dieselben den einzelnen Geisselzellen der 
Asconen ganz gleich gebaut seien. Insbesondere wird die völlige Uebereinstimmung 
der letzteren mit Codosiga und Salpingoeca hervor gehoben. Auf die übrigen ele- 
mentaren Bestandtheile des Schwammes, auf die Eier, die Spicula und überhaupt die 
sämmtlichen Theile des Exoderms legt CLArk dabei gar kein Gewicht. Sie sind nach 
ihm bloss das „Common dormitory“ für die ganze Monaden - Gesellschaft. Er geht 
sogar so weit, die Vermuthung auszusprechen, dass man später die verschiedenen 
Spongien-Genera auf die einzelnen Flagellaten-Genera werde zurückführen, und als 
Monadoidae, Bicosoecoidae, Codosigoidae u. s. w. unterscheiden können. 

Gegenüber diesen Anschauungen von CARTER, PERTY, CLARK U.S. w., welche in 
den einzelnen Zellen das Schwamm-Individuum erblicken, hielten die meisten Natur- 
forscher an der älteren Ansicht fest, dass der ganze Schwamm-Körper als ein Indivi- 
duum aufzufassen sei. Zur Begründung dieser Annahme führte Dusarpın insbesondere 
die physiologische Einheit des ganzen Schwammes und seines zusammenhängenden 
Canalsystems an!). Lieserkünn dagegen versuchte diesen Individualitäts-Begriff des 
Schwammes genealogisch zu begründen, indem er Alles das als zu einem Individuum 
gehörig betrachtete, was aus einer Spore oder einem befruchteten Ei sich entwickelt?). 
„Die „Schwärmspore“ (d.h. die Planula) und ebenso die daraus hervorgehende Spongille 
ist keine Colonie, sondern ein Individuum, und zwar ein Thier, welches sich äusserst 
träge mittelst einer Art von Pseudopodien bewegt; die contractilen Zellen vertreten 
vornehmlich die Muskeln, und verhalten sich gegen mechanische, chemische und 
eleetrische Reize anders, wie die Muskeln anderer Thiere. Eine entwickelte Spongille 
hat mindestens eine Oeffnung, in die feste und flüssige Substanz eingeführt, und einen 


1) Dusaroıy, Hist. nat. des Zoophytes, 1841, p. 305, 306. „Appendice aux familles des Amibiens 
et des Monadiens: Organisation des Eponges.“ 


2) LIEBERKÜHN, Archiv für Anat. und Physiol. 1856, p. 511. 


94 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


röhrenförmigen Fortsatz, aus welchem Substanzen ausgeworfen werden können. Im 
Innern des Körpers befinden sich Wimpern, welche Höhlungen auskleiden, die mög- 
licher Weise Abtheilungen eines ununterbrochenen darmähnlichen Rohres sind. Die 
Fortpflanzung geschieht durch Spermatozoiden und Eier“ !). 

Nach dieser Ansicht würde jede Spongie, welche aus einer Flimmerlarve, also 
aus einem Ei, hervorgegangen ist, als ein Individuum aufzufassen sein, mag dieselbe 
nun klein oder gross, einfach oder verästelt, mit einem oder mit vielen Oscula aus- 
gestattet sein. Der Individualitäts - Begriff würde damit wesentlich auf genealogischer 
Basis begründet und durch die Ableitung von einer einzigen ursprünglichen Zelle, der 
Eizelle, motivirt werden, wie dies in ähnlicher Weise schon früher GALLEsıo (1816) 
für die vegetabilische und HuxLev (1855) für die animalische Individualität über- 
haupt durchzuführen versucht hatte ?). 

Während CARTER anfänglich die Spongilla für eine Colonie von Amoeben und 
jede einzelne amoeboide Zelle für das eigentliche Individuum dieses Stockes erklärt 
hatte, änderte er später (1857) seine Ansicht dahin um, dass die eigentlichen Thiere 
(oder Individuen) des Schwammstockes die „Wimperorgane“ oder Geisselkammern 
seien. Er beschreibt diese als „flaschenförmige Säcke“ (Ampullaceous sacs), als 
Magensäcke oder rundliche Blasen, welche inwendig flimmerten und nach Art der 
Polypen in eine gemeinschaftliche Leibessubstanz eingesenkt seien. Sie sollen durch 
Metamorphose einer einzigen Zelle ihren Ursprung nehmen und nach ihrer Trennung 
von dem ganzen Körper sich zu amoeben-artigen Wesen entwickeln (!). Zwei Jahre 
später gerieth CARTER unbegreiflicher Weise auf die paradoxe Vorstellung, dass diese 
„Ampullaceous sacs“ nicht hohle, inwendig flimmernde Blasen, sondern solide, aus- 
wendig flimmernde Körper, den Volvocinen vergleichbar seien. Indess hat er diese 
gänzlich verfehlte Ansicht, wonach der Schwammkörper eigentlich ein grosser Volvo- 
einen-Stock sein würde, später wieder zurückgenommen (1861). 

Die Auffassung, dass die „Geisselkammern“ oder „Wimperorgane“ das eigentliche 
Individuum der Spongien repräsentiren, ist in der That mit der ganzen übrigen Or- 
ganisation derselben unvereinbar, und hat daher auch weiter gar keinen Anklang und 
Einfluss gewonnen. Es ist aber für die Tectologie der Spongien von Interesse, dass 
unter den verschiedenartigen Versuchen, die Individualität des Schwammkörpers zu 
bestimmen, auch der Versuch, dieselbe in ein einzelnes Organ zu verlegen, vertreten 
ist. Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, dass jene Wimperorgane oder Geissel- 
kammern, mag man sie sonst noch so verschieden beurtheilen, dennoch nur Organe 
der Spongie darstellen, und zwar sowohl in physiologischem, wie in morphologischem 
Sinne. Eine schärfere Auffassung der Spongien-Individualität wurde erst 1864 von 


1) LiEBERKÜHN, Archiv für Anat. und Physiol. 1856, p. 512. 
2) Vergl. meine Generelle Morphologie, Bd. I, p. 261, 262. 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 95 


Oscar Schmipr angebahnt !). Derselbe unterscheidet zum ersten Male einfache und 
zusammengesetzte Schwämme. Einfache (monozoe oder solitäre) Spongien sind alle 
diejenigen, welche nur eine Mündung oder Ausströmungsöffnung, ein Osculum be- 
sitzen (z.B. Dunstervillia unter den Kalkschwämmen, Euplectella und Caminus unter 
den Kieselschwämmen). Zusammengesetzte (polyzoe oder sociale) Spongien, den 
Stöcken oder Colonien der Corallen und anderer Thiere vergleichbar, sind alle 
Schwämme, welche zwei oder mehrere Oscula besitzen. Das für den Begriff 
des Spongien-Individuums Bestimmende ist demnach die einheitliche Organisation und 
Abgrenzung des Canalsystems, welche sich in dem Besitze einer grösseren Ausströ- 
mungs-Oeffnung ausspricht. „‚‚Jeder Theil des Schwammes, an welchem sich ein 
eigenes Osculum öffnet, vereinigt die Bedingungen und die Kennzeichen der Individua- 
lität in sich.“ Allerdings ist die Abgrenzung dieser Individuen an den zusammen- 
gesetzten Stöcken meistens nur sehr unvollkommen; jedoch bleiben die Centra der 
den Individuen gleichwerthigen Bezirke fest, „wenn auch die Peripherien sich um 
ganze Linien Breite willkührlich verrücken lassen.“ 

Mit dieser Unterscheidung O. Schmipr’s war der erste Schritt zu einer festeren 
Begrenzung des Individualitäts-Begriffes bei den Schwämmen gegeben. Indessen ist 
derselbe keineswegs für alle Fälle ausreichend. Vor allen treten hier diejenigen 
Schwämme störend dazwischen, welche ihre ursprünglichen Mündungen oder Oscula 
in Folge späterer Verwachsung verloren haben. Diese secundäre Obliteration kommt 
sowohl bei monozoen Spongien mit einem Osculum, als bei polyzoen Spongien mit 
vielen Mündungen sehr häufig vor. Hier lässt uns also das bestimmende Kriterium im 
Stich; und nicht minder in jenen sehr merkwürdigen Fällen, wo ein ursprünglich viel- 
mündiger Stock später durch Verwachsung ein einziges gemeinsames Osculum für die 
getrennten Individuen erhält (Coenostomie). Es wird also jedenfalls diese Begriffs- 
bestimmung noch einer schärferen Begrenzung bedürfen. 

Ausserdem aber ist nicht zu vergessen, dass auch jene anderen Ansichten, wonach 
entweder die einzelne Schwammzelle oder der ganze Schwammstock oder nur ein ein- 
zelnes Organ (Wimperorgan) das „eigentliche Spongien -Individuum“ ist, innerhalb 
gewisser Grenzen ihre Berechtigung haben. Wir werden eben auch hier, wie überall 
nur dadurch zum endgültigen Ziele kommen, dass wir nach den in meiner Tectologie 
erläuterten Grundsätzen verfahren, und einerseits zwischen physiologischen und mor- 
phologischen Individuen, anderseits zwischen den morphologischen Individuen ver- 
schiedener Ordnung unterscheiden. 


Morphologische Individualität der Spongien. 


Bei Bestimmung der morphologischen Individualität jedes Organismus müssen 
wir zunächst untersuchen, welche von den oben angeführten sechs Individualitäts- 


1) ©. SCHMIDT, Adriat. Spong. I. Suppl. 1864, p. 16, 17. 


96 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


Ordnungen, und in welcher Ausbildung dieselben am vollständig entwickelten Orga- 
nismus vorliegen. Um hier bezüglich der Schwämme an bekannte Verhältnisse an- 
zuknüpfen, werden wir uns zunächst an die Corallen wenden. Auch wenn die später 
von uns zu erörternde nahe Verwandtschaft der Schwämme und Corallen nicht 
existirte, und wenn auch die Aehnlichkeiten zwischen beiden Classen nur Analogien, 
nicht Homologien wären, lässt sich doch nicht läugnen, dass gerade die Individua- 
litäts- Verhältnisse in beiden die auffallendste Uebereinstimmung zeigen. Ist ja doch 
diese Aehnlichkeit so augenfällig, dass allein um ihretwillen schon die älteren Natur- 
forscher eine nähere Verwandtschaft der Corallen und Schwämme behaupteten. 

Bei den Corallen unterscheidet man in tectologischer Beziehung solitäre und 
sociale Formen, oder „eigentliche Individuen“ und „Stöcke“. Die meisten Corallen- 
Arten bilden Stöcke, während einige (z. B. Cereanthus, die meisten Actinien und 
Fungien) gewöhnlich auf der ursprünglichen Stufe von einzelnen oder solitären Indi- 
viduen verharren. Betrachten wir uns das „eigentliche Individuum“ oder die Einzel- 
Coralle näher, so finden wir, dass dieselbe stets ihren eigenen Mund und Magen 
besitzt. Der Mund ist strahlenförmig von einer constanten Anzahl von Tentakeln um- 
geben, welcher um den Magen herum eine eben so grosse Anzahl von radialen Haupt- 
canälen oder „perigastrischen Fächern“ entspricht. Diese Zahl, welche für die ein- 
zelnen Species (und auch für die grösseren Species-Gruppen) ganz constant, also 
streng erblich ist, beträgt entweder vier (bei allen Tetracorallen, z. B. den Rugosen), 
oder acht (bei allen Octocorallen, z.B. den Aleyonarien) oder sechs (bei allen Hexa- 
corallen, z. B. den Actinien). Dieser homotypischen Grundzahl entsprechend er- 
scheint die solitäre Coralle aus einer constanten Zahl von strahligen Theilstücken 
zusammengesetzt, welche in radialer Stellung um die gemeinsame Hauptaxe oder 
Längsaxe des Thieres gruppirt sind. Jedes dieser radialen Theilstücke, durch eine 
ideale Radial-Ebene scharf von den beiden benachbarten Theilstücken abgesetzt oder 
trennbar, enthält wesentlich dieselben Organe in derselben Zahl, Lagerung, Bildung 
u.s.w. Kurz, jedes dieser radialen Segmente entspricht demjenigen bestimmten In- 
dividualitäts-Begriffe, den ich in der generellen Morphologie Gegenstück oder 
Antimer genannt habe. Bei den Tetracorallen kann also der ganze Körper in vier, 
bei den Octocorallen in acht, bei den Hexacorallen in sechs Gegenstücke oder Anti- 
meren zerlegt werden. Diese Gegenstücke bleiben oft zeitlebens congruent (bei den 
völlig regulären Corallenthieren, z. B. bei den einzelnen Individuen von Alcyonium, 
Actinia). Aber auch da, wo sie später in Folge secundärer Differenzirung mehr oder 
weniger ungleich werden (wie z. B. bei den sechszähligen Flabellen und Oculinen !), 


1) Dass die Ungleichheit der Antimeren bei den Oculinen, Flabellen und vielen anderen Corallen 
nicht primär ererbt, sondern seeundär durch Anpassung entstanden ist, ergiebt sich a priori aus einer 
denkenden Betrachtung der allgemeinen Entwickelungs -Gesetze und wird a posteriori durch die That- 


sachen der Ontogenesis bestätigt. Die reguläre Pyramide (Homostaura), welche die stereometrische Grund- 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 97 


sind sie doch ursprünglich congruent gewesen, wie aus der Entwickelungsgeschichte 
hervorgeht. In der Mitte jedes Antimeres verläuft die bestimmende Kreuzaxe, deren 
proximaler Pol in der Hauptaxe des Thieres endet, während der distale Pol die Kante 
der regulären Pyramide bestimmt, welche die geometrische Grundform des Thieres 
ist. Die Axe dieser Pyramide (die Verbindungslinie zwischen der Spitze und dem 
Mittelpunkt der Grundfläche) fällt mit der Hauptaxe oder Längsaxe der Coralle zu- 
sammen, deren einer Pol der orale, der andere der aborale ist. Der Oral-Pol oder 
Mundpol entspricht dem Mittelpunkt der Pyramiden-Basis, der aborale oder Gegen- 
mund-Pol dagegen der Pyramiden-Spitze. 

Bei vielen Einzel-Corallen ist nun mit dieser radialen Zusammensetzung des Kör- 
pers aus homotypischen Stücken oder Antimeren die morphologische Individualitäts- 
Stufe keineswegs vollendet, sondern es tritt dazu noch eine deutliche Gliederung 
in der Längsaxe. Diese longitudinale Gliederung wird besonders durch die hori- 
zontalen Scheidewände oder Böden (Tabulae und Dissepimenta) angezeigt, welche 
senkrecht auf der Längsaxe stehen, am stärksten entwickelt bei den Tabulaten, Ru- 
gosen u.s.w. Bei diesen Corallen kann man in ähnlicher Weise von einer longitudi- 
nalen Gliederung des Körpers sprechen, wie bei den Vertebraten, Arthropoden, Anne- 
liden u.s.w. Wir können daher auch dort, eben so wie hier, die einzelnen, hinter 
einander liegenden Abschnitte als Folgestücke oder Metameren bezeichnen. 

Wenn wir nun bei tectologischer Untersuchung der Corallen von diesen letzteren, 
in morphologischer Beziehung am höchsten entwickelten Corallen, ausgehen wollten, 
so würden sich alle sechs Stufen der morphologischen Individualität, die wir über- 
haupt unterscheiden können, bei dem aus derartigen Einzel-Corallen zusammen- 
gesetzten Stocke nachweisen lassen. Ein solcher Corallen-Stock entspricht in tecto- 
logischer Beziehung vollständig einem Baume, oder überhaupt einer zusammengesetz- 
ten, stockbildenden phanerogamen Pflanze. Wie ich in der generellen Morphologie 
ausführlich nachgewiesen habe, ist die tectologische Parallele zwischen dem ver- 
zweigten Pflanzenstock der Phanerogamen und dem verzweigten Thierstock der 
Corallen in der That vollständig. Selbstverständlich ist diese Parallele nicht im Ent- 
ferntesten als eine Homologie aufzufassen, sondern nur als ein Ausdruck der That- 
sache, dass der Aufbau der zusammengesetzten Individualitäten bei den verschieden- 
sten Organismen-Gruppen nach auffallend übereinstimmenden Gesetzen erfolgt. Fassen 
wir das Resultat dieser Vergleichung hier kurz zusammen, so ergiebt sich folgende 
Stufenreihe: 


form der regulären Corallen-Personen ist, geht in Folge jener Anpassung (welehe morphologisch am 
schärfsten in der Differenzirung der Kreuzaxen und ihrer Pole hervortritt) in die irreguläre Pyramide 
(Heterostaura) über, und zwar entweder in die amphitheete Pyramide (Autopola) oder in die Zeugiten-Py- 
ramide (Amphipleura). Vergl. die nähere Begründung dieser Anschauung im I. Bande der generellen Mor- 
phologie, besonders p. 485 (Flabellum) und p. 501 (Oculina). Taf. I, Fig. 2, 3. 

Haeckel, Kalkschwämme. 1. 7 


38 


Drittes Kapitel. Anatomie. 


I. Generelle Anatomie. 


Phanerogamen-Stock: 


I. Morphonten erster Ord- 


nung: Plastiden. 


Corallen-Stock: 


Zellen (und Cytoden). 


Individualitäts-Stufe: 


Zellen (und Cytoden). 


II. Morphonten zweiter Ord- 
nung: Organe. 


| 


Axiale und laterale Theile: 
Rumpforgane und Extre- 
mitäten (Tentakeln ete.). 


Axiale und laterale Theile: 
Stengelorgane und Blatt- 
organe. 


III. Morphonten dritter Ord- 
nung: Antimeren. 


Ab- 
schnitte eines sechszähli- 


Die sechs radialen 


gen Corallen-Einzelthiers. 


Die sechs radialen Abschnitte 
eines sechszähligen Blü- 
thensprosses. 


IV. Morphonten vierter Ord- 
nung: Metameren. 


Rumpfglieder (durch Tabu- 
lae oder Dissepimenta ge- 
trennt). 


Stengelglieder (durch Inter- 
nodien getrennt). 


V. Morphonten fünfter Ord- 
nung: Prosopen. 


Corallen- 
stockes oder „eigentliche 
Individuen“. 


Einzelthiere des 


Sprosse oder Blasten. 


VI. Morphonten sechster Ord- 
nung: Cormen. 


Corallenstock (Vielheit von 
Prosopen). 


Phanerogamenstock (Vielheit 
von Sprossen). 


Wenn die sechs unterscheidbaren Individualitäts-Stufen in dieser Weise beim 
Corallenstock eben so wie beim Pflanzenstock vollständig entwickelt sind, so erfüllt 
jede Stufe wirklich die erste Anforderung, welche die generelle Morphologie an sie 
stellt: „Jede einzelne Formeinheit höherer Ordnung ist: eine Vielheit (Synusie oder 
Colonie) von mehreren vereinigten Formeinheiten der vorhergehenden niederen Ord- 
nungen“ (Gen. Morph. I, p. 367, These 21). Der Stock oder Cormus ist aus meh- 
reren vereinigten Prosopen oder Personen (Sprossen) zusammengesetzt. Jedes Pros- 
opon besteht aus mehreren Metameren (Stengelgliedern). Jedes Metamer lässt sich 
in mehrere Antimeren (Radialsegmente) zerlegen. Jedes Antimer ist aus mehreren 
Organen (Rumpftheilen und Extremitäten) zusammengesetzt. Jedes Organ besteht 
wiederum aus mehreren vereinigten Plastiden (Zellen oder Cytoden). Die Plastiden 
sind die letzten wirklich anatomisch unterscheidbaren Form-Einheiten, die wir an 
einem solchen höchst zusammengesetzten Organismus isoliren können. Sie sind die 
wirklich einfachen Form-Individuen oder Morphonten. Alle anderen Morphonten 
(zweiter bis sechster Ordnung) sind zusammengesetzte Individuen oder Colonien 
(Synusien, Complexe). (Gen. Morph. I, p. 367, These 22.) 

Vergleichen wir nun die Corallenstöcke mit den Schwammstöcken, so ergeben 
sich bei strenger Anwendung der von mir in der generellen Tectologie aufgestellten 
Grundsätze Schwierigkeiten, welche nicht ohne Weiteres zu lösen sind. Am leich- 
testen erscheint es hierbei, von den am meisten entwickelten Formen auszugehen, von 
den Stöcken oder Cormen. Da springt zunächst am klarsten die Uebereinstim- 


1. Individualitäts- Lehre oder Tectologie. 99 


mung in die Augen, welche gerade in Bezug auf die Stockbildung zwischen den Co- 
rallen und Schwämmen existirt. Alle die verschiedenen Hauptformen von Stöcken, 
die man bei den Corallen unterscheiden kann: strauchartig und baumartig verzweigte 
Stöcke, massive und lamellöse, traubige und buschige Cormen — und was für Modifi- 
cationen man sonst noch bei den Corallenstöcken finden mag — sie alle haben auch 
bei den Schwämmen, sowohl bei den Kieselschwämmen als bei den Kalkschwämmen 
ihre Vertreter. Wir können demnach von Schwammstöcken eben so gut wie von Co- 
rallenstöcken reden. 

Wenn wir nun weiter die constituirenden Elemente ins Auge fassen, welche den 
Stock zusammensetzen, die nächst untergeordneten Morphonten oder Form-Einheiten, 
durch deren vereinigte Vielheit der Cormus entsteht, so ergeben sich als solche beim 
Corallenstock die „Einzelthiere“ oder „eigentlichen Individuen“, welche wir vorher 
schärfer als Prosopen oder Personen bezeichnet haben. Jede solche Person hat 
ihren eigenen Magen und ihren eigenen Mund, der von einem Tentakelkranz umgeben 
ist. Der Magen ist von den perigastrischen Fächern umgeben, deren Scheidewände 
die Grenzen der Antimeren andeuten. Bei den gegliederten Corallen sind überdies 
durch die horizontalen Böden (Dissepimenta) und Tafeln (Tabulae) die Grenzen der 
Metameren bestimmt. 

Suchen wir nun nach den entsprechenden Morphonten bei den Schwämmen, so 
finden wir eine grosse Ungleichmässigkeit in ihrer Erscheinung. In manchen Fällen, 
besonders bei vielen Kieselschwämmen und Hornschwämmen (auch bei den meisten 
Exemplaren des gewöhnlichen Badeschwammes) werden wir uns vergeblich nach deut- 
lich getrennten Personen am Schwammstock umsehen. In anderen Fällen dagegen 
scheinen die Morphonten, welche den Corallen-Personen vergleichbar sind, aus der 
Zusammensetzung des Stockes sich unmittelbar zu ergeben. Dies gilt namentlich für 
die Mehrzahl der Kalkschwämme, und zwar für alle drei Familien derselben. Als 
Beispiele betrachte man von den Asconen: Soleniscus gracilis (Taf. 6, Fig. 3) und 
Solenidium nitidum (Taf. 17, Fig. 7); von den Leuconen: Amphoriscus asper (Taf. 35, 
Fig. 5) und Artynas «leicornis (Taf. 37, Fig. 4); von den Syconen: Sycothamnus 
testiparus (Taf. 47, Fig. 3) und Sycodendrum arborescens (Taf. 58, Fig. 7). Bei 
diesen und bei vielen anderen Kalkschwämmen setzen sich die Form-Einheiten, welche 
den Corallen-Personen vergleichbar erscheinen, ohne Weiteres klar und scharf von 
der gemeinsamen Substanz des Stockes, dem Coenosom ab. Jede Person umschliesst 
eine mehr oder minder geräumige centrale Höhle, die sich an dem Ende, welches dem 
Ansatz am Stocke entgegengesetzt ist, durch eine grosse Mündung nach aussen öffnet. 
Wir können diese Höhle dem Magen der Corallen, und ihre Oeffnung dem Munde der 
letzteren vergleichen, und werden später die Richtigkeit dieses Vergleiches zu be- 
gründen versuchen. Zunächst mag aber hervorgehoben werden, dass es auch viele 
Schwamm-Arten giebt (z.B. viele Syconen, unter den Kieselschwämmen Lanuginella, 

7 * 


100 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


Tetilla, Euplectella), bei denen constant nur eine solche Höhlung und eine grössere 
Oeffnung im ganzen Körper existirt. Diese verhalten sich also zu der Mehrzahl der 
Schwämme, die zusammengesetzte Stöcke bilden, ebenso wie die solitären Corallen 
(Actinia, Fungia) zu der Mehrzahl der stockbildenden Corallen. Entsprechend würden 
wir also auch bei den Schwämmen, wie bei den Corallen, jede Formeinheit, welche 
eine centrale Höhlung (Magen) mit einer grösseren Oeffnung (Mund oder Osculum) 
besitzt, als Person bezeichnen können. Im Wesentlichen würde diese Anschauung 
mit der vorher angeführten Auffassung der Spongien-Individualität von O. ScHmipr 
zusammenfallen: „Jeder Theil des Schwammes, an welchem sich ein eigenes Osculum 
öffnet, vereinigt die Bedingungen und Kennzeichen der Individualität in sich.“ 

Wir werden nachher sehen, dass diese Begriffs-Bestimmung der Person allerdings 
nicht immer zutrifft, und dass wesentlicher noch, als das Osculum, der Magen und 
die Entwickelung einer selbstständigen Längsaxe ist. Indessen können wir hier zu- 
nächst davon absehen, und indem wir die allgemeine Homologie zwischen den Per- 
sonen der Spongien und Corallen festhalten, weiter untersuchen, in wie weit sich diese 
Vergleichung durchführen lässt. Wenn wir zu diesem Behufe die tectologische Zu- 
sammensetzung der Spongien-Person näher ins Auge fassen, so ergiebt sich freilich 
eine bedeutende Differenz. Von den deutlichen Antimeren, welche wir bei fast allen, 
von den Metameren, welche wir bei vielen Corallen finden, ist bei den meisten Spon- 
gien Nichts zu sehen, so wenig als bei vielen Hydroid-Polypen. Wollten wir demnach 
die in der generellen Morphologie aufgestellte Individualitäts- Lehre in aller Strenge 
durchführen, so würden wir der Spongien-Person nicht den Werth eines morphologi- 
schen Individuums fünfter, sondern nur zweiter oder dritter Ordnung beilegen können. 
Wir müssten sie dann nicht als Person, sondern nur als „Organ“ (in rein morphologi- 
schem Sinne) oder als „Antimer“ bezeichnen. 

Aehnlichen Schwierigkeiten begegnet unsere Individualitäts- Theorie auch bei 
anderen Organismen. Zunächst stösst uns nämlich bei den Corallen selbst, ebenso 
ferner bei den meisten Hydroiden und den Tunicaten die Frage auf: Sollen wir bloss 
jene „gegliederten“ Corallen-Personen, deren Leib durch Tafeln und Dissepimente ge- 
gliedert, also deutlich aus Metameren zusammengesetzt ist, für wirkliche Individuen 
fünfter Ordnung, für echte Prosopen erklären? Und sollen wir die andern, „ungeglie- 
derten“ Corallen-Personen, denen die Tafeln und Dissepimente, — also auch die Meta- 
meren — fehlen, nur für Individuen vierter Ordnung, also für Aequivalente eines 
Metameres, erklären? Verhalten sich mithin die letzteren zu den ersteren ebenso, 
wie die ungegliederten Würmer (z. B. die Trematoden und die einfachen Cestoden, 
Caryophyllaeus etc.) zu den gegliederten Würmern (z. B. den Anneliden und den zu- 
sammengesetzten Cestoden, Taenia etc.) ? 

In meiner generellen Morphologie habe ich diese Frage bejahen müssen, weil ich 
streng die dort aufgestellte Theorie durchführen und an den dabei zu Grunde liegenden 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 101 


und vorher angeführten Thesen (21 und 22, p. 367]. e.) festhalten wollte. Um die 
dadurch entstehenden Schwierigkeiten zu umgehen, nahm ich an, dass viele so- 
genannte Thierstöcke, nämlich alle jene, deren Personen ungegliedert sind, zwar 
scheinbar die sechste, eigentlich aber nur die fünfte Individualitäts-Stufe erreichen. 
Solche Scheinstöcke oder Pseudocormen seien in Wirklichkeit nur Vielheiten 
von Metameren, also Personen. Um sie aber von den gewöhnlichen, gegliederten 
Personen zu unterscheiden, nannte ich die letzteren Ketten-Personen (Prosopa 
eatenata), die ersteren Busch-Personen (Prosopa fruticosa). Solche Busch-Per- 
sonen oder Scheinstöcke würden nicht bloss alle Corallenstöcke sein, deren Personen 
ungegliedert sind (ohne Tafeln und Dissepimente), sondern auch alle Tunicaten-Stöcke, 
die meisten Stöcke von Bryozoen und Hydroiden, Viscum unter den Phanerogamen, 
viele Cryptogamen etc. (vergl. Gen. Morph. I, p. 325, 326 u. s. w.).. Auch die 
Schwammstöcke würden demgemäss nur scheinbare Stöcke oder Cormen, keine wirk- 
lichen Morphonten sechster Ordnung sein. 

Ich gestehe, dass ich das Steife und Gezwungene, das in dieser consequenten 
Durchführung jener Individualitäts-Theorie liegt, schon damals, bei ihrer Aufstellung, 
wohl gefühlt habe. Indessen fand ich damals keinen Ausweg, der nicht zu noch 
grösseren tectologischen Schwierigkeiten geführt hätte. Jetzt dagegen glaube ich 
einen solchen gefunden zu haben, und die Frage von einer anderen Seite her befriedi- 
gend lösen zu können. 

Es ergiebt sich nämlich eine mehr natürliche und ungezwungene Auffassung der 
organischen Individualitäts- Verhältnisse, wenn man den Individualitäten dritter und 
vierter Ordnung, den Antimeren und Metameren, eine mehr untergeordnete Stellung 
anweist und demnach nur vier verschiedene Hauptstufen unterscheidet: I. die 
Plastide, II. das Idorgan, III. die Person, IV. den Stock. Es müssen dann 
aber fernerhin wieder folgende drei verschiedene Ausbildungsstufen der Person 
unterschieden werden, nämlich: 1) die monaxonie und ungegliederte Person 
(ohne Antimeren und ohne Metameren), z. B. die Person von Olymthus, Dyssycus, 
Sycurus unter den Kalkschwämmen, Euplectella, Holtenia, Tetilla unter den Kiesel- 
schwämmen, viele Hydroiden (Hydra, Clava, Miyriothela ete.). 2) Die staur- 
axonie und ungegliederte Person (mit Antimeren, aber ohne Metameren), 
z. B. die Person von Cereanthus, Actinia, Fungia unter den Corallen, die Einzel-Per- 
sonen der Tunicaten, Trematoden etc. 3) Die stauraxonie und gegliederte 
Person (mit Antimeren und mit Metameren), z. B. die Person der gegliederten 
Corallen (Tabulata), der Arthropoden, Vertebraten etc. Diese letztere allein verdient 
den Namen Prosopon, den wir als gleichbedeutend mit „Person“ (im früheren, 
engeren Sinne) in der generellen Morphologie gebraucht haben. 

Die Ausdrücke: „gegliederte und ungegliederte Person“ (je nachdem der Körper 
aus Metameren zusammengesetzt ist oder nicht) sind aus der beschreibenden Biologie 


102 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


hinlänglich bekannt. Dagegen verdienen die Ausdrücke Monaxon und Stauraxon, 
welche ich zuerst in der generellen Morphologie eingeführt habe, eine besondere Recht- 
fertigung. Monaxonia oder Einaxige nenne ich solche organische Formen, bei 
denen durch die Lagerung der constituirenden Theile nur eine einzige constante 
Axe ausgedrückt ist. Diese Axe ist die Hauptaxe oder Längsaxe (Axon prin- 
eipalis sive longitudinalis). Ihr einer Pol ist der Mundpol (Polus oralis s. peri- 
stomius); der zweite Pol ist der Gegenmundpol (Polus aboralis s. antistomius) 
(Gen. Morph. I, p. 418). Stauraxonia oder Kreuzaxige nenne ich dagegen die- 
jenigen organischen Formen, bei denen durch die Lagerung der constituirenden Theile 
ausser jener Hauptaxe noch eine bestimmte Zahl von anderen constanten Axen hervor- 
treten, welche auf der ersteren senkrecht stehen. Diese differenzirten transversalen 
Axen, welche verschieden sind von den zwischen ihnen in derselben Querebene lie- 
genden indifferenten Queraxen, heissen Kreuzaxen (Stauri). Die Zahl dieser Kreuz- 
axen ist stets gleich der Zahl der Antimeren. Nur bei den kreuzaxigen Formen oder 
Stauraxonien können wir überhaupt von Antimeren sprechen, während diese bei den 
einaxigen oder Monaxonien noch nicht unterscheidbar sind (Gen. Morph. I, p. 430). 
Die ausserordentlichen Vortheile, welche für das allgemeine morphologische Verständ- 
niss durch die Unterscheidung der Monaxonien und Stauraxonien, und weiterhin durch 
die Eintheilung der letzteren in Homopolen und Heteropolen, Homostauren und 
Heterostauren gewonnen werden, wird derjenige Morphologe einsehen, welcher den 
Zusammenhang und die Begründung des von mir in der generellen Promorphologie 
aufgestellten Formen-Systems verfolgt (vergl. insbesondere den Anhang zum IV. Buche 
der generellen Morphologie, Vol. I, p. 554, und die Tabellen S. 555—558) t). 

Wenn wir in dieser Weise drei verschiedene Kategorien von Personen 
unterscheiden, und nur die dritte und höchst entwickelte Stufe als Prosopon aner- 
kennen, so werden wir entsprechend auch unter den Stöcken (als Vielheiten von Per- 
sonen) drei verschiedene Stufen der Stockbildung zu unterscheiden haben. Diese sind: 
1. Cormen erster Stufe: Stöcke mit monaxonien und ungegliederten Personen 
(Spongien und viele Hydroiden-Stöcke). 2. Cormen zweiter Stufe: Stöcke mit 
stauraxonien, aber ungegliederten Personen (die Mehrzahl der Corallen, ohne Tafeln 
und Dissepimente, Stöcke der meisten Bryozoen und Tunicaten). 3. Cormen 
dritter Stufe: Stöcke mit stauraxonien und gegliederten Personen (Corallen mit 
Tafeln und Dissepimenten). 


1) Wenn die Kreuzaxen sämmtlich gleich, und die Antimeren demgemäss congruent sind, so ent- 
stehen die homostauren Formen, deren Grundform die reguläre Pyramide ist (z. B. die regulären Corallen- 
Personen und Echinodermen). Wenn sich dagegen die Kreuzaxen differenziren, so entstehen die hetero- 
stauren Formen, deren Grundform die irreguläre Pyramide ist. Die wichtigsten von diesen sind die 
Zeugiten oder allopolen Formen, bei denen allein man von einem Gegensatz zwischen Rechts und Links 


sprechen kann (Gen. Morph. I, p. 495). 


1. Individualitäts- Lehre oder Tectologie. 103 


Gegenüber dem Vortheil, den wir durch diese verbesserte Anordnung der In- 
dividualitäts-Stufen erhalten, scheint nun freilich auf der anderen Seite der Nach- 
theil zu entstehen, dass die scharfe Definition, welche ich in der generellen Mor- 
phologie von dem Begriffe der Person gegeben habe, verloren geht. Indessen werden 
wir nachher sehen, dass der Begriff der Person sich viel sicherer auf den Besitz 
des animalen Primitiv-Organes, des Darmrohrs oder Magens, begründen lässt. Da 
ich später ausführlich hierauf zurückkomme, stelle ich zunächst hier nochmals die 
verschiedenen Ordnungen und Stufen der organischen Individualität, wie sie sich 
jetzt ergeben, übersichtlich zusammen. 


Stufenfolge der organischen Individualitäten. 


I Individuen erster Ordnung: Plastiden. 
1. Stufe: Cytoden (kernlose Plastiden). 
2. Stufe: Zellen (kernhaltige Plastiden). 
U. Individuen zweiter Ordnung: Idorgane. 
1. Stufe: Homoplasten oder 
Homoeorgane. 


A. Plastiden - Aggregate. 


Eulache7 Organe B. Plastiden - Fusionen. 


2. Stufe: Alloplasten oder | Zusammengesetzte 
Alloeorgane. \ Organe 


‘ A. Idomeren. 
| B. Antimeren. 
©. Metameren. 
II. Individuen dritter Ordnung: Personen. 
1. Stufe: Monaxonie inarticulate Personen. 
Personen ohne Antimeren und Metameren. 
2. Stufe: Stauraxonie inarticulate Personen. 
Personen mit Antimeren, ohne Metameren. 
3. Stufe: Stauraxonie articulate Personen. 
Personen mit Antimeren und Metameren. 
IV. Individuen vierter Ordnung: Stöcke. 
1. Stufe: Stöcke mit monaxonien inarticulaten Personen. 
2. Stufe: Stöcke mit stauraxonien inarticulaten Personen. 
3. Stufe: Stöcke mit stauraxonien articulaten Personen. 


Individualität der Plastiden. 


Die Individuen erster Ordnung, die Plastiden oder Plasmastücke, habe 
ich in meiner generellen Morphologie in vier Gruppen eingetheilt, nach folgendem 
Schema: 


104 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


' I. Cytodae (Cellinae). Kernlose Plastiden. 

1) Gymnocytodae (Cytodae primordiales s. nudae). Urcytoden. 
Individuelle Plasmastücke ohne Kern (Nucleus) und ohne Hülle, nackt. (Kern- 
lose Klümpchen). 

2) Lepocytodae (Cytodae membranosae). Hüllcytoden. 
Individuelle Plasmastücke ohne Kern, aber von einer Hülle umschlossen. (Kern- 
lose Bläschen). 

I. Cellulae (Cyta). Kernhaltige Plastiden. 

3) Gymnocyta (Cellulae primordiales s. nudae). Urzellen. 
Individuelle Plasmastücke mit Kern, aber ohne Hülle, nackt. (Kernhaltige 
Klümpchen.) 

4) Lepocyta (Cellulae membranosae). Hüllzellen. 
Individuelle Plasmastücke mit Kern und von einer Hülle umschlossen. (Kern- 
haltige Bläschen) !). 

An dieser Unterscheidung halte ich auch heute noch fest und betrachte die 
Einwände, welche von verschiedenen Seiten dagegen erhoben worden sind, als nicht 
begründet. Ich muss dabei bleiben, dass die Unterscheidung der kernlosen Cytoden 
von den kernhaltigen Zellen von der grössten Bedeutung sowohl für die generelle 
Morphologie der organischen Elementartheile überhaupt, als namentlich für das Ver- 
ständniss der niedersten Organisations- Formen, für die Phylogenie der Protozoen, 
Protisten und Protophyten ist. Jeder denkende Naturforscher, der längere Zeit sich 
mit diesen einfachsten Organismen und namentlich mit den Rhizopoden (Acyttarien 
und Radiolarien) beschäftigt hat, wird die Wichtigkeit jener Unterscheidung zuge- 
stehen. Ebenso bleibe ich aber auch bei meiner vielfach bestrittenen Ansicht, dass 
in den Elementar-Theilen der höheren Organismen die Unterscheidung der Cytoden 
und Zellen nothwendig ist, weil auch hier überall der Kern die grösste Rolle spielt, 
und der einzige wesentliche Formbestandtheil ist, der die Zelle als solche characte- 
risirt (Gen. Morph. Bd. I, p. 278). Gerade den jüngst wiederholten Versuchen gegen- 
über, die Bedeutung des Zellenkerns herabzudrücken oder selbst ganz zu leugnen, 
halte ich an meiner früher schon ausführlich begründeten Anschauung fest, dass er 
die allergrösste morphologische und physiologische Bedeutung besitzt. Der Kern ist, 
wie sein Name ganz treffend sagt, der eigentliche Kern, das eigentliche Wesen des 
Zellenbegrifis, ohne welches derselbe, der kernlosen Cytode gegenüber, gar nicht zu 
definiren ist. In meinen Augen gilt nur derjenige Elementartheil als wirkliche Zelle, 
der aus zwei wesentlichen Bestandtheilen zusammengesetzt ist, aus dem Kern und 
dem Protoplasma. 

Zellkern (Nucleus) und Zellstoff (Protoplasma) sind als die beiden ur- 
sprünglichsten Producte zu betrachten, welche aus dem ersten und ältesten Diffe- 


1) HAEckeEL, Generelle Morphologie, Bd. I, p. 269— 289. 


1. Individualitäts- Lehre oder Tectologie. 105 


renzirungs-Process der lebendigen Materie hervorgegangen sind. Auch das Proto- 
plasma als solches existirt nur im Gegensatz zum Kern, und daher stimme ich ganz 
EDOUARD VAN BENEDEN bei, welcher in seiner trefflichen Arbeit „über die Entwicke- 
lung der Gregarinen“ die structurlose Körpersubstanz der Moneren, den ursprüng- 
lichen Bildungsstoff der Cytoden, nicht Protoplasma, sondern Plasson nennt). Es 
ist nur consequente Logik, wenn man in dieser Weise das Plasma scharf vom Plasson 
unterscheidet. Der Theil kann nicht gleich dem Ganzen sein, und wenn die kern- 
haltige Zelle aus Protoplasma und Nucleus besteht, so kaun nicht die kernlose Cytode 
bloss aus Protoplasma bestehen. Vielmehr ist Plasson = Protoplasma plus 
Nucleus und also auch Protoplasma — Plasson minus Nucleus oder umgekehrt 
Nucleus — Plasson minus Protoplasma. Die beiden wesentlichen und einander ent- 
gegengesetzten Bestandtheile, welche in jeder echten, nackten Zelle als Protoplasma 
und Nucleus getrennt existiren, sind in der nackten Cytode noch innig verbunden. 
Die erste wahre Zelle ist erst dadurch entstanden, dass das Plasson sich in Proto- 
plasma und Nucleus differenzirt hat. Diese Scheidung ist der älteste bedeutungs- 
volle Differenzirungs-Process in der Phylogenie der Plastiden. Demnach ist die 
homogene, structurlose Leibesmasse der Moneren, und ebenso der Weichkörper der 
Acyttarien (Monothalamien und Polythalamien), kurz jede einfache Cytode, nicht 
Protoplasma, sondern Plasson. Umgekehrt kann in keiner echten, d. h. kern- 
haltigen Zelle, wirkliches Plasson vorkommen, sondern nur Protoplasma, im 
Gegensatz zum Nucleus. 

Der Kern oder Nucleus giebt uns demnach auch den einzigen festen und un- 
veräusserlichen Anhaltspunkt, um den Individualitäts-Begriff der Zelle festzustellen. 
Jede wahre Zelle muss einen Kern und kann nur einen Kern enthalten. 
Der vielgebrauchte Ausdruck: „eine vielkernige Zelle“ ist eine Contra- 
dietio in adjecto. Leyvıc?) hat in diesem Sinne die Zellen schon 1857 als 
„die kleinsten organischen Körper definirt, welche eine wirksame Mitte besitzen, die 
alle Theile auf sich selber und ihr Bedürfniss bezieht. Zum morphologischen Begriff 


1) EDoUARD VAN BENEDEN, Recherches sur l’Evolution des Gregarines. Bulletins de l’Academ. royal. 
de Belg. II. Ser. Tom. XXXI, 1871. „‚La substance des Moneres et des eytodes reprösente done, au point 
de vue chimique et physiologique, non pas le protoplasme des cellules, mais ce protoplasme avec le 
noyau et le nucl&ole.. La substance qui constitue le corps des Moneres &tant differente, malgre l’identite 
des charaeteres physiques, du protoplasme des Rhizopodes et des cellules, il y a lieu de les distinguer 
l’une de l’autre. Pour les distinguer efficacement, il convient, me semble-t-il, de designer les deux sub- 
stances sous des noms differents. HAECKEL a fait observer avee raison, que protoplasme signifie non pas 
substance formatrice, mais bien plutöt „premiere substance forme&e“ (td nidopa). Le mot 
plasson (9 r\&4900v) conviendrait mieux pour designer la substance formatrice, et je propose de l’appliquer 
ala substance eonstitutive du corps des Monöres et des Cytodes: c'est elle qui est la 
substance formatrice par l’excellence.“ 

2) Leyvig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere, 1857. 


106 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


einer Zelle gehört eine mehr oder minder weiche Substanz (Protoplasma), ur- 
sprünglich der Kugelgestalt sich nähernd, die einen centralen Körper einschliesst, 
welcher Kern (Nucleus) heisst.“ Ebenso hat dann später MAx SCHULTZE in seiner 
„Protoplasma-Theorie“, der wichtigsten Reform der Zellentheorie seit ScHwAnn, die 
Zelle als „ein Klümpchen Protoplasma definirt, in dessen Innerem ein Kern liegt. 
Der Kern sowohl als das Protoplasma sind Theilproducte der gleichen Bestandtheile 
einer anderen Zelle. Die Zelle führt ein in sich abgeschlossenes Leben.“ 

Die „Zellen-Theorie“, wie sie SCHLEIDENn (1838) und Scnwann (1839) auf- 
gestellt haben, ist und bleibt die erste und unentbehrlichste Grundlage für unser 
wahres Verständniss des Organismus überhaupt. Der Schwerpunkt dieser funda- 
mentalen Theorie liegt aber darin, dass die Zelle als ein selbstständiger „Elementar- 
Organismus“ (BRÜckE) oder als ein „Individuum erster Ordnung“ aufgefasst wird. 
Die Reform dieser Theorie, welche LeypıG (1857) und Max Schurtze (1860) durch 
die „Protoplasma-Theorie“ herbeiführten, war nothwendig, um den Begriff der 
Zelle näher zu bestimmen, und ihn auf die Combination der beiden wesentlichen 
Bestandtheile, Nucleus und Protoplasma, zu beschränken. Ebenso nothwendig und 
unentbehrlich erscheint mir aber auch die weitere Ergänzung der „Zellentheorie“ 
und der „Protoplasma-Theorie“ durch meine „Plastiden-Theorie“, wie ich sie 
1866 durch die scharfe Trennung der Zellen und Cytoden geliefert habe. Hierzu 
bildet abermals eine weitere nothwendige Ergänzung die Definition des Plasson 
durch VAn BENEDEN und die damit vollzogene Trennung des Plasson vom Proto- 
plasma. 

Was die vielkernigen Zellen betrifft, die noch gegenwärtig selbst von sehr 
angesehenen Histologen von den einkernigen Zellen unterschieden werden, so kann 
ich sie unmöglich als Zellen, d. h. als Individuen erster Ordnung, anerkennen !). 
Jede Zelle als solche ist einkernig. Eine Zelle, die zwei oder mehrere 
Kerne einschliesst, ist eo ipso ein Individuum zweiter Ordnung, ein einfachstes Id- 
organ oder eine „Zellfusion“. Gerade die Spongien, und namentlich die Kalk- 
schwämme, liefern für die Richtigkeit dieser Auffassung die deutlichsten Belege. 
Nach der Bezeichnungsweise aller jener Autoren, welche von „vielkernigen Zellen“ 
sprechen, würde man das ganze Exoderm der Caleispongien als „eine vielkernige 
Zelle“ ansehen müssen. Denn das ganze Exoderm ist ein zusammenhängendes 


1) In neuester Zeit hat namentlich KÖLLIKER ‚‚die Verbreitung und Bedeutung der vielkernigen 
Zellen der Knochen und Zähne‘ ausführlich erörtert (Verhandl. der Würzburger physikal.-medie. Ge- 
sellsch. Neue Folge. II. Band. 1872). Er nennt diese in den Knochen und Zähnen vorkommenden „‚viel- 
kernigen Zellen‘‘, welche bei deren Resorption eine bedeutende Rolle spielen, ‚‚Knochenbrecher , Osto- 
klasten oder Osteophagen‘“‘. Es sind die „Riesenzellen‘‘ von VIRCHOowW, die „‚Myeloplaxes‘‘ von Rosın. 
Nach meiner Auffassung des Zellenbegriffes fallen diese „vielkernigen Zellen“ in die Kategorie der Id- 


organe und sind ebenso als Synceytien aufzufassen, wie das Exoderm der Kalkschwämme. 


1. Individualitäts- Lehre oder Tectologie. 107 


Protoplasma-Lager, in welchem nur die darin zerstreuten Kerne nach meiner Auf- 
fassung die Zahl der constituirenden Zellen anzeigen. Es widerspricht aber allen 
gesunden morphologischen Grundanschauungen, und aller natürlichen Logik, wenn 
man dieses Syneytium wirklich als „eine vielkernige Zelle“ betrachten wollte. Man 
müsste dann z. B. bei den sämmtlichen Cystograntien und Cophograntien annehmen, 
dass diese eine Zelle das ganze complexe vielzellige Organ in sich einschliesst, wel- 
ches durch das gesammte Entoderm mit seinen Geisselzellen, Spermazellen und Eiern 
repräsentirt wird. Der Magen dieser mundlosen Kalkschwämme würde dann eine 
Höhle im Inneren der vielzelligen Entoderm-Blase sein, welche ihrerseits die Höhle 
„einer einzigen vielkernigen Zelle“ auskleidete. 

Von den vier Gruppen der Plastiden-Individualität, welche wir oben (p. 104) 
unterschieden haben, kömmt bei den Kalkschwämmen ausschliesslich die dritte Ab- 
theilung vor, die nackte oder primordiale Zelle. Alle Plastiden der Calei- 
spongien sind nackte Zellen (Gymnocyta). Dasselbe gilt wahrscheinlich auch 
von den meisten, wenn nicht allen, anderen Schwämmen. Cytoden oder kernlose 
Plastiden kommen bei den Kalkschwämmen nicht vor; und ebenso wenig membranöse 
Zellen. Als eine seltene Ausnahme könnte man höchstens die Eier von zwei Sycon- 
Arten (Sycaltis testipara und 8. ovipara, Taf. 47, Fig. 5, 9) gelten lassen, welche 
sich durch den Besitz einer Kalkschale (einer kalkigen Zellen-Membran) auszeichnen. 

Die morphologische Individualität der Zellen ist bei den Kalkschwämmen, wie 
bei den übrigen Spongien, allgemein so deutlich ausgesprochen und wird zum Theil 
durch den damit verbundenen hohen Grad von physiologischer Selbstständigkeit so 
bedeutend gehoben, dass sie selbst für die ganze systematische Auffassung des 
Schwamm-Organismus von Bedeutung geworden ist. Sie hat zu der früher bereits 
erwähnten Anschauung Veranlassung gegeben, dass der ganze Schwamm-Organismus 
eigentlich weiter nichts sei, als ein ziemlich lockeres und wenig centralisirtes Aggregat 
von einzelligen Organismen. Diese sollten die „eigentlichen Individuen“ oder Einzel- 
thiere, und der ganze daraus zusammengesetzte Schwamm ein „Stock“ oder eine 
Colonie von solchen Einzelthieren sein. CARTER, Perry u. A., welche vor allen die 
amoeboiden Zellen der Spongillen und anderer Kieselschwämme in’s Auge fassten, 
erklärten in Folge dessen die Schwämme für Amoeben-Colonien oder Rhizopoden- 
Stöcke. Diese Ansicht fand vielen Beifall und wird noch heute von manchen nam- 
haften Naturforschern gestützt. JAMES-CLARK dagegen, welcher von den Kalk- 
schwämmen, und zwar von den Asconen ausging, bei denen vor allen die Geissel- 
zellen des Entoderms in die Augen fallen, erklärte diese letzteren für die „eigentlichen 
Individuen“ der Schwämme, und stellte diese mithin in die Klasse der Geissel- 
schwärmer oder Flagellaten (vergl. oben p. 93). 

Gewiss ist in diesen beiden Theorien, in derjenigen von CLARK sowohl wie von 
CARTER, ein gutes Korn Wahrheit enthalten, insofern nämlich auch bei den Schwämmen, 


108 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


wie bei allen vielzelligen Thieren, die genaue biologische Analyse immer dazu führt, 
die Zellen als Individuen erster Ordnung oder als „Elementar-Organismen“ aufzu- 
fassen. Das ist ja eben der Kern der Zellentheorie und darin liegt ihre hohe Be- 
deutung für das ganze mechanische Verständniss der Organismen, dass alle die ver- 
wickelten Formen und Leistungen der vielzelligen Organismen weiter nichts sind, als 
das nothwendige Gesammt-Resultat aus den vereinigten Formen und Leistungen der 
Zellen, aus denen sie zusammengesetzt sind. Wenn man aber bei den Schwämmen 
diesen richtigen und höchst bedeutenden Grundgedanken dazu ausbeuten will, um 
den höheren, aus den Elementar-Organismen zusammengesetzten Form - Einheiten 
ihren individuellen Werth abzusprechen, wenn man also in Folge dessen mit CARTER 
die Schwämme zu den Rhizopoden, oder mit CLArk zu den Flagellaten stellen will, 
so erscheint dieser Schritt als eine einseitige Uebertreibung eines an sich richtigen 
Grundgedankens. Es wird gewiss Niemandem einfallen, den entwickelten Menschen 
oder ein anderes Wirbelthier desshalb zu den Rhizopoden stellen zu wollen, weil 
seine farblosen Blutzellen und viele andere Zellen wirklich amoeboide Zellen sind, 
oder zu den bewimperten Infusorien, weil die Epithelzellen seiner Lunge und viele 
andere Epithelzellen wirkliche Wimperzellen sind. Und doch würde eine solche Be- 
hauptung im Wesentlichen dieselbe Anschauung enthalten, welche CARTER und JAMES- 
CLARK für die Spongien vertheidigen. Amoeboide Zellen und flimmernde Zellen 
kommen bei den verschiedensten Organismen vor. Aber desshalb stehen diese doch 
in keiner näheren Beziehung weder zu den Rhizopoden noch zu den Flagellaten. 
Diese beiden Protisten-Gruppen sind eben nur dadurch ausgezeichnet, dass sie auf 
einer niederen Individualitäts-Stufe stehen geblieben sind, welche die ‘höheren viel- 
zelligen Organismen längst überschritten haben. Jede nähere systematische Bezie- 
hung (sowohl zu den Amoeboiden, wie zu den Flagellaten) ist dann ausgeschlossen, 
wenn, wie es bei den Schwämmen der Fall ist, die amoeboiden und die fliimmernden 
Zellen bereits zur Bildung eines distineten vielzelligen Organsystems zusammenge- 
treten sind. Sowohl die amoeboiden als die flagellaten Zellen der Schwämme bleiben 
immer mehr oder minder selbstständige Individuen erster Ordnung, sind aber stets 
zugleich der höheren Einheit des Organsystems und der Person untergeordnet. 

Die Individualität der Zellen ist ursprünglich im ganzen Körper der Kalk- 
schwämme oder mindestens ihrer directen Vorfahren, gleichmässig entwickelt ge- 
wesen. Dies geht aus der Anatomie ihrer Larven unzweifelhaft hervor. Diese frei 
schwimmenden Jugendformen der Kalkschwämme sind ellipsoide oder eiförmige Körper 
mit einer centralen Höhlung, deren Wand aus zwei Zellenlagen besteht. Diese beiden 
Schichten sind aus anatomisch trennbaren Zellen zusammengesetzt. Aber nur die 
Zellen des inneren Blattes behalten dauernd ihre Selbstständigkeit. Die Zellen des 
äusseren Blattes dagegen verschmelzen später mit einander zur Bildung des skeleto- 
genen Syncytiums. 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 109 


Individualität der Idorgane. 


Die organische Individualitätsstufe zweiter Ordnung wird bei den Spongien, wie 
bei allen anderen Organismen, welche nicht auf der ersten Stufe der einfachen Plastide 
stehen bleiben, durch das Organ gebildet. Ich fasse diesen Individualitäts-Begriff, 
wie ich in meiner „Generellen Tectologie“ ausführlich dargelegt habe, in rein mor- 
phologischem Sinne und verstehe darunter „eine constante einheitliche Raum- 
grösse von bestimmter Form, welche aus einer Summe von mehreren bestimmten 
Plastiden (entweder von Cytoden oder von Zellen, oder von Beiden) in constanter 
Verbindung zusammengesetzt ist, und welche nicht die positiven Charactere der 
Form-Individuen höherer Ordnung (Personen, Cormen) erkennen lässt.“ (Gen. Morphol. 
Bd. I, p. 291.) Um das Organ in diesem rein morphologischen Sinne, als das Form- 
Individuum zweiter Ordnung, von dem Organ in physiologischem Sinne be- 
stimmt zu unterscheiden, nenne ich ersteres Idorgan, letzteres Biorgan!). 

Der gewöhnliche Sprachgebrauch der Anatomie (sowohl in der Zoologie als in 
der Botanik) erkennt diesen wesentlichen Unterschied nicht an und erzeugt eben 
dadurch in der Auffassung der zweiten Individualitäts-Ordnung unendliche Verwir- 
rung. Man bezeichnet z. B. in physiologischem Sinne als Organe die Pseudo- 
podien der Amoeben, die Geisseln der Flagellaten, und ebenso die Geisseln der 
Geissel-Epithelzellen, die Wimpern der Wimper-Epithelzellen in den Flimmer-Epi- 
thelien der höheren Thiere; man kann ebenso gut allgemein den Kern als Organ der 
Zelle bezeichnen, und überhaupt jeden geformten selbstständigen Bestandtheil einer 
einzelnen Plastide, sobald man ihn mit Beziehung auf seine individuelle Function 
betrachtet. Aber in morphologischem Sinne kann selbstverständlich keiner dieser 
Theile als Organ gelten, weil das Ganze, von dem sie einen Theil bilden, nur den 
Formwerth einer Plastide hat. Ein Idorgan, ein morphologisches Individuum 
zweiter Ordnung, kann selbstverständlich niemals Bestandtheil einer Plastide, 
eines Morphonten erster Ordnung, sein. Wir werden daher alle jene Theile einer 
Plastide nicht als Idorgane, sondern nur als Biorgane gelten lassen können. 

Umgekehrt nennen wir Organe in rein morphologischem Sinne auch solche 
polyplastide Theile, welche der gewöhnliche anatomische Sprachgebrauch nicht als 
solche gelten lässt. So z. B. erkenne ich jedes der beiden Keimblätter der Wirbel- 
thier-Embryonen als ein Organ an, ebenso wie die beiden, den ersteren gleichwer- 
tigen Bildungshäute der Spongien und der Zoophyten überhaupt. In dem gewöhn- 
lichen physiologischen Sinne sind diese Zellencomplexe wirklich keine Organe, 
wohl aber bestimmt in morphologischem Sinne. Sie sind daher wohl Idorgane, 
aber keine Biorgane. 


1) eido;, Gestalt; ßlos, Leben; öpyavoy, Werkzeug. 


110 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


Die Classification der Idorgane, die uns hier allein beschäftigen, ist sowohl 
bei den Spongien, wie überhaupt bei allen Organismen, ausserordentlich schwierig. 
Ich habe diese Schwierigkeiten in meiner generellen Tectologie (l. c. p. 239— 303) 
genügend erörtert und kann hier einfach auf jene Erörterung verweisen. Bei der 
dort versuchten Classification der morphologischen Organe habe ich mich möglichst 
an den bestehenden Sprachgebrauch angelehnt und demgemäss folgende fünf Stufen 
oder Ordnungen von Idorganen unterschieden: 1) Zellfusionen (Zellenstöcke, Cyto- 
cormen, mehrkernige Zellen; höhere Elementartheile: Muskelprimitivfasern, Nerven- 
primitivfasern, Pflanzen-Gefässe ete.). 2) Einfache oder homoplastische Organe 
(gleichartige Plastiden-Gemeinden oder homogene Plastiden-Complexe, Homoplasten, 
„Gewebe“ im engsten Sinne). 3) Zusammengesetzte oder heteroplastische Or- 
gane (ungleichartige Plastiden-Gemeinden oder heterogene Plastiden -Complexe ; 
Heteroplasten; „Organe“ im engsten Sinne: Axial-Organe [Rumpftheile der Thiere, 
Stengeltheile der Pflanzen] und Lateral-Organe [Extremitäten der Thiere, Blätter 
der Pflanzen]). 4) Organ-Systeme (Deckensystem, Muskelsystem, Darmsystem etc. 
bei den Thieren; Deckensystem, Parenchymsystem, Gefässsystem ete. bei den Pflanzen). 
5) Organ-Apparate (Ernährungs- Apparat, Fortpflanzungs- Apparat, Bewegungs- 
Apparat etc.). 

Dieser Classifications-Versuch der Idorgane ist, wie ich damals selbst hervor- 
gehoben habe, weder theoretisch noch practisch befriedigend, und ich gab ihn bloss, 
weil ich in dem Chaos der Individualitäts-Lehre gerade für den äusserst schwierigen 
Begriff des Organs keine bessere Gruppirung seines reichen Inhalts aufzufinden ver- 
mochte. Ich bin auch jetzt noch ausser Stande, eine klar begründete Eintheilung 
zu geben, und will die frühere nur insoweit hier verbessern, als es für unseren Gegen- 
stand von Interesse ist. 

Zunächst wird der wesentlichste und fundamentalste morphologische Unterschied 
aller Organe tectologisch darin zu suchen sein, dass sie entweder aus lauter gleich- 
artigen Plastiden oder aus zwei oder mehreren Arten von Plastiden zusammengesetzt 
sind. Danach würden die Idorgane zunächst in die beiden Gruppen zerfallen, welche 
in der generellen Morphologie als Organe zweiter und dritter Ordnung, als homo- 
plastische und heteroplastische Organe aufgeführt sind. Die homoplastischen oder 
einfachen Organe, welche wir mit einem Worte Homoplasten oder Homoe- 
organe nennen, bestehen nur aus Plastiden von einerlei Art (z. B. eine vielkernige 
Muskelfaser, ein einfacher hyaliner Knorpel); die heteroplastischen oder zusammen- 
gesetzten Organe dagegen, welche wir kurz Heteroplasten, besser Alloplasten 
oder Alloeorgane nennen, bestehen aus zwei oder mehreren verschiedenen Arten 
von Plastiden, wie dies bei den allermeisten kleineren und grösseren Organen der 
Thiere der Fall ist !). 


1) Die in der generellen Morphologie gebrauchte Bezeichnung „Heteroplasten‘“ könnte ver- 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 1413 


Unter den Homoplasten oder Homoeorganen, den „einfachen Organen“, 
können wir ferner zwei Gruppen bilden, je nachdem die constituirenden Plastiden 
getrennt bleiben oder untrennbar mit einander verschmelzen. Wenn sämmtliche 
Plastiden des Homoplasten getrennt bleiben und bloss in contiguo neben und über 
einander liegen, so ist dasselbe ein Plastiden-Aggregat (z. B. die Epithelien); 
wenn dagegen alle Plastiden des Homoplasten untrennbar mit einander verschmolzen 
und in continuo verbunden sind, so bildet dasselbe eine Plastiden-Fusion oder 
Zellfusion (ein „Organ erster Ordnung“ nach dem Schema der generellen Morpho- 
logie); z. B. das Plasmodium der Myxomyceten, das Syncytium der Caleispongien. 

Unter den Alloplasten oder Alloeorganen, den „zusammengesetzten Or- 
ganen“, lassen sich bei der grossen Mannichfaltigkeit ihrer Zusammensetzung in 
den verschiedenen Organismen-Gruppen eine Masse verschiedener Kategorien unter- 
scheiden, je nach den Gesichtspunkten, welche man als massgebend ansieht. Am 
einfachsten wäre es vielleicht noch, wie ich in der generellen Morphologie (S. 300) 
vorgeschlagen habe, Axial-Organe und Lateral-Organe zu unterscheiden. Zu den 
Axial-Organen würden die Rumpftheile der Thiere und die Stengeltheile der 
Pflanzen gehören; zu den Lateral-Organen oder Appendicular-Organen die Ex- 
tremitäten der Thiere, die Blätter der Pflanzen. 

Wenn man die Antimeren und Metameren nicht als selbstständige Indivi- 
dualitäts-Ordnungen gelten lässt (wie es in der generellen Morphologie geschehen 
war), sondern sie als untergeordnete Formeinheiten betrachtet (wie wir es hier thun), 
so bleibt natürlich nichts weiter übrig, als sie ebenfalls der weiten Kategorie der 
Idorgane einzureihen. Es würden dann die Metameren in engerer Beziehung zu den 
Axial-Organen, die Antimeren dagegen zu den Lateral-Organen stehen. Ausserdem 
würde man aber als eine dritte Gruppe von Idorganen noch diejenigen untergeord- 
neten Plastiden-Complexe zu betrachten haben, welche weder den höheren Formwerth 
der Metameren, noch denjenigen der Antimeren besitzen. Diese letzteren würden 
dann vielleicht am besten durch die einfache Bezeichnung Idomeren unterschieden 
werden, und wir würden als drei verschiedene Kategorien der Alloplasten die Ido- 
meren, Antimeren und Metameren unterscheiden müssen. Im Ganzen würden wir 
demnach wiederum fünf Stufen von Idorganen erhalten, nämlich: 

I. Homoplasten oder Homoeorgane. 

1. Plastiden-Aggregate. 2. Plastiden-Fusionen. 

II. Alloplasten oder Alloeorgane. 

1. Idomeren. 2. Antimeren. 3. Metameren. 

Wenn wir nun von den so gewonnenen Gesichtspunkten aus die Individualität 
ERBEN werden init dem Begriffe der pathologischen Neubildungen, welche in der pathologischen Ana- 


tomie häufig als heteroplastische Producte bezeichnet werden, und ist daher besser durch den synonymen 


Ausdruck Alloplasten zu ersetzen. 


112 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


der Idorgane bei den Caleispongien beurtheilen, so ergeben sich mit Berücksichtigung 
der Ontogenese folgende Resultate, die zugleich für die meisten (wenn nicht alle) 
übrigen Spongien gelten. 

1) Der Organismus der Kalkschwämme bildet zunächst, nachdem er den mono- 
plastiden Zustand der Eizelle durch die Befruchtung der letzteren überwunden und 
sich durch die vollbrachte „Furchung‘“ des Eies von der ersten zur zweiten Indivi- 
dualitäts-Ordnung erhoben hat, die sogenannte „Maulbeer-Form“ oder ‚„Brombeer- 
Form“, welche wir ein für allemal als Morula bezeichnen wollen. Dieser kugelige, 
aus lauter gleichartigen amoeboiden Zellen zusammengesetzte Körper ist tectologisch 
als ein Homoplast, und zwar als ein Plastiden-Aggregat zu betrachten. 

2) Indem die amoeboiden Zellen an der Oberfläche der Morula sich in Geissel- 
zellen verwandeln und damit von den nicht flimmernden, im Inneren gelegenen Zellen 
differenziren, entsteht der erste Gegensatz zwischen den beiden Zellenschichten: Exo- 
derma und Entoderma, welche den beiden ursprünglichen Keimblättern der höheren 
Thiere entsprechen. Diese beiden primitiven Bildungshäute sind vom tectologischen 
Standpunkte aus ebenfalls als einfache Idorgane oder Homoplasten zu betrachten. 

3) Nachdem die so entstandene Flimmerlarve eine Zeit lang umhergeschwärmt 
ist, dann aber sich festgesetzt hat, geht sie in die Protascus-Form über. Die Zellen 
des Entoderm, welche die nunmehr gebildete Magenhöhle begrenzen, beginnen zu 
flimmern, während die Zellen des Exoderm umgekehrt ihre flimmernden Geisselhaare 
verlieren und dagegen mit einander untrennbar zur Bildung des Syneytium ver- 
schmelzen. Diese letzteren bilden also nunmehr eine Zell-Fusion (Plastiden-Fusion), 
während die ersteren ein Zell-Aggregat (Plastiden-Aggregat) bleiben. 

4) Indem späterhin bei eintretender Geschlechtsreife das Entoderm die Sexual- 
Zellen bildet, indem einzelne seiner Geisselzellen sich in Spermazellen, andere in 
Eier verwandeln, die meisten aber einfache Geisselzellen bleiben, erhält das Ento- 
derm, tectologisch betrachtet, den Formwerth eines zusammengesetzten Organes 
oder eines Alloplasten, und zwar der niedersten Stufe, des Idomeres. Das Exo- 
derm dagegen bleibt zeitlebens ein Homoplast, und zwar als Syncytium eine Zell- 
Fusion (Plastiden-Fusion). 

5) Differenzirung von Idorganen höherer Ordnung, von Axial-Organen und 
Lateral-Organen, von Metameren und Antimeren, kommt bei den Kalkschwämmen 
niemals vor. 

6) Als Organ-Systeme können bei den Kalkschwämmen nur zwei physio- 
logische Systeme in Betracht kommen, die zugleich morphologische Einheiten re- 
präsentiren, nämlich das Canal-System oder Gastrovascular-System, und das 
Skelet-System. Das Syneytium, welches in physiologischer Beziehung sowohl 
das Integument und die skeletbildende Schicht, als auch zugleich das Nerven- und 
Muskel-System vertritt, ist morphologisch als Organ-System nicht differenzirt. 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 113 


Individualität der Personen. 


Ausgehend von dem Vergleiche der Schwamm-Stöcke mit den nächstverwandten 
Hydroiden-Stöcken und mit den Corallen-Stöcken haben wir vorher bei den ersteren, 
wie bei den letzteren, die dem Stocke zunächst untergeordneten Form-Einheiten oder 
die Individuen dritter Hauptstufe als Personen bezeichnet. Dies sind die „eigent- 
lichen Individuen“ oder die „Einzelthiere“ nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch. 
Wir bezogen uns dabei zunächst auf die zuerst von O. Scumipr (18364) ausge- 
sprochene Auffassung der Spongien-Individualität, wonach die Zahl der Oscula, der 
grösseren Oeffnungen des Canalsystems, die Zahl der „Einzelthiere“ anzeigt. Das 
für den Begriff des Spongien -Individuums Bestimmende wäre demnach die einheit- 
liche Organisation und Abgrenzung des Canalsystems, welche sich in dem Besitze 
einer grösseren Ausströmungsöffnung, eines „Osculum‘“ ausspricht. 

Bei sehr vielen Schwämmen ist diese von O. Schuumr gegebene Definition wirk- 
lich ausreichend, und sie erscheint um so einfacher und sicherer, wenn man dabei 
die von uns behauptete Homologie der Personen bei den Corallen, Hydroiden und 
Spongien zugiebt. Die Oeffnung des Osculum ist dann die Mundöffnung, und die 
zunächst dazu gehörige grössere Höhlung des Canalsystems ist die Magenhöhle des 
Einzelthiers oder der „Person“. Nun stossen wir aber doch, sowohl bei den Kalk- 
schwämmen als bei den Kieselschwämmen, auf zahlreiche Fälle, in denen jene Be- 
griffsbestimmung der Person nicht anwendbar erscheint. Zunächst sind hier die 
schon vorher angeführten Schwammformen zu berücksichtigen, bei denen überhaupt 
eine Mundöffnung fehlt. Dieser Mangel des Osculum findet sich sowohl bei einzelnen 
Personen, als bei ganzen Personengruppen oder Stöcken. Mundlose Personen sind: 
unter den Asconen Olistolynthus, unter den Leuconen Lipostomella, unter den Sy- 
conen Sycocystis. Mundlose Cormen sind: bei den Asconen Auloplegma, bei den 
Leuconen Aphroceras, bei den Syconen Sycophyllum. Wahrscheinlich sind die 
meisten von diesen mundlosen Kalkschwämmen solche, bei denen die ursprünglich 
vorhandene Oefinung secundär zugewachsen ist (Lipostomie); seltener scheint der 
ursprüngliche Mangel des Osculum zu sein (Astomie). Ebenso fehlt das Osculum 
bei vielen Kiesel- und Horn-Schwämmen. Natürlich ist bei diesen mundlosen 
Schwämmen die Stufe ihrer Individualität überhaupt nach jenem Kriterium nicht zu 
bestimmen. 

Dasselbe gilt von jenen merkwürdigen, unter den Kalkschwämmen sehr zahl- 
reichen Formen, welche die Familien der Nardopsiden (unter den Asconen) und der 
Coenostomiden (unter den Leuconen) zusammensetzen. Hier sind mehrere Personen, 
die ursprünglich getrennt waren, und von denen jede ihre eigene Mundöffnung be- 
sass, nachträglich in der Weise zusammengewachsen, dass nur noch eine gemeinsame 
Oefinung, ein einziges Osculum für die ganze Gesellschaft übrig geblieben ist. Diese 


Haeckel, Kalkschwämme. I. fe) 


114 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


„coenostomen“ Spongien würde man jenem Kriterium Schmipr’s zufolge als einfache 
Personen betrachten müssen, während sie in Wahrheit doch Stöcke oder Cormen sind. 

Aus diesen Schwierigkeiten finden wir, wie ich glaube, dadurch den besten Aus- 
weg, dass wir als den, für die Individualität der Person bestimmenden Körpertheil 
nicht das Osculum oder die Mundöffnung, sondern die Magenhöhle (die „Kloake* 
der englischen Autoren) erklären. Diese ist zugleich dasjenige morphologisch und 
physiologisch wichtigste Organ, um welches sich alle übrigen Körpertheile, wie um 
ein Centralorgan, gruppiren. Noch grössere Bedeutung erlangt dieses Centralorgan 
durch die Ontogenese, indem es das erste, im Embryo auftretende Organ bildet. Ja, 
die einfachsten aller Kalkschwämme, die Olynthen, behalten zeitlebens die ursprüng- 
liche Bildung eines einfachen Magensackes bei. Bei allen höheren Thierstämmen 
tritt die Gastrula, welche wir nachher in der Ontogenie näher besprechen werden, 
als frühe Entwickelungsform auf, und diese Gastrula enthält bereits die primitive 
Magenhöhle. Diese Haupthöhle oder Magenhöhle bestimmt auch in allen Fällen die 
Hauptaxe oder Längsaxe der Person, und somit die Grundform derselben. 
Demnach werden wir jeden Schwamm oder jedes Schwammstück als eine Person 
betrachten, welches eine Haupthöhle oder Magenhöhle besitzt, und damit 
zugleich auch eine die ganze Körperform bestimmende Hauptaxe oder Längsaxe 
erkennen lässt. Der eine Pol dieser Längsaxe ist der Basalpol oder Aboral-Pol 
(Gegenmundpol). Mit diesem Ende sitzt die Person fest (wenn sie eine solitäre 
Person ist, auf fremden Körpern; wenn sie ein Theil eines Stockes ist, am Stocke 
selbst). Der andere Pol der Hauptaxe ist der Apicalpol oder Oral-Pol (Mundpol). 
Hier befindet sich bei denjenigen Personen, deren Osculum nicht ursprünglich fehlt 
oder nachträglich zugewachsen ist, die Mundöffnung, 

Als Stock oder Cormus werden wir anderseits jeden Schwamm oder jedes 
Schwammstück bezeichnen müssen, welches zwei oder mehrere Haupthöhlen 
oder Magenhöhlen enthält — gleichviel, ob jede von diesen ihre besondere Mund- 
öffnung besitzt, oder ob alle zusammen nur ein gemeinsames, oder überhaupt gar 
kein Osculum haben. Da jeder Magenhöhle eine constante, die Körperform bestim- 
mende Längsaxe entspricht, so werden wir auch an jedem Stocke zwei oder mehr 
verschiedene Hauptaxen, die Längsaxen der einzelnen Personen, zu unterscheiden 
haben. Auf diese Weise ist es bei den meisten Schwämmen leicht möglich, mit 
Sicherheit die Individuen dritter und vierter Hauptstufe, die Personen und die Stöcke, 
zu unterscheiden. 

Eine Ausnahme würden nur diejenigen Schwämme bilden, bei denen die ur- 
sprünglich (bei der Flimmerlarve) stets vorhandene Magenhöhle nachträglich durch 
Ausfüllung mit Parenchym obliterirt ist. Solche lipogastrische Spongien-Formen 
finden sich unter den Kalkschwämmen nur selten, und nur in der Familie der Leu- 
conen (z.B. bei Leucetta primigenia, Leucaltis solida, Leucandra Gossei etc.). 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 115 


Viel häufiger sind solche unter den Kieselschwämmen. Indessen wird man sich 
über die Individualität dieser lipogastrischen Schwämme immer leicht durch die Ver- 
gleichung mit den nächstverwandten Formen, die ihre Magenhöhle behalten haben, 
oder nach den bestimmenden Hauptaxen orientiren können. 

Weiterhin ist nun zunächst die Frage zu beantworten, zu welcher von den drei 
vorher genannten Stufen der dritten Individualitäts-Ordnung die Personen der 
Schwämme gehören? Giebt es bei den Spongien überhaupt Antimeren und Meta- 
meren, Kreuzaxen und Glieder, oder bleiben alle Schwammpersonen auf der ein- 
fachsten Stufe, derjenigen einer monaxonien inarticulaten Person stehen ? 

Fassen wir hierbei zunächst nur die Kalkschwämme in’s Auge, so wird es gut 
sein, die drei Hauptgruppen derselben, Asconen, Leuconen und Syconen, für sich ge- 
trennt zu betrachten. 

Bei den Asconen (Taf. 1—20), bei welchen der ganze Körper der Person ein 
dünnwandiger Schlauch, nur von veränderlichen Hautporen durchsetzt, ist, kann kein 
Zweifel darüber sein, dass in allen Fällen die Person einaxig und ungegliedert ist. 
Von Kreuzaxen, und also auch von Antimeren, ist nirgends eine Spur wahrzunehmen, 
und ebenso wenig von einer Gliederung der Längsaxe, welche auf Metameren-Bildung 
zu beziehen wäre. 

Dasselbe gilt auch von den Leuconen (Taf. 21—40). Zwar erreicht hier der 
schlauchförmige Körper der Person durch beträchtliche Verdickung der Schlauch- 
wand und Entwickelung eines Astwerks von verzweigten Canälen in derselben ent- 
schieden einen höheren Grad der Zusammensetzung. Allein diese Canäle verlaufen 
in allen Fällen so unregelmässig, dass weder eine transversale Gliederung, noch eine 
Andeutung von Kreuzaxen dadurch gegeben wird. Auch an anderen Kennzeichen 
in der Lagerung und Zusammensetzung der Körpertheile, welche auf Antimeren oder 
Metameren zu deuten wären, fehlt es völlig. Demnach sind alle Personen bei den 
Leuconen, ebenso wie bei den Asconen, unzweifelhaft als Personen der ersten Indi- 
vidualitäts-Stufe, als monaxonie inartieulate Personen aufzufassen. 

Anders scheinen sich die Kalkschwämme der dritten und höchst entwickelten 
Gruppe, die Syconen zu verhalten (Taf. 41 —60). Hier ist der schlauchförmige 
Körper der einzelnen Schwamm-Person in völlig regelmässiger Weise aus einer grossen 
Anzahl von gleich weiten, konischen oder cylindrischen Schläuchen dergestalt zu- 
sammengesetzt, dass die centrale Haupthöhle oder Magenhöhle allenthalben von einem 
Kranze von regulären Radial-Canälen umgeben zu sein scheint. Man könnte daher 
diese radialen Kalkschwämme ebenso gut „Strahlthiere“ nennen, wie die Corallen!). 


1) Die Bezeichnung ,„‚Strahlthiere oder Radiata‘“ hat überhaupt keine strenge wissenschaftliche Be- 
‘deutung, weil „strahlige Formen‘ durch die verschiedensten Ursachen entstanden sein und daher die ver- 
schiedenste morphologische Bedeutung haben können. Vergl. meine ‚‚Promorphologie‘‘ (im IV. Buche der 
Generellen Morphologie). 


g* 


116 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


Machen wir einen ganz dünnen Querschnitt durch irgend einen Sycon (z. B. 
Taf. 41, Fig. 2; Taf. 43, Fig. 3, 10; Taf. 60, Fig. 6—9), so finden wir den centralen 
Hohlraum (den kreisrunden oder elliptischen Querschnitt der Magenhöhle) ganz ebenso 
regelmässig von einem Kranze radialer, gleich grosser und dicht neben einander 
gestellter, gerader Canäle („Radial-Tuben“) umgeben, wie wir auf dem Querschnitt 
einer Corallen-Person den Magenraum von dem Kranze der radialen perigastrischen 
Fächer umgeben finden. Die radialen Wände der neben einander (in einer Trans- 
versal-Ebene) liegenden Radial-Tuben der Syconen scheinen den radialen „Septa‘“ der 
Corallen zu entsprechen. In beiden Fällen scheinen dadurch Kreuzaxen und somit 
Antimeren deutlich ausgesprochen zu werden. 

Machen wir anderseits einen ganz dünnen Längsschnitt durch eine Sycon- 
Person (z. B. Taf. 44, Fig. 1; Taf. 49, Fig. 1; Taf. 58, Fig. 1, 3), so finden wir den 
centralen Hohlraum (den cylindrischen oder spindelförmigen Längsschnitt der Magen- 
höhle) auf beiden Seiten von einer longitudinalen Reihe radialer, über einander 
gestellter, gerader Canäle (ebenfalls „Radial-Tuben“) in nicht weniger regelmässiger 
Form eingefasst. Es ist dasselbe Bild, welches uns der Längsschnitt vieler Corallen 
gewährt, bei denen die perigastrischen Fächer durch horizontale, über einander lie- 
gende Scheidewände (Dissepimenta und Tabulae) in zahlreiche, über einander liegende 
Kammern eingetheilt sind. Die horizontalen Wände der über einander (in einer 
radialen Meridian-Ebene) liegenden Radial-Tuben der Syconen könnten demnach den 
horizontalen oder transversalen Dissepimenten und Tafeln der Corallen zu entsprechen 
scheinen. In beiden Fällen scheint dadurch eine transversale Gliederung des Kör- 
pers in der Längsaxe deutlich ausgesprochen zu werden. 

Wenn man in dieser Weise horizontale Querschnitte und verticale Längsschnitte 
der gegliederten Corallen und der ihnen entsprechenden Syconen mit einander ver- 
gleicht, könnte man zu der Ansicht gelangen, dass bei diesen Kalkschwämmen, ebenso 
gut wie bei jenen Corallen, der Körper der Person aus Antimeren und Metameren 
zusammengesetzt sei, und dass derselbe demnach den morphologischen Werth einer 
Person dritter Stufe, einer stauraxonien articulaten Person besitze. Die Syconen 
würden dann, gleich den tabulaten Corallen, den höchsten Grad individueller Zu- 
sammensetzung erreichen, den überhaupt das Individuum dritter Hauptstufe zu er- 
reichen vermag. 

So verlockend diese Vergleichung der „radialen“ Syconen mit den tabulaten 
Corallen anfänglich erscheinen mag, so lässt sie sich dennoch nicht näher begründen. 
Vielmehr zeigt die Entwickelungsgeschichte, dass die radialen Tuben der Syconen 
und die radialen perigastrischen Fächer der Corallen überhaupt gänzlich verschie- 
dene Gebilde sind. Es geht aus der Ontogenie der Syconen unzweifelhaft hervor, 
dass jede einzelne Sycon-Person eigentlich ein Stock von vielen Ascon-Personen ist, 
welche durch sehr regelmässige strobiloide Gemmation auf der Oberfläche einer 


1. Individualitäts- Lehre oder Teetologie. %17 


einzigen ursprünglichen Ascon-Person entstanden und gewöhnlich mehr oder weniger 
(oft gänzlich) mit einander verwachsen sind. Den ausführlichen Beweis dafür wird 
nachher die Ontogenie liefern. Wirkliche Antimeren und Metameren giebt es also 
bei den Syconen nicht, so wenig als bei den Leuconen und Asconen !). 

Die Individualität der Syconen unterscheidet sich aber, wie aus eben dieser 
Ontogenie hervorgeht, dennoch wesentlich von derjenigen der Leuconen und Asconen. 
Allerdings erscheinen diejenigen Personen der Syconen, deren Radial-Tuben grössten- 
theils oder gänzlich mit ihren Rändern oder Flächen verwachsen sind, als einfache 
Schläuche oder Persogen mit einer Magenhöhle, deren Wände nur von radialen Ca- 
nälen durchzogen sind (Taf. 44, Fig. 1; Taf. 49, Fig. 1; Taf. 58, Fig. 1, 3). Diese 
radialen Canäle (Tuben) scheinen bloss den Formwerth von Organen zu haben, und 
das Ganze bildet eine einzige Person. Allein bei denjenigen Personen der Syconen, 
deren Radial-Tuben frei bleiben und nicht verwachsen, ist es sofort klar, dass jede 
Tubus eigentlich ein Olynthus, also eine einzelne Ascon-Person, und das Ganze ein 
strobiloider Stock ist. Dessenungeachtet verhält sich dieser Stock in anderer Be- 
ziehung wieder wie eine Person. Sein Osculum bleibt dieselbe Mundöffnung, welche 
er ursprünglich in seiner ersten Jugend schon als einfacher Olynthus, also als wirk- 
liche Ascon-Person besass. Es wird daher (besonders für die Systematik) vortheil- 
hafter sein, denselben als modifieirte oder zusammengesetzte Person zu bezeichnen, 
und die Person der Syconen überhaupt als strobiloide Person von der ein- 
fachen, schlauchförmigen oder doroiden Person der Leuconen und Asconen zu 
unterscheiden ?). 

Wenn also nunmehr festgestellt ist, dass wirkliche Antimeren und Metameren 
bei den Kalkschwämmen überhaupt nicht vorkommen, so bleibt noch mit wenigen 


1) In meinem Aufsatze „über den Organismus der Schwämme und ihre Verwandtschaft mit den Co- 
rallen“ hatte ich (1869) unter dem Namen Cyathiscus actinia einen Kalkschwamm aufgeführt (52. Species 
des Prodromus), bei welchem ich ein System von radialen perigastrischen Fächern, und demgemäss auch 
ein radiales System von wirklichen Antimeren, wie bei jeder entwickelten Corallen-Person, aufzufinden 
geglaubt hatte. Indessen habe ich nachträglich mich überzeugt, dass ich durch ein einzelnes, halb zer- 
störtes Exemplar der Dyssyeus-Form von Leucandra aleicornis irre geführt worden war. Die nach der 
Untersuchung dieses einen Exemplares angenommenen perigastrischen Fächer und Septa existiren bei 
diesem Kalkschwamme so wenig als bei anderen. Vergl. die Beschreibung von Leucandra alcicornis 
(62. Species) im zweiten Bande (System, p. 187). Ich bedaure diesen Irrthum um so mehr, als er mich 
zu einer falschen Vorstellung von der Bedeutung der Radial-Tuben überhaupt verführte. 

2) Die strobiloide Person der Syeonen verhält sich zu dem Cormus der Asconen demnach ähnlich, 
wie unter den Echinodermen die Person eines Echiniden oder einer Holothurie zu dem Cormus eines 
Asteriden. Bei dem fünfstrahligen Asteriden hat eigentlich jedes der fünf Antimeren den Werth einer 
Person (eines gegliederten Wurmes) und der ganze Seestern ist also eigentlich ein Stock; bei den Echi- 
niden aber ist dieser Stock durch die völlige Verwachsung der fünf Personen so centralisirt, dass er als 
eine einfache Person erscheint. Vergl. für diese Auffassung meine Echinodermen-Theorie im II. Bande 


der Generellen Morphologie (p. LXII), 


118 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


Worten die Frage zu erörtern, wie sich die übrigen Schwämme in dieser Beziehung 
verhalten. Scheinbar findet sich deutliche Ausbildung von Kreuzaxen und dem ent- 
sprechend auch von Antimeren bei verschiedenen Kieselschwämmen. Eines der auf- 
fallendsten Beispiele ist die adriatische Axinella polypoides, welcher ihr Entdecker 
selbst, 0. Schmipr, wegen der auffallenden Aehnlichkeit der Personen mit acht- 
zähligen Corallen-Polypen ihren specifischen Namen gegeben hat (Adriat. Spongien, 
p. 62, Taf. VI, Fig. 4). Derselbe sagt darüber: „Sehr bemerkbar, namentlich an 
trockenen Exemplaren, ist die Gruppirung der Ausströmungslöcher; sie finden sich 
nämlich in sternförmiger Anordnung gruppenweise in flachen Vertiefungen, indem 
gemeiniglich um ein mittleres Loch die anderen im Kreise umherliegen, wodurch die 
Oberfläche das Aussehen eines zusammengesetzten Polypen-Stockes mit weitläufig 
zerstreuten Individuen bekommt.“ Die Abbildung, welche O. Schmivr (l. e.) von 
diesem Schwamme giebt, gleicht in der That mehr einer Coralle, als einer Spongie. 
Bei allen Personen des Stockes sind in dieser Figur (4) ganz regelmässig acht ra- 
diale Septa und acht dazwischen liegende Fächer angegeben, so dass man die Figur, 
objeetiv- betrachtet, unbedingt für die Abbildung einer achtzähligen Aleyonarie, etwa 
einer Veretillum-artigen Coralle, halten würde. Das „mittlere Loch“ könnte man als 
Magen deuten, und die acht radialen Löcher, „die im Kreise umherliegen“, den acht 
perigastrischen Fächern der Octocorallen gleich stellen. Ebenso stimmt die Abbil- 
dung, welche O. Scummpr von einem Oscular-Raume der Oscxlina polystomella giebt, 
so auffallend mit der Oral-Ansicht oder dem Querschnitt einer achtzähligen Corallen- 
Person überein, dass man diese Figur ohne Weiteres dafür ausgeben könnte (Spongien 
von Algier, p. 3, Taf. I, Fig. 4). Auch hier ist die grössere Centralhöhle (Magen), 
welche in der Längsaxe der Person liegt, ganz regelmässig von acht radialen Fächern 
(„perigastrischen Canälen“) rings umgeben, genau wie bei einer Aleyonarie. Ich habe 
daher auch früher diese Bildungen der Antimeren den Corallen verglichen (1369, 
l. c. p. 230), wie es zuvor schon von MixLucHo geschehen war (1868, 1. c. p. 236). 
Die Vergleichung war um so verführerischer, als viele fossile Schwämme (z. B. Coe- 
loptychium lobatum, Siphonia costata) durch ihre ausgezeichnet regelmässige radiale 
Structur dieselbe sehr zu begünstigen schienen. Indessen muss ich gestehen, dass 
ich jetzt gegen diese Auffassung sehr misstrauisch geworden bin, zumal die Bedeu- 
tung der strahligen Figuren bei den genannten Kieselschwämmen noch sehr unklar 
ist; um diese richtig zu verstehen und morphologisch zu würdigen, sind neue, 
sorgfältige Untersuchungen, besonders über ihre Entwickelungsgeschichte, unentbehr- 
lich. Bis auf Weiteres halte ich also die Personen aller Schwämme, sowohl 
der Kalkschwämme als der übrigen Spongien, für monaxonie inarticulate Per- 
sonen, bei denen weder wirkliche Antimeren, noch wirkliche Metameren zur Aus- 
bildung kommen. 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 119 


Individualität der Cormen. 


Nach der so eben bereits bei den Personen gegebenen Erörterung müssen wir 
jeden Schwamm oder jedes Schwammstück als einen Stock oder Cormus auffassen, 
welches zwei oder mehrere Haupthöhlen oder Magenhöhlen enthält, und demgemäss 
auch zwei oder mehrere verschiedene Hauptaxen erkennen lässt. Es werden daher 
zunächst alle verzweigten Schwammkörper als Stöcke zu betrachten sein, aus so viel 
Personen zusammengesetzt, als sich daran Zweige (oder Längsaxen) unterscheiden 
lassen. Ausserdem werden aber auch jene nicht verzweigten, äusserlich scheinbar 
einfachen, klumpigen Spongien zu den Cormen gerechnet werden müssen, bei denen 
im Inneren zwei oder mehrere distincte Haupthöhlen, die unzweifelhaft den Magen- 
höhlen isolirter Personen gleichwerthig sind, unterschieden werden können. 

Die früher von O. Schmipr versuchte Begriffsbestimmung des Schwammstockes, 
wonach die Mehrzahl der Oscula der bestimmende Character des Stockes ist (wäh- 
rend Schwämme mit einem Osculum stets nur als Einzelthiere oder Personen auf- 
zufassen seien), ist aus den schon angeführten Gründen nicht stichhaltig. Denn 
ebenso wie die einzelnen Spongien-Personen ihre Mundöffnungen durch Verwachsung 
verlieren können, so ist es auch sehr häufig bei den zu Stöcken vereinigten Personen 
der Fall. Gerade bei den Kalkschwämmen finden sich sowohl mundlose Personen 
(Cystograntiae), als mundlose Stöcke (Cophograntiae) keineswegs selten. Noch 
wichtiger und interessanter aber sind in dieser Beziehung die schon erwähnten 
coenostomen Caleispongien (Coenograntiae), einmündige Stöcke, bei denen nur eine 
gemeinsame Mundöffnung für alle verschiedenen Personen des Stockes existirt. Wollte 
man diese Schwämme bloss nach ihrer einfachen Mundöffnung beurtheilen, so würde 
man sie für einfache Personen halten müssen, während sie in der That doch vielfach 
zusammengesetzte Cormen sind. Ebenso entspricht auch bei den gruppenmündigen 
Kalkschwämmen (Tarrograntiae) die Zahl der Oscula keineswegs der Zahl der 
Personen; vielmehr ist die erstere geringer. 

Immerhin bleibt die Zahl und Bildung der Mundöffnungen für die morpholo- 
gische Differenzirung der Spongien von solcher Wichtigkeit, dass das künstliche Sy- 
stem der Kalkschwämme dieselbe in erster Linie für ihre Classification benutzen 
muss, und demnach unter den solitären Caleispongien Dorograntiae und Cystograntiae, 
unter den socialen Kalkschwämmen aber nicht weniger als fünf Abtheilungen: Cormo- 
grantiae, Coenograntiae, Tarrograntiae, Cophograntiae und Metrograntiae als beson- 
dere Ordnungen unterscheidet. 

Die Stöcke der Kalkschwämme entstehen meistens durch Knospenbildung, seltener 
durch unvollständige Theilung (und zwar Längstheilung) von Personen. Häufig ent- 
stehen aber Stöcke auch dadurch, dass mehrere benachbarte, ursprünglich getrennte 
und selbstständige Personen in Folge stattgehabter Berührung mit einander ver- 


120 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


wachsen. In dieser Hinsicht kann man primäre und secundäre Stöcke unterscheiden. 
Primäre oder einwurzelige Stöcke (Cormi monoblasti) nennen wir solche 
Stöcke, welche durch einmalige oder wiederholte Spaltung (meistens Knospenbildung, 
seltener Theilung) aus einer ursprünglichen Person (also auch aus einem einzigen 
Ei) hervorgegangen sind. Secundäre oder mehrwurzelige Stöcke (Cormi 
polyblasti) nennen wir dagegen diejenigen Stöcke, welche durch secundäre Ver- 
wachsung und Verschmelzung (Concrescenz) aus zwei oder mehreren, ursprünglich 
ganz getrennten Personen (also auch aus zwei oder mehreren Eiern) hervorgegangen 
sind. Ebenso wie Personen können auch Stöcke, die ursprünglich getrennt waren, 
nachträglich mit einander durch Concrescenz verschmelzen. 

Die Zahl der Personen, aus denen sich die Stöcke der Kalkschwämme zu- 
sammensetzen, ist sehr wechselnd. Doch kann im Allgemeinen gesagt werden, dass 
die verhältnissmässig grossen Stöcke der Leuconen und Syconen aus einer geringen 
Anzahl von grossen Personen, die kleinen Stöcke der Asconen dagegen aus einer 
grossen Anzahl von kleinen Personen zusammengesetzt sind. Ueberhaupt ist die 
Neigung zur Stockbildung am grössten bei den kleinen und einfach gebauten Asco- 
nen, geringer bei den unregelmässig gebauten Leuconen, und noch viel geringer bei 
den Syconen. Die letzteren kommen im Ganzen selten zur Stockbildung. Die Zahl 
der Personen, welche die Syconen-Stöcke bilden, beträgt meistens nur 2—4, seltener 
5—10, sehr selten 20—30 Personen und darüber. Bei den Leuconen ist diese Zahl 
je nach den Arten sehr verschieden. Bei manchen Species ist der Cormus stets nur 
aus wenigen (2—4), bei anderen aus 15—20 Personen zusammengesetzt. Bei we- 
nigen Species beträgt ihre Zahl 30—50 oder selbst einige Hundert. Bei den Asconen 
dagegen ist umgekehrt die Zahl der Personen, welche die Stöcke bilden, gewöhn- 
lich ansehnlich, und oft sehr bedeutend. Cormen, welche aus mehreren hundert 
oder selbst mehreren tausend Personen bestehen, sind hier nicht selten; und 
meistens finden sich wenigstens mehrere Dutzend Personen auf einem Stock ver- 
einigt vor. 

Die Grösse der Stöcke ist natürlich immer bedingt durch die Grösse und 
Zahl der Personen, aus denen sie zusammengesetzt sind. Doch erreichen die Stöcke 
der Kalkschwämme durchschnittlich eine viel geringere Grösse, als die Cormen der 
Horn- und Kiesel-Schwämme. Selten übersteigt der Durchmesser der Stöcke bei 
den Syconen 50, bei den Leuconen 100 und bei den Asconen 200 Mm. 

Die äussere Form der Stöcke ist bei den Kalkschwämmen, wie überhaupt bei 
den Schwämmen und Corallen, sehr mannichfaltig. Es lassen sich vielleicht folgende 
Hauptformen unterscheiden: 

A. bezüglich der Verwachsung, resp. Anastomosenbildung der Personen: 
a. Buschförmige Stöcke (Cormi fruticosi) ohne Anastomosen. 
b. Netzförmige Stöcke (Cormi reticulares) mit Anastomosen, 


1. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 121 


B. bezüglich der Entwickelung der Aeste in einer oder in mehreren Ebenen: 
a. Blattförmige Stöcke (Cormi lamellares), alle Aeste in einer Fläche. 
b. Massige Stöcke (Corni massivi). Aeste in verschiedenen Flächen. 

C. bezüglich der freien oder aufliegenden Haltung: 
a. Aufrechte Stöcke (Cormi erecti). 
b. Kriechende Stöcke (Cormi repentes). 


Physiologische Individualität der Spongien. 


Alle vier Hauptstufen oder Ordnungen der morphologischen Individualität, welche 
wir im Vorhergehenden unterschieden haben, können bei den Spongien das materielle 
Substrat der physiologischen Individualität, der einheitlichen Lebenserscheinung des 
Organismus, bilden. Die beiden ersten von diesen Hauptstufen, die Plastide und 
das Idorgan, treten bloss vorübergehend als virtuelle Bionten auf, während 
die beiden andern Hauptstufen, die Person und der Cormus, die actuellen 
Bionten der Spongien repräsentiren. Als partielle Bionten können hier sowohl 
die beiden ersten Hauptstufen, als auch beliebige, von dem Gesammt-Organismus 
abgelöste Fragmente auftreten. 


Die Spongien als actuelle Bionten. 


Als actuelles Bion habe ich in der generellen Morphologie jeden vollständig 
entwickelten Organismus bezeichnet, „welcher den höchsten Grad morphologischer 
Individualität erreicht hat, der ihm als reifen, ausgewachsenen Repräsentanten der 
Species zukommt“ (l. c. p. 334). Hiernach würde bei den Kalkschwämmen, wie bei 
den übrigen Schwämmen, das actuelle physiologische Individuum bald als Person, 
bald als Stock auftreten, je nachdem es bei Eintritt der Geschlechtsreife entweder 
bloss die dritte oder die vierte Hauptstufe der morphologischen Individualität er- 
reicht hat. Wenn dieser Unterschied ein constanter wäre, d.h. innerhalb der ein- 
zelnen Species sich gleichmässig durch die Reihe der Generationen vererbte, so 
würde man ihn auch systematisch verwerthen können. Wir könnten dann als zwei 
Hauptgruppen der Schwämme unterscheiden: 1) Monograntiae (Caleispongiae 
solitariae). Kalkschwämme, deren actuelle Bionten Personen sind, und 2) Poly- 
grantiae (Caleispongiae sociales), Kalkschwämme, deren actuelle Bionten Cormen 
sind. Diese von ©. Scnmivr vorgeschlagene und von anderen Autoren acceptirte 
Eintheilungsweise der Schwämme habe ich in dem künstlichen Systeme der Kalk- 
schwämme (in der zweiten Abtheilung des zweiten Bandes) consequent angewendet. 
Sie lässt sich aber nicht ohne ganz willkührlichen Zwang durchführen und zeigt eben 
dadurch, dass jenes System ein künstliches ist. 


122 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


Dieser Umstand beruht auf zwei eigenthümlichen Verhältnissen; erstens darauf, 
dass von zwei sehr nahe verwandten Species die eine stets nur als Person, die andere 
stets nur als Stock geschlechtsreif wird; und zweitens darauf, dass es viele Species 
giebt, welche eben sowohl als Person, wie als Stock bis zur völligen Reife gedeihen, 
und Eier und Sperma erzeugen. Diese letzteren sind bald als Person, bald als Stock 
sich fortzupflanzen im Stande. 

Zur Erläuterung dieser wichtigen tectologischen Verhältnisse ist es zweckmässig, 
an die Analogien zu erinnern, welche wir für dieselben im Pflanzenreiche weit ver- 
breitet vorfinden. Viele Arten von Phanerogamen bleiben unter gewissen Umständen 
(z. B. auf dürrem, trockenem Boden) einblüthig (also einfache Personen), während 
sie unter anderen Umständen (z. B. auf fettem, üppigem Boden) sich verzweigen 
und Stöcke mit vielen Blüthen bilden. Es hängt hier bloss vom Standort, von der 
Quantität und Qualität der Nahrung ab, ob das actuelle Individuum nur die dritte 
oder die vierte Hauptstufe der organischen Individualität erreichen kann. Die An- 
passung überwiegt hier die Vererbung. Ebenso verhalten sich viele Kalkschwämme, 
jedoch in sehr verschiedenem Grade. Unter den Asconen, bei welchen die grosse 
Mehrzahl aller actuellen Bionten Stöcke bildet, giebt es einzelne Arten, welche, trotz- 
dem sie gewöhnlich Stöcke bilden, doch auch häufig als Personen geschlechtsreif 
werden. Viel seltener ist hier der Fall, dass eine Species ausnahmsweise Stöcke 
bildet, und gewöhnlich nur Personen. Gerade umgekehrt verhalten sich die Syco- 
nen, bei welchen die grosse Mehrzahl aller actuellen Bionten nur Personen bildet. 
Hier giebt es einzelne Arten, bei welchen trotz der vorherrschenden Personenbildung 
doch häufig auch Stöcke gebildet werden. Viel seltener ist hier der Fall, dass eine 
Species ausnahmsweise nur Personen und gewöhnlich Stöcke bildet. Die Leuconen 
verhalten sich in dieser Beziehung verschieden, indem ein Theil sich mehr den Asconen 
anschliesst; ein anderer Theil dagegen mehr den Syconen. 

Diesen Kalkschwämmen, bei denen die Vererbung der Individualitätsstufe in 
jeder Generation wieder durch die Anpassung modificirt werden kann, steht gegen- 
über die andere Reihe, bei denen die Vererbung der Individualitätsstufe innerhalb 
der Species ganz constant ist und keiner Anpassung mehr unterliegt. Bei dieser 
Reihe ist es möglich, scharf zwischen solitären und socialen Species zu unterscheiden. 
Constant solitäre oder monozoe Caleispongien, welche niemals Stöcke bilden, 
sind unter den Asconen sehr selten, unter den Leuconen häufiger, und unter den Sy- 
conen vorherrschend. Diese sind den solitären Corallen (Actinien und Fungien) und 
den constant einblüthigen Phanerogamen zu vergleichen. Gerade umgekehrt ver- 
halten sich die constant socialen oder polyzoen Caleispongien, welche niemals 
auf der ursprünglichen Stufe der Person stehen bleiben, sondern stets Stöcke bilden. 
Solche sind unter den Asconen vorherrschend, unter den Leuconen seltener, und 
unter den Syconen sehr selten. Diese constant socialen Kalkschwämme sind der 


l. Individualitäts-Lehre oder Tectologie. 123 


Mehrzahl der Corallen (z. B. Astraeiden und Gorgoniden) und den constant viel- 
blüthigen Phanerogamen zu vergleichen. 

Auf jeden Fall ist dieses Verhältniss bei den Kalkschwämmen in ganz ausser- 
ordentlichem Masse schwankend, in einem Masse, wie es vielleicht bei keiner anderen 
Organismen-Gruppe gefunden werden dürfte. Es scheint oft von ganz zufälligen 
und untergeordneten Umständen abzuhängen, ob die Species auf der dritten Haupt- 
stufe der Individualität stehen bleibt und als Person sich fortpflanzt, oder ob sie 
sich weiter noch zur vierten Stufe erhebt und einen Stock bildet. Dazu kommt nun 
noch der Umstand, dass viele Species im Stande sind, sich auf beiden Stufen der 
Individualität, sowohl als Stöcke, wie als Personen fortzupflanzen, während andere 
nur als Stöcke, andere nur als Personen dazu befähigt sind. Auf dieses merkwürdige 
physiologische Verhältniss werde ich später noch zurückkommen. Wie sich die 
übrigen Spongien in dieser Beziehung verhalten, ist noch nicht untersucht. Im 
Ganzen scheint die Individualitäts-Bildung bei diesen weniger Mannichfaltigkeit dar- 
zubieten als bei den Kalkschwämmen. Die meisten Hornschwämme und Kiesel- 
schwämme scheinen constant Stöcke zu bilden. Arten, welche constant nur Personen 
bilden, scheinen hier viel seltener zu sein (Euplectella, Lanuginella, Tetilla). 


Die Spongien als virtuelle Bionten. 


So lange der Organismus noch nicht den höchsten Grad morphologischer Indi- 
vidualität erreicht hat, welcher ihm als reifen, ausgewachsenen Repräsentanten der 
Species zukömmt, und zu welchem er sich entwickeln kann, bezeichnen wir denselben 
als „potentielles physiologisches Individuum“ oder als virtuelles Bion (Gen. Morph. 
I, p. 334). Bei allen Kalkschwämmen, wie bei allen übrigen Spongien, finden wir 
im Laufe der individuellen Entwickelung mindestens zwei solche Stufen der poten- 
tiellen physiologischen Individualität vor, nämlich erstens die Eizelle und zweitens 
die Morula. 

Der Kalkschwamm als virtuelles Bion erster Stufe wird durch die Ei- 
zelle repräsentirt, eine einfache, nackte, kernhaltige Zelle, welche nach Art der 
gewöhnlichen Amoeben ihre Form zu verändern im Stande ist, indem sie formver- 
änderliche Fortsätze ausstreckt und wieder einzieht. Sie kann sich in dieser Weise 
kriechend umherbewegen und gelangt bei vielen Kalkschwämmen durch diese Be- 
wegungen aus dem Canalsystem heraus, um sich dann ausserhalb des Schwammkör- 
pers weiter zu entwickeln. Die physiologische Individualität der Eizelle äussert sich 
hierbei in so auffälliger Weise, dass man sie geradezu mit einer selbstständigen 
Amoebe verwechseln könnte. Wahrscheinlich sind viele von den „parasitischen 
Amoeben“, welche verschiedene Autoren in Spongien gefunden haben wollen, nichts 
weiter als solche frei umherkriechende Eizellen gewesen. 


124 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


Aus der Eizelle als individueller Plastide entwickelt sich nach stattgehabter 
Befruchtung das virtuelle Bion der zweiten Stufe, das Idorgan. Dieses 
erscheint zunächst in Form der Morula. So nenne ich den kugeligen Haufen von 
gleichartigen, nackten, amoeboiden Zellen, welcher durch die reguläre Furchung, 
durch die wiederholte Theilung der befruchteten Eizelle bei allen Caleispongien ent- 
steht. Der ganze Organismus des jungen Kalkschwammes ist in diesem Zustande 
weiter Nichts, als ein kugeliger oder subsphärischer Haufe von gleichartigen, noch 
nicht differenzirten Zellen, die einzeln für sich genommen von Amoeben nicht ver- 
schieden sind. Man kann denselben daher auch als eine Amoeben-Gemeinde auf- 
fassen, und wenn man diese Auffassung phylogenetisch verwerthet, der uralten 
Stammform der Synamoeba an die Seite stellen. 

Bei weiterer Entwickelung der Morula entsteht im Inneren dieses Zellenhaufens 
eine kleine Höhle, die Anlage der Magenhöhle, und indem diese an einer Stelle 
durchbricht, die Mundöffnung. Damit ist die Längsaxe des jungen Schwamm- 
körpers bestimmt und derselbe tritt von der zweiten zur dritten Individualitäts- 
Ordnung hinüber. Aus dem Idorgan wird eine Person. 

Bei denjenigen Spongien-Arten, welche constant solitär bleiben, ist diese Person 
zugleich das actuelle Bion. Bei denjenigen Spongien-Arten hingegen, welche con- 
stant social sind, d. h. immer nur als Stöcke geschlechtsreif werden, ist diese Person 
erst das virtuelle Bion dritter Stufe; und erst wenn sich aus dieser Person 
(durch Theilung oder Knospenbildung oder Verwachsung) ein Cormus entwickelt, 
wird durch diesen Stock das actuelle Bion repräsentirt. 


Die Spongien als partielle Bionten. 


Als partielles Bion oder als scheinbares physiologisches Individuum kann 
bei den Kalkschwämmen, wie bei den meisten anderen Schwämmen, jede einzelne, 
von dem virtuellen oder actuellen Bion abgelöste Plastide oder jeder beliebige Pla- 
stiden-Complex figuriren (Gen. Morph. I, p. 335). Denn die physiologische Selbst- 
ständigkeit der Elementartheile oder der Individuen erster Ordnung bleibt bei den 
Kalkschwämmen — wie überhaupt bei den Schwämmen — zeitlebens so gross, dass 
sie, vom ganzen Organismus abgelösst, scheinbar selbstständige Lebenseinheiten dar- 
stellen, und noch längere Zeit hindurch auf eigene Hand Bewegungen ausführen. 

Dies gilt sowohl von den Plastiden des Entoderm als des Exoderm. Die Geissel- 
zellen des Entoderm setzen isolirt die schwingenden Bewegungen ihrer Geissel fort 
und schwimmen dadurch ebenso wie selbstständige Flagellaten (Euglena, Sal- 
pingoeca etc.) umher. Sie imponiren in dieser Form dergestalt, dass JAMES-OLARK 
darauf seine oben mitgetheilte Theorie gründete, die Kalkschwämme seien weiter 
Nichts als Flagellaten-Colonien. Wenn dieselben nachher zu Boden fallen und sich 


2. Grundformen-Lehre oder Promorphologie. 125 


in amoeboide Zellen verwandeln, können sie wirklich für Amoeben gehalten werden. 
Ebenso können aber auch einzelne Stücke der Sarcodine des Exoderm, welche man 
durch Zerzupfen des Syneytium isolirt hat, sich nach Art von Amoeben, durch Aus- 
strecken und Einziehen formwechselnder Fortsätze, activ umher bewegen. Man be- 
obachtet dies sowohl an ganz kleinen, kernlosen Stückchen der Sarcodine, als an 
grösseren Stücken, welche einen oder mehrere Kerne enthalten. Wahrscheinlich sind 
übrigens diese partiellen Bionten theilweise noch fähig, sich weiter zu vielzelligen 
Schwammkörpern zu entwickeln, und würden dann, gleich den Eizellen, als virtuelle 
Bionten zu betrachten sein. 


2. Grundformen-Lehre oder Promorphologie. 


l. Grundformen der Plastiden. 


Im Gegensatz zu der grossen Mannichfaltigkeit interessanter Erscheinungen, 
welche uns die Individualitäts-Lehre der Kalkschwämme, wie der Spongien überhaupt, 
darbietet, ist ihre Grundformen-Lehre oder Promorphologie äusserst einfach und von 
geringer Bedeutung. Die Spongien bilden in dieser Beziehung einen auffallenden 
Gegensatz zu den nächstverwandten Nesselthieren oder Acalephen, den Hydrome- 
dusen, Ctenophoren, Corallen etc., bei welchen fast allgemein sehr characteristische 
geometrische Grundformen in grosser Mannichfaltigkeit nachweisbar sind. Dies hängt 
namentlich damit zusammen, dass sich bei den Spongien nicht, wie bei den meisten 
Acalephen, Antimeren und damit Kreuzaxen entwickeln, deren verschiedene 
Zahl und Differenzirung die Ursache mannichfach verschiedener Grundformen ist. 
Der Mangel der Tentakeln und der damit zusammenhängenden Bildungen, durch 
welche sich die Spongien von den meisten Acalephen unterscheiden, ist hierfür offenbar 
von grosser Bedeutung. 

Die einzigen Theile des Spongien-Körpers, welche eine grössere Anzahl von be- 
stimmten und sehr characteristischen geometrischen Grundformen zeigen, sind die 
Kalk-Spicula der Kalkschwämme, die Kieselnadeln der Kieselschwämme. Alle übrigen 
Theile zeigen nur höchst einfache promorphologische Verhältnisse, und zwar ist bei 
allen vier Individualitäts-Stufen: bei den Plastiden, Idorganen, Personen und Cormen 
diejenige Grundform vorherrschend, welche ich in der generellen Promorphologie (p. 426) 
als ungleichpolige Einaxige (Mona.wonia diplopola) bezeichnet habe. Sehr 
häufig geht dieselbe in die irreguläre oder axenlose Grundform (Anaxonia) über. 
Indem ich mich bezüglich aller einzelnen Verhältnisse, welche überhaupt bei der Pro- 
morphologie in Betracht zu ziehen sind, und bezüglich der hier angewendeten Ter- 
minologie auf die sehr ausführliche Erörterung und auf das System der Grund- 


126 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


formen beziehe, welches ich in meiner generellen Morphologie entwickelt habe, gehe 
ich sogleich zu den Grundformen der Plastiden bei den Kalkschwämmen über 
und lasse auf diese die Grundformen der drei höheren Individualitäten folgen !). 

Die Plastiden der Kalkschwämme und der Spongien überhaupt können bei deren 
promorphologischer Betrachtung nur insofern in Betracht kommen, als sie ihre ur- 
sprüngliche Individualität bewahrt und nicht durch Concrescenz zu einer morpho- 
logischen Einheit höherer Ordnung sich verbunden haben. Letzteres ist aber bei 
sämmtlichen Plastiden des Exoderm der Fall, welche mit einander zum Syneytium 
verschmolzen sind. Es können daher im Exoderm nur die einzelnen Spieula, als 
innere Plasma-Producte des Syneytium, Gegenstand promorphologischer Untersuchung 
werden. Zunächst aber ist letztere eigentlich nur bei den selbstständig bleibenden, 
isolirten Zellen des Entoderm anzuwenden. 

Die Zellen des Entoderm, sowohl die nutritiven Geisselzellen, als die 
sexuellen Spermazellen und Eizellen, verhalten sich in promorphologischer Beziehung 
sehr einfach. Die nutritiven Geisselzellen erscheinen in ihrer natürlichen Lage- 
rung, als Elemente des Entoderm-Epitheliums, entweder länglich-rund (kegelförmig, 
spindelförmig, eylindrisch) oder durch gegenseitigen Druck an den Seiten polyedrisch- 
abgeplattet. Da die Längsaxe der Geisselzelle stets wegen der vortretenden Geissel 
und des Kragens an deren Basis ungleichpolig ist, so gehört die stereometrische 
Grundform stets zur Hauptgruppe der diplopolen oder der heteropolen Prot- 
axonien (Generelle Promorphologie, p. 416, 558). Die Grundform der länglich- 
runden Geisselzellen (ohne seitliche Abplattung und daher ohne Kreuzaxen) ist die 
ungleichpolige Einaxige (Mona.conia diplopola; Gener. Promorph. p. 426). Die 
Grundform der polyedrisch-abgeplatteten Geisselzellen (mit seitlichen Facetten und 
daher auch Kreuzaxen) ist die ungleichpolige Kreuzaxige (Stauraxonia hetero- 
pola; Gener. Promorph. p. 452). Wenn die Geisselzellen isolirt werden, verlieren 
sie ihre ursprüngliche Grundform, ziehen die Geissel ein, verwandeln sich in form- 
wechselnde amoeboide Zellen und sind dann als Axenlose (Anaxonia) zu bezeichnen 
(Gener. Promorph. p. 400). 

Die Eizellen treten gewöhnlich in axenloser Form auf (Anaxonia), als 
amoeboide Zellen mit formwechselnden Fortsätzen, ohne jede bestimmte Axe. Nicht 
selten aber nehmen sie auch die absolut reguläre, gleichaxige Form der Kugel an 
(Homa.onia). Seltener gehen sie zufällig oder zeitweilig in eine andere bestimmte 
Grundform über. 

Die Spermazellen, als einfache Geisselzellen mit sehr langem „Schwanz“ und 


1) Ernst HAEcKEL, Generelle Morphologie der Organismen. 1866. Erster Band, Viertes Buch: 
Generelle Promorphologie (p. 375—574). Vergl. insbesondere das dreizehnte Kapitel: System der 
organischen Grundformen (p. 400—527). 


2. Grundformen -Lehre oder Promorphologie. 127 


länglich-rundem „Kopfe“, bewahren stets die ungleichpolige einaxige Grund- 
form (Monaxonia diplopola). 

Die Spicula, welche als innere Plasma-Producte der verschmolzenen Entoderm- 
Zellen hier nur anhangsweise in Betracht kommen, als „elementare Skelet-Bestand- 
theile“, und deren Grundformen wir ausserdem nachher noch bei der speciellen Be- 
schreibung ihrer Real-Formen zu besprechen haben, verdienen doch insofern ein 
besonderes promorphologisches Interesse, als sie bei ihrer halb-organischen, halb- 
krystallinischen Beschaffenheit, mit ihrer starren Form, ihren mathematisch be- 
stimmbaren Flächen und Winkeln, die einzigen Bestandtheile des Spongien-Körpers 
sind, welche eine vollkommen strenge stereometrische Bestimmung zulassen. Es 
kommen bei den Kalknadeln der Kalkschwämme überhaupt folgende mathema- 
tische Grundformen vor, welche sämmtlich zu der grossen Gruppe der „Grundformen 
mit Hauptaxen“, der Hauptaxigen (Protaxonia) gehören (Gener. Promorph. p. 416): 

A. Einaxige (Monaxonia). 
(Protaxonien ohne Kreuzaxen. Gener. Promorph. p. 420.) 
I. Gleichpolige Einaxige (Monaxonia haplopola, ]. c. p. 422). 
Die Stabnadeln, deren beide Enden gleich gebildet sind. 
U. Ungleichpolige Einaxige (Monaxonia diplopola, ]. c. p. 426). 
Die Stabnadeln, deren beide Enden ungleich gebildet sind. 
B. Kreuzaxige (Stauraxonia). 
(Protaxonien mit Kreuzaxen. Gener. Promorph. p. 430.) 

III. Gleichpolige Kreuzaxige (Stauraxonia homopola, 1. c. p. 436). 

Doppel-Pyramiden, und zwar stets sechsseitige Doppel-Pyramiden, mit 
drei Kreuzaxen. Diese kommen nur unter den Dreistrahlern vor, deren drei 
Strahlen hier als Kreuzaxen zu betrachten sind. Sie finden sich in zwei verschie- 
denen Formen, als isostaure und allostaure Homopolen. Die Homopola isostaura, 
deren Grundform die reguläre Doppel-Pyramide ist, werden nur durch die 
perregulären Dreistrahler oder die absolut-regulären Dreistrahler repräsentirt, deren 
drei Winkel und drei Schenkel, sowie die beiden Flächen, absolut regulär sind. 
Diese sind desshalb zugleich von besonderem Interesse, weil sie sich auf das Hexa- 
gonal-Dodekaeder, die Grundform des hexagonalen Crystall-Systems, zurückführen 
lassen, wie ich unten zeigen werde. Die Homopola allostaura, deren Grundform 
die amphithecte Doppel-Pyramide ist, werden durch diejenigen Dreistrahler 
repräsentirt, deren beide Flächen zwar gleich, dagegen die Schenkel oder die Winkel 
oder beide zugleich mehr oder minder (meist sagittal) differenzirt sind. 

IV. Ungleichpolige Kreuzaxige (Stauraxonia heteropola, ]. c. p. 452). 

Pyramiden, und zwar stets dreiseitige Pyramiden, mit drei Kreuzaxen. 
Diese Grundform findet sich bei sämmtlichen Vierstrahlern der Kalkschwämme, 
sowie bei denjenigen Dreistrahlern, deren beide Seitenflächen differenzirt sind, welche 


128 Drittes Kapitel. Anatomie. I. Generelle Anatomie. 


also nicht zu der vorigen Gruppe, den homopolen Stauraxonien gehören. Demnach 
ist die grosse Mehrzahl aller Spicula, die bei den Kalkschwämmen vorkommen, dieser 
Grundform, der dreiseitigen Pyramide, zuzurechnen. Dieselbe findet sich seltener 
als homostaure, gewöhnlich als heterostaure Heteropole vor. Die Heteropola homo- 
staura, deren Grundform die reguläre Pyramide ist, wird durch diejenigen 
„regulären Dreistrahler“ vertreten, deren drei Schenkel und drei Winkel zwar gleich, 
die beiden Flächen aber differenzirt sind; sowie durch diejenigen „regulären Vier- 
strahler“, deren drei Schenkel und drei Winkel gleich sind, und bei denen ausser- 
dem der vierte oder apicale Strahl gerade ist und gleichen Abstand von den drei 
facialen Strahlen hat. Alle übrigen heteropolen Dreistrahler und Vierstrahler ge- 
hören zu der Gruppe der Heteropola heterostaura, deren Grundform die irregu- 
läre Pyramide ist. Hierher gehört die grosse Mehrzahl aller Dreistrahler und 
Vierstrahler, und zwar ist die Grundform derselben stets die allopole, niemals die 
autopole Heterostauren-Form, d. h. stets die halbe, niemals die ganze amphithecte 
Pyramide. Ich habe in der generellen Promorphologie (p. 495) diese grosse und 
wichtige Grundformen-Gruppe der „halben amphithecten Pyramiden“, der 
Heterostaura allopola, kurz als Zeugiten oder (mit Bezug auf den alleinigen 
Besitz einer Mittel-Ebene) als Centrepipeda bezeichnet. Sie entsprechen den „Halb- 
keilen oder Hemisphenoiden“ von Bronx. Sie zerfallen in zwei Hauptgruppen: 
Amphipleura (halbe amphithecte Pyramiden von 4+-2n Seiten) und Zygopleura 
(halbe Rhomben-Pyramiden). Nicht die ersteren, nur die letzteren Grundformen, 
kommen unter den Dreistrahlern und Vierstrahlern der Kalkschwämme vor; und 
zwar sind alle sagittalen Dreistrahler mit ungleichen Seitenflächen, sowie sämmtliche 
sagittale Vierstrahler als Eudipleura aufzufassen, als „bilateral - symmetrische“ 
Formen in der fünften (engsten) Bedeutung dieses Begriffes. Der Basal-Schenkel 
derselben bildet die sagittale (oder dorsoventrale) Axe der Eudipleuren-Form; 
die Linie, welche die Spitzen der beiden gleichen lateralen Schenkel verbindet, oder 
welche dieser Linie parallel durch den Mittelpunkt des Dreistrahlers geht, ist die 
ideale transversale (oder laterale) Axe; und die longitudinale oder Hauptaxe 
wird bei den Dreistrahlern durch das Perpendikel bestimmt, welches von dem Mittel- 
punkt dieser lateralen Axe (oder auch von dem gemeinsamen Mittelpunkt der drei 
Strahlen) auf die Ebene gefällt wird, die man auf einer Seite des Dreistrahlers 
durch die Spitzen der drei Schenkel legen kann; bei den Vierstrahlern wird die 
Hauptaxe unmittelbar durch den vierten (apicalen) Strahl bestimmt. Die irregulären 
Dreistrahler fallen unter die Kategorie der Dysdipleura. Die irregulären Vier- 
strahler lassen sich ebenfalls auf die irreguläre dreiseitige Pyramide zurückführen. 
Die Spitzen der vier Schenkel bezeichnen die Ecken derselben. Auf diese wenigen 
stereometrischen Grundformen lassen sich alle die mannichfaltigen realen Formen 
der Kalk-Spieula reduciren. 


2. Grundformen-Lehre oder Promorphologie. 129 


2. Grundformen der Organe. 


Als selbstständige Organe in streng morphologischem Sinne, oder als Idorgane, 
lassen sich bei den Kalkschwämmen eigentlich, wie wir oben gesehen haben, nur 
zwei fundamentale Organe, das Entoderm und Exoderm unterscheiden; und als 
Organ-Systeme ebenfalls nur zwei Systeme, nämlich das Canal-System und das 
Skelet-System. Von diesen kommt für die Promorphologie nur das Canal-System 
mit seinen Theilen, oder das Gastrovascular-System in Betracht, nicht aber 
das Skelet-System als Ganzes. Aber auch die promorphologischen Verhältnisse des 
Gastrovascular-Systems und seiner Theile sind höchst einfach. Ueberall ist hier, wie 
bei den Personen, und wie bei den Stöcken, die ungleichpolige Einaxige 
(Monaxonia diplopola) die herrschende Grundform. Dies gilt ebenso wohl von dem 
Magen des Olyntkus (als der Grundform), wie von allen abgeleiteten Formen und 
allen Theilen des Canalsystems. Bei den Syconen wird scheinbar, wie wir gleich 
bei den Personen sehen werden, durch die reguläre strobiloide Gemmation eine 
„Strahl-Form“ und somit auch eine höhere Grundform ausgebildet. Indessen kömmt 
es doch nicht zur Ausbildung constanter Queraxen. Auch die übrigen Abweichungen 
von der haplopolen Monaxon-Form, welche im Canal-System und seinen Theilen vor- 
kommen, sind ohne weiteres Interesse. Vielfach geht die Grundform in die völlig 
irreguläre, axenlose über (Anaxonia). 


3. Grundformen der Personen. 


Auch die Grundform der Personen ist fast bei allen Kalkschwämmen, wie über- 
haupt bei den meisten Spongien, die ungleichpolige Einaxige (Monawonia diplo- 
pola). Fast immer ist nur die constante Hauptaxe oder Längsaxe deutlich ausge- 
sprochen, deren einer (oraler) Pol durch die Mundöffnung, deren entgegengesetzter 
(aboraler) Pol durch das basale Ende der Person bestimmt wird. Constante Kreuzaxen 
dagegen fehlen. Diese diplopole Monaxon-Form ist schon bei der Planula und der 
Gastrula ausgesprochen, die sich aus dem Ei entwickelt. Sie findet sich ebenso bei 
dem Olyntkus und fast bei allen anderen abgeleiteten Personen-Formen. Bisweilen 
geht dieselbe durch Compression des länglich-runden Körpers in die Grundform der 
Rhomben-Pyramide über, d.h. einer geraden Pyramide, deren Basis ein Rhombus 
ist (Autopola orthostaura, Gener. Promorph. p. 488). Durch die blattförmige Com- 
pression bilden sich nämlich zwei ungleiche, gleichpolige Kreuzaxen aus, welche von 
der ungleichpoligen Hauptaxe verschieden sind. Dahin gehören z. B. die Personen 
von Ascandra cordata, Leucandra cataphracta, Sycandra utrieulus. Bei den Per- 
sonen der Syconen scheint durch die „radiale Structur“ der Magenwand, welche in 


Folge von strobiloider Knospung entsteht, eine höhere Grundform angedeutet zu 
Haeckel, Kalkschwämme. I. 0) 


130 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


werden. „Das Zapfen-Ei oder die Strobiloid-Form“ von Bronx würde derselben 
entsprechen. Indessen kömmt es doch nicht zur Ausbildung constanter Kreuzaxen, 
welche erlaubten, die Syconen den eigentlichen „Strahlthieren“ (Radiata im Sinne 
von Cuvıer) gleichzusetzen und demgemäss auf die Grundform der Kreuzaxigen 
(Stauraxonia) zu reduciren. Dagegen finden sich nicht selten, besonders bei den 
Leuconen, solche Personen, welche durch mehr oder weniger irreguläre Bildung in 
die axenlose Grundform (Anaxonia) übergehen. Am weitesten geht diese Rück- 
bildung bei den lipostomen und lipogastrischen Formen unter den Leuconen, bei 
denen nicht allein die Mundöffnung, sondern auch die primitive Magenhöhle und 
damit die orientirende Hauptaxe verloren geht. 


4. Grundformen der Stöcke. 


Die Stöcke oder Cormen verhalten sich bei den Kalkschwämmen, und ebenso 
bei den meisten übrigen Spongien, gewöhnlich in promorphologischer Beziehung nicht 
anders als die Personen; d. h. auch bei den Cormen ist die herrschende Grundform 
die ungleichpolige Einaxige (Monaxonia diplopola). Auch hier kömmt es 
bisweilen durch blattförmige Compression des Stockes zur Ausbildung der Rhomben- 
Pyramide (Autopola orthostaura), so z. B. bei Ascandra sertularia, Leucandra 
crambessa, Sycandra compressa, am ausgezeichnetsten bei der letztgenannten Art. 
Viel häufiger aber wird die Grundform der Stöcke ganz irregulär, und geht in die 
Axenlose (Anaxonia) über. 


U. Specielle Anatomie 


l. Histologie 


Die Gewebe der Kalkschwämme zerfallen sowohl vom anatomischen als vom 
biogenetischen Standpunkte aus in zwei gänzlich verschiedene Abtheilungen. Die 
erste Abtheilung umfasst die Producte des Entoderms oder des Gastralblattes, 
welches dem inneren, trophischen oder vegetativen Keimblatte der höheren Thiere 
entspricht. Bei der frei schwimmenden Flimmerlarve, welche bereits eine Magen- 
höhle besitzt (Gastrula), wird dasselbe durch eine Schicht von nicht fliimmernden 
Zellen, bei den entwickelten Kalkschwämmen dagegen durch ein Flimmer-Epithelium 
repräsentirt, dessen Zellen zum grössten Theile nutritive Geisselzellen, zum klei- 
neren Theile Geschlechtszellen (Spermazellen und Eizellen) sind. Die zweite 


1. Histologie. Entoderm und Exoderm. 131 


Abtheilung umfasst die Producte des Exoderms!) oder des Dermalblattes, 
welches dem äusseren, sensoriellen oder animalen Keimblatte der höheren Thiere 
entspricht. Bei der frei schwimmenden Flimmerlarve wird dasselbe durch eine einzige 
Schicht von Geisselzellen, bei dem entwickelten Kalkschwamme dagegen durch das 
Syneytium, d.h. durch eine Schicht von völlig verschmolzenen Zellen repräsentirt, 
in welcher sich die Kalk-Nadeln oder Spicula des Skelets bilden. Den durchgrei- 
fenden histologischen Gegensatz zwischen diesen beiden verschiedenen Abtheilungen 
der Gewebs-Elemente, welcher nicht allein für die Kalkschwämme, sondern für die 
Spongien überhaupt von der grössten morphologischen Bedeutung ist, hat zuerst 
Oscar ScHhmipr erkannt und in den „Spongien von Algier“ mit folgenden Worten 
hervorgehoben: „Der den Schwammkörper bildenden Gewebselemente sind zwei Reihen. 
Die eine umfasst alle diejenigen, welche man als Sarcode zusammenfassen kann, 
womit auch die Forscher einverstanden sein dürften, welche mit KÖLLIKER und 
LiEBERKÜHN von einer ungeformten Sarcode nichts wissen wollen, sondern nur von 
einer äussersten Verschiebbarkeit der immer bis zu einem gewissen Grade selbst- 
ständig bleibenden zelligen Bestandtheile der Sarcode sprechen. Dahin gehören alle 
die Theile, welche als „contractiles Gewebe“, „Gallertsubstanz“, „Membranen“, „Fa- 
sern“ und „Fibrillen“ bezeichnet worden sind. Die Functionen dieser „Sarcode- 
substanz“ habe ich im „ersten Supplemente der adriatischen Spongien“ dargelegt; 
sie versieht unter andern die Stelle eines Bindegewebes, und sie allein ist für die 
Gestalt und den grösseren oder geringeren Grad der Festigkeit des Schwammkörpers 
massgebend. Ihre unerschöpfliche Wandelbarkeit ist zwar der Operation des syste- 
matischen Scheidens und Unterscheidens sehr unbequem, da aber die vielen Nüancen 
der Sarcodesubstanz in ihren Uebergängen verfolgt werden können, so ist sie für 
die andere Operation der Forschung, das Zusammenfassen und Erklären der Formen 
von höchster Wichtigkeit. Die der Beobachtung zugängliche Flüssigkeit der Form- 
bildung erstreckt sich auch auf jene eigenthümlichen, der Sarcodesubstanz angehö- 
rigen Grundelemente, welche sich mit kohlensaurem Kalk, besonders aber mit Kiesel- 
erde in inniger Verbindung des Organischen mit dem Unorganischen incrustiren. 
Die zweite Reihe der Gewebselemente besteht aus den Zellen, für die Anhänger 
der LieBerkünn’schen Auffassung vorzüglich aus denjenigen Zellen, welche keine 
amoeboiden Bewegungen ausführen und nicht in contractiles Gewebe, Membranen etc. 
verschmelzen. Das grösste. Contingent liefern die schüssel- oder röhrenförmigen 


1) Den Terminus Exoderm gebrauche ich beständig statt des üblichen Eetoderm einfach aus dem 
Grunde, um der unaufhörlichen Verwechselung zwischen Eetoderm und Entoderm vorzubeugen. Fast in 
allen Schriften, in denen diese beiden Ausdrücke gebraucht werden, ist statt Ectoderm mehrmals Ento- 
derm zu lesen, und umgekehrt. Es mag daran ebenso wohl das undeutliche Manuscript des Verfassers 
als die Unachtsamkeit des Setzers Schuld sein. Jedenfalls wird aber dieser sowohl wie jener leichter 


diese sinnstörende Verwechselung vermeiden, wenn statt Ecetoderm das synonyme Exoderm gesetzt wird. 


9%* 


132 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Wimperapparate (Röhrensubstanz KÖLLIKER’s). So nothwendig die Kenntniss der 
Ausdehnung des Wimperepithels und überhaupt der „Zellensubstanz“, tritt ihre 
Bedeutung für die Morphologie der Spongien doch zurück“ !). 

In diesen Sätzen hat O0. Schmipr zum ersten Male den principiellen Gegensatz 
zwischen den beiden Hauptgruppen der Spongien-Gewebe richtig hervorgehoben. 
Jedoch unterliess es Schmipr, dieselben mit den entsprechenden "beiden Gewebsreihen 
der Nesselthiere zu vergleichen und auf die beiden Keimblätter der höheren Thiere 
zurückzuführen. Diese Reduction wurde 1869 von mir durchgeführt, indem ich die 
innere, aus Geisselzellen und Sexual-Zellen zusammengesetzte Gewebsschicht der 
Spongien dem Entoderm, die äussere, aus dem Syncytium (Sarcodine) und den 
Spicula zusammengesetzte Gewebsschicht dem Exoderm der Nesselthiere verglich, 
und erstere mit dem inneren, letztere mit dem äusseren Keimblatte der höheren 
Thiere in Homologie stellte ?). 


A. Die Gewebe des Entoderms oder des Gastral-Blattes. 


a. Die Geisselzellen. 


Das Entoderm, das innere oder gastrale Blatt des Spongien-Körpers, be- 
steht ursprünglich bei den Flimmerlarven aller Kalkschwämme aus einer Schicht 
von rundlichen, nicht fliimmernden Zellen. Jedoch verwandeln sich diese flimmer- 
losen Zellen alsbald in Flimmerzellen, indem jede Zelle ein einziges langes beweg- 
liches Haar, eine Geissel (F/agellum) herausstreckt. Ich habe diese Flimmer-Zellen 
Geisselzellen (Cellulae flagellatae) genannt, im Gegensatz zu den Wimper- 
zellen (Cellulae eiliatae), die sich durch den Besitz von zwei oder mehreren 
schwingenden Haaren, Wimpern (Cilia) unterscheiden. Demnach ist auch ganz all- 
gemein das Flimmer-Epithelium (Epithelium vibratorium), welches aus einer oder 
mehreren Schichten von Flimmerzellen (Cellulae vibratiles) besteht, entweder 
Geissel-Epithel (Epithelium flagellatum) oder Wimper-Epithel (Epithelium 
ciliatum). Bei ersterem trägt jede Zelle ein einziges Flimmerhaar, bei letzterem zwei 
oder mehrere Flimmerhaare. Diese Unterscheidung der beiden Arten von Flimmer- 
zellen, welche ich 1869 in meinen „Beiträgen zur Plastiden-Theorie“ 3) vorgeschlagen 
habe, ist gewiss schon desshalb gerechtfertigt und nicht ohne tiefere Bedeutung, 
weil bei allen Spongien, ferner bei Hydra, Cordylophora und vielleicht allen 
Hydroiden, das Flimmer-Epithel ausschliesslich Geissel-Epithel, niemals Wimper- 
Epithel ist. Diese Bedeutung tritt besonders hervor, wenn man die beiden Arten 


1) O0. Scumiprt, Algier. Spongien, 1868, p. 34. 
2) E. HAECKEL, Jenaische Zeitschr. f. Medie. und Naturw. 1869, Bd. V, p. 212. 
3) E. HarckeL, Die Identität der Flimmerbewegung und der amoeboiden Protoplasma - Bewegung. 


Jenaische Zeitschr. f. Medie. u. Naturw. 1869, Bd. V, p. 542. 


1. Histologie. Entoderm. Geisselzellen. 133 


von Flimmerzellen (die hier nur als partielle Bionten fungiren) mit den beiden 
Gruppen von Urthieren oder Protozoen vergleicht, bei denen dieselben als actuelle 
Bionten auftreten, den Flagellaten und Wimper-Infusorien. In der Classe der 
Flagellaten tritt die Geisselzelle, in der Classe der Ciliaten die Wimperzelle 
als actuelles Bion auf!). ’ 

Geisselzellen kommen bei den Kalkschwämmen und bei den Spongien über- 
haupt in drei verschiedenen Formen vor, welche eine sehr verschiedene Bedeutung 
haben, nämlich: 1) Nutritive Geisselzellen des Entoderms, welche durch ihre 
Flimmerbewegung die Wasserströmung im Canalsysteme hervorrufen; 2) Sexuelle 
Geisselzellen des Entoderms, welche sich in Zoospermien verwandeln und die Eier 
befruchten; 3) Locomotive Geisselzellen des Exoderms, welche das ganze äussere 
oder dermale Blatt der Flimmerlarven oder Planulae zusammensetzen und deren 
Ortsbewegung vermitteln. Die beiden ersteren Arten von Geisselzellen sind sehr oft 
verwechselt worden. 

Die Geisselzellen der ersten Art, die nutritiven Epithelial-Zellen des Entoderms, 
welche uns hier zunächst interessiren, bilden bei allen Kalkschwämmen, wie über- 
haupt bei allen Spongien, in einem Theile des Canalsystems (selten in der ganzen 
Ausdehnung desselben) ein flimmerndes Epithelium, dessen Flimmerbewegung den 
ernährenden Wasserstrom durch den Schwammkörper leitet. Das Epithelium ist 
fast immer einschichtig, sehr selten mehrschichtig (bei einigen Asconen). Unter den 
Kalkschwämmen ist das Geissel-Epithel bei den Asconen überall oder fast überall 
auf der Innenfläche des Canalsystems zu finden; bei den Leuconen ist es auf einen 
Theil desselben, gewöhnlich auf einzelne „Flimmerkammern“ beschränkt; bei den 
Syconen findet es sich nur in den Radial-Tuben; sowohl bei den Leuconen als bei 
den Syconen fehlt es an der Gastralfläche. 

Die Flimmerbewegung bei Spongien und die langen dünnen Flimmerhaare, 
durch welche sie hervorgebracht wird, hat zuerst ROBERT GrAnT vor 45 Jahren 
beschrieben. Er sah sie an der flimmernden Oberfläche der frei beweglichen Larven 
(„Ciliated Ova“) seiner Spongia panicea (= Halichondria inerustans, JOHNSTON). 
Jedoch erkannte er nicht die Zellen, auf denen die beweglichen Flimmerhaare auf- 
sitzen. Auch erkannte er nicht die Flimmerhaare an der Innenfläche des Canalsystems 
bei den ausgebildeten Schwämmen, obwohl er die durch sie hervorgebrachte Strömung 
beobachtete und die Existenz von Flimmerhaaren als deren Ursache vermuthete ?). 


1) Diese Vergleichung ist selbstverständlich nur dann gerechtfertigt, wenn auch die Ciliaten den 
Formwerth einfacher Zellen haben, wie es von den Flagellaten unzweifelhaft ist. Die zuverlässigsten Ar- 
beiten der neuesten Zeit haben aber die von SıeBoLD und KÖLLIKER aufgestellte, vielfach bestrittene 
Theorie von der „Einzelligkeit‘‘ der Infusorien eher gestützt, als erschüttert. 

2) ROBERT GRANT, Observations on the Sponge ete.; Edinburgh New Philosoph. Journ. Vol. II. 
1827, p. 121. 


134 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Später (1841) fand Ferıx Dusarpın beim Zerzupfen von Spongillen zwischen 
_ den amoebenartigen Sarcode-Stücken ihres Körpers auch solche, welche mit langen, 
äusserst dünnen Flimmerhaaren bedeckt waren, und welche er den „Monaden“ ver- 
gleicht !). 

Die erste bestimmte Mittheilung über Geisselzellen von Spongien gab 1851 Hux- 
LEY in seinem Aufsatze über die Anatomie des corticaten Kieselschwammes Tethyu. 
Er fand unter der Rindenschicht, in der körnigen inneren Körpermasse, eine Menge 
von kleinen Zellen, von denen jede einen langen, dünnen, fadenförmigen Fortsatz 
ausstreckte. Er hält diese Geisselzellen für Spermatozoen; der „Kopf“ des Sper- 
matozoon wird dureh den länglich-runden oder fast dreieckig zugespitzten Zellen- 
körper, der „Schwanz“ des ersteren durch den langen, fadenförmigen, beweglichen 
Fortsatz des letzteren gebildet. Da Huxrey ausserdem keine Geisselzellen bei 
Tetiya beschreibt, so ist es sehr wahrscheinlich, dass diese „Spermatozoen“ die 
eigentlichen nutritiven Geisselzellen waren. Jedoch bleibt immerhin die Möglichkeit 
bestehen, dass auch wirkliche Zoospermien darunter waren ?). 

Im folgenden Jahre (1852) wurden bewegliche Flimmerhaare (aber noch nicht 
die ganzen Flimmerzellen) im Inneren von Kalkschwämmen (Syconen), erst von 
DogıE3) und dann von BOWwERBANK t) beobachtet. Der letztere fand auf longitudi- 
nalen und transversalen Schnitten von Syconen Hohlräume, welche mit Zellen aus- 
gekleidet waren, und unter diesen schien hin und wieder eine zu flimmern. Er 
konnte jedoch nicht sicher unterscheiden, ob die Flimmerhaare von den Zellen selbst 
oder zwischen ihnen ihren Ursprung nahmen. Später beschreibt BOwERBANK in den 
„British Spongiadae“ die Geisselzellen der Syconen (bei Sycandra compressa) als 
„tessellated nucleated cells, which have each a long attenuated and very slender 
cilium at its outer end. They are oval in form and have a distinet nucleus“ (l. c. 


1) FeLıx DUJARDIN, Organisation des Eponges. Histoire nat. des Zoophytes. 1841. p. 305. 

2) Huxrey, Spermatozoa of Tethya (Annals and Mag. of nat. hist. 1851, Vol. VII, p. 372). „The 
granular uniting intermediate substance is composed entirely of small eireular cells about z.4y5th of an 
inch in diameter, and of Spermatozoa in every stage of development from those cells. The cell throws 
out a long filament which becomes the tail of the Spermatozoon, and becoming longer and pointed forms, 
itself, the head. The perfeet spermatozoa have long, pointed, somewhat triangular heads about zo;oth 
of an inch in diameter, with truncated bases, from which a very long filiform tail proceeds. It is remark- 
able that the ova are in no way separated from the spermatozoa, but lie imbedded in the spermatic mass 
like eggs packed in sand.‘ 

3) Wırvıam MuRrRAY DoBIE, Note of the observation of eilia in Grantia (Goopsır's Annals of Anat. 
and Physiol. No. II. 1852, p. 127— 128. — Second notice on eilia in two species of Grantia. Ibid. 
p: 129 — 137). Ich habe diese beiden Notizen nicht selbst vergleichen können. 


4) BOWERBANK, On ceiliary action in Spongiadae. Transactions of the Microscop. Society, Vol. III, 
1852, p. 137—142. 


1. Histologie. Entoderm. Geisselzellen. 135 


Die oft wiederkehrende Verwechselung der nutritiven Geisselzellen mit den 
sexuellen, männlichen Geisselzellen der Spongien, den Spermazellen, findet sich un- 
zweifelhaft auch in dem Aufsatze von CARTER (1854) über die Zoospermien in 
Spongilla‘). Derselbe beschreibt hier verhältnissmässig grosse amoeboide Zellen, 
deren jede einen langen, sehr beweglichen, geisselförmigen Fortsatz ausstreckte. Da 
die Anwesenheit anderer Flimmerzellen ausdrücklich geleugnet wird, so waren diese 
angeblichen Zoospermien wahrscheinlich nutritive Geisselzellen (vielleicht auch In- 
fusorien, wie LIEBERKÜHN meint). Jedenfalls waren sie viel grösser als die wahren 
Zoospermien. 

LIEBERKÜHN, welcher wohl als der eigentliche Entdecker der sexuellen Diffe- 
renzirung der Spongien, der Zoospermien und der Eier zu betrachten ist, beschrieb 
1856 bei Spongilla 2) zuerst die „zoospermartigen Körperchen“ oder Spermatozoiden 
(l.c. p. 17), später die nutritiven Geisselzellen (l. c. p. 497). Von letzteren fand er 
an zerfaserten Spongillen-Stücken: „1) einzelne Wimperzellen, jede mit. einer langen 
dünnen Wimper versehen, welche noch eine Zeit lang hin und her schwingt; die 
Zelle der Wimper ist etwas grösser als der Kopf der als Spermatozoiden beschrie- 
benen Gebilde, während der Schwanz der letzteren dicker und länger ist; in den 
Wimperzellen unterscheidet man meist einen Kern; 2) die von Dusarvın abgebil- 
deten Stücke, welche amoebenartige Bewegungen zeigen und zugleich jene Zellen 
besitzen; 3) Spongillenstücke, welche von der Grösse einer grossen Schwammzelle 
sind und in ihrem Inneren eine runde Höhlung besitzen, die vollständig mit einer 
einfachen Lage von Wimperzellen bedeckt ist; die feinen Wimpern dieser Zellen 
ragen nach dem Mittelpunkt der Höhlung hinein und bewegen sich noch lange Zeit“ 
(l.c. p. 498). Diese letzteren hat dann LiEBERKÜHN nachher als „Wimper-Apparate‘ 
oder „Wimper-Organe“ von ‚Spongilla ausführlicher beschrieben; sie entsprechen 
unseren „Geisselkammern“. Er fand dieselben später auch bei den Kalkschwämmen 
wieder 3). 

ÖscAR ScHmipr fand die „Wimperzellen“ in den „Wimperapparaten“ oder 
„Wimperkörben“ der verschiedensten Spongien-Gruppen wieder: Halisarken, Horn- 
spongien, Kieselspongien, Kalkspongien ?). 

KÖLLIKER sagt über die Flimmerzellen der Schwämme: „Ich kenne die Flimmer- 
zellen von der Gattung Dunstervillia und Nardoa, bei denen sie eine birnförmige 
Gestalt, eine Grösse von 0,0015” und eine wenigstens 3mal so lange Wimper zeigen. 


1) CARTER, Zoosperms in Spongilla. Annals and Mag. of’ nat. hist. 1854, Vol. XIV, p. 334. 

2) LIiEBERKÜHN, Entwickelungsgeschichte der Spongillen. Archiv für Anat. und Phys. 1856, p- 1, 
399, 496. 

3) LIEBERKÜHN, Beiträge zur Anatomie der Spongien. Archiv für Anat. und Phys. 1857, p. 384, 
Ibid. 1859, p. 381. 

4) O. Scumipt, Adriat. Spong. I. Supplem. 1854, p. 5. 


136 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Den noch von Niemand erwähnten Kern glaube ich hier sicher zu sehen, doch er- 
füllt derselbe den breiteren Theil der Zelle ganz oder fast ganz“). Uebrigens hatte 
den Kern, wie bereits oben angeführt ist, LiEBERKÜHN schon sieben Jahre früher 
erwähnt. 

Die ausführlichste Beschreibung der nutritiven Flimmerzellen der Spongien hat 
JAMES-CLARK 1866 von einem Kalkschwamme?), und kürzlich (1372) von einer 
Spongilla 3) gegeben, allerdings von einer Deutung begleitet, welche an das Absurde 
grenzt. Der Kalkschwamm, dessen Flimmerzellen JAmEs-CLARK beschreibt (— der 
einzige, den er kennt —), ist Ascortis fragilis, H. (von ihm irrthümlich für Leu- 
cosolenia [= Ascaltis] botryoides gehalten). Er erklärt jede Geisselzelle für ein 
„fagellates Infusorium“, eine Monade, und unterscheidet daran einen länglich-runden 
Körper, welcher einen Kern und zwei „contractile Blasen‘ einschliesst, und einen 
trichterförmigen durchsichtigen Kragen („Collar“), welcher die Basis der Geissel 
(„Flagellum“) umgiebt. Das einzige Neue in der sehr breiten Beschreibung der Zelle 
ist die Entdeckung des Kragens („Collar“); dafür hat aber James-CLARK unbegreif- 
licherweise den Kern gar nicht gesehen; oder vielmehr, er scheint ihn in der Geissel- 
zelle der Spongilla gesehen zu haben, hält ihn aber für den Querschnitt des Kra- 
gens, wie aus der letzten Abbildung hervorzugehen scheint (Annals and Mag. 1872, 
Pl. XI, Fig. 2). Die einfachen Zellen sind aber für diesen Autor keine „Zellen“, 
sondern die Köpfe eines vielköpfigen Individuums, welche den mit Tentakeln ver- 
sehenen Polypenköpfen entsprechen! (l. c. p. 76). 

Im letzten Jahre hat CArTER die Entdeckung des Kragens an den Geisselzellen 
der Spongien bestätigt und sich auch insofern der Auffassung derselben von JAMES- 
CLARK angeschlossen, als auch er jede einzelne Geisselzelle für ein selbstständiges 
Thier, und zwar für „das eigentliche Schwammthier“ hält („Sponge-cell-animal“) t). 
Indessen besitzt seine Deutung doch den Vorzug, den Geisselzellen ihre Zellen-Natur 
zuzugestehen. Auch constatirt er die Anwesenheit eines Nucleus (den JAMES-CLARK 
nicht kennt), und beschreibt die amoeboiden Form-Veränderungen der Geisselzellen, 
welche ich schon früher bei norwegischen Kalkschwämmen beobachtet und be- 
schrieben hatte. 


1) A. KÖLLIKER, Icones histologieae, I. Heft. 1864, p. 50. 

2) JAMES-CLARK, On the Spongiae eiliatae as Infusoria flagellata, American Journal of Science, 
1866; Memoirs Boston Soc. nat. hist. 1867, Vol. I, pt. III, p. 21. 

3) JAMES-CLARK, On the American Spongilla as a eraspedote flagellate Infusorian. Annals and Mag. 
of nat. hist. 1872, Vol. IX, p. 71. 

4) CARTER, Confirmation of Prof. JAMES-CLARK’S Discovery of the „Collar‘‘ round the Cilium of 
the Sponge-Cell. Annals and Mag. of nat. hist. 1871, Vol. VIII, p. 6, 


1. Histologie. Entoderm. Geisselzellen. 137 


Structur der Geisselzellen. 


Die nutritiven Geisselzellen des Entoderms verhalten sich nach meinen 
Beobachtungen nicht allein bei allen Kalkschwämmen, sondern bei allen Spongien 
überhaupt, so einförmig, und stimmen in allen wesentlichen Verhältnissen, an sich 
betrachtet, so sehr überein, dass die Beschreibung einer Species für alle gelten kann. 
Die Geisselzellen der Schleimschwämme, Hornschwämme und Kieselschwämme, welche 
ich beobachtet habe, sind nicht wesentlich von denjenigen der Kalkschwämme ver- 
schieden, und bei diesen letzteren bieten die Geisselzellen der Asconen keine wesent- 
liche Verschiedenheit von denjenigen der Leuconen und Syconen dar. Dies Alles gilt 
von der Form und Structur der Geisselzellen an sich, während in Bezug auf ihre 
Lagerung und Vertheilung im Gastrovascular-System mancherlei Verschiedenheiten 
vorkommen. 

Die nutritiven Geisselzellen sind, wie alle Zellen der Spongien, Primordial-Zellen 
oder nackte Zellen, ohne Membran. Sie bestehen nur aus zwei wesentlichen und 
niemals fehlenden Bestandtheilen, dem Zellstoff (Protoplasma) und dem Kern (Nu- 
eleus). Die Form ist äusserst veränderlich, wegen der automatischen Beweglichkeit 
des Protoplasma. Sie kann kugelig, birnförmig, eylindrisch, sternförmig werden je 
. nach den verschiedenen, gleich zu erörternden Contractions-Zuständen. (Vergl. Taf. 1, 
"Fig. 8; Taf. 25, Fig. 5, 6; Taf. 41, Fig. 7 ete.) 

Die Grösse der Geisselzellen ist, abgesehen von den durch die Form-Verände- 
rungen bedingten Dimensions-Aenderungen, sehr constant, und bei allen Kalk- 
schwämmen fast dieselbe. Es beträgt nämlich der Durchmesser der Zelle (exclusive 
der Geissel) in gleichmässig ausgedehntem (subsphärischen oder würfelförmigen) Zu- 
stande fast immer 0,006 — 0,008, derjenige ihres Nucleus 0,003 — 0,004 Mm. Die 
Grössen-Extreme schwanken bei den Geisselzellen zwischen 0,005 und 0,009, bei 
ihren Kernen zwischen 0,002 und 0,005 Mm. Gewöhnlich ist der Kern ungefähr 
halb so gross, als die Zelle, oft auch nur ein Drittel oder kaum ein Viertel so gross; 
selten ist er noch kleiner; bisweilen wird aber sein Durchmesser grösser als zwei 
Drittel des Zellen-Durchmessers. Wenn die Geisselzelle (unter gewissen Bedingungen) 
sich ausserordentlich verlängert, so kann sie 0,01—.0,012 Mm. Länge, bei nur 0,003 
—0,004 Mm. Dicke erreichen. 

Der Nucleus der Geisselzelle ist gewöhnlich kugelig oder weicht nur sehr 
wenig von der Kugelform ab; bisweilen ist er ellipsoid, der längere Durchmesser um 
die Hälfte etwa grösser als der kürzere; seltener ist er sphäroid, abgeplattet, oder 
unregelmässig polyedrisch, mit abgerundeten Kanten. Da die Lichtbrechung des 
Kernes von derjenigen des Protoplasma wenig verschieden ist, so ist er an der 
lebenden Zelle oft schwer wahrzunehmen; viele Beobachter haben ihn vermisst, so 
namentlich auch JAMES-CLARK, der doch so anhaltend und mit so starken Ver- 


138 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


grösserungen die Geisselzellen untersucht hat. Dennoch habe ich den Kern in vielen 
Fällen (bei Asconen, Leuconen und Syconen) auch an den lebenden flimmernden 
Zellen, sogar in situ, an der Innenfläche der Canal-Wand deutlich gesehen. An 
Weingeist-Präparaten ist der Kern meist ohne Weiteres deutlich zu sehen, in jedem 
Falle nach Einwirkung von verdünnter Essigsäure. Ebenso tritt er nach Färbung 
des Epitheliums mit Carmin, Jod u. s. w. stets deutlich und scharf hervor, da er 
durch diese Reagentien dunkler gefärbt wird als das Protoplasma. Der Contour ist 
scharf umschrieben, glatt oder etwas körnig (oft fast gezähnelt). Ih der Sub- 
stanz des Kernes sind gewöhnlich mehrere, sehr kleine, dunkle Körnchen sichtbar, 
sowie constant ein Kernkörperchen (Nucleolus). Letzteres erreicht selten über 
0,001 Mm. Durchmesser; gewöhnlich ist es kaum halb so gross, kugelig oder 
polyedrisch. 

Das Protoplasma der Geisselzellen besitzt die gewöhnlichen Eigenschaften des 
reinen Zellstoffs, färbt sich durch Carmin roth, durch Jod gelb u. s. w., und zwar 
weniger intensiv als der Kern. Auch mit der stärksten Vergrösserung betrachtet 
erscheint dasselbe an der lebenden Geisselzelle völlig structurlos, farblos, hyalin. 
Jedoch kann man an den todten Geisselzellen, besonders an solchen, welche mit dem 
lebenden Schwamme unmittelbar in starken Weingeist gesetzt waren, oft deutlich 
eine concentrische Schichtung wahrnehmen, indem um den Kern herum feine con- 
centrische Ringlinien sich mehr oder weniger bemerkbar machen. 

In die hyaline contractile Grundsubstanz des Protoplasma ist constant eine ge- 
ringere oder grössere Menge von kleinen dunkeln Körnern eingebettet, welche ge- 
wöhnlich um den Kern herum angehäuft sind. An der lebenden Geisselzelle bleibt, 
so lange sie in situ flimmert, stets eine dünne Rindenschicht von diesem Körnchen- 
Inhalt frei, so dass man mehr oder weniger deutlich eine äussere structurlose Rinden- 
substanz von einer inneren körnigen Marksubstanz unterscheiden kann. Die äussere 
Rindensubstanz (Exoplasma) ist völlig hyalin, etwas fester, wasserärmer, stärker 
lichtbrechend und enthält gar keine Körnchen. Die innere Marksubstanz (Endo- 
plasma) ist körnig, etwas weicher, wasserreicher, schwächer lichtbrechend und ent- 
hält die Granula, sowie auch eventuell die gleich zu erwähnenden Vacuolen. So 
deutlich sich die beiderlei Substanzen auch oft von einander scheiden, so sind sie 
dennoch niemals scharf getrennt, gehen vielmehr ohne bleibende Grenzschicht in 
einander über, ganz ähnlich wie die hyaline Rindensubstanz und die körnige Mark- 
substanz des Infusorien-Körpers. 

Die innere Marksubstanz oder das Endoplasma allein ist Träger des kör- 
nigen Inhalts der Geisselzellen; sie allein nimmt von aussen die Pigment - Körner 
und Wassertropfen (Vacuolen) auf. Sie allein ist bei den gefärbten Kalkschwämmen 
Träger der Pigmente (abgesehen von denjenigen Pigmenten, die auch im Syneytium 
des Exoderms vorkommen können). 


1. Histologie. Entoderm. Geisselzellen. 139 


Was die Natur dieser Körner, der Granula endoplasmatica, betrifft, so ist 
dieselbe, wie gewöhnlich, sehr schwer zu bestimmen, besonders bei ihrer sehr ge- 
ringen Grösse, welche selten bis gegen 0,001 Mm. steigt, noch seltener dies geringe 
Mass übertrifft. Ein Theil der Granula scheint stets fettiger Natur, ein anderer 
Theil eiweissartiger zu sein; dazu kommen noch die von aussen aufgenommenen 
Nahrungs -Bestandtheile; ferner bei vielen Arten von Kalkschwämmen specifische 
Pigmentkörner und andere Producte des Stoffwechsels. 

Die Vacuolen in den Geisselzellen der Kalkschwämme sind zuerst von JAMES- 
Crark (1866 1. c.) gesehen, für contractile Blasen, gleich denen der Infusorien er- 
klärt, und in ihrer Bedeutung sehr überschätzt worden. JAMmES-CLARK behauptet, 
dass jede Geisselzelle constant zwei contractile Blasen enthalte, welche nahe bei 
einander ungefähr in der Mitte des Körpers liegen, kugelig sind, und #+—4 von dem 
Durchmesser des Zellenkörpers erreichen; in jeder Minute sollen sie sich zweimal 
pulsirend zusammenziehen. Da dieser Beobachter den Nucleus der Geisselzellen 
überhaupt nicht erwähnt, so liegt der Argwohn nahe, dass er diesen für eine „con- 
tractile Blase“ gehalten habe. Allerdings kommen nicht selten auch zwei contractile 
Vacuolen in den Geisselzellen der Kalkschwämme vor; viel häufiger habe ich jedoch 
nur eine einzige, und am häufigsten gar keine Vacuole gefunden; bisweilen kommen 
mehrere, drei bis sechs (sehr selten noch mehr) vor, welche dann an Grösse sehr 
ungleich sind. Was nun die Natur dieser Vacuolen anlangt, so sind sie ohne 
Zweifel gleichwerthig den wassererfüllten Hohlräumen, welche auch im Protoplasma 
vieler anderer Zellen auftreten und welche in grösserer Anzahl das letztere oft ganz 
„schaumig“ machen. Keineswegs sind dieselben aber als constante Organe anzu- 
sehen, wie JAMES-CLARK will. Sie haben keine constante Lagerung, wie letzterer 
behauptet. Vielmehr treten sie an wechselnden Stellen, bald hier, bald dort auf. 
Eine besondere Membran fehlt ihnen ganz entschieden. Jede „contractile Blase“ ist 
weiter Nichts als ein einfacher Wassertropfen, dessen „Wand“ die contractile Mark- 
substanz des Protoplasma ist. Wie die Geisselzelle an ihrer gastralen, dem Canal- 
system zugewandten Fläche feste, geformte Körperchen aufnimmt oder „isst“, so 
verschluckt sie auch Wassertropfen, sie „trinkt“; die Protoplasma-Schicht, welche 
diese unmittelbar umgiebt, zieht sich rhythmisch zusammen und treibt dadurch die 
Wasser-Molekeln zwischen ihre eigenen Molekeln hinein; dann dehnt sie sich wieder 
aus, und die Wasser-Molekeln treten wieder in dem vergänglichen Hohlraume zu 
einem Tropfen zusammen. Wenn man ununterbrochen eine solche Geisselzelle mit 
einer oder zwei pulsirenden Vacuolen längere Zeit hindurch beobachtet, so sieht 
man erstens, dass diese Pulsation sehr irregulär, und keineswegs regelmässig ist 
(zweimal in einer Minute, wie JAMES-CLARK angiebt); und dann sieht man zweitens, 
dass auch die Lage, Grösse und Form der Vacuolen keineswegs constant ist. Ge- 
wöhnlich liegen sie unmittelbar dem Kern an; aber bald daneben, bald darüber, 


140 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


bald darunter; meist sind sie kugelig, oft aber auch ellipsoid; kurz, sie sind va- 
riabel, wie es solche Vacuolen im Protoplasma überhaupt sind. Es fehlt ihnen die 
Constanz, das einzige wesentliche Merkmal, durch welches sich die „contractilen 
Blasen“ der Amoeben, Infusorien u.s. w. von den vergänglichen Vacuolen unter- 
scheiden 1). 

Die äussere Rindensubstanz der Geisselzellen oder das Exoplasma ist im 
Gegensatze zu dem körnigen Endoplasma ganz wasserhell, farblos, ziemlich fest, emi- 
nent contractil, und giebt durch ihre mannichfach wechselnde Oberflächen-Bildung der 
ganzen Geisselzelle ihre characteristische Gestalt. Sie enthält weder Körner, noch 
Vacuolen oder contractile Blasen. Von ihr geht auch der Geisselfortsatz aus. Ge- 
wöhnlich überzieht das Exoplasma an den lebenden, in situ befindlichen Geisselzellen, 
welche als einschichtiges Epithel die Hohlräume des Canalsystems ganz oder theilweise 
auskleiden, den basalen Theil der Geisselzelle, welcher auf dem Syneytium ruht, und 
die Seitenflächen, welche den benachbarten Geisselzellen zugewendet sind, nur als eine 
sehr dünne Schicht. An derjenigen Fläche dagegen, welche frei dem Canal-Lumen 
zugewendet ist, und aus deren Mitte die schwingende Geissel entspringt, bildet das 
Exoplasma scheinbar einen verdickten hyalinen Saum, in der That aber einen tieferen 
oder flacheren Trichter, welcher kragenartig den Basaltheil des Flagellum umgiebt 
(bei den Asconen z.B. Taf. 1, Fig. 8a—d; Taf. 13, Fig. 3i; bei den Leuconen Taf. 25, 
Fig. 5; bei den Syconen Taf. 41, Fig. 7). 

Die Verhältnisse dieses Geissel-Kragens sind zuerst von JAMES-CLARK 1866 
(l.c. p.21) und ausführlicher von CARTER 1871 beschrieben worden (l. c. p.9—13; 
Pl. I—I, Fig. 13—31). Der letztere unterscheidet an den Geisselzellen den eigent- 
lichen Zellenkörper (kugelig, mit einem Kern und contractilen Blasen), und an seiner 
freien Fläche den Schnabel (.‚Rostrimmn‘“), auf welchem die Geissel (,,Cilium‘“) und 
der dieselbe umgebende Kragen (,,Collare‘‘) aufsitzt. Wir wollen für letzteren die 
Bezeichnung Collare beibehalten, den Theil aber, welchen CARTER unpassend als 
„Rostrum“ bezeichnet, lieber Hals, Collum nennen ?). 


1) Ueber das Verhältniss der „‚contractilen Blasen‘‘ zu den „Vacuolen‘“ vergl. meinen Aufsatz über 
die Catallacten (Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturw. 1871, Band VI, p. 14; und Biolog. Studien, 
I. Heft, p. 152). 

2) CARTER, Annals and Mag. of nat. hist. 1871, Vol. VIII, p. 9. The monoeiliated Sponge-Cell is 
„globular in form, eomposed of a plastic exterior (= Exoplasma, H.), enelosing granuliferous mucus or 
protoplasm (= Endoplasma, H.), a nucleus and contracting vesicles (= Vacuolae, H.), besides, perhaps, 
other organs, at present unknown; having at one part a non-granular portion, which is extensible. This 
part, which we will call the rostrum (— Collum, H.), is polymorphie and protrusible, as in Difflugia, 
and frequently assumes different shapes, but especially a eylindrical one rounded at the free end, from 
the summit of which eonvexity the eilium (= Flagellum, H.) proceeds, and from around its base a funnel- 
shaped delicate film like a fringe or frill, which, with Prof. JAMES-CLARK,„we shall call the Collar‘ 
— (ollare, H.). 


1. Histologie. Entoderm. Geisselzellen. 141 


Das genauere Verhalten dieser einzelnen Theile ist nun folgendes. Der Hals der 
Geisselzellen (..Collum‘, — Rostrum von CARTER) ist ein hyaliner cylindrischer 
Fortsatz des Exoplasma, welchen die Geisselzelle an der, ihrer basalen Anheftungs- 
fläche entgegengesetzten Seite hervorstreckt. Dieser Fortsatz ist solid, und eigentlich 
weiter nichts, als eine locale scheibenförmige Verdickung des Exoplasma. Gewöhnlich 
ist dieselbe nicht beträchtlich, so dass der „Hals“ in der Profilansicht der Zelle nur 
als ein hyaliner „Randsaum“ erscheint; der Durchmesser der Grundfläche des Cylin- 
ders ist viel kleiner als die Länge seiner Axe. Seltener, und nur unter gewissen Ver- 
hältnissen, ist das Grössen-Verhältniss umgekehrt, und der „Hals“ springt beträcht- 
licher vor (Taf. 1, Fig. 8, c, d; Taf. 25, Fig. 5; Taf. 48, Fig. 6; CARTER |. c. Fig. 13b, 
Fig. 15a, Fig. 25, 28, 30). Seine Grösse ist sehr veränderlich, je nach dem Con- 
tractions-Zustande. 

Aus dem Mittelpunkte der kreisrunden freien Grundfläche des eylindrischen 
„Halses“ erhebt sich die Geissel (Flagellum), ein langer, dünner, beweglicher 
Faden von Protoplasma. Derselbe entspringt mit kegelförmig verdickter Basis, bleibt 
dann aber gleichmässig dick im grössten Theile seiner Länge, bis er in die unmessbar 
feine Spitze ausläuft. Die Länge der Geissel beträgt gewöhnlich 0,02 — 0,03 Mm., 
also das Dreifache oder Vierfache von dem Durchmesser des Zellenkörpers. Nicht 
selten aber finden sich Geisseln von viel bedeutenderer Länge: 0,04—0,06 Mm. Sehr 
oft sind die Geisseln auch kürzer, 0,01 Mm. oder noch weniger lang. Die Geissel 
führt in der Regel wellenförmige Bewegungen aus, oft von so mässiger Geschwindigkeit, 
dass man deutlich die peitschenförmigen Biegungen des Haares verfolgen kann. 

Der Kragen (Collare), welcher die Basis der Geissel umgiebt, besteht aus einer 
dünnen blattförmigen Lamelle des Fxoplasma, welche sich in Form eines hohlen Cy- 
linders oder Trichters von der Peripherie der freien Grundfläche der Geisselzelle er- 
hebt. Nur an der Basis, wo derselbe von der letzteren aufsteigt, ist er einigermassen 
dick, wird dann aber gleich unmessbar dünn. Form und Grösse dieses Kragens sind 
sehr veränderlich. An den lebenden Geisselzellen, welche in situ an der Innenfläche 
des Canalsystems beobachtet wurden, habe ich den Kragen meistens cylindrisch ge- 
funden (Taf. 1, Fig. 8, A, B; Taf. 13, Fig. 3i; Taf. 25, Fig.5). Der Cylinder ist 
meistens ungefähr ebenso dick als hoch, oft niedriger (Taf. 29, Fig. 2i); selten höher 
(Taf. 1, Fig. 8d). Bisweilen nimmt er die Form eines abgestutzten Kegels an, indem 
sein Durchmesser an dem freien Rande weniger beträgt, als an der aufsitzenden Basis. 
Häufiger wird er trichterförmig, so dass umgekehrt der basale Durchmesser kleiner 
ist als derjenige der weit geöffneten Mündung. Die haarfeine Randlinie der letzteren 
erscheint meistens glatt, bisweilen fein gezähnelt, oder in unregelmässige Fortsätze 
ausgezogen. 

