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Full text of "Die krankhaften Geschwülste : dreissig Vorlesungen, gehalten während des Wintersemesters 1862-1863 an der Universität zu Berlin"

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Die 


KRANKHAFTEN  GESCHWÜLSTE. 


Dreissig  Vorlesungen, 


gehalten 


wikreod  des  Winlersemesters  i862 — i863  an  der  l'Diversilil  ly  Berlin 


▼on 


RUDOLF  VntCHOW, 


ad.  oft  Profestor  der  pathologischen  Anatomie,  der  allgemeinen  Pathologie  und  Therapie,  Direotor 
des  pathologischen  Institutes,  dirigirendem  Ante  an  der  Charit^  and  Mitgüede  der  wissen- 
schaftlichen Deputation  für  das  Medicinalwesen. 


Erster  Band. 


Mit  107  Flolzschnitten  and  einem  Titelkupfer. 


Berlin,  1863. 

Verlag  von  August  Hirschwald. 


Unter  den  Linden  No.  6S. 


Vorwort. 


Als  das  letzte  Wintersemester  beginnen  sollte,  waren  die  Aussichtenf 
für  mich,  irgend  eine  grössere  wissenschaftliche  Arbeit  bis  zur  Ver- 
öffentlichung durchführen  zu  können,  sehr  gering.  Das  politische  Amt, 
welches  mir  durch  das  Vertrauen  der  Wähler  fibertragen  war,  erfor- 
derte mindestens  eine  solche  Hingabe,  dass  ich  nicht  daran  denken 
durfte,  neben  der  Erfüllung  meiner  gewöhnlichen  anglichen  Verpflich- 
tungen noch  eine  neue  literarische  Aufgabe,  welche  besondere  Vor- 
bereitungen und  Mussestunden  erforderte,  übernehmen  zu  können. 
Cnter  diesen  Umständen  reifte  der  Entschluss,  in  ähnlicher  Weise, 
wie  es  früher  bei  der  Cellularpathologie  geschehen  war,  eine  Reihe 
Ton  Vorlesungen  nach  stenographischer  Aufzeichnung  zu  publiciren. 

Ich  wählte  dazu  ein  öffentliches  Colleg  über  Geschwülste,  welches 
ich  schon  wiederholt  gelesen  und  für  welches  ich  zahlreiche  Präparate 
seit  Jahren  gesammelt  hatte.  Bei  dieser  Wahl  leitete  mich  insbeson- 
dere die  Erwägung,  dass  einerseits  unsere  Literatur  eingehender  Dar- 
stellungen über  die  auf  dem  Felde  der  Onkologie  vorliegenden  Erfah- 
nmgen  in  wirklich  empfindlicher  Weise  entbehrt  und  auch  die  fremde 
Literatur  diese  Lücke  nicht  ganz  zu  decken  vermag,  dass  aber  ande- 
rerseits die  Richtung  meiner  Untersuchungen  seit  fast  zwei  Jahrzehn- 
ttt  und  ein  grosses  Material  mich  in  die  Lage  versetzt  haben,  alle 
Haoptformen  der  Geschwülste  durch  eigene  Untersuchung  und  Beob- 
achtung genauer  kennen  zu  lernen,  und  über  die  fremden  Erfahrungen 
ein  unabhängigeres  Urtheil  zu  gewinnen. 

Es  gelang  mir,  die  Aufgabe,  welche  ich  mir  zunächst  gestellt 
hatte,  in  dreissig,  während  der  Monate  November  bis  März  gehaltenen 
Vorlesungen  zu  lösen.  Das  den  einzelnen  Vorlesungen  vorgesetzte 
Datum  wird  denen,  welche  sich  dafür  interessiren ,  zeigen,  dass  ich 
auch  an  solchen  Tagen,  an  welchen  wichtige  Verhandlungen  des  Hau- 
ses der  Abgeordneten  stattfanden,  meiner  Pflicht  als  Lehrer  nachge- 
kommen bin.  Zur  Beruhigung  meiner  Freunde  kann  ich  hinzusetzen, 
dass  die  stille  und  so  oft  unbemerkte   Arbeit   des   Gelehrten   einen 


VI  Vorwort. 

grösseren  Aufwand  an  Kraft  und  Anstrengung  erfordert,  als  die  ihrer 
Natur  nach  geräuschvollere  und  daher  meist  dankbarere  Thätigkeit 
des  Politikers,  welche  mir  wenigstens  häufig  wie  eine  Erholung  er- 
schienen ist. 

Bei  der  Redaction  der  stenographischen  Aufzeichnungen  habe  ich 
von  vornherein  die  form  der  Rede,  welche  ich  in  der  ersten  Ausgabe 
der  Cellularpathologic  beibehalten  hatte,  gemildert  und  dafür  durch 
sofortige  Aufnahme  der  wichtigsten  Citate,  sowie  durch  den  Hinweis 
auf  die  einschlagenden  Präparate  der  Sammlung  des  pathologischen 
Instituts  der  Darstellung  einen  strengeren  Charakter  gegeben.  Es 
schien  mir  das  nothwondig  zu  sein,  weil  der  dogmatische  Habitus, 
welcher  dem  Uni versitäts- Vortrage  mehr  oder  weniger  anhaftet,  gerade 
in  einem  Gebiete,  welches  so  sehr  über  die  Erfahrung  des  Einzelnen 
hinausgreift,  gan^  und  gar  verwerflich  ist. 

Durch  diese  Bearbeitung  hat  der  ursprüngliche  Text,  namentlich 
in  einzelnen  Vorlesungen  (z.  B.  der  13ten,  loten  und  lOten)  zahl- 
reiche Aenderungen  und  besonders  Erweiterungen  erfahren.  Dies  war 
schon  deshalb  nothwendig,  weil  weder  alle  Präparate,  welche  in  den 
Vorlesungen  vorgezeigt  wurden,  in  bildlicher  Darstellung  wiedergege- 
ben, noch  alle  Zeichnungen,  durch  welche  der  Vortrag  erläutert  wurde, 
im  Text  wiederholt  werden  konnten.  Hier  musste  nothwendig  eine 
sparsame  Auswahl  getroffen  werden,  und  dabei  schien  es  mir  wegen 
der  überwiegend  praktischen  Bedeutung  der  Arbeit  wichtiger,  makro- 
skopische Bilder  zu  geben,  als  die  histologischen  Eigenthümlichkeiten 
durch  Zeichnungen  zu  erläutern.  Zum  Theil  glaubte  ich  dem  Hedürf- 
niss  mikroskopischer  Anschauung  durch  Hinweisung  auf  die  entspre- 
chenden Theile  der  Cellularpathologie  zu  genügen;  andererseits  liegen 
gerade  für  diese  Seite  zahlreiche  und  im  Ganzen  leicht  zugängliche 
Arbeiten  von  Zeitgenossen  vor.  Ohnehin  hat  die  Zahl  der  beigefügten 
Holzschnitte  ein  Maass  erreicht,  welches  nicht  wohl  überschritten  wer- 
den konnte,  wenn  der  Preis  des  Buches  nicht  zu  hoch  werden  sollte. 
Um  so  mehr  Sorgfalt  ist  auf  die  Abbildungen  verwendet  worden.  So- 
wohl die  Original  -  Zeichnungen,  als  auch  die  Holzschnitte  und  Kupfer- 
stiche sind  unter  meiner  steten  Aufsicht  ausgeführt  worden,  die 
ersteren  fast  sämmtlich  durch  Herrn  Dworzaczeck,  die  anderen  theils 
durch  die  Herren  Link,  A.  und  Fr.  Müller  hier,  theils  in  den  x>lo- 
graphischen  Anstalten  von  Brockhaus  in  Leipzig,  Bürckncr  in  Dres- 
den und  Mezger  in  Braunschweig.     Ich  glaube  dadurch  gerade  für 


Vorwort  VH 

das  praktische  VerständDiss  eine  wesentliche  Erleichterung  herbeige* 
fuhrt  zu  haben. 

Meine  Auffassung  der  Geschwülste  weicht  in  vielen  Stücken  von 
der  hergebrachten  ab.  Sie  beruht  zunächst  auf  den  Grundsätzen,  welche 
ich  in  der  Cellularpathologie  des  Näheren  entwickelt  habe,  und  sie  ver- 
stösst  in  Hauptpunkten  gegen  uralte  humoralpathologische  Ueberliefe- 
nmgen.  Aber  ich  gebe  mich  der  Hoffnung  hin,  dass  sowohl  in  der 
Pathogeuie  und  Aetiologie,  als  auch  in  der  Prognose  die  von  mir  vertre- 
tene Richtung  eine  fruchtbare  sein  werde,  und  dass  der  Versuch  einer 
leuen  Ordnung  des  onkologischen  Wissens  nicht  bloss  für  die  unmit- 
telbare Anwendung  nützliche  Anhaltspunkte  gewähren,  sondern  auch 
eäen  starken  Anstoss  zu  neuen  und  geregelten  Beobachtungen  geben 
werde. 

Dem  Bestreben  Vieler,  gerade  in  diesem  Gebiete  Praxis  und  Theo- 
rie als  unvereinbar  hinzustellen,  setze  ich  den  Versuch  entgegen,  beide 
ii  die  innigste  Verbindung  zu  bringen,  indem  ich  den  genetischen 
Standpunkt  als  den  entscheidenden  festhalte.  Für  die  Entwickelungs- 
geschichte  der  Geschwülste  meine  ich,  wenn  auch  keinesweges  einen 
Abschluss,  so  doch  einen  ganz  sicheren  Boden  gewonnen  zu  haben,  auf 
welchem  jede  neue  Beobachtung  sofort  sicher  angelegt  werden  kann.  Für 
die  Aetiologie  habe  ich  mich  bemüht,  statt  verzweifelnder  Ausrufe  über 
die  Unmöglichkeit  eines  wirklichen  Verständnisses,  in  möglich  grösster 
Vollständigkeit  die  sicher  ermittelten  Thatsachen  zusammenzutragen  und 
den  Hergang  nach  der  Analogie  anderer,  genau  bekannter 
und  ergründeter  pathologischer  Processe  zu  betrachten.  Die 
Prognose  habe  ich  ausschliesslich  nach  empirischen  Ergebnissen  ge- 
lehildert  und  die  theoretische  Deutung,  welche  ich  denselben  gebe,  in 
eiaer  für  Jedermann  leicht  erkennbaren  Weise  von  der  nackten  Erfah- 
mog  gesondert. 

S09  denke  ich,  wird  sich  die  praktische  Benutzung  des  gegebe- 
nen Stoffes  leicht  ergeben,  und  wenn  ich  im  Allgemeinen  darauf  ver- 
zichtet habe,  eingehende  Besprechungen  über  die  Behandlung  der  ein- 
zelnen Geschwulstarten  hinzuzufügen,  so  habe  ich  doch  die  nöthigen 
Hinweise  an  den  zweifelhaften  Stellen  nicht  verabsäumt.  Weiter  zu 
gehen,  verbot  die  Rücksicht  auf  die  Ausdehnung  des  Werkes,  welches 
keinen  specifisch  chirurgischen  Charakter  erhalten  sollte  oder  durfte, 
welches  vielmehr  allen  Zweigen  unserer  grossen  Wissenschaft  zu  die- 
nen bestimmt  ist.  Denn  gerade  das  betrachte  ich  als  einen  Vorzug 
meiner  Darstellung,    dass  sie  sich   über  die  Grenzen  der  Specialität 


VUI  Vorwort 

erheben  darf,  und  dass  sie,  indem  sie  sowohl  innere,  wie  äussere  Or- 
gane, eigentlich  chirurgische  und  medicinische,  wie  ophthalmologische, 
dermatologische,  gynäkologische  Gegenstände  in  ihr  Bereich  zieht,  all- 
gemeine Gesichtspunkte  gewinnt  und  scheinbar  auseinanderliegende 
Fragen  einer  gleichmässigen  Behandlung  unterzieht. 

Ich  übe  damit  das  schöne  Vorrecht  der  pathologischen  Anatomie 
und  der  allgemeinen  Pathologie  (pathologischen  Physiologie),  welches  ihr 
allmählich  von  den  mehr  specialistischen  Disciplinen  eingeräumt  wird. 
Aber  ich  übe  es  mit  aller  Anerkennung  vor  diesen  Disciplinen,  deren 
Anspruch,  in  ihren  Gebieten  entscheidende  Urtheile  zu  fällen,  ich  in 
keiner  Weise  angreife.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  meine  Darstellung 
vom  Standpunkte  jeder  einzelnen  Disciplin  aus  unvollständig  erscheinen 
muss,  da  es  nicht  möglich  ist,  alle  Einzelerfahrungen  aus  so  vielen 
Gebieten  zu  sammeln  und  zu  verwerthen.  Erst  durch  die  vereinte  Ar- 
beit Vieler  kann  es  geschehen,  dass  die  Casuistik,  welche  nirgends 
eine  solche  Bedeutung  und  einen  solchen  Umfang  hat,  wie  gerade  hier, 
allmählich  zusammengezogen  und  richtig  verwendet  wird.  Ich  selbst 
habe  mich  bemüht,  alle  wichtigeren  Beobachtungen  an  den  Original- 
quellen zu  prüfen  und  zusammenzufassen;  aber  ich  bin  mir  doch  auch 
bewusst,  dass  Lücken  genug  geblieben  sind,  welche  dem  Auge  des 
Specialisten  nicht  entgehen  werden. 

Trotz  dieser  Mängel  wage  ich  zu  hoffen,  dass  auch  strenge  Kriti- 
ker mir  das  Zeugniss  nicht  versagen  werden,  dass  ich  eine  ehrliche 
Arbeit  vorlege,  in  welcher  das  Streben  nach  Wahrheit,  nach  Unbefan- 
genheit und  nach  Gerechtigkeit  vorwaltet.  Wo  ich  mich  für  befugt 
hielt,  mein  persönliches  Recht  zu  betonen,  da  habe  ich  es  ohne  Ueber- 
hebung  zu  thun  versucht,  und  wenn  ich  dabei  das  Recht  eines  Anderen 
verletzt  haben  sollte,  so  kann  ich  wenigstens  versichern,  dass  es  un- 
absichtlich geschehen  ist.  Jedenfalls  habe  ich  das  Recht  der  Erfah- 
rung über  alles  andere  Recht  gestellt,  und  die  Ueberzeugung,  dass  die 
Beobachtung  auf  richtig  gestellte  Fragen  jedesmal  eine  Antwort  erge- 
ben muss,  hat  mich  doch  niemals  verfährt,  die  Antwort  vor  der 
Beobachtung  zu  versuchen.  Möchten  recht  viele  die  Richtigkeit  meiner 
Angaben  an  der  Hand  der  Erfahrung  prüfen!  Dauu  wird  sicherlich 
für  beglaubigtes  und  geordnetes  Wissen  ein  neues  Gebiet  erobert  sein. 

Berlin,  am  26.  September  1863. 

Rvd^ir  Virrhow. 


Übersicht  der  Abbildungen. 


Seile 

Titel kupf er:   Fibroma  molluscum  multiplex.    Erklärung 325 

Fig.    1.     Penetrirender  Krebs  der  Vena  cava  inferior,  von  den  Lnnibal- 

drusen  ausgehend 43 

.      2.     Secundäre  multiple  Kankroidknoten  der  Leber 49 

,      3.    Schematische  Darstellung  des  Geschwnlstwachsthums:  Gollek- 

tivknoten  mit  circulären  Zonen  acccssorischer  Knötchen  ...  50 

,      4.     Krebs  der  LymphgeiUsse  au  der  Lungenoberfläche 52 

»     5.     Disseminirter  Krebs  des  Peritonäum  nach  primärem  Krebs  des 

Magens 54 

.     6.     Schema  der  Zellentheilung  und  Granulation 89 

«      7.     Schema  der  Bindegewebswucherung 93 

.  8.  Schematische  Darstellung  der  Differenzirung  von  Granulations- 
zellen zu  specifischen  Gewebszellen  (Cy linder-  und  Pflaster- 
epithel und  Bindegewebe) 94 

.      9.    Schema  der  organoiden  Eutwickelung:  Eiu  Maschennetz  von 

Bindegewebe 95 

«     10.    Senkrechter  Durchschnitt  durch  ein  Kephalämatom 130 

.     11.    Ein  aufgeschnittenes  Kephalämatom 132 

,     12.    Obere  Fläche  eines  ossificirenden  Kephalämatoms 133 

,     13.    Othämatom 135 

,     14.     Grosses,  altes  Hämatom   des  Musculus  iliacus  eines  Bluters  144 

15.  Grosses  polypöses  Hämatom  des  Uterus  nach  einem  Abortus 
im  zweiten  Monate 146 

16.  Polypöse  Her  vorstülpung  der  Piacentars  teile 148 

17.  Alte  Hydrocele  mit  höckeriger  Sklerose  der  Albuginea  testis 
und  compressiver  Atrophie  des  Nebenhodens 160 

18.  Alte  Hydrocele.    Periorchitis  chronica  mit  narbiger  Einziehung 
und  Verdickung  der  Albuginea  am  unteren  Hodensegment    .  161 

19.  Periorchitis  prolifera 162 

20.  Freier  Körper  der  Scheidenhaut 163 

21.  Ulceröse  Sklerose  der  Tunica  vaginalis  propria  nach  wieder- 
holten Jodinjectionen  in  einer  gemeinen  Hydrocele 165 


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X  Uebersicht  der  Abbildungen. 

Fig.  22.    Hydrocele  heroiosa 167 

»    23.    Ein  neugebornes  Kind  mit  Spina  bifida  lumbalis 179 

u    24.    Längsdurchschnitt  der  Spina  bifida  in  Fig.  23 180 

.,     25.    Spina  bifida  sacralis,  von  hinten  her  geöffnet 181 

»,     26.    Hydrocele  cystica  yentriculi  quarti  bei  Lähmung  des  Facialis  183 

„    27.    Ilydrencephalocele  palatina  von  einem  Neugebornen 188 

„    28.    Mnltiloculäres  Ganglion  an  der  Sehne   des  Musculus  semi- 

membranosus  am  Knie 200 

..    29.    Uniloculäres  Ganglion  an  der  Sehne  des  Musculus  extensor 

digiti  secnndi  pedis 201 

»     30.    Hygroma  cysticum  patellare  superficiale 205 

.»    31.    Freie  Körper   aus   einem  Doppelganglion   der  Flexoren   am 

Handgelenk 207 

n    32.    Ilaematoma  (Hygroma  haemorrhagicum)  praepatellare    ....  209 

»    33.    Einfaches  Atherom  vom  behaarten  Kopftheil 227 

„     34.    Zusammengesetztes  Atherom  von  Wallnussgrösse,   unter  der 

Kopfhaut  gelegen    229 

.>     35.    Schleimcysten  der  Magenschleimhaut  nach  chronischer  Gastritis  235 

,     36.    Acne  indurata  colli  uteri 239 

»     37.    Blasenpolypen  des  Collum  uteri,  aus  dem  Orificium  externum 

her?  orhängend 240 

»     38.    Endometritis  chronica  cystica  polyposa 241 

„     39.    Colitis  cystica  polyposa 243 

»     40.    Grosser  Blasenpolyp  der  Oberkieferhöhle 246 

»     41.    Blasenpolyp   des   Larynx,   aus   der   Murgagni'schen   Tasche 

hervortretend 246 

.,     42.    Tiefsitzeude  Schleimcyste  der  Vagina 247 

.     43.    Gallengangscyste  an  der  Leberoberfläche 257 

„     44.    Hydrops  follicularis  ovarii 258 

,     45.    Cysten  der  Ala  vespertilionis 263 

H     46.    Hydronephrosis  mit  fast  vollständiger  Granularatrophie  der 

Nierensubstanz 268 

ji    47.    Hydrops  renum  cysticus  congenitus 270 

,     48.    Rannla  pancreatica 276 

«     49.    Spermatocele  cystica 279 

»     50.    Haematocystis  composita  mamroae 284 

„     51.    Zasammengesetztes ,    proliferirendes   Cystoid  der  weiblichen 

Bmst  mit  serösem  Inhalt 285 

»     52.    Elephantiasis  dura  cruris    308 

53.    Elephantiasis  dura  comea  apostematosa  cniris 310 

,.     54.    Hyperostosis  et  synostosis  ossium  cruris  et  pedis  nach  Ele- 
phantiasis     312 

,     55.    Elephantiasis  dura  ulcerosa  pedis 314 

«     56.    Elephantiasis  verraeosa  tuberosa  labii  majoris 320 

«     57.    Fibroma  molluscam     326 


Debersicht  der  Abbiidungen.  XI 

Seite 

Fig.  58.    Fibroma  inoUascum.    Zwei  accessorische  Hantknoten,  inmit- 
ten der  Cutis  entwickelt 327 

„    59.    Fibrome  der  Nieren  bei  diffuser  interstitieller  Nephritis  .  .  .  333 
.     60.    Ein  StQck   der  Synovialhaut   des  Schultergclenks ,   bedeckt 

mit  zottigen  Vegetationen 338 

.     61.    Fibroma  papilläre  der  Gallenblase  einer  Kuh 340 

.    62.    Fibroma  papilläre  intracanalicnlare  mammae 342 

.    63.    Condyloma  acuminatnm  lobulare,  vom  Scheideneingang   .  .  .  345 
,    64.    Naevus  papillaris  progressivus  von  der  Haut  der  Ünterkiefer- 

gegend  eines  Mannes 346 

.     65.    Polypus  fibrosus  (Fibroma  polyposum)  vulvae 347 

.    66.     Fibroma  lobulare  fasciculatnm  aus  der  Gesässgegend    ....  352 
.     67.    Fibroma  heteroplasticum  petrificum,   aus  der  Markhöhle  des 

Unterkiefers  hervorgegangen 361 

,    68.    Lipoma  multilobnlare  molle 368 

«    69.    Durchschnitt  durch  das  Lipom  in  Fig.  68 370 

.    70.    Lipoma  nnilobnlare  snbmucosum  ventriculi 372 

,    71.    Lipoma  capsnlare  mammae  scirrhosae 376 

.    72.  73.    Lipoma  polyposum  pendulum  cutis 380  381 

,    74.     Lipoma  polyposum  jejuni 382 

.    75.    Lipoma  epiploicum  coli 383 

.    76.    Lipoma  epiploicum  arborescens  coli 383 

,    77.    Freier  Fettkörper  der  Bauchhöhle 384 

.    78.    Freier  Körper  der  Bauchhöhle 385 

,    79.    Heteroplastisches  Lipom  aus  der  Rinde  der  Niere 386 

„    80.    Myxoma  cystoides  multiplex  der  Chorion-Zotten  (Blasenmole)  406 

„    81.    Myxoma  fibrosum  eines  Placentar-Cotyledon 415 

„    82.     Myxoma  lipomatodes  femoris  areolare 419 

„    83.    Myxoma  polyposum  racemosum  der  grossen  Schamlippe  .  .  .  421 

„    84.    Myxoma  fibrosum  cystoides  aus  dem  Wirbelkanal 424 

„    85.    Myxoma  lobulare  cystoides  des  Nervus  ulnaris 426 

86.  Myxoma  intracanaliculare  arborescens  diffusum  mammae  .  .  .  428 

87.  Myxoma  multiplex  recurrens  ulcerosum  nervorum  antibrachii  431 

88.  Myxoma  lipomatodes  malignum  des  Nervus   saphenus  major  433 
„    89.    Ecchondrosis  multiplex  trachealis    442 

90.  „            prolifera  spheno-occipitalis  perforans 445 

91.  „           ossea  des  10.  linken  Rippen knorpels 448 

92.  Corpus  mobile  articulationis  genu  (Gelenkmaus)    451 

93.  Arthritis  chronica  deformans  prolifera  coxae     455 

94.  Corpus  mobile  conglomeratum  articulationis  genn     458 

„    95.     Aus  einem  Enchondrom  der  Fusswurzelknochen.    Mikrosco- 

pische  Abbildung 465 

„    96.    Einzelne  Knorpelkörperchen   aus    dem   Gallert  -  Enchondrom 

Fig.  99 468 

„    97.    Ulceröses  Enchondrom  des  Humerus    486 


»» 


»» 


Xn  Uebereicht  der  Abbildungen. 

Fig.  98.    Tbeil  der  Durchschnittäfläche  eines  lappigen  (areolären)  er- 
weichenden (multiloculären)  Enchondroms  der  fieckenknochen  487 
*J9.    Cjstisches,  erweichendes  albuminöses  Bnchondrom  der  Sca- 

pula 494 

100.  Mikroskopischer  Schnitt  von  Fig.  99 495 

„     101.  Innere  Oberfläche  des  Cystencnchondroms  von  Fig.  99 496 

f,     102.  Hartes,  lappiges,  ossificirendes  Enchondrom  der  Submaxillaris  r)02 

„     103.  104.  Enchondroma  durum  multiplex   idiopathicum  pulmonis.  508 

104.  Die  Knoten  des  oberen  Einschnittes    509 

„     105.  Enchondroma  liporoatosum  telangiectodes    aus  dem  Wirbel- 
kanal    514 

,,     lO^j*.  Metastatische  Enchondromc  der  Lungen  von  einer  Hündin  mit 

knorpeliger  Masse  in  den  Lymphgc fassen 525 

„     107.  Osteoidchondrom  der  Tibia 529 


Erste  Yorlesung. 

8.  November  1862. 


B^ffsbestimmiiiig  und  Eintheiluiig  der  Geschwülste. 


Verschiedene  Anvendnngsweise  des  Ausdruckes  „Oeschwtilst".  Die  entzündlichen  An»chwelliuiKen, 
die  rsendoplasmen,  die  rystischen  Geschwülste.  Der  geuotioche  Grundgedanke  einer  wisien- 
schafUichen  Systematik.  Classification.  Das  anatomische  und  das  physiologi^tche  Princip.  Gut- 
artigkeit und  Bösartigkeit:  Lupus,  Cancer.  Gestalt  und  Consistenz  als  Eintheilungsgrund : 
Carcinom,  Tuberkel,  Polyp,  Fuugus,  Blumenkuhlgewächs,  Perlgoschwulst;  —  Hygrom,  Mcliceris, 
Colloid,  Atherom,  Skirrhus,  Steatom.  Aehnlichkett  mit  Korpertheilen :  Pancreas-  und  Brust- 
drnsenarüges  Sarkom.    Vergleichung  mit  Geweben. 


Das  Gebiet  der  pathologischen  Dinge,  welche  man  mit  dem  Namen 
der  Geschwülste  belegt,  ist  keinesweges  ein  streng  wissenschaft- 
Hch  abgegrenztes*).  Im  Gegentheil,  es  ist  vollständig  unmöglich, 
wenn  man  die  verschiedenen  Dinge,  welche  in  den  verschiedenen 
Zweigen  der  Medicin  als  Geschwülste  bezeichnet  werden,  zusam- 
mennimmt, zu  sagen,  was  eigentlich  ihr  gemeinsames  Gharakte- 
risticum  ist,  wodurch  sie  sich  von  anderen  Dingen  unterscheiden. 
Dieselben  Schwierigkeiten,  die  wir  in  unserer  Sprache  haben,  in- 
dem wir  den  Ausdruck  „Geschwulst"  anwenden,  finden  sich  auch 
in  anderen  Cultur- Sprachen  wieder,  wo  man  in  der  Regel  den 
lateinischen  Ausdruck  Tumor  oder  eine  Ableitung  davon  ge- 
braucht.    Das  Wort  Geschwulst,  Tumor,  hat  ursprünglich  einen 


*)  Yergl.  mein  Archiv  für  path.  Auatomie  und  Pliysiol.  und  für  klin.  Me- 
dicin. 1847.  Bd.  I.,  S.  223,  sowie  mein  Handbuch  der  speciellen  Pathologie 
und  Therapie.  Erlangen,  1854.  Bd.  L,  S.  334  folg.,  wo  überhaupt  die  Grund- 
lagen der  allgemeinen  Anschanung  für  dieses  Gebiet  entwickelt  sind. 

Virchow,  Geschwülste.    1.  1 


2  Er>te  Vorlesung. 

^])fi\  SO  allgemeinen  Sinn,  wie  da<  griechische  Wort  oyxoq  (lat 
uncus),  und  noch  im  heutigen  Sprachgebramh  ist  es  keineswegei 
beschrankt  auf  diejenigen  Dinge,  welche  man  meint,  wenn  mai 
von  ^Geschwülsten"  im  engeren  Sinne  spricht.  Die  Entzündungs 
g<'S<hwulst,  der  Tumor  inflammatorius,  den  doch  noch  alle  Wel 
zulässt*),  wird  gegenwärtig  fast  allgemein  von  dem  Gebiet  de; 
Geschwülste  ausgeschlossen.  Nur  Küss**)hat  ihn  unter  den 
Namen  des  Phlogoms  wieder  in  seine  Stelle  zu  setzen  gesucht. 

Früherhin  war  es  freilich  anders,  und  einzelne  Erinnerungei 
an  den  alten  Gebrauch  haben  sich  noch  erhalten,  <lenn  das  Ge- 
biet der  Geschwülste  hat  sich  im  Laufe  der  Zeiten  bald  erweitert 
bald  verengert,  je  nachdem  das  augenblickliche  Bedürfniss  es  mi 
sich  brachte.  Es  ist  dabei  namentlich  bestimmend  gewesen  das 
Bedürfnis»  der  Chirurgen,  weil  be^creiflicher  Weise  gerade  äussere 
Dinge  es  sind,  nach  denen  man  zunächst  diese  Bezeichnung  wählt. 
Es  würde  Niemanden  einfallen,  einen  Hydrothorax  oder  überhaupt 
eine  Affection,  welche  die  ganze  Pleura  betrifft  un<l  wobei  in  ihren 
Sack  eine  Flüssigkeit  ergossen  wird,  eine  Geschwulst  zu  nennen, 
während  man  doch  an  der  Tunica  vaginalis  des  Hodens  dasselbe 
eine  Geschwulst  nennt,  nehmlich  die  Hydrocele.  So  bestimmt 
also  rein  die  Oertlichkeit,  ilass  man  das  eine  Geschwulst  nennt, 
<las  andere  nicht.  Auch  in  einzelnen  anderen  Fällen  hat  sich 
eine  Tradition  aus  derjenigen  Zeit,  wo  man  noch  nicht  die  Ge- 
Kchwülste  in  unserer  Weise  abgrenzte,  erhalten,  indem  man  die 
Gesammtvergrösserung  einzelner  bestimmter  Organe  Tumor  nennt 
So  spricht  man  noch  heut  zu  Tage  viel  von  Milztumoren,  wobei 
man  doch  nichts  anderes  im  Sinne  hat,  als  eine  das  ganze  Organ 
betreffende  VergrOsserung,  die  man  an  anderen  Organen  als  Hy* 
pertrophie  oder  genauer  Hyperplasie  bezeichnen  würde.  Milztu- 
mor bedeutet  also  nicht  eine  Geschwulst  in  der  Milz,  sondern  eine 
geschwollene  Milz.  Einen  einfach  vergrösserten  Hoden  pflegt  man 
nicht  einen  Hodentumor  zu  nennen;  wenn  man  von  einem  Hoden- 
tumor spricht,  so  meint  man,  das  in  dem  Hoden  etwas  von  dem 
Hoden  verschiedenes  vorhanden  ist,  was  in  der  Kegel  nur  einen 
Tlieil  des  Organes  einnimmt,  gelegentlich   auch  wohl   die  ganze 


*)  llior  und  da  hat  man,  und  K^swintt  nicht  ohne  Nutzen,  zwibohcn  der 
<*iufM*hen  Antichwellunfi:  (Intumcscontla)  uml  der  Ge^chwul^t  (Tumor) 
im  iMißvriMi  äinno  xu  unterscheiden  aii{;(*fan}:;cn. 

**)  K.  KOMM  de  la  voAouhmti*  et  de  Thiflaromatitiu.  Strasb.  184G.  p.  40. 


Begriff  der  Qesclrwuldt.  3 

Sabstanz  ersetzen  kann,  aber  doch  auf  alle  Fälle  etwas  anderes 
ist  als  Hodensabstanz.  So  verschieden  äussert  sich  der  Sprach- 
gebrauch. 

Wollte  man  auch  Jemand  auf  das  Blut  pressen,  dass  er  sagen 
sollte,  was  Geschwulste  eigentlich  seien,  so  glaube  ich  nicht, 
dass  man  irgend  einen  lebenden  Menschen  finden  würde,  der  in 
der  Lage  wäre,  dies  sagen  zu  können.  Es  ist  sehr  wichtig, 
von  vorn  herein  festzustellen,  dass  Geschwülste  nicht  eine 
ihrer  Natur  und  ihrem  Wesen  nach  abgegrenzte  Gruppe 
von  Dingen  sind,  sondern  dass  man  sie  abgrenzt  einfach  nach 
dem  praktischen  Bedürfniss,  nach  der  durch  die  jeweilige 
Lage  der  angewendeten  Wissenschaft  gebotenen  Zweckmässigkeit. 
Es  liegt  daher  sehr  wesentlich  in  der  Hand  des  Einzelnen,  ob  er 
ein  gevnsses  Ding  als  Geschwulst  anerkennen  oder  es  aus  diesem 
Gebiete  hinaus  werfen  will.  Der  Sprachgebrauch  allein,  die  Tra- 
dition ist  nicht  entscheidend.  Wenn  man  nur  bis  in  den  Anfang 
des  vorigen  Jahrhunderts  zurückgeht,  so  wird  man  finden,  dass 
damals  der  Begriff  der  Geschwülste  sich  sehr  weit  über  das  Maass 
dessen  hinausdehnte,  was  man  jetzt  darunter  versteht,  dass  ins- 
besondere eine  grosse  Masse  von  entzündlichen  Anschwellungen 
in  diese  Gruppe  hineingerechnet  wurden,  z.  B.  der  Garbunkel, 
der  Anthrax,  der  Furunkel,  das  Oedem*),  —  eine  Reihe  von 
Dingen,  die  man  heut  zu  Tage  nicht  abzuhandeln  pflegt  in  der 
Reihe  dieser  Bildungen.  Wir  werden  später  sehen,  dass  ein  in- 
nerer Grund  für  die  Scheidung  der  Geschwülste  von  den  entzünd- 
lichen Anschwellungen  in  der  That  nicht  vorliegt.  Unzweifelhaft 
könnte  man  einen  Abscess,  der  eine  gewisse  Grösse  erreicht  hat, 
eben  so  gut  einen  Tumor  nennen ,  wie  man  einen  Krebs  so  be- 
nennt. Allein  man  hat  es  für  bequemer  erachtet,  den  Abscess 
auszuscheiden,  weil  bei  ihm  in  der  Regel  diagnostische  Schwierig- 
keiten von  Erheblichkeit  nicht  bestehen  und  das  praktische  Bedürf- 
niss es  nur  erfordert,  dass  man  diejenigen  Dinge  in  der  Kategorie 
der  Geschwülste  zusammenfasst,  bei  denen  die  Gefahr  diagnosti- 
scher Irrthümer  nahe  liegt.  So  ninmit  man  am  Hoden  die  Hy- 
drocele   mit  in  die  Reihe  der  Geschwülste  auf,  weil  sich  sehr 


*)  Bei  Hippocrates  bedeutet  Oedema  eigentlich  jede  Art  von  An- 
schwellung oder  Geschwulst,  nnd  erst  die  Späteren  unterschieden  von  dem- 
selben die  Phlegmonen  und  Skirrhen.  Galen,  in  Hb.  Hippocr.  de  iis  quae 
in  medicatrina  nunt  Gomm.  lib.  3.,  sect.  30. 


4  Erste  Vorlesung. 

häufig  die  Frage  aufwirft:  Ist  es  eine  Hydrocele?  oder  ist  es  eine 
Geschwulst  des  eigentlichen  Hodens  (Sarcocele)?  oder  eine  Com- 
bination  von  beiden?  Deshalb  erschien  es  zweckmässig,  die  Hy- 
drocele neben  der  Sarcocele  abzuhandeln,  während  kein  solches 
Bedfirfniss  vorlag,  den  Hydrothorax  abzuhandeln  neben  einem 
wirklichen  Gewächs  der  Pleura,  z.  B.  einem  Sarkom. 

Nach  diesem  diagnostischen  Bedürfniss  hat  sich  in  den  ver- 
schiedenen Zeiten  die  Eintheilung  gerichtet.  In  dem  Maasse, 
als  man  über  die  eigentlich  entzündlichen  Anschwellungen  klarer 
geworden  ist,  als  man  näher  liegende  Kriterien  gewonnen  hat, 
sie  zu  unterscheiden,  hat  man  sie  aus  der  Reihe  der  Geschwülste 
hinausgeworfen,  während  früher,  wo  die  Diagnose  auf  schwächeren 
Füssen  stand,  es  zweckmässig  war,  sie  mit  in  diese  Gruppe  hin- 
einzunehmen*). 

Weil  nun  eben  nach  diesem  rein  äusserlichen  Bedürfniss  die 
Zahl  der  Dinge,  welche  in  diesem  Capitel  zusammenstehen  sollen, 
aneinander  gereiht  werden,  so  ist  es  begreiflichei'weise  auch 
nicht  zulässig,  dass  man  den  Ausdruck  der  Geschwülste,  der 
Tumoren,  durch  einen  andern  Ausdruck,  der  schon  einen  ganz 
bestimmten  genetischen  Gesichtspunkt  enthält,  ersetzt.  Wenn  man 
z.  B.  statt  „Geschwülste'^,  wie  dies  in  der  neueren  Zeit  sehr 
vielfach  geschehen  ist,  sagen  wollte  „Pseudoplasmen^,  so  trifft 
diese  Bezeichnung  auf  eine  ganze  Reihe  von  Geschwülsten  nicht 
zu.  Eine  Hydrocele  ist  an  sich  kein  Pseudoplasma,  denn  es 
handelt  sich  dabei  zunächst  nicht  um  einen  Bildungs Vorgang, 
sondern  um  anomale  Absonderung,  wodurch  Flüssigkeit  angehäuft 
wird,  um  einen  mehr  secretorischen  Vorgang.  —  Das  gilt 
nicht  blos  für  die  Hydrocele,  sondern  für  eine  ganze  Reihe  von 
anderen  Dingen,  welche  Niemand  Bedenken  trägt  in  die  Kategorie 
der  Geschwülste  zu  setzen,  und  welche  auch  diejenigen,  die  von 
Pseudoplasmen  sprechen,  ganz  einfach  dahin  rechnen,  namentlich 
von  vielen  cystischen  Bildungen.  Eine  solche  Verwirrung  ist  unzu- 
lässig. Vielmehr,  wenn  wir  diese  verschiedenen  pathologischen 
Erzeugnisse  mit  einander  vergleichen,  so  lässt  sich  eine  sehr 
durchgreifende  Scheidung  machen,  indem  man  diejenigen  Bildun- 

*)  Im  gej^ebeiien  einzelnen  Falle  verschieben  sich  die  Grenzen  ieduch 
fortwährend  in  eanz  natürlicher  WeiBC.  Man  vergleiche  nur  solche  Arbeiten, 
welche  die  Geachwaiste  einer  bestimmten  Region  behandeln  z.  li.  Schuster, 
lieber  TboraxgeschwOlste.    Erlangen,  1851. 


Der  genetische  Grundgedanke  der  Classification.  5 

gen,  welche  wirklich  durch  einen  anomalen  plastischen  Vor- 
gang erzeugt  werden,  in  eine  besondere  Gruppe  zusammenfasst 
und  sie  von  den  übrigen  durch  einen  grossen  Strich  trennt.  Diese 
Gruppe  kann  man  als  Pseudoplasmen  bezeichnen.  Da  handelt  es 
sich  in  der  That  um  Bildungs Vorgänge,  durch  welche  gewisser- 
massen  falsche  Gewebe,  Telae  spuriae  erzeugt  werden.  In  dem 
Rest,  welcher  Übrig  bleibt,  nachdem  man  diese  Produkte  anoma- 
ler Plastik  abgelöst  hat,  kann  der  plastische  Vorgang  höchstens 
als  ein  secundarer  und  accidenteller  erscheinen,  und  das  Haupt- 
gewicht für  die  Anschauung  muss  nothwendig  auf  denjenigen 
Vorgang  fallen,  durch  welchen  die  Geschwulst  eigentlich  entsteht, 
z.  B.  auf  die  Secretion.  Es  versteht  sich  daher  von  selbst,  dass 
der  Grundgedanke  eines  jeden  Systems  der  Geschwülste,  man 
mag  ihr  Gebiet  nun  so  weit  stecken  oder  so  sehr  beschränken, 
wie  man  will,  der  genetische  sein  muss.  Wie  entsteht  die 
Geschwulst?  Das  ist  die  erste  und  wichtigste  Frage. 

Leider  hat  man  daran  wenig  gedacht.  In  der  Regel  ist  man 
von  dem  Gesichtspunkt  ausgegangen,  dass  die  ganze  Masse  der 
Geschwülste  wirklich  eine  in  sich  7Aisammengehörige  Reihe  von 
Bildungen  darstelle.  Dem  entsprechend  hat  man  natürlich  auch 
ihre  Classification  einfach  in  der  Weise  angelegt,  dass  man 
dieses  gesammte  Gebiet  sofort  in  ünterabtheilungen  und  die  Un- 
terabtheilungen wieder  in  kleinere  Gruppen  zerlegte.  Dabei  hatte 
man  immer  nur  die  Wahl  zwischen  zwei  Principien,  dem  anato- 
mischen und  dem  physiologischen.  Entweder  nehmlich  konnte 
man  die  anatomischen  Eigenschaften,  die  äusseren  und  inneren 
Merkmale  des  Gebildes  in  den  Vordergrund  stellen  und  danach 
den  Versuch  der  Classification  machen,  oder  man  konnte  gleich- 
sam die  lebendigen  Eigenschaften  des  Gebildes,  die  Relation  des- 
selben zu  dem  übrigen  Körper,  die  Wechselwirkungen,  welche 
zwischen  der  Geschwulst  und  dem  Individuum  bestehen,  in  den 
Vordergrund  schieben. 

In  früheren  Zeiten  hat  man  sich  im  Allgemeinen,  entsprechend 
dem  unbefangeneren  Standpunkt  der  älteren  Aerzte,  mehr  an  das 
Anatomische  gehalten,  freilich  nicht  an  das  Fein -anatomische, 
sondern  an  die  grobe  Erscheinung.  Man  war  um  so  mehr  in 
der  Lage  dazu,  als  man  die  entzündlichen  Geschwülste  mit  in 
dieses  Gebiet  hineinzog,  und  als  bei  diesen  kein  Zweifel  darüber 
^in  kann,  dass  derselbe  Vorgang  unter  umständen  eine  sehr 


(}  Erste  Vorlesung. 

Hchlimtne,  unter  aDderen  Umständen  eine  relativ  gute  Wendung 
nehmen  kann,  dass  also  die  Richtung,  in  welcher  der  Process 
Hich  entwickelt,  das  eine  Mal  gleichsam  zum  Verderben  fuhren 
muss,  das  andere  Mal  keine,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  y,Nei- 
gung^  zeigt,  einen  verderblichen  Charakter  anzunehmen,  da^s  es, 
um  gleich  die  entscheidenden  Worte  zu  gebrauchen,  Entzündungen 
giebt,  welche,  ohne  in  sich  selbst  ursprünglich  verschieden  zu 
sein,  doch  bald  einen  gutartigen,  bald  einen  bösartigen 
Verlauf  nehmen:  Inflammatio  benigna  und  Inflammatio  maligna. 
Die  Alten  waren  an  die  Vorstellung  gewöhnt,  dass  unter  Um- 
ständen derselbe  Process  bald  diese,  bald  jene  Richtung  nehmen 

könne. 

Späterhin  dagegen  hat  man  um  der  praktischen  Bequemlich- 
keit wiUen  es  für  nützlich  erachtet,  diese  „Neigungen"  der  Ge- 
schwülste, diese  Tendenz  auf  das  Gutartige  oder  auf  das  Bösartige 
in  den  Vordergrund  zu  stellen  und  die  Geschwülste  überhaupt 
danach  einzutheilen.  Es  ist  dies  ein  an  sich  sehr  natürliches 
Bestreben,  denn  der  praktische  Arzt  wird  jedesmal,  sobald  er  eine 
Geschwulst  erblickt,  sofort  daran  denken,  welche  Bedeutung  sie 
für  den  Kranken  haben  kann  und  haben  muss,  und  in  welcher 
Weise  sein  eigenes  praktisches  Verfahren  danach  bestimmt  wer- 
den wird.  Indess,  so  natürlich  dies  ist,  so  ist  damit  noch  nicht 
entschieden,  ob  es  auch  das  zweckmässigste  ist,  mit  dieser  Frage 
zu  beginnen,  ob  man  also  gleich  von  vom  herein  seine  Einthei- 
lung  der  Geschwülste  so  machen  muss,  dass  sofort  mit  dem  Namen 
der  Geschwulst  auch  die  Bcant^ortimg  jener  Frage  gegeben   ist. 

Es  ist  dies  eine  Streitfrage,  welche  bis  auf  den  heutigen  Tag 
nicht  ausgetragen  ist,  und  über  welche  gelegentlich  jedes  Jahr, 
bald  in  Schrillen,  bald  in  akademischen  Discussionen  die  mannich- 
faltigston  Ansichten  vorgetragen  werden.  Wissenschaftlich  aufge- 
fasst  kann  über  die  Beantwortung  dieser  Frage,  glaube  ich,  kein 
Zwrifol  sein.  Pa  unzweifelhaft  die  Geschwülste  mindestens 
Naturprodukte  sind,  so  haben  sie  zunächst,  wie  jede  Erschei- 
nung dieser  Welt,  das  Recht  und  den  Anspruch,  objectiv  beur- 
theilt  zu  worden  n.ich  ihrem  Wesen,  nach  ihren  Eigenschaften; 
dir  Dodeutung,  welche  sie  für  andere  Erscheinungen,  also  insbe- 
HondiTo  fnr  andere  Thoile  des  Körpers  oder  den  ganzen  Körper 
hnb«Mi,  muss  ftlr  die  Untersuchung  f^in  zweiter,  ein  secundärer 
Punkt  Hoin.     Km  verhält  sich  in  der  Pathologie  ebenso,  wie  in 


Bösartigkeit.  7 

den  anderen  Naturreiclien.  Es  lässt  sich  keinen  Augenblick  be- 
zweifeln, dass  es  sehr  wichtig  ist,  in  der  Botanik  die  Nutzpflan- 
zen und  die  Giftpflanzen  genau  zu  kennen;  aber  es  würde  eine 
sehr  schlimme  wissenschaftliche  Methode  sein,  wenn  man  for- 
dern wollte,  es  solle  sich  die  Forschung  des  Botanikers  zunächst 
darauf  wenden,  festzustellen,  welche  Pflanzen  nützliche  und  welche 
schädliche  seien,  und  danach  solle  die  Classification  des  botani- 
schen Systems  gemacht  werden.  Wir  wissen  ja,  dass  in  dersel- 
ben Klasse,  in  demselben  Genus  von  Pflanzen  beiderlei  vor- 
konmit,  Nutzpflanzen  und  Giftpflanzen;  ja  wir  wissen,  dass  an 
derselben  Pflanze  ein  Theil  giftig,  der  andere  nahrhaft  ist,  dass 
wir  also  im  höchsten  Grade  in  das  Ungewisse  gerathen  würden, 
welchen  Theil  oder  welche  Species  wir  für  die  Classification  als 
bestimmend  ansehen  sollten.  Gewiss  hatte  es  einen  gewissen  prak- 
tischen Werth,  eine  grössere  Gruppe  von  fressenden  Bildungen 
Lupus  zu  nennen.  Das  waren  die  Wölfe,  die  fressenden  Raub- 
thiere  der  Pathologie.  Den  Alten  kam  es  hinterher  sehr  wenig 
darauf  an,  bb  das,  was  sie  unter  dem  Namen  Lupus  oder  dem 
Namen  Cancer  zusammenfassten ,  gerade  wissenschaftlich  zusam- 
mengehörte. Ja  es  ist  gar  nicht  so  lange  her,  da  war  Cancer 
einmal  ein  Krebs,  ein  Carcinom;  dann  gab  es  wieder  einen  Cancer, 
das  ist  unser  heutiger  Schanker,  das  syphilitische  Geschwür,  wel- 
ches mit  dem  Carcinom  nicht  das  Leiseste  gemein  hat;  dann 
hatte  man  wieder  den  Cancer  aquaticus,  den  Wasserkrebs,  den 
wir  heut  zu  Tage  Noma  nennen,  eine  gangränöse  Entzündungs- 
form. Auf  den  ersten  Blick  mag  es  sehr  nützlich  erscheinen, 
diese  verschiedenen  Dinge  unter  dem  Namen  Cancer  zusammen 
zu  fassen;  dann  weiss  man  gleich:  es  frisst,  und  wer  das  noch 
besonders  hervorheben  will,  der  sagt,  es  sei  ein  Esthiomenos. 
Aber  ob  damit  etwas  Wesentliches  gewonnen  ist  für  die  An- 
schaimng  oder  gar  für  die  Behandlung  des  Falles  oder  endlich 
für  die  Richtung,  in  welcher  etwa  die  weitere  Untersuchung  zu 
leiten  ist,  das  darf  doch  wohl  nach  aller  Erfahrung  bezweifelt 
werden. 

Die  wirkliche  Wissenschaft  in  diesen  Dingen  hat  erst  von 
dem  Augenblick  an  begonnen,  wo  man  die  Dinge  auseinander 
gelöst  hat,  ohne  irgend  eine  Rücksicht  auf  ihre  fressenden  oder 
räuberischen  Eigenschaften.  Gewiss  hat  man  damit  ebenso  recht 
gethan ,  wie  man  in  der  Zoologie  Recht  hat,  dass  man  nicht  alle 


g  Erste  Vorlesung. 

Raubthiere  in  eine  Gruppe  zusammenthut,  sondern  dass  man  die- 
jenigen Raubthiere,  welche  zu  den  Säugethieren  gehören,  zu  den 
Säugethieren,  die,  welche  zu  den  Vögeln  gehören,  zu  den  Vö- 
geln, und  die,  welche  zu  den  Fischen  gehören,  zu  den  Fischen 
stellt,  und  dass  man  sie  auch  nicht  innerhalb  dieser  Klassen  zu 
besonderen  Abtheilungen  zusammenfasst,  sondern  sie  da  unter- 
bringt, wo  sie  ihrer  Organisation,  ihrem  Wesen  nach  hingehören. 
Aehnlich  verhält  es  sich  auch  mit  den  Menschen.  Wenn  man 
sagt:  das  ist  ein  räuberischer  Stamm,  das  eine  räuberische 
Nation,  so  mag  das  auf  den  ersten  Blick  und  im  Grossen  eine 
sehr  treffende  Bezeichnung  sein;  aber  wenn  man  annehmen 
wollte,  dass  alle  Individuen  dieses  Stammes  oder  dieser  Nation 
sich  eines  gleichen  Grades  von  räuberischen  Eigenschatten  zu 
erfreuen  hätten,  so  würde  das  unzweifelhaft  falsch  sein.  So 
verhält  es  sich  auch  mit  den  Geschwülsten. 

Während  ich  also  vollständig  anerkenne,  dass  man  von  jeder 
einzelnen  Geschwulstart  wissen  muss,  welche  Eigenschaften 
sie  besitzt  in  Beziehung  auf  andere  Theile  des  Körpers  und  auf 
den  Gesammtkörper,  welche  Einwirkungen  sie  darauf  ausüben 
kann,  und  ob  diese  Einwirkungen  in  einem  hohen  oder  in  einem 
geringen  Maasse  nachtheilige  sind,  so  läugne  ich  doch,  dass  man 
davon  ein  wissenschaftliches  Eintheilungsprincip  herleiten  könne 
und  dass  es  nützlich  sei,  diesen  Gesichtspunkt  obenan  zu  stellen. 
Vielmehr  halte  ich  es  für  ganz  unmöglich,  irgend  einen  befriedi- 
genden Gesichtspunkt  der  Classification  aufzufinden,  der  nicht  in 
der  inneren  Natur  der  Geschwülste  selbst  begründet  ist,  der  nur 
von  ihren  äusseren  Beziehungen,  nicht  von  ihrer  inneren  Einrich- 
tung und  ihrer  Entstehung  ausgeht.  Da  wir  nun  aber  unglücklicher 
Weise  weder  durch  die  Chemie  noch  durch  die  Physiologie  Anhalts- 
punkte haben,  welche  über  diese  inneren  Verhältnisse  und  die 
Entstehungsgeschichte  vollständigen  Aufschluss  geben,  da  wir 
wesentlich  auf  die  Anatomie  angewiesen  sind,  so  liegt  es  nahe, 
dass  man  sich  gegenwärtig  zunächst  auf  den  anatomisch- 
genetischen  Standpunkt  stellt  und  von  diesem  aus  die  Ein- 
theilung  versucht.  Wenn  man  sich  übrigens  erinnert,  dass  dieser 
Standpunkt  in  allen  übrigen  Naturwissenschaften  sich  als  nützlich 
erwiesen  hat,  dass  die  gesamn^te  Zoologie  und  Botanik  auf  dieser 
Basis  allmählich  in  die  moderne  Form  übergeführt  worden  sind, 
so  wird  man  sich  im  Voraus  trösten  lassen,  wenn  man  nicht  so- 


Die  Gestalt  als  EintbeilaDgsgrund.  9 

fort  durch  die  ersten  Anfänge  des  Classiiicirens  in  die  eigentliche 
Praxis  geführt  wird. 

Fruherbin,  man  kann  sagen,  bis  in  den  Anfang  dieses  Jahr- 
hnnderts,  hat  man  sich  bei  der  Untersuchung  der  anatomischen 
Eigenschaften,  des  Baues  und  der  Structur  der  Geschwülste  in 
der  Regel  an  sehr  wenige  Merkmale  gehalten.  Entweder  legte 
man  einen  überwiegenden  Werth  auf  das  Aussehen  und  die 
äussere  (jestalt,  in  welcher  sich  das  Ding  darstellte,  oder 
man  nahm  wesentliche  Rücksicht  auf  die  Gonsistenz  oder 
den  Grad  von  Resistenz,  den  die  Geschwulst  beim  Finger- 
dmck  darbot. 

Das  Aussehen  war  bestimmend  für  die  Wahl  des  Namens 
Carcinom.  Namentlich  an  der  weiblichen  Brust  sieht  man  diese 
Geschwulst  nicht  selten  als  einen  harten  Körper,  um  welchen 
herum  die  Blutgefässe  Ausstrahlungen  bilden,  wie  die  Füsse 
eines  Krebses*).  Aber  manche  nicht  carcinomatöse  Geschwulst 
hat  dieselbe  Zeichnung  und  man  würde  sich  arg  tauschen,  wenn 
man  alle  gleich  gezeichneten  Formen  identificiren  wollte.  Was  die 
äussere  Gestalt  anbetrifit,  so  sprach  man  z.  B.  von  einem  Knote  ni, 
Tuberculum,  oder  von  einem  Polypen,  oder  von  einem  Fungus. 
Das  waren  drei  Verschiedenheiten,  welche  beurtheilt  wurden  allein 
nach  der  äusseren  Gestalt.  Wenn  das  Ding  sich  einfach  rundlich  über 
die  Oberfläche  erhob,  dann  sagte  man  Tuberculum,  ein  Knötchen**). 
Gerade  so  wie  man  in  der  Osteologie  ein  Tuberculum  majus  und 
minus  und  verschiedene  Tubercula  anonyma  und  innominata  hat, 
so  sollte  in  der  Pathologie  Tuberkel  zunächst  nichts  anderes  be- 
deuten, als  irgend  einen  Knoten.  Schon  die  Alten  waren  sich 
bewusst,  dass  diese  Form  kein  eigentlicher  Eintheilungsgnmd  sein 
könne;  im  Gegentheil,  sie  waren  überzeugt,  dass  es  verschiedene 
Arten  von  Tuberkeln  gäbe,  und  dass  erst  die  inneren  Eigen- 
schaften darüber  entscheiden  müssten,  zu  welcher  Art  von  Tuber- 


♦)  In  mamillis  saepe  vidimus  tumorem  forma  ac  figura  cancro  animali  ex- 
quisite consimilem.  Nam  quemadmodum  in  isto  pedes  ex  utraque  parte  sunt 
corporis,  ita  in  hoc  morbo  venae  distenduntur,  ac  figuram  omnino  similem 
cancro  repraesentant.  Galen,  de  art.  curat,  ad  Glaucon.  üb.  2.,  cap.  10.  Vergl. 
Actuarius  lib.  2.  ni^i  Siayv.  nud^,  cap.  35.,  der  noch  die  Schwierigkeit  der 
EnÜemung  hinzufügt. 

•♦)  Griechisch  Phyma.  Potissimum  eos  tumores  hoc  nomine  yocant,  qui 
extra  corporis  superficiem  extuberant:  verum  ob  nominis  alterius  inopiam 
interdnm  et  latos  pauloque  naturalibus  partibus  elatiores  hoc  nomine  appel- 
lant    Galen,  in  ubr.  6.  Hippocr.  de  morb.  Tulg.  comm.  1.  sect.  13. 


10  Erste  Vorlesung. 

kein  das  gerade  vorliegende  Ding  gehörte.  Sie  sprachen  einmal 
von  einem  Tuberculum  scirrhosum,  das  war  nach  unserer  heuti- 
gen Bezeichnung  ein  Krebs;  ein  anderes  Mal  von  einem  Tuber- 
culum scrophulosum ,  das  war  wenigstens  zuweilen  der  heut  zu 
Tage  sogenannte  specitische  Tuberkel. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  Polypen.  So  nannte  man 
ursprünglich  die  Geschwülste  der  Nasenhöhlen,  welche  sich  in 
Form  grösserer  Zapfen,  wo  möglich  gestielt,  über  die  Ober- 
fläche erheben.  Die  Anforderung,  dass  sie  viele  Füsse  haben  soll- 
ten, hat  man  frühzeitig  fahren  lassen  und  sich  an  die  Vergleichung 
mit  den  bekannten  Thieren*)  gehalten,  von  denen  manche  fest 
sitzen,  gerade  wie  die  pathologischen  Polypen.  —  Wenn  das  Ding 
endlich  über  einer  dünneren  Basis  eine  umgestülpte,  schwamm- 
oder  pilzähnliche  Anschwellung  bildete,  so  nannte  man  es  Fungus. 

Aber  wie  es  eben  in  der  Welt  geht,  obwohl  dies  äusserliche 
Bezeichnungen  waren  und  man  sich  durch  die  Beobachtung  leicht 
hätte  überzeugen  können,  dass  dasselbe  Ding  einmal  als  Tuberkel, 
das  andere  Mal  als  Polyp,  das  dritte  Mal  als  Fungus  vorkommen 
kann,  ja,  obwohl  nicht  selten  an  der  Hautoberfläche  dieselbe  Ge- 
schwulstart in  diesen  drei  verschiedenen  Formen  sich  gleich- 
zeitig darstellt,  zuweilen  ganz  dicht  neben  einander,  so  ist  es  doch 
dahin  gekommen,  dass  man  wirklich  eine  durchgreifende  Schei- 
dung gemacht  hat  und  dass  wir  Special -Abhandlungen  nicht  blos 
über  Tuberkel,  sondern  auch  über  Polypen  und  über  Fungen  be- 
kommen haben,  gleichsam  als  ob  das  vollständig  auseinander  lie- 
gende Dinge  wären.  Dem  gegenüber  müssen  wir  vor  Allem  fest- 
stellen, dass  die  äussere  Form  keineswegs  immer  noth- 
wendig  mit  dem  inneren  Wesen  zusammenhängt**). 

Es  giebt  freilich  gewisse  Geschwülste,  welche  regelmässig  in 
einer  bestimmten  Form  vorkommen,  und  für  diese  wird  es  sich 
allerdings  empfehlen,  eine  entsprechende  Bezeichnung  zu  wählen. 
Ein  Theil  desjenigen,  was  man  heut  zu  Tage  in  der  Pathologie 
Tuberkel  nennt,  kommt  wirklich  immer  in  der  Form  von  Knötchen 
vor;  daher  hat  sich  ganz  natürlicher  Weise  allmählich  aus  dem 


•)  Polypus  tumor  est  praeter  naturaro  in  naribus  oboriens,  ex  marini 
polypodis  similitudine  nomen  sortitus,  tarn  quod  iliius  carnem  repraesentet, 
tum  qnod  suo  complexu  qnemadmodum  ille  captantes  nlciscitiu-,  nares  ipso- 
mm  comprehendens.    Aeg.  lib.  6.  cap.  25. 

•*)  CeUnlarpaihologie  3.  Ana.  S.  432. 


Morphologische  Bezeichnung.  1 1 

CoUectivbegriff  »Tuberkel**  der  Begriff  des  specifi sehen  Tuber- 
kels abgesondert,  und  wir  verstehen  jetzt  unter  diesem  Worte  eine 
ganz  besondere  Art  von  Knoten,  nur  eine  der  früher  unter  diesem 
Namen  zusammengefassten  Bildungen. 

Dagegen  hat  man  in  der  neueren  Zeit  eine  besondere  Geschwulst- 
form unter  dem  Namen  des  Blumenkohlgewächses  (Tumor 
cauliflorus)  beschrieben,  weil  die  Oberfläche  derselben  eine  grosse 
Aehnlichkeit  mit  der  Oberfläche  einer  Blumenkohlblüthe  hat.  Diese 
Bezeichnung  ist  an  sich  ganz  zutreffend;  aber  wenn  man  glauben 
wollte,  es  wäre  das  Blumenkohlgewächs  eine  in  sich  vollständig 
abgeschlossene  Art,  die  als  selbständige  neben  den  anderen  Ge- 
gchwulstarten  aufgefasst  werden  müsste,  so  täuscht  man  sich;  es 
ist  blos  eine  der  Erscheinungsformen,  in  der  gelegentlich  die 
Warze  oder  das  Cancroid  auftreten  können,  welche  ein  anderes  Mal 
in  vollkommen  flacher  Gestalt  erscheinen.  Es  ist  also  die  Blu- 
menkohlgeschwulst eine  Unter  -  Abtheilung  der  Warze  oder  des 
Cancroids,  und  ftr  diese  Unter -Abtheilungen  kann  man  den  Na- 
men ganz  zweckmässig  beibehalten. 

Hinwiederum  haben  wir  rein  von  der  äusseren  Form  und  Erschei- 
nung her  eine  Geschwulstart,  wo  die  einzelnen  Theile  in  der 
Gestalt  von  Perlen  erscheinen,  Perlgeschwulst  genannt.  Es 
ist  dies  eine  bezeichnende  und  glückliche  Ausdrucksweise,  die  in 
der  That  einer  besonderen  Art  von  Geschwulst  beigelegt  werden 
kann  und  dieselbe  von  anderen  Arten  sehr  leicht  unterscheidet. 

Aus  diesen  Beispielen  ist  ersichtlich,  dass  man  sowohl  für 
Arten  als  far  Unter- Arten  der  Geschwülste  solche  von  der  äusseren 
Form  hergenommene  Ausdrücke  anzuwenden  berechtigt  ist.  Aber 
damit  darf  man  sich  nicht  genügen  lassen;  immer  muss  man  erst 
untersuchen,  in  wie  weit  die  äussere  Form  aus  dem  inneren  Wesen 
resultirt,  wie  es  bei  der  Perlgeschwulst,  bei  dem  Tuberkel  der 
Fall  ist,  oder  in  wie  weit  sie  blos  durch  accidentelle  Verhältnisse 
der  Localität  bestimmt  wird,  wie  es  bei  Schwämmen,  bei  Blumen- 
kohlgewächsen der  Fall  zu  sein  pflegt*). 

Aehnlich  verhält  es  sich  mit  den  Namen,  die  von  der  Consi- 
stenz  hergenommen  sind**).  Eine  grosse  Menge  von  Ausdrücken, 
die  wir  noch  heut  zu  Tage  anwenden,  basiren  ursprünglich  auf 


•)  In  dieselbe  Kategorie  gehören  die  Bezeichnungen  des  Ganglion,  Mol- 
loftcum,  Condvloma,  Cheloid  u.  s.  w. 

•♦)  Cellufarpathologie,  3.  Aufl.  S.  430. 


12  Erst«  Vorlesung. 

der  Vergleichung ,  die  man  zwischen  Geschwülsten  und  anderen 
bekannten  Objecten  anstellte ;  ja  es  sind  diese  Bezeichnungen  noch 
bis  in  die  neuere  Zeit  hinein  vermehrt  worden.  Man  sprach  schon 
lange  von  einer  Wassergeschwulst,  einem  Hygroma,  weil  der 
Inhalt  eine  vollkommen  wässrige  Beschaffenheit  hat.  Es  versteht 
sich  von  selbst,  dass  er  kein  reines  Wasser  ist,  indess  ist  er  eben 
so  dünnflüssig  wie  Wasser.  Weiterhin  sprach  man  von  einer 
Honiggeschwulst,  Meliceris,  weil  der  Inhalt  dieselbe  dickliche, 
leicht  fadenziehende  Beschaffenheit,  wie  wir  sie  am  Honig  kennen, 
vielleicht  auch  die  Färbung  des  Honigs  hat.  In  der  neueren  Zeit 
hat  man  eine  Geschwulstform  aufgestellt,  wo  der  Inhalt  eine  grosse 
Aehnlichkeit  darbietet  mit  der  gallertartigen  Beschaffenheit,  welche 
gewöhnlicher  Tischlerleim  (CoUa)  zeigt,  wenn  er  aus  dem  flüssigen 
in  den  festen  Zustand  übergeht;  in  dieser  Zeit  erstarrt  bekanntlich 
der  Leim  zu  einer  Gallerte,  die  anfänglich  noch  hin  und  her  be- 
wegt werden  kann  und  beim  Anstossen  leicht  zittert;  davon  hat 
man  gewisse  Geschwülste,  die  eine  ähnliche  Beschaffenheit  des 
Inhalts  darbieten,  Colloidgeschwülste  genannt.  So  stammt 
der  Name  des  Atheroms  von  dem  breiigen,  grützartigen  Inhalt 
mancher  Geschwülste,  der  in  der  That  daran  erinnert,  wie  wenn 
man  gewöhnliche  Hafer-  oder  Gerstengrütze  etwas  dick  eingekocht 
sieht,  wo  einzelne  noch  zusammenhaltende  Körner  in  der  gleich- 
massig  gewordenen  Gnmdmasse  eingelagert  sind. 

Die  Bezeichnungen  des  Hygroms,  der  Meliceris,  des  Colloids, 
des  Atheroms  kann  man  noch  heut  zu  Tage  anwenden  und  man 
wendet  sie  an;  aber  man  hat  sich  doch  allmählich  klar  gemacht, 
wie  der  Inhalt  eigentlich  zu  Stande  kommt,  wie  er  zusammenge- 
setzt ist,  wie  er  gebildet  wird,  wie  das  Ganze  entsteht,  und 
wir  können  nicht  mehr  jede  beliebige  Geschwulst,  welche  einen 
breiigen  Inhalt  hat,  Atherom  nennen,  weil  einmal  a^/prj  Grütze 
bedeutet.  Es  giebt  Krebs-  und  Cancroidformen,  wo  in  einem  ge- 
wissen Stadium  der  Entwickelung  der  Inhalt  atheromatös  wird, 
vollständig  breiartig  sich  darstellt ;  aber  es  würde  sehr  falsch  sein, 
wenn  wir  diese  Form  des  Krebses  (Cancer  pultaceus)  zum  Athe- 
rom rechnen  wollten.  Im  Gegentheil,  wir  haben  gegenwärtig  eine 
gewisse,  in  sich  abgeschlossene  Art  von  Geschwülsten,  auf  welche 
dieser  Name  beschränkt  wird;  und  es  mögen  noch  so  viele  an- 
dere Geschwülste  vorkommen,  die  gelegentlich  auch  einen 
breiigen  Inhalt  bekommen,  wir  sondern  sie  von  dem  Atherom  ab. 


Consistenz  als  Eintheilangsgrund.  13 

Dieses  allmähliche  Trennen  scheinbar  gleichartiger,  aber  ihrer 
Entstehung  und  Bedeutung  nach    ganz  verschiedenartiger  Dinge 
ist  allerdings  eine  Operation  von  oft  sehr  grosser  Schwierigkeit, 
die  deshalb  in  der  Geschichte  der  Medicin  sich  über  sehr  lange 
Perioden  erstreckt  und  die  noch  jetzt  in  vielen  Stücken  fortgeht 
Denn  vrenn  wir  die  moderne  Form  des  CoUoids  ins  Auge  fassen, 
so  ist  darin  der  Process  der  Scheidung  noch  nicht  vollendet,  es 
wird  noch  immer  daran  gearbeitet,  in  wie  viele  Gruppen  diese 
scheinbar  einfache  Geschwulstart  zertheilt  werden  muss  und  wo 
die  einzelnen,  durch  die  Zertheilung  gewonnenen  Objecte  hinge- 
than  werden  sollen.    Erst  von  dem  Augenblicke  an,  wo  wir  einen 
colloiden  Krebs,  ein  coUoides  Enchondrom  und  eine  colloide  Binde- 
gewebsgeschwulst  haben,  wo  „colloid**  zum  Adjectiv  geworden  ist, 
beginnt  die  wirkliche,  auch  praktisch  brauchbare  Erkenntniss.  So 
lange  vrir  weiter  nichts  wissen,   als   dass   die  Geschwulst  eine 
gallertartige  Beschaffenheit  hat  und  deshalb  CoUoid  genannt  wer- 
den muss,  so  lange  können  wir  praktisch  damit  nichts  anfangen, 
80  lange  wissen  wir  nicht,  welche  Bedeutung  das  Ding  für  den 
Kranken  haben  kann.   Es  genügen  solche  äusseren  Aehnlichkeiten, 
welche  man  von  der  Vergleichung  der  Consistenz  mit  anderen  be- 
kannten Objecten  hergenommen  hat,  in  keiner  Weise.     Ob  das 
Ding  sehr  hart  ist  und  man  es  deshalb  in  früheren  Zeiten  einen 
Skirrhus  genannt  haben  würde,  oder  ob  es  weniger  hart  ist 
und   deshalb   ein   Steatom*)   heissen   könnte,   das    entscheidet 
nicht  mehr  über  die  Wesenheit  der  Geschwulst.      Was  die  Alten 
ein  Steatom   im  Uterus   nannten,   ist  etwas   ganz  Anderes,   als 
was  sie  am  Nerven  ein  Steatom  hiessen,  und  unter  dem  Begriffe 
der  Skirrhen  hat  man  zu  verschiedenen  Zeiten  so  verschiedenartige 
Dinge  zusammen  geworfen,  z.  B.  einfache  Indurationen  und  wirk- 
liche Krebse,  dass  es  einer  der  wichtigsten  Fortschritte  gewesen 
ist,  als  man  sich  daran  gewöhnte,  den  Namen  Skirrh  zu  beschrän- 
ken auf  eine  bestimmte  Form  des  Krebses.     Früher  war  Skirrh 
etwas  besonderes  und  Colloid  etwas  besonderes;   heut   zu  Tage 
haben  wir  einen  skirrhösen  Krebs  und  einen  colloiden  Krebs. 


*)  Ursprünglich  bedeutet  Steatoma  offenbar  eine  mit  Fett  gefüllte  Balg- 
eeschwulst,  denn  es  steht  immer  parallel  mit  Atherom  und  Meliceris  (vgl. 
Galen,  de  tarn,  praet.  nat.  cap.  5.  Meth.  medendi  lib.  14.  cap.  12.).  Später 
hat  man  darunter  gerade  gewisse  Formen  der  Vollgeschwülste  verstanden 
z.  B.  Fibrome  der  Haut,  Osteosarkome,  Neurome,  kurz  feste  Gleschwülste  mit 
„speckiger"  Consistenz. 


]4  Erste  Vorleson^. 

Mit  Tollem  Reehte  daher  ist  man  später  einen  grossen  Schritt 
weiter  gegangen,  als  man  sieh  der  Ceberzeagong  nicht  mehr  ver* 
schliessen  konnte,  dass  gewisse  Geschwülste  Uebereinstim- 
mongen  darbieten  mit  gewissen  Theilen  des  Körpers. 
Indem  man  diese  Geschwülste  auch  mit  Namen  belegte,  welche 
den  analogen  Theilen  des  Körpers  entsprachen,  so  gewann  man 
dadurch  zuerst  den  Eingang  in  eine  verstandigere  Auffassnng  und 
Bezeichnung.  Als  man  erfuhr,  dass  es  eine  Form  von  Geschwül- 
sten gebe,  die  aus  Fettgewebe  bestehen,  und  als  man  diese  Fettge- 
schwülste nannte,  da  hatte  man  eine  unmittelbare  Beziehung  zwi- 
schen dem  normalen  Fettgewebe  und  der  pathologisch  neugebildeten 
Fettgeschwulst  Als  man  sich  überzeugte,  dass  der  Körper  an  sei- 
ner Oberfläche  mit  einer  hornigen  Lage  von  Epidermis  überzogen 
ist,  was  man  früher  nicht  wusste,  da  verstand  es  sich  von  selbst, 
dass  die  hornigen  Auswüchse  auf  der  Haut  angesehen  wurden  als 
„Wiederholungen^  oder  „Nachahmungen^  der  Epidennis  und  als 
etwas  aus  ihr  Hervorgegangenes.  So  kam  man  Schritt  für  Schritt 
weiter,  und  schon  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  hat  ein  in 
der  Anatomie  wohlerfahrener  Chirurg,  Abernethy  hervorgehoben, 
dass  es  Geschwülste  gebe,  welche  zusammengesetzteren  Theilen 
des  Körpers  ähnlich  seien.  Er  sprach,  freilich  ohne  die  völlige 
Identität  des  Gewebes  zu  behaupten,  von  einem  pancreasartigen, 
von  einem  brustilrüsenartigen  Sarkom  *)  und  näherte  auf  diese 
Weise  auch  die  zusammengesetzteren  Geschwulstfonnen  den  zu- 
sammengesetzteren Theilen  des  Körpers. 

Alle  diese  Untersuchungen  aber  führten  zu  keinem  endgültigen 
und  bleibenden  Itesultat,  weil  die  Basis  fehlte,  auf  der  überhaupt 
derartige  Untersuchungen  nur  geführt  werden  können,  nehmlich  die 
Kenntniss  der  menschlichen  Gewebe  und  ihrer  Entwickelung  (Hi- 
stologie und  Embryolo;zie).  Erst  als  Bichat  die  allgemeine 
Anatomie  begründete,  wurde  es  möglich,  die  Vergleichung  auf  ein- 
zelne Geweihe  zu  lieziehen.  Aber  die  Gewebe  von  Bichat**)  ge- 
nfigten noch  nicht  für  die  Begründung  einer  eigentlichen  Gowebs- 
lehre,  da  sie  sich  zumeist  auf  äusserliche  Eigenschaften  l>egrün- 
tU'U'ti;  nie  genügten  el)enso  wenig,  wie  die  Embryologie  von  Haller 
üfül    John  Hunter    die    hinreichende    Einsicht    in    die    Histo- 

*;  JhU.  Aberuethy,   MediciniHch-chirurgiöche  Beobachtungen.  DeuUch 
«4^  /  K    Hp4M.  Halle.  1809.  S.  24,  81. 
•♦/  rvilnUriiatlioIoi^io.  S.  27. 


Histologische  Grundlagen.  15 

genie  gewährte.  Erst  nachdem  aus  der  Schule  von  Döllinger 
eine  Reihe  bahnbrechender  Untersuchungen  über  die  Entwicke- 
lungsgesehichte  hervorgegangen  war  und  sodann  durch  Schwann 
und  Johannes  Müller  die  feineren  Bestandtheile  sowohl  der 
Gewebe  als  der  Geschwülste  Gegenstand  der  wissenschaftlichen 
Untersuchung  wurden,  erst  von  da  an  hat  sich,  obwohl  lange  nicht 
mit  der  Schnelligkeit,  wie  man  ursprünglich  gehofft  und  erwartet 
hatte,  die  Kenntniss  der  Geschwülste  so  weit  festgestellt,  dass  man 
gegenwärtig,  nahezu  wenigstens,  eine  Classification  auf  anato- 
misch-genetischer Grundlage  aufstellen  kann.  Ich  sage 
nahezu,  denn  noch  heut  zu  Tage  giebt  es  einzelne  Gebiete,  inner- 
halb deren  eine  weitergehende  Scheidung  nothwendig  sein  wird, 
und  wo  die  Parallele  zwischen  der  Geschwulstbildung  und  den 
normalen  Gewebszustanden  erst  durch  genauere  Erfahrungen  bis  in 
das  Einzelne  festgesetzt  werden  kann. 


Zweite  Vorlesung. 

15.  November  1862. 


ll«M«l«gie  Mfi  H^rtlofie  der  Cfsdiwnkte. 


MI«IhI«kI«<-Hi«  Btseichnung  der  Oeschwülsto.  Sarkom.  Accident«lle  Neubildangen  und  Bildungen 
■iil  H^iitifU.  Parasitismus:  Auffassung  der  (leschwülste  als  entosoi^cber  Wesen.  Acepha- 
|Mt<)ali<ii.  Iloiuooplasie  und  lleteroplasie.  Euplastische  und  Icakoplastische  Stoffe.  Besiehung 
Nitf  lUs  (Jrfisssystem:  (ieschwülste  mit  peripherischer  und  centraler  Circulation.  Cheraltche 
Tiitarsuchung:  specifische  Stoffe  fermentartige  Substansen.  Mikroskopische  Untersuchung: 
■|iPi-|llsche  Kiemeute.  Die  Geschwülste  als  Theile  des  Körpers.  Genauere  Bentimraiing  von 
Homologie  und  Iletorologie.    Praktischer  Werth  dieser  Unterscheidung. 


Irli  hatte  das  letzte  Mal  zu  zeigen  versucht,  dass  jede  geord- 
nete Kcnntniss  der  Geschwülste*)  zunächst  beruhen  niuss  auf  einer 
Konaucn  anatomisch -genetischen  Grundlage,  ähnlich  wie  es  in 
d«n  anderen  Zweigen  der  organischen  Naturwissenschaften  der  Fall 
int.  Ich  hatte  femer  angeführt,  dass  diese  Erkenntniss  sich  Bahn 
gebrochen  hat  seit  der  Zeit,  wo  die  allgemeine  Anatomie  und  Em- 
bryologie begründet  und  die  Gewebelehre  wenigstens  in  ihren  An- 
fingen aufgestellt  worden  ist.  Bis  zu  jener  Zeit  hin  begnügte  man 
Mich,  wenn  man  Yergleichungen  der  Substanz  der  Geschwülste  mit 
irgend  welchen  Theilen  des  Körpers  anstellte,  gewohnlich  mit  den 
idlerrohesten    und    gröbsten  Yergleichungen;    man   begnügte  sich 


*)  Kr«  int  hit^r  ht^sondon«  xu  bemerken,  dass  sich  die  Betrachtungen  die- 
m«r  Vtirh'Huni;,  sowie  die  der  dnn  folgenden  wesentlich  auf  die  neoplasti- 
Mcheti  Arten  ( P**<'ti<l<U*l'^^''^*^iO  hinziehen  und  daher  nicht  die  ganze  Frage 
einrh'i|if«Mi;  die  Nechrtte  Vorlesung  wird  dies  erganzen. 


Accidentelle  NeubildangeD  und  Bildungen  sui  generis.  17 

yielfach  damit,  nur  die  ganz  harten  Geschwülste  und  die  ganz 
oder  nahezu  flüssigen  weiter  einzutheilen,  während  man  ziemlich 
alles,  was  dazwischen  lag,  die  ganze  Gruppe  der  weicheren  Bil- 
dungen in  der  Regel  mit  dem  nichtssagenden  und  seit  jener  Zeit 
noch  immer  in  Misscredit  stehenden  Namen  der  Sarkome  oder 
Fleischgeschwülste  bezeichnete,  wodurch  nur  gesagt  sein  sollte, 
dass  sie  mit  dem,  was  man  Fleisch  zu  nennen  beliebt,  irgend  eine 
Aehnlichkeit  hätten.  Wenn  man  aber  Alles,  was  im  Körper  weich 
ist,  Fleisch  nennt,  so  ist  dies  ein  grosses  Gebiet  der  Vergleichung, 
und  so  ist  auch  die  Reihe  der  Sarkome  eine  ungebührlich  grosse 
geworden. 

Als  nun  die  einzelnen  Gewebe,  so  weit  sie  sich  ohne  feinere 
Untersuchung  der  Elementartheile  abgrenzen  Hessen,  auseinander- 
gelegt wurden,  da  hatte  das  auf  die  Auffassung  der  Geschwülste 
einen  wesentlichen,  und  für  eine  grosse  Gruppe  derselben  einen 
völlig  bestimmenden  Einfluss.  Von  Bichat  selbst  sind  uns  nur 
sehr  kurze  allgemein -pathologisch -anatomische  Bemerkungen  er- 
halten, allein  schon  darin  sind  die  Grundlagen  für  jene  An- 
schauung gelegt,  die  nachher  fast  ein  halbes  Jahrhundert  hindurch 
fortbestanden  hat,  und  die  meines  Wissens  zuerst  von  Dupuytren*) 
schärfer  formulirt  worden  ist ,  wonach  man  die  Geschwülste  in 
zwei  grössere  Gruppen  zerlegte:  solche,  welche  mehr  bekannten 
Körperbestandtheilen  analog  seien,  und  solche,  welche  eine  beson- 
dere, von  der  Natur  und  Zusammensetzung  der  normalen  Körper- 
bestandtheile  abweichende  Beschaifenheit  darzubieten  schienen.  Die 
ersteren  brachte  man  gewöhnlich  in  eine  Gruppe  mit  anderen  Neu- 
bildungen zusammen,  die  in  der  französischen  Terminologie  mei- 
stens als  accidentelle  Neubildungen  bezeichnet  worden  sind. 
Die  anderen  bezeichnete  man  als  Bildungen  sui  generis,  und 
man  kam  auf  den  Gedanken  von  Harvey**)  zurück,  dass  sie  ganz 
nach  Art  parasitischer  Gebilde,  wie  man  sie  besonders  im  Pflanzcn- 


•)  Bulletin   de   PEcole    de  Medecine   de  Paris.    An  13  (1805).  No.  II. 
p.  15  —  17. 

•♦)  Guilelm.  Harvey  Exercitationes  de  generatione  animalium.  Ara- 
stel.  1651.  p.  113.  Nachdem  er  das  selbständige  Leben  des  Ovulum  be- 
sprochen hat,  föhrt  er  fort:  Ad  hunc  pariter  modum  vivunt  fungi  arborum 
et  plantae  supercrescentes.  Quinetiam  experimur  saepius  in  corporibus  uostris 
eancros,  sarcoses,  melicerides  aliosque  id  genus  tnmores,  quasi  propria 
anima  vegetativa  nutriri  et  crescere,  dum  interea  genuinae  partes  ex- 
tenuantur  et  marcescunt. 

Vircbow,  Geschwülste.    1.  2 


18  Zweite  Vorlesung. 

reich  kennt,  an  dem  Körper  sich  entwickelten,  ein  eigenes  Leben  lehr- 
ten und  unabhängig  von  dem  Körper  lebten,  an  welchem  sie  zehrten. 
Die  Betrachtung  von  der  parasitischen  Natur  mancher 
Geschwülste  hat  mehrfach  auf  die  Vermuthung  gefuhrt,  dass  das 
eigene  Leben  derselben  mehr  bedeute,  als  man  es  von  dem  Stand- 
punkte derjenigen  aus  zugestehen  wollte,  welche  die  Geschwülste 
doch  noch  als  Theile  des  Körpers  betrachteten.  Manche  gingen 
so  weit,  dass  sie  in  der  That  glaubten,  in  den  Geschwülsten 
Wesen  eigener  Art,  nach  Art  etwa  der  Entozoen,  zu  erkennen, 
ja  es  hat  mehrere,  ganz  erfahrene  Gelehrte  gegeben,  welche  die 
Geschwülste  geradezu  für  Entozoen  und  namentlich  für  Ilydatiden 
erklärten,  die  später  sich  füllten  und  an  Stelle  der  Flüssigkeit 
das  entwickelten,  was  als  Körper  der  Geschwulst  erschiene. 
So  ist  noch  in  unserem  Jahrhundert  von  ein  Paar  englischen 
Aerzten,  Adams*)  und  Baron**)  (und  in  manchen  Stücken 
haben  sich  französische  Beobachter  ihnen  angeschlossen),  eine 
ganze  Reihe  von  Geschwulstarten  in  die  Reihe  der  entozoi- 
sehen  Bildungen  hineingerechnet  worden.  Man  begreift,  wie  solche 
Vorstellungen  Raum  gewinnen  konnten,  wenn  man  sich  erinnert, 
dass  zu  damaliger  Zeit  eine  ganze  Reihe  von  Bildungen,  welche 
man  früher  als  Balggeschwülste  betrachtet  hatte,  als  wirkliche 
Entozoen  erkannt  wurden.  Als  man  die  Entozoa  cystica,  die 
Blasenwünner,  unterscheiden  lernte  von  den  Tumores  cystici,  den 
Blasen-  und  Balggeschwülsten,  da  war  es  natürlich,  dass  man 
eine  Zeit  lang  sehr  unsicher  wurde,  wo  denn  eigentlich  die  Grenze 
zwischen  beiden  läge.  Es  gab  eine  bestimmte  Kategorie  (Cysti- 
cerken,  Echinococcen,  Coenuren),  von  denen  man  erkannt  hatte, 
dass  es  wirklich  belebte  Thiere  seien,  obwohl  einzelne  weder  einen 
Kopf  noch  eine  specielle  Organisation  erkennen  Hessen;  letztere 
fasste  man  unter  dem  Namen  der  Acephalocysten  zusammen. 
Nun  konnte  die  Vorstellung  entstehen,  dass  andere  Cysten  und 
Säcke,  deren  Wesen  man  noch  nicht  ermittelt  hatte,  auch  solche 
Acephalocysten  seien,  die  für  sich  lebten  und  als  Parasiten  im 


*}  Adams.  On  the  cancerous  breast  Loudon. 
**)  lu  seinem  späteren  Werk  (Delineations  of  the  origin  and  progress 
of  varioas  changes  of  stracture  which  occnr  in  man  and  some  ot  the  in- 
ferior animaUi.  Lond.  1828.  p.  15.)  hat  Baron  allerdings  einen  mehr  un- 
befangenen Standpunkt  eingenommen,  indem  er  die  Frage  von  der  Thier- 
natar  der  H^datiden,  aas  welchen  er  Tnberkeln  und  andere  Geschwülste 
ableitet,  dahingestellt  sein  Hess. 


Parasitismus.  ig 

KOrper  existirten,  und  es  konnte  sich  Jemand  sehr  leicht  vor- 
stellen, dass  im  Innern  einer  solchen  Blase  durch  eine  fortschrei- 
tende Organisation  Fleisch  sich  bilde,  und  dass  selbst  manche 
festeren  Geschwülste ,  deren  Natur  sehr  schwer  zu  begreifen  war, 
durch  und  durch  entozoische  Bildungen  seien*). 

Allen  diesen  Betrachtungen  liegt  der  an  sich  ganz  richtige 
Gesichtspunkt  des  Parasitismus**)  zu  Grunde,  der  nicht  blos 
aus  der  Erfahrung,  unmittelbar,  sondern  auch  theoretisch  sehr  wohl 
zu   demonstriren   ist    und    auf  den   ich   speciell   zurückkommen 
werde.    Aber  es  war  ein  Miss verständniss ,  sofort  bis  auf  beson- 
dere Thierspecies  zurückzugehen,  um  die  doch  immer  nur  relative 
Selbständigkeit  der  Geschwülste  zu  erklären,  und  man  überzeugte 
sich  davon  auch  bald,  als  man  etwas  genauer  in  die  Kenntniss 
des  inneren  Baues  derselben  eindrang.     Jedenfalls  waren  darin 
alle  Beobachter  einig,  dass  es  eine  grosse  Reihe  von  Geschwulsten 
gäbe,  welche  sui  generis  seien,  mit  den  Körpertheilen  nicht  über- 
einstimmten,  sondern   höchstens    eine   gewisse  Aehnlichkeit  mit 
ihnen  hätten.    Wie  weit  dies  Gebiet  auszudehnen  wäre,  darüber 
waren  die  verschiedenen  Beobachter  sehr  zweifelhaft.     Während 
noch  Laennec  eine  gewisse  Zahl  von  Geschwülsten  mit   dem 
Namen  der  encephaloiden  bezeichnete,  weil  sie  ein  Aussehen  wie 
Gehimsubstanz  hatten,  aus  einem  ähnlichen  Grunde  Maunoir  die 
Hedullarsarkome  als  Anhäufungen  von  ausgetretener  Nervenmasse 
betrachtete,  ja  noch  viel  später  Ehrenb  erg  die  Identität  der  mikro- 
skopischen Elemente  beider  darzuthun  bemüht  war,  so  war  doch  die 
grosse  Mehrzahl  der  üntersucher  der  Ansicht,  dass  diese  Aehnlich- 
keit nur  eine  äusserliche  sei  und  nicht  in  einer  Art  von  Reproduc- 
tion  wirklicher  Nervenmasse  beruhe.     Man  blieb  daher  schliess- 
lich dabei  stehen,  dass  in  einer  beträchtlichen  Reihe  von  Geschwulst- 
bildungen durchaus  fremde,  eigenartige  Erzeugnisse  vorlägen. 
Man  bemühte  sich  dann  innerhalb  dieser  zwei  Gruppen  (der 
accidentellen  Neubildung  und  der  sui   generis  Bildung)  Unterab- 
theilungen festzustellen,  je  nachdem  die  einzelnen  Formen  sich 
durch  besondere  Charaktere  unterscheiden  liessen. 


*)  Diese  Vorstellung  hat  historisch  einen  besonderen  Werth,  weil  darauf 
die  so  oft  besprochene  Theorie  Hodgkin 's  von  der  cystischen  Natur  der 
verschiedenartigsten  Geschwülste,  z.  B.  auch  des  Krebses  beruht,  und  weil 
selbst  die  Theorie  Rokitansky 's  von  der  Cyste  und  den  Maschenwerken 
ohne  diese  Vorgänger  vielleicht  nicht  enstanden  wäre. 
♦♦)  Cellularpathologie.    3.  Aufl.    S.  427. 

2* 


20  Zweite  Vorlesung. 

Iq  dieser  Art  der  Untersuchung  sind  es  besonders  die  un- 
mittelbaren Schüler  von  Bichat  und  seine  nächsten  Nachfolger 
gewesen,  welche  das  Gebiet  unserer  Kenntnisse  erheblich  erwei- 
terten, unten'hnen  insbesondere  Dupuytren,  Laennec,  Cru- 
ve  11  hier,  und  einer  der  verdienstvollsten,  Lob  stein,  der  Strass- 
burger  Kliniker  und  pathologische  Anatom,  der,  durch  die  Lage 
seiner  Lehranstalt  gleichsam  in  die  Mitte  zwischen  Frankreich 
und  Deutschland  gestellt,  auch  am  meisten  die  Vermittelung  zwi- 
schen uns  und  unsem  westlichen  Nachbarn  übernommen  hat.  Er 
hat  zugleich  das  Verdienst,  die  beiden  Reihen  scharf  bezeichnet 
und  dadurch  für  die  Anschauung  zugänglicher  gemacht  zu  haben, 
indem  er  die  erstere  mit  dem  Namen  der  Homoeoplasie  be- 
legte, insofern  hier  den  Körpertheilen  gleiche  oder  ähnliche  Bil- 
dungen erzeugt  würden,  und  die  andere  mit  dem  Namen  der 
Heteroplasie,  insofern  hier  von  dem  Körper  abweichende, 
eigenthümliche  Produkte  entstünden. 

Während  auf  diese  Weise  eine  Art  von  Einigung  über  die 
Eintheilung  erzielt  wurde,  so  schloss  man  sich,  in  Beziehung  auf 
die  Bildung  selbst,  auf  die  Entstehung  der  Geschwülste,  im  All- 
gemeinen denjenigen  Anschauungen  an,  welche  schon  in  den  älteren 
Zeiten  derMedicin  herrschend  gewesen  waren,  und  welche  namentlich 
durch  die  englischen  Physiologen  seit  Hewson  eine  allgemeinere 
Verbreitung  gefunden  hatten,  nämlich  dass  der  Ernährungssaft,  die 
plastische  Lymphe,  an  gewissen  Orten  aus  den  Gefilssen  austrete, 
und  aus  ihr  die  neuen  Bildungen  entstünden.  —  Lobstein  ging 
einen  Schritt  weiter.  Er  meinte,  man  müsse  in  Beziehung  auf  den 
Bildungsstoff  zweierlei  Arten  unterscheiden:  eine,  welche  die  Grund- 
lage der  homoeoplastischen  Gebilde  würde,  und  welche  sich  von 
vorn  herein  durch  bessere  Beschaffenheit  auszeichne,  die  er  des- 
halb euplastische  nannte,  und  eine  andere,  welche  von  vom 
herein  eine  schlechtere  Beschaffenheit  besitze,  und  die  er  deshalb 
als  diekakoplastische  bezeichnete*).  Damit  führte  diese  Lehre 
natürlich  in  das  Gebiet  der  Humoralpathologie  hinein,  denn  wenn 
man  zuletzt  auf  das  Blut  und  die  Bildungssäfke  zurückkam,  so 
war  man  im  Wesentlichen  auf  dem  alten  humoralpathologischen 
Gebiet,  und  die  Entstehung  und  besondere  Natur  der  Geschwülste 


•)  J.  F.   Lobstein.     Traite   d'aoat    patholog.    Paris.    1829.    Tom.  I. 
p.  365.  473. 


HomÖoplasie  und  Heteroplasie.  21 

wurde  wieder  abhängig  von  der  Natur  der  Säfte,  welche  aus  dem 
Blut  heraus  geliefert  wurden  und  welche  in  ihm  mehr  oder  weni- 
ger praeformirt  enthalten  sein  mussten.  Diese  himioralpatliolo- 
gische  Auffassung  hat  Lob  stein  freilich  sehr  beschränkt,  indem 
er  die  Lehre  von  der  Bildungskraft,  wie  sie  von  Blumenbach 
ausgebildet  war,  mit  hinein  nahm,  indess  kann  man  nicht  leugnen, 
dass  dies  nur  ein  philosophischer  Beisatz  war,  während  doch  die 
Grundlage  der  ganzen  Auffassung  humoralpathologisch  blieb. 

Dieser  Richtung,  wonach  man  einen  Theil  der  Geschwülste 
den  Körpergeweben  annäherte  und  den  anderen  davon  schied,  ist 
man  zunächst  auch  in  Deutschland  gefolgt.  Diejenigen,  welche 
am  meisten  die  französische  Doctrin  aufnahmen,  wie  Heusin- 
ger*),  noch  jetzt  Professor  in  Marburg,  und  Joh.  Fr.  Meckel**), 
haben  diese  Scheidung  als  selbstverständlich  angenommen  und 
ihre  nächste  und  wesentliche  Aufgabe  darin  gesucht,  die  Beweise 
für  die  üebereinstimmung  der  homoeoplastischen  Bildungen  mit 
den  normalen  Geweben  so  sicher  als  möglich  zu  stellen;  es  ge- 
lang ihnen  nicht,  tiefer  in  das  Wesen  der  Heteroplasie  einzudringen. 
Nur  ein  einziger  Beobachter,  so  viel  ich  weiss,  leugnete  diese 
Differenz.  Fleischmann***)  erklärte  geradezu,  die  Tumoren 
„seien  nur  Kopien  normaler  organischer  Theile  eben  desselben 
Leibes,  in  welchem  sie  hervorgehen  und  bestehen."  Namentlich 
machte  er  den  Versuch,  gewisse  Schleimhautpolypen  als  Nachbil- 
dungen der  Lymphdrüsen  darzustellen.  Allein  Meckel  wies  den 
Versuch  herbe  zurück,  und  seine  Autorität  entschied. 

Während  in  dieser  Art  gewissermassen  die  Schule  von 
Bichat  sich  bei  uns  ausbreitete,  so  kam  eine  etwas  andere  Auf- 
fassung in  diese  Angelegenheit  durch  die  englischen  Beobachter 
hinein,  seitdem  JohnHunter  durch  die  Entwickelungsgeschichte 
des  Hühnchens,  die  er  auf  die  pathologischen  Neubildungen  an- 
wandtet),   insbesondere   den  Gesichtspunkt  von  der  Bedeutung 


♦)  Carl   Fr.  Heu  sin  ger.    System   der  Histologie.    Eisenach.     1822. 
I.    S.  88. 

♦•)  Joh.  Fr.  Meckel.  Handbuch  der  pathol.  Anatomie.  Leipzig.  1818. 
U.  2.  S.  115. 
♦♦♦)  Gottfr.  Fleischmann.  Leichenöffnungen.  Erlangen.  1815.  S.  111. 
t)John  Hunter.  A  Treatise  on  the  blood,  inflammation  and  guu- 
shot  wounds.  Lond.  1812.  Vol.  L  p.  162.  VoL  H.  p.  56.  63.  Ever. 
Home  Some  obserrations  on  the  loose  cartilages  found  in  joints.  Transact. 
of  the  Society  for  the  improvement  of  medical  and  chirurgical  knowledge. 
Lond.  1793.  p.  230. 


"l'l  Zweite-  Vorlt^simg. 

der  G«5fa^8e  in  d«n  Vorderprund  ireschoben  hade.  Man  muss  sich 
liiHf  £uua<'lif$t  eriimeni.  dast>  maD  mxi  H aller  die  Bfldmig  des 
GrfaNb>yh'temH.  ^emi  niciit  al^  dat-  Erste,  f*o  doch  ak  das  Wich- 
ti^su-  bei  der  Enibfronalbildung  aTiTiahm.  I^  Panctmii  salieiis, 
di«.  erKt4^  Anlage  det^  Herren^:  und  der  Gefiisfie  war  fir  die  alteren 
itiuiirvolugeD  der  Anfang  der  Organisation:  ja  man  dachte  sich 
di«'  gautt  weitere  Entwickelung  wesentücb  dadurch  bedingt,  dass 
iü  dah  Blahiem  hinein  Geias^e  entstünden«  welche  überall  und 
iiniuerfort  die  Pioniere  der  Organisaöon  seien.  Nur  wo  Geßsse 
beii-u.  kOüoe  eine  Organisation  eintreten^  und  das  Material  dazu 
lielere  entweder  coagulirtes  Blut  oder  ergossene  ^plastische 
lAmpbe^*}.  Da^  ibt  eine  gleichfalls  auf  humoralpathologischem 
Grunde  ruhende;  aber  nacb  anderer  Richtung  hin  entwickelte 
l>o<;trin- 

l>iese  Aufliatisung  führte  an  die  genauere  Betrachtung  über 
di«;  Yertbeilung  der  Gefisse  und  über  den  Reichtlium  an  Gefassen 
in  d<-r  eiozeluen  Geschwulst  Sie  griff  namentlich  bei  den  Chi- 
rurgen Platz,  l>ei  denen  ja  die  Frage  nach  dem  Gefassreichthum 
einer  Ge}<chwulHt  und  nach  der  Verbindung  ihrer  Gelasse  mit  dem 
Mutt4>rbo<l^m  an  t«ich  eine  grössere  Bedeutung  hat  wegen  des  ope- 
rativen Kingreifens.  Alan  glaubte,  dass  sich  hier  wesentliche 
IJnti^rKrhie^k  nia<!ben  lassen,  theils  in  Beziehung  auf  die  Gelasse 
Helb})t,  theilri  auf  ihren  Zusammenhang  mit  dem  Mutterboden. 
WaH  die  Vertlieilung  anlangt,  so  wurde  namentlich  in  unserer 
diMjlHcbi'fj  HyHtr*inatiHchen  Chirurgie,  wie  sich  das  am  allerbesten 
in  di^ii  I>ilire»  des  früheren  Directors  der  Charite,  Kluge**), 
'u*\^\fi*^  ünterHchiedeii,  indem  man  einen  Theil  der  Geschwülste  als 
Holclie  mit  peripherischem  Lcbenshccrd,  d.  h.  mit  peripherischer 
iüniilation,  und  andere  mit  centralem  Lebensheerd  oder  centra- 
l«r  (üriiiliition  aufstellte.  Bei  den  ersteren  sollte  das  Gefass- 
Hyhtem  auHHcn  um  die  Geschwulst  herum  in  einer  Art  häutiger 
AunhrcituiiK  licj^cn,  und  die  Gcfiissc  nach  innen  eine  Mjisse  ab- 
hondciii,  die  mehr  oder  woniger  organisirt,  mehr  oder  weniger 
b^wenürh,  vinll(Mcht  ganz  flüssig  war.  Das  war  die  Klasse  der 
HOKi^imunten  Sack-  oder  Balggcschwülste,  wobei  man  soweit 


•)  Aborntitliv  Ä.  a  0.  S.  7.  74. 

**)  iMt^Ht^lbou  miimI  nit»4)i*r|{olc);t  in  der  Dissertation  von  C.  A.  F.  Hasse 
(hfl  fuiigo  imMhillari.  Ilerliii.  Wl\.\  und  in  einem  Auszuge  ans  derselbea 
von  Uctschlor  (Hunt*»  MuKuxin    Bd.  .\V1.  Heft  2.  S.  191.  211.) 


GefaBseinrichtung.  23 

ging,  dass  man  nicht  blos  die  Hygrome,  Atherome  und  Meliceris 
in  diese  Kategorie  rechnete,  sondern  auch  gewisse  Steatome  und 
Lipome,  bei  denen  man  in  der  Geschwulst  wenig  oder  gar  keine 
Gefasse  fand,  während  aussen  ein  reichliches  Geiassnetz  und  eine 
dickere,  membranöse  Hülle  erschien.  Anders  dagegen  betrachtete 
man  die  soliden  oder  Vollgeschwülste,  bei  denen  die  Ge- 
fasse im  Innern  der  Geschwulst  selbst  vorhanden  seien,  sich  dort 
verbreiteten  und  eine  reichliche  Circulation  unterhielten,  wie  in 
Skirrhen,  Polypen,  Warzen,  am  meisten  aber  in  dem  viel 
discutirten  Blutschwamm  (Fungus  haematodes)  der  Fall  sei.  Diese 
Geschwülste  wüchsen  von  innen  nach  aussen  und  stürben  von  der 
Peripherie  zuerst  ab,  weil  die  von  der  Mitte  kommende  Lebens- 
strömung hier  am  schwächsten  sei. 

Allein  zugleich  dachte  man  sich,  dass  diese  Gefasse  keines- 
weges  von  Anfang  an,  und  häutig  auch  späterhin  nicht,  in  einer 
permanenten  Verbindung  und  offener  Communication  stünden  mit 
den  Gefässen  des  Körpers  überhaupt,  sondern  dass  in  ähnlicher 
Weise,  wie  beim  Hühnchen  die  Area  vasculosa  sich  selbständig 
aus  dem  früher  vorhandenen  Stoff  bildet,  so  auch  die  Gefasse  der 
Geschwulst  aus  dem  Bildungsmaterial,  aus  dem  ausgeschwitzten 
organischen  Stoff  als  etwas  Selbständiges  entstünden*),  und  sich 
also  gleichsam  ein  Herz  und  eine  Circulation  auf  eigene  Faust  in 
der  Geschwulst  entwickelten,  die  dann  später  in  irgend  eine  Ver- 
bindung mit  der  alten  Circulation  treten  könnte.  Das  so  entstan- 
dene Gefässsystem  sei  dann  so  „zwischen  die  Endingnngen  des 
Blutgefasssystems  der  befallenen  Gebilde  eingeschoben,  wie  das 
Pfortadersystem  zwischen  die  Enden  der  Abdominalarterien  und 
die  Vena  cava  inferior."  Ich  hebe  dies  hervor,  weil,  wie  nachher 
anzuführen  ist,  von  einigen  der  ausgezeichnetsten  Untersucher  der 
neueren  2^it,  in  manchen  Richtungen  wenigstens  ganz  ähnliehe 
Vorstellungen  unterhalten  worden  sind  und  wir  gegenwärtig  noch 
nicht  sagen  können,  dass  sie  vollständig  überwunden  sind. 

Man  begreift,  dass  von  dieser  Auffassung  aus  die  innere  Zu- 
sammensetzung der  Geschwülste,  so  weit  sie  sich  nicht  auf  die 
Gefasse  bezog,  ein  Gegenstand  von  secundärer  Bedeutung  wurde 
und  dass  man  das  Hauptgewicht  gerade  darauf  legte,  zu  unter- 


•)  F.  J.  F.  Meyen.  Untersuchungen  über  die  Natur  parasitischer  Ge- 
schwülste im  menschlichen  Körper,  insbesondere  über  den  Mark-  und  Blut- 
ichwamm.    Berlin.  1826.  S.  37. 


24  Zweite  Vorlesung. 

suchen:  wie  verhält  sich  das  Gefässsystem ?  Trotzdem  war  man 
überzeugt,  dass,  im  Grossen  wenigstens,  die  Klasse  der  Geschwülste 
mit  einem  inneren,  selbständigen  Gefasssystem  auch  die  mehr  ab- 
weichenden, die  mehr  parasitischen  oder  bösartigen  enthalte,  wäh- 
rend die  anderen  im  Allgemeinen  die  Klasse  der  gutartigen  oder 
unschuldigen  Geschwülste  bildeten.  Demnach  entspricht  auch  in 
dieser  Aufstellung,  wie  in  der  vorher  angeführten,  die  eine  Reihe 
mehr  den  dem  Körper  verwandten,  den  Körpertheilen  näher  stehen- 
den, die  andere  den  dem  Körper  femer  stehenden  oder  ganz  und 
gar  durch  eigene  selbständige  Natur  ausgezeichneten  Geschwülsten. 

Erwägt  man,  dass  schon  seit  längerer  Zeit  der  grössere  Theil 
deijenigen  Geschwülste,  die  der  letzteren  Gruppe  angehören,  als 
der  Ausdruck  einer  tiefen  Veränderung  des  Körpers  überhaupt  und 
insbesondere  einer  weitgreifenden  Veränderung  des  Blutes,  einer 
Kakochymie,  einer  besonderen  Dyscrasie  betrachtet  worden 
war,  so  kann  man  sich  leicht  vorstellen,  dass  weiter  und  weiter 
die  Ueberzeugung  auch  durch  diese  Untersuchungen  sich  befestigte, 
dass  wir  hier  etwas  ganz  Ungewöhnliches,  ja  eine  Leistung  der 
Krankheit  hätten,  welche  dem  physiologischen  Leben  diametral 
entgegengesetzt  sei.  Als  nun,  in  den  dreissiger  Jahren  insbeson- 
dere, man  sich  immer  mehr  bemühte,  durch  Anwendung  des 
Mikroskops  und  der  chemischen  Hülfsmittel  die  Kenntniss  der  Ge- 
schwülste zu  erweitem,  da  erwartete  alle  Welt,  es  werde  gelingen, 
sowohl  auf  chemischem  Wege  besondere  Stoffe,  z.  B.  einen  beson- 
deren KrebsstoflF,  so  ein  Carcinomatin,  oder  irgend  eine  andere  ähn- 
liche Substanz  zu  isoliren,  als  auch  durch  die  mikroskopische 
fJnti*Tsuchung  ganz  besondere  morphologische  Bildungen  zu  er- 
mitteln, welche  zugleich  als  diagnostische  Merkmale  die- 
nen könnten. 

Die  chemische  Untersuchung  war  schon  vielfach,  namentlich 
in  Paris  und  auch  in  Strassburg  versucht  worden.  Man  hatt«  alle 
möj<lirlien  Geschwülste  chemisch,  man  kann  wohl  sagen,  maltraitirt; 
tttK'r,  obwohl  sehr  berühmte  Chemiker,  wie  Thenard,  Vauquelin, 
Lfft^Hait^ne,  sich  an  die  Aufgabe  gemacht  hatten,  so  muss  man 
4m  U  r«a((<*n,  dann  das  Resultat  ihrer  Bestrebungen  ein  ungleich  ge- 
tiimt'ft'M  war,  als  es  selbst  nach  dem  damaligen  Standpunkt  er- 
wurfi'i  wifrd<«ji  konnte.  Man  verstand  noch  nicht,  die  Fragen 
tyUUyi,  m  ¥iU*\V*\\.  Jedenfalls  fand  man  nichts,  was  als  specifi- 
f  «Jiir  hiolT,  HJH  i*igenthümliche  Geschwulstsubstanz  hatte  bezeich* 


Specifische  Stoffe.  25 

net  werden  können;  man  kam  zuletzt  darauf  hinaus^  das8,  je 
schlimmer  die  Geschwulst,  um  so  mehr  eiweissartige  Bestandtheile 
darin  enthalten  seien,  während  gerade  besondere  StoflFe  vielmehr  in 
den  homoeoplastischen  Geschwülsten  sich  fanden,  aus  denen  man 
Leim,  besondere  Fette  der  verschiedensten  Art,  sowohl  flüssige, 
als  krystallinische  u.  s.  w.  gewinnen  konnte.  Die  gutartigen 
gaben  mehr  Ausbeute  als  die  bösartigen,  begreiflicher  Weise,  weil 
m^  da  auf  bekanntere  Gewebsformen  stiess,  die  man  nach  ihrer 
Zusammensetzung  schon  besser  kannte. 

Nur  so  wird  man  es  begreiflich  finden,  dass  selbst  ein  Mann 
wie  Rokitansky*)  auf  die  Vorstellung  kommen  konnte,  dass 
die  kakoplastische  Substanz  eigentlich  im  Eiweis  zu  suchen  sei 
und  dass  gerade  im  „erkrankten"  Albumen  die  Urquelle  der 
schlimmsten  Localbildungen  beruhe,  welche  im  Körper  vorkommen. 
Hat  doch  selbst  Joh.  Müller  sehr  viel  gekocht  und  extrahirt  an 
den  Geschwülsten,  indess  auch  seine  Erfolge  kamen  über  das  Ge- 
biet des  Leims  und  Eiweisses  nicht  viel  hinaus. 

Seitdem  hat  man  eigentlich  aufgehört,  die  Geschwülste  che- 
misch viel  zu  untersuchen,  und  in  der  That  giebt  es  auch  noch 
heut  zu  Tage  nur  wenig  Anhaltspunkte,  aus  denen  man  schliessen 
könnte,  dass  etwa  ganz  absonderliche  Geschwulstalkaloide  entdeckt 
und  so  in  den  Geschwülsten  die  wesentlichen  Bestandtheile  er- 
mittelt werden  könnten.  Vielmehr  gehen  alle  unsere  Vorstellungen 
dahin,  dass  diejenigen  Substanzen,  welche  die  Hauptwirksamkeit 
besitzen,  Stoffe  von  keiner  fixen  Beschaffenheit  sind,  sondern  sich 
auf  dem  Wege  der  Umsetzung  finden,  dass  sie  auf  diesem  Wege 
gewisse  Stadien  haben,  in  welchen  sie  eine  verschiedene  Wirksam- 
keit ausüben  können,  ähnlich  allerlei  Fermentsubstanzen. 
Auch  bei  diesen  begnügen  wir  uns  ja  vor  der  Hand,  die  Qualität 
der  Substanz  zu  bezeichnen,  nicht  so  sehr  nach  ihrer  chemischen 
Constitution,  sondern  nach  ihrer  speciellen  Wirksamkeit,  so  dass 
wir  die  verschiedenen  Fermente  vielmehr  nach  den  Körpern,  auf 
welche  zu  wirken  sie  im  Stande  sind,  unterscheiden,  als  nach  ihrer 
atomistischen  Zusammensetzung.  Ich  will  damit  in  keiner  Weise 
davon  abschrecken,  sich  auf  den  Weg  der  chemischen  Untersuchung 


*)  Carl  Rokitansky.    Handbuch  der  allgemeinen  patholog.  Anatomie, 
^ien.  1846.  S.  530. 


26  Zweite  Vorlesung. 

der  Geschwülste  zu  begeben;  im  Gegentheil,  es  wird  gewiss  sehr 
nützlich  sein,  wenn  das  vielfach  und  mit  gründlichen  Kenntnissen 
geschieht;  nur  möchte  ich  glauben,  dass  das  Forschen  nach  speci- 
iischen  Stoffen,  welche  als  fixe  und  permanente  Bestandttieile 
der  Geschwulst  vermuthet  werden  könnten,  ebenso  erfolglos  sein 
dürfte,  wie  wenn  man  die  Eier  darauf  untersuchen  wollte,  ob  die 
Bestandtheile  des  erwachsenen  Menschen  etwa  in  ihnen  schon  ent- 
halten sind.  Wenn  man  erwägt,  dass  der  menschliche  Körper 
nicht  blos  während  des  Wachsthums,  sondern  auch  in  den  fort- 
währenden Veränderungen  des  Alters  immer  neue  Veränderungen 
seiner  Theile  zeigt,  dass  im  Ei  etwas  ganz  anderes  enthalten  ist 
als  im  Fötus,  und  im  Fötus  wieder  etwas  anderes  als  im  Greis, 
so  muss  man  sich  auch  bei  den  Geschwülsten  daran  erinnern,  dass 
sie  nicht  während  ihrer  ganzen  Lebensdauer  inmier  denselben  StoflF 
enthalten  können,  sondern  dass  die  Stoffe  in  den  verschiedenen 
Perioden  der  Entwickelung  und  Rückbildung  der  Geschwülste  ganz 
verschieden  sein  werden,  und  dass  sie  kurz  nach  ihrer  Erzeugung 
eine  gewisse  Wirksamkeit  haben  können,  die  sie  verlieren,  wenn 
sie  über  diese  Zeit  hinauskommen. 

In  Bezug  auf  die  morphologischen  Bestandtheile  verlangte  alle 
Welt  zu  sehen,  wie  die  Dinge  beschaffen  seien,  die  eine  so 
schlimme  Einwirkung  auf  den  Körper  ausübten,  und  man  erwartete 
von  den  Mikroskopikem  nichts  zuverlässiger,  als  dass  sie  speci- 
fiKchc  Krebszellen,  specifische  Sarkomzellen,  specifische  Tuberkel- 
zivilen  aufweisen  sollten.  Bekanntlich,  wenn  man  etwas  recht 
kat^^gorisch  verlangt,  giebt  es  auch  Leute,  die  sich  auf  die  Bahn 
liegelmn,  den  Auftrag  auszurichten,  und  so  haben  die  Mikroskopi- 
krr  der  vergangenen  Zeit  mit  dem  besten  Willen  sich  diesem 
allgf^meinen  Drange  gefügt.  Es  ist  dann  in  der  That  dahin  ge- 
kommen, dass  man  nicht  blos  specifische  Elemente  beschrie- 
b#»n  hat,  sondern  auch  wieder  durch  diese  specifischen  Elemente 
di«  het<ToplAHtiHchen  Geschwülste  von  den  homoeoplastischen  zu 
ffnt4*rH4'heiden  sich  bemühte. 

Zu  Khrcn  der  Mikroskopikcr  muss  ich  bemerken,  dass  sie 
m*  Ui  HO  xi'hlimm  waren,  als  man  ihnen  nachgesagt  hat.  Manche 
(>Mi«^.  fUu\  beim  ärztlichen  Publikum  in  den  Geruch  der  Specifi- 
Ifil  «''kornm^'n,  welche  von  den  Untersuchen!  keineswegs  als  solche 
h*^/AUhH*'i  worden  sind.   So  war  es  eine  Zeit  lang  Mode  zuglau- 


Specifische  Elemente.  27 

ben,  dass  die  geschwänzten  Körper  besondere  specifische  Elemente 
der  Krebsgeschwülste  seien,  obwohl,  wie  ich  glaube,  man  vergeb- 
lich nach  irgend  einem  Mikrographen  suchen  wird,  der  ursprüng- 
lich diese  Behauptung  aufgestellt  hat.  Es  war  vielmehr  ein  Dogma, 
das  sich  in  der  Masse  der  Aerzte  gebildet  hat,  und  von  dort 
aus  wieder  in  die  Wissenschaft  zurückgeströmt  ist;  nachdem  es 
sich  aber  einmal  consensu  omnium  festgesetzt  hatte,  so  ist  es 
sehr  schwierig  gewesen,  es  aus  der  Wissenschaft  wieder  heraus 
zu  schaffen.  Da  die  Krebse  der  Zoologen  Schwänze  haben,  so, 
scheint  es,  hat  man  geglaubt,  müssten  auch  die  Krebse  der  Pa- 
thologen durch  derartige  Anhänge  ausgezeichnet  sein. 

Am  vollständigsten  und  schnellsten  hat  sich  die  Lehre  von 
den  specifischen  Elementen  in  Frankreich  ausgebreitet,  und  zwar 
zunächst  auf  Grundlage  der  Anschauungen  unserer  deutschen 
naturhiötorischen  Schule,  insbesondere  durch  die  Vermittelung  von 
Lebert*),  einem  Schüler  Schönleins.  Von  dem  Standpunkt 
dieser  Schule  aus  war  allerdings  eine  solche  Auffassung  ganz 
correct.  So  gut,  wie  man  an  den  einzelnen  Pflanzen  und  Thiercn 
besondere  Eigenschaften  ihres  Baues  wahrnahm,  so  setzte  man 
voraus,  dass  auch  jede  eigene  Geschwulstart  etwas  ganz  Beson- 
deres repräsentire,  und  dass  sie,  als  ein  Naturobject,  neben  jedem 
anderen  analogen  Naturobjecte  ebenso  unabhängig  stehe,  wie  eine 
Pflanze  neben  einer  andern  Pflanze.  Das  ist  begreiflich,  wenn 
man  sich  in  den  Gedanken  des  Parasitismus  hineinlebt,  wenn  man 
die  Geschwulst  als  etwas  vom  Körper  Getrenntes  und  nur  äusser- 
lich  mit  ihm  Zusammenhängendes  ansieht,  was  auch  neben  dem 
Körper  seine  Geltung  hat,  und  als  ein  neues  Object  der  Schöpfung 
zu  betrachten  ist. 

Noch  heut  zu  Tage  hält  die  Pariser  Schule  in  vielen  ihrer 
Hitglieder  sehr  fest  an  dieser  Lehre  von  den  specifischen  Ele- 
menten, die  auch  in  England  manche  Anhänger  gefunden  hat.  In 
Deutschland  hat  sie  von  Anfang  an  wenig  Vertretung  gehabt  und 
gegenwärtig  ist  sie  wohl  ganz  und  gar  verlassen.  Ich  selbst  habe 
mich  von  der  ersten  Zeit  meiner  Wirksamkeit  an  bemüht,  diesem 
Irrthum  auf  das  Entschiedenste  entgegen  zu  arbeiten**),  und  ich 


*)  Lebert     Physiologie  pathologique.    Paris.  1845.  T.  II.  p.  254. 
•*)  Archiv  f.  pathol.  Anat   u.  Ph^siol.  u    f.  klin.  Medicin.  1847.  I.  S.  104. 


28  Zweite  Vorlesung. 

glaube,  dass  wir  gegenwärtig  in  der  Lage  sind,  überall  zeigen  zu 
können,  dass  eigentlich  specifische  Geschwulst-Elemente,  welche 
gar  keine  Analogie  hätten  mit  etwas,  was  sonst  am  Körper  vor- 
kommt, überhaupt  gar  nicht  existiren.  Man  muss  nur  immer 
festhalten,  dass  die  Geschwulst,  sie  mag  so  parasitisch  sein  wie 
sie  will,  doch  immer  ein  Bestandtheil  des  Körpers  ist, 
der  unmittelbar  aus  dem  Körper  hervorgeht  und  sich  nicht 
etwa  aus  einem  beliebigen  Saft  an  irgend  einer  Stelle  des  Körpers 
unabhängig  durch  eigene  Kräfte  der  Substanz  entwickelt.  Die 
Annahme  einer  solchen  Entstehung  de  novo  war  zulässig  in  einer 
Zeit,  wo  man  glaubte,  dass  auch  die  Entozoen  sich  in  dem  Kör- 
per aus  irgend  einem  Safte  oder  aus  irgend  einer  Unreinigkeit 
selbständig  bildeten  durch  Generatio  aequivoca,  als  man  noch  gar 
keine  Vorstellung  hatte,  wie  ein  Cysticercus  mitten  in  den  Leib 
hineinkommen  und  da  sich  entwickeln  und  wachsen  könnte. 
Für  die  damaligen  Aerzte  blieb  allerdings  kein  anderer  Gedanke 
übrig,  als  dass  aus  thierischem  Stoffe,  sei  es  aus  den  Geweben 
selbst,  sei  es  aus  der  Saburra  des  Darmes  oder  anderen  Cruditä- 
ten,  Entozoen  entstanden.  Heut  zu  Tage,  wo  es  bekannt  ist,  dass 
die  Entozoen  immer  von  aussen  in  den  Körper  hineingelangen, 
wenn  auch  oft  auf  wunderbarem,  so  doch  immer  auf  natürlichem 
Wege,  fallt  diese  Art  der  Analogie  vollständig  aus.  Insbesondere 
aber,  seitdem  wir  wissen,  dass  in  freien  Exsudaten  keine  neuen 
Elemente  entstehen,  dass  vielmehr  die  Elemente  auch  im  Körper 
von  Vater  und  Mutter  her  legitim  gebildet  werden*)  (oder  ich 
will  lieber  sagen,  von  Vater  oder  Mutter  her,  denn  es  giebt  ja 
hier  eine  Parthenogenesis) ,  so  müssen  wir  den  Gedanken  voll- 
ständig aufgeben,  dass  eine  Geschwulst  als  unabhängiges  Ding  im 
Körper  entstehen  könne.  Sie  ist  ein.Theil  des  Körpers; 
sie  hängt  nicht  blos  mit  ihm  zusammen,  sondern  sie  geht  auch 
aus  ihm  hervor  und  ist  seinen  Gesetzen  unterworfen.  Die  Ge- 
setze des  Körpers  beherrschen  auch  die  Geschwulst 
Daher  ist  diese  kein  Naturobject,  was  man  neben  den  Körperbe- 
standtheilen  betrachten  kann,  sondern  man  hat  sie  innerhalb  der 
einmal  gegebenen  Grenze  des  Körpers  aufzufassen. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  wird  man   logisch  kein  Be- 


•)  Ccllularpathologie.  S   22. 


Tjpns  der  Entwickeln  Dg.  29 

dfirfniss  haben,  specifische  Elemente  zu  finden,  sondern  man  wird 
sich  sagen,  dass  die  Zahl  der  Möglichkeiten  für  die  Bildung  im 
Körper  überhaupt  eine  beschränkte  sein  muss.  So  wenig  wie  Je- 
mand glauben  wird,  dass  der  menschliche  Körper  Kirschkerne 
oder  Pflaumensteine  in  sich  erzeugt,  oder  dass  irgend  ein  pflanzliches 
Gebilde  aus  einer  besonderen  Abweichung  des  thierischen  Körpers 
hervorgeht,  so  bestimmt  man  voraussetzen  muss,  dass,  was  der 
Mensch  producirt,  immer  etwas  menschliches  sein  wird,  und  was 
das  Thier  producirt,  immer  etwas  thierisches,  so  wird  man  auch 
nicht  die  Ueberzeugung  hegen  können,  dass  ein  Ding  sui  generis 
aus  dem  menschlichen  Körper  hervorgehen  solle,  was  generisch 
von  den  Theilen  dieses  Körpers  verschieden  sei.  Es  kann  ein 
Haar  an  einem  Orte  entstehen  und  wachsen,  wo  wir  gar  nicht 
erwarten,  dass  Haare  vorkommen.  Aber  Niemand  wird  erwarten 
und  sich  vorstellen,  dass  im  menschlichen  Körper  eine  Feder 
wachsen  könne.  Nun  giebt  es  Geschwülste  mit  Haaren  im  Men- 
schen, und  gelegentlich  findet  man,  wenn  man  eine  Gans  zerlegt, 
in  ihr  eine  Geschwulst  mit  Federn.  Das  ist  begreiflich;  das  liegt 
innerhalb  des  Typus  des  Individuums.  Aber  wenn  einmal  ein 
Mensch  eine  Geschwulst  mit  Federn  erzeugte,  oder  eine  Gans  eine 
Geschwulst  mit  Haaren,  so  würde  dies  eine  Art  von  Sui-generis- 
production  sein,  weil  das  Product  abweichen  würde  von  dem, 
was  in  dem  Individuum  einmal  typisch  niedergelegt  ist.  Der 
Typus,  der  überhaupt  maassgebend  ist  für  die  Ent- 
wickelung  und  Bildung  im  Körper,  ist  auch  maass- 
gebend für  die  Entwickelung  und  Bildung  der  Ge- 
schwülste. Einen  anderen,  einen  neuen,  unabhängigen  Typus 
giebt  es  nirgend. 

Was  sich  auf  diese  Weise  logisch  feststellen  lässt,  das  ergiebt 
sich  auch  empirisch  durch  die  unmittelbare  Untersuchung  der 
Geschwülste  selbst.  Denmach  leugne  ich,  dass  eine  Heterologie 
in  dem  Sinne  existirt,  wie  er  seit  Bichat  festgehalten  worden 
ist,  wie  er  gewissermaassen  schon  vor  ihm  in  den  Köpfen  der 
Leute  steckte,  dass  nehmlich  die  Geschwulst  nach  einem  ganz 
neuen  Plane,  nach  einem  ganz  neuen  Gesetz  in  dem  Körper  sich 
bilde  und  existire.  Vielmehr  finde  ich,  das  jede  Art  der  Geschwulst- 
bildung, sie  mag  sein,  wie  sie  will,  im  Wesentlichen  übereinstimmt 
mit  bekannten  typischen  Bildungen  des  Körpers,  und  dass  der 


gQ  Zweite  Vorlesung. 

wesentlichste  Unterschied  der  verschiedenen  Geschwülste  unter  sich 
darin  beruht,  das«  Gewebe  des  Körpers,  die  an  sich  normal  sind, 
bald  in  Form  von  Geschwülsten  entstehen  inmitten  von  Stellen, 
welche  dieses  Gewebe  im  Normalzustande  enthalten,  bald  dagegen 
an  Stellen,  welche  dieses  Gewebe  normal  nicht  enthalten.  Das  erste 
nenne  ich  Homologie,  das  zweite  Heterologie*). 

Wenn  also  ein  normales  Gewebe  an  einem  Ort  entsteht,  wo 
vorher  schon  ein  ähnliches  vorhanden  war,  wo  also  das  neue  mit 
dnm  alten  übereinstimmt,  der  Typus  der  neuen  Bildung  dem  Typus 
(Ibh  alten  Gewebes  entspricht,  so  ist  das  homolog;  wenn  dagegen 
iUr  Typus  des  neuen  mit  dem  des  alten  nicht  übereinstimmt,  wenn 
ili*,r  Typus  des  neuen  eine  Abweichung  zeigt  von  dem  hrüheren, 
urnprOnglichen  und  normalen  Typus  des  Ortes,  so  ist  das  Hetero- 
logie. Aber  auch  diese  hat  eine  Analogie  im  Körper, 
nur  in  einem  andern  Theile.  In  dem  Fall,  den  ich  vorher 
erwähnte,  dass  ein  Haar  z.  B.  am  Magen  oder  in  der  Harnblase 
itiitHtünde,  besteht  Heterologie.  Wenn  Epidermis  am  Gehirn  sich 
bildet,  so  ist  das  Heterologie.  Dabei  kann  das  Haar,  es  kann  die 
Epidermis  eben  so  beschaflen  sein,  wie  irgend  ein  Haar  an  seinem 
normalen  Orte  an  der  Oberfläche  des  Körpers  oder  wie  irgend  eine 
Kpidermislage  an  der  wirklichen  Cutis  es  ist.  Trotzdem  ist  dies 
die  äusserste  Heterologie. 

Es  kann  also  meiner  Ansicht  nach  eine  Unterscheidung  der 
Geschwülste  nach  den  Geweben  nicht  in  der  Weise  gemacht  wer- 
<len,  dass  Geschwülste,  die  gewisse  Gewebe  entlialten,  in  die  ho- 
moeoplastische,  und  Geschwülste,  welche  gewisse  andere  Grewebe 
enthalten,  in  die  heteroplastische  Reihe  geworfen  werden;  im 
Gegentheil,  dieselbe  Geschwulstart  kann  unter  Umstän- 
den homolog,  unter  anderen  heterolog  sein.  Dieselbe 
Geschwulst  kann  einmal  an  einem  Orte  vorkommen,  wo  sie  nichts 
weiter  darstellt,  als  eine  massenhafte  Entwickelung  des  diesem 
Orte  normal  zukommenden  Gewebes,  ein  anderes  Mal  an  einer 
Stelle,  wo  dieses  Gewebe  gar  nicht  hingehört  und  wo  es  auf  eine 
ganz  abnorme,  krankhafte  W^eise  erzeugt  ist.  Um  einen  bestimmi 
ien  Fall  zu  wählen,  so  kann  Knorpel  eine  Geschwulst  bilden.  Die 
Koorpelgeschwulst  ist  homolog,  nicht  indem  sie  aus  Knorpel  be- 

*)  Ollularpatbologie     S.  GO,  412. 


Homologie  und  Heterologie.  31 

steht,  sondern  nur,  wenn  sie  aus  Knorpel  hervorgeht,  wenn  an 
der  Stelle  vorher  schon  Knorpel  vorhanden  war.  So  kann  aus 
einem  Rippenknorpel  eine  sehr  umfangreiche  Knorpelgeschwulst 
entstehen;  das  ist  eine  Homologie.  Aber  es  kann  auch  eine 
Knorpelgeschwulst  entstehen  im  Hoden,  wo  absolut  gar  kein 
Knorpel  hingehört,  wo  gar  keiner  sein  soll,  wo  die  Bildung  der 
natürlichen  Einrichtung  des  Organs  zuwider  ist.  Da  ist  dieselbe 
Bildung  eine  Heterologie. 

Das  sind,  wie  ich  glaube,  ganz  natürliche  und  aus  der  Er- 
fahrung abgeleitete  Begriffe.  Man  kann  dieser  Bezeichnung  nicht 
den  Einwand  machen,  dass  sie  irgend  wie  erkünstelt  sei.  Mag 
immerhin  in  meinem  Sinne  Homologie  und  Heterologie  etwas  an- 
deres sein  als  im  Sinne  der  Früheren,  so  weiss  ich  es  doch  nicht 
anders  auszudrücken.  Die  Sprache  hat  gewisse  Grenzen,  über 
die  man  nicht  hinaus  kann,  und  wenn  mir  zum  Vorwurf  gemacht 
worden  ist,  dass  ich  diese  Worte  in  einem  ungebräuchlichen  Sinne 
anwende,  so  ist  dies  in  Betreff  der  Termini  wohl  richtig,  aber 
nicht  in  Bezug  auf  das  wirkliche  Verständniss  der  Sache.  Denn 
nur  in  dem  von  mir  bezeichneten  Sinne  haben  diese  Ausdrücke 
einen  thatsächlichen  Inhalt. 

Eine  solche  Trennung  hat  aber  auch  einen  praktischen  Werth, 
insofern  die  homologen  Geschwülste  im  Allgemeinen  alle  in  die 
Klasse  der  Hyperplasien,  der  blossen  Wucherungen  des  normalen 
Gewebes  hineingehören,  und  daher  das  Praejudiz  der  Gutartigkeit 
an  sich  tragen.  Es  entspricht  also  allerdings  diese 
Gruppe  im  Grossen  dem,  was  man  unter  dem  Namen 
der  gutartigen  Geschwülste  bezeichnet  hat.  Andrerseits 
entspricht  auch  im  Grossen  der  Begriff  der  Bösartigkeit  der 
heterologen  Gruppe;  nur  nicht  so,  dass  diese  Geschwülste  alle  in 
gleicher  Weise  bösartig  seien,  sondern  so,  dass  man  innerhalb 
dieser  Gruppe  eineScala  der  Bösartigkeit,  der  Schädlichkeit 
aufstellen  muss,  und  dass  auf  den  untersten  Stufen  derselben  Ge- 
schwülste stehen,  die  nur  in  dem  allerunerheblichsten  Maasse  bös- 
artig sind,  so  dass  man  sie  allenfalls  mit  in  die  Reihe  der  gut- 
artigen hinüber  rechnen  könnte.  Hat  man  aber  einmal  eine 
Scheidung,  wo  man  weiss,  dass  auf  der  einen  Seite  überwiegend' 
solche  Geschwülste  stehen,  von  denen  man  keine  ungewöhnlich 
schädliche  Einwirkung  auf  den  Körper  zu  besorgen  hat,  während 


32  Zweite  Vorlesung. 

die  andere  Seite  von  vorn  herein  einen  gewissen  Verdacht  der 
Gefährlichkeit  erregt,  so  hat  man  damit  die  erste  Grundlage  ge- 
wonnen f&r  eine  praktische  Benrtheilung  der  Geschwülste,  und 
insofern  hat  diese  Art  der  anatomischen  Scheidung,  welche  ja 
zugleich  dem  genetischen  Moment  volle  Rechnung  trägt,  auch 
eine  physiologische  Bedeutung  und  einen  unmittelbar  prak- 
tischen Werth. 


Dritte  Vorlesung. 

22.  November  1862. 


Allgenebe  Physielegie  der  Gcschwaktf. 


11einaiig8Terscliied«Dheit  der  Beobachter  über  Heterologie.  Die  Gegner  der  Specificitit  der  Oe< 
»cbwulsteleroente.  Vergleicbung  mit  entsundlicheii  Bildungen.  Ursachen  der  Geschwülste: 
örtliche  Veraulaüsiing,  Prädisposition,  Dyslcrasie.  Constitutionalismus.  Humoralpathologische 
Lehre.  If altiplicit&t :  Exostosen,  Krebse,  Warzen,  Lipome.  Die  Dyslcrasie  als  deuteropathi< 
scbes  Phänomen.  Verbreitung  durch  Lymph-  und  Blutgefässe.  Der  llutterknoten  als  In- 
fectionsheerd.  Die  Geschwulst  als  Secretionsorgan.  Die  Tochterknoten.  Latente  Erkran- 
kaugen.  Recidire  und  Generalisation.  Ueerdweises  Wachsthum  durch  Bildung  accessorischer 
Knötchen:  Infection  der  Nachbarschaft.    Zellen  als  Träger  der  Infection:  Dissemination. 


ich  hatte  das  letzte  Mal  die  Betrachtung  über  Homologie  und 
Heterologie  bis  zu  dem  Punkte  vorgeführt,  wo  ich  meine  eigene 
Ansicht  entwickeln  konnte,  welche  dahin  geht,  dass  Homologie 
bedeuten  muss,  dass  die  Neubildung  nach  dem  Typus  des  Ortes, 
oder,  genauer  gesagt,  des  Muttergewebes  (Matrix),  aus  welchem 
sie  hervorwächst,  gebildet  wird,  dass  dagegen  Heterologie  den  Fall 
bezeichnet,  wo  das  neue  Gewächs  von  dem  Typus  dieses  Mutter- 
gewebes, aus  dem  es  hervorgeht,  abweicht.  Ich  glaube,  dass  mit 
dieser  Auflassung  die  grossen  Schwierigkeiten  ausgeglichen  werden, 
an  denen  früher  alle  Versuche,  die  Heterologie  der  schlimmeren 
Geschwülste  morphologisch  irgendwie  nachzuweisen,  gescheitert  sind. 
Meh^re  unserer  besten  Beobachter  waren  längst  zu  dem  Re- 
sultat gekommen,  dass  an  sich  in  der  Einrichtung,  in  dem  Bau, 
ia  den  Elementen  der  Geschwülste  nichts  von  dem  Typus  des  Kör- 
pers absolut  Abweichendes,  also  kurz  gesagt,  nichts  Heterologes 
liege.     Niemand  hat  dies  so  scharf  ausgesprochen,  als  schon  vor 

VIrcbow,  Geschwülste.    1.  3 


34  Dritte  Vorlesung. 

länger  als  20  Jahren  Joh.  Müller*),  der  auf  das  allerpräciseste 
erklärte,  dass  überhaupt  in  der  Structur  dieser  Neubildungen  nichts 
Heterologes  liege,  dass  insbesondere  die  Formelemente  auch  der 
krebshaften  Geschwülste  entweder  normalen  Formelementen  des 
Körpers  analog  seien,  oder,  wie  er  sich  ausdrückt,  embryonischen 
Formationen  entsprechen,  also  jenen  Gewebstheilen ,  die  in  der 
Entwicklung  begriffen  sind,  dass  aber  neben  diesen,  den  alten 
oder  den  embryonischen  analogen  Elementen  überhaupt  nichts 
Heterologes  vorkomme. 

Wenn  ein  solcher  Satz  schon  damals,  als  man  eben  erst  an- 
gefangen hatte,  die  genauere  mikroskopische  Analyse  der  Ge- 
schwülste zu  machen,  mit  einer  solchen  Schärfe  aufgestellt  werden 
konnte,  so  hätte  man  glauben  sollen,  dass  die  Fragen  über  Ho- 
mologie und  Heterologie  in  einer  früheren  Zeit  zur  Lösung  kom- 
men würden.  Trotzdem  haben  wir  gerade  nach  Müller  die  Pe- 
riode gehabt,  wo  die  Lehre  von  den  specitischen  Elementen  mit 
der  grössten  Energie  verfochten  wurde  und  sich  am  schnellsten 
ausgebreitet  hat.  Diejenigen,  welche  von  specitischen  Bildungen 
nichts  wissen  wollten,  kamen  deshalb  in  eine  etwas  üble  Lage, 
weil,  obwohl  sie  im  Wesentlichen  daran  fest  hielten,  dass  vom 
anatomischen  Standpunkt  aus  eine  Scheidung  gemacht  und  die 
einzelnen  Geschwülste  bestimmt  werden  müssten,  sie  doch  nicht 
recht  ermitteln  konnten,  woran  man  denn  das  Kriterium  suchen 
sollte,  dafür,  ob  gewisse  Geschwülste  in  die  eine  oder  die  an- 
dere Gi*uppe  gehörten.  Müller  sagt  ganz  einfach,  man  müsse 
die  einzelnen  Geschwülste  darauf  studiren,  man  müsse  Thatsachen 
sammeln,  nach  denen  mau  die  Gutartigkeit  oder  Bösartigkeit  jeder 
besonderen  Form  bestimme.  Er  Hess  sich  überhaupt  gar  nicht 
darauf  ein,  allgemeine  Kriterien  zu  suchen,  aus  denen  man  im 
Voraus  bestimmen  könne,  ob  eine  Geschwulst  in  die  eine  oder 
andere  Reihe  gehöre,  noch  sprach  er  über  den  Grund,  warum  sie 
bösartig  wäre ;  sondern  er  meinte,  mau  müsse  Merkmale  sammeln, 
um  durch  die  Ertahrung  für  jede  einzelne  Gescbwulstform,  wie  für 
jede  einzelne  Giftpflanze,  festzustellen,  ob  sie  bösartig  sei.  Trotzdem 
theilte  er  die  Geschwülste  ein  in  krebshafte  und  nicht  krebshafte, 


*)  Johannes  Müller,     lieber  den  feineren  Bau   und  die  Formen  der 
kraokliafteD  (JeächwüUte.     Berlin    1838.  S.  8. 


Irritative  Natur  der  Geschwülste.  35 

in  solche,  die  ihrer  Natur  nach  bösartig,  und  solche,  die  es 
nicht  seien. 

Auf  der  andern  Seite  ist  es  leicht  zu  begreifen,  wie  radicale 
Köpfe,  wenn  sie  einmal  zu  der  Ueberzeugung  gekommen  sind, 
dass  eine  Geschwulst  nichts  an  sich  Heterologes  enthält,  sehr  bald 
dahin  gelangen,  die  ganze  Bildung  ohne  Weiteres  mit  anderen 
krankhaften  Vorgängen  zusammen  zu  werfen.  Macht  man  sich 
nun  klar,  dass  in  all  diesen  Fällen,  wo  eine  productive  Thätigkeit 
des  Organismus  vorliegt,  wo  der  Körper  oft  in  kurzen  Zeiträumen 
erhebliche  Massen  von  neuem  Gewebe  und  zwar  offenbar  durch 
eine  gesteigert«  formative  Thätigkeit  erzeugt,  irgend  ein  besonderer 
Anreiz  zu  einer  solchen  Thätigkeit,  ein  Irritament  vorhanden 
sein  muss,  dass  der  Process  also  ein  irritativer  ist,  so  wird 
man  leicht  weiter  schliessen,  dass  die  ganze  Erscheinungsreihe  an- 
deren irritativen  Vorgängen  angereiht  werden  müsse. 

Allerdings  ist  in  der  neuesten  Zeit  Niemand  so  weit  gegan- 
gen, als  John  Bums*),  der  den  Markschwamm  als  spongoide 
Entzündung  beschrieb,  ja  als  noch  vor  etwa  40  Jahren  die  phy- 
siologische Schule  in  Frankreich,  namentlich  Broussais**)  selbst, 
welcher  die  Geschwulstbildung  geradezu  als  eine  Form  der  chro- 
nisch-entzündlichen Processe  betrachtete  und  die  eigentlichen  Ge- 
schwulstnamen lieber  ganz  streichen  wollte,  indem  z.  B.  Skirrh 
nicht  zu  unterscheiden  sei  von  einer  entzündlichen  Induration, 
demnach  kein  Grund  vorliege,  ein  besonderes  Capitel  für  Skirrh 
zu  machen.  Ungefähr  eben  dahin  kam  Carl  Wenzel***),  wel- 
cher Skirrh  und  Induration  ganz  und  gar  identiücirte  und  das 
Carcinom  als  die  Entzündung  in  indurirten  Theilen  ansah.  Wenn 
man  aber  auch  nicht  so  weit  gehen  darf,  jede  Art  von  Geschwül- 
sten geradezu  für  ein  Product  der  Entzündung  zu  nehmen,  so 
hegt  es  doch  nahe,  dass  man  sie  an  die  entzündliche  Neubildung 
annähert,  weil  in  der  That  in  entzündlichen  Fällen  irgend  ein  Reiz, 
eine  äussere  oder  innere  Einwirkung  die  Veranlassung  für  forma- 
tive Processe  wird,  welche  oft  so  massenhafte  Neubildungen  er- 
zeugen, dass  wir  sie,  wenn  sie  nicht  gerade  aus  bekannten  Ent- 


*)  John  Burns.    Dissertation  on  ioflammation.    Glasg.  1800. 
**)  Broussais.    Histoire  des  phlegmasies  cbroniques.    Ed.  4me.  Paris. 
1826.     T.  I.     p   24—32. 

***)  Carl  Wenzel,    lieber    die  Induration  und  das  GeschwOr  in  indu- 
rirten Theilen.    Mainz.  1815.    S.  75.  96. 

3* 


36  Dritte  YorlesuDg. 

züQdungsproducten  beständen,  ohne  Weiteres  in  die  eigentliche 
Geschwulstreihe  hineinrechnen  würden.  Hei  gewissen  Geschwülsten 
aber,  und  das  ist  schon  seit  Galen*)  anerkannt,  ist  der  entzünd- 
liche Ursprung  unzweifelhaft,  nur  erscheint  das  Product  so  begrenzt 
und  selbständig,  dass  es  sich  als  etwas  von  dem  Anfangsprocess 
ganz  Geschiedenes  darstellt.  Die  Grenze  zwischen  diesen  wirklich 
entzündlichen  Geschwülsten  und  den  übrigen  ist  überhaupt  nicht 
scharf  zu  ziehen,  eben  weil  ein  Irritationszustand**)  allen  neopla- 
stischen und  nicht  wenigen  exsudativen  und  secretorischen  Ge- 
schwülsten zu  Grunde  liegt. 

Diese  Richtung  der  Untersuchung  führt  schliesslich  immer  zu 
der  Betrachtung  der  Aetiologie  und  Genese  der  Geschwülste, 
und  hier  bieten  sich,  je  nach  den  besonderen  Neigungen,  die  etwa 
die  eine  oder  die  andere  Schule  verfolgt,  sehr  verschiedene  Mög- 
lichkeiten der  Erklärung  dar,  die  wir  um  so  mehr  einer  Bespre- 
chung unterziehen  müssen,  als  die  allgemeine  Eintheilung  und 
Auflassung  der  Geschwülste  sehr  wesentlich  dadurch  mit  bestimmt 
werden  kann. 

Im  Allgemeinen  sind  bei  dieser  Betrachtung  dreierlei  Momente 
zu  berücksichtigen.  Erstlich  die  örtliche  Veranlassung, 
Causa  occasionalis,  welche  die  Entstehung  einer  Geschwulst  an 
einer  bestimmten  Stelle  bedingt;  denn  da  bekanntlich  das  Gesetz 
der  Causalität  in  der  ganzen  lebenden  Natur  gilt***),  so  wird  man 
zugestehen  müssen,  dass  ein  bestimmter  Grund  vorhanden  sein 
muss,  warum  an  einem  bestimmten  Theil  eine  Geschwulst  entsteht 
Daran  schliesst  sich  unmittelbar  die  zweite  Frage,  die  nach  der 
begünstigenden  Einrichtung  der  Stelle,  an  welcher  die  Einwirkung 
statt  gefunden  hat,  nach  der  Causa  praedisponens,  oder  technisch 
gesprochen,  der  Praedisposition  des  Theiles,  vermöge  welcher 
er  gerade  zu  dieser  Art  der  Erkrankung  disponirt  ist.  Drittens 
endlich  die  allgemeine  Veranlassung,  welche  man  sich  denken 
kann  und  welche  Viele  sich  denken  als  beruhend  in  einer  beson- 


*)  Wenigstens  von  den  Nasenpolypen  sagt  Galen  (de  tu moribus  praeter 
naturam.  cap.  17.),  »ie  entständen  entweder  aus  Entzündung:,  oder  aus  einem 
Knoten     (Pliyma),  oder  aus  irgend  einem  Keirostoff  (Bhistema). 

**)  Phil/v.  Walt  her.     Ueber  Yerbärtuog,  Skirrhus,  harten  u.  weichen 

Krebs,  Medullarsarkom,  Blutschwamm.  Telangiecta^iie  u.  Aneurysma  per  ana- 

stomosin.     Gräfe   u.   v.   Walther  Journ.   der  Chir.  und  Augenheilk.  1823. 

Bd.  V.  S.  20d. 

•••)  Virchow.    Vier  Reden  über  Leben  u.  Kranksein.  Berlin.  1862   S.  IS. 


Gonstitationalismas.  37 

deren  Substanz  oder  in  einer  besonderen  Veränderung  von  Sub- 
stanzen, welche  sich  in  den  thierischen  Flüssigkeiten  befinden, 
also  in  der  Regel  eine  Veränderung,  die  man  sich  ausgehend 
denkt  vom  Blute  und  die  man  schliesslich  zurückfuhrt  auf  eine 
Dyskrasie.  Dies  sind  die  drei  Dinge,  welche  bei  der  Frage 
von  der  Entstehung  der  Geschwülste  und  dem  Werth  der  einzel- 
nen hauptsächlich  discutirt  worden  sind:  veranlassende  örtliche 
Ursache,  Praedisposition  und  Dyskrasie. 

Für  Manche  fallen  nun  allerdings  je  zwei  dieser  Momente  zu- 
sammen. Für  eine  gewisse  Zahl  von  Aerzten  ist  Praedisposition 
und  Dyskrasie  identisch,  und  es  würde  nach  ihnen  nur  einer  be- 
sonderen Dyskrasie  oder,  wie  Chelius  sagt,  einer  Diathesis  occulta 
bedürfen,  um  auf  eine  bestimmte  Veranlassung  an  einer  bestimm- 
ten Stelle  eine  Geschwulst  hervorzurufen.  Nach  Anderen  wieder 
bedarf  es  keiner  besonderen  veranlassenden  Ursache,  um  bei  be- 
stehender Dyskrasie  eine  bestimmte  Stelle  zur  Erkrankung  zu  brin- 
gen, sondern  nur  der  Praedisposition.  Man  sagt:  Tritt  im  Blut 
eine  besondere  Veränderung  ein  und  findet  sich  im  Körper  ein 
praedisponirter  Ort,  so  wird  das  kranke  Blut  auf  den  praedispo- 
nirten  Ort  (Locus  minoris  resistentiae)  wirken  und  die  Erkrankung 
hervorrufen.  Die  locale  Praedisposition  würde  dann  zugleich  die 
Veranlassung  sein,  warum  am  bestimmten  Orte  die  Störung  her- 
vorträte. Je  mehr  man  sich  aber  einen  Process  dyskrasisch  denkt, 
je  mehr  man  ihn  abhängen  lässt  von  allgemeinen  Veränderun- 
gen der  Blutmasse,  um  so  mehr  wird  er  natürlich  die  Vermuthung 
eines  gefährlichen  oder  bösartigen  an  sich  tragen,  während 
in  demselben  Maasse,  als  er  mehr  abhängig  ist  von  Praedisposi- 
tionen  einzelner  Theile  oder  von  örtlichen  veranlassenden  Ursachen, 
er  auch  als  ein  an  sich  beschränkter  und  örtlicher,  als  ein 
wenigstens  relativ  unschuldiger  und  gutartiger  aufgefasst  wer- 
den kann.  Indess  muss  man  dann  auch  über  die  allgemeine  oder 
örtliche  Natur  des  Processes  völlig  im  Reinen  sein. 

Der  Ausdruck  „Constitutionen",  welcher  hier  sehr  viel 
gebraucht  wird,  ist  in  der  Regel  ein  unklarer.  Constitutionen 
kann  sich  beziehen  auf  eine  dauernde  h  um  orale  Veränderung, 
wobei  das  Blut  als  der  anhaltende  Träger  bestimmter  Eigenschaften 
gedacht  wird;  es  kann  aber  eben  so  gut  gedacht  werden  als  eine 
an  einer  gewissen  Zahl  von  Körpergeweben  si<*h  erhaltende 
Besonderheit  und  Eigenthümlichkeit,  welche  gerade  diese  Gewebe 


38  Dritte  Vorlesung. 

zu  besonderen  Veränderungen  praedisponirt  und  so  die  Möglich- 
keit mit  sich  bringt,  dass  gleichzeitig  oder  hinter  einander  an  ver- 
schiedenen Punkten  des  Körpers  analoge  Störungen  auftreten. 
Dass  man  diese  zwei  Dinge  nicht  genau  unterscheidet,  und  dass 
man  theoretisch  sowohl  diejenigen  Zustände,  die  man  sich  als 
dyskrasische  denkt,  und  diejenigen,  die  man  auf  Veränderungen 
einer  gewissen  grösseren  Reihe  von  einzelnen  Körpergeweben 
zurückfiihrt,  zusammenwirft  in  den  Begriff  des  „Constitutionellen", 
ist  für  die  Auffassung  sehr  schädlich  gew^orden.  Denn  danach  ist 
häufig  promiscue  eine  ganze  Gruppe  in  die  eine  oder  in  die  andere 
Kategorie  geworfen  worden.  Gerade  in  der  neueren  Zeit,  in  den 
Discussionen  der  letzten  fünf  Jahre,  ist  es  sehr  auffallig  hervorge- 
treten, wie  schwer  es  für  eine  Reihe  von  Pathologen  wird,  sich 
hier  einen  unbefangenen  Standpunkt  zu  wahren. 

Denke  man  sich,  wir  sähen  eine  Reihe  von  gleichartigen 
Geschwülsten  im  Körper,  sei  es  gleichzeitig,  sei  es  in  einer  kür- 
zeren Zeitfrist  hinter  einander,  entstehen.  Die  grosse  Zahl  dieser 
Geschwülste,  die  an  verschiedenen  Stellen  des  Körpers  auftreten, 
macht  den  Eindruck,  dass  es  sich  um  eine  constitutionelle  Störung 
handelt.  Diese  schliesst  aber  für  gewisse  Pathologen  unmittelbar 
den  Begriff  der  humoralen  Grundlage  ein;  folglich  sagen  sie:  weil 
an  verschiedenen  Stellen  des  Körpers  in  einer  relativ  kurzen  Zeit 
gleichartige  Geschwülste  auftreten,  so  ist  mit  Nothwendigkeit  auf 
eine  ursprüngliche  Veränderung  des  Blutes  zu  schliessen.  Dieser 
Schluss  erweist  sich  aber  immer  als  ein  sehr  bedenklicher,  sobald 
diese  verschiedenen  Bildungen,  sie  mögen  noch  so  zahlreich  sein, 
in  Geweben  oder  Theilen  auftreten,  die  zu  einem  und  dem- 
selben System  gehören*).  Wenn  dagegen  in  sehr  (iifferen- 
ten  Theilen  analoge  Bildungen  sich  zeigen,  so  kann  allerdings 
nicht  mehr  das  System  als  solches,  nicht  mehr  die  besondere 
örtliche  Praedisposition  angeschuldigt  werden;  denn  es  handelt 
sich  allerdings  wahrscheinlicher  um  eine  allgemeine  Ursache,  die 
wir  uns  am  leichtesten  im  Blut  denken.  Nehmen  wir  den  Fall, 
dass  Jemand  an  fast  allen  Knochen  des  Skelets  Geschwülste  glei- 
cher Art  bekäme,  so  werden  wir  deshalb  nicht  berechtigt  sein  zu 
schliessen,   dass  dieser  Process   auf  eine  specifische  Veränderung 


•)  Mein  Archiv  Bd.  XIV.  S.  44.    James  Paget,  Lectures  on  surgica] 
pathology.    Lond.  1853     Vol.  II.    p.  15. 


Multiplicität.  39 

des  Blutes  bezogen  werden  muss;  es  kann  ja  sein,  dass  an  allen 
diesen  Knochen  sich  irgend  eine  bestimmte  Veränderung  von  früher 
her  schon  erhalten  hat,  die  zu  einer  gewissen  späteren  Zeit  zur 
Aeusserung  kommt  und  die  Geschwülste  erzeugt.  Es  giebt  Fälle, 
wo  an  fast  allen  grossen  Knochen  des  Skelets  sich  Knochenaus- 
wüchse bilden:  multiple  Exostosen.  Die  blosse  Multiplicität  der- 
selben setzt  nicht  voraus,  dass  es  sich  um  eine  Dyskrasie  handelt; 
es  kommt  vielmehr  zuweilen  darauf  an,  ob  die  Exostosen  sich 
nicht  daraus  erklären  lassen,  dass  sie  alle  auf  gleichmässige  Weise 
aus  einem  Rückstand  von  Störungen  hervorgegangen  sind,  die  in 
einer  früheren  Zeit  des  Lebens  die  ganze  Knochenbildung  be- 
troffen haben.  Dasselbe  aber,  was  für  Exostosen  gilt,  dasselbe 
gilt  für  multiple  Krebseruptionen,  wenn  sie  nur  in  Knochen  vor- 
kommen, wo  möglicherweise  an  20  verschiedenen  Stellen  des 
Körpers  Krebse  auftreten,  aber  nur  in  Knochen  und  nicht  in  einem 
anderen  Theile. 

An  der  äusseren  Oberfläche  des  Körpers  finden  sich  ganz 
analoge  Vorgänge.  Manchmal  entstehen  an  vielen  Stellen  der 
Haut  Warzen.  Sollen  wir  nun  gleich  schliessen,  dass  es  eine 
warzige  Dyskrasie  giebt,  wobei  etwa  Verrucin  im  Bhite  enthalten 
ist  und  alle  die  Dinge  hervorbringt?  Andermal  bilden  sich  an  vie- 
len Stellen  des  Körpers  Fettgeschwülste ,  Lipome,  im  Unterhaut- 
gewebe,  ja  es  kann  eine  sogenannte  Lipomatosis  universalis  sich 
herausstellen.  Sollen  wir  nun  schliessen,  dass  in  diesen  Fällen 
gerade  eine  lipomatöse  Dyskrasie  da  war?  Wenn  man  so  vor* 
wärts  geht,  so  kommt  man  zuletzt  zu  reinen  Absurditäten. 

Denn  wenn  wir  diesen  Fall  festhalten,  so  ist  das  Fett,  wel- 
ches im  Lipom  ist,  chemisch  gar  nicht  verschieden  von  dem  Fett, 
welches  im  benachbarten  Fettgewebe  sich  findet;  es  ist  dieselbe 
Art  von  Fett.  Wäre  nun  in  der  That  sehr  viel  Fett  in  der  Blut- 
masse, wäre  eine  Lipämie  vorhanden  und  würde  dieses  Fett  in 
die  Theile  abgesetzt  und  machte  es  die  Anschwellungen,  so  liegt  es 
doch  nahe,  zu  vermuthen,  dass  die  Anschwellung  auch  alles  Fett- 
gewebe betreffen  würde,  dass  es  eine  allgemeine  Fettsucht  geben 
wird,  und  wir  können  uns  vorstellen,  dass  auf  diese  Weise  Poly- 
sarcie  entsteht.  Aber  dass  auch  eine  besondere  Dyskrasie  be- 
stehen muss,  wenn  nur  an  einer  bestimmten  Stelle  des  Fettge- 
webes, oder  allenfalls  an  fünf  und  mehr  verschiedenen  Stellen 
Fettgeschwülste  vorkommen,  das  kann  doch  nicht  einfach  einer 


40  Dritte  Vorlesung. 

vermehrten  Quantität  von  Fett  im  Blute  zugeschrieben  werden. 
Ja,  wenn  wir  sehen,  dass  bei  einem  Menschen,  der  im  Allgemei- 
nen abmagert  und  bei  dem  das  Fett  im  Fettgewebe  an  Masse 
abnimmt,  trotzdem  ein  Lipom  sich  bildet,  welches  sich  immer 
mehr  mit  Fett  füllt,  so  können  wir  nicht  sagen,  es  sei  die  Folge 
einer  allgemeinen  Dyskrasie,  sondern  wir  werden  sagen,  dass  ein 
locales  Moment  vorhanden  sein  muss.  Geschieht  aber  an  vielen 
Stellen  des  Fettgewebes  etwas  Aehnliches,  so  liegt  es  näher  an- 
zunehmen, dass  die  Ursache  imFettgewebe  liegt,  als  in  dem  Fett, 
welches  im  Blut  vorhanden  ist.  Wäre  dies  der  Fall,  so  geriethe 
jeder  von  uns  nach  einer  reichlichen  Mahlzeit  in  die  Gefahr, 
Lipome  zu  bekommen.  Wenn  man  viel  Butterbrod  isst,  so  könnte 
sich  eine  lipomatöse  Dyskrasie  herausstellen,  und  jeder  Säugling 
wäre  dieser  Gefahr  ausgesetzt,  weil  er  regelmässig  mit  jeder 
Mahlzeit  reichlich  Fett  zu  sich  nimmt  und  gleichsam  in  einer 
chronischen  Lipämie  sich  befindet. 

Also  aus  dem  blossen  Umstand,  dass  eine  Multiplicität  von 
Geschwülsten,  eine  grössere  Zahl  von  Eruptionsstellen  an  ver- 
schiedenen Theilen  des  Körpers  besteht,  können  wir  um  so  we- 
niger mit  Bestimmtheit  schliessen,  dass  eine  dyskrasische  Grund- 
lage vorhanden  ist,  als  sich  durch  die  Beobachtung  erweist,  dass 
in  der  übergrossen  Anzahl  solcher  Fällen  ein  bestimmtes  System 
oder  Gewebe  der  Ausgangspunkt  dieser  Veränderungen  ist.  Man 
wird  zugestehen,  dass  es  dabei  an  sich  gleichgültig  ist,  ob  die 
Eruptionsstellen  weit  von  einander  entfernt  sind  oder  nahe  bei- 
einander liegen.  Denn  wenn  Jemand  an  jedem  Finger  einer 
Hand  eine  Geschwulst  bekömmt,  wie  es  bei  Knorpelgeschwülsten 
nicht  selten  geschieht,  so  sind  doch  diese  Knochen  von  einander 
eben  so  sehr  getrennt,  sowohl  was  die  Circulation,  als  was  an- 
dere Gewebsverhältnisse  angeht,  wie  wenn  die  eine  Geschwulst 
an  der  Phalanx,  die  zweite  am  Vorderarm,  die  dritte  an  der  Cla- 
viiula  sässe.  Ob  die  Knochen  ein  wenig  näher  oder  entfernter 
von  einander  liegen,  muss  an  sich  gleichgültig  sein;  aber  wenn 
es  immer  wieder  Knochen  sind,  dann  werde  ich  den  Fall  zunächst 
darauf  prüfen  müssen,  was  in  den  Knochen  gewesen  sein  kann, 
das  die  besondere  Ursache  abgegeben  hat.  Wenn  man  also  ge- 
rade in  der  neueren  Zeit  öfters  Fälle  mitgetheilt  hat,  wo  schein- 
bar ohne  irgend  eine  besondere  Veranlassung  in  den  verschieden- 
sten Theilen   des  Körpers  Geschwülste  gleicher  Art  entstanden 


Dyskrasiscbe  Gruodlage.  41 

sind,  —  in  den  verschiedensten  Abtheilungen,  nicht  Organen,  — 
so  bat  man  Unrecht  gehabt,  wenn  man  sofort  diese  Fälle  ange- 
führt bat  als  einen  Beweis  für  die  dyskrasische  Natur  derselben. 

Ich  für  meinen  Theil  trage  nicht  das  mindeste  Bedenken,  die 
Nothwendigkeit  zuzugestehen,  bei  dem  jetzigen  Stande  unserer 
Kenntnisse  für  manche  Geschwulstbildungen  eine  Veranlassung 
durch  das  Blut,  also  eine  dyskrasische  Grundlage  herzuleiten. 
Ich  weiss  wenigstens  nicht,  wie  man  sonst  eine  gewisse  Zahl 
von  Erkrankungen,  z.  B.  die  syphilitischen,  viele  krebsigen, 
erklären  sollte.  Allein  diese  Erkrankungen  sind  unter  sich  ver- 
schieden aufzufassen.  Zuweilen,  wie  bei  den  leukämischen  Tu- 
moren, bei  den  Strumen  im  engeren  Sinne  des  Wortes,  besteht 
kaum  ein  Zweifel  darüber,  dass  die  Dyskrasie  in  Beziehung  auf 
die  Geschwülste  ein  Früheres  ist.  In  einer  wahrscheinlich  sehr 
viel  beträchtlicheren  Zahl  von  Fällen  dagegen  muss  die  Verän- 
derung des  Blutes,  die  Dyskrasie,  welche  die  Eruption  neuer 
Geschwülste  bedingt,  offenbar  betrachtet  werden  als  ein  deute- 
ropathisches  Phaenomen,  nicht  hervorgegangen  aus  irgend 
einer  „spontanen^  Umwandlung,  die  im  Blute  stattgefunden  und 
auf  einem  wunderbaren  Wege  in  dem  Blute  specifische  chemische 
Stoffe  erzeugt  hat,  sondern  vielmehr  hervorgegangen  aus  der  Ab- 
sorption, aus  der  Aufnahme  von  Stoffen  aus  einer  schon  bestehen- 
den Geschwulst,  aus  einem  Geschwulstheerde,  der  aber  seinerseits 
nicht  wieder  abgeleitet  zu  werden  braucht  vom  Blut. 

Besteht  an  einer  bestimmten  Stelle  des  Körpers  ein  patho- 
logischer Tumor,  welcher  energisch  wächst,  welcher  also  aus  dem 
Blute  eine  Reihe  von  Stoffen  anzieht,  die  er  in  sich  umsetzt,  so 
versteht  es  sich  ganz  von  selbst,  dass  auch  aus  dem  Tumor  wie- 
der grössere  Quantitäten  von  Stoffen  in  die  allgemeine  Circulation 
zurückkehren  können.  Diese  Rückfuhr  erfolgt  bekanntermaassen 
durch  Lymphgefasse  oder  durch  Venen. 

Geht  die  Rückfuhr  durch  Lymphgefasse,  —  und  wir 
wissen  nach  den  Untersuchungen  von  Schröder  van  der 
Kolk*),  dass  selbst  im  Krebs  zahlreiche  Lymphgefasse  vor- 
kommen, —  so  haben  wir  wenigstens  an  den  meisten  Punkten  des 


*)  A.  F.  H.  de  Lespinasse.  Specimen  anat.  path.  de  vasis  Dovis  pseudo- 
merobraoaram  tarn  arteriosis  et  venosis  quam  lyrophaticis.  Daventr.  1842. 
p.  41.  —  F.  R.  West  hoff.  Mikroskopische  oDderzoekingen  over  de  ontaar- 
diDg  van  äderen  en  zennwen  in  kanker.    Utrecht.  1860.  Bl.  &3. 


42  Dritte  VorlesoDg. 


Körpers  die  Einrichtung,  dass  die  Lymphgefasse  sich  zunächst 
auflösen  in  Lymphdrüsen,  innerhalb  der  Lymphdrüsen  aufhören, 
als  besondere,  selbständige  Gefasse  zu  existiren,  und  nachher  aus 
der  Drüse  sich  wieder  sammeln,  um  als  wirkliche  Kanäle  fortzu- 
gehen*). Dass  nun  in  der  That  ein  materieller  Transport  aus  der 
Geschwulst  stattfindet,  das  sehen  wir  in  der  allerevidentesten 
Weise  daran,  dass  in  einer  Reihe  von  Fällen  gerade  diejenige 
Lymphdrüse,  welche  zunächst  die  aus  der  Geschwulst  kommenden 
Lymphgefasse  aufnimmt,  auch  der  nächste  Sitz  der  neuen  Erkran- 
kung wird.  Es  wäre  vollständig  absurd,  wenn  wir  uns  vorstellen 
wollten,  die  Erkrankung  der  Lymphdrüse  wäre  die  Folge  einer 
allgemeinen  Dyskrasie.  Es  hat  z.  B.  eine  Frau  einen  Tumor 
mammae,  welcher  vielleicht  Monate  lang  für  sich  besteht;  dann, 
in  dem  Maasse,  als  er  anfängt  stärker  zu  wuchern,  bemerkt  sie, 
dass  die  Axillardrüsen  schwellen.  Nach  einer  gewissen  Zeit 
steigt  die  Schwellung.  Erst  sind  es  diejenigen  Drüsen,  welche 
der  Brust  zunächst  liegen;  dann  kommt  die  nächst«  Reihe,  und 
wenn  die  Person  etwa  stirbt,  so  finden  wir,  dass  die  Erkran- 
kung sich  gradatim  in  der  Kette  der  Lymphdrüsen  nach  in- 
nen fortsetzt.  Oder  wenn  Jemand  eine  Geschwulst  am  Magen 
hat,  so  ist  sie  zuweilen,  wenn  die  Bildung  noch  nicht  sehr 
w^eit  vorgerückt  ist,  beschränkt  auf  die  Wand  des  Magens.  Ist 
sie  aber  schon  etwas  weiter  vorgerückt,  so  werden  fast  jedesmal 
epigastrische  Lymphdrüsen  afficirt;  und  je  rapider  das  Wachs- 
thum  ist,  um  so  mehr  können  wir  verfolgen,  wie  eine  epi- 
gastrische Drüse  nach  der  andern  erkrankt,  wie  die  Drüsen 
des  Mediastinum  posticum  in  die  Erkrankung  eintreten,  wie  end- 
lich die  Jugulardrüsen,  die  an  der  Mündung  des  Ductus  thoracicus 
liegen,  ergriffen  werden.  Genug,  es  ist  dasselbe,  wie  wir  es  bei 
dem  Transport  von  Flüssigkeiten  in  entzündlichen  Processen  fin- 
den: erst  kommt  die  krankhafte  Flüssigkeit  zur  ersten  Drüse,  dann 
erkrankt  diese,  dann  kommt  sie  zu  einer  zweiten,  diese  erkrankt, 
und  so  geht  es  weiter.  Hier  bleibt  in  der  That  keine  andere 
Vermuthung  übrig,  als  dass  irgend  eine  materielle  Substanz  von 
dem  Orte  der  ersten  Erkrankung  in  die  Lymphgefasse  aufgenom- 
men wird  und  nun,  indem  sie  zu  der  nächsten  Lymphdrüse  ge- 
bracht wird,  durch  eine  wirkliche  Metastasis,  in  dieser  die  neue 


*)  GellttUrpatbok>gie.  S.  163,  173. 


lofectioD. 


48 


Erkrankung  hfirTorbringt,  und  so  fort*).  Endlich  wird  natürlich 
der  Eall  eintreten,  dass  sokhe  Drfltien  aflicirt  sind,  auR  denen 
LymphgefSsse  hervorgehen,  welche  nicht  wieder  durch  Lymph- 
drüsen passiren,  sondern  welche  ihre  Lymphe  in  die  gemeinschaft- 
liche Bahn  der  Cirenlation  eigiessen.  So  wird  endlich  der  schäd- 
liche Stoff  in  die  gcsammte  Circulation  gerathen,  und  dann  muss 
nothweniligerweise  die  Dyskrasie  eintreten. 

An  den  Venen  ist  es  allerdings  sehr  viel  schwieriger,  eine 
ähnliche  Beweisführung  zn  liefern,  weil  wir  an  ihnen  keine  solche 
Einrichtungen  haben,  wie  die  Lymphdrüsen  sind,  die  nna  gleich- 
sam als  Reagentien  auf  die  dyskrasische  Substanz  dienen. 

Wir  wissen,  dass  Venen  ans  den  Geschwülsten  hervortreten. 
Wir    wissen    ferner,    dass    nicht    gans   selten    Geschwulstmasse 
bis  in  die  Venen   hineinwächst**),  so  das«  sie  unmittelbar  mit 
dem  strömenden  Blate  in  Contact  kommt,  dass  die  Geschwulst- 
masse   in    Form  von    Excrescenien    in    das 
'^»-  '■  Lumen  des   Geßsses    hangt  und  die  unmit- 

telbarsten Beziehungen  zum  Blute  eintreten, 
gerade  solche  Beziehungen ,  wie  sie  in  der 
Placenta  zwischen  den  Zotten  des  Kindes 
und  dem  Blute  der  Mutter  bestehen ,  wo  der 
Stoffaustausch  bekanntlich  ein  sehr  rapider  ist. 
Es  ist  an  sich  sehr  wahrscheinlich,  dass  un- 
ter solchen  Verhältnissen  Geschwulstbestand- 
theile  in  die  Circulation  gerathen,  und  zwar 
können  es  sowohl  einfach  flfissige  sein,  als 
auch  unter  Umständen  Partikeln  von  Ge- 
weben, vielleicht  Zellen.  Dass  auf  diesem 
Wege  ähnliche  Affectionen  entfernterer  Theile, 
ähnliche  Metastasen  sich  bilden,  wie  wir 
sie  in  der  Lymphcirculation  ganz  unmit- 
telbar vor  uns  sehen,  das  wird  wenigstens 
in  einem  hohen  Maasse  wahrscheinlich  ge- 
macht durch  solche  Fälle,  wo  längere  Zeit  hindurch  eine  Ge- 


Pig.  1.    Penetrirender  Krebs  der  Vena  cava  inferior,  tod  den  Lumbat- 

Mkd  aasgehend,  a-  eine  krebsig  geschwollene  Lymphdrüse,  mit  der  Venen- 

vand  Terwkchsen  itnd  dieselbe  nach  innen  drüngend     b   eine  fihnlicbe  durch- 

leschnitten:  von  da  aus  ein  zackiger  Auswuchs  in  die  Vene  hereinhingeod. 

')  0.  Baring.  Ceber  d.  Hurkschvanini  der  Hoden.    GOtt.  1833    S.  165. 

**)  Vgl.  mein  Archi*  I.  S.  112.    Gesammelte  Abbandlungen  znr  wissen- 


44  Dritte  Vorlesung. 

schwulst  an  einem  bestimmten  Orte  besteht,  und  dann  dasjenige 
Organ  erkrankt,  welches  in  der  Richtung  der  Girculation  am  näch- 
sten folgt,  wie  es  am  häutigsten  an  der  Leber  vorkonunt. 

Ihre  Einrichtung  steht  ja  in  Beziehung  auf  die  venöse  Gircu- 
lation der  Einrichtung  der  Lymphdrüsen  verhältnissmässig  am 
nächsten.  Ist  irgend  wo  an  einem  Organe  der  Bauchhohle,  des- 
sen Venen  sich  in  die  Pfortader  ergiessen,  eine  bösartige  Ge- 
schwulstbildung vorhanden,  so  wird,  wenn  von  da  aus  schäd- 
liche Substanz  in  das  Blut  gelangt,  die  Leber  dasjenige  Organ 
sein,  welches  von  diesen  schädlichen  Theilen  zunächst  berührt 
wird,  mit  ihnen  in  unmittelbare  Berührung  kommt.  In  der  That 
ist  sie  das  Organ,  welches  bei  allen  malignen  Erkrankungen,  die 
ursprünglich  innerhalb  des  Pfortadergebietes  vorkommen,  deutero- 
pathisch  am  ersten  erkrankt,  während  sie  keine  grosse  Neigung 
zur  Erkrankung  zeigt  bei  denjenigen  Affectionen,  welche  ursprüng- 
lich ausserhalb  des  Pfortadergebietes  bestehen.  Ja,  die  Disposi- 
tion der  Leber  zu  diesen  Erkrankungen  ist  so  gross,  dass  noch 
heut  zu  Tage  sehr  häufig  bei  Autopsien  die  ursprüngliche  Quelle 
der  Erkrankung  übersehen  wird,  und  dass  man  sowohl  in  der 
Klinik  als  auf  dem  Leichentisch  manchen  Fall  für  einen  Fall  von 
blossem  Leberkrebs  nimmt,  wo  sich  bei  genauerer  Untersuchung 
herausstellt,  dass  die  Leber  nur  secundär  afScirt,  der  Leberkrebs 
nur  ein  deuteropathisches  Phaenomen  ist,  welches  parallel  steht 
der  Lymphdrüsenerkrankung,  wie  sie  in  so  vielen  anderen  Fällen 
vorkonmat. 

Solche  Erfahrungen  sprechen  in  einem  hohen  Maasse  daf&n 
dass  die  erste  Geschwulst  ein  Infectionsheerd  ist*), 
ein  Heerd,  von  welchem  aus  bestimmte  schädliche  Stoffe  verbrei- 
tet werden,  um  nach  anderen  Orten  hinzugelangen.  Ja,  diese 
Schlussfolgerung  ist  so  natürlich  und  nothwendig,  dass  selbst 
solche  Autoren,  welche  schon  der  ersten  „Ablagerung**  der  Ge- 
schwulstsubstanz irgend  eine,  aus  dem  Blute  mitgebrachte  Beson- 
derheit zuschreiben,  wie  Scarpa**),  annehmen,  es  entwickele  sich 
in  der  abgelagerten  Substanz,  die  sich  Anfangs  in  einem  gewissen 


schaftl.  Medicin.  Frankfurt.  185G.  S.  551.  P.  Sick.  Beiträge  zur  Lehre 
vom  Veoenkrebs.  Tübing.  1862.  11 Q 11  mann.  Monographia  de  carcinomate 
renum.  Diss.  inaug.    Hai.  1847. 

^)  Mein  Handbuch  der  spec.  Pathologie  u.  Therapie.    I.    S.  340. 
**)  Antonio  Scarpa.  Sullo  scirro  e  sul  cancro.  Pavia.  1825.  p.  15*17. 


Eliminative  Eigenschaften  der  Geschwfilste.  45 

Zustande  der  Ruhe  befände,  nachher  das  „Gift^  durch  eine  ört- 
liche Elaboration  und  wirke  in  diesem  Zustande  auf  den  Körper. 
Aber  der  Beweis  dieser  ursprünglichen  Besonderheit  fehlt.  Man 
hat  allerdings  bei  der  Discussion  dieser  Fragen  sich  sehr  häufig 
auf  eine  Thatsache  berufen,  die  als  besonders  beweiskräftig  be- 
trachtet wurde  far  die  ursprünglich  constitutionelle  oder  dyskra- 
sische  Natur.  Man  sagte  nehmlich :  es  kommt  sehr  häufig  vor,  dass 
eine  bösartige  Geschwulst  an  irgend  einer  Stelle  durch  Operation 
entfernt  wird,  und  zwar  vielleicht  dauerhaft  entfernt  wird.  Aber 
dann  entsteht  die  Gefahr,  dass  sich  an  einem  anderen  Theile  des 
Körpers,  vielleicht  an  einem  inneren  Organe,  eine  neue  Geschwulst 
ahnlicher  Art  bildet*).  Daraus  hat  man  geschlossen,  dass  doch 
die  eigentliche  Ursache  fortbestehen  müsse  im  Körper,  wenngleich 
der  Heerd,  den  man  unmittelbar  vor  sich  sah,  entfernt  ist;  und 
man  hat  weiterhin  gefolgert,  dass  man  eigentlich  unrecht  handle, 
die  erste  Geschwulst  zu  entfernen,  die  vielleicht  an  einem  äusse- 
ren, wenig  Gefahr  drohenden  Orte  sich  fand,  und  so  das  Blut 
gleichsam  zu  zwingen,  ein  anderes  Organ  zu  wählen,  an  welchem 
es  seine  bösen  Lüste  kühlen  könne  und  welches  nun  das  Recep- 
tionsorgan  für  die  bösen  Säfte  werden  müsse**). 

Einer  der  geistreichsten  modernen  Pathologen,  John  Simon f), 
hat  auf  solche  Betrachtungen  eine  an  sich  sehr  anziehende  Doc- 
trin  von  der  Bedeutung  dieser  Geschwülste  gegründet.  Er  be- 
trachtet die  Krebsgeschwulst  als  eine  Drüse,  als  ein  neugebildetes 
Secretionsorgan,  welches  dazu  bestimmt  sei,  oder  welches  wenig- 
stens das  Resultat  habe,  aus  dem  Körjper,  oder  genauer  gesagt, 
aus  den  circulirenden  Säften  die  schädlichen  Stofie  anzuziehen  und 
so  das  Blut  zu  depuriren.  Aehnlich  wie  etwa  die  Nieren  den 
Harnstoff,  diese  an  sich  so  schädliche  Substanz,  aus  dem  Blute  an- 
heben und  durch  diese  Anziehung  das  Blut  vom  Harnstoff  befreien, 
so,  meinte  Simon,  würde  die  Geschwulst  gewisse  schädliche  Stoffe, 
die  im  Blute  enthalten  sind,  an  sich  ziehen,  dieselben  sich  gleichsam 
incorporiren,  aber  dadurch  auch  zugleich  das  Blut  reinigen  und  an- 


*)  Quiboscunqae  occulti  cancri  fiunt,  eos  non  curare  melius  est;  cu- 
rat! enim  citius  moriuntur;  si  vero  non  curentur,  multum  tempus  perdurant. 
Hippocrates.  Aphor.  sect.  6,  38. 

^*)  Omninro  autorum  Bententia,  quod  scilicet  Cancer  in  aliqua  parte  avul- 
SOS.  in  altera  progressu  teroporis  suboriatur.  Pet  de  Marchettis.  Obsery. 
med.  Chirurg.,  obs.  29. 

t)  J.  Simon.  General  pathology«    Lond.  ISöO.  p.  152. 


46  Dritte  Vorlesung. 

dere  Organe  schützen  vor  der  Einwirkung  dieser  schädlichen  Sub- 
stanzen. Würde  nun  eine  solche  Geschwulst  endlich  gax  aufbrechen 
und  ulceriren,  also  wirklich  absondern,  dann  würde  gewissermaassen 
ein  offenes  Secretionsorgan  geschaffen,  durch  welches  die  schäd- 
lichen Substanzen  aus  dem  Körper  entleert  und  die  Dyskrasie 
wenigstens  zeitweise  beseitigt  werde.  Von  diesem  Gesichtspunkt 
aus  würde  begreiflicherweise  die  Exstirpation  einer  „eliminativen^ 
Geschwulst  eben  so  schädlich  sein,  wie  etwa  die  Exstirpation  einer 
Niere.  Das  unglückliche  Individuum,  welches  das  für  seinen  Zu- 
stand gerade  geeignete  Eliminationsorgan  verlöre,  müsste  in  die 
grösste  Gefahr  gerathen,  da  die  relativ  physiologischen  Zustande, 
welche  sich  mühsam  hergestellt  hatten,  gewaltsam  perturbirt 
würden. 