Wenn man die Basis des Kragens möglichst genau mit Hülfe der stärksten Ver- 
grösserungen (1200— 1600) betrachtet, so gewinnt man den Eindruck, dass der 


EN 


142 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Kragen ebenso wie die Geissel eine unmittelbare Fortsetzung des verdickten Exo- 
plasma-Stückes ist, welches den „Hals“ bildet. Da sowohl der dünne Geissel-Faden, 
als die dünne Kragen-Lamelle an ihrer Basis ein wenig verdickt sind, so muss die freie 
Fläche des Halses zwischen Geissel und Kragen eine ringförmige Vertiefung besitzen, 
wo das Exoplasma dünner ist. In dieser Vertiefung scheint das „Verschlucken“ der 
festen geformten Körperchen stattzufinden, welche durch den Strudel, den die Geissel- 
Bewegung erzeugt, in den cylindrischen oder konischen Hohlraum des Kragens hinein- 
gewirbelt werden. Dieses Verschlucken fester Körperchen, ihre Aufnahme in das 
körnige Innere, das „Endoplasma“ der Zelle, geschieht ebenso wie bei anderen flagel- 
laten und amoeboiden Zellen. Es existirt dafür keine constante „Mundöffnung“, kein 
„/ellenmund“; sondern die festen Körperchen werden an wechselnden Stellen, und 
zwar an den Punkten des geringsten Widerstandes, durch die Contractionen der 
dünnen Exoplasma-Lamelle in das Endoplasma hineingedrückt. Allerdings hat JAmEs- 
CLARK behauptet, dass für diese „Nahrungs- Aufnahme“ der Monaden eine prae- 
existirende und constante Mundöffnung vorhanden sei. Allein er hat diese nicht ge- 
sehen, und folgert ihre Existenz bloss daraus, dass die „nächstverwandten Monaden“ 
(Salpingoeca, Anthophysa und andere Flagellaten) einen Mund besitzen sollen. Diese 
„Monaden“ aber sind nach ihm desshalb nächste Verwandten der flagellaten Spon- 
gien-Zellen, und die Spongien sind desshalb „Infusoria ciliata“, weil ihre Geissel- 
zellen dieselbe Structur und dieselben Lebenserscheinungen zeigen sollen, wie jene 
„Monaden“. Wie ich schon oben bemerkte, ist diese Behauptung von JAMES-CLARK 
eine offenbare Petitio prineipii, wie solche in der Logik nicht erlaubt ist, in der Zoo- 
logie aber leider zu den alltäglichen Erscheinungen gehört. 

Dass die Geisselzellen der Spongien nicht bloss innerhalb des Kragens an der 
Geissel-Basis, sondern auch an anderen Stellen ihrer Körper-Oberfläche feste Körper- 
chen aufnehmen, also „essen“, und durch Verschlucken von Wassertropfen „Vacuolen“ 
bilden, also „trinken“ können, habe ich schon 1869 während meines Aufenthaltes an 
der norwegischen Küste bei denjenigen Geisselzellen (von Ascella coriacea und 
Ascandra variabilis) beobachtet, deren Uebergang in amoeboide Zellen ich daselbst 
direct nachwies. CARTER hat später (1871) diese Beobachtungen vielfach wiederholt 
und bestätigt. Ich werde auf die Bedeutung dieser „Nahrungs-Aufnahme“ nachher (in 
dem Abschnitt über „Ernährung*) zurückkommen. 


Formzustände und Lagerung der Geisselzellen. 


Die Formveränderungen der nutritiven Geisselzellen, und namentlich ihren 
Uebergang in amoeboide Zellen von der mannichfachsten Gestalt, werde ich 
später (in dem Abschnitt über „Bewegung“) noch erörtern, und will hier nur ein paar 
Worte über diejenige Form der Geisselzellen hinzufügen, welche man gewöhnlich bei 
den lebenden Zellen in situ au der Innenfläche des Canalsystems beobachtet. Diese 


1. Histologie. Entoderm. Geisselzellen. 143 


Form ist zum Theil abhängig von ihrer Lagerung und von dem Contractions-Zustande, 
welchen das Syneytium des Exoderm im Momente der Beobachtung zeigt. Je nachdem 
nämlich das Syneytium stark contrahirt oder mässig erschlafft ist, sitzen die Geissel- 
zellen an seiner canalen Fläche eng beisammen oder sind durch Zwischenräume getrennt. 

Wenn die Sarcodine des Syneytium sich nicht in contrahirtem, sondern in re- 
laxirtem, mehr oder weniger schlaffem Zustande befindet, so stehen die Geisselzellen 
des Entoderms nicht in unmittelbarem Contact, sondern sind durch kleine Zwischen- 
räume getrennt. Ohne ihre Nachbarn zu berühren, sitzt jede Geisselzelle frei auf der 
Canalfläche des Syneytium auf (Taf. 1, Fig. 7; Taf. 29, Fig. 2; Taf. 41, Fig. 9). Von 
der Fläche betrachtet, erblickt man ein Epithelium, dessen Zellen stark verdickte 
Wände zu besitzen oder durch ein wenig hyaline Intercellular-Substanz getrennt zu 
sein scheinen. Diese scheinbaren Wände oder Balken von Zwischensubstanz sind aber 
nichts Anderes als die (von Seewasser ausgefüllten) Lücken zwischen den Zellen, die 
mit abgerundeter Basis dem Syneytium aufsitzen. Jede Zelle dehnt sich nach allen 
Richtungen ziemlich gleichmässig aus und nimmt eine kugelige oder subsphärische 
Gestalt an; oft hat sie aber auch die Gestalt eines Würfels oder eines irregulären 
Polyeders mit abgerundeten Kanten. Der Hals erscheint gewöhnlich sehr kurz und 
der Kragen niedrig. 

Wenn dagegen die Sarcodine des Syneytiums sich mehr oder weniger stark con- 
trahirt, so treten die benachbarten Zellen in Berührung und platten sich an den Be- 
rührungsstellen durch gegenseitigen Druck mehr oder weniger ab. Bei stärkerer Con- 
traction werden sie völlig polyedrisch, bald regelmässig, bald unregelmässig (z. B. 
Taf. 13, Fig. 2). Von der Fläche betrachtet, hat man jetzt das Bild eines gewöhn- 
lichen Epithels mit scharfen polygonalen Zellen-Grenzen. Bisweilen sind die Polygone 
regelmässige Hexagone. Im Profil betrachtet, erscheinen die Geisselzellen, welche 
nunmehr eigentlich prismatische Form haben, gewöhnlich länger als dick (oft 3—4mal 
so lang als dick); Hals und Trichter sind meistens verlängert (Taf. 25, Fig. 3, 4); bis- 
weilen aber auch bis zum Verschwinden verkürzt (Taf. 8, Fig. 14). Ist die gegen- 
seitige Compression der Geisselzellen nur gering, so weichen sie nur wenig von der 
ursprünglichen, subsphärischen oder würfelförmigen Gestalt ab (Taf. 13, Fig. 3). 

In Bezug auf die Verbreitung des Geissel-Epithels im Canalsystem verhalten sich 
die drei Familien der Kalkschwämme verschieden. Bei den Asconen kleidet das- 
selbe fast die ganze Innenfläche des Canalsystems, d.h. der Magenröhren aus, oder 
mindestens den grösseren Theil derselben. Bei den Leuconen ist die Magenfläche 
und gewöhnlich auch der grössere Theil von der Innenfläche der verästelten Canäle 
ohne Geissel-Epithel, und dasselbe beschränkt sich auf den kleineren Theil derselben, 
oder selbst nur auf die „Geisselkammern“ (oder „Wimperkörbe“). Bei den Syconen 
endlich ist ebenfalls die Magenfläche von Geissel-Epithel frei, und dasselbe kleidet 
bloss die Innenfläche der Radial-Tuben aus. 


144 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Fast immer ist das Geissel-Epithel der Kalkschwämme einfach, nur in einer 
einzigen Schicht gelagert; eine Ausnahme hiervon bilden nur einige „specifische 
Varietäten“ von einzelnen Ascon-Arten, wo das Entoderm sich durch ein ge- 
schichtetes Geissel-Epithel verdickt. Dies ist der Fall bei Ascetta primor- 
dialis, var. loculosa (System p. 17), bei Ascefta elathrus, var. maeandrina und var. 
clathrina (System p. 31); ferner bei Ascaltis canariensis, var. papillata (System 
p-52), und bei Ascaltis Lamarcki, var. intestinalis (System p. 60). Bei den ersteren 
beiden Arten bildet das geschichtete Geissel-Epithel blattförmige Scheidewände inner- 
halb der Magenröhren (endogastrische Septa); bei den letzteren beiden Arten bildet 
dasselbe papillöse Wucherungen, Darmzotten ähnlich. Bei diesem geschichteten 
Geissel-Epithel besteht bloss die oberflächlichste Lage aus den gewöhnlichen Geissel- 
zellen, während die darunter liegenden Schichten aus kugeligen oder rundlichen Zellen 
zusammengesetzt sind, ebenso gross oder etwas kleiner als die Geisselzellen. 


b. Die Spermazellen. 


Der dunkelste Theil in der Anatomie sowohl der Kalkschwämme, als der Spongien 
überhaupt, ist die Frage von ihrer sexuellen Differenzirung und namentlich von der 
Beschaffenheit der männlichen Sexual-Zellen. Die Angaben der verschiedenen Beob- 
achter über diesen Punkt lauten so widersprechend, dass es unmöglich ist, dieselben 
auf eine gemeinsame Basis zurückzuführen und sich daraus eine Vorstellung von der 
Beschaffenheit der Geschlechts-Organe bei den Spongien zu bilden. Ich selbst habe 
bis in die neueste Zeit noch keine befriedigende Sicherheit darüber erlangt und glaube, 
dass es noch sehr ausgedehnter Untersuchungen bei zahlreichen Spongien verschie- 
dener Gruppen bedarf, um völlige Klarheit über die Vertheilung und Beschaffenheit 
der Geschlechts-Organe bei den Spongien zu erlangen. Nur so viel scheint schon 
jetzt ziemlich festzustehen, dass I. Sexuelle Differenzirung bei den Spongien (allge- 
mein?) stattfindet, dass aber II. weder Hoden noch Eierstöcke als besondere 
localisirte Geschlechts-Organe vorhanden sind, vielmehr sowohl die männlichen 
Spermazellen, als die weiblichen Eizellen an den verschiedensten Stellen des 
Canalsystems durch Differenzirung von Geisselzellen des Entoderms entstehen. 

Für den eigentlichen Entdecker der sexuellen Differenzirung der Spongien, der 
zum ersten Male sowohl wirkliche Zoospermien als echte Eier, und zwar bei Spon- 
gilla, beobachtete, halte ich LiEBERKÜHN (1356) !). Alle früheren Angaben über die 
Geschlechtsorgane der Schwämme sind entweder sicher falsch, “oder doch in hohem 
Grade zweifelhaft. Was Grant (1526) als „Ciliated ova“ bei Kieselschwämmen be- 
schrieb, waren nicht Eier, sondern Flimmerlarven (Planulae). Was CARTER später 
(1854) als Zoospermien von Spongilla beschrieb, waren ganz gewiss keine Sperma- 


1) LiEBERKÜHN, Entwickelungsgeschichte der Spongillen. Arch. f. Anat. u. Phys. 1856, p. 17, 497. 


1. Histologie. Entoderm. Spermazellen. 145 


zellen, sondern wahrscheinlich nutritive Geisselzellen (vielleicht auch Infusorien; 
vergl. oben p. 135). Ebenso ist fast als sicher anzunehmen, dass auch die von Hux- 
LEY (1851) bei Teikya beschriebenen „Spermatozoa‘“ in Wirklichkeit nutritive Geissel- 
zellen waren (vergl. p. 134). Diese beiderlei Gebilde können in der That sehr leicht 
verwechselt werden und sind auch von anderen Beobachtern noch vielfach verwech- 
selt worden. 

Die Spermazellen (Zoospermien oder Spermatozoen) der Spongilla sind nach 
LIEBERKÜHN’s Beobachtungen nicht wesentlich von den „stecknadelförmigen“ Samen- 
Elementen der meisten anderen Thiere verschieden; es sind sehr feine bewegliche 
Fäden, welche an einem Ende in ein Knöpfchen („Köpfchen“) anschwellen; weit 
kleiner als die ähnlichen Wimperzellen der „Wimper-Apparate“. Sie entwickeln sich 
in „Kugeligen, mit einer structurlosen, durchsichtigen Umhüllungs-Membran umge- 
benen Behältern, von ungefähr „4 Mm. Durchmesser. Man sieht sie in dem Behälter 
sich mit grosser Schnelligkeit hin- und her-bewegen, bis derselbe an irgend einer Stelle 
aufplatzt; dann schwimmen sie in grösseren und kleineren Gruppen nach den ver- 
schiedensten Richtungen aus einander, indem ihre Fäden stets hin- und her-schwingen“ 
(l. c. 1856, p. 18). 

Ueber „die Entwickelung der Spermatozoiden“ von Spongilla giebt LIEBERKÜHN 
Folgendes an: „Neben den von Spermatozoiden ganz erfüllten Kapseln kommen zu- 
weilen Kapseln mit derselben Umhüllungsmembran vor, welche in ihrem Innern nur 
zum Theil sich lebhaft durch einander bewegende Spermatozoiden enthalten, zum 
andern Theil aber von Gebilden ausgefüllt sind, aus welchen die Spermatozoiden ent- 
stehen; diese Gebilde sind kugelig, oder eiförmig, oder doppelbrotförmig mit mehr 
oder weniger starker Einschnürung und übertreffen die Köpfchen der Spermatozoiden 
oft um das Zehnfache an Grösse; in ihrem Innern enthalten sie eine farblose durch- 
sichtige Substanz, in der hier und da einzelne das Licht stark brechende, äusserst 
feine Körnchen eingestreut sind, welche namentlich nahe unter der Oberfläche wahr- 
genommen werden; ein Kern wurde in ihnen nicht gefunden. Man erkennt diese Ge- 
bilde schon vollkommen deutlich durch die Schale der Kapsel hindurch. Drückt man 
sie aus der Kapsel heraus, so beginnen sie alsbald stumpfe Fortsätze ohne Körnchen- 
inhalt hervorzuschieben und zerfallen nach einiger Zeit im Wasser; die Kapseln da- 
gegen erhalten sich noch lange. Andere jener Körperchen sind mehrfach eingeschnürt 
und ist an einzelnen abgeschnürten Stücken bereits der Faden sichtbar; in wieder 
anderen weit kleineren besitzt jedes Kügelchen schon den Faden. Neben diesen 
Kapseln mit theilweise fertigen Samenfäden finden sich andere, welche die kugeligen 
Körperchen ausschliesslich enthalten, und wieder andere, welche bloss eine gleich- 
förmige, innen feinkörnige Masse einschliessen; die starke Kapsel aber characterisirt 
sie schon allein als zu den Spermatozoiden gehörig;' Bewegungen zeigt keine dieser 
Kapseln“ (l. c. 1856, p. 500). 


Haeckel, Kalkschwämme. 1. 10 


146 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Bei der ausserordentlich genauen Kenntniss, welche sich LiEBERKÜHN durch 
seine sorgfältigen Untersuchungen von der Anatomie der Spongilla erworben hatte, 
ist der Verdacht, dass er nutritive Geisselzellen für Zoospermien, und Geisselkam- 
mern für „Spermatozoiden-Kapseln“ gehalten habe, nicht wohl zulässig; um so we- 
niger, als er ausdrücklich beiderlei Gebilde unterscheidet, und dazu bemerkt: „Die 
Samenkapseln lassen sich leicht von den mit Wimpern ausgekleideten Spongillen- 
Stücken (Wimper-Apparaten) unterscheiden: die weit kleineren Samenkörperchen be- 
wegen sich schnell in dem Behälter umher, während die Wimpern an einer und der- 
selben Stelle festsitzend hin- und her-schwingen; characteristisch ist ferner auch die 
starke Umhüllungshaut der Samenkapsel“ (l. c. p. 501). Von den Wimperzellen selbst 
sagt er, dass sie etwas grösser als der Kopf der Spermatozoiden seien. 

Die nachfolgenden Spongiologen haben fast immer vergeblich nach Zoospermien 
gesucht, so namentlich BOwERBANK und OsCAr SCHMIDT, denen die ausgedehnteste 
Erfahrung zur Seite steht. Schumipr glaubt nur ein einziges Mal (1864) bei Spon- 
gelia elegans Haufen von Zoospermien gesehen zu haben, die ganz den Gebilden gli- 
chen, welche LiEBERKÜHN für die Zoospermien der Spongillen erklärt hat; sie massen 
0,00465 Mm.") 

Ausserdem hat nur noch KörLnıker bei einem einzigen Kieselschwamme, bei 
Esperia tunicata, eigenthümliche Gebilde beschrieben, welche er für „Samen- 
fädenbündel“ sehr wahrscheinlich halten zu dürfen glaubt. „Es waren navicula- 
artige Körperchen von 0,02”’ Länge und 0,0032” Breite im mittleren Theile, mit 
ziemlich dunkeln Contouren.“ Jedes spindelförmige oder „navicula-artige Körperchen“ 
enthielt einen Zellenkern und ein Bündel feiner „haarartiger Nadeln“, welches sich 
durch Behandlung mit Kali causticum in feine gleichartige Haare zerlegen liess, die 
durch starke Mineralsäuren und durch Glühen zerstört wurden ?). 

Bei den Kalkschwämmen hatte bisher noch kein Beobachter Zoospermien 
wahrgenommen, und ich selbst habe lange Zeit hindurch ganz vergeblich danach ge- 
sucht. Ich wurde dadurch so misstrauisch gegen ihre Existenz, dass ich es in meinem 
ersten Aufsatze „über den Organismus der Schwämme“ für das Vorsichtigste und Ge- 
rathenste hielt, vorläufig überhaupt noch die Sexualität der Spongien zu bezweifeln ?). 
Auch auf meiner Reise nach Norwegen erhielt ich nur negative Resultate, trotzdem 
ich Hunderte von Kalkschwämmen aus allen Gruppen genau darauf untersuchte und 
bei diesen allenthalben Eier und zum Theil auch Embryonen auf verschiedenen Stadien 
der Entwickelung antraf. 

Erst im April 1871, während meines Aufenthaltes auf der dalmatischen Insel 


1) O0. SchmiprT, Adriat. Spong. I. Supplem. p. 4; Taf. I, Fig. 15. 
2) KÖLLIKER, Icones histolog. I. Heft. 1864. p. 50; Taf. VII, Fig. 11. 
3) HAECKEL, Ueber den Organismus der Schwämme etc. Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturw. 


Band V, Heft 2, p. 224. 


1. Histologie. Entoderm. Spermazellen. 147 


Lesina, glückte es mir endlich, Zoospermien bei den Spongien zu finden, und zwar 
nicht allein bei Kieselschwämmen, sondern auch bei Kalkschwämmen aus allen drei 
Familien: Asconen, Leuconen und Syconen. Ich habe hierüber in dem Aufsatze „über 
die sexuelle Fortpflanzung der Schwämme‘ !) gleich nach meiner Rückkehr von Dal- 
matien berichtet, später aber durch fortgesetzte Untersuchungen an dem sehr reichen, 
von dort mitgebrachten Materiale die daselbst gemachten Angaben noch mehrfach 
ergänzt und berichtigt. 

Zu derselben Zeit, während welcher ich im adriatischen Meere die Zoospermien 
der Spongien untersuchte, hat Eımer auf der Insel Capri mit gleichem Erfolge sowohl 
bei Kiesel- als bei Kalk-Schwämmen nach Zoospermien gesucht und ist zu ziemlich 
gleichen Resultaten gelangt. Er fand zerstreut im Gewebe liegende Ballen, welche 
aus sehr zahlreichen und äusserst feinen, sich lebhaft bewegenden Spermatozoen zu- 
sammengesetzt waren; auch traf er diese letzteren vielfach vereinzelt und sich be- 
wegend im Gewebe an. „Ihre Köpfchen waren bei einzelnen Schwammarten einfache, 
ungemein feine Pünktchen; bei anderen, und zwar bei den meisten, waren sie etwas 
grösser und liefen vorn in einen relativ langen Schnabel aus, welcher im Gegensatz zu 
dem übrigen Theile des Kopfes dunkel erschien“ (l. c. p. 290). Die Fäden oder 
„Schwänze“ waren äusserst fein und erreichten bis 0,15 Mm. Länge ?). 

Durch diese übereinstimmenden Beobachtungen darf es nunmehr als festgestellt 
angesehen werden, dass die Spongien wirklich sexuell difterenzirt sind. Insbesondere 
dürfte der directe Nachweis des Befruchtungs-Vorganges, den ich mehrfach 
bei den Kalkschwämmen beobachtet zu haben glaube, und über den ich weiter unten 
berichten werde, hierfür entscheidend sein. Dagegen will ich auf der anderen Seite 
hier nicht unerwähnt lassen, dass ich bei vielen Spongien, welche reife Eier ent- 
hielten, sowohl bei Kiesel- als Kalk-Schwämmen, auch jetzt noch durch die sorg- 
fältigste Untersuchung nicht im Stande war, Zoospermien nachzuweisen. Es bleibt 
daher für spätere Beobachter hier noch Vieles zu ergänzen. 


Structur und Formwerth der Spermazellen. 


Die befruchtenden männlichen Elemente, die sogenannten „Zoospermien, Sperma- 
tozoen oder Spermatozoiden“ zeigen bei allen Spongien, soweit meine Untersuchungen 
reichen, in reifem und ausgebildetem Zustande wesentlich dieselbe Beschaffenheit. 
Insbesondere habe ich bei den drei Familien der Kalkschwämme, bei den Asconen, 
Leuconen und Syconen, in der Form und Structur des reifen Zoospermiums keine 
wesentlichen Unterschiede bemerken können, während solche in Betreff der Lagerung 


1) HAeckEL, Ueber die sexuelle Fortpflanzung und das natürliche System der Schwämme. Jenaische 
Zeitschr. f. Med. u. Naturw. 1871, Band VI, p. 641. 


2) Tu. Eimer, Nesselzellen und Samen bei Seeschwämmen. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. VIII, p. 281. 


102 


148 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


vorhanden sind. Auch die wenigen Kieselschwämme (einige Renieren und Esperien), 
bei denen ich Zoospermien gefunden habe, zeigten im Wesentlichen dieselbe Form- 
beschaffenheit. 

Jedes einzelne Zoospermium oder Spermatozoon halte ich bei den Spon- 
gien für eine einfache Geisselzelle; und zwar scheint es beinahe sicher, dass 
diese männlichen Geisselzellen als modificirte Geisselzellen des Entoderms 
anzusehen sind. Der länglich-runde „Kopf“ des Zoospermiums ist der Kern der 
Geisselzelle, umhüllt von einer sehr dünnen Protoplasma-Schicht, welche sich 
am einen Ende des Kerns in einen sehr langen und dünnen Protoplasma-Faden, die 
bewegliche Geissel oder den „Schwanz“ des Zoospermiums verlängert. Da dem- 
nach jedes Zoospermium oder Spermatozoon den Formwerth einer echten, kernhal- 
tigen Zelle besitzt, so bezeichne ich dasselbe einfach als Spermazelle. Was ich 
hier für die Spongien behaupte, wird wohl für sämmtliche Thiere Gültigkeit haben, 
bei denen die Zoospermien bewegliche, „stecknadelförmige“ Fäden mit einem „Köpf- 
chen“ sind. Ueberall werden diese als „modifieirte Geisselzellen“ (oder „einhaarige 
Flimmerzellen“) aufzufassen sein. Ueberall wird demnach auch die specifische Zoo- 
spermien-Bewegung auf die Flimmerbewegung zurückzuführen sein. Da nun aber 
auch bei jenen Thieren, die sich durch „unbewegliche, starre Zoospermien“ aus- 
zeichnen (Nematoden, viele Crustaceen), jedes Zoospermium den Formwerth einer 
wirklichen, kernhaltigen Zelle besitzt, so ergiebt sich als allgemeines Gesetz, dass 
die Zoospermien oder Spermatozoen aller Thiere einfache Zellen, 
Spermazellen sind. Ich lege auf diesen Satz desshalb Gewicht, weil bekanntlich 
noch gegenwärtig viele Zoologen in den „Samenthierchen“ etwas ganz Besonderes 
erblicken wollen, und weil noch gegenwärtig selbst unter der Mehrzahl der Histo- 
logen die Ansicht herrscht, dass jedes Zoospermium nicht eine ganze Zelle, sondern 
ein Theil einer solchen, oder ein „eigenthümlich veränderter Zellenkern“ sei. 

Die „Spermazellen“ oder die „männlichen Geisselzellen“ der Kalk- 
schwämme unterscheiden sich von den nutritiven Geisselzellen des Entoderms, 
aus denen sie entstanden sind, zunächst durch ihre viel geringere Grösse und sodann 
durch die viel geringere Quantität des Protoplasma, im Verhältniss zum Kern (vergl. 
Taf. 1, Fig. 9 drei reife Spermazellen von einem Ascon (Ascetta primordialis) ; 
Taf. 25, Fig. 7 von einem Leucon (Leucyssa inerustans) ; Taf. 48, Fig. 7 von einem 
Sycon (Sycortis quadrangulata). 

Der Kern der Spermazelle, oder der „Kopf“ des Zoospermiums, ist ellipsoid 
oder eiförmig, und erreicht 0,0005—0,001 Mm. Dicke, 0,001—0,002 Mm. Länge. In 
oder an dem Nucleus kann man mit Hülfe der stärksten Vergrösserungen (1600— 
2000) meist ein äusserst kleines, dunkel glänzendes, stark lichtbrechendes Körnchen 
wahrnehmen, von dem ich es unentschieden lassen muss, ob es der im Nucleus ge- 
legene Nucleolus oder ein aussen auf demselben liegendes Korn ist; für letztere 


1. Histologie. Entoderm. Spermazellen. 149 


Deutung scheinen einige Profil-Ansichten zu sprechen, und dann würde dieses Korn 
vielleicht dem „glänzenden rundlichen Körnchen“ entsprechen, welches ALımAn bei 
den Zoospermien von Eudendrium ramosum und Eızuarn Schurze bei denjenigen 
von Cordylophora lacustris beschreibt (1871, p. 35; Taf. II, Fig. 7). 

Das Protoplasma der Spermazelle erscheint, auch mit den stärksten Ver- 
grösserungen betrachtet, entweder ganz homogen oder nur äusserst fein granulirt 
(Taf. 25, Fig. 7), überzieht als eine dünne Schicht den Nucleus und zieht sich am 
einen Ende seiner Längsaxe in einen kegelförmigen Fortsatz aus, der sich in den 
äusserst dünnen Geisselfaden oder „Schwanz“ verlängert. Dieser erreicht eine Länge 
von 0,02—0,05, nach Emer sogar bis 0,15 Mm. Dabei ist er aber so unmessbar 
fein, dass er überhaupt erst bei einer Vergrösserung von 500— 700 deutlich wahr- 
nehmbar wird und auch bei den stärksten Vergrösserungen ganz einfach erscheint. 
Er ist viel zarter als der Geisselfaden der nutritiven Geisselzellen, der schon bei 
einer Vergrösserung von 300 zu erkennen ist. 

Schon durch diese bedeutende Dicken-Differenz der Geissel ist die Spermazelle 
der Kalkschwämme von der nutritiven Geisselzelle derselben wohl zu unterscheiden, 
noch viel deutlicher natürlich durch die viel geringere Grösse des Kopfes, durch die 
ungleich geringere Quantität des Protoplasma, und den Mangel der eigenthümlichen 
Struetur- und Form-Verhältnisse, welche die nutritiven Geisselzellen mit ihrem Hals, 
Kragen'ete. auszeichnen. Wenn nun auch demnach die Unterscheidung der Sperma- 
zellen und der nutritiven Geisselzellen in vollkommen ausgebildetem und unverletztem 
Zustande nicht schwierig ist, so muss auf der anderen Seite doch wohl bemerkt. 
werden, dass eine Verwechselung dieser beiderlei Elemente in unreifem oder ver- 
stümmeltem Zustande sehr leicht möglich ist und gewiss auch sehr oft stattgefunden 
hat. In jedem Zerzupfungs-Präparate eines Kalkschwammes, welcher Spermazellen 
enthält, finden sich zwischen den massenhaft durch einander schwimmenden unver- 
letzten und vollständig ausgebildeten nutritiven Geisselzellen und Spermazellen, eine 
Anzahl Geisselzellen, welche weder diesen noch jenen deutlich gleichen, welche oft 
Zwischenformen zwischen Beiden darzustellen scheinen und welche wahrscheinlich 
entweder als verstümmelte oder als unreife, noch nicht ausgebildete nutritive Geissel- 
zellen anzusehen sind. Insbesondere ist hierbei der Umstand zu berücksichtigen, 
dass auch die abgerissenen Geisseln von nutritiven Geisselzellen, oder solche Geissel- 
zellen, welche ihren Kern bei dem Zerzupfungs-Process verloren haben, sich noch 
ebenso lebhaft wie intacte Geisselzellen umherbewegen und um so leichter mit den 
kleinen Spermazellen verwechselt werden können. Einen bestimmten Unterschied in 
der Bewegungs-Art der beiderlei Geisselzellen (der männlichen und nutritiven), wie 
ihn Eımer gefunden zu haben angiebt (l. c. p. 291) habe ich nicht zu erkennen ver- 
. mocht. Ueberhaupt wird jeder Beobachter finden, dass die Unterscheidung der 
beiderlei Geisselzellen, welche in der Theorie so leicht und klar erscheint, in der Praxis 


150 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


sehr schwierig und bei vielen einzelnen, zur Beobachtung kommenden Elementen oft 
gar nicht durchzuführen ist. 


Ursprung und Lagerung der Spermazellen. 


Die wichtige Frage von dem Ursprung der Sexual-Zellen, von ihrer Entstehung 
entweder im Exoderm oder im Entoderm, kann insofern noch nicht als gelöst gelten, 
als bei den Eiern, wie wir gleich sehen werden, die Entscheidung zwischen diesen 
beiden möglichen Fällen noch nicht ganz sicher ist. Bezüglich der Spermazellen 
lässt sich dagegen mit grösserer Sicherheit behaupten, dass sie im Entoderm, und 
nicht im Exoderm, ihren Ursprung nehmen. Ist diese Behauptung schon desshalb 
a priori wahrscheinlich, weil die Spermazellen nur als eigenthümlich modificirte 
Geisselzellen zu betrachten sind, so wird sie auf der anderen Seite a posteriori be- 
stätigt durch die Entwickelungsgeschichte der Spermazellen. 

Was ich über die Ontogenese der Spermazelle erkannt zu haben glaube, habe ich 
bereits früher in dem Aufsatze „über die sexuelle Fortpflanzung der Schwämme“ etc. 
mitgetheilt (l. c. p. 643). Da meine späteren ausgedehnteren Untersuchungen mir 
über diesen Gegenstand keine neuen Resultate geliefert haben, so wiederhole ich hier 
wörtlich jene frühere Mittheilung, indem ich ausdrücklich dabei hervorhebe, dass ich 
dieselbe keineswegs für vollgültig und abgeschlossen halte. Vielmehr sind meine Er- 
fahrungen gerade in diesem Punkte viel unvollständiger und unbefriedigender, als 
ich wünschte; und wie überhaupt die ganze Frage von den speciellen Geschlechts- 
Verhältnissen der Spongien noch erneuter sorgfältiger Untersuchungen bedarf, so 
gilt dies ganz besonders von der Frage nach der ursprünglichen Lagerung und Ent- 
stehung der Eier sowohl als der Spermazellen. } 

Gleichwie an verschiedenen Stellen des Entoderms einzelne von den nutritiven 
Geisselzellen ihr langes schwingendes Geisselhaar einziehen und sich zu Eiern von 
der Form nackter amoeboider Zellen umbilden, so verwandeln sich an anderen Stellen 
einzelne Geisselzellen in Samenzellen, oder richtiger Samenmutterzellen. „Diese 
Metamorphose beginnt damit, dass die Flimmerzelle ihr Geisselhaar einzieht und 
durch mehrfach wiederholte Theilung in eine grössere Zahl (— wie es scheint we- 
nigstens acht —) sehr kleine Zellen zerfällt. Jedesmal geht der Theilung der Zelle 
diejenige ihres Kernes vorher. Die so entstandenen Tochterzellen sind vielmals 
kleiner als die ursprünglichen Flimmerzellen. Die winzigen Zellen der jüngsten Ge- 
neration verwandeln sich direct in Zoospermien, indem die sehr geringe Quantität 
von Protoplasma, welche den rundlichen Kern umhüllt, sich an der frei in das Canal- 
system hineinragenden Seite in einen sehr langen und feinen fadenförmigen Fortsatz 
auszieht. Dieser Faden ist der „Schwanz“, der am basalen Theile derselben befind- 
liche Zellenkern der „Kopf“ des Zoospermiums. Der Schwanz beginnt sich langsam 
in Bewegung zu setzen, indem er hin- und her-schwingt. Wenn die Bewegung 


1. Histologie. Entoderm. Spermazellen. 151 


rascher wird, löst sich der noch festsitzende Kopf von seiner Unterlage ab, und die 
kleine Geisselzelle schwimmt nun als frei bewegliches Zoosperm im Wasser umher“ 
(l. c. p. 643). 

Während meines Aufenthaltes auf Lesina habe ich diese Entwickelung der Sperma- 
zellen vorzüglich an lebenden Asconen verfolgt. Insbesondere glaube ich mich von 
dem angegebenen Entwickelungs-Modus ziemlich sicher überzeugt zu haben bei 
Ascetta primordialis (Taf. 1, Fig. 7z) und bei Ascaltis Gegenbauri (Taf. 9, Fig. 7z). 
Bei einzelnen Individuen dieser beiden Arten fand ich zwischen den gewöhnlichen 
nutritiven Geisselzellen des Entoderms (i), sowohl Eier (g) in verschiedenen Zuständen 
der Entwickelung zerstreut, als auch Gruppen von 4—8—16 äusserst kleinen Zellen (z), 
welche ich nicht anders, denn als Entwickelungs-Zustände von Samenzellen, resp. 
Samenmutterzellen, deuten kann. Ich werde in dieser Deutung um so mehr bestärkt, 
als ich nachträglich auch an einzelnen, in Spiritus vortreftlich conservirten Präpa- 
raten, dieselben eigenthümlichen Zellengruppen wieder zu erkennen glaube, so na- 
mentlich bei Ascortis fragilis von Norwegen (Taf. 11, Fig. 8, 9z) und bei Ascyssa 
acufera von Spitzbergen (Taf. 7, Fig. 5z). Auch bei einigen Leuconen glaube ich 
dieselben wiederzufinden, insbesondere bei Lexcortis pulvinar, Leucaltis erustacea 
und Leueyssa incrustans (Taf. 25, Fig. 4z). Unter den Syconen habe ich nur bei 
zwei Arten, bei Syeyssa Husxieyi und Sycortis quadrangulata (Taf. 48, Fig. 3z) 
ähnliche Zellengruppen, hier jedoch als dickere Haufen oder „Samenballen“ (Eimer) 
wieder zu finden geglaubt. 

Bei allen diesen und bei einigen anderen Kalkschwämmen, bei denen die Be- 
obachtung weniger sicher war, lagen diese Samenzellen-Gruppen im Entoderm, zwi- 
schen den nutritiven Geisselzellen des Epithels und zwischen den Eizellen zerstreut. 
Jedoch fanden sich bezüglich ihrer Zahl und Anhäufung bei den drei Familien noch 
einige Verschiedenheiten, auf welche bei der wünschenswerthen weiteren Untersuchung 
dieser Verhältnisse zu achten sein wird. 

Bei den Asconen, bei denen meist die ganze Gastralfläche mit Geissel-Epithel 
belegt ist, fanden sich auch die Gruppen der Spermazellen, ebenso wie die Eier, fast 
in der ganzen Ausdehnung des Gastral-Epithels zerstreut. vor, hauptsächlich jedoch 
in der Mitte der Personen, weniger gegen das orale und aborale Ende hin. Die 
Zahl der Spermazellen, welche die einzelnen Gruppen oder Häufchen zusammen- 
setzten, schien hier stets sehr gering zu sein, und nur 8—16 in jeder Gruppe zu 
betragen. 

Bei den Leuconen wird sich die Lagerung und Vertheilung der Spermazellen- 
Häufchen sehr verschieden verhalten nach der verschiedenen Ausbildung des Canal- 
systems. Bei Leucaltis erustacea, deren Flimmercanäle ein sehr enges und unregel- 
mässiges Netzwerk in dem dichten Wand-Parenchym bilden, fanden sich einzelne 
Eier und Gruppen von 3—16 Spermazellen hie und da zwischen den nutritiven 


152 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Geisselzellen zerstreut vor. Bei Leneyssa inerustans hingegen, deren Canalsystem 
nach dem traubenförmigen Typus gebaut, also mit „Geisselkammern“ oder „Wimper- 
körben“ ausgestattet ist, fand ich kleine Haufen von 16—32 Spermazellen zerstreut 
zwischen den nutritiven Geisselzellen in einzelnen Geisselkammern vor (Taf. 25, 
Fig. 4z), während andere Geisselkammern nur nutritive Geisselzellen, und noch andere 
zwischen den letzteren einzelne Eier in verschiedenen Entwickelungsstadien zeigten 
(Fig. 3). Wenn diese Vertheilung der beiderlei Geschlechtsproducte auf verschiedene 
Geisselkammern des Canalsystems bei einzelnen Arten constant ist, und wenn da- 
neben noch ungeschlechtliche und bloss nutritive Geisselkammern vorkommen, so 
würde hiermit der Anfang zu einer Arbeitstheilung der Geisselkammern gemacht 
sein, welcher bei weiterer Entwickelung zur Ausbildung -förmlicher „Geschlechts- 
organe“ führen könnte. Man würde dann die männlichen Geisselkammern als Hoden 
und die weiblichen als Eierstöcke ansprechen dürfen. Wenn die oben mitgetheilten 
Beobachtungen von LIEBERKÜHN bei ‚Spongilla richtig sind, so würde bei diesem 
Kieselschwamme (und vielleicht bei vielen anderen) jene Differenzirung in der That 
durchgeführt sein; seine „Samenkapseln“ sind als „Wimper-Apparate“ oder Geissel- 
kammern zu deuten, deren sämmtliche Geisselzellen sich zu Spermazellen ausgebildet 
haben. Dasselbe Verhältniss glaube ich bei Leucortis pulvinar wiederzufinden; 
doch waren die Präparate von dieser Art nicht so überzeugend und klar, dass ich 
es mit voller Sicherheit behaupten könnte. 

Bei den Syconen, bei denen das Geissel-Epithel auf die innere Fläche der 
Radial-Tuben beschränkt ist, sind auch die Spermazellen, ebenso wie die jungen 
Eier, nur hier zu finden. Die wiederholte Theilung der Spermamutterzellen, welche 
zur Bildung der eigentlichen Zoospermien führt, scheint aber hier sich viel öfter 
zu wiederholen, als es bei den Asconen (und wohl auch bei vielen oder allen Leu- 
conen) der Fall ist. Dadurch entstehen dicke, kugelige, halbkugelige oder polster- 
förmige Haufen, welche die Grösse junger Eier erreichen, convex in das Lumen der 
Radial-Tuben vorspringen und aus vielen hundert (oder selbst vielen tausend) Sperma- 
zellen zusammengesetzt sind. Sie entsprechen den „Samenballen“, welche Emer 
auch bei Kieselschwämmen auffand, und die ich ebenfalls bei Esperia und Reniera 
gesehen zu haben glaube. Da ich diese Samenballen nur bei den beiden angeführten 
Sycon-Arten, Syeyssa Huxleyi und Sycortis quadrangulata antraf, und zwar nur 
bei wenigen Individuen und in geringer Zahl, so muss die genauere Beschreibung 
derselben späteren Beobachtern vorbehalten bleiben. 

Gegenüber diesen positiven Beobachtungen, durch welche die sexuelle Differen- 
zirung der Spongien festgestellt erscheint, darf ich nicht verschweigen, dass es mir 
bei der grossen Mehrzahl der Kalkschwämme trotz anhaltenden Suchens bis jetzt 
nicht gelungen ist, die eben beschriebenen Spermazellen und ihre Entwickelungs- 
stadien wiederzufinden. Von den hundert und elf im natürlichen System beschriebenen 


1. Histologie. Entoderm. Eizellen. 153: 


Arten, bei denen sämmtlich Eier nachzuweisen waren, haben kaum zehn bis zwölf 
(also nur etwa der zehnte Theil) Spermazellen mit befriedigender Sicherheit erkennen 
lassen. Bei den übrigen Arten habe ich ganz vergeblich danach gesucht. Die Ur- 
sache dieses Umstandes mag zum Theil daran liegen, dass ein grosser Theil des 
untersuchten Materials nur aus Spiritus-Exemplaren bestand, zum Theil vielleicht 
auch daran, dass die Zeit der Zoospermien-Entwickelung beschränkt ist, möglicher- 
weise auch oft mit der Zeit der Eizellenbildung nicht zusammenfällt. Ausserdem 
bleibt die Möglichkeit offen, dass sich die Kalkschwämme nicht ausschliesslich ge- 
schlechtlich, sondern daneben auch ungeschlechtlich fortpflanzen, durch Bildung von 
Sporen, wie ich früher angenommen habe. Endlich ist zu berücksichtigen, dass. 
vielleicht viele Kalkschwämme (und überhaupt viele Spongien) getrennten Ge- 
schlechtes sind. Allerdings enthielten alle Caleispongien- Personen, bei denen ich 
Spermazellen auffand, zugleich auch Eizellen, und sind demnach als Hermaphro- 
diten anzusehen. Desshalb braucht aber der Hermaphroditismus in dieser Gruppe 
durchaus nicht allgemein zu sein. Vielmehr erklärt sich die Thatsache, dass ich 
bei vielen anscheinend völlig entwickelten Kalkschwämmen gar keine Eier fand, und 
dass die meisten, mit Eiern versehenen Kalkschwämme keine Spermazellen erkennen 
liessen, vielleicht am einfachsten aus der Annahme, dass jene männliche und diese 
weibliche Personen waren, dass also bei einem Theile der Caleispongien Herma- 
phroditismus, bei einem anderen Theile Gonochorismus existirt. 


c. Die Eizellen. 


Die Eizellen der Spongien sind erst vor 16 Jahren entdeckt worden. Was Ro- 
BERT GRANT 1826 als „Ciliated ova“ von Kieselschwämmen beschrieb, waren nicht 
die Eier, sondern die Flimmerlarven. Auch andere Autoren haben später theils 
diese „Planulae“, theils die vielzelligen „Gemmulae“ als Eier beschrieben. BOwER- 
BANK hat bei den Spongillen die Gemmulae und bei den Rindenschwämmen (Geodia, 
Pachymatisma etc.) sogar die massiven Kieselkugeln der Rinde für Eierstöcke er- 
klärt; bei den Hornschwämmen (Euspongia) hält er gelbe Körner an den Horn- 
fasern für Eier! 

Das wahre Spongien-Ei ist erst 1856 von LiegErkünn bei Kieselschwämmen 
(Spongilla) entdeckt und nachher auch bei Kalkschwämmen (Syeon) aufgefunden 
worden. Die Eier der Spongilla beschreibt er als kleine, kugelige „Keimkörner- 
Conglomerate“ von „!;, Mm. Durchmesser, „welche ausser den feinen Körnchen und 
den Keimkörnern noch etwas Anderes enthielten, nämlich einen Nucleus (von 21; Mm.) 
mit eingeschlossenem Nucleolus“ (von „I, Mm.). Er beobachtete an ihnen dieselben 
amoeboiden Bewegungs-Erscheinungen, wie an den „gewöhnlichen Schwammzellen“, 
und nimmt an, dass sie „durch die Spermatozoiden befruchtet werden und den Ur- 


154 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


sprung der „Sporen“ (d.h. der Flimmerlarven) bilden, indem das Keimbläschen ver- 
schwindet und die Körnchen zu Keimkörnern werden“ !). 

Die Eier der Kalkschwämme hat LieBERKÜHN zuerst 1859 bei seinem 
„Sycon ciliatum von Triest“ (— Sycandra raphanus, H.) beobachtet und mit fol- 
genden Worten beschrieben: „Beim Zerfasern des Körpers völlig entwickelter Sy- 
conen bemerkt man bisweilen eigenthümliche zellige Gebilde, welche kugelig oder 
oval erscheinen, bedeutend grösser sind als die gewöhnlichen Zellen und namentlich 
einen weit grösseren Kern und Kernkörper führen. Dass dies Eier sind, dafür spricht, 
dass man sie an denselben Stellen vorfindet, wie die Embryonen. Wenn man näm- 
lich ein Thier mit Holzessig behandelt, so lässt sich wahrnehmen, dass die Em- 
bryonen zu mehreren in Zwischenräumen zwischen den Wimperapparaten vertheilt 
liegen; eben da finden sich auch die für Eier beanspruchten Bildungen. Bei der 
Zerfaserung fanden sich letztere bis zu acht in einem besonderen Behälter ohne 
nachweisbare Structur vor“?). Dass diese Zellen die wirklichen Eier der Syconen 
waren, geht aus LieBErkünn’s Abbildung unzweifelhaft hervor (l. c. Taf. IX, Fig. 5, 6). 
Ebenso unzweifelhaft ist es aber auch, dass der letzterwähnte „besondere Behälter“ 
nicht existirt. Es war dies wahrscheinlich ein quer oder schief durchschnittener 
Radial-Tubus. Auch liegen die Eier (ebenso wie die Embryonen) nicht „in Zwischen- 
räumen zwischen den Wimperapparaten“ (Radial-Tuben), sondern in der Wand 
dieser letzteren, in deren Hohlraum sie vorspringen. 

Oscar ScHMIpT scheint (1864) zuerst die Eier der Hornschwämme, und zwar 
bei Euspongia adriatica gesehen zu haben. Er fand bei dieser Art „eigenthümliche 
Pakete von Zellen in der Sarcode zerstreut. Zehn bis dreizehn befinden sich in 
einer gemeinsamen Hülle. Jede Zelle misst im Durchmesser gegen 0,0023 Mm., und 
man unterscheidet an ihr ausser dem äusseren Contour nach innen noch einen zweiten, 
also die Grenze des verhältnissmässig sehr grossen Kernes, und in der Regel einen 
trüben Centralfleck als Nucleolus.. Es bleibt kaum etwas anderes übrig, als diese 
Pakete für Eierstöcke zu erklären.“ Ich möchte übrigens doch diese Erklärung 
SCHMIDT’S nicht für ganz sicher halten, und daneben die Möglichkeit zu bedenken 
geben, dass diese „Pakete“ junge Gemmulae sind. In der beigegebenen Figur (I. c. 
Taf. I, Fig. 16) sehen die Zellen der Pakete nicht wie Eier aus. Dagegen macht 
auf mich ganz den Eindruck eines wahren Spongien-Eies die Abbildung, welche 
Schmipr (l. c. Taf. I, Fig. 25) von „sehr sonderbaren Körpern ungewisser Bedeutung“ 
von Euspongia adrialica giebt: „Der Körper ist ganz körnig, ohne nachweisbare 
Hülle, mit verschiedenen warzen- und fingerförmigen Fortsätzen und einer Centralzelle 


1) LIEBERKÜHN, Entwickelungsgeschichte der Spongillen. Arch. für Anat. und Phys. 1856, p. 502, 
503, 514. Taf. XVIII, Fig. 18. Diese Figur ist die älteste Abbildung des wahren Spongien-Eies. 

2) LIEBERKÜHN, Neue Beiträge zur Anatomie der Spongien. Arch. f. Anat. u. Phys. 1859, p. 380, 
Taf. IX, Fig. 5, 6. 


1. Histologie. Entoderm. Eizellen. 155 


von 0,00744—0,0083 Mm. Durchmesser. Die Körper liegen in unregelmässigen ku- 
geligen Blasen, directen Ausweitungen der Randmembran des Schwammes.“ Die 
Figur zeigt den characteristischen Habitus, welchen die amoeboiden Eier vieler Kalk- 
schwämme mit ihren fingerförmigen Fortsätzen darbieten. Was Schaipr als „Central- 
zelle“ beschreibt, möchte ich als Keimbläschen (= Nucleus) deuten). 

KÖLLIKER beschreibt die Eier von Kalkschwämmen (Dumstervillia, Nardoa), 
von Hornschwämmen (Spongelia), von Gummischwämmen (Cortieitm) und von 
Kieselschwämmen (Raspailia, Ancorina). Ueberall fand er bei diesen Eiern „die 
bekannten Charaetere, und namentlich immer ein schönes Keimbläschen und einen 
deutlichen grossen Keimfleck.“ Ferner bemerkte er bei den Eiern von Dumnster- 
villia, Nardoa und Ancorina „mehrfache Ausläufer, die ihnen das Aussehen von 
multipolaren Ganglienzellen geben und vielleicht mit Bewegungserscheinungen der 
Eier im Leben zusammenhängen ?). 


Structur der Eizellen. 


Die Eier der Kalkschwämme sind bei allen Arten wesentlich von derselben Be- 
schaffenheit, nämlich nackte amoeboide Zellen, deren Habitus den gewöhnlichen 
primordialen Eiern der übrigen Thiere durchaus ähnlich ist. Die Gestalt der Eizelle 
ist ursprünglich kugelig oder subsphärisch; später wird sie unregelmässig rundlich 
und kann vermöge der „amoeboiden“ Bewegungen in die mannichfaltigsten Formen 
übergehen. Einen wesentlichen Unterschied zwischen den Eiern der verschiedenen 
Asconen, Leuconen und Syconen habe ich weder in der Grösse, noch in der Form, 
noch in der Zusammensetzung zu erkennen vermocht (vergl. die Eier von Asconen 
Taf. 1, Fig. 7g, 10—12; Taf. 7, Fig. 2g, 5g; Taf. 11, Fig. 6g, 7g; Taf. 13, Fig. 2g; 
von Leuconen Taf. 25, Fig. 3g; Taf. 30, Fig. 2, 3; von Syconen Taf. 41, Fig. 
4g, 9g). 

Die Grösse ist bei der zusammengezogenen rundlichen Eizelle natürlich ge- 
ringer als bei der amoeboiden, mit langen Fortsätzen versehenen Zelle. Der Durch- 
messer der rundlichen, contrahirten Eizelle beträgt durchschnittlich 0,04—0,05 Mm.; 
die kleinsten reifen Eier messen nur 0,02—0,03; die grössten dagegen 0,06—0,08 Mm. 


1) O. Scumipr (Adriat. Spong. I. Supplem. 1864, p. 6, 7) bemerkt dazu noch: ‚Ganz auffallender- 


weise fand ich diese Zelle mehrere Male allein vor in der sonst leeren Behausung, während andere Beutel 
daneben, die offenbar noch unseren räthselhaften Körper beherbergt hatten, ganz leer waren. Ob meine 
Vermuthung, dass diese Körper mit der Fortpflanzung der Euspongia adriatica zusammenhängen, richtig 
ist, wird die Folgezeit lehren.‘ 

2) KÖLLIKER, Icones histologieae (1864) I. Heft, p. 50. ,‚Die Eier von Dunstervillia (= Sycandra 
elegans) liegen in der Wand der Wimpercanäle (Radial-Tuben), unmittelbar nach aussen von dem Epithel 
(l. ce. p. 63). Die Eier von Nardoa spongiosa (= Ascaltis cerebrum, H.?), deren Lage ganz dieselbe ist, 


vr 


sind gross (von 0,03—0,06”’ und mehr) und gleichen die meisten aufs täuschendste multipolaren Ganglien- 


zellen‘ ete. 


156 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Der Nucleus oder das Keimbläschen misst gewöhnlich 0,015—0,02, bei den kleinsten 
Eiern kaum 0,01, bei den grössten über 0,03 Mm. Der Durchmesser des Nucleolus 
beträgt gewöhnlich ein Zehntel vom Durchmesser der Eizelle, nämlich 0,005 Mm. 
(bei den kleinsten 0,002, bei den grössten 0,008 Mm.). Die Grösse des Nucleo- 
linus endlich, welcher im Nucleolus liegt, erreicht meistens 0,001 — 0,0015 Mm. ' 

Der Dotter oder das Protoplasma der Eizelle besteht aus einer hyalinen, 
farblosen und structurlosen Masse, in welche stets eine sehr grosse Menge von 
äusserst feinen Körnchen eingesprengt ist. Noch deutlicher als bei den Geissel- 
zellen, lässt sich bei den Eizellen ein Unterschied zwischen einer verdichteten körn- 
chenfreien Rindenschicht (Exoplasma) und einer weicheren körnigen Markschicht 
(Endoplasma) wahrnehmen. Bisweilen erscheint das körnchenfreie Exoplasma als 
ein breiter hyaliner Saum um die Eizelle, besonders wenn diese letztere sich lebhaft 
bewegt und nach Amoeben-Art formwechselnde Fortsätze aussendet (Taf. 1, Fig. 10, 
11; Taf. 30, Fig. 2A—2E). Die dünneren, fingerförmigen Fortsätze des amoeboiden 
Zellenkörpers werden oft sogar allein durch das helle Exoplasma gebildet (Taf. 1, 
Fig. 10; Taf. 30, Fig. 2B, 2D); nur in die dickeren Fortsätze tritt auch die granu- 
lirte Substanz des Endoplasma hinein. Es sieht dann nicht selten so aus, als ob 
eine dicke structurlose Membran den feinkörnigen Dotter umschlösse. Indessen über- 
zeugt man sich auch hier durch fortgesetzte Beobachtung leicht, dass niemals eine 
wirkliche Zellen-Membran existirt, dass vielmehr die hyaline festere Rindenschicht des 
Exoplasma allmählich und ohne scharfe Grenze in die körnige, weichere Markschicht 
des Endoplasma übergeht. Fast immer erscheint das Endoplasma sehr gleich- 
mässig und dicht granulirt; die Körnchen sind meist unmessbar fein, selten gegen 
0,0001 Mm. dick; bisweilen aber mit grösseren Körnern gemengt. 

Die hyalinen Fortsätze des Exoplasma, welche die Eizelle bei ihren amoeben- 
artigen Bewegungen ausstreckt, sind meistens kurz, stumpf, unverästelt und wenig 
zahlreich (Taf. 30, Fig. 2a). Am schönsten beobachtet man ihr Entstehen und Ver- 
gehen an isolirten Eizellen, welche gleich echten Amoeben auf dem Öbjectträger 
umherkriechen. Die fingerförmigen Fortsätze treten bald nur an einer Stelle, bald 
an mehreren, bald an der ganzen Oberfläche hervor. Bisweilen häuft sich das hya- 
line Exoplasma ganz an einer Seite der Eizelle an und bildet hier einen grossen 
höckerigen oder knollig zusammengesetzten Fortsatz (Taf. 44, Fig. 3). Andere Male 
erreichen die Fortsätze eine solche Entwickelung, dass die Eizelle „sternförmig“ 
wird; die Ausläufer werden dann zahlreicher, länger und dünner, und können sich 
selbst mehrfach verästeln (Taf. 1, Fig. 10, 11). Sie nehmen den characteristischen 
Habitus an, welcher die grossen multipolaren Ganglienzellen mit verästelten Fort- 
sätzen kennzeichnet, und gleichen diesen um so mehr, als auch der hyaline kugelige 
Kern sich durch bedeutende Grösse und einen ansehnlichen Nucleolus auszeichnet, 
und scharf von dem feinkörnigen Protoplasma abhebt. Solche ausgezeichnet „stern- 


1. Histologie. Entoderm. Eizellen. 157 


förmige Eizellen“ fand ich besonders unter den Asconen, so namentlich bei Ascett«a 
primordialis, Ascaltis cerebrum, Ascandra reticulum etc. 

Der Kern der Eizellen, das Keimbläschen, hat überall dieselbe Beschaffen- 
heit und ist entweder rein kugelig oder weicht von der Kugelform nur sehr wenig 
ab. Sein Durchmesser beträgt, wie schon angeführt, zwischen 0,01 und 0,03, ge- 
wöhnlich 0,015— 0,02 Mm. Er ist stets vollkommen hyalin, structurlos, wasserklar 
und durchsichtig. Der Contour ist zart und einfach. Die weiche, festflüssige, homo- 
gene Substanz des Kernes scheint nicht von einer Membran umschlossen zu sein; 
demnach ist das Keimbläschen wohl eigentlich kein „Bläschen“, 

Der Nucleolus oder Keimfleck ist stark lichtbrechend, glänzend, kugelig 
oder subsphärisch, und hat gewöhnlich einen scharfen einfachen, bisweilen aber auch 
einen doppelten Contour. In demselben findet sich meistens, jedoch nicht ganz con- 
stant, noch ein innerstes centrales Körperchen, der rundliche, ebenfalls stark licht- 
brechende Keimpunkt, der Nucleolinus der Eizelle. Der Durchmesser des Nu- 
cleolus beträgt, wie oben angeführt, gewöhnlich 0,005, derjenige des Nucleolinus 
0,001 — 0,0015 Mm. 

Während die Eizellen bei der grossen Mehrzahl der Kalkschwämme, wie bei 
allen übrigen Schwämmen, nackte, membranlose Zellen bleiben und keine besondere 
Umhüllung erhalten, zeichnen sich zwei Sycon-Arten auffallend dadurch aus, dass 
ihre Eier von einer festen Kalkschale umschlossen werden. Es sind dies zwei 
nahverwandte Species des Genus Sycaltis, nämlich ‚Sycaltis testipara von Cuba 
(Taf. 47, Fig. 5), und Sycaltis ovipara von Florida (Taf. 47, Fig. 9). Bei diesen 
beiden Arten finden sich statt der gewöhnlichen nackten Eier in den Radial-Tuben 
ellipsoide oder eiförmige, undurchsichtige, weisse Körper vor, deren Durchmesser bei 
S. testipara 0,1—0,14, bei S. ovipara 0,15—0,18 Mm. beträgt. Behandelt man 
dieselben mit verdünnten Säuren, so löst sich die dicke, undurchsichtige weisse Kalk- 
schale unter Kohlensäure-Entwickelung völlig auf, und es bleibt eine einfache eirunde, 
feinkörnige Zelle mit einem hellen kugeligen Kern von 0,03 Mm. Durchmesser zu- 
rück; in dem Kern ist Nucleolus und Nucleolinus sichtbar. Ich zweifle nicht daran, 
dass diese Zellen wirklich Eier sind, zumal Lagerung, Grösse und sonstige Be- 
schaffenheit dieselben sind, wie bei den gewöhnlichen Sycon-Eiern. 


Ursprung und Lagerung der Eizellen. 


Die Frage von dem Ursprung und von der ursprünglichen Lagerung der Eizellen 
ist der schwierigste und dunkelste Theil in der Histologie der Kalkschwämme, und 
überhaupt in der Histologie der Schwämme sowohl als der Nesselthiere. Auf der 
anderen Seite ist diese Frage zugleich von der grössten Bedeutung, vorzüglich wegen 
der Homologie des Exoderms mit dem äusseren und des Entoderms mit dem inneren 
Keimblatte der höheren Thiere; und der damit zusammenhängenden Frage von dem 


158 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Ursprung der Geschlechtsorgane bei diesen letzteren. Ich werde auf diese eben so 
wichtige als dunkle Frage, ihre allgemeine Bedeutung und ihren gegenwärtigen Stand 
später zurückkommen, wenn ich im vierten Abschnitte die generelle Homologie der 
Keimblätter bei den verschiedenen Thierstämmen erörtere. Hier will ich mich auf 
die Mittheilung des Thatsächlichen beschränken, was ich über Lagerung und Ur- 
sprung der Eier bei den Kalkschwämmen ermitteln konnte. 

Die Eier der Kalkschwämme scheinen sich, ebenso wie ihre Spermazellen, nicht 
das ganze Jahr hindurch, sondern nur zu gewissen Jahreszeiten im Körper vorzu- 
finden. Unter den sehr zahlreichen (mindestens zwischen eintausend und zweitau- 
send) Individuen von Kalkschwämmen, welche ich ganz genau anatomisch untersucht 
habe, befand sich wenigstens ein Drittel, bei denen keine Spur von Sexual-Zellen zu 
finden war, und doch waren die betreffenden Individuen in jeder anderen Beziehung 
vollkommen entwickelt und ausgebildet. Auf der anderen Seite habe ich Eier in 
allen denjenigen Formen von Kalkschwämmen gefunden, welche in dem „künstlichen 
System“ des zweiten Bandes, als „künstliche Arten“, in dem „natürlichen System“ 
als „generische Varietäten“ aufgeführt sind. 

Bei den im „System“ aufgeführten Species aller drei Familien, Asconen, Leu- 
conen und Syconen, habe ich die reifen Eier bald im Exoderm, bald im Entoderm 
zerstreut gefunden, und zwar scheinbar ohne jede bestimmte Anordnung. Die Eier 
liegen stets einzeln, niemals gruppenweise beisammen; im Exoderm liegen sie zwi- 
schen den Nadeln, eingebettet in die Sarcodine des Syneytium, im Entoderm dagegen 
zwischen den Geisselzellen, das Epithel unterbrechend. Dass wirklich diese beiden 
Fälle vorkommen, darüber kann nicht der mindeste Zweifel existiren. Ja, ich bin 
sogar nicht einmal im Stande zu sagen, welcher der beiden Fälle der häufigere ist. 
Man trifft ebenso oft Bilder, bei denen die reifen Eier im Exoderm, als solche, bei 
denen sie im Entoderm zu liegen scheinen. Auf Taf. 1, Fig. 1; Taf. 7, Fig. 2, 5; 
Taf. 9, Fig. 7; Taf. 11, Fig. 8, 9; Taf. 13, Fig. 2; Taf. 41, Fig. 4, 9 u. s. w. finden 
sich die reifen Eier unzweifelhaft im Entoderm, zwischen den Geisselzellen desselben, 
und springen sogar mit einem grossen Theile ihrer gewölbten Oberfläche frei in das 
Lumen des Canalsystems vor. Dagegen sieht man andere Male eben so klar und 
sicher, dass die reifen Eier in die Sarcodine des Exoderm, zwischen dessen Spicula 
eingebettet sind und mit dem Entoderm gar keinen Zusammenhang haben (Taf. 8, 
Fig. 14 zum Theil; Taf. 25, Fig. 3). 

Uebrigens trifft man nicht in allen drei Familien der Kalkschwämme beide Fälle 
der Lagerung gleich häufig. Bei den Asconen liegen die Eier meistens im Geissel- 
Epithel der Magenfläche und springen frei in die Magenhöhle vor; seltener finden 
sie sich hier aussen im Exoderm. Bei den Leuconen umgekehrt trifft man die Ei- 
zellen grösstentheils in der üppig entwickelten Sarcodine des Exoderm zwischen den 
Nadeln an, selten zwischen den Geisselzellen an der Innenfläche der Canäle, niemals 


1. Histologie. Entoderm. Eizellen. 159 


an der inneren Fläche der Magenhöhle. Auch bei den Syconen liegen die Eier 
niemals an der Innenfläche der Magenhöhle ; gewöhnlich findet man sie hier an der 
Innenfläche der Radial-Tuben, zwischen den Geisselzellen des Epithels, seltener in 
der Sarcodine-Lamelle des Exoderms, welche die Aussenwand der Radial- Tuben 
bilden; nicht selten auch zwischen Exoderm und Entoderm (KÖLLIKER, Icon. histol. 
Taf. IX, Fig. 5). 

Wie ist nun dieser thatsächliche Widerspruch zu erklären? Es sind nur drei 
Fälle denkbar. Entweder entstehen die Eier ursprünglich A. bloss im Entoderm, 
oder B. bloss im Exoderm, oder C. sowohl im Entoderm als im Exoderm. Dieser 
letztere Fall ist der unwahrscheinlichste; er wäre gegen alle Analogie, und wir brau- 
chen um so weniger unsere Zuflucht zu ihm zu nehmen, als sich das Vorkommen 
der reifen Eier in beiden Parenchym-Schichten sehr leicht durch die activen 
Orts-Veränderungen erklären lässt, welche die Eier vermöge ihrer amoeboiden 
Bewegungen vornehmen. Die reifenden und die reifen Eier kriechen nach meinen 
Beobachtungen gleich Amoeben im Parenchym der Kalkschwämme umher, und können 
daher bald hier, bald dort im Parenchym angetroffen werden, bald im Exoderm, 
bald im Entoderm. 

Es handelt sich demnach nur um die Frage: Wo sind die unreifen Eier ur- 
sprünglich zu finden, wo liegt ihre Bildungsstätte? Im Exoderm oder im Ento- 
derm? In Bezug auf diese Frage haben mich nun meine späteren Beobachtungen 
in peinlichen Gegensatz zu meinen früher gewonnenen Anschauungen gebracht. An- 
fänglich hatte ich durch meine anatomischen Untersuchungen, vorzugsweise bei den 
Syeonen und Leuconen, die Ueberzeugung gewonnen, dass die Eier sich ur- 
sprünglich in der Sarcodine des Exoderm bildeten. Es schien mir, dass hie und 
da einzelne Kerne des Synceytium sich vergrösserten, ausdehnten, aufblähten und 
zum „Keimbläschen“ ausbildeten, während der unmittelbar diese Kerne umgebende 
Theil der Sarcodine sich von der umgebenden Hauptmasse sonderte, ablöste und zum 
„Dotter“ entwickelte. Es waren keineswegs vereinzelte Wahrnehmungen, auf welche 
sich diese Ansicht gründete. Vielmehr kehrte dasselbe Bild sehr oft wieder. Auch 
jetzt noch finde ich unter meinen zahlreichen Präparaten nicht wenige, welche 
solche vergrösserte und ausgedehnte Kerne an einzelnen Stellen deutlich zu zeigen 
scheinen. 

Trotzdem bin ich durch meine späteren Untersuchungen, vorzugsweise bei den 
Asconen, zu der Ueberzeugung gelangt, dass jene ältere Auffassung unrichtig war, 
und dass die ursprüngliche Bildungsstätte der Eier bei den Kalkschwämmen das 
Entoderm ist. Einzelne Geisselzellen des Entoderms vergrössern sich, ziehen ihren 
‚schwingenden Geisselfortsatz ein, und entwickeln sich direct durch Aufblähung des 
Kernes und bedeutende Volums-Zunahme des Protoplasma zu Eizellen. Bei Unter- 
suchung verschiedener Asconen trifft man nicht selten auf solche Bilder, wie sie das 


160 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Querschnitts-Präparat von Ascaltis cerebrum (Taf. 8, Fig. 14) zeigt. Man findet 
zwischen den gewöhnlichen nutritiven Geisselzellen des Entoderms hie und da ein- 
zelne geissellose, rundliche Zellen, welche wenig grösser als die ersteren, und (ab- 
gesehen von dem Mangel der Geissel) wenig von ihnen verschieden sind. Dies sind 
die jüngsten Stadien der Eier. An anderen Stellen liegen etwas grössere geissellose 
Zellen, die sich schon durch ihren bedeutend grösseren und helleren Nucleus auf- 
fallend auszeichnen; und zwischen diesen jungen Eiern und den vollkommen reifen 
Eizellen, die verhältnissmässig riesengross sind, lassen sich mit Leichtigkeit alle 
Zwischenstufen auffinden. 

Die grösseren und reiferen Eizellen, welche bei vielen Kalkschwämmen im Exo- 
derm zu finden sind, werden in den meisten Fällen wohl vermöge ihrer amoeboiden 
Bewegungen activ in dasselbe eingewandert, in die Sarcodine hineingekrochen sein. 
Jedoch können sie auch passiv in das Exoderm hinein gedrängt werden, wie Fig. 14 
auf Taf. 8 und Fig. 3 auf Taf. 25 zeigt. Das Geissel-Epithelium des Entoderms, 
welches durch die Vergrösserung der Eizelle aus einander gedrängt wird, wächst 
über deren vorgewölbter freier Fläche wieder zusammen, so dass das Ei gewisser- 
massen von einem äusserlich fimmernden Follikel zur Hälfte umschlossen ist. Dann 
wächst eine dünne Lamelle des Syneytiums zwischen die Eizelle und ihren flim- 
mernden Epithelial-Ueberzug hinein und trennt beide von einander ab. Indem diese 
Sarcodine-Lamelle sich allmählich verdickt, wird das Ei immer weiter von seiner 
ursprünglichen Bildungsstätte abgedrängt und kömmt schliesslich mitten in das Syn- 
ceytium zu liegen (vergl. namentlich Taf. 25, Fig. 3). Wenn diese Erklärung, wie ich 
glaube, richtig ist, so würde in allen Fällen die Lagerung der Eizellen im Exoderm 
als secundäre, die Lagerung derselben im Entoderm dagegen als primäre, 
ursprüngliche aufzufassen sein. Die Eier stammen dann, ebenso wie die Spermazellen, 
von den Geisselzellen des Entoderm ab. 


B. Die Gewebe des Exoderms oder des Dermal-Blattes. 
a. Das Syncytium. 


Syncytium nenne ich bei den Kalkschwämmen die ganze Gewebsmasse, welche 
durch die Verschmelzung der Geisselzellen des Exoderms der Flimmerlarve ent- 
standen ist, mit Ausschluss der darin gebildeten Kalknadeln. Dieses Syneytium ist 
aus folgenden Bestandtheilen zusammengesetzt: 1) der Sarcodine, einer hyalinen, 
structurlosen, contractilen Grundsubstanz, dem modifieirten Protoplasma der ver- 
schmolzenen Zellen; 2) den bleibenden und sich vermehrenden Kernen dieser Zellen, 
und 3) den Spicula-Scheiden, welche durch Verdichtung der Grundsubstanz 
rings um die Oberfläche der Spicula entstanden sind. 


1. Histologie. Exoderm. Syneytium. 161 


Das Syneytium unterscheidet sich von dem Plasmodium durch die An- 
wesenheit der Kerne der Zellen, aus denen es entstanden ist. Das Syneytium ent- 
hält bei allen Spongien in der Grundsubstanz deutliche Nuclei, welche ihr fort- 
dauerndes Leben durch ihre Vermehrung beweisen. Das Plasmodium ist dagegen 
ein kernloses Protoplasma-Lager, wie das Plasmodium der Myxomyceten und der 
meisten Rhizopoden (Acyttarien, vieler Radiolarien etc.) deutlich zeigt. Mit Bezug 
auf meine Unterscheidung der Cytoden und Zellen definire ich demnach diese beiden 
morphologischen Begriffe folgendermassen: Das Plasmodium ist ein Complex von 
verschmolzenen Cytoden (kernlosen Plastiden); das Synceytium ist ein Complex 
von verschmolzenen Zellen (kernhaltigen Plastiden). Diese Unterscheidung halte 
ich für wichtig, wie überhaupt den fundamentalen Unterschied der beiderlei Plastiden- 
Stufen: Cytoden und Zellen. 

In den Aufsätzen, welche bisher die Anatomie der Spongien behandelten, haben 
die Autoren das Syneytium gewöhnlich als „Sarcode“ beschrieben, oder als „con- 
tractile Substanz“, als „structurlose Grundmasse, hyaline Grundsubstanz, helle 
Zwischensubstanz, homogene Hauptmasse“ u. s. w. Die erste genauere Darstellung 
derselben hat 1864 Oscar ScHmipr gegeben. Er unterscheidet „die Sarcode als 
wesentlichen Bestandtheil des Schwammkörpers“ von den Zellen, und beschreibt sie 
als eine „homogene, sehr durchsichtige und contractile Grundsubstanz, welche bis- 
weilen faltig oder streifig wird.“ In derselben zerstreut finden sich Kerne, Körnchen 
und Körnchen-Conglomerate. Entgegen der Behauptung von LIiEBERKÜHN, dass die 
contractile Grundsubstanz bei Spongilla aus isolirbaren Zellen zusammengesetzt sei, 
findet Schmipr bei marinen Spongien bestimmt das Gegentheil !). 

BOWERBANK beschreibt (1864) die Sarcode als eine durchsichtige gallertartige 
Substanz, welche immer unzählige kleine Körnchen und „gelegentlich zahlreiche 
linsenförmige Zellen mit Kernen“ enthält ?). 

KÖLLIKER schildert (1864) die Sarcode der Kalkschwämme bei Dunstervillia 
(= Sycandra) elegans als „eine homogene Grundsubstanz mit im Ganzen spärlichen 
kleinen Körperchen von meist länglicher Gestalt, die möglicherweise Zellen, vielleicht 
aber auch Kerne sind. Bei Nardoa (= Ascaltis) spongiosa glaubt er dagegen in 
diesen „länglichen und spindelförmigen kleinen Körpern bestimmt Zellen zu er- 


1) ©. Scumipr, Adriat. Spong. I. Supplem. (1864) p. 1, Taf. I. 

2) BoWERBANK, British Spong. Vol. I. (1864) p. 88: „Sarcode is a pellueid, semi-transparent gela- 
tinoid substance, variable in colour and insoluble in water. It dries readely, and its physical characters 
are restored by immersion in water with little or no apparent alteration. When examined by transmitted 
light with a mieroscopie power of 400 or 500 linear, it is always found to contain innumerable minute 
molecules of apparently extraneous animal or vegetable matter, the moleeules being always more or less 
in a shrivelled or collapsed condition, and very variable in size. ÖOccasionally it is found abundantly 


furnished with lentieular nucleated cells, nearly uniform in size, and often highly coloured.‘“ 
Haeckel, Kalkschwämme. 1. v1 


162 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


kennen“; und kurz zuvor bemerkt er ausdrücklich: „Bei Dinsterrillia und Nardoa 
besteht das die Kalknadeln tragende Gewebe aus einer hellen Zwischensubstanz 
mit eingestreuten länglichen oder spindelförmigen Zellen“). 

LIEBERKÜHN beschreibt (1865) die Structur des Syneytium bei seiner Grantia 
botryoides von Helgoland (= Ascandra complicata, H.) mit folgenden Worten: „Die 
Wandung besteht aussen aus einer Lage contractilen Parenchyms, in welchem man 
in der durchsichtigen homogenen Hauptmasse kugelige, ovale, sternförmige Körper- 
chen in den verschiedensten Abständen von einander unterscheidet; diese Körperchen 
sind Anhäufungen von stark lichtbrechenden Körnchen und zeigen öfters Kerne; 
doch können sich die Körnchen auch gleichmässig in dem Parenchym verbreiten. 
Dann erkennt man in dem durchsichtigen Gewebe höchstens hin und wieder Kerne; 
aber Zellengrenzen nimmt man nicht wahr. Wo die sternförmigen oder kugeligen 
Körnchen-Anhäufungen mit und ohne Kerne in dem durchsichtigen Parenchym vor- 
kommen, können es die körnigen Bestandtheile derselben sein, deren verschmolzene 
hyaline Substanz die Hauptmasse des ganzen Gewebes darstellt“ ?). 

JAMES-CLARK nennt (1866) das Exoderm seiner Leucosolenia botryoides (= Ascor- 
tis [ragilis, H.) „an excessively hyaline, cytoblastematous layer, with scarcely, if any 
trace of organisation of a cell-like character in it“ 3). 


Die Kerne des Syncytium. 


Die Kerne oder Nuclei, welche in der hyalinen oder von Körnchen durchsetzten 
Grundsubstanz des Syneytium, in der Sarcodine zerstreut sind, müssen als die in- 
dividuellen Centra des Plastiden-Lebens im Exoderm betrachtet werden. Sie liegen 
in der Grundsubstanz in bestimmten Abständen zerstreut, die jedoch nach der wech- 
selnden relativen Zahl der Kerne und nach dem wechselnden Contractions-Zustande 
der Sarcodine sehr verschieden sind. In den meisten Fällen sind die Abstände zwi- 
schen den benachbarten Kernen so gross, dass sie den Durchmesser der Nuclei selbst 
um das Dreifache bis Vierfache übertreffen, bisweilen nur um das Doppelte, oft um 
das Fünffache bis Sechsfache, selten mehr. Noch seltener liegen die Kerne so dicht- 
gedrängt, dass ihr Abstand wenig grösser als ihr eigener Durchmesser ist. Be- 
stimmte Verschiedenheiten sind weder in dieser, noch in irgend einer anderen Be- 
ziehung, welche die Structur des Syncytium betrifft, zwischen den verschiedenen 
Formen der Kalkschwämme wahrzunehmen. Die Asconen verhalten sich wesentlich 
ebenso wie die Leuconen und Syconen. (Vergl. die Abbildung des Syneytium von 
‘den Asconen Taf. 1, Fig. 2e, 3e; Taf. 11, Fig. 6e, Te; Taf. 13, Fig. 2e, 3e; von 
den Leuconen Taf. 25, Fig. 2e, 3e; Taf. 29, Fig. 2e; von den Syconen Taf. 41, 


1) KÖLLIEER, Icones histologieae (1864) I. Heft, p. 63, 64, 48. 
2) LiEBERKÜHN, Archiv f. Anat. u. Physiol. 1865, p. 735. 
3) JAMES-CLARK, On the Spongiae eiliatae. 1866, p. 20. 


1. Histologie. Exoderm. Syneytium. 163 


Fig. Te, Se). In allen diesen Figuren ist die Sarcodine mit e, die Kerne des Syn- 
cytium mit d bezeichnet. 

In ihrer Form und sonstigen Beschaffenheit bieten die Nuclei des Syneytium keine 
besonderen Eigenthümlichkeiten dar. Sie gleichen namentlich den Kernen, welche 
sich gewöhnlich im Muskelgewebe und im Bindegewebe der höheren Thiere finden. 
Ihre Form ist (im Gegensatz zu den regelmässig abgerundeten Kernen der Entoderm- 
Zellen) ziemlich unregelmässig, meistens länglich-rund, ellipsoid oder eiförmig; der 
längere Durchmesser gewöhnlich anderthalb Mal oder doppelt so gross als der kür- 
zere. Oft sind sie fast spindelförmig, jedoch meist mit abgerundeten Enden; sel- 
tener sind sie kugelig, scheibenförmig oder irregulär polyedrisch, stets mit abgerun- 
deten Kanten. 

Was die Grösse der Kerne betrifft, so schwankt auch diese nur innerhalb sehr 
geringer Grenzen, zwischen 0,003 und 0,009 Mm. Die seltenere Form der kugeligen 
Kerne hat durchschnittlich 0,005 — 0,006 Mm. Durchmesser. Bei der gewöhnlichen 
Form der länglich-runden, ellipsoiden Kerne beträgt der längere Durchmesser mei- 
stens zwischen 0,006 — 0,008, der kürzere zwischen 0,003 —0,004 Mm. 

Die Kerne sind in verdünnten Säuren unlöslich und treten nach deren Einwir- 
kung im Gegentheil besonders deutlich hervor. Durch kaustische Alkalien werden 
sie nach längerer Einwirkung gelöst. Bei unvollständiger Verbrennung des Exoderms 
oder bei leichtem Glühen treten die Nuclei als schwarze, verkohlte Körperchen, in 
ihrer Form unverändert, sehr scharf aus der helleren Grundsubstanz hervor. Durch 
die gewöhnlichen Tinctions-Mittel: Carmin, Jod, Goldehlorid etc. werden die Nuclei 
bedeutend stärker gefärbt als die Sarcodine, jedoch viel’ schwächer als die Kerne 

der Entoderm-Zellen. 

Die Substanz der Nuclei des Syneytium erscheint, mit den stärksten Vergrösse- 
rungen (1200— 1600) betrachtet, stets mehr oder weniger trübe, fein granulirt; oft 
kann man darin deutlich eine geringe Anzahl von dunkeln Körnchen, und constant 
ein sehr kleines Kernkörperchen (von höchstens 0,0005 — 0,001 Mm.) erkennen. Oft 
liegen deren auch zwei neben einander. 

Die Syneytium-Kerne, welche zwei Nucleoli enthalten, bereiten sich zur Theilung 
vor. Die beiden Kernkörperchen rücken gegen die beiden Enden des Kernes hin, 

“ der sich in der Mitte zwischen beiden einschnürt. Dann entsteht eine vollständige 
Trennung der beiden Hälften, nach welcher die beiden neugebildeten Kerne noch 
eine Zeit lang sehr nahe bei einander liegen, an der Trennungsfläche mit breitem 
Rande sich gegenüber stehend. Erst allmählig rundet sich dieses abgestutzte Ende 
langsam ab und der Kern nimmt seine gewöhnliche ellipsoide Form an. Diese fort- 
gesetzte Vermehrung der Nuclei durch Theilung lässt sich leicht und sicher 
in den meisten Präparaten nachweisen (Taf. 1, Fig. 2, 3; Taf. 13, Fig. 3d; Taf. 41, 
Fig. 7.d). 

11* 


164 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Die Sarcodine des Synceytium. 


Die Sarcodine, in welcher die Kerne liegen, und welche die Hauptmasse, die 
eigentliche Grundsubstanz des Syneytium bildet, ist entstanden aus dem ver- 
schmolzenen Protoplasma der Zellen, welche ursprünglich (beim Embryo) das Exo- 
derm zusammensetzten. Demgemäss ist die Sarcodine als eigenthümlich modifi- 
cirtes Protoplasma aufzufassen. 

Von geformten Einschlüssen findet sich in der Sarcodine (ausser den Kernen 
und ausser den Kalknadeln nebst ihren Spieula-Scheiden) stets eine geringe (selten 
beträchtliche) Menge von feinen Körnchen, welche meistens nur um die Kerne herum 
angehäuft sind. Ausserdem enthält sie oft eingedrungene fremde Körper. 

So wenig die Sarcodine in morphologischer Beziehung eigenthümliche Charactere 
erkennen lässt, so wichtig ist sie in physiologischer Beziehung. Sie ist gleichzeitig 
die äussere Decke des Körpers und seine „skeletbildende Schicht“, sein contractiles 
und sein empfindliches Gewebe. Sie vereinigt mithin in sich die verschiedenen ani- 
malen Functionen, welche bei den höheren Thieren auf das System der äusseren 
Haut, das Muskelsystem und das Nervensystem vertheilt sind. 

Die Sarcodine ist bei den Kalkschwämmen anscheinend völlig structurlos, homogen, 
farblos, durchsichtig, wasserklar, und macht optisch den Eindruck einer „hyalinen 
Grundsubstanz“, am besten vergleichbar der Intercellularsubstanz des hyalinen Knor- 
pels. Ebenso wenig mit Hülfe der verschiedensten chemischen Reagentien als mit 
Hülfe der stärksten Vergrösserungen lässt sich irgend eine bestimmte elementare 
Structur in dieser „homogenen Hauptmasse“ nachweisen. Das einzige feinere Structur- 
Verhältniss, welches bisweilen bei sehr starker Vergrösserung (1200—1600) bemerkbar 
wird, aber niemals scharf, immer nur sehr matt hervortritt, ist eine äusserst feine 
staubartige Trübung, ähnlich wie sie auch an der Grundsubstanz des hyalinen Knor- 
pels oft wahrzunehmen ist. Die Sarcodine erscheint dann durch und durch äusserst 
fein und dicht punctirt. Die blassen Punkte scheinen die Zwischenräume zwischen 
äusserst kleinen, helleren Kügelchen zu sein, welche die ganze Masse zusammensetzen. 

In physikalischer Beziehung ist hervorzuheben, dass die Sarcodine ausser 
ihrer bedeutenden Contractilität sich auch durch einen hohen Grad von Ela- 
sticität auszeichnet. Diese offenbart sich ebenso beim Drucke unter dem Deck- 
gläschen, wie beim Zerren und Zerzupfen mit Nadeln. Der letzteren Behandlung 
setzt die Sarcodine einen bedeutenden Widerstand entgegen; sie ist sehr zäh und 
schwer zerreissbar, ähnlich wie das frische Gewebe der glatten Muskeln. Sowohl 
bei lebenden Kalkschwämmen, als bei Spiritus-Präparaten, die mit verschiedenen 
Reagentien behandelt wurden, erhält man durch sorgfältiges Zerzupfen mit Nadeln 
niemals bestimmt geformte Fragmente, Fasern u. dergl., sondern stets nur völlig 
formlose Bruchstücke. Diese amorphen Bruchstücke können gar keinen, oder einen 


1. Histologie. Exoderm. Syneytium. 165 


einzigen, oder mehrere Kerne enthalten. Fragmente des Syneytium, welche aus dem 
lebenden Kalkschwamme durch Zerzupfen erhalten wurden, führen amoeboide Be- 
wegungen aus, gleichviel ob Nuclei in dem Bruchstücke enthalten sind oder nicht 
(Taf. 1, Fig. 4—6; Taf. 25, Fig. 8a, Sb). 

In chemischer Beziehung verhält sich die hyaline Substanz des Syneytium 
ziemlich indifferent und resistent, und erscheint am meisten derjenigen der glatten 
Muskeln vergleichbar. Sie quillt durch verdünnte Säuren auf, ohne sich zu lösen. 
Auch durch ziemlich eoncentrirte Mineralsäuren wird sie nur langsam zerstört, ebenso 
durch concentrirte kaustische Alkalien. Durch Carmin und Jod wird sie erst nach 
längerer Einwirkung und nur sehr blass gefärbt, ebenso auch durch andere Reagentien, 
welche die Kerne des Syneytium, sowie die Geisselzellen des Entoderm, lebhaft 
färben. Es bieten daher die verschiedenen Tinctions-Methoden ein sehr einfaches 
Mittel, um sofort bei allen Kalkschwämmen die Ausdehnung und Begrenzung des 
Entoderm und Exoderm zu bestimmen. Immer hebt sich nach kürzerer oder längerer 
Tinction das intensiv gefärbte Geissel-Epithel des Entoderm von dem blass oder fast 
gar nicht gefärbten Syneytium des Exoderm ab, in welchem nur die gefärbten Kerne 
scharf hervortreten. 

Ausdrücklich soll hier noch hervorgehoben werden, dass es mir eben so wenig 
als irgend jeinem anderen Beobachter gelungen ist, die Sarcodine des Synceytium 
durch. chemische oder physikalische Behandlung in Fasern aufzulösen. Bei einigen 
Kieselschwämmen sollen nach neueren Beobachtungen wirklich in der „Sarcode“ des 
Exoderm Fasern vorkommen, und sind hier auch für „Muskelfasern“ erklärt worden. 
Bei den Kalkschwämmen kommen dergleichen ganz bestimmt nicht vor. Allerdings 
habe ich nicht selten von lebenden, wie von todten Kalkschwämmen gewisse Bilder 
erhalten, die auf Faserung bezogen werden könnten. Namentlich erblickt man 
oft um die Hautporen herum, noch öfter aber um die Magenporen herum deutliche 
concentrische Linien, die als Ringfasern gedeutet werden könnten (Taf. 25, Fig. 2). 
Andere Male sieht man hie und da feine parallele Streifen oder unterbrochene Linien 
neben den Scheiden der Spicula verlaufen. In allen diesen Fällen habe ich mich 
durch sorgfältige Untersuchung fest überzeugt, dass es sich lediglich um verschiedene 
Contractions-Zustände oder Faltungen der Sarcodine, niemals um wirkliche Faserung 
handelt. Die feinen Linien, welche concentrisch um die Poren oder longitudinal den 
Nadeln parallel laufen, sind entschieden keine Fasern, sondern entweder bloss vor- 
übergehende Falten des stark contrahirten Syneytium, oder der Ausdruck einer 
zeitweiligen Verdichtung der Sarcodine in der scheinbaren Faser-Linie. 


Die Granula des Syncytium. 


Ganz constant findet man bei den Kalkschwämmen in die structurlose Grund- 
substanz des Synceytium ausser den Kernen noch eine Anzahl von sehr feinen Körn- 


166 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


chen eingebettet, die wir als Sarcodine-Granula bezeichnen wollen. Dieselben 
liegen stets um den Kern herum, meistens ausschliesslich um diesen angehäuft, sel- 
tener auch in den Interstitien zwischen den Kernen (jedoch nur in geringer Menge) 
in die Sarcodine eingesprengt. Ihre Zahl ist äusserst wechselnd. Bisweilen findet 
man um jeden Nucleus herum kaum ein paar sehr feine Körnchen, und die wasser- 
klare Grundsubstanz zwischen den Kernen erscheint völlig rein und hell. Andermale 
sind die Körnchen in sehr grosser Zahl durch die ganze Sarcodine vertheilt, vor- 
zugsweise jedoch um die Kerne herum in dichten Klumpen angehäuft. In den meisten 
Fällen liegen um jeden Kern herum zwischen 30 und 50 Körnchen, während in den 
Interstitien der Kerne nur hie und da einzelne Granula versprengt liegen. 

Die Anordnung der Sarcodine-Körnchen um die Nuclei herum ist oft sehr cha- 
racteristisch, indem nämlich erstens eine gleichmässig dünne Schicht von Körnchen 
den Nucleus umgiebt, und zweitens von dieser dünnen Schicht aus eine Anzahl von 
Strahlen ausgeht, deren jeder aus einer Körnchenreihe gebildet ist. Bald strahlen 
4—8 solcher granulirter Radien von dem Nucleus aus, die sich bisweilen sogar ver- 
ästeln können; bald finden sich deren nur zwei, welche von den beiden Polen der 
Längsaxe des länglichen Kernes in entgegengesetzter Richtung ausgehen. So ent- 
stehen „sternförmige und spindelförmige Körperchen“, welche leicht für 
Zellen, ähnlich den „sternförmigen und spindelförmigen Zellen“ des Bindegewebes, 
gehalten werden könnten, und auch wirklich oft dafür gehalten worden sind. (Vergl. 
Taf. 1,.Eig. 2, 3; Taf. 13,,Eig. 3;,.Taf./25,Eig.2,,85 Tab Al Ri B): 

Wenn man ein solches Syncytium, das sehr ausgeprägte sternförmige und spindel- 
förmige Körnchen-Anhäufungen um die Kerne herum enthält, mit verdünnten Säuren 
behandelt, so erhält man nicht selten ein Bild, welches täuschend an gewisse Binde- 
gewebs-Formen erinnert. Die sternförmigen und spindelförmigen Körnchenhaufen, 
deren jeder einen Nucleus enthält, scheinen völlig isolirt in der „hyalinen Grund- 
substanz“ der Sarcodine zu liegen, wie die Zellen des gallertigen Bindegewebes in 
dessen „structurloser Grundsubstanz“. Je täuschender diese Aehnlichkeit ist, desto 
mehr muss ausdrücklich hervorgehoben werden, dass es niemals gelingt, durch irgend 
welche Methode Zellen aus dem Syncytium der Kalkschwämme zu isoliren. Viel- 
mehr ist die ganze Grundsubstanz der Sarcodine das vereinigte und modifieirte 
Protoplasma der völlig verschmolzenen Zellen. 

Die Grösse der Sarcodine-Granula ist sehr gering; viele von den feinsten sind 
unmessbar klein und überhaupt erst mit Hülfe der stärksten Vergrösserungen zu 
erkennen. Die grössten Körnchen erreichen gewöhnlich nur einen Durchmesser. von 
0,0003—0,0006 Mm., seltener bis zu 0,001 Mm., oder noch darüber. Ihre chemische 
Natur ist schwer zu bestimmen; die meisten scheinen Fett-Körnchen zu sein. 
Bei einigen gefärbten Arten von Kalkschwämmen finden sich darunter auch die 
färbenden Pigmentkörner; dabei kommen ausserdem noch oft (aber nicht immer!) 


1. Histologie. Exoderm. Syneytium. 167 


dieselben Pigmentkörner auch in den Geisselzellen des Entoderms vor. Ich halte 
die Mehrzahl der Körnchen der Sarcodine für vergängliche Producte des Stoffwech- 
sels, ähnlich den eben so wechselnden „Sarcode-Körnchen der Rhizopoden“. Gleich 
den letzteren können auch die ersteren an einem und demselben Individuum zu ver- 
schiedenen Zeiten in sehr verschiedener Menge auftreten. In Folge von Verschie- 
bungen der Moleküle des Syneytium („Contractionen“) können die Granula ihre Lage 
verändern („wandern“), wie dasselbe beständig bei den „Sarcode-Körnchen der Rhizo- 
poden“ der Fall ist. Diese „Wanderungen“ der Granula von einem Körnchenhaufen 
zum anderen beweisen am deutlichsten, dass die ganze Sarcodine eine homogene, 
festflüssige Masse ist, und dass nirgends in derselben mehr Zellengrenzen existiren. 
Auch gelingt es demgemäss niemals, durch irgend welche mikrochemische Reactionen, 
dureh Behandlung mit Silber-Nitrat und Gold-Chlorid, durch Kochen u. s. w. solche 
„Zellengrenzen“ nachzuweisen. Die Nuclei, um welche sich die Granula constant 
anhäufen, wirken offenbar als Anziehungsmittelpunkte, als Ernährungs-Heerde und 
Centra des Stoffwechsels. 


Die Spicula-Scheiden. 


Die Spieula-Scheiden (Vaginae spiculares) sind besondere structurlose 
Hüllen der Spicula des Skelets, welche unmittelbar an deren Oberfläche durch einen 
besonderen Differenzirungs-Process, durch eine Verdichtung und Sonderung aus der 
Sarcodine des Syneytium entstehen. Diese eigenthümlichen Bildungen sind zuerst 
(1864) von KÖLLIKER und darauf (1365) auch von LiEBERKÜHN beschrieben worden. 
Von den übrigen Autoren sind sie nicht erwähnt worden. 

KÖLLIKER sagt über die Spieula-Scheiden bei den von ihm untersuchten beiden 
Kalkschwämmen (Ascaltis und Sycandra) Folgendes: „Das die Nadeln tragende 
Gewebe zeigt bei Nurdoa spongiosa (= Ascaltis cerebrum?) wesentlich denselben 
Bau, wie bei Dunstervillia (= Sycandra elegans), und besteht aus einer homo- 
genen oder leichtstreifigen Grundsubstanz mit ziemlich vielen, länglichen und 
spindelförmigen kleinen Körpern, in denen ich hier bestimmt Zellen zu erkennen 
glaube. Ausserdem finden sich dann noch nach der Auflösung der Spicula durch 
Essigsäure zahlreiche Lücken, welche diese Bildungen enthalten, die alle von einer 
scharfen Linie begrenzt sind, wie bei Dumnstervillia. Bei Nardoa glaube ich mich 
davon überzeugt zu haben, dass diese scharfe Linie der optische Aufdruck einer 
selbstständigen Scheide der Spieula ist, wenigstens spricht für eine solche An- 
nahme sehr schlagend folgende Thatsache. Bei Nardoa ragen in alle Wimpercanäle 
in mässiger Zahl ziemlich lange und schmale Spicula frei hinein, von denen jede ein 
Ausläufer einer vierstrahligen Nadel ist, deren übrige drei Strahlen ausserhalb des 
Flimmerepithels in der Wand der Ausströmungscanäle liegen. Löst man nun die 
Spicula durch Essigsäure auf, so bleiben an der Stelle des in die Flimmercanäle 


168 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


hineinragenden Strahles der genannten Spieula zarte Scheiden leer zurück, die durch 
das Flimmerepithel hindurch in die Wand der Ausströmungscanäle übergehen. Freie 
Spieula zeigen, der Einwirkung der Essigsäure ausgesetzt, keine solche Scheide und 
glaube ich daher nicht zu irren, wenn ich die Scheiden der Spieula überhaupt als 
eine selbstständige Bildung auffasse, die vielleicht mit der Entwickelung dieser zu- 
sammenhängt und der Rest von Bildungszellen ist. An der Stelle, wo die genannten 
Ausläufer der Spieula frei in die Wimpercanäle hineinragen, zeigt sich übrigens noch 
eine andere räthselhafte Bildung, nämlich eine dunkle, granulirte, kegelförmige Masse, 
welche den Kalkstrahl und, so schien es mir, auch seine Scheide umhüllt. Von der 
Fläche gesehen, erscheinen diese Gebilde wie runde Zellen und zeigen erst Profil- 
ansichten das wahre Verhältniss (Taf. VII, Fig. 10). In einzelnen Fällen setzte sich 
diese dunkle, körnige Masse verschmälert auch noch auf den im Epithel steckenden 
Theil des Kalkstrahles fort, doch gelang es mir leider nicht, die eigentliche Bedeu- 
tung dieser sonderbaren Gebilde zu enträthseln“ !). 

LiEBERKÜHN beobachtete die Spicula-Scheiden bei seiner Grantia botryoides 
von Helgoland (= Ascandra complicata , H.) und sagt darüber mit Beziehung auf 
die eben angeführte Mittheilung KöLuıker’s Folgendes: „An manchen in die Höhle 
hineinragenden Nadeln erkennt man eine feine Lage der contractilen Substanz, welche 
zwischen die Wimperzellen vordringt und entweder in feinster Lage die Nadel ganz 
oder theilweise überzieht, oder in stärkerer Anhäufung nur die Wurzel derselben 
einschliesst. Bei der Behandlung mit Essigsäure löst sich die Kalknadel auf, die 
contractile Substanz bleibt dagegen als ein mehr oder weniger dünnwandiges Futteral 
zurück. In günstigen Fällen lässt die kegelförmige Anhäufung sich auch noch durch 
das Epithel hindurch verfolgen und im continuirlichen Zusammenhange mit der an 
manchen Stellen sehr körnerreichen contractilen Substanz erkennen. Ueberdies finden 
sich dieselben Formen verdickter Scheiden der contractilen Substanz auch verein- 
zelt auf der freien Aussenfläche. Diese sowohl wie die der Innenfläche sind zurück- 
ziehbar“ ?). 

Nach meinen eigenen Untersuchungen kommen diese „Scheiden oder Futterale“ 
der Spieula bei den Kalkschwämmen ganz allgemein verbreitet vor, jedoch in ver- 
schiedenen Graden der Ausbildung. Bald sind die Scheiden so zart und dünn, dass 
sie auch bei Betrachtung mit den stärksten Vergrösserungen nur einen einfachen, 
zarten, obwohl scharfen Contour besitzen; bald sind sie dicker, so dass sie bei einer 
Vergrösserung von 500—1200 (bisweilen schon bei 300) einen deutlichen und scharfen 
doppelten Contour zeigen. Sie sind dann schon an der noch im Synceytium lie- 
genden Nadel deutlich sichtbar, erscheinen aber noch. viel deutlicher, nachdem der 
Kalk der Nadeln durch verdünnte Säuren entfernt ist (vergl. Taf. 1, Fig. 3e,; 


1) KÖLLIKER, Icones histologieae (1864) I. Hett, p. 64. 
2) LiEBERKÜHN, Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien. Archiv f. Anat. u. Phys. 1865, p. 736. 


1. Histologie. Exoderm. Syneytium. 169 


Taf. 13, Fig. 3e; Taf. 25, Fig. 3s; Taf. 29, Fig. 2; Taf. 41, Fig. Se,). Die dicksten 
Spicula-Scheiden erreichen eine Dicke von 0,001 — 0,0012, selten bis 0,0015 Mm. 

Am besten kann man die Spicula-Scheiden an denjenigen Nadeln studiren, welche 
einzeln frei aus dem Körper des Kalkschwammes in das Wasser hineinragen. Das 
sind vorzugsweise die aussen vorspringenden Stabnadeln der Dermalfläche, und die 
innen vorspringenden Apical-Strahlen von gastralen Vierstrahlern. Bei den Stab- 
nadeln der Dermalfläche sind die Scheiden gewöhnlich sehr zart und dünn, seltener 
dick und deutlich doppelt contourirt. Man muss hier die Auflösung des Kalkes 
durch sehr verdünnte Säure nur sehr langsam und allmählig geschehen lassen, weil 
sonst die zarten Scheiden durch die sich entwickelnden Gasbläschen zerrissen und 
unkenntlich werden. Indess gelingt es doch bei manchen stark behaarten, zottigen 
oder borstigen Kalkschwämmen, durch vorsichtiges Ausziehen des Kalkes die Spieula- 
Scheiden so gut zu erhalten, dass sie überall aus der Dermalfläche wie zarte Haare 
vorstehen, und dass der ganze Körper noch eben so zottig oder borstig erscheint, 
wie vor der Entfernung der Kalkerde. 

Viel leichter gelingt es gewöhnlich, sich die Spicula-Scheiden an den Vierstrah- 
lern der Gastralfläche bei solchen Kalkschwämmen zur Anschauung zu bringen, deren 
Magenwand inwendig stachelig oder borstig ist. Die Stacheln oder Borsten, welche 
hier frei in die Magenhöhle vorspringen, sind die Apical-Strahlen von Vierstrahlern, 
deren drei faciale Strahlen in der Gastralfläche liegen. Die Scheiden dieser Apical- 
Strahlen sind in der Regel ziemlich dick und bewahren nach vorsichtiger Entfer- 
nung der Kalkerde durch verdünnte Säure die Gestalt des Apical-Strahles ganz 
genau (vergl. Taf. 8, Fig. 148). 

Die Spieula-Scheiden sind völlig structurlos, hyalin, farblos, durchsichtig, und 
scheinen aus einer etwas modificirten und zwar verdichteten Sarcodine zu bestehen. 
Im Allgemeinen verhalten sie sich gegen Reagentien ebenso wie die Sarcodine selbst; 
jedoch lösen sie sich in den Lösungsmitteln derselben etwas langsamer und zeigen 
eine bedeutendere Resistenz. Man darf demnach wohl annehmen, dass die Spieula- 
Scheiden während der Entwickelung der Spicula an deren Oberfläche durch eine 
Verdichtung und Erhärtung der unmittelbar umgebenden Sarcodine-Schicht ent- 
stehen; mit dieser physikalischen Verdichtung wird auch eine gewisse chemische 
Veränderung und wahrscheinlich auch Verlust der Contractilität verbunden sein. 

LIEBERKÜHN meint, dass die frei vorragenden Scheiden der Spicula sowohl auf 
der (dermalen) Aussenfläche, als auf der (gastralen) Innenfläche „zurückziehbar“ 
seien. Indess ist dies bestimmt nicht der Fall. Die Scheide überzieht die ganze 
Nadel ads ein vollständiges und bleibendes Futteral. Mit der Nadel kann sie sich 
wegen deren absoluter Starrheit nicht zurückziehen; ohne die Nadel kann sie sich 
ebenfalls nicht zurückziehen, da sie unveränderlich an ihrer Oberfläche haftet; auch 
wäre die physiologische Bedeutung einer solchen Contraction gar nicht abzusehen. 


170 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


KÖLLıker fasst die Scheiden der Spicula „als eine selbstständige Bildung auf, 
die vielleicht mit der Entwickelung dieser zusammenhängt und der Rest von Bil- 
dungszellen ist.“ Auch dies ist nicht richtig. Die Spicula entstehen, wie wir später 
sehen werden, als Ablagerungen von kohlensaurem Kalk mitten in der Sarcodine. 
Die Spicula-Scheiden entstehen erst nachträglich um die schon gebildeten Nadeln 
herum. Die ganz jungen Nadeln besitzen noch keine Scheiden. 

Kerne (Nwuelei) scheinen in den Spieula-Scheiden selbst niemals vorzukom- 
men. Allerdings findet man Syncytium-Kerne überall auf den Spieula-Scheiden, und 
ihnen häufig so innig anliegend, dass sie in deren Substanz eingebettet zu sein 
scheinen (Taf. 1, Fig. 3d; Taf. 13, Fig. 3; Taf. 25, Fig. 3; Taf. 41, Fig. 8). Bei ge- 
nauerer Untersuchung überzeugt man sich aber jedesmal, dass diese Nuclei, und 
ebenso die sie umgebenden (oft sternförmigen) Haufen von Sarcodine-Granula, der- 
jenigen Sarcodine-Schicht angehören, welche unmittelbar die Nadel-Scheiden umgiebt, 
und dass sie letzteren bloss äusserlich anliegen. Als ein solcher Syneytium-Kern, 
nebst umgebendem Körnchen-Haufen, ist jedenfalls auch die oben angeführte „räthsel- 
hafte Bildung“ zu deuten, welche KöLuıker bei Ascaltis (Nardoa) als eine „dunkle, 
granulirte, kegelföürmige Masse beschreibt, die den Kalkstrahl und seine Scheide um- 
hüllte“ (l. c. p. 65; Taf. VII, Fig. 10). 


b. Die Spicula oder Nadeln des Kalk-Skelets. 


Zusammensetzung des Skelets aus Kalk-Nadeln. 


Alle Kalkschwämme besitzen ein inneres Skelet aus kohlensaurer Kalkerde, 
welches sie gegenüber allen anderen Schwämmen characterisirt. Dieses Skelet be- 
steht niemals aus einem continuirlichen Gerüste, sondern immer aus zahlreichen ein- 
zelnen Nadeln (Spicula), welche niemals mit einander verschmelzen, auch wenn 
sie sich auf das Innigste berühren. Das Skelet entsteht in der äusseren Schicht 
des Weichkörpers, in dem Exoderm, und die Nadeln bleiben stets von einer beson- 
deren dünnen Membran überzogen, der vorher beschriebenen Nadel-Scheide, die 
sich aus der Sarcodine des Syncytium differenzirt. 

Die Spieula der Kalkschwämme zeigen bezüglich ihrer Gestalt, Lagerung und 
Verbindung einen viel geringeren Grad von Mannichfaltigkeit, als die Kieselnadeln 
der Kieselschwämme. Von der ausserordentlich reichen Auswahl verschiedenartiger 
Formen, die bei den letzteren zu finden ist, zeigen die ersteren nur einen ganz ge- 
ringen Bruchtheil. Trotzdem ist hier, wie dort, die Form der Skelet-Theile vom 
höchsten morphologischen Werthe und liefert, wie wir später sehen werden, die ein- 
zigen sicheren Anhaltspunkte zu einer natürlichen Classification, zu einem genealo- 
gischen System der Kalkschwämme. 


1. Histologie. Exoderm. Spicula. 171 


Die Nadeln der Kalkschwämme zerfallen ihrer Gestalt nach in drei verschiedene 
Gruppen, — wenn man will: Nadel-Gattungen —, nämlich in einfache, dreistrahlige 
und vierstrahlige Nadeln. Die einfachen Spicula oder Stabnadeln (Monosceles) 
haben eine einzige, bald gerade, bald gekrümmte Axe. Die dreistrahligen Nadeln 
oder Dreistrahler (Trisceles) bestehen aus drei Schenkeln oder Strahlen, welche 
in einem gemeinsamen Mittelpunkte zusammentreffen. Die vierstrahligen Nadeln end- 
lich oder Vierstrahler (Tetrasceles) besitzen vier verschiedene Schenkel oder 
Strahlen, die von einem Centrum ausstrahlen. 

O. Schamipr hat in seiner neuesten Arbeit !), in welcher er die prineipale Wichtig- 
keit der Nadelformen für die Morphologie der Spongien richtig hervorhebt, sämmt- 
liche Nadelgestalten der Schwämme nach der Zahl ihrer Axen in vier grosse Gruppen 
gebracht, nämlich: 1) Einaxige Nadeln, deren Grundform die Spindel ist, ein 
an beiden Enden gleichmässig zugespitzter Cylinder (Stäbe, Stifte, Stecknadeln, 
Bogennadeln, Spangen ete.). Man kann diese auch alle zusammen kurz als Stab- 
nadeln oder Einschenkelige (Monosceles) bezeichnen. 2) Nadeln, deren Grund- 
form die dreikantige reguläre Pyramide ist (Dreistrahler und Vierstrahler, 
ferner „Anker mit drei Zähnen“ u. s. w.). In meiner generellen Promorphologie habe 
ich die Körper, welche diese stereometrische Grundform besitzen, als Dreistrahlige 
(Triactincta) bezeichnet (Gen. Morphol. I, p. 474). 3) Sechsstrahler, Hexacti- 
nellen oder dreiaxige Nadeln (mit drei auf einander senkrechten Axen). Sind diese 
drei Axen gleich lang, so ist die Grundform diejenige des hexaedrischen Krystall- 
Systems, der Würfel oder das reguläre Octaeder. Die Gestalten dieser Grundform 
sind in der generellen Morphologie als Octaedrische und Hexaedrische aufgeführt. 
4) Vielaxige Nadeln (Sterne, Kugelsterne, Walzensterne, Spiralsterne etc.). Wenn 
diese Sterne regulär sind, so dass die Spitzen aller Strahlen in eine Kugelfläche 
fallen, so würde ihre Grundform das endosphärische Polyeder sein. Diese sind im 
System der Promorphologie als Vielaxige (Polyaxonia) aufgeführt. 

Von diesen vier Hauptformen-Gruppen des Scaumipr’schen Systems sind nur die 
beiden ersten für die Kalkschwämme von Bedeutung, da Kalknadeln, die den beiden 
letzten Gruppen angehören, Sechsstrahler und Vielaxige, hier nicht vorkommen. 

Alle verschiedenen Nadelformen der Kalkschwämme sind entweder Stabnadeln 
oder Dreistrahler oder Vierstrahler. Sie lassen sich entweder auf die ein- 
axige Form (Stabnadeln) oder auf die dreiseitige Pyramidalform (Dreistrahler und 
Vierstrahler) in Schmipr’s Sinne redueiren. Die Vierstrahler sind jedoch erst als 
von den Dreistrahlern secundär abgeleitete Formen zu betrachten, und als die Grund- 
form dieser letzteren ist nicht die dreiseitige reguläre Pyramide, sondern die drei- 
seitige reguläre Doppel-Pyramide zu betrachten. 


1) O. Scusipt, Atlant. Spong. 1870, p. 2. Grundformen und Variabilität der Kieselkörper. 


vw 


172 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


In Bezug auf ihre Verbreitung und ihre Theilnahme an der Skelet-Bildung der 
Kalkschwämme haben die drei Gattungs-Formen der Kalknadeln einen sehr ver- 
schiedenen Werth. Bei weitem am häufigsten ist die dreistrahlige Nadel; viel we- 
niger verbreitet ist die vierstrahlige und noch spärlicher die einfache Nadel. Wollte 
man ganz ungefähr das Procent-Verhältniss dieser drei Nadelformen bezüglich ihrer 
Theilnahme an der Skeletbildung der heute lebenden Kalkschwämme abschätzen, so 
würde man wohl annähernd das Richtige errathen, wenn man annimmt, dass die 
Dreistrahler 70, die Vierstrahler 20 und die Stabnadeln 10 Procent der gesammten 
Nadelzahl bilden. 

Ausdrücklich muss hier noch hervorgehoben werden, dass vielaxige Spicula 
oder Sterne, welche in dem Kiesel-Skelet vieler Kieselschwämme (Tethya, Geodia, 
Stelleta etc.) eine so grosse Rolle spielen, in dem Kalk-Skelet der Kalkschwämme 
niemals vorkommen. Allerdings findet man solche sternförmige Nadeln, und zwar 
aus kohlensaurem Kalk bestehend, bisweilen in das Exoderm der verschiedensten 
Kalkschwämme (Asconen, Leuconen, Syconen) eingesprengt, und ich selbst bin an- 
fänglich in den Irrthum verfallen, sie für integrirende Skelet-Theile zu halten. Auch 
habe ich von mehreren befreundeten Collegen solche Präparate als „besonders merk- 
würdige Kalkschwämme mit sternförmigen Nadeln“ erhalten. Durch genauere Unter- 
suchung habe ich mich aber bald überzeugt, dass dieselben niemals zu den Kalk- 
schwämmen gehören, in deren Parenchym sie von aussen (von der Dermalfläche) oder 
von innen (von der Gastralfläche) eingedrungen sind. 

Die ursprüngliche Heimath und die Bildungsstätte dieser sternförmigen Kalk- 
nadeln ist der Mantel von zusammengesetzten Ascidien. Bekanntlich bilden 
viele Synascidien solche sternförmige Kalkkörperchen in grosser Menge. Besonders 
interessant sind in dieser Beziehung mehrere Arten von Didemnum , so namentlich 
das gemeine D. candidum , welches fast über die ganze Erdoberfläche verbreitet zu 
sein scheint, und eine neue, noch kleinere Art, welche ich D. minimum nennen 
will!). Bei diesen merkwürdigen Synascidien-Stöcken sind die Personen (oder 
„Einzelthiere“) ausserordentlich klein und atrophisch, die gemeinsame lederartige 
Masse des Mantels dagegen (die aus Cellulose bestehende Testa), in welcher die 
Einzelthiere völlig verborgen sind, unverhältnissmässig dick und hypertrophisch. 
Am stärksten ist dies Missverhältniss bei Didemnum minimum, wo die Personen mit 
blossem Auge nicht sichtbar sind, und erst erkannt werden, wenn man eine Reihe 
von successiven Schnitten durch die weisse Kruste bei schwacher Vergrösserung 
durchmustert. Die meisten Schnitte zeigen nichts als eine structurlose Grundsubstanz, 


1) Didemnum minimum finde ich, ebenso wie das nächstverwandte D. candidum (dessen Personen 
beträchtlich grösser sind und dichter stehen), als eine schneeweisse, lederartige Kruste von unregelmässigen 
Umrissen und 1—3 Mm. Dicke auf Tang, Steinen, Mollusken-Schalen ete. aus verschiedenen Erdtheilen 


(Mittelmeer, atlantischer Ocean, indischer und paeifischer Ocean). 


1. Histologie. Exoderm. Spicula. 173 


welche mit Millionen von sternförmigen Kalkkörperchen ganz dicht durchsetzt ist. 
Auf einzelnen Schnitten dagegen findet man die mikroskopischen Ascidien-Personen, 
welche in geringer Zahl und durch weite Zwischenräume von einander getrennt in 
der Grundmasse zerstreut liegen. Sie sind aber so spärlich, dass ich selbst sie erst 
nach längerem Suchen fand und den Aseidien-Stock anfänglich für einen Kalk- 
schwamm mit sternförmigen Spicula hielt. Als solcher ist er mir auch von ver- 
schiedenen Seiten zugeschickt worden. Wenn nach dem Tode dieser Ascidien der 
Mantel sich auflöst, bleiben die unzerstörbaren Kalksternchen auf dem Meeresgrunde 
liegen und bilden an manchen Stellen einen nicht unbeträchtlichen Bestandtheil des 
Meeressandes oder Schlammes. Spongien, welche an solchen Stellen wohnen, neh- 
men nun sehr leicht solche Kalksternchen mit anderen fremden Körpern in sich auf. 
Die stacheligen Sternchen gerathen mit den Wasserströmen in das Innere oder bleiben 
(wie Klettensamen) an der Dermalfläche hängen, bohren sich leicht in Folge äusserer 
Druckwirkung in das innere Parenchym des Schwammes hinein, und können nun als 
integrirende Bestandtheile desselben imponiren. So finde ich dieselben in grösserer 
oder geringerer Menge nicht allein in Hornschwämmen und Kieselschwämmen, son- 
dern auch in vielen Kalkschwämmen (z. B. in manchen Exemplaren von Ascetta 
primordialis, Ascaltis Darwinü, Leucetta sagittata, Leucaltis erustacea, Sycortis 
laevigata, Sycandra eiliata etc.). Vielleicht sind auch die sternförmigen Kalkkör- 
perchen, welche SELENKA von einer australischen Gumminee (Laeinia stellifica) be- 
schreibt, auf diese Weise von aussen in deren Parenchym eingedrungen !). 


Elementare Structur der Spicula. 


Der feinere Bau der Kalk-Nadeln der Caleispongien, soweit er mit unseren gegen- 
wärtigen Untersuchungs-Hülfsmitteln erkennbar ist, scheint im Wesentlichen derselbe 
zu sein, wie bei den Kiesel-Nadeln der Kieselschwämme; d.h. jedes einfache Spi- 
culum (Stabnadel) oder jeder Schenkel (Strahl) einer dreistrahligen oder vierstrah- 
ligen Nadel besteht aus einem System von zahlreichen concentrischen, sehr dünnen 
Blättern, Hohleylindern oder Hohlkegeln, welche eine gemeinsame Axe, einen sehr 
feinen Centralfaden, geschichtet umgeben. Jedoch ist diese elementare Structur der 
Spicula bei den Kalkschwämmen viel’ schwieriger zu erkennen, als bei den Kiesel- 
schwämmen, und daher zeigen die Angaben der Autoren hierüber die grössten 
Widersprüche. 

ROBERT GRANT, der scharfsichtige Beobachter, dem wir sowohl die Entdeckung 
als die erste genauere Beschreibung der Kalkschwämme verdanken, giebt schon 1826 
an, dass die Kalk-Nadeln derselben einen centralen Canal enthalten. Er sagt bei 
der Beschreibung von Sycandra (Spongia) compressa: „The rays of the tri-radiate 


1) SELENKA, Ueber einige neue Schwämme aus der Südsee. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XVII, 
1867, p. 568. 


174 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


spiculum are hollow within, shut at their free extremities, and have no superficial 
openings; but their internal cavities communicate freely at their point of junction, 
and form there a small central reservoir.‘‘ — „The other spieulum, the clavate, is 
distinctly tubular and shut at both extremities‘“1). OscAR SCHMIDT vermisste in 
den Nadeln der Kalkschwämme sowohl den Central-Canal als die concentrische 
Schichtenbildung?). BOwERBANK dagegen erkannte die letztere, während er des er- 
steren nicht erwähnt: „The concentrie deposition of the layers of silex or carbonate 
of lime in the spicula are readely to be seen in transverse fractures of almost any 
large spiculum, either siliceous or caleareous“ ?). KÖLLIKER sagt wiederum (1864): 
„Nach Allem, was wir wissen, zeigen die Nadeln der Kalkschwämme keinen beson- 
deren inneren Bau, und entbehren namentlich auch der Schichtung und des Central- 
canales, der bei den Kieselnadeln so gewöhnlich ist“). CARTER endlich behauptet 
(1369), dass der Centralcanal bei den Kalkschwämmen nur hie und da sichtbar sei, 
dass die concentrische Schichtung dagegen fehle 5). 

Nach meinen eigenen Untersuchungen ist sowohl der „‚Central-Canal“ oder „Central- 
faden“, als auch die concentrische Schichtung in den Kalk-Nadeln der Caleispongien 
ganz allgemein vorhanden, ebenso wie bei den Kiesel-Nadeln der Kieselschwämme; 
und es ist demnach die elementare Structur der Spicula bei den Schwämmen über- 
haupt im Wesentlichen überall dieselbe, mag nun das Material kohlensaurer Kalk 
oder Kieselerde, verbunden mit organischer Substanz sein. Dass diese feinere Struetur 
den meisten der bisherigen Beobachter bei den Kalkschwämmen entging, liegt an 
zwei Umständen: Erstens ist der „Central-Canal“ oder „Centralfaden“ durchschnitt- 
lich bei den Kalkschwämmen viel feiner als bei den Kieselschwämmen, und zweitens 
ist wegen der eigenthümlichen Lichtbrechung der kohlensauren Kalkerde sowohl der 
Centralfaden als die concentrische Schichtung viel schwieriger unter dem Mikroskope 
bei durchfallenden: Lichte wahrzunehmen, als es bei den ganz anders lichtbrechenden 
Kiesel-Nadeln der Kieselschwämme der Fall ist. Der Unterschied in dem Brechungs- 


1) ROBERT GRANT, Edinburgh New Philosoph. Journal, Vol. I, 1826, p. 167. 

2) Oscar SCHMIDT, Adriat. Spong. p. 8: „Bei allen Formen (von Nadeln), welche analog den pflanz- 
lichen und thierischen Theilen nicht durch eine der krystallinischen Apposition entfernt ähnliche Schichten- 
ablagerung, sondern mit totalem Substanzwechsel wachsen, fehlt der Centralcanal. In diese Kategorie 
dürften sämmtliche Kalkbildungen der Caleispongien gehören. 

3) BOWERBANK, Brit. Spong. Vol. I, p. 6 (1864). 

4) KÖLLIKER, Icones histologieae, 1864, Vol. I, p. 54. 

5) CARTER, Annals and Mag. of nat. hist. 1869, Vol. III, p. 466: „In the spicules of @rantia (Syc- 
andra) ciliata a trace of a central canal may often be seen towards the base of the straight arm of the 
triradiate spicule; and perhaps this may be patent here and there. — The calcareous spicules present not 
the concentrie lamination seen in the siliceous one, although böth break with a similar conchoidal 


fracture.‘* 


1. Histologie. Exoderm. Spieula. 175 


Exponenten der Kieselerde und des Spiculins ist bedeutend grösser als der Unter- 
schied in dem Brechungs-Exponenten der Kalkerde und des Spiculins. 

Der Centralfaden, welcher den Central-Canal der Kalk-Spicula ausfüllt, 
ist bei den meisten Kalkschwämmen unmessbar fein, und kann gewöhnlich erst bei 
einer Vergrösserung zwischen 300 und 600, in vielen Fällen sogar erst bei einer Ver- 
grösserung von 800—1200 überhaupt wahrgenommen werden. Wenn man den Focus 
des Mikroskopes scharf auf die Axe des Nadelschenkels einstellt, erscheint er als eine 
sehr zarte und blasse, gleichmässig breite Linie, welche sich zwar nur sehr wenig, 
aber doch deutlich tınd scharf von den zunächst liegenden innersten Lamellen der 
Nadelsubstanz abhebt. In vielen Fällen, wo man ihn bei gerade durchfallendem 
Lichte, auch bei sehr enger Diaphragma-Oeffnung, nicht wahrnimmt, wird er deutlich, 
sobald man schiefe Beleuchtung anwendet. Bei einzelnen Arten von Kalkschwämmen 
ist der Centralfaden bedeutend dicker und daher auch deutlicher, als es sonst ge- 
wöhnlich der Fall ist, so namentlich unter den Asconen bei Asceita primordialis 
(Taf. 1, Fig. 2; Taf.5, Fig. 1), A. sceptrum (Taf.5, Fig. 4), Ascaltis Lamarckü 
(Taf. 10, Fig. 4); unter den Leuconen bei Leucetta primigenia (Taf. 21, Fig. 9, 
16, 17), Leucortis pulwinar (Taf. 29, Fig. 8—10, 16— 18), Leucandra ochotensis 
(Taf. 34, Fig. 3b); unter den Syconen bei Sycetta primitiva (Taf. 41, Fig. 5), Syc- 
andra villosa (Taf.52, Fig.3t), S. hystrix (Taf. 56, Fig. 2). In einzelnen Fällen finden 
sich hie und da monströse Spicula, welche sich durch hypertrophischen, sehr dicken 
Centralfaden auszeichnen. Solche habe ich namentlich zuweilen unter den Leuconen 
bemerkt, z. B. bei Lexucandra caminus (Taf. 33, Fig. 1g, li). Der Centralfaden wird 
dann doppelt contourirt, und erreicht eine messbare Dicke, bis zu 0,001—0,003 Mm., 
sehr selten bis zu 0,005 Mm. und darüber. Immer liegen solche monströse Nadeln 
ganz einzeln zwischen der gewöhnlichen Form mit feinem Oentralfaden. Durch einen 
glücklichen Zufall beim Zerbrechen dieser monströsen Nadeln ist es mir ein paar Mal 
gelungen, den Centralfaden als ein selbstständiges Gebilde wahrzunehmen, welches 
an dem einen Bruchende der Nadel aus deren Central-Canal eine ganz kurze Strecke 
frei hervortrat. Bisweilen wird der Centralfaden in solchen Nadeln, in denen man ihn 
nicht ohne Weiteres wahrnimmt, deutlich, sobald man dieselben ganz schwach glüht. 
Er bräunt sich dann und tritt bei schräg durchfallendem Lichte deutlich hervor. Bei 
stärkerem Glühen wird der Centralfaden ganz zerstört; der sehr enge Central-Canal, 
in welchem derselbe eingeschlossen liegt, tritt dann bisweilen sehr deutlich hervor, 
andere Male ist er nicht wahrzunehmen. 

In allen Fällen, wo der Centralfaden sehr deutlich war, habe ich denselben als 
ein gleich dickes Gebilde durch die ganze Länge der Nadel bis zu deren Spitze ver- 
folgen können. Ich vermuthe daher, dass der Centralfaden an beiden Enden der Stab- 
nadeln, und ebenso an allen Schenkel-Spitzen bei den Dreistrahlern und Vierstrahlern, 
mit der Sarcodine des Syneytium in unmittelbarer Verbindung steht, und wohl auch 


176 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie, 


seiner chemischen Beschaffenheit nach nicht oder nur ‘wenig verschieden ist. Bei den 
Kieselnadeln der Kieselschwämme nimmt man gewöhnlich an, dass der Central-Canal, 
welcher den Centralfaden enthält, an beiden Enden geschlossen ist. Ich vermuthe 
indess, dass auch hier, wie bei den Kalkschwämmen, eine kleine, wenn auch sehr 
enge Oeffnung an der Spitze existiren wird, durch welche der Centralfaden mit der 
Sarcodine des Syneytium in Verbindung steht. Ohne diese Annahme wäre das Wachs- 
thum des Centralfadens kaum zu erklären. 

Bei denjenigen Dreistrahlern und Vierstrahlern, deren Central-Canal sehr deut- 
lich ist, sieht man gewöhnlich (aber nicht immer) im Centrum der Nadel eine kleine 
kugelige Höhle, von welcher die drei oder vier Central-Canäle ausstrahlen. Diese 
Centralhöhle des Spiculum scheint von einem kugeligen Sarcodine-Knopf erfüllt zu 
sein, in welchem die drei oder vier Centralfäden sich vereinigen, z.B. Ascetta pri- 
mordialis (Taf. 1, Fig. 1); Leucetta primigenia (Taf. 21, Fig. 9, 16, 17); Sycetta pri- 
mitiva (Taf. 41, Fig. 5). 

Wie die Weite des Central-Canals und die Dicke des darin eingeschlossenen 
Fadens bei den verschiedenen Species der Kalkschwämme, und oft auch bei den ver- 
schiedenen Nadelformen einer Species sehr verschieden ist, so kann sie auch bei den 
Individuen einer und derselben Nadelform in einer Species sehr variiren. In manchen 
Fällen bin ich auch bei Anwendung der stärksten Vergrösserungen (1200—1600) und 
aller optischen Vorsichtsmassregeln nicht im Stande gewesen, den Centralfaden deut- 
lich und scharf zu erkennen; dennoch möchte ich annehmen, dass der Central- 
Canal und der darin enthaltene Centralfaden in den Kalknadeln aller 
Kalkschwämme ein constantes Gebilde ist, wie es wahrscheinlich auch von 
allen Kieselnadeln der Kieselschwämme gelten dürfte. 

Dasselbe gilt nun auch von der übrigen Elementar-Structur der Kalknadeln, und 
namentlich von der concentrisch-lamellösen Schichtung oder Blätter- 
Structur derselben. Diese ist in den meisten Fällen bei einer Vergrösserung von 
300—600 leicht wahrzunehmen, obwohl CARTER sie noch in neuester Zeit (1369) aus- 
drücklich leugnet. Wenn sie nicht ohne Weiteres sichtbar ist, kann man sie sich 
gewöhnlich leicht entweder durch Anwendung schiefer Beleuchtung oder durch 
schwaches Anglühen der Kalknadeln zur Anschauung bringen. Bei den meisten 
grösseren Nadeln ist sie so deutlich ausgeprägt, dass sie schon bei schwächerer Ver- 
grösserung hervortritt. 

Man überzeugt sich von der Zusammensetzung der Kalknadeln aus zahlreichen 
dünnen, concentrischen Lamellen (Hohleylindern oder Hohlkegeln) am leichtesten auf 
Querschnitten oder Querbrüchen, wie sie namentlich von den grösseren Nadeln sehr 
leicht zu erhalten sind. Man sieht dann auf der transversalen Schnittfläche oder 
Bruchfläche ein System von sehr zahlreichen und feinen concentrischen Linien, welche 
um den gemeinsamen Mittelpunkt (den Querschnitt des Centralcanals) in sehr geringen 


1. Histologie. Exoderm. Spicula. 177 


Abständen herumlaufen (Taf. 48, Fig. 5). Wenn die Kalknadeln (wie gewöhnlich) ey- 
lindrisch, spindelförmig oder konisch sind, so bilden die concentrischen Linien Kreise; 
wenn sie dagegen mehr oder minder abgeplattet sind (was selten der Fall ist), so 
bilden sie Ellipsen. Auf dem scheinbaren Längsschnitt der Nadeln bilden die con- 
centrischen Lamellen natürlich parallele Längsstreifen, welche in vielen Fällen deut- 
lich sichtbar sind. 

Die Bruchfläche der Spicula ist bei den Kalkschwämmen allgemein mu- 
schelig, wie schon CARTER (l. c.) richtig angiebt („break with a conchoidal fracture“). 
Auch auf sehr unregelmässigen muscheligen Bruchflächen tritt dennoch die concen- 
trische Zeichnung oft deutlich hervor. Die Zusammensetzung der Kalknadeln aus 
concentrischen Blättern ist vielleicht von grosser Bedeutung für die Vergleichung der 
Spicula mit anorganischen Krystallen, bei denen ja ebenfalls die „Blätter-Structur“* 
ganz allgemein ist. 


Chemische und physikalische Beschaffenheit der Spicula. 


Die Nadeln oder Spicula, welche das Skelet der Kalkschwämme zusammensetzen, 
bestehen aus kohlensaurem Kalk, welcher mit Wasser und einer geringen Menge 
organischer Substanz in eigenthümlicher Weise verbunden ist. Die bisherigen Beob- 
achter der Kalkschwämme haben diese eigenthümliche Zusammensetzung und die 
damit verbundene Elementar-Structur meist gar nicht berücksichtigt, sondern ohne 
Weiteres angenommen, dass die Nadeln bloss aus kohlensaurem Kalk bestehen. Eine 
Ausnahme macht O. Schmipr, welcher 1362 ausdrücklich sagt: „Unzweifelhaft be- 
theiligt sich an dem Aufbau der Nadeln der Kalkschwämme eine organische Masse, 
was unter Anderem daraus hervorgeht, dass beim Glühen der Kalknadeln kleine 
Blasen sich zu erheben pflegen“t,,. Auch BowErBAnK scheint eine Mischung von 
kohlensaurem Kalk und organischer Substanz darin anzunehmen, wie aus folgender 
Bemerkung hervorgeht: „The calcareous spicula of Grantia compressa (= Sycandra 
compressa, H.) withstood incineration better than I expected. The surface was 
studded with numerous little vesicles, generated by the heat, and which interfered 
with their transparency; but they retained nearly their original colour and propor- 
tions, and it may therefore be coneluded that they contained so great a proportion of 
calcareous matter as to prevent their disintegration by heat“). Dagegen bemerkt 
KÖLLIKER: „Ob ausser den Kalksalzen auch eine organische Substanz an dem Aufbaue 
dieser Nadeln sich betheiligt, scheint mir nicht so unzweifelhaft wie O. Schmipr, und 
scheint mir der Umstand viel mehr Beachtung zu verdienen, dass beim Auflösen der 
Nadeln in schwachen Säuren, Essigsäure z. B., keinerlei Rückstand bleibt.“ Ebenso 


1) O. Scnmiprt, Adriat. Spong. (1862) p. 7. 
2) BOowErBANK, British Spong. Vol. I, p. 10. 
Haeckel, Kalkschwämme. I. 12 


178 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


scheinen alle anderen Autoren keine organische Substanz in den Kalknadeln anzu- 
nehmen. 

Nach meinen eigenen Untersuchungen ist die kohlensaure Kalkerde der Nadeln 
sicher bei sehr vielen Kalkschwämmen, wahrscheinlich bei allen, mit einer geringen, 
aber sehr wechselnden Menge organischer Substanz verbunden. Die chemische Natur 
dieser Kohlenstoff-Verbindung ist sehr schwierig zu ermitteln, da die Quantität der- 
selben nach Auflösung des Kalks durch Säuren immer sehr gering erscheint. Wahr- 
scheinlich ist sie stickstoffhaltig und nur wenig von der organischen Substanz des 
Centralfadens und der Sarcodine verschieden. Ich will diese „organische Grundlage“ 
oder Kohlenstoff-Verbindung der Kalk-Spicula, die vielleicht mit derjenigen der Kiesel- 
Spicula bei den Kieselschwämmen identisch oder nahe verwandt ist, der Kürze halber 
Spieulin nennen. 

Die Quantität, in welcher die kohlensaure Kalkerde und das Spiculin bei den ver- 
schiedenen Arten der Kalkschwämme und bei den verschiedenen Nadeln einer Art die 
Spieula-Substanz zusammensetzen, ist sehr schwer zu bestimmen und vorläufig kaum 
annähernd zu schätzen. Die Spicula sind sehr schwierig aus dem Gewebe des Syn- 
cytium zu entfernen und von ihren Scheiden zu reinigen. Nur bei wenigen Arten 
finden sich in grösserer Menge die colossalen Spicula von 1—5 Mm. Länge, welche 
mit blossem Auge deutlich sichtbar und leichter zu isoliren sind, und gerade diese 
Arten gehören meist zu den selteneren. Aber nur an völlig isolirten und gereinigten 
Nadeln lässt sich natürlich die quantitative Zusammensetzung mit einiger Sicherheit 
schätzen. Ich möchte nach sehr zahlreichen, dahin gerichteten Versuchen annehmen, 
dass in den Nadeln aller Kalkschwämme die Quantität der kohlensauren Kalkerde viel 
beträchtlicher ist als diejenige des Spiculins, so zwar, dass diese letztere im höchsten 
Falle etwa ein Zehntel des Nadel-Volums, im geringsten Falle dagegen weniger als 
ein Hundertel oder selbst ein Tausendtel des Volums beträgt. Nadeln, in welchen gar 
keine Spur von Spiculin nachzuweisen war, die also rein aus kohlensaurem Kalke be- 
ständen, sind mir nicht vorgekommen. 

Meine Versuche bestanden theils darin, dass ich die kohlensaure Kalkerde durch 
verdünnte Säuren (Salzsäure, Salpetersäure, Essigsäure) entfernte, theils darin, dass 
ich das Spiculin zerstörte, und zwar entweder durch Glühen oder durch Maceration 
in kaustischen Alkalien (Kali, Natron). 

Die Behandlung der Nadeln mit verdünnten Säuren erfordert die grösste Vorsicht. 
Nur wenn die Säure sehr stark verdünnt ist und sehr allmählig einwirkt, bleibt das 
Spieulin erhalten. Sobald dagegen die Säure einigermassen stark einwirkt, wird das 
zarte Spiculin durch die rasch sich entwickelnden Gas-Bläschen von Kohlensäure zer- 
rissen und in unscheinbare Fetzen aufgelöst. Sobald mit der gehörigen Vorsicht der 
Kalk durch Auflösen in verdünnten Säuren entfernt wurde, blieb das Spieulin in 
Gestalt eines sehr zarten und unansehnlichen Häutchens zurück, das oft kaum wahr- 


1. Histologie. Exoderm. Spicula. 179 


nehmbar war, aber beim Eintrocknen stets sichtbar wurde. Dieser Rückstand war 
völlig farblos und structurlos, färbte sich durch Carmin, Jod, Salpetersäure etc. nicht, 
löste sich in verdünnten Säuren nicht; wurde aber durch kaustische Alkalien nach 
kürzerer oder längerer Einwirkung völlig gelöst. Die Quantität des Spieulin-Rück- 
standes war bei allen mit Säure behandelten Nadeln so gering, dass eine nähere Unter- 
suchung nicht möglich war. 

Viel lehrreicher war die Untersuchung der Nadeln mit kaustischen Alkalien oder 
mit Glühproben. Es ergab sich hierbei bald zwischen den Kalknadeln der verschie- 
denen Arten eine sehr beträchtliche Verschiedenheit, welche ich am einfachsten durch 
Annahme eines verschiedenen Procent-Gehaltes an Kalk und Spieulin erklären zu 
können glaube. Die beiden Extreme, welche in dieser Beziehung bei allen drei Fami- 
lien der Kalkschwämme vorkommen, welche aber durch alle möglichen Zwischenstufen 
vermittelt werden, verhalten sich folgendermassen: 

Das eine Extrem bilden die Kalknadeln, welche ganz überwiegend aus Kalk be- 
stehen und nur sehr wenig Spiculin enthalten, wahrscheinlich weniger als ein Procent, 
oft vielleicht weniger als ein Promille des Volums. Es sind das namentlich Stab- 
nadeln von der einfachsten Form (Spindeln, Pfähle, Stricknadeln, überhaupt haplopole 
Monaxonien); ferner unter den Dreistrahlern und Vierstrahlern diejenigen, welche als 
die phylogenetisch ältesten zu betrachten sind, welche also die ursprüngliche Stamm- 
form des regulären Dreistrahlers beibehalten haben oder wenig von ihr abgewichen 
sind; vor allen also die Stammformen der drei natürlichen Familien: 4scetta primor- 
dialis, Leucetta primigenia, Sycetta primitiva; ferner vorzugsweise die Dreistrahler 
mit geraden, konischen oder cylindrischen Schenkeln von der einfachsten Form. Die 
Natur dieser spiculin-armen Kalknadeln lässt sich am besten an den colossalen 
regulären Dreistrahlern von Leucetta primigenia (Taf. 21, Fig. 16) und anderen Arten 
studiren. Wenn man diese mit blossem Auge deutlich sichtbaren Nadeln, deren 
Schenkel 1—3 Mm. lang, 0,1—0,3 Mm. dick sind, auf dem Platinblech vorsichtig und 
langsam glüht, so verlieren sie zunächst ihr krystallartiges, wasserklares Aussehen 
‚und ihre vollkommene Durchsichtigkeit. Sie werden trübe, bläulich -opalisirend, bis- 
weilen ganz blau, und dann fast milchweiss. Unter dem Mikroskope erscheinen sie 
bei auffallendem Lichte mehr oder weniger bläulich, bisweilen intensiv blau, bei 
durchfallendem Lichte gelblich-braun, bisweilen dunkelbraun. Wie sich an den 
muscheligen Bruchflächen von Fragmenten zeigt, geht die braune Färbung durch die 
ganze Dicke der Nadeln hindurch. Jedoch ist sie meistens am intensivsten in der 
Axe und deren Umgebung. Bei sehr starker Vergrösserung sieht man in der Axe 
dann oft sehr deutlich den verkohlten Centralfaden, in Gestalt eines dunkelbraunen, 
sehr feinen Striches oder einer Reihe von braunen Körnchen. Auch eine feine, diesem 
Faden parallele Längsstreifung ist oft deutlich sichtbar, und auf Querschnitten ein 
System von feinen concentrischen Ringlinien, der lamellösen Structur entsprechend. 


122 


180 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Setzt man nun diese spiculin-armen Nadeln einer stärkeren Glühhitze aus, so wird das 
Krystallwasser frei und sie zerspringen unter Knistern in viele kleine Fragmente mit 
muscheligem Bruch. Bei fortgesetztem Glühen zerfallen diese in eine krümelige 
Masse, aus lauter amorphen, sehr kleinen Kalkkörnchen bestehend. Maceration in 
kaustischem Alkali übt auf diese spiculin-armen Kalknadeln nur sehr geringe Wirkung 
aus. Sie erscheinen oft fast gar nicht verändert; andere Male nur leicht angegriffen, 
wie oberflächlich zerfressen oder fein körnig. 

Das andere Extrem bilden die Kalknadeln, welche neben dem vorwiegenden Kalk 
eine beträchtliche Quantität Spieulin, vielleicht bis gegen zehn Procent des Volums 
enthalten. Hierher gehören vor allen die complieirteren Formen der Stabnadeln (vor- 
zugsweise diplopole Monaxonien), und unter den Dreistrahlern und Vierstrahlern die- 
jenigen, welche als sehr stark modifieirte, durch Anpassung beträchtlich umgebildete 
oder abgeleitete, also phylogenetisch junge Formen zu betrachten sind; mithin vor- 
zugsweise sagittale und irreguläre Dreistrahler und Vierstrahler, mit stark ge- 
krümmten oder verbogenen Schenkeln; solche besitzen z.B. Ascandra variabilis, Leu- 
celtla pandora, Sycandra ampulla etc. Diese spieulin-reichen Kalknadeln 
werden schon durch die Maceration in kaustischem Alkali sehr stark angegriffen, zer- 
fressen oder fast siebartig durchlöchert; bei schwächerer Vergrösserung erscheinen sie 
fein granulirt oder dicht punktirt; bei sehr starker Vergrösserung sieht man, dass 
die ganze Masse der Nadeln mehr oder weniger arrodirt oder zerfressen ist; und zwar 
scheint oft der Kalkrest ein dichtes Gitterwerk mit sehr engen Maschen zu bilden. 
In diesen Maschen, die bald rundlich, bald polygonal, namentlich bisweilen deutlich 
sechseckig erscheinen, lagen offenbar Spiceulin-Körner, welche durch das kaustische 
Alkali gelöst wurden. Noch viel stärker werden diese spiculin-reichen Kalknadeln 
durch das Glühen angegriffen. Schon bei schwachem Anglühen werden sie braun, 
dann schwärzlich, und bei starker Vergrösserung sieht es aus, als ob die ganze Kalk- 
masse der Nadel von kleinen, schwarzen Kohlen-Partikelchen durchsetzt sei. Bei 
stärkerem Glühen werden diese verbrannt und es treten an ihre Stelle leere Lücken. 
Die übrig bleibende Kalk-Basis der Nadel erhält dann dasselbe zerfressene Aussehen, 
wie nach längerer Einwirkung von kaustischem Natron. Auch der braune Central- 
faden und die concentrisch-lamellöse Schichtung tritt schon nach schwachem Anglühen 
bei diesen spiculin-reichen Kalknadeln sehr deutlich hervor. Dagegen scheinen sie 
viel weniger Krystallwasser als die spiculin-armen Nadeln zu enthalten, und zer- 
springen nicht unter Knistern. Einige von den spiculin-reichsten Nadeln verändern 
bei anhaltendem Glühen sogar ihre Form, indem sie sich biegen oder verkrümmen; 
und nach längerem Glühen bleibt nur ein unansehnlicher Rest von isolirten Kalk- 
Körnchen zurück. 

Aus diesen Versuchen geht hervor, dass der Kalk und das Spiculin nicht gleich- 
mässig durch die ganze Substanz der Spicula vertheilt, sondern in einer eigenthüm- 


1. Histologie. Exoderm. Spieula. I. Dreistrahler. 181 


lichen, noch näher zu bestimmenden Weise innerhalb der Nadel-Lamellen geordnet 
sind; vielleicht wechseln spiculin-reichere, concentrische Lamellen auch mit spieulin- 
ärmeren ab. 

Sehr bemerkenswerth ist es, dass die spiculin-reichen Nadeln unter dem Mikro- 
skop viel dunkler und glänzender, viel stärker lichtbrechend erscheinen, als die 
matten und blassen, spieulin-armen Nadeln. Schon an diesem sehr verschiedenen 
optischen Verhalten kann man die beiden Extreme auf den ersten Blick unterschei- 
den, die jedoch, wie gesagt, durch zahlreiche Zwischenstufen verbunden sind. In 
polarisirtem Lichte erscheinen die Spicula der Kalkschwämme doppelbrechend. 

Die Dichtigkeit und Elastieität der Kalknadeln ist bei den verschiedenen Kalk- 
schwämmen beträchtlich verschieden. Offenbar hängt auch diese Verschiedenheit von 
der wechselnden Quantität und Qualität des Spiculins oder der organischen Substanz 
ab, welche in den Spicula mit der kohlensauren Kalkerde verbunden ist. Je mehr das 
Kalksalz in den Nadeln überwiegt, desto fester und starrer, aber auch spröder und 
brüchiger sind dieselben. Je mehr dagegen die Kohlenstoff- Verbindung überwiegt, 
desto biegsamer und elastischer werden die Spicula. Durch besondere Elasticität 
sind die sehr langen und feinen einfachen Nadeln ausgezeichnet, welche den Peristom- 
Kranz bei den kranzmündigen Kalkschwämmen bilden. Sie lassen sich stark biegen, 
ohne zu zerbrechen, und springen bei nachlassendem Druck eine weite Strecke 
schnellend fort. 


Hauptformen und Nebenformen der Spicula. 


I. Dreistrahler /Trisceles). 
(Dreistrahlige oder dreischenkelige Nadeln. Spicula triradiata). 


Die dreistrahligen oder dreischenkeligen Nadeln (Spieula triradiata), die wir 
ein für allemal kurz als „Dreistrahler“ (Trisceles) bezeichnen, bilden in ganz 
überwiegender Masse das Skelet der Kalkschwämme, so dass die Stabnadeln sowohl 
als die Vierstrahler stark dagegen zurücktreten. Auch in dieser Beziehung ver- 
halten sich die Kalkschwämme den Kieselschwämmen entgegengesetzt, bei denen die 
einfache Stabnadel eine viel grössere Rolle spielt, als die dreistrahlige und die vier- 
strahlige Nadel. 

Die dreistrahligen Nadeln der Kalkschwämme liegen stets völlig in dem Exo- 
derm eingeschlossen und treten niemals theilweise frei über die innere Fläche des 
Canalsystems oder über die äussere Fläche der Haut hervor, wie es die Stabnadeln 
und die Vierstrahler sehr allgemein thun. 

O. Schmipr fasst in seinem System Dreistrahler und Vierstrahler zusammen, 
indem er die letzteren von den ersteren ableitet, und als gemeinsame Grundform die 
dreikantige reguläre Pyramide annimmt. Auch ich bin überzeugt, dass die 


182 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Vierstrahler (und zwar phylogenetisch) von den Dreistrahlern abzuleiten und wirk- 
lich historisch aus diesen entstanden sind. Ich trenne hier die Vierstrahler nur 
der Uebersichtlichkeit halber. Ausserdem aber bin ich nicht überzeugt, dass die 
genannte Grundform wirklich die ursprüngliche ist. 

Unter den Dreistrahlern begegnen uns nämlich zunächst, und zwar gerade bei 
sehr einfachen, niederen, und offenbar phylogenetisch alten Kalkschwämmen, absolut 
reguläre Formen. Das gilt namentlich unter den Asconen von Asceita primordialis 
(Taf. 1, Fig. 1), A. coriacea und A. elathrus (Taf. 5, Fig. 2, 3); unter den Leuconen 
von Leucetta primigenia (Taf. 21, Fig. 9, 16, 17) und L. irigona (Taf. 22, Fig. 1); unter 
den Syconen von Sycelta primitiva (Taf. 41, Fig. 5, 6). Bei allen diesen primitiven 
Formen von Kalkschwämmen sind die Dreistrahler, welche hier ganz allein das Skelet 
bilden, ganz regulär: d.h. die drei Strahlen sind an Grösse und Gestalt völlig gleich, 
stossen unter völlig gleichen Winkeln von 120° zusammen, und liegen genau in 
einer Ebene. Und zwar sind nicht allein bei den eben angeführten, sondern auch 
bei vielen anderen Kalkschwämmen sämmtliche Dreistrahler in dieser absoluten Regel- 
mässigkeit gebildet, und die einzelnen Abweichungen sind individuelle, durch specielle 
Anpassungen bedingte Abnormitäten, wie sie überall auftreten. Da andere Nadeln 
gerade bei den erstgenannten Kalkschwämmen fehlen, und sie auch wegen der ganz 
ausserordentlichen Variabilität in der Ausbildung des Canalsystems und der Indivi- 
dualität als sehr einfache und uralte Stammformen anzusehen sind, so liegt es nahe, 
gerade diese absolut reguläre Form des dreistrahligen Sterns als den Ausgangspunkt 
der ganzen Formengruppe, als die Urform des Dreistrahlers anzusehen. Die meisten 
anderen Formen der Dreistrahler und sämmtliche Vierstrahler würden dann aus 
dieser Urform dadurch abzuleiten sein, dass sich die beiden Seitenflächen des absolut 
regulären Dreistrahlers differenziren, und indem sich der Mittelpunkt über die ur- 
sprüngliche Mittelebene erhebt, eine ideale Axe entsteht, die nun wirklich die Grund- 
form der dreiseitigen Pyramide bestimmt. 

Da nun aber die beiden Seitenflächen der absolut regulären Dreistrahler völlig 
congruent sind, mit anderen Worten, da die beiden Pole der idealen Mittelaxe, 
welche man durch den realen Mittelpunkt des Dreistrahlers legen kann, völlig gleich 
sind, so ist seine stereometrische Grundform nicht die dreiseitige reguläre Pyramide 
(Homostauren-Form des promorphologischen Systems), sondern die sechsseitige re- 
guläre Doppelpyramide oder auch das dreiseitige reguläre Prisma (wie bei dem zur 
Familie der Acanthodesmiden gehörigen Radiolar Prismatium tripleurum)). Wir 
brauchen nun bloss die realen Axen der drei Kalkstrahlen bei den genannten Kalk- 


1) Das merkwürdige Prismatium tripleurum, dessen Skelet vollkommen die Form eines regulären 
dreiseitigen Prisma besitzt, habe ich abgebildet in dem Atlas, der meine Monographie der Radiolarien be- 
gleitet (Taf. II, Fig. 24). Andere Beispiele von organischen Formen, deren Grundform das Hexagonal- 


Dodekaeder ist, habe ich in meiner generellen Promorphologie angeführt (Gen. Morphol. I, p. 438). 


1. Histologie. Exoderm.. Spieula. I. Dreistrahler. 183 


schwämmen über den Mittelpunkt hinaus um ihre eigene Länge zu verlängern, um 
drei gleiche Kreuzaxen zu erhalten, welche sich unter gleichen Winkeln (von 60°) 
schneiden, und welche zugleich senkrecht auf der gemeinsamen idealen Hauptaxe in 
deren Mittelpunkt stehen. Dadurch erhalten wir aber die zwölfseitige reguläre 
Doppelpyramide oder das Hexagonal-Dodekaeder, und dies ist bekanntlich die 
Grundform des hexagonalen Krystallsystems. Dieser Umstand erscheint 
von der grössten Bedeutung, wenn wir uns erinnern, dass gerade in diesem Krystall- 
systeme der kohlensaure Kalk als Kalkspath krystallisirt. Es eröffnet sich uns 
dadurch die Aussicht, die sonderbare Form der Dreistrahler und der Vierstrahler 
(von denen die letzteren jedenfalls aus den ersteren abzuleiten sind) bei den Kalk- 
schwämmen auf die Krystallisations-Gesetze des Kalkspaths zurückzuführen, die 
allerdings vermöge seiner eigenthümlichen Verbindung mit der organischen Grund- 
substanz in eigenthümlicher Weise modifieirt und weiterhin vielfach durch secundäre 
Anpassung gestört erscheinen. 

Die wichtige Stelle in den Atlant. Spong. (p. 3), in welcher Oscar SCHMIDT 
seine Ansicht von der ursprünglichen typischen Grundform der Dreistrahler und 
Vierstrahler ausspricht, lautet wörtlich folgendermassen: „Es giebt unter den Drei- 
strahlern auch flache Sterne, deren Mittelpunkt mit den Enden der Strahlen in einer 
Ebene liegt. Man wird jedoch über diese Dreistrahler und ihr Verhältniss zu einer 
anzunehmenden stereometrischen Grundform erst durch Zuziehung der in beiden Ab- 
theilungen der Spongien sich findenden Vierstrahler orientirt. Es kommt bei diesen 
wohl vor, dass alle vier Strahlen unter gleichen Winkeln von ihrem Centrum aus- 
gehen, und in diesem Falle entsteht durch die Verbindung der Strahlenenden ein 
Tetraeder; auch können die vier Strahlen als die von dem Mittel- (hier auch Schwer-) 
Punkte des Körpers auf die Flächen fallenden Senkrechten aufgefasst werden. Allein 
dieser Fall der vollen Uebereinstimmung des vierten Strahles mit den drei anderen 
ist nur ein besonderer. Die Regel ist, dass der vierte Strahl der Axe oder dem Höhen- 
perpendikel einer dreiseitigen Pyramide entspricht, und etwa in dem Schwerpunkte 
der Pyramide mit den drei anderen Strahlen sich trifft. Dass diese Auffassung die 
richtige, geht aus der nicht seltenen Varietät hervor, wo der Vierstrahler durch 
Verlängerung des vierten Strahles zwischen die drei Basalstrahlen hinein zum Fünf- 
strahler geworden“ (l. c. p. 3). — „Schwierigkeiten macht uns nur noch die Frage, 
inwiefern die Natur des Kalkes und des Kiesels sich mit den auf das dreiseitige 
Prisma bezogenen strahligen und ankerförmigen Gestalten verträgt. Für den Kiesel 
lässt es sich zurecht kommen, für den Kalk nicht. Da wir eben für die höchst 
prägnanten dreiaxigen Kieselkörper nur zwischen dem drejaxigen und dem drei- und 
einaxigen System zu wählen haben, und das hexagonale nicht in Betracht kommen 
kann, so müssen wir uns an das den Mineralogen unbequeme Factum erinnern, dass 
die in amorphe Grundsubstanz eingesprengten Quarzkrystalle nicht selten von dem 


184 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Speeielle Anatomie. 


hexagonalen System abweichende Axenanlagen zeigen, und dass um so mehr bei un- 
seren Spongiennadeln mit ihrer organischen Grundlage und Mischung auch andere 
Gestaltungen, als die der krystallographischen Systeme zu erwarten waren.“ 

Obgleich diese Erklärung zunächst sehr einfach erscheinen mag, kann ich sie 
doch für die Kalk-Spieula der Kalkschwämme nicht gelten lassen. Für die Kiesel- 
nadeln der Kieselschwämme ist sie vielleicht richtig, da es gar nicht nothwendig 
ist, dass die Phylogenie der Vierstrahler und Dreistrahler bei Kieselschwämmen und 
Kalkschwämmen dieselbe ist; vielmehr die Uebereinstimmung der Nadelformen bei 
dem gänzlich verschiedenen mineralischen Skelet-Material als eine zufällige er- 
scheint. Für die Kalkschwämme erscheint es mir aber viel einfacher und natür- 
licher, der obigen Anschauung entsprechend, für die ursprüngliche (und älteste!) 
Grundform aller Dreistrahler und Vierstrahler den schon angeführten absolut re- 
gulären Dreistrahler zu halten, dessen drei gleich grosse und gleich gestaltete 
Schenkel in einer Ebene liegen und unter Winkeln von 120° zusammenstossen. 

Aus dem absolut regulären Dreistrahler lassen sich alle übrigen Formen der 
Dreistrahler (und weiterhin auch die Vierstrahler) durch Modificationen ableiten, 
welche durch verschiedenartige Anpassungs-Verhältnisse bedingt sind. Zum Theil 
können wir diese letzteren direct nachweisen. Die Verhältnisse des Canalsystems 
und der in ihm sich bewegenden Wasserströme treten hier vor allen gestaltbestim- 
mend in den Vordergrund. Die zahlreichen Modificationen der absolut regulären 
Dreistrahler, welche dadurch hervorgebracht werden, können sämmtlich auf drei 
wesentliche Vorgänge zurückgeführt werden, nämlich: I. Differenzirung der drei (ur- 
sprünglich gleichen) Schenkel; II. Differenzirung der drei (ursprünglich gleichen) Winkel; 
III. Differenzirung der beiden (ursprünglich gleichen) Flächen der Dreistrahler (Her- 
vortreten einer Seite über die Ebene, in welcher die drei Strahlen liegen). 

1. Die Differenzirung der Schenkel betrifft entweder alle drei oder 
nur zwei von den drei Schenken, und man kann demnach überhaupt bezüglich 
der Strahlen-Beschaffenheit (ohne Rücksicht auf die Winkel) folgende drei Formen 
von dreistrahligen Nadeln unterscheiden: 1) Gleichschenkelige Dreistrahler 
(Trisceles isosceles): Alle drei Strahlen von gleicher Form und Grösse. 2) Paar- 
schenkelige Dreistrahler (Trisceles zygosceles): Zwei Strahlen gleich, der 
dritte ungleich. 3) Ungleichschenkelige Dreistrahler (Trisceles allosceles): 
Alle drei Strahlen ungleich. 

Die paarschenkeligen Dreistrahler spielen bei allen drei Familien der Kalk- 
schwämme eine wichtige Rolle und sind weit verbreitet. Sie verdienen desshalb eine 
besondere Berücksichtigung. Wir bezeichnen den unpaaren Strahl, welcher sich 
durch Grösse oder Form von den beiden anderen unterscheidet, als ersten oder 
basalen Strahl. Die beiden anderen, unter sich gleichen Strahlen (zweiten und 
dritten) nennen wir laterale Strahlen. Gewöhnlich sind diese letzteren kürzer, 


1. Histologie. Exoderm. Spieula. I. Dreistrahler. 185 


seltener länger als der basale Strahl. Meistens sind auch die lateralen Strahlen 
dünner, als der Basal-Strahl. Häufig sind die ersteren gekrümmt, während der 
letztere gerade bleibt. 

2. Die Differenzirung der Winkel bei den dreistrahligen Nadeln betrifft 
ebenfalls entweder alle drei oder nur zwei von den drei Winkeln und man kann 
demnach überhaupt bezüglich der Winkel-Beschaffenheit (ohne Rücksicht auf die 
Schenkel) folgende drei Formen von dreistrahligen Nadeln unterscheiden: 1) Gleich- 
winkelige Dreistrahler (Tirisceles isogoni): Alle drei Winkel von gleicher 
Grösse. 2) Paarwinkelige Dreistrahler (Trisceles zygogoni): Zwei Winkel 
gleich, der dritte ungleich. 3) Ungleichwinkelige Dreistrahler (Trisceles 
allogoni): Alle drei Winkel ungleich. 

Die paarwinkelige Beschaffenheit ist gewöhnlich (jedoch keineswegs immer) mit 
der paarschenkeligen combinirt, und wegen der besonderen Wichtigkeit und weiten 
Verbreitung dieser Form ist es nothwendig, ihre Winkel besonders zu bezeichnen. 
Den unpaaren Winkel, welcher dem Basal-Strahl gegenüber liegt und von den beiden 
lateralen Strahlen eingeschlossen wird, nennen wir den unpaaren oder oralen 
Winkel, weil derselbe meistens dem Oral-Pol des Körpers zugekehrt ist. Die beiden 
anderen, unter sich gleichen Winkel (zweiten und dritten), welche von dem Basal- 
Strahl und einem der beiden lateralen Strahlen eingeschlossen werden, nennen wir 
paarige oder laterale Winkel. Diese letzteren sind gewöhnlich kleiner als der 
unpaare oder orale Winkel, welcher zwischen 120 und 180° schwankt. Dem ent- 
sprechend variiren die beiden lateralen Winkel zwischen 90 und 120°. Selten sind 
sie kleiner oder grösser. Bei der Mehrzahl der paarwinkeligen Dreistrahler mag der 
unpaare oder orale Winkel 140— 150°, die beiden paarigen oder lateralen entspre- 
chend 105—110° betragen. 

3. Die Differenzirung der beiden Flächen der Dreistrahler be- 
steht wesentlich darin, dass die ursprünglich gleichpolige ideale Hauptaxe, in deren 
Mitte sich die drei Strahlen treffen, und auf der sie senkrecht stehen, ungleichpolig 
wird. Sie verlängert sich nach einem Pole hin und die drei Strahlen treffen nun 
mit ihr nicht mehr unter rechten, sondern unter spitzen Winkeln zusammen. Dem 
entsprechend treten die drei Strahlen aus der Ebene, in welcher sie ursprünglich 
lagen, auf einer Seite hervor. Diese Ebene wird dadurch zu der Grundfläche einer 
dreiseitigen Pyramide, deren Kanten von den Strahlen gebildet werden, und die 
Spitze von dem gemeinsamen Vereinigungspunkte, in dem sie zusammentreffen. Die 
Linie, welche diesen Vereinigungspunkt mit dem Mittelpunkte der idealen dreiseiti- 
gen Grundfläche verbindet, ist die Axe der Pyramide oder die einseitig verlängerte 
Hauptaxe des Dreistrahlers. 

Die Dreistrahler (und ebenso die Vierstrahler) zeigen ursprünglich ein ganz be- 
stimmtes Lagerungs-Verhältniss zum Canalsystem, dessen Wände sie stützen. Die 


186 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Ebene, in welcher die drei Strahlen ursprünglich liegen, ist tangential auf dem cy- 
lindrischen Hohlraume des Canals, in dessen Wand die Nadel liegt. Jeder Radius 
des Canals steht mithin senkrecht auf jener ursprünglichen Ebene des Dreistrahlers. 
Wir können mit Bezug auf dieses ganz bestimmte Lagerungs-Verhältniss des Drei- 
strahlers (und ebenso des Vierstrahlers) die beiden Seitenflächen der Nadel bezeich- 
nen. Die der Canalaxe zugewendete Fläche nennen wir die Canal-Seite (Facies 
eanalis). Die entgegengesetzte, vom Canal abgekehrte, und gewöhnlich der äusseren 
Hautfläche zugewendete Fläche des Dreistrahlers nennen wir die Dermal-Seite 
(Facies dermalis). 

Ganz allgemein können wir also in dieser Beziehung zwei Hauptformen von 
dreistrahligen Nadeln unterscheiden: 1) Gleichseitige Dreistrahler (Trisceles 
isophanes): Dermalfläche und Canalfläche gleich. Hauptaxe gleichpolig. 2) Un- 
gleichseitige Dreistrahler (Thrisceles allophanes): Dermalfläche und Canal- 
fläche verschieden. Hauptaxe ungleichpolig. Die stereometrische Grundform der 
ersteren ist die dreiseitige Doppel-Pyramide oder das dreiseitige Prisma, diejenige 
der letzteren die dreiseitige einfache Pyramide. Erstere gehören im promorphologi- 
schen System zu den Isostauren, letztere zu den Homostauren. 

Die Spitze der dreiseitigen Pyramide, welche die Grundform des ungleichseitigen 
Dreistrahlers ist, liegt stets auf dessen Dermalseite, die Basis entsprechend auf der 
Canalseite. Die Axe der Pyramide, über ihre Basis hinaus verlängert, schneidet fast 
immer die Axe des cylindrischen Canals, dessen Wand der Dreistrahler stützt. Wenn 
man eine Ebene durch die Axe der Pyramide und einen der drei Strahlen (oder 
Pyramiden-Kanten) legt, so erhält man als Durchschnittsfläche der Pyramide ein 
Dreieck. Dieses Dreieck ist stets stumpfwinkelig, und zwar ist der stumpfe Winkel 
meistens sehr gross. Sehr häufig sind die Strahlen der ungleichseitigen Dreistrahler 
mehr oder minder (besonders an der Basis) gekrümmt, indem sie die cylindrische 
Canalfläche ein wenig umfassen. 


Specielle Formen der Dreistrahler. 


Durch Combination der drei angeführten Differenzirungs-Processe, welche die 
Schenkel, die Winkel und die Flächen der Dreistrahler betreffen, ergiebt sich eine 
grosse Anzahl specieller Formen, die für die Species-Unterscheidung die besten An- 
haltspunkte liefern. Am wichtigsten ist in dieser Beziehung die Differenzirung der 
Schenkel, weil sie einerseits die characteristische Form der Dreistrahler am meisten 
bestimmt, und weil sie anderseits innerhalb der Species sich am beständigsten ver- 
erbt. Nächstdem ist in zweiter Linie die Differenzirung der Winkel von: grosser 
Bedeutung, weil sie ebenfalls die Gestalt wesentlich bestimmt, obwohl sie mehr der 
Anpassung unterliegt. Am unwesentlichsten, und erst in dritter Linie zu berück- 
sichtigen ist die Differenzirung der Flächen, welche sich am wenigsten vererbt 


t. Histologie. Exoderm. Spieula. I. Dreistrahler. 187 


und am meisten innerhalb einer Species variirt. Sie ist sogar so bedeutungslos, dass 
wir bei der nachstehenden Uebersicht der speciellen Formen ganz davon absehen 
und uns auf die Beschaffenheit der Schenkel und Winkel beschränken können. 

Alle verschiedenen Formen der Dreistrahler bringe ich in drei Hauptgruppen, 
welche ich als reguläre, sagittale und irreguläre Dreistrahler unterscheide I Re- 
guläre Dreistrahler sind solche, bei denen sowohl die drei Winkel als die drei 
Schenkel gleich sind. II. Sagittale Dreistrahler nenne ich diejenigen, bei denen 
entweder die drei Schenkel oder die drei Winkel oder endlich sowohl die drei 
Schenkel als die drei Winkel paarweise differenzirt sind. IH. Irreguläre Drei- 
strahler sind solche, bei denen entweder die drei Schenkel oder die drei Winkel 
oder endlich sowohl erstere als letztere ungleich sind. 


l. Reguläre Dreistrahler (Trisceles regulares). 


Die regulären Dreistrahler, die „Equiangular triradiate Spicula“ von Bower- 
BANK, halte ich desshalb für besonders wichtig, weil ich in ihnen die gemein- 
same Stammform aller dreistrahligen und vierstrahligen Spicula zu 
erkennen glaube. Alle anderen Dreistrahler und Vierstrahler lassen sich nach der 
vorher gegebenen Auseinandersetzung von dieser Urform durch Anpassung ableiten. 
Sie steht der krystallinischen Form des kohlensauren Kalkes vor allen am nächsten, 
und wenn meine oben gegebene Deutung richtig ist, wäre sie geradezu als hemi- 
axonie Form des Hexagonal-Dodekaeders aufzufassen. Dem entsprechend 
ist gerade in diesen regulären Dreistrahlern nur sehr wenig organische Substanz 
(Spieulin) und ganz überwiegend kohlensaurer Kalk vorhanden. 

Die Regelmässigkeit der Nadel-Form ist bei denjenigen Kalkschwämmen, bei 
denen das Skelet ausschliesslich oder vorwiegend durch reguläre Dreistrahler ge- 
bildet wird, so mathematisch genau, dass man Hunderte oder Tausende von Nadeln 
messen kann, ohne die geringste Abweichung von der absolut regulären Gestalt zu 
finden. Alle drei Winkel sind genau — 120° und alle drei Schenkel sind genau 
von gleicher Grösse und Form. Das hindert aber natürlich nicht einzelne leichte 
Abweichungen und Unregelmässigkeiten, die hier, wie überall, desshalb von grosser 
Bedeutung sind, weil sie durch Vererbung constant werden und neue Formen her- 
vorrufen können. Am leichtesten tritt bei den regulären Dreistrahlern eine schwache 
Differenzirung der beiden Flächen, seltener eine Ungleichheit der Schenkel und am 
seltensten eine Divergenz der Winkel ein. Durch die schwache Differenzirung der 
beiden Flächen geht die isostaure in die homostaure Grundform über. Aus der 
dreiseitigen regulären Doppelpyramide entsteht eine dreiseitige reguläre Pyramide, 
die jedoch stets sehr niedrig bleibt. Die Axe derselben ist immer nur sehr kurz. 
Strenggenommen müsste man demnach unter den regulären Dreistrahlern eigentlich 
noch zwei untergeordnete Formen unterscheiden, nämlich: 


183 Drittes Kapitel. Anatomie. TI. Specielle Anatomie. 


1. Perreguläre Dreistrahler: Die drei Winkel und die drei Schenkel, 
sowie die beiden Flächen absolut gleich. 

2. Subreguläre Dreistrahler: Die drei Winkel oder die drei Schenkel 
oder die beiden Flächen ein wenig, aber kaum merklich differenzirt (die Winkel höch- 
stens um einige Grade verschieden; die beiden Flächen bisweilen stark differenzirt). 

Bei den Asconen sind die regulären Dreistrahler am häufigsten; sie finden 
sich hier bei 4 Species von Ascetta, wo sie ausschliesslich das Skelet bilden (A. 
primordialis, A. coriacea, A. elathrus, A. sceptrum; Taf. 5, Fig. 1—4). Ferner 
bilden sie die Hauptmasse des Skelets bei 12 anderen Ascon-Arten, nämlich: ge- 
mischt mit Vierstrahlern bei 5 Species von Ascaltis (Taf. 10, Fig. 1—5); gemischt 
mit Stabnadeln bei Ascortis horrida (Taf. 12, Fig. 1); gemischt mit Vierstrahlern 
und Stabnadeln bei 6 Species von Ascandra (Taf. 14, Fig. 1—6). Demnach finden 
sich unter den 39 Ascon-Species nicht weniger als 16, bei denen entweder das ganze 
Skelet oder doch die Hauptmasse desselben aus regulären Dreistrahlern besteht. 

Bei den Leuconen spielen die regulären Dreistrahler ebenfalls eine grosse 
Rolle. Sie bilden ausschliesslich das Skelet bei 2 Species von Leucetta (L. primi- 
genia, Taf. 21, Fig. 9, 16, 17; L. trigona, Taf. 22, Fig. 1a—1f). Ferner bilden sie 
die Hauptmasse des Skelets (gemischt mit regulären Vierstrahlern) bei Leuealtis 
floridana (Taf. 26, Fig. 12—17). Ausserdem kommen reguläre Dreistrahler, gemischt 
mit sagittalen und irregulären, bei vielen anderen Leuconen vor. 

Bei den Syconen haben dagegen die regulären Dreistrahler eine sehr unter- 
geordnete Bedeutung. Hier wird nur bei einer einzigen Art das Skelet ausschliess- 
lich von denselben gebildet (‚Sycetta primitiva, Taf. 41, Fig. 5). Ferner bilden sie 
(gemischt mit regulären Vierstrahlern) die Hauptmasse des Skelets bei Sycaltis per- 
[orata (Taf. 46, Fig. 6—9). Ausserdem finden sie sich, gemischt mit sagittalen und 
irregulären Dreistrahlern, oder mit Vierstrahlern und Stabnadeln, bei vielen ver- 
schiedenen Sycon-Arten vor, immer jedoch in geringer Menge. 


2. Sagittale Dreistrahler (Trisceles sagittales). 


Die sagittalen Dreistrahler sind für die Systematik der Kalkschwämme von der 
grössten Bedeutung, insofern die höchst mannichfaltige Differenzirung ihrer gepaarten 
Winkel und Schenkel vorzugsweise die Species- Bildung beeinflusst. Die Differenzi- 
rung der beiden Flächen ist auch hier meistens gering und von sehr untergeordnetem 
Werthe. Je nachdem entweder bloss die Winkel oder bloss die Schenkel, oder so- 
wohl die Winkel als auch die Schenkel paarig differenzirt sind, unterscheide ich 
folgende drei Hauptformen von sagittalen Dreistrahlern: 

1. Gleichwinkelige und paarschenkelige Dreistrahler: Die drei 
Winkel sind völlig gleich = 120°); die drei Schenkel sind dagegen paarig_ diffe- 
renzirt, so dass die beiden lateralen Schenkel unter sich gleich, gewöhnlich kürzer 


1. Histologie. Exoderm. Spicula. I. Dreistrahler. 189 


(seltener länger) als der basale Strahl sind. Diese Form ist nicht selten; sie bildet 
ausschliesslich das Skelet bei Ascetta blanca (Taf. 5, Fig. 5). Gemischt mit anderen 
Formen von Dreistrahlern findet sie sich bei vielen Arten von Leuconen (z.B. Leu- 
caltis solida, Taf. 27, Fig. 3). Bisweilen verlängert sich der basale Strahl auf Kosten 
der beiden lateralen so stark, dass die letzteren nur als kurze Gabeläste des ersteren 
erscheinen. Diese Form hat BOwERBANK „Elongo-equiangulated triradiate Spieula“ 
genannt (Brit. Spong. Vol. I, p. 233, Pl. I, Fig. 38). Sie findet sich z. B. bei 
Ascorlis lacumosa (Taf. 12, Fig. 2). Wenn die beiden verkürzten Lateral-Strahlen 
sich etwas krümmen, nennt BOWERBANK diese Form „Exflected elongo-equiangulated 
triradiate Spicula“ (Brit. Spong. Vol. I, p. 253, Pl. II, Fig. 39). Sie ist sehr häufig an 
den Distal-Kegeln der Syconen. 