So  viel  nun  sowohl  in  den  vorhandenen  allgemein  physiolo- 
gischen Thatsachen,  als  in  manchen  pathologischen  Erfahrungen 
für  eine  solche  Doctrin  spricht,  so  ist  doch  schon  in  der  Argu- 
mentation ein  sehr  grosser  Zweifel  gegeben.  Die  Gefahr,  welclie 
durch  die  Exstirpation  der  Geschwulst  eintritt,  besteht  nicht  in  der 
steigenden  Infection  der  Blutmasse,  nicht  in  einem  mit  der  auf 
Nephrotomie  folgenden  Urämie  vergleichbaren  Zustande,  sondern 
in  der  Reproduction  der  Geschwulst,  also  in  einem  Ereignisse, 
welches  nach  Nephrotomie  in  der  Wiedererzeugung  der  Nieren 
bestehen  würde.  Indess  davon  kann  man  absehen.  Wenn  man 
aber  weiter  sagt:  sobald  ich  eine  Geschwulst  exstirpire,  dann  ent- 
stehen in  der  Nähe  oder  an  entfernten  Punkten  andere  ähnliche 
Geschwülste,  so  setzt  man  voraus,  dass  diese  anderen  nach  der 
Exstirpation  entstehen.  Das  ist  der  Punkt,  der  in  dieser  Theorie 
eine  Petitio  principü  enthält.  Wir  wissen  gegenwärtig,  dass  zur 
Zeit  der  Exstirpation  von  Geschwülsten  sehr  häutig  andere  Theile 
schon  erkrankt,  aber  noch  keineswegs  so  sehr  verändert  sind,  dass 
sie  für  die  gröbere  chirurgische  Betrachtung  ein  erkennbares  Ob- 
jeet  darstellen. 

Diese  schon  bestehenden,  aber  noch  latenten  Erkrankungen 
finden  sich  manchmal  in  der  unmittelbaren  Umgebung  einer  Ge- 
schwulst. Der  Chirurg  glaubt,  er  operire  im  gesunden  Gewebe, 
er  schneide  die  Geschwulst  ganz  und  gar  heraus,  aber  wenn  man 
die  Sache  genauer  ansieht,  so  findet  man,  was  übrigens  die  bes- 
seren Chirurgen  seit  länger  als  hundert  Jahren,  wussten,  dass 
das  stehengebliebene  Gewebe  schon  erkrankt  ist.    Bis  wie  weit 


SecundärerkrankuQgen  vor  der  Operation.  47 

diese  Erkrankung  der  Nachbarschaft  zuweilen  in  das  scheinbar 
gesunde  Gewebe  reichen  kann,  wie  sie  sich  namentlich  in  die  be- 
nachbarten Muskeln,  Nerven  u.  s.  w.  hinein  fortsetzt,  das  hat  na- 
mentlich Schröder  van  der  Kolk*),  mit  besonderem  Hinweis 
auf  die  operative  Bedeutung  dieser  Thatsache,  in  vortrefflicher 
Weise  dargethan. 

Oder  es  wird  vielleicht  in  loco  die  Geschwulst  vollständig 
exstirpirt;  die  nächsten  Lymphdrüsen  werden  befühlt,  man  erkennt 
noch  nichts  Besonderes  an  ihnen,  sie  erscheinen  nicht  erheblich 
vergrössert,  höchstens  vielleicht  ein  wenig  angeschwollen,  wie  bei 
allen  Reizungszuständen.  Man  lässt  sie  drinnen,  und  nach  kurzer 
Zeit  fangen  sie  an  zu  wachsen  und  bilden  eine  selbständige  Ge- 
schwulst; ja  sie  können  einen  grösseren  Umfang  erreichen  als  die 
ursprünglichen  Geschwülste.  Ich  habe  den  Fall  (wiederholt)  erlebt, 
dass  man  Jemand  den  Penis  amputirte  wegen  eines  sogenannten 
Carcinoma  penis,  das  den  Umfang  eines  massigen  Apfels  hatte, 
zu  einer  Zeit,  wo  noch  gar  keine  weiteren  Veränderungen  an  einem 
anderen  Theilc  zu  existiren  schienen.  Nach  einiger  Zeit  kam  der 
Mann  wieder  in  das  Hospital  wegen  einer  Inguinalgeschwulst, 
welche  die  Grösse  eines  Kindeskopfes  hatte.  Als  sie  aufgebrochen 
war,  gab  sie  ein  Geschwür  von  jauchiger  Beschaffenheit  und  enor- 
mem Umfang.  Niemand  wird  daraus  den  Schluss  machen,  dass 
die  Dyskrasie,  welche  am  Penis  ihren  £ruptionsort  verloren  hatte, 
sich  nun  gerade  die  Inguinaldrüsen  gewählt  hatte.  Im  Gegen- 
theil,  wir  können  nicht  anders  schliessen,  als  dass  zu  der  Zeit, 
wo  der  Penis  abgeschnitten  wurde,  die  Inguinaldrüsen  schon  er- 
krankt waren,  und  dass  sie,  wenn  der  Penis  nicht  abgeschnitten 
worden  wäre,  gewachsen  wären,  wie  jetzt,  wo  der  Penis  ent- 
fernt war. 

So  verhält  es  sich  nicht  selten  auch  mit  inneren  Organen. 
Wenn  man  Personen,  die  scheinbar  blos  eine  äussere  Geschwulst 
haben,  secirt,  so  ist  es  gar  nichts  Ungewöhnliches,  an  mehreren 
inneren  Organen,  deren  Erkrankung  man  bei  Lebzeiten  des  Kranken 
gar  nicht  vermuthet  hatte,  Geschwülste  zu  finden.  Man  trifft  Ge- 
schwülste in  den  Lungen,  Geschwülste  in  den  Nieren,  Geschwülste 
in  der  Leber,  von  denen  man  keine  Ahnung  hatte,  weil  sie  keine 


*)  Schröder  van  der  Kolk.  Over  de  vormiog  en  verspreiding  vao 
kaBkerceUen  in  deu  omtrek  van  kanker  en  bet  gewigt  hiervan  bij  het  doen 
eener  operatie.    NederL  Lancet.  1&53—1854.  Bl.  129. 


48  Dritte  Vorlesung. 

Protuberanzen  bildeten,  die  Function  des  Organes  nicht  sichtlich 
beeinträchtigten,  für  die  also  keine  Symptome  existirten.  Das 
beobachten  wir  Alles,  während  die  ursprünglichen  Geschwülste 
bestehen.  Wenn  ich  nun  den  Fall  habe,  dass  eine  Person,  der 
eine  äussere  Geschwulst  exstirpirt  wird,  einige  Zeit  nach  der  Ex- 
stirpation  stirbt,  und  ich  finde  auch  in  den  inneren  Organen  Ge- 
schwülste, so  kann  ich  nicht  einfach  annehmen,  dass  die  Ge- 
schwülste sich  erst  nach  und  wegen  der  Exstirpation  gebildet 
haben.  Ich  selbst  habe  es  erlebt,  dass  einer  Person  die  Brust 
abgeschnitten  wurde,  und  sie  nachher  eine  spontane  Fractnr  des 
Oberschenkels  erlitt,  weil  sich  da  eine  ähnliche  Geschwulst  befand, 
welche  sich  erst  nach  der  Exstirpation  gebildet  haben  sollte.  Ein 
solcher  Fall  würde  ganz  beweisend  sein,  wenn  nicht  dieselben  Ge- 
schwülste, dieselben  spontanen  Fracturen  bei  Personen  vorkämen, 
an  denen  nichts  exstirpirt  worden  ist.  In  allen  diesen  Fällen  ist 
es  viel  natürlicher,  viel  begreiflicher,  mehr  entsprechend  dem, 
was  wir  sonst  in  physiologisch-anatomischen  Dingen  wissen,  an- 
zunehmen, dass  zur  Zeit,  wo  die  Exstirpation  gemacht  wurde, 
schon  das  Secundärgebilde  existirte,  aber  in  kleiner  Form,  und 
dass  es  einer  gewissen  Zeit  bedurft  hat,  um  so  zu  wachsen,  dass  es 
eine  erkennbare  Störung,  ein  Symptom  hervorbringen  konnte. 

Daher  betrachte  ich  weder  die  sogenannten  Recidive,  das 
heisst,  das  Wiederhervorwachsen  von  Geschwulstmassen  an  dem 
Orte  der  Operationsstelle,  noch  das  Auftreten  von  ähnlichen  Ge- 
schwülsten in  entfernten  Organen,  das,  was  man  in  der  neueren 
Zeit  gewöhnlich  die  Generalisation  genannt  hat,  als  Ereig- 
nisse, welche  unabhängig  von  der  ersten  Geschwulst,  als  das  Re- 
sultat der  Einwirkung  einer  Dyskrasie  auf  diese  Theile  zu  be- 
trachten wären.  Gerade  bei  den  localen  Recidiven  sehen  wir  auf 
das  allerbestimmteste,  wie  sie  zu  Stande  kommen  durch  eine 
Erkrankung,  welche  sich  von  dem  Orte  der  ersten  Bildung  schritt- 
weise in  die  Nachbarschaft  fortsetzt  und  welche  auch  ohne  irgend 
einen  operativen  Eingriff  in  gleicher  Weise  fortschreitet  Es  ist 
dies  ein  Vorgang,  den  man  genau  kennen  muss,  wenn  man  über- 
haupt das  Wachsthum  der  meisten  Geschwülste  begreifen  will. 

Gewöhnlich  stellt  man  sich  vor,  dass,  wenn  in  irgend  einem 
Theil  eine  Geschwulst  sich  bildet,  dieselbe  von  sich  aus  wachse. 
Manche  denken  sich,  dass  immer  wieder  neue  Exsudate  abge- 
lagert und  daraus  neue  Geschwülste   gebildet  werden.     Andere 


Vachsthum  der  GeiohnOIste.  49 

nehmen  an,  dass  die  Geechwalst  immer  neue  Bestandtheile  in  sich 
«afainimt  und  so  durch  Intussusception  weiter  wächst.  Das  ist  an 
sich  gleichgültig;  denn  darin  stimmt  die  Mehrzahl  überein,  dass 
sie  sich  denkt,  die  Geschwulst  wachse,  indem  sie  sich  von  sich 
ans  vergrÖBsere,  und  in  dem  Maasse,  als  sie  sich  vei^rössert, 
würden  die  Naehbartheile  verschoben  und  durch  den  Druck  der  Ge- 
schwulst lur  Atrophie,  znm  Schwinden  gebracht.  Sitzt  eine  Ge- 
schwulst unmittelbar  an  einer  Oberfläche,  so  weiss  man  freitich, 
dass  sie  in  der  Regel  nicht  nach  allen  Seiten  gleichmässig 
wächst,  sondern  dass  hauptsächlich  die  im  Organ  liegende  Partie 
imnier  mehr  zunimmt.  Aber  auch  hier  stellt  man  sich  vor,  dass 
das  Wachsthum  von  innen  nach  aussen  gehe.  Das  ist  im  Allge- 
meinen unrichtig.  Höchstens  für  einzelne  gutartige,  mehr  unschul- 
dige Formen  trifft  eine  solche  Vorstellung  lu,  aber  sie  wird  um 


so  mehr  unrichtig,  je  entschiedener  die  Malignität  der  Neubildui^ 
ist  Im  letzteren  Falle  nehmlich  kann  man  sieb  bestimmt  Über- 
lengen,  dass  nicht  die  alte  Geschwulst,   nicht  das  zu  einer  ge- 


Fig.  3.  SeeoadSre  multiple  Kiokroidknoten  der  Leber  sowohl  von  der 
OberflSche,  sie  von  der  Scfanittfläcbe  aus  gesehen.  Bei  c,  e  gaoi  kleine  frische 
Bwrde.  Die  grOsieren  Knoten  a,  b  aus  zahlreichen  kleinereD  KDÖtchen 
tammnengeaetit ;  d.  eine  durchscbnitteoe  Vene. 

Tlieks«,  GMckwUii*.    I.  4 


50  Dritte  VorlesuDg. 

wissen  Zeit  bestehende  Ding  in  sich  oder  von  sich  aus  w&chst, 
sondern  dass  sich  immer  wieder  neue  accessorische  Heerde 
in  der  Nachbarschaft  bilden,  durch  deren  Anschluss  die  Ge- 
schwulst wächst,  und  dass  also  der  grosse  Knoten,  den  man  zu- 
letzt hat,  eine  Summe,  einMultiplum  von  kleinen  Heer- 
de n*)  ist,  die  sich  miteinander  vereinigen,  miteinander  zusam- 
menfliessen  und  so  schliesslich  einen  scheinbar  einfachen  Körper 
repräsentiren. 

Das  Wachsthum  also  erfolgt  so,  dass  der  zuerst  bestehende 
kleine  Knoten  oder,  wie  ich  ihn  nennen  will,  der  Mutterkno- 
ten**) nur  bis  zu  einer  gewissen  Grösse  wächst;  nachher  hört  er 
auf  zu  wachsen.  Inzwischen  bilden  sich  aber  in  seiner  Umgebung 
neue  Knoten,  gleichsam  eine  Zone  von  neuen  Heerden.  Diese 
neuen  Heerde  können  endlich  so  gross  werden,  dass  sie  eioander 

berühren  und  sowohl  unter  einander,  als 
mit  der  Hauptmasse  zusammentreten. 
Dann  bildet  sich  wieder  eine  neue  Zone, 
und  zwar  liegen,  wie  ich  besonders  be- 
merken will,  die  accessorischen  Knötchen 
nicht  etwa  immer  im  unmittelbarsten  Zu- 

sammenhange   mit   den   alten,    sondern 

nicht  selten  befindet  sich  eine  gewisse 
Distanz  dazwischen,  welche  von  altem  Gewebe  eingenommen  ist. 
Dieses  heerdweise  Wachsthum  zeigt  ganz  bestimmt,  dass 
von  dem  Mutterknoten  aus  eine  bestimmende  Anregung  auf  die 
Nachbartheile  ausgeht,  wodurch  diese  zu  einer  analogen  Erkran- 
kung veranlasst  werden,  wodurch  in  den  Nachbartheilen  ein  ähn- 
licher Process  hervorgerufen  wird,  wie  der  ProcesS  war,  durch 
den  die  erste  Bildung  geschah.  Denn  die  Beobachtung  ergiebt 
unmittelbar,  dass  die  accessorischen  Knoten  aus  einer  Wucherung 


Fig.  3.  Schematiäche  Darätelluog  dos  Geschwulstwachsthums.  A.  Eio 
an  der  Oberfläche  eines  Organs  gelegener  Knoten:  a,  der  älteste  Tbeil 
(Mutterknoten),  h.  die  nächst  alte  Schicht  der  Secundärknötcben ,  c.  die 
vorletzte,  d,  die  jüngste  Schicht.  B.  Ein  ähnlicher  Collektivknoteo  im  Innern 
eines  Organs  mit  circulären  Zonen  accessorischer  Knötchen. 

^)  Cellularpathologie.    S.  425. 

*^)  Dieser  Ausdruck,  welcher  längst  beim  russischen  Landvolk  fQr  den 
ersten  Milzbrand-Knoten  im  Gebrauche  war  (vgl.  mein  Handbuch  der  spec. 
Path.  u.  Therap.  II.  Zoonosen.  S  399.),  passt  auch  für  die  Geöchwäute 
in  ausgeseichDeter  Weise  und  verdient  allgemein  in  die  TermiDologie  anf- 
genommen  zu  werden. 


Inficirende  Säfte.  51 

der  Gewebselemente  der  Umgebung,  und  nicht,  wie  man  noch  vor 
Kurzem  annahm,  aus  Exsudat  oder  ausgeschwitztem  Blastem  her- 
vorgehen. Diese  Anregung,  die  inmitten  fester  Gewebe  erfolgt, 
kanu  nicht  wohl  anders  gedacht  werden,  als  durch  die  Yermittelung 
von  Flüssigkeiten,  von  Säften,  —  von  Säften,  die  in  dem 
Mutterknoten  erzeugt  worden  sind,  die  von  da  aus  auf  dem  Wege 
der  Imbibition  in  die  Nachbarschaft  eindringen  und  in  dieser 
die    neuen  Störungen  erregen*). 

Es  verhält  sich  damit  ganz  ähnlich  wie  mit  der  Propagation 
mancher  Entzundungsprocesse.  Man  sehe  sich  ein  Erysipelas  an : 
der  Process  kriecht  hier  von  Ort  zu  Ort,  eine  Stelle  erkrankt 
nach  der  andern,  und  wir  kOnnen  nicht  umhin  anzunehmen,  dass 
die  Erkrankung  der  späteren  Stelle  eine  Folge  der  Erkrankung 
der  früheren  Stelle  ist,  dass  die  später  erkrankte  Stelle  von  der 
ersteren  zu  einer  ähnlichen  Erkrankung  bestimmt  wurde.  Oder, 
es  bildet  sich  an  der  Oberfläche  des  Körpers  eine  Eiterpustel  mit 
etwas  scharfem  Secret,  das  Secret  fliesst  in  dieNachbarschaft  hin- 
über und  es  entstehen  dort  ähnliche  Pusteln.  Erinnere  man  sich 
nur  an  manche  syphilitische  Affectionen,  z.  B.  die  breiten  Con- 
dylome (Plaques  muqueuses),  wo  sich  von  Ort  zu  Ort  die  Störung 
fortpflanzt.  Auch  in  vielen  Fällen  von  Geschwulstbildung  lässt 
sich  nicht  wohl  ein  anderer  Modus  der  Verbreitung  denken  als 
der,  dass  ein  schädlicher  Saft,  ein  Succus  oder  Humor  in  dem 
Theil  erzeugt  wird,  der  in  die  Nachbarschaft  eindringt,  in  dieser 
als  neuer  Anreiz  zu  analoger  Bildung  dient,  und  so  den  neuen 
Heerd  hervorruft.  Wie  will  man  anders  jene  scheusslichen  For- 
men von  Skirrh  erklären,  wo  die  Haut  in  immer  grösserer  Aus- 
dehnung, zuweilen  in  über  Quadratfuss  grossen  Flächen,  im  Um- 
fange eines  zuerst  ganz  beschränkten  Heerdes  erkrankt  (Cancer 
en  cuirasse)? 

Meiner  Ansicht  nach  ist  gerade  das  Studium  der  localen 
Vergrösserung  der  Knoten  einer  der  entschiedensten  Beweise  für 
die  infectiöse  Natur  der  Stoffe,  welche  in  der  Geschwulstsubstanz 
entstehen;  und  die  Bildung  dieser  neuen  Heerde,  oder,  was  man 


*)  Zum  erstenmal  habe  ich  diese,  meiner  Ansicht  nach  Überaus  wichtige, 
Doctrin  an  der  Geschichte  des  Enchondroms  entwickelt,  wo  ich  zugleich 
dartbat,  dass  die  Imbibition  der  inficirenden  Säfte  durch  die  Anastomosen 
der  Bindegewebselemente  erfolgte  und  die  neuen  Geschwulstheerde  von  letz- 
teren aasgiogen.  (Mein  Archiv.  1853.  Bd.  V.  S.  245.). 

4» 


5-2  tiritt«  VorleBung. 

kurzweg  dag  Wachsthuni  der  Geschwulst  geniinnt  hat,  das  ist  fllr 
raifh  genau  dasselbe,  wie  die  Erkrankung  der  Lymphdrüsen  und 
entfernter  Organe  im  Laufe  der  Generalisation-  In  allen  drei 
F&llen  liaben  wir  eine  Ansteckung,  eine  Art  von  Contagion, 
wo  ein  Ansteckungstoll',  eine  infectiöse  Substanz,  ein  „Miasma"*) 
von  dem  Orte  der  ersten  Bildung  aus  sich  verbreitet,  theilet  auf 
dem  Wege  der  direeten  Imbibition,  der  einfachen  Endosmose  in 
die  Nachbarschaft,  theils  auf  dem  Wege  der  Lymphströmung  lu 
den  nächsten  Lymphdrüsen**),  theils  auf  dem  Wege  der  fijuti^ir- 
culation  durch  die  Venen. 

Ob  dabei  nur  Saft  aufgenommen  wird,  das  ist  eine  Frage, 
die  sehr  viel  schwieriger  zu  beantworten  ist,  und  ich  läugne  nicht, 
dass  die  Möglichkeit  vorliegt,  ja,  in  manchen  Fällen  eine  gewisse 
Wahrscheinlichkeit  besteht,  dass  nicht  blos  Säfte,  sondern  auch 
morphologische  Bestandtheile,  namentlich  Zellen,  mit  in  Bewegung 
gesetzt,  werden  und  gleichsam  als  Inoculationsmittel  dienen. 

Zunächst  nehmlich  ist  es  nicht  ungewöhnlich,  die  Lymph- 
gefässe    selbst   mit  Geschwulstmasse,    zuweilen   auf  sehr    lange 


Strecken,  crfiillt  zu  linden.  Das  kommt  nicht  bloss  bei  Krebs  und 
Kankroid,  sondern  auch  bei  anderen  Geschwülsten,  z.  B.  Enchon- 
drom  vor.     Die  Geschwulst  sendet  auf  diese  Weise  innerhalb  der 

V  i  s.  4.  KreÜH  der  Lymphge^se  so  der  LungeDob«rfl&cbe.  a.  ein 
I.uDgeiiTäppcheD  mit  volInlSiidiger  lofiltratiuii  des  grossen  RandgelSaaM  ood 
mit  beginnender  FQIIung  der  kleineren  CenlralueUe.  b.  eiu  grCsserea  LuDgen- 
ia[)pchen  mit  fast  vollatändiger  POlluog  des  ganieu  Lymphgeftss neues. 
c  TülUliudige  FUlluog  aaä  xunehmeode  Erweiterung  des  NaUet.  NstQrticbe 

*)  llaodbui'h  der  spee.  Patli.  u.  Therap.     1.    S.  216,  »71.     Oedui«elta 
Abbnndlungen  S.  ftü.  /iiuriustDÜcio,  ich  verunreinige. 
"j  CelluUrpMhoIoeifl.     S   203  ff. 


GeschwolstmasBen  in  Lymph-  und  Blutgefässen.  53 

Ljmphgefasse  gleichsam  Aeste  und  Zweige  aus,  wie  ein  Baum, 
mid  es  kommt  vor,  dass  die  Aeste  endlich  die  Wand  der  Lymph- 
gefasse  sprengen,  das  umgebende  Gewebe  durchbrechen  und  frei 
zu  Tage  treten.  Einer  der  ausgezeichnetsten  Fälle  dieser  Art, 
die  ich  sah*),  betraf  ein  breiiges  Kankroid  des  Uterus,  wo 
die  Lymphgefässe  des  Bauchfells  und,  von  den  erkrankten  Bron- 
chialdrüsen aus,  auch  die  Lymphgefässe  der  Lungen  weithin  mit 
Kankroidzapfen  gefällt  waren  und  wo  sowohl  frei  in  die  Bauch- 
höhle, als  in  die  Bronchien  wurmförmige  Massen  ausgetre- 
ten waren,  welche  ganz  aus  Geschwulstzellen  bestanden.  Es 
giebt  also  zwei  Möglichkeiten,  wie  zellige  Elemente  durch  die 
Lymphgefässe  verbreitet  werden  können:  eine,  indem  sich  von 
den  Enden  der  in  die  Lymphkanäle  hineingewachsenen  Zapfen 
Zellen  ablösen,  die  mit  dem  Lymphstrom  fortgeführt  werden ;  eine 
zweite,  indem  die  Zapfen  durchbrechen  und  sich  frei  in  die 
Höhlen  und  Kanäle  des  Körpers  entleeren.  Aber  ich  kann  mich 
nicht  überzeugen,  dass  der  eine  oder  der  andere  dieser  Wege  für 
die  Bildung  der  Metastasen  der  regelmässige  wäre;  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  sind  die  Lymphgefässe  zwischen  Geschwulst  und  Lymph- 
drüsen offen  und  nur  mit  Flüssigkeit  gefällt. 

Nicht  selten  findet  man  aber  auch,  wie  ich  schon  sagte,  in 
den  Venen  hineinwachsende  Geschwulstmassen,  die  sehr  brüchig 
sind  und  von  denen  sehr  leicht  Ablösungen  geschehen  können. 
Manche  Beobachter  haben  behauptet,  in  dem  Blute  selbst  solche 
Zellen  gesehen  zu  haben**).  Ich  will  das  nicht  absolut  bestrei- 
ten, denn  es  ist  immer  sehr  misslich,  etwas,  was  Jemand  positiv 
gesehen  haben  wiD,  mit  Bestimmtheit  zu  bestreiten;  indessen 
giebt  es  eine  Menge  von  Fehlerquellen***).  Es  kommt  vor, 
dass  man  grössere  zellige  •  Elemente  im  Blut  findet ;  diese 
brauchen  aber  nicht  gerade  Geschwulstelemente  zu  sein.  In  Lei- 
chen löst  sich  Epithel  von  der  Oberfläche  der  Gefasse  ab  und 
geräth  in  das  Blut.   Wahrscheinlich  gerathen  auch  von  der  Milz 


•)  Virchow  Trois  observations  de  tumeurs  epitheliales  g^neralisees. 
Gaz.  med.  de  Paris.  1855.  p.  212—213. 

••)  Andral.  Hematologie  pathol.  1843.  p.  179.  Heller.  Arohiv  für 
Mikroskopie  u.  Chemie.  1846.  Hft.  1.  Wernher.  Zeitschr.  für  rat.  Medicin. 
Neue  Folge.  1854.  Bd.  V.  S.  109.  Rokitansky.  Allg  path.  Anat.  1846. 
S.  553. 

•••)  Virchow.    Medic.  Zeitung  d.  Vereins  f.  Heilk.   in  Preussen.     1846. 
No.  35.  S.  165.  Gesammelte  Abhandl.  S.  163. 


54 


DrittB  VorlesODg. 


aus  grössere  Elemente  ins  Blut,  welche  für  GeschwulstzeUen  an- 
gesehen werden  können.  Hierin  muss  man  sehr  vorsichtig  gein. 
Aber  ich  selbst  habe  uniweifelhafte  Fälle  gesehen,  wo  ganie 
Geschwulstfragmente  in  schon  mit  blossem  Auge  zu  erUennentter 
Grösse  aus  Venenkrebsen  losgelöst  und  in  die  Lungenarterien  ge- 
langt waren.  Auch  in  der  Lymphe  des  Ductus  thoracicns  sind 
Elemente  beobachtet  worden,  welche  wenigstens  den  krebsigen 
im  höchsten  Maasse  ähnlich  waren*). 

Das  macht  es  mir  allerdings  sehr  wahrscheinlich,  dass  unter 
Umständen  ein  Transport  morphologischer  Partikel  statttinden 
kann.  Ja,  es  giebt  einen  Fall,  wo  eine  derartige  Verbreitung 
sehr  viel  wahrscheinlicher  ist  als  die  durch  blosse  Säfte ;  das  ist 
die  Verbreitung,  wie  sie  namentlich  in  grösseren  serösen  Höhlen 
vorkommt,  wo  von  einem  bestimmten  Organ  aus  die  Erkrankung 


sich  fortpflanzt.  Besteht  z.  B.  ursprünglich  ein  Magenkrebs,  der 
bis  auf  die  Serosa  reicht,  so  sieht  man  nicht  selten  eine  multiple 
Krebsoniption  über  das  Peritonaeum  auftreten,  aber  nieht  gleieh- 
massig,  sondern  oft  an  sehr  entfernten  Punkten,  und  zwar  gerade 
an  soklion,  welche  geeignet  sind,  Stoffe,  die  auf  den  glatten  Ober- 
flachen  der  Bauchwand  heruntergleiten,  aufzufangen,  z.  B.  in  der 
Gegend  der  Ligamenta  vcsicae  lateralia,  in  der  Excavatio  recto- 

Fic.  .'i.     nisscniinirter  Krebs  des    Peritonaeum    nach  primärem    Krebs 
de«  Hagenn.     Um  die  kleini-ren  Knttlelien  Pigmenthcre. 

•)  A.  ßuei.  Du  Cancer  eidestcurabiliU.  Paris.  1860.  p.  59.  PI  III.  Fig.  1. 


Dissemination.  55 

Tesicalis,  recto- uterina  oder  utero- vesicalis.  An  diesen  Orten 
bilden  sich  neue  kleine  Geschwulstinseln,  Tochterknoten, 
gerade  wie  wenn  ein  Sem  in  iura*)  ausgestreut  wäre,  welches 
hier  und  dahin  gefallen  wäre  und  gekeimt  hätte.  Ich.  kann  diese 
Erscheinung  nicht  besser  vergleichen,  als  wenn  an  einem  Berg- 
abhang hier  und  da  ein  Baum  oder  ein  Strauch  sich  findet,  von 
denen  man  annehmen  muss,  dass  sie  auf  bestimmte  Weise  durch 
Samen  dahin  verpflanzt  sind,  und  dass  etwa  durch  Herunterfallen 
von  oben  her  auf  jedem  Vorsprung  einzelne  Samenkörner  sich 
festgesetzt  und  Wurzel  getrieben  haben. 

Das  sind  keine  absoluten  Beweise,  aber  sie  bestimmen  mich, 
über  die  Art  der  Verbreitung  selbst  ein  limitirtes  Urtheil  abzu- 
geben, in  der  Weise,  dass  ich  die  Möglichkeit  nicht  bestreite, 
dass  Gewebstheile  abgelöst  und  fortgeführt  werden  und  dass  von 
ihnen    die    neue   Erkrankung  ausgeht**).     Ich  halte  es  aber  für 
unwahrscheinlich,  dass  diese  Möglichkeit  häufig  verwirklicht  wird 
oder  dass  eine  Verbreitung  durch  versetzte  Gewebstheile  die  Regel 
ist.    Gera  de  in  ausgezeichneten  Fällen  von  Venen -oder 
Lymphgefässkrebs  finden  sich  oft  garkeine  odersehr 
wenige  und  kleine  metastatische  Knoten,  während  umge- 
kehrt bei  sehr  ausgesprochener  Multiplicität  der  Metastasen  solche 
Affectionen  ganz  und  gar  fehlen  können.     Man  sollte  sich  daher 
sehr  hüten,  hier  aus  einzelnen  Fällen  aUgemeine  Regeln  abzuleiten. 
Wahrscheinlich  kommen  beide  Arten  der  Contagion  vor,  aber  ich 
halte  die  rein  humorale  doch  für  die  wichtigere.    Da  die  zelligen 
Elemente  innerhalb  der  Geschwulst  selbst  als  diejenigen  betrach- 
tet werden  müssen,  welche  die  schädlichen  Säfte  produciren,  so 
werden    sie    freilich    auch    Träger    sein    können,    welche    diese 
Säfte  fortfuhren  an  entferntere  Punkte.    Das  kann  man  durch  die 
Beobachtung  sicher  feststellen,  dass  nicht  etwa  ein  solches  aus- 
gestreutes  Zellen -Seminium  aus  sich   selbst  die   neuen    Ge- 
schwülste hervorbringt,   dass   nicht  etwa  die  neuen  Knoten   aus 
den  versetzten   Zellen    selbst   hervorwachsen,    sondern    dass    an 
Ort  und  Stelle   wieder   die    vorhandenen   Gewebe   er- 
kranken***) und  aus  ihnen  erst  durch  örtliche  Wucherung  die 


•)  Cellularpathologie.    S.  205. 
**)  GeBammelte  Abhandlungen.    S   53. 
♦♦•)  Cellularpathologie.  S.  205. 


56  Dritte  Vorlesung. 

sogenannten  Metastasen,  die  Tochterknoten  erzeugt  werden.  Es 
handelt  sich  also  immer  um  eine  Infection,  die  von  dem  abge- 
lösten Theil  auf  das  locale  Gewebe  ausgeübt  wird,  und  selbst 
die  Dissemination  durch  Geschwulstelemente  fuhrt  uns  auf 
die  Nothwendigkeit,  diese  Elemente  nur  als  Träger  und  Erzeuger 
eines  Ansteckungsstoffes  zu  betrachten,  der  seinerseits  nicht  an 
die  Elemente  gebunden  ist 


Vierte  Vorlesung. 

22.  November  1862. 


Aetiolojpe  der  HeoplastisdieH  Gfsdiwiilste. 


Dyskrtsie  and  Kachexie.  Nenropathologische  Ansichten.  Oertliche  Disposition  der  Gewebe. 
Erblichkeit:  congenitale  Geschwülste,  Pr&di^posltion  (Schw&che).  Voran f gegangene  StSrnngen: 
Karben,  aagebome  Missbiidongen ,  Entanndungen.  Lage,  Einrichtung  und  Function  der  Or- 
gane. Mechanische  Verletzungen.  Retention  der  Hoden.  Pradilectionsstellen  und  Immn- 
Dititen.  Verschiedenartige  Disposition  fnr  Prim&r-  und  fiecund&rgeschwiilste  (Metastasen). 
Constitutionelle  Diatbese.  Oertliche  Ursachen  und  homologe  Oeschwulstbiidong  bei  speci- 
fischer  Dyskrasie. 


Die  Merkmale,  welche  man,  wie  gesagt,  för  die  Heterologie  einer 
Geschwulst  anzuführen  pflegt,  sind  folgende: 

1)  die  locale  Progression,  das  Wachsthum  durch  Bildung 
neuer  accessorischer  Heerde  im  Umfange  des  Mutter- 
knotens, das,  was  man,  wenn  die  Geschwulst  ulcerös 
wird,  das  Fressen  nennt,  und  worauf  seit  dem  Mittelalter 
der  Name  Cancer  besonders  hinweist.  Denn  Cancer  im 
mittelalterlichen  Sinne  bedeutet  das  Fressen  des  ge- 
schwnrig  gewordenen,  nicht  das  des  geschlossenen 
Tumors. 

2)  die  Recidivirung  in  loco  nach  der  Exstirpation, 

3)  die  Erkrankung  der  Lymphdrüsen, 

4)  die  Bildung  der  metastatischen  Heerde  in  entfern- 
ten Organen,  die  Generalisation. 

Alle  diese  Eigenschaften,  haben  wir  gesehen,  erklären  sich 
viel  natürlicher  durch  eine  secundäre  Infection,  als  durch  eine 
oreprüngliche  Dyskrasie.     Denn  was  das  Recidiviren  nach  einer 


5g  Vierte  Vorlesung. 

Operation  betrifft,  so  begreift  sich  dieses  leicht  aus  der  Erfah- 
rung, dass  sehr  häufig  die  Exstirpation  nicht  rein  geschieht*). 
Wenn  ich  eine  Geschwulst  ausschneide  und  nun  in  der  Voraus- 
setzung lebe,  ich  habe  die  ganze  Geschwulst  erwischt,  während 
eine  Zone  von  Erkranktem  bestehen  bleibt,  die  noch  sehr  wenig 
vorgeschritten  sein  mag,  die  aber,  wenn  ich  die  Wundränder  an 
einander  fuge  und  eine  Vernarbung  erziele,  zu  den  Seiten  der 
Narbe  sitzt,  so  ergiebt  sich  ja  von  selbst,  dass  von  dieser  Stelle 
aus  auch  die  Bildung  einer  neuen  Geschw  ulst  mit  grosser  Leich- 
tigkeit vor  sich  gehen  kann  und  vor  sich  gehen  wird.  Das  ist, 
wie  schon  erwähnt  (S.  46),  nicht  eine  blosse  Argumentation, 
sondern  ein  directes  Resultat  der  Beobachtung,  w^as  man  mit 
grosser  Leichtigkeit  prüfen  kann,  wenn  man  jedesmal  die  Schnitt- 
rftnder  des  exstirpirten  Theils  sorgfältig  untersucht. 

Ist  nun  aber  die  Verbreitung  aller  dieser  neuen  Erkrankun- 
gen, die  Bildung  der  Tochterknoten  viel  natürlicher  zu  erklären 
durch  eine  secundäre  Infection  als  durch  eine  primäre  Dyskrasie, 
dann  steht  es  auch  misslich  um  die  primäre  Dyskrasie  als  Er- 
klärungsgrund für  die  erste  Geschwulst.  Denn  mit  der  Erklärung 
der  Tochterknoten  fallen  eigentlich  alle  diejenigen  Gründe  weg, 
die  uns  bestimmen  könnten,  für  die  erste  Geschwulst  eine  Dys- 
krasie zu  statuiren.  Man  beruft  sich  allerdings  häufig  noch  auf 
eine  andere  Erscheinung,  die  aber  ganz  und  gar  missverstanden 
ist:  auf  die  Kachexie,  auf  das  üble  Aussehen  der  Kranken,  auf 
den  Verfall  ihrer  Ernährung,  auf  die  Verminderung  der  rothen  Blut- 
körperchen (Anämie,  Oligämie),  auf  die  Störungen  der  D  gestion 
und  wer  weiss  was  sonst  noch  alles.  Das  kommt  alles  vor,  das 
ist  gar  kein  Zweifel;  aber  es  ist  eben  so  unzweifelhaft,  dass  es 
Fälle  der  ausgemacht  bösartigsten  Geschwulstbildnng  giebt,  wo 
von  allen  diesen  Dingen  nichts  zu  sehen  ist.  Prüfen  wir  die 
Fälle,  in  denen  die  Kachexie  besteht,  so  ergiebt  sich  wieder,  dass 
ein  grosser  Theil  davon  eben  in  Folge  des  localen  Geschwulst- 
verlaufes eintritt,  der  mitunter  mit  grossem  Stoffverbrauch,  mit  be- 
trächtlichen Blutungen,  mit  starken  Säftevorlusten,  mit  fauligen  Zu- 
ständen verbunden  ist,  die  auf  den  Körper  zurückwirken.  Wenn 
eine  Person  eine  maligne  Geschwulst  am  Uterus  bekommt,  so  ist 


^)  John  Pearson.    Pract.  obs.  on  cancerou9  coroplainta.    Lond.  1793. 
Pf.  83. 


Kachexie.  59 

sie  zu  der  Zeit,  wo  die  Geschwulst  sich  einstellt,  in  der  Regel 
nicht  kachektisch;  und  daher  ist  man  erst  in  neuerer  Zeit,  wo 
man  angefangen  hat,  locale  Untersuchungen  mit  grösserer  Sorg- 
falt und  Häufigkeit  anzustellen,  auf  die  frühesten  Entwickelungs- 
zustände  der  üteringeschwülste  gekommen.  Bildet  sich  nun  aber 
später  eine  Verschwärung,  welche  weiter  und  weiter  frisst  und  mit 
starken  Blutungen  und  Absonderungen  verbunden  ist,  dann  sehen 
wir  jene  kachektischen  Zustände  sich  ausbilden,  —  Zustände,  die 
bei  vielen  anderen  ulcerösen  Processen  in  gleicher  Weise  bestehen 
und  in  keiner  Weise  etwas  specifisch  krebsiges  haben. 

In  einzelnen  Fällen  hat  man  sich  freilich  darauf  berufen,  dass 
solche  Personen  ein  ganz  besonderes  (gelbliches  oder  erdfahles) 
C^lorit  bekommen.  Das  lässt  sich  nicht  läugnen.  Aber  man 
wurde  grosse  Schwierigkeiten  haben,  wenn  man  auf  Grund  dieses 
Merkmals  Krebse  diagnosticiren  wollte.  Es  finden  sich  in  der 
Regel  bei  solchen  Fällen,  wo  die  Digestionsorgane,  namentlich  der 
Magen,  vielleicht  die  Leber  mit  afficirt  sind,  ausser  den  allge- 
meinen und  örtlichen  Emährungs- Störungen,  die  man  leicht  be- 
greift, zumal  wenn  man  an  die  so  häufige  Mitleidenschaft  der 
epigastrischen  und  mesenterialen  Lymphdrüsen  denkt,  allerlei 
Farbenveränderungen*).  Aber  das  sind  mehr  accidentelle  Er- 
scheinungen, die  keineswegs  unmittelbar  aus  der  Dyskrasie  hervor- 
gehen**). Wenn  man  gelegentlich  ein  ganz  florides  Individuum 
sieht,  das  mit  den  reinsten  Farben  ausgestattet  ist  und  doch  seine 
maligne  Geschwulst  hat,  da  wird  man  von  der  Untrüglichkeit  die- 
ses Merkmals  auf  die  Dauer  kurirt. 

Es  würde  indess  sehr  gewagt  sein,  wenn  man  nach  diesen 
Praemissen  die  Behauptung  aufstellen  wollte,  der  Zustand  der 
Säftemasse  sei  ganz  gleichgültig  für  die  Entstehung  von  Ge- 
schwülsten, sie  seien  immer  nur  zu  erklären  aus  örtlichen  Ver- 
andeningen. Das  will  ich  in  keiner  Weise  sagen.  Dass  durch 
eine  allgemeine  Stönmg  der  Ernährung  in  dem  Körper  gewisse 
Dispositionen   geschaffen    werden,    dass    gewisse    Organe    durch 


*)  Auf  einen  besonderen  Fall  der  Kachexie    komme    ich    noch  in  der 
sechsten  Vorlesung  zurßck. 

**)  Phil.  T.  Walt  her  behauptete,  es  gebe  nicht  nur  eine  eigenthümliche 
Rrebsphysiognomie ,  sondern  diese  sei  bei  den  verschiedenen  Krebsen  z.  B. 
bei  dem  Magen-,  Fruchthalter-,  Mastdarm-,  Gesichtskrebs  überall  eine  andere 
(Gräfe  u.  Walther  Journal  V.  S.  218.).  Wäre  dies  richtig,  so  würde  es  na- 
türlich erst  recht  für  die  deuteropathische  Bedeutung  dieses  Zeichens  sprechen. 


so  Vierte  Yorlesong. 

solche  allgemeine  Störangen  mehr  za  Erkrankungen  disponirt 
werdea,  da«  igt  eine  allgemein  bekannte  Erfahrung ;  und  dass  un- 
ter Umstanden  irgend  eine  voraufgegangene  Krankheit,  welche  in 
dem  Körper  eine  Veränderung  der  Ernährung  überhaupt,  eine 
Veränderung  der  Blutmiscbung  oder  eine  Veränderung  einzelner 
Theile  hervorgebracht  hat,  die  Bedeutung  einer  praedisponirenden 
haben  könne,  das  halte  ich  ffir  durchaus  zulässig.  Aber  es  ist 
ein  grosser  Unterschied,  ob  man  diese  Zustände  von  Dyskrasie 
und  Emährungstörung  nur  als  praedisponirende  betrachtet,  oder  ob 
man  sie  geradezu  als  die  Causa  essentialis,  als  den  eigentlichen 
Grund  hinstellt.  Die  praktische  Auffassung  stellt  sich  danach 
wesentlich  verschieden. 

Gegenüber  den  humoralpathologischen  Doctrinen  hat  man 
eigentlich  neuropathologische  in  Beziehung  auf  die  Ge- 
schwülste nie  mit  grosser  Consequenz  durchgeführt  Freilich  hat  es 
einzelne  enthusiastische  Neuropathologen  gegeben,  welche  geglaubt 
haben,  gerade  in  den  Beziehungen  des  Nervenapparates  den  näch- 
sten Grund  Ittr  irgend  welche  Geschwulstbildung  zu  finden.  Ins- 
besondere ist  es  nicht  schwer,  wenn  man  sich  mit  der  Special- 
literatur der  Geschwülste  beschäftigt,  zahlreiche  Autoritäten  für 
die  Ansicht  zu  ermitteln,  dass  deprimirende  moralische  Einflüsse, 
wie  Sorgen  und  Kummer,  dass  unmittelbare  Verletzungen  der  Ner- 
ven oder  schwere  fieberhafte  Störungen  Veranlassung  zu  Ge- 
schwulstbildungen gegeben  hätten.  Am  meisten  ist  diese  Art  von 
Ursachen  beim  Magenkrebs  angeführt  worden*),  aber  die  Gründe 
dafQr  sind  sehr  schwach,  und  gewiss  hat  Barras**)  nicht  Unrecht, 
wenn  er  meint,  dass  viele  der  sogenannten  nervösen  Vorläufer 
schon  Symptome  des  Magenkrebses  selbst  seien.  Andererseits  er- 
giebt  die  Statistik,  dass  sowohl  Krebs  überhaupt,  als  Magenkrebs 
insbesondere  bei  Wohlhabenden  häufiger  ist,  als  bei  Armen •**), 
und  man  könnte  daraus  ableiten,  dass  die  mehr  nervösen  Schich- 
ten der  Bevölkerung  mehr  ausgesetzt  sind.  Aber  diese  Deutung 
ist  an  sich  sehr  bedenklich;  ganz  unzutreffend  wird  sie,  wenn  man 


•J  Rene  Prus.    Neue  Uotersuch.  über  die  Natur  und  die  Behandlung 
deB  Magenkrebse».     Aus  dem  Franz.  von  Balling.    WOrzbarg.  1829.  8.  64. 

••)  Barras.     Precis  analytique  sur  le  cancer  de  Testomac.    Pari«.  1842. 
|>ag.  14. 

***)  Walter  Ha3rle  Walsbe.  Tbe  natnre  and  treatment  of  Cancer. 
Und.  1846.  p.  159.  Marc  d' Espin e  dans  TEcho  medical.  Neach.  1868. 
T.  II.  p.  322. 


Nervöse  Störaogen.  61 

nicht  blo8  den  Krebs,  sondern  auch  andere  Geschwülste  mit  in 
Betracht  zieht.  Auf  alle  Fälle  könnte  die  Einwirkung  der  Ner- 
ven nicht  weiter  gehen,  als  dass  dadurch  eine  Schwächung  des 
Körpers  gesetzt  würde,  welche  eine  ähnliche  Bedeutung  haben 
könnte,  wie  die  nutritiven  Störungen,  nehmlich  eine  praedispo- 
nirende*). 

Unter  den  neueren  Beobachtern  ist  es  nur  ein  einziger  ge- 
wesen, der  eine  mehr  plausible  Theorie  für  die  neuropathologisehe 
Auffassung  aufgestellt  hat;  das  war  der  kürzlich  verstorbene 
Schröder  van  der  Kolk.  Schon  vor  einer  Reihe  von  Jahren 
war  bei  Versuchen,  die  unter  seiner  Leitung  über  die  Regenera- 
tion von  Knochen  nach  Fracturen  angestellt  wurden**),  der  Fall 
vorgekommen,  dass  bei  einem  Kaninchen,  welchem  nach  Durch- 
schneidnng  der  Schenkelnerven  das  Bein  gebrochen  war,  statt 
eines  regelmassigen  Gallus  sich  jederseits  aus  der  Markhöhle  der 
Tibia  eine  weiche  Geschwulst  hervorbildete,  von  der  Schröder 
meinte,  es  wäre  Fungus  medullaris.  Ich  habe  das  Praeparat 
selbst  in  Utrecht  gesehen,  weil  es  mich  in  hohem  Grade  inter- 
essirte;  allein  ich  habe  nichts  daran  wahrnehmen  können,  was 
mich  bestimmt  hätte,  die  Veränderung  für  Krebs  zu  halten.  Ganz 
ähnliche  Veränderungen  kann  man  bei  Kaninchen  leicht  hervor- 
bringen, wenn  man  ihnen  den  Unterkiefer  in  der  Mitte  bricht. 
An  dieser  Stelle  kommen  natürlich  erhebliche  Nervenverletzungen 
nicht  vor,  da  die  Nerven  von  beiden  Seiten  herantreten;  bricht 
man  in  der  Mitte  durch,  so  kann  eben  nicht  viel  von  ihnen 
verletzt  werden.  Aber  die  gebrochenen  Knochen  verschieben 
sich  fortwährend  an  einander;  wenn  das  Kaninchen  die  Kiefer 
bewegt,  so  reiben  sich  die  Bruchstücke  gegen  einander,  es 
entsteht  ein  dauernder  Reiz  und  es  bildet  sich  eine  Art  von 
Tumoren.  Aber  das  sind  entzündliche  Tumoren,  welche  nichts 
weiter  enthalten,  als  in  gewissen  Richtungen  Bindgewebszüge,  in 
welche  auch  wohl  Knochen  eingeht,  und  zwischen  ihnen  Eiter 
uod  Granulationen,  aber  nichts  weniger  als  Krebse,  am  wenig- 
sten Krebse,  deren  Bösartigkeit  festgestellt  wäre.  Ja,  wenn 
man    Geschwülste    erzeugt   hätte,    die    nachher    Metastasen    ge- 


*)  Cellularpathologie.    S.  292.     Handbuch  der  spec.  Path.  u.  Therapie. 
I.    S.  276. 

**)  Jaous  Wittop  KoDiog.    De  vi  oervoram  in  ossium  regeneratione. 
Diss.  inaug.    Triyecti  ad  Rh.  1834.  p.  60. 


62  Vierte  Vorlesung. 

macht  hätten,  dann  wollte  ich  mich  allenfalls  fugen;  indess  so 
kann  ich  nicht  umhin,  zu  sagen,  dass  nach  meiner  Ueberzeugung 
der  Fall  missverstanden  worden  ist,  und  dass  damit  die  Noth- 
wendigkeit  wegfallt,  ihn  zu  deuten.  Schröder*)  meinte,  da  in 
seinem  Falle  sich  ein  Krebs  gebildet  habe,  so  liesse  sich  das 
nicht  anders  denken,  als  dass,  weil  der  Nerveneinfluss  fehlte,  in 
dem  regenerativen  Processe  an  der  Bruchstelle  die  regulatorische 
Kraft  fehlte,  die  er  dem  Nervensystem  zuschrieb,  so  dass  die 
neuen  Gewebselemente  auf  eigene  Faust  wie  parasitische  Existen- 
zen sich  entwickelten,  sich  nicht  nach  dem  typischen  Gesetz  des 
Körpers  zu  Gallus  formirten,  sondern  als  Zellen  weiter  wucherten 
und  so  eine  Art  von  verlornen  Söhnen  darstellten,  welche  das 
Resultat  eben  nicht  zu  Stande  brächten,  für  welches  sie  ursprüng- 
lich angelegt  waren.  Aber  es  war  dies  ein  einziger  Versuch, 
und  dieser  ist  meiner  Ueberzeugung  nach  nicht  beweisend.  Im 
Gegentheil,  wir  haben  eine  so  grosse  Zahl  von  Experimenten,  wo, 
nachdem  die  Nerven  durchschnitten  waren,  bei  allen  möglichen 
Arten  von  Thieren  an  den  Extremitäten  alle  möglichen  Insulta- 
tionen, auch  Fracturen  hervorgebracht  sind,  dass  sicherlich  einmal 
ein  Krebs  entstanden  sein  müsste,  wenn  gerade  der  aufgehobene 
Nerveneinfluss  das  entscheidende  Moment  wäre. 

Wenn  man  demnach  weder  im  Blute  noch  im  Nervenapparat 
den  gesuchten  Ursprung  der  Geschwülste  überhaupt  auffinden 
kann,  so  kommt  man  ganz  natürlich  auf  die  Gewebe 
selbst,  aus  welchen  die  Geschwülste  durch  continuirlicbe  Wu* 
cherung  hervorgehen.  In  dieser  Beziehung  ist  vor  Allem  eine 
sehr  wichtige  Thatsache  zu  erwähnen,  welche  für  die  Geschichte 
der  Geschwülste  eine  überaus  grosse  Bedeutung  hat,  nehmlich 
die  örtliche  Disposition  zu  Geschwülsten.  Hier  steht  obenan 
die  hereditäre  Uebertragung,  eine  Erfahrung,  welche  f&r  die 
verschiedensten  Geschwulstformen,  theils  durch  genaue  Ge- 
schlechtsregister für  einzelne  Familien,  theils  durch  grössere 
statistische  Zusammenstellungen  sicher  gestellt  ist,  so  dass  man 
sie  als  unzweifelhaft  betrachten  kann.  Innerhalb  dieser  Zahl 
giebt  es  aber  wieder  verschiedene  Kategorien. 


*)  AanteekeDiDgen  van   de  Sectie-VergaderiDg  van  het  Prov.    DtrecbL 
Geoootacbap.  29.  Junij  1847. 


Erblichkeit  68 

Die  erbliche  Anlage  äussert  sich  zu'vs'eilen  sehr  frühzeitig, 
so  dass  die  Neubildung  sich  schon  bei  der  Geburt  vorfin- 
det, also  im  engeren  Sinne  con genital  ist.  Das  gilt  nament- 
lich von  einer  Reihe  kleinerer  Geschwulstformen,  die  man  unter 
dem  Namen  der  Naevi  bezeichnet  In  manchen  Familien  sind 
Naevi  erblich,  so  dass  an  bestimmten  Gegenden  des  Körpers 
ähnliche  kleine  Geschwulstbildungen  vorkommen  *).  Diese  Naevi 
sind  in  der  Regel  keine  bösartigen  Bildungen,  aber  sie  sind  zu- 
weilen mehrfach  oder  vielfach  an  demselben  Individuum.  In  wie 
weit  sie  in  inneren  Organen  vorkommen,  ist  natQrlich  schwer 
auszumachen;  an  der  Oberfläche  des  Körpers  sind  sie  nicht  nur 
häufig,  sondern  auch  sehr  mannichfaltig,  wie  schon  die  Bezeich- 
nungen (Naevus  verrucosus,  pilosus,  pigmentosus,  vasculosus, 
lipomatodes)  lehren.  Ihnen  zunächst  stehen  die  erblichen  Epi^er- 
moidalgeschwülste  und  Fibrome,  lauter  Geschwülste,  die  an  ganz 
bestimmte  Gewebe  geknüpft  sind  und  keinen  Verdacht  dyskra- 
sischer  Grundlage  gewähren.  Fast  nur  die  Syphilis  lässt  in  ein- 
zelnen ihrer  congenitalen  Formen  einen  solchen  zu. 

Die  andere,  viel  wichtigere  Reihe  von  erblichen  Geschwül- 
sten enthält  solche  Fälle,  wo  die  Krankheit  zwar  erbt,  aber 
erst  nach  der  Geburt  oder  in  einer  späteren  Periode 
des  Lebens  zur  Erscheinung  und  zur  Entwickelung 
kommt*^),  wo  dreissig  und  mehr  Jahre  vergehen  können,  ehe 
die  Erkrankung  ausbricht.  Dahin  gehören  die  erblichen  Ge- 
schwulstbildungen  der  Brustdrüse  und  des  Uterus,  der  Haut  und 
des  Magens,  der  Lymphdrüsen  und  der  Lungen.  Von  allen  die- 
sen ist  es  ja  bekannt,  dass  sie  in  gewissen  Familien  sich  viel- 
fach wiederholen.  Tuberculose  und  Scrophulose,  Aussatz,  Mela- 
nose, Krebs  und  Kankroid  geben  Beispiele  dazu  ab.  Hier  besteht 
unzweifelhaft  nur  eine  Praedisposition.  Das,  was  erbt,  ist  die 
Praedisposition ,  nicht  die  Krankheit;  denn  wenn  die  Krankheit 
selbst  erbte,  dann  müsste  früher  schon  etwas  davon  nachweisbar 
sein.  Aber  wir  sehen,  dass  erst  nach  einer  gewissen  Lebensdauer, 
oft  in  bestimmten  Perioden,  z.  B.  bei  Frauen  mit  den  Abschnit- 
ten des  Sexuallebens,  mit  dem  Eintreten  der  Menstruation  oder  des 
Puerperiums  oder  den  klimakterischen  Jahren,  sich  die  Erkrankung 


*)  A  pisis  Pisones,  ciceribus  Cicerones,  leotibus  Lentalos  appellatos  esae. 
**)  Gesammelte  AbhaodlaDgeD.    S.  öl. 


64  Vierte  Vorlesung. 

einstellt.  In  diesen  Fällen  müssen  wir  nothwendig  schliessen, 
dass  die  Gewebe,  welche  einen  bestimmten  Theil  des  Körpers  zu- 
sammensetzen, nicht  ganz  glücklich  gebildet  sind,  dass  sie  in  der 
Weise  eingerichtet  sind,  dass  sie  bei  gewissen  äusseren  Einwir- 
kmigen,  bei  gewissen  Störungen,  die  sie  erfahren,  nicht  wieder  in 
vollkommen  ordnnngsmässiger  Weise  ihre  Störungen  ausgleichen, 
ihren  Zustand  reguliren  können.  Eine  solche  Unvollkommenheit 
hat  man  öfters  als  Schwäche  bezeichnet  und  damit  sofort  auf 
das  physiologische  Gebiet  verwiesen.  Unzweifelhaft  muss  es  aber 
einen  anatomischen  oder,  wie  man  gewöhnlich  sagt,  einen  orga- 
nischen Grund  dafür  geben,  und  dieser  kann  nur  in  dem  fei- 
neren Bau  der  Theile  gesucht  werden*).  In  der  Regel  handelt 
es  sich  dabei  um  bestimmte  Organe,  wie  die  Lungen,  die  Haut, 
dift  Schleimhäute  gewisser  Gegenden,  oder  um  bestimmte  Systeme, 
wie  das  Skelet,  das  ürogenitalsystem ,  das  Gefässsystem.  Bei 
den  Hausthieren  liegen  die  am  besten  beobachteten  Thatsachen 
darüber  vor,  z.  B.  bei  der  Perlsucht  (Franzosenkrankheit)  und 
der  Melanose,  welche  später  genauer  besprochen  werden  wird. 
Hier  mag  es  genügen ,  auf  die  besondere  Erkrankungs  -  Neigung 
(Praedisposition ,  Vulnerabilität)  der  weissen  Thiere  hinzn- 
weisen**). 

Eine  solche  Unvollkommenheit  kann  aber  auch  erworben 
sein.  Manche  schwerere  Krankheiten,  insbesondere  solche  mit 
Nutritionsstörungen,  wirken  in  hohem  Maasse  praedisponirend. 
Das  lehrt  vor  Allem  die  Geschichte  der  Tuberculose.  Aber  selbst 
ohne  besondere  Krankheiten  bringt  ein  höheres  Lebensalter 
im  natürlichen  Ablauf  der  Dinge  eine  immer  steigende  Summi- 
rung  der  Störungen,  welche  die  Gewebe  in  eine  steigende  Prae- 
disposition versetzen.  Die  grosse  Praevalenz  der  Kankroide  in 
der  zweiten  Hälfte  des  Lebens  ist  bekannt  genug  und  wir  werden 
sie  später  noch  zu  besprechen  haben. 

Damit  stimmen  andere  Erfahrungen  sehr  gut  überein,  zuerst 
die,  dass  an  Stellen,  welche  vorher  der  Sitz  einer  wirk- 

*")  Weitläufiger  habe  ich  diesen  Gegenstand  erörtert  bei  Gelegenheit 
einer  Abhandlung  Ober  die  Verschiedenheit  von  Phthise  und  Taberkuloae 
(WOrzburger  Verb.  1852.  Bd.  III.  S.  101),  sowie  in  meinem  Handbuche  der 
spec.  Path.  u.  Therapie.    I.    S.  341. 

**)  Kreutzer.  Grundriss  der  gesammten  Veterinärmedizin.  Erlangen. 
1868.  S.  37.  Erdt  Der  Albinismus  der  Thiere.  Pommersche  landwirthsch. 
Monatsschr.  1861.  S.  250.  273. 


Entzündlicher  Ursprung  von  GeschwOI&ten.  65 

• 

liehen  Krankheit  des  Individuums  gewesen  sind,  spä- 
terhin Geschwulst  -  Entwickelungen  eintreten.  So  steht  es  fest, 
dass  Narben  unter  gewissen  Verhältnissen  der  bestimmte  Aus- 
gangspunkt von  Geschwulstbildung  (Cheloid,  Gummigewächs)  sind. 
Eine  Narbe  aber  besteht  aus  einem  Gewebe,  welches  in  der  Regel 
unvollkommen  gebildet  ist,  denn  gewöhnlich  entspricht  die  Narbe 
in  ihrer  Textur  nicht  vollständig  der  typischen  Einrichtung  des 
Theils,  sie  giebt  nicht  in  aller  Vollständigkeit  die  Bildung  wie- 
der, welche  eigentlich  an  Ort  und  Stelle  sein  sollte.  Das  ist 
also  ein  ganz  bestimmter  Fall,  wo  die  ün Vollkommenheit  des 
vorhandenen  Gewebes  den  Grund  zu  der  Geschwulstbildung 
abgiebt 

Sodann  haben  wir  einen  bestimmten  Fall  in  den  Naevi,  in 
diesen  congenitalen  Missbildungen,  die  als  solche  offenbar  eine 
Abweichung  von  der  typischen  Einrichtung  des  Theiles  anzeigen. 
Naevi  können  in  der  späteren  Zeit  des  Lebens  der  Sitz  einer 
weiter  gehenden  Geschwulstbildung  werden  und  dann  gewöhnlich 
in  einer  sehr  malignen  Art.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  anderen 
Warzen,  sowie  mit  allen  den  Geweben  und  Organen, 
welche  ihre  volle  Ausbildung  und  Entwickelung  erst 
in  einer  späteren  Zeit  des  Lebens  erlangen.  Dahin 
gehören  die  Gelenkenden  der  Knochen,  die  Milchdrüse,  der  Ute- 
rus, der  Eierstock  und  die  Hoden. 

Femer  wissen  wir,  dass  an  Schleimhäuten  am  häufigsten  die 
Geschwülste  gerade  an  solchen  Stellen  vorkommen,  welche 
vorher  der  Sitz  einfach  entzündlicher  Erkrankungen 
waren,  die  ausreichten,  um  nach  und  nach  die  natürliche 
Structur  der  Theile  zu  verändern.  Aus  der  einfach  entzündlichen 
Hyperplasie  des  chronischen  Katarrhs  geht  die  Bildung  von  Po- 
lypen hervor  und  die  Polypen  können  später  wieder  der  Sitz 
krebsiger  oder  kankroider  Entwickelung  werden.  Beim  Magen- 
krebs finden  sich  im  Umfange  der  Geschwüre  chronisch-katarrha- 
lische Veränderungen,  die  erst  nach  und  nach  in  die  besondere 
Bildung  des  Krebses  übergehen.  Exostosen,  Warzen,  Elephantia- 
sis, Scropheln  geben  zahlreiche  Belege  des  unmittelbar  entzünd- 
lichen Ursprunges,  und  von  den  Tuberkeln  ist  es  bekannt,  wie 
gern  sie  in  chronisch  -  entzündeten  Schleim-  und  serösen  Häuten, 
ja  in  Pseudomembranen  und  Indurationen  entstehen. 

Virehow,  Getchwulttc.    1.  5 


66  Vierte  Vorlesung. 

Endlich  kann  man  in  diese  Reihe  noch  diejenigen  Fälle  hin- 
einziehen, wo  eine  bestimmte  Region  des  Körpers  durch  ihre 
besondere  Lage  oder  Einrichtung  oder  Function  häu- 
figen Insulten  oder  Störungen  ausgesetzt  ist,  wo  gerade 
auf  diesen  Theil  öfter  schädliche  Eiirwirkungen  stattfinden,  als  auf 
andere  Theite.  Ein  solcher  Theil  wird  natürlich  zu  Erkrankun- 
gen überhaupt  mehr  disponirt  sein.  Dahin  gehören  vor  allen  die 
so  häufigen  Erkrankungen  des  Magens,  der  Sexualorgane,  der 
Knochen  und  der  Haut.  Dahin  gehört  ferner  die  überaus  grosse 
Disposition  der  Ränder  der  verschiedenen  Orificien  des 
Körpers*).  Wenn  wir  die  malignen  Bildungen  zusammennehmen, 
so  findet  sich,  dass  eine  überwiegend  grosse  Zahl  gerade  an  den 
Rändern  der  Orificien  vorkommt,  und  zwar  wieder  in  der  Reihen- 
folge, dass  diejenigen  Orificien,  welche  am  meisten  Insultationen 
ausgesetzt  sind,  auch  am  häufigsten  erkranken,  und  je  gröbere  Ein- 
wirkungen stattfinden,  je  rauhere  Insulte  erfolgen,  um  so  leichter  die 
Erkrankung  eintritt.  So  sind  unter  allen  Orificien  diejenigen  des 
Digestionsapparates,  wo  die  verschiedenen  engen  Stellen  sich  immer 
wieder  als  neue  Orificien  darstellen,  auch  diejenigen,  welche  am 
häufigsten  ergrifien  werden;  und  dies  ist  ganz  begreiflich,  weil 
die  gröberen,  mechanisch  viel  mehr  angreifenden,  auch  durch  ihre 
chemische  und  thermische  Beschaffenheit  häufig  viel  mehr  ein- 
wirkenden Substanzen,  welche  durch  sie  hindurchgehen,  viel  stär- 
ker verletzend  auf  die  Theile  wirken,  als  es  an  anderen  Orificieo 
vorkommt,  wo,  wie  in  den  Respirationswegen,  nur  Lufk,  oder  wie 
an  anderen  Oiien,  nur  Flüssigkeiten  passiren.  Wenn  wir  diese 
Fälle  ins  Auge  fassen  und  die  nicht  kleine  Zahl  an  sich  sehr  gut 
beobachteter  Fälle  hinzunehmen,  wo  die  erste  Entstehung  einer 
Geschwulst  ganz  unzweifelhaft  hervorgerufen  wird  durch  einen 
bestimmten,  grob  mechanischen  Insult,**)  wo  durch  eine 
ganz  entschieden  nachv;eisbare  Verletzung  sehr  schwerer  Art, 
z.  B.  einen  Schlug  oder  Stoss,  an  einem  Orte  die  ersten  Grund- 
lagen zur  Geschwulstbildung  gelegt  werden,  dann  ist  es  in  der 
That  überaus  schwer,  sich  der  Anschauung  zu  verschliessen,  dass 
in   den  besonderen  örtlichen  Zuständen  der  Gewebe  ein  Haupt- 


*)  liHndbucli  der  »pec.  Path.  u.  Ther.     I.    S.  344. 
••)  Ebenda».     1.     S   338. 


Retention  der  Hoden.  67 

moment  für  die  Entstehung  der  Geschwülste   gelegen    ist.     Wir 
werden  später  wiederholt  darauf  zurückkommen  müssen. 

Ich  kann  schliesslich  noch  ein  besonders  charakteristisches  Bei- 
spiel anschliessen ,  das  für  mich  immer  als  ein  sehr  augenfälli- 
ges erschienen  ist,  nemlich  die  Häufigkeit  der  Geschwulstbil- 
dang,  welche  retinirte  Hoden*)  zeigen.  Wenn  der  Hoden 
nicht  vollständig  bis  ins  Sero  tum  herabsteigt,  wenn  er  also  unter- 
wegs irgendwo  liegen  bleibt,  was  an  sehr  verschiedenen  Stellen 
geschehen  kann,  bald  innerhalb  der  Bauchhöhle,  bald  im  Canalis 
inguinalis  oder  in  besonderen  Aussackungen  desselben,  so  tritt 
jedesmal  eine  gewisse  Störung  in  seiner  Entwickelung  ein.  Ge- 
wiss ist  es  aber  sehr  bezeichnend,  dass  gerade  diejenigen  Fälle, 
wo  die  Hoden  zwischen  den  Bauchwandungen  liegen  bleiben,  in 
ganz  vorwiegender  Häufigkeit  zu  malignen  Geschwulstbildungen 
(Sarkomen,  Krebsen,  Kystomen  u.  s.  w.)  Veranlassung  geben,  viel 
häufiger  als  die  Fälle,  wo  der  Hode  in  der  Bauchhöhle  retinirt 
wurde,  und  sehr  viel  häufiger,  als  wo  der  Hode  aus  dem  Lei- 
stenkanal hervortrat.  Wo  die  Hoden  aber  innerhalb  der  sehnigen 
Ausbreitungen,  die  in  der  Inguinalgegend  liegen,  zurückgehalten 
werden,  da  sind  sie  vielfachen  Tractionen  und  Frictionen  ausgesetzt, 
und,  da  sie  zugleich  in  solchen  Fällen  nicht  vollkommen  zur  Aus- 
bildung zu  kommen  pflegen,  so  ergiebt  sich,  dass  durch  die  Zu- 
rückhaltung die  Prädisposition  in  einer  doppelten  Richtung  be- 
günstigt wird. 

Wenn  man  in  dieser  Art  die  Geschichte  der  einzelnen  Ge- 
schwnlstformen  mustert,  so  findet  man  überaus  häufig  Speciali- 
täten,  welche  einem  ein  Bild  geben,  wie  gerade  an  diesem  oder 
jenem  Orte  durch  besondere  örtliche  Bedingungen  Praedispositionen 
geschaffen  werden.  Ich  denke,  das  Mitgetheilte  wird  im  Grossen 
genügen,  um  darzuthun,  dass  es  nicht  ohne  Grund  ist,  wenn  man 
auf  die  örtliche  Beschaffenheit  der  Theile  einen  überwiegend  hohen 
Werth  legt.  Ich  will  aber  nochmals  besonders  hinzusetzen,  dass 
es  sich  von  selbst  versteht,  dass,  wenn  ein  einzelner  Theil  in  Zu- 
stände gerathen  ist,  wo  seine  regulatorischen  Fähigkeiten  abge- 
nommen haben,  diese  Wirkung  um  so  stärker  hervortreten  muss, 
wenn  zugleich  der  allgemeine  Zustand  des  Körpers  ein 


*)  £.  Godard.  Recherchcs  sur  les  pionorchides  et  les  cryptorcbides 
chez  rbomme.  Paris.  1856.  pag.  25.  Etudes  sur  les  mon  et  les  crypt 
Paris.  1857.    p.  96. 

5* 


6g  Vierte  Vorlesaog.  ' 

ungünstiger  ist,  wenn  namentlich-  das  filut  eine  schlechte 
Mischung  zeigt,  wenn  die  Ernährung  im  Ganzen  miserabel  ist, 
wenn  vielleicht  noch  allerlei  psychische  oder  andere  nervöse  Afiecte 
hinzukommen,  welche  auf  die  Circulation,  auf  die  Digestion 
n.  8.  w.  einwirken.  Solche  Umstände  werden  natürlich  Verstärkungs- 
momente abgeben,  aber  die  locale  Praedisposition  wird  uns  doch 
in  der  Regel  als  das  Wesentliche  erscheinen  müssen,  was  für  die 
Natur  des  aus  dem  Gewebe  hervorspriessenden  Gebildes  in  hohem 
Maasse  entscheidend  sein  und  die  Richtung  der  Entwickelung  um 
80  mehr  bestimmen  wird,  als  sich  —  und  das  ist  noch  ein  Haupt- 
grund f&r  eine  mehr  localisirende  Doctrin  —  zeigt,  dass  gewisse 
Organe  zu  gewissen  Erkrankungen  überwiegend  dis- 
ponirt  sind. 

Nicht  jede  Art  von  Geschwulst  kann  in  gleicher  Weise 
in  allen  Organen  zur  Ausbildung  kommen;  bei  jeder  Geschwulst- 
art wissen  wir  vielmehr,  dass  es  besondere  Praedilections- 
stellen  für  sie  giebt,  Stellen,  die  keinesweges  etwa  durch  besondere 
physiologische  Functionen  sich  unterscheiden,  sondern  die  in  der 
Regel  durch  ihre  anatomische  Einrichtung,  ihre  Lagerung  oder 
Form  etwas  Besonderes  darbieten  und  bei  denen  dann  der  Typus 
der  Bildung  des  Organs  selbst  in  einem  gewissen  Maasse  bestim- 
mend wirkt  auf  die  Natur  dessen,  was  aus  ihm  hervorgehen 
wird.  Wenn  wir  die  einzelnen  Geschwülste  im  Detail  durchgehen, 
werde  ich  das  noch  genauer  hervorzuheben  haben.  Man  wird  sich 
dann  überzeugen,  dass  in  gewissen  Organen  gewisse  Geschwülste 
fast  niemals  gesehen  werden,  während  in  denselben  Organen  an- 
dere Geschwülste,  die  wieder  in  anderen  Organen  fast  nie  vor- 
kommen, ungemein  häutig  sind.  Man  denke  nur  an  die  Schild- 
drüse, den  Eierstock,  die  permanenten  Knorpel  u.  s.  w.  Der 
Praedilection  steht  »Iso  eine  gewisse  Immunität  gegenüber.  Wie 
wollen  wir  das  anders  erklären,  als  dass  im  Bau,  in  den  Gewe- 
ben dieses  oder  jenes  Organs  ein  besonderer  Bestimmungsgrund  ftr 
die  Art  der  Entwickelung  liegt,  die  nachher  folgt?  Schon  der 
normale  anatomische  Bau  ist  ein  gewisses  Praedis- 
positionsmoment  für  die  besondere  Häufigkeit  und 
Kirhtung,  in  welcher  Geschwulstbildungen  an  den  einzelnen 
Thfilon  des  Körpers  eintreten. 

Dass  diese  Betrachtungen  sich   vorzugsweise  auf  die  ersten 
KruptioriHStellen,  auf  die  von  mir  früher  als  Mutterknoten  bezeich- 


PraedilecUon  uod  Immanität.  69 

neteii  PrimargeschwülBte  beziehen,  versteht  sich  von  selbst.  Denn 
die  Natur  der  Secundärgeschwülste  ist  mehr  oder  weniger 
abhängig  von  der  Natur  der  Primärgeschwulst.  Indess  ganz  ohne 
Bedeutung  ist  doch  auch  hier  die  locale  Einrichtung  des  Theils 
nicht.  So  sind  die  Nieren  diejenigen  Organe,  welche  nach  den 
Lungen  und  der  Leber  am  häufigsten  der  Sitz  metastatischer 
Eruptionen  werden.  Leukämische  Tumoren  und  Tuberkel,  weisse 
und  schwarze  Sarkome,  Kankroide  und  Krebse  treten  gerade  hier 
mit  besonderer  Vorliebe  auf.  Und  doch  sind  die  Nieren  dem  Zu- 
strom infectiöser  Massen  nicht  mehr  ausgesetzt,  als  andere  Drü- 
sen, als  z.  B.  die  weibliche  Brust.  Wer  aber  sieht  Krebs-  oder 
Sarkom-Metastasen  in  diesem  letzteren  Organe?  Und  doch,  wenn 
gerade  die  weibliche  Brust  für  die  Krebsdyskrasie ,  für  die  Dia- 
thesis  oeculta  so  empfindlich  sein  soll,  wie  man  so  häufig  an- 
nimmt, warum  sollte  sie  es  nur  für  die  primäre  und  nicht  für  die 
secundäre  Dyskrasie  oder  Diathese  sein?  Oder  nehmen  wir  den 
Hoden,  warum  wird  er  so  häufig  der  Sitz  secundärer  Tuberkulose 
und  so  ausnahmsweise  der  Sitz  secundärer  Carcinose?  Offenbar 
lässt  sidti  diese  Verschiedenheit  durch  locale  Dispositon  leichter 
erklären,  als  durch  allgemeine  Dyskrasie  oder  Diatbese. 

Dass  die  älteren  Beobachter  auf  dieses  eigenthümliche  Ver- 
hältniss  nicht  aufmerksam  geworden  sind,  erklärt  sich  aus  dem 
Umstände,  dass  sie  so  wenig  Autopsien  veranstalteten.  Aber  auch 
die  neueren  Geschwulstforscher,  welchen  doch  eine  reichere  pa- 
Üiologisch-anatomische  Erfahrung  zur  Seite  stand,  hatten  es  über- 
sehen. Und  doch  kann  man  fast  so  weit  gehen,  zu  sagen,  dass 
fast  alle  diejenigen  Organe,  welche  eine  grosse  Nei- 
gung zu  protopathischer  Geschwulstbildung  zeigen, 
eine  sehr  geringe  Neigung  zu  metastati^cher  darbieten, 
und  umgekehrt.  Die  häufigsten  Metastasen  finden  sich  in  den 
Lungen,  der  Leber,  den  Nieren,  den  serösen  Häuten,  und  gerade 
diese  Theile  werden  ungemein  selten  von  Primärgeschwülsten  be- 
fallen. Die  äussere  Haut  und  die  Schleimhäute,  das  Auge,  die 
Nase,  die  Sexualdrüsen  sind  der  gewöhnlichste  Sitz  der  Primär- 
geschwülste und  der  durch  directe  Contagion  der  Nachbartheile 
entstehenden  Tochter  knoten,  aber  sehr  selten  der  Sitz  von  Meta- 
stasen. Die  Lymphdrüsen,  das  Gehirn,  die  Muskeln  und  die 
Knochen  stehen  in  der  Mitte  zwischen  beiden  Gruppen,  indem  die 


70  Vierte  Vorlesaog. 

Lymphdrüsen  ganz  überwiegend  zu  secnndären,  die  Knochen  er- 
heblich zu  primären  Geschwulstbildungen  neigen ,  jene  aber  auch 
primäre,  diese  sehr  oft  secundäre  Eruptionen  darbieten. 

Alles  dieses  zusammengenommen,  führt  mit  grosser  Wjdir- 
scheinlichkeit  zu  dem  Schlüsse,  dass  selbst  bei  den  bösartigsten 
Geschwülsten  die  Mutterknoten  nicht  aus  der  Dyskrasie  henror- 
gehen;  zum  mindesten  müsste  dies  eine  ganz  andere  Dyskrasie 
sein,  als  diejenige,  welche  die  metastatischen  Knoten  hervorruft, 
und  über  deren  Bestehen  so  ziemlich  alle  Beobachter  überein- 
stimmen. Nur  muss  man  die  blosse  Multiplicität  nicht 
mit  Metastase  zusammenwerfen.  Multiplicität  in  gleich- 
artigen Geweben  bedeutet  nur  eine  grössere  Ausdehnung  der  Dis- 
position, und  wenn  sie  sich  über  grosse  Abschnitte  des  Körpers 
verbreitet,  so  kann  man  diese  Disposition  als  eine  constitu- 
tionelle  Diathese*)  bezeichnen,  muss  dieselbe  aber  im  soli- 
darpathologischen  Sinne  verstehen.  So  wird  der  erbliche  Aus- 
satz, die  erbliche  Melanose  die  grösste  Multiplicität  der  Kno- 
ten  mit  sich  bringen  können,  ohne  dass  wir  desshalb  das  Blut 
oder  das  Nervensystem  als  die  dauerhaften  Träger  der  Diathese 
betrachten  dürfen. 

Selbst  in  den  Fällen,  wo  eine  specifische  Dyskrasie  nicht 
wohl  zu  bezweifeln  ist,  wie  in  der  Syphilis,  im  Rotz,  in  der  Leu- 
kämie, haben  wir  kein  Recht,  die  einzelnen  Eruptionen  als  ein- 
fache Folge  der  Dyskrasie,  als  sogenannte  spontane  Erschei- 
nungen aufzufassen.  Denn  wir  sehen  bald  dieses,  bald  jenes 
Organ  leidend,  obwohl  der  dyskrasische  Zustand  an  sich  derselbe 
ist.  Gerade  bei  der  Syphilis  müssen  wir  auf  die  örtlichen  Ur- 
sachen, seien  es  occasionelle ,  seien  es  praedisponirende,  zurück- 
gehen, und  die  „Zufälligkeit"  der  Localisation  rechtfertigt  sich, 
wie  ich  gezeigt  habe**),  durch  die  Zufälligkeit  der  Gelegenheiten 
(Stoss,  Erkältung,  Zerrung)  und  der  Dispositionen  (Vulnerabilität, 
Narbenzustand,  vielleicht  Hydrargyrose).  Erst  so  gewinnen  wir 
eine  Einsicht  darüber,  wamm  bei  bestehender  Dyskrasie  gerade 
dieses  und  nicht  jenes  Organ  ergriffen  wird. 

Eine  grosse  Zahl  von  neoplastischen  Geschwülsten  bietet  aber 
überhaupt  niemals  einen  Grund  zur  Annahme  einer  besonderen 


*)  Mein  Handbuch  der  spec.  Patb.  a.  Tber.    I.    S.  341. 
••)  Mein  Archiv.     Iöö8.    XV.   S.  256.  269.  290.  306. 


GoDstitutionelle  Diathese.  71 

Dyskrasie,  sei  sie  primär,  sei  sie  seciindär,  dar.  Dahin  gehören 
die  meisten  hyperplastischen  Formen,  wenngleich,  wie  die  Syphi- 
lis und  der  Krebs  lehren,  keineswegs  alle.  Homologie  der  Ge- 
websbildung  schliesst  den  dyskrasischen  Charakter  des  Grund- 
leidens nicht  aus.  Aber  allerdings  handelt  es  sich  dabei  in  der 
Regel  um  ganz  locale  und  daher  gutartige  Bildungen,  für  welche 
in  den  Zuständen  und  Verhältnissen  des  Erkrankungsortes  der 
zureichende  Grund  gefunden  werden  muss. 


Fünfte  Vorlesung. 

29.  November  1862. 


Path^enie  der  neoplastisdien  Geschwnlstf« 


Entwickelungsgeschichte :  die  Geschwulst  als  ein  Werdendes.  1)  Irritatlves  Stadium.  Dyskra- 
sische  Reize  (Scharfen):  S>philit(,  Tuberkulose,  Krebs.  Nichtspecifische  Producte  einer  Dys- 
krasie.  Transitorische  Natur  der  Blutveranderung;  Abhängigkeit  von  dem  Productiunsheerde. 
Aeussere  Reiie  und  ihre  Bedeutung:  statistische  Belege.  Vergleich  mit  der  entzündlichen 
Reizung:  homologe  Geschwülste.  Richtung  der  Entwickelung,  bestimmt  durch  das  Semininra 
und  das  Muttergewebe  (Matrix).  Inoculations- Versuche.  2)  Granulations-Stadium.  r>ie 
indifferenten  Bildung'*-  (Primordial-)  Zollen.  Hervorgehen  derselben  aus  dem  Muttergewebe. 
Natur  der  Matricc«.  Continuirlicher  Uebergang  der  (leschwulst  in  das  Muttergewebe.  3)  Diffe- 
renziru  ngs-Stadium.  Einfache  Differenzinmg:  histioide  GeschwnUte.  Mehrfache  Diffe- 
renzirung:  organühnliche  Geschwülste.  Vielfache  Differenzirung:  Aberrationen  oder  teratoide 
Geschwülsle.  Diagnostische  Bedeutung  der  Gesammtanordnung  der  Geschwulsttheile.  4)  Flo- 
rcscenz-Stadiura.  Typische  Entwickelungshöhe.  Transitorische  und  petroanente  Bestaod- 
theile.  Verschiedene  Lebensdauer  der  Elemente  und  der  Geschwülste.  DestrucUve  Tcndena. 
5)  Regressives  Stadium:  Ausgänge. 


Ich  hatte  das  letzte  Mal  die  üreachen,  aus  welchen  Geschwülste 
hervorgehen  können,  etwas  näher  zu  bezeichnen  gesucht,  und 
zwar  hielt  ich  dabei  die  eigentlichen  Pseudoplasinen  und  unter 
ihnen  die  heteroplastischen  Formen  zunächst  im  Auge,  insofern 
diese  bei  allen  derartigen  Betrachtungen  begreiflicherweise  im 
Vordergrund  stehen.  Ich  nuiss  daher  noch  besonders  hervor- 
heben, dass  bei  der  Unsicherheit,  die  der  Begriff  „Geschwulst** 
an  sich  hat,  das,  was  ich  angeführt  habe,  nicht  für  alle  und  jedo 
„Geschwulst**  gelten  kann,  sondern  dass  es  sich  bei  den  Be- 
trachtungen, die  ich  anstellte,  allein  um  diejenige  Klasse  von 
Geschwülsten  handelte,  welche  wesentlich  durch  eine  Neubildung 
von  Gewebsbestandtheilen  hervorgebracht  werden,  keineswegs  um 
solche  Formen,  welche  etwa  unmittelbar  durch  Anhäufung  irgend 
welcher  Flüssigkeiten  oder  Absonderungen  an  gewissen  Stellen 


Pathogeoie  der  Afiergewächse.  73 

des  Körpers  entstehen  können.  Auch  beziehen  sich,  im  Grossen 
wenigstens,  die  Betrachtungen,  die  man  gewöhnlich  über  Aetio- 
logie  der  Geschwülste  anstellt,  zunächst  nur  auf  die  im  engeren 
Sinne  so  zu  nennenden  Pseudoplasmen,  die  eigentlichen  Afterge- 
wächse, also  auf  diejenigen  Geschwülste,  die  durch  einen  activen 
Wucherungsvorgang  erzeugt  werden.  Mein  Bestreben  ging  na- 
mentlich dahin,  die  Aufmerksamkeit  auf  die  localen  Bedingun- 
gen für  die  Erzeugung  von  Geschwülsten  hinzulenken. 

Das,  was  ich  noch  hinzuzufügen  habe,  um  die  Pathogenese 
der  neoplastischen  Geschwülste  überhaupt  zu  erläutern,  soll  haupt- 
sächlich dazu  dienen,  ein  etwas  klareres  Bild  von  dem  Gange,  den 
die  Geschwulst -Entwickelung  überhaupt  zu  nehmen  pflegt,  zu 
liefern.  Ich  halte  das  um  so  mehr  für  nothwendig,  weil  noch 
gegenwärtig  eine  Art  der  Anschauung  überaus  gebräuchlich  ist, 
welche  meiner  Ueberzeugung  nach  mit  am  meisten  dazu  beige- 
tragen hat,  die  Lösung  der  Fragen  über  Geschwulstbildung  zu 
erschweren,  und  die  Untersucher  von  dem  richtigen  Gesichtspunkt 
abzukehren.  Man  hat  allerdings  theoretisch  meistentheils  aner- 
kannt, dass  es  wichtig  sei,  die  Entwickelungsgeschichte  einer 
Geschwulst  zu  kennen,  aber  factisch  ausgeübt  hat  man  diese 
Untersuchung  früher  fast  gar  nicht;  insbesondere  hat  man  sich 
darum  fast  gar  nicht  gekümmert,  wie  denn  die  Geschwülste  wirk- 
lich entstehen,  wie  dieselbe  Geschwulst,  je  nach  den  Besonder- 
heiten der  Lokalität,  je  nach  den  besonderen  Bedingungen,  unter 
denen  sie  sich  bildet,  verschiedene  Formen  der  Erscheinung  an- 
nehmen, gleichsam  Varietäten  darbieten  kann,  —  Varietäten, 
die  zuweilen  so  bedeutend  sind,  dass  ganz  neue  Arten  von  Ge- 
sehwülsten sich  uns  darzustellen  scheinen.  Man  hat  ferner  die 
mögliehen  Umwandlungen,  welche  im  Innern  der  entstandenen 
Geschwulst  stattfinden  können,  keineswegs  so  sorgfältig  ins  Auge 
gefasst,  dass  man  die  verschiedenen  Richtungen,  welche  insbe- 
sondere die  regressiven  Processe  nehmen,  genau  von  einander 
unterschieden  hat;  und  zum  Theil  daraus  resultirt  die  Scheidung 
vieler  Geschwulstarten,  welche  bei  genauerer  Untersuchung  nur 
als  verschiedene  Entwickelungsstadien  einer  und  derselben  Ge- 
schwulst zu  betrachten  sind. 

Man  muss  eine  Geschwulst  niemals  betrachten  als  etwas, 
was  in  einem  bestimmten  Augenblick  vollständig  fertig  sei  und 
was  nun  mit  constanten  Merkmalen  sich  uns  darbiete.  Man  konnte 


74  FfiDfte  YorlesuDg. 

das  so  lange  wohl  für  möglich  erachten,  als  man  sich  die  Ge- 
schwülste dachte  als  Ablagerungen,  als  blosse  Depositionen  von 
Stoffen,  die  im  Blute  enthalten  seien  und  von  demselben  an  ein- 
zelnen Punkten  abgesetzt  würden.  Sobald  man  aber  von  dieser 
ursprünglichen  Vorstellung  abging,  sobald  man  die  Ueberzeugung 
gewann,  dass  an  Ort  und  Stelle  eine  selbständige  Bildung  und 
Entwickelung  geschehe,  da  war  es  natürlich  auch  noth wendig, 
dass  man  sich  daran  erinnerte,  dass  die  Geschwulst  eigent- 
lich in  jedem  Augenblick  etwas  Werdendes  ist  und  dass, 
selbst  wenn  sie  endlich  bis  zur  Akme  ihrer  Entwickelung  ge- 
kommen ist,  sie  nicht  auf  dieser  Akme,  in  dem  einmal  gewon- 
nenen Zustande  zu  verharren  pflegt,  sondern  dass  auch  über  die 
Akme  hinaus  immer  neue  Veränderungen  eintreten.  Die  Lebens- 
geschichte der  Geschwulst  zeigt  einen  fortwährenden  Wechsel, 
der  viel  grösser  ist  als  der  Wechsel,  den  wir  im  gesammten 
Körper  oder  in  einzelnen  Organen  desselben  beobachten.  Wir 
werden  nachher  noch  darauf  zurückkommen  müssen,  wie  inner- 
halb der  Geschwülste  die  einzelnen  Theile  sich  wieder  ver- 
schieden verhalten,  eine  verschiedene  Lebensdauer,  eine  verschie- 
dene Entwickelungsgeschichte  haben ;  hier  ist  es  zunächst  wichtig, 
hervorzuheben,  dass  ohne  Vorstellung  von  dem  Immer-Neuwerden 
der  Geschwulst  wir  kein  Bild  ihrer  Entwickelung  gewinnen 
können. 

Schon  früher  habe  ich  erwähnt,  dass  die  Geschwülste  in 
ihrer  Mehrzahl,  —  denn  man  kann  hier  diejenigen,  welche  wesent- 
lich durch  exsudative  Processe  bedingt  werden,  zum  grossen  Theil 
mit  einschliessen,  —  hervorgehen  aus  activenProcessen,  welche 
in  dem  Körper  Platz  greifen,  —  Processen,  welche  entweder  auf 
eine  vermehrte  Secretion  oder  Exsudation,  oder  auf  eine  wirkliche 
Formation  hinausgehen,  Processen  also,  welche  auch  nach  unse- 
rer Vorstellung  von  den  Bedingungen,  durch  welche  derartige  Thä- 
tigkeiten  im  Körper  erweckt  werden,  wesentlich  als  irritative*) 
betrachtet  werden  müssen.  Die  Geschichte  einer  Geschwulst 
sollte  daher  meiner  Ansicht  nach  beginnen  mit  der  Feststellung 
dieses  Irritationsstadiums,    innerhalb  welches  die  Gewebe 


*)  Mein  Archiv.  1858.  Bd.  XIY.  S.  39.    Haoabucb  4er  gpec.  Path.  nod 
Tbnapie.  1854.  I.  8.  336, 


IrritatiooB-Stacliiiiii.  75 

gereizt  werden,  sei  es  zu  vermehrter  Exsudation  oder  Secretion 
oder  Formation. 

Nnn  kann  begreiflicherweise  der  Reiz  ein  äusserer  sein,  von 
aussen  her  dem  Körper  zukommen;  er  kann  auch  ein  innerer 
sein.  Wiederum,  wenn  er  ein  innerer  ist,  so  steht  an  sich  nichts 
entgegen,  dass  er  auch  ein,  wie  man  sagt,  constitutioneller,  oder 
um  es  noch  mehr  nach  der  herrschenden  Doctrin  auszudrücken, 
dass  er  ein  dyskrasischer  sei.  Denn  Dyskrasie  kann  hier  nur 
heissen,  dass  im  Blute  eine  Substanz  enthalten  sei,  welche  auf 
Theile  des  Körpers  erregend,  ihre  Thätigkeit  bestimmend  einwirkt, 
und  welche  man  eben  dieser  ihrer  Eigenschaft  wegen  in  früherer 
Zeit  geradezu  als  eine  scharfe  Substanz  oder  als  eine  Schärfe 
(Materies  acris,  Acrimonia)  zu  bezeichnen  pflegte.*)  Freilich  habe 
ich  schon  zu  zeigen  versucht,  dass  in  der  Geschichte  der  bös- 
artigen Geschwülste  es  an  sich  viel  naturgemässer  ist,  die  spe- 
cifische  Dyskrasie  als  ein  secundäres  Phänomen  aufzufassen,  und 
dass,  wenn  man  die  grosse  Mehrzahl  der  auf  eine  Dyskrasie  etwa 
zu  beziehenden  Vorgänge  als  deuteropathische  und  die  Dyskrasie 
selbst  als  eine  Folge  der  Muttergeschwulst  fasst,  damit  zugleich 
ein  Hauptgrund  weggenommen  ist,  weshalb  man  die  erste  Ge- 
schwulst als  aus  einer  Dyskrasie  hervorgegangen  betrachtet.  Es 
ist  aber  noth wendig,  hier  eine  andere  Erfahrung  einzuschalten, 
welche  für  die  Betrachtung  gerade  dieser  Art  von  Erregungen 
von  höchster  Wichtigkeit  ist. 

Gewöhnlich  setzt  man  voraus,  dass  eine  specifische  Dyskra- 
sie, d.  h.  eine  Veränderung  des  Blutes  durch  Aufnahme  einer 
ganz  besonderen  Substanz,  auch  specifische,  das  heisst  ganz  be- 
sondere, nur  dieser  Dyskrasie  eigenthümliche  Producte  hervor- 
bringe, und  so  schliesst  man  wiederum  aus  specitischen  Produc- 
ten  rückwärts  auf  das  Bestehen  einer  speciflschen  Dyskrasie. 
Jene  Voraussetzung  ist  aber,  wie  schon  erwähnt,  erfahrungs- 
gemäss  falsch,  denn  gerade  in  denjenigen  Fällen,  wo  wir 
am  meisten  Grund  haben,  auf  das  Bestehen  einer  solchen  allge- 
meinen Störung  zu  schliessen,  sind  ausserordentlich  ihäuflg  die 
Producte  nicht  specitische;  ja  es  können  aus  einer  solchen  Dys- 
krasie heraus  neben  einander  sowohl  specifische  als  nicht- 
specifische  Producte  entstehen. 


^)  Handbuch  der  spec.  Path.  a.  Ther.  I.  S.  275. 


76  natu  YorkMBg. 

Da«  am  meii^n  charakteristisehe  Beispiel,  das  wir  dafür 
be^itz^n,  bietet  aos  wohl  die  Geschichte  der  Syphilis,  welche 
hier  oai  ifo  mehr  io  Betracht  zu  ziehen  ist,  als  bekanntermassen 
im  Laufe  der  Lues  wirkliche  Geschwülste  entstehen,  die  onter 
Umiftanden  überaus  schwer  za  unterscheiden  sind  von  anderen 
Geschwülsten,  daher  nicht  ganz  selten  Yeranlassong  xu  fiedschen 
Diagnosen  geben  und  aach  leicht  za  einem  falschen  praktischen 
Handeln  führen  können. 

Wenn  man  die  verschiedenen  Geschwülste,  welche  im  Laufe 
der  Syphilis  vorkommen  können,  miter  einander  vergleicht*),  so 
erhellt  es  sehr  einfach,  dass  sie  sehr  grosse  Yerschiedenheiten 
ontereinander  darbieten.  £ine  gewisse  Zahl  von  ihnen  ist  ein- 
fach hyperplastischer  Natur,  d.  h.  es  entstehen  neue  Gewebs- 
massen,  welche  mit  dem  Muttergewebe,  aus  welchem  sie  hervor- 
gehen, vollkommen  übereinstimmen.  Eine  syphilitische  Exostose 
besteht  aus  Knochengewebe,  welches  keine  besonderen  Merkmale 
darbietet,  wodurch  wir  es  von  anderem,  pathologisch  neu  erzeug- 
tem oder  auch  von  altem  Knochengewebe  einfach  unterscheiden 
könnten.  Ein  syphilitischer  Hautknoten  (Tuberkel)  oder  eine 
syphilitische  Lymphdrüsengeschwulst  (Bubo)  kann  in  der  in- 
neren Zusammensetzung  die  grösste  Uebereinstimmung  darbie- 
ten mit  einfach  entzündlichen  Haut-  und  Drüsengeschwülsten,  so 
dass  wir,  wonn  wir  das  Ding  vor  uns  sehen  und  es  auch  mikro- 
skopisch noch  HO  genau  untersuchen,  eine  charakteristische  Diffe* 
renz  keineswegs  in  allen  Fällen  mit  Sicherheit  herausfinden 
können.  An  iliesen  verschiedenen  Theilen  erscheint  das  syphi- 
litische Product  oder  die  syphilitische  Geschwulst  als  das  Resul- 
tat einer  einfachen  Reizung,  welche  eben  nur  zur  Bildung  ho- 
mologer Gewebe  Veranlassung  giebt. 

Nun  giebt  es  aber  eine  zweite  Reihe  von  syphilitischen  Ge- 
schwülsten, <las  sind  die  gummösen  Formen,  die  in  der  That 
abweichen  von  d<Mn  Typus  des  Muttergewebes,  aus  welchem  sie 
sich  hervorbilden.  Eine  Guromigeschwulst  der  Dura  mater  wird 
Niemand  für  eine  blosse  Verdickung  oder  für  eine  blosse  Hyper- 
plasie der  Dura  erachten;  eine  Gummigeschwulst  des  Gehirns 
zeigt  sich  uns  sofort  als  etwas  von  der  Himsubstanz  Verschiede- 


*)  Yttl.  meine  Ablmndhini;  Über  die  Natur  der  constitatiooell-syphiliti- 
Nchfn  Afroctioiivn.  Archiv.  1S58.  Bd.  XY.  S.  8^. 


Specifische  und  nicht  specifische  Prodncte.  77 

nes,  als  etwas  Heterologes ;  eine  Gummigeschwulst  des  Hodens  ist 
verschieden  von  einer  einfachen  Induration  desselben.  Alles  das 
sind  heteroplastische  Formen.  Ich  will  hier  nicht  davon  sprechen, 
was  diese  gummösen  Formen  iiir  Gebilde  sind.  Es  giebt  ein- 
zelne Syphilidologen,  welche  glauben,  dass  sie*  wirkliche  Tuberkel 
seien.  Gesetzt,  es  wäre  das  richtig,  obwohl  ich  es  für  falsch 
halte,  80  ist  doch  kein  Zweifel,  dass  der  Tuberkel  ein  heterologes 
Prodact  ist 

Wenn  daher  aus  einer  gleichen  Quelle  homologe  und  hetero- 
loge  Producte  hervorgehen  können,  so  ist  es  unzweifelhaft  nicht 
zulässig,  aus  der  Natur  der  einzelnen  Producte  einen  Rückschluss 
zu  machen  auf  die  besondere  Qualität  der  Dyskrasie.  Denn  wenn 
ich  die  syphilitische  Exostose  als  Yergleichungspunkt  nehme,  so 
müsste  ich  eine  Art  von  knöcherner  Dyskrasie  construiren,  welche 
die  Grundlage  der  Exostose  wäre.  Nehme  ich  die  Bubonen  als 
Grundlage  meiner  Betrachtung,  welche  der  Hauptmasse  nach  aus 
lymphatischen  Zellen  sich  aufbauen,  dann  müsste  ich  eine  Art 
von  lymphatischer,  zelliger  Dyskrasie  annehmen.  Nehme  ich  die 
Warzen,  so  finde  ich  Bindegewebsproductionen  mit  Epidermis, 
und  nehme  ich  die  gummösen  Productionen ,  so  bekomme  ich 
wieder  etwas,  was  ganz  davon  verschieden  ist. 

Das  Beispiel  von  der  Syphilis  lehrt  uns  also,  dass  bei  einem 
ganz  ausgesprochen  constitutionellen  Grunde,  bei  einer  vorausge- 
setzt specifischen  Dyskrasie,  der  Charakter  des  einzelnen  Pro- 
ductes,  welches  daraus  entsteht,  nicht  einfach  bestimmt  wird  durch 
den  Charakter  der  Dyskrasie,  sondern  dass  auch  hier  der  Cha- 
rakter des  Ortes,  in  welchem  es  entsteht,  einen  ganz  entschei- 
denden Einfluss  ausübt,  und  dass  erst  bei  einer  gewissen  Höhe 
(Energie)  der  specifischen  Erregung  an  verschiedenen  Orten  gleich- 
artige Producte  sich  bilden.  Der  Knochen  producirt  bei  gerin- 
gerer Reizung  Knochen,  das  Bindegewebe  erzeugt  Bindegewebe, 
die  Drüse  bringt  neue  Drüsensubstanz  hervor;  jedes  dieser  Ge- 
webe geräth  in  eine  Thätigkeit,  die  seiner  Natur  entspricht;  der 
Reiz,  den  es  von  der  Dyskrasie  aus  empfängt,  wirkt  in  jedem 
Tlieile  nach  der  Art,  wie  der  Theil  an  sich  eingerichtet  ist.  Es 
bedarf  einer  gewissen  Grösse,  einer  gewissen  Ener- 
gie der  specifischen  Substanz,  um  specifische  Pro- 
ducte  zu   erzeugen.    Erst  dann  sehen  wir  sowohl  im  Kno- 


78  FUdk»  ToriesoBg. 

eben,  wie  ia  der  Hant^  wie  in  der  Drüse,  gmnmSse,  also  speci- 
fische  Produete  entsteheB. 

Ganz  ähaKcb  Terkalt  es  sich  auch  mit  anderen,  sogenannten 
Dyskrasien.  Ich  erianere  andieTnbereuIose^bci  der  freilich  die 
Dvskrasie  nicht  unmittelbar  nachweisbar  ist,  wo  ihr  Bestehen 
aber  weni^tens  nach  einer  Art  Ton  Consensas  omnium  als  selbst- 
verständlich angenommen  wird.  Zwar  schliesst  man  "Vielfach  Tu- 
berkeln im  engeren  Sinne  des  Wortes  von  der  Betrachtung  der 
GeschwiUte  aiiSw  Will  man  aber  die  heteroplastischen  Geschwülste 
im  Garnen  betrachten,  so  kann  man  nicht  umhin,  die  Tuberkeln 
mit  hineiniuiiehen.  Nun^  in  der  Geschichte  der  Tuberculose  ist 
nichts  hantiger,  als  dass  wir  bei  einem  Individuum,  bei  welchem 
sich  die  Tubenrulose  in  hohem  Maasse  findet,  in  dessen  Familie 
sie  vielleicht  seit  einer  Reihe  von  Generationen  heredit&r  ist,  ne- 
ben den  tuberculOsen  Processen  einfache  Reizungszustände  finden, 
wo  es  nicht  zur  Bildung  von  Tuberkeln  kömmt,  sondern  wo  eine 
Neubildung  von  Geweben  geschieht,  welche  homolog  ist  dem  alten 
GcNvebe^  wo  der  Vorgang  h(khstens  einen  entzündlichen  Charakter 
annimmt,  wo  daher  neben  den  Tuberkeln  Entzundungsproducte 
erscheinen,  oder  neben  Entzundungsproducten  Tuberkel,  wo  aber 
doch  keineswegs  Alles,  was  entsteht,  einen  besonderen,  specifi- 
schen  Charakter  hat. 

Gaiu  genau  eben  so  verhalten  sich  die  allerschlimmsten  For- 
nieu,  die  Krebse*).  Bei  den  Krebsen,  die  in  einer  grossen  Zahl 
diHHcuuuirt  werden  an  gewissen  Organen,  z.  B.  bei  den  Krebsen 
der  HcrOseu  Hiiute,  ist  nichts  häufiger,  als  dass  an  einzelnen  Stel- 
Ini  wirkliche  Krcbskuoten  sich  bilden,  an  anderen  Stellen  Knoten, 
in  W(*lchon  wir  bei  einer  sehr  minutiösen  mikroskopischen  Unter- 
HurhuiiK  noch  die  Einrichtung  von  Krebsen,  namentlich  kleine,  zellen- 
|i(rfinito  Alveolen,  entdecken  können,  welche  aber  doch  überwiegend 
UMH  lllMÖHcr  Masse  bestehen;  noch  weiter  kommen  wir  endlich  an 
fioU  Im  Knoten,  welche  gar  keine  specifische  Einrichtung  mehr  zei- 
giMi,  Hondcrn  sich  einfach  als  indurative  darstellen.  Trotzdem  wird 
Nii*niHiMl  Ittugnen  können,  dass  diese  indurativen  Knoten  ans  einer 
Ahiilii  Ih'ii  Hcixung  hervorgegangen  sind,  wie  die  specifischen  Krebs- 
knntcn.     Wir  können  uns  den  Unterschied  nicht  gut  anders  er- 


*)  MmIii  Archiv.     XIV.    S.  41.    Handbuch    der  spec.  Path.  u    Therapie. 

H.  nmi. 


Transitoriscber  Charakter  der  Dyskrasie.  79 

klären,  als  dass  in  dem  einen  Falle  die  Reiznng  eine  mehr  ener- 
gische gewesen  ist,  dass  in  dem  anderen  Falle  sie  eine  geringere, 
weniger  energische  war;  dass  daher  in  diesem  letzteren  Falle  der 
Reiz  sich  auch  nicht  in  seiner  Besonderheit  geltend  machen 
konnte,  sondern  dass  erst  bei  einer  gewissen  Starke  der  Einwir- 
kung die  besondere  Richtung,  welche  durch  die  Natur  der  reizen- 
den Substanz  bestimmt  wird,  auch  in  dem  örtlichen  Process  zur 
Gellung  gelangt. 

Aus  solchen  Erfahiningen  schliesse  ich,  dass  selbst  in  den- 
jenigen Fällen,  wo  wirklich  eine  im  Körper  Terbreitete  Substanz, 
eine  das  Blut  verunreinigende,  specifische  Materie  vorhanden  ist, 
welche  die  Fähigkeit  hat,  auf  einzelne  Theile  eine  irritirende,  und 
durch  die  Irritation  eine  formative  Wirkung  auszuüben,  die  ört- 
lichen Verhältnisse,  die  Grösse  der  Reizung,  die  Natur  der  Ge- 
webe, welche  von  dem  Reiz  getroffen  werden,  entscheidend  ffir 
den  Gang  sind,  den  nachher  die  Entwickelung  nehmen  wird.    Wei- 
ter nehme  ich  an,  dass  die  Dyskrasie  als  solche,  ohne  eine  ganz 
besondere  örtliche  Veranlassung,  überhaupt  nicht  zu  einer  Wirk- 
samkeit gelangen  wird.     Ich  f&ge  endlich  hinzu,  dass,  wenn  es 
sich  um  die  Frage  handelt,  ob  überhaupt  die  Dyskrasie  bei  dem 
gegenwärtigen  Zustande  der  Wissenschaft  noch  gedacht  werden 
darf  als  eine  permanente,  als  eine  fortdauernde,  die  gelegentlich 
durch  ganze  Generationen  hindurch  sich  erblich  erhalten  soll,  ich 
in  der  That  gar  keine  Thatsache  anzuführen  wOsste,  welche  dafär 
spräche.    Ich  halte  die  Lehre  von  den  permanenten  Dyskra- 
sie n,  welche  gerade  in  Beziehung  auf  den  Krebs  schon  Scarpa*) 
zurückgewiesen  hat,  für  eine  vollkommen  verwerfliche**).    Das 
Blut  mit  dem  ewigen  Wechsel  seiner  Bestandtheile  ist  dazu  gimz 
ungeeignet,  indem  Stoffe,  die  seiner  Mischung  fremd  sind,  auf 
irgend  eine  Weise  im  Laufe  der  Zeiten  entfernt  werden,  sei  es 
nach  aussen  durch  die  Colatorien  der  Secretionsorgane,  sei  es  da- 
durch, dass  irgend  ein  Gewebe  diese  Stoffe  anzieht  und  in  sich 
aufnimmt     Für  mich  kann  daher  eine  dauerhaftere  Dyskrasie, 
wie  man  sie  hier  voraussetzt,  nur  bestehen,  wenn  an  irgend  einem 
Punkte  des  Körpers   ein  Productionsheerd  existirt,  der  fort 


*)  Scarpa.    SuUo  scirro  e  sul  cancro.  p   17. 

*•)  Cellularpathologie.    S.    125.    Würzburger  Verhandl.    1852.    Bd.  111. 
S.  102.    Gesaminelte  Abhandl.  S.  53. 


80  Fünfte  Vorleeong. 

und  fort  denselben  Stoff  wieder  dem  BInte  zufahrt,  und  auf  diese 
Weise  eine  anhaltende  Verunreinigung  desselben  unterhält.  Dann 
ist  aber  eben  die  Dyskrasie  abhängig  von  dem  einseinen 
Ort  und  sie  bildet  ein  Secundärphaenomen,  welches 
hervorgeht  aus  der  ursprünglich  localen  Äffection.  Die  Ge- 
schwulst verhält  sich  dabei  wie  ein  Secretionsorgan ,  aber  nicht 
in  dem  Sinne  von  John  Simon  (S.  4b.) j  dass  sie  aus  dem 
Blute  heraus  schädliche  Stoffe  absondert,  sondern  gerade  umge- 
kehrt so,  dass  sie  in  das  Blut  hinein  schädliche  Stoffe  absondert. 
Sie  verhält  sieb  nicht  wie  die  Nieren,  sondern  wie  die 
Lymphdrusen  oder  die  Milz. 

Gesetzt  nun,  es  sei  auf  die  eine  oder  andere  Weise,  wie  ich  es 
früher  auseinandersetzte,  die  locale  Irritation  zu  Stande  gekom- 
men, so  wird  sie  natürlich  da  am  ausgiebigsten  wirken,  da  das 
grOsste  Resultat  herbeifuhren,  wo  zugleich  die  günstigsten  örtlichen 
Verhältnisse  für  die  Reizung  bestehen,  oder  wo  die  Reizung  sich 
am  häutigsten  wiederholt  Ist  der  Reiz  gering,  so  wird  es  eben 
auch  nur  die  einfacheren  Folgen  der  Reizung  geben,  wie  wir  sie 
unter  dem  Namen  Entzündung,  chronische  Entzündung,  Hyper- 
trophie, Hyperplasie,  bezeichnen.  Erst  bei  einer  besonderen  Ge- 
Htaitung  und  Energie  des  Reizes  wird  es  dahin  kommen,  dass 
0p4»citische  Formen  entstehen.  Nun  lehrt  die  Erfahrung,  dass 
g(*rade  die  bösjirtigsten  Formen  der  Geschwülste  ganz  überwiegend 
häufig  an  solchen  Organen  vorkommen,  welche  äusseren  Rei- 
zen um  meisten  ausgesetzt  sind,  welche  exponirte  Oberflächen 
b«*.Hitz(fn,  und  dass  gegenüber  diesen  alle  andern  Organe  ganz  und 
gar  in  den  Hintergrund  treten. 

Eh  ist  das  ein  Gesichtspunkt,  der  sich,  wenn  man  eine  chi- 
rurgische  Klinik  durchgeht,  allerdings  nicht  leicht  ergiebt,  weil  in 
einer  Klinik  oder  einem  Hospital  die  exceptionellen  Fälle  zusam- 
iwuHirCmwih  Das  giebt  kein  Bild  von  der  Gesammtheit  der  Vor- 
(Cäng«',  die  in  einer  Bevölkerung  existiren,  und  für  einen  Kliniker 
(94U'r  llospitalant  verwischt  sich  daher  sehr  leicht  die  Vorstellung 
ton  d<*r  Fn*quenz  der  einzelnen  Bildungen.  Anders  gestaltet  sich 
tUt^m*  Frage,  wenn  man  sie  an  der  Statistik  einer  ganzen  Bevöl- 
ktrituy^  prüft.  Wir  besitzen  solche  grosse  Statistiken  für  die  bös- 
t9ftty[t'h  G(*Hchwülste  gerade  nicht  in  einem  solchen  Umfang,  wie 
i'K  mifiiUvU  wäre,  wenn  sich  die  Aerzte  im  Allgemeinen  mehr  da- 
mh  l><'fichäftigten ,   ihre  Erfahrungen  zu  sammeln,  und  wenn  sie 


Statistik  der  Geschwülste.  81 

die  Bedeutung  der  Statistik  für  die  Pathogenie  mehr  in  Betracht 
zögen.  Indess  kann  ich  einzelne  Thatsachen  mittheilen,  die  an 
verschiedenen  Orten  und  zu  verschiedenen  Zeiten  gesammelt  sind 
und  die  im  Grossen  so  sehr  übereinstimmen,  dass,  wie  ich 
glaube,  die  Hauptsache  dadurch  vollstängig  erledigt  wird. 

Ein  französischer  Arzt,  Tanchou*),  hat  aus  den  Civilregi- 
Stern  des  Seine-Departements  die  Mortalitätstabellen  für  die  Jahre 
1830—40  zusammengestellt.  Es  handelt  sich  um  die  Leute,  die 
an  bösartigen  oder  krebsartigen  Geschwülsten  gestorben  und  als 
solche  in  den  Registern  aufgeführt  waren.  Die  Zahl  dieser  Fälle 
ist  9118.  Unter  diesen  beträgt  die  Zahl  der  am  Uterus  vorkom- 
menden Geschwülste  2996,  d.  h.  32,8  pCt,  also  allein  den  drit- 
ten Tbeil  der  Gesammtsumme.  Dann  kommen  unmittelbar  die 
Affectionen  des  Magens,  2303  an  der  Zahl,  d.  h.  25,2  pGt.,  also 
ein  Viertel.  Für  die  anderen  Organe  bleibt  nun  nicht  mehr  viel 
übrig.  Zunächst  kommt  die  Milchdrüse  mit  12,6,  dann  die  Leber 
mit  6,9,  der  Mastdarm  mit  2,4,  die  übrigen  Därme  mit  1,6  pCt. 
Erwägt  man  nun,  dass  die  Leberaifectionen  überwiegend  als  se- 
cundäre  zu  betrachten  sind,  und  dass  in  der  Regel  primärer  Mast- 
darm- oder  Magenkrebs  zugegen  ist,  wo  in  der  Liste  Leberkrebs 
steht,  so  ergiebt  sich,  dass  die  Krebse  des  Digestionskanals  eine 
ganz  überwiegende  Samme  darstellen,  denn  sie  geben  allein  über 
36  pCt.  Nehmen  wir  dazu  die  32  pCt.  für  den  Uterus  und  die 
12  pGt  für  die  Brust,  so  macht  das  zusammen  über  80  pCt.  der 
Gesammtzahl  der  tödtlichen  Fälle  aus. 

Gegen  diese  Statistik  von  Tanchou  hat  man  vielfach  einge- 
wendet, sie  sei  auf  oberflächlichen  Grundlagen  errichtet  worden. 
Das  kann  gewiss  nicht  von  der  Arbeit  gesagt  werden,  welche 
Marc  d'Espine**)  für  die  Mortalität  im  Ganton  Genf  in  den 
Jahren  1838 — 55  zusammengestellt  hat,  und  welche  eine  der 
besten  ist,  die  in  dieser  Richtung  existiren,  weil  die  Genfer  Mor- 
talit&ts-Statistik  gerade  unter  der  Leitung  dieses  Mannes  eine  der 
musterhaftesten  geworden  ist.  Die  Zahl  der  Todesfälle  durch 
Krebs  betrug  889. 


*)  J.  Tanchoa.   Recbercbes  sur  le  traitement  medical  des  tumeurs  da 
sein.    Paris.  1844.  p.  258. 

^*)  Statistiqae  mortuaire  du  canton  de  Geneve  pendant  les  ann^es  1838 
a  1855.  Echo  mödical.  185<5.  T.  II.  p.  305  — 32G. 

Vircbow,  QetcbwüUt».    1.  6 


82  Fünfte  Vorlesung. 

Von  einzelnen  Organen  waren  erkrankt: 

Magen 399  Mal  =  45  pCt 

Uterus 139    -     =15     - 

Leber  u.  a 93    -     =12     - 

Milchdrüse 76  =     8,.'>  - 

Dünn-  und  Dickdarm     30    -     =     3,3  - 

Mastdarm 25    -     =     3     - 

Es  ist  leicht  ersichtlich,  dass  diese  wenigen  Organe  die  Haupt- 
samme, fast  87  pCt.  repräsentiren. 

Ich  selbst*)  habe  die  Mortalitats-Statistik  der  Stadt  Würzburg 
für  die  Jahre  1852  — 1855  auf  einer,  wie  ich  glaube,  so  exacten 
Basis  festgestellt,  wie  sie  bis  dahin  wenigstens  noch  nirgend  er- 
reicht sein  mochte,  da  durch  die  sehr  grosse  Ausdehnung,  in  der 
auch  die  Autopsien  der  Privattodten  veranstaltet  worden  sind,  eine 
viel  genauere  Grundlage,  als  irgendwo  sonst  gewonnen  ist.  In  Würz- 
burg betrug  während  dieser  Zeit  die  Mortalität  au  bösartigen  Ge- 
schwülsten 5,3  pCt.  der  Gesammt- Mortalität,  und  die  Scala  der 
Iläutigkeiten  stellte  sich  so  heraus:  Es  kamen  unter  100  Todes- 
fällen durch  bösartige  Geschwülste  auf 

Magen 34,9  pCt. 

Uterus,  Scheide  u.  s.  w.     18,5     -    **) 
Dick-  und  Mastdarm  .  .      8,1     - 

Leber  u.  a 7,5     - 

Gesicht  und  Lippen    .  .      4,9     - 

Milchdrüse 4,3     - 

in  Summa  78,2  pCtT 
oder  mit  anderen  Worten,  es  machten  die  bösartigen  Erkrankun- 
gen des  abdominalen  Abschnittes  des  Digestionskanals  etwas  über 
die  Hälfte  (50,5  pCt.)?  die  der  weiblichen  Genitalien  ohne  die 
Eierstocke  beinatie  ein  Viertel  (22,8  pCt.)  der  Gesammtzahl  aus, 
was  etwas  unter  den  Zahlen  von  Marcd'Espine  (63,3  u.  23,5  pCt) 
bleibt.  Alles,  was  nachher  kommt,  sind  sehr  kleine  Zahlen.  Hierin 
ist  natürlich  das  Leichen-Material  einer  chirurgischen  Klinik  und 


*)  Hoiträ^e  zur  Statistik  der  Stadt  WQrzburg.    Verhandlungen  der  WQrx- 
hnrK«T  »h^yHikalisrh-mcdicinischcn  Gesellschaft.  1859.  Bd.  X.  S.  66. 

**)  H«*i  dieser  Zahl  ist  iu  meiner  Arbeit  ein  Versehen  untergelanfen,  in- 
^ftn  tVtf  Krtwjuenz  der  Uteri nkrobse  zu  geriug  angegeben  ist  Statt  2t  soll- 
!#•»  X\  Mtf'hfMi;  dies  giebt  18  pCt.  und  mit  HinzurochnuDg  des  Kankroids 
4^r  fkunnfren  Oouitalieu  18,5  pOt. 


Oertliche  ReizoDg.  83 

der  Hospitäler  mit  versteckt,  so  dass  die  Zahl  der  malignen  Fälle 
etwas  grösser  ausfallt,  als  sie  sonst  für  die  Bevölkerung  an  sich 
sein  würde. 

An  diesen,  in  den  einzelnen  Positionen  nicht  ganz  vollständig 
übereinstimmenden  Zahlen,  wo  das  eine  Mal  der  Magen  etwas 
höher  steht,  das  andere  Mal  der  Uterus,  erkennt  man  doch  leicht, 
dass  an  so  ganz  verschiedenen  Orten  Beobachter,  welche  ganz  un- 
abhängig von  einander  sind,  im  Grossen  dasselbe  Resultat  gewin- 
nen, nehmlich  dass  diejenigen  Organe,  welche  eine  weiche  Ober- 
fläche besitzen,  die  mit  den  fremden  Theilen  in  Contact  kommt, 
angleich  mehr  Geschwülste  hervorbringen,  als  diejenigen,  welche 
im  Innern  der  Höhlen  abgeschlossen  liegen,  nur  in  geringem  Maasse 
nach  aussen  hin  Berührungen  oder  Communicationen  haben,  und 
directeren  Einwirkungen  seltner  ausgesetzt  sind.  Vergleicht  man 
weiterhin  die  einzelnen  Abschnitte  dieser  Organe  (S.  66.),  dann 
sieht  man  noch  mehr,  dass  gerade  die  Stellen  am  häufigsten  be- 
fallen werden,  welche  vermöge  ihrer  Lage  am  meisten  Insulta- 
tionen und  Reizungen,  sei  es  durch  äussere  Körper,  sei  es  durch 
Secretstoffe  ausgesetzt  sind*). 

Ich  weiss  sehr  wohl,  dass  eine  solche  Auffassung  noch  jetzt 
auf  sehr  viel  Widerwillen  stösst  und  dass  ein  grosser  Theil  unserer 
besten  Chirurgen  sich  noch  immer  weigert,  auf  eine  Betrachtung 
dieser  Art  einzugehen;  ja  dass  es  noch  immer  einzelne  giebt,  die 
eine  Art  von  innerem  Drang  haben,  die  Sache  unerklärlich  zu 
machen,  sie  unseren  Interpretationsregeln  zu  entziehen  und  auf 
irgend  ein  X  zurückzuführen,  dem  man  gar  nicht  beikommen 
kann  and  von  dem  man  sich  gelallt  zu  sagen,  man  werde  ihm 
auch  nie  beikommen.  Gewiss  wird  man  ihm  nie  beikommen  auf 
die  Weise ,  wie  es  gewöhnlich  geschieht.  Wenn  man  aber  die 
Fragen  mehr  praecisirt,  wenn  man  die  Fälle  nach  allen  Rich- 
tungen hin  zusammenstellt,  dann  müssen  noth wendigerweise 
diese  localen  Irritamente  am  Ende  einmal  klar  gelegt  werden. 
Wir  werden  Gelegenheit  haben,  bei  den  einzelnen  Formen  noch  spe- 
ciellere  Betrachtungen  dieser  Art  anzustellen;  besonders  bei  der 
Geschichte  der  Kankroide  haben  wir  die  mannigfaltigsten  An- 
knüpfungen, z.  B.  bei  dem  Lippen  krebs,  dem  Schomsteinfeger- 
krebs,  wo  diese  Fragen  mehr  Gegenstand  allgemeiner  Discussion 


*)  MeiQ  ArchW.  XIV.  S.  45. 


84  FOnfte  Vorlesang. 

geworden  sind,  und  wo,  wie  ich  hoffe,  nicht  lange  Zeit  mehr 
vergehen  wird,  bis  man  wird  festgestellt  haben,  wie  die  Sache 
vor  sich  geht. 

Wenn  ich  also  auch  nicht  angeben  kann,  in  welcher  speciel- 
len  Weise  die  Irritation  stattfinden  muss,  durch  welche  gerade  in 
einem  gegebenen  Fall  eine  Geschwulst  hervorgerufen  wird,  wäh- 
rend in  einem  anderen  Falle  vielleicht  unter  scheinbar  ähnlichen 
Verhältnissen  nur  eine  einfache  Entzündung  erregt  wird,  so  habe 
ich  doch  eine  ganze  Reihe  von  Thatsachen  mitgetheilt  (S.  65.), 
welche  lehren,  dass  in  der  anatomischen  Zusanmiensetzung  ein- 
zelner Theile  gewisse  bleibende  Störungen  existiren  könoen,  welche 
das  Zustandekommen  regulatorischer  (oder,  wie  Philipp  von 
Walt  her  sagte,  reactiver)  Processe  hindern  und  welche  bei  einem 
Reiz,  welcher  an  einem  anderen  Orte  nur  eine  einfache  entzünd- 
liche Affection  zu  Stande  gebracht  haben  würde,  eine  Reizung  er- 
zeugen, aus  welcher  die  specifische  Geschwulst  hervorgeht 

Fassen  wir  die  homologen  Geschwülste  ins  Auge,  so  lässt 
sich  sogar  eine  bestimmte  Grenze  gegen  die  entzündlichen  An- 
schwellungen nicht  aufstellen.  Wir  werden,  namentlich  wenn  wir 
die  Geschichte  der  elephantiastischen  Geschwülste  durchgehen, 
wenn  wir  die  fibrösen,  die  epithelialen  Gewächse  betrachten, 
finden,  dass  man  in  der  That  in  die  grösste  Verlegenheit  kommt, 
zu  entscheiden,  wo  man  anfangen  soU»  eine  Affection  zu  den  Ge- 
schwülsten zu  rechnen.  Namentlich  bei  den  hyperplastischen  Ge- 
schwülsten, welche  im  Innern  mancher  Organe  vorkommen,  z.  B. 
bei  den  fibromusculären ,  giebt  es  keine  absolute  Grenze,  wo 
man  sie  trennen  könnte  von  einfachen  Hyperplasien  dieser  Or- 
gane. Es  ist  eben  nur  die  Form,  die  Gestalt  der  Bildung, 
die  uns  berechtigt,  sie  in  die  Geschwulstreihe  zu  setzen.  Den 
Vorgang  selbst  trägt  Niemand  Bedenken,  als  das  Resultat  einer 
chronischen  Irritation,  einer  Entzündung  allenfalls,  zu  bezeich- 
nen; aber  wenn  ein  Knoten  daraus  wird,  dann  bekommt  jeder 
einen  Schreck  und  fragt  sich,  ob  derselbe  auch  noch  so  nn- 
iM'iangen  betrachtet  werden  könne.  Wenn  ein  Uterus  sich  in  sei- 
nen Wandungen  verdickt,  dann  sagt  man :  das  ist  eine  chronische 
MHritiH,  eine  Hypertrophie ;  aber  wenn  sich  Knoten  bilden,  mögen 
h'm  Miü'li  eben  ho  zusammengesetzt  sein,  wie  die  verdickte  Wand, 
^iM44$$   Ui  *tH  ein  Fibroid.     Hier  verschliesst  man  offenbar  seine 


Semioien.  g5 

Augen  vor  den  am  allerklarsten  liegenden  pathologischen  That- 
sachen. 

Die  Natur  der  Reizung  ist  verschieden,  je  nachdem  eine 
besondere  chemische  Substanz,  eine  „Schärfe"  einwirkt,  wie  wir 
sie  bei  den  Infectionen  des  Körpers,  bei  den  dyskrasischen  Zu- 
ständen voraussetzen ,  oder  je  nachdem  mehr  mechanische  Irri- 
tamente  wirken.  Die  Richtung,  in  welcher  in  Folge  die- 
ser Reizung  die  Entwicklung  der  neuen  Gewebe  statt- 
findet, ist  wiederum  verschieden,  einmal,  je  nachdem  die  Gre- 
webe  selbst  verschieden  sind,  an  welchen  die  Reizung  stattfindet, 
zum  andern,  je  nachdem  die  Substanz,  welche  einwirkt,  eine  ganz 
besondere  chemische  Einwirkung  hat,  vermöge  welcher,  ähnlich 
wie  bei  der  Einwirkung  des  Samens  auf  das  Ei,  dem  gereizten 
Gewebe  ganz  besondere  Qualitäten  beigebracht  werden. 

Es  ist  allerdings  eine  sehr  eigenthümliche  Sache,  zu  erklären, 
in  welcher  Weise  der  Samen  und  solche  pathologische  Semi  nien*) 
im  Stande  sind,  die  oft  so  complicirten  Erscheinungen  der  späte- 
ren Entwickelung  hervorzurufen;  aber  im  Grunde  sind  es  doch 
parallele  Erscheinungen,  und  weil  sie  parallel  sind,  so  berechtigen 
sie  uns  auch,  einen  gemeinschaftlichen  oder  gleichen  Grund  an- 
zunehmen. Wir  wissen,  dass  in  manchen  Familien  gewisse  Or- 
gane die  erbliche  Eigenschaft  zeigen,  an  gewissen  Orten  geschwulst- 
artige Producte  hervorzubringen.  Ich  will  nicht  von  den  Familien 
sprechen,  wo  an  gewissen  Stellen  die  Epidermis  in  besondere 
homartige  Massen  auswächst,  den  Familien  der  Stachelschwein- 
menschen, obwohl  man  sie  mit  Recht  hier  angereiht  hat;  aber 
wir  linden  z.  B.  entschieden  erbliche  Disposition  zur  Bildung  von 
fibrösen  Geschwülsten  in  der  Haut,  die  sich  von  Geschlecht  zu 
Geschlecht  fortpflanzt.  In  der  Geschichte  der  Tuberkulose  zeigt 
sich  die  Erblichkeit  auf  die  allerpraegnanteste  Weise.  Sie  über- 
trägt sich  häufig  vom  Vater  auf  das  Kind;  sie  kann  also  nicht 
gut  anders  als  durch  den  Samen  übertragen  werden. 

Ganz  ebenso  werden  gewisse  Eigenthümlichkeiten,  welche  eine 
Geschwulst  durch  die  Oertlichkeit,  aus  der  sie  sich  entwickelt, 
gewinnt,  nachher  übertragen  auf  neue  Geschwülste,  die  an  ande- 
ren Stellen  des  Körpers  auftreten,  welche  nicht  dieselbe  ur- 
Bprünglicbe  Richtung  der  Entwickelung  besitzen.    Es  bildet  sich 


*)  Mein  Archiv.  XIV.  S.  40.    Gellularpathologie.  S.  205. 


86  Fünfte  YorlesoDg. 

z.  B.  eine  gefärbte  Geschwulst,  eine  Melanose  an  einem  Theil,  der 
von  Natur  eine  Fähigkeit  zur  Pigmentbildung  hat,  an  der  Cbori- 
oides  des  Auges  oder  an  der  äusseren  Haut  Wenn  nach  Mo- 
naten o<ler  vielleicht  nach  Jahren  sogenannte  Metastasen  eintreten, 
daim  werden  auch  die  metastatischen  Geschwülste  gefärbt,  schwarz 
oder  braun.  Oder  es  bekommt  Jemand  ursprunglich  eine  Ge- 
fMrliwulst  am  Knochen,  in  welche  der  Knochen  mit  seinen  Knochen- 
mai^ffen  hineinwächst,  so  dass  also  eine  zum  Theil  knöcherne 
GefM'hwulst  sich  bildet;  wenn  diese  Geschwulst  bösartig  wird, 
and  wenn  sich  an  anderen  Orten,  ich  will  einmal  sagen,  in  der 
I^unge  neue  Geschwülste  entwickeln,  so  ossificiren  sie  gleichfalls, 
es  entstehen  möglicherweise  grosse  Knochengeschwülste  in  der 
Lunge. 

In  solchen  Fällen  wird  man  nicht  umhin  können,  wie  das 
wrhon  seit  langer  Zeit  anerkannt  ist*),  die  besondere  Natur  der 
ersten  Geschwulst  abzuleiten  von  der  Besonderheit  des  Gewebes, 
in  welchem  sie  sich  entwickelt**).  Dass  die  Geschwulst  in  der 
('horioides  oculi  pigmentirt  wird,  dass  eine  Geschwulst  am  Ober- 
ffchenkel  knöchern  wird,  das  kann  mau  sich  doch  wohl  nicht 
anders  vorstellen,  als  dass  die  immanente,  angebome  Eigen- 
tiifimlichkeit  der  Chorioides  zur  Pigmentbildung,  des  Femur  zur 
Kmichenbildung  sicli  auch  auf  die  Geschwulst  überträgt,  welche 
darauH  hervorwächst.  Aber  wenn  nachher  eine  melanotische  Ge- 
Hchwulst  sich  entwickelt  in  einer  Lymphdrüse  oder  im  Gehirn, 
\%\  der  I^'ber  oder  im  Eierstock,  eine  knöcherne  Geschwulst  in 
i»fner  Lymphdriise  oder  in  der  Lunge,  dann  werden  wir  nicht 
wolil  anders  können,  als  diese  secundären  Bildungen  zu  betrach- 
ti'n,  wie  eine  zweite  Generation,  auf  welche  die  Eigenthümlich- 
ki*itcn  der  ersten  durch  ein  gewisses  Seminium  übertragen  sind, 
HO  wi«;  der  Vater  seine  Eigenthümlichkeiten  durch  den  Samen 
auf  die  Eizelle  und  auf  das  Kind  überträgt.  Das,  was  befruchtet 
wini,  wns  also  in  dieser  pathologischen  Erregung  dem  Ovulum 
Kh*ichHt4*ht,  das  wissen  wir  jetzt  ganz  genau,  das  ist  ein  be- 
üllninites  Muttergowebe,  eine  Matrix***). 


«••)  lUfidbucb  der  spec  Pathologie  u.  Therapie.    L    S.  833. 


Bfatricalargewebe.  g7 

Fräberhin,  wo  man  sich  vorstellte,  dass  alle  Neubildung  auf 
dem  Wege  der  fixsudation  beginne  und  dass  sich  erst  aus  den 
Exsudaten  die  neuen  Gewebe  gestalteten,  da  war  man  in  nicht 
geringen  Schwierigkeiten,  die  vielerlei  Exsudationen  nachzuweisen, 
die  bei  dieser  Voraussetzung  bestehen  müssten,  die  aber  gar  nicht 
zu  finden  waren.  Jetzt,  wo  wir  wissen,  dass  jedes  neue  Gewächs 
aus  einem  bestehenden  Gewebe  durch  Proliferation  hervorgeht, 
jetzt  bieten  uns  schon  die  verschiedenen  Muttergewebe  einen  hin- 
reichenden Grund  für  die  Erklärung  mannigfacher  Differenzen  der 
Tochtergewebe,  und  was  dann  noch  unerklärt  bleibt,  das  ist  auf 
die  Verschiedenartigkeit  der  Erregungen  und  der  äusseren  Bedin- 
gungen der  weiteren  Entwickelung  zu  beziehen.  In  allen  diesen 
Stücken  stehen  die  Matriculargewebe  vollständig  dem 
Ovulum  parallel. 

Man  hat  in  der  neueren  Zeit  die  Versuche,  welche  früher 
wiederholt  gemacht  worden  sind,  Geschwülste  durch  Impfung, 
gleichsam  durch  Befruchtung  zu  übertragen,  wenig  fortgesetzt,  da 
sie  sich  beim  Menschen  begreiflicherweise  nicht  gut  vornehmen 
lassen*)  und  da  die  Thiere  gerade  in  Bezug  auf  Geschwulstbil- 
dungen sehr  viele  Eigenthümlichkeiten  darbieten,  die  daraus  sich 
sehr  leicht  erklären,  dass  sie  ihren  besonderen  Typus  der  Bildung 
haben.  So  wenig  als  der  Same  eines  Thiergenus  fruchtbar  ist  für 
ein  anderes  Genus,  ebenso  wenig  würde  man  aus  dem  negativen 
Erfolg  einer  Inoculation  von  menschlichen  Geschwulstsäften  auf 
Thiere  etwas  Definitives  schliessen  können. 

Indess  sind  die  bisherigen  Versuche  keinesweges  mit  so  vielen 
Cautelen  gemacht  worden,  dass  man  sie  als  maassgebend  betrach- 
ten könnte.  Meist  hat  man  sich  darauf  beschränkt,  Injectionen  von 
Geschwulstmassen,  sei  es  von  blossen  Säften,  sei  es  von  zerrie- 
benen Geschwulsttheilen,  in  das  Blut  von  Thieren  zu  machen. 
Man  hat  in  der  Regel  keine  Resultate  bekommen  (Dupuytren, 
Valentin,  J.  Vogel,  ich  selbst).  Der  erste,  welcher  ganz  be- 
stimmte Resultate  angegeben  hat, 'war  Hr.  B.  Langenbeck**); 


*)  Die  älteren  Angaben  über  zufällige  Uebcrtragong  des  Krebses  von 
einem  Menschen  auf  einen  anderen  sind  theils  unsicher,  theils  unzuliissig. 
Man  sehe  darfiber  die  einsichtsvollen  Bemerkungen  von  John  Pearsou 
(Practical  observations  on  cancerous  complaints  with  an  account  of  soroe 
diseases  which  have  been  confonnded  with  the  cancer.  Lond.  1793.  p.  20). 
**)  Schmidt 's  Jahrbücher.  Bd  XXV.  S.  99.  Ich  habe  selbst  die  Zeich- 
Dungen  des  Herrn  Langenbeck  von  der  mikroskopischen  Zusammensetzung 


aus  einer 

injicirt  hatte, 

4r  Herren  Follin 

^on  Bmstkrebs- 

j^   JcaaEs-  -wmer  ^mmst-  m  mm  Henm  and  der  Leber 

•*f!«Br»   -viiiuLBEn.  MMBak  »lauLKiii  a  werden  und 

Ausdeh- 
wörden. 

*:!i     ir    !i»r*£iMt.   TfjKH   au»  iaa>  v  -flOK  4bi  i  h  ■■  j  gerechtfertigte 

^^rtnanx:.  ^r  'nprsttiimaei  3b-  «üzr  Jceec  aKser  der  alteren  Beob- 

^iiiattu.  •»«  ^  *    ~*  '-!•*  a«^  -fÄ  -^aatamr  ^skkütfes  Ergebniss  vor, 

*»-*••  !i»?-^  "fcrr  *    TU.Hrr^"'   -ifz»*lB-    &  äqidrte  in  die  Scben- 

X    ••Hin?  -*!»•!-  IfupA.'^r-  i*««5**sar  ok-  -^uam  Sarfcirkvamm  des  Ober- 

^>r«<rs   J9«.    tni:rfflF  ;n»H*i  ^jat  uMraiiiÄf  Xas^  davon  nnter  die 

laut.  Ji>f«~   ni*ift*'f  -«est  jt    *>   Toai  «n»  äKiaiwtse  Geschwulst 

?!■«   iKr  J-2Suit*JEtfr!K*>^«£iiBK  -*»e^  San&s«-«waBBBk    Fieflich  ist  dies 

lur  -•«  *»itiv«Ärr  y*tL  M^r  ,?*w!:»  Mn  ^«ar  k«iKffkenswerther,  und 

«-•^i-«n:ui2-  s.!i^uii  :r^  air  s:*ivu  y%a  sx^bsäm^  infiw.hmen^  dass  die 

*i>  4  ' "  ,'*>^.  inK^  1^.^' i:^«ii»*ai«a  Safte  anf  gewisse 

V-*  *  l^^^-    jt-f  i:*i    ir  r>i^i  ^ :•#  «iii  S«»iniam**^. 

ir>»r  n:!<iiM»icr>^ii^  2iir«!i  !itfim&c  :s«ibK^  m  fikien  einiehien  Stadien 
äf<>«  si'j  ^•'^^•i^:ira;L  ^  »ih^auiuc  ^nait  tk^r^ben.  Die  Schwie- 
r^.v  if  i^c?  «x^ii  lur  :n  ier  ^•fii:ib«aaii  ätiologischen  Unter- 
su«  iian;jL.  ^ac>  i:^  .VjaoMni><*(iH  Mtlaog:%^  :so  ist  das  voUkommea 
kiar,  «Vi  V'wm  -ittfi»-*ai»?a  Prtnkse«  w»?  dae  solche  Reizung  statt- 
iiaL»i*:f€.  Stilett  ^T.  iat^  Ler  G:i3x -i^r  Dinge  zunächst  in  der- 
^^Ib^iL  W:f  :>^  :?r:'.»lx;^  wi^  '>^i  ^nttindlichen  Reizungen. 
Eine  tr^i»:'  Es>a»Lin«.'a.  «^tne  N«?dlHUu]ig  in  freiem  Cytoblastem, 
wi^  oi^in  >i*e  c>ii>  wcs:  aUfCvm^füi  aiui^noaunen  hatte,  findet  nicht 
Statt;  di^  CtrmibiiAce  d^r  Eatwickehug  sind  die  zelligen  Elemente 


der  Lun^enkiKtcen  seihen.  Sie  hab«^•  ai«^  Aehnlichkeit  mit  spontanen 
Krobälformen,  wie  ich  ^^ie  aihrh  bei  Hinden  ■otersncbt  habe,  als  mit  mensch- 
lichen Krebse  lementen. 

*)  Lebert.  Traite  pratiqu«  des  maladie«  canceieuses.  Paris.  Id51.  p.  136. 
^*)  C.  0.  Weber.   Chirurciscbe  Erfahningen  o.  Untereachnncen.   Berlin. 
1869.  S.  289. 

♦••)  Virchow.  Die  Einheitsbestrebnngen  in  der  wissenschaftL  Medicin. 
Hnrlin.  1849.  8.  39.  Gei»ammelte  AbhandL  S.  ifx  Handbuch  der  soec 
Pafh.  u.  Ther.  1.  S.  278.  339.    Archiv.  XIV.  S.  iO. 


GranulatioDsstadiam.  g9 

der  Mottergewebe.  Alle  Versuche,  die  Histogenese  der  Geschwülste 
auf  eine  andere  Grundlage  zurückzuführen,  sind  vergeblich;  selbst 
die  neuere  Theorie  von  Rokitansky*)  beruht  auf  einem  prin- 
cipiellen  Missverstandniss,  wie  die  ältere  von  Hodgkin**). 

Die  Gewebe,  welche  der  Sitz  der  Geschwulstbildung  werden 
sollen,  vergrössern  sich,  ihre  Elemente  nehmen  mehr  Material  in 
sich  auf,  sie  schwellen  an.  Gewöhnlich  sehr  bald  beginnt  dann 
eine  Theilung  der  Kerne  (Nucleation),  es  folgt  eine  Vermehrung 
der  Zellen  (Cellulation).  Geht  diese  schnell  vorwärts,  erreicht 
sie  einen  hohen  Grad  und  werden  die  Zellen  in  dem  Maasse,  als  sie 
an  Zahl  zunehmen,  an  Umfang  immer  kleiner,  so  geräth  das  Gewebe 
in  einen  Zustand,  den  ich  im  Ganzen  Granulationszustand 
genannt  habe,    weil    er   ganz  ähnlich  ist  dem,   welchen  wir  an 

Wundflächen  sehen,  wo  man  seit  alten  Zei- 
ten die  jungen  Gewebsmassen  mit  dem 
Namen  der  Wundgranulationen  bezeichnet 
hat***).  In  diesem  Zustand  ist  das  Ge- 
webe eigentlich  indifferent;  es  ist  ver- 
gleichbar den  embryonalen  Zuständen, 
welche  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Be- 
fruchtung im  Ei  eintreten,  wo  eine  Masse 
von  Zellen  erzeugt  wird,  denen  man  es  bekanntlich  auch  noch 
nicht  ansehen  kann,  was  aus  ihnen  im  Einzelnen  werden  wird. 
Die  Zellen,  aus  denen  Gehirn  werden  wird,  sehen  eben  so  aus, 
wie  die,  aus  denen  Muskeln,  und  die,  aus  denen  Bindegewebe 
werden  wird,  eben  so  wie  die,  aus  denen  Epithel  werden  wird. 
So  ist  es  auch  im  Granulationszustande;  es  ist  das  ein  indifferen- 
tes Stadium,  wo  in  der  Regel  kleine,  runde  Zellen  existiren,  die 


Fig.  6.  Schema  der  Zellentheilung  und  Granulation,  a  einfache  Kern- 
zelle, b  Theilung  der  Rernkörperchen  in  der  vergrösserten  Zelle,  c  weitere 
Vergrösserung  der  Zelle  und  Theilung  des  Kerns,  d  Theilung  der  Zelle  selbst, 
e  weitere  Theilung  der  Kernkörperchen  und  Kerne  in  den  neu  entstandenen 
Zellen,  /  weitere  Theilung  der  neu  entstandenen  Zellen  selbst,  g  noch  weitere 
Theilunp:,  immer  kleinere  Elemente  mit  dem  Charakter  der  Granulationszellen. 

•  *)  Rokitansky.  Ueber  die  Entwickelung  der  Krebsgerüstc  mit  Hin- 
blick auf  das  Wesen  u.  die  Entwickelung  anderer  Maschenwerke.  Sitzungsbe- 
richte der  math.  naturw.  Classe  der  k.  Akademie  der  Wissensch.  zu  Wien. 
1852.  Bd.  VII.  S.  391. 

*^  Hodgkin.  On  the  anatomical  characters  of  some  adventitious  struc- 
tores.  Med.-chirurg.  Transactions.  1829.  Vol.  XV. 

•••)  Archir.  XIV.  S.  62.    Cellularpathologie.  S.  379,  410. 


90  Finfte  Yorksug. 

einen   Kern  und  im  besten  Falle  einen  Nucleolos  besitzen  und 
meist  einen  schwach  körnigen  Inhalt  haben. 

Diese  Bildangszellen^  kennt  man  schon  ziemlich  lange; 
sie  sind  schon  von  Valentin  und  Maller,  also  seit  beiläufig 
mehr  als  20  Jahren  beschrieben;  aber  man  nahm  früher  immer 
an,  dass  sie  vermöge  einer  Generatio  aequivoca  in  den  exsudirten 
Massen,  in  dem  sogenannten  Blastem  entstanden,  dass  sie  also 
eine  de  novo  vor  sich  gehende  Bildung  darstellten,  welche  an  die 
alten  Bildungen  in  keiner  Weise  anknüpfte.  Allein  man  kann 
sich  mit  der  grössten  Bestimmtheit  überzeugen,  dass  diese  neuen 
Elemente  aus  den  alten  Elementen  des  Theiles  hervorgehen;  die 
alten  Elemente  sind  ihre  Matrices. 

Nun  ist  freilich  nicht  jedes  Element  des  Körpers,  soweit  wir 
bis  jetzt  wissen,  im  Stande,  der  Ausgangspunkt  einer  solchen  Bil- 
dung zu  werden,  und  insbesondere  sind  dazu  alle  diejenigen  Ele- 
mente nicht  im  Stande  oder  wenig  geeignet,  welche  zu  einer  spe- 
cifischen  Höhe  der  physiologischen  Entwickelung  gekommen  sind, 
welche  also  über  ein  gewisses  Niveau  der  Bildung  hinaus  zu  voll- 
endeten, eigentlich  animalischen  Formen  sich  entwickelt  haben. 
Ein  rothes  Blutkörperchen  hat  keine  Fähigkeit  zur  Proliferation; 
eine  Ganglienzelle  des  Nervenapparats,  soweit  wir  wissen,  ebenso 
wenig.  Drusenzellen  von  ausgemachtem  Drüsencharakter  sind  nicht 
mehr  im  Stande,  eine  diflerente  Brut  zu  erzeugen  und  wenn  die 
meisten  früheren  Schriftsteller  seit  Friedr.  Hoffmann  und  Boer- 
haave  den  Krebs  als  eine  Drüsenkranklieit  bezeichnet  haben,  so 
muss  man  wenigstens  festhalten,  dass  es  nicht  das  eigentliche,  speci- 
fische  Drüsenparenchym  ist,  sondern  das  interstitielle  Gewebe, 
welches  die  Geschwulstmasse  gebiert.  Fertige,  vollständige  Epi- 
dcnniszellen  haben  keine  genetische  Bedeutung  mehr.  Ja,  ich  fiir 
meinen  Theil  muss  sogar  sagen,  dass  es  mir  nicht  möglich  gewesen 
ist,  mich  zu  ül>erzeugen,  dass  in  einem  Muskelprimitivbündcl 
oder  in  einer  Nervenfaser  eine  weitere  Entwickelung  von  solcher 
Höhe  stattfinden  könne.  Indess  haben  verschiedene  neuere  Beob- 
achter die  positive  Behauptung  aufgestellt,  dass  es  vorkonune, 
und  da  ich  gegen  die  Möglichkeit  an  sich  nichts  einwenden  kann, 
so  kann  ich  nur  sagen,  dass  es  mir  bis  jetzt  nicht  gelungen  ist, 

*)  Handbuch  der  spcc.  Patb.  u.  Tberap.    I.    S.  331. 


Indifferente  Gewebe.  91 

mich  davon  zu  überzeugen,  und  ich  möchte  daher  wenigstens  leug- 
nen, dai^s  das  ein  irgendwie  häufiger  Vorgang  wäre. 

Nicht  jedesmal  schlägt  die  Neubildung  diesen  Umweg  durch 
das  Granulationsstadium  ein;  es  kann  die  Theilung  der  Elemente 
auch  sofort  zu  einer  Bildung  bestimmter,  typischer  Formen  fuhren. 
Dies  ist  bei  den  directen  Hyperplasien  der  Fall,  wo  die 
neuen  Elemente  von  Anfang  an  den  vollständigen  Habitus  der 
alten  besitzen.  Aber  dies  kommt  bei  der  Geschwulstbildung 
am  80  weniger  vor,  je  massenhafter  und  schneller  die  Entwicke- 
lang erfolgt;  dann  schiebt  sich  selbst  bei  einfachen  Hyperplasien 
ein  indifferentes  Zwischenstadium  ein.  Wächst  dagegen  die  Ge- 
schwulst langsam  und  allmälig,  so  kann  sie  ihren  Höhepunkt 
erreichen,  ohne  jemals  den  Typus  des  Muttergewebes  einzubüssen; 
gie  kommt  gleichsam  per  primam  intentionem  zu  Stande*). 
Manche  Gewebe,  welche  zur  Granulationsbildung  nicht  geschickt 
sind,  z.  B.  das  glatte  Muskelgewebe,  das  Drüsenepithel,  liefern 
durch  directe  Theilung  ihrer  Elemente  beträchtliche  Geschwulst- 
massen, ohne  dass  dabei  jemals  „  Bildungszellen  ^^  vorkommen. 
Aber  für  die  grosse  Mehrzahl  der  Geschwülste  lässt  sich  das 
Granulationsstadium  nicht  übersehen,  und  daher  knüpfen  wir  unsere 
Betrachtungen  zunächst  an  diesen  gewöhnlicheren  Fall. 

Mit  Zuversicht  kann  man  hier  sagen:  es  sind  die  mehr 
indifferenten  Gewebe,  welche  am  häufigsten  der  Aus- 
gangspunkt solcher  neuen  Entwickelungen  werden. 

Wenn  wir  die  Epithelialformationen  ins  Auge  fassen,  so  sind 
es  immer  die  jüngsten  Schichten,  welche  noch  keine  specitische 
Entwickelung  erreicht  haben,  namentlich  die  Elemente  des  Rete 
Malpighii,  die  in  solche  Wucherung  gerathen  und  durch  Theilung 
aas  sich  die  neuen  Elemente  hervorbringen  können.  In  der  Binde- 
gewebsgruppe  sind  es  wiederum  diejenigen  Gewebe,  welche 
am  wenigsten  eine  charakteristische  Höhe  erreicht  haben,  insbe- 
sondere das  gewöhnliche  Bindegewebe,  das  Schleimgewebe  und 
das  rothe  Mark  der  Knochen,  während  das  Knorpelgewebe  und 
das  vollständige  Knochengewebe  eine  verhältnissmässig  viel  ge- 
ringere Neigung  zeigen,  und  das  Knorpelgewebe  noch  wieder  eine 
^iel  geringere  als  das  Knochengewebe,  in  sofern  bekanntlich  das 
Knorpelgewebe    viel  mehr    ein  Gewebe  sui  generis   ist   als    das 


^)  Gellnlarpathologie.    S.  61,  68. 


92  Ffinfte  Yoriesang. 

Knochengewebe,  welches  sich  an  das  gewöhnliche  Bindegewebe 
ziemlich  unmittelbar  anreiht.  Selbst  das  Fettgewebe  wuchert  nicht 
als  solches,  sondern  es  wird,  wie  das  Knochen-  und  Knorpel- 
gewebe, in  der  Regel  erst  in  ein  weiches,  mehr  schleimiges  Ge- 
webe transformirt,  und  genau  genommen  ist  es  erst  dieses,  wel- 
ches proliferirt.  Unter  den  Geweben,  welche  eine  mehr  spe- 
cifische  Ausbildung  erreicht  haben,  erkranken  am  häufigsten  die- 
jenigen, welche  zum  Gefasssystem  gehören,  sowohl  die  zum  Blut-, 
wie  namentlich  die  zum  Lymphgef&ssapparat  zu  rechnenden 
Theile  (Lymphdrüsen,  Milz  u.  s.  w.). 

Unzweifelhaft  ist  aber  das  eigentliche  Bindegewebe 
der  häufigste  Ausgangspunkt  der  Geschwulstbildung. 
Schon  frühere  Beobachter  waren  durch  die  grob  -  anatomische 
Untersuchung  zu  diesem  Resultat  gekommen.  Schon  vor  länger 
als  einem  Jahrhundert  suchte  Grashuis*)  zu  zeigen,  dass  Fungen 
und  Sarkome,  Skirrhe  und  Carcinome,  sowie  andere  fungöse  Ge- 
schwülste, wie  Ficus,  Epulis  ihren  eigentlichen  Sitz  in  der  Mem- 
brana cellulosa  haben  und  aus  ihr  hervorgehen.  Kluge**)  er- 
klärte ganz  bestimmt,  dass  jeder  Parasit  aus  dem  Zellstoff  (der 
damalige  Name  für  Zell-  oder  Bindegewebe)  und  den  ihm 
zunächst  stehenden  Häuten  seinen  Ursprung  nehme,  und  dass  der 
Skirrh  der  Drüsen  nicht  aus^der  Substanz  der  Drüsen,  sondern 
immer  aus  dem  die  einzelnen  Acini  verknüpfenden  Zellgewebe 
hervorgehe.  Meine  mikroskopischen  Untersuchungen  haben  diesen 
Satz  endlich  festgestellt,  und  zahlreiche  neuere  Beobachter  haben 
ihn  bestätigt.  — 

Vor  dem  Stadium,  wo  die  Matriculargewebe  die  indifferenten 
BildungKzellen  erzeugen,  liegt  also  schon  das  Stadium  der  Irri- 
tation; das  ist  ein  noch  früheres.  Wenn  wir  die  gewöhnlichste 
und  am  häutigsten  vorkommende  Reihe  der  Entwickelungsvor- 
gänge  betrachten,  wie  sie  am  Bindegewebe  geschieht,  und  wenn 
wir  den  einfachsten  Fall  setzen,  dass  wir  eine  einzelne  Spin- 
didzelle  vor  uns  haben,  so  sehen  wir,  dass  sie  an  Grösse 
siiinimmt,  dass  ihr  Kern  sich  vergrössert;  dann  theilt  sich  der 
Knrn  und  sehr  bald  theilt  sich  gewöhnlich  auch  die  Zelle«    Das- 

*)  Joann.  (irashuis.  Exercitatio  med.  chirurg.  de  scirrho  et  cmrcioo- 
mai**,  in  M"^  (^tiam  fungi  et  sarcomaU  pertractantur.    Amstel.    1741.   p.  67, 

77.  m. 

••)  KuNt'»  Magaziu.  1824.  Bd.  XYI.  S.  213. 


Orenie  der  OeschwnlBt.  93 

selbe  wiederholt  sich  an  den  neuen  Zellen  und 
so  geht  es  weiter;  die  Theilungen  folgen  sich 
schnell,  und  sehr  bald  sind  Reihen  fertig,  in 
welchen  hintereinander,  wie  Semmeln  anein- 
ander gesetzt,  die  kleinen  £leniente  liegen. 
Vor  dem  Stadium  der  Bildung  dieser  Bildungs-, 
oder  wie  man  wohl  auch  gesagt  hat,  Pri- 
mordialzellen  ist  also  eine  gimze  Reihe 
von  EntwickeluDgen  vorhergegangen,  und  die 
Geschwulst  ßngt  nicht  da  an,  wo  die  Bildungszellen  liegen,  son- 
dern da,  wo  die  erste  Veränderung  im  Muttergewebe  erfolgt  Mag 
Dun  dasselbe  irritirt  sein  durch  mechanische  oder  chemische  Ein- 
wirkung, mag  es  eine  Praedisposition  gehabt  haben  oder  nicht, 
der  Gai^  der  Entwickelung  ist  ein  übereinstimmender  bis  sn  dem 
Stadium,  wo  die  Granulationszellen  (Bildungs-  oder  Primordial- 
lellen)  vorhanden  sind. 

Man  ersieht  schon  daraus,  dass  eine  eigentliche  Grenze 
der  Geschwulst  gegen  das  Muttergewebe  an  sich  nicht 
vorhiuiden  ist;  ursprünglich  hängt  die  Geschwulst  mit  dem  Mutter- 
Gewebe  vollständig  und  innig  zusammen.  Aber  in  dem  Maasse, 
als  neue  Zellen  aus  der  fortschreitenden  Theilung  und  Wucherung 
der  alten  hervorgehen,  in  dem  Maasse  treten  in  der  Consistenz 
des  Theils,  in  dem  Znstande  der  Gelasse,  in  der  ehemischen  Be- 
schaffenheit der  Gewebe  wesentliche  Verschiedenheiten  ein,  und 
man  wird  dann  immer  einen  gewissen  Punkt  finden,  wo  man 
sagen  kann:  hier  ist  schon  Geschwulst,  liier  beginnt  sie  sichtlich. 
Das  ist  dann  der  Punkt,  den  die  Chirurgen  als  die  Grenze  der 
Geschwulst  bezeichnet  haben.  Wenn  wir  aber  über  diesen  Punkt 
hiuaus  in  das  scheinbar  gesunde  Gewebe  hineingehen  und  dieses 
onlersucheo ,  dann  findet  sich  hier  die  Beihe  der  jüngsten  Bil- 
dungen, und  das  ist  eben  der  Grund,  warum  nach  Exstir- 
pationen  so  häufig  Recidive  in  loco  erfolgen.  Nur  zu  oft  bleibt 
schon  proliferirendes  Gewebe  zurück ,  welches  man  für  normal 
b&lt,  obwohl  es  das  Seminium  in  sich  hat  und  sogm*  in  den  An- 
bog der  Entwickelung  eingetreten  ist. 


Fiß.  7.  Schema  der  Biadegewebavrucherung.  a.  eiofacbe  Spindelzelle 
d«i  Bindegewebe«,  b  einfache  Ver^rCaaeriiDg  deraelbea  (II j'pertrophie),c.  KerD- 
tbeilaag,  d.  ZelleuÜieilDng,  ä,  weitergehende  Theilung  o.  fiitdnng  roD  rundeo 
OnuiuUioiuiellen, /.  weitergehende  Theilnog  der  letiterra. 


94 


FBnfte  Vorlesong. 


Bis  zn  der  Zeit,  wo  die  indiffereDten  Granulations- 
zellen gebildet  sind,  ja  selbst  in  dieser  Zeit,  kann  man 
ett  unmöglich  den  Elementen  angeheD,  was  daraus  wer- 
den wird.  Ein  Krebs  sieht  in  diesem  Stadium  ebenso  aus  wie 
ein  Tuberkel;  eine  syphilitische  Gummtgeschwulst  des  Periosts 
wie  eine  spfltere  Exostose.  Ich  sage  damit  nicht,  dass  die  Zellen 
ganz  und  gar  indifferent  sind,  aber  sie  erscheinen  uns  so;  sie 
haben  keine  Merkmale,  an  denen  wir  ihre  Besonderheit  erkennen 
können;  sie  verhalten  sich  wie  die  embryonalen  Zellen,  von  denen 
wir  ja  auch  annehmen  mfissen,  dass  in  den  einzelnen  schon  etwas 
Besonderes  enthalten  ist,  was  ihre  spätere  Entwickelung  bedingt, 
an  denen  wir  es  aber  nicht  erkennen  können. 

Nach  dieser  Zeit  beginnt  die  Differenzirung;  von  da  aus 
gestalten  sich  die  einzelnen  Gewebe  verschieden,  und  zwar  nicht 
blos  in  der  Art  verschieden,  dass  in  der  einen  Geschwulst  dieses 
Gew<^be  erzeugt  wird  und  in  der  anderen  jenes,  sondern  auch  io 
der  Weise  verschieden,  dass  in  derselben  Geschwulst  die  eine 
l'artie  das  eine,  die  andere  Partie  ein  underes  Gewebe  erzeugt 
Von  dieser  Differenzirung  ab,  wo  die  Geschwülste  ihren  beson- 
i]vTi:n  Charakter  annehmen,  können  wir  zwei  grössere  Gruppen 
von  einander  trennen. 

Die  eine  Gruppe  erzeugt  überwiegend  eingehe  Gewebe, 
HU  dasH  die  Geschwulst  in  allen  ihren  Theilen  ziemlich  gleich- 
artig   zusammengesetzt  ist.     So    giebt   es    Geschwülste ,  welche 


V'ip,.  8.    Srfaematische  Darstellnag  der  Differeniinng  tob  Oruinlktioiis- 
Kfllpn  zu  Npfcifigchen  Gewebszclleo. 

A.  Differenzirung  von  Granalationszelleo  a  in  CytiDderepithehellea  b; 
H.  DMieibe  fDr  PflasteTepithel; 

V.  iiiffereniimng  von  OrKDolationsgawebe  a  id  BiDde^eweba  d.  B«i 
h  ADMcbeidnns  Ton  IntercellaUrsobBtaDi,  bei  e  DnbiMaiiK  der  n»> 
d«ii  UXin  in  Spiitdeliellen. 


Uistioide  und  orgknoide  OeschwOlste.  95 

lauter  epitheliale  Elemente  hervorbringen.  In  diesem  Falte  wird 
ans  einer  einfachen  kngeligen  Bildnngszelle  allmählich  eine  deut- 
liche Cylinder-  oder  Pflaeterzelle.  Wenn  eine  solche  Fortentwicke- 
long  an  allen  Bildungszellen  der  Geschwulst  erfolgt,  so  wird 
das  GrannlationBgewebe  im  Ganzen  in  eine  epilheKale  oder  epi- 
dermoidale  Formation  Qbergehen.  0<ler,  wenn  die  einnelnen  Bil- 
dungszellen anßtngen ,  sich  nach  einzelnen  Richtungen  weiter  zu 
entwickeln,  ond  wenn  sie  dabei  zugleich  eine  gewisse  Quantität 
von  latercellularsubstanz  ausscheiden,  so  kann  daraus  ein  Binde- 
gewebsstack  werden;  so  weit  die  Granulationsschicht  reichte,  so 
weit  wird  nachher  Bindegewebe  vorhanden  sein.  Das  sind  Ge- 
schwülste mit  einem  ganz  einfachen  Gewebscharakter,  wo  an  allen 
Theilen  so  ziemlich  dieselbe  Zusammensetzung  sich  wiederfindet; 
vielleicht  ist  die  eine  Stelle  etwas  älter,  die  andere  etwas  jQnger, 
die  eine  etwas  dichter,  die  andere  etwas  loser,  aber  im  Wesent- 
lichen besteht  die  Geschwulst  überall  aus  demselben  Gewebe. 
Ich  nenne*)  sie  gewebeartige,  histioide  Geschwülste. 

In  einer  anderen  Gruppe  dagegen  werden  aus  denselben  Bil- 
duDgselementen  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  verschiedene 
Dinge  erzeugt;  z.  B.  ein  Theil  der  Zellen  entwickelt  sich  zu  Binde- 
gewebe, ein  zweiter  zu  Epithel.  Dann  kann  nachher  die  Ge- 
schwulst ang  Zügen  von  Bindegewebe  und  aus  vielen  in  dieselben 
eingeschlossenen  Heerden  oderAlveolen  mit  Epithel  zusammengesetzt 
y.  g  sein.  In  das  Bindegewebe  hinein  kOnnen  sich  Ge- 
y  tissa  gestalten;  es  kann  so  nach  nnd  nach  das 
Ganze  einen  complexen  Bau  bekommen,  welcher 
nicht  mehr  der  Bau  eines  Gewebes  ist,  sondern 
'  welcher  dem  Bau  eines  Organes  entspricht.  Ja 
diese  pathologischen  Organe,  diese  Ge- 
schwulst-Organe oder  diese  organähnliche 
Geschwülste  erreichen  zuweilen  eine  solche  Grüsse 
und  innere  Mann^altigkeit,  dass  sie  die  grosseste 
Aehnlii^keit  darbieten  mit  gewissen  physiologischen 
Organen,  namentlich  mit  Drüsen,  mit  unseren  gewöhnlichen  phy- 
nologiscbwa  Drüsen. 


Fig.  9.  Sdiema  der  organoiden  Eotwickelnng:  Ein  Maschenoetz  vqd 
Undegewebe  wonn  bei  o  ein  Getjüs  enthulteu  ist,  umschliestt  einen  mit 
epitbeli^ea  Zellen  gefQllteo  Ranm. 

•)  <MlilupMhäogi«.  B.  60. 


96  FQofte  Yorlesnng. 

Es  ist  das  selbst  in  der  äusseren  Erscheinung  so  auffallend, 
dass  schon  die  älteren  Schriftsteller  von  dem  drüsenartigen  Bau 
mancher  Geschwülste  reden,  und  unzweifelhaft  ist  für  eine  sehr 
grosse  Zahl  von  Geschwülsten  die  Drüsentextur  das  physiologische 
Paradigma.  Handelt  es  sich  hier  also  um  pathologisch  neugebil- 
dete Organe,  so  wird  man  daran  leicht  den  weiteren  Gedanken 
anknüpfen,  den  ich  schon  früher  (S.  80j)  erwähnte,  dass  diese 
Organe  wirkliche  pathologische  Secretionsorgane  seien. 

Aber  auf  diese  Möglichkeit  beschränkt  sich  die  Sache  nicht, 
sondern  es  giebt  Fälle,  wo  die  innere  Mannigfaltigkeit  und  Zu- 
sammenordnung  von  verschiedenen  Geweben  und  organartigen 
Theilen  so  mannigfaltig  wird,  dass  die  Geschwulst  mit  einem 
System  des  Körpers  Aehnlichkeit  bekommt,  dass  sie  z.  B.  eine 
Uebereinstimmung  mit  der  äusseren  Haut  darbietet,  nicht  blos 
mit  dem  Bindegewebe  derselben  und  mit  ihrer  Epidermis,  son- 
dern sie  kann  auch  Drüsen  besitzen.  Seh  weiss-  und  Talg- 
drüsen, ja  sogar  Haare  und  allen  sonstigen  Zubehör  der  Haut 
Eine  solche  Geschwulst  ist  nicht  mehr  ein  blosses  Organ,  denn 
die  Schweissdrüsen,  die  etwa  da  sind,  sind  Organe;  sie  ist  ein 
völlig  entwickeltes  System.  So  wunderbar  nun  auch  diese,  ganzen, 
zusammengesetzten  Systemen  des  Körpers  entsprechenden  Bildun- 
gen sind,  die  man  deshalb  als  Naturspiele,  Lusus  naturae, 
als  Verirrungen  der  Bildungskraft,  als  Aberrationen 
der  plastischen  Kraft  bezeichnet  hat,  so  sind  sie  doch  nicht 
schwerer  zu  begreifen,  als  die  einfach  histioiden  und  organoiden 
Formen.  Dean  wenn  überhaupt  ein  Stadium  vorhanden  ist,  in 
welchem  indifferente  Elemente  gegeben  sind,  die  sich  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  hin  entwickeln  können,  so  ist  es  ebenso 
begreiflich,  dass  sie  einmal  sich  in  einer,  und  ein  anderes  Mal 
in  zwei,  wie  dass  sie  ein  drittes  Mal  in  fünf  und  sechs  Richtun- 
gen sich  entwickeln.  Das  ist  nicht  wunderbar;  das  Wunder  liegt 
vielmehr  darin,  dass  ein  indifferentes  Ding,  welches  keine  Kri- 
terien an  sich  wahrnehmen  lässt,  aus  denen  man  schliessen  könnte, 
wozu  es  eigentlich  bestimmt  ist,  nach  so  verschiedenen  Richtun- 
gen hin  sich  entwickeln  kann.  Ich  will  diese  Formen  kunweg 
teratoide  nennen.  — 

In  der  neueren  Zeit,  wo  man  so  viel  nach  specifischen  Be- 
utandtbeilen  gesucht  hat,  ist  man  häufig  von  der  Vorstellung  ans- 
gegAngen,  das»  das  Wesen  der  einzelnen  Geschwnlat  ia  den  ein- 


Florescenz  -  Stadium.  97 

seinen  Elementen  gesucht  werden  müsse  und  dass  jedes  einzelne 
Element  das  Charakteristische  in  sich  enthalten  müsse.    Das  war 
ein  Irrthum.     Sehr  häufig  ist  das  Charakteristische  eben  nur  in 
der  besonderen  Art  der  Gesammtanordnung,  welche  die 
Geschwulst  hat,  begründet,  und  wir  sind  nur  im  Stande,  die  Ge- 
schwülste von  einander  zu  trennen,  indem  wir  die  Entstehung 
und  Ordnung  ihrer  Theile  zugleich  ins  Auge  fassen.     Es  werden 
natürlich  diejenigen  Geschwülste,  welche  gleichartige  Gewebe  in 
sich  enthalten,  einander  näher  verwandt  sein ;  wir  werden  sie  ein- 
ander anreihen  müssen,  aber  sie  zusammenzuwerfen,  deshalb  weil 
sie  gleichartige  Bestandtlieile  enthalten,  das  würde  ein  Irrthum 
sein.    Bei  der  Beurtheilung  einer  Geschwulst  haben  wir  jedesmal 
zunächst  zu  prüfen,  wie  sie  sich  in  ihrer  Gesammtheit  darstellt. 
Wir  haben  zweitens  die  Frage  aufzuwerfen,  wie  sie  sich  zu  dem 
Huttergewebe  verhält,  aus  welchem  sie  hervorging,  inwieweit  sie 
in  ihrer  späteren  Entwickelung  übereinstimmt  mit  dem  Typus, 
welcher    an   dem  Orte   geltend  war,  aus  dem  sie  hervoi*wuchs. 
Nach  der  Beantwortung  dieser  zwei  Fragen  bestimmt  sich  haupt- 
sächlich   der  Werth,  die  Bezeichnung  und  das  Urtheil  über  die 
Geschwulst. 

Wenn  die  Geschwulst  bis  zur  Bildung  bestimmter,  wohl 
charakterisirter  Gewebe  gekommen  ist,  dann  ist  sie  da,  wo 
eine  Pflanze  ist,  wenn  sie  blüht.  Es  ist  das  Stadium  flo- 
rescentiae,  wo  die  einzelnen  Bestandtheile  überall  eine  ge- 
wisse, typische  Höhe,  die  Akme  ihrer  Vollendung  erreicht  haben. 
Bei  jeder  einzelnen  Geschwulst  haben  wir  daher  auch  zu  unter- 
suchen, wie  weit  in  ihr  die  Entwickelung  der  einzelnen  Elemente 
gehen  kann,  welche  Entwickelungshöhe  in  ihr  die  Theile  regel- 
mässig erreichen.  Ofk  bestimmt  sich  dadurch  allein  unser  Urtheil 
über  die  Natur  einer  Geschwulst;  denn  wenn  wir  eine  solche 
finden,  welche  in  ihrer  Entwickelung  gar  nicht  weit  über  das 
Granulationsstadium  hinausgeht,  so  schneiden  wir  damit  far  die 
Diagnose  sofort  alle  diejenigen  Geschwulstarten  ab,  welche  eine 
weiter  gehende  Entwickelung  besitzen. 

Nun  fragt  es  sich,  wonach  bestimmt  man  diese  typische 
Entwickelungshöhe?  Dafar  haben  wir  zwei  Merkmale.  Das 
eine  ist  die  Uebereinstimmung  der  Elemente  mit  bekannten,  ty- 
pischen, vollständig  entwickelten  Elementen  des  Körpers.  Das  ist 
aber  oft  ein  nicht  ganz  entscheidendes  und  unsicheres  Kriterium. 

VIrchow,  OtMhwiUit«.    1.  7 


98  ¥%mile  Vorie&ug. 

Viel  sicherer  ist,  wenn  wir  ans  dem  weiteren  Gange  der  Geschwulst 
den  Nachweis  fahren  können,  dass  die  Elemente,  wenn  sie  bis 
zu  einer  gewissen  Höhe  gekonmien  sind,  sich  nicht  weiter  ent- 
wickeln.    Hier   unterscheiden   sich   aber   sowohl   die   einfachen 
(histioiden)  Geschwülste,  als  die  einzelnen  Theile  der  zusammen- 
gesetzten Geschwülste  dadurch,  dass  die  eine  Reihe  einen  durch- 
aus   transitorischen  Charakter  hat,   nur   eine  relativ 
kurze  Lebensdauer  besitzt,  während  die  andere  Reihe  einen 
bleibenden,   dauerhaften  Charakter  gewinnt  und  ihre 
Producte  daher  auch  als  permanente  Bestandtheile  in 
die  Zusammensetzung  des  Körpers  eingefügt  werden 
können.    Diese  Unterscheidung,  deren  allgemeine  Bedeutung  fär 
die  gesammte  Organisation  und  deren  besonderen  Werth  für  die 
Geschichte    der  Geschwülste   ich   zuerst   dargelegt   habe*),    hat 
gerade  für  die  praktische  Beurtheilung  eine  ganz  durchgreifende 
Bedeutung.    Je  mehr  eine  Geschwulst  an  dauerhaften  Elementen 
enthält,  um  so  mehr  kann  sie  auch  ein  permanenter  Bestandtheil 
des  Körpers  werden;  es  kann  Jemand  möglicherweise  sein  ganzes 
Leben  lang  eine  solche  Geschwulst  mit  sich  tragen.     Je  mehr 
aber  eine  Geschwulst  reich  ist  an  hinfalligen  Elementen,  welche 
nur  eine  beschränkte  Lebensdauer  haben,  um  so  gewisser  ist  es, 
dass  auch  die  Geschwulst  als  solche  nicht  ein  permanenter  Be- 
standtheil des  Körpers  bleiben  wird,  dass  wenigstens  nicht  die 
alten  Theile  der  Geschwulst  dauern  werden.    Die  Geschwulst  im 
(j rossen  und  Ganzen  kann  dauerhaft  sein,  insofern  sie  sich  durch 
neue  Heerde  vergrössert,  insofern  sich  neben  dem  ursprünglichen 
Knoten  neue  Anwüchse  bilden.  Die  alte  Geschwulst  aber  muss,  wenn 
nie  wesentlich  aus  transitorischen  Elementen  besteht,  zu  Grunde 
gehen,   sie  kann  sich  nicht  erhalten;    nur  die  neuen  Anwüchse 
geben  ilir  den  Anschein  der  Dauer. 

Wenn  wir  einen  Krebs  nehmen,  so  enthält  er  regelmässig 
einen  grossen  Theil  solcher  transitorischen  Bestandtheile.  Daher 
int  (*H  ganz  und  gar  unmöglich,  dass  Jemand  einen  Krebs  von 
^.iut'T  bestimmten  Grösse  etwa  sein  ganzes  Leben  oder  auch  nur 
lOJahn^  lang  trägt.  Wenn  er  wirklich  10  Jahre  lang  einen  Krebs 
bal,  HO  wissen  wir  ganz  bestimmt,  dass  die  Krankheit  während 


*)  Archiv    1847.  I.  S.  195,  222.    Handbuch  der  spec.  Path.  o.  Therapie. 

r  H.  ad2. 


Rückgängige  Metamorphosen.  99 

dieser  Zeit  fortschreitet,  dass  sich  neben  dem  alten  Knoten  neue 
Knoten  bilden.  Die  Geschwulst  ist  dann  scheinbar  permanent, 
aber  sie  erhält  sich  nur  durch  Nachwuchs,  nur  durch  neue  Gene- 
rationen, etwa  wie  ein  Volk,  welches  allerdings  dauerhaft  sein 
kann,  aber  in  dem  doch  die  einzelnen  Individuen,  die  einzelnen 
Bestandtheile  wechseln,  so  dass  das  Ganze  nur  durch  den  Nach- 
wuchs den  Anschein  des  Dauerhaften  erregt.  Sobald  wir  die  ein- 
seinen Bestandtheile  ins  Auge  fassen,  so  sind  sie  vergänglich,  ja 
oft  ausserordentlich  vergänglich. 

Die  verschiedenen,  mit  vergänglichen  Bestandtheilen  ver- 
sehenen Geschwülste  unterscheiden  sich  wiederum  dadurch,  dass 
die  Lebensdauer  der  Elemente  in  ihnen  eine  verschiedene  ist*). 
In  manchen  bestehen  die  Elemente  nur  eine  ganz  kurze  Zeit  und 
gehen  dann  wieder  zu  Grunde,  in  anderen  können  dieselben  sich 
länger  erhalten  und  eine  gewisse  Zeit  lang  den  Eindruck  der 
Dauerhaftigkeit  machen.  So  sterben  die  Elemente  eines  Tuberkels 
frühzeitig  ab.  Ein  Krebs  zeigt  schon  eine  längere  Dauer  der  Ele- 
mente, so  dass  wir  immer  für  einen  gewissen  Zeitabschnitt  die 
Geschwulst  in  einer  Art  von  Unveränderlichkeit  ftnden.  Ein  Kan- 
kroid  dauert  in  der  Regel  noch  länger;  da  sind  die  Elemente  viel 
mehr  entwickelt,  viel  mehr  charakteristisch,  viel  mehr  dauerhaft 
Aber  in  allen  dreien  gehen  sie  endlich  zu  Grunde.  Während  also 
die  Geschwulst  ursprünglich  aus  einer  productiven  Thätigkeit  des 
Organismus,  aus  einer  wirklichen  activen  Wucherung  hervorge- 
gangen ist,  so  enthält  sie  doch,  weil  ihre  Elemente  keine  Dauer 
gewinnen,  weil  es  hinfällige  Bestandtheile  sind,  von  vorn  herein 
die  Tendenz  der  Destruction.  Denn  das,  was  neu  erzeugt 
wird,  geht  immer  wieder  zu  Gmnde,  es  hat  keine  Dauer,  keinen 
Bestand,  keinen  bleibenden  Werth  für  den  Körper. 

Es  muss  daher  im  Innern  einer  solchen  Geschwulst  ein  fort- 
dauernder Zerfall,  eine  fortdauernde  Auflösung,  eine  rückgängige 
Metamorphose  stattfinden.  Alle  Geschwülste,  welche  hintallige 
Elemente  in  grösserer  Anzalil  enthalten,  bieten  uns  von  der  Zeit 
ihrer  Florescenz  ab  eine  Reihe  von  passiven  Rückbildungen, 
^on  regressiven  Metamorphosen,  von  verschiedenen,  wie 
man  zu  sagen  pflegt,  Ausgängen  dar.  Dahin  gehören  insbe- 
sondere die  Fettmetamorphose,  die  Erweichung,  die  Eindickuug, 


*)  Cellularpathologie.  S.  422. 


100  Fflnfte  Vorlesung. 

die  Verkalkung.  Bei  den  permanenten  Geschwülsten  können  Aus- 
gänge in  gleicher  Weise  eintreten,  aber  es  ist  dieses  nicht  der 
regelmässige  Fall;  meist  verharren  sie  auf  einer  gewissen  Höhe 
oder  wachsen  weiter.  Bei  den  mehr  vergänglichen  Geschwülsten 
dagegen  bilden  die  rückgängigen  Metamorphosen  die  Regel,  und 
da  sie  bei  den  einzelnen  Arten  ausserordentlich  variiren,  so  ent- 
steht dadurch  eine  Menge  von  scheinbaren  Varietäten.  Gerade 
diese  späten  Stadien  sind  es  gewesen,  von  denen  die  früheren 
Beobachter  bei  der  Classification  oft  ausgegangen  sind  und  auf 
welche  hin  sie  ihre  diagnostischen  Unterscheidungen  basirt  haben. 
Den  Tuberkel  untersuchte  man  gewöhnlich,  wenn  er  längst  todt 
war,  wenn  seine  Masse  längst  wieder  in  andere  Zustände  über- 
gegangen war.  Fand  man  eine  ähnliche  veränderte  Masse  im 
Krebs,  dann  nannte  man  sie  auch  Tuberkel;  man  sagte,  es  wäre 
ein  Tuberkel  im  Krebs,  während  man  sich  doch  hätte  überzeugen 
sollen,  dass  es  nur  dieselbe  Art  der  Rückbildung  des  Krebsgewebes 
war,  wie  sie  am  Gewebe  des  Tuberkels  regelmässig  vorkommt. 