2. Gleichschenkelige und paarwinkelige Dreistrahler: Die drei 
Schenkel sind völlig gleich in Grösse und Form; die drei Winkel sind dagegen 
paarig differenzirt, so dass die beiden paarigen oder lateralen Winkel unter sich 
gleich, gewöhnlich kleiner (selten grösser) als der unpaare oder orale Winkel sind. 
Diese Form ist im Ganzen selten; sie bildet ausschliesslich das Skelet bei Ascetta 
vesieula (Taf. 5, Fig. 6). Ausserdem findet sie sich gemischt mit anderen Dreistrah- 
lern bei einzelnen Leuconen und vielen Syconen, immer jedoch in geringer Menge. 

3. Paarschenkelige und paarwinkelige Dreistrahler: Die drei Schen- 
kel sowohl als die drei Winkel sind paarig differenzirt. Diese Form des sagittalen 
Dreistrahlers ist die bei weitem häufigste. Gewöhnlich ist a. der basale Schenkel 
länger als die beiden lateralen und der unpaare Winkel grösser als die beiden paa- 
rigen (diese Form bildet ausschliesslich das Skelet bei Ascetta sagittaria, Taf. 5, 
Fig. 7; Leucetta sagittata, Taf. 22, Fig. 2aı—2d; Sycetta sagittifera, Taf. 42, Fig. 2 
—4). Ausserdem ist sie die überwiegende Nadelform bei der Mehrzahl der Syconen, 
und nicht minder häufig bei sehr vielen Leuconen; bei den Asconen ist sie nächst 
der regulären ebenfalls die häufigste Dreistrahler-Form. Seltener ist b. der basale 
Schenkel kürzer als die lateralen und zugleich der unpaare Winkel grösser als die 
paarigen (z.B. Leucortis pulvinar, Taf. 29, Fig. 6, 12, 15; Leucandra saccharata, 
Taf. 38, Fig.14). Sehr selten ist dagegen c. der unpaare Winkel kleiner als die 
paarigen, und dann sind die beiden lateralen Schenkel bald länger, bald kürzer als 
der basale. Diese Form findet sich bei einzelnen Syconen gemischt unter die ge- 
wöhnlichen sagittalen Dreistrahler, hier und da auch bei Leuconen, sehr selten bei 
Asconen. 

Eine einzelne Modification dieser seltenen Form ist der gabelförmige Drei- 
strahler, bei welchem die beiden lateralen Schenkel parallel laufen (z. B. Leucetta 
pandora, Taf.23, Fig. h). Diese Form hat BOwERBANK unter dem Namen „Inequi- 
furcato-triradiate“ beschrieben (Brit. Spong. Vol.I, p. 268, Pl. X, Fig. 237). Gray 
hat späterhin sogar auf diese Nadelform ein besonderes Genus gegründet; Lelapia, 


190 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


mit der Diagnose: „Spicules elongate, fusiforme, with two more or less elongated 
nearly parallel branches at one end“ (Proceed. Zool. Soc. 1867, p. 557). 

Besonders wichtig unter den sehr zahlreichen Modificationen der paarschenke- 
ligen und paarwinkeligen Dreistrahler ist der rechtwinkelige Dreistrahler 
(„Rectangular triradiate“ von BOwERBANK, Brit. Spong. Vol.I, p. 233, Pl. I, Fig. 37). 
Bei dieser Form wächst der orale Winkel bis zu 180° und die beiden lateralen Strah- 
len liegen entweder in ihrer ganzen Länge oder doch mit ihren apicalen Theilen in 
einer geraden Linie, auf welcher der basale Strahl senkrecht steht. Der letztere ist 
bald kürzer, bald länger als die lateralen. Die rechtwinkeligen Dreistrahler kommen 
in allen drei Familien der Kalkschwämme sehr häufig vor, z. B. unter den Asconen 
bei Ascandra sertularia (Taf. 15, Fig. 4a), Ascandra nitida (Taf. 16, Fig. 2a); unter 
den Leuconen bei Leucandra Gossei (Taf. 32, Fig. 2b) und Leucandra ochotensis 
(Taf. 34, Fig. 3a); unter den Syconen bei Sycandra arctica (Taf. 55, Fig. 1g, t), Sye- 
andra compressa (Taf. 55, Fig.2g, t) und vielen anderen Arten. Besonders häufig 
finden sich die rechtwinkeligen Dreistrahler in den dünnwandigen Rüsseln oder Oscu- 
lar-Röhren bei allen drei Familien (namentlich an der Rüsselmündung), und ferner an 
den proximalen Theilen der Radial-Tuben bei den Syconen, wo dieselben der Gastral- 
fläche aufsitzen. 


3. Irreguläre Dreistrahler (Trisceles irregulares). 


Irreguläre Dreistrahler nenne ich alle diejenigen, bei welchen entweder alle 
drei Winkel oder alle drei Schenkel oder endlich sowohl die drei Winkel als die 
drei Schenkel ungleich sind. Es gehören mithin in diese Kategorie alle Dreistrahler, 
welche weder regulär noch sagittal sind. Indessen lässt sich ein scharfer Unterschied 
zwischen diesen drei Kategorien überhaupt nicht ziehen und es giebt ebenso sub- 
sagittale Mittelformen zwischen den sagittalen und irregulären Dreistrahlern, wie 
die regulären und irregulären Dreistrahler durch subreguläre verknüpft sind. Die 
Mannichfaltigkeit der Formen unter den irregulären Dreistrahlern ist übrigens sehr 
gross, ohne dass dieselben jedoch die morphologische Bedeutung erlangten, wie die 
verschiedenen Formen der sagittalen Dreistrahler. Genau genommen würde man un- 
ter den irregulären Dreistrahlern folgende Kategorien unterscheiden müssen: 

A. Irreguläre Dreistrahler mit drei ungleichen Schenkeln, 
a. mit gleichen Winkeln, 
b. mit paarweise differenzirten Winkeln. 

B. Irreguläre Dreistrahler mit drei ungleichen Winkeln, 
a. mit gleichen Schenkeln, 
b. mit paarweise differenzirten Schenkeln. 

C. Irreguläre Dreistrahler mit ungleichen Winkeln und Schenkeln. 

Diese letzteren allein können eigentlich als völlig irreguläre Dreistrabler gelten, Da 


1. Histologie. Exoderm. Spicula. II. Vierstrahler. 191 


sie jedoch sehr variabel und mit den beiden ersteren Kategorien durch zahlreiche 
Zwischenformen verbunden sind, und oft innerhalb einer Species (z. B. Leucetta pan- 
dora, Taf. 23) mit allen möglichen übrigen Formen der Dreistrahler gemischt vorkom- 
men, so erscheint eine besondere Unterscheidung derselben und ihrer untergeordneten 
Formen überflüssig. 

Irreguläre Dreistrahler finden sich unter den Asconen im Ganzen selten. Sie 
bilden ausschliesslich das Skelet bei Ascetta flexilis (Taf.5, Fig. 3); und gemischt 
mit Stabnadeln bei Ascortis fragilis (Taf. 12, Fig. Ja—dg). Sehr häufig sind diesel- 
ben dagegen in der Familie der Leuconen; bei Leucetta pandora (var. anomala 
und loculifera; Taf. 23) bilden sie das ganze Skelet; bei vielen Arten von Lexcan- 
dra die Hauptmasse des Skelets; gemischt mit anderen Dreistrahlern kommen sie bei 
sehr vielen Leuconen vor. In der Familie der Syconen endlich sind die irregulären 
Dreistrahler wiederum seltener zu finden, nur hier und da, besonders in der dermalen 
oder gastralen Fläche einiger Sycandra-Arten, stets gemischt mit sagittalen, subre- 
gulären oder regulären Dreistrahlern. 


II. Vierstrahler (Tetrasceles). 
(Vierstrahlige oder vierschenkelige Nadeln. Spicula quadriradiata). 


Die vierstrahligen oder vierschenkeligen Nadeln (Spicula quadriradiata), die 
wir ein für allemal kurz als Vierstrahler (Tetrrasceles) bezeichnen, spielen bei den 
Kalkschwämmen zwar eine weniger bedeutende Rolle, als die Dreistrahler, kommen 
aber doch in weiter Verbreitung und in zahlreichen verschiedenen Modificationen vor. 

Nach unserer, vorher (p. 184) bereits begründeten Anschauung sind die Vier- 
strahler der Kalkschwämme von den Dreistrahlern abzuleiten. Dem entsprechend 
steht der vierte Strahl, der für sie characteristisch ist, als ein secundäres Product in 
einem bestimmten morphologischen Gegensatz zu den drei übrigen, primären Strahlen, 
welche ursprünglich gleichwerthig sind. Wir bezeichnen durchgehends diese drei 
letzteren als die facialen Strahlen, und unterscheiden bei ihnen, falls sie paar- 
schenkelig differenzirt sind (wie bei den Dreistrahlern), den unpaaren (ersten) Strahl 
als basalen Strahl, die beiden anderen (zweiten und dritten) als laterale 
Strahlen. Den vierten Strahl dagegen, welcher die Vierstrahler als solche cha- 
racterisirt, nennen wir ein für allemal den apicalen Strahl. 

Die Vierstrahler der Kalkschwämme liegen seltener ganz im Parenchym einge- 
schlossen (wie es die Dreistrahler immer sind). Vielmehr sind gewöhnlich nur die 
drei facialen Strahlen im Parenchym eingebettet, und der vierte oder apicale Strahl 
ragt frei über dessen Oberfläche hervor. Daher nennt BOwERBANK die Vierstrahler 
überhaupt „Spieulated triradiate spicula“. Gewöhnlich springt der apicale Strahl 
in das Lumen des Canalsystems hinein, und dann heissen sie bei BOWERBANK 


192 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie: 


„Internal defensive Spieula“. Jedoch giebt es auch viele Kalkschwämme, bei denen 
die Vierstrahler ganz im Parenchym verborgen sind und bloss als Stützskelet dienen 
(„Skeleton spieula“ von BOWERBANK). 

Die stereometrische Grundform der Vierstrahler ist in allen Fällen eine drei- 
seitige Pyramide; und wenn der vierte oder apicale Strahl gerade ist, so ent- 
spricht er meistens (aber keineswegs immer) dem Höhen-Perpendikel dieser Pyramide, 
während ihre Grundfläche durch die Spitzen der facialen Strahlen bestimmt wird. 
Niemals kommt es bei den Kalkschwämmen vor, dass sich der apicale Strahl über 
den Vereinigungspunkt der vier Schenkel hinaus nach entgegengesetzter Richtung 
verlängert, wodurch der Vierstrahler zum Fünfstrahler würde, wie es bei den kiese- 
ligen Vierstrahlern vieler Kieselschwämme der Fall ist. 

Um uns in der grossen Formen-Mannichfaltigkeit der Vierstrahler zurecht zu 
finden, müssen wir auch hier, wie bei den Dreistrahlern, zunächst die ursprüngliche 
(und phylogenetisch älteste) Form aufsuchen, aus der wir die übrigen ableiten können. 
Wenn wir die Vierstrahler isolirt für sich betrachten, so könnte es am einfachsten 
erscheinen, als die Urform den absolut regulären Vierstrahler anzusehen, bei 
welchem die vier Strahlen völlig gleich sind und unter gleichen Winkeln von einem 
gemeinsamen Mittelpunkte ausstrahlen. In diesem scheinbar einfachsten Falle exi- 
stirt keinerlei Gegensatz zwischen dem apicalen und den drei facialen Strahlen, und 
es ist daher unmöglich, den apicalen Strahl überhaupt zu erkennen und von den 
drei anderen zu unterscheiden. Verbindet man die vier Spitzen der Strahlen mit 
einander durch gerade Linien, so entsteht das reguläre Tetraeder. Bei den Radio- 
larien kommen solche absolut reguläre vierstrahlige Nadeln (aus Kieselerde gebildet!) 
in geometrisch reiner Form vor, und sicher als ursprüngliche Formen!). Auch bei 
den Kalkschwämmen sind wirklich (wenn auch sehr selten) solche reguläre Vier- 
strahler bisweilen zu finden (z.B. bei Zeucandra cucumis, L. stilifera, L. sac- 
charata). 

Man könnte nun ernstlich versuchen, die verschiedenen Formen der Vierstrahler 
aus dieser (als ursprünglich angenommenen) Grundform des absolut regulären Vier- 
strahlers durch Differenzirung der Strahlen, und zwar zunächst durch Entwickelung 
eines Gegensatzes zwischen dem einen (apicalen) und den drei anderen (facialen) 
Strahlen abzuleiten. Indess würde dieser Versuch kein natürliches Verständniss 
dieser Formen eröffnen. Vielmehr ist der absolut reguläre Vierstrahler als eine späte 
(und seltene) Entwickelungsform, keineswegs aber als ursprüngliche Urform aufzu- 
fassen. Wie schon O. Schmipr richtig bemerkt hat (s. oben S. 183), ist der „Fall 
der vollen Uebereinstimmung des vierten Strahles mit den drei anderen nur ein 


1) Absolut reguläre vierstrahlige Kieselnadeln finden sich unter den Radiolarien z. B. bei Rhaphido- 
zoum acuferum (in meiner Monographie der Radiolarien p. 529; Taf. XXXII, Fig. 9—11); in Zwillings- 
formen bei Sphaerozoum ovodimare und $. punctatum (ebendaselbst p. 527, Taf. XXXIII, Fig. 5—9). 


1. Histologie. Exoderm. Spieula. IT. Vierstrahler. 193 


besonderer. Die Regel ist, dass der vierte Strahl dem Höhenperpendikel einer drei- 
seitigen Pyramide entspricht.“ Bei den vorher angeführten Kalkschwämmen, wo 
wirklich absolut reguläre Vierstrahler bisweilen vorkommen, finden sie sich nur selten 
und einzeln, gemischt mit der Hauptmasse von regulären, sagittalen und irregulären 
Vierstrahlern. In der That ist hier der absolut reguläre Vierstrahler nur ein sel- 
tener, besonderer Fall des polymorphen subregulären Vierstrahlers. Uebersieht man 
den ganzen Formenkreis der dreistrahligen und vierstrahligen Nadeln bei den Kalk- 
schwämmen, und insbesondere die speciellen Verhältnisse ihrer Verbreitung und An- 
ordnung, so scheint mir kein Zweifel darüber zu bleiben, dass die Vierstrahler 
erst durch secundäre Anpassung aus den Dreistrahlern sich ent- 
wickelt haben, und zwar dadurch, dass der vierte (apicale) Strahl aus dem Ver- 
einigungspunkte der drei anderen (facialen) Strahlen hervorsprosste. 

Wenn diese Ansicht die richtige ist, so werden wir als die Urform des Vier- 
strahlers einen regulären Dreistrahler anzusehen haben, aus dessen Centrum auf 
einer Seite ein vierter Strahl sich zu entwickeln begann, und zwar senkrecht auf 
der Fläche, in welcher die drei gleichen Strahlen liegen. Die stereometrische Grund- 
form dieser Urform ist die reguläre dreiseitige Pyramide (Triactinoten-Form 
der Homostauren-Gruppe). Diese Urform finden wir nicht selten in geometrisch 
reiner Gestalt verwirklicht, und von ihr müssen wir alle übrigen Formen der Vier- 
strahler ableiten, durch Differenzirung theils der Strahlen, theils der Winkel, theils 
der Seiten. Wie bei den Dreistrahlern wollen wir diese drei Differenzirungs-Processe 
zunächst gesondert betrachten, und nachher in ihrer Combination. 

1. Die Differenzirung der vier Schenkel. Hierbei müssen wir unter- 
scheiden: erstens die Differenzirung des vierten (apicalen) Strahles von den drei 
anderen (facialen) Strahlen, und zweitens die Differenzirung der drei letzteren 
unter sich. Aus den eben vorausgeschickten Bemerkungen über die Urform des 
Vierstrahlers geht schon hervor, dass die erstere Sonderung eine ursprüngliche, die 
letztere eine erworbene ist. 

Da der morphologische Gegensatz des vierten Strahles und der drei anderen 
Strahlen nach unserer Auffassung ein ursprünglicher ist, da der Vierstrahler erst 
aus dem Dreistrahler durch Entwickelung eines vierten Strahles entstanden ist, so 
können wir bezüglich des ersteren Falles eigentlich gar nicht von einem wirklichen 
Process der Differenzirung in genetischem Sinne reden. Es ist gar keine Hervor- 
bildung ungleichartiger Theile aus gleichartiger Grundlage vorhanden. Nur dann 
würden wir von einer solchen ausgehen können, wenn die Urform aller Vierstrahler 
der absolut reguläre Vierstrahler wäre. Der erste Process seiner Differenzirung würde 
dann die Ausbildung eines Gegensatzes zwischen dem vierten und den drei übrigen 
Strahlen sein, und erst in zweiter Linie würden sich diese letzteren unter einander 


differenziren. Nun haben wir aber bereits gesehen, dass jener absolut reguläre Vier- 
Haeckel, Kalkschwämme, 1. 13 


194 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


strahler allerdings bei den Kalkschwänmen vorkommt, aber nur scheinbar als Ur- 
form. In der That ist er ein spätes und zufälliges Entwickelungs-Product, eine be- 
sondere und seltene Form des sogleich zu betrachtenden regulär-pyramidalen Vier- 
strahlers. \ 

Wir müssen also den sonst immer vorhandenen Gegensatz zwischen den drei 
facialen und dem vierten apicalen Strahle als einen ganz ursprünglichen auffassen, 
und es bleibt als wirklicher Process der Strahlen-Differenzirung nur die Ausbildung 
von Unterschieden der drei facialen Strahlen unter sich übrig. Diese erfolgt bei den 
Vierstrahlern ganz in derselben Weise, wie bei den Dreistrahlern, und bezeugt auch 
hierdurch die Richtigkeit unserer oben entwickelten Auffassung. 

Ganz abgesehen von dem vierten oder apicalen Strahle, sowie von der Be- 
schaffenheit der Winkel und Seiten, können wir demnach bezüglich der Gleichheit 
oder Ungleichheit der drei facialen Strahlen, ebenso wie bei den Dreistrahlern, fol- 
gende drei Hauptformen unterscheiden: 1) Gleichschenkelige Vierstrahler (Tetra- 
sceles isosceles): Die drei facialen Schenkel von gleicher Form und Grösse. 2) Paar- 
schenkelige Vierstrahler (Tetrasceles zygosceles): Die drei facialen Schenkel sagittal 
differenzirt: der eine (basale) Schenkel grösser oder kleiner als die beiden anderen 
(lateralen) Schenkel, welche unter sich gleich sind. 3) Ungleichschenkelige Vier- 
strahler (Tetrasceles allosceles): Die drei facialen Schenkel ungleich. 

2. Die Differenzirung der Winkel. Um die Winkel der Vierstrahler 
richtig zu beurtheilen und zu messen, sind mindestens zwei verschiedene Ansichten 
derselben unter dem Mikroskop zur gegenseitigen Erläuterung zu gewinnen und zu 
vergleichen. Die erste oder Facial-Ansicht trifit den Vierstrahler in solcher 
Lage, dass die Spitzen der drei facialen Strahlen (oder diese selbst in ihrer ganzen 
Länge) in der Ebene des Gesichtsfeldes liegen; der vierte oder apicale Strahl ist 
entweder dem Beobachter gerade entgegengekehrt oder von ihm abgewendet und 
erscheint daher mehr oder minder verkürzt (Taf. 10, Fig. 2b, 3b, 5e; Taf. 14, 
Fig. 4b, 5e). Um nun von der Form und Stellung dieses apicalen Strahles, sowie 
von dem Winkel, welchen er mit den facialen Schenkeln bildet, eine richtige Vor- 
stellung zu erhalten, muss man den Vierstrahler mindestens noch von einer andern 
Seite betrachten, und zwar am besten in der zweiten oder Profil-Ansicht. Bei 
dieser liegt der vierte Strahl (und meistens zugleich der erste oder basale Strahl) 
in seiner ganzen Länge in der Ebene des Gesichtsfeldes; die beiden lateralen Strahlen 
dagegen erscheinen verkürzt, indem sie senkrecht oder schief auf jener Ebene stehen 
und der eine Strahl dem Beobachter zugekehrt, der andere abgewendet ist (Taf. 10, 
Fig. 2c, 2d, 3c, 5d; Taf. 51—56, Fig. a, m—n). Den Winkel zwischen basalem und 
apicalem Schenkel, welcher bei dieser Profil-Ansicht dem Beobachter sich öffnet, 
lassen wir aus den angeführten Gründen zunächst ausser Betracht. Wir werden 
denselben nachher (wenn wir die Differenzirang der Seiten untersuchen) noch in’s 


1. Histologie. Exoderm. Spiceula. II. Vierstrahler. 195 


Auge zu fassen haben. Hier interessiren uns nur die Winkel zwischen den drei 
facialen Strahlen, wie sie bei der Facial- Ansicht der Vierstrahler gemessen werden 
können. 

Diese drei facialen Winkel verhalten sich genau so wie bei den Dreistrah- 
lern, wie nach dem so eben Gesagten schon im Voraus zu erwarten war. Wir können 
demnach auch hier bei den Vierstrahlern (natürlich ganz abgesehen von dem Apical- 
strahl und dem durch ihn bedingten Profil-Winkel) bezüglich der (facialen) Winkel- 
Beschaffenheit folgende drei Hauptformen unterscheiden: 1) Gleichwinkelige Vier- 
strahler (Tetrasceles isogonae): Alle drei facialen Winkel von gleicher Grösse. 
2) Paarwinkelige Vierstrahler (Tetrasceles zygogonae): Zwei von den drei facialen 
Winkeln gleich, der dritte ungleich. 3) Ungleichwinkelige Vierstrahler (Tetrasceles 
allogonae): Alle drei facialen Winkel von ungleicher Grösse. 

Auch bei den Vierstrahlern ist, wie bei den Dreistrahlern, die paarwinkelige 
Beschaffenheit meistens mit der paarschenkeligen combinirt, und wir bezeichnen 
daher hier, wie dort, den unpaaren Winkel (welcher dem Basal-Strahl gegenüber 
liegt) als Oral-Winkel, und die beiden paarigen, unter sich gleichen (zwischen 
dem Basal-Strahl und den beiden lateralen Strahlen) als Lateral-Winkel. Auch 
hier ist der Oral-Winkel meistens grösser, als die beiden lateralen. Die letzteren 
schwanken gewöhnlich zwischen 90 und 120°, der erstere entsprechend zwischen 
120 und 180° (selten mehr oder weniger). 

3. Die Differenzirung der beiden Flächen der Vierstrahler. Die 
beiden Flächen der Vierstrahler sind (abweichend von den Dreistrahlern) ganz all- 
gemein differenzirt, indem ja immer der vierte Strahl, auch wenn die drei facialen 
Schenkel in einer Ebene liegen, auf einer Seite aus dieser Ebene hervortritt. Wir 
können daher nicht, wie bei den Dreistrahlern, zwischen gleichseitigen (isophanen) 
und ungleichseitigen (allophanen) Vierstrahlern unterscheiden. Vielmehr sind alle 
Vierstrahler eo ipso (durch den primitiven Gegensatz des apicalen Strahles zu den 
drei facialen) ungleichseitig (allophan) und die Grundform demgemäss eine drei- 
seitige Pyramide (keine Doppel-Pyramide). 

Allerdings kommt es ausnahmsweise (obwohl sehr selten) vor, dass alle vier 
Strahlen in einer Ebene liegen. Man könnte diese Form als gleichseitigen oder 
isophanen Vierstrahler den anderen gegenüberstellen. Allein diese seltene Form 
stellt nur eine besondere (durch zufällige locale Anpassung entstandene) Modifi- 
cation dar, wie wir nachher zeigen werden. 

Wie bei den ungleichseitigen Dreistrahlern bezeichnen wir bei den Vierstrahlern 
allgemein die eine Seite als canale, die andere als dermale Fläche. In bei weitem 
den meisten Fällen springt nämlich der vierte (apicale) Strahl frei in das Lumen 
des Canals vor, in dessen Wand die drei facialen Strahlen verborgen sind. Bei den 
einfachsten Kalkschwämmen, welche nur vierstrahlige Nadeln besitzen (Aseilla, Tat. 6) 

13° 


196 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


ist die Lagerung dieselbe. Es ergiebt sich daraus von selbst die richtige Bezeich- 
nung. Diejenige Fläche des Vierstrahlers, über welche der Apical-Strahl sich erhebt, 
und welche also der Canal-Höhle zugekehrt wird, ist die Canal-Seite (Facies 
canalis). Die davon abgewendete Fläche, welche der äusseren Körperoberfläche zu- 
gekehrt ist, nennen wir die Dermal-Seite (Facies dermalis). 

Die dreiseitige Pyramide, welche die stereometrische Grundform des Vierstrah- 
lers ist, wird durch die Spitzen der vier Schenkel unmittelbar bestimmt, und zwar 
bildet die Spitze des Apical-Strahles zugleich die Spitze der Pyramide, wäh- 
rend die Spitzen der drei facialen Strahlen die Ecken ihrer dreieckigen Grundfläche 
bestimmen. Die ideale Axe der Pyramide wird durch eine Linie gegeben, welche 
die Spitze des apicalen Strahles mit dem Mittelpunkte der dreieckigen Grundfläche 
verbindet. Die Ebene, welche wir durch den Apical-Strahl und den Basal- Strahl 
legen können, nennen wir die Apical-Ebene des Vierstrahlers. Sie steht meistens 
senkrecht auf der Facial-Ebene, welche mit der Pyramiden - Basis identisch ist, 
Der Winkel, welchen in dieser Ebene der Apical-Strahl mit dem basalen bildet, 
nennen wir den Apicibasal- Winkel oder kurz Apical-Winkel. 

Als untergeordnete Modificationen der Vierstrahler, welche durch weitere Diffe- 
renzirung der canalen und dermalen Fläche, sowie deren verschiedenes Verhalten 
zum Apical-Strahl bedingt werden, sind ebene und gewölbte Vierstrahler zu 
unterscheiden. 

1) Ebene Vierstrahler (Tetrasceles planae): Die drei facialen Schenkel 
liegen in einer Ebene (wie bei den gleichseitigen Dreistrahlern.. Nur der vierte 
Strahl tritt (auf der Canal-Fläche der Nadel) aus jener Ebene hervor. Die ebenen 
Vierstrahler sind entweder gerad-pyramidal oder schief-pyramidal. Bei den gerad- 
pyramidalen Vierstrahlern (Tetrasceles recte-pyramidales) ist der Apical- 
strahl gerade und steht senkrecht auf der Facial-Ebene. Der Apical-Winkel beträgt 
90°. Diese Form ist nicht häufig. Bei den schief-pyramidalen Vierstrah- 
lern dagegen (Tetrasceles oblique-pyramidales) ist der Apical-Strahl gerade, steht 
aber nicht senkrecht auf der Facial-Ebene — oder er steht zwar senkrecht auf dieser, 
ist aber gekrümmt, so dass seine Sehne (die Verbindungslinie der Basis und der 
Spitze) nicht senkrecht steht. In beiden Fällen ist der Apical-Winkel stumpf. Dies 
ist die gewöhnliche Form des ebenen Vierstrahlers. 

2) Gewölbte Vierstrahler (Tetrasceles elevatae): Die drei facialen Schenkel ' 
treten aus der Facial-Ebene, welche durch ihre Spitzen gebildet wird, hervor. Sie 
bilden mithin die Kanten einer dreiseitigen Pyramide, auf deren Spitze der apicale 
Strahl steht. Die gewölbten Vierstrahler sind entweder concav oder convex gewölbt. 
Bei den concaven Vierstrahlern ist die Pyramiden-Spitze nach der Canalseite 
der Nadel, ihre Basis dagegen nach der Dermalseite gerichtet. Der Apical-Strahl 
springt von der Spitze der Pyramide frei nach der Canalseite vor und ist von der 


1. Histologie. Exoderm. Spieula. II. Vierstrahler. 197 


Basis abgewendet. Dies ist die gewöhnliche Form der gewölbten Vierstrahler. Bei 
den convexen Vierstrahlern ist umgekehrt die Pyramiden -Spitze nach der 
Dermal-Seite, die Basis dagegen nach der Canalseite der Nadel gerichtet. Der Apical- 
Strahl ist von der Spitze der Pyramide nach deren Basis hin gerichtet und springt 
gewissermassen in den Innenraum der Pyramide vor. Diese Form ist im Ganzen 
seltener, jedoch im Parenchym mancher Leuconen häufig. Oft liegen die drei fa- 
cialen Strahlen in der convex gewölbten Dermalfläche, während der apicale Strahl 
centripetal in das Parenchym eindringt. 


Specielle Formen der Vierstrahler. 


Die Mannichfaltigkeit der verschiedenen Nadel-Formen, welche durch die Diffe- 
renzirung der Schenkel, Winkel und Flächen entstehen, ist bei den Vierstrahlern 
natürlich noch viel grösser als bei den Dreistrahlern, weil hier der vierte oder apicale 
Strahl als ein neuer und sehr einflussreicher Factor der Formbildung zu den drei 
facialen Strahlen hinzutritt. Auch die verschiedenen Formen der Vierstrahler liefern, 
wie diejenigen der Dreistrahler, sehr brauchbare Anhaltspunkte zur Species - Unter- 
scheidung. Auch hier ist in dieser Beziehung am wichtigsten die Differenzirung der 
Schenkel, nächstdem diejenige der Winkel und erst in dritter Linie die Be- 
schaffenheit der beiden Flächen. Doch ist die letztere hier in sofern von grösserer 
Bedeutung als bei den Dreistrahlern, als der zuletzt angeführte Unterschied zwischen 
ebenen und gewölbten, gerad-pyramidalen und schief-pyramidalen, concaven und con- 
vexen Vierstrahlern eine viel grössere morphologische Rolle spielt, als der unter- 
geordnete Unterschied zwischen den gleichseitigen (isophanen) und den ungleich- 
seitigen (allophanen) Dreistrahlern. Immerhin tritt jedoch auch bei den Vierstrah- 
lern die Differenzirung der Winkel und vor allen der Schenkel in den Vordergrund; 
und massgebend sind dabei vor allen die drei facialen Winkel und Schenkel, während 
der vierte oder apicale Strahl und der Apical-Winkel (zwischen apicalem und ba- 
salem Strahle) erst in zweiter Linie berücksichtigt werden kann. 

Demnach unterscheide ich unter den Vierstrahlern, gerade so wie unter den 
Dreistrahlern, nur drei Hauptgruppen: reguläre, sagittale und irreguläre Vierstrahler. 
I. Reguläre Vierstrahler sind solche, bei denen sowohl die drei facialen 
Schenkel als die drei facialen Winkel völlig gleich sind. I. Sagittale Vier- 
strahler nenne ich diejenigen, bei denen entweder die drei facialen Schenkel, 
oder die drei facialen Winkel, oder endlich sowohl die drei facialen Schenkel als 
die drei facialen Winkel paarweise differenzirt sind. IH. Irreguläre Vier- 
strahler sind solche, bei denen entweder die drei facialen Schenkel oder die 
drei facialen Winkel oder sowohl erstere als letztere ungleich sind. 


198 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


1. Reguläre Vierstrahler (Tetrasceles regulares). 


Die regulären Vierstrahler, die „Equiangular spieulated triradiate Spicula“ von 
BOWERBANK, sind unmittelbar von den regulären Dreistrahlern, der gemeinsamen 
Stammform aller dreistrahligen und vierstrahligen Spieula, abzuleiten. Sie entstehen 
aus der letzteren dadurch, dass sich im Centrum des regulären Dreistrahlers, auf 
einer seiner beiden Flächen, ein vierter (apicaler) Strahl entwickelt. Wie bei den 
regulären Dreistrahlern, so können wir auch bei den regulären Vierstrahlern zwei 
untergeordnete Modificationen unterscheiden, nämlich: 

1) Perreguläre Vierstrahler: Die drei facialen Winkel und die drei fa- 
cialen Schenkel sind absolut gleich, und liegen in einer Ebene, auf welcher der gerade 
Apical-Strahl senkrecht steht. 

2) Subreguläre Vierstrahler: Die drei facialen Winkel oder die drei fa- 
cialen Schenkel ein wenig (aber kaum merklich) differenzirt; oder die drei facialen 
Winkel und Schenkel sind zwar gleich, liegen aber nicht in einer Ebene, so dass die 
letzteren eine flachere oder höhere Pyramide bilden, auf deren Spitze der Apical- 
Strahl steht; oder endlich die drei facialen Winkel und Schenkel sind zwar gleich. 
und liegen in einer Ebene; aber der Apical-Strahl steht auf dieser nicht senkrecht, 
oder er ist gekrümmt, nicht ganz gerade. 

Im engeren Sinne regulär (perregulär) können wir also nur diejenigen Vier- 
strahler nennen, welche folgende Bedingungen erfüllen: 1) die drei facialen Winkel 
sind absolut gleich (= 120°); 2) die drei facialen Schenkel sind in Grösse und 
Form absolut gleich und liegen in einer Ebene; 3) der apicale Strahl ist ganz ge- 
rade und steht auf dieser Ebene senkrecht. Diese Form ist im Ganzen bei den 
Kalkschwämmen selten. Sie findet sich z. B. unter den Asconen bei Ascallis cana- 
riensis (Taf. 10, Fig. 1b, 1c), A. cerebrum (Taf. 10, Fig. 2c, 2d), A. Gegenbauri 
(Taf. 10, Fig. 5ec, 5d); ferner bei Ascandra cordata, A. densa, A. retieulum ete. 
(Taf 14, Fig. 1b, 2b, 4b, 4c); unter den Leuconen bei Lexcaltis floridana (Taf. 26, 
Fig. 15); unter den Syconen bei Sycaltis perforata (Taf. 46, Fig. 6). 

Im weiteren Sinne regulär (also eigentlich subregulär ) nenne ich aber auch 
alle jene Vierstrahler, bei welchen die Hauptbedingung erfüllt ist, also die drei fa- 
cialen Winkel und Schenkel entweder absolut gleich oder kaum merklich verschieden 
sind; bei denen aber der Apical-Strahl sehr verschieden sein kann: gerade oder ge- 
krümmt, unter rechtem oder unter schiefem Winkel auf der Facial-Ebene stehend; 
auch können sich die drei Facial-Strahlen über letztere erheben und eine Pyramide 
bilden. Ein besonderer Fall der letzteren Form ist der seltene tedraedrische Vier- 
strahler, bei welchem die vier gleichen Strahlen unter gleichen Winkeln im Raume 
zusammentreffen und den drei Flächenaxen eines Tetraeders entsprechen. Er findet 
sich bisweilen im Parenchym einiger Leucandra-Arten (L. cucumis, L. stilifera, L. 
succharata). 


1. Histologie. Exoderm. Spieula. II. Vierstrahler. 199 


Die subregulären Vierstrahler finden sich zwar im Ganzen viel häufiger als die 
perregulären, aber doch viel seltener als die regulären Dreistrahler. Gewöhnlich 
liegen die drei facialen Strahlen in der gastralen oder canalen Wand, und der apicale 
Strahl springt oralwärts gekrümmt in das Lumen des Canalsystems vor. Sehr häufig 
liegen auch die drei facialen Strahlen in der Dermalfläche und der apicale Strahl 
springt centripetal in das Parenchym vor (so namentlich bei den Leuconen). Uebri- 
gens sind die subregulären Vierstrahler mit den perregulären meistens so innig ge- 
mischt und durch so unmerkliche Zwischenformen bei einer und derselben Art ver- 
bunden, dass wir bei der speciellen Beschreibung beide Formen nicht trennen können 
und als reguläre zusammenfassen. 

Bis jetzt ist nur eine einzige Art von Kalkschwämmen bekannt, bei welcher das 
Skelet ausschliesslich aus regulären Vierstrahlern besteht: das ist Aseilla gracilis 
(Taf. 6, Fig. 1—7). Unter den Asconen kommen dieselben ausserdem vor bei fünf 
Arten von Ascaltis (mit regulären Dreistrahlern gemischt; Taf. 10); und bei sechs 
Arten von Aseandra (mit regulären Dreistrahlern und Stabnadeln gemischt; Taf. 14). 

Unter den Leuconen sind die regulären Dreistrahler im Ganzen viel seltener, 
und finden sich bloss, gemischt mit Dreistrahlern, bei zwei Arten von Leucaltis 
(L. floridana, Taf. 26, Fig. 15, und L. clathria, Taf. 28, Fig. 3b); bei Leuculmis 
echinus, gemischt mit Stabnadeln (Taf. 30, Fig. 11d); und ferner bei verschiedenen 
Arten von Leucandra, gemischt mit Stabnadeln und Dreistrahlern, sowie mit sagit- 
talen und irregulären Vierstrahlern. Doch kommen die regulären Vierstrahler da- 
zwischen immer nur in sehr geringer Menge vor. 

Häufiger sind die regulären Vierstrahler im Ganzen wieder unter den Syconen. 
Sie finden sich hier bei Sycaltis per/orata in den Radial-Tuben (Taf. 46, Fig. 6—8); 
bei 8, testipara und 8. ovipara in der Gastralfläche (Taf. 47, Fig. 4, 8); ferner bei 
vielen Sycandra-Arten in der Gastralfläche (allein oder gemischt mit regulären 
Dreistrahlern). 


2. Sagittale Vierstrahler (Tetrasceles sagittales). 


Die sagittalen Vierstrahler sind viel häufiger, mannichfaltiger und daher auch 
für die Species-Bildung wichtiger als die regulären Vierstrahler, und verhalten sich 
daher ganz ähnlich den sagittalen Dreistrahlern, mit denen sie auch gewöhnlich ge- 
mischt vorkommen. Wie bei diesen letzteren, unterscheide ich auch hier drei Haupt- 
formen, je nachdem bloss die drei facialen Schenkel oder bloss die drei facialen 
Winkel oder endlich gleichzeitig die Schenkel und die Winkel paarweise differen- 
zirt sind. 

1. Gleichwinkelige und paarschenkelige Vierstrahler: Die drei 
facialen Winkel sind völlig gleich (120°); die drei facialen Schenkel sind dagegen 
paarig differenzirt, so dass die beiden paarigen oder lateralen Schenkel unter sich 


200 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


gleich, gewöhnlich kürzer (seltener länger) als der basale Strahl sind. Diese Form 
ist nicht selten, besonders unter den Syconen; sie findet sich hier in der Gastral- 
fläche vieler Sycandra-Arten, gemischt mit regulären Dreistrahlern. 

2. Gleichschenkelige und paarwinkelige Vierstrahler: Die drei fa- 
cialen Schenkel sind völlig gleich in Grösse und Form. Die drei facialen Winkel 
sind dagegen paarig differenzirt, so dass die beiden paarigen oder lateralen Winkel 
unter sich gleich, gewöhnlich kleiner (selten grösser), als der unpaare oder orale 
Winkel sind. Diese Form ist im Ganzen sehr selten, noch seltener als die entspre- 
chende Dreistrahler-Form. Sie findet sich jedoch gemischt mit anderen Vierstrahler- 
Formen hie und da, besonders bei den Leuconen vor. Eine sehr merkwürdige Mo- 
dification dieser Form sind die dreizähnigen Anker-Nadeln, welche sich in 
dem Schwanze oder Wurzelschopfe von Syenlmis synapta vorfinden (Taf. 50, Fig. 5, 6). 
Der Apical-Strahl ist hier enorm verlängert, hypertrophisch, die drei Facial-Strahlen 
dagegen verkümmert, atrophisch. Bald sind diese letzteren alle drei ganz gleich; 
bald sind sie sagittal differenzirt; die drei facialen Winkel zwischen denselben sind 
aber stets gepaart. 

3. Paarschenkelige und paarwinkelige Vierstrahler: Die drei fa- 
cialen Schenkel sowohl als die drei facialen Winkel sind paarig differenzirt. Diese 
Form des sagittalen Vierstrahlers ist die bei weitem häufigste. Gewöhnlich ist: 
a. der basale Schenkel länger als die beiden lateralen und der unpaare Winkel grösser 
als die beiden paarigen. Diese Form findet sich sehr verbreitet: unter den Asconen 
bei Asculmis armata (Taf. 13, Fig. 2), Ascandra complicata, A. pinus (Taf. 16, 
Fig. 3c, d) und Anderen; unter den Leuconen bei Lexcaltis pumila (Taf. 27, Fig. 2e) 
und in der Gastralfläche von vielen Leucandra-Arten (Taf. 31 — 34); unter den Sy- 
conen bei vielen Arten von Syeilla (Taf. 43), Sycaltis (Taf. 45, 47), Syculmis (Taf. 50) 
und Sycandra (Taf. 51—56). Bei den meisten Sycandra-Arten haben die gastralen 
Vierstrahler diese Form. Nicht selten ist übrigens auch b. der basale Schenkel 
kürzer als die lateralen und zugleich der orale Winkel grösser als die beiden late- 
ralen; sagittale Vierstrahler dieser Form bilden ausschliesslich das Skelet von Aseilla 
Japonica (Taf. 6, Fig. 9); gemischt mit Dreistrahlern das Skelet von Ascaltis bo- 
tryoides (Taf. 10, Fig. Te, Te); ferner finden sie sich unter den Asconen bei vielen 
Ascandra-Arten (z.B. A. Lieberkühmü, A. variabilis); unter den Leuconen bei Leue- 
altis solida (Taf. 27, Fig. 3g) und in der Gastralfläche vieler Leucandra-Arten; 
ebenso unter den Syconen bei Syeilla urna (Taf. 43, Fig. 14) und in der Gastral- 
fläche vieler Sycandra-Arten. Sehr selten ist dagegen c. der unpaare Winkel kleiner 
als die paarigen, und dann sind die beiden lateralen Schenkel bald länger, bald 
kürzer als der basale. Diese Form findet sich gemischt mit anderen sagittalen Vier- 
strahlern hie und da, besonders in den Radial-Tuben der Syconen, und namentlich an 
deren Distal-Kegeln. Seltener ist sie bei den Leuconen und sehr selten bei den Syconen. 


1. Histologie. Exoderm.. Spieula. II. Vierstrahler. 201 


Eine einzelne Modification dieser seltenen Form ist der kreuzförmige Vier- 
strahler: „Unieurvo-eruciform Spiculum“ von BOwERBANK. Diese sonderbare Form 
war bisher nur von ZLeucandra Jolmstonü, H. (= Leuconia nivea, BOWERBANK) 
bekannt (Taf. 34, Fig. 1e). Ich habe dieselbe aber auch noch bei zwei anderen, 
nahe verwandten Leucon-Arten gefunden, nämlich bei Z. nivea, H. (Taf. 34, Fig. 2d) 
und bei L. ochotensis, H. (Taf. 34, Fig. 3d). Bei diesen drei Leuconen kleiden die 
„Kreuzförmigen Vierstrahler“ dichtgedrängt die innere Oberfläche der Magenhöhle 
und auch der grösseren Canäle aus, welche in letztere münden. Sie scheinen ganz 
in der Fläche der Gastrovascular-Wand zu liegen, und zwar der basale und apicale 
Strahl in einer geraden Linie, welche der Längsaxe des Magens oder des Canales 
parallel läuft. So hat sie auch BowErBAnkK bei L. Johnstonii beschrieben, indem er 
ausdrücklich behauptet, dass in der natürlichen Lage der Nadel kein Strahl frei 
über die Canalfläche vorspringe (Brit. Spong. Vol. II, p. 37). Dies ist aber unrichtig, 
wie schon CARTER nachgewiesen hat!). Der vierte oder apicale Strahl liegt nur 
scheinbar in einer horizontalen Ebene mit den drei anderen Strahlen. In der That 
springt er doch über diese Ebene vor und ragt frei in das Lumen des Canal-Systems 
hinein. Aber nur die Basis erhebt sich aus jener Ebene; gleich oberhalb der Basis 
biegt sich der Apical-Strahl dergestalt, dass der übrige (apicale) Theil desselben der 
Ebene parallel oder subparallel läuft. Seine Spitze ist (in der Magenhöhle) gegen 
die Mundöffnung, oder (in den grösseren Canälen) gegen die Gastral-Ostien gerichtet. 
Der basale, gerade Strahl verläuft entgegengesetzt, in aboraler oder dermaler Rich- 
tung. Die beiden lateralen Schenkel sind kürzer als der basale und apicale Strahl, 
und bilden zusammen einen flachen, halbmondförmigen Bogen, der die Verbindungs- 
stelle der letzteren rechtwinkelig kreuzt. 

Besonders wichtig unter den sehr zahlreichen Modificationen der paarschenke- 
ligen und paarwinkeligen Vierstrahler ist der rechtwinkelige Vierstrahler 
(„Rectangular spiculated triradiate Spiculum“ von BOwErBANkK). Bei dieser Form 
wächst (ebenso wie bei dem rechtwinkeligen Dreistrahler, mit welcher sie gewöhnlich 
gemischt vorkommt) der orale Winkel bis zu 180°, und die beiden lateralen Strahlen 
liegen entweder in ihrer ganzen Länge oder doch mit ihren apicalen Theilen in einer 
geraden Linie, auf welcher der basale Strahl senkrecht steht. Der letztere ist bald 
kürzer, bald länger als die lateralen; ebenso der apicale Strahl, welcher sich über 
die Facial-Ebene der drei anderen Strahlen erhebt und meistens gekrümmt in das 
Lumen des Canalsystems vorspringt. Am häufigsten sind diese rechtwinkeligen Drei- 
strahler als Auskleidung der Magenhöhle, besonders in der Nähe der Mundöffnung, 
und namentlich in dem Rüssel der rüsselmündigen Formen. Unter den Asconen 


1) CARTER, Annals and Mag. of nat. hist. 1871, Vol. VIII, p. 3; Pl. I, Fig. i. Carter hat daselbst 
zugleich nachgewiesen, dass BOWERBANK'S Leuconia nivea nicht die echte Spongia nivea von GRANT, son- 


dern eine besondere Art, L. Johnstonüi ist. 


202 Drittes Kapitel. Anatomie. Il. Specielle Anatomie. 


finden sich rechtwinkelige Vierstrahler z. B. bei Ascandra sertularia (Taf. 15, Fig. 
4b—4d), 4. nitida (Taf. 16, Fig. 2e, 2f); unter den Leuconen bei Leucandra 
lumulata (Taf. 31, Fig. 2d), L. Gossei (Taf. 52, Fig. 2d); unter den Syconen bei 
Sycandra arclica (Taf. 55, Fig. 1v), 8. Zystrix etc. In den dünnhäutigen Rüssel- 
röhren erscheinen sie bei den rüsselmündigen Kalkschwämmen der Genera Ascaltis, 
Leucaltis, Syealtis, Ascandra, Leucandra und Sycandra fast constant, besonders 
gegen die Mündung der Röhre hin, und liegen hier meistens sehr dicht gedrängt 
(und oft gemischt mit rechtwinkeligen Dreistrahlern) regelmässig neben einander, 
mit parallelen Schenkeln; der basale Strahl ist aboral nach abwärts gerichtet; der 
apicale springt frei oralwärts in die Rüsselhöhle vor; die beiden lateralen liegen 
(senkrecht auf letzterem) in einer geraden Linie, parallel dem Rüsselrande. 


3. Irreguläre Vierstrahler (Tetrasceles irregulares). 


Irreguläre Vierstrahler nenne ich alle diejenigen, bei welchen entweder die 
drei facialen Winkel oder die drei facialen Schenkel oder endlich sowohl die er- 
steren als die letzteren ungleich sind. Es gehören mithin in diese Kategorie alle 
Dreistrahler, welche weder regulär noch sagittal sind. Indessen lassen sich auch 
unter den Vierstrahlern, wie unter den Dreistrahlern, diese drei Kategorien nicht 
scharf trennen, und es giebt überall verbindende Zwischenstufen sowohl zwischen den 
irregulären und sagittalen (subsagittale) als zwischen den irregulären und regu- 
lären (subreguläre) Formen. Die sehr mannichfaltigen Special-Formen der ir- 
regulären Vierstrahler sind, gleich denen der irregulären Dreistrahler, ohne hervor- 
ragende morphologische Bedeutung, und würden sich gleich den letzteren in folgende 
drei Gruppen bringen lassen: 

A. Irreguläre Vierstrahler mit drei ungleichen Facial-Schenkeln, 

a. mit drei gleichen Facial-Winkeln (von 120°), 

b. mit paarig differenzirten Facial-Winkeln. 

B. Irreguläre Vierstrahler mit drei ungleichen Facial-Winkeln, 

a. mit drei gleichen Facial-Schenkeln, 

b. mit paarig differenzirten Facial-Schenkeln. 

C. Irreguläre Vierstrahler mit drei ungleichen Facial-Schenkeln und drei unglei- 
chen Facial-Winkeln. 
Diese letzteren allein würden eigentlich als völlig irreguläre Vierstrahler anzusehen 
sein; sie sind auch weit häufiger, als die ersteren, mit denen sie jedoch auch oft 
gemischt vorkommen. Die ersteren (A und B) spielen für sich allein gar keine Rolle. 

Die irregulären Vierstrahler sind unter den Asconen höchst selten, und nur 
hie und da als Abnormität, einzeln unter den sagittalen oder den regulären Vier- 
strahlern zu finden. Auch unter den Syconen sind sie selten, ebenfalls gewöhnlich 
nur als einzelne Abnormität, zu bemerken. Sehr häufig sind dagegen die irregulären 


1. Histologie. Exoderm. Spicula. II. Vierstrahler. 2053 


Vierstrahler in der Familie der Leuconen. Hier setzen sie ganz allein das Skelet 
von Lexeilla capsuıla zusammen (Taf. 24, Fig. 2, 3), und bilden die Hauptmasse 
des Skelets bei mehreren Lexcandra-Arten, einen grossen Theil des Skelets bei an- 
deren Leuconen. 


Gestalt der Schenkel bei den Dreistrahlern und Vierstrahlern. 


Die Formenmannichfaltigkeit der Schenkel der dreistrahligen und vierstrahligen 
Nadeln ist bei den Kalkschwämmen noch viel geringer, als diejenige der einfachen 
Spieula oder Stabnadeln. Besonders gilt dies, wenn man sie mit den entsprechenden 
Nadel-Formen der Kieselschwämme vergleicht. 

Im Allgemeinen kann als die Grundform der Schenkel, bei den Dreistrahlern 
ebenso wie bei den Vierstrahlern, ein schlanker Kegel bezeichnet werden, dessen Höhe 
durchschnittlich ungefähr zehnmal so gross ist als der Durchmesser der Grundfläche ; 
durch Hervorwölbung des Mantels geht die Kegelform in diejenige der halben Spindel 
über. Sehr häufig ist die proximale oder innere Hälfte des Schenkels cylindrisch, die 
äussere halbspindelförmig. Seltener nimmt der ganze Schenkel die Cylinderform an, 
indem seine Dicke von der Basis bis zur Spitze gleich oder nahezu gleich bleibt (z. B. 
Ascelta coriacea, Taf. 5, Fig. 2). Noch seltener endlich wird der Schenkel spindel- 
förmig, indem er in der Mitte dicker ist, als an den beiden Enden (z. B. Ascetta 
sceptrum, Taf. 5, Fig. 4). Bisweilen ist das äussere (oder distale) Ende kolbenförmig 
angeschwollen oder mit einem Knopfe verziert (z. B. Ascetta clathrus, Taf. 5, Fig. 5). 

Eine weitere Differenzirung der Schenkelspitzen, wie sie bei den Stabnadeln nicht 
selten ist (z. B. Griffelspitzen und Lanzenspitzen, p. 207) findet sich bei den Drei- 
strahlern sowohl als bei den Vierstrahlern nur sehr selten. Gewöhnlich kann man 
nur zwischen stumpfen (oder abgerundeten) und scharfen (oder stechenden) Spitzen 
unterscheiden. Dieser Unterschied ist aber bei den einzelnen Arten sehr constant und 
daher characteristisch. Durch eine dornige und zugleich knopfförmig abgesetzte 
Spitze ist Ascetta sceptrum ausgezeichnet (Taf. 5, Fig. 4); eine Neigung der Spitze, 
sich zu spalten oder in zwei Zinken zu theilen, habe ich nur bei Ascortis fragilis be- 
obachtet, besonders bei der Varietät bifida (Taf. 12, Fig. 5). 

Wie bei den Stabnadeln, ist auch bei den Dreistrahlern und Vierstrahlern der 
Querschnitt der Schenkel gewöhnlich kreisrund, seltener elliptisch und viel seltener 
linear, so dass der Schenkel bandförmig abgeplattet ist. Immer aber bleiben die 
Schenkel (auch an den schmalen Kanten) abgerundet und werden niemals kantig 
(prismatisch oder pyramidal). Die Oberfläche ist stets ganz glatt; eine seltene Aus- 
nahme bilden die Apical-Strahlen der Vierstrahler von Ascaltis cerebrum, welche 
sich durch einen Besatz von sehr feinen Dornen auszeichnen (Taf. 10, Fig. 2c, 2d). 

Bezüglich der häufig vorkommenden Biegungen und Krümmungen der Schenkel 
ist zu bemerken, dass als die ursprüngliche Form (sowohl bei Dreistrahlern als Vier- 


204 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


strahlern) der gerade, nicht gekrümmte Schenkel anzusehen ist. Daher finden sich 
diese vorzüglich bei den gleichschenkeligen und gleichwinkeligen Formen. 

Am weitesten verbreitet ist die Krümmung der Schenkel bei den paarstrahligen 
Dreistrahlern und Vierstrahlern. In der Regel ist hier der basale (oder unpaare) 
Schenkel gerade, während die beiden lateralen (oder paarigen) mehr oder minder 
stark gekrümmt sind, und zwar meistens dergestalt, dass die Convexität des Bogens 
dem Basal-Strahl zugewendet ist, seltener die Concavität. 

Der apicale (oder vierte) Strahl der Vierstrahler ist häufiger gekrümmt, als 
gerade, besonders bei den paarschenkeligen Nadeln, und zwar ist auch hier gewöhn- 
lich die Convexität des Bogens dem Basal-Strahl zugewendet, selten die Concavität. 
Fast immer folgt die Krümmung des Apical-Strahls dem Wasserstrom. Die Spitze 
des Apical-Strahls ist gewöhnlich einfach konisch, häufig auch zweischneidig, seltener 
lanzenförmig oder sogar knopfförmig abgesetzt, bisweilen meisselförmig. 

Seltener als diese einfachen bogenförmigen Krümmungen, welche vorzüglich die 
Lateral-Strahlen der paarschenkeligen Dreistrahler und Vierstrahler, und den Apical- 
Strahl der letzteren betreffen, sind mehrfache unregelmässige Biegungen oder wellen- 
förmige Krümmungen der Schenkel. Solche finden sich vorzugsweise bei den Lateral- 
Strahlen der sagittalen Dreistrahler und Vierstrahler. 


III. Stabnadeln (Monosceles). 


(Einfache oder einaxige Nadeln. Spicula mona.onia). 


Die einfachen oder einaxigen Nadeln (Spieula monaxonia), die wir ein für alle- 
mal kurz Stabnadeln (Monosceles) nennen wollen, spielen bei den Kalkschwäm- 
men bei weitem nicht die grosse Rolle, wie unter den Kieselschwämmen. Nicht 
allein ihre Verbreitung, sondern auch ihre Formenmannichfaltigkeit ist bei den er- 
steren weit geringer als bei den letzteren. Nur bei sechs Arten von Kalkschwäm- 
men (zwei Species Ascyssa unter den Asconen, drei Species Lexcyssa unter den 
Leuconen, einer Species Syeyssa unter den Syconen) wird das Skelet ausschliess- 
lich aus Stabnadeln gebildet. Ausserdem kommen dieselben nur gemischt mit Drei- 
strahlern oder Vierstrahlern vor. | 

Als die einfachste Form der Stabnadeln, als die ursprüngliche Urform oder 
Stammform, betrachte ich mit O. Scumipr die gestreckte Spindel oder den Pfahl, 
d.h. einen schlanken Cylinder, welcher an beiden Enden gleichmässig in eine ko- 
nische Spitze ausläuft („Doppelspitzer oder Umspitzer“, Scumipr, Atlant. Spong. 
p: 2). Die Längsaxe ist an beiden Polen von gleicher Beschaffenheit, daher beide 
Pole nicht zu unterscheiden. Die stereometrische Grundform ist der Cylinder 
(Monaxonia haplopola des promorphologischen Systems; Generelle Morphologie, 
Vol. I, p. 422). 


1. Histologie. Exoderm. Spicula. III. Stabnadeln. 205 


Durch Differenzirung der beiden Pole entsteht aus dieser gleichpoligen 
Stabnadelform die ungleichpolige (Keulen, Kolben, Griffel, Lanzen etc.), das 
eine (basale) Ende ist vom anderen (apicalen) in seiner Gestalt verschieden, oft sehr 
auffallend differenzirt. Die stereometrische Grundform ist der Kegel (Monaxonia 
diplopola des promorphologischen Systems; Generelle Morphologie, Vol. I, p. 426). 


1. Gleichpolige Stabnadeln (Monosceles haplopolae). 


Die gleichpolige oder haplopole Stabnadel repräsentirt die ursprünglichste und 
einfachste Form der Stabnadel. Die beiden Pole der Axe sind völlig gleichwerthig 
und nicht zu unterscheiden. Diese Nadelform ist bei den Kalkschwämmen gewöhn- 
lich ein sehr langgestreckter schlanker und dünner Cylinder, bald gerade, bald ge- 
bogen, dessen beide Enden bald stumpf, bald zugespitzt sind. Danach kann man 
als untergeordnete Modificationenen stricknadelförmige, spindelförmige und pfriemen- 
förmige Stabnadeln unterscheiden. 


A. Stricknadeln oder stricknadelförmige Stabnadeln (Monosceles 
N bacillosae). 


Das Spiculum ist ein schlanker, meistens gerader, sehr langer und dünner Cy- 
linder, in seiner ganzen Länge von gleicher Dicke, an beiden Enden stumpf, gleich- 
mässig abgestutzt oder abgerundet. Diese Nadelform bildet bei den Kalkschwäm- 
men fast allgemein (mit wenigen Ausnahmen) den Mundkranz oder die Peristom- 
Krone der kranzmündigen Formen. Ausserdem kommt sie sehr verbreitet in dem 
Stäbchenmörtel und in der haarigen oder borstigen Dermalbekleidung vieler Kalk- 
schwämme aus verschiedenenen Gattungen vor zZ. B. Ascandra nitida (Taf. 16, 
Fig. 2g); Leucandra ochotensis (Taf. 34, Fig. 3f); Sycandra hystrix (Taf. 56, Fig. 2h). 


B. Spindelförmige Stabnadeln (Monosceles fusiformes). 


Das Spiculum ist ein schlanker, meistens gerader, oft sehr dicker Cylinder, der 
sich nach beiden Enden hin gleichmässig zuspitzt. Hierher gehören die „acerate“ 
und „fusiformi-acerate‘“‘ Spicula von BOWERBANK. Diese Form ist bei den Asconen 
nicht häufig, dagegen bei den Leuconen und Syconen sehr verbreitet. Sie findet 
sich unter ersteren bei Ascandra panis (Taf. 14, Fig. 3f); sie bildet für sich allein 
das Skelet von Zeueyssa spongilla (Taf. 25, Fig. 13), die Hauptmasse des Skelets 
von Leucandra cataplhracta; den dermalen Panzer von Leucandra aleicornis (Taf. 32, 
Fig. 4) und von Sycandra glabra (Taf. 56, Fig. 1s); auch die meisten stärkeren 
Haare, Borsten oder Stacheln“ in der Dermalfläche der Leuconen und Syconen ge- 
hören zu dieser Form. Die spindelförmigen Stäbe sind meistens gerade, seltener 
mehr oder weniger bogenförmig gekrümmt. 


206 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


C. Pfriemenförmige Stabnadeln (Monosceles subuliformes). 


Das Spieulum ist ein schlanker, dünner Cylinder, nach beiden Enden hin gleich- 
mässig zugespitzt, stets mehr oder minder bogenförmig gekrümmt oder gewunden, 
oft sehr stark verbogen, wellenförmig oder selbst spiralig gedreht. Diese Form, 
welche von der vorigen nicht scharf zu trennen ist, findet sich oft mit ihr gemischt 
vor. Sehr rein findet sie sich bei Aseandra reliculum (Taf. 14, Fig. 4d—4f), bei 
Leucandra Johnstonü (Taf. 34, Fig. 1g), bei Sycandra utrieulus (Taf. 55, Fig. 3f). 


2. Ungleichpolige Stabnadeln (Monosceles diplopolae). 


Die ungleichpolige oder diplopole Stabnadel ist aus der ursprünglichen Form der 
gleichpoligen oder haplopolen Stabnadel durch Differenzirung der beiden Pole ent- 
standen. Das eine Ende bleibt gewöhnlich einfach zugespitzt, während das andere 
Ende eine bestimmtere, complicirte Form annimmt. Bei den Kieselschwämmen 
treten in erster Linie dabei die Stecknadeln und Stifte auf; bei den Stecknadeln 
ist das eine Ende spitz, das andere kugelig-verdickt oder geknöpft; bei den Stif- 
ten ist das eine Ende ebenfalls spitz, das andere dagegen einfach abgerundet oder 
abgestutzt. Bei den Kalkschwämmen kommen Stecknadeln niemals vor, und Stifte 
nur sehr selten. Dagegen treffen wir hier sehr verbreitet einige andere Formen 
von ungleichpoligen Stabnadeln, welche bei den Kieselschwämmen gar nicht oder 
nur sehr selten vorkommen. Das sind insbesondere die keulenförmigen, kolbenför- 
migen und lanzenförmigen Stabnadeln, sowie einige seltenere eigenthümliche Formen. 


A. Keulenförmige Stabnadeln (Monosceles clavatae). 


Beide Enden der Stabnadeln sind spitz oder abgestumpft; das eine Ende ist 
dicker, das andere dünner; oder das eine schneller, das andere langsamer zuge- 
spitzt. Diese Nadelform ist characteristisch für einzelne Asconen-Arten ( Ascandra 
densa, Tat. 14, Fig. 2c); unter den Leuconen findet sie sich bei Leucortis pulvinar 
(Taf. 29, Fig. 9, 16—18); unter den Syconen bei Sycandra arborea (Taf. 53, Fig. 1s). 


B. Kolbenförmige Stabnadeln (Monosceles rhopalotae). 


Das eine Ende der Stabnadel ist dünner und allmählig zugespitzt; das andere 
Ende dicker, kolbenförmig angeschwollen und abgerundet, meistens zugleich schwä- 
cher oder stärker gebogen, bisweilen fast hakenförmig gekrümmt oder aufgerollt. 
Diese Form findet sich sehr ausgezeichnet unter den Asconen bei Ascandra fulcata 
(Taf. 14, Fig. 5f—5t); unter den Leuconen bei Lexcandra lunulata (Taf. 31, Fig. 2f); 
unter den Syconen bei Sycandra aleyoncellum (Taf. 53, Fig. 25); S. compressa 
(Taf. 55, Fig. 2s, r) und einigen anderen. Bei Sycandra compressa findet sich neben 
der gewöhnlichen glatten auch eine ausgezeichnete Form der kolbenförmigen Stab- 


1. Histologie. Exoderm. Spieula. TII. Stabnadeln. 207 


nadel vor, welche an den verdickten Ende dornig oder knotig ist (Taf. 55, Fig. 2sec; 
— Syeinula elavigera , OÖ. Scumipr, Atlant. Spong. p. 74; Taf. II, Fig. 26a). 


C. Griffelförmige Stabnadeln (Monosceles stiliformes). 


Das eine Ende der Stabnadel ist einfach zugespitzt, das andere mit einer grif- 
felförmigen Spitze versehen, nämlich durch einen knotigen Ring eingeschnürt, auf 
welchem eine kegelförmige kurze Spitze aufsitzt. Diese Form ist im Ganzen nicht 
häufig, findet sich jedoch bisweilen gemischt mit der folgenden, nahe verwandten, 
aber viel häufigeren Form, so z. B. bei Ascortis Fabrieü und A. corallorrhiza 
(Taf. 12, Fig. 3i, 3h; 4, 4h); bei Sycandra arborea (Taf. 53, Fig. 1s) und S. com- 
pressa (var. pennigera, Taf. 55, Fig. 2sp). Massenhaft zusammengehäuft und in 
sehr ausgeprägter Form bilden die griffelförmigen Stabnadeln als gypsartiger „Stäb- 
chenmörtel“ die Hauptmasse des Skelets bei Lencandra stilifera (= Leuconia stili- 
fera. O. Scuamiprt; Atlant. Spong. Taf. II, Fig. 24). 


D. Lanzenförmige Stabnadeln (Monosceles hastiformes). 


Das eine Ende der Stabnadel ist einfach zugespitzt; das andere Ende mit einer 
lanzenförmigen Spitze versehen, nämlich durch einen knotigen Ring eingeschnürt, 
auf welchen eine platte, zweischneidige Lanzenspitze aufsitzt. Diese Form ist viel 
häufiger als die vorige, aus welcher sie durch Abplattung oder Compression der 
kegelförmigen Griffelspitze entstanden ist. Der schmale Knotenring, welcher diese 
von der Stabnadel absetzt, ist meist noch deutlicher als bei der griffelförmigen 
Stabnadel. Die Lanzenspitze hat die Form eines schlanken gleichschenkeligen Drei- 
ecks und meistens sehr dünne, scharf schneidende Ränder (Taf. 7, Fig.7, 9 von der 
platten Fläche, Fig. 3, 10 von dem scharfen Rande). Die ganze Stabnadel gleicht 
völlig der Lanze der Ulanen, ist jedoch selten ganz gerade, meist mehr oder min- 
der verbogen, oft sehr stark verkrümmt. Die lanzenförmige Stabnadel ist vor allem 
in der Familie der Asconen sehr verbreitet, wo sie die grosse Mehrzahl aller 
Stabnadeln bildet, so z. B. bei Sscyssa acufera (Taf. 7, Fig. 7—10); Ascortis hor- 
rida (Taf. 12, Fig. Ih); Asculmis armata (Taf. 135, Fig. 2); Ascandra sertularia 
(Taf. 15, Fig. 4f); A. pinns, A. variabilis (Taf. 16, Fig. 5h, 3i; 4i—4]) und vielen 
anderen Asconen. Viel weniger verbreitet sind die lanzenförmigen Stabnadeln bei 
den Syconen, wo sie jedoch oft gemischt mit den spindelförmigen vorkommen; am 
seltensten und nur ausnahmsweise finden sie sich bei den Leuconen. 


E. Nähnadelförmige Stabnadeln (Monosceles perforatae). 


Das eine Ende der Stabnadel ist einfach zugespitzt, das andere Ende stumpf 


oder spitz, von einem Loche oder Oehre durchbohrt. Diese sehr merkwürdige Na- 
delform (die bei den Kieselschwämmen, soviel ich weiss, nirgends vorkommt) findet 


208 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


sich bloss bei zwei Kalkschwämmen, bei Leucyssa eretacea (Taf. 25, Fig. 14 — 17) 
und bei Lexeundra ochotensis. Bei der ersteren bildet sie für sich allein das Skelet, 
bei der letzteren bildet sie den gypsartigen Stäbchenmörtel, welcher die Dreistrahler 
und Vierstrahler überzieht und verbindet. Das Spiculum hat völlig die Gestalt einer 
verbogenen Nähnadel, das Oehr ist bald ein rundliches Loch, bald ein länglicher 
schmaler Spalt. Bei Leucandra ochotensis setzt sich dasselbe bisweilen durch den 
grössten Theil der Nadel hindurch fort, so dass diese zweischenkelig oder zwei- 
theilig erscheint. Bisweilen ist das durchlöcherte Ende auch knopfförmig abgesetzt 
oder mit kleinen Dornen besetzt. 


F. Eigenthümliche Special-Formen von Stabnadeln. 


Gegenüber der grossen Mannichfaltigkeit sonderbarer Specialformen, welche die 
Nadeln der Kieselschwämme darbieten, ist, wie schon bemerkt, der Formenreichthum 
der Spicula der Kalkschwämme sehr beschränkt. Dies gilt noch mehr von den 
Stabnadeln, als von den Dreistrahlern und Vierstrahlern. Indessen kommen doch 
hier und da bei einzelnen Kalkschwämmen besondere, für die einzelnen Species cha- 
racteristische Formen vor. Als solche sind hier schliesslich noch drei eigenthüm- 
liche Modificationen anzuführen. 

Die Stabnadeln, welche ausschliesslich das Skelet von Lexeyssa incrustans bil- 
den (Taf. 25, Fig. 9, 10; = Trichogypsia villosa, CARTER) sind spindelförmig, etwas 
verbogen, und entweder an einem oder an beiden Enden mit spitzen oder stumpfen 
Dornen und Höckern besetzt; sehr ähnlich den Spicula mancher Aleyonarien und 
mancher Nacktschnecken (Doris tubereulata etc.). 

Die Stabnadeln von Ascandra echinoides (Taf. 15, Fig. 3d—3g) zeichnen sich 
durch eine sehr lange und scharf abgesetzte Lanzenspitze aus, welche nicht wie 
gewöhnlich gerade, sondern schief, unter einem sehr variabeln Winkel aufsitzt. Bis- 
weilen sinkt dieser Winkel unter 90°, so dass die lange Lanzenspitze hakenförmig 
gegen die Basis zurückgeschlagen ist und die Nadel fast zweischenkelig erscheint. 
Diese hakenförmigen oder zweischenkeligen Nadeln habe ich im Prodromus als eine 
besondere, vierte Hauptform der Spicula aufgeführt. Indessen können sie diesen 
Rang nicht beanspruchen, da sie durch alle Uebergangsformen mit den gestreckten 
Stabnadeln verbunden sind. 

Die Stabnadeln, welche den Stäbchen-Mörtel von Leucandra saccharata bilden 
(Taf. 33, Fig. 13), sind für diese einzige Art ganz characteristisch und gehören zu 
den merkwürdigsten Formen. Jedes Spiculum besteht aus einem längeren glatten 
und einem kürzeren dornigen Theile, welche unter einem stumpfen Winkel zusam- 
menstossen. Der dornige Theil bildet eine schlanke dreikantige Pyramide, und auf 
jeder Kante sitzen rechtwinkelig 6—12 dünne Dornen auf. 


1. Histologie. Exoderm. Spicula. 209 


Grössen-Verhältnisse der Spieula. 


Die Grössen-Verhältnisse der Nadeln der Kalkschwämme, und zwar sowohl der 
Dreistrahler und Vierstrahler, als der Stabnadeln, erfordern die sorgfältigste 
Berücksichtigung. Es vererbt sich nämlich die Grösse der einzelnen Nadeln, sowohl 
die Länge als die Dicke, innerhalb der Species so constant (natürlich relativ 
constant!), dass ihre Vergleichung für die Species-Unterscheidung von höchstem 
Werthe ist. Ja es ist sogar, wie ich später zeigen werde, die genaueste Messung 
aller einzelnen Nadelformen, die schärfste mikrometrische Bestimmung ihrer Länge 
und Dicke, für die scharfe systematische Unterscheidung der Species, Subspecies 
und Varietäten ganz unentbehrlich. Ganz besonders gilt dies für die Familie 
der Leuconen, wo die bedeutendsten Differenzen in der Spicula-Grösse, oft an 
verschiedenen Theilen einer und derselben Person, in höchst characteristischer Weise 
sich geltend machen. Hier wird die Unterscheidung und Beschreibung der Arten 
sehr erleichtert und abgekürzt, wenn man bestimmte Grössenstufen aufstellt, welche 
ein für allemal absolute Gültigkeit haben. Ich habe es am zweckmässigsten gefun- 
den, sechs solcher Grössenstufen für die Länge der Schenkel zu unter- 
scheiden, welche in den systematischen Beschreibungen des natürlichen Systems, 
speciell bei den Leuconen, überall zur Anwendung kommen werden. 

Diese sechs nachstehend angeführten Grössenstufen gelten natürlich bei den 
Stabnadeln für die ganze Länge der einfachen Nadeln von einem Ende bis zum 
anderen; bei der dreistrahligen und vierstrahligen Spicula dagegen für den 
längsten von den drei oder vier Strahlen, und zwar von seiner Spitze an gerechnet 
bis zu dem gemeinsamen Mittelpunkt der Nadel. Eine mittelgrosse Stabnadel oder 
eine einfache Nadel dritter Grösse ist also zwischen 0,4 und 0,69 Mm. lang. Ein 
mittelgrosser Dreistrahler oder eine dreischenkelige Nadel dritter Grösse aber ist 
eine solche, deren längster Strahl (gewöhnlich der basale) von seiner Spitze 
bis zum Mittelpunkt der Nadel zwischen 0,4 und 0,69 Mm. lang ist. Dasselbe gilt 
für die Vierstrahler. Die Dicke der Nadeln blejbt bei dieser, bloss für die Länge 
gültigen Scala ganz ausser Betracht. 


Grössen-Scala mit sechs Stufen: 


Sechste Grösse: 0,01—0,069 Mm (Winzig). 

Fünfte Grösse: 0,07—0,099 Mm (Klein). 

Vierte Grösse: 0,1—0,39 Mm (Mittelklein). 
Dritte Grösse: 0,4—0;69 Mm (Mittelgross). 
Zweite Grösse: 0,7—0,99 Mm (Gross). 

Erste Grösse: 1 Millimeter und darüber (Colossal). 


Haeckel , Kalkschwiimme TI. 14 


210 Drittes Kapitel. Anatomie, II. Specielle Anatomie. 


2, O!rganologie 
A. Das Canal- System. 


Das Canal-System oder Wassergefäss-System ist das bedeutendste, morpholo- 
gisch und physiologisch wichtigste Organ-System aller Spongien. Dies gilt ebenso 
von den Kalkschwämmen, wie von allen übrigen Schwämmen. Ja, man kann sogar 
sagen, das Canal-System ist das einzige, anatomisch selbstständige Organ-System im 
Körper der Spongien. Denn es bestimmt nicht allein die wesentlichsten Unterschiede 
in der Körperform der verschiedenen Gruppen, sondern es bestimmt auch mehr oder 
weniger die Structur und Form des Skelet-Systems, welches ausser dem Canal-System 
allein noch eine morphologisch differenzirte Einheit bildet. 

Diese hohe und massgebende Bedeutung des Canal-Systems oder Gefäss-Systems 
der Spongien für ihre gesammten morphologischen und physiologischen Eigenthüm- 
lichkeiten ist von allen Spongiologen einstimmig anerkannt worden. Auch dass das- 
selbe im Wesentlichen eine nutritive Bedeutung für den Schwamm - Organismus 
besitzt, dass es ein „Ernährungs-Gefäss-System“ darstellt, ist ziemlich allgemein zu- 
gegeben. Um so grösser und auffallender sind aber auf der anderen Seite die Wi- 
dersprüche der ganz verschiedenen Ansichten, welche die verschiedenen Autoren 
über die morphologische Beschaffenheit dieses Systems aufgestellt haben, und der 
Vergleichungen, welche zwischen demselben und ähnlichen Gefäss-Systemen anderer 
Thiere aufgestellt worden sind. 

ROBERT GRANT, der uns in seinen 1825 — 1827 veröffentlichten vortrefflichen 
Untersuchungen die ersten genaueren Aufschlüsse über den Bau und die Lebens- 
Erscheinungen der Spongien gab, war auch der erste, der die eigenthümliche Be- 
schaffenheit ihres Canal-Systems und der darin vorgehenden Strömungs-Erscheinungen 
entdeckte und genauer beschrieb. Nach seinen Beobachtungen sind überall auf der 
Oberfläche der Spongien zahlreiche feine (theils mikroskopische, theils makrosko- 
pische) Poren zerstreut, durch welche die ernährenden Wasserströme in den Spongien- 
Körper eindringen. Die zahlreichen engen Canäle, die aus diesen kleinen Poren ent- 
springen, sammeln sich in weiteren Röhren, die wiederum zu wenigen, noch weiteren 
Canälen zusammenfliessen. Diese letzteren münden an der Oberfläche durch eine 
einzige gemeinsame oder durch wenige grössere Oeffnungen (Oscula), aus denen der 
gesammelte Wasserstrom wieder austritt. Da mit dem Wasserstrom auch die Ex- 
cremente oder „Faecal-Granula“, sowie zugleich die „bewimperten Eier“ (d.h. die 
Flimmerlarven) der Spongien entleert werden, so sind die „Oscula“ als Faecal-Oeff- 
nungen („Fecal Orifices“) oder Kloaken-Oeffnungen zu bezeichnen. 

Diese Darstellung GrANnT’s, welche in der That für die grosse Mehrzahl der 
Spongien (aber keineswegs für alle!) ganz richtig ist, bildete die Grundlage, auf 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 211 


welcher sich die meisten nachfolgenden Untersuchungen und Reflexionen über das 
Canal-System der Spongien bewegten. Nicht allein die anatomische Anschauung von 
dem eigenthümlichen Bau dieses Röhren-Systems, sondern auch die physiologische 
Ansicht von der eigenthümlichen Richtung des Wasserstromes, der durch die kleinen 
Poren eintrete, durch die grossen Oscula austrete, galten als feststehend, besonders 
als sie durch die genauesten späteren Untersuchungen (namentlich von LiEBERKÜHN) 
nur bestätigt wurden. Man nahm nun fast allgemein an, dass das Gefäss-System 
der Spongien etwas ganz Besonderes sei, ein Apparat „sui generis“, wie er bei an- 
deren Thieren überhaupt nicht existire. Das ganz Eigenthümliche und Characteri- 
stische dieses nutritiven Apparates sollte vor Allem in der monocentrischen Anord- 
nung!) der Gefässe und in der centrifugalen Richtung ihrer Verzweigung liegen, 
besonders aber in der centripetalen Richtung des darin verlaufenden Wasserstromes. 
LIEBERKÜHN, der zuerst die Anschauungen GrAnT’s durch seine sorgfältige Anatomie 
der Spongilla näher begründete, hob ausserdem (1557) noch besonders hervor, dass 
den Canälen besondere Wände fehlen. „Das Canal-System ist kein System von Ge- 
fässen mit eigenthümlichem Bau; sondern es ist gebildet durch eine eigenthümliche 
Lagerung des gewöhnlichen Körper-Parenchyms.“ Die amoeboiden Schwammzellen 
„bilden schwächere oder stärkere Lagen zwischen den verschiedenen Canälen und 
Höhlungen, theils vom Nadelgerüst getragen, theils nicht. Innerhalb solcher Paren- 
chym-Balken beobachtet man zuweilen Wimper-Organe.“ Später modifieirte LIEBER- 
KÜHN diese Anschauung, nachdem er die Anatomie von zwei Kalkschwämmen genau 
kennen gelernt hatte. „Während bei den Grantien (d. h. bei den Asconen) und 
Syconen das contractile Parenchym (in den Hohlräumen des Körpers) fast durchweg 
mit Wimper-Epithel belegt ist, ist dies bei den anderen Spongien nur an verein- 
zelten, mehr ader weniger ausgedehnten Stellen der Fall, und sind demnach die 
Wimperzellen (soll heissen: Wimper-Organe) nur längere oder kürzere Röhren, Hohl- 
kugeln, Stücke von Kugelschalen, die in grösserer oder geringerer Anzahl in dem 
contractilen Parenchym auftreten“ (l. c. 1865, p. 747). 

Nachdem schon Grant die unipolare oder monocentrische Anordnung der Canäle, 
und die centrifugale Richtung ihrer Verzweigung ganz richtig dargestellt und LieBEr- 
KÜHN dieselbe später bestätigt hatte, gaben dagegen zwei andere englische Spongio- 
logen, CARTER und BOWERBANK, dreissig Jahre später eine wesentlich verschiedene 


1) Monocentrische oder Unipolare Gefäss-Systeme können (wie es bei den „„Wunder- 
netzen‘‘ geschieht), allgemein solche Röhren -Systeme des Thierkörpers genannt werden, bei denen der 
Hauptstamm oder die Hauptstämme sich nur am einen Ende, nach einer Richtung hin verästeln (wie es 
bei dem Gefäss-Systeme der meisten Zoophyten der Fall ist. Amphicentrische oder Bipolare 
Gefäss-Systeme sind dagegen solche Röhren -Systeme, bei denen der Hauptstamm oder die Haupt- 
stämme sich an beiden Enden, nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin verästeln (wie es bei dem 
Blutgefäss-Systeme der meisten höheren Thiere der Fall ist). 


14* 


>18 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Darstellung vom Gefäss-System der Spongien. Beide scheinen von der unrichtigen 
Vergleichung desselben mit dem Blutgefäss-System der höheren Thiere ausgegangen 
zu sein und schrieben daher jenem (wie diesem) eine bipolare oder amphicentrische 
Anordnung zu. 

CARTER, der bis dahin nichts weiter als die Spongilla untersucht hatte, gab 
(1857) von deren Canal-System folgende, ganz falsche Darstellung: Dasselbe ist aus 
zwei ganz verschiedenen Systemen zusammengesetzt, einem einführenden und einem 
ausführenden Canal-Systeme; beide stehen in gar keinem unmittelbaren Zusammen- 
hang. Durch die Poren der äusseren Umhüllungshaut gelangt das einströmende 
Wasser zunächst in grosse, unmittelbar unter dieser gelegene Hohlräume. Aus diesen 
entspringen zahlreiche feine einführende Gefässe (Canales afferentes), welche 
in das innere Körper-Parenchym eindringen, hier durch zahlreiche Anastomosen ein 
cavernöses Gewebe bilden, und dann in den flaschenförmigen Wimper-Organen oder 
Magensäcken (,„ampullaceous stomachal-sacs“) endigen. Zwischen diesen Magen- 
säcken, deren Wand aus Wimperzellen gebildet wird, entspringen selbstständig, und 
ohne jeden Zusammenhang mit letzteren, die ausführenden Gefässe (Canales 
efferentes). Diese verbinden sich zu grösseren Stämmen, die schliesslich durch die 
vortretenden Ausflussröhren (Oscula) ausmünden. Das Wasser tritt in die einfüh- 
renden Canäle ein durch die Bewegung der Flimmerzellen, wogegen der Uebertritt 
des Wassers in die ausführenden Canäle durch die Contraction der pulsirenden Bläs- 
chen (Vacuolen) geschehen soll, die sich in den Flimmerzellen finden (!!). Dabei 
sieht CARTER die flaschenförmigen, wimpernden Magensäcke selbst als die eigent- 
lichen Thiere des Schwammkörpers an, welche Polypen vergleichbar in die gemein- 
same Leibesmasse (Coenenchym) eingesenkt seien. Jeder Magensack soll durch Meta- 
morphose einer einzigen Zelle entstehen. Diese gänzlich verkehrte Auffassung des 
Canal-Systems, welche weder auf die Spongilla, noch auf irgend einen anderen 
Schwamm passt, hat CARTER später (1870) auch auf alle übrigen Spongien über- 
tragen, nur mit dem Unterschiede, dass er jetzt nicht mehr die „faschenförmigen 
Magensäcke“, sondern deren einzelne Wimperzellen für das „eigentliche Schwamm- 
thier“ erklärt. „The ultimate structure of the marine is, mutatis mutandis, the 
same as the ultimate structure of the freshwater Sponges“!). 

BOWERBANK fasst das Gefäss-System der Spongien, gleich CARTER, als ein 
amphicentrisches oder bipolares Canal-System auf. Während aber nach CARTER die 
beiden Systeme der einführenden und ausführenden Canäle in gar keinem directen 
Zusammenhang stehen, sind dieselben nach BOWERBANK durch ein zwischen beiden 
liegendes feines Capillar-Netz unmittelbar verbunden. Sie verhalten sich zu einander 
wie arterielles und venöses Gefäss-System der höheren Thiere. Die einführenden 


1) CARTER, On the ultimate structure of Spongilla (Annals and Mag. of nat. hist. 1857, Vol. XX, 
p. 21, Pl. I). On the ultimate structure of marine Sponges (Ibid. 1870, Vol. VI, p. 329). 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 3 


Canäle (‚„Incurrent canals‘“), welche aus grossen subdermalen Hohlräumen (.,Inter- 
marginal cavities‘““) entspringen und den Arterien entsprechen, verästeln sich in 
centripetaler Richtung und lösen sich mit ihren feinsten Aesten in ein enges ca- 
pillares Gefässnetz auf. Aus diesem entspringen dann wiederum die feinsten 
Aeste der ausführenden Canäle (.,‚Excurrent canals‘“), welche den Venen 
entsprechen und sich zu grösseren Stämmen vereinigen, um schliesslich durch die 
Oscula auszumünden. In der That findet sich aber eine solche bipolare Anordnung 
der Canäle und ein solches „Capillar-Netz“ bei keinem einzigen Schwamme. Ebenso 
seltsam und unrichtig, dabei zugleich sehr unklar, sind die Vorstellungen, welche 
sich BOWERBANK über die speciellen Modificationen dieses amphicentrischen Canal- 
Systems bildet, und die Vergleichungen, welche er zwischen den verschiedenen 
Theilen desselben bei wesentlich verschieden gebauten Spongien anstellt. Wir werden 
später noch speciell darauf zurückkommen. 

Weder die Darstellung des Canal-Systems von CARTER, noch diejenige von 
BOWERBANK, sind durch irgend einen nachfolgenden Beobachter bestätigt worden. 
Vielmehr hat sich durch die neueren Untersuchungen das Irrthümliche derselben mit 
voller Sicherheit herausgestellt. Auch sind jene Darstellungen nicht in die Lehr- 
bücher übergegangen. Diese haben sich vielmehr meistens an die älteren Angaben 
von GRANT und an die neueren von LIEBERKÜHN gehalten, dabei aber immer das 
Canal-System der Spongien als eine ganz eigenthümliche, nur bei dieser Thierklasse 
vorkommende Organisation betrachtet. Diese Auffassung kann noch gegenwärtig als 
die herrschende gelten, ebenso wie die damit zusammenhängende Ansicht, dass die 
Spongien zu den Protozoe n oder „Urthieren“ gehören, und dass sie nächste Ver- 
wandte der Rhizopoden und Infusorien seien. Die grosse Mehrzahl der Spongiologen 
hält an dieser Auffassung noch heute fest, und nimmt an, dass die Spongien eine 
ganz eigenthümliche Klasse der Protozoen seien, durch ihr specifisches „Wasser- 
Gefäss-System‘“ von allen übrigen Thieren verschieden. 

Dieser herrschenden Anschauung trat zum ersten Male 1854 LEUCKART ent- 
gegen, indem er in seinem „Jahresberichte“ die Spongien als einen besonderen An- 
hang an seine Abtheilung der Coelenteraten (Corallen, Hydromedusen, Cteno- 
phoren) anschloss, und die „Wassercanäle“ der Schwämme mit der „Leibeshöhle“ 
der Coelenteraten und den davon ausgehenden Ernährungs-Canälen verglich. Später 
(1866) führte er diesen Vergleich weiter aus, und erklärte die „Flimmerhöhle“ im 
Inneren der Grantien (= Asconen, H.) für gleichbedeutend mit der „Leibeshöhle 
der Hydroidpolypen, die an den Enden der die einzelnen Polypen repräsentirenden 
Zweige durch eine Mundöffnung nach aussen führt. Die functionelle Bedeutung als 
„Ausfluss-Oeffnung“ kann hier Nichts entscheiden, da die sogenannte Mundöffnung 
auch bei den übrigen Coelenteraten bekauntlich als Auswurfs-Oefinung vielfache Ver- 
wendung findet. Die Einlass-Oeffnungen entsprechen den gleichfalls bekanntlich bei 


214 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


den Coelenteraten fast allgemein verbreiteten sogenannten „Wasserlöchern“, durch die 
auch hier schon das Wasser in das Innere tritt“ !). 

Der Vergleich der Spongien mit den Coelenteraten wurde dann weiter ausge- 
führt von MıkLucno, welcher in einem Aufsatze „über den coelenterischen Apparat 
der Schwämme“ 2) zum ersten Male die „Haupthöhle“ oder „Ausströmungshöhle“ der 
letzteren als „verdauende Cavität oder Magen“, und deren Oeffnung (das „Ausströ- 
mungsloch oder den Schornstein“) als „Mundöffnung“ oder „Mund“ bezeichnete. 
Auch zeigte er, dass die Stromesrichtung im Spongien-Körper keineswegs constant 
sei, und dass das Wasser durch die Schornsteine oder Ausströmungs-Oeffnungen nicht 
nur ausströmen, sondern auch einströmen könne. Seine Ansicht über die Verwandt- 
schaft der Spongien und Coelenteraten fasste er in folgendem Satze zusammen: 
„Die jetzt lebenden Schwämme und Coelenteraten sind aus gemeinschaftlichen Grund- 
formen entstanden, wobei aber die ersteren eine viel niedere Differenzirung ein- 
gegangen sind und zum Theil sich rückgebildet haben. Die Petrospongien (die 
fossilen Schwämme der älteren Erdperioden) stehen viel näher der Grundform und 
bilden den Uebergang zu den jetzt lebenden Schwämmen oder Antospongien.“ Zu 
dieser Auffassung gelangte MıkLucHo namentlich dadurch, dass er zum Ausgangs- 
punkt seiner Untersuchung die Ascetta blanca (= Guancha blanca, M.), einen der 
einfachsten Kalkschwämme, nahm. 

Die Verwandtschaft der Spongien mit den Coelenteraten und die Vergleichung 
des „Wasser-Gefäss-Systems“ der ersteren mit dem „Gastrovascular-Apparat“ der 
letzteren, welche LEUCKART zuerst angedeutet, MıkLucho bestimmter behauptet 
hatte, ist dann ausführlicher nachgewiesen und durch die Entwickelungsge- 
schichte fest begründet worden in meinem Aufsatze „über den Organismus der 
Schwämme und ihre Verwandtschaft mit den Corallen“®). Ich führte daselbst den 
Nachweis, dass zwischen jenen beiden Canal-Systemen in der That eine wirkliche 
Homologie besteht, und dass die Wand dieser Canäle bei den Spongien ebenso wie 
bei den Hydromedusen, Ctenophoren und Corallen aus zwei ursprünglich verschie- 
denen Zellenschichten oder Blättern gebildet wird, aus dem Exoderm, welches 
dem äusseren Keimblatte, und aus dem Entoderm, welches dem inneren Keim- 
blatte der höheren Thiere entspricht. Ich führte ferner den Nachweis, dass diese 
beiden ursprünglichen Bildungshäute schon bei der aus dem Ei entwickelten Flimmer- 
larve (Planula) in den beiden Gruppen der Coelenteraten und Spongien dieselben 
Verhältnisse zeigen; und dass die einfachsten und niedersten Genus-Formen, welche 
in diesen beiden Gruppen auftreten, in allen wesentlichen Beziehungen überein- 


1) LEUCKART, Jahresberichte im Archiv für Naturg. 1854, II. Bd. p. 471 und 1866, II. Bd. p. 126. 

2) MixrucHo, Beiträge zur Kenntniss der Spongien. Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturw. IV. Bd., 
1868, p. 232. 

3) HAEckEL, Jenaische Zeitschr. V. Bd., 2. Heft, 1869, p. 207. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 215 


stimmen. Insbesondere verglich ich die einfachsten Formen der Kalkschwämme 
(Olynthus, bezüglich Prosycum) mit den einfachsten Formen der Hydromedusen 
(Hydra). Weiterhin bewies ich, dass das coelenterische Canal-System der Kalk- 
schwämme in drei wesentlich verschiedenen Hauptformen sich ausbildet, den Micro- 
poreuten, Gladoporeuten und Orthoporeuten, dass die beiden letzteren von der ersteren 
abzuleiten sind, und dass nur eine von diesen drei Formen, diejenige der Clado- 
poreuten, dem Schema entspricht, welches man sich gewöhnlich von dem Wasser- 
Gefäss-System der Spongien bildet. Endlich zeigte ich, dass bei vielen Kalk- 
schwämmen in Folge eigenthümlicher Verwachsungs-Verhältnisse der Personen zwi- 
schen den Hohlräumen des ursprünglichen und wahren Gastrovascular-Systems oder 
Gastrocanal-Systems sich noch ein zweites, davon verschiedenes Canal-System 
entwickelt, welches sehr merkwürdige Formen bildet und welches ich das Inter- 
vascular-System oder Intercanal-System nenne. Ich werde nun zuerst die Ana- 
tomie des Gastrocanal-Systems und dann diejenige des Intercanal-Systems darstellen. 


a. Das Gastrocanal-System oder Gastrovascular-System. 


Das Gastrocanal-System der Larven. 


Um zu dem naturgemässen morphologischen Verständniss des Canal-Systems der 
Kalkschwämme zu gelangen, müssen wir diejenige Form desselben aufsuchen, welche 
sich bei den frühesten Jugendzuständen dieser Thiere, bei ihren Embryonen und Lar- 
ven zuerst zeigt. Die Entwickelungsgeschichte bleibt hier, wie überall, der „wahre 
Lichtträger für alle Untersuchungen über organische Körper.“ Ihre unermessliche 
Bedeutung liegt hier, wie überall, in dem innigen Causalnexus zwischen Ontogenie 
und Phylogenie, welchen das biogonetische Grundgesetz mit den Worten ausdrückt: 
„die Ontogenie »oder die Entwickelungsgeschichte des organischen Individuums ist 
eine kurze und schnelle, durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung bedingte 
Wiederholung der Phylogenie oder der gesammten Entwickelungsgeschichte der 
Vorfahren-Kette dieses Individuums.“ Bei den Kalkschwämmen bewährt sich die 
hohe Bedeutung dieses biogenetischen Grundgesetzes in ihrem ganzen Umfange. 
Denn die ganze Organisation dieser Thiere wird uns erst durch ihre Ontogenie 
vollständig klar, und durch diese letztere werden wir unmittelbar zu ihrer Phylo- 
genie geführt. 

Die frühesten Jugendzustände der Kalkschwämme, bei welchen wir die erste 
Anlage des Canal-Systems vorfinden, sind sehr einfache Organismen, nämlich flim- 
mernde Larven (ähnlich den Flimmerlarven oder Planulae vieler anderer, niederer 
Thiere), welche mittelst ihres Flimmerkleides frei im Wasser umherschwimmen. In 
demjenigen Stadium ihrer Entwickelung, welches wir später in der Ontogenie als 
Gastrula definiren werden, zeigen diese Flimmerlarven bei allen drei Gruppen der 


216 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Kalkschwämme, bei den Asconen, Leuconen und Syconen, wesentlich dieselbe Bil- 
dung. Es sind entweder kugelige oder ellipsoide oder eiförmige Körper, welche 
eine einfache centrale Höhlung umschliessen. Die Wand dieser Höhlung oder die 
Körperwand besteht aus zwei Schichten von Zellen, Entoderm und Exoderm. Die 
innere Schicht oder das Entoderm besteht aus einer Lage nicht flimmernder Zellen. 
Die äussere Schicht oder das Exoderm besteht aus einer Lage von flimmernden 
Zellen (Geisselzellen). 

Bei den meisten Kalkschwämmen zeigt diese centrale Höhle an einer Stelle, 
und zwar an einem Pole der Längsaxe, eine kreisrunde Oeffnung, und nun bezeich- 
nen wir, wie bei den ganz ähnlichen Flimmerlarven der Corallen und anderer nie- 
derer Thiere, die centrale Höhle als Magen oder Haupthöhle (Gaster, Cavitas 
gastrica) und ihre Oeffnung als Mund oder Mündung (Os, Osculum). Die innere 
Fläche der Höhle (vom Entoderm gebildet) kann nunmehr Magenfläche (Facies 
gastralis) heissen, die äussere Oberfläche dagegen (vom Exoderm gebildet) Haut- 
fläche (Facies dermalis). 

Nachdem die Larve der Kalkschwämme in dieser Form einige Zeit im Meere 
umhergeschwärmt ist, fällt sie zu Boden und setzt sich fest. Die Anheftung er- 
folgt an dem, der Mundöffnung entgegengesetzten (aboralen) Pole der Längsaxe, 
mit einer flachen oder stielartigen Ansatzstelle, welche von nun an die Basis des 
Schwammkörpers bildet. Die Geisselzellen des Exoderms ziehen nunmehr ihre Geis- 
selfäden ein, verschmelzen mit einander zum Syncytium, und beginnen ihre inneren 
Protoplasma-Producte, die Kalknadeln, auszuscheiden. Die Zellen des Entoderms 
umgekehrt, welche bisher nicht flimmerten, strecken je einen langen schwingenden 
Fortsatz hervor und überziehen fortan die Magenfläche als Geissel-Epithel. 

Der junge Kalkschwamm in diesem Zustande, welchen wir Protolynthus 
nennen wollen, entspricht vollkommen jener gemeinsamen hypothetisehen Stammform 
aller Kalkschwämme, welche ich in meinem Aufsatze über den Organismus der 
Schwämme (p. 221) mit dem Namen Prosycum belegt und in dem Prodromus 
(p. 236) mit folgenden Worten als Typus der ersten Familie (Prosycida) characte- 
risirt habe: „Der reife Kalkschwamm bildet eine einfache, schlauchförmige, mit einer 
Mundöffnung versehene Person, deren Körperwand (Magenwand) ganz solid und 
nicht durchbohrt ist.“ Ich glaubte damals, dass solche Prosyeiden, welche jenen 
primitiven Jugendzustand des festsitzenden Kalkschwammes dauernd beibehalten, 
noch jetzt existirten, und führte als zwei Species von Prosycum zwei kleine, von mir 
in Neapel gefundene Kalkschwämme an: Prosycum simplicissimum und P. primor- 
diale (Prodr. p.237). Indessen hat mich eine nachträgliche genauere Untersuchung 
überzeugt, dass diese beiden Formen nur vorübergehende Zustände von zwei Olyn- 
Ihns-Arten (O. troglodytes und O. primordialis) sind. Wenn nämlich bei Olynthus, 
der einfachsten Form der Asconen-Gruppe, die Hautporen nicht geöffnet, sondern 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 217 


geschlossen sind, so ist diese Gattung von Prosycum gar nicht zu unterscheiden. 
Die Hautporen sind keine constanten, sondern veränderliche Organe, welche ent- 
stehen und vergehen; bald sich öffnen, bald sich schliessen. Wenn sie nun ge- 
schlossen sind, so bildet der Körper von O/ynthus, genau wie von Prosycum, einen 
ganz einfachen Schlauch, dessen solide Wand nur an einer Stelle, an dem der An- 
heftungsstelle entgegengesetzten Ende der Hauptaxe, von einer einzigen und con- 
stanten Oeffnung durchbrochen ist. Diese Oeffnung ist die Mundöffnung (Oseu- 
Zum) und die innere Höhle des Schlauches ist die Magenhöhle. Die Wand der- 
selben besteht nur aus zwei dünnen einfachen Zellen-Lagen. Die innere Lage, das 
Entoderm, ist eine Schicht von Geisselzellen. Die äussere Lage, das Exoderm, be- 
steht aus den verschmolzenen Zellen, welche das Skelet abscheiden. Sobald aber 
nun die Zellen dieser Körperwand hier und da aus einander weichen und einen 
Wasserstrom in die innere Höhle eintreten lassen, sobald also veränderliche „Haut- 
poren“ entstehen, so geht die Stammform Prosycum in die einfachste Form der 
Asconen, in Olynthus, über, der sich nur durch die Fähigkeit der Porenbildung von 
ersterem unterscheidet. “ 

Mit dem Olynthus haben wir, wie schon oben erörtert ist, die gemeinsame 
Stammform gewonnen, aus welcher sich alle übrigen Formen der Kalkschwämme 
unmittelbar ableiten lassen. Dieser Satz gilt speciell auch für die vergleichende 
Anatomie und Biogenie des Gastrocanal-Systems. 


Die drei Hauptformen des Gastrocanal-Systems. 


Das Canal-System der Kalkschwämme tritt in drei wesentlich verschiedenen For- 
men auf. Diese Verschiedenheit ist überhaupt die wesentlichste (weil die constan- 
teste!), welche sich in der Organisation der Kalkschwämme findet, und liefert daher 
die sicherste Grundlage für das natürliche System dieser Organismen. Wir theilen 
demgemäss die ganze Gruppe in drei Abtheilungen (Familien des natürlichen Sy- 
stems). In dem „Prodromus eines Systems der Kalkschwämme“ (1869) habe ich 
diese drei Ordnungen mit folgenden Worten characterisirt (p. 253) !): 

I. Microporeuta: Magenwand mit einfachen Hautporen (Parenchym-Lücken), 
ohne Parietal-Canäle. 

II. Cladoporeuta: Magenwand mit ungeraden, unregelmässigen, verästelten 
Parietal-Canälen. 

IH. Orthoporeuta: Magenwand mit geraden, regelmässigen, radialen Parie- 
tal-Canälen. 


1) Den drei hier aufgezählten Gruppen, Microporeuten, Cladoporeuten und Orthoporeuten habe ich 
im Prodromus noch eine vierte Gruppe vorausgeschieckt: Aporeuta (Magenwand solid, ohne Hautporen 
und ohne Parietal-Kanäle. Einzige Gattung: Prosycum). Dieselbe fällt jetzt weg aus den bereits vorher 


angeführten Gründen. 


218 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Obwohl die angeführten Bezeichnungen dieser drei Gruppen ihre characteri- 
stischen Eigenthümlichkeiten und Unterschiede treffend ausdrücken, ziehe ich es doch 
vor, in dieser Monographie immer die Mieroporenta als Ascones, die Oladopo- 
venta als Leucones und die Ortioporeuta als Sycones zu bezeichnen. Dieser 
Tausch rechtfertigt sich einerseits durch Anschluss an bekannte ältere Benennungen, 
anderseits durch den practischeren Gebrauch des kürzeren Namens !). 

Die erste Familie des natürlichen Systems, die Ascones oder Micropo- 
reuta entsprechen im Ganzen den Leucosoleniae von BOWERBANK, den Gran- 
tiae von LIEBERKÜHN. Die einfachste Form dieser Familie ist der Olynthus, 
eine einzelne Person mit nackter Mundöffnung. Der Körper derselben bleibt stets 
ein sehr dünnwandiger, zarter Schlauch, dessen Wand von keinen besonderen Wand- 
röhren oder constanten Parietal-Canälen, sondern statt dessen nur von einfachen, 
veränderlichen Hautporen (Parenchym-Lücken) durchsetzt wird. Diese Hautporen 
sind zugleich Magenporen und werden am besten als Loch-Canäle (Tubi porales) 
bezeichnet. Sie sind stets unbeständig und an einem und demselben Orte bald vor- 
handen, bald nicht. Auch bei allen anderen, von Olynthus abgeleiteten Formen der 
Asconen erhält sich dieser ganz einfache Bau der dünnen Gastrocanal-Wand. 

Die zweite Familie des natürlichen Systems, die Leucones oder Cladopo- 
reuta entsprechen im Ganzen den Leuconiae (und zugleich Leucogypsiae) 
von BOWERBANK, den Grantiae von O. Scnmipr. Die einfachste Form dieser Fa- 
milie ist der Dyssyens, eine einzelne Person mit nackter Mundöffuung. Der Körper 
derselben ist ein dickwandiger, meist derber Schlauch, dessen Wand von ganz unre- 
gelmässig verästelten und vertheilten, ungeraden Wandröhren, den Ast-Canälen 
(Tubi vramales) durchsetzt wird. Die feinsten Zweige dieses Canal-Systems münden 
in sehr grosser Zahl auf der äusseren Oberfläche des Körpers durch mikroskopische 
Hautporen aus. Die gröbsten Zweige dagegen öffnen sich in viel geringerer Zahl 
inwendig in die Höhlung des Schlauchs oder in die Magenhöhle. Die dicke Magen- 
wand ist demnach von einem monocentrischen Gefäss-System durchzogen, dessen 
Ramification centrifugal von der gastralen gegen die dermale Fläche gerichtet ist. 
Auch bei allen anderen, von Dyssycus abgeleiteten Formen der Leuconen findet 
sich dieses monocentrische System von centrifugal verästelten Canälen wieder. 

Die dritte Familie des natürlichen Systems, die Sycones oder Orthopo- 
reuta entsprechen im Ganzen den Grantiae von BOWERBANK, den Sycones 
von LIEBERKÜHN. Die einfachste Form dieser Familie ist der Syewus, eine einzelne 
Person mit nackter Mundöffnung. Der Körper derselben ist ein dickwandiger, fester 
Schlauch, dessen Wand aus zahlreichen radialen, geraden, unverästelten Strahl- 


1) doxwv, 6 (Gen. &ox@vos) Gruppe von Schläuchen. 
kzuzuy, 6 (Gen. Azux@vog) Gruppe von Weisspappeln. 


guzwv, d (Gen. guz@yog) Gruppe von Feigen. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 219 


Canälen (Tubi radiales) zusammengesetzt ist. Jeder einzelne Radial-Tubus hat den 
Bau eines einfachen Ascon (Olynthus). Die Radial-Tuben sitzen entweder frei auf 
der Magenwand, oder sind mehr oder weniger mit einander verwachsen. Sie mün- 
den auf der äusseren Oberfläche des Körpers durch mikroskopische Hautporen aus, 
auf der inneren Magenfläche dagegen durch grössere Oeffnungen (Magenporen). 
Das phylogenetische Verhältniss dieser drei Gruppen zu einander lässt sich, 
wie wir jetzt schon vorausschicken wollen, mit wenigen Worten dahin bestimmen, 
dass die Leuconen und die Syconen zwei von einander unabhängige Aeste des 
Stammbaums sind, welche sich aus der gemeinsamen Stammgruppe der Asconen 
entwickelt haben. Wenn man dies genealogische Verhältniss klar übersehen und 
vollständig die ganze Bildung des Canal-Sytems verstehen will, muss man vor Allem 
einen Blick auf die Entwickelungsgeschichte desselben thun und sein erstes Auf- 
treten bei den verschiedenen Formen der Kalkschwämme in Betracht ziehen. 


1. 6Gastrocanal-System der Asconen. 


Das Gastrovascular-System der Asconen oder Microporeuten führt uns die ein- 
fachste und primitivste Form vor Augen, welche dieses Organ-System in der Spon- 
gien-Classe überhaupt darbietet. Es zeigt uns die Grundform, aus welcher sich 
das Canal-System der übrigen Spongien entwickelt hat. Diese ursprüngliche Ein- 
fachheit bleibt im Wesentlichen bei allen Formen der Gruppe dieselbe, trotzdem 
durch ausserordentlich mannichfaltige Entwickelung der Individualität höchst ver- 
schiedenartige Bildungen des Gefäss-Systems zu entstehen scheinen. Der Schlüssel 
des Verständnisses wird auch für diese letzteren dadurch gefunden, dass man von 
den einfachsten Formen ausgeht und von ihnen aus genetisch den allmähligen Ueber- 
gang bis zu den höchst entwickelten Formen zu gewinnen sucht. 

Die einfachste und ursprünglichste Form unter den Asconen und desshalb zu- 
gleich die wichtigste Form unter allen Kalkschwämmen ist der schon mehrfach ge- 
nannte Olynthus, dessen hohe Bedeutung für die vergleichende Anatomie der 
Spongien nicht genug betont werden kann. Der Olynthus ist ein ganz einfacher 
Schlauch, der am einen Ende (am Aboralpol seiner Längsaxe) festgewachsen ist, 
am anderen Ende (am Oralpol) eine grössere Oeffnung, die Mundöffnung trägt. Die 
letztere führt in eine ganz einfache Höhle von der Form des Körpers. Dies ist die 
Haupthöhle oder Magenhöhle. (Vergl. die O/ynthus-Form Taf. 1, Fig. 1 von Ascetta 
primordialis, Taf. 6, Fig. 1 von Aseilla gracilis, Taf. 11, Fig. 6, 7 von Ascortis 
fragilis, Taf. 13, Fig. 1 von Aserlmis armata). Die dünne Wand des Schlauches 
besteht nur aus zwei einfachen Zellenschichten. Die innere Schicht, das Entoderm, 
wird bloss aus den Geisselzellen gebildet, von denen sich eine Anzahl beim reifen 
Olynthus zu Spermazellen und Eizellen umbildet. Die äussere Schicht, das Exoderm, 
wird bloss aus den verschmolzenen Zellen des Syneytium und den darin abgelager- 


220 Drittes Kapitel. - Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


ten Kalknadeln zusammengesetzt. Soweit wäre also Olynthus überhaupt nicht von 
der eben geschilderten Stammform, dem Prosycum verschieden. Als einziger Unter- 
schied von letzterem treten nun dazu die Hautporen, unbeständige einfache Löcher, 
welche die Wand des Schlauches an verschiedenen Stellen durchbohren und so die 
freie Communication der Magenhöhle mit dem umgebenden Wasser herstellen. 

Die gewöhnliche Weise der Wassercirculation bei den Asconen besteht darin, 
dass in Folge der Flimmerbewegung, welche die Geisselzellen des Entoderms aus- 
führen, das in der Magenhöhle befindliche Wasser ausgetrieben wird. Dadurch wird 
aber zugleich das den Schwamm äusserlich umgebende Meerwasser veranlasst, durch 
die Hautporen in die sich entleerende Magenhöhle einzuströmen, wie wir nachher 
noch ausführlicher auseinander zu setzen haben werden. Dies ist der Grund, wess- 
halb die Poren gewöhnlich als „Einströmungslöcher“, der Magen als „Kloake“ 
und der Mund als „Ausströmungsloch“ bezeichnet werden. Da jedoch, wie wir 
sehen werden, diese Stromesrichtung keineswegs in allen Fällen constant ist, und 
da ferner, auch davon abgesehen, die Homologie zwischen den entsprechenden Theilen 
der Schwämme und Nesselthiere bestehen bleibt, werden wir ein für allemal die 
„Einströmungs-Löcher“ als Hautporen, die „Kloake“ als Magen oder Haupthöhle 
und die „Ausströmungs-Oeffnung“ als Mund oder Osculum bezeichnen. 

Aus dem Olynthus sind alle übrigen Formen der Asconen-Familie entstanden, 
theils durch Modificationen der Mundöffnung, theils durch Stockbildung. Die Stöcke, 
welche entweder durch Spaltung (Knospung, Theilung) oder durch Verwachsung 
(Concrescenz) von Personen entstehen, zeigen eine grosse Mannichfaltigkeit der 
äusseren Form. Insbesondere entstehen durch secundäre Verwachsung und netz- 
förmige Anastomosen der einfachen Ascon-Röhren sehr merkwürdige und verwickelte 
Lücken-Systeme im Ascon-Stock, welche wir nachher beim „Intercanal-System“ 
noch besonders betrachten werden. Das eigentliche Gastrocanal-System aber behält 
bei allen Asconen trotzdem seine ursprüngliche Einfachheit bei. Ueberall bleibt 
das Magenrohr dünnwandig und wird bloss von einfachen und veränderlichen Haut- 
poren durchsetzt. 


Die Loch-Canäle oder Poral-Tuben der Asconen. 


Die Poren-Canäle oder Loch-Canäle (Tubi porales) der Asconen, welche zu- 
gleich die Stelle der Dermal-Poren und der Gastral-Poren vertreten, stellen 
keine bleibenden selbstständigen Canäle, keine constanten Organe dar, sondern bloss 
einfache Löcher ohne besondere Wand, unbeständige Parenchym-Lücken der Magen- 
wand, welche bald da, bald dort entstehen und wieder vergehen. Wenn ein solcher 
Loch-Canal oder Poral-Tubus entsteht, so scheint die wesentliche Ursache dieses 
Vorganges eine ringförmige Contraction des Syneytium zu sein. Das contractile 
Protoplasma strebt sich zusammenzuziehen. Da es aber durch die Nadeln des Ske- 


2. ÖOrganologie. A. Das Canal-System. 221 


lets, die ihre gegenseitige Lagerung beibehalten, daran gehindert wird, so muss die 
zwischen den starren Nadelschenkeln ausgespannte dünne Sarcodine-Membran in 
der Mitte zerplatzen. Es entsteht ein rundes Loch, welches um so grösser wird, je 
länger die Contraction der Sarcodine andauert, je mehr sich die ringförmige Umgren- 
zungs-Substanz auf die feste Basis der Kalknadeln, zwischen denen sie ausgespannt 
ist, zurückzieht. Die Geisselzellen des Entoderms folgen dieser activen Bewegung 
des Exoderms nur passiv nach. Indem ihre Basis ein Loch erhält, weichen die be- 
nachbarten Geisselzellen rings um dieses Loch ebenfalls auseinander, und so ge- 
staltet sich dasselbe zu einem Canal, welcher die ganze Dicke der Wand durch- 
bricht. Dieser Poren-Canal ist meistens trichterförmig, aussen etwas weiter als innen, 
bisweilen auch umgekehrt inwendig etwas weiter als aussen; seltener ist der Canal 
ganz cylindrisch, oder in der Mitte am engsten, innen und aussen etwas erweitert 
(vergl. die Abbildung der Hautporen von der Fläche auf Taf. 1, Fig.1, 2, 3, 7p; 
Taf. 7, Fig. 2, 5p; Taf. 13, Fig. 2p; im Profil auf Taf. 9, Fig. 2, 7p; Taf. 7, Fig. 2, 5p). 
Das umgebende Seewasser kann nunmehr frei durch den Poren-Canal in die Magen- 
höhle eintreten und strömt um so rascher ein, je schneller anderseits das in der 
Höhle befindliche Wasser durch die Flimmerbewegung der Geisselzellen aus der 
Mundöffnung ausgetrieben wird. 

Ebenso einfach, wie die Poren entstehen, vergehen sie auch wieder. Die Con- 
traction des Syneytium in der Umgebung der Poren lässt nach. Die ringförmige 
Protoplasma-Substanz fliesst wieder zusammen, das runde Loch wird enger, und 
schliesst sich endlich völlig. Die Geisselzellen des Entoderms folgen auch dieser 
Bewegung wieder passiv nach, indem sie der Unterlage entsprechend ihren Ort ver- 
ämdern. Ist die Sarcode der letzteren wieder völlig zusammengeschmolzen und das 
Loch zugeklebt, so stehen auch die Geisselzellen darüber wieder in unmittelbarem 
Contact und bilden eine ununterbrochene Epithelial-Schicht. Keine Spur erinnert 
mehr an den Poren-Canal, der hier kürzlich noch bestand. Wie BOWERBANK von den 
Hautporen der Spongilla sagt: „No cicatrix nemains for an instant after closing, 
no indication of the spot where the opening is the next moment to be effected.“ 
Sind alle Poren des Olynthus in dieser Weise wieder verschlossen, so ist es unmög- 
lich, denselben von dem Prosycum zu unterscheiden. Auf Taf. 11 habe ich in Fig. 7 
den reifen Olynthus von Ascortis fragilis mit geöffneten, in Fig. 6 mit geschlossenen 
Hautporen abgebildet. Letzterer würde, wenn die Poren nicht wieder erschienen, 
bleibend das Prosycum darstellen. 

Die genaueste Beschreibung des Entstehens und Vergehens der veränderlichen 
Poren bei den Asconen hat bisher Liegerkünn gegeben (Arch. f. Anat. u. Phys. 
1365, p. 736). Er beschreibt sie bei seiner Grantia botryoides = Ascandra com- 
plicata, H.) von Helgoland mit folgenden Worten: „An einzelnen Stellen ist die 
Körperwand von mikroskopischen Oefinungen, den Einströmungslöchern durchbrochen, 


BRD) Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


deren Verhalten jedoch weit klarer auf Längsschnitten wird, die annähernd durch 
die Mitte eines Cylinders (einer Person, H.) fallen. Man erkennt dann zwischen 
den Nadeln das Körper-Parenchym von aussen her und sieht es, wie es dieselben 
zum Theil umschliesst und an vielen Stellen mit Einströmungslöchern versehen ist, 
die sich theils noch vergrössern, zum Theil verringern und schliessen oder auch 
unverändert bleiben. Wenn sich solche Oeffnungen schliessen, rücken die ihnen zu- 
nächst stehenden Wimperzellen zugleich etwas mit ihrem Substrat vor; aber wo die 
eigentliche Oeffnung war, ist letzteres beim Schluss unbedeckt. An Spiritus-Exem- 
plaren finden sich häufig wimperfreie Stellen von der Grösse der Einströmungs- 
löcher. Die von innen betrachtete Fläche der Körperwandung erscheint von langen, 
dicht bei einander stehenden Wimpern bedeckt, die noch lebhaft hin und her schwin- 
gen. Bei etwas tieferer Einstellung erblickt man die dicht gedrängt stehenden klei- 
nen Zellen dazu und bemerkt, wie sie dem contractilen Parenchym auflagern, und 
nur im nächsten Umfange der Einströmungslöcher fehlen.“ Die Angabe LIEBER- 
KÜHN’s, dass beim völligen Verschlusse der Hautporen die betreffende Stelle des 
Syneytium von Geisselzellen unbedeckt bleibt, ist nur so lange richtig, als sich das 
Syneytium noch nicht vollständig zusammengezogen hat. Wenn man an lebenden 
Asconen die langsame Schliessung der Hautporen verfolgt, so bemerkt man aller- 
dings zunächst nach eingetretenem Verschluss des Porus eine von Geisselzellen freie 
Stelle, welche dessen frühere Lage wirklich bezeichnet. Beobachtet man aber diesen 
Fleck längere Zeit anhaltend, so sieht man, dass er immer kleiner wird und endlich 
ganz verschwindet, indem die benachbarten Geisselzellen zusammenrücken. Dieser 
Zusammentritt erfolgt bei allen Asconen in Folge der zunehmenden Contraction des 
Syneytium; ist diese vollständig, so kann man keine Spur des früheren Loches mehr 
wahrnehmen. Nach einiger Zeit aber kann man bemerken, dass ein neuer Der- 
mal-Porus statt des verschwundenen Porus sich bildet, und dass dieser nicht genau 
von denselben, sondern von anderen benachbarten Geisselzellen umschlossen ist. 
Mithin ist weder die Zahl noch die Lagerung der Poren constant. Das Interessan- 
teste ist aber, dass diese, bei den Asconen und Syconen vergänglichen Hautporen 
sich bei den Leuconen theilweise zu bleibenden Canälen gestalten, dass man also 
nicht scharf zwischen den constanten, bleibenden, und den inconstanten, vergäng- 
lichen Poren-Canälen unterscheiden kann, und dass uns die Entstehung und der Ur- 
sprung dieser wichtigen Organe hier unmittelbar vor Augen tritt. Die bleibenden 
und die dauernden Poren der Leuconen verhalten sich in allen übrigen Beziehungen 
nicht verschieden. Immer sind sie einfache Parenchym-Lücken, ohne irgend 
welche besondere Auskleidung oder Gefässwand. 

Die Zahl der Poren-Canäle ist bei allen Asconen sehr gross. Gewöhnlich 
ist sie abhängig von der Zahl der polygonalen Räume der Dermal-Fläche, welche 
durch die Schenkel benachbarter Spieula begrenzt werden. Wir wollen diese poly - 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 225 


au 


sonalen Räume Porenfelder nennen, weil in der Regel in der Mitte eines jeden sol- 
chen Raumes sich eine Pore befindet (Taf. 1, Fig. 2, 3; Taf. 6, Fig. 7). Seltener 
kommen zwei, drei oder noch mehr Poren auf jedes Porenfeld und dann sind die 
Poren meistens kleiner (Taf. 6, Fig. 9). | 

Die Form der Poren ist meistens kreisrund, indem die ringförmige Con- 
traction der Sarcode, welcher sie ihre Entstehung verdankt, gleichmässig in allen 
Richtungen erfolgt. Doch sind auch elliptische und ovale Formen der Poren zu 
finden, seltener schmale, fast lanzetliche Spaltöffnungen, deren Gestalt dann durch 
die Raumverhältnisse der umschliessenden Spicula bestimmt wird. 

Die Grösse der Poren bei den Asconen ist sehr gering. Niemals sind sie 
mit blossem Auge sichtbar. Gewöhnlich beträgt der Durchmesser der weit geöff- 
neten Hautporen 0,01—0,02 Mm, seltener mehr, bis zu 0,03 oder selbst 0,04 Mm. 
Ueberall sind aber natürlich dazwischen kleinere und kleinste, je nach dem Con- 
tractions-Zustande, zu finden. Ausserdem ist selbstverständlich die Grösse des 
Porenfeldes, in welchem sich ein Porus bildet, von directem Einfluss auf den Durch- 
messer, den letzterer höchstens erreichen kann. 

Für den Anfänger, der mit der Anatomie der Caleispongien noch nicht genauer 
vertraut ist, sind die Poren oft nicht leicht wahrzunehmen. So sagt z. B. MikLucno 
von seiner Guancha blanca (unserer Ascelta bianca): „Etwas, den sogenannten Ein- 
strömungsöffnungen Aehnliches habe ich nur bei ein paar Exemplaren gesehen: 
es waren sehr enge Canäle, die die äussere Hülle durchbrachen und sich in der 
mittleren Zellenschicht verloren; bis in die verdauende Cavität liessen sich dieselben 
nicht verfolgen. Bei sehr vielen anderen, speciell darauf untersuchten lebenden 
Schwämmen liess sich gar nichts derartiges auffinden.“ Dieses negative Resultat 
der Beobachtungen von Miıxzucno kann entweder nur an seiner Untersuchungs- 
Methode liegen; oder es waren zufällig an allen von ihm untersuchten Exemplaren 
die Poren ganz oder theilweise geschlossen. In der That sind die Poren bei Ascelta 
blanea nicht schwieriger als bei allen übrigen Asconen aufzufinden, und verhalten 
sich ganz wie bei diesen; ich habe sie an allen Formen derselben gesehen. 

Wenn man an lebenden Asconen oft mit Auffindung der Poren Schwierigkeiten 
hat, so gelingt es dagegen in den meisten Fällen, dieselben an Weingeist-Exem- 
plaren nachzuweisen, vorzüglich mit Hülfe der Carmin-Tinetion. Noch deutlicher 
treten sie an getrockneten Personen hervor, welche man der Länge nach halbirt hat. 
Wenn sie auch dann nicht wahrzunehmen sind, so muss man annehmen, dass sie 
zufällig geschlossen sind. 

An denjenigen Asconen, welche ich an ihrem natürlichen Fundorte unmittelbar 
nach dem Herausnehmen aus dem Meere sogleich in starken Weingeist gethan habe, 
finde ich die Poren meistens sehr zahlreich und weit geöffnet, seltener zusammen- 
gezogen oder ganz verschlossen. Bei denjenigen Asconen hingegen, welche nach 


994 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


ihrer Entfernung aus dem Meere langsam an der Luft oder in unreinem Wasser 
abgestorben sind, und dann in Weingeist gethan wurden, finde ich die Poren mei- 
stens geschlossen oder nur sehr wenig geöffnet. 

Der Abstand, durch welchen die benachbarten einzelnen Poren in der Magen- 
wand der Asconen von einander getrennt sind, ist natürlich abhängig einerseits von 
dem Contractions-Zustande der Poren, anderseits von der Dicke der Spieula, welche 
die Poren von einander trennen und so die Porenfelder umgrenzen. Gewöhnlich ist 
jener Abstand durchschnittlich ebenso gross oder wenig grösser, 2—3mal so gross, 
als der mittlere Durchmesser der weit geöffneten Poren. 

Ganz ebenso wie in der Magenwand des einfachen O/ynthus, verhalten sich die 
Dermal-Poren auch bei allen anderen Formen der Asconen, bei den solitären wie bei 
den socialen. Nirgends tritt in dieser Familie eine weitere Entwickelung derselben 
zu constanten Canälen ein. Ueberall bleiben die Poren vielmehr veränderliche Pa- 
renchym-Lücken, welche bald hier, bald dort das Exoderm und Entoderm der dünnen 
Magenwand durchbohren und Wasser von aussen in die Magenhöhle oder Darmröhre 
eintreten lassen. 


2. Gastrocanal-System der Leuconen. 


Das Gastrovascular-System der Leuconen oder Cladoporeuten besitzt im Wesent- 
lichen diejenige Form, welche bei den Kieselschwämmen und Hornschwämmen viel- 
leicht die ausschliessliche, jedenfalls die vorherrschende ist. Die Leuconen sind 
daher unter den drei natürlichen Familien der Kalkschwämme diejenige, welche sich 
am engsten an die übrigen Schwämme anschliesst. Da nun die Anschauungen, welche 
man sich vom Canal-System der übrigen Spongien gebildet hatte, grösstentheils auf 
dieser Form desselben beruhten, wird es gerechtfertigt sein, wenn wir hier den Kreis 
unserer Betrachtung erweitern und zugleich mit dem Canal-System der Leuconen 
auch das entsprechende Gefäss-System der Hornschwämme und Kieselschwämme 
untersuchen. 

Die einfachste und ursprünglichste Form unter den Leuconen ist der Dyssycus, 
eine isolirte Person mit einfacher Mundöffnung. Der Körper hat gewöhnlich die Form 
eines etwas unregelmässigen, eiförmigen oder länglich runden Schlauches, der am 
einen Ende (am Aboralpol der Längsaxe) fest gewachsen ist, am anderen Ende (am 
Oralpol) ein einfaches Loch, die Mundöffnung trägt. Die letztere führt in eine ganz 
einfache Höhle, die Haupthöhle oder Magenhöhle. Die Wand dieser letzteren ist stets 
viel dicker als bei den Asconen, und meistens auch dicker als bei den Syconen. Daher 
ist der Raum der Magenhöhle bei den Leuconen enger, als bei den beiden anderen 
Familien (vergl. die Abbildung der Dyssycus-Form: Taf. 21, Fig. 11 von Leucetta pri- 
migenia; Taf. 22, Fig. 3a von Leucetta pandora; Taf. 24, Fig. 4—8 von Leueilla 
amphoras; Taf. 26, Fig. 1—4 von Leucaltis floridana ; Taf. 29, Fig. 1 von Leucortis 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 995 


pulvinar; Taf. 30, Fig. 1 von Leuenlmis echinus; Taf. 37, Fig. 1 von Leucandra 
lunulata ; Taf. 40, Fig. 7 von Leueandra ananas etc.) 

Die Magenwand ist in ihrer ganzen Dicke von ungeraden, unregelmässigen und 
verästelten Canälen durchsetzt, die wir ein für allemal als Astcanäle (Tubi ra- 
males) bezeichnen wollen, im Gegensatz zu den einfachen Lochcanälen der Asconen 
und zu den Radial-Tuben der Syconen. Im Allgemeinen nimmt bei den Leuconen 
die Weite der verästelten Canäle von aussen nach innen regelmässig zu, wie ihre 
Zahl entsprechend abnimmt. Die ganze Oberfläche ist von mehr oder minder dicht 
stehenden Hautporen durchbrochen, die wie bei den übrigen Kalkschwämmen be- 
schaffen sind. Die Hautporen führen aber weder direct in die Magenhöhle, wie bei 
den Asconen, noch in weite, gerade Radial-Tuben, wie bei den Syconen. Vielmehr 
führen die Hautporen der Leuconen zunächst in sehr feine und enge, senkrecht auf 
der äusseren Hautfläche stehende Canälchen, welche nicht weiter als die Hautporen 
selbst sind. Die benachbarten Canälchen vereinigen sich zu etwas weiteren Röhr- 
chen, die nach innen vordringen. Diese Röhrchen fliessen wieder zu noch weiteren 
Canälen zusammen, welche noch näher dem Magen liegen, und endlich münden alle 
diese Canäle auf der inneren Magenfläche durch eine verhältnissmässig geringe Zahl 
von Gastral-Ostien aus. 

Diese Magen-Löcher (Ostia gastralia) sind stets mehr oder minder unregel- 
mässig vertheilt, an Form und Grösse ungleich. Niemals sind dieselben so völlig 
gleich an Form und Grösse, und so regelmässig in Reihen vertheilt, wie bei den mei- 
sten Syconen. Man kann daher in der Regel schon durch den blossen Anblick der 
Magenfläche diese beiden Gruppen unterscheiden. In der Regel mündet bei den Leu- 
conen zwischen den grossen Gastral-Ostien noch eine Anzahl feinerer Canäle durch 
viel kleinere Löcher aus. 

Jeder Magen-Porus oder jedes Ostium gastrale muss als das Centrum eines mo- 
nocentrischen Canal-Systems, als der Pol eines unipolaren Gefäss-Systems angesehen 
werden. Von diesem Centrum oder Pol aus verästelt sich der Gefäss-Stamm centri- 
fugal, um schliesslich durch zahlreiche feine Poren auf der Dermalfläche auszumün- 
den. Die verästelten Canäle verbinden sich gewöhnlich während ihres centrifugalen 
Verlaufes unter einander und mit denen der benachbarten Canal-Systeme durch zahl- 
reiche Anastomosen; seltener thun sie dieses nicht. Sehr häufig schwellen sie wäh- 
rend ihres Verlaufs varicös an und bilden zahlreiche sogenannte „Wimperkammern‘“. 
Wie mannichfaltig aber auch in diesen und anderen Beziehungen das Gefäss-System 
der Leuconen beschaffen ist, immer lässt es sich auf das eben angeführte Schema des 
Dyssycus zurückführen und genetisch von diesem ableiten. Dies gilt namentlich auch 
von den Complicationen des verästelten Gefäss-Systems, welche bei den stockbilden- 


den Leuconen auftreten. 
Haeckel, Kalkschwämme. 1. 15 


296 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Die Ast-Canäle oder Ramal-Tuben der Leuconen. 


Ein verhängnissvoller Umstand für die bisherige Auffassung des Canal-Systems 
der Spongien war es, dass man als Ausgangs-Punet und als Basis für das Ver- 
ständniss desselben eine der am meisten differenzirten Formen von Spongien mit 
Ramal-Canälen wählte, nämlich den Süsswasser-Schwamm oder die Spongilla. Aus 
den sorsfältigen Untersuchungen von LIEBERKÜHN, CARTER und Anderen ging her- 
vor, dass der Körper der Spongilla von einem sehr unregelmässigen Geflecht oder 
Netzwerk von verästelten und anastomosirenden Canälen durchzogen wird, welche 
im grössten Theile ihres Verlaufes keine besondere zellige Wand besitzen, und nur 
hie und da in einzelne erweiterte Kammern („Wimper-Organe“) anschwellen, welche 
mit Flimmer-Epithel ausgekleidet sind. Das Wasser, welches durch sehr zahlreiche 
mikroskopische Poren der Haut-Oberfläche eintritt, gelangt unter dieser zunächst in 
grosse, unmittelbar darunter gelegene Hohlräume, welche wir subdermale Höhlen 
nennen wollen (BOWERBANK'S „Intermarginal cavities“); und aus diesen entspringen 
erst die verästelten engeren Canäle („Interstitial canals“ von BOWERBANK), welche 
schliesslich durch grössere Oeffnungen („Oscula“) in eine gemeinsame centrale Höhle 
„Cloaca“ münden. Aus dieser führt der Cloaken-Mund („Mouth of cloaca“ von 
BOWERBANK) nach aussen. 

Diese Canal-Verhältnisse von Spongilla führten zu der irrthümlichen Auffas- 
sung, dass im Körper der Spongien eine Anzahl von ganz specifischen Canal-Ein- 
richtungen existirten, wie sie im Körper anderer Thiere nicht vorkommen. Als solche 
galten bisher vor allen die „eigenthümlichen Wimper-Apparate“ oder „Wimper-Or- 
gane“ (die „flaschenförmigen Säcke“ von CARTER), ferner die „Interstitial-Canäle“, 
die „Intermarginal-Höhlungen“ und die „Cloaken“ von BOWERBANK uU.$S.w. Die 
Anschauung, dass alle diese Theile des Canal-Systems als ganz eigenthümliche, spe- 
ceifische Einrichtungen des Schwamm-Organismus anzusehen seien, wurde fast allge- 
mein, und gerade hierauf stützte sich vorzüglich die herrschende Ansicht, dass die 
Spongien eine ganz isolirte Classe von eigenthümlich organisirten Urthieren oder 
Protozoen seien. 

Meine eigenen Untersuchungen haben mich zu einem völlig entgegengesetzten 
Resultate geführt, und ausgehend von den einfachsten Formen, deren continuirliche 
Entwickelung bis zu den differenzirtesten ich verfolgt habe, bin ich zu der Ueber- 
zeugung gelangt, dass nirgends bei den Spongien eine solche eigenthümliche und 
specifische Organisations-Einrichtung existirt, dass vielmehr alle diese besonderen 
Einrichtungen des Wassercanal-Systems nichts weiter sind, als Modificationen und 
Differenzirungen des Gastrovascular-Systems, welches allen Zoophyten gemeinsam 
zukommt. 

Ehe ich die verschiedenen speciellen Modificationen, welche dieses Canal-System 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 397 


bei den Leuconen erleidet, näher schildere, will ich der Uebersicht halber die Re- 
sultate vorausschicken, welche ich bezüglich der eben angeführten specifischen Organe 
überhaupt erhalten habe. Ich berücksichtige dabei vorzüglich die Auffassung von 
BOWERBANK, welcher die unnatürliche und geschraubte Deutung der bezüglichen 
Verhältnisse am weitesten getrieben und in der chaotischen Confusion der ein- 
fachsten Verhältnisse nächst CARTER das Grösste geleistet hat. Es ist kaum mög- 
lich, die thatsächlichen Verhältnisse in der Organisation des Canal-Systems bei den 
Spongien gekünstelter zu deuten und unklarer aufzufassen, als dies von CARTER und 
demnächst von BOWERBANK geschehen ist. 

Das Gastrovascular-System aller Leuconen, und aller Hornschwämme und Kiesel- 
schwämme, welche gleich diesen verästelte Canäle besitzen, ist in einem Theile mit 
Geissel-Epithel belegt, in einem anderen Theile nicht. Das Geissel-Epithel des Ento- 
derms fehlt constant in den „Einströmungslöchern“ und den „Einströmungs-Canälen“ 
der Autoren, d.h. in den Hautporen und in den davon ausgehenden feinsten peri- 
pherischen Canälen, welche das Wasser gewöhnlich eintreten lassen. Das Geissel- 
Epithel fehlt ferner constant in der Magenhöhle (,„Ausströmungshöhle“ oder „Schorn- 
stein“ der Autoren, „Kloake“ von BOWERBANK); ebenso an deren Mundöffnung 
(„Ausströmungsloch“ der Autoren, „Kloaken-Mund“ von BOWERBANK). In dem übrigen 
Theile des Canal-Systems, also in den centrifugal verästelten Canälen, welche zwi- 
schen der Magenhöhle und den Hautporen liegen, und welche gewöhnlich den Wasser- 
strom aus den letzteren in die erstere leiten, ist das Geissel-Epithel bisweilen überall 
zu finden; meistens aber fehlt es auf grösseren und kleineren Strecken und ist nur 
auf einzelne sinuöse oder varicöse Erweiterungen der Canäle beschränkt. Diese vari- 
eösen Anschwellungen der ramalen Canäle sind die „Wimper-Apparate“ von LIiEBER- 
KÜHN, die „Wimperkörbe“ von Oscar SCHMIDT, die „flaschenförmigen Säcke“ von 
CARTER, die „Wimperorgane“ oder „Wimperkammern“ anderer Autoren. Ich nenne 
dieselben, da sie von Geissel-Epithel ausgekleidet sind, „@eissel-Kammern‘“. 
Bisweilen, aber selten, erweitern sich die verästelten Canäle (die „Interstitial Canals“ 
von BOWERBANK) auch unmittelbar unter der Dermalfläche zu grossen Kammern, 
welche zu geräumigen Sinus zusammenfliessen können, jedoch niemals flimmern. 
Diese grösseren Höhlungen sind die „Intermarginal-Cavities“ von BOWERBANK, welche 
ich als „Subdermäl-Höhlen“ passender zu bezeichnen glaube. 

Was nun die Astcanäle oder Ramal-Tuben der Leuconen betrifft, so sind vor- 
züglich die folgenden Modificationen zu unterscheiden, deren Verhalten auf Quer- 
schnitten der Dyssycus-Form in Fig. S— 11 auf Taf. 40 dargestellt ist. Das Ento- 
derm ist daselbst mit rother, das Exoderm mit blauer, die Hohlräume des Canal- 
Systems mit schwarzer Farbe bezeichnet. Die vier hauptsächlichsten Modificationen 
können als 1) baumförmiger, 2) netzförmiger, 3) traubenförmiger und 4) blasenför- 
miger Typus der Ramification unterschieden werden. 

10* 


328 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


A. Der baumförmige Typus der Astcanäle. 


Dieser Typus ist die ursprünglichste und einfachste, aber im Ganzen seltenste 
Modification. Sie findet sich im Canal-System von Leucetia primigenia, Leucyssa 
cretacea, Leucandra lunulata, Leucandra bomba und einigen anderen Arten (Taf. 38, 
Fig. 1; Taf. 40, Fig. 9). Hier entspringen aus der Magenhöhle zahlreiche weite Ca- 
näle, welche sich ziemlich regelmässig baumförmig gegen die Dermalfläche verzweigen. 
Die anfangs weiten Aeste werden gegen die Oberfläche hin immer enger und zahl- 
reicher, und gehen endlich in die feinsten Canälchen über, welche schliesslich durch 
die Hautporen der Dermalfläche ausmünden. Die Canäle sind entweder in ihrer 
ganzen Ausdehnung oder doch im grössten Theile derselben von dem Geissel-Epithel 
des Entoderms bekleidet. Nur die äussersten Enden der feinsten Canal-Aeste (nächst 
den Hautporen) und die inneysten Enden der gröbsten Canal-Stämme (nächst der 
Magenhöhle) bleiben von Geissel-Epithel frei. Bisweilen fehlen bei dieser Anordnung 
des Canal-Systems Anastomosen der Aeste gänzlich, so dass jeder verästelte Gefäss- 
stamm für sich ein selbstständiges und vollständiges monocentrisches Canal-System 
bildet. Andere Male finden sich hie und da einzelne Anastomosen benachbarter 
Canäle. Seltener sind die Anastomosen bei dieser Form reichlicher, so dass die Canäle 
vielfach unter einander zusammenhängen. Immer aber bleiben die Stämme und die 
gröberen Aeste, etwa in der proximalen Hälfte der Magenwand, isolirt, und die 
Anastomosen beschränken sich auf die feineren und feinsten Aeste, gewöhnlich nur 
in der distalen Hälfte der Magenwand. Während gewöhnlich die Aeste cylindrisch 
sind, werden sie bisweilen plattgedrückt, bandförmig, so namentlich bei Leucandra 
lumulata (System, p. 190). Bisweilen zeigen auch die cylindrischen Aeste hie und da 
spindelförmige Anschwellungen oder varicöse Erweiterungen, welche sogar kugelig 
werden und sich zu wirklichen Wimperkammern gestalten können. Dann geht der 
baumförmige Canal-Typus (A) in den traubenförmigen (C) über. Wie der baum- 
förmige Typus der Asteanäle unter den Leuconen nur selten ist, so scheint er sich 
auch nicht häufig bei den Hornschwämmen und Kieselschwämmen zu finden. Die 
einzige bezügliche Angabe, welche ich in der Literatur finden kann, ist eine Mit- 
theilung von KÖLLIKER über Spongelia elegans, bei welcher „die verästelten Wimper- 
canäle Gruppen“ (d. h. monocentrische Systeme) zu bilden scheinen t). 


1) KÖLLIKER,, Icones histologicae, I. Heft, 1864, p. 66: ‚Die Wimperorgane sehe ich an einer aus- 
gebildeten Spongelia elegans anders, als sie LiEBERKÜHN bei einem kleinen Exemplare fand. An der Stelle 
kugeliger Organe traf ich wirkliche Wimpercanäle, welche in grosser Anzahl allerwärts im Innern sich 
fanden, und besonders in der Nähe der Hornfasern angehäuft waren. Ich kann übrigens nicht behaupten, 
dass es mir gelungen sei, die Verhältnisse dieser Canäle vollständig zu ergründen, immerhin glaube ich 
sagen zu dürfen, dass in den einzelnen Gruppen die Canäle vielfach gewunden verlaufen, sich verästeln 


und unter einander zusammenhängen. Dagegen wage ich darüber keine Entscheidung, ob die Wimper- 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 229 


B. Der netzförmige Typus der Astcanäle. 


Dieser Typus der Astcanal-Bildung entsteht aus dem vorhergehenden baum- 
förmigen einfach dadurch, dass die Anastomosen der baumförmig verzweigten Canäle 
zahlreicher werden und sich nicht bloss auf die feineren Aestchen beschränken, son- 
dern auch zwischen den gröberen Zweigen stattfinden. Im höchsten Grade der Aus- 
bildung erscheint dann das ganze Wand-Parenchym des Leucon von einem dichten 
Gefässnetze durchzogen, ähnlich wie bei einer sehr blutgefäss-reichen Drüse. In 
geringeren Graden der Ausbildung beschränkt sich die Netz-Formation auf den mitt- 
leren Theil des Wandparenchyms, während der proximale (der Magenfläche anliegende) 
Theil nur von den weiten, nicht anastomosirenden Hauptstämmen, der distale (der 
Hautfläche anliegende) Theil nur von den engen, ebenfalls nicht anastomosirenden 
Endästen der verzweigten Canäle durchzogen wird. Der netzförmige Typus der Ast- 
canal-Bildung findet sich unter den Leuconen nicht selten, viel häufiger als der 
baumförmige. Er kommt z. B. vor bei Leıcetta trigona, Leucaltis erustacea, Leu- 
candra cataphracta und L. stilifera (Taf. 40, Fig. 11). Bei der letztgenannten Art 
bilden die Astcanäle ein ziemlich enges und regelmässiges Netz mit rundlich-poly- 
gonalen Maschen; in anderen Fällen dagegen sind die Maschen sehr unregelmässig 
und von sehr ungleicher Grösse. Oft sind sie streckenweise varicös, an vielen Stellen 
zu spindelförmigen oder fast kugeligen Anschwellungen erweitert, die sich zu fürm- 
lichen „Geisselkammern“ gestalten können. Dann geht der netzförmige Typus (B) 
in den traubenförmigen Typus (C) über. Das Geissel-Epithel des Entoderms kleidet 
in der Regel die Hohlräume des netzförmigen Canal-Systems fast vollständig und im 
Zusammenhange aus; es fehlt nur an den gröbsten Stämmen, welche in die Magen- 


canäle im ganzen Schwamme unter einander verbunden sind, wie es den Anschein hat, oder ob dieselben 
kleine Gruppen bilden, die für sich mit den von LIEBERKÜHN gesehenen Einströmungslöchern beginnen, 
und in die Ausströmungscanäle einmünden. Die Weite der Wimpercanäle ist im Mittel 0,03 — 0,06”; 
ihre Wand wird einfach von dem Parenchym des Innern gebildet und trägt einen einfachen Ueberzug 
von kleinen Flimmerzellen, wie bei den Kalkspongien. Sehr oft dient eine Parenchymlage zwei benach- 
barten Wimpercanälen als gemeinschaftliche Begrenzung, andere Male begrenzt, wie bei Nardoa, eine und 
dieselbe Wandung einerseits einen Wimpercanal, und andererseits einen Ausströmungsraum. Bei einer 
Spongelia von Villafranca, die der Sp. elegans nahe steht, aber in ihren Fasern im Ganzen nur wenige 
Einschlüsse enthält, waren die Wimperorgane ausgezeichnet schön, wie ich sie bei keiner anderen Spongie 
gesehen (Taf. IX, Figg. 12. 13). Dieselben erscheinen auf Flächen, wie auf senkrechten Schnitten, meist 
als rundliche getrennte Blasen, doch liessen sich an vielen Orten auch längliche Formen und Verbin- 
dungen der einzelnen Blasen erkennen. An der Oberfläche standen dieselben gruppenweise mit Einströ- 
mungslöchern in Verbindung; dagegen gelang es mir nicht, Einmündungen derselben in die zahlreichen 
anastomosirenden Wassereanäle im Innern aufzufinden, so dass ich auch hier über die genaueren Bezie- 
hungen der verschiedenen flimmernden und nicht flimmernden Hohlräume zu einander keine Aufschlüsse 


zu geben im Stande bin.‘ 


25 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


P79) 


höhle münden, und an den feinsten Endästen, welche auf der Dermalfläche sich 
öffnen. In anderen Fällen geht jedoch das Geissel-Epithel auch noch auf anderen 
Strecken der Netz-Canäle verloren und bleibt nur an einzelnen Stellen, so dass die 
Entodern-Bekleidung überall unterbrochen erscheint. Am reichlichsten bleibt dieselbe 
in der Mitte der Magenwand erhalten, in gleicher Entfernung von der gastralen 
wie von der dermalen Fläche. Wie weit der netzförmige Typus der Astcanal-Bil- 
dung bei den Hornschwämmen und Kieselschwämmen verbreitet ist, lässt sich zur 
Zeit noch gar nicht übersehen. Nach Körnıker’s Darstellung scheint derselbe z. B. 
bei Corticium candelabııım vorzukommen, bei welchem „alle Wassercanäle, auch die 
weitesten, ein Epithel besitzen‘ !). 


C. Der traubenförmige Typus der Astcanäle. 


Der traubenförmige oder drüsenförmige Typus des Astcanal-Systems ist insofern 
der interessanteste von allen, als er einerseits als der am stärksten differenzirte 
Typus in der Bildung des Canal-Systems der Spongien gelten kann, anderseits aber 
irrthümlicherweise als der wahre und allgemeine Typus des Canal-Systems bei den 
Schwämmen überhaupt bisher angesehen worden ist. Dieser Irrthum rührt daher, 
dass die meisten Autoren bei ihrer Auffassung des „Wassergefäss-Systems‘“ der 
Schwämme von dem gemeinen Süsswasserschwamme, der Spongilla, ausgingen, und 
den hier wirklich bestehenden und sehr ausgeprägten traubenförmigen Typus auch 
bei allen anderen Spongien nachzuweisen suchten. Indem sie nun aber bei vielen 
Schwämmen ganz vergeblich danach suchen mussten, gelangten sie vielfach zu der 
verkehrtesten Auffassung. Es würde eben so verkehrt sein, wenn man z. B. bei den 
Hydromedusen das höchst differenzirte Gastrovascular-System einer Aurelia oder 
eines Rhizostoma als den allgemeinen Typus der Canal-Bildung bei allen Hydrome- 
dusen ansehen, und alle dort vorkommenden einzelnen Theile desselben, den Ring- 
canal, die verzweigten Radial-Canäle, die Gefässe der Fangfäden, der Mundlappen etc., 
auch bei den einfachsten Hydroiden, bei Hydra und überhaupt bei allen anderen 
Hydromedusen nachweisen wollte. Allerdings ist in der vergleichenden Anatomie der 
hier vorliegende Fall, dass man die höchst differenzirte Form eines Organ-Systems 
als allgemeine Norm und „Typus“ dieses Systems aufgefasst hat, nicht selten vor- 
gekommen. Indessen bedarf es keines besonderen Hinweises darauf, dass dieses Ver- 
fahren völlig verkehrt ist. Nur aus den einfacheren und niederen Zuständen der 
Organisation lassen sich die zusammengesetzteren und höheren erklären, nicht aber 
umgekehrt. 


1) Köuuıker, Icones histolog. I. Heft (1864) p. 68; Taf. IX, Fig. 10, 11. Die unter einander zu- 


sammenhängenden, stark gewundenen und anastomosirenden Canäle sind stellenweise kugelig erweitert und 
besitzen eine rosenkranzförmige Gestalt. „Die Deutung der Wassercanäle wird bei Corticium dadurch 


erschwert, dass alle, auch die weitesten Canäle, ein Epithel besitzen.‘ 


2. Organologie. A. Das Canal-System. »31 


Demnach ist der traubenförmige Typus des Astcanal-Systems, wie er bei Spon- 
gilla, bei vielen’ anderen Kieselschwämmen und Hornschwämmen, aber nur bei einer 
beschränkten Anzahl von Kalkschwämmen vorkommt, keineswegs (wie bisher fast 
allgemein geschah) als der normale und characteristische Typus des Gastrovascular- 
Systems der Spongien zu betrachten, sondern nur als ein einzelner, und zwar als 
der am meisten differenzirte Special-Fall in der Ausbildung dieses Systems. Unter 
den Kalkschwämmen folgen zwei von den drei natürlichen Familien, die Asconen 
und Syconen, einem gänzlich verschiedenen Typus der Canal-Bildung; und selbst bei 
der dritten Familie, bei den Leuconen, erscheint der traubenförmige Typus nur als 
einer von den vier verschiedenen Typen, nach denen sich das Astcanal-System dieser 
Familie differenzirt. 

Der traubenförmige Typus des Astcanal-Systems ist durch folgende Eigenthüm- 
lichkeiten ausgezeichnet: Die Astcanäle, welche von der Magenfläche ausgehen und 
sich centrifugal gegen die Dermalfläche hin verästeln, sind an einzelnen oder an 
vielen Stellen varicös angeschwollen oder blasenförmig, meist kugelig erweitert; nur 
diese Anschwellungen oder Kammern sind inwendig mit Geissel-Epithelium ausge- 
kleidet, während dasselbe auf allen übrigen Flächen des Canal-Systems völlig fehlt. 
Wenn man also einen guten Querschnitt oder Längsschnitt eines solchen Schwammes 
untersucht (— beide Schnitte liefern hier im Wesentlichen dasselbe Bild —), so 
sieht man zunächst aus den mikroskopischen Hautporen der Dermalfläche sehr zahl- 
reiche und enge Canäle (dermale Poren - Canäle) entspringen; diese verbinden sich 
zu gröberen Canälen, die wiederum zu noch weiteren Gefässen centripetal zusammen- 
fliessen; endlich münden diese letzteren durch eine verhältnissmässig geringe Zahl 
von Canälen grössten Calibers in die Magenhöhle (die Kloake oder Ausströmungshöhle) 
ein. Ob diese verästelten Canäle während ihres Verlaufes sich gar nicht oder wenig 
oder vielfältig durch Anastomosen verbinden, ist für den traubenförmigen Typus des 
Astcanal-Systems ganz gleichgültig. Der wesentliche Character desselben liegt viel- 
mehr darin, dass alle diese Canäle völlig frei von Geissel-Epithel sind und bloss von 
dem Syncytium des Exoderm umschlossen werden. Das Geissel- Epithel des Ento- 
derm ist ausschliesslich beschränkt auf die blasenförmigen Erweiterungen, welche an 
einzelnen oder an vielen Stellen im Verlaufe der verästelten Canäle angebracht sind. 
Diese flimmernden varicösen Anschwellungen sind die specifischen „Wimper-Apparate“ 
der Autoren. 

Diese „Wimper-Apparate“ sind zuerst 1356 von LiEBERKÜHN entdeckt worden. 
An zerfaserten Stücken von Spongilla fand er ‚in ihrem Inneren eine runde Höhlung, 
die vollständig mit einer einfachen Lage von Wimperzellen bedeckt ist; die feinen 
Wimpern dieser Zellen ragen nach dem Mittelpunkt der Höhlung hinein und be- 
wegen sich noch lange Zeit. Jede einzelne Wimperzelle ist mit einer langen dünnen 
Wimper versehen.“ Später (1357) beschrieb er genauer die Anordnung dieser kugel- 


2323 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


förmigen Wimper-Apparate. ‚Sie liegen entweder gleich im Anfang oder im weiteren 
Verlauf der Canäle. Ihre Eingangsöffnung ist nur in wenigen Fällen sichtbar; liegt 
sie gerade nach oben, so erscheint sie meist als fast kreisförmig und der Canal ist 
hier gewöhnlich enger; in seltenen Fällen finden sich zwei Einflussöffnungen. Der 
Einflussöffnung gegenüber oder in geringer Entfernung von ihr liegt die Ausfluss- 
öffnung; wo diese sichtbar war, unterschied sie sich weder in der Grösse, noch in 
der Form von jener.“ Auch bei einem marinen Kieselschwamme (Spongia limbata, 
JOHNSToNn — Chalina limbata, BOWERBANK) fand LIEBERKÜHN die kugeligen Wimper- 
Apparate wieder, welche hier 0,033 Mm. Durchmesser besassen. Später beobachtete 
er dieselben auch bei Hornschwämmen, wo sie -';, Mm. Durchmesser erreichten !). 

Nach LiEBERKÜHN hat zunächst CARTER (1857) die Geisselkammern beschrieben, 
und zwar ebenfalls zuerst bei Spongilla, später bei anderen Kieselschwämmen. Er 
nannte sie „Ampullaceous sacs“ und sah sie als die eigentlichen Thiere (Individuen) 
des Schwammkörpers an. Anfänglich (1857) nahm CARTER an, dass diese „flaschen- 
förmigen Säcke“ inwendig flimmern, später (1859), dass sie auswendig flimmern 
(Volvocinen vergleichbar!) und schliesslich versöhnte er diesen Widerspruch durch 
die Annahme, dass sie abwechselnd inwendig und auswendig flimmern! (1870). 
Er fasste sie nunmehr als die eigentlich characteristischen Theile des Schwamm- 
körpers auf, als „Magensäcke mit Mundöffnung“, und behauptete, dass sie bei allen 
Schwämmen ohne Ausnahme vorkämen ?). 

Oscar ScHMipr fand 1364 die „Wimper-Apparate“, welche er „Wimperkörbe“ 
nennt, „in allen genauer darauf untersuchten Schwämmen, bei Hornspongien, Kiesel- 
spongien und Halisarken. Bald gleichen sie einer halben Hohlkugel (Reniera semi- 
tubulosa), bald einer mit einer Oeffnung versehenen Vollkugel (heniera aquae- 
ductus); sie scheinen endlich auch ganz flach schüsselförmig vorzukommen (Hali- 
sarca guttula)“ >). 

Auch KÖLLıker beobachtete die „rundlichen Wimperorgane“ sowohl bei Horn- 
schwämmen als bei Kieselschwämmen und giebt ihre Grösse bei Esperia tunicata 
auf 0,025—0,03”, bei Rapailia viminalis auf 0,02” an). 

Bei den Kalkschwämmen scheint bisher noch Niemand den traubenförmigen 
Typus der Astcanal-Bildung und die dafür characteristischen rundlichen Geissel- 
kammern wirklich beobachtet zu haben°). Ich finde denselben jedoch bei einer 


1) LIEBERKÜHN, Archiv f. Anat. Physiol. 1856, p. 497, 498. Ibid. 1857, p. 382 —385, 401. 

2) CARTER, Annals and Mag. of nat. hist. 1870, Vol. VI, p. 329: „Hence the little globular bodies 
are clearly the animal expression of the sponge in particular, as they are respectively the only mouths 
and stomachs of the sponge — in short the nutritiv apparatus, all the rest being subsidiary.“ 

3) O0. Scumipt, Adriat. Spong. I. Supplem. (1864, p. 5; Taf. I, Fig. 17, 18). 

4) KÖLLIKER, Icones histolog. I. Heft, 1864 (p. 66, 70, 71; Taf. IX, Fig. 12, 153). 

5) Allerdings behauptet CARTER (1870, 1. e. p. 334), dass die „„Ampullaceous sacs‘‘ bei allen Schwäm- 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 233 
ziemlichen Anzahl von Leuconen, am reinsten ausgeprägt bei mehreren Arten von 
Leucandra, z.B. bei L. aspera, L. ananas (Taf. 40, Fig. 7, 8), L. nivea, L. John- 
stonii, ferner bei Leueyssa inerustans (Taf. 25, Fig. 3, 4), bei Leucaltis solida, Leuc- 
altis erustacea und Leucortis pulvinar (Taf. 29, Fig. 1, 2). Bei allen diesen Leu- 
conen und noch bei einigen anderen Arten verhält sich der traubenförmige Typus 
des Astcanal-Systems im Wesentlichen genau so, wie bei Spongilla und wie bei den 
übrigen, vorher angeführten Kieselschwämmen und Hornschwämmen. Das flimmernde 
Geissel-Epithel ist ausschliesslich beschränkt auf die „Geisselkammern“, die kugeligen 
oder subsphärischen Erweiterungen, welche im Verlaufe der nicht flimmernden Ast- 
canäle angebracht sind. 

Die Zahl und Vertheilung der Geisselkammern scheint bei den vorher ange- 
führten Leuconen ziemlich verschieden zu sein. Aeusserst zahlreich und den grössten 
Theil des dichten Parenchyms zwischen den Nadeln des Skelets ausfüllend, finde ich 
sie z. B. bei Leueandra aspera und L. Johnstonii: sie liegen hier massenhaft und 
so dicht an einander, dass die Zwischenräume zwischen ihnen viel kleiner sind als 
ihr Durchmesser. In mässiger Anzahl sind die Geisselkammern bei Leucandra 
ananas und Lexeortis pulvinar zu finden. Einzeln und spärlich im Parenchym zer- 
streut (ähnlich wie bei Spongilla) liegen sie bei Lereyssa inerustans und Leucaltis 
erustacea; hier sind grosse Strecken des Parenchyms ganz von ihnen frei und nur 
an einzelnen Stellen finden sie sich, theils einzeln, theils in kleinen Gruppen. 

Die Anordnung der Geisselkammern im Verlaufe der verzweigten Canäle ist sehr 
ähnlich derjenigen der Drüsenbläschen in einer zusammengesetzten traubenförmigen 
Drüse (Taf. 29, Fig. 1, 2; Taf. 40, Fig. 7, 8). Wie bei der letzteren die Drüsen- 
bläschen in grösseren und kleineren Gruppen an den verzweigten Ausführgängen 
sitzen und „Lappen“ und „Läppchen“ bilden, so sind auch die Geisselkammern in 
grösseren und kleineren Gruppen an den verzweigten und nicht flimmernden Canälen 
vertheilt. Gewöhnlich scheint in jede Geisselkammer ein von der Dermalfläche kom- 
mender „Einströmungscanal“ einzutreten und ein nach der Magenfläche hingehender 
„Ausströmungscanal“ auszutreten. Häufig münden aber auch zwei oder mehrere ein- 
führende Gefässe („ineurrent canals“) in eine Geisselkammer ein. Selten treten zwei 
oder mehrere ausführende Gefässe („excurrent canals“) aus einer Kammer hervor. 
Dies hängt natürlich mit der centrifugalen Ramification der Gefässe und mit dem 


men, Kieselschwämmen und Kalkschwämmen , allgemein vorkommen, und führt als Beispiel für letztere 
einen Ascon (Ascetta coriacea —= Clathrina sulfurea, Carter), einen Leucon fLeucandra nivea) und 
einen Syeon (Sycandra ciliata) an. Da jedoch weder bei den Asconen noch bei den Syconen wirk- 
liche „flaschenförmige‘“ Säcke sich finden, so ist die Vermuthung gerechtfertigt, dass CARTER dieselben 
auch bei den Leueonen /(Leucandra nivea) nicht gesehen habe, um so mehr, als er sie bei zwei von 
ihm ausführlich beschriebenen Leuconen (Leucandra Johnstonä, H. und Leueyssa inerustans, H.) wirklich 


nicht gesehen hat, obgleich sie hier sehr deutlich sind (vergl. den Atlas, Taf. 25, Fig. 3, 4). 


234 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Umstande zusammen, dass sie bald unter einander anastomosiren, bald nicht. Da 
die Geisselkammern nur als varicöse Erweiterungen der verzweisten Astcanäle auf- 
zufassen sind, die an den verschiedensten Stellen auftreten können, so kann die 
Kammer bald im Verlaufe eines Astes, bald an der Theilungsstelle eines Astes, bald 
an der Verbindungsstelle zweier oder dreier anastomosirender Aeste liegen; sie 
kann auch nur ein Blindsack sein, welcher als eine seitliche Aussackung eines Canals 
sich bildet, gleich dem Aneurysma eines Blutgefässes. Die mannichfachen Ver- 
schiedenheiten, welche sich in dieser Beziehung finden, scheinen weder in morpho- 
logischer, noch in physiologischer Beziehung besonderes Interesse zu verdienen. 

Die Form der Geisselkammern ist bei den Leuconen, wie bei den Kiesel- 
schwämmen, Hornschwämmen und Schleimschwämmen sehr einfach, rundlich, bald 
mehr der Kugelform, bald mehr der Spindelform genähert. Neben den vollkommen 
kugeligen Geisselkammern finden sich ellipsoide, spindelförmige, birnförmige und un- 
regelmässig rundliche, letztere besonders dort, wo sich die Geisselkammer dem engen 
Raume zwischen mehreren zusammenstossenden Nadeln anpassen muss. 

Die Grösse der Geisselkammern scheint bei den Leuconen nur innerhalb geringer 
Grenzen zu schwanken und gewöhnlich 0,08&—0,12 Mm. im Durchmesser zu betragen. 
Bei einigen Arten erreicht derselbe nur 0,04—0,06, bei anderen dagegen auch 
0,14—0,16 Mm. Sie scheinen demnach im Ganzen etwas grösser als bei den Kiesel- 
schwämmen zu sein, kleiner als bei mancher Hornschwämmen. 

Die Structur der Geisselkammern ist sehr einfach. Stets ist ihre Höhle nur 
von einer einzigen Schicht von Geissel-Epithel ausgekleidet, welche unmittelbar dem 
umhüllenden Exoderm aufsitzt. Bei den geschlechtsreifen Schwämmen finden sich 
zwischen diesen Geisselzellen einzeln die jungen Eier (Taf. 25, Fig. 3) oder die 
Gruppen von Spermazellen (Taf. 25, Fig. 4). An den Stellen, wo der einführende 
Canal in die Geisselkammer eintritt oder der ausführende austritt, ist das Geissel- 
Epithel einfach unterbrochen. Nicht selten aber setzt sich dasselbe auch noch eine 
Strecke weit in die Canäle fort. Dies erklärt sich einfach daraus, dass ja ur- 
sprünglich die Canäle fast in ihrer ganzen Ausdehnung von Flimmer-Epithel ausge- 
kleidet waren. 


D. Der blasenförmige Typus der Astcanäle. 


Unmittelbar an den traubenförmigen Typus der Astcanäle schliesst sich als vierte 
und letzte Modification der blasenförmige Typus derselben an (Taf. 40, Fig. 10). 
Dieser letztere entsteht aus dem ersteren einfach dadurch, dass die „Geisselkam- 
mern“ sich in unregelmässiger Weise zu grösseren Blasen ausdehnen, welche sich 
berühren, hie und da confluiren und so schliesslich in grössere, sinusartige Hohl- 
räume zusammenfliessen. Diese Modification ist im Ganzen selten; ich habe sie nur 
bei wenigen Leuconen gefunden, so namentlich bei Lexeilla amphora (Taf. 24, Fig. 3), 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 235 


Leuculmis echinus (Taf. 30, Fig. 11), Lexcandra fistulosa (Taf. 40, Fig. 10) und Leuec- 
andra cucumis (Taf. 36, Fig. 2, 3). Auch bei Leicetta corticata (Taf. 22, Fig. 5) 
und bei der ähnlichen Lencaltis clathria kehrt dieselbe blasenförmige Bildung des 
Gefäss-Systems wieder, hier jedoch weniger ausgesprochen, nur im Mark-Parenchym 
und in unmittelbarem Uebergang zu dem traubenförmigen Typus. Ob der blasen- 
förmige Typus der Astcanäle auch bei den Kieselschwämmen und Hornschwämmen 
vorkommt, ist mir unbekannt; ich möchte vermuthen, dass er hier nicht selten ist 
(namentlich bei den Rindenschwämmen); doch sind meine eigenen bezüglichen Beob- 
achtungen zu unvollständig, um etwas sicheres darüber anzugeben, und in der Lite- 
ratur kann ich keine sicheren Angaben darüber auffinden. 

Der blasenförmige Typus des Astcanal-Systems ist dadurch characterisirt, dass 
die verästelten Canäle sich in sehr ungleichmässiger Weise zu geräumigen Höhlen 
oder Sinus erweitern, welche bei weiterer Ausdehnung sich berühren, zusammen- 
fliessen und schliesslich ein sehr unregelmässiges System von blasenförmigen com- 
municirenden Hohlräumen darstellen. Das Parenchym, das zwischen denselben übrig 
bleibt, hat die Form eines unregelmässig durchbrochenen Fachwerks. Während 
die „Geisselkammern“ des traubenförmigen Typus im Ganzen sehr regelmässig ge- 
bildet und geordnet, und in einer und derselben Art von nahezu gleicher Grösse 
sind, so erscheinen dagegen die Sinus des blasenförmigen Typus in sehr unregel- 
mässiger Form und Anordnung, und in sehr ungleicher Grösse; die grössten blasen- 
förmigen Sinus sind viel grösser als die grössten Geisselkammern; die kleinsten 
Formen unter den ersteren sind umgekehrt noch kleiner als die kleinsten Formen 
unter den letzteren. Während die Geisselkammern nur selten sich unmittelbar 
berühren und zusammenfliessen, findet dies bei den „Sinus“ sehr häufig statt. Die 
benachbarten Sinus treten, gleich den verwachsenen Radial-Tuben der Syconen, in 
unmittelbare Verbindung, indem ihre Hohlräume durch „Conjunetiv-Poren“ commu- 
nieiren. Das Geissel-Epithel erhält sich in den blasenförmigen Hohlräumen gewöhn- 
lich nur theilweise; es bleibt nur in den kleineren bestehen, während es in den 
grösseren verschwindet. Die mit blossem Auge deutlich sichtbaren Hohlräume sind 
gewöhnlich ohne Geissel-Epithel; immer gilt dasselbe von denjenigen, welche über 
ein Millimeter (oft sogar über 2—3 Mm.) Durchmesser erreichen. 

Die grossen subdermalen Höhlen, welche BOWERBANK „Intermarginal 
cavities“ genannt hat, und welche sich bei manchen Spongien unmittelbar unter 
der Haut finden, glaube ich den zuletzt erwähnten grösseren Höhlungen des blasen- 
förmigen Astcanal-Typus unmittelbar anreihen und zurechnen zu dürfen. Diese Bil- 
dungen haben unverdienter Weise desshalb grosse Bedeutung erlangt, weil man, ge- 
stützt auf die Anatomie der Spongilla, in ihnen eine specifische Eigenthümlichkeit 
des Spongien-Organismus zu erkennen glaubte. Sowohl LisBerkünn (1856) als 
CARTER (1857) beschrieben bei Spongill« einen grossen zusammenhängenden, un- 


236 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


mittelbar unter der äusseren Haut gelegenen Hohlraum, welcher die letztere, die 
Dermal-Membran, völlig von dem übrigen Körper-Parenchym trennen sollte. Wenn 
dieser Hohlraum viel Wasser enthält. soll die äussere Umhüllungshaut mehrere Linien 
weit von dem übrigen Körper abstehen, diesen sackförmig umhüllen und nur an den 
kegelförmig vortretenden Ausströmungsröhren (Rüsseln) mit ihm zusammenhängen. 
Ausserdem sollen einzelne Fortsätze des Nadel-Gerüstes, vom inneren Parenchym 
ausgehend, diesen Hohlraum durchsetzen und wie Pfeiler oder Zeltstangen die dar- 
über ausgespannte äussere Haut oder Dermal-Membran tragen. Das Wasser tritt 
durch die Poren der letzteren in den subdermalen Hohlraum und aus diesem erst 
entspringen die einführenden Canäle des inneren Parenchyms. Nach meinen eigenen 
Untersuchungen ist die weite subdermale Höhlung keineswegs eine constante und 
eigenthümliche Organisations-Einrichtung. Sie ist nicht einmal bei Spongilla immer 
zu finden. Während ich an einigen Spongillen allerdings weite und flache subdermale 
Höhlungen, ganz der obigen Beschreibung entsprechend, unmittelbar unter der Dermal- 
Membran antraf, habe ich sie bei vielen anderen Exemplaren vergeblich gesucht, 
und statt dessen ein oberflächliches System von vielen kleineren, unregelmässigen, 
aber in Zusammenhang stehenden Höhlungen, kurz ein subdermales Lacunen-Netz 
gefunden. Niemals aber habe ich auch in den grossen Subdermal-Höhlen eine ge- 
wisse Anzahl von Parenchym-Balken vermisst, welche die ersteren durchsetzen und 
die Dermal-Membran mit dem inneren Parenchym in unmittelbare Verbindung bringen. 
Da nun diese subdermalen Hohlräume in Bezug auf Grösse und Form, Zahl und 
Verbindung eben so mannichfaltig, wie die unregelmässigen Verzweigungen des Ast- 
canal-Systems überhaupt sich verhalten, so erblicke ich in ihnen keine specifischen 
Organe von irgend welcher besonderen , morphologischen oder physiologischen Be- 
deutung, sondern lediglich locale und variable Erweiterungen des Astcanal-Netzes. 
Dasselbe gilt auch von den subdermalen Höhlungen, welche BOWwERBANK als 
„Intermarginal-Cavities“ der Halichondrien (Ckalina) und der Corticaten (Geodia) 
beschrieben hat. Obwohl sich die Subdermal-Höhlen der letzteren durch regel- 
mässigere Gestalt und Lagerung vor denen der ersteren auszeichnen, und obgleich 
hier sogar die inneren verengten Enden der trichterförmigen oder glockenförmigen 
Höhlen. durch die Contraction einer sphineter-ähnlichen Sarcodine-Lamelle gegen die 
inneren Canäle abgeschlossen werden können, so vermag ich dennoch in ihnen keine 
specifischen Organe von irgend welcher Bedeutung zu erblicken !,. BOWERBANK 


1) Die dünnen Sareodine-Membranen, welche nach Art eines Sphineters die inneren Enden der Sub- 
dermal-Höhlen bei @eodia gegen die inneren Canäle abschliessen, sind von BOWERBANK als „valvular dia- 
phragma“ (Brit. Spong. Vol. I, p. 101, Pl. XIX, Fig. 301), ebenso von O. Scamipr als „Klappen, die 
aus musculösen Ringfasern bestehen‘ (Adriat. Spong. II. Supplem. p. 3, Taf. I, Fig. 4) beschrieben wor- 
den. Ich vermag darin nichts anderes zu erblicken, als die vergänglichen Sphineteren , welche sich auch 


beim Schluss der Hautporen, der Gastral-Ostien u. s. w. bilden (s. unten). 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 937 


vergleicht dieselben mit den Radial-Tuben der Syconen (Sycandra compressa , 8. 
eiliata etc.) und meint, dass bei diesen letzteren die „Intermarginal-Cavities“ ihren 
höchsten Entwickelungs-Grad erreichen !). Sie sollen hier auf Kosten aller anderen 
Organe übermässig ausgebildet sein. Dass dieser Vergleich in jeder Hinsicht völlig 
verfehlt ist, hat bereits O. Schmipr ausführlich bewiesen ?). Ich kann nur hinzu- 
fügen, dass dieser unglückliche Vergleich ein schlagender Beweis dafür ist, wie wenig 
BOWERBANK trotz seiner vieljährigen gründlichen Untersuchungen zu einem wahren 
Verständniss des Schwamm -Organismus und namentlich seines Canal- Systems ge- 
langt ist. 

Unter den Kalkschwämmen sind ausgeprägte Subdermal-Höhlen (oder Inter- 
marginal-Cavities im Sinne von BOWERBANK) überhaupt sehr selten, und ich kenne 
eigentlich nur ein einziges Beispiel, in welchem dieselben zu auffallender Entwicke- 
lung gelangen. Das ist die Lexcandra cuenmis aus dem indischen Ocean (Taf. 36, 
Fig. 2, 5). Das Parenchym der Magenwand zerfällt hier in zwei ganz verschiedene 
und scharf getrennte Schichten, eine äussere Rindenschicht und eine doppelt so dicke 
innere Markschicht. Das Mark ist nach dem blasenförmigen Typus des Astcanal- 
Systems gebaut und besteht aus einem ganz unregelmässigen Maschenwerk, das aus 
kleineren und grösseren, theilweise fiimmernden Blasen oder Sinus zusammengesetzt 
ist. Die Rinde dagegen besteht bloss aus einer Schicht von ziemlich regelmässigen 
und geräumigen, nicht flimmernden Fächern, welche sich ganz analog (aber nicht 
homolog!) den verwachsenen Radial- Tuben mancher Syconen ohne Intercanäle (na- 
mentlich Syeilla, Taf. 43) verhalten. Die Fächer sind irreguläre prismatische Säulen 
von 1 Mm. Länge und 0,3—0,4 Mm. Weite. Die benachbarten Fächer communieiren 
mit einander durch wechselnde, unregelmässige Löcher („Conjunetiv-Poren“) ihrer 
dünnen Sarcodine-Wand. Nach aussen mündet jedes Fach durch mehrere, sehr enge 
Poren der Dermal-Fläche; nach innen steht dasselbe durch eine grössere Oefinung, 
welche den oben erwähnten „Klappen“ der Geodia vergleichbar ist, mit den un- 
mittelbar darunter liegenden oberflächlichsten Sinus der Markschicht in Verbindung. 
So regelmässig die Bildung dieser subdermalen Höhlen von Lexueandra cueumis auch 
erscheint, so möchte ich ihnen doch eben so wenig als den ähnlichen „Intermarginal- 
Höhlungen“ der Geodien irgend eine besondere wesentliche Bedeutung zuschreiben. 


3.  Gastrocanal-System der Syconen. 


Das Gastrovascular-System der Syconen oder Orthoporeuten scheint sowohl von 
demjenigen der Asconen als von demjenigen der Leuconen sich beträchtlich zu ent- 
fernen, und einen ganz besonderen Typus der Canalbildung zu repräsentiren, welcher 
bei den übrigen Spongien nicht wieder vorkommt, und sich dagegen an die Bildung 


1) BOWERBANK, Brit. Spong. Vol. I, p. 105. 
2) O. Scumiprt, Adriat. Spong. II. Supplem. p. 4. 


238 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


höherer Pflanzenthiere, an den „radialen Typus“ der sogenannten „Strahlthiere“ an- 
schliesst. In der That entsteht hier durch die ganz regelmässige Ausbildung und 
Anordnung der einfachen Canäle, welche radial gegen die Axe der Magenhöhle ge- 
richtet sind, eine Structur, welche namentlich an diejenige der Corallen sich un- 
mittelbar anzuschliessen scheint. Dennoch ist die Bedeutung jener „Radial-Tuben“ 
eine andere, als diejenige der Radial-Canäle der Nesselthiere, und der Körperbau 
der Syconen muss vielmehr von demjenigen der Asconen in eigenthümlicher Weise 
abgeleitet werden. 

Die einfachste und ursprünglichste Form unter den Syconen, von der sich alle 
übrigen Formen ableiten lassen, ist der Sycurırs, eine einzelne Person mit einer ein- 
fachen nackten Mundöffnung. Diese letztere führt in eine einfache Magenhöhle, deren 
dicke Wand ganz anders gebaut ist als bei den Leuconen und Asconen. Wir finden 
hier weder die einfachen Hautporen oder Loch-Canäle der letzteren, noch die ver- 
ästelten Wand-Canäle der ersteren, sondern statt deren eine grosse Anzahl von ein- 
fachen, geraden, unverästelten Röhren, welche dicht und regelmässig neben einander 
gestellt und mit ihrer Axe radial gegen die Längsaxe des Magens gerichtet sind. 
Dies sind die characteristischen Strahl-Canäle (Tubi radiales). Auf dem Quer- 
schnitt erhält man ganz dasselbe Bild, wie beim Querschnitt einer Corallen-Person: 
eine Central-Höhle, von radialen Fächern umgeben; auf dem Längsschnitt dagegen 
ein wesentlich verschiedenes Bild: eine Reihe von über einander geschichteten hori- 
zontalen Röhren in der Wand der Central-Höhle. (Vergl. den Längsschnitt einer 
Sycon-Person auf Taf. 41, Fig. 1 von Sycetta primitiva; Taf. 44, Fig. 1 von Syeyssa 
Huxleyi; Taf. 45, Fig. 1 von Sycaltis conifera; Taf. 49, Fig. 1 von Sycortis laevi- 
gata; Taf. 58, Fig. 3 von Sycandra elegans; Taf. 59 von Syeandra hystrix ; ferner 
den Querschnitt Taf. 41, Fig. 2 von Sycetta primitiva; Taf. 43, Fig. 3 von Syeilla 
ehrysalis,; Taf. 48, Fig. 9 von Sycandra quadrangulata; endlich das Schema des 
Längsschnittes auf Taf. 60, Fig. 5, 10; des Querschnittes auf Taf. 60, Fig. 6—8.) 

Die Radial-Tuben sind bei den meisten Syconen dergestalt entweder mit ihren 
Rändern oder mit ihren Flächen verwachsen, dass sie zusammen eine dicke compacte 
Magenwand herstellen. Viel seltener bleiben die Tuben ganz oder grösstentheils frei 
und stehen isolirt neben einander auf der ursprünglich dünnen und zarten Magen- 
wand. Jeder Tubus mündet an seinem inneren, proximalen Ende mittelst einer 
grösseren Oeffnung (Ostium gastrale s. pro.ximale) in die Magenhöhle; seltener sind 
an jedem Tubus mehrere (2—4) Gastral-Ostien vorhanden. Am entgegengesetzten, 
distalen oder äusseren Ende besitzt bei wenigen Arten ebenfalls jeder Tubus eine 
grössere Oeffnung (Ostium dermale s. distale). Gewöhnlich aber sind hier nur ein- 
fache mikroskopische Hautporen wie bei den Asconen vorhanden, welche das Wasser 
von aussen in die Radial-Tuben eintreten lassen. Aus diesen strömt dasselbe in die 
Magenhöhle, aus der es durch die Mundöffnung austritt. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 239 


Die histologische Untersuchung der Syconen zeigt, dass jeder einzelne Radial- 
Tubus im Wesentlichen den Bau einer einfachen Ascon-Person, eines Olynthus be- 
sitzt. Die dünne Wand besteht demnach aus einer äusseren Syneytium - Schicht, 
welche die Kalknadeln enthält, und aus einer inneren Geisselzellen-Schicht, in wel- 
cher die Sexual-Zellen liegen. Die veränderlichen Hautporen, welche beide Schichten 
durchbohren, verhalten sich ebenfalls, wie bei den Asconen. Die gastrale dünne La- 
melle des Syeurus-Schlauches, auf welcher die Radial-Tuben aufsitzen (die eigentliche 
ursprüngliche Magenwand des Sycon), besteht bloss aus einer Syneytium - Schicht 
mit Kalknadeln, ohne Geissel-Epithel und ohne Sexual-Zellen. 

Der characteristische gröbere und feinere Bau der Syconen ist zuerst von LIEBER- 
KÜHN genauer untersucht und beschrieben worden t). Er bezeichnet die Magenhöhle 
der Syconen als „gemeinsame Körperhöhle“ oder „Ausströmungsrohr“, die Radial- 
Tuben als „kegelförmige Wimper-Apparate“, ihre Hautporen als „Einströmungs- 
öffnungen“, ihre Gastral-Ostien als „Ausströmungslöcher“, die Mundöffnung als „Aus- 
strömungsöffnung“ (vergl. oben p. 16, 17). 

BOWERBANK hat von der Structur der Syconen folgende Darstellung gegeben: 
„In Grantia (eompressa and eiliata) the intermarginal cavities appear to attain their 
highest degree of development, and are multiplied and expanded to such a degree 
as to almost supersede every other organ. The whole sponge in these species is 
formed of a great accumulation of elongated cells or cavities, closely adjoining each 
other and angular by compression. Their conical distal terminations, abounding in 
pores, represent the external surface of the sponge, while their valvular proximal 
ends form the inner surface, in conjunction with the shallow cavities, into the distal 
ends of which each cell discharges its contents. These shallow depressions, inter- 
vening between the intermarginal cavities and the cloaca, are all that remains to 
represent the incurrent portion of the interstitial system, so largely developed in 
the Halichondroid Sponges, the great cloacal cavity entirely superseding the ex- 
current spaces and canals“ (Brit. Spong. Vol. I, p. 105). Während BowErBANK hier 
die Radial- Tuben als „intermarginal cavities“ bezeichnet, nennt er sie an anderen 
Stellen gewöhnlich „interstitial cells“. Ihre Gastral-Ostien bezeichnet er als „Oscula“, 
die Magenhöhle als „Cloaca“, die Mundöfinung als „Mouth of cloaca“ (Brit. Spong. 
Vol. I, p. 1, 17, 20 etc.). 

Weder LIEBERKÜHN noch BOWERBANK haben die sehr characteristische radiale 
Anordnung der einfachen Canäle, durch die sich die Syconen so auffallend vor 
den übrigen Spongien auszeichnen, besonders hervorgehoben. Die übrigen Autoren 
haben überhaupt die Syconen keiner besonderen Aufmerksamkeit gewürdigt. Die 
eigenthümliche „Radial-Structur“ ist aber bei allen Syconen so deutlich ausge- 
sprochen, dass alle Zoologen, welche noch gegenwärtig die Strahlthiere (FRadiata) 


1) LIEBERKÜHN, Arch. f. Anat. Phys. 1859, p. 375—381; 1865, p. 739—747; Taf. XIX, Fig. 6, 7. 


940 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


als eine besondere Abtheilung des Thierreichs anerkennen — an ihrer Spitze Louis 
Acassız! — gezwungen sind, auch diese „Spongiae radiatae“ von den übrigen Spon- 
gien abzutrennen und den Strahlthieren beizuzählen. Ich habe hierauf schon früher 
in meinem Aufsatze „über den Organismus der Schwämme und ihre Verwandtschaft 
mit den Corallen“ aufmerksam gemacht. Doch bin ich dort zu weit gegangen, wenn 
ich die Radial-Tuben der Syconen geradezu mit den perigastrischen Fächern der Co- 
rallen parallelisirte. Ueberhaupt ist, wie ich später zeigen werde, diese Aehnlichkeit 
der Syconen und Corallen nur von untergeordneter Bedeutung. 

Den wahren Aufschluss über die eigenthümliche Radial-Structur der Syconen 
giebt uns die Ontogenie. Diese zeigt, dass jede einfache Sycon-Person (Syeuris) 
sich ursprünglich aus einer einfachen Ascon-Person (Olyntäus) entwickelt, und 
zwar dadurch, dass auf der ganzen äusseren Oberfläche dieser letzteren strobiloide 
Gemmation stattfindet. Ueberall wachsen aus der Dermal-Fläche des primitiven 
Olynthus, dicht gedrängt neben einander und regelmässig in Spiral-Reihen und alter- 
nirende Längs-Reihen geordnet, kleine Knospen hervor, secundäre Olynthen, deren 
Axen sämmtlich radial gegen die Hauptaxe des primitiven Olynthus (der Magenhöhle 
des Sycon!) gerichtet ist. Es ist demnach der ursprüngliche Syeurus, die solitäre 
nacktmündige Sycon-Person, eigentlich als ein regelmässiger, durch strobiloide 
Knospung entstandener Soleniscus aufzufassen, als ein Ascon-Stock, dessen Per- 
sonen (die Radial-Tuben) jedoch selten frei bleiben, gewöhnlich entweder mit den 
Rändern oder mit den Flächen verwachsen. Auch die ursprüngliche Mundöffnung 
dieser secundären Personen (das Dermal-Ostium der Radial-Tuben) bleibt selten offen, 
sondern ist gewöhnlich geschlossen. Die Magenhöhle der Sycon-Person ist die aus- 
gedehnte und veränderte Magenhöhle des primitiven Olynthus, welche ihr ursprüng- 
liches Geissel-Epithel verloren hat. 


Die Strahl-Canäle oder Radial-Tuben der Syconen. 


Obgleich bei allen Syconen die characteristische Zusammensetzung der Magen- 
wand aus Radial-Tuben in der angegebenen einfachen Weise sich entwickelt, so ent- 
steht dennoch eine ziemliche Mannichfaltigkeit der Sycon-Formen dadurch, dass die 
Strahl-Canäle sich in Bezug auf Zahl, Grösse und Form verschiedenartig bei den ver- 
schiedenen Arten verhalten, ganz besonders aber dadurch, dass dieselben bald frei 
bleiben, bald mehr oder weniger mit einander verwachsen. Auch die Skelet-Structur 
der Tuben gestaltet sich sehr mannichfaltig, wogegen die histologische Structur der 
Weichtheile überall im Wesentlichen dieselbe bleibt. Jeder Radial-Tubus behält den 
Bau eines einfachen Olynthus bei. 

Was zunächst die Zahl der Radial- Tuben betrifft, welche die Magenwand der 
einzelnen Sycon-Person zusammensetzen, so ist dieselbe sehr verschieden, und sowohl 
von dem Alter der Person, als von der Grösse der Species abhängig. Die geringste 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 241 


Zahl von Radial-Tuben, welche bei den reifen (eiertragenden) Syconen der kleinsten 
Species sich findet, beträgt immer über hundert, gewöhnlich zwischen zweihundert 
und fünfhundert. Dagegen ist die Magenwand der grösseren Syconen aus mehreren 
tausend, bei vielen sogar aus mehr als zehntausend Radial-Tuben zusammengesetzt. 
Bei den jugendlichen Personen ist die Zahl der Radial-Tuben viel geringer. Sie 
nimmt mit dem Alter beständig zu, indem die Magenhöhle sowohl in die Länge als in 
die Dicke wächst uud dabei gleichzeitig auf ihrer Aussenfläche immer neue Radial- 
Tuben entstehen. 

Bezüglich der Grösse der Radial-Tuben ist ihre Länge oder ihr radialer 
Durchmesser (welcher radial gegen die Magen-Axe der Person gerichtet ist) und ihre 
Dicke oder ihr Querdurchmesser (senkrecht auf dem radialen Durchmesser) zu unter- 
scheiden. Die Dicke ist von sehr bemerkenswerther Constanz, sowohl innerhalb der 
ganzen Gruppe, als bei jeder einzelnen Species. Sie beträgt durchschnittlich 0,1 Mm., 
selten darunter, oft darüber: 0,12 —0,2, bisweilen 0,3 Mm. oder darüber. Innerhalb 
jeder Species vererbt sich die Dicke gewöhnlich sehr streng, so dass nicht allein alle 
Radial-Tuben einer und derselben Person von ganz gleicher Weite, oder doch nur sehr 
wenig verschieden sind, sondern auch bei den verschiedenen Personen jeder Art die 
Unterschiede nur sehr gering sind. 

Im Gegensatz zu dieser auffallenden Constanz der Dicke ist dagegen die Länge 
der Radial-Tuben sehr variabel. Sie ist verschieden bei den verschiedenen Arten, bei 
den verschiedenen Individuen einer Art und bei den verschiedenen Alterszuständen 
eines Individuums. Bei den jungen Syconen sind die Radial-Tuben immer kürzer als 
bei den ausgewachsenen. Bei der Mehrzahl der Syconen ist die Körperwand am 
dicksten in der Mitte des eiförmigen oder spindelförmigen Körpers, und dem ent- 
sprechend sind die Radial-Tuben der Aequatorial-Ebene die längsten, und nehmen 
von da entweder nach beiden Polen hin oder (häufig) bloss nach dem Oral-Pol hin 
gleichmässig ab. Nur bei den cylindrischen Syconen mit cylindrischer Magenhöhle 
und überall gleich dicker Magenwand ist natürlich die Länge der Radial-Tuben überall 
dieselbe. Die gewöhnliche Länge der Radial-Tuben beträgt im Durchschnitt 1 Mm.; 
bei vielen Arten werden aber auch die grössten Tuben nur 0,5 — 0,8 Mm. lang; bei 
den grössten und dickwandigsten Arten erreichen sie dagegen 2—3 Mm. Länge, selten 
noch mehr. Die Tuben eines jeden Querschnittes (einer jeden Transversal-Ebene) sind 
fast immer von gleicher Länge (auch bei den blattförmig zusammengedrückten Sy- 
conen); selten sind sie etwas ungleich. 

Die Form der Radial-Tuben ist bei jeder Species in der Regel constant, dagegen 
bei den verschiedenen Arten zum Theil in sehr characteristischer Weise verschieden. 
Als die ursprüngliche Form kann der Kegel betrachtet werden, oder ein Cylinder 
mit kegelförmigem Distal-Ende (Distal-Kegel). Diese Gestalt behalten die Radial- 


Tuben bei denjenigen Sycon-Arten, bei welchen sie nicht mit einander verwachsen. 
Haeckel, Kalkschwäimme. I. 16 


242 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Bei der grossen Mehrzahl der Syconen aber verwachsen die Tuben entweder mit den 
sich berührenden Flächen oder den Rändern und werden dabei polyedrisch abgeplattet, 
prismatisch. Diese Verwachsung oder Concrescenz der Radial-Tuben ist desshalb 
von grosser Bedeutung, weil die dadurch entstehenden characteristischen und mannich- 
fach verschiedenen Formen der Tuben sich innerhalb jeder Species ziemlich constant 
vererben und also auch deren Characteristik wesentlich beeinflussen. 

Im Allgemeinen kann man bezüglich der Concrescenz der Radial-Tuben drei ver- 
schiedene Typen oder Hauptformen unter den Syconen unterscheiden, nämlich A. Sy- 
conen, deren Radial-Tuben völlig frei bleiben oder nur an ihrer Basis ein wenig ver- 
wachsen; B. Syconen, deren Radial-Tuben nur mit den sich berührenden Rändern 
oder Kanten verwachsen, so dass zwischen ihnen radiale Intercanäle übrig bleiben; 
C. Syconen, deren Radial-Tuben völlig mit den ganzen sich berührenden Flächen ver- 
wachsen, so dass keine Intercanäle zwischen ihnen übrig bleiben. 

Unter den 37 von mir im natürlichen System beschriebenen Sycon-Arten gehören 
5 Species dem ersten, 15 Species dem zweiten, und 17 Species dem dritten Typus an, 
wie aus der nachstehenden Tabelle hervorgeht. Nur bei zwei von den sieben natür- 
lichen Sycon-Gattungen (bei Sycetta und Sycandıa) finden sich alle drei Typen ver- 
treten. Drei Gattungen (Syeilla, Sycyssa, Syculmis) enthalten nur Repräsentanten 
des dritten Typus. Bei zwei Gattungen endlich sind je zwei Typen vertreten: bei 
Sycaltis der erste und dritte, bei Sycortis der zweite und dritte Typus. 


I. Syconaga. II. Syconopa. III. Syconusa. 
Sycon-Genera Radial - Tuben frei, | Radial-Tuben verwach- | Radial-Tuben verwach- 
des natürlichen Systems. nicht verwachsen. | sen, mit Intercanälen. | sen, ohne Intercanäle. 
5 Species. 15 Species. 17 Species. 
N Bun, om ei 2 Species. 2 Species. 1 Species. 
II. Syeilla. Nadeln sämmt- Wi Bi BT Er o0s 
lich vierstrahlig. P ; 
III. Syeyssa. Nadeln sämmt- i 
— _ 1 j 
lich einfach. Fr 
IV. Sycaltis. Nadeln theils 
dreistrahlig, theils vier- 1 Species. — 4 Species. 
strahlig. 
V. Sycortis. Nadeln theils 5 Ä 
—_ 28 h f 
dreistrahlig, theils einfach. l 2 1,.Apeeipg 
VI. Syeulmis. Nadeln theils Pr a 


vierstrahlig, theils einfach. 


VII. Sycandra. Nadeln theils 
dreistrahlig, theils vier- 2 Species. 11 Species. 5 Species. 
strahlig, theils einfach. | 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 243 


A. Syconaga (erster Typus): Syconen mit freien, nicht verwachsenen 
Radial-Tuben. Dieser Typus zeigt die ursprüngliche Radial-Tuben-Bildung per- 
sistent. Die ganze Sycon-Person bleibt auf der ursprünglichen Bildungsstufe eines 
Ascon-Stockes stehen, dessen durch strobiloide Knospung entstandene Personen ent- 
weder gar nicht oder nur an der Basis ein wenig mit einander verwachsen; die Radial- 
Tuben oder die freien Ascon-Personen sind durch mehr oder weniger beträchtliche, 
weite Zwischenräume von einander getrennt. Dieser Typus findet sich ganz rein, ohne 
jede Spur von Concrescenz der Tuben, bei Sycetta primitiva (Taf. 41, Fig. 1—4); bei 
Sycetta sagittifera (Taf. 42, Fig. 1, 2) und bei Sycaltis conifera (Taf. 45, Fig. 1, 2). 
Weniger rein kehrt er bei zwei Sycandra-Arten wieder: . eiliata und 8. coronata; 
hier sind die Radial-Tuben selten völlig frei, meistens ein wenig an der Basis (höch- 
stens bis zur Mitte hinauf) verwachsen. 

Die freien Radial-Tuben dieses Typus sind stets entweder kegelförmig (Taf. 41, 
Fig. 3, 4; Taf. 45, Fig. 2) oder cylindrisch, mit kegelförmigem Distal-Ende (Distal- 
Kegel, Taf. 42, Fig. 2). Nur wenn sie an ihrer Basis ein wenig mit den sich berüh- 
renden Rändern verwachsen, werden sie hier unten etwas kantig oder prismatisch ab- 
geplattet. In diesem Falle, der nur bei Sycandra ciliata und $. coronata stattfindet, 
beginnen sich auch an der Basis zwischen den Tuben kurze radiale Intercanäle zu 
entwickeln. Sonst stehen die Tuben völlig frei auf der Aussenfläche des dünnwan- 
digen Magenschlauchs und sind durch weite freie Zwischenräume (Interradial-Räume) 
von einander getrennt. 

Die Syconen dieses ersten Typus sind schon mit blossem Auge an ihrem eigen- 
thümlichen zarten und schlaffen Habitus zu erkennen, und an der Beschaffenheit der 
Aussenfläche, welche papillös, höckerig oder grobzottig erscheint. Die eigentliche 
Magenwand bleibt hier eine ganz dünne Syneytium-Lamelle (das Exoderm des ur- 
sprünglichen Olynthus), auf welcher die dünnwandigen Radial-Tuben locker zerstreut 
aufsitzen (Taf. 41, Fig. 2; Taf. 42, Fig. 2). 

Die „Einströmungslöcher“ sind bei diesem Typus überall einfache, unbeständige 
Hautporen, wie bei den Asconen. Die dünne Wand der Radial-Tuben ist allenthalben 
von diesen veränderlichen Dermal-Poren durchsetzt. Auch auf der freien Aussen- 
fläche des Magenschlauchs zwischen den Basen der Tuben scheinen sich ebenfalls 
noch Hautporen zu finden. Bei denjenigen Syconen dieses Typus, bei welchen jeder 
Tubus ausserdem noch ein grösseres Dermal-Ostium an seinem distalen Ende besitzt, 
dient auch dieses als „Einströmungs-Oeffnung“ (Sycetta primitiva, Taf. 41, Fig. 3, 48). 

B. Syconopa (zweiter Typus): Syconen mit verwachsenen Radial-Tuben 
und mit Intercanälen. Dieser Typus ist dadurch characterisirt, dass die dichter 
stehenden Radial-Tuben sich in Linien (nicht mit abgeplatteten Flächen) berühren 
und in diesen Berührungs-Linien oder Rändern (Kanten) mit einander verwachsen. 
Zwischen ihnen bleiben engere oder weitere interradiale Zwischenräume übrig: ra- 

16* 


944 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


diale Intercanäle. Dieser Typus findet sich bei zwei Arten von Sycetta, bei 
zwei Arten von Sycortis, und bei elf Arten von Sycandra, im Ganzen also bei 
fünfzehn Species. Die Tuben stehen hier von Anfang an nicht so dicht gedrängt, 
dass sie sich gegenseitig prismatisch comprimirten, sondern nur so neben einander, 
dass sie sich in radialen Linien eine Strecke weit berühren. In diesen Linien ver- 
wachsen sie, und zwar meistens nur in den proximalen zwei Dritteln oder drei Vier- 
teln ihrer Länge, so dass das äussere Ende, das distale Drittel oder Viertel, als 
Distal-Kegel frei vorragt. Seltener verwachsen die Tuben in ihrer ganzen Länge 
bis zur Dermalfläche. Jeder Tubus erhält durch die Verwachsung in der Regel eine 
polyedrische oder prismatische, meist sehr regelmässige Gestalt, und ist durch so 
viele Verwachsungs-Nähte an den benachbarten Röhren befestigt, als er Berührungs- 
Linien mit denselben besass. Zwischen je drei oder je vier Tuben bleibt also ein 
engerer oder weiterer Canal übrig, durch den man von aussen zwischen die Tuben 
hinein und bis zur äusseren Oberfläche der ursprünglichen dünnen Magenwand ge- 
langen kann. Wir werden die Bedeutung dieser radialen Intercanäle nachher 
noch besonders betrachten und wollen hier nur bemerken, dass sie bei den meisten 
Species dieses Sycon-Typus eben so zierlich und regelmässig gebildet, meist poly- 
edrisch oder prismatisch sind, wie die Tuben selbst. 

Die Form der prismatischen Tuben und ihrer prismatischen Intercanäle ist mehr- 
fach verschieden, vererbt sich aber innerhalb der Species gewöhnlich so constant, 
dass sie für die Species-Characteristik von Werth ist. Ich unterscheide in dieser 
Beziehung vier verschiedene Subtypen des Syconopa-Typus, welche ich auch in der 
Gattung Sycandra als Subgenera benutzt habe (System, p. 294, 295). Diese unter- 
geordneten, aber doch sehr characteristischen und durch ihre grosse Regelmässigkeit 
interessanten Formen sind folgende: 

a. Radial-Tuben sechsseitig, dazwischen dreiseitige Intercanäle 
(Sycocercus, System, p. 294). Diese Form findet sich bei Sycetta strobilus (Taf. 42, 
Fig. 5, 6), und bei fünf Arten des Genus Sycandra, welche ich in dem Subgenus 
Sycocercus vereinigt habe ($. ampulla, raphanus, capillosa, setosa, villosa), Taf. 58, 
Fig. 6; Taf. 60, Fig. 11. Auf einem Schnitt, welcher parallel der Längsaxe der 
Sycon-Person mitten durch deren Wand geführt ist, erscheinen die Radial-Tuben im 
Querschnitt, als gleich grosse, regulär hexagonale Figuren, so regelmässig geordnet, 
dass immer je drei benachbarte Sechsecke zusammenstossen, und zwischen sich ein 
reguläres Dreieck lassen, den Querschnitt des dreiseitigen Intercanals (Taf. 60, Fig. 11; 
Taf. 42, Fig. 6). Von der äusseren Oberfläche betrachtet, erscheinen diese Syconen 
zierlich sechseckig facettirt, mit vertieften Dreiecken zwischen den prominirenden 
Sechsecken (Taf. 42, Fig. 5). 

b. Radial-Tuben vierseitig, dazwischen vierseitige Intercanäle 
(Sycocubus, System, p. 294). Diese Form findet sich nur bei zwei Arten, bei 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 945 


Sycortis quadrangulata (Taf. 48, Fig. 8) und bei Sycandra Schmidti (Taf. 58, 
Fig. 2; Taf. 60, Fig. 13). Auf einem Schnitt, welcher parallel der Längsaxe der 
Sycon-Person mitten durch deren Wand geführt ist, erscheinen die Radial-Tuben im 
Querschnitt, als gleich grosse quadratische Figuren, ganz regelmässig geordnet, so 
dass immer zwischen je vier benachbarten Tuben der ebenfalls quadratische Quer- 
schnitt eines Intercanals übrig bleibt. Gewöhnlich sind die Wände der Tuben nicht 
ganz eben, sondern ein wenig vorgewölbt, so dass auf dem Querschnitt das Quadrat 
der Tuben grösser, mit convexen Seiten, das Quadrat der Intercanäle kleiner, mit 
concaven Seiten erscheint (Taf. 60, Fig. 13). Seltener sind die Tuben-Wände ganz 
eben, so dass die quadratischen Querschnitte der Tuben und der Intercanäle gleich 
gross, mit geraden Seiten erscheinen. Von der äusseren Oberfläche betrachtet, er- 
scheinen diese Syconen zierlich quadratisch-getäfelt, wie ein Schachbrett (Taf. 58, 
Fig. 2). Mit hellen quadratischen Höckern (den Distal-Kegeln der Radial -Tuben) 
alterniren regelmässig dunkle quadratische Vertiefungen (die äusseren Eingänge in 
die Intercanäle). 

c. Radial-Tuben achtseitig, dazwischen vierseitige Intercanäle 
(Sycostrobus, System, p. 295). Diese Form findet sich bei Sycetta cupula (Taf. 42, 
Fig. 9, 10), und bei vier Species des Genus Sycandra, welche ich in dem Subgenus 
Sycostrobus zusammengefasst habe (S. arborea, alcyoncellum, elegans, Humboldtü), 
Taf. 58, Fig. 3; Taf. 60, Fig. 12. Auf einem Schnitt, welcher parallel der Längsaxe 
der Sycon-Person mitten durch deren Wand geführt ist, erscheinen die Radial-Tuben 
im Querschnitt, als gleich grosse, regulär achteckige Figuren, so regelmässig ge- 
ordnet, dass sie alternirende Längs- und Quer-Reihen bilden, und dass immer zwi- 
schen je vier benachbarten Tuben ein Quadrat übrig bleibt, der Querschnitt eines 
vierseitigen Intercanals (Taf. 60, Fig. 12; Taf. 42, Fig. 10). Die Seite dieses Qua- 
drates ist eben so gross wie die Seite des Achteckes. Von der äusseren Oberfläche 
betrachtet, erscheinen diese Syconen, falls die Dermalfläche nicht zu stark mit langen 
Haaren oder Borsten (Stabnadeln) bedeckt ist, gewöhnlich zierlich viereckig oder 
achteckig getäfelt (Taf. 58, Fig .3). 

d. Radial-Tuben irregulär-prismatisch, dazwischen ebenfalls 
irregulär-prismatische Intercanäle (Sycoprisma). Diese Form findet sich 
rein ausgeprägt nur bei einer einzigen Art, bei Sycortis lingua (System, p. 278). 
Jedoch finden sich Uebergänge zu derselben auch bei jenen, demnächst zu erwäh- 
nenden Syconen (Sycodorus), deren Radial-Tuben irregulär-prismatisch, aber mit 
ihren Flächen, nicht mit den Kanten, verwachsen sind. Auch bei diesen bleiben 
nicht selten zwischen den verwachsenden, irregulär-prismatischen Tuben hie und da 
eben solche Intercanäle übrig, wie es bei Sycortis lingua überall der Fall ist. Auf 
einem Schnitt dieser letzteren, welcher parallel der Längsaxe der Person mitten 
durch deren Wand geführt ist, erscheinen die Radial-Tuben im Querschnitt als 


246 Drittes Kapitel. Anatomie, II. Specielle Anatomie. 


irreguläre Vielecke, meistens unregelmässige Fünfecke oder Sechsecke, seltener Poly- 
gone mit 3, 4, 7, 8 oder mehr Seiten. Zwischen diesen polygonalen Querschnitten 
der Tuben, deren Seiten etwas convex vorgewölbt sind, finden sich kleinere, eben 
so unregelmässige Polygone, deren Seiten concav sind, die Querschnitte der engeren 
Intercanäle. Indem sich die Kanten der irregulär-prismatischen Tuben stärker ab- 
runden, geht diese Form in die folgende über. 

e. Radial-Tuben cylindrisch-prismatisch, dazwischen ebenfalls 
cylindrisch-prismatische Intercanäle (Sycophractus, System, p. 295). Diese 
Form findet sich nur bei einer einzigen Art, bei Sycandra glabra (Taf. 60, Fig. 14). 
Das Exoderm ist hier stärker entwickelt, als bei allen anderen Syconen und hieraus 
erklärt es sich, warum die zusammenstossenden und verwachsenden Radial-Tuben 
sich nicht prismatisch abplatten, sondern cylindrisch bleiben; ebenso wie die engen, 
zwischen ihnen bleibenden Intercanäle. Auf einem Schnitt, welcher parallel der 
Längsaxe der Person mitten durch deren Wand geführt ist, erscheinen die Radial- 
Tuben im Querschnitt als Kreise, und zwischen ihnen, mitten in dem verdickten 
Exoderm, kleinere Kreise, die Querschnitte der cylindrischen Intercanäle (Taf. 60, 
Fig. 14). Uebrigens ist bei dieser Art die Verdickung des Exoderms und demgemäss 
die Form der in ihrer ganzen Länge verwachsenen Radial-Tuben ziemlich variabel. 
Wenn nämlich das Exoderm stark verdickt ist, erscheinen sowohl die Tuben als die 
Intercanäle dazwischen rein cylindrisch; wenn dagegen die Wucherung des Exoderms 
weniger beträchtlich ist, platten sich die dichter stehenden Tuben mehr prismatisch 
ab; auch die Intercanäle werden dann mehr prismatisch-eylindrisch. Ist das Exo- 
derm nur schwach verdickt, so können sich die Tuben durch gegenseitigen Druck 
stärker abplatten und zu irregulären Prismen mit abgerundeten Kanten gestalten, 
ebenso auch die Intercanäle zwischen ihnen. Dann geht diese Form in die vorher- 
gehende über. 

Ueberhaupt ist zu bemerken, dass die angeführten verschiedenen Formen des 
Syconopa-Typus keineswegs ganz scharf geschieden und immer rein ausgeprägt sind, 
vielmehr häufig variiren und durch Zwischen-Formen in einander übergehen. So 
sind z. B. bei der sehr variablen Sycandra raphanıs zwar gewöhnlich die Radial- 
Tuben sechsseitige Prismen und ihre Intercanäle dreiseitige Prismen. Sehr häufig 
finden sich aber auch Personen dieser Art, bei denen die Tuben stellenweise sich zu 
vierseitigen oder achtseitigen Prismen gestalten, mit vierseitigen Intercanälen; und 
noch häufiger kommen Personen vor, bei denen einzelne, oder viele, oder selbst alle 
Tuben und Intercanäle irregulär-prismatisch werden (wie bei Sycortis lingua); bisweilen 
sogar eylindrisch-prismatisch, mit abgerundeten Kanten, oder selbst cylindrisch (wie 
bei Sycandra glabra). Ebenso ist auch bei anderen Arten des Syconopa-Typus zwar 
immer eine bestimmte Form der Tuben und Intercanäle die herrschende, aber keineswegs 
absolut constant, vielmehr variabel, wie alle übrigen morphologischen Charactere. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 247 


Als „Einströmungs-Canäle“ fnngiren bei den Syconen des Syconopa-Typus die 
Intercanäle, in welche das Seewasser zunächst von aussen eintritt durch den „Pseudo- 
porus“, die dermale äussere Oeflnung jedes Intercanals. Aus den Intercanälen tritt 
das Wasser durch die „Einströmungs-Löcher“, d.h. durch die ursprünglichen Haut- 
Poren der dünnwandigen Tuben in die Höhle derselben hinein. Da wo die Tuben 
nicht bloss mit ihren Kanten, sondern theilweise auch mit ihren Flächen verwachsen, 
wie es bei den achtseitig-prismatischen und bei den cylindrisch-prismatischen Tuben 
der Fall ist (Taf. 60, Fig. 12, 14), da beginnen sich aus den ursprünglichen Dermal- 
Poren die „Conjunctiv-Poren“, die directen Communications-Oeffnungen zwischen 
benachbarten verwachsenen Tuben zu entwickeln, welche für den folgenden Typus, 
für die Syconusa-Formen characteristisch sind. 

C. Syconusa (dritter Typus. Syconen mit verwachsenen Radial- 
Tuben, aber ohne Intercanäle. Dieser Typus ist characterisirt durch die 
vollständige Verwachsung der Radial-Tuben mit ihren ganzen Aussenflächen 
Diese tritt dann ein, wenn dieselben von Anfang an so dicht gedrängt aus der äus- 
seren Magenfläche hervorwuchern, dass sie sich gegenseitig zu prismatischen Säu- 
len abflachen. Dann bleiben keine Intercanal-Gänge zwischen ihnen übrig, und die 
Verwachsung der Wände ist meist so vollständig, dass die Scheidewand zwischen 
je zwei Tuben-Höhlen nur aus einer einzigen Syncytium-Lamelle besteht, welche 
auf beiden Seiten mit Geissel-Epithel bedeckt ist. Auch diese Flächen-Concrescenz 
kann, ebenso wie die Verwachsung der Kanten hei dem Syconopa-Typus, entweder 
nur in den proximalen zwei Dritteln der Radial-Tuben oder aber in ihrer ganzen 
Länge stattfinden. Im ersteren (seltenen) Falle entsteht ein Schlauch, dessen Wand 
von prismatischen Röhren radial durchsetzt und dessen Oberfläche mit lauter koni- 
schen, an der Basis zusammenstossenden Papillen, den Distal-Kegeln, besetzt 
ist. Im letzteren (gewöhnlichen) Falle, bei totaler Verwachsung der Tuben-Flächen 
in ihrer ganzen Ausdehnung, entsteht ein Schlauch, dessen Wand in ihrer ganzen 
Dicke bloss aus an einander stossenden, radialen, prismatischen Röhren zusammen- 
gesetzt ist, und dessen äussere Oberfläche eben so glatt (nicht höckerig), wie die 
innere Magenfläche ist. In beiden Fällen aber fehlen die radialen „Intercanäle“, 
welche den vorigen Typus, Syconopa, characterisirten. 

Syconen des dritten Typus (Syconusa) finden sich in allen sieben natürlichen 
Gattungen der Sycon-Familie, nämlich bei Sycetta stauridia (Taf. 42, Fig. 13, 14), 
bei allen vier Species des Genus Syeilla (S. eyathiscus, urna, eylindrus, chrysalis ; 
Taf. 43, Fig. 2, 6, 9, 13); bei Syeyssa Huxleyi (Taf. 44, Fig. 1, 2); bei vier Arten 
von Sycaltis (S. perforata, Taf. 46; S. glacialis; S. testipara und S. ovipara, 
Taf. 47, Fig. 5, 9); bei Sycortis laevigata (Taf. 49, Fig. 1); bei Syeulmis synapta 
(Taf. 50) und bei fünf Species des Genus Sycandra, welche ich in dem Subgenus 


948 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


‚Sycodorus vereinigt habe ($. aretica, Taf. 60, Fig. 15; S. ramosa, S. compressa, 
S. utrieulus und S. hystrix, Taf. 60, Fig. 16). 

Bei allen diesen Syconen des Syconusa-Typus findet die Verwachsung der Ra- 
dial-Tuben in der Weise statt, dass die benachbarten Tuben durch unregelmässige 
rundliche Löcher, die Conjunctiv-Poren, mit einander in offener Communication 
bleiben. Diese Conjunctiv-Poren (Taf. 43, Fig. 2, 6, 9, 13n) durchbohren die gemein- 
same, aus der Concrescenz zweier Tuben-Wände hervorgegangene Scheidewand zwi- 
schen deren Höhlen und gestatten den Austritt und Eintritt von Wasser zwischen 
den benachbarten Tuben. Sie sind aber so veränderlich wie die Hautporen und 
sind zu betrachten als die Reste der ursprünglichen Dermal-Poren der freien Tuben. 
Man beobachtet die Conjunetiv-Poren, welche allen früheren Beobachtern entgangen 
waren, am leichtesten an Schnitten getrockneter Syconen. 

Die Radial-Tuben stellen bei den Syconen des Syconusa-Typus meistens irre- 
gulär-prismatische Säulen dar, deren Querschnitt ein unregelmässiges Polygon, ge- 
wöhnlich ein Fünfeck oder Sechseck ist (Taf. 42, Fig. 14, Taf. 60, Fig. 16). Die 
Kanten dieser irregulär-prismatischen Säule sind meistens mehr oder weniger ab- 
gerundet. Viel seltener bilden die Tuben regulär-prismatische Säulen. Am regel- 
mässigsten finden sich diese bei Sycandra arctica, wo sie meistens als quadratische 
Säulen auftreten; so dass auf einem Schnitte, welcher parallel der Längsaxe der 
Person mitten durch die Magenwand geführt wird, sich die Tuben im Querschnitt 
als reguläre Quadrate präsentiren (Taf. 60, Fig. 15). Doch ist diese zierliche und 
regelmässige Bildung auch bei S. aretica nicht constant, sondern oft vielfach durch 
irreguläre Abweichungen gestört, ebenso wie bei S. ramosa. 

Als „Einströmungslöcher“ fungiren bei den Syconen des Syconusa-Typus ge- 
wöhnlich die veränderlichen Dermal-Poren in den äusseren Grundflächen der ver- 
wachsenen prismatischen Tuben. Bisweilen aber findet sich statt deren in der der- 
malen Grundfläche jedes Tubus eine grössere und constante Oeffnung: das Ostium 
dermale (der Rest des Osculum des secundären Olynthus, welcher den Tubus ur- 
sprünglich gebildet hat). Ein solches Dermal-Ostium in jedem Tubus existirt bei 
Sycetta stauridia (Taf. 42, Fig. 14d); Sycaltis perforata (Taf. 46, Fig. 6); Sycaltis 
glacialis und Sycandra ramosa. 


Die Magenhöhle (Gaster). 


Der Magen oder die Magenhöhle der Kalkschwämme, wie der Spongien 
überhaupt, ist morphologisch betrachtet derselbe Hohlraum, welcher bei den Nessel- 
thieren (Hydroiden, Medusen, Corallen) allgemein als Magenhöhle aufgefasst wird. 
Ich werde diese Homologie im vierten Abschnitt, wo ich die Verwandtschaft der 
Spongien und Acalephen näher zu begründen habe, eingehend erörtern. Hier ge- 
nügt es, darauf hinzuweisen, dass dieselbe sowohl durch die vergleichende Anato- 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 249 


mie als die Ontogenie festbegründet wird. Der Olynthus, die Stammform der 
Kalkschwämme, von welcher wir überall auszugehen haben, ist morphologisch aequi- 
valent einem einfachsten Hydroid-Polypen, einer Hydroiden-Person ohne Tentakel- 
Kranz. In diesen beiden einfachen Thier-Formen ist der ganze Körper wesentlich 
ein einfacher Magensack, dessen dünne Wand aus zwei differenten Blättern gebildet 
wird, dem äusseren Dermalblatt oder Exoderm, und dem inneren Gastral-Blatt oder 
Entoderm. Das letztere besteht aus einer Schicht von Geisselzellen. Der einfache, 
von dieser dünnen Wand umschlossene Hohlraum ist die Magenhöhle und seine 
einfache Oeffnung ist die Mundöffnung. In beiden Thierformen entwickelt sich die 
primitive Magenhöhle bereits in der frei schwimmenden Flimmerlarve (erst Planula, 
dann Gastrula) und die morphologische Identität dieser Flimmerlarven ist um so 
wichtiger, als dieselbe primitive Entwickelungsform bei den niedersten Thierformen 
der verschiedensten Gruppen wiederkehrt. 

In dieser morphologischen Grundanschauung dürfen wir uns nicht dadurch irre 
machen lassen, dass die eigenthümlichen Verhältnisse der Wasserströmung bei den 
Spongien gewöhnlich eine sehr verschiedene physiologische Bedeutung der Magen- 
höhle bedingen. Hier wie überall in der vergleichenden Auffassung der thierischen 
Organe sind stets ausschliesslich die morphologischen, auf die Vererbung 
bezüglichen Anschauungen massgebend, niemals die physiologischen, durch die 
Anpassung modificirten. Die bisherigen Autoren haben aber fast alle durch diese 
physiologische Auffassung sich leiten lassen und sind dadurch zu einer falschen 
Deutung des Gefäss-Systems, und besonders der Magenhöhle mit ihrer Mundöffnung 
verleitet worden. 

Bei den meisten (doch keineswegs bei allen!) Schwämmen scheint die Magen- 
höhle wesentlich nur als Reservoir für das Wasser zu dienen, welches die Körper- 
wand oder Magenwand, durch die Hautporen eintretend, durchströmt hat, sich hier 
in der „Centralhöhle“ sammelt und dann durch die Mundöffnung, das Osculum aus- 
tritt. Dem entsprechend bezeichnete schon GranT die Centralhöhle als „Cloaca“, 
ihre Oeffnung‘“, das Ausströmungsloch, als „Fecal orifice“. Ebenso nennt BOWERBANK 
die Magenhöhle bei den Kalkschwämmen stets „„Cloaca“‘ oder .„‚Cloacal cavity“, 
ihre Mundöffnung „Mouth of cloaca“. LIEBERKÜHN nennt dieselbe gewöhnlich „Kör- 
perhöhle“ oder „Ausströmungshöhle“, ihre Mündung (das „Osculum“) „Ausströmungs- 
loch oder Ausströmungsröhre“. Von der Magenhöhle des Sycon sagt er: „Sie ent- 
spricht nicht dem bei den Spongillen beschriebenen Hohlraum, in welchen die mi- 
kroskopischen Einführungslöcher hineinführen, sondern dem Hohlraum, welchen die 
Ausflussröhre nebst den ihr das Wasser aus den Wimper-Apparaten zuführenden 
Canälen bildet“ (l. c. 1859, p. 375). Später (1865, 1. c. p. 739) sagt er: „Die Wan- 
dungen der Höhle sowohl, als die Höhle selbst bei den Syconen entsprechen in ihrer 
functionellen Bedeutung und in ihrer anatomischen Zusammensetzung nicht der Lei- 


250 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


beshöhle und der Leibeswand der Grantien (Asconen). Die Höhle der Spindel oder 
des Cylinders ist selbst spindel- oder cylinderförmig, aber es fehlt ihr die Ausklei- 
dung mit Wimper-Epithel.“ Andere Autoren nennen die Magenhöhle mit ihrer 
Mundöffnung „Schornstein“ (Caminus); die meisten Autoren aber — und das 
ist sehr charaeteristisch — nehmen überhaupt auf die Magenhöhle — den morpho- 
logisch wichtigsten Theil des Spongien-Organismus — gar keine Rücksicht! 

Für unsere Auffassung, dass die „Centralhöhle oder Cloaca“ bei allen Spongien 
und zunächst bei allen Kalkschwämmen wirklich als Magenhöhle aufzufassen und 
dem Magen der Nesselthiere homolog ist, spricht, wie schon angeführt, vor Allem 
die Entwickelungsgeschichte. Diese lehrt uns zugleich, dass die Magenhöhle 
bei allen Kalkschwämmen, bei Asconen, Leuconen und Syconen ein und dasselbe 
Organ ist. Die einfachsten Formen der beiden letzten Familien, Dyssycıs und Syc- 
urus sind, wie wir nachher bei der Ontogenie sehen werden, unmittelbar aus der 
einfachsten Asconen-Form, dem Olynthus, entstanden. Dyssycus, die Stammform 
der Leuconen, entwickelt sich aus dem O/ynthus einfach durch Verdickung der Ma- 
genwand und Verästelung der diese durchziehenden Canäle; Sycurxs, die Stamm- 
form der Syconen, entsteht aus dem Of/ynthus durch strobiloide Gemmation. Die 
Magenhöhle ‘aber bleibt in allen Fällen dieselbe. Die grosse Magenhöhle sowohl 
des Sycurus als des Dyssycus entsteht aus der kleinen Magenhöhle des Olynthus 
durch einfaches Wachsthum. Dabei geht jedoch zugleich das Flimmer-Epithelium 
der Gastralfläche verloren, welches sich bei Dyssycus in das Innere der verästelten 
Wand-Canäle, bei Sycurus in das Innere der Radial-Tuben zurückzieht (vgl. Taf. 20, 
Fig. 1—10; Taf. 40, Fig. 1—8; Taf. 60, Fig. 1—6). 

Dieser letztere Umstand, dass die Magenhöhle nur bei den Asconen 
innen mit dem nutritiven Geissel-Rpithel ausgekleidet, bei den 
Leuconen und Syconen dagegen nackt, bloss von dem Syneytium des Exo- 
derm bekleidet ist, fällt allerdings für die physiologische Beurtheilung der Ma- 
genhöhle bei den drei Familien der Kalkschwämme schwer ins Gewicht. Da wir 
dem Geissel-Epithelium des Entoderms wesentlich oder selbst ausschliesslich die 
Ernährungs-Functionen des Spongien-Organismus zuertheilen müssen, kann die Ma- 
genhöhle nur bei den Asconen, wo sie zeitlebens immer mit Geissel-Epithel be- 
legt bleibt, als wirklicher Magen und Darm, oder „verdauende und assimilirende 
Cavität“ physiologisch fungiren. Beiden Leuconen und Syconen dagegen, 
wo das Flimmer-Epithel der Magenhöhle nur bei den frühesten Jugendzuständen 
(Olyntkus) vorhanden ist, während der Entwickelung aber sich von der Gastral- 
fläche entfernt, und bei den ersteren in die Ast-Canäle, bei den letzteren in die 
Radial-Tuben zurückzieht, wird der Ernährungs-Process in diese letzteren Hohl- 
räume verlegt, und die ursprüngliche Magenhöhle hat physiologisch jetzt wirk- 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 251 


lich nur die Bedeutung einer „Cloake“ oder „Ausströmungs-Höhle“, wie es bei den 
meisten übrigen Spongien ebenfalls stattzufinden scheint. 

Das muss nun aber gerade in der vergleichenden Anatomie der Spongien als 
ein höchst bedeutungsvoller und interessanter Punkt hervorgehoben werden, dass 
diese völlige Veränderung der physiologischen Function die ursprüngliche mor- 
phologische Bedeutung des Organs nicht im Mindesten alterirt. Die Magenhöhle 
der Leuconen und Syconen bleibt morphologisch Magenhöhle, trotzdem sie es phy- 
siologisch nicht mehr ist. Sie bleibt trotz des Verlustes ihres nutritiven Flimmer- 
kleides homolog (nicht analog) der flimmernden Magenhöhle der Asconen, weil 
sie ontogenetisch (und also auch phylogenetisch!) aus dieser entstanden ist! Aller- 
dings hat LIEBERKÜHN Recht, wenn er in der vorher angeführten Stelle sagt, dass 
„die Leibeshöhle und die Leibeswand der Syconen in ihrer functionellen Be- 
deutung und in ihrer anatomischen Zusammensetzung nicht derjenigen 
der Asconen (= Grantien, LIEBERKÜHN) entspreche, weil der ersteren die Ausklei- 
dung mit Flimmer-Epithel fehlt.“ Trotzdem entspricht sie derselben in ihrer ver- 
gleichend-anatomischen Bedeutung und in ihrem morphologischen 
Werthe, weil Beide genetisch ein und dasselbe Organ sind! Dieser Werth wird 
durch den secundären Verlust des Flimmer-Epithels nicht alterirt! 

Schon hier will ich ausdrücklich hervorheben, dass ich auf diese rein morpho- 
logische Bedeutung des Begriffes „Magen“ das grösste Gewicht lege. Ich werde 
später im vierten Abschnitte darauf zurückkommen. Gerade deshalb sind die As- 
conen so höchst interessante Thiere, weil sie uns dieses primitive Fundamental- 
Organ des vielzelligen thierischen Organismus in seiner reinsten und einfachsten 
Gestalt permanent vorführen, weil die einfachste Asconen-Form, der Olynthus, 
gewissermassen weiter gar nichts ist, als ein einfachster Magenschlauch. Das ganze 
Thier ist hier Magen! 

Die Form des Magens ist bei allen Spongien sehr einfach. Bei den Asconen 
entspricht sie vollständig der Form der ganzen Person und ist nur um so viel klei- 
ner als die Dicke der dünnen Wand beträgt. Bei den Leuconen ist die Magen- 
höhle dagegen viel kleiner, als der Körper der Person, weil hier die Wand immer 
mehr oder weniger verdickt ist. Dasselbe gilt von den Syconen, bei denen die 
ursprünglich dünne Magenwand durch den aussen darauf entwickelten Beleg der 
Radial-Tuben verdickt ist. Bei der grossen Mehrzahl aller Kalkschwämme ist die 
Magenhöhle eiförmig, spindelförmig oder eylindrisch (Taf. 1, Fig. 1; Taf. 36, 
Fig.2, 5; Taf. 58, Fig. 1—4); seltener ist sie kegelförmig (Taf. 37, Fig. 1) oder fast 
kugelig (Taf. 30, Fig.1; Taf. 38, Fig. 1). Eine ganz flache und enge Tasche ist der 
Magen bei den blattförmig zusammengedrückten Kalkschwämmen, namentlich bei 
Ascandra cordata (Taf. 17, Fig. 2, 6); bei Leucandra erambessa (Taf. 37, Fig, 7, 8) 
und bei Sycandra compressa (Taf. 57). 


252 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


In den allermeisten Fällen bleibt die Magenhöhle der Kalkschwämme ein ganz 
einfacher Hohlraum. Bei einigen Arten jedoch entwickeln sich von der Magenwand 
aus unregelmässige Balken oder Scheidewände, welche die Magenhöhle durch- 
setzen und in Fächer abtheilen. Insbesondere zeichnen sich durch diese fäche- 
rige Magenhöhle die „specifischen Varietäten“ folgender Arten aus: Unter den 
Asconen Ascetta primordialis, var. loculosa (System p. 17) und Ascetta clathrus, 
var. clathrina et mirabilis (System p. 31, Taf. 4, Fig. 4, 5); unter den Leuconen 
Leucetta pandora, var. loculifera (System p. 127, Taf. 22, Fig. 3b, 3c); unter den 
Syconen Sycandra villosa, var. impleta, ferner die verschiedenen Varietäten von 
Sycandra compressa, welche ich im Prodromus als Artynas, Artynium, Artynella 
und Artynophyllum compressum angeführt hatte (System p. 367), und endlich die 
Varietäten von Sycandra utrieulus, welche im System als var. polydora und poly- 
thalama bezeichnet sind (p. 371; Taf. 58, Fig. 4). 

Bei Abfassung des Prodromus war mir diese Septa-Bildung und die dadurch 
veranlasste Fächerbildung so wichtig erschienen, dass ich darauf eine Anzahl von 
künstlichen Gattungen und Arten gründete. Folgende künstliche Genera des Pro- 
dromus sind lediglich auf diese fächerigen Magenhöhlen, die ich anfänglich für 
constante Gattungs-Merkmale hielt, basirt: Soleniscus, Clathrina, Auleplegma, The- 
cometra, Artynas, Artynium, Artynella, Artynophyllum !). Erst später überzeugte 
ich mich durch Vergleichung zahlreicher Exemplare mehrerer Arten (namentlich 
Ascetta primordialis, Ascetta clathrus, Sycandra compressa), dass diese fächerige 
Magenhöhle nicht einmal innerhalb der natürlichen Species constant, also auch nicht 
für die Genus-Characteristik brauchbar ist. In jeder der angeführten Species finden 
sich neben einander Personen, die übrigens gar nicht verschieden sind, die einen 
mit einfacher, die anderen mit fächeriger Magenhöhle. Bei Ascetta primordialis 
und Ascetta elathrus finden sich sogar Stöcke, deren Personen theilweise eine ein- 
fache, theilweise eine fächerige Magenhöhle besitzen (Ascetta mirabilis, System p. 31; 
Taf. 4, Fig. 3). 

Die endogastrischen Septa und Balken, durch deren Verbindung die un- 
regelmässigen Fächer der Magenhöhle bei den angeführten Arten entstehen, sind 
lamellöse oder strangförmige Fortsätze des Exoderms, welche von der inneren Ma- 
genfläche aus nach innen hineinwachsen, sich hier verästeln und unter einander 
verschmelzen. Bei den plattgedrückten Arten mit taschenförmiger Magenhöhle, na- 
mentlich Sycandra compressa und 8. utriculus, werden die Septa wohl unmittelbar 
durch stellenweise Verklebung der beiden Magenwände entstehen, wenn dieselben 
in collabirtem Zustande des schlaffen Schlauches unmittelbar an einander liegen. 
Das Syneytium, welches die endogastrischen Exoderm-Fortsätze bildet, enthält bei 


1) Die meisten dieser Gattungsnamen habe ich für den Gebrauch des künstlichen Systems im zweiten 


Bande beibehalten, jedoch in veränderter Bedeutung des Genus-Begriffes. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 253 


Leucetta pandora und bei Sycandra compressa Dreistrahler, bei Sycandra utri- 
culus dagegen Bündel von feinen Stabnadeln. Bei Ascetla primordialis und A. ela- 
thrus enthalten die endogastrischen Exoderm-Fortsätze keine Spicula, sind aber da- 
für mit dem Geissel-Epithelium der Gastralfläche überzogen, welches bei den drei 
vorher angeführten Arten fehlt. Bei diesen beiden Asconen fungiren die Fächer 
der Magenhöhle zugleich als Brutkapseln oder Fruchtbehälter (Taf. 4, Fig. 4, 5). 
In jedem Fache entwickelt sich ein Embryo, der später heraustritt und als „Flim- 
merlarve“ frei umher schwimmt. Bei Ascetta clathrus enthalten die grösseren Fä- 
cher bisweilen auch mehrere (2—4) Embryonen. Ob bei den angeführten Leuconen 
und Syconen die Fächer der Magenhöhle ebenfalls solche Brutkapseln bilden, weiss 
ich nicht; ich habe bei diesen niemals Embryonen darin gefunden. 

Die Gastralfläche, d.h. die innere Fläche der Magenhöhle, ist bei den Kalk- 
schwämmen entweder glatt oder stachelig, Glatt ist die Gastralläche bei allen 
jenen Kalkschwämmen, bei denen das Skelet dieser Fläche aus Dreistrahlern oder 
Stabnadeln besteht. Stachelig, borstig oder behaart erscheint die Gastralfläche da- 
gegen bei allen jenen Kalkschwämmen, bei denen das Skelet dieser Fläche aus 
Vierstrahlern besteht, deren Apical-Strahl frei in die Magenhöhle vorspringt. 


Magen-Verlust oder Lipogastrie. 


Magen-Verlust oder Lipogastrie findet sich unter den Kalkschwämmen sehr 
selten, unter den übrigen Spongien sehr häufig. Bekanntlich besitzen sehr viele 
Spongien, namentlich viele Kieselschwämme und Hornschwämme, im ausgebildeten 
Zustande keine „Centralhöhle“, überhaupt keine grössere Höhle, welche der Ma- 
genhöhle der Kalkschwämme vergleichbar wäre. Gerade desshalb ist meine Deutung 
der letzteren vielfach auf Widerspruch gestossen. Trotzdem besitzen diese „magen- 
losen“ Spongien sämmtlich, wie es scheint, eine wirkliche primitive Magenhöhle in 
ihrer frühesten Jugend, so lange sie als Gastrulae frei umherschwimmen, wahr- 
scheinlich auch noch kürzere oder längere Zeit, nachdem sie in den festsitzenden, 
dem Olynthus vergleichbaren Jugendzustand übergegangen sind. Ich vermuthe, dass 
bei allen soliden, magenlosen Spongien der Mangel der Magenhöhle kein ursprüng- 
licher, sondern ein erworbener, ein secundär durch Anpassung entstandener Verlust 
ist. In dieser Ansicht werde ich vorzüglich durch die Vergleichung dieser Spon- 
gien mit den lipogastrischen Kalkschwämmen bestärkt. 

Unter den Caleispongien ist im Allgemeinen der Mangel oder richtiger der 
Verlust der Magenhöhle viel seltener zu finden, als bei den übrigen Spongien. Unter 
den Asconen und Syconen habe ich denselben niemals beobachtet; denn die 
eben angeführten Fälle von theilweiser Verwachsung der Magenwände und dadurch 
entstandener Fächerbildung führen nicht zu einem totalen Verlust der Magenhöhle. 
Diesen habe ich nur in der Familie der Leuconen gefunden, und zwar bei ein- 


254 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


zelnen Individuen von Leucetta primigenia (Taf. 21, Fig. 13), Leueyssa inerustans, 
Leucaltis solida, Leucortis pulvinar, Leucandra Gossei (Taf. 37, Fig. 9A, 9B) und 
Leucandra nivea. Alle diese Leucon-Arten besitzen in der Regel eine sehr dicke 
Magenwand, und eine verhältnissmässig sehr enge Magenhöhle. Diese kann schon 
dadurch verschwindend klein erscheinen, dass sie im Wachsthum von früher Jugend 
an zurückbleibt und auf dem primitiven unansehnlichen Jugendzustand stehen bleibt, 
während die dicke, von verästelten Canälen durchzogene Magenwand sich mächtig 
entwickelt. Ausserdem kann aber auch der letzte Rest der ursprünglichen engen 
Magenhöhle dadurch verloren gehen, dass die in inniger Berührung an einander 
liegenden Magenwände mit einander verwachsen. Das mächtige, ringsum sich ent- 
wickelnde Parenchym der dicken Magenwand, dass sich nach allen Richtungen aus- 
zudehnen strebt, scheint hierbei ganz mechanisch zu wirken, indem es die enge 
Magenhöhle comprimirt und schliesslich zur vollständigen Obliteration bringt. Der 
ganze Schwamm wird dadurch zu einem völlig massiven Klumpen, der auf dem 
Durchschnitt von engeren und weiteren verästelten Canälen unregelmässig durch- 
zogen erscheint (Taf. 37, Fig. 9B). Auch die weiteren, mit blossem Auge sicht- 
baren Canäle gelangen hier oft zur Obliteration, und dann erscheint der Schwamm 
auf jedem Durchschnitt als ein völlig massiver Körper (Taf. 21, Fig. 13). Natürlich 
sind alle diese magenlosen Spongien zugleich mundlos. Gewöhnlich geht der Ver- 
lust der Mundöffnung demjenigen der Magenhöhle voraus. Bisweilen obliterirt aber 
auch die Magenhöhle von ihrem aboralen Grunde aus, so dass die Mundöffnung 
erst zuletzt, am Ende dieses Verwachsungs-Processes verschwindet. 

Bei keiner einzigen Caleispongien-Art habe ich den Verlust der Magenhöhle 
constant gefunden. Vielmehr traf ich ihn unter allen den angeführten Leucon- 
Arten nur bei einzelnen Individuen, während andere Individuen eine mehr oder we- 
niger entwickelte Magenhöhle aufzuweisen hatten. Immer erschien dieselbe bei diesen 
Arten in Bezug auf Grösse sehr variabel. Alle Grade der schrittweisen Obliteration 
waren nachweisbar. Aus diesen Thatsachen geht hervor, dass die Magenhöhle 
bei den Leuconen wie bei der grossen Mehrzahl der übrigen Schwämme als ein 
rudimentäres Organ betrachtet werden muss. Ihre ursprüngliche nutritive 
Function, die sie bei allen Asconen beibehält, hat sie bei den Leuconen und Sy- 
conen mit dem Verlust des Geissel-Epithels aufgegeben. Bei den Syconen erscheint 
sie noch nothwendig als Wasser-Reservoir für die zahlreichen Wasserströme, welche 
sämmtlich centripetal, in radialer Richtung, gleichzeitig durch die Radial-Tuben 
einströmen; sie erhält sich desshalb auch hier constant. Bei den Leuconen da- 
gegen, wie bei den meisten übrigen Schwämmen, geschieht die Wassercirculation in 
den unregelmässig verästelten und anastomosirenden Astcanälen der Magenwand 
häufig ohne bestimmte Richtung und Ordnung; die Wasserströme, welche durch 
zahlreiche Hautporen in die feineren Astcanäle eintreten, finden hier ihren Ausweg 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 255 


. durch andere Asteanäle und andere Hautporen; die Magenhöhle wird dadurch auch 
als centrales Wasser-Reservoir überflüssig, sinkt zum bedeutungslosen rudimentären 
Organ herab, und kann nun leicht verloren gehen. Ganz ähnlich verhalten sich auch 
viele parasitische Würmer, vor allen die Cestoden und Acanthocephalen. Auch hier 
ist dem Verlust der Magenhöhle der Verlust ihrer Function vorausgegangen. An 
die Stelle der Ernährung durch die Magenhöhle ist die Ernährung durch die Haut 
getreten. Die magenführenden oder menogastrischen Schwämme verhalten sich zu 
den magenlosen oder lipogastrischen Spongien, wie die Trematoden zu den Cestoden. 


Die Gastral-Poren und Gastral-Östien. 


In der Gastralfläche aller Spongien, die eine Magenhöhle besitzen, liegt eine 
grosse Anzahl von kleineren oder grösseren, unbeständigen oder beständigen Löchern, 
durch welche das von aussen einströmende Wasser in die Magenhöhle tritt. Diese 
Löcher nenne ich Pori gastrales, wenn sie variabel und unbeständig; Ostia 
gastralia hingegen, wenn sie bleibende und beständige Organe sind. Doch ist 
zwischen beiderlei Oeffnungen keine scharfe Grenze zu ziehen. Die Gastral-Ostien 
sind aus den Gastral-Poren theilweise entstanden. Uebrigens verhalten sich die 
drei Familien der Kalkschwämme in Bezug auf die Bildung dieser Löcher, welche 
stets die inneren Mündungen der die Magenwand durchsetzenden Canäle bilden, 
ziemlich verschieden, wie schon aus der Verschiedenheit dieser Canäle gefolgert 
werden kann. Die Asconen besitzen stets nur Gastral-Poren, die Leuconen und 
Syconen dagegen meistens Gastral-Ostien. 

Die Gastral-Poren der Asconen (Taf. 1, Fig. 1p; Taf. 7, Fig. 2p, 5p) sind 
weiter Nichts als die inneren Mündungsränder ihrer einfachen Lochcanäle oder Poral- 
Tuben, deren äussere Mündungsränder auf der äusseren Oberfläche als Dermal-Poren 
figuriren. Da diese ganz kurzen und engen Canäle bei allen Asconen ganz einfache, 
unbeständige Organe sind, und da der Verschluss des „Haut-Porus“ eo ipso zugleich 
der Verschluss dieses selben „Magen-Porus“ ist, so haben wir hier demjenigen, was 
wir oben bereits über die „Lochcanäle“ der Asconen gesagt haben, Nichts weiter 
hinzuzufügen. Die Hautporen der Asconen sind zugleich ihre Magenporen. Der 
Verschluss und die Oeffnung beider geschieht durch eine und dieselbe Sarcodine- 
Lamelle des Syncytiums. 

Die Gastral-Oeffnungen der Leuconen sind zum grössten Theile constante 
Ostien, nur zum kleinsten Theile variable Poren; bei vielen Arten fehlen letztere 
ganz, es kommen nur Ostien bei ihnen vor. Diese sind fast bei allen Leuconen 
durch ihre unregelmässige Vertheilung und ungleiche Grösse auffallend. Fast immer 
münden auf der Gastralfläche sehr zahlreiche feine zwischen einer geringen Anzahl 
von gröberen und gröbsten Canälen aus. Daher sieht man schon mit blossem Auge 
eine geringe Anzahl von unregelmässig zerstreuten grossen Löchern, deren Durch- 


256 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


messer 1—2 Mm. übersteigen kann, und dazwischen eine grosse Anzahl von feineren 
und feinsten Löchern, die zum Theil erst unter dem Mikroskope sichtbar werden. 
Die Gastral-Ostien der Leuconen scheinen zum grössten Theile beständig offen zu 
bleiben und niemals geschlossen werden zu können. Nur in seltenen Fällen ist über 
einzelne Gastral-Ostien eine dünne Sarcodine-Lamelle ausgespannt, welche in ähn- 
licher Weise wie bei den Syconen zum zeitweiligen Verschluss dieser Oefinung be- 
stimmt erscheint. Dann können wohl auch, wenn die Mündung wieder geöffnet wird, 
statt eines einfachen Ostium zwei oder drei (selten mehr) vergängliche Löcher in 
der Verschluss-Lamelle auftreten, und somit das constante Gastral-Ostium durch 
mehrere variable Gastral-Poren ersetzt werden. Doch scheint dies nur sehr selten 
der Fall zu sein. Meistens sind die Gastral-Ostien der Leuconen länglich - rund, 
elliptisch oder oval, seltener kreisrund (vergl. Taf. 21, Fig. 8, 11—15; Taf. 35, Fig. B; 
Taf. 37, Fig. 1, 2, 5B; Taf.38, Fig. 1, 8, 10). 

Die Gastral-Ostien der Syconen sind ebenfalls gewöhnlich beständige Mün- 
dungen. In der Regel mündet jeder Radial-Tubus auf der inneren Magenfläche 
durch ein einziges Ostium. Da nun die Radial-Tuben bei allen Syconen ganz regel- 
mässig strobiloid angeordnet sind, so erscheinen auch ihre Gastral-Ostien ganz gleich- 
mässig und nach bestimmter Ordnung auf der Gastralfläche vertheilt. Meistens 
bilden 'sie parallele Reihen, welche schief gekreuzt verlaufen (vergl. Taf. 41, Fig. 1; 
Taf. 58, Fig. 2, 3); bisweilen bilden die Gastral-Ostien (in Folge besonderer Bildung 
des Gastral-Skelets) ausgesprochene Längsreihen (Taf. 44, Fig. 1; Taf. 59); seltener 
sind sie mehr oder weniger unregelmässig vertheilt (Taf. 49, Fig. 1; Taf. 58, Fig. 4). 

Die Gastral-Ostien der Syconen können, gleich den Gastral-Poren der Asconen, 
willkührlich verschlossen werden, indem der Sarcodine-Rand des runden Loches sich 
sphincterartig bis zum völligen Verschlusse contrahirt. Wenn dann nachher die 
Mündung sich wieder öffnet, so können auch bisweilen statt des einfachen Ostium 
zwei oder drei (selten mehr) Gastral-Poren in der dünnen Syncytium-Lamelle, 
welche die Schluss-Membran bildet, auftreten. Dies hat schon LiEBERKÜHN bei 
Sycandra eiliata beobachtet. Er sagt darüber '): Die Maschen der inneren Höhlen- 
fläche sind „überzogen von der contractilen Substanz, die von zahllosen kleinen 
Löchern durchbrochen ist, und zwar so, dass auf jede Masche eins, zwei, drei, auch 
vier Löcher fallen, je nach dem Contractionszustande; während der Beobachtung 
kann da, wo ursprünglich drei Oeffnungen waren, eine entstehen, und wo ursprüng- 
lich eine war, können drei erscheinen. Die eine Oefinung kann so klein sein, dass 
sie nur bei starker Vergrösserung des Mikroskops sichtbar wird, sie kann sich aber 
auch so erweitern, dass sie schon für die Lupe zugänglich wird und fast so gross 
wird wie die Masche selbst. Die Lage der contractilen Substanz ist eine sehr 
schwache, und bei geringer Veränderung des Focus bemerkt man, dass unter ihr 


1) Liegerkünn, Archiv f. Anat. Phys. 1865, p. 739. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 257 


Hohlräume befindlich sind.“ Im Ganzen kommt jedoch diese Bildung variabler 
Gastral-Poren an Stelle eines constanten Gastral-Ostiums bei den Syconen nicht häufig 
zur Beobachtung. Vielmehr ist meistens an der inneren Mündung jedes Tubus ein 
einziges rundes Loch zu erblicken, welches in verschiedenen Zuständen der Dila- 
tation, oder auch ganz geschlossen erscheint. 

Die Form dieser Gastral-Ostien ist meistens kreisrund, seltener länglich-rund, 
oval oder elliptisch (Taf. 46, Fig. 6; Taf. 47, Fig. 6, 8; Taf. 49, Fig. 2). Ihr Durch- 
messer in ausgedehntem Zustande beträgt meistens nur 0,1 —0,2 Mm., selten mehr, 
oft weniger; sie sind also viel kleiner als die grössten Gastral-Ostien der Leuconen, 
bleiben jedoch fast immer dem blossen Auge deutlich als feine Punkte sichtbar. 

Wenn man den langsamen Verschluss eines Gastral-Ostiums aufmerksam unter 
dem Mikroskope verfolgt, so sieht man, dass er ganz in derselben Weise, wie der 
Verschluss der Hautporen erfolgt. Die glatte Peripherie des runden Loches wird 
langsam enger und enger. Die Oefinung wird allmählig kleiner, bis sie endlich ganz 
verschwindet. Das Loch ist nunmehr durch eine dünne hyaline Sarcodine-Lamelle 
des Syneytiums verschlossen, welche Kerne, aber keine Spicula enthält. 

Wenn das Gastral-Ostium sich wieder öffnet, so erscheint in der Mitte ein ganz 
kleines rundes Loch, welches langsam grösser wird. Der runden Peripherie parallel 
zeigen sich feine concentrische Linien, welche für circulare Muskelfasern gehalten 
werden könnten, in der That aber nur zeitweilige Falten der Sarcodine - Lamelle 
sind. Die Kerne liegen mit ihrem Längsdurchmesser tangential zu diesen Falten 
(Taf. 48, Fig. 2, 4). 

Aus dem Vorhergehenden ergiebt sich, dass man die Gastralfläche der drei 
Familien der Kalkschwämme in der Regel schon mit blossen Augen unterscheiden 
kann. Die Gastralfläche der Asconen erscheint für das unbewaffnete Auge solid, 
undurchlöchert, weil ihre Gastral-Poren mikroskopisch fein sind. Die Gastralfläche 
der Leuconen ist fast immer unregelmässig von einzelnen grossen und vielen feinen 
Löchern, von sehr ungleicher Grösse, durchbohrt. Die Gastralfläche der Syconen 
ist dagegen gewöhnlich regelmässig von gleich grossen, in Reihen geordneten Löchern 
gitterförmig durchbrochen. 


Die Dermal-Poren und Dermal-Östien. 


Nach demselben Princip, nach welchem wir soeben an der Gastralfläche der 
Spongien die unbeständigen Gastral-Poren von den beständigen Gastral-Ostien unter- 
schieden haben, können wir auch allgemein an der Dermalfläche die inconstanten 
Dermal-Poren von den constanten Dermal-Ostien trennen. Die ersteren, 
die Poren, sind noch nicht constante Organe, sondern wechselnde Parenchym-Lücken, 
einfache Löcher, welche bald hier, bald dort entstehen und vergehen. Die letzteren, 
die Ostien, haben dagegen den Werth von constanten Organen; sie sind bleibende 

Haeckel, Kalkschwämme. I RZ 


258 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Canäle mit beständiger Wand, deren Oeffnung zwar beim Verschluss gänzlich ver- 
schwinden kann, aber bei der Wieder-Eröffnung an derselben Stelle sich bildet. So- 
wohl in der gastralen wie in der dermalen Fläche der Spongien ist die Zahl und 
Stellung der Poren variabel, die Zahl und Stellung der Ostien constant. An der 
Stelle, wo sich ein Porus geschlossen hat, können unmittelbar darauf zwei, drei oder 
noch mehr Löcher in der verschliessenden Sarcodine-Lamelle sich bilden; und nach- 
dem sich diese wieder geschlossen haben, kann abermals ein einfaches Loch er- 
scheinen. Bei den constant gewordenen Ostien ist dieser Wechsel nicht mehr mög- 
lich. Das Interessante ist aber, dass zwischen beiden Arten der Oeffnungen kein 
scharfer Unterschied existirt, und dass die Ostien phylogenetisch durch Befestigung 
ihrer Zahl und Stellung aus den variablen Poren entstanden sind. 

Die dermalen Ostien sind gewöhnlich grösser als die dermalen Poren. Letztere 
sind mit blossem Auge niemals sichtbar, höchstens von 0,02—.0,04 Mm. Durch- 
messer. Erstere sind dagegen oft (doch nicht immer!) mit blossem Auge sichtbar 
und erreichen einen Durchmesser von 0,05—0,2, bisweilen sogar über 0,3 Mm. Die 
Form der beiderlei Haut-Oefinungen ist ganz gleich, meistens kreisrund, seltener 
länglich oder unregelmässig rund. Auch in der Structur der Ränder und der Ver- 
schluss-Membrau existirt kein Unterschied. Letztere ist eine sehr dünne Sarcodine- 
Lamelle, welche Kerne, aber keine Spicula enthält. 

Der erste Naturforscher, welcher die Hautporen der Spongien entdeckte, GRANT, 
benannte nach ihnen die ganze Classe Porifera. Er hat aber, wie schon oben 
bemerkt wurde, als Poren an der Dermalfläche der Schwämme nur theilweise die 
echten, veränderlichen, mikroskopischen Dermal-Poren bezeichnet, theilweise auch 
permanente, mit blossem Auge sichtbare Gerüstlücken der Dermalfläche, oder dermale 
Oeffnungen von Intercanal- Räumen (Pseudoporen), welche nicht mit jenen ersteren 
verwechselt werden dürfen (vergl. oben p. 6, Anmerkung). Später hat namentlich 
LIEBERKÜHN die echten Dermal-Poren der Schwämme, ihr Entstehen und Vergehen, 
genauer beschrieben). Er fasst sie als variable, in Bezug auf Zahl und Lagerung 
unbeständige Löcher auf, ebenso wie die meisten folgenden Autoren. 

Dass neben diesen gewöhnlichen, variabeln, echten Hautporen bei einigen Spon- 
gien auch constante, nicht veränderliche Dermal-Poren, also eigentlich Ostien, sich 
finden, hat zuerst BOWERBANK behauptet?). Er sagt: „In Pachymatisma and 
Geodia, and in some other highly organized Genera, there is good reason to believe 
that the pores are permanent organs, opening and closing repeatedly in the 
same situations. But in the greater part of the Halichondroid types of Sponges 
they are certainly not permanent orifices, like the mouths of higher classes of 
animals, and in these sponges, when they are in a state of complete repose, there 


1) LIEBERKÜHN, Arch. f. Anat. Physiol. 1857, p. 381. 
2) BOWERBANK, Brit. Spong. Vol. I, 1864, p. 109. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 259 


is not the slightest indication of their existence.“ Ausführlicher hat sodann Oscar 
ScHmipr den Unterschied zwischen den veränderlichen und den constanten Poren 
erörtert. Veränderliche oder inconstante Poren, welche „an beliebigen 
Stellen der Oberfläche entstehen und verschwinden und mit blossen Augen nicht zu 
sehen sind“, nimmt er bei allen denjenigen Spongien an, „deren Oberfläche ganz 
oder theilweise von einer flüssigen Sarcode-Schicht gebildet wird“ (z. B. Euspongia, 
Reniera, Myxilla, Caminus). Stabile oder constante Poren, welche ihre 
Zahl und Stellung bleibend behalten und gewöhnlich mit blossem Auge gut sichtbar 
sind, findet er dagegen bei Acanthella und bei den Gummineen (Cortieinm, Chon- 
drilla, Gummina) ?). 

Unter den Kalkschwämmen finde ich veränderliche Dermal-Poren 
bei allen Asconen und bei der Mehrzahl der Leuconen und Syconen, constante 
Dermal-Ostien dagegen nur bei einer geringen Anzahl von Leuconen und Sy- 
conen. 

Die Dermal-Poren der Asconen sind weiter Nichts als die äusseren Mündungs- 
ränder ihrer einfachen Lochcanäle oder Poral-Tuben, deren innere Mündungsränder 
auf der inneren Gastralfläche als Gastral-Poren fungiren. Wie schon oben bemerkt, 
sind die einfachen Poral-Tuben aller Asconen eben dadurch characterisirt, dass sie 
gleichzeitig Dermal-Poren und Gastral-Poren sind. Ihre Form, ihr Entstehen und 
Vergehen, ist bereits oben beschrieben worden (p. 220—224). 

Die dermalen Oeffnungen des Gastrovascular-Systems bei den Leuconen sind 
zum weitaus grössten Theile inconstante Dermal-Poren. Die kurzen, mikro- 
skopischen Canälchen feinsten Calibers, welche an der Dermalfläche der Leuconen 
münden, können zeitweilig sich vollständig schliessen, indem die oberflächlichste 
Sarcodine-Schicht über der ganzen Dermalfläche einen zusammenhängenden Ueberzug 
bildet. Wenn sich dann aber wieder neue Oefinungen in derselben bilden, brauchen 
diese nicht an denselben Stellen und in derselben Anzahl, wie die früheren Haut- 
poren aufzutreten, sondern in verschiedener, wechselnder und unbestimmter Zahl 
und Anordnung. Sie verhalten sich also ganz wie die veränderlichen Dermal-Poren 
der Asconen und sind gleich diesen mit blossem Auge nicht sichtbar. 

Nur bei einer geringen Anzahl von Leuconen sind aus diesen inconstanten Poren 
stabile Dermal-Ostien entstanden, welche ihre constante Zahl und Ordnung 
beibehalten, und zum Theil schon mit blossem Auge gesehen werden können. Theils 
scheinen diese stabilen Ostien allein als „Einströmungslöcher“ zu fungiren; theils 
' scheinen daneben noch veränderliche Poren vorzukommen. Sie finden sich vorzüglich 
bei solchen Leucon-Arten, bei denen das Skelet der Dermalfläche aus sehr dicht 
und fest geordneten Nadeln zusammengesetzt ist, namentlich also bei denjenigen 
Species, deren Oberfläche nach Art eines Gypsgusses mit einer festen glatten Rinde, 


1) Oscar ScuMiprT, Adriat. Spong. Il. Supplem. 1866, p. 1, 2. 
17% 


260 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


aus Stäbchen-Mörtel zusammengesetzt, überzogen ist: Leucandra bomba (Taf. 38, 
Fig. 1, 2), L. stilifera, L. saccharata ete. Auch bei Leucetta trigona, L. pandora 
und einigen anderen Leucon-Arten scheinen stabile Dermal-Ostien an die Stelle der 
vergänglichen Hautporen getreten zu sein. Doch ist es sehr schwer, an todten Ob- 
jeeten mit Sicherheit zwischen diesen beiden, in einander übergehenden Bildungen 
zu unterscheiden, und sind noch weitere genauere Untersuchungen an lebenden Leu- 
conen erforderlich. 

Bei den Syconen endlich sind zwar die vergänglichen Hautporen die vorherr- 
schenden Oeffnungen der Dermalfläche. Daneben finden sich aber auch bei einigen 
Species wirkliche constante Dermal-Ostien; und bei einigen Arten dienen letztere 
allein zum Eintritt des Wassers und die veränderlichen Dermal-Poren sind ver- 
schwunden. Ausgehend von unserer phylogenetischen Anschauung, dass die einfache 
Sycon-Person ursprünglich als ein zusammengesetzter, durch strobiloide Knospung 
entstandener Ascon-Stock aufzufassen ist, werden wir schon von vornherein erwarten 
dürfen, dass sich die Dermal-Poren in den dünnwandigen Radial-Tuben nicht anders 
verhalten als bei den dünnwandigen Asconen. Wie jeder einzelne Radial-Tubus einer 
einfachen Olynthus-Person entspricht, und wie die feinere Structur der Wand in 
diesen beiden Formen ganz dieselbe ist, so wiederholen sich auch in beiden die 
variabeln Dermal-Poren. So ist es namentlich auf den ersten Blick sichtbar 
bei allen Syconen des Syconaga-Typus (p. 243), deren Radial-Tuben völlig frei ge- 
blieben und nicht mit einander verwachsen sind. Aber auch bei den Syconen des 
Syconopa-Typus (p. 244), wo die Radial-Tuben mit ihren Rändern oder Kanten ver- 
wachsen sind, zwischen sich aber die radialen Intercanäle lassen, sind die vergäng- 
lichen Dermal-Poren erhalten geblieben und münden hier zum Theil in die Inter- 
canäle, zum Theil aussen an der Dermalfläche. Wenn dagegen die Radial-Tuben mit 
ihren Flächen völlig verwachsen, so dass keine Intercanäle zwischen ihnen bleiben 
(Syconusa-Typus, p. 247), so verwandelt sich der grösste Theil der früheren Dermal- 
Poren nunmehr in die veränderlichen Conjunctiv-Poren, welche die gemeinsame 
dünne Scheidewand der verwachsenen Tuben durchbrechen und aus einer Tubus-Höhle 
in die andere, benachbarte führen. Die ursprünglichen Dermal-Poren bleiben hier 
nur an der freien dermalen Grundfläche der verwachsenen Tuben bestehen; sie können 
aber auch hier durch constante Gastral-Ostien ersetzt werden, wie solche sich bis- 
weilen auch bei den Syconen der beiden anderen Typen (Syconaga und Syconopa) 
neben den variabeln Dermal-Poren vorfinden. 

Die stabilen Dermal-Ostien der Syconen sind in vielen (wenn nicht in 
allen) Fällen eigenthümliche Organe, nicht morphologisch gleichwerthig den vorher 
beschriebenen Dermal-Ostien der Leuconen und der Kieselschwämme, und nicht gleich 
diesen aus variabeln Poren entstanden, sondern vielmehr ursprünglich homolog den 
Oscula, den wahren Mundöffnungen der Asconen. Wir finden nämlich bei den Sy- 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 261 


conen, welche sich durch den Besitz von stabilen Dermal-Ostien auszeichnen, deren 
immer nur ein einziges an jedem Radial-Tubus, und zwar genau am distalen Ende 
des Tubus, an der Spitze seines freien „Distal-Conus“, oder in dem Centrum seiner 
dermalen Grundfläche. So präsentirt sich das constante Dermal-Ostium an dem 
Distal-Ende der Tuben bei Sycetta primitiva (Taf. 41, Fig. 3—4s), welche zum 
Syconaga-Typus gehört; bei Sycetta strobilus (Taf. 42, Fig. 6d) und Sycetta cupula 
(Taf. 42, Fig. 10d), welche den Syconopa-Typus darstellen; und bei allen vier Syeilla- 
Arten (Taf. 43), bei Sycaltis perforata (Taf. 46, Fig. 9) und Sycandra ramosa 
(Taf. 55, Fig. 8), welche den Syconusa-Typus repräsentiren. Bei diesen letzteren 
Formen sind die Dermal-Ostien die einzigen Oefinungen, durch welche Wasser (vom 
Osculum abgesehen) in den Schwamm eintreten und austreten kann; bei den ersteren 
dagegen existiren, neben den stabilen Ostien am Distal-Ende der Tuben, auch noch 
die inconstanten Poren an ihren dermalen Seitenflächen. 

Erinnern wir uns nun an die Phylogenie der Syconen, aus welcher hervorgeht, 
dass die Radial-Tuben ursprünglich durch strobiloide Gemmation entstandene Olynthen 
sind, so werden wir jedes distale Dermal-Ostium als das ursprüngliche Osculum einer 
Olynthus-Knospe auffassen müssen. Vielleicht dürfen wir dann auch noch weiter 
gehen, und in consequenter Verfolgung dieser Anschauung den Syeurus mit 
Dermal-Ostien der Radial-Tuben als einen strobiloiden Soleniscus, den 
Syeurus ohne Dermal-Ostien der Radial-Tuben als einen strobiloiden Nar- 
dorus phylogenetisch deuten. Wenn diese Deutung, wie ich nicht zweifle, richtig 
ist, so entspricht zwar in beiden Fällen das Osculum des Sycurus dem Osculum des 
primitiven, knospentragenden Olynthus; im letzteren Falle aber ist dasselbe zugleich 
Coenostom für das Coenobium, während im ersteren Falle daneben noch die Oscula 
der secundären, durch die strobiloide Gemmation entstandenen Olynthen (d. h. die 
Dermal-Ostien der Tuben!) persistiren. Weiterhin würde dann auch eine Sycocystis 
mit Dermal-Ostien vielleicht als ein Soleniscus aufzufassen sein, der durch strobi- 
loide Gemmation von Olynthen auf einem Clistolynthus entstanden ist. Eine Syco- 
cystis ohne Dermal-Ostien hingegen würde einem strobiloiden Auloplegma homolog 
sein können. 


Die Mundöffnung (Osculum). 


Als Mundöffnung bezeichne ich bei den Kalkschwämmen, wie bei den Spon- 
gien überhaupt, diejenige Oeffnung, welche von Liegerkünn und von den meisten 
übrigen Autoren als „Ausströmungsloch“ oder „Ausflussöffnung“, auch wohl als „Aus- 
wurfsöffnung“ oder „Schornsteinmündung“ bezeichnet wird. Es ist das „Fecal Orifice* 
von GRANT, der „Mouth of cloaca“ von BOWERBANK, das „Osculum“ vieler Autoren. 
Indem ich diese Oefinung „Mundöffnung“ nenne, vindieire ich ihr eine ganz be- 
stimmte morphologische Bedeutung, und erkläre sie für homolog mit jener 


962 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Oeffnung, welche bei den meisten übrigen Thieren, und zunächst bei allen Nessel- 
thieren, allgemein als Mund bezeichnet wird. 

Dass das Osculum der Spongien der Mundöffnung der Nesselthiere zu vergleichen 
sei, hat zuerst LEUCKART, indem er die Asconen mit den Hydroid-Polypen verglich, 
mit folgenden Worten behauptet !): „Die Flimmerhöhle im Inneren der Grantien 
(= Asconen, H.) ist die Leibeshöhle, die an den Enden der die einzelnen Po- 
lypen repräsentirenden Zweige durch eine Mundöffnung nach aussen führt. Die 
Abwesenheit der Tentakel wird man gegen diese Deutung nicht geltend machen 
wollen, zumal dieselben ja auch schon bei den Siphonophoren und Ctenophoren 
fehlen. Selbst die functionelle Bedeutung als „Ausflussöffnung“ kann hier Nichts 
entscheiden, da die sogenannte Mundöffnung auch bei den übrigen Coelenteraten 
bekanntlich als Auswurfsöffnung vielfache Verwendung findet.“ Dieser letzteren Be- 
merkung muss ich hinzufügen, dass überhaupt niemals die functionelle Bedeutung, 
d.h. der physiologische Werth eines Organes für die morphologische Deu- 
tung desselben entscheidend ist. Im Gegentheil dient erstere oft nur dazu, um die 
letztere zu verdecken. 

Nachher hat MixtLucnHo, gestützt auf die Beobachtung seiner Guancha blanca 
— Ascetta blanca, H.) den Vergleich des Osculum der Spongien mit der Mundöft- 
nung der Nesselthiere weiter ausgeführt, und besonders dadurch zu motiviren gesucht, 
dass auch bei den Spongien durch diese sogenannte „Ausströmungsöffnung“ das 
Wasser nicht nur ausströmen, sondern auch einströmen kann ?). Zwei Jahre später ®) 
hat allerdings MıxLucHo diese richtige Vergleichung selbst wieder aufgehoben, indem 
er nun „durch directe Versuche zum Schluss gekommen ist, dass die Poren der 
Schwämme nicht bloss eine physiologisch gleichartige Function mit den Mundöffnungen 
(Oscula) besitzen, sondern auch den Osculis morphologisch gleichartige Bildungen 
repräsentiren; d.h. die Poren der Schwämme sind den Osculis homotyp (allgemein 
homolog), und die letzteren (Oscula) entstehen bei einigen Schwämmen durch Ver- 
einigung der ersteren (Poren) oder durch die Ausbildung einer Pore. Diese Centrali- 
sation führt allmählich zur Bildung einer verdauenden Cavität, die aber auch auf eine 
andere Weise entstehen kann.“ In diesen unbegreiflichen Sätzen ist geradezu Alles 
falsch, und wenn MiktLucnHo glaubt, dass dieselben „von fundamentaler Bedeutung für 
das Verständniss der Organisation der Schwämme, namentlich ihres Gastrovascular- 
Apparates sind“, so bedaure ich umgekehrt behaupten zu müssen, dass dieselben von 
gar keiner Bedeutung sind, und nur beweisen, dass der Verfasser seine frühere gute 


1) LEUCKART, Jahresbericht. Archiv f. Naturg. 1866, Bd. II, p. 196. 

2) MıkLucHo, Ueber den coelenterischen Apparat der Schwämme. ‚Jenaische Zeitschr. f. Med. u. 
Naturw. IV. Bd., 1868, p. 232. 

3) MıxrucHo, Ueber einige Schwämme ete. Mem. de l’Acad. de S. Petersbourg. Tome XV, 
1870, p. 3. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 269 


Orientirung in der Morphologie der Spongien völlig verloren hat. Aus meiner vorher- 
gehenden Darstellung wird der Leser zur Genüge gesehen haben, dass die Hautporen 
der Schwämme zu ihrem Oseulum absolut gar keine morphologische Beziehung be- 
sitzen. Das Osculum ist die primäre, einfache, schon bei der Flimmerlarve der 
Spongien oder doch in ihren späteren Jugendzuständen frühzeitig auftretende Oefl- 
nung der primitiven Magenhöhle, ebenso wie bei den Larven und Jugendformen der 
Nesselthiere entstanden, und von gleicher morphologischer Bedeutung. Die Haut- 
poren dagegen sind secundär auftretende Parenchym-Lücken der Magenwand, die nie- 
mals zu einem wahren Osculum werden können. Die grösseren und constanten 
äusseren Oeffnungen, welche nach Mıxtucno bei einigen Schwämmen entweder durch 
„Vereinigung von Poren (Centralisation) oder durch die Ausbildung einer Pore“ ent- 
stehen können, sind nicht wahre Oscula, sondern stabile Dermal-Ostien (vergl. 
unten im fünften Kapitel die Bemerkung über Gemmulation). 

Die Homologie des Osculum der Spongien mit der Mundöffnung der 
Nesselthiere wird sich aus der später zu erörternden Ontogenie von selbst er- 
geben, und da ich auch ausserdem diese sehr wichtige Homologie im vierten Abschnitt 
noch mehrfach zu erörtern habe, gehe ich hier sogleich zur anatomischen Beschrei- 
bung des Verhaltens über, welches jene Oeffnung bei den Kalkschwämmen darbietet. 
Hier ist nun zunächst anzuführen, dass bei den Kalkschwämmen ebenso wie bei den 
übrigen Spongien die Mundöffnung nicht selten an dem ausgebildeten Schwamme 
gänzlich vermisst wird. Wir werden die Verhältnisse dieser Lipostomie oder Asto- 
mie nachher besonders betrachten. Bei der grossen Mehrzahl der Kalkschwämme ist 
dagegen das Osculum gewöhnlich leicht zu finden. Jede Magenhöhle hat ursprünglich 
ihre eigene Mundöffnung. Bei den zusammengesetzten Stöcken der Caleispongien tritt 
jedoch sehr häufig eine Reduction der Mundöffnungen ein, indem sie gruppenweise 
verschmelzen, so dass viele Magenhöhlen zusammen nur wenige, oder selbst nur eine 
einzige gemeinsame Mundöffnung erhalten. Auch diese eigenthümlichen Verhältnisse 
sollen nachher besonders erörtert werden, da dieselben in dem künstlichen System der 
Kalkschwämme eine grosse Rolle spielen. 

Die Grösse des Osculum ist im Allgemeinen abhängig sowohl von der Form und 
Grösse der Person bei den verschiedenen Species, als von der Weite ihrer Magen- 
öffnung. Bei den dünnwandigen Asconen ist die Mundöffnung sehr oft nicht enger 
oder nur wenig enger, als das Magenrohr, so namentlich bei den cylinarischen Röhren; 
wogegen bei den eiförmigen oder spindelförmigen Personen der Durchmesser des 
Osculum natürlich bedeutend kleiner ist, als derjenige des Magens. Der erstere be- 
trägt hier oft nur 0,1—0,3 Mm., während er bei den grösseren Personen 0,5—0,8, oft 
über 1, seltener über 2 Mm. beträgt. Bei den diekwandigen Leuconen ist die 
Mundöffnung gewöhnlich viel enger als die erweiterte Magenhöhle. Ihr Durchmesser 
erreicht hier meistens 1—2 Mm., selten weniger, oft mehr: 3—5 Mm. und darüber, 


264 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Auch bei den Syconen beträgt der Durchmesser der Mundöffnung meistens 1—2 Mm., 
selten mehr, bisweilen weniger. 

Die Form der Mundöffnung bietet bei den Kalkschwämmen viel auffallendere 
Verschiedenheiten als bei den übrigen Schwämmen dar, und ist daher auch vielfach 
zur systematischen Scheidung nicht allein der Arten, sondern auch der Gattungen be- 
nutzt worden. Den grössten Werth hat hierauf O. Scumipr gelegt, welcher allein in 
der Familie der Syconen vier verschiedene Genera nach der Form des Mundes unter- 
scheidet, und diese mit folgenden Worten characterisirt: „Ute: Das Osculum ist 
weder mit einem Strahlenkranze umgeben, noch am Ende eines dünnhäutigen Schorn- 
steines. Dunstervillia: Osculum mit einer aufrechten und einer zweiten, fast hori- 
zontalen Strahlenkrone. Sycon: Osculum nur mit einer einfachen Strahlenkrone. 
Syeonella: Osculum ohne Strahlenkrone, aber am Ende eines dünnhäutigen, schorn- 
steinartigen Aufsatzes“ !). Ebenso unterscheidet Schmwr unter den Leuconen seine 
Gattung Syeinula (mit Strahlenkrone) von Lexconia (mit einfachen, nackten Oscula). 
Ich selbst habe dieses Classifications-Prineip im Prodromus angewendet und im künst- 
lichen System des zweiten Bandes consequent durchgeführt. Ich unterscheide dem- 
nach allgemein (in allen drei Familien der Kalkschwämme) eine dreifach verschiedene 
Bildung der Mundöffnung, nämlich 1) Osculum nackt (einfach, ohne Rüssel und 
ohne Nadelkranz). 2) Osculum rüsselförmig (in eine dünne schornsteinartige 
Röhre verlängert, ohne Nadelkranz). 3) Osculum bekränzt (von einem frei vor- 
ragenden Nadelkranze oder einer Strahlenkrone umgeben. Die Personen der ersten 
Kategorie nenne ich nacktmündig, diejenigen der zweiten rüsselmündig, die- 
jenigen der dritten kranzmündig. 

Unter den 289 Arten von Kalkschwämmen, welche ich im künstlichen System 
des zweiten Bandes aufführe, befinden sich 63 Arten ohne Mundöffnung (lipostome 
Formen); 212 Species mit Mundöffnung. Unter diesen letzteren ist bei 136 Arten 
das Osculum nackt, bei 36 Arten rüsselförmig und bei 40 Arten bekränzt. 
14 Species (Metrograntien) werden durch solche Stöcke gebildet, bei denen die con- 
stituirenden Personen mit verschiedenartiger Mundform versehen, theils nacktmündig, 
theils rüsselmündig, theils kranzmündig sind. 

Die nackte Mundöffnung (Osculum nudum) ist die bei weitem häufigste und 
die ursprüngliche Form der Mundöffnung bei den Kalkschwämmen. Gewöhnlich ist 
dieselbe ein kreisrundes Loch mit glattem scharfen Rande, an dem der Anheftungs- 
stelle des Schwammes (dem Aboral-Pol) entgegengesetzten Ende der Längsaxe (z. B. 
Taf.1, Fig. 10; Taf.26, Fig. o; Taf. 49, Fig. 1). Bei denjenigen Arten, deren Körper 
blattförmig comprimirt, und deren Magenhöhle daher taschenförmig ist, bildet die 
nackte Mundöffnung einen schmalen Querspalt (z. B. Ascandra sertnlaria, Taf. 17, 
Fig. 5; Leucandra lunulata, Taf. 37, Fig. 1; Sycandra compressa, Taf. 57). 


1) 0. Scumipr, Algier. Spong. 1868, p. 29. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 265 


Die rüsselförmige Mundöffnung (Osculum proboseideum) entspricht dem 
„Schornstein oder Camimus“ vieler Autoren, dem „dünnhäutigen, schornsteinartigen 
Aufsatz“ von Scumipr. Derselbe erscheint stets als ein farbloser und durchsich- 
tiger, sehr dünnwandiger und zarter Schlauch, von regulär cylindrischer Gestalt. 
Meistens ist er 2—3mal, oft aber auch 5—10mal so lang als dick. Bei den As- 
eonen ist die zarte Wand des cylindrischen Rüssels eine unmittelbare Fortsetzung 
der dünnen Syneytium-Lamelle des Exoderms, und daher nur wenig dünner als die 
Magenwand der Ascon-Person (Taf. 11, Fig. 1; Taf. 17, Fig. 2, 6, 9, 12). Bei den 
Leuconen und Syconen dagegen ist der Rüssel stets viel dünner als die verdickte 
Magenwand und setzt sich gewöhnlich scharf von dieser ab (Taf. 37, Fig. 5A, 5B, 6; 
Taf. 58, Fig. 2, 6). Der durchsichtige zarte Schlauch des Rüssels erscheint hier wie 
ein eylindrisches Ascon-Röhrchen, das auf die Mundöffnung des Leucon oder Sycon 
aufgesetzt ist. Seine Structur ist sehr einfach. Die zarte Wand des Rüssels besteht 
aus einer sehr dünnen Syncytium-Lamelle des Exoderm, welche durch ein feines, 
meistens besonders differenzirtes „‚Rüssel-Skelet“ gestützt wird. Das Entoderm fehlt 
an der Innenfläche des Rüssels vollständig. 

Die kranzförmige Mundöffnung (Osculum coronatum), der Nadelkranz 
oder die „Strahlenkrone“ der Autoren, besteht in allen Fällen aus einem Kranze 
von sehr zahlreichen, äusserst feinen und langen Stabnadeln. Diese stehen sämmt- 
lich longitudinal, der Längsaxe des Körpers parallel, dieht neben einander, und sind 
nur an ihrem kürzeren basalen Theile durch eine dünne Sarcodine-Lamelle des Syn- 
cytium mit einander verbunden, in ihrem längeren apicalen Theile völlig frei. Sie 
bilden zusammen eine Röhre, welche meistens cylindrisch, häufig aber auch trichter- 
förmig nach oben hin erweitert, seltener kegelförmig nach oben verengt ist (vergl. 
Taf. 17, Fig. 3, 7, 10, 13; Taf. 35, Fig. 3, 7; Taf. 50, Fig. 1). In Folge von Con- 
traction des Synceytium an der Basis der Nadelkrone können die Nadeln ihre Stel- 
lung etwas verändern und somit jene verschiedenen Formen der Kranzröhre in ein- 
ander übergehen. In der Regel besteht der Peristom-Kranz eigentlich aus zwei 
verschiedenen und scharf abgegrenzten Theilen, nämlich aus dem basalen oder Hals- 
theil (Pars eollaris) und aus dem freien oder Wimpertheil (Pars eiliaris). Der 
basale Theil oder das Collare ist in seiner Structur meistens nicht von dem vorher 
beschriebenen Rüssel verschieden, und wird gewöhnlich gleich diesem durch ein be- 
sonderes Skelet, einen Palisaden-Kranz von stärkeren Stabnadeln mit einer inneren 
Auskleidung von Vierstrahlern und häufig auch Dreistrahlern gestützt. Der freie 
Theil oder die eigentliche Nadelkrone besteht immer nur aus sehr feinen und langen 
Stabnadeln, welche in einem oder mehreren Kreisen dicht neben einander stehen, 
aber nicht durch das Syneytium des Exoderm mehr zusammenhängen. Die Grenze 
zwischen diesen beiden Theilen der Peristom-Krone ist ganz scharf (Taf. 59b), weil 
das Syncytium, welches das Collare (ce) stützt und die Schenkel der Dreistrahler 


266 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


und Vierstrahler verbindet, an dem Uebergange in den bloss aus feinen Stricknadeln 
gebildeten Ciliar-Theil (Taf. 59a) plötzlich aufhört (vergl. auch Taf. 58, Fig. 5). 

Der eigenthümliche Glanz und der seidenartige Schimmer oder das „asbest- 
artige“ Aussehen, durch welches sich die gut entwickelte Strahlenkrone der kranz- 
mündigen Kalkschwämme auszeichnet, ist vielen Autoren besonders aufgefallen, und 
sie haben daher bei der Unterscheidung der Gattungen und Arten auf diese Bildung 
ein grosses Gewicht gelegt. Eine Menge von ganz verschiedenen Kalkschwamm-Arten, 
sowohl Leuconen als Syconen, sind bloss dieses Kranzes wegen für Grantia coronata 
oder Sycon eiliatum ausgegeben worden. Ich werde aber im zweiten Bande zeigen, 
dass erstens eine solche Peristom-Krone bei den allerverschiedensten Arten von Asco- 
nen, Leuconen und Syconen vorkommen kann, und dass sie zweitens innerhalb einer 
und derselben natürlichen Art keineswegs constant ist. 

Bei einigen wenigen Sycon-Arten, nämlich bei Syeyssa Hu.xleyi (Taf. 44, Fig. 1), 
bei Sycandra Humboldtii und bei Sycandra eleyans (Taf. 58, Fig. 5), findet sich an 
der Basis der verticalen Peristom-Krone noch eine zweite horizontale Nadelkrone, 
welche die erstere wie ein Kragen umgiebt. Durch diesen doppelten Mundkranz 
erhalten allerdings die betreffenden Syconen einen sehr eigenthümlichen äusseren 
Habitus und O. Scnmipr hat dadurch das Genus Dimstervillia characterisirt (l. c. 
p. 29). Indessen ist diese zweite, horizontale Krone, welche bloss aus dicht ge- 
drängten, sehr langen und feinen Stabnadeln besteht, bei einer und derselben Art 
bald sehr stark, bald mittelmässig, bald kaum merklich oder selbst gar nicht ent- 
wickelt, und überhaupt so variabel, dass darauf nicht das mindeste Gewicht zu 
legen ist. 


Die Mundhaut (Membrana oscularis). 


Der Verschluss des geöffneten Mundes, welcher bei allen mündigen Spongien 
unter gewissen Umständen zeitweise einzutreten scheint, geschieht nicht bei allen 
Kalkschwämmen in derselben Weise. Bei allen denjenigen Caleispongien, deren Mund- 
öffnung nackt und zugleich von einer sehr dünnen und dehnbaren Syneytium-Lamelle 
umgeben ist, erfolgt der Verschluss derselben ganz einfach durch eine ringförmige 
Contraction in dieser zarten contractilen Lamelle; ganz ähnlich wie bei den Schliess- 
muskeln eder Sphineteren höherer Thiere. Die in der Mitte des contractilen Ringes 
gelegene Oefinung wird dabei immer kleiner und verschwindet endlich, indem die 
Ränder zusammenfliessen. An dem geschlossenen Munde ist keine Spur der früheren 
Oeffnung mehr sichtbar. In der durchsichtigen structurlosen Sarcodine-Lamelle des 
Syncytium, welche den Verschluss bewirkt, sind oft sehr zarte concentrische Ring- 
linien zu bemerken, und die Kerne des Syneytium liegen mit ihrer Längsaxe diesen 
Ringlinien parallel oder tangential. Ebenso wie bei den ganz ähnlichen Verschluss- 
membranen der Gastral-Ostien und der Dermal-Ostien sind diese concentrischen 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 267 


Ringlinien bloss als Falten oder Contractions-Zustände, nicht etwa als Ausdruck einer 
Zusammensetzung aus „Muskelfasern“ zu deuten. Wenn der Mund sich wieder öffnet, 
entsteht in der Mitte plötzlich ein kleines Loch, welches langsam grösser wird. Der 
eontractile Rand desselben wird dabei immer schmäler und endlich ist er wieder auf 
den früheren Umfang redueirt. In dieser einfachen Weise erfolgt der Verschluss des 
Osculum bei den nacktmündigen Asconen und wahrscheinlich auch bei vielen nackt- 
mündigen Leuconen und Syconen. 

Auf andere Weise erfolgt der Verschluss des Osculum bei den rüsselmündigen 
und kranzmündigen Caleispongien, wahrscheinlich in allen drei Familien. Hier bildet 
sich nämlich aus dem Syncytium des Exoderm eine besondere Verschlusshaut, welche 
ich Mundhaut oder Öscular-Membran nennen will. Diese ist meines Wissens 
bisher noch nicht beobachtet worden und kann auch wirklich sehr leicht übersehen 
werden. Ich habe dieselbe zwar nur bei einer geringen Anzahl von rüsselmündigen 
und kranzmündigen Kalkschwämmen beobachtet, möchte aber doch annehmen, dass 
sie gewöhnlich oder immer mit dem Osculum proboscideum und mit dem Osculum 
eoronatıum verbunden ist, wenigstens bei den Syconen und Leuconen; bei den As- 
conen ist mir ihre Existenz überhaupt noch zweifelhaft. 

Die Oscular-Membran ist eine dünne, keine Spicula enthaltende Lamelle des 
Syneytium, welche inwendig von der Basis (dem aboralen oder unteren Rande) 
des Rüssels oder des Peristom-Kranzes ausgeht. Bei weit geöffnetem Mundcanal 
wird sie (durch Retraction in das Exoderm) entweder ganz unsichtbar oder bleibt 
bloss als ein ganz schmaler Ring stehen. Bei völlig geschlossenem Mundcanal hin- 
gegen bildet sie eine sehr zarte transversale Scheidewand, welche senkrecht auf der 
Längsaxe des Magens steht und die Magenhöhle völlig von dem Hohlraum des Rüs- 
sels oder des Peristom-Kranzes abschliesst. Wenn sich diese Mundhaut öffnet oder 
schliesst, verhält sie sich ganz ebenso wie die einfache Verschluss- Membran der 
nacktmündigen Caleispongien. Das Volum der Rüssel-Röhre oder des Peristom- 
Kranzes bleibt dabei aber gewöhnlich unverändert. 


Mund-Verlust oder Lipostomie. 


Während die Mehrzahl der Kalkschwämme, wie der übrigen Spongien, deutliche 
Mundöffnungen oder Oscula in Einzahl oder Mehrzahl besitzt, sucht man bei vielen 
entwickelten und reifen Spongien ganz vergeblich nach solchen. Diese interessante 
und morphologisch wie physiologisch bedeutungsvolle Thatsache ist bisher von den 
Autoren fast gar nicht berücksichtigt worden. Erst in seiner letzten Arbeit über 
die atlantischen Spongien (1570, p. 10) hat ©. Schmivr die Aufmerksamkeit darauf 
hingelenkt. Er stellt hier die sehr wichtige Behauptung auf, dass diese Mundlosig- 
keit oder Astomie bei einigen „guten“ oder natürlichen Species von Kieselschwämmen 
(z. B. Geodia gibberosa, Polymastia mamillaris, Rhizochalina oleracea) eine con- 


268 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


stante, bei anderen dagegen eine zufällige oder gelegentliche sei (z. B. Suberites 
domuncula, Corticium eandelabrum), und dass wieder bei anderen Arten die jungen 
Formen mit Mundöffnung versehen, die alten mundlos seien (Holtenia Pourtalesi, 
Sycandra utrieulus). Ich kann diese Behauptung durchaus bestätigen und mit einer 
Masse von Beispielen bei den Kalkschwämmen belegen. Auch fasse ich, wie SCHMIDT, 
diesen secundären Verlust der Mundöffnung als „eine Anpassung an innere Organi- 
sations-Verhältnisse auf, deren Inslebentreten allerdings wieder von gewissen äusseren 
Zufälligkeiten abhängt“. 

Unter den Kalkschwämmen findet sich in allen drei natürlichen Familien die 
Lipostomie so häufig, dass unter den 289 Arten des künstlichen Systems sich nicht 
weniger als 63 mundlose Species finden. Trotzdem hat merkwürdiger Weise fast 
Niemand dergleichen mundlose Kalkschwämme erwähnt. Eine Ausnahme macht nur 
O0. ScHamipt, welcher die Astomie von Syeandra utrienlus beschreibt (Atlant. Spong. 
p. 75, Taf. II, Fig. 27d) und auch bei Ascetta clathrus keine Oscula finden konnte 
(Adriat. Spong. II. Supplem. p. 8). Unter den 63 von mir beobachteten lipostomen 
Caleispongien befinden sich 29 mundlose solitäre Personen und 34 mundlose Stöcke. 
Fast die Hälfte dieser Formen, nämlich 30 Arten, kommen auf die Familie der 
Asconen, wo offenbar die Lipostomie bei weitem am häufigsten ist. Sie findet sich 
hier bei 10 solitären Asconen (Clistolynthus) und bei 20 socialen Asconen (Aulo- 
plegma). Nächstdem ist der Mundverlust am häufigsten bei den Leuconen zu 
treffen, unter denen sich 25 lipostome Formen finden, und zwar 14 solitäre (Liposto- 
mella), 11 sociale (Sphroceras). Am seltensten ist die Lipostomie bei den Sy- 
conen, unter welchen ich im Ganzen nur 8 mundlose Formen gefunden habe, und 
zwar 5 solitäre (Sycocystis) und 3 sociale (Sycophyllum). 

Bei mehreren Kalkschwämmen vererbt sich die Lipostomie offenbar so constant, 
dass sie für einzelne natürliche Arten ganz characteristisch ist. Dies gilt besonders 
von den Asconen. So habe ich namentlich bei zwei gut characterisirten Ascon- 
Arten, von denen ich auf der dalmatischen Insel Lesina Hunderte von Exemplaren 
gesammelt und untersucht habe, ausnahmslos nur mundlose Stöcke (Auloplegma) 
gefunden (Ascetta elathrus, Taf. 4, Fig. 1—3; und Ascaltis cerebrum, Taf. 8, Fig. 
4—135). Auch bei Ascelta flexilis, Ascaltis canariensis, 4Iscaltis Lamarckü und 
einigen anderen natürlichen Ascon-Arten habe ich constant nur mundlose Stöcke be- 
obachtet; doch habe ich diese letzteren Arten in viel weniger zahlreichen Exemplaren 
als die beiden erstgenannten untersucht. Anderseits giebt es unter den Asconen 
viele Arten, bei welchen mundlose Personen (Clistolynthxs) und mundlose Stöcke 
(Auloplegma) nicht constant, sondern „gelegentlich oder zufällig“ neben anderen, 
mit Mundöffnung versehenen Repräsentanten der Species vorkommen. Als solche 
sind zu nennen Ascelta primordialis (Taf. 2, Fig. S—16), Ascetta coriacea (Taf. 3, 
Fig. 27— 33), Ascaltis Gegenbauri, Ascandra reticulum (Taf. 20, Fig. 15 —20), 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 269 


Ascandra variabilis (Taf. 18, Fig. 13—15) und noch mehrere Andere. Bei einigen 
von diesen Arten sind die mundlosen, bei anderen dagegen die mündigen Formen 
häufiger. Viele von diesen mundlosen Ascon-Stöcken bilden Pseudostomata, ein- 
zelne auch ausgezeichnete Pseudogaster-Höhlen, welche nachher beim Intercanal- 
System besprochen werden sollen. Ob es auch natürliche Ascon-Arten giebt, welche 
constant nur mundlose solitäre Personen (Clistolynthus) bilden, ist mir zweifelhaft. 
Vielleicht gehört dahin Clistolynthus vesicula (System, p. 41). 

Unter den Leuconen scheint es nur wenige Arten zu geben, bei denen die 
Lipostomie sich constant vererbt. Unter diesen ist besonders Leuecaltis erustacea 
hervorzuheben, welche sowohl mundlose Personen (Lipostomella) als mundlose Stöcke 
(Aphroceras) bildet. Auch Lexeilla capsula scheint stets mundlos zu sein (Taf. 24, 
Fig. 1). Die meisten lipostomen Formen unter den Leuconen aber gehören solchen 
natürlichen Arten an, welche ausserdem auch mündige Formen bilden. Auch hier, 
wie bei den entsprechenden Ascon-Arten, sind bald die mündigen, bald die mund- 
losen Formen häufiger. Ziemlich gleich häufig scheint der Mundverlust bei den 
Leuconen die solitären Personen und die socialen Stöcke zu treffen. Erstere Form 
(Lipostomella) findet sich häufig z. B. bei Leucetta primigenia (Taf. 21, Fig. 2, 12, 
13), Leucandra nivea, seltener bei Leucaltis solida, Leucaltis floridana (Taf. 26, 
Fig. 5), Leucandra aspera (Taf. 55, Fig. 4), Leucandra saccharata (Taf. 38, Fig. 9, 
10) und einigen anderen Arten. Die mundlose Stockform (Aphroceras) ist häufig 
zu beobachten bei Leucetta primigenia (Taf. 21, Fig. 6, 15) und Leucandra nivea, 
seltener bei Leucaltis solida, Leucandra aspera (Taf. 35, Fig. 8), Leucandra sac- 
charata (Taf. 38, Fig. 12) und einigen Anderen; in sehr ausgezeichneter, Auloplegma 
ähnlicher Form bei Leuceita corticata (Taf. 22, Fig. 4). 

Unter den Syconen, bei denen überhaupt die Lipostomie nur sehr selten vor- 
kömmt, scheint sie sich niemals constant innerhalb einer natürlichen Species zu ver- 
erben. Allerdings habe ich von Sycortis lingua nur mundlose Personen (Sycoeystis) 
und von Sycandra ramosa nur mundlose Stöcke (,Sycophylium) gesehen. Allein von 
der ersteren Art konnte ich nur drei, von der letzteren nur zwei Exemplare unter- 
suchen. Diese Zahl ist zu gering, um darauf einen Schluss auf die Constanz der 
Lipostomie bei diesen beiden Arten zu begründen. Alle anderen lipostomen Sycon- 
Formen fand ich nur als Ausnahme bei solchen Arten, welche gewöhnlich mündige 
Personen oder Stöcke bildeten. So beobachtete ich mundlose Personen als seltene 
Ausnahme bei Sycorlis quadrangulata, Sycandıa ciliata, $8. compressa (Taf. 57, 
Fig. 7, 8) und 8. utrieulus (Taf. 58, Fig. 4). Mundlose Sycon-Stöcke (Sycophyllum) 
sind äusserst selten. Ausser den beiden angeführten Exemplaren von Sycandra ra- 
mosa (Taf. 53, Fig. 3) habe ich nur ein paar Beispiele davon (unter vielen Hundert 
mündigen Exemplaren) bei Sycandra eiliata und S. compressa gesehen (Taf. 57, 
Fig. 21, 22). 


270 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Die Lipostomie der Kalkschwämme, wie der Spongien überhaupt, halte ich in- 
sofern für durch Anpassung erworben (nicht ursprünglich!), als ich die ur- 
sprüngliche Stammform aller Spongien für eine mit Mundöffnung versehene Person 
halte. Allerdings ist nun im Laufe der Zeit die durch Anpassung entstandene Lipo- 
stomie bei einigen Kalkschwämmen, insbesondere bei den angeführten Asconen (Ascetta 
clathrus, Ascaltis cerebrum ete.), und ebenso wohl auch bei vielen Kieselschwämmen, 
durch Vererbung so constant geworden, dass sie gegenwärtig ontogenetisch als 
eine ursprüngliche erscheint. Allein trotzdem halte ich dieselbe phylogenetisch 
für erworben, durch Anpassung secundär entstanden. 

In vielen Fällen lässt sich der Mundverlust noch jetzt im Laufe der Ontogenese 
nachweisen. So führt namentlich O. Schmipr von Holtenia Pourtalesii an, dass die 
jungen Exemplare noch die Mundöffnung besitzen, welche die älteren verloren haben. 
Dasselbe ist bei Sycandra utrienlus und S. compressa nachzuweisen. Daraus scheint 
sich mit ziemlicher Sicherheit der Schluss zu ergeben, dass die Abwesenheit des 
Osculum bei allen mundlosen Spongien nicht ursprünglich, sondern secundär durch 
Anpassung erworben ist, dass mithin hier kein primärer Mund-Mangel (Asto- 
mia), sondern ein secundärer Mund-Verlust (Lipostomia) vorliegt. 

Die zugewachsene Stelle der früheren Mundöffnung ist bei vielen Spongien auch 
späterhin noch leicht zu erkennen. Bei Euplectella speciosa ist dieselbe durch eine 
zierliche Siebplatte, bei Geodia yibberosa und anderen Kieselschwämmen durch ein 
ähnliches gröberes oder feineres Sieb (oder ein „umwalltes Porenfeld“, wie SCHMIDT 
es nennt) verschlossen. Bei den lipostomen Kalkschwämmen ist bisweilen die ge- 
schlossen bleibende dünne Mundhaut oder Oscular-Membran die Ursache des Ver- 
schlusses; gewöhnlich aber verdickt sich dieselbe oder es wächst die Magenwand in 
ihrer ganzen Dicke über der Mundöffnung zusammen. 


Gastrocanal-System der Cormen. 


Das Gastrocanal-System der Stöcke verhält sich zu demjenigen der solitären Per- 
sonen bei den Kalkschwämmen im Allgemeinen ganz ähnlich wie bei den übrigen 
Pflanzenthieren. Die Höhlungen aller Personen, welche den Stock zusammensetzen, 
stehen mit einander direct oder indirect in Communication. An dem Aboral-Pole 
jeder Person besitzt ihre Magenhöhle eine Oeffnung, welche in die Magenhöhle einer 
anderen Person oder in die gemeinsame Höhlung des Cormus-Stammes hinüberführt. 

Die Asconen verhalten sich in dieser Beziehung ganz ähnlich wie die Hydroid- 
Polypen. Zunächst sind hier diejenigen Ascon-Stöcke in Betracht zu ziehen, deren 
baumförmig verzweigte Aeste nicht anastomosiren, und bei denen jede Person des 
Stockes ihre eigene Mundöffnung besitzt. Es sind das diejenigen Formen, welche das 
künstliche System als Soleniscida bezeichnet (Soleniscus, Solenula, Solenidium). 
Ausgezeichnete Stöcke dieser Art, welche gewissen Hydroiden-Stöcken auffallend ähn- 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 71 


lich sind, bilden namentlich Aseilla gracilis (Taf. 6, Fig. 3), Ascortis Fabrieü (Taf. 11, 
Fig. 3), Ascandra sertularia (Taf. 17, Fig. 5), Ascandra nitida (Taf. 17, Fig. 7), As- 
candra variabilis (Taf. 18, Fig. 6—9) und Ascandra pinus (Taf. 19). Die Aehnlich- 
keit dieser und vieler anderer Ascon-Stöcke mit vielen Hydroiden-Stöcken, mit Sertu- 
larien, Campanularien, Tubularien ete. ist überraschend gross, und würde vollständig 
sein, wenn jede Person an ihrer Mundöffnung einen Tentakel-Kranz besässe. Denkt 
man sich bei den angeführten Solenisciden jedes Osculum mit Tentakeln umgeben, so 
wird jeder unbefangene Beobachter dieselben für Hydroiden-Stöcke halten können. 

Ebenso wie die Solenisciden unter den Asconen, verhalten sich die Amphorisciden 
unter den Leuconen. Bei allen Leuconen-Stöcken, welche das künstliche System 
als Amphoriscida zusammenfasst (Amphoriseus, Amphorula, Amphoridium), 
sind die Personen des Stockes frei, nicht mit einander verwachsen, und stehen nur 
an ihrer aboralen Basis durch eine Oeffnung der Magenhöhle mit einander in freier 
Communication. Jede Person hat ihr eigenes Osculum. Man vergleiche z. B. Leu- 
cella primigenia (Taf. 21, Fig. 14), Leucandra aspera (Taf. 35, Fig. TB, 9B) etc. 

Unter den Syconen sind die Sycodendriden diejenigen, welche den Amphoris- 
ciden unter den Leuconen und den Solenisciden unter den Asconen entsprechen. Bei 
allen Sycon-Stöcken, welche im künstlichen System in der Gruppe Sycodendrida 
vereinigt sind (Sycolhammus, Syeinula, Sycodendrum) sind sämmtliche Personen 
des Stockes mit einer Mundöffnung versehen, nicht mit einander verwachsen und ste- 
hen bloss unten an der aboralen Basis mit einander in Zusammenhang, wo sich die 
Magenhöhle jeder Person in die Höhle einer anderen oder in die gemeinsame Höhle 
des Stockes öffnet; ganz ähnlich wie bei den Personen eines Üorallen -Stockes. 
Man vergleiche z. B. Sycaltis testipara (Taf. 47, Fig. 3), Sycandra compressa 
(Taf. 57, Fig. 9— 20); Sycandra arborea (Taf. 58, Fig. 7) etc. 

Alle bisher hier angeführten Stöcke, die Solenisciden unter den Asconen, die Am- 
phoriseiden unter den Leuconen und die Sycodendriden unter den Syconen, stimmen 
in der Stockbildung wesentlich überein. Bei allen drei Gruppen sind am Cormus so 
viel Mundöffnungen vorhanden, als Personen denselben zusammensetzen. Die Per- 
sonen bleiben frei, verwachsen nicht mit einander, und jede behält ihre eigenthüm- 
liche Mundöffnung. Sämmtliche Personen des Stockes stehen nur durch diejenige 
Oeffnung mit einander in offener Communication ihrer Magenhöhlen, welche sich an 
dem aboralen Pole jeder Person befindet. Alle diese Stockformen fasst das künst- 
liche System in der Ordnung Cormograntiae zusammen. 

Wesentlich verschieden verhält sich hingegen das Gastrocanal-System, und na- 
mentlich die Mundbildung desselben, bei denjenigen Kalkschwämmen, welche im 
künstlichen System die Ordnungen der Tarrograntiae und Coenograntiae zusammen- 
setzen. Hier bleiben die Personen des Stockes nicht frei, sondern sie verwachsen mit 
einander an einer oder mehreren Stellen ihrer Dermalfläche, so dass ihre Magenhöhlen 


279 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


nicht allein durch die aboralen Oeffnungen, sondern auch durch andere, in den Seiten- 
wänden des Magens befindliche Oefinungen in Communication treten. In Folge davon 
werden die Mundöffnungen theilweise rückgebildet oder kommen gar nicht zur Ent- 
wickelung. Es sind also am Stocke weniger Mundöffnungen vorhanden als Personen; 
bald finden sich mehrere Oscula (Tarrograntiae); bald nur ein einziges (Coenogran- 
tiae). Solche Stöcke kommen bloss in den beiden natürlichen Familien der Asconen 
und Leuconen zur Entwickelung, nicht aber bei den Syconen. 

Die Ordnung der Tarrograntiae oder der gruppenmündigen Stöcke 
umfasst alle diejenigen Caleispongien-Cormen, welche zwar mehrere Mundöffnungen 
besitzen, bei denen jedoch die Zahl der Oscula geringer ist, als die Zahl der consti- 
tuirenden Personen. Gewöhnlich erscheint der Cormus hier mehr oder weniger regel- 
mässig aus mehreren einmündigen Personen-Gruppen zusammengesetzt; die Personen 
öffnen sich gruppenweise durch gemeinsame Mündungen; bald finden sich an der 
Oberfläche des Stockes zahlreiche, bald nur wenige Oscula. 

Unter den Asconen sind die Tarrograntien durch die künstliche Familie der 
Tarromida vertreten (Tarrus, Tarropsis,. Tarroma). Ausgezeichnete Stöcke der 
Art bildet namentlich Ascetta coriacea (Taf. 3, Fig. 9—14), Aseilla gracilis (Taf. 6, 
Fig. 4), Ascandra densa (Taf. 17, Fig. 12), Ascandra nitida (Taf. 17, Fig. 13). 

Unter den Leuconen werden die Tarrograntien durch die künstliche Familie der 
Artynida repräsentirt (Artynas, Artynella, Artynium). Obwohl im Ganzen unter 
den Leuconen die Bildung solcher Stöcke viel seltener ist, als unter den Asconen, so 
finden sich doch bisweilen unter den ersteren Artyniden-Stöcke, welche vollständig 
den Tarromiden unter den letzteren gleichen. Man vergleiche namentlich Leucetta 
sagittata (Taf. 22, Fig. 2), Leucandra aleicornis (Taf. 37, Fig. 4), Leucandra ca- 
minus (Taf. 37, Fig. 6) und Leucandra erambessa (Taf. 37, Fig. 8). 

Zu den interessantesten Formen gehören die einmündigen Stöcke, welche 
die Ordnung der Coenograntiae bilden (System, p. 401). Hier sind alle Personen, 
welche den Stock zusammensetzen, dergestalt mit einander verwachsen, dass sie nur 
eine einzige gemeinsame Mundöffnung besitzen. Der Stock erscheint demgemäss hier 
meistens dergestalt centralisirt, dass man ihn auf den ersten Blick für eine einzelne 
Person mit einer Mundöffnung halten kann. So ist auch in der That der häufigste der 
coenostomen Kalkschwämme, der Nardorus (die Nardoa von O. Scuaipr), aufgefasst 
worden. Gewöhnlich erscheint der coenostome Stock als ein länglich -runder, eiför- 
miger oder birnförmiger Körper, welcher aus einem dichten Röhren-Geflecht besteht, 
mittelst eines kürzeren oder längeren Stieles an seiner aboralen Basis aufsitzt und an 
dem entgegengesetzten oralen Pole das gemeinsame Osculum trägt, welches oft rüssel- 
förmig verlängert ist. Die Coenograntien sind auch desshalb von Interesse, weil sie 
uns an die Asteriden erinnern, die „einmündigen, sternförmigen Stöcke von geglie- 
derten Würmern“, welche ich als die Stammformen der Echinodermen auffasse). 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 273 


Man kann vielleicht alle diese coenostomen Thierstöcke allgemein passend als 
Coenobien bezeichnen. Die mehr oder weniger ausgesprochene Centralisation des 
Coenobium erhebt dasselbe auf eine höhere Individualitäts-Stufe. 

Unter den Asconen sind die Coenograntien durch die künstliche Familie der 
Nardopsida vertreten (Nardorus, Nardopsis, Nardoma). Die sehr characteri- 
stische Stockform derselben findet sich bei vielen sehr verschiedenen natürlichen 
Arten in auffallend ähnlicher Gestalt. Man vergleiche z. B. die einmündigen Cormen 
von Ascetta primordialis (Taf. 2, Fig. 5—7), Ascetta coriacea (Taf. 3, Fig. 21—26), 
Ascilla gracilis (Taf. 6, Fig. 5), Ascortis lacunosa (Taf. 11, Fig. 2), Ascortis horrida 
(Taf. 11, Fig. 1), Ascandra nitida (Taf. 17, Fig. 10), Ascandra variabilis (Taf. 18, 
Fig.12) und Ascandra reticulum (Taf. 20, Fig. 12). 

Unter den Leuconen werden die Coenograntien durch die künstliche Familie 
der Coenostomida (Üoenostomus, Coenostomella, Coenostomium) vertreten. Auch 
hier entstehen durch die Concrescenz der Personen und die Reduction der Oscula auf 
eine einzige gemeinsame Mundöffnung sehr eigenthümliche Formen, welche den Nar- 
dopsiden unter den Asconen oft zum Verwechseln ähnlich sind. So vergleiche man 
namentlich die Coenostomiden-Form von Leucetta primigenia (Taf, 21, Fig. 4), Leu- 
cyssa spongilla (Taf. 25, Fig. 11, 12), Leucandra aleicornis (Taf. 37, Fig. 3), Leue- 
andra caminus (Taf. 37, Fig. 5) und Leucandra erambessa (Taf. 37, Fig. 7)!). 

Die Mannichfaltigkeit verschiedener Stock-Formen, welche durch diese Verwach- 
sung der Personen und die Reduction ihrer Mundöffnungen entsteht, wird nun da- 
durch noch grösser, dass die Oscula der gruppenmündigen und der einmündigen 
Stöcke, ebenso wie die Oscula der vielmündigen Stöcke (bei denen jede Person ihre 
eigene Mundöffnung hat) bald nackt, bald rüsselförmig, bald bekränzt sein können. 
Diese mannichfaltigen Verschiedenheiten benutzt das künstliche System zur Unter- 
scheidung und Characteristik seiner Gattungen. Zu den eben characterisirten drei 
Ordnungen der vielmündigen Stöcke (Cormograntiae),, der gruppenmündigen Stöcke 
(Tarrograntiae) und der einmündigen Stöcke (Cvenograntiae) kommen dann noch 
die früher erörterten mundlosen Stöcke (Cophograntiae) und die merkwürdigen Stöcke, 
welche Personen mit verschiedenartig differenzirter Mundöffnung auf sich vereinigt 
tragen (Metrograntiae). Diese letzteren sind unter den Asconen durch die Gat- 
tung Ascometra vertreten (Taf. 2, Fig. 17; Taf. 9, Fig. 4); unter den Leuconen 
durch die Gattung Leucometra (Taf. 21, Fig.5; Taf. 35, Fig. 9); unter den Syconen 
durch die Gattung Sycometra (Taf. 57, Fig. 23—25; Taf. 58, Fig. 9). Die relative 
Frequenz der verschiedenartigen Mundformen und Stockformen in den drei natürlichen 
Familien der Kalkschwämme wird durch die nachstehende Tabelle übersichtlich. 


1) Coenostomium spongüla (Taf. 25, Fig. 11, 12) ist im Systeme des zweiten Bandes (p. 137 und 
406) aus Versehen als Artynium spongüla aufgeführt. 
Haeckel, Kalkschwümme. I. 18 


274 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Tabellarische Uebersicht der 39 Genera des künstlichen Systems, mit Angabe 
der Zahl der künstlichen Species in jeder Gattung. 


Eu Individualität und Beschaffen- L Ascones. f I Leucones. aus Sy Kırir 
E | heit der Mundöffnung. | Cilehpongin mit | Calispongin mit | utepongien mi 
A ‚3 | Eine nacktmündige Person. | Olynthus 15. | Dyssycus 23. | Syeurus 25. 
= E Eine rüsselmündige Person. | Olynthella 2. | Dyssyconella 7. | Syconella EL 
R 5 [Eine kranzmündige Person. | Olynthium 2.| Dyssycarium 6. | Sycarium 15. 
8.8 
=3 Eine mundlose Person. Clistolynthus 10. | Lipostomella 14. | Sycocystis 5. 
O5 

» ‚Ein Stock mit lauter nackt- 

B= mündigen Personen. Soleniscus 23. | Amphoriscus 13. | Sycothamnus 7. 
3 Ein Stock mit lauter rüssel- | 

< mündigen Personen. Solenula 2.| Amphorula 4. |Syeinula 4. 
= |Ein Stock mit lauter kranz- 

> mündigen Personen. Solenidium 2.| Amphoridium 3.|Sycodendrum 5. 
o ‚Ein Stock mit einer einzigen 

= nackten Mundöffnung. Nardorus 10. | Coenostomus 4. — 

3 Ein Stock mit einer einzigen 

S rüsselförmigen Mundöffnung.| Nardopsis 3. | Coenostomella 2. — 

3 |Ein Stock mit einer einzigen 

< bekränzten Mundöffnung. | Nardoma 2. | Coenostomium 1. = 

£ Ein Stock mit nackten Grup- 

B= pen-Mündungen. Tarrus 11. | Artynas 5. = 

3 Ein Stock mit rüsselförmigen 

S Gruppen-Mündungen. Tarropsis 2. | Artynella 1. _ 

& |Ein Stock mit bekränzten 

En Gruppen-Mündungen. Tarroma 2. | Artynium 2. — 

8.8 
er Ein mundloser Stock. Auloplegma 20.| Aphroceras 11. Sycophyllum 3. 
os 

SSR ne 
= = en a UN ers neuen Ascometra 7.| Leucometra 5.| Sycometra 2. 
Ss E Mundöffnungen. 
Summa der Species | Ascones 113. | Leucones 101.|Sycones 75. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 275 


b. Das Intercanal-System oder Intervascular-System. 


Als Intercanal-System oder Intervascular-System bezeichne ich ein höchst merk- 
würdiges System von Hohlräumen, welches den Körper vieler Kalkschwämme sowohl, 
als auch vieler anderer Schwämme durchzieht und oft eine grosse Rolle spielt, welches 
aber von den bisherigen Spongiologen gewöhnlich gänzlich übersehen oder für einen 
Theil des Gastrovascular- Systems gehalten oder auch sonst irrthümlich gedeutet 
worden ist. Das ausserordentliche morphologische und physiologische Interesse, wel- 
ches sich an dieses Intercanal-System knüpft, liegt darin, dass canalartige Hohl- 
räume, welche ursprünglich gar nicht zum Spongien-Körper ge- 
hören, in Folge eigenthümlicher Verwachsungs-Verhältnisse sich 
zu integrirenden Körperbestandtheilen gestalten, welche sowohl in mor- 
phologischer als in physiologischer Beziehung eine bestimmte organologische Rolle 
spielen und zur Bildung höchst characteristischer künstlicher Species-Formen führen. 
Diese Hohlräume, die Intercanäle oder Zwischencanäle, sind ursprünglich weiter 
nichts, als oberflächliche, mit Seewasser gefüllte Lücken, welche zwischen Ausbuch- 
tungen oder anastomosirenden Aesten des Schwammkörpers übrig bleiben. Indem 
aber jene Ausbuchtungen sich mächtig entwickeln und mit einander partiell ver- 
schmelzen, oder indem die Anastomosen dieser Aeste sich massenhaft vermehren und 
die Bildung complexer Geflechte veranlassen, gelangen die dazwischen übrig blei- 
benden äusseren Lücken immer tiefer in die Körper-Masse hinein und entwickeln sich 
zu Hohlräumen von bestimmter und sehr characteristischer Gestalt, welche als innere 
constituirende Organe des Körpers imponiren. Diese inneren, ursprünglich äusseren 
Intercanal-Räume nehmen nicht allein die Form von verästelten oder anastomosirenden 
Canälen an, welche sehr leicht mit den wahren Gastrovascular-Canälen des Spongien- 
Körpers verwechselt werden können und gewöhnlich auch wirklich verwechselt worden 
sind; sondern sie ahmen sogar Bildungen nach, welche den wahren Magenhöhlen und 
Mundöffnungen täuschend ähnlich und ebenfalls mit diesen verwechselt worden sind. 

Die Lösung der Räthsel, welche diese wunderbaren Gebilde stellen, und das Ver- 
ständniss ihrer wahren Bedeutung kann natürlich nur durch die Entwickelungs- 
geschichte gegeben werden, und diese hat mir in der That gestattet, dieselben mit 
voller Sicherheit so zu deuten, wie es in der nachfolgenden Darstellung geschieht. 
In physiologischer Beziehung fungiren die Theile des Intercanal-Systems nach der bis- 
herigen Anschauung theils als „Einströmungscanäle“, theils als „Ausströmungscanäle“. 
In histologischer Beziehung ist ausdrücklich hervorzuheben, was eigentlich freilich 
selbstverständlich ist, dass sämmtliche Flächen des Intercanal-Systems 
stets nur von dem Synceytium des Exoderms, niemals von dem Geissel- 
Epithel des Entoderms begrenzt und überzogen werden. Schon dadurch 
unterscheidet sich das Intercanal-System (ganz abgesehen von der völlig verschiedenen 

18* 


276 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Genese) wesentlich von dem wahren Gastrovascular-System, dessen Flächen ursprüng- 
lich ganz, später immer wenigstens zu einem gewissen Theile, von dem Geissel-Epi- 
thel des Entoderms ausgekleidet sind. 

Bei allen drei Familien der Kalkschwämme, bei den Asconen, Leuconen und 
Syconen, entwickelt sich das Intercanal-System in eigenthümlicher Weise, und es ist 
daher am gerathensten, die characteristische Bildung desselben in diesen drei Gruppen 
gesondert zu betrachten. 


1. Das Intercanal-System der Asconen. 


Die grösste Entwickelung und die eigenthümlichste Differenzirung erreicht das 
Intercanal-System unter allen Spongien bei den Asconen oder Microporeuten. Das 
Gastrovascular-System bleibt in dieser Familie, wie vorher bereits erläutert worden 
ist, insofern stets ganz einfach, als die dünnwandigen, einfachen oder verästelten 
Röhren, welche den Ascon-Körper zusammensetzen, immer die ursprüngliche ein- 
fache Structur der dünnen Magenwand beibehalten; immer bleibt diese nur von 
einfachen, inconstanten Lochcanälen oder Poral-Tuben durchbohrt; niemals entwickeln 
sich daraus constante oder verästelte Canäle. In auffallendem Gegensatz hierzu 
entwickelt sich nun bei vielen Ascon-Arten ein höchst eigenthümliches und speeifisch- 
differenzirtes Intercanal-System, und zwar immer dadurch, dass die Zwischenräume 
zwischen einem Geflecht von anastomosirenden Röhren sich zu constanten Inter- 
canälen gestalten. Selbstverständlich kann demnach das Intervascular-System in der 
Familie der Asconen sich stets nur bei Stöcken oder Cormen, niemals bei solitären 
Personen entwickeln. Die wichtigsten Formen, welche dieses merkwürdige Inter- 
canal-System bei den Asconen bildet, sind dargestellt auf Taf. 2, 3, 38 und 20, we- 
niger bedeutende Formen auf Taf. 4, 6, 9, 11, 17 und 18. 

In den meisten Fällen bilden diejenigen Ascon-Stöcke, bei welchen das Inter- 
canal-System sich stark entwickelt, einfache rundliche Klumpen von fein „schwam- 
migem“ Aussehen. Die Form dieser „spongiösen“ Klumpen ist bald sehr regel- 
mässig: kugelig, eiförmig, birnförmig, spindelförmig; bald mehr oder weniger un- 
regelmässig. Mit blossem Auge betrachtet, erscheinen diese Klumpen an der 
Oberfläche von sehr feinen Löchern durchbohrt, welche gewöhnlich für echte Poren 
gehalten worden sind. Diese falschen Poren oder Scheinporen (Pseudopori) 
führen in ein weiteres oder engeres Netz von sehr feinen anastomosirenden Canälen, 
welche bald den ganzen Schwammkörper gleichmässig und oft sehr regelmässig durch- 
ziehen, bald dagegen in eine grössere centrale Höhle münden. Diese Canäle sind 
nicht wahre Canäle des Gastrovascular-Systems, sondern netzförmige Schein- 
gefässe (Intercanales); die anastomosirenden Balken zwischen diesen Intercanälen 
sind hohl und inwendig mit Geissel-Epithel belegt; sie sind die wahren Darmcanäle 
oder Magenröhren des Gastrovascular-Systems. Die grosse Central-Höhle, in welche 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 277 


die Intercanäle häufig einmünden (Taf. 2, Fig. 9, 11; Taf. 8, Fig. 8, 9; Taf. 20, 
Fig. 15, 17) ist nicht, wie es den Anschein hat, eine centrale Magenhöhle, sondern 
ein Scheinmagen (Pseudogaster) und die grosse Oeffinung, durch welche dieser 
gewöhnlich ausmündet, ist nicht, wie es scheint, die wahre Mundöffnung (Osculum), 
sondern ein Scheinmund (Pseudostoma). 

Die Ascon-Stöcke, bei welchen sich als Centrum des Intercanal-Systems eine 
Pseudogaster mit Pseudostom entwickelt, sind stets mundlose Stöcke (Auloplegma). 
Diejenigen Ascon-Stöcke mit Intercanal-System hingegen, bei denen es nicht zur Bil- 
dung von Pseudogaster und Pseudostom kommt, können entweder mundlose Stöcke 
sein, oder sie können eine einzige Mundöffnung besitzen (Nardopsida), oder mehrere 
Mundöffnungen (Tarromida); bisweilen kann auch ein Theil eines solchen Stockes 
mundlos sein, ein anderer Theil desselben mit Mundöffnungen versehen (Ascometrida). 
Auf diese vier künstlichen Familien der Asconen-Gruppe, auf die Auloplegmiden, 
Nardopsiden, Tarromiden und Ascometriden, bleibt die Ausbildung eines differenzirten 
Intercanal-Systems beschränkt. In geringer Entwickelung kommt dasselbe bisweilen 
auch bei Solenisciden vor. Die ausgezeichnetsten Formen liefert das Genus Aulo- 
plegma. 

Im Ganzen kommt die Entwickelung dieser Ascon-Stöcke mit Intercanal-System 
so häufig vor, und bei so verschiedenen natürlichen Arten der Ascon-Familie, dass 
dieselben schon von den früheren Spongiologen vielfach beobachtet worden sind. 
In der neueren Literatur gehen sie gewöhnlich unter dem Namen Nardoa, welcher 
von O. Schmipr einer dieser Formen beigelegt worden ist. Die älteste deutliche 
Beschreibung und Abbildung einer solchen Form hat Jomnsrton unter der Bezeich- 
nung Grantia lacunosa mit folgender Diagnose gegeben: „Sponge half an inch in 
hight, flabellate, pedicled, entire or undivided, white, greatly compressed; the sides 
perforated with numerous irregularly elliptical holes or vents, so as to give a lacunose 
appearence to the dried specimen; structure compact, friable, when dry; spicula all 
triradiate. The remarkable character afforded by the numerous large holes in the 
sides, so unlike the fecal orifices of the other species, distinguishes this at once, and 
removes the suspicion of its being a variety of any other“'). Die hier von JoHN- 
ston beschriebene Form ist dieselbe, welche ich im natürlichen System als Ascortis 
lacunosa (p. 70); im künstlichen System als Nardorus lacunosus (p. 401) beschrieben 
und abgebildet habe (Taf. 11, Fig. 2). 

Die zweite Beschreibung eines solchen Kalkschwammes gab zwanzig Jahre später 
OSCAR SCHMIDT ?). Er gründete für diese Form die besondere Gattung Nardoa, 
welche er damals folgendermassen characterisirte: „Caleispongiae superficie lacunosa 
ve] favosa, canalibus sinuosis amplioribus parietes corporis perforantibus. Parenchyma 


1) JoHnston, Brit. Spong. 1842, p. 176, pl. XX, Fig. 2, 3. 
2) Oscar ScHMmipT, Adriat. Spong. 1862, p. 18, Taf. I, Fig. 8. 


278 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Speeielle Anatomie. 


fragilius.“ Dann fügt er hinzu: „Bei den vorhergehenden Gattungen (— d.h. bei 
allen anderen Kalkschwämmen —) sind die Körperwandungen in der Art solid, dass 
auf ihrer Oberfläche sich nur die mikroskopischen Einströmungslöcher vorfinden und 
in ihnen nur die erst weiter im Inneren sich ausdehnenden Canäle mit den Wimper- 
Apparaten verlaufen. Jonnston’s Grantia lacunosa und meine neue dalmatinische 
Art (Nardoa reticulum) verhalten sich anders, indem die Wandungen aus einem 
labyrinthischen lückenreichen Geflecht bestehen. Man sieht die Oeffnungen und Ver- 
tiefungen mit blossen Augen und kann, wenn man ein Stück des Schwammes aus- 
schneidet und gegen das Licht hält, die Gänge bis zur Einmündung in die Central- 
höhle verfolgen. Die Schwammsubstanz ist sehr zerreisslich; es bleiben nach Auf- 
lösung der verhältnissmässig kleinen Kalkgebilde nur äusserst zarte organische 
Wandungen übrig.“ In der Speciesbeschreibung der adriatischen Nardoa reticulum 
(wahrscheinlich einer generischen Varietät unserer Ascandra reticulum, System, 
p- 57) wird dann noch hinzugefügt, dass aus dem unregelmässigen Centralsinus ein 
sehr dünnwandiger Ausströmungstubus nach aussen führt. 

Die dritte Beschreibung eines ähnlichen Ascon-Stockes gab 1864 KÖLLIKER, der 
ihn auch zum ersten Male genauer histologisch untersuchte. Diese bei Nizza ge- 
sammelte und Nardoa spongiosa genannte Form (wahrscheinlich unsere Ascaltis 
cerebrum oder A. Gegenbauri) wird folgendermassen beschrieben !): „Der ganze 
Schwamm, der unregelmässig platt oder kugelig von Gestalt und mit einer bald 
grösseren, bald kleineren Fläche festgewachsen ist, besteht aus einem dichten Netze 
von sehr verschieden geformten Balken, die labyrinthische Lücken und Gänge der 
mannichfachsten Gestalt umschliessen. Eine eigentliche Centralhöhle mit einem 
grösseren Ausströmungsloche fehlt ganz entschieden. Alle Lücken und Gänge zwi- 
schen den Balken, die mit zahlreichen Löchern und Spalten aussen münden und vom 
blossen Auge leicht zu sehen sind, sind Ausströmungscanäle und entsprechen 
der grossen Centralhöhle von Sycon. Von Einströmungscanälen sieht man auf den 
ersten Blick Nichts. An Schnittflächen und bei der mikroskopischen Untersuchung 
überzeugt man sich dagegen leicht, dass dieselben hier eine sehr merkwürdige An- 
ordnung zeigen. Alle Balken ohne Ausnahme sind hohl und nichts als dünnwandige 
Röhren, die von einem schönen Flimmer-Epithel ausgekleidet ein Netz von Wimper- 
canälen darstellen, wie es noch bei keiner Spongie gesehen ist. Nach Einströmungs- 
löchern und Einmündungen der flimmernden Gänge in die Ausströmungscanäle wurde 
dagegen vergeblich gesucht.“ (Die beigegebene Fig. 6 und 7 (l. ce.) ist eine vortreff- 
liche Abbildung eines Auloplegma-Schnittes.) Obgleich nun KÖLLıker den feineren 
Bau der Röhren dieser Nardoa spongiosa sehr genau untersuchte und dabei genau 
zu denselben Resultaten kam, wie früher LIiEBERKÜHN bei den unmittelbar ver- 
wandten Soleniscus-Stöcken seiner Grantia botryoides (= Ascandra complicata, H. 


1) KöLLiker, Icones histolog. I. Heft, 1864, p. 63; Taf. IX, Fig. 6 —8). 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 279 


und A. Lieberkühnii, H.), wurde ihm dennoch die völlige Uebereinstimmung im Bau 
beider Schwämme nicht klar. Er erkannte nicht, dass die „hohlen, inwendig flim- 
mernden Röhren“ der netzförmigen Nardoa nichts Anderes sind, als die verzweigten 
und anastomosirenden Röhren des baumförmigen Soleniscus. In der That sind aber 
die „Ausströmungscanäle, welche der grossen Centralhöhle von Sycon ent- 
sprechen“ sollen, weiter Nichts als Intercanäle, und das „Netz von Wimper- 
canälen, wie es noch bei keiner Spongie gesehen ist“, ist das Netz der anastomosi- 
renden Magenröhren, dasselbe System von Flimmer-Canälen, welches sich bei allen 
geflechtbildenden Ascon-Stöcken findet. 

Dass KöLLıiker’s Darstellung vom Bau der Nardoa spongiosa wirklich in dieser 
einfachen Weise zu deuten sei, daran habe ich nach meinen zahlreichen Beobach- 
tungen an ähnlichen Auloplegma-Stöcken (namentlich von Ascaltis cerebrum, Taf. 8) 
nicht den geringsten Zweifel. Auch LieBERKÜHN hat sich bereits dieser Deutung 
genähert, indem er (1865) die Bemerkung macht: „Einströmungscanäle, die 
das Wasser durchlaufen muss, ehe es zu den Einströmungslöchern gelangt, kommen 
eigentlich schon bei den Grantien (= Asconen, H.) vor, nämlich dann, wenn die 
Fäden des Netzwerkes der Hohleylinder mit ihrer Aussenfläche mehr an einander 
rücken und die Maschen des nicht bloss in der Fläche ausgebreiteten Netzwerkes 
ungewöhnlich enge werden. Sind die Fäden des Netzwerkes viel feiner und die 
Maschen viel kleiner als bei Grantien, die Ausströmungsröhre ausserdem nicht an die 
freien Enden hervorragender Cylinder verlegt, sondern bereits im Innern des Netz- 
werkes selbst auslaufend: so entsteht ein Labyrinth von Ausströmungscanälen, 
wie es KÖLLIKER von der Nardoa beschreibt“). 

Die vorher erwähnte Grantia (Ascortis) lacunosa von der britischen Küste, 
Nardoa lacunosa von ScHMipDT, hat später noch einmal BowErBAnK beschrieben 
und als Leucosolenia lacunosa folgendermassen characterisirt: „Sponge massive, more 
or less elliptical, pedicelled; surface smooth; fistulae tortuous. Cloaca inarmed inter- 
nally; mouth simple, single and unarmed. Pores inconspieuous“?). Dieselbe Form 
hat dann auch Gray (l. ce. p. 555) als „Massive“ characterisirt. Wenn BOWERBANK 
die Structur seiner Leucosolenia lacumosa = Nardorus lacınosus, H.) richtig ver- 
standen hätte, so hätte er die „fistulae tortuous“ nicht in Gegensatz zu der „central 
cloacal cavity“ bringen, sondern die anastomosirenden Höhlungen der ersteren für 
„eloacal cavities continous‘“ erklären müssen, wie er es bei den nächstverwandten 
Leucosolenia contorta und L. coriacea that. 

In den meisten Fällen ist offenbar, wie aus den angeführten Stellen hervorgeht, 
das Intercanal-System der Ascon-Stöcke schon desshalb nicht richtig verstanden 
worden, weil die Autoren sich irre führen liessen durch die unglücklichen Kunst- 


1) Liegerkünn, Archiv f. Anat. u. Physiol. 1865, p. 744. 
2) BOWERBANK, Brit. Spong. Vol. II, p. 32. 


280 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


ausdrücke der „Einströmungscanäle und Ausströmungscanäle“, welche 
überhaupt eine Menge falscher Vorstellungen erzeugt und grosse Verwirrung in der 
Spongien-Literatur angerichtet haben. Diese physiologischen Begriffe sollten niemals 
mehr bei morphologischer Deutung der Organe gebraucht werden. Ausserdem fehlte 
den Spongiologen der feste morphologische Begriff der Magenhöhle und der Mund- 
öffnung und das ontogenetische Verständniss derselben, mit dessen Hülfe allein sie 
sich richtig hätten orientiren können. Bei den Auloplegma-Stöcken mit entwickelten 
Intercanälen fungiren .diese letzteren ebenso wohl als Einströmungs-, wie als Aus- 
strömungs-Canäle Da nun auch die Lipostomie dieser Stöcke von den Autoren nicht 
erkannt, und doch vergeblich nach Oscula gesucht wurde, da ferner allgemein die 
Pseudostomata mit Oscula verwechselt wurden, so ist es nicht zu verwundern, dass 
die ganze Bedeutung des Intercanal-Systems den meisten Autoren völlig verbor- 
gen blieb. | 


Die Pseudocanäle oder Intercanäle der Asconen. 


Um zu einem richtigen Verständniss des Intercanal-Systems bei den Asconen zu 
gelangen, muss man von den einfachsten Formen desselben ausgehen, wie sie z. B. 
von Ascetta coriacea auf Taf. 3, Fig. 4, 5, 8-12, 21—24, von Ascandra variabilis 
auf Taf. 18, Fig. 8, 11, 12, 15, und schematisch von Ascandra reticuhtm auf Taf. 20, 
Fig. 11—18 abgebildet sind. In letzteren Figuren ist das Entoderm, welches die Innen- 
fläche der Gastrocanäle auskleidet, mit rother Farbe, das Lumen des Gastrocanal- 
Systems schwarz, dagegen das Exoderm, welches die Innenfläche der Intercanäle 
auskleidet, mit blauer Farbe und das Lumen des Intercanal-Systems weiss dar- 
gestellt. 

Die Intercanäle oder Pseudocanäle sind zwar bei den Asconen in allen Fällen 
Lücken, welche zwischen anastomosirenden Röhren von netzförmigen oder geflecht- 
artigen Ascon-Stöcken bleiben. Indessen können dieselben doch auf zweierlei ver- 
schiedene Weise entstehen, nämlich entweder I. durch secundäre Concrescenz, oder 
II. durch longitudinale Theilung der Röhren (oder Personen). Im ersten Falle treten 
zwei oder mehrere, ursprünglich getrennte Röhren (Personen) von einem Stocke (oder 
von mehreren verschiedenen Stöcken) in Berührung und verwachsen an der Berüh- 
rungsstelle mit einander, worauf ihre Lumina in offene Communication treten (Taf. 2, 
Fig. 8, 9, 11, 12, 23, 24; Taf. 20, Fig. 8, 11, 18). Im zweiten Falle zerfällt eine 
Röhre durch longitudinale Theilung in zwei, ringförmig an ihren Enden communici- 
rende Röhren, indem sich der Längsaxe der ursprünglichen Röhre parallel, an deren 
Aussenfläche, zwei parallele, einander gegenüberstehende Längsfurchen bilden, die 
immer tiefer werden und endlich zu einer vollständigen Trennung der beiden ab- 
geschnürten Hälften führen; nur an beiden Enden bleiben die Hälften verbunden 
(Taf. 3, Fig. 4, 5, 21, 22; Taf. 20, Fig. 12, 15). In beiden Fällen entsteht zwischen 


2. Organologiee A. Das Canal-System. 281 


den anastomosirenden Röhren eine Lücke, und indem derselbe Process sich vielfach 
wiederholt, bildet sich zwischen dem so entstehenden Röhrengeflecht ein ebenfalls 
geflechtähnliches System von communieirenden Lücken, welches jenem Röhrengeflecht 
täuschend ähnlich sein kann. In der That ist es in sehr vielen Fällen ganz un- 
möglich, auf dem Durchschnitt eines solchen, aus einem Geflecht von anastomosi- 
renden Röhren bestehenden Ascon-Stockes zu sagen, welche von den Hohlräumen 
und Lücken der Durchschnitts-Fläche zu dem wahren Gastrocanal-System, welche zu 
dem falschen Intercanal-System gehören. Erst mit Hülfe starker Vergrösserung wird 
diese Unterscheidung möglich. Man orientirt sich dann einfach durch die Lagerung 
des Entoderms. Diejenigen Hohlräume, welche durch das Geissel-Epithel des Ento- 
derms ausgekleidet werden, sind echte Canäle des Gastrocanal-Systems; die da- 
zwischen liegenden Hohlräume, welche bloss von dem Syneytium des Exoderms aus- 
gekleidet werden, sind falsche Canäle des Intercanal-Systems. 

Bei vielen Ascon-Stöcken verhalten sich diese Intercanäle bezüglich ihrer Grösse, 
Form und Verbindungsweise so merkwürdig regelmässig und völlig gleich den Gastro- 
canälen, dass eben nur auf dem zuletzt erwähnten Wege die Unterscheidung: beider 
möglich wird (z. B. Taf. 2, Fig. 9, 16; Taf. 3, Fig. 14, 18, 30, 33; Taf. 8, Fig. 5, 6). 
In anderen Fällen dagegen sind die beiderlei Canäle leicht und schon mit blossem 
Auge zu unterscheiden, indem die Intercanäle unregelmässiger gebildet und von un- 
gleicherem Durchmesser sind, als die Gastrocanäle; erstere sind meistens weiter, 
seltener enger als letztere (z. B. Taf. 2, Fig. 6, 11; Taf. 3, Fig. 27, 29; Taf. 4, Fig. 
2, 3; Taf. 18, Fig. 11, 12; Taf, 20, Fig. 17, 18). Wenn das Röhrengeflecht sehr 
locker und weitläufig ist (wie bei Ascetta elathrus, var. clathrina, Taf. 4, Fig. 2, 
und wie gewöhnlich bei Ascandra variabilis, Taf. 18, Fig. 11, 12), dann sind na- 
türlich die Intercanäle grosse und meist sehr unregelmässige Hohlräume. Auf der 
anderen Seite können die Intercanäle zu engen Spalten reducirt oder selbst fast zum 
Verschwinden gebracht werden, indem sich die Gastrocanäle des Röhrengeflechts ab- 
platten und eng an einander legen (so z. B. bei einer Varietät von Ascelta primor- 
dialis, Taf. 2, Fig. 13, bei Ascetta clathrus, var. labyrinthus, Taf. 4, Fig. 1). Diese 
beiden extremen Formen können aber auch bisweilen ganz plötzlich und unvermittelt 
in einander übergehen, wie es bei der merkwürdigen Ascetta clathrus, var. mirabilis 
der Fall ist (Taf. 4, Fig. 3; System, p. 31— 53). 

Die Ausbildung der Intercanäle ist gewöhnlich bei den Ascon-Stöcken (mit 
Ausnahme derjenigen Auloplegma-Cormen, welche eine Pseudogaster mit Pseudostom 
. entwickeln) unabhängig davon, ob dieselben gar keine Mundöffnung besitzen (Aulo- 
plegma), oder ob der geflochtene Ascon-Stock eine einzige gemeinsame Mundöffnung 
besitzt (Nardopsida) oder mehrere Oscula (Tarromida). Man vergleiche in dieser 
Beziehung das mundlose Intercanal- System von Auloplegma primordiale (Taf. 2, 
Fig. 12— 16); 4. coriaceum (Taf. 3, Fig. 27—55); und A. reticulum (Taf. 20, 


282 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Fig. 15— 20); ferner die einmündigen geflochtenen Stöcke von Nurdorus primor- 
dialis (Taf. 2, Fig. 5—7); N. coriaceus (Taf. 3, Fig. 21—24) und N. reticulum 
(Taf. 20, Fig. 12, 13); Nardopsis densa (Taf.17, Fig. 9); Nardoma nitidum (Taf. 17, 
Fig. 10); und endlich die gruppenmündigen geflochtenen Stöcke von Tarrus pri- 
mordialis (Taf. 2, Fig. 4); T. coriaceus (Taf. 3, Fig. 21—24) und T. variabilis 
(Taf. 18, Fig. 11); Tarropsis densa (Taf. 17, Fig. 12) und Turroma nitidum 
(Taf. 17, Fig. 13). 


Pseudoporen und Pseudodermal-Ostien. 


Bei allen denjenigen geflochtenen Ascon-Stöcken, bei welchen das System der 
Intercanäle sehr entwickelt, die Maschen des Flechtwerks eng, die Canäle und Inter- 
canäle kurz und das Geflecht daher dicht ist, erscheinen an der äusseren Oberfläche 
desselben die Eingänge in das Intercanal-System als mehr oder weniger 
enge, kleine, oft sehr dicht und regelmässig gestellte Löcher. Diese äusseren Mün- 
dungen der oberflächlich gelegenen Intercanäle nenne ich Pseudoporen oder Pseudo- 
dermal-Ostien, weil sie den wahren Dermal-Poren und den wahren Dermal- 
Östien der Leuconen sehr ähnlich, oft zum Verwechseln ähnlich sind. Ich habe 
anfänglich selbst viele dicke Auloplegma-Stöcke, welche einen dicht geflochtenen 
rundlichen Klumpen mit sehr engem Intercanal-System und sehr feinen Pseudoporen 
bildeten, irrthümlich für lipostome und lipogastrische Leucon-Personen (Lipostomella)_ 
gehalten, indem ich das dichte Geflecht der nicht unterscheidbaren Gastrocanäle und 
Intercanäle für ein Geflecht von anastomosirenden Ramal-Canälen, und die Pseudo- 
poren oder Pseudodermal-Ostien für wahre Dermal-Poren oder Dermal-Ostien hielt. 

Pseudoporen, oder genauer Pseudodermal-Poren, können diese ober- 
flächlichen Mündungen des Intercanal-Systems dann genannt werden, wenn dieselben 
sehr klein und mit blossem Auge nicht sichtbar sind (wie die echten Poren); Pseudo- 
dermal-Ostien können sie dagegen heissen, wenn sie grösser und mit blossem 
Auge gut sichtbar sind. Man kann aber auch beiderlei Formen, die grösseren und 
die kleineren, kurzweg Pseudoporen nennen. 

Am regelmässigsten erscheinen die Pseudoporen gewöhnlich bei jenen Auloplegma- 
Stöcken entwickelt, welche eine Pseudogaster mit Pseudostom entwickeln. Hier plat- 
ten sich bisweilen diejenigen Gastrocanäle, welche die Oberfläche des dichtgefloch- 
tenen Stockes begrenzen, dergestalt bandförmig ab und lassen nur so enge und kleine 
Löcher zwischen sich, dass die letzteren als äusserst feine und ganz regelmässig ver- 
theilte Poren in einer zusammenhängenden glatten Dermal-Membran erscheinen. 
Ausgezeichnete derartige Stöcke, welche sehr leicht mit Leucon-Personen verwech- 
selt werden könnten, habe ich namentlich bei Ascetta primordialis (Taf. 2, Fig. 8, 
10, 12, 13) und bei Ascaltis cerebrum gefunden (Taf 8, Fig. 6—135). Die schein- 
bare Dermal-Membran ist nur das membranähnliche Geflecht der oberflächlichsten 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 283 


Röhren des Stockes. Bisweilen erscheint diese Pseudodermal-Membran sogar ganz 
solid, indem die Pseudoporen mikroskopisch klein werden (Taf. 2, Fig. 15). 

Bei der Mehrzahl der geflochtenen Ascon-Stöcke sind dagegen die Pseudoder- 
mal-Ostien grösser und meist auch unregelmässiger, und können bei einiger Uebung 
in der Untersuchung solcher Stöcke leicht in ihrer wahren Natur erkannt werden. 


Pseudogaster oder Scheinmagen. 


Die merkwürdigste Ausbildung erreicht das Intercanal-System bei jenen gefloch- 
tenen Ascon-Stöcken, bei denen sich mitten im Centrum des Röhren -Geflechts eine 
grössere Höhlung mit einer besonderen grossen Oeffnung ausbildet. Da die Central- 
Höhle eines solchen Ascon-Stockes auffallend der wahren Magenhöhle einer Leucon- 
Person gleicht, die grosse äussere Oeffnung der ersteren ebenso der Mundöffnung der 
letzteren, so benenne ich jene Höhlung Scheinmagen (Pseudogaster) und ihre 
grosse Oeffnung Scheinmund (Psenudostoma). 

Alle Ascon-Stöcke, bei welchen sich eine Pseudogaster mit Pseudostom ausbil- 
det, entbehren der wahren Mundöffnungen oder Oscula, und gehören demnach zu 
dem Genus Auloplegma meines künstlichen Systems. Es ist aber sehr bemerkens- 
werth, dass diese merkwürdige Bildung keineswegs bei allen, sondern nur bei eini- 
gen Arten dieses Genus vorkommt. Bei vielen Arten, von denen ich sehr zahlreiche 
(von manchen über Hundert) Auloplegma-Stöcke untersucht habe, ist mir niemals 
eine Pseudogaster vorgekommen. So habe ich z. B. bei Ascelta coriacea und A. ela- 
thrus, von denen ich mehrere hundert Stöcke untersucht habe, niemals die Spur 
einer Pseudogaster gefunden, während die nahe verwandte Ascetta primordialis 
(Taf. 2, Fig. S—-11) diese Bildung ausgezeichnet schön entwickelt. Ebenso entwickelt 
findet man sie auch bei Ascaltis cerebrum (Taf. 8, Fig. 7—9) und bei A. Darwini, 
während die nächstverwandte A. canariensis sie niemals zeigt. Vorzüglich schön 
ist auch die Pseudogaster bei Ascandra reticulum entwickelt (Taf. 20, Fig. 15—17), 
während sie den meisten übrigen Ascandra-Arten fehlt. 

Besonders zu bemerken ist, dass sich bei den Auloplegma-Stöcken vieler Ascon- 
Arten Pseudostomata entwickeln können, ohne dass zugleich eine Pseudogaster sich 
ausbildet, so z. B. bei Ascetta elathrus, Ascaltis canariensis etc. Da aber gerade 
die Ausbildung der Pseudogaster dem betreffenden Auloplegma-Stock eine höchst 
characteristische Form giebt, wollen wir diese Stöcke unter der Bezeichnung Pseu- 
donardus von denjenigen Auloplegma-Stöcken trennen, welche keine Pseudogaster 
besitzen, und welche man auch im engeren Sinne Aulorrhiza nennen kann. 

Die Auloplegma-Stöcke, in denen sich eine Pseudogaster bildet, also die Pseu- 
donardus-Formen, haben gewöhnlich eine sehr regelmässige Gestalt; sie sind ent- 
weder länger als dick, spindelförmig oder birnförmig oder ungekehrt kegelförmig, 
und dann gewöhnlich an einem längeren oder kürzeren Stiel befestigt (Taf. 2, Fig. 8, 9; 


284 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Taf. 8, Fig. 7, 8; Taf. 20, Fig. 15); oder sie sind umgekehrt dicker als lang, und 
dann gewöhnlich mit breiter Basis ohne Stiel aufsitzend, flach kegelförmig, fast ku- 
gelig, oder niedergedrückt, polsterförmig (Taf. 2, Fig. 10, 11; Taf. 8, Fig. 9; Taf. 20, 
Fig. 17). Wie aus den eben angeführten Beispielen hervorgeht, kommen sehr ver- 
schiedene Auloplegma-Formen mit Pseudogaster bei einer und derselben natürlichen 
Species vor. 