Ebenso  hat  man  die  verschiedenen  Arten  der  ülceration 
als  wesentliche  Kriterien  genommen,  um  darnach  die  Geschwülste 
zu  unterscheiden,  wie  das  namentlich  in  der  altern  Darstellung 
vom  Krebs  der  Fall  ist.  Das  geht  nicht.  Die  Untersuchung 
muss  sich  auf  die  Zeit  beziehen,  in  welcher  frische 
Elemente  vorhanden  sind.  Sind  die  Elemente  einmal  in 
Zerfall  übergegangen,  sind  irgend  welche  Ausgänge  an  der  Ge- 
schwulst bemerkbar,  dann  muss  man  sich  im  äussersten  Maasse 
hüten,  aus  der  Art  dieser  Ausgänge  einen  ganz  bestimmten  Schluss 
auf  die  Natur  der  Geschwulst  zu  machen.  Man  muss  vielmehr 
an  jeder  Geschwulst,  wenn  man  sie  feiner  diagnosticiren  will,  die 
Punkte  aufsuchen,  wo  etwa  noch  unversehrte  Reste  des  alten 
Gewebes  existiren.  Es  sind  dies  manchmal  nur  sehr  kleine  Theile ; 
es  kann  sein,  dass  eine  Geschwulst  so  vollständig  zerstört  ist, 
dass  man  die  grösste  Möhe  hat,  an  ihrem  Umfange  einen  Punkt 
zu  ünden,  der  noch  intact  ist;  aber  dieser  kleine  Punkt  giebt 
die  eigentliche  Entscheidung  über  die  Bedeutung  ab. 

Das  ist  das,  was  wir  jetzt  Entwickelungsgeschichte  oder  über- 
haupt Geschichte  der  Geschwülste  nennen  und  was  ich  zuerst, 
freilich  auch  unter  manchen  Irrthümern,  fär  den  Krebs  ^)  und  das 


•)  Archiv.  1847.  I.  S.  94. 


EntwickelungBgeschichte.  101 

Eierstocks-Colloid  *),  später  mit  besserem  Verständniss  für  das  En- 
chondrom**),  das  Cholesteatom***)  und  eine  grosse  Zahl  anderer 
Geschwülste  durchzuführen  versucht  habe.  Wir  verfolgen  ihre  Ele- 
mente von  dem  Zeitpunkt  der  ersten  Irritation  durch  die  Periode 
der  indifferenten  Granulation  in  die  Richtungen,  welche  die  weitere 
Entwnckelung  nehmen  wird,  bis  dahin,  wo  sie  ihre  volle  Ausbil- 
dung erreichen,  und  wiederum  von  da  ab  in  die  Ausgänge,  welche 
ihr  letztes  Schicksal  bestimmen. 

Thut  man  das,  so  wird  man  wenigstens  gesichert  sein  vor 
manchem  falschen  Wege,  welchen  die  früheren  Beobachter  betre- 
ten haben  und  welchen  noch  heut  zu  Tage  sehr  viele  Aerzte  ein- 
schlagen. Aber  man  wird  auch  die  Schwierigkeiten  begreifen, 
die  es  macht,  jede  einzelne  Art  an  den  oft  so  verschiedenen 
Localitäten,  an  welchen  sie  vorkommt  und  welche  ihre  Erschei- 
nung im  Einzelnen  modificiren,  auf  ihren  besonderen  Werth  zurück- 
zuführen. 


*)  Verhandl.  der  Gesellsch.  für  Geburtshulfe  zu  Berlin.    1848.    Bd.  III. 
S   197 

••)' Archiv.  1853.  V.  S.  216. 
•♦•)  Archiv.  I8öö.  VIII.  S.  371. 


Sechste  Vorlesung. 

6.  December  1862. 


Grmdlagei  eiier  systenatisclm  Ordnag  der  Ceschwiblf. 


Auttcblumt  der  bloi»»«a  Intamescenzen,  der  unproductiven  Cysten,  der  Blasenwärmer  (Cystieercoi, 
Kchinorocrus,  Coenartit).  Parasitisrnns  als  allgemeioe  Eigenscba/t  aller  wacbenKfen  Ge- 
schwülste und  als  Folge  der  Autonomie  ihrer  E lernen tartheile ,  nicht  als  Folge  einer  eigea- 
tbüiuUrbeii  Krnahrungs- Einrichtung.  Die  Circalation  in  den  Geschwülsten:  Störung  des 
trnösen  Htroros  in  den  alten  Gef&sien.  Recrementitielle  Rtoffe  der  Geschwülste:  scbidlicbe 
Kinwirliang  derselben.  KyphiliSf  Krebs,  Tnbercnlose,  Rots.  Jodisraus  und  Kropf.  Locale 
oder  constitutionelle  Natur  der  Geschwülste. 

(««•netlsrhe  Grundlage  einer  Systematik  der  Geschwülste:  1)  Entstehung  ans  Blotbestandi heilen: 
Extravasations-  und  Exsudationsgeschwülste.  2)  Entstehung  aus  Seeretstoffen:  Dilatations- 
oder Ri>t4>ntlonnKe8chwni9te.  3)  Entstehung  aus  proliferirenden  Geweben :  Gewfichse,  Psendo- 
plasmen,  Proliferations-Geschwülste.  Unterabtheilungen  derselben:  histioide,  organoide,  tera- 
tolde  (ieschwiilNte.     4)  Corobinations-Geschwülste. 

HVitere  Zerlegun({  der  Proliferations-Geschwülste  in  zwei  parallele  Reihen ,  Je  nach  ihrer  Homo- 
loKie  und  Hetoroloßic  (ErhaltuuK  oder  Verlust  des  Eigengewebes  des  Theiles).  B5cart1gfceit 
nur  Huf  einou  Thell  der  heterologen  Formen  beschränkt  und  abhängig  von  dem  Reichthan 
drr  Geschwulst  an  H&flen  und  Gefassen. 


IN  ach  den  Auseinandersetzungen,  welche  ich  über  die  verschic- 
doiu>n  Versuche,  die  Geschwfilste  in  ihrem  Wesen  zu  erkennen, 
gemacht  habe,  wird  es  jetzt  an  der  Zeit  sein,  dass  wir  uns  ge- 
nauer oriciitireii,  wie  man  sich  denn  eigentlich  das  ganze  Gebiet 
abzii^^renzen  und  oinzutheilen  hat. 

In  ersteror  Beziehung  mache  ich  noch  einmal  auf  das  auf- 
merksam, was  ich  schon  früher  hervorgehoben  habe,  dass  der 
moderne  He^^riff  des  Tumors,  der  Geschwulst  nicht  vollständig 
dem  jdten  entspriiht,  insofern  gegenwärtig  eine  Menge  von  ent- 
zündliclien,  liypertropliischen  und  hyperplastischen  Anschwellungen 
ausm'selilosson  wenlen,  die  man  wohl  Intumescenzen   (in  frü- 


Prodactive  Natur  der  Geschwülste.  '        103 

herer  Zeit  aach  wohl  Physkonien),  aber  mit  Ausnahme  ein- 
zelner Organe,  wie  der  Milz,  in  der  Regel  nicht  Tumoren  nennt. 
Es  wird  vielmehr  in  der  Regel  vorausgesetzt,  dass  das,  was  man 
als  Geschwulst  bezeichnet,  in  einer  gewissen  Weise  ausgelöst,  ab- 
gegrenzt von  den  übrigen  Geweben  des  Körpers  sei,  dass  es  sich 
in  einer  gewissen  Besonderheit,  in  einer  gewissen  Abgeschlossen- 
heit, man  möchte  fast  sagen,  Individualität  darstelle. 

Wir  haben  gleichfalls  früher  schon  besprochen,  zu  welchen 
Schlussfolgerangen  diese  Vorstellung  von  der  Abgeschlossenheit 
«nd  Besonderheit  der  Geschwülste  gefuhrt  hat;  ich  habe  insbe- 
sondere hervorgehoben  (S.  18,  22),  wie  zunächst  gerade  diejenigen 
Geschwülste,  welche  durch  eine  besondere  Membran  von  dem 
übrigen  Körper  gleichsam  getrennt  sind,  die  sogenannten  Balg- 
geschv^ste  oder  cystischen  Geschwülste,  die  Aufmerksamkeit  ge- 
fesselt haben.  Dabei  muss  man  sich  aber  sofort  erinnern,  dass 
das,  was  man  heut  zu  Tage  Cyste  nennt,  nicht  vollständig  dem 
alten  Begriff  der  Balggeschwulst,  des  Tumor  cysticus  entspricht. 
Denn  es  giebt  eine  Reihe  von  Dingen,  die  man  cystische  oder 
cystoide  nennt,  von  denen  es  aber  Niemand  einfällt,  sie  zu  den 
Geschwülsten  zu  zählen.  Wenn  z.  B.  in  dem  Gehirn  an  einer 
Stelle,  wo  vorher  ein  grosses  Blutextravasat  war,  sich  nachher 
eine  Höhle  findet,  welche  eine  Flüssigkeit  enthält,  und  welche 
vielleicht  in  ihrem  Umfange  eine  gewisse  membranartige  Schicht 
von  Bindegewebe  besitzt,  so  nennt  man  das  wohl  eine  apoplek« 
tische  Cyste,  aber  Niemand  denkt  daran,  diese  Cyste  auch  eine 
Geschwulst  zu  benamsen,  und  zwar  deshalb,  weil  sie  ganz  einfach 
eine  Lücke  der  früher  vorhanden  gewesenen  Hirnsubstanz  dar- 
stellt, ohne  etwas  Selbständiges  an  ihre  Stelle  gesetzt  zu  haben. 
Es  ist  eben  so  viel  Himsubstanz  untergegangen,  als  Höhlenraum 
vorhanden  ist,  und  dfe  Höhle  erscheint  daher  nicht  als  etwas  Po- 
sitives, was  sich  neben  dem  Gehirn  entwickelt  hat,  sondern  als 
ein  Defect,  als  ein  Mangel,  ein  Verlust,  welcher  an  Stelle  von 
Gehimsubstanz  besteht.  Nur  diejenigen  Cysten,  Säcke  und  Höhlen 
werden  also  in  die  Geschwulstreihe  hineingerechnet,  welche  den 
Eindruck  erzeugen,  dass  sie  als  etwas  relativ  Unabhängiges  neben 
d^  Theilen  vorhanden  sind,  dass  sie  nicht  einfach  einen  blossen 
Mangel,  einen  blossen  Defect  ausdrücken;  es  ist  immer  die  Vor- 
stellung dabei,  dass  etwas  Productives  in  der  Geschwulst  ge- 
geben ist 


104  Sechste  Yorleeong. 

Andererseits  habe  ich  erwähnt,  wie  jene  Yorstellung  von  der 
Individaalitat  der  Gesehwülste  zu  der  Meinung  geführt  hat,  dass 
es  sich  hier  um  wirklich  entozoische  Bildungen  handle,  dass  ins- 
besondere die  cystischen  Tumoren  Acephalocysten,  wirkliche 
Blasenwürmer  seien  (S.  18).  Ich  habe  keinen  Grund,  bei  dem 
doch  schon  ziemlich  ausgedehnten  Gebiet,  welches  uns  noch  vor- 
liegt, specieller  auf  die  Geschichte  der  Blasenwürmer  einzu- 
gehen, welche  an  sich  mehr  der  allgemeinen  Pathologie  ange- 
hört. Ich  will  jedoch  kurz  erwähnen,  dass  die  gewOholichen 
geschwulstartigen  Säcke,  welche  durch  Blasenwürmer  bedingt 
werden,  entweder  dem  Cysticercus  (telae)  cellulosae  oder 
dem  Echinococcus  hominis  angehören. 

Wenn  der  Sack  einen  grösseren  Umfang  erreicht,  so  können 
wir  immer  schliessen,  dass  es  ein  Echinococcus  ist,  w&hrend, 
wenn  er  klein  ist,  wir  als  wahrscheinlich  annehmen  können,  dass 
es  ein  Cysticercus  sei.  Die  Grösse  einer  Cysticercusblase  ist  im 
besten  Fall  die  einer  Kirsche;  häufig  erreicht  sie  nur  die  Grösse 
eines  starken  Kirschkerns.  Ihre  Gestalt  ist  kugelig,  ändert  sich 
aber  insofern,  als  in  manchen  Theilen  das  Wachsthum  des  Thieres 
durch  den  Widerstand  der  Gewebe  nicht  gleichmässig  vor  sieh 
gehen  kann.  In  der  Pia  mater  cerebralis  wird  die  Blase  oft  höcke- 
rig oder  buchtig,  indem  die  derberen  Stränge  des  Bindegewebes 
sie  einschnüren;  in  den  Muskeln  verlängert  sie  sich  durch  den 
Druck  der  umliegenden  Faserbündel,  so  dass  wir  statt  eines  runden 
einen  länglichen,  dattelförmigen  Körper  antreffen.  Die  Echinococken 
dagegen  werden  viel  grösser ;  man  bemerkt  sie  meist  erst  zu  einer 
Zeit,  wo  sie  etwa  die  Grösse  einer  Wallnuss  erreicht  haben.  Sie 
können  faustgross  werden  und  darüber. 

Alle  Blasenwurm-Geschwülste  haben  das  Charakterische,  dass, 
wenn  man  sie  aufsehneidet,  man  immer  eine  doppelte  Mem- 
bran findet;  eine  äussere  nehmlich,  welche  aus  einem  mehr  oder 
weniger  gerässreichen  Bindegewebe  besteht  und  aus  der  irntativen 
Thätigkeit  des  Organs  hervorgeht,  und  eine  innere,  die  eigentliche 
Thierblase,  die  sich  innen  dicht  an  den  Organsack  anschliesst 
Oeffnet  man  die  Gesammt-Cyste  vorsichtig,  so  kann  man,  nach- 
d«9m  man  den  Organsack  angeschnitten  hat,  die  Thierblase  noch 
iinviTNehrt  zu  Tage  treten  sehen.  Zugleich  unterscheiden  sich  die 
UMm  lilasen  durch  ihre  feinere  Zusammensetzung,  indem  die 
HijMNifrn  eben  ein  gewöhnlicher  bindegewebiger  Sack  ist,  der  mög* 


filasenwflrmer.  105 

licherweise  auch  wohl  eine  festere,  knorpel-  oder  knochenartige 
Beschaffenheit  annehmen  kann,  während  die  innere  Blase  aus  der 
specifischen  Substanz  des  Thieres  besteht  und  entweder  die  mehr 
weiche,  zarte,  gallertige  Beschaffenheit  des  Cysticercus  oder  die 
eigenlhümlich  derbe,  elastische  Beschaffenheit  der  Echinococcus« 
blase  zeigt. 

Eine  dritte  Art  von  Blasenwürmern  ist  bis  jetzt  mit  Sicher- 
heit nicht  darzuthnn  gewesen,  und  wir  haben  demnach  für  das, 
was  man  früher  noch  neben  den  beiden  erwähnten  als  Acephalo- 
cysten  aufAhrte,  kein  weiteres  Genus  oder  Species.  Indess  ist  es 
nicht  ganz  sicher,  ob  wirklich  mit  den  zweien  schon  di6  Reihe  der 
Möglichkeiten  erschöpft  ist.  Wenigstens  habe  ich  einige  Male  an 
den  Hirnhäuten  grosse  blasige  Bildungen  gefunden,  die  sich  in 
sehr  beträchtlichem  Umfange  in  der  Pia  mater  verzweigten,  in  alle 
Vertiefungen  Fortsätze  und  nach  aussen  scheinbar  gestielte  Aus- 
stülpungen sendeten.  Sie  machten  ihrem  ganzen  Bau  nach  den 
Eindruck  entozoischer  Säcke  und  boten  in  ihrer  Membran  eine 
grosse  Uebereinstimmung  mit  dem  Goenurus  cerebralis  dar*). 
Freilich  ist  dieser  beim  Menschen  noch  nicht  mit  Sicherheit  con- 
statirt,  während  er  bei  Schafen  und  beim  Rindvieh  häufig  genug 
vorkommt,  wo  er  die  bekannte  Drehkrankheit  erzeugt.  Indess 
entscheidet  dies  nicht.  Jedenfalls  ist  es  nicht  unmöglich,  dass 
diese  Traubenhydatiden  der  Pia  mater  entozoische  Gebilde 
sind,  und  entweder  dem  Goenurus  selbst  oder  einer  ihm  nahe 
verwandten  Species  angehören. 

Auf  diese  Arten**)  beschränkt  sich,  was  wir  von  wirklich 
entozoischen  Balggeschwülsten,  wenn  man  so  sagen  will,  beim 
Menschen  kennen.  Trotzdem  hat  sich  der  Begriff  des  Parasi- 
tismus f&r  eine  grosse  Zahl  von  anderen  Geschwülsten  immer 
rege  erhalten.  In  der  That,  wenn  man  sich  erinnert,  wie  selb- 
ständig, wie  unabhängig  in  ihrer  ganzen  Entwickelungsgeschichte 
viele  Gresch Wülste  sich  darstellen,  wie  sehr  sie  verschieden  sind 
von  der  Natur  der  Nachbargewebe,  wie  sie  allen  Einwirkungen 
welche  man  auch  therapeutisch  auf  sie  stattfinden  lässt,  Wider- 
stand leisten,  so  lässt  sich  nicht  läugnen,  dass  sie  in  hohem 
Haasse  den  Begriff  der  Autonomie  erwecken,  der  zunächst  zu 


•)  Archiv.  1860.  XVIII.  S.  528. 
**)  Die  Trichinen-Gysteo  sind  stets  mikroskopisch. 


lOfi  Sechste  Vorlesuiig. 

dem  Schlüsse  auf  ihre  parasitische  Natur  gef&hrt  hat*).  Das  gilt 
aber  am  meisten  von  den  nicht  cystischen  Geschwülsten.  Diese 
bieten  in  einem  viel  höheren  Haasse  als  die  cystischen,  das  Bild 
der  Autonomie,  der  Unabhängigkeit  von  den  Nachbartheilen  und 
von  dem  übrigen  Körper  dar,  und  daher  ist  auch  gerade  auf  sie 
in  der  neueren  Zeit  am  meisten  die  Aufmerksamkeit  gerichtet 
gewesen. 

Nach  der  Anschauung,  die  man  noch  bis  in  die  letzten  Jriire 
von  den  krankhaften  Vorgängen  in  den  Geweben  und  Organen 
hatte,  wo  man  die  meisten  dieser  Vorgänge  als  nutritive  betrach- 
tete und  wiederum  die  Nutrition  als  wesentlich  abhängig  erschei- 
nen liess  von  den  Gefässen  und  von  der  Circulation,  war  es  na- 
türlich, dass  man  sich  auch  immer  zunächst  die  Frage  stellte, 
ob  denn  nicht  diese  Geschwülste  in  ihrer  Ernährung  etwas  so 
ganz  Eigenthümliches  darböten,  dass  sich  eben  daraus  die  Unab- 
hängigkeit ihrer  Ernährung  begreifen  Hesse.  Ich  habe  schon 
früher  bemerkt  (S.  23),  dass  man  in  dieser  Beziehung  sich  be- 
müht hat,  in  den  sogenannten  Vollgeschwülsten  ein  selbständiges 
centrales  Gefässsystem  nachzuweisen,  und  dass  man  die  Vorstel- 
lung hatte,  dass  sie  in  sich  selbst,  wie  das  bebrütete  Ei,  ein  un- 
abhängiges Gefässsystem  nebst  Blut  erzeugten  und  sich  so  ^eich- 
sam  ihren  eigenen  Emährungsapparat  bildeten. 

Allerdings  haben  auch  noch  in  der  neueren  Zeit  manche  die 
selbständige  Entwickelung  von  Gefässen  und  von  Blut  innerhalb 
von  Geschwülsten  zugelassen**).  Allein  wenn  man  sorgfältige 
Injectionen  macht,  so  kann  man  sich  auf  das  Bestimmteste  über- 
zeugen, dass  die  Gefässe  der  Geschwülste  mit  den  alten  Gefässen 
der  Nachbarschaft  in  ununterbrochener  Verbindung  stehen,  dass 
sie  als  unabhängige,  neben  denselben  entstehende  Gebilde  nicht 
vorhanden  sind.  Aber  allerdings  zeigen  diese  Injectionen  eine 
eigenthümliche  Schwierigkeit,  die  am  meisten  dazu  beigetragen 
hat,  die  älteren  Vorstellungen  von  dem  besonderen  Emährungs- 
verhältniss  dieser  Parasiten  zu  unterhalten.  Es  ist  nehmlich  ver- 
hältnissmässig  am  schwierigsten,    die  Gefässe  von  den  Venen 


•)  Archiv.  IV.  S.  390.    Handbuch  der  spec.  Path.  u.  Ther.    I.    S.  834. 
Cellularpathologie.  8.  427. 

**)  Rokitansky.  Lehrbuch  der  path.  Anat.  Wien.  1855.  Bd.  I.  S.  196. 
Bernh.  Beck.  Klinische  Beiträge  zur  Histologie  u.  Therapie  der  Pseado- 
plasmen.  Freibarg  i.  Br.  1857.  S.  84. 


Gefiteseinncbtiing«  1 07 

ans  za  fällen,  während  es  ziemlich  leicht  gelingt,  die  kleineren, 
selbst  die  kleinsten  Gefässe  der  Geschwulst  zu  füllen  von  den 
Arterien  aus. 

Deijenige,  welcher  diesen  Punkt  am  meisten  verfolgt  hat, 
war  der  überaus  verdiente  Schröder  van  der  Kolk*).  Auf 
Grund  seiner  Injectionen  glaubte  er,  die  Geschwülste  nach  ihrer 
GefSlsseinrichtnng  in  zwei  vollständig  getrennte  Gruppen  zerlegen 
zu  können.  Die  eine  habe  eine  gewöhnliche  Gefässeinrichtung, 
wo  das  Blut  durch  Arterien  hineinkomme,  in  Capillaren  über- 
gehe und  durch  Venen  zurückgefTihrt  werde;  diese  betrachtete  er 
mehr  als  hypertrophische  Gebilde,  die  sich  der  gewöhnlichen 
Organisation  des  Körpers  anschlössen.  Eine  andere  Reihe  da- 
gegen hat  nach  seiner  Ansicht  die  Einrichtung,  dass  das  Blut 
durch  Arterien  einströmt  und  in  Capillaren  übergeht,  aber  dass 
diese  sich  wieder  in  Arterien  sammeln,  welche  in  die  Arterien 
des  Hanpttheiles  zurückkehren.  Er  verglich  dieses  Yerhältniss 
mit  dem  der  Pfortader,  welche  zwischen  zwei  venöse  Netze  ein- 
geschoben ist;  noch  mehr  würde  man  es  der  Einrichtung  der 
sogenannten  Wundemetze,  Retia  mirabilia,  anreihen  können,  wie 
man  sie  bei  manchen  Thieren  an  verschiedenen  Orten  findet, 
nnd  vrie  auch  beim  Menschen  in  den  Malpighischen  Körpern  der 
Niere  etwas  Aehnliches  vorkommt.  Die  Möglichkeit  einer  Circu- 
lation  würde  dabei  bestehen,  und  es  ist  daher  seine  Anschauung 
nicht  ein&ch  widersinnig,  wie  manche  Schriftsteller  behauptet 
haben.  Einzelne  namentlich  haben  gemeint,  Schröder  habe 
den  pursten  Unsinn  behauptet  und  ein  Yerhältniss  aufgestellt, 
wobei  überhaupt  eine  Girculation  unmöglich  sei.  Sein  Gedanke 
ist  aber  an  sich  correct,  und  Einrichtungen  dieser  Art  giebt  es 
anzweifelhaft  in  der  thierischen  Organisation;  es  fragt  sich  nur, 
ob  sie  hier  bestehen.  Der  holländische  Forscher  stützte  sich  auf 
seine  unmittelbaren  Erfahrungen.  Er  besass  eine  Reihe  von  Ge- 
sehwülsten, insbesondere  üterustibroide  und  Krebse  verschiedener 
Organe**),  wo  es  ihm  nicht  gelungen  war,  von  den  Venen  aus 


*)  Schröder  vau  der  Kolk.  Observationes  anatomico-pathologici  et 
pnctici  argumenti.  Amstel.  182G.  Fase.  I.  p.  46.  Aanteekeniogen  van  de  Sectie- 
Vergadering  van  de  Prov.  Utrecht.  Genootschap  1847.  Bl.  27.  Nederlandsch 
Uncet  1853-54.  III.  3.  Bl.  146.  Not. 

**)  Eine    genauere   Beschreibung   der    einzelnen  Fälle    findet  sich   bei 
Viesthoff  1.  c  p.  17-46. 


108  Sechste  Yorleanng. 

Injectioasmasse  hineiozubringen ,  wo  aber  voq  den  Arterien  aus 
ein  entwickeltes  Gapillarnetz  injicirt  war.  Eine  ähnliche  Beob- 
achtung war  schon  von  Berard*)  in  einem  Fall  von  Encepha- 
loidgeschwulst  am  Halse  gemacht  worden. 

Das  Falsche  ist  nun  eben  in  diesen  Fällen  die  Erfahrung 
gewesen.  Wenn  man  die  Einrichtung  mancher  Geschwülste  sta- 
dirt,  so  ergiebt  sich  allerdings,  dass  gerade  diejenigen  Y^eu, 
welche  die  Arterien,  von  denen  aus  die  Injection  gelingt,  beglei- 
ten und  welche  sonst  mit  ihnen  immer  zusammengehen,  nicht 
mehr  unmittelbar  in  die  Geschwulst  hineinfuhren,  sondern  dass 
die  venösen  Verbindungen  nach  ganz  anderen  Richtungen  hin  er- 
öffnet sind;  ja  es  zeigt  sich  nicht  selten,  dass  gerade  durch  die 
Entwickelung  der  Geschwulst,  und  zwar  um  so  mehr,  je  grösser 
dieselbe  ist,  die  Hauptvenenstämme  wesentliche  Yeranderungen 
erfahren.  Man  sieht  schon  äusserlich  an  vielen  Geschwülsten, 
dass  der  Yenenstrom  in  einem  hohen  Maasse  durch  die  Ge- 
schwulst behindert  wird,  und  das  ist  in  so  fem  eine  sehr  be- 
merkenswerthe  Erscheinung,  als  das  Aussehen  vieler  Geschwülste 
dadurch  in  einem  hohen  Maasse  charakteristisch  wird,  —  so  sehr 
charakteristisch,  dass,  wie  früher  (S.  9.)  erwähnt,  der  Krebs 
davon  seinen  Namen  erhalten  hat  und  dass  bei  der  chirurgischen 
Diagnose  dieses  Yerhältniss  als  ein  wichtiges  Kriterium  für  die 
Bösartigkeit  der  Geschwülste  benutzt  worden  ist.  Man  betrachtet 
eine  Geschwulst,  über  welcher  die  Haut  ungewöhnlich  entwickelte 
venöse  Netze  zeigt,  noch  jetzt  sehr  oft  als  suspect,  als  möglicher 
Weise  bösartig,  und  die  Erfahrung  lehrt  in  der  That,  dass  gerade 
bei  den  bösartigen  Formen  die  Oberflächen  ganz  ungewöhnlich 
breite  und  dichte  Yenenäste  zeigen. 

In  der  Regel  sind  die  Yenen,  welche  sich  über  und  um  eine 
solche  Geschwulst  verbreiten,  dadurch  ausgezeichnet,  dass  sie  sehr 
platt  sind,  so  dass,  wenn  man  einen  Durchschnitt  durch  sie 
macht,  sie  ni<*ht  ein  rundes  Lumen  darbieten,  sondern  ein  abge- 
plattetes. Sie  sehen  aus,  wie  Säbelscheiden,  —  ein  Umstand,  der 
beweist,  dass  sie  unter  einem  starken  Druck  liegen.  Diese  Er- 
scheinung ist  nun  allerdings  an  sich  keine  specifische,  welche 
bestimmt  zu  erkennen  gäbe,  dass  die  Geschwulst  malign  ist,  aber 
sie  beweist  in  einem  hohen  Maasse,  wie  gross  die  Circulations- 

•)  Dict.  de  medicioe.  T.  VI.  p.  274. 


Venöse  Girculation.  109 

Störung  im  Umfange  und  häufig  auch  im  Innern  der  Geschwulst 
ist.  Der  Grund  dieser  Störung  kann  ein  verschiedener  sein. 
Manchmal  ist  es  wesentlich  nur  der  Druck,  den  die  Geschwulst 
durch  ihr  fortwährendes  Wachsthum  gegen  die  Wandungen  der 
Grefasse  ausübt,  —  ein  Druck,  dem  die  Arterien  viel  leichter 
Widerstand  leisten,  weil  ihre  Wandungen  bekanntlich  viel  dicker 
und  kräftiger  sind,  und  weil  der  Seitendruck  des  Blutes,  welches 
in  ihnen  strömt,  ein  viel  höherer  ist  als  der,  welcher  im  Venen- 
system besteht. 

Weiterhin  geschieht  es  aber  sehr  häufig,  dass  gerade  bei 
den  schlimmeren  Geschwülsten,  wie  ich  schon  ausgeführt  habe 
(S.  53.),  die  Geschwulst  in  die  Venen  hineinwächst.  An  den 
Arterien  kommt  so  etwas  nicht  vor,  im  Gegentheil  erhalten  sie 
sich  zuweilen  inmitten  der  grössten  Zerstörungen  ganz,  intact*). 
An  den  Venen  dagegen  entwickelt  sich  nicht  selten  Geschwulst- 
masse in  der  Wand  selbst,  und  es  bilden  sich  zunächst  kleine 
Protuberanzen  nach  innen,  flache  Hügel  (Fig.  1.  a.  S.  43.).  Diese 
werden  grösser  und  grösser,  zugleich  verengt  sich  in  demselben 
Haasse  die  Gefässlichtung.  Endlich  kann  es  vorkommen,  dass 
die  Masse  durchwächst  und  in  das  Innere  so  hineindringt,  dass 
die  Geschwulst  in  einem  mehr  oder  weniger  grossen  Umfang  das 
Lumen  fQllt.  Manchmal  wird  das  Gefäss  ganz  und  gar  verstopft. 
Dann  kann  natürlich  durch  diese  Venen  nichts  zurückströmen, 
und  es  bleibt  nichts  übrig,  als  dass  sich  coUaterale  Bahnen  er- 
öfihen,  durch  welche  die  Girculation  erfolgt.  Macht  man  nun  die 
Injection  von  einer  solchen  verschlossenen  Vene  aus,  so  wird 
nichts  in  die  Geschwulst  hineindringen,  während,  wenn  man  von 
einer  anderen  Seite  her  den  Versuch  wiederholt,  man  allerdings 
die  Capillaren  fiillen  kann.  —  Endlich  ist  eine  dritte  Möglichkeit 
vorhanden;  das  ist  die,  wo  sich  in  den  Venen  Thromben,  Ge- 
rinnungen des  Blutes  bilden,  welche  oft  in  sehr  grosser  Ausdeh- 
nung sich  vorfinden  und  selbst  sehr  grosse  Stämme  vollständig 
verlegen. 

Das  ist  die  Erklärung,  warum  man  von  den  Venen  aus  nicht 
in  der  Weise,  die  man  nach  dem  normalen  Gefässverlauf  vor- 
aussetzt, Injectionsmasse  in  die  Geschwülste  hineinbringen  kann. 


*)  Mao  sehe  ein  sehr  bemerkenswerthes  Beispiel  iq  meinem  Archiv.  I. 
S.  277.    Gesammelte  Abbandlangen.    S  384. 


110  Sechste  Vorl es Q  Dg 


©• 


Auf  irgend  eine  Weise  aber  gelingt  es  immer.  Ich  selbst  habe 
Injei'tionsversuche  dieser  Art  gerade  bei  den  allerschlimm- 
^ten  Geschwülsten  gemacht^)  und  meine  Erfahrungen  stimmen 
mit  den  positiven  Ergebnissen  von  Robin  und  Lebert**)  und 
von  Ger  lach***)  überein.  In  der  blossen  An-  oder  Abwesen- 
heit von  Venen  liegt  also  kein  Unterscheidungsmerkmal  zwischen 
verschiedenen  Geseh wulstarten ,  und  wenn  man  auf  Grund  der 
Erfahrungen  von  Schröder  van  der  Kolk  geschlossen  hat,  dass 
das  beste  Heilmittel  die  Unterbindung  der  Arterien  sei,  weil  da- 
durch auf  einmal  die  ganze  Circulation  aufgehoben  würde,  so  ist 
das  ein  Irrthum,  da  gerade,  je  grösser  eine  Geschwulst  wird,  sie 
um  so  zahlreichere  Anastomosen  nach  allen  Seiten  hin  eröffnet 
und  die  Unterbindung  eines  Stammes  oder  einiger  Stämme  gar 
nicht  genügt,  die  Blutzufuhr  zu  ihr  überhaupt  aufzuheben. 

Trotzdem  dass  die  Circulation  innerhalb  der  Geschwülste  in 
derselben  Weise  vor  sich  geht,  wie  in  dem  übrigen  Körper,  und 
dass  die  Gefasse  der  Geschwulst  mit  den  Gefassen  des  übrigen 
Körpers  continuirlich  zusammenhängen,  so  halte  ich  doch  den 
Gedanken  von  der  parasitischen  Natur  für  einen  vollkommen  be- 
gründeten; nicht  deshalb,  weil  die  Geschwulst  an  sich  in  ihrer 
Ernährung  etwas  ganz  Eigenthümliches  hätte,  sondern  deshalb, 
weil  alle  einzelnen  Elemente,  aus  denen  sie  sich  zu- 
sammensetzt, und  welche  bei  grossen  Geschwülsten 
eine  kolossale  Zahl  erreichen,  eine  besondere  Selb- 
ständigkeit besitzen.  Freilich  verhält  sich  jeder  Geschwulst- 
theii  dabei  im  Grossen  nicht  anders,  als  jeder  einzelne  Theil  des 
Körpers  überhaupt  f).  Jeder  einzelne  Theil  des  Körpers  hat  ja 
eine  Art  von  parasitischer  Existenz  innerhalb  der  Gesammtheit. 
Aber  in  der  Geschwulst  tritt  dieser  Charakter  in  einem  viel  hö- 
heren, viel  mehr  autTallenden  Maasse  hervor,  weil  jeder  wuchernde 


*)  WeHthoff  (I.e.  p.  l(j.)  erzählt,  ich  hätte  an  Schröder  Tan  der 
Kolk  die  Mittheiluii^  gemacht,  da»»  ea  mir  bei  Fuugu»  medullaris  der  Leber 
uur  gelungen  Hei,  die  Arterien  mit  Injectionsmasse  zu  fQlIen.  Schröder 
nelbftt  hat  eine  ähnliche  Angabe  (Nederl.  Lancet  1853—54.  Bl.  14<i).  Ich 
eriooere  mich  nicht,  auf  welcher  Mittheilung  diese  Angabe  beruht;  jeden&llä 
ist  e»  mir  gerade  bei  Leberkrebs  gelungen,  auch  von  den  Venen  aus  die 
QeschwQlste  zu  injiciren. 

••)  Lebert.    Traite  pratique  des  mal.  canc.  p.  39. 
***)  Jos.  Ger  lach.  Der  Zottenkrebs  und  das  Osteoid.  Mains.  I85i   S.  26. 
t)  Mein  Archiv.  1852.  Bd.  IV.  S.  390. 


Schädliche  Natur  der  recremeDtitiellen  Stoffe.  1 1 1 

Theil  eine  yiel  grössere  Fähigkeit  besitzt,  nutritive  Stoffe  an  sich 
zu  ziehen  und  in  sich  festzuhalten;  und  da  die  meisten  gerade 
der  bösartigen  GeschwQlste  in  einem  besonderen  Maasse  wuchernde 
Eagenschaften  haben,  in  einem  fortwährenden  Wachsthum  sich 
befinden,  so  werden  sie  auch  dieses  attractive  Yerhältniss,  wo- 
durch eben  Nutritionsmaterial  in  einem  ungewöhnlich  hohen 
Maasse  in  sie  hineingenommen  und  in  ihnen  assimilirt  wird,  in 
viel  stärkerer  Weise  zeigen  als  irgend  ein  gewöhnlicher  Theil  des 
Körpers.  Daraus  erklärt  sich  der  sonderbare  Umstand,  dass  viele 
Geschwülste  sich  auf  das  Beste  erhalten,  ja  sogar  üppig  wuchern, 
während  der  ganze  übrige  Körper  abmagert,  dass  sich  selbst  ho- 
mologe Geschwülste,  wie  Lipome,  nicht  in  dem  Maasse  zurück- 
büden,  wie  ihre  Nachbargewebe,  die  doch  durchaus  gleichartig 
sind,  schwinden,  endlich  dass  Entziehungskuren  erfahrungsgemäss 
einen  so  geringen  Einfluss  auf  die  meisten  Geschwülste  ausüben. 

Parasitisch  ist  demnach  an  sich  jede  Art  von  wuchernder 
Geschwulst,  und  wenn  eine  Geschwulst  überdies,  wie  wir  in  der 
letzten  Vorlesung  (S.  98)  gezeigt  haben,  aus  einer  sehr  grossen 
Zahl  von  Elementen  besteht,  welche  eine  blos  transitorische  Be* 
deutnng  im  Körper  haben  und  nach  einiger  Zeit  wieder  zu  Grunde 
gehen,  zerfallen,  resorbirt  oder  durch  Yerschwärung  nach  aussen 
entfernt  werden,  dann  wird  natürlich  auch  damit  immerfort  ein 
Verlost  für  den  Körper,  eine  Abzehrung  (Consumptio)  gegeben 
sein.  Die  Substanzen,  welche  dem  Körper  entzogen  werden,  wer- 
den nicht  zu  bleibenden  Körperbestandtheilen  umgeformt,  sondern 
sie  gehen  verloren;  sie  werden  in  der  Geschwulst  allerdings  zuerst 
assimilirt,  aber  nachher  zerfallen  sie  wieder,  es  entsteht  daraus 
Detritus,  und  dieser  Detritus  ist  für  die  Zwecke  des  Körpers  nicht 
mehr  brauchbar.  Im  Gegentheil,  man  wird,  im  Allgemeinen  we- 
nigstens, zugeben  müssen,  dass  dieser  Detritus,  dieses  zer- 
setzte Material,  diese  aus  der  Zerstörung  der  Ele- 
mente hervorgegangenen  recrementitiellen  Stoffe  eine 
schädliche  Einwirkung  haben. 

Wie  weit  diese  Schädlichkeit  geht,  ist  bis  jetzt  nicht  genau 
ermittelt.  Manche  Beobachter  haben  auf  Grund  gewisser  Erfah- 
rungen geglaubt,  dass  gerade  in  diesen  Stoffen  eine  infectiöse 
Substanz  gegeben  sei,  welche,  indem  sie  nachher  wieder  in  die 
Circnlation  zurückkehre,  die  Säfte  verunreinige  und  an  verschie- 
denen Theilen  des  Körpers  nachtheilige  Einwirkungen  hervorbringe. 


112  Sechste  Vorlesung. 

Ja,  einzelne  sind  so  weit  gegangen,  dass  sie  diese  Stoffe  sogar  als 
die  contagiösen  betrachtet  haben,  durch  welche  in  dem  übrigen 
Körper  die  Neigung  zu  metastatischen  Geschwulstbildungeu  her- 
vorgerufen werde.  Diese  Auffassung  stützt  sich  auf  Beobach- 
tungen, die  man  bei  verschiedenen  Zuständen  gemacht  hat. 

In  syphilitischen  Geschwülsten  zerfallen  nach  einer  gewissen 
Zeit  die  ältesten  Theile  und  es  bildet  sich  daraus  ein  eigenthüm- 
licher  Brei.  Dieser  ist  unzweifelhaft  resorptionsfähig,  da  er  aus 
flüssigem  Fett  und  anderen  löslichen,  wie  es  scheint,  eiweissartigen 
Stoffen  besteht;  die  unmittelbare  Erfahrung  lehrt  auch,  dass  solche 
Geschwülste  durch  Resorption  sich  verkleinern  und  verschwinden 
können.  Herr  Michaelis*),  ein  Wiener  Militairarzt,  der  sich 
sehr  viel  mit  Syphilis  beschäftigt  hat,  will  durch  directe  Impf- 
versuche nachgewiesen  haben,  dass,  wenn  man  aus  einem  Bube 
oder  Schanker  diesen  Stoff  herausnehme  und  ihn  impfe,  gerade 
er  die  Infection,  die  neue  Erkrankung  hervorrufe.  Einen  ganz 
ähnlichen  Vorgang  der  Rückbildung,  insbesondere  der  fettigen 
Metamorphose  sieht  man  in  krebsigen  Geschwülsten,  und  Herr 
Busch**)  in  Bonn  knüpft  an  die  Mittheilung  einiger  Fälle,  wo 
Krebse  der  Milchdrüse  in  diesem  Stadium  bei  Frauen  exstirpirt 
wurden  und  nachher  secundäre  Eruptionen  an  anderen  Orten  auf- 
traten, die  Betrachtung,  ob  nicht  gerade  in  diesem  Stadium  die 
Geschwülste  besonders  gefahrlich  seien.  Dittrich  in  Erlangen, 
der  kürzlich  verstorbene  Kliniker  und  pathologische  Anatom,  hatte 
die  sichere  Ueberzeugung ,  dass  der  Anfang  der  Tuberculose  in 
vielen  Fällen  davon  abzuleiten  sei,  dass  Detritus  von  verschiedenen 
Punkten  aus  in  die  Circulation  zurückkehre,  indem  theils  normale 
Körper-,  und  namentlich  Blutbestandtheile,  theils  exsudative  oder 
neugebildete  Massen  sich  zurückbildeten  und  dadurch,  dass  ihr 
Detritus  ins  Blut  käme,  Tuberkeln  hervorgerufen  würden;  er  schloss 
das  aus  den  zahlreichen  Fällen,  wo  tief  greifende  regressive  Me- 
tamorphosen stattfinden,  insbesondere  wo  in  den  späteren  Stadien 
chronischer  Prozesse  in  dem  Körper  Stoffe  liegen  geblieben  sind, 
welche  sich  weiter  umsetzen,  und  wo  schliesslich  tuberculose  Er- 


♦)  Zeitschrift  der  Gesellschaft  der  Aerite  zu  Wien.  1856.  S.  418.   1857. 
S.  791. 

••)  W.  Busch.  Chirurgische  Beobachtungen,  gesammelt  in  der  k.  chirurg. 
Unirersitäts-Klinik  zu  Berlin.  1864. 


Specifische  uDd  nicht  specifische  InfectioD.  113 

krankungen   eintreten   und   die  Personen   phthisisch    zu  Grunde 
gehen*). 

Diese  Thatsachen  sind  sämmtlich  basirt  auf  die  gewiss  rich- 
tige Beobachtung,  dass  auch  die  Rückbildung  krankhafter  Erzeug- 
nisse, also  ein  scheinbar  zur  Heilung  führender  Vorgang,  sich 
nicht  selten  mit  schädlichen  Zufällen  verbindet  Ich  gehe  aber 
nicht  so  weit,  dass  ich  behaupten  möchte,  die  RückbildungsstofTe 
seien  die  speciüschen  Infectionsstofle,  sondern  es  scheint  mir,  dass 
man  unterscheiden  muss  zwischen  der  specifischen  Infection  (oder 
Gontagion),  welche  nur  analoge  Erkrankungen  hervorruft,  und 
der  allgemeinen  Infection  (Verunreinigung),  welche  allerlei  allge- 
meine Störungen  bedingt.  In  solchen  Fällen,  wo  überhaupt  eine 
sehr  energische  Infectionssubstanz  vorhanden  ist,  mag  sie  sich 
freilich  auch  noch  in  einer  späteren  Zeit  erhalten.  Ich  kann  das 
allerdings,  abgesehen  von  der  schon  erwähnten  Syphilis,  nur  durch 
ein  Beispiel  erläutern.  Es  giebt  eine  Affection,  welche  eine  Art 
von  Geschwülsten  bildet,  die  allerdings  nicht  sehr  gross  werden, 
die  aber  doch  als  gesonderte  Dinge  hervoilreten;  das  ist  die  bei 
Pferden  so  häutige  Rotz-  und  Wurmkrankheit.  Hier  besteht 
die  specifische  Bildung  in  kleinen  Knoten,  die  den  Tuberkeln  sehr 
ähnlich  sind.  Die  Affection  überträgt  sich  sehr  leicht  und  giebt 
zu  einer  der  gefährlichsten  Erkrankungen  Veranlassung,  die  den 
Menschen  treffen  können.  Gewöhnlich  treten  im  Laufe  derselben 
immer  wieder  neue  Knoten  gleicher  Art  an  den  verschiedensten 
Theilen  des  Körpers  auf.  Sicherlich  besteht  hier  ein  ausgemachtes 
Infectionsverhältniss.  Nun,  die  Impfung  haftet  in  sehr  verschie- 
denen Zeiten,  und  ich  selbst  habe  Rückimpfungen  vom  Menschen 
auf  das  Pferd  mit  vollständigem  Erfolge  zu  Stande  gebracht  zu 
einer  Zeit,  wo  die  Knoten  schon  im  Zerfall  waren  **).  Aber  ebenso 
unzweifelhaft  ist  es,  dass  die  Impfung  auch  gelingt  zu  einer  Zeit, 
wo  die  Knoten  noch  nicht  im  Zerfall  sind,  und  mir  scheint  es 
daher  viel  natürlicher,  dass  man  schliesst,  dass  die  schädliche 
Substanz  auch  durch  die  Umsetzungen,  welche  in  der  Geschwulst 
entstehen,  nicht  vollständig  getilgt,  nicht  zerstört  wird. 


*)  Oarl  Martius.  Die  Combinations Verhältnisse  des  Krebses  und  der 
Tuberkulose.  Erlangen.  1853.  S.  25. 

**)  Virchow.  Handbuch  der  speciellen  Pathologie  u.  Therapie.  Erlangen. 
1H55.  Bd.  ir.  S.  411.  Note. 

Vircbow,  Geschwülste.    1.  8 


114  Sechste  YorlessBg. 

Indess  will  ich  die  Frage  Yoa  der  Schädlichkeit  der  recremen- 
titiellen  Stoffe  keineswegs  als  eine  solche  ansehen,  welche  durch 
diese,  immerhin  noch  sehr  spärlichen  Erfahnmgen  anch  nm*  an- 
nähernd zur  Lösung  gebracht  wäre.  Aber  das  möchte  ich  be- 
haupten, dass  die  Anfinahme  grosser  Quantitäten  solcher  Ruck- 
bildungsstoffe  aus  umfangreichen  Geschwülsten  nicht  ohne  Nach- 
theil für  den  Körper  geschehe.  In  dieser  Beziehung  möchte  ich 
namentlich  auf  einen  Fall  aufmerksam  machen,  der  in  der  neuesten 
Zeit  wieder  zur  Discussion  gekommen  ist,  und  der  eine  sehr 
grosse  Bedeutung  gerade  für  die  praktische  Medicin  hat  Das  ist 
eine  Erfahrung,  die  man  bei  der  Rückbildung  grösserer  Kropf- 
knoten gemacht  hat 

Kröpfe  sind  eigenthümliche  hyperplastische  Yergrösserungen 
der  Schilddrüse,  die  zuweilen  einen  sehr  grossen  Umfang  erreichen. 
Schon  seit  Coindet  (1820)  ist  es  bekannt,  dass  Jod  einen  sehr 
erbeblichen  Einfluss  auf  ihre  Yerkleinemng  hat«  und  vielfache 
ErCadining  hat  es  bestätigt,  dass  es  zuweilen  gelingt,  sei  es  durch 
inneren  Gebrauch  des  Jods,  sei  es  durch  äussere  Anwendung 
dirsselben^  Kröpfe  nicht  bloss  in  relativ  kurzer  Zeit  zu  einer  be- 
deutenden Verkleinerung,  sondern  sogar  zu  vollständigem  Schwunde 
zu  bringen.  Unter  solchen  Verhältnissen  hat  man  wiederholt  sehr 
schwere  Zufälle  eintreten  gesehen,  die  man  gewöhnlich  als  eine 
Wirkung  des  Jods  betrachtete  und  als  eine  Arzneikrankheit,  als 
Jodismus  bezeichnete*).  Die  allgemeine  Aufmerksamkeit  ist  na- 
mentlich durch  einen  der  verdienstvollsten  Genfer  Aerzte,  den 
kürzlich  verstorbenen  Rill iet**),  angeregt  worden.  Allein  schon 
vorher  hatte  Herr  Röser***),  ein  erfahrener  würtem bergischer 
Praktiker,  diese  Zufälle  verfolgt,  und  er  war  auf  den  Gedanken 
gekonmien,  dass  sie  keineswegs  dem  Jod,  sondern  der  Resorption 
der  in  der  Struma  vorhandenen  Substanzen  zuzuschreiben  seien. 
In  der  That  lässt  sich  nicht  läugnen,  dass  fast  alle  Erfahrungen, 
welche  man  über  diesen  sogenannten  Jodismus  besitzt,  sich  auf 
Fälle  beziehen,  wo  unter  der  Einwirkung  des  Jods  schnelle  Re- 


^)  Gerade  bei  Kropf  sind  solche  Beobacbtuneen  schon  sehr  frflh  ce- 
inAcht  z.  B.  von  Suttinger  und  Schmidt  (Rast*8  Magazin.  1824.  Bd.  XYL 
8.  112.  430). 

**)  P.  Rilliet  Memoire  sur  riodisme  constitntionnel.  Paris.  1860. 
^*^)  WOrtemberg.  medic  Correspondenzblatt.  1844.  S.  241.  1860.  Nr.  83. 
Archiv  f.  phjiiol.  Heilk.  1848.  S.  74.  1859.  S.  494. 


Jodismas  und  Kropfkachexie.  115 

Sorption  beträchtlicher  Quantitäten  von  Kropfmasse  stattfand. 
Eine  solche  Resorption  setzt  natürlich  voraus,  dass  die  Bestand- 
tfaeile  des  Kropfs  in  einen  löslichen  Zustand  gerathen.  Zellen 
und  feste  Steife  können  ja  nicht  resorbirt  werden;  sie  müssen 
aufgelöst  werden,  zerfallen  und  Detritus  liefern.  Dann  erst  wer- 
den die  löslichen,  recrementitiellen  Steife,  und  zwar  unter  solchen 
Verhältnissen  in  grossen  Mengen,  in  die  Circulation  gerathen. 
Wie  nun  andere  recrementitielle  Stoffe  einen  schädlichen  Einfluss 
auf  den  Körper  haben,  so  ist  theoretisch  nichts  dagegen  einzu- 
wenden, dass  auch  diese  eine  nachtheilige  Einwirkung  ausüben. 
Die  Erfahrung  lehrt  aber  die  merkwürdige  Thatsache,  dass  wäh- 
rend der  Rückbildung  der  Strumen  die  grössten  Störungen  zu 
Stande  kommen,  dass  insbesondere  eine  extreme  Beschleunigung 
des  Pulses,  oft  mit  tiefer  Depression  der  Nervencentren  und  ge- 
wöhnlich mit  der  grössten  und  schnellsten  Abmagerung  verbunden, 
kurz,  eine  Art  von  Abzehrung  sich  einstellt,  welche  den  Verän- 
derungen an  der  Struma  nicht  parallel  geht,  sondern  ihnen  folgt. 
Nimmt  man  nun  hinzu,  dass  Herr  Röser  ganz  ähnliche  Zufälle 
auch  ohne  Jodgebrauch  bei  schneller  Verkleinerung  von  Kröpfen 
hat  eintreten  sehen,  so  rouss  man  wohl  zugeben,  dass  die  Re- 
sorption, und  nicht  das  Jod,  dabei  von  vorwiegender  Bedeutung 
ist,  und  dass  der  Name  der  Kropfkachexie  dem  des  Jodismus 
vorzuziehen  ist. 

Als  die  Beobachtungen  von  Rilliet,  welche  übrigens  nur 
den  Zweck  hatten,  auf  die  Gefahren  des  Jodgebrauches  hinzu- 
weisen, in  der  französischen  Academie  (1859)  zur  Discussion  kamen, 
hat  man  von  allen  Seiten  her  seine  Angaben  fast  mit  Spott  auf- 
genommen, allein  es  sind  seit  jener  Zeit  manche  analoge  Beob- 
achtungen hinzugekommen*).  Ich  selbst  habe  wenigstens  einen 
sehr  überraschenden  Fall  gesehen»  wo  bei  einem  sehr  grossen 
Kröpfe  nach  einem  ganz  geringen  Jodgebrauch  acuter  Marasmus 
bei  grosser  Pulsfrequenz  und  Neigung  zu  Seh  weissen  eintrat,  der 
Monate  lang  bis  zum  Tode  anhielt,  und  ich  bin  daher  allerdings, 
im  Zusammenhalt  mit  den  schon  vorhandenen  sonstigen  That- 
sachen,  geneigt  anzunehmen,  dass  selbst  in  Rückbildungsfällen 
durch   die  recrementitiellen  Substanzen   der  Geschwülste  eine  er- 


*)  Lebert    Die  Krankheiten  der  Schilddrüse  and  ihre    Behandlung. 
Breslaa.  1862.  S.  229. 

8* 


116  Sechste  Vorieeung. 

hebliche  AllgemeinsWnmg  herbeigef&hrt  werden  kann.  Ob  die 
Kachexie,  welche  wir  so  häufig  bei  den  schlimmeren  Ge- 
schwülsten in  ihren  späteren  Stadien,  ja  selbst  bei  ausgedehnter 
Drüsenscrophulose  wahrnehmen,  ob  jene  oft  den  ganzen  Körper 
treffenden  Störungen,  welche  mit  mangelhafter  Blutbildung,  mit 
mangelhafter  Ernährung  der  Muskeln  und  vieler  innerer  Organe 
zusammenzufallen  pflegen,  daraus  hervorgehen,  das  ist  wieder  eine 
andere  Frage,  welche  erst  durch  viel  exactere  Untersuchungen 
wird  entschieden  werden  können,  als  wir  sie  bis  jetzt  über  den 
Verlauf  der  Geschwülste  besitzen. 

Denn  so  viel  die  Chirurgen  auch  über  die  Bedeutung  der 
Geschwülste  discutirien,  eine  genauere  klinische  Beobachtung  über 
den  Gesammtverlauf,  über  den  Gonstitutionalismus  der  Geschwülste 
besitzen  wir  bis  jetzt  noch  nicht.  Das  alles  ist  erst  zu  machen, 
und  erst  von  dem  Augenblicke  an,  wo  darüber  bestimmtere  That- 
sachen  vorliegen,  wird  man  die  angedeuteten  Fragen  mit  Ueber- 
zeugung  entscheiden  können.  Auf  alle  Fälle  ist  aber  der  Ge- 
sichtspunkt festzuhalten,  dass  gerade  diejenigen  Geschwülste, 
welche  sehr  viel  transitorische,  hinfällige  Elemente  enthalten,  wo 
also  viel  Substanz  zurückgebildet  wird,  ungleich  schädlicher  zu 
sein  pflegen  und  daher  auch  ungleich  mehr  den  Eindruck  des 
Parasitismus  machen,  als  diejenigen,  welche  mehr  bleibende  Be* 
standtheile,  mehr  Dauergewebe  enthalten,  in  welchen  also  auch 
regressive  Vorgänge  wenig  stattfinden,  welche  sich  vielmehr  in 
ihren  Ernährungsverhältnissen  den  gewöhnlichen  Theilen  des  Kör- 
pers anschliessen. 

Der  Kliniker  kann  freilich,  wenn  er  die  constitutionellen  Be- 
ziehungen der  Geschwülste  prüft,  ausserordentlich  weit  gehen. 
Liest  man  z.  B.  die  ihrer  Zeit  sehr  hoch  geschätzten  Lehrsätze 
von  Rust*)  nach,  so  findet  man,  dass  bei  ihm  alle  möglichen 
Dinge  Constitutionen  waren.  Er  hatte  eine  solche  Antipathie  gegen 
die  locale  Auffassung  der  Geschwülste,  dass  er  auch  die  aller- 
unschuldigsten  Dinge  in  den  Geruch  des  Gonstitutionalismus  brachte. 
Für  ihn  war  natürlich  ein  Krebs  ein  nothwendig  constitotionelies 
iJebel;   er  sagte  geradezu:  wenn  Jemand  einen  Krebs  exstirpirt 

* f  Job.  Nep.  Rust.  Aufsätze  uod  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
%^^%^in,  Chirurgie  u.  Staatsarznei künde.  Berlin.  1836.  II.  S.  445.  (Deber 
«Nf^  *##KAnAante   örtliche  Krankheitsformen,   die   keine  örtlichen  Krank- 


Gonstitutioiialismas  und  Parasitismus.  117 

sa  haben  glaubt  und  das  Individuum  lebt  nach  drei  Jahren  noch, 
dann  war  es  kein  Krebs,  dann  war  die  Diagnose  falsch;  es  muss 
Jedermann  innerhalb  dreier  Jahre  an  diesem  Uebel  zu  Grunde  ge- 
hen. Aber  ebenso  Constitutionen  war  für  ihn  eine  Balggeschwulst, 
ja  eine  Hydrocele,  und  eine  Reihe  von  Warzen  und  Naevi.  Das 
waren  alles  keine  localen^  es  waren  coustitutionelle  Uebel,  wo 
man  sich  immer  erst  dreimal  bekreuzigen  musste,  ehe  man  an 
eine  Operation  schritt,  und  wo  man  eher  alles  andere  versuchen 
musste,  um  durch  Veränderung  des  Ernährungszustandes  des  Kör- 
pers das  Uebel  zu  modificiren. 

Fasst  man  den  Constitutionalismus  in  der  Weise  auf,  dass 
man  sagt,  ein  gewisser  Localzustand  hat  gewisse  Beziehungen  zu 
dem  übrigen  Körper,  dann  ist  allerdings  nichts  local,  denn  alles, 
was  im  Körper  besteht,  hat  gewisse  Beziehungen  zu  dem  gesamm- 
ten  Körper.  Eine  vollständige  Isolirung,  so  dass  das  Ding  gleich- 
sam vrie  auf  einer  Insel  lebte,  kommt  überhaupt  gar  nicht  vor. 
Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  ist  unzweifelhaft  auch  eine  Hy- 
drocele ein  constitutionelles  Uebel,  denn  die  Flüssigkeiten,  welche 
im  Hydrocelesack  sind,  werden  immer  auf  die  eine  oder  andere 
Weise  mit  den  Flüssigkeiten  des  übrigen  Körpers  in  einem  ge- 
wissen Wechselverhältniss  stehen,  und  dieses  Verhältniss  kann 
rieh  nach  den  verschiedensten  Richtungen  hin  wirksam  machen. 
Aber  das  ist  eine  ganz  andere  Art  von  Constitutionalismus,  wie 
derjenige,  welchen  man  discutirt,  wenn  man  parasitische  Ge- 
schwülste im  Auge  hat.  Eine  Hydrocele  einfach  zusammenstellen 
mit  Krebs,  das  heisst  ungefähr  so  viel,  wie  wenn  man  einen  Na- 
gel in  Vergleichung  stellen  will  mit  einer  Niere.  Der  Nagel  steht 
auch  unzweifelhaft  in  einem  bestimmten  Verhältniss  zum  Körper, 
er  ist  auch  nicht  ein  Ding,  was  einen  blos  localen  Grund  und 
eine  blos  locale  Bedeutung  hat,  was  blos  bis  zu  der  G  ranze  seines 
ebenen  Bestandes  hin  bemerkbare  Wirkungen  hervorbringt.  Trotz- 
dem wäre  es  eine  sonderbare  Physiologie,  wenn  man  die  Bezie- 
hungen eines  Nagels  zum  Körper  ebenso  veranschlagen  wollte, 
wie  die  einer  Niere,  welche  der  Sitz  eines  enormen  Stoffwechsels 
igt  und  zur  Ernährung  des  ganzen  Körpers  in  einem  hochwich- 
tigen und  ganz  besonderen  Verhältniss  steht. 

Die  parasitischen  Beziehungen,  welche  eine  Geschwulst  hat, 
sind  zunächst  ihr  eigen  und  nicht  ein  Ausfluss  allgemeiner  Zu- 
stände des  Körpers.     Sie  besitzt  sie  auf  Grund  der  Autonomie, 


118  Sechste  VorleBung. 

welche  jedes  zellige,  jedes  lebende  Element  im  Körper  hat,  und 
welche  mit  um  so  grösserer  Wirkung  hervortreten  muss,  je  wAl- 
reichere  und  mit  je  grösserer  Wirkungsfähigkeit  versehene  Ele- 
mente an  einem  Orte  vereinigt  sind.  Die  Natur  und  Th&tigkeit 
dieser  Elemente  entscheidet  zugleich  über  die  Bedeutung  der  Ge- 
schwulst für  den  Gesammtorganismus,  dessen  Theil  sie  ist  Man 
kann  daher  sagen,  dass  eine  jede  aus  einer  Wucherung  von  Ele- 
menten hervorgegangene  Geschwulst  einen  parasitischen  Charakter 
in  besonders  hohem  Grade  besitzt.  Damit  ist  aber  nicht  ausge- 
drückt, dass  sie  aus  einer  Dyskrasie  hervorgeht,  oder  dass  sie 
eine  primär  constitutionelle  Bedeutung  habe;  sie  kann  trotzdem 
ein  durchaus  locales  Uebel  sein. 

Ich  lehne  also,  wenn  es  sich  um  eine  Eintheilung  der  Ge- 
schwülste handelt,  den  Gesichtspunkt  des  Parasitismus  eben  so  voll- 
ständig ab,  als  die  immer  von  Neuem  und  noch  vor  wenigen  Jahren 
mit  so  grosser  Zuversicht  von  Billroth*)  wiederholte  Forderung, 
dass  die  klinische  Anschauung  das  leitende  Princip  sein  müsse. 
Man  kann  nur  in  der  Weise  den  Grund  zu  einem  Systeme  der 
Oncologie  legen,  dass  man,  von  der  Genesis  ausgehend,  die  ana- 
tomische Geschichte  der  Geschwülste  so  sicher  als  möglich  dar- 
stellt. Erst  an  diese  Geschichte  lässt  sich  die  klinische  Beobach- 
tung in  einer  zuverlässigen  Weise  anknüpfen  und  gewiss  ist  eine 
vollständige  Physiologie  der  Geschwülste  ohne  die  klinische  Beob- 
achtung unmöglich.  Aber  es  ist  unnütz,  ja  schädlich,  das  Spätere 
zum  Früheren  zu  machen,  und  der  Umstand,  dass  die  reinen  Ana- 
tomen, insbesondere  die  unerfahrenen  Mikrographen  viele  falsche 
Behauptungen  aufgestellt  und  viel  Verwinning  angerichtet  haben, 
kann  die  Tbatsache  nicht  vergessen  machen,  dass  die  Praktiker, 
namentlich  die  Chirurgen  aus  der  Verwirrung  nie  herausgekom- 
men sind. 

Der  anatomisch -genetische  Standpunkt  bringt  es  mit  sich, 
dass  man  zunächst  diejenigen  Geschwülste,  welche  durch  wirk- 
lich formative  Prozesse,  durch  Neubildungen  hervorgehen,  welche 
also  durch  ein  eigentliches  Wachsthum  aus  dem  Körper  sich  bil- 
den, von  denjenigen  trennt,  welche  nicht  auf  diese  Weise  ent- 


*)  Tb.  Billroth.  Die  Eintheilung,  Diagnostik  u.  Prognostik  der  Ge- 
Bchwülsie  vom  chirurgisch-klinischen  SUndpuncte.  Deutsche  Klinik.  1859. 
No.  40. 


AllgemeiDe  EintheilaDg.  119 

stehen.  Diese  letzteren  entsprechen  zu  einem  nicht  unerheblichen 
Theil  dem,  was  man  früher  Balggeschwülste,  Tumores 
cy stiel  genannt  hat  Die  anderen  dagegen,  die,  welche  durch 
wirkliches  Wachsthum  hervorgehen,  sind  die  eigentlichen 
Psendoplasmen,  die  Aftergebilde,  oder,  wie  man  noch 
viel  zweckmässiger  sagen  kann,  die  Gewächse.  Denn  hier  ist 
gerade  der  alte  Ausdmck  der  Gewächse  vollständig  an  seinem 
Ort,  und  ich  nehme  ihn  mit  Bewusstsein  und  in  dem  Sinne  wieder 
auf,  dass  damit  nicht  blos  das  Hervorwachsen  aus  dem  alten 
Gewebe,  sondern  auch  die  Umwandlung  dieses  Gewebes,  die  Er- 
setzung, die  Substitution  desselben  durch  neues,  falsches  Gewebe 
bezeichnet  werden  soll.  Lange  Zeit  war  diese  Auffassung  verpönt, 
da  man  nach  der  Exsudat- Theorie  die  Geschwulst  neben  dem 
alten  Gewebe  entstehen  und  dieses  nur  durch  Druck  atrophiren 
liess*).  Nachdem  ich  die  Exsudat-Theorie  durch  die  Proliferations- 
Theorie  ersetzt  habe  und  die  Analogie  der  thierischen  Wucherungs- 
vorgänge mit  den  pflanzlichen  sicher  erkannt  ist,  kann  auch  die 
Bezeichnung  der  krankhaften  Gewächse  in  aller  Form  wieder 
eingei&hrt  werden. 

Was  nun  die  Gruppe  der  nicht  aus  Wachsthum  hervorgehen- 
den Geschwülste  anlangt,  die  überwiegend  einen  cystischen  Cha- 
rakter an  sich  tragen,  so  können  sie  wiederum  auf  verschiedene 
Weise  entstehen.  Entweder  nehmlicb  handelt  es  sich  bei  ihrer 
Entstehung  um  die  Anhäufung  von  Stoffen,  welche  unmittelbar 
aas  dem  Blute  stammen,  oder  sie  verdanken  ihre  Existenz 
der  Anhäufung  solcher  Stoffe,  welche  auf  eine  besondere 
Weise  secernirt  worden  sind,  wo  also  irgend  ein  Secretions- 
organ  eine  Specialwirkung  auf  die  Zusammensetzung  ausge- 
übt bat 

Diejenigen  Stoffe,  welche  aus  dem  Blute  kommen,  sind  im 
Wesentlichen  dreierlei  Art:  entweder  Blut  in  Substanz,  Extra- 
vasat; oder  blos  seröse  Ausscheidung,  wo  überwiegend  das 
Wasser,  die  Salze  und  ein  gewisser  Theil  der  Albuminate  des 
Blutsemms  mit  austritt,  Transsudat;  oder  endlich,  es  ist  mit 
diesen  Flüssigkeiten  noch  ein  gewisses  Quantum  von  Fibrin  ge- 
mischt, das  ich  hier  nach  altem  Gebrauche  mit  anfahre,  obwohl 


♦)  Phil.  V.  Walt  her.  System  der  Chirurgie.  Berlin.  1833.  S.  380. 


120  Sechste  Vorlesung. 

meiner  Ansicht*)  nach  das  Fibrin  aus  den  Geweben,  nicht  aas 
dem  Blute  stammt,  Exsudat.  Weiterhin  kommen  Fälle  vor,  wo 
sich  diese  Producte  unter  einander  compliciren,  so  dass  zugleich 
ein  Extravasat  und  ein  Exsudat  unter  der  Form  eines  hämor- 
rhagischen Exsudates  erscheint,  oder  dass  in  sehr  viel  serö- 
ser Flüssigkeit  eine  kleine  Quantität  von  fibrinösem  Stoff  vorhan- 
den ist,  seröses  Exsudat.  Das  bedingt  indess  keine  sehr 
grosse  Verschiedenheit. 

Diese  Abtheilung  hat  in  sich  eine  gewisse  Verbindung,  und 
sie  unterscheidet  sich  ganz  wesentlich  von  der  anderen  Abthei- 
lung, wo  AbsonderungsstoiTe,  Stoffe,  deren  Natur  von  der  Be- 
schaffenheit der  secemirenden  Oberfläche  oder  des  Secretionsorgans 
mit  bestimmt  wird,  abgelagert  werden.  Die  Secretstoffe  sind 
wiederum  insofern  verschieden,  als  sie  in  manchen  Fällen  über- 
wiegend flüssig  sind,  in  anderen  überwiegend  organisirte 
Theile  enthalten,  und  in  einer  dritten  Reihe  ein  Gemisch  von 
beiden  darstellen. 

Finden  wir  eine  Cyste  mit  reinem  Schleim,  der  doch  ein 
Secretstoff  ist,  insofern  er  nicht  im  Blut  praeexistirt,  in  grösserer 
Menge  angehäuft,  so  haben  wir  ein  pures  Secret,  worin  weiter 
gar  keine  Formelemente  vorzukommen  brauchen.  Das  ist  ein 
Beispiel  für  die  reine  Secretform.  Treffen  wir  dagegen  einen  Sack, 
der  mit  Zellen  gefüllt  ist,  welche  von  einer  normal  absondernden 
Oberfläche  abgelöst  wurden,  z.  B.  mit  secemirter  Epidermis, 
so  werden  wir  eine  solche  feste  Epidermisgeschwnlst  in  die 
zweite  Reihe  zählen.  Wenn  aber  von  irgend  einer  Drüse  her 
Drüsenzellen  sich  ablösen  und  sich  mischen  mit  einer  wässrigen 
Substanz,  welche  vom  Blute  aus  transsudirt,  dann  haben  wir  ein 
Beispiel  für  die  dritte  Reihe.  Das  ist  bei  Samencysten  der  Fall, 
wo  sich  die  Zellen  der  Samenkanälchen  oder  die  aus  ihnen  her- 
vorgegangenen Samenfäden  (Spermatozoiden)  in  einer  transsudirtea 
Flüssigkeit  vorfinden. 

Diese  Cysten,  wo  wir  entweder  einfach  amorphe,  oder  ein- 
fach geformte,  oder  gemischte  Secrete  antreffen,  bilden  eine  be- 
sondere Abtheilung  von  Geschwülsten,  welche  dadurch  entstehen, 
dass  die  Absonderungsstoffe,  statt  entfernt  oder  entleert  zu  wer- 


•)  Cellolarpathologie.  S.  154,  367.    Spec.  Pathol.  n.  Ther.  Bd.  I.  S.  75. 
Geßaroroelte  Abhandl.  S.  135  - 137. 


Allgemeine  Eintheilong.  121 

den,  sich  in  Form  eines  Tumors  anhäufen.  Die  Anhäufung  muss 
begreiflicherweise  immer  geschehen  in  einem  praeexistirenden 
Raum;  in  dem  Maasse,  als  die  Anhäufung  der  Secrete  geschieht, 
wird  es  eine  Dilatation,  eine  Ektasie  des  vorhandenen  Raums 
geben.  Man  kann  daher,  nach  unserer  gewöhnlichen  pathologisch- 
anatomischen Art  zu  sprechen,  alle  diese  Geschwülste  auch  Ek- 
tasien nennen;  es  ist  nur  nicht  die  reine  Ektasie,  sondern  Ektasie 
plus  dem  retinirten  Secret,  und  wenn  man  das  bezeichnen  will, 
so  sind  es  Dilatations-  oder  Retentionsgeschwülste. 

Die  Geschwülste  der  ersten  Abtheilung,  wo  wir  überwiegend 
Blntbestandtheile  (Extravasate,  Transsudate  oder  Exsudate)  vor- 
finden, können  möglicherweise  in  einem  praeexistirenden  Raum 
entstehen,  aber  sie  brauchen  es  nicht  nothwendigerweise,  sondern 
sie  können  auch  frei  oder  in  einem  neu  entstandenen  Raum  vorkom- 
men. Dieser  Raum  kann  wiederum  auf  die  allerverschiedenste  Weise 
zu  Stande  kommen,  entweder  durch  blos  mechanische  Einwirkung 
( Zerreissung ,  Bruch  u.  s.  w.),  oder  durch  organische  Processe, 
die  Yoraafgegangen  sind,  so  dass  die  Entstehung  dieser  Geschwülste 
sich  anscbliesst  an  andere  pathologische  Processe,  welche  erst  die 
Höhlen  erzeugen,  in  welche  hinein  die  Massen  sich  absetzen. 
Dies  sind  also  nicht  immer  blosse  Dilatationsgeschwülste,  sondern 
manchmal  wirkliche  Neubildungen;  das  Charakteristische  aber  liegt 
nicht  in  der  Neubildung,  sondern  wesentlich  in  dem  Austreten  der 
Blntbestandtheile,  und  man  wird  sie  also  alsExtravasations- 
und  Exsudationsgeschwülste  unterscheiden  können. 

Auf  diese  Weise  gewinnen  wir  (mit  Ausschluss  der  Entozoen 
und  blossen  Intumescenzen)  drei  grössere  Gruppen  oder  Abthei- 
langen,  von  welchen  den  bekannten  pathologischen  Processen  am 
nächsten  stehen  die  eben  besprochenen  Exsudations-  und  Extra- 
vasationsgeschwülste.  Dann  käme  die  Gruppe  der  Ektasien,  der 
Dilatations -  und  Retentionsgeschwülste,  und  als  dritte  Gruppe 
die  eigentlichen,  aus  Proliferationen  hervorgehenden 
Pseudoplasmen  oder  Neoplasmen,  die  Gewächse  im 
engsten  Sinne  des  Wortes. 

Von  diesen  letzteren  haben  wir  überwiegend  in  den  früheren 
Vorlesungen  gehandelt.  Ich  habe  da  schon  die  Hauptgesichts- 
punkte aufgeführt,  nach  denen  die  Gewächse  zunächst  zu  classi- 
ficiren  sind.  Wir  haben  gesehen,  dass  in  einer  gewissen  Zahl 
von  Fällen  sich  eine  solche  Geschwulst  aus  einem  einfachen  Ge- 


122  Sechste  Vorlesung. 

webe  zuBammensetzt  und  in  ihrer  Zusammensetzung  irgend  einem 
bekannten  Gewebe  des  Körpers  entspricht:  die  einfach  histioide 
Geschwulst.  In  anderen  und  sehr  zahlreichen  Fällen  zeigt  die 
Geschwulst  keine  so  einfache  Zusammensetzung,  sondern  68  gehen 
mehrere  Gewebe  in  ihre  Zusammensetzung  ein;  es  tritt  ein  com- 
plicirterer  Bau  auf,  oft  mit  einer  bestimmten  typischen  Anordnung 
der  Theile.  Die  Geschwulst  gleicht  dann  einem  bestimmten  Organ 
des  Körpers,  sie  hat  einen  vollständig  organoiden  Charakter. 
Eine  dritte  Gruppe  ist  noch  complicirter;  da  treten  verschiedene 
Organe  zusammen  und  entsprechen  in  ihrer  Zusammenfögung  einem 
ganzen  System  des  Körpers,  wenn  dasselbe  auch  nur  sehr  unvoll- 
ständig das  normale  System  reproducirt  Das  ist  die  systema- 
toide  oder  besser  teratoide  Geschwulst.  Ja,  ich  kann  gleich  hin- 
zufügen, dieses  Systemartige  kann  unter  Umständen  so  weit  gehen, 
dass  es  uns  den  Eindruck  macht,  als  hätten  wir  ein  unvollständiges 
menschliches  Individuum  vor  uns,  und  dass  in  einzelnen  Fällen 
ernsthaft  discutirt  worden  ist,  ob  nicht  ein  Foetus  in  Foetu  vor- 
liege, da  scheinbar  ein  ganzer  Körper  in  einer  etwas  rudimentären, 
aber  doch  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  angelegten  Form 
vorhanden  ist. 

In  diese  drei  Hauptabtheilungen  zerfisJlen  die  Proliferations- 
geschwülste  oder  Pseudoplasmen.  Nun  kann  man  aber  leider  auch 
damit  nicht  die  Classification  beenden.  Denn,  wie  schon  Lob- 
stein*) sehr  richtig  hervorgehoben  hat,  es  giebt  manche  Ge- 
schwülste, in  welchen  mehrere  Geschwulstformen  mit  einander  sich 
combiniren:  Combinationsgeschwülste**),  Masses  dissimi- 
laires,  Productions  mixtes.  Hier  ist  der  Charakter  in  den  ver- 
schiedenen Theilen  ein  verschiedener  und  es  lässt  sich  nicht  das 
Ganze  auf  eine  einfache  Formel  reduciren.  Diese  Combinations- 
geschwülste  sind  unter  Umständen  ausserordentlich  schwierig  zo 
entwirren,  und  zwar  um  so  mehr,  als  die  Combination  nicht  blos 
zwischen  verschiedenen  Formen  der  eigentlichen  Pseudoplasmen, 
der  im  engeren  Sinne  so  zu  nennenden  Gewächse  stattfindet,  son- 
dern weil  auch  Combinationen  mit  den  vorher  genannten  Kate- 


^)  Lob  stein.  Trait^  d'anat  {lathol.  1829.  T.  L  p.  456,  47a 
**)  Virchow.  Ueber  Gorabinations- und  Uebergangsföbigkeit  krankhafter 
GeschwObte.  Würzburger  Verb.  1850.  Bd.  I.  S.  184. 


Combinationsgeachwülste.  123 

gorien,  nehmlich  mit  Exsndation8-  und  Extravasationsformen,  mit 
Ektasien  und  zum  Theil  neugebildeten  Säcken  vorkommen. 

Diese  letztere  Möglichkeit  tritt  in  doppelter  Weiso  hervor. 
Es  kann  sein,  dass  die  Wand  einer  Balggeschwulst,  eines  Reten- 
tionssackes  anfängt,  der  Sitz  besonderer  Processe  zu  werden. 
Manchmal  liefert  sie  blos  Transsudate:  wenn  es  z.  B.  eine  Ge- 
schwulst war,  welche  durch  Anhäufung  von  Drüsensecret  entstand, 
so  kann  sich  von  der  Wand  her  zu  dem  Drüsensecret  einfaches 
Transsudat  aus  dem  Blute  mischen.  Andere  Male  aber  entzündet 
sich  die  Wand;  dann  kommen  Exsudate,  unter  Umständen  hämor- 
rhagische Ergüsse  in  einen  Sack,  der  ursprünglich  ein  Retentions- 
sack  von  Drüsensecret  war.  Unter  anderen  Verhältnissen  aber 
gehe«  von  der  Wand  Gewächse  hervor,  wirkliche  Proliferationen; 
es  entsteht  also  gleichsam  ein  Pseudoplasma  aus  der  Wand  einer 
Retentionscyste,  und  es  kann  vorkommen,  dass  dieses  Pseudo- 
plasma mit  der  Zeit  die  ganze  Cyste  füllt.  Das  ist  dann  die 
vollständigst  denkbare  Combination  der  beiden  Formen  —  ein 
Fall,  wie  ihn  Hodgkin  bei  seiner  viel  besprochenen  Theorie  von 
der  cystischen  Entstehung  vieler  Geschwülste  vor  Augen  gehabt, 
aber  weit  über  die  zulässigen  G  ranzen  hinaus  als  maassgebend 
hingestellt  hat.  —  Umgekehrt  kommt  es  wieder  nicht  ganz  selten 
vor,  dass,  wenn  an  einem  Secretionsorgan,  an  irgend  einer  Drüse 
eine  Proliferation  geschieht,  gewöhnlich  von  dem  interstitiellen 
Gewebe  aus,  und  sich  ein  Pseudoplasma  entwickelt,  durch  die 
mechanischen  Wirkungen  dieses  Pseudoplasmas  die  Drüsenkanäle 
stellenweise  gedrückt  und  verschoben  werden,  dass  sie  sich  er- 
weitern, Ektasien  bilden,  dass  in  den  Ektasien  sich  entweder 
Drüsensecret  oder  exsudative  oder  hämorrhagische  Massen  an- 
häufen und  so  inmitten  der  Geschwulst  die  erweiterten  Kanäle 
wie  besondere  cystische  Bildungen  sich  darstellen. 

Die  beiden  letzteren  Reihen  können  unter  Umständen  sich 
sehr  ähnlich  werden.  Ich  meine  die  Reihe,  wo  zuerst  eine  Cyste 
besteht  und  von  ihrer  Wand  das  Gewächs  hervorgeht,  und  die 
zweite  Reihe,  wo  zuerst  die  Geschwulst  vorhanden  ist,  von  der 
Geschwulst  die  Dilatation  bedingt  wird  und  möglicher  Weise 
späterhin  in  die  gebildeten  Cysten  noch  wieder  Geschwulstmassen 
hineinwachsen.  Vielleicht  wird  man  sagen,  es  sei  ganz  gleich- 
gültig, ob  man  das  unterscheide,  ob  man  darauf  einen  Werth  lege. 


124  Sechste  Vorlesung. 

diese  zwei  Reihen  von  einander  zu  trennen.  Aber  das  ist  oft  von 
dem  allerhöchsten  Werth,  denn  es  kann  sein,  dass  zwei  schein- 
bar ganz  ähnliehe  Formen  vollkommen  verschieden  von  einander 
sind.  Wenn  man  z.  B.  die  Geschichte  des  Cystosarkoms  ins  Auge 
fasst,  so  findet  man  bei  den  Untersuchen!  fortwährend  eine  Ver- 
wechselung dieser  beiden  Reihen,  insofern  in  allen  Geschwülsten 
dieser  Art  sich  Exsudat  und  Gewächs  vereinigt  findet  Nun  er- 
weist sich  aber  die  eine  Reihe  als  sehr  bösartig,  während  die 
andere  von  sehr  unschuldiger,  localer  Bedeutung  ist.  Da  wird 
man  zugestehen  müssen,  dass  es  sehr  wichtig  ist,  diese  beiden 
Reihen  von  einander  zu  trennen,  die  eine,  welche  nur  locale  Af- 
fectipnen  hervorbringt,  und  die  andere,  welche  mit  zu  den  aller- 
ßchädlichsten  Dingen  gehört,  die  überhaupt  im  Körper  vorkommen 
können. 

Es  ist  überaus  wichtig,  sich  von  vorn  herein  zu  erinnern, 
dass  bei  einer  Corabinationsgeschwulst  die  zufälligen  Möglichkei- 
ten, welche  eintreten,  für  den  Beobachter  im  höchsten  Haasse 
verwirrend  werden  können,  und  dass  gerade  da  eine  Einsicht  in 
den  genetischen  Gang  der  Entstehung,  in  das  eigentliche 
Wesen  der  Geschwulst  viel  mehr  entscheidet,  als  die  allervor- 
trefflichste  Kenntniss  der  besonderen  Gestaltungen,  welche  etwa 
darin  vorkommen.  Manche,  die  mehr  das  Malerische  der  Ge- 
schwülste im  Auge  hatten,  haben  allerdings  an  den  oft  höchst 
wunderbaren  Gestalten,  die  dabei  beobachtet  werden,  ihre  Be- 
schreibung erschöpft.  Damit  ist  nichts  geleistet.  Hier  handelt 
es  sich  um  die  Genesis,  und  wenn  man  nicht  herausbringen  kann, 
was  das  Primäre,  das  Wesentliche  ist,  so  bringt  man  auch  die 
Bedeutung  der  Geschwulst  nicht  heraus,  denn  diese  folgt  allein 
aus  der  Kenntniss  ihrer  Entwickelung. 

Wenn  man  auf  diese  Art  ein  Grundschema  gewonnen  hat 
fQr  die  Eintheilung  der  Geschwülste  überhaupt,  ein  Schema,  das 
wirklich  auf  genetischer  Basis  beruht,  so  muss  man  nicht  die 
Vorstellung  hegen,  dass  man  nun  ohne  Weiteres  jeder  einzelnen 
Geschwulst,  je  nachdem  man  sie  in  die  eine  oder  andere  Gruppe 
gebracht  hat,  nachsagen  kann,  ob  sie  gut-  oder  bösartig  sei. 
Im  Gegentheil,  man  muss  dann  wiederum  die  einzelnen  Ge- 
schwülste der  Proliferationsreihe  zerlegen,  und  diejenigen,  welche 
homolog  sind,  von  denjenigen  scheiden,  welche  heterolog  sind. 


Homologie  und  Heterologie.  125 

Aber  man  darf  dann  nicht,  wie  es  noch  Jul.  Vogel*)  und  fast 
alle  neueren  französischen  Mikrographen  gethan  haben,  die  alten 
Begriffe  über  Homologie  und  Heterologie  festhalten,  wonach  Ho- 
mologie als  Wiederholung  bekannter  Körpertheile  und  Heterolo- 
gie als  Erzeugung  eigenartiger,  der  Zusammensetzung  des  Kör- 
pers fremder  Gebilde  betrachtet  und  weiterhin  Homologie  =  Gut- 
artigkeit, Heterologie  =  Bösartigkeit  gesetzt  wird.  Seitdem  ich 
nachgewiesen  habe  **),  dass  auch  das  scheinbar  fremdartigste  Ge- 
schwulst-Erzengniss,  die  Krebszelle,  einer  normalen  Formation, 
der  epithelialen,  entspricht,  war  die  alte  Lehre  nicht  mehr 
haltbar. 

Man  wird  sich  erinnern,  dass  meine  Auffassung  von  Homo- 
logie und  Heterologie  darauf  hinausgeht,  dass  dasjenige  homolog 
ist,  was  in  dem  Typus  seiner  Entwickelung  dem  Typus  seines 
Muttergewebes,  seiner  Matrix,  entspricht,  und  das  heterolog,  was 
von  dem  Typus  der  Matrix  abweicht  (S.  30.).  Wenn  ich  also 
eine  einfache  histioide  Geschwulst  vor  mir  habe,  in  der 
nichtH  weiter  als  eine  einzige  Art  von  Gewebe  vorhanden  ist^  so 
wird  diese  Geschwulst,  wenn  sie  auch  noch  so  sehr  einem  Ge- 
webe des  Körpers  entspricht,  doch  heterolog  sein,  wenn  sie  an 
einem  Orte  vorkommt,  wo  dieses  Gewebe  nicht  hingehört.  Joh. 
Müller***),  der  die  Heterologie  läugnete,  hat  doch  diesen  Punkt 
in  der  Geschichte  der  bösartigen  Geschwülste  ganz  genau  be- 
zeichnet, indem  er  als  erstes  Kriterium  der  Bösartigkeit  den  Ver- 
lust des  Eigengewebes  des  Ortes  aufstellte.  Allerdings, 
wenn  eine  Geschwulst  ein  anderes  Gewebe  enthält,  als  dasjenige, 
aus  welchem  sie  hervorwächst,  dann  ist  sie  heterolog,  dann  ist 
sie  suspect.  Die  homologen  Geschwülste,  sie  mögen  noch  so 
bedeutend  sein  durch  ihre  Lage,  Grösse,  Verbindung,  Einwirkung, 
sind  an  sich  doch  unschuldige  Productionen,  die  man  im  Grossen 
gutartig  nennen  kann.  Sondern  wir  daher  die  heterologen  For- 
men aus,  80  bekommen  wir  die  sichere  Reihe  der  gutartigen  For- 
men, zu  denen  sich  im  Allgemeinen  die  Retentions-  und  Ex- 
sttdationsformen  hinzugesellen.  Alles  Uebrige  sind  suspecte 
Formen. 


*)  Jul.   Vogel.    Pathologische   Anatomie   des    menschlichen    Körpers. 
Leipzig.  1845.  I.  S.  171. 

♦♦)  Mein  Archiv.  1847.  I.  S.  104. 
')  Job.  Müller.  Ueber  den  feineren  Bau  u.  b.  w.  S.  10. 


•♦•> 


126  Sechste  Vorlesung. 

Nicht  jede  heterologe  Geschwulst  ist  bösartig;  es 
giebt  eine  ganze  Menge  davon,  die  ohne  alle  Beschwerde  ertra- 
gen werden,  und  die  sich  in  iliren  Wirkungen  ganz  an  die  gut- 
artigen anreihen.  Die  Bösartigkeit  geht  durch  eine  gewisse 
Scala  der  heterologen  Geschwülste  hindurcli  von  Art  zu  Art, 
und  wir  können  nachweisen,  wie  sie  namentlich  nach  zwei  Rich- 
tungen immer  stärker  und  stärker  hervortritt.  Zunächst  unter- 
scheidet sich  die  Heterologie  selbst  dem  Grade  nach.  Die 
Gewebe  der  Bindesubstanz  sind  unter  einander  näher  verwandt, 
als  mit  den  Epithelialge weben  oder  mit  den  specifisch-animaleo 
Geweben*).  Wenn  also  eine  Knorpel-  oder  Knochengeschwulst 
im  Bindegewebe,  eine  Schleimgeschwulst  im  Fettgewebe  entsteht, 
80  ist  das  lange  nicht  so  heterolog,  als  wenn  eine  Epidermoidal- 
geschwulst  im  Bindegewebe  oder  eine  Gylinderepithelgeschwulst 
in  einer  Lymphdrüse  sich  bildet.  Heterolog  ist  auch  eine  Knor- 
pelgeschwulst, die  im  Binde-  oder  im  Knochengewebe  hervor- 
wächst, aber  sie  ist  es  nicht  in  dem  Grade,  wie  eine  Epithelial- 
oder  eine  Muskelgeschwulst  es  an  derselben  Stelle  sein  würde. 
Noch  viel  wichtiger  aber  ist  das  Verhältniss,  in  welchem  die 
Geschwülste  flüssige  Stoffe  erzeugen**),  welche  in  Form 
eines  Saftes  ausgedrückt  werden  können.  Das  ist  der  viel  be- 
sprochene Humor  oder  Succus  der  Geschwulst. 

Dieser  Parenchymsaft  ist  zuweilen  an  die  Zellen,  zuweilen 
an  die  Intercellularsubstanzen  geknüpft  und  darnach  in  Form 
bald  eines  intracellularen ,  bald  eines  intercellularen  Fluidnms, 
als  Zelleninhalt  oder  als  Zwischenflüssigkeit^  gleichsam  als  Serum 
vorhanden.  Jedesmal,  wo  die  Geschwulst  vielen  Saft  enthält, 
tritt  sie  auch  mit  schlimmeren  Eigenschaften  auf  und  besitzt  in 
höherem  Maasse  die  Fähigkeit  der  Infection.  Eine  trockene  Epi- 
dermoidalgeschwulst  ist  viel  weniger  gefährlich,  als  eine  feuchte; 
ein  weicher  Krebs  ist  viel  bedenklicher,  als  ein  harter.  Diese 
Infection  ist  wiederum  verschieden,  je  nachdem  manche  Ge- 
schwülste nur  die  Nachbargewebe  inticiren,  mit  denen  sie  in  Be- 
rührung stehen,  andere  dagegen  die  Wirkung  ihrer  Producte  Aber 
einen  grossen  Verbreitungsbezirk   und  auf  entfernte  Organe  ent- 


*)  Cellolarpatbologie.  S.  66. 

**}  Handbuch  der  ttpec.  Pathol.  u.  Therapie.    I.   S.  340.    CeUalarnatbo- 
logie.  S.  208,  460. 


Parenchymsäfte.  127 

falten.  Zo  eiaem  erheblichen  Theil  ist  diese  Verschiedenheit  der 
Infectionsfilhigkeit  offenbar  abhängig  von  der  Energie  (Virulenz) 
der  Parenchyms&fte ,  welche  in  dem  Gewächs  erzeugt  werden; 
sehr  bedeutend  bestimmt  aber  aacli  die  Gefässeinrichtung.  Je 
ärmer  eine  Geschwulst  an  Gefässen  ist,  um  so  mehr 
wird  sie  nur  die  Nachbarschaft  inficiren;  je  reicher 
sie  aber  an  Blut-  und  Lymphgefässen  ist,  je  mehrBlut 
und  Lymphe  hindurchströmt,  je  mehr  das  Blut  in  Be- 
rührung kommt  mit  den  Parenchymsäften,  um  so 
leichter  wird  die  Infection  eine  allgemeinere  werden 
können. 

Das  ist  eine  Interpretation,  die  ich  mache,  aber  sie  entspricht 
der  Erfahrung.  In  dem  Maasse  als  die  Geschwülste  reicher  an 
Gefässen  werden  und  neben  den  Gefässen  reiches  flüssiges  Ma- 
terial vorhanden  ist,  in  dem  Maasse  wird  auch  ihre  Contagiosi- 
tät  stärker.  Jedes  weiche,  saftreiche  Gewächs  ist  suspect,  um 
80  mehr,  je  mehr  Gefässe  es  hat  und  je  mehr  Zellen  es  besitzt. 
Je  mehr  der  Saft  intercellular  vorhanden  ist  und  ein  gefässhal- 
tiges  Stroma  von  Bindegewebe  berührt,  um  so  mehr  treten  die 
schlimmen  Eigenschaften  desselben  in  immer  neuer  Erregung  zu 
fortschreitender  Geschwulstbildung  hervor. 

Mehr  habe  ich  über  diese  Fragen  im  Allgemeinen  nicht  zu 
sagen.  Ich  sollte  freilich  noch  sprechen  über  die  Natur  dieser 
Säfte,  indess  weiss  ich  nichts  Besonderes  darüber  beizubringen. 
Denn  was  die  Chemiker  darüber  herausgebracht  haben,  das  ist 
vollkommen  werthlos.  Hier  ist  das  Feld  für  den  Forschergeist 
eröffnet,  und  ich  will  hoffen,  dass  spätere  Untersucher  es  mit  Er- 
folg unternehmen,  nach  dieser  Richtung  hin  ihre  Schritte  zu  len- 
ken. Auch  eine  genauere  klinische  Beobachtung  wird  noch  sehr 
viele  Fragen,  die  hier  vorliegen  und  die  vom  höchsten  Werthe 
sind  f&r  die  Geschichte  der  Geschwülste  und  för  die  praktischen 
Haassregeln,  die  etwa  gegen  die  Geschwülste  anzuwenden  sind, 
zur  Erledigung  bringen  müssen.  Aber  dies  setzt  eine  eben  so 
umfieissende,  als  eingehende  Beobachtung  voraus,  wie  sie  in  den 
Kliniken  and  Honpitälern  nur  selten  angestellt  worden  ist,  wie 
sie  aber  die  bessere  Methode  der  jüngeren  Schule  hoffentlich 
erreichen  wird. 


Siebente  Vorlesung. 

13.  December  1862. 


Die  Blulgfsehwdlste  (Hämatome). 


Drei  Hauptfonnen  der  Uimatome: 

1.  Die  cystischen  Formen.  Mechanische  Entstehung  durch  traumatische  oder  spontan« 
Continuit&tsstörongen.  Kephalimatom:  Bildung  der  HSble,  dM  KnochenrisgM ,  der 
Knochenschaale ,  Heilung.  Oth&raatbom:  Beziehung  su  Geisteskrankheiten,  Bildung  der 
HShle,  traumatische  Entstehung,  das  Ohr  der  Pankratiasten,  Yorg&nglge  Erkrankung  der  Knorpel 
Heilung.  H&matom  der  Dura  mater:  apoplektisehe  Bedeutong,  Besleboag  s«  Q^etee- 
krankheiten,  Bildung  der  Höhle,  Pachymcuingttis  chrpnica.  Aneurysma  dissecana:  Aorta, 
kleinere  Arterien.     Muskel-HSmatom:   Rectus  abdominis;  HSmophilie. 

2.  Die  festen,  nicht  cystischen  Formen.  H&matome  der  Henklapp«n,  de«  OchirAt,  dei 
Eierstocks,  der  Vulva.  « 

3.  Die  polypöse  Form.  Polypöses  Hämatom  des  Uterus  (fibrinöser  Polyp):  Bil- 
dung, Beziehung  sur  Placentarstelle ,  Einfluss  anf  Metrorrhagien.  Secnnd&r«  HimatonsbUdoif 
im  Innern  anderer  Oeschwüi.ite.  Hamatoma  patellare.  H&matocele.  H&matoma  retro- 
uterinum:  secundire  Natur  der  Blutung,  partialte  Peritonitis,  Besiehung  tur  Menstrualioa 
und  Ovulation,  Annahme  der  extraperi  ton  aalen  Lage.     Hftmatocyatldea. 

Mögliche  Abschnurung  venöser  Gef&sse.    Extracranielle  Blutcysten. 


Wir  wollen  heute  die  Detailgeschichte  derjenigen  Geschwülste, 
welche  wir  in  die  er^^te  Abtheilung,  die  der  Extravasationsformen, 
gerechnet  haben,  die  Geschichte  der  Hämatome,  Blntbeulen 
oder  Blutgeschwülste,  vornehmen. 

Hämatom  ist  eine  Bezeichnung,  die  namentlich  durch  P. 
Frank  in  Gebrauch  gekommen  ist  und  die  gegenwärtig  eine 
siemliche  Verbreitung  gefunden  hat.  Freilich  kann  man  sagen, 
dass  diese  Bezeichnung  f&r  die  allermannichfaltigsten  Geschwülste, 
welche  sich  durch  starken  Blutgehalt  auszeichnen,  angewendet 
worden  ist,  z.  B.  für  cavernöse  Angiome,  für  telangiectatische 
Krebse  und  Sarkome,  und  noch  heutigen  Tages  kommt  dasjenige, 


Blutbeulen.  129 

was  man  mit  diesem  Namen  bezeichnet,  nur  in  dem  einen  Punkte 
überein,  dass  extravasirtes  Blut,  Blut,  welches  aus  seinen  Gefäss- 
kanälen  ausgetreten  ist,  sich  in  der  Form  einer  Geschwulst  an- 
häuft, also  gewissermaassen  ein  Gewächs  simulirt.  In  Beziehung 
auf  die  einzelnen  Formen,  die  man  unterscheidet,  stellt  sich  als- 
bald eine  ziemlich  grosse  Verschiedenheit  heraus,  insofern  nehm- 
lich  an  manchen  Orten  das  Blut,  welches  die  geschwulstartige 
Masse  bildet,  geronnen  ist,  während  es  an  anderen  flüssig  bleibt ; 
und  wiederum  insofern,  als  es  an  einzelnen  Stellen  in  besonderen 
Höhlen  oder  Säcken  liegt,  also  in  Form  einer  Balggeschwulst 
auftritt,  in  andern  dagegen  mehr  in  die  Theile  infiltrirt,  also 
gleichmässiger  zwischen  den  Gewebsbestandtheilen  verbreitet  ist, 
in  noch  anderen  Fällen  endlich  freiliegt,  so  dass  es  von  keiner 
besonderen  Haut  oder  Gewebsschicht  bekleidet  ist.  Danach  kann 
sich  derselbe  Vorgang  ausserordentlich  verschieden  darstellen. 
Aber  nicht  immer  handelt  es  sich  um  denselben  Vorgang,  und 
es  ist  sehr  nöthig,  dass  der  Natur  des  Processes  nach  die  ver- 
schiedenen Hämatome  wohl  von  einander  unterschieden  werden. 
So  lange  es  sich  um  innere  Theile  handelt,  wählt  man  die  Be- 
zeichnung in  der  Regel  ungleich  präciser;  dagegen  je  mehr  nach 
aussen  gelegen  die  Stellen  sind,  um  so  schwieriger  wird  es,  sich 
in  dem  einzelnen  Falle  zurechtzufinden,  weil  man  da  alle  mög- 
lichen Dinge  unter  demselben  Namen  zusammen fasst. 

Die  einfachste  und  verhältnissmässig  am  besten  ausgeprägte  Art 
der  Hämatome  und  zwar  gerade  der  mehr  äusseren  entsteht  dadurch, 
dass  auf  traumatischem  Wege  oder  wenigstens  auf  mecha- 
nische Weise  irgendwo  innere  Zerreissungen  oder  Continuitäts- 
trennangen  zu  Stande  kommen  und  diese  Stellen  Sitz  der  Blutung 
werden.  Es  geschieht  in  der  Regel,  während  sich  die  Continuitäts- 
trennung  bildet,  auch  zugleich  eine  Zerreissung  von  Gefässen ;  aus 
diesen  zerrissenen  Gefässen  tritt  das  Blut  in  grösseren  oder  klei- 
neren Quantitäten  zwischen  die  Bruchstücke  des  auseinanderwei- 
chenden Gewebes  und  bildet  hier  die  Geschwulst.  Wenn  man 
sich  ein  recht  prägnantes  Beispiel  dafür  vorstellen  will,  so  kann 
man  die  gewöhnliche  Knochenfractur  nehmen.  Wo  ein  Kno- 
chen auseinanderbricht,  da  wird  eine  gewisse  Zahl  von  Gefässen 
mit  zerrissen;  aus  diesen  entsteht  eine  Blutung  und  das  Blut  la- 
gert sich  zwischen  die  Bruchenden.  Ist  es  sehr  viel  Blut,  so 
muss  eine  grosse  Schwellung  entstehen  und  man  könnte  es  ein 

VIrehow,  GafchvAUt«.    1.  9 


130  Siebente  VorlesDOg. 

Hämatom  nennen;  man  nennt  es  jedoch  nicht  so,  weil  die  Blat- 
raaäsen  meistens  »ohr  in  der  Tiefe  liegen  und  nicht  deutlich  ab- 
gegrenzte Beulen  darstellen.  Denkt  man  sich  aber  etwas  gans 
Äehnliches  mehr  oberflächlich,  so  das»  eine  mit  Blut  gelullte 
Lücke  am  Knochen  mehr  äus!^e^lich  sich  bildet,  dann  wählt  man 
gcradesweges  den  Namen  des  Hämatoms. 

Die  bekannteste  unter  diesen  Formen  und  die  am  meisten 
besprochene  ist  das  von  Nägele*)  so  genannte  Kephalaema- 
tom,  der  Tumor  cranü  sanguineus,  die  Kopfblntgeschwalst,  — 
eine  Form,  welche  am  häufigsten  unmittelbar  nach  der  Geburt 
bei    Neugebornen    vorkommt    und    welche    darin    besteht,   dass 


an  der  Obcritärlie  des  Schridels,  gewöhnlich  an  einem  von  Mus- 
keln nicht  bedeckten  Theile  desselben,  am  häutigsten  am  rech- 
ten Parietalbein'*),  eine  riacli rundliche  Geschwulst  sich  erhebt, 
die  im  Verlauf  einiger  Tage,  gewöhnlich  bis  zum  dritten  Tage 
zunimmt,  bis  sie  sich  als  ein  ziemlich  starker,  praller  Höcker 
Ober  die  Oberfläche  erhebt.  Das  Blut,  welches  die  Geschwulst  bil- 
det (denn  es  ist  wesenilich  Blut,  welches  die  Masse,  das  Volumen 
der  Geschwulst  ausmacht),  liegt  sehr  regelmässig  eingeschlossen 
in  eine  Art  von  Cyste.  Man  muss  von  aussen  her  durch  eine  derbe 

Fi];.  10.  S^nkri^hlor  DurHischnitt  durch  ein  G  ^Yo<:h«Il  kltes  Kephi- 
llmatom  de«  Srheiti'lbeiiiii  (Präpurot  No.  131.  der  Samminng;  6es  pktholo- 
Ci^hen  Instituts  lu  Borlin).  Mnn  sieht  in  nateret  einen  Theil  d«r  b«bldet- 
hChle,  ilarübfr  das  Os  parietale,  weli-hea,  besonders  nkch  links  hin,  ivei 
dDirh  sponiiiüse  Substanz  getrennte  Kindeulagen  erbennen  lisat.  D«rilb«T 
die  lU'ihie  des  llüroatoms,  durch  d.u  abgehobene  Perieraniuni  f:racUtMsea. 
An  den  Seilen  die  fuTt  sehreit  ende  Anbildung  neuer  KnoehenschichteQ  (Kno- 
ehrnrinK). 

*)  C.  Zeller.  I>e  cepliaUematomile  sen  sangiiineo  rrsaii  tasor«  ncta» 
natuTiim  atmnientatio    lleidelb.  IHä-J. 

")  Job  Aug.  Burehard.  He  toroore  rrmnü  rec«iis  Batonn  Baagniieo 
«ymbolM  lOi).  inilul.)  Vratial.  IM?,  p.  12. 


Kephalämatom.  131 

Haut  durchschneiden,  um  zu  dem  Blute  zu  kommen;  eben- 
so ist  nach  innen  die  Höhle  geschlossen.  Die  äussere  Be- 
grenzung ist  das  Pericranium,  welches  erhoben  ist;  die  untere 
Begrenzung  ist  der  regelmässig  fortlaufende,  jedoch  oft  von  einer 
faserstofligen  Lage  leicht  bedeckter  Knochen.  Das  Blut  liegt 
also  in  einer  Höhle  zwischen  Pericranium  oder,  wenn  man  will, 
Periost  und  Knochen. 

Es  unterscheidet  sich  diese  Form  von  der  gewöhnlichen  Kopf- 
geschwulst (dem  Caput  succedaneum),  wie  sie  während  der  Geburt 
bei  Kindern  so  häutig  entsteht,  dadurch,  dass  bei  letzterer  in  Folge 
des  Druckes  der  Geburtswege  zuerst  seröse  Flüssigkeit,  späterhin 
auch  etwas  Extravasat  in  die  Weichtheile  des  Schädels,  und  nament- 
Hch  in  d:is  subcutane  oder  subaponeurotische  Bindegewebe  ergossen 
wird.  Bei  dem  Kephalämatom  liegt  die  Masse  des  Blutes  wesent- 
lich unter  dem  Pericranium.  Es  kann  wohl  sein,  dass  gleichzeitig 
auch  noch  eine  ödematös- hämorrhagische  Kopfgeschwulst  über 
dem  Pericranium  sich  findet;  diese  muss  man  aber  unterscheiden 
von  dem,  was  in  der  Tiefe  ist.  Will  man  sie  gleichfalls  Kephal- 
ämatom nennen,  so  muss  man  sie  mit  Bruns*)  besonders  be- 
zeichnen (Kephalaematoma  epicranii ,  Epicraniaematoma).  Die 
eigentlichen  Hämatome  sind  aber  von  viel  erheblicherer  Bedeu- 
tung und  sie  haben  immer  am  meisten  die  Aufmerksamkeit  der 
Aerzte  auf  sich  gezogen,  weil  sie  oft  scheinbar  ohne  Veranlas- 
sung entstehen  und  sich  meist  sehr  langsam  zurückbilden,  so  dass 
sie  Wochenlang  wie  eine  selbständige  Geschwulst  fortbestehen. 

Das  Kephalämatom  entsteht,  indem  das  Pericranium  sich  von 
den  Schädelknochen  ablöst  und  aus  den  Gefässen,  welche  in 
grosser  Zahl  aus  dem  Pericranium  in  die  noch  jungen  Knochen 
hinübertreten,  und  welche  durch  die  Ablösung  des  Pericranium 
zerrissen  werden,  das  Blut  sich  frei  in  die  entstandene  Lücke 
ergiesst.  Die  Ablösung  geschieht  während  der  Geburt  selbst 
durch  den  Druck  der  mütterlichen  Theile  auf  den  Kindskopf;  die 
Blutung  folgt  gewiss  immer  sofort,  aber  sie  geht  auch  nach  der 
Geburt  fort  und  daher  kommt  es,  dass  die  Geschwulst  nicht  selten 
erst  einige  Stunden  oder  Tage  nach  der  Geburt  bemerkt  wird. 
Jedenfalls  erreicht  sie  ihre  grösste'  Höhe  erst  in  den  nächsten 
Tagen  und  sie  erscheint  dann  als  eine  plattrundliche,  sehr  pralle 


*}  Bruns.  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie.  1.  8.391. 

9* 


13-2 


Siebente  Vorleaong. 


Beule  von  beträcbtlichem  Umfange.  Am  häufigsten  hl  sie  eiQ- 
(acli;  zuweilen  findet  sie  sich  symmetriscli  auf  beiden  Scheitel- 
beinen ;  mancLmal  ist  sie  mehrfach,  indem  auch  andere  Sch&det- 
knochen  mitbetheitigt  werden. 

Besteht  sie  suhon  eine  gewisse  Zeit,  so  fühlt  man  rings  md 
umfange  der  Geschwulst  eine  harte  Erhebung,  da,  wo  das  abge- 
löste Fcricranium  sieh  an  den  Schädel  ansetzt;  dieser  Rand  wird 
allmälig  dicker  und  dicker,  in  der  Art,  dasä,  wenn  man  von  oben 


her  die  Theile  betastet,  man  rings  um  die  Geschwulst  wie  einra 
harten  Knochenring  fDhlt  Bei  noch  längerem  Bestände  schiebt 
sich  diese  knOcherne  Substanz  weiter  und  weiter  vor  und  es  bildet 
sich  allmälig  eine  Art  von  knOchemer  Schale  fiber  die  Blnt- 
blase.  Während  diese  Schalenbildung  fortschreitet,  verkleinert 
sich    in    der  Kegel  die    Geschwulst,   sie  sinkt  etwas  i 


Fig  11.  £ia  aufge«chDittenes  Kepbalio)>tom  des  rechten  Oa  bref- 
mati«  TOD  einem  lö  Tage  sltcu  Knaben,  das  am  C.  Tage  Dach  der  Gebort 
Btirfcer  herTorgetr«tea  war,  am  12ten  aber  einen  Slillstand  f^maeht  hatte. 
(PriMtat  No.  1213.).  RiogauuUcr  da,  wo  die  inrOckgeschlageDen  L)i|^>ei 
de«  PericraDium  sich  an  die  Koochea  ausetien,  ist  der  stark  heiTortrvteade 
KDOcheoriog  xd  sehen. 


KepbalSmKtom. 


133 


nnd  flacht  sich  ab.  Die  Ossificationen,  welche  man  dann  findet, 
sind  gewöhnlicli  in  Form  von  Bl&tteru  oder  Schuppen  an  die 
innere  Seite  der  äusseren   Membraa  angesetzt;    nach  und  nach 


versrOisern  und  vermehren  sie  sich  so,  dass  eine  fast  zasammen- 
hängende  Lage  solcher  Schüppchen  sich  vorfindet  Die  Schale 
b«8teht  dann  gleichsam  aus  lauter  Worm'schen  KnOchelchen. 

Diese  Erscheinoog  bat  vielfach  das  Erstaunen  der  Beobachter 
erregt,  bis  man  sich  in  der  neueren  Zeit,  wo  die  Entwickelungs- 
geschichte  der  Knochen  überhaupt  bekannter  geworden  ist,  leicht 
überzeugt  hat,  wie  die  Bildung  vor  sich  geht.  Bekanntlich  ist  es 
das  Pericraninm,  aus  welchem  die  neuen  Knochenschichten  gebil- 
det werden,  welche  sich  beim  Wachsthum  des  Schädels  auf  die 
slten  Knochen  absetzen.  Meine  Untersuchungen*)  haben  darge- 
than,  dass  es  nicht  ein  Exsudat  oder  ein  amorphes  Blastem, 
sondern  eine  Proliferation  der  inneren  Periostschichteh  ist,  aus 


Fig.  13.  Obere  Fläche  des  \a  Figur  10.  tuf  dem  Durchschnitt  abge- 
bildeten UBnutoniH.  Die  äassere  Knocbenschale  tat  fast  vollBtändig  geschlos- 
MD;  nur  an  einer  Stelle  iet  noch  eine  ganz  bSutige  Stelle  und  nm  dieselbe 
eine  mebr  onregelmäsBige,  blltterige  Ossification. 

*}  Hein  Archiv.  1853.  Bd.  V.  S.  438  ff. 


|34  Siebente  VorlesnDg. 

welcher  die  neaen  Knochenlagen  hervorgehen.  Wird  nun  das 
Pericranium  durch  Blut  vom  Knochen  getrennt,  so  hört  es  nichts 
dentoweniger  nicht  auf,  neue  Schichten  von  Knochensubstanz  zu 
erzeugen,  nur  da.«s  diese  sich  nicht  unmittelbar  auf  den  alten 
Knochen  auflagern  können,  weil  das  Blut  dazwischen  ist.  Nur 
am  Kunde,  wo  die  Membran  sich  anschliesst,  fugen  sich  auch  die 
neuen  Schichten  unmittelbar  an  die  alten  an,  und  so  entsteht  der 
erste  Ring.  Indem  die  Ossification  weiter  fortschreitet,  so  bildet 
sich  die  blasige  Knochenschale. 

Das  OsHificiren  der  wuchernden  Periostlagen  ist  also  eine 
ganz  natürliciio  Erscheinung.  Trotzdem  überrascht  die  Eigen- 
tiiiimliiiikeit  der  Geschwulst  gerade  in  dem  Stadium,  wo  der  so- 
g(*naniitc  Knochenring  existirt.  Man  bekommt  dann  leicht  den 
Killdruck,  als  habe  der  Schädel  an  der  Stelle  der  Geschwulst  ein 
Loch.  Rings  umher  fühlt  man  einen  harten,  vorstehenden  Rand; 
wtMin  man  aber  gegen  die  Mitte  eindrückt,  so  kommt  man  auf 
die  (^twas  weiche,  iluctuirende  Blutcyste,  aber  nicht  bis  auf  die 
Kiioclionoberflftche.  So  entsteht  das  Gefühl,  als  ob  ein  ganzes 
Stück  dos  Knochens  fehlte  und  als  ob  man  in  den  Sch&del  hinein- 
drückon  kOnnte. 

Kino  andere  Besonderheit,  welche  die  Kephalämatome  dar- 
hioton,  ist  die,  dass  das  Blut  in  iiinen  ungewöhnlich  lange  flussig 
bleibt;  liiW'hstens  dass  sich  an  den  Wandungen  ein  geringer  Fi- 
brinbosohlag  absetzt.  Ich  habe  Gelegenheit  gehabt,  zn  wieder- 
holton Malen  solches  Blut  zu  untersuchen,  nachdem  es  vier  bis 
sechs  NYochon  in  solchen  Beulen  gesteckt  hatte*);  jedesmal  war  es 
noch  flüssig  *^^  und  zugleich  noch  mit  ziemlich  wohlerhtltenen  Blut- 
körpon  hcn  vei^ehon.  Es  ist  d;is  insofern  ein  sehr  gfinstiges  Ver- 
hältnisse weil  dadurch  die  spfitere  Anfügung  der  änsseren  Knochen- 
K'i^e  an  die  alten  Knochen  möglich  wird;  denn  wenn  sich  ein 
dicko)i  iVi^ilum  dazwischen  legte«  so  würde  es  überhaupt  nicht 
m(^);lich  sota«  dass  die  iH'iden  Knochenblitier  wieder  aneinander 


*>  M«^in  Vrxhi^.  ISIT  B«l  !.  S.  44;l.  B<4  G^k^^Mt  einer  Diskussion 
Älv«  Koi\hAUmAti^m  m  iWr  Siuuni:  der  ^eburtj^hülfl.  Gesellschaft  aun  21».  Fe- 
SrnAT  iSn^l  tktrU  mir  im  Trv^^^ioU  dü^  Aipd^e  tttireiücknebeB,  dass  das  Blot 
«W  KitMn»  »ehr  fa>«*t>U^ffvt^k  sei  vVefliaadi«»^:««  d«r  Gc«.  f.  CtetMitsh.  \u 
hfHkm  ISi^  Xl\  S  ft\  Pk^s  ist  eta  Mi^vYn^iadsis»:  gvrade  da«  Um- 
IteieliHo  ist  4^r  1^*11 

**    X^l  II  ^re.     IV  tiii«i^%re  ctaMi  nwe«»  ■atorm  saapusco  •!  eiterao 
H  laurcHv  IH».  lajtiii:.  B<i\4.  I:!^M.  ^.  ±1 


Othamatom.  135 

kSmen.  Aber  so  kOnneo,  nachdem  das  Blut  atif  dem  Wege  einer 
lan^ameD  Resorption  entleert  ist,  die  Höhlen  Wandungen  sich  an- 
einanderlegen  und  es  kann  die  unmittelbare  Application  des 
äusseren  Knochenblattes  auf  das  alte  Lager  erfolgen.  Eine  künst- 
liche Entleerung  des  Blutes  ist  in  der  Regel  nicht  nöthig,  viel- 
mehr oft  schädlich,  da  die  Blutung  sich  leicht  erneuert.  Geduld 
führt  meist  zu  einem  erwünschten  Erfolge*),  und  selbst  wenn  dies 
langsamer  geschieht,  so  ist  doch  der  Anschluss  der  periostealen 
Knochenschichten  in  gleichen  Zeiträumen  vollständiger  bei  nicht 
eröflnetem  Hämatom,  als  bei  eröfl'netem.  Betschier**)  hat  dies 
durch  vergleichende  Beobachtung  bei  doppelseitigem,  aber  ver- 
schieden behandeltem  Hämatom  sicher  nachgewiesen. 

In  sehr  seltenen  Fällen  entstehen  auch  auf  der  inneren  Seite 
Ewischen  Dura  mater  und  Schädel  Ablösungen  und  Blutaustre- 
tangen***).  unter  diesen  Verhältnissen  kann  es  vorkommen,  dass 
ein  gewisser  Theil  des  Schädeldaches  seiner  Blutzufuhr  beraubt 
wird  und  das  Stück  abstirbt.  Das  ist  aber  ein  überaus  seltenes 
Ereigniss,  und  es  kann  daher  als  Regel  angenommen  werden, 
dass  der  Verlauf  dieser  Tumoren  ein  günstiger  ist.  — 

Eine  zweite  Hämatomform,  welche  sich  der  eben  besprochenen 
sehr  nahe  anschliesst  und  welche  gerade  in  der  letzten  Zeit  eine 
Fif.  13.  gewisse     Berühmtheit     erlangt     hat ,     ist 

die  Ohrblutgeschwulst,  Haematoma 
auriculae,  Othaematoma  —  eine  Ge- 
schwulst, welche  an  dem  äusseren  Ohr  sich 
in  einer  ganz  ähnlichen  Weise  zeigt,  wie 
das  Kephalaematom  am  Schädel.  Sie  Hn- 
det  sich  gewöhnlich  an  der  inneren  Seite 
der  Olirmuschel  so,  dass  an  der  Stelle  der 
Vertiefungen  sich  eine  rundliche  Ausfül- 
lungsmasse hervordrängt,  die  meist  ein 
deutliches  Gefühl  von  Fluctuation  giebt,  und 

Fig.  13.  Ein  »on  der  inneren  Fläche  der  Ohrmuschel  aus  durch  einen 
senkrechtea  Schnitt  erüffnetes  Othämatom.  Von  einem  Gciütesk ranken,  trau- 
matiach  entstanden  (Präparat  No.  3.  vom  Jahre  1862).  /  das  Ohrläppchen, 
ganz  frei,  m  Meatiis  auditoriiis  externus.  t  abgerissenes  Knorpelatüek,  noch 
am  Pericbondrium  festsiuend. 

*)  James  Y.  Simpson.  Obstetrie  memoirs  and  contriüutions.  Edinb. 
1856.  Vol.  II.  p.  463. 

••)  J.  W.BetBchler.  Klin.  Beilrägc  iitr  Gvnäkol.  Breslau.  1862. 1.S.  120. 
♦")  H«re.  p.  58. 


136  Siebente  Vorlesang. 

die,  wenn  man  sie  einschneidet,  mit  einem  in  der  Regel  flftssigen 
Blute  erfüllt  ist. 

Die  hauptsächlichsten  Beobachtungen  über  das  Vorkommen 
dieser  Form,  auf  welche  zuerst  Bird*)  in  Siegborg  die  Aufimerk- 
samkeit  lenkte,  sind  lange  Jahre  hindurch  bei  Geisteskranken  ge- 
macht worden,  und  namentlich  bei  solchen  Geisteskranken,  welche 
sich  in  den  späteren  Stadien  einer  zum  Blödsinn  führenden  Geistes- 
krankheit befanden,  selten  bei  solchen,  welche  in  einem  hohen 
Maasse  aufgeregt  oder  fiiribund  waren.  Am  meisten  fand  man  sie 
bei  Leuten,  die  der  sogenannten  progressiven  Paralyse  verfallen 
waren,  wo  also  neben  der  sinkenden  Geistesthätigkeit  auch  zu- 
gleich lähmungsartige  Erscheinungen  an  den  musculösen  Theilen 
des  Körpers  hervortraten.  Begreiflicherweise  hat  man  aus  diesem 
häufigeren  Vorkommen  geschlossen,  dass  gerade  der  Zustand  der 
Fatuität  oder  der  progressiven  Paralyse  ein  Zustand  der  Prae- 
disposition  far  das  Othaematom  sei,  und  man  fragte  nur  noch, 
wie  bei  dieser  Praedisposition  der  Process  wirklich  zu  Stande  käme. 

Hat  man  Gelegenheit,  frische  Fälle  zu  beobachten,  so  fin- 
det man  nicht  selten  das  Ohr  geröthet,  die  Temperatur  ge- 
steigert, die  Theile  auch  wohl  schmerzhaft,  jedenfalls,  wie  schon 
erwähnt,  geschwollen,  also  eigentlich  alle  Gardinalsymptome  eines 
entzündlichen  Zustandes.  Ja  die  Anschwellung  hat  oft  eine  so 
teigige  Beschaffenheit,  dass  man  die  vorausgesetzte  entzündliche 
Affection  mit  dem  Namen  des  Erysipelas  auriculae**)  bele^.  Man 
dachte  sich,  dass  bei  einem  disponirten  Individuum  ein  Erysipel 
entstände  und  unter  der  Hyperämie,  die  dabei  stattfände,  und  bei 
der  bestehenden  Allgemeinveränderung  des  Körpers  die  Hämor- 
rhagie  erfolgte,  welche  eine  Trennung  des  Perichondrioms  von 
dem  Knorpel  erzeugte.  Denn  die  Natur  dieser  Blutcyste  ist 
dieselbe,  wie  beim  Kephalaematom ,  indem  das  Perichondrium 
vom  Knorpel  abgelöst  ist.  Nur  darin  liegt  eine  durchgrei- 
fende Verschiedenheit  beider  Formen,  dass  beim  Othäm<*itom 
gewöhnlich  an   gewissen  Stellen   des   abgelösten   Perichondrinms 

^)  Journal  der  Chirurgie  u.  Augenheilkunde  von  Gräfe  und  Weither. 
1833   Bd.  XIX.  S.  631. 

^^)  Nach  Alt  (De  haematonatc  auriculae.  Diss.  inaug.  Halis.  1849.  p.  8.) 
btammt  dieser  Name  vonNeuroann,  während  nach  Leubuscher  (Mitthei- 
lungen über  (las  sogenannte  Ervbipelas  auriculae  bei  Irren.  Allg.  Zettachrift 
f.  Psychiatrie.  Bd.  III.  S.  447.)'^ der  Name  Hämatom  von  Weiss  io  Coldits 
vorgeschlagen  iat. 


Othämatom.  137 

Knoq[)elstücke  haften,  manchmal  sogar  grössere  zusammenhän- 
gende Knorpelplatten. 

Früherhin,  wo  man  im  Ganzen  nur  wenige  Fälle  dieser  Art 
anatomisch  genauer  untersucht  hatte,  entstand  die  Vermuthun;, 
dass  diese  Knorpelmassen  neugebildet  seien,  und  namentlich  die 
ünterauchungen  von  Heinr.  Meckel*)  und  Schrant**)  schienen 
diese  Anschauung  in  hohem  Maasse  zu  bestätigen.  Es  würde  dann 
allerdings  eine  noch  grössere  Analogie  mit  dem  Kephalaematom 
herausgekommen  sein,  indem,  wie  dieses  an  seiner  äussern  Schale 
Knochen  bildet,  hier  das  Perichondrium  Knorpel  erzeugte.  Die 
älteren  Resultate,  wie  sie  insbesondere  Leubuscher  zusammen- 
gefasst  hat,  gingen  in  der  That  darauf  hinaus,  dass  bei  einer  be- 
sonderen Fraedisposition  des  Körpers  entzündliche  Prozesse  ery- 
sipelatöser  Natur  Platz  griffen,  in  deren  Folge  sich  ein  hämor- 
rhagischer Erguss  und  durch  diesen  eine  Trennung  des  Perichon- 
drioms  vom  Knorpel  bildete,  und  dass  nachher  an  der  abgelösten 
Haut  allerlei  Organisationsvorgänge  stattfänden,  die  unter  Um- 
standen Knorpel  und  Knochen  erzeugten. 

Die  neueren  Untersuchungen  haben  dagegen  mit  Bestimmt- 
heit dargethan,  dass  auch  diese  Form  auf  einer  mechanischen, 
und  zwar  traumatischen  Trennung  der  Theile  beruht,  und  dass 
auf  ähnliche  Weise,  wie  das  Kephalaematom  mit  dem  mechanischen 
Durchtreiben  des  Kindskopfes  durch  die  Geburtswege  zusammen- 
hängt, 80  das  Othaematom  mit  gewaltsamen  Einwirkungen  auf  die 
Ohrrnnschel  zusammenfällt.  Einwirkungen  dieser  Art  sind  ja  nicht 
selten;  Schläge,  Ohrfeigen,  Zerrungen  an  den  Ohren  können  sehr 
leicht  vorkommen,  und  dass  sie  gerade  bei  paralytischen  Blöd- 
sinnigen häufiger  vorkommen  als  bei  anderen,  das  scheint  sich 
eben  aus  der  Natur  dieser  Kranken  und  der  Beschaffenheit  ihrer 
Wärter  zu  erklären.  Man  hat  dagegen  auch  immer  nur  einwen- 
den können,  dass,  wenn  das  wahr  wäre,  sich  doch  dieselben  Ohren 
gelegentlich  auch  bei  anderen  Leuten  vorfinden  müssten. 

Nun,  für  diesen  Punkt  hat  gerade  in  der  neuesten  Zeit  einer 
unserer  einsichtsvollsten  Irrenärzte,  Herr  Gudden***)  in  Werneck 
sehr  schöne  Belege  geliefert,  indem  er  darauf  aufmerksam  ge- 


^)  Bei  Leubuscher  a.  a.  0. 
**)  Sehrant.  Prijsverhandeling  over  de  goed-  en  kwaadaardige  gezwelleo. 
iLasterd.  1851.  Bd.  1.  Bl.  187. 
•♦•)  AUg.  Zeitschr.  f.  Psychiatrie.  1860.  Bd.  XVlll.  2.  S.  121. 


138  Siebente  Vorlesung. 

macht  bat,  dass  schon  in  der  alten  Sculptur  die  ausgedehntesten 
Belege  für  dieses  Vorkommen  sich  finden.  Er  hat  zuerst  in  der 
Glyptothek  in  München  ein  paar  Herkulesköpfe  mit  derartigen 
Ohren  aufgefunden  und  beim  weiteren  Nachforschen  entdeckt,  dass 
insbesondere  Winkelmann  auf  diese  eigentbümlicben  Ohren 
weitläufiger  aufmerksam  gemacht  hat.  Nacb  diesem  erprobten 
Alterthumskenner  sind  missgestaltete  Ohren  das  typische  Zeichen 
der  alten  Faust-  und  Ringkämpfer.  Diese  Faustkämpfer,  die  Pan- 
kratiasten,  die  ihre  Hände  mit  ledernen  Riemen  umwanden  und 
damit  auf  einander  losgingen,  bearbeiteten  sich  die  Ohren  so  voll- 
ständig, dass  beim  Herkules,  beim  Pollux  und  verschiedenen  an- 
deren typischen  Kämpferfiguren  das  verunstaltete  Ohr  ein  regel- 
mässiges plastisches  Ornament  geworden  ist.  Durch  die  Ver- 
gleichung  der  alten  Schriftsteller  hat  sich  ferner  ergeben, 
dass  auch  manche  andere  historische  Persönlichkeiten,  z,  B. 
Hektor,  mit  Ohren  dargestellt  wurden,  welche  durch  Haematom 
verändert  waren.  Es  ist  das  eine  in  den  Sammlungen  von  An- 
tiken so  häufige  Sache,  dass  sich  überall  die  Beweise  vorfinden. 
Gudden  schliesst  aus  diesen  Erfahrungen  und  aus  der  an- 
deren Thatsache,  dass  man  künstlich  durch  gewaltsame  Einwir- 
kungen auch  bei  einer  Leiche  noch  solche  Ablösungen  hervor- 
bringen kann,  dass  das  Phänomen  überhaupt  nur  traumatischer 
Natur  sei,  und  dass  alles,  was  man  über  Praedisposition  gesagt 
hat,  ein  Irrtlium  sei.  Das  scheint  mir  nun  wieder  etwas  za 
weit  gegangen  zu  sein,  denn  wenn  das  der  Fall  wäre,  so  meine 
ich  doch,  dass  die  Verunstaltung  häufiger  gefunden  werden  müsste. 
So  gewaltsame  Einwirkungen,  wie  sie  bei  den  alten  Pankratiasten 
stattgefunden  haben,  werden  gegenwärtig  auf  dem  Continent  frei- 
lich nicht  häutig  vorkommen;  höchstens  in  England  könnte  man 
vielleicht  Gelegenheit  finden,  diese  Beobachtung  bei  Boxern 
zu  ergänzen*).  Wenn  man  aber  die  Knorpel  untersucht,  so 
zeigt  sich  in  der  That  eine  Reihe  von  Veränderungen,  auch  bei 
sehr  frischen  Othaematomen.     Man  findet  nehmlich,   wie  schon 


•)  Nach  der  An{];abe  von  Wilde  (Praktische  Bemerkungen  über  Ohren- 
heilkundp.  Au»  dem  Engli»cheu  von  E.  v.  Ilaselberg.  1855.  S.  201.)  wörde 
dies  freilich  auch  nicht  der  Kall  sein,  iiidess  käme  es  auf  genauere  Verfol- 
gung des  Gegenstandes  an.  Denn  Wilde  selbst  giebt  die  Abbildung  einer 
Ohrmuschel,  die  wahrscheinlich  einem  früheren  Hämatom  angehört,  unter 
der  Beieichnung  einer  Cyste  (S.  200.). 


Othämatom.  139 

FranzFischer*)  richtig  bemerkt  hat,  gar  nicht  selten  in  dem 
Knorpel  einzelne,  schon  bei  schwachen  Vergrösserungen  erkenn- 
bare Erweichungsstellen,  welche  parallel  der  Oberfläche,  aber 
unter  derselben  liegen,  ähnliche,  wie  man  sie  auch  in  den  Rippen- 
knorpeln nicht  selten  antriflü;,  wo  die  hyaline  Grundsubstanz  ein- 
schmilzt, die  Zellen  zu  Grunde  gehen  und  eine  mit  einer  visciden 
Flüssigkeit  gefüllte  Spalte  entsteht.  Dass  nun  solche  Stellen  zu 
späteren  Trennungen  in  hohem  Maasse  disponiren  müssen,  liegt 
auf  der  Hand;  und  wenn  unter  bestimmten  Verhältnissen  durch 
allgemeinere  Ernährungsstörungen**)  oder  durch  frühere  locale  Ein- 
wirkungen auf  die  Knorpel  derartige  Erweichungsprozesse  hervor- 
gerufen werden,  so  können  diese  als  praedisponirende  Momente 
far  die  späteren  Zertrummungen  auftreten.  Denn  die  Knorpel- 
stücke,  welche  dem  Perichondrium  ansitzen,  sind  nicht  neuge- 
bildet, sondern  ausgerissene  Stücke.  Der  Knorpel  bricht  so  aus- 
einander, dass,  wo  die  erwähnten  Spaltbildungen  sich  finden,  mit 
der  Innern  Platte  des  Perichondriums  Stücke  des  Knorpels  mit 
abgerissen  werden.  Andere  Male  reisst  der  Knorpel  wohl  auch 
mitten  durch. 

Auch  die  Othämatome  bilden  sich  zurück,  indem  das  Blut 
allmälig  zur  Resorption  gelangt  oder  durch  eine  Pnnction  entleert 
wird  und  die  Oberflächen  sich  wieder  aneinanderlegen.  Hier  ist 
aber  das  Blut  in  der  Regel  nicht  so  vollständig  flüssig,  wie  bei 
dem  Kephalaematom,  sondern  es  bilden  sich  gallertartige  Goagula, 
welche  sich  an  die  Oberfläche  innig  anlegen,  und,  wie  bei  Knochen- 
fractnren,  einen  zarten  Ueberzug  über  die  getrennten  Theile  bil- 
den, welcher  nachher  als  ein  Verklebungsmittel  für  die  getrennten 
Oberflächen  dient.  Die  endliche  Heilung  erfolgt,  abgesehen  von 
den  seltenen  Fällen,  wo  eine  Vereiterung  eintritt,  in  der  Regel 
in  der  Art,  dass  eine  leichte  reactive  Entzündung  sich  bildet, 
dass  die  Weichtheile,  das  Perichondrium  insbesondere,  sich  ver- 
dicken und  in  dem  Maasse  als  sie  sich  wieder  anlegen  an  die 
Knorpel,  eine  Retraction  entsteht.    Dadurch  erlangt  das  Ohr  eine 


•)  Allg.  Zeitschr.  f.  Psychiatrie.  1848.  Bd.  V.  Heft  1. 
••)  Die  Bedeutung  dieser  Ernährungsstörungen  ist  in  letzter  Zeit  nament- 
lich TOD  Laycock  (Med.  Times  and  Gaz.  1862  March.  p.  289.)  und  II  u  t- 
chiosou  (ibid.  Dec.  p.  G0.3.)  verthcidigt  worden  und  letzterer  bringt  zu- 
gleich einen  Fall  von  doppeltem  Hämatom  bei  einer  nicht  geisteskranken 
Frao. 


]40  Siebente  Yorleeang. 

dauernde  Deformität.  Die  Ohrmuschel  zieht  sich  namentlich  von 
oben  nach  unten  und  i^on  aussen  nach  innen  zusammen,  wölbt 
sich  dabei  an  gewissen  Stellen  starker,  faltet  sich  an  anderen 
und  bekommt  so  eine  eigenthümliche,  wie  zusammengekrochene 
Beschaffenheit.  Und  gerade  so  haben  die  alten  Bildhauer  das  Ohr 
der  Pankratiasten  dargestellt.  — 

In  ganz  ähnlicher  Weise,  wie  in  diesen  zwei  Formen  die 
Hämatome  sich  als  eigentliche  Blutcysten  darstellen,  finden  wir 
eine  solche  Bildung  an  der  inneren  Fläche  der  Dura  mater  wie- 
der vor.  Die  Hämatome  der  Dura  mater*)  haben  inso- 
fern ein  gewisses  Specialinteresse  im  Vergleich  mit  der  letzter- 
wähnten Form,  als  sie  gleichfalls  häutiger  bei  Geisteskranken  und 
bei  solchen  Personen,  welche  nach  längeren  Gehirnleiden  zu  Grunde 
gehen,  sich  vorfinden.  Meistentheils  hat  man  für  die  Bezeichnung 
dieses  Zustandes  aber  einen  anderen  Namen  gewählt,  entsprechend 
demjenigen,  den  man  für  Hämorrhagien  in  der  Schädelhöhle  über- 
haupt anzuwenden  pflegt,  nehmlich  den  der  Apoplexie.  Dieser 
Name  hat  eine  gewisse  Begründung,  weil  ein  Theil  dieser  Per- 
sonen wirklich  auf  apoplektische  Weise,  das  heisst  durch  plötz- 
liche, schlagartige  Vernichtung  der  Hirnfunctionen  zu  Grunde  geht, 
mindestens  aber  jeder  neue  Anfall  mit  Störungen  der  Bewegungen 
verbunden  zu  sein  pflegt**).  Zum  Unterschiede  von  der  eigent- 
lichen Hirnapoplexie  hat  man  diese  als  Apoplexia  meningea 
oder  intermeningea  bezeichnet,  indem  man  annahm,  dass  der 
Bluterguss  zwischen  die  Hirnhäute  erfolgte,  und  zwar  zwischen 
die  Dura  mater  und  das  supponirte  Parietalblatt  der  Arachnoides. 
Es  haben  dagegen  französische  Beobachter,  namentlich  Baillar- 
ger,  schon  vor  längerer  Zeit  darauf  hingewiesen,  dass  das  Blut, 
wenn  man  die  allerersten  Zeiten  ins  Auge  fasse,  entschieden  auf 
der  freien  Oberfläche  läge,  und  man  hat  seitdem  vielfach  ange- 
nommen, dass  die  Haut,  welche  das  Blut  nach  innen,  also  in  der 
Richtung  gegen  das  Gehirn  hin  überzieht,  eine  aus  dem  Blute 
selbst  neugebildete  Schicht  sei***). 


*)  Virchow.    Das  Hämatom  der  Dura  mater.    Würzburger  Verhandl. 
1856.  Band  Yll.  S.  134. 

••)  Fred.  A.C.  Weber.  De  riiemorrhagie  des  meninges  cerebralea.  These 
de  Strasb.  1852.  p.  26. 

***)  Schuberg.     Das  Häroatoma  durae  matris  bei  Erwachsenen.    Mein 
Archiv.    1859.    Bd  XVI.   S.  464.   Bd. XX.    S.  301.    Lancereaux     Dea  he- 


Hämatom  der  Dura  mater.  141 

üatersucht  man  eine  grössere  Zahl  von  HämatomfaUen  und 
vergleicht  man  sie  mit  anderen,  wo  noch  keine  ausgemachte 
Hämatombildung  vorliegt,  so  kommt  man  unzweifelhaft  zu  der 
Ueberzeugung,  dass  es  sich  in  der  Regel  um  neugebildete  Häute 
handelt,  also  um  Pseudomembranen;  dass  aber  keineswegs  diese 
Pseudomembranen  aus  dem  Blute  selbst  entstehen,  welches  ex- 
travasirt,  etwa  in  der  Art,  dass  erst  das  Extravasat,  und  aus 
diesem  die  Pseudomembran  sich  bilde.  Es  verhält  sich  vielmehr 
umgekehrt:  erst  ist  die  Pseudomembran  da,  und  dann  entsteht 
das  Extravasat,  um  das  bestimmter  zu  übersehen,  muss  man 
diesen  Zustand  zusammenstellen  mit  Vorgängen,  die,  wenn  man 
blos  das  Blut  im  Auge  hat,  damit  gar  keinen  Zusammenhang  zu 
haben  scheinen,  nehmlich  mit  der  chronischen  Entzündung  der 
Dura  mater  überhaupt,  der  von  mir  so  genannten  Pachymeningitis 
chronica,  einem  Zustand,  der  bei  manchen  Geisteskrankheiten, 
die  zur  Dementia  f&hren,  sehr  ausgeprägt  vorhanden  ist. 

Die  Pachymeningitis  chronica  tritt  gewöhnlich  in  Anfällen 
au^  welche  sich  im  Verlauf  von  Jahren  öfters  wiederholen,  und 
wo  jeder  neue  Anfall,  jede  Recrudescenz  eine  neue  Schicht  von 
Bindegewebe  oder,  anders  ausgedrückt,  eine  neue  Pseudomem- 
bran erzeugt.  Diese  Pseudomembranen  entstehen  an  der  inneren 
Oberfläche  der  harten  Haut.  Es  bildet  sich  eine  erste,  dann  eine 
zweite  Pseudomembran,  und  so  fort;  ja  in  einigen  Fällen  von 
Blödsinn,  der  aus  frühester  Kindheit  herstammte,  habe  ich  bis  zu 
6  und  7  Strata  übereinander  gezählt.  Diese  Strata  können  ent- 
stehen unter  sehr  heftigen  Hyperaemien,  unter  einer  starken  Wal- 
lung des  Blutes;  es  können  sich  dabei  kleinere  oder  grössere 
Extravasate  schon  im  Anfange  bilden  (Pachymeningitis  haemorrha- 
gica),  aber  das  sind  nicht  diejenigen  Extravasate,  welche  die 
Haematome  machen,  sondern  sie  geben  höchstens  der  sich  bil- 
denden Pseudomembran  ein  gewisses  Quantum  von  Pigment. 
Erst  nachdem  die  Pseudomembranen  eine  gewisse  Stärke  erreicht 
haben  and  insbesondere,  nachdem  sich  in  dieselben  hinein  Ge- 
fässe  entwickelt  haben,  eine  wirkliche  Vascularisation  derselben 
eingetreten  ist,  erfolgt  die  Blutung,  und  zwar  so,  dass  das  Blut 


morrhagies  m^iogees,  consideröes  principalement  dans  leurs  rapports  avec 
les  neomembranes  de  la  dure-mere  cranieDne.  Archiv,  gön^r.  lo62.  Nov. 
F.  536. 


146 


Siebeote  VorleanDg. 


richtig  geBchehen,  weil  Thrombus  notbwendigerweise  fest  gewor- 
denes, coagnlirtes  Blut  bedeutet  und  gerade  auf  die  Eephalüma- 
tome  diese  Bezeiclmung  am  allerwenigsten  anwendbar  ist.  Was 
die  jetzt  zu  besprechende  Form  betrifiit,  so  denke  ich  dabei  nicht 
an  die  Thromben,  welclie  in  Blutgefässen,  namentlich  ia  Venen, 
entstehen,  obwohl  es  in  varicösen  Venen  woht  vorkommeD  kaon, 
dass,  wenn  sie  ganz  mit  Thromben  geftillt  werden,  sie  sieh  in 
Form  harter  Knoten  darstellen,  wie  das  namentlich  bei  den  Hi- 
roorrhoidaltutnoren  zuweilen  der  Fall  ist. 

Indessen  giebt  es,  wie  m  den  Ger&»8en,  auch  anderswo  freie 
Thromben,  und  ein  besonders  ausgezeichnetes  Beispiel  bildet  das 


Fig.  15.  Gtohbp!)  polypöMOä  Hämatom  des  Uterus  oub  einem  Aborti» 
im  iweiteii  Honat,  von  tiner  An  Cholera  leidenden  Penon.  (Prtp.  No.  139. 
vom  Jahre  1857).  a  Henorgeiogeiier  Tbeil  der  PlacenU  naterna  und  der 
UteruBtrand ;  b  Rente  der  Placenta  foe talig,  instMsODdere  Cborionaottni ; 


PolypOMS  H&maton)  des  Ut«niB.  \4^ 

freie  polypöse  Hämatom  des  UteruB,  oder,  wie  ee  von 
Velpeau*)  und  Kiwincb  **),  die  zuerst  darauf  aufmerksam  ge- 
macht haben,  genannt  worden  ist,  der  fibrinöse  Uteruspo- 
lyp. Han  tindet  zuweilen  in  derselben  Art,  wie  andere  grosse 
Dteruspolypen  sieh  darstelleo,  GeschwQlste,  welche  die  Utenis- 
bOble  ausdehnen  und  an  einem  bald  breiteren,  bald  engeren  Stiele 
ritxen,  welche,  wenn  sie  wachsen,  sich  allmählich  in  das  Collum 
ateri  und  selbst  aus  dem  Orificinm  externum  uteri  hervorschie- 
ben,  dabei  den  Hals  des  Uterus  auf  das  Aeusserste  ausdehnen 
und  endlich  in  Form  eines  grossen,  rundlichen  Tumors  in  die 
Scheide  hervorragen.  Der  Fundus  eines  solchen  Uterus  hat  ge- 
wöhnlich einen  massigen  Umfang-,  der  Körper  and  Hals  gehen 
bis  zu  dem  Oriticium  externum  hin  trichterlSrmig  auseinander, 
Dud  es  hängt  daraus  ein  mehr  oder  weniger  grosser  rundlicher 
Körper  hervor,  der  nach  oben  festaitxt***).  In  der  Regel  ist  so- 
wohl die  Entwickelang  einer  solofa«i)  Geschwulst,  als  auch  ihr 
Fortbestand  mit  grossen  Blutungen  Terbonden,  und  gerade  da- 
durch wird  diese  Form  leicht  geftlirlicher  als  manche  andere 
eben  so  grosso  polypöse  Bildungen  des  Geb&rorganes.  Schneidet 
man  eine  solche  Ifosse  durch,  so  findet  man  zuweilen  eine  äus- 
sere derbere  Schicht,  gleichsam  eino  Hembrtn,  während  innen 
mehr  dankelfoth«,  blutige  Hissen,  oft  deutlich  stratiticirt,  Schicht 
um  Scliiclit  gelagert  sind. 

Die  Hauptfrage  war  nun,  nnter  was  filr  Verhältnissen  sirh 
diese  Dinge  bilden  und  wif  sie  sich  befestigen  können.  Denn 
wenn  eine  einfache  Blutung  in  die  ROhle  des  Uterus  erfolgt,  so 
kann  daraus  allerdingH  ein  Gerinnsel  werden;  das  GerinuKcl  kann 
die  Form  des  Uterus  annehmen,  es  kann  den  Uterus  ausdehnen, 
^er  es  kann  sich  doch  nicht  «o  fixiren,  dass  es  in  Form  einer 
polypösen  GM^wuIst  festsitzt  Der  Gedanke  liegt  daher  sehr  nahe, 
dass  bei  dem  polypOaen  Hämatom  eine  besondere  Stelle  den  Aus- 
gangspunct  bildete,  mid  insbesondere,  dass  eine  Placentarstelle 


•)  Ve!pe«o.  TniU  d«  mMeciDe  op^ratoire.  1837.  T.  IV.  p.  382. 

*•)  Kiwiscb.  Die  Krankheiten  der  Gebärroutter.  1845.  S.  4^0.  Klioische 
Vortfiea  Aber  apec.  Pathol.  n.  Ther.  der  Krankheilen  dea  weiblichen  Oe- 
Kblechts.  Abth.  1.  &  Aufl.  1851.  S.  472. 

***)  Lose  Blitgenaneel ,  auch  wenn  sie  die  F'orm  des  Uterue  haben,  ge- 
boren nicbt  hierter,  and  es  ist  wohl  nur  ein  HisBverstSndniss ,  wenn  Carl 
Uirieh  (Deber  Hietologie  a.  Formen  der  Uternapolj'peD.  Inaag.  Diss.  GiesBen. 
ISU.  S.  43.)  ein  solcbefl  ala  Beispiel  fOr  den  Potj-pua  fibrinoeus  beschreibt. 


I4S 


Siebente  VorlcBQDg. 


die  Basis  der  Geschwulst  und  die  Bedingung  ihrer  BUdnng  würde. 
In  der  That  findet  man  auch  zuweilen  ähnliche  Polypen  bei 
Puerpern,  unmittelbar  nach  einem  Wochenbett*);  allein  Kiwisch 
hatte  sie  bei  Personen  beobachtet,  bei  denen  scheinbar  nnr  copiöse 
Menstruationen  vorausgegangen  waren.  Hier  lässt  sich  im  ein- 
zelnen Falle  nicht  immer  mit  Sicherheit  darthun,  welcher  Nalnr 
diese  nMenstruatio  nimia"  war,  namentlich  wenn  man  nur  wäh- 
rend des  Lebens  untersuchen  kann,  indess  ist  es  nach  den  Beob- 
achtungen von  Scanzoni**)  doch  sehr  wahrscheinlich,  dass  ia 
der  Kegel  ein  Abortus  vomusging.     Auch  gehOrt  von  dem,  was 


*)  Viri'liow.  NutJi  Über  librinase  PoIvpcD.  WQribiirger  Verk»(ll.  Itt51. 
Bd.  II.  S.  Slö. 

**}  Scanxooi.  Die  Gi'n«se  der  übrioGsea  oder  Bin tpolvpcD  dM  Uterua. 
WOnbiirg.  V«-rliundl.  ItiTil.  Bd.  II.  S.  30. 

Fig.  t<>.  l>oly{>dsi'  llvrvorütalpuDg  diT  PUrentftratelle  Mier  Frai, 
wrli'h«  im  7.  Miiiiat  iiioilcr):e kommen  und  an  Verblutnne  gestorben  wtr 
(PT3|uirat  Nu.  Mi.).  Auf  der  Phi-entarstelle  aitit  nneh  ein  grosses,  sehr 
dicbteit  StDi-k  lüuleu  Uulti-rkuehenit ,  iu  welchem  die  Zotten  sehr  deutlkh 
!■  erkennen  sind.  Seine  OberSüehe  ist  abcegUltet  und  tod  einer  dOnnea 
baet«irrfaik{[i»fheu  Litte  überdcikt.    Natarliebe  Urüsae. 


Polvpöses  Hämatom  des  Uterus.  149 

in  der  Literatur  unter  dem  Namen  der  Placentar- Retentionen 
beschrieben  ist*),  manches  in  diese  Kategorie.  Post  mortem 
finde  ich,  dass  die  Basis  immer  eine  Placentarstelle  ist,  theils  so, 
dass  Reste  von  der  fötalen  Placenta  zurückgeblieben  sind,  und 
über  diese  Reste  sich  die  hervorquellenden  Blutmassen  nieder- 
schlagen (Fig.  15,  16);  theils  so,  dass  nach  vollständiger  Ablö- 
sung der  Nachgeburt  das  aus  den  zerrissenen  Gefassen  hervor- 
quellende Blut  sich  auf  die  höckerige  Oberfläche  der  mütterlichen 
Placentarstelle  ansetzt.  Das  erstere  dürfte  wohL  das  häufigere 
sein.  Je  länger  aber  die  Masse  v^äclist,  je  grösser  sie  sich  her- 
vorschiebt, je  mehr  sie  den  Uterus  ausdehnt,  um  so  mehr  wird 
sie  zu  allerlei  Beschwerden  Veranlassung  geben,  zu  unangenehmen 
Empfindungen,  zu  krampfhaften  Zufallen;  namentlich  unterhält  sie 
die  Neigung  zu  Blutungen,  weil  sie  immer  mehr  die  Theile  aus- 
weitet und  die  einmal  blutenden  Stellen  auseinanderzerrt.  Zu- 
gleich gewinnt  die  Befestigung,  wenn  sie  gerade  auf  einer  zurück- 
gebliebenen Placentarmasse  erfolgt,  eine  ungewöhnliche  Derbheit, 
und  es  ist  daher  in  einem  solchen  Fall  ein  unmittelbares  Ein- 
greifen zur  Entfernung  dieser  Massen  durchaus  erforderlich,  um 
die  Neigung  zu  Blutungen  zu  beseitigen.  — 

Was  man  ausser  den  angeführten  Formen  noch  Hämatome 
genannt  hat^  dss  sind  zum  grossen  Theil  Geschwülste,  welche  in 
andere  Kategoiien  hineingeboren,  insbesondere  Formen,  welche 
der  nächst  za  besprechenden  Abtheilnng  der  Exsudationsgeschwülste 
angehören,  iafiofmi  dabei  in  der  Regel  eine  schon  bestehende 
Geschwnlrt  siok  in  einem  späteren  Stadium  mit  einer  Hämorrhagie 
complicirt.  Aus  einem  Hygrom  der  Patella  kann  später  ein 
Hämatoms  ^atellare  werden,  indem  in  den  schon  gebildeten 
grossen  Sack  Blutaastretungen  geschehen.  Dadurch  entsteht  eine 
Modification  des  Hygroms,  welche  man  immerhin  Hämatom  nennen 
mag;  nur  ist  das  nicht  eine  unabhängige  Form  für  sich.  Ebenso 
wird  aus  einer  Hydrocele  eine  Hämatocele,  indem  in  den 
durch  Wasseranhäufung  gebildeten  Sack  nachher  Blutaustretungen 
erfolgen. 

Wenn  man  in  der  neueren  Zeit  auch  bei  der  Frau  von  einer 
Hämatocele  gesprochen  hat,  so  ist  das  freilich  etwas  anderes,  als 


*)  A.  Hegar.   Pathologie  und  Therapie  der  PlaceutarreteDtionen.  Berlin. 
Ib62.  S.  86  folg. 


150  Siebente  Yorleeung. 

eine  blutige  Anhäufung  in  dem  (ja  auch  beim  Weibe  unter  Um- 
standen vorhandenen)  Processus  vaginalis  peritonaei;  es  ent- 
spricht das  aber  auch  nicht  genau  dem  Begriff  des  Hämatoms. 
Denn  man  versteht  darunter  die  Anhäufung  von  hämorrhagischen 
Substanzen  in  der  Excavatio  recto  -  uterina ,  so  dass  durch  die 
Menge  der  angehäuften  Blutgerinnsel  an  dieser  Stelle  eine  ge- 
schwulstartige Masse  entsteht,  die  sich  gegen  das  hintere  Scheiden- 
gewölbe herabsenkt,  die  den  Uterus  verschiebt  und  die  man  von 
der  Scheide  und  vom  Rectum  aus  als  eine  derbe  Geschwulst  f&hlen 
kann.  Es  ist  das  die  von  Nelaton  so  genannte  Hämatocele 
retro-uterina  oder,  wie  Aran*)  sagt,  der  Tumor  sangnineus 
periuterinus.  Meiner  Erfahrung  nach  handelt  es  sich  dabei  immer 
um  eine  Anhäufung  von  hämorrhagischem  Material  in  der  Bauch- 
höhle selbst,  wenngleich  dasselbe  nicht  immer  ganz  offen  liegt 
Die  Anhäufung  selbst  erklärt  sich  dadurch,  dass  alle  möglichen 
Substanzen,  welche  überhaupt  in  der  Bauchhöhle  frei  werden,  also 
auch  ausgetretenes  Blut,  sich  nach  dem  Gesetz  der  Schwere  in 
die  Excavationen  des  Beckens  herabsenken.  Ausserdem  ist  es 
nicht  selten,  dass,  wenn  in  diesen  Excavationen  entzündliche 
Processe  Platz  greifen  und  in  Folge  derselben  eine  pathologische 
Yascularisation  zu  Stande  kommt,  locale  Hyperaemien  und  Hä- 
morrhagien  entstehen,  die  sich  von  Zeit  zu  Zeit  wiederholen  und 
allmälig  zu  reichlichen  Anhäufungen  Veranlassung  geben.  In  diesem 
letzteren  Falle  kann  es  geschehen,  dass  die  Peritonitis  retro- 
uterina,  ähnlich  wie  die  Pachymeningitis,  Pseudomembranen  er- 
zeugt und  dass  das  Extravasat,  welches  aus  den  Gef&ssen  der 
Pseudomembran  erfolgt,  zwischen  die  Blätter  derselben  abgesetzt 
wird  und  so  ein  geschlossenes  (enkystirtes)  Hämatoma  retro- 
uterinum  (H.  pelvicum  s.  periuterinum  Simpson)  entsteht 
Aehnliches  sieht  man  zuweilen  bei  Männern  in  der  Excavatio  recto- 
vesicalis.  Die  entzündliche  Genese,  welche  schon  Yoisin  klinisch 
genau  festgestellt  hat,  kann  hier  nicht  bezweifelt  werden,  und  die 
Analogie  mit  dem  Hämatom  der  Dura  mater  findet  nur  in  einem 
Punkte  keine  Anwendung,  darin  nehmlich,  dass  die  Prognose  im 
Allgemeinen  keine  ungünstige  ist  und  die  Resorption  des  Extra- 
vasats oft  überraschend  schnell  erfolgt   Man  findet  dann  bei  der 


*)  Aran.    Le(;on8  cliniques  sur  les  maladies  de  rot^ms  et  de  ees  an- 
nexes.  Paris.  1858.  p.  751. 


Hfimatocele  retrouteriDa.  151 

Autopsie  abgekapselte,  schmierige,  bräunliche  oder  schwärzliche, 
platte  Anhäufungen  an  der  Stelle  der  früheren  Geschwulst. 

Manchmal  geht  die  hämorrhagische  Masse  aber  auch  in  Er- 
weichung über  und  es  bildet  sich  im  Umfange  derselben  eine 
Eiterung,  welche  endlich  Durchbrüche  in  die  Nachbartheile ,  zu- 
mal in  den  Mastdarm  und  die  Scheide  erzeugt  *)  und  die  Entleerung 
der  Massen  auf  diesem  Wege  möglich  macht.  Freilich  tritt  dadurch 
nicht  immer  Heilung  ein ;  fortdauernde  Entleerungen  von  Eiter  und 
Blut  können  die  Kranken  so  erschöpfen,  dass  der  Tod  in  Folge 
davon  eintritt. 

Einige  Autoren  haben  ausser  dieser  intraperitonaealen  Häma- 
tocele  noch  eine  besondere  extraperitonaeale  Form  beschrieben, 
welche  in  der  Basis  der  breiten  Mutterbänder  oder  zwischen  den 
Blättern  derselben  oder  wenigstens  unter  dem  Peritonaeum  liegen 
soll**).  Ich  möchte  glauben,  dass  hierbei  Irrthümer  untergelaufen 
siDd.  Eine  primär  extraperitonaeale  Hämatombildung  habe  ich,  ab- 
gesehen von  puerperalen  und  traumatischen  Fällen,  niemals  an  der 
Leiche  gesehen.  Es  kann  sein,  dass  eine  Parametritis  ***)  oder, 
wie  Simpson  sagt,  eine  Gellulitis  pelvica  in  der  Umgebung  des 
Uterus  Eiterhöhlen  erzeugt,  in  welche  später  eine  Blutung  erfolgt; 
indess  möchte  es  sich  nicht  empfehlen,  dies  ein  Hämatom  zu  nennen. 
Meist  ist  die  für  das  Peritonaeum  angesehene  Membran  wohl  eine 
neugebildete  Haut,  welche,  wie  die  pachy meningitischen  Pseudo- 
membranen bei  den  Hämatomen  der  Dura  mater,  auf  die  alte  Haut 
adigelagert  ist  und  unter  welche  die  Blutung  so  erfolgt,  dass  sie 
allerdings  dadurch  abgekapselt  ist.  Weniger  wahrscheinlich  ist 
es,  dass,  wie  Tyler  Smith f)  glaubt,  das  Extravasat  selbst  se- 
condär  von  einer  peritonitischen  Pseudomembran  überkleidet  wird. 
Ich  halte  dsa  um  so  weniger  für  wahrscheinlich,  als  ich  die  An- 
sieht der  meisten  Schriftsteller  nicht  theile,  wonach  das  ganze 
Extravasat  aus  dem  Uterus,  dem  Eierstock  oder  den  Tuben  her- 
stammen  soll.    Aus  den  Tuben  erfolgen  grössere  Blutungen  fast 


*)  Bernuti  et  Oonpil.  Cliniqae  med.  sur  les  maladieg  des  femmes. 
Paris.  1860.  T.  I.  p.  220.  Madge.  TransactioDs  of  the  obstetrical  society  of 
London.  1862.  Vol.  UF.  p.  79.  PL  II.  und  111. 

••)  Puech.     Gaz.  m^d.  de  Paris.  1858.   p.  164,  444.    Simpson.   Med. 
Times  and  Gaz.  1859.  Aug.  p.  153,  155. 
^••)  Mein  Archiv.  1862.  Bd.  XXill.  S.  425. 
t)  Transactions  of  the  obst.  soc.  of  Lond.  Vol.  III.  p.  101. 


152  Siebente  Vorlesoog 


o* 


nur,  wenn  dieselben  in  Folge  von  Tuben-Schwangerschaft  ber- 
sten *),  und  ich  halte  es  nicht  Ar  unmöglich,  dass  einzelne  Fälle 
dieser  Art  für  blosse  Hämatocelen  genommen  worden  sind. 
Grössere  Blutungen  aus  den  Eierstöcken  aber  sind  noch  viel 
seltener.  Nur  wenn  ulcerative  Processe  an  den  Tuben  und 
Eierstöcken  bestehen,  kommen  Blutungen  öfter  vor,  und  das  ist 
namentlich  bei  manchen  Fällen  von  Hydrops  tubae  sangninolentus 
und  von  hämorrhagischen  Cysten  des  Eierstocks  der  Fall.  Für 
gewöhnlich  stammt  meiner  Ansicht  nach  das  Blut  ganz  oder 
grossentheils  aus  den  neugebildeten  Gefassen  partiell  -  peritoni- 
tischer  Schichten  der  Excavationen. 

Der  allerdings  sehr  bemerkenswerthe  Umstand,  welchen 
alle  Beobachter  einmüthig  hervorheben,  dass  die  Geschwulst  ge- 
wöhnlich mit  einer  Menstruation  plötzlich  beginnt  und  mit  den 
folgenden  Katamenial-Perioden  anfallsweise  wächst,  spricht  nicht 
gegen  eine  solche  Erklärung.  Freilich  scheint  es  bequemer,  mit 
Lau  gier**)  das  gesammte  Blut  direct  aus  dem  bei  der  Ovolation 
geborstenen  Graafschen  Follikel  abzuleiten,  allein  die  Erfahrung  hat 
diese  Auffassung  so  wenig  bestätigt,  dass  gerade  manche  Beobach- 
ter, welche  Gelegenheit  zu  Autopsien  hatten,  zu  der  Ueberzeugung 
gefährt  sind,  eine  Ruptur  grösserer  Gefässe  in  den  Ligamenta  lata 
sei  die  Ursache  der  Hämorrhagie  gewesen.  Auch  ist  es  ja  nicht 
zu  bezweifeln,  dass  die  menstruale  Fluxion  sich  nicht  auf  die 
Gefisse  der  Graafschen  Follikel  oder  der  Tuben  beschränkt, 
sondern  sämmtliche  Gefasse  der  Nachbarschaft  mit  betriffi,  und 
wenn  daher  im  Douglas'schen  Raum  eine  ungewöhnliche  Vascu- 
larisation,  sei  es  des  Peritonaeum  selbst,  sei  es  neugebildeter 
Pseudomembranen  besteht,  so  kann  es  hier  ebenso  leicht  zur  Hä- 
morrhagie kommen,  wie  am  Eierstock  oder  den  Trompeten.  Der 
von  den  früheren  Beobachtern  übersehene  Umstand,  dass  auch 
bei  Männern  ähnliche  Zustände,  wenngleich  nicht  in  so  hohem 
Grade  vorkommen,  spricht  entschieden  zu  Gunsten  der  von  mir 
aufgestellten  Ansicht,  bei  welcher  übrigens  die  Möglichkeit  nicht 
ausgeschlossen  ist,  dass  die  besprochene  partielle  Peritonitis  unter 
Umständen  durch  Stoffe  hervorgerufen  wird,  welche  aus  dem  Eier- 


*)  Vgl.  die  von  mir  initgetheilten  Fälle  in  den  Wärzburger  Verband]. 
1850.  Bd.  I.  S.  298.  1852.  Bd.  III.  S.  349.    Gesammelte  AbbaadL  S.  792  ff. 
••)  Gaz.  med.  de  Pari».  1855.  p.  151. 


Hämatocystides.  153 

stock  oder  der  Trompete  ausgetreten  sind.  Bernntz  hat  für  die 
Existenz  dieser,  wie  er  sagt,  Pelvi-peritonitis  haemorrhagica  men- 
strualis  eine  Reihe  beachtenswerther  Thatsachen  beigebracht.  — 

Weiterhin  giebt  es  noch  eine  Reihe  von  Blutcysten,  Hae- 
matocystides,  wo  man  in  glattwandigen  Höhlen  Blut,  und 
zwar  flüssiges  oder  verändertes  Blut  findet.  Indess  auch  diese 
Formen  gehören  in  der  Regel  zu  nachweisbaren  Geschwulsten 
anderer  Abtheilungen.  Cystische  Dilatationen  von  Drüsengängen, 
wie  in  der  Milchdruse  der  Frau  oder  im  Pankreas,  können  sich 
sehr  bedeutend  ausdehnen,  so  dass  sie  die  Grösse  eines  Bors- 
dorfer  Apfels  oder  selbst  einer  kleinen  Faust  erreichen;  wenn 
man  sie  anschneidet,  so  findet  man  sie  nicht  selten  voll  von 
hämorrhagischen  Massen.  Aber  hier  ist  es  nicht  das  Blut,  wel- 
ches die  Dilatation  gemacht  hat,  sondern  es  ist  immer  die  Di- 
latation das  Primäre  und  die  Terminologie  Bestimmende,  und  erst 
dazu  gesellt  sich  nachher  die  Hämorrhagie. 

Die  einzige  Form,  welche  in  einem  erheblichen  Maasse 
zweifelhaft  ist,  betrifft  das  Vorkommen  von  Blutcysten,  welche 
ongefähr  in  der  Richtung  bekannter  grösserer  Gefäss- 
stämme  liegen;  bei  ihnen  spricht  mancherlei  dafür,  dass  es 
abgeschnürte  Theile  von  Gefässen  seien.  Es  finden  sich  in  der 
Literatur  verschiedene  solche  Mittheilungen.  Eine  der  am  meisten 
charakteristischen  Beobachtungen  steht  bei  Paget*).  Sie  bezieht 
rieh  auf  eine  Mittheilung  des  englischen  Chirurgen  Lloyd,  der 
in  der  Richtung  der  Vena  saphena  eine  solche  Geschwulst  fand, 
welche  eine  glatte  innere  Wand  hatte  und  auf  derselben,  was 
besonders  charakteristisch  ist,  Klappen  zeigte.  Indess  konnte  mau 
die  Exstirpation  des  Gebildes  vornehmen,  ohne  dass  man  eine 
grössere  Vene  zu  verletzen  brauchte,  so  dass  man  annehmen 
musste,  dass  der  Sack  sich  in  ähnlicher  Weise  durch  eine  or- 
ganische Abschnürung  aus  der  Vene  isolirt  habe,  wie  gelegentlich 
Harnkanälchen  sieh  abschnüren  und  in  einzelne  Cysten  zerfallen. 
Es  ist  das  an  sich  etwas  unwahrscheinlich,  indess  habe  ich  ein- 
mal etwas  Aehnliches  gesehen  an  der  Jugularis ,  wo ,  freilich  in 
Verbindung  mit  Krebsbildungen,  ein  Sack,  der  in  der  Richtung 
der  Jugularis  lag,  nach  unten  hin  geschlossen  endigte  und  auch 
nach  oben  abgegrenzt  war.     Auf  die  sehr  zweifelhaften  extra- 


*)  James  Paget.  Lectures  on  surgical  pathology.    1853.  Vol.  IL  p.  50. 


154  Siebente  Vorleeang. 

thyreoidealen  Blutcysten  am  Halse,  die  Yon  Mich  au  x  so  genannte 
Haematocele  colli  will  ich  nicht  näher  eingehen,  da  es  an 
anatomischen  Untersuchungen  darüber  fehlt*);  nur  das  will  ich 
erwähnen,  dass  J.  P.  Frank  gerade  für  eine  solche  Form  den 
Namen  Hämatom  eingeführt  hat**). 

Die  Möglichkeit,  dass  unter  Umständen  eine  cystische  Ab- 
schnürung aus  Gefässen  erfolgen  könne,  scheint  mir  nicht  aus- 
geschlossen zu  sein.  Gollateralwege  haben  wir  bei  den  Venen  so 
Kahlreich,  dass  Nebenbahnen  und  eine  Regulation  des  Kreislaufes 
leicht  gefunden  werden,  und  wenn  der  Abschnürung  varicöse  Er- 
weiterungen voraufgehen,  von  denen  wir  wissen,  dass  oft  der 
Yarix  nur  durch  eine  engere  Verbindung  mit  dem  Stamme  des 
Gefässes  zusammenhängt,  so  lässt  sich  wohl  an  eine  endliche 
vollständige  Abtrennung  denken.  Die  Schwierigkeit  liegt  nur 
darin,  dass  das  Blut  sich  in  einem  solchen  abgeschnürten  Sack 
länger  erhalten  sollte,  und  sie  lässt  sich  nur  so  lösen,  dass  man 
das  Fortbestehen  einer  Communication  durch  sehr  feine  CoUate- 
ralgefässe,  welche  in  den  Sack  münden,  annimmt.  Letzteres  ist 
in  der  That  der  Fall  bei  den  oft  sehr  grossen  Blutsäcken,  welche 
in  Folge  traumatischer  Einwirkungen  entstehen  und  welche  dem 
Aneurysma  spurium  traumaticum  analog  sind.  Solche  Beispiele 
sind  namentlich  am  Schädel  bekannt,  wo  diese  extracraniel- 
len  Blutcysten  bald  mit  den  Sinus,  bald  mit  einzelnen  klei- 
neren Venen  durch  zuweilen  ganz  feine,  wie  fistulöse  Oefinungen 
communiciren***).  Auch  vom  Handrücken  hat  Lobsteinf),  vom 
Halse  der  jüngere  Pauli  ff)  einen  ähnlichen  Fall  beschrieben. 


^)  Man  vergleiche  E.  Gurlt.    Ueber  die  Cvstengeschwfllste  des  Halses. 
Berlin.  18ö5.  S.  249. 

**}  J.  P.  Frank.    Discuraus  acad.  obs.  de  haematomate  exhibens.  Opusc. 
med.  arg.  Lips.  1780.  p.  118. 

^**)  Dufour.  Sur  une  variete  nouvelle  de  tumeur  sangnine  de  1a  Yoüte 
du  cri^ne,  suitc  de  l^sion  traumatique.  M^m.  de  la  See.  de  Bioi.  T.  lU.  p.  15&. 
Bruns.  Uandbucb  der  pract.  Chirurgie.  Abth.  I.  1654.  S.  188.  Herrn. 
Demme.  Ueber  ex tracranielle,  mit  den  Sinus  durae  matris  communicirende 
Blutcysten.  Mein  Archiv.  1862.  Bd.  XXIII.  S.  48. 
t)  Lobstein.  Lehrb.  der  pathol.  Anat.  1.  S.  284. 
tt)  Pauli.  Yerhandl.  des  Vereins  pfülzischer  Aerxte.  1864.  S.  88. 


Achte  Vorlesung. 

13.  JDecember  1862. 


Wassergeschwälste,  insbesoiidere  Hydrtcele  testis. 


Dm  Hygrooa«.  Uiitw«cb«ldwig  derMlbt b,  Je  naehdt u  die  üdhlen  DttnzUebe  oder  nengebildete  sind. 

Die  Uydrocele  «Is  Beispiel.  Hydrocele  coogeaiU.  Irritetive  Natur  der  gewöhnlichen  Hydrocele: 
Periorchitis.  Chemische  Beschaffenheit  des  Inhaltes.  Hydrops  lymphaticns.  Beschaffenheit 
der  8eheideshjiot:  paieive  Erweiterung  and  VerdfinBoag.  Atrephie  des  Hodea«.  Fettige  und 
bai^morrhagische  Abscheidn  ngen.  Hämatocelo.  Active  Processe:  Sklerose  und  Cartilaginescena 
des  Bmcktty  SyDechie,  Oseifieation,  Proliferation  Periorchitis  prolifera.  Auswfichse:  Die  11  or- 
gasBl'folM  Hy^ktide. .  Die  fraton  K6iper  der  SelMidenhaiit.  Pralitieelie  Bedeattag  dieeer  -?er- 
scbiedenen  Zust&nde:  unprodactive  Beschaffenheit  und  Vulnerabilität  der  slüerosirten  Tbeile. 

Hydroecle  eystiea  Ainieuli  spermatici. 

Hyd»oe«le  liantoaa. 


i/ie  zweite  grössere  Geschwnlstgruppe,  die  wir  aufgestellt  hatten, 
umfasste  die  trans-  and  exsudativen  Geschwülste.  Ich 
meine  dabei  nicht  Formen,  wo  etwa  durch  eine  transsudirte  oder 
absorbirte  Masse,  die  in  das  Parenchym  eines  Theiles  eintritt, 
eine  Aufbl&hiuig  desselben  entsteht,  denn  das  sind  entzündliche 
oder  ödematöse  Anschwellungen,  sondern  ich  meine  solche,  wo 
ein  Transsudat  oder  Exsudat  an  irgend  einer  begrenzten  Stelle 
sich  so  anh&uft,  dass  es  eine  besondere,  neben  den  Gewebsbe- 
standtheilen  des  Ortes  frei  und  isolirt  liegende  Masse  bildet  und 
als  eine  selbständige  Geschwulst  erscheint. 

Diese  Formen  kommen  zunächst  darin  überein,  dass  sie  mehr 
oder  weniger  klare  und  wässrige  Flüssigkeiten  enthalten  und  dass 
diese  Flüssigkeiten  in  geschlossenen  Säcken  vorhanden  sind.  Im 
Allgemeinen  begreift  man  sie  seit  einiger  Zeit  unter  dem  Namen 


156  A«hte  Vorlesung. 

der  Hygrome  oder  Wassergeschwülste,  womit  natürlich  nie 
reines  Wasser,  sondern  immer  eine  „seröse"  Flüssigkeit  bezeichnet 
werden  soll.  Zieht  man  es  vor,  den  in  der  neueren  Zeit  erfun- 
denen Namen  der  „Serocysten*^  dafür  £o  gebraoehen,  so  wird 
er  ungefähr  dasselbe  bedeuten.  Indess  ist  der  Name  deshalb  nicht 
sehr  zweckmassig,  weil  nicht  immer  blos  Serum  darin  ist,  sondern 
manchmal  noch  andere  Dinge  hinzukommen,  und  ich  denke  daher, 
dasK  man  bei  dem  älteren  Namen  der  Hygrome  bleiben  kann. 

Unter  den  Hygromen  lassen  sich  ihrer  Entstehung  nach 
zweierlei  Formen  unterscheiden:  solche  nehmlich,  bei  denen  die 
RÄume,  in  welche  die  Flüssigkeit  eintritt,  natürliche  Höhleo 
sind,  die  zu  der  typischen  En Wickelung  des  Körpers  als  solcher 
gehören,  und  solche,  bei  denen  die  Höhlen  neugebildete  siod, 
die  im  Laufe  irgend  einer  physiologischen  Störung  oder  eines 
krankhaften  Processes  Entstanden  sind. 

Als   Beispiel    für  die  erste  Form,    wo   wir  es  nur  mit  der 
eigentlichen,  ursprünglichen  Höhle  zu  thnn  haben,  wähle  ich  die 
llydrocele,  den  Wasserbruch  (Hernia  aquosa)  des  Hodensackes- 
I)enn  Cele  oder  Kele    bedeutet  bei  den  Neueren*)    so  viel  wie 
llernia.  Das  Wasser  befindet  sich  bei  der  eigentlichen  Hydro- 
<'ele  (es  giebt  mehrere  ganz  verschiedene  Arten  von  Hydrocele)  in 
dem  Smk  Avr  Tunica  vaginalis  propria  des  Hodens,  jener  Haut, 
welche  aus  dem  Processus  vaginalis  des  Peritonaeums  entsteht  und  in 
der  Hegel  nach  dem  Descensus  des  Hodens  in  ihrem  oberen  Theile 
ullmülig  obliterirt**).   Es  kann  daher  unter  Umständen  eine  Hydro- 
cele geben,  welche  wirklich  ein  reiner  Wasserbruch  ist;  wenn  nehm- 
lich dor  ProcesHUH  vaginalis  offen  bleibt,  dann  kann  in  der  That  Flüs- 
Higkeit  aus  4ler  Bauchhöhle  in  den  Sack  der  Scheidenhaut  herunter- 
treten  un<l  ebenso  umgekehrt  wieder  zurücktreten***),  wie  das  bei 
AHciti'H  manchmal  der  Fall  ist  (Hydrocele  congenita  s.  ad- 
natn).    In  der  Regid  versteht  man  aber  unter  Hydrocele  den  Fall, 
wo  dio  Tunioa  vaginalis  nach  oben  geschlossen  ist. 


^)  Niivh  dein  Zeuguiüse  (Uleu'»  (De  tamoribus  praeter  natunin  cap.  15.) 
uauntou  »u  ii«>inor  Zeit  „dio  Neueren*  jede  Geschwuut  der  Hodeo  eine  Kele. 
*^)  Un  der  Prooe^9us  vaginalis  peritoDaei  ursprünglich  auch  im  weibli- 
ehen 0«iM*hlei'ht  vorhanden  ist,  »o  kann  eine  Hydrocele  gelegentlich  aack 
bei  der  Frau  vurkmumeii,  wenn  die  AusiStQlpung  des  Bauchfells  lum  Tbeil 
fortbeftteht. 

••♦)  Medie.  Reform.  X^VX  Nik  48.  S.  23Ä. 


Hydrocele.  157 

Gewöhnlich  rechnet  man  die  Hydrocele  za  den  Hydropsien. 
AUein  gerade  bei  Hydrops  universalis  findet  man  sehr  wenig 
Flüssigkeit  in  der  Scheidenhaut,  selbst  wenn  das  Oedem  des 
Scrotums  einen  sehr  hohen  Grad  erreicht,  und  wenn  man  die  £nt» 
stehung  der  Hydrocele  und  die  ganze  Art  der  Gewebszustände, 
welche  dabei  vorkommen,  ins  Auge  fasst,  so  muss  man  sich  über- 
zeugen, dass  sie  fast  jedesmal,  wo  sie  eine  gewisse  Grösse  er- 
reicht, ein  irritatives  Ereigniss  darstellt.  Man  kann  sie  nicht 
in  allen  Fällen  geradezu  entzündlich  nennen,  da  die  charakteristi- 
schen Erscheinungen  eines  entzündlichen  Verlaufes  oft  fehlen,  aber 
irritativ,  aus  einer  Reizung  hervorgegangen  ist  der  Process  un- 
zweifelhaft, und  wie  alle  irritativen  Processe,  kann  er  bei  einer 
gewissen  Höhe  der  Reizung  unmittelbar  in  eine  Entzündung  über- 
gehen, 80  dass  wir  geradezu  von  einer  Yaginalitis,  Perior- 
chitis oder  Orchitis  serosa  sprechen  können.  Grenzen  sind 
da  nicht  zu  ziehen;  es  giebt  eine  Reihe  von  Uebergängen  von 
der  einfachsten  Hydrocele  bis  zu  der  acut  entzündlichen  Form, 
wie  sie  bei  Tripper  und  Quetschungen  des  Hodens  vorkommt. 
Dieser  Charakter  tritt  bei  längerer  Dauer  anatomisch  mehr  und 
mehr  hervor;  je  länger  und  älter  eine  Hydrocele  wird,  um  so 
mehr  werden  entzündliche  Veränderungen  der  Gewebe  bemerkbar. 
Da8  muss  man  wohl  im  Auge  behalten,  wenn  man  die  verschie- 
denen operativen  Methoden  kritisiren  will,  welche  empfohlen  sind, 
denn  „nicht  alles  passt  sich  ja  für  alle^ ;  und  eine  Tunica  vagi- 
nalis, welche  sich  nur  in  einem  sehr  leichten  Reizungszustand 
befindet,  zeigt  ganz  andere  Eigenschaften,  als  eine  solche,  welche 
in  den  entzündlichen  Reizung*szustand  eingetreten  ist,  oder  als 
eine,  welche  durch  eine  Reihe  derartiger  Reizungen  beträchtlich 
verändert  ist. 

Schon  der  Umstand  hätte  die  Beobachter  überzeugen  sollen, 
dass  es  sich  bei  der  Hydrocele  in  der  Regel  nicht  um  einen  ein- 
gehen, sondern  um  einen  initativen  Hydrops  handelt,  dass  die 
Zusanunensetzung  der  Flüssigkeit  sich  unterscheidet  von  der  einer 
gewöhnlichen  hy dropischen  Flüssigkeit,  indem  sie  sehr  reich  an 
Albuminaten  ist  und  in  einer  grossen  Anzahl  von  Fällen  Fibrin, 
vielleicht  in  allen  Fällen  eine  tibrinogene  Substanz  enthält.  Selten 
findet  schon  innerhalb  des  Sackes  eine  Gerinnung  statt,  meist  ist 
die  Masse  allerdings  vollkommen  flüssig,  aber  nachdem  sie  ent- 
leert worden  ist,  gerinnt  sie  an  der  Luft,   bald  nach  kürzerer. 