Wenn man ein Auloplegma mit entwickelter Pseudogaster und Pseudostom durch 
einen Längsschnitt halbirt (z. B. Taf. 2, Fig. 9, 11, Taf. 8, Fig. 8, 9), so erhält 
man gewöhnlich ein Bild, welches ohne weiteres mit dem Längsschnitt einer mün- 
digen Leucon-Person (Dyssycıs) verwechselt werden kann (z. B. der Dyssycus-Form 
von Leucetta primigenia, Taf. 21, Fig. 11; Leuculmis echinus, Taf. 30, Fig. 1; Leu- 
candra bomba, Taf. 38, Fig. 1). Die weite, glattwandige Magenhöhle der letzteren 
gleicht auffallend der Pseudogaster der ersteren; die dicke Wand dieser Höhle ist 
in beiden Formen von einem sehr engen und unregelmässigen Canal-Netz durchzogen, 
dessen grössere, innere Aeste sich theilweise radial gegen die centrale Höhle richten 
und dann an deren glatter Innenfläche mit einer geringen Anzahl von grösseren und 
dazwischen oft zahlreichen feineren Oeffnungen münden. Während aber diese Mün- 
dungen bei den Leucon-Personen (Dyssycus) wahre Gastral-Ostien sind und aus 
der Magenhöhle in die verästelten Ramalcanäle hineinführen, sind die ähnlichen 
Oeffnungen bei den Ascon-Stöcken (Auloplegma) weiter Nichts als die inneren Mün- 
dungen der Intercanäle, welche zwischen den völlig geschlossenen und anastomosi- 
renden Gastrocanälen verlaufen. Wir können diese Mündungen entsprechend als 
Pseudogastral-Ostien, (oder wenn sie mikroskopisch klein sind, auch als Pseu- 
dogastral-Poren) bezeichnen (Taf. 8, Fig. Sf, 9f). 

Um die täuschende Aehnlichkeit dieser beiden, morphologisch gänzlich verschie- 
denen Caleispongien-Formen zu vollenden, kommt noch hinzu, dass sich bei solchen 
Auloplegma-Stöcken nicht selten die Innenfläche der Pseudogaster, oder die Pseu- 
dogastral-Fläche in ähnlicher Weise glättet, und der wahren Gastral-Fläche 
einer Leucon-Person ähnlich ausbildet, wie äusserlich auf der Oberfläche sich eine 
glatte Pseudodermal-Membran entwickelt. Die so entstandene glatte Pseudoga- 
stral-Membran, welche in der That nur aus einem flachen Netzwerk von band- 
förmig plattgedrückten Ascon-Röhren besteht, unterscheidet sich von dem übrigen 
Röhrengeflecht, das die dicke, engmaschige Wand der Pseudogaster bildet, nicht 
allein dadurch, dass die anastomosirenden bandförmigen Röhren in der Pseudogastral- 
fläche 10—20 mal so breit, als in der Wand der Pseudogaster sind (auch die Ma- 
schen zwischen ersteren 10—20 mal so gross als die Maschen zwischen letzteren), 
sondern auch oft dadurch, dass die Spicula des Skelets hier eine besondere Lage- 
rung und Anordnung, Grösse oder Form erreichen. 

Sehr merkwürdig ist es fernerhin, dass bei manchen dieser Auloplegma - Stöcke 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 285 


ein Theil der Intercanäle eine besondere Differenzirung eingeht. Bei allen jenen 
Formen nämlich, wo nicht (wie gewöhnlich) die ganze innere Pseudogastral- Fläche 
von vielen kleinen und dicht gedrängten unregelmässigen Löchern durchbrochen ist, 
wo sich vielmehr eine geringere Anzahl von grösseren Löchern (Pseudogastral-Ostien) 
in dieser Fläche ausbildet, da gestalten sich auch die weiten Intercanäle, in welche 
zunächst diese Ostien hineinführen, mehr oder weniger deutlich zu regelmässigen 
weiten Röhren, welche sich centrifugal verästeln und so das Verhalten der Ramal- 
Canäle des baumförmigen Typus bei den Leuconen nachahmen. Man vergleiche noch- 
mals z. B. den Längsschnitt der Auloplegma-Form von Ascetta primordialis 
(Taf. 2, Fig. 11) und Ascaltis cerebrum (Taf. 8, Fig. 8, 9) mit dem entsprechenden 
Längsschnitt der Dyssycus-Form von Leucandra lunulata (Taf. 37, Fig. 1) und 
Leucandra bomba (Taf. 38, Fig. 1). In beiden Fällen führen die grossen Oeffnungen 
auf der Innenfläche der centralen Höhle in kurze weite Canäle, welche sich centri- 
fugal verästeln und in der Peripherie der dicken Höhlenwand in ein enges Canalnetz 
auflösen, um dann auf der äusseren Oberfläche des Körpers durch zahllose äusserst 
feine Löcher sich zu öffnen. In beiden Fällen ist die innere, groblöcherige Oberfläche 
der regelmässigen Centralhöhle ganz ähnlich ausgebildet und differenzirt, bloss von 
Syneytium, nicht von Geissel-Epithel bedeckt, und ebenso auch die äussere, fein 
poröse Oberfläche des Körpers. Niemand wird auf den ersten Blick im Stande sein, 
mit blossem Auge oder selbst bei schwacher Vergrösserung einen wesentlichen Un- 
terschied zwischen diesen beiden Gebilden zu entdecken. Und dennoch sind beide 
ihrem ganzen Wesen und ihrer Entstehung nach total verschieden. Der Pseudo- 
nardus ist ein aus vielen Personen zusammengesetzter Ascon-Stock ohne alle wahren 
Mundöffnungen; der Dyssycus ist eine solitäre Leucon-Person mit einer wahren 
Mundöffnung. Die centrifugal verzweigten Intercanäle des ersteren sind bloss von 
dem Syneytium des Exoderm; die ganz ähnlichen, ebenfalls centrifugal verzweigten 
Canäle des letzteren dagegen von dem Geissel-Epithel des Entoderm ausgekleidet. 
Das nadeltragende Parenchym zwischen diesen verzweigten, innen und aussen geöfl- 
neten Canälen besteht bei dem Pseudonardus aus hohlen, inwendig flimmernden 
Röhren (den wahren Gastrocanälen); bei dem Dyssycus dagegen aus dichtem Syn- 
cytium mit Spicula. Die Pseudogastral-Membran des ersteren wird von den falschen 
Pseudogastral-Ostien (den inneren Oefinungen der Intercanäle), die wahre Gastral- 
Membran des letzteren dagegen von den echten Gastral-Ostien, den inneren Mün- 
dungen der Gastrovascular-Canäle durchsetzt. Ebenso wird äusserlich die falsche 
Pseudodermal-Membran des Pseudonardus nur von Pseudodermal-Poren, den äus- 
seren Oefinungen der Intercanäle; hingegen die wahre Dermal-Membran des Dys- 
sycus von echten Dermal-Poren, den äusseren Mündungen der Gastrovascular-Canäle 
durchbrochen. 

Bisweilen nimmt der Pseudonardus auch eine Form an, welche täuschend einem 


286 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Nardorus gleicht, dessen centrale Magenhöhle erweitert ist, so z.B. bei Ascandra 
reticulum (Taf. 20, Fig. 12—16). Hier ist der Nardorus (Fig. 12 im Längsschnitt, 
Fig. 13 im Querschnitt) oft zum Verwechseln dem Pseudonardus ähnlich (Fig. 15 im 
Längsschnitt, Fig. 16 im Querschnitt). Beide Ascon-Stöcke haben eine schlanke, ge- 
stielte Birnform, und im Inneren eine Centralhöhle, welche sich oben am Oral-Pol 
durch ein grösseres Loch öffnet. In beiden Stöcken ist diese Centralhöhle von einer 
locker geflochtenen Wand umgeben. Aber bei dem Nurdorus ist die Centralhöhle 
ein wahrer Magen und seine Oeffnung ein wahres Osculum (Fig. 12); hingegen bei 
dem ganz ähnlichen Pseudonardus ist die Centralhöhle eine Pseudogaster, und seine 
Mündung ein Pseudostom (Fig. 15). Erst durch die genaueste Untersuchung von 
Längsschnitten bei starker Vergrösserung kann man hier in jedem einzelnen Falle 
erkennen, welche von beiden Formen vorliegt. 

Sehr merkwürdige Ascon-Stöcke können endlich auch dadurch entstehen, dass 
zwei oder mehrere (bisweilen sehr zahlreiche) Pseudonardus-Stöcke mit einander 
verwachsen, so z. B. in sehr ausgezeichneter Weise bei Ascaltis cerebrum (Taf. 8, 
Fig. 11). Der mächtige runde Schwammkörper dieser Figur, dessen Oberfläche ähn- 
lich gewunden ist, wie das Cerebrum der Säugethiere, scheint auf den ersten Blick 
ein Turrus oder Tarropsis zu sein, mit zahlreichen Oscula, deren jedes einer 
Gruppe von vereinigten Personen entspricht (Fig. 12). In der That ist aber jedes 
solches Osculum nur ein Pseudostoma, das in eine mehr oder weniger entwickelte 
Pseudogaster hineinführt, wie der Längsschnitt lehrt (Fig. 13). Solche Stöcke 
mit mehreren Pseudogastern und Pseudostomen, die aus einer Mehrzahl von Pseu- 
donardus-Stöcken zusammengesetzt und wohl meist durch Concrescenz entstanden 
sind, können als Pseudotarrus unterschieden werden. 


Pseudostoma oder Scheinmund. 


In allen Fällen, in welchen ein Auloplegma-Stock eine Pseudogaster entwickelt, 
und dadurch in die Pseudonardus-Form übergeht, entsteht zugleich als Oeffnung 
dieses Scheinmagens ein Pseudostoma oder Scheinmund. Ausserdem kömmt 
es aber oft auch an der Oberfläche von mundlosen Auloplegma-Stöcken zur Bildung 
solcher Pseudostomata, ohne dass sich zugleich eine deutliche Pseudogaster bildete; 
wie denn überhaupt diese letztere in allen Stadien der Ausbildung anzutreffen ist. 
Bisweilen ist die ganze Oberfläche von Auloplegma-Stöcken mit zahlreichen Pseudo- 
stomen bedeckt, die dann leicht für wahre Oscula gehalten werden können. So 
habe ich selbst früher bei zwei Ascon-Arten, welche constant nur mundlose Stöcke 
bilden, nämlich bei Ascetla elathrus und bei Ascaltis canariensis, Oscula zu finden 
geglaubt und die Auloplegma-Formen derselben im Prodromus als Tarrus oder 
Tarroma beschrieben. Erst nachträglich habe ich durch genauere Untersuchung 
erkannt, dass jene angeblichen Oscula in der That Pseudostomata waren. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 287 


Der einzige Autor, der bisher Pseudostomata (jedoch ohne Pseudogaster!) ge- 
sehen und erkannt hat, ist O. Schmipr. Er sagt von den Oscula der Nardoa 
reticulum (= Ascandra retienlum, H.): „Es sind zwei Fälle möglich und realisirt. 
Entweder öffnet sich ein wimpernder Canal, und wohl nur dies würde einem wahren 
Osculum entsprechen; oder aber es öffnet sich nicht ein Wimpercanal, sondern ein 
kleinerer Complex des Canalgeflechtes umgiebt sich mit einem Schornstein, in wel- 
chen also nicht die Canäle, sondern die Lücken einmünden !).“ Diese Angabe ist 
vollkommen richtig, und ich selbst habe sowohl bei Ascetta primordialis, als auch 
gerade bei derselben Ascandra reticulum beiderlei Mündungsformationen nicht selten 
beobachtet. Auf Taf. 20 habe ich in Fig. 12 im Längsschnitt einen Nardorus abge- 
bildet, dessen anastomosirende Röhren sich durch ein wirkliches gemeinsames Osculum 
oben öffnen; und in Fig. 15, ebenfalls im Längsschnitt, ein mundloses Auloplegma, 
dessen Pseudogaster sich oben durch ein Pseudostom öffnet (Pseudonardus). Nie- 
mals habe ich aber beobachtet, dass Oscula und Pseudostomata auf einem und 
demselben Stocke neben einander vorkommen. Vielmehr habe ich Pseudostomata 
stets nur auf der Oberfläche von mundlosen Ascon-Stöcken (Auloplegma) gefunden. 

Selten ist das Pseudostom der Asconen bloss eine einfache grössere Oeffnung 
in der äusseren Oberfläche des Stockes; ein scharf umschriebenes, nacktes, rundes 
Loch, welches bedeutend grösser als die Pseudodermal-Ostien ist, und in welches 
mehrere Intercanäle gemeinsam einmünden. Gewöhnlich erhebt sich vielmehr der 
Rand dieses Loches ringförmig, und verlängert sich in eine kürzere oder längere 
cylindrische Röhre, welche ganz dem dünnhäutigen „Rüssel“ der Nardopsis und 
Tarropsis gleicht (Taf. 8, Fig. 7—13). Den Unterschied dieses „rüsselförmigen‘“ 
Pseudostoms von dem wahren Rüssel der Nardopsis und Tarropsis erkennt man 
sofort auf einem Längsschnitt oder Querschnitt, der vorsichtig mit einer scharfen 
feinen Scheere anzufertigen ist. Der wahre Rüssel der letztgenannten Formen be- 
steht immer nur aus einer einzigen, einfachen, äusserst zarten und dünnen Syn- 
cytium-Lamelle, die durch ein zartes Skelet gestützt wird. Das rüsselförmige Pseu- 
dostom der Auloplegma-Stöcke hingegen besteht aus zwei solchen dünnen Lamellen, 
welche durch einen sehr engen ringförmigen Hohlraum von einander getrennt sind 
und am oberen freien Rande (der „Ausflussöffnung‘‘) in einander übergehen (Taf. 8, 
Fig. 9u; Fig. 13u; Taf. 20, Fig. 15, 17). Der ringförmige enge Hohlraum zwischen 
den beiden concentrischen Cylindern gehört zum Gastrocanal-System und ist auch 
bisweilen (aber nicht immer!) noch mit Geissel-Epithel ausgekleidet. 


2. Das Intercanal-System der Leuconen. 


Im Gegensatz zu der merkwürdigen Entwickelung und dem daran geknüpften 
hohen morphologischen Interesse, welches das Intercanal- System bei den Asconen 


1) ©. Scumipt, Algier Spong. 1868, p. 28; Taf. V, Fig. 8. 


288 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


erreicht, ist es hingegen bei den Leuconen verhältnissmässig selten zu finden und 
auch dann gewöhnlich nur schwach entwickelt. Dasselbe tritt in dieser Familie nur 
bei jenen wenigen Arten auf, deren Körper geflechtartige Stöcke bildet, die aus 
schlanken und verhältnissmässig dünnwandigen, anastomosirenden Röhren zusammen- 
gesetzt sind. Diese Stöcke verhalten sich dann gewöhnlich ganz ähnlich, wie die 
eben ausführlich besprochenen Röhrengeflechte der Asconen; nur sind sie immer viel 
schwächer entwickelt, die Aeste des Geflechts weniger zahlreich und die Lücken 
zwischen denselben, die Intercanäle, daher spärlicher. 

Ein Intercanal-Geflecht von nennenswerther Entwickelung habe ich nur bei fol- 
genden Leuconen gefunden: Leucetta primigenia, var. isoraphis, Taf. 21, Fig. 3—6; 
Leucetta sagittala, Taf. 22, Fig. 2; Leucetta corticata, Taf. 22, Fig. 4; Leucyssa 
spongilla, Taf. 25, Fig. 11, 12; Leucaltis clathria, Leucandra caminus, Taf. 37, 
Fig. 5, 6; Leucandra crambessa, Taf. 37, Fig. 7, 8; und Leucandra alcicornis, 
Taf. 37, Fig. 3, 4. Die meisten von diesen Röhrengeflechten waren mit einer oder 
mit mehreren °Mundöffnungen versehen, nur wenige mundlos (Aphroceras). Die 
einzelnen Formen der Coenostomiden und Artyniden, die vorzüglich solche Geflechte 
bilden, entsprechen in ihrem Aeusseren ganz den sehr ähnlichen Ascon-Stöcken der 
Nardopsiden und Tarromiden. Nur durch die Structur der Röhrenwand sind sie 
wesentlich verschieden. 

Eine Pseudogaster und ein Pseudostom habe ich bei den Leuconen nie- 
mals vorgefunden. Doch wäre es wohl denkbar, dass diese merkwürdigen Bildungen 
auch in dieser Familie wiederkehren und dass die mundlosen Leucon-Stöcke (Aphro- 
ceras) ähnliche Formen erzeugen, wie unter den mundlosen Ascon-Stöcken (Aulo- 
plegma) die Pseudonardus-Stöcke repräsentiren. 

Wahrscheinlich finden sich solche mundlose Stöcke mit Pseudogaster und Pseu- 
dostom auch bei den Kieselschwämmen und Hornschwämmen (deren Magenwand in 
ihrer Structur mit derjenigen der Leuconen übereinstimmt) nicht selten vor. Ich 
glaube den Anfang zu solchen Bildungen bei manchen Formen von Badeschwämmen 
(Euspongia) zu finden, deren trichterförmiger oder fast glockenförmiger Körper sich 
zur Bildung einer grossen Pseudogaster anzuschicken scheint. Ebenso möchte ich 
als Pseudogaster die grosse Höhle in dem bekannten riesigen Becherschwamme (Po- 
terium Neptuni) deuten, der in Harrına’s Monographie neulich so ausführlich be- 
schrieben worden ist.). 


Die Intercanäle der Leuconen. 


Unter den angeführten Leucon-Arten, welche ein Intercanal-System bilden, be- 
findet sich keine Form, welche an Regelmässigkeit in der Bildung der Intercanäle 
den vorher beschriebenen regelmässigen Röhrengeflechten der Asconen zu vergleichen 


1) P. HARTING, Memoire sur le genre Poterion. Utrecht 1870. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 289 


wäre. Gewöhnlich erscheinen vielmehr die Intercanäle hier nur als unregelmässige 
Lücken oder Spalten zwischen den anastomosirenden Aesten oder Personen des Leucon- 
Stockes. Meistens ist der Durchmesser der Intercanäle ungefähr ebenso gross als 
derjenige der Röhren. Eine Verwechselung der Intercanäle mit den wahren Gastro- 
canälen, wie sie bei den Asconen leicht vorkommt und oft geschehen ist, erscheint 
bei den Leuconen, schon wegen der viel bedeutenderen Grösse dieser Stöcke, kaum 
möglich. 


3. Intercanal-System der Syconen. 


In sehr eigenthümlicher und interessanter Weise bildet sich das Intercanal-System 
bei den Syconen aus. Es findet sich hier nur bei dem einen der drei Typen, die 
wir in dem Canal-System dieser Familie unterschieden haben. Nur die Syconen 
des Syconopa-Typus besitzen sämmtlich Intercanäle, und zwar entstehen diese 
hier dadurch, dass die Radial-Tuben nur mit ihren Rändern, nicht mit ihren Flä- 
chen verwachsen. Die radialen einfachen Canäle, welche zwischen diesen verwach- 
senden Rändern übrig bleiben, sind die Intercanäle. Bei den Syconen der anderen 
beiden Typen fehlen dieselben. Bei dem Syconaga-Typus, wo die Tuben gar nicht 
verwachsen, bleiben zwischen ihnen freie Räume, welche sich nicht zu besonderen 
Intercanälen gestalten. Bei dem Syconusa-Typus, wo die Radial- Tuben so eng 
gedrängt stehen, dass sie mit ihren ganzen Flächen verwachsen, bleiben überhaupt 
zwischen denselben gar keine Räume übrig. 

Die Intercanäle der Syconen sind zuerst von KÖLLIKER (1364) bei Sycandra 
(Dumstervillia) elegans beobachtet und mit folgenden Worten beschrieben worden: 
„An der ganzen äusseren Fläche des Körpers finden sich eine Menge Einströmungs- 
löcher, welche in lange, gerade, weite Wimpercanäle führen, die, durch die ganze 
Dicke der Leibeswand verlaufend, in die innere Höhle ausmünden. Ausserdem finden 
sich noch andere, engere, gerade, nicht flimmernde Canäle in der Leibeswand, 
die Ausströmungscanäle zu sein scheinen, jedoch in ihren Verhältnissen nicht genau 
zu ermitteln waren‘“!). Diese letzteren, „nicht flimmernden Canäle“ sind die radialen 
Intercanäle; die ersteren, die „Wimpercanäle“, sind die Radial- Tuben. Uebrigens 
fungiren bei den mündigen Syconen nicht, wie KÖLLIKER meint, die Intereanäle als 
„Ausströmungscanäle“, sondern gerade umgekehrt als „Einströmungscanäle“. 

Hierauf hat sodann Liegerkünn über die Intercanäle der Syconen folgende Bemer- 
kung gemacht, zu deren richtigem Verständniss vorauszuschicken ist, dass LIEBERKÜHN 
unter Sycon hier nur die Sycandra eiliata versteht; diese Species gehört zum Sycon- 
aga-Typus und hat meistens ganz freie Radial-Tuben, ohne Intercanäle; sie unter- 
scheidet sich dadurch wesentlich von der Sycandra (oder Dunstervillia) elegans, welche 
zum Syconopa-Typus gehört und sehr ausgezeichnete Intercanäle besitzt. Ueber 


1) KöLLıker, Icones histolog. I. Heft. 1864. p. 63, Taf. IX, Fig. 4, 5. 
Haeckel, Kalkschwimme, I. 19 


290 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


diese bemerkt nun LiEBERKÜHN Folgendes: „Die Gattung Dunstervillia hat eine ein- 
fache Körperhöhle und gleicht darin den Syconen. Wie KÖLLIKER zuerst genauer an- 
gegeben hat, hat die Leibeswand zwei Arten von Canälen, wimpernde und nicht wim- 
pernde. Die wimpernden verlaufen durch die ganze Leibeswand und besitzen aussen 
Einströmungslöcher. Ueber die nicht wimpernden liess sich nichts aussagen. Diese 
findet man bei den Syconen noch nicht; es ist jedoch nicht schwierig, die Syconen 
sich in der Art verändert vorzustellen, dass sie mit Dunstervillia übereinstimmen. 
Man braucht nur anzunehmen, dass die auf der Oberfläche der Syconen frei vor- 
ragenden Kegel so nahe an einander rücken, dass ihre Wandungen mit einander 
verschmelzen, mit Ausnahme einer Seite, wo dann eine Lücke bleibt. Solche Lücken, 
die verschieden ausgedehnt sein können, würden zum Gebiet der Einströmungscanäle 
gehören, wenn von ihnen aus Einströmungslöcher in die benachbarten Wimperapparate 
führten, zu dem Ausströmungsgebiet, wenn sie in die centrale Höhle ausliefen. Nehmen 
wir noch dazu, dass die Gallertsubstanz massenhafter auftritt, als bei Sycon, so 
erhalten wir das, was KÖLLIKER als characteristisch für Dunstervillia abbildet“ t). 
Der dritte und letzte Autor, welcher die Intercanäle der Syconen erwähnt, ist 
Oscar Schmipr (1868). Bei Beschreibung der Syconella quadrangulata (= Syeortis 
quadrangulata, H.) bemerkt er: „Der Körper ist durch hervorstehende Nadelbündel 
borstig und mit Reihen fast quadratischer Vertiefungen versehen. Dieselben werden 
gebildet durch je vier der von KÖLLIKER und namentlich von LiEBERKÜHN ausführlich 
geschilderten Hohleylinder, welche nicht nur mit ihren kegelartigen Hervorragungen 
aus einander rücken, sondern bis zur Wandung der grossen Körperhöhle einen weiten 
Gang zwischen sich lassen, der nach der Körperhöhle durch die Wandung derselben 
geschlossen ist. Auf der letzteren öffnen sich die Hohlräume der Cylinder“. ScHmIpr 
eitirt sodann die vorher angeführte Stelle von LIEBERKÜHN, und bemerkt dazu: „In 
unserem Falle sehen wir diese theoretischen Beobachtungen verwirklicht, aber nicht 
durch das theilweise Verschmelzen, sondern durch das gänzliche Auseinanderweichen 
der Hohleylinder“ 2). Indessen ist diese Bemerkung insofern doch unrichtig, als die 
Intercanäle (die „Gänge zwischen je vier Hohleylindern“) ja erst, durch Verwachsung 
der Radial-Tuben an ihren Berührungs-Rändern (d.h. mit anderen Worten, durch 
„theilweises Verschmelzen der Hohleylinder“) überhaupt zu Stande kommen. Die 
Begrenzungsflächen der Intercanäle sind demnach lediglich die äusseren oder der- 
malen Oberflächen der Radial-Tuben, von dem Syneytium ihres Exoderms bekleidet. 


Die Intercanäle der Syconen. 


Von besonderem Interesse sind die Intercanäle der Syconen dadurch, dass sie 
bei verschiedenen Arten dieser Familie ganz verschiedene, constante und characte- 


1) LIEBERKÜHN, Arch. f. Anat. Physiol. 1865, p. 743. 
2) O. ScHamiptT, Algier Spong. 1868, p. 29. 


2. Organologie. A. Das Canal-System. 291 


ristische Formen annehmen (Taf. 60, Fig. 11—14). Bei einer einzigen Art (Sycandıra 
glabra, Taf. 60, Fig. 14) sind dieselben eylindrisch, (bisweilen auch cylindrisch- 
prismatisch, jedoch mit abgerundeten Kanten). Bei allen übrigen Arten sind die 
Intercanäle prismatisch, und zwar nur bei einer einzigen Art (Sycortis lingua) 
irregulär-prismatisch, bei den übrigen regulär-prismatisch. Die regulären Pris- 
men sind entweder dreiseitig oder vierseitig. Die dreiseitig-prismatischen Inter- 
canäle finden sich bei Sycetta strobilus (Taf. 42, Fig.5, 6) und bei fünf Arten des 
Genus Sycandra (ampulla, raphanus, capillosa, setosa, villosa; Taf. 60, Fig. 11). 
Jeder Intercanal wird hier durch drei Seiten von drei benachbarten, mit den Kanten 
zusammenstossenden sechsseitigen Radial-Tuben begrenzt. Häufiger sind die Inter- 
canäle vierseitig-prismatisch. Dann wird jeder Intercanal entweder durch vier 
Seiten von vier im Kreuz zusammenstossenden vierseitigen Radial- Tuben einge- 
schlossen (‚Sycortis quadrangulata, Sycandra Schmidti, Taf. 58, Fig. 2; Taf. 60, 
Fig. 13); oder durch vier Seiten von vier im Kreuz zusammenstossenden achtseitigen 
Radial-Tuben, so bei Sycetta cupula (Taf. 42, Fig. 10) und bei vier Species von 
Sycandra (arborea, alcyoncellum , elegans, Humboldtü; Taf.58, Fig. 3; Taf. 60, 
Fig. 12). 

Wenn die Radial-Tuben der Syconen in ihrer ganzen Länge mit den Berüh- 
rungs-Rändern oder Kanten verwachsen, so sind die zwischen ihnen gelegenen Inter- 
canäle ebenso lang als die Tuben selbst und reichen von der gastralen bis zur 
dermalen Fläche, so bei ‚Sycetta strobilus und S. cupula, bei Sycandra capillosa, 
S. villosa und S. glabra. In diesen Fällen fehlen freie Distal-Kegel völlig. Ge- 
wöhnlich aber bleiben die distalen Enden der Radial-Tuben frei, im äusseren Viertel 
oder Drittel nicht verwachsen, und dann ragt dieses distale Ende als Distal-Conus 
frei vor. Die Intercanäle sind dann um die Länge der Distal-Kegel kürzer als die 
Radial-Tuben (so bei den anderen angeführten Arten). 

In allen Fällen ist das innere oder proximale Ende jedes Intercanals blind ge- 
schlossen und durch die dünne Wand der ursprünglichen Magenhöhle begrenzt. Das 
äussere oder distale Ende ist dagegen stets offen und fungirt im Sinne der Autoren 
als „Einströmungsloch“. Wir können diese äussere Oeffnung des Intercanals auch 
als „Pseudodermal-Ostium“ bezeichnen, wie bei den Auloplegma-Stöcken der 
Asconen. Bei den Syconopa-Formen mit freien Distal-Kegeln erscheint dieses Pseu- 
dodermal-Ostium als ein mehr oder weniger vertiefter, trichterförmiger „Einströ- 
mungscanal“. Bei denjenigen Syconopa-Formen hingegen, deren Radial-Tuben in 

' der ganzen Länge mit den Kanten verwachsen sind, (daher ohne Distal-Kegel), liegt 
das Pseudodermal-Ostium in der Dermal-Fläche, bisweilen regelmässig alternirend 
mit den wahren Dermal-Ostien der Tuben (z. B. bei Sycetta strobilus und . cupula, 
Taf. 42, Fig. 6, 10). Doch ist dasselbe gewöhnlich mehr oder weniger durch das 
'Skelet der Dermal-Fläche verdeckt. 

1gE 


292 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Die dünnen Wände der Radial-Tuben, welche zugleich die Intercanäle begrenzen, 
und welche ihr Entoderm der Tuben-Höhle, ihr Exoderm dem Intercanal-Raum zu- 
kehren, sind porös. Durch die unbeständigen Poren derselben tritt das Wasser, 
welches durch das Pseudodermal-Ostium in den Hohlraum des Intercanals gelangt 
ist, aus diesem in die Tuben-Höhle. Die Intercanäle fungiren demnach (gewöhnlich !) 
als „Einströmungs - Canäle“. 


Einströmungs-Canäle und Ausströmungs-Canäle der Spongien. 


Die Termini techniei, mit welchen fast in allen spongiologischen Arbeiten die 
verschiedenen grösseren und kleineren Oeffnungen an der Oberfläche des Schwamm- 
körpers und die davon ausgehenden Canäle im Inneren bezeichnet werden, sind 
einestheils: „Einströmungs-Canäle, Einfluss-Röhren, Incurrent canals, Inhalant 
tubes, Canales afferentes; Einströmungs-Oeffnungen, Einfluss-Löcher, Inceurrent open- 
ings, Imbibing mouths“; anderentheils: „Ausströmungs-Canäle, Ausfluss-Röhren, 
Excurrent canals, Exhalant tubes, Canales efferentes; Ausströmungs-Oeffnungen, 
Ausfluss-Löcher, Excurrent openings, Egesting orifices“ etc. etc. Diese Kunstaus- 
drücke haben grenzenlose Verwirrung in der Spongien-Literatur angerichtet und sind 
zum grossen Theile Schuld an dem unvollkommenen Zustande der Begriffe in der 
Spongiologie. Ich verwerfe sie sämmtlich ein für allemal und gebrauche sie 
niemals, und zwar aus folgenden fünf Gründen: 

1) Die angeführten Ausdrücke sind sämmtlich falsch, weil die Canäle und Oeff- 
nungen des einführenden Systems („Incurrent System“) keineswegs constant Was- 
serströme einführen, vielmehr häufig auch ausführen; und weil umgekehrt die 
Canäle und Oeffnungen des ausführenden Systems („Excurrent System“) nicht 
bloss Wasser ausführen, sondern auch einführen können, wie ich unten im dritten 
Abschnitte zeigen werde. 

2) Die angeführten Ausdrücke sind ganz unbrauchbar, weil sie von den ver- 
schiedenen Autoren im verschiedensten Sinne gebraucht worden sind, was theils 
auf irrthümlichen Beobachtungen, theils auf irrthümlichen Deutungen richtiger Be- 
obachtungen beruht. Die Bedeutung jener Ausdrücke ist daher bei den verschie- 
denen Autoren so verschieden, dass eigentlich in jedem einzelnen Falle der Name 
des Autors an den betreffenden Terminus angehängt werden müsste, um zu wissen, 
was darunter verstanden werden soll. Die geradezu widersprechenden Bezeichnungen 
der Einströmungs- und Ausströmungs-Oeffnung etc. sind sehr oft von verschiedenen 
Autoren für eine und dieselbe Oefinung gebraucht worden. 

3) Die angeführten Ausdrücke sind desshalb schädlich, weil sie auf der irrigen 
Vorstellung beruhen, dass das Canal-System der Spongien etwas ganz Specifisches, 
eine ganz eigenthümliche Organisations-Einrichtung sui generis sei, die sich nicht 
mit den Gefäss-Systemen anderer Thiere vergleichen lasse. Die allgemein herrschende 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 293 


Vorstellung von der specifischen Natur dieses „Wassergefäss-Systems“ hat die na- 
türliche Auffassung desselben und namentlich seine Vergleichung mit dem homologen 
Gastrocanal-System der Nesselthiere verhindert. 

4) Die angeführten Ausdrücke sind schon desshalb bedeutungslos, weil sie 
für die Hohlräume und Oeffnungen sowohl des wahren Gastrocanal-Systems als 
auch des falschen Intercanal-Systems gebraucht worden sind. Dass überhaupt 
diese beiden ganz verschiedenen Canal-Systeme bisher nicht scharf getrennt wurden, 
rührt zum grossen Theile davon her, dass man die Intercanäle bald als Einströmungs- 
Canäle, bald als Ausströmungs-Canäle mit wahren Gastrocanälen identificirte. 

5) Die angeführten Ausdrücke sind vor allen desshalb verwerflich, weil sie 
auf einer (noch dazu unrichtigen) physiologischen Anschauung beruhen, und der 
festen morphologischen Basis entbehren. Ich habe bereits in der generellen 
Morphologie auseinander gesetzt, warum überhaupt bei der topographischen und 
organologischen Bezeichnung der Körpertheile die morphologischen Bezeichnungen 
stets den Vorzug vor den physiologischen verdienen. Die ersteren beruhen auf 
Homologien, auf Vergleichungen, deren unveränderliche Grundlage die Verer- 
bung von gemeinsamer Stammform liefert; die letzteren hingegen bloss auf Ana- 
logien, auf Vergleichungen, deren schwankende Unterlage die Anpassung an ver- 
änderliche Existenz- Bedingungen ist!). Schon aus diesem Grunde allein würde die 
von mir hier angewendete Nomenclatur den Vorzug vor derjenigen verdienen, welche 
bisher allgemein zur Bezeichnung der verschiedenen Theile des Canal-Systems der 
Spongien angewendet wurde. 


B. Das Skelet - System. 


Das Skelet-System ist bei den Spongien nächst dem Canal-System das einzige, 
selbstständig entwickelte und morphologisch-differenzirte Organ-System. Doch steht 
dasselbe sowohl an morphologischer als an physiologischer Bedeutung weit hinter 
dem Canal-System zurück. Denn erstens ist das Skelet-System nicht, wie das Gastro- 
canal-System, ein integrirender Bestandtheil des Spongien-Organismus, welcher mit 
Nothwendigkeit zu dem Begriffe der Spongie gehört; dies beweisen die skeletlosen 
Schwämme (Halisarcinen, Gummineen etc.). Zweitens aber ist das Skelet-System in 
seiner ganzen Entwickelung und Differenzirung abhängig von dem Gastrocanal-System, 
an dessen primäre, massgebende Bildung sich ersteres secundär anpasst. Dennoch 
ist die vergleichende Anatomie des Skelet-Systems, obwohl bisher in hohem Masse 
vernachlässigt, an sich von Interesse und verdient ein weit eingehenderes Studium, 
als ihr bisher zu Theil wurde. 


1) HAECKEL, Generelle Morphologie, 1866, Bd. I, p. 397. 


294 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Die Kalk-Spieula, welche das Skelet der Kalkschwämme zusammensetzen, sind 
ebenso wie die Kiesel-Spicula der Kieselschwämme bei der grossen Mehrzahl der 
Arten nicht ordnungslos durch einander geworfen, sondern in mehr oder minder 
regelmässiger Weise, oft äusserst verwickelt und sehr zierlich angeordnet. Auch 
sind dieselben an verschiedenen Körpertheilen, am oralen und aboralen Ende, an der 
gastralen und dermalen Fläche oft sehr bedeutend differenzirt und mannichfaltig 
ausgebildet. Bei vielen Kieselschwämmen ist diese regelmässige Anordnung der 
Spicula und ihre mannichfaltige Differenzirung an verschiedenen Körperstellen bereits 
vielfach Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen. Bei den Kalkschwämmen 
hingegen ist dies nicht der Fall. Abgesehen von BOWERBANK, der die Zusammen- 
setzung des Kalk-Skelets bei seinen zwölf britischen Caleispongien-Arten ziemlich 
genau beschrieben hat, sind die Spongiologen fast gar nicht auf dieses Verhältniss 
eingegangen. Und dennoch zeigen die Kalkschwämme in Bezug auf regelmässige, 
mannichfaltige und verwickelte Zusammensetzung ihres Skelets kein geringeres Interesse 
als die übrigen Spongien; und das Kalk-Skelet vieler Caleispongien ist im Kleinen 
ebenso zierlich und merkwürdig gebaut, als das berühmte Kiesel-Skelet der Euplectella 
und Corbitella im Grossen. Ja, einige Caleispongien-Arten dürften in dieser Bezie- 
hung als die schönsten und zierlichsten aller Spongien gelten, wie namentlich viele 
Syconen (Sycandra Schmidtü, arborea, elegans, hystrix ete.). Die specielle Be- 
schreibung des Skelets aller Kalkschwamm-Arten im natürlichen System des zweiten 
Bandes wird diese Behauptung rechtfertigen. Hier beschränke ich mich darauf, eine 
allgemeine Uebersicht über die Verhältnisse zu geben, welche hierbei in Betracht 
kommen. 


Combinationen der verschiedenen Nadelformen. 


Der erste Punkt, welcher bei einer allgemeinen Betrachtung des Skelets der 
Kalkschwämme ins Auge gefasst werden muss, ist die verschiedenartige Zusammen- 
setzung desselben, welche durch die verschiedenen Combinationen der drei, früher 
beschriebenen Nadelformen entsteht. Diese Combinationen der drei Hauptformen der 
Spicula sind von der grössten Wichtigkeit für die natürliche Systematik und in 
Folge dessen für die Genealogie der Kalkschwämme. Sie liefern uns die besten An- 
haltspunkte zur Aufstellung der Genera im natürlichen System der Calcispongien. 
Dies beruht darauf, dass die Combination der Nadeln in der Skelet-Structur strenger 
erblich und weniger dem Wechsel unterworfen ist, als die Form der Nadeln selbst, 
und als jedes andere für die Systematik direct verwerthbare Verhältniss. 

Wir können zunächst unterscheiden: I. solche Kalkschwämme, bei denen das 
Skelet nur aus einer Hauptform von Nadeln besteht (Haploraphidia); TI. solche 
Kalkschwämme, bei denen zwei verschiedene Hauptformen von Nadeln combinirt sind 
(Diploraphidia) ; und endlich III. solche Kalkschwämme, bei denen alle drei Haupt- 


2. ÖOrganologie. B. Das Skelet-System. 295 


formen der Nadeln das Skelet zusammensetzen (Triploraphidia). Von den hundert 
und elf Species unseres natürlichen Systems gehören zu den Haploraphidien 
32 Arten (12 Asconen, 10 Leuconen, 10 Syconen); zu den Diploraphidien 30 Arten 
(13 Asconen, 8 Leuconen, 9 Syconen); zu den Triploraphidien 49 Arten (14 As- 
conen, 17 Leuconen, 18 Syconen). 

Die Haploraphidia (32 natürliche Species), deren Skelet bloss aus einer ein- 
zigen Hauptform von Nadeln besteht, können weiter in folgende drei Gruppen zer- 
fallen: I. Triscelidia: das Skelet besteht bloss aus Dreistrahlern (3 Arten Ascetta, 
5 Arten Leuecetta, 5 Arten Sycetta; zusammen 183 Species). II. Tetrascelidia: 
das Skelet besteht bloss aus Vierstrahlern (2 Arten Aseilla, 2 Arten Lexeilla, 4 Arten 
Syeilla; zusammen 8 Species). II. Monoscelidia: das Skelet besteht bloss aus 
Stabnadeln (2 Arten Ascyssa, 3 Arten Leueyssa, 1 Art Syeyssa; zusammen 6 Species). 

Die Diploraphidia (30 natürliche Species), deren Skelet aus zwei verschie- 
denen Hauptformen von Nadeln combinirt ist, können ebenfalls in drei untergeordnete 
Gruppen eingetheilt werden: I. Amphiscelidia: das Skelet ist aus Dreistrahlern 
und Vierstrahlern zusammengesetzt (7 Arten Ascaltis, 6 Arten Leucaltis, 5 Arten 
Sycaltis; zusammen 18 Species). II. Episcelidia: das Skelet ist aus Dreistrah- 
lern und Stabnadeln zusammengesetzt (5 Arten Ascortis, 1 Art Lencortis, 3 Arten 
Sycortis; zusammen 9 Species). II. Parascelidia: das Skelet ist aus Vierstrah- 
lern und Stabnadeln zusammengesetzt (1 Art Asculmis, 1 Art Leuculmis, 1 Art 
Syculmis; zusammen 3 Species). 

Die Triploraphidia (Triploscelidia: 49 natürliche Species), deren Skelet 
aus allen drei Hauptformen von Nadeln, aus Dreistrahlern, Vierstrahlern und Stab- 
nadeln combinirt ist, bieten naturgemäss durch diese Combination den grössten Spiel- 
raum für die Differenzirung des Skelets im Einzelnen, und ihre drei Genera ent- 
halten demnach auch wirklich die zahlreichsten Species (14 Arten Ascandra, 17 Arten 
Leucandra, 18 Arten Sycandra; zusammen 49 Species). 

Stellt man die verschiedenen Combinationen der Spieula-Formen bei den Kalk- 
schwämmen bezüglich ihrer relativen Frequenz bei den natürlichen Gattungen über- 
sichtlich zusammen, so ergiebt sich die nachstehende statistische Tabelle, in wel- 
cher die Zahlen hinter den natürlichen 21 Genera die Zahl der natürlichen Arten 
angeben. Besonders bemerkenswerth erscheint in dieser Tabelle der gleichmässige 
Parallelismus zwischen den drei natürlichen Familien. Sowohl unter den Asconen, 
als unter den Leuconen und Syconen sind die Triploscelidien artenreicher als alle 
anderen Gattungen. Unter den Diploraphidien sind die Amphiscelidien, und unter 
den Haploraphidien sind die Triscelidien die artenreichsten Genera. 


296 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Tabellarische Uebersicht über die 21 Genera des natürlichen Systems mit 
Angabe der Species-Zahl. 


Zusammensetzung des Skelets aus I. Ascones. II. Leucones. III. Sycones. 
3 Grantien mit Poral- | Grantien mit Ramal- | Grantien mit Radial- 

den drei Hauptformen der Nadeln. Tuben. Tuben. Tuben. 
;1Triscelidia: Sk h 
En „. rs Ascetta 8. | Leucetta 5. | Sycetta 5. 
= aus Dreistrahlern. 
= 
"JTetrascelidia: Skelet besteht 
S r 1 2. Leucill 2. ıll .4. 
= bloss aus Vierstrahlern. u, ne —_. 
5']Monoscelidia: Skelet besteht 

5 3. Ss 1: 
es) bloss aus Stabnadeln. a? RR aka 


Amphiscelidia: Skelet aus Drei- 
strahlern und Vierstrahlern | Ascaltis 7. | Leucaltis 6. | Sycaltis 5. 


= gemischt. $ 
a Episcelidia: Skelet aus Drei- 
3 strahlern und Stabnadeln ge- | Ascortis 5. | Leucortis ik Sycortis 3. 
21 mischt. 
a Ir . 
a Parascelidia: Skelet aus Vier- 
strahlern und Stabnadeln ge- Asculmis 1. | Leuculmis 1. | Syeulmis 1. 
L mischt. 


Triploscelidia oder Triploraphi- 
dia: Skelet aus Dreistrahlern 
Vierstrahlern und Stabnadeln 
zusammengesetzt. 


Ascandra 14. | Leucandra 17. | Sycandra 18. 


Species: 39. Species: 35. | Species: 37. 


Gesetzmässige Anordnung der Nadeln. 


Bei der Mehrzahl der Kalkschwämme sind die Spieula des Skelets nicht regellos 
im Körper zerstreut, sondern mehr oder weniger regelmässig gelagert, oft mit ma- 
thematischer Gesetzmässigkeit geordnet. Diese mannichfaltige Anordnung der Nadeln 
ist zwar nicht in ähnlicher Weise, wie die verschiedenartige Combination der Nadel- 
formen, für die Unterscheidung natürlicher Genera bei den Kalkschwämmen von 
fundamentaler Bedeutung; selbst für die Species-Characteristik ist sie nicht immer 
von entscheidendem Werthe. Denn die Art und Weise der Anordnung wird viel 
unmittelbarer durch die sehr variabeln übrigen Verhältnisse der Organisation (ins- 
besondere des Canal-Systems) bedingt, und ist daher in viel höherem Masse der 
Abänderung durch Anpassung unterworfen. Immerhin ist dennoch die Anordnung 
und Vertheilung der Spicula, theils im ganzen Körper des Kalkschwammes, theils 
an verschiedenen Stellen desselben, für viele Species sehr characteristisch und kann 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 297 


systematisch verwerthet werden. Ausserdem knüpft sich aber an dieselbe auch ein 
sehr bedeutendes allgemeines Interesse. Denn wir können hier nachweisen, dass 
bestimmte gesetzmässige und mannichfaltige Bildungs-Verhältnisse, welche der ver- 
gleichenden Anatomie einen reichen Stoff zur Betrachtung liefern, entstehen und sich 
differenziren nach mechanischen Gesetzen, welche grösstentheils auf Anpassung 
an die physiologischen und morphologischen Verhältnisse des Gastrocanal - Systems 
beruhen. 

Ganz allgemein können wir in Bezug auf die Anordnung der Spicula bei den 
Kalkschwämmen zwei Hauptformen des Skelets unterscheiden, nämlich I, Skelete 
mit ungeordneten Skelettheilen, bei denen die Nadeln ohne alle bestimmte 
Ordnung im Parenchym zerstreut sind, und II. Skelete mit geordneten Skelet- 
theilen, bei denen irgend welche bestimmte Beziehungen und constante Regeln in 
der Lagerung der Nadeln erkennbar sind. 

Völlig ungeordnete Skelete finden sich weder bei den Asconen, noch bei den 
Syconen, sondern nur bei den Leuconen vor, bei diesen aber um so häufiger. Bei 
vielen Leuconen sind allerdings die Spicula an bestimmten Körpertheilen (besonders 
an der gastralen und dermalen Fläche) so regelmässig angeordnet, wie bei Asconen 
und Syconen. Bei vielen anderen Leuconen hingegen sind die Nadeln des dichten 
Parenchyms entweder im ganzen Körper oder in einzelnen Theilen desselben so ohne 
alle bestimmte Ordnung und Regel durch einander gewebt, als ob sie gar keine Be- 
ziehungen weder zu einander, noch zu dem umgebenden Parenchym besässen. Offen- 
bar ist dieser Umstand in Correlation zu der unregelmässigen Verzweigung der 
Parietal-Canäle, welche diese Familie characterisirt. 

Bei den anderen beiden Familien der Kalkschwämme, bei den Asconen und Sy- 
conen, ist dagegen schon durch die eigenthümliche Bildung ihres Canal-Systems eine 
absolut unregelmässige Lagerung der Spicula von vornherein ausgeschlossen. Bei 
den Asconen ist die sehr geringe, überall sich gleich bleibende Dicke der Gastro- 
canal-Wand die Ursache, dass die Spicula (fast immer in einer einzigen einfachen 
Schicht) in der Fläche dieser dünnen Syneytium-Lamelle gelagert bleiben, 

Dasselbe gilt auch von den primären Formen der Syconen (Syconaga), wäh- 
rend bei den seeundären Formen derselben (Syeonopa und Syconusa) schon durch 
die regelmässige Concrescenz der Radial-Tuben eine reguläre Lagerung und gesetz- 
mässige Anordnung der Spicula bedingt wird. 

Die allgemeinste Regel in der Anordnung der Spieula bei den Kalkschwämmen 
ist die, dass die Stabnadeln mit ihrer Längsaxe parallel derjenigen des Canals, in 
dessen Wand sie liegen — die Dreistrahler und die drei facialen Strahlen der Vier- 
strahler hingegen mit ihrer Faecial-Ebene tangential zum Mantel des Cylinders, der 
die Grundform des Canals bildet, gelagert sind. Selten dagegen sind die einfachen 
Nadeln senkrecht auf die Längsaxe des Canals (also radial) gestellt, ebenso selten 


298 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


die drei facjalen Strahlen der Vierstrahler und Dreistrahler. Für den apicalen oder 
freien Strahl der Vierstrahler ist umgekehrt die radiale Stellung als das ursprüng- 
liche Lagerungs-Verhältniss anzusehen. 

Offenbar ist die bestimmte Art und Weise der Lagerung der Spicula in den 
Canalwänden ursprünglich unmittelbar durch den Wasserstrom bedingt, welcher den 
Canal durchfliesst, und zwar lässt sich in dieser Beziehung folgendes allgemeine Ge- 
setz aufstellen: Die Längsaxe der Stabnadeln liegt in einem Meridian 
der Stromesrichtung. Bei den paarschenkeligen Dreistrahlern und 
Vierstrahlern ist der basale Schenkel parallel dem Stromeslauf und 
mit seiner Spitze dessen Richtung entgegengekehrt; die beiden lateralen 
Strahlen dagegen bilden mit der Stromeslinie einen Winkel, der sich meistens dem 
Rechten zu nähern strebt und oft wirklich zum Rechten wird, so dass die beiden 
Lateral-Schenkel ganz oder grösstentheils in einer geraden Linie liegen. Von den 
beiden Winkeln, welche jeder laterale Strahl bei seinem Durchschnitt mit der Strom- 
laufs-Linie bildet, wird der stumpfe Winkel durch den distalen, der spitze Winkel 
durch den proximalen Theil jener Linie gebildet. 

Diesem Gesetze entsprechend finden wir nun bei denjenigen Kalkschwämmen, 
bei denen der Wasserstrom einen sehr geregelten Verlauf nimmt (vor allen also bei 
den Syconen, und demnächst bei den meisten Asconen, aber auch bei vielen Leu- 
conen), dass eine weitere Regelung in der Anordnung der Spicula stattfindet, welche 
wir ein- für allemal als die Parallel-Ordnung bezeichnen wollen. Diese besteht 
darin, dass die entsprechenden Schenkel der benachbarten Spicula 
parallel laufen, und zwar sind die basalen Schenkel aboral nach abwärts 
oder auswärts gerichtet, mit ihrer Spitze der Stromesrichtung gerade entgegengesetzt; 
die lateralen Schenkel hingegen divergiren oral nach aufwärts oder einwärts, so 
dass jeder mit der Stromeslinie nach dem Laufe des Stromes hin einen spitzen oder 
rechten Winkel bildet. 

Ausser diesem allgemeinsten Lagerungs-Gesetze finden sich noch eine Menge 
speciell geregelter Lagerungs-Verhältnisse; doch sind diese bei den drei Familien 
der Asconen, Leuconen und Syconen so verschieden, dass wir sie bei jeder derselben 
gesondert betrachten wollen. 


a. Das Skelet-System der Asconen. 


Wie in der Bildung des Gastrocanal-Systems, so werden auch in der Bildung 
des Skelet-Systems die einfachsten und ursprünglichsten Verhältnisse der 
Organisation bei den Asconen gefunden. Zugleich ist das Skelet-System dieser 
Familie durch mehrere characteristische Eigenschaften ausgezeichnet, durch welche 
es in den meisten Fällen (jedoch nicht immer) von dem der übrigen Kalkschwämme 
sich unterscheidet. Nur die einfachsten und primitivsten Formen der Syconen (die- 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 299 


jenigen des Syconaga-Typus) stimmen in diesen Beziehungen ganz mit den Asconen 
überein. Dies erklärt sich einfach daraus, dass die einfachste Sycon-Person (Syeurus- 
Form des Syconaga-Typus) eigentlich einen, durch strobiloide Knospung entstandenen 
Ascon-Stock (Soleniscus) repräsentirt. 

Die erste characteristische Eigenschaft des Ascon-Skelets besteht darin, dass 
die Spicula ganz oder grösstentheils in der Fläche des Exoderms liegen. Das 
Gitterwerk, welches die Spicula des Ascon-Skelets durch ihre Aneinanderlagerung 
zusammensetzen, ist mithin stets ein flaches Netzwerk, dessen Balken sämmtlich 
in der ‚Fläche des dünnen Dermal-Blattes, also annähernd in einer Ebene liegen; 
niemals ein Flechtwerk, dessen Balken sich in den verschiedensten Richtungen 
des Raumes kreuzen und durchflechten, wie es bei den Leuconen allgemein der 
Fall ist. \ 

Für die drei Hauptformen der Nadeln ist in dieser Beziehung noch Folgendes 

zu bemerken: 1) Die Dreistrahler der Asconen liegen stets völlig in der Fläche 
des Dermal-Blattes und ragen niemals über dieselbe frei hervor; höchstens können 
die Spitzen der Strahlen ein wenig vortreten, so jedoch, dass sie stets von der 
dünnen Sarcodine-Lamelle des Syneytium überzogen bleiben (Taf. 1, Fig. 1). 2) Die 
Vierstrahler der Asconen liegen stets mit ihren drei facialen Strahlen völlig in 
der Fläche des Dermal-Blattes, ohne über dasselbe vorzutreten, ebenso wie die Drei- 
strahler; der vierte oder apicale Strahl hingegen springt immer nach innen frei in 
die Magenhöhle vor (Taf. 6, Fig. 1, 7, 9; Taf. 9, Fig. 2, 7; Taf. 13, Fig. 2q). 3) Die 
Stabnadeln der Asconen liegen ursprünglich ebenfalls ganz in der Fläche des 
Exoderms eingeschlossen (Taf. 7, Fig. 2). Jedoch treten sie bei der Mehrzahl der 
Asconen nachträglich mehr oder weniger nach aussen über diese Fläche hervor, so 
dass bloss das eine Ende eingeschlossen bleibt, das andere haarähnlich oder stachel- 
ähnlich über die Dermalfläche vorspringt. 
. Eine zweite characteristische Eigenschaft des Ascon-Skelets besteht darin, dass 
die Spicula in der dünnen Wand des Exoderms gewöhnlich nur eine einzige 
Schicht von Nadeln bilden; ein einziges Lager, in welchem die gleichartigen 
oder verschiedenartigen Spicula bald locker, bald gedrängter neben einander 
liegen. Selten verdickt sich das Exoderm und dann können sich zwei oder 
mehrere, über einander liegende Schichten von Spicula ausbilden. Dies ist 
der Fall bei Ascetta dietyoides, A. loculosa und 4. poterium (Varietäten von A. 
primordialis); bei Ascaltis Caroli (Varietät von A. Darwinii); bei Ascandra 
arachnoides und A. hispidissima (Varietäten von A. variabilis); und noch bei einigen 
unbeständigen, übrigens seltenen Varietäten von anderen Ascon-Arten. Auch bei 
dieser Verdickung des Exoderms bleiben die Spicula parallel der Dermaltläche ge- 
schichtet, und verweben sich niemals in verschiedenen Richtungen des Raumes durch 
einander, wie es bei den Leuconen der Fall ist. 


300 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Eine dritte characteristische Eigenschaft des Ascon-Skelets, welche übrigens 
eine unmittelbare Consequenz der vorhergehenden ist, besteht darin, dass dasselbe 
zugleich Dermal-Skelet und Gastral-Skelet ist. Bei allen Asconen bleibt 
die Exoderm-Lamelle so dünn, dass kein Raum da ist für die Differenzirung eines 
besonderen dermalen und gastralen Skelets, wie solches bei den Leuconen und Sy- 
conen entsteht. Dieselben Spicula, welche als Dermal-Nadeln bei den Asconen die 
äussere Hautfläche stützen, bilden zugleich als Gastral-Nadeln die Stütze für die 
innere Magenfläche. 

Eine vierte characteristische Eigenschaft des Ascon-Skelets besteht darin, dass 
gewöhnlich die Spicula an den verschiedenen Körperstellen nicht dif- 
ferenzirt, sondern in der ganzen Ausdehnung der Leibeswand, die zugleich Magen- 
wand ist, von gleicher Beschaffenheit sind. “Auch hierdurch stehen die Asconen in 
auffallendem Gegensatze zu den Leuconen und Syconen, bei denen sich an differenten 
Stellen der Leibeswand, z. B. am oralen und aboralen Ende, in dem proximalen 
und distalen Theile, oft sehr differenzirte Skelet-Bildungen entwickeln. 

Diese letztere Regel erleidet übrigens einige Ausnahmen, die jedoch im Ganzen 
wenig Bedeutung haben. Namentlich ist hervorzuheben, dass bei einigen Asconen 
eine ähnliche Differenzirung des Skelets am oralen und aboralen Körperende beginnt, 
wie sie bei den Leuconen und Syconen sich häufig findet. So bildet sich namentlich 
bei einigen Asconen ein besonderes Mund-Skelet aus. In dem Peristom-Kranze 
der kranzmündigen Asconen (Olynthium, Solenidium,, Nardoma, Tarroma) zeigen 
sich die eigenthümlichen, äusserst dünnen und langen Stabnadeln (Stricknadeln), 
welche den Peristom-Kranz bei sämmtlichen kranzmündigen Kalkschwämmen bilden. 
Ferner entwickeln sich eigenthümliche locale Nadelformen in dem dünnen Körper- 
stiele, durch welchen sich manche langgestielte Personen auszeichnen. Ein solches 
Stiel-Skelet, gebildet aus eigenthümlichen Dreistrahlern mit hypertrophischem 
Basal-Strahl und atrophischen Lateral-Strahlen, besitzen in dem dünnen Stiele z. B. 
Ascetta blanca und Ascortis lacınosa. Auch an der aboralen Basis, mit welcher 
die Asconen auf anderen Körpern festsitzen, entwickeln sich nicht selten durch An- 
passung an die Oberfläche der letzteren mehr oder weniger unregelmässige Spieula, 
welche im übrigen Skelet nicht vorkommen. Endlich giebt es einzelne, dicht ge- 
flochtene Ascon-Stöcke, welche sich durch Differenzirung eines besonderen Rinden- 
Skelets an der Oberfläche des dichten Röhren-Geflechtes auszeichnen. Von diesen 
sind namentlich hervorzuheben: Ascetta poterium (Varietät von A. primordialis): 
Die Dreistrahler des Skelets bilden an der Oberfläche des Cormus eine besondere 
Rindenschicht (oder falsche Dermal-Membran) und sind doppelt so lang, viermal so 
dick, als die Dreistrahler des inneren Röhrengeflechtes; Ascaltis decipiens (Varietät 
von A. cerebrum): Die Dreistrahler gehen an der Oberfläche des Cormus aus der 
ursprünglichen regulären Gestalt in die irreguläre über und sind dicker als die re- 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 301 


gulären Dreistrahler des inneren Röhren-Geflechtes; Ascandra reticulata (Varietät 
von A. relienlum): Eigenthümliche Stabnadeln entwickeln sich nur an der Oberfläche 
des Cormus, fehlen dagegen im Inneren. So kommen auch noch bei einigen anderen 
Asconen hie und da an einzelnen Körperstellen besondere Nadelformen zur Ausbil- 
dung, die an den übrigen Theilen des Körpers fehlen. Im Ganzen jedoch sind diese 
localen Differenzirungen des Skelets in der Ascon-Familie sehr selten und 
erreichen nicht annähernd die morphologische Bedeutung, welche sie bei den Leu- 
conen und Syconen besitzen. 


Anordnung der Spicula im Skelet der Asconen. 


Wie aus der vorstehenden Characteristik des Ascon-Skelets hervorgeht, sind bei 
den Asconen die Spicula insofern niemals völlig regellos zerstreut, als sie stets in 
der Fläche der Exoderm-Lamelle liegen. Innerhalb dieser Fläche aber sind die 
Spicula entweder ungeordnet, d.h. ordnungslos durch einander gestreut, oder in 
einer bestimmten Ordnung regelmässig gelagert, geordnet. Dieser Unterschied 
hängt wesentlich in erster Linie von der Richtung der Strömungen im Ascon-Körper 
ab, und in zweiter Linie von der Form der Nadeln, die wiederum durch jene Strö- 
mungen mit bedingt wird; erst in dritter Linie wirken auch noch andere äussere 
Anpassungs-Verhältnisse auf die Lagerung der Spicula ein. 

Ungeordnet, d.h. ohne jede bestimmte Regel innerhalb der Exo- 
derm-Lamelle durch einander gestreut, finden sich die Spicula meisten- 
theils bei jenen Ascon-Formen, bei denen die Wasser-Strömung im Canal-System 
unregelmässig, ohne constante Richtung ist. Das ist gewöhnlich der Fall bei 
den meisten mundlosen Formen (Ülistolynthus, Auloplegma); ferner bei den- 
jenigen mündigen Formen, bei welchen in Folge vielfacher Anastomosen der Röhren 
die Strömung ebenfalls mehr oder weniger unregelmässig wird (Nardopsida, Tarro- 
mida). Bei den meisten hierher gehörigen Formen liegen gewöhnlich die Spieula 
im Exoderm so ohne alle bestimmte Ordnung durcheinander, dass gar keine Gesetz- 
mässigkeit daran wahrzunehmen ist. 

Geordnet, d.h. nach einer bestimmten Regel innerhalb der Exo- 
derm-Lamelle gelagert, finden sich hingegen die Spicula meistentheils bei jenen 
Ascon-Formen, bei denen die Wasser-Strömung im Canal-System regelmässig, 
von constanter Richtung ist. Das ist gewöhnlich der Fall bei den mündigen soli- 
tären Personen (Oiynthida) und bei denjenigen Stöcken, die aus lauter mündigen 
Personen zusammengesetzt sind (Soleniseida). Bei den meisten hierher gehörigen 
Formen sind die Spicula in der Syneytium-Lamelle nach bestimmten Regeln neben 
einander geordnet. Diese Regeln sind bei den verschiedensten Ascon-Arten dieselben, 
jedoch für die drei Hauptformen der Spieula, die Dreistrahler, Vierstrahler und Stab- 
nadeln, besonders zu betrachten. 


302 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Die regelmässige Anordnung der Dreistrahler ist bei den Asconen 
stets diejenige, welche wir vorher als die parallele Anordnung bezeichnet haben. 
Die entsprechenden Schenkel der Dreistrahler laufen sämmtlich parallel, und zwar 
ist der basale Schenkel in aboraler Richtung mit seiner Spitze nach abwärts gegen 
die Basis gekehrt, während die beiden lateralen Schenkel in oraler Richtung gegen 
den Mund hin divergiren. Der basale Schenkel läuft bei wenig gewölbter Magen- 
wand der Längsaxe der Person parallel; bei stark gewölbter Magenwand liegt er in 
einem Meridian, welcher die beiden Pole der Längsaxe verbindet (Taf. 1, Fig. 1). 
Die beiden lateralen Schenkel hingegen bilden mit dem basalen einen stumpfen 
Winkel, der gewöhnlich 120—105 °, seltener 100—90° beträgt. Diesen beiden late- 
ralen oder paarigen Winkeln gegenüber liegt der orale oder unpaare Winkel, welcher 
von den beiden lateralen Schenkeln eingeschlossen ist und gewöhnlich 120— 150°, 
seltener 160— 180° beträgt. Je stärker sich diese sagittale Differenzirung bei den 
geordneten Dreistrahlern ausbildet, desto auffallender tritt auch die regelmässige 
parallele Ordnung im Habitus der Species hervor. Es ist aber ausdrücklich zu be- 
merken, dass dieselbe regelmässige Anordnung eben so wohl bei den regulären, wie 
bei den sagittalen Dreistrahlern sich findet. 

Die regelmässige Anordnung der Vierstrahler ist bei den Asconen 
stets insofern derjenigen der Dreistrahler gleich, als die drei facialen Schenkel der 
Vierstrahler die eben geschilderte parallele Anordnung der Dreistrahler beibe- 
halten; ihr vierter oder apicaler Strahl hingegen springt immer frei in die Magen- 
höhle vor (Taf. 6, Fig. 1, 7, 9; Taf. 9, Fig. 2, 7; Taf. 13, Fig. 2). Es liegt also auch 
bei allen geordneten Vierstrahlern der Asconen der basale Schenkel parallel der 
Längsaxe des Körpers (oder in einem Meridian seiner gewölbten Oberfläche), und 
mit seiner Spitze in aboraler Richtung nach abwärts, gegen die Basis der Person 
gekehrt. Die beiden lateralen Schenkel hingegen divergiren gegen den Mund hin, 
oralwärts. Der orale oder unpaare Winkel ist gegen den Mund geöffnet; die beiden 
lateralen oder paarigen Winkel nach seitwärts und abwärts. Auch bei den Vier- 
strahlern tritt die reguläre Anordnung im Habitus der Species um so auffallender 
hervor, je mehr sie sagittal differenzirt sind; je grösser der orale Winkel auf Kosten 
der beiden lateralen Winkel, und je länger (oder kürzer) der basale Schenkel auf 
Kosten der beiden lateralen Schenkel wird. Der vierte oder apicale Strahl springt 
bei allen Asconen, welche Vierstrahler besitzen, frei in die Magenhöhle vor. Selten 
ist er hier gerade, meistens mehr oder weniger gekrümmt oder hakenförmig, und 
dann stets mit seiner Spitze gegen die Mundöffnung hingewendet. Der verlängerte 
Apical-Strahl bildet dann mit der Längsaxe der Person einen Winkel, welcher in 
oraler Richtung stumpf, in aboraler Richtung spitz ist. 

Die regelmässige Anordnung der Stabnadeln besteht bei den Asconen 
darin, dass dieselben in Meridian-Ebenen liegen, d. h. in Ebenen, welche durch 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 303 


die Längsaxe der Person und die Magenwand gelegt sind. Selten liegen aber die 
Stabnadeln (wie es die parallelen Basal-Strahlen der Dreistrahler und Vierstrahler 
thun) ganz in der Fläche der Exoderm-Lamelle. Vielmehr treten sie mit dem oralen 
oder oberen, gegen die Mundöfinung gerichteten Theile frei über die Dermalfläche 
des Ascon hervor, während sie mit dem aboralen oder unteren, gegen die Basis der 
Person gerichteten Theile in der Syneytium-Lamelle verborgen sind (Taf. 7, Fig. 5; 
Taf. 13, Fig. 2s). Demnach liegen die geordneten Stabnadeln in der Meridian-Ebene 
nicht parallel der Längsaxe der Person, sondern ihre untere Verlängerung bildet mit 
der aboralen Verlängerung der Längsaxe einen spitzen Winkel, welcher gegen den 
Mund hin offen ist. Bisweilen wird dieser Winkel ziemlich gross und dann stehen 
die Stabnadeln aussen weit von der Dermalfläche ab. Unter einander laufen die 
benachbarten Stabnadeln natürlich ziemlich parallel. 

In Betreff der Anordnung der Spieula im Ascon-Skelet ist schliesslich ausdrück- 
lich zu bemerken, dass dieselbe keineswegs für die natürlichen Species characteristisch 
und innerhalb deren Formenkreis constant ist. Vielmehr ist dieselbe so sehr von 
der Richtung der Wasserströmungen abhängig, dass sie nach deren Verschiedenheit 
innerhalb einer und derselben Species die grössten Verschiedenheiten darbietet. So 
habe ich unter den vielen hundert Exemplaren, welche ich von Ascetta primordialis, 
A. coriacea, Ascandra Lieberkihmi, A. variabilis beobachtet habe, fast immer ge- 
funden, dass sich die Spieula bei den mündigen Formen mit constanter Stromes- 
richtung (Olynthida, Soleniseida) regelmässig ordnen, mit parallelen Schenkeln. Bei 
den mundlosen Formen, sowie bei den einmündigen und gruppenmündigen Stöcken 
dieser nämlichen Arten hingegen sind die Nadeln gewöhnlich ohne regelmässige An- 
ordnung zerstreut, entsprechend den unregelmässigen Strömungen. 


b. Das Skelet-System der Leuconen. 


Im Gegensatz zu den Asconen, bei welchen die Zusammensetzung und. Differen- 
zirung des Skelet-Systems die einfachsten und ursprünglichsten Verhältnisse zeigt, 
bieten die Leuconen umgekehrt die grösste Mannichfaltigkeit und die stärkste 
Differenzirung dar, welche im Skelet-System der Kalkschwämme überhaupt vorkommt. 
Dies gilt ganz besonders von der Grösse und Form der Spicula, sowie von der 
bestimmten Art und Weise, in welcher die Nadeln der verschiedenen Formen und 
Grössen-Stufen mit einander combinirt und auf verschiedene Stellen des Skelet-Sy- 
stems vertheilt sind. Nur in der Familie der Leuconen hat die Unterscheidung der 
oben (p. 209) angeführten sechs Grössen-Stufen der Nadeln solchen Werth, dass sie 
überall für die Characteristik der natürlichen Species unmittelbar anzuwenden ist. 
Hingegen stehen die Leuconen mit Bezug auf die Regelmässigkeit der Lagerung und 
Verbindung der Skelet-Theile im Allgemeinen hinter den beiden anderen Familien 


304 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


zurück. Doch ergeben sich auch in dieser Beziehung für das Leucon-Skelet einige 
characteristische Eigenthümlichkeiten. 

Die erste characteristische Eigenschaft des Leucon-Skelets besteht darin, dass 
die Spicula niemals alle, wie bei den Asconen, in einer Fläche liegen, sondern dass 
stets ein Theil derselben in verschiedenen Flächen oder Ebenen liegt, welche 
sich nach verschiedenen Richtungen des Raumes kreuzen. Das Gitterwerk, das die 
sich kreuzenden Nadeln zusammensetzen, ist demnach niemals ausschliesslich ein 
flaches Netzwerk, wie bei den Asconen, sondern stets ein Flechtwerk von mehr 
oder weniger bedeutender Dicke. 

Eine zweite characteristische Eigenschaft des Leucon-Skelets besteht darin, 
dass der grösste Theil der Spicula immer ohne alle Ordnung durch ein- 
ander geworfen ist. Diese völlig unregelmässige Lagerung wird constant nur an 
der dermalen, canalen und gastralen Fläche durch eine mehr oder weniger regelmäs- 
sige Anordnung ersetzt. In der Hauptmasse des Skelets hingegen, welches die ganze 
Dicke der Körperwand zwischen dermaler und gastraler Fläche durchsetzt und die 
Zwischenräume des Canalgeflechts ausfüllt, liegen die Spicula alle oder doch zum 
grössten Theile regellos zerstreut. Diese Eigenthümlichkeit steht in engster Corre- 
lation zu der unregelmässigen Bildung des Canal-Systems, dessen Ramal-Tuben immer 
mehr oder weniger regellos sich verästeln und anastomosiren. 

Eine dritte characteristische Eigenschaft des Leucon-Skelets besteht darin, dass 
das Skelet der dermalen und gastralen Fläche verschieden von dem 
Skelet des inneren Parenchyms ist, dass zwischen beiden Flächen liegt. Ge- 
wöhnlich sind auch ausserdem die Skelete jener beiden Flächen unter sich verschieden. 
Diese Verschiedenheit beruht oft bloss auf einer regelmässigeren Lagerung der Spi- 
cula in der gastralen und dermalen Fläche; häufig aber auch auf einer sehr ver- 
schiedenen Grösse und Form derselben. Wir haben also als drei verschiedene Ab- 
theilungen: 1) das Dermal-Skelet, 2) das Parenchym-Skelet und 3) das Gastral- 
Skelet zu betrachten. 

Eine vierte characteristische Eigenschaft des Leucon-Skelets, die dasselbe eben- 
falls mit dem Sycon-Skelet theilt, besteht darin, dass dasselbe sehr häufig an ver- 
schiedenen Körperstellen local differenzirt ist. So ist namentlich bei 
vielen Leuconen das Skelet in der Wand der verästelten Canäle, wenigstens der 
grösseren, eigenthümlich ausgebildet; bald gleich oder ähnlich dem Skelet der Ga- 
stralfläche, bald von diesem wiederum verschieden. Ausserdem finden sich oft noch 
besondere kleine Eigenthümlichkeiten der Skeletbildung in der Umgebung der Canal- 
Mündungen, der Gastral-Ostien und Dermal-Ostien. Ferner kommen specielle Skelet- 
Differenzirungen besonders am oralen und aboralen Pole der Längsaxe vor, an der 
Mundöffnung oben, und unten an der aboralen Basis, mit welcher der Schwamm 
aufsitzt. In dem letzteren Theile sind gewöhnlich die Spicula durch besonders un- 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 305 


regelmässige Gestalt und Lagerung ausgezeichnet, eine Folge der Anpassung an die 
Unterlage, auf welcher der Leucon festgewachsen ist. An der Mundöffnung findet 
sich bei den nacktmündigen Leuconen gewöhnlich nichts Besonderes, bei den rüssel- 
mündigen und kranzmündigen Leuconen hingegen dieselbe characteristische Skelet- 
Bildung, welche auch die rüsselmündigen und kranzmündigen Syconen auszeichnet. 

Für die drei Hauptformen der Nadeln ist bezüglich ihres allgemeinen Verhaltens 
zum Leucon-Skelet Folgendes zu bemerken: 1) die Dreistrahler bilden in ganz 
überwiegender Menge die Hauptmasse des Skelets bei der grossen Mehrzahl der 
Leuconen, nämlich bei folgenden 22 Species: bei 5 Arten Leucetta (ausschliesslich !), 
bei 5 Arten Leucaltis, bei der einzigen Lexcortis-Art und bei 11 Arten Zeucandra. 
Bei allen diesen Leuconen besteht namentlich das mächtige Parenchym-Skelet ganz 
oder grösstentheils aus Dreistrahlern, während dieselben an der Bildung des dermalen 
und gastralen Skelets geringeren Antheil nehmen. Immer sind die Dreistrahler der 
Leuconen ganz von dem Syneytium des Exoderms umschlossen; niemals treten sie 
mit ihren Schenkeln frei über die dermale oder gastrale Fläche hervor; höchstens 
ragt bei den grösseren Formen der Dreistrahler hie und da eine freie Spitze ein 
wenig über die Fläche vor. 

2) Die Vierstrahler bilden die Hauptmasse des Skelets bei folgenden 9 Leu- 
con-Species: bei 2 Arten von Zexeilla (ausschliesslich!), bei einer Art von Zeucaltis 
(bathybia), bei der einzigen Art von Lexculmis und bei 5 Arten von Lexcandra. 
Ausserdem nehmen sie bei vielen anderen Leucon-Arten bedeutenden Antheil an der 
Bildung des gastralen und canalen, weniger an der Zusammensetzung des dermalen 
Skelets. Sehr oft sind die Vierstrahler, gleich den Dreistrahlern, völlig im Paren- 
chym versteckt. Niemals treten sie mit einem Schenkel frei über die Dermalfläche 
vor. Wo sie hingegen die Gastral-Fläche auskleiden, da springt gewöhnlich ihr 
Apical-Schenkel frei in die Magenhöhle vor, und zwar meistens mit der Spitze oral- 
wärts, gegen die Mundöffnung hin gekrümmt, seltener gerade. Selten erscheint die 
mit Vierstrahlern belegte Gastralfläche glatt; dann liegen die drei facialen Schenkel 
derselben in der Gastralfläche, während der apicale Schenkel centrifugal nach aussen 
in das Wand-Parenchym hineinragt. 

3) Die Stabnadeln bilden nur bei sehr wenigen Leuconen die Hauptmasse 
des Skelets, nämlich bei 3 Arten Leuxeyssa (ausschliesslich), und bei einer Art Leu- 
candra (cataphracta). Hingegen spielen sie eine grosse Rolle im Dermal-Skelet 
vieler Leuconen. Gewöhnlich treten sie in Form von Haaren, Borsten oder Stacheln 
frei über die Dermal-Fläche vor. Seltener sind sie ganz im Parenchym versteckt. 
Eigenthümlich ist der gypsartige, aus Millionen winziger Stabnadeln zusammenge- 
setzte „Stäbchen-Mörtel,“ welcher bei Leueyssa eretacea das ganze Skelet, bei 6 Arten 
von Leucandra (bei dem Subgenus Leucomalthe) einen sehr bedeutenden Theil des 
Skelets bildet. 


Haeckel, Kalkschwäimme. 1. 20 


306 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


Dermal-Skelet der Leuconen. 


Die Dermalfläche oder äussere Oberfläche der Leuconen ist entweder glatt (kahl); 
oder stachelig (behaart). Eine glatte oder kahle Dermalfläche besitzt die grosse 
Mehrzahl der Leuconen, nämlich 29 Arten. Eine stachelige oder borstige Dermal- 
fläche findet sich bloss bei 6 Arten dieser Familie. Die Stacheln, Borsten oder 
Haare, welche die letztere bilden, sind immer die distalen Enden von Stabnadeln, 
deren proximale Enden im Wand-Parenchym stecken. 

Die glatte oder kahle Dermalfläche der Leuconen wird in den meisten 
Fällen durch Dreistrahler, seltener durch Vierstrahler oder Stabnadeln, oft aber durch 
ein Gemisch von zwei oder von allen drei Hauptformen der Spicula gebildet. Ge- 
wöhnlich zeichnet sich das glatte Dermal-Skelet der Leuconen durch grosse Festig- 
keit vor dem mehr lockeren Parenchym der Wand aus. Das rührt daher, dass die 
Nadeln in demselben enger gedrängt und regelmässiger angeordnet liegen als in dem 
unregelmässig spongiösen Wand-Parenchym. 

Die Dreistrahler, welche bei der grossen Mehrzahl der Leuconen die Haupt- 
masse des Dermal-Skelets, bei vielen dasselbe ausschliesslich zusammensetzen, liegen 
selten in einer, gewöhnlich in mehreren parallelen Schichten in der Dermalfläche und 
unmittelbar unter derselben. Gewöhnlich liegen sie in dieser Fläche ohne Ordnung 
durch einander, seltener dergestalt regelmässig geordnet, dass der eine (basale) 
Strahl parallel der Längsaxe der Person aboral nach abwärts gekehrt ist, während 
die beiden anderen (lateralen) Strahlen oralwärts divergiren. Gewöhnlich sind in 
diesem Falle die Dreistrahler dergestalt sagittal differenzirt, dass der basale Strahl 
länger als die beiden lateralen, und ebenso auch der orale Winkel grösser als die 
beiden lateralen ist. Oft liegen in dem glatten Dermal-Skelet der Leuconen einzelne 
grosse oder colossale Dreistrahler unregelmässig zerstreut, während die Hauptmasse 
der Decke aus mittelgrossen oder mittelkleinen Dreistrahlern besteht. Sehr eigen- 
thümlich sind die Dreistrahler in der glatten Dermaldecke von Leucandra pulvinar, 
welche ebenso wie in der Gastraldecke dieser Art und der Leucandra saccharata ge- 
staltet und geordnet sind (Taf. 38, Fig. 14). Zwischen den Hautporen sind hier 
die dichtgedrängten sagittalen Dreistrahler dergestalt angeordnet, dass der atrophische 
Basal-Strahl radial und centrifugal gegen das Centrum der Poren gerichtet ist, wäh- 
rend die hypertrophischen Lateral-Strahlen in tangentialer Richtung die Poren-Ränder 
berühren oder einer Tangente parallel laufen. 

Eine sehr merkwürdige Entwickelung erlangt das aus Dreistrahlern gebildete 
Dermal-Skelet bei zwei Leucon-Arten, bei Leucetta corticata (Taf. 22, Fig. 5—8) 
und Leucaltis elathria (Taf. 23, Fig. 3a—3c). Hier verdickt sich nämlich die Der- 
maldecke zu einer besonderen festen Rinden-Schicht, welche durch Lagerung, 
Grösse und Form der constituirenden Dreistrahler völlig verschieden ist von der lo- 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 307 


ckeren, darunter gelegenen Mark-Schicht, die zugleich das Wand-Parenchym und 
die Gastral-Fläche repräsentirt. Die Dreistrahler der dermalen Rinden - Schicht 
(Taf. 22, Fig. 6; Taf. 28, Fig. 3a) sind bei diesen beiden, nahe verwandten Leuconen 
regulär, mittelgross, mit geraden, spitzen, konischen Schenkeln, und ohne Ordnung, 
dicht an einander gedrängt, in mehreren parallelen Schichten über einander gelagert. 
Die Dreistrahler der inneren Mark-Schicht hingegen (Taf 22, Fig. 7, 8; Taf. 28, 
Fig. 3c) sind sagittal, rechtwinkelig, winzig, mit verbogenen, stumpfen, eylindrischen 
Schenkeln, vielmal kleiner als die gänzlich verschiedenen Dreistrahler der Rinde. 
Beide Schichten sind ganz scharf getrennt. 

Die Vierstrahler sind im Dermal-Skelet der Leuconen stets dergestalt ge- 
lagert, dass ihre drei facialen Strahlen in der Dermalfläche (oder dieser parallel, 
unmittelbar darunter) liegen; während der vierte oder apicale Strahl senkrecht auf 
der Dermalfläche steht und in radialer Richtung centripetal nach innen vorspringt. 
Gewöhnlich ist dieser Apical-Strahl länger und stärker als die drei anderen, und 
sitzt in dem Wand-Parenchym wie ein Nagel, dessen Kopf in drei Zacken (die drei 
Facial-Schenkel) ausläuft. Meistens endigt der Apical-Strahl im Wand-Parenchym, 
indem seine Spitze noch nicht die Gastral-Fläche erreicht. (Taf. 24, Fig. $; Taf. 30, 
Fig. 1, 11d; Taf. 36, Fig. 3c.) ' Bisweilen aber ist der hypertrophische Apical-Strahl 
so verlängert, dass er mit seiner centripetalen Spitze die Gastralfläche nicht allein 
erreicht, sondern sie auch durchbohrt, und frei in die Magenhöhle vorspringt; so 
namentlich bei Leuealtis elathria (Taf. 28, Fig. 3b) und Leucandra Johnstonü 
(Taf. 34, Fig. 1d). Die drei facialen Strahlen der dermalen Vierstrahler verhalten 
sich wie die dermalen Dreistrahler, und sind gewöhnlich ohne Ordnung in der Dermal- 
fläche durch einander gestreut, bisweilen aber auch parallel geordnet, mit aboralwärts 
gerichtetem Basal-Strahl und oralwärts divergirenden Lateral-Strahlen. In diesem 
Falle sind dann auch die Vierstrahler gewöhnlich sagittal differenzirt (Taf. 24, Fig. 8). 

Die dermalen Stabnadeln sind bei den Leuconen mit kahler Dermalfläche 
grösstentheils irregulär in der Dermalfläche zerstreut, seltener regulär geordnet. 
Doch sind in dieser Beziehung folgende besondere Fälle zu unterscheiden. Bei Leu- 
cyssa spongilla, Leucortis pulvinar, Leucandra erambessa und anderen liegen die 
colossalen Stabnadeln in der dermalen Fläche ohne alle Ordnung zerstreut. Bei 
Leucandra caminus ordnen sie sich (wie das auch bei L. crambessa schon bisweilen 
geschieht) parallel der Längsaxe des Körpers oder in Meridian-Linien. Bei Leucan- 
dra aleicornis erreichen die colossalen Stabnadeln der glatten Dermalfläche eine 
aussergewöhnliche Entwickelung. Sie bilden hier einen besonderen dicken und starren 
Panzer, eine feste Rinden-Schicht, welche sich scharf von der gänzlich verschie- 
denen, bloss aus Dreistrahlern und Vierstrahlern zusammengesetzten Mark-Schicht 
absetzt (ganz wie bei Sycandra glabra). Der Rinden-Panzer ist bloss aus einer 
mehrfachen (selten einfachen) Schicht von spindelförmigen colossalen Stabnadeln zu- 

20 


308 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


sammengesetzt, welche sämmtlich longitudinal, parallel der Längsaxe der Person, 
dicht an einander gedrängt in der Dermalfläche oder dieser parallel liegen. Bei 
Leucandra cataphracta bilden diese longitudinalen parallelen Stabnadeln die Haupt- 
masse des Skelets, indem sie die kleinen Dreistrahler und Vierstrahler fast verdrängen. 

In einer ganz eigenthümlichen Weise nehmen die Stabnadeln an der Bildung 
des Dermal-Skelets bei denjenigen Leuconen Theil, welche sich durch einen Stäb- 
chen-Mörtel auszeichnen. Dieser Stäbchen-Mörtel besteht aus Unmassen von 
äusserst kleinen, winzigen Stabnadeln, welche ohne alle Ordnung und so dicht ge- 
drängt in dem Syneytium durch einander liegen, dass eine mörtelartige oder gyps- 
artige Masse entsteht. Der Stäbchen-Mörtel bildet bei Leucyssa crelacea für sich 
allein das ganze Skelet. Ausserdem findet er sich nur bei 6 Arten von Leucandra, 
welche das besondere Subgenus Leucomalthe bilden. Bei einer von diesen Arten 
kommt er nur im Wand-Parenchym vor (L. nivea). Bei einer anderen Art (L. bomba, 
Taf. 33, Fig. 1, 2) bildet er nur die Dermal-Decke, welche sich hier in Form einer 
besonderen Rinden-Schicht von dem Wand-Parenchym abhebt. Am stärksten 
entwickelt ist der Stäbchen-Mörtel bei L. stilifera und L. saccharata, wo er die 
weisse, glatte Oberfläche wie ein fester Gypsguss oder Zuckerguss überzieht. 

Die stachelige oder behaarte Dermalfläche der Leuconen wird stets 
durch colossale Stabnadeln gebildet, welche mehr oder minder abstehend mit ihrem 
distalen Theile aus der Dermalfläche hervorragen, in welcher sie mit ihrem proxi- 
malen Theile befestigt sind. Eine solche behaarte, borstige oder stachelige Dermal- 
fläche findet sich nur bei sechs Leucon-Arten, nämlich bei Lexeyssa inerustans, Leu- 
culmis echinus (Taf. 30, Fig. 1, 11) und bei 4 Arten Lexucandra (L. aspera; Taf. 35; 
Taf. 36, Fig. 4—6; L. fistulosa, L. ananas, L. ochotensis). Bei Leucandra ocho- 
tensis und bei L. ananas, var. penicillata sind die Stabnadeln gruppenweise zusam- 
mengedrängt und in Bündel oder Büschel vereinigt, welche wie Pinsel oder Zotten 
aus der Dermalfläche hervorragen. Bei den übrigen angeführten Arten stehen sie 
auf der Dermalfläche bald spärlicher, bald dichter gehäuft. Bald ragen sie senk- 
recht oder nur wenig geneigt aus der Dermalfläche vor (z. B. Leuculmis echinus, 
Taf. 30, Fig. 1); bald liegen sie in Meridian-Ebenen mehr oder weniger gegen die 
Längsaxe der Person geneigt, so dass sie mit dieser oralwärts einen spitzen Winkel 
bilden (Taf. 36, Fig. 5). Das innere oder proximale Ende der dermalen Stabnadeln 
erreicht bald kaum die Mitte des Wand-Parenchyms, bald fast die gastrale Fläche. 
Je nachdem die Stabnadeln feiner oder gröber, spärlicher oder zahlreicher, mehr 
oder weniger gegen die Längsaxe geneigt sind, erscheint die Dermalfläche mehr be- 
haart, borstig oder stachelig u. s. w. Bei Leucandra lumulata (Taf. 31, Fig. 2f; 
Taf. 57, Fig. 1) stecken die dermalen Stabnadeln zwar wie Pflöcke oder Palisaden 
in der Dermalfläche; legen sich aber mit ihren sichelförmig gekrümmten Enden der- 
gestalt oralwärts über einander, dass die Dermalfläche nicht stachelig, sondern glatt 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 309 


und anliegend behaart erscheint. Wenn die Neigung der vorstehenden Stabnadeln 
gegen die Dermalfläche so stark wird, dass sie parallel und longitudinal gelagert 
fast in die Dermal-Fläche selbst zu liegen kommen, so entsteht der dermale Panzer, 
welcher Leucandra aleicornis auszeichnet. 


Parenchym-Skelet der Leuconen. 


Das Parenchym der dicken Magenwand oder Körperwand, welches zwischen der 
Dermalfläche und Gastralfläche der Leuconen liegt, und die Zwischenräume zwischen 
den unregelmässig verästelten und anastomosirenden Canälen der Magenwand ausfüllt, 
besteht aus einer Masse von Kalknadeln, welche gewöhnlich in den umhüllenden Sar- 
codine-Strängen und Membranen ohne alle Ordnung durch einander gestreut sind. 
Bestimmte Structur- und Lagerungs- Verhältnisse treten hier weniger hervor, als 
überall anders bei den Kalkschwämmen. Diese völlig regellose und ungeordnete Zusam- 
mensetzung des dichten Wand-Parenchyms bei den Leuconen steht in der engsten Cor- 
relation zu der ebenso unregelmässigen Bildung ihres Gastrocanal - Systems. 

Im Allgemeinen bietet die regellose Zusammensetzung des Parenchym-Skelets der 
Leuconen so wenig bedeutende Form-Verschiedenheiten dar, dass wir uns hier darüber 
sehr kurz fassen können. Als zwei allgemein verschiedene Kategorien lassen sich 
höchstens homoteete und heterotecte Parenchym-Skelete unterscheiden. Als homo- 
teetes Parenchym-Skelet kann man dasjenige bezeichnen, welches in seiner 
ganzen Masse wesentlich aus denselben Formbestandtheilen, und namentlich aus Na- 
deln von einer und derselben Grösse zusammengesetzt ist. Als heterotectes Par- 
enchym-Skelet lässt sich dasjenige trennen, welches aus wesentlich differenten 
Formbestandtheilen und namentlich aus Nadeln von sehr verschiedener Grösse zusam- 
mengesetzt ist. 

Unter den verschiedenen Formen des heteroteeten Skelets sind diejenigen beson- 
ders von Bedeutung, bei denen sich ein gröberes Balken-Gerüst von einer feineren 
Füllungs-Masse differenzirt. Es kommt nämlich bei den Leuconen sehr häufig 
vor, dass überall im Wand-Parenchym zerstreut einzelne, besonders grosse und starke 
Spieula sich ausbilden, welche bald isolirt bleiben, bald sich an einander legen und 
so ein mehr oder weniger festes und weitläufiges Gerüst oder Fachwerk (Balken- 
Gerüst) darstellen, dessen Lücken und Maschen grösstentheils von einer Masse klei- 
nerer und kleinster Nadeln (Füllungs-Masse) ausgefüllt werden. 

Die Dreistrahler, welche bei der grossen Mehrzahl der Leuconen entweder 
das ganze Parenchym -Skelet oder doch die Hauptmasse desselben zusammensetzen, 
sind gewöhnlich irregulär, selten regulär und noch seltener sagittal. Ein Wand- 
Parenchym, welches bloss aus regulären Dreistrahlern zusammengesetzt ist, findet 
sich bei Leucetta primigenia (Taf. 21) und L. trigona (Taf. 22, Fig. 1—-1f); gemischt 
mit Vierstrahlern bei Leucaltis foridana, und gemischt mit Stabnadeln bei Leucan- 


310 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


dra caminus. Ein Wand-Parenchym, das nur aus sagittalen Dreistrahlern besteht, 
besitzt Leucetta sagiltata (Taf. 22, Fig. 2); auch das Mark-Parenchym der vorher 
beschriebenen Lexcetta corticata (Taf. 22, Fig. 7, 8) und der nahverwandten Leu- 
caltis clatııria (Taf. 28, Fig. 3c) ist bloss aus sagittalen Dreistrahlern zusammenge- 
setzt, (bei letzterer gemischt mit sagittalen Vierstrahlern). Bei den meisten übrigen 
Leuconen besteht die Hauptmasse des Wand-Parenchyms aus mehr oder weniger irre- 
gulären Dreistrahlern, ‘die jedoch in den Canalwänden und deren Nähe meistens in 
sagittale übergehen. Bisweilen bilden zerstreute colossale Dreistrahler ein Gerüst, 
dessen Füllungsmasse von kleinen Dreistrahlern gebildet wird; so bei Zeucetta primi- 
genia, var. microraphis und megaraphis, bei Leucaltis floridana, Leucaltis solida etc. 

Die Vierstrahler bilden das ganze Parenchym oder die Hauptmasse desselben 
nur bei sehr wenigen Leuconen, nämlich bei den neun folgenden Arten. Bei Leueilla 
capsula sind die Vierstrahler des Parenchyns völlig irregulär und ohne alle Ordnung 
durch einander gewebt. Bei Lexeilla amphora (Taf. 24, Fig. 8) und bei Leueulmis 
echinus (Taf. 30, Fig. 1, 11) wird durch die centripetalen Apical-Strahlen der der- 
malen Vierstrahler und durch die ihnen entgegen kommenden centrifugalen Apical- 
Strahlen der gastralen Vierstrahler ein Gerüst gebildet, dessen Füllungs-Masse aus 
viel kleineren irregulären, dicht durch einander gefilzten Vierstrahlern besteht. Bei 
Leucaltis bathybia wird ebenfalls das formgebende Gerüst des Parenchyms aus grösse- 
ren Vierstrahlern, die Füllungsmasse hingegen aus kleineren Dreistrahlern zusammen- 
gesetzt. In sehr eigenthümlicher Weise ist das Wand-Parenchym von Leucandra 
encumis (Taf. 36, Fig. 2, 3) bloss aus Vierstrahlern zusammengesetzt. Diese bilden 
hier zwei ganz getrennte Schichten, eine innere und eine äussere. Die innere oder 
Mark-Schicht besteht aus mittelkleinen irregulären Vierstrahlern, welche ohne jede 
Ordnung durch einander liegen. Die äussere oder Rinden-Schicht besteht dagegen 
aus zwei parallelen Lagen von grossen regulären Vierstrahlern, deren Facial-Strahlen 
in zwei, der Dermalfläche parallelen Ebenen liegen; die Facial-Schenkel der inneren 
Lage bedecken die äussere Fläche der Markschicht und ihr Apical-Strahl springt cen- 
trifugal nach aussen vor; die Facjal-Schenkel der äusseren Lage befinden sich unmit- 
telbar unter dem Dermal-Skelet und ihr Apical-Strahl springt centripetal nach innen 
vor; beiderlei apicale Schenkel begegnen sich und stützen die Wände der Subdermal- 
Höhlen. Bei vier anderen Arten von Lexcandra (L. Johnstonü, L. ochkotensis, L. 
stili[fera und L. saccharata) wird das Wand-Parenchym grösstentheils durch ein Ge- 
rüst von irregulären colossalen und grossen Vierstrahlern gebildet, welche durch Stäb- 
chen-Mörtel umhüllt und verkittet werden; bei den beiden letzten Arten ist dieser 
besonders reichlich entwickelt und bildet eine dichte Füllungsmasse in den Lücken 
des Gerüstes. 

Die Stabnadeln nehmen im Ganzen an der Bildung des Wand-Parenchyms der 
Leuconen nur geringen Antheil und sind hier ohne alle Ordnung durch einander ge- 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 311 


webt, so namentlich bei den drei Leucyssa-Arten, wo sie das ganze Skelet zusammen- 
setzen; ferner bei Leucortis pulvinar und bei mehreren Leucandra-Arten (L. Egedü, 
L. cuminus, L. Gossei), wo sie zwischen den Dreistrahlern des Mark - Parenchyms 
zerstreut liegen. Der Stäbchen-Mörtel, welcher bei den vier oben genannten Leucan- 
dra-Arten die Vierstrahler des Wand-Parenchyms und bei Z. nivea die Dreistrahler 
desselben überzieht und als Füllungsmasse verbindet, wird aus ungeheueren Massen 
von winzigen Stabnadeln gebildet, welche ebenfalls ohne alle Ordnung zusammenge- 
drängt sind. In regelmässiger Lagerung setzen die Stabnadeln das Wand-Parenchym 
nur bei einer einzigen Leucon-Art zusammen, nämlich bei Leucandra cataphracta 
(Taf. 37, Fig. 2). Die ganze Wand besteht hier aus mehreren parallelen Schichten 
von colossalen longitudinalen Stabnadeln, welche durch einen Kitt von mittelkleinen 
Dreistrahlern verbunden und zu einem starren Panzer verkittet werden. 


Gastral-Skelet der Leuconen. 


Die Gastralfläche oder die innere Oberfläche der Magenhöhle, auf welcher die 
Ramal-Canäle des Wand-Parenchyms durch die Gastral-Ostien münden, ist bei den 
Leuconen entweder glatt (kahl) oder stachelig (behaart). Von den 35 Species der 
Leuconen besitzen 16 eine glatte, und 19 Arten eine stachelige oder borstige Gastral- 
fläche. Die Stacheln, Borsten oder Haare, welche die letztere bedecken, sind immer 
die frei vorspringenden Apical-Schenkel von Vierstrahlern, deren drei Facial-Schenkel 
in der Gastralfläche liegen. 

Die glatte oder kahle Gastralfläche wird bei der Mehrzahl der Leuconen, 
bei denen sie sich findet, nähmlich bei zehn Arten, durch Dreistrahler, bei vier Arten 
durch Stabnadeln und nur bei zwei Arten durch Vierstrahler gebildet. 

Die Dreistrahler setzen das Skelet der Gastralfläche ausschliesslich bei zehn 
Leucon-Arten zusammen. Sie liegen immer in einer einfachen oder mehrfachen 
Schicht, in der Gastralfläche dicht gedrängt, bald ungeordnet, bald geordnet. Bei 
Leucetta primigenia, Leucetta trigona und Leucaltis floridana besteht das glatte 
Gastral-Skelet bloss aus regulären Dreistrahlern, welche ohne Ordnung in der Ga- 
stralfläche liegen. Bei Leucelta pandora ist es dagegen aus ungeordneten irregulären 
Dreistrahlern zusammengesetzt. Bei Leucetta sagittata (Taf. 22, Fig. 2), Leucaltis 
erustacea und Leucandra cucumis besteht das Gastral - Skelet bloss aus sagittalen 
Dreistrahlern, welche dergestalt mit parallelen Schenkeln geordnet sind, dass die 
Basal-Strahlen parallel der Längsaxe aboral nach abwärts laufen, die Lateral-Strahlen 
oralwärts divergiren. Bei Leucella corticata, Leucortis pulvinar und Leucandra 
saccharata (Taf. 38, Fig. 14) besteht das Gastral-Skelet ebenfalls bloss aus sagittalen 
Dreistrahlern; diese sind aber hier dergestalt geordnet, dass die atrophischen Basal- 
Schenkel radial und centrifugal gegen die Mitte der Gastral-Ostien gerichtet sind, 
während die hypertrophischen lateralen Schenkel tangential am Rande dieser Ostien 


312 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


oder parallel deren Tangenten liegen. Während die Dreistrahler bei den vorstehend 
angeführten zehn Arten das Skelet der Gastralfläche ausschliesslich zusammensetzen, 
finden sie sich ausserdem gewöhnlich auch noch’ gemischt mit Vierstrahlern in der 
Gastralfläche derjenigen Leuconen, bei welchen die letztere stachelig oder behaart ist. 

Die Stabnadeln bilden das Skelet der Gastralfläche nur bei vier Leucon-Arten, 
nämlich bei den drei Zexeyssa-Arten und bei Leucondra stilifera. Bei diesen vier 
Leuconen ist die Gastralfläche ganz glatt und die Stabnadeln liegen in derselben in 
mehreren Schichten dicht gedrängt ohne Ordnung durch einander, ohne über dieselbe 
vorzutreten. 

Die Vierstrahler setzen das Gastral-Skelet bei der Mehrzahl aller Leuconen 
zusammen, und zwar entweder allein, oder gemischt mit Dreistahlern. Nur bei zwei 
Arten ist die mit Vierstrahlern belegte Gastralfläche kahl oder ganz glatt. Hier 
liegen die drei facialen Schenkel der Vierstrahler in der Gastralfläche, während der 
vierte oder apicale Schenkel nach aussen centrifugal in das Wand-Parenchym vor- 
springt. Dies ist der Fall bei Lexeilla capsula und Leuculmis echinus (Taf. 30, 
Fig. 119). 

Eine stachelige oder borstige Gastralfläche findet sich bei folgenden 
19 Leuconen: bei Lexeilla amphora, bei vier Arten Leucaltis und bei vierzehn Arten 
Leucandra (vergl. Bd. II, p. 143 und 172). Die Stacheln, Borsten oder Haare, welche 
frei über die Gastralfläche vortreten und in die Magenhöhle hineinragen, sind in allen 
diesen Fällen die freien Apical-Schenkel von Vierstrahlern, deren drei Facial-Schenkel 
in der Gastral-Fläche liegen. Diese letzteren sind meistens sagittal differenzirt und 
mit parallelen Schenkeln dergestalt geordnet, dass der basale Schenkel parallel der 
Längsaxe des Magens aboral nach abwärts gerichtet ist, während die beiden lateralen 
Schenkel oralwärts divergiren. Gewöhnlich ist der gerade Basal-Strahl länger (selte- 
ner kürzer), als die gekrümmten (seltener geraden) Lateral-Strahlen. Der freie 
Apical-Strahl ist gewöhnlich kürzer als die drei facialen und meistens mehr oder we- 
niger deutlich oralwärts gekrümmt. Er ist auf Taf. 31 (Fig. 1—4) und Taf. 32 (Fig. 
1—6) links im Profil abgebildet, indem die Linie m—n den verticalen Längsschnitt 
der Gastralfläche andeutet. 

Das Skelet der Gastrocanal-Wände bei den Leuconen verhält sich in dem 
proximalen Theile der grösseren Canäle gewöhnlich ganz gleich dem Skelet der Ga- 
stralfläche, während dasselbe in dem distalen Theile und in den kleineren Canälen 
indifferenter wird und sich gewöhnlich wenig oder nicht von dem Skelet des Wand- 
Parenchyms unterscheidet. Eigenthümlich ist die Auskleidung der Gastrocanal-Wände 
mit winzigen kreuzförmigen Vierstrahlern bei drei Lexeandra-Arten (L. nivea, L. 
Johmstoni, L. ochotensis). Der frei vorspringende Apical-Strahl dieser Vierstrahler 
ist parallel der Längsaxe und der Wandfläche der Gastrocanäle proximalwärts gegen 
die Gastral-Ostien gerichtet (vergl. oben p. 201). 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 313 


Das Skelet des Peristoms, insbesondere das Skelet der rüsselförmigen und 
der bekränzten Mundöffnung, verhält sich bei den Leuconen gerade so wie bei den 
Syconen und soll bei dieser Gruppe erörtert werden. 


c. Das Skelet-System der Syconen. 


In der Familie der Syeconen erreicht das Skelet-System, ebenso wie das Canal- 
System, den höchsten Grad der Regelmässigkeit und Vollkommenheit; und 
auch hier zeigt sich wieder die innige Correlation der Entwickelung, welche zwischen 
diesen beiden Organ-Systemen besteht. Die ganz bestimmte und regelmässige Art und 
Weise, in welcher die Radial-Tuben aus der Magenwand der Syconen hervorknospen, 
mit einander theilweise oder ganz verwachsen, und so eine höhere organologische Ein- 
heit constituiren, ruft bestimmte eigenthümliche Differenzirungs-Verhältnisse in der 
Ausbildung des Sycon-Skelets hervor, welche dasselbe in ähnlicher Weise characteri- 
stisch auszeichnen, wie auch das Leucon-Skelet und das Ascon-Skelet durch bestimmte 
Eigenschaften characterisirt ist. 

Die erste characteristische Eigenschaft des Sycon-Skelets besteht darin, dass das 
Skelet der Person, als Ganzes genommen, immer eine völlig regelmässige 
Zusammensetzung, und zwar stets einen bestimmt strahligen oder radialen 
Typus zeigt. Dieser ist unmittelbar bedingt durch den radialen Bau des Gastrocanal- 
Systems und wird erklärt durch die Entwickelungsgeschichte, welche die einzelne 
Sycon-Person als einen, durch reguläre strobiloide Gemmation entstandenen Ascon- 
Stock nachweist. 

Eine zweite characteristische Eigenschaft des Sycon-Skelets besteht darin, dass 
sämmtliche Spicula desselben (mit wenigen Ausnahmen, die durch secundäre 
Anpassung bedingt sind) in Flächen (bald geordnet, bald ungeordnet) liegen. Die 
Nadeln bilden also, wie bei den Asconen, ein Netzwerk, welches bald aus einer 
einzigen dünnen Lage, bald aus mehreren über einander liegenden 
parallelen Schichten besteht. Niemals bilden hingegen die Spicula der Syco- 
nen innerhalb des Syneytium ein so unregelmässiges Flechtwerk, wie es allgemein bei 
den Leuconen vorkommt, ein Flechtwerk, das aus Nadeln, welche nach allen Rich- 
tungen des Raumes durcheinander liegen, zusammengesetzt ist. 

Eine dritte characteristische Eigenschaft des Sycon-Skelets besteht darin, dass 
(mit sehr seltenen Ausnahmen!) gewöhnlich das Skelet der dermalen und der 
gastralen Fläche verschieden ist (wie bei den Leuconen); ausserdem aber wie- 
derum eigenthümlich das Skelet der Radial-Tuben oder das Tubar-Skelet, 
welches zwischen beiden Flächen liegt. Nur sehr wenige von den allereinfachsten 
Sycon-Formen, welche sich ganz unmittelbar an die Asconen anschliessen, bilden hier- 
von eine Ausnahme (Sycelta primitiva und S. sagittifera). Wir haben also drei 


314 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


verschiedene Abtheilungen: 1) das Dermal-Skelet, 2) das Tubar-Skelet und 3) das 
Gastral-Skelet der Syconen zu betrachten. 

Eine vierte characteristische Eigenschaft des Sycon-Skelets, die jedoch von 
geringerer Bedeutung (weil nicht so constant) erscheint, und auch dem Leucon- 
Skelet zukommt, besteht darin, dass das Skelet (auch abgesehen von der Differen- 
zirung der Magenwand im Ganzen) an verschiedenen Körperstellen local 
differenzirt ist. So finden wir namentlich bei allen rüsselmündigen und kranz- 
mündigen Syconen (aber auch bei manchen nacktmündigen!) ein besonderes Mund- 
Skelet oder Peristom-Skelet. Bei manchen gestielten Syconen bilden sich im 
Stiele der Personen besondere Stiel-Nadeln aus (z. B. Sycandra ampulla, var. pe- 
tiolata). Bei einzelnen Sycon-Arten, welche nicht wie gewöhnlich festgewachsen 
sind, sondern frei bleiben, bilden sich besondere Nadeln an der aboralen Basis, dem 
„Schwanze oder Wurzelschopfe“ aus (so namentlich in höchst merkwürdiger Weise 
bei ‚Syculmis synapta (Taf. 50, Fig.5, 6). Auch bei anderen Syconen wird das 
Skelet an der aboralen Basis, mit welcher der Schwamm auf fremden Körpern auf- 
sitzt, durch specielle Anpassung an die Form dieser letzteren, eigenthümlich modificirt. 

Für die drei Hauptformen der Nadeln ist bezüglich ihres allgemeinen Verhal- 
tens zum Sycon-Skelet Folgendes zu bemerken: 1. Die Dreistrahler bilden in 
ganz überwiegender Menge die Hauptmasse des Skelets bei der grossen Mehrzahl 
der Syconen, nämlich bei 29 Arten; und kommen überhaupt vor bei folgenden 31 
Species: bei 5 Arten Sycetta (ausschliesslich!), bei 5 Arten Sycaltis, bei 3 Arten 
Sycortis und bei 13 Arten Sycandra. Bei zweien von diesen 31 Arten (bei Sycaltis 
testipara und S. ovipara, Taf. 47) sind die Dreistrahler auf die Dermalfläche be- 
schränkt und fehlen im Tubar-Skelet. Bei den übrigen 29 Arten wird das Tubar- 
Skelet ausschliesslich oder doch grösstentheils durch Dreistrahler gebildet, während 
sie an der Bildung des dermalen und gastralen Skelets in sehr verschiedenem Maasse 
Antheil nehmen. Immer bleiben die Dreistrahler der Syconen völlig von dem Syn- 
cytium des Exoderm umschlossen. Niemals treten sie mit ihren Schenkeln über die 
gastrale oder dermale Fläche frei hervor. 2. Die Vierstrahler bilden das ganze 
Skelet oder die Hauptmasse des Skelets bei folgenden 7 Species: bei 4 Arten von 
Sycilla (ausschliesslich); bei 2 Arten von Sycaltis (8. testipara und S. ovipara) 
und bei der einzigen Art Syculmis. Ausserdem kommen sie in untergeordneter 
Bedeutung, nämlich bloss im Gastral-Skelet, noch bei 21 Species vor, bei den 
drei anderen ‚Sycaltis-Arten und bei den 18 Sycandra-Arten. Bei Sycandra arctica 
und ‚Sycaltis perforata finden sie sich ausserdem auch noch, gemischt mit Drei- 
strahlern, im Tubar-Skelet. Wo die Vierstrahler die Gastralfläche bekleiden, da 
springt gewöhnlich ihr apicaler Strahl frei in die Magenhöhle vor, während die 
drei facialen Strahlen in der Gastralfläche liegen. Niemals tritt ein Schenkel der 
Vierstrahler frei über die Dermalfläche vor. 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 315 


3. Die Stabnadeln bilden das ganze Skelet nur bei einer einzigen Sycon-Art 
(Syeyssa Huxleyi). Ausserdem kommen sie gemischt mit Dreistrahlern oder Vier- 
strahlern noch bei 22 Sycon-Species vor, nämlich bei 13 Arten Sycandra, 1 Art 
Syculmis und 3 Arten ‚Sycortis. Ihre Hauptbedeutung haben sie für das Dermal- 
Skelet. Bei allen Syconen, welche eine behaarte, borstige oder stachelige Ober- 
fläche besitzen, besteht diese Bedeckung aus Stabnadeln. Selten nehmen sie dage- 
gen an der Bildung des Gastral-Skelets Theil. 


Dermal-Skelet der Syconen. 


Die Dermalfläche oder die äussere Oberfläche der Syconen ist entweder glatt 
(kahl) oder stachelig (behaart). Eine glatte oder kahle Darmalfläche besitzt die 
Mehrzahl der Syconen, nämlich 22 Arten. Eine stachelige, borstige oder behaarte 
Oberfläche findet sich bei 15 Arten. Die Stacheln oder Haare, welche die letztere 
bedecken, sind stets die distalen freien Enden von Stabnadeln, deren proximale Enden 
in der Tuben-Wand stecken. 

Die glatte oder kahle Dermalfläche wird in den meisten Fällen (bei 
13 Arten) durch Dreistrahler gebildet, seltener (bei 5 Arten) durch Vierstrahler 
oder (bei 4, eigentlich bei 5 Arten) durch Stabnadeln. 

Die Dreistrahler setzen das Dermal-Skelet im Ganzen nur bei 13 Sycon- 
Arten zusammen. Von diesen gehören 5 Arten zu dem primitiven Syconaga-Typus, 
8 Arten zu den beiden anderen Typen (Syconopa und Syconusa). Bei den ersteren 
verhält sich das Dermal-Skelet wesentlich anders als bei den letzteren. 

Bei den fünf Sycon-Arten des Syconaga-Typus, bei Sycetta primitiva (Taf. 41, 
Fig. 1, 5), Sycelta sagittifera (Taf. 42, Fig. 2), Sycaltis conifera (Taf. 45, Fig. 1—3) 
und endlich bei Sycandra ciliata und S. coronata, bilden die Dreistrahler des Der- 
mal-Skelets zugleich das Tubar-Skelet. Die Radial-Tuben sind hier völlig frei oder 
nur an der Basis ein wenig verwachsen. Daher ist die ganze äussere Oberfläche 
der Tuben zugleich Dermalfläche. Die Dreistrahler liegen bei allen diesen fünf Arten 
dergestalt regelmässig geordnet, mit parallelen Schenkeln, dass ihre Basal-Strahlen 
radial gegen die Längsaxe der Person oder der Magenhöhle (also zugleich parallel 
der Axe der Tuben) und zwar in centrifugaler Richtung gegen das distale Ende der 
Tuben nach aussen gerichtet sind. Die lateralen Schenkel hingegen divergiren in 
proximaler Richtung, gegen die Magenaxe hin. Nur bei Sycetta primitiva sind die 
Dreistrahler regulär, bei den vier übrigen Arten sagittal. 

Unter den Syconen der beiden anderen Typen (Syconopa und Syconusa), bei 
denen die Radial-Tuben entweder mit den Kanten oder mit den Flächen ganz oder 
grösstentheils verwachsen sind, ist das Dermal-Skelet bei 3 Arten aus einer ebenen 
Decke von Dreistrahlern gebildet, welche die glatte Dermalfläche überzieht. Bei 2 
von diesen 8 Arten (Sycelta stauridia und Sycaltis perforata, Taf. 46, Fig. 9) ist 


316 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


diese Decke aus regulären Dreistrahlern gebildet, welche ungeordnet in der 
Dermalfläche liegen. Bei den sechs anderen Arten hingegen, bei Sycetta strobilus 
und 8. cupula, bei drei Arten Sycaltis (S. glacialis , Taf. 46, Fig. 4, 7; 8. testipara, 
S. ovipara, Taf. 47, Fig. 6, 10) und bei Syeortis laevigata (Taf. 49, Fig. 1, 4) ist 
die glatte dermale Decke aus sagittalen Dreistrahlern gebildet, welche regel- 
mässig und zierlich geordnet mit parallelen Schenkeln neben einander liegen; 
der längere und gerade Basal-Strahl ist parallel der Magenaxe in aboraler Rich- 
tung abwärts gerichtet, während die beiden kürzeren, meist gekrümmten Lateral- 
Strahlen oralwärts divergiren. 

Die Vierstrahler setzen das Dermal-Skelet nur bei 5 Sycon-Arten zusammen, 
nämlich bei allen 4 Species von Syeilla (Taf. 43) und bei Syeulmis synapta (Taf. 50). 
Beı diesen fünf Arten sind die dermalen Vierstrahler so gelagert, dass ihre drei 
facialen Strahlen in der Dermalfläche liegen, während der vierte oder apicale Strahl 
senkrecht auf der letzteren steht und in radialer Richtung centripetal nach innen 
vorspringt. Gewöhnlich ist dieser Apical-Strahl bedeutend länger und stärker als 
die drei facialen; er ist in die Tuben-Wand eingeschlossen und endigt gewöhnlich 
in derselben, unweit der Gastralfläche. Selten erreicht er diese letztere oder durch- 
bohrt sie sogar, so dass seine Spitze frei in die Magenhöhle vorspringt. Dies Ver- 
hältniss, welches seine Parallele unter den Leuconen bei Leucaltis clathria und Leu- 
candra Johnstoni findet, zeichnet Syeilla chrysalis aus (Taf. 43, Fig. 2, 3); das- 
selbe kehrt auch bei den subdermalen Vierstrahlern von Sycaltis ovipara wieder 
(Taf. 47, Fig. 9). Die drei facialen Schenkel der dermalen Vierstrahler sind bei den 
Syconen stets sagittal differenzirt und ‚regelmässig angeordnet, so dass der gerade, 
meist verlängerte Basal-Schenkel parallel der Magenaxe aboral nach abwärts läuft, 
während die beiden lateralen (gewöhnlich kürzeren und gekrümmten) Schenkel oral- 
wärts divergiren (Taf. 43, 50). Ebenso sind auch die subdermalen Vierstrahler von 
Sycaltis testipara und $. ovipara geformt und gelagert (Taf. 47, Fig. 6, 10). 

Die Stabnadeln bilden eine kahle oder glatte Dermalfläche nur bei 5 Sy- 
con-Arten (nämlich bei einer Sycortis-Art und bei 4 Sycandra-Arten); bei diesen 
aber nach drei gänzlich verschiedenen Typen. Bei Sycortis laevigata (Taf. 49, Fig. 1, 4) 
ist die ganz glatte Dermalfläche mit einer festen weissen Rindenschicht, wie mit 
einem Gypsguss oder Zuckerguss überzogen. Dieser besteht aus einer Schicht von 
regelmässig geordneten sagittalen Dreistrahlern (Fig. 4, 11, 12), welche durch einen 
eigenthümlichen mörtelartigen Kitt überzogen und verbunden sind. Der Kitt, wel- 
cher zugleich die Begrenzung der Dermal-Poren bildet, besteht aus einer Unmasse 
von sehr feinen, winzigen Stabnadeln, welche in der dermalen Sarcodine dicht durch 
einander gefilzt sind und einen ganz ähnlichen „Stäbchen-Mörtel“ bilden, wie 
er bei den sechs Lencandra-Arten des Subgenus Leucomalthe massenhaft ent- 
wickelt ist, und bei Zeucyssa crelacea sogar das ganze Skelet bildet (vergl. p. 308). 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 317 


Unter den Syconen ist Sycortis laerigata bis jetzt die einzige Species, die diesen 
Stäbchen-Mörtel entwickelt. 

In ganz anderer Weise setzen die dermalen Stabnadeln einen glatten Rinden- 
Panzer bei Sycandra glabra zusammen. Dieser ganz feste und starre Panzer be- 
steht aus mehreren (meist 2—4, seltener 5—7) Lagen von colossalen Stabnadeln, 
welche der Dermalfläche parallel über einander geschichtet sind. In jeder Schicht 
liegen dicht gedrängt neben einander zahlreiche colossale Stabnadeln, welche sämmt- 
lich parallel der Längsaxe der Person verlaufen, so dass deren Dermalfläche fein 
längs gestreift erscheint. Der Rinden-Panzer setzt sich scharf von dem inneren 
Skelet der darunter liegenden Radial-Tuben ab. Ganz dieselbe eigenthümliche Pan- 
zerbildung kehrt unter den Leuconen bei Leucandra aleicornis wieder (vgl. p. 307). 

Nach einem dritten, ebenfalls ganz eigenthümlichen Modus, setzen die Stabna- 
deln ein glattes Dermal-Skelet bei den drei nahe verwandten Sycandra-Arten zu- 
sammen, welche wir in dem Subgenus Sycostrobus zusammengefasst haben (S$. arbo- 
rea, 8. aleyoncellum, 8. elegans, (Taf. 58, Fig. 3, 5, 7). Bei diesen drei zierlichen 
Syconen erscheint die kahle Dermalfläche schon für das blosse Auge oder bei ganz 
schwacher Vergrösserung ausgezeichnet durch eine ganz regelmässige Täfelung mit 
polygonalen Platten (ähnlich etwa einem Echiniden- oder Crinoiden-Panzer. Bei 
Sycandra arborea sind die polygonalen Dermal-Tafeln meistens viereckig, bei 8. al- 
eyoncellum sechseckig und bei 8. e/egans von wechselnder Form. Der äussere Ha- 
bitus dieser Syconen unterscheidet sich dadurch so auffallend von dem der nächst 
verwandten Syconen, dass BLArsviLLe darauf schon 1834 das besondere Genus 
Alcyoncellum , BOWERBANK 1845 seine Gattung Dunstervillia gründete, und GrAY 
sogar 1367 aus diesen beiden Gattungen eine ganz besondere Familie der Kalk- 
schwämme machte: Alcyoncellidae (Vergl. oben p. 48, 49, 52). So eigenthümlich 
nun auch bei diesen Syconen die regelmässige und zierliche Zusammensetzung der 
kahlen Dermal-Fläche aus den polygonalen Tafeln erscheint, so wenig ist dieselbe 
wesentlich verschieden von dem Dermal-Skelet der nächstverwandten Sycon-Arten, 
welche eine behaarte oder stachelige Dermalfläche besitzen. Jede von diesen eigen- 
thümlichen Tafeln oder Platten ist nämlich nichts Anderes, als die Basis einer Py- 
ramide oder eines Kegels, der aus zahlreichen, sehr dicht gedrängten kurzen Stab- 
nadeln zusammengesetzt ist (Taf. 53, Fig. Is, 2s; Taf. 54, Fig. 3s). Die Spitze die- 
ses pyramidalen oder konischen Nadel-Büschels, dessen Axe radial und centripetal 
nach innen gerichtet ist, inserirt sich in dem Distal-Conus eines Radial-Tubus. Die 
dicht gedrängten Nadel-Büschel der benachbarten Tuben platten sich durch gegen- 
seitigen Druck an den Berührungs-Rändern ihrer dermalen Grundflächen polygonal 
ab und bilden so die anscheinend kahle oder selbst glatte Dermalfläche, welche 
eigentlich wie die Bürstenfläche einer sehr feinen Hutbürste zusammengesetzt ist. 
Treten aus diesen dichten Büscheln von kurzen Stabnadeln einzelne sehr lange, 


318 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


colossale Stabnadeln weit hervor, so wird plötzlich der äussere Habitus der Sycon- 
Person ein völlig anderer. Die Täfelung wird unsichtbar und die Dermalfläche er- 
scheint behaart oder stachelig. So ist es namentlich bei der Sycandra Humboldtii 
(Taf. 54, Fig. 2) der Fall, welche äusserlich gänzlich von den drei angeführten getä- 
felten Sycon-Arten verschieden erscheint, und dennoch der Sycandra elegans (Taf. 54, 
Fig. 3) so nahe steht, dass sie kaum specifisch getrennt werden kann. 

Eine stachelige oder behaarte Dermalfläche findet sich bei 15 Sycon- 
Arten: 1 Art Syeyssa (Taf. 44, Fig. 1), 2 Arten Sycortis und 12 Arten Sycandra. 
Sie wird in allen Fällen durch Stabnadeln gebildet, welche mit ihrem proximalen 
Ende innen in der Dermalfläche stecken, mit ihrem distalen Ende aussen frei hervor- 
ragen. Meistens steckt in dem distalen Theile jedes Radial-Tubus ein pinselförmiges 
Bündel oder Büschel von Stabnadeln, welches das Distal-Ende des Tubus in ganz 
ähnlicher Weise krönt, wie der Peristom-Kranz das Oral-Ende der kranzmündigen 
Sycon-Person. Dieser Vergleich gewinnt besondere Bedeutung, wenn wir uns an die 
ursprüngliche Homologie der Sycon-Person mit einem durch strobiloide Gemmation 
entstandenen Ascon-Stock erinnern. Das dermale Büschel von Stabnadeln am dista- 
len Ende jedes Tubus ist dann gleichzustellen dem Peristom-Kranze der kranzmündi- 
gen secundären Ascon-Person (O/ynthium), welche durch den Radial-Tubus repräsen- 
tirt wird. Die ganze kranzmündige Sycon-Person aber (Sycarium), deren Radial- 
Tuben solche Nadelbüschel tragen, ist gleichzustellen einem strobiloiden ‚Solenidium. 
Bei einzelnen Sycon-Arten ist sogar noch das Osculum der secundären kranzmündi- 
gen Ascon-Personen in dem bekränzten Dermal-Ostium der Radial-Tuben erhalten. 

Da bei den behaarten Syconen ursprünglich jeder Radial-Tubus sein eigenes der- 
males Büschel von Stabnadeln an seinem Distal-Ende trägt, so erscheint die Dermal- 
fläche dieser Sycon-Arten ursprünglich immer büschelig-behaart, büschelig-zottig 
oder -stachelig. Dies tritt am deutlichsten bei den Syconen mit ganz freien Radial- 
Tuben (Sycandra eiliata, 8. coronata) oder mit schlanken Distal-Kegeln hervor 
(Sycandra ampulla, 8. Schmidtü, Taf. 58, Fig. 2, 6). Wo hingegen die Radial-Tu- 
ben in ihrer ganzen Länge verwachsen, oder wo die Zahl der Stabnadeln in den 
distalen Nadelbüscheln sehr gross wird, da drängen sich die Stabnadeln dicht an 
einander und die ganze Oberfläche des Sycon erscheint dann gleichmässig (nicht 
büschelig) behaart oder stachelig. Im übrigen ist die Behaarung ziemlich verschie- 
denartig, je nachdem die Stabnadeln lang oder kurz, dünn oder dick, biegsam oder 
starr sind. Nicht selten ragen sie senkrecht aus der Dermalfläche hervor, radial 
gegen die Längsaxe der Person gerichtet (Taf. 44, Fig. 1,2; Taf. 59); häufiger jedoch 
sind sie mit dem äusseren distalen Ende mehr oder weniger gegen den Mundpol 
hin geneigt, so dass ihre innere Verlängerung oralwärts mit der Längsaxe einen 
spitzen Winkel bildet. Wenn dieser Winkel sehr klein wird, so können sich die 
Stabnadeln mehr oder weniger krümmen und so über einander legen, dass die Der- 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 319 


malfläche anliegend behaart erscheint. Von dieser Lagerung, von dem Winkel, den 
die vortretenden Stabnadeln mit der Dermalfläche bilden, ferner von ihrer Zahl und 
gedrängten Stellung, von ihrer Länge, Dicke und Biegsamkeit, so wie endlich von 
der mannichfach verschiedenen Form ihres freien distalen Endes hängt es ab, ob 
die Dermalfläche dünn borstig oder bewimpert, dicht behaart oder sammetig, sta- 
chelig, anliegend behaart oder abstehend borstig erscheint u. s. w. Eine besondere 
Ausbildung erreicht das dermale Haarkleid bei Syeyssa Huxleyi (Taf. 44, Fig. 1, 2) 
und Sycarium hystrix (Taf. 59). Hier ist die Oberfläche bewaffnet mit einem Sta- 
chel-Panzer von colossalen und sehr dicken, starren Stabnadeln, welche fast die 
ganze Magenwand durchbohren und aussen weit hervorragen. Dazwischen aber fin- 
det sich ein dichter Pelz von äusserst feinen, dicht stehenden und verfilzten Bor- 
sten, die ebenfalls senkrecht aus der Dermalfläche vortreten. 


Tubar-Skelet der Syconen. 


Zwischen dem äusseren Dermal-Skelet und dem inneren Gastral-Skelet liegt 
bei den Syconen das Tubar-Skelet oder das Skelet der Radial-Tuben (entsprechend 
dem Parenchym-Skelet der Leuconen). Nur allein bei den wenigen Sycon-Arten 
des Syconaga-Typus, wo die Radial-Tuben ganz frei und nicht verwachsen sind, 
fällt das Tubar-Skelet natürlich mit dem Dermal-Skelet zusammen, wie bereits vor- 
her gezeigt wurde. Während das Parenchym-Skelet der Leuconen, entsprechend 
dem unregelmässigen Verlauf ihrer verästelten Ramal-Tuben, immer eine mehr oder 
weniger unregelmässige Anordnung und Zusammensetzung zeigt, ist hingegen das 
Tubar-Skelet der Syconen, entsprechend dem regelmässigen Verlauf ihrer geraden 
und einfachen Radial-Tuben, durch regelmässige Anordnung und Zusammensetzung 
ausgezeichnet. 

Bei der grossen Mehrzahl der Syconen, nämlich bei 29 Arten, wird das Tubar- 
Skelet ganz oder grösstentheils durch Dreistrahler gebildet, nur bei 7 Arten durch 
Vierstrahler, und nur bei einer einzigen Art durch Stabnadeln allein. Die regel- 
mässige Anordnung und Zusammensetzung des Tubar-Skelets ist bei allen Syconen 
zunächst durch die radiale Richtung aller oder eines Theils der Nadel-Schenkel 
ausgesprochen, welche die Wand der Radial-Tuben stützen. In der Art und Weise, 
in welcher die Spicula die eigentliche Tuben-Wand zusammensetzen, finden sich 
jedoch zwei verschiedene Typen realisirt, welche wir kurz als gegliedertes und 
ungegliedertes Tubar-Skelet unterscheiden wollen. Ersteres kommt bei 27 Sycon- 
Arten vor, letzteres nur bei 10 Arten. 

Das gegliederte Tubar-Skelet findet sich bei folgenden 27 Species: bei 
4 Arten ‚Sycelta (Taf. 41, Fig. 3; Taf. 42, Fig. 2, 6, 10); bei 2 Arten Syealtis (S. co- 
nifera, Taf. 45, Fig. 2 und $. perforata, Taf. 46, Fig. 7); bei allen 5 Arten Sy- 
eortis (Taf. 45, Fig. 1, 3; Taf. 49, Fig. 3) und bei allen 18 Arten des Genus Syeamdra 


320 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


(Taf. 51—56). Dieses gegliederte Tubar-Skelet ist immer aus Dreistrahlern zu- 
‚sammengesetzt, und dadurch ausgezeichnet, dass in der Längsaxe (oder im radialen 
Durchmesser) des Tubus immer zwei oder mehrere (meistens 4—8) transversale 
Reihen oder Glieder von Dreistrahlern hinter einander liegen, wie an den citirten 
Figuren zn sehen ist (besonders deutlich auf Taf. 42, Fig. 2, 6, 10; Taf. 49, Fig. 5). 
Diese Dreistrahler sind meistens sagittal (seltener regulär oder irregulär), und 
immer ist der basale (meist verlängerte) Schenkel in centrifugaler Richtung nach 
aussen oder distalwärts gegen die Dermalfläche gekehrt (parallel der Axe des Ra- 
dial-Tubus), während die beiden lateralen (meistens kürzeren) Schenkel nach innen 
gegen die Magenhöhle hin (in proximaler Richtung) divergiren. Je länger der Ra- 
dial-Tubus ist, desto grösser die Zahl der Glieder, welche in dieser Weise völlig 
regelmässig mit parallelen Schenkeln der Dreistrahler angeordnet und gebildet sind. 
Eine einzige Ausnahme von dieser regelmässigen Anordnung macht nur die eigen- 
thümliche, auch sonst sehr abweichende Sycaltis perforata (Taf. 46, Fig. 7, 3), wo 
die Dreistrahler regulär geformt sind, aber ungeordnet durch einander liegen. 

Bei den meisten Syconen mit gegliedertem Tubar-Skelet sind auch die einzel- 
nen Glieder, welche durch die transversal verlaufenden Lateral-Schenkel geschieden 
werden, wiederum differenzirt, und ebenso ihr Skelet. Nur bei Sycetta primitiva 
(Taf. 41, Fig. 5), wo sämmtliche Dreistrahler regulär sind, findet sich von dieser 
Differenzirung Nichts. Diese letztere zeigt sich darin, dass das erste oder innerste 
(proximale) Glied länger (oft doppelt so lang) als die folgenden, das äusserste 
(distale) Glied hingegen das kleinste ist. Die Dreistrahler des ersten (proximalen) 
Gliedes sind am stärksten sagittal differenzirt, meistens rechtwinkelig oder subrect- 
angulär (Taf. 49, Fig. 3 unten; Taf. 51—56, links bei g). Ihr Basal-Schenkel ist 
hypertrophisch, bedeutend verlängert, ihr Oral-Winkel gewöhnlich bis 180° vergrös- 
sert, und die beiden kurzen Lateral-Schenkel legen sich mit convex gebogenem 
Proximal-Rande an die äussere (distale) Seite der Gastralfläche an. Die Dreistrahler 
der folgenden Glieder sind gewöhnlich schwächer sagittal differenzirt, ihre Basal- 
Schenkel weniger hypertrophisch, ihr Oral-Winkel meistens kleiner. Endlich am 
distalen Ende des Tubus, am letzten Gliede, gehen die sagittalen Dreistrahler mei- 
stens in die reguläre oder subreguläre, oft auch in die irreguläre Form über. 

Die stärkste Differenzirung und dabei eine ganz eigenthümliche Ausbildung er- 
leiden die tubaren Dreistrahler an den Distal-Kegeln derjenigen 4 Sycandra-Arten, 
welche wir in dem Subgenus Sycostrobus zusammengefasst haben, und welche sich 
auch ausserdem durch die vorher beschriebene Täfelung der Dermalfläche auszeichnen. 

Hier findet sich am Distal-Conus jedes Tubus ein glockenförmiger, distalwärts 
geöffneter Kelch, einer Blumenkrone ähnlich, in dessen Grunde sich das oben be- 
schriebene Büschel der dermalen Stabnadeln, einem Staubfaden-Busche vergleichbar, 
inserirt. Die glockenföürmige Krone wird gebildet durch die höchst differenzirten 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 321 


Dreistrahler des letzten (distalen) Gliedes. Der Basal-Schenkel derselben ist hyper- 
trophisch, unverhältnissmässig gross und Sförmig gebogen. Die beiden Lateral- 
Schenkel hingegen sind ganz klein und atrophisch (Taf. 54, Fig. 2d, 3d). Der Basal- 
Schenkel wird hier 3mal so dick und lang als der Basal-Schenkel der proximalen, 
rechtwinkeligen Dreistrahler, deren Lateral-Schenkel umgekehrt gut entwickelt sind. 
Am stärksten ist diese merkwürdige Differenzirung ausgesprochen bei Sycandra 
Humboldti (Taf. 54, Fig. 2d) und 8. elegans (Taf. 54, Fig. 3d); viel schwächer ist 
sie bei S. arborea und S. aleyoncellum ausgebildet (Taf. 53, Fig. 1d, 2d); aber auch 
bei S. Schmidtiü (Taf. 52, Fig. 1d) und einigen anderen Arten wird sie schon mehr 
oder weniger vorbereitet. 

Alle Syconen mit gegliedertem Tubar-Skelet sind unter dem Mikroskop (an 
einem Längsschnitt ebenso wie an einem Querschnitt der Sycon-Person) auf den 
ersten Blick an der zierlichen Gitter-Structur zu unterscheiden. 

Die regelmässige Anordnung der Dreistrahler in dem gegliederten Tubar-Skelet 
hat desshalb ein hohes Interesse, weil sie auf das Deutlichste zeigt, dass in erster 
Linie die Lagerung und in zweiter Linie sogar die Form der Dreistrah- 
ler unmittelbar durch die Richtung des Wasserstroms bewirkt wird, 
welcher regelmässig den Tubus durchläuft. Um sich hiervon zu überzeugen, braucht 
man bloss einen solchen gegliederten Radial-Tubus (Taf. 41, Fig.3, Taf. 49, Fig. 5) 
mit einem solitären Olynthus zu vergleichen (Taf. 1, Fig. 1). In beiden sind die 
Dreistrahler regelmässig geordnet, mit parallelen Schenkeln. Während aber beim 
Olynthus die Basal-Strahlen aboralwärts nach unten gerichtet sind, entgegen dem 
Wasserstrom, der oralwärts nach oben läuft und durch die Mundöffnung austritt, so 
sind die entsprechenden Basal-Strahlen im Radial-Tubus des Sycon distalwärts nach 
aussen gerichtet, ebenfalls dem Wasserstrom entgegen, der hier proximalwärts nach 
innen läuft und durch das Dermal-Ostium in die Tubenhöhle eintritt, durch das 
Gastral-Ostium in die Magenhöhle austritt. Wie nun in beiden Fällen zunächst diese 
constante Lagerung der Dreistrahler durch die Richtung des Wasserstroms bestimmt 
wird, so ist derselbe auch weiterhin auf die Differenzirung ihrer Form in beiden Fäl- 
len von gleichem Einfluss gewesen. 

Das ungegliederte Tubar-Skelet findet sich bei folgenden 10 Sycon-Arten: 
bei Sycelta stauridia; bei allen 4 Syeilla-Arten, bei der einzigen Syeyssa-Art, bei 
3 Sycaltis-Arten und bei der einzigen Syculmis-Art. Diese zehn Sycon-Species ge- 
hören sämmtlich zum Syconusa-Typus; d.h. bei allen sind die Radial-Tuben in 
ihrer ganzen Länge mit den Flächen völlig verwachsen, ohne Inter- 
canäle. 

Während das gegliederte Tubar-Skelet immer ganz oder grösstentheils aus Drei- 
strahlern besteht, ist dagegen das ungegliederte bald aus Dreistrahlern, bald aus 
Vierstrahlern, bald aus Stabnadeln zusammengesetzt. Es unterscheidet sich von dem 


Haeckel , Kalkschwimme 1. 21 


322 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


gegliederten Tubar-Skelet auf den ersten Blick durch den Mangel der Gitterung 
und der transversalen Balken, welche die lateralen Strahlen der Dreistrahler dort 
bilden. Bei allen Syconen mit ungegliedertem Tubar-Skelet finden sich in der Wand 
der Tuben niemals transversale Balken, sondern einzig und allein radiale Balken, und 
zwar sind dies entweder Stabnadeln (Sycyssa), oder die basalen Schenkel von Drei- 
strahlern, oder die apicalen Schenkel von Vierstrahlern. 

Durch Dreistrahler wird das ungegliederte Tubar-Skelet bloss bei 2 Sycon- 
Arten gebildet, nämlich bei Sycetta stauridia (Taf. 42, Fig. 14), und bei Sycaltis gla- 
cialis (Taf.45, Fig. 5). In diesen beiden Species ist das Tubar-Skelet ganz in der- 
selben Weise zusammengesetzt, nämlich aus einer äusseren subdermalen und einer 
inneren subgastralen Schicht von sagittalen Dreistrahlern mit sehr verlängertem Ba- 
sal-Schenkel. Die beiden kurzen lateralen Schenkel der subdermalen Dreistrahler lie- 
sen unter der Dermalfläche, diejenigen der subgastralen Dreistrahler unter der Ga- 
stralfläche. Der verlängerte gerade Basal-Strahl der ersteren springt (in der Tuben- 
Wand eingeschlossen) centripetal nach innen vor; derjenige der letzteren hingegen 
umgekehrt, centrifugal nach aussen. Die beiden entgegengesetzten Basal-Strahlen 
legen sich in der Tuben-Wand mit dem grössten Theile ihrer Länge an einander. 

Durch Vierstrahler wird das ungegliederte Tubar-Skelet bei 7 Arten gebildet, 
nämlich bei allen 4 Syeilla-Arten (Taf.43, Fig. 2, 6, 9, 13); bei 2 Syealtis- Arten 
(8. testipara, Taf. 47, Fig.5, und 8. ovipara, Taf. 47, Fig. 9); und bei Syenlmis 
synapta (Taf. 50). Bei allen sieben Species ist das Tubar-Skelet wesentlich in der- 
selben Weise zusammengesetzt, nämlich aus einer äusseren, dermalen (oder subder- 
malen) und aus einer parallelen inneren, subgastralen Schicht von Vierstrahlern. Die 
drei facialen Schenkel der äusseren Schicht liegen in oder unmittelbar unter der Der- 
malfläche; diejenigen der inneren Schicht gleich unter der Gastralfläche (an ihrer Di- 
stalseite). Der verlängerte und gerade Apical-Strahl der ersteren springt (in der 
Tubenwand eingeschlossen) centripetal nach innen vor; derjenige der letzteren hin- 
gegen umgekehrt, centrifugal nach aussen. Die beiden entgegengesetzten Apical- 
Strahlen legen sich bald nur mit ihren Spitzen, bald mit dem grössten Theile ihrer 
Länge an einander. Bei Sycilla chrysalis (Taf. 43, Fig. 2) und bei Sycaltis owipara 
(Taf. 47, Fig. 9) ist der Apical-Strahl der subdermalen Vierstrahler so verlängert, dass 
er nicht allein die ganze Magenwand centripetal durchsetzt, sondern auch noch die 
Gastralfläche durchbohrt und frei in die Magenhöhle vorspringt. 

Durch Stabnadeln wird das ungegliederte Tubar-Skelet nur bei dem Ge- 
nus Syeyssa gebildet, von welchem bis jetzt nur eine Art mit Sicherheit bekannt ist 
(S. Huzxleyi, Taf. 44, Fig. 1, 2). Die einzige Stütze der Radial-Tuben bilden hier die 
colossalen spindelförmigen Stabnadeln (s), welche mit ihrem distalen Theile weit über 
die Dermalfläche vorragen, mit dem proximalen Theile aber die ganze Magenwand 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 3923 


durchbohren und mit der inneren Spitze an der Distalseite der Magenfläche das sub- 
gastrale Skelet (b) berühren. 


Gastral-Skelet der Syconen. 


Die Gastralfläche, auf welcher die Gastral-Ostien der Radial-Tuben münden, ist 
bei den Syconen selten glatt, meistens stachelig oder borstig-behaart. Von den 
37 Sycon-Arten besitzen nur 9 eine glatte, hingegen 28 eine dornige oder borstige 
Magenfläche. Die Stacheln, Borsten oder Haare, welche die letztere bedecken, sind 
stets die frei vorspringenden Apical-Schenkel von Vierstrahlern, deren drei Facial- 
Schenkel in der Gastralfläche liegen. 

Die glatte oder kahle Gastralfläche wird bei 8 von den betreffenden 
9 Sycon-Arten durch Dreistrahler, und nur bei einer einzigen Art (‚Sycyssa) durch 
Stabnadeln, niemals aber durch Vierstrahler gebildet. 

Dreistrahler setzen das Skelet der glatten Gastralfläche bei folgenden 8 Sycon- 
Arten zusammen: bei allen 5 Sycetta-Arten und bei den 3 Sycortis-Arten. Sie liegen 
meistens dichtgedrängt in einer mehrfachen, seltener in einer einfachen Schicht. Bei 
4 von diesen 8 Arten sind sie ohne Ordnung in der Gastralfläche zerstreut, nämlich 
bei Sycetta strobilus, 8. cupula, Sycortis lingua und 8. laevigata. Bei den ersten 
drei Arten sind die Dreistrahler regulär, bei der letzten irregulär (Taf. 49, Fig. 2). 
Bei der andern Hälfte von jenen 8 Arten sind die Dreistrahler regelmässig geordnet 
mit parallelen Schenkeln, und zwar bei Sycetta primitiva und S. sagittifera wie 
gewöhnlich dergestalt, dass der basale Schenkel aboral nach abwärts, die beiden 
lateralen aber divergirend oralwärts gerichtet sind; bei der ersten sind die Drei- 
strahler regulär, bei der zweiten sagittal. Ganz eigenthümlich ist hingegen die An- 
ordnung der regulären Dreistrahler in der glatten Gastralfläche von Sycetta stauridia 
und Sycortis quadrangulata. (Taf. 48, Fig. 4). Sie sind hier nämlich mit mathe- 
matischer Regelmässigkeit dergestalt bündelweis mit parallelen Schenkeln gelagert, 
dass sie um jedes Gastral-Ostium herum ein völlig reguläres Hexagon zusammen- 
setzen. Jede Seite des Sechsecks wird durch ein Bündel von 6—12 parallelen 
Schenkeln gebildet. 

Stabnadeln setzen für sich allein das glatte Gastral-Skelet nur bei einer ein- 
zigen Sycon-Art zusammen, bei Syeyssa Huxleyi (Taf. 44, Fig.b, g). Hier wird 
das eigentliche Gerüst der Magenfläche durch einige dreissig Bündel von colossalen 
dicken Stabnadeln gebildet, welche unter einander und der Längsaxe der Person 
parallel laufen und mit den Längsreihen der Magen-Poren alterniren. Dieses feste 
subgastrale Gerüst ist überzogen, wie mit einem Spinngewebe, mit einem gastralen 
Teppich, der aus unregelmässig verflochtenen Bündeln sehr feiner und dünner Stabna- 
deln zusammengesetzt ist. Dasselbe Spinngewebe wiederholt sich in dem endogastri- 
schen Skelet von Sycandra utrienlus; während das subgastrale Gerüste von longi- 

21 


324 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


tudinalen Balken seine Wiederholung in dem subgastralen Skelet von Sycandra 
hystrix findet. Aber bei diesen beiden letztgenannten Arten wird das eigentliche 
Skelet der Gastralfläche von Dreistrahlern und Vierstrahlern gebildet. 

Eine stachelige oder borstige Gastralfläche besitzen mehr als drei 
Viertel aller Sycon-Arten, nämlich folgende 23 Species: alle 4 Arten von Syeilla 
(Taf. 43, Fig. 2, 6, 9, 13d); alle 5 Arten von Syealtis (Taf. 45, Fig. 3, 5a, 6; 
Taf. 46, Fig. 6; Taf. 47, Fig.4, 5, 8, 9); die eine Art Syculmis (Taf. 50, Fig. 2, 
4a, 5v) und alle 15 Arten des Genus Sycandra (Taf. 51 —56, a; auf diesen 6 Ta- 
feln ist links immer der verticale Längsschnitt der Magenfläche (m—n) im Profil 
dargestellt, so dass die oralwärts nach oben gekrümmten Apical-Strahlen der Vier- 
strahler frei nach links in die Magenhöhle vorragen). Bei allen diesen 28 Sycon- 
Arten ist das Gastral-Skelet wesentlich in der gleichen Weise zusammengesetzt. Die 
Stacheln, Dornen, Borsten oder Haare, welche frei über die Gastralfläche vorspringen 
und in die Magenhöhle hineinragen, sind stets die freien Apical-Schenkel von Vier- 
strahlern, deren drei faciale Schenkel in der Gastralfläche verborgen sind. Diese 
letzteren sind meistens mit Dreistrahlern von derselben Grösse gemischt, meistens 
sagittal, oft aber auch regulär oder subregulär, selten irregulär. Bald liegen sie 
in der Gastralfläche oder in mehreren dieser parallelen Schichten ungeordnet durch 
einander, bald sind sie regelmässig geordnet mit parallelen Schenkeln: der Basal- 
Strahl meistens länger und der Längsaxe der Person parallel nach abwärts gerichtet, 
die beiden Lateral-Strahlen gewöhnlich etwas gekrümmt und oralwärts divergirend 
(Taf. 45, Fig. 3, 6; Taf. 50, Fig. 2). Der freie Apical-Strahl ist sehr mannichfaltig 
gebildet und für die einzelnen Species oft sehr characteristisch; er ist meistens kürzer 
und oft auch dicker, als die drei facialen Strahlen, selten länger (Taf. 53, Fig. 3a; 
Taf. 52, Fig. 3a). Selten ist er gerade, meist mehr oder minder oralwärts gekrümmt. 


Peristom-Skelet der Kalkschwämme. 


Bei der Mehrzahl der Kalkschwämme ist die Mundöffnung und ihre nächste 
Umgebung durch ein eigenthümlich differenzirtes Skelet ausgezeichnet, welches wir 
hier als Peristom-Skelet noch besonders hervorheben wollen. Dasselbe ist dess- 
halb von Bedeutung, weil die besonderen Formen der Mundöffnung, welche als 
„nackte, rüsselföürmige oder bekränzte Mundöffnung“ im künstlichen System der 
Kalkschwämme eine so bedeutende Rolle spielen, vorzugsweise durch die Entwicke- 
lung dieses Peristom-Skelets bestimmt werden. Dies gilt namentlich von den beiden 
Familien der Leuconen und Syconen, weniger von den Asconen. 

Bei den Asconen erreicht das Peristom-Skelet selten eine besondere Ausbildung. 
Wie in dieser Familie überhaupt das Skelet an den verschiedenen Körperstellen ent- 
weder gar nicht oder nur sehr schwach local differenzirt ist, so finden wir auch das 
Skelet der Mundöffnung meistens wenig oder gar nicht von dem des übrigen Körpers 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 325 


verschieden. In dem dünnwandigen Rüssel der rüsselmündigen Asconen finden wir 
dieselben Spicula in derselben Anordnung, wie in dem dünnwandigen Magenrohr der 
nacktmündigen Asconen. Nur die kranzmündigen Asconen sind dadurch ausgezeichnet, 
dass sich an ihrem Mundrande ein ähnlicher „asbestartiger“ Kranz von dichtge- 
drängten und äusserst feinen longitudinalen „Stricknadeln“ entwickelt, wie er bei den 
kranzmündigen Leuconen und Syconen zu höherer Ausbildung gelangt. 

Die Leuconen und Syconen verhalten sich in der Ausbildung ihres Mund- 
Skelets wesentlich übereinstimmend, so dass wir beide Familien hier vereint betrachten 
können. In beiden Familien verhält sich das Peristom-Skelet (oft innerhalb einer 
Species) verschieden, je nachdem die Mundöffnung „nackt, rüsselförmig oder be- 
kränzt“ ist (vergl. oben p. 264). 

Das Skelet der nackten Mundöffnung (Osculum nudum) stimmt gewöhn- 
lich vollständig mit dem Skelet der Gastralfläche überein, dessen terminale Fort- 
setzung es bildet. Doch treten nicht selten an dem glatten Rande der nackten 
Mundöffnung das gastrale und das dermale Skelet in Combination, so dass die in- 
nere Fläche des glatten Lippenrandes durch das erstere, die äussere Fläche durch 
das letztere gebildet wird. Immer sind die Spicula am Lippenrand regelmässig ge- 
ordnet, sowohl wenn die Spicula der Gastralfläche ungeordnet, als wenn sie geordnet 
sind. Die Anordnung der Nadeln in dem nackten Peristom stimmt mit derjenigen 
im rüsselförmigen überein. 

Das Skelet der rüsselförmigen Mundöffnung (Osculum probosceideum) 
besteht in den meisten Fällen aus einem zarten, aber festen Gerüste, das aus Drei- 
strahlern und Vierstrahlern regelmässig zusammengesetzt ist. Bisweilen treten dazu 
auch Stabnadeln, aber nicht häufig. Oft ist das Rüssel-Skelet bloss aus Dreistrah- 
lern, seltener hingegen bloss aus Vierstrahlern zusammengesetzt. Die Dreistrah- 
ler und Vierstrahler, welche die dünne Syneytium-Lamelle der zarten Rüsselwand 
stützen, sind immer sämmtlich oder zum Theil sagittal, meistens sehr stark 
sagittal-differenzirt; und dabei ganz regelmässig dergestalt mit parallelen Schen- 
keln neben einander geordnet, dass der basale Schenkel aboral nach abwärts 
gerichtet ist (parallel der Längsaxe des Rüssels und des Magens), während die 
beiden lateralen Schenkel gegen die Rüsselmündung hin divergiren. Der basale 
Schenkel ist immer gerade und meistens länger, bisweilen aber auch kürzer, sel- 
tener ebenso lang als die beiden lateralen. Diese letzteren sind selten gerade, 
meistens einfach gekrümmt, mit der Convexität gegen den Rüsselrand; oft auch 
Sförmig oder selbst wellenförmig verbogen. Der orale oder unpaare Winkel ist 
bei den sagittalen Dreistrahlern und Vierstrahlern des Rüssels fast immer bedeu- 
tend grösser als die beiden lateralen oder paarigen Winkel. Die letzteren messen 
meistens nur 105—95°, der erstere hingegen 150—170°. An dem oberen Rande 
des Rüssels, an dem freien Lippenrande seiner Oeflinung wächst der orale Winkel 


3236 Drittes Kapitel. Anatomie. II. Specielle Anatomie. 


noch stärker auf Kosten der beiden lateralen, so dass hier die Dreistrahler und 
Vierstrahler gewöhnlich rechtwinkelig werden. Der Apical-Schenkel der Vier- 
strahler ist in dem Rüssel-Skelet stets kürzer, als die drei facialen Schenkel. Er 
springt frei in die Rüsselhöhle vor und ist mehr oder weniger hakenförmig gegen 
die freie obere Oeffnung des Rüssels hin gekrümmt, ebenso wie es gewöhnlich auch 
in der Gastralfläche der Fall ist. Wenn der Rüssel lang ist, so ist sein Skelet im 
grössten Theile seiner Länge von gleicher Bildung. Wenn hingegen der Rüssel kurz 
ist, so kann man gewöhnlich vom aboralen (unteren) gegen den oralen (oberen) Rand 
des Rüssels hin einen stufenweisen Fortschritt in der sagittalen Differenzirung der 
Dreistrahler und Vierstrahler verfolgen; diejenigen des aboralen Randes sind am 
wenigsten, diejenigen des oralen Randes hingegen am stärksten sagittal-differenzirt, 
die letzteren meistentheils rechtwinkelig. Auch nimmt in der Regel die Zahl der 
Nadeln vom aboralen gegen den oralen Rand hin beständig zu, so dass sie hier oben 
viel dichter gedrängt stehen, oft so dicht und in solchen Massen neben einander, 
dass sich die parallelen Schenkel unmittelbar berühren, und dass ein äusserst fester 
und eleganter Panzer der Rüsselwand entsteht, die in diesem Falle trotz ihrer sehr 
geringen Dicke sehr fest und starr ist. Gewöhnlich ist dann auch noch die äussere 
oder dermale Fläche des Rüssels mit Stabnadeln bedeckt, die im Ganzen bei der 
Rüsselbildung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Stabnadeln in der Dermal- 
Fläche des Rüssels sind meistens nur spärlich, dünn, und regellos zerstreut. Oft 
. sind sie aber auch regelmässig neben einander geordnet, parallel der Längsaxe. 
Wenn sie dann zugleich dicker werden und gedrängter stehen, so entsteht ein re- 
gelmässiger fester Palisaden-Kranz, wie er bei dem bekränzten Peristom sehr oft 
vorkommt. 

Das Skelet der bekränzten Mundöffnung (Osceulum coronatum) besteht 
immer aus einem cylindrischen, konischen oder trichterförmigen Kranze von Stab- 
nadeln, die sich durch enorme Länge und sehr geringe Dicke auszeichnen. Diese 
„Strieknadeln“ sind eylindrisch und stehen gewöhnlich zu vielen Tausenden äus- 
serst dicht und parallel, in longitudinaler Richtung neben einander. Indem die Wand 
des ceylindrischen oder konischen Peristom-Kranzes meistens aus mehreren concentri- 
schen, dicht auf einander liegenden dünnen Cylindern oder Kegeln zusammengesetzt 
ist, deren jeder aus Hunderten oder Tausenden solcher Striecknadeln besteht, erhält 
der zierliche Kranz den asbestartigen Schimmer oder den Seiden-Glanz, durch wel- 
chen sich dieses schöne Peristom-Gebilde so auffallend auszeichnet. Die Stricknadeln 
des Peristom-Kranzes ragen immer völlig frei, ohne durch Sarcodine verbunden zu 
sein, in das Wasser hinein. Nur ihr unterster (aboraler) Theil wurzelt in dem Syn- 
cytium des Mundrandes. Gewöhnlich inseriren sich aber die Stricknadeln unten nicht 
unmittelbar im eigentlichen Mundrande, sondern in einer dünnen Sarcodine-Lamelle, 
welche sich in Gestalt eines niedrigen, cylindrischen Ringes aus dem eigentlichen 


2. Organologie. B. Das Skelet-System. 327 


Mundrande erhebt. Dies ist die Pars collaris oder das Collare des Peristom- 
Kranzes, dessen wir schon oben (p. 265) gedacht haben, und welches sich durch eine 
ganz scharfe horizontale Grenzlinie von der freien Pars eiliaris, dem eigentlichen 
Stäbchen-Kranze oder der Corona absetzt. Das basale Collare ist meistens niedriger, 
selten höher als die freie Corona, und besitzt sein eigenthümliches Skelet. Dieses 
Collar-Skelet ist völlig übereinstimmend mit dem vorher’beschriebenen Rüssel-Skelet 
gebildet, und besteht an seiner inneren (gastralen) Fläche aus einer gewöhnlich 
dichten Schicht von Dreistrahlern oder Vierstrahlern oder einem Gemisch von Beiden, 
während die äussere (dermale) Fläche gewöhnlich durch Stabnadeln gestützt wird. 
Die Dreistrahler und Vierstrahler der gastralen Collar-Fläche sind stets sagittal, mit 
parallelen Schenkeln regelmässig und dicht neben einander geordnet, so dass der 
gerade basale Schenkel aboral nach abwärts gerichtet ist, während die beiden la- 
teralen Schenkel (meistens kürzer und schwach gekrümmt) oralwärts unter einem 
sehr stumpfen Winkel (von 150— 180°) divergiren und häufig mit ihren Enden in 
einer horizontalen Linie, parallel der Grenzlinie der Corona, liegen. Auch sonst ver- 
halten sie sich ganz wie die Dreistrahler und Vierstrahler des Rüssel-Skelets. Die 
Stabnadeln der dermalen Collar-Fläche bilden gewöhnlich einen festen Palisaden-Kranz. 
Sie sind spindelförmig, gerade, dick, und stehen alle parallel der Längsaxe des Ma- 
gens dicht neben einander. Zwischen die oberen Spitzen dieses Palisaden-Kranzes 
schieben sich meistens die unteren Enden der feinen Stricknadeln ein, welche die 
freie Ciliar-Krone bilden. 

Bei einigen Leuconen und besonders bemerkenswerth bei mehreren Syconen tre- 
ten noch besondere Differenzirungen und Complicationen in der Skelet-Bildung des 
Peristom-Kranzes ein. Namentlich gehört dahin die Entwickelung einer zweiten, 
horizontalen Stäbchen-Krone oder eines Kragens bei einigen Syconen (Sycyssa Hu.x- 
leyi, Taf. 44, Fig. 1, Sycandra Humboldti und Sycandra elegans Taf. 58, Fig. 3). 
Dieser Kragen oder horizontale Stab-Kranz besteht wie die verticale Ciliar-Krone 
bloss aus parallelen und dicht gedrängt neben einander stehenden Stabnadeln ; diese 
sind aber hier alle radial gegen die Längsaxe gerichtet und zwischen der Haupt- 
masse der feinen Stricknadeln finden sich oft auch einzelne oder zahlreiche stärkere 
Stabnadeln, oft auch solche mit lanzenförmiger Spitze. Die Stabnadeln des horizon- 
talen Kragens sind ganz frei, ohne verbindende Syneytium-Lamelle an ihrer Basis. 
Sie inseriren sich an der Basis des verticalen Kranzes. Die specielle Beschreibung 
der besonderen Modificationen, welche das Peristom-Skelet bei einzelnen Leuconen 
und Syconen erleidet, ist im Systeme des zweiten Bandes enthalten. 


Viertes Kapitel. 


Entwickelungs-Geschichte. 


I. Ontogenie oder Keimesgeschichte. 


Die Ontogenie, die Keimesgeschichte oder individuelle Entwickelungsgeschichte 
ist sowohl bei den Kalkschwämmen, wie bei den übrigen Schwämmen, bisher noch 
wenig Gegenstand sorgfältiger Untersuchungen gewesen. Doch scheint es nach dem 
thatsächlichen Material, welches bis jetzt vorliegt, dass dieselbe im Ganzen sehr 
einfach und einförmig verläuft und dass sich gewöhnlich, vielleicht ganz allgemein, 
aus dem befruchteten Ei der Spongien eine flimmernde Larve (Planula) entwickelt, 
welche einige Zeit im Wasser umher schwimmt, dann zu Boden sinkt und sich durch 
einfache Metamorphose in den jungen Schwamm verwandelt. 

Dieser Modus der Entwickelung aus dem befruchteten Ei würde nach dem 
Schema, welches ich in meiner allgemeinen Entwickelungsgeschichte von den ver- 
schiedenen Arten der Zeugungskreise entworfen habe !), unter den Begriff der Amphi- 
genesis, und zwar, genauer bestimmt, in die Kategorie der Hypogenesis metamorpha 
fallen. Ausserdem findet sich bei vielen Spongien noch ein wesentlich verschiedener 
Entwickelungs-Process vor, nämlich die Entstehung neuer Individuen auf ungeschlecht- 
lichem Wege aus den sogenannten „Gemmulae“. Ich habe diesen Process in der 
generellen Morphologie (Bd. II, p. 53) als „Rückschreitende Keimknospenbildung* 
(Polysporogonia regressiva) bezeichnet. Diejenigen Spongien, welche sich abwech- 
selnd auf ungeschlechtlichem Wege durch Gemmulae und auf geschlechtlichem Wege 
durch befruchtete Eier fortpflanzen (z. B. Spongilla und andere Kieselschwämme), 
würden einen wahren Generationswechsel besitzen, und zwar diejenige Form des- 
selben, welche ich als Metagenesis producetiva bezeichnet habe (l. c. p. 83). Bei den 
Kalkschwämmen kommt dieser nicht vor, da sich in dieser Gruppe niemals Gemmulae 
bilden. Die Entwickelung der Caleispongien ist demnach immer Hypogenesis 
metamorpha. Die Flimmerlarven der Kalkschwämme waren bisher nur von LIEBER- 
KÜHN bei Sycandra raphanus, von OÖ. ScHmivr bei Sycandra Humboldti und von 


1) HAEcKEL, Generelle Morphologie, Bd. II, p. 83. 


I. Ontogenie oder Keimesgeschichte. 329 


MıkrucHo bei Ascetta blanca beobachtet worden. Ich selbst habe sie bei einer 
grösseren Anzahl von Asconen, Leuconen und Syconen (zum Theil allerdings nur bei 
Weingeist-Exemplaren) untersucht, und den Entwickelungsgang im Wesentlichen 
überall übereinstimmend gefunden !). 


1) Die älteste Beschreibung einer Caleispongien-Larve, welche LIEBERKÜHN von seinem „Sycon ei- 
liatum von Triest‘‘ (= Sycandra raphanus, H.) gab, lautet wörtlich: „‚Fortpflanzungskörper fanden sich 
häufig von dieser Art bei Triest vor. Sie wurden bei einer grossen Anzahl von eben dem Wasser 
entnommenen Exemplaren beobachtet und kamen beim Zerfasern derselben zum Vorschein. Die ent- 
wickeltesten Embryonen massen etwas über „1, Mm., die kleinsten nur halb so viel. Sie sind kugelig 
oder oval und zeigen in der Mitte des Körpers eine dunkle Stelle, welche bei Anwendung von Druck sich 
als eine längliche Höhle erweist, die im Längsdurchmesser etwa den dritten Theil des Thieres beträgt und 
gewöhnlich eine äusserst feinkörnige, braune, detritusartige Masse enthält. Diese Embryonen sind auf 
dem ganzen Körper mit langen Wimperhaaren besetzt, mittelst deren sie sich lebhaft im Wasser bewegen. 
Zellen dazu liessen sich bis jetzt auf der Oberfläche des Körpers nicht nachweisen; man erkennt nur 
vereinzelte, stark lichtbrechende Körnchen in ihr. Bei ein wenig tieferer Einstellung des Focus erblickt 
man zellige Gebilde von rundlicher Form, bei erheblich tieferer, wo man die braune Substanz im Inneren 
erkennt, kommen radiäre Streifen zum Vorschein, welche von letzterer nach der Oberfläche hin verlaufen. 
Je zwischen zwei solchen Streifen erkennt man: öfters darauf senkrecht gestellte Querstreifen. Die radiären 
Streifen stehen bei manchen Embryonen erheblich näher an einander und fehlt dann meist die braune 
Masse. Bei vielen Embryonen ist nur der nach vorn schwimmende Theil des Körpers mit Wimpern be- 
setzt und mit der inneren Höhle und der erwähnten Streifung versehen, während der hintere Theil von 
alledem Nichts zeigt, sondern nur als ein unregelmässiger Haufen zelliger Gebilde erscheint, in welchem 
sich freilich bisher keine Kerne oder Kernkörperchen nachweisen liessen. Es ist sehr wohl möglich, 
dass dies Embryonen im zerfallenden Zustande sind; bei den normalen möchten wohl die radiären Streifen 
mit ihren Querverbindungen der Ausdruck neben einander liegender Zellenreihen sein, welche das Körper- 
parenchym des Thieres bilden, während die mit detritusartiger Masse angefüllte Höhle dem grossen Hohl- 
raum der ausgebildeten Thiere entspricht, welcher in die Ausströmungsöffnung ausmündet‘‘ (Archiv für 
Anat. Physiol. 1859, p. 379). 

Die Mittheilung von Oscar ScHMipT, welche sich auf die Flimmerlarven seiner Dunstervillia corey- 
rensis (= Sycandra Humboldtü, H.) bezieht, lautet folgendermassen: „Auf dem einen Stadium besteht der 
elliptische Körper aus einer grösseren vorderen bewimperten Hälfte und einer wimperlosen, auch von 
jener durch die grösseren zellenähnlichen Portionen unterschieden. Das Centrum ist von einer feinkör- 
nigen bräunlichen Masse erfüllt. Nun rundet sich das Hintertheil mehr ab und aus dem Centrum ent- 
wickelt sich eine Höhle mit einer weiten, das Vorderende durchbrechenden, etwas in die Länge gezogenen 
Mündung. Dieser Embryo ist doch gewiss ein Individuum, dessen Uebergang in die erste Periode des 
festsitzenden Stadiums unmittelbar verständlich ist. Dass das ausführende Canalsystem, nämlich die em- 
bryonale Leibeshöhle, eher angelegt ist, als Poren und Einführungscanäle sich zeigen, kann in der Auf- 
fassung desselben nicht beirren. Wir wissen überhaupt noch wenig von der morphologischen Entwicke- 
lung anderer Spongien“ (Adriat. Spongien, II. Supplement, 1866, p. 5, Fig. 6). 

Die Angaben von MıktucHo über die embryonale Entwickelung seiner @uancha blanca (= Ascetta 
blanca, H.) sind folgende: „Beim Untersuchen einiger Individuen fand ich die ganze verdauende Cavität 
mit einer zelligen Masse angefüllt. Um diesen Inhalt deutlicher zu sehen, entfernte ich durch Essigsäure 
die Spieula und fand diese Masse aus Zelleneomplexen (Keimkörner der Autoren) bestehend, die durch 


äusserst schwache Conturen getrennt waren. Einzelne Individuen derselben Gruppe waren unverändert 


330 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


Eifurchung und Morula. 


Die Furchung des befruchteten Eies ist bei den Kalkschwämmen nach meinen 
Beobachtungen überall reguläre totale Furchung und geschieht bei allen drei 
Familien der Caleispongien in derselben einfachen Weise (vergl. die Furchung von 
Ascyssa troglodytes, Taf. 7, Fig. 2; von Asenlmis armata, Taf. 13, Fig. 2; von 
Leuculmis echinus, Taf. 30, Fig. 3—7; und von Syeyssa Hu.rleyi, Taf. 44, Fig. 4—13). 
Das Wesentliche des Vorganges besteht darin, dass sich durch wiederholte Halbi- 
rung der Eizelle und der dadurch entstandenen „Furchungskugeln“ ein kugeliger, 
„brombeerförmiger“‘ Haufen von lauter gleichartigen Zellen bildet (Morula). 

Wie sich der Kern der ursprünglichen Eizelle oder das „Keimbläschen“ bei den 
Kalkschwämmen nach erfolgter Befruchtung und bei Beginn der Furchung verhält, 
habe ich nicht sicher ermitteln können. Ein Verschwinden desselben, wie es bei 
vielen verschiedenen Thieren im Beginne der Ontogenese stattfinden soll, habe ich 
bei den Caleispongien niemals bemerkt. Demnach würden die Kerne der beiden 
ersten Furchungskugeln directe Abkömmlinge des „Keimbläschens“ sein. Sollte hin- 
gegen, wie es wohl möglich ist, auch hier das Keimbläschen nach erfolgter Befruch- 
tung verschwinden und durch einen neugebildeten Zellenkern ersetzt werden, so 
würde dieser Process, wie auch bei anderen Thieren, sowohl für die Phylogenie, als 
für die Histologie von hohem allgemeinen Interesse sein; für die Phylogenie, weil er 
nach dem biogenetischen Grundgesetze als Rückschlag in die primordiale 
Stammform des Moneres phylogenetisch zu deuten wäre; für die Histologie, 
weil er die Entstehung der Zelle aus der Cytode, die Differenzirung des 
Plasson in Protoplasma und Nucleus greifbar demonstrirte (vergl. oben p. 105). Die 


und noch andere zeigten dieselben Complexe mit einer deutlichen Hülle umgeben. Weitere Untersuchungen 
ergaben, dass diese zelligen Conglomerate kleiner werden und sich verdichten, so dass sie später nur 
einen Theil der verdauenden Cavität einnehmen. Die inneren Parthien dieser Körper färben sich braun 
und es differenzirt sich an ihnen eine helle, ziemlich dieke äussere Schicht. Man kann diese Gebilde 
nach Ablauf dieser Differenzirung als Embryonen bezeichnen. Bald darauf bekommen sie lange Wimpern, 
vermöge deren sie in der verdauenden Cavität umherschwimmen. Diese bewimperten Embryonen treten 
durch den Mund aus und verlassen so das Mutterthier. Die freigewordenen Embryonen (Schwärmsporen 
der Autoren) sind oval, besitzen einen dunkelbraunen Inhalt und eine helle Corticalschicht und über dieser 
noch eine zarte Hülle. Ueber die feinere Structur dieser hellen Schicht weiss ich nicht viel zu sagen. 
Sie schien mir aus sehr grossen Zellen zu bestehen, doch will ich das nicht behaupten. Bei leichten Druck- 
versuchen mit dem Deckgläschen zerreisst die äussere Hülle, sowie die helle Corticalschicht, und der braune, 
aus Zellen bestehende Inhalt tritt aus; in diesen ausgetretenen Zellen habe ich nie etwas einem Spieulum 
Aehnliches gefunden. An den folgenden Tagen fand ich mehrere der Embryonen am Glase ansitzend, 
während andere noch herumschwärmten. Einige der festhaftenden hatten schon einen Theil ihres Wim- 
perkleides verloren und ihre äussere Gestalt war verändert.“ (Jenaische Zeitschr. 1868, IV. Bd., p. 226). 

Der „frei schwimmende Kalkschwamm-Embryo‘“, welchen kürzlich WILLEMOES-SUHM beschrieben hat 
(Zeitschr. f. wiss. Zool. 1871, Bd. 21, Taf. 31, Fig. 4) ist sicher kein Kalkschwamm. 


I. Ontogenie oder Keimesgeschichte. 551 


Eizelle in diesem vorübergehenden kernlosen Zustande ist factisch eine Cytode und 
kann wohl passend auf Grund jener Beziehung Monerula genannt werden. 

Der Furchungs-Process der Kalkschwämme bietet nur insofern etwas Eigen- 
thümliches dar, als die wiederholte Theilung der Eizelle zunächst bloss in der 
Ebene der Entoderm-Zellenschicht erfolgt. Die Eizelle, welche inmitten der 
einfachen Schicht von nutritiven Geisselzellen wie eine colossal vergrösserte Epi- 
thelial-Zelle liegt, theilt sich wiederholt, ohne über jene Ebene hervorzutreten, so 
dass man die verschiedensten Stadien der Furchung zwischen den Geisselzellen des 
Entoderms zerstreut finden kann (Taf. 7, Fig. 2; Taf. 13, Fig. 2). So findet man sie 
bei den Asconen an der Innenfläche der Magenhöhle, bei den Leuconen an der 
Innenfläche der verästelten Canäle oder der Geisselkammern, bei den Syconen an 
der Innenfläche der Radial-Tuben, mitten zwischen den nutritiven Geisselzellen. 
Doch gilt das natürlich nur für die viviparen Kalkschwämme, bei denen sich der 
flimmernde Embryo innerhalb des Gastrocanal-Systems entwickelt, nicht für die ovi- 
paren Caleispongien, bei welchen die Befruchtung der Eizelle und ihre Entwicke- 
lung zur Flimmerlarve ausserhalb des mütterlichen Körpers geschieht !). 

Wie gewöhnlich, geht auch hier der Theilung jeder Zelle die Halbirung ihres 
Kernes, und dieser wiederum die Theilung des Nucleolus vorher. So entstehen aus 
den beiden ersten Furchungskugeln, nachdem sich ihre Nuclei getheilt haben, zu- 
nächst vier Zellen, welche in einer Ebene liegen und durch eine Kreuzfurche getrennt 
sind (Taf. 13, Fig. 2g,; Taf. 30, Fig.5; Taf. 44, Fig. 6). Dann folgen acht Zellen 
in einer Ebene, von denen sieben um eine mittlere herum einen Ring bilden (Taf. 13, 
Fig. g,; Taf. 30, Fig.6; Taf. 44, Fig. 7). Hierauf findet man sechszehn Zellen in 
einer Ebene, von denen gewöhnlich fünf oder vier in der Mitte, elf oder zwölf um 
diese herum liegen (Taf. 13, Fig. 2g,,; Taf. 30, Fig. 7; Taf. 44, Fig. 8). Erst jetzt 
scheint gewöhnlich eine Theilung der Furchungszellen parallel der Ebene einzutreten, 
so dass im nächsten Stadium 32 Zellen sichtbar sind, welche in zwei Blättern von 
je 16 Zellen über einander liegen. Nunmehr scheinen zunächst die Zellen nur in 
der Mitte dieser doppelblättrigen Scheibe sich zu vermehren, nicht am Rande. Diese 
gestaltet sich dadurch zunächst zu einem biconvex linsenförmigen, dann zu einem 
subsphärischen und endlich zu einem kugeligen Körper. Durch fortgesetzte Thei- 
lung sind die gleichartigen, kugelig-polyedrischen Zellen, welche diese Kugel zu- 
sammensetzen, bis zu einem Durchmesser von 0,01 Mm. herabgesunken. Jede ent- 
hält einen klaren, hellen, kugeligen Kern von 0,003 —0,004 Mm., mit einem deut- 
lichen Kernkörperchen. Das Protoplasma der Furchungszellen ist trübe, granulirt, 


1) Sowohl unter den Asconen, als unter den Leuconen und Syconen kommt es vor, dass von meh- 
reren nahe verwandten Arten einer Gattung (oder selbst von Varietäten einer Art, z. B. Ascetta elathrus) 
die einen ovipar, die anderen vivipar sind. Welcher von beiden Modi, der ovipare oder der vivipare, 


häufiger ist, lässt sich noch nicht übersehen. 


352 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


von zahlreichen feinen Körnchen (Fettkörnchen?) durchsetzt. Wir bezeichnen die 
massive, aus diesen gleichartigen Zellen zusammengesetzte Kugel, welche dem so- 
genannten „maulbeerförmigen Stadium“ oder dem „brombeerförmigen Embryonal- 
Zustande“ anderer Thiere völlig gleich ist, der Kürze halber ein- für allemal als 
Maulbeerform oder „Morula“. Der Durchmesser der kugeligen Morula, deren 
Oberfläche durch die etwas vortretenden peripherischen Zellen schwach höckerig 
erscheint, beträgt bei den verschiedenen Kalkschwämmen gewöhnlich zwischen 0,06 
und 0,08 Mm. 

Anomalien der Furchung wurden mehrmals gelegentlich beobachtet, ohne 
dass denselben wohl eine besondere genetische Bedeutung zuzuschreiben wäre. So 
kamen z. B. bei Syeyssa Husxleyi (Taf. 44) neben den gewöhnlichen Stadien der re- 
gulären Furchung (Fig. 4—8) auch folgende irreguläre Abweichungen vor (Fig. 9—135): 
ein Stadium mit drei Zellen (Fig. 9); ein Stadium mit fünf Zellen (Fig. 10); ein 
Stadium mit sechs Zellen, von denen vier kleinere in der einen, zwei grössere in der 
anderen Hälfte lagen (Fig. 11); ein Stadium mit sieben Zellen (Fig. 12); ein Stadium 
mit zwölf Zellen (Fig. 13) u.s. w. Von allgemeinem Interesse sind diese Anomalien 
der totalen regulären Furchung nur insofern, als sie sich der partiellen Furchung 
nähern, und im Lichte des biogenetischen Grundgesetzes die phyletische Entste- 
hung der secundären partiellen aus der primären totalen Furchung vielleicht erläu- 
tern können. 


Planula oder Flimmerlarve. 


Nachdem die Morula gebildet ist, besteht der nächste weitere Fortschritt der 
ÖOntogenesis darin, dass sich die völlig gleichartigen Zellen dieses kugeligen Zellen- 
haufens in zwei verschiedene Formen differenziren. Die Zellen im Inneren desselben 
verändern sich wenig oder gar nicht. Sie bleiben rundlich-polyedrisch oder fast 
kugelig und behalten den Durchmesser der jüngsten Morula-Zellen (eirca 0,01 Mm.). 
Auch ihr heller Kern (von 0,003—0,004 Mm.) und die trübe körnige Beschaffenheit 
des Protoplasma bleiben dieselben (Taf. 13, Fig. 4i; Taf. 30, Fig. 10i; Taf. 44, 
Fig. 16i). Die Zellen der Kugel-Oberfläche hingegen erleiden eine sehr bedeutende 
Verwandlung. Sie gestalten sich nämlich unter fortdauernder Vermehrung zu schlanken 
Cylindern, welche dicht neben einander stehen, mit ihrer Längsaxe radial gegen den 
Mittelpunkt des kugeligen Körpers gerichtet sind und durch gegenseitigen Druck 
gewöhnlich mehr oder weniger zu irregulär-prismatischen Säulen abgeplattet werden. 
Mit dem inneren, proximalen Ende sitzen sie auf den kugelig-polyedrischen Zellen 
der inneren Körpermasse auf; an dem äusseren, distalen Ende streckt jede Cylinder- 
zelle einen sehr langen und feinen, beweglichen Protoplasma-Faden, eine schwingende 
Geissel hervor und verwandelt sich so in eine Geisselzelle (Taf. 13, Fig. 4d; Taf. 30, 
Fig. 10d; Taf. 44, Fig. 16d). 


1. Ontogenie oder Keimesgeschichte. 333 


Die kugelige, nicht flimmernde, aus lauter gleichartigen Zellen oder „Furchungs- 
kugeln“ zusammengesetzte Morula hat sich somit in einen flimmernden, soliden, aus 
zweierlei verschiedenen Zellenformen zusammengesetzten Körper verwandelt, den wir 
mit der bekannten Bezeichnung der Flimmerlarve oder Planula versehen können. 
Diese Bezeichnung ist zuerst vor 25 Jahren von DaLvErL für die Flimmerlarven 
der Hydromedusen eingeführt, und seitdem von sehr vielen Autoren für die ähnlichen 
Jugendzustände der verschiedensten niederen Thiere, für die „infusorien-artigen be- 
wimperten Embryonen“ der Würmer, der Echinodermen etc. angewendet worden. 
Jedoch existirt keine scharfe anatomische Bestimmung dieses wichtigen Begriffes und 
es sind sogar oft rundliche, flimmernde Jugendformen von sehr verschiedenem ana- 
tomischen Bau als Planulae aufgeführt worden. Namentlich aber hat man die drei 
wesentlich verschiedenen Entwickelungszustände, welche ich hier als Planula, 
Planogastrula und Gastrula trenne, häufig verwechselt und gemischt mit dem 
Namen Planula bezeichnet. Ich beschränke hingegen den Begriff der Planula auf 
denjenigen flimmernden Formzustand, welcher zunächst aus der Morula durch Ent- 
wickelung von Flimmerhaaren an deren Oberfläche entsteht. Die Planula ist 
also ein kugeliger oder rundlicher flimmernder Körper, welcher 
noch nicht mit Magenhöhle und Mundöffnung versehen ist, wie das 
nächstfolgende Stadium der Gastrula. Bei den Kalkschwämmen besteht die Planula 
bereits aus zwei differenten Zellenschichten. Nur an der Oberfläche bildet sich hier 
eine einzige Lage von flimmernden Geisselzellen, während im Inneren die nicht flim- 
mernden Furchungszellen persistiren. Damit ist schon in diesem Stadium die Diffe- 
renzirung in zwei Keimblätter (Dermal-Blatt und Gastral-Blatt) ausgesprochen. Bei 
vielen anderen niederen Thieren scheint hingegen die Planula anfänglich eine bloss 
aus Flimmerzellen zusammengesetzte Kugel zu bilden und erst nachher die Differen- 
zirung in zwei Blätter einzutreten. 


Gastrula und Planogastrula. 


Mit dem Namen Gastrula oder Magenlarve belege ich denjenigen jugendlichen 
Entwickelungs-Zustand, welcher bei den Kalkschwämmen zunächst aus der Planula 
hervorgeht, und welcher meiner Meinung nach wegen seiner weiten Verbreitung bei 
den verschiedensten Thieren eine ausserordentlich grosse Bedeutung für 
die generelle Phylogenie des Thierreichs besitzt. Ich verstehe unter Ga- 
strula einen kugeligen oder sphäroidalen, eiförmigen oder länglich runden Körper, 


1) Daryerr, Rare and remarkable Animals of Scotland. Vol. I, 1847, p. 58. Die Bezeichnung 
Planula wurde von DALYELL auf die äusserliche Aehnlichkeit der Flimmerlarven mit Planarien gegründet; 
sinnvoller würde es sein, diese Bezeichnung von dem griechischen Wort rıa&vos (umherschweifend, schwär- 


mend) abzuleiten, entsprechend dem deutschen „‚Flimmer-Schwärmer‘ 


334 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


welcher eine innere Höhle mit einer äusseren Oeffnung (primordiale Magen- 
höhle mit Mundöffnung) enthält; die Wand dieser Höhle besteht aus zwei 
verschiedenen Zellenschichten oder Blättern, einer äusseren, hellen, flim- 
mernden Schicht und einer inneren, trüben, nicht flimmernden Schicht; erstere ent- 
spricht dem Exoderm, oder dem äusseren (animalen, sensoriellen oder dermalen) 
Keimblatte, letztere dem Entoderm, oder dem inneren (vegetativen, trophischen 
oder gastralen) Keimblatte der höheren Thiere. 

Die Gastrula der Caleispongien zeigt bei allen Arten der drei natürlichen 
Familien, bei welchen ich dieselbe untersucht habe, im Wesentlichen ganz denselben 
Bau, und unterscheidet sich nur in sehr untergeordneten und unwesentlichen Eigen- 
thümlichkeiten. Man vergleiche die Ascon-Larve von Asculmis armata (Taf. 13, 
Fig. 5 von der äusseren Oberfläche, Fig. 6 im optischen Längsschnitt); die Leucon- 
Larve von Leuculmis echinus (Taf. 30, Fig. 8 von der Oberfläche, Fig. 9 im Längs- 
schnitt); die Sycon-Larve von Syeyssa Hu.leyi (Taf. 44, Fig. 14 von der Ober- 
fläche, Fig. 15 im Längsschnitt). Der Körper der Gastrula ist selten ganz kugelig, 
meistens länglich rund; bisweilen ist die Längsaxe oder Hauptaxe, welche immer 
durch die Lage der Mundöffnung an einem Pole bestimmt wird, verkürzt und der 
Larven-Körper sphäroidisch abgeplattet (Taf. 44, Fig. 14, 15); meistens ist umgekehrt 
die Längsaxe verlängert und der Körper ellipsoid (Taf. 13, Fig. 5, 6) oder eiförmig 
(Taf. 30, Fig. 8, 9). Gewöhnlich sind die beiden Pole der Längsaxe etwas differen- 
zirt. Nur bei der seltenen Form der mundlosen Gastrula (Taf. 4, Fig. 6, 7), welche 
nachher noch besonders erläutert werden muss, sind beide Pole von gleicher Bildung 
und das orale Ende nicht von dem aboralen zu unterscheiden. 

Auch die Grösse der Gastrula schwankt bei den verschiedenen Arten nur in- 
nerhalb sehr enger Grenzen. Der Durchmesser beträgt gewöhnlich zwischen 0,08 und 
0,12 Mm., selten weniger (0,06) oder mehr (bis zu 0,2 Mm.). Bei den länglich-runden 
Formen beträgt der grössere (longitudinale) Durchmesser gewöhnlich 0,1— 0,15 (sel- 
tener 0,2 Mm.); der kleinere (transversale) 0,05 —0,08 (seltener 0,1 Mm.). 

Die Magenhöhle entspricht in ihrer Form ganz der äusseren Körperform und 
ist nur um so viel kleiner, als die Dicke der Wand beträgt (gewöhnlich 0,03 Mm.). 
Die Mundöffnung ist kreisrund und hat meistens 0,01 — 0,02 Mm. Durchmesser. 

Das Entoderm der Gastrula, oder das Gastral-Blatt, welches die Magen- 
höhle umschliesst und dem inneren oder vegetativen Keimblatte der höheren Thiere 
entspricht, besteht aus einer einzigen Schicht von denselben, unveränderten oder 
wenig veränderten Embryonal-Zellen, welche früher die ganze Morula zusammen- 
setzten. Diese sind nicht flimmernd, fast kugelig, oder subsphärisch-polyedrisch, 
durch gegenseitigen Druck an den Berührungsflächen etwas abgeplattet (Taf. 13, 
Fig. 4i; Taf. 30, Fig. 10i; Taf. 44, Fig. 16i). Ihr Durchmesser beträgt durchschnitt- 
lich 0,01 Mm. Ihr Habitus ist gleich demjenigen der Furchungszellen und der Ei- 


1. Ontogenie oder Keimesgeschichte. 335 


zellen. Das Protoplasma ist trübe, feinkörnig, oft bräunlich pigmentirt, ohne Vacuo- 
len. Der Nucleus ist kugelig, hell, von 0,003—0,005 Mm. Durchmesser, mit einem 
deutlichen Nucleolus.. Um die Mundöffnung herum häufen sich die Entoderm - Zellen 
gewöhnlich zu einer mehrfachen, zweifachen oder dreifachen Schicht an, während sie 
in der übrigen Gastralfläche stets nur eine einfache Schicht bilden (Taf. 13, Fig. 60; 
Taf. 44, Fig. 15). 

Das Exoderm der Gastrula, oder das Dermal-Blatt, welches die äussere 
Oberfläche bedeckt und dem äusseren oder animalen Keimblatte der höheren Thiere 
entspricht, besteht aus einer einzigen Schicht von schlanken, hellen, cylindrischen 
Geisselzellen, von sehr characteristischer Structur und Form (Taf. 13, Fig. 4d; Taf. 30, 
Fig. 10d; Taf. 44, Fig. 16d). Ihre cylindrische Gestalt ist durch gegenseitigen Druck 
gewöhnlich etwas polyedrisch abgeplattet oder prismatisch, bisweilen auch mehr spin- 
delförmig. Der longitudinale Durchmesser der Geisselzellen, welcher radial gegen die 
Längsaxe der Gastrula gerichtet ist, beträgt 0,02 (zwischen 0,015 und 0,025 Mm.); 
während die Dicke derselben gewöhnlich nur den vierten bis sechsten Theil erreicht 
(durchschnittlich 0,004 Mm.). Der Nucleus ist ellipsoid oder länglich rund, klar, 
von 0,003— 0,005 Mm. Durchmesser, enthält einen kleinen dunklen Nucleolus, und 
liegt gewöhnlich in der Mitte der Länge der Geisselzelle, bisweilen etwas mehr gegen 
das distale Ende, selten mehr gegen das proximale Ende hin. Das letztere ist bald 
abgerundet, bald in mehrere kurze Fortsätze gespalten, welche sich wie Wurzeln 
zwischen die darunter liegenden Entoderm-Zellen erstrecken. Das Protoplasma der 
flimmernden Exoderm-Zellen ist stets viel heller, als dasjenige der nicht flimmernden 
Entoderm-Zellen, und enthält meist nur wenige Körnchen ; diese häufen sich gewöhn- 
lich um den Nucleus herum an. Zwischen dem Kern und der proximalen Basis der 
Geisselzelle ist oft (aber keineswegs immer) eine inconstante Vacuole oder „contraetile 
Blase“ sichtbar (Taf. 30, Fig. 10c; Taf.44, Fig.16). An dem distalen, äusseren 
Ende ist jede Geisselzelle mit einem trichterförmigen oder eylindrischen Kragen (einem 
röhrenförmigen Fortsatz des hyalinen Exoplasma) versehen, in dessen Axe die Basis 
des Geisselfadens sich befindet. Dieses Flagellum ist äusserst fein, bald ebenso lang, 
bald mehrmals länger als die Geisselzelle, aus deren körnigem Endoplasma seiue 
Basis hervortritt. Die Structur der Geisselzellen des Exoderms ist demnach bei der 
Gastrula ganz ähnlich, wie diejenige der Geisselzellen des Entoderms bei dem ausge- 
bildeten Kalkschwamme. Nur sind die letzteren mehr rundlich und nicht so schlank 
eylindrisch (vergl. oben p. 137—142). 

Vergleicht man meine Darstellung vom Bau der Gastrula, welchen ich bei Asco- 
nen, Leuconen und Syconen im Wesentlichen identisch fand, mit der oben (p. 329) 
angeführten Beschreibung, welche Lieߣerkünn, O. Schmipr und MıkLucno von den 
Embryonen dreier Kalkschwämme gegeben haben, so ergiebt sich als sehr wahrschein- 
lich, dass auch diese drei Flimmerlarven wesentlich mit jenen übereinstimmen werden, 


336 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


Der einzige auffallende Unterschied in unserer Darstellung ist der, dass LIEBERKÜHN 
und 0. Schmipr die „bewimperte, grössere Hälfte des Körpers“ als vorderen (also 
oralen) Theil deuten, die „wimperlose, kleinere Hälfte, welche durch grössere, zellen- 
ähnliche Portionen unterschieden ist“, als hinteren oder aboralen Theil; während ich 
umgekehrt den letzteren für das orale, und den ersteren für das aborale Ende halte. 

Sehr wichtig ist die auffallende Uebereinstimmung, welche die Ga- 
strulae der Kalkschwämme in allen wesentlichen Beziehungen der Structur mit den 
nah verwandten, von EILHARD ScHULzE !) sehr genau beschriebenen „Planulae“ von 
Cordylophora besitzen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Beiden besteht nur 
darin, dass die Magenhöhle bei der letzteren noch keine Mundöffnung besitzt; diese 
bildet sich erst später, nachdem die Planula sich festgesetzt hat. Aber auch unter 
den Kalkschwämmen kommen bei einzelnen Arten mundlose Gastrulae vor, so 
namentlich bei denjenigen Ascon-Arten, welche constant mundlos bleiben, z. B. 
Ascetta clathrus, Taf. 4, Fig. 6, 7. Ob diese Flimmerlarven überhaupt mundlos 
bleiben und sich direct in die Clistolynthus-Form verwandeln, oder ob auch sie eine 
vorübergehende Mundöffnung bekommen, welche nachträglich wieder zuwächst, habe 
ich nicht ermitteln können. Mit Rücksicht auf die ähnlichen mundlosen Flimmerlar- 
ven anderer Pflanzenthiere wird es von Vortheil sein, diese mundlose Gastrula-Form 
als Planogastrula zu bezeichnen, zum Unterschied von der echten Gastrula, deren 
Magenhöhle bereits eine Mundöffnung besitzt. 

Die Entstehung der Gastrula aus der Planula liegt bei den Kalk- 
schwämmen klar vor Augen. Im Inneren und zwar im Centrum des soliden Planula- 
Körpers bildet sich eine kleine, mit Flüssigkeit gefüllte Höhle. Wahrscheinlich wird 
ein Theil der inneren Planula-Zellen hierbei (durch fettige Degeneration ?) verflüssigt 
oder zerfällt in Trümmer und dient den übrigen Entoderm-Zellen als erstes Nahrungs- 
Material. In der That findet man bisweilen in der eben gebildeten Magenhöhle solche 
Zellentrümmer, welche schon LiEBERKÜHN bei der Planula von Sycandra raphanus 
als „äusserst feinkörnige, braune, detritus-artige Masse“, und O. Schmipr bei der 
Planula von Sycandra Humboldtiü als „feinkörnige, bräunliche Masse“ beschrieben 
hat. Ausserdem scheint auch eine geringe Quantität von Flüssigkeit von dem Gastral- 
Blatt in die entstehende Magenhöhle ausgeschieden zu werden. Erst nach Verfluss 
einiger Zeit erfolgt an einem Pole der Längsaxe der Durchbruch der Magen- 
höhle nach aussen und somit die Bildung der Mundöffnung. Eırst jetzt ver- 
dient die Larve den Namen der Gastrula. Vor diesem Durchbruch der Mundöft- 
nung, so lange die Magenhöhle der Flimmerlarve noch geschlossen ist, hat ihr Körper 
den Formwerth der Planogastrula, welche bei vielen mundlosen Kalkschwämmen 


1) Franz EILHARD SCHULZE, Ueber den Bau und die Entwickelung von Cordylophora lacustris. 1871. 
p. 38—41; Taf. V, Fig. 2—-8 


1. Ontogenie oder Keimesgeschichte. 337 


sich wahrscheinlich direct in die festsitzende Jugendform des Clistolynthus verwandelt 
und nicht das Stadium der echten mündigen Gastrula durchläuft. 

Die höchst wichtige Form der Gastrula ist auch für die Tectologie der Spongien 
desshalb von hohem Interesse, weil damit der Schwamm-Organismus die morpholo- 
gische Individualität dritter Ordnung erreicht und zur Person sich entwickelt hat 
(vergl. oben p. 113). Zugleich ist auch durch die Längsaxe mit ihren beiden differen- 
ten Polen die monaxonie diplopole Grundform der Person bestimmt. 


Ascula und Protascus. 


Nachdem die Gastrula völlig ausgebildet ist, verlässt sie bei den viviparen Kalk- 
schwämmen den mütterlichen Körper. Die Geburt erfolgt gewöhnlich durch das 
Osculum; bei den mundlosen viviparen Formen hingegen müssen die Embryonen durch 
die Dermal-Ostien oder selbst durch die sich erweiternden Hautporen austreten. 
Dann schwärmt die fimmernde Magenlarve mittelst ihrer Geisselbewegung eine Zeit 
lang im Meere umher und sucht einen dunkeln geschützten Ort auf, an welchem sie 
sich festsetzen kann. 

Die Verwandlung der schwimmenden Gastrula in den jüngsten und einfachsten 
festsitzenden Zustand, welchen wir Ascula nennen wollen, scheint sehr rasch zu ge- 
schehen und ist noch nicht direct beobachtet worden. Die dabei eintretenden Verän- 
derungen lassen sich aber unmittelbar aus der Vergleichung der Ascula und der 
Gastrula erschliessen. Die Anheftung der letzteren erfolgt an dem aboralen Pole der 
Längsaxe, an dem der Mundöffnung entgegengesetzten Ende. Die Geisselzellen des 
Dermal-Blattes stellen ihre schwingenden Bewegungen ein, ziehen den Geisselfortsatz 
zurück und verlieren ihre schlanke, cylindrische Gestalt, indem sie sich abplatten und 
in der sich ausdehnenden Dermalfläche ausbreiten. Die nicht fiimmernden Entoderm- 
Zellen hingegen theilen sich wiederholt und gehen dann in Geisselzellen über, indem 
jede derselben an ihrem proximalen, der Magenhöhle zugekehrten Ende einen langen, 
schwingenden Protoplasma-Fortsatz, eine fadenförmige Geissel ausstreckt. 

Die Ascula der Kalkschwämme gleicht in diesem jüngsten festsitzenden Stadium 
vollkommen der ebenso zu bezeichnenden und gleichwerthigen Jugendform, welche 
auch bei anderen Pflanzenthieren, namentlich bei den meisten Hydroidpolypen und 
Corallen, zunächst aus der Gastrula nach deren Anheftung entsteht. Auch diese 
Uebereinstimmung ist von hoher Bedeutung für die phylogenetische Ableitung der 
Spongien und Acalephen von einer gemeinsamen Stammform, dem später zu bespre- 
chenden Protascus. Die ontogenetische Ascula-Form, welche die phylogenetische 
Protascus-Form nach dem biogenetischen Grundgesetze wiederholt, ist überall ein 
ganz einfacher, dünnwandiger Schlauch von cylindrischer, spindelförmiger, ovaler 
oder länglich-runder Gestalt, welcher an einem (aboralen) Pole seiner Längsaxe fest- 

Haeckel, Kalkschwäimme. 1. 22 


338 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte, 


sitzt, am anderen (oralen) Pole sich durch einen Mund, ein Osculum öffnet. Die 
dünne Wandung seiner Höhle (der primitiven Magenhöhle) besteht aus zwei differenten 
Zellenschichten oder Blättern, aus der nicht fimmernden dermalen Zellenschicht oder 
dem Exoderm, und aus der flimmernden gastralen Zellenschicht oder dem Entoderm. 

Bis zu diesem Stadium der Entwickelung stimmt die Ascula der Spongien und der 
festsitzenden Acalephen (Hydroiden und Corallen) völlig überein. Nun aber beginnt 
die Divergenz der Entwickelung in beiden Gruppen von Pflanzenthieren. In dem Exo- 
derm der Acalep hen beginnen sich in den selbstständig bleibenden Zellen Nessel- 
kapseln zu entwickeln. Bei den Spongien bilden sich keine Nesselorgane; hinge- 
gen verschmelzen die Exoderm-Zellen mit einander zur Bildung des Syneytium, und 
in der dünnen Magenwand der Ascula treten die veränderlichen Poren auf. Hiermit 
ist das Entwickelungs-Stadium des Urschwammes, der Protospongia erreicht. 


Protospongia und Protolynthus. 


Der ontogenetische Zustand der Protospongia, welcher die gemeinsame phyloge- 
netische Stammform aller Schwämme, die Archispongia, nach dem biogenetischen 
Grundgesetze wiederholt, kommt wahrscheinlich bei der grossen Mehrzahl der Spon- 
gien vorübergehend zur Erscheinung, und wird nur bei denjenigen Schwämmen fehlen, 
bei denen die Ontogenesis nach dem Gesetze der abgekürzten Vererbung vereinfacht 
oder durch Anpassung an besondere Existenz-Bedingungen (wie bei Spongilla durch 
das Süsswasserleben) mannigfach abgeändert ist. Bei der Mehrzahl der Kalk- 
schwämme scheint dieser Zustand, wenn auch rasch vorübergehend, nicht zu fehlen. 

Die Protospongia unterscheidet sich von der Ascula wesentlich nur durch den 
Besitz der inconstanten Poren oder Lochcanäle. Obgleich nun diese veränderlichen 
Poren-Canäle, wie bei den Asconen, wiederholt entstehen und spurlos vergehen kön- 
nen, morphologisch also sehr werthlos sind, so besitzen sie doch für den Urschwamm 
eine hohe physiologische Bedeutung. Mit ihrer Entstehung beginnt die characteri- 
stische Wasserströmung, welche durch die Poren eintritt, durch das Osculum austritt. 
Wenn man die Kalknadeln eines Olynthus durch Säure entfernt, so zeigt der übrig 
bleibende Weichkörper die Form der Protospongia (Taf. 11, Fig. 7). 

Der nächste Fortschritt in der Ontogenese der Kalkschwämme besteht nun darin, 
dass im Exoderm die Bildung der Kalknadeln beginnt. Damit geht die Protospongia 
in den wirklichen Olynthus über, dessen hohe Bedeutung als gemeinsame 
Stammform der Kalkschwämme schon früher in der Einleitung erörtert worden 
ist (vergl. oben p. 76—78). 

Wenn ich hier annehme, dass der Olynthus aus der Ascula durch Vermittelung 
der Protospongia entsteht, so ist damit gesagt, dass die Spicula im Exoderm erst 
nach dem Auftritt der Poren sich bilden. Ich muss aber gleich hier die Bemerkung 


1. ÖOntogenie oder Keimesgeschichte, 339 


hinzufügen, dass in der Ontogenese vieler Kalkschwämme vielmehr das Umgekehrte 
stattzufinden scheint, d. h. dass die Spicula früher als die Poren auftreten. In diesem 
Falle entsteht aus der Ascula nicht die Protospongia, sondern zunächst durch Spicula- 
Bildung der Protolynthus, und aus diesem dann durch das spätere Auftreten der 
Poren erst der Olynthus. 

Der Protolynthus besitzt noch keine Poren und unterscheidet sich von der Ascula 
lediglich durch den Besitz der Kalknadeln. Würde der junge Kalkschwamm in dieser 
Form geschlechtsreif werden, so würde er das Genus Prosycum repräsentiren, wel- 
chem ich früher (1869) grosse Bedeutung beigelegt hatte. Allein spätere Beobachtun- 
gen haben mich überzeugt, dass die wirklich von mir beobachteten Prosycum-Formen 
(d. h. porenlose, geschlechtsreife Protolynthen) in Wirklichkeit echte Olynthen waren, 
welche nur vorübergehend ihre Poren geschlossen hatten. Wenn aber der Olynthus 
alle Porencanäle schliesst, so ist er thatsächlich nicht von dem hypothetischen Prosy- 
cum zu unterscheiden. 

Früher hatte ich angenommen und auch in der (vor mehr als Jahresfrist gedruck- 
ten) Einleitung zum „System der Kalkschwämme“ (Band II, p. 6) ausgesprochen, dass 
alle Caleispongien in ihrer ersten Jugend die characteristische Form des Protolynthus 
durchlaufen. Allein ich muss jetzt einschränkend hinzufügen, dass in vielen Fällen 
der Uebergang von dem Ascula in den Olynthus nicht durch den Protolynthus, son- 
dern durch die Protospongia geschieht. Welcher von diesen beiden Fällen der häufi- 
gere ist, (d.h. ob häufiger die Kalknadeln vor den Poren, oder umgekehrt die letzteren 
vor den ersteren auftreten) lässt sich zur Zeit noch gar nicht übersehen, und wird 
auch desshalb äusserst schwierig zu entscheiden sein, weil die bereits entstandenen 
Poren spurlos wieder verschwinden können. Aus phylogenetischen Gründen ist natür- 
lich die Entwickelung des Olynthus aus der Protospongia als der ursprüngliche oder 
primäre Vorgang, hingegen seine Entwickelung aus dem Protolynthus als eine secun- 
däre Modification der Ontogenese zu betrachten. 


Olynthus und Clistolynthus. 


Mit dem Olynthus ist die gemeinsame Stammform der Kalkschwämme gewonnen, 
aus der sich alle verschiedenen Formen dieser Thiergruppe ebenso ontogenetisch wie 
phylogenetisch unmittelbar und ohne alle Schwierigkeit ableiten lassen. Da ich den 
Bau dieser Stammform schon in der methodologischen Einleitung (p. 76) beschrieben 
und ihre ausserordentliche Bedeutung für das Verständniss der ganzen Gruppe wie- 
derholt erläutert habe, so kann ich hier von jeder weiteren Besprechung desselben 
absehen (vergl. auch die Abbildungen auf Taf. 1, Fig. 1, Taf. 6, Fig.1, Taf. 13, 
Fig. 1 etc.). 

Alle Ascon-Formen entstehen aus dem Olynthus (der speciellen Stammform der 
Asconen-Familie) ohne weitere Veränderung der Magenwand, theils durch Modifica- 

22* 


340 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


tion der Mundbildung, theils durch Stockbildung (mittelst unvollständiger Theilung, 
oder Knospung, oder Concrescenz). 

Alle Leucon-Formen entstehen auf dieselbe Weise aus der gemeinsamen Stamm- 
form der Leuconen-Familie, aus dem Dyssycus. Dieser aber entwickelt sich aus dem 
Olynthus einfach durch Verdickung der Magenwand, und Ausbildung der inconstan- 
ten Poral-Tuben zu constanten Canälen, welche sich verästeln (Ramal-Tuben). 

Alle Sycon-Formen endlich entstehen auf dieselbe Weise (durch Modification 
der Mundbildung und durch Stockbildung) aus der gemeinsamen Stammform der 
Syconen-Familie, aus dem Sycurus. Dieser aber ist, wie schon früher (p. 240) er- 
örtert wurde, nichts weiter als ein Ascon-Stock (Soleniscus), welcher durch strobi- 
loide Knospung aus einem Olynthus entstanden ist. 

Da wir demnach die Stammformen der drei natürlichen Familien, Olynthus, 
Dyssycus und Sycurus, ohne alle Bedenken aus der gemeinsamen Stammform des 
Olynthus ebenso ontogenetisch wie phylogenetisch ableiten können, und da ebenso 
die Entwickelung aller verschiedenen Formen jener drei Familien aus den genannten 
drei Stammformen nicht den geringsten Schwierigkeiten unterliegt, so können wir 
Alles, was in dieser Beziehung etwa noch über die Ontogenese zu sagen sein könnte, 
auf die nachfolgende Erörterung der parallelen Phylogenese versparen. Nur über die 
Ontogenesis der mundlosen Kalkschwämme ist schliesslich noch ein Wort zu sagen. 
Während es nämlich einerseits feststeht, dass der Mangel der Mundöffnung bei vielen 
ausgebildeten Kalkschwämmen erst secundär erworben, und durch Verwachsung des 
ursprünglich vorhandenen Osculum entstanden ist (p. 267), so ist es anderseits 
doch wahrscheinlich, dass in vielen Fällen (besonders bei manchen, constant mund- 
losen Asconen) der Mangel des Osculum ein ursprünglicher und primärer ist. Diese 
Kalkschwämme werden dann sämmtlich ontogenetisch sich aus der Clistolyn- 
thus-Form entwickeln (einem Olynthus mit verschlossener Mundöffnung) und diese 
letztere ist unmittelbar aus der Planogastrula abzuleiten (ebenso wie der Olynthus 
aus der Gastrula). Phylogenetisch hingegen dürfte auch der Clistolynthus erst 
secundär durch Rückbildung und Osculum-Verschluss aus dem Olynthus entstan- 
den sein. 


II. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 


Die Phylogenie, die Stammesgeschichte oder paläontologische Entwickelungsge- 
schichte lässt sich bei den Kalkschwämmen im Allgemeinen und im Einzelnen mit 
einer Sicherheit verfolgen, welche nicht allein für das Verständniss dieser Gruppe, 
sondern auch für die Phylogenie des Thierreichs überhaupt von hoher Bedeutung 
ist. Der Ursprung der Arten und Gattungen, die Blutsverwandtschaft aller Glieder 


II. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 341 


dieser Gruppe, die Umbildung der Species u. s. w. liegen hier klarer vor Augen als 
es bei den meisten übrigen Organismen der Fall ist. Ich werde auf diese hohe ge- 
nerelle Bedeutung der Phylogenie der Kalkschwämme im vierten Abschnitt zurück- 
kommen. Hier beschränke ich mich auf eine gedrängte Zusammenfassung der spe- 
ciellen Resultate, welche ich auf diesem Gebiete erhalten habe. 

Für die Erkenntniss der Phylogenesis sind, wie ich im sechsten Buche meiner 
generellen Morphologie (Bd. II, p. 418) gezeigt habe, vor allen drei verschiedene 
Erscheinungs-Reihen von grösster Bedeutung, nämlich die Erscheinungen auf dem 
Gebiete der Palaeontologie, der Ontogenie und der vergleichenden Anatomie. Der 
Parallelismus dieser drei Erscheinungs-Reihen, der innige Causal-Nexus zwischen den- 
selben und besonders die gegenseitige Ergänzung ihrer Lücken, erheben sie zu den 
wahren „Schöpfungs-Urkunden“, an deren Hand wir allein im Stande sind, 
die schwierigen Aufgaben der Phylogenie zu enträthseln !). 

Die Palaeontologie, von welcher wir zunächst den sichersten und gründ- 
lichsten Aufschluss über die Phylogenie erwarten sollten, lässt uns leider bei den 
Kalkschwämmen, wie bei vielen anderen Organismen-Gruppen, völlig im Stich. Bis 
jetzt sind nämlich noch gar keine fossilen Kalkschwämme bekannt. Al- 
lerdings existiren in verschiedenen Petrefacten-Sammlungen einzelne Stücke, welche 
die Etikette von „fossilen Kalkschwämmen“ tragen. Allein Alles, was ich von sol- 
chen selbst gesehen und zugesendet erhalten habe, gehört ganz sicher nicht Calci- 
spongien an. Auch lässt sich von allen Beschreibungen und Abbildungen 
fossiler Spongien nicht eine einzige auf einen Kalkschwamm bezie- 
hen. Wer die lebenden Kalkschwämme kennt, wird auch bei der grossen Zartheit und 
Zerstörbarkeit derselben diesen Mangel an versteinerten Caleispongien ganz natür- 
lich finden. Allerdings könnte man wenigstens erwarten, die mikroskopischen Kalk- 
nadeln derselben in verschiedenen Gesteinen fossil vorzufinden, und wahrscheinlich 
werden solche auch noch bei genaueren mikrogeologischen Untersuchungen vielfach 
gefunden werden. Bis jetzt aber sind dergleichen noch nicht beschrieben oder ab- 
gebildet worden ?). 


1) HAEcKEL, Natürliche Schöpfungsgeschichte, III. Aufl. 1872, p. 365 ete. 

2) EHRENBERG, welcher die Kalkschwämme für unreife Keime von Corallen, nicht für selbstständige 
Organismen hält, erwähnt in den Monatsberichten der Berliner Akademie (1861, p. 452: „Erläuterungen 
der Synonyme zu BowERBANK’s Spongolithen-Tafeln“) angebliche Kalknadeln von fossilen 
Kalkschwämmen mit folgenden Worten: „Die kalkerdigen Spongolithen der Grantien sind 
als Coniasterium und Coniocampyla abgesondert und werden von mir als vermuthliche unentwickelte Ju- 
gendverhältnisse von Kalk-Corallen unter den Zoolitharien verzeichnet, bis weitere Forschungen mehr 
Berechtigung zum Einreihen der Grantien bei den Spongien geben. Coniasteria fand MıLneE -EDwArns 
auch bei Ascidien.‘‘“ In der angehängten Tabelle, welche eine „Uebersicht der Namen und Synonymen 
der rücksichtlich ihrer Abstammung bis jetzt bekannten 118 Spongolithen‘ (d. h. fossilen Spongien-Nadeln) 


enthält, werden als „Kalktheile vermuthlicher Anthozoen-Keime‘“, (d. h. Spieula von Kalkschwämmen) 


342 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


Während so leider die eine von den drei massgebenden „Schöpfungs-Urkunden“ 
bei der Phylogenie der Kalkschwämme überhaupt nicht in Betracht kommt, sind 
hingegen glücklicher Weise die beiden anderen Urkunden um so reichhaltiger und 
bedeutungsvoller. Welche wichtigen Schlüsse sich aus der vergleichenden Ana- 
tomie der Kalkschwämme, namentlich für die Phylogenie der differenzirten For- 
men, unmittelbar ergeben, ist aus dem dritten Kapitel dieses Bandes unmittelbar 
ersichtlich. Ebenso werden wir durch die Ontogenie sowohl über den Ursprung 
der ganzen Gruppe, als über die Phylogenie der einzelnen Formen, in der befriedi- 
gendsten Weise aufgeklärt. Die unschätzbare Bedeutung des biogenetischen 
Grundgesetzes, von welcher wir im siebenten Kapitel noch zu sprechen haben, 
zeigt sich hier in ihrem vollen Lichte. 


Phylogenie des Olynthus. 


Die Stammesgeschichte des Olynthus, der gemeinsamen Stammform aller Kalk- 
schwämme, lässt sich aus seiner Keimesgeschichte mit solcher Sicherheit erkennen, 
dass wir bloss Schritt für Schritt die vorher beschriebenen Vorgänge der Ontoge- 
nesis zu recapituliren haben, um zur Erkenntniss der Phylogenesis zu gelangen. Wir 
können so, auf unser fundamentales biogenetisches Grundgesetz gestützt, folgende 
neun Stadien in der Phylogenie des Olynthus unterscheiden: 

Erstes Stadium: Moneres. Gleich allen anderen Organismen, müssen auch 
die Kalkschwämme, und die Schwämme überhaupt, ihren ersten Ursprung auf 
jenen einfachsten Formzustand der organischen belebten Materie zurückführen, den 
ich in der generellen Morphologie unter dem Namen des Moneres an die Basis des 
Stammbaumes aller Organismen gestellt habe.') Nur solche Moneren, deren ganzer 
Leib ein homogenes, bewegliches, mit der Fähigkeit der Ernährung und Fortpflan- 
zung begabtes Plasson-Stückchen ist, können wir uns durch Autogonie oder anorga- 
nische Urzeugung entstanden denken. Nur mit der Bildung solcher denkbar ein- 
fachsten Organismen kann das organische Leben auf der Erde begonnen haben, und 
daher müssen alle Organismen ohne Ausnahme ihren ersten Ursprung auf die Auto- 
gonje eines structurlosen Moneres zurückführen. Die noch gegenwärtig lebenden, von 


vier verschiedene fossile Kalkkörperchen aufgeführt, unter den Namen: „Ooniasterium cruz, C. ocellatum, 
©. triceros, Coniocampyla flewuosa.‘“ Indess hat EHRENBERG von diesen Kalknadeln, welche mit den Spi- 
eula einiger von BOWERBANK abgebildeter britischer Kalkschwämme identisch sein sollen, weder eine Be- 
schreibung noch eine Abbildung gegeben. Was EHRENBERG in der Mikrogeologie (Taf. XXXIV, IV 
A. F.12) als Coniocampyla uneinata abbildet, und also ebenfalls für eine Caleispongien-Nadel hält, ist 
sicher keine solche. Was er Coniasterium nennt, sind, nach der vorstehenden Notiz zu schliessen, wahr- 
scheinlich sternförmige Kalkkörperchen von Aseidien (Didemnum ete., vergl. oben p. 172), aber keine 
Spieula von Kalksechwämmen. 


1) HAECKEL, Generelle Morphologie der Organismen, 1866, Bd. I, p. 135. 


II. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 3453 


CIENKOWSKI, HuxtLey und von mir selbst beobachteten Moneren, welche ich in 
meiner Monographie der Moneren beschrieben habe, sind daher für die generelle 
Phylogenie von der höchsten Bedeutung.!) In histologischer Beziehung haben die 
Moneren den Formwerth einer Cytode, und zwaı einer nackten Cytode. Wir sollten 
daher nach dem biogenetischen Grundgesetze eigentlich erwarten, dass auch die 
Ontogenesis jedes Organismus mit der Bildung einer Cytode beginnt. Wenn wir 
statt dessen gewöhnlich bereits im Beginn derselben eine Zelle, die Eizelle vorfinden, 
so scheint es, dass jenes erste, dem Zellen-Stadium vorausgehende Cytoden-Stadium ge- 
wöhnlich (nach dem Gesetze der abgekürzten Vererbung) verloren gegangen oder im 
Laufe der Jahr-Millionen unterdrückt worden ist. Doch lässt sich vielleicht, wie ich 
schon mehrfach hervorgehoben habe, das Verschwinden des Keimbläschens, 
welches nach erfolgter Befruchtung des Eies bei vielen Organismen im Beginne der 
Ontogenesis stattfinden soll, phylogenetisch als Rückschlag in das primi- 
tive Moneren-Stadium deuten. Thatsächlich ist diese Verwandlung des Ovulum 
in die Monerula eine rückschreitende Metamorphose; die befruchtete Zelle 
sinkt damit auf das niedere Stadium der kernlosen Cytode zurück (vergl. p. 105 
und 330). 

Zweites Stadium: Amoeba. Aus dem primordialen Cytoden - Zustande 
des autogonen Moneres hat sich zunächst als zweites Form-Stadium die einfache 
nackte Zelle entwickelt. Das Wesen dieses ersten und wichtigsten primordialen 
Entwickelungs-Vorganges bestand darin, dass das homogene Plasson der Cytode sich 
in zwei verschiedene Bestandtheile sonderte, in den inneren Nucleus und das äussere 
Protoplasma (vergl. oben p. 105). Dieser älteste phylogenetische Differenzirungs- 
Process wird ontogenetisch recapitulirt, wenn nach dem Verschwinden des Keimbläs- 
chens, und vor dem Zerfall des Ovulum in die beiden ersten Furchungszellen, ein 
neuer Nucleus im ersteren sich bildet. Der vorübergehende einfachste Zustand der 
Monerula erhebt sich damit wieder zur Zelle. Dass der einzellige Form-Zustand des 
Eies, welchen wir bei allen Thieren und Pflanzen ursprünglich vorfinden, auf eine 
gemeinsame einzellige Stammform phylogenetisch zu beziehen ist, liegt auf der Hand, 
und bedarf keines weiteren Beweises. Diejenige einzellige Organismen-Form aber, 
welche noch heutzutage jene uralte Stammform im lebenden Zustande repräsentirt, 
ist unstreitig die einfache Amoebe. Die nackten Eizellen vieler niederen Thiere 
sind von Amoeben geradezu nicht zu unterscheiden, und führen gleich diesen durch 
Bildung formwechselnder Fortsätze die characteristischen „amoeboiden Bewegungen“ 
aus. Bei den Kalkschwämmen und bei vielen anderen Schwämmen ist diese mor- 
phologische und physiologische Uebereinstimmung der nackten Eizellen mit selbst- 
ständigen Amoeben so vollständig, dass die Eier dieser Spongien sogar geradezu für 
„parasitische Amoeben“ gehalten worden sind (vergl. p. 156). 


1) Haecker, Biologische Studien, 1870, p. 1; und Jenaische Zeitschr. 1868, Bd. IV, p. 64. 


544 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


Drittes Stadium: Synamoeba. Aus dem einzelligen Urzustande der Amoebe 
entwickelte sich zunächst durch wiederholte Theilung derselben und durch ein- 
fache Aggregation dieser Theilungs-Producte eine Amoeben-Colonie, ein Haufen 
oder Aggregat von lauter gleichartigen Amoeben, einfachen, nackten, beweglichen 
Zellen. Dieser phylogenetische Urzustand, welchen ich in der natürlichen Schöpf- 
ungsgeschichte Synamoeba genannt habe!), wird in der Ontogenesis durch die 
Morula repräsentirt, die sogenannte „Maulbeer-Form‘“ des gefurchten Eies. Ohne 
Zweifel ist die Bildung einer solchen einfachen Zellengemeinde, welche aus lauter 
gleichartigen Zellen sich zusammensetzt, der erste Schritt bei der phyletischen Ent- 
stehung vielzelliger Organismen gewesen, und erst in zweiter Linie sind durch Dif- 
ferenzirung dieser gleichartigen Zellen vollkommnere Organismen entstanden. 

Viertes Stadium: Planulata. Denjenigen phyletischen Entwickelungs-Zu- 
stand, welcher durch den Planula-Zustand in der Ontogenese recapitulirt wird, 
habe ich (in der natürlichen Schöpfungsgeschichte, III. Aufl. p. 445) Planulata ge- 
nannt. Wir haben uns diese uralte Planulaten-Form vorzustellen als einen kugeligen, 
ellipsoiden, eiförmigen oder länglich runden, massiven Körper, welcher aus lauter 
dicht gedrängten Zellen zusammengesetzt ist. Die Zellen an der Oberfläche sind 
mit Flimmerhaaren versehen, kleiner, zarter und heller als die nicht flimmernden 
Zellen des Inneren. Mittelst der Flimmerbewegung ihrer Oberfläche schwamm die 
Planulate frei im Wasser umher. Wie die Planula aus der Morula, so ist die Pla- 
nulata aus der Synamoeba dadurch entstanden, dass sich die oberflächlichen Zellen 
der einfachen Zellen-Gemeinde in Flimmerzellen verwandelten und somit von den 
inneren, nicht flimmernden Zellen differenzirten. Mit diesem wichtigen Differenzi- 
rungs-Prozesse erhob sich das Homoeorgan oder das homoplastische Idorgan der 
Synamoeba auf die höhere tectologische Stufe des Alloeorgans oder des alloplasti- 
schen Idorgans (vergl. oben p. 110—112). Damit war aber zugleich die Bildung 
der beiden Keimblätter, die Differenzirung von Entoderm und Exoderm gegeben, 
welche sich von den Planulaten auf alle höheren Thiere vererbt hat und noch heut- 
zutage in deren Ontogenese jedesmal wiederkehrt, wenn das Blastoderm sich in das 
innere vegetative und das äussere animale Keimblatt spaltet. 

Fünftes Stadium: Planogastraea. Dem ontogenetischen Entwickelungs- 
zustande der Planogastrula entsprechend, haben wir in der Phylogenese der 
Kalkschwämme einen fünften Formzustand anzunehmen, welchen wir Planoga- 
straea nennen wollen. Er entwickelte sich aus dem vorhergehenden durch Bil- 
dung einer inneren Magenhöhle, indem im Centrum der Planulate eine Anzahl 
von Entoderm-Zellen verflüssigt wurden oder auch Flüssigkeit in das Innere hinein 
abgeschieden wurde. Dabei ordneten sich die übrig bleibenden Entoderm-Zellen der- 
gestalt um diese centrale Höhle, dass sie eine einzige zusammenhängende, nicht 


1) HAEcKEL, Natürliche Schöpfungsgeschichte, III. Aufl. 1872, p. 444. 


II. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 345 


flimmernde Zellenschicht, ein Gastralblatt bildeten, nach aussen bedeckt von der 
einfachen, flimmernden Zellenschicht des Dermal-Blattes. 

Sechstes Stadium: Gastraea. Von der grössten Bedeutung für die gene- 
relle Phylogenie des Thierreichs ist die gemeinsame Stammform desselben, welche 
wir Gastraea nennen wollen, und von deren einstiger Beschaffenheit uns die höchst 
wichtige Larven-Form der Gastrula noch heute ein getreues Abbild liefert. Die 
Thatsache, dass diese Larven-Form bei den verschiedensten Thierstämmen wieder- 
kehrt, dass sie sich bei den Pflanzenthieren, Würmern, Mollusken, Echinodermen, 
ja bis zu den niedersten Wirbelthieren hinauf (Amphioxus) findet, ist meiner Ansicht 
nach nicht hoch genug anzuschlagen, und legt deutliches Zeugniss für die einstige 
gemeinsame Abstammung Aller von der Gastraea ab. Wie die Gastrula aus der 
Planogastrula, so ist die Gastraea aus der Planogastraea durch Bildung einer Mund- 
öffnung, mittelst Durchbruchs der Magenhöhle am Oral-Pol der Längsaxe, enstanden. 
Die Gastraea ist demnach ein kugeliger oder länglich runder Körper mit Magenhöhle 
und Mundöffnung, dessen Magenwand aus zwei differenten Zellenschichten gebildet 
wird, aus dem inneren nicht flimmernden Gastral-Blatt oder Entoderm, und aus 
dem äusseren flimmernden Dermal-Blatt oder Exoderm. 

Siebentes Stadium: Protascus. Während die Gastraea noch als gemein- 
same Stammform des ganzen Thierreichs betrachtet werden kann, ist dies bei dem 
nun folgenden Entwickelungs-Stadium des Protascus nicht mehr der Fall. Der 
Stammbaum des Thierreichs spaltet sich jetzt in zwei grosse Hauptlinien oder Zweige, 
einerseits die festsitzenden Pflanzenthiere (Spongien und Acalephen), anderseits die 
frei beweglichen Würmer, aus denen sich alle höheren Thierstämme entwickelten. 
Aus der Gastraea gingen also zunächst als divergirende Nachkommen zwei Thier- 
formen hervor (Prothelmis und Protascus), für deren sehr verschiedene weitere 
Entwickelung die Anpassung an die verschiedene Lebensweise entscheidend wurde. 
Prothelmis, welche die frei bewegliche Lebensweise beibehielt, wurde Stammvater 
des „bilateralen“ Würmer-Stammes (zunächst der Turbellarien); Protascus hingegen, 
welcher aus der frei beweglichen in die festsitzende Lebensweise überging, gab dem 
Stamme der Pflanzenthiere (Zoophyten oder Coelenteraten) den Ursprung. Nachdem 
sich die Gastraea mit dem aboralen, der Mundöffnung entgegengesetzten Körperende 
festgesetzt hatte, zogen die Flimmerzellen des Dermal-Blattes ihre schwingenden 
Wimperhaare ein; die bis dahin nicht fiimmernden Zellen des Gastralblattes hingegen 
begannen bewegliche Flimmerhaare zu entwickeln. So entstand der Protascus phy- 
letisch aus der Gastraea in derselben Weise, wie noch heutzutage in der Ontogenese 
der Pflanzenthiere aus der Gastrula zunächst nach deren Anheftung die Ascula 
entsteht. 

Achtes Stadium: Archispongia. Aus dem Protascus, als der gemein- 
samen Stammform aller Zoophyten, gingen zunächst zwei höchst wichtige Thierformen 


346 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


durch divergirende Entwickelung hervor: Archispongia, die Stammform der Spon- 
gien, und Archydra, die Stammform der Acalephen (Hydromedusen, Ctenophoren, 
Corallen). Das divergente Entwickelungs-Moment für die Entstehung dieser beiden 
Hauptgruppen des Zoophyten-Stammes gab zunächst die Bildung der Porencanäle in 
der Magenwand einerseits, die Bildung von Nesselzellen in der Dermalfläche ander- 
seits. Die gemeinsame Stammform des Protascus können wir uns noch für alle 
Pflanzenthiere identisch vorstellen, gleichwie die entsprechende ontogenetische Ascula- 
Form bei den Spongien und Acalephen identisch ist: ein einfacher Schlauch, der 
am einen Ende der Längsaxe festsitzt, am anderen Ende eine Mundöffnung besitzt, 
und dessen dünne Wand (Magenwand) aus zwei Zellenschichten besteht, dem flim- 
mernden Entoderm und dem flimmerlosen Exoderm. Indem nun in dieser Magen- 
wand veränderliche Poren auftraten, entstand aus dem Protascus die Archispongia, 
wie noch heutzutage aus der Ascula die correspondirende Protospongia sich ent- 
wickelt. Bei demjenigen Protascus hingegen, welcher zur Stammform der Acalephen 
wurde, bei der Archydra, entwickelten sich keine Poren in der Magenwand, hingegen 
Nesselzellen im Exoderm. 

Neuntes Stadium: Olynthus. Aus der Archispongia, der gemeinsamen 
Stammform aller Schwämme, entwickelte sich Olynthus, die Stammform der Kalk- 
schwämme, einfach durch Ablagerung von kohlensaurem Kalke im Exoderm, welcher 
sich durch „Biokrystallisation“ zu den kalkigen Spicula gestaltete, die für diese Ab- 
theilung der Spongien ausschliesslich characteristisch sind. Diese phylogenetische 
Entstehung des ältesten Olynthus aus der Archispongia ist thatsächlich ebenso ein- 
fach vorzustellen, wie die ontogenetische Entstehung der heute noch lebenden Olynthus- 
Formen aus der Protospongia, welche wir täglich beobachten können. Ebenso aber, 
wie wir in der Ontogenie aller Kalkschwämme den Olynthus (oder bei einigen mund- 
losen Formen an seiner Stelle den Clistolynthus) als vorübergehende Jugendform 
antreffen, ebenso ist auch die Phylogenie der Kalkschwämme im Stande, alle ver- 
schiedenen Formen dieser Gruppe aus der gemeinsamen Stammform des Olynthus 
abzuleiten. 

Die Phylogenie des Olynthus, wie sie vorstehend in strenger Anlehnung an die 
Ontogenie desselben nach dem biogenetischen Grundgesetze entworfen ist, erscheint 
vor Allem desshalb von Interesse, weil sie die Streitfrage von der Stellung der Spon- 
gien im Systeme des Thierreichs definitiv entscheidet. Da die Schwämme mit allen 
höheren Thierstämmen die Larven-Form der Gastrula theilen, schliessen wir daraus 
auf ihre gemeinsame Abstammung von der Gastraea, und da sie mit den Acalephen 
auch noch die Jugend-Form der Ascıla gemein haben, dürfen wir daraus auf die 
gemeinsame Descendenz beider Gruppen von dem Protuscus schliessen. 


II. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 347 


Tabellarische Uebersicht des Parallelismus zwischen der Ontogenie und Phylo- 


genie des Olynthus. 


Neun Stadien der Entwickelung des Olynthus. | No. | Ontogenesis. Phylogenesis. 


1} 
Erstes Stadium: Eine nackte Cytode. Ten (Monerula?) Moneres. 
Zweites Stadium: Eine nackte amoeboide Zelle. | II. , Ovulum. Amoeba. 
Drittes Stadium: Ein Aggregat von gleichar- | | | 
tigen nackten Zellen (Maulbeerform). a ern 
Viertes Stadium: Eine solide Flimmerlarve mi E* 
iertes ium: Eine solide Flimmerlarve mit | Planula. Bade 


zweifach differenzirten Zellen. 


Fünftes Stadium: Eine Flimmerlarve mit Ma- 


genhöhle, aber ohne Mundöffnung. m ee BR EN el ns 


Sechstes Stadium: Eine Flimmerlarve mit Ma- 


genhöhle und mit Mundöffnung. a in Kran 


Siebentes Stadium: Ein festsitzender Schlauch 
mit Magenhöhle und Mundöffnung, mit so- | VII. | Ascula. Protaseus. 
lider zweiblättriger Magenwand, ohne Poren. 


Achtes Stadium: Ein festsitzender Schlauch 
mit Magenhöhle und Mundöffnung, mit zwei- 


R III. ia. "chi ia. 
blättriger, von Poren durchbohrter Magen- x Prosonmangia Arabisppmeie 


wand. 


Neuntes Stadium: Ein Schlauch, gleich dem 
des achten Stadiums, aber mit Kalk-Nadeln 
im Exoderm (oder äusseren Blatt der Magen- 
wand). 


IX. | Olynthus. Olynthus. 


Phylogenie der drei Familien des natürlichen Systems. 


Wie uns die Ontogenie des Olynthus die Phylogenie dieser Stammform aller 
Kalkschwämme erzählt, so brauchen wir auch bei allen davon abgeleiteten Formen 
bloss die Ontogenie zu befragen, um befriedigende Auskunft über die Phylogenie zu 
erhalten. Zunächst gilt dies von den Stammformen der drei natürlichen Familien. 
Schon aus der vergleichenden Anatomie hat sich ergeben, dass wir einerseits Dys- 
syens, als die Stammform der Leuconen, anderseits Syenrus, als die Stammform 
der Syconen, als zwei divergirende Fortbildungen von der gemeinsamen Urform 
des Olynthus, der Stammform der Asconen, abzuleiten haben. Ebenso hat uns 
die Ontogenie gezeigt, dass sowohl Dyssycus als Sycurus während ihrer individuellen 
Entwickelung vorübergehend die Olynthus-Form durchlaufen. Es unterliegt da- 


348 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


her nicht dem geringsten Zweifel, dass auch phylogenetisch Dyssycus und Syeurus 
als zwei divergente Nachkommen des O/yntlus aufzufassen sind, und dass sich dem- 
nach auch die beiden Familien der Leuconen und Syconen als zwei divergirende 
Gruppen aus der Stammfamilie der Asconen historisch entwickelt haben. 

Alle verschiedenen Ascon-Formen sind phylogenetisch ebenso wie ontogenetisch 
aus dem Olyntkus entstanden, theils durch Modifieationen der Mundbildung (indem 
die nackte Mundöffnung des Olynthus entweder rüsselförmig oder bekränzt wurde, 
oder sich durch Verwachsung schloss), theils durch mannichfaltige Stockbildung 
(mittelst unvollständiger Theilung oder Knospung oder Concrescenz). Der characte- 
ristische einfache Bau der Magenwand des Olynthus, mit den einfachen Poral-Tuben, 
vererbte sich aber dabei auf alle Nachkommen desselben, die wir in der Ascon- 
Familie zusammenfassen. 

Alle verschiedenen Leucon-Formen sind aus dem Dyssycus, als der gemein- 
samen Stammform der Leuconen-Familie, ebenso phylogenetisch, wie ontogenetisch 
entstanden, mittelst derselben Entwickelungs-Processe, mittelst deren sich die ver- 
schiedenen Ascon-Formen aus dem Olynthus hervorbildeten. Der Dyssycus selbst 
aber entstand ebenfalls aus dem Olynthus, indem das Exoderm sich bedeutend ver- 
dickte, die inconstanten Poren sich in constante Canäle verwandelten, und diese sich 
vielfach verästelten und durch Anastomosen verbanden.. Dabei zog sich das Geissel- 
Epithel aus der Magenhöhle in die Ramal-Canäle oder in einen Theil derselben (die 
Geisselkammern) zurück. 

Alle verschiedenen Sycon-Formen sind aus dem Syeurus, als der gemeinsamen 
Stammform der Syconen-Familie, ebenso phylogenetisch, wie ontogenetisch entstan- 
den, und zwar ebenfalls mittelst derselben Entwickelungs-Processe, mittelst deren 
sich alle Ascon-Formen aus dem Olynthus und alle Leucon-Formen aus dem Dys- 
sycus hervorbildeten. Der Sycurus selbst aber entstand ebenfalls aus dem Olynthus, 
oder strenger ausgedrückt, aus der socialen Olynthus-Form, aus dem Soleniseus. 
Wie schon früher ausgeführt, ist der ‚Sycurus nichts Anderes, als ein ‚Soleniscus, 
welcher durch regelmässige strobiloide Knospung auf der gesammten Dermalfläche 
eines Olynthus entstanden ist; der Magenschlauch des Sycurus ist der primäre 
Olynthus und die Radial-Tuben sind die daraus hervorknospenden secundären Olynthen; 
die letzteren allein behalten das Geissel-Epithel, während es in der Gastralfläche 
des ersteren (primären) während der strobiloiden Gemmation verloren geht. Aus 
dieser Phylogenie des Sycurus geht auch zugleich hervor, dass von den drei Sycon- 
Typen, welche man nach der Entwickelung der Radial-Tuben unterscheiden kann, 
der Syconaga-Typus (p. 243) als der älteste zu betrachten ist. Die beiden anderen 
Typen, der Syconopa-Typus (p. 244) und der Syconusa-Typus (p. 247), sind erst 
secundär aus dem ersteren entstanden, die Syconusa-Form durch totale, die Syconopa- 
Form hingegen durch partielle Verwachsung der Radial-Tuben. 


I. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 349 


Phylogenie der Genus-Formen des natürlichen Systems. 


Die einundzwanzig Genera des natürlichen Systems, welche die Basis der na- 
türlichen Classification im zweiten Bande (p. 8) bilden, sind lediglich auf die ver- 
schiedene Zusammensetzung des Skelets aus den drei Hauptformen der Spicula basirt 
(vergl. oben p. 34). Es ist zweifellos, dass sich nächst der in erster Linie streng 
erblichen Structur der Magenwand bei den drei natürlichen Familien diese characte- 
ristische, siebenfach verschiedene Zusammensetzung des Skelets constanter vererbt, 
als alle übrigen morphologischen Verhältnisse. Sie liefert daher die sicherste, und 
eigentlich die einzig brauchbare Basis für die Unterscheidung natürlicher Genera. 

In der vergleichenden Histologie des Skelets (p. 170— 209) ist bereits nachge- 
wiesen worden, dass alle verschiedenen Spicula-Formen der Kalkschwämme sich als 
Modificationen von drei Hauptformen ergeben, und dass unter diesen drei Haupt- 
formen die bei weitem wichtigste Rolle dem Dreistrahler zufällt. Der Vier- 
strahler, welcher demnächst die meiste Bedeutung hat, ist anatomisch und gene- 
tisch stets als secundäre Form aus dem primären Dreistrahler abzuleiten. Am 
wenigsten Bedeutung aber hat für die Kalkschwämme die einfache, einaxige Nadel 
oder die Stabnadel. 

Nach der ausführlichen Erläuterung, welche ich über die Beziehungen der ver- 
schiedenen Spieula-Formen zu einander ebenfalls in der vergleichenden Histologie des 
Skelets gegeben habe, bedarf es hier ferner keines Beweises, dass alle verschiedenen 
Formen der Dreistrahler und Vierstrahler, sowohl die sagittalen, als die irregulären 
und subregulären, sich ohne jeden Zwang phylogenetisch von einer einzigen gemein- 
samen Grundform ableiten lassen, von dem absolut regulären Dreistrahler, 
welchen ich als einen Biokrystall, und zwar als eine hemiaxonie Form des hexa- 
gonalen Krystall-Systems auffasse (vergl. p. 183). Die jüngsten und kleinsten Formen 
aller Dreistrahler sind ganz kleine, regulär-dreieckige Scheiben; dreiseitige reguläre 
Prismen mit verkürzter Hauptaxe (vergl. Taf. 5, Fig. la—lc, 3a—3c, Ta—Te, 
8a—8c; Taf. 12, Fig. 1a, 2a ete.; Taf. 14, Fig. 3b, 5b etec.). 

Verwerthen wir diese Auffassung für die Phylogenie der Genera des natürlichen 
Systems, so ergiebt sich ohne Weiteres das Genus Ascetta mit Sicherheit als die 
gemeinsame Stammform aller Caleispongien-Gattungen, welche nur Dreistrahler und 
Vierstrahler, also keine Stabnadeln führen. Innerhalb der Ascon-Familie sind aus 
der Ascetta zwei andere Genera, nämlich zunächst Ascaltis und weiterhin Ascilla 
abzuleiten. Ferner sind aus Ascelta als zwei divergirende Zweige einerseits Leu- 
cetta, anderseits Sycetta entstanden. Von Leucetta stammt zunächst Lexcaltis und 
weiterhin Zeucilla ab; ebenso von Sycetta zunächst Sycaltis und dann Syeilla. 

Es bleiben nun noch die Caleispongien-Genera übrig, welche Stabnadeln in ihrem 
Skelet enthalten. Die Stabnadeln oder die einaxigen Nadeln bereiten uns in der 


350 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


monophyletischen Ableitung der Genera die einzige Schwierigkeit. Es entsteht näm- 
lich die Frage, wo überhaupt die Stabnadeln herkommen, und eventuell, in welchem 
genetischen Verhältnisse dieselben zu den anderen beiden Hauptformen der Spicula 
stehen, zu den vereinigten Dreistrahlern und Vierstrahlern. Da der Vierstrahler 
immer aus dem Dreistrahler entstanden ist, so brauchen wir bloss das Verhältniss 
der Stabnadel zum Dreistrahler zu erörtern. Hier scheinen nun drei Fälle möglich 
zu sein: 1) Entweder sind die Stabnadeln ganz selbstständige Bildungen; oder 2) die 
Stabnadeln sind aus den Dreistrahlern entstanden; oder 3) die Dreistrahler sind 
umgekehrt aus den Stabnadeln entstanden. 

Die dritte Eventualität können wir sofort entschieden verneinen; niemals ist bei 
den Kalkschwämmen ein Dreistrahler aus einer Stabnadel entstanden. Die Ontogenie 
der Dreistrahler zeigt uns die kleinsten und jüngsten Formen derselben stets in 
Form einer gleichseitig-dreieckigen Scheibe, aus deren Ecken erst nachträglich die 
drei konischen Schenkel hervorwachsen. Niemals aber habe ich eine Beobachtung 
gemacht, welche etwa auf eine Zusammensetzung des Dreistrahlers aus drei Stab- 
nadeln, oder überhaupt auf irgend eine andere Möglichkeit der Entwickelung des 
Dreistrahlers aus der Stabnadel hindeutete. 

Die zweite Eventualität ist insofern zu bejahen, als in einzelnen (aber wenigen 
Fällen) die Stabnadel unzweifelhaft aus dem Dreistrahler hervorgeht. Dies geschieht 
bei einigen sagittalen Dreistrahlern mit sehr hypertrophischem Basal-Strahle, bei wel- 
chen die beiden Lateral-Strahlen schliesslich bis zum Verschwinden atrophiren kön- 
nen. Wirkliche Uebergänge von solchen sagittalen Dreistrahlern in einfache Stab- 
nadeln habe ich z.B. im Stiele von Ascortis lacunosa beobachtet (Taf. 12, Fig. 2g, 2h), 
ferner bei Leucetta pandora (Taf. 23, Fig. e), im Stiele von Sycandra ampulla, var. 
petiolata (Taf. 52, Fig.2p) und in den Distal-Kegeln mehrerer Syeandra-Arten, na- 
mentlich ‚$. elegans und $. Humboldtii (Taf. 54, Fig. 2d, 3d). So wichtig nun auch 
die Thatsache ist, dass in einigen Fällen Stabnadeln aus Dreistrahlern durch Verlust 
der beiden Lateral-Schenkel ontogenetisch (und also auch phylogenetisch) entstehen 
können, so erscheint dieser Fall im Ganzen doch nur als eine seltene Ausnahme, und 
es ist sehr unwahrscheinlich, dass alle Stabnadeln der Kalkschwämme ursprünglich 
auf diese Art entstanden sind. 

Die erste Eventualität, dass die Stabnadeln selbstständige, von den Dreistrahlern 
unabhängige Bildungen sind, würde demnach für die grosse Mehrzahl der Stabnadeln 
bejaht werden müssen. In der That halte ich diese Annahme für die richtige. Zu- 
nächst spricht dafür die Ontogenie der beiderlei Nadelformen. Die Stabnadel er- 
scheint schon in der jüngsten und kleinsten Anlage als eine lineare Ablagerung von 
kohlensaurem Kalk. Die Moleküle des letzteren sind alle in einer geraden Linie an- 
geordnet. Bei weiterem Wachsthum entsteht daraus durch gleichzeitige Verdickung 
und Verlängerung ein Cylinder oder eine Spindel; aus diesen haplopolen Monaxon- 


2 


II. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 351 


© 


Formen sind alle übrigen Formen der Stabnadeln abzuleiten. Damit ist ein primiti- 
ver Unterschied von der ersten Jugendform des Dreistrahlers, von dem regulär drei- 
seitigen Prisma gegeben. Es ist demnach wohl anzunehmen, dass der Dreistrahler 
und die Stabnadel zwar beide als Biokrystalle zu betrachten sind, entstanden durch 
das Zusammenwirken der krystallisirenden Thätigkeit des kohlensauren Kalkes und 
der organisirenden Thätigkeit der Sarcodine; dass aber dieses Zusammenwirken der 
beiden formbildenden Factoren in beiden Fällen, bei der Stabnadel und bei dem 
Dreistrahler in verschiedener Weise, nach verschiedenen Gesetzen erfolgt. 

Wenn wir nun diese, wahrscheinlich richtige Auffassung für die Phylogenie der 
natürlichen Genera verwerthen, so könnte man zunächst vielleicht auf die Vorstellung 
kommen, dass es zwei ursprünglich verschiedene Gruppen von Kalkschwämmen giebt: 
Caleispongien mit Dreistrahlern (und davon abgeleiteten Vierstrahlern), deren Stamm- 
form Ascetta ist; und Caleispongien mit Stabnadeln, deren Stammform Ascyssa sein 
würde. Alle Kalkschwämme, welche diese beiden genetisch verschiedenen Nadelfor- 
men gemischt enthalten, müsste man dann entweder als Descendenten einer Bastard- 
form von Ascetta und Ascyssa ansehen, oder als Descendenten einer dritten selbst- 
ständigen Abtheilung, deren Stammform das Vermögen besass, gleichzeitig Dreistrah- 
ler und Stabnadeln zu bilden (Ascortis). 

Einiges Licht wird auf diese sehr dunkeln und schwierigen Fragen der Phylo- 
genie schon durch die Statistik der Nadelformen geworfen. Von den hundert und elf 
Species des natürlichen Systems bilden 44 Arten nur Dreistrahler und Vierstrahler, 
keine Stabnadeln; nur 6 Arten (2 Aseyssa, 5 Leucyssa, 1 Syeyssa) bilden bloss 
Stabnadeln, keine Dreistrahler und Vierstrahler; hingegen 61 Arten, also mehr als 
die Hälfte aller Kalkschwämme, produciren sowohl Stabnadeln, als Dreistrahler und 
Vierstrahler. Jener letzten Annahme zufolge würde man also 44 Species von der 
Stammform Ascetlta, 6 Species von der Stammform Ascyssa und 61 Species von der 
Stammform Ascortis ableiten müssen. 

Viel wichtiger aber für die Lösung dieser Fragen erscheint die Vertheilung der 
drei verschiedenen Nadelformen und ihre physiologische Bedeutung. Wenn ich Alles, 
was ich in dieser Beziehung erkannt zu haben glaube und oben in der Histologie des 
Skelets mitgetheilt habe, zusammenfasse, so bleibt mir als wichtigstes allgemeines 
Resultat die Ueberzeugung, dass die Dreistrahler ursprünglich und primär die 
Hauptrolle spielen, dass hingegen die Vierstrahler ursprünglich nur als innere 
Anpassungs-Bildungen der Gastralfläche, die Stabnadeln aber umgekehrt als 
äussere Anpassungs-Bildungen der Dermal-Fläche zu betrachten, und daher von se- 
cundärer Bedeutung sind. Ich treffe hier bis zu einem gewissen Grade ziemlich 
mit den Anschauungen BOWwERBANK’S zusammen, welcher die Spicula nach ihrer phy- 
siologischen Bedeutung classifieirt und benennt, und gewöhnlich bei den Kalkschwäm- 
men die Dreistrahler als „Skeleton-Spieula“, die Vierstrahler als „Internal defen- 


352 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


sive Spicula“ und die Stabnadeln als „External defensive Spicula“ bezeichnet. In der 
That bilden die Dreistrahler nicht allein die ganz überwiegende Mehrzahl der 
Spicula der Kalkschwämme (vergl. oben p. 172), sondern sie bilden namentlich auch 
gewöhnlich die Hauptmasse des Skelets und das eigentliche feste Gerüst des Kör- 
pers, niemals treten sie frei über die gastrale oder dermale Fläche hervor; niemals 
sind sie daher Schutzwaffen, sondern immer feste Stützen des weichen Kör- 
pers. Die Vierstrahler hingegen sind in ihrer grossen Mehrzahl Schutz waf- 
fen der Gastralfläche, in deren Ebene ihre drei facialen Schenkel verborgen 
liegen, während der vierte oder apicale Schenkel frei in die Magenhöhle vorspringt, 
und den Eintritt fremder Eindringlinge hindert. Die Stabnadeln umgekehrt sind 
in ihrer grossen Mehrzahl Schutzwaffen der Dermalfläche, indem sie ge- 
wöhnlich mit dem grössten Theile frei über die äussere Körperfläche vorragen und 
ein Borstenkleid oder einen Stachelpanzer bilden, welcher die Annäherung und den 
Angriff fremder Zudringlinge abwehrt. Ausserdem dienen sie oft speciellen Anpas- 
sungs-Functionen, wie namentlich im Peristom-Kranze der kranzmündigen Kalk- 
schwämme, im Stiele mancher langgestielten Personen u. s. w. 

Verhältnissmässig selten und untergeordnet sind hingegen die Fälle, in denen die 
Vierstrahler oder die Stabnadeln an die Stelle der Dreistrahler treten und die festen 
Stützen des Körpers bilden. Nur bei 6 Species wird das Skelet ausschliesslich aus 
Stabnadeln, nur bei 3 Species ausschliesslich aus Vierstrahlern gebildet (vergl. oben 
p. 296). Nur bei sehr wenigen anderen Arten treten die Stabnadeln, gemischt mit 
Dreistrahlern oder Vierstrahlern, als secundäres Stützen-Skelet auf oder bilden die 
Hauptmasse des Skelets. Gerade diese Arten aber erscheinen im Uebrigen keines- 
wegs als sehr ursprüngliche und einfache, sondern als stark modificirte und differen- 
zirte Formen, wie z. B. die Leucandra-Arten mit Stäbchen-Mörtel. Ich halte daher 
alle diese Arten für solche, bei denen die Stabnadeln erst secundär zu dieser Bedeu- 
tung gelangt sind und die primär vorhandenen Dreistrahler oder Vierstrahler ver- 
drängt und schliesslich ersetzt haben. Mit anderen Worten: die Kalkschwämme, 
deren Skelet ganz ausschliesslich oder doch zum grössten Theile aus Stabnadeln ge- 
bildet wird, sind nicht sehr einfache und ursprüngliche, sondern abgeleitete und theil- 
weise zurückgebildete Formen. Die Dreistrahler oder Vierstrahler, welche ursprüng- 
lich bei ihren Vorfahren das Stützen-Skelet bildeten, sind ganz oder grösstentheils im 
Laufe der Zeit verloren gegangen. 

Wenn wir diese Anschauung, welche ich unter den verschiedenen möglichen 
Hypothesen über die Phylogenie der Hauptformen der Spicula für die wahrschein- 
lichste halte, auf die Phylogenie derjenigen Genera des natürlichen Systems, welche 
Stabnadeln enthalten, übertragen, so scheinen sich folgende genealogische Hypothe- 
sen am meisten der Wahrheit zu nähern. Aus Ascetta hat sich durch secundäre Aus- 
bildung von dermalen Stabnadeln Ascortis entwickelt, ebenso aus Lexcetia die ent- 


I. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 355 


sprechende Lexcortis und aus Sycetta auf dieselbe Weise Sycortis. Ferner ist, die- 
ser Entwickelungs-Reihe correspondirend, aus Ascaltis durch secundäre Ausbildung 
von dermalen Stabnadeln das Genus Ascamdra entstanden, ebenso aus Lexecaltis die 
entsprechende Zexcandra, und aus Sycaltis auf dieselbe Weise Sycandra. Eine 
dritte parallele Entwickelungs-Reihe, welche ebenfalls der secundären Ausbildung von 
dermalen Stabnadeln ihre Entstehung verdankt, setzt sich zusammen aus Aseulmis, 
welche von Ascilla, aus Leuculmis, welche von Lexeilla, und aus Syculmis, welche 
von Syeilla abzuleiten ist. 

Schliesslich bleiben nur diejenigen drei Genera (mit nur sechs Arten) übrig, de- 
ren Skelet bloss aus Stabnadeln besteht, und welche daher für die monophyletische 
Auffassung der Kalkschwämme die meisten Bedenken und Schwierigkeiten verur- 
sachen. Nach den vorher gegebenen Erörterungen halte ich es für das Wahrschein- 
lichste, dass diese drei Genera durch Rückbildung aus anderen Kalkschwämmen ent- 
standen sind, welche neben den Stabnadeln auch noch Dreistrahler oder Vierstrahler, 
oder alle drei Hauptformen der Spicula gemischt enthielten. Wahrscheinlich ist also 
Ascyssa aus Ascortis durch Verlust der Dreistrahler entstanden (vielleicht auch aus 
Asculmis durch Verlust der Vierstrahler, oder aus Ascandra durch Verlust der Drei- 
strahler und Vierstrahler). Ebenso hat sich vermuthlich Leueyssa aus Leucortis (oder 
Leuculmis oder Leucandra) und entsprechend auch Syeyssa aus Sycortis (oder Syc- 
ulmis oder Sycandra) entwickelt. 

Für den denkenden Zoologen, welcher das reiche empirische Material, das im 
zweiten Bande dieser Monographie enthalten ist, sich angeeignet hat, wird die hier 
gegebene monophyletische Ableitung aller Caleispongien-Genera von Ascelfa als die 
wahrscheinlichste unter den verschiedenen möglichen phylogenetischen Hypothesen 
erscheinen. Indessen bedarf es wohl kaum der Andeutung, dass mit dieser Hypo- 
these, wie sie in dem nachstehenden Stammbaum (p. 359) übersichtlich dargestellt 
ist, nur der erste Anfang zu einer Phylogenie der Kalkschwämme gemacht ist. Ueber 
die anderen Hypothesen, welche ausserdem daneben noch möglich sind, sowie über 
den monophyletischen oder polyphyletischen Ursprung der verschiedenen 
Genera, werde ich nachher noch im achten Kapitel handeln, ebenso über die ausser- 
ordentliche Bedeutung, welche die connexiven und transitorischen Varie- 
täten für die Phylogenie der 21 Genera des natürlichen Systems besitzen. 


Phylogenie der Species-Formen des natürlichen Systems. 


Die Stammesgeschichte aller der einzelnen Formen, welche im natürlichen Sy- 
stem des zweiten Bandes als Species aufgeführt sind, ergiebt sich für den denkenden 
Leser unmittelbar einerseits aus der Vergleichung der speciellen und möglichst er- 
schöpfenden Beschreibungen, welche ich dort von diesen hundert und elf „guten 
Arten“ und namentlich von ihrer characteristischen Skelet-Bildung gegeben habe; 


Haeckel, Kalkschwämme. 1, 23 
PA 


554 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


anderseits aus den Reflexionen, welche an diese Beobachtungen im dritten Kapitel 
dieses Bandes geknüpft worden sind. Dabei sind von besonderer Bedeutung die 
specifischen, connexiven und transitorischen Varietäten, welche den 
unmittelbaren Uebergang von einer Art und Gattung zur anderen vermitteln, und 
auf welche ich im achten Kapitel zurückkommen werde. 

Als die natürliche Stamm-Art der beschriebenen hundert und elf Arten betrachte 
ich, gestützt auf die vorausgegangenen Erörterungen, die Ascella primordialis, und 
zwar die Olynthus-Form derselben (den Olynthus primordialis). Aus dieser Stamm- 
Species, welcher zunächst die Familie der Asconen ihren Ursprung verdankt, haben 
sich zwei divergirende Haupt-Arten entwickelt, welche in der entscheidenden Skelet- 
Structur völlig mit der ersteren übereinstimmen: Leucelta primigenia, die Stamm- 
Art der Leuconen, und Sycetta primitiva, die Stamm-Art der Syconen; von 
der ersteren ist die Dyssycus-Form (Dyssycus primigenius), von der letzteren die 
Sycurus-Form (Sycurus primitivus) als specielle Stammform der betreffenden Fa- 
milie zu betrachten. 

Natürlich bedingen die zahlreichen Lücken, welche wegen der Unvollständigkeit 
des gesammelten Materials und wegen unserer Unkenntniss der ausgestorbenen For- 
men hier wie überall im System existiren, eine sehr ungleiche Sicherheit in der phylo- 
genetischen Ableitung der einzelnen natürlichen Arten. Bei vielen von den letzteren 
können wir die Descendenz mit einem solchen Grade von Sicherheit feststellen, dass 
unsere genealogische Hypothese den Anspruch auf Vollgültigkeit erheben kann. Bei 
vielen anderen Arten hingegen können wir nur annähernd die Abkunft errathen, und 
es bleiben neben einer, am meisten wahrscheinlichen Stamm-Art auch noch eine oder 
mehrere nächstverwandte Formen in Betracht zu ziehen, unter denen möglicher Weise 
die wirkliche ursprüngliche, obgleich scheinbar entferntere Stamm-Art versteckt ist. 
Diese relative Unsicherheit vieler unserer genealogischen Hypothesen thut aber der 
absoluten Sicherheit anderer in Wirklichkeit keinen Abbruch. Sie erscheint sogar 
ziemlich gleichgültig, wenn man überhaupt die grenzenlose Ungebundenheit der 
Species-Form bei den Kalkschwämmen in Betracht zieht. Die Hauptsache bleibt 
hier, wie bei allen phylogenetischen Versuchen, nicht, dass wir jede einzelne, als 
„bona species“ definirte Form, von einer bestimmten anderen „guten Art“ ableiten, 
sondern vielmehr die durch diese Versuche erlangte moralische Ueberzeugung, dass 
„gute Arten“ in dem dogmatischen Sinne der herrschenden Schule überhaupt nicht 
existiren, dass vielmehr alle sogenannten „‚bonue species“ in Wahrheit ursprünglich 
„malae species“, d.h. durch Uebergangs-Formen verbunden und Abkömmlinge einer 
gemeinsamen Stammform sind. 

Um jedoch zu zeigen, wie ungefähr der genealogische Zusammenhang der bis 
jetzt bekannten Caleispongien-Species gedacht werden kann, gebe ich nachstehend 
eine hypothetische Stammtafel (p. 356), in welcher neben jeder Art 


Il. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 355 
des natürlichen Systems diejenige Species genannt ist, welche der 
unbekannten Stammform der ersteren in dem wirklichen Stammbaume 
wahrscheinlich unter den bekannten Species am nächsten steht. Da- 
bei sind vier Grade der Wahrscheinlichkeit unterschieden. Die mit !! be- 
zeichnete Descendenz ist so wahrscheinlich, dass sie beinahe als sicher gelten kann. 
Auch die mit ! bezeichnete Abstammung ist noch in hohem Grade wahrscheinlich. 
Hingegen ist die mit ? bezeichnete Descendenz eine entferntere Möglichkeit, und die 
mit ?? bezeichnete Abstammung ist ganz zweifelhaft, 


Phylogenie der Formen des künstlichen Systems. 


Die bleibende Bedeutung, welche das künstliche System der Kalkschwämme 
neben dem natürlichen System besitzt, und die Unentbehrlichkeit der in beiden Sy- 
stemen nach ganz verschiedenen Prineipien aufgestellten generischen und specifischen 
Begriffe, nöthigt uns, hier schliesslich noch ein Wort über die Phylogenie der ver- 
schiedenen Formen zu sagen, welche wir im künstlichen System als Ordnungen und 
Familien, Gattungen und Arten desselben unterschieden haben. Da wir schon viel- 
fach in der vergleichenden Anatomie und im System der Kalkschwämme auf den 
verwandtschaftlichen Zusammenhang und die phyletische Descendenz jener verschie- 
denen Formen hingewiesen haben, und da wir ausserdem noch im achten Kapitel 
darauf zurückkommen, so können wir uns hier auf wenige ergänzende und zusammen- 
fassende Bemerkungen beschränken. 

Von den beiden Hauptgruppen oder Legionen des künstlichen Systems (Bd. II, 
p- 383 und 394) sind natürlich die socialen Pol ygrantien erst secundär aus den soli- 
tären Monograntien entstanden, und unter den letzteren sind die Doro grantien 
als die Stamm-Ordnung der sechs übrigen Ordnungen zu betrachten. Dem entsprechend 
sind unter den 19 künstlichen Familien (in den drei Reihen der Asconen, Leuconen 
und Syconen) die Olynthiden als die Stamm-Familie der ersten Reihe, die Dys- 
syciden als die Stamm-Familie der zweiten Reihe und die Sycariden als die 
Stamm-Familie der dritten Reihe zu betrachten (vergl. p. 85). Unter den einzelnen 
künstlichen Gattungen, welche in jenen 19 Familien nach der verschiedenen Mund- 
bildung unterschieden werden, sind die nacktmündigen Formen allgemein als die 
ursprünglichen anzusehen; aus ihnen haben sich durch Bildung eines Rüssels die 
rüsselmündigen Formen, durch Bildung eines Peristom-Kranzes die kranzmündigen 
Formen, und endlich durch Verlust der Mundöffnung die mundlosen Formen ent- 
wickelt. Demnach dürfte der Stammbaum der Gattungs-Formen des künstlichen 
Systems mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit etwa annähernd die Gestalt 
annehmen, welche auf p. 360 skizzirt ist. Selbstverständlich beansprucht dieser 
Stammbaum ebenso wenig, wie derjenige der natürlichen Genus-Formen (p. 359) eine 
dogmatische Geltung. Vielmehr soll damit nur derjenige genealogische Zu- 

23* 


356 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 

sammenhang der Genus-Formen angedeutet werden, welcher unter 
den verschiedenen möglichen Fällen wahrscheinlich am häufigsten 
stattfindet. Sicher finden aber auch vielfach Abweichungen von diesem gewöhn- 
lichen Schema statt; und innerhalb jeder der drei natürlichen Familien ist neben 
der vorwiegenden monophyletischen Descendenz wahrscheinlich auch vielfach poly- 
phyletische Abstammung anzunehmen. Auch hierauf werde ich im achten Kapitel 


zurückkommen. 


Hypothetische Stamm-Tafel über die Descendenz der Species des natürlichen 
Systems (vergl. p. 354). 


Species des natürlichen Systems. a ee 
1. Ascetta primordialis Gemeinsame Stamm-Art. 
2. —  coriacea Ascetta primordialis !! 
3. —  dathrus —  primordialis ! 
4. —  sceptrum —  coriacea ! 

5. —  blanca —  primordialis !! 
6. —  vesicula — primordialis ! 
7. —  sagittaria —  blanca !! 

8. —  flexilis — primordialis !! 
9. Ascilla gracilis Ascaltis canariensis ! 
10. —- japonica Asecilla gracilis ! 

11. Ascyssa troglodytes Ascandra botrys ?? 
12. —  acufera — pinus ?? 

13. Ascaltis canariensis Ascetta primordialis !! 
14. — _ cerebrum Ascaltis canariensis ! 
15. — Darwin —  canariensis ! 
16. —  Lamarckü —  Darwinii ! 

17. — Gegenbauri —  canariensis ! 
18. —  Goethei Ascetta sagittaria ? 
19. —  botryoides —  Aexilis ?? 

20. Ascortis horrida —  primordialis !! 
21. — lacunosa —  blanca ! 

22. —  Fabriei Ascortis lacunosa ! 
23. —-  corallorrhiza — Fabrieii !! 
24. —  fragilis Ascetta flexilis ! 

25. Asculmis armata Ascandra complicata ? 
26. Ascandra cordata Ascaltis canariensis !! 
27. — falcata Ascandra reticulum !! 
28. — densa E= panis ? 

29. — panis Ascortis horrida ? 

30. —  reticulum |  Ascaltis cerebrum ! 
31. — contorta — canariensis ? 


II. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 


357 


nn 


BE ee aakarlinhen Syntame Species, welche wahrscheinlich der 
Stammform am nächsten steht. 


32. Ascandra complicata Ascandra contorta ! 

33. —  Lieberkühnii = eontorta ! 

34. —  echinoides — Lieberkühnii ? 
35. — _ sertularia — Lieberkühnii ? 
36. —  _ botreys Ascaltis botryoides ! 

374 — nitida Ascandra botrys ! 

38. — pinus — complicata !! 
39. _ variabilis — Lieberkühni !! 
40. Leucetta primigenia Ascetta primordialis !! 
41. —  trigona Leucetta primigenia !! 
42. — sagittata —_ primigenia !! 
43. — pandora — primigenia !! 
44. — corticata —_ primigenia ! 
45. Leueilla amphora Leucaltis bathybia ?? 


46. —  capsula Leucilla amphora ? 
47. Leucyssa spongilla Leucandra cataphracta ?? 
48. —  cretacea — ochotensis ?? 
49. — inerustans Leucyssa spongilla ?? 
50. Leucaltis floridana Leucetta primigenia !! 
9l. —  crustacea Leucaltis floridana ! 
52. — pumila — floridana ! 
53. —  solida — floridana ! 
54. — bathybia —  pumila ! 

55. — dathria Leucetta corticata !! 
56. Leucortis pulvinar —  pandora ? 
57. Leuculmis echinus Leucandra cucumis ?? 
58. Leucandra Egedii Leucortis pulvinar ? 
59. —_ caminus Leucandra Egedii ?? 
60. —_ Gossei — Egedii ? 
61. — crambessa —_ aleicornis ? 
62. 2 aleicornis — lunulata !! 
63. —_ lunulata — aspera !! 
64. — aspera _ ananas ! 
65. — fistulosa — ananas ! 
66. _ ananas | . Egedi ? 
67. —_ cataphracta | u aleicornis !! 
68. — ° cucumis  , Leucaltis bathybia ? 
69. _ bomba Leucandra caminus ?? 
70. —_ nivea — bomba ?? 
(al = Johnstonii _ nivea !! 
12. — ochotensis _ nivea ! 


358 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 


Species des natürlichen Systems. a TR 
73. Leucandra stilifera Leucandra saccharata ! 
74. — saccharata | — Johnstonii ? 
75. Sycetta primitiva Ascetta primordialis !! 
76. —  sagittifera Sycetta primitiva !! 
77. —  strobilus —  sagittifera ! 
73. —  cupula —  sagittifera ! 
79. —  stauridia —  primitiva ! 

30. Sycilla eyathiscus Sycilla cylindrus ? 
831. — uma —  cylindrus ? 
82. —  cylindrus Sycaltis testipara ! 
83. —  chrysalis — ovipara ? 
84. Sycyssa Huxleyi Sycandra hystrix ?? 
85. Sycaltis conifera Sycettas»sagittifera !! 
86. —  perforata —  primitiva ! 
37. —  glacialis —  stauridia !! 
8.  —  testipara Syealtis glacialis ?? 
89. —  ovipara — testipara ! 
90. Sycortis lingua Sycetta sagittifera ? 
91. —  quadrangulata —  sagittifera ? 
92. —  laevigata —  stauridia ? 
95. Syculmis synapta Syeilla eyathiscus ?? 
94. Sycandra ciliata Sycaltis conifera !! 
% —  coronata Sycandra ciliata !! 
96. — ampulla — ciliata ! 
97%. —  raphanus Sycetta strobilus ? 
98. —  capillosa Sycandra raphanus !! 
99. —  setosa — raphanus !! 
100. —  villosa —  setosa ! 
101. — Schmidtii Sycortis quadrangulata !! 
102. — arborea Sycetta cupula ? 
103. — aleyoncellum Sycandra arborea !! 
104. —  elegans —  _ aleyoncellum !! 
105. —  Humboldtii — elegans !! 
106. —  glabra E— raphanus ?? 
107. —  aretica u capillosa ? 
108. — ramosa Sycaltis perforata ? 
109. —  compressa Sycortis lingua !! 
110. —  utrieulus  Sycandra compressa ! 
111. —  hystrix | — aretica ! 


Il. Phylogenie oder Stammesgeschichte. 359 
Stammbaum der Genus-Formen des natürlichen Systems. 
N.B. Es bedeutet: d.B.d.S. — entstanden durch Bildung der Stabnadeln; d.B.d. V. = ent- 


standen durch Bildung der Vierstrahler; d.A.d.D. 
— entstanden durch Ausfall der Vierstrahler. 


Ascyssa | 


Ascetta 


entstanden durch Ausfall der Dreistrahler; d. A. d. V, 


Ascaltıs 
d.B.d.V. 


(Stamm-Genus der Asconen) 


Leucortis Leuculmis 
d.A.d.V. d.A.d.D. 
Leueyssa | 
d.A.d.D. | | 


———— 
Leucandra Leucandra | 
d.B.d.V. d.B.d.S. 


Leucaltis 
d.B.d.V. 


1 re 2 
Leucetta 
(Stamm-Genus der Leuconen) 
(entstanden aus Ascetta durch Verdickung der 
Magenwand und Verästelung der Canäle) 


Sycortis 
d.A.d.V. 


| |  Syeulmis | 


en —— 
Sycandra Sycandra | 
d.B.d.V. d.B.d.S. 


| 
| 
| 
| | | Syeilla 


no 


Sycortis | | 
d.B.d.S. 


Sycetta 
(Stamm-Genus der Syconen) 
(entstanden aus Ascetta durch strobiloide 
Gemmation) 


| 


(Stamm-Genus aller Caleispongien) 


2 
| 


360 Viertes Kapitel. Entwickelungs-Geschichte. 
Stammbaum der Genus-Formen des künstlichen Systems. 
Sycometra 
Syeinula | 
Sycophyllum 
Sycodendrum Sycothamnus 
Syconella | 
Sycocystis 
Sycarıum 
nm 
| 
Syeurus - 
Ascometra Leucometra 
| | 
Tarropsis Nardopsis Artynella Coenostomella 
| | 
Tarroma Nardoma Artynium Coenostomium 
| | | 
Tarrus Nardorus Artynas Coenostomus 
RT EIER > | \ 
Soleniscus Soleniscus Amphoriscus 
(strobiloides) | 
’ | 
Solenula Amphorula | 
| Auloplegma Aphroceras 
Solenidium Amphoridium | 
| 
Olynthella Dyssyconella 
Clistolynthus Lipostomella 
Olynthium | Dyssycarium | 
>— m N, m I 
Olynthus Olynthus Dyssycus 
—— 
Olynthus 


Dritter Abschnitt. 


15 Te ee gr Bar a a a ee: 


Kalkschwämme. 


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Fünftes Kapitel. 


Interne Physiologie. 


I. Physiologie der vegetativen Functionen. 


l. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 


Die Ernährung der Kalkschwämme erfolgt, soviel wir bis jetzt wissen, ganz in 
derselben Weise, wie die Ernährung der übrigen Schwämme. Der wesentlichste Vor- 
gang bei der Ernährung aller Spongien besteht darin, dass ein Wasserstrom 
durch die Magenhöhle und durch die übrigen Hohlräume des Körpers (wenn solche 
ausser dem Magenrohr vorhanden sind) hindurch geleitet wird. Dieser ernährende 
Wasserstrom dient ebensowohl zur Einfuhr der Nahrungs-Mittel, als zur Abfuhr 
der Excrete; er liefert das Material sowohl für die Verdauung als für die Athmung; 
ohne diesen inneren Wasserstrom kann der Spongien-Organismus nicht existiren. 

Die Physiologie der Ernährung gestaltet sich bei allen Spongien äusserst ein- 
fach. Das einzige Organ-System, welches alle verschiedenen Functionen der Ernäh- 
rung und des Stoffwechsels vermittelt, ist das Canal-System, dasselbe, welches 
zugleich den Functionen der Fortpflanzung dient. Bei den einfachsten Spongien, 
den Asconen, ist das ganze Gastrocanal-System von einer zusammenhängenden Epi- 
thelial-Schicht, von den Geisselzellen des Entoderms ausgekleidet, und auch bei den 
übrigen Schwämmen, wo diese nutritiven Geisselzellen nur einen Theil des 
Canal-Systems auskleiden, sind dieselben als die eigentlichen elementaren Organe der 
Ernährung, als trophische Biorgane zu betrachten. 

Die verschiedenen Functionen der Ernährung, welche in der Physiologie des 
Stoffwechsels bei den höheren Thieren als Verdauung, Assimilation, Resorption, Cir- 
eulation, Athmung und Absonderung getrennt und durch differenzirte Ernährungs- 
Organe ausgeführt werden, sind bei den Spongien noch nicht gesondert, und werden 
gemeinschaftlich durch die Geisselzellen des Entoderms, welche das Gastrocanal- 
System auskleiden, vollzogen. 


364 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Der Stoffwechsel der Kalkschwämme, wie aller übrigen Schwämme, ist ein 
thierischer. Der Organismus der Spongien ist, wie derjenige aller echten Thiere, 
ein Oxydations-Organismus. Die Schwämme athmen aus dem umgebenden 
Wasser Sauerstoff ein und athmen Kohlensäure aus. Sie nehmen mit dem eintre- 
tenden Wasserstrome theils in gelöster, theils in fester Form Nahrungs-Material auf, 
welches verwickelte Kohlenstoff-Verbindungen enthält (Albuminate, Fette, Kohlen- 
hydrate ete.). Die nutritiven Geisselzellen des Entoderms sind die mikroskopischen 
Laboratorien, in denen diese verwickelten Kohlenstoff-Verbindungen zersetzt und 
verbrannt werden. Dabei werden Spannkräfte in lebendige Kräfte übergeführt, 
welche sich als Bewegungen, Empfindungen, Wärmebildung etc. äussern. Die ver- 
brauchten Stoffe, die Excrete, werden mit der gebildeten Kohlensäure durch den 
austretenden Wasserstrom abgeführt. 


Wasserströmung. 


Die Ernährung und somit die Existenz aller Spongien beruht in erster Linie 
auf der Wasserströmung, welche ihren Körper durchzieht. Dieser Wasserstrom führt 
den Geisselzellen, welche das Gastrocanal-System oder einen Theil desselben aus- 
kleiden, nicht allein ihre geformten oder gelösten Nahrungsstoffe zu, sondern auch 
zugleich den Sauerstoff zur Athmung; und gleichzeitig dient dieser Wasserstrom zur 
Abfuhr der Kohlensäure und der Excremente. 

Gewöhnlich wird die Wasserströmung im Spongien-Körper als Circeulation 
“ bezeichnet. Schon GRANT, Jonnston und die meisten späteren Spongiologen be- 
dienen sich dieses Ausdrucks. Indessen ist derselbe eigentlich falsch, und bezeichnet 
das Wesen der nutritiven Wasserströmung keineswegs richtig. Die Strömung des 
Wassers durch den Spongien-Körper ist kein Kreislauf, sondern en Durchlauf; 
das Wasser tritt durch bestimmte Oeffnungen in den Schwammkörper ein und durch 
andere wieder aus; keineswegs aber circulirt es in demselben. Die ernährende 
Flüssigkeit, welche durch den Spongien-Körper hindurch strömt, ist auch weder dem 
Blute, noch dem Chylus vergleichbar. Sie ist weiter Nichts, als das rohe Nahrungs- 
Material des Schwammes: Seewasser, welches den zur Athmung erforderlichen Sauer- 
stoff und die Nahrungsstoffe gelöst in flüssiger Form oder suspendirt in fester Form 
enthält. Bei allen Spongien, auch bei denjenigen, bei welchen das Canal-System die 
höchste Entwickelung erreicht, dient daher die Strömung bloss dazu, um dieses rohe 
Nahrungs-Material den verschiedenen Körpertheilen zuzuführen, und zugleich die 
verbrauchten und unnützen excrementiellen Stoffe abzuführen. 

Die wesentlichste und gewöhnlich auch wohl die einzige Ursache der Wasser- 
strömung im Körper aller Spongien ist die Geisselbewegung des Entoderms, 
hervorgebracht durch die activen Schwingungen der Geisseln, welche auf den nutri- 
tiven Geisselzellen aufsitzen; und diese letzteren sind daher allein als die eigent- 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 365 


lichen Organe der Wasserströmung zu bezeichnen. Die älteren Naturforscher wussten 
zwar schon im vorigen Jahrhundert (seit Euuıs und SOLANDER), dass die Schwämme 
durch grössere Oefinungen oder „Oscula“ Wasser ausstossen. Allein sowohl der Ein- 
tritt des Wassers, als die Ursache des Durchtritts oder der Strömung blieb ihnen 
unbekannt. Sie suchten diese Ursachen entweder in besonderen „Lebenskräften“ des 
Schwammes oder (nach Durrocnh£r) in Endosmose und Exosmose. Erst 1825 ent- 
deckte GRANT die Poren, durch welche das Wasser eintritt, und vermuthete zugleich 
als Ursache der Strömung Ciliar-Bewegung im Inneren der Canäle. Doch gelang es 
ihm nicht, die Cilien wirklich zu sehen, welche erst-1852 von BOWERBANK und 
Dosıe wirklich beobachtet wurden (Vergl. oben p. 6, 9, 133, 134). 

In einzelnen Fällen kann die Wasserströmung im Spongien-Körper, welche durch 
die Geisselbewegung der nutritiven Geisselzellen hervorgebracht wird, auch abgeän- 
dert und modifieirt werden durch die selbstständigen Contractionen des Syn- 
eytium. Da diese „contractile Substanz“ überall die Unterlage für das Flimmer- 
Epithel der Geisselzellen herstellt, und da sie an allen jenen Stellen des Gastrocanal- 
Systems, welche nicht mit diesem Geissel-Epithel belegt sind, unmittelbar die Wand 
der Hohlräume bildet, so müssen die Contractionen derselben natürlich von Einfluss 
auf die Strömung sein. Die contractile Canal-Wand kann hier ohne Zweifel ähnliche 
Wirkungen ausüben, wie die muskulöse Wand der Blutgefässe bei den höheren Thie- 
ren. Indessen ist der Antheil, welchen die Contractionen des Syneytiums an den 
Strömungs-Erscheinungen der Spongien besitzen, bis jetzt fast noch gar nicht unter- 
sucht; nur die Verengerung oder der Verschluss der Poren und Oscula ist in dieser 
Beziehung gewürdigt worden. Vermuthlich wird aber jener Antheil gewöhnlich nur 
sehr unbedeutend sein, und die primäre und wichtigste Ursache der Wasserströmung 
bleibt in allen Fällen die Geisselbewegung des Entoderms. 


Richtung und Weg der Wasserströmung. 


Die gewöhnliche Richtung der Bewegung des Wasserstroms bei der Mehrzahl 
der Spongien ist folgende: das Wasser tritt durch die zahlreichen mikroskopischen 
Poren der Dermalfläche in die Hohlräume des Canal-Systems ein, durchläuft diese 
in ihrer ganzen Ausdehnung und tritt dann durch eine einzige oder durch wenige 
grössere Oeffinungen, durch die Oscula wieder aus. Dieser centripetale Verlauf des 
Wasserstroms, sowie die Poren, durch welche der Eintritt des Wassers erfolgt, sind 
zuerst 1825 von ROBERT Grant entdeckt worden (vergl. oben p. 6). Er sahı zuerst, 
dass mit dem Wasser, das durch die Oscula austritt, auch Exeremente und flim- 
mernde Embryonen entleert werden, und bezeichnete diese grösseren Oeffnungen da- 
her als „Fecal orifices“. Die ausführliche Beschreibung, welche GranTt, auf zahl- 
reiche Beobachtungen und Experimente gestützt, von dieser characteristischen Rich- 
tung und Bewegung des Wasserstromes durch den Spongien-Körper gab, wurde von 


366 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


fast allen folgenden Beobachtern bestätigt, bildete die Grundlage für die ganze fol- 
gende Spongiologie und trug namentlich auch dazu bei, dass man den Schwamm- 
Organismus als ein ganz eigenthümliches Wesen sui generis auffasste.. Wir müssen 
aber schon hier die Bemerkung vorausschicken, dass diese centripetale Stromesrich- 
tung und namentlich der Austritt des Wassers durch die Oscula allerdings die ge- 
wöhnliche, aber keineswegs die constante und ausschliessliche Richtung ist. Viel- 
mehr hat diese Regel zahlreiche Ausnahmen, deren Bedeutung wir nachher noch 
besonders hervorheben müssen. 

In der Gruppe der Kalkschwämme gestaltet sich natürlich die Bewegung des 
Wassers durch den Körper etwas verschieden bei den drei natürlichen Familien und 
bei den verschiedenen Gattungs-Formen des künstlichen Systems, welche in diesen 
drei Familien vorkommen. Die einfachsten Verhältnisse bieten auch hier wieder die 
Asconen. Bei allen Asconen tritt das Seewasser durch die inconstanten Lochcanäle 
oder Poral-Tuben, welche zugleich Hautporen und Magenporen sind, unmittelbar 
in die Magenhöhle oder das Darmrohr ein; und da dessen gastrale Fläche überall 
mit den nutritiven Geisselzellen des Entoderms bedeckt ist, findet hier sogleich der 
Ernährungs-Process statt. Bei den Asconen, welche Mundöffnungen besitzen, erfolgt 
der Austritt des Wassers gewöhnlich durch diese letzteren. Bei den mundlosen As- 
conen hingegen (Clistolynthus und Auloplegma) kann natürlich das Wasser nur durch 
die Hautporen auch wieder austreten. 

Bei den Leuconen tritt das Seewasser durch die Hautporen zunächst in die 
Asteanäle oder Ramal-Tuben ein und muss nun hier einen etwas verschiedenen Ver- 
lauf nach den verschiedenen Typen ihrer Verästelung einschlagen. Bej den Leuconen 
mit baumförmigem Typus des Astcanal-Systems (Taf. 40, Fig. 9) ist die gewöhn- 
liche Strömung des Wassers eine regelmässig centripetale und die Ernährung findet 
fast in der ganzen Ausdehnung der centrifugal verästelten und nicht anastomosiren- 
den Canäle statt, da deren Canalfläche fast überall mit Geissel-Epithel belegt ist. 
Bei den Leuconen mit netzförmigem Typus des Astcanal-Systems (Taf. 40, Fig. 11), 
wo die verästelten Canäle überall durch zahlreiche Anastomosen verbunden sind und 
ein unregelmässiges engeres oder weiteres Gefässnetz herstellen, ist auch der Verlauf 
des Wassers in diesem labyrinthischen Netze ein mehr oder weniger unregelmässiger. 
Auch hier kann aber der Ernährungs-Process in dem grössten Theile des Canal-Sy- 
stems stattfinden, da das Gefässnetz fast in seiner ganzen Ausdehnung mit Geissel- 
Epithel belegt ist. Bei den Leuconen mit traubenförmigem Typus des Astcanal- 
Systems (Taf. 40, Fig. 3) gelangt das Seewasser zunächst durch zahlreiche sehr enge, 
centripetal confluirende Canäle in die Geisselkammern, aus denen es dann auf der 
anderen (proximalen) Seite durch etwas weitere Canäle wieder ausgeführt und in 
die Magenhöhle geleitet wird. Da sowohl die engeren, distalen (einführenden), als 
die weiteren, proximalen (ausführenden) Canäle ein weit geringeres Lumen besitzen, 


r 


I. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 367 


als die weiten zwischen sie eingeschalteten Geisselkammern, so wird sich das Wasser 
in diesen stauen, und es werden Strudel entstehen, welche durch die activen Geis- 
selbewegungen der Entoderm-Zellen gesteigert und modifieirt werden. Da nun hier 
das Entoderm auf die Geisselkammern beschränkt ist, kann auch nur hier der Er- 
nährungs-Process stattfinden. Bei den Leuconen mit blasenförmigem Typus des 
Astcanal-Systems endlich (Taf. 40, Fig. 10) verhält sich die Wasserströmung ganz 
ähnlich, wie bei denjenigen des traubenförmigen Typus; nur wird sie sich hier un- 
regelmässiger gestalten, als bei den letzteren. Auch hier bleibt der Ernährungs- 
Process auf die blasenförmigen Erweiterungen beschränkt, welche allein mit Geissel- 


‘ Epithel ausgekleidet sind; da aber diese Blasen von sehr ungleicher Grösse sind und 


vielfach mit einander anastomosiren, müssen ähnliche Anomalien in der Strömung 
eintreten, wie bei den Leuconen mit netzförmigem Typus. Bei diesen, wie bei allen 
anderen Leuconen, dient die Magenhöhle, welche ihr ursprüngliches Geissel-Epithel 
verloren hat, nur als Wasser-Reservoir für die centripetal eintretenden Ströme, und 
bei denjenigen Leuconen, welche mit Mundöffnung versehen sind, fungirt sie zugleich 
als „Ausströmungshöhle“ (Cloaca). 

Bei den Syconen tritt das Seewasser unmittelbar in die Höhlung der Radial- 
Tuben ein, welche hier allein mit Geissel-Epithel belegt sind, und daher auch allein 
die Ernährungs-Functionen vollziehen können. Der Eintritt des Seewassers in die 
Tuben-Höhlung erfolgt gewöhnlich unmittelbar durch die mikroskopischen Poren der 
Dermalfläche, bisweilen aber auch an jedem Radial-Tubus durch ein grösseres der- 
males Ostium in dem Distal-Ende desselben. Bei den Syconen des Syconaga- 
Typus, wo die Radial-Tuben völlig frei, eylindrisch-konisch und nicht mit einander 
verwachsen sind, kann das Wasser überall auf der Dermalfläche der Tuben freien 
Eintritt in deren Höhlung unmittelbar erlangen. Bei den Syconen des Syconopa- 
Typus, wo die prismatischen Radial-Tuben mit ihren Rändern verwachsen sind und 
prismatische radiale Intercanäle zwischen sich lassen, tritt das Wasser zunächst in 
diese letzteren hinein, und aus ihnen erst durch die Hautporen in die Tuben-Höh- 
lung. Bei den Syconen des Syconusa-Typus endlich, wo die prismatischen Radial- 
Tuben völlig mit ihren Flächen verwachsen sind, kann das Wasser nur an der ebenen 
Dermalfläche des Körpers, durch die Poren oder Dermal-Ostien der Distal-Enden 
in die Radial-Tuben eintreten. Da diese aber unter einander durch die unregelmäs- 
sigen Conjunctiv-Poren communieiren, kann sich die Wasser-Strömung in den Tuben 
ein wenig unregelmässig gestalten, während sie sonst bei den übrigen Syconen regel- 
mässig in centripetal-radialer Richtung gegen die Magenhöhle gerichtet ist. Am 
proximalen Ende jedes Radial-Tubus tritt das Wasser durch dessen Gastral-Ostium 
in die Magenhöhle ein. Da diese auch bei den Syconen, wie bei den Leuconen, 
ihr ursprüngliches Geissel-Epithel verloren hat, fungirt sie nicht mehr, wie bei den 
Asconen, als Ernährungs-Organ, sondern bloss als grosses centrales Wasser-Reservoir 


368 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


und bei den mit Mundöffnung versehenen Syconen zugleich als „Ausströmungshöhle“ 
(Cloaca). 

Die regelmässige centripetale Stromesrichtung, wie sie in dieser Weise 
gewöhnlich bei den meisten Schwämmen stattfindet, der Eintritt des Wassers durch 
die Poren der Dermalfläche und der Austritt durch die Oscula, ist nun aber keines- 
wegs der einzige und ausschliessliche Modus der Wasserbewegung, wie man bisher 
fast allgemein, aber irrthümlich angenommen hat. Vielmehr erleidet diese Regel 
bei sehr vielen Spongien wichtige Ausnahmen. Schon Jonnsron hat vor dreissig 
Jahren darauf hingewiesen, dass bei allen jenen Spongien, welche keine Oscula be- 
sitzen, natürlich das Wasser durch die Poren ebenso ausströmen, wie einströmen 
müsse !). Später hat dann MıxLucno (an 4Sscetta biunca und einigen anderen Spon- 
gien) gezeigt, dass die Stromesrichtung unter gewissen Umständen eine wechselnde 
ist, und dass bisweilen durch das Osculum Wasser ebensowohl einströmen als aus- 
strömen kann?). Ich selbst habe mich von der Richtigkeit dieser Angabe durch 
eigene Anschauung überzeugt und mehrfach bei verschiedenen Kalkschwämmen, be- 
sonders bei Asconen, diese zeitweilige Function der Mundöffnung als „Einströmungs- 
Oeffnung“ beobachtet. Um diese wichtigen Ausnahmen von der gewöhnlichen Stro- 
mesrichtung im Canal-System der Spongien richtig zu würdigen, müssen wir das 
Verhalten der mundlosen und der mündigen Schwämme unterscheiden. 

Bei allen mundlosen oder lipostomen Spongien ist es ohne Weiteres 
selbstverständlich, dass das Wasser durch die Hautporen nothwendig ebenso aus- 
treten, wie eintreten muss. Die Zahl dieser Spongien ohne Mundöffnung ist nun 
aber, wie ich oben gezeigt habe (p. 267) keineswegs gering, und der völlige Verlust 
des Osculum tritt bei Schwämmen der verschiedensten Gruppen ein. Sehr oft wächst 
dasselbe im Alter bei solchen Spongien zu, welche in der Jugend ein offenes Osculum 
besitzen. Unter den Kalkschwämmen ist der Mundverlust oder die Lipostomie am 
häufigsten bei den Asconen, seltener bei den Leuconen, am seltensten bei den Syconen. 
Bei allen diesen Schwämmen dient ein Theil der Hautporen oder der Dermal-Ostien 
zum Eintritt, ein anderer zum Austritt des Wassers. Bei den mundlosen solitären 
Personen (Clistolynthus, Lipostomella, Sycocystis) fungiren gewöhnlich die Poren 
der aboralen Körperhälfte als „Einströmungs-Löcher“, die Poren der entgegengesetzten 
oralen Hälfte als „Ausströmungs-Löcher“. Bisweilen findet aber auch das Umgekehrte 
statt. Bei den mundlosen Stöcken (Auloplegma, Aphroceras, Sycophyllum) ist die 
Stromesrichtung bald regelmässig, bald unregelmässig. Gewöhnlich findet auch hier 
zwischen den Poren der Dermalfläche eine Arbeitstheilung statt, so dass ein Theil 
derselben als Eintrittsöffnungen, ein anderer Theil als Austrittsöffnungen für das 


1) Jounston, History of British Sponges etc. 1842, p. 47. Anm. 
2) MıkLucno-MAcLAy, Ueber den coelenterischen Apparat der Schwämme. ‚Jenaische Zeitschr. f. 


Med. u. Nat. 1868. Bd. IV, p. 232. 


* 
1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 369 


Wasser fungirt. Bisweilen scheint aber hier auch theilweise ein Wechsel der Func- 
tion stattzufinden, so dass ein und derselbe Porus Wasser bald eintreten bald aus- 
treten lässt. 

Die Mundöffnung oder das Osculum, welches gewöhnlich nur als Egestions- 
Oeffnung fungirt, nimmt in bestimmten Fällen auch die Function einer Ingestions- 
Oeffnung an. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Hautporen mündiger 
Personen geschlossen werden, während das Osculum offen bleibt. Die fortdauernde 
Geisselbewegung erzeugt dann in der Magenhöhle einen Strudel, welcher ein gleich- 
zeitiges Einströmen und Ausströmen von Wasser durch die Mundöffnung bewirken 
kann. Wenn ferner der Spongien-Körper in stark zusammengezogenem Zustande 
seine Poren schliesst, während die Mündung offen bleibt, darauf aber sich langsam 
wieder ausdehnt, indem die Contraction der Magenwand nachlässt, so muss nothwendig 
ein Wasserstrom in die sich erweiternde Magenhöhle eintreten. Endlich scheint unter 
gewissen Umständen auch bei geöffneten Hautporen das Osculum zeitweise als Ein- 
strömungsloch zu fungiren. 


Geschwindigkeit und Dauer der Wasserströmung. 


Bei allen Spongien unterliegt, wie es scheint, die Geschwindigkeit der Wasser- 
strömung zeitweise bedeutenden Veränderungen. Die Geisselbewegung der Entoderm- 
Zellen, welche die Strömung hervorruft, ist bald schneller, bald langsamer, und 
hört zeitweilig ganz auf. Dieser Wechsel in der Thätigkeit der Geisselzellen und 
der dadurch bedingten Wasserströmung ist theilweise abhängig von dem Ernährungs- 
zustande der Spongie, theilweise von der Beschaffenheit des Wassers. Es sind vor- 
züglich die Experimente und Beobachtungen von BOWERBANK, LIEBERKÜHN und 
CARTER, welche über diese Erscheinungen Aufschluss gegeben haben. Die Beobach- 
tung derselben geschieht am besten bei schwacher Vergrösserung in Wasser, welchem 
fein zerriebene unschädliche Farbstoffe, Carmin oder Indigo etc., zugesetzt sind. 

Zunächst scheint die Geschwindigkeit der Geisselbewegung und der durch sie 
bewirkten Wasserströmung abzuhängen von dem Nahrungs-Bedürfniss, bezüglich dem 
Sättigungs-Zustande des Schwammes. Wenn die Spongie hungrig ist, und wenn sie 
reichlich Nahrung aufnimmt, ist die Geisselbewegung sehr energisch und die Was- 
serströmung sehr rasch. Umgekehrt verhält es sich, wenn der Schwamm bereits 
reichlich Nahrung aufgenommen hat und gesättigt ist. BOWERBANK unterscheidet 
in dieser Beziehung zwei verschiedene Zustände: einen länger dauernden Zustand 
langsamer Strömung und einen kürzer dauernden Zustand lebhafter Strömung. Der 
erstere Zustand soll der gewöhnliche sein. Der Schwamm ist in demselben ziemlich 
zusammengezogen; die Poren und Oscula sind mässig geöffnet oder auch theilweise 
geschlossen. Das Wasser wird langsam und in einem continuirlichen Strome durch 
den Körper hindurch geleitet. Während dieses Zustandes soll nach BOWERBANK 

Hacckel, Kalkschwämme, 1. 24 


370 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


vorzugsweise die Respiration, aber nicht die Digestion stattfinden. In dem zweiten 
Zustande hingegen soll umgekehrt nur Nahrungsaufnahme und Verdauung, keine 
Athmung stattfinden. Dieser Zustand soll nur kurze Zeit dauern und nur in langen 
Zwischenräumen eintreten. Der Körper ist dabei schlaff ausgedehnt; die Poren und 
Oscula stehen weit offen. Das Wasser wird sehr lebhaft und in einem periodisch 
verstärkten Strome durch das Gefäss-System hindurch getrieben. Beide Zustände 
gehen langsam in einander über. !). 

Dass die Wasserströmung im Körper aller Spongien in dieser Weise einem regel- 
mässigen Wechsel von lebhafter Action, welche der Verdauung dient, und von 
langsamer Action, welche die Athmung vermittelt, unterworfen sei, ist sehr zu 
bezweifeln. Ich vermag nicht einzusehen, warum bei lebhafter Wasserströmung die 
Athmung und bei langsamer Wasserströmung die Verdauung ausgeschlossen sein 
soll. Im Gegentheil könnte man eher das Umgekehrte behaupten. Denn jedenfalls 
wird in einer und derselben Zeit bei rascher Strömung eine viel grössere Menge von 
Sauerstoff über die respiratorische Fläche geführt, als bei langsamer Strömung. Die 
eigenthümlichen Bewegungen der Geisselzellen aber, welche ihre Verdauungsthätig- 
keit vermitteln, sind der Beschleunigung des Wasserstromes wohl eher hinderlich 
als förderlich. Es liegt daher kein Grund vor, anzunehmen, dass in dieser Weise 
eine zeitliche physiologische Arbeitstheilung zwischen den beiden Ernährungs-Func- 
tionen der Digestion und Respiration stattfindet. Jedenfalls ist es ganz willkührlich 
und unrichtig, wenn BOWERBANK ausserdem auch noch diese beiden Funetionen auf 
verschiedene Organe vertheilt, nämlich die Digestion auf die „Interstitial-Canäle“ 
und die Respiration auf die „Intermarginal-Höhlungen“. Abgesehen davon, dass diese 
beiderlei Theile des Gastrocanal-Systems bei sehr vielen Spongien gar nicht von 
einander getrennt sind, dass sie überhaupt nicht wesentlich verschieden sind, und dass 
BOWERBANK selbst sie vielfach verwechselt, liegt gar kein Grund vor, den Inter- 
stitial-Canälen eine besondere Thätigkeit bei der Verdauung und den Intermarginal- 
Höhlen eine besondere Bedeutung für die Athmung zuzuschreiben. Alle diese Höh- 
lungen des Gastrocanal-Systems erscheinen vielmehr nur in soweit bei beiden Func- 
tionen des Ernährungs-Processes betheiligt, als sie mit Geisel-Epithel ausgeklei- 
det sind. 

Die Ursache der periodisch wechselnden Beschleunigung und Verlangsamung des 
Wasserstromes ist also nicht in dieser zeitlichen und räumlichen Arbeitstheilung der 
beiden Functionen der Digestion und Respiration zu suchen, sondern vielmehr in 
dem wechselnden Nahrungs-Bedürfnisse der Spongie, welches sich ebensowohl 
auf die erstere als auf die letztere beziehen kann. Sowohl wenn der Schwamm 
neues Nahrungs-Material, als wenn er mehr Sauerstoff bedarf, wird die Geisselbe- 
wegung und dadurch der Wasserstrom beschleunigt. Wenn hingegen von beiden 


1) BOWERBANK, Brit. Spong. Vol. I, p. 113— 121. Imhalation and Exhalation, 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 371 


Bedürfnissen, von Nahrungsmitteln und Sauerstoff, Ueberfluss vorhanden oder der 
Schwamm gesättigt ist, wird in der Geisselbewegung und somit auch in der Wasser- 
strömung ein Nachlass oder selbst ein völliger Stillstand eintreten. 

Ausserdem scheint auch der Reiz, den eine reichliche Nahrungs-Zufuhr aus- 
übt, beschleunigend auf die Geisselbewegung und die Wasserströmung zu wirken. 
Hierfür spricht einfach der Umstand, dass die Spongien sich ausdehnen, ihre Poren 
und Oscula weit öffnen und durch schnellere Geisselbewegung einen lebhafteren Was- 
serstrom erzeugen, wenn man sie aus reinem Seewasser in solches versetzt, das viel 
Nahrungs-Material enthält; ebenso aber auch, wenn man sie aus abgestandenem und 
kohlensäurereichem Wasser in frisches und sauerstoffreiches Wasser versetzt. In 
beiden Fällen wirkt die Nahrungs-Zufuhr des brauchbaren Stoffes (im ersten Falle 
des rohen Nahrungs-Materials oder des Brennstoffes, im zweiten Falle des Sauer- 
stoffes) reizend auf die Geisselzellen und beschleunigt deren Bewegung. 

Der völlige Stillstand der Wasserströmung im Spongien-Körper ist bis- 
her noch wenig berücksichtigt worden. Es ist aber unzweifelhaft, dass derselbe bei 
vielen, wahrscheinlich bei allen Spongien vielfach während des individuellen Lebens 
eintritt. Vielleicht wechselt er regelmässig mit Perioden der Wasserströmung ab. 
Bei vielen Kalkschwämmen, welche ich unverletzt, ganz frisch und unmittelbar aus 
dem Meere unter das Mikroskop brachte, konnte ich nicht die Spur von Wasser- 
strömung wahrnehmen und bei mikroskopischer Untersuchung von Schnitten derselben 
fand ich die Geisselzellen bald scheinbar todt, mit stillstehender oder nur ganz 
schwach sich bewegender Geissel, bald in amoeboiden Zuständen, bald rundlich zu- 
sammengezogen, ohne Geissel und ohne amoeboide Fortsätze. Viele von diesen Kalk- 
schwämmen liessen aber wieder lebhafte Geisselbewegung und Wasserströmung wahr- 
nehmen, nachdem sie mehrere Stunden ruhig in einem Gefässe gestanden hatten. 

Ferner hat schon BOwERBANK darauf aufmerksam gemacht (l. c. p. 118), dass 
viele littorale Spongien regelmässig ihre Poren und Oscula schliessen, wenn sie wäh- 
rend der Ebbe der Einwirkung der athmosphärischen Luft ausgesetzt werden. Be- 
sondere Bedeutung besitzt dieses Verhalten bei den Kalkschwämmen, welche zum 
grössten Theile littoral sind. An denjenigen Küsten, welche starke Ebbe und Fluth 
besitzen, werden die innerhalb der Ebbe-Grenzen wachsenden Kalkschwämme regel- 
mässig stundenlang an die Luft gesetzt, und wahrscheinlich tritt dann meistens zu- 
gleich mit dem Verschluss der Poren und Oscula auch ein Stillstand der Geisselbe- 
wegung ein. Sollte dieselbe während dieses Zustandes fortdauern, so würde das zu- 
rückgebliebene Wasser dadurch in dem geschlossenen Gastrocanal-System umherge- 
trieben werden und in diesem einzigen Falle wirklich eine Art „Cireulation“ statt- 
finden. 

Endlich ist es schon durch die früheren Beobachtungen und Fütterungs-Experi- 
mente von LIEBERKÜHN, ÜARTER, BOWERBANK u. S. w. dargethan, dass ein völliger 

24 * 


372 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Stillstand der Wasserströmung (und wahrscheinlich auch der Geisselbewegung) ein- 
tritt, wenn die Spongien zu reichlich mit Nahrungs-Material überhäuft und über- 
füttert werden. In diesem Zustande völliger Sättigung oder Uebersättigung schliessen 
die Schwämme ihre Poren und Oscula, und es vergehen mehrere oder viele Stunden, 
selbst Tage, ehe sie sich wieder öffnen und ehe die unterbrochene Wasserströmung 
aufs Neue beginnt. Dieser Ruhezustand scheint recht eigentlich der Verdauung und 
Assimilation der aufgenommenen Nahrungsstoffe zu dienen. 


Nahrungsaufnahme und Verdauung. 


Die Nahrung, welche die Kalkschwämme aufnehmen, besteht zum grössten Theile, 
wie es scheint, aus den mikroskopischen festen Theilchen von zerstörten thierischen 
oder pflanzlichen Geweben, von denen das Seewasser der Küsten überall, namentlich 
in der Litoral-Zone, eine mehr oder minder reichliche Menge enthält. Ausser- 
dem ist es aber möglich und selbst wahrscheinlich, dass auch die flüssigen organi- 
schen Substanzen, welche als Ueberbleibsel von faulenden Thier- und Pflanzen- 
Körpern sich im Seewasser der Küsten gelöst vorfinden, den Schwämmen als Nah- 
rungsmittel dienen. Wahrscheinlich werden ausserdem auch kleinere, namentlich 
mikroskopische Organismen (Infusorien, Rhizopoden, Diatomeen, Flagellaten etc.), 
welche gelegentlich in die Wasserströmung des Spongien-Körpers hineingerathen, 
als Nahrungsmittel verwerthet. 

Die Geisselzellen des Entoderms scheinen die einzigen Organe der Ver- 
dauung, der Aufnahme, Assimilation und Resorption der Nahrungsmittel zu sein. 
Ob ausserdem auch das Syneytium des Exoderms im Stande ist, Nahrung aufzu- 
nehmen, erscheint sehr zweifelhaft, und ist mir nicht glaublich. Doch soll nach 
den Angaben von LiEBERKÜHN und BOWERBANK (bei Spongilla und bei anderen Kie- 
selschwämmen) auch das Exoderm bei Fütterungs-Experimenten die dazu verwendeten 
Farbstoffe in zweiter Linie mit aufnehmen. 

Bei allen Kalkschwämmen, und ebenso wohl auch bei allen übrigen Spongien 
sind die Geisselzellen des Entoderms fähig, feste sowohl als flüssige 
Stoffe in sich aufzunehmen. Sie können sowohl „essen“ als „trinken“. Diese 
fundamentale Thatsache ist durch zahlreiche positive Beobachtungen und Experi- 
mente ausser Frage gestellt. 

Die Aufnahme fester und geformter Körperchen durch die Geisselzellen ist durch 
zahlreiche Fütterungs-Experimente mit Carmin- und Indigo-Körnchen festgestellt, wel- 
che BOWERBANK, LIEBERKÜHN und CARTER bei Spongilla, Sycandra und anderen 
Schwämmen angestellt haben. Ich selbst habe diese Experimente bei Kalkschwäm- 
men aller drei Familien, bei Asconen, Leuconen und Syconen, sowohl in Norwegen 
als in Dalmatien mit gleichem Erfolge wiederholt. Schon kurze Zeit, nachdem man 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 373 


fein zerriebenen Carmin oder Indigo in das Gefäss gebracht hat, in welchem sich 
die lebenden Kalkschwämme befinden, beginnt die Nahrungsaufnahme. Die Körn- 
chen, welche mit der Dermalfläche der Spongien in Berührung kommen, werden 
von der Wasserströmung durch die Hautporen in das Innere des Gastrocanal-Systems 
hineingezogen und kommen hier mit den Geisselzellen in Berührung, von welchen 
sie unmittelbar aufgenommen oder gefressen werden. Wenn man einige Stunden 
nach dieser Fütterung Schnitte durch den Schwamm macht, findet man diejenigen 
Theile des Gastrocanal-Systems, welche mit Geisselzellen belegt sind, gefärbt, und 
wenn man die letzteren bei starker Vergrösserung untersucht, findet man sie mehr 
oder weniger dicht mit Pigment-Körnchen angefüllt, welche sich rings um den 
Kern in dem granulösen Endoplasma der Geisselzelle angehäuft haben. 

Der Weg und die Art und Weise, auf welche die festen Körnchen in das In- 
nere der Geisselzelle eindringen, ist noch nicht sicher ermittelt. JamESs-CLARrK (. c. 
p. 22) meint, dass jede Geisselzelle oder „Monade“ eine beständige Mundöffnung be- 
sitze und mit deren Hülfe fresse; ebenso wie er es für die Flagellaten annimmt, 
welche er für nächste Verwandte der Schwämme hält. In der unberechtigten Vor- 
aussetzung, dass die Geisselzellen einen solchen Mund besitzen, erklärt er dieselben 
sogar für wirkliche Flagellaten und die ganzen Schwämme für Infusorien-Colonien 
(vergl. oben p. 25 und p. 156). In Wirklichkeit hat aber weder JAMES-CLARK noch 
irgend ein anderer Beobachter eine solche constante Mundöffnung an den Geissel- 
zellen der Spongien jemals gesehen, und es ist vielmehr mit Bestimmtheit anzuneh- 
men, dass die Aufnahme fester Körperchen in dieselben auf ganz gleiche Weise wie 
bei den Amoeben und den amoeboiden Zellen überhaupt erfolgt: nämlich durch un- 
beständige und vorübergehende Oeffnungen, welche sich in der dünnen Rindenschicht, 
in dem hyalinen Exoplasma der Zelle, an verschiedenen Stellen bilden können. 

Die Geisselzellen, welche in den lebenden Kalkschwämmen das Gastrocanal- 
System oder einen Theil desselben auskleiden, zeigen, so lange sich ihre Geissel in 
lebhaften Schwingungen befindet, gewöhnlich an der Basis derselben den eigenthüm- 
lichen ringförmigen Kranz, welchen ich oben als Kragen oder Collare der Geissel- 
zelle beschrieben habe (vergl. p. 141 und Taf. 1, Fig. 8; Taf. 13, Fig. 3; Taf. 25, 
Fig. 5 ete.). Derselbe umgiebt einen bald mehr cylindrischen, bald mehr trichter- 
förmigen Hohlraum, in dessen Axe sich der Basaltheil der Geissel befindet. Es 
scheint nun, dass durch die Bewegungen der Geissel ein Strudel erzeugt wird, wel- 
cher die feinen Körnchen, die in ihn hineingerathen, gegen die Basis der Geissel 
hin in jenen Hohlraum hinein treibt. Da wo die hyaline Exoplasma -Lamelle am 
dünnsten ist, in einer ringförmigen Furche zwischen der Geissel-Basis und der Kra- 
gen-Basis, dringen die Körnchen durch jene Lamelle hindurch in das innere körnige 
Endoplasma hinein. Vielleicht genügt der Stoss, den sie, von dem Strudel in die 
Trichterhöhle hineingewirbelt, auf die dünnste Stelle jener ringförmigen Furche aus- 


374 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


üben, um diese zu durchboren und die Körnchen ‘durch sie hindurch in das innere 
Endoplasma hineinzutreiben. Vielleicht sind hierbei aber auch noch andere Vor- 
gänge wirksam, die bis jetzt unserem Blicke entzogen blieben. 

Das Syncytium des Exoderm ist wahrscheinlich bei der Verdauung und Assi- 
milation der Nahrungsstoffe direct gar nicht betheiligt, und erhält sein Nahrungs- 
Material durch die Geisselzellen nur in bereits assimilirter Form zugeführt. Aller- 
dings können bei Fütterungs-Versuchen mit Pigmentkörnern solche auch in die Sar- 
codine des Syncytium eindringen, entweder von den dermalen oder von den gastra- 
len und canalen Flächen aus. Ebenso findet man oft auch fremde Körper verschie- 
dener Art, namentlich sternförmige Kalknadeln von Aseidien (Didemnum, vergl. oben 
p- 172), sternförmige und andere Kieselnadeln von Kieselschwämmen, Fragmente von 
Echinodermen-Gerüsten, Kalkschalen von Polythalamien, Kieselschalen von Diato- 
meen und Radiolarien, Chlorophyll-Körner von Algen etc. hie und da im Syneytium 
der Kalkschwämme zerstreut vor. Indessen scheinen diese fremden Körper meistens 
durch äussere Gewalt mechanisch in das Syneytium hinein gedrängt zu sein. Mög- 
lich bliebe immerhin, dass das letztere auch activ an seiner Oberfläche geformte 
Körper aufnehme, mittelst der eigenthümlichen Pseudopodien-Bildung der Sarcodine, 
über welche nachher in der Mechanik berichtet werden soll. 

Die Anhäufungen von Fettkörnchen und von Pigmentkörnchen, welche man sehr 
oft in ansehnlicher Menge rings um die Kerne des Syneytium (ebenso wie innerhalb 
der Geisselzellen) abgelagert findet, sowie überhaupt die oben (p. 166) als Sarco- 
dine-Granula bezeichneten Körnchen sind wahrscheinlich als Producte des Stoff- 
wechsels zu betrachten, welche erst im Syneytium selbst gebildet, vielleicht jedoch 
auch aus den Geisselzellen hinein gelangt sind. 


Respiration. 


Die Kalkschwämme athmen, gleich den übrigen Schwämmen, Sauerstoff ein und 
Kohlensäure aus. Bei allen Schwämmen scheint der Respirations-Process sehr ener- 
gisch, und die Quantität von Sauerstoff, welche sie zu ihrer Existenz bedürfen, sehr 
beträchtlich zu sein. Alle Beobachter, welche lebende Schwämme anhaltend unter- 
sucht haben, stimmen darin überein, dass sie in kleinen Glasgefässen, welche wenig 
Wasser enthalten, sehr rasch absterben; und nur in grossen Glasgefässen mit einer 
beträchtlichen Wassermenge, und bei öfterem Wechsel des Wassers, längere Zeit am 
Leben gehalten werden können. Dies gilt ebenso von allen Seeschwämmen, wie von 
dem Süsswasserschwamme (Spongilla). Auch die Kalkschwämme sind in dieser Be- 
ziehung sehr empfindlich und bedürfen beständig viel Sauerstoff. In kleinen Glasge- 
fässen mit wenig Wasser sterben sie sehr rasch und zersetzen sich unter Entwickelung 
jenes eigenthümlichen üblen Geruches, der die faulenden Spongien überhaupt auszeich- 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 375 


net, und der deutlicher für ihre thierische Natur Zeugniss ablegt, als viele andere 
Erscheinungen. 

Die Respiration der Spongien wird zunächst durch den Wasserstrom vermittelt, 
welchen die Geisselbewegung des Entoderms durch den Schwammkörper hindurchleitet. 
Wie bereits angeführt wurde, betrachtet BOowERBANK als wesentlich respiratorisch 
nur die langsame und anhaltende Form der Wasserströmung. Indessen ist kein 
Grund vorhanden, anzunehmen, dass bei der schnellen und lebhaften Form derselben, 
welche vorzugsweise der Verdauung dienen soll, die Respirations- Function ausge- 
schlossen werde. Ganz falsch ist entschieden die Annahme von BOWERBANK (l. c. 
p-. 120), dass die Respiration bloss in den „intermarginal cavities“ stattfinde, nicht 
in den „digestive interstitial canals and cavities“ (vergl. p. 370). 

Wahrscheinlich dienen die nutritiven Geissel-Zellen des Entoderms dem Athmungs- 
Processe der Schwämme nicht allein dadurch, dass sie den respiratorischen Wasser- 
strom erzeugen, sondern auch dadurch, dass sie selbst den Gas-Austausch vermitteln, 
Sauerstoff einathmen und Kohlensäure ausathmen. Indessen ist es wohl möglich, dass 
derselbe Gasaustausch ausserdem auch durch die Sarcodine des Syncytium besorgt 
wird, welche in den nicht mit Geissel-Epithel belegten Flächen des Canal-Systems 
(besonders bei den Leuconen), dem Wasser ebenso wie auf der äusseren Dermalfläche 
eine beträchtliche Berührungsfläche darbietet. 

Der Respirations-Process scheint bei allen Spongien nicht- ununterbrochen fortzu- 
dauern, sondern zeitweise unterbrochen zu werden. Das geschieht jedenfalls dann, 
wenn die Schwämme im Zustande der Ueberfütterung, oder wenigstens der vollständigen 
Sättigung mit Nahrungsstoffen, ihr Gefäss-System eine Zeit lang schliessen. Die Geis- 
selbewegung scheint dann völlig aufzuhören, und da die Poren sowohl wie die Oscula 
sich schliessen, ist auch kein Eintritt von frischem Wasser in das Canal-System mög- 
lich. Nur die äussere Dermalfläche kann während dieser Zeit möglicherweise eine 
Art Respiration unterhalten. 


Secretion und Excretion. 


Die Functionen der Abscheidung und Ausscheidung werden bei den Kalkschwäm- 
men, wie bei den übrigen Schwämmen, theils von den Geisselzellen des Entoderm, 
theils von dem Syncytium des Exoderm vollzogen. Die Secrete und Excrete wer- 
den theils in flüssiger, theils in fester Form abgeschieden. Wenn man, wie es ge- 
wöhnlich geschieht, unter Secret eine Absonderung versteht, welche noch bestimmte 
Functionen in der Oeconomie des Organismus vollzieht, unter Excret hingegen 
eine Absonderung, welche nur unbrauchbare und zersetzte Bestandtheile aus dem 
Organismus zu entfernen hat, so würden wir bei den Kalkschwämmen als Secret 
eigentlich nur die kohlensaure Kalkerde ansehen können, welche im Exoderm abge- 
lagert wird, und welche zu Nadeln umgeformt das Skelet bildet. Als Excret hin- 


376 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


gegen würden wir die flüssigen und festen Stoffe zu betrachten haben, welche von 
den Geisselzellen in den Hohlraum des Canal-Systems hinein ausgeschieden und 
mit dem austretenden Wasserstrome entfernt werden. 

Dass den Geisselzellen des Entoderm ausschliesslich oder doch vorzugsweise 
ebenso die Ausscheidung der auszuführenden unbrauchbaren und zersetzten Nah- 
rungsbestandtheile, wie die Aufnahme der zu verdauenden und die Verdauung der 
aufgenommenen Nahrungsmittel zufällt, kann im Allgemeinen wohl als sicher ange- 
nommen werden. Hingegen ist uns die Natur dieser Ausscheidungen, und namentlich 
des flüssigen Excretes, welches dem Harne entspricht, noch völlig unbekannt. Sie 
würde auf jeden Fall sehr schwer zu erkennen sein und nur durch eine sorgfältige 
Analyse des Wassers, das aus dem Schwammkörper ausströmt, annähernd ermittelt 
werden können. Dieses Wasser enthält aber zugleich diejenigen festen Excrete, 
welche mit jenem hypothetischen Harne zugleich von den Geisselzellen ausgeschie- 
den werden, und ausserdem diejenigen geformten Excremente, grössere und kleinere 
Körperchen der verschiedensten Art, welche überhaupt nicht von den Geisselzellen 
aufgenommen, sondern verschmäht wurden, und einfach als unbrauchbare fremde 
Körper mit dem Wasserstrome durch den Schwammkörper hindurch getreten sind. 
Bei Fütterungs-Versuchen mit fein zertheiltem Carmin, Indigo ete., bei welchen sich 
die Geisselzellen reichlich voll essen, kann man beobachten, wie diese geformten 
Körperchen zum Theil längere Zeit (nach BowErBANK 12—14 Stunden) im Schwamm- 
körper verweilen nnd dann erst theilweise in veränderter Form, als klumpige Faecal- 
Ballen zusammengehäuft, mit dem ausströmenden Wasser entfernt werden. 

Die Kalkschwämme sowohl wie die übrigen Schwämme, sondern ein unbekann- 
tes flüssiges Secret oder Exeret ab, welches auf andere Thiere als Gift, und auf 
kleinere und zartere Organismen als tödtliches Gift wirkt. Diese letzteren sterben 
in kleineren Glasgefässen, welche Spongien in wenig Seewasser enthalten, meistens 
sehr rasch ab. Auch viele grössere Thiere können durchaus nicht die Gegenwart 
mancher Spongien vertragen und sterben in ihrer Gesellschaft sehr schnell, während 
sie in Glasgefässen mit derselben Quantität Seewasser, ohne die Spongien, lange 
Zeit lebendig bleiben. BOWERBANK, der diesen deletären Einfluss der Schwämme 
auf andere Thiere ebenfalls beobachtet hat, schiebt ihn bloss darauf, dass die 
Schwämme ihren Mitbewohnern den zur Respiration nöthigen Sauerstoff wegnehmen. 
Ich glaube indessen aus vielen Beobachtungen sicher auf die Absonderung einer be- 
sonderen giftigen Substanz schliessen zu können, welche vielleicht von den Spon- 
gien selbst (ähnlich dem Gift in den Nesselkapseln der Acalephen) zum Tödten zu- 
fällig sich nähernder Thierchen benutzt wird. Infusorien, Flagellaten, Würmerlar- 
ven etc., welche sich unvorsichtig Kalkschwämmen näherten und sie berührten, sah 
ich bisweilen plötzlich, wie gelähmt, ihre Bewegungen einstellen und dann durch 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 377 


den Wasserstrudel in das Canal-System hineingezogen werden. Wahrscheinlich wird 
dieses flüssige Gift von dem Syneytium abgesondert. 

Als viel wichtigeres Secret des Exoderms sind hier aber besonders die 
Kalknadeln zu nennen, welche das Skelet zusammensetzen. Die erste Entstehung 
dieses Kalk-Skelets ist phylogenetisch darauf zurückzuführen, dass kohlensaure 
Kalkerde, welche in gelöster Form mit dem ernährenden Wasserstrome aufgenom- 
men war, von der Sarcodine des Synceytium in fester Form, als geformtes Secret, 
abgeschieden wurde, und als solches zwischen den Kernen des Syneytium sich ab- 
lagerte. Hierbei nahm der kohlensaure Kalk eine halb krystallinische Beschaffen- 
heit an und gestaltete sich unter Aufnahme von Krystallwasser und in Verbindung 
mit einer geringen Quantität von organischer Substanz zu jenen individuellen, festen 
(nicht festflüssigen!) Körpern, welche durch die natürliche Züchtung als Spicula 
zur Skeletbildung benutzt, und späterhin durch die Wechselwirkung von Anpassung 
und Vererbung im Kampfe ums Dasein auf das Vielfältigste umgebildet und diffe- 
renzirt wurden. Ich betrachte diese Secretion der Spicula als einen Act des Stofl- 
wechsels, welcher der Ablagerung von krystallinischen Secreten (z. B. in den Nieren) 
bei anderen Organismen an die Seite zu stellen, und zwar nicht als vollständige 
Krystallisation, wohl aber als Biokrystallisation zu deuten ist; d.h. als eine 
Combination der krystallisirenden Thätigkeit des kohlensauren Kalks und der 
organisirenden Thätigkeit der Sarcodine. Die Kalk-Spicula der Caleispongien 
wären demnach als Biokrystalle aufzufassen, als Form-Individuen, welche ein 
Mittelding zwischen einem anorganischen Krystalle und einem organischen Secrete 
darstellen, und deren erste Entstehung auf einem Compromisse zwischen dem Kry- 
stallisations-Bestreben des kohlensauren Kalks und der formativen Thätigkeit der 
verschmolzenen Zellen des Syncytiums beruht. 

Die Gründe für diese Auffassung, deren Bedeutung für die generelle Biologie 
mir nicht gering zu sein scheint, finde ich vor allen in der Morphologie, in der Ent- 
wickelung und in dem Wachsthum der Spieula. Das Wachsthum derselben ist ein 
anorganisches; es erfolgt wie bei den Krystallen durch Apposition; die ver- 
gleichende Anatomie und Entwickelungsgeschichte aber weist nach, dass alle die 
mannichfaltigen Formen der Spieula bei den Kalkschwämmen auf zwei ganz einfache 
und ursprüngliche Grundformen zurückgeführt werden können. Die ursprüngliche 
Grundform aller Stabnadeln ist die absolut-reguläre Spindel, oder ein Cylinder, auf 
dessen beiden Grundflächen zwei congruente Kegel mit gewölbten, Mantelflächen auf- 
sitzen. Die ursprüngliche Grundform aller Dreistrahler und Vierstrahler aber ist, 
wie ich oben bereits gezeigt habe (p. 183) der absolut reguläre Dreistrahler, der als 
eine hemiaxonie Form des hexagonalen Krystall-Systems betrachtet wer- 
den kann, in welchem die kohlensaure Kalkerde als Kalkspath krystallisirt. An 
diese Auffassung lassen sich weittragende allgemeine Folgerungen knüpfen. 


378 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Pigmentbildung und Färbung. 


Als unmittelbare Producte des Stoffwechsels kommen hier nächst den Abschei- 
dungen auch die Pigmente in Betracht, welche manchen Kalkschwämmen eine leb- 
hafte Färbung verleihen. Allerdings fällt gewöhnlich die Färbung der Caleispongien 
wenig in die Augen, und ist selten so lebhaft oder selbst bunt, wie bei vielen Kie- 
selschwämmen. Die Mehrzahl der Arten erscheint in lebendigem Zustande weiss. 
Mehrere Autoren haben die weisse Färbung sogar in die allgemeine Characteristik 
der ganzen Gruppe aufgenommen, so namentlich Jounston und O. Scumipr. Der 
Letztere characterisirt die Kalkschwämme (1362) als: „Spongiae parvae, plerum- 
que albicantes, corpore spieulis calcareis pertexto.“ Auch nahm er an, dass die- 
jenigen Arten, welche sich durch besondere Färbung auszeichneten, wesentlich mit 
dadurch characterisirt seien, wie z. B. unter den Asconen die rothe „Grantia pul- 
chra“ und die gelbe „Grantia clathrus“, im Gegensatze zu der weissen „Grantia 
Lieberkühnii“ 1). Dies ist indessen nicht der Fall. Vielmehr habe ich gefunden, 
dass die Färbung der pigmentirten Arten keineswegs constant, und nicht als speci- 
fischer Character zu verwerthen ist. 

Die Mehrzahl der Kalkschwämme erscheint in lebendem Zustande, im Meer- 
wasser und frisch aus dem Meere genommen an der Luft weiss. Die weisse Farbe 
ist aber nicht durch ein besonderes weisses Pigment bedingt, sondern durch die 
Kalk-Nadeln, welche dicht gedrängt in mehreren Schichten über einander liegen. 
Bei durchfallendem Lichte erscheinen alle diese weissen Kalkschwämme auf dün- 
nen Schnitten völlig farblos. Weder an dem Syncytium, noch an den Geisselzellen 
ist die Spur von weissem Pigment zu finden; sie sind vielmehr völlig durchschei- 
nend und farblos. Der Kalk der durchsichtigen und farblosen Spicula allein bedingt 
bei auffallendem Lichte die weisse Färbung. Man muss daher eigentlich nicht 
zwischen weissen und anders gefärbten, sondern zwischen farblosen und pigmentir- 
ten Kalkschwämmen unterscheiden. 

Die pigmentirten Kalkschwämme sind in der Regel einfarbig, selten mehr- 
farbig oder bunt. Nur unter den Asconen sind bis jetzt mehrfarbige Individuen 
gefunden worden, nicht unter den Leuconen und Syconen. Ein ausgezeichnet bunter 
Schwamm ist Ascaltis cerebrum von Lesina (System p. 55), deren grosse Aulo- 
plegma-Stöcke (Taf. 8) ich zwar gewöhnlich weiss fand, häufig aber auch an einzel- 
nen Stellen in das Gelbliche oder Röthliche spielend, und bisweilen schön goldgelb, 
orange oder zinnoberroth gefleckt; die bunten Flecken waren meistens verwaschen, 
seltener scharf umschrieben. 

Die Pigmentirung ist innerhalb der Species meistens (und wahrscheinlich im- 
mer) veränderlich, nicht constant. Wenigstens ist diese Unbeständigkeit der Fär- 


1) Oscar ScHMmipT, Adriat. Spong. I. Supplem. p. 24. 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 379 


bung bis jetzt bei allen pigmentirten Caleispongien gefunden worden, von denen 
eine grössere Zahl von Individuen untersucht wurde. Hingegen ist bis jetzt keine 
einzige Species von Kalkschwämmen in zahlreichen Exemplaren untersucht worden, 
bei welcher eine bestimmte Farbe als constant, und daher als characteristisch für 
die Species bezeichnet werden könnte. Das Pigment ist bisweilen sehr lebhaft. 
Besonders einzelne Asconen zeichnen sich dadurch aus, weniger Leuconen und 
am wenigsten Syconen. 

Besonders bemerkenswerth durch lebhafte und bei den verschiedenen Indivi- 
duen mannichfach verschiedene Pigmentirung sind mehrere Arten von Ascetta, na- 
mentlich A. primordialis, A. coriacea und A. elathrus, welche an verschiedenen 
Standorten weiss, gelb, orange, roth, braun, seltener grau oder blau gefunden wer- 
den. Bei A. coriacea ist diese auffallende Inconstanz schon den früheren Beobach- 
tern, JOHNSTON, BOWERBANK, BUCKLAND, NORMAN aufgefallen. Die merkwürdige 
Ascetta elathrırs glaubte O. Scumipr durch ihre lebhaft gelbe Farbe characterisiren 
zu können; ich fand aber dieselbe Art bei Lesina auch weiss, röthlich, gelbbraun 
oder dunkelbraun. Die drei canarischen Asconen, welche MıktLucno als Nardoa 
eanariensis, N. sulphurea und N. rubra beschrieb, sind lediglich Farben-Varie- 
täten einer und derselben natürlichen Art (Ascaltis canariensis). Die sehr leb- 
haft pigmentirten Farben-Varietäten von Ascetta primordialis, welche bei Lesina 
an verschiedenen Küstenstellen vorkommen, insbesondere eine schwefelgelbe, eine 
orangerothe und eine purpurrothe Varietät, habe ich selbst anfänglich für verschie- 
dene Species gehalten, bis ich mich durch die genaueste Untersuchung überzeugte, 
dass in den gröberen und feineren Structur-Verhältnissen auch nicht der mindeste 
Unterschied zu finden ist. Es ist also klar, dass die Färbung der Kalkschwämme 
für die Species-Unterscheidung völlig werthlos ist. 

Die Farbe der pigmentirten Kalkschwämme ist am häufigsten gelb, roth oder 
braun. Die gelbe Farbe ist meistens rein schwefelgelb oder goldgelb, seltener leder- 
gelb oder braungelb. Die rothe Farbe ist meistens orangeroth oder mennigroth, 
seltener purpurroth oder rothbraun. Die braune Farbe geht durch alle Töne von 
hellem Gelbbraun bis zum dunkeln Schwarzbraun. Sehr selten findet sich die vio- 
lette, blaue oder grüne Farbe. 

Die mikroskopische Untersuchung der pigmentirten Kalkschwämme zeigt, dass 
das Pigment gewöhnlich nur in den Geisselzellen des Entoderm seinen Sitz hat, 
und hier an den endoplasmatischen Körnchen haftet, welche um den Nucleus herum 
angehäuft sind. Das hyaline Exoplasma derselben ist ganz farblos. Ebenso ist 
auch das Syncytium des Exoderm völlig farblos. Bisweilen aber finden sich in der 
Sarcodine des Exoderm dieselben Pigmentkörner, welche auch die Geisselzellen 
färben. Dieselben liegen dann in Form von rundlichen oder sternförmigen Haufen 
rings um die Kerne des Syneytium angehäuft, während die Zwischenräume zwischen 


380 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


den Kernen ganz frei davon sind. So fand ich namentlich bei der schwefelgelben 
und bei der orangerothen Varietät von Ascetta primordialis, welche bei Lesina auf 
Algen an den Felsen unmittelbar unter der Thüre des Klosters wächst, sowohl die 
Kerne der Geisselzellen als die Kerne des Syneytium von gelben oder rothen Pig- 
mentkörnern dicht umschlossen. Ebenso fand ich in Norwegen bei einigen Formen 
von Ascetla coriacea sowohl das Exoderm, als das Entoderm pigmentirt. Viel sel- 
tener ist der Fall, dass die Pigmentkörner bloss um die Kerne des Syneytium herum 
im Exoderm angehäuft sind, während die Geisselzellen farblos sind. Dies fand ich 
z. B. bei einigen schwefelgelben Individuen von Ascetla clathrus. 

Die Färbung der pigmentirten Kalkschwämme ist wahrscheinlich von keiner 
wesentlichen Bedeutung und lediglich als eine untergeordnete Folge des Stoff- 
wechsels zu betrachten, welche in ihren verschiedenen Modificationen unmittelbar 
von der verschiedenen Beschaffenheit der aufgenommenen Nahrung abhängig ist. 
Dafür scheint unter anderem auch eine Beobachtung von CARTER !) zu sprechen, 
welcher bei einem Kieselschwamme (Isodietya simulans) ein Stück, das mit einer 
rothen Floridee (Rhodymenia) in Berührung stand, ebenso roth gefärbt fand, wie 
diese Alge selbst. Auch hier, wie bei anderen gefärbten Kieselschwämmen, fand 
CARTER die Färbung auf die Geisselzellen der Geisselkammern (seiner „ampulla- 
ceous sacs“) beschränkt. Uebrigens ist zu bemerken, dass auch bei den Kiesel- 
schwämmen, wie bei den übrigen Spongien, die Geisselzellen zwar gewöhnlich, aber 
keineswegs immer, der Sitz der Pigmentbildung sind. Vielmehr ist nicht selten 
auch hier das Exoderm pigmentirt; und zwar findet sich als Ursache der Fär- 
bung bald Anhäufung von Pigmentkörnern um die Kerne des Syneytium, bald eine 
diffuse Färbung der Sarcodine. 

Die Färbung der pigmentirten Kalkschwämme wird durch die Einwirkung von 
Weingeist, von Säuren und von Alkalien gewöhnlich sofort zerstört. Besonders zu 
bemerken ist noch, dass viele Arten von Kalkschwämmen, und zwar ebensowohl 
farblose als pigmentirte, eine. heller oder dunkler braune Färbung annehmen, so- 
bald sie in Weingeist gesteckt werden. Einzelne farblose Kalkschwämme ertheilen 
dem Weingeist, in welchen sie gesteckt werden, schon nach wenigen Secunden eine 
intensiv schwefelgelbe Farbe. 


1) CARTER, On the ultimate Structure of marine Sponges. Ann. and Mag. of nat. hist. 1870, Vol. VI, 
p: 332. „On a subsequent occasion I found a pink portion of the Halichondria simulans, JOHNSTON 
(= Isodietya simulans , BOWERBANK), which appeared to have obtained its colour from growing in con- 
tact with a speeies of Rhodymenia,; and on tearing this to pieces I observed that the pink colour was 
confined to the ampullaceous saes — that is to the spong-cells composing them. Hence I inferred that 
the sponge had been feeding on the fronds of the Rhodymenia, which sponges will do, just as fungi en- 
elose and feed upon leaves and wood. As regards the colouring-matter of sponges generally, I think it 
will be found to be cheafly eonfined to the granular contents of the spong-eells composing the ampulla- 


ceous sac.‘* 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 381 


Anpassung. 


Wenn ich hier die Erscheinungen der Anpassung bei der Physiologie der Ernäh- 
rung bespreche, so geschieht dies in der Ueberzeugung, dass die nächste Ursache der 
durch Anpassung bewirkten Veränderungen des Organismus in Modificationen seines 
Ernährungs-Processes zu suchen ist. Ich habe diese Theorie von dem innigen Causal- 
Nexus zwischen Ernährung und Anpassung im fünften Buche meiner generellen Mor- 
phologie ausführlich begründet, und kann mich hier darauf beschränken, auf diese 
Erörterung zu verweisen. 

Ebendaselbst habe ich auch nachzuweisen versucht, dass ein wesentlicher Unter- 
schied zwischen Anpassung oder Adaptation und Abänderung oder Variation 
nicht besteht, und dass die Anpassungsfähigkeit im Grunde dasselbe ist, wie die Ab- 
änderungsfähigkeit. Ich führe demnach alle Abänderungen schliesslich auf Anpassun- 
gen zurück, welche entweder direct oder indirect durch äussere Einwirkungen hervor- 
gerufen sind. Bei der directen oder actuellen Anpassung bewirken die äusseren 
Ursachen, die „Anpassungs-Bedingungen“, unmittelbar die entsprechende Abänderung 
in Form und Function des Organismus. Bei der indirecten oder potentiellen 
Anpassung hingegen tritt die dadurch hervorgerufene Abänderung nicht in der Form 
und Function des betroffenen Organismus selbst, sondern in derjenigen seiner Nach- 
kommen zu Tage. In diese Kategorie gehören alle diejenigen Abänderungen, wel- 
che scheinbar ohne äussere Ursache entstanden sind, welche aus einem inneren 
„Variations-Triebe“ entsprungen zu sein scheinen. Viele Autoren nehmen einen sol- 
chen „inneren ursprünglichen Variations-Trieb“, d. h. eigentlich eine unbekannte, oder 
keine mechanische, sondern eine finale Ursache für viele oder selbst für die meisten 
Abänderungen in Anspruch, und setzen diese letzteren den „eigentlichen, durch äus- 
sere Existenz-Bedingungen hervorgerufenen Anpassungen“ gegenüber. Nach meiner 
Meinung ist dieser Gegensatz ungerechtfertigt. Ich führe alle Abänderungen der 
organischen Formen und Functionen schliesslich direct oder indirect auf die Einwir- 
kung äusserer mechanischer Ursachen zurück, welche zunächst die Ernährung der 
Plastiden beeinflussen und dadurch die Gegenwirkung des Organismus hervorrufen, die 
sich eben in der „Anpassung“ äussert. Gerade die Erscheinungen der Anpassung bei 
den Kalkschwämmen scheinen mir diese, in der generellen Morphologie entwickelten 
Anschauungen wesentlich zu stützen. Ueberhaupt aber giebt es wohl keine Klasse von 
Organismen, bei denen die Erscheinungen der Anpassung lehrreicher und für die 
Descendenz-Theorie wichtiger wären, als dies bei den Spongien der Fall ist. Schon 
O. Schmipr hat sich hierüber in seiner letzten Arbeit über die „Spongien-Fauna des 
atlantischen Gebietes“ vortrefflich ausgesprochen !). 


1) O. Scumipt, Atlant. Spongien, 1870, p. 1. Betrachtungen zur Systematik. „Gewiss ist die von 


CARPENTER dargelegte Auflösung einer Menge sogenannter Gattungen der Foraminiferen in continuirlich 


382 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Anpassung der Individualität. 


Die Individualität des reifen Bion, des ausgewachsenen und geschlechtsreifen, phy- 
siologischen Individuums unterliegt bei den Kalkschwämmen sehr bedeutenden Schwan- 
kungen und ist der Anpassung in viel höherem Maasse unterworfen, als bei anderen 
Thiergruppen. Viele natürliche Arten von Kalkschwämmen aus allen drei Familien 
werden stets nur als solitäre Personen geschlechtsreif: Monograntien; viele an- 
dere natürliche Arten werden stets nur als Cormen, niemals als solitäre Personen 
geschlechtsreif: Polygrantien. Wäre dieser Unterschied nun vom Ursprung an auf 
zwei divergirende Linien der Calcispongien vererbt, so würden die beiden Haupt- 
Abtheilungen des künstlichen Systems, die Monograntien und Polygrantien, wirklich 
natürliche Abtheilungen des Stammbaums und also auch des natürlichen Systems re- 


in einander übergehende Formenreihen für die Wandelbarkeit der Arten überzeugend; allein, was die 
Spongien bieten, übersteigt alles Dagewesene Es handelt sich bei ihnen nicht bloss, wie bei den Fora- 
miniferen, um den allgemeinen Habitus der Form, um die variable Gruppirung der Kammersysteme, 
sondern die Variabilität ist an dem mikroskopischen Detail ebenso und noch speeieller vorhanden als an 
den gröberen Bestandtheilen. Bei den Foraminiferen kann man wohl von mikroskopischen Formen, aber 
nieht eigentlich von mikroskopischen Bestandtheilen sprechen. In den Spongien aber belauschen wir die 
Umbildung der feineren Formbestandtheile, der Elementarorgane, und dadurch wird die Wandelbarkeit 
des Ganzen so durchsichtig. Es verhalten sich in dieser Beziehung die Kalkschwämme etwas anders, als 
die übrigen und besonders die Kieselschwämme. Bei jenen ist die Variabilität der mikroskopischen Theile 
auf einen kleinen Formenkreis beschränkt, dafür aber der Habitus der Individuenreihen von einer ganz 
unglaublichen Biegsamkeit. Wir vermissen nun zwar diese Biegsamkeit des Gesammtkörpers auch nicht 
bei den Kieselspongien, wir sehen z. B. bei der Gattung Tedania (GrAY), zusammengestellt aus einigen 
meiner früheren Renieren, wozu ich aber noch mancherlei hinzuzufügen habe, wie deren eigensinnig zu- 
sammenhaltende Nadelformen von Triest bis Florida und Island unter den verschiedenartigsten Verklei- 
dungen auftreten. Die eine dieser Nadeln neigt aber in einigen Varietäten schon zu Abschweifungen. 
Und gerade dieser Punkt, die in’s Einzelne zu verfolgenden Umwandlungen derjenigen Organe, welche 
als vermeintlich stabil der Systematik die wesentlichste Grundlage zur Aufstellung der Gattungen und 
Arten zu bieten schienen, hat uns die Untersuchungen mancher Partien besonders anziehend gemacht. Ich 
darf an die frappanten Beispiele erinnern, die ich schon in den algierischen Spongien gebracht. Diese 
häufen sich wieder in dem Maasse, als der Gesichtskreis sich erweitert. Schritt für Schritt machen wir 
die Wahrnehmung, dass auf kein „Merkmal“ ein leidlicher Verlass ist, dass bei einiger Constanz der 
mikroskopischen Bestandtheile die äussere Körperform mit ihren groben Kennzeichen, den Oseulis u. s. f. 
weit über die Gränzen von sogenannten Arten und Gattungen hinaus abändert, bei gleichem äusseren 
Habitus aber die, wie wir glaubten, specifischen inneren Theilchen uns gleichsam unter der Hand zu an- 
dern werden. Das ist nun freilich trostlos für Diejenigen, denen die Fixirung der Arten ein absolutes 
Bedürfniss. Ich selbst habe mir wahrhaftig Mühe genug gegeben, die sonst so unfassbaren Spongien 
nach den genau und tausendfältig gemessenen Skelettheilen in schöne Arten zu bringen. Noch messe und 
studire ich diese Mikro-Architeetonik mit gleicher Sorgfalt, ich benutze jetzt aber Zahl und Zeichnung 
zu der ungleich tiefer befriedigenden Erkenntniss der Ableitung und Verwandtschaft. Wer bei den Spon- 
gien sein Hauptgeschäft auf die Species- und Gattungsmacherei verlegt, wird ab absurdum geführt, wie 


HAECKEL in seinem Prodromus zur Monographie der Kalkschwämme mit köstlieher Ironie gezeigt.“ 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 333 


präsentiren. Dies ist aber keineswegs der Fall; vielmehr sind erstens von vielen nahe 
verwandten Arten die einen constante Monograntien, die anderen ebenso constante Po- 
lygrantien; zweitens aber existiren ausserdem viele natürliche Arten, welche ebenso- 
wohl als solitäre Personen, wie als sociale Cormen geschlechtsreif werden; wir wollen 
diese Allograntien nennen. 

Die statistische Vergleichung aller bisher bekannten (hundert und elf) Arten des 
natürlichen Systems ergiebt in dieser Beziehung das in der nachstehenden Tabelle ent- 
haltene Resultat. Die erste Columne derselben (M) enthält die Species, welche con- 
stant solitär bleiben (Monograntien). Die zweite Columne (A) enthält die Species, 
welche bald als solitäre Person, bald als socialer Cormus geschlechtsreif werden (Allo- 
grantien). Die dritte Columne (P) enthält die Species, welche constant nur als Cor- 
men, niemals als solitäre Personen geschlechtsreif werden (Polygrantien). Die vierte 
Columne (U) giebt die Zahl derjenigen Species an, von denen bisher nur ein einziges 
Exemplar untersucht werden konnte, die also für die vorliegende Frage ohne Bedeu- 
tung sind. In der fünften Columne endlich (S) ist die Total-Summe der natürlichen 
Species von jeder Gattung angegeben. 


Statistische Tabelle 
zur Uebersicht der Verhältnisse der Anpassung und Vererbung der Individualität 
bei den natürlichen Gattungen und Arten. 


ululıvlv| ı | umlıvv 


I ı ulm vv 

Ascones "aleluls Leucones | Alp u ) Sycones ma Pu 8 
Ascetta . . | 2) 3| 2] 1) 8) Leucetta ıl ıl! 3| 5] Syeetta. . | sl ıl ıl 5 
Asailla,#..., 1a 121.2] Lenaille al! 2] Syeilla . PR 
Aseyssa.. . |—| 1l—| 1) 2] Leueyssa . |— 1 2| 3] Syoysa . | 1 —| 1 
Ascaltis. . |—| 1| 6|— 7) Leucaltis 2 31 —ı 1 6| Syealtis 3| 22 — 5 
Ascorttis. . |—| 1 3| 1 5) Leucortis . — 1 — 1] Sycortis . 3———| 3 
Asculmis . |—| 1—— 1| Leuculmis . u 1) Syculmis . ———| ı1[ 1 
Ascandra —| 8| 3) 314) Leucandra. | 8| 8) 11—17| Sycandra . 11) 4 31118 
Summa | 2116114 2139 Summa [14114 1 635) Summa |25| 6| 4) 2|37 


Die Resultate dieser statistischen Vergleichung, welche in der unten stehenden 
Summe für die drei natürlichen Familien zusammengefasst sind, erscheinen sehr be- 
merkenswerth. Demnach sind zunächst von den 111 Species des natürlichen Systems 
15 Arten auszuscheiden, von denen nur ein einziges Exemplar untersucht wurde 
(7 Asconen, 6 Leuconen, 2 Syconen). Unter den übrig bleibenden 96 Species befin- 
den sich 41 constante Monograntien, welche nur als solitäre Personen in reifem 
Zustande beobachtet wurden, nämlich 2 Asconen, 14 Leuconen und 25 Syconen. Fer- 
ner sind darunter 19 constante Polygrantien, welche nur als Stöcke in reifem 
Zustande beobachtet wurden, nämlich 14 Asconen, 1 Leucon und 4 Syconen. End- 


384 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


lich befinden sich darunter 36 inconstante Allograntien, welche sich bezüglich 
ihrer Individualität dergestalt an die äusseren Existenz-Bedingungen anpassen, dass 
sie bald als solitäre Personen, bald als Cormen geschlechtsreif werden; das ist der 
Fall bei 16 Asconen, 14 Leuconen und 6 Syconen. 

Mit anderen Worten ausgedrückt: unter den 96 Species, welche hier in Betracht 
kommen, vererbt sich die morphologische Individualität constant bei 60 Arten; und 
zwar die Individualität dritter Ordnung bei 41, die Individualität vierter Ordnung 
bei 19 Arten. Hingegen findet bei den übrigen 36 Species keine constante Vererbung 
der Individualität statt; vielmehr ist sie hier so sehr der Anpassung unterworfen, 
dass sie bald in der dritten, bald in der vierten Stufe auftritt. 

Die Vergleichung der drei natürlichen Familien ergiebt, dass bei den Asconen 
die Stockbildung am meisten überwiegt: sie findet sich hier unter 32 Arten bei 
14 constant, bei 16 inconstant. Bei den Syconen gerade umgekehrt überwiegt die 
Personbildung: sie findet sich hier unter 35 Arten bei 25 constant, bei 6 incon- 
stant. Die Leuconen endlich halten hierin, wie in anderen Beziehungen, zwischen 
Asconen und Syconen die Mitte. Bei ihnen ist die Personbildung ebenso oft con- 
stant als inconstant. 


Anpassung der Cormus-Form. 


Die äussere Gesammtform der Cormen oder Stöcke ist bei den Kalkschwämmen 
ebenso wie bei den übrigen Spongien, und wie bei den meisten Pflanzenthieren, der 
Anpassung und Variation in weit höherem Maasse unterworfen, als alle übrigen mor- 
phologischen Verhältnisse. Wenn diese Thatsache schon bei den Stöcken vieler Hy- 
droiden und Corallen sich auffallend offenbart, so tritt dieselbe noch viel auffallender 
bei den meisten stockbildenden Schwämmen hervor. Unter diesen aber Scheinen wie- 
derum die Kalkschwämme gerade in dieser Beziehung alle übrigen Spongien weit zu 
übertreffen. Die Unbeständigkeit der Cormus-Form ist hier geradezu erstaunlich und 
übersteigt Alles, was mir sonst von Variabilität bekannt ist. 