158  Achte  Vorlesung. 

bald  nach  längerer  Zeit,  bald  auf  ein  Mal,  bald  in  mehreren  Ab- 
sätzen. Das  ist  der  Zustand,  den  ich  fibrinogen  genannt  habe*}, 
wo  eine  Substanz  in  der  Flüssigkeit  vorhanden  ist,  die  sich  in 
Fibrin  umsetzt.  Nun  bat  schon  vor  längerer  Zeit  Bnchanan**) 
in  Glasgow  beobachtet,  dass,  wenn  man  Hydrocele-Flüssigkeit  mit 
Blutbestandtheilen  zusammenbringt,  eine  Gerinnung  stattfindet, 
auch  wenn  die  reine  Flüssigkeit  an  der  Luft  nicht  gerinnt,  und 
Alexander  Schmidt***)  hat  in  den  letzten  Jahren,  diese  Beob- 
achtung erweiternd,  gefunden,  dass  eine  solche  „spontane*^  Ge- 
rinnung hervorgerufen  werden  kann,  wenn  man  Blutkörperchen 
oder  Hämatokrystallin  in  die  Flüssigkeit  hineinbringt  Die  Ein- 
wirkung beider  Körper  ist  eine  coagulirende;  es  tritt  dann  in  der 
Flüssigkeit,  die  sonst  ganz  klar  und  wässrig  ist,  eine  oft  reich- 
liche Gerinnung  ein.  Ausser  diesen  coagulirenden  Bestandtheilen 
enthält  die  Hydrocelenflüssigkeit  gewöhnlich  so  starke  Mengen 
von  Salzen  und  Albuminaten,  dass  manchmal  ein  ähnliches 
Mischungsverbältniss,  wie  das  des  Liquor  sanguinis  oder  der 
Lymphe  erreicht  wird,  was  in  einfachen  Hydropsien  niemals  und 
nirgend  vorkommt  Es  handelt  sich  hier  also  um  jene  Art  der 
Erkrankung,  die  ich  früher  mit  dem  Namen  des  Hydrops  lym- 
phaticus  s.  phlegmaticus  bezeichnet  habef)- 

Indem  die  Flüssigkeit  sich  in  dem  Sack  der  Scheidenhaut 
anhäuft,  so  dehnt  sie  ihn  und  die  Theile,  welche  ihn  nmgeben, 
mehr  und  mehr  aus;  die  Tunica  vaginalis  propria  verdünnt  sich, 
der  Hode  wird  comprimirt,  und  wenn  der  Zustand  lange  dauert, 
dann  treten  allmälig  atrophische  Zustände  sowohl  am  Hoden 
(Fig.  17.),  als  auch  am  Cremaster  ein.  Es  ist  daher  auch  in  dieser 
Beziehung  f&r  den  Einzelnen  nicht  gleichgültig,  wie  lange  Zeit  hin- 
durch er  eine  grosse  Hydrocele  trägt.  Für  manche  Leute  wenig- 
stens hat  es  ein  Interesse,  die  Function  des  Hodens  erhalten  eu  se- 
hen, und  es  kann  das  immerhin  eine  Rücksicht  sein,  die  der  Arzt 
dem  Patienten  gegenüber  in  Rechnung  ziehen  muss.  Manchmal  wird 
der  Hode  so  platt  gedrückt  und  auf  ein  so  kleines  Maass  zurück- 
gebracht, dass  man  Mühe  hat,  ihn  am  Umfang  des  Sackes  auf- 
zufinden. 


*)  Mein  Archiv.  1847.  I.  S.  572.    Cellularpathologie.  3.  Aufl.  S.  152. 
**)  Proceedings  of  the  Phil.  Soc.  of  Glasgow.  1845.  Febr, 
•♦♦)  Reichert  und  Du-Bois.  Archiv.  1801.  S.  555,  563,  689,  695.  715. 
t)  Uandbneh  der  fipecielleu  Patbol.  u.  Tberap.  1854.  1.  206.  216. 


Hydrocele.  159 

Bei  längerem  Bestände  des  Uebels  geratben  gewöhnlich  von 
der  Oberfläche  des  Sackes  allerlei  z^ige  Partikeln  in  die  Flüs- 
sigkeit, welche  die  fettige  Metamorphose  durchmachen  und  so 
nach  und  nach  in  die  Flüssigkeit  Quantitäten  von  fettigen  Theilen 
(Eörnchenzellen  und  Körnchenkugeln,  freies  Fett)  bringen.  Später 
gehen  aus  diesen  wieder  Krystallisationen  hervor,  in  manchen 
Fällen  die  schon  dem  blossen  Auge  sichtbaren,  im  Lichte  spie- 
gelnden Täfelcben  von  Cholestearin,  in  anderen  faser-  oder  nadel- 
fSrmige  Abscheidungen  eines  festen  Fettes,  das  in  sehr  schönen 
gebogenen  oder  geschwungenen  Figuren  vorkommt. 

Weiterhin  geschieht  es  nicht  selten,  dass  hämorrhagische  Bei- 
mischungen erfolgen.  Wenn  Jemand  eine  grosse  Anschwellung 
zwischen  den  Beinen  hat,  so  ist  diese  allen  möglichen  Insultationen 
ausgesetzt;  dadurch  und  durch  die  Vascularisation  der  gereizten 
Häute  wird  wohl  die  Neigung  zu  Blutungen  in  den  Sack  bedingt. 
Sind  sie  gering,  so  bilden  sich  an  der  Oberfläche  des  Sackes 
zuerst  blutige  Beschläge,  in  denen  das  Blutroth  allmälig  in  Pig- 
ment übergeht  und  bräunliche,  gelbliche,  manchmal  schwarzbraune 
Färbungen  der  Membran  erzeugt  Ist  die  Extravasation  reich- 
licher, dann  nimmt  die  Flüssigkeit  Blut  auf,  die  Blutkörperchen 
vertheilen  sich  in  derselben,  geben  ihren  Farbestoft*  an  dieselbe 
ab,  und  diese  nimmt  davon  eine  gelbliche  oder  bräunliche,  manch- 
mal ganz  chocoladenartige  Farbe  an.  Ist  das  Blut  sehr  reichlich, 
dann  wird  natürlich  auch  die  Gonsistenz  der  Flüssigkeit  verän- 
dert, indem  eine  mehr  dicke,  manchmal  sogar  fast  breiige  Masse 
entsteht  In  dieser  Art  wird  die  Uydrocele  übergefQhrt  in  die 
Hämatocele.  Es  kann  allerdings  bei  beträchtlicher  mechanischer 
Einwirkung  eine  Hämatocele  auch  von  Anfang  an  und  auf  einmal 
zu  Stande  kommen,  in  der  Regel  aber  ist  sie  das  Product  lange 
fortgesetzter  Insultationen,  welche  immer  wieder  von  Neuem  auf 
den  Theil  eingewirkt  haben. 

Während  in  dieser  Art  der  Inhalt  des  Sackes  sich  ändert, 
80  gebt  gewöhnlich  parallel  damit  eine  zunehmende  Veränderung 
der  Oberflächen.  Diese  können  entweder  im  Ganzen,  gleichmässig, 
diffus,  oder  mehr  fleck-  und  heerdweise  erkranken.  Am  häufigsten 
ist  es  die  Oberfläche  des  Hodens  selbst  oder  des  Nebenhodens, 
Boweit  sie  in  die  Höhle  der  Scheidenhaut  hineinragt,  also  die 
^buginea,  welche  sich  verändert  (Fig.  1 7).  Diese  Veränderungen 
bestehen  in  der  Regel  zunächst  in  einer   hyperplastischen 


160  Arlite  Vortesnng. 

Verdickung;  das  Bindegewebe  fängt  an  zu  wuchern,  die  Häute 
werden  dicker,  und  bei  längerer  Dauer  auch  dichter,  so  dass  sich 
zuletzt  ein  Zustand  von  Sklerose  entwickelt.  Ist  dieselbe  gleich- 
massig  (diffus),  BO  wird  die  ganze  Vaginalis  in  eine  lederartige 
Schwarte  verwandelt,  an  der  man  zuweilen  eine  Reihe  von 
Schichten,  eine  deutliche  Stratifieation  unterscheiden  kann,  lat 
dagegen  der  Process  ungleichmtei^tig,  heerdweise  —  und  da»  ist 


das  häufigere  —  dann  treten  die  sklerotischen  Stellen  wie  knor- 
pelartige Massen  an  der  Oberfläche  hervor.  Wie  gesagt,  ge- 
schieht das  namentlich  sehr  häufig  an  der  Albuginea  des  Hoden:», 
welche  an  sich  eine  sehr  derbe  Haut  bildet  Aber  auch  die  freie 
Seite,  das  sogenannte  Parietalblatt  wird  in  gleicher  Weise  er- 
griffen. Die  Oberfläche  wird  dabei  h&okerig;  eB  entwickeln 
sieb  aus  ihr  Knoten  und  Platten,  wie  sie  ganz  ftbnUch  in  ausge- 
sprochener Weise  an  der  Milz  bei  Perisplenitis  chronica  vor- 
kommen. Diese  sehen  wie  Knorpel  aus,  besteben  aber  aus  einem 
sehr  dichten  Bindegewebe,  dessen  IntercellularBnbstanx  eine  sehr 


Pig.  17.    Alte  H^drocele  mit  liCckeriger  Sklorog«  der  Albnfinva  testit 
und  comprewiver  Atrophie  des  Nebenhodeua  (Pr&parftt  No.  80S.). 


Synechie  und  Osei6catioD  der  Scheideahsiit.  161 

derbe,  nicht  lockige,  eondeni  mehr  steife,  fibriliäre  BeschaJFeD- 
beit  hat 

Mit  diesen  Verdickungen  vergesellschaften  sich  niclit  selten 
kdhäsWe  Zustände,  Synechien,  wie  man  sie  gew^ihnlkh  nach 
eutzündlichea  Processen  ntrifft.  Diese  erstrecken  sich  zuweilen 
Aber  grössere  Abschnitte  der  Vaginalhfthle,  so  dass  neben  der 
Hydrocele  eine  partielle  Obltteratiou  der  Scheiden- 
haut bestehen  kann.  Dadurch  wird  die  Gestalt  der  Hydrocele- 
Geschwulst  eigeathämlich  verändert.  Seltener  wird  die  Höhle  der 
Scheidenhaut  durch  pseudoligamentöse  Scheidewände  getheilt  und 
eine  gleichsam  bi-  oder  multiloculäre  Hydrocele  gebildet.  Am 
häufigsten  beginnen  diese  Processe  an  den  Seiten  des  Neben- 
hodens, da  wo  sich  das  Parietalblatt  auf  denselben  herfiberschlägt, 
setzen  sich  aber  leicht  über  ganze  Abschnitte  der  freien  Hoden- 
Oberfläche  fort,  am  leichtesten  über  das  untere  Segment  des 
Hodens.  Das  giebt  die  nach  unten  spitzen,  nach  oben  weiten 
Eydrocelen. 


Fig.  18.    Alte  Hydrocele.    Periorehitis  tlirouira  mit  narbiger  Eio/iehung 
m  Verdicknng  der  Albaginea    ara  uuteren  Hodeuaegment.     Partielle  Sj- 
necbie  im  Umfange  des  Nebenhodeas.    Sklerose  und  balkige  OssiGcation  der 
Tnuc*  nginaiia  propria.    (Prftparat  No.  308,  vom  Jahre  1S&9  ). 
viieko«,  GMütoGUM.   1.  11 


IG'2  Acbte  VoriesuDg. 

Werden  die  slderotischea  Massen  sehr  dick  and  bestehen  sie 
lange  Zeit,  so  geschieht  hier  dasselbe,  was  wir  an  anderen  se- 
rösen [läuten,  namentlich  am  Pericardium,  znweilea  in  grosser 
Ausdehraing  wahrnehmen.  Das  Gewebe  verkalkt  nnd  es  entsteht 
so  eine  Art  von  Scbeideuhaut-Knochen,  die  je  nach  der 
Gestalt  der  ursprünglichen  Sklerosen  bald  aJs  blosse  Platten,  bald 
als  grosse  Balken  und  verästigte  Figuren  an  und  in  der  Ober^ 
flficbe  liegen. 

In  anderen  Fällen  wiederum  findet  an  der  Oberflftcbe  der 

Häute,  und  zwar  namentlich  an  demjenigen  Theil,  der  dem  Hoden 

und  dem  Nebenhoden  angehört,  eine  partielle  ProUferatioD 

statt,  wie  sie  freilich  auch  ohne  gleichzeitige  Hydrocele  nicht  gani 

selten  vorkommt.    Es  erheben  sieb  von  der  Oberfläche  kleine  Aus- 

wüchse,  Exorescenzcn.  Diese  bilden  entweder  Sache  ProtnberanieB, 

die  allmälig  grösser  und  höckerig  werden,  oder  es  sind  von  Anfang  an 

wurzige  Erhobungen,  welche  eine  unregelmässige,  lappige  Oberfläche 

habe»,  oder  endlich,  es  sind  mehr  gestielte,  polypöse  Bildungen. 

Geriide  in  diesen  Auswüchsen  erfolgt  oft  schon  frühzeitig  eine 

Ablagerung  von  Kalksalzeu  und  dunit  ein  Stillstand.  Andere  Male 

aber  wachsen  sie  stärker  hervor  und  bilden  mehr  und  mehr  frei 

Vi,  ,u.  heraushäogende  Papillen  nnd  Zotten,  welehe 

j^^^  wiederum  ästig  Bein  können,    so  dass  an 

^1^^^^  einem    grosseren    AoHwachs    wieder    eine 

^^Vj^^^W  •       Keihe  von  kleinen  sitit  —  eine  Art  von 

HJ^^F^^^         dendritischer  Vegetation,  die  gerade  nicht 

^HUF4r^^B''      sehr   grosse  Aeste    treibt,  aber   daf&r  oft 

^|H|^^^V         eine    ziemlich  grosse  Zahl   kleiner    Aeste 

^^^^^^F  abgiebt    Dag  ist  eine  Periorchitis  pro- 

lifera. 

\m\  dioseni  abuonnen  Auswüchsen  oivaa  man  nnn  aber  wohl 

uutenn'lii'ideii  den  normalen  Anbang,  der  am  Kopf  des  Neben- 

hoilcns  sii'h  regelmässig  vorfindet,  die  sogenannte  Ho[^;agniVhe 

Itlaso  (itler  Hydatide,  einen  kleinea  Rcflissreicfaen  Körper,  von 

dem  man  gi-wöhnlioh  annimmt.,    dw»  Morgagni  ihn  zuerst  be- 


^  '  ein*  in  «r  TWt 

licttmili'   Lli'nic  C>*ti'   de»  NctKnhixl^as.     r   «b  polvpOser  Aosvachs  der 

kH<ir|M>U|ti>ii  KOnrni  (rrtpant  No.  61  vo«  Jahr*  I859i). 


Freie  Körper  der  Sche^enhaut.  163 

schrieben  habe*).  Manche  haben  das  anch  f&r  einen  krankhaften 
Auswnchs  gehalten  und  einen  besonderen  Werth  darauf  gelegt, 
ihn  abzuschneiden.  Das  folgt  nicht  gerade  aus  der  Natur  dieses 
Anhanges.  Aber  es  kommt  vor,  dass  an  diesem  normalen  An* 
hange  ein  irritatiTer  Process  Platz  greift  und  an  seiner  Oberfläche 
pathologische  Auswüchse  entstehen,  wie  sie  sonst  an  anderen 
Orten  der  Hodenoberfläche  vorkommen.  Alle  diese  Auswüchse 
haben  die  Neigung,  sich  an  ihren  Spitzen  zu  verdicken;  sie  wer- 
den kolbig,  die  Kolben  bekommen  eine  knorpelige  Härte  und  ein 
entsprechendes  Aussehen,  und  nicht  selten  gestalten  sie  sich  zu 
kleinen  gestielten  Kugeln  um.  Diese  vergrössem  sich,  indem 
sich  immer  neue  concentrische  Schichten  ansetzen  und  sie  ge- 
winnen so  nach  und  nach  einen  beträchtlichen  Umfang.  Später- 
hin kann  der  Stiel,  an  dem  sie  befestigt  sind,  dünner  und  dünner 
werden  und  endlich  abreissen,  so  dass  die  Kugeln  frei  in  die 
Mh\e  der  Scheidenhaut  gerathen. 

Das  sind  die  freien  Körper  der  Scheidenhaut**),  die 
ursprünglich  als  Excrescenzen  anfangen.    Sie  finden  sich  häufiger 
bei   geringeren   Graden  der  Hydrocele 
?or.     Gerade   bei    grossen  Hydrocelen  ^^s-^o. 

sind  sie  am  allerseltensten ;  ja  sie  kom-        jl  g 

men  in  einzelnen  Fällen  vor,  ohne  dass 
eine  nennenswerthe  Menge  von  Flüssig- 
keit zugegen  ist.  Man  fühlt  sie  äusser- 
lich  leicht  durch;  manche  entschlüpfen, 
wie  die  Gelenkmäuse,  dem  Finger,  legen 
sich  wohl  in  einen  Winkel  des  Sackes  und  kommen  später  wieder 
zum  Vorschein.  Ihr  Umfang  geht  von  der  Grösse  eines  Stecknadel- 
kopfs bis  zu  der  einer  Flintenkugel.  Schneidet  man  einen  solchen 
grösseren  Körper  durch,  so  findet  man  ihn  gewöhnlich  in  seinen 
äusseren  Tbeilm  aus  ähnlichen  halbknorpeligen  Schichten  zusam- 


Fig.  20.  Freier  Körper  der  Scheidenbaut.  NatQrlicbe  Grösse:  A  Auf- 
«cht,  B  DurcbBchnitt ,  innen  die  verkalkte  Masse,  aussen  die  concentriscb- 
geschicbtete,  knorpelartige  Schale  (Präparat  Nr.  164.  vom  Jahre  1857.). 

^)  Lewin.  (Stndien  Aber  Hoden.  S.  7.  Separat-Abdr.  aus  der  Deutscheu 
Klinik.  1861.  No.  24.  ff.)  hat  durch  AnfQhrung  zahlreicher  Stellen  dargethau, 
dass  Morgagni  nicht  eine,  sondern  eine  ganze  Reihe  von  Hydatiden  und 
twar  Hiebt  an  einer  bestimmten  Stelle  des  Nebenhodens,  sondern  an  ver- 
schiedenea  Stellen  des  Hodens  und  Nebenhodens  beschrieben  hat. 

**)  Astlej  Co o per.  Die  Bildung  und  Krankheiten  des  Hodens.  Aus 
d.  Engl.  Weimar.  1832.  S.  112. 


164  Achte  Yorie«iiig. 

niengenetzt,  wie  die  sklerotisehen  Platten  der  Albuginea  selbst; 
innen  zeigt  er  meist  sehr  vollständige  Verkalkang,  so  dass  in 
nicht  Meltenen  Fällen,  wenn  der  ganie  Körper  die  GrOsse  eines 
KirMchsteinM  besitzt,  die  innere  kalkige  Masse  die  Grösse  eines 
KifMchkernM,  die  cartilaginöse  Hülle  nur  die  Dicke  der  Schale  er- 
mvhL  I5(;tra(!htet  man  in  solchen  Fällen  die  Oberfläche  des  Ho- 
dens  genau,  ho  findet  man  Prominenzen  oder  Depressionen,  ent- 
sprechend den  Stellen,  wo  die  Körper  früher  gestielt  ansassen. 

Alle  diese  Vorgänge  sind  Folgen  der  Irritation;  sie  gehörea 
zum  Thoil  der  secretorisclien,  zum  Theil  der  formativen  Gruppe 
der  Irritationsphänomene  an.  Je  mehr  das  formative  Moment 
hervortritt,  um  so  mehr  nähert  sich  eine  solche  Geschwulst  der 
neophiMtischen  Gruppe,  den  eigentlichen  Gewächsen;  ja  in  dem 
Falle,  wo  si^lir  wenig  Wasser,  dagegen  die  Proliferation,  die  Bil- 
dung von  Auswüchsen  und  freien  Körpern  überwiegend  vorhao- 
diMi  int,  da  kann  man  zweifelhaft  sein,  ob  m&n  die  Hydrocele 
nicht  iiIh  eine  den  neoplastischeu  Bildungen  angehörige  Geschwulst 
bolruchton  soll.  Indess  ist  das  mehr  ein  Aosnahmsfall.  Der 
AnrauK  IVoilich  ist  immer  der  eines  aus  Reizung  hervorgegange- 
non  i^*oco>sos,  alxM*  den  geschwulstartigen  Habitus  nimmt  der- 
Holho  orst  mit  dor  steigenden  Anhäufung  der  Flüssigkeiten  ao, 
und  iloshalh  wird  man  die  Hydrocele  zu  den  Transsudations-  und 
KxsudationsgeschwAlsten  rechnen  und  von  den  P^eudoplasmen 
ahthMineu  müssen«  bei  welchen  die  Wucherung  der  Gewebs- 
olonionto  das  Woscntliiho  ist 

Kür  die  Prov:nose  und  Bohaudlung  ist  es  von  nirht  geringer 
Wichtigkeit«  dass  man  die  ver^^chiedeuen  Zustände  der  Scheideu- 
haut  selbst«  die  dabei  vorkommen,  im  Auge  behält.  Ist  die 
S^'hoidouhaut  in  die  oartihiginösen  Oiler  besser  iu  die  cartilagi- 
uosciivudcn  /u>täudo  eingetreten«  so  ist  ihr  Gewebe  immer  aus- 
soiAM\lontUch  aielassinu.  In  solrhe  Theile  treten  fast  gar  keine 
iuM\^»o  ein,  l^,iher  boNtoht  dann  lu  denjenigen  Proressen, 
\^oUho  eine  jiwn>ti^oiv  prwluiiixe  Entwiokelung  an  der  Oberfläche 
\\\\%  Mch  biin^^MU  al>o  nawenllk^h  lu  adliisivea.  aat^erordentlich 
x\oni^  IWt^hiiiun^;  und  %xonn  man«  ^ie  dies  in  neuerer  Zeit  viel- 
iWli  «y'vvhehen  M«  die  Fli^^sicieit  ^jilWrt  nad  reiiende  Ein- 
>piitmni^^n«  r  K  nut  JM«  in  di^  HiVhle  uAcht,  om  dadurch 
Kv^t^i^ndun«  mU  \^hbierjiiH>n  der  S«^Kle»luHit  liertieuafihren,  so 
k%MMMil  «vx  «1^  M  sehon  xvwr.  d^s^  maa  >lirk«r(  MtxiiidUcbe  Pro- 


SkldTose  der  Scheidenhant 


165 


cesse  hervorruft,  die  mit  Erweichung  und  Eiterung  der  Ober- 
fläche verbunden  sind.  Da  ist  denn  natürlich  von  einem  regel- 
m&SBigen  Heilungsmodus  nicht  die  Rede;  die  Wahrscheinlichkeit 
ist  nngleich  grlteser,  dass  die  entzfindlichen  Processe  einen  un- 
productiven  Gang  einschlagen  und  die  Gestaltung  von  bleibendem 
Gevrebe  an  der  OberflÄehe  nicht  erreicht  wird.  Bleibende  Ge- 
webe bilden  eich  wohl  im  Parenchym  der  Haut;  diese  wird 
dicker  ond  dicker,  aber  ihre  Oberfläche  zeigt  keine  Neigung  zur 
Agglutination.  Man  muss  sich  das  ungefähr  so  vorstellen,  wie 
wenn  an  der  Oberfläche  der  Cutis  ein  Geschwür  in  indurirtem 


Gewebe  liegt,  wie  das  am  Unterschenkel  so  hButig  vorkommt. 
Ein  solches  Geschwür  heilt  sehr  schwer  und  schlecht,  weil  die 
oberflächlichen  Gewebe  allerdings  vulnerabel  genug  sind,  um  ein- 
tuschmelzen  und  eine  gewisse  Absonderung,  gewöhnlich  eine  fet- 


Fig.  21.  DlcerÖBe  Sklerose  der  Tunica  vaginalis  propria  nach  wieder- 
bolten  Jodinjektionen  in  einer  gemeinen  Hydrocele  (Prüparat  No.  189.  vom 
iahre  1860.}.  d  SmueiiBtraDB  mit  sehr  verdickter  Scheide,  e  Theile  der 
Epididymis  in  dem  altlerosirlea  Bindegevrebe,  darUber  der  DuTchechnilt  des 
flodeoa.    «  eine  nlcerOBe  Stelle  des  Unterhsutgewebes. 


166  Achte  Vorlesung. 

tige  Erweichung  zu  liefern,  aber  nicht  geeignet,  nm  eine  Neubil- 
dung zu  Stande  zu  bringen,  die  den  Process  dauerhaft  beendet 
In  solchen  Fällen  ist  es  selbst  an  der  Oberfläche  des  Körpers, 
noch  mehr  aber  an  der  Scheidenhaut,  bei  der  grössten  Sorgfalt 
oft  nicht  möglich ,  einen  Verlauf  zu  erzielen ,  welcher  zu  dauer- 
hafter Heilung  führt.  Hier  hat  man  es  ala  die  Aufgabe  der  The- 
rapie zu  betrachten,  Massen  zu  entfernen,  die  dem  Kranken  un- 
nütz sind,  ja  die  immer  einen  so  grossen  Grad  Ton  Vulnerabili- 
tät behalten  und  so  grosse  Unbequemlichkeiten  mit  sich  bringen, 
dasH  die  Beseitigung  des  Organs  vortheilhafter  erscheint,  als  die 
Erhaltung  von  Zuständen,  welche  nun  einmal  nicht  zu  bes- 
sern sind. 

Schliesslich  bemerke  ich  noch,  dass  es  einzelne  Fälle  giebt, 
wo  die  Entwickelung  einer  Hydroeele  nicht  so  einfach  vor  sich 
geht,   wie  ich  sie  bisher  dargestellt  habe.    Manchmal  ist  weder 
der  Processus  vaginalis  im  Ganzen,    noch  die  Tunica  vaginalis 
propria  für  sich  der  Sitz  der  FUlisigkeit.    Es  ist  dies  die  soge- 
nannte Hydroeele  cystica,  —  eine  Form,  welche  auf  ver- 
schiedene Weise  entstehen  kann.   Wir  werden  sehr  bald  Gelegen- 
heit haben,  auf  ganz  besondere  ModalMlten  derselben,  die  Hydro- 
eele spennatica  und  die  cystoiden  Entartungen  des  Nebenhodens, 
zurückzukommen;  hier  will  ich  nur  diejenige  Form  erwähnen,  wo 
eine  geschlossene  Hydroeele  im  Verlauf  des  Funiculus  spermaticus 
entsteht,  indem  der  Processus  vaginalis,  der  ursprünglich  aus  der 
Bauchhöhle  bis   an  das  untere  Ende  des  Hodens  herunterreicht, 
nicht,  wie  gewöhnlich,  in  seiner  ganzen  Länge  obliterirt  und  blos 
am   unteren  Ende  oflen  bleibt,  sondern  zugleich  in  seinem  Ver- 
laufe irgendwo  offen  bleibt,  dagegen  unter  und  über  dieser  Stelle 
obliterirt.    Der  so  gebildete  Sack  oder,  wenn  man  will,  die  Cyste 
ist  nicht  der  Processus  vaginalis  als  solcher;  sie  gehört  auch  nicht 
der  Tunica  vaginalis  propria  an,  und  doch  geht  sie  aus  derselbe 
Peritonäalausstülpung,  dem  Processus  vaginalis  hervor,    wie  die 
Scheidenhaut.    Begreiflicher  Weise  kann  es  unter  umstanden  vor- 
kommen,  dass  eine  solche  cystische  Abschnürung  des  Processus 
vaginalis  mehrfach  geschieht,  oder  dass  gleichzeitig  eine  gemeine 
Hydroeele  der  Tunica  vaginalis  propria  und  eine  derartige  cystische 
Hydroeele  des  Samenstrangs  übereinander  sitzen. 

Nur  will  ich  gleich  darauf  aufmerksam  machen,  dass  nicht 
jedesmal,  wo  wir  Cysten  am  Samenstrang  finden,  sie  auf  diese 


Hydrocele  hernioaa. 


167 


Weise  entstanden  sein  müesten,  daes  es  vielmehr  ganz  ähnliche 
Fonnen  giebt,  die  anf  andere  Weise  entstehen.  So  kann  die 
Hjdrocele  cyetica  fnniciili  spermatici  unter  Umständen  grosse 
Aehnlichkeit  haben  und  leicht  verwechselt  werden  mit  einer  an- 
deren Form,  welche  mit  ihr  genetisch  gar  nichts  gemein  hat, 
nehmlich  mit  derjenigen,  welche  hervorgeht  aus  einem  alten 
Brachsack:  Hydrocele  herniosa.  Bei  inguinalen,  zuweilen 
auch   bei  emralen  Brüchen  *)   kann  der  Bruchsack ,   welcher  ja 


auch  aus  einer  Ausstülpung    des  Feritonäums  besteht,    wie  der 
Processus  vaginalis,  sowohl  im  Ganzen,  als  tbeilweise  obliteriren. 


Fig  22.  (Priparat  No.  806.  des  pftth.  Instituts).  A  Hydrocele  vnlgaris, 
dirin  der  Hoden  and  der  Nebenboden  mit  der  gestielten  Hjdatide.  A'  der 
Dich  oben  abgeschnDrte  Brnchsack  (Hjdrocele  herniosa)  mit  sehr  verdickten 
Waodungen.  h"  eine  kleine  Cjste  iwischen  beiden  (Hvdrocele  eystica). 
Gleichzeitig  bestand  Elephantiasis  scroti  und  Eiterung  im  subcutanen  Gevebe. 

*)  Znr  vergleichenden  Diagnose  bemerke  ich,  dass  eine  Cystocele  (Hernia 
veiicM  nrinanae)  nnter  sehr  eigentbOrolichen  Verhiltnbsen  vorkommen 
kun  I.B.  als  Perio&al- Geschwulst,  im  unmittelbaren  Anscbluss  an  das  Scrotnm. 


168  Achte  Vorlesung. 

Insbesondere  verwächst  nicht  selten  die  Bmchpforte.  Am  häufig- 
sten sind  solche  in  der  Pforte  obliterirten  Säcke  einfach  collabirt, 
gefaltet,  die  Wandungen  liegen  aufeinander,  der  Sack  ist  leer; 
aber  unter  Umständen  kommt  es  vor,  dass  sie  sich  mit  Flüssig- 
keiten füllen,  in  ähnlicher  Weise  wie  der  Saccus  vaginalis  testis, 
und  dann  entsteht  etwas,  was  der  gemeinen  Hydrocele  in  vielen 
Dingen  ähnlich  ist.  Nur  liegt  es  nicht  an  der  Stelle  des  alten 
Processus  vaginalis,  sondern  daneben.  Der  Hauptunterschied  be- 
steht darin,  dass  der  Sack  immer  viel  näher  der  Bauchwand  liegt, 
aus  der  er  herausgetreten  ist,  denn  die  Brüche,  welche  sich  so 
cystisch  umwandeln,  sind  gewöhnlich  kleinere;  sie  haben  keinen 
grossen  Sack,  und  dieser  findet  sich  mehr  oder  weniger  nahe  am 
äusseren  Inguinal-  oder  Cruralring,  meist  von  einer  reichlichen 
Menge  Fett  umgeben,  so  dass  man,  wenn  man  einschneidet,  zuerst 
eine  äussere  Fettschale  und  dann  erst  die  innere  Wasserblase  er- 
reicht, was  in  dieser  Weise  bei  einfachen  Hydrocelen  nicht  vor- 
kommt. Zuweilen  schnüren  sich  aber  anch  ganz  grosse,  bis  zum 
Hoden  herabreichende  Bruchsäcke  so  ab,  und  unsere  Sammlung  be- 
sitzt ein  besonders  interessantes  Präparat  (Fig.  22.),  wo  beideri?eits 
eine  Hydrocele  herniosa  mit  einer  Hydrocele  communis  verbunden 
ist.  Auf  der  einen  Seite  ist  zugleich  der  Sack  der  Hydrocele  herniosa 
ausserordentlich  verdickt,  fast  knorpelartig  hart,  nach  innen  run- 
zelig und  höckerig,  und  nach  aussen  mit  dem  weichen  Binde- 
gewebe der  Umgebungen  auf  das  Innigste  verwachsen. 


Neunte  Vorlesung. 

20.  Deceraber  1862. 


Hydürecdei  des  Kopfes  und  Rückens. 


Rydroe«!«  eoUi. 

H7<lroetl«  capitis  et  doni.  Spin»  bifida.  Tnmores  cranii  cystici  congenita  Hydrocephalus  ex- 
ternns  tt  intemns.  Hydrorrhaehis  externa  et  interna.  Bau  der  Arachnoides;  ihr  sogenannter 
8sek.  Bydrocsphaliu  neningens :  eystiscbes  Oedem  der  Arachnoides.  Hygronia  durae  raatrit. 
Freier  Hydrocepbalas  externus.  Hydromeningocele  cerebralis  etspinalis.  Adh&sion 
mit  den  Eih&uten.  Die  gewöhnliche  Spina  bifida  lumbalis  oder  Ininbo-sacralis: 
Terlulten  des  RiekeBmarks,  der  Nerren  und  Knochen.  — 

Hydrops  der  Höiileii  der  Centralnervenspparate.  Cystische  Obliteration  der  Hirn-  und  Rücken» 
markshohlen.  Hydrocele  comu  posterioris  Tentricnli  lateralis.  Hydrocele  des  Tierten  Ven- 
trikels, der  HShIe  des  Septam  pellacidnm  und  der  Glandula  pinealis.  Hydrorrhaelüs  interna 
cystica:  Ektasie  des  Centraleanals  Tom  Rnckenmark.  Hydromyeiocele  und  Hydren- 
cephalocele.  Hydrocele  sacralis.  Ruptur  und  Entleerung  der  Sacke.  Anencephalie  und 
Amyelie.  Pieadencephalon ,  Fangut  cerebri.  Heilung  der  Spina  bifida.  Hydrocele  duplex 
cjstiea  oecipitalis. 


-4ch  habe  die  Geschichte  der  Hydrocele  etwas  weitläufiger  ent- 
"^ickelt,  weil  sie  besonders  geeignet  ist,  überhaupt  den  Typus 
^eijenigen  Geschwulstarten  genauer  darzulegen,  welche  in  präexi- 
^tirenden  Säcken  durch  einen  exsudativen  Process  erzeugt  werden. 
^8  kommt  ja  nicht  darauf  an,  ob  der  eine  oder  andere  die  Hy- 
drocele zu  den  Geschwülsten  rechnen  will  oder  nicht;  factisch 
"Vrird  sie  gewöhnlich  dazu  gerechnet,  und  jedenfalls  ist  sie  das 
Vieste  Beispiel,  nach  welchem  sehr  viele  analoge  Geschwulst- 
*V)nnen  beurtheilt  werden  können.     Bei  keiner  anderen  gewinnt 

^an  80  bequem  eine  Uebersicht  über  die  ganze  Reihenfolge  der 

^ttseinander  hervorgehenden  Zustände. 


1 70  Neunte  Vorlesung. 

Der  Name  Hydrocele  ist  daher  auch  von  einzelnen  Aatoren 
ausgedehnt  worden  auf  eine  Reihe  anderer  Tumoren,  welche  nur 
darin  übereinkommen,  dass  eine  Anhäufung  von  wässeriger  Flüs- 
sigkeit in  einem  grösseren  geschlossenen  Sack  stattfindet  So- 
viel ich  wenigstens  aus  den  verschiedenen  Werken  ersehen  kann, 
hat  man  oft  keinen  anderen  Grund  für  diese  Bezeichnung  gehabt, 
als  eine  gewisse  Grösse  der  Cyste.  Waren  die  Säcke  klein,  so 
hat  man  sie  gewöhnlich  Hygrome  genannt;  waren  sie  dagegen 
recht  gross,  dann  sprach  man  von  Hydrocele.  Dahin  gehören 
insbesondere  die  Hydrocele  colli,  die  Hydrocele  capitis. 

Es  ist,  glaube  ich,  nicht  gerade  sehr  zweckmässig,  solche  Be- 
zeichnungen einfach  zu  acceptiren,  und  namentlich  für  Bildungen, 
bei  denen  man  nicht  einmal  sicher  ist,  dass  die  Flüssigkeit  sich 
in  einem  präexistirenden  Sack  befindet.  Gerade  die  vielfach  er- 
wähnte Hydrocele  colli  ist  ein  überaus  zweifelhaftes  Gebilde,  von 
dem  es  höchst  wahrscheinlich  ist,  dass  der  Sack  meistentheils 
ein  neu  entstandener  ist,  und  dass  es  sich  dabei  überhaupt  nicht 
wesentlich  um  die  Anhäufung  von  Flüssigkeit,  sondern  vielmehr 
um  die  Bildung  des  Sackes  handelt,  aus  welchem  die  Flüssigkeit 
transsudirt.  Will  man  daher  die  Bezeichnung  Hydrocele  verall- 
gemeinern, dann  muss  man  sie  viel  genauer  präcisiren,  und  es 
ist  jedenfalls  zweckmässig,  nur  in  solchen  Fällen  das  Wort  zu 
gebrauchen,  wo  es  sich  wirklich  um  eine  Kele,  um  eine  Hemia 
handelt,  wo  also  der  betreifende  Sack  durch  Erweiterung  oder 
Ausstülpung  einer  vorhandenen,  normalen  Höhle  entstanden  ist 

Nun  giebt  es  in  der  That  eine  Reihe  von  Geschwülsten, 
welche  in  diese  Kategorie  vollständig  hineinpassen;  das  sind  die- 
jenigen, welche  an  den  verschiedenen  Abschnitten  der  grossen 
nervösen  Axengebilde  vorkommen,  und  welche  genetisch  mit  einer 
sehr  beträchtlichen  Zahl  anderer  pathologischer  Zustände  znsam- 
mengehören.  Diese  alle  zusammengenommen  bieten  eine  so  grosse 
Mannichfaltigkeit  in  ihrer  äusseren  Erscheinung  dar,  dass,  wäh- 
rend einzelne  von  ihnen  in  keiner  Weise  in  das  Gebiet  der  Ge- 
schwülste hineingezogen  werden  können,  andere  vollständig  nnter 
dem  Habitus  von  Geschwülsten  auftreten  und  unter  Umständen 
auch  so  schwer  zu  erkennen  sind,  dass  es  nicht  zu  umgehen  ist, 
ihrer  bei  der  vergleichenden  Diagnostik  gewisser  Geschwülste  a 
gedenken. 


Hydrocele  dorsi  et  capitis.  171 

Es  handelt  sich  hier  wesentlich  um  die  Hydrocele  capitis 
und  um  die  Hydrocele  dorsi,  also  um  Hernien  mit  wässrigem 
Inhalt,  welche  hervorgehen  entweder  aus  der  Sehädelhöhle  oder 
aus  dem  Wirbelkanal.  Es  liegt  aber  auf  der  Hand,  dass  aus  die- 
sen  Höhlen  keine  herniösen  Geschwülste  hervorgehen  können, 
wenn  nicht  ungewöhnliche  Oeffnungen  in  den  einschliessenden 
Har^ebilden  oder  in  den  die  letzteren  verbindenden  Bändern, 
Nähten  u.  s.  w.  vorhanden  sind,  wenn  also  nicht,  wie  man  ge- 
wöhnlich zu  sagen  pflegt,  ein  Loch  oder  eine  Spalte  im  Schädel 
oder  in  der  Wirbelsäule  ist.  Von  diesem  Umstand  hat  man  die 
Bezeichnung  für  die  Wasserbrüche  hergenommen,  welche  an  der 
Wirbelsäule  vorkommen,  indem  man  sie  seit  Tulpius  mit  dem 
Namen  der  Spina  bifida  belegt  hat.  Für  die  am  Kopf  vorkom- 
menden Formen  hat  man  dagegen  einen  ähnlichen  Namen  nicht 
gewählt,  obwohl  man  ebenso  gut  Cranium  bitidum  hätte  sagen 
können.  Ja  man  hat  überhaupt  keinen  allgemein  gültigen  Namen 
für  sie.  Durch  diese  Verschiedenartigkeit  der  Bezeichnung  ist  die 
deutliche  Parallele,  welche  zwischen  den,  an  verschiedenen  Orten 
vorkommenden,  sonst  identischen  Geschwülsten  besteht,  sehr  in  den 
Hintergrund  gedrängt  worden.  Einzelne  Formen,  wie  sie  nament- 
lich congenital  am  Kopf  vorkommen,  hat  man  geradezu  unter 
dem  Namen  von  Balggeschwülsten,  Tumores  cystici  conge- 
niti.  beschrieben;  andere  dagegen  hat  man  als  Hernia  cerebri 
oder  als  Hydrencephalocele  (Hydrocele  cerebralis)  angeführt; 
wieder  andere  sind,  je  nachdem  die  Säcke  sich  in  verschiedenen 
Zuständen  weiterer  Veränderung  befinden,  wieder  mit  anderen 
Namen  belegt  worden,  so  dass  namentlich  unter  den  Missbildungen 
eine  sehr  grosse  Reihe  coordinirter  Zustände  aufgezählt  wird,  unter 
denen  ich  hier  nur  kurz  erwähnen  will  die  Acranie,  die  Hemi- 
cephalie,  die  Anencephalie  und  die  Pseudencephalie. 
Es  sind  dies  Formen,  die  ganz  eigentlich  der  Teratologie  ange- 
hören, und  auf  die  ich  hier  nur  in  so  weit  eingehe,  als  für  die 
Geschichte  der  Spina  bifida,  welche  dasselbe  an  der  Wirbelsäule 
ist,  was  diese  Zustände  am  Gehirn  und  Schädel  sind,  die 
Vergleichung  mit  ihnen  nothwendiger  Weise  festgehalten  werden 
mnss. 

Gewöhnlich  beginnen  diese  Vorgänge  mit  der  Anhäufung  von. 
Flüssigkeiten,  welche,  wie  bei  der  Hydrocele  testis,  nicht  zu 
betrachten  sind  als  blos  hydropische  Ausscheidungen,  als  ein- 


172  Neunte  Vorlesang. 

fach  seröse  Transsudate,  welche  vielmehr  immer  auf  einen 
mehr  oder  weniger  irritativen  Habitus  des  Processes  hinweisen. 
Zum  mindesten  lässt  sich  immer  durch  gewisse  Eigenthümlich- 
keiten  an  dem  begrenzenden  Gewebe  erkennen,  dass  ein  activer 
Reizungszustand  besteht.  Es  handelt  sich  also  um  Processe,  welche 
dem  entzündlichen  wenigstens  ausserordentlich  nahe  stehen;  ja  in 
manchen  Fällen  müssen  sie  geradezu  als  entzündliche  bezeich- 
net werden.  Wie  man  den  Hydrocephalus  acutus  infantum  seit 
Formey  als  eine  Entzündungsform  auffasst,  so  muss  man  auch 
die  wässrigen  Ausscheidungen,  welche  beim  Fötus  vorkommen, 
als  entzündliche  Erzeugnisse  ansehen. 

Nun  unterscheidet  man  am  Gehirn  zwei  Formen,  den  Hy- 
drocephalus externus,  wo  man  annimmt,  dass  die  Flüssig- 
keit im  Umfange  des  Gehirns,  namentlich  in  dem  sogenannten 
Sack  der  Arachnoides  befindlich  sei*),  und  den  Hydrocepha- 
lus internus,  wo  die  Flüssigkeit  sich  innerhalb  der  Höhlen  des 
Gehirns  befindet.  Ganz  entsprechend  kann  man  am  Rückenmark 
zwei  Formen  aufstellen:  eine  Hydrorrhachis  externa,  wo 
die  Flüssigkeit  sich  innerhalb  der  Arachnoides  spinalis  befindet, 
und  eine  Hydrorrhachis  interna,  wo  die  Flüssigkeit  in  dem 
Centralkanal  des  Rückenmarks  enthalten  ist.  Dieser  Kanal  ist 
bekanntlich  sehr  eng,  so  dass  man  ihn  kaum  mit  blossen  Augen 
sehen  kann,  existirt  aber  doch,  wie  man  jetzt  allgemein  überzeugt 
ist,  ebenso  continuirlich ,  wie  die  Ventrikel  des  Gehirns,  und  er 
hängt  mit  dem  vierten  Ventrikel  an  dem  Calamus  scriptorias  un- 
mittelbar zusammen  **). 

Was  den  Hydrocephalus  externus  anlangt,  so  muss  ich  be- 
kennen, dass  ich  trotz  der  vielen  Versicherungen,  welche  sich  in 
der  Literatur  über  das  Vorkommen  freier  Flüssigkeit  im  Umfange 
des  Gehirns  vorfinden,  im  Allgemeinen  zu  den  Skeptikern  gehöre. 


^)  Bis  in  die  noucro  Zeit  nannte  man  nur  die  wassersOchtigen  Aohfinfun- 
fcen  ausserhalb  des  Schädels  Hydrocephalus  externus,  und  demgem&ss  alle 
Formen  von  Wasseranhäufung  innerhalb  des  Schädelraums  H.  internus  (vgl. 
van  Swieten  Comraent.  T.  IV.  p.  119.  Portal  Hydropisie.  T.  II.  p.  22, 
Kgf;crt.  Wassersucht.  S.  250).  In  den  letzten  Jahren  ist  es  mehr  und  mehr 
(Gebrauch  co worder,  d;ui  Anasarca  capitis  von  dem  Hydrocephalus  xu  trennen, 
womit  on  in  der  That  f^ar  keine  Beziehungen  hat,  und  den  letiteren  Namen 
Miglicli  für  die  im  Scbädclraum  vorkommenden  oder  aus  ihm  herrorgehea- 
d(>n  HydropHien  zu  ««"brauchen. 
•')  0<*llularp«thologie.  8.  247. 


Hydrocephalus  externos  173 

Ein  geschlossener  Sack  der  Arachnoides  cerebralis,  wie  man  ihn 
gewöhnlich  annimmt,  indem  man  ein  parietales  und  ein  viscerales 
Blatt  voraussetzt,  existirt  überhaupt  nicht*).  Arachnoides  oder 
Pia  mater  ist  die  Haut,  welche  auf  dem  Gehirn,  Dura  mater  die- 
jenige, welche  auf  dem  Knochen  liegt.  Dazwischen  ist  zwar  ein 
Raum,  aber  dieser  ist  nicht  von  einer  Haut  ausgekleidet,  welche 
einen  Sack  bildete,  und  von  einer  Anhäufung  von  Flüssigkeiten, 
welche  vergleichbar  wäre  mit  den  Flüssigkeits-Anhäufungen,  welche 
gelegentlich  in  anderen  serösen  Säcken  sich  finden,  kann  (mit  Aus- 
nahme des  später  zu  erwähnenden  congenitalen  Falles)  gar  nicht 
die  Rede  sein.  Der  Raum  verhält  sich  eben  nicht  wie  ein  seröser 
Sack,  und  Transsudationen  in  ihn  geschehen  in  der  Regel  nicht 
Wenn  an  der  Arachnoides  ein  transsudativer  Zustand  besteht,  so 
bildet  sich  ein  Oedem  in  ihr,  aber  nicht  eine  freie,  über  die  Ober- 
fläche hinausgehende  Exsudation.  Die  Haut  kann  sich  dabei  zu 
grösseren  ödematösen  Massen  erheben,  die  sogar  zuweilen  eine 
Art  cystischer  Beschaffenheit  annehmen  und  blasige  Räume  dar- 
stellen, und  die,  wenn  sie  bei  der  Eröffnung  der  Dura  mater  zu- 
fallig angeschnitten  werden,  ihren  Inhalt  ergiessen,  gleichsam  als 
ob  derselbe  nicht  in  der  Haut,  sondern  in  der  von  ihr  begrenzten 
Höhle  befindlich  gewesen  wäre.  Dieses  Oedem  kann  man  Hydro- 
cephalus  meningeus**)  nennen. 

Ausserdem  giebt  es  noch  einen  Fall,  der  bei  nicht  sehr 
sorgfaltiger  Beobachtung  den  Eindruck  einer  freien  Transsudation 
machen  kann,  und  den  man  allenfalls  auch  mit  dem. Namen  des 
Hydrocephalus  meningeus-  belegen  mag.  Das  ist  ein  Zustand,  der 
ganz  vergleichbar  ist  dem  Haematom  der  Dura  mater,  welches  ich 
das  letzte  Mal  beschrieben  habe  (S.  HO),  und  welches  ich  deshalb 
auch  lieber  mit  Duncan***)  ein  Hygrom  der  Dura  mater  nen- 
nen würde.  Hier  entstehen  an  der  inneren  Seite  der  Dura  mater 
durch  voraufgegangene  pachymeningitische  Processe  Pseudomem- 
branen, deren  Blätter  nicht  durch  Blut,  wie  beim  Haematom,  son- 
dern durch  wässrige  Flüssigkeit  auseinander  getrieben  werden,  so 
dass   die  Flüssigkeit   sicli   in   freien  Räumen   zwischen  den   neu- 


*)  Würzburger  Verhandl.  Bd.  VII.  S.  135. 

**)  Rokitaosky  (Pathol.  Anat.  1856.  Bd.  IL  S.  408)  gebraucht  dieseo 
Namen  fQr  den  freien  Wassererguss  in  den  »Sack^  der  Arachnoides,  was  mir 
nicht  zweckmässig  za  sein  scheint. 

0  Hooper.  Morbid  anatomy  of  the  human  braio.  Lond.  1828.  p.  29. 


174  Nennte  Vorlesung. 

gebildeten  Schichten  anhäuft.  Dieser  Fall  ist  allerdings  sehr  selten, 
denn  obwohl  ich  manche  Section  gemacht  und  gesehen  habe*,  so 
ist  es  mir  doch  nur  zweimal  vorgekommen,  einen  solchen  Sack 
zu  finden,  ein  Mal  über  den  Grosshim-Hemisphären  in  Würzburg, 
ein  zweites  Mal  hier,  entsprechend  dem  Kleinhirn,  an  den  Hinter* 
hauptsgruben.  Als  ich  diesen  Znstand  das  erste  Mal  bei  einer 
alten  Frau  *)  traf,  und  als  ich,  während  ich  die  Dura  mater  spal- 
tete, eine  Menge  von  Wasser  hervorstrOmen  sah,  glaubte  ich  im 
ersten  Augenblick,  dass  meine,  bis  dahin  von  mir  f&r  absolut 
richtig  gehaltene  Ansicht,  es  gebe  keinen  freien  Hydrocephiüns 
externus,  irrig  sei,  allein  sehr  bald  erschien,  nach  Abhebung  der 
Dura  mater,  eine  zweite  Haut,  die  lose  auf  der  Oberfläche  des 
Gehirns,  also  über  der  Arachnoides  lag,  und  die  ringsum  mit  der 
Dura  mater  zusammenhing.  Zwischen  dieser  anomalen  Haut  und 
der  Dura  hatte  sich  das  Wasser  befunden,  welches  bei  dem  An- 
schneiden der  letzteren  ausgeströmt  war. 

Ebenso  deutlich  zeigte  sich  dies  Yerhältniss  in  dem  zweiten 
Falle**)  bei  einem  62jährigen  Manne,  wo  gar  kein  Zweifel  bleiben 
konnte,  dass  es  sich  nicht  um  eine  Ablösung  des  Parietalblattes 
der  Arachnoides  handelte,  sondern  dass  ausgedehnte  pachymenin- 
gitische  Pseudomembranen  an  mehreren  Stellen  zu  grossen  Blasen 
auseinandergeschoben  waren.  Zahlreiche  Adhäsionen  liefen  an  die- 
sen Stellen  zu  der  Oberfläche  der  Pia  mater  herüber,  so  dass  der 
Sack  der  Arachnoides  im  Umfange  des  Kleinhirns  eigentlich  ganz 
obliterirt  war. 

Ausser  dem  Hygrom  der  Dura  mater  und  dem  möglicher 
Weise  blasigen  Oedem  der  Pia  mater  (Arachnoides)  giebt  es  end- 
lich, wie  ich  mich  neuerlich  überzeugt  habe,  noch  den  Fall  des 
freien  Hydrocephalus  externus,  wo  die  Flüssigkeit  zwischen 
Dura  und  Pia  in  dem  sogenannten  Sack  der  Arachnoides  sich 
befindet***).  Aber  diese  Form  ist  meiner  Erfahrung  nach  stets 
congenital;  ich  habe  sie  nur  gesehen  bei  ursprünglicher  Mangel- 


•)  Wüncburger  Verhandlangen.  185C.  Bd.  VU.  S.  142. 
••)  Präparat  No.  21.,  c  und  d  vom  Jahre  1859. 

^^^)  Ich  kann  noch  hinzufDgen,  dass  es  eine  Art  von  cystischer  Degene- 
r;ition  (zolliger  Atrophie  oder  Erweichung)  der  Hirnsubstanz  giebt,  weiche 
M  un vorftirhtiger  Lröffnung  der  Dura  mater  ebenfalls  leicht  mit  ange- 
nthn\M9»u  werden  und  FlOssigkeit  ergiessen  kann.  Aber  hier  liegt  die  Plus- 
•iftk'-it  nntor  der  Pia  mater  an  der  Stelle  von  Hirnsubstanz  seibat,  and  obwoki 
41«  DngifoeratioB  snweilen  bis  an  die  UimveDtrikel  reieht,  so  besteht  dock 


Hydrorrhachis  externa.  175 

haftigkeit,  Aplasie  des  Gehiras,  z.  B.  Mikrencephalie ,  Cy- 
clopie  u.  s.  w.,  wo  über  dem  nicht  hinreichend  entwickelten 
Gehirn  allerdings  eine  gewisse  Quantität  freier  Flüssigkeit  vor- 
handen war.  Bednar*)  beschreibt  einen  einzigen  solchen 
Fall,  der  in  der  Wiener  Findelanstalt  während  eines  Zeitraumes 
von  4  Jahren  unter  fast  30,000  Neugebornen  beobachtet  wurde. 

Anders  verhält  sich  die  Sache  am  Rückenmark.  Hier  exi- 
stirt  überhaupt  kein  offener  Sack,  sondern  die  Arachnoides  bildet 
ein  lockeres,  maschiges  Gewebe,  welches  sich  unmittelbar  an  die 
Dura  mater  und  das  Rückenmark  anlegt.  £s  ist  daher  überhaupt 
keine  einfache  Höhle  vorhanden,  sondern  es  giebt  nur  die  gross- 
maschigen  Räume  der  Arachnoides  zwischen  Dura  und  Rücken- 
mark. Das,  was  wir  am  Gehirn  Oedem  der  Pia  mater  (Arach- 
noides) nennen,  ist  genau  dasselbe,  was  wir  am  Rückenmark  als 
Hydrorrhachis  **)  externa  bezeichnen,  aber  es  stellt  sich  am  Rücken- 
mark allerdings  so  dar,  dass  die  Flüssigkeit  in  dem  maschigen 
Gewebe  gleichsam  frei  enthalten  ist,  und  bis  unmittelbar  an  die 
Dura  mater  reicht.  In  sofern  liegen  die  Verhältnisse  also  wesent- 
lich verschieden,  je  nachdem  wir  das  Gehirn  oder  das  Rücken- 
mark ins  Auge  fassen. 

Nun  giebt  es  gewisse  Fälle,  in  welchen  sich  bald  am  Kopf, 
bald  am  Rücken  geschwulstartige  Hervortreibungen  der  Oberfläche 
vorfinden,  welche,  wenn  man  sie  drückt,  einen  weichlichen  Inhalt 
la  enthalten  scheinen,  welche  sich  auch  zuweilen  etwas  verklei- 
nem lassen  durch  Druck,  indem  die  Flüssigkeit  wirklich  ins 
Irmere  zurückzupressen  ist.  So  ist  e§  namentlich  bei  Kindern 
der  Fall,  wo  die  Schädelknoehen  und  die  einzelnen  Wirbel  noch 
mehr  von  einander  zu  entfernen  sind.  In  manchen  dieser  Fälle 
findet  man,  wenn  man  die  Geschwülste  eröffnet,  dass  Gehirn 
oder  Rückenmark  nicht  betheiligt  sind  bei  der  Bildung,  und  hier 


keine  regelmässige  Gommunication  mit  denselben.  Hescbl  (Prager  Viertel- 
iabrsscbrift.  1859.  Bd.  I.  S.  68.  1861.  Bd.  IV.  S.  102.)  bat  diesen  Zustand 
unter  dem  Namen  Porencepbalie  bescbrieben. 

^)  A.  Bednar.  Die  Krankbeiten  der  Neugebornen  und  Säuglinge.  Wien. 
1851.  Bd.  11.  S.  48. 

**)  leb  bemerke  ausdrQeklicb,  dass  Hydrorrbacbis  nicbt,  wie  mancbe 
Aotorea  angenommen  baben,  identiscb  mit  Spina  bifida  ist  Hydrorrhacbis 
kann  ohne  alle  Veränderung  des  Wirbelkanals  und  ohne  alle  Gescbwulst  be- 
stehen, und  Egbert  (lieber  die  Wassersucht.  Leipzig.  1817.  S.  839.)  unter- 
scheidet daher  Hydrorrhachis  (oder,  wie  er  sagt,  Hydrorbachitis )  dehiscens 
3B  Spina  bifida  von  H.  incolumis. 


176  Neunte  Yorlepang. 

hat  man  eben  angenommen,  dass  eine  solche  Ausweitong  ent- 
standen sei,  indem  an  irgend  einer  Stelle  sich  eine  Anhäufung 
von  Flüssigkeit  ausserhalb  des  Gehirns  und  Rückenmarkes  in  dem 
Arachnoidealsacke  gebildet  habe.  Herr  Spring  in  Lütticb  hat 
sehr  zweckmässig  für  diese  Formen  den  Namen  Meningocele 
vorgeschlagen  *),  weil  nur  die  Meningen,  die  Häute  in  den  Sack 
ausgehen  und  ausser  ihnen  nur  noch  Flüssigkeit  vorhanden  ist: 
also  Meningocele  oder  besser  Hydromeningocele  cerebralis 
und  spinalis.  Allein  es  würde  sehr  schwer  zu  verstehen  seio, 
wenn  in  dem  sogenannten  Sack  der  Arachnoides  cerebralis  sich 
Flüssigkeit  anhäufte,  warum  z.  B.  gerade  an  der  hintern  seitlichen 
Fontanelle,  die  am  Zusammenstoss  von  Parietal-,  Occipital-  und 
Temporalknochen  liegt,  oder  mitten  durch  die  Squama  occipitaUs 
sich  der  Sack  herausschieben  sollte;  man  begreift  nicht,  wenn 
im  ganzen  Sack  Flüssigkeit  ist,  warum  nur  an  der  einen  Stelle 
die  Flüssigkeit  sich  hervordrängt.  Bei  dem  Rückenmark  Hesse 
sich  das  allenfalls  begreifen,  weil,  hier  die  Flüssigkeit  in  dem 
maschigen  Gewebe  der  Arachnoides  liegt,  und  diese  Maschen  in 
einer  früheren  Zeit  sich  erweitern  und  ausdehnen  können,  ohne 
dass  nothwendiger  Weise  der  ganze  Raum  von  oben  bis  unten 
daran  Theil  nimmt. 

Herr  Cruveilhier  **)  hat  für  die  Spina  bifida  eine  Erklä- 
rung aufgestellt,  welche  allerdings  das  locale  Hervortreten  solcher 
Geschwülste  begreiflich  macht.  Schon  Geoffroy  St  Hilaire, 
der  Vater,  hatte  eine  ganze  Reihe  fötaler  Anomalien  auf  m'sprüug- 
liche  Adhärenzen  des  Futus  mit  seinen  Eihäuten  lurückgeführt 
Auf  denselben  Grund  bezieht  Cruveilbier  auch  die  mangel- 
hafte Schliessung  der  Wirbelsäule,  welche  denn  ihrerseits  wi^er 
die  partielle  Ausdehnung  des  Sackes  der  Dura  mater  begünstigen 
würde.  Für  diese  Auflassung  lässt  sich  das  sagen,  dass,  wie  ich 
selbst  dunli  eine  gewisse  Z:ü)l  von  Fällen  beweisen  kann,  sowohl 
bandförmige,  als  auch  iiäeheuartige  Synechien  des  Kopfes  und  des 
Rückens  mit  der  Placonta  oder  dem  Amnios  ebenso  Acranie, 
Hernia  cerebralis,  Anenoephalie,  als  Spina  bifida  bedingen.  Aber 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  von  einer  solchen  Synechie  keine 


^)  Soriii^.  Monujrraphie  de  la  heroie  du  cerveao  et  de  quelques  lesioos 
voittine».  Bruxelleti.  18&£x  p.  7. 

^^)  Craveilhier.  Atlas  d'anat.  pathologiqne.  üvr.  XVL  PL  4.  p.  2. 


H^dromeningocele.  177 

Spur  zu  sehen,  und  wenn  ich  auch  zugestehe,  dass  solche  Spuren 
sich  verwischen  können,  so  gilt  dies  doch  mehr  f&r  die  höheren 
Grade  der  genannten  Zustände,  insbesondere  für  die  Spina  bifida 
mit  partieller  Adennie  und  namentlich  mit  allgemeiner  oder  par- 
tieller Amyelie.  Im  hohen  Maasse  zweifelhaft  ist  eine  solche  Ent- 
stehung jedoch  in  den  Fällen ,  wo  die  Haut  ganz  unverletzt  ist, 
oder  wo  gar  die  Ausstülpung  sich  zwischen  den  Wirbeln,  die  selbst 
unverletzt  sind,  hervorschiebt.  Dasselbe  gilt  von  einer  grossen 
Zahl  herniöser  Ausstülpungen  am  Schädel,  welche  zum  Theil  ziem- 
lich tief  unter  den  unverletzten  Weichgebilden  verborgen  liegen. 

Ganz  genaue  Untersuchungen  über  die  Entstehung  dieser  For- 
men liegen  bis  jetzt  keineswegs  vor.  Es  scheint  mir  aber  kaum 
zweifelhaft,  dass  ein  Hygrom  der  Dura  mater,  welches  sich  schon 
in  früherer  Zeit  entwickelt,  wo  das  äussere  Schädelgewölbe  noch 
keine  Festigkeit  hat,  oder  ein  blasiges  Oedem  der  Pia  mater  sich 
80  vergrössem  kann,  dass  es  in  Form  einer  Geschwulst  nach 
aussen  hervortritt  Ich  kann  dafür  namentlich  den  Umstand  an- 
fahren, dass  zuweilen  selbst  bei  Erwachsenen  am  Schädeldach 
durch  partielle  blasige  Oedeme  der  Pia  mater  über  den  Grosshirn- 

m 

Hemisphären  Atrophien  der  Glastafel,  ja  selbst  tiefe  Aushöhlungen 
der  Knochen  mit  entsprechender  Hervorwölbung  der  äusseren  Rinde 
entstehen.  In  einem  Präparate  unserer  Sammlung*)  ist  dadurch 
eine  blasige  Hervorwölbung  des  einen  Scheitelbeins  neben  der 
Pfeilnaht  entstanden,  welche  sich  von  aussen  wie  eine  starke 
Exostose  anf&hlte,  und  an  welcher  der  Knochen  bis  auf  eine 
ganz  dünne  Schale  geschwunden  ist.  Auch  in  dem  einen  Falle 
von  Hygrom  der  Dura  mater  waren  die  Knochen  im  Umfange  des 
Sackes,  ebenso  wie  die  Oberfläche  des  Kleinhirns,  sichtbar 
atrophirt 

Am  Rücken  giebt  es  eine  Hydromeningocele,  welche  nament- 
lich an  dem  unteren  Theile  der  Wirbelsäule,  in  der  Lumbal-  und 
Sacralgegend  vorkommt,  derjenigen  Partie,  aus  welcher  das  Rücken- 
mark schon  sehr  früh  zurückweicht.  Denn  bekanntlich  reicht  ur- 
sprünglich das  Rückenmark  durch  die  ganze  Ausdehnung  des  Wir- 
belkanals.  Es  wächst  später  aber  nicht  in  gleichem  Maasse  mit 
der  Wirbelsäule,  und  sein  unteres  Ende  entfernt  sich  daher  mehr 
und  mehr  von  seiner  ursprünglichen  Localität.  Diese  untere  Region, 


^  Präparat  No.  19.  vom  Jahre  1858. 

Virehow,  OMehwfiltU.    1.  12 


178  Neunte  Vorlesnng. 

wo  später  die  Gauda  equina,  ganz  lose  von  dem  sehr  lockeren 
Gewebe  der  Aracbnoides  umhüllt,  liegt,  ist  die  häufigste  Stelle, 
wo  wir  eine  einfache  Hydromeningocele  spinalis  (Spina  bifida) 
als  congenitalen  Zustand  antreffen.  Wenn  wir  sie  aufschneiden, 
so  zeigen  sich  darin  ausser  dem  Wasser  nur  die  Häute,  also  ein 
Theil  der  Dura  mater  und  der  Aracbnoides,  mit  der  dann  aller- 
dings nicht  selten  einige  Nerven  der  Cauda  equina  mit  heraus- 
gebogen werden,  an  deren  Bildung  aber  die  Nerven  doch  nicht 
unmittelbar  betheiligt  sind. 

Allein  solche  einfache  Hydromeningocelen  sind  keineswegs 
so  häufig,  wie  manche  Schriftsteller  annehmen,  und  am  wenigsten 
sind  sie  der  gewöhnliche  Fall.  Selbst  die  gemeine  Spina  bifidi 
lumbalis  oder  lumbo-sacralis  ist  in  der  Regel  anders  gebildet 
Schon  der  älteste  Autor,  welcher  die  Spina  bifida  benannt,  beschrie- 
ben und  abgebildet  hat,  Tulpius  *),  gedenkt  der  grossen  Zahl 
von  Nerven,  welche  durch  den  Sack  zerstreut  zu  sein  pflegen. 
Allein  sehr  bald  zeigte  sich,  dass  auch  das  Rfickenmark  selbst 
in  den  Sack  eintritt  und  sich  an  die  äussere  Wand  desselben  inse- 
rirt.  Morgagni  **),  welcher  solche  Beobachtungen  von  Apinus, 
Mauchart  und  Treu  auffährt,  bezweifelt  noch  die  Richtigkeit  ihrer 
Deutung,  jedoch  mit  Unrecht.  Die  Beschreibung  von  Natorp**^, 
sowie  die  vortrefflichen  Abbildungen,  welche  Crnveilhierf)  m^ 
V.  Ammonft)  geliefert  haben,  lassen  darfiber  keinen  Zweifel, 
und  das  Bedenken  Morgagni's,  dass  die  Hydrocele  spinalis  an 
Stellen  vorkommt,  wo  beim  Erwachsenen  nur  noch  Cauda  eqnint 
liege,  erledigt  sich  einfach  dadurch,  dass  die  Missbildang  schon 
in  einer  so  frühen  Zeit  des  Lebens  beginnt,  dass  das  Rficken- 
mark noch  bis  zum  Ende  des  Wirbelkanals  reicht 

Häufig  zeigt  der  an  der  Lenden-  oder  Kreuzgegend  herror- 
tretende  Sack  schon  äusserlich  eine  Vertiefung,  welche  zuweilen 
tief  trichterförmig  ist  (Fig.  23,  24,  25).    Ich  finde  dieselbe  scb» 


*)  Nie.  Tulpius.  Observationes  medicae.  Amstel.  1652.  p.  843. 
**)  Jos.  Bapt.  Morgagni.  De  sedibus  et  causis  morbomai.  Ebrod.l??'    |^ 
üb.  I.  Ep.  12.  Art.  11. 
^**)  Natorp.  De  spina  bifida.  Diss.  inaog.  Berol.  1838. 
t)  Cruveilhier.  1.  c.  pl  4.  fig.  3'.  et  4'.  p.  3. 
t+)  V.  Ammon.     Angeborne    chirurgische    Krankheiten    des    !!«■•«••• 
Taf.  XIV.  Fig.  1. 


in  einzelnen  frOberen  Abbildungen  *)  deutlich  angegeben ,  jedoch 
hat  man  ihr  nicht  den  Werth  beigelegt,  welchen  sie  besitzt.  Denn 
wenn  man  den  Sack  eröffnet,  so  zeigt  sich,  dass  gerade  au 
dieser  Stelle  das  Ende  des  Rückenmarks  sich  inserirt  (Fig,  *24,  %'. 
Fig.  25,  c).  Manchmal  ist  dasselbe  ganz  fein  ausgezogen  und  gleicht 
dem  Filnm  terminale  (Fig.  24);  andere  Mal  dagegen  bleibt  es 
ziemlich  stark  und  erweitert  sich  sogar  gegen  die  Insertions- 
Btelle  (Fig-  25.). 


Fig.  SS.  Ein  Deagebornes  Kind  mit  Spia»  bifidn  lambalia.  Au  dem 
obcreo  Umfange  des  Sackes  die  trichterförmige  Vertiefung,  welche  der  In- 
WTtioD  des  Spinaktranges  entspricht.  (Präparat  No.  372.). 

•)  Proriep.  OiimrgiBChe  Kopfertafeln.  Weimar.  1822.  Taf.  LXVI.  Fig.  4. 
Uach  dem  Lona.  med.  and  phys.  Jonroal.  1822.  Februar.  No.  276.  p.  106). 

12» 


Dabei  findet  sich  aber  mgleich  eia  sehr  eigenthfiinlichps 
Verbaltea  der  Nerven.  Schon  Job.  Fr.  Heckel*)  hat  darauf 
hingewieeen,  doch  ist  seine  Beschreibung  nicht  leicht  verstÄDil- 
licli.  Auf  den  ersten  Blick  sieht  es  nehnlieli  so  ans,  als  ob  die 
Nerven  ganz  unregelm&saig  durch  die  HOhle  des  Sackes  ausge- 
spannt seien,  oder  gar  so,  als  ob  sie  von  vorn  her  in  den  Sack 
einträten  und  durch  denselben  rtckw&rts  gegen  die  Haut  hin- 
liefen. Bei  genauerer  Untersuchung  ei^iebt  sich  aber,  dass  sie 
in  vollstfindigster  Regelmässigkeit  angeordnet  sind  und  simmtlicli 
von  der  Insertionsstellc  des  Rfickenmarks  ausgehen.    Von  da  ans 


Fig.  24.  L3ngsdurchBchnilt  der  Spina  bifida  ia  Fig.  23.  o  Cutis,  b  Untw- 
li au t Fettgewebe;  c  Faseie;  d  Miislceln  und  Dornfortaltie;  t  Dura  mater  npi- 
naliii ,  welche  «ich  in  e'  mr  Süsseren  Haut  d«r  Ilydrocele  spinilis  b«piebl 
und  mit  ilerselbeu  verwaohsen  ist:  /  Arachnoides  spiDalifl.  welche  innerfaaib 
ili'ü  Sarke!«  mit  der  Uun  t'  eine  besondere  abgeschlossene  Kinun^r  (Heningo- 
ri'Ii')  bildet;  g  Rackenmark ,  welches  bei  g'  au  die  inssere  Üaut  tritt  und 
liier  einp  feine  OfToung  besitzt;  n.  n  SpinalnerTen ,  «-eiche  von  g"  komm« 
und  Hirh  tu  dem  Torderen  Umfange  des  Sackes  begeben,  um  hier  di«  Wand 
■u  durrhbrerheu  und  in  ihrer  normalen  Austritts! teile  am  de«  WirbeJkaaal 
tu  gclansen. 

*)  Heckel.  Handbuch  der  pathoL  Aiatoaie.  Leiuig.  1819.  Bud  L 
S.  SS5.  306. 


SpiDK  bifida  lumbosacniUB. 


181 


verlaofen  einzelne  (Fig.  24,n,  n)  eine  kurze  Strecke  an  der 
äDSseren  Wand  des  Sackes,  biegen  dann  am  und  gehen  mitten 
dar«h  den  Sack  zurück  gegen  den  vorderen  Umfang  des  Sackes; 
andere  (Fig.  24,  g'n)  bilden  ganz  gerade  und  lange  Schlingen,  deren 
Biegung  der  äusseren  Wand  anliegt,  und  machen  dann  denselben 
Verlauf  nach  vom.     Zuweilen  kommt  es  sogar  vor  (Fig.  25,«'), 


dasB  einzelne  dieser  Nerven  an  dem  Rückenmark  selbst  zurück- 
Uofen,  um  endlich  die  vordere  Wand  des  Sackes  zu  erreichen. 


Fig.  2ü.  Spina  bifida  gacraÜB,  von  hinten  her  geCffoet  Die  Dorofort- 
dtie  der  S  nächstoberen  Wirbel  sind  weggenommeD ,  der  Sack  der  L&nge 
■ach  Dsben  der  Mittellioie  aufgegcboitten  und  die  HSIften  zurDckgeschlagen. 
Du  Rflckenmark  geht  bei  e  mit  einem  dick  trieb terfCrmigen  Ende  an  die 
eiBgMogane  Stelle    des  Sackea  und  von  hii  <-     r,        . 

LombalnerveD  zurück.  Die  Nerven  s,  a  und 
gckUrCD  «igentlich  der  rechten  Seite  an  und 
Mfnang  dea  Sackes  auf  die  linke  Seite  gekor 

begen  die  ADstrittsstelleo  der  Nerven  der  rechten  Seite,  von  denen  einer  bei 
3  mit  seinem  Ganglion  geieicbnet  ist  (Präparat  No.  620.). 


i  steigen  die  Sacral-  und 

e  zunächst  darunter  gelegenen 

ind  nur  durch  die  laterale  Er- 

Von  s'  beruDterge rechnet 


182  Nennte  Vorleeang. 

Hier  durchbohren  sie  in  zwei  Reihen  die  Dura  mater,  um  jeoeeits 
derselben  in  regelmässiger  Weise  ihre  Ganglien  zu  bilden  (Fig.  25,  g). 
Dabei  ergiebt  eine  Yergleichung  dieser  Nerven  mit  den  oberen  nor- 
malen Nervenwurzeln ,  dass  sie  in  hohem  Grade  nicht  blos  ver- 
längert, sondern  auch  yerdickt  sind,  also  eine  Art  von  Hyper- 
trophie erfahren  haben. 

Es  erhellt  aus  dieser  Darstellung,  dass  die  Spina  bifida  lumbo- 
saoralis  keineswegs  so  einfach  ist,  wie  man  gewöhnlich  sich  vor- 
stellt. Das  Rückenmark  selbst  ist  daran  betheiligt,  und  es  kann 
sogar  fraglich  erscheinen,  ob  sein  Gentralkanal  ursprünglich  am 
Ende  nicht  mitgelitten  hat.  Jedenfalls  befindet  sich  der  grösste 
Theil  des  Wassers  innerhalb  der  Arachnoides  um  das  Rücken- 
mark und  die  Nervenwurzeln;  nur  zuweilen  bildet  die  Dura  mater 
daneben  noch  besondere  abgeschlossene  Wassersäcke  (Fig.  24,  eO- 

In  der  Regel  sind  die  Processus  spinosi  an  der  betreifenden 
Stelle  nicht  geschlossen  oder  ganz  und  gar  unvollkommen.  Sel- 
tener sind  auch  die  Wirbelkörper  doppelt*)  oder  geradezu  ge- 
spalten**), so  dass  zugleich  eine  Spina  bifida  anterior  (Fissnra 
vertebralis)  besteht.  Ausnahmsweise  tritt  der  Sack  durch  einen 
Intervertebralraum  hervor  •**). 

Wesentlich  anders  verhält  es  sich  mit  den  Formen,  wo  die 
Flüssigkeit  ursprünglich  enthalten  ist  in  den  Höhlen,  sei  e.s 
des  Gehirns,  sei  es  des  Rückenmarks.  Das,  was  man  schlecht- 
hin Hydrocephalus  nennt,  ist  eine  Affection,  die  gewöhnlich  mehr 
gleichmässig  sich  in  den  HimhöUen  verbreitet,  die  allerdings 
am  auffälligsten  in  den  SeitenhOhlen  hervortritt,  aber  doch  auch 
in  der  dritten  und  vierten  Höhle  vorkonunt,  und  sich  als  eine 
gleichmässige,  in  keiner  Weise  geschwulstartige  Afiection  darstellt 
Ist  sie  sehr  reichlich,  so  wird  das  Gehirn  sich  ausdehnen,  und 
wenn  der  Schädel  noch  in  seinen  Nähten  nachgiebig  ist,  so  wird 
auch  er  wachsen  und  eine  Art  von  Makrocephalie  entstehen.  Aber 
nicht  immer  sind  alle  Höhlen  in  gleicher  Weise,  sondern  einzelne 


*)  Cruveilhier.  1.  c.  Livr.  VI.  PI.  3.  Flg.  3-4.  Heinrich  Meckel. 
(harit^Annalen.  1857.  Jahrg.  VIII.  S.  48.  Taf.  II.  Fig.  1.  Rindfleisch. 
In  meinem  Archiv.  Bd.  XXVIl.  8.  137.  Taf.  IV.  Präparat  nnserer  Sammlnoe 
No.  M)9. 

*^)  Tulpius.  1  c.  p.  S43.  Tab.  XI.  Joh.  Fr.  Meckel  a.  a.  0.  S.  869. 
Ornvfilhier.  l.  c.  Livr.  XIX.  PI.  5—6.  Rindfleiech.  In  meiiieiii  Aithiv. 
Bd.  XIX.  8.  M«. 

♦•♦)  Cruveilhier.   I.e.    Livr.  XXXIX.   PL  4.   p.  6. 


fljdrocele  leotriculorum  cer«bri.  ISS 

Abschnitte  Sberwiegend  betheiligt.  Das  geBchieht  insbesondere 
dann,  wenn  die  Communication  zwischen  den  verschiedenen  Ab- 
schnitten unterbrochen  wird.  So  ist  es  überaus  gewöhnlich,  dass 
das  Coma  poeterins  der  Seitenventrikel  entweder  in  seiner  ganzen 
Ausdehnung  oder  in  einem  Theile  obliterirt.  In  dem  letzteren  Falle 
tritt  leicht  dasselbe  ein,  was  bei  der  Hydrocele  fnniculi  spermatici 
geschieht  (S.  166.).  Wenn  wir  einen  Durchschnitt  machen,  so 
finden  wir  mitten  in  dem  Hinterlappen  des  Gebims  nicht  die  ein- 
fache, fortlaufende  Hßhle  des  Com«  posterius,  sondern  an  ihrer 
Stelle  nur  noch  eine  Linie,  welche  den  Verlauf  der  alten  Hfihle 
anzeigt,  und  an  ihrem  Ende  einen  abgeschlossenen,  wie  oyeti- 
Bchen  Sack  (Hydrops  cyeticus  cornu  posterioris),  wel- 
cher scheinbar  ohne  Verbindung  mit  der  übrigen  Höhle  ist  und 
natürlich  selbständig  der  Sitz  pathologischer  Processe  werden 
kann*). 

In  einem  Präparate  unserer  Sammlung  kann  man  eine  solche 
selbständige  Entwickelung  noch  aufiallender  sehen;  da  ist  eine 
partielle  Erweiterung  von  dem  vierten  Ventrikel  angegangen.    Die- 


Fig.  26.  (Pr&puat  No.  18.  vom  Jabre  1669).  Hydrocele  cyatica  ven- 
tiKBli  qDarti  mit  LUniuDg  des  rechten  Facialis.  In  der  Tiefe  dra  Sackes 
mkl  mao  Doch  Regte  des  Plexus  cboroides  quartue.  Zugleich  bestand  eine 
Byfwrpluie  des  Pona  VarolÜ  und  der  KleinhirDbeniiapbäre  auf  der  linken  Seite, 
Als  dem  St  Hedwi  n  kranken  bau  b. 

•)  Virchow.     Geaammelte  Abhandlangen.  1866.  S.  890-891. 


184  Nennte  Vorlesung. 

• 

ser  erstreckt  sich  norma]  nicht  blos  nach  hinten  gegen  die  Mednih 
ohlongata,  sondern  er  schiebt  sich  auch  seitlich  etwas  um  dieselbe 
herum,  und  schickt  jederseits  eine  Verlängerung  aus,  welche  zwi- 
schen Medulla  und  Kleinhirn  gelegen  ist.  An  dieser  Stelle  siebt 
man  in  dem  Präparat  eine  Art  von  Cyste,  die  etwa  kirschkem- 
gross  ist  und  deutlich  über  die  Oberfläche  hervortritt.  Sie  ist  nichts 
anderes  als  eine  Ausstülpung  der  vierten  Höhle,  welche  sich  so 
QJnem  sackförmigen  Knoten  umgestaltet  hat,  unmittelbar  gegen  die 
Nervenfäden  drückte  und  eine  Paralyse  der  Facialis  erzeugt  hatte. 
Das  ist  also  eine  Hydrocele  des  vierten  Ventrikels.  Wenn 
man  nicht  genau  auf  die  genetischen  Verhältnisse  Obacht  giebt, 
so  könnte  man  glauben,  eine  selbständige  Geschwulst  vor  sich 
zu  haben. 

Bei  der  Höhle  des  Septum  pellucidum,  die  bekanntlich 
mit  den  anderen  Hirnventrikeln  nicht  in  Verbindung  steht,  ist  es 
natürlich,  dass  jedesmal,  wo  sich  ein  wässeriger  Ergass  in  die- 
selbe bildet,  eine  Erweiterung  dieses  Ventrikels  für  sich  zu  Stande 
kommt*).  In  der  Regel  macht  dieser  Hydrops  aber  keine  ge- 
pchwulstartige  Erscheinung.  Dagegen  ist  dies  in  hohem  Grade  der 
Fall  hei  dem  Hydrops  cysticus  glandulae  pinealis,  wo  das 
Wasser  sich  in  der  Höhle  der  Zirbel  ansammelt  und  diese  so  aus- 
dehnt, dass  das  Organ  bis  zu  einem  über  wallnussgrossen  Tumor 
anwachsen  und  durch  seinen  Druck  auf  die  Vierhügel  und  die 
Vena  magna  Galeni  die  gefährlichsten  Zustände  herbeiführen  kann. 

An  dem  Rückenmarkskanal  sind  hydropische  Partial- 
Ektasien  ungleich  häufiger,  und  das  hängt  wohl  damit  zusammen, 
dass  derselbe  so  ausserordentlich  eng  ist,  dass  seine  Wandungen 
sich  heinahe  berühren,  sobald  er  einmal  gebildet  ist.  Der  Kanal 
liegt  normal  so,  dass,  wenn  wir  einen  Querdurchschnitt  durch  das 
Rückenmark  machen,  er  etwas  hinter  dem  hinteren  Ende  der  Fis- 
sura  longitudinalis  anterior  als  ein  kleiner,  feiner,  hellgrauer  Punkt 
erscheint.  Erst  bei  einer  massigen  Vergrösserung  erkennt  man 
ilarin  ein  Lumon.  Allein  nicht  selten  bleibt  in  einzelnen  Theilen 
dos  Rückenmarks  der  Kanal  weit  oder  wird  geradezu  ektatisch  **). 

*)  Vcrga.  Heir  »ppanito  ventricoUre  de!  setto  laeido  et  dell»  volta  a 
tro  pilüHtri.  1H66.  p.  13. 

**)  Morgagni.  Advornaria  anatomica  sexta.  Lngd.  Bat  1723.  ÄDimadv. 
XIV  p.  18.  Portal.  Momoir«  8ur  la  natare  et  le  traitement  de  plasieare 
mAlatliofi.  rnrir«.  1S<X>.  T.  I.  p.  54.  Ot>8ervatioos  Bor  la  natore  et  le  traite- 
mi»nt  do  rhvdr<>pi«i(!>.  Taris.  1824.  T.  II.  p.  68. 


Hydrorrbachis  interna  cystica.  185 

Wenn  man  ihn  in  einem  solchen  Falle  von  oben  nach  unten  ver- 
folgt, so  zeigt  sich,  dass  auf  eine  gewisse  Strecke  die  Wandungen 
fast  unmittelbar  aneinander  liegen ;  dann  kommen  Stellen,  wo  eine 
Erweiterung  sich  findet  oder  wo  selbst  rosenkranzförmig  mehrere 
Erweiterungen  hintereinander  folgen;  dann  läuft  er  wieder  einfach 
fort.  Zuweilen  kommt  es  auch  vor,  dass  der  Kanal  in  der  Mittel- 
linie obliterirt  und  an  den  Seiten  offen  bleibt;  es  sieht  dann  auf 
einem  Querschnitte  aus,  als  ob  in  jeder  Hälfte  des  Marks  ein 
besonderer  Kanal  enthalten  wäre.  Ein  solches  Yerhältniss  hat 
schon  Gall*)  beschrieben;  v.  Ammon**)  sah  es  bei  Spina 
bifida;  neuerlich  hat  J.  Wagner***)  es  auch  mikroskopisch  ge- 
nauer erläutert  Ich  habe  es  in  Verbindung  mit  partieller  Ektasie 
einige  Mal  gesehen. 

Sind  diese  Ektasien  massig,  so  kann  der  Zustand  bestehen, 
ohne  dass  der  Wirbelkanal  eine  Erweiterung  erfährt  und  ohne  dass 
erhebliche  functionelle  Störungen  daraus  hervorgehen.  Nament- 
lich im  Gervicaltheile  fand  ich  öfters  ein  solches  Verhältniss,  ohne 
dass  die  Nervenmasse  irgendwie  alterirt  zu  sein  schien.  Aber 
andere  Mal  werden  die  partiellen  Erweiterungen  grösser,  sie  fül- 
len sich  mit  Flüssigkeit,  und  es  erfolgt  endlich  dasselbe  am 
Rückenmark,  was  wir  unter  ähnlichen  Umständen  am  Gehirn 
sehen:  mit  der  Ausweitung  der  Höhle  afcrophirt  allmählich  das 
Rückenmark,  und  wenn  die  Höhle  bedeutend  wächst,  so  wird  es 
an  diesen  Stellen  ganz  und  gar  unterbrochen.  Eine  solche  Hy- 
drorrbachis interna  cystica  konmit  in  der  fötalen  Entwicke- 
long  nicht  ganz  selten  vor,  und  bildet  gelegentlich  eine  Spina 
bifida,  welche  sich  von  der  früher  erwähnten  meningealen  sehr 
wesentlich  dadurch  unterscheidet,  dass  das  Mark  jedesmal  er- 
heblich mitleidet !)•  Hydromyelocele  (Hydrocele  medullae 
spinalis). 

Als  Beispiel  wähle  ich  ein  Präparat  ff)  unserer  Sammlung, 
welches  den  selteneren  Fall  einer  Spina  bifida  dorsalis  lateralis 
leigt.    Es  sind  gleichzeitig  zahlreiche  Veränderungen  der  entspre- 


*)  Gall  et  Spurzheim.  Anat.  et  physiol.  du  Systeme  nerveux.  Paris. 
1810.  p.  51. 

••)  V.  AmmoD.  a.  a   0. 
•••)  Joh.  Wagner.  Reichert's  u.  Du-Bois*  Archiv.  1861.  S.  735. 

t)  A.  Förster.  DieMissbilduDgen  d.  Menschen.  Jena.  1861.  Taf.XVl.  Fig. 6. 
tt)  Präparat  No.  47.  vom  Jahre  1860.  Deutsche  Klinik.  1860.  S.  881. 


186  Neunte  Vorlegang. 

oheaden  Seite  (Verkrümmung,  Synostose  der  Rippen,  Aplasie  d» 
Niere  n.  s.  w.)  vorhanden.  Hier  fand  sich  nach  Entleernng  des 
Wa:!^ers  im  Grunde  des  hühnereigrossen  Sackes  das  Räckenmark, 
und  ich  konnte  deutlich  die  Gommunication  der  Höhle  des  Sackes 
mit  der  H^hle  des  Centralkanals  constatiren.  Der  Sack  machte 
aber  geradezu  eine  Unterbrechung  zwischen  dem  oberen  und  im- 
teren  Stück  des  Rückenmarks,  so  dass  das  Centralnerrensystem 
«hulur\^h  in  iwei  Abschnitt  zerlegt  wurde,  fast  so  vollst&ndig,  als 
ob  man  e:!^  durch  einen  Schnitt  getheilt  hätte. 

iiani  ähnliche  Zust&nde  kommen  auch  am  Gehirn  vor,  io- 
dem  ^iich  einzelne  erweiterte  Theile  der  Ventrikel  mit  der  sie 
umgebenden  Himmasse  nach  aussen  hervordringen  und  die  Schlies- 
sung des  Schädelgewölbes  entweder  bindern,  oder  durch  Druck 
allmählich  eine  Oeflfnung  im  Knochen  erzeugen,  so  dass  sie  in 
Form  von  Hernien  nach  aussen  treten:  Hydrencephalocele 
l^Hvdrwele  cerebri).  Sie  kann  mit  Atrophie  der  betreffenden  Ge- 
hirntheiie  verbunden  sein:  doch  ist  diess  sehr  hiufig  nicht  der 
Fall  und  e^i  können  sehr  beträchtliche  Theile  von  Himsubstans 
mit  hervortreten.  Auch  ist  es  durchaus  nicht  ungewöhnlich,  dass 
neben  der  Ausstülpung  der  Ventrikel  und  der  sie  umgebenden 
Hirnsulvstanz  noch  eine  Meningocele  zugleich  vorhanden  ist 

Die  gewöhnliche  Lage  der  Hydrencephalocelen  ist  eine  me- 
{\m\K\  so  dass  sie  der  gemeinen  Form  der  Spina  bifida  entspre- 
chen. Auch  nähern  sie  sich  darin  derselben,  dass  sie  am  häufigsten 
HU  der  SquHum  occipitalis  (dem  Processus  spinosus  des  Occipital- 
wirbels)  vorkommen,  ja  dass  nicht  selten  eine  Hydrencepbalo* 
cele  occipitalis  mit  einer  Spina  bifida  atlantica  oder  cervicalis 
xusununenfällt  und  das  Loch  im  Hinterhaupt  unmittelbar  mit  der 
Wirbelspalte  zusammenhängt*).  Nächstdem  findet  sich  eine  grosse 
Zahl  von  ähnlichen  Fällen  an  den  vorderen  Schädelwirbeln,  je- 
docii  ungleich  seltener  am  Stirnbein,  wo  die  Gegend  an  der  Ni- 
senwurzel  **)  mehr  ausgesetzt  ist,  als  die  Mitte  der  Stimnaht**^). 


*)  C.  F.  F.  KUttner.  Diss.  inau^.  sistens  bydrencephaloceles  casus 
ftingularem.  Herol.  lHd2.  Surtng.  1.  c.  verschiedene  Abbüdungen.  Perb. 
AtiHwah]  einiger  Boltener  udq  lehrreicher  Fälle.    Dresden.  1868.  Taf.  1.  ■.  II- 

**)  DctitHohber};.  hissert.  inaug.  de  tumoribus  nonnallts  congeniti»* 
Vratisl.  1822.  Tab.  I. 

*^*)  Weniel  Gruber.  Bfissbildungen.  Erste  Srnrnmlung.  St  Petersbors. 
1869.  S.  10.  Taf.  I.  Fig.  2, 


Hydrencephalocele.  187 

Noch  viel  seltener  sind  die  neben  der  Medianlinie  gelegenen*) 
oder  ganz  lateralen  Hydrencephalocelen.  Meist  sind  es  Stellen, 
wo  normal  geschlossene  Knochensubstanz  liegen  sollte;  Nähte  und 
Fontanellen  werden  ungleich  weniger  getroffen. 

Die  Geschwulst  tritt  ziemlich  häufig  als  eine  fast  gestielte 
über  die  Oberfläche  hervor;  andermal  hat  sie  eine  breitere  Basis; 
in  jedem  Falle  kann  sie  sich  in  Form  eines  grossen  Klumpens 
ausdehnen.  Wenn  wir  sie  einschneiden,  so  finden  wir  aussen  die 
Haut,  das  Unterhautgewebe,  die  Fascie;  unter  diesen  kommt  die 
Dura  und  Pia  mater,  die  oft  mit  dem  äusseren  Sack  innig  ver- 
wachsen und  mit  besondern  Wassersäcken  versehen  sind,  dar- 
unter die  wirkliche  Gehirnsubstanz,  und  zuletzt  innen  die  erwei- 
terte und  mit  Wasser  gefüllte  Höhle. 

Auf  diese  Weise  verhalten  sich  die  Hydrocele-Säcke  am  Kopf 
nnd  Rucken  in  der  ersten  Zeit  ihrer  Bildung.  Je  mehr  sie  sich 
vergrössern,  um  so  mehr  atrophiren  die  verschiedenen  Theile  in 
ihnen  und  verwachsen  untereinander.  Man  kann  später  nicht 
mehr  die  Haut  von  dem  ünterhautgewebe,  nicht  mehr  das  Unter- 
hautgewebe von  der  Fascie,  oder  die  Fascie  von  der  Dura  mater 
deutlich  unterscheiden;  alle  verwachsen  so  unter  sich,  dass  man 
scheinbar  nur  eine  einzige  Haut  vor  sich  hat.  Je  früher  diese 
Verwachsung  im  Fötalleben  eintritt,  um  so  stärker  wird  die  be- 
deckende Haut  vascularisirt;  sie  erscheint  als  ein  blutrother  Hü- 
gel, der  ganz  dicht  mit  breiten  Gefässen  besetzt  ist  und  mehr 
das  Aussehen  einer  stark  gereizten  Schleimhaut,  als  der  Cutis 
hat.  Bildet  sich  der  Sack  an  meiner  Stelle,  wo  sehr  viele  Theile 
darüber  liegen,  befindet  er  sich  z.  B.  nicht  in  der  Medianlinie 
des  Schädels,  wo  bekanntlich  keine  Muskeln  existiren,  liegt  er 
am  Rücken  nicht  in  der  Richtung  der  Processus  spinosi,  die  ja 
auch  dicht  unter  der  Haut  sich  befinden,  tritt  er  seitlich  hervor 
an  den  Schläfen,  am  Nacken,  oder  seitlich  an  den  Wirbeln,  wo 
er  mehr  von  Weichtheilen  bedeckt  ist,  dann  wird  die  Haut  nicht 
so  roth  und  feucht;  er  erscheint  vielmehr  als  einfache  Geschwulst, 
welche  sich  unter  der  Haut  hervorwölbt.  Dies  gilt  am  meisten 
von  solchen  Fällen,  wo  eine  Hydrocele  cerebralis  sich  von  der 
£asis  des  Schädels  her  entwickelt  und  gegen  das  Gesicht  heran- 


*)  Billroth.    Archiv  für  klinische  Gbinirgie.  1862.   Band  III.   S.  398. 
Taf.  ik 


18 


Nennte  VorlesRng. 


drängt;  ila  kann  Hie  an  irgend  einer  Stelle  als  eine  grosse  Ge- 
schwulst hervortreten,  ohne  das»  in»n  eine  Ahnung  hat,  dass  sie 
aus  der  SchädeUiöhle  stammt.  Sie  macht  viel  mehr  den  Ein- 
druck, ak  sei  sie  eine  unabhängige  Geschwulst  der  Knocbeo  des 


n  NeogeboiDen.  Ana  des 


Fig.  27     Hvdrencephalocele  paUtiDa  von  e  _ 

klaffenden  (lunde  rn)i:t  eine  unregelmfisBige,  hOckerige,  klein  apfelgroM« 
GeHcbwulst  hervor,  welche  am  harten  Gaumeo  befestigt  in  sein  gcfaeint 
Auf  einem  Durchnchnitt  zeigt  airh,  dass  eoirohl  der  harte  Gaumen,  eis  der 
Vomer  durch  die  Gefirhwul»t  nach  vom  und  oben  gencbobeo  sind  nnd  dau 
die  Geschwulst  selbst  aus  der  Schadelb^hle  mit  einer  breiten  Oeffnnag  ber- 
vortrilt,  welche  unmitlelbar  vor  dem  Keilbein  und  hinter  dem  noch  knor- 
peligen Siebbein  lie-;!.  Das  vordere  Keilbein  iat  durch  die  Geschwulst  gaai 
dislocirt,  und  iwar  nach  unten  und  hinten;  seine  Vei1)indun^  mit  dem  Vo- 
mer Ist  unterbrofhen ,  indem  letzterer  nur  an  das  Siebbein  sich  anscblieut. 
Der  vordere  Tbeil  des  Sailtes  besteht  aus  einer  von  der  Dura  mater  ansge- 
kleiileten.  glattwaodigeD  Mühle.  Narh  unten  und  binteD  srhliessea  sieb  daru 
mehrere  kleine,  un regelmässige  HOblen;  nach  oben  folgt  Hiramasse,  welche 
sich  continulrlich  in  den  Schildelraum  fortsetzt  und  mit  dem  GroBsfaini  in- 
sammcnliängl.  Lc^titeres  ist  sehr  tu s.inimcn gedrängt  an  die  Grundflichr, 
während  der  Kf^^scre  Thcil  des  oberen  Kaumes  mit  FlOesigkeit  erfllllt  ist, 
welche  in  einem  grossen,  von  einer  dicken  Membran  tbeilweue  nmechloMenn 
Raum  liegt  (l'rflparat  No.  33.  vom  Jahr  1862). 


HydromeDingocele  sacralis.  189 

Gesichts  oder  der  Sch&delbasis ,  denn  sie  zeigt  sich,  wie  ein  un- 
abhängiges Gew&chs,  sei  es  an  der  Nasenwurzel,  sei  es  in  der  Na- 
senhöhle oder  gar  in  der  Handhöhle  (Fig.  27.),  bedeckt  von  un- 
veriLnderter  Haut  oder  Schleimhaut. 

Es  ist  begreiflicherweise  für  die  Geschichte  der  Spina  bifida 
und  Hydrocele  cerebri  von  sehr  grosser  Bedeutung,  zu  wissen, 
ob  es  sich  blos  um  die  Häute  des  Rackenmarks  und  Gehirns  han- 
delt, oder  ob  die  Centralnervenapparate  selbst  mit  hineingehen, 
ob  also  blos  Meningocele,  oder  ob  zugleich  Encephalocele  und 
Hyelocele  vorhanden  ist.  Denn  in  dem  ersten  Fall  kann  man  hof- 
fen, dass  man  durch  Entleerung  der  Flüssigkeiten  den  normalen 
Zustand  herstellen  kann,  während  man  im  andern  die  schwerste 
Verletzung  erwarten  darf.  Aber  auch  abgesehen  von  der  Be- 
handlang, seigt  sich  in  den  Symptomen  eine  ausserordentlich 
grosse  Verschiedenheit.  Eine  Spina  bifida  mit  Hydrorrhachis  in- 
terna und  namentlich  mit  Atrophie  oder  Unterbrechung  des  Rük- 
kenmarkes  bringt  natürlich  unheilbare  Paralysen  mit  sich,  wäh- 
rend die  blosse  Hydrorrhachis  externa  ganz  locale  Störungen  be- 
dingt oder  scheinbar  ganz  ohne  Folgen  bleibt. 

.  Diess  ist  nam'entlich  dann  der  Fall,  wenn  die  Geschwulst 
von  der  Haut  und  anderen  Weichtheilen  fortwährend  bedeckt 
bleibt.  Einzelne  Formen  dieser  Art  werden  ohne  Nachtheil  bis 
in  ein  spätes  Alter  getragen*).  Die  günstigste  Stelle  dafür  ist 
begreiflicherweise  die,  wo  am  wenigsten  Nervenmasse  existirt, 
die  Sacralgegend.  Da  giebt  es  eine  Hydromeningocele  sa- 
cralis et  coccygea,  oder,  wenn  man  lieber  will,  eine  Spina 
bifida  sacralis  und  coccygea,  welche  sich  in  der  Kreuz-  oder  Ge- 
sässgegend  hervorschiebt,  und  zuweilen  ganz  indolenter  Natur  ist. 
Ich  habe  selbst  einen  solchen  Fall  bei  einem  23  Jahre  alten 
Franenzimmer  untersucht,  wo  der  Sack  die  grössten  Insultationen 
erlitten  hatte;  es  war  eine  Puella  publica  in  Würzburg,  welche 
ihr  V^esen  auf  den  ViTällen  trieb  und  bei  der  Gelegenheit  einmal 
in  den  Festangsgraben  heruntergestürzt  war.  Sie  starb,  nachdem 
die  bis  Kindskopf  gross  gewordene  Geschwulst  wiederholt  punc- 
thrt  worden  war.      Bis  dahin  aber  hatte  der  Sack  keinen  an- 


*)  Eine  Zosammenstellaoe  solcher  Fälle  hat  Otto  (Lehrbuch  der  patho- 
logiseben  Anatomie,  ßerlin.  1830.  Bd.  I.  S.  446.  Note  13.)  geliefert.  Yergl 
ueh  Lebert  Trait^  d*aoat  path.  Paris.  1861.  T.  II.  p.  94. 


190  Neunte  VorleBang. 

dauernden  Einfluss  auf  ihr  Gesammtbefinden  ausgeübt  *) ,  and  es 
begreift  sich  das,  wenn  man  erwägt,  wie  wenig  wichtige  Theile 
in  dieser  Gegend  gelegen  sind.  Alle  Formen  der  Spina  bifida, 
welche  zwischen  dem  Steissbein  und  der  Gegend  des  untereo 
Endes  des  Rückenmarks  vorkommen,  gehören  in  diese  günstigere 
Kategorie,  während,  je  höher  nach  oben  der  Sack  liegt,  es  am 
so  bedenklicher  ist,  da  man  bei  der  Spina  bifida  cervicalis  und 
dorsalis  in  der  Regel  voraussetzen  kann,  dass  sie  nicht  einfache 
Hydromeningocelen,  sondern  Hydromyelocelen  sind. 

Ist  der  andere  Fall  vorhanden,  dass  sehr  frühzeitig  schon  die 
bedeckenden  Theile  unter  einander  verwachsen  und  sich  zu  einer 
gemeinschaftlichen  gefässreichen  Membran  umgestalten,  so  kommt 
es  nicht  selten  vor,  dass  eine  Ruptur  entsteht.  Diese  erfolgt  za- 
weilen  spontan,  sogar  schon  bei  dem  Fötus  innerhalb  des  Mut- 
terleibes und  zwar  manchmal  sehr  frühzeitig,  ohne  dass  man  äus- 
sere mechanische  Einflüsse  constatiren  könnte.  Jedoch  ist  es 
nicht  ganz  unmöglich,  dass  auch  auf  den  Fötus  ein  Stoss,  eine 
Erschütterung  einwirkt.  Der  Sack  collabirt  dann  gewöhnlich  auf 
die  Fläche,  und  man  findet  nachher  an  dieser  Stelle  einen  gefal- 
teten, unregelmässigen  Klumpen  oder  Höcker.    War  die  Wasser- 


^)  Der  von  der  Geburt  an  bestehende  Tumor,  welcher  frfiher  mehr  seit- 
lich gesessen  haben  sollte,  war  von  d'Outrepoot  und  Textor  fär  eine 
Hernia  vesicae  ischiadica  gehalten  worden.  Später,  wo  derselbe  sich  ver- 
grössert  hatte  und  mehr  die  Mittellinie  in  der  Gegend  des  Steissbeins  ein- 
nahm, wurde  er  von  Herrn  Rinecker  als  Spina  bifida  diagnosticirt  Schwicbe 
der  Unterextremi taten  und  unvollständige  Incontinenz  des  Harns  waren  die 
Haupterscheinungen.  Eine  zweimalige  Niederkunft  wurde  gut  ertragen;  nach 
der  letzten ,  etwa  7  Monate  vor  dem  Tode  erfolgten  Niederkunft  wuchs  die 
Geschwulst  schnell,  während  die  Kräfte  verfielen  und  die  Kranke  kaum  im 
Stande  war,  durch  das  Zimmer  zu  gehen.  Es  wurden  nun  im  Laufe  vot 
7  Wochen  4  Punktionen  gemacht,  nach  welchen  jedesmal  heftiger  Nieren- 
schmerz und  Kolikanfälle  auftraten,  obwohl  bei  den  beiden  letzten  Malet 
nur  die  Hälfte  des  vollständig  wasserklaren,  und  zuletzt  gelblich  gefärbten 
Inhalts  entleert  wurde  Vier  Tage  nach  der  letzten  Panktion  AustriUifeln 
von  Flüssigkeit  aus  der  Stichwunde,  acht  Tage  danach  Anafluss  pumlenter 
Flüssigkeit  und  missfarbige  Stellen  an  dem  Sack,  die  sich  später  abstossen» 
während  der  Sack  zusammensinkt.  Zugleich  Fieber,  nameotlich  Frösteln, 
Schmerz  im  Kopfe  und  am  Rücken,  Abmagerung.  In  den  letzten  8  Tagen 
Dyspnoe  und  Brustschmerzen,  in  den  letzten  3  Tagen  suffocatorisclie  Erschei- 
nungen. Bei  der  Autopsie  fand  ich  auf  der  hinteren  Fläche^  des  Krettsbeins 
einen  Kindskopfgrossen  Sack,  welcher  durch  einen  1— 1|"  im  Durchmesser 
haltenden,  kurzen  und  hohlen  Stiel  in  den  Sack  der  Dura  mater  spinal» 
Oberging.  Vom  2.  Kreuzbein wirbel  an  nach  unten  fehlten  die  Bogen  und 
die  rechten  Hälften  der  Wirbelkörper;  das  Steissbein  war  mit  der  Spitze 
nach  rechts  gebogen.  Eine  Skizze  des  Beckens  hat  Herr  FOrater  in  aeuMi 
Atlas  der  Missbildungen  Taf.  XXVI.  Fig.  22.  und  93.  gegeben. 


Fongns  cerebri.  191 

ansmimlang  verhUtnissmässig  sehr  stark,  die  H&ate  sehr  verdfinnt 
«nd  namentlich  Hydrencephaloeele  oder  Hydromyelocele  vorhan- 
den, so  kann  damit  die  Zerstörung  der  ganzen  betheiligten  Hark- 
masse verbunden  sein.  So  entstehen  die  allgemeine  oder  par- 
tielle Anencephalie  und  Ämyelie.  Waren  dagegen  die  be- 
deckenden Theile  nur  massig  verdünnt,  aber  in  grosser  Ausdeh- 
nung unter  einander  verwachsen,  so  dass  weder  die  Haut,  noch 
das  Fettgewebe  oder  die  Muskeln  zu  einer  richtigen  Entwicke- 
lang gekommen  sind,  dann  ist  der  zurückbleibende  Klumpen  im- 
mer sehr  gefässreich  und  sieht  manchmal  ganz  dunkel  schwarz- 
roth  aus.  Sehr  gewöhnlich  kommt  diess  am  Kopf  der  sogenann- 
ten Pseudencephalen  vor,  wo  statt  des  Gehirns  nur  ein  lok- 
kerer  Lappen  von  gefässreichem  Bindegewebe  vorhanden  ist 
(Cerebrum  spurium,  Pseudencephalen).  Das  ist  einer  der  häutig- 
sten Ausgänge  der  fötalen  Hydrencephaloeele,  aber  er  gehört 
ganz  in  die  Kategorie  der  Missbildungen,  in  die  Teratologie,  denn 
derartige  Kinder  sind  natürlich  nicht  lebensfähig. 

An  der  Wirbelsäule  dagegen  führt  dieser  Vorgang  unmittel- 
bar zur  Heilung,  wenn  es  sich  um  Hydromeningocele  ohne  er- 
hebliche Betheiligung  des  Rückenmarkes  handelt.  Wenn  nament- 
lich an  einer  Hydrocele  am  untern  Theil  der  Wirbelsäule  die 
Berstung  geschieht,  der  Sack  zusammensinkt  und  nachher  in  sich 
zusammenschrumpft,  so  kann  das  ein  dauerndes  Verhältniss  ab- 
geben, indem  sich  eine  Art  von  wulstiger  Narbe  bildet.  Das- 
selbe, was  man  an  einem  Pseudencephalus,  oder,  wie  man  auch 
wohl  sagt,  Acranius  einen  Fungus  cerebri  genannt  hat,  das- 
selbe sieht  man  an  der  geheilten  Spina  bifida  eines  Neugebomen 
als  rothen,  geschrumpften,  zusammengerunzelten  Körper  in  der 
Haut  des  Rückens.  Später  verschwindet  die  Röthung  und  es 
bleibt  nur  eine  geschwulstartige  Erhebung  zurück  *).  Aber  ein 
Ihfilicher  Vorgang  kann  auch  nach  der  Geburt,  und  selbst  in 
späteren  Lebensjahren  eintreten.  Es  giebt  eine  Reihe  von  Beob- 
achtungen, wo  der  Sack,  spontan  geborsten  ist,  zuweilen  nach 
voraufgegangener  Gangränescenz  **)  und  doch  eine  Heilung  er- 
folgte.     In  anderen  Fällen  fahrten  Functionen,  sei  es  für  sich. 


*)  ▼.  ßftren8_pruog.  Journal  für  Kinderkrankheiten.  Bd.  VIIL  Heft  5. 
^*)  Siehe  die  Fälle  bei  Joh.  Fr.  Meckel  (a.  a.  0.  S.  376.).    Sehr  in- 
tereBrant  ist  die  Beobachtang  von   Herrn.  Wendt  De  spina  bifida.   Dies. 
iD&Qg.  6«ro1.  lB58.  p.  18. 


192  Neunte  Vorlesung. 

sei  es  in  Verbindung  mit  Jodinjection  *),  Ligaturen  u.  s.  w.  diess 
günstige  Resultat  herbei.  In  jedem  Falle  kann  aber  die  Heilung 
natürlich  nur  auf  dem  Wege  des  CoUapsus  und  der  Retractioa 
erfolgen,  und  es  wird  schliesslich  eine  Narbe  übrig  bleiben.  Der 
Vorgang  an  sich  ist  am  Schädel  und  Gehirn  derselbe;  während 
er  aber  bei  den  teratologischen  Hydrocelen  des  Kopfes  zu  einer 
Zerstörung  des  Gehirns  fahrt,  bedingt  er  an  der  Spina  bifida  un- 
ter Umständen  die  Heilung. 

Nach  dem,  was  ich  vorher  gesagt  habe  über  die  partielle 
Obliteration  der  Hirn-Ventrikel  und  des  Rückenmarks-Kanals  und 
über  das  Bilden  von  abgeschlossenen  cystischen  Säcken  aus  ein- 
zelnen Theilen  derselben,  ist  es  an  sich  nicht  unwahrscheinlich, 
dass,  wenn  eine  Hydrocele  des  Kopfes  oder  Rückens  sich  durch 
eine  feine  Oeffnung  hervorstülpt,  möglicherweise  gans  abgeschlos- 
sene Gystenbildungen,  welche  mit  den  Hirnhöhlen  oder  dem  Rük- 
kenmarkskanal  oder  den  Häuten  gar  nicht  mehr  communiciren, 
an  den  äusseren  Theilen  hervortreten  könnten.  Das  ist  aller- 
dings iur  die  Hydrencephalocele  und  die  Hydromyelocele  nicht 
ganz  festgestellt,  dagegen  kann  es  für  die  Hydromeningocele  nicht 
bezweifelt  werden.  Am  häufigsten  entsteht  dadurch  eine  Form 
cystischer  Sacralgeschwulst,  welche  mit  der  Höhle  der  Arach- 
noides  spinalis  nicht  mehr  zusammenhängt  **).  Dahin  gehört  wahr- 
scheinlich ein  von  Schiildler  operirter  und  geheilter  Fall***), 
von  welchem  der  abgeschnürte  Sack  sich  noch  in  unserer  Samm- 
lung befindet  f).  Aehnliche  Beispiele  beschreibt  Cruveilhier ff) 
unter  dem  Namen  von  congenitalen  Arachnoideal- Cysten  der 
Kreuzgegend.  Auch  ein  Fall  des  Hrn.  Schuh  ftt)  dürfte  hierher 
zu  rechnen  sein,  obwohl  in  demselben  keine  angebome  Ge- 
schwulst bemerkt  worden  ist.  Aber  gerade  am  Os  sacrum  giebt 
es  ganz  tief  sitzende,  äusserlich  nicht  zu  bemerkende,  sehr  kleine 
Hydrorrhachis  -  Säcke.      Werden  diese  später   durch  einen  Fall, 


^)  Chassaignac.  Gaz.  des  h6p.  1851.  26.  Mars. 
**)  W.  Braune.  Die  Doppelbildungen  und  aDgebornen  GeschwQlste  der 
Kreuzbeingegend.  Leipzig.  1862.  S.  72. 

***)  Schindler.    Deutsche  Klinik.    1853.    No.   19.    Mein  Archiv.    1858. 
Bd.  XIII.  S.  192. 

t)  Präparat  No.  1077. 

tt)  Cruveilhier.  Traite  d'anat.  path.  g^ndrale.  Paris.  1856.  T.  III.  p.  46L 
fH)  Schuh.    Pathologie  a.  Therapie  der  Pseudoplasmeii.     Wien.   1854. 

9*  19o. 


Hjdrocele  cenricalis.  193 

Stoss  oder  sonstwie  gereizt,  so  beginnen  sie  za  wachsen  und  sich 
über  die  Oberfläche  zu  erheben,  gleichsam  als  ob  es  neugebildete 
Cysten  wären.  Freilich  ist  es  bis  jetzt  nicht  möglich ,  scharf  die 
Grenze  zwischen  diesen  Spinal-Hydrocelen  und  den  eigentlichen 
Sacnü-Kystomen  oder,  wie  andere  sagen,  Hygromen  anzugeben. 
Dazu  sind  noch  viel  genauere  pathogenetische  Untersuchungen 
nöthig. 

Herr  Spring^  hat  ferner  in  seiner  Monographie  über  die 
Hernien  des  Gehirns  den  Gedanken  Himly's  wieder  in  Erinne- 
ning  gebracht,  dass  eine  Reihe  von  Fällen  in  der  Literatur,  wo 
man  symmetrisch  gelegene  seröse  Säcke  unmittelbar  am  Hinter- 
haupt beobachtet  hat,  auf  abgeschnürte  und  in  reine  Cystenfor- 
men  übergeffihrte  Hydromeningocelen  zu  beziehen  sei.  Bestätigt 
rieh  diese  Ansicht,  so  würde  man,  ganz  analog  der  Hydrocele 
scroti,  dieee  Form  als  Hydrocele  cervicalis  bezeichnen  kön- 
nen. Wie  weit  sie  aber  in  das  Gebiet  der  im  Eingange  der  Vor- 
lesung erwähnten  Hydrocele  colli  congenita  hineingreifen  dürfte, 
ist  Ar  jetzt  nicht  zu  sagen. 


^  Spring.  L  c.  p.  26. 


▼irckow,  QMChwilste.    1.  |g 


Zehnte  Vorlesung. 

20.  December  1862. 


HygnHie,  CaMglmi. 


Hygrome  d«T  Sehnenscheiden  und   Schielmbeutel.     YencUedene  Theorien.     Iljrdropi 

Ruptar  der  Scheiden,  Ganglion  herniotnin,  Follicular-Cfsten,  Neubildung  der  Siehe. 
Yariabilitit   und   anatomische  Einrichtung   der  Schleimbeutel  und   Sehnenscheiden.     Bursa  patel- 

laris.      Nengebildete    SchleimbeuteL      Entstehung   von  Schleimbeuteln  nnd  8ehn«n«dMidem. 

Atrophie  des  Bindegewebes.    Multi-  und  uniloculare  Ganglien;  Conluens.    Sp&iere  Coautemi- 

cation   der   Schleimbeutel    mit   Gelenlchohlen.     Inhalt  der  Ganglien:   eigenthOmliches   SecreU 

Meliceris.    Sehnige  Verdiclcung  der  Wand. 
Hygroma  praepatellare.    Mechanische  Entstehung. 
Beschaffenheit  der  Saclcmembran.    Duplicatnren  und  Fettlappen;  Fettpoljrpen  und  freie  Fettkorper. 

Hyjjovaä  proliferum:  warzige  und  polypöse  Excrescenxen.    Freie  Korper.     Das  proliferirend« 

Ganglion  der  Handwursel. 
Irritative  Entstehung  der  Hygroroe.    Umwandlung  in  Him.itome. 


liehen  wir  nun  zu  der  Betrachtung  der  bekannteren  and  häu- 
figer vorkommenden  hygromatösen  Geschwülste  im  engeren 
Sinne  des  Wortes  über,  die  wir  nach  ähnlichen  Grundsätzen  be- 
urtheilen  müssen,  wie  die  bisher  besprochenen  Formen  der  Was- 
sergeschwülste, so  sind  das  insbesondere  diejenigen,  welche  mto 
häufig  seit  alten  Zeiten  unter  dem  Namen  der  Ganglien  oder 
Ueberbeine  bezeichnet  hat:  Hygroma  gangliodes,  Tumor 
synovialis. 

Ganglion  bedeutet  ursprünglich  nicht  das  bestimmte  nervöse 
Gebilde,  wie  es  jetzt  in  der  deutschen  technischen  Nomenclttur 
gebräuchlich  ist,  sondern  einen  pathologischen  Knoten,  der  to 
einer  Sehne  entstanden  ist.  Denn  obwohl  die  Definition  Galen's 
sich  auf  Nerven  als  Sitz  des  Uebels  bezieht,  so  mass  man  sich 
doch  erinnern,  dass  bei  ihm  Nerv  und  Sehne  noch  dieselbe  Be- 


Ganglion.  195 

deatung  haben*).  Sp&ter  ist  der  Name  des  Ganglions  noch  mehr 
verallgemeinert  worden,  und  wie  die  Franzosen  noch  heut  zu 
Tage  die  Lymphdrusen  Ganglien  nennen,  so  hat  man  viele  an- 
dere Dinge  gleichfalls  Ganglien  genannt.  In  der  deutschen  Phy- 
siologie bedeutet  Ganglion  immer  einen  Nervenknoten,  in  der 
Pathologie  dagegen  eine  specielle  Hygromform,  welche  an  Seh- 
nenscheiden oder  Schleimbeuteln  oder  sonst  im  Umfange 
von  Gelenken  vorkommt.  Unter  den  ersteren  sind  am  läng- 
sten bekannt**)  und  ihrer  Häutigkeit  wegen  oft  zu  constatiren 
diejenigen  Ganglien,  welche  an  dem  Handrücken  und  Handteller, 
sowie  am  Fussrücken  vorkommen.  Von  daher  sind  die  meisten 
Beschreibungen  hergenommen.  Unter  den  Schleimbeuteln  ist 
es  namentlich  der  grosse  Sack  zwischen  Patella  und  Haut, 
welcher  den  Schilderungen  zu  Grunde  gelegt  worden  ist.  Aber 
freilich  kannte  man  diese  Formen  längst,  ehe  man  sie  zu  deuten 
wusste.  Die  Kenntniss  der  Sehnenscheiden  und  Schleimbeutel 
lät  aber  bekanntlich  nicht  sehr  alt;  sie  datirt  eigentlich  erst  aus 
der  Mitte  des  18ten  Jahrhunderts  von  Duverney,  Winslow 
und  Albin***),  und  erst  von  da  an  konnte  man  auf  die  Vor- 
stellung kommen,  dass  diese  Geschwülste  damit  in  Verbindung 
ständen. 

Aber  auch  nach  dieser  Zeit  ist  es  nicht  gelungen,  eine  ein- 
fache Formel  für  die  Genese  und  Bedeutung  der  Ganglien  zu  fin- 
den; im  Gegentheil  ist  man  nach  und  nach  dahin  gekommen, 
vier,  auch  wohl  fünf  verschiedene  Formen  zu  unterscheiden.  Er- 
stens nahm  man  eine  einfache  Hydropsie  an:  Hydrops  bur- 
sarum  mucosarum,  H.  vaginarum  tendinum,  wo  eine 
blos  wässrige  Ausscheidung  stattfinden  sollte.  —  Schon  von  El- 
ler ist  die  zweite  Hypotliese  eingeführt  worden,  dass  die  Seh- 
nenscheide zerrisse  und  die  in  ihr  enthaltene  Flüssigkeit  in  das 
umliegende  Zellgewebe  austräte  und  darin  eine  Aushöhlung  er- 
zeugte.    Nach  dieser  Auffassung  würde  das  Ganglion  eigentlich 


*)  Ganglion  est  nervi  collectio  praeter  naturam,  quae  in  corpore  con- 
creTit     Oalenus  in  Def.  med. 

^)  Ganglion  nervi  est  concretio,  ex  ictu  vel  labore  proficiscens ;  plerum- 
qae  vero  in  manus  junctura,  qua  cum  brachio  committitur,  talo  et  articula- 
nentis  mbsolvitar,  qnamquam  in  aliia  quoque  partibus  proveniat.  Aegin. 
IIb.  6.  cap.  39. 

***)  Gar.  Hart  Koch.    Dntersuchnng  des  natfirlichen  Banes   und  der 
Krankbcitett  der  Scbleimbeotel.  Nürnberg.  1795.  S.  4. 

IQ* 


196  Zehnte  Voriesung. 

die  durch  die  Ruptur  bediDgte  Aushöhlung  in  dem  umgebenden 
Zellgewebe  bedeuten.  —  Dann  nahm  man  eine  dritte  Form  an: 
das  Ganglion  herniosum,  wo  mansich  vorstellte,  dass  der 
erweiterte  Sack  der  Sehnenscheide  oder  des  Schleimbeutels  in 
einer  Stelle  eine  Ausweitung  bekäme  und  seine  Membran  durch 
die  äusseren  derberen  Schichten  gleichsam  eine  Art  von  Bruch 
bildete.  Dieselbe  Deutung  ist  vielfach  für  die  Articnlar-  oder 
Synovialganglien  angenommen  worden,  bei  denen  eine  Aus- 
stülpung der  articulären  Synovialmembran  und  eine  endliche  Ab- 
schnürung derselben  wahrscheinlich  ist.  Eine  solche,  mit  Flüs- 
sigkeit gefüllte  und  abgeschnürte  Synovial  -  Hernie  wäre  also  im 
eigentlichen  Sinne  eine  Hydrocele  articularis.  —  Weiterhin 
hat  Gössel  in*)  gewisse  subsynoviale  Follikel  oder  Krypten  be- 
schrieben: kleine,  hirsekorn-  bis  erbsengrosse  Säcke,  welche  ur- 
sprünglich blindsackförmige  Ausstülpungen  der  Synovialhant  dar- 
stellten und  normale  Gebilde  seien.  Aus  ihnen  würden  die  Ar- 
ticular-Ganglien  in  ähnlicher  Weise  entstehen,  wie  manche  andere 
cystische  Körper  aus  den  Drüsen  der  Schleimhäute  oder  den  Fol- 
likeln der  äusseren  Haut,  bald  als  frei  communicirende,  bald  als 
abgeschlossene  und  isolirte  Ektasien.  Wir  können  diese  Form 
Follicular-Ganglien  nennen.  —  Endlich  eine  letzte  Ansicht 
geht  dahin,  —  wie  ja  alles  in  unserer  Wissenschaft  sehr  sorg- 
fältig discutirt  ist  — ,  dass  die  Entwickelung  des  Hygrom-Sackes 
unmittelbar  neben  dem  Schleimbeutel  oder  der  Sehnenscheide 
oder  der  Gelenkhöhle  geschehe,  ohne  dass  beide  einen  Zusam- 
menhang hätten.  Damach  wäre  also  das  Ganglion  eine  wahre 
Neubildung**). 

In  der  That  lassen  sich  nicht  alle  Formen  auf  ein  einziges 
Schema  zurückführen.  Es  giebt  gewisse  neugebildete  Ganglien, 
an  deren  Stelle  keine  präexistirende  Höhle  bestand.  Ich  werde 
sie  zum  Theil  später  in  dem  Kapitel  von  den  Kystomen  zu  er- 
wähnen haben.  Aber  sicherlich  sind  nicht  alle  Ganglien  und  am 
allerwenigsten  alle  Hygrome  zu  den  Kystomen  zu  zählen.  Viele 
entwickeln  sich  aus  bestimmten  vorher  bestehenden,  wenngleich 
vielleicht  erst  im  späteren  Leben  entstandenen  Höhlen  oder  Säk- 


*)  Oofmelin.    Recherches  sur  les  kystes  synovianx  de  la  maio  et  da 
poliini*t.  M<^m.  (1o  l^Acad.  de  ro^d.  Paris.  1852.  t.  XVI.  p.  367. 

^*)  L.  Teich  mann.  Zur  Lehre  Ton  den  OangHeo.  Inaug.  Diee.  Göttiag. 
IHbtl    II.  K.  Knorr.  De  gangliis  synovialibas.  Dias,  ioaug.  Berol.  1866. 


Variabilitftt  der  Schleimbeatel  und  Sehaenscheidea.  197 

ken,  and  es  handelt  sich  hier  darum,  wie  sie  daraus  entstehen 
oder  damit  zusammenhängen.  In  der  Diskussion  dieser  Fragen 
hat  man  sich  auf  allerlei  Momente  berufen.  Zunächst  auf  die 
Entstehung:  weil  man  manchmal  diese  Dinge  sehr  schnell  ent- 
stehen sah,  z.  B.  nach  einer  gewaltsamen  Einwirkung,  einem 
Stoss,  einer  Verstauchung,  so  könne  man  sich  nicht  anders 
denken,  als  dass  eine  Ruptur  eingetreten  sei.  Andere  Male  hat 
man  sich  mehr  gestützt  auf  den  Inhalt,  indem  man  hervorhob, 
es  sei  ein  grosser  Unterschied  zwischen  einem  Hydrops  bursa- 
mm  und  einem  Ganglion;  der  Inhalt  eines  Ganglion  sei  häufig 
sehr  zähe  und  consistent,  während  der  Hydrops  sehr  dünnflfissig 
sei;  daher  seien  das  zwei  verschiedene  Dinge. 

Es  ist  aber,  wenn  man  in  diesen  Verhältnissen  sich  orien- 
tiren  will,  zunächst  nothwendig,  sich  daran  zu  erinnern,  dass  es 
sich  bei  den  Schleimbeuteln  und  Sehnenscheiden,  ja  selbst  bei 
den  Gelenkhöhlen  um  Theile  von  grosser  Variabilität  und  Unbe- 
ständigkeit handelt,  um  Theile,  die  nicht  blos  sehr  unbeständig 
sind  in  Beziehung  auf  Bau,  Grösse  und  Gestalt,  sondern  zum 
Theil  sogar  unbeständig  in  Beziehung  auf  ihr  Vorkommen.  Die 
zahlreichen  und  sorgfältigen  Arbeiten  von  Wenzel  Gruber 
haben  dieses  genügend  dargethan.  Sehnenscheiden  und  Schleim- 
beutel sind  allerdings  an  gewissen  Orten  nahezu  typisch,  aber  doch 
auch  eben  nur  nahezu,  und  selbst  die  gewöhnlich  grössten  können 
doch  anter  Umständen  einmal  nicht  vorhanden  sein,  während  es 
hinwieder  geschieht,  dass  die  allerausgezeichnetsten  Bildungen 
dieser  Art  unter  ganz  besonderen  Verhältnissen  entstehen,  wo 
sie  sonst  nicht  vorkommen,  und  sich  dann  so  bedeutend  entwickeln, 
dass  sie  es  mit  den  bestgebildeten  normalen  aufnehmen  können. 

Wenn  wir  z.  B.  den  berühmten  Schleimbeutel  zwischen  Haut 
and  Patella,  die  Bursa  mucosa  patellaris  oder  praepatellaris  be- 
trachten, 60  sind  selbst  darüber  grosse  Discussionen  gefuhrt  wor- 
den, ob  an  dieser  Stelle  nur  ein  solcher  Sack  liegt.  Ganz  ge- 
wichtige Stimmen  erheben  sich  dafür,  dass  da  mindestens  zwei 
liegen,  einer  unmittelbar  unter  der  Haut,  und  einer  unmittelbar 
über  dem  Knochen  *).  Man  wird  aber  vielleicht  einmal  nur  einen 
finden,  und  wieder  ein  anderes  Mal  nicht  zwei,  sondern  noch  aus- 


*)  Lasehka.    Die  Bursa  mucosa  patellari»  profunda.    MüUer's  Archiv. 
1860.  S.  &20. 


198  Zehnte  Yorlesmig. 

ser  dem  oberflächlichen  und  dem  tiefen  einen  dritten,  snbfascia- 
len  *)  oder  intermediären.  Nun  denkt  man  sich  nach  dem  be- 
kannten B ich at^ sehen  Schema  anter  einem  Schleimbeutel  einen 
kleinen  serösen  Sack,  innen  bekleidet  mit  Epithel;  er  sondere 
ab,  und  es  sei  Flüssigkeit  in  seiner  Höhle.  Aber  von  allen  die- 
sen Dingen  ist  zuweilen  nichts  vorhanden;  da  ist  keine  Mem- 
bran, kein  Epithel,  keine  Flüssigkeit;  da  ist  vielleicht  nur  eine 
Lücke,  ein  Loch,  welches  allerdings  begrenzt  ist,  aber  nicht 
durch  eine  Membran,  sondern  durch  irgend  welche  zottige  Masse. 
Einmal  ist  es  gross,  ein  anderes  Mal  klein;  einmal  sehr  omfang- 
reich,  ein  anderes  Mal  findet  man  es  kaum.  Stellt  es  sich  das 
eine  Mal  dar,  wie  ein  seröser  Sack,  so  erscheint  es  ein  anderes 
Mal  als  ein  blosser  Defect. 

Nehmen  wir  nun  einen  anderen  Fall.  Man  denke  sich,  dass 
Jemand  einen  Knochen  bricht,  dass  das  eine  Knochenende  schief 
an  das  andere  anheilt,  dass  von  dem  einen  Ende  ein  Vorspmng 
bis  dicht  unter  die  Haut  geht,  ein  Vorsprung,  welcher  sich  zur 
Haut  so  verhält,  wie  ungefähr  die  Patella  oder  das  Olecranon, 
so  dass  die  Haut  genöthigt  ist,  über  den  Vorsprung  bei  den 
Bewegungen  des  Körpers  immer  hin-  und  herzugleiten.  Es  werden 
einige  Jahre  vergehen,  und  man  findet  dann  an  der  Stelle  eine 
Bursa  mucosa  praeossea.  So  hat  Lobstein**)  die  Ent- 
wickelung  von  Schleimbeuteln  an  Amputationsstümpfen  beobachtet, 
und  es  ist  leicht,  ähnliche  Beobachtungen  bei  KlumpfÜssen,  bei 
Verkrümmungen  der  Wirbelsäule  und  allen  den  Veränderungen  des 
Skelets  zu  machen,  wo  Knochen  an  ungewöhnlichen  Stellen  an  die 
Haut  oder  einen  anderen  der  Bewegung  und  Zerrung  häufig  aus- 
gesetzten Theil  stossen. 

Diese  Bildungen  sind  also  weniger  begründet  in  dem  ursprüng- 
lichen Plan  der  Körperanlage ;  sie  gehen  nicht,  wie  Peritonäum  oder 
Pleura  oder  Pericardium,  aus  der  Entwickelung  des  Organismus 
selbst  als  ein  noth wendiges  Resultat  hervor;  sie  finden  in  der  Ent- 
wickelungsgeschichte  als  solcher  keineswegs  ihre  Begründung,  son- 
dern sie  verdanken  ihre  Entstehung  oder  wenigstens  ihre  Ausbil- 
dung dem  Gebrauch,  der  Bewegung  der  Theile.    Es  verhält  sich 


*)  Li n hart   lieber  die  Entzündungen  der  Bursae  macoeae  patellares. 
Würzburger  Verhandl.  1858.  Bd.  VIII.  S.  1?9. 

**)  Lobstein.  Lehrbuch  der  pathoL  Anat.  Deutsch  Ton  Neurohr.  Stattf;. 
1834.  I.  268.  Traite  d*anat.  path.  T.  L  p.  310. 


Nenbildnog  tod  SebBenscheideB  ond  SchleimbeDteln.  199 

damit,  wie  mit  einer  grossen  Anzahl  Ton  Knochenvorsprüngen, 
welche  Mnskelinsertionen  entsprechen.  Auch  diese  Yorsprünge 
sind  zuweilen  nicht  vorhanden,  und  andere  Male  wieder  sehr  aus* 
gebildet  Wenn  man  die  betreffenden  Leute  bei  Lebzeiten  gekannt 
bat,  dann  weiss  man  auch  den  Grund ;  es  ist  der  Gebrauch,  wel- 
cher die  Ausbildung  mit  sich  bringt  Ebenso  verhält  es  sich 
mit  den  Sehnenscheiden  und  Schleimbeuteln;  es  sind  keineswegs 
regelrechte  seröse  S&cke,  welche  aus  einem  inneren  Entwicke- 
Inngsgesetz  des  Körpers  hervorgingen,  sondern  es  sind  Stellen, 
wo  das  ursprünglich  in  continuo  vorhandene  Bindegewebe  durch 
einen  Act  der  Atroph irung  Lücken  bildet,  und  wo  diese  Lücken 
im  Laufe  der  Zeit  zu  selbständigen  Cavitäten  umgestaltet  werden 
können. 

Nehmen  wir  z.  B.  die  Stelle,  welche  für  die  in  Rede  stehende 
Erkrankung  bei  den  Sehnenscheiden  gerade  sehr  wichtig  ist,  die 
Flexoren  am  Handgelenk,  welche  unter  dem  Lig.  carpi  volare  hin- 
durchgehen*). Wenn  man  sie  präparirt,  so  findet  man  ein  Mal 
lange  zusammenhängende  Scheiden,  wo  auch  zuweilen  zwei  und 
mehr  Sehnen  in  einer  Höhle  liegen;  ein  anderes  Mal  sieht  man 
das  gar  nicht,  sondern  man  findet  die  Sehne  von  lockerem  Binde- 
gewebe umhüllt,  worin  hier  und  da  ein  Loch,  eine  Masche  ist, 
aber  die  Löcher  communiciren  nicht  untereinander;  andere  Male 
endlich  findet  man  gar  kein  Loch.  Freilich  hat  man  sich  darauf 
berufen,  dass  schon  beim  Neugebomen  die  Sehnenscheiden  exi- 
stiren.  Das  ist  nicht  ganz  richtig.  Sie  können  existiren;  der 
Fötus  macht  ja  Bewegungen  im  Mutterleibe,  und  es  kann  sehr 
frühzeitig  eine  Atrophie  stattfinden.  Aber  jedenfalls  sind  sie  weder 
so  zahlreich,  noch  so  gross  beim  Fötus,  wie  beim  Erwachsenen  **). 

Es  giebt  einen  Zeitraum,  wo,  wenn  man  ein  solches  Ding 
aufmacht,  gleichviel  ob  es  ein  Schleimbeutel  oder  eine  Sehnen- 
scheide ist,  an  der  Stelle  eines  früher  durch  Bindegewebsbalken 
gebildeten  continuirlichen  Gewebes  sich  ein  Loch  findet,  in  dessen 
Umfang  noch  die  freien  Enden  der  Balken  vorhanden  sind.  Es 
ist  eine  Unterbrechung  innerhalb  der  Balken  oder  Faserzüge  ein- 


*)  Virchow.  üeber  die  körperhaltigen  Cysten  an  den  Sehnenscheiden 
der  Handwarzel.  Medicin.  Zeitung  des  Vereins  f.  Heilk.  in  Preussen.  1846. 
No.  3.  S.  10. 

**)  Villermö.   Bullet  de  la  Soc.  m^d.  d'^mulation.  1821.  Ayril.    Lob- 
stein.  Trait^.  I.  p.  309. 


200 


getreten,  di«  mit  euer  &weidiiiiig,  eiaer  SAmtbmaf,  eiaeT  Colli- 
qoatioo  rta^ttaiea  war.  Ja  nicht  gau  Betten  fade  ich  gerade 
an  d^r  Bursa  mucosa  praepatellaria  nnd  nlbst  in  dgm  Hygroma 
palfsibre  mitten  durch  die  H(Müe  Balken  bei  Teriaafend  and  «eh 

in  ihr  veriittelnd  (Fig.  30.).  Das  »Uirt  ncfa  aag  dem  Dmetande, 
dawi  die  HiMn  Janggam  durch  eine  Atrophirang  des  Gewebes  ent- 
fil^tht.  Ek  üind  das  Balken,  wie  in  den  Lungen  bei  Emphysem,  wo 
die  feKteren  Theile  länger  resistirea  als  die  weniger  festen. 

An  den  Sehnenscheiden  ist  anfin^ich  nnd  oft  noch  bis  io 
Kp&te  I^liensperioden  nur  ein  sehr  loses,  weiches  nnd  missig  ge- 
l&HHlialtige«  Bindegewebe  vorhanden.  Sp&terfain,  und  namentlich 
in  dem  Maasse,  sIk  die  S^hne  viel  gebraucht  wird,  ab  sie  dem- 
gftmfiHH  Ktarke  Verschiebungen  und  Excursionea  macht,  rveficiit 
Hich  dicHes  Gewebe ;  en  entsteht  eine  Reihe  von  Lficken  nnd  da- 
KwiHchen  bleiben  gewisse  Faserzfige  (die  von  den  Mhemn  Schrift- 
Htollern  aU  Filumenta  oder  Habenolae  bezeichneten  B&lkchen) 
oder  Sclicidewftnde  stehen.  Selbst  in  aasgebildeten  Hygromen  der 
Sehnen  sind  diese  Filamente  und  Septa  nicht  sdten  noch  sichtbar, 


Ki|[.  IM.  MullilocuUm  Ganglion  an  der  Sehne  des  Mnscnliu  srnii- 
niPniliraiKwua  am  Kniv.  l>i<^  ursprtulichcii  Schridaviada  in  Muela« 
Karainrni  ^m(t  min  Thfil  bis  auf  i»olirt«  Balkrn  od«r  blosse  L«iateB  ^eacbvoa- 
<len  vl'rt^rat  Nfi.  Tll.'i.  NaiSrIkhe  UiOose.  Rechta  PlicbeuaaKht,  liak* 
DuTvhki-hnitt. 


Haiti-  nad  nniloculire  Guglien. 


201 


nad  es  ist  keineswegs  ungewöhnlich,  multiloculäre  Ganglien 
za  fiaden,  wo  die  Flässigkeit  in  einzelnen  Kanunem  vorhanden 
ist.  Erst  nach  and  nach  usuriren  sich  die  Scheidewände;  die  ein- 
lelnen  Kammern  eröffnen  sich  durch  anfangs  enge,  später  weitere 
Löcher  in  einander  (Fig.  28).  Wenn  diese  sich  endlich  so  sehr  ver- 
grOssert  haben,  dass  die  Höhle  ganz  und  g&i 
Fig^».  uniloculär  erscheint,  so  kann  man  doch  bei 

genauerer  Betrachtung  der  Wand  noch  gewisse 
Lficken  und  Hervorragungen  als  letzte  Ceber- 
reste  der  früheren  Balken  und  Scheidewände 
auffinden.  Nur  hei  den  sehr  kleinen  Deber- 
beinen,  wie  sie  namentlich  am  Fussrücken  und 
an  den  Sehnen  des  Unterschenkels  vorkom- 
men, pflegt  die  innere  HOhlenwand  eine  ebe- 
nere Beschaffenheit  zu  besitzen. 

Einen  Unterschied  scheinen  nur  diejeni- 
gen Schleimbeutel  zu  machen,  welche  unmit- 
telbare Ausstülpungen  von  Gelenkhohlen  dar- 
stellen, wo  also  die  Synovialhant  vom  Gelenk 
aus  in  einer  mehr  continuirlichen  Weise  sich 
nach  aussen  bervorscbiebt.  Aber  es  giebt 
auch  da  grosse  Unterschiede,  indem  bald 
Scbleimbeutel,  welche  zuerst  ausserhalb  der 
Gelenkhöhle  liegen,  sich  nachher  mit  ihr 
lereißigen,  bald  die  Gelenkhfihle  successiv  sich  erweitert  und 
Fortsetzungen  zwischen  die  umliegenden  Muskeln  binein- 
Khiebt.  Der  Fall,  dass  ganz  kleine  Krypten  der  Synovialhant, 
*ie  Gosselin  sie  schildert,  der  Ausgangspunkt  cystischer  Er- 
veitening  und  Ausstülpung  werden,  scheint  mir  nicht  so  häutig 
III  sein.  Gewiss  sind  manche  lacunäre  Atrophien  im  Umfange 
der  Gelenke  und  Sehnenscheiden  für  abgeschnürte  Krypten  oder 
FoUikel  genommen  worden. 

Das  alles  muss  man  in  Betracht  ziehen  und  sich  namentlich 
triunem,  dass  sehr  grosse  Säcke,  welche  ursprünglich  getrennt 
lind,  späterhin  ein  Continunm  bilden  können.    Ueber  dem  Knie, 


Fig.  29.  Uailocoläres  GanglioD  an  der  Sehne  des  MuscaloB  eitenaor 
vfiti  gecundi,  mit  blinden  Forteätien  bis  au  das  Periost  des  Os  eaneiforme 
{nnnm  reichend  and  mit  der  Fascia  dorsalis  pedis  iu  Verbindung  (Pr&puat 
Ho.  1208.).    NfttOrliche  GrttBse. 


202  Zehnte  YorieBiiBg. 

unter  fler  gemeinmrhaftlicben  Strecksehne,  liegt  ein  sehr  grosser 
Scbleimbeutel,  der  bei  Erwaehseoeo  fast  immer  coKiiniiiriich  mit 
der  Gelenkbohle  zai^ammenhäDgt,  in  der  Regel  so  weit,  dass  man 
die  alte  Scbeidewand  katun  sieht  Dasselbe  kommt  auch  anderswo 
vor*).  So  babe  ich  erst  neulich  einen  Fall  ootersoclit,  wo  am 
Scbultergelenk  die  sehr  dicke  Scheidewand,  welche  den  Sehleim- 
beutel, der  unmittelbar  über  dem  Gelenk  liegt,  von  der  Gelenk- 
b^ble  trennen  soll,  durchbrochen  war,  und  der  Schleimbeotel  in 
offenem  Zusammenhange  stand  mit  der  Gelenkhöhle.  Auf  solche 
Variationen  muss  man  gefasst  sein,  dann  begreift  man  diese 
Sachen  ziemlich  leicht,  und  man  versteht  es,  dass  an  denselben 
Gegenden  des  Körpers  scheinbar  ganz  gleiche  Hygrome  vorkom- 
men, die  doch  einen  verschiedenen  Ursprung  haben.  An  dem- 
selben Gelenk  können  Ganglien  der  Sehnenscheiden  and  Hydro- 
cclen  der  Synovialhaut,  oder,  wie  Demarquay**)  ganz  gut  sagt, 
t<enoHynoviale  und  arthrosynoviale  Ganglien  sich  zeigen,  die  in  ihrer 
äusseren  Erscheinung  die  grösste  Debereinstimmung  darbieten. 

Die  Anhäufung  von  Flüssigkeit,  mag  sie  nun  eine  wässrige 
oder  eine  mehr  gallertartige  sein,  ist  immer  ein  späterer  Zustand, 
welcher  erst  folgt  auf  das  Vorhandensein  einer  Gavität.  Die  Ca- 
vität  wiederum  kann  eine  neugebildete  sein,  die  eben  erst  ent- 
standen ist,  kurz  bevor  die  Ausscheidung  geschieht.  Aber  es 
kann  umgekehrt  dieselbe  viele  Jahre  vorhanden  sein,  ehe  eine 
Ausscheidung  erfolgt. 

In  sofern  kann  man  allerdings  sagen,  es  giebt  auch  nach 
Ausschluss  der  Kystome  Ganglien,  welche  aus  neugebildeten 
Säcken  entstehen,  und  solche,  weichein  den  alten,  gleichsam 
typischen  Säcken  vorhanden  sind.  Darin  stimme  ich  den  frfi- 
horen  Beobachtern  ganz  bei.  Auch  gestehe  ich  zu,  dass  es  Gan- 
glien giebt,  welche  durch  herniöse  Ausweitung  und  Abschnürung 
eines  vorhandiMien  Svnovialsackes  sich  bilden  und  wahre  Artico- 
lar-Ilydrocelon  darstellen.  Aber  dass  es  Ganglien  giebt,  die  durch 
Ruptur  entstehen,  wie  Klier  und  viele  nach  ihm  angenommen 
haben,  das  ist  ganz  unwahrscheinlich,  denn  es  ist  eine  bekannte 
Oporationsmethode .  dass  man  den  Sack  einfach  zerquetscht  oder 
suWutan  punctirt,  und  den  Inhalt  einfach  zur  Extravasation  bringt 

*)  Foueher.    Mem.  »iir  les  kvstes  de  b  re^ion  poplitee.   Arch.  g^* 
ii»i.  dw  hiNpiuui.  1SI6.  No.  7. 


•♦^     1'. 


Meliceris.  203 

In  diesem  Falle  bleibt  die  Masse,  welche  austritt,  nicht  liegen; 
sie  bildet  keine  dauerhafte  Geschwulst,  sondern  sie  wird  resorbirt, 
sie  Terschwindet  Man  sieht  daher  nicht  ein,  warum,  wenn  die 
Ruptur  spontan  vorkommt,  sich  eine  dauerhafte  Geschwulst  bilden 
sollte.  Es  kommen  in  der  That  spontane  Rupturen  vor,  aber 
damit  wird  die  Geschwulst  in  der  Regel  beseitigt. 

Was  nun  den  Inhalt  anlangt,  so  ist  das  allerdings  kein  ein- 
facher Hydrops,  sondern  es  verhält  sich  damit  wie  mit  den  früher 
besprochenen  Wassergeschwülsten.  Ganglien  sind  immer  irritative 
Bildungen,  deren  Entstehung  von  den  einfachsten  Graden  der  Rei- 
zung bis  zu  wirklichen  Entzündungen  hin  sich  verfolgen  lässt 
In  sofern  ist  es  sehr  schwer,  eine  positive  Grenze  zwischen  einem 
Gaoglion  und  der  Entzündung  einer  Bursa  mucosa  aufzustellen. 
Wenn  der  Vorgang  sehr  acut  ist,  wenn  eitrige  Producte  auftreten, 
80  wird  man  es  eine  Entzündung  nennen;  hat  er  metv  Bestand, 
ist  er  chronisch,  dann  nennt  man  es  ein  Ganglion  oder  ein  Hj- 
grom.  und  so  ist  es  auch  mit  den  Inhaltsmassen;  diese  sind  in 
der  Regel  nichts  anderes  als  eine  Vermehrung  desjenigen  Secretes, 
welches  sich  auch  sonst  in  diesen  Säcken  ündet.  Das  ist  nun 
allerdings  ein  sehr  eigenthümliches  gallertartiges,  zähes  Secret, 
weldies  mit  den  bekannten  chemischen  Substanzen  wenig  über- 
einstimmt. Ich  habe  es  früher  einmal  zum  Gegenstand  meiner 
specielleren  Untersuchungen  gemacht  *).  Es  hat  die  grösste  Aehn- 
liehkeit  mit  der  weichen  Substanz,  welche  sich  in  den  Interver- 
tebralknorpeln  bei  Kindern  vorfindet,  wo  die  centrale  Masse  zu 
einer  Art  von  Gallerte  einschmilzt.  Es  ist  in  der  Regel  weder 
ein  eiweissartiger,  noch  ein  leimartiger  Körper,  er  steht  gleichsam 
zwischen  beiden,  eine  synoviale  Substanz,  wenn  man  will,  eine 
Art  von  Golloid.  Dieser  Inhalt  findet  sich  schon  bei  gewöhn- 
lichen Zuständen  dieser  Säcke,  wo  wir  noch  gar  nicht  von  Gang- 
hen  oder  Hygromen  sprechen.  Nun  kann  es  aber  sein,  dass  bei 
Erweiterung  der  Säcke  diese  Substanz  die  ganze  Ausfüllungsmasse 
bildet,  und  das  ist  eine  der  Formen,  welche  man  Meliceris, 
Honiggeschwulst  genannt  hat.     Ob  sie  süss  schmeckt,  hat, 


^)  VIrchow.  Die  Gallerte  aus  Sehnenscheiden  und  Intervertebralknor- 
n.  Wftnb.  Verh.  1851.  Bd. II.  S.281.  vgl.  Herrn.  Köhler,  üeber  das  che- 
iiische  Verhalten  der  Flüssigkeit  aus  einem  sogenannten  Ueberbeine.  Hallesche 
Zeitschrift  für  die  gesammte  Naturwissenschaft.  1855.  Juni.  S.  437.  Knorr. 
L  c  pi  1&    Frerichs.  üeber  Gallert-  oder  Colloidgeschwülste.  S.  42. 


204  Zehnte  Vorieeang. 

glaube  ich,  noch  keiner  versucht;  sonst  hat  sie  keine  Aehnlich- 
keit  mit  Honig  als  die  Consistenz.  Ändere  Male  ist  die  Flüssig- 
keit sehr  viel  dünner,  v^ässriger,  und  die  specifischen  Stoffe  sind 
in  feinerer  Yertheilung  darin  enthalten. 

In  jedem  Falle  verdickt  sich  allmählich,  in  dem  Maasse  als 
das  Ding  einen  dauerhaften  Charakter  annimmt,  die  Wand  und 
gestaltet  sich  aUmählich  immer  selbständiger,  so  dass  sie  als  ein 
zusammenhängendes^  festes  Stratum  auftritt;  ja  es  kann  vorkom- 
men, dass  bei  langer  Dauer  die  Haut  zu  einer  schv^ieligen  Dicke 
sich  entwickelt,  und  eine  Balggeschwulst  der  vollkonunensten  Art 
entsteht. 

Es  ist  das  nirgends  so  deutlich,  wie  bei  dem  seit  Schreger 
sogenannten  Hygroma  patellare.  Bei  diesem  wird,  wie  man 
sehr  leicht  beobachten  kann,  der  Schleimbeutel  von  Zeit  zu  Zeit 
der  Sitz  entzündlicher  Processe:  das  Knie  fühlt  sich  heiss  an,  es 
sieht  roth  aus,  die  Leute  haben  Schmerz  und  Geschwulst  Solche 
Zufälle  folgen  auf  mechanische  Insulte.  In  England  ist  der  Zu- 
stand bekannt  unter  dem  Namen  des  Housemaid  knee,  weil  er 
bei  Dienstmädchen  durch  das  Rutschen  auf  dem  nassen  und  kal- 
ten Fussboden  leicht  hervorgebracht  wird.  Andere  Male  sind  die 
Leute  gefallen,  haben  sich  gestossen  u.  s.  w.  Unter  solchen  Insul- 
tationen vergrössert  sich  die  Geschwulst,  wird  zuweilen  faustgross, 
und  es  verdickt  sich  der  Balg  mehr  und  mehr,  so  dass  F&Ue  vor- 
konmien,  wo  der  Balg  eine  Dicke  von  vier,  fünf,  sechs  Linien 
erlangt,  also  ähnliche  Veränderungen  eingeht,  vrie  wir  sie  bei  der 
Hydrocele  besprochen  haben  (S.  160,  165.). 

Nun  kann  es  leicht  sein,  dass  der  Sack  sich  inzwischen  voll- 
ständig geglättet  hat,  dass  die  Oberfläche  wie  eine  seröse  Haat 
sich  darstellt;  in  diesem  Falle  finden  wir  auch  jedesmal,  dass  die 
innere  Oberfläche  mit  einem  Pflasterepithel  überzogen  int  Von 
dem  Epithel  kann  sich  etwas  ablösen,  in  den  Sack  hineinkommen, 
und  sich  der  etwa  vorhandenen  Flüssigkeit  beimengen,  welche 
dadurch  ein  trübes  Aussehen  annimmt  Aber  es  giebt  auch  Säcke 
(Fig.  30.),  wo  die  Wandungen  keineswegs  ganz  glatt  werden,  son- 
dern wo  selbst  bei  beträchtlicher  Grösse  der  Säcke  Yorsprünge, 
leisten,  Scheidewände,  Fetzen  und  andere  Reste  von  den  Binde- 
gewebs-Balken  zurückbleiben,  ja  wo  das  subcutane  Fett  sich 
no<;h  in  grösseren  hervorragenden  oder  gestielten  Lappen  yor- 
findet    Diese   Yorsprünge  können  wieder  der  Sitz  besonderer 


H^roma  patelbr«. 


TeifndeningeB  Verden.  Manchmal  wnchera  sie,  werden  ein&ch 
dicker,  ohne  ihre  sonstige  BeechafFenheit  zn  Sndem;  andere  Male 
dagegen  werden  sie  mehr  sehnig,  derb,  hart,  sklerotisch,  und 
mhinen  selbst  eine  knorpelartigs  BeschafTenbeit  an.  Solche 
ZostSnde  moss  man  wohl  nnterscheiden  von  eigentlichen  E:i- 
creBcenzen,  die  sich  von  der  Wand  in  den  Sack  hineinhilden, 
denn  bei  ihnen  huideh  es  sich  blos  nm  Reete  des  Mher  vor- 
banden gewesenen  und  nor  znm  Theil  eingeschmolzenen  Gewebes. 
Die  wirklichen  Answfichee,  welche  nicht  selten  vorkommen, 
lind  anderer  Art.  In  der  Regel  entstehen  sie  erst,  wenn  die  Hant 
des  Sackes  sich  vollst&ndig  consotidirt  und  geschlossen  hat.  Unter 
ihnen  mnss  num  wieder  zweierlei  unterscheiden.  Sehr  häufig  sind, 
wie  in  den  Gelenkhfihlen,  Dnplicaturen  der  Hant,  welche  nach 


Vig.  30.  H^roma  cysticnm  patellare  superficiale.  Die  HOblen wand  üt 
ridit  g^lUtet,  londeni  zeigt  in  der  Form  vod  Balken,  Kolben  and  NeUen 
Hcb  lahlreiche  Ueberreate  des  froheren  Binde-  nnd  Fettgevebea  (Präparat 
No.  1981.).    NatOrliche  GrSBse. 


2Wi 

inn^n  bin  \ffn^rtn$^(^,  Falten,  Leisten  biUem*^.  «ad  in  welche 
n^.hr  ^Hmi}hn\u:h  Fett  und  Gefisse  eiBtrH^s.    Solehe^  Dinge  nannte 
msLft  frfili#;r  an  den  Gelenken  Haversisebe  Drifea«  weQ  Clopton 
Uayf.rn**)    im    KncN^henmark    besondere    I>ra««n   angenommen 
liatU*.,  welche  iUm  MarkGl  absonderten.    Die  Gelenksduniere  (Ax- 
an«ia  h.  unKnen  articnlornm)    hielt  man  aber  allgemein  far  Fett 
wi<e  die  WaKenHcbmiere,  nnd  somit  nahm  man  aneh  diese  Fettlap- 
ptfen    für  DrüHen,   welche   die  Sebmiere  absoaderten.     Sie  sind, 
wenn   auch  nehr  hftnfige,  so  doeb  anfUlige  Gebilde,  deren  Zahl 
und  (ImfanK   von  dem  EmShmngsznstande  des  IndiYidoams  ab- 
lifinKiff  int.    Hei  Kehr  fett^^n  Leuten  kommt  es  Tor,  dass  grosse  Fett- 
wnlni«*.  HJch   in   die  Schleimbeutel   hineinschieben  nnd   förmliche 
poiypAHe   VornprOnge  bilden,  welche  sich  sogar  ablösen  und  frei 
worden  kennen***).     Das  ist  die  eine,  man  kann   sagen,  mehr 
pliyniologiMche   Form  von  Excrescenz,  welche  nur  durch  Hyper- 
ploHio  einen  pathologischen  Charakter  annimmt 

Davon  muss  eine  Reihe  von  eigentlich  pathologischen  Aus- 
wUcliHon  unterHchieden  werden,  die  in  ähnlicher  Weise  hier  vor- 
konunon,   wici   \m  den  Hydrocelen.    Diese  Form  kann  man  als 
1 1  y  g  r  0  ni  u  p  r  o  1  i  fo  r  u  ni  bezeichnen.    An  gewissen  Stellen  wächst 
die  Monibran,  Htntt  sich  sonst  gleichmSssig  zu  verdicken,  in  ein- 
Kleinen  MoHsen  hervor,  und  es  erzeugen  sich  in  ftluilicher  Weise, 
win  IUI  der  Schoidenhuut  dos  Hodens,  kleine,  knorpelartige  Körper, 
woIcIm'  xuerMt  von  der  Oberfläche  als  rundliche  Knötchen  hervor* 
wucliHon,  dann  aber  allmählich  grOsser  nnd  grOssv  werden,  a<^ 
Siiolon  hi^iubhAngi^n,  und  lulotat,  nachdem  die  Stiele  sich  getrennt 
IihInmi,  froi  in  die  Cavität  gerathen.    Bei  der  Hydrocele,  habei^ 
wir  gi'Hohon,  kAmien  diese  KOrper  eine  betrichtliohB  GrOsse  et" 
roirhou«  o{4  nind  ihn^r  aber  gewöhnlich  nicht  sehr  viele.   Dagege^ 
in  don  iiaiigUon  wird  mam^hmal  eine  colossale  Masse  erzeugt,  urm^ 
tlor  Ki>i^8si'n>  Thoil  der  Höhle  (ikllt  sich  mit  ihnen.    Wenn  mm^ 
nun  bodonkU  dasH  an  »ich  g^^rade  diejenigen  SchMmbeutel,  welcta^ 
violfaoh  miH'hanis^ohicn  Insultationen  aasgeselak  sind,  der  Sitz  d^^ 
UauHÜi'u  wortk^tt«  nnd  dass«  wenn  eine  groese  ZaU  solcher  KOrp^^ 
%\\\\\\    m^bomnllandor  in    eino  Höhle  hineinhängt,    durch  gegeif 
Mv^üiitt^u  l>i^'k  da.<  Abroi$$on  von  der  Wand  begünstigt  wird,  ec 


•^  K%x<^K   A.  Äs  O  ii  «^. 

*^  lU^t^r*  iKhsxWin  ih^^m.  FVukx^L  H  Uhu  1698.  m.  190,  S09. 


n^groma  proliferam.  207 

muss  man  es  begreiflich  finden,  dass  unter  Umständen  Hunderte, 
ja  Tansende  von  solchen  losen  Körpern  in  einem  Sack  sieh  finden*). 
An  den  Sehnenscheiden  kommen  diese  Formen,  meint  noch 
mechanischen  Einwirkungen,  ziemlich  häuKg  vor,  und  unter  ihnen 
sind  es  die  an  der  Handwurzel,  welche  die  grösste  Disposition 
dazu  zeigen,  vor  allen  die  Scheiden  der  Flexores  digitorum.  Im 
letzteren  Falle  entsteht  an  der  Volarseite  der  Hand  in  der  Re- 
gel eine  doppelte ,  zwerchsackiormige  Geschwulst,  deren  eine 
Hälfte  am  Vorderarm,  die  andere  in  der  Handfläche  liegt,  so  dass 
beide  unter  dem  Lig.  carpi  volare  mit  einander  communiciren. 
Drückt  man  auf  die  eine  Seite,  so  spaziren  die  kleinen  Körper 
durch  die  enge  OelTnung  hindurch  auf  die  andere  Seite,  und  mau 
kann  die  Geschwulst  gleichsam  hin-  und  herschiebea.  Die  Kör- 
per erzeugen  dabei  ein  eigenthümlich  crepitirendes  GefQhl,  wie 
ein  Beutel  mit  Schrot,  den  man  zwischen  den  Fingern  hin- 
und  herdrückt.  Wegen  ihrer  Form  hat  man  die  Körper 
(Fig.  31.)    als    birnkernartige    oder    rei^kornartige    bezeichnet: 


Pig.  31.  Freie  KOrperaus  einem  DoppelgaoglioD  der  Flexoreo  am  Haod- 
ItIcDk.  Einzelne  von  ihnen  (bei  **)  Doi:h  mit  feinen  Stielen  versehen  (Prä- 
innt  No.  67.  vom  Jahre  1861.)-    Natflrliche  QrCgge. 

*)  Jules  Clocquet.  Note  aur  leg  caagliona.  Arcb.  gen^r  .1824.  T.  ]V. 

P232. 


208  Zehnte  Vorlesung. 

Corpuscula  pyriformia,  oryzoidea.  Indess  ist  die  Form 
ausserordentlich  variabel.  Sie  kommen  nur  darin  überein,  dass 
sie  aus  einer  knorpelartig  dichten  Bindesubstanz  bestehen,  welche 
eine  concentrische  Schichtung  zeigt.  Aus  diesem  Grunde  hat 
man  sie  eine  Zeit  lang  für  Entozo^n  gehalten.  Später  ist  die 
Ansicht  von  Velpeau*)  vielfach  getheilt  worden,  wonach  es  ur- 
sprünglich Extravasatmassen  seien,  welche  sich  entfärbten  und 
durch  die  Bewegung  in  kleinere  Stücke  sich  zerlegten.  Ich  selbst 
liabe  sie  früher  mehr  für  concentrische  Gerinnsel  gehalten,  welche 
durch  allmähliche  Niederschläge  von  Faserstoff  entstünden^*), 
indess  habe  ich  mich  überzeugt,  dass  es  meist  wirkliche  Aus- 
wüchse, Excrescenzen  sind,  und  obwohl  es  möglich  ist,  dass  zu 
ihrer  Vergrösserung  allerlei  fibrinöse  Deposita  wesentlich  beitra- 
gen, ähnlich  wie  bei  den  Yenensteinen  (Phlebolithen),  so  ist  doch 
das  Wesentlichste,  dass  sie  hervorgehen  aus  partiellen  Wuche- 
rungen der  Wand,  wie  Warzen  an  der  Oberfläche  des  Körpers 
oder  wie  Pacehionische  Granulationen  an  der  Arachnoides.  Was 
diese  körperhaltigen  Hygrome  noch  besonders  auszeichnet,  ist  der 
relativ  geringe  flüssige  Inhalt  Gerade  wenn  freie  Körper  in  grosse- 
rer Zahl  vorhanden  sind,  findet  man  meist  nicht  tM  Flüssigkeit, 
ähnlich  wie  an  der  Scheidenhaut  der  Hoden,  wo  die  grössere  Zahl 
der  freien  Körper  nicht  mit  den  stftrkeren  Formen  der  Hydro- 
cele  zusammentrifft. 

Jedenfalls  wird  man  aus  dieser  üebersicht  ersebw,  dass  alle 
hygromatösen  und  hydrocelenartigen  Formen  in  aick  eine  gewisse 
Analogie,  ja  eine  Verwandtschaft, darbieten,  und  dJM  van  sie  ioo 
Grossen  alle  von  einem  gemeinschaftlichen  GoeiGfalq^unkte  aus 
beurtheilen  muss.  Immer  handelt  es  sich  dabei  um  irri- 
tative  Processe.  Aber  diese  erreichen  eine  TenMshiedene  Höhe. 
Sind  sie  leichter,  so  bedingen  sie  nur  die  Ausscheidnng  von  Flüs- 
sigkeit; wird  die  Reizung  stärker,  so  ruft  sie  wirkliche  Proli- 
ferationserscheinungen  der  Wand  hervor.  Aber  anch  diese  letzte- 
ren unterscheiden  sich  wieder  nach  dem  Grade  der  Reizung,  und 
wir  können  eine  gewisse  Reihenfolge  'der  formativen  Producte 
von  den  blossen  Sklerosen  und  Excrescenzen  der  Wand  bis  zur 
eigentlichen  Eiterung  unterscheiden.   Eine  bestimmte  Grenze  zwi- 


*)  Velpean.  Gaz.  des  böp.  1846.  Sept.  No.  106. 
^^)  A.  a.  0.  Medic.  Zeitung.  1B46.  S.  10. 


Verh&ltniss  tod  Iljgrom  und  EotzÜndoDg.  209 

scfaen  Hygrom  und  Entzündung  bestebt  weder  im  ätiologischen, 
noch  im  genetiechen  Sinne;  dasselbe  Trauma  kann  je  nach  seiner 
SUrke  und  der  Disposition  des  Individuums  ein  Mal  Flfissigkeits- 
•QSScheiduDg  mit  Bindegewebsbildung,  ein  anderes  Mal  Transsuda- 
tion  mit  Eiterung  hervorrufen.  Gerade  am  Handgelenk  kann  man 
dies  sehr  gut  sehea.  Hier  kommen  zuweilen  multiple  Eiterslicke, 
■amentlicb  an  der  Vorderseite  vor,  welche  sehr  schwer  von 
Ganglien  der  Sehnenscheiden  zn  diagnosticiren  sind  *).  Ich  habe 
iwei  Fälle  dieser  Art  auf  meiner  Abtheilung  behandelt,  bei  wel- 
chen eine  leichte  Verstauchung  die  Ursache  der  Entzündung  ge- 
wesen war ,  und  bei  denen  die  einzelnen  Heerde  so  tief  lagen, 
dass  sie  eine  gewisse  Zeit  lang  als  Ganglien  behandelt  waren. 
Die  Heilung   war   eine   sehr  langsame,  da  jeder  Sack  eröffnet 


Fig.  33.  HfteiDatoma  (Hygroma  haemorrbagicum)  praepatelUre.  a,  a 
"ut,  c  Fucie.  Der  sehr  auggedehnte  Sack  ist  xum  [;rossen  Tbeil  mit  festen, 
liMkeDeD ,  zum  Tbeil  ganz  knorpelartig  ausgehenden  Blutgerinnseln  erflillt, 
■tlche  an  sleichfalU  eebr  verdickten,  sklerotischen  Wandungen  sehr  innig 
»hifteo-  Bei  b  ist  die  Haut  ukerirt  und  es  führt  ein  unregelmSssiger  Gang 
^on  da  io  die  Tiefe,  rings  umgeben  von  erweichten  und  entfärbten  Blutmas- 
>ei.  Die  HChle  war  ursprOnglich  nicht  glattwandig ,  sondern  mit  man- 
cherlei Balken  und  Scheidewänden  durchzogen.  Die  Wand  ist  stellenweise 
in  mehrfacbe  BlStter  spaltbar  und  vou  äusserster  Härte  (Präparat  No.  135. 
'Dm  Jahre  1858.).    NstQrliehe  Grösse.    Bei  Lebzeiten  eistirpirt. 

*)  Layiii.  Die  Ueberbeine  mit  Einbegriff  der  Schleimbegtel-Anachwel* 
ungcn.  Inang.  Dias.  ErUagen.  1839.  S.  lä. 


210  Zehnte  Vorlesung. 

werden  musste,  und  in  jedem  sich  jene  schlechte,  schlaffe  Gra- 
nulation fand,  welche  man  von  der  Nachbehandlung  grosser  ope- 
rirter  Ganglien  her  genugsam  kennt*). 

Schliesslich  will  ich  noch  erwähnen,  dass  auch  wirkliche 
Extravasirungen  in  die  Höhle  hygromatöser  Geschwülste  erfolgen 
können.  Es  geschieht  dies  entweder  in  Folge  heftiger  mechani- 
scher Verletzungen,  welche  ein  schon  bestehendes  Hygrom  treffen, 
z.  B.  bei  einem  Hygroma  patellare  durch  einen  Fall  auf  das 
Knie,  oder  in  Folge  starker  und  wiederholter  Entzündungen, 
welche  eine  vermehrte  Yascularisation  der  Wand  hervorrufen. 
Zuweilen  bleibt  das  Extravasat  flüssig  oder  bildet  nur  weiche, 
gallertförmige  oder  klumpige  Niederschläge,  welche  nach  und 
nach  in  einen  schmutzig  braunrothen  oder  graubraunen  Brei  über- 
gehen**). Manchmal  dagegen  wird  der  Sack  ganz  und  gar  mit 
einer  vollkommen  festen  Thrombusmasse  ausgefüllt,  welche  später 
fast  trocken,  hart  und  brüchig  wird,  und  gleichsam  eine  feste 
Vollgeschwulst  darstellt.  So  entsteht  zuweilen  aus  einem  mit 
flüssigem  Inhalt  gefüllten  Hygrom  der  Patella  ein  ganz  festes 
Häm  atom  (Fig.  32).  Aber  das  Hämatom  ist  immer  ein  Späteres, 
welches  aus  dem  hygromatösen  Zustand  heraus  sich  entwickelt,  in- 
dem erst  die  Bildung  einer  grösseren  Höhle  and  einer  stärkeren, 
gefassreichen  Wand  nöthig  ist,  ehe  die  hämorrhagischen  Massen 
ausgeschieden  werden. 


^)  Velpeau.  Klinische  Vorlesungen,  flbersetxt  Ton  Kmpp.  1842.  S.  32:^. 
Virchow  a.  a.  0.  S.  11. 

^*)  Gruveilhier.    Tratte  d*anat  path.  g^n^r.  T.  III.  p.  521.    Hvgroma 
hematiqae. 


i^ 


.,. 


i 


Eilfte  Yorlesung. 

7.  Januar  1863. 


Follicidar-Cysteii 


Bttentioaagesehwulste  ub«rhaapt.  Zwei  Arten  derselben:  Reteution  dea  Secretes  am  8e- 
eretioneorte  oder  an  einer  entfernten  Stelle.  Entstehung  aus  pruexistireuden  offenen  Räumen : 
cTStiscbe  Ectasie  von  Kanälen.  Zustand  der  Orificien:  Atre>ie  und  Obliteration  oder  blosse 
Verlegung  (Obatmetion,  Compreaiion,  Dialoeation)  derselben.  Verbindung  mit  Irritation.  Ver- 
änderlichkeit des  Cysteninhalta  in  verschiedenen  Stadien.    Bedeutung  dea  Initialstadiums. 

Atherome  (Brei-  oder  Grütsgeschwülste).  Entwickelung  ans  Ilaarbalgen.  Anordnung  und  Ab- 
•ondemng  der  letzteren:  Epidermis  nnd  Schmeer.  Comedonen.  Milium  s.  Qrutum.  Bethei- 
lignng  der  Scbmeerdrusen.  Acne.  Molluscum  contagiosum  und  non  contagiosum.  Akrochor- 
don.  Naevas  follicularis.  Das  eigentliche  Atherom.  Das  atheroraatöse  Dermoid  (Kystom). 
Stmctar  de«  Atheroms.    Meliceris,  Sieatom.    Verkreidnng,  Aufbruch,  Heilung. 

Schleimcysten  (Hydatiden).  Entwickelung  aus  Schleimdrusen.  Wechsel  der  Theorien  über 
Hydatiden.  Verachiedenartigkeit  der  Schleimdrüsen.  Offene  nnd  geschlossene  Orificien.  Wie- 
derholung der  Comedo-f  Miliam-,  Acne-,  Molluscum-  nnd  Akrochordon-Form.  Verschiedenheit 
des  Inhaltes.  Confluenz.  Polypi  cystici  s.  hydatidosi.  —  Weiblicher  Sexualapparat:  Ovula 
Nabothi,  Acne  orificii  externi,  Blasenpolypen  des  Collum  und  Corpus  uteri ,  Schleimcysten  der 
Utemsbohle.  Neigung  «u  Fluor  nnd  Metrorrhagie.  —  Magen-  und  Colon -Schleimhaut:  Co- 
litis cystlca  polyposa.  Antruro  Highmori.  Retrotrachealdrusen.  Blasenpolypen  des  Laryux. 
Schleimcysten  der  Vagina. 


"ie  letzte  grössere  Gruppe  der  Balggeschwülste,  und  zwar  gerade 
diejenige,  welche  die  gewöhnlichsten  Arten  derselben  enthält,  bil- 
len  nach  der  früher  gegebenen  Eintheilung  (S.  121)  die  Ret cn- 
^ionsgeschwülste.  Ich  verstehe  darunter  diejenigen,  bei  wel- 
chen irgend  ein  besonderes  Secret,  nicht  ein  blosses  Ausschwitzuugs- 
E^roduet  aus  dem  Blute,  sondern  ein  Erzeugniss  oder  wenigstens 
^in  Ergebniss  der  Gewebsthätigkeit  das  ursprüngliche  An- 
bftufungs  -  Material  bildet.  Freilich  haben  wir  auch  schon  bei 
^n  zuletzt  besprochenen  hygromatösen  und  hydrocelischen  Arten 


ij  * 


212  EUfte  Vorlesung. 

Gewebsproducte  unter  den  Stoffen,  welche  die  Geschwulst  erfüllen, 
kennen  gelernt,  aber  als  Regel  muss  doch  bei  ihnen  betrachtet 
werden,  dass  der  grössere  und  namentlich  der  wesentliche  Antheü 
Transsudationsproduct  ist.  Bei  den  RetentionsgeschwQlsten  ist  da- 
gegen  das  Wesentliche  und  Bestimmende  zunächst  nur  die  An- 
häufung von  Secretstoffen. 

Diese  können  jedoch  eine  doppelte  Beziehung  zu  dem  Sack 
haben,  in  welchem  man  sie  angehäuft  findet  Entweder  sind  sie 
von  der  Membran  dieses  Sackes  selbst  abgesondert,  also  örtliche 
Erzeugnisse,  welche  nur  nicht,  wie  sie  eigentlich  sollten,  von 
dem  Orte  ihrer  Entstehung  entfernt,  fortbewegt  worden  sind.  Die- 
ser Fall  tritt  ein,  wenn  das  Secret  einer  bestimmten  Drüse  in  den 
feineren  Kanälen  der  Drüse  selbst  zurückgehalten  wird.  Oder  die 
Secretstoffe  sind  an  einem  anderen  Orte  abgesondert,  als 
wo  sie  »ich  nachher  finden;  sie  sind  von  dem  Orte  ihrer  Ent- 
stehung fortbewegt,  <iber  nicht,  wie  sie  sollten,  ganz  und  gar  ans 
dem  Körper  oder  aus  dem  betreffenden  Apparat  entfernt  worden. 
Dieser  Fall  liegt  vor,  wenn  das  Secret  einer  bestimmten  Drüse 
nicht  in  den  Drüsenkanälen  selbst,  sondern  in  den  Ansf&hnuigs- 
gängen  zurückgehalten  wird. 

In  beiden  Fällen  sind  präexistirende  offene  Räume, 
und  zwar  in  der  Regel  Kanäle,  der  Sitz  der  Anhäufung,  und  die 
Geschwulst  gewinnt  ihren  cystischen  Charakter  durch  die  Erwei- 
terung (Dilatation,  Ektasie)  des  Kanals  zu  einem  Sack.  Dieser 
Sack  kann  ganz  geschlossen  sein,  und  dann  ist  es  oft  schwer  xu 
ermitteln,  ob  derselbe  aus  einem  früheren  Drüsen-  oder  sonstigen 
Kanal  entstanden  oder  ganz  und  gar  neugebildet  ist.  Ein  grosser 
Theil  der  Streitigkeiten  über  die  Entstehung  der  Cysten  erklirt 
sich  eben  aus  dieser  Schwierigkeit.  Ich  behalte  es  mir  vor,  auf 
die  allgemeine  Theorie  der  Cysten  später  zurückzukommen,  wenn 
ich  von  der  Neubildung  derselben  in  der  Reihe  der  Proliferations- 
Geschwülste  (Gewöchse)  zu  handeln  haben  werde.  Hier  hebe  ich 
nur  hervor,  dass  es  zu  grossen  Irrthümem  fQhrt,  wenn  man  die 
Cyste  als  eine  bestimmte  histologische  oder  organologische  Er- 
Hchoinung  schlechthin  betrachtet  und  eine  allgemein  gültige  Formel 
für  ihre.  Entstehung  sucht  Gerade  die  Mannich&ltigkeit  der  EiU- 
Nti'hiuig  orgiebt  sich  aus  der  genaueren  Untersuchung  versckie- 
di^fii*r  <*yHtenbildungen,  und  es  kommt  daher  nicht  selten  vor, 
wiü  Mchun  die  nächsten  Betrachtangen  uns  lehren  werden,  daas 


Theorie  der  FoUienlarcysteD.  213 

an  derselben  Localität  scheinbar  ganz  analoge  Cysten 
Ton  ganz  Yerschiedener  Entstehung  und  demnach  auch 
Yerschiedener  Bedeutung  vorkommen. 

In  der  Geschichte  der  Wissenschaft  ist  durch  die  Verkennung 
dieser  Wahrheit  eine  unaufhörliche  Verwirrung  herbeigeführt  worden. 
Schon  in  der  Schule  von  Boerhaave*)  war  die  Thatsache,  dass 
aus  der  Resention  von  Secretstoffen  bestimmte  Geschwulstformen 
hervorgehen,  klar  erkannt.     Gerard  van  Swieten**)  spricht 
sieh   darüber  in  der  bestimmtesten  Weise  aus.    Allein  die  Vor- 
stellung von  der  maschigen  Anordnung  des  Zellgewebes,  und  die 
Erfahrung  von  dem  Vorkommen  ganz  analoger  Geschwülste  an 
Stellen,   welche   kein  Secret   dieser  Art   liefern,   führte   zu  der 
gerade  entgegengesetzten  Lehre,  welche  seit  Bichat  ***)  völlig 
festgestellt  schien.    Die  Räume  (Zellen)  des  Zellgewebes  stellten 
sich  als   die  natürlichen  Erzeugungsstätten   der   verschiedensten 
Absonderungen  dar,  und  man  brauchte  sie  nur  sich  erweitem  und 
das  umgebende  Gewebe  sich  verdichten  zu  lassen,  so  war  der 
„Balg**   fertig  und  der  Tumor  cysticus  gegeben.    Erst  unter  den 
mannichfaltigsten  Schwankungen,  und  selbst  jetzt  noch  nicht  ohne 
vielfachen  Widerspruch,    ist   die  Lehre   von    der   verschiedenen 
Natur  scheinbar  identischer  Formen  der  Balggeschwülste  begrün- 
det worden. 

Entsteht  eine  ganz  geschlossene  Cyste  aus  einem  früher  offe- 
nen Kanal,  so  dass  die  Kanalwand  zur  Gystenwand  wird,  so  setzt 
dies  eine  Verschliessung  der  Mündung  oder  eines  Theils  des  Ka- 
nals, eine  Atresie  oder  eine  Obliteration  voraus.  Dieser  Vor- 
gang kann  unmittelbar  durch  eine  wirkliche  Verklebung  und  Ver- 
schmelzung der  Oberflächen  (Agglutination)  erfolgen,  wenn 
die  Oberflächen  in  einen  veränderten,   wunden    oder  adhäsiven 


*)  Rays  eh  (Advers.  anat.  med  Chirurg.  Amstel.  1727.  Dec.  I.  no.  IV. 
p.  12.)  theilt  die  Ansicht  von  Boerhaave  selbst  genauer  mit. 

^^)  0.  van  Swieten.  Commentaria  in  Ilermanni  Boerhaave  Aphorismos. 
Logd.  Bat.  1746.  T.  I.  p.  165.  Numeroeissimae  in  variis  locis  corporis  sunt 
tapullae  sive  folliculi;  tota  cutis  externa,  interior  superficies  oris,  oesophagi, 
▼entrieuli,  intestinomm  etc.  similibus  folliculis  obsidetur  undique.  Si  jam 
t  quacunque  causa  obstmatur  emissarium  talis  folliculi ,  non  potent  evacuari 
contentos  in  cavo  folliculi  liquor,  augebitur  copia  liquidi  retenti  et  disten- 
detur  folliculus,  sie  ut  ex  invisibili  parvitate  in  molem  aliquot  librarum  ali- 
({lando  excrescat.  —  Haec  jam  est  communis  idea  ampuUosomm  tumorum: 
Md  Tariaat  ratione  materiae  contentae. 

*^)  Xav.  Bichat  Traite  des  membranes  Paris.  1802.  p.  165.  Anatomie 
S^ttMe,  id.  de  Blandin.  Paris.  1830.  T.  I.  p.  132. 


214  Silfta  Voriesng. 

• 

Zustand  gerathen  sind.  Viel  hfinfiger  tritt  zunächst  in  den  Wan- 
dungen oder  in  ihrer  nächsten  Umgebung  eine  Verdichtung  mit 
Schrumpfung  (Retraetion)  ein;  dadurch  bildet  sich  eine  Ver- 
engerung (Strictur,  Stenose),  welche  inmier  enger  wird  und 
schliesslich  zur  Annäherung  der  Flächen  f&hrt,  so  dass  die  voll- 
ständige Versehliessung  erst  nach  langer  Zeit  eintritt. 

Häufig  hält  man  aber  den  Sack  für  ganz  geschlossen,  wo 
eben  nur  eine  äusserste  Strictur  vorhanden  ist,  oder  wo  die  Ent- 
leerung der  Secretstoflfe  durch  einen  anderen  Umstand  gehindert 
winL  Nicht  selten  wird  durch  den  Druck  einer  Geschwulst  oder 
eines  vergrOsserten  Nachbarorgans  eine  theilweise  Comp  res  sion 
der  Kanäle  hervorgebracht  Oder  das  Secret  selbst  bildet  durch 
seine  zähe  Oiler  trockene  Beschaffenheit  eine  Verstopfiang  (Obstruc- 
tion)  der  Mundung  oder  eines  Abschnittes  des  Kanals.  Oder  endlich 
die  Mündung  oder  der  Kanal  selbst  wird  durch  irgend  eine  Verschie- 
bung, Zerrung,  Faltung  der  Wand  undurchgängig;  nicht  ganz  selten 
entsteht  namentlich  ein  klappenartiges  Hinderniss,  indem 
die  eine  Hälfte  der  Wand  sich  gegen  die  andere  anlegt 

Die  eigentliche  Atresie  und  Obliteration  setzen  immer  einen 
entzündlichen  oder  wenigstens  einen  irritativen  Charakter  des 
localen  Processes  voraus,  da  ohne  ihn  eine  so  vollständige  Ver- 
wachsung und  Verschmelzung  niemals  zu  Stande  kommt  Com- 
prossion,  Obstruction,  klappenartige  Hindemisse  dagegen  können 
ohne  alle  Reizung  bestehen,  indess  sind  auch  sie  erfahrungsgemit^s 
H«4ir  oft  damit  verbunden.  Jedenfalls  kann  dieselbe  Art  von  cysti- 
Hcher  oder  sackiger  Dilatation  der  Kanäle  auf  beide  Weisen  ent- 
Htehen,  denn  da  die  Retention  der  Secretstoffe  die  Hauptsache 
JMt,  HO  ist  es  gleichgültig,  ob  der  dilatirte  Kanal  bloss  verstopfe 
oder  compriinirt,  oder  ob  er  ganz  obliterirt  ist 

Mit  Recht  hat  man  daher  bei  der  Untersuchung  dieser  G^ 
m  hwülsto  immer  einen  grossen  Werth  auf  die  chemische  Erfo«' 
Mrhniig  des   Inhaltes   gelegt     Denn  die  verschiedene  Natur  A*^ 
HfM'retHtoiTe  muss  natüriich   den  Inhalt   dieser  Cysten  sehr  v^^' 
«rhli'^len  erscheinen  lassen.    Aber  man  kann  sich  hier  auch  s^*^^ 
MtUi  tlhiHchen,   und  man  hat  sich  häufig  getäuscht,  indem 
von   (lor   Voraussetzung   ausging,    der  Inhalt  sei  unveränderli 
l'Jim  Hpricheh'yste  sollte  Speichel,  eine  Gallencyste  Galle,  e  '^^ 
^WiriMMM'VHtr  Samen  enthalten,  gleichviel  vrie  viel  Monate  oder  J; 


r 


»ijit  HiM  li  bcNtehen  mochte.    Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  daas  c»'^ 


VerändeniDg  des  GjBteainhalts.  215 

ein  Irrthum  war,  dass  gerade  im  Gegentheil  der  Cystenin- 
halt  8ehr  veränderlich  ist.  Nicht  nur  ändern  sich  die  ur- 
sprünglich retinirten  SecretstofTe  in  ihrer  Zusammensetzung,  zu- 
weilen so  sehr,  dass  kein  unveränderter  Rest  mehr  von  ihnen 
übrig  bleibt,  sondern  sie  werden  auch  wohl  ganz  und  gar  resor- 
birt.  Zugleich  mischen  sich  neue,  sei  es  secretorische,  sei  es 
transsudatorische  oder  hämorrhagische  Producte  von  der  Wand 
bei,  und  es  kann  so  geschehen,  dass  im  Laufe  der  Zeit  der 
ursprüngliche  Charakter  des  Cysteninhaltes  ganz  und 
gar  verloren  geht.  Man  kann  wässerigen  Inhalt  finden,  wo 
früher  gallertartiger  war;  gefärbten,  wo  früher  farbloser  existirte; 
zelligen,  wo  ursprünglich  nur  amorphe  Stoffe  lagen. 

£&  ist  daher  nothwendig,  im  Laufe  dieser  Geschwulstbildung 
verschiedeneStadien  zu  unterscheiden.  Nur  im  Initialstadium 
sind  die  specifischen  Secrete  in  ihrer  Reinheit  vorhanden,  welche 
den  eigentlichen  Grund  zur  Geschwulstbildung  legten.  Eine  Unter- 
suchung in  späteren  Stadien  zeigt  oft  ganz  andere  und  neue  Stoffe, 
die  theils  aus  der  Zersetzung  der  früheren  hervorgegangen,  theils 
von  der  Wand  nachträglich  geliefert  sind.  — 

Wir  beginnen  mit  den  Retentionsgeschwülsten,  welche  durch 
Anhäufung  des  Secretes  an  Ort  und  Stelle  seiner  Bildung  bedingt 
werden.    Hier  steht  obenan  diejenige  Form,  welche  in  neuerer 
Zeit  oft  als  die  Balggeschwulst  (Tumor  cysticus  s.  follicularis) 
schlechthin  bezeichnet  worden  ist,  diejenige,  welche  seit  alter  Zeit 
wegen  der  Consistenz  ihres  Inhaltes  Atherom  (Brei-  oder  Grütz- 
geschwulst,  Grützbeutel)  genannt  worden  ist*).   Denn  a^i^  oder 
d^d^a  bedeutet  Pultum,  Massa  pultacea,  Brei.    Sie  kommt  sehr 
häniig  an  der  äusseren  Haut  vor,   und  entsteht  durch  die  An- 
häufung der  natürlichen  Secrete  derselben  innerhalb  der  natür- 
lichen oder  krankhafter  Weise  gebildeten  Einstülpungen  der  Ober- 
fläche. 

In  der  R^gel,  und  zwar  bei  den  grösseren  Formen  immer, 
idnd  es  die  Haarbälge,  welche  den  Sitz  der  Retention  darstellen. 
Hikroskopische  Retentionen  finden  sich  freilich  auch  mehr  an  der 
Oberfläche,  z.  B.  zwischen  verlängerten  Papillen  der  Cutis   oder 


^)  Plattdeatdch  Wäne,  hoUäodisch  Wen,  englisch  ebenso.  Vielleicht  ver- 
wandt mit  Finoe.  Französisch  loupe,  in  ganz  spätem  Latein  lupia. 


216  Silft«  Vorleaiiiig. 

zwischen  den  vertieften  Leisten  des  Nagelbettes,  wo  nach  meinen 
Untersuchungen*)  sogar  die  später  zu  besprechenden  perlartigen 
Gebilde  sehr  gewöhnlich  sind.  Hier  kommt  es  jedoch  znn&chst 
nur  darauf  an,  die  eigentlichen  Atherome  zu  erörtern,  da  jene 
anderen  Zustande  mehr  den  epidermoidalen  Geschwülsten  zuzu- 
rechnen sind. 

Die  Haarbälge  (folliculi  pilorum)  sind  bekanntlich  Einstül- 
pungen der  Haut,  deren  Oberfläche  mit  Epidermis  bekleidet  ist, 
und  aus  deren  Grunde  die  Haare,  gleichsam  Verlängerungen  der 
Epidermis,  hervorwachsen.  Das  Secret  der  Oberfläche  ist  hier 
also  Epidermis.  Dazu  kommt  in  sehr  verschiedenen  Mengen  Fett 
oder  Schmeer  aus  den  Talg-  oder  Schmeerdrüsen  der  Haut,  deren 
Ausführungsgänge  in  den  Haarbalg  einmünden  **).  Das  Fett  kann 
frei  oder  noch  in  Zellen  eingeschlossen  sein.  Seine  Menge  ist 
natürlich  sehr  verschieden,  nicht  blos  je  nach  der  Art  der  Rei- 
zung, sondern  auch  je  nach  der  Zahl  und  Grösse  der  Talgdrüsen, 
welche  in  einen  Haarbalg  münden,  und  je  nach  der  grösseren 
oder  geringeren  Höhe,  innerhalb  deren  sich  die  Anhäufung  in 
dem  Haarbalg  bildet.  Manchmal  fehlt  die  fettige  Beimischung  fast 
ganz;  jedenfalls  überwiegt  in  der  Mehrzahl  dieser  Geschwülste 
der  epidermoidale  Charakter,  und  er  ist  es,  welcher  die  breiige 
Beschaffenheit  des  Inhaltes  bedingt.  Mag  daher  auch  in  man- 
chen Fällen  die  jetzt  in  England  gebräuchliche  Bezeichnung  der 
Schmeerbälge  (sebaceous  cysts)  zutreffen,  so  erscheint  doch 
der  alte  Name  der  Atherome,  schon  weil  er  kein  bestimmtes 
Präjudiz  über  die  Entstehung  einschliesst,  weit  vorzüglicher. 

In  dem  Maasse,  als  die  Anhäufung  geschieht,  erweitert  sich  zu- 
nächst der  Haarbalg.  Die  geringsten  Anfange  davon  stellen  die  Gri- 
nonen  oder  Gomedonen,die  sogenannten  Mitesser  oder  Finnen, 
dar.  Es  sind  dies  epidermoidale,  mit  etwas  Fett  durchsetzte  Gylinder, 
welche  gewöhnlich  um  den  Haarschaft  herumliegen,  und  sich  in 
Form  von  länglichen,  wurmförmigen  Körpern  hervordrücken  lassen. 
An  ihrer  Spitze  haben  sie  meist  einen  schwärzlichen  oder  bräun- 
lichen, durch  Schmutzfärbung  hervorgebrachten  Theil***),  and  so 
gleichen  sie  allerdings  kleinen  Würmchen  (Yermicelli)  nicht  wenig. 


•)  Würzburger  Verhandl.  Bd.  V.  S.  86. 
^^)  Cellularpathologie.  3.  Aufl.  S.  313.  Fig.  116. 

**')  Daher  scheiDt  der  französische  Name  tanne  su  stammen,  denn  Un 
bcdt  utet  Gerberlohe  und  t«Dn^  lohfarben. 


GomedoneD.  217 

Aber  sie  haben  damit  nichts  zu  thun.  Nicht  einmal  die  Ent- 
deckung der  Acari  folliculorum  durch  Gustav  Simon  hat  in 
dieser  Auffassung  irgend  etwas  geändert.  Denn  die  Milben  kom- 
men an  vielen  Stellen  vor,  wo  nichts  weniger  als  ein  Gomedo 
besteht)  und  umgekehrt  findet  man  Gomedonen,  ohne  dass  Acari 
ödere  andere  Parasiten  vorhanden  wären.  Es  kann  also  von 
irgend  einer  thierischen  oder  parasitischen  Natur  der  Gomedonen 
im  engeren  Sinne  durchaus  nicht  die  Rede  sein*). 

Wenn  die  Epidermis-  und  Schmeer -Anhäufungen  reichlicher 
werden,  so  ist  natürlich  das  Resultat,  dass  der  Haarbalg,  welcher 
normal  einen  nach  unten  allmählieh  etwas  weiter  werdenden,  ge- 
schlossenen Kanal  darzustellen  pflegt,  an  den  Stellen,  wo  die 
hauptsächliche  Anhäufung  geschieht,  sich  mehr  und  mehr  erwei- 
tert. Es  kann  dies  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  der  Fall  sein; 
es  kann  aber  auch  geschehen,  dass  die  Erweiterung  dicht  unter 
der  Oberfläche  liegt  und  der  Balg  nach  unten  hin  noch  seine  ge- 
wöhnliche Weite  behält;  häufiger  dagegen  ist  der  obere  Theil 
mehr  frei  und  die  Anhäufung  geschieht  mehr  in  der  Tiefe.  Das 
richtet  sich  sehr  wesentlich  nach  der  Dicke  der  Gutis  und  der 
Länge  der  Haarbälge,  die  an  verschiedenen  Stellen  des  Körpers 
ausserordentlich  verschieden  ist.  Die  Gesichtshaut,  namentlich  an 
den  Augenlidern  und  in  ihrer  nächsten  Umgebung,  ist  überaus 
fein,  die  Haut  am  behaarten  Theil  des  Kopfes  und  am  Rücken 
dagegen  sehr  dick ;  letztere  ist  häufig  um  das  Vierfache  und  noch 
mehr  stärker,  als  die  erstere.  Diese  aber  führt  nur  Wollhaar 
(Lanugo),  dessen  Bälge  nicht  durch  die  Gutis  hindurchgehen, 
sondern  ganz  in  ihr  enthalten,  also  sehr  kurz  sind;  am  behaar- 
ten Theil  des  Kopfes  aber  und  an  andern  Stellen,  wo  stärkere 
Haare  liegen,  treten  die  Haarbälge  durch  die  Gutis  bis  in  das 
Unterhantgewebe  hindurch.  Hier  geschieht  es  daher  häufig,  dass 
im  unteren  Theil  des  Balges  die  Retention  erfolgt,  während  der 
obere,  an  sich  engere  Theil,  der  sogenannte  Hals  des  Balges, 
entweder  seine  normale  Weite  behält  oder  gar  durch  irgend  ein 
Moment  zusammengedrückt  wird.  Letzteres  tritt  namentlich  dann 
leicht  ein,  wenn  in  der  Haut  selbst  irgend  ein  pathologischer  Pro- 
cess  besteht,  durch  welchen  die  Haut  -  Oberfläche  anschwillt  oder 


*)  Boerhaave  bei  Ruysch.  1.  c.  p.  12.    Hall  er.  Eleroenta  phjsiologiae. 
Üb.  XII.  Sect.  I.  §.  20.  (Laosannae.  1763.  T.  V.  p.  41.). 


218  Eilte  Vorimmg. 

sich  in  sich  retrahirt,  zusammeDscbmiDpft.  Während  in  dem  Binde- 
gewebe ein  irritatiTer^  zomai  ein  formativer  Process  stattfindet, 
wuchert  auch  die  Epidermis  des  Haarbalges;  ja  ich  habe  sogar 
neue^  drösenartige  Ausstülpungen  aus  dem  Haarbalge  beobachtet.*) 

Es  ergiebt  sich  hieraus  adsbald  eine  verschiedene  Art  der 
Entstehung  der  Anhäufung,  insofern  einmal  die  Zustände  der  Catis 
selbst  die  Bedingungen  abgeben,  wodurch  eine  Verengerung  er- 
zeugt und  die  Lumina  der  Haarbälge  in  ihrem  oberen  Theile  von 
aussen  her  zusammengedrückt  werden,  andere  Male  hingegen  die 
Obstniction  durch  die  sich  anhäufende  Masse  selbst  geschieht 
Wenn  in  dem  Haarbalg  in  kurzen  Zeiträumen  grosse  Mengen 
trockener  Epidermis  gebildet  und  abgestossen  werden,  wie  es 
namentlich  bei  allerlei  irritativen  Processen  vorkommt,  so  kann 
dadurch  unmittelbar  eine  Obstruction  entstehen.  Das  sind  ver- 
schiedene Modi,  wo  in  dem  einen  Falle  die  Mündung  enger  ist 
oder  ganz  und  gar  verschwindet,  in  dem  andern  Falle  weiter 
ist,  aber  durch  die  in  ihr  enthaltene  Masse  verstopft  wird.  Co- 
medonen  nennt  man  eigentlich  nur  diesen  letzteren  Fall,  sowie 
den,  wo  der  Haarbalg  in  dem  grössern  Theil  seiner  Ausdehnung 
mit  reichlicherem  Secret  erfüllt  ist,  während,  wenn  die  Mündung 
gar  nicht  sichtbar  oder  doch  nicht  erweitert  ist,  wenn  ferner  nur 
in  dem  tieferen  Theil  eines  kurzen  Haarbalges  die  Anhäufung 
geschieht  und  mehr  eine  rundliche  Form  annimmt,  das  soge- 
nannte Milium  oder  Grutum  entsteht.**) 

Beide  Zustände  kann  man  daher  nicht  selten  an  demselben 
Individuum  neben  einander  sehen.  Milien  kommen  verhältniss- 
mässig  am  häufigsten  an  den  Stellen  vor,  welche  die  kürzesten 
Haarbälge  und  die  feinsten  Lanugohaare  besitzen,  daher  beson- 
<l(^rH  an  der  Haut  der  Augenlider  und  den  nächst  anstosaenden 
Wungontheilon,  wo  sie  sich  bei  manchen  Leuten  in  so  grosser 
Zahl  finden,  dass  die  Haut  ein  weissgesprenkeltes  Aussehen  be- 
kommt oder  figurirte  Gruppen  entstehen  (Herpes  miliaris)^ 
wähnend  gegen  die  Wangen  hin,  da  wo  der  Backenbart  kommt, 
wenn  auch  die  Leute  keinen  Backenbart  haben,  sich  die  Come- 
dof'orm  findet. 

In  dem  ersteren  Fall  erscheint  die  Haut  etwas  emporgehoben 


•)  Mein  Archiv.  Bd.  VL  S.  552.  Bd.  YIII.  S   418. 
••)  Kbeiida».  1H55.  Bd.  Ylll.  S.  394. 


Milium.  219 

und  unter  ihr  zeigt  sich  ein  weissliches  Korn;  in  dem  andern 
Fall  ist  die  Stelle  auch  etwas  angeschwollen,  aber  man  sieht 
an  ihr  gewölinlicii  eine  festere  Masse,  die  bis  an  die  Oberfläche 
reicht  und  hier  ein  gefärbtes  Aussehen  zeigt.  In  beiden  Fällen 
besteht  in  der  Regel  die  grössere  Masse  der  Anhäufung  nicht, 
wie  manche  angenommen  haben,  aus  Schmeer,  sondern  vielmehr 
aus  um  -  und  übereinander  geschichteten  Blättern  von  platten  Epi- 
dermiszellen.  Diese  haben  bei  den  Comedonen  eine  cylindrische, 
dem  Haarschafte  parallele  Lagerung;  bei  den  Milien  finden  sie 
sieh  in  der  Anordnung,  dass  eine  Art  von  zwiebeiförmigem  Bau 
entsteht,  indem  um  einen,  oft  etwas  excentrischen  Mittelpunkt  die 
Schichten  über  einander  gelagert  sind.  Diese  Form  ist  insofern 
von  besonderem  Interesse,  als  sie  eine  Structur  wie  eine  Perle 
hat  und  durch  die  Uebereinanderlagerung  der  einzelnen  Blätter 
nicht  selten  ein  wirklich  ))erlartiges  Aussehen  entsteht,  nament- 
lich jener  matte,  silberähnliche  Glanz,  der  wahre  Perlen  auszeich- 
net Es  ist  dieselbe  Bildung,  die  wir  später  kennen  lernen  wer- 
den bei  der  so  viel  besprochenen  Perlgeschwulst,  und  der  Bau 
der  einzelnen  Körner  stimmt  in  der  concentrischen  Anordnung 
der  Blätter  wirklich  mit  dem  der  Perlen  überein*). 

Ausser  den  Epidermoidalmassen  findet  sich  häutig  eine  mehr 
oder  weniger  grosse  Quantität  von  Fett,  was  davon  abhängt,  ob 
kleinere  oder  grössere  Talgdrüsen  mit  betheiligt  sind.  Es  kann 
sehr  wohl  vorkommen,  dass  der  obere  Theil  des  Follikels,  in 
den  die  Talgdrüsen  einmünden,  freibleibt  und  die  Retention  in 
einer  tieferen  Abtheilung  sieh  macht.  Handelt  es  sich  aber  um 
Körperstellen,  wo  die  Haare  sehr  klein,  die  Talgdrüsen  dagegen 
verhältnissmässig  sehr  gross  sind,  wie  um  die  Nasenflügel,  die 
äusseren  Genitalien,  so  kann  das  Fett  überwiegen.  Wie  schon 
erwähnt,  findet  es  sich  entweder  noch  innerhalb  der  Zellen,  in 
welchen  es  gebildet  ward,  oder  es  sind  blosse  membranlose  Körn- 
ehenkugeln,  ähnlich  den  Colostrumkörperehen,  oder  sie  sind  schon 
zerflossen  und  das  Fett  in  Tropfen  und  Tröpfchen  zertheilt.  Nicht 
selten  kommen  Abscheidungen  von  Cholestearintafeln  vor,  manch- 
mal so  reichlich,  dass  sie  schon  für  das  blosse  Auge  einen  ge- 
wisssen  glimmerartigen  Glanz  bedingen.    Manchmal  aber  sind  die 


•)  Th.  V.  Hcssling.  Die  Perlenmuscheln  und  ihre  Perlen.  Leipzis.  1859. 
S.  293. 


220  E^ilfte  Vorlesung. 

Tafeln  so  fein,  dass  sie  einen  solchen  Lichteffect  nicht  machen 
und  selbst  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  zu  Verwechse- 
hingen  Hihren  können  und  geführt  haben. 

Während  nehmlich  das  Gholestearin  meistens  grosse,  rhom- 
l)ische  Tafeln  bildet,  deren  Breite  nur  um  ein  Geringes  kleiner 
ist,  als  die  Länge,  so  kommt  es  namentlich  in  Milien  nicht  selten 
vor,  dass  die  Tafeln  nadeiförmig  und  schmal,  ja  manchmal  so 
fein  sind,  dass  man  kaum  noch  ihre  Krystallform  bemerkt  und 
dass  sie,  wenn  sie  zu  vielen  hinter  einander  liegen,  eine  nicht 
geringe  Aehnlichkeit  mit  manchen  Fadenpilzen  haben,  womit  sie  in 
der  That  verwechselt  worden  sind.*)  Davon  sind  sie  aber  leicht 
chemisch  zu  unterscheiden,  denn  abgesehen  davon,  dass  sie  in 
Alkohol  und  Aether  löslich  sind,  zeigen  sie  ganz  characteristiscbe 
Farbenveränderungen  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäure.  **) 

Die  fettigen  Substanzen  werden  also  in  sehr  verschiedenem 
Maasse  angehäuft,  und  es  kann  sein,  wenn  sehr  yiel  flüssiges 
Fett  da  ist,  dass  die  Geschwulst  eine  honigartige  Gonsistenz  be- 
kommt und  sich  eine  Meliceris  bildet.  Jedoch  kommt  dies 
selbst  an  solchen  Stellen,  wo  die  Haare  gegen  die  Talgdrüsen 
ganz  in  den  Hintergrund  treten,  wie  an  der  Nase,  doch  nur  in 
geringerem  Grade  vor.  Bei  einer  massigen  Grösse  der  Anhäufung 
gewinnt  die  Epidermis  regelmässig  die  Oberhand,  und  obgleich 
derselben  so  viel  Gholestearin  beigemischt  sein  kann,  dass  manche 
Beobachter  die  Form  als  Gholesteatom  bezeichnet  haben,  so 
int  doch  selbst  in  diesen  Fällen  das  Gholestearin  der  Masse  nach 
nicht  der  überwiegende  Bestandtheil.  Ich  kann  es  daher  schon 
HUH  diesem  Grunde  nicht  billigen,  diese  Bezeichnung  hier  in  An- 
wiffidung  zu  bringen.***) 

I)ie  vermehrte  Epidermisbildung  ist  an  sich  immer  ein  Rei- 
znrigHphfinomen.  Zuweilen  geschieht  sie  unter  den  Erscheinungen 
t^nt*r  diffusen  P^ntzündung  in  einer  grösseren  Ausdehnung.  Einen 
iH^rn^frkffnMwerthen  Fall  der  Art,  wo  nach  Erysipel  am  behaarten 
tiff\ff,  am  (iesicht  und  Hals  eine  Unzahl  kleiner  Geschwülste  etit- 
tilüfulj  berichtet  Po r tat)  ^^  seiner  ausgezeichneten  Monograpl>ie. 
A^H*r  nuvM  dann,  wenn  die  Retentionen  ohne  bemerkbare  Entzün- 

')  MmIii  Arrhiv.  1857.  Bd.  XII.  S.  101.  Taf.  IV.  Fig.  B.  d. 

,  Ci'lliilfirpnthologie.  3.  Aufl.  S.  331. 

,  Mirin  Arrhiv.  Bd.  VIII.  S.  392. 
f/  Liiif(i  Porta.  Dei  tumori  folliculari  sebacei.  MiUoo.  1856.  p.  S2. 


Acne  uod  Mollascnm.  221 

dang  zu  Stande  gekommen  sind,  machen  sich  häufig  im  Umfange 
des  Haarbalges  irritative  Vorgänge,  bald  in  Form  wirklicher  Ent- 
zündung, bald  in  einer  mehr  schleichenden  Weise,  als  einfache 
Wucherungen  bemerkbar.  Sind  die  entzündlichen  Erscheinungen 
prävalirend,  so  entstehen  die  verschiedenen  Formen,  welche  man 
seit  Will  an  in  der  Dermatologie  gewöhnlich  unter  dem  Namen 
der  Acne*)  zusammengefasst  hat.  Je  nachdem  die  verstopften 
und  gefüllten  Haarbälge  der  einen  oder  der  anderen  Reihe  ange- 
hören, kann  sich  auch  die  Acne  sehr  verschieden  darstellen. 
Erscheinen  die  Verstopfungen  an  der  Oberfläche  in  der  Form 
von  Ciomedonen,  so  giebt  das  die  Acne  punctata;  liegen  sie  tiefer 
und  ist  zugleich  das  Nachbargewebe  geschwollen,  die  Gefässe  er- 
weitert und  varicös,  erheben  sich  zeitweise  Pusteln  an  der  Ober- 
fläche, so  hat  man  die  Acne  rosacea  (Gutta  rosacea,  Couperose), 
wie  sie  sich  so  oft  an  der  „Kupfernase^  zeigt;  verdickt  sich  die 
benachbarte  Haut,  so  entsteht  die  Acne  indurata.  Dabei  wird 
zugleich  vorausgesetzt,  dass  die  Affection  sich  über  eine  grössere 
Fläche  verbreitet  und  eine  grössere  Zahl  von  Follikeln  betrifft. 

Andere  Male  sind  die  Anschwellungen  sehr  langsamer  Art; 
man  bemerkt  an  ihnen  keinen  entzündlichen  Charakter,  aber  es 
bildet  sich  allmählich  um  den  epidermoidalen  Tumor  eine  aus 
dem  umgebenden  Bindegewebe  hervorgehende  hyperplastische  An- 
schwellung. Diese  wird  sich  verschieden  darstellen,  je  nachdem 
die  Comedo*  oder  die  Miliumform  existirte.  Bei  der  Come- 
doform  finden  wir  eine  über  die  Oberfläche  sich  erhebende 
Anschwellung,  welche  in  oder  neben  der  Mitte  eine  mehr  oder 
weniger  weite  Oeifnung  hat,  durch  welche  man  in  den  Sack  ge- 
langt; die  Anschwellung  ihrerseits  aber  stellt  zum  grossen  Theil 
eine  Neubildung  von  hinzugewacbsener  Bindesubstanz  dar.  Haben 
wir  die  Miliumform,  so  werden  wir  in  der  Tiefe  eine  feste  Epi- 
dermiskugel  oder  eine  mehr  melicerisartige  Masse  abgeschlossen 
linden.  Beide  Arten  von  Anschwellungen  können  ganz  blass  aus- 
sehen; nicht  selten  sind  sie  aber  an  der  Oberfläche  der  Sitz  von 
gelblichen  oder  bräunlichen  Pigmentirungen.  Seit  Bäte  man  hat 
man  sie  zusammengefasst  unter  dem  Namen  der  Mollusken. 
Dieser  Name  ist  früherhinkeinesweges  sehr  scharf  definirt  worden**). 


*)  Bei  deo  Alten  lonthos  oder  Varus. 

**)  Debrigens  sagt  schon  Plenck   Doctr.  de  roorbis  cutaneis.  Viennae. 
1776.  p.  87.     Verruca  carnea  seil  mollusca  est  tuberculum  molle,  senaile, 


222  Eilfte  Vorlesung. 

aber  mao  hat  sich  seit  einer  sehr  berühmt  gewordenen,  aber  mei- 
ner Meinung  nach  falsch  gedeuteten  Beob<iehtung  von  Tiiesius 
mehr  und  mehr  daran  gewöhnt,  ihn  auf  diese  Form  zu  be- 
schränken. 

Mollusken  dieser  Art  erscheinen  auf  den  ersten  Blick  wie 
gewöhnliche  weiche  Warzen  (Verrucae  moUes),  und  eine  Menge 
von  kleinen  Geschwülsten,  die  man  mit  dem  Namen  Warzen  kurz- 
weg bezeichnet,  sind  eben  solche  Mollusken.  Es  sind  kleine  Tu- 
moren, oft  nur  von  Stecknadelkopfgrösse,  die  jedoch  zu  umfang- 
reichen Gebilden  anwachsen  und  die  Grösse  einer  Wallnuss  uud 
darüber  erreichen  können.  Viele  historische  Warzen  in  den  Ge- 
sichtern älterer  Männer  gehören  in  diese  Kategorie.  Unter  ihnen 
hat  man  vielfach  eine  weitere  Unterscheidung  gemacht,  indem 
man  sie  in  zwei  Unter- Abtheilungen  zerlegte:  in  die  contagiö- 
sen  und  nicht  contagiösen.  Bateman  war  der  erste,  uud 
ihm  folgten  verschiedene  andere  englische  Beobachter,  welche  auf 
die  Thatsache  aufmerksam  wurden,  dass  nicht  allein  bei  demsel- 
ben Individuum  nicht  selten  eine  grosse  Zahl  solcher  Mollusken 
sich  bildet,  sondern  dass  sie  auch  in  gewissen  Familien  sieh 
häutig  tinden,  dass  insbesondere  bei  Kindern  dergleichen  Mollus- 
ken sich  entwickeln,  nachdem  sie  vorher  bei  Dienstboten  bestan- 
den. Daraus  hat  man  geschlossen,  dass  aus  dem  Inhalte  der 
Säcke  etwas  nach  aussen  sich  entleere  und  Träger  eines  An- 
steckungsstofTes  würde.  In  der  That  könnte  man  sich  eine  solche 
Contagiosität  leicht  denken,  wenn  es  wahr  wäre,  dass  Thiere, 
wie  der  Acarus  foUiculorum,  oder  Pilze,  wie  man  sie  im  Grutum 
zu  finden  glaubte,  darin  enthalten  wären,  allein  bis  jetzt  ist  es 
nicht  gelungen,  etwas  der  Art  zu  entdecken. 

Andererseits  kann  man  nicht  zugestehen,  dass  die  Deutung 
jener  Beobachtungen  eine  unzweifelhafte  ist.  Schon  Wilson*) 
hat  mit  Recht  darauf  hingewiet  en,  dass  es  sich  nur  um  das  zahl- 
reiche und  gleichzeitige  Auftreten  einer  nicht  ungewöhnlichen 
AiFection  bei  denselben  oder  bei  verschiedenen  Individuen  handelt, 
und  dass  möglicherweise  nur  Coincidenz,  nicht  ein  ursächlicher 
Zusammenhang  vorliegt.     Die  Frage  ist  experimentell  nicht  ent- 


cuti  concolor  vel  rubens,  saepe  pilosum.     In  naso  et  facie  ut  plurirnum  io* 
venitur.    Videtur  admodum  magna  j^landula  cutanea  quasi  esse. 

^)  ErasmuB  Wilson.  Die  Krankheiten  der  Haut    Aus  dem  Engl  too 
Schröder.  IböO.  S.  600. 


Mollascam  contagiosum  und  Akrochordon.  223 

schieden.  Durch  Inocalation,  wie  sie  Henderson  und  Paterson 
vorgenommen  haben,  ist  es  nicht  gelungen,  ähnliche  Neubildungen 
hervorzurufen,  wie  das  auch  vorauszusehen  war,  da  es  sich  um 
die  Haarbälge  handelt  und  man  den  Stofl*  nicht  direct  in  dieselben 
gebracht  hat.  Ein  genetischer  Unterschied  zwischen  Mollus- 
cum contagiosum  und  non  contagiosum  ist  jedenfalls  nicht  be- 
kannt ;  man  könnte  höchstens  die  mit  geschlossenen  Ausfuhrungs- 
gängen fär  nicht  contagiös,  und  die  mit  offenen  Ausführungsgän- 
gen für  contagiös  erklären. 

Ich  halte  es  übrigens  nicht  für  unwahrscheinlich,  dass,  wenn 
aus  einem  Molluscum  Secrete  in  einen  normalen  Haarbalg  hinein- 
gerathen,  ein  ähnlicher  Process  in  demselben  entstehen  und  die 
Bildung  ähnlicher  Gebilde  begünstigt  werden  könnte.  Ein  alter 
Ausdruck  sagt,  dass  solche  Personen  süchtig  seien  und  das  Volk 
meint,  dass  durch  Berührung  Follicular  -  Entzündungen  über- 
tragen werden  können.  Aber,  wenn  dieses  der  Fall  ist,  so  würde 
es  sich  doch  keineswegs  um  eine  specifische  Ansteckung  handeln ; 
man  könnte  nur  annehmen,  dass,  wenn  reizende  Stoffe  in  einen 
Haarbalg  gelangen,  sie  einen  Reiz  setzen  und  durch  diesen  ähn- 
liche Bildungen  hervorgerufen  werden.  Wenn  eine  Magd  in  sehr 
särtliche  Berührung  mit  einem  Kinde  kommt,  welches  sie  pflegt, 
so  liesse  sich  wohl  denken,  dass  der  Schmeer,  der  auf  ihrem 
Gesiebte  abgesondert  wird,  in  die  Orificien  der  Haarbälge  des 
Kindes  geriethe  und  hier  einen  ähnlichen  Reizungszustand  setzte, 
wie  er  an  ihren  eigenen  Drüsen  und  Follikeln  bestand.    — 

Ein  anderer  Fall  der  Comedo-Umwandlung  ist  der,  dass  die 
geschwollenen  Follikel,  namentlich  da,  wo  die  Haut  dünn  ist  und 
wo  die  Follikel  keine  grosse  Tiefe  haben,  sich  über  die  Ober- 
fläche bervorschieben  und  eine  steilere  Prominenz  bilden.  Das 
giebt  eine  Art  von  polypöser  Bildung,  und  je  nachdem  die  Mün- 
dung offen  oder  geschlossen  ist,  einen  Comedo  oder  ein  Milium 
pendulum  s.  polyposum.  Werden  diese  Dinge  sehr  lang,  so  kön- 
nen sie  weit  über  die  Oberfläche  hervorhängen,  und  wenn  nament- 
lich irgend  ein  mechanischer  Grund  vorhanden  ist,  der  das  begün- 
stigt, so  können  sie  allmählich  sich  in  Form  von  sehr  langen, 
schon  von  Galen  unter  dem  Namen  des  Akrochordon  bezeich- 
neten Gebilden  erheben.  Diese  Form  kommt  am  häufigsten  am 
Halse  und  am  Umfange  der  Augenlider,  bis  an  die  Schläfengegend 
heran,  vor.     Namentlich  bei  Frauen  habe  ich  mehrmals  bemerkt, 


224  Eüfte  Vorlesung. 

dass  die  kleinen  Kinder,  die  sie  auf  dem  Arm  oder  Schoose  ha- 
ben, daran  ziehen  und  so  der  Hautpolyp  allmählich  länger  und 
länger  wird.  In  dem  Akrochordon  kann  späterhin  an  der  Spitze 
eine  Entleerung  des  Inhaltes  eintreten  und  der  leere  Sack  zu- 
sammenfallen, so  dass  man  scheinbar  einen  einfachen  Hautpolypen 
vor  sich  hat. 

Wie  bei  den  Akrochorden  ein  einzelner  erweiterter  Follikel 
mit  dem  ihn  umgebenden  wuchernden  Bindegewebe  sich  über  die 
Oberfläche  erhebt,  so  geschieht  dies  zuweilen  mit  ganzen  Gruppeu 
von  Follikeln.  Die  Anschwellung  kann  auch  hier  mehr  polypös 
sein ;  meist  jedoch  ist  sie  flacher,  platter  und  zugleich  mehr  höcke- 
rig, wie  man  gewöhnlich  sagt,  warzig.  Dahin  gehört  namentlich 
eine  gewisse  Art  angeborner  Hautanschwellungen,  Naevus  fol- 
licularis. Jedoch  kommen  ganz  ähnliche  Formen  auch  als  er- 
worbene vor,  und  namentlich  Porta*)  hat  die  lehrreichsten  Fälle 
davon  mitgetheilt.  — 

Von  diesen  Formen,  die  alle  niedrigere  Entwickelnngs- 
Zustände  ausdrücken,  giebt  es  endlich  den  Uebergang  zu  den 
eigentlichen  Atheromen,  die  sich  von  ihnen  hauptsächlich 
unterscheiden  durch  die  Grösse,  welche  die  in  ihnen  angehäufte 
Epidermismasse  erreicht.  Denn  das  ist  das  einzige  Kriterium, 
wonach  man  den  Namen  auswählt.  Erreicht  ein  Milium  oder  ein 
Comedo  die  Grösse  einer  Erbse,  so  beginnt  man  schon  von  einem 
Atherom  zu  sprechen,  und  wenn  die  Geschwulst  die  Grösse  einer 
Kirsche  oder  einer  Wallnuss  oder  gar  einer  Faust  erreicht,  so 
trägt  Niemand  Bedenken,  die  klassische  Bezeichnung  Atherom  in 
Anwendung  zu  bringen. 

Auch  in  diesen  grossen  Formen  kann  die  Mündung  des  Fol- 
likels noch  offen  sein,  und  wenn  man  die  trefflichen  Arbeiten  von 
Astley  Cooper**)  und  Luigi  Porta  und  die  Abbildungen 
dazu  ansieht,  so  kann  man  sich  leicht  überzeugen,  dass  die  An- 
sicht von  dem  Entstehen  dieser  Geschwülste  aus  Haarfollikeln  gant 
unzweifelhaft  ist.  Die  einzige  Schwierigkeit  könnte  entstehen, 
wenn  der  Zusammenhang  des  Tumors  mit  der  Oberfläche  nicht 
mehr  recht  nachzuweisen  ist.     Hier  muss  man  sich  zunächst  er- 


•)  Porta.    1.  c.  p.  37,  42,  49.  Tab.  I.  Fig.  15.  Tab.  II.  Fig.  1.  Tab.  Ifl. 
Figur  1. 

^^)  AHtley  Cooper  and  Benjamin  Travers.  Surgtcal  Essays.  Lond. 
18SI0.  T.  II.  p.  229.  Plal.  & 


Neoplastbche  und  follicalare  Atherome.  225 

innern,  dass  in  der  That  nicht  alle  Dinge,  die  man  Atherome 
nennt,  in  dieselbe  Kategorie  gehören,  dass  es  insbesondere  auch 
dermoide  cystische  Neubildungen  giebt.  Ich  werde  die- 
selben in  dem  Kapitel  von  den  Kystomen  genauer  behandeln,  und 
bemerke  daher  für  jetzt  nur,  dass  die  meisten  Beobachter  der 
neueren  Zeit  diese  zwei  Formen  anerkannt  haben,  und  der  Haupt- 
streit über  die  Gebietsgrenzen  zwischen  den  beiden  gefuhrt  wor- 
den ist  Während  nehmlich  einzelne  nur  für  die  Atherome  der 
mneren  Organe  die  neoplastische  Natur  zugestanden,  nahmen 
andere  auch  mehr  oder  weniger  viel  von  den  Atheromen  der 
äusseren  Oberfläche  des  Körpers  für  dieses  Gebiet  in  Anspruch. 

Gewöhnlich  wird  A.  Co o per  als  der  erste  Entdecker  des 
follicularen    Ursprungs   der   cutanen    Balggeschwülste    angeführt. 
Allein  ziemlich  gleichzeitig  mit  ihm  stellte  B^clard*)  dieselbe 
Lehre  auf,  und  noch  früher  hatte  Cruveilhier  **)  die  ersten 
Grundlagen  derselben  ausgesprochen.     Indess   sind  diese  Priori- 
täts-Ansprüche sämmüich  ohne  Bedeutung,  da,  wie  schon  erwähnt 
(S.  213),   Boerhaave  ganz  klar  in  der  Sache  war,  und  sein 
grosser  Schüler  van  Swieten***)  die  Formel  durchaus  so  auf- 
stellte, wie  sie  noch  gegenwärtig  lauten  muss,  und  wie  eine  grosse 
Zahl  neuerer  Beobachter  f)  sie  gleichfalls  aufstellten.    Gegen  die 
folliculare  Entstehung  der  Balggeschwülste,  obwohl  er  sie  in  einem 
gewissen  Maasse  anerkannte,  erhob  sich  zuerst  Philipp  v.  Wal- 
ther tt)i  indem  er  darthat,  dass  häufig  Atherome  in  der  Tiefe  der 
Organe  vorkämen  und  einen  ganz  verschiedenen  Inhalt  führten. 


*)  Vgl.  seine  Note  za  Bichat  Anat.  gener.  ed.  de  Blandiu.  Paris.  1830. 
T.  IV.  p  434. 

**)  GruYeilhier.  Essai  snr  Tanat.  pathol.  en  genöral.  Paris.  1816.  T.  I. 
p.  327. 

***)  Tan  Swieten.  Gommentarii  in  Boerhaave  Aphor.  Lngd.  Bat  1745. 
T.  I.  p.  111'.  In  cnte  externa  folliculi,  emissario  obstructo,  tumeutes,  nova 
^ge8ta  materia,  nee  evacuata,  toties  in  hos  tumores  (meliceris,  steatoma, 
itheroma)  degenerant.  In  internis  et  nasci  posse  similia,  docuerunt  obser- 
^ationes  medicae. 

t)  Ribbentrop.  Rust's  Magazin  1845.  Bd.  64.  S.  3.  Lebert.  Physio- 
logie pathologique.  Paris.  1845.  T  II.  p.  49.  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete 
der  praktischen  Chirurgie  u.  pathol.  Physiol  Berlin.  1848.  S.  91.  Gust. 
Simon.  Die  Hautkrankheiten.  Berlin.  1851.  S.  268,  351.  v.  Bärensprung. 
Beiträge  xur  Anat.  u.  Path.  der  menschl.  Haut.  Leipzig.  1848.  S.  85. 

tt)  Jonrnal  f&r  Chirurgie  u.  Augenheilkunde  von  Gräfe  u.  v.  Walther. 
1822.  Bd.  IV.  S.  379. 

Virchow,  Geichwülate.    1.  15 


226  Eilfte  Vorlesung. 

Ihm  schlöss  sich  eine  Reihe  der  besten  Beobachter  *)  an,  so  dass 
für  den  unbetheiligten  Zuschauer  leicht  der  Eindruck  entstehen 
konnte,  als  ständen  sich  hier  zwei  diametral  entgegengesetzte  An- 
sichten gegenüber.  Und  doch  besteht  keine  andere  Verschieden- 
heit zwischen  den  Beobachtern,  als  die  über  die  Frequenz  der 
einen  oder  der  anderen  Form,  und  zwar  auch  nur,  insofern  es 
sich  um  die  äussere  Haut  handelt.  Denn  alle  der  Tiefe  der  Or- 
gane angehörigen  Atherome  sind  unzweifelhaft  heterologe  Neubil- 
dungen ;  nur  an  der  Mundschleimhaut,  zumal  am  harten  Gaumen, 
habe  ich  die  folliculare  Miliumform  noch  beobachtet  **).  Die  athe- 
romatösen  Kystome  der  Haut  aber  mus&  man  durch  Specialanalyse 
kennen  lernen  und  aus  der  vorliegenden  Betrachtung  ausscheiden. 

Aber  freilich  geht  in  manchen  Fällen  auch  von  wahrem  Athe- 
rom die  Haut  ganz  glatt  über  die  Oberfläche  der  Geschwulst  hin- 
weg, und  es  entsteht  daher  leicht  der  Eindruck,  als  habe  man  es 
mit  einem  neoplastischen  Sack  zu  thun.  Wenn  man  jedoch  fein 
präparirt^  so  findet  man,  dass  der  Tumor  durch  einen  feinen  Stiel 
mit  der  Haut  in  Verbindung  steht,  und  zwar  manchmal  gerade 
an  einer,  schon  äusserlich  etwas  eingezogenen  oder  anders  ge- 
färbten Stelle.  Dieser  Stiel  ist  meistens  nicht  hohl,  sondern  ge- 
schlossen. Das  Verhältniss  ist  demnach  wie  bei  jenen  Milien, 
wo  wir  die  Mündung  auch  nicht  mehr  wahrnehmen.  Aber  man 
kann  sich  in  einer  Reihe  von  Fällen  überzeugen,  wie  die  Oblite- 
ration  zu  Stande  kommt,  und  diese  aus  der  genetischen  Erkennt- 
niss  der  Bildung  hergenommene  Ueberzeugung  hilft  über  viele 
Scrupel  bei  anderen  Fällen  hinweg.  Wenn  man  die  Ränder  alter 
Geschwüre  an  den  Unterschenkeln  betrachtet,  so  findet  man  zu- 
weilen eine  grosse  Reihe  von  perlartig  glänzenden  Milien,  welche 
zum  Theil  noch  in  den  deutlich  erkennbaren  Haarfollikeln  stecken. 
Sie  entstehen,  indem  durch  die  Verziehung  der  Narbe  und  durch 
das  Hineingreifen  der  Narbenbildung  in  das  umgebende  Gewebe 
eine  Verengerung  oder  gar  ein  Verschluss  der  Mündungen  der 
in  diesem  enthaltenen  Haarbälge  zu  Stande  kommt 

An  jedem  grösseren  Atherom  findet  man  zuerst  eine  Binde- 


*)  Zeis.  Beobaohtungon  ii.  Erfahrongen  ans  dem  Stadtknokeiihaase  lO 
l)rosdon.    Heft  II.    Dresden.    1853.   S.  1.      Paget.    Lect.   on  sorgicml  patb. 
Vol.  11.  p.  8H.    Wernher.  In  meinem  Archiv.  1856.  Bd.  VIII.  S.  221.  Hart- 
man n.  KbiMiila.s.   1^.*»7.  Bil.  \11.  S.  430. 
♦•)  Mein  Anhiv.  1855.  Bd.  Vlll.  S.  384. 


StructuT  der  Atherome.  227 

gewebsmembran  (Pericy  stium),  welche  aussen  herumgeht  und 
eine  geringe  Zahl  von  Geissen  trägt;  sie  ist  auseerordent- 
lich  fein  und  zart  *) ,  und  keineswegs  zu  verwecliseln  mit  dem, 
was  die  älteren  Schriftsteller  gewöhnlich  die  Membran  genannt 
haben.  Denn  das  ist  vielmehr  die  äusserste  Schiclit  von  com- 
pacter Epidermis,  welche  freilieb  wie  eine  dicke  Kapsel  erscheinen 
kann  gegenüber  dem  Centrum,  welches  in 
der  Regel  zusammengesetzt  ist  aus  brüchi-  ">-  ^*' 

gen,  mürben  Massen  von  lockerer  und  er-  \\\i      \  ,^  , 

weichter  Epidermis,  untermischt  mit  Fett.         ''j/m    jMj^' 
Namentlich  findet  sich  fast  jedesmal    viel  -  ^^— ■ 

krystallinisches  Cbolestearin ,  selbst  dann, 
wenn  flfiaeiges  Fett  fast  ganz  fehlt,  und  ge- 
wöhnlich in  80  grossen  Tafeln,  dass  es  dem 
Brei  ein  glitzerndes  Aussehen  giebt.  Ist 
fiel  flässiges  Fett  vorbanden,  dann  ist  die 
äussere ,  festere  Epidermistage  sehr  dünn ,  das  Centrum  sehr 
weich,  und  in  der  bonigartigen  Masse  desselben  bemerkt  man 
weissliche  Blätter,  welche  Aehnlichkeit  mit  den  Blättern  des  so- 
genannten Cholesteatoms  haben,  womit  sie  aber  nicht  verwech- 
Belt  werden  dürfen.  —  Anderemal  bat  die  Masse  ganz  das  Aus- 
sehen von  festem,  stearinartigeni  Fett,  so  dass  nai;h  der  alten 
Terminologie  der  Name  Steatom  zutreffen  würde,  jedoch  findet 
man  in  solchen  Fällen  bei  genauerer  Untersuchung  viel  weniger 
Fett,  aJe  man  erwartet  hatte.  Dagegen  wird  man  oft  über- 
rascht durch  eine  gewisse  Zahl  feiner  Lanugo-llärchen,  welche 
durch  die  breiige  Inbaltsmasse  zerstreut  sind.  Ihr  Vorkom- 
men erklärt  sich  aus  der  natürlichen  Einrichtung  gewisser  Fol- 
likel, welche  mehrere  Haarwurzeln  enthalten.  —  Endlich,  wenn 
die  Epidermisbildung  ganz  rein  ist,  so  kann  auch  bei  grossen 
Gefichwalsten  ein  regelmässig  zwiebelfOrmiger  Bau  vorkommen, 
indem  sie  aus  concentrisch  übereinander  gelagerten,  sehr  dich- 
ten   Schichten    ganz    dünner    Epidermisblätter    zusammengesetzt 


Pig.  33.  Einfaches  Atherooi  vom  behaarten  Kopftheil.  Die  Cyste  liegt 
im  Cnt«rhautfett,  die  Cutis  geht  Ober  sie  hinweg.  Mnii  unterscheidet  ao 
ihr  das  breiige  Centrum ,  die  dicke  Epidermoidalachale  und  die  sehr  feine 
Follikelhaot  (Pericyslinm).    Natürliche  GrJigae.    Durchschnitt. 

*)  Crnveilbier.  Traite  d'auat.  patb.  gener.  T.  11!.  p.  MÜ. 
16* 


228  Silfte  VorlesuDg. 

sind.  Alle  diese  Formen  *)  begreifen  sich  sehr  leicht,  wenn  man 
die  verschiedenen  Möglichkeiten,  die  aus  der  verschiedenen  Ein- 
richtung der  Haarfollikel  und  Talgdrüsen  hervorgehen,  in  Er- 
wägung zieht;  ihre  innere  Zusammensetzung  gestattet  wiederum 
rückwärts  eine  Anschauung  darüber,  von  welcher  Abtheilung  des 
Sackes  aus  die  Bildung  geschehen,  insbesondere  ob  dabei  mehr 
die  Wand  des  Haarfollikels  oder  mehr  die  Talgdrüsen  bethei- 
ligt sind. 

Der  Grund  des  Wachsthums  einer  solchen  Geschvnilst  ist 
natürlich  vor  Allem  die  fortgehende  Absonderung  neuer  Epidermis 
an  der  Oberfläche  des  Sackes.  Denn  die  äussersten  Schichten 
des  Inhaltes  sind  immer  die  jüngsten,  die  innersten  die  ältesten. 
Der  zweite  Grund  des  Wachsthums  ist  je  nach  Umständen  die 
Hinzuf&gung  von  neuem  Talg.  Aber  bei  einer  gewissen  Grösse 
des  Sackes  wird  die  Talgabsonderung  sistirt,  theils  durch  den 
Druck,  den  die  Geschwulst  auf  die  dicht  neben  dem  Haarbalg 
gelegenen  Talgdrüsen  ausüben  muss,  theils  dadurch,  dass  die  Talg- 
drüsen mehr  und  mehr  in  den  sich  ausdehnenden  Sack  mit  auf- 
gehen. Daher  nehmen,  je  grösser  die  Geschwülste  werden,  die 
Absonderungen  von  Talg  ab,  und  wenn  man  grössere  Säcke 
findet,  welche  überwiegend  mit  Talg  oder  mit  honigartigem  Schmeer 
gefüllt  sind,  so  kann  man  in  der  Regel  annehmen,  dass  es  nea- 
gebildete  Dermoide  sind. 

Am  häufigsten  ist  das  Atherom  solitär.  Namentlich  die  grösse- 
ren W^änen  am  behaarten  Kopftheil,  welche  sich  allmählich  als 
grosse  Geschwülste  (Talpae),  und  dann  gewöhnlich  mit  nackter,  oft 
glänzender  Oberfläche,  über  die  Haut  erheben,  pflegen  ganz  verein- 
zelt zu  sein.  Manchmal  aber  konunen  sie  in  grosser  Zahl  am  Körper 
vor,  und  einzelne  Regionen,  wie  das  Scrotum,  sind  zuweilen  ganz 
übersäet  damit.  In  solchen  Fällen  hat  man  aus  der  Multiplicität 
wiederum  auf  die  Gonstitutionalität  dieser  Balggeschwülste  ge- 
schlossen. Man  kann  dies  in  einer  gewissen  Weise  zugestehen. 
Eine  gewisse  Veränderung  der  Absonderung  muss  hier  in  grösse- 


*)  Galen  US.  Method.  medendi  üb.  14.  cap.  12:  freNquentissima  kojiis 
morbi  sunt  tria  genera,  quorum  singula  propriam  appellationem  graece  sont 
fiortita:  ea  sunt  Atheroma,  Stentoma  et  Meliceris,  a  similitudlne  eontentinia 
in  tumoribus  substantiarum  dicta.  Est  enim  aliod  eomm  Telati  mthid, 
aliud  vcluti  mel,  aliud  pulticulae  quam  atheram  vocaot,  simile.  (cf.  Galea. 
l)e  tumoribus  praeter  naturam  cap.  5.). 


Atherome.  229 

rer  AuBdebnuog  bestehen,  indem  entweder  reichlichere  Mengen 
TOQ  Epideimis  an  der  Wand  der  Haarb&lge  erzeugt,  oder  gerin- 
gere Mengea  von  Schmeer  abgesondert,  und  daher  die  natQrliche 
Beweglichkeit  der  EpidennisEellen  gegeneinander  vermindert  wird, 
oder  endlich  der  Schmeer  in  einer  zu  zähen,  man  mOchte  sagen, 
zu  harten  Form  auftritt.  Das  kann  man  anerkennen.  Aber  wenn 
man  aus  der  Constitutionalität  sofort  auf  eine  Dyskraeie  schliesRen 
will,  so  ist  dies  jedenfalls  sehr  willkürlich  und  gewiss  meist  falsch. 
Die  CoDstitutionalitit  ist  hier  eine  durchaus  Ortliche  Eigenschaft 
der  Haut  oder  vielleicht  nur  der  Haarbälge. 

Besteht  eine  Hultiplicitfit,  so  können  die  Atherome  so  dicht 
hegen,  dass  sie  sich  berühren,  Ja  doss  sie  wie  zu  einer  einzigen 
Geschwolst  zusammentreten.  Die  gros- 
sere nnd  ältere  comprimirt  dann  die  ^«-  ^■ 
kleineren  und  jüngeren,  sie  nimmt  sie 
gleichsam  in  ihre  Wand  auf,  und  es 
kann  leicht  so  scheinen,  als  seien  sie 
iu  dieser  Wand  neu  entstanden.  Mei- 
ner Meinung  nach  sind  diese  zusam- 
mengesetzten   Formen    mehrfach  mit 
atheromatfisen    Dermoiden    verwech- 
selt worden,  von  denen  sie  sich  genetisch  ganz  und  gar  unter- 
scheiden. 

Wa«  dMi  Verlauf  des  Atheroms  betrifft,  so  macht  es  manch- 
mal einen  Stillstand  in  seiner  Entwickelung,  und  wird  dann,  zumal 
wenn  es  klein  ist,  ohne  weitere  BelSstigungen  ertragen.  Gew(}bn- 
lich  finden  dann  später  Verkalkungen  der  Epidermiszellen  statt, 
bald  mehr  äusserlicb,  so  d^s  sich  eine  Art  von  Schale  bildet, 
bald  innerlich,  indem  entweder  nur  an  einzelnen  Stellen  Kalk- 
kOmer  entstehen  nnd  der  Inhalt  eine  mörtelartige  Beschi^enheit 
umimmt,  oder  der  ganze  Inhalt  in  eine  kreidige  Masse  verwan- 
delt wird.  So  ist  in  einem  Präparate  unserer  Sammlung  das 
Scrotnm  mit  haufkom-  bis  erbsengrossen,  kreidigen  Atheromen 


Fig.  31.  Zusunmea gesetztes  Atberom  von  WallnussgrOtise,  unter  der 
Kopfh&at  gelegeo.  Es  besieht  fast  ganz  aus  dichter,  nur  in  gewissen  Ricb- 
tBDge'n  brttckUg  gewordener  nnd  icrklQfteter  Epidermismasse.  Neben  der 
grossen  Geschwolat  sieht  man  auf  dem  Durchschnitt,  und  zwar  zwischen  ihr 
und  der  Haut,  eine  kleinere,  flach-linsenfCrmige  mit  ganz  dichtem,  und  zam 
Theil  verkreidetem  Inhalt,  Dor  durch  einen  dOnnen  Bnlkenzug  getrennt.  (Frä- 
fvtX  No.  212.  Tom  Jahre  1656.). 


230  ^Ifte  Yorlesiiog. 

übersäet*).  —  Werden  die  Geschwülste  dagegen  immer  grösser,  so 
können  sie  durch  ihre  Prominenz  an  der  Oberfl&che  und  durch 
den  Druck  nach  innen  der  Ausgangspunkt  für  weitere  Störungen 
werden.  An  ihrer  Oberfläche,  wo  sie  vielfachen  Reibungen,  mecha- 
nischen Stössen  und  anderen  Gewalten  ausgesetzt  sind,  entstehen 
sehr  häufig  entzündliche  Processe,  welche  möglicherweise  den  Auf- 
bruch des  Gebildes  im  Gefolge  haben  oder  endlich  das  Indivi- 
duum zwingen,  eine  Operation  vornehmen  zu  lassen. 

Man  weiss  seit  langer  Zeit,  dass  der  blosse  Aufbruch  und 
ebenso  das  blosse  Aufschneiden  und  Entleeren  des  Inhaltes  keine 
vollständige  Heilung  zu  bringen  pflegt,  indem  die  Epidermis  ab- 
sondernde Fläche  zurückbleibt,  und  erst  mit  der  Zerstörung  dieser 
Fläche  eine  wirkliche  Heilung  erzielt  werden  könne.  Indess  ist 
man,  wie  ich  glaube,  in  vielen  chirurgischen  Handbüchern  zu 
exclusiv  gewesen;  ich  habe  selbst  Fälle  gesehen,  wo  bei  spon- 
tanem Aufbruch  Heilung  eintrat,  nachdem  ein  entzündlicher  Pro- 
cess  in  grösserem  Umfange  zu  Stande  gekommen  war,  der  die 
Narbenbildung  begünstigte.  Ebenso  hat  man  durch  wieder- 
holte Entleenmg,  durch  Auspressen  der  Massen  die  Heilung  er- 
zielt, wie  sie  ja  bei  Milien  und  Akrochorden  nicht  selten  spontan 
eintrilt,  indem  schliesslich  eine  starke  Hautdepression  zurück- 
bleibt. Aber  es  ist  viel  sicherer  und  schneller,  den  Sack  mit  zu 
entfernen,  und  wenn  auch  die  Erfahrung  gelehrt  hat,  dass  die 
Exstirpation  der  Atherome  am  behaarten  Theil  des  Kopfes  leicht 
ein  Erysipelas  von  grosser  Gefahr  hervorruft,  so  gilt  dies  doch 
nicht  für  andere  Localitäten,  und  ist  auch  nicht  von  solcher  Häufig- 
keit, dass  es  davon  abhalten  könnte,  die  Operation  überhaupt  vor- 
zunehmen. Nur  mahnt  es  zur  Vorsicht  und  zur  Schonung  klei- 
nerer Geschwülste. 

Andererseits  ist  der  Druck,  den  die  Geschwülste  nach  innen 
ausüben,  unter  Umständen  von  sehr  nachtheiliger  Art,  namentlich 
am  Kopf,  wo  verhältnissmässig  die  grössten  Formen  am  häufig- 
sten vorkommen,  begreiflicherweise  deshalb,  weil  die  Cutis  so 
dick  ist,  in  demselben  Follikel  oft  mehrere  Haare  stehen,  und  die 
Massen  in  dem  Theil  des  Follikels  sich  anhäufen,  der  im  sub- 
cutanen Gewebe  steckt.     Unter  dem  anhaltenden  Druck  auf  den 

♦)  Präparat  No.  640. 


Schleimcysten.  231 

Schädel  atropbiren  allmählich  die  Knochen,  und  es  giebt  Beispiele 
in  der  Literatur,  wo  die  Atrophie  bis  zu  einer  wirklichen  Durch- 
bohrung des  Knochens  fortgeschritten  war*).  — 

Wenn  man  nun  die  Parallelerscheinung  zu  den  Atheromen 
an  den  Schleimhäuten  aufsucht,  so  bietet  sich  diese  in  ganz 
zutreffender  Weise  in  einer  gewissen  Reihe  von  sogenannten 
Schleimcysten  dar,  welche  alle  die  verschiedenen  Modifica- 
tionen  von  dem  Comedo  und  Milium  an  bis  zu  den  vollendeten 
Formen  des  Atheroms  darbieten.  Obwohl  schon  in  der  (S.  213) 
erwähnten  Auffassung  Boerhaave^s  von  den  ampullösen  Ge- 
schwülsten diese  Analogie  mit  wissenschaftlicher  Treue  festgehal- 
ten war,  und  obwohl  von  manchen  besseren  Beobachtern  der 
neueren  Zeit**)  immer  wieder  auf  die  Nothwendigkeit  hingewiesen 
ist,  die  Krankheiten  der  „allgemeinen  Decken^  zusammenzufassen, 
80  hat  man  sich  doch  leider  bei  der  ausserordentlichen  Einseitig- 
keit, mit  der  man  die  Dinge  behandelt  und  von  einander  trennt, 
dieser  lehrreichen  Vergleichung  vielfach    enthoben. 

Mancherlei  Umstände  haben  dazu  beigetragen.  Die  immer 
tiefer  greifende  Trennung  zwischen  Chirurgie  und  innerer  Me- 
dicin,  die  Ablösung  der  Anatomie  von  der  Klinik,  die  Absonde- 
rung der  Geschwülste  von  den  übrigen  pathologischen  Dingen 
waren  an  sich  schon  sehr  hinderlich.  Dazu  kam,  dass  gerade 
bei  diesen  Cysten  die  Gebietsgrenzen  und  die  Definitionen  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  den  tiefsten  Schwankungen  unterlegen 
haben,  und  dass  durch  die  Vereinigung  ganz  heterogener  Dinge 
in  dieselbe  Gruppe  die  dogmatische  Formel  den  grössten  Aende- 
rangen  ausgesetzt  war,  je  nachdem  dieses  oder  jenes  Ding  zur 
Grundlage  der  Doctrin  gewählt  wurde.  Der  ursprünglich***)  auf 
eine  gewisse  „Fettgeschwulst  unter  dem  obern  Augenlide,  welche 
bewirkt,  dass  die  Augen  laufen,^  also  möglicherweise  auf  ein 
Leiden  der  Thränenorgane  beschränkte  Name  der  Hydatis  (Aquula) 


•)  Roaget.    Compt.   rend.    de   la  Societe   de  Biologie.   T.  II.  p.  121. 
Lebert.  Bulletin  de  la  Soc.  anat.  1850.  p.  236. 

**)  Raver.  Traite  theorioue  et  pratique  des  maladies  de  la  peaa.  Paris. 
1B27.  T.  IT.  p.  591.     Hodgkin.    Lectures   on  the  morbid  anatomy  of  the 
seroas  and  mucous  membranes.  Lond.  1840.  Vol.  II.  P.  I.  p.  2. 
•*•)  Galen  US.  Defenit.  med. 


232  Eilfte  Yorleaiing. 

hatte  sich  allmählich  so  sehr  erweitert,  dass  Charles  le  Pois*) 
im  17.  Jahrhundert  allerlei  scabiöse  und  miliare  Bläschen  der 
äusseren  Haut  mit  darunter  begriff.  Die  Blasenwürmer  worden 
natürlich  in  dieselbe  Kategorie  gerechnet.  Dazu  kamen  die 
eigentlichen  Follicularcysten ,  die  cystischen  Erweiterungen  yod 
Drüsengängen,  das  blasige  Oedem,  und  es  war  daher  nicht  xu 
verwundern,  dass  man  endlich  in  dem  Hydrops  saccatus  s.  cysticus 
den  generischen  Ausdruck  gefunden  zu  haben  glaubte.  Die  grosse 
Autorität  von  R  u  y  s  c  h  **),  der  sich  hauptsächlich  auf  seine  Unter- 
suchung der  Hydatidenmole  stützte,  brachte  sodann  die  Theorie 
zur  Geltung,  dass  die  Bildung  der  Hydatiden  in  der  Zellhaut  der 
Blutgefässe  vor  sich  gehe,  während  Nu ck  und  andere  ***)  auf  die 
Lymphgefässe  zurückgingen.  Keine  dieser  Theorien  hat  zu  irgend 
einer  Zeit  alle  Stimmen  auf  sich  vereinigt,  und  mit  Recht  Denn 
es  giebt  keine  allgemeine  Theorie  der  Hydatide  oder,  wie  man  in 
der  neuesten  Zeit  zu  sagen  pflegt,  der  Cyste.  Die  verschiedenen 
Cysten  müssen  in  ganz  verschiedene  Abtheilungen  der  Geschwülste 
gesetzt  werden,  und  jede  besondere  Art  von  Cyste  muss  nach 
einer  anderen  Theorie  beurtheilt  werden.  Hier  sollen  uns  nur  die 
aus  follicularen  Gebilden  hervorgehenden  Formen  beschäftigen. 

Die  verschiedenen,  an  den  Schleimhäuten  vorkommenden  Ein- 
stülpungen der  Oberfläche  bieten  an  sich  eine  grosse  Verschieden- 
heit dar.  An  manchen  Schleimhäuten,  wie  der  Harnblase,  der 
Ureteren,  der  Gallengänge,  finden  wir  mehr  flache  Vertiefungen, 
sogenannte  Krypten,  welche  manchmal  kaum  eine  engere  Oeffnung 
haben,  als  ihre  Ausweitung  beträgt,  und  welche  ganz  flach  in  der 
Schleimhaut  liegen;  an  anderen  Theilen,  wie  an  dem  Hals  des 
Uterus,  erreichen  diese  Krypten  oder  Schleimfollikel  schon  eine 
etwas  grössere  Tiefe.  Dann  kommen  die  längeren,  jedoch  ein- 
fachen schlauchförmigen  Drüsen,  wie  wir  sie  an  der  Darm-  und 
Uterusschleimhaut  treffen;  dann  die  verästelten,  traubigen  Drüsen, 
welche  tiefer  und  tiefer  gehen,  wie  an  der  RespirationsBchleim- 
haut.    Ja  es  kann  endlich  vorkommen,  dass  die  Drüsen  als  selb- 


*)  Car.  Piso.  Selectioram  observationum  et  consilioram  Liber  singvL 
Lugd.  Bat.  1733.  p,  439. 

**)  Frid.  Ruysch.  Tbesaaras  anatomicas.  VI.  Amstel.  1705.  p.  71. 
Adversaria  anatomica.  Decas.  1.  Amstel.  1717.  p.  7. 

♦♦*)  van  Swieten.  CommenUr.  T.  IV.  p.  168.  cf.  T.  I.  p.  166. 


Inhalts  -  Retention  der  Schleimdrüsen.  233 

ständige  Gebilde  neben  dem  Schleimhautkanal  erscheinen,  wie  an 
der  hinteren  Wand  der  Trachea,  wo  die  Drüsen  durch  die  ganze 
Dicke  der  Trachealwand  hindurchgehen  und  sich  ausserhalb  der 
Wand  als  grössere  Anhänge  frei  gegen  den  Oesophagus  hin  er- 
strecken. 

Es  versteht  sich  daher  von  selbst,  dass  an  diesen  verschie- 
denen Stellen,  wo  ebenso  grosse,  ja  sogar  grössere  Verschieden- 
heiten stattfinden,  wie  an  den  Haarfollikeln  verschiedener  Gegenden 
der  äusseren  Haut  und  den  Hautdrüsen,  auch  alle  jene  DilTerenzen 
vorhanden  sein  werden,  wie  wir  sie  an  der  äusseren  Haut  kennen 
gelernt  haben.  Wenn  in  den  einfachen  Krypten  der  Harnblase 
oder  in  so  einfachen  und  niedrigen  Drüsen,  wie  die  Lieberkühn^- 
schen  am  Dickdarm  es  sind,  eine  Retention  stattfindet,  so  liegt 
es  sehr  nahe,  dass  dieselbe  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle 
nicht  so  leicht  mit  einem  Verschluss  der  Ostien  verbunden 
sein  vnrd,  als  wenn  eine  ähnliche  Retention  in  den  sehr  viel 
längeren  Drüsen  des  Magens  oder  Uterus,  oder  gar  in  den  weit 
nach  aussen  reichenden  Ausstülpungen  der  Retrotrachealdrüsen 
sich  bildet.  Kommt  in  Folge  der  Retention  eine  Ausweitung  zu 
Stande,  entsteht  eine  cystische  Dilatation,  so  wird  der  Sitz  der 
Cyste  ganz  verschieden  sein.  In  dem  einen  Falle  wird  sie  ganz 
oberflächlich,  im  zweiten  Falle  wird  sie  in  der  Tiefe,  im  dritten 
ganz  ausserhalb  der  Schleimhaut  liegen. 

Nun  sind  natürlich  Retentionen  bei  offenen  Orificien  verhält- 
nissmässig  an  den  Schleimdrüsen  viel  seltener  als  an  den  Haar- 
follikeln, weil  das  Secret  viel  weicher,  viel  beweglicher  ist,  un- 
gleich leichter  entleert  werden  kann,  und  wenn  es  in  grösserer 
Menge  vorhanden  ist,  schon  durch  seine  Menge  sich  herausdrückt. 
Indess  kommt  Retention  mit  offenen  Mündungen  doch  öfters  vor, 
und  wir  finden  Comedonen  der  Schleimhäute,  wie  der  äusseren 
Haut.  In  der  Harnblase  und  Urethra  ist  es  öfters  der  Fall,  dass 
kteinere  schleimige  Massen  oder  wirkliche  Concretionen  sich  auf- 
häufen, während  wir  die  Mündungen  noch  offen  finden*).  Das- 
selbe habe  ich  wiederholt  an  der  Dickdarmschleimhaut  beobach- 
tet**),   wo  die  Grösse   der  in  den  einzelnen  Lieberkühn'schen 


♦)  Mein  Archiv.  1853.  Bd.  V.  S.  403. 

♦♦)  Verhandlungen  der  Berliner  Geburtehalfl.  Gcsellsch.    1848.  Bd.  III. 
S.  204. 


234  £üfte  Yorksang. 

Drüsen  enthaltenen  Schleimcomedonen  so  beträchtlich  wird,  dass 
man  die  Orificien  sehr  bequem  vom  blossen  Auge  erkennen  kann. 

Am  bäutigsten  sind  aber  die  Mündungen  nicht  in  sichtbarer 
Weise  offen.  Ich  will  damit  nicht  sagen,  dass  sie  wirklich  jedes 
Mal  verwachsen  oder  obliterirt  sind;  sie  sind  vielleicht  nur  ver- 
schoben, indem  eine  Art  klappenartiger  Einrichtung  entsteht,  und 
je  weiter  sich  die  Ektasie  ausbreitet,  um  so  mehr  die  Mündung 
verengt  wird,  so  dass  man  sie  nicht  so  leicht  findet.  In  anderen 
Fällen  kommen  aber  wirkliche  Atresien  der  Mündungen  vor,  wie 
bei  chronischen  Katarrhen,  welche  mit  Wucherung  und  Ver- 
dichtung der  Schleimhautoberiläche  und  mit  Zusammenziehung 
(Schrumpfung)  derselben  verbunden  sind. 

Auf  diese  Art  bilden  sich  die  Cysten  bald  oberflächlich,  bald 
tief.  Es  kann  sein,  dass  eine  Schleimhaut^  die  viele  Drüsen  hat, 
wie  der  Magen,  mit  Schleim -Milien,  die  wie  kleine  Perlen  oder 
Thautropfen  aussehen,  oder,  wie  wir  das  an  dem  Collum  uteri 
mittelst  des  Speculum  unmittelbar  beobachten  können,  mit  den 
Ovula  Nabothi  wie  übersäet  erscheint.  Denn  diese  Ovula  sind, 
wie  schon  Ruysch*)  gegen  Naboth**)  und  EttmüUer***) 
dargethan  hat,  Schleirocysten,  und  sie  kommen  so  häufig  vor, 
dass  selbst  die  reinen  Anatomen  sie  seit  langer  Zeit  wie  normale 
Bestandtheile  zu  beschreiben  pflegen.  Bereits  Morgagni  f)  hat 
eine  vortreffliche  Darstellung  des  Verhältnisses  geliefert 

Wenn  man  die  einzelnen  Formen  betrachtet,  so  ersieht  man, 
dass  bei  demselben  Process  mehr  oberflächliche  oder  mehr  tiefe 
Cysten  vorkommen  können,  je  nachdem  der  obere  oder  untere 
Theil  der  Drüse  oder  Krypte  erweitert  wird.  Am  Magen  liegen  in 
der  Mehrzahl  die  Cysten  so  oberflächlich,  dass  sie  als  feine,  klare 
Hervorragungen  sofort  gesehen  und  als  härtliche,  runde  Körnchen  ge- 
fühlt werden  können.  Aber  zuweilen  bemerkt  man  an  demselben 
mikroskopischen  Schnitt  an  einer  Stelle  eine  Cyste,  welche  ganz 
oberflächlich  liegt,  ja  über  die  Oberfläche  heraustritt,  an  einer  aodem 
eine  Cyste,  welche  ganz  in  der  Tiefe  der  Schleimhaut,  neben  den 
verdrängten  Nachbardrüsen  sich  findet.     Ja  es  kommt  vor,   dass 


*)  Ruysch.  Adversaria  anatomica.  Dec.  I.  p.  4. 
**)  Martin  Naboth.  Diss.  de  sterilitate  roalierum.  Lips.  1707. 
^**)  EttmUller.  Epistola  problematica  de  ovario  novo.  Amatel.  1715. 

t)  Morgagni.  Advers,  anaf.  I.  Lugd.  Bat.  1723.  p.  47, 


Cysten  der  Ukgenschleimhaat. 


mehrere  Bolche  cystische  Bildungen  übereinander  liegen,  dass  also 
in  rergchiedenen  Theilen  desselben  Drüsenschlanches  sich  eine 
mehrfache  Entwickelung  macht*),  ähnlich  wie  es  an  den  Harn- 
kanälchen  nicht  selten  ist,  dass  an  ein  und  demselben  Kanäle, 
indem  er  sidi  zu  kleinen  Säcken  ausweitet,  allmlhlich  varicOse 
Erweiterungen  und  Abschnüningen  entstehen,  wodurch  der  Kanal 


Fig.  36.  Schleimcysteo  der  Hagenscblelmhaat  nach  chronischer  Ga- 
strilis.  HikroBkopiecher  Durchschnitt.  VergrCsseniog  150.  Man  siebt  in 
Unterst  Tbeile  der  SubTiiu:;osa,  dann  die  ganze  Dicke  der  Schleimhaut  mit 
traabigen  Drüsen  und  nach  aussen  hin  zwei  rundliche  Schleimsäcke,  welche 
die  Oherfläche  empordrängen  und  die  benachbarten  DrUgen  verschieben. 

*)  Wilson  Fox.  Contributions  to  the  pathology  of  the  glandulär  struc- 
tnres  of  tbe  stomach.  Med.  chir.  Traneact.  1858.  Vol.  XLI.  p,  376.  PI.  I. 
Bg.  7-9. 


236  £>l^te  Vorlesoog. 

in  eine  Reihe  übereinander  gelegener  Säcke  umgewandelt  wird*). 
Solche  Säcke  werden  natürlich  nach  den  verschiedenen  Organen 
und  nach  der  ursprünglichen  Grösse  der  Gebilde,  aus  denen  sie 
hervorgehen^  sehr  verschieden  gross  sein.  Ovula  Nabothi  beginnen 
in  der  Regel  als  beträchtlichere  Anhäufungen,  die  in  ihren  klei- 
neren Dimensionen  Hanfkorngrösse  erreichen,  während  die  analo- 
gen Gebilde  am  Magen  höchstens  miliare,  oft  für  das  blosse  Auge 
kaum  sichtbare  Punkte  darstellen. 

Was  den  Inhalt  anlangt^  so  ist  er  gewöhnlich  ein  doppelter; 
man  findet  nehmlich  meistentheils  nebeneinander  epitheliale  Ele- 
mente und  reinen  Schleim,  der  im  Anfange  eine  zähe,  gal- 
lertartige, wie  man  wohl  sagt,  colloide  Masse  darstellt  Das 
Epithel  ist  dabei  nicht  immer  vollkommen  übereinstimmend  mit 
dem  Epithel,  welches  vorher  vorhanden  war.  Je  mehr  der  Sack 
sich  ausweitet,  um  so  mehr  ändert  sich  nicht  selten  die  Beschaffen- 
heit des  Epithels,  und  während  man  ursprünglich  in  dem  Sack  das- 
selbe Epithel  findet,  wie  es  ursprünglich  vorhanden  war,  Pflaster- 
epithel, wenn  es  Pflasterepithel  war,  Gylinderepithel ,  wenn  es 
Cylinderepithel,  Flimmerepithel,  wenn  es  Flimmerepithel  war,  so 
kann  es  nachher  vorkommen,  dass  man  nur  Pflasterepithel  findet, 
während  vorher  Cylinder-  oder  Flimmerepithel  vorhanden  war. 
Die  Nabothseier  enthalten  manchmal  Flimmer-,  manchmal  ein- 
faches Cylinderepithel,  manchmal  aber  sehr  wunderbare  Formen, 
platte,  ausgerandete,  mit  Fortsätzen  versehene  Zellen  von  beträcht- 
licher Grösse**),  welche  leicht  einen  ungeübten  Beobachter  ver- 
anlassen können,  an  ein  Cancroid  zu  denken. 

Je  länger  die  Cyste  besteht,  um  so  mehr  lösen  sich  Epitbe- 
lien  von  der  Wand  ab  und  gerathen  frei  in  den  Raum  der  Balg- 
geschwulst. Hier  erhalten  sie  sich  aber  nicht,  wie  in  den  Milien 
und  Atheromen,  sondern  sie  zerfallen,  indem  sie  entweder  fettige 
Metamorphosen  durchmachen,  oder,  was  gewöhnlicher  ist,  direct 
erweichen  und  zerfliessen,  wobei  nicht  selten  Reste  von  ihnen, 
frei  gewordene  Kerne  und  dergleichen  zurückbleiben.  An  man- 
chen Orten  bilden  sich  in  dem  Maasse,  als  der  Zerfall  vorschreitet, 


*)  0.  Beckmann.    Ueber  Nierencysten.  Mein  Archiv.    1866.   Band  IX. 
S.  221.  Bd.  XI.  S.  121. 

**')  Carl  Hennig.   Der   Katarrh    der   inneren  weiblichen  Oesehlechts- 
theile.  Leipzig.  1862.  S.  63.  Taf.  V.  Fig.  47. 


Hjdatiden.  237 

eigeDthfimliche  halbweiche  Gallertkömer,  bald  von  einfachem,  bald 
Yon  geschichtetem  Bau.  Auch  dies  ist  besonders  häufig  an  den 
Nabothseiern*);  nirgends  aber  entstehen  dadurch  sonderbarere 
Gebilde,  als  in  den  Erweiterungen  der  Schleimbälge  der  Harn- 
blase und  Urethra  der  Frau,  welche  die  grösste  Uebereinstimmung 
mit  Prostata  -  Goncretionen  zeigen**).  In  diesen  letzteren  Fällen 
hat  der  Gysteninhalt  gewöhnlich  eine  dickliche,  fadenziehende  oder 
gallertartige  Gonsistenz.  An  manchen  Orten  erhält  sich  dieselbe 
selbst  in  sehr  grossen  Säcken.  An  anderen  dagegen  verflüssigt 
.  sich  die  Masse  früher,  theils  vielleicht  durch  eine  von  Anfang  an 
mehr  wässerige  Transsudation  von  der  stets  gefässhaltigen  Wand, 
theils  durch  eine  fortschreitende  chemische  Zersetzung.  So  bilden 
sich  mit  der  Zeit  scheinbar  seröse  Säcke,  die  Hydatiden  im 
engeren  Sinne  des  Wortes,  die,  wenn  man  sie  anschneidet,  eine 
ganz  dünne  Flüssigkeit  ergiessen. 

Ist  das  Epithel  sehr  reichlich,  so  wird  der  Schleim  oder  die 
Flüssigkeit  natürlich  dadurch  ein  trübes  Aussehen  annehmen;  der 
Inhalt  des  Sackes  sieht  entweder  gefleckt  aus,  oder  er  wird  im 
Ganzen  mehr  grau,  und  wenn,  was  nicht  ganz  selten  vorkommt, 
die  zellige  Absonderung  nicht  blos  eine  epitheliale  ist,  sondern 
sich  höhere  Reizungszustände  einstellen,  so  können  sich  Schleim- 
nnd  endlich  Eiterkörperchen  dem  Inhalt  beimengen,  und  ihm  ein 
weissliches  oder  gelbliches,  geradezu  purulentes  Aussehen  geben. 

Mit  diesen  Vorgängen  vergesellschaftet  sich  häufig,  wie  in  der 
Haut,  eine  Reihe  von  irritativen  Zuständen,  und  zwar  auch  hier 
die  beiden  Formen,  die  wir  dort  unterschieden  haben:  wirklich 
entzündliche  Zustände,  die  man  hier  Katarrh  zu  nennen  pflegt  — 
die  Acneform***),  oder  langsame  Wucherungen  —  die  MoUus- 
kenform.  Anderemal  dagegen  tritt  bei  einer  gewissen  Höhe  der 
Anhäufung  eine  Verdünnung  und  Atrophie  der  Wand  und  der 
umgebenden  Theile  ein,  welche  entweder  zu  einer  Berstung  und 
ErOflfhung  der  Säcke  nach  aussen  und  zu  einer  Entleerung  des 
Inhaltes  führt,  oder  welche,  wenn  mehrere  erweiterte  Drüsengänge 
nebeneinander  liegen,  zu  einer  allmählichen  Confluenz  derselben 


*)  E.  Wagner.  Archiv  f.  physiologische  Heilkunde.  1856.  S.  504. 
•♦)  Mein  Archiv.  Bd.  V.  S.  40i. 
•••)  Hodgkin.  1.  c.  p.  38. 


238  Eilfte  Vorlesung. 

Veranlassung  giebt.  Tritt  dieser  Zustand  zu  einer  Zeit  ein,  wo 
die  Cysten  ganz  abgeschlossen  sind,  so  verwandelt  sich  eine 
gewisse  Zahl  kleiner  Cysten  nach  und  nach  in  eine  einzige  grosse. 
Hat  dagegen  die  Anhäufung  der  Secrete  bei  oflenen  Orificien  statt- 
gefunden, so  kann  möglicherweise  ein  grösserer  Abschnitt  der 
Schleimhaut  in  zusammenhängender  Weise  in  eine  gallertartige 
Masse  umgewandelt  werden.  Vor  längerer  Zeit  habe  ich  einen 
solchen  Fall  beschrieben*),  wo  zahlreiche  Theile  der  Dick-  und 
Mastdarm  Schleimhaut,  zuweilen  in  dem  Umfange  eines  Thaler- 
stückes,  in  zitternde  Gallertmassen  verwandelt  waren,  indem  die. 
Lieberkühn^schen  Drüsen  sich  mit  Schleim  gefüllt  hatten,  erweitert 
und  endlich  confluirt  waren.  — 

Möglicherweise  können  sich,  wie  wir  noch  sehen  werden, 
beide  Zustände,  die  irritativen  und  die  atrophischen,  combiniren. 
Zunächst  betrachten  wir  die  ersteren  für  sich.  Auf  die  acute 
Form  des  Katarrhs  habe  ich  hier  keinen  Grund  speciell  einzu- 
gehen. Es  ist  aber  wichtig  sich  daran  zu  gewöhnen,  diese 
Beziehung  festzuhalten.  Was  dagegen  die  chronischen  Formen 
betrifft,  so  sind  sie  von  besonderer  Bedeutung,  weil  man  ihre 
letzten  Producte  seit  längerer  Zeit  schon  als  Polypen  zu  bezeich- 
nen pflegt,  und  zwar,  weil  diese  Polypen  Schleimcysten  enthal- 
ten, als  Blasenpolypen  (Polypi  cystici  oder  hydatidosi). 
Während  an  der  äusseren  Haut  in  der  Regel  nur  einzelne  Follikel 
sich  hervorschieben,  so  ist  an  den  Schleimhäuten  der  Fall  häufiger, 
dass  eine  solche  Erhebung  mit  einer  ganzen  Reihe  von  Cysten  be- 
setzt ist.  Anfangs  sitzen  diese  Bildungen  flach  und  breit  auf,  und 
haben  eine  plattrundliche  Oberfläche,  genau  wie  die  Acne  und 
die  folliculären  Mollusken.  Später  schieben  sie  sich  allmählich 
über  die  Oberfläche  weiter  und  weiter  hervor,  indem  sich  aus 
der  wuchernden  Schleimhaut  ein  leicht  gefässhaltiger  Stiel  heraus- 
zieht, und  so  erscheinen  sie  endlich  als  gestielte  Polypen  mit 
kolbigem  Ende.  Dies  geschieht  namentlich  dann,  wenn  die  Cysten 
mehr  der  Oberfläche  und  weniger  dem  tieferen  Gewebe  angehören. 
Sind  sie  einfach,  so  bieten  sie  das  Bild  des  Akrochordons  dar, 
welchem  sie  auch  darin  parallel  stehen,  dass  die  Cysten  an  der 


*)  Verhandlungen    der  Gesellschaft   für  (jebiirtbbQlfe    in    Berlin.    \M^ 
Bd.  III.  S.  205. 


Acne  uteri.  239 

Oberfi&cbe  bersten  und  sich  entleeren ,  und  dass  der  scheinbar 
eiofache  Polyp,  wenn  man  genau  sucht,  oben  eine  Einstülpung 
oder  Tasche  hat.  Sind  die  Cysten  vielfach  und  zahlreich,  so 
könnea  mit  der  Zeit  lange,  gestielte  Polypen  entstehen,  welche 
voll  von  ihnen  stecken. 

Nii^ends  haben  diese  Formen  eine  grossere  Häutigkeit  und 
eine  griJssere  Bedeutung  als  an  der  Schleimhaut  der  weiblichen 
Sexualorgane,  wo  man  manchmal  alle  erwähnten  Zustände 
Debeneinaoder  sehen  kann. 

Am  Oriticium  extemum,  wo  die  Haut  an  sich  derber  ist, 
trifft  man  insbesondere  nicht  selten  die  Formen,  welche  man  an 
äusseren  Theilen  Acne  nennen  würde,  und  zwar  in  allen  Ueber- 
gängen  von  den  einfachsten  Formen  der  Acne  punctata  bis  zu 
den  Formen  der  Acne  hypertrophica  und  rogacea,  welche,  wie 
an  der  Burgundema^e ,    mit  den   stärksten  Gefäaserweiterungen 


Mbr  starke,  fut  pilzförmige  Anschwellung,  welche  sich  sowubl  auf  die  V«. 
ginalportioD,  als  auf  die  Cervik:ilhOhle  erstreckt  und  mit  zahlreichen,  tbeil« 
Schleim-,  theils  Eit erhaltenden  Nabnthgeiern  besetzt  isL  (Präparat  No.  193. 
Toro  Jabre  18e0). 


240  Bil^  VorlMüDg. 

verbunden  sein  kann.  Denke  man  sich  eine  Burgandeniase  an 
das  Collnm  uteri  gesetzt,  statt  der  Comedonen  und  Milien  Schleim* 
und  Eiter-  haltende  Nabothseier,  und  diese  inmitten  einer  geschwol- 
lenen, mit  variedsen  Gefössen  durchsetzten  Umgebung,  so  hat  man, 
was  ich  eine  Acne  hyperplastica  colli  uteri  nennen  würde. 
Gewöhnlich  nennt  man  das  einen  Infarctus  uteri,  oder  eine  folli- 
culare  Entzündung,  oder  einen  follicularen  Katarrh,  oder  eine  Endo- 
metritis mit  Hypertrophie  oder  wie  sonst  Es  ist  im  Wesentlichen 
immer  derselbe  Vorgang,  aber  ein  Vorgang  von  der  grQssten  Be- 
deutung fDr  den  Zustand  und  die  Verrichtungen  des  Organs  und 
für  das  Befinden  der  leidenden  Frau.  Herr  Carl  Mayer*)  hat 
die  klinische  Geschichte  desselben  zugleich  durch  die  trefflichsten 
Abbildungen  erläutert,  insbesondere  die  einzelnen  Grade  in  ihrer 
Entwickelung  aus  einander  erläutert,  und  es  wird  nunmehr  ein  so 
wichtiges  Gebiet,  das  früher  vielfach  in  die  allgemeine  Sympto- 
matologie des  Fluor  albus  oder  der  Leukorrhoea  untergebracht 
wurde,  für  das  Verständniss  der  Aerzte  gesichert  sein. 

Etwas  höher,   im  Kan^  des  Collum,  ist  die  gewöhnlichste 
Bildungsstätte  für  die  Akrochordonform.    Da  sieht  man,  oft  neben 
zahlreichen  wandständigen  Nabothseiern,  die  feingetttielten  Polypen 
Flg.  IT.  häufig,  welche  entweder  blos  eine  Cyste, 

oder  auoh  wohl  eine  puue  Reibe  in  sich 
tragen.  Meist  erreichen  eie  einen  sehr 
geringen  Dmhng.  Das  ist  die  Form, 
welche  so  h&ntig,  wenn  man  in  dag 
Speculum  hineinsieht,  aus  dem  Orificium 
uteri  extemum  heraus  in  Gestalt  einer 
kleinen  Blase  oder  eines  feinen,  rothen 
KOlbchens  hervortritt.  Ihrelnsertionsstelle 
ist  in  sehr  verschiedener  Hohe,  meist  nicht 
sehr  weit  über  dem  Orificium  extemum,  zuweilen  jedoch  ganz  dicht 
am  Orificium  internum. 

Die  breite  Molluskenform,    worin    eine    grössere  Zuhl    von 
Cysten  gemeinschaftlich  enthalten  ist,  findet  sich  am  b&ufig^rten 


Fig.  37.  Blaueupolypen  des  Collum  uteri,  aas  dem  Orificium  eitwaia 
hervorhangend.  Durch  du  Speculum  gesehen.  Nteh  einer  Zeichatmg  iet 
Henn  Carl  Mayer. 

*)  Carl  Hayer.  Klioiache  Mittbeilungen  aus  dem  Gebiete  dei  Gyil- 
kologle.  Heft  1.  Berlin.  1861.  Taf.  Tl. 


CystUche  Hollusken  dea  Uterua.  241 

an  den  Auswüchsen,  welche  von  der  Schleimhaut  des  Gebär- 
mutterkjjrpers,  der  eigentlichen  Cavitas  uteri,  ausgehen.  Cystoide 
Erweiterungen  mit  Atresie  der  Mündungen  kommen  an  den  Utri- 


Fig.  38.  EndometritJa  clironita  i:v8tica  poljposa.  Das  Oriftciam  ei- 
terouiu  ist  trichturfBrmig  erweitert  und  die  beiden  Lippen  sehr  betrichtlich 
aagescbwollen.  Zahlreiche,  luoi  Theil  vereinzelte,  lum  Theil  gmppirte  Na- 
botbseier  erbeben  sieh  aus  dem  geschwollenen  und  hyperlmiscben  Gewebe 
(Acne).  Rechte  an  dem  Durchschnitt  sieht  man,  dass  diese  Schleimcysten 
Dicht  blou  der  Oberflilcbe  angehören,  sondern  beträchtlich  in  die  Tiefe  rei- 
chen. Weiter  nach  oben  im  Cervikallianal  treten  die  Plicse  palmatae  sehr 
stark  hervor  and  von  ihnen  erhebt  sich  eine  ganze  Reihe  theils  solider,  theils 
Blasen pojy pen ,  namentlich  links  ein  grosserer,  gestielter,  kolbiger,  der  bis 
nahe  an  das  OriSciuni  externum  reicht.  Einzelne  kleinere  Scbleimcysten 
Gndea  sich  noch  im  Orificium  interouni.  Darauf  folgt  die  etwas  erweiterte 
Hehle  des  Uteruakörpera,  die  mit  PlDssigkeit  gefüllt  und  dereu  Schleimhaut 
|eellttet  war  (Q^drometra  levU).  Nahe  über  dem  OriSciuni  internum  sitit 
liaka  ein  grOaeeres,  mit  Seh  leime  jrsten  durchsprengtes  Uolluscum  flach  der 
Wand  an.  m,  welches  bei  geschlossenem  Uterus  das  Orificium  internum  h»t 

faai  verlegte.  Weiter  nach  oben  bei  m'  sitzt  ein  kleineres,  ähnliches,  nahe 
er  einen  TubenfifFnung.  Die  Uteruswand  im  Ganzen  ist  eher  verdünnt;  aber 
bei  /  und  /*  finden  sich  in  ihr  interstitielle  Mjome  (Pibroide)  von  geringer 
Grosse.  Ein  drittes,  etwas  grCsserea  bedingt  die  durch  eine  lichte  Stelle 
bezeichnete  Hervorragung  der  nicht  angeschnittenen  hinteren  Wand.  (Prä- 
parat No.  26.  vom  Jahre  1863). 

Vlrehe«,  a>Kk»lil«.    1.  16 


242  Eilfte  Vorlesung. 

culardrüsen  des  Uterus  nicht  selten  vor.  Es  giebt  eine  Form  der 
chronischen  Endometritis,  welche,  ganz  analog  der  früher  erwähn- 
ten foUiculären  Gastritis,  zahlreiche  kleine  perlartige  Cysten  in 
der  Oberfläche  der  Schleimhaut  erzeugt*),  während  zugleich  die 
ganze  Schleimhaut  sich  verdichtet  und  in  sich  retrahirt,  so  dass 
sie  das  Aussehen  einer  serösen  Haut  annimmt.  Dabei  kommt  es 
möglicherweise  zu  gar  keiner  Hervorwucherung.  Diese  tritt  ge- 
wöhnlich dann  ein,  wenn  nur  an  einzelnen  Stellen  gruppenweise 
die  Drüsen  sich  erweitern  und  das  interfoUiculare  Gewebe  zugleich 
in  Proliferation  gertth.  Je  höher  hinauf  diese  partiellen  Wuche- 
rungen sitzen,  um  so  mehr  pflegen  daraus  breitaufsitzende  und 
mit  grösseren,  hanfkorn-  bis  erbsengrossen  Cysten  durchsetzte 
Mollusken  hervorzugeben.  Wenn  man  den  Uterus  aufschneidet,  so 
sieht  man  sie  als  flache,  weiche  Erhebungen  vor  sich,  deren 
Oberfläche  gewöhnlich  sehr  gefässreich  ist.  Wachsen  sie  stärker, 
so  treten  sie  allmählich  mehr  über  die  Fliehe  hervor,  nehmen 
eine  pilzförmige  Gestalt  an  oder  werden  in  wirkliche  gestielte  Po- 
lypen ausgezogen,  welche  mehr  und  mehr  gegen  das  Orificium 
internum  und  den  Hals  des  Uterus  herabsteigen. 

Der  pathologische  Wertb  dieser  Gebilde  ist  ein  viel  grösse- 
rer, als  der  ihrer  Analoga  an  der  insBeren  Haat  Während  eine 
Burgundernase  dem  Träger  vielleicht  manehe  Isthetische  Unbe- 
quemlichkeit erzeugt,  aber  selten  mehr,  so  haben  diese  Formen 
in  (ier  Regel  eine  recht  grosse  Bedeutong;  insbesondere  dadurch, 
dass  die  erweiterten  Gefasse  an  ihrer  Oberfläche  der  Sitz  von 
Secretionen  und  Blutungen  werden,  und  so  eine  Disposition  zu 
Fluoren  und  Metrorrhagien  erzeugt  wird,  welche  f&r  die  Gesund- 
heit, ja  das  Leben  der  Kranken  sehr  bedrohlich  werden  kann. 
Es  ist  daher  besonders  bemerkenswerth,  dass  die  Neigung  zu 
Blutungen  zu  der  Zahl  von  Gefässen,  welche  in  den  Stiel  ein- 
treten, scheinbar  in  keinem  Verhältniss  steht,  und  dass  auch  die 
Exstirpation  dieser  Polypen  nicht  so  starke  Blutungen  hervorzu- 
rufen pflegt,  wie  man  nach  der  Dauer,  Hartnäckigkeit  und  Grösse 
der  früheren  Metrorrhagien  erwarten  sollte.  Es  erklärt  sich  dies 
dadurch,  dass  die  Gefasse  an  der  Oberfläche  zahlreiche,  weite 
und  dünnwandige  Verästelungen  bilden,  im  Stiel  dagegen  einfach 
und  mit  starken,  contractilen  Wandungen  versehen  sind. 


*)  E.  Wagner.  Archiv  für  ph^siul.  Ueilkonde.  1856.  S.  2d9. 


Colitis  polypoaa. 


243 


Ganz  ähnliche  Formen  wie  im  Uterus  kommen  insbesondere 
an  derjenigen  Schleimhaut  vor,  welche  ihrer  ganzen  Einrichtung 
nach  die  grÖ6Ste  Aebnlichkeit  mit  der  Uterinecbleimhaut  hat,  an 
der  Magenschleimhaut.  Ich  werde  späterhin,  wenn  wir  an 
die  epithelialen  Drüsengeschwülste  kommen,  diese  Zustande 
wieder  erwähnen.  Dagegen  will  ich  ein  sehr  lehrreiches  Präparat 
vom  Colon  kurz  besprechen,  welches  die  wichtigsten  Verände> 
rangen  in  der  allerauegezeichnetsten  Art  zeigt     Man  sieht  daran 


miota  ein&che  Schleimfahiseo,  als  auch  die  damit  zusammen- 
hingeoden  Mollusken  und  Polypen  in  der  zahlreichsten  Ver- 
breitung. Diese  Form  ist  verschieden  von  der  gewöhnlichen  Co- 
litis polyposa,  von  der  Luschka*)  undLebert**)  Abbildungen 
gelief«!  haben,  und  welche  mehr  den  hyperplastischen  Geschwulst- 


Fifr  39.    Colitis  cystica  polypoaa.  (Präparat  JJo.  I69a.  vom  Jahre  1869). 
*)  Laschka.     Üeber  polypöse  Vegetationen  der  gesammten  Diclfdarm- 
Kbleimtwut     Hein  AcchiT.  imi.  Bd.  XX.  S.  133. 

**}  Lebett.  Traite  d'aDat  patb.  T.  U.  p.  316.  Atlu  PI.  CXXll.  fig.1-2. 

16* 


244  Eüfte  Vorlesung. 

formen  angehört.  Indess  ist  sie  damit  nahe  verwandt,  da  in 
der  Regel  wenigstens  auch  bei  den  Hyperplasien  die  Drüsen  stark 
betheiligt  sind.  Ausserdem  stehen  sie  sich  ätiologisch  sehr  nahe. 
Schon  in  der  meines  Wissens  ältesten  Beobachtung  dieser  Art, 
welche  Menzel*)  veröffentlicht  und  durch  Abbildungen  erläutert 
hat,  handelte  es  sich  um  recurrirende  Dysenterie;  auch  in  allen 
späteren  ist  entweder  von  Dysenterie,  oder  von  chronischen,  blu- 
tigen Diarrhoen  die  Rede.  Der  in  Fig.  39.  abgebildete  Darm 
stammt  von  einem  15jährigen  Burschen,  der  gleichfalls  an  chro- 
nischer Dysenterie,  Lebercirrhose  und  Hydrops  zu  Grunde  ge- 
gangen war.  Man  sah  daran  eine  grosse  Zahl  flachrundlicher, 
blasiger  Hügel  von  fast  floctuirender  Beschaffenheit;  viele  der- 
selben waren  mit  rundlidien  oder  buchtigen,  kleinen  oder  grossen 
Oeifnungen  versehen,  aus  welchen  eine  gallertartige  Schleimmasse 
hervorsah,  und  auch  die  geschlossenen  Hügel  zeigten  beim  An- 
schneiden Höhlungen  von  verschiedener  Weite,  welche  mit  Schleim 
gefüllt  waren.  Auf  und  zwischen  den  Hügeln  sassen  zahlreiche, 
theils  einfache,  theils  verästelte,  meist  dfinngestielte  Anhänge  auf, 
welche  ihrerseits  wieder  mit  Schleimcysten  durchsetzt  waren.  Die 
feinere  Untersuchung  ergab  überall,  dass  die  Erkrankung  von  einer 
Schleimanhäufung  in  den  Lieberkühn'scheu  Drüsen  ausging,  und 
zwar  namentlich  von  einer  Anhäufung  in  ihren  tieferen  Abschnitten. 
Unter  der  Anhäufung  atrophirte  die  Zwischenaubstanz,  und  die 
Schleimmassen  verschiedener  Drüsenschläuche  vereinigten  sich 
unter  der  Oberfläche  zu  grösseren  Klumpen,  in  denen  man  die 
alte  Trennung  noch  durch  feine  weissliche,  ans  Epithel -Resten 
gebildete  Streifen  erkennen  konnte.  Die  Erweiienmg  der  Schleim- 
cysten geschah  also  theils  durch  Ektasie,  theils  durch  Confluenz, 
am  meisten  aber  durch  letztere.  — 

Es  giebt  keine  einzige  Schleimhaut,  wo  nicht  unter  Umständen 
die  Bildung  foUiculärer  Cysten  und  Polypen  vorkommen  kann, 
und  es  würde  eine  sehr  weitläufige  Sache  sein,  wenn  wir  alle 
diese  einzelnen  Fälle  im  Detail  durchgehen  wollten.  Ich  erwähne 
daher  nur  noch  solche  Localitäten,  wo  die  Entwickelung  einen 
besonderen  Charakter  annimmt  oder  eine  hervorragende  Bedeu- 
tung erreicht.  Dahin  gehört  die  Highmorshöhle,  wo  diese 
Bildungen  relativ  häufig  sind  und  sich  in  allen  den  Formen  beob- 

*)  Mentel  in  den  Acta  medic.  Berol.  Vol.  IX.  BeroL  1791.  ^  68.  fig.  1. 


Cysten  der  Oberkiorerhfihle.  245 

achten  lassen,  welche  die  Nabothsbildungen  des  Uterus  zeigen. 
Mao  findet  znerst  in  der  Wand  manchmal  einzelae,  manchmal 
zahlreiche  Blasen,  welche  mit  klarem  oder  getrübtem  Schleim, 
oder  mit  eitriger  oder  epithelialer  Masse  gefüllt  siad*).  Nach 
und  nach  schieben  sich  diese  Blasen  über  die  Oberfläche  her- 


vor, geben  in  Mollusken-  und  Polypenformen  über**),  und  end- 
lich kOnoen  diese  Polypen  eine  solche  GrSsse  erreictien,  dass  sie 
die  ganze  Hohle  füllen.  Diese  grösseren  Blasen  haben  in  der 
Regel  keinen  so  zShen  Inhalt  mehr;  der  Schleim  ist  erweicht  und 
bildet  eine  mehr  wässerige,  dünne  Flüssigkeit.  Wächst  das  Ding 
mehr  und  mehr,  so  reicht  zuweilen  das  Äntnim  nicht  mehr  aus, 
den  Sack  zu  fassen,  and  es  erfolgt  eine  Erweiterung  desselben 
mit  Ätrophirung  des  Enocheos.  Dieses  scheint  der  Zustand  zu 
sein,  den  man  hlLu%  unter  dem  Namen  Hydrops  antri  be- 
schrieben hat;  wenigstens  existirt  keine  beweisende  Beobachtung, 
dass  ein  freier  Hydrops  im  Antnim  in  so  grosser  Ausdehnung 
vorkommt,  und  ich  halte  es  für  wahrscheinlich,  was  zuerst  von 
Herrn  GiraldÄs***)  ausgesprochen  ist,  dass  hier  in  der  Regel 


Fig.  40.    Grosser  BlaseDpolvp  der  OberkieferhChte.    Natürliche  GrJtese. 
(Prlpant  No.  6&S.). 

*}  Luschka.  Ueber  Sehleimpolypen  der  OberkieferhJSfalen.  Mein  Archiv. 
1855.  Bd.  VIII.  S.  423. 

**)  Billroth.  Ueber  deo  Bau  der  Seh  leimpol  vpen.    Berlin.    1855.  S.  14. 
Ut.  IL  Fi|.  7. 

***)  J.  A.  Oirfttd^B.  Des  kystes  mnqoeax  dn  ainue  maxilUire.  Hirn,  de 
U  Soc  de  chir.  de  Psrie.  1863.  Heio  Archiv.  1866.  Bd.  IX.  S.  468. 


246  BiMte  VorieBnng. 

eine  Verwechselung  vorgekommen  ist.  Wenn  ein  80  stark  aus- 
gedehnter Polyp  existirt,  so  kann  man  sogleich  beim  ErOlTnen 
des  Antrum  in  die  Höhle  des  Polypen  kommen,  ohne  zu  merken, 
dass  die  Flüssigkeit  in  einer  besonderen  Blase  enthalten  war, 
ähnlich  wie  man  beim  Anschneiden  eines  Echinococcussackes 
gleich  in  die  Thierblase  mit  hineinschneidet. 

Unter  den  Drüsen,  welche  an  sich  eine  grossere  Entwickelun^ 
haben,  nenne  ich  die  Retrotrachealdrüsen.  Man  tindet  diese 
grossen  Gebilde  bei  der  Abtrennung  der  Trachea  hinter  ihr,  tn 
Jedoch ,  dass  die  Orificien  in  die  Hohle  der  Luflrßhre  mQnden. 
Bäuft  sich  in  einem  solchen  Sack  eine  grössere  Quantität 
von  Secret  an,  so  kann,  selbst  wenn  das  Orificium  noch  nicht 
vollkommen  unwegsam  ist,  der  Eindruck  entstehen,  als  läee 
zwischen  Trachea  und  Oesophagua  eine  selbständige  Cyste.  Spä- 
terhin können  dort  Eitenloke  o.  b.  w.  sich  bilden,  die  wie  selb- 
ständige Abscesse  erscheinen.  —  Andere  Follicularcysten  sind  an 
den  Respirationswegen  selten.  Die  vollkommenste  Form  ist  die- 
jenige, welche  an  den  Morgagni'schen  Taschen  vorkommt  und  zu- 
weilen   Gelegenheit    zur    Bildung    blasiger    Larynxpotypen 


gibt.  Diese  schieben  sich  flach  über  die  Schleimhantfiäche 
hervor,  anfangs  den  Nabothseiem  vergleichbar,  wölben  sich  all- 
mählich mehr  hervor,  bleiben  :;ber  fast  immer  breit  aufsitzend. 
Sie  unterhalten  eine  anhaltende  Reizung  der  Nachbarschaft. 


fif.-.  41.  

tortrilend.     Von  einem  Slterfn  Manne  neben  ei genthQm liehen  Verkrflm] 
v-n  <l>rr  Lar^oxkDorpel.     (Pr&parat  No.  218a.  rom  Jabre  1869). 


Schleimcysteo  der  Vagioa.  247 

Zuweilen  finden  sich  SchleimcyBten  grösserer  Art  an  der  Va- 
gina vor,  besonders  in  ihrem  äusseren  Drittel.     Ihre  Entwicke- 

Flg.  4». 


Inng  ist  bis  jetzt  kemesneges  borgfaltig  studirt  worden,  und  es 
kann  daher  nicht  mit  Sicherheit  ausgesagt  werden,  ob  sie  aus  Fol- 
likeln entstehen  Jedoch  ist  ihre  Lage  und  ihr  Inhalt  so  vollkom- 
Den  übereinstimmend  mit  denen  anderer  Schleimcysten,  namentlich 


Fig.  42  TiefBitzeode  Scbleimcyste  der  Vagma  \n  eiaem  Falle,  wo  an 
der  hinteren  und  vorderen  Scheidenwand  noch  beträchtliche  LingBn-Qlste, 
ib  Rudimente  der  früheren  Duplicität  des  Scheideakanals  bestanden.  Letz- 
teres VerhlUtDiBa  ist  unten  auf  einem  Querschnitt  der  Scheide  schematisch 
dargestellt.  Der  dickere  ftulst  entspricht  der  vorderen  Wand.  l[Präparat 
Na  364b.  vom  Jahre  1858)  Es  var  gleichzeitig  eine  multilocuUre  Eierstocks- 
Bescbmilst  Torhanden 


248  Bil^  Vorlesang. 

den  tiefsitzenden  Nabothseiern,  dass  ich  es  für  wahrscheinlich  er- 
achten mu8B,  dass  sie  aus  Drüsen  hervorgegangen  sind.  Ich  habe 
sie  bis  Wallnussgross  gesehen,  und  zwar  sowohl  dicht  unter  der 
Oberfläche,  als  in  einiger  Tiefe. 

Eine  noch  grössere  Zahl  von  Localitäten  vorzuführen,  halte 
ich  für  überflüssig.  Ich  erwähne  nur,  dass  an  dem  Orificium  ext 
urethrae  femininae,  an  der  Schleimhaut  der  Nase,  der  Lippen,  der 
Ureteren  bald  diese,  bald  jene  der  besprochenen  Formen  in  sehr 
ausgezeichneter  Weise  vorkommt.  Das  gegebene  Schema  lässt 
sich  überall  mit  Leichtigkeit  anwenden,  wo  an  Schleimhäuten 
Drüsen  oder  Schleimbälge  vorhanden  sind,  und  es  wird  keine 
S<!hwierigkeiten  machen,  die  verschiedenen  Formen  zu  deuten, 
wenn  man  einmal  den  Entwickelungsgang  überhaupt  erkannt  hat. 


Zwölfte  Vorlesung. 

10.  Januar  1863. 


Retentions  -  Cysten  der  grösseren  Kanftle. 


Cystiacbe  Entartung  des  Processus  vermiformis  als  Muster. 

Verschiedeubeit  der  Retentions -Cysten,  Je  nachdem  der  Inhslt  mehr  Pnisen-  oder  mehr  Flächen- 
Becret  ist:  A.  Einfache  Reteotion  der  Fl&chenabsonderung.  AUm&bliebe  Ver> 
inderung  des  Inhaltes:  Zerfall  der  seiligen  Theile,  Umwandlung  des  Schleims  in  Natronalbu- 
minat,  wässerige  Transsudation  aas  der  Wand,  hämorrhagische  Beimischungen.  Umbildung 
Ton  Scbleimcysten  in  seröse  und  Blutcysten.  Stärkere  Irritation  der  Wandungen:  eitarlge 
Absonderung,  Verdickung,  Pericystitis.  Bronchiekta  sie:  k&sige  Eindickung  des  Inhaltes, 
Verwechselung  mit  Tuberkel.  B.  Gemischte  Formen,  entstanden  aus  Anh&ufung 
TOD  Drnsen-  und  Flachensecret.  Als  Beispiel  die  Gallen-Retention.  Primire 
Gallcncysten:  Anbaufang  der  Galle,  Eindickung,  Krystallisation  uud  Concretion.  Hydrops 
cystidis  felleae :  Resorption  oder  Sedimentirung  der  Galle,  Anhäufung  von  Schleim,  Resolution 
desselben,  wasserige  Ausschwitsnng.    Cysten  der  Oallenwege:  Schleim-  und  seröse  Cysten. 

^'«ibliche  Genitalien:  1.  Hydrops  folliculorum  ovarii.  Vorkommen  vor  der  Puber- 
tät. Verschiedenheit  von  der  gewöhnlichen  Eierstockswassersucbt.  Verhaltniss  sum  Ovulum. 
Katarrhalische  Natur  des  Zustandes.  2.  Hydrops  tubarum.  Atresie  des  Ostiuro  abdo- 
minale. Wechselnder  Zustand  des  Ostium  uterinum.  Hämorrhagische  Ergüsse.  Lage  der 
Oeschwölste.  Möglicher  Abfluss  des  Inhaltes  durch  den  Uterus;  Perforation  In  Nachbartheile. 
3.  Cysten  der  Ligamenta  lata.  Die  End-Hydatiden  des  Müllerschen  und  WolfTschen 
Ganges.  Cysten  des  Parovariuros.  Neugebildete  Cysten  der  Ligamente.  4.  Hydro metra 
(Hydrops  uteri).    Beziehung  xu  Katarrh  und  Flexion. 

^oftwege:  eystiscbe  Bronchiectasis  und  Tracheetasis. 

^trnwege:  1)  Harnblase:  Divertikelbildung.  3)  Ureteren  und  Nierenbecken:  Hydro- 
oephrose.  Congenitale  und  erworbene  Formen.  Ursachen.  Atrophie  der  Niere.  Aenderung 
des  Inhaltes.  Diagnose.  Compensatoriscbe  Hyperplasie  dsr  anderen  Niere.  Gefahr  der 
Urämie.  3)  Harnkanälchen:  Hydrops  reuum  cysticus,  Renes  bydatidosL  Hamcysten. 
Congenitale  Form.  Atresie  der  Papillen.  Cysteunieren  der  Erwachsenen:  Abschnfirnng  der 
Harnkanälchen,  albuminöser  Inhalt,  Coniluens. 

^PtieheldrJisen:  Ranula  subungualis.  Verschiedene  Hypothesen.  Chemische  Natur  des  Inhalts. 
Ranala  parotidea  und  pancreatica:  cylindrische  und  sackige  Form.  Ptyalectasis  und  Ptyalo- 
cele.    Dermoide  Form. 

Boden:  Spermatocele  (Hydroeele  spermatica).  Samenfäden  in  freier  Hydrocele -  Flüssigkeit. 
Samencysten.  Behauptete  Neubildung  derselben.  Entwickeiung  ans  rudimentären  Theilen  des 
Wolf  sehen  Körpers.   Vas  aberrans  und  Corpus  innominatum.    Die  Hydatiden  am  Nebenhoden. 

Weibliche  Brust:  Milchcysten.  Allmählige  Umwandlung  in  Gallert-  und  Blutcysten.  Butter- 
cysten.    Galactocele. 


250  Zwöfte  Vorlesung. 


Wir  haben  im  Verfolg  unserer  Betrachtung  der  Retentionsge- 
schwülste  jetzt  diejenigen  Arten  ins  Auge  zu  fassen,  welche  von 
grösseren  Kanälen  ausgehen.  Sie  schliessen  sich  in  ihrer  Ent- 
stehung und  weiteren  Geschichte  vielfach  unmittelbar  an  die  zu- 
letzt besprochene  Reihe  der  cystischen  Bildungen  an,  welche  aus 
kleineren  Drüsenkanälen  hervorgehen. 

Es  giebt  einen  Körpertheil,  welcher  in  Beziehung  auf  cy- 
stische Dilatation  im  Grossen  gleichsam  dasjenige  wiederholt, 
was  eine  einzelne  schlauchförmige  Drüse  innerhalb  einer  Schleim- 
haut im  Kleinen  hervorbringt,  das  ist  der  Processus  vermi- 
formis*). Die  Einrichtung  des  Wurmfortsatzes,  der  als  ein 
langer,  cylindrischer,  am  Ende  geschlossener  und  an  seiner  inneren 
Oberfläche  absondernder  Kanal  von  dem  Coecum  ausgeht,  und 
sein  Secret  in  das  letztere  entleert,  ist  ja  im  Grossen  dieselbe, 
wie  die  einer  Drüse,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  in  seiner 
Wand  wiederum  Drüsen  allerlei  Art  enthalten  sind.  Wenn  der 
Wurmfortsatz  absondert,  so  sondert  er  in  der  Regel  eine  schlei- 
mige Masse  ab;  er  verhält  sich  also  auch  in  dieser  Beziehung, 
wie  eine  grosse  Schleimdrüse.  Wenn  diese  Masse  in  seinem 
Kanal  sich  anhäuft,  wenn  sie  ihn  allmählich  ausdehnt,  so  wird 
ttUM  dem  einfachen  Cylinder  ein  rundlicher  Sack.  Dabei  kann 
die  Mündung  bloss  verengert  sein  oder  obliteriren,  jedoch  giebt 
es  auch  Fälle,  wo  die  Verengerung  oder  die  Obliteration  weiter 
nach  hinten  hin  geschieht.  In  diesem  Falle  kann  die  Mündung 
und  ein  Theil  des  Kanals  noch  frei  sein,  so  dass  eine  Sonde  eine 
Strecke  weit  bis  zu  dem  Punkt  dringt,  wo  —  in  der  Regel  durch 
einen  Entzündungsprocess  in  der  Wand  oder  in  der  Umgebung  — 
der  Kanal  verengert  oder  verschlossen  ist.  Erst  hinter  dieser 
Stelle,  welche  zuweilen  schon  von  aussen  durch  eine  Art  von 
Einschnürung  sichtbar  ist,  findet  sich  die  Aussackung,  welche  als 
eine  pendulirende  Cyste  an  einem  relativ  dünnen  Stiel  in  die 
Bauchhohle  hineinhängen  kann.    Ich  habe  einen  Fall  beobachtet. 


*)  In  noch  grösserem  Maassstabe  findet  man  solche  Schlei mcysten  bei 
d<fO  congenitalen,  oft  vielfachen  Atresien  des  Darmes,  wo  die  eiozelnen  Ab- 
^boOrungen  sich  zu  gi essen,  mit  Schleim  gefällten  Sftcken  ausveiten. 


Gystische  Entartung  des  Wurmfortsatzes.  251 

wo  die  cystiBche  Erweiterung  die  Grösse  einer  starken  Faust  er- 
reichte. Meistentheils  bleibt  die  Cyste  auf  einer  gewissen  Stufe 
des  Wachsthums  stehen,  weil  sich  in  ihrem  Umfange  eine  partielle 
adhäsive  Peritonitis  (Perityphlitis)  entwickelt,  welche  zugleich  mit 
Verdickungen  des  serösen  üeberzuges  verbunden  ist.  Nur  selten 
fand  ich  die  Wand  in  dem  Maasse  verdünnt,  als  die  Ausweitung 
grösser  war. 

Der  so  gebildete  Sack  ist  im  Anfange  ganz  und  gar  erfüllt 
mit  zähem,  glasigem  Schleim,  der  so  compakt  ist,  wie  der  be- 
kannte Schleimpfropf,  welcher  sich  in  der  Cervix  uteri  bei  Schwan- 
geren vorfindet;  man  kann  ihn  mit  der  Pincette  fassen  und  mit 
der  Scheere  schneiden.  Hier  kann  wegen  der  compakten  Beschaf- 
fenheit des  Schleimes  leicht  die  Vorstellung  entstehen,  dass  es 
eine  solide  Geschwulst  sei,  die  in  die  Kategorie  der  GoUoide  ge- 
höre*); allein  es  handelt  sich  um  nichts  weiter,  als  um  eine  ein- 
fache Schleimcyste,  die  aus  der  Dilatation  und  partiellen  Oblite- 
ration  des  Wurmfortsatzes  hervorgegangen  ist**).  — 

In  ähnlicher  Weise  entstehen  an  vielen  anderen  Orten  cy- 
stische Bildungen,  die  eine  längere  Zeit  hindurch  in  der  Natur 
ihres  Secretes  vollständig  das  Zeichen  ihres  Ursprunges  an  sich 
tragen.  Unter  sich  sind  dieselben  natürlich  sehr  verschieden 
(S.  120),  da  nicht  blos  die  besondere  Absonderung  der  Wand 
der  Cyste  dabei  bestimmend  ist,  sondern  auch  das  etwaige  Drü- 
sensecret,  welches  von  weiterher  kommt,  sich  anhäuft  und  mit 
den  localen  Absonderungsproducten  sich  vermischt.  Allein  wie 
ich  schon  das  letzte  Mal  erwähnt  habe  (S.  '237),  die  Beschaflfen- 
heit  des  Inhaltes  bleibt  nicht  immer  dieselbe,  und  zwar  weder 
die  chenodsche,  noch  die  morphologische.  Nehmen  wir  z.  B.  den 
einfachsten  Fall,  den  einer  Schleimcyste.  Wenn  lange  Zeiträume 
über  dem  Bestehen  der  Retention  verlaufen,  so  gehen  die  zelligen 
Bestandtbeile  allmählich  zu  Grunde,  indem  sie  sich  entweder  ein- 
fach verflüssigen,  oder  durch  Fettmetamorphose  auflösen  und 
freies  Fett  ds  Residuum  hinterlassen.  Zugleich  beginnt  der 
Schleim  sich  zu  zersetzen.  Sein  gewöhnliches  Zersetzungsproduct 
ist  dasselbe,  was  wir  auch  bei  künstlicher  Digestion  aus  Schleim 


*)  Ein  von  Gähtgens  (Turooris  colloidis  casas  singularis.    Diss.  inaug. 
Doipat.  1853.)  beschriebener  Fall  scheint  dieser  Art  gewesen  zu  sein. 
**)  Rokitansky.    Lehrbuch  der  pathol.  Anat.    1861.  Bd.  III.  S.  184. 


252  Zwölfte  Vorlesang. 

erzielen  können :  Natronalbuminat  neben  allerlei  unbekannten  Ex- 
tractivstoifen.  In  dem  Maasse  als  diese  Umwandlung  der  schlei- 
migen Masse  in  alkalische  albuminöse  Substanzen  stattfindet, 
schmilzt  der  gesammte  Gysteninhalt,  und  an  die  Stelle  der  vor- 
her so  zähen,  scheinbar  coUoiden  Masse  tritt  eine  sehr  donne, 
wässerige  Flüssigkeit. 

Dazu  kommt  noch  ein  anderer  Umstand.  Da  die  Absonde- 
rung gewöhnlich  keine  ganz  normale,  sondern  mehr  oder  weniger 
eine  katarrhalische  ist,  so  muss  in  der  Regel  vorausgesetzt  werden, 
dass  die  Wand  sich  in  einem  anhaltenden  Reizungszustande  be- 
findet. Dieser  wird  durch  die  Retention  unterhalten  und  durch 
die  Zersetzung  der  Retentionsstoife  gesteigert.  Somit  wächst  die 
Absonderung  im  Verhältnisse  der  Retention  und  damit  auch  die 
Ausweitung  des  Sackes.  Je  weiter  aber  diese  fortscjireitet ,  um 
so  mehr  verdünnt  sich  in  der  Regel  auch  die  Schleimhaut;  sie 
nimmt  nach  und  nach  eine  glatte,  einer  serösen  Haut  ähnUehe 
BeschaflFenheit  an ;  die  tieferen  Gefässe  treten  näher  an  die  Ober- 
fläche, und  zwar  in  dem  Maasse  mehr,  als  die  Wand  ausgespannt 
wird.  Damit  scheint  sich  in  der  späteren  Zeit  eine  Aenderong 
in  der  Secretion  einzustellen,  indem  kein  Schleim  mehr  in  jener 
zähen  Form  abgesondert  wird,  sondern  eine  wässerige,  seröse 
Flüssigkeit,  der  wohl  kleine  Quantitäten  von  flüssigem  Schleim 
beigemengt  sein  können,  die  aber  im  Ganzen  den  serösen  Trans- 
sudaten gleicht. 

Nicht  selten  gesellen  sich  diesen  serösen  Flüssigkeiten,  na- 
mentlich an  solchen  Stellen,  wo  der  Gefässreichthum  ein  erheb- 
licher ist  oder  wo  noch  besondere  Zustände  der  Hyperaemie  von 
Zeit  zu  Zeit  auftreten,  hämorrhagische  Ergüsse  hinzu ,  so  dass 
die  ursprüngliche  Schleimcyste,  welche  nachher  eine  seröse 
Cyste  wurde,  endlich  sich  wie  eine  Blutcyste  (S.  153)  dar- 
stellen kann.  Dieses  Blut  ist  natürlich  im  Anfang  roth;  dann 
treten  allmählich  die  bekannten  Veränderungen  ein*):  das  Hae- 
matin  difliindirt  sich  in  der  Flüssigkeit,  diese  nimmt  ein  braun- 
rothes  Aussehen  an,  manchmal,  bei  geringerem  Gehalt  an  Hae- 
matin,  ein  gelbliches,  manchmal  ein  schwärzliches,  und  es  können 
untor  Umständen  Säcke  gefunden  werden,  die  mit  einer  dinten- 
Ahnlich<^n   Flüssigkeit   gefüllt  sind;  wenigstens  triflfl  man  sie  so 

•)  Mein  ArchiT.    Bd.  1.  S.  3di. 


Secundäre  Veränderungen  der  Retentionscjsten.  253 

in  den  Leichen,  wo  wahrscheinlich  cadaveröse  Gase  auf  die  Farbe 
eine  Einwirkung  geübt  haben.  Das  aufgelöste  und  veränderte 
Haematin  durchdringt  weiterhin  die  in  der  Flüssigkeit  enthaltenen 
festen  Körper  und  die  Wandungen  des  Kanals,  tränkt  sie  und 
erzeugt  an  und  in  ihnen  allerlei  gelbe,  braune,  rothe  und  schiefe- 
rige Pigmente. 

Endlich  kann  es  auch  geschehen,  dass  die  Wand  des  Sackes 
der  Sitz  stärkerer  Irritationen  wird,  dass  Eiterabsonderungen  statt- 
finden, dass  purulente  Massen  sich  beimischen  und  der  Flüssig- 
keit ein  trübes,  manchmal  gelbweisses  Aussehen  geben.  Ist  die 
ursprüngliche  Flüssigkeit  an  sich  zu  Zersetzungen  geneigt,  so 
beschleunigen  und  compliciren  sich  diese  unter  der  Einwirkung 
des  Eiters,  und  wenn  gar  eine  Eröffnung  der  Cysten  und  ein 
Eintritt  von  Luft  in  dieselben  erfolgt,  so  giebt  es  gewöhnlich 
sehr  schnelle  faulige  Umsetzungen.  —  Hyperplastische  Prolifera- 
tionen, welche  in  Form  von  Verdickungen  und  Auswüchsen  her- 
vortreten, sind  an  der  Schleimhaut  selten.  Dagegen  verbindet 
sich  mit  den  stärkeren  Reizungen  der  inneren  Fläche  sehr  gewöhn- 
lich eine  zunehmende  fibröse,  oft  schwielige  Verdickung  der  gan- 
zen Wand,  nicht  selten  auch  eine  eigentliche  Perizystitis,  welche 
Verdickungen,  Auswüchse  und  Verwachsungen  an  den  äusseren 
Theilen  des  Sackes  hervorbringt. 

Das  ist  im  Grossen  der  Gang,  den  die  cystischen  Processe 
an  den  meisten  Stellen  nehmen,  —  ein  Gang,  der  natürlich  sehr 
modificirt  wird  durch  die  ursprüngliche  Beschaffenheit  der  Ober- 
fläche und  durch  die  Art  der  Absonderungen,  mit  denen  der 
Process  anfing.  So  wird  an  manchen  Schleimhäuten  im  Anfang 
viel  häufiger  purulente  Ma^e  abgesondert,  als  schleimige;  es  be- 
stehen mehr  eitrige  als  schleimige  Katarrhe,  wie  so  häufig  am 
Respirationsapparat.  Die  bekannten  Erweiterungen  der  Luftwege, 
die  Bronchiektasien,  füllen  sich,  wenn  ihr  Inhalt  stagnirt, 
gewöhnlich  mit  Eiter.  Späterhin  verdichtet  sich  derselbe  all- 
mählich, er  dickt  sich  ein  und  geht  in  käsige  oder,  wie  man 
sagt,  tuberkelartige  Masse  über*).  Es  hängt  jedoch  sehr  von 
den  Localitäten,  wo  sich  diese  Dinge  bilden,  und  von  der  Auf- 
fassung über  ihre  Entstehung  ab,  ob  man  sie  Geschwülste  nennen 
will    oder   nicht.     Bis  jetzt   ist   es  nicht  üblich  gewesen,    die 


*)  Mein  Archiv.    1847.    Bd.I.    S.  175. 


254  Zwölfte  Vorlesung. 

Bronchiektasien  schlechthin  Geschwülste  zu  nennen,  aber  es 
muss  doch  bemerkt  werden,  dass  namentlich  die  käsige  Ein- 
dickung  des  bronchiektatischen  Inhaltes  sehr  häufig  Veranlassung 
gegeben  hat,  solche  Dinge  für  Tuberkel*),  also  für  wirkliche 
Geschwülste  zu  halten.  Man  mag  daraus  wieder  ersehen,  wie 
unsicher  überhaupt  der  Begriff  der  Geschwülste  ist.  Je  weniger 
bekannt  die  Entwickelungsgeschichte  einer  bestimmten  Anhäufung 
ist,  je  mehr  die  Vorstellung  sich  erhebt,  dass  der  Sack  auf  selb- 
ständige Weise  entstanden  ist,  um  so  mehr  wird  man  immer  ge- 
neigt sein,  ihn  eine  Geschwulst  zu  heissen.  — 

Viel  schwieriger,  als  die  bisher  besprochenen  Fälle,  sind  die- 
jenigen, wo  nicht  sowohl  die  örtlichen  Absonderungsstoffe  eines 
Kanals  sich  aufhäufen,  sondern  wo  der  Kanal  Ausführungsgang 
einer  Drüse  ist  und  die  Retention  zunächst  das  specifische  Drüsen- 
secret  trifft.  Hier  mischen  sich  nach  und  nach  örtliche  Absonde- 
rungsstoffe  der  Kanalwand  zu  dem  Drüsensecret,  und  es  enUttehea 
oft  sehr  complicirte  Zersetzungsverhältnisse,  welche  sich  sehr  ver- 
schieden gestalten,  je  nachdem  die  Drüsensecretion  fortdauert 
oder  nicht,  und  je  nachdem  die  örtliche  Absonderung  stark  oder 
schwach  ist. 

Ich  will  einige  dieser  Fälle  etwas  specieller  durchgehen,  theils 
diejenigen,  welche  besonders  charakteristische  Anhaltspunkte  ge- 
währen für  die  Betrachtung  der  hier  vorkommenden  pathologi- 
schen Verhältnisse  überhaupt,  theils  solche,  welche  gerade  als 
Geschwülste  eine  gewisse  Berühmtheit  und  Wichtigkeit  erlangt 
haben. 

In  Beziehung  auf  die  Umwandlungszustände  des  Inhaltes 
haben  wir  keine  Localität,  welche  so  charakteristische  Gesicbts- 
puncte  lieferte,  wie  die  verschiedenen  Abschnitte  der  Gailen- 
wege.  Eine  Ektasie  der  Gallenwege,  namentlich  wenn  sie  einen 
cystischen  Charakter  annimmt,  wird  natürlich  im  Anfange  mit 
Galle  gef&llt  sein;  sie  bildet  eben  eine  Gallencyste**).  Ob  sie 
aber  als  solche  fortbestehen  wird,  das  hängt  davon  ab,  dass  die 
Zufuhr  von  Galle  andauert,  dass  immer  wieder  neue  Galle  in  deo 
Sack  eingefQhrt  wird.  Ist  das  der  Fall,  so  vergrössert  sich  die 
Ektasie  mehr  und  mehr,  aber  zugleich  dickt  sich  allmählich  die 


•)  Cellularpathologie.    3.  Aufl.    S.  170,  439. 
**}  CroTeilhier.   Anat.  path.   Li?r.  Xll.  fig.  1--3. 


GalleDcysten.  255 

darin  stagnirende  Galle  ein,  wie  etwa  der  Eiter  in  den  käsig 
werdenden  Bronchiektasien ,  indem  die  wässerigen  Bestandtheile 
zur  Resorption  gelangen  und  die  festen  Tbeile  sich  sedimentiren. 
Manchmal  entstehen  so  in  der  Leber,  namentlich  gegen  die  Ränder 
oder  Oberflächen  derselben  hin,  liaselnus8grosse  bis  wallnussgrosse 
Säcke,  die  mit  einer  ganz  dicken,  schmierig -breiigen  Galle  an- 
gefüllt sind.  Sehr  häutig  erfolgen  aus  der  stagnirenden  und  sich 
zersetzenden  Galle*)  nachher  Niederschläge  und  Krystallisationen, 
namentlich  von  Cholestearin,  Bilifulvin  und  Hämatoidin.  In  ein- 
zelnen Fällen  setzt  sich  sogar  der  grössere  Theil  des  Inhaltes 
aus  solchen  krystallinischen  Massen  zusammen.  Ich  habe  wall- 
nussgrosse Cysten  gefunden,  die  fast  nur  Cholestearin  in  grossen 
Krystallen,  untermischt  mit  Pigment  enthielten.  Anderemal  über- 
wiegt auch  in  den  einfachen  Gallencysten  das  Hämatoidin,  ganz  ähn- 
lich, wie  es  in  alten  Echinococcus-Säcken  der  Leber  vorkommt,  — 
ein  Ereigniss,  welches  für  die  Geschichte  des  Hämatoidins  von  gros- 
ser Bedeutung  gewesen  ist,  weil  es  die  einzige  Localität  war,  wo- 
raus ich  selbst**)  und  Hr.  Rob in***)  grössere  Mengen  gewonnen 
haben,  welche  das  Mittel  zu  einer  genaueren  Untersuchung  des  Stof- 
fes darboten.  Unter  solchen  Verhältnissen  verändert  sich  die  Farbe 
des  Sackes;  anfangs  ist  der  Inhalt  ein  brauner  oder  gelbbrauner; 
in  dem  Maasse  als  Hämatoidin  ausgeschieden  wird,  tritt  die 
mennig-  oder  rubinrothe  Farbe  ein,  welche  seine  Anwesenheit 
schon  f&r  das  blosse  Auge  charakterisirt. 

Viel  häufiger  wird  aber  die  Zufuhr  von  Galle  unterbrochen, 
and  es  entsteht  zu  einer  gewissen  Zeit  ein  Abschluss  des  Sackes. 
Das  kommt  verhältnissmässig  am  häufigsten  an  der  Gallenblase 
vorf).  Wenn  Gallensteine  sich  im  Ductus  cysticus  festsetzen,  oder 
wenn  eine  narbige  Schrumpfung  an  der  Mündung  der  Blase,  na- 
mentlich von  aussen  her,  stattfindet,  dann  bleibt  die  Galle,  welche 
in  dem  Augenblick  der  Verschliessung  vorhanden  war,  zunächst 
da;  manchmal  kommen  noch  Niederschläge,  Krystallisationen  und 
kleine,  namentlich  aus  reinem  Cholestearin  gebildete  Steinbil- 
dongen  zu  Stande,  allein  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  verschwindet 


•)  Wfirzbarger  Verhandl.    1^50.    Bd.  I.  S.  311. 
••)  Mein  Archiv.    1847.    Bd.  I.    S.  427. 
*••)  Gas.  m4d.  de  Paris.    1855.    No.  44.    p.  684. 
t)  Rokitansky,    a.  a.  0.    Bd.  IlL    S.  28L     Gruveilhier.    Aoat 
pathol     Uvr.  XXIX.    PI.  4. 


256  Zwölfte  Vorlesung. 

die  Galle  spurlos,  die  Flüssigkeit  wird  immer  heller,  die  Farbe 
verliert  sich  und  endlich  zeigt  sich  ein  vollständig  farbloses 
Fluidum.  Während  diese  offenbar  durch  Absorption  der  Galle 
bedingte  Entfärbung  stattfindet,  geschieht  fortwährend  eine  Secre- 
tion  von  der  Wand,  und  zwar  zunächst  wieder  eine  schleimige, 
so  dass  zuweilen  die  verschlossene  Blase  ganz  und  gar  mit  einem 
ähnlichen,  wenn  auch  nicht  so  consistenten  Schleim  erfüllt  wird, 
wie  die  Cysten  des  Processus  vermiformis.  Dann  kommt  das 
Stadium,  wo  dieser  Schleim  sich  wieder  verflüssigt  und  zu  einer 
albuminösen,  scheinbar  einfach  serösen  Substanz  sich  umwandelt, 
und  zugleich  beginnt  eine  einfach  seröse  Transsudation  von  der 
Wand.  Nun  dilatirt  sich  der  Sack  mehr  und  mehr,  die  Gallen- 
blase wird  immer  grösser,  sie  schiebt  sich  unten  am  Leberrand 
hervor,  sie  erweitert  sich  im  Querdurchmesser,  und  unter  Um- 
ständen kann  sie  eine  Geschwulst  bilden,  die  schon  bei  Lebzeiten 
am  unteren  Rand  der  Leber  wie  ein  faustgrosses  Gebilde  hervor- 
tritt und  durch  die  harte  Spannung  ihrer  Wand  eine  Verwechse- 
lung mit  einer  Vollgeschwulst  veranlassen  kann.  Diesen  Zustand 
nennt  man  gewöhnlich  Hydrops  cystidis  felleae,  indem  man 
davon  ausgeht,  dass  von  Anfang  an  eine  seröse  Ausscheidung 
stattgefunden  habe,  wie  man  sie  bei  Hydrocele  und  bei  Hygromen 
(Hydrops  bursarum)  vorausgesetzt  hat.  Allein  es  handelt  sieh 
keineswegs  um  einen  dem  Wesen  nach  hydropischen  Vorgang; 
der  Hydrops  ist  vielmehr  ein  sogenannter  spurius*),  er  ist  be- 
dingt zunächst  durch  die  Verflüssigung  des  Schleims,  sodann 
durch  die  später  folgende,  also  secundäre  seröse  Absonderung, 
welche  ihrem  Wesen  nach  eine  irritative  Frscheinung  und  den 
serösen  Katarrhen  zuzurechnen  ist. 

Ganz  ähnliche  Vorgänge,  wie  an  der  Gallenblase,  finden  sich 
auch  an  den  Ductus  biiiferi**),  wo  eine  cystoide  Degeneration 
vorkommt,  welche  den  genauen  Eindruck  einer  unabhängigen 
Cystenbildung  hervorbringt.  Auch  diese  Säcke  entstehen,  wie 
die  Gallencysten,  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  nahe  der 
Oberfläche  des  Organs  in  den  mehr  peripherischen  Gängen.    Mit 


^)  Jul.  Vogel.    Pathol.  Anatomie.    I.    S.  85. 

^*)  In  einem  Falle,  vo  ^^^  Herren  Kölliker  und  H.  Müller  bei  eintm 
Hunde  den  Gallengang  unterbunden  hatten,  sah  ich  nach  liogerer  Zeit 
•iamtliche  Ductus  biliieri  innerhalb  der  Leber  stark  erweitert  und  mit  gans 
farbloten,   zähem  Schleim  erfüllt. 


OalleBgangBcyBteii.  257 

dieser  Lage  hängt  es  wohl  zusammen,  da&s  die  Zufuhr  von  neuer 
Galle  so  hänfig  aafhOrt,  indem  derjenige  Abschnitt  der  Leber, 
welcher  in  den  betreffenden  Gallengang  seine  Galle  liefern  sollte, 
durch  den  Druck  des  Sackes  atrophisch  wird.  Erreicht  nehmlich 
die  Ektasie  eiae  gewisse  Grtisse,  so  atropbirt  jedesmal  das  um- 
Ijegende  Parenchym;  die  Cyste  liegt  dann  an  einer  prominenten 
Stelle  unmittelbar  unter  der  Leberkapsel,  und  es  ist  kein  Paren- 
chym mehr  zwischen  Cyste  und  Albuginea,  welches  in  den  Sack 
hinein  secemiren  k6nnte. 

Die  Säcke  erreichen  nicht  selten  die  GrOsse  einer  Kirsche, 
einer  Wallnuss,  und  es  kann  dann  auf  den  ersten  Blick  ganz  so 
aussehen,  als  hätte  man  kleine  Echinococcussäcke  vor  sich.  Von 
diesen  lassen  sie  sich  indess  leicht  unterscheiden,  weil  sie  keine 
membranSsen  Theile  enthalten,  die  dem  Blasenwurm  entsprächen 
(S.  104),  sondern  in  der  Regel  nur  eine  einfache  Flüssigkeit,  welche 
bei  j&ngeren  Bildungen  eine  bräunliche  oder  schmutzig  grünliche 
Färbung  zeigt,  bei  älteren  ganz  klar  und  wasserhell  ist.  Besonders 
eluracteristisch  sind  solche  Cysten,  in  welchen  ein  Niederschlag 
der  GaUenbeatandtheile,  eine  ConcretioQS-  und  Steinbitdung  (Fig.  43) 
stattgefunden  hat,  weil  bei  ihnen  die 
Frage  Ober  die  Ableitung  der  Cyste  aus  ^"'  *^' 

abgeschnürten,  erweiterten  Tbeilen  der  Gal- 
Imgänge  am  wenigsten  zweifelhaft  sein 
kann.  Manchmal  erhält  sich  nach  der  Re- 
sorption oder  Sedimentirung  der  Gallen- 
aotheile  die  natürhche  Absotiderung  der 
Schleimhaut  längere  Zeit  und  man  findet 
die  Cysten,  bald  mit  einer  mehr  schleimi- 
gen, bald  mit  einer  gallertigen,  colloiden 
Masse  erfUlt*).  Diese  Formen  gleichen, 
um&l  wenn  sie  klein  sind,  in  hohem  Maasse  den  Säcken  abgestor- 


Fig.  43.  GkUeDgaogBCTste  an  der  Leberoberfläcbe  vod  einem  Geistes- 
knaken,  der  sogleich  tricbinds  war.  Sie  lag  am  rechten  Lap)>eD  dicht 
atbta  dem  Ligam.  suBpensoriom  an  einer  etwas  deprimirten ,  schwielig  aus- 
MhMden  Stelle,  hatte  Ober  J  Zoll  im  DuTcbmeaser  und  enthielt  in  einer 
Kbr  derben,  Bbrösen  Kapsel  eine  b räu n liehe- Pili asigkeit  mit  kleinen,  orange- 
GvbeDen,  ganz  ans  ÜiniBtoidin  und  Cholegtearin  bestehenden  Brückein.  (Pr9- 
pant  No.  259b.  vom  Jahre  1658). 

*)  Siehe  die  genauere  Beschreibung  des  Inhaltes  einer  solchen  C^ste 
ia  neiBWi  Archiv,  fid.  1.  S.  114.  Note;  die  einer  anderen  mit  Flimmerepithel 
von  Priedreieh,  ebendaselbst,  Bd.  XL  S.  467. 

Vlrckow,  GMibaGUlt.    1.  ]7 


258  Zwölfte  VortesaDg. 

bener  und  verglaster  Echinococcen,  aber  vergeblich  Bucht  man  in 
ihnen  Haken,  Kalkkßrper  oder  geschichtete  Häute,  wie  in  alten 
EchinococcuB-Säcken.  Es  ist  nur  eine  amorphe,  hfichsteDB  mit  epi- 
thelialen Elementen  von  der  Wand  untermischte  Gallerte  vorbanden. 
Diese  Beispiele  sind  insofern  fSr  die  ganze  hier  in  Betradit 
kommende  Gruppe  von  Wichtigkeit,  als  wir  drei  ganz  ver- 
schiedene, aber  aus  einander  hervorgehende  Stadien 
in  der  Bildung  unterscheiden  können:  eines  der  Gallenretention, 
eines  der  Schleimsecretion  und  eines  der  serösen  tfaeüs  tfetamor- 
phose  theils  Seeretion.  Wenn  man  diese  Verhältnisse  im  Auge  be- 
hält, so  wild  man  sehr  vorsichtig  bei  der  Deutung  von  Cysten,  welche 
nicht  denjenigen  Inhalt  haben,  den  man  nach  Haassgabe  der  ur- 
sprünglichen Secretion  erwartete.  — 

Ganz  ähnliche  Vorgänge  finden  sich  flberaus  häutig  an  den 
weiblichen  Sexualapparaten,  und  zwar  an  den  verschie- 
densten Abschnitten  derselben.  Es  giebt  einen  Hydrof»  foUicn- 
lorum  ovarii,  einen  Hydrops  tubarum  und  einen  Hydrops  uteri  oder 
Hydrometra,  wo  also,  je  nach  dem  Fall,  entweder  die  Follikel 
des  Eierstocks,  oder  eine  Tuba  ganz  oder  zum  Theil,  oder  die 
Höhle  des  Uterus  in  Cysten  verwandelt  werden. 

Der  Hydrops  folliculorum  ovarii  beginnt  «weilen 
ausserordentlich  frühzeitig.  Schon  bei  neugebornen  Mädchen  fin- 
det man  solche  Cysten,  und  jedenfalls  können  sie  vor  der  Puber- 
tät in  sehr  grosser  Zahl  vorhanden  sein.  Unsere  Sammlung  besitzt 
ein  characteristisches  Beispiel  dieser  Art  von 
einem  zehnjährigen  Mädchen,  wo  eine  gante 
Keihe  von  Follikeln  in  zum  Theil  Kirsch- 
kerngrosse Säcke  umgewandelt  ist  Dies« 
Form  darf  aber  nicht  verwechnelt  werden 
mit  demjenigen  Zustande,  den  man  gewöhn- 
lich Hydrops  ovarii  nennt  Bei  ihr  han- 
delt es  sich  wesentlich  um  eine  allmälige 
Dilatation  existirender  Follikel,  abo  eier- 
führender Räume,  denn  jeder  Follikel  ist  ja  ursprfinglicb  eineier- 
trugonder  Kaum;  das  Ei  gehört  genetisch  notbweodig  dain.  Höch- 
ntiiuH  lii;i  dem  congcnitalcn  Follicalarhydrops  kann  man  davon 


Kill.  U.     iivdrops  folliculariB  otuü  von  «inea  lOjUriget  HMckea. 

(Prlpkrkt  No.  6I&.}.    Ntbein  natarlicb«  QrOM«. 


Hydrops  ovarii  follicularis.  259 

abseben,  insofern  vor  der  Gebart  mehr  die  Anlagen,  als  die  voll- 
standig  aasgebildeten  Einrichtungen  vorhanden  sind.  Aber  schon 
bei  sehr  jangen  Kindern  findet  man  Tausende  von  Eiern  im 
Ovarium  *). 

Der  gewöhnliche  Hydrops  ovarii  fallt  in  eine  andere 
Kategorie,  insofern  es  sich  da  um  Neoplasien  bandelt,  die  einer 
ganz  anderen  Entwickelungsreihe  angehören.  Das  Characteristi- 
»che  des  wahren  Hydrops  follicularis  **)  ist  daher,  dass  man  we- 
nigstens im  Anfang  in  der  Flüssigkeit  noch  das  Ovulum  antrifft. 
Denn  die  Bildung  geschieht  in  der  That  so,  dass  in  einem 
Graafschen  Raum,  welcher  die  gewöhnliche  Zellenmasse  der 
Membrana  granuiosa  und  ein  Ei  enthält,  eine  stärkere  Quantität 
von  albuminöser  Flfissigkeit  sich  anhäuft,  die  hier  von  Anfang 
an  wässerig  und  nicht  schleimig  ist.  Späterhin  geht  das  Ei  zu 
Grande.  Man  kann  deutlich  sehen,  wie  es  zerfällt:  es  löst  sich 
zuerst  der  äussere  Theil,  die  Protoplasmamasse,  in  eine  weichere 
Substanz  aaf,  die  sich  sehr  leicht  zerdrückt,  und  die  endlich  ganz 
und  gar  zerfliesst.  Dann  hat  man  nichts  weiter  als  einen  einfa- 
chen serösen  Sack. 

Gelegentlich  kommt  eine  solche  cystoide  Entartung  der  Eier- 
stocksfollikel  ganz  solitär  vor,  und  im  Grossen  kann  man  zugestehen, 
dass  der  primär  uniloculäre  Hydrops  ovarii  wirklich  ein  folliculärer 
ist  Aber  ich  habe  dargethan,  dass  nicht  wenige  Eierstockswasser- 
sachten, welche  ursprünglich  multiloculär  sind,  secundär  durch  Con- 
flaenz  zusammengehen  und  einfache  Säcke  bilden.  Hier  ist  selbst 
anatomisch  die  Diagnose  sehr  schwierig**'*').  Ich  werde  später 
bei  den  Kystomen  darauf  zurückkommen,  und  hebe  hier  nur  her- 
vor, dass  man  am  sichersten  bei  den  kleinen  Cysten,  welche  in  ge- 
ringerer Anzahl  vorhanden  sind,  die  foUiculäre  Natur  voraussetzen 
darf.  Diese  Zustände  finden  sich  in  späteren  Lebensaltern  unter 
gewissen  Umstanden  häufig,  namentlich  wird  bei  Schwangeren 
und  Puerpem  nicht  selten  eine  grössere  Zahl  von  Follikeln  hydro- 
pisch,  wo  man  beim  Anstechen  eines  jeden  derselben,  wenn  man 
die  Flüssigkeit  vorsichtig  auffängt,  das  Ovulum  gewinnen  kann. 


•)  G rohe  in  meinem  Archiv.    1863.    Bd.  XXVI.    S.  283,  297. 
♦•)  Virchow.    üeber  chronische  Affektionen  des  Uterus   und  der  Eier- 
Mcke.    Wieoer  med.  Wochenschrift.    1856.    No.  12.    S.  180. 

***)  Yirchow.    Das   EierstockscoUoid.    Geburtshülfl.   Yerhandl.    Berlin. 
Bd.  lU.    8.  220-234. 

17* 


260  Zwölfte  VorlesoDg. 

Zustande  dieser  Art  fallen  sehr  gewöhnlich  mit  starken  katarrha- 
lischen (leukorrhoischen)  Erkrankungen  der  Sexualapparate  zu- 
sammen, treten  auch  wohl  unter  dem  Bilde  der  Menstruation,  und 
mit  Blutungen  auf  (Pseudomenstruation)  und  man  kann  sie  geradezu 
als  Katarrhe  der  Graafschen  Follikel  bezeichnen*).  Der  Hy- 
drops ist  also  auch  hier  wieder  ein  irritativer.  — 

Was  nun  die  Tuben  angeht,  so  kann  natürlich  eine  cysti- 
sche Umbildung  ihres  Kanals  nur  vorkommen,  wenn  das  Ostium 
abdominale  verschlossen  ist.  Eine  solche  Atresie  setzt  wiederam 
einen  Verwachsungsprocess,  und  dieser  eine  Perimetritis,  wenn 
auch  eine  sehr  beschränkte,  voraus.  Nach  der  Uterinseite  hin 
ist  die  Tuba  an  sich  sehr  eng,  und  ein  Verschluss  derselben  kann 
schon  durch  eine  klappenartige  Faltung,  oder  durch  eine  Schwel- 
lung der  Schleimhaut  und  der  übrigen  Wandbestandtbeile,  oder 
durch  Anhäufung  von  Schleim  zu  Stande  kommen,  am  leichtesten 
innerhalb  des  eigentlichen  Ostium  uterinum,  zuweilen  auch  schon 
vor  demselben.  Robert  Froriep  **)  unterschied  daher  zwei 
Formen  des  Hydrops  tubarum,  diejenige,  wo  die  Uterinmondong 
offen  ist  und  man  bei  starkem  Druck  Flüssigkeit  aus  dem  Tubar- 
sack  in  den  Uterus  durchpressen  kann  (H.  tubae  apertae),  und 
diejenige,  wo  auch  das  Uterin-Ostium  ganz  verschlossen  ist  (H.  t.  oc- 
clusae).  Cruveilhier***)  hat  diesen  Unterschied  bestätigt.  Die 
vollständige  Atresie  scheint  nach  Froriep  das  seltenere  zu  sein. 

Im  Beginn  der  Störung  häuft  sich  zunächst  ein  schleimig 
epitheliales  Secret  an;  dieses  verflüssigt  sich  später,  es  entsteht 
ein  Hydrops  cysticus  tubae.  In  der  Flüssigkeit  findet  man 
viele  zellige  Theile,  namentlich  runde  Schleimkörperchen,  denn 
die  Tuben  sondern  zu  allen  Zeiten  viel  zelliges  Material  ab.  Dau- 
ert der  Zustand  länger,  so  kommen  fast  immer  hämorrhagische 
Producte  hinzu,  und  es  entsteht  ein  Hydrops  tubae  sanguinolentus. 
Unter  diesen  Vorgängen  dehnt  sich  der  Kanal  mehr  und  mehr 
aus.  Ist  es  die  ganze  Tuba,  so  entsteht  ein  darmartig  gewun- 
dener Sack;  ist  es  nur  ein  Theil  derselben,  so  kann  es  eine  runde 
('yHto  sein,  welche  unter  Umständen  faustgross  und  darüber  wer- 
den kann. 


•♦ 


*)  OpHammelte  Abhandlangen.    S.  767—768. 

'*)  Hob.  Froriep.    Pathol.-anat.  Abbildungeo  ans  der  KSnigi  Cbmrit^ 
ll<t)UniiUli  zu  Borlin.    Lief.  I.    Weimar.    1836.    Taf.  IIL  n.  IV. 
***/  Cr  u  voll  hier.    Trait^  d'anat  path.  g^nör.    T.  IIL    p.  871. 


Hydrops  tnbae  Faloppianae.  261 

Die  Erscheinimg  bringt  danach  einen  sehr  mannichfaltigen 
Eindruck  hervor,  zumal  da  auch  die  Lagerung  der  Tuba  unter 
solchen  Verhältnissen  eine  ausserordentlich  mannichfaltige  ist. 
Weil  sehr  häufig  eine  Perimetritis  der  Anfang  dieser  Veränderun- 
gen ist,  so  wird  auch  die  Tuba  in  der  Regel  irgendwo  adhärent, 
am  häufigsten  am  Eierstock.  Manchmal  liegt  sie  ganz  zurück- 
geschlagen hinter  dem  Uterus,  manchmal  krümmt  sie  sich  über 
ihn  hinweg,  selten  liegt  sie  nach  vorn,  am  häufigsten  liegen  die 
Cysten  nach  der  Seite  und  nach  hinten.  Den  allmälich  wachsen- 
den Sack  kann  man  schon  bei  Lebzeiten  durchfühlen,  besonders 
in  der  Gegend  des  Eierstocks  in  der  Seite  oder  hinter  dem  Ute- 
rus, so  dass  man  leicht  daran  denken  kann,  es  handle  sich  um 
einen  Hydrops  ovarii  oder  um  Cysten  des  Uterus  selbst. 

Unter  Umständen  scheint  es  vorkommen  zu  können,  dass, 
wenn  keine  wirkliche  Verschliessung  des  Ostium  uterinum  besteht, 
wenn  blos  durch  die  Anwesenheit  von  verstopfenden  schleimigen 
Massen  der  Kanal  unterbrochen  ist,  durch  den  Druck  der  Flüs- 
sigkeiten nachher  die  Mündung  wieder  eröffnet,  forcirt  wird.  Es 
giebt  wenigstens  Fälle,  wo  man  durch  die  Geschlechtswege  grosse 
Quantitäten  von  Flüssigkeit  aus  einem  Sack  dieser  Gegend  sich 
hat  entleeren  sehen.  Blasius*)  hat  einen  Fall  dieser  Art  als 
Hydrops  ovarii  profluens  beschrieben.  Auch  Ad.  Richard  und 
Cruveilhier**)  erzählen  ähnliche  Fälle.  Jedoch  haben  schon 
Froriep  und  Job.  Müller  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass 
dies  an  sich  weniger  wahrscheinlich  sei  und  dass,  wo  keine 
Autopsie  den  Beweis  lieferte,  vielmehr  ein  Hydrops  der  Tuben 
vorausgesetzt  werden  müsse. 

Andererseits  ist  es  nicht  selten,  dass  die  sich  ausdehnende 
Tuba  nicht  allein  mit  dem  Uterus,  sondern  auch  mit  anderen 
Theilen  verwächst,  namentlich  mit  Darmtheilen,  und  zwar  häufig 
mit  Schlingen  des  Dünndarms  oder  mit  tieferen  Abschnitten  des 
Dickdarms.  An  diesen  Stellen  bilden  sich  leicht,  wahrscheinlich 
durch  die  Zerrungen,  welche  sie  erfahren,  heftigere  entzündliche 
Processe,  welche  eine  Perforation  nach  sich  ziehen.  Dann  kann 
die  Flüssigkeit  aus  der  Tuba  in  den  Darm  eintreten,  aber  es  tritt 
dann   auch    gewöhnlich  Gas  oder  Darminhalt  in  den  Tubensack 


*)  C.  Blasius.    Comment.  de  hydrope  ovariorum  profluente.  Hai.  1834. 
*}  Cruveilhier.    L  c.  p.  372. 


262  Zwölfte  Vorlesung. 

ein,  und  daraus  entstehen  allerlei  ungunstige ,  lange  anhal- 
tende, jauchige  Eiterungen,  welche  mit  grosser  Schmerzhaftigkeit 
und  mit  fortschreitenden  entzündlichen  Processen  in  der  Umge- 
gend verbunden  sind  und  für  die  Kranken  nicht  blos  überaus 
quälend,  sondern  auch  in  hohem  Maasse  gefährlich  werden  kön- 
nen. — 

Von  diesem  eigentlichen  Hydrops  tubae  muss  man  wohl  un- 
terscheiden die  cystischen  Bildungen,  welche  nicht  selten 
an  dem  abdominalen  Ende  der  Tuben  vorkommen.  Es 
finden  sich  hier  allerlei  gestielte  und  flach  aufsitzende  Blasen,  die 
meisten  klein,  von  der  Grösse  eines  Hanfkoms  bis  zur  Grösse 
einer  starken  Kirsche.  Auch  diese  Cysten  sind  wieder  verschie- 
dener Natur,  und  einzelne  derselben  sind  bis  jetzt  in  Beziehung 
auf  ihre  Entstehung  keineswegs  vollständig  aufgeklärt. 

Eine  Art  davon,  welche  weniger  constant  ist,  lässt  sich  zu- 
rückführen auf  die  fötale  Entwicklung.  Seit  Kobelt  hat  man 
sich  gewöhnt,  eine  sehr  häufig  vorkommende  gestielte  Cyste  an 
dem  Abdominalende  der  Muttertrompete  als  das  Analogen  der  so- 
genannten Mo r  gagn  i' sehen  Hydatide  am  Nebenhoden  za  betrach- 
ten. Dies  ist  jedoch  meiner  Meinung  nach  nicht  für  alle  Fälle 
richtig.  Tuba  und  Vas  deferens  entwickeki  sich  aus  ursprünglich 
verschiedenen  Kanälen  oder  Gängen.  Die  Tuba  entsteht  aus 
dem  sogenannten  Müller 'sehen  Faden  oder  Gange,  welcher 
blind  endigt.  Während  sich  in  einiger  Entfernung  vor  dem  Ende 
das  Ostium  abdominale  mit  den  Fimbrien  entweder  einfach  oder 
auch  mehrfach  eröffnet,  bleibt  das  kolbige  Ende  erhalten,  ent- 
wickelt sich  zu  einer  Cyste,  während  sein  Stiel  atrophirt,  und 
überragt  die  Fimbrien.  Diese  gestielte  Hydatide  entspricht  aller- 
dings der  am  Nebenhoden  vorkommenden,  indem  beim  Manne  der 
Müll  er 'sehe  Faden  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  verschwindet 
und  nur  der  Saeculus  prostaticus  und  die  Endhydatide  von  ihm 
übrig  bleibt.  Ganz  verschieden  davon  ist  eine  zweite  gestielte 
Cyste,  welche  sehr  oft  neben  der  ersten  vorkommt  and  sich  in  der 
Gegend  des  früheren  Wolff  sehen  Körpers,  des  sogenannten 
Nebeneierstocks  oder  Rosenmüller'schen  Organs  an  das  breite 
Mutterband  inscrirt.  Diese  erklärt  sich  auf  folgende  Weise:  Der- 
jenij^e  Kanal,  welcher  dem  Vas  deferens  des  Mannes  entspricht, 
der  ursprüngliche  Ausführungsgang  des  Wolff  sehen  Körpen«, 
geht  beim  Weibe  seinem  grösseren  Theile  nach,  wie  der  Wolff- 


CjBten  der  HntterUnder.  263 

Bche  Körper  selbst,  frfibzeitig  zu  Grunde,  eo  dass  höchstens  ein 
im  Gewebe  des  Ligameatom  latum  verschwindender  Faden  ata 
letzter  Rest  davon  sich  findet,  dessen  Endstfick  in  Form  einer 
Cyste  hervortritt  Diese  sitzt  tiefer,  als  die  zuerst  genannte  und 
befestigt  sich  nicht  an  die  Fimbrien,  sondern  ganz  ausserhalb  der 
Tuba  an  die  Ala  vespertilionis.  Beide  Arten  von  Cysten  errei- 
chen keine  beträchtliche  Grösse.  Im  besten  Falle  werden  sie 
kirechengroes  und  haben  deshalb  mehr  ein  genetisches  Interesse, 
als  dass  sie  in  patholc^ischer  oder  therapeutischer  Beziehung 
Bedeutung  erlangten. 

Ausser  diesen  grösseren  Cysten  findet  sich  häutig  ganz 
in  der  Nähe  noch  eine  Art  meist  sehr  kleiner,  hanfkorn-  bis 
erbsengroaser  Blasen*).  Eio  Tbeil  derselben  entspricht  sei- 
nem  Sitze   nach    ziemlich    genau   der  Stelle,  wo  das  Rosen- 


mfiller'Bche  Organ,  das  Parovarium  liegt,  zwischen  Ova- 
rium  und  Tuba.  Bei  Kindern  fand  ich  die  kleinen  Bh'ndsäcke 
dieses  ursprünglich  Wolff'schen  Körpers  noch  hohl  uod  mit 
Gylinderepithel  geffllU");  bei  Erwachsenen  waren  sie,  soweit  ich 
sehen  konnte,  immer  obliterirt.     Theils  an  der  Stelle,  wo  später 


vespertilionis.     o    der    etwas  geschrumpfte 

Tuba  mit  ihren  Fimbrien/,  in  deren  ^äho 

die  Eodfa^datide  h  ansitzt,  r  ilas  KosenmQller'sche  Organ  ( Neben  ei  erst  ork, 
^OTariam,  Rest  des  WolfTschen  Körpers)  c,  c,c  kleine  geschlossene  Cvsten, 
theils  am  (Überzüge  der  Tuba,  tbeils  an  der  Ala  selbst,  theils  an  dem  Neben- 
üentoek.  p,p  ein  Paar  Venensteine  (Phlebolithen)  in  einer  f^eschlSognlten 
Vei»  owialis.    MatOrtiche  Grösse.     (Präparat  No.  30.  vom  Jahre  1863). 

■)  Job.  Fr.  Heckel.    Path.  Anat.    II.    2.    S.  145. 

•*)  BerliDer  geburtshOlfl.  Verhandl.     1M8.    Bd.  HI.    S.  210. 


264  ZwOHte  Yorlesung. 

ihre  unvollständigen  Reste  liegen,  theils  dicht  daneben  kommen 
Cysten  von  verschiedener,  jedoch  meist  geringer  Grösse  vor,  bei 
denen  es  nahe  liegt,  sie  aus  cystischen  Dilatationen  der  Kanäle 
des  alten  Wol  ff  sehen  Körpers  abzuleiten.  Ich  habe  diese  Frage 
wohl  zuerst  (1847)  aufgeworfen,  musste  sie  aber  nach  meinen 
Untersuchungen  verneinen,  da  ich  einen  wirklichen  Zusammen- 
hang aufzufinden  nicht  im  Stande  war.  Nachher  haben  verschie- 
dene Beobachter  die  Frage  bejahend  beantwortet  *•*)  und  einzelne 
sind  so  weit  gegangen,  alle  kleinen  Cysten  dieser  Gegend  auf 
das  Parovarium  zurückzufahren.  Dies  scheint  mir  nicht  richtig 
zu  sein.  Wenn  ich  auch  die  Möglichkeit  zugebe,  dass  gewisse 
Cysten  wirklich  durch  Anhäufung  von  Secret  in  den  Blindsäckchen 
des  Wol  ff 'sehen  Körpers  entstehen  mögen,  so  giebt  es  doch  zahl- 
reiche Fälle,  wo  die  Bläschen  sehr  weit  von  dem  Nebeneierstock 
entfernt  liegen,  z.  B.  am  äusseren  Umfange  der  Tuba,  also  an  Stellen, 
wo  man  kein  solches  Vorgebilde  hat.  —  Diese  sind  wahrschein- 
lich als  Neugebilde  zu  betrachten,  zumal  da  sie  oft  Flimmerepi- 
thcl  enthalten,  von  dem  man  nicht  weiss,  dass  irgend  einer  dieser 
Theile  normal  damit  ausgestattet  ist.  — 

Die  letzte  Kategorie  von  cystischen  Dilatationen  an  den  weib- 
lichen Sexualapparaten  bildet  die  Hydro metra,  ein  Zustand, 
der  überwiegend  dem  höheren  Lebensalter  angehört  und  als  eine 
Art  von  Involutionszustand  betrachtet  zu  werden  pflegt  Der 
gewöhnliche  Sitz  der  Dilatation  ist  der  eigentliche  Körper  des 
Uterus,  die  Gegend  vom  Oriticium  internum  bis  zum  Fundus.  Re- 
gelmässig handelt  es  sich  dabei  um  Zustände,  welche  mit  allmäli- 
cher  Verengerung  und  endlichem  Verschluss  des  Orificium  internum 
verbunden  sind.  Diese  Verengenmg  ist  die  Folge  eines  chronisch 
entzündlichen  Processes  (Endometritis,  Catarrhus  chronicus),  der 
in  der  Schleimhaut  ein  sich  retrahirendes  Gewebe  erzeugt  Nicht 
selten  entwickeln  sich  gleichzeitig  in  dem  Orificium  internum 
Nabothscysten,  welche  den  Verschluss  begünstigen,  zumal  wenn 
sich  damit,  wie  es  oft  genug  der  Fall  ist,  eine  Flexion  des  Uterus 
verbindet**).     Dann  häufen   sich  die  Secrete  in  der  Höhle  des 


*)  Follin.  Recherches  sar  les  corps  de  Wolff.  These  de  Paris.  1860. 
Rroca.  Bulletin  de  la  societe  anatomique  de  Paris.  1852.  p.  45,  47S.  Ro- 
kitansky.  Lehrbuch  der  path.  Anat.  Wien.    1861.    Bd.  DI.    S.  484,  442. 

**)  Berliner  GeburtshQlfl.  Yerhandl.  1849.  Bd.  IV.    S.  82.     Gesmmmelt« 
Abhandlungen.    S.  b20. 


Cystiflche  Trachectasis-  265 

üterns  an,  die  Wandungen  dilatiren  sich  und  die  platte  Cavität 
verwandelt  sich  in  einen  rundlichen  Sack,  welcher  durch  das 
verengte  oder  verschlossene  Orificium  intemum  von  dem  offenen 
Cervicalkanal  abgegrenzt  wird.  Das  Secret  ist  stets  ein  flüssiges, 
ganz  verschieden  von  der  zähen,  schleimigen  Absonderung  der 
Cervicalschleimhaut,  welche  bei  Verengerungen  des  Orificium  ex- 
ternum  zuweilen  sehr  erhebliche  Dilatationen  der  Cervicalhöhle 
herbeif&hrt.   — 

Alle  diese  Processe  gehören  in  eine  einzige,  in  sich  zusam- 
menhängende Gruppe,  und  wenn  man  nur  eben  einen  Fall  davon 
recht  genau  kennen  gelernt  hat,  so  hat  es  nachher  keine  beson- 
deren Schwierigkeiten,  die  anderen  zu  deuten.  Ich  will  unter 
den  analogen  Formen  anderer  Localitäten  namentlich  eine  noch 
erwähnen,  welche  freilich  zu  den  seltneren  gehört,  die  aber  höchst 
charakteristisch  ist.  Das  sind  die  Schleim  Cysten,  die  sich  aus  den 
Luftwegen  in  ganz  abgeschlossener  Weise  entwickeln.  Meistens 
sind  die  Ektasien  der  Luftwege  mit  eitrigen  Sccreten  erfüllt 
(S.  253),  zuweilen  aber  kommt  es  vor,  dass  sie  mit  einem  eben 
so  zähen,  dicken  und  compacten  gallertartigen  Schleim  vollge- 
stopft sind,  wie  die  vorher  erwähnten  Schleimcysten  des  Wurm- 
fortsatzes und  der  Gallengänge.  Manchmal  zeigt  sich  diess  an 
den  Bronchien  selbst,  so  dass  man  mitten  in  der  Lunge  einen 
mndiichen  Sack  findet,  der  eine  sehr  dünne  Wand  hat  und 
sich  dadurch  von  den  gewöhnlichen  sackigen  Bronchiekta- 
sien  unterscheidet,  die  meistens  dicke  Wände  haben.  Hier 
dagegen  ist  die  Wandung  zuweilen  so  dünn,  dass  es  schwer  ist, 
sie  von  dem  anstossenden  Lungenparenchym  zu  unterscheiden. 
Derselbe  Zustand  kommt  aber  auch  an  der  Trachea  vor,  und 
während  die  'cystischen  Bronchiektasien  im  Lungenparenchym 
keine  erhebliche  Bedeutung  haben,  so  können  die  cystischen 
Trachektasien  selbst  zu  operativen  Eingriffen  Veranlassung 
geben.  Ihr  gewöhnlicher  Sitz  ist  an  demjenigen  Theil  der  Luft- 
röhre, welcher  etwas  über  und  hinter  dem  Manubrium  stemi 
liegt  Die  Erweiterungen  gehen  meistens  von  der  hinteren  Wand 
aus,  welche  am  wenigsten  geschützt  ist,  weil  sie  keine  Knorpel- 
ringe besitzt  und  weil  auch  das  elastische  Gewebe  an  ihr  nur 
massig  stark  entwickelt  ist.  Die  sonst  gleichmässig  fortlaufende 
Trachea  bekommt  zuerst  eine  Reihe  von  flachen  Ausstülpungen 
oder  Vertiefungen,  welche  sich  aneinanderschliessen.    Allmählich 


266  Zwölfte  Vorlesung. 

weitet  sich  das  mehr  und  mehr  zu  einer  gemeinschaftlichen  Bucht 
aus.  Nach  hinten  kann  die  Ausweitung  nicht  sehr  weit  vor- 
schreiten, weil  durch  den  Oesophagus  und  die  Wirbelsäule  der  Raum 
verschränkt  ist  Dagegen  schiebt  sie  sich  seitlich  mehr  hinaus 
und  tritt  unter  Umständen  als  ein  wirklicher  Tumor  über  der 
Clavicula,  unter  und  hinter  der  Glandula  thyreoides  und  neben 
der  Trachea  hervor.  Man  kann  dann  leicht  auf  die  Vermuthung 
kommen,  einen  tiefsitzenden  Kropf  (Struma)  oder  eine  ganz  neu- 
gebildete Cyste  vor  sich  zu  haben.  Einen  solchen  Fall  hat 
Textor  mit  Erfolg  operirt*);  ich  habe  einige  ähnliche  an  der 
Leiche  untersucht  und  mich  überzeugt,  dass  die  Säcke  von  der 
Trachea  ausgingen.  Indem  die  Ektasie  zuerst  wie  eine  Hernie 
(Bronchocele)  hervortritt,  kann  sie  sich  später  wirklich  ge- 
stielt aus  der  Trachea  hervorstülpen  und  schliesslich  abschnüren, 
indem  eine  Atresie  des  Ostiums  entsteht  Dann  hat  man  einen 
mit  zähem,  klarem  Schleim  gefüllten  Sack  neben  der  Trachea.  — 

Diese  Formen  werden  genügen,  um  Beispiele  für  die  durch 
reine  Flächenabsonderung  gebildeten  Sackgeschwülste  der  grösse- 
ren Kanäle  zu  liefern.  Es  bleibt  noch  die  andere  Gruppe  von 
Retentionsgesch Wülsten  zu  besprechen,  wo  wir  nicht  wesentlich 
die  Absonderungsproducte  der  Fläche  vor  uns  haben,  sondern 
wo  das  Secret  von  einer  grösseren  Drüse  geliefert  wird  und  sich 
in  dem  Ausführungsgange  anhäuft.  Ich  habe  allerdings  insofern 
etwas  incorrect  gehandelt,  als  die  vorher  geschilderten  Cysten  der 
Gallenwege  eigentlich  in  diese  Kategorie  gehören;  ich  habe  es 
nur  fiir  zweckmässig  gehalten,  dieses  Beispiel  vorau&unehmen, 
weil  es  für  die  Gesammtanschauung  eine  so  grosse  Bedeutung  hat 

Wenn  in  einem  Drüsengang  das  Secret,  welches  die  Drüse, 
nicht  der  Gang  selbst  abgesondert  hat,  sich  anhäuft,  so  versteht 
es  sich  von  selbst,  dass  wir  zuerst  das  Secret  als  den  Stoff  finden, 
welcher  die  Dilatation  macht  Nehmen  wir  die  Harnwege,  so 
liegt  es  auf  platter  Hand,  dass  jede  durch  Retention  gebildete 
Erweiterung  der  Ausfuhrungsgänge  zuerst  Harn  enthalten,  dass 
OH    eine   Harncyste    sein   wird.     Nun   kann   die   Erweitemog 


^)  Ka  wnr  diess  der  Sack,  aus  welchem  Herr  Scherer  den  Schleim  er- 
hhU.  Mn  woli'hciii  er  seine  bekannten  chemischen  Untersuchungen  Ober  die- 
••H  nUtft  nnntellte  (Annalen  der  Chemie  und  Pbamacie.  Bd*  67.  S.  19SX 


Harncysten.  267 

an  den  Terschiedensten  Abschnitten  vorkommen.  Es  giebt  Ekta- 
sien an  der  Harnblase,  an  den  üreteren,  an  Pelvis  und  Galices 
renales,  endlich  an  den  Harnkanälchen  selbst  und  namentlich  an 
den  geraden  Harnkanälchen  der  Marksubstanz.  Die  Erweiterung 
kann  eine  gleichmässige  sein  (die  Harnblase  z.  B.  kann  sich  im 
Ganzen  ausdehnen);  aber  sehr  häufig  ist  sie  eine  sehr  ungleich- 
massige,  so  dass  sie  nach  einer  Seite  hin  stärker  wird,  oder  dass 
sie  geradezu  nur  an  einzelnen  Stellen  eintritt,  und  dass  sackige 
Ektasien  entstehen.  Diese  können  sich,  je  weiter  sie  sich  ent- 
wickeln, durch  die  Wand  herausschieben,  sie  können  wie  herniöse 
Bildungen  nach  aussen  hervortreten,  ja  sie  können  förmliche 
Nebensäcke  liefern. 

An  der  Harnblase  stellen  sie  die  sogenannten  Divertikel- 
bildungen  dar,  die  oft  ganz  enge  Mündungen  haben,  während  sich 
der  Sack  selbst  ziemlich  stark  ausweitet.  Das  Divertikel  kann 
anfangs  noch  in  der  Wand  enthalten  sein;  wird  es  grösser,  so 
schiebt  es  sich  an  die  Oberfläche  und  endlich  über  die  Ober- 
fläche hinaus,  indem  es  einen  kleinen  besonderen  Tumor  neben 
der  Blase  bildet  Solche  Divertikel  schnüren  sich  nun  allerdings 
nicht  vollständig  ab,  aber  sie  können  doch  sehr  leicht  zu  Ver- 
wechselungen mit  cystischen  Geschwülsten  Veranlassung  geben. 
Manchmal  entwickeln  sie  sich  so  weit  gegen  die  Seite  hin,  dass 
man  sie  durch  das  Rectum  deutlich  fühlen  kann.  Zuweilen  schie- 
ben sie  sich  nach  ganz  ungewöhnlichen  Regionen  vor.  In  einem 
Falle  sah  ich  ein  Divertikel  in  Form  einer  cystischen  Geschwulst 
am  Perinaeum  sich  hervorwölben  (S.  167.  Note);  ein  anderes  Mal 
fand  ich  eines  in  der  Richtung  gegen  das  Foramen  obturatorium 
hin  entwickelt,  so  dass  es  sich  mit  einer  Hernia  for.  obtur. 
complicirte. 

An  den  üreteren  und  noch  weiter  hinauf  am  Nieren- 
becken kommen  vollständige  Abschnürungen  vor,  so  dass  die 
eine  Niere  gar  keinen  Harn  mehr  nach  der  Blase  und  nach 
aussen  entleeren  kann  und  die  andere  Niere,  falls  sie  unversehrt 
bleibt,  allein  das  Secretionsgeschäft  übernehmen  muss,  und  Aus- 
gleichungen nothwendig  sind.  Diese  Zustände  fasst  man  zusammen 
unter  dem  Namen  der  Hydronephrose*)  zum  Unterschied  von 
Hydrops  renum  cysticus,  den  man  in  das  eigentliche  Parenchym 


*)  Ray  er.    Trait^  des  maladies  des  reins.    Paris.   1841.  T.  IIL  p.  476. 


268  ZvOlfte  VorkBong. 

der  Niere  zu  Tereetzen  pflegt  Die  Hydrooepbrose  ist  in  der 
Regel  überwiegend  vorhanden  an  den  Calices,  an  der  Pelvis  and 
am  Ureter.  Manchmal  ist  es  der  ganze  Ureter,  wenn  die  Mün- 
dung verschlossen  ist;  manchmal  liegt  das  Hindemiss  hoch  hinauf, 
und  es  entstehen  Säcke,  welche  sich  blos  auf  den  oberen  Ab- 
schnitt beschränken.  Zuweilen  sind  sie  intrauteriaen  Ursprungs*), 
in  der  Regel  entstehen  sie  später.  Am  gewOhnlicbstea  sind  es 
Geschwülste,  namentlich  krebsige  und  kankroide  Affectionen  des 
Uterus,  sowie  Nierensteine,  welche  sie  herbeiführen.  Nicht  selten 
sind  sie  die  Folge  von  Dislocationen  des  Uterus,  insbesondere 
von  ProlapsuB**).  Am  sonderbarsten  sind  jene  Fälle,  wo  der 
Ureter  offen  ist  und  doch  eine  extreme  Hydronephrose  vorhanden 
ist  Ich  habe  solche  Fälle  mehrmals  untersucht;  es  fand  sich 
jedesmal  ein  klappenartiges  Hindemiss,  bedingt  durch  eine  Fal- 
tung der  Wajid  in  Folge  eines  schiefen  Ursprungs  des  Ureters 
aus  dem  Nierenbecken. 

Je  mehr  die  Erweiterung  zunimmt,  um  so  mehr  atrophirt 
natürlich  das  Parenchym  der  Niere,  indem  die  Nierensubstanz 
tlieils  in  Folge  des  Druckes,  theils  in  Folge  entzündlicher,  nament- 


Fig.  46.  Hydronephrosis  mit  fast  vollstSodieer  Gr&Dulantrophi«  d« 
KkrcnaubBtanc,  OleichieitiK  best^od  eine  stark  compenutoriBcbe  lljpec- 
plutin  der  anderen  Niere.    {Präparat  No.  lOu.  vom  Jahr«  18G0}. 

•)  Kayer  1.  c  p.  4«,  5a3.  Cruveilhier.  Traite  d'apat  patb.  geiiM- 
T.  III.  p.  'af'i'J.  Meine  gesammelteD  AbhanilluDgen.  S.  874.  Tb.  0.  Hea- 
tin^'-t.  Kin  fall  von  angeborner  BlaseoDiere.    Harburg.  1862. 

*',  IWliner  Reburtuhnifl.   Vcrbaiidl.    1846.    Bd.  11.    S.  S09.      Geumm. 
'■      '■     a.  814. 