Natürlich können in dieser Beziehung nur diejenigen natürlichen Species vollgül- 
tiges Zeugniss ablegen, von denen sehr zahlreiche, mindestens einige Dutzend Indivi- 
duen von einem und demselben oder von verschiedenen Standorten untersucht wurden. 
Als besonders lehrreich sind folgende Ascon-Arten hervor zu heben: Ascetta primor- 
dialis (Taf. 2), Ascetta coriacea (Taf. 3), Ascaltis cerebrum (Taf. 8), Ascaltis Dar- 
winü, Ascandra reliculum, Ascandra variabilis (Taf. 18). Bei diesen Asconen geht 
die Anpassung der Stockform so weit, dass man die verschiedenen Cormen einer und 
derselben natürlichen Species für gänzlich verschiedene Arten halten würde, wenn nicht 
die völlige Identität der Skelet-Structur und ihr Vorkommen an einem und demselben 
Standorte ihre Zugehörigkeit zu einer Art überzeugend nachwiesen. Bisweilen ist 
auch die Abhängigkeit der Stockform von den umgebenden Existenz-Bedingungen un- 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 385 


mittelbar ersichtlich, so z. B. bei Ascandra variabilis (Taf. 18), von der ich mehrere 
hundert, höchst verschieden geformte Stöcke in der Goethe-Bucht bei Brandesund auf 
der norwegischen Insel Gis-Oe sammelte. Die gewöhnliche, auf Cladophora rupestris 
sitzende, und mit den Zweigen dieser Alge oft durchflochtene Stockform (Fig. 6) ist 
gabeltheilig verzweigt, mit abgerundeten Winkeln der Gabelung, und cylindrischen 
Aesten, vom Habitus eines Hirschgeweihes. Daneben findet sich auf feinästigeren 
Tang-Arten (namentlich Rhodothamnus) eine andere Stockform mit sehr verdünnten 
und verlängerten fadenförmigen Aesten und sehr spitzen Winkeln der Gabelung 
(Fig. 7). Die auf Furcellarien sitzenden Stöcke zeichnen sich durch besondere Nei- 
gung zu, blasenförmiger Auftreibung der dicken älteren und rankenförmiger Krüm- 
mung der dünnen jüngeren Aeste aus (Fig. 8). Eine ganz verschiedene Form erhalten 
diese Stöcke, wenn sie sich auf der Schale einer lebenden, nestbauenden Muschel, 
Li hians (innerhalb deren Nestes) ansiedeln (Fig. 9); sie bilden dann rundliche 
Polster, aus deren Wurzelgeflecht sich ein dichter Busch von plattgedrückten, wenig 
verzweigten Personen zu gleicher Höhe erhebt. Wiederum ganz andere Formen bildet 
dieselbe Art, wenn sie sich auf Steinen, in Felsritzen u. s. w. ansiedelt (Fig. 11, 15, 
18). Offenbar sind diese ausserordentlich verschiedenen Cormus-Formen der Ascandra 
variabilis ganz oder doch theilweise durch unmittelbare Anpassung an die umgebenden 
und ihnen als Basis dienenden fremden Körper entstanden (vergl. System p. 109—111). 

Ein anderes ausgezeichnetes Beispiel dafür liefert Ascetta clathrus, Taf. 4. 
Wenn diese Art auf der Unterseite von Steinen wächst, bilden ihre mundlosen Stöcke 
(Auloplegma) ein lockeres Geflecht von engen, schlanken, fächerigen Röhren (Fig. 2). 
Wenn dieselbe dagegen frei auf der Seitenfläche oder der oberen Fläche von Steinen 
sich ansiedelt, bilden ihre Auloplegma-Stöcke ein dickes schwammiges Polster, das 
aus weiten, varicösen, fächerlosen Schläuchen zusammengesetzt ist (Fig. 1). Diese 
beiden Formen sind so verschieden, dass ihr erster Entdecker, ©. Scumipr, sie für 
Angehörige ganz verschiedener Gattungen hielt, und die erstere Olathrina elathrus, 
die letztere Nurdoa labyrinthus nannte. Auch ich selbst hielt sie anfänglich , als ich 
sie bei Lesina zahlreich beobachtete, für ganz verschiedene Arten, bis ich durch die 
Entdeckung überrascht wurde, dass die auffallende Verschiedenheit ihrer Cormus- 
Form lediglich die Folge von Anpassung an ihren Standort ist. Ich fand bald zwi- 
schen diesen beiderlei Stockformen auch solche Stöcke, welche halb aus der einen, 
halb aus der anderen Stockform zusammengesetzt waren (Ascelta mirabilis , Fig. 3). 
Diese Stöcke sassen halb auf der unteren Fläche, halb auf der Seitenfläche einer Stein- 
platte auf; die erstere Hälfte gehörte der Form e/athrina (Fig. 2), die letztere Hälfte 
der Form labyrinthus an (Fig. 1); beide Formen gingen am Rande der Steinplatte 
plötzlich und unvermittelt in einander über (Fig. 3). Hier bewirkte also lediglich 
die Verschiedenheit der Existenz-Bedingungen, welche ein und derselbe mundlose 
Schwammstock an der verborgenen dunkeln Unterfläche und an der offenen hellen Sei- 


Haeckel , Kalkschwimme 1. >» 


386 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. ' 


tenfläche einer und derselben Steinplatte fand, eine gänzlich verschiedene Ausbildung 
der Stockform und zugleich der Form der constituirenden Personen (vergl. das Nähere 
im System p. 31—36). 

Unter den Leuconen ist die Stockform ebenfalls (wenn auch in geringerem Grade 
als bei den Asconen) sehr veränderlich und der Anpassung an die verschiedensten 
Existenz-Bedingungen fähig. Als besonders ausgezeichnete Beispiele sind hier hervor- 
zuheben: Leucetta primigenia (Taf. 21); Leucaltis floridana (Taf. 26), Leucandra 
aspera (Taf. 35), Leucundra alcicornis u. S. W. 

Viel constanter vererbt sich hingegen die Cormus-Form bei den Syconen, wo 
eigentlich nur eine einzige Art, nämlich Sycandra compressa (Taf. 57) sich durch 
ausserordentliche Variabilität der äusseren Gesammtform des Stockes auszeichnet. 


Anpassung der Person-Form. 


In engem Zusammenhange mit den eben angeführten Anpassungs - Verhältnissen 
der Cormen stehen auch diejenigen der Personen, aus denen sie zusammengesetzt 
sind. Bei allen stockbildenden Kalkschwämmen, bei denen die Cormus-Form sehr 
varjirt, ist mit deren Abänderung zugleich eine mehr oder weniger bedeutende Um- 
bildung der Form ihrer constituirenden Personen nothwendig verbunden. Ebenso ist 
aber auch bei denjenigen Kalkschwämmen, welche entweder niemals oder doch nicht 
constant Stöcke, sondern bloss solitäre Personen bilden, die Form der Person der 
Anpassung in hohem Maasse unterworfen: Dieses Maass erreicht zwar nicht das ausser- 
ordentliche Maass von Veränderlichkeit, welches die Cormen auszeichnet. Dennoch 
aber ist es sehr beträchtlich und übertrifft bei weitem das Maass der Variabilität, 
welches man gewöhnlich in der Person-Form der Pflanzenthiere (und in noch viel 
engeren Grenzen in der Person-Form der höheren Thiere) anzutreffen gewohnt ist. 

Da den Spongien die äusseren Extremitäten und namentlich die den Mund um- 
gebenden Tentakeln fehlen, welche bei den nächstverwandten Nesselthieren durch ihre 
mannichfaltige Zahl, Grösse, Form und Anordnung den Personen der einzelnen 
Species ihre characteristische Gestalt verleihen, so muss sich natürlich die Variabilität 
der Person-Form auf die Anpassungen beschränken, welche der Rumpf der Person 
(der gesammte Magenschlauch) in seiner einfachen, an sich sehr wenig characteristi- 
schen Gestalt erleiden kann. Innerhalb der engen Grenzen aber, welche der Person 
durch diese einfache Formbeschaffenheit selbst gesetzt sind, bewegt sich ihre Gestalt 
in sehr veränderlichen Formen. Bei einer und derselben natürlichen Species kann die 
solitäre Person cylindrisch, spindelförmig, kolbenförmig, konisch, eiförmig, ellipsoid 
oder selbst kugelig erscheinen, so z. B. bei Ascelta coriacea (Taf. 3, Fig. 1—3), 
Leucandra aspera (Taf. 35, Fig. 1—4), Sycandra ciliata ete. Auch bei denjenigen 
Arten, deren Personen sich durch eine mehr characteristische Gesammtform aus- 
zeichnen, wie namentlich durch bandförmige Abplattung oder taschenförmige Com- 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 387 


pression, wie bei Ascandra cordata (Taf. 17, Fig. 2), Lexcandra erambessa (Taf. 37, 
Fig. 7), Sycandra compressa (Taf. 57, Fig. 1—-6) vererbt sich diese characteristische 
Person-Form nicht ganz constant, sondern geht häufiger oder seltener in andere, 
z. B. eylindrische oder spindelförmige Gestalten über, welche zum Theil vielleicht 
als Rückschläge, zum Theil aber auch gewiss als neue Anpassungen zu deuten sind. 

Wegen dieser Variabilität ist die äussere Gesammtform der Person und der 
dadurch ausgedrückte „specifische Habitus“ bei den Schwämmen überhaupt, und 
speciell bei den Kalkschwämmen, viel weniger für die natürlichen Species characteri- 
stisch, als es bei den meisten übrigen Thier-Arten der Fall ist, und kann niemals 
als wesentlicher, d.h. constanter Species-Character in deren Diagnose mit aufge- 
nommen werden. 


Anpassung der Organ-Form. 


Viel weniger als die Form der Person und des Cormus ist die Form des Or- 
gans, des Morphonten zweiter Ordnung, der Anpassung unterworfen; und die ver- 
schiedenen Anpassungen, welche die Organe erleiden, vererben sich zum Theil sehr 
constant. Wie in der Organologie gezeigt wurde, können bei den Kalkschwämmen 
als selbstständige Organ-Systeme nur das Canal-System und das Skelet-System in 
Betracht kommen, und demnach kann auch die Anpassung der Organ-Form nur an 
diesen beiden Systemen, als Ganzes betrachtet und in den einzelnen Theilen, zur 
Erscheinung kommen. 

Das Canal-System als Ganzes betrachtet zeigt einen mittleren Grad von ge- 
ringer Variabilität und von relativer Constanz, welcher dasselbe geeignet erscheinen 
lässt, in erster Linie als Grundlage des natürlichen Systems zu dienen. Zunächst 
ist hier die dreifach verschiedene Structur der Magenwand von Bedeutung, auf 
welche die drei natürlichen Familien der Asconen, Leuconen und Syconen basirt sind. 
Die Magenhöhle hingegen variirt mit der Gesammtform der Person, durch die ihre 
Form, abgesehen von der Dicke der Magenwand, unmittelbar bedingt ist. Die Ca- 
näle, welche die Magenwand durchsetzen, sind bei den Asconen noch absolut variabel, 
völlig inconstante Poral-Tuben, während sie bei den Leuconen durch die mannich- 
fach differenzirten, unregelmässigen und verästelten Ramal-Tuben, bei den Syconen 
durch die regelmässigen und bei den einzelnen Species constant geformten Radial- 
Tuben ersetzt werden. Wenn man die Anpassung der Wand-Canäle bei den beiden 
letzten Familien vergleicht, so ergiebt sich, dass die unregelmässigen Astcanäle der 
Leuconen in viel höherem Masse innerhalb der Species-Grenze variiren, als die regel- 
mässigen Strahlcanäle der Syconen. 'Die Gestalt der Radial-Tuben bei den letzteren 
(und ebenso auch die Form der zwischen den Radial-Tuben liegenden radialen Inter- 
canäle) vererbt sich innerhalb jeder Sycon-Species so constant, dass sie in die Species- 

_ Characteristik als wesentliches Merkmal mit aufgenommen werden kann. Bei den 
25* 


388 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


unregelmässigen Ramal-Tuben der Leuconen ist dies wegen der grösseren Variabilität 
nicht möglich. Es offenbart sich hier das Gesetz, dass eine bestimmte Organ-Form 
sich um so constanter vererbt, je regelmässiger die bestimmte Form an sich ist. 
Besondere Beachtung verdient die Variabilität der Mundform. Die drei- 
fach verschiedene Form der Mundöffnung, welche bei den Kalkschwämmen als nackte, 
rüsselförmige und bekränzte Mundöffnung auftritt, sowie auch der völlige Verschluss 
oder Mangel des Osculum, geben den verschiedenen Personen der Kalkschwämme 
ein so verschiedenes Aussehen, dass die frühere Systematik darauf entscheidenden 
Werth legte und dass namentlich die Genera von OscAr ScHamipr in erster Linie 
mit auf diese verschiedene Mundbildung basirt wurden. Ich selbst habe früher 
diese Anschauung adoptirt und in meinem Prodromus (1869) die nackte, rüssel- 
artige und bekränzte Mundform, sowie den Verschluss des Osculum, als wesentliche 
Genus-Charactere in allen drei Familien der Kalkschwämme verwerthet. Erst die 
nachfolgenden Untersuchungen der beiden letzten Jahre, welche an einem viel rei- 
cheren, Tausende von Individuen umfassenden Materiale angestellt wurden, haben 
mich belehrt, dass jene Anschauung und die darauf gegründete Classification irr- 
thümlich war. Die Form und selbst die Existenz der Mundöffnung ist viel variabler, 
viel mehr der Anpassung unterworfen, als O. Schmipr und ich angenommen haben. 
Sie ist so veränderlich, dass bei vielen natürlichen Arten aller drei Familien sämmt- 
liche Formen der Mundbildung, sowohl an solitären Personen, als an Stöcken, inner- 
halb einer und derselben Species neben einander vorkommen können. Als ausge- 
zeichnete Beispiele seien hier nur hervorgehoben Ascandra variabilis (Taf. 18), 
Leucandra aspera (Taf. 35), Sycandra compressa (Taf. 57). Auf der anderen Seite 
giebt es viele Arten, bei denen sich die Mundbildung innerhalb der Species constant 
zu vererben und nicht zu variiren scheint. Constant nacktmündig ist z. B. Ascaltis 
botryoides (Taf. 9, Fig. 10), Leucetta pandora (Taf. 22, Fig. 3), Syeilla chrysalis 
(Taf. 43, Fig. 1). Durch constant rüsselförmige Mundöffnung sind z. B. ausgezeichnet 
Ascandra cordata (Taf. 17, Fig. 2, 6), Leucandra caminus (Taf. 37, Fig. 5, 6), 
Sycandra Schmidtii (Taf. 58, Fig. 2). Eine constant bekränzte Mundöffnung besitzen 
z.B. Ascandra nitida (Taf. 17, Fig. 3, 7, 10, 13), Leucundra erambessa (Taf. 37, 
Fig. 7, 8), Sycandra arborea (Taf. 58, Fig. 7). Endlich findet sich constanter Ver- 
schluss der Mundöffnung z. B. bei Ascetta ciathrus (Taf. 4), Leueilla capsula 
(Taf. 24, Fig. 1), Sycandra ramosa (Taf. 58, Fig. 8). Bei allen diesen Arten mit con- 
stanter Mundform würde dieselbe auch als Species-Character oder selbst als Gattungs- 
Character verwerthbar sein. Hingegen ist bei allen Species, bei denen die Mund- 
form mehr oder weniger variirt, dieselbe eben wegen dieser Inconstanz kein verläss- 
licher Character. Diese systematische Werthlosigkeit der Mundbildung wird am 
einleuchtendsten durch die merkwürdigen Metrograntien illustrirt, durch die 
polymorphen Stöcke, deren constituirende Personen alle verschiedenen Formen der 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 389 


Mundöffnung neben einander zeigen können. So finden wir bei der Ascometra-Form 
von Ascandra variabilis (Taf. 18, Fig. 9), bei der Leucometra-Form von Lexcandra 
aspera (Taf, 35, Fig. 9), bei der Sycometra-Form von Syeandra eiliata (Taf. 58, 
Fig. 9) auf einem und demselben Stocke neben einander mundlose Personen und 
mündige Personen, theils mit nackter, theils mit rüsselförmiger, theils mit bekränzter 
Mundöffnung. Diese Metrograntien beweisen besser, als alles Andere, dass die auf 
die Mundbildung gegründeten Genera der Caleispongien nur den Werth von künst- 
lichen, nicht von natürlicher Gattungen besitzen. Im natürlichen Systeme können 
sie nicht einmal als „gute Arten“, sondern nur als „generische Varietäten“ 
elassifieirt werden. 

Das Skelet-System als Ganzes betrachtet zeigt ebenso, wie das Canal-System, 
jenen mittleren Grad von geringer Variabilität und von relativer Constanz, welcher 
vorzüglich zur Verwerthung für die systematischen Unterscheidungen bei der Classi- 
fication geeignet ist. Zunächst ist hier die Zusammensetzung des Skelet-Systems 
aus den drei verschiedenen Hauptformen der Spicula, aus Dreistrahlern, Vierstrah- 
lern und Stabnadeln von Bedeutung. Die siebenfach verschiedene Zusammensetzung 
des Skelets: entweder bloss aus einer von diesen drei Hauptformen (Haploraphidia) 
oder aus einer Combination von zwei derselben (Diplorapbidia) oder endlich aus 
allen drei Hauptformen (Triploraphidia) vererbt sich so constant, dass dieselbe die 
beste, ja die einzig sichere Grundlage für die Unterscheidung der-natürlichen Genera 
abgiebt. Dennoch ist auch diese Constanz nur relativ, nicht absolut; und durch 
mannichfaltige Anpassung wird die Zusammensetzung des Skelet-Systems vielfach 
abgeändert. Diesen Abänderungen verdanken die „connexiven Varietäten“ der 
natürlichen Species ihre Entstehung, welche zwar nur sehr unbedeutende Abweichun- 
gen zu sein scheinen, in der That aber für die Descendenz-Theorie von hoher Be- 
deutung sind. 

Die Anpassung einzelner Theile des Skelet-Systems, welche zu localen Differen- 
zirungen desselben an verschiedenen Körperstellen führt, geht Hand in Hand mit 
der Differenzirung des Canal-Systems. Daher finden wir bei den Asconen gar keine 
oder nur höchst unbedeutende Differenzirungen im ganzen Skelet-System jeder Art. 
Bei den Leuconen passt sich das Skelet-System den Form-Verhältnissen des Magens, 
des Mundes, der Astcanäle und der Dermalfläche in vielfach verschiedener Weise an. 
Am weitesten aber geht die Anpassung verschiedener Theile des Skelet-Systems bei 
den Syconen, wo wir fast regelmässig die Gastralfläche, die Mundöffnung, die Wand 
der Radial-Tuben und die Dermalfläche ihrer Distal-Kegel durch ein differenzirtes 
Skelet ausgezeichnet sehen. Hier vererben sich auch diese Anpassungen innerhalb 
der Species so constant, dass sie für deren Characteristik unmittelbar verwerth- 


bar sind. 


390 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Anpassung der Plastiden-Form. 


Am wenigsten sind bei den Kalkschwämmen, wie bei allen polyplastiden Orga- 
nismen, die Morphonten erster Ordnung, die Plastiden, der Anpassung unterworfen. 
Ausser den Plastiden selbst, die bei allen Spongien nur als Zellen, nicht als Cytoden 
auftreten, sind aber auch deren Producte, die Spicula des Kalk-Skelets, hier in Be- 
tracht zu ziehen. Diese letzteren variiren in ihrer Form sehr mannichfaltig, wäh- 
rend die Zellen im Gegentheil äusserst einförmig bleiben. 

Bei allen verschiedenen Arten der Kalkschwämme verhalten sich die Zellen, 
sowohl des Entoderms als des Exoderms, in Bezug auf Grösse, Form und Zusammen- 
setzung so gleichförmig, dass wenigstens unsere groben Erkenntniss-Mittel nicht im 
Stande sind, irgend wesentliche Verschiedenheiten zwischen den verschiedenen Arten 
zu entdecken. Die nutritiven Geisselzellen, die Spermazellen und die Eizellen zeigen 
im Entoderm aller Arten wesentlich dieselben Figenschaften. Ebenso sind wir nicht 
im Stande, in dem Syneytium, in den Kernen und der Sarcodine des Exoderms bei 
den verschiedenen Caleispongien irgend nennenswerthe Unterschiede zu erkennen. 
Natürlich sind hier überall specifische, ja wohl überall auch individuelle Unterschiede 
vorhanden. Diese sind aber in den äusserst feinen Differenzen der chemischen Mi- 
schung oder der molecularen Zusammensetzung zu suchen, jedenfalls aber \ unseren 
groben Frkenntniss-Hülfsmitteln nicht zugänglich. 

In auffallendem Gegensatz zu dieser Gleichmässigkeit der Zellen-Form, welche 
sich in strenger Constanz von der gemeinsamen Stammform der Kalkschwämme auf 
alle Species der Gruppe vererbt hat, steht die Mannichfaltigkeit der Spieula-Formen, 
welche von den verschmolzenen Exoderm-Zellen des Syneytiums ausgeschieden wer- 
den. Die untergeordneten Formen dieser Dreistrahler, Vierstrahler und Stabnadeln 
sind einerseits der weitgehenden Umbildung durch vielfache Anpassung so sehr unter- 
worfen, und vererben sich doch anderseits mit solcher relativen Constanz, dass sie 
bei weitem die sichersten Anhaltspunkte zur Unterscheidung der natürlichen Species 
liefern. Die im System des zweiten Bandes angeführten „speceifischen Varie- 
täten“, welche die gewöhnliche Grenze der specifischen Constanz überspringen und 
durch weiter gehende Anpassung und Divergenz die Grundlage zu „neuen Arten“ 
liefern, sind dabei von besonderem Interesse; ebenso auch die ebendaselbst aufge- 
führten „transitorischen Varietäten“, welche unmittelbar den Uebergang von 
einer „guten Art“ zur anderen vermitteln. 

Uebrigens ist die Variabilität der Spieula auch innerhalb der verschiedenen 
natürlichen Species ausserordentlich verschieden. Bei vielen Arten vererbt sich die 
Nadelform innerhalb der Species so constant, dass eine Nadel genau der anderen 
gleicht, so z. B. die absolut regulären Dreistrahler von Ascetta primordialis, Len- 
celta primigenia, Sycelta primitiva. Das sind namentlich die kalkreichen und 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 391 


spiculin-armen Nadeln. Das andere Extrem bilden die spieulin-reichen und kalk- 
armen Nadeln, besonders die irregulären Dreistrahler, so z. B. von Ascetta flewilis, 
Leucetta pandora, Sycandra elegans. Hier kommen nicht allein innerhalb einer 
Species, sondern innerhalb eines einzigen Individuums die verschiedensten und man- 
nichfaltigsten Nadelformen neben einander vor (Vergl. Taf. 23). Diese Erscheinung 
ist nur durch die Descendenz-Theorie zu erklären. 


Wachsthum. 


Das Wachsthum der Kalkschwämme ist dadurch von Interesse, dass es theil- 
weise als ein organisches, theilweise aber als ein anorganisches sich darstellt. Nach 
dem letzteren Modus geschieht das Wachsthum der Kalknadeln, welche das Skelet 
der Kalkschwämme zusammensetzen; nach dem ersteren Modus erfolgt das Wachs- 
thum bei dem Weichkörper derselben. 


Anorganisches Wachsthum des Skelets. 


Als eine Thatsache von grosser Bedeutung ist hier hervorzuheben, dass das 
Wachsthum der Kalknadeln bei den Caleispongien und ebenso das Wachsthum der 
Kieselnadeln bei den Silieispongien ein anorganisches ist und wie bei den Kry- 
stallen durch Apposition von aussen erfolgt. Die feine concentrische Schich- 
tung, welche an den Spicula aller Kalkschwämme sowohl als aller Kieselschwämme 
deutlich nachzuweisen ist, deutet schon darauf hin; und keinen Zweifel daran lässt 
die Entwickelungsgeschichte der Spiceula, welche Schritt für Schritt verfolgt werden 
kann. Sowohl die Dreistrahler als die Vierstrahler beginnen mit der Bildung einer 
äusserst kleinen, gleichseitig dreieckigen Kalkscheibe, welche als ein reguläres drei- 
kantiges Prisma mit sehr verkürzter Längsaxe aufzufassen ist, als eine hemiaxonie 
Form des hexagonalen Krystall-Systems, in welchem der Kalkspath kry- 
stallisirt. Dieses kleine Kalk-Prisma wächst nun durch Apposition von kohlensaurer 
Kalkerde und von Spiculin, welche von dem Syneytium ausgeschieden und schichten- 
weise um den winzigen ursprünglichen Krystallkern abgelagert werden. Das an- 
organische Wachsthum erfolgt aber sehr ungleich in den verschiedenen Dimensionen 
des Raumes: äusserst geringfügig an den beiden gleichseitig-dreieckigen Endflächen 
des Prisma (auf beiden „Seitenflächen“ des Dreistrahlers und Vierstrahlers); äusserst 
bedeutend hingegen an den drei Kanten des Prisma. Jede Kante zieht sich in Folge 
dessen zu einem konischen Fortsatz aus, und um diesen konischen oder bald cylin- 
drisch sich gestaltenden „Schenkel“ lagert sich nun der kohlensaure Kalk und das 
Spieulin in Form von concentrischen Lamellen ab. Ebenso lagert sich der Kalk um 
die primitive einfache Axe der Stabnadeln in Form von concentrischen „Hohleylin- 
dern“ ab. Diese evidente Blätter-Structur der Spicula und ihr anorganisches Wachs- 
thum durch äussere Apposition begründen nebst den anderen, oben geschilderten 


392 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Eigenschaften der Spieula (p. 170 — 209) unsere mechanische Auffassung derselben 
als Biokrystalle (vergl. p. 377). Dass in der Axe der Nadel-Schenkel sich ein 
Centralfaden von Spiculin, und in dem Centrum sich ein Centralkorn findet, steht 
dieser Auffassung nicht entgegen. Denn auch die echten anorganischen Krystalle 
können solche Einschlüsse enthalten. Während aber bei den letzteren vor Allem die 
Kanten der stereometrischen idealen Grundform zur realen Entwickelung gelangen, 
bilden sich bei den Biokrystallen vorzüglich die Axen derselben aus, und zwar die 
halben Axen. 


Organisches Wachsthum des Weichkörpers. 


Im Gegensatz zu dem anorganischen Wachsthum der Spieula ist das Wachsthum 
des Weichkörpers bei den Kalkschwämmen ein echt organisches und erfolgt wie bei 
allen rein organischen Gebilden durch Intussusception. Nach den in meiner ge- 
nerellen Morphologie (Bd. II, p. 73) gegebenen Erläuterungen unterscheide ich dabei 
zwischen dem einfachen und dem zusammengesetzten Wachsthum. Das einfache 
Wachsthum betrifft bloss die Plastiden, die Morphonten erster Ordnung. Da nun 
bei den Kalkschwämmen diese bloss im Entoderm selbstständig bleiben, im Exoderm 
hingegen zum Syneytium verschmelzen, so beschränkt sich das einfache Wachsthum 
hier auf die Zellen des Entoderms: die nutritiven Geisselzellen, die Spermazellen 
und die Eizellen. Das Wachsthum des Exoderms muss hingegen schon als zusam- 
mengesetztes Wachsthum aufgefasst werden, da das Syncytium bereits eine 
Zell-Fusion, also ein Morphon zweiter Ordnung repräsentirt. Das Syneytium wächst 
durch Vermehrung der Kerne, welche sich theilen und als Ernährungs-Centra eine 
entsprechende Neubildung von Sarcodine bewirken. 

Das Wachsthum der Personen geschieht bei den drei Familien in verschie- 
dener Weise. Die solitären Personen der Asconen, deren Magenwand immer gleich dick 
bleibt, wachsen bloss in die Länge. Die Personen der Leuconen wachsen in die 
Länge und zugleich in die Dicke, wobei die Verästelung und Ausdehnung ihrer ver- 
ästelten Wandcanäle gleichmässig zunimmt. Die Personen der Syconen wachsen 
ebenfalls zugleich in die Länge und in die Dicke; da ihre Radial-Tuben zeitlebens 
dieselbe Weite beibehalten, ist nothwendig mit dem Wachsthum der Sycon-Personen 
eine gleichmässige Vermehrung der Radial-Tuben verbunden, und diese letzteren 
werden zugleich länger durch Wachsthum an ihrer proximalen Basis. Dieses „Wachs- 
thum der Wimper-Apparate“ bei den Syconen hat LiEBERKÜHN ausführlich beschrie- 
ben (Archiv f. Anat. Phys. 1865, p. 742). 

Das Wachsthum der Stöcke geschieht bei allen drei Familien erstens durch 
Wachsthum der constituirenden Personen und zweitens durch Vermehrung dersel- 
ben. Diese Vermehrung geschieht meistens durch Knospenbildung, seltener durch 
unvollständige longitudinale Theilung der Person. Bei den geflochtenen Stöcken der 


1. Trophologie (Physiologie der Ernährung). 393 


Asconen und Leuconen, namentlich bei den Nardopsiden und Tarromiden, Coenosto- 
miden und Artyniden, geschieht die Vermehrung der anastomosirenden röhrenför- 
migen Personen durch longitudinale Theilung, wobei die beiden, neu entstehenden 
Röhren sich in ihrer ganzen Länge von einander abschnüren, und nur an den beiden 
Einmündungsstellen mit einander in offener Communication bleiben. 


Verwachsung oder Concrescenz. 


Die Entwickelungs-Function der Concrescenz oder Verwachsung, welche bisher 
im Allgemeinen noch sehr wenig Beachtung gefunden hat, spielt in der Formbildung, 
und namentlich in der Stockbildung der Spongien eine sehr bedeutende Rolle; eine 
grössere Rolle als in den meisten anderen Thierklassen. Schon ältere Beobachter 
haben einzelne auffallende Beispiele von Verwachsung bei den Schwämmen erwähnt. 
Cavorını fand bereits vor mehr als hundert Jahren zwei Exemplare von Spongia 
rubens (PALLas), welche er in einer Glocke zusammengedrängt hatte, so fest mit 
einander verwachsen, dass er sie nicht wieder trennen konnte. Ebenso berichtet 
Grant (1825—1827) mehrfache Beispiele von Verwachsung bei verschiedenen Spon- 
gien. Er beobachtete sogar bei Spongia panicea, dass zwei Flimmerlarven, welche 
sich in einem Glasschälchen neben einander festgesetzt haben, mit einander untrenn- 
bar verschmelzen und sich gemeinsam zu einem einzigen Schwamme entwickeln; 
dieser wächst dann gerade so, als ob er aus einer einzigen Flimmerlarve entstanden 
wäre!). Ferner haben BOWERBANK, CARTER, LIEBERKÜHN und viele andere Spon- 
giologen Fälle von Concrescenz ursprünglich getrennter Schwämme mitgetheilt, und 
auf die Leichtigkeit aufmerksam gemacht, mit der diese Verschmelzung eintritt. 

Bei den Kalkschwämmen scheint die Conerescenz durchschnittlich noch eine 
grössere Wirksamkeit als bei den übrigen Schwämmen zu entfalten, und ist hier na- 
mentlich von fundamentaler Bedeutung für die Entstehung vieler, sehr eigenthüm- 
licher und characteristischer Stockformen. Man muss hier unterscheiden zwischen 
der Verwachsung bei monoblasten und bei polyblasten Cormen. 

Bei den einwurzeligen oder monoblasten Stöcken, welche aus einem 
einzigen Ei entstanden sind, spielt die Conerescenz in allen drei Familien der Kalk- 
schwämme eine bedeutende Rolle. Unter den Asconen entstehen durch Verschmel- 
zung und Anastomose der sich berührenden Aeste eines monoblasten Stockes, viele 
netzförmige und geflechtförmige Cormen; doch können solche häufig auch ohne Ver- 
wachsung, bloss durch die vorher beschriebene unvollständige Längstheilung entstehen, 
bei welcher die abgeschnürten beiden Röhren nur an beiden Enden mit einander in 
Verbindung bleiben. Unter den Leuconen findet Verlöthung der sich berührenden 
Aeste eines monoblasten Stockes in der mannichfaltigsten Form statt. Unter den 


1) Grant, Edinburgh. New Philos. Journ. Vol. II, 1827, p. 132. 


394 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Syconen scheint hingegen die Conerescenz der sich berührenden Sycon-Personen 
eines Sycon-Stockes niemals einzutreten; wohl aber erhalten die einzelnen Sycon- 
Personen des Syconopa-Typus und des Syeonuvsa-Typus ihre characteristische Form 
wesentlich durch theilweise oder gänzliche Verwachsung der Radial-Tuben (d. h. 
durch Concrescenz der dicht gedrängten secundären Olynthen, welche durch stro- 
biloide Gemmation auf der Dermalfläche eines primären Olynthus entstanden sind). 

Die vielwurzeligen oder polyblasten Stöcke der Kalkschwämme sind 
immer durch Concrescenz von zwei oder mehreren, ursprünglich getrennten Personen, 
also aus zwei oder mehreren Eiern entstanden. Solche Stöcke kommen bei den Sy- 
conen niemals vor, bei den Leuconen nur selten, bei den Asconen hingegen sehr 
häufig. Alle grösseren Ascon-Stöcke sind durch secundäre Verwachsung von zwei 
oder mehreren, oft sehr zahlreichen, primären monoblasten Stöcken oder ursprünglich 
getrennten Personen entstanden. Die ausgezeichneten auf diese Art gebildeten Cor- 
men sind früher bereits besprochen (vergl. die Abbildung der polyblasten Stöcke von 
Ascelta coriacea (Taf. 5, Fig. 9, 14, 24, 33 ete.); von JAscetla elathrus (Taf. 4, 
Fig. 1— 35); von Ascandra reticulum (Taf. 20, Fig. 18). 


2. Gonologie (Physiologie der Fortpflanzung). 


Die Fortpflanzung scheint in allen drei Familien der Kalkschwämme auf dem 
Wege der geschlechtlichen Zeugung, und nur auf diesem, zu geschehen. Wie schon 
früher (p. 155) angeführt, ist die sexuelle Differenzirung bei den Caleispongien ver- 
muthlich allgemein verbreitet, und die Flimmerlarven, deren Entwickelung zu neuen 
Bionten wir in dem Abschnitt über Ontogenie bereits betrachtet haben, gehen wahr- 
scheinlich immer aus befruchteten Eiern hervor. 

Immerhin bleibt die Möglichkeit offen, dass bei den Kalkschwämmen, wie bei 
vielen anderen Pflanzenthieren, neben der geschlechtlichen auch die ungeschlechtliche 
Fortpflanzung stattfindet; sei es, dass an die Stelle der befruchtungsbedürftigen Ei- 
zellen Sporen treten, welche nicht der Befruchtung bedürfen; sei es, dass durch 
andere ungeschlechtliche Zeugungs-Processe (Theilung, Knospung) neue Bionten 
gebildet werden. Die Entstehung neuer Personen durch ungeschlechtliche Zeugung 
(Theilung und Knospung), welche bei den stockbildenden Kalkschwämmen sehr ver- 
breitet ist, kann nicht als ungeschlechtliche Fortpflanzung betrachtet wer- 
den. Denn diese Personen trennen sich nicht freiwillig ab, sondern bleiben mit dem 
mütterlichen Stocke vereinigt. Das Resultat jener ungeschlechtlichen Zeugungs-Pro- 
cesse ist also bloss Stockbildung, Vermehrung der abhängigen Personen als morpho- 
logischer Individuen dritter Ordnung, welche den Cormus als Morphon vierter Ord- 
nung zusammen setzen. Fortpflanzung im eigentlichen Sinne können wir aber nur 


2. Gonologie (Physiologie der Fortpflanzung). 395 


die Vermehrung der Bionten oder der physiologischen Individuen nennen, mag 
diese Vermehrung nun die Person oder den Cormus betreffen. 

Dass Fragmente von Kalkschwämmen, sowohl von Personen, als von Stöcken, 
welche durch irgend eine zufällige äussere Veranlassung (Zerreissung, Zertrüämmerung) 
von dem ganzen Bion abgetrennt werden, im Stande sind, sich selbstständig zu er- 
nähren und zu einem vollständigen Bion durch Regeneration zu ergänzen, ist bis 
jetzt nicht beobachtet, doch nach den zahlreichen, an anderen Spongien gemachten 
Erfahrungen, insbesondere nach LiEeserktnx’s zahlreichen Versuchen an Spongilla 
und nach ©. Scnmipr’s werthvollen Experimenten über künstliche Schwammzucht 
von Euspongia etc. wohl nicht zu bezweifeln. Wahrscheinlich wird jedes künstlich 
abgelöste Fragment eines Kalkschwammes, welches ein Stückchen von beiden Bil- 
dungs-Blättern, von dem Geissel-Epithel des Gastral-Blattes und von dem Syneytium 
des Dermalblattes enthält, im Stande sein, sich wieder zu einem vollständigen phy- 
siologischen Individuum zu ergänzen. Diese Ausbildung eines partiellen Bion zu 
einem actuellen Bion würde unter den. Begriff der künstlichen Vermehrung 
fallen. Die natürliche Vermehrung der Kalkschwämme aber scheint niemals durch 
ungeschlechtliche, sondern immer erst durch geschlechtliche Fortpflanzung bewirkt 
zu werden. 


Sexuelle Fortpflanzung. Befruchtung. 


Der Process der sexuellen Fortpflanzung und der Befruchtung erfolgt bei den 
Kalkschwämmen in der allereinfachsten Weise. Da besondere Geschlechts-Organe 
(in morphologischem Sinne) ganz fehlen, und da die beiderlei Sexual-Zellen, welche 
in physiologischem Sinne die Geschlechts-Organe vertreten, weiter nichts sind als 
differenzirte Entoderm-Zellen, und im Geissel-Epithel des Gastrocanal-Systems zer- 
streut liegen, so ist für den Befruchtungs-Process weiter Nichts erforderlich, als dass 
die männlichen Spermazellen sich ablösen und mittelst ihrer Geisselbewegung sich 
zu den weiblichen Eizellen hinbegeben. Da die letzteren nackt sind, so können die 
ersteren ohne Weiteres, an ihrer Oberfläche angelangt, in ihr Inneres eindringen und 
so den Befruchtungs-Act vollziehen. 

Alle Kalkschwämme, bei denen ich Spermazellen nachweisen konnte, enthielten 
zugleich Eizellen, und waren also Hermaphroditen. Doch ist damit noch nicht ge- 
sagt, dass der Hermaphroditismus in dieser Gruppe ganz allgemein ist. Viel- 
mehr ist es wohl möglich, dass bei vielen anderen Kalkschwämmen Gonochoris- 
mus vorkommt, wie bereits oben (p. 153) auseinander gesetzt wurde. Bei den her- 
maphroditischen Kalkschwämmen kann natürlich der Befruchtungs-Process ganz 
einfach innerhalb der Magenhöhle stattfinden, indem die reifen Spermazellen sich 
von dem Entoderm ablösen und zu den benachbarten Eizellen hinschwimmmen. Da 


396 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


wo sich Spermazellen in grösserer Menge entwickeln und dicke „Samenballen“ bilden, 
da wird sich die ganze Magenhöhle zeitweise mit Sperma füllen und die Befruchtung 
der Eier überall in der Gastralfläche stattfinden. Bei den gonochoristischen 
Kalkschwämmen hingegen (wenn solche existiren), werden die Spermazellen bei den 
männlichen Bionten mit dem ausströmenden Seewasser austreten und darauf mit dem 
einströmenden Seewasser durch die Hautporen in das Gastrocanal-System der weiblichen 
Bionten eintreten. Vielleicht geschieht die Befruchtung häufig auch frei im Meere 
ausserhalb des Gastrocanal-Systems, da nicht nur die Spermazellen vermittelst ihrer 
Geisselbewegung, sondern auch die Eizellen vermittelst ihrer amoeboiden Bewegung, 
die Hohlräume des Canal-Systems verlassen und activ auswandern können. Beiderlei 
Sexual-Zellen werden sich dann, wie bei so vielen anderen Seethieren, frei im See- 
wasser begegnen und hier wird die eheliche Verbindung der flagellaten männlichen 
Zelle mit der amoeboiden weiblichen Zelle stattfinden. 

Den Act der Befruchtung selbst glaube ich einigemale während meines Auf- 
enthaltes auf Lesina im April 1871 beobachtet zu haben, so namentlich bei Ascetta 
primordialis, bei Leucaltis solida und bei Sycandra quadrangulata (Taf. 48, Fig. 6). 
Ich habe darüber bereits früher berichtet!): „In Präparaten von frisch zerzupften 
Schwammstücken, in welchen zahlreiche, lebhaft schwingende Samenzellen und ein- 
zelne, gleich Amoeben umherkriechende Eizellen sich durch einander bewegten, konnte 
ich zu wiederholten Malen beobachten, wie einzelne Samenzellen, die zufällig mit 
einer Eizelle in Berührung gekommen waren, mit derselben verschmolzen. Zunächst 
schien das kleine Zoosperm, sobald es .mit der Oberfläche der nackten Eizelle in 
Berührung gekommen war, an dieser anzukleben und seine schwingenden Bewegungen 
zu beschleunigen. Dann aber wurden dieselben allmählig langsamer und hörten zu- 
letzt ganz auf, während gleichzeitig das Ei seine trägen amoeboiden Bewegungen 
einstellte. Endlich schien das Zoosperm völlig mit dem Ei zu verschmelzen oder 
sich in der Dottermasse desselben aufzulösen“. In einigen Präparaten waren grosse, 
rundlich oder kugelig zusammengezogene Eizellen sichtbar, auf deren Oberfläche eine 
grosse Anzahl von schwingenden Spermazellen aufsassen, so z. B. bei Sycandra qua- 
drangulata (Taf. 48, Fig. 6). Die Zoospermien schienen hier mit dem Kopfende 
(dem Nucleus) sich in den Dotter des Eies einzubohren, während das Schwanzende 
(die Geissel) sich schwingend bewegte. In einigen Fällen verfolgte ich diese Eier 
längere Zeit hindurch, und fand, dass später die anhaftenden Spermazellen ver- 
schwunden (in der Dottermasse aufgelöst?) waren, und dass bald nachher die Fur- 
chung des Eies begann. Es darf demnach jene Verbindung der Spermazellen mit 
der Eizelle wohl als wirkliche Befruchtung betrachtet werden. 


1) HAeckeL, Ueber die sexuelle Fortpflanzung der Schwämme. Jenaische Zeitschr. für Med. und 
Naturw. Bd. VI, 1871, p. 644. 


2. Gonologie (Physiologie der Fortpflanzung). 397 


Gemmulabildung. 


Neben der gewöhnlichen geschlechtlichen Fortpflanzung findet sich bei manchen 
Spongien noch eine eigenthümliche Form der ungeschlechtlichen Vermehrung, welche 
unter dem Namen der Gemmulabildung oder Gemmulation bekannt, und zuerst 
von CARTER und LIEBERKÜHN bei der Spongilla, dem Süsswasser- Schwamme be- 
obachtet worden ist. Ich habe diesen merkwürdigen Fortpflanzungs -Process, wel- 
cher auf die Classe der Spongien beschränkt zu sein scheint, in meiner generellen 
Morphologie (Bd. II, p.53) als „Rückschreitende Keimknospenbildung“ 
(Polysporogonia regressiva) gedeutet. Wie weit dieselbe unter den Spongien über- 
haupt verbreitet ist, bleibt noch zu ermitteln. Bei den Kalkschwämmen kommt 
die Gemmulation nicht vor. 

Mit dieser negativen Behauptung setze ich mich allerdings in direeten Wider- 
spruch zu den Angaben von MıxtucHo, welcher bei seiner Guancha blanca (= As- 
celta blanca, H.) die Gemmulabildung ausführlich beschrieben hat. Um ganz un- 
parteiisch zu sein, gebe ich unten in der Anmerkung seine darauf bezügliche Mit- 
theilung in ihrer ganzen Ausdehnung wörtlich wieder !). Ich muss aber hinzufügen, 


1) MıikLucHo-MAcLAY beschreibt in der Jenaischen Zeitschr. f. Med. u. Naturw. (1868, Bd. IV, p. 228) 
die angebliche Gemmulation der G@uancha blanca mit folgenden Worten: „Eine andere, ebenfalls interes- 
sante Fortpflanzungsart, die ich bei Guancha beobachtete, ist die sogenannte Gemmulabildung, die auch 
bei anderen Seeschwämmen verbreitet ist; auf Algen, Pfählen, Steinen am Strande fand ich zuweilen kleine 
weissliche Kügelehen, die ich für Gemmulae ansah, ohne zu wissen, dass sie der Guancha angehörten. 
Endlich half mir ein glücklicher Zufall. Eines Tages erbeutete ich eine Guanchagruppe, deren Formen 
mir auffielen. Ich hielt diese Schwämme in einem Gläschen isolirt; und fand am nächsten Tage noch 
keine wesentliche Veränderung. An den folgenden Tagen fehlte mir die Zeit, jene Schwämme von neuem 
zu untersuchen, so dass ich nur einigemal das Wasser wechselte. Am fünften Tage fand ich zu meinem 
grossen Erstaunen die Gruppe ganz verändert. An einzelnen Stellen der Schwammindividuen boten sich 
Anschwellungen dar (Fig. 6 g), die an anderen scharf abgegrenzt waren, und eine Umwandlung in Gem- 
mulae wahrnehmen liessen. Die eine derselben löste sich schon in ein paar Stunden ab. Sie glich voll- 
ständig den vorhin erwähnten (Fig. 7), die mir bezüglich ihrer Abstammung anfänglich unbekannt waren. 
Die dünne Wandung umschloss eine aus Zellen bestehende Substanz und einzelne Spieula des Mutter- 
schwammes. Um vollkommen sicher zu sein, nahm ich eine andere Guanchagruppe (Fig. 8), deren Indi- 
viduen voll Embryonen waren und unterwarf sie demselben Versuche. In wenigen Tagen erhielt ich 
neue Gemmulae (Fig. 9), die Individuen mit den Embryonen waren rückgebildet. Die Gemmulae der 
Guancha entwickeln sich, indem einzelne Stellen des Körpers anschwellen. Die Wand derselben wird an 
diesen Stellen dünner, durchsiehtiger, die Anschwellung nimmt allmählich an Grösse zu und die Schwamm- 
zellen und Spieula des Schwammes gehen in diese sich bildende Gemmula über, die sich allmählich ab- 
schnürt. Die äussere Hülle der Guancha wird zur Gemmula-Hülle, der Inhalt des Schwammes zum Gem- 
mula-Inhalt. Aus einem Schwammindividuum geht bald eine Gemmula, bald gehen deren zwei hervor. 
Ich behielt die abgelösten Gemmulae bis zu meiner Abreise aus Arreeife, zwei Wochen ungefähr, wech- 
selte sorgfältig das Wasser, ohne jedoch eine Weiterentwickelung der Gemmulae erzielen zu können. 


Das Schicksal dieser Gemmulae ist wahrscheinlich dasselbe wie das der Gemmulae anderer Schwämme; sie 


398 Fünftes Kapitel. Interne Plıysiologie. 


dass nach meiner Ueberzeugung diese ganze Darstellung auf Täuschung beruht; so 
schwer glaublich dies bei dem Detail seiner Mittheilung auch erscheinen mag. Ich 
bedaure sehr, bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen zu müssen, dass die Angaben 
von MIKLUCHO nur mit grosser Vorsicht aufzunehmen sind. Neben sehr werthvol- 
len und richtigen finden sich auch völlig unrichtige und unzuverlässige Darstellun- 
gen. Ich erinnere bloss daran, dass MıxLucHo z. B. bei Guancha das Exoderm 
als „Cuticula“ beschreibt, und die im Exoderm liegenden Spicula „zwischen die Zel- 
len“ (des Entoderm) verlegt; dass er in der höchst flüchtigen Beschreibung seiner 
Bueria ochotensis (= Leucandra ochotensis, H.) das Innere und Aeussere verwech- 
selt, die characteristischen pfriemenförmigen Stabnadeln und kreuzförmigen Vier- 
strahler gar nicht erwähnt u. s. w. 

Unter mehreren tausend Exemplaren von Kalkschwämmen der verschiedensten 
Arten, welche in den verschiedensten Weltgegenden zu den verschiedensten Jahres- 
zeiten gesammelt wurden, und welche ich auf das Genaueste untersucht habe, hat 
sich auch nicht ein einziges Mal nur eine Spur von dieser angeblichen Gemmula- 
Bildung auffinden lassen. Es müsste doch ein sonderbarer und kaum erklärlicher 
Zufall sein, dass unter allen diesen Kalkschwämmen auch nicht ein einziger eine 
Gemmula enthalten hätte, wenn solche wirklich bei den Caleispongien vorkämen. 
Was mir aber das Irrthümliche der bezüglichen Angaben von MıKkLucHo zur vollen 
Ueberzeugung bringt, ist neben der grossen inneren Unwahrscheinlichkeit derselben 
folgender Umstand. Nachdem ich gegen MıxLucHo meinen Zweifel’ an der Richtig- 
keit seiner Beobachtung ausgesprochen und das gänzlich negative Resultat meiner 
eigenen zahlreichen Bemühungen, Gemmulae bei den Kalkschwämmen nachzuweisen, 
mitgetheilt, hatte derselbe die Güte, mir den Rest der angeblichen „Gemmulae von 
Guancha“, welche noch in seinem Besitze waren (acht an der Zahl) zur Unter- 
suchung zu überlassen. Es waren feste, gelbbraune bis schwarzbraune, kugelige 
Kapseln, von 1—2 Mm Durchmesser. Zwei derselben bewahre ich noch jetzt auf. 
Die sechs übrigen habe ich (zum Theil in der Gegenwart von MikrtucHo selbst) 


treiben sich umher, bis sie günstige Gelegenheit und Jahreszeit finden. (Dabei muss erwähnt werden, dass 
meine Beobachtungen in den Monat Februar fielen). Schon früher fand ich am Fuss vieler einzeln ste- 
hender Guancha Fetzen eines Häutchens und Spieula, die der Guancha anzugehören schienen (Fig. 16): 
Die Bedeutung dieses Häutchens wurde mir aber erst dann klar, als ich diese Thatsache mit dem Vor- 
hergehenden in Zusammenhang brachte. Ich untersuchte darauf sehr viele Exemplare, bei einigen fand 
ich gar nichts derartiges, bei andern gleiche Fetzen, zwei oder drei aber besassen vollständige Häute, die 
am untern Ende des Stieles sassen und viel umfänglicher waren, als die darauf sich erhebende Guancha, 
Die Vergleichung dieser Häute mit der strueturlosen Gemmulahülle erwies beider Identität. Diese Beob- 
achtungen habe ich mehrfach wiederholen können. So fand ich ganz einzeln vorkommende Guancha auf 
Algen an einer Uferstelle bei Puerto Naos (Lanzarote), wo ich nach langem Suchen keine andere Guancha 
zu Gesicht bekam. Sie besassen die beschriebenen Membranreste; offenbar waren sie als Gemmulae da- 


hin gerathen.‘ 


2. Gonologie (Physiologie der Fortpflanzung). 399 


mit der grössten Vorsicht geöffnet und untersucht. Als Inhalt der Kapseln ergab 
sich eine braune pulverförmige Masse, welche bei sehr starker Vergrösserung aus 
lauter gelben, länglich runden oder kugeligen Zellen (von 0,005 —0,007 Mm) zusam- 
mengesetzt erschien. Weder von den Zellen des Kalkschwammes, noch von den Kalk- 
nadeln desselben, welche nach MıxrLucHo’s Angabe den Inhalt der Gemmulae bil- 
den sollten, war eine Spur zu finden. Die dünne, aber feste Hülle der Kapsel ergab 
sich als eine structurlose, geschichtete, von äusserst feinen Poren durchbohrte, in 
concentrirten Säuren und Alkalien schwerlösliche Membran. Demnach sind die an- 
geblichen „Gemmulae der Guancha“ wahrscheinlich Sporenkapseln von Algen, jeden- 
falls aber nicht Producte des Kalkschwammes. 


Vererbung. 


Die Erscheinungen der Vererbung, welche in ihrer Wechselwirkung mit den 
Functionen der Anpassung die Hauptrolle bei der Gestaltung und Speciesbildung 
der Organismen spielen, lassen sich bei den Kalkschwämmen weit sicherer verfolgen 
und besser übersehen, als bei den meisten übrigen Organismen der Fall ist. Die 
grosse Einfachheit der morphologischen Verhältnisse, und die geringe Mannichfal- 
tigkeit der physiologischen Functionen erleichtert hier die Untersuchung in ausser- 
ordentlichem Grade. Namentlich die grosse Beschränkung der animalen Functionen 
und. die völlige Elimination der mannichfaltigen physiologischen Complicationen, 
welche bei anderen Thieren mit der Entwickelung und Function der Sinnesorgane, 
der Extremitäten, des Nervensystems u. s. w. verknüpft sind, werden für diese Auf- 
gabe von grosser Bedeutung. Sie gestatten hier bei den Schwämmen und speciell 
bei den Kalkschwämmen, die Vererbung einerseits, die Anpassung anderseits als 
formbildende Functionen weiter zu verfolgen und daher auch die Descendenz der 
Species besser zu übersehen, als es gewöhnlich möglich ist. 

Die allgemeinen Anschauungen, welche ich über den Zusammenhang der Ver- 
erbung mit der Fortpflanzung, sowie über die verschiedenen Gesetze der conserva- 
tiven und progressiven Vererbung im fünften Buche meiner generellen Morphologie 
entwickelt habe, finde ich durch die genaueste Untersuchung der Kalkschwämme 
lediglich bestätigt, und indem ich bezüglich der ersteren auf jenes Buch verweise, 
die eingehendere Würdigung der Bedeutung der Kalkschwämme für die Vererbungs- 
frage im Allgemeinen aber mir für das achte Capitel dieses Bandes vorbehalte, be- 
schränke ich mich hier darauf, das Mass der Vererbung für die verschiedenen mor- 
phologischen Bestandtheile und die dadurch vertretenen Individualitäts-Stufen im 
Körper der Kalkschwänme festzustellen. 

Die Vererbung steht im Allgemeinen bei der Formbildung der 
Organismen zu der Anpassung in directem Antagonismus, und das 
Maass beider Functionen verändert sich daher in umgekehrter Pro- 


400 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


portion. Mithin können wir hier einfach die Reihenfolge der Individualitäts-Stufen, 
welche wir vorher bezüglich ihres Verhältnisses zur Anpassung untersucht haben, 
umkehren. Wir waren ohnehin schon bei jener Untersuchung genöthigt, neben der 
Anpassung überall zugleich die Vererbung in Betracht zu ziehen. Je leichter irgend 
ein morphologisches Verhältniss der Anpassung unterliegt, desto weniger streng kann 
es sich vererben; und umgekehrt: Je strenger sich irgend eine morphologische Eigen- 
thümlichkeit vererbt, desto weniger ist sie der Abänderung durch Anpassung unter- 
worfen. Mithin werden jene oben angeführten Form-Verhältnisse, welche bei Unter- 
suchung der Anpassung wegen ihrer grossen Variabilität zuerst in Frage kamen, 
hier bei der Vererbung zuletzt in Betracht zu ziehen sein; und umgekehrt werden 
die entgegengesetzten Form-Eigenschaften, welche dort wegen ihrer bedeutenden 
Constanz zuletzt, am Ende der Reihe erwähnt wurden, hier gerade zuerst, am An- 
fange der Reihe, aufgeführt werden müssen. 

Demgemäss haben wir zuerst hier mit der Vererbung der Plastiden- 
Form zu beginnen. Diese übertrifft alle anderen Form-Verhältnisse an Constanz, 
so zwar, dass sie beinahe als absolut constant bezeichnet werden kann. So- 
wohl die Structur-Verhältnisse der Entoderm-Elemente: der nutritiven Geisselzellen, 
der Spermazellen und der Eizellen, als diejenigen der weichen Exoderm-Bestand- 
theile: der Sarcodine und der Kerne im Syncytium, haben sich von der gemeinsa- 
men Stammform der Kalkschwämme so streng auf alle Arten derselben vererbt, dass 
wir überhaupt keine irgend wesentlichen, für uns wahrnehmbaren Form-Verschieden- 
heiten bei den verschiedenen Kalkschwämmen in dieser Beziehung constatiren kön- 
nen. Anders verhält es sich mit den festen Bestandtheilen des Exoderms, mit den 
Nadeln des Kalk-Skelets, bei denen die Constanz der Vererbung durch einen be- 
deutenden Grad von Variabilität der Form beeinträchtigt wird. Doch bleibt auch 
für diese Form-Elemente die Vererbung wegen ihres hohen Grades von relativer 
Constanz von solcher Bedeutung, dass gerade ihre speciellen Formen uns die 
besten und sichersten Anhaltspunkte für die Species-Unterscheidung liefern. 
Demjenigen, was schon oben (p. 390) in dieser Beziehung bemerkt wurde, ist hier 
noch hinzuzufügen, dass die Vererbung an der einzelnen Nadelform bezüglich der 
speciellen Eigenschaften folgende stufenweise Abnahme der Constanz erkennen lässt: 
1. Die Hauptform der Nadel. 2. Die Nebenform der Nadel. 3. Der Kalkgehalt der 
Nadel. 4. Die Spitzenform der Nadel. 5. Die Dicke der Nadel. 6. Die Länge der 
Nadel. Mit anderen Worten: Die Hauptform des Spiculum vererbt sich am streng- 
sten, die Länge dagegen am wenigsten streng; die Hauptform vererbt sich strenger 
als die Nebenform, die Länge weniger streng als die Dicke u. s. w. 

An die Vererbung der Plastiden-Form schliesst sich bezüglich ihrer Constanz 
zunächst die Vererbung der Organ-Form an. Hier können wir bezüglich des 
abnehmenden Constanzgrades der Vererbung etwa folgende Stufenreihe aufstellen: 


2. Gonologie (Physiologie der Fortpflanzung). 401 


1. Die Structur der Magenwand (die drei Hauptformen des Gastrocanal-Systems als 
Basis der drei natürlichen Familien). 2. Die Zusammensetzung des Skelets aus den drei 
Hauptformen der Spicula (die siebenfach verschiedene Zusammensetzung des Skelets 
als Basis der sieben natürlichen Genera in jeder der drei Familien). 3. Die spe- 
cielle Formbeschaffenheit der Strahlcanäle bei den Syconen, der Astcanäle bei den 
Leuconen (drei verschiedene Typen der Radial-Tuben: mangelnde, theilweise und 
völlige Verwachsung; vier verschiedene Typen der Ramal-Tuben: baumförmiger, netz- 
förmiger, traubenförmiger und blasenförmiger Typus). 4. Die specielle Differenzi- 
rung des Skelet-Systems an einzelnen Körpertheilen, vorzüglich bei den Syconen, 
weniger bei den Leuconen, fast gar nicht bei den Asconen (Skelet der Gastralfläche, 
Skelet der Radial-Tuben oder des Wand-Parenchyms, Skelet der Dermalfläche, Skelet 
des Osculum). 5. Die specielle Formbeschaffenheit der Mundöffnung (die vierfach 
verschiedene Osculum-Bildung als Basis der Genera des künstlichen Systems: nackte, 
rüsselförmige, bekränzte und zugewachsene Mundöffnung). Es vererbt sich also von 
den wichtigsten organologischen Eigenschaften am strengsten die Structur der Ma- 
genwand, am wenigsten streng die Beschaffenheit der Mundöffnung; die allgemeine 
Zusammensetzung des Skelets vererbt sich strenger als die specielle Differenzirung 
des Skelet-Systems an einzelnen Körpertheilen u. s. w. 

Viel weniger constant als die Vererbung der Organ-Form ist die Vererbung 
der Person-Form. Wie schon oben angeführt, ist gerade die eigenthümliche 
individuelle Form der Person, welche bei den meisten Thieren in so bedeutender 
Weise den „characteristischen Habitus der Species“ bedingt, bei den Spongien, und 
vor Allen bei den Kalkschwämmen, so veränderlich und so sehr der Anpassung 
unterworfen, dass sie niemals als wesentlicher, d. h. constanter Species-Character in 
die Diagnose einer natürlichen Art mit aufgenommen werden kann. Damit soll nicht 
gesagt sein, dass bei allen Kalkschwämmen die Eigenthümlichkeiten der Person-Form 
absolut variabel, und mithin für die Unterscheidung der Species werthlos sind. Viel- 
mehr giebt es eine Anzahl von Arten, bei denen eine besondere characteristische 
Person-Form sich ziemlich constant innerhalb der natürlichen Species zu vererben 
scheint, so namentlich bei den bandförmig oder taschenförmig zusammengedrückten 
Species: Ascandra cordala (Taf. 17, Fig. 2), Leucandra erambessa (Taf. 37, Fig. 7), 
Sycandra compressa (Taf. 59, Fig. 1—6). Aber auch hier ist, wie oben bereits an- 
geführt wurde, die Vererbung dieser eigenthümlichen Person-Form keineswegs absolut 
constant; geht vielmehr bei einzelnen Abarten, die sich sonst wenig oder fast gar 
nicht von der gewöhnlichen Species-Form entfernen, theilweise oder ganz verloren. 

Am wenigsten constant endlich ist bei den Kalkschwämmen die Vererbung 
der Cormus-Form. Diese unterliegt vielmehr innerhalb einer und derselben na- 
türlichen Species so leicht und in so hohem Maasse der Abänderung durch Anpassung, 
dass sie für den Species-Character völlig werthlos ist. Wenigstens ist diese ausser- 


Haeckel, Kalkschwümme. I, 26 


402 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


ordentliche Variabilität bei allen denjenigen Kalkschwamm-Species constatirt, von 
denen ich sehr zahlreiche Exemplare habe untersuchen und vergleichen können. 
Einzelne Species scheinen allerdings durch sehr eigenthümliche Stockform sich aus- 
zuzeichnen, so z.B. Ascandra sertularia (Taf.17, Fig.5), Ascandra pinus (Taf. 19), 
Leucetta trigona (Taf. 22, Fig. 1), Lewceyssa spongilla (Taf. 25, Fig. 11, 12), Sye- 
andra arborea (Taf. 58, Fig. 7), Sycandra aleyoncelhım (Taf. 58, Fig. 5). Indessen 
sind gerade von diesen und ähnlichen Arten theils nur wenige oder selbst nur ein 
einziges Exemplar untersucht, so dass man daraus nicht auf die Constanz dieser 
eigenthümlichen Form schliessen kann, theils ist auch hier die Variabilität an an- 
deren Individuen derselben Art nachgewiesen. 

Die Vererbung der Individualitäts-Stufe selbst ist bereits oben (p. 384) 
erörtert und durch eine statistische Tabelle (p. 333) erläutert worden. 


Io. Physiologie der animalen Functionen. 


l. Mechanik (Physiologie der Bewegungen). 


A. Automatische Bewegungen. 


Die Bewegungs-Erscheinungen der Kalkschwämme verhalten sich denjenigen der 
übrigen Schwämme gleich, so dass auch hier in der Mechanik, wie in der übrigen 
Physiologie, das Wenige, was wir bis jetzt sagen können, ebensowohl von den Calei- 
spongien, wie von den Schleimschwämmen, Hornschwämmen und Kieselschwämmen 
gilt. Nur in Betreff der Geschwindigkeit und Intensität der Bewegungs-Erscheinungen 
scheinen Unterschiede bei den verschiedenen Spongien vorzukommen. 

Eine Ausnahme von dieser Gleichförmigkeit der physiologischen Funetionen bei 
allen Schwämmen bildet jedoch gerade bezüglich der Mechanik der Süsswasser- 
Schwamm, die Spongilla, und da die Bewegungs-Erscheinungen gerade bei diesem 
Schwamme besonders genau beobachtet worden sind, müssen wir einen Augenblick 
dabei verweilen. Nach den sehr sorgfältigen und anhaltenden Untersuchungen, welche 
zahlreiche Beobachter, namentlich aber GRANT, CARTER und LIEBERKÜHN an der 
Spongilla angestellt haben, galt dieselbe bisher gewöhnlich als eigentlicher Typus 
der Spongien-Organisation; und daher glaubte man auch die an ihr beobachteten 
Bewegungs-Phänomene ohne weiteres auf alle übrigen Spongien übertragen zu dürfen. 
Wie verhängnissvoll dieser Irrthum für die spätere Spongiologie wurde, habe ich 
schon in der historischen Einleitung angedeutet (p. 29). Weit entfernt davon, eine 


1. Mechanik (Physiologie der Bewegungen). 405 


einfache und typische, von der Stammform der Classe wenig abweichende Spongien- 
Form zu repräsentiren, ist die Spongilla vielmehr als eine eigenthümliche Neben- 
form aufzufassen, welche einem stark differenzirten Seitenzweige der Classe angehört 
und durch Anpassung an die besonderen Existenz-Bedingungen an den Süsswasser- 
Aufenthalt vielfach modifieirt und theilweise rückgebildet ist. In anatomischer Be- 
ziehung zeichnet sie sich namentlich dadurch sehr auffallend aus, dass ihre Exoderm- 
Zellen nicht mit einander zum Syneytium verschmolzen sind, wie es wohl bei den 
meisten marinen Spongien und namentlich bei allen Kalkschwämmen der Fall ist. 
Vielmehr scheint aus den sehr genauen und zahlreichen histologischen Untersuchungen 
der Spongilla, vor Allen aus denjenigen von LiEBERKÜHN, mit Sicherheit hervor- 
zugehen, dass jene Verschmelzung hier nicht stattfindet, und dass an Stelle des 
Syneytiums bei der Spongilla zeitlebens die selbstständigen, getrennt bleibenden 
Exoderm-Zellen fungiren. Sie sind die „eigentlichen oder typischen Schwamm- 
Zellen“, die amoeboiden Zellen, welehe nach der allgemein herrschenden Vorstel- 
lung den Schwammkörper vorzugsweise constituiren, welche aber bei den meisten 
übrigen Spongien in dieser selbstständigen Form gar nicht persistiren, sondern zu 
der Zellfusion des Syneytiums verschmolzen sind. 

Dieser wesentliche Unterschied zwischen Spongilla und den übrigen Spongien 
ist nun aber gerade für die Mechanik derselben von grösster Bedeutung. Denn es 
ist ohne weiteres klar, dass die Bewegungs - Erscheinungen, welche die einzelne 
amoeboide „Schwamm-Zelle“ als solche bei Spongilla ausführt, als individuelle Zell- 
Bewegungen bei den andern Spongien gar nicht, vorkommen können. Vielmehr be- 
dingt hier die Verschmelzung derselben im Syneytium immer eine gleichzeitige Action 
vieler innigst verbundener Zell-Individuen, zwischen denen ebenso wenig eine phy- 
siologische als eine anatomische Grenze scharf zu ziehen ist. Aus diesem Grunde 
sind die ausführlichen Angaben, welche Grant und BOWERBANK, besonders aber 
CARTER und LIEBERKÜHN, über die Bewegungs-Erscheinungen der Spongillen ge- 
macht haben, nicht ohne weiteres für die übrigen Spongien zu verwerthen. Na- 
mentlich sind die vielen, höchst sorgfältigen Beobachtungen, welche LIEBERKÜHN SO- 
wohl in seinen früheren, bereits mehrfach eitirten Arbeiten (vergl. oben p. 13—16), 
als auch in einigen neueren, speciell hierauf bezüglichen Aufsätzen !) mitgetheilt 
hat, zum grössten Theile für unsere engere, hier zunächst vorliegende Aufgabe 
ohne näheres Interesse. Indem ich die Verwerthung dieser Beobachtungen und die 
Deutung ihrer Beziehungen zur Mechanik der übrigen Spongien späteren Unter- 
suchungen überlassen muss, beschränke ich mich hier darauf, in Kürze die bisherigen 


1) Lieserkünn, Ueber Bewegungs-Erscheinungen bei den Schwämmen (Arch. f. Anat. Phys. 1863, 


p- 717, Taf. XIX). — Ueber das contractile Gewebe der Spongien (Arch. f. Anat. Phys. 1867, p. 74, 
Taf. III, IV). — Ueber Bewegungs-Erscheinungen der Zellen. Marburg 1870 (darin: II. Die contractilen 


Zellen der Spongillen, p. 9— 22). 
26 * 


404 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Erfahrungen über die Bewegungs-Erscheinungen der Kalkschwämme mitzutheilen, 
welche wahrscheinlich auch für die meisten übrigen Spongien Geltung haben werden. 

Die Mechanik der Kalkschwämme kann entweder (nach morphologischen Prin- 
cipien) eingetheilt werden in Mechanik des Entoderms und des Exoderms, oder (nach 
physiologischen Principien) in automatische und neuromusculäre Mechanik. Zu den 
automatischen Bewegungen müssen wir die Geisselbewegung und die amoeboide 
Bewegung rechnen, welche beide zu verschiedenen Zeiten sowohl im Entoderm als im 
Exoderm vorkommen. Die neuromusculären Bewegungen hingegen werden 
durch die Contractionen des Syneytiums repräsentirt. 


Geisselbewegung. 


Die Geisselbewegung (Motus flagellaris) ist die einzige Form der Flimmer- 
bewegung (Motus vibratorius), welche bei den Kalkschwämmen und bei den 
übrigen Schwämmen vorkommt. Die andere Form der letzteren, die Wimper- 
bewegung (Motus ciliaris) tritt in dieser Thierclasse niemals auf, da die Flimmer- 
zellen hier immer nur ein einziges langes Flimmerhaar (Flageilum), niemals mehrere 
kurze Flimmerhaare (Cilia) tragen. Dass alle Autoren bei den Spongien von Wimper- 
zellen, Wimperhaaren und Wimperbewegung sprechen, hat nur darin seinen Grund, 
dass man bisher nicht die beiden verschiedenen Formen der Flimmerbewegung (die 
Geisselbewegung der einhaarigen Plastiden und die Wimperbewegung der mehrhaa- 
rigen Plastiden) gehörig unterschieden hat (vergl. oben p. 132). 

Die Geisselbewegung tritt bei den Kalkschwämmen an drei verschiedenen Orten 
und in drei verschiedenen Functionen auf, nämlich: I. als locomotive Geissel- 
bewegung an den Exoderm-Zellen der schwärmenden Flimmerlarve; IH. als nutri- 
tive Geisselbewegung an den Entoderm-Zellen des festsitzenden Schwammes; und 
II. als sexuelle Geisselbewegung an den Spermazellen des geschlechtsreifen 
Schwammes, welche aus den nutritiven Geisselzellen entstanden sind. 

Die locomotive Geisselbewegung der Exoderm-Zellen bei der Flimmer- 
larve, welche erst als Planula, dann als Gastrula frei umherschwärmt, beginnt, so- 
bald die gleichartigen Zellen der Morsla sich in Entoderm und Exoderm differen- 
ziren, sobald die dunkeln, runden, grossen Zellen des Inneren sich von den hellen, 
cylindrisch -prismatischen, kleinen Zellen der Oberfläche scheiden. Jede von diesen 
letzteren streckt an ihrer freien Aussenfläche einen langen, peitschenförmigen, feinen 
Protoplasma-Faden hervor, welcher sich schwingend zu bewegen beginnt, und mittelst 
dieser Geisselbewegungen schwimmt nun die Flimmerlarve frei so lange im Meere 
umher, bis sie zu Boden fällt und sich als Ascula festsetzt. Dann werden die Geis- 
selhaare eingezogen und die nicht mehr flimmernden Zellen des Exoderms ver- 
schmelzen mit einander zur Bildung des Syncytium (vergl. oben p. 337, und Taf. 4, 
Fig. 6, 7; Taf. 13, Fig. 5, 6; Taf. 30, Fig. 8, 9; Taf. 44, Fig. 14, 15). Die Bewe- 


1. Mechanik (Physiologie der Bewegungen). 405 


gung der schwimmenden Flimmerlarven ist bald rascher, bald langsamer, und scheint 
nach dem Willen der Larve bald beschleunigt, bald verzögert werden zu können. 
Das Mundende scheint bei der Bewegung gewöhnlich voranzugehen; ob immer, ist 
zweifelhaft. 

Die Geisselbewegung der nutritiven Entoderm-Zellen scheint, wie 
schon früher angeführt, erst zu beginnen, nachdem die Flimmerlarve sich festgesetzt 
und ihre Geisselhaare eingezogen hat. Dann verwandeln sich die dunkeln, rund- 
lichen Entoderm-Zellen, welche die Magenhöhle umschliessen, in hellere Geisselzellen, 
welche bei den Asconen fast die ganze Oberfläche des Gastrocanal-Systems, bei den 
Leuconen nur einen Theil der Ramal-Canäle und bei den Syconen nur die Radial- 
Tuben auskleiden. Die Structur und die Form dieser nutritiven Geisselzellen ist 
bereits oben ausführlich beschrieben worden (p. 137—144). Die ursprünglich flimmer- 
losen Zellen strecken an der freien, dem Gastrocanal-Raum zugekehrten Oberfläche 
ein langes, dünnes, fadenförmiges Pseudopodium aus, und diese Geissel beginnt lang- 
sam (und allmählich schneller) peitschenförmig sich zu bewegen und hin und her zu 
schwingen. An ihrer Basis bildet sich aus dem hyalinen Exoplasma der Geisselzelle 
der trichterförmige Kragen, in dessen Höhlung die Geissel die Nahrung hineinstrudelt. 
Die Geisselbewegung dieser Zellen ist die wesentlichste Ursache der Wasserströmung 
im Spongien-Körper und somit der Ernährung desselben. Die wechselnde Stärke 
und Geschwindigkeit des ernährenden Wasserstromes, welche vorher (p. 369) bereits 
erörtert wurde, ist abhängig von der wechselnden Energie der Geisselbewegung dieser 
Zellen. Wenn diese ihre Bewegungen ganz einstellen, hört die Wasserströmung auf, 
wie es bei übersättigten Kalkschwämmen der Fall ist. Auch sonst scheint die 
Geisselbewegung zeitweise ganz eingestellt zu werden, wie bereits vorher angegeben 
worden ist (p. 371). 

Die sexuelle Geisselbewegung der Spermazellen, welche erst bei der 
eintretenden Geschlechtsreife beginnt, ist einfach als eine besondere Modification der 
gewöhnlichen Geisselbewegung aufzufassen. Wie die Spermazellen oder Zoospermien 
selbst nichts Anderes sind, als modificirte Geisselzellen, so ist auch die eigenthüm- 
liche Bewegung der ersteren, die Zoospermien-Bewegung, nur als eine Modification 
der gewöhnlichen Geisselbewegung anzusehen; und wie die frei sich bewegenden 
Zoospermien gerade bei den Schwämmen durch ihre Grösse und Form nur wenig 
von den abgelösten, frei umherschwimmenden nutritiven Geisselzellen verschieden 
erscheinen, so kann man auch die Bewegungs-Erscheinungen dieser beiderlei Geissel- 
zellen kaum unterscheiden. Bei den Kieselschwämmen glaubt Emer einen solchen 
Unterschied gefunden zu haben, indem „in einzelnen Fällen die Bewegungen der 
ausgebildeten Samenfäden mehr den Eindruck des Willkührlichen machten, in- 
dem sie unregelmässiger waren, als diejenigen der Fäden der letzteren. Die 
Bewegungen dieser erschienen als ein regelmässiges Hin- und Herschwingen, in Ver- 


A406 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


bindung mit einer Verkürzung, welche entweder eine Wellenlinie hervorbrachte, oder 
aber geradezu eine Knieckung des Fadens. An den Bewegungen der Samenfäden 
war dagegen ein Hin- und Herschwingen nicht zu sehen: sie geschahen etwa nach 
der Art, wie eine Schlange, welche man in der Mitte des Körpers in der Hand hält, 
Versuche zum Entwischen macht: sie stösst den Kopf heftig nach vorwärts und 
zieht ihn dann wieder zurück, so dass der Körper eine Wellenlinie bildet. Diese 
Bewegungen fanden bei den Spermatozoen in sehr lebhafter Weise statt, allein mit 
oft wechselnder Stärke und nicht gleichsam mechanisch, wie bei den Geisselzellen“ t). 
Ich kann diesen von EmEr angegebenen Unterschied nicht für characteristisch halten. 
Wenigstens war ich nicht im Stande, in den Bewegungen der Spermazellen bei den 
Kalkschwämmen mehr Willkührliches und Unregelmässiges zu entdecken, als in den 
Bewegungen der Zoospermien überhaupt auch bei anderen Thieren sich findet, und 
als auch bei vielen Geisselzellen zu finden ist, welche von ihrem ‚Standorte abgelöst 
worden sind und nun frei im Wasser umherschwimmen. Im Gegentheil habe ich 
gerade bei den einzelnen abgelösten Geisselzellen der Kalkschwämme so viel Un- 
regelmässigkeit und Ungleichmässigkeit in ihrer Bewegung gefunden, dass die Sup- 
position eines „freien Willens“ als Motiv derselben gerade so gut erlaubt gewesen 
wäre, wie bei den „willkührlichen“ Bewegungen der Flagellaten, Infusorien etc. 
Ebenso wenig als die schlängelnde Form der wellenförmigen Bewegung zeigt die 
Geschwindigkeit und Energie derselben bei den Spermazellen und bei den nutritiven 
Geisselzellen einen durchgreifenden Unterschied. Vielmehr fand ich dieselbe bei den 
letzteren so wechselnd, dass sie bald die der ersteren übertraf, bald weit hinter ihr 
zurückblieb. Die Geisselbewegung der freien Spermazellen verhielt sich wie bei an- 
deren Thieren. 


Uebergang der Geisselbewegung in amoeboide Bewegung. 


In meinen „Beiträgen zur Plastidentheorie‘“ habe ich schon vor einigen Jahren 
die „Identität der Flimmerbewegung und der amoeboiden Protoplasma-Bewegung“ 
nachgewiesen ?2). Die Beobachtungen, welche mich zur Annahme dieser Identität 
führten, wurden von mir zum Theil an verschiedenen Kalkschwämmen während 
meines Aufenthaltes an der norwegischen Küste (1869), zum Theil schon früher an 
verschiedenen niederen Organismen angestellt. Als ich im December 1866 auf der 
canarischen Insel Lanzerote die Entwickelungsgeschichte der Siphonophoren unter- 
suchte, bemerkte ich amoeboide Bewegungen an den Furchungszellen, welche die 
Oberfläche der Morula bei Physophora, Crystallodes, Athorybia u. s. w. bedeckten. 


1) Eimer, Nesselzellen und Samen bei Seeschwämmen. Archiv f. mikrosk. Anat. 1872, Bd. VIII, 
p- 291. 

2) HaEckEL, Biologische Studien. Erstes Heft: Studien über Moneren und andere Protisten. Leipzig 
1870. p. 127; p. 25; Taf. I, Fig. 5, 6; Taf. VI, Fig. 5, 6. 


l. Mechanik (Physiologie der Bewegungen). +07 


Die oberflächlichen Furchungskugeln streckten nach Art der Amoeben kurze, stumpfe, 
fingerförmige Fortsätze hervor, welche ihre Form vielfach wechselten und sich all- 
mählig in dünne und spitze, schneller schlagende Cilien verwandelten !). Im Januar 
1867 beobachtete ich ebendaselbst die Biogenie des höchst interessanten Moneres, 
welches ich als Protomyxa aurantiaca in meiner „Monographie der Moneren“ be- 
schrieben habe (Biolog. Stud. p. 10, Taf. I). Bei dieser merkwürdigen Protisten-Form 
entstehen aus den Sporen flagellate Cytoden, welche sich nachher direct in amoeboide 
Cytoden verwandeln. Zwei Jahre später (1369) beobachtete ich auf der norwegi- 
schen Insel Gis-Oe eine andere Protisten-Form (Magosphaera planula), bei welcher 
die birnförmigen Wimperzellen, die den kugeligen Körper zusammensetzen, sich aus 
amoeboiden Zellen entwickeln, eine Zeit lang mittelst Wimperbewegung umher- 
schwimmen und dann wieder in kriechende amoeboide Zellen sich verwandeln 2). 
Ebendaselbst konnte ich dann gleichzeitig die Identität der Flimmerbewegung und 
der amoeboiden Bewegung an den Geisselzellen der Kalkschwämme nachweisen. Diese 
Identität zeigt sich hier in zweifach verschiedener Weise, erstens nämlich darin, 
dass ursprünglich amoeboide Zellen sich in Geisselzellen umbilden, und zweitens 
darin, dass Geisselzellen sich wieder in amoeboide Zellen verwandeln. 

Die Verwandelung der amoeboiden Bewegung in die Geisselbe- 
wegung findet bei den Kalkschwämmen mehrfach statt, und wiederholt sich wahr- 
scheinlich vielfach während ihrer ganzen Lebensdauer. Zum ersten Male geschieht 
dieselbe bei der Differenzirung der Morula, indem die amoeboiden Zellen an der 
Oberfläche des brombeerförmigen, kugeligen Zellenhaufens in Geisselzellen übergehen, 
und so das Exoderm bilden, während die unveränderten Zellen im Inneren das Ento- 
derm herstellen. Zum zweiten Male geschieht jene Verwandelung, nachdem die 
schwärmende Flimmerlarve ihre frei schwimmende Lebensweise aufgegeben und sich 
festgesetzt hat. Dann beginnen die bis dahin flimmerlosen Entoderm-Zellen ihre 
langen Geisselhaare auszustrecken und gehen in die nutritiven Geisselzellen des 
Gastrocanal-Systems über. Endlich geschieht drittens wahrscheinlich dieselbe Ver- 
wandelung (vielleicht sehr häufig!), wenn die Geisselbewegung (bei gesättigtem Zu- 
stande) eine Zeit lang still gestanden hat und dann wieder beginnt. Das Wesent- 
liche dieses Verwandelungs-Processes besteht immer darin, dass das contractile 
Protoplasma der Zelle statt der mehrfachen, kurzen und stumpfen Fortsätze, welche 
an seiner Oberfläche vortreten, und welche sich nur sehr langsam und unregelmässig 
bewegen, einen einzigen, langen und haarfeinen Fortsatz ausstreckt, welcher sich als 
„Geissel“ rasch und regelmässig hin und her schwingend oder wellenförmig bewegt. 


1) HAccker, Entwickelungsgeschichte der Siphonophoren. Utrecht. 1869. Taf. VI, Fig. 36; Taf. XIV, 
Fig. 93. 

2) HAEcKEL, Die Catallacten, eine neue Protisten-Gruppe. Biolog. Studien, I. Heft, p. 137, Taf. V, 
Fig. 11— 20. Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Nat. VI. Bd. 1871. p. 16. 


408 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Damit ist zugleich die Bildung des Halses und des Trichters an der Basis der 
Geisselzelle verbunden, welche früher bereits ausführlich geschildert ist (p. 141). 

Die Verwandelung der Geisselbewegung in amoeboide Bewegung 
findet bei den Kalkschwämmen ebenfalls mehrfach statt, und wahrscheinlich auch 
vielfach wiederholt während ihres ganzen Lebens. Zum ersten Male geschieht diese 
Verwandlung, wenn die schwimmende Flimmerlarve (Gastrula) ihre freie Ortsbewe- 
gung aufgiebt und sich auf dem Meeresboden festsetzt. Dann ziehen die fimmernden 
Geisselzellen ihre Geisseln ein und verschmelzen mit einander zur Bildung des Syn- 
cytiums; die Bewegungsform dieses letzteren ist in einzelnen isolirten Stücken die 
amoeboide, während sie bei der Contraction des Ganzen bereits als neuromusculäre 
betrachtet werden kann. Zweitens findet jene Verwandelung regelmässig bei der Ei- 
bildung statt. Die Eizellen sind, wie ich oben gezeigt habe, exquisit amoeboide 
Zellen, welche in Zusammensetzung, Tracht und Bewegungsweise geradezu nicht von 
echten Amoeben unterschieden werden können (vergl. oben p. 155, 156). Diese 
amoeboiden Eier entstehen aber unmittelbar aus einzelnen Geisselzellen des Entoderm, 
welche sich beträchtlich vergrössern und ihre bewegliche Geissel einziehen. Drittens 
endlich geschieht dieselbe Verwandlung (wahrscheinlich sehr häufig), wenn der 
Schwamm in völlig mit Nahrung gesättigtem oder überfüttertem Zustande die Was- 
serströmung einstellt und durch Verschluss der Poren und Oscula sich zugleich nach 
aussen abschliesst. Während dieses Ruhezustandes stehen die Geisseln der nutritiven 
Gejsselzellen nicht allein still, sondern sie werden völlig in das Endoplasma derselben 
zurückgezogen, so dass auch die ganze Zelle sich individuell im Ruhezustande be- 
findet, jedoch im Stande bleibt, amoeboide Fortsätze auszustrecken. 

Während in den angeführten Fällen der Uebergang der Geisselbewegung in 
amoeboide Bewegung unter völlig physiologischen Verhältnissen im Körper des le- 
benden Thieres stattfindet, kann man denselben ausserdem auch in ausgezeichneter 
Weise leicht beobachten, wenn man Stücke des Entoderms stark mit Nadeln zer- 
zupft und dieses Zerzupfungspräparat bei starker Vergrösserung längere Zeit hin- 
durch beobachtet. Bald schon nach einigen Minuten, bald erst nach längerer Zeit 
beginnen dann einzelne oder viele Geisselzellen Fortsätze auszustrecken und wieder 
einzuziehen, welche sich ganz gleich den Pseudopodien gewisser Amoeben (nament- 
lich Amoeba radiosa) verhalten (vergl. Taf. 1, Fig. 3A—J; Taf. 25, Fig. 6). Oft 
sieht man dieselben an zusammenhängenden Zellenreihen. 

Die Bildung dieser amoeboiden Pseudopodien kann bisweilen schon stattfinden, 
während noch die Geissel sich in schwingender Bewegung befindet. Insbesondere 
kann man nicht selten beobachten, dass eine Geisselzelle an dem basalen (dem Halse 
entgegengesetzten) Theile, mit welchem sie vorher der inneren Fläche des Exoderm 
aufsass, sich kegelförmig zuspitzt, und in einen längeren oder kürzeren Fortsatz 
auszieht, mit welchem sie sich dann an Nadeln, oder andere Gegenstände, die in 


l. Mechanik (Physiologie der Bewegungen). 409 


dem Präparate liegen, festheftet (Taf. 1, Fig. SD). Wenn nun die Schwingung der 
Geissel ununterbrochen fortdauert, so bewegt sich die angeheftete Geisselzelle, 
welche an jenem basalen Fortsatze gewissermassen vor Anker liegt, rotirend in der 
Fläche eines Kegel-Mantels, dessen Spitze die Anheftungsstelle ist; der Rand des 
Kragens beschreibt die Peripherie der Kegelgrundfläche. Andere Male findet man 
schwingende Zellen, deren Geissel sich lebhaft bewegt, während sie an der Basis 
zwei oder mehrere spitze Pseudopodien ausstrecken (Taf. 1, Fig. E, F). Gewöhnlich 
aber hört die Geisselbewegung bald auf, sobald die amoeboide Bewegung und die 
Pseudopodien-Bildung beginnt. Die Geissel wird eingezogen, der Kragen und der 
Hals des Exoplasma verstreichen, die längliche, cylindrisch-konische Gestalt der 
Geisselzelle geht in eine rundliche oder subsphärische über, und nun beginnen überall 
auf der Oberfläche des Exoplasma feine, langsam sich bewegende Fortsätze aufzu- 
treten, welche ihre Grösse, Gestalt und Zahl langsam ändern. Bald sind nur 2-4, 
bald 5—10 oder noch mehr Fortsätze gleichzeitig sichtbar. Meistens. erscheinen 
diese Pseudopodien zugespitzt, mehr oder weniger kegelförmig (Taf. 25, Fig. 6). 
Seltener werden sie stumpf, fingerförmig, mit abgerundetem Ende (Taf. 1, Fig. H, D), 
Meistens sind sie einfach, seltener getheilt oder in mehrere Aeste gespalten. Bis- 
wejlen kann man an einer und derselben Zelle spitze und stumpfe, einfache und 
verästelte Fortsätze neben einander erblicken. Gewöhnlich erlischt das mannichfal- 
tige Spiel dieser veränderlichen Pseudopodien schon nach kurzer Zeit, nach einer 
Viertelstunde oder einer halben Stunde Wenn man aber unter dem Deckgläschen 
des Präparates nicht zu wenig Seewasser hat und wenn man dieses durch Umlegen 
einer Fettschicht um den Rand des grossen Deckgäschen vor Verdunstung schützt, 
kann man in dieser feuchten Kammer das veränderliche Spiel der formwechselnden 
Fortsätze bisweilen stundenlang beobachten. 

Ebenso wie an den einzelnen Zellen kann man dasselbe auch an Zellengruppen 
wahrnehmen. Bisweilen verbindet sich eine Anzahl von isolirten Geisselzellen zu 
einem Volvocinen-ähnlichen Körper, indem sie alle an dem der Geissel entgegenge- 
setzten basalen Ende einen spitzen konischen Fortsatz ausstrecken und indem alle 
diese Fortsätze in einem Mittelpunkte sich verbinden. Durch die combinirten Schwing- 
ungen der Geisseln an der Oberfläche dieses kugeligen Zellen-Aggregates wird das- 
selbe dann wie eine Uvella rotirend im Wasser umhergetrieben!). Endlich kommen 
auch bisweilen abgelöste kleinere oder grössere Epithelial-Fetzen oder Lappen des 
Entoderms zur Ansicht, bei welchen die noch im Zusammenhang befindlichen Geissel- 
zellen an der ursprünglichen Geisselfläche statt der schwingenden Geisseln zahlreiche 
vielgestaltige Pseudopodien zeigen. An einzelnen solcher Lappen kann man auch 


1) Diese frei schwimmenden kugeligen Gruppen von Geisselzellen sind es vielleicht, welche CARTER 
zu der wunderlichen Vorstellung verführt haben, dass die Geisselkammern äusserlich, nicht innerlich flim- 


mern (vergl. oben p. 232). 


410 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


gleichzeitig Pseudopodien-Bildung an der entgegengesetzten Fläche des Entoderms 
wahrnehmen, mit welcher dasselbe dem Exoderm aufsass. Endlich kann es auch 
vorkommen, dass solche Epithelial-Fetzen an der canalen Fläche noch Geisselbewe- 
gung zeigen, während sie an der entgegengesetzten exodermalen Fläche bereits 
Pseudopodien zu bilden beginnen. 

Die Ursachen dieser verschiedenartigen Bewegungs-Erscheinungen sind wahr- 
scheinlich in bestimmten Vorgängen des Stoffwechsels zu suchen, welche direct oder 
indireet zu veränderten äusseren Existenzbedingungen in Beziehung stehen. Darauf 
deuten die verschiedenartigen Umstände hin, unter welchen der eben beschriebene 
Uebergang von Geisselzellen in amoeboide Zellen und umgekehrt die Verwandelung 
der amoeboiden Zellen in Geisselzellen stattfindet. Für die zuletzt beschriebenen 
Bewegungs-Veränderungen an isolirten Geisselzellen und Gruppen von solchen sind 
ausserdem die Umstände der Präparation in Betracht zu ziehen. In einzelnen Fällen, 
in welchen ich Zerzupfungs-Präparate in einer geringen Wasser-Menge ohne Deck- 
glas bei starker Vergrösserung beobachtete, trat die Verwandlung der Geisselzellen 
in amoeboide Zellen schon nach wenigen Minuten ein, und hier liegt es nahe, daran 
zu denken, dass vielleicht schon die durch Verdunstung rasch eingetretene Concen- 
tration des Seewassers, der stärkere Salzgehalt die Ursache der Verwandelung war. 
Ausserdem dürfte in Erwägung zu ziehen sein, in wie weit das langsame oder theil- 
weise Absterben der Geisselzellen dabei mitwirkt. 

Alle die angeführten Bewegungs-Erscheinungen und namentlich die zuletzt er- 
-örterten habe ich zuerst im August und September 1369 an norwegischen Kalk- 
schwämmen in Bergen und auf der Insel Gis-Oe beobachtet, und später auf der dal- 
matischen Insel Lesina diese Beobachtungen vielfach wiederholt. Dieselbe Verwand- 
lung der isolirten Geisselzellen in amoeboide Zellen hat ausserdem auch später (1871) 
an Kalkschwämmen der englischen Küste CarrtER beobachtet. !) 


Amoeboide Bewegung. 


Die eigenthümlichen Bewegungs-Erscheinungen des Protoplasma, welche unter 
dem Namen der amoeboiden bekannt sind, und welche im Wesentlichen wirklich 
denjenigen der echten Amoeben gleichen, kommen bei allen Spongien in sehr ausge- 
dehntem Maasse vor und werden gewöhnlich als Sarcode-Bewegungen zusammenge- 
fasst. Indessen ist es offenbar aus morphologischen wie aus physiologischen Gründen 
gerechtfertigt, die amoeboiden Bewegungen im engeren Sinne, welche von dem Pro- 
toplasma einzelner Zellen und Zellen-Fragmente ausgeführt werden, zu trennen von 
den Contractionen der Sarcodine im Syneytium, welche wir nachher als neuromus- 
euläre gesondert betrachtet werden. 


1) Carter, Annals and Mag. of nat. hist. 1871, vol. VIII, p. 11, 13; Pl. DI, Fig. 17 — 28. 


1. Mechanik (Physiologie der Bewegungen). 411 


Die amoeboiden Bewegungen im engeren Sinne, welche bei den Kalkschwämmen 
vorkommen, sind schon im Vorstehenden grösstentheils erwähnt worden, da sie mei- 
stens entweder aus der Geisselbewegung hervorgehen oder sich in letztere verwandeln 
können. Ausserdem kommen jedoch noch amoeboide Bewegungen an der Sarcodine 
des Exoderm vor. Ebenso wie die Geisselbewegung, kann auch die amoeboide Be- 
wegung sowohl im Exoderm als im Entoderm auftreten. 

Unter den amoeboiden Bewegungs-Erscheinungen der Entoderm-Zellen sind 
vor allen diejenigen der Eizellen hervorzuheben. Diese Zellen, (die grössten, welche 
im Spongien-Körper vorkommen) bewegen sich bei vielen Spongien so lebhaft nach 
Art von Amoeben, dass sie sehr leicht mit solchen verwechselt werden könnten. 
Wahrscheinlich sind auch, wie bereits bemerkt, manche von den wandernden Zellen, 
welche von verschiedenen Autoren als „parasitische Amoeben in Schwämmen“ be- 
schrieben worden sind, in Wirklichkeit die Eier dieser letzteren gewesen. Die Pseudo- 
podien, welche diese Eizellen ausstrecken, sind an Zahl, Grösse und Form äusserst 
verschieden, und bereits oben (p. 155, 156) beschrieben worden (vergl. die dort ci- 
tirten Figuren auf Taf. 1, 7, 11, 13, 25, 30, 41). Auf dem Objectträger kriechen 
die isolirten Eizellen gewöhnlich mit der mittleren Geschwindigkeit grösserer Amoeben 
umher. Im Parenchym der Magenwand können dieselben mittelst dieser Bewegungen 
activ ihren Ort verändern und von ihrer Bildungsstätte, dem Entoderm, in das Exo- 
derm hineinkriechen, wie namentlich bei den Leuconen sehr deutlich zu verfolgen 
ist (vergl. oben p. 159 und Taf. 25, Fig.3g). Bei vielen Kalkschwämmen werden 
wahrscheinlich die reifen Eizellen auf diese Weise aus dem Körper herauskriechen, 
um sich ausserhalb desselben zu entwickeln. 

Ebenso wie die Eizellen sind auch die aus ihnen hervorgehenden Furchungs- 
zellen im Stande amoeboide Bewegungen auszuführen; doch sind hier die Form- 
veränderungen, welche in Folge derselben eintreten, wenig beträchtlich; abgesehen 
natürlich davon, dass auch die fortgesetzte Zweitheilung dieser Zellen als eine Folge 
der Contractilität des Protoplasma anzusehen ist. Die amoeboiden Bewegungen, 
welche die nutritiven Geisselzellen des Entoderm unter gewissen Umständen ausführen, 
sind schon vorher beschrieben worden. 

Im Exoderm sind amoeboide Bewegungen bei den reifen und entwickelten 
Kalkschwämmen in unverletztem Zustande nicht wahrzunehmen, wenn man die so- 
gleich zu beschreibenden Contractionen des Syneytium nicht unter diese Kategorie 
bringen will. Hingegen sind die einzelnen Stücke des Syncytium, welche man beim 
Zerschneiden oder Zerzupfen des lebenden Kalkschwammes mit Messer oder Nadel 
erhält, fähig, amoeboide Bewegungen auszuführen. Ich habe solche sehr häufig an 
isolirten Stückchen des Syneytium von sehr verschiedener Grösse beobachtet: an ganz 
kleinen Fragmenten der Sarcodine, welche kleiner als eine Geisseizelle waren und 
keinen Kern enthielten, und also den Formwerth einer Cytode besassen (Taf. 1, 


412 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Fig. 4); an grösseren Fetzen, welche einen Kern enthielten und so eine amoeboide 
Zelle vorspiegelten (Taf. i, Fig. 5; Taf. 25, Fig. 8a) und an noch grösseren Sarcodine- 
Stückchen, welche zwei oder mehrere Kerne enthielten (Taf. 1, Fig. 6; Taf. 25, 
Fig. 8b). Auch Lappen des Exoderm, welche in dem Syneytium noch eine oder 
mehrere Nadeln umschlossen, zeigten bisweilen an ihrer Peripherie die Bildung von 
veränderlichen, langsam sich bewegenden Fortsätzen, ähnlich den Pseudopodien der 
Amoeben. Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass die automatische Bewegungs- 
Fähigkeit des Exoderms lediglich an die Sarcodine gebunden und ganz unabhängig 
von den Kernen derselben ist. 

Im Anschluss an diese ‚„amoeboiden Bewegungen“ der isolirten Sarcodine-Stück- 
chen mag hier noch eine andere Bewegungs-Erscheinung besprochen werden, welche 
ebenfalls als Pseudopodien-Bildung der Sarcodine betrachtet werden muss, 
welche aber in ihren Ursachen und in ihrer Bedeutung höchst räthselhaft erscheint. 
Ich habe diese merkwürdige Erscheinung zuerst vereinzelt im September 1869 in 
Norwegen und dann wiederholt im März 1871 in Dalmatien beobachtet. Wenn man 
von lebenden Kalkschwämmen, welche ganz frisch aus dem Meere genommen wurden, 
dünne Schnitte anfertigt und diese mit Nadeln schnell stark zerzupft, dann dieses 
Präparat in der feuchten Kammer bei sehr starker Vergrösserung betrachtet, so be- 
merkt man häufig (aber keineswegs immer!), dass einzelne isolirte Kalknadeln mit 
einer Masse äusserst feiner Fäden bedeckt sind, welche dicht gedrängt und senk- 
recht von der Oberfläche der Nadel abstehen. Es sieht aus, als ob die Nadel ver- 
schimmelt und mit einem dichten Walde feiner Pilzfäden bedeckt wäre (Taf. 25, 
Fig. 9; Taf. 48, Fig. 10). Die Fäden sind ganz gerade oder nur sehr schwach wel- 
lenförmig gebogen, einfach, ungetheilt und unverästelt, von sehr verschiedener Länge, 
meistens ungefähr so lang oder wenig länger, als die Dicke der Nadel, bisweilen 
aber auch länger als die Länge derselben. Der Dickendurchmesser ist unmessbar 
klein, und so gering, dass man erst bei einer Vergrösserung zwischen 500 und 700 
derselben überhaupt ansichtig wird. Auch bei Anwendung der stärksten Vergrösse- 
rungen (1600— 2000) konnte ich keinen doppelten Contour und auch keinerlei Struc- 
tur an denselben wahrnehmen. Auch Veränderungen der Grösse und Form (die 
übrigens sehr schwierig in dem dichten Flaum der Fadenmassen zu constatiren sein 
werden) konnte ich nicht sicher beobachten. Wenn das Wasser durch leichten Druck 
auf das Deckgläschen in Bewegung gesetzt wurde, flottirten die Fäden ein wenig 
hin und her und zeigten sich biegsam. Bei Nachlass des Druckes kehrten sie wieder 
in ihre ursprüngliche Stellung (senkrecht auf die Oberfläche der Nadel) zurück. Der 
Einfluss des Druckes auf die Fäden selbst liess sich nicht verfolgen, da immer nur 
diejenigen Fäden deutlich sichtbar waren, welche von dem Profil-Rande des Spiculum 
(parallel der Fläche des Objectträgers) abstanden, und welche durch dessen Dicke 
geschützt waren. Durch dieselben Reagentien, welche auf die Sarcodine zerstörend 


1. Mechanik (Physiologie der Bewegungen). 413 


wirkten, wurden auch die Fäden zerstört. In sehr vielen Präparaten von ganz fri- 
schen Kalkschwämmen habe ich ganz vergeblich nach dem Faden-Flaum auf den 
isolirten Nadeln gesucht, während er in anderen Fällen bei Anwendung der gehörigen 
Vergrösserung bald sichtbar wurde. Die Bedingungen seiner Erscheinung blieben . 
mir völlig unbekannt. ; 

Die einzig mögliche Deutung dieser räthselhaften Erscheinung scheint mir die 
Annahme zu sein, dass an den durch Zerzupfen isolirten Nadeln ein sehr dünner 
Ueberzug von Sarcodine zurückbleibt, und dass diese die Fäden ausschickt. Die 
Fäden würden demnach als äusserst feine haarförmige Pseudopodien aufzufassen sein. 
. Dass die Bildung derselben auch an der Dermalfläche von lebenden Kalkschwämmen 
unter gewissen Umständen stattfindet, wage ich nicht mit Sicherheit zu behaupten, 
obgleich einige Male bei Asconen, welche unverletzt bei sehr starker Vergrösserung 
untersucht wurden, die ganze glatte Oberfläche des Exoderm mit einem dichten 
Flaum von äusserst feinen Häärchen bedeckt zu sein schien. In meiner ersten Mit- 
theilung über diese Erscheinung hatte ich angegeben, dass „besondere Neigung zur 
Bildung eines solchen Protoplasma-Pelzes die Exoderm-Scheiden zeigen, welche die 
isolirten Spieula umgeben“. Dies ist nicht so zu verstehen, als ob die Pseudo- 
podien-Bildung von den Spieula-Scheiden ausginge. Vielmehr ist anzunehmen, dass 
sie von einer dünnen, festflüssigen Sarcodine-Schicht ausgeht, die wie ein dünner 
Schleim-Ueberzug die eigentlichen Spicula-Scheiden umhüllt. Ausdrücklich mag noch 
hervorgehoben werden, dass die fraglichen Pseudopodien nicht etwa mit feinen Fa- 
denpilzen zu verwechseln sind, welche nicht selten bei stacheligen oder behaarten 
Kalkschwämmen in dichten Massen aussen auf den frei vorragenden Stabnadeln ge- 
funden werden. Diese Fadenpilze, obwohl sehr fein, erscheinen bei einer Vergrös- 
serung von 700—1600 deutlich doppelt contourirt und gegliedert, auch meistens 
verbogen und nicht so gerade, wie die viel dünneren, senkrecht und gerade ab- 
stehenden Pseudopodien. 


B. Neuromusculäre Bewegungen. 


(Contraetionen des Syncytium). 


Verschieden von allen bisher erörterten Bewegungs-Erscheinungen sind diejenigen, 
welche das Syncytium als Ganzes oder in einzelnen Theilen des lebenden Schwammes 
als „Contraction“ ausführt, und welche wir allgemein als Syneytium-Contractionen 
bezeichnen wollen. Gewöhnlich werden dieselben als „Bewegungs-Erscheinungen der 
Sarcode oder der contractilen Substanz“ der Spongien bezeichnet. Indessen 
fallen auch mehrere der vorher beschriebenen automatischen Bewegungen in diese Ka- 
tegorie. Richtiger könnte es vielleicht scheinen, dieselben als Muskelbewegungen 
zu bezeichnen. 


414 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


In der That sind die Bewegungs-Erscheinungen der glatten Muskeln diejeni- 
gen, welche den Syneytium-Contractionen, oder wenigstens einem Theile derselben, 
am nächsten verwandt erscheinen. Auch ist, wie schon früher erwähnt, das glatte 
Muskelgewebe dasjenige, welches in chemischer Beziehung am meisten mit dem 
Syneytium ühereinzustimmen scheint. 

Man würde das contractile Syncytium der Kalkschwämme geradezu als eine be- 
sondere Form des Muskel-Gewebes und demgemäss auch seine Contractionen als Muskel- 
Contractionen auffassen können, wenn dasselbe nicht ausserdem zugleich die Functio- 
nen des Nervensystems und der Sinnesorgane, sowie die der schützenden Hautdecke 
und des skeletbildenden Gewebes verträte. Mit Rücksicht auf diese Bedeutung _ als 
gleichzeitiger Repräsentant des Nerven- und Muskel-Systems ist es aber wohl richti- 
ger, das Syneytium Neuromuskel-Substanz zu nennen, in ähnlichem Sinne, wie 
KLEINENBERG bei der Hydra das entsprechende Gewebe des Exoderm genannt hat !). 

Wirkliche Muskeln, im eigentlichen scharf begrenzten Sinne des Begriffes, sind 
dadurch charakterisirt, dass ihre Function ausschliesslich eine bestimmte Bewe- 
gungs-Form ist, und zwar eine echte „Contraction“, eine einseitige Bewegung, 
„welche stets als Verkürzung unter Zunahme des Querschnitts sich darstellt“ (l. c. 
p- 55). Echte Muskeln finden sich auch nur im Körper solcher Thiere, welche zu- 
gleich Nerven besitzen. Die Entstehung der beiderlei Organe, welche sich gegenseitig 
bedingen, beruht auf der Ausprägung eines Gegensatzes zwischen beiden; auf einer 
Differenzirung der beiderlei Organe, welche ursprünglich in einer und derselben 
einfachen Grundlage vereinigt sind. Diese Grundlage ist das Neuromuskel-Ge- 
webe. Bei den Spongien hat bisher noch kein Beobachter Nerven gefunden oder 
die Existenz von solchen behauptet. Vielmehr stimmen alle Spongiologen in der An- 
nahme überein, dass ein differenzirtes Nerven-System und specifische Sinnes-Organe 
diesen Thieren fehlen. Hingegen ist die Existenz von Muskeln in ihrem Körper schon 
mehrfach behauptet und neuerdings von KÖLLIKER ?) und OsCAR SCHMIDT ?) vertre- 
ten worden. Wenn nun auch wirklich die contractilen Fasern, welche diese beiden 
Beobachter bei einigen Schwämmen gefunden zu haben glauben, und welche sie als 
Muskelfasern deuten, keine Kunstproducte sind, so dürfen sie doch nicht als 
Muskeln, sondern müssen als Neuromuskeln bezeichnet werden, so lange wenig- 
stens als noch keine Nerven im Körper derselben Schwämme nachgewiesen sind. 

Wenn wir nun hier bei den Kalkschwämmen die Contractionen der „contractilen 
Substanz“ des Syneytium vorläufig als „Neuromusculäre Bewegungen“ im 
obigen Sinne bezeichnen, so soll damit namentlich ihr Gegensatz zu den vorher ange- 


1) N. KLEINENBERG, Hydra. Eine anatomisch -entwickelungsgeschichtliche Untersuchung. Leipzig 
1872. p. 23. 
2) KÖLLIKER, Icon. histolog. 1864, I. Heft, p. 48. 


3) Oscar Schaipt, Adriat. Spong. II. Supplem 1866, p. 3. 


1. Mechanik (Physiologie der Bewegungen). , 415 


führten automatischen Bewegungs-Erscheinungen hervorgehoben werden. Ob sie aber 
wirklich jenen Namen verdienen, muss erst noch die genauere physiologische Unter- 
suchung, namentlich ihres eleetrischen Verhaltens, lehren. Dass diese Bewegungen, 
rein äusserlich betrachtet und mit den Bewegungen glatter Muskeln verglichen, den 
Namen vonContractionen verdienen, muss auch noch näher bewiesen werden, wenn 
man diesen Begriff in dem scharf begrenzten Sinne nimmt, welchen ihm KLEINENBERG 
(l. ec. p. 55) mit Recht beilegt. Da ich jedoch ausser Stande war, eingehende und 
zeitraubende Untersuchungen über diesen Gegenstand (welche jedenfalls ausserordent- 
lich schwierig sein werden!) an lebenden Kalkschwämmen anzustellen, und namentlich 
ihr electrisches Verhalten schärfer zu prüfen, so will ich einstweilen mich jener Be- 
zeichnung ohne Präjudiz bedienen. Jedenfalls zeigen die dünnen Sarcodine-Lamel- 
len, welche durch ihre Contraction den Verschluss der Hautporen, der Gastral-Ostien 
und der Oscula vermitteln, oft die grösste Aehnlichkeit mit einem dünnen Schliess- 
muskel (z.B. der Iris), welcher aus concentrischen circulären und aus radialen Bündeln 
von glatten Muskelfasern zusammengesetzt ist. Auch contractile Membranen, welche 
aus einem Geflecht oder Netz von glatten Muskelfasern bestehen, zeigen offenbare 
Analogien. 

Die neuromusculären Bewegungs-Erscheinungen oder die „Contractionen“, welche 
gewöhnlich an dem Syneytium lebender Kalkschwämme wahrgenommen werden, sind 
dieselben, welche auch an der „Sarcode“ der Hornschwämme und Kieselschwämme 
von verschiedenen Beobachtern wahrgenommen, namentlich aber von BOWERBANK !) 
und von O. Schamipr?) ausführlich beschrieben worden sind. Nur bezüglich der In- 
tensität und Geschwindigkeit scheinen die verschiedenen Kalkschwämme manche Un- 
terschiede darzubieten. Im Allgemeinen scheinen die lebhaftesten Contractionen bei 
den Syconen, die trägsten bei den Leuconen vorzukommen, während die Asconen 
zwischen Beiden die Mitte halten. Bezüglich der verschiedenen Contractionen ist es 
wohl am zweckmässigsten, totale und partielle Contractionen zu unterscheiden. 
Die ersteren betreffen eine ganze Person oder auch einen ganzen Stock, die letzteren 
nur einen Theil einer Person. 


Totale Contractionen des Syncytium. 


Die totalen Contractionen sind bei den Kalkschwämmen gewöhnlich nur 
schwer direct wahrzunehmen, da sie sehr langsam und allmählich geschehen. Man 
überzeugt sich aber von ihrer Existenz, wenn man eine und dieselbe Person zu ver- 
schiedenen Zeiten genau misst. Sowohl die Peripherie als der Längs- Durchmesser 
zeigen dann Differenzen, welche allerdings meistens unbeträchtlich sind. Die be- 
züglichen Versuche habe ich in der Weise angestellt, dass ich eine und dieselbe Per- 


1) BoOWERBANK, Brit. Spong. Vol. I, 1864, p. 88—112 
2) O. Scamm'r, Adriat. Spong. I. Supplem. 1864, p. 1—4; II. Supplem 1866, p. 3. 


416 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


son abwechselnd in Gefässe brachte, welche Wasser von verschiedener Temperatur und 
Reinheit enthielten. Wenn ein Kalkschwamm, der längere Zeit bereits in einem klei- 
nen Gefässe mit warm gewordenem Wasser gelegen und den darin enthaltenen Sauer- 
stoff grossentheils verbraucht hatte, wieder in ein grösseres Gefäss mit frischem und 
kühlem Seewasser gebracht wurde, so erfolgte regelmässig nach einiger Zeit eine 
totale Ausdehnung des Körpers, welche eine messbare Differenz gegen den früheren, 
stark contrahirten Zustand ergab. Umgekehrt zeigte ein Kalkschwamm, welcher 
frisch von seinem Standort aus dem Meere in ein enges Gefäss mit abgestandenem 
oder verunreinigtem Seewasser gelegt wurde, nach einiger Zeit einen Volums-Verlust, 
der sowohl auf Verkürzung des longitudinalen als des transversalen Durchmessers be- 
ruhte. In seltenen Fällen gelingt es, unmittelbar die totale Contraction an Kalk- 
schwämm en wahrzunehmen, welche in höchst ausgedehntem Zustande mechanisch 
oder chemisch gereizt werden. Immer stellt sich aber diese Bewegung als eine höchst 
träge und langsame dar, und das Volum ändert sich dabei nur sehr unbeträchtlich. 

Ebenso wie die einzelne Person des solitären Kalkschwammes, so kann auch 
der ganze sociale Complex des aus mehreren Personen zusammengesetzten Stockes 
unter den angegebenen Umständen eine totale Contraction ausführen. Bei einigen 
Ascon-Stöcken habe ich mich hiervon überzeugt; sie verhielten sich ganz ähnlich, wie 
Hydroiden-Stöcke, deren sämmtliche Personen sich auf einen gemeinsamen äusseren 
oder inneren Impuls gleichzeitig contrahiren. Dem entsprechend ist auch wohl nicht 
daran zu zweifeln, dass an einem Caleispongien-Stocke die totale Contraction auf eine 
einzelne Person oder auf eine Personen-Gruppe beschränkt bleiben kann, während 
sich andere Personen desselben Stockes nicht contrahiren. 


Partielle Contractionen des Syncytium. 


Die partiellen Contractionen des Syneytium, welche nur einen Theil 
einer Person betreffen, sind viel leichter als die totalen wahrzunehmen, erfolgen be- 
deutend häufiger und rascher und sind bereits mehrfach beschrieben worden. Sie be- 
wirken meistens die Erweiterung oder Verengerung, die Eröffnung oder den Verschluss 
von Theilen des Gastrocanal-Systems: von den Hautporen oder Dermal-Ostien, den 
Magenporen oder Gastral-Ostien und der Mundöffnung oder dem Osculum. 

Der Verschluss der Hautporen oder der Dermal-Ostien ist unter den ange- 
führten Contractions-Phänomenen am leichtesten zu beobachten, besonders an Asco- 
nen, von denen man kleinere Individuen ganz unverletzt in ihren natürlichen Verhält- 
nissen unter das Mikroskop bringen kann. Auch die abgeschnittenen freien Radial- 
Tuben von Syconen des Syconaga-Typus sind dazu sehr tauglich, weniger Schnitte 
von anderen Syconen und am wenigsten Schnitte von der Dermalfläche der Leuconen. 

Wenn die Poren der frisch aus dem Meere genommenen Kalkschwämme weit ge- 
öffnet sind, kann man ihren Verschluss künstlich herbei führen, indem man die Der- 


1. Mechanik (Physiologie der Bewegungen). 417 


malfläche einem chemischen oder mechanischen Reize aussetzt, oder indem man den 
Schwamm in wärmeres oder abgestandenes Wasser legt. Bei manchen Kalkschwäm- 
men schliessen sich auch die Poren beim Zutritt der Luft, sobald man den Schwamm 
aus dem Wasser genommen hat. Bei vielen littoralen Kalkschwämmen, welche inner- 
halb der Ebbe-Marken oder Fluth-Grenzen wohnen, und welche regelmässig bei ein- 
tretender Ebbe der athmosphärischen Luft ausgesetzt werden, scheint ebenso regel- 
mässig der völlige Verschluss der Poren und Oscula einzutreten. Dass derselbe auch 
im gesättigten oder überfütterten Zustande eintritt, ist bereits vorher erwähnt. Aus- 
serdem kann man aber auch die Eröffnung und den Verschluss der Hautporen in vielen 
Fällen unter dem Mikroskope (besonders bei Asconen) wahrnehmen, ohne dass die 
erregende Einwirkung einer äusseren Ursache als directer Reiz unmittelbar ersichtlich 
ist. Diese Bewegungen sind es vorzüglich, welche unter die Kategorie der will- 
kührlichen gerechnet werden können. 

Die Contraction des Synceytium, welche den Verschluss der geöffneten Hautporen 
herbeiführt, hat am meisten Aehnlichkeit mit der Contraction eines Ringmuskels. 
Die kreisrunde oder länglichrunde Oeffnung des Porus wird unter dem Auge des Be- 
obachters langsam enger und enger, und verschwindet endlich ganz, indem ihre Rän- 
der völlig zusammenfliessen. Nach erfolgtem totalen Verschluss ist keine Spur der 
früheren Oeffnung mehr sichtbar. Entsteht dann nachher an derselben Stelle ein 
neuer Porus, so scheint die dünne Sarcodine-Lamelle plötzlich an dem Puncte des ge- 
ringsten Widerstandes zu platzen; das so entstandene Loch wird langsam grösser und 
nimmt eine kreisrunde oder länglichrunde Form an, während das Syneytium in seiner 
Peripherie sich verdickt. Wenn die Spieula in der Umgebung des Porus ihre frühere 
Lage unverändert beibehalten haben, kann der neue Porus genau an derselben Stelle 
entstehen, an welcher der vorige lag. Wenn hingegen die Spicula inzwischen ihre 
frühere Lage verändert haben, entsteht der neue Porus gewöhnlich an einer anderen 
Stelle als der vorige; oder es können auch gleichzeitig zwei oder drei (selten mehr) 
Hautporen sich bilden, wo früher ein einziger bestand, und umgekehrt. Wenn sich 
die constanten Dermal-Ostien schliessen (was ich niemals beobachtet habe, was aber 
wahrscheinlich oft stattfinden wird), so wird vermuthlich der Verschluss in derselben 
Weise, wie bei den unbeständigen Hautporen stattfinden. Die Wiedereröffnung des 
constanten Ostium wird aber genau an derselben Stelle wie der Verschluss desselben 
stattfinden. 

Der Verschluss der Magenporen und der Gastral-Ostien fällt bei den 
Asconen mit dem Verschluss der Hautporen zusammen, da in dieser Familie die 
einfachen unbeständigen Lochcanäle oder Poral-Tuben gleichzeitig Hautporen und Ma- 
genporen sind. Bei den Leuconen und Syconen hingegen verhält sich dies anders. 
Bei den Leuconen ist es überhaupt zweifelhaft, ob die grösseren constanten Gastral- 
Ostien der Ramal-Canäle, wenn sie einmal eine gewisse Beständigkeit erlangt haben, 

Haeckel, Kalkschwämme. TI; 27 


418 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


jemals verschlossen werden; wenigstens habe ich dies nicht beobachtet. Die kleineren 
Gastral-Mündungen der Ramal-Canäle sind hingegen wahrscheinlich veränderliche 
Poren, welche gleich den Hautporen geschlossen und wieder geöffnet werden können. 
Bei den Syconen, wenigstens bei einem Theile derselben, ist es durch die überein- 
stimmenden Beobachtungen von BOWERBANK, LIEBERKÜHN und von mir selbst con- 
statirt, dass die Gastral-Oeffnungen ihrer Radial-Tuben (die „Oscula der Grantien“ 
von BOWERBANK) unter Umständen sich öffnen und schliessen können. Das Syneytium 
der Gastralfläche umschliesst die runde Gastral-Oeffnung jedes Tubus mit einer dün- 
nen Sarcodine-Lamelle, die wie ein Sphincter sich ausdehnen und zusammenziehen 
kann. Auch hier können, wie schon früher erörtert wurde (p. 256), die inconstanten 
und variablen Gastral-Poren von den constanten und stabilen Gastral-Ostien unter- 
schieden werden. Die Sarcodine-Lamellen, welche die grösseren Gastral-Oeffnungen 
durch ihre Contraction verschliessen, zeigen bei Oeffnung der Mündung oft sehr deut- 
lich eine feine concentrische Streifung, und die Kerne in derselben liegen mit ihrer 
Längsaxe tangential zu diesen Ringlinien (mit ihrem kürzesten Durchmesser radial 
gegen das Centrum der Oefinung). Dadurch entsteht ein Bild, welches lebhaft an die 
Ringfasern eines Sphineter erinnert. Indessen sind die concentrischen Ringlinien 
bloss als Falten oder Verdiehtungs-Streifen aufzufassen, nicht als Grenzlinien diffe- 
renzirter Muskelfasern (vergl. Taf. 48, Fig. 2, 4). 

Ob auch die aus Sarcodine bestehenden Wände der Ramal-Canäle bei den Leuco- 
nen sich partiell contrahiren, und dadurch das Lumen der Canäle verengern können, 
ist bisher noch nicht durch Beobachtung constatirt, indessen sehr wohl möglich, um 
nicht zu sagen wahrscheinlich. Bei den Radial-Tuben der Syconen finden solche par- 
tielle Contractionen sicher bisweilen statt, sind aber auch noch nicht näher untersucht. 
Die „Conjunetiv-Poren“, welche die Wand der verwachsenen Radial-Tuben bei den 
Syconen des Syconusa-Typus durchbrechen, können wahrscheinlich geöffnet und ge- 
schlossen werden. Nur die Contractionen an den Distal-Kegeln der Radial-Tuben sind 
in dieser Beziehung von BOWERBANK erörtert worden). Bei denjenigen Syconen, 
deren Radial-Tuben an dem Distal-Kegel ein Bündel von colossalen Stabnadeln tra- 
gen, treten die Wirkungen jener Contractionen sehr auffallend hervor. Diese Stab- 
nadeln bilden gewöhnlich entweder ein pinselförmiges Büschel oder einen einfachen 
oder mehrfachen Ring um die Spitze des Distal-Kegels, und verhalten sich zu dieser 
ganz ähnlich, wie die longitudinalen Stabnadeln des Peristom-Kranzes zur Mundöft- 
nung bei den kranzmündigen Personen. Die wechselnde Gestalt des radialen Stab- 
nadel-Busches am Distal-Kegel, welcher bald kegelförmig, bald eylindrisch, bald trich- 
terförmig erscheint, ist in derselben Weise durch partielle Syneytium-Contractionen 


1) BOWERBANK, On the organisation of Grantia eiliata. Transaect. Mierose. Soc. New Ser. Vol. VII. 


1859, p. 79. 


l. Mechanik (Physiologie der Bewegungen). 419 


(vielleicht aber auch theilweise durch Wirkung der Wasserströmung) zu erklären, wie 
die entsprechende Gestalt des Peristom-Kranzes, von der sogleich die Rede sein soll. 

Der Verschluss der Mundöffnung oder des Osculum scheint bei allen 
Kalkschwämmen, welche mit einem solchen versehen sind, zeitweise stattfinden zu 
können. Wie bereits angeführt, tritt er hauptsächlich ein im Zustande vollständiger 
Sättigung oder Ueberfütterung, ferner bei den littoralen Kalkschwämmen während 
der Ebbezeit, so Jange die atmosphärische Luft Zutritt hat, und endlich unter ge- 
wissen Umständen in Folge von mechanischen, chemischen oder anderen Reizen, 
welche durch äussere Einwirkungen ausgeübt werden. Indessen erfolgt der Ver- 
schluss des Osculum nicht immer auf eine und dieselbe Weise, sondern es können 
folgende drei verschiedene Modi-desselben unterschieden werden: Verschluss durch 
einfaches Aneinanderlegen der ‚Ränder, Verschluss durch zeitweilige Verschmel- 
zung der Ränder, und Verschluss durch eine besondere, einem Sphincter ähnliche 
Oscular-Membran. 

Der Verschluss der Mundöffnung durch Aneinanderlegen der sich nä- 
hernden Ränder, nach Art einer Lippe, findet sich namentlich bei jenen Kalk- 
schwämmen, deren Osculüm nicht (wie gewöhnlich) eine kreisrunde Oeffnung, son- 
dern ein querer Spalt ist (z. B. Ascandra cordata, Leucandra crambessa, Sycan- 
dra compressa). Diese Kalkschwämme haben meistens zugleich sehr schlaffe, bieg- 
same Wände und die beiden Ränder des quergespaltenen Osculum legen sich wie 
die beiden Hälften einer Lippe an einander. Dies kann sowohl bei nackten, als bei 
rüsselförmigen und bekränzten Mundöffnungen stattfinden. 

Der Verschluss der Mundöffnung durch zeitweilige Verschmelzung der 
Sarcodine-Ränder derselben erfolgt nur bei nacktmündigen Kalkschwämmen 
mit mehr oder weniger biegsamen Magenwänden, namentlich also bei der Mehrzahl 
der Asconen, hingegen bei wenigen Leuconen und Syconen. Der Verschluss des 
Osculum findet hier genau in derselben Weise statt, wie der vorher beschriebene 
Verschluss der Dermal-Poren und Gastral-Poren. 

Der Verschluss der Mundöffnung durch eine besondere Oscular-Membran 
(vergl. oben p. 267) erfolgt bei den meisten von jenen Kalkschwämmen, deren Kör- 
perwand sehr starr und fest, und daher durch ihre Skelet-Structur an einer ein- 
fachen Näherung oder Verschmelzung der Mundränder gehindert ist. Dies ist der 
Fall bei sehr vielen Leuconen und Syconen, und besonders bei den rüsselmündigen 
und kranzmündigen Formen derselben, weniger bei den nacktmündigen. Hier springt 
von der Basis des Rüssels oder Kranzes nach innen die oben beschriebene Oscular- 
Membran vor, welche wie ein Sphincter oder ein Diaphragma den eigentlichen Ein- 
gang in die Magenhöhle öffnen und schliessen kann. Diese dünne Syncytium-La- 
melle verhält sich bei ihrer Contraction und Dilatation ebenfalls wie die vorher be- 
schriebenen Gastral-Ostien. Sie kann den Mundeingang völlig absperren. 

27 * 


420 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


Besondere Contractions-Erscheinungen lassen sich ausserdem noch bei den rüs- 
selmündigen und kranzmündigen Kalkschwämmen wahrnehmen. Der Rüssel der 
rüsselmündigen Caleispongien, welcher bloss aus einer sehr dünnen Syneytium-La- 
melle besteht, deren Skelet-Gerüst in der Regel sehr zart und verschiebbar ist, kann 
ziemlich bedeutende Contractionen ausführen. Diese kommen auch an den ent- 
sprechenden Rüsselbildungen von Kieselschwämmen vor, und sind zuerst von LiE- 
BERKÜHN bei ‚Spongilla beobachtet worden. Er sah, wie die cylindrische „dünn- 
häutige Ausflussröhre oder der Schornstein“ (identisch mit unserem „Rüssel“) sich 
spontan oder auf Einwirkung von äusseren Reizen verkürzte, wobei gleichzeitig eine 
Verdickung der dünnen Wand stattfand. Eine solche Verkürzung mit gleichzeitiger 
Verdickung der Wand, wie ich sie auch bei rüsselmündigen Kalkschwämmen bis- 
weilen beobachtet habe, kann nur stattfinden in Folge von einer exclusiv longi- 
tudinalen Contraction (parallel der Längsaxe des Rüssels). Ausserdem aber 
kommen bei den Kalkschwämmen bisweilen auch exclusiv circulare Contrac- 
tionen des Rüssels vor, in Folge dessen sein cylindrisches Lumen etwas verengt 
wird. Auch diese Contractionen geschehen so langsam, dass es sehr schwer ist, 
sie direct zu verfolgen. Hingegen kann man sie nachweisen, wenn man eine und 
dieselbe Rüsselröhre zu verschiedenen Zeiten genauen Messungen unterwirft, wobei 
sich Differenzen sowohl in der Peripherie, als im longitudinalen und transversalen 
Durchmesser nachweisen lassen. 

Die Bewegungen der Peristom-Krone bei den kranzmündigen Kalk- 
schwämmen sind schon früheren Beobachtern aufgefallen und namentlich von BOwER- 
BANK (l. c.) bei Sycandra ciliata genau beschrieben worden. Da die langen Strick- 
nadeln, welche in longitudinaler Richtung dicht und parallel neben einander stehend 
die Ciliar-Krone des Peristom-Kranzes bilden, im grössten Theile ihrer Länge frei 
und nur mit einem kurzen Abschnitte ihres basalen Endes der Sarcodine-Lamelle 
des Collar-Theils oder des Mundrandes selbst eingefügt sind, so muss schon eine 
verhältnissmässig geringfügige Contraction dieses Sarcodine-Ringes einen beträcht- 
lichen Ausschlag für die Bewegung der freien Enden der Stricknadeln ergeben. Sie 
gleichen einem radialen Kranze von sehr langen Hebel-Armen, deren Hypomochlia 
in dem ringförmigen Rande des Collare oder der eigentlichen Mundöffnung liegen. 
Welche beträchtlichen Excursionen jener Hebel-Arme durch die schwachen und un- 
bedeutenden Contractionen dieses Randes hervorgebracht werden können, geht am 
besten aus der sehr verschiedenen Gestalt hervor, welche die Peristom-Krone zu 
verschiedenen Zeiten bei einem und demselben kranzmündigen Kalkschwamme an- 
nehmen kann. Bald erscheint sie trichterförmig oder verkehrt-kegelförmig, indem 
die Basis viel enger als die terminale Oeffnung ist; bald umgekehrt unten weiter 
als oben, also kegelförmig; bald ist sie rein cylindrisch. Jedoch ist bei Beurthei- 
lung dieser Bewegungen auch die wechselnde Wasserströmung in Betracht zu ziehen. 


2. Psychologie (Physiologie der Vorstellungen). 421 


2. Psychologie (Physiologie der Vorstellungen). 


Die Vorstellungen oder Seelenthätigkeiten der Kalkschwämme und der Spongien 
überhaupt sind desshalb von Interesse, weil sie auf der niedersten Stufe stehen 
bleiben und an das einfachste anatomische Substrat gebunden sind. Sie erscheinen 
daher vorzüglich geeignet, ein erklärendes Licht auf die Qualität dieser complicir- 
ten Functionen bei den» höheren thierischen Organismen fallen zu lassen. Die un- 
endlich verwickelten moleeularen Bewegungs-Erscheinungen, welche bei allen höheren 
Thieren (mit Inbegriff des Menschen) als Seelenthätigkeiten im weiteren Sinne zu- 
sammengefasst werden, die Functions-Gruppen des Empfindens, Denkens, Wollens, 
werden von den Spongien in der allereinfachsten und primitivsten Form ausgeübt; 
und während bei allen höheren Thieren diese verschiedenen Vorstellungs-Gruppen 
auf verschiedene Abtheilungen einer höchst zusammengesetzten anatomischen Ma- 
schinerie vertheilt sind, finden wir sie bei den Spongien an eine und dieselbe, höchst 
einfache, anatomische Grundlage geknüpft, an das Syneytium des Exoderm. 

Indem nun dieses nämliche Organ zugleich die Functionen einer schützenden 
Decke und eines „skeletbildenden Gewebes“ für den Spongien-Organismus vertritt, 
spricht sich in dieser Beziehung zwischen ihnen und den höheren Thieren ein Ge- 
gensatz aus, wie er grösser innerhalb des Thierreichs (von den Protozoen abge- 
sehen) nicht gedacht werden kann. Man denke nur an den höchst complicirten 
anatomischen Apparat, an welchen beim Menschen, beim Affen, beim Amphioxus 
und bei jedem anderen Wirbelthiere das „Seelenleben‘“ gebunden ist: die verschie- 
denen Sinnesorgane, die centripetalen Nervenbahnen, welche von hier die Empfin- 
dungs-Eindrücke zum Central-Organ leiten, das höchst zusammengesetzte Central- 
organ des Rückenmarks und Gehirnes selbst, welches die Denk-Processe vermittelt 
die centrifugalen Nervenbahnen, welche von dem Centralorgane wiederum die Wil- 
lens-Vorstellungen zu den Muskeln leiten, endlich das ganze Muskel-System mit 
allen seinen verschiedenen Theilen. Dieser ganze psychologische Organ-Apparat 
wird bei den Spongien allein durch das Syncytium vertreten, ein einfaches Gewebe 
vom Werthe einer Zellfusion (einer einzigen „vielkernigen Zelle“ der Autoren). 

Noch bedeutungsvoller aber wird dieser Gegensatz, wenn wir die einfachste 
Spongien-Person, wie sie im Olynthus vorliegt, vergleichen mit jenem primitiven 
Entwickelungs-Stadium der Wirbelthier-Person, in welchem die letztere nur aus zwei, 
noch nicht differenzirten Keimblättern zusammengesetzt ist. Wie die Ontogenese 
dieser letzteren lehrt, geht der ganze psychologische Organ-Apparat, das Central- 
nervensystem, die sensible Hautdecke, der wesentlichste Theil der höheren Sinnes- 
organe, aus dem äusseren Keimblatte hervor; die Zellen dieses Blattes sind von 
Anfang an die virtuellen Biorgane des Seelenlebens. Da wir nun dieses äussere 
oder animale Keimblatt der höheren Thiere mit dem Dermalblatte oder dem Exo- 


422 Fünftes Kapitel. Interne Physiologie. 


derm der Spongien für homolog und in phylogenetischer Beziehung für identisch 
halten müssen, so ergiebt sich für die qualitative Auffassung des Seelenlebens bei 
dem Menschen und den höheren Thieren aus dieser Vergleichung, mit Rücksicht auf 
das biogenetische Grundgesetz, ein klares genetisches Verständniss. Wie sich alle 
die verschiedenen Organe und Gewebe des psychologischen Apparates während der 
Wirbelthier-Genese durch Differenzirung aus dem einfachen Zellen - Aggregat des 
animalen Keimblattes entwickeln, so haben sich auch die verwickelten Functions- 
gruppen des ersteren aus der einfachen virtuellen Psyche des letzteren entwickelt; 
und diese letztere hat nicht mehr Werth, als die Psyche des Olynthus, dessen ac- 
tuelles Seelenorgan zeitlebens denselben einfachen Formwerth beibehält. 

Wie sich schon wegen dieser primordialen Einfachheit des anatomischen Seelen- 
Apparates bei den Kalkschwämmen erwarten lässt, bleiben auch ihre physiologischen 
Seelen-Functionen auf einer äusserst niederen und einfachen Stufe der Entwickelung 
stehen. Die Aeusserungen dieser Schwamm-Seele sind, soweit man dieselben unter 
die dunkeln Begriffe des „Denkens“ und des „Bewusstseins“ subsumiren kann, 
so schwierig zu untersuchen und auch bis jetzt noch so wenig erforscht, dass wir 
hier nicht Raum und Zeit mit vagen Reflexionen darüber verlieren wollen. Deut- 
licher und der Erforschung zugänglicher, aber ebenfalls noch sehr wenig untersucht 
sind die Functionen des Wollens. Der Wille der Kalkschwämme ist wie derjenige 
der übrigen Thiere mit Inbegriff des Menschen niemals wirklich ‚‚frei“, sondern stets 
mit causaler Nothwendigkeit durch äussere oder innere Motive bedingt. Die „will- 
kührliche Bewegung“, in welcher sich der „freie Wille“ äussert, ist auch hier nicht 
scharf von der Reflex-Bewegung zu trennen. Die Empfindung der Kalk- 
schwämme äussert sich in ihrer Reaction gegen den Einfluss des Lichtes, der che- 
mischen und der mechanischen Reizung. Dass dieselben gegen das Licht empfind- 
lich sind, geht daraus hervor, dass sie dasselbe vermeiden und fast immer dunkle 
oder doch schattige Standorte den hellen und sonnigen vorziehen. Schon die 
schwärmende Flimmerlarve sucht behufs ihrer Festsetzung einen dunkeln, vor Licht 
geschützten Standort aus. Die Empfindlichkeit gegen chemischen Reiz äussert sich 
namentlich darin, dass der Kalkschwamm in abgestandenem, verunreinigtem oder 
kohlensäurereichem Wasser sich zusammenzieht, seine Hautporen und oft auch seine 
Oscula verschliesst; wogegen er in frisches, reines und sauerstoffreiches Wasser 
gebracht, sich ausdehnt, und seine Hautporen und Oscula öffnet. Die Geisselbewe- 
gung wird im letzteren Falle beschleunigt, im ersteren verlangsamt. Schwieriger zu 
beobachten ist die Empfindlichkeit gegen mechanische Reize; doch kann man bis- 
weilen bemerken, dass ein Kalkschwamm sich in Folge wiederholter Stiche langsam 
ein wenig zusammenzieht; seltener erfolgt darauf ein Verschluss der Oeffnungen. 


. Sechstes Kapitel. 


Externe Physiologie. 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 


1. Topographische Verbreitung. 


Alle Kalkschwämme leben im Meere. Keine einzige Form dieser Gruppe ist 
bisher in süssem Wasser oder in Brackwasser aufgefunden worden. Aus der salz- 
armen Ostsee ist bisher noch kein einziger Kalkschwamm bekannt. Die wenigen 
Arten, welche als der Ostsee angehörig angeführt werden, sind im Sund oder im 
grossen Belt oder im kleinen Belt gefunden worden, also in dem westlichen Grenz- 
bezirk der Ostsee, welcher einen viel bedeutenderen Salzgehalt besitzt, als die eigent- 
liche Ostsee. Ebenso habe ich auch in den tief eingeschnittenen Fjorden Norwegens 
an allen jenen Stellen, wo das Wasser nur schwach gesalzen oder brakisch ist, ver- 
geblich nach Kalkschwämmen gesucht, während sie aussen an der Küste des offenen 
Meeres dort sehr häufig sind. Es scheint demnach, dass die Caleispongien nur in 
Seewasser von dem durchschnittlichen Salzgehalt des Oceans leben können. In 
süssem Wasser oder in verdünntem Seewasser sterben sie sehr rasch. 

Alle bis jetzt bekannten Kalkschwämme sind entweder unmittelbar an der Meeres- 
küste oder nur in geringer Entfernung von derselben gesammelt worden. Auf dem 
Boden des offenen Meeres sind bisher noch keine Caleispongien gefunden worden. 
Auch die ausgedehnten Untersuchungen, welche in den letzten Jahren über die Be- 
schaffenheit des Tiefsee-Grundes angestellt wurden, und welche eine Anzahl von 
eigenthümlichen Kieselschwämmen aus dem tiefen Boden des offenen Meeres zu Tage 
förderten, haben keinen einzigen Kalkschwamm von dort geliefert. 

Die meisten Kalkschwämme lieben die Dunkelheit und fliehen das Licht. Nur 
wenige Arten wachsen an Stellen, welche dem Lichte mehr oder weniger ausgesetzt 
sind. Daher findet man diejenigen Arten, welche sich am liebsten auf Felsen und 
Steinen ansiedeln, vorzugsweise in Höhlen und Grotten der Meeresküste, in Felsen- 
spalten und an der Unterseite von Steinen. Die meisten Arten leben im Tang- 
Dickicht, in dem schattigen Conferven-Gebüsch und den dunkeln Fucoiden-Wäldern, 


424 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


und je dichter diese Algen an felsigen Küsten beisammen wachsen, je weniger Licht 
zwischen ihr gedrängtes Astwerk hineinfällt, desto eher darf man hoffen, Kalk- 
schwämme zwischen ihren Aesten verborgen zu finden. Diese Liebe zur Dunkelheit 
veranlasst auch viele Kalkschwämme, sich im Inneren von leeren Thiergehäusen: 
Muschelschalen, Schneckenhäusern, Seeigelschalen, Wurmröhren etc. anzusiedeln. 

Die grosse Mehrzahl der Kalkschwämme sitzt festgewachsen auf dem Boden 
des Meeres. Jedoch giebt es unter den Kalkschwämmen, ebenso wie unter den 
Kieselschwämmen, einige wenige Arten, welche auch in völlig ausgewachsenem Zu- 
stande nicht festgewachsen sind, sondern frei im Schlamme des Meeresbodens stecken 
und gelegentlich von den Wellen oder Strömungen fortgetrieben werden können. 
Diese freien Kalkschwämme sind: Lexculmis echinus (Taf. 30, Fig. 1), Syculmis syn- 
apta (Taf. 50, Fig. 1) und eine Varietät von Sycandra capillosa (Var. longipilis). 
Eine andere Varietät der letzteren Art (Var. brevipilis) ist festgewachsen. 

Die auf dem Meeresboden befindlichen Gegenstände, auf welchen sich die frei 
schwimmenden Flimmerlarven der Kalkschwämme niederlassen und festsetzen, und 
auf welchen man die reifen Personen und Stöcke angewachsen findet, sind der ver- 
schiedensten Art: Felsen und Steine, Pfähle und Balken von Hafenbauten, Kalk- 
schalen von todten Mollusken, Bryozoen, Echinodermen, Corallen etc. Mehrere 
Male fand ich Syconen in dem leeren Inneren von alten Seeigelschalen, der inneren 
Schalenfläche angewachsen; Leuconen sind bisweilen im Inneren leerer Muschelschalen 
und Schneckenhäuser, Asconen in leeren Wurmröhren anzutreffen. Die Mehrzahl 
der Kalkschwämme aber findet man festgewachsen auf Seepflanzen, und zwar mei- 
stens auf Algen: Fucoideen, Florideen, Ulven, Conferven ete. Besonders bevorzugt 
scheinen in vielen Fällen von den Asconen die Conferven und Siphoneen, von den 
Leuconen und Syconen die Corallinen und Fucoideen zu sein. Doch wachsen viele 
Arten oft auch ohne Unterschied auf ersteren und letzteren. Seltener findet man 
Kalkschwämme auf lebenden Thieren angesiedelt, besonders auf der Rückenseite des 
Cephalothorax von Crustaceen (Mithra.xw, Pisa) oder auf lebenden Hydroiden-Stöcken 
(Sertularia, Campanularia), Bryozoen-Stöcken (Retepora, Flustra), bisweilen auch 
auf der Schale von lebenden Schnecken (Haliotis, Turbo), Muscheln (Lima, My- 
tilus) etc. An der norwegischen Küste fand ich vorzugsweise zahlreiche Kalk- 
schwämme auf Conferven (Cladophora, Eetocarpıs) und Florideen (Polysiphonia, 
Delesseria); einzelne auch auf Ulven, Laminarien, Fucaceen. An der adriatischen 
Küste fand ich die meisten Kalkschwämme auf Cystosireen (Sargassım, Halerica) 
und auf Corallinen, seltener auf Ulven und Conferven. 

Von den Kalkschwämmen, wie von den übrigen Schwämmen, findet man häufig 
die Angabe, dass sie als Parasiten auf lebenden Seepflanzen, bisweilen auch auf 
lebenden Seethieren gefunden werden. So sagt z. B. BOWERBANK von mehreren 
Kalkschwämmen, wie von vielen anderen Schwämmen: „Parasitical on fuci“. Indessen 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 425 


ist für sämmtliche Kalkschwämme, und wahrscheinlich auch für die grosse Mehrzahl 
aller übrigen Schwämme, die Bezeichnung Parasiten ganz gewiss falsch. Zum 
Begriffe des Parasitismus ist es niemals ausreichend, dass der parasitische 
Organismus auf einem anderen festsitzt. Vielmehr sind dafür drei, oder mindestens 
zwei Bedingungen erforderlich: 1) der bleibende oder zeitweilige Aufenthalt des 
Parasiten in oder auf dem Wohn-Organismus; 2) die Ernährung des Parasiten 
durch Säfte oder Gewebe des Wohn-Organismus; und 3) eine bestimmte organolo- 
gische Rückbildung, eine mehr oder minder wahrnehmbare regressive Metamor- 
phose, welche der Parasit ontogenetisch, und also ursprünglich phylogenetisch, durch 
seine parasitische Lebensweise erlitten hat. Diese letztere Bedingung, die innige 
trophische Wechselwirkung, welche zwischen dem Parasiten und dem Wohn-Orga- 
nismus besteht, und die deutliche Rückbildung, welche einer oder der andere Körper- 
theil des Parasiten durch die Anpassung an diese eigenthümliche Lebensweise er- 
litten hat, ist allerdings nicht bei allen Organismen, welche allgemein als Parasiten 
gelten, erfüllt, oder wenigstens nicht immer leicht als erfüllt nachzuweisen; sie 
giebt aber doch gerade dem ausgesprochenen Parasitismus sein characteristisches 
Gepräge. 

Bei sämmtlichen Kalkschwämmen, sowie bei den meisten (wenn nicht allen!) 
übrigen Spongien, welche gewöhnlich als Parasiten bezeichnet werden, ist von jenen 
drei Bedingungen bloss die erste erfüllt, nicht aber die beiden anderen, welche 
gerade entscheidend für den Begriff des Parasitismus sind. Die Caleispongien, wie 
die meisten übrigen Spongien, beziehen von den Thieren oder Pflanzen, auf denen 
sie aufsitzen, weder ihre Nahrung, noch werden sie durch ihr Verhältniss zu diesen 
Wohn-ÖOrganismen irgendwie zu einer rückschreitenden Metamorphose veranlasst. 
Vielmehr benutzen sie die Oberfläche des lebenden Thieres oder der lebenden Pflanze 
lediglich als Stätte zur Ansiedelung, als Bauplatz, auf dem sie sich anbauen. In 
vielen Fällen findet man an einem und demselben Orte eine und dieselbe Spongien- 
Species auf den verschiedensten Gegenständen angesiedelt: einige Individuen auf 
Felsen oder Steinen, andere auf den Schalen von todten Muscheln oder Schnecken, 
andere auf lebenden Algen oder Tangen, und noch andere endlich auf lebenden 
Thieren (Crustaceen, Mollusken etc.). Dennoch ist zwischen diesen verschiedenen 
Individuen keine wesentliche oder specifische Structur-Difterenz zu finden, obgleich 
die äussere Form sich den bestimmenden Gestalt-Verhältnissen der Ansiedelungs- 
Oberfläche auf das Mannichfaltigste angepasst haben kann. 

Die Spongien verhalten sich also in dieser Beziehung nicht anders als die fest- 
sitzenden Ascidien und Bryozoen, Corallen und Hydroiden und können ebenso wenig 
als diese letzteren Parasiten genannt werden. Sie verhalten sich nicht anders als die 
ebenfalls nicht parasitischen Moose, welche ebensowohl auf dem Dache oder an der 
Mauer eines Hauses, wie auf der Rinde des daneben stehenden Baumes gedeihen. 


426 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie, 


Ob bestimmte Beziehungen zwischen einzelnen Arten von Kalkschwämmen und 
einzelnen Species von Algen, auf denen sie sich vorzugsweise gern ansiedeln, be- 
stehen, bleibt noch zu ermitteln. Allerdings wachsen einige Species von Caleispon- 
gien besonders gern auf bestimmten Arten von Conferven, Florideen und Fucoideen. 
So wächst z. B. in der Goethe-Bucht auf der norwegischen Insel Gis-Oe Ascandra 
variabilis und Sycandra compressa vorzugsweise gern auf Conferva rupestris, 
während sich die ebenfalls massenhaft dort vorkommende Ascelta coriacea und 
Leucandra nivea am liebsten auf Steinen und Felsen ansiedelt. Aber keineswegs 
sind diese Arten fest an ihre bevorzugte Unterlage gebunden. Vielmehr findet man 
auch von den ersteren einzelne Exemplare auf Steinen, und von den letzteren auch 
umgekehrt einzelne Individuen auf Conferven oder anderen Algen festgewachsen. 

Da die Mehrzahl der Kalkschwämme sich vorzugsweise gern auf Algen, und 
nächstdem am liebsten auf Steinen ansiedelt, so sind auch die steinigen und felsigen 
Küsten diejenigen, an denen man sie zuerst aufsuchen muss. Auf sandigem oder 
schlammigem Grunde wachsen nur sehr wenige Arten. 

Besonderer Aufklärung bedarf noch die verhältnissmässige Seltenheit 
der Kalkschwämme in allen Meeren, welche von mehreren Spongiologen mit 
Recht hervorgehoben worden ist. Wenn auch im Gegensatz zu den übrigen Schwäm- 
men die viel geringere Grösse, die bedeutendere Zartheit und Zerstörbarkeit und 
das unansehnliche Aeussere der meisten Kalkschwämme vorzugsweise daran Schuld 
sein mag, dass dieselben viel weniger als die übrigen Spongien gesammelt, beobachtet 
und untersucht worden sind, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass an allen 
Küsten die Kalkschwämme viel seltener, an Arten und Individuen viel ärmer sind 
als die übrigen Spongien und namentlich die Kieselschwämme. An manchen Küsten, 
an denen die letzteren häufig sind, scheinen die ersteren ganz zu fehlen. So hat 
z. B. LACAZE-DUTHIERS, welcher die Küste von Algier sehr sorgfältig untersucht 
und daselbst die 77 von OÖ. Schmipr 1868 beschriebenen Kieselschwämme (darunter 
viele sehr eigenthümliche) gesammelt hat, ebendaselbst nicht einen einzigen Kalk- 
schwamm gefunden. Auch von vielen anderen ausgedehnten Küstenstrichen aller 
Welttheile, die eine grosse Anzahl von Kieselschwämmen und Hornschwämmen ge- 
liefert haben, kennen wir noch gar keine Kalkschwämme. Es scheint hieraus her- 
vorzugehen, dass die Caleispongien zu ihrer Existenz eine Summe von bestimmten 
eigenthümlichen Bedingungen bedürfen, welche an vielen Meeres-Küsten nicht erfüllt, 
und mit denen wir noch gänzlich unbekannt sind. 


2. Bathygraphische Verbreitung. 


Die Kalkschwämme leben zum grössten Theile nur in sehr geringen Tiefen des 
Meeres. Alle Naturforscher, welche bisher lebende Calcispongien gesammelt haben, 
stimmen in der Angabe überein, dass dieselben mit wenigen Ausnahmen littoral 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 427 


oder doch sublittoral sind. Auch meine eigenen Erfahrungen stimmen hiermit 
überein. Die grosse Mehrzahl der Kalkschwämme, welche ich an der norwegischen 
und an der dalmatischen Küste sammelte, fand ich in der Littoral-Zone oder Strand- 
region, von der Fluthgrenze bis zu 2 Faden Tiefe. Viele Arten scheinen sogar auf 
die Ebbe-Marken beschränkt zu sein, so dass sie regelmässig bei eintretender Ebbe 
entblösst und der Einwirkung der atmosphärischen Luft ausgesetzt werden. 

Schon in Tiefen von 2-—10 Faden (in der zweiten Zone oder Zostera-Region 
von FOrBes) findet sich nur eine geringe Anzahl von Caleispongien, und noch we- 
niger in der grösseren Tiefe von 10—20 Faden (in der dritten oder Caulerpa-Region 
von Forges). Bei sehr zahlreichen Dredge-Versuchen, welche ich in jenen Tiefen 
und noch tiefer (bis über 100 Faden hinab) an der norwegischen und dalmatischen 
Küste anstellte, und wobei ich zahlreiche Thiere der verschiedensten Classen, nament- 
lich auch viele Kieselschwämme erbeutete, hat mir das Schleppnetz nur sehr wenige 
Kalkschwämme geliefert. 

Dennoch scheinen einzelne Species der Caleispongien in ziemlich bedeutende 
Tiefen hinabzusteigen. Unter den bis jetzt bekannten Arten erreicht die bedeutendste 
Tiefe Leuxcaltis bathybia, welche SIEMENS im rothen Meere bei Perim aus 342 Faden 
(oder 2052 Fuss, ungefähr 700 Meter) Tiefe herauf holte. Nächstdem haben ALEXAN- 
DER AGassız und PouURrTALES an der Küste von Florida einige Syconen und Leu- 
conen in bedeutenden Tiefen gefunden, nämlich: Sycaltis perforata in 125 Faden, 
Leucaltis floridana in 20—40 Faden, Lercaltis elathria in 35 Faden, und Sycaltis 
ovipara in 26 Faden Tiefe. MERLE Norman fand in der S. Magnus-Bay auf den 
Shetland-Inseln Lexeamdra fistulosa in 30—60 Faden Tiefe. Ich selbst habe an der 
norwegischen Küste bei Bergen in einer Tiefe von 80—90 Faden Leuxcyssa inerustans 
und bei ungefähr 50 Faden Leuwcnlmis echinus gefunden. Ferner holte ich an der 
dalmatischen Küste bei Lesina aus 60—65 Faden Syeyssa Husxleyi und aus 40—50 
Faden Tiefe Syealtis conifera herauf. In geringeren Tiefen, zwischen 20 und 40 
Faden, fand ich in Norwegen Leucandra ananas und Leucandra caminus, in Dal- 
matien Syeilla eylindrus, Sycandra capillosa und Sycandra Schmidti. Uebrigens 
habe ich an beiden Küsten, an der norwegischen und an der dalmatischen, viele von 
den littoralen Arten gelegentlich auch in Tiefen von 10—30 Faden, und einzelne in 
grösseren Tiefen zwischen 40 und 80 Faden gefunden. So giebt auch BOWERBANK 
von 3 britischen Arten (Sycandra compressa, Sycandra coronata und Aseultis bo- 
iryoides) an, dass sie „parasitical on fuci, littoral and to 8 or 10 fathoms deep“ 
gefunden werden. Die littoralen Species, welche ich gelegentlich mit dem Schlepp- 
netz aus grösseren Tiefen erbeutete, waren in diesen Tiefen meistens durch grössere 
Individuen vertreten, als in der Strand-Region. 


428 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


3. Geographische Verbreitung. 


Die Physiologie der geographischen Verbreitung ist bei den Kalkschwämmen in 
noch viel höherem Maasse als bei den übrigen Schwämmen, unbekannt und gegen- 
wärtig noch gar nicht von allgemeinen Gesichtspunkten aus zu behandeln. Schon 
die einfachen Thatsachen, welche die geographische Verbreitung der Genera und 
Species in den Meeren der verschiedenen Welttheile betreffen, sind äusserst lücken- 
haft und unvollständig bekannt. Von allgemeinen chorologischen Schlüssen und Ge- 
setzen aber kann in dieser Thierclasse noch wenig die Rede sein. Gilt das schon 
von den Spongien im Allgemeinen, so gilt es doch von den Caleispongien in ganz 
besonderem Maasse, weil diese letzteren wegen ihrer geringen Grösse, ihres unan- 
sehnlichen Aeusseren und ihrer leichten Zerstörbarkeit von den Sammlern ganz be- 
sonders vernachlässigt worden sind. Viele zoologische Museen, welche eine ziemlich 
ansehnliche Spongien-Sammlung besitzen, ja sogar einige der grössten europäischen 
Museen, enthalten nicht einen einzigen Kalkschwamm. Die meisten Museen, welche 
Kalkschwämme besitzen, enthalten nur 3—6 Arten, und diese sind meistens nur die 
gemeinen europäischen Species. Es kann daher das bis jetzt vorliegende Material 
nicht im Entferntesten ausreichen, um eine einigermassen abgerundete „Chorologie 
der Caleispongien“ zu begründen. 

Das bekannte faunistische Material, welches ich selbst bei Beginn meiner Calei- 
spongien-Untersuchungen vor fünf Jahren vorfand, bestand, wie aus der historischen 
Einleitung dieses Bandes ersichtlich ist, aus wenig mehr als einigen zwanzig euro- 
päischen und ein paar ausländischen Arten. Fast nur die genauen Beschreibungen, 
welche BOWERBANK von seinen 12 britischen Species (p. 40) und O. Schmipr von 
seinen 14 adriatischen Arten (p. 41) gegeben hatten, waren wegen ihrer Berück- 
sichtigung der feineren Formen der Skelettheile hinreichend ausführlich, um danach 
die einzelnen Species wieder zu erkennen und die zerstreuten Angaben älterer Be- 
obachter zu deuten. Abgesehen von diesen britischen und adriatischen Kalkschwäm- 
men waren nur wenige einzelne Species aus verschiedenen Meeren in hinreichend 
kenntlichem Zustande beschrieben worden, so namentlich 4 Sycandra-Arten: Spongiu 
eiliata und Spongia compressa von Groenland, Alcyoncellum gelatinosum aus dem 
indischen Ocean und Dumstervillia elegans aus der Algoa-Bay. Mit diesen wenigen 
Ausnahmen waren also bis vor 5 Jahren die Küsten des adriatischen Meeres, Bri- 
tanniens und Groenlands fast die einzigen Küstenstriche, von denen man Kalk- 
schwämme kannte. 

Die Mühe, welche ich selbst mir lange Zeit hindurch gegeben habe, Kalk- 
schwämme aus allen Welttheilen zu erhalten, ist von einem sehr verschiedenartigen 
Erfolge gekrönt gewesen. Von vielen und ausgedehnten Küstenstrichen aller Erd- 
theile habe ich nicht einen einzigen Kalkschwamm erhalten; von einigen beschränkten 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 429 


Küstenpunkten hingegen unerwartet viele. So habe ich namentlich verhältnissmässig 
zahlreiche Arten von den Küsten Süd-Africas, Süd-Australiens und des caraibischen 
Meeres (Florida und den Antillen) bekommen. Sehr wenige Kalkschwämme habe 
ich dagegen nur von den Küsten des pacifischen Oceans erhalten können; auffallend 
wenige von den Küsten der vereinigten Staaten (Florida ausgenommen). 

Gar keine Kalkschwämme haben bisher folgende Küstenstriche geliefert: 
die africanische und asiatische Küste des Mittelmeeres, das schwarze Meer, das 
caspische Meer; die Küste des Golfs von Biscaya, die Azoren und Madeira, die Ost- 
see; die Westküste Africas von 20° nördlicher bis 30° südlicher Breite, die Ostküste 
Africas von 10° nördlicher bis 30° südlicher Breite, Madagascar; die ganze Süd- 
küste und Nordküste des asiatischen Festlandes; die Sunda-Inseln (Java ausgenom- 
men); die Nordküste von Australien, Neu-Guinea, Neuseeland; der polynesische 
Archipel (die Viti-Inseln und Sandwich-Inseln ausgenommen); die West-Küste von 
America (Californien und Valparaiso ausgenommen). 

Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse von der geographischen Verbreitung 
der Caleispongien, wie er sich aus dem reichen, dieser Monographie zu Grunde lie- 
genden Material ergeben hat, wird am besten durch die nachstehenden chorologi- 
schen Tabellen und die daran geknüpfte Zusammenstellung der einzelnen Faunen 
übersichtlich werden. Ich habe dabei, wie es für die Chorologie der meisten küsten- 
bewohnenden Seethiere am passendsten erscheint, als drei grosse Reiche die Gebiete 
des atlantischen, pacifischen und indischen Oceans, und in jedem dieser drei Reiche 
wieder mehrere untergeordnete Provinzen unterschieden. In der nachstehenden Ta- 
belle habe ich von dem atlantischen Ocean das zugehörige Mittelmeer desshalb ab- 
getrennt, weil gerade die Calcispongien-Fauna des Mittelmeeres und der west-euro- 
päischen Küsten besonders genau untersucht, und weil beide in mancher Beziehung 
verschieden sind. Diejenigen Species, welche bis jetzt bloss in einer der 14 Pro- 
vinzen der Tabelle gefunden wurden, also dieser eigenthümlich erscheinen, sind durch 
ein j, diejenigen Arten, welche in mehreren Provinzen eines Reiches gesammelt 
wurden, durch ein —, und die kosmopolitischen Arten endlich, welche in 2 oder 3 
Reichen zugleich vorkommen, durch ein * bezeichnet. 


430 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


4. Chorologische Tabelle über die geographische Verbreitung der Caleispongien- 
Species. 


| Mittel- | Atlantischer | Paeifischer Indischer 
meer Ocean Ocean Ocean 


\ 


Ost-Küste von Au- 


Geographische Verbreitung 
der 


Ill natürlichen Arten. 


West-Küste von 


America 
West-Küste von Süd- 
America 
West-Küste von 
stralien 
Süd-Küste von Au- 
stralien 


meer 
Europa 
America 

Ost-Küste von Süd- 


meer (Adria) 
-Küste von Nord- 


Westliches Mittel- 
Nord-America 


I. Ascones. 


Küste von Groen- 
land 


Oestliches Mittel- 


I 


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A 

Z | Küste des Caplandes 
Rothes Meer 


- | Ost-Küste von Asien 


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— ja | 
— variabilis . 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 431 


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meer Ocean Ocean | Ocean 
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432 


Sechstes Kapitel. 


Externe Physiologie. 


| Mittel- 
meer 


Atlantischer 


Ocean Ocean 


Pacifischer 


Indischer 
Ocean 


Geographische Verbreitung 


der 


111 natürlichen Arten. 


III. Sycones. 


(Adria) 


ÖOestliches Mittelmeer 


Westliches Mittelmeer 


America 


Küste von Groenland 


| Ost-Küste von Nord-Ame- 
rica 
West-Küste von Süd-Ame- 
riea 
West-Küste von Nord- 
Ost-Küste von Asien 


Süd-Küste von Asien 


Küste des Caplandes 
Rothes Meer 


a! West-Küste von Europa 


leo) 


3 | Ost-Küste von Süd-America 


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io] 
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jae) 


| Ost-Küste von Australien 


= | Süd-Küste von Australien | 


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Sycetta primitiva 
sagittifera 
strobilus . 
cupula 
stauridia 
Syeilla eyathiseus 
urnaer a 
eylindrus . 
chrysalis . 
Syeyssa Huxleyi . 
Sycaltis cönifera . 
perforata 
glacialis . 
testipara 
ovipara . 
Sycortis lingua 


laevigata 
Syculmis synapta 
Sycandra ciliata . 
coronata 
ampulla 
raphanus . 
capillosa 
setosa . 
villosa . 
Schmidt . 
arborea 


elegans 
Humboldtii 
glabra . 
arctica . 
ramosa 
compressa . 
utrieulus 
hystrix 


quadrangulata 


aleyoncellum . 


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+ — 


.—+ 


| 15|| 34 


12 


19) 7a nsa er Ed 


o|- 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 433 


5. Kosmopolitische und particuläre Species. 


Trotz der grossen Unvollständigkeit unseres chorologischen Materials, wie sie 
durch die vorstehende Tabelle, besonders mit Bezug auf den pacifischen Ocean, dar- 
gethan wird, ergiebt sich dennoch schon jetzt mit Sicherheit daraus die Thatsache, 
dass eine nicht geringe Anzahl der natürlichen Arten sich durch einen sehr ausge- 
dehnten Verbreitungs-Bezirk auszeichnet. Die Mehrzahl der 111 Species unseres 
natürlichen Systems besteht allerdings bis jetzt aus particulären Species, welche 
nur an einem einzigen Fundorte, oder an wenigen benachbarten Fundorten einer 
Provinz gesammelt worden sind. Nicht wenige Species sind aber auch bereits an 
zahlreichen und entfernten Fundorten einer Provinz, oder in mehreren Provinzen 
eines Reiches beobachtet worden. Endlich können neun Arten (und zwar 3 Asconen, 
3 Leuconen und 3 Syconen) wohl als kosmopolitische Species bezeichnet wer- 
den, weil sich ihr weiter Verbreitungs-Bezirk über 2 oder 3 verschiedene Reiche 
ausdehnt. 

Unter den Asconen sind 2 Arten Asceita und eine Art Ascandra als Kosmo- 
politen von besonderer Bedeutung. Ascetta primordialis kommt vor im Mittelmeere, 
an der Küste von Brasilien und Chile, und an mehreren, weit entfernten Stellen des 
pacifischen sowohl als des indischen Oceans, an der Küste des Caplandes und im 
rothen Meere. Ascetta blanca findet sich auf den canarischen Inseln, an der Küste 
von Brasilien und auf den Philippinen, und wird sicher auch noch auf vielen zwi- 
schenliegenden Stationen sich finden. Ascandra variabilis, welche an der Küste 
von Norwegen und Britannien einer der häufigsten Kalkschwämme ist, geht südlich 
nicht allein bis Marocco, sondern bis zum Cap der guten Hoffnung und greift dem- 
nach aus dem atlantischen in das indische Reich über. 

Unter den Leuconen sind 3 Genera: Leucetta, Leucaltis und Leucandra, 
durch je eine kosmopolitische Art vertreten. Leucetta primigenia kommt vor im 
Mittelmeere, an der östlichen und westlichen Küste des atlantischen Oceans (bei 
Mogador und auf den Antillen), an der Küste von Chile und von Australien, im 
indischen Ocean und im rothen Meere. Leucaltis pımila findet sich auf den nor- 
mannischen Inseln, an der Westküste und Südküste von Afrika und in der Bass- 
Strasse, bei Tasmanien. Leucandra aleicornis ist von den Sandwich-Inseln bis zum 
Capland durch den ganzen pacifischen und indischen Ocean verbreitet. 

Unter den Syconen zeichnen sich 3 Sycandra-Arten durch kosmopolitische 
Verbreitung aus. Sycandra coronata findet sich sowohl an den europäischen Küsten 
(im Mittelmeere und im atlantischen Ocean), als an der pacifischen Küste von Nord- 
und Süd-Amerika (Californien und Valparaiso), auf den Sandwich-Inseln und an der 
Ostküste von Australien. Sycandra raphanus kommt vor im Mittelmeere, auf Japan 


und den Philippinen, an der Küste von Australien und von Ceylon, und im rothen 
Haeckel, Kalkschwämme, 1, 28 


434 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


Meere. Sycandra elegans ist verbreitet im Mittelmeere, an der Westküste Europas 
von den normannischen Inseln bis Portugal, auf den canarischen Inseln, den Antillen, 
und an der Küste von Süd-Africa. 

Auf das atlantische Reich kommen im Ganzen 68, auf das pacifische 12 und 
auf das indische 22 particuläre Arten. Das Zahlen-Verhältniss, welches die 9 kos- 
mopolitischen Arten zu den 102 particulären Species einnehmen, ergiebt sich am 
besten aus der nachstehenden Tabelle, in welcher die Summe der Caleispongien-Arten 
in jedem der drei grossen Reiche durch die mit S bezeichnete Columne, die Zahl 
der particulären Arten durch die Columne P und die Zahl der kosmopolitischen Arten 
durch die Columne K angegeben ist. 


Chorologische Tabelle über das Verhältniss der kosmopolitischen Arten (K) zu 
den particulären Species (P) und zur Gesammtsumme der Calcispongien- 
Arten in jedem Reiche (S). 


Atlantisches Reich | Pacifisches Reich | Indisches Reich 

s | e | K S a K 

Ascones so | 27 | s| 2 slı6! a 

Leucones I 20 18 2 8 6| 2 11 8 3 

Sycones 26 | 23 | 3| 2 10 | 8 2 
| 

Summa 76 | 68 8 | 18 12 6 | 29 | ü 


6. Calcispongien-Fauna des atlantischen Reiches. 


Das atlantische Reich umfasst das gesammte Küsfen-Gebiet des atlantischen 
Oceans, die Westküsten von Europa und Africa, vom Nord-Cap bis zum Cap der 
guten Hoffnung, und auf der anderen Seite die Ostküste von America, von Grönland 
bis zum Feuerland. Auch das Mittelmeer, die Ostsee und das atlantisch-aretische 
Meer, welches die Küsten von Spitzbergen und Grönland umspült, ist diesem Ge- 
biete noch zuzurechnen. Auf das Küsten-Gebiet dieses grossen Reiches kommen 
mehr als zwei Drittel von den 111 bis jetzt bekannten Kalkschwämmen, nämlich 
76 Arten, und zwar 30 Asconen, 20 Leuconen und 26 Syconen. Unter diesen be- 
finden sich 8 kosmopolitische Arten, welche ausserdem noch im paeifischen oder im 
indischen Reiche, oder in beiden vorkommen. Demnach bleiben 68 Species übrig, 
welche bis jetzt bloss im atlantischen Reiche gesammelt worden sind. 

Dieser unverhältnissmässige Reichthum an Kalkschwämmen ist grösstentheils of- 
fenbar nur dem Umstande zuzuschreiben, dass das atlantische Reich, und vor allen 
die europäischen Küsten, viel genauer bezüglich seiner Küsten-Fauna untersucht ist, 
als das pacifische und das indische Reich. Jedoch gilt dies nur von einem Theile 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 455 


der Provinzen, in welche man dieses Reich eintheilen kann. Wir können im Ganzen 
6 solcher Provinzen unterscheiden, nämlich 1) das Mittelmeer; 2) die west-europä- 
ische Küste nebst der Ostsee; 3) die grönländische Küste nebst Spitzbergen; 4) die 
Ostküste von Nord-Amerika; 5) die Ostküste von Süd-America; 6) die Westküste 
von Africa. Von diesen 6 Provinzen sind bei weitem am genauesten untersucht das 
Mittelmeer und die West-Europäische Küste. Auf das erstere allein kommen 26, 
auf die letztere sogar 34 von den 76 Arten des atlantischen Reiches. Weniger reich 
ist das grönländische Meer (mit 12 Arten) und die Ost-Küste von Nord - America 
(mit 19 Arten); von der Ostküste Süd-Americas kennen wir nur 7 Arten. Fast 
ganz unbekannt ist die Westküste von Africa. Wenn wir von den Kalkschwämmen 
des Caplandes absehen, welche besser zum indischen Reich gerechnet werden, so 
sind nur an einem einzigen Punkte der west-afrikanischen Küste Kalkschwämme ge- 
sammelt worden; das sind die wenigen Arten, welche ich selbst bei Mogador, an 
der Küste von Marocco gesammelt habe. Aus der Ostsee und dem schwarzen Meere 
ist nicht ein einziger Kalkschwamm bekannt. 


Mittelmeer-Provinz (A und B in der Tabelle p. 430). 


Diese Provinz ist nebst der folgenden (west-europäischen) hinsichtlich ihrer 
Kalkschwamm- Fauna am genauesten untersucht. Sie zerfällt durch die italienische 
Halbinsel in zwei Bezirke, den östlichen und den westlichen Bezirk. Der östliche 
Bezirk (A in der Tabelle p. 430) enthält 21 Arten, welche sämmtlich im adria- 
tischen Meere, grösstentheils an der dalmatischen Küste (meistens von OSCAR 
SCHMIDT, CAMIıL HELLER und mir selbst) gesammelt worden sind. An der Küste 
der Insel Lesina und den nahe gelegenen Spalmadori-Klippen habe ich sämmtliche 
21 Arten lebend beobachtet. 7 von diesen Arten sind neu, 14 bereits in den Werken 
von O. ScHmipr beschrieben (s. oben p. 41). Der westliche Bezirk des Mittel- 
meeres (B in der Tabelle p. 430) besitzt nur 15 Arten, welche meistens in Nizza, 
Neapel und Messina von mir selbst gefunden wurden. Die Gesammt-Zahl der Calei- 
spongien, welche bis jetzt im Mittelmeere beobachtet wurden, beträgt 26 Arten. 
Von diesen sind 11 Arten bisher bloss im östlichen Bezirke (in der Adria), 5 Arten 
bloss im westlichen Bezirke gefunden worden; 10 Arten sind beiden Bezirken ge- 
meinsam. Die Hälfte von den 26 mediterranen Species kommen auf die Familie der 
Syconen (13 Arten); zu den Asconen gehören 9, zu den Leuconen aber nur 4 Arten. 
Kosmopolitische Species befinden sich darunter 5, nämlich Asceita primordialis, 
Leucetta primigenia und 3 Arten Sycandra (coronata, raphanus, elegans). Weit 
verbreitet in beiden Theilen des Mittelmeeres scheinen namentlich Ascandra Lieber- 
kühmii, Leucandra aspera und Sycandra setosa zu sein. 