Hydrooephrosis.  269 

lieh  interstitieller  Processe  schrumpft,  dünner  und  dünner  wird, 
und  zuletist  gar  nichts  mehr  davon  übrig  bleibt,  als  ein  etwas 
derber,  fibröser,  mehrkammeriger  oder  buchtiger  Sack.  Dann 
hört  die  Secretion  der  Drüse  auf,  während,  so  lange  noch  Paren- 
chym  vorhanden  ist,  der  Secretionsdruck,  wie  die  Erfahrung 
lehrt,  gross  genug  ist,  immer  neuen  Stoif  in  die  Säcke  zu  führen. 
Der  Harnstoff,  der  darin  enthalten  ist,  zersetzt  sich  nachher;  man 
kann  schon  durch  den  Geruch  erkennen,  dass  eine  Zersetzung 
in  kohlensaures  Ammoniak  erfolgt.  Von  dieser  Zeit  an  treten 
Secrete  der  Wand  in  grösserer  Menge  in  die  Höhle:  epitheliale, 
eitrige,  schleimige  Absonderungen.  So  erklärt  es  sich,  dass  Säcke, 
die  recht  lange  bestanden  haben,  fast  gar  keine  nachweisbaren 
Harnbestandtheile  mehr  fahren,  sondern  fast  nur  eine  katarrha- 
lische, oft  eitrige  oder  fötide  Flüssigkeit  enthalten.  Sie  können 
sehr  gross  werden,  namentlich  wenn  der  Ureter  mit  betheiligt 
ist;  ja,  zuweilen  erreichen  sie  einen  solchen  Umfang,  dass  man 
sie  sehr  bequem  von  aussen  durchfühlen  kann.  In  diesem  Falle 
geben  sie  sehr  leicht  zu  Irrthümern  in  der  Diagnose  Veranlassung. 
Ich  habe  selbst  solche  Fälle  anatomisch  untersucht*),  wo  man 
früher  an  Milztumoren  oder  an  Eierstockscysten  gedacht  hatte. 
Solche  Verwechselungen  begreift  man,  wenn  man  bedenkt,  wie 
stark  die  Spannung  wird,  welche  die  Wand  des  Sackes  durch 
das  aufgehäufte  Secret  erfährt;  sie  erzeugt  unter  Umständen  eine 
wirkliche  Härte,  so  dass  man  an  die  Consistenz  der  Milz  er- 
innert wird.  Auch  entspricht  die  Lage  dieser  Säcke  manchen 
Formen  von  Ovarialtumoren  so  sehr,  dass  sehr  leicht  die  Ver- 
muthung  entstehen  kann,  man  habe  einen  solchen  vor  sich. 

«Einseitige  Hydronephrosen  werden  oft  sehr  lange,  fast  ohne 
Störung  ertragen.  Es  erklärt  sich  dies  aus  der  compensato- 
rischen  Hyperplasie  der  anderen  Niere,  welche  die  Secretion 
für  die  unbrauchbar  gewordene  mit  übernimmt.  Anders  verhält 
es  sich  mit  den  doppelten  Hydronephrosen,  wie  sie  namentlich 
bei  Uteruskrebs  und  anderen  Beckengeschwülsten  nicht  selten 
sind,  sowie  mit  den  Fällen,  wo  bei  einseitiger  Affection  die  andere 
Niere  später  der  Sitz  einer  anderweitigen  Erkrankung  wird.  Dann 
tritt  sofort  die  Rückwirkung  auf  die  gesammte  Oekonomie  hervor; 


^)  M.  Nagel.    De  hydronephrosi.    Diss.  inaug.    Berol.     1847.    p,  18. 
Vgl  Kayer  1.  e.  p.  48a 


270 


Zwülfu  Vorlesung. 


efi  entwickelt  sich  jener  Coinplex  von  Störungen,  den  man  früher 
als  Febris  urinoKS,  gegenwärtig  als  Urämie  zu  bezeichnen  pflegt, 
und  der  sehr  gewöhnlich  zum  Tode  führt.  — 

Innerhalb  der  Niere  selbst  eind  cy^tische  Bildungen  ausser- 
ordentlich häutig,  und  lange  Zeit  war  es  in  hohem  Maasse  zwei- 
felhaft, auf  welche  Weise  sie  eigentlich  entstehen.  Wirkliche  Harn- 
cysten  in  der  Niere  sind  sehr  selten.  Icli  habe  bei  Terschiedeaen 
Gelegenheiten  allerdings  unzweifelhafte  Harncystea  gefandeo,  io 
denen  auch  krystallintsche  Niederschläge  von  Harnbestandtheilen 
in  grosserer  Menge  vorhanden  waren,  z.  B.  Harnsäure,  oxalsaurer 
Kalk,  selbst  in  einem  Falle  Cystin*),  allein  die  Regel  ist,  daes 
keine  Harnbestandtheile,  sondern  nur  die  Bestandtheile  einer 
serösen  Flüssigkeit  zugegen  sind. 

Verfolgt  man  die  Entwickelung  dieser  Cysten,  so  ergiebt 
tiich,  dass  sie  allerdings  in  der  Regel  hervorgehen  aus  den  Harn- 
kanälchen,  und  zwar  in  einer  doppelten  Weise.  Manchmal  be- 
ginnt der  Process  mit  Atresien  der  Kanälchen;  das  ist  nament- 
lich bei  den  fötalen  cystoiden  Degenerationen**)  der 
Fall,  wo  wir  eine  Atresie  der  Papillen  finden.     Dieser  Zustand 


Fig  47.  Ilvdrops  renum  rvstkus  cong«DitDs.  Pripamt  So.  109«.  tob 
Jahn!  1K%9,  (iosihenk  des  llr.'KaDiow  iu  S.birellKin.  Der  FaU  bt  ii 
(li>n  Vcrhandlu  11^011  der  GesclUihari  fQr  lu'burUliQlfe  in  Berlia.  1860.  Xll. 
S.  "ii.  penaaer  besrhriel>cn.    Die  Niereo  varen  hv\  dem  a«neeborneii  Kiadc 

«&',"  laoK,  4"  breit  und  3\"  dirk  und  wogeu  inaaitiDi«ii  9  Pfand  141  ijoA. 
adelkDopf-  bis  erbäeiigro.ise  Cvstfu  uabmeD  die  ganie  Substanx  ei»,  mai 
an  d>>r  Stell«  der  Cilires  renales  (and  sieh  ein  missig  dichtes  Biadc^«r«be. 
*)  Genanimelle  Abhnndl.   S.  871.     0.  Beckmann    in  meinem  Anhi«. 
M.  IX.  S.  2-.»e.    Bd.  XI.     S.  127. 

*')  Kayer  1.  c.  p.  älA.  Yirchow  in  den  BerUner  «burtshUn.  Ver- 
lianaiungcn.     IM7.    Bd.  11.    S.  170.     Ueaanmelte  AbbaaA  S.  8S2. 


Cy&toide  Degeneration  der  Nieren.  271 

ist  gar  nicht  so  selten.  Ich  selbst  habe  eine  ganze  Reihe  solcher 
FlUe  untersucht  und  als  Regel  eben  diese,  wahrscheinlich  auf  eine 
fötale  Entzündung  zu  beziehende  Atresie  der  Papillen  gefunden, 
so  dass  gar  keine  Gommunication  zwischen  den  Harnkanälchen 
und  Nierenkelchen  bestand*).  Unter  solchen  Verhältnissen  bilden 
sich  Cysten  in  so  grosser  Menge  aus,  dass  zuweilen  die  ganze 
Niere  davon  durchsetzt  wird  und  dadurch  zu  einer  Geschwulst 
von  solchem  Umfang  anschwillt,  dass,  wenn  dieselbe  Veränderung 
an  beiden  Nieren  stattfindet,  sie  die  ganze  Bauchhöhle  des  Fötus 
erf&llen  und  so  ausdehnen,  dass  die  Geburt  dadurch  erschwert 
wird.  Wird  die  Geburt  ohne  Verletzung  vollendet,  so  gehen  die 
Kinder  bald  nachher  zu  Grunde,  weil  durch  die  grosse  Ausdeh- 
nung der  Nieren  die  Thäiigkeit  des  Zwerchfells  behindert  wird; 
die  Kinder  können  nicht  athmen,  und  das  Leben  hört  somit 
auf.  In  der  Cystenflüssigkeit  fand  ich  harnsaure  Salze,  Hippur« 
säure  u.  s.  w..  und  ich  trage  daher  um  so  weniger  Bedenken  an- 
zunehmen, dass  wir  es  hier  mit  ursprünglichen  Hamcysten  zu 
thun  haben,  als  auch  die  mikroskopische  Untersuchung  die  fort- 
schreitende Ektasie  der  Harnkanälchen  klar  nachweist**). 

Bei  Erwachsenen  wird  die  Sache  schwieriger.  Allerdings 
giebt  es  auch  hier  Fälle  von  cystischer  Degeneration,  wo  die 
Nieren  ganz  und  gar  mit  Cysten  durchsetzt  sind.  Begreiflicher- 
weise kann  es  sehr  wohl  sein,  dass  eine  partielle  fötale  Dege- 
neration sich  bis  in  das  spätere  Leben  erhält,  und  es  ist  denkbar, 
dass  nachher  in  den  Cysten  die  Harnsecretion  aufhört  und  an  die 
Stelle  andere  Abscheidungen  treten.  Allein  der  gewöhnliche  Gang 
der  Kntwickelung  ist  vielmehr  der,  dass  die  Cystennieren  der  Er- 
wachsenen überhaupt  mit  einer  Hamretention  gar  nichts  zu  thun  ha- 
ben, sondern  dass  sie  in  Folge  einer  chronischen  interstitiellen  Ne- 
phritis entstehen,  welche  sich  verbindet  mit  einer  Abscheidung  von 
festen  Albuminaten  in  das  Innere  von  Harnkanälchen.  Die  Harnka- 
nälchen dilatiren  sich  durch  diese  Anfullung  mit  Albuminaten,  den- 
selben,  welche  im  Morbus  Brightii  mit  dem  Harn  nach  aussen 
kommen  und  unter  dem  irrthümlichen  Namen  der  Fibrincylinder 
bekannt  sind.    Ein  Harnkanälchen,  welches  sonst  ganz  glatt  fort- 


•)  WUrzbarger  Verhandl.  Bd.  V.  S.  447.    Gesammelte  Abhandl  S.  8G4. 
Berliner  GeburtshOlfl.  Yerh.    1860.    XII.    S.  22. 

^*)  A.  Förster.  Spec.  pathol.  Aoat.  S.  357.    Atlas  der  mikroskopischen 
pitb.  Anat  Taf.  XVllL  S.  3. 


272  Zwölfte  Vorleaang. 

läuft,  wird  verwandelt  in  eine  Reihe  von  varicösen  Ausbuchtungen 
oder  Säckchen,  welche  hintereinander  liegen;  in  der  Mitte  eines 
jeden  Sackes  liegen  neben  dem  Epithel  Körper  aus  eiweissartigen 
Stoffen.  Das  Aussehen  der  kleinen  Säckchen  ist  so,  dass  man 
sie  für  neugebildete  Theile  halten  könnte,  indess  ist  nach  den 
sehr  sorgsamen  Untersuchungen  des  verstorbenen  Prof.  Beck- 
mann*) kein  Zweifel  übrig,  dass  sie  Abschnürungen  von  Ham- 
kanälchen  sind. 

In  diesen  Säcken  erhält  sich  der  gallertige  Inhalt  oft  sehr 
lange;  auch  giebt  es  Fälle,  wo  immer  wieder  neue  Massen  der 
Art  gebildet  werden.  Anderemal  dagegen  finden  wir  späterhin 
eine  seröse  Flüssigkeit,  welche,  wie  die  anderen,  reich  an  Albu- 
minaten  und  Leucin  ist.  Bestehen  viele  Säcke  nebeneinander, 
80  tritt  später  eine  Confluenz  ein.  Es  ist  das  ein  etwas  coropli- 
cirter  Gang,  wodurch  manche  Verbindung  wieder  hergestellt  wird, 
welche  durch  den  früheren  Verlauf  unterbrochen  war.  Zuerst 
erweitem  sich  die  Kanäle  stellenweise,  sie  schnüren  sich  ab,  es 
bilden  sich  hintereinander  liegende  Cysten,  und  nachher  fliessen 
dioso  wieder  zusammen  durch  Atrophie  ihrer  Scheidewände.  Allein 
in  der  Kegel  gehören  die  Collectivsäcke  nicht  einem  einzigen 
früheren  Ilamkanälchen  an,  sondern  es  tritt  Confluenz  zwischen 
Säcken  ein,  die  ursprünglich  getrennten  Harnkanälchen  angehör- 
tini.  So  entstehen  nach  und  nach  grössere  Säcke,  welche  an  der 
inneren  Oberfläche  noch  Reste  von  Scheidewänden  in  Form  von 
lH)iHten  oder  Balken  zeigen,  in  der  Richtung,  wo  früher  die  Tren- 
nung bestand. 

In  der  Regel  sind  die  Cysten  in  den  Nieren  der  Erwachsenen 
nu^hriach,  so  jedoch,  dass  sie  nur  kleinere  Theile  des  Organs 
einnehmen  und  dass  also  neben  ihnen  die  Hamsecretion  unge- 
ntörttm  Fortgang  haben  kann.  Selbst  sehr  grosse  und  zahhreiche 
Hii^ke  dieser  Art  haben  daher  oft  keinen  erkennbaren  Einfluss 
mt  djiM  Allgemeinbefinden,  und  es  ist  erstaunlich  zu  sehen,  dass 
iKtHmt  bei  allgemeinerer  hydatidöser  Degeneration  doch  immer 
fiiM'li  Harn  abgesondert  wird**).  Aber  die  Geschichte  dieser  Bil- 
lUiuiii'ti    int   insofern   von   grossem  Interesse  f&r  die  allgemeine 


*;  Ifiirkmann.  Ueber  Nierencysten.    Mein  Archiv.  IX.  S.  SSL  Rd.  XI. 
««/(inAiinimoUo  Abhandl.    S.  874. 


Ranula  273 

Theorie  cystischer  Formationen,  als  sie  in  besonders  deutlicher  Weise 
zeigt,  wie  bei  multipler  Cystenbildung  späterhin  Confluenz  entsteht 
(S.  201, 238.),  so  dass  zuletzt  ein  einfacher  Sack  an  die  Stelle  einer 
grossen  Zahl  kleinerer  Bläschen  tritt.  In  der  Niere  wird  ein  Sack, 
der  auf  diese  Weise  entsteht,  zuweilen  grösser  als  die  Niere 
?orher  war;  ja  es  kann  aus  einem  Theil  der  Niere  ein  Sack 
hervorwachsen,  der  umfangreicher  ist,  als  die  ganze  Niere  es 
war.  Das  setzt  natürlich  eine  fortgehende  Abscheidung  vor- 
aus, und  in  diesen  grösseren  Säcken  finden  wir  in  der  That 
eine  flüssige,  seröse  Masse,  die  von  der  Wand  durch  Transsudation 
geliefert  ist.  In  den  kleineren  Säcken  dagegen  kommt  eine  ausser- 
ordentlich grosse  MannichfaUigkeit  des  Inhalts  vor:  es  giebt  solche, 
die  sich  mit  Extravasat  füllen,  andere,  wo  gallertartige  Producte 
oder  weiche,  melicerisartige  Massen  sich  finden,  die  zahlreiche 
kleine,  sonderbar  aussehende,  concentrisch  geschichtete  und  zu- 
gleich radiär  gestreifte  Körperchen  enthalten  *).  Grössere  Säcke 
können  einen  solchen  Umfang  erreichen,  dass  die  Geschwulst 
schon  von  aussen  bemerkbar  wird,  und  man  darf  daher  nicht  ver- 
gessen, dass  ein  Nierentumor  existiren  kann,  der  aus  nichts,  als 
einem  solchen  cystischen  Sack  besteht.  — 

Wenn  wir  uns  bei  der  weiteren  Besprechung  mehr  an  äussere 
Gebilde  halten,  welche  der  chirurgischen  Praxis  zugänglicher  sind, 
80  zeigt  sich,  dass  die  hier  in  Rede  stehende  Art  von  Cysten- 
bildung an  allen  möglichen  grösseren  äusseren  Drüsen  vorkommen 
kann.  Am  längsten  und  am  meisten  eingehend  ist  der  Streit  geführt 
worden  bei  den  Speicheldrüsen,  wo  insbesondere  die  bekannte, 
mit  dem  Namen  Ranula  (Fröschleingeschwulst)  bezeichnete  Bil- 
dung in  Frage  kommt.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  eine 
Cystenbildung,  welche  unter  der  Zunge  sich  findet,  gewöhnlich 
auf  einer  Seite  des  Frenulum  und  ungefähr  in  derjenigen  Rich- 
tung, in  welcher  die  Ausfährungsgänge  der  Speicheldrüsen,  na- 
mentlich der  Submaxillaris  liegen.  Woher  der  Name  „Ranula^ 
ursprünglich  kommt,  ist  nicht  ganz  klar**),  aber  der  entsprechende 
Name  Batrachos  hypoglossios  findet  sich  schon  bei  den  alten 
Schriftstellern,  namentlich  Aetius.     Die  Venen,  welche  in  dieser 


*)  Würzburger  Verhandlangen.    Bd.  II.    S.  52. 

**)  Stalpart  van  der  Wiel  (Observ.  rariorura  med.  anat.  cbir.  Cent.  I. 
Leidae.  1727.  p.  87.  Obs.  XX)  sagt:  Sub  liugua  tumor  nonnunquam  oritur 
Ranula  dictas,  qood  eo  laborantes  tanquam  ranae  coaient. 

Virekow,  GMchwOlaU.    1.  18 


274  Zwölfte  Vorlesung. 

Gegend  liegen,  heissen  bekanntlich  Venaie  raninae.  Ob  das  eine 
oder  das  andere  das  frühere  ist,  und  woher  diese  Namen  stam- 
men, wage  ich  nicht  zu  entscheiden,  doch  glaube  ich  nach  den 
mir  bekannten  anatomischen  Quellen  schliessen  zu  müssen,  dass 
der  Name  „Vena  ranina"  der  spätere  ist.  Einer  unserer  älteren 
Anatomen,  Gerhard  Blasius,  der  die  Anatomie  des  Vesling*) 
mit  Noten  versehen  hat,  macht  die  Bemerkung,  der  Name  der  Venen 
komme  daher,  dass  sie  wie  die  Frösche  im  Tiefen  und  Feuchten 
Sassen.  Genug,  der  Name  der  Banula  ist  recipirt,  und  er  ist  um  so 
zweckmässiger,  als  man  nicht  einig  darüber  ist,  was  die  Geschwulst 
sei.  Die  Meinungen  sind  bis  jetzt  noch  wesentlich  verschieden**). 

Früher  discutirte  man  mehr  darüber,  ob  es  sich  um  einen 
neugebildeton  Sack  handelt  oder  um  eine  Ektasie  des  Whar- 
ton^schen  Ganges.  Zu  diesen  beiden  Auffassungen,  die  im  Ein- 
zelnen noch  manche  Modificationen  erlitten  haben,  ist  in  der 
neueren  Zeit,  zuerst  von  Fl  ei  seh  mann***)  in  Erlangen,  die  An- 
sicht hinzugekommen,  dass  der  Sack  nicht  neugebildet,  sondern 
ein  Hygrom  sei,  hervorgegangen  aus  einem  Schleimbeutel  am 
Musculus  genioglossus.  Endlich  ist  auch  die  Meinung  aufgetaucht, 
es  handele  sich  dabei  um  blosse  Schleimcysten,  welche  aus  den 
Schleimdrüsen  der  Mundhöhle  hervorgehen.  Jedoch  sind  das 
keine  so  grossen  Säcke,  und  bis  jetzt  hat  es  Niemand  plausibel 
machen  können,  dass  die  grossen  Formen  der  Rannla  aus  den 
kleinen  Schleimcysten  hervorgehen,  die  allerdings  am  Boden  der 
Mundhöhle  öfter  vorkommen. 

Was  nun  den  Schleimbeutel  anlangt,  so  ist  das  Böse  daran, 
dass  seine  Existenz  an  sich  noch  immer  nicht  ganz  unzweifelhaft  ist 
Ich  selbst  bin  ebenso  unglücklich  gewesen,  wie  manche  andere, 
sorgfältige  Untersucher  f).  Es  ist  mir  nie  geglückt,  einen  solchen 
Schleimbeutel  darstellen  zu  können,  und  obwohl  ich  ja  selbst 
hervorgehoben  habe  (S.  197),  dass  Schleimbeutel  sehr  variable 
Bildungen  sind,  so  würde  es  doch  wünschenswerth  sein,  zunächst 
die  etwas  häutigere  Existenz  dieses  Gebildes  demonstrirt  au  sehen. 

*)  Joanii.  Vesling.  Syntagma  anatomicam  ilL  aOer.  Blasio.  Am»teL 
UM\{\.  p.  172.  Not. 

*•)  C.  0.  Wober  in  meinem  Archiv.  Bd.  VI.  S.  511.    Frerichs.  Ueber 

(Jiillort-  odor  CoIIoidgeschwaLste.    Aus  den  Göttinger  Stadien.  1847.  S.  37. 

***)  KleiMchmanu.    Do  novis  sub  lingaa  bursis  Norimb.  1841. 

t)  K.  Teichmann.  Zur  Lehre  von  den  Ganglien.  Inaag.-Di88.  G6ttiiif. 

1N50.  H.  Tl.  Note.     Birkctt  Guys  Hospital  Reports.  1859.  8er.  IlL  VoL  V. 

p.  tftm.  (or  citirt  noch  Bertherand.  Th^e  de  Strasb.  1846). 


Ranula.  275 

Bei  den  Discussionen  über  die  Entstehung  der  Ranula  hat 
man  sich  zun&chst  an  die  chemische  Constitution  des  Inhaltes  ge- 
halten, und  da  hat  sich  gezeigt,  dass  der  Inhalt  sich  keinesweges 
als  unzweifelhafter  Speichel  erweist.  Früher  hat  man  freilich 
manche  Verwechselungen  gemacht,  indem  man  von  der  Voraus- 
setzung ausging,  dass  der  Speichel  überall  derselbe  sei,  während 
in  der  neueren  Zeit,  namentlich  zuerst  von  Herrn  Gurlt  an  un- 
serer Thierarzneischule ,  später  von  Herrn  Cl.  Bernard  gezeigt 
worden  ist,  dass  gerade  die  Submaxillardrüse  eine  zähe,  schlei- 
mige Absonderung  liefert,  welche  sich  von  dem  Absonderungs- 
product  der  Parotis  unterscheidet,  das  eine  ganz  wässerige  Be- 
schaffenheit hat.  Eine  solche  zähe,  schleimige  Beschaffenheit  hat 
aber  gerade  auch  die  Ranula-Flüssigkeit.  Es  sind  femer  die  ein- 
zelnen Stoffe  des  Speichels  keinesweges  so  characteristisch  und 
bis  jetzt  so  genau  bekannt,  dass  man  sagen  könnte,  die  chemische 
Analyse  böte  an  sich  ein  bequemes  Hülfsmittel  dar.  Nachdem 
man  die  Anwesenheit  des  Rhodankaliums  im  Speichel  erkannt 
hatte,  hat  man  sich  bemüht,  die  Anwesenheit  dieses  Stoffes,  der 
mit  Eisenoxydsalzen  eine  characteristisch  rothe  Färbung  giebt,  nach- 
zuweisen; aber  das  ist,  so  viel  ich  weiss,  bis  jetzt  noch  nicht  gelun- 
gen, und  ich  selbst  habe  mich  vergeblich  bemüht,  die  Reaction  zu 
erhalten  *).  Aber  man  weiss,  dass  der  Submaxillarspeichel  nicht 
in  allen  Fällen  diesen  Stoff  fuhrt**).  Dazu  kommt,  dass  man 
die  Ranula  immer  nur  untersucht,  wenn  sie  eine  gewisse  Grösse, 
z.  B.  die  einer  Wallnuss  und  darüber  erreicht  hat,  wenn  sie 
also  schon  längere  Zeit  besteht;  und  so  wenig  als  man  Galle  in 
einer  nrspünglichen  Gallencyste  und  Harnstoff  in  einer  ursprüng- 
lichen Harncyste  findet,  ebenso  gut  kann  es  sein,  dass  Rhodan- 
kalium,  welches  ursprünglich  vorhanden  war,  später  verschwindet. 
Was  die  anderen  Stoffe  angeht,  das  Ptyalin  und  was  man  sonst 
noch  angeführt  hat,  so  sind  das  alles  so  ungenau  gekannte  Körper, 
dass  man  mit  keiner  Sicherheit  die  Untersuchung  darauf  hat  rich- 
ten können.  Auf  die  chemischen  Untersuchungen  muss  man  daher 
keinen  besonderen  Werth  legen,  und  ich  will  nur  erwähnen,  dass 
bis  jetzt  als  Hauptbestandtheil  der  Ranula-Flüssigkeit  Natronalbu- 
minat  gefunden  ist. 


♦)  Mein  Archiv.    Bd.  VI.  S.  514.  Note. 
•♦)  KöUiker  u.  H.  Müller.    Würzburger  Verh.  Bd.  V.    S.  217. 

18» 


276 


Zwölfte  Vorleanne. 


Anatomisch  urgirte  maa  vor  Älleni,  es  sei  eine  solche  Bil- 
dung nicht  wohl  möglich  ia  dem  AnsfQhruagsgange ;  der  TV'har- 
toa'sche  Gang  kjjnne  eich  nicht  in  der  Weise  dilatirea,  und 
wenn  das  der  Fall  wäre,  so  mü!<sto  es  aach  an  anderen  Speichel- 
driisen  vorkommen.  Diener  Einwand  basirt  auf  einer  mangel- 
haften  Kenntniss  der  Literatur  und  aufuu- 
vollkommener  Erfahrung.  In  der  That  kom- 
men ähnliche  Formen  an  anderen  Speichel- 
drüsen vor.  Wenn  man  das  vortrefTliche 
Werk  von  Bruns*)  über  Chirurgie  an- 
sieht, so  wird  man  eine  Masse  von  Fäl- 
len zusammengetragen  finden,  wo  eine 
ähnliche  Speichelgeschwulst  (Tumor  sa- 
livalis,  Ranula  parotidea)  am  Stensoo- 
sclien  Gang,  dem  Ausfühningsgang  der  Pa- 
rotis, vorkam,  und  ich  kann  aus  meinen 
Erfahrungen  anführen,  dasa  es  dieselben  Er- 
krankungen am  Pankreas  giebt:  RanaU 
pancreatica.  Die  Fälle  an  den  Mundspei- 
cheldrüscn  ^ind  meist  nur  chirurgisch  unter- 
'  sucht;  aber  von  den  Fällen  am  Pankreas 
kann  ich  aussagen,  dass  fie  unter  zwei  sehr 
wesentlich  verschiedenen  Formen  vorkom- 
men: eine,  wo  der  Gang  in  seiner  ganzen 
Ausdehnung  sich  ausweitet  und  eine  ge- 
wöhnlich rosenkranzfSrmige  Ektasie  ent- 
steht"); die  andere,  wo  der  Ausffthrungs- 
gang  an  seiner  Ausmflndungsstelle  sich  ver- 
stopft und  davor  sich  cystisch  erweitert, 
leb  habe  Säcke  bis  sur  Grosse  einer  Faust 
gesehen,    welche    aus  einer  solchen  Verstopfung  hervorgegangeo 


Fig.  48  RiDuU  pancre^iticit  (PrBparat  No.  80b.  von  Jkhn  19BS).  S«kr 
bedeiitundc,  lum  Tlieil  garkige  Krweitcrung  des  DdcL  Wirenogiftous  in  Fole> 
dir  Verschlicssiing  des  OdtiuiDs  durch  eine  weiche,  lottige  Duodeoal-O«- 
Brlin-iilitt.  Gleichzeitii;  var  eine  sehr  ausgedehnte  Ektuie  der  UaDeogiog* 
mit  Arrnphie  der  Lebur  vorhanden. 

*)  Itnin».  Handbuch  der  prabt.  Chirurgie  Tflbing.  1859.  Abth.  H 
Hd,  1.    S.  IIHI. 

**i  KIn  I'nar  Ühnlkhc  Fülle  beachreibt  Crnveilhier.  Tnute  d'aoiL 
Mth.  K''ii<r.  T.  III.  p.  365.  Vgl.  RokitKOskr.  Lebit.  dtf  patboL  AuL 
IWI.    Bd.  111.    S.  8t4. 


Ranala.  277 

waren  *).  Gewöhnlich  sind  narbige  Retractionen  oder  der  Druck 
von  Geschwülsten  die  Veranlassung.  In  diesen  Säcken  kommt 
nun  keinesweges  das  einfache  pankreatische  Secret  vor,  sondern 
wenn  der  Sack  eine  gewisse  Grösse  erreicht  hat,  so  finden  sich 
darin  allerlei  schleimige  und  hämorrhagische  Substanzen.  Ja  es 
ist  nicht  selten,  dass  man  darin  auch  Steinbildungen  trifft,  Pan- 
kreassteine,  welche  die  grösste  Aehnlichkeit  haben  mit  den  Stein- 
bildungen, welche  man  in  der  Ranula  hypoglossis  gefunden  hat. 
Letztere  sind  Speichelsteine  und  bestehen  überwiegend  aus  Erd- 
salzen, namentlich  Kalkverbindungen.  Ich  kann  daher  sagen, 
dass  der  angeführte  Grund  mich  nicht  nur  nicht  abschreckt,  die 
gewöhnliche  Ranula  für  eine  Speichelcyste  zu  halten,  sondern 
dass  ich  durch  die  Analogie  eher  in  dieser  Auffassung  bestärkt 
werde. 

Die  grösste  Schwierigkeit  besteht  aber  darin,  dass  viele 
Chirurgen  behaupten,  sie  hätten  den  Wharton'sehen  Gang  neben 
der  Ranula  wegsam  gefunden,  sie  hätten  mit  einer  feinen  Sonde 
eingehen  können  und  wären  neben  der  Cyste  vorbeigekommen. 
Diese  Beweisführung  ist,  weil  sie  nur  am  Lebenden  vorge- 
nommen wurde,  nicht  ganz  stringent,  da  wir  bei  allen  solchen 
Gängen  gewisse  Varietäten  finden,  so  dass  unter  Umständen  dop- 
pelte Orificien,  doppelte  Ausführungsgänge  vorhanden  sind,  von 
denen  vielleicht  nur  der  eine  kleinere  cystisch  entartet  war. 
Das  sind  Scrupel,  die  gewiss  Berücksichtigung  verdienen.  In- 
dess  haben  wir  einige  sehr  vollwichtige  Zeugnisse,  welche 
gegen  die  Betheiligung  des  Wharton'schen  Ganges  sprechen.  Gl. 
Bernard**)  erzählt  nehmlich,  dass  er  in  drei  Fällen  von 
wenig  entwickelter  Ranula  die  Mündung  des  Submaxillarganges 
frei  und  Speichel  entleerend  gesehen  habe;  er  entleerte  die  Ge- 
schwülste, cauterisirte  sie  mit  Höllenstein  und  erzielte  vollständige 
Heilung.  Trotzdem  spricht  er  sich  dafür  aus,  dass  es  sich  um 
Speichelgangscysten  gehandelt  habe;  nur  leitet  er  sie  von  einer 
Dilatation  der  kleinen  Läppchen  der  Subungualis  in  Folge  einer 
Obstruction  der  Rivinischen  Gänge  ab.  Beim  Pferde,  sagt  er, 
habe    er   eine   auf  diese   Weise  entstandene  Ranula  beobachtet. 


♦)  Mein  Archiv.  Bd.  VIII   S.  360,  361. 

**)  Claude  Bernard.     Le<;ons    de   physiologie  exp^rimentalc     Paris. 
1866.    T.  U.    p.  87. 


278  Zwölfte  Vorlesung. 

Auch  Birkett*)  fand  den  Wharton^schen  Gang  regelmässig  offen 
und  sah  Speichel  aus  demselben  fliessen.  Er  spricht  sich  ebenfalls, 
und  wie  es  scheint,  unabhängig  für  die  Entstehung  der  Ranula  aus 
den  Rivini'schen  Gängen  aus  und  stützt  sich  dabei  hauptsächlich 
auf  die  Angaben  von  Kölliker**)  über  Bau  und  Inhalt  der 
Drüsen,  aus  welchen  diese  Gänge  sich  zusammensetzen  und  welche 
Kölliker  als  besondere  Rivinische  von  der  Subungualis  unter- 
scheidet. Gewiss  hat  diese  Ansicht  Alles  für  sich,  nur  ist  es 
dann  nicht  nöthig,  die  Ranula  in  die  Reihe  der  blossen  Schleim- 
cysten  zu  setzen.  Mag  man  die  Rivini^schen  Drüsen  zur  Sab- 
lingualis  rechnen  als  sie  für  sich  betrachten,  so  bleiben  sie  doch 
immer  Speicheldrüsen  und  die  Ranuls  eine  Speichelcyste.  Für 
die  Geschwulst  bedeutet  diess  nur  einen  Ortswechsel  und  viel- 
leicht darf  man  annehmen,  dass  er  nicht  für  alle  Fälle  gilt,  wenn 
man  z.  B.  die  durch  Autopsie  bestätigte  Beobachtung  von 
Riebet***)  erwägt,  welche  ganz  bestimmt  für  die  Submaxillaris 
spricht. 

Manche  haben  sich  dadurch  zu  helfen  gesucht,  nament- 
lich Fried.  Paulif),  der  in  neuester  Zeit  eine  sorgfältige 
Arbeit  über  die  Ranula  geliefert  hat,  dass  sie  zwei  wohl  za 
unterscheidende  Stadien  annehmen:  eines,  wo  der  Grang  ausge- 
weitet wird,  Ptyalektasisft),  und  ein  zweites,  wo  der  Gang  eine 
Ruptur  bekommt  und  die  Flüssigkeit  in  die  Umgebung  austritt,  so 
dass  der  Sack  dann  eigentlich  in  dem  umgebenden  Bindegewebe 
läge,  Ptyalocele.  Diese  Ansicht  stützt  sich  namentlich  auf  die 
klinische  Beobachtung,  dass  in  manchen  Fällen,  nachdem  der  Sack 
eine  Zeit  lang  bestanden  hat,  er  ganz  plötzlich  seine  Gestalt  ver- 
ändert, dass  namentlich,  während  die  Geschwulst  Monate  lang 
nur  am  Boden  der  Mundhöhle  existirte,  sie  mit  einem  Male  auch 
unter  dem  Unterkiefer  am  Halse  hervortritt,  was  eben  den  Zeit- 
punkt der  Ruptur  bezeichnen  soll.    Es  ist  dies  dieselbe  Ansicht, 


•)  Birkett    Guys  Hosp.  Rep.   Ser.  111.   Vol.  V.   1859.   p.  271.  PI.  II. 

fig.  2. 

**)  Kölliker.    Handb.  der  Gewebelehre.  1859.  S.  878. 
•••)  Bei  Cruveilhier.    I.  c.    T.  111.    p.  365. 
t)  P.iuli.     Archiv  für  klinische  Chirurgie.     1862.    Bd.  11.    S.  14. 
tl)  l)io  Mögiliohkeit  einer  solchen  Entstehung  hat  Pauli  durch  die  Unter- 
bindung des  Ganges  beim  Hunde  dargethan.     A.  a.  0.    S.  28.     Vgl.   fier- 
nnrd  I.  r.  p.  bO. 


SpAnnalocele. 


279 


die  wir  schon  bei  den  Ganglien  besprochen  haben,  und  ich  muss 
sagen :  ebensowenig  als  ich  mir  vorsteUen  kann,  dass  beim  Gan- 
glion eine  solche  ausgetretene  Inhaltsmasse  liegen  bleiben  sollte, 
ebengowenig  halte  ich  es  bei  der  Ranula  für  richtig;  jedeofalla 
würde  sie  eur  Resorption  gelangen. 

Ich  willschliesBÜch  noch  hinzufügen,  dags  an  derselben  Localität, 
wo  wir  die  Ranula  finden,  auch  neugebildete  Säcke  unzweifelhaft 
Yorkommen,  und  dass,  wenn  man  diese  ebenso  nennen  will,  man 
Ewei  verschiedene  Arten  der  Ranula  unterscheiden  mus.  Ich  habe 
selbst  Gelegenheit  gehabt,  ein  von  Herrn  Linhart  exstirpirtee 
Dermoüd  von  dieser  Stelle  zu  untersuchen*),  welches  in  keiner  Weise 
in  Parallele  gestellt  werden  konnte  mit  der  gewöhnlichen  Ranula. 
AebDliche  Beobachtungen  besitzen  wir  schon  aus  älterer  Zeit, 
welche  ganz  correct  sind  und  eben  wieder  beweisen,  dass  man 
an  bestimmten  Localit&ten  sich  nicht  auf  eine  bestimmte  Ueinung 
steifen  moss,  sondern  die  verschiedenen  Möglichkeiten  neben  ein- 
ander wohl  ins  Auge  fassen  muss.  — 

Eine  ähnliche  Reihe  von  Streitigkeiten,  die  aber  in  einer 
positiveren  Weise  sich  lösen  lassen,  hat  die  cystische  Ausweitung 
einzelner  Abschnitte  der  Hodenkanäle 
veranlasst,  eine  Form,  die  man  früher 
gewöhnlich  mit  der  einfachen  Hydrocele 
cystica  verwechselt  hat,  mit  der  sie  in 
der  Tbat  dem  Sitz  und  der  Erscheinung 
nach  eine  grosse  Aehnlichkeit  besitzt, 
namentlich  mit  der  Hydrocele  funiculi 
spennatici  (S.  166).  Man  hat  neuerlich 
meist  den  Namen  Hydrocele  sperma- 
tica  oder  Spermatocele  dafür  ange- 
wendet. Die  ersten  Beobachtungen, 
welche  auf  etwas  dieser  Art  hindeuteten, 
wurden  von  englischenChirui^en gemacht, 


Fig.  49.  Spennatocele  cystka  (Präparat  No.  1003.).  Man  sieht  neben 
und  hinter  dem  Kopf  des  Nebenhodene  die  etwas  unebene,  blasige  Geschstilst, 
jn  wekber  der  Samen  enthalten  war.  Sie  hatte  sich  theils  in  den  Samen- 
ttrang  hinauf-,  theils  ge^^ea  die  Hühle  der  Scheidenhant  herabgeschoben, 
*ar  sehr  dünnwandig  und  enthielt  nur  wenige  Sanien^den. 

•)  Wfinbnfger  Verhandl.     (ItiöB).     Bd.  VII.    S.  XLIX. 


2$0  Zwölfte  forlmiBe. 

nameritiidi  Ton  Li 8 ton  (1843)  und  Llojd^,  wdcbe  in  ent- 
\(thrit*r  Hydrocele-FlQssigkeit  Samenfäden  Luiden.  In  der  ersten 
Zffit  glaubte  man,  es  könnten  Samenkaoile  der  Oberfläche  des 
HodenM  m'\\  erweitem  und  durch  Ergoss  ihres  Inhaltes  in  die 
S(!heid<mhaut  die  Hydrocele  erzeugen.  Später  hat  man  sich  durch 
directe  anatomische  Untersuchnng*^)  überzengt,  dass  die  Sperma- 
tocele  nicht  in  der  Scheidenhaut  des  Hodens,  in  der  Tnniea  vagi- 
naÜH  propria,  sondern  in  besonderen  Säcken  Hegt,  welche  sich 
in  (l<'r  Mehrzahl  der  Fälle  am  oberen  Ende  des  Hodens,  am  lieber- 
gange  zum  Nebenhoden  und  zum  Theil  fiber  demselben  finden 
und  Hich  von  da  allerdings  in  die  Höhle  der  Scheidenhant  hinein- 
Hiülpen,  wo  sie  blasige  Vorsprünge  bilden.  Nun  ist  es  nicht 
Hclton,  cbisH  gleichzeitig  Hydrocele  tunicae  vaginalis  und  Sper- 
matocele  besteht,  dass  sie  wirklich  cotncidiren,  und  mir  kommt 
OH  noch  immer  sehr  wahrscheinlich  vor,  dass,  wenn  man  eine 
()perHtion  macht  und  in  den  Sack  mit  dem  Troicart  einsticht  oder 
durch  i*ine  Incision  denselben  spaltet,  man  sehr  leicht  die  beiden 
SAcke  auf  einmal  anstechen  oder  anschneiden  kann,  so  dass  erst 
dunh  die  Operation  das  Gemisch  der  Samenflüssigkeit  mit 
der  eigentlichen  Hydroceleflüssigkeit  entsteht.  Indess  behauptet 
Luschka*^**"**),  einmal  auch  an  der  Leiche  die  Samenfaden  in  der 
Flüssigkeit  gefunden  zu  haben,  und  schliesst  daher  auf  eine  Rup- 
tur, wogegen  sich  allerdings  nichts  einwenden  lässt.  Ich  selbst 
habe  keine  Gelegenheit  gehabt,  Samenfäden  in  freien  Hydrocelen- 
flüssigkeiten,  sei  es  an  der  Leiche,  sei  es  nach  der  Entleerung 
am  Lebenden«  tu  sehen. 

l>ie  Samencysten  können  bis  zu  Wallnassgrösse  und  darü- 
ber unNVHohsen,  Die  Flüssigkeit«  welche  sie  enthalten,  unter- 
scheidet sich  im  Wesentlichen  von  der  gewöhnUchen  Hydro- 
celentlttssigkeit  dadun^h,  da^s  sie  ein  weissKches,  milchiges, 
undur\*hsichtigi's  Aussehen  hat.  In  manchen  Fällen  findet  man 
das  S|H'rma  darin  vollständig  in  Ordnung,  so  dass  die  Samen- 
t^vlon  in  lebhat'kor  Bewegung  sind.    In  anderen  Fällen  zeigt  es  sich 


'  Mcai  V  chin&n;Kal  TrAa»actkMM.  Vol.  XXYL  pc  »6  «nd  366.  YergL 
Tuilin^  K4:u^  «K^aiUU  Jo«riL  1:>I:^  $«pt.  MacdoielL  Load.  Med.  Giz.' 
\x4    li  Nvx    UM 

'*    Vii^.M    V^U   vkir    rnft^o:.   V,^  XXYIL  pL  39i9L    Ucl.  oa  »orgical 


Spermatocele.  281 

ia  Zersetzung,  die  Samenfäden  haben  ihre  Fortsätze,  die  soge- 
nannten Schwänze  verloren,  man  findet  nar  noch  kleine  rundlich- 
ovale, scheinbar  einfache  Kömer,  die,  wenn  man  sie  genauer  be- 
trachtet, die  bekannte  Gestalt  der„Köpfe^  zeigen,  und  daneben  aller- 
lei zellige  Elemente,  wie  man  sie  als  Muttergebilde  der  Samenfäden 
kennt.  Nach  der  Analogie  anderer  Cysten  lässt  sich  erwarten, 
dass  auch  diese,  wenn  sie  lange  bestehen,  ihren  spermatischen 
Gharacter  verlieren,  und  ich  halte  es  f&r  wahrscheinlich,  dass 
manche  Gysten,  die  wie  einfache  seröse  Säcke  erscheinen  und 
an  derselben  Stelle  vorkommen,  denselben  Ursprung  haben. 

Die  Hauptfrage  bleibt  natürlich :  wie  entstehen  diese  sonder- 
baren Bildungen?  Paget*)  hat  zuerst  die  Vermuthung  aufgestellt, 
dass  hier  eine  wirkliche  Neubildung  von  Säcken  stattfinde,  auf 
deren  Wand  sich  Drüsenzellen  bildeten,  welche  dann,  wie  ge- 
wöhnlich, die  Samenfäden  lieferten.  Es  hängt  dies  zusammen 
mit  einer  Theorie,  auf  welche  wir  noch  häufig  zu  sprechen  kom- 
men müssen,  und  welche  sich  auf  eine  Reihe  von  Drüsenbildungen 
bezieht,  wo  Rokitansky  und  Paget  die  Meinung  vertreten 
haben,  dass  es  sich  um  Neubildung  von  Drfisensubstanz  neben 
der  Drüse  handele,  dass  also  wirkliche  Neoplasien  entständen, 
welche  den  alten  Drüsen  gleichen,  aber  nicht  in  unmittelbarer 
Anastomose  oder  Gontinuität  mit  ihnen  sich  befinden.  Das  ist, 
wie  ich  glaube,  im  Grossen  insofern  nicht  richtig,  als  eine  voll- 
ständige Wiederholung  der  Drüsen  wohl  kaum  jemals  vorkommt, 
es  sei  denn  in  gewissen,  später  zu  besprechenden  teratoiden  Ge- 
schwülsten. Ich  gestehe  vollkommen  zu,  dass  eine  Art  von  Re- 
production  des  Drüsentypus  als  eine  neoplastische  gefunden  wird; 
nur  habe  ich  kein  Motiv  zu  glauben,  dass  eine  wirkliche  Drüsen- 
secretion  dabei  zu  Stande  kommt  und  noch  weniger,  dass  Samen- 
fäden in  den  Epithelien  solcher  neugebildeten  Säcke  erzeugt 
werden  können. 

Alle  Untersuchungen  der  neueren  Zeit,  die  ziemlich  zahlreich 
von  Gössel  in**),  Luschka  u.  A.  angestellt  sind,  sprechen  dafür, 
dass  es  sich  um  die  cystische  Erweiterung  präexistirender  Kanäle 
handelt  Nur  dass  ist  sonderbar,  dass  die  Cysten  fast  ausschliess- 
lich an  dieser  Stelle  vorkommen.     Das  seheint  sich  daraus  zu 


•)  Medico-chir.  Transact.    1844.    Vol.  XXVII.    p.  898. 
♦•)  Arch.  g^^r.  1848.    T.  XVI.  p.  24. 


282  Zwölfte  YorleBimg. 

erklären,  dass  gerade  in  dieser  Gegend  die  grösste  Unregelmässig- 
keit in  der  Bildung  des  Hodens  stattfindet  Der  Hoden  entsteht 
bekanntlich  als  ein  unabhängiges  Drüsenorgan  neben  dem  Wolff'- 
sehen  Körper,  und  die  Kanäle  des  letzteren,  dieselben,  die  wir 
vorher  bei  dem  Rosenmüller'schen  Organ  besprochen  haben  (S.  263), 
treten  erst  später  in  Verbindung  mit  den  Kanälen  des  Hodens. 
Ursprünglich  sind  sie  eben  Blindsäcke,  die  nur  mit  dem  gemein- 
schaftlichen Ausführungsgang  zusammenhängen.  Nicht  alle  diese 
Kanäle  treten  aber  in  Verbindung  mit  Hodenkanälchen ,  wie 
man  ja  seit  langer  Zeit  das  von  Hall  er  entdeckte  Vas  aberrans 
kennt,  welches  tiefer  unten  im  Nebenhoden  eingeschlossen  liegt, 
sich  aber  in  den  gemeinschaftlichen  Kanal  des  Vas  deferens 
entleert.  So  scheint  es,  dass  auch  am  oberen  Ende  des  Hodens 
einzelne  Blindsäcke  übrig  bleiben,  die  sich  nicht  mit  Samen- 
kanälen verbinden. 

Wir  wissen  ausserdem,  dass  in  dieser  Gegend  noch  andere 
besondere  Bildungen  bestehen,  die  gleichfalls  auf  gewisse  Eigen- 
thümlichkeiten  der  Entwickelung  hinweisen ;  sie  sind  noch  keines- 
wegs genau  im  Einzelnen  verfolgt  worden.  So  hat  erst  neuerlich 
Girald^s  an  diesem  Punkt  einen  scheinbar  unabhängigen  drü- 
sigen Körper  entdeckt,  Corps  innominä,  welcher  zwischen  den 
anderen  Theilen  gelegen  ist  und  möglicherweise  zu  einzelnen 
cystischen  Bildungen  dieser  Gegend,  wenn  auch  nicht  spermati- 
sehen,  Veranlassung  geben  mag. 

Man  muss  ebenso  diese  Säcke  wohl  trennen  von  den  kleinen 
cystischen  Anhängen,  welche  sich  an  der  Oberfläche  des  Hodens 
vorfinden,  die  wir  schon  bei  Gelegenheit  der  Hydrocele  (S.  162) 
und  der  Tubarcysten  (S.  262)  mit  besprochen  haben.  Eines 
dieser  Gebilde  ist  ziemlich  constant  und  findet  sich  allerdings 
an  einer  ganz  ähnlichen  Localität ,  wie  die  Tuben-Hydatide,  nehm- 
lich  am  Kopf  des  Nebenhodens,  wo  es  bald  vollständig  gestielt, 
bald  mehr  flach  aufsitzend  hervortritt.  Es  ist  das  Ende  desjenigen 
fötalen  Ganges,  welcher  der  Tuba  des  Weibes  entspricht,  das 
Ende  des  obliterirten ,  schon  frühzeitig  untergegangenen  Müller'- 
schen  Fadens.  Dieses  blindsackige  Ende  bleibt  gewöhnlich 
bcHtohen  und  bildet  jene  cystische  Hervorragung,  die  man, 
nit*ht  mit  grossem  Recht,  Morgagnisehe  Hydatide  genannt  hat 
In  ihr  iindi't  sich  niemals  spermatische,  sondern  nur  seröse 
KlnimlKkeit,  und  daher  muss  man  sie,  und  ebenso  gewisse  kleine 


Milcbcjsten.  283 

cystische  Bläschen  des  Nebenhodens  (Fig.  19*),  ganz  bei 
Seite  lassen,  wenn  man  die  Spermatocele  behandelt.  Die 
Lage  der  letzteren  macht  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  sie  ein 
cystisch  erweiterter  Blinddarm  des  Wolflf' sehen  Körpers  ist,  in 
dem  die  Samenfäden  nicht  gebildet  sind,  sondern  in  den  sie  von 
dem  gemeinschaftlichen  Ausfuhrungsgang  aus  rückwärts  hinein- 
gelangt sein  müssen  durch  eine  Art  von  Deviation  der  Leitung, 
welche  ihrerseits  wahrscheinlich  meist  durch  Verengerungen  oder 
Verstopfungen  des  Vas  deferens  bedingt  sein  mag*). 

Was  den  Hoden  selbst  anlangt,  so  kommt  es  zuweilen  vor, 
dass  darin  cystische  Bildungen  entstehen,  die  sich  auf  die  eigent- 
lichen Samenkanäle  zurückfuhren  lassen.  Wir  werden  Gelegenheit 
haben,  bei  den  Sarkomen  darauf  zurückzukommen.  — 

Zum  SchlusB  wül  ich  noch  die  Milchgänge  erwähnen, 
welche  ein  ausserordentlich  häufiger  Ort  für  Dilatation  und  Cysten- 
bildung  sind.  Die  sehr  exponirte  Lage  derselben  nach  aussen 
hin  macht  natürlich  gerade  diese  Cysten  zu  einem  besonders 
häufigen  Object  der  operativen  Chirurgie  und  zu  einem  Gegen- 
stande von  unmittelbar  praktischer  Wichtigkeit.  Allein  das  Zu- 
sammenwerfen dieser  Geschwülste  mit  Cystosarkomen  und  Hyda- 
tidenkrankheit  (Kystom)  hat  vielfache  Verwirrung  herbeigeführt, 
und  man  muss  wohl  unterscheiden  zwischen  den  Fällen,  wo  es 
sich  ursprünglich  um  cystische  Ektasie  der  Milchgänge  handelt  **), 
und  wo  erst  secundär  allerlei  Erkrankungen  des  umliegenden 
Gewebes  hinzukommen,  und  denjenigen,  wo  die  Ektasie  nur  eine 
zufällige  Complication  anderer  Geschwulstbildung  ist,  oder  wo  die 
Cysten  überhaupt  nichts  mit  den  Milchgängen  zu  thun  haben. 
Denn  es  kommen  in  der  Milchdrüse  nicht  bloss  Echinococcen 
(Acephalocysten)  vor,  sondern  auch  häufig  genug  Neubildung  von 
Cysten  in  dem  interstitiellen  Gewebe. 

In  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  sind  es  an  der  Milch- 
drüse nicht  die  kleinen  Terminalkanäle,  welche  in  die  Drüsen- 
bläschen  hineinführen,  sondern  die  grösseren  Gänge,  welche  die 
Milch  aus  den  verschiedenen  Drüsenläppchen  gesammelt  haben 


*)  LewiD.    Stadien  Ober  Hoden.    S.  IG. 

**)  Birkett.  The  diseases  ofthe  breast  and  their  treatment.  Lond.  1850. 
p.  65.  Rokitansky.  Lehrbuch  der  path.  Anat.  Ib61.  Bd.  III.  S.  529.  Ben- 
jamio  in  meinem  Archiv.  Bd.  IX.  S.  299.  Billroth  ebendas.  Bd.  XVIII. 
S.  52.    Paget.  Lect  on  surg.  pathol.  Vol.  II.  p.  41. 


284  Zwölfte  VorlesDDg. 

und  die  sich  nun  allmählich  immer  mehr  vereinigen,  um  zuletzt 
in  die  Sinus  lactei  überzugehen.  Manchmal  sind  es  diese  letz- 
teren, an  sich  weiteren  Theile,  die  der  Warze  zuidcbst  gelegenen 
Abschnitte,  welche  sich  dilatiien;  manchmal  aber  gehen  die  DiU- 
tationen  ziemlich  weit  in  den  Ductus  lactiferi  rückwärts.  Die 
einzelnen  Fälle  unterscheiden  sieh  wesentlich  dadurch,  dass  wir 


mant-hmal  nur  einzelne  Ektasien,  anderemal  eine  grossere  Zahl 
von  Krwoitcnnigon  durch  die  ganzeDrÜse  zerstreut  finden,  Formen, 
ganz  Ähnlich  dorn  Hydrops  renum  cysticus.  Diese  Säcke  enthalten 
im  Anfiingi'  Milrh,  allein  späterhin  Terscbwindet  auch  hier  der 
un<|)rnngli('ht>  «.'Imrakter,  und  es  tritt  an  die  Stelle  der  Milch  eine 
einfiichi'  npr«m'  Flfiiisigkcit  oder  eine  dicke  colloide  Masse,  oder 
CS  mi'ugt'n  sich  hämorrhagische  Bestandtheile  hinzu.  So  kommen 
hier  dit<  KOiiili^rbamtcn  Färbungen  vor,  denn  das  Gemisch  von 
BuIhT,  Itlut  tmd  andiTon  Bestandtheilen  giebt  die  wundersamsten 
fjuancirungon.  zumal  wenn  es  noch  durch  partielle  Resorption 
eingedickt  ist  Am  häutigsten  findet  sich  dies  bei  kleineren 
Cysten,  die  namentlich  l>ei  älteren  Frauen  in  der  Involntions- 


Fic.  fiO  lllmk(i)<-ysti:i  rom|>osit»  manunae  (PrSpuat  No.  140.  von 
J»hn>  IM').).  \ou  i'iiior  ällcron  Frxu  exstirpirt.  a  die  VVarie;  h  ein  Gbrte 
indurirtiT  iitul  (irschrunipfior  Thi>il  der  Drüse;  c  noch  erhalteoes,  ibfr  ai 
den  mri»ieii  Stolli-n  mit  t>T» i'iierten  ülisrlien  Terschenee  DrQBengevebe.  un 
«reiche»  herum  nnil  in  «etiliem  <lio  rvsti^chen  Höhlen,  theila  als  froMe, 
nindliohe  «(Teno  Slike.  tlieil«  »1»  feinel  Itncliehe  Smiten  IteRen.  Der  Inhall 
wireine  hriunlirbe  KlQssitiLeit.  ans  drr  »ich  Qbcrall  auf  die  Wand  lafalreiehe 
MKlUrbene  Nii-der>rhli]:e  aliceseiit  haben  Aueb  aof  mikroskopischen  Srbait- 
lon  Klehl  m>n  Hhlrei>-he,  kAniifi',  bnune  PifmeniMnapreoguBEen  in  de« 
lum  Vhell  knnr|ielBrti|[  »kleroürlea  Wwdgewebe  d«r  grtMem  Sicka. 


HilcbcysteD.  £85 

Periode  bkofigeraind  und  nicht  zu  einer  solchen  Ausdehnung 
gelangen,  dass  sie  zu  einer  operativen  Behandlung  Veruüassung 
geben.  Es  sind  auf  einzelne  Gänge  oder  Abschnitte  von  Gängen 
beschränkte  Abschnürungen,  und  sie  liegen  meist  nach  der  Tiefe 
hin.  Zuweilen  weitet  sich  auch  ein  Gang  so  aus,  dass  er  eine 
gewundene  dannartige  Beschaffenheit  bekommt  und  dass,  wenn 
man  einschneidet,  man  Vorsprünge  und  Leisten  findet,  welche 
wie  unvollständige  Septa  in  das  Innere  gehen.  An  der  Wand  dieser 
Säclie  treten  theils  dirrch  papilläre  Wucherung,  theils  durch  Ein- 
Etülpung  normaler  oder  hyperplastischer  Drüsensubstanz  allerlei 
rauhe,    warzige  oder  höckerige  Stellen  hervor  (Fig.  51.,  c),    an 


denen  die  breite  glatte  Wand  durchbrochen  erscheint.  Auch  ist 
es  nicht  selten,  Confluenz  benachbarter  HGlilcnräiime  zu  grösseren 
Säcken  zu  finden.  Das  übrige  DrQsenparenchym  und  das  Nach- 
bargewebe atropbirt  in  der  Regel,  so  dass  die  Cysten  allmäblich 
dicht  unter  die  Haut  zu  liegen  kommen,  indess  entwickelt  sich 


Fig.  51.  Zu  sa  mmeD  gesetzt  es ,  proliferirendea  Cyatoid  der  weiblichen 
Brust  mit  serOsem  Inhalt  (Präparat  No.  iiäli.)  Mao  sieht  auf  einem  senk- 
recht TOD  der  Haut  o  hereingcfühvCen  Durchscfinitt  drei  grC^sere  Säcke,  weiche 
mit  fortschreitender  Usur  ihrer  Scheidewände  contluirt  bind.  Mehrere  leis- 
tenartige  VorsprOnge  der  Wand  weisen  darauf  hin,  dass  auch  diese  drei 
frDher  ans  mehreren  kleineren  Süekcn  zusammengeflossen  sind  ßei  g  und 
!^  sind  noch  Reste  der  alten  Drüse,  freilich  sehr  zusammengedrückt  und  in- 
dorirt;  bei  </"  insbesondere  finden  sich  noch  gewisse  Reste  von  DrQsenpa- 
rennhym,  welches  zum  Thcil  bis  in  die  benachbarten  Säcke  reicht  nnd  in  dlc- 
■elbeo  träi  c,e  hineinragt 


286  Zwölfte  Vorlesung. 

andere  Mal  auch  eine  schleichende,  interstitielle  Entzündung  mit 
Induration  um  dieselben. 

Unter  Umstanden  geschieht  aber  auch  die  Dilatation  in  schnel- 
ler Weise,  so  dass  namentlich  während  der  Lactation  an  einzel- 
nen Stellen  grosse  Säcke  entstehen.  Diesen  Zustand  nennt  man 
Galaktocele*),  obwohl  keine  eigentliche  Hernia  existirt.  Die  in 
den  Säcken  enthaltene  Milch  betrug  manchmal  fünf  bis  sechs  Unzen, 
ja  in  einem  Falle  von  Scarpa  sogar  10  Pfund.  Hier  kann  es 
später  vorkommen,  dass  die  Wand  erweicht,  das  die  Milch  extra- 
vasirt;  dann  entstehen  in  der  Regel  entzündliche  Processe,  welche 
meist  mit  Verschwärung  endigen.  Wenn  indessen  der  Sack  ge- 
schlossen bleibt,  so  verändert  sich  der  Inhalt  mehr  und  mehr, 
und  wir  finden  im  Innern  butterartige,  seröse  oder  hämorrhagische 
Flüssigkeit.  Was  man  unter  dem  Namen  von  Blutcysten**)  u.  s.  w. 
an  der  Mamma  beschrieben  hat,  das  gehört  meist  in  diese  Ka- 
tegorie, obwohl  begreiflicherweise  jede  Art  von  Höhlcnbildung  mit 
Extravasation  verbunden  sein  kann.  Ob  es  Milchcysten  in  neu- 
gebildeten Drusenknoten  (Adenoid)  giebt,  ist  mir  wenigsteos  sehr 
zweifelhaft;  Birkett***)  nimmt  dies  in  solchen  Fällen  an,  wo 
schon  vor  der  Lactationszeit  ein  Knoten  in  der  Brust  bestand.  — 

Damit  schliesse  ich  dieses  Kapitel,  indem  ich  manche  analoge 
Cystenform,  z.  B.  den  Dacryopsf)?  den  Hydrops  sacculi 
prostatici,  übergehe. 


*)  Velpeau.    Traite  des  nialadies  du  sein.  Paris.  1854.  p.  297.    Bir- 
kett 1.  c.  p.  198.    Guys  Hosp.  Rep   Ser.  III.  Vol.  VII.  I8ül.  p.  344.  Scan- 
zoni  im  3.  Bande  von  Kiwisch's  Klinischen  Vorlesungen.  Prag.  1855.  S.  %. 
^*)  Velpeau.  1.  c.  p.  332.    Siering.  De  mammae  haeroatocysti,  addita 
obscrv.  cliniea.  Diss.  inaug.  Berol.  1860. 

***)  Birkett.    Transactions   of  the   Patbolog.    See.    of  London.    1858. 
Vol.  IX.  p.  386. 

t)  A.  V.  Gräfe.  Archiv  f.  Ophthalmologie.  Bd.  VII.  Abtb.  2. 


Dreizehnte  Yorlesung. 

14.  Januar  1863. 


FibroMe. 


Di«  Prolifarationt-Qetehwfiltte  (Gew&etaM)  uberhanpt.  IrritetiTe  Bntttehang.  Clatti- 
fieation  und  Termioologie.    Uebergangs/ormen. 

Familie  dar  bindegewebigen  Oeschwülste. 

Gattang  dar  Fibrome  (Pibroide,  Deamoide,  Steatoroe).  Nothvendiglieit,  die  Myome,  Neurome, 
und  manche  andere  Tnmoret  afibrosi',  sowie  die  mit  Bindegewebsbildang  complicirten  Balg- 
geachwulste  aasiascbeiden.  Unsichere  Grenze  gegen  die  warzigen  Epithelialgeschwülste  and 
gegen  die  diffnsan  chronisch  •  entiundliehen  Processe.  Elephantiasis.  Irritative  Natnr  aller 
Fibrome.    Die  drei  Hanptformen ;  Combination  und  Uebergang  derselben  unter  und  in  einander. 

1.  Elephantiasis.  Sporadische,  eongenitale  nnd  endemische  Formen.  Pr&dilectionsstellen. 
Elephantiasis  nnd  Lepra;  historische  Entwickelung ;  Verwechselung.  Elephantiasis  Arabum 
=  Pachydermla,  Hypersarcosis ,  nrüsenkrankheit,  Rosenbein.  Erysipelas  sclerematodes  s. 
lymphaticum  s.  gelatinosom.  Das  secundire  Erysipel:  Phlegmatia  alba,  Tumor  albus.  Fort- 
•ehraitenda  Hyperplasie  des  Bindegewebes.  Elephantiasis  laevis  s.  glabra,  papillaris  s.  terru- 
cosa,  tnberosa  (tubercalosa)  s.  nodosa.  Verhalten  der  Epidermis :  Elephantiasis  nigra  et  cornea. 
Verhalten  des  Bindegewebes:  E.  dura  et  mollis.  Die  Specksubstans.  Hyperostose:  E.  ossificans. 
Die  Lymphdrüsen.  Blephantiasiii  ulcerosa.  —  Die  weichen  Formen:  E.  congenita  simpIex, 
telangiectodes ,  cystica.  Die  Elephantiasis  der  äusseren  Genitalien:  E.  scroti  et  penis,  labil 
majoris  et  clitoridis,  mammae.  Collonema.  Pachydermia  lactiflua  und  Lymphorrhoe.  Ua- 
dnra-Fuflt. 

1    Mollnscam  (Elephantiasis  mollusca,  Steatoraa,  Speckgeschwulst).    Multiple  Form.  Leontiasis. 

1  Fibroma  diffusum.  Milchdrüse:  Induratio  benigna,  Elephantiasis  dura,  Cirrhosis.  Ana- 
logie mit  Sldrrh.  Zwei  Stadien.  Lobnlftre  Fibrombildnng:  Corps  fibreux.  Fibrom  der  männ- 
lichen Brust.  Eierstock.  Niere:  interstitielle  knotige  Nephritis.  Entsündliche  Ent- 
stehung. 

i.  Fibroma  papilläre  s.  terrueosum  (Papillär-  oder  Zottengeschwulst):  Hyperplastisehe 
Vergrösaerung  pr&exisUrender  Papillen  oder  Zotten  und  Neubildung  derselben.  Geschichte 
der  Knospen-  und  Astblldang.  Vergleich  mit  der  Placenta  fStalis.  Pacchionische  Grano- 
latiooeB  (Drüsen).  Verhalten  der  Geflssa.  Zellenwucherung:  Granulation,  Fleisch  wärsehen. 
Gelasjilose,  gefiasarme  und  gefässreiche  Papillen:  Siphonoma.  Vegetationen,  Papillonut.  Die 
intracanalicnlären  Papillargeschwülste :  Gallenwege,  Condyloma  sobcutaneum  s.  follicu- 
lare,  Fibroma  papilläre  intracanalicnlare  mammae.  Warsen  der  äusseren  Haut:  Akro- 
cbordon,  Clatus,  Akrothymion  s.  Thymos,  Myrmecia  s.  Formica.  Condyloma  latum  et  acu- 
minatum.    Pormm.    Hautpolypen. 

^  Fibroma  tnberosnm:  Unterschied  ron  Tubereulose.  Combinations -  und  Uebergangifihig- 
keit,  De^naration.  Aeussere  Haut:  hereditäre  und  multiple  Form.  Fa seien:  Fibroma 
lobulare,  mneosum  et  ossificans.    Periost.    Retropharyngealgesehwulst,  Nasen-Rachenpolypen. 

Allgemabia  Bodantong  dar  Fibrome.  Constitutionelle  Beziehung.  Pridisposition :  Örtliche ,  allge- 
maioa  nnd  arbliche.     Syphilis.    GuUrtigkeit. 

Betcroplastisehes  Fibrom.    Kieferknochen.    Ossiflcirende  und  petrificirende  Formen. 


288  Dreizehnte  Vorlesang. 


Wir  wollen  heute  zu  der  Betrachtung  der  Proliferationsge- 
8ch Wülste  oder  der  Gewächse  im  engeren  Sinne  des  Wor- 
tes (S.  121)  übergehen,  Sie  unterscheiden  sich  von  den  bisher  be- 
trachteten hauptsächlich  dadurch,  dass  die  Erzeugung  neuen 
Gewebes  bei  ihnen  nicht  ein  Ereigniss  einer  späteren  Zeit, 
irgend  ein  Accidens  ist,  welches  die  Geschwulstbildung  complicirt, 
sie  gewissermaassen  vervollständigt,  sie  zu  einer  schwereren  macht, 
sondern  dass  sie  von  vorn  herein  die  Geschwulst  bedingt,  also 
auch  das  eigentliche  Wesen  derselben  ausmacht.  Alle  anderweiti- 
gen Veränderungen,  welche  etwa  zu  besonderen  Exsudationeo 
oder  Hämorrhagien  oder  Retentionen  Veranlassung  geben  und 
also  auch  unter  Umständen  zur  Bildung  von  Cysten  in  oder  neben 
diesen  Gewächsen  führen  können,  sind  im  Verhältniss  zu  der 
Neubildung  accidentell,  secundär.  Denn  die  Neubildung  geht  un- 
mittelbar von  den  alten  Geweben  aus,  welche  als  Matrices  dienen 
(S.  8G).  Somit  handelt  es  sich  hier  um  eine  grosse  Reihe  forma- 
tiver  Vorgänge,  welche  unzweifelhaft  alle  einen  acti- 
ven,  productiven,  irritativen  Charakter  an  sich  tra- 
gen, und  welche  von  den  einfachsten,  wie  man  zu  sagen  pflegt, 
entzündlichen  Formen  an  bis  zu  den  extremsten  heterologen  und 
malignen  hin  sich  erstrecken. 

Innerhalb  dieser  grossen  Abtheilung  kann  man,  wie  ich  das 
früher  schon  ausgeführt  habe  (S.  1*22),  wiederum  einzelne  Gruppen 
unterscheiden,  je  nachdem  das  Gewächs  mehr  einfach  oder  mehr 
zusammengesetzt  ist,  also  mehr  einem  einzelnen  Gewebe  oder 
einer  Zusammenfassung  verschiedener  Gewebe  zu  einem  gemein- 
schaftlichen, organartigen  oder  in  den  höheren  Entwickelungen 
geradezu  systemartigen  Gebilde  entspricht  Auch  hier  lassen  sich 
Grenzen  überaus  schwer  ziehen,  so  dass  man  nicht  zn  minntiOs 
sein  darf  in  der  Classification  des  Einzelnen.  Wenn  man  etwa 
nach  Art  der  Botaniker  und  der  Zoologen  jede  kleine  Abweichung 
aufzeichnen  und  daraus  eine  besondere  Gescbwulstform  machen 
wollte,  so  würde  das  zu  einer  enormen  VervielAItigang  unserer 
Terminologie  Veranlassung  geben.  Wir  werden  gleich  im  Anfange 
schon,  dass  es  nicht  einmal  möglich  ist,  vollkommen  scharf  die 
Grenzen  zwischen  den  eigentlich  gewebsartigen,  einfach  histioldea 


Kriterien  f&r  die  Bezeichnung  der  Gewächse.  289 

und  den  mehr  zusammengesetzten  organoiden  Gewächsen  zu  ziehen. 
Wir  sind  häa%  genöthigt,  f&r  die  praktische  Betrachtung  die  Dinge 
etwas  mehr  zusammenzunehmen  und  die  Gruppen  nach  den  Haupt- 
charakteren, nach  den  wesentlichen  Merkmalen  zu  bilden,  durch 
welche  die  Erscheinung  und  der  Verlauf  des  Gewächses  haupt- 
sächlich bestimmt  wird. 

Wie  schwer  eine  solche  Scheidung  ist,  das  wird  leicht  er- 
hellen, wenn  man  in  Erwägung  zieht,  dass  der  grösste  Theil  der 
Bildungen,  um  die  es  sich  hier  handelt,  nahe  verwandte  Mutter- 
gewebe oder  Matrices  hat.  Die  grosse  Mehrzahl  der  Prolifera-  . 
tionsgeschwülste  geht  hervor  aus  den  bindegewebigen  Grundlagen 
des  Körpers,  wozu  wir  ausser  dem  eigentlichen  Bindegewebe 
noch  Knorpel,  Knochen,  Fett,  Mark,  Neuroglia  und  manches  An- 
dere rechnen*).  Indess  stehen  sich  diese  Gewebe  doch  verhält- 
nissmässig  nahe,  ja  sie  gehen  in  einander  über,  und  so  geht  auch 
innerhalb  der  einzelnen  Geschwülste  das  eine  Gewebe  in  das  an- 
dere über.  Dann  ist  es  ausserordentlich  schmerig,  in  manchen 
Fällen  zu  sagen,  ob  wir  die  Geschwulst  nach  diesem  oder  jenem 
ihrer  Bestandtheile  benennen  sollen.  Eine  Geschwulst  enthält 
Knorpel  und  Knochen;  sollen  wir  sie  eine  Knochen-  oder  Knorpel- 
geschwulst nennen?  Ein  anderes  Mal  enthält  sie  vielleicht  Binde- 
gewebe, Knorpel  und  Knochen;  dann  geräth  man  natürlich  in  noch 
grössere  Verlegenheit,  in  welche  Gruppe  man  sie  rechnen  soll; 
ist  es  eine  fibröse,  eine  cartilaginöse  oder  eine  Knochenge- 
sehwnlst?  Hier  muss  man  die  alte  Regel  festhalten:  A  potiori 
fit  denominatio.  Dasjenige,  was  den  Hauptcharakter  ausmacht, 
was  den  wesentlichen  Antheil  darstellt,  was  die  physiologische 
und  pathologische  Bedeutung  der  Geschwulst  für  den  ganzen  Kör- 
per bedingt,  das  muss  uns  bestimmen,  ihr  den  Namen  zu  geben. 
Der  Name  kann  also  nicht  immer  hergenommen  werden  von  dem 
Theile,  der  die  grösste  Masse  bildet,  sondern  oft  nur  von  dem  Theil, 
der  die  grösste  Dignität  hat.  Wenn  eine  Geschwulst  Muskeln 
und  Bindegewebe  fuhrt,  so  werden  wir  sie  niemals  eine  Binde- 
gewebsgeschwulst  nennen,  weil  die  Entwickelung  der  Muskeln  das 
Höhere 9  das  Charakteristischere,  das  für  den  Geschwulsttypus 
Wichtigere  ist,  wenn  auch  der  Masse  nach  vielleicht  das  Binde- 
gewebe pr&valirt 


*)  CellohuiMithologie.  3.  Aufl.  S.  88,  66,  257,  888. 

VIrekow,  GMchwUft«.    1.  19 


290  Dreizehnte  Vorlesung. 

Diese  Mannichfaltigkeit  muss  uns  vielmehr  veranlassen,  die 
einzelnen  Geschwulstspecies  in  eine  Reihe  von  .Unterarten  und  Va- 
rietäten zu  zerlegen*).  Da  findet  dann  derjenige  Charakter,  der 
innerhalb  der  einzelnen  Geschwulstform  als  etwas  Besonderes  her- 
vortritt, seinen  Ausdruck.  Nehmen  wir  eine  Muskelgeschwulst, 
ein  Myom.  Ist  es  mit  sehr  viel  Fasergewebe  versehen,  so  wer- 
den wir  es  eine  fibromusculäre  Geschwulst,  ein  Myoma  fibrosam 
nennen.  Haben  wir  ein  Gewächs,  welches  seiner  wesentlichen 
Bedeutung  nach  eine  Knorpelgeschwulst  ist,  welches  sich  also 
verhält  wie  permanenter  Knorpel,  so  mögen  wir  es  ein  Enchon- 
drom  nennen.  Hat  es  eine  Neigung  zur  Verknöcherung,  so  nen- 
nen wir  es  Enchondroma  ossiticans,  denn  es  hört  durch  die 
theilweise  Yerknöcherung  nicht  auf,  eine  Knorpelgeschwulst  zo 
sein,  ebenso  wenig  als  die  Rippenknorpel,  wenn  sie  anEangen  zo 
verknöchern,  dem  Namen  nach  aufhören,  Rippenknorpel  zu  sein. 
Schreitet  dagegen  ein  Gewächs  frühzeitig  zur  Knochenbildnng,  so 
ist  es  eine  Knochengeschwulst**),  und  nimmt  diese  eine  besondere 
Modalität  an,  so  dass  z.  B.  in  dem  Knochen  grosse  Quantitäten 
von  Mark  oder  von  Gefässen  sich  entwickeln,  so  werden  wir 
von  diesen  Umständen  her  die  Knochengeschwulst  als  eine  mark- 
reiche, medulläre  oder  als  eine  gefässf&hrende ,  vascal&re,  telan- 
giectatische,  bezeichnen  können. 

Dies  sind  die  allgemeinsten  Gesichtspunkte  f&r  die  Trennung 
und  Bezeichnung  der  Proliferationsgeschwülste,  und  man  darf  sich 
nicht  wundern,  wenn  bei  den  verschiedenen  Arten  allerlei  Ueber- 
gangsstadien  hervortreten,  wenn  es  sich  gelegentlich  herausstellt, 
dass  man  eine  gewisse  Geschwulst  sowohl  in  diese,  wie  in  jene 
Gruppe  hineinrechnen  kann.  Die  grossen  Streitigkeiten,  welche 
in  den  beschreibenden  Naturwissenschaften  in  der  neuesten  Zeit 
namentlich  über  den  Begriff  der  Species  geführt  worden  sind,  und 
die  in  der  Darwin' sehen  Theorie***)  eine  bis  jetzt  so  streitige 
Lösung  gefunden  haben,  existiren  f&r  die  Pathologie  ganz  und  gar 
nicht.    Wir  haben  keine  Species,  welche  sich  in  einer  so  scharfen 


^)  Verneuil.  Quelques  propositions  sur  leg  fibroraes  ou  tomem«  hr- 
m^es  par  las  elements  du  tissu  cellulairej  avec  des  remarques  sur  la  nomen- 
clatnre  des  tumeurs.    Gaz.  m^d.  de  Paris.  1S56.  No.  5.  p.  69.   No.  7.  p.  16. 

**)  Virchow.  üeber  ossificirende  Geschwülste.  Deutsche  KKnik.  1S6& 
Dec.  No.  49. 

***)  Virchow.  lieber  Erblichkeit.  Deutsche  Jahrbflcber  fOr  Politik  o. 
Literatur.    1863.    Bd.  VI.    S.  339. 


Fibroma.  291 

and  ausschliesslichen  Erblichkeit  fortpflanzen,  wie  man  das  in  der 
pflanzlichen  und  thierischen  Welt  vorausgesetzt  hat,  sondern  wir 
haben  entschieden  Yerwandftschaten ,  so  dass  eine  Species  der 
Geschwülste  in  die  andere  Species  unmittelbar  übergehen  kann.  — 

Wir  wollen  unsere  Einzelbetrachtungen  beginnen  mit  der 
Reihe  (Familie)  derjenigen  Geschwülste,  welche  ihrem  Hauptan- 
theile  nach  eines  der  Gewebe  der  Bindesubstanz  enthalten. 
Innerhalb  dieser  Geschwülste,  die  eine  nähere  Verwandtschaft 
unter  sich,  als  mit  den  Geschwülsten  einer  anderen  Reihe  haben, 
kann  man  so  viele  Gattungen  oder  Species  unterscheiden,  als  wir 
verschiedene  Gewebe  der  Bindesubstanz  haben,  und  da  diese  Ge- 
webe an  verschiedenen  Stellen  manche  grosse  Verschiedenheiten 
darbieten,  so  begreift  man,  dass  auch  noch  jede  einzelne  Ge- 
schwulst je  nach  den  Localitäten  und  Special  Verhältnissen  wieder 
eine  Reihe  von  Eigenthümlichkeiten  darbieten  kann,  welche  eine 
Reihe  von  Unterarten  aufzastellen  gestattet. 

Das  bekannteste  unter  den  Geweben  dieser  Gruppe  ist  das 
früherhin  sogenannte  Zellgewebe,  oder,  wie  wir  gegenwärtig  sagen, 
Bindegewebe,  und  die  Geschwulst,  welche  wesentlich  daraus  zu- 
sammengesetzt ist,  wird  man  also  Zellgewebsgeschwulst, 
Bindegewebsgeschwulst,  fibröse  Geschwulst,  Tumor 
fibrös  US  nennen  können.  Vielfach  hat  man  auch  Fibroid  ge- 
sagt und  Joh.  Hüller  *)  hat  für  die  festeren  Formen,  welche  man 
im  vorigen  Jahrhunderte  und  im  Anfange  des  gegenwärtigen  ge- 
wöhnlich S  t  eat  0  m  e  nannte,  den  Namen  D  e  s  m  o  i  d ,  sehnige  Faser- 
geschwttlst,  vorgeschlagen.  Zweckmässiger  ist  vielleicht  als  all- 
gemeiner Gattungsname  der  wenn  auch  etymologisch  schlecht 
gebildete  Ausdruck,  der  von  Herrn  Verneuil**)  aufgestellt 
ist:  Fibroma.  Wir  haben  in  der  alten  griechischen  Anatomie 
keinen  bestimmten  Ausdruck  far  das  Gewebe,  um  welches  es  sich 
hier  handelt,  und  wir  können  wohl  auch  in  dieser  Beziehung 
dem  Vorbild  der  Chemiker  folgen  und  unsere  Namen  aus  der 
Sprache  bilden,  in  der  uns  die  bequemsten  Grundlagen  geboten 
lind.     Mit   dem  Bewusstsein  also  vollständigster  etymologischer 


^  M&ller.    Ueber  den  feineren  Bau  der  GeschwQlste.  S.  60. 
^*)  VerneaiL  1.  c.  p.  60. 

19* 


292  Dreizehnte  Yorlesung. 

Ketzerei  empfehle  ich  den  Namen  des  Fibroms,  weil  ich  keinen 
besseren  weiss. 

In  dieser  Kategorie  hat  man  bis  vor  nicht  sehr  langer  Zeit 
eine  grosse  Masse  von  Geschwülsten  zusammengebracht,  welche 
sich  allerdings  ihrem  äussern  Aussehen  nach  so  nahe  stehen,  dass 
es  ohne  genauere  Kenntniss  der  Oertlichkeit,  von  woher  sie  ge- 
nommen sind,  vom  blossen  Auge  kaum  möglich  ist,  eine  Unter- 
scheidung zu  machen.  Gerade  diejenige  Art,  welche  man  als 
den  Typus  der  Bindegewebsgeschwülste,  der  Tumores  fibrosi  oder 
Fibroide  aufgestellt  hat,  und  welche  auch  Joh.  Müller  vorzüg- 
lich im  Auge  hatte,  nehmlich  die  am  Uterus  vorkommenden,  die 
„Corps  iibreux^  der  Franzosen«  hat  sich  bei  der  genaueren  Un- 
tersuchung als  eine  zusammengesetzte,  mit  Muskelelementen  reich- 
lich versehene  Bildung  erwiesen,  so  dass  sie  aus  dieser  Gattung 
ausgeschieden  werden  muss.  Liest  man  die  gebräuchlichen  Hand- 
bücher über  Geschwülste  nach,  so  muss  man  sich  wohl  daran 
erinnern,  dass  gerade  von  diesen,  nicht  hierher  gehörigen  Ge- 
wächsen die  gangbare  Darstellung  der  Geschichte  der  Fibrome 
abgeleitet  worden  ist.  Aehnlich  verhält  es  sich  mit  einer  andern 
Art,  die  man  als  eine  Hauptform  der  Fibrome  betrachtete,  nehm- 
lich mit  den  in  den  Nerven  vorkommenden,  häufig  unter  dem 
Namen  der  Neurome  bezeichneten  Knoten,  die  wir  gegenwärtig 
auch  aus  dieser  Kategorie  ausscheiden  müssen. 

Es  verkleinert  sich  also  die  Gattung  in  dieser  Richtong  um 
einen  ziemlich  erheblichen  Theil.  Wenn  man  hinznnimmt,  dass, 
wie  ich  im  Laufe  der  voraufgegangenen  Vorlesungen  vielfach  ge- 
schildert habe,  eine  Menge  von  Geschwülsten,  welche  ursprünglich 
reine  Cysten  sind  und  theils  den  Retentions*,  theils  den  Exsu- 
dationsformen  angehören,  sich  in  einer  späteren  Zeit  ihres  Beste- 
hens mit  Bindegewebsbildung  compliciren,  indem  ihre  Wandangea 
sich  verdicken  und  aus  ihnen  bindegewebige  Gebilde,  Excres- 
cenzen  allerlei  Art  in  die  Höhle  hervorwachsen,  also  Bindegewebs- 
geschwülste aus  Bildungen  hervorgehen,  die  von  Anfang  an  keine 
Bindegewebsgeschwülste  sind,  so  bleibt  uns  Ar  das  Fibrom  nir 
ein  relativ  kleiner  Bestand  übrig.  So  weit  das  Bindegewebe  aa 
sich  im  Körper  verbreitet  ist  und  so  viele  Organe  sich  anch  finden, 
in  welchen  eine  Geschwulstbildung  durch  einfiache  Hyperplasie  aus 
diesem  Bindegewebe  erfolgen  könnte,  so  zeigt  doch  die  &fkhrung, 


Grenien  der  Fibrome.  293 

dass  die  grosse  Mehrzahl  der  Organe  keine  besondere  Disposition 
besitsi,  gerade  diese  Geschwulstart  hervorzubringen. 

Wenn  wir  nachforschen,  wo  die  gewöhnlichen  Entwickelungs- 
Stätten  dieser  Geschwülste  liegen,  so  ergiebt  sich,  dass  es  nament- 
lich die  grosseren  dichten  and  derben  Bindegewebsausbreitungen 
sind,  welche  in  Form  von  Häuten  auftreten,  vor  allen  die  äussere 
Hant  mid  die  Fascien,  dann  die  Beinhäute,  die  Schleimhäute, 
die  serSsen  Hänte,  die  Synovialhäute.  Es  sind  aber  wiederum 
diejenigen  Gesehwülste,  welche  unmittelbar  der  Oberfläche  ange-' 
hören,  in  einer  sehr  grossen  Zahl  von  Fällen  nicht  einfach,  in- 
aofern  die  bedeckenden  epidermoidalen  und  epithelialen  Strata 
bei  ibr^  Bildung  nicht  unerheblich  mitbetheiligt  werden.  Ja,  in 
aieht  seltenen  Fällen  erreichen  diese  epidermoidalen  oder  epi- 
thelialen Bekleidungen  eine  solche  Mächtigkeit,  dass  sie  einen 
grösseren  Antheil  an  der  Geschwulst  ausmachen,  als  die  binde- 
gewebige  Grundlage.  Hier  ist  der  Zweifel  gerechtfertigt,  ob  man 
eine  solche  Bildung  eine  Binde gewebsgeschwulst,  ob  man  sie 
nicht  Yielmehr  eine  epidermoidale  oder  epitheliale  Geschwulst 
nennen  soll.  Eine  Scheidung  lässt  sich  hier  allerdings  in- 
sofern machen,  als  es  manche  Gewächse  giebt,  bei  welchen  die 
Bindegewebsbildung  so  sehr  in  den  Hintergrund  tritt,  dass  man 
sie  nnr  mit  Mühe  nachweisen  kann ;  diese  lassen  sich  sehr  pas- 
send in  die  Reihe  der  epidermoidalen  Geschwülste  hineinrechnen, 
während  man  diejenigen,  wo  noch  ein  sehr  erkennbarer  und  er- 
heblicher Theil  von  Bindegewebe  sich  findet,  in  die  Reihe  der 
Bindegewebsgeschwfilste  zählen  sollte. 

Man  ist  begreiflicherweise  am  längsten  bekannt  mit  den- 
jenigeB  Fibromen,  welche  an  der  Oberfläche  der  äusseren  Haut 
vorkommen  und  zum  grossen  Theil  in  das  Gebiet  der  Dermato- 
logie hineingehören;  auch  ist  man  im  Allgemeinen  immer  mehr 
geneigt  gewesen,  eine  Reihe  von  Dingen  an  der  Oberfläche  des 
Körpers  zu  den  Geschwülsten  zu  zählen,  welche  eine  mehr  dif- 
fase  Ansdehnnng  haben,  während  man  dieselben  Formen,  wenn 
sie  in  inneren  Theilen  vorkommen,  nicht  Geschwülste  zu 
nennen  pflegt  Dahin  gehört  ein  grosser  Theil  der  elephan- 
tiastischen  Bildungen  an  der  äusseren  Haut,  Bildungen, 
die  allerdings  in  manchen  Fällen  in  Form  der  allerausge- 
xeichnetsten  Geschwülste  sich  darstellen,  so  dass  man  nicht 
umhin  kann,  ihrer^bei  den  Geschwülsten  zu  gedenken,  während 


294  Dreizehnte  Yorieenng. 

wiederum  andere  Fälle  Yorkommen,  wo  die  Yeriadeningeii  so 
sehr  über  grosse  Flächen  gleichmässig  verbreitet  sind,  dass  der 
Charakter  einer  eigentlichen  Geschwulst  ganz  in  den  Hinter- 
grund tritt. 

Solche  elephantiastischen  Zustände,  die  mit  reicher,  fort- 
schreitender Bindegewebsbildung  und  Induration  der  Theile  ein- 
hergehen, kommen  in  vielen  inneren  Organen  vor;  da  rechnet 
man  sie  aber  ganz  einfach  in  die  Kategorie  der  entzündlichen 
Processe.  Wenn  ein  solcher  Process  in  der  Longe  vorkommt, 
so  nennt  man  ihn  eine  chronische  Pneumonie ;  kommt  er  an  der 
Leber  vor,  so  nennt  man  ihn  eine  interstitielle  Hepatitis  oder 
eine  Hypertrophie  oder  auch  wohl  eine  Cirrhose,  obwohl  es 
sich  um  dieselben  Zustände  handelt.  Man  nennt  sie  nicht  Ge- 
schwülste, weil  möglicherweise  zu  keiner  Zeit  das  Bindegewebe 
in  einzelnen  Heerden  sich  so  entwickelt,  dass  es  relativ  selb- 
ständige Knoten  bildet.  Kommt  aber  derselbe  Zustand  an  einem 
mehr  nach  aussen  gelegenen  Organ,  z.  B.  an  der  Milchdrüse 
vor,  dann  ist  sofort  die  Neigung  vorhanden,  ihn  als  Geschwulst 
aufzufassen.  Kämen  die  gewöhnlichen  Indurationen  der  Lungen- 
spitzen an  der  Milchdrüse  oder  den  Hoden  vor,  so  würden  daraus 
alsbald  Corps  fibreux  oder  Fibroide  werden. 

Die  elephantiastischen  Formen  gehen  so  unmerklich  in  die 
entzündlichen  über  oder  so  entschieden  aus  entzündlichen  Zu- 
ständen hervor,  dass  man  über  den  Charakter  ihrer  Anfangs- 
stadien keinen  Zweifel  haben  kann.  Allein  auch  bei  ande- 
ren Bildungen,  bei  denen  uns  manchmal  die  unmittelbare 
Beobachtung  ihres  Anfanges  entgeht,  kann  doch  kein  Zweifel 
sein,  dass  sie  mehr  oder  weniger  den  chronisch  entzündlichen 
Processen  analog  sind,  und  wenn  wir  nachher  die  einzelnen 
Formen  durchmustern,  wird  sich  mehrfach  Gelegenheit  bieten,  zu 
zeigen,  wie  bestimmt  sich  dieser  irritative  Ursprung  der 
Bindegewebsgeschwülste  zu  erkennen  giebt  — 

Die  Fibrome  erscheinen  im  Allgemeinen  in  drei  Hauptformeo, 
nehmlich  entweder  in  der  mehr  diffusen,  elephantiasti- 
schen Form,  oder  in  der  mehr  begrenzten,  knotigeot 
tuberösen,  oder,  wie  man  gewöhnlich  in  der  Dermatologie 
sagt,  tuberculösen  Form,  oder  endlich  in  der  Form  von  papii* 
liren  Auswüchsen,  in  der  eigentlichen  WarzenforoL  Diese 
letztere  ist  es  besonders,  bei  welcher  die  Epidermis-  mid  Epi- 


Elephantiasis.  295 

ttielialbUdangen  hiufig  eine  so  grosse  Bedeutung  gewinnen,  dass 
man  einen  Thefl  der  Warzen  in  die  Gruppe  der  Epidermoidal- 
geschwftlste  setzen  und  eine  bestimmte  Scheidung  zwischen 
den  verschiedenen  Arten  von  Warzen  in  dieser  Richtung 
vornehmen  muss.  Andererseits  darf  man  nicht  erwarten,  die 
vorher  angegebene  Eintheilung  genau  durchfahren  zu  können. 
Vielmehr  ist  es  nicht  ganz  selten,  dass  alle  drei  Hauptformen 
in  einem  und  demselben  Falle  zusammen  vorkommen,  dass  ins- 
besondere auf  einer  diffusen  Elephantiasis  sich  knotige  und  war- 
zige Auswüchse  der  Oberfläche  erheben.  Auch  ein  einzelner 
Knoten  kann  warzig  sein.  Genug,  die  eine  Form  verbindet  sich 
mit  der  anderen  und  geht  in  sie  über. 

Wenn  wir  mit  den  elephan'tiastischen  Formen  beginnen, 
80  handelt  es  sich  da  um  einen,  auch  bei  uns  ziemlich  häufigen 
Process,  der  bald  auf  sehr  kleine  Punkte  des  Körpers  beschränkt 
Torkonunt,  bald  in  einer  sehr  grossen  Verbreitung  nicht  bloss 
ganze  Extremitäten,  sondern  noch  grössere  Abschnitte  des  Kör- 
pers überzieht.  Seine  Entstehung  ist  begreiflicherweise,  je  mehr 
sie  sich  über  grosse  Abschnitte  des  Körpers  verbreitet,  immer 
mehr  allgemeinen  Einflüssen  zuzuschreiben,  und  so  sehen  wir 
denn  auch,  dass  gerade  die  am  meisten  diffusen  Formen  nicht 
bloss  als  erworbene  und  sporadische,  sondern  auch  als  congeni- 
tale nnd  namentHch  als  endemische  vorkommen. 

Was  die  congenitalen  anbelangt,  so  wird  in  manchen 
Fällen  eine  ganze  Extremität  davon  getroffen;  in  anderen 
zeigt  sich  das  gleiche  Leiden  an  sehr  vielen  Stellen  der  Körper- 
oberfläche, bald  in  Form  von  gleichmässigeren  Anschwellungen, 
die  einen  Theil  der  Extremitäten  oder  des  Rumpfes  treffen,  bald 
in  Form  von  wirklichen  Tumoren,  welche  an  der  Oberfläche  der 
Haut  in  kleineren  und  grösseren  Massen  hervortreten.  Es  giebt 
einzelne  Beispiele,  wo  eine  ganze  Menge  von  bald  soliden,  bald 
mystischen  Geschwülsten  dieser  Art  über  verschiedene  Stellen  des 
Körpers  hervortritt*). 


*)  Ed.  Sandifort  Observationes  aoatomico - pathologicae.  Lib.  lY. 
Ugd.  Bat.  1781.  p  21.  Tab.  IV.  et  Y.  Veit.  Berliner  gebnrth.  Verhandl. 
19^.  VI.  S.  173.  Schuh.  Pathologie  u.  Therapie  der  Pseudoplasmen.  Wien. 
1864.  S.  252.  Friedberg.  Deutsche  Klinik.  1856.  No.  7.  Lotzbeck  in 
Misem  Archiv.  1868.  Bd.  XY.  S.  383.  Ward.  Med.  Times  and  Qaz.  1860. 
Y<^  L  p.  496. 


296  Dreiiehote  VorleBong. 

Was  die  endemischen*)  angeht,  so  sind  es  insbesondere 
die  tropischen  und  subtropischen  Zonen  sowohl  in  d^  alten 
wie  in  der  neuen  Welt,  wo  sie  ausserordentlich  verbreitet  vor- 
kommen, und  wo  sie  sowohl  die  Eingebomen  als  auch  die 
Einwanderer,  aber  allerdings  in  einem  ganz  besonderen  Maasse 
die  Eingebornen  zu  treffen  pflegen.  Am  häufigsten  leiden  dabei 
die  Unterextremitäten ,  und  daher  findet  man  anch  je  nach  den 
einzelnen  Territorien,  wo  diese  Zustände  häufiger  sind,  davon  die 
Bezeichnungen  hergenommen:  Barbadosbein,  Cochinbein.  Nächst 
den  unteren  Extremitäten  sind  am  meisten  ausgesetat  die  äusseren 
Genitalien,  und  zwar  am  meisten  das  Scrotum  beim  Manne,  die 
Brüste  und  die  Labia  majora  bei  der  Frau,  in  einigen  Fällen  auch 
die  weiteren  Oberflächen,  das  Praeputium  und  die  Haut  des  Penis 
beim  Manne,  bei  der  Frau  die  Clitoris  und  die  kleinen  Nymphen. 
Weiterhin  findet  man  diese  Zustände  an  den  Oberextremitäten, 
zuweilen  am  Gesicht  und  Rumpf. 

Der  Name  Elephantiasis  ist  aber  in  mancher  Beziehung  sehr 
trügerisch  **),  indem  die  ursprüngliche  Bedeutung  dieses  Wortes, 
wie  es  sich  bei  den  älteren  griechischen  Autoren  vorfindet,  sich 
nicht  sowohl  auf  diese  Affection  bezieht,  als  vielmehr  auf  dieje- 
nige, welche  man  im  Deutschen  am  deutlichsten  mit  dem  Namen 
des  Aussatzes  belegt.  Ich  ziehe  letzteren  Ausdruck  allen  anderen 
vor,  da  er  am  wenigsten  missverstanden  werden  kann.  Man  meint 
damit  dieselbe  Affection,  die  sonst  vielfach  unter  dem  Namen 
Lepra  oder,  wie  das  in  neuerer  Zeit  in  England  ganz  zweck- 
mässig Sitte  geworden  ist,  der  Leprosy  bezeichnet  worden  ist 
Lepra  bedeutet  in  der  alten,  griechischen  Terminologie  ein  sqna- 
möses  Exanthem,  wie  es  denn  auch  späterhin  wieder  durch  Wil* 
lan  und  Bateman  in  die  allgemeine  dermatologische  Sprache 
eingeführt  worden  ist.  Als  aber  während  der  früheren  Zeiten  des 
Mittelalters  die  directe  Tradition  der  alt-griechischen  Medicin  ver- 
loren war  und  die  Yermittelung  nur  durch  die  Araber  erhalten 


*')Joh.  Prid.  Cartheuser.  De  morbis  endemiis  über.  Francof.  ad 
Viadr.  1771.  p.  258.  J.  Gh.  M.  Boudin.  Traite  de  göograpbie  et  de  sta- 
tistique  roedtcales  et  des  maladies  endemiques.  Paris.  1867.  T.  U.  p.  445. 
Dachassaing.  Etudes  sur  T Elephantiasis  des  Arabes  et  sar  la spiloplaiie. 
Arch.  pener.  1854.  Oct  —  Dec.  1865.  Janv. 

^*)  Petr.  Petit  Commentarii  et  animadversiones  in  ocio  Aretmei  Cap- 
padocis  libros.  (Aretaei  Opera,  ed.  Kühn.  Lips.  1828.  p.  548).  Bierlioi:. 
Disp.  inaug.  de  Elepbantiasi.  Argentorati.  16B5.  Cartheuser  L  c.  p.  S8&, 
259,  265. 


Elephantiasis  and  Lepra.  297 

wurde,  als  dann  die  Eenntniss  der  griechischen  Autoren  durch 
Rückübersetzungen  aus  dem  Arabischen  vermittelt  wurde,  so  machte 
sidi  durch  allerlei  Missverständnisse  der  Gebrauch,  dass  man  die 
alte  Elephantiasis,  den  Aussatz,  in  den  neuen  üeborsetzungen 
aus  dem  Arabischen  Lepra  nannte.  Daraus  ging  natürlich  eine 
sehr  nahe  liegende  Gefahr  zur  Verwechselung  hervor  und  es  wurde 
mehr  und  mehr  Sitte,  zur  genaueren  Bezeichnung  zu  sagen :  Elephan- 
tiasis Graecorum  und  Elephantiasis  Arabum,  Lepra  Graecorum 
und  Lepra  Arabum,  wobei  Elephantiasis  Graecorum  gleichbedeu- 
tend mit  Lepra  Arabum  oder  zu  deutsch  Aussatz  ist.  Das  soll 
heissen,  dass  die  Elephantiasis  der  griechischen  Schrift- 
steller identisch  ist  mit  der  Lepra  der  aus  dem  Arabischen 
übersetzenden  Schriftsteller,  nicht  etwa,  dass  die  Lepra 
in  Arabien  identisch  wäre  mit  der  Elephantiasis  in  Griechenland. 
Lepra  Graecorum  ist  das  squamöse  Exanthem,  was  die  Derma- 
tologen noch  heut  zu  Tage  mit  diesem  Namen  belegen.  Für  Ele- 
phantiasis Arabum  (das  ist  eben  der  Zustand,  mit  dem  wir  uns 
in  diesem  Augenblicke  beschäftigen)  giebt  es  in  der  alten  grie- 
chischen Literatur  gar  keinen  bestimmten  Ausdruck,  und  es  ist 
daher  nicht  ganz  unwahrscheinlich,  dass,  wie  es  auch  heut  zu 
Tage  nicht  selten  geschieht  *),  die  beiden  Affectionen  miteinander 
verwechselt  worden  sein  mögen. 

Eine  solche  Verwechselung  liegt  überall  da  sehr  nahe,  wo 
beide  Krankheiten  neben  einander  vorkommen,  wie  es  in  den  mei- 
sten wärmeren  Ländern  der  Fall  ist.  Ja,  nach  einzelnen  Mitthei- 
longen  zuverlässiger  Beobachter**)  scheint  es  sogar,  dass  beide 
bei  demselben  Individuum  auftreten  können,  und  es  ist  gewiss  zu 
entschuldigen,  wenn  daraus  eine  innere  Beziehung  beider  abge- 
leitet, eine  Verwandtschaft  derselben  gefolgert  wird***).  Im 
Norden,  wo  die  Elephantiasis  Arabum  höchstens  sporadisch  er- 


*)  Vgl,  DanielssenetBoeck.  Tratte  de la spedalttkb ed  ou  Elephantiasis 
des  Grecs.  Paris.  1848.  p.  4.    Kjerulf.  Mein  Archiv.  1853.  Bd.  V.  S.  25. 

^*)  Landre  io  Bijdragen  tot  de  Bevordering  van  de  kennis  der  Neder- 
landsche  ^Veet-Indische  kolonien.  D.  II.  Afl.  d.  BI.  228.  A.  van  Hassel  aar. 
Besckrljving  der  in  de  kolonie  Suriname  voorkomende  Elephantiasis  en  Lepra 
(Melaatscbeid).  Amsterd.  1835.  Bl.  11.  J.  F.  terBeek.  De  elepbantiasi  So- 
rioaneosL  Lugd.  Bat.  1841.  p.  31. 

^^)  Berncastle.  The  Lancet.  1851.  Sept.  p.  257.  Hasselaar.  L  c 
Andr.  Verga.  Sulla  lebbra.  Milano.  1846.  p.  55.  Scbönfeld.  Verhande- 
liag  over  de  lepra  in'  t  algemeen  en  de  Elephantiasis  tuberculosa  in't  bij- 
loadM'.  Inaog.  diss.  Groningen.  1857.  BI.  2,  15. 


398  Dreizehnte  Voriesmig. 

seheint,  während  die  Lepra  Arabum  in  verschiedenen  kalten  L&ndem 
endemisch  ist,  tritt  die  Frage  der  Beziehung  beider  zu  einander 
kaum  an  die  Beobachter  heran,  und  wo  beide  selten  oder  die 
eine  von  ihnen  gar  nicht  gesehen  werden,  wie  in  Mitteleuropa, 
da  kommen  selbst  die  besten  Autoren  leicht  dahin,  die  Namen 
durch  einander  zu  werfen.  So  hat  noch  neuerlich  Carl  Heck  er*) 
in  seiner  Monographie  alles  hierher  gehörige  Material  zusammen- 
geworfen, so  hat  selbst  Duchassaing  in  Westindien  F&Ue  von 
Lepra  anaesthetica  f&r  Elephantiasis  Arabum  genommen,  und  ähn- 
liche Irrthümer  habe  ich  in  meinen  Jahresberichten  öfter  zu  be- 
merken gehabt**).  Am  meisten  bezeichnend  ist  aber  wohl  die 
Thatsache,  dass  noch  heutigen  Tages  in  Aussatzhäusem  (Lepro- 
serien)  Kranke  sowohl  mit  Elephantiasis  Arabum  ***),  als  auch  solche 
mit  Lepra  Graecorum****)  neben  den  Aussätzigen  gefunden  werden. 
Fuchst)  hat  neuerlich  vorgeschlagen,  fär  die  Elephan- 
tiasis Arabum  zu  sagen  Pachydermie,  indess  ist  die  Elephan- 
tiasis keinesweges  eine  blosse  Verdickung  der  Haut,  sondern  ein 
Process,  der  sehr  viel  tiefer  greift.  Auch  der  von  MasonGoodft) 
gewählte  Name  der  Bucnemia  hat  wenig  Beifoll  gefunden,  und 
ebenso  die  von  K  ä  m  p  f e  r  fff)  gebrauchte  Bezeichnung  der  H  y  p  e  r- 
sareosis.  Und  wenn  man  den  Ausdruck  Elephantiasis  ids  sol- 
chen betrachtet,  so  muss  man  sagen,  dass  er  imi  allerzweck- 
mässigsten  für  diese  Form  in  Anwenduag  kommt  Manche  haben 
allenlings  die  Deutung  gegeben,  dass  der  Name  Elephantiasis,  Ele- 
phantia  oder  kurzweg  Elephas  gewählt  sei,  weil  Aussatz  die  grösste 
Krankheit^  wie  der  Elephant  das  grösste  Thier  sei;  sie  sei  gleich- 
sam der  Klephant  unter  den  Krankheiten.  Daher  auch  der  Name 
der  herenlischen  Krankheit  ffff).  Indess  ist  es  sehr  unwahrschein- 


*^  0»rlFr  Hecker    Die  Elephstotiasis  oder  Lepn  vmbk^  Uhr.  185a 
••^  V^ik^tatf »  J^re^i^benchl  filr  1S58L  Bd.  IV.  S,  276,  flr  186a  Bd.  IV. 

^  «*^  KckeTerri»  m  Balleli»  de  lAead.  de  Med.  T.  XYL  Ko.  17.    Arne- 
|:li«k  lUit.  «ed.  iuL  SiaUi  SArdL  IMX  No^  :^  p^  2IS. 

^^^^  $»n»riide««    Xoiuie  ed  ««»erTuiMii  jmtitke  »torao  alU  eleCua- 
liftM.  <Mte««le  e  fkmrai«  »ell^  bob  di  Leste.  ShmboIL  Ittü.  m.  li. 
i^  i\  H.  F«rli».    Die  kiMikkftfte«  VcrtAdervacea  der  Haat. 

H^  J%%lia  Ma^o«  Gciod.    TVe  5t«dT  «f  wdicwe.  Ed.  IL   Load.  1825. 

Ht^  K  Impf  er.    Aaw>e«it«te$  ei«ktiinie.  Fwc  IIL  «ke^  a  pc  Söfi. 
tfH^  A reime«»  Ca»fad*i.    IW  cmbi»  H  «ifab  iitiTO  ■mtMina. 
lÜL  II     cnfi  i;i     Ahi   Mflmm  Httcahw  »mmmi,  fiT"'^in  ülo  mUw 


Elephantiasis  and  Lepra.  299 

lieh,  dass  man  ursprünglich  davon  ausgegangen  ist.  Wenn  man 
ein  solches  Bein  betrachtet,  so  liegt  gewiss  der  Gedanke  sehr 
nahe,  dass  es  nicht  wie  das  eines  Menschen,  sondern  wie  das 
eines  Elephanten  aussieht  *).  Es  verliert  fast  ganz  seine  ftussere 
Gestalt,  es  bekommt  das  plumpe,  walzenförmige  Aussehen  eines 
Elephantenbeins ,  der  Fuss  kriecht  in  den  höheren  Graden  des 
üebels  so  sehr  in  die  Dicke  des  Beines  zurück,  dass  er  gleich- 
sam nur  die  Platte  eines  unförmlichen  Ständers  bildet,  welcher 
auf  dem  Boden  steht.  Bei  dem  Aussatz  findet  sich  nichts  Aehn- 
liches.  Man  darf  daher  nie  vergessen,  dass  alle  die  Discussionen 
über  Elephantiasis  tuberculosa  und  anaesthetica  (Lepra  Arabum) 
sich  auf  ganz  andere  Zustände  beziehen,  und  man  muss  sich, 
wenn  man  etwas  über  diese  Sachen  liest,  erst  genau  orien- 
tiren,  was  der  Einzelne  meint  In  der  deutschen  Literatur  be- 
zeichnet Elephantiasis  seit  Jahrhundert'^  **)  die  mehr  loca- 
Icn  oder  wenigstens  beschränkten,  besonders  an  den  Gliedern  vor- 
kommenden Anschwellungen,  Lepra  dagegen  einen  in  der  Regel 
als  Constitutionen  betrachteten  Gesammtprocess.  In  diesem  Sinne 
werde  auch  ich  die  Bezeichnungen  gebrauchen,  und  ich  halte  mich 
dazu  fiir  berechtigt,  weil  offenbar  in  früherer  Zeit  auch  die 
Elephantiasis  Arabum  unter  dem  gemeinschaftlichen  Namen  der 
Elephantiasis  mit  dem  Aussatz  (Lepra  Arabum)  zusammengefasst 
worden  ist,  und  weil  an  solchen  Orten,  wo  gegenwärtig  beide 
Krankheiten  zusammen  vorkommen,  wie  in  den  holländischen  Co- 
lonien,  der  Name  Elephantiasis  durch  allgemeines  Einverständniss 
und  auf  ganz  natürliche  Weise  fär  die  hier  in  Rede  stehende  fibro- 
matöse  Form,  Lepra  dagegen  für  Aussatz  in  Gebrauch  gekom- 
men ist***). 

Die  Elephantiasis  im  Sinne  der  Araber,  die  Pachydermie,  mit 
der  wir  uns  hier  zu  beschäftigen  haben,   ist  ein  Zustand,   der, 


major  sit  aot  validior.  —  Aemilias  Macer.  Lib.  de  viribas  herbaram. 
cap.  14.:  Est  leprae  species  Elephantiasisque  vocatur,  quae  cunctis  morbis 
major  sie  esse  videtur,  ut  major  cunctis  elephas  animaDtibas  exstat. 

*)  Aretaens  1.  c.  Prosper  Alpin us.  De  medicina  Aegyptiorum. 
Yenet  1591.  p.  25  vers.  G.  G.  Schilling.  De  lepra  commentationes.  Lngd. 
Bat  177&  p.  17. 

**)  Paracelsus.  Chirurgische  Bacher  u  Schrifften.  Aasg.  von  Haber. 
Straasbnrg.  1618.  S.  601.  Hebra.  Allg.  Wiener  Medic.  Zeitung.  1857.  No.  42. 
S.  206.  No.  47.  S.  231. 

***)  Rob  Easton.  Diss.  inaug.  de  nonnalHs  morbis  cataneis,  qai  in  Indiis 
occidentalibas  ioTeniuntur.  Lugd.  Bat.  1834.  p.  42.  Hasselaar  I.e.  Bl.  11. 


800  Dreizehnte  Yorleemig. 

wenn  man  seine  Entwickelung  verfolgt,  regelmässig  beginnt  mit 
entzündlichen  Vorgängen,  welche  in  der  Regel  den  Charakter  des 
Erysipels  an  sich  tragen*),  das  heisst,  welche  gewöhnlich  durch 
einen  Fieberanfall  eingeleitet  werden,  schnell  von  dem  ersten  Orte 
ihres  Auftretens  aus  sich  verbreiten,  fortkriechen,  über  grosse 
Strecken  wandern,  welche  femer  von  vom  herein  mit  einer  nur 
m&ssigen  Röthung  der  Oberfläche  verbunden  zu  sein  pflegen  und 
eine  mehr  tief  sitzende,  derbe,  ödematöse  Anschwellang  der 
Tbeile  setzen.  Diese  Anschwellung  begreift  sich,  Yfeaa  man  be- 
denkt, dass  meistentheils  sehr  frühzeitig  der  Lymphgefässapparat 
mit  betheiligt  ist,  dass  insbesondere  in  der  Richtung  der  Lymph- 
gef&sse  sich  rothe,  heisse,  empfindliche,  oft  harte  Streifen  zeigen 
( Lymphangioitis ,  Angioleucitis )  und  dass  die  Lymphdrüsen  der 
Gegenden,  an  welchen  sich  die  Erkrankung  macht,  in  eine  be- 
trächtliche, acute  Anschwellung  gerathen.  So  erklärt  es  sich,  dass 
Hendy  **)  den  Namen  der  Drüsenkrankheit  dafür  einzn- 
fthren  suchte,  einen  Namen,  der  jedenfalls  schlechter  ist,  als  der 
in  der  holländischen  Colonie  Surinam  gebräuchliche  Roos  oder 
Roosbeen***),  welcher  auf  die  Entstehung  deutlich  hinweist 

Schneidet  man  die  geschwollenen  Theile  ein,  so  entleert  sich 
aus  ihnen  spontan  oder  bei  leichtem  Drack  eine  klare,  gelbliche 
Flüssigkeit,  welche  kurze  Zeit,  nachdem  sie  ausgedrückt  ist,  spon- 
tan gerinnt  und  deutliche  Fibrinmassen  (das  Phlegma,  die  Pituits 
der  Alten)  abscheidet  Es  ist  eine  ähnliche  Flüssigkeit,  wie 
wir  sie  in  der  Lymphe  selbst  kennen f):  eine  fibrinogene 
Flüssigkeit,  die,  so  lange  sie  innerhalb  der  Theile  selbst  abge- 
schlossen von  der  atmosphärischen  Luft  ist,  nicht  coagnlirt,  son- 
dern flüssig  bleibt.  Wie  es  kommt,  dass  diese  Substanz  sich  in- 
nerhalb der  Theile  in  grosser  Menge  anhäuft,  das  erklärt  sich 
wohl  auf  eine  doppelte  Weise;  zunächst  nehmlich  dadurch,  dass 
sie,  wie  ich  wenigstens  glaube,  innerhalb  der  Theile  selbst  erzeugt 
wird  in  Folge  der  inritativen  Vorgänge,  welche  die  Gewebe  tref- 


*)  Mein  llaadbuck  der  spec.  Pmth.  und  Tbermpie.  Bd.  1.  S.  918— S19. 
DaUob,  The  Uoeel.  1^6,  Oet  11.  17.  F.  Prüfer.  Die  Knakbettea  des 
OrieDts.  KrUn^en.  1^7.  S  326.  Raver.  Traite  de«  mmL  de  U  peao.  1827. 
T.  U.  1^  Ü4. 

**)  J.  Uendv  and  J    Rolla    Die  Drikaenknuikbeit  von  Barhadoe.   Am 
^tm  Edi^I.     Pnnkf.     1788. 
^•)  ler  Beek  l  e.    Lasdre  l  c  BL  Sü.  Mole  2. 
t)  QeeaaMtIte  Abka»dhi«seA.   S.  111. 


Das  eiysipelatOse  Stadiam  der  Elephantiasis.  801 

fen,  ditss  also  innerhalb  der  Theile  ein  grösseres  Quantnm  von 
anderweitigem  Material  in  fibrinogene  Substanz  umgewandelt  wird; 
dann  aber  auch  daraus,  dass  diese  Substanz,  welche  im  normalen 
Zustande  als  Bestandtheil  der  Lymphe  fortbewegt  werden  sollte, 
in  den  Theilen  liegen  bleibt,  weil  die  Lymphgef&sse  frühzeitig 
nicht  mehr  leiten.  Dieses  Aufhören  der  Leitung  durch  die  Lymph- 
gef&sse  erklärt  sich  wiederum  durch  die  Anschwellung  der  Lymph- 
drüsen, welche  ihrerseits  durch  eine  Vermehrung  der  zelligen 
Theile  im  Innern  der  Drüse  bedingt  ist;  es  scheint,  dass  durch 
das  rasche  Wachsthum  der  Drüsenmasse  der  Durchgang  der  Lymphe 
gehemmt  und  dadurch  wieder  die  Lymphe  rückwärts  angestaut 
wird.  Wir  finden  daher  frühzeitig  eine  Erweiterung  der  Lymph- 
gefässe,  welche  sich,  wie  Teichmann*)  gezeigt  hat,  bis  in 
die  Papillen  der  Haut  fortsetzen  kann,  welche  aber  keinesweges 
constant  ist  und  bald  nur  die  kleinen,  bald  nur  die  grösseren 
Gefässe  trifft. 

Es  kommt  also  wahrscheinlich  sehr  viel  weniger  auf  die 
Lymphgefässe  an ,  als  auf  die  Lymphdrüsen ,  welche  durch  ihre 
Zustände  die  Fortleitung  der  Lymphe  hindern  und  so  eine  Lymph- 
staaung  innerhalb  der  Theile  mit  sich  bringen.  Es  ist  das  kein 
gewöhnliches  Oedem,  wie  es  in  solchen  Theilen  besteht,  welche 
im  Zustande  des  Hydrops  anasarca  sind,  sondern  eine  Leuko- 
phlegmatie**),  Phlegmatia  alba,  Hydrops  pituitosus 
oder  genauer  ein  lymphatisches  Oedem***),  welches  sich 
schon  dadurch  von  dem  gewöhnlichen  Oedem  unterscheidet,  dass 
die  davon  befallenen  Theile  nicht  die  teigige,  leicht  eindrückbare 
Consistenz  haben,  wie  ödematöse,  sondern  dass  sie  in  der  Regel 


*)  L.  Teich  mann.  Das  Saugadersystem.  Leipzig.  1861.  S.  62.  Taf.  VI. 
Fig.  4. 

^)  DiekusdtfitVeXfvxdvqtXi/fAu,  Xivxo^Xf/fiuifac,  XfvxoipXty/AutovvTfg 
kommen  achoo  bei  Hippocrates  (Coacae  prognoees.  Ed.  KOhn.  I.  p.  814. 
I>e  morbis  Tulgar.  Lib.  111.  Sect  III.  Bd.  KQhn.  III.  p  491.  De  aere,  aqnis 
et  locis,  ibid.  I.  p.  533)  vor,  aber  eine  genauere  Bestimmang  gegenüber  dem 
Anasarca  haben  erst  Aretaeus  (I.  c.  Lib.  II.  cap.  I.)  a.  Galen us  (Coroment 
m.  in  lib.  III.  Hippocr.  de  morb.  vulg.  70.)  gegeben.  Indess  blieb  doch 
auch  bei  ihnen  noch  vieles  dunkel,  da  der  Begriff  der  Icnkopblegmatischen 
Gomatitution  sich  mit  dem  des  lenkophlegraatiscben  Zastandes  vielfach  ver- 
miechte,  während  doch  nur  der  letztere  die  besondere  Art  des  Hydrops  be- 
leiehneliim  den  es  sich  hier  handelt  £rst  van  Swieten  (Ck>mmeni  I 
p.  102.  IV.  p.  158)  hat  die  Unterschiede  sicherer  festgestellt. 

*^  Mein  Archiv.  1847.  Bd.  I.  S.  581.     Handbuch  der  spec.  Path.  n.  Ther. 
Bd.  L  S.  184,  205,  216.    Gesammelte  Abhandl.  S.  108. 


302  Dreiiehnte  VorkssBS- 

sich  h&rter  und  derber  anfühlen,  dem  Fiogerdmck  einen  stärkeren 
Widerstand  leisten,  und  demnach  mehr  den  Habitus  des  S k le- 
rem s*)  an  sich  haben.  Auch  von  dem  Erysipelas  oedemato- 
sum**)  der  Autoren  unterscheidet  sich  diese  Form,  insofern  sie 
nicht  eine  rosenartige  Entzündung  schon  vorher  wassersüchtiger 
Theile  ist,  sondern  das  Oedem  sich  erst  mit  der  Entzündung  ein- 
stellt Nur  in  einem  Falle  ist  es  schwer,  diese  zwei  Zustande  lu 
scheiden,  nehmlich  bei  derjenigen  Elephantiasis,  welche  sich  nach 
Obstruction  oder  Unterbrechung  des  Venenstroms  so  häufig  ein- 
stellt Hier  geht  häutig  ein  lange  bestehendes  Oedem  dem  Skle- 
rem  vorauf,  aber  es  lässt  sich  doch  die  blos  ödematöse  Periode 


*)  Das  Wort  Sklerem  ist  erst  in  unserem  Jahrhundert  in  die  medi- 
ciniscnc  Nomenklatur  eingeführt  worden,  und  zwar  Ton  Ghaussier,  um 
die  sogenannte  Induratio  telae  cellulosae  neonatorum  zu  bezeichnen.  Das 
Wort  ist  auch  gegenüber  dem  alten  Ausdrucke  des  Oedems  ganz  gut  ge- 
wählt, zumal  da  die  in  der  pseudogalenischeu  Isagoge  Cap.  15.  erwähnte 
Skloriasis  sich  auf  einen  ganz  fthnlichen  Zustand  bezieht  Denn  es  heiast  tod 
ihr:  Est  tumor  palpebrae  cum  rubore  doloreque,  difficulter  aboletur,  dunt 
magis  quam  inflammatio.  Ich  halte  den  Vorschlag,  lieber  Sklerom  zu  sa- 
gen, in  ktMner  Weise  fUr  zweckmässig.  Letzteres  Wort  wird  in  den  gseado- 
SaleniNchen  Deiinitiones  medicae  als  eine  härtliche,  aus  chronischer  Entzün- 
ung  hervorgegangene  Geschwulst  des  Uterus  erläutert  Um  so  weniger  dürfte 
daher  gerade  jetzt  ein  Wort  mit  dieser  Endigung,  welche  wir  für  die  eigent- 
lichen (iesch wulstarten  anzuwenden  uns  gewöhnt  haben,  fQr  eine  allge- 
meine Verdichtung  der  Haut  passen.  Schon  Alibert  (Nosologie  natu- 
relle ou  les  maladies  du  corps  humain  distribu^es  par  families.  Paria  (1817} 
IHBH.  p.  4iM.)  beschreibt  unter  dem  Namen  der  Skleremie  nicht  bloss  die 
Zellgewebsverhärtung  der  Neugebomen  und  gewisse  partielle  iDdorationeD 
der  Haut,  sondern  er  giebt  auch  einige  Fälle  von  »Skleremie  der  Erwachse- 
nen**. ludoHH,  diese  Beobachtungen  sind  ziemlich  unbemerkt  geblieben  und 
erst  durch  die  Mittheilungen  von  Thirial,  Bouchut  und  Gillette  ist 
dif)  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  die  sondertHire  Krankheit  der  Erwach- 
«euen  gelenkt  worden.  Nun  will  ich  gern  zugestehen,  dass  nach  den  ver- 
gleichenden Arbeiten  von  Nor  dt  (Ueber  das  einfache  Sklerom  der  Haut. 
Inaug.-Diss.  Giesseu.  1^»1.\  Arning  (Würzburger  med  Zeitschrift.  1861. 
Hd.  II.  S.  1840  und  Mosler  (Mein  Archir.  1862.  Bd.  XXÜI.  S.  167)  Zwei- 
fel darüber  entsitehen  kiinnen,  ob  dies^e  llautaffektion  mit  dem  Sklerem  der 
NeugeU^riien  wirklich  identisch  ist«  da  fast  in  allen  FUlen  der  Ijnpha- 
liache  llvdropa  dabei  nicht  beobachtet  ist,  und  ea  wird  daher  Tielleicht 
aweckwäsfriger  »ein,  da;s(  alte  Wort  der  Skleriasia  <^er  das  tteye  der  Skle- 
i^erwia  filr  die  Krankheit  der  Erwachsenei  aazQwenden,  na  aicht  Yor- 
•eilig  eine  l'eber^in^limmung  anstnsprechen ,  welche  »oeh  nicht  gast  er- 
wieaen  iat  Ihua  aber  «owohl  diese  Skleriaaia,  mls  aseh  das  Skterem  der 
Neugehoraen«  weWhe»  m  ho»  von  des  ersten  dentsches  Beohachtora  dem  Ery* 
ai|>el  angereiht  wnrde  (t^l  W\  Winlerswjk  Kalach  Dies.  inMif.  de  erj- 
aipeUle  «h^aatomm  ei  iadaratioae  lelae  eeUnlosse.  Groräg.  18 16^  p.6.), 
des  ele|4aatiaati»ches  P^^rmes  »ehr  sähe  atehem,  ksmi  sieht  hsaveüeh  wmes. 
**^  Galess^  Melhod.  medesdi  Hb.  IIV.  «p.  S,  4.  Reit  Deber  die 
KHmstmfe»  ssd  i>ir  der  Heher,  Bd.  11.  Hslku  1799l  S.  S».  Meis  Hsod* 
hsch  der  $|m<.  fsthot  s.  Th«s^  I.  S.  XU. 


Erjdipelas  Ijmphaticom.  303 

Yon  der  sklerematösen  oder,  wie  man  auch  gesagt  hat,  skirrhö- 
sen*)  deutlieh  unterscheiden. 

Dass  in  den  Theilen  selbst  schon  von  Anfang  an  ein  irrita- 
tiver  Zustand  besteht,  das  sehen  wir  nicht  allein  aus  der  Röthung 
und  Temperatursteigerung,  den  Zeichen  der  bestehenden  Hyper- 
aemie,  sondern  man  findet  auch  die  Elementarzellen  des  Binde- 
gewebes vergrössert  und  häufig  in  Kemwucherung,  in  Theilung, 
in  Vermehrung.  Diese  Vermehrung  lässt  sich  in  manchen  Fällen 
auch  sehr  deutlich  in  den  Anfängen  der  Lymphgefässe  erkennen, 
so  dass  man  neben  den  wuchernden  Bindegewebselementen  die 
kleinen  Lymphgänge  unterscheidet,  welche  mit  einem  sehr  reichen, 
ungewöhnlich  dichten  Epithelialstratum  ausgekleidet  sind. 

Unsere  deutschen  Schriftsteller  der  früheren  Zeit  begrifien 
diese  Art  der  Rose  mit  unter  dem  vielsagenden  Namen  des  Ery- 
sipelas  nothum  s.  spurium,  welches  auch  wohl  die  Bezeich- 
nung des  scorbutischen  erhielt.  So  berichtet  Friedrich  Hoff- 
mann ^*)  von  dem  häufigeren  Vorkommen  einer  hartnäckigen, 
chronischen,  selbst  ulcerirenden  Rose  in  Westphalen,  indem  er 
zugleich  beifügt,  dass  dort  das  Aderlassblut  eine  Cuticula  gelati- 
nosa  zeige,  wie  sonst  bei  Pleuritis.  Dadurch  nähert  sich  diese 
Form  dem  Sklerem  der  Neugebomen,  bei  welchem  Chevreul***) 
gefunden  hat,  dass  das  Blutserum,  wie  es  nach  Abscheidung  des 
gewöhnlichen  Faserstoffes  aus  der  Leiche  gewonnen  wird,  noch 
wieder  spontan  coagulirt,  sowie  der  tropischen  Elephantiasis,  von 
der  Mazae  Az6maf)  auf  der  Insel  Reunion  berichtet,  dass 
sie  mit  chylösem  Harn,  sowie  mit  Dilatation  oberflächlicher  Lymph- 
gei&sse  und  spontanem  Erguss  von  Lymphe  zusammenfalle.  Später 
hat  man  die  Grundkrankheit  Erysipelas  gelatinosum  genannt, 
Eom  Unterschiede  von  dem  gewöhnlichen,  einfachen  oder  legiti- 
men Erysipel.  Das  sollte  bedeuten,  dass  die  Theile  eine  mehr 
gallertartige  Beschaffenheit  bekämen,  und  in  der  That,  wenn  man 
sie  anschneidet,  so  sieht  es  auf  den  ersten  Augenblick  aus,  als 


*)  Gabr.  Faloppius.    Libelli  duo,  alter  de  ulceribus,  alter  de  tumo- 
ribos.    Yenet.  1503.  p.  93.    Reil  a.  a.  0.  S.  346. 

^^)  Frid.  Hoffmanni.    Medicinae  rationalis  aystematicae   T.  IV.   Hai. 
1784.  p.  304,  819. 

***)  Oh e VF 80 1.  GonBiddrations  g^nerales  sur  I'analyse  organique  et  sur 
66«  applieatioBs.  Paris.  1824.  p.  218.  Billard.  Arcb.  g^D^i.  1827.  T.  XIII. 
^810. 

t)  Gas.  med.  de  Paris.    1858.   No.  2. 


304  Dreizehnte  VorleBiing. 

ob  die  ganze  Masse,  namentlich  des  ünterhautgeweb^,  von  einer 
Gallerte  durchsetzt  sei.  Es  ist  das  die  lymphatische  Flüssigkeit, 
welche  die  Theile  tränkt. 

In  vielen  Fällen  geht  dieses  Erysipel  nach  einiger  Zeit  anter 
Desquamation  vorüber,  ohne  dass  es  einen  erheblichen  Rückstand 
hinterlässt  Anderemal  verschwindet  es  nicht  ganz,  sondern  hin- 
terlässt  eine  gewisse  Härte  und  Anschwellung  der  Theile,  die  mit 
Röthung  verbunden  sein  kann.  Aber  selbst  eine  gewöhnliche 
Rose  kann  solche  Indurationszustände  (Scirrhositas  der  Alten)  zu- 
rücklassen, zumal  wenn  sie  neuen  Reizen  ausgesetzt  wird.  Schon 
früher  habe  ich  darauf  hingewiesen,  dass  nach  unrichtiger,  reizen- 
der Behandlung  z.  B.  mit  heissen  Umschlägen  ein  solcher  Aus- 
gang vorkommt*).  Indess  ist  dies  wohl  der  seltnere  Fall;  meist 
ist  es  eben  kein  einfaches,  sondern  ein  lymphatisches  Erysipel, 
welches  die  Grundlage  bildet.  Dieses  mag  einmal  und  mehrmal  zu- 
rückgehen, aber  die  Theile  bleiben  in  einem  Zustand  von  grosser 
Vulnerabilität,  und  es  geschieht  daher  nicht  selten,  dass  sich  an 
demselben  Orte  nach  kürzerer  Zeit  wiederum  ein  analoges  Ery- 
sipel entwickelt. 

Wie  die  meisten  Formen  der  Rose,  so  entsteht  auch  diese 
^spontan'^,  d.  h.  auf  w  enig  bemerkbare  Reize.  In  den  endemischen 
Formen  werden  am  häutigsten  Erkältungen  angeschuldigt,  jedoch 
setzen  diese,  um  eine  solche  Rose  hervorzurufen,  wiederum  eine 
ganz  besondere  Prädisposition  voraus.  Auf  eine  solche  deutet  ins- 
besondere die  erbliche  Disposition  hin,  welche  freilich  von 
manchen  bestritten  ist,  für  welche  wir  aber  ein  sehr  charakte- 
ristisches, mehrfach  beschriebenes  Beispiel**)  besitzen.  Man  könnte 
sich  nun  dabei  beruhigen,  diese  in  einem  besonderen  Zustande 
der  Haut  zu  suchen,  indess  entspricht  es  mehr  der  homoralpaftho- 
logischen  Tendenz  der  meisten  Aerzte,  sie  in  einem  besonderen 
Allgemeinzustande  zu  suchen.  So  ist  schon  seit  den  ältesten 
Zeiten  für  das  Erysipel  überhaupt  ein  gewisser  biliöser  Zustand 
als  Grund  angenommen  worden,  und  die  entschieden  gelbliche 


*)  Mein  Handbuch  der  Bpec.  Path.  u.  Ther.  I.  S.  2t9. 
**)  L.  Hüpner.  Elephantiasis  exemplum  memorabile.  Diss.  inaug.  Berol. 
1846.  p.  12.  Lebert.  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  prakt.  ^imrgie 
und  der  pathol.  Physiol.  Berlin.  1848.  S.  77.  Beruh.  Brandis.  De  byper- 
trophiae  cutis  specie  vulgo  Elephantiasis  Arabum  nominatae.  Diss.  inmag. 
Bonn.  1849.  p.  4. 


Aetiologie  der  Elephantiasis.  305 

Färtmog  der  in  den  geschwollenen  Theilen  enthaltenen  Lymphe 
fuhrt  die^e  Yorstellong  immer  wieder  nahe.  Andere  haben 
sich  auf  gewisse  Schädlichkeiten  der  Nahrung  oder  des  Ge- 
tränkes bezogen,  und  einzelne  sind  so  weit  gegangen,  geradezu 
einen  scorbutischen  Zustand  vorauszusetzen.  Diese  Fragen  lassen 
sich  wissenschaftlieh  sehr  schwer  behandeln,  zumal  da  es  nicht 
bezweifelt  werden  kann,  dass  die  Blutmischung  secundär  durch 
die  erysipelatösen  Localprocesse  und  durch  die  Ueberf&hrung  der 
in  den  gereizten  Theilen  gebildeten  Stoffe  in  die  Circulation  bedeu- 
tende Veränderungen  erfahren  muss.  Dahin  möchte  ich  insbe- 
sondere die  l3rmphatische  (iibrinogene)  Beschaffenheit  des  Blut- 
serums rechnen,  mit  welcher  auch  der  im  Süden  vorkommende 
spontan  coagulable  Harn  zusammenhängen  mag.  Freilich  findet 
sich  dieser  auch  ohne  Elephantiasis  und  Erysipel,  aber  gerade 
das  scheint  darauf  hinzudeuten,  dass  es  (lymphatische)  Consti- 
tutionen giebt,  bei  denen  die  Vorgänge  im  Lymphgefässapparat 
und  den  Theilen,  aus  welchen  er  sich  zusammensetzt,  eine  unge- 
wöhnliche Lebhaftigkeit  erreichen,  und  bei  denen  entsprechend 
auch  eine  grössere  Vulnerabilität  dieser  Theile  besteht. 

Für  eine  solche  Auffassung   spricht   insbesondere   diejenige 
Art  von  Elephantiasis,   welche   sich    erst   secundär   in  einem 
Theile  entwickelt,  in  welchem  der  Lymphstrom  besonders  belastet 
ist    Dahin  gehören  insbesondere  die  nach  Venenverstopfung  und 
Dach  Fussgeschwüren   auftretenden  Formen  der  Phlegmatia  alba, 
zu  denen  nach  Rigler*)  auch  die  Elephantiasis  nach  eiternden 
Bubonen  zu  zählen  sein  möchte.     Freilich  sind  manche  Autoren 
nicht  geneigt,   diese  Formen    zur    eigentlichen   Elephantiasis  zu 
rechnen,  allein  im  endlichen  Ergebniss  stimmen  beide  ganz  überein. 
Dies  gilt  insbesondere  von  den  im  Umfange  chronischer  ülceratio- 
nen  der  Unterschenkel,  namentlich  unterhalb  der  sogenannten  chro- 
nischen Fussgeschwüre  vorkommenden  Skleremen.  Hier  wird  zuerst, 
sei  es  durch  die  Ausdehnung  der  Ulceration,  welche  viele  venöse 
und   lymphatische   Gefasse   zerstört,  sei   es    durch   die   Narben- 
schrumpfung die  Circulation  am  Fusse,  namentlich  die  oberfläch- 
liche,  beeinträchtigt.     Oft  ist  dies  schon  vor  der  Verschwärung 
der  Fall,  indem  durch  zahlreiche  Varicen  die  meisten  oberfläch- 


^)  L.  Rigler.    Zeitschrift  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  zu  Wien. 
1866.  XL 

▼  Irekow,  QMchwfiUt«.    1.  20 


306  Dreizehnte  YorlesuDg. 

liehen  Venen  verunstaltet  sind.  Diese  venöse  Stauung  ffihrt  dem- 
nächst von  der  venösen  Hyperämie  zum  Oedem  und  damit  zu 
einer  gesteigerten  Lymphströmung  oder,  wie  man  gewöhnlich 
sagt,  zu  einer  vermehrten  Thätigkeit  der  Lymphgeßsse *).  Die 
letzteren  erweitern,  ihre  Drüsen  vergrössern  sich.  Innerhalb  der 
ödematösen  Stellen  entstehen  dann  bei  leichten  mechanischeD  oder 
anderen  Irritationen  nicht  selten  erysipelatöse  Entzündungen,  wie 
ja  ödematöse  Theile  zu  derartigen  Entzündungen  in  hohem  Maasse 
disponiren.  Ist  der  Reiz  stark,  so  nimmt  dieses  Erysipel  gern 
den  phlegmonösen  Charakter  an  und  geht  in  schlechte  Eiterung 
oder  Brand  über.  Bei  geringerer  Reizung  dagegen  geschieht  etwas 
ähnliches**),  wie  in  den  primär  und  urspi*ünglich  mit  Erysipel 
auftretenden  Formen. 

Es  wäre  hier  endlich  noch  eine  Art  von  elephantiastiscber 
Anschwellung  zu  erwähnen,  welche  sich  im  Umfange  eiternder 
Stellen,  insbesondere  um  cariöse  und  nekrotische  Knochen  ent- 
wickelt. Es  gehört  in  diese  Kategorie  manches  von  dem,  was 
man  gewöhnlich  unter  dem  Namen  der  weissen  Geschwulst 
(Tumor  albus)  zusammenfasst***).  Hier  entsteht  unter  wiederholten 
Entzündungen  nach  und  nach  eine  Reihe  von  Veränderungen, 
welche  denen  der  Elephantiasis  ganz  vollkommen  gleichen  kön- 
nen f ).  Liegt  der  Process  an  einem  Gelenk  oder  ist  die  primäre 
Knochenaflfection  bekannt,  so  wird  man  freilich  nicht  leicht  den 
Zustand  als  Elephantiasis  bezeichnen,  weil  er  zu  wenig  von  einem 
„Gewächs'^  au  sich  hat.  Ist  er  aber  mehr  umschrieben,  betriflit 
er  einen  kleineren  Knochen,  ist  die  KnochenaflfectioD  selbst  latent 
oder  scheinbar  gegenüber  der  grossen  Veränderung  der  Weich- 
theile  unbedeutend,  so  liegt  es  nahe,  den  Namen  der  Elephan- 
tiasis anzuwenden ft).    In  der  Veterinärmedicinfff)  ist  dies  viel- 


*)  Handbuch  der  spec.  Path.  u.  Therapie.  I.  S   203. 
**)  Andral.    Grundriss  der  path.  Anat  Deutsch  von  F.  W.  Becker.  Leipz. 
1»29.  Bd.  1.  S.  129.    Cru  veilhier.  Traite  d'anat  path.  g^n^r.  T.  11.  p.  3&3. 
Wedl.  Grundzüge  der  path.  Histologie.  S.  460. 

^**)  Alard.     De   IMnflamroation   des    vaisseaux  absorbans  -  l^mphatiques 
dermoides  et  sous-cutanes.  Paris.   1824.  p.  292.    J.  Grocq.  Traite  des  tn* 
meurs  blauches  des  articulations.  Bruxelles.  1854.  p.  76,  106. 
t)  Lob  stein.    Traite  d*anat.  path.    I.   p.  392. 

tt)  Kämpfer  qannte  umgekehrt  die  Elephantiasis  (Perical)  von  Ifalabar 
eine  Paedartnrocace. 

ttt)  E.   F.  Gurlt     Lehrbuch   der  pathoL    Anat   der    Haoasiagethiere. 
Berlin.  1831.  Th.  1.  S.  45,  110.    J.  M.  Kreutzer.  GrondriM  der  geMUBBt« 


Uebergang  der  Erysipelas  in  Elephantiasis.  307 

fach  geschehen.  Ich  selbst  habe  einigemal  beim  Rindvieh  und 
beim  Schwein  ausgedehnte  nekrotische  Garies  am  Unterkiefer  ge- 
sehen, um  welche  herum  die  stärksten,  knotigen  Schwielen  be- 
standen*), welche  ätiologisch  offenbar  eine  ganz  andere  Bedeu- 
tung hatten,  als  der  bei  Pferden  durch  veraltete  Mauke  entstehende 
,,Elephanten-  oder  Igelfuss'*,  oder  die  gleichfalls  beim  Pferde  von 
mir  gesehene  „spontane^  Elephantiasis**).  Aber  auch  in  der 
scheinbar  spontanen,  nicht  osteopathischen  Elephantiasis,  wie  ich  es 
sowohl  am  Unterschenkel  (Fig.  5*2.),  als  an  den  grossen  Schamlip- 
pen beobachtet  habe,  stösst  man  beim  Einschneiden  auf  grosse,  alte 
Eitersäcke,  und  es  ist  noch  keineswegs  ausgemacht,  dass  diese 
durchgängig  secundärer  Entstehung,  Folgen  des  Erysipelas  sind; 
im  Gegentheil  spricht  ihr  Vorkommen  in  tropischen  Formen***) 
dafür,  dass  sie  ein  erregendes  oder  wenigstens  begQnstigendes 
Moment  für  Erysipel  sind. 

Wiederholen  sich  solche  Zufalle  im  Laufe  der  Zeit,  was  in 
Folge  äusserer  localer  Reize  geschehen  kannf),  so  entsteht, 
gleichviel  ob  das  Erysipel  primär  oder  secundär^  war,  allmählich 
eine  bleibende  Verdichtung  und  Verdickung  des  Gewebes,  und 
damit  beginnt  dann  die  Elephantiasis  im  engeren  Sinne  des 
Wortes.  Unter  den  Tropen  nimmt  man  vielfach  an,  dass  mit 
dem  dritten  Anfalle  der  Process  confirmirt  sei.  Auch  diese  näch- 
sten Anfalle  sind  gewöhnlich  noch  fieberhaft;  mit  der  fortschrei- 
tenden Verdichtung  wird  die  Krankheit  mehr  continuirlich,  iieberlos, 
behält  aber  sehr  häufig  noch  den  progressiven  Charakter. 

Die  Verdichtung  selbst  hat,  je  nach  den  einzelnen  Fällen,  eine 
sehr  verschiedene  Ausdehnung.  Manchmal  beschränkt  sie  sich 
auf  die  Oberfläche,  zuweilen  blos  auf  das  äusserste  Stratum  der 
Cutis.  In  anderen  Fällen  greift  der  Process  sehr  frühzeitig  in 
die  Tiefe,  und  es  wird  nicht  blos  die  Cutis,  sondern  auch  das 
Unterhaotgewebe,  das  Fettgewebe  mitbetheiligt,  die  Fascien  ge- 


Yeterinärmedicin.  Erlang.  1853.  S.  649.    Roll.  Lehrb.  der  Path.  u.  Therapie 
der  nutzbaren  Hausthiere.    Wien.  1856.  S.  662. 

*)  Präparat  unserer  Sammlung  No.  60.  vom  Jahr  1857. 
^^)  Priparat  No.  5.  vom  Jahr  1862. 

•••)  L' Herminier.    Gaz.  m^d.  de  Paris.  1850.  No.  3.0.     Ray  er  et  Da- 
vaine.  Ifem.  de  la  Soc.deßiol.  T.  11.  p.  67.  Vgl.  Heyfelder  a  a.O.S.347. 
t)  Rud.  Martini.    Dias,  inaug.  rariorem  crysipelatis  exitum  elephan- 
tiaalo  aiaakateai  sisteos.    Lips.  1824.  p.  ö. 

20* 


Dreizehnte  VorlesoDg. 

Fig.  52, 


rathen  in  deaselben  ReizunKs-Zustand,  ja  der  Process  geht  unter 
die  Fascien  in  Abs  inteminBculäre  Bindegewebe,  entwickelt  sich 
um  die  Geisse  und  Nerven  herum  und  greift  häufig  auf  das  Periost 
der  Knochen  über,  um  liier  Veränderungen  zu  erzeugen,  wie  wir 
sie  bei  periostitischen  Zuständen  kennen. 

Je  nachdem  di?r  Process  sieh  nach  der  einen  oder  anderen 
dieser  Richtungen  hin  entwickelt,  gestaltet  sich  auch  seine  äussere 
Erscheinung  gewöhnlich  etwas  verschieden.  Ist  «r  mehr  ober- 
flächlich, dann  wird  auch  in  der  Regel  die  Oberfläche  ungleich, 
indem  die  Papillen  sich  überwiegend  vergrOssera  und  die 
äussere  Erscheinung  des  geschwollenen  Theiles  die  einer  Pa- 
pillarhyperplasie  wird*).  Ist  dagegen  der  Process  mehr  in 
der  Tiefe ,  so  kaim  die  Oberfläche  möglicherweise  ganz  glatt 
bleiben  und  der  Theil  nur  im  Ganzen  anschwellen  und  ver- 
härten. In  dem  letzteren  Falle  entsteht  eine  Elephantiaaici 
laevis  a.  glabra,  in  dem  anderen  eine  Elephantiasis  pa- 
pillaris 8.  verrucosa.  Dazu  kommt  femer,  dass  die  Verände- 
rung Hich  zuweilen  gans  gleichmässig,  diffus  und  continnirlicti 
über  die  befallenen  Siellen  erstreckt,  anderenutl  dagegen  ungleich- 
massig  fortschreitet,  entweder  so,  dass  auf  einer  difiiis  erkrankten 
Stelle  einzelne  Punkte  sich  stärker  erbeben  und  in  Form  von 
Knoten  oder  Höckern  hervortreten,  oder  dass  fiberhaupt  die 
Erkrankungcstellen  discontinuirlich  liegen  und  die  eintelaen 
Knuten  sich   aus  einer  fibrigens  normal  erscheinenden  Haut  er- 

Fig.  53.  ElephaDtiuü  dura  cruru.  Ausgedehnte  Sklerose,  welche  von 
der  Haut  imnii^r  tiefer  in  du  U nt erb antfettge webe ,  endlich  in  die  Fasrie, 
die  Munkeln  und  die  fielohaut  greift.  Bei  a  normaler  Znatand,  bei  b  Ver- 
dickung der  Cutis  und  beginnende  interstitielle  Induration  in  den  Pannica- 
lus,  bei  c  ausgebildeter  Zustand  mit  einigen  kleitwo  Abseeseen.  (frionnt 
No.  9S.  vom  Jahre  1863). 

*}  Th.Chey»lier.Hed.chir.TnnMGtVoLXI.  p.«8.  L'HeraiBierLc. 


Verhalten  der  Oberfläche  bei  der  Elephantiasis.  309 

heben.  Das  giebt  eine  Elephantiasis  tuberosa  (tubercu- 
lo8a)  8.  nodosai  welche  insbesondere  dem  knotigen  Aussatz 
höchst  ähnlich  ist.  Die  einzelnen  Knoten  (Tuberkel)  können 
wiedemm  eine  glatte  oder  eine  warzige*)  Oberfläche  haben. 
Die  Stellen  des  Körpers  sind  dabei  von  keiner  entscheidenden 
Bedeutung.  An  denselben  Regionen  können  je  nach  Umständen 
die  Terschiedensten  Formen  vorkommen;  ja  man  findet  nicht 
selten  bei  demselben  Individuum  am  Umfange  der  erkrankten 
Stellen  die  glatte  (Fig.  52.),  im  Centrum  derselben  die  warzige  oder 
knotige  Form  (Fig.  53.).  Der  Process  selbst  bleibt  immer  der- 
selbe, so  verschieden  er  sich  auch  äusserlich  darstellen  mag. 

Ist  die  papilläre  Form  überwiegend,  so  bleibt  auch  das  Rete 
Malpighii  und  die  Epidermis,  welche  den  Theil  bedeckt,  nicht 
frei.  Sehr  häufig  nimmt  das  Rete  allmählich  eine  dunklere  Pig- 
mentirung,  namentlich  ein  bräunliches,  bronzefarbenes  und  zuletzt 
schwärzliches  Aussehen  an**).  In  dieser  Elephantiasis  fusca 
et  nigra  hat  die  Farbe  wesentlich  ihren  Sitz  in  den  Zellen  des 
Rete ;  nur  in  untergeordnetem  Maasse  und  sehr  viel  seltener  neh- 
men die  Bindegewebszellen  daran  Antheil.  Der  Grad  und  das 
Vorhandensein  der  Pigmentirung  wechselt  aber  nach  den  ein- 
zelnen Fällen:  bei  gleichem  Grade  der  Papillenbildung  zeigt  sich 
bald  diese,  bald  jene  Färbung,  ja  es  kann  bei  einer  Elephantiasis 
laevis  dunkle  Pigmentirung,  bei  einer  Elephantiasis  verrucosa  oder 
papillaris  helle  Färbung  sich  finden. 

Auch  die  Dicke  des  Epidermislagers  über  den  elephantiasti- 
schen  Stellen  ist  sehr  verschieden.  Zuweilen  zeigt  es  kaum  eine 
Abweichung  vom  Normalen,  und  das  ist  meiner  Erfahrung  nach 
hauptsächlich  bei  den  weicheren  Formen  der  Fall.  Anderemal 
dagegen  erreicht  es  eine  sehr  beträchtliche  Dicke.  Ist  der  Pa- 
pillarkörper  nur  massig  entwickelt,  so  bildet  die  Epidermis  einen 
glatten  Ueberzug  über  demselben,  der  in  den  höchsten  Graden 
entweder  eine  dichte,  hornartige  oder  eine  mehr  lockere,  blätte- 
rige Beschaffenheit  annimmt.  Wachsen  die  Papillen  stark  und 
verästeln  sie  sich,  so  folgt  auch  die  Epidermis  ihren  Erhebungen: 


*)  Rob.  Frank el.  De  Arabum  elephantiasi  in  partibus  geDitalibus 
obeenrationes  duae  maxime  roemorabiles,  addita  analysi  microscopica.  Diss. 
inaug.  VratisL  1857.  p.  36,  44. 

*^)  C.  J.  Hille.    Diss.  inaug.  rarioris  morbi  elephantiasi  partiali  similis 
hiatoriam  aiatena.  Ups.  1828.  p.  7.  Tab.  —  Präparat  No.  69.  Tom  Jahre  1860. 


Dreiuhnte  VoricMiiig. 


VH  cntstolit  ein  warziges  AuKselien,  und  wenn  die  Epidermislage 
Hclir  titark  und  dicht  ist,  eine  hat  stachelige  BeschafTeDheit  der 
OliertllU-lie,  wiu  bei  der  U-hthyostä  cornea  acuminata *).  Ich  habe 
Pftit«  Kct^i'licni  wo  diese  hornigen  Auswüchse  eine  Hohe  von 
8  —  3  Linien  lialton  und  einzelne  Stellen  ganz  dicht  damit  besetit 
waren  (Fig.A.'Kb).  Maverirtman  diese  Massen  in  Wasser,  so  lOstsieb 
der  HormlherKug  selir  leicht  üb,  und  man  sieht  die  theils  einfach 
verlHiiserlen,  llieils  verästelten  Papillen  in  grosser  Zahl  nackt 
Einmal  \m  einem  allen  Mnnno  (in  der  Praxis  des  Herrn  Dr. 
Albrechl)  habe  ich  den  gr^issten  Theil  beider  Unterschenkel 
mit  gelben,  durvht^cbeinenden  Doniplalten  von  2  —  3  Linien  Dicke 
und  I  -  I !  Zoll  im  l^urchniesi^er  Itesetzt  gesehen,  so  da.«s  si6  eioe 
nicht  gerintie  Aehnlichkeit  mit  der  Ichthyosis  comea  congenita 
halici).  I>»s  ToIh'!  war  ein  erworbenes,  die  elephantiastische 
Anschwellung  sehr  tH><)ou(end  und  die  starke  Betheiligang  der 
Hantdrilsen  an  dem  rn.H-e^  machte  sieb  nicht  jmr  darch  die 
^■itiiic  IVirnischung  i»  den  IlompUticn.  sondern  auch  durch  einen 
Iif>clisi  wid<i>rlichcn  und  peneiRuiien  G«ruch  bemerkbar. 

Allo  di<«<>  Vcrimlerungen  der  Ober^cbe  sind  ab«  unter- 


M  iff  ti«f<r*«l  A<s  tV«Xvl>r«k«s     IS«  »fM-tev  StlrfM«  iMrkt  tief  dafrk 

A»  l'V<;(v«'r4>'  b*s  «nkr  t«  i>r  KMvh<w.    biiK  mW    d>  »i«4  ■och  «isBrltf 

»v^-.K'^Vii.     IV  ll.ci    -.r^Cr.!    >urt,    ivr^xki   ««J    <«■   nwM    Sluf:n  Gt- 

k«rx«*U<*-   MM  Wi->i^f    Kjiaji^tiw..  -  tiftw^ig  .l-rfakfwü»  ra««««'^.     Du 
Ibm  lkk|)«c^*  lUii  r«twr«nn.     \mi  *<m»»**  !■*  lAiw.  vic  np  SA: 

-    IR*>*i     nMir  An»  Ml.  4r  li  r**.  tSf;.  r  U.  ^  430.    «.BSrea- 
»r«*»».  IJM(M««a«i.VMN«wk.rv»^4MWM*U.ikM.  Ufa.  iai& S. «■ 


Elephantiasis  dura.  311 

geordneter  Natur;  die  Hauptsache  bleibt  die  Entwickelung  von 
immer  neuen  und  immer  reichlicher  werdenden  Bindegewebs- 
mansen,  welche  im  Innern  der  Theile,  der  Cutis  oder  des  sub- 
cutanen Gewebes  u.  s.  w.  entstehen  und  aus  einer  fortschreitenden 
Hj^rplasie  des  präexistirenden  Bindegewebes  hervorgehen.  Das  * 
ist  das  Wesentliche  des  Processes,  weshalb  wir  ihn  eben  bei  den 
Fibromeo  besprechen.  Die  Beschaffenheit  des  neugebildeten  Binde- 
gewebes ist  aber  nicht  immer  dieselbe,  und  man  kann  im  Groben 
nach  der  grösseren  oder  geringeren  Dichtigkeit  zwei  verschiedene 
Erscheinungsformen  der  Krankheit  unterscheiden:  Elephantia- 
sis dura  und  Elephantiasis  moUis. 

In  den  höheren  Graden  der  ersteren  findet  -man  auf  Durch- 
schnitten durch  die  erkrankten  Theile  von  der  Obei*fläche  bis  auf 
den  Knochen  hindurch  oft  nur  eine  einzige,  zusammenhängende, 
harte,  fibröse  Schwiele  von  jener  Consistenz,  welche  man  nach 
einem  alten  Sprachgebrauch  als  speckig  zu  bezeichnen  pflegt. 
Daher  geben  die  früheren  Schriftsteller*)  geradezu  an,  das  Ge- 
webe sei  in  Specksubstanz  (substance  lardacee)  umgewandelt. 
Diese  Substanz  ist  nichts  anderes,  als  sklerotisches,  mit  klarem, 
ausdrückbarem,  an  runden  Zellen  sehr  reichem***)  Serum  durch- 
tränktes  Bindegewebe.  In  demselben  kann  man  kaum  noch  die  ein- 
zelnen früheren  Gewebe  unterscheiden;  theils  gehen  sie  zu  Grunde, 
wie  namentlich  das  Fett-  und  Muskelgewebe,  theils  verwachsen  sie 
unter  sich  in  einer  innigen  Weise  und  bilden  einen  einzigen  Kör- 
per. Je  mehr  dieser  sich  verdichtet,  um  so  mehr  wird  durch  den 
Druck  der  harten  Masse  eine  Atrophie  der  noch  übrig  gebliebe- 
nen, eingeschlossenen  Gewebe  erzeugt;  inbesondere  die  musku- 
lösen und  nervösen  Theile  leiden  in  manchen  Fällen  sehr  erheb- 
lich, nnd  so  kann  es  wohl  vorkommen,  dass  unvollkommene 
paralytische  und  anästhetische  Zustände  und  damit  eine  neue 
Aehnlichkeit  mit  dem  Aussatz  eintreten.  Indess  ist  mir  kein 
Fall  vorgekommen,  wo  namentlich  die  Anästhesie  einen  so  hohen 
Grad  erreicht  hätte,  wie  es  bei  dem  wahren  Aussatz  der  Fall  ist. 

Schreitet  der  Process  bis  auf  den  Knochen  fort,  so  ist  es 
überaus  häufig,  dass  aus  den  tieferen  Lagen  des  Periostes,  welche 
unmittelbar  auf  dem  Knochen  liegen,  allmählich  neue  Knochen- 
bchichten  sich  erzeugen,  dass  also  die  Bindegewebsbildung  sich 


*)  Lobstein.    Trait^  d'anat.  path.  I.  p.  392. 
^)  Vulpian.  M6m  de  laSoc.  de  Biologie.  1857.  S^r.ll.  T.  UL  p.809,313. 


812 


Dreiiebnte  Vorieanig. 


Pii.  i*. 


complicirt  mit  einer  wahrhaften  KnochenbUdnng,  dass  sie  gleich- 
»atn  eine  knOcherne  BaeiB  bekommt.  Diese  KDOcbeDbildnng«n 
zeigen  dieselben  Verachiedeaheiten,  die  wir  an  der  ftiuseren  Haut 
besprochen  haben,  in  maDchen  Fällen  ündet  eich  eine  glatte  Pe- 
riostose, in  anderen  eine  unregelmässig  warzige,  ja  stachelige  Bil- 
dung von  dem  sonderbu'steD  Anssehen.  FOr  die  Geschichte  der 
pathologischen  Ossilication  flberhsnpt  sind 
diese  Processe  von  nicht  geringem  Interesse, 
insofern  als  man  sich  nberzeogen  kann,  wie 
ich  es  auch  in  anderen  Fällen  bewiesen 
habe*),  dass  die  Knochenbildung  sich  nicht 
anf  das  Periost  beschränkt,  sondern  weit  in 
die  extraperiostealen  Schichten,  hier  in  die 
elephantiastJBchen  Schwielen  hineingreiß.  In 
höheren  Graden  verschmelzen  die  hervor- 
wachsenden Knochenmaasen  untereinander 
und  es  entstehen  dadurch  Synostosen, 
welche  benachbarte  Knochen  miteinuid^r 
in  Verbindung  setzen.  Bei  der  harten  Ele- 
phantiasis des  Unterscbenkels  ist  es  gaoi 
gewöhnlich,  dass  Tibia  und  Fibula  sich  an 
verschiedenen  Stellen  nntereinander  verei- 
nigen, dasB  Galcaneus  und  Astragalas  zb 
einer  gemeinschaftlichen  Masse  verschmel- 
zen (Fig.  54,). 

Während  dieise  Verändemngen  an  den 
befallenen  Stellen,  namentlich  den  Glied- 
matten,  i^ich  ausbilden,  te^o  aacb  die 
*<nt$prcclienden  Lymphdrüsen  ähnliche  Ver- 
andeningen. So  findet  man  namentlich  an 
den  hi^isen  der  Kniekehle  und  der  Lei- 
stengegend betmchtiiche  Anschwellangt4i, 
welche  in  der  tnt»a  Zeit  ans   einer  Wo- 


Ki;^.  M.     HvpiFnwtwi»  «<  STsmlfisis  cnwivB  cmm  et  pedi«  nach  Ek- 

ElianlUM».    JMt  VMvhca  »iad  flWndl  nil  tb«üs  phitca.  tä«ila  stMitcligci 
\iKlii»«>n  b««»»i,  im  (iaarn  ifnürkl.    Bei  +.+  iuA  TibU  ind  Fibab  ii 

Wl   irr  \t\ll  <)t.-hl  fttM-r  tteiu  Sprup^ifiiftirak.     IWi  +  +  findft  »kk  nn«  Svm- 
•Iw»  ■«istffa«-»  T»Ib  und  L'akawru.    v^tApan*  N*-  4S9.). 

*)  M«U  Arckiv.  L  &  191.    Oilbh^Mhilipi.  S.  Atä.  &  4M. 


Zustand  der  Knochen  und  des  Lj^mphi4>parats  in  der  Elephantiasis.    313 

cherung  der  Lymphkörperchen  bestehen,  später  jedoch  mehr  und 
mehr  eine  ähnh'che  fibröse  oder  geradezu  fibromatöse  Induration 
erfahren,  wie  sie  in  dem  Parenchym  der  Glieder  selbst  besteht*). 
Ungleich  seltener  und  mehr  den  heftigeren  tropischen  Formen 
eigenthümlich  ist  die  Vereiterung  der  Lymphdrüsen,  wie  sie 
schon  Hendy  beschrieben  hat.  An  den  grösseren  Lymphgefässen 
selbst  findet  sich  in  der  Regel  keine  erhebliche  Verdickung  der 
Wandungen;  im  Gegentheil  geht  mit  der  Erweiterung  derselben 
öfters  eine  entsprechende  Verdünnung  einher.  Dagegen  leiden 
nicht  selten  die  Nerven  in  grosser  Erstreckung  an  einer,  von 
ihren  Hüllen  und  ihrem  interstitiellen  Gewebe  ausgehenden,  zu- 
weilen ungleichmässigen  imd  knotigen  fibrösen  Verdickung**), 
welche  über  die  Grenzen  der  zunächst  befallenen  Region  hinaus- 
reicht. Auch  die  Wandungen  und  Scheiden  der  Venen  fand  ich 
mehrfach  in  ähnlicher  Weise  verändert. 

Wenn  man  absieht  von  den  vorher  berührten  Fällen,  die  frei- 
lich bei  uns  sehr  häufig  vorkommen,  dass  in  der  Umgebung  und 
namentlich  unterhalb  alter  Fussgeschwüre,  im  Umfange  kranker 
Knochen  oder  alter  Abscesse  elephantiastische  Indurationen  sich 
entwickeln,  so  ist  die  Elephantiasis  in  der  Regel  ein  nicht  ulce- 
röser  Process,  der  ausserordentlich  fortschreiten  und  enorme  An- 
schwellungen der  Theile  erzeugen  kann,  während  die  Oberfläche 
im  Wesentlichen  unversehrt  bleibt.  Es  kann  auch  der  Gebrauch  der 
Theile  immer  noch  in  einem  ziemlich  vollständigen  Maasse  statt- 
finden, da  nur  durch  die  grosse  Last,  durch  die  Schwere,  durch 
die  Steifheit  der  Articulationen  eine  Behinderung  eintritt.  Gele- 
gentlich triift  man  Leute  mit  solchen  dicken  Beinen,  welche  da- 
mit nmherwandem ,  und  was  die  Thiere  anlangt^  so  sah  ich  im 
vorigen  Herbst,  als  ich  durch  die  Pfalz  reiste,  in  Oggersheim  ein 
Pferd,  welches  das  eine  ganze  Hinterbein  zu  einem  mehr  als  ele- 
phantenbeindicken  Ständer  umgewandelt  hatte,  dabei  aber  ganz 
munter  seinen  Wagen  zog. 

Dadurch  unterscheidet  sich  die  Elephantiasis  sehr  wesentlich 
von  dem  Aussatz,  bei  dem  alle  grösseren  Anschwellungen  in  ulce- 


*)  Lud.  Höfer.    De  Elephantiasi  Arabum  adjecta  historia  morbi.  Diss. 


inaog.  Gryphiae.  1851.  p.  36. 
••)  Chelius. 


^)  Chelius.  Heidelberger  klinische  Annalen.  Bd.  II.  S.  359.  Metten- 
heim  er.  Archiv  des  Vereins  für  gemeinsch.  Arbeiten  zur  Förderung  der 
wiaseDBch.  Heilkunde.  Götting.  1854.  Bd.  I.  S.  88.  Hecker  a.  a.  0.  S.  12. 
▼gl.  Höfer  L  c.  p.  39. 


Dreizehnte  Vorlesong. 


pflegen. 

Indessen  kommen  doch  zuweilen 
iiHch  bei  uns,  viel  h&ofiger  in  dea 
tropischen  Gegenden  Fälle  vor,  wo 
neben  gleicbmässigen  Anschwellnn- 
gen,  namentlich  der  Unterextremi- 
läten  und  innerhalb  der  geschwolle- 
nen Region  Knoten  oder  Einrisse  ent- 
!itehen,  welche  in  Ulcera  übergehen. 
Hier  handelt  es  sich  a):^o  nicht,  wie 
Hm  häutigsten,  um  priraire  Ge- 
schwüre mit  secundärer  Elephan- 
tiasis, gondem  um  primäre  Ele- 
phantiasis mit  secnndären  Geschwö- 
i-en.  Diese  Form  ist  es  namentlich, 
l«i  der  die  Möglichkeit  eioer  Unter- 
scheidung von  den  Aassatzformen 
überaus  schwer  wird,  und  wo  ge- 
wiss sehr  häutig  selbst  in  Aussatz- 
litndern  Verwechselungen  in  der 
Diagnose  vorkommen.  Wie  ich 
glaube,  muss  das  wesentlichste 
Kriterium  darin  gesucht  werden. 
tlass  die  Elephantiasis  (Arabuo) 
L'in  mehr  localer  Process  zu  sein 
l^rtegt,  der  gewöhnlich  nur  einen 
oder  einige  bestimmte  Tfaeile  be- 
tällt,  w&hrend  der  Aussatz,  wenn 
r  zu  einer  einigermaassen  vollstin- 
iigen  AusbUdung  kommt,  stets  als 
'ine  Constitutionskrankeit  mit  viel- 
fachen Emptionsstellen  eracbeint 


Fi);.  M.  Elephantiasis  <tuni  ulcerosa  pedie.  Ampntirt  bei  einen  17jlh- 
ligen.  in  »dner  fcanien  Rolwickeliing  sehr  lurackgebliebenen  Hensrhen  tob 
<lcm  (lesundbrunnen  bei  ttcrlin,  der  sfit  seinem  3.  Lebensjahre  an  niancber- 
lei  Knoehen-  und  Gele nkenliQn düngen  (Ana  n.  a.  w.^  gelitten  hatte.  Ein 
Geschwür  an  der  vorderen  Fliehe  des  unteren  Theila  des  CDtererhenkeli, 
«elrhes  lingere  Zeit  bestanden  hatte,  war  4  Jahre  Tor  der  Ampotalion  ge- 
heilt.   Bin  halbes  Jahr  spUer  VerstMchung  des  Fnugelealcw ,  aeitdea  u- 


Elephaotiadia  nlceroä».  315 

Diese  Elephantiasis  ulcerosa  entsteht  nicht  immer  auf 
gleiche  Art.  Manchmal  geben  äussere  Verletzungen  oder  auch 
therapeutische  Anlässe,  z.  B.  die  Anwendung  von  Blasenpflastern 
auf  die  erkrankten  Stellen  die  Gelegenheitsursache  ab.  Andere- 
mal  kommt  sie  mehr  spontan  zu  Stande.  Zuweilen  bilden  sich, 
wie  bei  der  Mauke  der  Pferde,  Blasen,  welche  platzen,  ihren  In- 
halt ergiessen  und  eine  excoriirte  Stelle  hinterlassen,  welche  nach 
und  nach  geschwürig  wird.  Anderemal  entstehen  an  der  sehr 
harten  und  steifen  Oberfläche  in  Folge  der  Bewegungen,  nament- 
hch  an  den  Füssen,  Sprünge  (Rhagaden,  Fissuren),  aus  welchen 
zunächst  Flüssigkeit  aussickert,  welche  aber  allmählich  in  eine 
schlechte  Suppuration  gerathen.  Anderemal  endlich  ist  es  eine 
Elephantiasis  tuberosa  oder  tuberculosa,  bei  welcher  inmitten  der 
ausgedehnteren  Erkrankung  einzelne  Knoten  entstehen,  erweichen 
und  endlich  aufbrechen.  Einen  ausgezeichneten  Fall  dieser  Art*) 
habe  ich  erst  in  diesem  Winter  untersucht.  Schneidet  man  die 
Knoten  an,  so  findet  man  in  ihnen  eine  Wucherung  der  zelligen 
Elemente;  das  Bindegewebe  wandelt  sich  in  Granulationsgewebe 
um,  und  dieses  schmilzt,  indem  es  theils  in  fettige  Metamorphose 
theils  in  Eiter  übergeht.  Diese  Geschwüre  in  den  verdichteten 
Theilen  bestehen  gewöhnlich  sehr  lange  fort,  erweisen  sich  als  sehr 
refractär  gegen  alle  Behandlung,  sondern  eine  dünne,  wässerige 
Masse  ab  und  fressen  nach  und  nach  im  Umfange  und  in  die  Tiefe 


nebmende  Anschwellung  und  Verdickung.  Seit  2  Jahren  vor  der  Operation 
Aufbruch  und  Ulceration.  Die  Anschwellung  beginnt  eine  Hand  breit  unter 
dem  Knie  nnd  nimmt  von  da  abwärts  schrittweise  zu,  um  ihre  grösste  Aus- 
bildoof  am  Fussrücken  und  an  den  Zehen  zu  iiuden.  Letztere  sind  zu  un- 
förmlichen, höckerigen  Körpern  angewachsen,  indem  sich  die  geschwollenen 
ond  von  unten  platt  gedrückten  Wcichtheile  neben  den  übrigens  gesunden 
Nigelo  in  Form  dicker  knotiger  Wülste  hervordrängen.  Am  grossen  Zehen 
liegt  ein  grosses  Geschwür  mit  glattem,  hartem  Gruude  und  bis  zu  4  u.  5  Li- 
nien hoch  aufsteigenden  schwieligen  Rändern.  Ein  grosses  buchtiges  Ge- 
schwür mit  etwas  mehr  unet>enero ,  aber  gleichfalls  speckigem  Grunde  und 
noch  viel  starker  aufgeworfenen  und  verhärteten  Rändern  bedeckt  den  gross- 
ten  Theil  des  Fussrückens.  Am  inneren  Knöchel  und  an  der  äusseren  Seite 
des  unteren  Abschnittes  des  Unterschenkels  liegt  noch  je  ein  altes,  flaches, 
harte«  Geschwür  mit  zugeschärften  und  verheilenden  Rändern.  Schon  von 
der  Mitte  des  Unterschenkels  an  verschwindet  der  Panniculus  adiposus  in 
einer  weissen,  knorpclharten  Schwiele,  welche  von  der  Haut  bis  zu  den  Kno- 
chen reicht.  Die  Hautoberflächc  ist  im  Allgemeinen  hügelig,  aber  glatt; 
nur  am  Fussrücken  und  um  den  äusseren  Knöchel  herum  erheben  sich  aus 
der  difiTascD  Geschwulst  einzelne  grössere,  flachrundliche  Knoten.  Am  obe- 
ren Theil  des  Unterschenkels  hat  die  Haut  überall  ein  ungewöhnlich  glattes, 
wie  Djurbenartiges  Aussehen.  (Präparat  No.  148.  vom  Jahre  1861). 
*)  Pr&parat  No.  42.  vom  Jahre  1862. 


316  Dreizehnte  Vorlesiing. 

fort.  Es  sind  wahre  Ulcera  rodentia  (Esthiomenos).  Das  ist  ein 
anderer  wesentlicher  Unterscheidungspunkt  von  den  eigentlichen 
Aussatzgeschwüren,  welche  ziemlich  leicht  heilen  und  sehr  bald 
in  Narbenbildung  übergehen.  Eine  ganze  Masse  von  Beispielen, 
die  als  sporadischer  Aussatz  in  den  letzten  Jahrhunderten  be- 
schrieben worden  sind,  gehört,  glaube  ich,  in  diese  Kategorie  der 
ulcerösen  Elephantiasis  hinein.  — 

Die  bisherige  Darstellung  bezog  sich  überwiegend  auf  die 
harte,  sklerotische  Elephantiasis,  wie  sie  hauptsächlich  an  den  un- 
teren Extremitäten,  gewöhnlich  von  der  Knöchelgegend  und  dem 
Fussrücken  heraufsteigend,  vorkommt.  Ihr  zunächst  st-eht  die  sehr 
viel  seltenere  Elephantiasis  der  Oberextremität,  welche  zuweilen 
gleichzeitig  mit  ihr  vorkommt*),  in  der  Regel  aber  für  sich  be- 
steht und  auch  nur  an  einer  Seite  vorkommt.  Verhältnissmässig 
häufig  erscheint  sie  in  der  tuberösen  Form**),  meist  so,  dass  die 
Hand  mit  den  Fingern  den  Hauptsitz  des  Leidens  darstellt. 

Dem  gegenüber  haben  wir  jetzt  noch  die  theils  congenitaIeD, 
theils  erworbenen  Formen  der  weichen  Elephantiasis  zu  be- 
trachten. 

Was  nun  zunächst  die  congenitalen  Formen  angeht,  so 
kommen  sie  zuweilen  in  einer  fast  allgemeinen  Ausbreitung  über 
den  ganzen  Körper  vor.  Dies  ist  namentlich  bei  acephalen  und 
aniden  Missgeburten  der  Fall,  wo  die  unvollkommene  Circulation 
vielleicht  das  prädisponirende  Moment  abgiebt***).  Etwas  Aehn- 
liches  findet  sich  auch  bei  anderen  lebensunfthigen  Neugebore- 
nen t).  Diejenigen  Fällen  von  congenitaler  Elephantiasis,  welche  in 
das  spätere  Leben  hineingetragen  werden,  sind  stets  partielle. 
Ein  ausgezeichnetes  Präparat  der  Art  von  der  ünterextremität  be- 
sitzt unsere  Sammlung  ff)*  In  fast  allen  derartigen  Fällen  ist  eine 
solche  speckige,  sehnige  Härte,  eine  solche  Sklerose  des  Gewebes, 
wie  sie  bei  den  bisher  besprochenen  erworbenen  Zuständen  vor- 
kommt, nicht  vorhanden. 


••' 


*)  Ray  er.    Traite  des  mal.  de  la  peau.  1827.  T.  11.  p.  488. 
^)  H eV  f e  1  d e  r  in  den  Nova  Acta  Acad.  Caes.  Leop.  oat  curios.   Vol.  XiX. 
P. II.  p.  345.  Tab.  LXII.    G.  Schonten.  Diss.  inaug.  ezhibens  obeerTatio- 
nein  de  Elephantiasi.  Traj.  ad  Rhen.  1841.    L' Herminier  I.  c.    Ray  er  et 
Davaine  1.  c 

***)  Vgl.  den  von  mir  beobachteten  Fall  allgemeiner  LjmphgeftMerwei- 
teruDg  nach  Thrombose  der  Vena  jugularis  beim  Kalb.  Archiv.  VII.  S.  130. 
t)  Präparat  No.  51.  rom  Jahre  18tö,  Oberaendet  toh  Dr.  KOss  to  Rogaaes. 
tt)  Pr&parat  No.  142.  vom  Jahre  1860. 


Elephantiasis  mollis.  317 

Es  erklärt  sich  dies  vielleicht  daraus,  dass  der  Hauptsitz  der 
Veränderung  im  Unterhautgewebe  zu  sein  pflegt.  Je  nachdem 
der  krankhafte  Vorgang  früher  oder  später  während  des  Intrau- 
terinlebens  beginnt,  ist  auch  das  Resultat  ein  etwas  verschiedenes. 
Beginnt  er  später,  zu  einer  Zeit,  wo  schon  das  Fett  im  ünter- 
hautgewebe  ausgebildet  ist,  so  hat  die  ganze  Erscheinung  mehr 
den  Habitus  einer  Polysarcie.  Tritt  er  dagegen  sehr  früh  ein,  wo 
noch  Schleimgewebe  unter  der  Haut  liegt,  so  bleibt  auch  später 
ein  mehr  lockeres,  weiches,  zuweilen  gallertartiges,  ödematöses 
Gewebe  fortbestehen,  welches  die  Hauptmasse  der  Anschwellung 
darstellt.  In  ihm  findet  sich  in  der  Regel  eine  Reihe  von  ande- 
ren Eigenthümlichkeiten ,  die  in  dem  Maasse  nicht  bei  der  er- 
worbenen Elephantiasis  vorkommen.  Es  sind  namentlich  hyper- 
plastische Entwickelungen  der  in  das  Bindegewebe  einge- 
lagerten Theile,  und  zwar  insbesondere  der  Gefässe,  häufig  auch 
der  Nerven,  ja  zuweilen  auch  der  Muskeln  und  Knochen. 

Was  die  Gefässe  angeht,  so  unterscheiden  sich  wieder  die 
einzelnen  Fälle  darin,  dass  manchmal  die  Blutgefässe,  und  ins- 
besondere die  Venen  eine  colossale  Ausbildung  zeigen,  anderemal, 
jedoch  viel  seltener,  die  Lymphgefasse.  Die  Formen,  unter  wel- 
chen sie  sich  vergrössern,  sind  in  beiden  Fällen  dieselben;  die 
Vergrösserung  findet  sowohl  der  Länge  wie  der  Dicke  nach  statt, 
und  daher  bilden  die  erweiterten  Blutgefässe  ein  dichtes,  variköses 
Netz,  in  welchem  die  einzelnen  Gefässe  gewöhnlich  rosenkranz- 
fftrmig  erweitert  sind  und  eine  Grösse  erreichen,  dass  die  ganze 
Substanz  wie  cavernös  erscheint:  Elephantiasis  telangiec- 
todes.  Diese  Formen  vergrössern  sich  auch  nach  der  Geburt, 
80  dass  sie  nach  und  nach  stärker  hervortreten  und  dadurch 
die  Veranlassung  zu  operativen  Eingriffen  werden.  Man  findet 
ein  ausserordentlich  schönes  Beispiel  davon  in  der  mit  vortreff- 
lichen Abbildungen  ausgestatteten  Abhandlung  des  Prof.  Heck  er 
in  Freiburg*).  Von  der  lymphatischen  Form,  welche  ganz  ähn- 
liche Zustände  an  den  Lymphgefässen  darbietet,  ist  der  bekann- 
teste Fall  die  sogenannte  Makroglossie,  auf  welche  ich  bei  den 
Angiomen  zurückkommen  werde. 

Nächstdem  kommt  es  nicht  selten  vor,  dass  man  cystische 
Bildungen    in   den   congenitalen   Elephantiasisknoten   antrifft. 


*)  Hecker  a.  a.  0.  Taf.  I. 


318  Dreizehnte  Vorlesung. 

Man  kann  sie  nicht  mit  Deutlichkeit  verfolgen  in  L3rmpligefisse : 
sie  erscheinen  wie  abgeschlossene  Säcke,  die  mit  einer  klaren, 
meist  gerinnbaren  Flüssigkeit  gefüllt  sind.  Es  ist  allerdings  nicht 
unwahrscheinlich,  dass  sie  aus  Lyinphgefassen  hervorgelien;  ja  es 
ist  wohl  möglich,  dass  sie  in  manchen  Fällen  noch  durch  feine 
Oeffnungen  mit  Lymphgefassen  communiciren,  was  schwer  nach- 
zuweisen ist;  jedenfalls  machen  sie  den  Eindruck,  als  ob  es  ab- 
geschlossene Lymphräume  wären.  — 

An  diese  congenitalen  Formen  schliessen  sieh  die  circum- 
scripten,  weichen  elephantiastischen  Bildungen  an,  welche  mehr 
den  Geschwulstcharnkter  im  engeren  Sinne  des  Wortes  darbieten. 
Unter  ihnen  sind  die  verhältnissmässig  häufigsten  diejenigen, 
welche   sich   an  den   äusseren   Genitalien    entwickeln. 

Bei  uns  sind  dieselben  beim  Manne  sehr  selten  und  dann 
oft  nicht  ganz  rein.  So  besitzt  unsere  Sammlung  ein  Präparat 
vom  Scrotum*),  welches  über  einem  alten  Scrotalbruch  sich  ent- 
wickelt liat  und  mehr  der  harten  Form  angehört.  Anders  verhält 
es  sich  in  tropischen  Gegenden,  wo  die  Elephantiasis  scroti  der 
Frequenz  nach  unmittelbar  hinter  dem  Elephantenbein  kommt 
Früher  hat  man  sie  datier  häufig  als  endemische  Hydrocele^*) 
beschrieben,  was  zu  eben  so  vielen  Verwechselungen  Veranlas- 
sung giebt,  wie  die  Bezeichnung  von  ProsperAlpinus  ***)  und 
Larrey  t)?  welche  sie  eine  Ilernia  carnosa  oder  Sarc^cele 
nannten.  Allerdings  handelt  es  sich  auch  hier  um  eine  An- 
schwellung, welche  unter  rosenartigen  Zufällen  mit  einem  harten 
Oedom  beginnt,  und  die  wassersüchtige  Infiltration  erhält  sich 
noi'h  lange  Zeit,  nachdem  schon  die  Bindegewebs -Wucherung 
einen  höheren  Grad  erreicht  hat.  Wesentlich  sitzt  auch  hier  die 
Affection  in  dem 'Unterhautgewebe,  und  die  Haut  selbst  pflegt 
nur  in  geringerem  Maasse  betheiligt  zu  sein.  Warzige  und  kno- 
tige Erhebungen  sind  nicht  ungewöhnlich  ff),  aber  sie  bilden  mehr 
eine  Ausstattung  der  in  der  Tiefe  bestehenden  Anschwellung.   Das 

♦)  Präparat  No.  473. 
♦*)  Kämpfer  I.  c. 
•••)  Pros  per  Alpinus  I.  c.  p.  2«5. 
t)  D.  J.  Larrey.  Meinoires  de  Chirurgie  militaire  et  campagnes    Paris. 
Iftl2.  T.  II.  p.  88.  110. 

.  tt)  G.  Wiedel.  Drei  B<H>barhtuiigen  Qber  Klephantiasis  scroti  mit  Er- 
9««muQg  Ivrophatischer  FIQäsigkeit.  Inaug.  Diss.  WOrzburg.  1837.  Abbildoog. 
Jl-J-  Redlich.  De  Elephantia^ii  äcroti,  addita  morbi  hiätorii.  Dias,  inaag. 
»*roL  1838.  Tab.  1. et  111  Ueyfelder  l.c,  Tab.  LXllL  Prftnkel  1.  c  p.«7. 


Elephantiasis  scroti  et  penis.  319 

ünterhautgewebe  des  Hodensackes  enthält  bekanntlich  im  nor- 
malen Zustande  fast  kein  Fett;  es  ist  ein  an  sich  lockeres, 
saftreiches,  maschiges  Bindegewebe,  und  die  elephantiastische 
Vergrösserung  desselben  gelangt  daher  in  der  Regel  nicht  zu 
jenen  harten,  fast  faserknorpeligen  Härtegraden,  wie  sie  das  ge- 
wöhnliche Unterhautfettgewebe  der  Extremitäten  darbietet.  Dafür 
ist  aber  auch  die  Anschwellung  um  so  stärker.  Gewöhnlich  um- 
fasst  sie  das  ganze  Scrotum  und  erzeugt  daran  eine  solche  Ver- 
grösserung, dass  es  in  manchen  Fällen,  zumal  unter  endemischen 
Verhältnissen,  als  ein  enormer  Körper  zwischen  den  Beinen  bis 
zu  den  Knien,  ja  manchmal  noch  weiter  herabhängt.  Man  hat 
solche  von  100  (Clot-Bey),  ja  bis  165  (Titley)  Pfund  Schwere 
beobachtet.  In  Aegypten,  wo  nun  schon  seit  längerer  Zeit 
die  europäische  Chirurgie  ihre  Siege  feiert,  ist  das  eine  ziemlich 
häutige  Sache,  und  die  Exstirpation  solcher  Geschwulste  gehört 
dort  zu  den  gewöhnlicheren  Erscheinungen.  Die  angegebene 
Schwere  dieser  Hassen  wird  (ur  die  Kranken  eine  Ursache  grosser 
Unbequemlichkeiten.  Je  tiefer  das  Scrotum  hinabsinkt,  um  so 
mehr  zieht  es  die  Haut  des  Penis  mit  sich;  der  Penis  selbst 
kriecht  gleichsam  in  die  Geschwulst  hinein,  und  nur  eine  exco- 
riirte  Rinne  zeigt  noch  den  Weg,  den  der  Harn  nach  seinem 
Austritt  aus  dem  Oriticium  cutaneum  urethrae  durch  die  Geschwulst 
hindurch  zu  nehmen  hat*). 

Zuweilen  setzt  sich  die  Elephantiasis  auf  den  Penis  selbst 
fort,  und  verwandelt  ihn  in  einen  unförmlichen,  gewundenen 
Körper**),  der  über  das  geschwollene  Scrotum  gelagert  ist. 
Anderemal  ist  der  Penis  unabhängig  der  Sitz  der  Erkrankung. 
Am  häufigsten  wird  die  Vorhaut  ergriffen,  welche  bei  einer 
gewissen  Enge  so  vielen  Reizungen  ausgesetzt  ist.  In  dem  ein- 
zigen Fall,  den  ich  davon  untersucht  habe,  war  das  Gewebe  ver- 
hältnissmässig  derb  und  von  einer  Weisse,  welche  durch  die 
schwärzliche  Färbung  des  Rete  noch  mehr  gehoben  wurde.  Das 
Mikroskop  zeigte  in  dem  Gewebe  eine  ganz  unglaublich  grosse 


•)  Larrey  1.  c.  PI.  IX.  Pruner  a.  a  0.  S.  327.  Fig.  IV.  Clot-Bey 
in  Alibert's  Vorlesangen  über  die  Krankheiten  der  Haut  Aus  dem  Franz. 
Upsig.  1837.  Th.  IL  S.  210. 

••)  Ketwig  bei  Alard  L  c.  p.  208.  PI.  IL  fig.  3.  Heyfelder  1.  c. 
U.349.  Tab.  LXIIL  Pruner  a.  a.  0.  Fränkel  I.  c.  p.  27.  A.  Krämer, 
lieber  CoDdylome  und  Warzen.  Göttingen.  1847.  S.  60.  Taf.  IL  Fig.  6. 


320  Dreizehnte  VorleaDDg. 

Zahl  elastiBcher  Fasero,  mehr  als  ich  jemals  in  einer  Geacbwnlst 
gesehen  habe.  Es  entspricht  diess  einer  längeren  Dauer  and 
einer  gewissen  Consolidation  des  Gewächses,  welches  als  solches 
sich  dauernd  erhält. 

Bei  dem  weiblichen  Geschlecht  waren  ähnliche  Geschwülste 
der  äusseren  Genitalien  früher  kaum  bekannt,  was  wohl  nur  von 
dem  Mangel  unmittelbarer  Untersuchungen  abhängig  war.  In  der 
neueren  Zeit  hat  sich  die  Zahl  der  Beobachtungen  schnell  ge- 
mehrt*),   und    ich  'selbst   habe  ziemlich   oft  Gelegenheit  gehabt. 


derartige  Geschw&lste  zu  untersuchen.    Am  häufigsten  sind  es  die 
Labia  uiajora**),  welche  in  ganz  ähnlicher  Weise  anschwellen, 


Fig.  66.  Elepbaiitii&ia  veTnicoui  tuberös*  Ubii  mi^orU.  Bin«  Kindt- 
kopfgro8se  im  Ganien  ruadliclie  Geärbwuiat,  welche  mit  einor  schmkleB 
Bisis  ftufsMa.  Ihre  Oberfläche  i^t  in  grübere  nnd  reinere  Lappen  «inf;ethei)t 
und  jeder  L«ppej  «kder  mit  warzi};en  Erhebangen  iMsetit,  loa  denen  ein- 
lelne  fiani  fein  und  »rt,  andere  dick  und  kotbig  aind.  Der  Gpidermis- 
Qberiug  ist  überall  von  m&>sjger  Stärke;  der  innere  Theil  der  Geachwul»! 
aaa  lieraliih  derbem,  filiigem,  ödeniatjigem  Bindegewebe  gebildet  (Pripanl 
No.  ÜTI.     Von  nrn.  jQngben  1851  exatirpirt). 

*)  Kiwiscb.  Klinische  Vorträge  aber  sp«c.  Path.  n.  Tber^iie  der  Krank- 
heilen  dea  weibiicbeü  GeschlechU.   Prag.    1863.   Tb.  11.   S.  499.    Priakel 
I.  c.  p.  30.  Fig.  3.  et  3.    C.  A.  Martin.  Gai.  hebdom.  da  mM.  et  de  cbir. 
1861.  T.  VIII.  No.  17.  p.  26i.  No.  19.  p.  293. 
••)  Larrey  I.  c  p.  127.  PL  X. 


Elephantiasis  labiornm  et  mammae.  321 

wie  das  Scrotam  beim  Manne.  Nächstdem  das  Praeputium  clito- 
ridis  and  die  ganze  Clitoris,  von  welcher  Dal  ton  angiebt  eine 
6  üozen  schwere  Geschwulst  entfernt  zu  haben.  Auch  die  innere 
BeschaiFenheit  dieser  Formen  stimmt  mit  den  skrotalen  überein; 
es  ist  ein  sehr  reichliches,  von  Flüssigkeit  durchtränktes,  massig 
gefässreiches  Bindegewebe,  welches  sich  in  immer  grösserer  Anhäu- 
fung unter  der  Haut  entwickelt.  Diese  selbst  bleibt  zuweilen  ganz 
glatt,  und  auch  der  epidermoidale  Ueberzug  zeigt  keine  andere 
Veränderung,  als  eine  dunklere,  bronzefarbene  Pigmentirung*). 
Anderemal  dagegen  nimmt  die  Haut  selbst  einen  reichlicheren 
Antheil;  ihre  Oberfläche  erhebt  sich  in  einzelne  Höcker,  diese 
besetzen  sich  wiederum  mit  vergrösserten  Papillen,  und  die 
äussere  Erscheinung  gewinnt  mehr  und  mehr  eine  oft  täuschende 
Aehnlichkeit  mit  spitzen  Condylomen  (Fig.  56).  Diese  Aehnlichkeit 
erhöht  sich  noch  dadurch,  dass  die  Geschwulst  sehr  häufig  nur  par- 
tiell hervorwächst,  und  dass  die  Basis,  mit  welcher  sie  aufsitzt,  sich 
mehr  und  mehr  verdünnt  und  am  Ende  sogar  stielförmig  wird.  Statt 
der  gewöhnlichen,  diifusen,  kaum  in  der  Gestalt  eines  Tumors 
auftretenden  Elephantiasis  findet  sich  hier  ein  scheinbar  ganz 
umgrenztes  Gewächs,  welches  im  höchsten  Maasse  allen  Erfor- 
dernissen eines  Tumors  entspricht**).  Manchmal  verlängert  und 
verdünnt  sich  der  Stiel  so  sehr,  dass  ein  förmlicher  Polyp  von  der 
Nymphe  herabhängt***).  Dieser  Umstand  erhöht  das  allgemeine 
Interesse  dieser  Form  in  hohem  Maasse.  Wir  sehen  hier,  wie  ein 
diffuser  Reizungsvorgang  in  immer  engere  Grenzen  eingeengt  und 
sein  Erzeugniss  mehr  und  mehr  den  „parasitischen^  Gewächsen 
ähnlich  wird.  Wir  gewinnen  damit  einen  Uebergang  zu  anderen 
Formen  der  Elephantiasis,  welche  meist  ihre  richtige  Stellung 
nicht  gefunden  haben,  weil  man  sie  zu  sehr  isolirt  betrachtete. 

Es  ist  endlich  zu  erwähnen,  dass  auch  an  der  weiblichen 
Brust  ähnliche  elephantiastische  Zustände  existiren.  Sie  sind 
gewöhnlich  mit  einer  Reihe  anderer  Geschwülste  unter  dem  Namen 
der  Hypertrophia  mammae  abgehandelt  worden f),  und  es  ist 


*)  Präinnit  No.672.    (Krieger.  Caspers  Wocbenschr.  1851.  No.  22.). 

**)  Vgl.  die  Abbildung  von  Martin.  Gaz.  hebd.  1861.  p.  293. 
•••)  Präparat  No.  197.  vom  Jahre  1860. 

t)  Alard  I.  c.  p.  242.  A.  Gooper.  Krankheiten  der  Brost.  Aus  dem 
Engl  Weimar.  1836.  S.  29.  Velpeau.  Trait^  des  maladies  du  sein.  1854. 
p.  232.  Veit  in  meinem  Handb.  der  spec.  Path.  n.  Tber.  Bd.  VI.  Abth.  IL 
S.  874. 

Yireiiow,  GwebvQlate.    1.  21 


322  Dreisehnte  YorieBaiig. 

iu  der  That  sehr  schwer,  ihre  Grenzen  genau  zu  ziehen.    Zunächst 
ist  zu  bemerken,  dass  es  sich  bei  ihnen  nicht  um  die  Haut  und 
das  Unterhautgewebe,  sondern  um  das  interstitielle  Bindegewebe 
der  Drüse  selbst  bandelt.     Damit  entfernt  sich  diese  Form  von 
der  gewöhnlichen  Elephantiasis,  welche  wesentlich  der  Oberfläche 
angehört,  und  es  wird  ein  weiterer  Uebergang  gewonnen  zu  ana- 
logen Erkrankungen  innerer  Organe,    welche  man  kurzweg  als 
chronische  Entzündungen  zu  bezeichnen  pflegt,  z.  B.  zu  den  ent- 
zündlichen Hyperplasien  der  Eierstöcke,  die  ebenso  gut  Elephan- 
tiasis heissen  können.    Aber  ein  gewisser  Unterschied  liegt  darin, 
dass  auch  hier  das  neugebildete,  gewöhnlich  milchweisse  Binde- 
gewebe sehr  saftreich  und  verhältnissmässig  weich  ist.    Allerdings 
kommen  auch  an  der  Brust  Formen  vor,  welche  der  harten  Ele- 
phantiasis  verwandt  sind,    wie  wir  noch  später  sehen  werden, 
aber  diese  bringen  in  der  Regel  keine  so  beträchtlichen  Vergrösse- 
rungen  mit  sich,  wie  der  in  Rede  stehende  Vorgang.    Denn  hier 
sind  Fälle  bekannt,  wo  das  Gewicht  der  Brfiste  bis  zu  60  Pfund 
betrug,  und  wo  sie  über  den  Unterleib  bis  zu  den  Knieen  herab- 
reichten. 

Manche  haben  versucht,  feinere  Unterschiede  zwischen  den 
verschiedenen  Formen  zu  machen,  und  namentlich  Birkett*) 
hat  sehr  sorgfältig  zwischen  wahrer  und  falscher  Hypertrophie 
unterschieden.  Bei  jener  sollte  das  Drüsengewebe  (die  mit  Epithel 
gefüllten  Kanäle)  mit  vergrössert  sein,  bei  dieser  nur  das  inter- 
stitielle und  umgebende  Gewebe  leiden.  Allein  es  finden  sieb 
hier  ähnliche  Differenzen,  wie  an  der  Oberfläche  in  Beziehung  auf 
das  Rete  Malpighii  und  die  Epidermis:  die  interstitielle  Eteizang 
verbindet  sich  sehr  oft  mit  epithelialer,  und  die  falsche  oder  un- 
vollständige Hyperplasie  geht  unmerklich  in  die  wahre  oder  voll- 
ständige über.  Die  ersten  Anfänge  davon  sieht  man  bei  chloro- 
tischen  Mädchen  nicht  ganz  selten;  die  höheren  Grade  finden  sich 
sowohl  neben  endemischer  Elephantiasis,  als  auch  sporadisch, 
jedoch  überwiegend  bei  jüngeren  Personen.  — 

Fast  alle  genannten  Zustände  der  Generationsorgane  unter- 
scheiden sicli  also  von  der  gewöhnlichen  Elephantiasis  der  Extre- 
mitäten,  namentlich  der  unteren,  in  der  Regel  dadurch,  dass  daü 
consiituirende  Gewebe  eine  weichere  Beschaffenheit  besitzt.    Zu- 

*)  Hirktftt.    Dideadet  of  tbe  brezdt.  1850.  p.  106,  119,  146. 


Elephantiasis  lymphorrhagica.  323 

weilen  verharrt  dasselbe  fast  ganz  in  dem  gallertartigen  Zustande, 
in  dem  Zustande  des  Erysipelas  gelatinosum,  und  es  kommt  vor, 
dass  die  Geschwülste  schon  äusserlich  ein  mehr  durchscheinendes 
Aassehen  zeigen.  Diese  Form  hat  man  in  der  neueren  Zeit 
vielfach  Collonema  genannt,  —  ein  Name,  der  zuerst  von 
Joh.  Müller*),  aber  freilich  für  eine  ganz  andere  Gruppe 
Yon  Geschwülsten,  nehmlich  für  einen  Theil  der  von  mir  als 
Myxome  bezeichneten,  aufgestellt  worden  ist.  Andere  meinen  da- 
mit eine  Bindegewebsgeschwulst,  welche  sich  dadurch  auszeichnet, 
dass  das  Bindegewebe  voll  von  albuminöser  Flüssigkeit  steckt, 
dass  also  die  Masse,  wenn  man  sie  anschneidet,  einen  reichlichen 
Saft  austreten  lässt,  der,  wenn  man  drückt,  sich  vollständig  ent- 
leert; sie  verhält  sich  also  nahezu  wie  einfach  ödematöses 
Gewebe.  Nicht  selten  kopamt  es  dabei  vor,  dass  einzelne  grös- 
sere Maschenräume  des  lockeren  Bindegewebes,  wie  Cysten,  in 
der  gallertig  aussehenden  Masse  hervortreten  und  beim  An- 
schneiden grössere  Mengen  von  Flüssigkeit  entleeren**). 

Vielleicht  hängt  dieser  Zustand  mit  der  Störung  der  Lymph- 
circnlation  zusammen.  Denn  gerade  an  derartigen  weicheren 
Elephantiasisformen  ist  eine  besondere  Eigenthümlichkeit  mehr- 
fach beobachtet  worden,  welche  mit  der  Lymphrelention  in  Zu- 
sammenhang steht,  nehmlich  ein  anhaltender  Ausfluss  lymphati- 
scher, zuweilen  chylöser  Säfte.  Gewöhnlich  erheben  sich  über 
der  Oberfläche  zunächst  Blasen,  welche  bersten  und  eine  excoriirte 
Fläche  zurücklassen,  von  der  manchmal  ganz  unglaubliche  Mengen 
von  Flüssigkeit  hervorquellen.  In  einem  Falle***)  wurden  in  einer 
Nacht  70  Unzen  Flüssigkeit  gesammelt.  Dabei  zeigt  der  ausge- 
tretene Saft  zuweilen  eine  milchige  Farbe,  und  Löwig  fand  darin 
alle  wesentlichen  Bestandtheile  der  Milch,  nehmlich  Butter,  Käse 
und  Milchzucker t).  Die  meisten  Fälle  dieser  Art,  welche  von 
Fuchs  tt)  unter  dem  Namen  der  Pachydermia  lactiflua  zu- 
sammengefasst  sind,  betreifen  die  Elephantiasis  des  Scrotums. 
Indess  hat  man  meist  übersehen,  dass  Cannobio  fff)  auch  in  der 


•)  Malier.  Archiv  f.  Anat,  Phys.  u.  wiss.  Medicin.  1836.  S.  CCXIX. 
**)  Gesammelte  Abhandlungen.    S.  463. 
•••)  Wiedel  a.  a.  0.  S.  10. 

t)  F.  Koller.Diss.iiiaug.de  lactisescroto  secretione  anomala.  Turici.1833. 
tt)  Fachs.    Die  krankhaften  Veränderungen  der  Haut.    S.  707. 
ttt)  Jonra.  de  Ghimie  et  de  Pbarmacie.  3  s^r.  T.  VIII.  p.  123.  Chemisches 
Ceatialblatt.  1846.  Na  6. 

21  • 


324  Dreizehnte  Vorlesnog. 

Flüssigkeit  aus  dem  Oberschenkel  einer  säugenden,  an  vernach- 
lässigter Phlegmatia  alba  dolens  leidenden  Frau  Butter,  Lactin, 
Casein  nachgewiesen  hat,  und  dass  Pohl  und  Höfer*)  in  den 
erweiterten  Lymphgefassen  eines  elephantiastischen  Beines  selbst 
eine  milchige  Flüssigkeit  fanden.  Mehrere  neue  Beobachtungen 
von  Carter**)  beweisen  übrigens  den  Zusammenhang  dieser  Form 
mit  Chylurie. 

Diese  Fälle  schliessen  sich  sehr  genau  an  eine  gewisse  Reihe 
von  Beobachtungen***)  über  Lymphorrhoe  an,  wobei  entweder  gar 
keine  Anschwellung  der  Haut  stattfand  oder  doch  nur  kleinere 
Geschwülste  vorhanden  waren,  wobei  aber  die  chemische  Unter- 
suchung neben  den  Albuminaten  gleichfalls  Fett  und  Zucker  als 
regelmässige  Bestandtheile  nachwies.  Seitdem  man  weiss,  dass 
Zucker  zu  den  gewöhnlichen  Vorkommnissen  in  der  Lymphe  ge- 
hört, haben  diese  Fälle  viel  von  ihrem  Auffallenden  verloren;  sie 
sind  aber  besonders  werthvoll,  weil  sie  die  lymphatische  Natur 
der  elephantiastischen  Flüssigkeit  noch  genauer  darthun. 

Bei  der  harten  Elephantiasis  sind  die  Sfifte,  welche  in  den 
Theilen  enthalten  sind  und  sich  zuweilen  auch  an  der  Oberfläche, 
namentlich  wenn  Geschwüre  vorhanden  sind,  entleeren,  noch  nicht 
in  gleicher  Weise  untersucht.  Die  oberflächlichen  Absonderungen, 
die  meist  sehr  spärlich  sind,  zersetzen  sich  sehr  schnell  und  ver- 
lieren ihre  besonderen  Qualitäten.  Unter  diesen  Verhältnissen 
scheinen  zuweilen  parasitische  Entwickelungen  in  den  Geschwüren 
vor  sich  zu  gehen.  Wenigstens  haben  wir  in  der  letzten  Zeit  aus 
Ostindien  eine  gewisse  Zahl  von  Beobachtungen  über  den  soge- 
nannten Madura-Fuss  f )  mitgetheilt  erhalten ,  bei  denen  pflanz- 
liche Parasiten  in  grosser  Zahl  in  den  Geschwuren  gefunden 
wurden.  Mir  scheint  die  ganze  AiFektion  zu  der  Elephantiasis 
ulcerosa  zu  gehören  und  die  Pilzbildung  nur  secundär  zu  sein. 
Die  chemische  Natur  der  Flüssigkeit  muss  ihre  Entwicklung  ja 
im  höchsten  Maasse  begünstigen.  — 

Es  bleibt  mir  jetzt  noch  übrig,  eine  gewisse  Gruppe  von 
Fällen  zu  besprechen,  welche  ich  kein  Bedenken  trage,  der  Ele- 


♦)  Höfer  1.  c.  p.  37. 

♦*)  Carter.  Med.  chir.  Transact.  1862.  Vol.  XLV.  p.  189.  PI.  Ilf. 
***)  Vgl.  die  Zusammenstellung   von  Lebert    in   meiDem  Handbuch  der 
spec.  Path.  u.  Ther.  Bd.  V.  Abth.  II.  S.  134. 

t)  Vgl.  die  Zusammenstellung  von  A.  Hirsch  in  meinem  Archiv.  1863. 
Bd.  XXV U.  S.98.  Carter.  Brit  and for.  med. chir.  Review.  186S.  J«lj.  p.1«. 


Molluscum.  325 

phantiasis  Arabum  anzureihen,  obwohl  sie  von  den  erfahrensten 
Beobachtern  bald  in  diese,  bald  in  jene  Kategorie  herüberge- 
zogen sind.  Ich  rechne  dahin  zunächst  eine  Reihe  von  Er- 
krankungen, welche  selbst  von  solchen  Beobachtern,  die  in 
Aussatzgegenden  gelebt  haben,  zu  der  Elephantiasis  Graecorum 
(Lepra  Arabum)  gezählt  worden  sind*).  Ferner  zähle  ich  da- 
hin den  schon  früher  (S.  222)  erwähnten  Fall  von  Tilesius**), 
welcher  von  vielen  neueren  Autoren  als  Molluscum  contagiosum 
gedeutet  wird.  Endlich  ist  unzweifelhaft  eine  gewisse  Zahl  von 
Fällen  des  Steatoms,  der  Speckgeschwulst***)  dieser  Gruppe 
beizufügen. 

Die  hier  in  Betracht  kommenden  Fälle  haben  das  Eigen- 
thümliche,  dass  in  der  Regel  eine  viel  grössere  Körperregion,  zu- 
weilen sogar  der  ganze  Körper  befallen  wird  dass  femer  die 
entstehenden  Geschwülste  vielfach,  ja  häufig  so  vielfach  sind, 
dass  daraus  das  Vorurtheil  einer  besonderen  Dyskrasie  hervorgeht, 
und  endlich  dass  sie  ganz  überwiegend  häufig  am  Rumpf  und  Ge- 
sicht vorkommen,  also  an  Stellen,  wo  die  gewöhnliche  Elephan- 
tiasis sehr  selten  ist.  Dabei  gehören  sie  fast  ohne  Ausnahme  der 
weichen  Art  an,  bestehen  überwiegend  aus  einer  fortschreitenden 
Hyperplasie  des  ünterhautgewebes,  erreichen  eine  colossale  Grösse, 
bis  zu  40  Pfund  und  darüber,  und  sind  an  ihrer  Oberfläche  meist 
glatt,  zuweilen  aber  auch  mit  zahlreichen  Secundärknoten  besetzt. 
Sie  haben  daher  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  den  elephantias ti- 
schen Scrotalgeschwülsten. 

Ein  ausgezeichneter  Fall  dieser  Artf)  gab  mir  Gelegenheit, 
die  Einzelnheiten  genau  zu  verfolgen.  Eine  47jährige  Frau  trug 
auf  ihrem  ganzen  Körper  zerstreut  eine  grosse  Masse  kleinerer 
und  grösserer  Gewächse,  welche  sich  seit  Jahren  langsam  ent- 
wickelt hatten.  Viele  von  ihnen  waren  ganz  klein,  erbsen-  bis 
kirschkemgross,  rund  und  von  glatter  Haut  bedeckt;  andere  waren 
grösser,  wallnussgross  und  darüber,   übrigens  von  gleicher  Be- 


*)  Hey  mann.    Ein  Fall  von  Lepra  tuberculosa  s.  nodosa.  Mein  Archiv. 
1859.  Bd.  XVI.  S.  176.  Taf  VII. 

*^)  (Tilesins)  Historia  pathologica  singularis  cutis  turpitudinis.  Praef. 
Chr.  Frid.  Ludwig.  Lips.  1793.  p.  10. 

***)  J.  P.  Weidmann.    Annotatio  de  steatomatibus.    Maguntiaci.    1817. 
Tab.  f.,  III.  et  IV.    Cerutti.  Pathologisch -anatomisches  Museam.    Leipzig. 
1823.  Jahrg.  I.  Heft  4.  S.  33.  Taf.  XX.— XXIII. 
t)  Vgl  das  Titelkupfer  dieses  Bandes. 


326  Dreizelmte  VorlesoDg. 

BchaflTeDheit.  Das  grOsHte  sass  links  in  der  nnteren  Rippengegend 
mit  breiter  Basis  auf;  es  hatte  48  Zoll  im  Ümfadfc  und  erstreckte 
sich  von  der  Linea  alba  bis  etwa  2  Zoll  vom  Rückgraht.  Es  hing 
von  da  tief  nach  unten  über  die  Höfte  herab.  An  seiner  Ober- 
fläche nn'l  in  seinem  Umfange  trug  es  mehrere  kleine  SecundSr- 
knoten:  im  Ganzen  war  die  es  bedeckende  Haut  aber  glatt  und 
verh&ttnjssmässig  dünn.  Dabei  fühlte  e;^  sich  weich,  fast  flnktn- 
irend  an.  Nachdem  es  (von  Herrn  Kreisphysikus  Dr.  Heyland 
in  Guben)  exstirpirt  war,  wog  es  3'1\  Pfund.  Neun  Jahre  früher 
war  es  Kindskopfgross  gewesen. 

Die  Untersuchung  ergab  auch  hier  wieder  ein  sehr  saftreiches, 
im  Allgemeinen  nur  wenig  gefössreiches ,  lockeres  Bindegewebe, 
welches  hauptsächlich  die  Region  des  alten  Pannicnlus  adiposas 
einnahm.  Aus  ihm  Hess  sich  eine  grosse  Menge  gelblicher,  eiweiss- 
reicher  Flüssigkeit  mit  Leich- 
^*'-  ■"  tigkeit  ausdrficken.     Das  Ge- 

webe selbst  seigte  schon  för 
das  blosse  Auge  eine  gewisse 
Ungleichmässigkeit.  Derbere, 
weissliche  Züge,  in  welchen 
etwas  grössere  Gefasse  verlie- 
fen ,  umschrieben  gr<}sspre 
Räume  (Areolen),  welche  ih- 
rerseits wieder  von  einem  fein- 
maschigen Fasemetz  dnrchto- 
gen  waren  und,  von  demselben  umschlossen,  den  ausdrflckbaren  Saft 
enthielten  Bei  einer  schwachen  Vei^rßsserung  zeigte  sich  diese  An- 
ordnung überaus  deutlich  (Fig  57.).  Die  feineren  Fasemetze  gingen 
mit  breiteren  Ansätzen  aus  den  dichteren  und  breiteren  Faserzügen 
der  Umgebung  hervor,  und  es  entstand  so  eine  Art  von  lappiger 
Anordnung,  welche  auf  die  Entstehung  dieser  Maschen  ans  den 
früheren  Fettlappen  hinwies.  Bei  stärkerer  Vei^rösserang  fand  sirh 
nur  Bindegewebe  mit  beträchtlich  gewachsenen  Kfirperehen  vor. 


Fig,  51.  Fibroma  moltusuiim.  Von  dem  auf  dem  Titelkupfer  ab- 
gebildeten Falle-,  ein  bei  ^Ofacher  VeTgrCssernog  eezeichnfter  DarcbscbDitt 
aus  der  iDoereo  Suträlaoz  der  grossen,  h So gea den  Geschwulst.  a,a  grOsserc 
Balken  mit  GeHseen;  dazwischen  dae  naschige  Fisemeti  von  bald  dkhterffl 
und  breiteren,  bald  feineren  und  weiteren  Balken.  (Prlparat  No.  33.  tob 
Jahre  1862). 


Fibroma  moUascam.  327 

Die  kleineren  Knoten  der  Oberfläche  ergaben  sich  bei  Ein- 
schnitten als  ganz  unabhängige,  mit  den  grossen  Gewächsen  in 
gar  keinem  Zusammenhange  stehende  Gebilde.  Sie  lagen  theils 
in  der  Tiefe,  zum  grossen  Theil  aber  ganz  oberflächlich  in  der 
Cutis    selbst.     Manche   gingen   oflenbar  „.    ^^ 

von  der  äussersten  Schicht  der  Cutis  aus, 
denn  sie  berührten  beinahe  das  übrigens 
unveränderte  Rete  Malpighii,  während 
sie   von   dem  ünterhautfettgewebe  noch  _ 

durch  ^ine  gewisse  Derma-Lage  getrennt  ^        '     "^" 

waren  (Fig.  58).  Sie  hatten  frisch  ein  blassgelbröthliches,  wei- 
ches und  feuchtes  Ansehen;  das  Mikroskop  zeigte  darin  ein  zellen- 
reiches,   in  voller  Wucherung  begriffenes  Granulationsgewebe. 

Vergleicht  man  diese  Bildung  mit  der  Elephantiasis  der  Ge- 
nitalien, so  leuchtet  die  Analogie  ein,  nur  stimmt  der  in  der 
Regel  ganz  fieber-  und  entzündungsfreie  Verlauf  nicht.  Denn  die 
Entwickelung  erfolgt  meist  ganz  langsam  und  unmerklich.  Trotz- 
dem lässt  sich  eine  Grenze  nicht  ziehen,  da  auch  die  Elephan- 
tiasis vulvae  nicht  selten  in  ähnlicher  Weise  verläuft.  Nichts- 
destoweniger habe  ich  nichts  dagegen  einzuwenden,  wenn  man 
diese  Form  abtrennen  will;  der  passende  Name  würde  dann 
Fibroma  moUuscum  sein. 

Zu  dieser  Varietät  gehört  eine  der  interessantesten  und  mit 
am  meisten  discutirten  Erscheinungen,  nehmlich  die  schon  von 
Galenus  undAretaeus  erwähnte  Leontiasis.  Ich  will  damit 
nicht  sagen,  dass  es  nicht  auch  eine  Aussatzform  gebe,  welche 
in  der  Erscheinung  der  Leontiasis  auftreten  könne;  im  Gegen- 
theil,  ich  habe  sie  in  Norwegen  oft  genug  gesehen.  Aber  gerade 
die  grösste  Difibrmität,  und  zwar  in  der  Regel  ohne  Ulceration, 
gehört  dem  Fibroma  molluscum  oder  der  Elephantiasis  moUusca 
an.  Mit  Recht  hat  Alard*)  daher  die  natürliche  Zusammen- 
gehörigkeit wieder  hergestellt.  Pruner**)  schildert  einen  sol- 
chen Fall  aus  Aegypten,  und  die  Präparate  von  einem  anderen 


Fig.  58.  Fibroma  molluscum.  Zwei  accessorische  Hautknoteo,  io- 
mitten  der  Cutis  entwickelt.  Natftrliche  Grösse.  Von  demselben  Fall 
vie  Flg.  67. 

•)  AUrd  1.  c  p.  242.  PL  1. 
♦♦)  Pruoer  a.  a.  0.  S.  333.  Fig.  III. 


328  Dreizehnte  Yorlesong. 

finden  sich  in  der  Würzburger  Sammlung  *);  Kjernlf  hat  sie 
neuerlich  untersucht  und  beschrieben**).  Hier  bestand  neben 
zahlreichen  kleineren  Knoten  ein  speckiger  Answochs  der  Wange 
von  solcher  Grösse,  dass  er  durch  seinen  Druck  die  eine  ünter- 
kieferhälfte  ganz  atrophirt  hatte.  — 

Bevor  wir  aber  die  warzigen  und  knotigen  Fibromfonnen, 
zu  welchen  diese  Mollusken  einen  natürlichen  Uebergang  bilden, 
weiter  verfolgen,  wird  es  gerathen  sein,  noch  einige  mehr  difiuse 
Formen  zu  besprechen,  welche  der  Elephantiasis  näher  stehen. 
Unter  den  davon  befallenen  äusseren  Organen  ist  fär  chirurgische 
Zwecke  keines  so  wichtig,  wie  die  weibliche  Brust  Es  giebt 
ein  Fibroma  mammae  diffusum,  oder,  man  kann  auch  wohl 
sagen,  eine  Elephantiasis  mammae  dura,  oder,  endlich,  wie 
die  älteren  Chirurgen  sagten,  eine  Induratio  benigna,  Reiche 
in  dem  interstitiellen  Gewebe  der  Brust  sich  entwickelt,  und 
welche  sich  von  der  Elephantiasis  mollusca  dadurch  unterscheidet, 
dass  sie  ein  derbes,  zur  Retraction  geneigtes  und  die  Drüsen- 
structur  mehr  und  mehr  vernichtendes  Gebilde  darstellt  In  der 
Regel  beginnt  der  Process  unter  entzündlichen  Erscheinungen, 
namentlich  unter  einer  schmerzhaften  Anschwellung.  Dieselbe 
kann  sehr  lange  Zeit  fortbestehen,  und  dabei  Perioden  der  Recni- 
descenz  und  der  Ruhe  haben,  bis  allmählich  eine  immer  derbere 
und  dickere  Masse  entsteht.  Im  Grunde  ist  das  derselbe  Process, 
den  wir  in  den  Lungen,  in  der  Leber,  in  den  Nieren  unter  dem 
Namen  der  interstitiellen  Entzündung  kennen;  aber  wenn  die  Brust 
davon  befallen  wird  und  ein  harter  Knoten  sich  ausbildet,  so  macht 
das  den  Eindruck  eines  selbständigen  Tumors.  Nicht  wenige 
Knoten  der  Art  werden  als  scirrhöse  betrachtet  und  mit  grossem 
Glück  exstirpirt,  so  dass  man  allerdings,  wie  Rust***)  sehr  richtig 
bemerkt  hat,  aus  dem  Resultat  sehr  oft  schliessen  kann,  dass  das 
Exstirpirte  kein  Krebs,  sondern  eine  gutartige  Verhärtung  war. 
Man  muss  indess  bedenken,  dass  die  anhaltende  Schmerzhaftigkeit, 

^)  A.  K.  Hcsselbach.  Beschreibung  der  pathologischen  Pripante, 
welche  in  der  KOnigl.  anatomischen  Anstalt  zu  WQrzburg  aufbewahrt  wer- 
den.   Giessen.  1824.  S.  4,  309,  405. 

♦♦)  Kjerulf.     Mein  Archiv.    V.    S.  25. 

**^)  J.  N.  Rust  Aufsätze  und  Abhandlungen  ans  dem  Gebiete  der  Ne- 
dicin,  Chirurgie  und  Staatsarzneikunde.  Berlin.  1886.  Bd.  IL  S.  447.  vgl 
Bd.  1.  S.  281. 


Fibroma  mammae.  329 

welche  durch  kein  äusseres  Mittel  zu  besänftigen  ist,  die  Indi- 
viduen ängstlich  und  es  in  der  That  für  sie  äusserst  wünschens- 
wertb  macht,  die  Exstirpation  vorgenommen  zu  sehen. 

Manchmal  schrumpft  dieses  Gewebe,  wenn  es  eine  gewisse 
Zeit  lang  bestanden  hat,  in  einer  ähnlichen  Weise  zusammen, 
verdichtet  und  retrahirt  sich,  wie  das  bei  inneren  Organen  der 
Fall  ist.  Wie  man  den  zuerst  auf  die  Leber  angewendeten  Aus- 
druck der  Girrhose  später  auf  andere  Organe  übertragen  hat, 
z.  B.  auf  die  Lungen,  so  hat  Wem  her*)  diesen  Namen  auch 
für  die  Mamma  vorgeschlagen.  Ich  halte  denselben  nicht  für 
glücklich  gewählt,  weil  Girrhosis  einen  gelben  Zustand  (Status 
flavus)  bedeutet,  wovon  hier  gar  nicht  die  Rede  sein  kann;  so- 
dann weil  auch  der  granuläre  Zustand,  den  wir  in  neuerer 
Zeit  an  der  Leber  mit  diesem  Namen  bezeichnen,  in  der 
Brust  gewöhnlich  nicht  vorhanden  ist,  indem  entweder  die  ganze 
Brust  einen  einzigen  grossen  Knoten  bildet,  oder  einzelne  Theile  in 
besondere,  meist  kugelige  Knoten  umgewandelt  werden.  Ich  be- 
merke übrigens,  dass  diese  Form  insofern  noch  ein  besonderes 
Interesse  hat,  als  es  manchmal  kaum  möglich  ist,  zu  entscheiden, 
ob  das,  was  man  vor  sich  hat,  ein  ursprüngliches  Fibrom  oder 
ein  rückgängiger  Krebs,  ein  Garcinoma  regressivum  ist,  bei 
welchem  solche  Verdichtungen  ebenfalls  vorkommen**).  Gru- 
veilhier***),  welcher  die  Möglichkeit  einer  Verwechselung  voll- 
kommen anerkennt,  glaubt  doch,  dass  durch  das  Ausdrücken  von 
Krebssaft  sich  jedesmal  die  anatomische  Diagnose  leicht  herstellen 
lasse.  Ich  kann  dies  nicht  anerkennen.  Auch  bei  den  blossen 
Fibromen  lässt  sich  zuweilen  ein  zelliger  Saft  ausdrücken,  indem 
die  noch  vorhandenen,  manchmal  sogar  hyperplastischen  Drüsen- 
säckchen  ihr  Epithel  und  etwas  flüssigen  Inhalt  über  die  Schnitt- 
fläche ergiessen.  Selbst  die  mikroskopische  Untersuchung  dieses 
Saftes  genügt  nicht  immer,  da  auch  die  Krebszellen  einen  ganz 
epithelialen  Bau  haben  können;  nur  die' Verfolgung  der  Drüsen- 
eackchen  im  Zusammenhange  mit  den  Milchgängen  oder  der  Nach- 
weis abgeschlossener  Areolen  mit  zelligem  Inhalt  entscheiden.  In- 
dess  kann  ich  hinzufügen,  dass  bei  dem  atrophischen  Krebs  in 


•)  Zeitschrift  für  rationelle  Medicin.  1851.  Bd.  X.  S.  153.  Taf.  IV.  1854. 
Neue  Folge  Bd.  V.  S.  29.  Taf.  1.— III. 


••)  Mein  Archiv.    I.  S.  187,  190.  Taf.  I.  Fig.  V.  u.  VI. 
^*)  Gr  o  Teil  hier.    Traite  d'anat.  path.  gÖDÖr.    T. 


UI.    p.  605. 


330  Dreizehnte  YorlesoDg. 

der  Regel  die  nächsten  Lymphdrüsen  und  andere  Nachbartheile 
die  besten  Anhaltspunkte  für  die  Diagnose  darbieten. 

Im  Verlaufe  dieser  Geschwülste  muss  man  zwei  Stadien  wohl 
auseinanderhalten.  In  dem  ersten,  eigentlich  entzündlichen  Sta- 
dium ist  neben  dem  wuchernden  Bindegewebe  die  eigentliche 
Drüsensubstanz  (Milchkanäle  und  Terminalbläschen  mit  Epithel) 
nicht  blos  vollständig  vorhanden,  sondern  zuweilen  sogar  in  ver- 
grössertem  Maasse,  indem  namentlich  das  Epithel  reichlicher  wird. 
In  dem  zweiten*  Stadium  retrahirt  sich  das  Bindegewebe  und  in 
demselben  Maasse  leidet  die  Drüsensubstanz.  Zuweilen  bilden 
sich  dabei  partielle  Ektasien  der  Milchkanäle  (S.  284),  und  es 
entstehen  allerlei  cystische  Einsprengungen.  Sehr  häufig  aber 
atrophirt  das  Drüsenepithel  oder  geht  fettige  (milchige)  Meta- 
morphosen ein,  um  später  zu  zerfallen  und  resorbirt  zu  werden. 
Dann  verschwinden  allmählich  die  Terminalbläschen  und  die  fei- 
neren Milchkanäle,  und  es  bleiben  nur  die  grösseren  Milchgänge 
und  Sinus,  jedoch  oft  auch  in  einem  comprimirten  und  ge- 
schrumpften Zustande  übrig.  Sowohl  durch  die  Retraction  des 
interstitiellen  Gewebes,  als  durch  die  Atrophie  der  Drüsensub- 
stanz  verkleinert  sich  die  Geschwulst,  die  Warze  zieht  sich  ein, 
un<l  die  ganze  Drüse  kann  endlich  kleiner  werden,  als  sie  im 
normalen  Zustande  war,  so  dass  man  genau  genommen  eher  von 
einer  Atrophie,  als  von  einer  Geschwulst  sprechen  sollte. 

Ausser  der  diffusen  Fibrombildung  oder,  wie  Velpeau*) 
sagt,  Induration  chronique  en  masse  giebt  es  nicht  ganz  selten 
eine  partielle,  welche  in  einzelnen  Theilen  der  Drüse,  besonders 
gegen  ihren  Umfang,  besondere,  harte,  knotige  Geschwülste  her- 
vorbringt. Sie  sind  zuweilen  solitär,  zuweilen  multipel,  sehr  häutig 
schmerzhaft,  meist  beweglich,  und  erregen  um  so  leichter  den 
Venlacht  eines  krebsigen  Ursprunges,  als  sie  nach  der  Exstirpa- 
tion  wiederkehren  können.  Es  ist  namentlich  das  Verdienst 
Cruveilhier's  **),  der  ihnen  den  Namen  der  Corps  fibreux  bei- 
gelegt hat,  und  der  sie  mit  den  Uterusfibroiden  vergleicht,  sie 
bestimmt  unterschieden  zu  haben.  Später  hat  man  sie  mit  den  par- 
tiellen Hyperplasien  der  Brustdrüse,  den  Adenoiden  Yelpeao'^ 


•"^  Velpeau.  I.  c.  p.  25;\ 
**'  BuUetin  de  lAcad  de  med.  Farid.  Ib44.  T.  Ui.  p.  390. 


Fibroma  mammae.  331 

znsamm eDgeworfen.  Allein  mit  Recht  besteht  Cruveilhier*) 
noch  jetzt  darauf,  sie  als  etwas  besonderes  aufrecht  zu  erhalten. 
Er  gesteht  zu,  dass  sie  namentlich  in  der  ersten  Periode  ihres 
Bestehens  regelmässig  Drusengewebe  enthalten,  und  dass  sich 
Theile  desselben  sehr  lange  erhalten  können,  aber  dieses  Gewebe 
bildet  nicht  den  Hauptantheil  und  noch  weniger  den  bestimmenden, 
den  gleichsam  activen  Antheil  der  Geschwulst.  Freilich  ist  der 
verdiente  Forscher  andererseits  zu  weit  gegangen,  indem  er  nicht 
nur  die  partiellen  Hyperplasien  (Hypertrophien)  in  den  Hinter- 
grund gedrSngt  hat,  sondern  auch  Formen,  welche  der  cystoiden 
Degeneration,  dem  Myxom  und  dem  Colloidkrebs  angehören,  mit 
ihnen  zusammengeworfen  Int.  Allein  die  Thatsache  bleibt  doch 
bestehen,  dass  es  Geschwülste  in  der  Milchdrüse  giebt,  welche 
überwiegend  aus  hartem,  zuweilen  knorpelartigem  Bindegewebe  be- 
stehen und  durch  seine  Zunahme  wachsen,  dass  diese  Geschwülste 
ohne  Gefahr  Decennien,  ja  das  ganze  Leben  hindurch  getragen 
werden  können,  und  dass,  wenn  sie  nach  der  Exstirpatiou  wieder- 
kehren, dies  mehr  ihrer  Multiplicität,  als  ihrer  Reproduction  zu- 
zuschreiben ist. 

Offenbar  handelt  es  sich  dabei  ursprünglich  um  eine  Mastitis 
interstitialis,  welche  einzelne  Lappen  oder  Läppchen  der  Drüse 
betrifft  (Fig.  50,  b)  und  den  Kanälen  und  Bläschen  derselben  folgt. 
Sie  hat  deshalb  selbst  eine  lappige  Form  und  besitzt  gewisser- 
maassen  einen  Stiel.  Zu  der  diffusen  Form  verhält  sie  sich,  wie 
sich  die  Elephantiasis  tuberosa  zu  der  Elephantiasis  laevis  s. 
diffusa  verhält,  und  es  ist  gerade  in  Beziehung  auf  diese  Ver- 
gleichung  nicht  ohne  Interesse,  dass,  wie  wir  bald  sehen  werden, 
auch  eine  der  Elephantiasis  papillaris  analoge  Form  vorkommt. 
Ist  dieses  Fibroma  mammae  tuberosum  s.  lobulare  ganz 
beschränkt,  so  sind  die  Knoten  natürlich  leicht  beweglich,  und 
sie  hängen  nur  an  dem  Theil  der  Drüse  fest  an,  wo-  die  aus 
ihnen  hervortretenden  Milchgänge  sich  zu  den  grösseren  Stämmen 
begeben.  Ist  es  dagegen  mit  einer  diffusen  Fibrombildung  gerin- 
geren Grades  combinirt,  gleichsam  eine  blosse  Theilerscheinung 
davon,  so  adhärirt  es  seinen  Umgebungen  inniger,  ist  fixirt  und 
erscheint    dann    besonders    leicht    als   ein    verdächtiger   Skirrh. 


•)  Cruveilhier.    Traite  d'anat.  path.  gener.  T.  111.  p.  «8,  715.    Atlas 
iinat  path.  Livr.  XXVI.  Fl.  1.     Vgl.  Billroth.  Mein  Archiv.  XVIIl.  S.  56. 


332  DreizehBle  Voricang. 

Auch  diese  Formen  sind  einer  ähnlichen,  wenngleich  nicht  so  be- 
trächtlichen Schrampfiing  und  Rückbildiuig  fiüiig,  wie  das  difiiise 
Fibrom,  nnd  sie  erreichen  schliesslich  eine  fast  steinerne  Härte, 
indem  nicht  nur  ihr  Gewebe  einen  dichten,  sehnigen  Filz  dar- 
stellt, sondern  aoch  wirkliche  Verkalkungen  in  ihrem  Innern  vor 
sich  geben. 

Aehnliche  Processe  kommen  aoch  an  der  männlichen 
Brost  vor,  nur  sind  sie  fsCBi  nie  tuberös,  sondern  über  das  ganze 
Organ  ausgebreitet.  Geringere  Grade  davon  finden  sich,  wenn  man 
einigermassen  darauf  achtet,  namentlich  bei  jugendlichen  Individuen 
nicht  selten*).  Zu  einer  bedeutenden  Grösse  wachsen  sie  aller- 
dings, wie  es  wenigstens  nach  dem  Schweigen  der  meisten 
Schriftsteller  scheint,  ziemlich  selten  an.  Nur  Cruveilhier  erwähnt 
den  Fall  eines  2  5  jährigen  Mannes,  dessen  rechte  Brust  das  mitt- 
lere Maass  einer  weiblichen  Milchdrüse  erreichte.  Yelpeau 
schildert  diese  Form  als  sehr  gleichgültig  und  leicht  durch  Be- 
handlung zu  beseitigen.  Ich  erkenne  dies  für  die  Mehrzahl  der 
Fälle  an,  aber  ich  habe  selbst  einmal  bei  einem  18jährigen  Men- 
schen die  Brust  amputiren  müssen,  nachdem  er  Monate  lang  ver- 
geblich allen  möglichen  antiphlogistischen  und  derivatorischen 
Behandlungen  unterwarfen  gewesen  war,  und  die  grosse  Schmerz- 
haftigkeit  der  Geschwulst  sich  in  keiner  Weise  änderte.  Die 
Brust  hatte  Durchmesser  von  2^  Zoll  und  bestand  überall  aas 
dem  dichtesten,  ganz  weissen  Bindegewebe**). 

An  die  Betrachtung  der  Brustfibrome  Hesse  sich  eine  ähn- 
liche Darstellung  fibröser  Hyperplasien  des  Eierstockes  an- 
knüpfen. An  demselben  giebt  es  ebenfalls  einen  Zustand,  den 
man  als  Cirrhosc  oder  Granulardegeneration  bezeichnen  kann; 
es  giebt  eine  allgemeine  interstitielle  Hyperplasie,  und  es  kom- 
men Corpora  fibrosa  vor,  indem  die  Wand  der  Graafschen  Fol- 
likel sich  mehr  und  mehr  verdickt  und  verdichtet***).  Allein  alle 
diese  Zustände  rechnet  man  gewöhnlich  zu  der  chronischen  Oopho- 
ritis und  nicht  zu  den  Tumoren. 

Wie  sehr  aber  solche  Formen  den  Uebergang  zu  eigentlichen 


*)  Yelpeau  1.  c.  p.  708.  Cruveilhier.  I.  c.  T.  III.  p.*54.  Berthe- 
rand.  Ann.  med.  de  U  FUndre  occid.  1856.  (Canst  Jahresber.  für  1^7- 
Bd.  IV.  S.  309). 

^•)  PriiMmt  No.  135.  Tom  Jahre  1860. 
*^*)  Wieaer  med.  WocheDechria.  1856.  Nc  12.  S.  182,  183. 


Fibrome  der  Niere. 


tuberftseo  Geschwalsteo  bilden  kßnnen,  dafür  haben  wir  ein  be- 
sonders günstiges  Beispiel  an  einem  inneren  Organ,  wo  die  Com- 
plicatioQ  des  mehr  difTusen  Processes  mit  dem  mebr  tuberösen 
in  der  allerklarsten  Weise  beobachtet  werden  kann;  das  ist  die 
Niere.  Es  giebt  eine  interstitielle  Nephritis,  die  gewöhnliche, 
welche  sich  über  mehr  oder  weniger  grosse  Theile  des  Organs 
diflfus  verbreitet.  Es  giebt  aber  auch  eine  Nephritis  intersti- 
tialis  tuberosa,  welche  sich  blos  auf  kleine  Bezirke  beschi^nkt 
und  iü  diesen  tibröse  Geschwülste  erzeugt,  welche  durch  fort- 
schreitende Hyperplasie  des  interstitiellen  Gewebes  mit  allmäh- 
licher Atrophirung  der  in  diesen  Theilen  enthaltenen  Harakanäl- 
chen  sich  entwickeln.  Betrachtet 
man  den  mikroskopischen  Durch 
schnitt  eines  solchen  Knotens 
in  der  Richtung  vom  Rande  ge- 
gen das  Centrun),  so  kann  man 
sehr  deutlich  sehen,  wie  die 
Harnkanäleben,  die  am  Umfange 
noch  gross  sind,  während  das 
Zwischengewebe  schon  erheblich 
verdickt  ist,  allmählich  kleiner 
und  kleiner  werden,  ihre  Epithel 
verlieren  und  zuletzt  vollständig 
verschwinden.  Sie  verbalten  sich 
also  ganz  ebenso  wie  die  Fibrome 
der  Brust,  nur  erreichen  sie 
selten  eine  beträchtliche  GrOsse 
Meist  überschreiten  sie  nicht  den 
Umgang  einer  Erbse  oder  eines 
KirachkemB,  und  wenn  man  sie 
sie  leicht  mit  Tuberkeln  verwechseln.  Man  findet  sie  gewöhnlich 
mitten  in  der  Niere,  und  zwar  am  häufigsten  in  den  Goni  medul- 
läres gegen  ihre  äussere  Grenze  hin,  wo  sie  als  ganz  isolirte, 
harte,  grauweisse,  etwas  durchscheinende  Knoten  hervortreten*). 


nicht  genau  ansielit,  so  mag  man 


Fie.  69.    Fibrome  der  Nieren 
pmt  No.  37».  Tom  Jahre  1861). 


bei  diffuser  interstitieller  Nephritia.  (Pr&- 


*)  Rftrer.  Trait^  des  mal'adiea  des  reios.  Paria.  1841.  T.  Itl.  p.  606. 
Atlas  PI.  XXXTI.  flg.  5.  A.  Beer.  Die  BindesubaUoE  der  menscnlicbeo 
Niere  im  geannden  und  kraakbafteii  Zustaade.  Berlio.  1S59.  S..  43. 


334  Dreiiehote  YorlegoDg. 

Häufig  erscheint  die  übrige  Nierensabstanz  ganz  uDverändert; 
aaderemal  findet  sieh  eine  Hasse  solcher  Knoten  inmitten  einer 
über  das  ganze  Organ  verbreiteten  diffusen  interstitiellen  Nephritis. 
Trotz  ihres  oft  isolirten  Vorkommens  ist  man  gewiss  be- 
rechtigt, diese  Knoten  auch  für  uephritische  Bildungen  zu 
halten;  sie  sind  nichts  weiter  als  ein  Excess  der  interstistielleu 
Bindegewebswucherung ,  welche  in  der  ganzen  Niere  vor  sich 
gehen  kann.  Indem  aber  dieser  Excess  stattfindet,  so  geht  das 
eigentliche  Nierenparenchym  zu  Grunde,  und  es  bleibt  nichts 
anderes  übrig,  als  die  fibröse  Neubildung.  Dann  haben  wir  eine 
ganz  unzweifelhafte  Geschwulst  vor  uns,  aber  eine  entzündliche 
Geschwulst.  — 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  papillären,  warzigen  oder 
zottigen  Fibromen,  so  finden  wir  sie  hauptsächlich  an  der  Ober- 
fläche häutiger  Theile,  namentlich  solcher,  welche  schon  im  nor- 
malen Zustande  Papillen  oder  Zotten  tragen.  Allein  die  Papillar- 
bildung  ist  nicht  etwa  blos  eine  Hypertrophie,  wie  man  gewöhn- 
lich sagt,  oder  ein  Excess  der  normalen  Papillenbildung,  so  etwa 
dass  jedesmal  die  pathologische  Papille  aus  einer  präexistirendeu 
physiologischen  hervorgegangen  wäre,  sondern  jede  Oberfläche 
kann  auch  unabhängig  für  sich  Papillen  hervorbringen,  sogar 
an  Orten,  wo  vorher  keine  Papillen  existirten*).  Es  kommt  daher 
au  sich  sehr  wenig  darauf  an,  was  für  eine  Oberfläche  man  ur- 
sprünglich hat,  und  ich  glaube,  es  ist  in  dieser  Beziehung  von 
keiner  Bedeutung,  wenn  man  sich  bemüht,  an  allen  Stellen,  ^o 
krankhafter  Weise  Papillen  vorkommen,  auch  normale  Papillen 
oder  Zotten  zu  finden.  So  meint  Luschka**),  die  Arachnoideft 
des  Gehirns  wäre  rogelniässig  an  gewissen  Stellen  der  Oberfläche 
mit  kleinen  Zotten  besetzt.  Andere  haben  an  allen  möglicbeo 
Schleim-  und  serösen  Häuten  Papillen  gesucht  Darauf  kommt 
in  der  That  nichts  an,  denn  es  entstehen  sicherlich  Papillen  an 
Orten ,  wo  normal  absolut  keine  vorhanden  sind.     Wir  haben  ja 


*)  Man  sehe  meine  Bemerkungen  gegen  Rokitansky  in  Cau^tattV 
Jahrebbericht  für  1Ö52.  Bd.  IV.  S.  304.  Vgl.  Bruch.  Arthiv.  für  phvsiol. 
Heilk.  1855.  XIV.  S.  103. 

♦*)  Luschka.  Müller'»  Archiv.  1852.  S.  101.  Taf.  IV.  Mein  Anbir. 
im).  Bd.  XVllI.  S.  160.  Die  Adergeflechte  des  menschl.  Gehirns,  fierlifi. 
1865.  S.  66. 


PapilUlre  Fibrome.  335 

gesdien  (S.  162,  208),  dass  selbst  neagebildete  oder  iu  den  ver- 
schiedenen Formen  der  cystischen  Bildung  erst  sich  ausweitende 
Höhlen  an  ihrer  inneren  Oberfläche  warzige  Auswüchse,  Papillen 
hervorbringen;  und  wenngleich  nicht  bezweifelt  werden  kann,  dass 
eine  Haut,  welche  normal  Papillen  oder  Zotten  besitzt,  einen 
günstigeren  Boden  für  die  Papillarhyperplasie  abgiebt,  so  wäre 
es  doch  nicht  richtig,  wenn  man  glauben  wollte,  dass  alle 
solche  Häute  der  häutigste  Sitz  derartiger  Processe  wären.  Die 
Darmschleimhaut  hat  eine  Masse  von  Zotten,  und  trotzdem  kom- 
men derartige  Processe  äusserst  selten  an  ihr  in  solcher  Ausdehnung 
vor,  dass  Geschwülste  dadurch  gebildet  werden.  Die  Schleimhaut 
der  Harnblase,  der  Gallenblase,  die  Synovialhäute  sind  nur  wenig 
mit  Papillen  besetzt,  und  trotzdem  werden  sie  die  allerwichtigsten 
Bildungsstätten  für  solche  Excrescenzen.  Man  muss  also  wohl  im 
Auge  behalten,  dass  Warzen  an  jeder  beliebigen  Oberfläche,  mag 
sie  eine  alte  oder  neue  sein,  entstehen  können,  wenn  die  Haut  nur 
bindegewebiger  Natur  ist;  ja  selbst  diese  Beschränkung  ist  mit 
einer  gewissen  Vorsicht  auszusprechen,  da  es  knorpelige  Warzen 
giebt,  die  an  Knorpelflächen  hervorwachsen. 

Das  Wesentliche  bei  der  Papillarbildung  bleibt,  dass  das  ober- 
flächliche Gewebe  durch  Wucherung*)  irgendwie  eine  Masse  er- 
zeugt, die  in  der  Regel  zuerst  als  ein  kleiner,  rundlicher  Knopf, 
oder  als  eine  kleine,  flache  Erhebung  an  der  Oberfläche  hervortritt. 
Wie  ich  schon  vor  längerer  Zeit  nach  Untersuchungen  an  der  äusse- 
ren Haut  und  an  der  Albuginea  des  Eierstockes  gefunden  habe**), 
sind  die  ersten  Auswüchse  ganz  kleine,  amorphe,  kömige  oder 
homogene  Knospen,  in  denen  erst  später  Zellen  sichtbar  werden. 
Nach  und  nach  wachsen  sie  unter  Vermehrung  der  Zellen,  und 
allmählich  können  sie  sich  zu  grossen  Papillen  oder  Zotten  er- 
heben. Dasselbe,  was  an  einer  ebenen  Haut  vorkommt,  kann 
aber  auch  an  einer  präexistirenden  Papille  geschehen.  Die  Pa- 
pillen können  selbst  wieder  Knospen  treiben,  diese  können  sich 
Tergrössern,  und  es  können  so  endlich  ästige  Papillen  entstehen. 
Auch  neugebildete  Papillen  können  Knospen  treiben,  Anschwel- 


*)  Von  einer  Exsudation  ist  auch  hier  nicht  die  Rede.  Damit  föllt  ein 
Haopteinwand  Luschka 's  gegen  die  pathologische  Entstehung  solcher  Ge- 
bilde. 

••)  Würzburger  Verhandl.     1851.    Bd.  II.    S.  31ö. 


336  Dreizehnte  Vorlesung. 

luDgen  und  Auswüchse  bekommen,  und  zuletzt  in  ganz  grosse 
vielästige  Vegetationen  übergehen. 

Der  ganze  Vorgang  hat  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  dem- 
jenigen, welcher  regelmässig  an  der  Oberfläche  des  Chorions 
beim  menschlichen  und  Säugethier-Ei  stattfindet  und  zur  Bildung 
der  Placenta  foetalis  führt*).  Der  zottige  Theil  des  Cho- 
rions ist  das  physiologische  Beispiel  für  die  Papillarhyper- 
plasie,  denn  man  kann  gewissermassen  die  Placenta  foetalis 
als  eine  grosse  Papillargeschwulst  betrachten,  und  sie  den  unter 
diesem  Namen  beschriebenen  Neubildungen  parallel  stellen^  welche 
man  unter  krankhaften  Verhältnissen  an  anderen  Oberflächen  an- 
trifft Wie  ähnlich  diese  Dinge  sich  werden  können,  das  be- 
weisen namentlich  die  warzigen  Entwickelungen,  die  so  häufig  an 
der  Oberfläche  der  Arachnoides  gefunden  werden**),  und  die  man 
so  lange  Zeit  unter  dem  Namen  der  Pacchionischen  Drüsen 
bezeichnet  hat,  weil  der  italienische  Anatom,  der  sie  beschrieb***), 
sie  für  Drüsen  hielt,  ungefähr  so,  wie  Havers  die  kleinen  Fett- 
läppchen im  Knochenmark  für  Fettdrüsen  ansah  (S.  206).  Eine 
Pacchionische  Drüse  oder  besser  Granulation  ist  eben  nur  eine 
Papilläres crescenz,  eine  Warze,  welche  in  Folge  einer  leichten 
Reizung  an  der  Oberfläche  der  Pia  entsteht  und  einen  soliden 
Bindegewebszapfen  mit  schönen,  meist  sternförmigen  Zellen  dar- 
stellt f)*  Sie  gehen  regelmässig  von  der  Pia  mater  (Arachnoides) 
aus ,  und  ihre  Menge  und  Entwickelung  steht  jedesmal  in  einem 
gewissen  Verhältniss  zu  der  voraufgegangenen  Reizung,  welche 
sich  nicht  selten  diffus  an  der  Pia  verbreitet  und  sehnige  Trü- 
bungen derselben  bedingt.  Sie  sind  daher  wesentlich  pathologi- 
scher Natur  tt).  Indem  sie  stärker  anwachsen,  drängen  sie  die 
Dura  mater  auseinander  und  erzeugen  die  bekannten  Gruben  an 
der  inneren  Schädelfläche.  Diejenigen  aber,  welche  in  der  Nähe 
der  Sinus  liegen,  wachsen  allmählich  durch  die  Dura  mater 
und  die  Gefässwand  in   dieselben  hinein,  und  erscheinen  darin 


*)  Virchow.    Ueber  die  Bildung  der  Placenta.  WQrzb.  Verbandl.  18^. 
Bd.  IV.  S.  370.     Gesammelte  Abhandlungen.  S.  779. 

**)  Haller.     Elementa  pb^siologiae.  Laus.  1762.  T.  IV.  p.  104. 
***)  Pacchioni.     Diss.   epistol.   ad   L.   SchrGkinm   de  glandulia   donif 
matris  humanae  indeque  ortis  lymphaticis  ad  piam  matrem  productis.  Ronae. 

t)  Würzburger  Verhandl.  (1851)  Bd.  II.  S.  158. 
tt)  Ludw.  Meyer.     Mein  Archiv.  1860.  Bd.  XIX.  S.  175,  288,  308. 


Papilläre  Wucherung.  337 

mit  freien  Enden,  genau  so,  ^ie  die  Zotten  der  Placenta  foetulis 
in  die  Placentarsinus  der  Mutter  hineinwachsen*). 

Manche  haben  nun  geglaubt,  das  Wesentliche  bei  jeder  war- 
zigen Bildung  sei  die  Ausstülpung  der  oberflächlichen  Gefasse**). 
Namentlich  die  Capillaren  der  Haut,  besonders  die  der  Papillen 
erweiterten  und  verlängerten  sich,  und  schöben  allmählich  die 
Theile  weiter  hinaus.  Das  ist  entschieden  unrichtig,  ebenso  un- 
richtig für  die  pathologische  Papillarbildung,  wie  für  die  Chorion- 
zotten. Denn  wenn  man  sie  einigermassen  genau  studirt,  so  findet 
man  immer,  dass  vor  der  Anwesenheit  des  Gefässes  eine  Binde- 
gew ebsentwickelung,  manchmal  auch  eine  stärkere  Epidermisbil- 
düng  vorhanden  ist,  und  dass  das  Gefass  sich  immer  erst  nachher 
ausbildet  Untersucht  man  kleinere  Papillen,  wie  z.  B.  die  Pacchio- 
nischen  Granulationen,  die  knotigen  und  warzigen  Excrescenzen, 
die  sich  an  der  Oberfläche  der  Leber,  des  Eierstockes,  der  Hoden 
bilden,  die  an  den  Herzklappen,  an  der  Synovialhaut  der  Gelenke, 
80  ist  immer  das  erste  die  Bindegewebswucherung,  und  viele  von 
ihnen,  wie  namentlich  die  Warzen  der  Pia  mater,  erhalten  nie- 
mals Gefässe.  Ueberall  findet  an  den  Stellen,  wo  das  Ding  am 
meisten  wächst,  eine  Vermehrung  der  Kerne  und  Zellen  statt; 
ja  bei  den  grossen  dendritischen  Excrescenzen,  wo  ganze  Büschel 
herauswachsen,  wie  an  den  Synovialhäuten  und  Herzklappen,  kann 
man  nicht  selten  wahrnehmen,  dass  an  ihrer  Spitze,  am  letzten 
Ende  die  Wucherung  geschieht,  und  dass,  während  an  der  Basis 
die  Elemente  in  weiterer  Entfernung  liegen,  die  Spitze  fast  ganz 
aus  zelligen  Theilen  zusammengesetzt  ist,  genau  so,  wie  ich  es 
von  den  Chorionzotten  nachgewiesen  habe***). 

Jede  Papillenbildung  wird  durch  eine  Vermehrung  der  zelli- 
gen Theile  oder  der  Intercellularsubstanz  eingeleitet.  Die  Zellen- 
bildung kann  so  reichlich  werden,  dass  ein  wirklicher  Granula- 
tionszusland sich  ausbildet,  in  derselben  Weise,  wie  wenn  von 
der  Oberfläche  einer  Wunde  aus  die  kleinen  Fleischwärzchen 
(Canmculae)  d.  h.  das  wuchernde  Bindegewebe  in  Form  von 
Granulationen  und  Papillen  hervorschiessen,  und,  wenn  sie  sich 
noch  stärker  entwickeln,  sogenannte  fungöse  Auswüchse  bilden. 


*)  Jo.  Dom.  Santoriui.  Observatioues  anatomicae.  Yenet.  1724.  p. 52. 
.Virchow.  Archiv  1851.  Bd.  III.  S.  450. 

*^)  De  la  Mettrie.    Oeuvres  de  medecioe.    Berlin.  1755.  p.  252. 
*^*)  Gesammelte  Abhaudl.    S.  789. 

Vlrrhow,  0«tcbvulst«.     1.  22 


338  Dreizehnte  Vorlegnag. 

Zuweilen  ist  es  ausserordentlich  schwierig,  dieses  wncbemde  Ge- 
webe von  dem  Rete  Malpighii  zu  trennen,  welches  fiber  ihm  liegt, 
und  dies  mag  bei  manchen  die  Vorstellung  erzeugt  haben,  die 
Gefasse  schoben  sich  in  das  Rete  Malpighii  selbst  hinein.  Unter- 
sucht man  genau,  so  kann  man  die  Grenze  sehr  wohl  fiuden,  und 
man  überzeugt  sich,  dass  anfangs  nur  ein  solider  Zapfen  aus  Binde- 
gewebe vorhanden  ist.  Erst  wenn  dieser  eine  gewisse  Grösse 
erreicht  bat,  entwickelt  steh  von  unten  her  in  ihn  hiaein  eine 
GefSssschlinge,  oder,  wenn  die  Papille  an  ihrem  Ende  anschvnlit 
und  kolbig  wird,  auch  wohl  ein  vollständiges  capillares  Netz,  wie 
man  es  an  den  zottigen  Vegetationen  vieler  GelenkbSute  in  der 
prachtigsten  Weise  beobachten  kann. 

An  den  einzelnen  Orten  zeigen  sich  in  Beziehung  auf  dieses 
Verh&Itniss  der  Gefasse  zu  dem  Bindegewebe  sehr  grosse  Diffe- 
renzen. Manche  Papillen  und  Zotten  behalten  auch  in  späterer 
Zeit  ihren  überwiegend  bindegewebigen  Charakter,  ja  es  kommi 
vor,  dass  sie  ein  ungewöhnlich  dichtes,  derbes,  sklerotiscije!: 
^    ^^  Bindegewebe  darstellen,  und  dass  hier 

und  da  sogar  Uebergänge  in  Knorpel 
vorkommen,  wie  es  namentlich  an 
'  manchen  Auswachsen  der  Synovi»!- 
häute  an  den  Gelenken  der  Fall  i^t. 
Ebenso  sind  die  sehr  ähnlichen  Vege- 
tationen an  den  Herzklappen  bei 
Kndocarditis  verrucosa,  papillaris  el 
villosa*)  in  der  Mehrzahl  ganz  ge- 
fSsslos.  —  In  anderen  Fällen  nehuieQ 
die  Gefässe  einen  sehr  wesentlichen 
Theil  des  Zapfens  in  Anspruch,  uod 
es  ist  dann  schon  schwer,  das  klei- 
nere Stück  von  Bindegewebe,  welchem 
sie  wie  eine  Membran  umgiebt,  u 
unterscheiden.      Ja    es    kommt  vur. 


Fig.  GO.     Eid  Stück  der  Sjrnovialliaut  des  Schaltergelenki,  bedeckt  mit 


xotti);en  Vegetationen.  Die  meisten 
Blättern,  welche  von  der  Synovialis  : 
Viele  der  Vegetationen  sind  Ist  ig 
Jahre  löüa). 

*)  Gesaramelte    Abhaudlangeu. 
8.  360.  Fig.  129. 


^on  ihnen  sitsen  auf  achmalen,  bok" 
sgehen  und  lum  Theil  knorpeJis  ii»i- 
nd  geflsBloB.      (Prtpvkt  No.  6.  rvia 

ötO.     CeUatarpatholoKie.    3.  Aal. 


Gef&ssreiche  Papillargeschwfil&te.  339 

dass  das  Geftss  so  gross  wird,  dass  es  überall  bis  dicht  unter 
die  Oberfläche  reicht,  und  dass  der  ganze  Auswuchs  nur  eine  Ge- 
^sausstülpung  zu  sein  scheint.  Ist  nun  das  Ding  von  Epithel  oder 
Epidermis  überzogen,  so  schliessen  sich  die  Epithelialzellen  un- 
mittelbar an,  und  wenn  man  einzelne  Schlingen  herausreisst,  so 
kann  es  scheinen,  als  wenn  die  Epithelien  direct  auf  der  Wand 
des  Gapillargefasses  aufsassen.  Aber  wenn  man  die  Theile  spe- 
cieller  ins  Auge  fasst  und  namentlich  ihre  Entwickelung  studirt, 
so  ergiebt  sich,  dass  ein  feines  Stratum,  eine  Art  von  Adventitia 
aus  Bindegewebe  immer  noch  persistirt,  und  dass«  ein  wirkliches 
Herausschieben  von  Gefässen  in  das  Epithel,  so  dass  das  Epithel 
selbst  vascularisirt  wäre,  nicht  vorkommt. 

Ist  das  Epithel  sehr  weich,  wie  namentlich  an  Schleimhäuten, 
so  können  natürlich  diese  sehr  weiten  und  dünnen  Gefässe  ausser- 
ordentlich exponirt  sein*).    Wenn  namentlich  die  Zotten  sehr  weit, 
einen  halben  oder  ganzen  Zoll  über  die  Oberfläche  hervorragen,  so 
sind  sie  allerhand  Insultationen  ausgesetzt,  und  es  erfolgen  oft  überaus 
hartnäckige  Blutungen,  welche  sogar  das  Leben  durch  ihre  Dauer 
bedrohen  können,  und  welchen  oft  sehr  schwer  beizukommen  ist, 
weil  in  ganz  zurückgelegenen  Organen  derartige  Entwickelungen 
stattfinden  können.    So  giebt  es  Papillargeschwülste  der  Harn- 
blase,   welche   gar   keine   maligne    Natur   haben,   welche    aber 
mit  solchen  Capillaren  versehen  sind,  wo  immer  wieder  Blutun- 
gen eintreten,  und  wo  dann  die  Diagnose  leicht  auf  ein  malignes 
Uebel,  auf  einen  sogenannten  Zottenkrebs  gestellt  wird**).   Solche 
Bildungen  können  leicht  missverstanden  werden,  indem  sie  mit 
gewissen  Geschwülsten  grosse  Aehnlichkeit   haben,    für   welche 
Henle  ***)  den  Namen  Siphonoma,  Röhrengeschwulst,  er- 
funden hat    Nicht  selten  findet  man  die  Gefässe  leer,  das  Blut 
geht  heraus,  oder  wird  bei  der  Untersuchung  durch  Wasser  auf- 
gelöst, und  man  findet  nur  Röhren,  welche  durch  die  Geschwulst  hin- 
durchgehen, und  neben  welchen  sich  Zellen  finden.   Aber  dies  sind 
die  Gefässröhren,  und  das  Siphonoma  der  Oberfläche  ist  entweder 
eine  Form  der  vasculären  Warze  f)  oder  ein  wirklicher  Krebs  ft)- 


*)  Würzburger  VerhandiuugeD.    Bd.  II.  S.  26. 
**)  Oellalarpathologie.    3.  Aufl.  S.  434.    Bruch  a.  a.  0.  S.  106. 
***)  Zeitschrift  für  rationelle  Medicin.  184ö.  Bd.  111.  S.  130. 
t)  Lehm  kahl.    De  tumore  villoso  vesicae  urinariae.  Diss.  inaug.  Dor- 
pit    1866. 
tt)  Kamen.    De  Biphonomate  vesicae.    Dias,  inaug.    Wirceb.  1848. 

22* 


340  Dreizehnte  Vorieanng. 

Es  erhellt  also,  dass  alle  diese  BilduDgen,  mOgen  sie  nun 
viel  oder  wenig  Bindegewebe  enthalten,  doch  wesentlich  binde- 
gewebiger Natur  sind  und  als  Auswüchse  des  pr&ezistireaden 
Bindegewebes  zu  betrachten  sind.  Dieser  Charakter  ist  so  angea- 
i&l\\g,  daes  man  gerade  sie  seit  lauger  Zeit  mit  dem  Namen  der 
Vegetationen  belegt  hat.  Neuerlich  hat  man  auf  die  papill&re 
Form  einen  besonderen  Werth  gelegt  und  nach  dem  Vorgang 
von  Krämer*)  sie  als  Papillome  bezeichnet.     Dies  ist  einmal 


Fig.  Ol.  Fibroma  pApilhre  der  GalleaUue  einer  Kuh.  Die  Wandung'*' 
der  Blase  Rind  etelleoweise  4  — öLinieo  dick,  g«ni  schwielig  and  eebni^' 
ihre  innere  OberflBche  besetit  mit  groMco,  bolbigen,  inm  Theil  TeriUteil«'*' 
Rxcresrenien,  von  deneo  manche  eine  weirhere,  mehr  darchacbeJnende,  »ndef^ 
eine  liarte,  derbe  Bi'sfhsffenheit  besitien.  (Pripar»t  No.  121.  vom  J«br«  105)*?* 

■)  Krimer  n.  *.  0.  S.  4,  (>5. 


Feste  Papillar-Vegetationen.  841 

überflüssig,  weil  man  Bezeichnungen  genug  für  die  einzelnen  For- 
men besitzt ;  zum  andern  falsch,  weil  die  Geschwulst  ihrem  Wesen 
nach  bindegewebig  ist  und  nur  in  papillärer  Form  auftritt.  Der 
generische  Name  muss  also  Fibroma  sein  und  das  papilläre  kann 
nur  als  adjectivischer  Zusatz  gebraucht  werden,  wie  die  Geschichte 
der  Elephantiasis  uns  ja  deutlich  genug  gelehrt  hat  (S.  295,  308). 
Ein  Fibroma  papilläre  kann  weiterhin  mit  Gefässen  oder  Epithel- 
bekleidung reichlich  versehen  sein  und  darnach  in  eine  besondere 
TJnterabtheilung  gehören;  seinem  eigentlichen  Wesen  nach  bleibt  es 
immer  ein  Fibroma  und  diejenigen  Formen  sind  die  am  meisten 
typischen,  wo  beinahe  nur  Bindegewebe  darin  enthalten  ist.  Da- 
für besitzt  unsere  Sammlung  ein  klassisches  Beispiel  von  der  Gal- 
lenblase einer  Kuh  (Fig.  61).  Auf  der  sehr  verdickten  Wand  sitzt 
eine  so  grosse  Menge  theils  zottiger,  theils  cylindrischer,  solider 
Auswüchse  auf,  dass  die  Schleimhautfläche  in  einer  gewissen  Zone 
ganz  verschwunden  zu  sein  scheint  Zugleich  sind  die  einzelnen 
Vegetationen  so  gross,  dass  sie  für  das  blosse  Auge  ein  Bild  ge- 
währen, wie  wir  es  sonst  nur  unter  dem  Mikroskop  zu  sehen 
pflegen.  Beim  Menschen  kommen  papilläre  Auswüchse  der  Gal- 
lenblase nicht  selten  vor,  aber  sie  sind  gewöhnlich  ganz  klein 
und  so  mit  Fett  infiltrirt,  dass  sie  ein  ganz  anderes  Aussehen 
darbieten. 

In  dieselbe  Kategorie  von  festeren  Warzen  gehört  ein  gros- 
ser Theil  der  kleinen  Auswüchse,  welche  in  den  feineren  Kanälen 
des  Körpers  vorkommen.  Manche  Formen  davon  haben  wir  schon 
bei  den  eystischen  Geschwülsten  mit  abgehandelt,  namentlich  die- 
jenigen, wo  die  Vegetationen  in  eine  mit  Flüssigkeit  oder  sonsti- 
gen Secreten  ausgefüllte  Höhle  hineinwachsen.  Hier  haben  wir 
nur  noch  diejenigen  zu  besprechen,  welche,  indem  sie  sich  in  den 
Kanälen  aosbreiten,  dieselben  vollständig  ausfüllen,  so  dass  schein- 
bar solide  Geschwülste  gebildet  werden. 

Der  einfechste  Typus  für  diese  Bildungen  ist  das  sogenannte 
Condyloma  subcutaneum,  oder,  wie  man  richtiger  sagen 
sollte,  C.  folliculare.  In  den  Haarbälgen  geschieht  es  nemlich 
öfters,  dass  von  der  Wand  eine  Excrescenz  hervorwächst,  welche 
den  Follikel  ausdehnt,  ihn  aber  zugleich  so  füllt,  dass  er  sich 
wie  ein  fester  Körper  in  oder  unter  der  Oberfläche  darstellt. 
Drückt  man  ihn  von  unten  her,  so  kann  man  die  kleine  Warze 


342  Dreiiehnt«  Torlesanf. 

Über  die  Oberfläche  herTorspringen  lassen.*)  Solche  Bildungen 
findet  man  nicht  selten  an  den  Schenkeln,  aber  auch  iw  anderen 
Punkten.  Ich  habe  z.  B.  einen  Fall  gesehen,  wo  die  Follikel  am 
Halse  eines  Kindes  fast  alle  in  solche  Bildungen  übergegangen 
waren,  ja  einige  von  ihnen  eine  Art  von  Akrochordon  bildeten.**) 
Ganz  ähnliche  Excrescenzen  kennen  nun  aber  in  allen 
möglichen  Gängen  vorkommen.  Wie  jene  Gallenblase  der  Knh 
(Fig.  61)  fast  ganz  mit  zottigen  und  blättrigen  Auswachsen  gefüllt  i^t, 
so  sieht  man  auch  beim  Menschen  solche  Zotten- Geschwülste, 
jedoch  nicht  in  der  Gallenblase,  sondern  in  den  Gallenwegen. 
Ich  habe  wiederholt  Gelegenheit  gehabt,  Fälle  zu  untersuchen, 
wo  dieselben  den  Ductus  choledochus  vollständig  füllten  und  die 
Ursache  eines  tödtlichen  Ikterus  geworden  wnren. 

Nirgends  ist  eine  solche  Bildung  häufiger  als  an  der  weib- 
lichen Brust.  Von  der  Wand  der  Milchgänge  erheben  sich 
Warzen  in  oft  sehr  grosser  Zahl,  und  indem  sie  immer  reich* 
licher  und  reichlicher  in  die  Gänge  htneinwuchern,  dehnen  sie 
dieselben  mehr  und  mehr  aas.  Obwohl  sie  also  eine  Ektasie  er- 
zeugen, so  macht  die  Geschwulst  doch  den  Eindruck,  nicht  einer 
cystischen,  sondern  einer  soliden,  weil  die  Warzen  so  dicht  neben- 
Flu-  «3-  einander  liegen  und  den  Gang 

so  voltständig  ausfüllen,  dass 
man  erst,  wenn  man  sie  auf- 
blättert, ihre  einzelnen  Aeste 
und  Knospen  erkennt.  ***) 
'  Das  ist  also  eine  ganz  beson- 
dere Art  yon  Bindegewebs- 
geschwalst  der  Brost,  ein  pa- 

Fig.  62.  Fibroma  papilläre  intraraniiUcakre  mammae.  Ein  tod  Herrn 
WiliDs  ej$tir))irlcr  Knoten  der  Brust,  der  ein  gani  festes,  dichtes,  lappieea 
Aussehen  dnrbielet.  Letzteres  ist  durrh  fibrOae  Streifen  bedingt,  die  sirh 
von  einem  bestimmten  Funkte  a  aus  durch  die  Snbgtani  verbreiten.  Die 
einzelnen  Lnppen  haben  hier  und  da  ein  feinkfirniges  AnsBeüeo.  bediogl 
durrh  die  in  den  MiKhkanllchen  liegenden  Papillar-Vegetationen.  Bei  6  «lud 
einzelne  der  Vegetationen  herausgetogen  und  freigelegt  Aurb  bei  c  »igt 
siL-h  eine  feinnaritige  Stelle.     (Präparat  No.  47.  Tora  Jahre  1858). 

*)  llaui-k.  Med.  Zeitung  des  Vereins  fDr  Heilk.  in  Preuuen.  1840. 
No.  51.  V.  Barensprniig.  BeitrSge  lur  AnaL  u.  Patb.  der  menacbL  Hast 
S.  4i>,  m.  Taf.  11.  Fig.  12.  Krämer  a.  a.  0.  S.  42.  Gaat.  Simon.  Die 
Hautkrankheiten.  Berlin.  1851.  S.  341. 

•*)  Siehe  bei  Simon  a.  a.  0.  S.  242.  Note. 

"•)  Cruveilhier.    Traite  d'anat.  path.  pöner.  T.  III.  p.  722.    ßirkett. 
GujB  Hosp.  Rep.  Vol.  VII.  P.  II.  p.  306. 


Intracanaücnlftre  Pi^illarfibrome.  348 

pill&resintracanaliculäres  Fibrom,  ganz  und  gar  verschie- 
den von  den  elephantiastischen  Fibromen,  die  ich  vorher  (S.  328) 
geschildert  habe,  obwohl  zuw^eilen  damit  combinirt.  Freilich  bildet 
es  ganz  ähnliche,  lobuläre  Anschwellungen  von  ganz  beträchtli- 
cher Härte  und  meist  rundlicher  oder  rundlich -ovaler,  jedoch  zu- 
weilen auch  höckeriger  Form.  Schneidet  man  es  durch  (Fig.  62.), 
so  sieht  man  zuweilen  keine  Spur  von  Höhlung  oder  Gang,  son- 
dern nur  ein  dichtes  weisses  Gewebe,  das  theils  sehnige  Faser- 
züge  in  vielfacher  Verflechtung,  theils  durchschnittene  rundliche 
und  lappige  Einlagerungen  besitzt.  Letztere  sind  die  Excrescen- 
zen,  erstere  stellen  eine  interstitielle  Induration  dar. 

Der  Hauptsitz  der  festeren  Warzen  ist  aber  die  äussere  Haut, 
wo  man  schon  seit  den  ätlesten  Zeiten  dieselben  auf  das  sorgfältigste 
zu  klassificiren  bemüht  war.  Wir  finden  bei  Celsus,  zum  Theil 
schon  bei  Galen  die  Gewohnheit,  die  verschiedenen  Warzen  in 
vier  Gruppen  zu  zerlegen,  wobei  man  nicht  sowohl  die  Consi- 
stenz,  als  namentlich  die  Erscheinung  im  Grossen  ins  Auge  fasste. 
Celsus*)  unterscheidet  ausser  der  schon  neulich  (S.  223)  berührten 
Form,  dem  Akrochordon,  noch  drei  andere,  nehmlich  den  Clavus, 
das  Akrothymion  und  die  Myrmecia  oder  Formica. 

Clavus  hat  man  in  der  neueren  Zeit  gewöhnlich  blos  das 
Hühnerauge  genannt;  dem  Namen  nach  bedeutet  es  eine  harte, 
nagelartige  Masse,  und  es  kann  das  der  älteren  Terminologie 
nach  auch  eine  Warze  sein,  welche  über  die  Oberfläche  hervor- 
steht. In  diesem  Falle  bedeutet  der  Ausdruck  dasselbe,  was  man 
in  der  neueren  Zeit  eine  harte  (hornige)  Warze  genannt  hat. 
Diese  aber  ist  ihrem  Hauptantheil  nach  epidermoidal,  und  gehört 
also  eigentlich  nicht  in  diese  Kategorie  hinein,  wenngleich  sie 
öfter  mit  einer  stärkeren  Entwickelung  der  Papillen  und  ihrer 
Gef&sse  verbunden  ist. 

Akrothymion,  oder,  wie  man  kurz  gesagt  hat,  Thymos, 
bedeutet  eine  Warze,  welche  an  der  Oberfläche  eine  Menge  von 
einzelnen  kleinen  Hervorragungen  hat,  also  zum  Theil  dasjenige, 
was  man  in  der  neueren  Zeit  unter  dem  Namen  eines  Blumen- 
kohlgewächses (Tumor  cauliflorus)  bezeichnet.  Man  bezieht  sich 
dabei  auf  die  Vergleichung  mit  den  Blüthen  des  Thymian,  an  wel- 
chen bekanntlich  eine  Menge  von  dicht  an  einander  gedrängten 


*)  A.  Cornelius  Celsus.    Medicinae  Lib.  V.  14. 


344  Dreizehnte  VoTlesiing. 

« 

Knöpfchen  zu  sehen  sind.  Eine  Vergleichung  damit  lag  um  so 
mehr  nahe,  als  diese  Warzen  nicht  selten  eine  braunliche  oder 
schwärzliche  Färbung  besitzen. 

Myrmecia  oder  Formica,  Ameisenwarze,  ist  eine  Bezeich- 
nung, welche  im  Laufe  der  Zeit  vielfach  streitig  geworden  ist  und 
daher  in  der  neueren  Literatur  meistens  nicht  mehr  erwähnt  wird. 
Warum  sie  diesen  Namen  trägt,  das  wird  auch  verschieden  ange- 
geben; im  Allgemeinen  aber  scheint  es,  d«ass  man  es  auf  eine 
gewisse  Hyperaesthesie  bezogen  hat,  welche  dieser  Warze  eigen- 
thümlich  ist,  und  wodurch  sie  bei  Temperaturwechsel  oder  nach 
Anderen  bei  der  Exstirpation  eine  Empfindung  erzeugen  soll,  wie 
wenn  der  Mensch  von  einer  Ameise  gebissen  sei.  Das  erstere 
ist  wohl  die  wahrscheinlichere  Deutung.  Später,  seit  Plenck*), 
hat  man  angenommen,  dass  die  Myrmeciae  feuchte  Warzen  seien, 
welche  an  ihrer  Oberfläclie  etwas  absondern.  Da  nun  die  Ab- 
sonderungen weniger  der  Oberfläche  der  Haut  als  den  Drüsen  zu- 
zurechnen sind,  so  würde  man  solche  Formen  dahin  zu  rechnen 
haben,  in  welchen  die  Tfilg-  und  Schweissdrösen  sich  in  einem 
Reizungszustande  befinden. 

In  Bezielumg  auf  diese  Terminologie  ist  heut  zu  Tage  weder 
unter  den  Dermatologen,  noch  unter  den  Schriftstellern  verschie- 
dener Länder  eine  Uebereinstimmung.  Dies  ist  nicht  einmal  bei 
den  so  häufigen  Formen  der  Fall,  für  welche  man  den  Namen 
der  Feigwarze,  Ficus,  Condyloma  zu  gebrauchen  pflegt. 
In  Deutschland  hält  man  daran  fest,  zwei  Arten  von  Condylomen 
zu  trennen:  das  spitze  (C.  acuminatum),  wo  die  einzelnen  Pa- 
pillen in  Form  von  Spitzen  oder  Kömchen  zu  Tage  treten,  wurde 
die  Akrothymionform  sein,  das  breite  (C.  latum),  welches  ein 
nässendes  ist  (Verruca  madida,  feuchte  Warze)  wurde  in  manchen 
Beziehungen  sich  der  Myrmecia  anschliessen.  In  Frankreich  i>t 
die  Bezeichnung  des  breiten  Condyloms  nicht  gebräuchlich;  weil 
man  seit  langer  Zeit  schon  die  Ueberzeugung  gewonnen  hM- 
dass  diese  Art  ein  specifisch  syphilitisches  Product  ist,  so  hat 
man  sich  daran  gewöhnt,  sie  auch  als  syphilitische  GeschwuHt 
unter  dem  Namen  des  Schleimtuberkels  (Schleim papel.  Tu- 
bercule  muqueux)  von  der  andern  zu  trennen.    Auch  mir  scheint 


*)  Plenck.    Doctriua  de  morbis  cutaneis.  p.  88. 


Condylom.  345 

es  zweckmässig,  sie  nicht  in  diese  Gruppe  hineinzumengen  und 
ich  werde  daher  später  darauf  zurückkommen. 

Das  acuminirte  Condylom  ist  gewöhnlich  aus  einzelnen  Ver- 
ästelungen zusammengesetzt,  von  denen  jede  in  eine  besondere 
Spitze  ausgeht.  Ist  es,  wie  gewöhnlich,  klein,  so  ist  die  Basis, 
mit  welcher  es  aufsitzt,  sehr  schmal  und  das  Ganze  gleicht  einer 
kleinen  Beere  (daher  Ficus).  Manchmal  wird  es  aber,  zumal  an 
dem  Praeputium  penis  oder  den  Schamlippen  sehr  gross  und  bildet 
wallnuss  -  oder  apfelgrosse  Gewäclise  von  blumenkohlartiger  Ober- 
fläche und  breiterer  Basis.  Kommt 
es  noch  dazu  gruppirt  vor,  so 
ist  die  Grenze  gegen  die  Ele- 
phantiasis vermcosa  (S.  308,  320) 
mit  Sicherheit  kaum  festzustellen. 
1  Im  Allgemeinen  muss  man  sich 
■  an  die  innere  Zusammensetzung 
halten.  Bei  der  Elephantiasis  ist 
I  das  Bindegewebe  stets  der  vor- 
wiegende Äntheil;  bei  dem  Con- 
dylom tritt  es  mehr  in  den  Hin- 
tergrund. Allerdings  besitzt  jeder 
Ast  (Papille)  einen  innern  Grundstock  von  Bindegewebe*),  in  wel- 
chen in  der  Reget  Capillargetasse  bis  hoch  hinauf  reichen,  aber 
dieser  Grundstock  ist  an  sich  verhaltnissmässig  sehr  fein,  während 
die  um  ihn  herum  gelagerte  Epidermis  oft  das  10  -  20  fache  an 
Masse  beträgt.  Nimmt  man  dazu,  dass  von  dem  innern  Raum 
des  Grundstocks  (der  eigentlichen  Papille)  wieder  das  Capillar- 
gefäse  den  grüsten  Theil  hinwegnimmt,  so  erhellt  leicht,  dass 
das  Bindegewebe  kaum  in  Betracht  kommt  und  das  Gewächs  fast 
mit  mehr  Recht  zu  den  Epidermoidalgeschwulsten  gerechnet  wer- 
den kann.  Der  fibromatose  Grundstock  bestimmt  nur  die  äussere 
Form,  denn  er  treibt  die  neuen  Knospen  und  Aeste,  welche  die 
zunehmende  Unebenheit  der  Oberfläche  und  die  Ausbreitung  des 
Gewächses  über  seine  Basis  liinaus  bedingen. 

Ganz  ähnlich  verhält  sicli  eine  Reihe  anderer  Warzen,  welche 


Fig.  G3  Condyloma  »cuiniDatum  lobulare,  vom  Sc  beiden  ein  ging.  (Prt- 
parat  No.  147.  vom  Jahre  1860). 

■)  Celli)  krpathologie.  3.  Aufl.  S.  229.  Fig.  91.  Die  dort  gegebene 
Zeichnang  ist  von  demselben  Pr&parat,  wie  obige  Fig   63. 


346  Dreiiebnte  Vorleanog. 

«ich  oft  vielfach  zerstreut  an  der  Oberfläche  des  Köqwre  fiDtlen, 
aber  mehr  flach  der  Haut  ansitzen*).  Bei  dem  Condylom  settt 
man  immer  voraus,  dass  es  sich  von  seiner  Basis  ans  frei  ober  die 
Oberfläche  erhebt;  bei  diesen  anderen  Formen  dagegen  mag  sich 
immerhin  die  Oberfläche  papillär  oder  ästig  erbeben,  das  Ganie 
bleibt  flach  und  platt.  Diese  Art  hat  man  häufig  als  Por  ron  (Pomun 
oder  Porrus)  bezeichnet  •*),  weil  ihre  Oberfläche  eine  gewisse  Aehn- 
lichkeit  mit  den  BlüthenkOpfchen  von 
Lauch  (Pomim)  hat,  nur  dass  sie  nicht 
gestielt  sind.  Viele  Porren  haben  einen 
I  langen  Bestand  und  Neignng  zur  Ver- 
'  grössening"*);  viele  sind  angeboren,  ge- 
boren also  in  die  Kategorie  des  Naevus, 
Häufig  ist  ihre  Oberfläche  stark  pigmeotirt 
und  die  Epidermis  häuft  sich  zwischen 
den  Papillen  in  grossen  Klumpen  an. 
Aehnliche  Bildungen  können  auch  an  Schleimh&uten  vorkom- 
men, nur  sind  dann  die  Uebenüge  nicht  aas  einem  so  derben, 
trocknen  und  anhaftenden  Epidermoldalstratum  gebildet,  wie  bei 
Condylomen  und  Porren,  sondern  aus  einem  leicht  abstreifbaren 
Epithel  zusammengesetzt.  Nur  an  den  Üebergangsstellen,  wo  die 
Haut  in  Schleimhaut  übergeht,  finden  wir  noch  die  eigentliche 
Gondylomform,  so  an  der  Vagina  der  Frau,  an  den  Lippen,  »a 
der  Conjunctiva  des  Auges;  je  weiter  nach  innen,  um  so 
weicher  werden  die  Epithelialstrata,  um  so  mehr  bildet  das 
Ganze  eine  weiche  Masse,  die  sich  sehr  leicht  zertrOmmert  und 
ganz  aus  Epithel  besteht.  Auf  die  einzelnen  Fälle  dieser  Art 
wollen  wir  daher  hier  nicht  näher  eingehen,  da  bei  den  Epitbelial- 
geschwülsten  ihrer  Erwähnung  geschehen  soll. 

Andere  sind  »chon  angeführt,  so  insbesondere  die  papillären 


Pig,  <)4.  Natviis  pnpillaris  prngresstvuB  von  der  Haut  Her  Bruatg«g»d 
eines  Mannas.  Congenita!,  aber  wachsend.  In  eigeDtbQmlichen  Streifen  und 
7jü]:eu.  ]pt;.tere  wieder  io  parallele  WQIste  mit  feinrunzeliRer  OberB&cbe  ab- 
getbeilt.  DaH  Ganze  von  hellgraubrSiinlicber  Farbe.  Auf  dem  Durchsebniii 
mOesige  Verdickong  der  Cutis,  starke,  verästelte  PapillemtDchernng,  dickrr 
EpidirmisOberzug.     (Präparat  No.  85    vom  Jahre  1863). 

*)  Asrhersou,  CaMier-s  Woehensi'hr.  1835.  S  513.  G.Simon,  Hüller'i 
Arthiv.  1810.  S.  169. 

**)  Vernira  seitsilis  «eu  porniio  est  verraca  coti  immerea  aen  vii  eitn 
cuten  promiDcnH.    Plenck.  p.  8T. 

*")  A.Wernher,  Zeitseb.  f.  ration.  Med.  1855.  Neos  Folge.  Bd.VLS.10& 


Tuberffse  Fibrome.  347 

Proliferationen  der  serösen  Häute  und  die  Corpora  Hbera,  welche 
&h  die  letzten  Stadien  solcher  Erseu^nisse  sich  darstellen.  Es 
mag  daher  gen&geo,  noch  da-  tir.  «s. 

rauf  tiinzuweisen,  dasa  in  selte- 
neren F&Uen sowohlan der  äusse- 
ren, als  an  inneren  Häuten  ein- 
zelne stärkere  und  nicht  ver- 
ästelte Papillaraus wüchse  vor- 
kommen, welche  schon  mehr 
den  Uebergang  zu  tuberf^sen  und 
polypösen  Formen  bilden.  Ein 
besonders  günstiger  Punkt  da- 
für ist  die  Vulva  und  die  Um- 
gebung alter,  tislulöser  Narben. 
Dem  Ausgehen  nach  sind  diese 
Bildungen  von  Akrochorden 
kaum  zu  unterscheiden.  — - 

Es  bleiben  jetzt  noch  die 
eigentlich  tuberösen  Formen 
übrig,  diejenigen,  die,  wenn 
sie  an  Oberflächen  eri-cheinen, 
in  Form  von  Tuberkeln,  oder, 
wie  man  zweckmässiger  sagt, 
um  Verwechselungen  rait  der  eigentlichen  Tuberculose  vorzubeugen, 
in  Form  von  Tuhera  auftreten.  Tuberculum  ist  ein  kleines  Tuber, 
und  da  diese  Knoten  in  der  That  manchmal  sehr  gross  werden, 
m  ist  es  um  so  mehr  zu  empfehlen,  tuberös  zu  sagen,  weil  da- 
durch die  Verwechselung  mit  der  wahren  Tuberculose,  welche  bei 
den  Tuberkeln  der  Dermatologen  gar  nicht  in  Betracht  kommt,  ver- 
mieden werden  kann.  Wir  werden  später  bei  der  Betrachtung  der 
eigentlichen  Tuberkel  auf  diese  Verschiedenheit  zurückkommen, 
und  ich  bemerke  daher  hier  nur,  dass  das  tuberöse  Fibrom  die 
Acme  seiner  Entwickelung  in  der  Erzeugung  von  Bindegewebe, 


Fig.  65.  Polypus  Gbrosug  (Fibroma  pol^posum)  vulvae.  Narbige  Ste- 
nose dee  Introitus  raginae  (iiach  Diplitheritis?)  bei  alter  Perimetritis,  Ante- 
fleiioD  und  SteinbilduDg  im  Nierenbecken.  Der  Pol^p  sitzt  dicht  unter  dem 
Orif.  urethrae,  das  seibat  durch  eine  kleine  Vegetation  verengt  ist.  (Prl- 
pant  No.  82t>.). 


348  Dreisehnte  Vorlesong. 

der  Tuberkel  dagegen  in  der  Erzeagong  lympboider  Zellen  findet, 
und  dass  demnach  die  Hauptverschiedenbeit  darin  liegt,  dass  das 
erstere  ein  Gewäcbs  von  permanentem,  das  letztere  ein  solches 
von  transitorischem  Charakter  darstellt. 

Manches  von  den  tuberösen  Fibromen  hatte  ich  schon  bei 
Gelegenheit  der  elephantiastischen  und  entzündlichen  Formen  er- 
wähnt.   Auf  sie  namentlich  bezog  sich  meine  Bemerkung  (S.  294), 
dass  eine  Reihe  von  Bindegewebs  -  Geschwülsten  unmittelbar  an 
gewisse  Entzündungsformen  angereiht  werden  müssen.     Rechnet 
man  sie  hier  ab,  so  bleibt  nur  noch  ein  verhaltnissmässig  kleiner 
Theil   von   mehr    selbständigen  Fibromen  übrig,   und    ich    will 
nicht  einmal  sagen,  ob  nicht  dieser  Theil  hier  und  da  noch  eine 
Verkleinerung  erfahren  kann,  wenn  man  genauer,  als  es  bis  jetzt 
geschehen  ist,  unterscheidet.    Bei  der  grossen  Unsicherheit  der 
Beschreibungen  ist  nichts  schwieriger,  als  sich  aus  der  Literatur 
ein  Urtheil  über  das  Vorkommen  und  die  Bedeutung  der  Fibrome 
zu  bilden.     Nicht  nur  sind,   wie  ich  schon  hervorhob  (S.  29*2), 
die  meisten  Myome  und  Neurome  hierher  gezählt  worden,  son- 
dern namentlich  auch  zahlreiche  Fälle  von  Sarcomen  und  Skir- 
rhen,  was  sich  zum  Theil  aus  den  früher  sehr  mangelhaften  Üd- 
tersuchungsmethoden,  zum  Theil  aus  der  sehr  langsam  fortschrei- 
tenden Erkenntniss  der  normalen  Histologie,  zum  Theil  aber  auch 
aus  der  ungemein  häufigen  Combination  des  Fibroms  mit 
anderen  Goschwulstarten  erklärt.     Denn  keinerlei  Combi- 
nation ist  häufiger,   als  diese,  und  nichts  gibt  leichter  zu  Miss-, 
Verständnissen  und  Täuschungen  Veranlassung,  als  der  Umstand. 
dass  gewisse  Theile  einer  Geschwulst  ganz  und  gar  aus  Binde- 
gewebe zusammengesetzt  sind,   während  andere  eine  ganz  nb- 
weichende   Struktur    besitzen.      Beschränkt   man    sich    bei   der 
Untersuchung  darauf,  nur  bestimmte,  kleine  Punkte  des  Gewäch- 
ses einer  genaueren  Prüfung  zu  unterwerfen,  so  kann  es  leicht 
sein,  dass  man  nur  die  einen  oder  die  anderen  der  constituirenden 
Theile  zu  Gesicht   bekommt  und  danach  den  Character  der  Ge- 
schwulst bestimmt.     Ist  dies  gerade  der  bindegewebige  Antheil  ^^ 
wird  man  natürlich  im  Allgemeinen   günstig  über  die  Natur  de> 
Gewäolises  urtheilen,  in  der  Regel  günstiger,  als  man  getban  ha- 
ben würde,  wenn  man  auf  die  anderen  Theile  gestos^en  wäre. 
Mir  selbst  ist  dies  begegnet,  und  ich  habe  mich  zum  Theil  erst 
dann  von  meinem  Irrthum  überzeugt,  wenn  ich  durch  ein  Recidiv 


Coinbinations-  und  Debergangsföhigkeit  der  Fibrome.  349 

auf  den  suspecten  Charakter  des  Prozesses  aufmerksam  wurde. 
So  erinnere  ich  mich  insbesondere  eines  „recurrirenden  Fibroms" 
der  Infraorbitalgegend,  bei  dessen  erster  Exstirpation  durch  Ca- 
jetan  v.  Textor  ich  eine  einfache  Bindegewebsgeschwulst  dia- 
gnosticirte;  als  ein  Recidiv  eintrat,  fand  ich  kankroide  Struktur, 
und  als  ich  nun  die  in  Alkohol  aufbewahrte  erste  Geschwulst  von 
Neuem  untersuchte,  so  zeigte  sich,  dass  ganz  kleine  Stellen  darin 
den  kankroiden  Bau  besassen,  während  fast  der  ganze  übrige 
Tumor  fibromatös  war. 

Solche  Fälle  sind  es  auch  zum  Theil  gewesen,  welche  einer- 
seits wegen  der  falschen  prognostischen  Auffassung,  andererseits 
wegen  der  Widersprüche  verschiedener  üntersucher  über  dieselbe 
Geschwulst  die  Mikrographie  bei  manchen  Praktikern  in  so  gros- 
sen Misskredit  gebracht  haben.  Sehr  wesentlich  fallt  dabei  in 
das  Gewicht,  dass  auch  die  Grenzen  der  tuberösen  Fibrome  ge- 
gen andere  Geschwülste,  besonders  gegen  das  Sarkom,  nicht 
scharf  sind,  indem  wirkliche  Uebergangsformen*)  bestehen. 
Es  bedarf  nur  einer  zunehmenden  Entwickelung  des  zelligen  An- 
theils  des  Gewebes  in  der  Art,  dass  die  Zellen  nicht  bloss  zahl- 
reicher, sondern  auch  grösser  und  selbständiger  werden,  während 
die  Intercellularsubstanz  in  gleichem  Maasse  zurücktritt,  um  das 
Fibrom  zu  einem  Sarkom  zu  machen.  Wo  hier  die  Grenze  zu 
ziehen  ist,  das  wird  immer  mehr  oder  weniger  der  Willkür  der 
einzelnen  Beobachter  überlassen  bleiben,  und  es  wird  wahrschein- 
lich niemals  möglich  sein,  ein  allgemeines  Kriterium  zu  finden, 
um  das  faserige  Sarkom  von  dem  weichen  Fibrom  zu  scheiden. 
Die  »fibrocelluläre"  und  die  „tibroplastische"  Geschwulst  werden 
immer  streitige  oder  neutrale  Grenzgebiete  darstellen.  Meine  An- 
sicht über  die  Demarkationslinie  werde  ich  bei  der  Besprechung 
der  Sarkome  genauer  darlegen. 

Bei  diesen  Uebergangsformen  handelt  es  sich  um  genetisch 
ganz  verschiedene  Dinge.  Zunächst  konmit  die  meiner  Meinung 
nach  nicht  zweifelhafte  Degeneration  der  Geschwülste  in  Be- 
tracht, wie  sie  von  den  älteren  Beobachtern  vielfach,  namentlich 
ffir  Polypen  in  Anspruch  genommen,  von  den  meisten  neueren 
dagegen  geleugnet  wurde.    Gerade  die  fibromatösen  Geschwülste 


*)  Virchow.    Combinations  -  und  Uebergangsfäbigkeit  krankhafter  Ge- 
schwülste. WOrzb.  Verhandl.  Bd.  I.  S.  134.  vgl.  Archiv  (1849)  Bd.  III.  S.  223. 


350  Dreizehnte  Vorlesung. 

sind  zu  einer  solchen  Degeneration  besonders  geeignet*),  weil 
sie  aus  demselben  Gewebe  zusammengesetzt  sind,  welches,  wie 
wir  gesehen  haben  (S.  92),  die  gewöhnlichste  Matrix  der  Afier- 
gewächse  ist.  In  diesen  Fällen  ist  also  zuerst  das  Fibrom  vorhan- 
den und  dies  wird  erst  secundär  krebsig,  knorpelig,  cystisch  u.  s.  w. 
—  Anderemal  ist  die  Bildung  des  fibrösen  Antheils  gleichzeitig 
mit  der  Bildung  des  krebsigen,  knorpeligen  u.  s.  w.,  so  dass  die 
Geschwulst  sofort  als  eine  zusammengesetzte  er- 
wächst. Von  mehreren  gleichartigen,  neben  einander  gelegenen 
Theilen  erzeugt  der  eine  diese,  der  andere  jene  Neubildung. 
Namentlich  ist  es  sehr  gewöhnlich,  dass  die  peripherischen  Theile 
mehr  die  fibröse,  die  inneren  mehr  die  specifische  Entwickelung 
erfahren,  dass  also  die  Geschwulst  gewissermaassen  eine  fibröse 
Hülle,  einen  Balg,  bekommt.  Frühere  Autoren  haben  aus  die- 
sem Grunde  manche  Lipome,  Enchondrome  u.  s.  w.  als  Balgge- 
schwülste (Tumores  cystici)  beschrieben.  Diese  Erscheinung  er- 
klärt sich  aus  der  geringeren  Reizung  der  peripherischen  Theile, 
ganz  ebenso,  wie  die  Entstehung  kleiner  fibröser  Knoten,  welche 
als  unvollständige  Aequivalente  für  tuberkulöse,  skirrhöse  und 
syphilitische  Bildungen  betrachtet  werden  müssen,  aus  der  ver- 
hältnissmässig  unzureichenden  Intensität  oder  Menge  des  Infek- 
tionsstoffes (S.  77).  In  diesem  Falle  simulirt  demnach  die 
fibröse  Geschwulst  eine  mehr  gutartige  Natur,  während  sie  aetio- 
logisch  in  eine  ganz  andere  Reihe  hineingehört,  und  man  kauii 
daher  z.  B.  von  einem  syphilitischen  **)  Fibrom  sprechen ,  was 
wohl  zu  unterscheiden  ist  von  der  im  engeren  Sinne  so  zu  neu- 
nenden syphilitischen  Geschwulst. 

Nach  diesen  Bemerkungen  wird  es  nicht  mehr  aufMeo. 
wenn  ich  in  meiner  Darstellung  viel  weniger  von  fibrösen  Ge- 
schwülsten spreche,  als  es  Gebrauch  ist,  und  wenn  ich  mich  zu- 
gleich mehr  darauf  beschränke,  die  Ergebnisse  meiner  eigenen 
Beobachtung  zusammenzufassen  und  nur  in  sehr  bedingter  Weise 
auf  die  Erfahrungen  anderer  zurückgreife. 

Was  zunächst  die  Fibrome  der  Haut  und  des  Unterhaut- 
gewebes anlangt,  so  habe  ich  zu  dem,  was  ich  bei  Gelegenheit 


•)  C.  0.  Weber.    Chirurgische  Erfahrungen  und  üntersuchungeo.  Ber- 
lin. 1859.  S.  291,  295. 

**)  Senft leben  im  Archiv  fOr  klinische  Chimrgte.  186L  Bd.  I.  &  lO?- 


Tuberöse  Fibrome  der  Haut.  351 

der  Elephantiasis,  des  Molluscum  und  der  Papillargescbwülste  er- 
wsUint  habe,  nur  wenig  hinzuzufügen.  Die  meisten  der  Fälle, 
welche  als  Fibroide  oder  fibröse  Geschwülste  der  Haut  beschrie- 
ben worden  sind,  und  namentlich  diejenigen,  bei  denen  eine  aus- 
gezeichnete Multiplicität  beobachtet  worden  ist*),  gehören  zum 
Molluscum  oder  zur  knotigen  Elephantiasis  (S.  309,  327).  Letzteres 
gilt  insbesondere  von  den  congenitalen  Formen,  bei  welchen  eine 
anfangs  kleine  Geschwulst  sich  nach  und  nach  immer  weiter  im 
Umfange  und  in  der  Fläclie  ausbreitet.  **)  Zuweilen  sind  freilich 
auch  diese  Formen  ganz  beschränkt,  solitär  und  nach  einer  ge- 
wissen Zeit  stationär,  aber  dies  ist  nicht  das  Gewöhnliche,  und 
es  begreift  sich  daher  leicht,  dass  man  darauf  geführt  worden 
ist,  eine  Art  von  constitutioneller  Begründung  zu  suchen.  Diese 
Vorstellung  wird  noch  mehr  dadurch  begünstigt,  dass  Fälle  von 
ausgemachter  erblicher  Uebertragung  fibromatöser  Dispositionen 
vorkommen.  Ich  habe  einen  jungen  Mann  gesehen***),  dessen 
Körper  ganz  übersäet  war  mit  Knoten  von  der  Grösse  eines 
Stecknadelknopfs  bis  zu  der  von  Taubeneiern,  und  in  dessen  Fa- 
milie diese  Besonderheit  schon  in  der  dritten  Generation  in  erb- 
licher Weise  vorhanden  war. 

Manche  dieser  Knoten  sind  mehr  weich  und  elastisch  anzu- 
fühlen; manche  dagegen  bestehen  aus  einem  ausserordentlicli 
dichten,  vielfach  verfilzten  Fasergewebe,  welches  an  manchen 
Orten  so  dicht  wird,  dass  es  eine  beinahe  knorpelartige  Consi- 
stenz  annimmt,  am  meisten  vergleichbar  mit  der  Beschaffenheit, 
welche  die  sogenannten  Cartilagines  semilunares  im  Kniegelenk, 
die  keine  eigentlichen  Knorpel  sind,  sondern  nur  Bandscheiben  f), 
besitzen.  Man  hat  sie  deshalb  früher  ebenfalls  Speckge- 
schwülste (Steatome)  oder  auch  wohl  Chondroide  oder  Skle- 
rome  genannt.     Diese  härteren  Formen  haben  gewöhnlich  eine 


♦)  0.  Simon.  Hautkrankheiten.  S.  235.  Taf  V.  Fig.  2.  u.  3.  v.  Bä- 
ren sprang.  Observationes  microscopicae  de  penitiore  tumorum  nonnullorum 
structura.  Diss.  inaug.  Halis.  1844.  p.  27.  Lebert.  Traite  d'anat.  pathol. 
T.  I.  p.  171.  PI.  XX.  fig.  13.  et  14.  Sangalli.  Storia  cliuica  ed  anatonMca 
dei  tumori.  Pavia.  1860.  T.  II.  p.  150.  Busch.  Lehrbuch  der  allg.  Cbi- 
rorgie.  Berlin.  1857.  S.  157.  fig.  53. 

^*)  Lebert    Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Chirurgie  und  path. 
Phys.  S.  76.    Senftleben  a.  a.  0.  S.  95.    V.  Mott.   Med.  cbir.  Transact. 
1854.  Vol  XXXVII.  p.  158.    Bruns.  Prakt.  Chirurgie.  1.  S.  91.  II.  S.  134. 
•♦♦)  Mein  Archiv.  1847.  Bd.  I.  S.  226. 

t)  Cellnlan^athologie.    3.  Anfl.  S.  84. 


352 


DreiiebDte  Vorir^aa^ 


indoleat«  B«seluff«iib«it;  sie  wachsen  meUtMts  langsam,  wisen 
überhaapt  kein^  Nei|niiig  zd  einem  sehr  weit  for^chreitenden 
Wacbüdinm  odi^r  znr  Verschwänrns;,  bleiben  gewöhnlich  anf  einer 
KCwixeeD  Gr6»HH  stationär  und  erlialten  sich  als  bleibende  Bestan«]- 
theile  des  Theiles.  an  dem  sie  sitzen.  Da  sie  ans  Bindesewebe 
mit  viel  IntercellalarsubstaoE  and  wenig  Zellen  bestehen,  welches 
an  Kicb  nicht  sehr  zn  spontanen  Veränderungen  neigt,  so  besreifi 
eit  sich  leicht,  dass  sie  als  bleibende  Bestandtheile  der  Haut  in- 
corporirt,  von  derselben  ernährt  und  so  das  ganxe  Leben  hin- 
durch getragen  werden  können.  Die  Mehrzahl  von  ihnen  giebt 
daher  za  einem  operativen  Eingreifen  keine  unmittelbare  Veran- 
lassung. 

Ein  anderer  Hauptsitz  der  Fibrome  sind  die  Fascien.  wo 
sie  sich  oft  zu  beträchtlicher  Grösse  ausbilden.  In  der  Re^el 
sitzen  sie  mit  einem  gewissen  Theil  ihres  Umfanges  der  Fast-i« 
auf,  während  der  grOssere  Theil  mehr  lose  in  das  umgebende 
Bindegewebe  dringt.  Sie  entsprechen  daher  der  von  Crnveil- 
hier*)  unter  dem  Namen  der  Fibrophytes  parasitaires  implantes 
aufgeführten  Form.  Ihre 
"i  '^  Gestalt  ist  im  Allgemeinen 

rundlich  und  ihre  Einricli- 
tung  lappig.  Zuweilen 
sind  sie  nnilobulär  unil 
dann  zeigen  sie  ein  sebr 
gleichförmiges,  wenig  gf- 
fässhaltiges ,  weisses  oder 
röthlichweisses  Geweiw- 
Meist  jedoch  sind  sie 
niultilobulär  (Fig.  6ii.) 
und  durch  derbere,  welss- 
liche  Faserzfige,  an  denen 
die  einzelnen  Lappen  auf- 
sitzen,   abgetheilt.    Jetlcr 


Pig.  6G.  Fibroma  loUutnrc  fimnrulatnm  ins  der  Ges&aegegeod,  tob 
H«nn  Wilms  eititirpirt.  Man  sieht  von  «iaem  Punkte  »us  die  AuBstnhlun; 
Hehni;:»  PasfriOtne,  na  welihe  »ich  die  einielnen  Uippen  BnBeliliessen,  d^ren 
FuermaHsen  reRelmÜHHif;  gef>en  die  l'eripberie  aaBstrablen.  (Priparal  Nu.  35. 

*)  Craveilbiir    Traik-  d'anat  pKth.  g^ner.  T.  III.  p.  610,  77a 


Fibroma  mucosum  et  ossificum.  353 

Lappen  für  sich  hat  gewöhnlich  wieder  einen  radiären  und  fasci- 
culären  Bau,  indem  die  einzelnen  Faserzüge  sich  verbreiternd 
gegen  den  Umfang  ausstrahlen.  An  der  Oberfläche  des  Körpers 
würde  daraus  die  Form  eines  Fungus  hervorgehen,  aber  meist 
erreichen  sie  die  Oberfläche  gar  nicht.  Viele  wachsen  von  der 
Fascie  nach  innen  zwischen  die  Muskeln  oder  gar  gegen  die 
Gelenke  hin*). 

Man  kann  sie  nach  ihren  inneren  Eigenschaften  in  drei  Unter- 
abtheilungen bringen.  Neben  dem  einfachen,  gewöhnlichen  Fibrom, 
das  ganz  ähnlich  ist  dem  vorher  beschriebenen  harten  Fibrom  der 
Haut,  kommt  eine  Abart  vor,  welche  sich  ihrer  Zusammensetzung 
nach  mehr  den  Schleimgeschwülsten  annähert:  Fibroma  mu- 
cosum. Seine  Consistenz  ist  gewöhnlich  nicht  so  hart,  ja  es 
bietet  oft  eine  leicht  fluctuirende  Beschaftenheit  dar;  auf  dem 
Durchschnitt  tritt  eine  sehr  schlüpfrige,  dem  Hühnereiweiss  ähnliche 
Masse  hervor,  die  bei  der  chemischen  Untersuchung  die  Eigen- 
schaften des  Mucins,  des  wirklichen  Schleims  darbietet.  Dieser 
Schleim  durchdringt  die  Intercellularsubstanz,  aber  er  ist  nicht  so 
überwiegend,  dass  man  berechtigt  wäre,  die  Geschwulst  geradezu 
eine  Schleimgeschwulst  zu  nennen.  Diese  Fornä  ist  mehr  zum 
Wachsen  geneigt;  sie  enthält  auch  in  der  Regel  mehr  GefUsse 
als  die  andere.  Sie  bedingt  daher  öfters  das  operative  Eingreifen, 
und  wenn  die  Beseitigung  an  Ort  und  Stelle  nicht  ganz  voll- 
ständig geschieht,  so  folgen  sehr  leicht  locale  Recidive.  Manche 
Fälle  davon  werden  unter  dem  Namen  des  Sarkoms  (S.  fasci- 
culare)  beschrieben,  weil  allerdings  die  zelligen  Elemente  eine 
stärkere  Entwicklung  erreichen  und  die  ganze  Zusammensetzung 
sich  durch  die  weichere  Beschaftenheit  des  intercellularen  Gewebes 
von  der  gewöhnlichen  fibrösen  Geschwulst  entfernt. 

Eine  dritte  Unterart  bilden  die  ossificirenden  und  petri- 
ficirenden  Fibrome,  die  sich  von  den  eigentlichen  Osteomen 
dadurch  unterscheiden,  dass  die  Ossification  keine  vollständige  zu 
werden  pflegt,  sondern  dass  die  Kalkmasse  in  einzelnen  Körnern  und 
Säulen  durch  die  Geschwulst  hindurch  abgelagert  wird.  In  Folge 
dessen  fühlt  diese  sich  hart  an,  schneidet  sich  schwer,  aber  auf  dem 
Schnitt  erscheinen  nur  einzelne  Punkte,  Linien  oder  Knoten,  welche 
vollständig  verkalkt  sind,  während  dazwischen  eine  mehr  oder 


^  Senftleben  a.  a.  0.  S.  104. 

Virchow,  Gesehwfilst«.    1.  23 


354  Dreizehnte  VorleBnng. 

weniger  grosse  fibröse  Masse  vorhanden  ist  Sie  bleiben  meist  klein 
und  stören  nur  in  dem  Maasse,  als  sie  etwa  an  Stellen  sitzen,  wo 
sie  durch  Druck  häufiger  getroffen  werden,  und  ihrerseits  auf  die 
unterliegenden  Theile  einen  analogen  Druck  ausüben,  z.  B.  am 
Fussrücken*),  wo  sie  in  Wahrheit  „Ueberbeine^  darstellen.  — 

An  die  fascialen  Fibrome  schliessen  sich  unmittelbar  die  des 
Periosts**),  die  keineswegs  häufig  sind,  aber  zuweilen  recht 
gross  werden.  Gewöhnlich  entwickeln  sie  sich  gegen  die  Weich- 
theile  hin,  so  dass  der  Knochen  entweder  ganz  intact  bleibt,  oder 
eine  flache  Depression,  eine  grubige  Atrophie  erfährt,  die  aber 
keineswegs  einen  hohen  Grad  zu  erreichen  pflegt  Dies  gilt  aber 
nur  f&r  die  Knochen,  von  denen  sie  ausgehen ;  auf  andere  können 
sie  einen  solchen  Druck  ausüben,  dass  die  ausgedehntesten  Zer- 
störungen dadurch  hervorgerufen  werden.  Auch  bei  ihnen  kann 
man  ähnliche  Unterscheidungen  wie  an  den  Fascien  machen; 
namentlich  sind  ossificirende  Formen  nicht  selten.  Sie  können 
einen  sehr  erheblichen  Umfang  erreichen,  so  dass  sie  von  aussen 
betrachtet  leicht  den  Eindruck  einer  Periostose  oder  Hyperostose 
machen,  wovon  sie  sich  aber  dadurch  unterscheiden,  dass  die  Ge- 
schwulst auf  der  Oberfläche  des  Knochens  etwas  verschiebbar  ist, 
wenngleich  sie  sonst  so  gleichmässig  von  dem  Knochen  hervorgebt, 
dass  sie  wie  eine  unmittelbare  Production  desselben  erscheinen  mag. 

Von  manchen  und  zwar  gerade  den  schlimmsten  Formen  der 
Fibrome  bleibt  es  oft  zweifelhaft,  ob  man  sie  mehr  zu  den  fascialen 
oder  zu  den  periostealen  rechnen  soll.  Dies  gilt  namentlich  von 
einer  gewissen  Zahl  derjenigen,  welche  an  der  vorderen  Seite 
der  cerebralen  und  spinalen  Wirbelkörper  vorkommen. 
Ja,  zuweilen  bleibt  es  sogar  unentschieden,  ob  nicht  die  Knochen 
primär  ergriffen  sind,  da  ihre  Zerstörung  einen  sehr  hohen  Grad 
erreicht  Cruveilhier***)  erwähnt  einen  Fall,  wo  die  Geschwulst 
gestielt  am  Körper  des  zweiten  Rückenwirbels  sass;  ich  habe  einen 
ganz  ähnlichen  beobachtet  f).    Der  gewöhnlichste  Sitz  ist  aber  die 


^)  Präparat   unserer  Sammlung   No.  370.  vom  Jahre  1858.    vgl  Cro- 
veilbier  I.  c.  p.  775. 

^*)  Job.  MO  11  er  in  seinem  Archiv.  1843.  S.  436.    Stanley.   A  iittüit 

00  diseases  of  the  bones.    Lond.  1849.  p.  179.     Cr u veilbier  1.  c.  T.  111- 

p.  639.    Demarquay.   Trait^  des  tomeurs  de  Torbite.   Paria.   1860.  p.4^ 

•♦•)  Cruveilbier  1.  c.  T.  111.  p.  641. 

t)  Im  Dccember  1845  fand  icb  bei  der  Autopsie  einer  alten,  an  Gao- 

graena  senilis  gestorbenen  Frau  in  der  Bmatböhle  Ober  den  Körpern  de» 


Nasen  -  Rachenpolypen.  355 

obere  Hals-  und  die  Basilargegend ,  und  das  Gewächs  erscheint 
dann  entweder  als  Retropharyngealgeschwulst*),  oder  in 
der  so  gef&rchteten  Form  des  Nasen-Rachenpolypen,  oder 
endlich  als  eine  mehr  verborgene  Anschwellung  des  Halses**),  der 
Orbital-,  Temporal-  oder  Sphenopalatinalgrube.  Offenbar  ist  die 
polypöse  Form  die  bei  Weitem  wichtigste  *,  sie  hat  zugleich  das 
historische  Interesse,  dass  es  sich  hier  um  die  Polypen  ocar 
f^oxnv  (S.  10)  handelt,  und  dass  dieselben  hier  nicht  nur  viel- 
ästig, sondern  auch  wirklich  vielfussig  sind,  d.  h.  mit  mehrfachen 
Wurzeln  festsitzen. 

Die  vor  einigen  Jahren  in  der  chirurgischen  Gesellschaft  zu 
Paris  gepflogenen  Discussionen  ***)  über  diese  so  schwer  zu  ope- 
rirenden  Formen  und  die  späteren  Beobachtungen  f)  haben  auch 
zugleich  die  anatomische  Kenntniss  erweitert.  Insbesondere  wies 
Robert  darauf  hin,  dass  diese  Geschwulste  von  der  Aponeurose 
am  Foramen  lacerum  anterius  ausgingen;  andere  ff)  überzeugten 
sich,  dass  sie  zuweilen  an  dem  ganzen  Os  tribasilare  und  selbst 
noch  an  dem  Atlas  und  den  oberen  Halswirbeln  anhingen,  von 
wo  sie  sich  in  den  Schlund,  die  Nase  u.  s.  w.  hervordrängen. 
Lebertftt)  hat  mehrere  der  damals  discutirten  Fälle  in  seinem 
grossen  Atlas  abbilden  lassen.  Ob  einer  oder  der  andere  dem 
Sarkom  näher  stehen  dürfte,  möchte  man  vermuthen,  da  die  Schä- 
delknochen zum  Theil  ganz  zerstört  waren.    Ebenso  verhält  es  sich 


3.  und  4.  Räckenwirbels  nach  der  linken  Seite  hin  eine  Höbnereigrosse, 
haute,  runde  Geschwobt,  welche  den  Knochen  etwas  atrophirt  hatte,  mit 
dem  Intervertebralknorpel  nicht  zusammenhing,  von  dem  Ligam.  longit.  ant. 
bedeckt  wurde  und  damit  zusamnienfloss.  Durchschnitten  zeigte  sie  sich  ans 
einer  Menge  grösserer  Lappen  zusammengesetzt,  welche  aus  sehr  hartem 
Paeergewebe  bestanden. 

♦)  Syme.  The  Lancet  1856.  No.  2.    Berr.   Bayrisches  ärztliches  Intel- 
ligenzblatt  1861.  S.  419. 

**)  MaisoDDenve.   Gaz.  des  h6p.  1854.  No.  69. 

♦♦•)  Giraldes.  Gaz.  des  höp.  1850.  No.  46.  p.  183.  Forget.  l'ünion 
m^  1850.  No.  149.  Robert  et  Gerdy.  TUnion  med.  1852.  No.  25.  p.  105. 
Ungnier.  Gaz   des  hdp.  1852.  No.  32.  p.  127. 

t)  Scbnh.  Pseudoplasmen.  1854.  S.  105.  d'Ornellas.  Des  polypes 
fibreox  de  Ift  base  du  cräne.  These  de  Paris.  1854.  Middeldorpf.  Die 
Galvanokaastik.  Breslau.  1854.  S.  146.  Th.  John.  De  polypis  narium 
eorumqoe  diversis  operandi  methodis.  Diss.  inaug.  Vratisl.  1855.  p.  4. 
ff)  N^latoo.  Gaz.  des  hdp.  1853.  No.  5.  Michaux  ibid.  No.  13. 
ttt)  L«bert  Trait^  d'anat  path.  T.  I.  p.  172.  PI.  XX.  fig.  18.  PI.  XXI. 
fig.  1  —  3. 

23  • 


356  Dreizehnte  Vorlesung. 

mit  einigen  späteren  Fällen*).     Indess  moss  die  polypöse  Form 
im  Grossen  den  Fibromen  zugezahlt  werden.  — 

An  den  meisten  anderen  bindegewebigen  Theilen  des  Körpers 
kommen  tuberöse  Fibrome  entweder  gar  nicht  vor,  oder  wenig- 
stens ganz  vereinzelt,  wie  z.  B.  am  Herzen**),  oder  sie  sind  so 
klein,  dass  man  sie  mit  ebenso  viel  Grund  zu  den  papillären 
rechnen  kann.  Dahin  gehören  insbesondere  die  fibrösen  Poly- 
pen des  Larynx  ***),  welche  am  gewöhnlichsten  an  den  derben 
Theilen  der  Stimmbänder  sitzen,  und  bald  mehr  die  eigentliche 
Condylomform  tragen,  bald  als  einfache,  solide  Auswüchse  hervor- 
treten. Sie  haben  verhältnissmässig  viel  Aehnlichkeit  mit  den 
Excrescenzen  der  serösen  und  Synovialhäute.  — 

Alle  diese  Formen  sind  im  Wesentlichen  hyperplastische,  also 
vollständig  homologe,  oder,  wie  man  sonst  wohl  sagte,  hypertro- 
phische, die  auch  in  den  Fällen,  wo  an  denselben  Theilen,  z.  B. 
an  der  Haut,  sehr  viele  vorkonmien,  doch  nicht  einfach  auf  eine 
besondere  fibromatöse  Dyskrasie  bezogen  werden  dürfen.  Viele 
erklären  sich  genügend  aus  einem  besonderen,  veränderten  Zu- 
stande des  Gewebes,  in  welchem  sie  entstehen.  Man  muss  sieb 
nur  erinnern  an  das  typische  Beispiel,  das  ich  von  der  Niere 
(S.  333)  geschildert  habe,  wo  neben  einer  leichten  interstitiellen 
Nephritis,  welche  durch  das  ganze  Organ  geht,  an  gewissen  Stellen 
Fibrome  bestehen,  die  in  jedem  Markkegel  zu  einzelnen  oder 
mehreren  vorkommen.  Das  ist  genau  derselbe  Fall,  wie  wenn 
Jemand  die  äussere  Haut  mit  solchen  Geschwülsten  durchsetzt 
hat.  An  den  serösen  Häuten  kommt  es  manchmal  vor,  dass  mau 
an  einer  derselben  einen  ganzen  Haufen  grösserer  und  kleinerer 
fibröser  Knoten  findet.  Jedermann  betrachtet  sie  als  den  Aus- 
druck einer  entzündlichen  Reizung,  die  über  die  ganze  Fläche 
verbreitet  war,  wenngleich  dieselbe  nicht  an  allen  Stellen  dasselbe 


♦)  C.  0.  Weber  a.  a.  0.  S.  384.  Taf.  IV.  fig.  11.  E.  Nöggeratb. 
Spioilegium  casuura  nonnullorum.  Diss.  inaug.  Bonn.  1852.  H.  R.  Arndt. 
De  specimine  quodam  polypi  narium  fauciumque.    Diss.  ioaug.  Berol.  IK')!)- 

♦♦)  Albers.  Atlas  der  path.  Anat.  Bd.  III.  Tif.  10.  Fig.  1-2.  Laschk» 
in  meinem  Archiv.  Bd.  Vlll.  S.  343.  Kottmeier.  fibendas.  Bd.  XXIU. 
S.  434.  Taf.  IV.  Fig.  3. 

**♦)  Khrmanii.    Histoire  des  polvpes  du  laryax.  Strasb.  1850.     Roki- 
tansky. Zeitschr.  Wiener  Aerzte.  IHal.  Mai.  S.  1(16.    M iddeldorpf.  Oal 
vanokaustlL.  S.  I7(i.     G.  Lew  in.  DcuUche  Klinik.  1862.  No.  12.  ff. 


GoDstitationelle  BeziehaDgen  der  Fibrome.  357 

Resaltat  herrorbringt.  Bei  einer  chronischen  Perisplenitis  ist  nichts 
gewöhnlicher,  als  dass  Knoten  sich  bilden;  es  kommt  vor,  dass 
kleine  knorpelartige  Fibrome,  manchmal  zu  Hunderten,  auf  der 
Oberfläche  einer  Milz  vertheilt  sind,  ohne  dass  eine  gleichmässige 
Verdickongs  -  Schicht  sich  bildet. 

Diese  Fälle  beweisen,  dass  innerhalb  einer  grösseren  häutigen 
oder  bindegewebigen  Ausbreitung  ein  Zustand  von  Vulnerabilität, 
von  Yerletzbarkeit  bestehen  kann,  der  unter  verhältnis^^mässig 
leichten  Einwirkungen  isolirtc  Eruptionen  hervorbringt.  Die 
knotigen,  tuberösen  Fibrome  stehen  darin  vollständig  parallel 
den  warzigen,  welche  sehr  häufig  multipel  sind  und  nicht 
allein  an  den  Händen  in  grosser  Zahl  hervorwachsen,  sondern 
auch  am  übrigen  Körper  in  grosser  Verbreitung  sich  finden.  Man 
kann  da  nicht  ohne  Weiteres  auf  eine  warzige  Dyskrasie  oder 
eine  warzige  Constitution  des  Körpers  im  Ganzen  schliessen,  denn 
nur  die  Haut  nimmt  an  dieser  Disposition  Theil.  Studiren  wir 
aber  diese  Fälle  genauer,  so  ergiebt  sich,  dass  an  den  Händen 
die  Gelegenheitsursachen  immer  in  äusseren  Reizen  bestehen,  und 
dass  solche  Personen,  welche  wenigen  Reizen  ausgesetzt  sind, 
auch  wenige  oder  keine  Warzen  haben.  Es  ist  ja  kein  Zweifel, 
dass  diejenigen  Klassen  des  Volkes,  welche  mit  ihren  Händen 
nicht  gerade  sehr  schwierige  Arbeiten  zu  verrichten  haben,  auch 
sehr  wenig  an  Warzen  leiden,  während  Köchinnen,  Kutscher, 
Handwerker,  Arbeitsleute  oft  in  hohem  Maasse  davon  geplagt 
sind.  Das  ist  offenbar  die  Wirkung  ihrer  besonderen  Beschäfti- 
gung, und  jeder  andere  Theil  des  Körpers  kann  unter  gewissen 
Verhältnissen  ähnliche  Dispositionen  erleiden.  Vor  einigen  Jahren 
habe  ich  hier  einen  jungen  Menschen  vorgestellt,  der  mit  conge- 
nitalem Defecte  der  Arme  zur  Welt  gekommen  war;  dieser  hatte 
sich  mit  den  Füssen  zu  allerlei  Dingen  exercirt,  welche  sonst 
mit  den  Händen  gemacht  werden,  z.  B.  Nähen,  Schreiben.  Bei 
ihm  waren  die  Füsse  ebenso  mit  Warzen  bedeckt,  wie  bei  anderen 
Leuten  die  Hände  es  sind.  Es  ist  dies  um  so  mehr  charakte- 
ristisch, als  sonst  gerade  die  Ffisse  ausserordentlich  wenig  von 
Warzen  leiden,  da  sie  nicht  jenen  beschränkten,  feinen,  oft  wieder- 
holten Reizen  ausgesetzt  sind,  wie  sie  bei  vielen  Handarbeiten 
vorkommen. 

Es  zeigt  sich  weiterhin  darin   eine  grosse  Verschiedenheit, 


358  Drendute 

das»  das  eine  IndiTidmim  vitter  ^^eieh^  TeffUldusseii  Warzen 
erzeugt,  rlas  andere  nicht  ja  dass  ancfa  bei  dcmselbea  IndiTidaum 
in  gewisi^en  Zeiträumen  leichter  Warzen  prodatirt  werden.  Da^ 
lehrt  uns,  dass  in  den  Geweben,  weiche  der  Sitz  einer  solchen 
Wucherung  werden,  eine  variable  Disposition  bestebt.  Diese 
muss  in  dem  Zoi^tande  der  Thede  als  sokber  be^rlndet  sein,  da 
sie  ja  auf  bestimmte  äussere  Reize  Terschiedene  Leistongen  her- 
vorbringen. Wird  die  Störung,  welche  stattgefunden  hat.  leicht 
ausgeglichen,  dann  wird  sie  auch  ohne  ResoHat  Toinbergehen. 
Daher  glaube  ich,  dass  man  in  allen  diesen  Fallen  zoniehst  auf 
eine  locale  Prädisposition  zurückgewiesen  wird«  nnd  das.s 
damit  au<'h  die  Multiplicitat  dieser  Geschwülste  sich  vollständig 
erklärt.  Will  man  aber  consequent  im  Sinne  der  Hamoralpatho- 
logen  vorwärts  gehen,  dann  kommt  man  za  dem  Resultat ,  was 
heut  zu  Tage  noch  im  Volke  viel&ch  lebt,  dass  die  Wanen  an- 
stecken, und  dass  das  Ansteckende  im  Blute  liegt  Es  ist  ja  ein 
altes  Vorurtheil,  dass,  wenn  man  eine  Warze  abschneidet  und 
Blut  davon  auf  die  Haut  kommt,  eine  neue  Warze  entsteht.  Da.< 
ist  eine  Folge  der  alten,  im  Volke  steckenden  homoralpatholo- 
gischen  Doctrinen,  die  consequenter  Weise  nicht  anders  durch- 
gebildet werden  können,  als  dass  man  auch  das  Blnt  in  der 
Warze  als  den  eigentlichen  Träger  des  Contagiums  und  der 
Dyskrasie  ansieht  (S.  39). 

Für  die  örtliche  Prädisposition  sprechen  femer  jene  zahl- 
reichen Fälle  von  congenitalen  Fibromen,  welche  aof  geringe 
Reize  in  vermehrtes  Wachsthum  gerathen  und  sich  zn  grossen 
Geschwülsten  ausbilden.  Es  sprechen  daf&r  die  freilich  viel  selte- 
neren erblichen  Formen,  die  sich  erst  nach  der  Gebort  entwickeln 
und  deren  Multiplicitat  sich  immer  auf  ein  einziges  System  be- 
schränkt. Es  sprechen  endlich  dafQr  die  zahlreichen  Fälle,  wo 
geringe  Traumen  die  veranlassende  Ursache  für  die  Elntwickelung 
von  Fibromen  abgeben,  oder  wo  die  eigentliche  Geschwnlstbil- 
(lung,  wie  das  bei  der  Elephantiasis  so  scharf  hervortritt,  auf 
einem  durch  voraufgegangene  Krankheitsprocesse  pridisponirten 
Boden  stattfindet. 

Zu  wiederholten  Malen  habe  ich  hervorgehoben  (S.  41. 
<i(),  75),  dass  ich  damit  die  Frage  nach  einem  dyskrasischen 
Grunde  nicht  ausschliesse,  ja  dass  ich  nicht  einmal  die  specifische 


Heteroplastiflche  Fibrome.  359 

Natur  einer  solchen  Dyskrasie  leugne.  Die  Syphilis  dient  hier 
als  bestes  Beispiel.  Sowohl  bei  den  spitzen,  als  breiten  Condy- 
lomen hat  man  sie  herangezogen.  Von  den  breiten  ist  es  un- 
zweifelhaft, dass  sie  der  constitutionellen  Lues  angehören,  und 
wir  werden  darauf  zurückkommen.  Von  den  spitzen  ist  es  un- 
zweifelhaft, dass  ein  unreiner  Beischlaf  sehr  häufig  die  Veran- 
lassung dazu  abgiebt.  Sind  sie  deshalb  syphilitisch?  Gewiss 
nicht  Irgend  ^in  scharfes  Secret,  mag  es  nun  syphilitisch  sein 
oder  nicht,  dient  als  örtlicher  Reiz,  und  es  entsteht  eine  Binde- 
gewebsgeschwulst,  wie  ein  anderes  Mal  eine  „syphilitische* 
Exostose  sich  bildet,  die  doch  als  nicht  specifisches  Ergebniss 
einer  schwachen  Reizung  einer  specifischen  Dyskrasie  erscheint. 
Der  specifische  Stoff,  das  besondere  Virus  wirkt  hier  nicht  als  Spe- 
cificum,  sondern  als  allgemeines  Acre. 

Mag  daher  auch  eine  Dyskrasie  der  Träger  des  Reizes  sein, 
so  ist  das  Fibrom  wesentlich  als  ein  Gebilde  von  durchaus 
localer  Bedeutung,  und  daher  im  gewöhnlichen  Sinne  als  gut- 
artig zu  betrachten.  Mag  es  auch  wachsen  und  sich  ausbreiten, 
so  hat  es  doch  wenig  Neigung  zu  ulceriren  und  noch  weniger 
zu  inficiren.  Im  Gegentheil,  viele  der  hier  in  Betracht  kom- 
menden Gebilde,  namentlich  Warzen  und  Condylome,  jedoch 
auch  die  leichteren  elephantiastischen  Formen  (Scleriasis,  Fibrome 
der  Brust)  bilden  sich  häufig  spontan  zurück,  indem  sie  einer 
langsamen  Atrophie  und  Resorption  unterliegen.  — 

Ausser  den  hyperplastischen  Formen  giebt  es  endlich  noch 
eine,  freilich  sehr  viel  kleinere  Gruppe  von  Fibromen  hetero- 
plastischer  Natur,  —  heteroplastisch  nicht  in  dem  Sinne  des 
Bösartigen  genommen,  sondern  im  Sinne  einer  Entwickelung,  welche 
einen  anderen  Typus  hervorbringt,  als  das  Muttergewebe  besitzt 
Allerdings  ist  diese  Heteroplasie  nur  eine  niederen  Grades,  indem 
das  neu  entstehende  Bindegewebe  nicht  aus  Bindegewebe,  sondern 
aas  einem  anderen,  verwandten  Gewebe  der  Bindesubstanz-Gruppe 
hervorgeht     Immerhin  ist  es  keine  Hyperplasie. 

Diese  Form  findet  sich  verhältnissmässig  am  häufigsten  in 
den  Knochen,  hervorgehend  entweder  aus  dem  Knochengewebe 
selbst,  oder  aus  dem  Mark,  also  aus  verwandten  Geweben,  die 
aber  doch  wesentlich  vom  Bindegewebe  verschieden  sind.    Unter 


360  Dreizehnte  Vorlesung. 

den  Knochen,  welche  der  Sitz  einer  solchen  Bildung  werden, 
sind  es  die  Kieferknochen,  welche  sich  durch  ihre  grosse 
Neigung  zu  heteroplastischen  Formationen  vor  allen  anderen 
Bestandtheilen  des  Skelets  auszeichnen.  Sowohl  im  Ober-  als 
im  Unterkiefer  kommen  solche  Fibrome  in  sehr  grosser  Ausdeh- 
nung vor*). 

Aehnlich  wie  die  Fibrome  der  Fascien  und  des  Periosts  be- 
stehen auch  diese  meistentheils  aus  einem  sehr  dichten,  vielfach 
verflochtenen  sehnigen  Gewebe,  welches,  indem  es  sich  nach 
allen  möglichen  Richtungen  durcheinanderschlingt,  kleinere  Kno- 
ten bildet,  die  sich  miteinander  zu  dem  grossen  Gesammttumor 
zusammensetzen.  Der  grosse  Tumor  besteht  also  eigentlich  aus 
einer  Reihe  von  Lappen  oder  von  einzelnen  kleineren  Tumoren, 
und  jeder  kleinere  Tumor  wiederholt  in  sich  dasselbe  filzige 
Geflecht,  welches  die  anderen  charakterisirt.  In  diesem  filzi|;en 
Geflecht  findet  sich  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  eine  ge- 
wisse Zahl  von  harten,  beim  Schneiden  grossen  Widerstand  lei- 
stenden Stellen,  die,  wenn  der  Schnitt  geschehen  ist,  dem  Finger 
wie  eine  Einsprengung  von  Sand  oder  Kieselstückchen  erscheinen. 
Isolirt  man  sie,  so  ergiebt  sich,  dass  sie  bald  längere  Balken 
bilden,  die  untereinander  in  Verbindung  treten,  bald  isolirte  kleine 
Körner  oder  Stäbchen,  kurze  Cylinder,  oder  auch  wohl  unrcgel- 
mässig  gestaltete,  oft  sehr  spitzige  Massen  sind.  Sic  erweisen 
sich  in  manchen  Fällen  als  einfache  Verkalkungen  des  Gewebes, 
in  anderen  als  wirkliche  partielle  Ossiticationen. 

Auch  hier  ist  man  nicht  berechtigt,  die  Geschwulst  eine 
Knochengeschwulst  zu  nennen,  denn  sie  kann  eine  sehr  bedeu- 
tende Grösse  erreichen,  ohne  dass  erhebliche  Theile  von  ihr  ossi- 
ficiren.  Ossificirt  sie  ganz  und  gar,  dann  ist  sie  natürlich  zu  den 
Osteomen  zu  rechnen.  Aber  gewöhnlich  findet  sich  nur  eine  zer- 
streute Zahl  von  kleinen  Kalk-  und  Knochen-,  auch  wohl  Knorpel- 
inseln, welche  den  fibrösen  Gesammthabitus  der  Geschwulst  nicht 


*)  Paget.  Lecturos  on  sargical  path.  II.  p.  145.  Stanley.  Diseases 
of  bones.  p.  281.  A.  Borchert.  Nonnulla  de  excisione  maxillae  superiori« 
totali.  Dis8.  iiiaug.  Ro»t.  1847.  p.  18.  Schuh  a.  a.  0.  S.  149.  Billroth. 
Deutsche  Klinik.  1855.  No.25.  Senft leben  a.  a.  0.  S.  100.  Maisonneuvc. 
(lax.  mod.  1856.  No.  21  p.  322.  Rissmann.  De  resectiouibns  ac  duobu» 
re^ectionis  utriusque  maxillae  superioris  exemplis.  Diss.  inang;.  Berolini.  1867. 
p.  iü.    C.O.Weber.    Die  Knochengeschwülste.    Abth.  I.  S.  94.  Taf.  II.  Fig.  J. 


Heteroplaatitcbe  FibTome  der  Rnorhen.  361 

verändern.  Man  mass  letztere  also  den  auflgesprochenen  Grund- 
»ätzen  gemäss  al»  Fibroma  ossificum  und  petrificum  be- 
zeichnen. 

Die  Bildung  dieBer  Fibrome  geht  nicht  aus  von  einer  binde- 
gewebigen Hatrin,  sondern  von  dem  Mark  und  Knochengewebe; 
liiese  verschwinden,  und  an  ihre  Stelle  tritt  die  fibrCse  Masse. 
Anfangs  substituirt  sie  einfach  die  früheren  Gewebe,  bald  aber 
wird  sie  viel  grOsser  als  die  frühere  KnochenmasHe  war.  Dann 
wölbt  sie  sich  allmählich  an  der  Oberfläciie  hervor,  und  „treibt 
den  Knochen  auf."  Je  nach  der  LocalitSt  kann  sich  die  äussere 
Beschaffenheit  verschieden  gestalten. 

Entstehen  die  Geschwülste  central,  und  erhält  sich  das  Periost 
an  ihrer  Oberfläche  längere  Zeit  intact,  so  bildet  es  immer  wieder 

Fig.  ST. 


an  der  Oberfläche  neue  Knochcnscbichten,  wie  beim  wachsenden 
Knochen;  die  Geschwulst  bleibt  dann  nach  aussen  umhüllt  von 
einer  knöchernen  Schale,  —  ein  Verhältniss,  welches  früher  ge- 
wöhnlich so  gedeutet  wurde,  dass  man  annahm,  es  dehne  die 
Geschwulst  den  Knochen  einfach  mechanisch  aus,  und  schiebe  die 
äusseren  Schichten    nach    aussen.      Diese  Deutung    ist   um  des 


Fig.  l>7.  Fibroma  licleroplasticiim  petrificum,  au»  der  M»rkhöhle  des 
Unterkiefers  herrortEegan^eD.  Fnustgrosse  Geschwulst  von  derbem,  filzigem 
Bau.  Ar  vielen  Stellen  sind  die  F»i>crbalken  verkalkt.  Die  Oberfläehe  lappig, 
nk'ht  uIceTös,  keine  KDoehennchale.  Von  Ilerro  Wilma  rebetirt.  Durrhitchnill. 
(Präparat  No.  55.  vom  Jabre  1857). 


362.  Dreixehnte  Yorlesuiig. 

ümstandes  willen  zurückzuweisen,  weil  die  Ausdehnung  dieser 
Geschwülste  so  gross  ist,  dass  bei  einer  blossen  Auseinander- 
treibung die  Knochenschale  nicht  mehr  vollständig  geschlossen 
bleiben  könnte.  Es  geschieht  yielmehr  eine  Neubildung  von  Kno- 
chensubstanz an  den  Oberflächen  aus  dem  Periost,  ganz  nach  Art 
der  Apposition  neuer  Schichten  auf  den  wachsenden  Knochen. 

Sitzen  die  Geschwülste  dagegen  mehr  oberflächlich,  so  dass 
sie  frühzeitig  an  das  Periost  herankommen,  und  dass  dieses  stark 
gespannt  wird,  dann  fehlt  die  Knochenschale.  Das  ist  am  Ober- 
kiefer oft  der  Fall,  wo  die  Geschwülste  sich  nach  der  Highmors- 
höhle hin  besonders  leicht  entwickeln  und  diese  ausfällen,  weil 
nach  dieser  Richtung  kein  grosser  Widerstand  besteht*).  Auf 
diese  Weise  kann  es  geschehen,  dass  die  Höhle  ganz  obliterirt, 
und  der  Oberkiefer  in  eine  compakte  dicke  Masse  verwandelt 
wird.  Es  ist  dies  eine  der  derbsten  Geschwulstformen,  die  es 
überhaupt  giebt.  Daher  hat  man  sie  früher  häufig  Osteostea- 
toma  genannt. 

Ausser  in  den  Knochen  gehören  Fibrome  in  solchen  Theilen, 
wo  normaler  Weise  kein  Bindegewebe  existirt,  zu  den  grössten 
Raritäten.  Ueberhaupt  ist  das  Fibrom  unter  allen  heteroplasti- 
schen Gewächsen  relativ  das  seltenste  und  zugleich  das  unschul- 
digste, denn  selbst  die  ausgeprägtesten  Fälle  von  heteroplastischem 
Fibrom  der  Kiefer  geben  bei  vollständiger  Exstirpation  oder  Re- 
section  die  günstigste  Prognose. 

Indess  giebt  es  auch  in  der  Geschichte  der  Fibrome  einen 
düsteren  Punkt.  Paget**)  hat  zuerst  die  Aufmerksamkeit  auf 
einzelne  Fälle  von  malignen  fibrösen  Geschwülsten  gelenkt,  wo 
theils  Recidive  an  den  Narben,  theils  innere  Metastasen,  nament- 
lich in  den  Lungen  und  an  der  Pleura  nach  der  Exstirpation  vor- 
kamen. Insbesondere  schildert  er  einen  solchen  Fall  von  der 
weiblichen  Bnist,  einen  von  dem  Schulterblatt.  Richard  Volk- 
mann ••*)  hat  ein  paar  ähnliche  beschrieben,  wo  die  Extremitäten- 


•)  Indess  giebt  es  auch  fibroide  Geschwülste  der  Oberkieferhöh k 
welche  in  ihr  selbst  entstehen.  N^Iaton.  Compt  rend.  de  U  Soc.  de  Bio- 
logie. T.  III.  p.  43.  W.  Lesenberg,  üeber  Geschwülste  der  Oberkiefer 
höhle.  Inaug.  Diss.  Rostock.  1856. 

♦♦)  Paget.    Lectures  on  surg.  path.  II.  p.  151. 

♦*•)  R.  Volkmann.  Bemerkungen  über  einige  vom  Krebs  lu  trennendf 
Geschwülste.  (Aus  dem  4.  Bande  der  Abhandl.  der  Natarf.  Ges.  zu  Halle) 
1858.    S.  8. 


Maligne  Fibrome.  363 

knochen  der  primäre  Sitz  des  Ucbels  waren.  Auch  unsere  Samm- 
lung besitzt  ein  Präparat*) ,  wo  neben  einem  ungeheuren  Tumor 
des  Uterus  zahlreiche  Secundärgeschwülste  des  Bauchfelles,  des 
Netzes,  des  Gekröses,  der  Pleura  vorhanden  sind.  Einige  dieser 
Fälle  schliessen  sich  dem  Sarkom«  andere  dem  Chondrom  sehr 
nahe  an,  und  ich  werde  darauf  zurückkommen;  eine  genaue  Dar- 
stellung derselben  ist  bei  der  geringen  Zahl  der  bekannten  Beob- 
achtungen noch  nicht  ausführbar. 


♦)  Präparat  No.  1270.  vom  Jahre  1853. 


Vierzehnte  Vorlesung. 

17.  Januar  1863. 


Lipo 


UnEwerkinädtfigkeit   den  Namens   Steatnm.      Unterschied    der   Lipome    von   talgartigen    Atberomca 
Cbolestearincysten,  fetthaltigen  Kystomen  und  Cholesteatomen.    Zusammensetzung. 

Das  hypcrplastische  Lipom.     Vcrhältniss   zur  Polysarcie   (Obesitas).     Lappiger  Bau.    Vahe 
täten:   L.  raoUe  s.  vulgare,   L.  durum  s    fibrosum,  L.   teleangiectodes ,    L.  ossifirura  et  pftri- 
ficum,   L.  gelatinosum  s.  cuUoides,  L.  rysticum.    Neubildung  im  Vergleich  zur  Fötalentwirkr- 
lung.    Irritativer  Ursprung.     Vorkommen:   subcutan,  subfa^cial  und  intennascalar,  intraorbital. 
subseroH  und  Mub^ynovial,  subraucös. 

Verschiedene  Formen : 

1.  Lipoma  simplex  tuberosum.    Aeusserer  Balg.    Wurzel  oder  Stiel. 

2.  Lipoma  capsulare.    Auge.  Herz.  Nieren:  Verhältniss  zur  Nierenschrumpfung.  W(>ib 
liebe  Brust:   gewöbuliches   und  capsulares  Lipom.    Verh&ltniss  des  letzteren  zu  Skirrk 
und  interstitiellor  Nfastitiü.     Hernien:    Omentallipom ,    Hernia  lipomatos«,    Lipoma  hfr- 
niosnm  capsulare,  Complication  mit  Hydrocele  heruiosa.     Lymphdrüsen. 

3.  L  polyposuiH.  Physiologische  Beispiele:  Appendices  epiploicae,  8ynoviairort>itif. 
L.  arboresceus:  Gelenke,  Schleimbeutel.  Hautpolypen:  Ortsverinderung.  Ma((«a 
und  Darm.  Seron e  und  Synovialhäute:  Ablösung  des  Stiels,  halbknorpelige  Nek- 
rose, Petrificatiun,  Schmelzung  des  Fettes.  Freie  Körper  der  Bauchhöhle,  der  Srblcim- 
beutel  und  (ielenke. 

Das  heteroplastischc    Lipom.     Nieren.     Hirn-  und  Rückenmarkshaute.     Transformation  \oa 

Knorpel,  Bindegewebe  u.  ».  w.  in   Fettgewebe.     Lipome  der  Conjunctiva  balbi,  des  Scroton» 

und  der  Schamlippen.     Discontinuirliche  Lipome. 
Multiple  Lipome.     Dyskrasie.     Locale   Irritatiou.    Prädisposition:    congenital  iftid  erblich,  tt 

worben. 
Spätere  (ieschict^o  der  I^ipome:  Mangelhafte  Rückbildung,  Verhärtung,  Verkmlkung,  VerschväntRi:. 

Abscessbildung,  Erweichung. 
Lipome  der  Wangen.     Corpus  adiposum  malae. 


Als  zweite  Art  der  Gewächse,  welche  aus  einem  Gewebe  der 
Bindesubstanzreihe  bestehen,  wollen  wir  die  Lipome  oder  Fett- 
gewächse besprechen. 

Man  hat  sich  in  der  neueren  Zeit  viele  Mühe  gegeben,  neben 
den  Lipomen  noch  eine  besondere  Kategorie  von  Fettgewächsen 


Steatom.  .      365 

unter  dem  alten  Namen  Yon  Steatomen  festzuhalten.  Ich  halte 
es  nicht  für  nöthig  und  noch  weniger  für  zweckmässig,  dass  man 
einen  Namen  wieder  ins  Leben  ruft,  der  auf  die  allerverschieden- 
artigsten  Geschwülste  angewendet  worden  ist.  Während  nehm- 
lich  bei  Galen  eine  Form  des  Atheroms,  die  mit  talgartigem 
Inhalt,  als  Steatom  bezeichnet  wird  (S.  13),  so  hat  man  später- 
hin den  Namen  auf  eine  Menge  von  Geschwülsten  ausgedehnt, 
welche,  wie  man  sich  ausdrückte,  eine  speckige  Gonsistenz  hatten, 
ohne  doch  so  marmorhart  zu  sein,  wie  die  Skirrhen.  So  ist  in 
den  letzten  Jahrhunderten  Steatom  (Speck geschwulst,  Tumor  lar- 
dac«us)  eine  Bezeichnung  geworden,  die  bald  auf  fibröse  Ge- 
schwülste (S.  325),  bald  auf  wirkliche  Carcinome,  auf  Enchon- 
drome  und  alles  Mögliche  angewendet  worden  ist.  Die  Bezie- 
hung auf  Fett  ist  dabei  bald  festgehalten,  bald  aufgegeben  worden ; 
immerhin  hielt  man  sich  häutiger  an  die  derbe  Gonsistenz,  als  an 
die  fettige  Natur.  Auf  alle  Fälle  war  es  ein  Fortschritt,  als 
Littre*)  den  Namen  des  Lipoms  vorschlug,  und  damit  die 
eigentliche  Fettgeschwulst  mit  Bewusstsein  von  dem  Steatom 
trennte.  Freilich  hat  es  lange  genug  gedauert,  ehe  die  neue 
Bezeichnung  allgemein  verstanden  wurde,  und  noch  ein  Jahrhun- 
dert später  berichtet  Meckel**),  dass  man  damit  Geschwülste 
ganz  verschiedener  Art  belegt  habe.  Indess  hat  sich  doch  das 
Verständniss  mehr  und  mehr  geklärt,  und  es  liegt  jetzt  am  wenig- 
sten ein  Grund  vor,  noch  wieder  eine  neue  Bezeichnung  einzu- 
führen, und  das  Lipom  nunmehr  ein  Adipom  zu  nennen,  wie 
Cruveilhier***)  will.  Kein  Name  schützt  an  sich  vor  Irrthümern, 
wenn  er  niclit  genau  definirt  ist  und  von  ununterrichteten  Leuten 
angewendet  wird.  Diese  Definition  ist  aber  vorhanden,  wenn  man 
unter  dem  Namen  des  Lipoms  nur  ein  aus  Fettgewebe  be- 
stehendes Gewächs  versteht,  und  nicht  eine  beliebige  Geschwulst, 
welche  überhaupt  Fett  enthält,  also  namentlich  nicht  die  talg- 
artigen Atherome,  die  einfachen  Cholestearincysten  und  die  fett- 
haltigen Dermoidcysten  (Kystome). 

Auch  noch  in  der  neueren  Zeit  haben  viele  Chirurgen  fort- 
gefahren, das  Lipom  als  eine  Balggeschwulst  (Tumor  cysticus) 


♦)  Littr^.    Hist  de  TAcad.  Royale  des  Sciences.  Ann.   1709.  Observ. 

••)  Job.  Fr.  Meckel.  Pathol.  Anat.  1818.  IL  2.  S.  119.  Note. 
♦♦•)  Cruveilhier.    Traite  d'anat.  path.    T.  111.    p.  302. 


366  Vierzehnte  Vorlesong. 

za  betrachten,  und  selbst  M ecke I  ist  Yor  der  Verwechselung  des- 
selben mit  Kystomen  nicht  geschützt  geblieben.  Daher  sind  die 
älteren  Beschreibungen  mit  grosser  Vorsicht  zu  benutzen^  und  es 
liegt  ein  neuer  Grund  darin,  durch  die  Wiedererweckung  des 
Steatoms  die  Verwirrung  in  der  Literatur  nicht  noch  mehr  za 
steigern.  Job.  Müller  hat  es  versucht,  wenigstens  in  dem  Cho- 
lesteatom eine  Form,  die  wirklich  mit  Fett  etwas  zu  thun  habe^ 
zu  sichern.  Allein  auch  dies  ist  keine  glückliche  Bezeichnung, 
indem  das  Cholesteatom  eine  Epidermisgeschwulst  und  das  Che- 
lestearin,  welches  dariü  vorkommt,  mehr  accidentell  ist*).  Die 
von  Fürstenberg**)  als  Cholesteatom  beschriebene  Geschwulst 
aus  den  Plexus  choroidei  der  Pferde  ist  noch  wieder  verschieden 
von  dem  Cholesteatom  Müller^s;  ich  habe  sie  wiederholt  unter- 
sucht und  darin  weder  Epidermis,  noch  Fettzellen  gefunden. 
Sie  muss  daher  auch  von  den  Lipomen  getrennt  werden.  End- 
lich sind  Einige  der  Meinung  gewesen,  dass  eine  Form  von  Lipom, 
welche  sich  durch  ihre  Härte  von  den  übrigen  unterscheide,  welche 
insbesondere  eine  grössere  Quantität  von  Bindegewebe  enthalte, 
Steaiom  zu  nennen  sei***).  Ich  meine,  dass  man  besser  thut, 
wenn  man  diese  Form  als  eine  Varietät  unterscheidet,  und  sie 
Lipoma  fibrosum  s.  durum  (Fibrolipoma)  oder  mit  Müllerf) 
Lipoma  mixtum  nennt.  Der  Name  Steatom  würde  eine  neue  Gat- 
tung schaffen,  die  in  nichts  Charakteristischem  von  den  Lipomen 
unterschieden  wäre. 

Die  eigentliche  Fett ge web sgeschwnlst,  um  die  es  sich  hier 
handelt,  besteht  also  aus  wirklicher  Tela  adiposaff).  Sie  enthält 
beim  Menschen  ein  Fett  von  mehr  flüssiger,  öliger  Beschaffenheit, 
und  verdankt  diesem  Umstände  ihre  verhältnissmässig  weiche, 
bewegliche  und  nachgiebige  Beschaffenheit  Allerdings  ist  das 
Fett  manchmal  mehr  talgig,  und  nähert  sieh  der  Consistenz  der 
festeren,  margarinreicheren  Fette,  aber  niemals  ist  es  stearinreich, 
wie  Hammel-   oder  Ochsentalg.     Dieses  Fett  ist  in   wirklichen 


•)  Mein  Archiv.  Bd.  VIII.  S.  414. 
**)  FOrstenberg.    Die  FettgeschwfilBte  and  ihre  Metamorphose.  B^rlio. 
1851.  S.  29. 

♦♦•)  Gluge.  Atlas  der  pathol.  Anat.  Jena.  1843.  Lief.  8.  S.  3.  J.  Vogel 
Fathol.  Anat.  1845.  S.  179.  Schrant.  Goed-  en  kwaadaardige  gezw<>lleD. 
1851.  Bl.  221. 

t)  Joh.  Maller.    Ueber  den  feineren  Bau  u.  s.  w.  S.  50. 
tt)  Cellularpathologie.    3.  AuO.    S.  43,  801.    Fig.  112A. 


Lipom  und  Polysarcie.  367 

Zellen  mit  Membranen  und  Keraen  enthalten,  welche  im  Allge- 
meinen mit  den  Zellen  des  gewöhnlichen  Fettgewebes  überein- 
stimmen, aber  in  der  Regel  um  ein  Beträchtliches  grösser  sind, 
als  die  Zellen  des  benachbarten  Fettgew^ebes *). 

In  der  Regel  ist  das  Lipom  ferner  eine  hyperplastische  Ge- 
schwulst, welche  aus  präexistirendem  Fettgew^ebe  hervorgeht  und 
sich  als  eine  excessive  Vermehrung  des  Fettgewebes  innerhalb 
einer  gewissen  Localität  darstellt,  oder,  wie  Morgagni**)  von 
dem  gewöhnlichen  Lipom  sagte,  eine  Excrescentia  membranae 
adiposae.  Es  ist  also  im  Kleinen,  was  die  sogenannte  Polysarcie 
oder  Obesitas  im  Grossen  ist.  Betrachtet  man  z.  B.  den  Durch- 
schnitt der  vorderen  Bauchwand  von  einem  sehr  fetten  Manne 
und  denkt  man  sich,  dass  ein  magerer  Mensch  an  einem  kleinen, 
beschränkten  Theil  der  vorderen  Bauchwand  eine  gleiche  Ver- 
mehrung des  Fettgewebes  bekäme,  so  würde  das  ein  Lipom  sein. 
Während  bei  Polysarcie  eine  zuweilen  2  —  3  Zoll  und  mehr  dicke 
Schicht  von  Fett  im  Unterhautgewebe  liegt  und  subperitonäal 
wieder  eine  1 — 2  Zoll  dicke  Fettschicht  folgt,  so  finden  sich  bei 
Lipom  nur  an  einzelnen  beschränkten  Stellen  solche  Anschwel- 
lungen, sei  es  nach  innen,  sei  es  nach  aussen,  subcutan  oder  sub- 
peritonäal. Das  Lipom  verhält  sich  demnach  zur  Poly- 
sarcie, wie  das  Fibrom  zur  Elephantiasis,  und  schon 
aus  dieser  Analogie  begreift  es  sich,  wie  man  dazu  gekommen 
ist,  Lipom  und  Fibrom  unter  dem  Namen  des  Steatoms  mitein- 
ander zn  vereinigen,  oder,  genauer  gesagt,  zu  verwirren. 

Die  ausgemachten  Lipome  sind  immer  Neubildungen.  Klei- 
nere lipomatöse  Zustände  scheinen  aber  kaum  etwas  anderes  zu 
sein,  als  sehr  reichliche  Anfullungen  der  vorhandenen  Fettzellen 
mit  Fett,  eine  Art  von  partieller  Hypertrophie,  wodurch  die  Fett- 
zellen sehr  viel  grösser  werden  und  die  Läppchen  des  Gewebes 
anschwellen.  Denn  das  gewöhnliche  Fettgewebe  besteht  aus 
Läppchen,  welche  dicht  nebeneinander  liegen  und  von  denen 
jedes  wieder  aus  einer  grösseren  Zahl  von  Fettzellen  zusammen- 
gesetzt ist.  Zwischen  diesen  Läppchen  befindet  sich  eine  gewisse 
Quantität  von  Bindegewebe;  darin  liegen  Gefasse,  welche  sich  im 
Umfange  der  einzelnen  Lobuli  verästeln,  so  dass  ein  jeder  Lobulus 


♦)  V  er  neu  iL    Gaz,  med.  de  Paris.  1864.  No.  16.  p.  242. 
**)  Morgagni.    De  sedibus  etc.  Lib.  lY.  Epist.  1.  Art.  24,  25. 


Dreitebnte  Vorlegang. 


wie  in  einer  gefassreiclieu  Bind«gewebt!kapscl  eingeschlossen  ist. 
Dieses  Verhältnis^  wiederiiolt  sich  im  Grossen  bei  jedem  Lipom, 
denn  jedes  Lipom  ist  lappig*),  es  besteht  aus  einer  Kribe 
von  Fettlappen,  zwischen  welchen  Bindegewehe  mit  GeHssfii 
liegt 

Die  Varietäten  gestalten  sich  nach  dem  VerhäÜtniss  der  ein- 
eelnen  constituirenden  Theile  zu  einander.  In  einzelnen  Flillea 
ist  das  Fett  so  überwiegend  vorhanden,  dass  man  von  dem  BinJe- 
gewebe  und  den  Gcfussen  fast  gar  nichts  wahrnimmt.  Das  i^^t  das 
gewfihnliche  Lipoma  molle.  In  anderen  Fällen  ist  das  Bimle- 
gewebe  sehr  reichlich,  es  bildet  in  einzelnen  Richtungen  sehr  breite 


Ki};.  i>8.  Uprima  multilobuUn'  inolli>.  Auü  der  tinti-Thftut  einer  fd 
rficben  Fniu,  nuf  und  in  der  F^i'i:i  siiperficiaÜH,  nelH'n  dem  Huseuius  rr 
tus.  GiDzflni^  grCssire,  znlilri'iitii-  kleiinTf  Lappi-n.  Bti  a  und  li  li-iih 
VerbärtuD);.    (PrSpirat  No.  1131.)- 

')  Phil.  V.  Walther.    System  der  Cbimrgie.  Berlin.  1833.  S.  393. 


Variet&teD  des  Lipoms.  869 

und  feste  Zuge,  während  die  Fettlappen  klein  und  unerheblich  sind. 
Dann  fühlt  sich  die  Geschwulst  natürlich  sehr  hart  an:  das  ist  das 
vorher  besprochene  Lipoma  fibrosum  (Tumeur  adipo-fibreuse 
Cruveilhier).  Unter  Umstanden  kommt  es  auch  vor,  dass, 
namentlich  in  dem  congenitalen  Nacvus  lipomatodes,  an  einzelnen 
Stellen  die  Gefasse  sich  sehr  stark  entwickeln,  so  dass  sie  die 
Ueberhand  bekommen  über  das  Bindegewebe.  Dann  haben 
wir  ein  Lipoma  telangiectodes  *).  Endlich  kann  das  Binde- 
gewebe der  Sitz  von  Verkalkungen  und  Verknöcherungen  werden : 
Lipoma  ossificum  oder  petrificum**).  Dazu  kommen  noch 
gewisse  Formen,  wo  das  Bindegewebe  allmählich  übergeht  in 
Schleimgewebe,  und  wo  die  interstitielle  Bindegewebsmasse  eine 
weiche,  gallertartige  Beschaffenheit  annimmt.  Das  giebt  die 
Form,  die  Gluge  unter  dem  Namen  Lipoma  gelatinosum  oder 
colloides  beschrieben  hat***).  Was  in  der  Literatur  unter 
diesem  Namen  aufgeführt  ist,  gehört  aber  meiner  Ansicht  nach 
mehr  in  das  Genus  des  Myxoms  hinein;  ich  werde  dort  darauf 
zurückkommen.  Dagegen  ist  hier  noch  dos  selteneren  Vorkommens 
eines  Lipoma  cysticum  zu  erwähnen,  welches,  wie  das  Fi- 
broma cysticum,  congenital  ist  und  sich  dem  MoHuscum  nähert. 

Vergleicht  man  die  Grösse  dieser  Geschwülste  mit  dem 
Umfange  des  Fettgewebes,  aus  welchem  sie  hervorgehen,  so  kann 
man  darüber  nicht  in  Zweifel  sein,  dass  es  in  der  Regel  nicht 
blosse  Hypertrophien  sind,  dass  nicht  bloss  die  präexistirenden 
Fettzellen  sich  vergrössern,  sondern  dass  eine  wirkliche  Neubil- 
dung die  Grundlage  wird.  Es  sind  in  der  That  Wucherungs- 
processe,  welche  den  Vorgang  einleiten,  und  es  müssen  neben 
den  alten  Fettzellen  neue  Zellen,  neben  den  vorhandenen  Fett- 
lappen neue  Lappen  sich  bilden.  Diese  Neubildung  geht  zum 
Theil  von  den  Fettzellen  selbst  aus,  zum  Theil  von  dem  be- 
nachbarten Bindegewebe,    in   welchem   sieh  ein  Reizungszustand 


*)  Gössel  ID.  Bullet,  de  la  Societe  anatomiquo.  1H42  p.  208.  Lebert. 
Abhandlungen.  S.  84.  0.  0.  Weber.  Müller*»  Archiv.  1851.  8.  74.  Schub. 
Pseudoplasmen.  S.  132.  Prat.  ConsidtTations  8ur  \ea  turoeurs  graisseuseg 
en  general  et  les  lipdmes  en  particulier.    The^.e  de  Strasb.   1858. 

*^)  Bou teil  1er.  Bulletins  de  la  Soe.  anat.  1849.  p.24.  FQrstenber,«^ 
a.  a.  0.-  S.  .56.  Cruveilhier.  Traite  d*anat.  path.  T.  III.  p.  320.  B.  Beck. 
Mein  Archiv.  1858.  Bd.  XV.  S.  153.    Paget.  Lectures  II.  p.  100. 

•*«)  Ginge  a.  a.  0.  S.  4,  6.  Anat.  mikr.  Unters.  Jena.  1838.  I.  S.  132. 
II.  1841.  S.  187. 

Virehow,  QMekwiltto.    1.  24 


370 


Vierzehnte  Vorlesnog. 


entwickelt  In  Folge  dessen  nimmt  die  Zahl  der  zelligen  Elc- 
meote  gruppenweise  zu,  und  in  diese  Elemente  geschieht  die  Fett- 
ablagerung, nie  bei  der  fötalen  Entwicketang  Das  fötale  Fett- 
gewebe entsteht  aus  Scbleimgewehe,  die  Elemente  des  Schleim- 
gewebea  wuchern,  und  wenn 
man  einen  FOtns  ans  jüngeren 
Zeiten  nntersncbt,  so  findet 
man  an  Stellen,  wo  nachher 
Fettläppchen  hegen ,  nichts 
anderes,  als  Gnippen  von  klei- 
nen runden  Zellen*).  Ein  sol- 
cher Haufen  geht  hervor  au» 
einer  ursprünglichen  Schleioi- 
zelle  In  diese  Zellen  lagert 
sich  das  Fett  zuerst  in  kleine- 
ren, dann  in  grfisgeren  Tropfen 
ab,  diebe  fliessen  zusammen, 
und  nach  einer  gewissen  Z«Jt 
findet  man  die  einzelnen  Zel- 
ten vergrJJbsert  und  mit  Feil 
vollst&ndig  gefüllt  ••).  Jcd« 
einzelne  Fettlappen  enlsprichi 
also  genetisch  einer  eiazigeD 
Zelle,  er  ist  das  Frodact  einer 
prolifenrenden  Zelle.  Es  ha- 
ben aber  die  Lipome  die  gsni 
durchgehende  Eigenthümlicb- 
keit  (S  367),  dass  ihre  Zellen 
ein  viel  betrScbtlicheres  Uaa^^ 
von  GrOsse  zu  erreichen  pfle- 


Fig.  63.  Durcliachnitt  durch  das  Lipom  in  Fig.  GS.  io  der  RicbtuDi. 
«eiche  dort  durch  die  Buchalabeo  a,  b  und  e  angedeuMt  ist.  H»d  siehl, 
daxN  ionerlich  die  Lappen  viel  zahlreicher  sind,  >U  der  iussere  Aoscbein 
ergab.  Znischea  a  und  b  die  derbere  Stelle,  von  wo  sich  festere  FaseraOg* 
iiacb  innen  begeben.  Die  dunkleren  Stellen  zum  Tbeil  pigineDtirt,  tomTbeil 
Gtig  erweicht 

*)  Vircho«-.  IJiKi'rsucbungea  Ober  die  Entwickelung  des  Sebidplgrun- 
dt-s,     Berlin.  11*57.  S.  «. 

")  Virrhow  Archiv.  1K55.  Bd.VIll.  S.  SM.  t.  Wittich.  Hein  Arrhi»- 
185U.  Bd.  IX.  S.  194.  A.  Förster.  Ebendaselbst  IBÖT.  Bd.  XIL  S.  803. 
Taf.  VIII.  Fig.  4,  8. 


Subserdses  und  submucöses  Fettgewebe.  371 

gen,  als  die  Zellen  des  benachbarten  Fettgewebes.  Daraus  schon 
allein  begreift  es  sich,  dass  die  Lappen  des  Lipoms  um  so  viel 
grösser  sind,  als  die  Lappen  des  gewöhnlichen  Fettgewebes. 

Es  muss  also  an  diesen  Stellen  irgend  ein  Irritament  vor- 
handen sein,  welches  die  Zellen  zu  einer  stärkeren  Entwickelung 
anregt,  ein  Irritament,  welches  an  sich  ein  kräftigeres  Wachsthum 
begünstigt.  Wie  anhaltend  dieses  ist,  das  sieht  man  am  besten 
bei  atrophischen  Zuständen.  Wenn  ein  Mensch,  der  Lipome  be- 
sitzt, der  Abmagerung  verfallt,  so  magern  die  Lipome  nicht  etwa 
in  demselben  Maasse  ab,  wie  das  übrige  Fettgewebe,  und  wollte 
man  die  Lipome  beseitigen  durch  Hungerkuren,  so  kann  man  sicher 
sein,  dass  man  eher  den  ganzen  Menschen  auslaugt,  als  dass  man 
die  Lipome  aushungert.  Diese  scheinen  das  Fett,  was  sie  einmal 
haben,  mit  einer  Zähigkeit  zurückzuhalten,  welche  in  dem  übrigen 
Fettgewebe  gar  keine  Analogie  findet. 

Wenn  nun  die  Bildung  des  Lipoms  inmitten  des  existirenden 
Fettgewebes  geschieht,  so  muss  man  sich  zunächst  daran  erinnern, 
dass  ein  zur  Fettaufnahme  prädisponirtes  Gewebe  an  sehr  vielen 
Stellen  des  Körpers  in  ähnlicher  Weise  wie  unter  der  Haut  ver- 
breitet ist,  wo  man  jedoch  nicht  gewöhnt  ist,  daran  zu  denken. 
Ich  will  nicht  davon  sprechen,  dass  auch  unter  den  Fascien, 
zwischen  den  Muskeln,  in  der  Augenhöhle,  reichliche  Mengen 
von  Fettgewebe  vorkommen,  aus  dem  Lipome  hervorwachsen 
können;  aber  ich  muss  kurz  erwähnen,  dass  viele  innere  Ein- 
geweide unter  ihrem  serösen  Ueberzuge  Fett  tragen.  Auf 
dem  Herzen  liegt  subpericardiales  Fett  in  grosser  Menge;  an  der 
Pleura  findet  sich  wenigstens  an  vielen  Stellen  subpleurales  Fett; 
vom  Peritonäum  ist  das  Gleiche  bekannt;  bekannt  ist  endlich 
das  subsynoviale  Fett,  welches  sehr  häufig  an  der  Oberfläche 
Hervorragungen  bildet,  welche  in  die  Cavität  einer  Gelenkhöhle 
oder  eines  Schleimbeutels  hineinhängen  (S.  '206). 

Allein  es  sind  nicht  blos  die  subserösen  und  subsynovialen 
Schichten,  sondern  auch  die  submucösen,  in  denen  wir  an 
vielen  Orten  in  derselben  Art  eine  Disposition  der  Bindegewebs- 
zellen zur  Fettaufnahme  finden,  so  dass  man  sie  als  Parallel- 
gewebe oder  Aequivalente*)  für  das  Unterhautfettgewebe  betrach- 
ten muss.    Freilich  besteht  an  diesen  Stellen  normal  niemals  ein 


*)  Gellularpathologie.    3.  Aufl.    S.  GG. 