Unter den 21 Species des adriatischen Meeres, welche ich sämmtlich auf der 
dalmatischen Insel Lesina gesammelt habe, und von denen 11 Arten bisher bloss 

23 * 


436 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


aus der Adria bekannt sind, verdienen als besonders characteristisch und interessant 
folgende hervorgehoben zu werden: Asceita clathrus, Ascaltis cerebrum, Ascandra 
reticulum; Syceyssa Husxleyi, Sycaltis conifera und 3 Sycandra-Arten (capillosa, 
‚Schmidti, Humboldti); hingegen besitzt die Adria nicht eine einzige eigenthümliche 
Leucon-Art. Im Ganzen befinden sich unter den 21 adriatischen Caleispongien: 
6 Asconen, 2 Leuconen, 13 Syconen; ein sehr auffallendes Verhältniss. 

Auf den westlichen Bezirk des Mittelmeeres, welcher viel weniger bekannt ist, 
kommen hingegen 5 Asconen, 4 Leuconen, 6 Syconen. Unter den 15 Arten dieses 
Gebietes sind besonders characteristisch: Aseyssa Iroglodytes, Ascaltis Gegenbauri, 
Leucandra crambessa; unter den Syconen dieses Bezirks ist aber keiner ihm eigen- 
thümlich. 


W est-Europ äische Provinz (C in der Tabelle p. 430) 
(Ostküsten des Nord-Atlantischen Oceans). 


Diese Provinz ist unter allen hier unterschiedenen Provinzen an Kalkschwämmen 
die reichste, indem sie von den 111 Species unseres natürlichen Systems nicht we- 
niger als 34 Arten, also beinahe ein Drittel enthält. Dieses ausserordentliche Ueber- 
gewicht ist ohne Zweifel der sorgfältigeren Durchforschung, welche diese Provinz, 
und namentlich die britischen und norwegischen Küsten erfahren haben, zuzuschreiben. 
Die Grenzen dieser West-Europäischen Provinz liegen zwischen den Isothermen von 
0° und 25°. Sie umfasst mithin die ganze atlantische Küste von Europa (vom 
Nordcap an), und ferner die atlantische Küste von Africa bis zum Cap Blanco oder 
bis zum Wendekreis des Krebses. Ausser den atlantischen Küsten des europäischen 
Festlandes und des maroccanischen Gebietes sind aber auch die Küsten aller benach- 
barten Inseln mit inbegriffen, namentlich also die Lofodden, Island, Far-Öer, Shet- 
land, Britannien, Irland, die normannischen Inseln, Madeira und die canarischen In- 
seln. Unter den 34 Species dieser Provinz befinden sich 16 Asconen, 10 Leuconen 
und 3 Syconen. Darunter sind 6 kosmopolitische Arten (2 Asconen, 2 Leuconen, 
2 Syconen). Als besonders characteristisch sind folgende Arten hervorzuheben: As- 
cetla coriacea, Ascaltis botryoides, Ascandra complicata, Leuceyssa incrustans, 
Leucandra Gossei, Leucandra nivea, Sycandra eiliata, Sycandra compressa, Sy- 
candra utriculus. 

Es können in der west-europäischen Provinz hinsichtlich ihrer Caleispongien- 
Fauna folgende Bezirke unterschieden werden: 1) der canarische, 2) der lusitanische, 
3) der britische, 4) der norwegische und 5) der baltische Bezirk. 

Der canarische Bezirk, an der Südgrenze der west-europäischen Provinz, 
erstreckt sich von der Gibraltar-Strasse bis zum Cap Blanco und umfasst ausser der 
atlantischen Küste von Marocco namentlich die canarischen Inseln, Madeira und die 
Azoren. Aus diesem Bezirke sind nur diejenigen Kalkschwämme bekannt, welche 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 437 


MiktucHo und ich selbst auf der canarischen Insel Lanzerote (in Puerto Arrecife 
und Puerto Naos) gesammelt haben (Ascetta blanca, Ascaltis canariensis, Sycandra 
elegans); ferner diejenigen Species, welche ich auf meiner Rückreise von den cana- 
rischen Inseln an der maroccanischen Küste bei Mogador, und in der Strasse von 
Gibraltar bei Algesiras und Tarifa (an der Südspitze Europa’s) gesammelt habe. 
Die Zahl dieser Arten ist gering; die meisten kommen zugleich im Mittelmeere vor, 
einige auch auf den Antillen. Dem canarischen Bezirk eigenthümlich erscheinen nur 
2 Ascon-Arten: Ascaltis canariensis von Lanzerote und Ascandra echinoides von 
Tarifa. 

Der lusitanische Bezirk (oder der iberisch-gallische Bezirk), welcher von 
der Gibraltar-Strasse bis zum Ausgang des Canals de la Manche, beim Cap Finis- 
terre, sich erstreckt, und die atlantischen Küsten von Portugal, Spanien und Frank- 
reich umfasst, ist hinsichtlich seiner Caleispongien-Fauna sehr wenig bekannt. Die 
wenigen, hier gefundenen Arten sind grösstentheils von MızvrE an den Küsten der 
Bretagne, von BArBOzA pu BocAGE an der Küste von Portugal gesammelt worden. 
Sie stimmen meistens mit den Arten der normannischen Inseln und mit denjenigen 
überein, welche LacAzE-Durniers an den Küsten der Normandie fand. Unter letz- 
teren ist die schöne Ascandra pinus hervorzuheben, als einer der zierlichsten Kalk- 
schwämme. Sonst befinden sich unter den Caleispongien des lusitanischen Bezirkes 
keine eigenthümlichen Formen. Von den Küsten des Golfs von Biscaya sind noch 
gar keine Kalkschwämme bekannt. 

Der britische Bezirk, die Küsten von England, Schottland und Irland, und 
die nächstgelegenen kleinen Insel-Gruppen, namentlich die Hebriden und Orkney- 
Inseln im Norden, die Normannischen Inseln im Süden umfassend, ist ohne Zweifel 
hinsichtlich seiner Spongien-Fauna der bestbekannte und am genauesten untersuchte 
Bezirk der Erde. Dank dem besonderen Eifer zahlreicher englischer Naturforscher, 
unter denen schon im vorigen Jahrhundert Errıs und SOLANDER, dann besonders 
GRANT (1825) und Jomwston (1842), in neuerer Zeit BOwERBANK und NORMAN her- 
vorzuheben sind, ist die Spongien-Fauna der britischen Küsten gegenwärtig vollstän- 
diger bekannt, als irgend eine andere. Dem entsprechend ist denn auch die Zahl 
der hier gefundenenen Caleispongien unverhältnissmässig gross und beträgt 22 Spe- 
cies, also ein Fünftel der bis jetzt bekannten Arten-Zahl. Unter diesen 22 Arten, 
welche ich vorzugsweise nach zahlreichen Exemplaren in der ausgezeichneten Samm- 
lung britischer Kalkschwämme von Reverend A. MERLE-NORMAN genau untersucht 
habe, befinden sich 7 Asconen, 7 Leuconen und 8 Syconen. 4 von diesen sind kos- 
mopolitisch: Ascandra variabilis, Leucaltis pumila, Sycandra coronata und Sy- 
eandra elegans. 4 andere Species, nämlich Ascortis lacumosa, Ascandra contorta, 
Ascandra botrys und Leucandra Johmstonii scheinen dem britischen Bezirke eigen- 
thümlich zu sein. Die normannischen Inseln an der Küste der Normandie (Guernsey, 


458 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


Jersey, Sark etc.), welche an Spongien sehr reich zu sein scheinen, stehen schon 
auf der Grenze des britischen Bezirkes. Sie besitzen 9 Species (3 Asconen, 3 Leu- 
conen und 3 Syconen), und unter diesen befinden sich 5, welche an den britischen 
Küsten nicht vorkommen. Von diesen 5 Arten scheint eine (Ascandra contorta) 
den normannischen Inseln eigenthümlich zu sein; die 4 anderen kommen ausserdem 
nur südlicher vor (Leucaltis pumila, Sycortis quadrangulata, Sycandra elegans 
und Sycandra glabra). 

Der norwegische Bezirk ist bis jetzt vorzugsweise durch die Caleispongien 
der norwegischen Küste vertreten, deren Zahl sich auf 14 Arten beläuft (6 Asconen, 
5 Leuconen, 3 Syconen). Nur 2 von diesen 14 Species sind der Küste von Norwe- 
gen eigenthümlich (Asculmis armata und Leuculmis echinws). Die übrigen Arten 
kommen meistens zugleich im britischen Bezirke, einige auch in der atlantisch-arc- 
tischen Provinz vor. Die Inseln des norwegischen Bezirks, die Lofodden, Island, 
Far-Öer, Shetland und die dänischen Inseln des Sundes und Beltes, haben bisher 
keine eigenthümlichen Kalkschwämme gezeigt. Ascett« sagiltaria ist bisher nur im 
grossen Belt gefunden. Die drei Species, welche die Insel Helgoland besitzt 
(Ascandra complicata, Lencandra nivea, Sycandra ciliata) kommen ebenso an 
den norwegischen, wie an den britischen Küsten vor. 

Der baltische Bezirk scheint gar keine Kalkschwämme zu enthalten. In dem 
eigentlichen Ostsee-Becken, östlich von der Insel Rügen (östlich vom 31° Oest. L.), 
im finnischen und botnischen Busen ist bisher noch kein einziger Kalkschwamm ge- 
funden worden. (Die wenigen Arten, welche im System als in der Ostsee einhei- 
misch angegeben sind, wurden am westlichen Ausgang derselben im Sund und Belt 
gesammelt). Auch von den sandigen Küsten des westlichen Deutschlands, von den 
Küsten Hollands und Belgiens sind bis jetzt keine Kalkschwämme bekannt. 


Grönländische Provinz (D in der Tabelle p. 430) 
(Küsten von Grönland und Spitzbergen). 


Die grönländische oder arctisch-atlantische Provinz, welche die Küsten des grön- 
ländischen Meeres, die Gestade von Grönland und Spitzbergen umfasst, scheint an 
Kalkschwämmen verhältnissmässig sehr reich zu sein. Es sind von hier nicht we- 
niger als 12 Arten bekannt: 4 Asconen, 3 Leuconen und 5 Syconen; darunter keine 
einzige kosmopolitische Art. 5 von diesen 12- Species sind der grönländischen Pro- 
vinz eigenthümlich. Die 7 anderen kommen ausserdem noch an südlicheren Stellen 
des nord-atlantischen Oceans vor. Nur eine von jenen 12 Arten (Ascyssa acufera) 
ist Spitzbergen eigenthümlich. Die anderen 11 kommen sämmtlich an der Küste 
von Grönland vor, 4 Arten zugleich in Spitzbergen. 8 von den 11 Grönländischen 
Arten befinden sich im Museum von Kopenhagen und sind bereits früher von 
0. Schmipr in den Atlantischen Spongien (1870, p. 73) beschrieben worden. Sie 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 4539 


scheinen an dieser Küste keineswegs selten zu sein, da sie von mehreren verschie- 
denen Reisenden, an einer ziemlich grossen Anzahl von Küstenpunkten, und mehrere 
Arten in zahlreichen Exemplaren gesammelt wurden. Zwei Arten sind bei der letzten 
deutschen Nordpol-Expedition von PanscH an der Ostküste Grönlands auf der Nord- 
Shannon-Insel gefunden worden (Ascaltis Lamarckü und Sycaltis glacialis). Die 
5 Species von Spitzbergen verdanke ich theils Dr. Emır, Besses, theils Dr. GOTTLIEB 
von Koch. Ist schon die relativ sehr bedeutende Frequenz der Kalkschwämme an 
diesen Eismeer-Küsten sehr auffallend, so erscheint noch merkwürdiger der Umstand, 
dass die meisten dieser arktischen Species zu den stattlichsten und differenzirtesten 
Caleispongien, einige zu den allergrössten Arten gehören: vor Allen Ascaltis Lu- 
marckü, Leucandra stilifera, Sycandra arctica und Sycandra utriculus. 


Nordost-Americanische Provinz (E in der Tabelle p. 430) 
(Westküsten des Nord - Atlantischen Oceans). 


Diese Provinz umfasst die atlantische Küste von Nord-America vom 60 ° bis zum 
10° Nördlicher Breite, von Labrador bis zum Isthmus von Panama; die Inseln New- 
Foundland und Bahama, die grossen und kleinen Antillen. Im Ganzen sind die Kalk- 
schwämme dieses grossen Gebietes noch ausserordentlich unbekannt, besonders wenn 
man erwägt, wie eifrig in den letzten 20 Jahren die marine Fauna an der atlantischen 
Küste der vereinigten Staaten von zahlreichen Sammlern untersucht worden ist. Die 
geringe Zahl von 19 Arten, welche auf dieses Gebiet fällt, besteht aus 6 Asconen, 
6 Leuconen und 7 Syconen; darunter 2 Kosmopoliten. Fast der dritte Theil dersel- 
ben, und zwar 6 sehr eigenthümliche Species, sind bis jetzt blos an der Küste von 
Florida (von ALEXANDER AGAssız und POURTALES) gefunden worden: besonders 
interessant sind Leucultis elathria, Sycaltis perforata und Syealtis oripara. Von 
den übrigen 13 Arten gehören die meisten den Antillen an, darunter besonders wichtig 
(übrigens den vorher genannten nahe verwandt): Lexcetta corticata und Sycaltis 
lestipara von Cuba. Ein paar eigenthümliche Arten sind auch bei New-Foundland 
gefunden worden. An der ganzen langen Küstenstrecke aber vom 30—45 ° nördli- 
cher Breite ist bis jetzt bloss ein einziger Kalkschwamm beobachtet: Ascortis fragilis 
(= Leuecosolenia botryoides von JAMES-CLARK). 


Südost-Americanische Provinz (F in der Tabelle p- 430) 
(West-Küste des Süd-Atlantischen Oceans). 


Diese Provinz ist noch weniger als die vorige durchforscht. Wir kennen bis jetzt 
aus diesem ausgedehnten Gebiete, welches die ganze Ostküste von Süd-America um- 
fasst, nur 7 Caleispongien: 2 Asconen, 1 Leucon und 4 Syconen. Die beiden Asconen 
und ein Sycon sind kosmopolitisch. Dagegen befinden sich unter den Syconen einige 
sehr eigenthümliche Arten, namentlich Syculmis synapla und Sycandra ampulla. 
Die Küsten-Puncte Süd-America’s, an denen diese wenigen Kalkschwämme gesammelt 


440 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


wurden, sind Desterroe (Frırz MÜLLER), Bahia (AnpreA) und Rio-Janeiro (WENDT) 
an der brasilischen Küste, sowie Caracas (GOLLMER) an der Küste von Venezuela. 


7. Calcispongien-Fauna des pacifischen Reiches. 


Das ungeheuere pacifische Reich, dessen östliche Grenze durch die Westküste 
Americas, dessen westliche Grenze durch die Ostküste Asiens, die Philippinen, Neu- 
Guinea und die Ost-Küste Australiens gebildet wird, ist hinsichtlich seiner Spongien- 
Fauna noch äusserst wenig durchforscht. Nur von einzelnen Puncten sind ein paar 
Kalkschwämme zufällig von Reisenden mitgebracht worden; von Valparaiso, Califor- 
nien, Honolulu, Japan, Hongkong, Bohol, Viti, Sidney. Wir kennen daher diese 
ausgedehnten Küstenstriche und Insel-Massen hinsichtlich ihrer Kalkschwämme viel 
weniger als die kleinen Bezirke des atlantischen Reiches. Während die Gesammt- 
zahl der westeuropäischen Caleispongien 34 Arten, diejenige des Mittelmeeres 26 Ar- 
ten beträgt, beläuft sich diejenige des pacifischen Reiches bloss auf 18 Arten, 
5 Asconen, 8 Leuconen und 5 Syconen. Unter diesen befinden sich aber 6 kosmo- 
politische Arten, so dass bloss 12 eigenthümliche Arten für das pacifische Reich 
übrig bleiben. Von diesen sind jedoch mehrere bemerkenswerthe Arten hervorzuhe- 
ben, namentlich die beiden Species von Aseilla (gracilis, japonica), zwei Leucandra- 
Arten (cataphracta, ochotensis) und zwei Sycetta -Species (strobilus, cupula), so- 
wie die schöne Sycandra arborea. i 

Südwest-Americanische Provinz (G in der Tabelle p. 430) 
(Südost- Küste des pacifischen Oceans). 

Diese Provinz, welche die Westküste von Süd- America umfasst, hat bisher nur 
3 Species von Caleispongien geliefert, und zwar nur 3 kosmopolitische Arten, welche 
in der Nähe von Valparaiso gesammelt wurden, nämlich Ascetta primordialis, Leu- 
cetta primigenia und Sycandra coronata. 

Nordwest-Americanische Provinz (H in der Tabelle p. 430) 
(Nordost-Küste des pacifischen Oceans). 

Von dieser Provinz, welche die Westküste von Nord-America, vom Isthmus von 
Panama bis zur Behringsstrasse umfasst, und zu der wir auch noch die nächstgele- 
gene Gruppe der Sandwich-Inseln ziehen, sind nur 6 Arten von Kalkschwämmen bis 
jetzt bekannt, und zwar 2 Asconen, 2 Leuconen und 2 Syconen. Die Hälfte dieser 
6 Arten ist von Brown an der Küste von Californien, die andere Hälfte von HALTER- 
MANN bei Honolulu gesammelt. Besonders bemerkenswerth sind aus dieser Provinz 
Aseilla gracilis, Leucetia sagittata und Sycetta strobilus. 

Ost-Asiatische Provinz (I in der Tabelle p. 430) 
(Nordwest-Küste des pacifischen Oceans). 

Diese Provinz umfasst die Ostküste Asiens und der nächstgelegenen Inseln (Ku- 

rilen, Japan, Formosa, Philippinen), sowie die polynesischen Insel-Gruppen, welche 


1. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 441 


nördlich vom Aequator und westlich vom 180. Meridian liegen. Aus diesem küsten- 
reichen Gebiet sind im Ganzen nur 9 Arten von Kalkschwämmen bekannt: 3 Asconen, 
4 Leuconen und 2 Syconen. Darunter befinden sich 4 kosmopolitische Formen, so 
dass nur 5 Species als dem Gebiet eigenthümlich zu betrachten sind. 2 von diesen 
Arten fallen auf das Ochotskische Meer (Leueyssa eretacea und Leucandra ochoten- 
sis); 3 auf Japan (von GILDEMEISTER gesammelt) (Ascilla japonica , Leneyssa spon- 
gilla, Sycetta cupula). Von der ganzen Ostküste des asiatischen Festlandes sind 
nur 2 Caleispongien bekannt: die Lexeyssa cretacea von Kamtschatka und die kosmo- 
politische Leucandra aleicornis, welche zuerst Harrann in Hongkong gesammelt 
hat. Auf den Philippinen hat SEmper 4 Arten gesammelt, sämmtlich kosmopolitisch, 
nämlich: Ascetlta primordialis, Ascetta blanca, Leucandra aleicornis und Sycan- 
dra raphanıs. 


Ost-Australische Provinz (K in der Tabelle p. 430) 
(Südwestliche Küsten des paeifischen Oceans). 


Dies Gebiet umfasst Neu-Guinea, die Ostküste von Australien, Neuholland und 
den südlichen Theil Polynesiens, unterhalb des Aequator. Wir kennen nur 6 Arten von 
Caleispongien: 1 Ascon, 3 Leuconen und 2 Syconen. Darunter befinden sich 3 Kosmo- 
politen und nur 3 eigenthümliche Arten: Lencandra cataphracta von Sidney, Leu- 
candra bomba von den Viti-Inseln und Sycandra arborea von Sidney. Von Neu- 
Guinea, Neu-Seeland und von dem süd-polynesischen Archipelagus (mit einziger Aus- 
nahme der Viti-Inseln) sind noch gar keine Kalkschwämme bekannt. 


8. Caleispongien-Fauna des indischen Reiches. 


Das dritte grosse Reich, welches für die Chorologie der Caleispongien in Be- 
tracht kommt, wird durch die Küsten des indischen Oceans und seiner Inseln gebil- 
det, und umfasst im Osten, von der Bass-Strasse beginnend, die ganze Südküste und 
Westküste Australiens, und den Sunda-Archipel, im Norden die ganze Südküste 
Asiens und im Westen die ganze Ostküste und Südküste Africas bis zum Cap der gu- 
ten Hoffnung. Die Kalkschwämme dieses Reiches, obwohl viel weniger untersucht, 
als die des atlantischen Reiches, sind doch besser bekannt als diejenigen des viel grös- 
seren pacifischen Reiches. Ihre Gesammtzahl beträgt 29 Species, und zwar 8 Asco- 
nen, 11 Leuconen, 10 Syconen. Darunter befinden sich allerdings 7 
niger kosmopolitische Arten, so dass nur 22 dem indischen Reiche eigenthümliche 
Arten übrig bleiben. Besonders characteristisch scheinen für das indische Reich fol- 
gende Arten zu sein: Ascaltis Darwinü, Ascandra nitida ; Leucortis pulvinar, Leu- 


mehr oder we- 


candra eucumis; Sycelta primitiva, Sycandra alcyoncellum. Verhältnissmässig 
reich erscheint die Ausbeute an Kalkschwämmen auf drei kleinen Strecken dieses aus- 
gedehnten Gebietes, nämlich von der Bass-Strasse (der südöstlichen Ecke Australiens), 


442 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


von dem Caplande (der südöstlichen Ecke Africas) und aus dem südöstlichen Theile 
des rothen Meeres. Hingegen ist von den übrigen Theilen des indischen Reiches 
nur sehr wenig bekannt. Namentlich ist von der ganzen Ostküste Africas, von 
Bab-el-Mandeb bis Port-Natal, und von Madagascar noch kein einziger Kalkschwamm 
bekannt. Mit Rücksicht auf diese Verhältnisse unterscheiden wir hier nur folgende 
4 Provinzen: die südwest-australische, die südasiatische, die südafricanische und die 
arabische Provinz. 


Südwest-Australische Provinz (L in der Tabelle p. 430). 


Diese Provinz umfasst die Südküste und die Westküste Australiens, von denen 
namentlich die erstere durch eine verhältnissmässig bedeutende Anzahl von Kalk- 
schwämmen vertreten ist. Im Ganzen sind uns aus dieser Provinz 14 Species be- 
kannt, und zwar 2 Asconen, 7 Leuconen und 5 Syconen. Darunter befinden sich 
5 kosmopolitische und 9 eigenthümliche Arten; unter letzteren 1 Ascon, 4 Leuconen 
und 4 Syconen. Besonders merkwürdige Arten sind Lexcetta pandora, Leucandra 
encumis, Leucandra saccharata, Sycetta primitiva, Sycandra laevigata und Sy- 
candra aleyoncellum. Die meisten Arten dieser Provinz sind von WENDT, SCHOM- 
BURGK und anderen in der Bass-Strasse und im Golf S. Vincent gesammelt worden; 
Gegenden, die überhaupt an interessanten Spongien und Acalephen ausnehmend 
reich zu sein scheinen. 


Süd-Asiatische Provinz (M in der Tabelle p. 450). 

Aus dieser grossen Provinz, welche den Sunda-Archipel und die ganze Süd- 
küste Asiens bis zur Bab-el-Mandeb-Enge umfasst, sind verhältnissmässig nur sehr 
wenige Caleispongien bekannt, nämlich nur 11 Species: 4 Asconen, 4 Leuconen und 
3 Syconen. Unter diesen befinden sich 4 kosmopolitische und 7 indische Arten, 
darunter besonders bemerkenswerth Ascetta flewilis, Ascandra sertularia und Sy- 
cella sagittifera. Die meisten Arten dieser Provinz sind von MULDER in Java, von 
Purnam in Singapore und von WrıcHTr in Ceylon gesammelt worden. Mehrere Ar- 
ten sind mit einigen der vorigen Provinz identisch. 


Süd-Africanische Provinz (N in der Tabelle p. 430). 

Der Küstenstrich des Caplandes, welcher sich von Port-Natal im Osten bis zur 
Capstadt im Westen erstreckt, hat eine verhältnissmässig grosse Anzahl von Kalk- 
schwämmen geliefert, nämlich 13 Arten: 4 Asconen, 6 Leuconen, 3 Syconen. Dar- 
unter befinden sich 6 mehr oder weniger kosmopolitische, hingegen 7 eigenthüm- 
liche Arten, von denen namentlich folgende von besonderem Interesse sind: Ascun- 
dra cordata, Ascandra nitida, Leucetta trigona, Leucandra hınulata , Sycandra 
ramosa und Sycandra hystrix. Letztere gehören zu den eigenthümlichsten und am 
meisten differenzirten Formen der Caleispongien. Die meisten dieser südafricani- 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 443 


schen, zum Theil sehr merkwürdigen Kalkschwämme, verdanke ich meinem Vetter 
WILHELM BLEEK, dem Frforscher der südafricanischen Sprachen; einige andere sind 
von verschiedenen Reisenden, besonders in der an Spongien sehr reichen Algoa-Bay 
gesammelt worden. 


Arabische Provinz (Rothes Meer, O in der Tabelle p. 430). 

Die arabische Provinz umfasst bloss die Gestade des rothen Meeres, von denen 
mir 7 Caleispongien bekannt geworden sind: 2 Asconen, 3 Leuconen und 2 Syconen. 
Unter diesen befinden sich 3 kosmopolitische Arten; 2 Arten, welche zugleich in der 
süd-asiatischen Provinz vorkommen, und 2 Arten, welche dem rothen Meere eigen- 
thümlich sind, nämlich Leucaltis balhybia und Sycetta stauridia. Die meisten dieser 
arabischen Kalkschwämme sind von Siemens bei der Insel Perim und von MikLUCHO 
bei Djeddah gesammelt worden. 


9. Uebersicht einzelner Faunen. 

1. Caleispongien-Fauna des Mittelmeeres (26 Species). [Die Arten, 
welche bisher bloss im östlichen Bezirke des Mittelmeeres (in dem adriatischen Meere) 
gefunden wurden, sind mit A; diejenigen, welche bloss im westlichen Bezirke gefunden 
wurden, mit W; und diejenigen, welche in beiden Bezirken gefunden wurden, mit M 
bezeichnet.] Ascetta primordialis M, A. clathrus A, Ascyssa troglodytes W, Ascaltis 
cerebrum A, A. Gegenbauri W, A. Goethei W, Ascandra falcata A, A. reticulum A, 
A. Lieberkühnii M. Leucetta primigenia W, Leucaltis solida M, Leucandra cram- 
bessa W, L. aspera M. Syeilla eylindrus A, S. chrysalis A, Sycyssa Huxleyi A, 
Syealtis conifera A, Sycortis quadrangulata M, Sycandra coronata M, S. raphanus M, 
S. capillosa A, S. setosa M, S. Schmidtii A, S. elegans M, S. Humboldtii A, S. glabra M. 

2. Caleispongien-Fauna von Britannien (22 Species). [Die Arten, 
welche mit einem B bezeichnet sind, kommen an der britischen Küste und auf den 
Normannischen Inseln vor; die Arten, welche mit einem N bezeichnet sind, kommen 
auf den Normannischen Inseln, aber nicht an der britischen Küste vor.] Ascetta 
coriacea B, Ascaltis botryoides, Ascortis lacunosa, Ascandra contorta N, A. com- 
plicata, A. botrys B, A. variabilis, Leucyssa incrustans, Leucaltis pumila N, Leu- 
candra caminus, L. Gossei B, L. ananas, L. nivea, L. Johnstonii B, Sycortis qua- 
drangulata N, Sycandra ciliata, S. coronata, S. villosa, S. elegans N, S. glabra N, 
S. compressa, S. utriculus. . 

3. Calcispongien-Fauna von Helgoland (3 Species). Ascandra compli- 
cata, Leucandra nivea, Sycandra ciliata. 

4. Caleispongien-Fauna von Norwegen (14 Species). [Die Norwegen 
eigenthümlichen Arten sind durch ein 7, diejenigen, welche zugleich an den briti- 
schen Küsten vorkommen, durch ein B bezeichnet.] Ascetta coriacea B, Ascortis 
corallorrhiza, A. fragilis, Asculmis armata 7, Ascandra complicata B, A. variabilis B, 


444 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


Leucyssa incrustans, Leuculmis echinus 7, Leucandra caminus B, L. ananas B, 
L. nivea B. Sycandra ciliata B, S. villosa B, S. compressa. 

5. Caleispongien-Fauna von Grönland (12 Species). [Diejenigen Arten, 
welche zugleich in Grönland und Spitzbergen vorkommen, sind mit einem j be- 
zeichnet. Nur von Spitzbergen ist Ascyssa acufera bekannt (S).] Ascyssa acu- 
fera S, Ascaltis Lamarckii, Ascortis Fabricii, A. corallorrhiza, Leucandra Egedii 7, 
L. ananas, L. stilifera. Sycaltis glaeialis 4, Sycandra eiliata }, 8. arctica 7, S. com- 
pressa, S. utriculus. 

6. Calcispongien-Fauna des Caraibischen Meeres (14 Species). [Die 
Arten, welche bisher bloss an der Küste von Florida gefunden wurden, sind mit F; 
die Arten, welche bloss auf den Antillen gefunden wurden, mit A bezeichnet.] As- 
caltis Lamarckii, Ascortis horrida F, Ascandra panis F, Leucetta primigenia, L. cor- 
ticata A, Leucilla amphora A, Leucaltis floridana F, L. clathria F, Leucandra cami- 
nus, Sycaltis perforata F, S.testipara A, S. ovipara F, Sycandra villosa, S. elegans. 

7. Caleispongien-Fauna von Australien (17 Species). [Die Arten, 
welche bisher bloss an der Südküste von Australien (in der Bass-Strasse und im 
Golf S. Vincent) gefunden wurden, sind mit S, die beiden der Ostküste (Sidney) 
eigenthümlichen Arten mit O bezeichnet.] Ascetta primordialis, Ascandra densa S, 
Leucetta primigenia, L. pandora S, Leucaltis pumila, Leucortis pulvinar, Leucandra 
aleicornis, L. cataphracta O, L. cucumis, L. saccharata S, Sycetta primitiva S, Sy- 
cilla cyathiscus S, Sycortis laevigata S, Sycandra coronata, S. raphanus, S. arborea O. 
S. alcyoncellum. 

8. Caleispongien-Fauna von Süd-Africa (13 Species). [Die Arten, 
welche bisher bloss an der Küste des Caplandes (von der Capstadt bis Port-Natal) 
gefunden wurden, sind durch ein C bezeichnet.] Ascetta primordialis, Ascandra 
cordata C, A. nitida C, A. variabilis, Leucetta primigenia, L. trigona O0, Leucilla 
capsula C, Leucaltis pumila, Leucandra aleicornis, L. lunulata C, Sycandra elegans, 
S. ramosa C, S. hystrix C. 

9. Caleispongien-Fauna des rothen Meeres (7 Species). [Die dem ro- 
then Meere eigenthümlichen beiden Arten sind mit R bezeichnet.] Ascetta primor- 
dialis, Ascaltis Darwinii, Leucetta primigenia, Leucaltis bathybia R, Leucortis pul- 
vinar, Sycetta stauridia R, Sycandra raphanus. 


10. Generelle chorologische Resultate. 


Aus der vorstehenden kurzen Characteristik der Caleispongien-Fauna im atlantischen, 
pacifischen and indischen Gebiete wird zur Genüge einleuchten, dass unsere bisherigen 
Erfahrungen über die geographische Verbreitung der Caleispongien viel zu unvollständig, 
lückenhaft und ungleichmässig sind, um daraus generelle chorologische Gesetze schöpfen 
zu wollen. Der genauen Kenntniss, welche wir jetzt von den Kalkschwämmen der euro- 
päischen Küsten, oder vielmehr eines geringen Bruchtheiles dieser Küsten, besitzen, steht 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 445 


gegenüber die unvollständige Kenntniss, welche mir von vielen, und die vollständige Un- 
kenntniss, welche wir von den meisten nicht-europäischen Küsten haben. Unzweifelhaft 
wird es noch sehr lange dauern, ehe durch fortgesetzte Erforschung dieser letzteren jene 
grossen Lücken ausgefüllt und unsere Uebersicht über die geographische Verbreitung der 
Kalkschwämme, wie der Spongien überhaupt, einigermassen abgerundet wird. Trotzdem 
ist es doch wohl gestattet, hier wenigstens auf einige generelle chorologische Resultate 
hinzuweisen, welche sich schon jetzt aus den vorher aufgeführten Thatsachen zu erge- 
ben scheinen. i 

Zunächst dürfte wohl als das wichtigste und am meisten auffallende Resultat her- , 
vorzuheben sein, dass der Einfluss des Klimas auf die geographische Verbreitung 
der Caleispongien-Species äusserst gering zu sein scheint. Dies gilt sowohl von der 
Qualität, als von der Quantität der Species in den verschiedenen Zonen. Das allgemeine, 
für die meisten Organismen-Gruppen zutreffende Gesetz, dass die Zahl und Mannichfal- 
tigkeit der Formen nach dem Aequator hin wächst, nach beiden Polen hin abnimmt, 
gilt für die Kalkschwämme nicht. Im Gegentheil erscheint die Verbreitung derselben, 
im Ganzen genommen, durch alle Zonen hindurch auffallend gleichmässig zu sein. 

Aus der Tropen-Zone kennen wir Kalkschwämme von ziemlich vielen verschie- 
denen Punkten. An der tropischen Ost-Küste Amerikas sind hervorzuheben: die Antillen 
(Cuba, Portorico, Barbados), ferner Caracas in Venezuela, Bahia und Rio de Janeiro; im 
polynesischen Archipel: Honolulu und die Viti-Inseln; in der Tropenzone Asiens: Hong- 
kong, die Philippinen, Java, Singapore, Ceylon, Perim und Djeddah an der arabischen 
Küste. Hingegen kennen wir noch gar keine Kalkschwämme von den tropischen Küsten 
Africas, Australiens und von der tropischen Westküste Americas. Nehmen wir nun alle 
Species zusammen, welche an jenen vorher genannten Puneten gefunden wurden, so er- 
giebt sich erstens eine verhältnissmässig geringe Zahl, und zweitens zeigt sich, dass in 
der Tropen-Zone keine besonders ausgezeichneten Formen vorkommen, welche sehr auf- 
fallend von denen der gemässigten und kalten Zone verschieden wären. 

Die gemässigte Zone der südlichen Erdhälfte ist vorzugsweise durch die 
vorher aufgeführten beiden eigenthümlichen Faunen von Süd-Australien und Süd-Africa 
bekannt, während wir von derjenigen Süd-Americas nur äusserst wenig wissen. Jene 
beiden Faunen aber zeigen erstens eine verhältnissmässig ansehnliche Zahl von Kalk- 
schwämmen, und zweitens unter diesen einen beträchtlichen Theil von eigenthümlichen 
Arten, welche von denjenigen der nördlichen Erdhälfte theilweise bedeutend verschie- 
den sind. 

Die gemässigte Zone der nördlichen Erdhälfte enthält bei weitem die 
überwiegende Mehrzahl der bis jetzt bekannten Arten, zunächst offenbar aus dem schon 
angeführten Grunde, weil die mittelländischen und die atlantischen Küsten Europas weit 
genauer durchforseht sind, als die Küsten aller andern Erdtheile. Von der nördlichen 
gemässigten Zone Americas und Asiens kennen wir bis jetzt nur eine viel geringere An- 
zahl von Arten. Doch lässt sich schon aus dieser der Schluss ziehen, dass diese Küsten 
neben manchen gemeinsamen auch viele eigenthümliche, nicht unwesentlich verschiedene 
Arten besitzen werden, und dass namentlich die Caleispongien-Fauna der westlichen ge- 
mässigten Zone, des nord-paeifischen Oceans, bedeutend von denjenigen des östlichen, 
des atlantischen Oceans verschieden ist. 

Die kalte Zone kommt bloss auf der nördlichen Erdhälfte in Betracht, und hier 


446 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


besitzen wir Kalkschwämme nur von den Küsten Grönlands und Spitzbergens, nicht von 
der Nordküste Asiens. Diese Calcispongien des grönländischen Meeres aber zeichnen 
sich, wie schon vorher erwähnt, nicht allein durch die verhältnissmässig grosse Arten- 
Zahl, sondern auch durch die Frequenz an ihren Fundorten, sowie durch eine Anzahl 
von eigenthümlichen Arten aus. Unter diesen befinden sich aber auffallender Weise 
mehrere von den grössten und am meisten differenzirten Arten der ganzen Gruppe. 

Besonders bemerkenswerth erscheint fernerhin der Umstand, dass die vorher aufge- 
führten neun kosmopolitischen Species in den verschiedensten Erdtheilen und Zonen 
dieselbe Beschaffenheit bis in die feinsten Struetur-Verhältnisse hinein beibehalten können. 
So ist namentlich #scetla primordialis in der gewöhnlichen Form (#scetla protogenes) 
ganz ebenso im Mittelmeer und an den südamericanischen Küsten, wie auf den Philip- 
pinen und Viti-Inseln, im indischen Ocean und rothen Meere, an den Küsten von Süd- 
Asien und Süd-Africa zu finden; dabei kann sie aber ausser der gewöhnlichen Form an 
den verschiedenen Standorten auch Local-Varietäten bilden, wie z. B. Ascetta loculosa 
und 4. poterium in Australien. Ebenso kommt auch Zeueeita primigenia (besonders die 
Varietät mieroraphis) ganz in derselben Form im Mittelmeere und auf den Antillen, wie 
im rothen Meere und am Caplande, an den Küsten von Süd-Asien und Süd-Ameriea vor. 
Sycandra elegans mit ihren sehr ausgeprägten specifischen Eigenthümlichkeiten ist die- 
selbe Form im adriatischen Meere und auf den Antillen, auf den normannischen und 
canarischen Inseln, an der Küste von Portugal und von Süd-Africa; obwohl sie an je- 
dem von diesen Standorten Local-Varietäten bilden kaun. Und so wiederholt sich auch 
bei den anderen vorher angeführten kosmopolitischen Arten dieselbe Erscheinung, dass 
sie in den verschiedensten Zonen und Erdtheilen beider Hemisphären ihre specifische 
Form, ganz unabhängig vom Klima, unverändert beibehalten, dennoch aber auch mehr 
oder weniger divergirende Local-Varietäten bilden können. 

Diese chorologischen Erscheinungen zusammengenommen scheinen zu beweisen, dass 
die Kalkschwämme von dem Klima im Ganzen sehr unabhängig sind und ohne we- 
sentliche Veränderung ebensowohl in der tropischen als in der gemässigten und kalten 
Zone existiren können. Sicher steht fest, dass eben so grosse, wohl ausgebildete und 
stark differenzirte Formen in Spitzbergen und Grönland, wie an den britischen Küsten 
und im Mittelmeere; auf den Antillen und an der brasilischen Küste, wie an der maroc- 
eanischen Küste und am Cap der guten Hoffnung, mithin in allen Breiten des atlanti- 
schen Oceans vorkommen. 

Ein zweites auffallendes Resultat aus der generellen Chorologie der Kalkschwämme 
ist die gleichmässige Verbreitung aller drei natürlichen Familien über die 
ganze Erdoberfläche. Die Faunen der Provinzen, welche in der Tabelle p. 430, und die 
einzelnen Local-Faunen, welche auf p. 443 und 444 zusammengestellt sind, ergeben alle 
übereinstimmend das Resultat, dass die Asconen, Leuconen und Syeonen überall neben 
einander und immer nur mit einer wenig verschiedenen Anzahl von Arten vertreten sind. 
Die Local-Faunen, welche am besten bekannt sind und diese Thatsache besonders auf- 
fallend illustriren, stelle ich hier zur besseren Uebersicht nochmals zusammen: 


I. Chorologie (Physiologie der Verbreitung). 447 
Arten-Zahl der 3 Familien in 9 Local-Faunen. 
Mittel- | Britan- | Helgo- | Norwe- | Grön- | Austra- Cap- | Ara- Carai 
meer nien land gen land lien land | bien ben 
Ascones . 9 7 1 6 4 2 | 4 | 2 3 
Leucones 4 7 5 3 8 | 6 3 6 
Sycones . 13 8 1 3 5 al 3 | 2 b) 
Summa 26 22 3 14 12 ENFATNADE 14 


Besonders gleichmässig erscheinen die 3 Familien in der am besten bekannten Fauna 
von Britannien vertreten. Schon BowErBank führte in seinen British Spongiadae 12 Spe- 
eies von Kalkschwämmen auf und zwar 4 Asconen (Leucosoleniae), 4 Leuconen (Lexco- 
niae, Leucogypsiae) und 4 Syconen (Grantiae). Diese Zahl hat sich jetzt fast verdoppelt, 
Unter den 22 britischen Arten, welche ich unter- 
schieden habe, sind 7 Asconen, 7 Leuconen und 8 Syconen. 

Natürlich wird diese Gleichmässigkeit nicht überall dieselbe sein, und so sehen wir 
denn auch unter den oben neben einander stehenden Beispielen manche Divergenzen. 
Am auffallendsten ist die Divergenz der Familien im Mittelmeer, wo sich die Arten-Zahl 
der Asconen zu derjenigen der Leuconen und der Syconen fast verhält —=2:1:3. Wäh- 
rend hier und in Grönland die Leuconen auffallend hinter den anderen beiden Familien 
zurückstehen, ist im Capland und in Süd-Australien das Umgekehrte der Fall. Indessen 
ergiebt sich doch immer, besonders wenn man die Unvollständigkeit der Local-Faunen 


aber in ganz ebenmässiger Weise. 


berücksichtigt, im Grossen und Ganzen eine auffallende Gleichmässigkeit in der Arten- 
Zahl der drei Familien. 

In Wirklichkeit dürfte übrigens dieses Verhältniss sich doch etwas anders gestalten, 
als es nach den Resultaten meiner Untersuchungen den Anschein hat. Offenbar sind 
nämlich von den früheren Beobachtern und Sammlern der Kalkschwämme die beiden Fa- 
milien der Leuconen und Syconen wegen der bedeutenderen Körper-Grösse der meisten 
Arten viel mehr berücksichtigt worden, als die kleineren Asconen, welche zum grossen 
Theile nur eine sehr geringe Grösse erreichen, leicht übersehen, und wegen ihrer aus- 
serordentlichen Zartheit und Zerbrechlichkeit auch viel weniger gut conservirt werden 
können, als die derberen Leuconen und Syeonen. Die letzteren haben ausserdem auch 
schon wegen ihrer regelmässigeren Gestalt und Structur die Aufmerksamkeit mehr auf 
sich gezogen, wesshalb auch die von den älteren Autoren aufgezählten Arten zum grössten 
Theile Syconen, weniger Leuconen und zum kleinsten Theile Asconen sind. 

In dem natürlichen Systeme des zweiten Bandes habe ich neben 37 alten Arten 
die doppelte Anzahl von neuen aufgeführt. Unter diesen 74 „novae species“ befinden 
sich 28 Asconen, 22 Leuconen und 24 Syeonen; unter den 37 alten Arten hingegen sind 
nur 11 Asconen, aber 13 Leuconen und 13 Syconen. 
meine Untersuchungen die Zahl der Ascon-Arten viel bedeutender gewachsen, als die Zahl 
der Leucon-Arten und Sycon-Arten. Nimmt man dazu das Resultat, dass gegenwärtig 
die ganze Summe der Asconen 39, der Leuconen 35 und der Syconen 37 Arten beträgt, 
so dürfte sich in Wirklichkeit das Zahlen-Verhältniss noch mehr zu Gunsten der Asconen 
und zu Ungunsten der Syconen gestalten. 
lebenden Kalkschwämmen die Asconen die meisten, die Syconen die wenigsten Arten 


Im Verhältniss also ist durch 


Die Annahme, dass unter den gegenwärtig 


n: 


448 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


enthalten und die Leuconen zwischen beiden in der Mitte stehen, dürfte demnach der 
Wahrheit am nächsten kommen. 

Die geographische Verbreitung der Genera, wie sie sich aus dem gegenwärtig vor- 
liegenden Materiale ergiebt, wird am besten aus der nachstehenden chorologischen Tabelle 
übersichtlich werden. Es geht daraus hervor, dass von den 21 Gattungen des natürli- 
chen Systems 18 in dem am genauesten bekannten atlantischen Reiche vertreten sind. 
Nur von 3 Gattungen (4seilla, Leucortis und Sycetta) kennen wir noch keine Repräsen- 
tanten aus dem atlantischen Reiche. Im Mittelmeere sind ausserdem noch 5 andere Ge- 
nera nicht vertreten, welche an den atlantischen Küsten vorkommen. 

Aus dem pacifischen Reiche, welches am wenigsten bekannt ist, kennen wir bis 
jetzt nur von 7 Gattungen Repräsentanten; die übrigen 14 Genera sind noch unyertreten. 
In dem indischen Reiche hingegen, das wir etwas besser kennen, finden wir Repräsen- 
tanten von 12 Gattungen; 9 Genera fehlen. 7 Genera, welche im atlantischen Reiche 
vorkommen, haben bis jetzt weder im paeifischen noch im indischen Reiche Vertreter 
gezeigt. Anderseits besitzt die Gattung Syeetfu im indischen Reiche 3, im pacifischen 
Reiche 2, im atlantischen Reiche keine Species. Das Genus 4serl!a (mit 2 Arten) ist bis 
jetzt dem pacifischen, und das Genus Zewcortis (mit 1 Art) dem indischen Reiche eigen- 
thümlich. 

Weitere allgemeine Betrachtungen an dieses chorologische Material zu knüpfen, er- 
scheint bei dessen offenbarer Unvollständigkeit gegenwärtig unthunlich, und ich begnüge 
mich daher hier mit der Mittheilung der vorstehenden und nachstehenden tabellarischen 
Uebersichten, welche wenigstens eine erste Basis für eine zukünftige Chorologie der Calei- 
spongien schaffen werden. Diese wird auch erst im Stande sein, die Wanderungen 
der Arten zu verfolgen, und die sogenannten „Schöpfungsmittelpunkte“ oder richtiger 
die Urheimathen der Species aufzusuchen. Dass hier, wie überall in der organischen 
Welt, die mannichfaltigen, besonders von Morız Wasxer gewürdigten 1) Migrationen 
eine grosse Rolle spielen und die „Entstehung der Arten“ vielfach vermitteln, kann mit 
Sicherheit angenommen werden. Für die Chorologie der Kalkschwämme wird hierbei 
namentlich der Umstand in Betracht zu ziehen sein, dass dieselben nicht allein als frei 
schwimmende Flimmerlarven weit umher schwärmen und sich durch active Wande- 
rung ausbreiten können, sondern dass sie auch sich mit besonderer Vorliebe auf See- 
pflanzen, namentlich Fucus- und Sargassum-Arten, ansiedeln, welche leicht von ihrem 
Standorte losgerissen und dann durch Strömungen über weite Meeresstrecken schwimmend 
fortgeführt werden können. Eine ziemliche Anzahl, besonders von pacifischen und in- 
dischen Kalkschwämmen ist bis jetzt bloss auf solchen schwimmenden Tangen angetroffen 
worden und es ist daher sehr die Frage, ob ihre ursprüngliche Heimath nicht weit von 
ihrem Fundorte entfernt war. Jedenfalls ist in diesen passiven Wanderungen ein 
vorzügliches Mittel für weite geographische Verbreitung vieler Caleispongien gegeben. 


1) Morız WAGNER, die Darwin’sche Theorie und das Migrations-Gesetz der Organismen. 1868. 


II. Oecologie (Physiologie des Haushalts). 


449 


11. Chorologische Tabelle über die geographische Verbreitung der Calci- 


spongien-Genera. 
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13. Leuculmis| . | . | 1| | | | | | | 
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Syeones |13| 6 | 8 UA EEE NE 
15. Sycetta - Ka OR ng Ta Ken! 1 a 
16. Syeilla 2 ie! | | I 1 | 
17. Syeyssa 3) | | | | | | 
18. Sycaltis 1 Sl wet 3-| | | 
19. Sycortis A Na Ale ne 3 ar Mare ac ra 2 | 
20. Syeulmis ee Ir: sn 1 | | 
21. Sycandra | 8 | 5| 7 | 41 3 HEREMEREN EI AA 
Summa | 21|5|34 | ı2| 19 | 7 3.41,:0.,1,.9° 1,82 12.1.23 18.7 


II. Oecologie (Physiologie des Haushalts). 


Das Gebiet von Erscheinungen, welches die Oecologie oder die Physiologie des 
Haushalts (oft auch Biologie!) im engsten Sinne genannt) umfasst, ist wohl in 


1) Biologie sollte gegenwärtig immer nur im weitesten Sinne die gesammte „Naturgeschichte‘“* 


eines Organismus, die Morphologie und Physiologie desselben, genannt werden. 


Hingegen wird jetzt mit 


Recht der Begriff der Biologie immer seltener in dem früheren engsten Sinne, statt Oecologie, gebraucht. 


29 


Haeckel, Kalkschwämme. 


450 Sechstes Kapitel. Externe Physiologie. 


keiner anderen Thierklasse einerseits so dürftig, anderseits so unbekannt, als in 
der Klasse der Spongien. Es sind vorzugsweise die mannichfaltigen Beziehun- 
gen zu anderen Organismen, welche der Oecologie der Thiere ihren rei- 
chen Inhalt und ihr anziehendes Interesse verleihen. Bei den Spongien sind aber 
diese Beziehungen an sich nothwendig einfacher und unbedeutender als bei allen oder 
doch den meisten anderen Thieren. Dies liegt einerseits an der höchst einfachen, 
festsitzenden Lebensweise der Spongien, an der primitiven Art ihrer Ernährung, an 
ihrem Mangel von differenzirten Organen, namentlich an dem Mangel von Sinnesor- 
ganen und Extremitäten, an dem damit verbundenen trägen und indifferenten Cha- 
racter aller Lebensthätigkeiten; anderseits an dem höchst unbedeutenden Nutzen oder 
Schaden, den sie anderen Organismen, oder den andere Organismen ihnen zufügen. 

Wenn aber diese Bemerkungen im Allgemeinen von allen Spongien überhaupt 
gelten können, so finden sie noch in besonderem Maasse ihre Anwendung auf die 
Kalkschwämme, deren verhältnissmässige Seltenheit und geringe Körpergrösse sie 
noch weniger als die übrigen Spongien, geeignet erscheinen lässt, eine besondere 
Rolle „im Haushalte der Natur“ zu spielen. Auch für den Menschen scheinen die 
Caleispongien weder nützliche noch schädliche Thiere zu sein, falls man nicht die 
aus ihrer Erkenntniss entspringende Ueberzeugung von der Wahrheit der Descen- 
denz-Theorie als einen bedeutenden Nutzen oder Schaden der Menschheit (je nach 
dem monistischen oder dualistischen Standpunkte) ansehen will. 

So ist denn in der That das Wenige, was wir von der Oecologie der Kalk- 
schwämme melden können, kaum der Rede werth. Schon aus dem, was oben über 
die Nahrungsmittel dieser Thiere angeführt wurde, geht hervor, dass sie in dieser 
Beziehung keine bestimmten Verhältnisse zu anderen Organismen besitzen. Die nu- 
tritiven Geisselzellen verzehren ohne Wahl die zersetzten organischen Substanzen 
oder die Trümmer von Thier- und Pflanzen-Körpern oder die mikroskopischen Or- 
ganismen, welche ihnen „zufällig“ durch die Wasserströmung zugeführt werden. 

Dass die Kalkschwämme niemals als Parasiten auf anderen Organismen 
leben, ist bereits oben angeführt (p. 425). Hingegen haben wir hier zu erwähnen, 
dass einige niedere Thiere nicht selten parasitisch in einzelnen Arten von Kalk- 
schwämmen vorkommen. Dies sind namentlich kleine Nematoden, Anneliden und 
Crustaceen. Unter den letzteren zeichnen sich besonders zwei neue Arten aus, welche 
ich in der Magenhöhle von Lexcandra aspera auf der Insel Lesina nicht selten fand: 
ein Amphipode des Genus Lexeotho@ und ein Isopode des Genus Antkura (nach der 
Bestimmung von EDOUARD VAN BENEDEN). 

Dass die Kalkschwämme anderen Thieren zur Nahrung dienen, ist noch nicht 
beobachtet. Auch sonstige Beziehungen zu anderen Organismen sind mir nicht be- 
kannt geworden; wenn auch künftige Forschungen dergleichen noch entdecken sollten, 
so werden sie doch voraussichtlich nicht bedeutend sein. 


Vierter Abschnitt. 


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Kalkschwämme. 


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Siebentes Kapitel. 


Die Stellung der Kalkschwämme im Thierreiche. 


Die Stammform der Spongien. 


Die Resultate der vergleichenden Anatomie und Entwickelungsgeschichte der 
Kalkschwämme, welche im zweiten Abschnitte dieses Bandes enthalten sind, ge- 
statten uns nicht allein eine befriedigende Einsicht in die Organisation dieser Thier- 
gruppe und der Spongien überhaupt, sondern sie führen uns auch durch Vergleichung 
derselben mit den niederen Entwickelungs-Zuständen der höheren Thiere zu gene- 
rellen Reflexionen, welche auf das natürliche System, auf den Stammbaum des Thier- 
reichs ein neues Licht werfen. 

Zunächst wurde durch unsere Morphologie der Kalkschwämme die von den 
meisten Spongiologen getheilte Ansicht bestätigt, dass dieselben eine einheitlich or- 
ganisirte Gruppe bilden, welche nach ihren wichtigsten Characteren zur Spongien- 
Classe gehört, innerhalb derselben aber eine selbstständige Stellung einnimmt. _Wir 
können im natürlichen Systeme dieses Verhältniss dadurch ausdrücken, dass wir die 
ganze Spongien-Classe in drei Hauptabtheilungen oder Subelassen bringen, nämlich: 
I. Schleimschwämme (Myxospongiae), I. Faserschwämme (Fibrospongiae) 
und II. Kalkschwämme (Culeispongiae)*). Die Myxospongien sind durch den 
völligen Skelet-Mangel, die Fibrospongien durch ihr faseriges, theils horniges, theils 


1) Die Classe der Spongien wurde bisher gewöhnlich nach dem Vorgange von GRANT (1826; s. oben 
p. 7) gemäss ihrer dreifach verschiedenen Skeletbildung in die drei Subelassen der Hornschwämme 
(Ceratospongiae), der Kieselschwämme fSilieispongiae) und der Kalkschwämme (Caleispongiae) 
eingetheilt. Oscar Schuipr hat aber gezeigt, dass die Trennung der Hornschwämme und Kieselschwämme 
desshalb unhaltbar ist, weil beide Gruppen auf das Vielfältigste sich durchflechten und in engstem poly- 
phyletischen Zusammenhange stehen (Algier. Spong. 1868, p. 35). Ich schlage daher vor, beide Gruppen 
vorläufig in der Abtheilung der Faserschwämme /(Fibrospongiae) zu vereinigen, weil beide in ge- 
trocknetem Zustande das characteristische faserige Gefüge zeigen, welches den Kalkschwämmen so- 
wohl als den Schleimschwämmen völlig fehlt. Die Schleimschwämme (Myxospongiae), deren be- 
kanntester Repräsentant Halisarca ist, als eine besondere dritte Gruppe aufzuführen, erscheint aus phylo- 
genetischen Gründen unabweislich. 


Haeckel, Kalkschwämme. I, 30 


454 Siebentes Kapitel. Die Stellung der Kalkschwämme im Thierreiche. 


kieseliges Skelet, die Caleispongien durch ihr kalkiges (nicht faseriges) Skelet cha- 
racterisirt. 

Die vergleichende Anatomie und Ontogenie der Spongien gestattet nun mit ziem- 
licher Sicherheit die Annahme, dass alle verschiedenen Formen dieser Ulasse von 
einer einzigen gemeinsamen Stammform, einem Urschwamme (Archispongia) ab- 
stammen !). Dass alle verschiedenen Caleispongien ohne jeden Zwang sich in der 
natürlichsten Weise von einer gemeinsamen Stammform, dem Olyntzus ableiten lassen, 
ist oben genügend bewiesen worden; die Ontogenie der Kalkschwämme lässt hierüber 
_ keinen Zweifel. Ebenso hat O. Scummpr nachgewiesen, dass die vereinigten Horn- 
schwämme und Kieselschwämme (unsere Fibrospongien) sämmtlich von einer ge- 
meinsamen Stammform abstammen müssen, die wir Chalymthus nennen wollen. Wir 
werden nun wohl nicht fehl greifen, wenn wir annehmen, dass die gemeinsame Wurzel 
für beide Gruppen in der skeletlosen Gruppe der Myxospongien zu suchen ist. 
Denn wie bei allen übrigen Organismen, so ist auch bei den Spongien die Skelet- 
bildung in phylogenetischer Beziehung als ein secundärer, nicht als ein primärer 
Organisations-Act zu betrachten. Wir würden also Fibrospongien und Calci- 
spongien von der gemeinsamen Stammgruppe der Myxospongien abzuleiten 
haben, und unter diesen letzteren würde die gemeinsame Stammform aller Schwämme, 
die Archispongia, zu suchen sein ?). 

Da von den ausgestorbenen Myxospongien wegen ihrer weichen Körperbeschaffen- 
heit keine fossilen Reste sich erhalten konnten, so sind wir bezüglich ihrer Organisation 
auf die wenigen lebenden Vertreter angewiesen, und unter diesen ist Halisarca bis 
jetzt die einzige genauer bekannte Form. Diese Gattung ist auch von O. Schuipr als 


1) Die Ueberzeugung von dem monophyletisechen Ursprunge der ganzen Spongien-Classe 
befestigt sich um so mehr, je tiefer man in das Studium derselben eindringt. Hingegen verliert die An- 
nahme eines polyphyletischen Ursprungs, welche bei der ersten oberflächlichen Bekanntschaft 
mit den Schwämmen den meisten Anspruch auf Vertrauen zu besitzen scheint, bei tieferem Eindringen 
immer mehr an Wahrscheinlichkeit. Auch Oscar ScHMipT, welcher unstreitig unter allen Spongiologen 
den umfassendsten Ueberblick über das ganze grosse Formen-Gebiet dieser Classe besitzt und vermöge 
seines klaren Verständnisses der Descendenz-Theorie am meisten zu einem Urtheile über diese Frage be- 
rechtigt ist, leitet alle verschiedenen Gruppen der Schwämme von einer gemeinsamen Stammgruppe ab, 
welche er Protospongiae nennt (Atlant. Spong. 1870, p. 83). Das natürliche System der Spongien (Mit- 
theilungen des naturwissensch. Vereins für Steiermark. II. Bd. 2. Heft. 1870). 

2) Frırz MÜLLER, der geistvolle Zoologe, dessen lehrreiche Schrift „Für Darwin‘ das Verständniss 
des Causal-Nexus zwischen Ontogenie und Phylogenie in so hohem Maasse gefördert hat, spricht in einem 
Aufsatze „über Darwinella aurea, einen Schwamm mit sternförmigen Hornnadeln“, die Vermuthung aus, 
dass die Kalknadeln der Kalkschwämme einerseits und die Kieselnadeln der Kieselschwämme anderseits 
aus einer gemeinsamen hornigen Grundform entstanden seien, die ersteren durch Verkalkung, die letzteren 
durch Verkieselung der ursprünglichen Hornnadeln (Archiv f. mikrosk. Anat. 1865, p. 351). Obgleich 
diese Hypothese mit unserer obigen Annahme übereinzustimmen scheint, ist sie doch nicht richtig, da bei 


den Kalkschwämmen überhaupt niemals die „hornige Grundlage‘ der Faserschwämme sich findet. 


Die Stammform der Spongien. 455 


diejenige aufgefasst, welche der gemeinsamen Stammform der ganzen Classe, seiner 
„Protospongia* am nächsten steht. Er bemerkt (l.c. p.34): „dass die Halisareinae 
in einfachster Weise das Schema der Spongien realisiren, dürfte nicht bestritten 
werden“. Dennoch muss ich diese Bemerkung bestreiten. Ich habe von Halisarea 
zwei verschiedene Arten lebend untersucht, die farblose Halisarca Dujardinii an der 
Küste von Norwegen (in Bergen) und die violette Halisarca lobularis an der Küste 
von Dalmatien (in Lesina). Beide fand ich bezüglich der anatomischen Verhältnisse 
im Wesentlichen übereinstimmend mit der Darstellung, welche LieBErkÜHNn von der 
ersteren gegeben hat. Der weiche, gallertige, formlose Körper besteht aus einem 
Klumpen von kernhaltiger Sarcodine (Syncytium) und ist von verästelten Canälen 
durchzogen, welche allenthalben in zahlreiche kugelige oder ellipsoide Geisselkammern 
(„Wimper-Apparate“ von LIEBERKÜHN) angeschwollen sind. Demnach ist das Gastro- 
canal-System nach dem Leucon-Typus gebaut, und wenn man aus einem Leucon mit 
traubenförmigem Astcanal-Systeme (z. B. Leucortis pulrin«r, Taf. 29, Fig. 1) die 
Kalknadeln durch Säure entfernt, so erhält man einen Schwammkörper, der im We- 
sentlichen der Halisarca gleicht. 

Nun stammt aber der Leucon-Typus, ebenso wie der Sycon-Typus, zweifellos 
von dem einfacheren Ascon-Typus ab, und dem entsprechend müssen wir auch für 
die Halisarcinen eine viel einfacher organisirte Stammform suchen, welche sich zu den 
Asconen ebenso verhält, wie die Halisareinen zu den Leuconen. Um das Bild dieser 
hypothetischen Stammform zu erhalten, brauchen wir bloss aus der Ascon-Stammform, 
dem O/ynthus, die Kalk-Nadeln durch Säure zu entfernen, wie dies z. B. auf Taf. 11, 
Fig.7 bei Olynthus fragilis geschehen ist. Diese skeletlose Stammform realisirt wirk- 
lich „das Schema der Spongien in einfachster Weise“ und ist als die ursprüngliche 
Stammform nicht allein der Halisarcinen, sondern auch aller übrigen Spongien zu be- 
trachten; sie ist die Archispongia unseres monophyletischen Stammbaumes, wie 
bereits oben in der Phylogenie der Kalkschwämme gezeigt wurde (vergl. p. 346). 

Diese Archispongia, die gemeinsame Stammform aller Spongien, ist ein ein- 
facher dünnwandiger Schlauch von cylindrischer, ellipsoider oder länglich -runder 
Form, eine einaxige, ungegliederte Person, welche am einen (aboralen) Pole der 
Längsaxe festsitzt, am anderen (oralen) Pole sich durch eine Mündung (Osculum) 
öffnet. Die dünne Wand des sackförmigen Körpers besteht aus zwei Lamellen oder 
Blättern. Das äussere oder Dermal-Blatt (das Exoderm) ist aus einer einfachen 
Schicht von nicht flimmernden Zellen zusammengesetzt (welche entweder selbstständig 
geblieben oder zu einem Syneytium verschmolzen sind); das innere oder Gastral- 
Blatt (das Entoderm) besteht aus einer einfachen Schicht von flimmernden Geissel- 
zellen, von denen sich bei eingetretener Geschlechtsreife einige in Spermazellen, 
andere in Eizellen verwandeln. Die dünne Körperwand wird zeitweise von unbestän- 
digen einfachen Löchern oder Poren durehbohrt, und dann tritt durch diese Poren in 


30 * 


456 Siebentes Kapitel. Die Stellung der Kalkschwämme im Thierreiche. 


die Höhlung des Schlauches (in die Magenhöhle) Wasser ein, welches in Folge der 
Geisselbewegung aus der Mundöffnung wieder austritt !). 


Die Spongien und die Protozoen. 


Die langwierigen, bis in die Gegenwart fortdauernden Streitigkeiten über die 
Stellung der Spongien im Thierreiche dürften durch die Morphologie der Kalk- 
schwämme ihre endgültige Erledigung finden. Jeder Zoologe, der in der Entwicke- 
lungsgeschichte den „wahren Lichtträger“ der Systematik anerkennt, muss zu- 
geben, dass durch die Ontogenie des O/yntkus die nächste Verwandtschaft der Asco- 
nen und der Hydroiden bewiesen wird. Ehe ich jedoch hierauf näher eingehe, 
muss ich noch einige Worte über die angebliche Verwandtschaft der Spongien und.der 
Protozoen bemerken, welche bisher von den meisten Zoologen angenommen wurde ?). 

Schon oben in der Individualitätslehre (p. 89—124) habe ich gezeigt, dass der 
herrschende Irrthum von der nahen Verwandtschaft der Spongien und Protozoen 
grösstentheils aus einer falschen Auffassung ihrer Individualitäts- Verhältnisse ent- 
sprang. Weil die Morphonten erster Ordnung, welche den Spongien-Organismus zu- 
sammensetzen, die Geisselzellen und die amoeboiden Zellen, einen relativ hohen Grad 
von physiologischer Individualität zeigen, und weil man die aus ihnen aufgebaute 
Persönlichkeit der Spongien, (das Morphon dritter Ordnung,) nicht erkannte, 
hielt man jene ersteren für die „eigentlichen Individuen“ des Schwammes. Ich habe 
diesen Irrthum schon früher (1869) widerlegt, indem ich die Homologie der Spongien- 
Person mit der Acalephen-Person und die Zusammensetzung der Wand ihrer Magen- 
höhle aus zwei Blättern (Entoderm und Exoderm) nachwies. 

Dieser Nachweis ist in den letzten Jahren wiederholt angegriffen worden, und 
zwar namentlich von CARTER, von JAMES- CLARK, von SAVILLE-KENT und von 
EHLERS. Die Angriffe von CARTER und von JAMES-CLARK, die beide von dem 


1) Ob einfachste Spongien-Formen, welche dem Bilde der Archispongia entsprechen, noch jetzt 
existiren, ist nicht bekannt. Möglicherweise ist eine sehr nahe Verwandte die sonderbare Spongie, welche 
BOWERBANK als Haliphysema Tumanowieziü beschrieben hat (Brit. Spong. Vol. II, p. 76, Fig. 359) und 
welche CARTER für ein Polythalamium (Squamulina) hält. Ich vermuthe hingegen darin eine sehr einfache 
Myxospongie, welche sich ein Skelet aus fremden Körpern (Nadeln anderer Spongien, Echinodermen- 
Stacheln ete.) bildet, gleich Dysidea, welche aber sonst den einfachen Körperbau des Olynthus hat. 

2) Die mannichfaltigen älteren Ansichten über die Stellung der Spongien im System des Thierreichs 
oder des Pflanzenreichs sind zusammengestellt in Jounston’s History of British Sponges (1842, p. 23—75, 
Geschichte der Entdeckungen über die Natur der Schwämme) und in einem kürzlich erschienenen Aufsatze 
von PAGENSTECHER: „Zur Kenntniss der Schwämme (Verhandl. des naturhistor. Vereins zu Heidelberg, 
1872). Vergl. auch meinen Aufsatz über den Organismus der Schwämme ete., 1869, Jenaische Zeitschr. 
Bd. V. p. 307. Die neueren Spongiologen, namentlich BOWERBANK, CARTER, LIEBERKÜHN, OÖ. SCHMIDT, 
KÖLLIKER (l. c. 1. ec.) weisen fast einstimmig den Spongien ihren Platz unter den Protozoen an, wo 


sie bald den Amoeben, bald den Rhizopoden, bald den Flagellaten angeschlossen werden. 


Die Spongien und die Protozoen. 457 


Wesen der Zellen - Theorie keine Ahnung haben, sind bereits oben widerlegt worden 
(l. e.). Die Angriffe von SavırLe Kent!) sind einer Widerlegung einfach desshalb 
nicht fähig und bedürftig, weil der Verfasser weder die von mir vorgebrachten Argu- 
mente versteht, noch überhaupt genügend mit dem Bau und der Entwickelung der 
Spongien und Zoophyten bekannt ist. Offenbar verfügt SavıLLe Kent (,„of the Geo- 
logical department, British Museum“,) nicht einmal über das geringe Maass von 
zoologischen Kenntnissen, welches von einem Geologen, der Palaeontologie treibt, 
vorausgesetzt werden sollte. Er kennt nicht einmal den Unterschied zwischen Homo- 
logie und Analogie, zwischen der morphologischen und physiologischen Bedeutung 
eines Organs. Er hält die Unterscheidung solcher Begriffe für ganz überflüssig. Ver- 
gleichende Anatomie und Ontogenie scheinen für SAvıLLE Kent nicht zu existiren, 
und da meine ganze Beweisführung auf der Basis dieser letzteren beruht, so kann er 
dieselbe natürlich nicht begreifen. RaY-LANKESTER hat sich die undankbare Mühe 
genommen, diesem Geologen einige von den elementaren Vorkenntnissen beibringen 
zu wollen, welche zur Discussion solcher vergleichend-anatomischen Fragen erforder- 
lich sind ?). Indessen geht aus der naiven Entgegnung des letzteren deutlich hervor, 
dass diese wohlgemeinte Bemühung vergeblich war °?). 

Die Einwendungen, welche EHLErs t) gegen meine Theorie gemacht hat, kann 
ich desshalb nicht widerlegen, weil seine Auffassung des Spongien-Organismus von der 
meinigen völlig verschieden ist. Ich kann mir eine Spongie ohne irgend einen inneren 
Hohlraum und ohne zwei wesentlich verschiedene Zellen-Formationen (die Geisselzellen 
des Entoderm und die flimmerlosen Zellen des Exoderm) überhaupt gar nicht vor- 
stellen. EHLERS hingegen nimmt zweierlei Hauptgruppen von Spongien an, nämlich 
„‚Spongiae holosarcinae, mit dichtem Gewebe, ohne Canal-System, und Spongiae 
coelosarcinae, welche Körperhohlräume5) entwickeln“ (l. c. p. 555). Die letzteren 


1) SavıLLE Kent, Haeckel on the Relationship of the Sponges to the Corals. Annals and Mag. of 
nat. hist. 1870, Vol. V, p. 204 — 218. 

2) RaAY-LAnkESTER, Professor Haeckel and Mr. Kent on the Zoological Affinities of the Sponges. 
Ann. and Mag. of nat. hist. Vol. VI, 1870, 8. 86. 

3) SavıLLE KENT, Professor Haeckel and Mr. E. Ray-Lankester on the Affinities of the Sponges. 
Ibid. p. 250. 

4) Euters, Aulorhipis elegans, eine neue Spongien-Form; nebst Bemerkungen über einzelne Punkte 
aus der Organisation der Spongien. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXI, 1871, p. 540, Taf. XL. 

5) Die „Körperhohlräume“ der Spongien bringt Euters in zwei verschiedene Abtheilungen; er nennt 
‚jene grosse Höhlung eines Schwammes, welche durch Entwickelung eines Abschnittes der coelente- 
rischen Räume Een ist, ein Megacoelon, seine Mündung ein Megastoma,; den Binnenraum dagegen, 
welcher durch gleichmässige Betheiligung des ganzen Schwammgewebes entstanden ist, ein Coeloma, 
dessen Eingang ein Coenostoma.‘‘ Nach meiner Auffassung würde der Hohlraum, den Euters als Mega- 
coelon mit Megastoma bezeichnet, wohl meistens der Magenhöhle /G@aster) mit Mundöffnung fOseu- 
Zum) entsprechen. Hingegen würde der Hohlraum, den Euters Coeloma nennt, wohl meistens dem Theile 


458 Siebentes Kapitel. Die Stellung der Kalkschwämme im Thierreiche: 


leitet er von den ersteren ab, und meint, dass die von O. Schmipr als hypothetische 
Stammgruppe aller Schwämme aufgefassten Protospongiae „holosarcine Spongien mit 
einfachem, nicht differenzirten Gewebe“ seien. Leider ist aus dem Aufsatze von 
EHLERS durchaus nicht zu ersehen, was derselbe eigentlich unter dem characteri- 
stischen „Gewebe“ der Spongien versteht. Das Wort „Zelle“ kommt in dem ganzen 
Aufsatze nicht vor. Es scheint aber fast, als ob EHLERS unter „Gewebe“ die „er- 
härtete Sarcode“ oder die sogenannte Hornsubstanz der Fasern. der Hornschwämme 
versteht. Von der angeblichen „neuen Spongien-Form“ (Aulorhipis elegans), auf 
welche EHLERS seine ganze Beweisführung stützt, kennt derselbe weiter Nichts, 
als das Hornskelet, keine Spur von Weichtheilen, Dieses Hornskelet aber, wel- 
ches fremde Körper einschliesst, ist ein solider Strang, welcher am Ende einer 
Wurmröhre aufsitzt, und dessen dichotom gespaltene Aeste sich fächerförmig in einer 
Ebene ausbreiten. Höchstwahrscheinlich gehört dieses Skelet keiner Spongie an. 
Sollte dasselbe dennoch Product einer Spongie sein, so könnte jedenfalls erst die 
Entwickelungsgeschichte und die Anatomie der Weichtheile Aufschluss über 
diese eigenthümliche Bildung geben. Auf dieses Skelet-Stück allein, und auf seine 
angebliche Verwandtschaft mit den fossilen Stromatoporen eine ganz neue Theorie 
der Spongien-Organisation zu gründen, erscheint etwas kühn. Jedenfalls ist 
diese ganze Theorie völlig unvereinbar mit den in dieser Mono- 
graphie enthaltenen Thatsachen. 


Die Spongien und die Acalephen. 


Um die wahre Stammverwandtschaft der Spongien mit anderen Thiergruppen zu 
erkennen, müssen wir selbstverständlich von den einfachsten und am wenigsten diffe- 
renzirten Formen der Klasse ausgehen, von dem Olynthus, und von der, nur durch 
den Mangel der Kalknadeln davon verschiedenen Archispongia. Wenn wir nun die 
nächsten Verwandten dieser letzteren in anderen Thierklassen aufsuchen, so liegt es 
auf der Hand, dass vor allen anderen T'hieren die einfachsten Formen der Aca- 
lephen-Gruppe in den Vordergrund treten. Unter allen bis jetzt bekannten Aca- 
lephen sind aber die beiden einzigen Süsswasser-Bewohner dieser Gruppe, Hydra und 
Cordylophora, diejenigen, welche die primitivsten Organisations-Verhältnisse zeigen, 
und welche der ursprünglichen Stammform dieser Gruppe am nächsten stehen. Ich 
muss es daher als ein äusserst glückliches Zusammentreffen bezeichnen, dass gerade 


des Intercanal-Systems entsprechen, den ich Pseudogaster genannt habe, und das Coenostoma des ersteren 
dem Pseudostoma des letzteren (vergl. oben p. 283). Völlig unbegreiflich ist es aber, wie EHLERS die 
Hohlräume der Spongien theils für coelenterische, theils für nicht-coelenterische halten kann, da doch sein 
ganzer Aufsatz gegen die coelenterische Bedeutung des Canal-Systems der Spongien überhaupt ge- 
richtet ist, und er am Schlusse desselben ausdrücklich bemerkt: „Dass die Spongien zu den Coelenteraten 


in keiner näheren Verwandtschaft stehen, ist nach meiner Auffassung nieht weiter zu erörtern‘ (p. 566). 


N 


Die Spongien und die Acalephen. 459 


jetzt zwei Arbeiten erschienen sind, welche über diese höchst wichtigen Thierformen 
‚nach jeder Richtung hin das klarste Licht verbreiten: Die ausgezeichneten Mono-. 
graphien der Aydra von NICOLAUS KLEINENBERG !) und der Cordylophora von FRANZ 
EILHARD ScHULZE?). Beide Arbeiten sind in ihrer Art vorzüglich, ebenso durch 
scharfsichtige Beobachtung, wie durch scharfsinnige Reflexion ausgezeichnet. Die 
Monographie der Cordylophora ist vielleicht für unsere Vergleichung mit dem Olyn- 
ts desshalb noch wichtiger, weil dieser Polyp offenbar in seiner Ontogenie die ur- 
sprüngliche Phylogenie seiner Vorfahren besser bewahrt hat, als die Hydra, die auch 
sonst in Folge specieller Anpassungen mehrfach eigenthümlich modificirt ist. Die 
Monographie der Hydra hingegen ist bedeutender durch die weitreichenden, daran 
geknüpften philosophischen Erörterungen und namentlich durch die höchst wichtigen 
Reflexionen über die Keimblätter- Theorie. Beide Monographien verdienen um so 
mehr die höchste Anerkennung, je mehr die zoologische Literatur gegenwärtig mit 
werthlosen und zusammenhangslosen Fragmenten überfluthet wird, und je seltener 
überhaupt erschöpfende und abgerundete monographische Arbeiten werden, welche 
der Wissenschaft dauernden Gewinn bringen °). 


1) NıcoLAUS KLEINENBERG, Hydra, eine anatomisch - entwickelungsgeschichtliche Untersuchung. Mit 
4 Tafeln. Leipzig 1872. 

2) Franz EILHARD SCHULZE, über den Bau und die Entwickelung von Cordylophora lacustris. Mit 
6 Tafeln. Leipzig 1871. 

3) Wenn ich hier von den Acalephen (den Coelenteraten im engeren Sinne) zunächst nur Hydra und 
Cordylophora in Betracht ziehe, so geschieht es, weil ich sie unter allen genau bekannten Formen 
dieser Gruppe für die einfachsten und ursprünglichsten halte, welche der unbekannten gemeinsamen Stamm- 
form der ganzen Gruppe, der hypothetischen Archydra, am nächsten stehen. Allerdings hat 1870 RıcHArn 
GREEFF eine scheinbar noch einfachere Form, nämlich einen Hydroid-Polypen ohne Tentakeln, der 
sich bloss durch einfache Quertheilung fortpflanzen soll, unter dem Namen Protohydra Leuckarti beschrieben. 
(Zeitschr. f. wissensch. Zool. 1870, Bd. XX, p. 37, Taf. IV, V.) G&kErF giebt denselben für „eine marine 
Stammform der Coelenteraten‘‘ aus, für eine „unzweifelhaft vollständig entwickelte und ausgewachsene, 
aber ungeschlechtliche und durch quere Zweitheilung sich vermehrende Thierform‘“. Aus seiner ganzen 
Darstellung scheint mir aber umgekehrt unzweifelhaft hervorzugehen, dass es sich hier um eine unvoll- 
ständig entwickelte und später geschlechtlich differenzirte Hydroiden-Form handelt. Es wäre gegen alle 
Analogie, dass eine so hoch differenzirte Thierform, welche in der wesentlichen anatomischen Struetur ganz 
mit der Hydra übereinzustimmen scheint und sich von dieser nur durch den Mangel der Tentakeln unter- 
scheidet, sich bloss ungeschlechtlich durch Quertheilung fortpflanzte. Ganz anders würde die Frage 
liegen, wenn sich die Protohydra bloss durch Sporen (durch einzelne abgelöste Zellen) ungeschlechtlich 
fortpflanzte. Jedenfalls ist die Annahme GrEErr's völlig unberechtigt, dass die, in einem Austernpark von 
Ostende „ein paar Monate hinter einander‘ beobachtete Protohydra, unzweifelhaft eine selbst- 
ständige Hydroiden-Form sei. GREEFF sagt: „‚Bei genauer Prüfung des ganzen Habitus, des Baues und 
der Bewegungen, sowie bei Berücksichtigung der Quertheilung und vor allen Dingen der langen 
Beobachtungszeit muss jeder Gedanke an eine Entwickelungsform eines Anthozoen, oder überhaupt 
an eine andere Thierform, wie an einen in seinem ungeschlechtlichen Stadium ausgebildeten und ausge- 


wachsenen Hydroidpolypen schwinden.“ Diese Argumente beweisen aber gar nichts, und grade durch 


460 Siebentes Kapitel. Die Stellung der Kalkschwämme zum Thierreiche. 


Wenn man die gröberen und feineren Structur- Verhältnisse der Hydra und 
Cordylophora , wie sie durch KLEINENBERG’S und F. E. Schuzze’s höchst sorgfältige 
histologische Untersuchungen festgestellt erscheinen, mit den entsprechenden Structur- 
Verhältnissen des O/ynthus vergleicht, so muss man erstaunen über die auffallende 
Uebereinstimmung, welche sich selbst bis in feinere Einzelheiten hinein vorfindet. 
Am schlagendsten erscheint diese Uebereinstimmung, wenn man den Olynthus mit 
geschlossenen Poren, also das Prosycum, in’s Auge fasst, oder wenn man 
von den Kalknadeln, der Gruppen - Eigenthümlichkeit der Kalkschwämme, absieht, 
und statt des Olynthus die Archispongia (die bloss durch den Mangel der Spicula 
verschieden ist) betrachtet. Als wesentliche Uebereinstimmungen der Structur er- 
geben sich zwischen der Hydra und Cordylophora einerseits, zwischen dem Prosycum 
und der Archispongia anderseits: 1. Die einfache Magenhöhle mit Mundöffnung. 
2. Die Zusammensetzung der dünnen Magenwand aus zwei Blättern, dem flimmernden 
Entoderm und dem flimmerlosen Exoderm. 3. Die Zusammensetzung des Entoderms 
aus Geisselzellen. 

Als wesentliche Unterschiede ergeben sich hingegen: 1. Die Beschaffenheit des 
Exoderm, dessen Zellen bei Hydra und Cordylophora Nesselkapseln und Neuromuskel- 
Fortsätze entwickeln, bei Olynthus (und Archispongia?) hingegen zum Syncytium ver- 
schmelzen. 2. Der Tentakel-Kranz der ersteren, welcher den letzteren fehlt. 3. Die 
verschiedene Entstehung der Geschlechtsorgane, bei ersteren im Exoderm, bei letzteren 
im Entoderm. Dieser letztere Unterschied erscheint als sehr bedeutend. Allein auch 
innerhalb der Acalephen-Gruppe sollen die Sexual-Zellen nach Angabe vieler Be- 
obachter bei den einen im Exoderm, bei den anderen im Entoderm entstehen. Ich 
komme hierauf nachher noch besonders zurück. Hingegen ist der Mangel des Ten- 
takel-Kranzes bei den Spongien von gar keiner Bedeutung, da dieser auch bei den 
Hydroiden erst später auftritt und vielen Hydroid-Formen (Siphonophoren) fehlt. 
Wesentlicher erscheint die Differenz in der Bildung des Exoderms; doch ist auch 
diese als eine secundäre histologische Differenzirung der beiden divergenten Gruppen 
zu betrachten. 

Jedenfalls erscheinen diese Differenzen im anatomischen Bau zwischen den ein- 
fachsten Hydroiden und den einfachsten Spongien von ganz untergeordneter Bedeu- 
tung, wenn man dagegen das Gewicht jener höchst bedeutsamen und wesentlichen 
Uebereinstimmungen in die Wagschale legt. Dieses Gewicht wird aber noch bedeu- 
tend vermehrt, wenn man die Ontogenie der beiden Gruppen vergleicht. Hydra 
selbst kommt hierbei nicht zuerst in Betracht, weil ihre ursprüngliche Ontogenie offen- 
bar sehr stark modificirt und durch secundäre Anpassungen verwischt und gefälscht 
ee Dektline wird jener abgewiesene Gedanke in dem unbefangenen Leser erst recht be- 


festigt. So lange die Entwickelungsgeschichte der Protohydra noch völlig unbe- 


kannt ist, wird manaufdieseHydroiden-Formgar keine Rücksichtzunehmen haben. 


Die Spongien und die Acalephen. 461 


erscheint. Hingegen ist von der grössten Bedeutung die Ontogenie von Cordylo- 

‚phora, welche völlig mit derjenigen des Olynthus übereinstimmt. (vergl. SchuLze, 
l. c. p. 383 — 41, Taf. V, Fig. 1—8). Die Planula, welche aus der Morula, und die 
Planogastrula, welche aus der Planula entsteht, sind bei beiden Thieren völlig gleich; 
sogar die feinere Structur der beiden Zellenlagen oder Keimblätter, welche die 
Magenhöhle der länglich-runden Flimmerlarve begrenzen, stimmt auffallend überein: 
Die kleinen schlanken cylindrischen Geisselzellen des Exoderm und die grossen, nicht 
flimmernden, rundlich-polyedrischen Zellen des Entoderm !). 

Aus dieser völlig übereinstimmenden Ontogenie und Anatomie des Olynthus und 
der Cordylophora geht mit voller Sicherheit diejenige Auffassung von der Stellung der 
Spongien im Thierreich hervor, welche ich schon 1369 in meinem Aufsatze über den 
Organismus der Schwämme etc. mit den Worten hinstellte: „Wir würden demge- 
mäss den Stamm oder das Phylum der Pflanzenthiere (Coelenterata s. 
Zoophyta) in zwei Hauptäste (Subphylen oder Claden) zu theilen haben: 
I. Schwämme (Spongiue s. Porifera) und II. Nesselthiere (Acalephae s. Cni- 
dae s. Nematopkora). Die letzteren würden in die drei Classen der Corallen, Hy- 
dromedusen und Ctenophoren zerfallen.“ Mit Rücksicht aber auf das biogenetische 
Grundgesetz und die übereinstimmende Ontogenie der Caleispongien und Hydroiden 
(des Olynthus und der Cordylophora) werden wir diese Ansicht von der unmittelbaren 
Verwandtschaft der Schwämme und Nesselthiere weiterhin noch zu dem Satze aus- 
dehnen dürfen: Spongien und Acalephen sind zwei divergirende Aeste 
des Zoophyten-Stammes, welche sich aus der gemeinsamen Stamm- 
form des Protascus entwickelt haben. Noch jetzt wird dieser Protascus durch 
die vorübergehende Jugendform der .Ascula repräsentirt ?). 

Was die Unterschiede der Spongien und Acalephen betrifft, so halte 
ich zunächst den Mangel der Tentakeln bei den ersteren für ganz unwesentlich. 
Dieselben fehlen auch manchen Acalephen (z. B. manchen Siphonophoren und Antipa- 


1) Allerdings erfolgt bei Cordylophora der Durchbruch der Magenhöhle und die Bildung der Mund- 
öffnung erst, nachdem die Planogastrula sich festgesetzt hat und in die Ascula-Form übergegangen ist; 
allein auch bei vielen constant mundlosen Schwämmen scheint die Gastrula nicht zur Entwickelung zu 
kommen, und die Planogastrula verwandelt sich direet in den Clistolynthus, während sie beim Olynthus 
vorher in die Gastrula übergeht. 

2) Der genealogische Zusammenhang der Spongien und Acalephen ist demnach nur unten an der 
Wurzel zu suchen, wo sich aus der gemeinsamen Protaseus-Form einerseits Archispongia, die Stammform 
der Spongien, anderseits Archydra, die Stammform der Acalephen entwickelt hat. Hingegen ist 
die nähere Beziehung der Spongien zu den Corallen, welche ich früher (l. e.) besonders hervorhob, nur 
als Analogie, nicht als Homologie aufzufassen. Ich glaubte damals in der Radial-Structur der Syconen 
einen wesentlichen morphologischen Vergleichungs-Punkt mit den Corallen zu finden. Indessen hat mich 
die Entwickelungsgeschichte der Radial-Tuben bei den Syconen, mit der ich erst später bekannt wurde, 


davon überzeugt, dass diese nicht den perigastrischen radialen Kammern der Corallen homolog sind. 


462 Siebentes Kapitel. Die Stellung der Kalkschwämme im Thierreiche. 


thiden). Anderseits scheint bei einigen Spongien sich beginnende Tentakel-Bildung 
zu zeigen, so z.B. bei Osculina polystomella (0. Schmipr, Algier. Spong. 1868, 
Taf. I, Fig. 6, 7). Wie es sich mit der Antimeren-Bildung bei diesen und an- 
deren Kieselschwämmen verhält, muss noch näher untersucht werden. Allerdings 
erinnert die Abbildung, welche O. Scuhmpr von den die Magenhöhle umgebenden Spal- 
ten bei einigen Formen von Osculina giebt, ganz auffallend an die Corallen, und 
seine Fig. 4 auf Taf. I (l. e.) könnte geradezu als Querschnitt einer achtzähligen Aley- 
onarie gelten. Auch bei anderen Kieselschwämmen erscheint die Magenhöhle durch 
radiale Septa (von verschiedener Zahl) in Fächer getheilt, welche auf Differenzirung 
von Antimeren sich beziehen liessen. Da übrigens auch manchen Hydromedusen die 
Antimeren-Bildung fehlt, so ist hierauf nicht viel Gewicht zu legen. Die Nessel- 
organe schienen bisher einen derjenigen histologischen Charactere zu bilden, der 
am sichersten die Acalephen von den Spongien trennte. Bis vor Kurzem war der 
Satz in Geltung: alle Acalephen besitzen Nesselorgane; allen Spongien fehlen diesel- 
ben. Nun giebt aber neuerdings Eimer an!), auch bei mehreren Arten von Kiesel- 
schwämmen (Renierinen) Nesselzellen gefunden zu haben. Demnach scheint auch 
dieser Differenzial-Character seinen Werth einzubüssen. Es würde mithin als einzi- 
ges Unterscheidungs-Merkmal zwischen Acalephen und Spongien die Porenbildung 
der letzteren übrig bleiben, derenthalben sie Grant Porifera nannte. Allein ich 
habe schon in meinem früheren Aufsatze über den Organismus der Schwämme her- 
vorgehoben, dass auch bei vielen Acalephen Hautporen vorkommen, welche in das 
Gastrocanal-System einmünden und Wasser von aussen in dasselbe eintreten lassen. 
Bei Medusen sind solche „Wasserlöcher‘‘ von verschiedenen Autoren beschrieben. Bei 
den Corallen scheinen Hautporen, welche von aussen Wasser in die Verästelungen 
des Gastrocanal-Systems einführen, nach den Beobachtungen von MıLne- EnwArDs, 
KÖLLIKErR und Anderen sehr verbreitet zu sein. Immerhin bleibt es sehr bemerkens- 
werth, dass die Poren gerade den niedersten Acalephen - Formen, den Hydroiden zu 
fehlen scheinen. Wenn man also schon vor der gemeinsamen Wurzel an die beiden 
Linien der Spongien und Acalephen sich trennen lässt, so müsste man wohl die Poren- 
Bildungen in beiden Gruppen als analoge, nicht homologe, oder strenger ausgedrückt, 
als homomorphe, aber nicht homophyle Bildungen auffassen ?). Jedenfalls er- 
scheint aber gegenwärtig die Grenze zwischen den niederen Spongien und den niede- 
ren Acalephen (Hydroiden) so verwischt, dass man augenblicklich keinen einzigen 
allgemein gültigen Differential-Character zwischen beiden Gruppen der Zoophyten 
aufstellen kann. 


1) EıMmEr, Nesselzellen und Samen bei Seeschwämmen. Archiv für mikroskop. Anat. Bd. VIII. 
1871, p. 281. 2 
2) Homophylie nenne ich die wirklich phylogenetisch begründete Homologie, im Gegensatze zur 


Homomorphie, welcher die genealogische Begründung fehlt. 


Der Stamm der Pflanzenthiere (Zoophyten oder Coelenteraten). 469 


Der Stamm der Pflanzenthiere (Zoophyten oder Coelenteraten). 


Um das Verständniss der vorhergehenden und der nachfolgenden Betrachtungen 
zu erleichtern, muss ich hier einige Worte über meine Auffassung der Pflanzenthiere 
überhaupt einschalten. In den älteren zoologischen Systemen stehen die Thiere, 
welche heute gewöhnlich Coelenteraten genannt werden, gemischt mit anderen 
niederen Thieren in der Abtheilung der Zoophyten, welche Worron schon 1552 
aufstellte. Seit Lamarck (1314) und Cuvıer (1819) stellte man bekanntlich die 
Hydroiden, Medusen und Corallen allgemein mit den Echinodermen etc. in der höchst 
unnatürlichen Abtheilung der Strahlthiere (Radiata oder Radiaria) zusammen, 
einer Gruppe, welche von den namhafteren Zoologen gegenwärtig nur noch AGassız 
aufrecht erhält. Erst Frey und LeuckArr haben 1847 die vereinigten Polypen und 
Acalephen Cuvier’s unter dem Namen Coelenterata von den Echinodermen ge- 
trennt). Fast gleichzeitig erkannte auch Huxrey selbstständig die Nothwendigkeit 
dieser Trennung an und schlug für die vereinigten Acalephen und Polypen wegen 
ihrer Nesselorgane die Bezeichnung Nematophora vor:). Anfänglich fasste 
LEucKART den Begriff der Coelenteraten in engerem Sinne (für die drei Classen der 
Ctenophoren, Acalephen und Polypen). Später (1854) schloss er auch noch die Spon- 
gien als nächste Verwandte an diese 3 Classen an). Statt der in Deutschland jetzt 
sehr verbreiteten Bezeichnung Coelenterata gebrauche ich die ältere Bezeichnung 
Zoophyta, welche auch jetzt noch in England und Frankreich die gebräuchlichere ist, 
aus folgenden drei Gründen: 

1) Die Bezeichnung Zoop/yta. welche schon 1552 von Worrox in die systema- 
tische Zoologie eingeführt wurde, ist fast 300 Jahre älter als der Name Coelenterata. 
Allerdings enthält die Abtheilung Zoophyta in dem Sinne Worron’s und seiner Nach- 
folger nicht allein die Coelenteraten (Spongien und Acalephen!), sondern auch viele an- 
dere wirbellose Thiere. Allein ganz denselben Einwurf könnte man auch, und mit viel 
mehr Grund, gegen die Bezeichnung W ürmer (Vermes) erheben. Die Hauptabthei- 
lung des Thierreiches, welche wir heute allgemein das Phylum der Würmer nennen, 
enthält nur einen ganz kleinen Theil von der Masse wirbelloser Thiere, welche Linn& 
und seine Schule in der Classe Vermes zusammenfasste; im Systema Naturae sind 
alle Wirbellosen mit Ausschluss der Arthropoden Fermes genannt. 

2) Die Bezeichnung Cvelenterata von FREY und LEUCKART ist gegenwärtig da- 
durch unbestimmt und zweideutig geworden, dass die meisten Zoologen darunter 
nur die Nesselthiere (Hydromedusen, Ctenophoren, Corallen) verstehen, während 
LEUCKART selbst auch noch die Spongien dazu rechnet. Diese Zweideutigkeit wird 
dadurch gehoben, dass wir die Coelenteraten im weiteren Sinne (mit Ein- 


1) Frey und LEUCKART, Beiträge zur Kenntniss wirbelloser Thiere. 1847. p. 38, 137. 
2) Huxrey, Report British Associat. for 1851, Not. p. 80. 
3) LEUCKART, Arch. f. Naturgesch. XX, Jahrg. 1854, Bd. 2, p. 472, 


464 Siebentes Kapitel. Die Stellung der Kalkschwämme im Thierreiche. 


schluss der Spongien) mit der Bezeichnung der Zoophyten belegen, während wir die 
CGoelenteraten im engeren Sinne (nach Ausschluss der Spongien) Acalephae 
nennen. Schon ARISTOTELES fasste unter dem Begriffe der Acalephen oder Kniden 
(erehjyeı, zvideı) die beiden Haupt-Typen dieser Gruppe, die festsitzenden Actinien 
und die sich ablösenden und frei schwimmenden Medusen zusammen. Mit Unrecht 
hat die spätere Zoologie nur die Medusen unter Acalephen verstanden. In unserem 
Sinne fallen die Acalephae mit den Nematopl;ora von HuxLEY zusammen, und um- 
fassen als drei Classen die Hydromedusen, Ctenophoren und Corallen (oder Anthozoen). 
Die Bezeichnung ist um so passender, als in der That die Nesselorgane den con- 
stantesten Unterschied der Spongien und Acalephen zu bilden scheinen. 

3) Die Bezeichnung Coelenterata verwerfe ich vor Allen desshalb, weil ich diese 
Thiergruppe in einem ganz anderen Sinne auffasse, als LeuckArT. Dieser Autor be- 
trachtete nämlich von Anfang an den centralen Hohlraum und seine Verästelungen 
nicht als Magen, sondern als Leibeshöhle, und hat auch neuerdings (1369) aus- 
drücklich die Annahme bekämpft, „dass der innere Höhlen-Apparat derselben nach 
seiner morphologischen Bedeutung der Leibeshöhle der übrigen Thiere entspreche.“ 
Ich theile dagegen die Ansicht von GEGENBAUR (1861), NoscHin (1865), SEMPER 
(1867) und KowAuevsky (1868), dass die Coelenteraten (sowohl Acalephen als 
Spongien) gar keine Leibeshöhle besitzen, und dass vielmehr ihr inneres Höhlen- 
System der Darm-Höhle der übrigen Thiere homolog ist. Diese Ansicht erscheint 
mir phylogenetisch von der grössten Bedeutung für das Verständniss der Homologien 
der Thierstämme und steht in vollster Uebereinstimmung mit der Keimblätter-Theorie. 


Die Keimblätter-Theorie und der Stammbaum des Thierreiches. 


Unter den phylogenetischen Fragen, welche durch Darwın’s epochemachende 
Reform der Descendenz-Theorie in den Vordergrund der philosophischen Zoologie ge- 
treten sind, ist eine der schwierigsten und dunkelsten, aber auch eine der interessan- 
testen und wichtigsten die Frage nach der Blutsverwandtschaft der Typen 
oder Phylen, der grossen Hauptabtheilungen des Thierreiches, welche seit BÄr und 
Cuvier als gänzlich getrennte und selbstständige Einheiten galten. Ich habe 1866 in 
meiner generellen Phylogenie!) den ersten Versuch gemacht, diese Frage zu beant- 
worten, und zwar dahin, dass ich eine gemeinsame Abstammung des ganzen Thier- 
reiches von einer einzigen Stammform annahm, jedoch die Typen der Vertebraten, 
Mollusken, Arthropoden, Echinodermen und Würmer als engere genealogische Ein- 
heiten betrachtete, die nur unten an der Wurzel zusammenhingen. Näher habe ich 
sodann diesen Zusammenhang zu begründen und im Einzelnen durch Nachweis der 
verbindenden Zwischenformen zu präcisiren gesucht in meiner „Natürlichen Schöpfungs- 
geschichte“ (1868, Taf. III; III. Aufl. 1872, p. 449). 


1) HAEcKEL, Gener. Morphol. 1866, Bd. II, p. 408—417: ‚Die Stämme des Thierreichs“. Taf. I. 


Die Keimblätter-Theorie und der Stammbaum des Thierreiches. 


465 


Vertebrata 
Mammalia 
| Aves 
Arthropoda ai 
Insecta | Reptilia Mollusca 
Myriapoda | Arachnida Cephalopoda 
Echinoderma | | ANNIOTA | Cochlides 
Holothuriae | | h = | 
- Q — A a m 
a ee Crinoida en et En Lamellibranchia 
| | Annelida er wor Pisces | Sm 
| | : Sen el OTOCARDIA 
AÄSTERIDA | Rotatoria | Nauplius Aa Spirobranchia 
| Bun | | | Tunicata | 
Phracthelminthes | | | | | Bryozoa 
| | | | | Sagitta | | Promollusca 
u | ' Nematoda | | 
COLELMINTHES HiInATEGA 
| | | | 
| Be | 
Vermes (Coelomati) 
(Würmer mit Leibeshöhle) 
Zoophyta 
Acalephae Spongiae 
Cestoda Ctenophora Coralla Caleispongiae 
| | Fibrospongiae | 
Trematoda Medusae Olynthus | | 
| |  Chalynthus 
5 en | 
Turbellaria Hydroida | 4 
| | Hydra | Cordylophora Myxospongiae 
Vermes (Acoelomi) | | | 
(Würmer ohne Leibeshöhle) Archydra Archispongia 
| | 
ARCHELMINTHES (Ontogenie: Asceula) 
Prothelmis Protascus 
| 
Gastraea (Ontogenie: Gastrula) 
Protozoa 
Protista Infusoria Planulata (Ontogenie: Planula) 
Rhizopoda Gregarinae | | 
Diatomea | Myxomycetes |Noctilucae Synamoebae (Ontogenie: Morula) 
| Catallacta | al 
| | | Flagellata Amoebae Amoebae (Öntogenie: Ovulum) 
| | 
nn m —— 
Monera = Monera Monera (Öntogenie: Monerula) 


466 Siebentes Kapitel. Die Stellung der Kalkschwämme im Thierreiche. 


Schon ein Jahr später (1367) erhielten imeine phylogenetischen Hypothesen eine 
höchst willkommene Bestätigung durch die inzwischen erschienenen, bedeutungsvollen, 
embryologischen Untersuchungen von KOowALEvVsKY. Dieser verdienstvolle Natur- 
forscher, der zum ersten Male die schwierigsten Fragen der vergleichenden Ontogenie 
unten an der Wurzel anfasste, und der durch seine glänzenden Entdeckungen über die 
identische Ontogenie des Amphioxus und der Ascidien die grösste innerhalb des Thier- 
reiches bis dahin bestehende Kluft überbrückte, wies zugleich nach, dass bei den ver- 
schiedensten Thiergruppen der primordiale Entwickelungsgang des Embryo derselbe 
sei, und dass namentlich die bisher nur bei den Wirbelthieren fest begründete 
Keimblätter-Theorie auch auf die Wirbellosen der verschiedensten Gruppen 
ihre Anwendung finde!). In einer kürzlich erschienenen ausführlicheren Abhandlung 
sind diese Ansichten weiter ausgeführt 2). 4 

Dass den beiden primordialen Keimblättern der höheren Thiere auch die beiden 
permanenten Bildungshäute der Acalephen oder Nematophoren, Entoderm und 
Exoderm zu vergleichen sind, hatte schon 1849 der hochverdiente Entdecker der- 
selben, HuxLey°), nachgewiesen. In KLEINENBERG’S gedankenreicher Monographie 
der Hydra ist dieser Vergleich näher begründet und zugleich für die Ansicht vom 
monophyletischen Ursprunge des Thierreiches verwerthet. 

Die vorstehende Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Kalkschwämme hat 
den Nachweis geliefert, dass auch die Spongien noch in den Kreis dieser Stamm- 
verwandtschaft gehören, und dass gerade bei ihnen sich die beiden primordialen 
Keimblätter in der reinsten und einfachsten Form zeitlebens erhalten. Von entschei- 
dender Bedeutung ist für diese Theorie die Entwickelung der Kalkschwämme aus der 
Gastrula_(p. 333; Taf. 13, Fig. 5, 6; Taf. 30, Fig. 8, 9; Taf. 44, Fig. 14, 15). Die 
Gastrula halte ich für die wichtigste und bedeutungsvollste Embryo- 
nal-Form des Thierreichs. Sie tritt auf bei den Spongien (bei Caleispongien 
aller drei Familien), bei den Acalephen (Cordylophora, Medusen, Siphonophoren, 
Otenophoren, Actinien), bei den Würmern (Phoronis, Sagitta, Euaxes, Ascidia etec.), 
bei den Echinodermen (Asteriden, Echiniden), bei den Mollusken (ZLymnaeus) 
und bei den Vertebraten (Amphioxus). Embryonal-Formen, welche aus der Ga- 
strula ohne Schwierigkeit abzuleiten sind, finden sich auch bei den Arthropoden 
(Crustaceen sowohl als Tracheaten). Bei allen diesen Repräsentanten der verschie- 
densten Thierstämme besitzt die Gastrula ganz denselben Bau. Ueberall enthält 
ihr einfacher, länglich-runder, einaxiger Körper eine einfache centrale Höhle (Magen- 


1) KowALEVSKY, Entwickelungsgeschichte des Amphioxus lanceolatus. 1867. Mem. de l’Acad. de 
S. Petersb. Tom. XI, No. 4. 

2) KowALEvskyY, Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden. 1871. Ibid. Tom. XVI, 
No. 12. 


3) Huxzey, On the anatomy and the affinities of the Medusae. Philosoph. Transact. 1849, p. 426. 


Die Keimblätter-Theorie und der Stammbaum des Thierreiches. 467 


höhle), welche sich am einen Pole der Axe durch eine Mündung öffnet; überall be- 
steht die dünne Wand der Höhle aus zwei Zellenschichten oder Blättern: einem in- 
neren Blatte von grösseren, dunkleren Zellen (Entoderm, Gastralblatt, inneres, 
trophisches oder vegetatives Keimblatt) und einem äusseren Blatte von kleineren, meist 
flimmernden, helleren Zellen (Entoderm, Dermalblatt, äusseres, sensorielles oder 
animales Keimblatt. Aus dieser Identität der Gastrula bei Repräsentan- 
ten der verschiedensten Thierstämme, von den Spongien bis zu den 
Vertebraten, schliesse ich nach dem biogenetischen Grundgesetze auf 
eine gemeinsame Descendenz der animalen Phylen von einer einzigen 
unbekannten Stammform, welche im Wesentlichen der Gastrula gleich- 
gebildet war: Gastraea!). 


Die Leibeshöhle und die Darmhöhle der Thiere. 


Wenn die vorstehenden Vergleichungen richtig und demnach die beiden primor- 
dialen Keimblätter in dem ganzen Thierreiche von den Spongien bis zu den Verte- 
braten einschliesslich homolog sind, so ergiebt sich daraus sofort von selbst der 
Schluss, dass die Zoophyten oder Coelenteraten keine Leibeshöhle be- 
sitzen können, und dass alle inneren Höhlungen ihres Körpers (vom Intercanal- 
System einiger Spongien abgesehen) zum Gastrocanal-System gehören, Theile oder 
Ausstülpungen der Darmhöhle oder Magenhöhle sind. Alle diese Gastrocanäle 
sind ursprünglich vom Entoderm, vom Gastralblatte oder Darmdrü- 
sen-Blatte ausgekleidet, wie dasselbe für den Darmcanal und seine Anhänge auch 
bei allen höheren Thieren gilt. Vielleicht ist es vortheilhaft, um diese durchgrei- 
fende Homologie auszudrücken, die primordiale Anlage des Darms, wie sie beim 


1) Ausgeschlossen sind von dieser gemeinsamen Descendenz nur die Protozoen. Für diese nehme 
ich zum grössten Theile eine selbstständige polyphyletische Descendenz an, insbesondere für die- 
jenigen sogenannten ‚‚Protozoen“*, welche ebenso gut als Pflanzen wie als Thiere betrachtet werden 
könnten und daher am besten als neutrale Protisten aufgefasst werden. Andere Protozoen gehören un- 
zweifelhaft theilweise zu den direeten Vorfahren der Gastrula, so namentlich die Amoeben und Moneren 
(vergl. p. 347). Die Bedenken, welche gegen die Homologie der Gastrula bei allen verschie- 
denen Thierstämmen erhoben werden könnten, werde ich an einem anderen Orte widerlegen. Das 
schwerste Bedenken scheint darin zu liegen, dass die Gastrula auf zwei ganz verschiedenen Wegen aus 
der Morula entstehen soll: das eine Mal (bei Spongien, Hydroiden, einigen Würmern etc.) durch ecen- 
trale Aushöhlung der Morula und Durchbruch der so gebildeten Magenhöhle nach aussen; das an- 
dere Mal (bei anderen Würmern, Ascidien, Echinodermen, Amphioxus) durch Bildung einer Keimblase 
(Blastosphaera), einer Hohlkugel, deren Wand aus einer Zellenschicht besteht, und durch Einstülpung 
dieser Keimblase in sich selbst. Jedoch ist diese anscheinend sehr wesentliche Differenz noch ge- 
nauer bezüglich ihrer Bedeutung und Verbreitung zu untersuchen, und da sie bei sehr nahe verwandten 
Formen eines Stammes vorkommt (z. B. Hydroiden und Medusen), so halte ich sie (ihre Realität voraus- 
gesetzt!) für ganz unwesentlich: durch seeundäre Fälschung der Ontogenese entstanden. Das 


Resultat ist in beiden Fällen ganz dasselbe 


468 Siebentes Kapitel. Die Stellung der Kalkschwämme im Thierreiche. 


Olynthus und bei der Hydra in einfachster Form zeitlebens persistirt, als Urdarm 
(Progaster) und seine Mundöffnung als Urmund (Prostoma) zu bezeichnen; um 
so mehr, als nach KowALevsky’s Angaben diese primordiale Mundöffnung nicht dem 
späteren bleibenden Munde, sondern dem späteren After (wenigstens bei vielen Thie- 
ren) zu entsprechen scheint. 

Die wahre Leibeshöhle, welche bei den Vertebraten gewöhnlich Pleuro- 
peritonealhöhle genannt wird, und für welche wir statt dieses neunsylbigen Wor- 
tes die bequemere zweisylbige Bezeichnung Coelom (xoiAwue«, ro die Höhlung) vor- 
schlagen, findet sich nur bei den höheren Thierstämmen, bei den Würmern, Mol- 
lusken, Echinodermen, Arthropoden und Vertebraten. Wie die Ontogenie der Wir- 
belthiere lehrt, entsteht dieses Coelom stets zwischen innerem und äusserem Keim- 
blatte, durch eine Spaltung des mittleren Keimblattes in Hautfaserplatte und Darm- 
faserplatte. Da nun den Spongien das mittlere Keimblatt ganz fehlt, kann es auch 
bei ihnen kein Coelom geben. Ebensowenig kommt dasselbe bei den Acalephen vor, 
obwohl sich hier ein mittleres Keimblatt (Mesoderm oder Muskelblatt) bereits ent- 
wickelt. Sehr wichtig ist es dabei für unsere monophyletische Descendenz-Hypothese, 
dass auch den niedersten Würmern (Turbellarien, Trematoden, Cestoden etc.) 
das Coeloma noch gänzlich fehlt, und erst bei den höheren Würmern (Ver- 
mes coelomati) zur Entwickelung gelangt, von denen es sich auf alle vier höheren 
Thierstämme vererbt hat. Die Würmer ohne Leibeshöhle (Vermes acoelomi) sind 
in dieser Beziehung „Coelenteraten“. 

Die wahre Leibeshöhle oder das Coelom kann demnach niemals, wie die Darm- 
höhle oder Magenhöhle, von dem Entoderm umschlossen werden. LEUCKART sagt 
allerdings (noch 1869!) ausdrücklich: „Die Leibeshöhle der Coelenteraten liegt nicht 
zwischen Exoderm und Entoderm, sondern wird von letzterem umschlossen“. Allein 
gerade dieser Ausspruch beweist, dass LEUCKART’s Auffassung des „Coelen- 
teraten-Typus“ völlig irrthümlich ist. Ebenso wenig kann die Leibeshöhle 
jemals mit der Magenhöhle oder der Darmhöhle direct communiciren, wie das in 
den Schriften LEUCKART's und vieler anderen Autoren von den „Coelenteraten“ an- 
gegeben wird. Vielmehr zeigt die Anatomie und Ontogenie des Coelom oder der 
Pleuroperitoneal-Höhle bei allen höheren Thieren deutlich und unzweifelhaft, dass 
diese wahre Leibeshöhle vom ersten Anfang an ein völlig selbststän- 
diger Hohlraum ist, völlig unabhängig von dem niemals mit ihr zusammen- 
hängenden Darmrohre. Niemals führt die Mundöffnung in die- wahre Leibeshöhle, 
und wenn LEUCKART und Andere die Darmhöhle oder Magenhöhle der Coelentera- 
ten als „Leibeshöhle“ auffassen, so müssten sie consequenter Weise die Oeffnung 
derselben nicht Mundöffnung, sondern Porus abdominalis heissen. 

Bei diesen wie bei vielen anderen schwierigen morphologischen Verhältnissen 
tritt die wahre und richtige Auffassung sofort in ihre volle Kraft, wenn man sie 


# 


Die Keimblätter-Theorie und der Stammbaum des Thierreichs. 469 


im Lichte der Descendenz-Theorie betrachtet. Das erste Organ, welches die primor- 
diale vielzellige Synamoeba bei eintretender organologischer Differenzirung sich bilden 
musste, war der Darm. Nahrungsaufnahme war das erste Bedürfuiss. So entstand die 
Gastraea, deren ganzer Körper noch Darm ist, wie beim Protascus, wie beim Olyn- 
thus und der Hydra (bei letzterer von den Tentakeln abgesehen). Erst viel später, 
erst nach Entstehung des mittleren Keimblattes, bildete sich in diesem (durch Spal- 
tung des Mesoderms, der soliden Zellenmasse zwischen Exoderm und Entoderm) die 
wahre Leibeshöhle. In ihr sammelte sich Flüssigkeit an, das erste Blut. Bei allen 
Thieren, welche eine wahre Leibeshöhle haben, ist diese entweder mit Blut gefüllt 
oder mit Lymphe (also direct mit dem Blutgefäss-System communieirend!), niemals 
aber mit Chymus oder Chylus oder gar mit rohem Nahrungs-Material. Mithin 
sind auch die Hohlräume des Gastrocanal-Systems bei den Spongien 
und Acalephen keine Leibeshöhle, sondern eine Darmhöhle. 


Der Ursprung des Mesoderms und der Geschlechts-Organe. 


Im Anschluss an die vorstehende Theorie von der Homologie der Keimblätter 
im ganzen Thierreiche mögen noch einige eng damit zusammenhängende Fragen 
kurz berührt werden. Wir nehmen dabei die angeführte Homologie insoweit als 
bewiesen an, dass das primitive Darmrohr bei allen Thierstämmen, von den Spon- 
gien bis zu den Wirbelthieren, ursprünglich identisch, aus dem Entoderm der Ga- 
strula hervorgegangen ist, und ebenso anderseits das Dermalblatt (Nerven-Horn- 
blatt) aus dem Exoderm der Gastrula entstanden !). 

Bei den Spongien, wenigstens sicher bei den Caleispongien und bei vielen an- 
deren niederen Schwämmen, bleiben die beiden Keimblätter in ihrer ursprünglichen 
Einfachheit zeitlebens erhalten. Auch bei den niedersten Acalephen treffen wir sie 
noch so an. Aber schon bei Hydra beginnt sich zwischen beiden Blättern ein drit- 
tes Blatt, ein Muskelblatt zu entwickeln, das sich bei den höheren Acalephen 
zu einem selbstständigen Mesoderma mit vielfach differenzirten Producten ge- 
staltet. Da nun nach KLEINENBERG’S sorgfältiger Darstellung dieses Muskelblatt 
unmittelbar aus dem Exoderm hervorgeht, und da auch Köruıker das Mesoderm 
der Acalephen von dem Exoderm mit aller Bestimmtheit ableitet, so dürfte hier- 
durch.die Frage von dem Ursprunge des mittleren Keimblattes ihrer Entscheidung 
näher gerückt werden. Bekanntlich leiten die meisten Ontogenisten bei den Wir- 
belthieren das mittlere Keimblatt durch Spaltung aus dem unteren ab, während an- 


1) Die von Kowarevskv (l. c. 1871, p. 6) geäusserte Ansicht, dass das Darmdrüsenblatt der Inseeten 
demjenigen der übrigen Thiere nicht homolog, sondern ein ganz besonderes Blatt sei, halte ich für irr- 
thümlich. Gerade bei den Insecten ist die Ontogenie durch secundäre Anpassung sehr stark gefälscht. 
Anderseits halte ich die embryonalen Hüllen (und namentlich das Amnion) bei Inseeten und Vertebraten 


entschieden für nieht homolog. Das sind nur analoge Hüllen ; sie fehlen den niederen Wirbelthieren. 


Haeckel , Kalkschwimme 1. 31 


470 Siebentes Kapitel. Die Stellung der Kaikschwämme im Thierreiche. 


dere dasselbe aus dem oberen entstehen lassen. Die Morphologie der Hydra, bei 
welcher die einzelnen, das mittlere Blatt zusammensetzenden Muskeln weiter nichts, 
als innere Fortsätze der Exoderm-Zellen sind und zeitlebens mit diesen in Zusam- 
menhang bleiben, scheint den Ursprung des Mesoderms oder Muskelblattes aus dem 
äusseren Keimblatte, dem Exoderm darzuthun (vergl. die Anmerkung auf p. 473). 

Grössere Schwierigkeiten bereitet die Frage nach dem Ursprunge der Ge- 
schlechtsorgane. In der Embryologie der Wirbelthiere werden die ersten An- 
lagen der Sexual-Drüsen noch in der neuesten Zeit von Einigen aus dem oberen, 
von Vielen aus dem mittleren und von Anderen aus dem unteren Keimblatte abge- 
leitet. Es finden demnach alle drei möglichen Ansichten hier noch gegenwärtig 
ihre Vertretung. Wenn wir nun auf Grund unserer oben behaupteten Homologie 
diese Widersprüche dadurch zu lösen versuchen, dass wir den Ursprung der Sexual- 
Zellen bei den Zoophyten als massgebend ansehen, so finden wir hier leider diesel- 
ben Differenzen wieder. Fast eben so zahlreiche Beobachter lassen die Eier und 
Spermazellen der Acalephen aus dem Exoderm, wie aus dem Entoderm hervorgehen. 
Aus dem Entoderm nehmen die Sexual-Zellen ihren Ursprung nach meinen eige- 
nen Beobachtungen !) bei den Medusen (1864), nach den Untersuchungen von KöL- 
LIKER ?) „bei Medusen und Hydroidpolypen ohne Ausnahme“ (1865), nach den An- 
gaben von ALLMAN ?) bei den Sertularien und Tubularien (1871). 

Auch die noch nicht veröffentlichten Untersuchungen von Dr. GOTTLIEB VON 
Koch stimmen hiermit überein und ich habe bei ihm selbst zahlreiche Praeparate 
von Corallen (Veretillum, Cereanthus etc.) und von Hydroiden (Coryne, Tubularia etc.) 
gesehen, welche den Ursprung der Eizellen aus dem Epithelium der Gastrocanal- 
Räume unzweifelhaft zu beweisen scheinen. 

Diesen Angaben entgegen sollen die Geschlechtsproducte der Acalephen aus 
dem Exoderm entstehen: bei den Siphonophoren nach KEFERSTEIN und EHLERS ®), 
bei Cordylophora nach F. E. Schutze (l. c. p. 36) und bei Hydra nach KLEInEN- 
BERG (l.c. p. 30, 32). 

Bei den Spongien konnte der Ursprung der Sexual-Zellen bisher schon dess- 
halb nicht mit Bezug auf jene Frage untersucht werden, weil man überhaupt den 
fundamentalen Aufbau ihres Körpers aus den beiden Bildungshäuten, und die Ho- 
mologie derselben mit dem Exoderm und Entoderm der Nesselthiere, sowie mit den 
beiden Keimblättern der höheren Thiere nicht erkannt hatte. Indem ich zum ersten 
Male diese Homologie nachwies, musste natürlich die Frage, aus welchem der bei- 


1) HAECKEL, die Familie der Rüsselquallen (Medusae Geryonidae). Jenaische Zeitschr. I. Bd. 1864, 
p- 449. k 

2) KÖLLIKER, Icones histologieae, II. Heft, 1865, p- 89. 

3) ALLMAn, Monograph of the Gymnoblastie or Tubularian Hydroids. 1871, p. 149. 

4) KEFERSTEIN und EHLERS, Zoologische Beiträge, 1861, p. 2. 


Das biogenetische Grundgesetz. 471 


den Blätter die Sexual-Zellen ihren Ursprung nehmen, für mich besondere Bedeu- 
tung gewinnen. Ich habe diese Frage im dritten Kapitel (p. 150—160) ausführlich 
erörtert, und bin schliesslich dort zu dem Resultate gelangt, dass mit grosser 
Wahrscheinlichkeit beiderlei Sexual-Zellen aus dem Entoderm ab- 
zuleiten sind. Leider kann ich jedoch, wie dort angeführt, diese Behauptung 
nicht mit der wünschenswerthen Sicherheit geben, und muss immer noch die ent- 
gegengesetzte Möglichkeit offen lassen. 


Das biogenetische Grundgesetz. 


„Die Ontogenesis ist die kurze und schnelle Recapitulation der Phylogenesis, 
bedingt durch die physiologischen Functionen der Vererbung (Fortpflanzung) und Er- 
nährung (Anpassung). Das organische Individuum wiederholt während des raschen 
und kurzen Laufes seiner individuellen Entwickelung die wichtigsten von denjenigen 
Formveränderungen, welche seine Voreltern während des langsamen und langen 
Laufes ibrer paläontologischen Entwickelung nach den Gesetzen der Vererbung und 
Anpassung durchlaufen haben.“ Mit diesen Worten habe ich in meiner allgemeinen 
Entwickelungsgeschichte 1) die Theorie von dem Causal-Nexus der ÖOnto- 
genese und Phylogenese, der biontischen und der phyletischen Ent- 
wickelung ausgedrückt, auf welcher nach meiner unerschütterlichen Ueberzeugung 
das ganze innere Verständniss der Entwickelungsgeschichte beruht, und welche ich 
daher als biogenetisches Grundgesetz an deren Spitze gestellt habe. Mit die- 
sem ersten „Grundgesetze der organischen Entwickelung“ ist die ganze Descendenz- 
Theorie untrennbar verbunden; beide stehen und fallen mit einander. In unüber- 
trefficher Weise hat dies Frırz MÜLLER in seiner geistreichen Phylogenie der 
Crustaceen nachgewiesen ?). 

Die vergleichende Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Kalkschwämme, 
wie sie im dritten und vierten Kapitel dieses Bandes gegeben worden ist, hat eine 
zusammenhängende Bestätigung jenes Gesetzes gegeben. Auf diese gestützt konn- 
ten wir auf den vorhergehenden Seiten den Versuch machen, ihre Consequenzen 
über das enge Gebiet der Spongien hinaus auf die generelle Phylogenie des Thier- 
reichs auszudehnen. Dieselben hier nochmals ausdrücklich hervorzuheben, ver- 
anlasst uns einerseits der Widerspruch, welchen unser biogenetisches Grundgesetz 
gefunden hat 3), anderseits der Wunsch, an einige leitende Principien zu erinnern, 
welche bezüglich der Ontogenie bei dieser Gelegenheit sich aufgedrängt haben. 


1) HAECKEL, Generelle Morphologie, 1866, Bd. II, p. 6, 300. Natürl. Schöpfungsgeschichte, III. Aufl. 
1872, p. 362, 

2) Frırz MÜLLER, Für Darwin.‘ Leipzig 1864. 

3) Die entschiedenste Opposition gegen das biogenetische Grundgesetz hat von Seiten der Embryo- 
logen Professor Hıs in Leipzig erhoben. (Ueber die erste Anlage des Wirbelthier-Leibes, Leipzig 1867. 


öl* 


472 Siebentes Kapitel. Die Stellung der Kalkschwämme im Thierreiche. 


Offenbar hat sich die neuere Ontogenie oder Embryologie von Jahr zu Jahr 
mehr in ein Chaos von widersprechenden Ansichten und Behauptungen aufgelöst, 
welche den Werth dieser Wissenschaft in höchst zweifelhaftem Lichte erscheinen 
lassen. Wir brauchen bloss an die völlig unvereinbaren Darstellungen zu erinnern, 
welche in den letzten Jahren von der Embryologie vieler Vertebraten und Arthro- 
poden gegeben worden sind. Theilweise kann dieser chaotische Zustand der ani- 
malen Ontogenie wohl durch die Schwierigkeit des Gegenstandes und durch die ver- 
schiedenen Methoden der Beobachte: entschuldigt werden. Zum grösseren Theile 
aber liegt die Schuld wohl daran, dass die meisten Ontogenisten überhaupt ohne 
Methode arbeiten; sofern man nämlich unter wissenschaftlicher Untersuchungs-Me- 
thode nicht bloss die technisch-empirische Behandlung des Gegenstandes mit anato- 
mischen Instrumenten und chemischen Reagentien, sondern die denkende und plan- 
volle Erfassung, die vergleichende Behandlung und die philosophische Entwickelung 
der Aufgabe versteht. 


Ueber die Bedeutung der Entwickelungsgeschichte für die Auffassung der organischen Natur. Leipzig 1870.) 
Die Anschauungen über die Bedeutung der Ontogenie, welche Hıs hier entwickelt, stehen zu den meini- 
gen im schrofisten Antagonismus; es kann aber für die fortschreitende Erkenntniss nur von Vortheil sein, 
wenn solche unvereinbare Gegensätze möglichst klar und scharf ausgesprochen werden. Entweder 
existirt ein direeter und causaler Zusammenhang zwischen Ontogenie und Phylo- 
genie, oder er existirt nicht. Entweder ist die Ontogenese ein gedrängter (und theilweise durch 
die Anpassung gefälschter) Auszug der Phylogenese, oder sie ist dies nicht. Hiıs theilt die letztere An- 
sicht, ich die erstere. Hıs steht mit seinem Antagonismus gegen die Phylogenie nach meiner Ansicht völ- 
lig auf dem Boden der längst überwundenen Evolutions-Theorie, obschon er diese zu bekämpfen 
scheint. Die wahre Theorie der Epigenesis hat er gar nicht verstanden; sonst würde er ihren 
inneren Zusammenhang mit der Descendenz-Theorie begriffen haben; denn beide Sind unzertrennlich. Was 
die vielbewunderten Versuche von Hıs betrifit, nach einer neuen, angeblich mechanischen Weise die 
ontogenetischen Thatsachen zu erklären, so erscheinen sie mir völlig verkehrt und werthlos. Der Ver- 
such, die Keimscheibe (welche nicht elastisch ist!) als elastische Platte aufzufassen, und durch 
deren ungleiche Ausdehnung die Entstehung der Falten zu erklären — der Versuch, die Homologie der 
vier Vertebraten-Extremitäten durch die Kreuzung von vier den Körper umgrenzenden Falten, den vier 
Ecken eines Briefes ähnlich, zu erklären, und andere ähnliche Einfälle erscheinen nur einer humo- 
ristischen Beleuchtung, keiner ernstlichen Widerlegung fähig. Dass man gerade 
diese schnurrigen Einfälle als grosse Ideen bewundert hat, beweist die völlige Urtheilslosigkeit, welche 
gegenwärtig in der Ontogenie wie in der Histologie herrscht. Zugleich beweisen aber diese starken Miss- 
griffe, bei denen nur der grosse vergebliche Aufwand von Zeit, Mühe und Fleiss zu bedauern ist, wie 
nothwendig für Arbeiten auf dem schwierigen Felde der Ontogenie die Orientirung in dem Ge- 
biete der vergleichenden Anatomie und die Beziehung der ontogenetischen 
Vorgänge auf ihre mechanischen phylogenetischen Ursachen, ihre wahren 
„eausae efficientes“ ist. Nur dadurch, dass diese beiden Bedingungen von Hıs nicht erfüllt sind, lässt 
sich erklären, wie er zu einer so völlig schiefen Auffassung der Embryologie gelangen konnte. Freilich 
hat Dönırtz, dem Beispiele seines Meisters REICHERT folgend, gezeigt, dass man die Confusion auf dem Gebiete 


der Ontogenie noch viel weiter treiben kann, und dass selbst die Keimblätter-Theorie nicht mehr nöthig ist 


Das biogenetische Grundgesetz. 4753 


Ohne Zweifel würde der Zustand der heutigen Embryologie ein weit erfreuliche- 
rer sein, wenn nicht die meisten Embryologen ihr Auge gänzlich von denjenigen bei- 
den Leitsternen abwendeten, welche auf dem schwierigen und dunkeln Pfade der 
Ontogenie allein im Stande sind zum Ziele hinzuführen, von der vergleichenden 
Anatomie und von der Phylogenie. Den meisten embryologischen Arbeiten sieht 
man es auf den ersten Blick an, dass ihre Verfasser in der vergleichenden Anatomie, 
wie sie z. B. in den classischen „Grundzügen‘“ von GEGENBAUR musterhaft behandelt 
ist, nicht orientirt sind, und dass sie wenig mehr kennen, als das einzelne Thier 
oder die einzelne Thiergruppe, deren Entwickelung sie studiren. Nun ist aber 
gerade für das Verständniss der höheren Thiere die gründliche Kenntniss in der ver- 
gleichenden Anatomie der niederen Thiere unerlässlich. Ebenso unerlässlich ist aber 
auch für jede gute ontogenetische Untersuchung der beständige Hinblick auf die 
Phylogenie. Viele falsche embryologische Theorien hätten gar nicht zur Geltung 
kommen können, wenn man sie im Lichte der Descendenz-Theorie betrachtet und 
auf die Phylogenie bezogen hättet). Vergleichende Anatomie, Ontogenie und 
Phylogenie bleiben die drei grossen „Schöpfungsurkunden“, welche in 
ihrer gegenseitigen Ergänzung, Erläuterung und Uebereinstimmung 
allein im Stande sind, uns über Wesen und Entstehung der organi- 
schen Formen aufzuklären. 


1) Die Bedeutung der ontogenetischen Theorien, welche ohne Hinblick auf die Phylogenie aufge- 
stellt wurden, erhellt aus folgender Thatsache: Bei einem und demselben Wirbelthiere (z. B. beim 
Hühnchen) findet noch heute die eine Gruppe von Beobachtern, dass das mittlere Keimblatt aus dem 
oberen, eine zweite Gruppe findet, dass dasselbe aus dem unteren Keimblatte entsteht; eine dritte Gruppe 
findet, dass die obere Hälfte des mittleren Keimblattes (die Hautplatte) aus dem Dermal-Blatte, die untere 
Hälfte hingegen (die Darmfaserplatte) aus dem Gastral-Blatte hervorgeht. Ebenso lassen die einen Embryo- 
logen die Geschlechts-Organe aus dem oberen, andere aus dem mittleren, andere aus dem unteren Blatte 
entstehen. Nicht anders verhalten sich die Differenzen bezüglich der Entstehung anderer Organe. Da 
nun jeder dieser Beobachter versichert, dass seine Beobachtung die richtige und alle anderen falsch seien, 
so sieht sich der Phylogenist, der aus diesen ontogenetischen Thatsachen wenigstens die wichtigsten Grund- 
züge der Phylogenie sicher zu erkennen wünscht, ihnen gegenüber völlig rathlos. 

Was den Ursprung des Mesoderms betrifit, so ist dem oben (p. 469, 470) darüber Gesagten 
noch hinzuzufügen , dass auch die dritte, so eben angeführte Ansicht Anspruch auf Geltung hat. Gerade 
aus Gründen der vergleichenden Anatomie ist es nicht unwahrscheinlich, dass ursprünglich (phyle- 
tisch!) die Darmfaserplatte (oder das Darmmuskel-Blatt) aus dem Entoderm, die Hautplatte hin- 
gegen (oder das Hautmuskel-Blatt) aus dem Exoderm entstanden ist. Die Zusammenfassung der 
beiden, ursprünglich getrennten Muskelblätter im Mesoderm, wie sie in der Ontogenie der Wirbel- 


thiere gewöhnlich aufzutreten scheint, würde dann als ein secundärer Entwickelungs - Act aufzu- 


fassen sein. 


Achtes Kapitel. 


Die Kalkschwämme und die Descendenz-Theorie. 


Principien der Classification. 


Die Aufgabe, welche wir uns in dieser Monographie der Kalkschwämme als 
Hauptziel gesetzt hatten, die analytische Lösung des Problems von der Ent- 
stehung der Arten, ist im ersten und zweiten Bande derselben auf verschiedene 
Weise verfolgt worden. Im ersten Bande, und namentlich im zweiten Abschnitte 
desselben, in der Morphologie der Kalkschwämme, habe ich alle hier vorkommenden 
Form-Verhältnisse in ihrem allgemeinen Zusammenhange darzustellen und die voll- 
ständige „Einheit ihres Bauplans“ durch die gemeinsame Abstammung aller 
Calcispongien vom Olynthus zu erklären versucht. In dem zweiten Bande hin- 
gegen habe ich die Stammverwandtschaft aller Formen dieser Gruppe dadurch dar- 
zuthun gesucht, dass ich die Species der Kalkschwämme der genauesten anatomi- 
schen Analyse unterwarf, wobei ich mich gezwungen sah, abweichend von den bis- 
herigen Regeln der Systematik, zwei gänzlich verschiedene Systeme neben einander 
zu stellen, ein natürliches und ein künstliches System. 

Die Principien der Classification, denen ich hierbei gefolgt bin, ergeben 
sich für den denkenden Leser aus dem vergleichenden Studium der beiden Systeme 
von selbst. Das natürliche System (Bd. II, p. 11—380) ist „ausgeführt nach 
den phylogenetischen Principien der Descendenz-Theorie, bei mittlerer Ausdehnung 
des Species-Begriffes“ (vergl. oben p. 79). Dasselbe enthält 21 Genera mit 111 Spe- 
cies. Das künstliche System (Bd. II, p. 331—412) ist „ausgeführt nach den 
bisher in der Systematik der Spongien befolgten Prineipien, bei mittlerer Ausdeh- 
nung des Species-Begriffes“ (vergl. oben p. 82). Dasselbe enthält 39 Genera mit 
289 Species. 

Die logischen Prineipien, nach denen das künstliche System ausgeführt 
ist, sind gänzlich verschieden von den genealogischen Prineipien, auf denen 
das natürliche System ruht. Das erstere berücksichtigt vor Allem die Producte 
der Anpassung, das letztere die Constanz der Vererbung. Das künstliche Sy- 
stem giebt eine möglichst bestimmte Unterscheidung und übersichtliche Anordnung 


Prineipien der Classification. 475 


der verschiedenen.Formen auf Grund derjenigen Merkmale, welche bei der logischen, 
bloss auf den äusseren morphologischen Zusammenhang der Formen gerichteten Ver- 
gleichung als Species-Charactere imponiren. Das natürliche System hingegen strebt 
nach der tieferen Erkenntniss des inneren morphologischen Zusammenhangs der- 
selben, und sucht demgemäss sich dem Stammbaum der Arten zu nähern. Selbst- 
verständlich wird dieses Ziel bei den Spongien ebenso wie bei allen anderen Orga- 
nismen niemals vollständig erreicht werden, schon aus dem einfachen Grunde, weil 
die drei grossen Schöpfungsurkunden der natürlichen Schöpfungsgeschichte — Ver- 
gleichende Anatomie, Ontogenie und Paläontologie — uns immer nur in unvollstän- 
digen Bruchstücken zugänglich sind. Dennoch wird sich durch fortgesetzte phylo- 
genetische Versuche das natürliche System dem wahren Stammbaume immer mehr 
und mehr annähern. 

In wie weit diese Annäherung dem natürlichen System der Kalkschwämme ge- 
glückt ist, wird der denkende Leser am besten aus dem Studium des zweiten Ban- 
des ermessen, und namentlich aus der Würdigung der generischen und specifischen, 
der connexiven und transitorischen Varietäten. Die Annäherung an den wirklichen 
Stammbaum wurde hier mehr möglich, als bei anderen Organismen-Gruppen, weil 
sich die Verhältnisse der Vererbung und der Anpassung bei den Kalkschwäm- 
men ungewöhnlich klar übersehen lassen. Der Antheil, den jede dieser beiden form- 
bildenden Functionen an der Production der individuellen Form hat, lässt sich hier 
näher und sicherer bestimmen, als es sonst gewöhnlich der Fall ist.!). 


1) Die Aufstellung des künstlichen Systems neben dem natürlichen Systeme wird der Systematiker 
der Schule für eine unnütze Spielerei oder für einen paradoxen Einfall halten. Beide Auffassungen muss 
ich zurückweisen. Beide Systeme können neben einander bestehen und erfüllen verschiedene Aufgaben. 
Das natürliche System besitzt seine Bedeutung für die Phylogenie, weil es uns den genealogi- 
schen Zusammenhang der Species nachweist. Dasselbe vernachlässigt vollständig die mannichfaltigen Form- 
verhältnisse der Stockbildung, der Mundbildung, der Magenbildung, der äusseren Körperform ete., weil 
alle diese Verhältnisse nachweisbar der Anpassung in so hohem Maasse unterliegen, dass sie nicht ein- 
mal zur Characteristik natürlicher Species, geschweige denn höherer Abtheilungen (Genera, Familien) dienen 
können. Nur diejenigen anatomischen Verhältnisse sind für das natürliche System von Bedeutung, welche 
sich trotz mannichfacher Differenzirung dennoch relativ constant vererben, also nächst der streng 
erblichen, dreifach verschiedenen Struetur der Magenwand, lediglich die gröberen und feineren Form- 
Verhältnisse des Skelets und der dasselbe zusammensetzenden Spieula, 

Das künstliche System hat anderseits seine besondere Bedeutung für die vergleichende Ana- 
tomie. Für diese sind die mannichfaltigen Verhältnisse der Stockbildung und des Canal-Systems (nament- 
lich Mundbildung und Magenbildung) von besonderem Interesse, und sie verfolgt die Formwandlungen 
dieser wichtigsten Organe, zunächst unbekümmert darum, ob deren verschiedene Bildungen ganz variabel 
innerhalb einer und derselben Species, oder constant bei verschiedenen Arten vorkommen. Hingegen ist 
das morphologische Detail der Spieula, welches für die Phylogenie so massgebende Bedeutung besitzt, für 
die vergleichende Anatomie von ganz untergeordnetem Werthe. Der letzteren ist es ganz gleichgültig, ob 


das Skelet des Olynthus, des Soleniseus oder des Sycurus aus Dreistrahlern oder Vierstrahlern oder Stab- 


476 Achtes Kapitel. Die Kalkschwämme und die Descendenz-Theorie. 


Begriff und Descendenz der Species. 


Der Species-Begriff ist der centrale Angriffs-Punkt der Descendenz-Theorie und 
der eigentliche Kern aller Discussionen über „Entwickelung oder Schöpfung“. Diesen 
Begriff hier nochmals zu untersuchen, würde vollkommen überflüssig sein. Ich habe 


nadeln besteht, und wie diese Spieula speciell geformt sind. Wohl aber ist für sie die Vergleichung der 
Ölynthus-Form, der Soleniseus-Form und der Sycurus-Form von höchstem Interesse. Die Formen, welche 
wir im künstlichen System als Genera aufführen, wie z. B. Olynthus, Soleniscus, Nardorus, Lipostomella, 
Coenostomium, Aphroceras, Sycarium, Syeinula, Sycometra ete. sind ganz bestimmte morphologische Be- 
griffe, welche für die vergleichende Anatomie der Kalkschwämme ganz unentbehrlich erscheinen, theils 
weil sie als wesentlich verschiedene Formen uns imponiren, theils weil sie für die Vergleichung mit ent- 
sprechenden Acalephen-Formen sehr wichtig sind. Die Aufstellung dieser Formen als besonderer Gattungen 
durch die frühere Systematik (besonders durch ©. Schmipr) hatte daher ihr gutes Recht, und indem ich 
das künstliche System in diesem Sinne consequent logisch ausbaute,, verfuhr ieh nicht lediglich ‚mit 
köstlicher Ironie,‘‘“ wie O. Scuwmipr meint (Atlant. Spong. p. 2). Allerdings liegt in dieser logischen Durch- 
führung des künstlichen Systems eine starke Ironie, aber nicht desshalb, weil die natürlichen Species in 
der Zwangsjacke dieses künstlichen Systems sich höchst paradox ausnehmen, sondern desshalb, weil die 
systematischen Thatsachen, in dieser nackten Weise blossgelegt, die ganze bisherige Speeies-Dogmatik 
in ihrem völligen Contrast zu dem natürlichen Zusammenhang der Arten, und die „absolute Species‘‘ als 
ein künstliches Hirngespinnst nachweisen. Nicht meine Person, sondern die Natur ist es, welche bei 
Jedem tieferen Eingehen auf das Wesen der Species die herrschende Lehre der Schule von ihrer Con- 
stanz und selbstständigen Schöpfung nur mit Ironie behandeln kann. Ich selbst habe in den ersten 
Jahren meiner Caleispongien-Studien die Genera des bestehenden Systems, wie sie namentlich durch 
0. ScHMIDT schärfer präeisirt waren, Dbona fide acceptirt und meine Species danach zu ordnen gesucht. 
Erst ganz langsam und allmählich entwickelte sich die Erkenntniss, wie unnatürlich in Wahrheit diese 
Genera und Species sind, und wie die grösseren und kleineren Formen-Büschel in dem Stammbaume des 
natürlichen Systems eine gänzlich verschiedene Gestalt besitzen. Aber selbst als ich 1869 die vorläufigen 
Resultate meiner systematischen Studien in dem „‚Prodromus eines Systems der Kalkschwämme‘‘ veröffent- 
lichte, war ich noch nicht zu derjenigen Erkenntniss ihres natürlichen Systems gelangt, welche ich erst 
durch die massenhafte Vergleichung vieler hundert Individuen von einzelnen Arten an den norwegischen 
und dalmatischen Küsten gewann und deren Ergebniss ich 1871 in dem Aufsatze „über das natürliche 
System der Schwämme‘‘ mittheilte. 

Jetzt natürlich kann ich die Genera und Species des künstlichen Systems nur mala fide aufführen. 
Ich muss sie aber aufführen und beibehalten, weil sie für den Gebrauch des Systems und für die Begriffe 
der vergleichenden Anatomie unentbehrlich sind, und also neben den wahren (d. h. phylogenetisch geord- 
neten) Genera und Speeies des natürlichen Systems ihre gute praktische Berechtigung haben. 

Wie man in der praktischen Systematik der Kalkschwämme mit den beiderlei Benennungen des na- 
türlichen und des künstlichen Systems verfahren will, ist mir gleichgültig. Am vortheilhaftesten wird 
sich für die praktische Unterscheidung der einzelnen Formen eine ternäre Nomenelatur herausstellen. 
Statt also zu sagen: „die Olynthus-Form von Ascetta primordialis‘“‘ wird man einfach Ascetta (Olynthus) 
primordialis oder auch umgekehrt Olynthus (Ascetta) primordialis sagen. Der vergleichende Anatom, dem 
der Ascetta-Begrifl gleichgültig ist, wird dieselbe Art Olynthus primordialis nennen; der Phylogenist hin- 
gegen, für den die Olynthus-Form nur untergeordnete Bedeutung hat, wird dieselbe Species Ascetta prüm- 


ordialis nennen, 


Pe 


Begriff und Descendenz der Species. 477 


meine Ansichten über denselben in der Kritik des morphologischen , physiologischen 
und genealogischen Species-Begrifies in meiner generellen Morphologie (Bd. II, p. 323 
— 364) so ausführlich erörtert, dass ich hier nur das dort Gesagte wiederholen 
müsste. Alle bisherigen Versuche, dem Species-Begriff einen festen Umfang und In- 
halt zu geben, sind gescheitert, und haben eben durch dieses negative Resultat zu 
der Ueberzeugung geführt, dass der gesuchte positive Begriff nicht zu definiren ist. 
Auch die von mir (l. ce.) versuchte genealogische Begritisbestimmung ist ebenso un- 
genügend und unhaltbar als alle anderen. Dies liegt in der Natur des Gegenstandes. 
Die Species ist ebenso eine willkührliche, durch die subjective Anschauung des Autors 
bedingte Abstraction, ebenso eine Kategorie von nur relativer Bedeutung, wie 
die Begriffe der Varietät, des Genus, der Familie ete. Alle diese Kategorien haben 
ihren Werth nur in den gegenseitigen Beziehungen zu einander und verdanken ihren 
Ursprung dem subjectiven Gesetze der Specification (l. c. p. 331). 

Man braucht übrigens bloss einen Blick auf die Praxis der zoologischen und bo- 
tanischen Systematik zu werfen, um sich zu überzeugen, dass deren praktische 
Species-Unterscheidung mit allen jenen theoretischen Begriffsbestim- 
mungen der Species nicht das mindeste zu thun hat. Vielmehr herrscht 
überall bei jener Unterscheidung die grösste subjective Willkühr und daher auch 
zwischen den verschiedenen Systematikern ein endloser Streit. Niemals sind noch 
zwei Systematiker, welche eine und dieselbe Formengruppe gründlich bearbeitet ha- 
ben, über die Zahl und Abgrenzung der darin vereinigten Species zu völliger Ueber- 
einstimmung gelangt. 

Bei den Kalkschwämmen unterliegt nun aber die praktische Species-Unterschei- 
dung aus den angeführten Gründen noch viel grösseren Schwierigkeiten, als bei den 
meisten anderen Thiergruppen. _ Je nachdem hier der Systematiker den Species-Be- 
griff enger oder weiter fasst, je nachdem er die Classifications-Prineipien des künst- 
lichen oder des natürlichen Systems höher schätzt, kann er die Zahl der 21 Genera 
und 111 Species des natürlichen Systems, welche in der ersten Abtheilung des zweiten 
Bandes beschrieben sind, ganz erheblich vermehren oder vermindern. Das natür- 
liche System könnte z.B. folgenden sechs Auffassungen unterliegen: A. 1 Genus 
mit 1 Species; B. 1 Genus mit 3 Species; ©. 3 Genera mit 21 Species; D. 21 Ge- 
nera mit 111 Species; E. 43 Genera mit 181 Species; F. 45 Genera mit 289 Species. 
Anderseits könnte das künstliche System folgende sechs Anordnungen erfahren: 
G. 1 Genus mit 7 Species; H. 2 Genera mit 19 Species; I. 7 Genera mit 39 Spe- 
cies; K. 19 Genera mit 181 Species; L. 39 Genera mit 289 Species; M. 115 Genera 
mit 591 Species. Jedes dieser zwölf Systeme könnte für sich Gründe geltend ma- 
chen, wie sie jeder Systematiker zu Gunsten seiner subjectiven Auffassung hervor- 
hebt. Keines derselben aber könnte als das absolut wahre System jemals nachge- 
wiesen werden. Dieses Verhältniss zeigt am klarsten, dass eine absolute Species über- 


478 Achtes Kapitel. Die Kalkschwämme und die Descendenz-Theorie. 


haupt nicht existirt, und dass Species und Varietät nicht scharf zu trennen sind.!) 


1) Die zwölf hier beispielsweise angeführten Systeme (bei welchen überdies die äussere Körperform 
noch gar nicht berücksichtigt ist!) würden folgendermassen näher zu bestimmen sein: 

A, 1. Natürliches System in weitester Fassung des Species-Begriffes (im ersten Grade): Ein einziges 
Genus mit einer Species: Calcispongia Grantia. 

B, II. Natürliches System mit sehr weiter Ausdehnung des Speeies-Begriffes (im zweiten Grade): 
Ein einziges Genus mit 3 Species: 1) Oaleispongia ascon, 2) C. leucon, 3) ©. sycon. 

C, III. Natürliches System mit weniger weiter Ausdehnung des Species-Begriffes (im dritten Grade): 
Drei Genera (Ascon, Leucon, Sycon) mit 21 Arten. Hier gelten als Species die 21 Formengruppen, welche 
das nächste System als Genera auffasst (Ascetta, Leucetta, Sycetta ete.). 

D, IV. Natürliches System bei mittlerer Ausdehnung des Species-Begriffes (im vierten Grade), aus- 
geführt in der ersten Abtheilung des zweiten Bandes (p- 11—380): Drei Familien (Ascones , Leucones, 
Sycones) mit 21 Genera und 111 Species. 

E, V. Natürliches System bei engerer Ausdehnung des Speeies-Begriffes (im fünften Grade): Drei 
Familien mit 43 Genera und 181 Species. Dieses System ergiebt sich, wenn man die im natürlichen Sy- 
stem des zweiten Bandes aufgeführten Subgenera als „Gute Genera“ und die ebendaselbst aufgeführten 
„Speeifischen Varietäten“ oder beginnenden Arten als „Gute Speeies‘“‘ gelten lässt. Ihre Charactere sind 
dafür hinreichend scharf gefasst und relativ beständig. 

F, VI. Natürliches System bei sehr enger Ausdehnung des Speeies-Begriffes (im sechsten Grade): 
3 Ordnungen mit 21 Familien, 43 Genera und 289 Species. Dieses System entsteht durch weiter gehende 
analytische Speeifieirung des fünften Systems, indem man die generischen Varietäten des letzteren zum 
Werthe selbstständiger Species erhebt. x 

G, VI. Künstliches System bei weitester Fassung des Speeies-Begriffes (im ersten Grade): Alle 
Kalkschwämme bilden ein einziges Genus: @Grantia (FLEMING, 1828) oder Leucalia (GRANT, 1829) oder 
Caleispongia (BLAINVILLE, 1834). Als sieben Arten könnte man hier zunächst folgende Species unter- 
scheiden, 1) Calcispongia dorograntia, 2) C. eystograntia, 3) C. cormograntia, 4) C. coenograntia, 5) C. tarro- 
grantia, 6) ©. cophograntia, 7) C. metrograntia (vergl. oben p. 85). 

H, VIII. Künstliches System bei sehr weiter Ausdehnung des Species-Begriffes (im zweiten Grade): 
2 Genera mit 19 Speeies, nämlich: 1. Monograntia mit 6 solitären Species: 1) M. olynthus, 2) M. dis- 
syeus, 3) M. sycurus, 4) M. clistolynthus, 5) M. lipostomella, 6) M. syceoeystis. II. Polygrantia mit 
13 socialen Species: 1) P. soleniscus, 2) P. amphorisceus, 3) P. sycothamnus, 4) P. nardorus, 5) P. coeno- 
stomus, 6) P. tarrus, 7) P. artynas, 8) P. auloplegma, 9) P. aphroceras, 10) P. sycophyllum, 11) P. asco- 
metra, 12 P. leucometra, 13) P. sycometra. 

I, IX. Künstliches System bei weniger weiter Ausdehnung des Species-Begriffes (im dritten Grade): 
7 Genera mit 39 Species. Die Gattungen würden sein: 1) Dorograntia, 2) Cystograntia, 3) Cormograntia, 
4) Coenograntia, 5) Tarrograntia, 6) Cophograntia, 7) Metrograntia. Die 39 Species würden durch die 
39 Formen repräsentirt werden, welche im künstlichen System des II. Bandes als Genera aufgeführt sind. 
So würde also z.B. das II. Genus, Cystograntia, 3 Arten enthalten: 1) C. elistolynthus; 2) C. liposto- 
mella und 3) C. sycoeystis (vergl. oben p. 84 und 85). 

K,X. Künstliches System bei noch engerer Ausdehnung des Speeies-Begriffes (im vierten Grade): 
7 Familien mit 19 Genera und 181 Species. Die 7 Genera des neunten Systems sind hier zum Range 
von Familien, die 19 Species des achten Systems zum Range von Genera erhoben; und die 181 Species 
sind dieselben, welche im fünften Systeme auf 43 wesentlich verschiedene Genera vertheilt sind. 

L, XI. Künstliches System bei mittlerer Ausdehnung des Species -Begriffes (im fünften Grade): 


7 Ordnungen mit 19 Familien, 39 Genera und 289 Species. Dieses System ist in der zweiten Abtheilung 


m 


Generische und specifische, connexive und transitorische Varietäten. 479 


Generische und specifische, connexive und transitorische Varietäten. 


Die verschiedenen Formen, welche ich im Systeme der Kalkschwämme als gene- 
rische und speeifische, connexive und transitorische Varietäten aufgeführt habe, sind 
von der grössten Bedeutung für die Descendenz-Theorie und für den Zweck dieser 
Monographie, den Ursprung der Species an dem Beispiele einer einzelnen Gruppe 
analytisch nachzuweisen. Der denkende und unbefangene Systematiker, welcher der 
analytischen, von mir im zweiten Bande befolgten Olassifications-Methode aufmerksam 
gefolgt ist, wird die ausserordentliche phylogenetische Bedeutung dieser vierfach 
verschiedenen Varietäten ohne weitere Erörterung begreifen. Da ich ausserdem 
schon in den vorhergehenden Abschnitten mehrfach davon gesprochen habe, wird es 
hier genügen, kurz das Wichtigste zusammen zu fassen. 

1) Die generischen Varietäten des natürlichen Systems sind die Genera 
des künstlichen Systems. Innerhalb einer und derselben natürlichen Art können 
durch mannichfaltige Stockbildung und Mundbildung sich vielfach verschiedene For- 
men entwickeln, welche das künstliche System (ohne die Kenntniss ihres engen ge- 
nealogischen Zusammenhanges) unbedingt als Repräsentanten nicht allein verschie- 
dener Species, sondern sogar verschiedener Genera respectiren muss. So z. B. ent- 
hält die äusserst: formenreiche Ascandra variabilis (Taf. 18) Formen, welche das 
künstliche System auf elf verschiedene Genera vertheilen würde (System, p. 107); 
Leucetia primigenia (Tai. 21) repräsentirt sieben verschiedene Genera des künst- 
lichen Systems (System, p. 118); Sycandra compressa (Taf. 57) liefert dem künst- 
lichen System nicht weniger als neun verschiedene Genera (System, p. 361). 

2) Die specifischen Varietäten des natürlichen Systems sind begin- 
nende Species des natürlichen Systems im Sinne der Descendenz-Theorie. 
Bei weiterer Ausbildung und bei zunehmender Constanz der Merkmale, durch welche 
die specifischen Varietäten einer natürlichen Species sich unterscheiden, würden sich 
dieselben zum Range von ..bonae species‘“ erheben. Ein analytisches System, das 
den Species-Begriff sehr eng fasst, könnte sie schon jetzt als solche anerkennen. So 
würde z. B. Ascandra variabilis in 4 natürliche Species zerfallen (A. cervicornis, 
A. confervicola, A. arachnoides, A. hispidissima); Leucella primigenia würde 3 gute 
Species bilden (L. isoraphis, L. microraphis, L. megaraphis); Sycandra compressa 
würde sogar in 6 natürliche Arten sich auflösen (8. foliacea, S. pennigera, S. clavi- 
des zweiten Bandes (p. 3831— 412) nach den bisher in der Systematik der Spongien befolgten Principien 
ausgeführt. 

M, XII. Künstliches System bei sehr enger Ausdehnung des Species-Begriffes (im sechsten Grade): 
7 Ordnungen mit 19 Familien, 113 Genera und 591 Species. Als Genera sind hier diejenigen Formen- 
gruppen betrachtet, welche im elften System (in der zweiten Abtheilung des «zweiten Bandes) nur den 
Werth von Subgenera haben: Olymthettus, Dyssycettus, Sycurettus ete. Als Species aber sind hier diejenigen 


Formen aufgeführt, welche im elften Systeme nur als Subspeeies figuriren. 


480 Achtes Kapitel. Die Kalkschwämme und die Descendenz-Theorie. 


gera, S. rhopalodes, S. lobata, S. polymorpha). Mehrere von diesen specifischen Va- 
rietäten sind factisch bereits als Arten beschrieben worden. 

3) Die connexiven Varietäten des natürlichen Systems sind unmittel- 
bare Uebergangsformen zwischen den Genera des natürlichen Sy- 
stems. Durch ganz geringfügige Abänderungen in der Zusammensetzung des Skelets 
wird der Grund zu einer neuen natürlichen Gattung gelegt. Indem z. B. einzelne 
Dreistrahler des bloss aus Dreistrahlern zusammengesetzten Skelets von Ascetta 
(Leucetta oder Sycetta) einen vierten Strahl entwickeln, geht jene Gattung in Ascaltis 
(bezüglich Leucaltis oder Sycaltis) über. So liefert z. B. Ascandra variabilis Ueber- 
gangsformen zu 4 natürlichen Gattungen (Ascaltis, Ascortis, Asculmis, Ascyssa); 
Leucetta primigenia bildet connexive Formen zu 3 Genera des natürlichen Systems 
(Leucaltis, Leucortis, Leucandra); Sycandra compressa geht über in Sycortis. 

4) Die transitorischen Varietäten des natürlichen Systems sind un- 
mittelbare Uebergangsformen zwischen den Species des natürlichen 
Systems. Es sind die von den Gegnern der Descendenz-Theorie perhorrescirten 
„Uebergänge von einer guten Art zur anderen“. Solche Zwischenformen, deren Exi- 
stenz von den Species-Dogmatikern überhaupt geleugnet wird, kommen bei den 
Kalkschwämmen massenhaft vor. Nur die wichtigsten sind im natürlichen, Systeme 
des zweiten Bandes angeführt, so z. B. Uebergänge von Ascandra variabilis zu 
A. pinus, A. Lieberkühnii und A. complicata; transitorische Zwischenformen zwischen 
Leucetta primigenia und L. pandora, L. sagittata, unmittelbare Uebergänge von 
Sycandra compressa zu S. utriculus und S. lingua. 


Polymorphose und Polymorphismus. 


Eine der merkwürdigsten Eigenthümlichkeiten der Kalkschwämme, durch die sie 
sich höchst auffallend vor den meisten übrigen Organismen auszeichnen, ist die 
ausserordentliche Unbeständigkeit der äusseren Körperform. Gerade 
dadurch wird ihr Studium für das Species-Problem so ungemein lehrreich. Wie 
gross, wie entscheidend die Bedeutung der äusseren Körperform für die Unterschei- 
dung der Species fast in allen Thierclassen ist, weiss jeder Systematiker. Die grosse 
Mehrzahl aller Arten wird lediglich nach mehr oder minder unbedeutenden Diffe- 
renzen im Detail der äusseren Gestalt-Verhältnisse unterschieden. Im schrofisten 
Gegensatze zu dieser Thatsache ist die äussere Körperform bei den Spongien, vor 
Allen aber bei den Kalkschwämmen, so variabel, dass sie überhaupt gar nicht, weder 
im natürlichen, noch im künstlichen Systeme, zur Species-Characteristik benutzt 
werden kann. Was ich in dieser Beziehung bei den Kalkschwämmen gefunden und 
im zweiten Bande dieser Monographie speciell beschrieben habe, übertrifft alle bis- 
herigen Vorstellungen, und geht noch viel weiter als die wunderbare Variabilität 
der äusseren Form bei den Faserschwämmen, die alle neueren Spongiologen, beson- 
ders Oscar SCHMIDT, als ganz ungewöhnlich hervorgehoben haben. Ein Systema- 


Polymorphose und Polymorphismus. 481 


tiker z. B., der bei Ascandra variabilis (Taf. 18), Leucetta primigenia (Taf. 21), 
Sycandra compressa (Taf. 57) die äussere Körperform allein als Species-Character 
verwerthen wollte, würde bei jeder dieser drei höchst variablen Species unter den 
Individuen eines einzigen Fundortes nach Belieben zehn, zwanzig oder mehr als hun- 
dert Species unterscheiden können. 

Noch merkwürdiger aber erscheint es vielleicht, dass diese grenzenlose Unbe- 
ständigkeit auch die wichtigsten Organe, Magenhöhle und Mundöffnung, betrifft. In 
sehr vielen natürlichen Species findet man neben einander Individuen mit Mund- 
öffnung und ohne Mundöffnung. Auch unter den Faserschwämmen scheint der Mund- 
verlust und sogar der Magenverlust sehr häufig zu sein. Diese auffallende Erschei- 
nung ist wohl daraus zu erklären, dass bei den Spongien (ähnlich wie bei den 
parasitischen Würmern, Crustaceen etc.) die Mundöffnung nicht die physiologische 
Bedeutung mehr besitzt, wie bei den höheren Thieren. Sie wird rudimentär und 
geht endlich verloren (Cestoden, Rhizocephalen, lipogastrische Spongien). Ebenso ist 
auch die vierfach verschiedene Beschaffenheit der Mundöffnung bei den Kalk- 
schwämmen höchst variabel. 

Ich habe diese merkwürdige Vielgestaltigkeit der Caleispongien-Species im Sy- 
steme des zweiten Bandes speciell beschrieben und im Atlas des dritten Bandes 
durch zahlreiche Abbildungen erläutert (vergl. z. B. die Abbildungen von J4scetta 
primordialis, Taf. 2, Leucandra aspera, Taf. 35, Sycandra compressa, Taf. 53). 
In der Erklärung zu den Tafeln des Atlas ist dieselbe als Polymorphosis be- 
zeichnet, im Gegensatze zu dem bekannten Polymorphismus der Siphonophoren 
und vieler höheren Thiere. Der letztere ist bekanntlich ein Product der physiologi- 
schen Arbeitstheilung. Die Polymorphose hingegen ist ein Polymorphismus 
ohne Arbeitstheilung. Ihre Ursache ist lediglich in Anpassungen an äussere 
Existenz-Bedingungen von ganz untergeordneter Bedeutung zu suchen. 

Die merkwürdigste Form der Polymorphose bei den Kalkschwämmen ist die 
Vereinigung polymorphotischer Personen auf einem Stocke, welche 
ich Metrocormie genannt habe. Im künstlichen Systeme bilden diese metro- 
cormotischen Kalkschwämme die Ordnung der Metrograntiae (Ascometra, 
Leucometra, Sycomelra). Formen, welche das künstliche System als Repräsentanten 
verschiedener Genera und Species betrachtet, wachsen hier vereinigt auf einem 
Stocke. Mit dem Species-Dogma ist diese, im zweiten Bande näher beschriebene 
Thatsache völlig unvereinbar. 


Ursachen der Formbildung. 


Neben dem ungewöhnlichen Interesse, welches die Biologie der Kalkschwämme 
für die Descendenz-Theorie und für die kritische Auffassung der organischen Spe- 
vies besitzt, ist dieselbe auch desshalb von ausserordentlicher allgemeiner Bedeu- 


482 Achtes Kapitel. Die Kalkschwämme und die Descendenz-Theorie. 


tung, weil sich in dieser kleinen und einfach gebauten Thiergruppe die wahren 
Ursachen der biologischen Erscheinungen, und namentlich die Ursachen 
der Formbildung, ungemein klar übersehen und sicher erkennen lassen. Diese 
Ursachen ergeben sich überall als rein mechanische, unbewusste Ursachen 
(causae efficientes); hingegen suchen wir völlig vergeblich nach irgend welchen 
zweckthätigen, bewussten Ursachen (causae finales). 

Wenn wir in dieser Beziehung nochmals kurz die wesentlichsten Puncte zusam- 
menfassen, welche im ersten Bande allgemein erörtert und im zweiten Bande mit 
vielen tausend speciellen Beobachtungen belegt sind, so ergiebt sich etwa folgende 
Schluss-Betrachtung: 

1) Die äussere Gesammtform der Kalkschwämme, sowohl der so- 
cialen Stöcke, als der einzelnen Personen, ist Product des Wachs- 
thums, welches zum überwiegend grössten Theile der Anpassung an die äus- 
seren Existenz-Bedingungen des Wohnortes und der Umgebung unterliegt; 
nur zum kleinsten Theile wird der Modus des Wachsthums innerhalb der Species 
vererbt. Dasselbe gilt von der vierfach verschiedenen Mundbildung der Personen. 

2) Die dreifach verschiedene Structur der Magenwand, durch welche die 
drei natürlichen Familien unterschieden werden, ist theils Product der Vererbung, 
theils der Anpassung. Die ursprüngliche Structur der Magenwand, wie sie sich 
bei den Asconen findet, ist geerbt vom Ofyntkus, der Stammform aller Kalk- 
schwämme; der Olynthus aber hat dieselbe von der Arckispongia, die letztere 
vom Protascus und dieser von der Gusiraea geerbt. Die Structur der Magenwand 
bei den Leuconen ist durch Wachsthum des Exoderm und Stabilirung und Ra- 
mification der inconstanten Poren, die Structur der Magenwand bei den Syconen 
durch strobiloide Knospung aus derjenigen des Olynthus entstanden. 

3) Die mannichfaltigen übrigen Verhältnisse des Gastrocanal-Systems sind 
lediglich Producte specieller Anpassungen, wobei vor Allen die Wasserströmung 
bildend einwirkt; diese ist aber wiederum abhängig von der Geisselbewegung der 
Entoderm-Zellen. 

4) Die höchst merkwürdigen Verhältnisse des Intercanal-Systems sind 
lediglich durch Concrescenz bewirkt. Durch diesen rein mechanischen Wachs- 
thums-Prozess entstehen sehr complicirte und characteristische Stockformen und 
Personen-Formen, bei welchen eingeschlossene Raumtheile des Meeres zu 
constituirenden Organen des Organismus werden. 

5) Die höchst characteristische primäre Form der Kalknadeln oder Spi- 
cula ist rein mechanisches Product aus zwei zusammenwirkenden Factoren; aus 
der Krystallisations-Fähigkeit des Kalkspaths und aus der Secre- 
tions-Thätigkeit der Sarcodine. Bei der Production der secundären Na- 
del-Formen ist ausserdem noch der bildende Wasserstrom und die Anpassung an 
andere, mehr untergeordnete äussere Existenz-Bedingungen wirksam. 


Ursachen der Formbildung. 483 


6) Die geordnete, oft sehr regelmässige und zierliche, scheinbar künstliche Zu- 
sammensetzung des Skelet-Systems ist zum grössten Theile unmittelbares 
Product der Wasserströmung; die characteristische Lagerung der Spicula 
ist von der constanten Richtung des Wasserstroms hervorgebracht; zum kleinsten 
Theile ist sie die Folge von Anpassungen an untergeordnete äussere Existenz-Be- 
dingungen. 

7) Alle übrigen Form-Verhältnisse, welche ausserdem noch hier in 
Betracht kommen könnten, lassen sich auf die bildende Thätigkeit der Zellen zu- 
rückführen, welche die beiden constituirenden Blätter des Spongien-Körpers, das 
Entoderm und Exoderm, zusammensetzen; diese aber sind geerbt von dem 
Protascus und weiterhin von der Gastraea. Vorzugsweise wirksam sind dabei 
dieBewegungs-Erscheinungen dieser Zellen, und zwar einerseits die amoe- 
boide Bewegung, anderseits die Geissel-Bewegung, welche auf letztere 
zurückzuführen ist. 

8) Die speciellen Eigenschaften dieser Zellen bei den Kalkschwämmen beruhen 
auf der chemischen Zusammensetzung ihres Körpers, einerseits des Proto- 
plasma, anderseits des Nucleus (vergl. die Plastiden-Theorie in meinen biolo- 
gischen Studien, 1870, p. 79). Von diesen beiden constituirenden Bestandtheilen 
der Zelle ist das Protoplasma vorzugsweise als das Biorgan der Anpassung, 
der Nucleus hingegen als das Biorgan der Vererbung zu betrachten. 

9) Die (chemischen) Eigenschaften der beiden Eiweissverbindungen, welche das 
Protoplasma und den Nucleus constituiren, sind zurückzuführen auf die 
eigenthümlichen Verwandtschafts-Beziehungen des Kohlenstoffs 
(vergl. die Kohlenstoff-Theorie in meinen biologischen Studien, 1370, p. 131). 
Ursprünglich sind diese in einfachster Weise bei der Constitution des Plasson thätig 
gewesen, welches den ganzen Körper des einfachsten Moneres bildete. Aus diesem 
entstand erst durch Anpassung (Differenzirung des Plasson in Nucleus und Pro- 
toplasma) die erste Zelle, eine Amoebe. Diese wird recapitulirt nach dem biogene- 
tischen Grundgesetze durch die Eizelle. Die specifischen Eigenschaften, welche die 
Eizelle der Kalkschwämme besitzt, hat diese aber bereits durch Vererbung von 
dem ältesten Olynthus erhalten. 


Die Kalkschwämme und der Monismus, 


Die allgemeinsten Resultate, welche sich aus der vorliegenden Monographie der 
Caleispongien ergeben, sind rein philosophischer Natur und lassen sich in dem 
Satze zusammenfassen: die Biogenie der Kalkschwämme ist ein zusam- 
menhängender Beweis für die Wahrheit des Monismus. Während ich 
in meiner generellen Morphologie auf synthetischem Wege den Nachweis zu 
führen versucht hatte, dass alle Erscheinuugen der organischen Formen-Welt nur 


484 Achtes Kapitel. Die Kalkschwämme und die Descendenz-Theorie. 


von der monistischen Philosophie sich erklären und begreifen lassen, so wird dieser 
Nachweis von der Morphologie der Kalkschwämme auf analytischem Wege ge- 
liefert. Die grossen Gegensätze der philosophischen Weltanschauungen, welche 
zwischen dem Monismus oder der mechanischen Naturauffassung und dem 
Dualismus oder der teleologischen Naturauffassung bei jedem consequenten 
Denken sich offenbaren, können an der Biologie der Kalkschwämme im Einzelnen 
geprüft werden, und jede Prüfung fällt zu Gunsten der ersteren, zum Nachtheil der 
letzteren aus. 

Alle Erscheinungen, welche in der Morphologie der Kalkschwämme zu Tage 
treten, lassen sich durch die Wechselwirkung von zwei physiologischen Functionen, 
der Vererbung und Anpassung vollständig erklären, und wir brauchen keine 
anderen Ursachen, um ihre Entstehung zu begreifen. Alle Ursachen, die überhaupt 
in der Morphologie und Physiologie der Kalkschwämme wirksam sich offenbaren, 
sind unbewusste mechanische Ursachen (eausae efficientes) ; nirgends be- 
gegnen wir bewussten zweckthätigen Ursachen (causae finales). Ueberall 
können wir das Walten unabänderlicher Naturgesetze, nirgends das Schalten eines 
vorbedachten Schöpfungs-Planes wahrnehmen. 

Es. könnte scheinen, als ob in der Formbildung der Kalkschwämme Alles 
vom Zufall abhinge. Zufall giebt es aber in der Natur ebenso wenig, als Zweck, 
ebenso wenig als Freiheit. Alle Vorgänge spielen sich mit absoluter Nothwen- 
digkeit ab, als das verwickelte Resultat aus dem Zusammentreffen zahlreicher Ur- 
sachen, von denen jede einzelne rein mechanischer Natur, selbst wieder durch wei- 
ter zurück liegende causae efficientes bedingt ist. Was wir Zufall nennen, ist 
lediglich das für uns unerwartete Zusammentreffen von Erscheinungen, von denen 
jede einzelne zuletzt durch eine Kette von wirkenden Ursachen mit absoluter Noth- 
wendigkeit herbeigeführt ist. 

Da alle Erscheinungen, welche uns die Biologie der Kalkschwämme darbietet, 
sich vollständig durch die Entwickelungs-Theorie begreifen lassen, so ist selbst- 
verständlich jede Annahme einer Schöpfung auf diesem Gebiete völlig ausge- 
schlossen. Da nun aber der Leib des Kalkschwammes in dem Entwickelungs-Sta- 
dium der Gastrula bereits aus denselben beiden Keimblättern besteht, welche den 
Leib des Menschen und aller höheren 'Thiere in früher Zeit der embryonalen Ent- 
wickelung zusammensetzen, so ergiebt sich für den consequenten Denker mit Noth- 
wendigkeit die Annahme derselben mechanischen Entwickelung auch für den Men- 
schen. Dieser Hinweis erläutert auf das klarste die hohe Bedeutung der Kalk- 
schwämme für die monistische Philosophie. ‘ 


Druck von Friedrieh Frommann in Jena. 


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