24 


372  Vienehnte  Vorlesung. 

zui^ammenhängeades  Fettlager;  aber  bei  etwas  gut  genährten  Indi- 
viduen findet  man  doch  gewöhnlich  einzelne  Fettläppchen.  So  ist 
die  SubmucoHa  des  Magens  und  Darms,  wie  die  der  Trachea  und 
der  Bronchien,  eine  Hant  mit  der  Möglichkeit  der  Fetterzeugung, 
und  man  wird  niemals  ein  gut  genährtes  Individuum  untersuchen, 
ohne  an  gewissen  Stellen  derselben  Fettzellen  zu  linden.  Daher 
ist  es  leicht  begreiflich,  dass  unter  pathologischen  Verhältnissen 
Fettgewebe  an  allerlei  Stellen  reichlich  vorkommen  kann,  wo  man 
PI    j^  es    vielleicht    nicht    erwartet,  und 

dass  diese  Arten  von  Lipomen  mil 
dem  Eindruck  heteroplastischer  Bil- 
dungen sich  darstellen,  während  sie 
doch  ebenso  hyperplastischer  Natur 
sind,  wie  die  des  Unterhautgewehea. 
Unter  ihnen  sind  diejenigen  de? 
Digestions  -  Kanales  und  nament- 
lich des  Magens  und  oberen  Theile? 
des  Dünndarms  die  häufigsten  *}. 
Lebert")  bildet  ein  submacOses 
Lipom  der  Unterlippe  ab;  Mar- 
jolin***)  sah  ein  submucöses  Li- 
pom am  Boden  der  Mundhöhle,  Aas 
eine  Ranula  simulirte;  Job.  Fr.  Meckel  erwähnt  eines  vom 
unteren  Ende  der  Speiseröhre;  Rokitanskyf)  eines  aus  einem 
Bronchialast. 

Eine  weitere  Abtheilung  der  zur  Fettbildung  prädisponirten 
Gewebe  bildet  das  interstitielle  Bindegewebe  der  Mus- 
keln, welches  bei  fetten  Menschen  und  Tbieren  an  so  vielen 
Orten  in  wahres  Fettgewebe  umgewandelt  wirdft)-  Manche 
Muskeln  sind  besonders  geneigt  dazu,  so  vor  allen  die  Zungen- 
und   Herzmuskeln.     Freilich  ist  dies  in  der  Regel  eine  diffuse 


Fig.  70.     Lipoma  unilobulare  eubmucosum  veatriculi.     Nahe  xm  fyla- 
HUB,  haselniiBHgross.    Natürliche  Gr&se.    (PrSparat  No.  85.  vom  Jahr«  1S69)- 
*}  Joh.  Fr.  Meekel.  Fathol.  Anat.  II.  3.  S.  124.    Hodgkin.  Lectam 
uD  llif  morbid  anatomy  of  Ihc  siroug  and  mucooi  membranes.  Lond.  l^C- 
II.  1.  p.  3-2-2.     Rokitansky.  Path.  Aiiat.  18Ö1.  Bd.  III.  S.  171,  231. 
*•)  Lebert.   Aoat.  patü.  Tl.  p.  128.  PI.  XVI.  Fig.  4. 
■••)  Cruviilhipr  I  r.  p.  3!3     Vgl.  Paget.    Lect  od  surg.  path.  II.  p.W. 
t)  RokitaoBkj  a.  a.  0.  S.  25. 
tt)  Cellularpatbologie.  S.  303.  Fig.  113. 


Vorkommen  und  Bau  der  Lipome.  373 

„lofiltration^,  eine  Obesität  (Mästung),  allein  zuweilen  kommen 
doch  auch  wirkliche  Lipome  vor.  Solche  der  Zunge  erwähnen 
Paget*)  und  Bastien**).  Am  Herzen  sind  kleine  Fettlappen 
sowohl  zwischen  der  Muskulatur,  als  an  ihrer  inneren  Oberfläche, 
subendocardial ***),  nicht  selten,  jedoch  hat  Albers f)  auch  ein 
grösseres,  fibröses  Lipom  in  der  Herzsubstanz  selbst  gefunden. 
Diesen  Formen  entspricht  ein  Theil  der  tiefsitzenden  intermuscu- 
lären  Lipome,  welche  so  vielfach  am  Rumpf  und  den  Extremitäten 
beobachtet  sind,  und  von  welchen  Cruveilhier  und  Pag  et  ff) 
grössere  Zusammenstellungen  gegeben  haben.  Sie  bieten  bei  der 
Operation  wegen  der  Gefahr  der  Verletzung  wichtiger  Theile 
manchmal  grosse  Schwierigkeiten  dar.  —  Ob  man  dieser  Lipom- 
form das  von  Lebertftf)  einmal  beobachtete  Vorkommen  einer 
fibrösen  Fetl^eschwulst  im  Uterus  zurechnen  darf,  muss  vor  der 
Hand  dahingestellt  bleiben,  da  das  interstitielle  Gewebe  der  glat- 
ten Muskulatur  sonst  nicht  als  ein  zur  Fettaufnahme  prädispo- 
nirtes  bekannt  ist. 

Nach  der  Art  der  weiteren  Entwickelung  kann  man  die  Li- 
pome wieder  in  mehrere,  der  äusseren  Erscheinung  nach  differente 
Formen  eintheilen.  Zunächst  haben  wir  das  einfache  tube- 
röse Lipom,  welches  in  dem  Fettgewebe,  in  welchem  es  sich 
entwickelt,  sich  gleichmässig  ausdehnt,  die  benachbarten  Theile 
allmählich  dislocirt,  wenn  es  an  der  Oberfläche  sitzt,  eine  flache 
Geschwulst  bildet,  im  Uebrigen  seinen  Ort  nicht  wesentlich  ändert 
und  besondere  Beziehungen  mit  anderen  Organen  nicht  eingeht. 
Es  sitzt  verhältnissmässig  lose  in  seinen  Umgebungen,  lässt  sich 
daher  leicht  hin-  und  herschieben,  bei  der  Operation  leicht  aus- 
schälen, und  erscheint,  wenn  es  bloss  gelegt  ist,  von  einer  dünnen 
Bindegewebshülle  mit  Geftssen  (Balg)  bedeckt.  Sehr  selten  ist 
diese  Hülle  verdickt  und  mit  der  Nachbarschaft  fest  verwachsen. 
Damit  darf  aber  der  Fall  nicht  verwechselt  werden,  wo  das  Lipom 
aus  der  Tiefe  hervorgewachsen  ist  und  wo  Fortsetzungen  des- 
selben noch  bis  an  den  Ursprungsort  reichen.     So  kann  ein  Li- 


*)  Paget.   Lect.  on  surg.  patb.  II.  p. 98. 
*^)  Bastien.    Bullet,  de  la  Soc.  anat.  de  Paris.   1854.  Nov. 
***)  Klob  a.  a.  0. 
t)  Albers.    Mein  Arcbiv.   Bd.X.  S.  215. 

tt)  Cruveilbier.   Trait^  d'anat.  patb.  T.  III.  p.  306.    Paget.   Lectures 
IL  p.98. 

ttt)  Lebert.  Atlas  d'anat.  patb.  PI.  XVI.  Fig.  U.  T.I.  p.  128. 


874  Vierzehnte  Vorlesung. 

pom  des  Beckens  aus  der  Incisura  ischiadica  an  das  GeFäss,  ein 
Lipom  des  vorderen  Mediastinums  an  die  vordere  Brustwand  her- 
vortreten, was  für  die  Exstirpation  wohl  zu  beachten  ist. 

In  diese  erste  Kategorie  gehört  das  gewöhnliche  Lipom 
der  Unterhaut,  welches  an  solchen  Orten,  wo  das  Fett  am 
lockersten  ist,  sich  am  häufigsten  vorfindet,  namentlich  wo  die 
Haut  mehr  sehlaflf  ist,  z.  B.  an  dem  Umfange  der  Achsel  und 
Schulter,  am  Gesäss,  an  den  Oberschenkeln,  welches  indess 
möglicherwoiso  an  allen  fetthaltigen  Theilen  vorkommen  kann. 
Je  straffer  die  Haut  ist,  um  so  mehr  hindert  ihr  Druck  die 
Entwickelung  des  Lipoms.  Daraus  erklart  sich  wohl  die  ausser- 
ordentliche Seltenheit  desselben  in  der  Hohlhand  und  Fuss- 
sohle,  sowie  am  Kopf.  Ist  die  Haut  dagegen  locker,  so  ist  das 
Wachsthum  ein  oft  sehr  starkes,  und  man  hat  einzelne  Beispiele 
von  Lipomen,  welche  mit  die  grössten  Geschwülste  geliefert 
haben,  die  überhaupt  *am  Menschen  beobachtet  sind,  20 — 40  Pfund 
schwer  und  noch  darüber.  —  Dieselbe,  zuweilen  überaus  umfang- 
reiche Bildung  geschieht  aber  auch  in  der  Tiefe,  unter  den  Fascien, 
namentlich  der  Extremitäten  (L.  subfasciale  s.  subaponeuroticum). 

Eine  andere  Kategorie  bilden  die  Formen,  wo  das  Fett  im 
Umfange  eines  bestimmten  Organes  sich  ganz  besonden^ 
entwickelt  und  dadurch  scheinbar  eine  Geschwulst  bildet,  welche 
dem  Organ  als  solchem  anzugehören  scheint:  Lipoma  capsu- 
lare.  Am  häutigsten  sehen  wir  dies  am  Auge,  wo  das  intraorbi- 
tale Fettpolster  sowohl  partielle,  als  allgemeine  Hyperplasie  er- 
leiden kann*),  sowie  an  inneren  Theilen,  wo  die  Hyperplasie  des 
Fettes  freilich  weniger  den  Eindruck  einer  eigentlichen  Geschwulst 
hervorbringt,  z.  B.  am  Herzen,  welches  zuweilen  ganz  und  gar 
von  einem  grossen  zusammenhängenden  Fettklumpen  umgeben 
wird^  und  noch  häutiger  an  den  Nieren,  wo  die  Dicke  der  Fett- 
kapsel ebenso  stark  sein  kann,  wie  die  Dicke  der  Niere  selbst. 
Ks  kommt  diese  sonderbare  Bildung  manchmal  bei  allgemeiner 
IVlysarcie  ohne  spocioUe  Erkrankung  oder  gar  mit  Vergrösserung 
der  Nieren  vor:  sehr  viel  häutiger  als  ein  particulares  Ereigniss 
Wi  Nierenschrumpfung,    Hydronephrose .  Nierenstein  n.  s.  w.  •*). 


P'  m:ir.|UÄy.  Tniito  «lt>  tumour^  dt*  Torbite.  Paris.  1860.  p.  IT,*».  3ö9. 
'  K^>.  r.    Trjit»-  «It  >  nuladit^  dt*s  n^ins.  T  111.  p.  614.    Cruv»«illiier. 

lS:iS.  All.  Atrophv,  VI  I.  fis.  4,  ,\ 


Lipoma  capsulare  maroroae.  375 

Am  sonderbarsten  erscheint  es,  wenn  die  Felthyperplasie  nur 
partiell  ist,  wie  in  einem  interessanten  Falle  von  Godard*), 
wo  nur  das  Fett  des  Nierenbeckens  und  des  unteren  Endes  der 
einen  Niere  die  Veränderung  erfahren  hatte. 

Von  den  äusseren  Theilen  bietet  namentlich  die  weibliche 
Brust  häufiger  eine  ganz  analoge  Veränderung  dar.  Ich  meine 
damit  nicht  den  sehr  seltenen  Fall,  dass  sich  in  einem  beschränk- 
ten Theile  des  die  Drüse  umgebenden  Fettgewebes  ein  Lipomknoten 
bildet**).  Vielmehr  spreche  ich  von  der  allgemeinen  Zunahme 
des  ganzen,  die  Milchdrüse  umgebenden  Fettes.  Dadurch  entsteht 
eine  der  grössten  Anschwellungen  der  gesammten  Brust,  die  man 
wohl  nach  ihrem  äusseren  Ansehen  als  Hypertrophia  mammae 
bezeichnet,  die  aber  in  Wahrheit  eine  Polysarcie  der 
Mamma  ist.  Auch  diese  Form  kommt,  wie  die  Polysarcie  der 
Nieren,  in  zwei  Varietäten  vor.  Entweder  ist  neben  einer  unge- 
heuren Vergrösserung  der  Fettkapsel  die  Drüse  selbst  unverän- 
dert oder  gleichfalls  vergrössert ***).  So  amputirten  Robert  und 
Amussatf)  beide  Brüste  einer  21jährigen  Dame,  die  eine  30 J, 
die  andere  20|  Pfund  schwer;  das  Körpergewicht  betrug  nach 
der  Operation  101  Pfund.  Oder  die  Hyperplasie  des  Fettgewebes 
trifft  mit  einer  erheblichen  Erkrankung  der  Brust  selbst  zusammen. 
Die  beiden  dabei  in  Betracht  kommenden  Fälle  habe  ich  schon  in 
der  letzten  Vorlesung  (S.  329)  erwähnt:  es  sind  die  an  sich  so 
schwer  zu  unterscheidenden  skirrhösen  und  fibromatösen  Formen. 

Was  den  Skirrh  betrifft,  so  ist  es  gar  nicht  ungewöhnlich, 
dass  bei  gutgenährten  Frauen  mit  der  Ausbreitung  der  in  seinen 
späteren  Stadien  so  häufigen  Schrumpfung  das  umgebende  Fett- 
gewebe sich  in  colossaler  Weise  vermehrt.  Während  die  Drüse 
einschrumpft,  die  Warze  sich  zurückzieht,  die  Haut  sich  verdickt, 
drängen  sich  grosse  Fettlappen  von  den  Seiten  her  zwischen  die 
einzelnen  Drüsenlappen  hinein.  Diese  verkleinern  sich  bis  auf 
schmale,  sehnige  Züge,  welche  wie  Wurzeln  in  die  Nachbarschaft 


*)   E.  Godard.     Recherches    sur   la   Substitution    graisseuse  du   rein. 
Paris.  1859.  p.  25.  Fl.  II.  et  III. 

**)  Velpeani.    Trait6  des  raaladies  du   sein.    1854.  p.  249.    Sangalli. 
Storia  dei  tumori.  II.  p.  298. 

♦♦*)  A.  C 00 per.    Illustrations  of  the  diseases  of  the  breast.  Lond.  1829. 
p.  67,  68.    John  Warren.  Surgical  observations  on  tumours.  Boston.  1848. 
p.  228.    Rostan.  TUnion  med.  1851.  Mai. 
t)  rUnion  möd.  1851.  Mai. 


VienebDta  VorinHog. 


aiiBBtrahlen,  und  es  entsteht  eia  Bild,  welches  der  nächst  tu  be- 
schreibenden Form  sehr  ähnlich  ist.  Diagnostisch  wichtig  isl, 
datis  in  der  Regel  die  Basis  der  Drüse  der  Faseie  und  den  Mus- 
keln adh&rent  wird,  und  dass  sich  sehr  gewöhnlich  sowohl  in  der 
Haut,  als  in  den  interstitiellen  Bindegewebezfigen ,  welche  siili 
durch  die  Fettkapse)  fortsetzen,  einzelne  krebsige  Heerde  er- 
kennen lassen.  Selbst  in  den  Fettl&ppen  selbst  kommen  sie  ver- 
einzelt  vor,  aber  sie  sind  zuweilen  so  klein,  dass  nur  die  auf- 
merksamste Betrachtung  sie  erkennen  lisst. 

Die  zweite,  zum  Verwechseln  ähnliche  Form  ist  die  Compli- 
cation  des  capsulftren  Lipoms  mit  einer  chronischen  inter- 
stitiellen Mastitis.  Das  Fett  füllt  auch  hier  die  Interstitiell 
zwischen  den  indurirten  und  geschrumpften  Lappen  der  Drüse, 
welche  auf  einen  verhäUnissmässig  kleinen  Raum  zurflckgeführt 
ist.  Zwischen  den  Drfisenkanälen  besteht  die  Entsändung  des 
interstitiellen  Bindegewebes,  welches  durch  seine  Zunahme  die 
einzelnen  Züge  der  Milchgänge  stärker  bervortreten  lässt,  und 
zuweilen  eine  Art  von  librOser  Geschwulst  (S.  328)  hervorbringt, 
weiches  aber  später  eine  Verdichtung  und  innere  Retraction  er- 
leidet. Neben  dif>ser  Entwirkelung  beginnt  zugleich  die  Hyper- 
plasie lies  umliegendt^n  Fettgewebes,  welche  die  Brust  mehr  und 

¥iK-  Tl.  Lipoma  capauUre  mammae  acirrhosM.  a  die  tnchterfBrmig 
eiiiK(<x(>t;pne  Warte,  b  die  h^rperp.lMtischen  Fettlsp)>eD,  iwiscben  deaen  Ober- 
»II  (ii-liiii|ie,  hitT  und  da  mit  skirrbÜstD  KnOtch«)!  besetzte  ZQge  rerUnfen 
Hei  ('  fentcre  SobstaDi,  in  welcher  mikroBkopiach  noch  Sparen  ron  lellign 
KiiiUK<'riiDR  zu  »eben  sind.  Um  t  rerkleinert  (Prtoaral  Nu.  373.  tob 
J»br*  l»r>ö}. 


Lipoma  cspetilare  mammae.  377 

mehr  in  die  Höhe  drängt  und  so  eine  wirkliche  „Hypertrophie,, 
der  Drüse  simulirt.  Daher  kommt  es  vor,  dass  in  dem  Maasse,  als 
die  Anschwellung  wächst,  die  Warze  sich  einzieht;  sie  erscheint 
zurückgezogen  oder  trichtei*f5rmig  eingesenkt,  und  die  ganze  Brust 
gleicht  einer  grossen  Halbkugel.  Auf  dem  Durchschnitt  sieht  man 
zwischen  grossen  Fettlappen  die  strahlige  Figur  der  veränderten 
Mamma.  In  der  fibrösen  Masse  geht  die  eigentlich  drüsige 
Structur  zu  Grunde;  die  Terminalbläschen  atrophiren,  die  Milch- 
secretion  hört  auf,  und  es  entsteht  eine  ganz  wichtige  Geschwulst- 
form, die  nichts  weniger  als  eine  5ypertrophie  der  Brustdrüse  ist. 
Im  Gegentheil,  in  Bezug  auf  den  zelligen  Theil  der  Drüse  ist  es 
eine  Atrophie;  die  Vermehrung  betrifft  nur  Theile,  welche  functio- 
nell  werthlos  sind. 

Wird  die  Geschwulst  sehr  gross,  so  kann  sie  durch  ihre  Last 
far  das  Individuum  in  hohem  Maasse  unbequem  sein.  Andererseits 
wird  aber  auch  zuweilen  durch  die  chronische  Mastitis  leichtes 
Fieber  oder  anhaltende  Schmerzhaftigkeit  hervorgebracht;  letztere, 
in  Verbindung  mit  der  Anschwellung,  kann  leicht  zu  der  An- 
schauung fahren,  man  habe  einen  Krebs  vor  sich.  In  der  That 
ist  das  eine  Verwechselung,  die  nicht  selten  vorkommt,  so  dass 
öfters  unter  dieser  Voraussetzung  die  Amputation  vorgenommen 
wird.  Gerade  die  Schmerzhaftigkeit  wird  ja  von  vielen  Chirurgen 
als  ein  pathognomonisches  Zeichen  des  Carcinoms  betrachtet  und 
zur  Unterscheidung  von  anderen  Arten  von  Tumoren  ausserordent- 
lich hoch  angeschlagen.  Zuweilen  entstehen  ausserdem  noch  an 
einzelnen  Stellen  cystoide  Abschnürungen  der  Milchgänge,  Reten- 
tionscysten  (S.  283),  die,  indem  sie  sich  mit  den  schon  bestehenden 
Zustunden  zusammensetzen,  eine  Geschwulst  herstellen,  die  für 
einen  nicht  erfahrenen  Beobachter  die  grössten  Schwierigkeiten  in 
der  Deutung  bedingt.  Ich  mache  um  so  mehr  darauf  aufmerksam, 
als  in  der  Literatur  genauere  Angaben  über  diese  Form  überhaupt 
fast  ganz  fehlen.  Velpeau*)  beschreibt  einen  Fall  davon,  ohne 
ihn  in  Beziehung  auf  die  chronische  Mastitis  richtig  zu  deuten. 
Cruveilhier**)  lässt  die  Drüse  einfach  durch  Atrophie  ver- 
schwinden. — 

Zu  dieser  Geschwulstform,  wo  das  Lipom  an  ein  bestehendes 


*)  Velpeau  1.  c.  p.  247. 
•♦)  Cruveilhier  1.  c.  T.  III.  p.  299. 


378  Vierzehnte  Vorlesaag. 

Organ  sieb  anschliesst,  so  dass  es  gleichsam  einen  Körper  damit 
bildet,  gehört  noch  ein  anderer  Fall,  der  ebenfalls  za  Irrthümem 
in  der  Diagnose  Veranlassung  geben  kann;  das  ist  dasLipoma 
herniosam.  Darunter  hat  man  Verschiedenes  verstanden*). 
Nicht  selten  wird  ein  gewöhnlicher  Bmch,  z.  B.  ein  Inguinal- 
bruch,  von  einem  Theil  des  Omentum  erfallt  Es  kann  sein,  dass 
dieses  sehr  fettreich  ist,  ja  dass  sich  geradezu  ein  lipomatöser 
Zustand  darin  ausbildet,  so  dass  das  Bruchcontentum  ein  0 men- 
tal] ipom  ist.  Anderemal  bildet  sich  ohne  Bruch,  jedoch  in  der 
gewöhnlichen  Richtung  der  Bruchsäcke,  eine  Fettgeschwulst**). 
Am  häutigsten  und  grössten  wird  sie  am  Nabd,  am  Inguinalkaual 
und  am  Samenstrang***),  doch  habe  ich  sie  auch  am  Cruralriog 
und  am  Foramen  obturatorium  gesehen.  Diesen  Zustand  hat  man 
wohl  Hernia  lipomatosa  genannt.  Davon  verschieden  ist  der 
Fall,  den  ich  im  Sinne  habe,  wo  sich  um  einen  Bruchsack  herum 
eine  lipomatöse  Wucherung  bildet.  Das  geschieht  namentlich  an 
alten  Bruchsäcken f),  besonders  an  solchen,  die  an  ihrer  Mündung 
zum  Theil  oder  ganz  verheilen,  und  wo  um  den  sehr  klein  ge- 
wordenen Bruchsack  äusserlich  herum  eine  grosse  Fettkugel  ent- 
steht, so  dass  man  beim  Einschneiden  erst  sehr  tief  auf  den  sehr 
kleinen  Bruchsaek  kommtft).  Dieser  Sack  kann  aber  auch  der 
Sitz  einer  wässerigen  Anhäufung,  einer  Hydrocele  (S.  167)  werden, 
und  dann  hat  man  die  Complication  von  Hydrocele  herniosa  mit 
peripherischem  Lipom  fff). 


♦)  Morgagni.   De  scdibus.  Lib.  III.   Episi  43.   No.  10.     Monfalcon. 
Dict.  des  sc.  med.    1818.   T.  XXIX.  p.  82.  Art.  Loupe. 

**)  Jules  Cloquct.    Rechcrches  sur  les  causes  et  Panatomie  des  her- 
nie.s  abdominales.    These  de  eoncours.    Paris.  1819.  p.  25,  26. 

**♦)  Unsere  Sammlung  enthält  ein  von  Herrn  Wilms  185i  exstirpirtes, 
194  Pfd.  schweres,  stelleuweise  ulcerirtes  Lipom  des  Samenstranges  (Präp. 
No'.  1137). 

t)  Scarpa.    Suir  ernie.    Milano.  1809.  p.9.  Note 3. 

■K)  Cloquet  1.  c.  p.  121  —  123. 
tft)  Im  Juni  1846  sah  ich  Herrn  Jüngken  einen  solchen  Fall  operiren. 
Eine  3Gjährtge  Dienstmagd  war  mit  einer  stark  faustgrosseo ,  m&ssig  wei- 
chen, etwas  fluktuirenden  Geschwulst,  welche  Qber  dem  Ligam.  Poupartii 
und  dem  Ansätze  des  rechten  Musculus  rectus  abd.  bis  gegen  die  Scham- 
lippe  hin  lag,  in  die  Charite  gekommen.  Nach  ihrer  Aussage  hatte  sie  vor 
fast  20  Jahren  wegen  eines  Bruches  ein  Bruchband  getragen  und  später  eine 
Wallnussgrosse  Geschwulst  au  derselben  Stelle  gehabt  Plötzlich  sei  dieje 
schmerzhaft  geworden  und  stark  angeschwollen.  Bei  der  Untersuchung  fand 
sich  rin;:sum  eine  grosse  Schmemhaftigkeit,  die  sich  auch  auf  den  inneren 
Umfang  des  Os  pubis  und  ischii  erstreckte.  Beim  Bioschoeiden  kam  man  anter 
einem  starkeu  Fettlager  in  einen  glattwandigen  Sack,  aus  dem  6— srniea 


Polypöse  und  arborescirende  Lipome.  379 

Endlich  sind  von  Organen,  die  bei  den  capsulären  Lipomen 
in  Frage  kommen,  noch  die  Lymphdrüsen  zu  erwähnen,  die 
allerdings  seltener  der  Gegenstand  chirurgischer  Verwechselung 
werden,  da  dieser  Zustand  meist  nur  bei  inneren  Lymphdrüsen 
vorkommt.  Aber  es  giebt  an  ihnen  einen  Zustand,  welcher  der 
MilchdrüsenaflFection  ganz  analog  ist,  wo  mit  einer  Adenitis  lympha- 
tica,  welche  anfangs  eine  Vergrösserung,  später  eine  Schrumpfung 
der  Drüse  mit  sich  bringt,  eine  Fettmasse  im  Umfange  sich  aus- 
bildet, die  oft  reichlicher  und  grösser  wird,  als  die  durch  die 
Schrumpfung  verkleinerte  Drüse  vor  ihrer  Schrumpfung  war.  — 

Eine  dritte  Kategorie  bilden  die  polypösen  Lipome,  wo 
das  Fettgewächs  anfangs  eine  flache  Protuberanz  erzeugt,  sich 
allmählich  immer  mehr  hervordrängt,  und  endlich  an  einem  Stiele 
hervorhängt.  Diese  Form  ist  an  gewissen  Orten  physiologisch.  Wir 
finden  sie  ganz  regelmässig  an  der  serösen  Oberfläche  des  Colon, 
wo  die  Appendices  epiploicae  nichts  anderes  sind  als  poly- 
pöse, ursprünglich  flache,  subseröse  Fettmassen.  Es  ist  dieselbe 
Form,  die  ich  früher  (S.  206)  von  den  Synovialhäuten  erwähnte, 
wo  sie  unter  dem  Namen  der  Haversischcn  Drüsen  bekannt 
war.  Diese  sind  nichts  weiter,  als  vorgeschobene  Fettmassen, 
welche  ursprünglich  subsynovial  lagen. 

Die  gestielten  Lipome  können  unter  Umständen  Hypertro- 
phien oder  Hyperplasien  dieser  normalen  Gebilde  sein,  welche 
mehr  und  mehr  hervorwachsen.  Statt  eines  kleinen  minutiösen 
Fettanhanges  entstehen  ganz  dicke  Kolben,  die  möglicherweise 
wieder  an  ihrer  Oberfläche  neue  kleine  Protuberanzen  bekommen, 
wieder  Polypen  erzeugen.  So  entsteht  das,  was  man  nach  Joh. 
Müller*)  gewöhnlich  mit  dem  Namen  des  Lipoma  arbores- 
cens  bezeichnet,  wo  also  eine  fortschreitende  Multiplication  an 
dem  schon  bestehenden  Tumor  auftritt.  Diese  Massen  haben  in 
der  Regel  keine  erhebliche  Bedeutung;  indessen  giebt  es  einen 


einer  klaren,  gelblichen,  alkalischen  Flüssigkeit  ohne  Ilarngeruch  ausflössen. 
Am  oberen  Umfange  des  Sackes  traten  mehrere  Hasel-  bis  Wallnussgrosse, 
aus  dichten  Fettlappen  bestehende,  kugelige,  glatte  Hervorwölbungen  hervor, 
\on  denen  die  eine  noch  einen  cylindrischen,  dicken  Fortsatz  in  den  Sack 
aussendete.  Der  Sack  liess  sich  zum  Thoil  ausschälen,  nach  oben  und  innen 
in  der  Gegend  der  Fettknoten  sass  er  jedoch  sehr  fest  auf.  Nachdem  der 
grösste  Theil  des  Sackes  und  die  Knoten  ausgeschnitten  waren,  erfolgte 
vollständige  Heilung. 

*)  Müller,    üeber  den  feineren  Bau  der  Geschwülste.  S.  50. 


I 


380  Vierzehote  Vorleanng. 

Fall,  wo  ijie  Irrlhümer  in  der  Diagnose  veranlassen  kOnoeo.  Das 
ist  eben  der  Fall,  wo  sie  sieb  zuerst  snbsynovial  entwickelt  haben 
und  in  die  bestellenden  Gelenkhfihlen  oder  Schleitnbentel  hinein- 
wachsen.  Es  kann  dadarch  eine  Gelenkgescbwulst  oder  eine 
SchleimbeutelgeBcliwulbt  entstehen.  Unter  den  Schleimbenteln  ist 
es  namentlich  einer,  wo  iUm  nicht  selten  eintritt  Es  ist  der  unter 
dem  Ligamentum  patellare  über  dem  Kopf  der  Tibia  gelegene*). 
Wachsen  diese  Massen  sehr  stark,  so  kann  sich  der  Sack  sehr 
stark  ausdehnen,  aber  durch  das  Nachwachsen  der  LipommasEeo 
beinahe  ganz  solide  ausgefDllt  werden. 

Aehnliehe  Formen,  wie  wir  sie  an  diesen  gleichsam  normalen 
Theiten  haben,  kommen  aber  auch  an  anderen  Oberflächen  vor, 
wo  es  keineswegs  solche  normalen  Appendices  giebt.    Das  ist  in 
sehr  grossem  Mnas^stabe  zuweilen  selbst  an  der  äusseren  H&nt 
der  Fall.    Ein  Lipom  der  Unterbaut  kann 
sidi  zu  einem  liponiatCsen  Hantpo- 
lypen   umgestalten.      Man    findet   diese 
^^■•r»-^  ^H^    '"  '^^^  verschiedensten  GrOssen  und  ao 
_-*^  *'^HF     den  verschiedensten  Theilen  des  KOrpers. 

Manchmal  sind  sie  glatt  und  kugelig, 
manchmal  haben  sie  eine  lappige,  hüge- 
lige oder  knotige  Beschaffenheit  (Fig.  7-*). 
Die  Haut,  welche  über  sie  fortläuft,  ist 
meist  blas»,  dünn  und  glänzend.  In  der 
Regel  sitzen  sie  an  einem  engen  Stiel, 
durch  welchen  die  Ernährungtjgefässe  in  massiger  Menge  und 
Grösse  eintreten.  Den  grOssten  Theil  ihrer  Masse  macht  das  ge- 
wucherte Fettgewebe  aus,  welches  gewöhnlich  noch  continuirlich 
mit  dem  Pannicuhis  adiposus,  aus  dem  es  hervorgewachsen  ist,  tu- 
sammenhüngt  (Fig.  73).  Zuweilen  bildet  sich  aber  auch  eine  Unter- 
brechung, und  dtT  Stiel  entliält  nichts  anderes,  als  Bindegewebe. 
Diese  allmülilielie  Dislocation  eines  ursprünglich  snbcutaoen 
Tumors,  der  sich  gleichsam  aus  der  Haut  hervorstülpt,  findet  in 
der  Geschichte    des  Akrochordon    (S.  223)    und  der  polypösen 

Fif.  72.  Lipoma  polyposum  peadutnm  cutis.  Bine  mit  eDgem  Sli«i 
»US  der  Haut  herrorhftngeDde,  stark  Üppige  GescbwalBt  Natürlich«  OrOaw- 
(Präparat  No.  6.  vom  Jahre  1636). 

*)  Maleaigne.    Journ.  de  chir.  laU.  Hai. 


PoIypdBe  Lipome  der  Hiiut.  3ftl 

Fibrome  (S.3'21)  ihre  Analogie.    Die  ^  ,^ 

Schwere    des    Gewächses    begünstigt 

natQrlich  die  Ortsverändeninp  erheb- 

\icb.     Zuerst   hängt    die  Geschwulst 

einfach   herab    (Fig.  7'2);    nach  und 

nach  rückt  sie  tiefer  hinab.    Paget  *) 

hat  mehrere  Fälle  zusammengestellt, 

wo  das  Gewächs  fCrmlich  wanderte. 

Von    Lloyd    wurde    ein    polypöses 

Lipom  am  Perinäum,  zwisclien  Scro- 

tum    und    Oberschenkel ,     exstirpirt, 

welches   nach   Aussage   des   Kranken 

10  Jahre  früher  in  der  Leistengegend  sass.      Lyford    entfernte 

ein  Lipom  Tom  oberen  und  inneren  Theil  des  Oberschenkels,  das 

an  der  Bauchwand,  mitten  zwischen  Spina  ilium  und  Schambein, 

angefangen  hatte. 

Allein  die  erste  Hervorstülpung  hat  mit  der  Schwere  nichts 
zn  thun.  Der  Grund  davon  Hegt  in  den  Spannungsverhältntssen 
der  Theile.  Polypose  Lipome  finden  sich  besonders  liäufig  an 
Stellen,  wo  die  Haut  verhältnissmässig  straff  und  wenig  ver- 
schiebbar ist.  Der  kleine  Theit  der  Haut,  welcher  die  Geschwulst 
bedeckt,  verdünnt  sich  allmählich  und  lässt  die  Geschwolst  fiber 
die  Oberfläche  hervortreten.  Es  sind  das,  mit  Ausnahme  des 
Molluscum  und  des  Myxoms,  die  verhältnissmässig  grössten  For- 
men, die  wir  Oberhaupt  von  Hautpolypen  haben.  Kommen  wall- 
nass-  und  faustgrosse  gestielte  Geschwülste,  namentlich  mit  etwas 
lockerer  Gonsistenz,  an  der  Haut  vor,  so  kann  man  ziemlich 
sicher  darauf  rechnen ,  dass  es  solche  Bildungen  sind.  Die 
grosse  Beweglichkeit  der  Fettmasse,  die  manchmal  den  Ein- 
druck einer  fluctuirenden  Beschalt'enbeit  giobt,  kann  möglicher- 
weise zu  der  Vermutbung  einer  Cyste  führen. 

Ganz  ähnliche  Formen  finden  sich  auch  am  Magen  und 
Darm.     Ich  erwähnte  schon,    dass   es  submucöse  Lipome  des 

Fig.  73.  Diiri-h»i:liiittt  von  t'if;.  Vi.  Man  siulit  die  etw.is  verdQDiite 
Hkut  Ober  den  gaozen  folypen  fortlaufeii  uriij  von  da  derbere,  etwas  seh- 
nige Zage  iviecheo  die  Lappeo  dee  Ltpoma  eintreten.  Letztere  waren  beträcht- 
lich TJel  grosser,  als  die  stark  .itrophischeti ,  getbbr&unlich  gefSrbten  Läpp- 
chen der  üaterbant,  mit  deuen  sie  durch  den  Stiel  der  Genchwulst  conti- 
nnirlich  znsammeDhingen.    NatDrliche  Graese. 

*}  Paget    Lectnres.    IL    p.  97. 


Vierzehnte  Vorles 


Magens,  des  Jejunums  und  des 
Colons  giebt  (S.  37*2),  und  aach 
hier  können  sie  Polypen  bilden. 
Namentlieb  die  grossen  Polypen 
des  Jejunums  (Fig.  74)  sind  ge- 
wöhnlich gestielte  Lipome,  die 
sieh  aus  der  Schleimhaut  hervor- 
drängen und  manchmal  zolllang 
in  den  Darm  hineinragen.  Sic 
sind  an  sich  nnschädlich,  künuep 
aber  unter  Umständen  sehr  unao- 
genehm  werden,  wenn  sie  sieb  so 
sehr  verlängern,  dass  der  Darm 
bei  seinen  peristaltischen  Bewe- 
gungen sie  fasst;  die  sieh  contrü- 
hirende  untere  Darmpartie  zerrt 
den  Polypen  herunter,  und  il;i.< 
giebt  zu  Diijlocationen  und  Rti- 
zutigen  Anlass,  die  neue  Bo"<- 
gungen  auslösen.  Sangalli'; 
erzälilt  sogar  einen  Fall,  wo  im 
Colon  (lescendens  zwei  subiiiu- 
cösc  Lipome  sassen,  eines  hühiier- 
cigrose  und  gestielt,  und  wo  dadurch  Invagination  und  schliey:^- 
lieh  ProlapsuB  erfolgt  war. 

Sind  lipomatöse  Polypen  sehr  lang  gestielt,  sieben  sie  slrli 
immer  mehr  aus  der  Haut  heraus,  unter  welcher  sie  cntwieki-li 
waren,  so  kommt  hier  endlich  dasselbe  vor,  was  wir  schon  früluT 
wiederholt  bei  Excresccnzen  anderer  Art  gesehen  haben  (S.  IUI, 
206),  nehmlich  dass  der  Stiel  sich  mehr  und  mehr  verdünnt,  und 
dass  endlich  das  Lipom  abfallt.  An  der  äusseren  Haut  und  aui 
Darm,  wo  die  Stiele  gewöhnhch  eine  dickere  Bescbalfenbeit  haben. 
ist  das  allerdings  weniger  der  Fall,  aber  an  den  serösen  uml 
Synovialhäuten  ist  es  eben  keine  Seltenheit,  und  man  kann  da 
Schritt  fiir  Schritt  verfolgen,  wie  der  Stiel  sich  in  einen  leiot-n 


-.      S'ic-  74.     Lipoma  polyposi 
NatBrlirbe  lirüsHC. 

•)  Ssngalli  I.  c,  p.247. 


ni  j^juni.    (Pripuat  No.  35.  rom  J»br*  1»M). 


PoIjpCae  Lipome  des  Bau  cli  feil  es. 


383 


Faden  auszieht.  Bei  der  wechselnden  Lage 
der  Theile  dreht  sich  der  Stiel  um  seine  Axe 
(Fig.  75),  ja  zuweilen  verschlingt  er  sich  mit 
anderen  benachbarten,  und  dies  trägt  zur  end- 
lichen Atrophie  und  vollständigen  Lösung  das 
seioige  bei.  I 

Gleichzeitig  tritt  gewöhnlich  an  der  Ober- 
fläche dieser  sich  abschnürenden  Lipomknoten 
eine  wesentliche  Veränderung  ein,  nehinlich 
eine  knorpeiartige  Sklerose.  Die  anfangs  ganz  dünne  Haut 
verdickt  sich  allmählich  und  nimmt  eine  knorpelartige  Consistenz 
an,  während  zugleich  eine  Art  Stratification  der  Haut  entsteht, 
so  dass  man  Schicht  um  Schicht  von  ihr  ablösen  kann.  Manch- 
mal kann  man  glauben,   einen  wirklich  knorpeligen  Anhang  zu 


sehen    (Fig.  76,  a)     Während    diese  Veränderungen    stattfinden, 
atrophiren  die  Gefässc,  welche  friilier  durch  den  Stiel  des  Lipoms 


Fig.  76.  Lipomü  epiploii-uin  coli.  Kin  flach  nufsiticuder  subäerSser 
Fettlappea  und  bei  a  ein  gestielt  her  vorhäng  ender.  Der  Stiel  zweimal  um 
Mine  Axe  gedreht  und  ganz  dünn.     (Präparat  No.  74.  vom  Jahre  1859). 

Fig.  76.  Lipoms  epiploicum  arborescens  coli.  Zahlreiche  vergrösserte, mit 
neuen  Fettaus  wüchsen  versehene  Appeodices  eptploicae.  Bei  a  ein  grosser  Kno- 
ten mit  halb  knorpeligem,  sehr  glattem  üeberzu^e  und  stark  verdrehtem  Stiel. 
Bei  6  eine  grosse  Zahl  kleiner  VegetAtienen  mit  gleichfalls  sklerosirtem 
Ceberznge.    Von  demselben  Falle  wie  Fig.  1!>.    Natürliche  Grösse. 


384  Vierzehnte  Vorlesang. 

in  seinen  Körper  eintraten,  mehr  und  mehr,  und  wenn  sie 
zu  Grunde  gegangen  sind,  so  zerfallt  das  Fett  im  Innern,  die 
Fettzellen  lösen  sich  auf,  das  Fett  wird  frei,  und  wenn  man  ein- 
schneidet, so  hat  man  scheinbar  eine  mit  flüssigem  Fett  gefüllte 
Cyste  vor  sich.  Später  kann  diese  Masse  verkalken.  War  viel 
flüssiges  Fett  vorhanden,  so  entstehen  allerlei  seifenartige  Ver- 
bindungen, namentlich  fettsaure  Kalksalze.  War  dagegen  weniger 
Fett  und  mehr  knorpelartige  Masse  da,  so  giebt  das  harte  Petri- 
flcationen  ab,  die  sehr  umfangreich  werden  können.  Solche  Bil- 
dungen lösen  sich  nachher  ab  und  fallen  frei  in  die  Cavität,  in 

welche    sie    hineinhängen.      Das    geschieht   am 
Fig.  77.  häutigsten  am  Peritonäum.    Die  freien  Körper 

der  Bauchhöhle  sind  meistens  abgeschnürte 
und  sklerosirte  Lipome  (Fig.  77),  jedoch  giebt 
es  auch  ziemlich  grosse  Gebilde  der  Art  (Fig.  78), 
welche  fast  ganz  aus  einer  wie  Faserknorpel  aus- 
sehenden, geschichteten  Masse  und  einem  stei- 
nigen Kern  bestehen*).  Nächstdem  sind  es  die  Schleimbeutel, 
zuweilen  auch  die  Gelenkhöhlen,  in  welchen  dies  stattKndet,  denn 
ein  Theil  der  freien  Körper  in  den  Schleimbeuteln  und  der  Gelenk- 
mäuse gehört  allerdings  in  diese  Kategorie  hinein**).  Wir  werden 
späterhin  bei  den  Knorpelgeschwülsten  sehen,  dsiss  dies  nicht 
die  gewöhnliche  Art  der  Gelenkmäuse  ist,  und  daher  haben  die- 
jenigen im  Allgemeinen  Recht  gehabt,  welche  behaupteten,  dass 
die  Gelenkmäuse  nicht  auf  diese  Weise  entstehen;  aber  ebenso 
haben  sie  Unrecht  gehabt,  wenn  sie  behaupteten,  dass  Gelenk- 
mäuse auf  diese  Weise  nicht  entstehen  können. 

Unter  Umständen  können  diese  abgelösten  Lipome  sonderbare 
Schwierigkeiten  erzeugen.  Ein  solcher  Körper  (Fig.  77),  weUli^'r 
im  Innern  mit  Kalkseifen  erfüllt  und  ziemlich  hart  war,  wurde  in 


Fig.  77.  Freier  Fottkörper  der  Bauchhöhle.  Durchschnitt.  Von  Herrn 
Riese  geschenkt.  (Präparat  No.  9.  vom  Jahre  1862).  Aussen  eine  derhe 
Schale,  innen  eine  körnige,  halb  verkalkte  Fettmasse.     Natürliche  Grösse. 

*)  Littr^.  Mero.  de  TAcad.  Roy.  des  scieooes.  An.  1703.  hist.  p.  4G. 
Andral.  Grundriss  der  pathol.  Anaf.  Deutsch  von  Becker.  Leipzig.  18^23. 
1.  S.  225  Lebidois.  Arch.  gener.  1824.  T.  IV.  p.  579.  Hodgkin.  Lee- 
tures  ou  the  morbid  anatomy  of  tlie  serous  and  mucous  membranes  Vol.  1. 
p.  160.     Laveran.  Gaz.  des  hop.  1845.  Oct.  No   119. 

**)  Hyrtl.  Med.  Jahrb.  des  österr.  Staates.  1842.  Bd.  39.  8.  261. 
K.  Gurlt.  Beiträge  zur  vergl.  pathol.  Anatomie  der  OeleDkkraokheiteB. 
Berlin    1853.  S.  54. 


Freie  LipomkOrper.  385 

der  Bauchhöhle  gefunden  in  einem  Fall,  wo  der  Tod  unter  peri- 
tonitiscben  Erecheinungen  erfolgt  war,  und  die  Verrnnthung  vorlag, 
tlass  der  Körper  aus  dem  Procexsue  vermiformis  stamme.  Aber  es 
war  kein  Kothstein,  wie  gewöhnlich,  dagegen  war  der  Wnrmfort- 
gfttz  mit  lipomatösen  Appendice»  besetzt,  und  an  seiner  Spitse 
fand  sich  ein  kleinerer  atrophirter  und  verkalkter  Körper,  so 
ilass  wahrscheinlich  auch  der  grössere  freie  Körper  von  da  her- 
stammte. —  Anderemal  findet  man  Körper,  welche  so  aus- 
sehen, als  wären  sie  an  dem  Organ  entstanden,  wo  sie  gerade 
angetioffen  werden,  während  sie  sich  nur  dislocirt  haben,  wie 
die  Gelenkmäuse,  und  endlich  an  dieser  Stelle 
lixirt  worden  sind.  Ich  habe  solche  mehrmals 
an  der  Oberfläche  der  Leber  gefunden.  Charakte- 
ristisch ist  für  sie  das  seifenartige,  fettige  oder  1 
steinerne  Centrnm  und  die  concentrisch-sclialige 
Umhüllung.  Diese  braucht  nicht  immer  kugelig 
tu  sein;  je  nach  der  Gestalt  des  Auswuchses 
kann  es  auch  ein  platter,  linsenförmiger  oder  ein  unregelmässiger, 
höckeriger,  warziger  Körper  sein  (Fig.  78).  — 

Alle  bisher  besprochenen  Lipomtbrmen  sind  einfach  hyper- 
plastische  Bildungen.  Aliein  es  bilden  sich  ähnliche  zuweilen 
auch  an  Orten,  wo  Fettgewebe  oder  ein  xur  Fettansammlung  an- 
gelegtes Gewebe  nicht  als  präesistirend  angenommen  werden  kimn, 
also  heteroplastische  Formen.  Wo  man  ihre  Entwickelung 
deutlicher  verfolgen  kann,  da  entstehen  sie  allerdings  auf  die- 
selbe Art  wie  Fettgewebe  überhaupt,  nehmlich  so,  dass  in  dem 
Bindegewebe  zuerst  eine  zellige  Wucherung  stattfindet,  und  dass 
der  Deugebildete  kleine  Zellenbaufen  sich  durch  Aufnahme  von 
Fett  in  das  Innere  der  Zellen  in  einen  Fettlappen  verwandelt. 

So  kommen  bis  kirschengrosse  Fettknoten  an  der  Niere, 
namentlich  an  der  Rinde  vor*).  Sie  bestehen  aus  vollkommen 
entwickeltem,     massig  gefässreichem ,    zuweilen    tappigem    Fett- 


Fig.  78.  Freier  KOrper  der  Bauch h Oh lu,  faat  gam  knorpeUrtig,  aussen 
mit  bOtkerigen  VorsprÜDgen ,  inoen  verkalkt.  NatDrliihe  Grösse.  (Präparat 
No.  4.  lom  J.  1862). 

*)  Craveilbier.  Atlae  d'anat.  path.  Livr.  XXXVI.  fig.  2,  et  2'.  Hooel. 
UMinal  d'anst.  pkthol.  Paris.  1«Ö7.  p.5»6.  Godard.  I.e.  p.21  ^Beobach- 
tuDg  von  Robio}.  A.  Beer.  Die  BindeBubstaDi  der  mensch  liehen  Niere. 
BerUD.  1869.  S.  88. 

ViTtktB,  OhcIiwEIiU.     I.  25 


Vierzehnte  VorlesuDg. 


gewebe.  Regelmässig  liegen  sie  innerhalb  der  Nierensnbstaai 
dicht  unter  der  Albuginea,  nicht,  wie  die  groBsen  Fettmassen  der 
Polysarcie,  ausserhalb  der  Albuginea.  Das  Fett  ist  in  dem  eigent- 
lichen Parenchym,  und  zwar  aus  dem  interstitiellen  Bindegewebe, 
so  entwickelt,  dass  es  einen  lockeren,  weichen  Tumor  bildet,  der 
einen  Theil  des  Parenchyms  ersetzt.  Nun  wissen  wir  bestimmt, 
dasB  niemals  unter  physiologischen  Verfa&ltnisBen  in  der  Snbatsni 
der  Niere  Fettgewebe  vorkommt;  es  ist  dies  :dso  eine  unzweifel- 
haft heteroplastische  Lipomform. 

An  anderen  Orten  kanu  es  zweifelhaft  sein,  in  welche  Kate- 
gorie ein  solches  Ding  gehOrt.  Das  ist  bei  manchen  Lipomen 
der  Fall,  die  am  Gehirn  vorkommen.  Meckel*)  beschreibt  einen 
Fall,  wo  sich  unter  der  Vereinigungsstelle  der  Sehnerven,  dicht 
TOT  dem  Hirnanhange,  eine  in  einem  zarten  Balge  enthaltene 
Fettgeschwulst  von  der  Grösse  einer  Haselnnss  gebildet  hatte. 
Bei  einem  48  Jahre  alten  Geisteskranken  fand  ich  ein  erbsen- 
grosses  Lipom  dicht  vor  dem  linken  Corpus  mamillare  (April  1845). 
Klob**)  Bebildert  ein  bohnengrosses  Lipom,  welches  bei  einem 
schwerhörigen  Atanne  zwischen  dem  Pons  und  der  linken  Klein* 
hirn- Hemisphäre  sass,  gerade  oberhalb  der  linken  Olive  begann 


Fig.  79.  Heteroplastisch  es  Lipom  tas  der  Rinde  der  Niere.  A  Aaf- 
Bicht  der  Rinde  nach  Abiug  der  Kapsel,  S  Durchschnitt  N«tDrliche  Grtee- 
(Pcilparat  No.  7.  vom  Jahre  18<i2).  Von  einem  Oeistetkrankea,  der  in  der 
Unterhaut  nnd  im  Bauch  viel  Fett  hatte.  Leichte  Oruiolaratrophie  der 
Nieren.  Die  Lipome  erbaen-  bis  kirschengross,  »a  der  Oberfliche  aiemlich 
geßssreich,  innen  gelbweiasiich ,  sehr  weich  und  leicht  aascuUJMn. 

■)  J.  Pr.  Meckel.  Handb,  der  path.  Anat.  1818.  Bd.  IL  Abth.  S.  &  136. 
Derselbe  Fall  wird  <om  MOIler  (Ücber  d.  feineren  Ban  u.  >.  w.  S.  aO)  nnd 
von  Siegert  (De  steatomate  ante  gbodulani  pitaitariam  cer^ri  aito.  Üia. 
inaug.  Berol.  1849.  p.  28)  erwShnL  —  Hooper  citirt  «iaen  Fall  tob  Uira- 
lipom  aus  Wenzel  de  penitiori  structura  cerebri.  p.  104. 

**)  Klob.    Zeiuchr.  der  Wiener  Aente.    1869.   No.  48. 


Heteroplastische  Lipome.  387 

and  sich  l&ngs  des  Acusticus  and  Facialis,  welche  davon  beinahe 
amschlossen  waren,  bis  zam  Meatus  aaditorius  internus  erstreckte. 
Die  kleine  Geschwulst  am  Pons,  welche  Sangalli*)  bei  einem 
blödsinnigen  Epileptischen  antraf,  scheint  ein  Myxolipom  gewesen 
zu  sein.  Cruveilhier**)  erwähnt  einer  kleinen  Fettgeschwulst 
der  Pia  mater  von  der  Medulla  oblongata  in  der  Nähe  der  Olive; 
Obre***)  einer  umschriebenen  Fettanhäufung  innerhalb  der  Rücken- 
markshäate  bei  einem  3jährigen  Kinde. 

Alle  diese  Fälle  gehören  im  Wesentlichen  der  Pia  mater 
(Arachnoides)  an.  Nur  in  einer,  übrigens  sehr  merkwürdigen 
Beobachtang  vonAthol  Johnson  f)  fand  sich  unter  dem  Bilde 
der  Spina  bifida  bei  einem  neugeborenen  Kinde  am  Rücken  ein 
Lipom,  welches  durch  ein  I^ch  im  Kreuzbein  bis  auf  die  Dura 
mater  reichte.  Dies  begreift  sich  aber  leichter,  wenn  man  sich 
erinnert,  dass  die  Dura  mater  spinalis  den  Knochen  nicht  eng 
anliegt,  sondern  durch  eine  Schicht  von  (extra-  oder  submenin- 
gealem)  Fett  davon  getrennt  ist.  Dieses  Fett  war  offenbar  die 
Matrix  der  Geschwulst.  Allein  nach  Eröffnung  der  Dura  mater 
fand  sich  auch  innerhalb  der  Höhle  derselben  eine  rundliche,  ein- 
gekapselte Fettmasse,  welche  das  Rückenmark  comprimirte.  Diese 
siebt  den  vorher  erwähnten  Formen  ganz  parallel,  und  um  sie  zu 
erklären,  müsste  man  auch  die  Pia  mater  oder  das  Subarachnoideal- 
Gewebe  für  eine  Art  von  unvollständigem  Panniculus  erklären.  So 
wenig  dies  sonst  den  bekannten  Erfahrungen  entspricht,  so  muss 
ich  doch  erwärmen,  dass  es  am  Gehirn  eine  Region  giebt,  wo, 
wie  es  scheint,  Fett  ohne  besonders  grosse  Abweichung  öfters  vor- 
kommt: das  ist  die  Rhaphe  des  Corpus  callosum  und  die 
des  Fornix  ff).  In  einem  unserer  Präparate  fff)  liegt  ein  magerer, 
fettig-fibröser  Streifen  in  der  Rhaphe  des  Corpus  callosum.  Wenn 
dagegen  eine  stärkere  Entwickelung  stattfindet,  so  kann  da- 
durch eine  lipomatöse  Geschwulst  entstehen,  wie  wir  ein  solches 


*)  Sangalli.    Storia  clin.  ed  anat.  dei  turnori.  1860.  Vol.  II.  Punt.  I. 
p.  248. 

••)  CruTeilhier.    Traite  d'anat.  path.  T.  III.  p.  312. 
♦••)  Traosactions  of  the  London  Patholog.  Society.  1851—1852.  Vol.  III 
p.  248. 

t)  British  medical  Journal.  1857.  VII.  XII.  (Canstatt's  Jahresbericht  fQr 
1867.  Bd.  IV.  S.  287). 

tt)  B.  Reinhardt    Pathologisch-anatomische  Untersuchungen,  heraus- 
gegeben ▼OD  LeoboBcher.    Berlin.  1852.  S.  10. 
ftt)  Pripanit  Mo.  1222.  (von  einem  20jährigen  Mädchen). 

25* 


388  Vierzehnte  Vorleaung. 

Präparat*)  besitzen,  wo  längs  des  Fornix  ein  dicker  Fettwulst 
liegt.  Rokitansky  **)  erwähnt  ein  erbsengrosses  Lipom  in  dem 
„Ependym  des  Balkens  nächst  dem  Wulste '^  aus  der  Wiener 
Sammlung.  Aehnliches  haben  Wall  mann  und  Häckel***)  an 
den  Plexus  choroidei  gesehen. 

Diese  Fälle  sind  indessen  trotz  ihrer  Heterologie  nicht  als 
malign  aufzufassen.  Sie  erklären  sich  vollständig,  wenn  man 
erwägt,  dass  die  zelligen  Elemente  aller  derjenigen  Gewebe, 
welche  mit  der  Bindesubstanz  verwandt  sind,  die  Fähigkeit  be- 
sitzen, Fett  aufzunehmen.  Knorpelzellen  können  so  viel  Fett  auf- 
nehmen, dass  sie  geradezu  in  Fettzellen  verwandelt  werden,  und 
wenn  die  chondrinhaltige  Intercellularsubstanz  erweicht  oder  faserig 
wird,  so  entsteht  manchmal  unmittelbar  aus  dem  Knorpelgewebe 
Fettgewebe.  In  den  Larynxknorpeln  verwandelt  sich  nicht  selten 
ein  Theil  des  Knorpelgewebes  in  fetthaltiges  Mark,  dessen  Zellen 
dieselben  Elemente  sind,  die  vorher  Knorpelzellen  waren.  Dass 
also  einmal  unter  solchen  Verhältnissen  ein  Lipom  entstehen  kann, 
ohne  dass  eine  grosse  Abweichung  in  der  Bildung  geschieht,  ist 
begreiflich.  Wenn  sich  in  dem  subconjunctivalen  Bindegewebe 
des  Auges  ein  Feltläppchen  (Pinguecula)  oder  gar  eine  Fett- 
geschwulst f)  entwickelt,  während  wir  sonst  kein  Fett  dort  finden, 
so  kann  man  zweifelhaft  sein,  ob  man  das  geradezu  eine  hetero- 
plastische  Form  nennen  soll. 

Noch  viel  mehr  tritt  dieses  Bedenken  bei  den  Lipomen  des 
Scrotums  hervor,  welche  zuweilen  eine  sehr  beträchtliche  Grösse 
erreichen,  und  bald  von  der  Scheidenhaut  der  Hoden,  bald  von 
der  Tunica  dartos  ausgehen  ff).  Diese  Häute  sind  normal  fettlos 
und  bestehen  eigentlich  nur  aus  Bindegewebe,  welches  unter  der 
Haut  ein  sehr  lockeres  und  weiches  Polster  bildet  Allein  dieses 
Polster  steht  sowohl  genetisch,  als  anatomisch  vollkommen  parallel 
dem  Panniculus  adiposus;  es  ist  ein  nicht  in  Fettgewebe  umge- 
wandelter Rest  des  ursprünglichen,  subcutanen  Schleimgewebes, 
und  es  verhält  sich  zu  den  daraus  hervorgehenden  Lipomen,  wie 


•)  Präparat  No.  556. 

♦♦)  Rokitansky.    Path.  Anat.   1856.  Bd.  II.  S.468. 
*^*)  Wallmano.  Mein  Archiv.  Bd.  XIV.  S.  385.   £.  Hickel.  Mein  Artbir. 
1859    Bd  XVI    S  272 

t)  A.  V.  Gräfe.   Archiv  für  Ophthalmologie.  1860.  Bd«U.  Abtii.  II.  S.6. 
tt)  J.  Fr.  Meckel.    Path.  Anat.  IL  2.  a   126.     Oraveilbier.   Traite 
d'anat.  path.  T.  111.  p.  311.    A.  Förster.  Meia  Archin  M.  XIL  S.  905. 


MoltipHcität  der  Lipome.  389 

die  permanenten  Knorpel  zu  den  möglicherweise  aus  ihnen  ent- 
stehenden Knochen.  Dasselbe  gilt  von  den  Lipomen  der  Scham- 
lippen*). .  Genau  genommen  ist  hier  allerdings  Heterologie  vor- 
handen, aber  eine  sehr  untergeordnete,  gleichsam  physiologische 
Heterologie,  nicht  viel  mehr,  als  wenn  ein  mageres  und  fettarmes 
Netz  (Omentum)  sich  über  und  über  mit  Fett  erfüllt. 

Paget**)  hat  diese  Verschiedenheit  der  Lipome,  wenngleich 
nicht  deutlich  und  zutreffend,  dadurch  angedeutet,  dass  er  sie  in 
Fettauswüchse  oder  continuirliche  Gewächse  und  Fettgeschwülste 
oder  discontinuirliche  Gewächse  zerlegt.  Seine  Eintheilung  ist  nicht 
scharf,  weil  er  eigentlich  alle  deutlich  abgegrenzten  Lipome,  auch 
die  subcutanen,  als  discontinuirliche  Bildungen  betrachtet.  Wollte 
man  einmal  eine  solche  Scheidung  aufrecht  erhalten,  so  müsste  man 
nur  die  durch  wirkliche  Heterologie***)  ausgezeichneten  Formen 
zum  Lipom  rechnen.  Diese  haben  in  der  That  mit  vielen  malignen 
Bildungen  eine  grosse  Aehnlichkeit,  und  sie  sind  es  namentlich, 
welche  eine  ausgesprochene  Neigung  zu  Combinationen  mit  anderen 
Geschwulstarten,  namentlich  mit  Myxom  darbieten,  und  welche 
zuweilen  in  den  sonderbarsten  Verbindungen  in  teratoiden  Ge- 
schwülsten auftreten.  Bei  ihnen  liegt  die  Frage  nach  einer 
besonderen  Dyskrasie  wenigstens  eben  so  nahe,  wie  bei  einer 
grossen  Zahl  wirklich  bösartiger  Geschwülste. 

Allein  die  crassen  Humoralpathologen  sind  damit  nicht  zu- 
frieden gewesen.  Wie  ich  schon  früher  erwähnte  (S.  39),  haben 
sie  für  alle  Lipome  einen  dyskrasischen  Ursprung  mit  mehr  oder 
weniger  Bestimmtheit  angenommen,  und  geradezu  von  einer  lipo- 
matösen  Dyskrasie  gesprochen.  Diese  Auffassung  stützt  sich  auf 
nichts  weiter,  als  auf  die  Multiplicitätf)  vieler  Lipome. 
Es  kann  dasselbe  Individuum  4,  5,  6,  10,  ja  Hunderte  von  Li- 
pomen haben,  gerade  wie  das  bei  den  Fibromen  der  Fall  ist. 
Das  beweist  weiter  gar  nichts,  als  dass  im  Fettgewebe  ein  irrita- 
tiver  Zustand,  vielleicht  sehr  leichter  Art,  besteht,  der  nicht  an 
allen  seinen  Theilen  in  gleicher  Weise  existirt.  Wie  das  Colon 
nur  an  einzelnen  Stellen  Appendices   entwickelt,    so  bilden  sich 


♦)  Gluge.  Atlas  der  path.  Auat.  Lief.VlIL  Taf.  I.  Fig.  1.   C.O.Weber. 
Ghimrgisehe  Erfahrungen  und  Untersuchungen.  S.  394. 
♦♦)  Paget    Lectures  II.  p.  92. 
♦♦♦)  OUularpathologie.    3.  Aufl.  S.60. 
t)  D.  Craigie.    Elements  of  general  and  pathological  anatomy.  Ediob. 
1848.  p.  71.    Paget.  Lectures  IL  p.  96.   Cruveilhier  l.  c.  T.  III.  p.  325. 


390  Yierzehate  Vorlesong. 

auch  am  Unterhaut^ewebe  nur  einzelne  Lappen  weiter  ans.  Dies 
geschieht  manchmal  gleichzeitig,  manchmal  dagegen  successiv,  in 
der  Art,  dacss  längere  Zeit  nur  ein  Knoten  besteht,  nach  und  nach 
aber  immer  mehrere  folgen.  Auch  yergrössem  sich  die  einzelnen 
Geschwülste  offenbar  dadurch,  dass  in  ihrem  Umfange  neue  Ix>buli 
entstehen,  welche  sich  der  CoUectivgeschwulst  anschliessen  und 
sie  verstärken.  Dabei  treten  aber  nicht  etwa  Lipome  in  der 
Lunge •),  oder  in  der  Leber,  oder  in  irgend  einem  der  Organe 
auf,  wo  sonst  maligne  Geschwülste  ihre  Metastasen  machen. 
Freilich  kommen  sie  bei  ihrer  Vervielfältigung  nicht  blos  im 
P;uinicultts  adiposus  subcutaneus  vor,  sondern  sie  entwickeln  sieh 
auch  zugleich  subserOs,  submueös,  intermusculär,  so  dass  sie  in 
diesem  Punkte  von  den  Fibromen  eine  gewisse  Verschiedenheit 
darbieten,  aber  immerhin  pflegen  sie  sich  doch  auf  gewisse  prä- 
destinirte  Gewebe  zu  beschranken.  Es  ist  also  kein  Zweifel, 
ilass  diese  Art  von  Multiplicität  eine  ganz  andere  ist  als  die 
Multiplicitüt«  welche  wir  bei  malignen  Geschwülsten  und  bei 
infectii^ser  Dyskrasie  treffen. 

Gerade  für  die  strengere  Unterscheidung  dieser  in  sich  so 
verschieilonon  Fälle  ist  das  multiple  Lipom  ein  ebenso  vor- 
treffliches  Beispiel  wie  die  Warzen,  denn  mit  derselben  Bestimmt- 
heil ki^nnen  wir  darthun,  dass  bald  in  einem  gewissen  Bezirk 
des  K(^q>or^.  l^d  um  ein  bestimmtes  Org^m  herum,  bald  in 
einer  grosseren  Verbreitung  über  verwandte  Organe  sich  Rei- 
iuu4;:^£ustände  festsetzen.  Wir  wissen  auch,  dass  manche  dieser 
Können  gaut  unmittelbar  bedingt  werden  durch  einen  localen 
entzündlichen  Provess.  Die  Verdickung  der  Fettkapsel  der  Niere 
ÜMx  ebenso  häutig  zusammen  mit  einer  chronischen  interstitiellen 

*'  Vtrschü^one  Sol.nft^;^2lO^  berufen  skb  aof  Rokitauaky,  als  hab« 
rr  «ijus  Vorkommen  \on  Lipomen  in  der  Longe  behsnptet  Dies  ist  anrichtig. 
An  xUt  Ix^tn^ffenden  Steile  ^Patli.  Aut.  1861.  Bd.llL  S.80)  ist  nur  von  sob- 
l^lcnnlon  Fct:.App<n  der  Lun^onoberfliehe  die  Rede,  die  vokl  sweckmSssiger 
%n  oinor  ar.doron  Stelle  hStten  er^rihnt  verden  sollen.  Wirkliches  Lipom  in 
«ier  l.unio  ist  mt-:n«>s  \^is>en$  beim  MensclMa  ftr  sick  nie  beobachtet  worden. 
KlKn>i^  kAv.n  d:o  BeioiohDisn^:  gern  isser  Anhlnfuigca  fetthmltiger  Zellen  in 
»tor  ciirhotisohfn  L^^er  a«::^  Lipom  .Ebend.  S. d£»l)  nnr  Venrirmng  enengeD. 
Uior  h»n«io:  es  >Kh  eicfaih  um  FeinnfilintioB  der  Torhandenen  Leberzellen 
vXi^l.  r(il.tiAriva:ho^\^io.  ^.  Aufl.  S.  3i^\  Viel  »ekr  könnte  man  berechtigt 
Noin.  «'.Dt'  £o«i:s5^  lobuUre  Fettinfiltration  in  sonst  normalen 
I . o b  1" rn .  « oK ho  « irkliv h  ein  ge$chvnktiitige«  Ansseif  enengt,  als  Lipom 
>ii  Uo9(  lohnrn  In%i^5  Tr.»<«  msn  immer  daran  fusttoiten,  dnns  das  Lipom 
aum  KVtt^<^mebe  bestehen  ;k>11  nnd  da»  fett^dillte  Ltbcmllen  noch  lange 
ttWhi  Feiifeirebsteilen 


Aetiologie  der  Lipome.  391 

Nephritis,  die  zur  Granalaratrophie  f&hrt,  wie  die  capsuläre  Lipom- 
bildung  um  die  Glandula  mammaria  zusammenfällt  mit  chronischer 
interstitieller  Mastitis.  Da  haben  wir  in  diesem  irritativen  Ver- 
hältniss  auch  den  nächsten  Grund  zur  Lipombildung. 

Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  mit  der  capsulären  Lipombildung 
um  alte  Bruchsäcke,  sowie  mit  der  lipomatösen,  manchmal  4 
bis  5  Pfund  schwer  werdenden  Wucherung  des  Netzes  in  chro- 
nischer Epiplocele,  von  der  schon  H  es  selb  ach  *)  erwähnt,  dass 
sie  auch  bei  mageren  Personen  entsteht.  Wie  oft  findet  sich  zu- 
gleich eine  ganze  Reihe  von  Spuren  entzündlicher  Reizung!  Ver- 
dickungen, Verwachsungen,  Zottenbildungen  der  verschiedensten 
Art  zeigen  sich  an  den  entsprechenden  Theilen  der  Serosa. 

Cruveilhier**),  der  kein  Bedenken  findet,  für  die  multiplen 
Lipome  eine  Art  von  Diathese  zuzugestehen,  hält  es  doch  far 
ebenso  augenfällig,  dass  die  solitären  Lipome  häufig  die  Folge 
einer  Contusion  oder  eines  massigen,  habituellen  oder  sich  wieder- 
holenden Druckes  sind.  Er  fuhrt  eine  Reihe  von  Beispielen  an, 
wo  der  Druck  enger  Kleidungsstücke,  namentlich  der  Kopf- 
bedeckung, oder  das  Tragen  von  Lasten  die  Veranlassung  der 
Geschwulstbildung  abgab.  Diese  Fälle  lassen  sich  leicht  ver- 
mehren, und  gegen  ihre  Beweiskraft  ist  nur  das  anzuführen,  dass 
in  vielen  anderen  solche  Ursachen  nicht  aufzufinden  sind.  Auch 
hier  muss  meines  Erachtens  der  Grundsatz  gelten,  dass  man  von 
den  bekannten  Thatsachen  zur  weiteren  Aufklärung  der  noch  un- 
bekannten fortschreiten  soll,  und  nicht  umgekehrt. 

Jede  Lipombildung  muss  eine  örtliche  Ursache  haben.  Diese 
kann  sehr  unerheblich  scheinen  und  doch  grosse  Wirkungen  er- 
zeugen, wenn  die  Prädisposition  (Diathese)  sehr  ausgebildet 
ist.  Eine  solche  Prädisposition  kann  congenital,  sie  kann 
erblich  sein,  wie  dies  von  der  Polysarcie  hinlänglich  anerkannt 
ist.  Murchison***)  berichtet  von  einer  Familie,  wo  der  Vater 
und  zwei  Töchter  an  nahezu  entsprechenden  Theilen  der  Arme 
Lipome  hatten;  bei  der  einen  Tochter  war  das  erste  Lipom  im 
16.,  bei  der  anderen  im  20.  Lebensjahre  bemerkt  worden.  In 
dem  früher  erwähnten  Fall  von  Johnson  (S.  387)  hatte  der  Vater 


*)  A.  K.  Hesse] ba eh.  Die  Erkenntniss  und  Behandlung  der  Eingeweide- 
brüche.   Nfirnb.  1840.  S.  25. 

♦♦)  CruTeilhier  L  c.  T.  III.  p.  328. 
***)  Mnrchison.    Edinb.  med.  Journ.    1857.    Juni. 


892  Vierzehnte  Yorletang. 

gleichfalls  ein  Lipom  der  Rückengegend  gehabt  Die  congeni- 
talen Lipome  hat  Phil.  v.  Walther^)  in  seiner  bekannten 
Monographie  unter  dem  Namen  des  Naevus  lipomatodes  be- 
schrieben. 

Allein  die  Prädisposition  kann  auch  eine  erworbene  sein, 
und  dann  mag  sie  immerhin  durch  eine  Dyskrasie  bedingt  sein. 
Dahin  gehört  sicherlich  der  Einfluss  der  Nahrung  auf  die  Zustände 
des  Fettgewebes,  und  zwar  nicht  bloss  der  Einfluss  einer  sehr 
fettreichen  Nahrung,  sondern  auch  der  des  Biers  und  Brantweins. 
Nichts  ist  gewöhnlicher,  als  bei  Säufern  die  Appendices  epiploicae 
in  stattliche  Lipome  umgewandelt,  die  Fettkapseln  der  Nieren  zu 
umfangreichen  Geschwulsten  angewachsen  zu  sehen.  Vermindert 
sich  nachher  wieder  das  Fett,  wie  es  ja  nach  dem  Zeugnisse  von 
Huss  **)  im  chronischen  Alkoholismus  der  Fall  zu  sein  pflegt,  und 
hält  ein  Theil  in  Folge  eines  localen  Reizes  dasselbe  zurück,  so 
wird  dieser  Theil  von  selbst  wie  ein  Lipom  erscheinen;  jedenfalls 
bleibt  aber  das  sich  zurückbildende  Fettgewebe  in  einem  Zustande 
der  Reizbarkeit.  Es  lässt  sich  darftber  bis  jetzt  wenig  Bestimmtes 
sagen,  obwohl  eine  Eigenthümlichkeit  des  Lipoms  besonders  darauf 
hinweist,  in  dieser  Richtung  genauer  zu  untersuchen.  Das  ist  der 
Umstand,  wodurch  sich  das  Lipom  so  sehr  von  manchen  anderen 
Geschwülsten,  z.  B.  dem  Enchondrom,  unterscheidet,  dass  es  im 
kindlichen  Alter  verhältnissmässig  selten  vorkommt,  vielmehr 
recht  eigentlich  eine  Geschwulst  der  mittleren  oder  höheren 
Altersklassen  ist.  Schon  dieser  Umstand  sollte  ausreichen,  um 
die  Wahrscheinlichkeit  zu  begründen,  dass  die  Disposition  häufiger 
eine  erworbene  ist.  — 

Wir  haben  nun  noch  ein  paar  Worte  hinzuzufügen  in  Bezie- 
hung auf  die  weitere  Geschichte  des  Lipoms.  An  sich  ist  das 
Fettgewebe  ein  permanentes  Gewebe.  Es  kann  also  ein  Lipom 
möglicherweise  beliebig  lange  existiren,  so  lange  als  das  andere 
Fettgewebe  oder  das  Individuum.  Manchmal  unterliegt  aber  das 
Lipom  gewissen  Verjinderungen.  Unter  diesen  ist  die  erwönsch- 
teste  die  spontane  Rückbildung.  Leider  ist  diese,  wenn  sie 
überhaupt   vorkommt,    gewöhnlich  nur  eine  theilweise;    die  Ge- 

*^  rhil.  V.  Walt  her.  lieber  die  mDgeboroen  Fettbantgeschwälste  und 
aiHlorv  Bildungsfehler.     Landshut.     1814. 

**)  Magnus  Huss.  Chronische  Alkobolknuikheit  Ans  dem  Schwe- 
dischon  von  G.  v.  d.  Busch.    Stockh.  und  Leips.    186S«    S.  SO. 


Yerhirtnng  und  Verkalkung  der  Lipome.  393 

Hchwolst  Yerkleinert  sich  etwas,  aber  sie  verschwindet  nicht. 
Selbst  bei  Phthisischen,  wo  alles  Fett  verloren  gebt,  behalten 
die  Lipome  ihren  Turgor,  und  man  kann  namentlich  bei  poly- 
pösen Lipomen  (Fig.  73)  zuweilen  sehr  deutlich  sehen,  wie  in 
dem  Stiel  derselben  der  hypertrophische  Zustand  des  Lipoms  in 
den  atrophischen  des  Panniculus  übergeht. 

laicht  selten  kommt  es  bei  denjenigen  Lipomen,  die  stark  an 
der  Oberfläche  hervortreten,  vor,  dass  sich  allerlei  irritative  Pro- 
cesse,  zuerst  an  der  bedeckenden  Haut,  später  auch  in  der 
Geschwulst  selbst  ausbreiten,  davon  abhängig,  dass  an  diesen 
Stellen  durch  die  Prominenz  der  Geschwulst  eine  Menge  von 
lasnltationen  stattfindet,  insbesondere  durch  die  Reibung  an  den 
Kleidungsstücken,  durch  die  Berührung  mit  äusseren  Gegenständen. 
Wenn  Jemand  z.  B.  am  Gesäss  ein  solches  Gewächs  hat,  auf  wel- 
ches er  sich  immer  setzen  muss,  so  erfährt  dasselbe  eine  stärkere 
Reizung,  als  die  Umgebungen.  Diese  kann  sich  zu  einer  wirk- 
lichen Entzündung  steigern,  und  gerade  auf  die.<e  Art  verwandelt 
sich  nicht  selten  ein  weiches  Lipom  in  ein  hartes,  indem  die 
zwischen  den  Fettlappen  vorhandenen  Bindegewebszüge  sich  ver- 
dicken, und  endlich  auch  einzelne  Fettlappen  sich  induriren.  Mög- 
licherweise kann  nach  der  Verhärtung  die  Verkalkung  eintreten. 

Was  die  Verkalkung  angeht,  so  kommt  diese  in  zwei  For- 
men vor.  Manchmal  entsteht  eine  melir  bröcklige,  mörtelartige 
Hasse,  indem  das  Fett  sich  verseift,  die  entstandenen  Fettsäuren 
sich  mit  Kalk  und  Natron  verbinden,  und  ausserdem  noch  phos- 
phorsaure  Erden  in  grösserer  Menge  abgelagert  werden.  Dabei 
entstehen,  wie  namentlich  Fürstenberg*)  bei  Thieren  genauer 
dargethan  hat,  nicht  selten  einzelne  Höhlen,  die  mit  flüssigem 
oder  zum  Theil  verseiftem  Fett  gefiillt  sind.  Anderemal  dagegen 
geschieht  eine  derbe,  mehr  knochenartige  Verkalkung  von  grosser 
Härte  und  Dichtigkeit,  in  welcher  jedoch  das  Mikroskop  keine 
Knochenkörperchen  nachweist.  Dies  ist  namentlich  der  Fall  bei 
harten,  fibrösen  Lipomen,  am  häufigsten  an  äusseren  Theilen,  die 
viel  gereizt  sind.  Jedoch  habe  ich  in  unserer  Sammlung  ein  vor- 
zügliches Präparat**)  aufgestellt,  wo  ein  mehrlappiges  Lipom  an 
der  kleinen  Curvatur  des  Magens  im  Omentum  minus  sitzt,  das 


•)  Pfirstenberg  a.  a.  0.  S.  58. 
♦♦)  Präparat  No.  84.  vom  Jahr  1863. 


394  Vierzehnte  YorlesnDg. 

ganz  harte,  gelbliche  Knoten  von  flachrundlieher  Form  bis  zu 
einem  Durchmesser  von  1  \  Zoll  besitzt.  Hier  geht  die  Verkalkung 
durch  die  ganze  Dicke,  während  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  sie 
entweder  mehr  peripherisch  ist  und  eine  Art  von  Schale  bildet, 
oder  mehr  balkenartig  mit  den  Bindegewebszügen  in  das  Innere 
dringt  und  ein  inneres  Skelett  des  Lipoms  darstellt.  Mit  der  Ver- 
kalkung ist  natürlich  ein  Stillstand,  zuweilen  eine  deutliehe  Ver- 
kleinerung der  Geschwulst  gegeben. 

Anderemal  kommt  es  zur  Versch wärung.  Erwägt  man, 
dass  die  Circulation  in  der  bedeckenden  Haut  in  Folge  der 
Spannung  sich  erschwert,  ferner  dass  gerade  die  Haut  den 
äusseren  Angriffen  am  meisten  ausgesetzt  ist,  so  begreift  man, 
dass  ulcerative  und  unter  Umständen  gangränescirende  Processe 
entstehen  können.  Diese  erzeugen  leicht  den  Eindruck  einer 
malignen  UIceration,  um  so  mehr,  wenn  man  es  mit  der 
telangiektatischen  Abart  zu  thun  hat.  Der  Process  kann  dann 
durch  Absonderung,  Blutung,  Sepsis  sehr  gefährlich  werden.  Aber 
ein  Uebergehen  in  eigentlich  maligne  Formen,  wovon  man  viel 
gesprochen  hat,  kommt  hier  doch  wohl  kaum  jemals  vor,  es 
müsste  denn  sein,  dass  die  Geschwulst  ursprünglich  nicht  ein 
reines  Lipom,  sondern  eine  Combinationsgeschwulst  war.  Selbst 
die  grössten  Lipome  werden  doch  nur  bedenklich  durch  die 
schlechten  Ernährungsverhältnisse,  die,  wenn  ihr  Inneres  eiunial 
der  Luft  exponirt  ist^  stattfinden. 

Zuweilen  bilden  sich  in  Lipomen  in  ganz  ähnlicher  Weise, 
wie  in  Fibromen  (S.  307),  Abscesse  aus*).  Diese  liegen 
mitten  in  der  Geschwulst  und  enthalten  regelmässigen  Eiter. 
Man  muss  davon  einen  anderen  Fall  wohl  unterscheiden.  Wenn 
nehmlich  eine  Geschwulst  dieser  Art  sehr  gross  wird  und  die 
Fettlappen  einen  sehr  beträchtlichen  Umfang  erlangt  haben,  so 
kommt  es  vor,  dass  in  Folge  der  mehr  und  mehr  erschwerten 
Circulation  in  einzelnen  Lappen  das  Gewebe  abstirbt,  ähnlich  wie 
das  in  den  freien  Körpern  stattfindet.  Dann  tritt  eine  Erwei- 
chung ein  (Fig.  69  bei'+):  die  Zellmembranen  gehen  zu  Grunde, 
das  Fett  wird  frei,  und  wenn  man  einschneidet,  so  kommt  man  in 


*)  Michon  Gaz.  des  h6p.  1846.  Janv.  Hebert.  These  sur  rinflam- 
matioD  du  lipöme.  ParU.  1841).  p.  11.  Broca.  Bulletin  de  la  Soc.  aoit 
de  Paris.  1652.  p.  2^4.  Birkett.  Guys  Hospital  Rep.  1651.  p.  298.  Vgl 
oben  S.  378.  Note  *♦♦. 


FettkOrper  der  Wange.  395 

eine  Gavität,  die  mit  Oel  gefallt  ist.  Unter  Umständen  kann  diese 
Fonn  Veranlassung  zur  Verwechselung  mit  anderen  cystischen 
Geschwülsten  geben;  man  kann  sie  insbesondere  verwechseln 
mit  Meliceris  und  anderen  Fettcysten,  namentlich  mit  Dermoid- 
kystomen. Allein  in  der  Regel  findet  die  Erweichung  nur  in  ein- 
zelnen Abschnitten  der  Geschwulst  statt,  und  die  Hauptmasse 
bleibt  im  unveränderten  Zustande,  so  dass  die  Diagnose  nicht  zu 
schwierig  ist. 

Schliesslich  will  ich,  anknüpfend  an  ein  Präparat  unserer 
Sammlung^),  noch  den  besonderen  Fall  hervorheben,  der  öfters 
zu  Verwechselungen  Veranlassung  giebt,  dass  sich  nehmlich  aus 
einem  bestimmten  Fettgebilde,  das  nicht  besonders  beschrieben 
zu  werden  pflegt,  ein  solches  Gewächs  entwickelt.  Es  giebt  in 
der  Wange  eine  besondere  Fettmasse,  welche  beim  Erwachsenen 
in  der  Segel  weniger  hervortritt,  als  bei  Kindern,  namentlich 
neugebomen,  eine  Fettmasse,  welche  von  der  Fossa  canina 
sieh  wie  gestielt  in  die  Dicke  der  Wange  fortsetzt,  und  welche 
schon  Heister  (1741)  u.  A.  beschrieben  haben,  welche  aber 
immer  vricder  vergessen  worden  ist.  Sie  trägt  den  Namen 
des  Fettkörpers  der  Wange,  Corpus  adiposum  malae**). 
Dieser  Körper  entwickelt  sich  zuweilen  zu  einer  lipomatösen 
Geschwulst,  die  sich  dann  in  der  Wange  bald  mehr  nach  vom, 
bald  mehr  nach  hinten  hervordrängt,  und,  wie  man  aus  der  Zu- 
sammenstellung, die  Bruns***)  über  diese  Fälle  geliefert  hat, 
ersehen  kann,  nicht  selten  Veranlassung  gegeben  hat,  sie  mit 
Parotisgeschwülsten  zu  verwechseln.  Indem  das  Gewächs  von 
hinten  her  die  Parotis  hervorschiebt,  so  ist  es  manchmal  nicht 
wohl  möglich,  die  Drüse  davon  zu  unterscheiden.  Sehr  leicht 
kann  man  daher  eine  solche  Bildung  als  eine  Parotisgeschwulst 
behandeln,  und  bei  der  Exstirpation  die  Parotis  selbst  unnöthiger- 
weise  mit  entfernen. 


♦)  Präparat  No.  122.  vom  Jahre  1861. 

^^)  Gehewe.  De  corpusculo  quodam  adiposo  in  hominum  genis  obvio. 
Diss.  inaug.  Dorpat.  1853. 

***)  V.  V.  BruDs.  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie.  Abth  II.  Bd.  I. 
S.  146,  1134.    Vgl.  Gant  The  Lancet.  1856.  Vol.  II.  No.  23. 


Fünfzehnte  Vorlesung. 

21.  Januar  1863. 


Myx«Me« 


Verschiedenheit  der  Myxome  Ton  Scbleimcytten  und  Scbleimkyttomen.  ZutammenseUnng  m 
Schloimgewebe.  Natur  und  Vorkoromen  desselben:  Nsbelstrang.  Verhiltolss  sam  Biad« 
und  Fettgewebe.  Perststenx  im  entwickelten  Körper,  RAekbUdnng  aas  Fetlg«w«be  (coIioi<l« 
Metamorphose).  Besiehung  cur  Nearoglia  und  tum  PeriueuriunL  Homologe  ood  heterolog« 
Myxome.  Beschaffenheit  der  intercellularen  Flfissigkeit,  der  faserigen  nnd  Belügen  Bestand 
tbeile. 

Varietiten:  Myxoms  hyalinum  s.  gelatiuosum,  M.  medulläre  s.  cellutare,  M.  lipomatodea,  M.  cj*t«i 
des,  M.  fibrosum,  M.  cartilagineura,  If.  telangiectodes. 

Aeltere  Terminologie:  Colloid,  CoUonema.  Sarooroa  gelatlnusam  t.  hyalinum,  Carrinoma  coUoMei 
s.  gelatinosum. 

Das  Myxom  der  Choriou sotten  (Blasen-  oder  Tranbenmole).  Bescbreibang  und  Theorie. 
Ausgang  von  den  Chorionxotten :  Hyperplasie  des  priexisttrenden  Scbleinsgewebea.  Verhih- 
niss  der  Zellen  und  Gefasse  au  der  Wucherung.  Zustand  der  Frucht:  leere  Eier,  atrophilclM 
Embryonen.  Verb&ltniRS  xwischen  der  Zottenerkrankung  und  dem  Absterben  des  Embrro. 
Allgemeine  und  partielle  Hyperplasie  der  Zotten :  placeatares  Myxon.  Rateatioii  der  Plaoeati. 
Beaiehnng  der  Blasemnole  xur  Endometritis.  Partielles  fibröses  Placentar-MyxoB: 
Tuberkel  und  8kirrh  der  Placenta.     Hfiraatom,  Apoplexie  und  Thrombose. 

Congenitale  Myxome. 

Myxome  der  Erwachsenen:  Hubcutane  und  intramusculire  Formen.  Das  Myxom  des  Ob«r- 
scbenkels.  Polypöse  Myxome  der  Brust  und  Schamlippen.  Myxom  des  Vierenbeckens.  Ujt*m 
der  Knochen. 

Heteroplastisches  Myxom:  Gehirn,  Rückenmark,  Nerfen.  Das  falsch«  Menrom;  soK4« 
nnd  cystoide  Form.  Weibliche  Brost:  Cystosareoma.  Tuberöse  nnd  diftase  Form.  Pa* 
intracanalicul&re  polypöse  Myxom:  Aufbruch.  —  Hoden,  Lange,  8p«lcb«ldri«eii. 

Bedeutung  der  Myxome.  Gutartigkeit  der  hyperplastischen  Formen:  Örtliche  Störoagen,  Ulcera- 
tion,  Recidivining.  Bösartigkeit  der  heteroplastiseben  Formen:  das  maligne  Nevroai.  Cl- 
reration,  MnItipliritSt,  Metastase. 


In  der  Reihe  der  Proliferationsgewächse  schliesst  sich  jetzt  gans 
natürlich  diejenige  Geschwulst  an,  welche  wesentlich  aus  Schleim- 
gewebe, diesem  Sowohl  dem  Binde-,  als  dem  Fettgewebe  so  nahe 
verwandten  Gliede  der  Bindesubstanzreihe,  besteht.    In  der  Tbat 


Schleimgewebe.  397 

bildet  das  Schleimgewebe  eine  besondere  Art  von  Geschwülsten,  wie 
das  Fettgewebe  Fettgeschwülste,  das  Bindegewebe  Bindegewebs- 
gesch Wülste  bildet.  Ich  habe  dafür  den  Namen  der  Schleim- 
gewebsgeschwülste  oder  kurzweg  Schleimgeschwülste, 
Tumores  mucosi,  Myxome  vorgeschlagen*). 

Von  vorn  herein  warne  ich  davor,  diese  Species  nicht  zu 
verwechseln  mit  Schleimcysten  (S.  231 )  und  Schleimkystomen, 
wo  Schleim  nicht  als  Gewebe,  sondern  als  Secret  die  Geschwulst 
bildet.  Im  Myxom  ist  der  Schleim  Gewebsbestandtheil,  er  gehört 
zu  der  Intercellularsubstanz  eines  Gewebes,  welches  sich  in  seinen 
wesentlichen  Structurverhältnissen  der  grossen  Reihe  der  Binde- 
substanzen anschliesst**).  Bis  vor  verhältnissmässig  kurzer  Zeit 
war  es  überhaupt  unmöglich,  diese  Geschwulste  in  ihrer  Stellung 
genau  zu  erkennen,  weil  man  die  eigenthümliche  Art  von  Gewebe, 
um  die  es  sich  hier  handelt,  überhaupt  nicht  genauer  ins  Auge 
gefasst  hatte.  Freilich  ist  der  Name  Schleimgewebe  kein 
neuer,  denn  er  ist  schon  im  vorigen  Jahrhundert  von  einer  Reihe 
von  Schriftstellern  gebraucht  worden  als  Ausdruck  für  die  weiche- 
ren Bindegewebsmassen  überhaupt.  Das  zeigt  namentlich  das 
seiner  Zeit  ziemlich  berühmte  Buch  von  Bord eu  ***).  Allein  in 
dem  Maasse,  als  man  die  Doctrin  des  „  Zellgewebes  **  ausbildete, 
woraus  später  das  Bindegewebe  wurde,  trat  die  Vorstellung  von 
dem  homogenen,  schleimigen  Wesen  des  Gewebes  in  den  Hinter- 
grund, und  man  betrachtete  die  weichen  Bindegewebsmassen  ent- 
weder als  eine  blosse  Abart,  wie  sie  von  Köllikerf)  unter 
dem  Namen  des  gallertigen  oder  sternförmigen  Binde- 
gewebes unterschieden  wurde,  oder  als  ein  nicht  vollkommen 
ausgebildetes,  junges  oder  auch  wohl  als  älteres,  aber  unreifes 
Bindegewebe,  als  ein  Entwickehingsstadium  von  Bindegewebe, 
welches  nicht  zu  voller  Ausbildung  gekommen  sei. 

Erst  als  meine  Untersuchungen  über  die  einzelnen  Einrich- 
tungen des  Bindegewebes  einen  gewissen  Boden  geschaffen  hatten, 
wurde  meine  Aufmerksamkeit  auf  diese  Substanz  gefesselt,  zu- 


^)  Mein  Archiv.  1857.  Bd.  XL  S.  286.   Cellularpathologie.  3.  Aufl.  S.  444. 
♦♦)  Oellalarpathologie.     3.  Aufl.    S.  43,  93. 

♦*♦)  Th^ophile  de  Borde u.    Recherches  sur  le  tissu  muqueux  ou  Tor- 
gane  cellulairc.   Paris.    1791. 

t)  KGlliker.    Zeitschr.  f.  wiss.  Zoologie.     1849.    Bd.  I.    S.  54.    Note. 
Würzburger  Verhandl.  (1851.)  Bd.  III.  S.  2. 


398  Ffinfzehote  Vorleflung. 

nächst  durch  die  Eigenthumlichkeit,  dass  sie  Schleim  (Hncin), 
der  sonst  als  Secret  vorkommt,  in  sich  enth&lt,  und  es  trat 
namentlich  ein  Gebilde  sofort  in  den  Vordergrund,  welches  diese 
Beschaffenheit  in  einem  besonders  hohen  Maasse  an  sich  trägt, 
nehmlich  das  Gewebe  des  Nabelstrangs,  —  die  sogenannte  Wh ar- 
ton'sche  Sülze  oder  Gallerte*).  Diese  besteht  aus  einer 
verhältnissmässig  starken  Anhäufung  von  Schleimgewebe,  welches 
als  subcutanes  Polster  auftritt  und  seiner  Lage  nach  genau  dem 
Unterhaut -Fettgewebe  entspricht.  Auch  an  anderen  Orten  findet 
sich  Schleimgewebe  beim  Fötus  überaus  verbreitet,  aber  in  seinen 
ausgesprochenen  Formen  keineswegs  als  die  Vorstufe  zu  Binde- 
gewebe, nicht  als  unreifes  Bindegewebe,  sondern  besonders  häutig 
an  solchen  Stellen,  wo  nachher  Fettgewebe  vorhanden  ist.  Eher 
könnte  man  es  daher  unreifes  Fettgewebe  nennen.  Denn 
in  der  That  wandelt  es  sich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  späterhin 
in  Fettgewebe  um,  indem  seine  Zellen  entweder  einfach  Feit  auf- 
nehmen, oder,  wie  ich  schon  neulich  hervorhob  (S.  370),  zuerst 
wuchern  und  dann  Fettlappen  bilden.  Trotzdem  kann  man  das 
Schleimgewebe  nicht  einfach  zum  Fettgewebe  rechnen.  Es  steht 
zu  demselben  in  dem  gleichen  Verhältniss,  wie  Knorpel  £o  Kno- 
chen, aber  es  hat  auch  dieselbe  Selbständigkeit,  wie  Knorpel- 
gewebe, und  daher  muss  es  als  eine  besondere  Art  von  Gewebe 
unterschieden  werden  **). 

An  einzelnen  Orten  bleibt  die  urspröngliche  Beschaffenheit 
einigermassen  erhalten,  wie  am  Glaskörper  des  Auges,  von 
dem  ich  nachgewiesen  habe***),  dass  er  in  dieselbe  CJewebs- 
Kategorie  hineingehört  und  seiner  Entwickelungsgesehichte  nach 
subcutanes  Gewebe  ist.  Auch  finden  sich  kleinere  Anbäufiingen 
an  der  inneren  Herzeinrichtung,  namentlich  an  den  Herzklappen f)* 
An  den  meisten  Orten,  wo  es  nicht  zu  Fettgewebe  wird,  atrophirt 
es  späterhin,  und  nur  an  den  äusseren  Genitalien  geht  es  in  ein 
mehr  bindegewebiges,  lockeres  Unterhautpolster  über  (S.  388). 
Man  muss  daher  zugestehen,  dass  im  entwickelten  und  gut  ge- 


♦)  Würzburger  Verhaodl.  1851.  Bd.  IL  S.  160,  317.    Mein  Archiv.  18M. 
Bd.  V.  S.  593. 

*^)  WQrzb.  Verhandl.  (1852.)  Bd.  lU.  Sitznngsber.  S.  V.    GanstaU's  Jah- 
resbericht für  1852.  Bd.  IV.  S.  316.    Mein  Archiv.  1859.  Bd.  XVI.  S.  14. 

^**)  WQrzb.  Verhandl.  1851.  Bd.  II.  S.  317.    Mein  Archiv.  1868.  Bd.  IV. 
S.  468.    1853.  Bd.  V.  S.  278.    1854.  Bd.  VII.  S.  Ö6I.   OeliuUrpathoi.  S.  96. 
t)  Gesammelte  Abhandln ngen.  S.  509,  vgl.  S.  600. 


Verhältniss  von  Schleim-  und  Fettgewebe.  899 

nährten  KOrper  allerdingg  äusserst  wenig  Schleiragewebe  vor- 
handen ist,  selbst  wenn  raan  gewisse  Schleimhäute  diesem  Ge- 
webe annähern  wollte,  die  doch  in  vielen  Stücken  davon  ver- 
schieden sind. 

Nun  ist  es  aber  sehr  häufig,  dass  ebenso  wie  Schleimgewebe 
sich  zu  Fettgewebe  umbildet,  auch  ohne  besondere  Krankheit 
das  Fettgewebe  sich  wiederum  in  Schleimgewebe 
zur fick bildet,  dass  also  das  Fettgewebe  geradezu  wieder 
Schleimgewebe  wird*).  Das  geschieht  im  Laufe  vieler  einfacher 
Abmagerungszustände,  zuweilen  in  so  grosser  Ausdehnung,  dass 
man  die  gallertartigen  Massen  dieses  Gewebes  wie  eine  lose 
Schleimlage  antrifft.  Diese  Zustände  sind  meistentheils  verkannt 
worden;  man  hat  sie  entweder  für  blosse  Oedeme  gehalten,  oder 
für  coli oi de  Umwandlungen  angesehen.  In  dieser  Weise  sieht 
man  an  dem  subpericardialen  Fett  an  der  Oberfläche  des  Herzens, 
an  dem  Fett,  welches  im  Hilus  der  Niere  liegt,  an  dem  Fett, 
welches  ausserhalb  der  Dura  mater  im  Canalis  vertebralis  ge- 
legen ist,  an  die  Stelle  der  gelben  Fettläppchen  eine  durch- 
scheinende, gallertartige,  zitternde  Substanz  treten,  welche  einen 
erheblichen  Bestandtheil  Schleim  enthält**).  Am  aller  deut- 
lichsten ist  dies  aber  am  Mark  der  Röhrenknochen,  wo  die 
ganze  Masse  des  gelben  Fettgewebes  zuweilen  in  ein  durch- 
scheinendes Gallertgewebe  sich  umbildet***).  Hier  tritt  also  das 
alte  Gewebe  gleichsam  wieder  in  Kraft,  und  man  kann  gewisser- 
massen  sagen,  dass  Schleimgewebe  und  Fettgewebe  Pa- 
rallelzustände desselben  Gewebes  sind,  welches  sich  je 
nach  Umständen  in  der  einen  oder  in  der  anderen  Form  darstellt. 
Insofern  findet  sich  dann  auch  nicht  selten  im  erwachsenen  Körper 
an  vielen  Stellen  Schleimgewebe  vor,  nehmlich  in  Abmagerungs- 
zttst&nden,  und  dieses  kann  von  sich  aus  in  ähnlicher  Weise  eine 
Schleimgewebsgeschwulst  erzeugen,  wie  das  sonst  vorhandene  Fett- 
gewebe eine  Fettgewebsgeschwulst.  Diese  Formen  haben  daher 
im  Allgemeinen  einen  homologen  Typus,   und  weisen  sich  als 


♦)  Mein  Archiv.    Bd.  XVI.  S.  15. 

♦*)  Schrant  erwähnt    (Good-    en    kwaadaardige   gez wellen.     Bl.  256), 
dass  Ali  Cohen  eine  CoUoidlage  im  Wirbelkanal  beschrieben  habe.    Dies 
war  offenbar  nichts,  als  das  metamorphosirte,  extramcningeale  Fettgewebe. 
^*)  WahrBcheinlich  gehört  hierher  manches  von  dem,  was  Ginge  (Atlas 
der  path.  Anat  Lief.  II.)  als  Osteophyton  gelatinosuro  schildert. 


ll«l 


i'i-'i   :-~  -L*   ucv^cc^ücBff«    aas  vorhandenem  S<jhleim- 

I:i'ia     vrr^riieütii.    i<*:    üe  laveilea    sehr    aasgesprochene 
;-~--i    f^*    Ijl-¥i:ü*lxiii:£    i-£*l  Sdileimgewebe    an  Orten,   wo 
vr  ^.tiisrc  iii:j&  Ute  An  4Ftn>Fa,  sbiI   wo  es  aus  irgend  einem 
äiiiu:f^a .    i^r  Biniineev-tätsTfinfe  lueMrigen  Gewebe  hervorgeht. 
In    i:f?<<r  3«f£i«aan;£   3iii:s!'  ic^  Miirmlich  auf  einen  Punkt  auf- 
ii»fri.sim  niiL'jea .   m   naa  iZjerdi&ss  zweifelhaft  sein   kann  in 
5^£ifaaxiu  iaruir.  lu  ':t^  töcsl  sb  eine  homologe  oder  heterologe 
Firn  iitaii»:-.r.    Iti£f>  sdl  ö*  NerveDeinricbtungen.    Ueherail 
i«M]iiLii:ii.  sj  Villi,  la  ü»  «r^ma^ilappanien,  als  an  den  periphe- 
r2>:uija  X->o-.a^  iniüiC  ^»ri  «m  eigentliämliche  interstitielle  Sub- 
<;ia^  »ir.  v-«ü:a>!  i*ia  i^x  Bäi«cewebe  and  dessen  bekannteren 
AfÄ^i.  <i.*!acea   si:a   uLtifrinfM-iiec.     Sie  erreicht  ihre  grösste  und 
utt    lifbcea  >a*!«:'tib<ai*  ExiwxlLelBnä;  am  Gehirn  und   Räcken- 
soj^.  -V7    i.-'i    or  hin  SuL^m  Nearoglia  beigelegt  habe*).  Sie 
ijpi-ic  ?ii:ü  x?««r  x^'ö.  ^^oX'-i  ;■  e:was  derberer  Weise,  zwischen 
i-jtt  ?r3iii.*:bc^r»  -ifc   xripMri$chen    Nerven**),    wo    sie   von 
Rv^:i    l*i!L  NxiM'T   I«^   PeriBeiriums   bekommen   hat.     Sie 
>c  i:;it  ^caViar^i-^^ice   121  eAzeren  Sinne  des  Wortes,  aber  eie 
>c«c:   iies^zL  is   sic-is^cea.     Die  Nearoglia  ist  eine  weiche  Sub- 
>Ci:u.  I^e  '•^vi:;  r^  »nirickea  mnd  xu  lertrfimmern  ist,  und  m 
maa>:i^a  ^.V:-^::.  «:*?  i!n  Oalamos  soriptorias,  eine  äusserst  tarte 
and  r^:  ^l-fr:jkrt.*«^  Be^cbaäenheit  annimmt.     Sie  ist  ein  be- 
>oa^er>   :ä.iiLcrr  FntwickeluD^ort  für  wirkliches   pathologisches 
Sv*hlT»:ai^ew^ii-e.     I^ib^i  nnd^t  freilich  eine  Veränderung  in  dem 
Ivpas  siäs:,  ^<  i>;  e:was  Hecerologes«  aber  es  steht  doch  verhält- 
ni>^iuJb'>igC  nicht  >ehr  weit  von  dem  Normalen.    Es  verhält  i^ioli 
d;imit  uncetBthr  so.  wie  wenn  im  permannten  Knorpel  Knochen. 
oder  im  Knochen  Knor|^l  ent^^telic,  was  auch  an  sich  heteroloi^ 
ist,   aber  doch  nicht  eine  solche  Heterologie  ausdräckt,  wie  vir 
sie  bei  den  epithelialen  Neubildungen  kennen. 

Alle  Schleimgewebsgeschwttlste«  mögen  sie  homolog  oder 
heterolog  entstanden,  hyperplastische  oder  hetertfplastische  For- 
men sein,  haben  das  Gemeinschaftliche  an  sich,  dass  sie  sich 
durch  grosse  Weichheit  und  Zartheit  auszeichnen,  dass  sie  häutig 


*)  Gesammelte  AbhaDdl.    S.  890.     CellnUrpathologie.  3.  Anl.  S.  ^7 
^*)  CelluUrpathologie.  S.  216,  260. 


Mucingehalt  der  Myxome.  401 

floctuiren,  wie  weno  man  eine  blosse  Flüssigkeit  oder  eine 
cystische  Geschwulst  vor  sich  hätte;  dass,  wenn  man  sie  an- 
schneidet, sie  eine  manchmal  ganz  gallertartige,  manchmal  etwas 
mehr  derbe,  manchmal  aber  fast  flüssige  Gonsistenz  zeigen,  und 
dass  man  durch  Druck  von  den  Schnittflächen  eine  sehr  schlüpf- 
rige Flüssigkeit  entleeren  kann,  welche  fadenziehend  ist,  wie  ge- 
wöhnlicher Schleim  oder  Hühnerei  weiss,  und  welche  entweder 
ganz  farblos  oder  leicht  gelb  gefärbt  ist. 

Diese  Flüssigkeit  verhält  sich  chemisch,  wie  Schleimflüssigkeit. 
Sie  enthält  gewöhnlich  einen  gewissen  Antheil  von  eiweissärtigen 
Körpern  und  trübt  sich  daher  beim  Zusetzen  derjenigen  Substanzen, 
welche  Eiweiss  lallen,  und  beim  Kochen.  Charakteristisch  ist  aber, 
dass  sie,  wie  die  Gallerte  des  Nabelstranges,  eine  sehr  bedeu- 
tende Quantität  von  Mucin  führt,  welches  sich  leicht  vom  Ei- 
weiss unterscheiden  lässt.  Wenn  man  die  Fällung  durch  starken 
Alkohol  vornimmt,  so  bekommt  man  einen  Niederschlag  von 
Eiweiss,  welcher  sich  beim  Zusatz  von  Wasser  nicht  wieder  auf- 
löst, namentlich  wenn  der  Alkohol  längere  Zeit  damit  in  Berüh- 
rung war,  während  der  gleicBfalls  gefällte  Schleim  sich  wieder 
auflöst  und  in  den  gequollenen  oder  gelösten  Zustand  zurück- 
kehrt. Die  Niederschläge,  welche  Alkohol  in  dem  Schleim  er- 
zeugt, sind  nicht  körnig  und  flockig,  wie  die  des  Eiweisses,  sondern 
fadenförmig  oder  membranös;  es  bildet  sich  wie  ein  Netz  durch 
die  Flüssigkeit,  so  dass  die  Gerinnung  mehr  Aehnlichkeit  mit  der 
des  Fibrins  hat  und  sich  wesentlich  von  der  der  gewöhnlichen 
Albuminate  unterscheidet.  Es  ist  ferner  diese  Substanz  sehr  leicht 
fällbar  durch  den  Zusatz  organischer  Säuren,  und  die  Gerinnungen 
erfolgen  auch  dann  in  membranöser  Form.  Im  Ueberschuss  die- 
ser Säuren  lösen  sie  sich  nicht  auf,  sondern  ziehen  sich  noch 
mehr  zusammen,  während  umgekehrt,  wenn  wir  Mineralsäuren 
nehmen,  eine  geringe  Quantität  derselben  eine  Fällung  erzeugt, 
welche  sich  im  Ueberschuss  der  Säure  löst,  ohne  dass  eine  Er- 
hitzung nöthig  ist,  wodurch  sich  ein  bedeutender  Unterschied  von 
den  eiweissärtigen  Körpern  ausspricht.  Es  Hessen  sich  noch  viele 
andere  charakteristische  Eigenschaften  hervorheben,  aber  die  ge- 
nannten sind  schon  hinreichend.  Nur  muss  man  sich  immer 
erinnern,  dass  der  Schleimstoflf  ein  ausserordentlich  starkes  Quel- 
lungsvermögen besitzt   und  dass  daher  sehr  geringe  Quantitäten 

Virehow,  QMchwülaU.    1.  26 


^ 


400  Fünfzehnte  Vorlesung. 

hyperplastische  Entwickelungen  aus  vorhandenem  Schleim- 
gewebe aus. 

Davon  verschieden  ist  die  zuweilen  sehr  ausgesprochene 
heterologe  Entwickelung  von  Schleimgewebe  an  Orten,  wo 
wir  sonst  nichts  der  Art  kennen,  und  wo  es  aus  irgend  einem 
anderen,  der  Bindegewebsreihe  zugehörigen  Gewebe  hervorgeht. 
In  dieser  Beziehung  muss  ich  namentlich  auf  einen  Punkt  auf- 
merksam machen,  wo  man  allerdings  zweifelhaft  sein  kann  in 
Beziehung  darauf,  ob  es  sich  um  eine  homologe  oder  heterologe 
Form  handelt.  Das  sind  die  Nerveneinrichtungen.  Ueherall 
nehmlich,  sowohl  an  den  Centralapparaten,  als  an  den  periphe- 
rischen Nerven,  findet  sich  eine  eigenthümliche  interstitielle  Sub- 
stanz vor,  welche  von  dem  Bindegewebe  und  dessen  bekannteren 
Aequivalenten  sich  unterscheidet.  Sie  erreicht  ihre  grösste  und 
am  meisten  specifische  Entwickelung  am  Gehirn  und  Rucken- 
mark, wo  ich  ihr  den  Namen  Neuroglia  beigelegt  habe*).  Sie 
findet  sich  aber  auch,  jedoch  in  etwas  derberer  Weise,  zwischen 
den  Primitivfasern  der  peripherischen  Nerven**),  wo  sie  von 
Robin  den  Namen  des  Perineuriums  bekommen  hat.  Sie 
ist  kein  Schleimgewebe  im  engeren  Sinne  des  Wortes,  aber  sie 
steht  diesem  am  nächsten.  Die  Neuroglia  ist  eine  weiche  Sub- 
stanz, die  leicht  zu  zerdrücken  und  zu  zertrümmern  ist,  und  an 
manchen  Orten,  wie  am  Calamus  scriptorius,  eine  äusserst  zarte 
und  fast  gallertartige  Beschaffenheit  annimmt.  Sie  ist  ein  be- 
sonders häufiger  Entwickelungsort  für  wirkliches  pathologisches 
Schleimgewebe.  Dabei  findet  freilich  eine  Veränderung  in  dem 
Typus  statt,  es  ist  etwas  Heterologes,  aber  es  steht  doch  verbält- 
nissmässig  nicht  sehr  weit  von  dem  Normalen.  Es  verhält  sich 
damit  ungefähr  so,  wie  wenn  im  permannten  Knorpel  Knochen, 
oder  im  Knochen  Knorpel  entsteht,  was  auch  an  sich  heteroloi? 
ist,  aber  doch  nicht  eine  solche  Heterologie  ausdrückt,  wie  wir 
sie  bei  den  epithelialen  Neubildungen  kennen. 

Alle  Schleimgewebsgeschwülste,  mögen  sie  homolog  oder 
heterolog  entstanden,  hyperplastische  oder  heter(^plastiscbe  For- 
men sein,  haben  das  Gemeinschaftliche  an  sich,  dass  sie  sieb 
durch  grosse  Weichheit  und  Zartheit  auszeichnen,  dass  sie  häutig 


#« 


*)  Gesammelte  Abhandl.    S.  890.     Gellularpathologie.  3.  Aull.  S.  257. 
)  Gellularpathologie.  8.  216,  260. 


Mucingehalt  der  Myxome.  401 

floctuiren,  wie  wenn  man  eine  blosse  Flüssigkeit  oder  eine 
cystische  Geschwulst  vor  sich  hätte;  dass,  wenn  man  sie  an- 
schneidet, sie  eine  manchmal  ganz  gallertartige,  manchmal  etwas 
mehr  derbe,  manchmal  aber  fast  flüssige  Gonsistenz  zeigen,  und 
dass  man  durch  Druck  von  den  Schnittflächen  eine  sehr  schlüpf- 
rige Flüssigkeit  entleeren  kann,  welche  fadenziehend  ist,  wie  ge- 
wöhnlicher Schleim  oder  Hühnerei  weiss,  und  welche  entweder 
ganz  farblos  oder  leicht  gelb  gefärbt  ist. 

Diese  Flüssigkeit  verhält  sich  chemisch,  wie  Schleimflüssigkeit. 
Sie  enthält  gewöhnlich  einen  gewissen  Antheil  von  eiweissärtigen 
Körpern  und  trübt  sich  daher  beim  Zusetzen  derjenigen  Substanzen, 
welche  Eiweiss  i&llen,  und  beim  Kochen.  Charakteristisch  ist  aber, 
dass  sie,  wie  die  Gallerte  des  Nabelstranges,  eine  sehr  bedeu- 
tende Quantität  von  Mucin  fuhrt,  welches  sich  leicht  vom  Ei- 
weiss unterscheiden  lässt.  Wenn  man  die  Fällung  durch  starken 
Alkohol  vornimmt,  so  bekommt  man  einen  Niederschlag  von 
Eiweisa,  welcher  sich  beim  Zusatz  von  Wasser  nicht  wieder  auf- 
löst, namentlich  wenn  der  Alkohol  längere  Zeit  damit  in  Berüh- 
rung war,  während  der  gleicBfalls  gefällte  Schleim  sich  wieder 
auflöst  und  in  den  gequollenen  oder  gelösten  Zustand  zurück- 
kehrt. Die  Niederschläge,  welche  Alkohol  in  dem  Schleim  er- 
zeugt, sind  nicht  körnig  und  flockig,  wie  die  des  Eiweisses,  sondern 
fadenförmig  oder  membranös;  es  bildet  sich  wie  ein  Netz  durch 
die  Flüssigkeit,  so  dass  die  Gerinnung  mehr  Aehnlichkeit  mit  der 
des  Fibrins  hat  und  sich  wesentlich  von  der  der  gewöhnlichen 
Albuminate  unterscheidet.  Es  ist  ferner  diese  Substanz  sehr  leicht 
fiUlbar  durch  den  Zusatz  organischer  Säuren,  und  die  Gerinnungen 
erfolgen  auch  dann  in  membranöser  Form.  Im  Ueberschuss  die- 
ser Säuren  lösen  sie  sich  nicht  auf,  sondern  ziehen  sich  noch 
mehr  zusammen,  während  umgekehrt,  wenn  wir  Mineralsäuren 
nehmen,  eine  geringe  Quantität  derselben  eine  Fällung  erzeugt, 
welche  sich  im  Ueberschuss  der  Säure  löst,  ohne  dass  eine  Er- 
hitzung nöthig  ist,  wodurch  sich  ein  bedeutender  Unterschied  von 
den  eiweissärtigen  Körpern  ausspricht.  Es  liessen  sich  noch  viele 
andere  charakteristische  Eigenschaften  hervorheben,  aber  die  ge- 
nannten sind  schon  hinreichend.  Nur  muss  man  sich  immer 
erinnern,  dass  der  Schleimstofl^  ein  ausserordentlich  starkes  Quel-  / 
lungsvermögen  besitzt   und  dass  daher  sehr  geringe  Quantitäten  / 

Virehow,  QMchwiltt«.    1.  26  / 


402  FQufzehDte  Yorleanng. 

genügen,  um  grosse  Mengen  von  Flüssigkeit  fadenziehend  oder 
gar  gallertig  zu  machen.  Die  Deutlichkeit  der  chemischen  Reac- 
tionen  steht  natürlich  in  einem  gewissen  Yerhältniss  zu  der  Menge 
des  vorhandenen  Schleimes,  und  sie  fällt  zuweilen  nicht  so  grob 
aus,  wie  mancher  es  erwartet*). 

Ausser  dieser  Flüssigkeit,  welche  in  dem  Gewebe  als  Inter- 
cellularflüssigkeit  vorhanden  ist,  findet  sich  gewöhnlich  noch  ein 
gewisser  Antheil  von  faseriger  Grundsubstanz  vor,  welche  in 
manchen  Fällen  sich  beim  Kochen  in  Leim  auflöst,  (also  ein 
bindegewebiger  Antheil),  in  anderen  Fällen  aber  der  Einwirkung 
des  Kochens  Widerstand  leistet  und  sich  also  nicht  wie  die  ge- 
wöhnlichen leimgebenden  Substanzen  verhält.  Diese  Fasern  oder 
Fibrillen  sehen  aus  wie  Bindegewebstibrillen,  sind  aber  sehr  locker 
und  überall  von  der  mucinhaltigen  Flüssigkeit  durchtränkt. 

Die  Intercellularsubstanz  umschliesst  zellige  Elemente  in  sehr 
verschiedener  Menge.  In  den  einfachsten  Formen  sieht  man  ganz 
vereinzelte  spindelförmige,  sternförmige  oder  runde  Zellen;  das 
wechselt  je  nach  den  Entwickelungszuständen.  Je  jünger  das 
Gewebe  ist,  um  so  mehr  sind  ruAde  Zellen  (Schleimkörperchen) 
vorhanden;  je  älter  es  ist,  um  so  mehr  zeigen  sich  spindel- 
oder  sternförmige,  welche  letztere  mitunter  anastomosiren  und 
einen  maschigen  oder  areolären  Bau  erzeugen,  in  dessen  Maschen- 
räumen nicht  selten  noch  runde  Elemente  persistiren  oder  sogar 
fortwuchern. 

So  lange  diese  zelligen  Elemente  in  geringer  Zahl  vorbanden 
sind,  so  lange  hat  das  ganze  Gewebe  eine  durchscheinende,  klare 
Beschaffenheit  und  gleicht  in  der  That  manchmal  der  Substanz 
des  Glaskörpers  im  vollsten  Maasse:  Myxoma  hyalinum  s. 
gelatinosum.  Werden  die  zelligen  Elemente  reichlicher,  so 
trüben  sie  die  Substanz,  und  wenn  namentlich  sehr  viele  Zellen 
vorbanden  sind,  wie  das  manchmal  vorkommt,  wo  Wucherungen 
der  Zellen  eintreten,  dann  wird  die  Substanz  weisslich,  ja  sie 
erlangt  an  manchen  Stellen  ein  markiges,  medulläres  Ausseben: 
Myxoma  medulläre.     Nehmen  die  Zellen  Fett  auf  und  ver- 


*)  Ich  bemerke  dabei,  dass  nach  einer  Untersnchnng  von  Köberle 
(G.  Pfeiffer.  Etudo  auat  path.  sur  une  tumeur  du  genre  collooema.  Strasb. 
iB58.  p.  G)  auch  eine  Gallertgeschwulst  vor^iu kommen  scheint,  welche  io 
Beziehung  auf  ihre  Reactionen  mehr  Aehnlicbkeit  mit  der  Gallerte  der  Seh- 
ncDscheiden  (vgl.  S.  203),  aU  mit  gewöhnlichem  Macio  beeitat. 


Varietäten  des  Myxoms.  403 

wandeln  sie  sich  endlich  in  wirkliche  Fettzellen,  während  doch 
noch  die  gallertige  Zwischenmasse  sich  erhält,  so  bekommt  die 
Schnittfläche  ein  fleckiges,  gesprenkeltes  oder  figurirtes  Aussehen 
and  einen  mehr  gelblichen  Ton,  der  stellenweise  in  ein  reines 
dichtes  Gelbweiss  übergehen  kann:  Myxoma  lipomatodes. 
Aber  auch  die  Intercellularsubstanz  zeigt  sehr  häufig  weitere  Ver- 
schiedenheiten. Nicht  selten  wird  sie  so  weich  und  beweglich, 
dass  das  Gewebe  fast  wie  eine  reine  Flüssigkeit  erscheint,  und 
dass  man  nicht  eine  zusammenhängende  Structur,  sondern  eine 
Höhle  oder  Cyste  mit  gallertigem  Inhalt  zu  sehen  glaubt.  Auch 
gehen  die  Zellen  zuweilen  zu  Grunde,  und  es  tritt  eine  wirkliche 
Verflüssigung  ein:  Myxoma  cystoides.  Manchmal  dagegen 
wird  die  Intercellularsubstanz  strichweise  oder  in  ganzen  Ab- 
schnitten reicher  an  faserigen  Bestandtheilen,  welche  ihrerseits 
wieder  elastische  Elemente  enthalten  können ;  so  entstehen  derbere, 
fibröse  Züge  oder  Maschennetze,  die  mehr  und  mehr  den  Habitus 
von  dichtem  Bindegewebe  annehmen:  Myxoma  fibrosum. 
Wieder  in  anderen  Formen  finden  wir  Uebergänge  zu  knorpel- 
artigen Structuren,  wo  die  Grundsubstanz  sich  verdichtet,  die 
Zellen  sich  einkapseln,  und  das  Ganze  ein  mehr  enchondroma- 
töses  Aussehen  zeigt:  Myxoma  cartilagineum.  Zu  diesen 
Bestandtheilen  kommen  noch  Gefässe  hinzu,  in  manchen  Fällen 
sehr  reichlich  und  zugleich  sehr  weit,  so  dass  sie  in  einzelnen 
Abschnitten  eine  geradezu  telangiektatische  Beschaffenheit  an- 
nehmen:  Myxoma  telangiectodes. 

Das  ist  das  Hauptsächlichste,  was  von  der  äusseren  Erschei- 
nung dieser  Geschwulstart  zu  sagen  ist.  Gewiss  ist  es  wunderbar, 
dass  man  diese  an  sich  sehr  charakteristische  Form  nicht  schon 
länger  festgestellt  hat.  In  der  That  hat  man  sie  vielfach  unter- 
schieden, aber  weil  man  den  eigentlichen  Typus  ihres  Gewebes 
nicht  kannte,  weil  man  ihre  Beziehung  zu  dem  normalen  Schleim- 
gewebe nicht  beurtheilen  konnte,  da  man  dieses  Gewebe  über- 
haupt nicht  unterschied,  so  machte  man  daraus  theils  besondere 
Geschwulstarten,  theils  besondere  Varietäten  anderer  Geschwulst- 
arten. 

Wahrscheinlich  gehört  gerade  in  diese  Kategorie  diejenige 
Form  hinein,  für  welche  Laennec  zuerst  den  Namen  Golloid 
aufgestellt  hat,  denn  das  war  eben  eine  Geschwulst  oder,  wenn 
man  will,  ein  Gewebe,  und  nicht  eine  blosse  Substanz,  wie  di< 

26* 


404  Fünfzehnte  Vorlesnng. 

späteren  Beobachter  gewöhnlich  angenommen  haben*).  Er  hat 
den  Namen  CoUoid  gewählt,  weil  die  zitternde,  weiche,  gallert- 
artige Beschaffenheit  ihn  an  das  Aussehen  von  halb  erstarrtem 
Leim  (Colla)  erinnerte.  Es  gehört  femer  hierher  diejenige 
Geschwulst  (S.  323),  welche  Joh.  Müller  unter  dem  Namen 
der  Gallertgeschwulst  oder  des  Gollonema  beschrieben 
hat**).  Unter  den  zwei  von  ihm  erwähnten  Fällen  aus  der 
Sammlung  von  Pockels  in  Braunschweig  befand  sich  eine  Hirn- 
geschwulst; das  andere  Präparat  stammte  von  der  weiblichen 
Brust.  Allein  der  Ausdruck  Gollonema  wurde  sehr  vielfach 
missverstanden***),  und  namentlich  auf  weiche  Fibrome,  Mol- 
lusken u.  s.  w.  angewendet.  Müller  selbst  trug  etwas  zu  der 
Verwirrung  bei,  indem  er  später  dieselbe  Geschwulst  unter  dem 
Namen  des  gallertigen  Sarkoms  erwähnte  und  abbildetet).  So 
ist  es  gekommen,  dass  hierher  gehörige  Gallertgeschwülste  unter 
dem  Namen  des  Sarcoma  gelatinosum  oder  hyalinumft) 
aufgeführt  sind.  Ja  es  ist  möglich  und  bei  dem  Schweigen  der 
meisten,    selbst   specialistischen  Schriftsteller   über   die   Gallert- 


*)  Andral.  Grundrids  der  pathologischen  Anatomie.  Deutsch  von 
Becker.  Th.  I.  S.  Sil.  Seh  ran t.  Goed -  en  kwaadaardige  gezwellen.  Bl.  255. 
Tijdschrift  der  Nederl.  Maatschappij.  1852.  Jan.  p.  3.  July  p.  253. 

•♦)  Müller  in  seinem  Archiv.  1836.  Jahresbericht  S.  CCXIX.  Vgl. 
Frerichs.  Ueber  Gallert-  oder  Colloidgeschwülste.  Götting.  1847.  S.  13. 
***)  Müller  sagt:  »Die  Geschwulst  besteht  aus  einem  ausserordentlich 
weichen,  wie  Gallerte  aussehenden  Gewebe,  welches  bei  der  Berührung  zit- 
tert. Die  organisirte  Grundlage  bilden  sehr  sparsame  Bündel  von  Fasern 
und  Geissen.  Die  Hauptmasse  besteht  aus  grauen  Kugeln,  die  zum  Theil 
viel  grösser  als  Blutkörperchen  sind.  Durch  die  ganze  Geschwulst  liegeo 
kristallinische  Nadeln  zerstreut.**  Diese  Krystalle,  welche  wahrscheinlich 
Cholestearin  -  oder  Fett -Nadeln  waren,  nahm  Müller  für  das  Charakte- 
ristische, und  dadurch  wurde  seine  Aufmerksamkeit  auf  eine  falsche  Bahn 
gelenkt,  denn  wenn  er  frische  Präparate  und  nicht  ausschliesslich  solche, 
die  schon  im  Spiritus  gesteckt  hatten,  untersucht  bfttte,  so  würde  er  diese 
Krystalle  vielleicht  gar  nicht  gesehen  haben.  Ich  habe  schon  früher  (Ber- 
liner geburtsh.  Verhandl.  1848.  Bd.  III.  S.  202)  mich  darüber  genauer  aas- 
gesprochen. Was  die  »nicht  krvstallisirte,  thierische  Masse*  des  Gollonema 
betrifft,  so  wurde  das  durch  Kochen  Gelöste  von  der  Uirngeschwulst  von 
Gerbstoff,  Weingeist,  Mineralsäuren,  Essigsäure,  GyaneiseDKaliuro ,  Alaao, 
schwefelsaurem  Eisenoxyd,  essigsaurem  Bleiozyd,  Chlorquecksilber  nicht  ge- 
fällt und  stimmte  daher  am  meisten  mit  Speichelstoff  oder  dem  soge- 
nannten Mucus  der  englischen  Schriftsteller;  aas  Decoct  von  der  Brustge- 
schwulst  dagegen  enthielt  sehr  wenig  Käsestoff.  —  Ans  dieser  Beschreibung 
erhellt  wenigstens,  dass  man  kein  Recht  hat,  gewöhnliche  leimgebende 
Bindegewebsgeschwülste  Colloneme  zu  nennen. 

t)  Müller.    Ueber  den  feineren  Bau  u.  s.  w.  Taf.  III.  Fig.  12.  und  13. 

tt)  Rokitansky.  Lehrb  der  pathol.  Anat.  Wien.  1855.  Bd.  L  S.  167. 
A.  Förster.  Lehrb.  der  allg.  path.  Anat.  Leipz.  1855.  S.21M.  Senftleben. 
Archiv  für  klinische  Chirurgie.   Bd.  I.  S.  130. 


Myxom  der  Placenta.  405 

geschwülste  des  Gehirns  sogar  wahrscheinlich,  dass  manche 
Formen,  die  man  als  Krebs  bezeichnet  hat,  hierher  gehören, 
und  es  ist  dies  immerhin  verzeihlich,  da,  wie  wir  bei  den  Krebsen 
sehen  werden,  eine  Abart  vorkommt,  welche  sich  geradezu  hier 
anschliesst,  derColloid-  oder  Gallertkrebs.  Endlich  Paget*) 
nennt  unsere  Geschwulst  kurzweg  die  fibrocelluläre. 

Keiner  von  diesen  Namen  deckt  aber  vollständig  das,  was 
wir  hier  zu  bezeichnen  haben,  eben  weil  keiner  von  allen  ganz 
scharf  und  genau  definirt  worden  ist.  Gerade  deshalb  habe  ich 
es  für  zweckmässig  erachtet,  einen  neuen  Namen  einzuführen  und 
nicht  einen  alten  zu  restauriren,  weil  damit  die  bestehende  Ver- 
wirrung schwerlich  gehoben  worden  wäre.  Auch  ist  die  Bezeichnung 
der  Schleim-  (gewebs-)  Geschwulst,  des  Myxoms  sehr  schnell  in 
die  Literatur  aufgenommen  worden,  ohne  besonders  befürwortet 
zu  sein,  —  ein  Umstand,  der  wenigstens  zeigt,  dass  der  Name 
einem  Bedürfniss  entsprach.  Missverständlich,  wie  der  Name  der 
Gallertgeschwulst,  ist  er  nicht,  weil  er  an  einen  bestimmten 
chemischen  Körper  und  an  eine  bestimmte  histologische  Grund- 
lage anknüpft. 

Das  am  meisten  typische  Beispiel  für  eine  Geschwulstbildung 
dieser  Art  findet  sich  schon  bei  der  ersten  Entwickelung  des 
Fötus,  und  zwar  an  den  Eihäuten.  Man  könnte  freilich  sagen, 
diese  Form  gehöre  nicht  in  die  Oncologie,  sondern  in  die  Tera- 
tologie. Allein  gerade  das  gewöhnliche  Myxom  der  Placenta 
ist  nicht  blos  für  die  Schleimgeschwulst,  sondern  auch  für  die 
Geschwülste  überhaupt  von  höchster  Bedeutung,  und  wir  würden 
uns  des  lehrreichsten  Beispieles  berauben,  wenn  wir  diese  Form 
auslassen  wollten.  Ich  meine  diejenige,  die  man  gewöhnlich  unter 
dem  Namen  der  Trauben-  oder  Blasenmole  (Mola  hydati- 
dosa,  vesicularis,  cystica,  botryoides  s.  racemosa)  aufführt**). 


•)  Paget.    Lect.  on  surg.  path.  Vol.  II.  p.  106. 

*•)  Der  Aasdruck  Mola  {(ivirQ  bezieht  sich  ursprunglich  nur  auf  eiuen 
der  gegenwärtig  darunter  begriffenen  Zustände,  nehmlicb  auf  die  soge- 
nannte Mola  carnosa  (Galen,  de  usu  part.  lib.  14.  cap.  7.  Aristoteles. 
De  geoeratione  animantium  lib.  4.  cap.  7).  Die  hier  in  Betracht  kommende 
Form  der  Blasenmole  scheint  zuerst  von  A^tius  (Tetrabibl.  4.  Serm.  4.  c.  79) 
als  eine  Art  von  Hydrops  uteri  beschrieben  zu  sein,  jedoch  führt  sie  schon 
Schenck  von  Grafenberg  (Observ.  med.  rarior.  Lib.  IV.  Francof.  1665.^ 
p.  620)  in  dem  Kapitel  der  Molen  auf,  und  Tulpius  (Obs.  med.  Amstel 
1652.  p.  246)  erklärt  geradezu,  dass  manche  Schriftsteller  sie  Molaaquor 
nennten. 


406 


FODbehote  Vorlesapg. 


Fast  ohne  AuBiiahme  findet  eich  dieser  Znstand  an  mensch- 
lichen Früchten  bei  einem  Abortus,  seltener  bei  der  Geburt  vor; 
innerhalb  des  Uterus  treibst  ist  er  kaum  gesehen  worden,  denn 
fast  alle  älteren  Beobachtungen  der  Art*)  lassen  andere  Deu- 
tungen zu.  Dass  gerade  die  menschliche  Frncht  zur  Molenbildang 
überhaupt  vorzugsweise  geneigt  ist,  war  schon  lange  bekannt**), 
und  die  Beobachtungen  über  Mola  vesicularis  beim  Runde  sind 
nicht  ganz  zweifellos  ***).  Der  gewöhnlichste  Fall  beim  Menschen 
Fij.  so. 


Fig.  tlO.  M^ioma  cystoides  multiplex  der  GhorioD-Zotlen.  Nktflriicbe 
GrfisBe. 

•)  Schenk  vod  Grafenberg  I.e.  p.  621— 622.  BklUr.  Eiern,  phv». 
Tom.  VIII    Lil).  XXIX.  J.  XXIII.  p.  232. 

**)  Aristoteles  1.  c.  (Pünf  Bucber  von  der  Zeugung  ond  EDtwivkeluns 
der  Tliiore,  Obersetit  und  erläutert  ron  Aubert  und  Wintnier.  Leipi.  1860. 
S.  343).     Härder.  Apiarium.  Basil.  1Ü87.  p.  3«. 

*")  UoTcagni.  De  sodibus  et  »usis  morb.  Üb.  III.  EfüsL  48.  tri  14- 
et  15.  Er  citirt  ausserdem  ValliBoeri. 


Blasenmole.  407 

ist  der,  dass  ein  grosser  Klumpen  geboren  wird,  welcher  auf  den 
ersten  Blick  aus  nichts  als  aus  einem  Gemenge  von  Blut  und 
Blasen  der  verschiedensten  Grösse  zu  bestehen  scheint.  Löst  man 
die  Blutgerinnsel  ab,  so  zeigen  sich  zahllose  Blasen  zu  Trauben 
zusammengesetzt,  in  der  Art,  dass  jede  Blase  einen  Stiel  hat  und 
dass  an  der  Oberfläche  der  grösseren  Blasen  wieder  kleinere  auf- 
sitzen, die  ebenfalls  gestielt  sind  und  gewöhnlich  wieder  neue 
Blasen  tragen.  Grosse  Quaste  oder  Trauben  von  solchen  Blasen 
sitzen  schliesslich  durch  stärkere  Stiele  dem  Chorion  an,  und 
zwar  manchmal  im  ganzen  Umfange  desselben,  häutig  nur  an  der 
Placentarstelle. 

Der  Gedanke,  dass  diese  Blasen  wirkliche  Entozoen,  Blasen- 
würmer seien,  ein  Gedanke,  welcher  bei  den  früheren  Helmin- 
thologen*)  öfters  wiederkehrt,  widerlegt  sich  leicht  durch  den 
unzweifelhaften  organischen  Zusammenhang  dieser  Gebilde  mit 
der  häutigen  Ausbreitung  des  Chorion**).  In  der  That  ist  es  von 
dem  Augenblick  an,  wo  man  die  Placentarzotten  kennen  gelernt 
hat,  kaum  noch  zweifelhaft  gewesen,  dass  es  sich  bei  der  Hyda- 
tidenbildung  um  Entartungen  dieser  Zotten  handelt.  Lange  haben 
sich  die  besten  Beobachter  fBr  die  Ansicht  von  Ruysch***)  er- 
klärt, dass  die  Blasen  aus  einer  Veränderung  der  Gefässe  hervor- 
gingen. Allein  diese  Ansicht  hatte  nur  Bedeutung,  so  lange  man 
an  den  Zotten  fast  nichts  weiter  kannte,  als  die  Geiasse;  als  das 
Parenchym  bekannt  wurde,  begann  man  auch,  in  ihm  den  Sitz 
der  Veränderung  zu  suchen.  Wie  es  scheint,  bezog  zuerst 
Grashuisf)  die  Blasen  auf  das  „Zellgewebe^;  die  neueren 
Beobachter   haben    vielfach   geschwankt,    ob    sie   die  Entartung 


♦)  Göze.  Versuch  einer  Naturgeschichte  der  Eingeweidewürmer  thie- 
rischer  Körper.  Blankenb.  1782.  S.  196.  Bremser.  Ueber  lebende  Vi^ürmer 
im  lebenden  Menschen.  Wien.  1819.  S.  253.  (Auf  dem  Titelblatt  ist  aller- 
dings eine  solche  Traube  unter  den  Pseudohelminthen  abgebildet).  Ginge. 
Atlas  der  püth.  Anat.  Jena.  1843.  Lief.  IV.  S.  5. 

•*)  Marc.  Malpighi.  Opera  posthuma  Amstel.  1698.  p.  116.  Tab. XI. 
fig.  6.  Tgl.  die  älteren  Beschreibungen  bei  Stalpart  van  der  Wiel.  Obs. 
rar.  Cent.  I.  Obs.  70.  (Tab.  5). 

♦♦•)  Fred.  Ruysch.  Advers.  anat.  prima  p.  7.  Thos.  anat.  VI.  No.  102-104. 
Tab.  V.  fig.  3—6.  Alb.  Hall  er.  Opuscula  pathologica.  Laus.  1768.  p.  130. 
Wrisberg.  Nov.  Comment.  Götting.  T.  IV.  p.  73.  Ed.  Sandifort.  Obs. 
anat.  path.  Lib.  IL  cap.  8.  p.  89.  Tab.  VI.  Oruveilhier.  Atlas  d^anat. 
path.  1829.  Livr.  L  PI.  1.  et  II.  Traite  d'anat.  path.  T.  III.  p.  481.  An- 
dral.  Path.  Anat.  übersetzt  von  Becker.  Tb.  IL  S.  421. 

t)  J.  Grashais.  De  natura,  sede  et  origine  hydatidum  disquisitio  p.  77. 
(citirt  bei  Sandifort  Obs.  anat  pathoL  Lib.  IL  cap.  IIL  p.  87    Not.  (/.). 


408  Fünfzehnte  Yorlesuog. 

mehr  dem  Grundstock  der  Zotte  oder  ihrem  üeberzuge  zu- 
schreiben sollten,  und  im  ersteren  Falle,  ob  sie  mehr  die  zelli- 
gen Theile  oder  das  ganze  Gewebe  als  Ausgangspunkt  ansehen 
sollten. 

Velpeau*)  scheint  der  erste  gewesen  zu  sein,  der  sich 
ganz  entschieden  gegen  die  Gefässtheorie  erhob;  zugleich  wies 
er  nach,  dass  die  sogenannten  Hydatiden  keine  Blasen  in  dem 
gewöhnlichen  Sinne  seien,  dass  vielmehr  der  Zustand  der  Zotten 
mehr  dem  eines  mit  Flüssigkeit  getränkten  Schwammes  gleiche. 
Er  betrachtete  das  Ganze  daher  mehr  als  eine  besondere  Miss- 
bildung. Joh.  Müller**)  erklärte  geradezu,  dass  er  keine  Cysten, 
sondern  nur  solide  Anschwellungen  der  Zotten  finde.  Gierse 
und  H.  Meckel***)  wiesen  genauer  nach,  dass  eine  Hypertrophie 
der  Zotten  mit  Oedem  stattfinde;  letzteres  betrachteten  sie  als 
secundär  und  verglichen  es  mit  dem  gewöhnlichen  blasigen  Oedem 
des  Anasarca.  Dagegen  glaubte  Heinrich  Müller  f)  den  An- 
fang der  Erkrankung  in  dem  äusseren  üeberzuge  der  Zotten,  dem 
sogenannten  Exochorion  zu  finden,  welches  sich  verdicke  und  in 
sich  Höhlen  erzeuge,  welche  nachträglich  von  einer  faserigen 
Schicht  des  Endochorion  überzogen  würden.  Mettenheimer  ff) 
endlich  suchte  den  Anfang  der  Blasen  gerade  umgekehrt  in  einer 
Umbildung  der  in  dem  Innern  der  Zotten  enthaltenen  Zellen  zu 
Cysten,  und  in  Auswüchsen  der  letzteren  sah  er  den  Grund  der 
späteren  traubigen  Zusammenhäufung.  Pagetftt)  schloss  sich 
dieser  Anschauung  an. 

Die  vielen  Widersprüche  in  diesen  Angaben  erklären  sich 
zum  grossen  Theil  aus  der  mangelhaften  Eenntniss  des  Baues 
der  Chorionzotten.  Ich  wies  zuerst  nach,  dass  sowohl  die  nor- 
malen Zotten,  als  auch  die  hypertrophirten  Zotten  der  Mola  hyda- 
tidosa  aus  einer  Fortsetzung  desselben  Schleimgewebes  bestehen, 
welches  die  Gallerte  des  Nabelstranges  bildetet).    Ferner  zeigte 


*)  Velpeau.    Revue  medicale.  1827.   Sept.   p.  508.    £mbrvologie  uod 
Ovologie  des  Menschen.  Deutsch  von  Schwabe.  Ilmenau.  1834.  S.  18. 
**)  Müller  in  seinem  Archiv.  1843.  S.  441.  Note. 
***)  Gierse  und  H.  Meckel  in  den  Berliner  geburtsbfllil.  Verhandlungen. 
1847.  Bd.  II.  S.  133. 

t)  H.  Malier.    Abhandlung  Qber  den  Bau  der  Molen.  WQnbarg.  1847. 
S.  41,  46. 

tt)  Mettenheimer  in  MQller's  Archiv.  1850.  S.  424.  Taf.  IX.  n.  X. 
ttt)  Paget.     Lectures  on  surg.  path.  II.  p.  64. 
♦t)  Würzburger  Verhandl.     Iböl.    Bd.  II.    S.  161. 


Blasenroole.  409 

ichy  insbesondere  gegenüber  den  Angaben  von  Goodsir  und 
Schröder  van  der  Kolk,  dass  die  Zotten  nur  aus  zwei  wesent- 
lichen Tbeilen  bestehen,  einem  epithelialen  üeberzuge  (Exocborion) 
und  einem  schleimgewebigen  Grundstock  (Endochorion),  der  zuerst 
gefässlos  ist,  später  Gefässe  erhält*).  Wucherungen  des  Epithels, 
wie  sie  Heinr.  Müller  als  Anfang  der  Cystenbildung  ansah, 
fand  ich  als  regelmässigen  Anfang  jedes,  auch  des  normalen 
Wachsthums;  ihnen  folgt  nach  einiger  Zeit  das  knospenartige  Her- 
vorwachsen des  Grundstockes  (der  Papille  oder  Zotte).  Allein  nur 
in  der  letzteren,  und  nicht  in  dem  Epithel,  findet  die  besondere 
Veränderung  statt,  welche  zu  der  Molenbildung  führt. 

Schon  ältere  Beobachter  haben  davon  gesprochen,  dass  auch 
an  anderen  Tbeilen  der  EihüUen  eine  ähnliche  Cystenbildung  statt- 
finden könne.  Insbesondere  Ruysch  berichtet  von  einem  Nabel- 
strang, der  wie  eine  Kette  von  Blasen  ausgesehen  habe.  Ich  selbst 
habe  Haufen  kleiner  Blasen  an  der  fötalen  Seite  der  Placenta  in 
der  Nähe  der  Insertion  des  Nabelstranges  gesehen**).  Diese  Fälle 
sind  wohl  zu  unterscheiden  von  jenen,  wo  die  Erkrankung  sich 
ausserhalb  der  Placentarstelle  findet,  aber  doch  an  Chorionzotten. 
Ursprünglich  ist  das  ganze  Ei  mit  Zotten  besetzt.  Von  diesen 
entwickeln  sich  jedoch  nur  die  an  der  Placentarstelle  unter  nor- 
malen Verhältnissen  weiter,  während  die  anderen  stehen  bleiben 
oder  sich  zurückbilden.  Tritt  aber  schon  sehr  frühzeitig  d.  h.  im 
ersten  Schwangerschaftsmonat  ein  krankhafter  Zustand  ein,  so 
kommt  es  vor,  dass  sämmtliche  Zotten  in  Wucherung  gerathen 
und  hyperplastisch  werden.  In  der  Regel  erfolgt  dann  Abortus, 
aber  es  kann  auch  sein,  dass  die  Wucherung  fortschreitet  und 
das  ganze  Ei  ringsum  mit  „Hydatiden^  besetzt  wird.  Anderemal 
dagegen  entwickelt  sich  gerade  umgekehrt  die  Placenta  normal,  aber 
irgend  ein  ausser  ihr  gelegener  Zottenbaum  wird  „hydatidös"  ***). 
Dies  ist  freilich  ~^ehr  selten.  Viel  gewöhnlicher  ist  es,  dass  sich 
die  Erkrankung  auf  die  Placentarstelle  beschränkt  oder  innerhalb 
derselben  sogar  nur  einen  oder  einige  Cotyledonen  betrifft. 

In  allen  diesen  Fällen  beginnt  der  Prozess  als  ein  irritativer 


•)  Würzbarger  Verhandluugen.  1853.    Bd.  IV.  S.  375.    Gesammelte  Ab- 
haodl.  S.  784. 

♦•)  Präparat  No.  136.  vom  Jahre  1858. 

^*)  Michael  in  Beale^s  Archives  of  medicine.  Vol.  I.  p.  320.  Fl.  XXX. 
fig.  i. 


410  FOnfzehnte  Vorlesung. 

mit  Kern-  und  Zellenvennehning.  Gleichviel,  ob  es  bei  einer 
einfachen  Hyperplasie  bleibt,  oder  ob  ein  hydatidöser  Zustand 
eintritt,  in  jedem  Falle  ist  nichts  gewöhnlicher,  als  einzelne 
Zellen  mit  hellen,  blasenförmigen  Räumen  versehen  zu  finden. 
Es  sind  dies  Zellen,  wie  ich  sie  unter  dem  Namen  der  physa- 
liphoren  beschrieben  habe*).  Man  findet  sie  sowohl  in  dem 
Epithel,  wie  H.  Müller  angiebt,  als  auch  in  dem  Parencfaym  der 
Zotten,  wie  Mettenheimer  und  Wedl**)  es  darstellen.  Aber  mit 
Recht  hat  schon  Schröder  van  der  Kolk  ***)  bemerkt,  dass  sie 
zu  häufig  sind,  um  in  eine  besondere  Beziehung  zur  Blasenmole 
gesetzt  zu  werden,  und  Hewittf)  hat  gezeigt,  dass  die  eigent- 
liche Vergrösserung  der  Zotten  ausserhalb  dieser  Zellen  besteht. 
Allerdings  entspricht  der  Vorgang  dem,  was  man  an  anderen 
Orten  als  Schleimmetamorphose  von  Zellen  beschrieben  hat,  und 
ich  will  nicht  in  Abrede  stellen,  dass  manche  Zelle  auf  diese 
Weise  zu  Grunde  gehen  und  sich  gleichsam  in  Schleim  auflösen 
mag.  Aber  anderemal  gehen  die  Zellen  durch  Fettmetamorphose 
unter,  anderemal  endlich  persistiren  sie  in  grosser  Zahl,  und  die 
Hauptmasse  der  Schleimanhäufung  findet  in  der  Intercellular- 
substanz  statt.  Ueberall  da,  wo  die  Intercellularsubstanz  ihrem 
grössten  Theile  nach  aus  Schleim  besteht,  nimmt  das  Gewebe 
das  Ansehen  einer  cystischen,  relativ  flüssigen  Masse  an ;  wo  da- 
gegen eine  grössere  Menge  faseriger  Theile  bestehen  bleibt  oder 
sich  zubildet,  da  erscheint  mehr  eine  einfache  Hypertrophie  oder 
richtiger  Hyperplasie. 

Auf  diese  Weise  verwandeln  sich  die  einzelnen,  sonst  sehr 
feinen  Zotten  der  Placenta  in  wirkliche  Geschwülste,  und  es  ent- 
steht in  der  Regel  ein  multiples  Myxom,  welches  am  meisten 
vergleichbar  ist  gewissen  Condylomen  der  äusseren  Haut  oder 
Zottengeschwülsten  der  Schleimhaut.  Eine  Zotte,  die  normal  viel- 
leicht kaum  den  Durchmesser  einer  halben  Linie  hat,  mag  dabei 
den  Durchmesser  von  einem  halben  Zoll  und  darüber  gewinnen. 
Je  grösser  sie  wird,  um  so  mehr  tritt  der  Charakter  des  Schleim- 


♦)  Cellalarpathologie.    3.  Aufl.  S.  130.  Fig.  131. 
•♦)  Wedl.   Grundzüge  der  pathologischen  Histologie.  Wien.  1854.  S.  202. 
Fi^.  31.  und  32 

***)  Schröder  van  der  Kolk.    VYuarnemingen   over   het   maaksel  vao 
de  roenbchdijke  placeuta.    Amstord.  1851.  p.  49.  Taf.  V.  fig.  96. 

t)  Qraily  llewltt  InTraosactioDs  of  the  obetetrical  Society  of  Loodoo. 
1860.  Vol.  1   p.  264. 


Blasenmole.  4 1 1 

gewebes  deutlicher  hervor.  Sie  bekommt  eine  gallertartige,  klare, 
durcbBcheinende  Beschaffenheit,  und  wenn  man  sie  ansticht,  so  ent- 
leert sieh  eine  schlüpfrige  Flüssigkeit,  welche  die  Reactionen  des 
Mucins  darbietet  Das  blasenförmige  Aussehen  rührt  also  haupt- 
sächlich von  der  Zartheit  des  mit  Flüssigkeit  erfüllten  Gewebes 
her,  welches  man  etwa  vergleichen  kann  mit  dem  zarten  Pfianzen- 
parenchjm  an  manchen  Früchten,  z.  B.  an  Weintrauben,  wenn 
sie  recht  reif  sind  und  die  Haut  recht  dünn  ist. 

Diese  Entwickelung  ist  an  die  Anwesenheit  von  Gefässen 
nicht  gebunden.  Allerdings  sind  diese  in  der  Regel  vorhanden, 
wenn  die  Erkrankung  erst  in  einer  späteren  Periode  der  Schwan- 
gerschaft eintritt;  ja  es  kommt  vor,  dass  sogar  eine  ganz  unge- 
wöhnlich reiche  Ausbildung  des  Gapillarnetzes  in  den  Zotten  ein- 
tritt Gierse  und  Meckel*)  haben  diesen  Zustand,  der  sich 
leicht  mit  Anasarca  des  Fötus  verbindet,  als  Wassersucht  der 
Placenta  von  der  Blasenmole  unterschieden.  In  der  Regel  fehlen 
aber  die  Geiasse,  zumal  an  den  Eiern  aus  den  ersten  Schwanger- 
schaftsmonaten,  wo  sehr  gewöhnlich  zugleich  Hydrops  amnii 
stattfindet  und  der  Embryo  selbst  unter  dem  Process  atrophirt 
und  abstirbt,  damit  also  jede  Circulation  aufgehoben  wird. 

Dieses  Verhältniss  des  Embryo  hat  schon  lange  die  Aufmerk- 
samkeit der  Aerzte  auf  sich  gezogen,  und  es  ist  gewiss  ein  Ereig- 
niss  von  dem  höchsten  Interesse.  Schon  die  älteren  Beobachter**) 
kannten  sogenante  leere  Eier  (ova  inania),  in  welchen  jede  Spur 
des  Fötus  fehlte.  Anderemal  fand  man  in  dem  Ei  noch  einen 
zapfenförmigen,  zuweilen  in  Blasen  auslaufenden  Anhang,  dem 
Nabelstrang  vergleichbar***).  Anderemal  endlich  hing  an  einem 
kurzen,  aber  dicken  und  blasigen,  zuweilen  auch  längeren,  aber 
dann  gewöhnlich  varicösen  Nabelstrang  ein  Fötus,  der  entweder 
zu  klein  im  Verhältniss  zu  der  Grösse  der  Eihäute  und  zu  der 
Dauer   der  Schwangerschaft  erschien,    oder  der  ausserdem  noch 


♦)  Berliner  Geburtshülfl.  Verband!.  Bd.  II.  S.  161.  Taf.  IL  Fig.  7.  Taf.  III. 
Fig.  10. 

♦♦)  Die  Literatur  bei  Hai  1er.  Elera.  phvsioL  T.  VIII.  p.  65.  und  bei 
Sandifort.  Obs.  path.  anat.  Lib.  IL  p.  77.  Vgl  ferner  Ruysch.  Tbes.  anat. 
VL  No.  39  —  41.  Tab.  L  fig.  4.  n.  5.  H.  Müller  a.  a.  0.  S.  36.  Barnes. 
British  and  foreign  med.  cbir.  Review.  1855.  Jan.  p.  169.  Hewitt  L  c. 
p.253.  PLL  fig.  1. 

••♦)  Sandifort  L  c.  p.  79-81.  Tab.  VL  fig.  3-4.  Wedl  a.  a  0.  S.206. 
fig.  33.  Otto.  Seltene  Beobachtungen  zur  Anat  PUya.  n.  Path.  lUft  L 
Breslau.  1816.  S.  136. 


412  FQDfzehnte  Vorlesung. 

allerlei  Diiformitäten  darbot*).  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  diese 
Zustände,  welche  jedoch  nicht  immer  mit  hydatidöser  Vergrösse- 
rung  der  Zotten  verbunden  sind,  Gradationen  einer  und  derselben 
Störung  darstellen,  welche  von  einfachen  Defectbildungen  bis 
zur  vollständigen  Auflösung  von  Embryo  und  Nabelstrang  fort- 
schreitet. 

Hier  wirft  sich  nun  die  Frage  auf,  ist  die  Veränderung  der 
Eihäute  Folge  oder  Ursache  der  Embryostörung?  Die  meisten 
der  neueren  Beobachter  haben  sich  für  die  Priorität  der  Eihaut- 
Erkrankung  erklärt  und  den  Fötus  secundär  in  Mitleidenschaft 
gerathen  lassen.  Hewitt**)  dagegen  ist  auf  die  ältere,  eigent- 
lich schon  von  Aristoteles  vertretene  Meinung  zurückgegangen, 
dass  der  Fötus  zurerst  absterbe  und  die  Eihäute  dann  noch  eine 
gewisse  Zeit,  möglicherweise  Monate  lang  im  Uterus  zurückge- 
halten würden  und  selbständig  fortwüchsen.  Es  stimmt  das  mit 
der  Ansicht  derjenigen,  welche  meinten,  dass  die  Placenta  oder 
ein  Theil  derselben  nach  der  Geburt  des  Kindes  im  Uterus  zurück- 
gehalten werden  und  cystisch  entarten  könne***). 

Allein  gewichtige  Gründe  sprechen  dagegen.  Niemand  hat 
bis  jetzt  dargethan,  dass  Placenten,  welche  nach  der  Geburt  des 
Kindes  zurückgehalten  werden,  noch  fortwachsen.  Bei  den  Hä- 
matomen habe  ich  solche  Fälle  beschrieben,  wo  die  Zotten  sich 
unverändert  erhalten  (S.  H8);  dasselbe  habe  ich  bei  Extrauterin- 
schwangorsohaften  gesehen,  namentlich  in  einem  Falle,  wo  ich 
die  Placenta  '25  Jahre  nach  dem  Ablauf  der  Schwangerschaft  noch 
in  der  Bauchhöhle  fandf).  Ruysch  selbst  bildet  sogenannte 
Pseudomolen  ab,  welche  nach  seiner  Meinung  zurückgehaltene 
und  oomprimirte  Mutterkuchen  sein  sollenff),  und  er  meint,  da^s 
sie  bei  Aborten  von  *J  —  4  monatlichen  Früchten  entständen,  wäh- 
rend bei  7  monatlichen  und  älteren  Früchten  die  zurückgebliebene 


♦)  Ruvsch  1.  i\  No.  45,  47.  Tab.  II.  fig.  3,  5.  Obs.  anat,  chir.  Cen- 
turi»,  An)8t.  1691.  p.  i>0  fig.  15.  Ssndifort  Obs.  Lib.  III.  p.  91.  Tab.  VI  11. 
fi):.  4-r>.  Wodl  a.  a.  0.  S.  :^>7.  fig.  34.  Cruvcilhier.  Atlas  d'aoat  patb. 
l-iTF.  1.  ri.  II    fip.  1.    Otto  a  a,  0.  S.  135. 

••)  HiMvitt  l.  c,  p.  l>58.  ibid.  Vol.  II.  p.  112. 

♦••^  Kuv5ch.  Obs.  anat,  chir.  Cent,  Obs.  20.  et  33.  Amst  1691.  p.  34 
et  43     vSandifort  I.  o.  p.  81. 

t^  Würzb.  Verhandlungen.  1850  Bd.  I  S.  104.  Gesammelte  Abhaodl. 
S,  790. 

ff)  Ruvsch.  Ol£>,  anat  chir.  Cent  Fig.  :^6^27.  Blosse  Blotgemmsel 
aus  dem  l'terus  teichnet  er  in  Fig.  2d— 29, 


Blaaenmole.  4 1 3 

Placenta  hydatidös  werde.  Allein  schon  Hall  er  hat  dagegen 
bemerkt,  was  die  tagliche  Beobachtung  bestätigt,  dass  selbst  bei 
2  monatlichen  Früchten  die  hydatidöse  Degeneration  vorkomme. 
Andererseits  kommt  dieselbe  Compression  der  retinirten  Placenta 
bei  7  monatlicher  Schwangerschaft  vor  (vergl.  S.  146  flF.,  Fig.  15 
u.  16),  wie  sie  Ruysch  von  2  —  4monatlicher  abbildet.  Auch  hat 
Morgagni  sehr  richtig  daraufhingewiesen,  dass  Hydatidenmolen 
neben  wohlausgebildeten  und  ausgetragenen  Früchten  als  Zwil- 
lingsformen  vorkommen  und  dass  die  Mole  erst  einige  Zeit  nach 
dem  ausgebildeten  Kinde  geboren  werden  kann.  Dadurch  wird 
sehr  leicht  die  Vermuthung  erregt,  dass  die  Mole  aus  retinirten 
Theilen  des  normalen  Mutterkuchens  entstanden  sei,  während  sie 
doch  coexistirte. 

Femer  spricht  gegen  Hewitt  der  Umstand,  dass  die  er- 
wähnten Zustände  des  Fötus  und  des  Nabelstranges  sich  ebenso 
bei  Fleisch-  oder  Blutmolen,  wie  bei  Blasenmolen  finden.  Aller- 
dings ist  es  nicht  ganz  selten,  dass  an  einer  Fleisclimole  einzelne 
Zotten  zugleich  myxomatös  sind*);  es  ist  aber  ungleich  wahrschein- 
licher, dass  nicht  die  Myxombildung  das  secundäre  Ereigniss  ist, 
sondern  die  Hämorrhagie,  welche  die  sogenannte  Fleischmole 
bildet.  Denn  nichts  ist  bei  Blasenmolen-Schwangerschaft  gewöhn- 
licher, als  anhaltende,  Monate  lang  fortgehende  Blutungen.  End- 
lich, und  das  ist  ein  Hauptgrund,  giebt  es  partielle  Myxome 
der  Placenta  bei  gut  ausgebildeten,  erst  in  späteren  Schwanger- 
schaftsmonaten abgestorbenen  Kindern.  Ich  habe  ein  ausgezeich- 
netes Präparat  dieser  Art  in  der  Würzburger  Sammlung  aufge- 
stellt und  kann  für  die  geringeren  Anfänge  eine  ganze  Reihe  von 
Abortiveiern  aufweisen.  Ruysch  hatte  schon  dieselbe  Beob- 
achtung gemacht**).  Diese  Fälle  lassen  sich  nicht  durch  die 
Betrachtung  beseitigen,  welche  Hewitt  gegen  Michael  an- 
wendet, dass  ein  Theil  der  Chorionzotten  nicht  in  die  Placentar- 
bildung  aufgenommen  sei,  denn  ich  sah  die  myxomatösen  Zotten- 
bäume mitten  in  der  Placenta. 

Da  nun  aber  der  ganze  Process  offenbar  ein  irritativer  ist, 
so  liegt  es  gewiss  näher,  den  Grund  desselben  in  einer  von  der 


•)  Präparat  No.  166  vom  Jahre  1858,  203  vod  1859,  No.  179  von  1860. 
**)  Rnysch.    Obs.  anat.  chir.  Centuria.    Obs.  93.    Amst.    1691.   p.  43. 
fig.84.       ^ 


414  Fünfzehnte  Vorlesung. 

Uterusfläche  oder  von  dem  mütterlichen  Blute  direct  übertragenen 
Reizung  zu  suchen.  Daßr  spricht  namenflich  die  Erfahrung,  dass 
manche  Frauen  mehrmals  hintereinander  Blasenmolen  gebären, 
und  dass  die  Decidua  deutliche  Sporen  entzündlicher  Verdickung 
trägt,  ja,  wie  ich  gesehen  habe,  suweilen  sogar  mit  kleinen  poly- 
pösen Auswüchsen  besetzt  ist  Besteht  aber  eine  Endometritis 
in  mehr  oder  weniger  grosser  Ausdehnung,  so  kann  die  Entwicke- 
lung  der  mütteriichen  GeOsse  sehr  frühzeitig  in  ungewöhnlicher 
Ausdehnung  erfolgen,  und  so  der  ganzen  Oberfl&che  des  Eis  ein 
stärkerer  Reiz  zum  Wachsthmn  zukommen,  während  er  gewöhn- 
lich nur  an  der  späteren  Placentarstelle,  der  sogenannten  Decidua 
serotina  stattfindet.  Nimmt  die  Wachemng  der  Zotten  zu  einer 
Zeit,  wo  der  Embryo  noch  sehr  klein  ist,  eine  grosse  Mächtig- 
keit an,  bildet  sich  aus  jeder  eine  wirkliche  Geschwulst,  so  wird 
diese  auch  den  selbständigen,  parasitischen  Charakter  gewinnen, 
welcher  alle  Geschwulstbildung  bezeichnet  (S.  18,  104).  Nicht  nur 
werden  dann  die  Zotten  dem  Embryo  das  Ernährungsmaterial  vor- 
enthalten, das  sie  ihm  normal  überliefern  sollten,  das  sie  aber 
jetzt  in  sich  selbst  verwerthen,  sondern  sie  können  auch  als 
lebende  Theile  fortbestehen,  nachdem  der  Embryo  selbst  zerstört 
ist.  Denn,  ich  halte  es  nach  der  Kleinheit  vieler  Embryonen  im 
Verhältniss  zur  Schwangerschaftsdauer  allerdings  nicht  fiir  un- 
wahrscheinlich, dass  die  Zotten  auch  nach  dem  Tode  des  Embryo 
wirklich  fortwachsen.  Jedenfalls  stellen  sie  in  höchster  Vollendung 
das  Muster  einer  wahrhaft  parasitischen,  dem  Mutterkör- 
per selbst  fremdgewordenen,  heterologen  und  doch 
aus  ihm  hervorgegangenen  Geschwulst  dar. 

Dieser  Geschwulst- Habitus  tritt  für  die  äussere  Erscheinung 
noch  mehr  hervor  in  solchen  Fällen,  wo  die  Zotten  zu  grossen 
und  mehr  harten  Knollen  anwachsen.  Die  Anfänge  dieses  Zu- 
standen, die  man  als  einfache  Hypertrophie  der  Zotten  zu  be- 
zeichnen pflegt,  sind  in  Abortiveiern  nicht  selten,  und  für  mich 
waren  sie  insofern  immer  besonders  charakteristisch,  als  ich 
gerade  in  solchen  Fällen  die  entzündliche  Verdickung  der  Decidua 
(Endometritis  decidua)  am  deutlichsten  fand.  Von  dem 
hölinren  Grade  habe  ich  nur  einen  einzigen,  aber  auch  einen  im 
hörliHt<^n  Maasse  überraschenden  Fall  gesehen.  Herr  Dr.  von 
t'i't/.rr  überschickte  mir  im  Jahre  1858  die  Placenta  eines  im 
7/  Hcliwangerschaftsmonate,    unter   starken  Blutungen   gebomeo, 


Hyxoma  fibrosam  placentae, 
ng.  si. 


übrigens  wohl  ausgebildeten  Kindes,  an  welcher  mitten  zwisclien 
dem  losen  Zottenparenchym  eine  geuis^e  Zahl  glatter,  rundlicher 
und  derber  Knoten  hervortrat,  welche  zusammen  einen  fast  fau!<t- 
grossen  Tumor  bildeten  Bet  genauerer  Betrachtung  ergab  sich, 
dass  ein  Gotyledon  mitten  aus  der  sonst  normalen  Piacenta  heraus 
sieb  als  eine  scheinbar  heterologe  Geschwulst  entwickelt  hatte 
(Fig.  81,  ()•  Die  Vergrösserung  erstreckte  sich  über  alle  Theile 
des  Cotyledons,  denn  einerseits  reichte  sie  bis  unmittelbar  an  das 
Chorion,  andererseits  waren  auch  die  secundären  und  tertiären 
Aeste  davon  betroffen,  so  dass  auf  den  mehr  centralen,  bis  taubenei- 
grossen  Knoten  an  dickeren  und  dünneren  Stielen  wieder  neue 
baselnussgrosse  und  endlich  hanfkorngrosse  Knoten  aufsassen. 
Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab,  dass  im  Innern  ziemlich 
grosse  und  starkwandige  Gefässe  in  grösserer  Zaiil  enthalten 
waren,  was  schon  das  rothe  Aussehen  der  Knoten  andeutete,  dass 


Fig.  61.  Myxoma  librosuni  eines  Pbceutar- Gotyledon  t,  aus  welchem 
Terschiedene  gestielte  und  verfistelte  kleinere  Knoten  herauahfingen.  ^  der 
Nabelstrang,  cc  das  gefaltete  und  ausgebreitete  Cliorion.  p  ein  };ewObnlicher, 
an  der  Oberfläche  massig  gktter  Cotyledou;  p'  ein  eben  eoleher,  von  ver- 
dickter Decidua  überzogen.  Bei  (  liegt  die  OberflSche  des  myxomatOsen 
KaoteoB  frei,  ohne  Decidua-Ueberzug  vor.  Die  zwischenliegenden  rauhen 
Stellen  sind  gewöhnliche  Zotten,  welche  von  dem  erkrankten  Gotyledon  aat- 
gehen.    (Präparat  No.  133.  vom  Jahre  1858).    Halbe  GrCase. 


416  FQnfzehnte  Vorlesnng. 

aber  die  Hauptmasse  aus  einem  dichten,  areolären,  hie  und  da 
mit  runden  Kernzellen  sehr  dicht  erf&llten  Gewebe  bestand, 
welches  mit  den  mehr  peripherischen  Tbeilen  des  Nabelstranges 
die  grösste  Aehnlichkeit  hatte. 

Diesen  sonderbaren  Zustuid  mnss  man  wohl  unterscheiden 
von  den  Hämatom-Knoten,  die  sich  so  oft  in  der  Placenta  finden 
und  durch  partielle  Thrombosen  bedingt  sumL  Wie  es  scheint, 
haben  die  älteren  Beobachter  manches  hierher  gehörige  gesehen 
und  unter  dem  Namen  TOn  Tuberkeln  und  Skirrhen  der  Placenta 
beschrieben*).  Freilich  sind  diese  Beschreibungen  so  unsicher, 
dass  es  kaum  su  entscheiden  sein  möchte,  welche  Fälle  hierher 
gehören  und  welche  nicht.  Manche  neuere  Beobachter,  insbe- 
sondere Simpson**)  haben  es  daher  Ar  wahrscheinlicher  ge- 
halion,  die  älteren  Fälle  auf  Blutcoagnla,  namentlich  verdichtete 
und  vorfllrbte  Gerinnsel  zu  beziehen,  und  vielfach  hat  man  ganz 
nilgemein  dieso.  Zustände  als  Apoplexien  der  Placenta  gedeutet. 
Irh  leugno  nicht,  dass  wirkliche  hämorrhagische  Gerinnsel,  nament- 
lir.h  an  der  mütterlichen  Seite  des  Mutterkuchens,  vorkommen, 
aber  ich  habe  schon  darauf  hingewiesen,  dass  der  gewöhnliche 
Kall  vielmehr  eine  Thrombose  der  mütterlichen  Placentar -  Sinus 
int***).  Wie  ähnlich  diese,  wenn  sie  in  einer  gewissen  Beschrän- 
kung und  multipel  vorkommt,  der  eben  beschriebenen  Myxom- 
bildung  sein  kann,  habe  ich  namentlich  in  einem  Falle  von 
Transposition  der  Eingeweide  gesehen  f).  Aber  es  wird  jetzt 
nicht  mehr  gestattet  sein,  alle  Fälle  von  Knoten,  selbst  wenn 
diese  roth  oder  röthlich  sind,  als  Hämatome  aufzufassen,  und 
wenn  auch  wirkliche  Tuberkel  und  Skirrhen  an  der  Placenta 
kaum  vorkommen  dürften,  so  muss  doch  in  jedem  Falle  wohl 
unterschieden  werden,  ob  es  sich  um  Gerinnnngsknoten  oder  um 
hyperplastische  Myxomknoten  handeUft).  — 


*)  Troll.    De  placentae  morbis.  Diss.  inang.  Berol.  1835.  p.  28,  89. 

^*)  James  Y.  Simpson.  Obstetric  memoirs  and  contributionn.  Edinb. 
1856.  Vol.  II.  p.  409. 

^**)  Gesammelte  Abhandlungen.    S.  599. 
t)  Mein  Archiv.  Bd.  XXII.  S.  431.    Präparat  No.  1166.  vom  Jahre  1861. 

ff')  Ich  mache  bei  dieser  Gelegenheit  darauf  aufmerksam,  dass  zuweilfn 
unvollHtAndig  entwickelte  Zwillinge  in  der  Form  der  soeenannten  Aniden 
am  Nabelittrang  kun  gestielt  aufsitzen,  welche  leicht  für  Myxomknoten  ge- 
nommen werden  können.  Vgl.  die  Fälle  von  Ramsbotham.  IVansact  of 
Ihn  I^indon  Path.  Society.  Vol.  IL  p.  87. 


Vorkomnien  der  Myxome.  417 

Gehen  wir  von  diesen  Schleimgeschwülsten  der  Eihüllen  zu 
denen  des  Körpers  selbst  über,  so  kann  ich  in  Beziehung  auf 
congenitale  Formen  wenig  aussagen.  Ich  halte  es  allerdings  nicht 
für  unwahrscheinlich,  dass  manche  Formen  von  umschriebener  Ele- 
phantiasis, namentlich  von  cystischer  (S.  317),  sich  hier  anreihen. 
Es  kommt  ja  nur  darauf  an,  dass  bei  der  weiteren  Entwickelung 
des  Körpers  einzelne  Theile  des  Schleimgewebes  sich  unverändert 
erhalten,  wie  ich  das  früher  von  dem  Kamm  unserer  Haushähne 
nachgewiesen  habe*).  Allein  es  fehlt  zu  sehr  an  genauen  Be- 
schreibungen, und  ich  selbst  habe  in  neuerer  Zeit  keine  Gelegen- 
heit gehabt,  die  Sache  weiter  zu  verfolgen.  Von  besonderem  Inter- 
esse scheinen  mir  aber  die  Beobachtungen  von  C.  0.  Weber**), 
der  dreimal  Myxome  untersuchte,  welche  aus  der  Nabelnarbe 
von  Kindern  exstirpirt  waren.  Schuh***)  exstirpirte  ein  ange* 
bomes  Gollonema  bei  einem  5  Monate  alten  Kinde  in  der  Gegend 
des  Unterkieferwinkels  und  der  Ohrspeicheldrüse. 

Beim  Erwachsenen  sind  Schleimgeschwülste  verhältnissmässig  . 
nicht  häufig,  nicht  einmal  in  dem  atrophischen  und  in  Schleim- 
gewebe zurückgebildeten  Fett.  Zuweilen  kommen  sie  freilich  in 
ausserordentlicher  Grösse  vor  und  erzeugen  Gewächse  von  der 
größsten  Wichtigkeit.  Nachdem  ich  vor  nicht  langer  Zeit  diese 
Form  unterscheiden  gelehrt  habe,  ist  auch  von  anderen  Beob- 
achtern t)  schon  eine  gewisse  Zahl  neuer  Fälle  bekannt  geworden,  * 
und  es  steht  wohl  sicher  zu  erwarten,  dass  dieselbe  sich  in  der 
Folge  beträchtlich  vermehren  wird.  Nur  darf  man  nicht,  wie 
Billroth tt),  Kropf,  Eierstockscolloid  und  Gallertsarkome  in 
diese  oder  überhaupt  in  dieselbe  Kategorie  zusammennehmen.  Am 
schwierigsten  ist  die  Trennung  von  den  wahren  Gallert-  oder 
Schleimsarkomen,  jedoch  muss  man  sich  daran  halten,  nur  das 
Myxom  zu  nennen,  was  wirklich  bekannte  Formen  des  Schleim- 
gewebes reproducirt. 


*)  Würzburger  Verhandlungen.    Bd.  II.  S.  318. 

♦*)  Weber.    Chirurgische  Erfahrungen.    S.  388. 

♦♦♦)  Schuh.  Pseudoplasmen.  1854.  S.  25?. 
t)  A.  Förster.  Mein  Archiv.  Bd.  XU.  S.  207.  B.  Beck.  Klinische 
Beiträge  zur  Histologie  u.  Therapie  der  Pseudoplasmen.  Freib.  1857.  S.  14. 
Senftleben.  Mein  Archiv.  Bd.  XV.  S.339.  Billroth.  Mein  Archiv.  Bd.  XII. 
S.  358.  Die  Eintheilung,  Diagnostik  und  Prognostik  der  Geschwülste.  Berl. 
1869.  S.  57.  G.  G.  Weber.  Chirurgische  Erfahrungen  und  Untersuchungen. 
1859.  S.  888.    K  Neumaun.  Mein  Archiv,  Bd.  XXIV.  S.  316. 

tt)  Billroth.    Eintheilung  u.  s.  w.  der  Geschwaiste.    S.  18. 

Virehow,  G«sehwfiltt«.    1.  27 


4 IS  Fünfzehnte  Vorlcsnng. 

Ich  selbst  habe  Schleimgeschwülste  am  häufigsten  Ton  sol- 
chen Stellen  gesehen,  wo  grössere  Fettlager  oder  sehr  lockere 
Bindegewebsmassen  präexistiren,  namentlich  vom  Oberschen- 
kel, vom  Rücken,  von  der  Hand  und  von  den  Wangen.  Die 
grösste  Disposition  scheint  der  Oberschenkel  zu  besitzen,  denn  nicht 
nur  habe  ich  fünfmal  grosse  Geschwülste  untersucht,  welche  in 
dieser  Gegend  gewachsen  waren,  sondern  auch  die  meisten  anderen 
Beobachtungen,  namentlich  die  von  Förster,  Köberle,  Beck 
und  eine  von  Weber  beziehen  sich  auf  diese  Localität.  Dabin 
gehören  femer  drei  ältere  Fälle  von  Gluge,  die  als  Lipoma  col- 
loides  beschrieben  sind*),  ebenso  vier  von  Paget**)  als  fibro- 
cellulär  aufgeführte,  sowie  wahrscheinlich  ein  von  Blasius***) 
als  Collonema,  ein  von  Lebert  f)  und  ein  von  Verneuil  ff)  alj^ 
CoUoid  bezeichnetes  Gewächs.  Auch  haben  fast  alle  das  gemein- 
schaftlich, dass  sie  gewissermaassen  einen  Rückfall  des  Schleim- 
gewebes in  Fettgewebe  darstellten,  d.  h.  dass  die  Zellen  sich  stark 
mit  Fett  füllten.  Der  erste  Fall  dieser  Art,  welcher  mir  vorkam, 
betraf  einen  68  Jahre  alten  Hacker  von  Ochsenfhrt,  der  im  März 
1855  wegen  einer  stark  faustgrossen  Geschwulst  am  rechten  Ober- 
schenkel in  das  Juliusspital  zu  Würzburg  kam,  dasselbe  aber 
bald  wieder  verliess.  Die  Geschwulst  wuchs  dann  sehr  schnell, 
brach  auf,  sonderte  viel  Blut  und  Jauche  ab,  wurde  über  Manns- 
kopf gross  und  wog,  als  im  December  der  Tod  eintrat,  10  bis 
12  Pfund.  Auf  dem  Durchschnitt  bestand  sie  aus  zahlreichen, 
bis  taubeneigrossen  Lappen  von  sehr  weicher  Beschaffenheit,  so 
dass  ich  sie  anfangs  für  eine  Geschwulst  der  Lymphdrüsen  hielt 
Manche  Lappen  waren  ganz  gallertartig,  durchscheinend,  gelblich, 
zitternd,  andere  hatten  ein  trüberes,  weisslich  gelbes,  mascbiges 
Aussehen ;  viele  enthielten  grosse  und  zahlreiche  Gefässe,  so  dass 
sie  fast  caveniös  erschienen.  Die  feinere  Untersuchang  ergab,  dass 
die  gallertigen  Stellen  ganz  aus  Schleimgewebe  bestanden,  die  gelben 
dagegen  reichliche  Bildung  von  Fettzellen  erkennen  Hessen  ff  t)- 

*)  (iluge.     Anat.  mikrosk.  Untersuchungen.     MiDden.     1838.    Heft  I. 
M.  VW,  132,  134.    Atlas  der  pathol.  Anat.    Lief.  VIII.  Taf.  I.   Fig.  3—5. 

♦♦)  Paget.    Lect.  II.  p.  110.  117, 118  (Fille  von  Lawrence,  Stanley, 
Ihintor  und  Skey). 
***)  liludius     Deutsche  Klinik.  1852.  No.  28. 
|)  Lobort.   Phvsiol.  pathologique.    T.  II.  p.  203. 
If)  Vorneu  iL    'Hüllet,  de  la  Soc.  aoat  1852.  p.  4U. 
III)  Virohow.     Untersuchungen   Ober   die   EntwickeluDg    des   Schidel- 
gMiiidoH.     Ilerlin.  1857.  S.  49. 


M,,< 


i  des  Oberecheakela. 


419 


Auch  die  später  von  mir  untersnchten  Fälle  hattea  sämmt- 
lich  eiaea  ausgezeichnet  lappigen  Bau.  Eine  Geschwulst,  welche 
Hr.  Wilma  exstirpirt  h&tte,  war  so  fettreich,  dass  man  sie  mit 
fast  ebenso  viel  Recht  ein  Lipoma  myxomatodes  nennen  konnte*). 
Eine  andere  weit  fiber  Slannskopfgrosse  war  so  getUsareich  dass 
sie  fast  ganz  emer  cavemflsen  Bildung  glich  **)  £me  vierte  von 
Hrn.  Berend  openrte    war  von  der  grOssten  Zartheit  und  dem 


höchsten  Scbleimgehalte  Sie  bebtand  aus  sehr  ungleiclien  Lappen 
oder  Knoten  «eiche  durch  ein  weiches  Z\\ ischcngewebe  zusam- 
mengehalten wurden  und  welche  m  ihrem  Innern  wiederum  eine 
fein-  und  grobmaschige  weisslicbc  Zeichnung  erkennen  liessen. 
Letztere  war  zum  grossen  Theil  durch  die  in  gewiatien  Zügen 
reichlicher  werdende  Fettzellenbildung  bedingt  (Fig  8>)  Ein 
fünftes,  halb  fibrCses  halb  cystisch  hämorrhagisches  Myxom***) 
war  binnen  <>  Jahren  an  dem  Oberschenkel  einer  SOjähngen  Fra^v 
bis  zur  FaustgrOsse  angewachsen. 

Eine  andere,  wie  es  scheint,  ziemlich  häufig  befallene  Region 


Fig  82.  Hyioma  lipomntodes  femoris  ireolare.  Die  ireissen  Stellen 
oben  und  rechts  fast  ganz  lipomaUis,  die  übrigen  mehr  schleimig.  Das 
Ganze  grosslappig,  mit  starken  Septi-<.  [PrSparat  No.  161.  vom  Jahre  1861). 
Die  Zeichnung  giebt  in  natQrlicher  Grösse  einen  Abschnitt  der  UaDOskopf- 
grossen  Geschwnlst  wieder. 

*)  Pr^arat  Mo.  125  vom  Jahre  18&7. 

'■)  PT&iiarat  No.  183(i  vom  Jahre  1667. 
■**}  Präparat  No.  1250  vom  Jahre  1858. 


420  FfiDfzehnte  Vorlesoog. 

ist  der  Hals,  insbesondere  die  Umgebung  des  Kieferwinkels*); 
ausserdem  finde  ich  Fälle  vom  Vorderarm**),  vom  Gesäss***), 
der  Unterlippe  t)  und  der  Orbita  ff).  Nicht  selten  sind  es  Miscb- 
formen,  insbesondere  mit  Enchondrom  und  Osteoidchondrom,  wie 
ich  in  dem  entsprechenden  Kapitel  weiter  ausführen  werde. 

Der  Ausgangspunkt  dieser  Geschwülste  ist  nicht  selten  ein 
sehr  tiefer,  subfascialer  oder  geradezu  intramusculärer.  Indess 
kommen  doch  auch  solche  öfters  vor,  deren  Sitz  rein  subcutan 
ist.  Indem  sie  bald  sehr  langsam,  bald,  zumal  wenn  sie  sehr 
gefassreich  sind,  schnell  wachsen,  wölben  sie  sich  aus  dem  Unter- 
hautgewebe oder  zwischen  den  Muskeln  hervor,  drängen  allmählich 
nach  aussen  und  bilden  grosse  rundliche  Anschwellungen,  welche, 
wenn  sie  weicher  sind,  mehr  an  Lipome  oder  geradezu  an  Cysten, 
wenn  sie  fester  sind,  mehr  an  fibröae  Geschwülste  erinnern. 
Liegen  sie  an  Stellen,  wo  die  Haut  nicht  nachgiebig  ist,  so  kann 
es  sein,  dass  die  Geschwulst  sich  nach  und  nach  hervordrängt, 
die  Oberfläche  erreicht,  ja  endlich  in  Form  einer  polypösen 
Geschwulst  sich  herausschiebt.  Das  merkwürdigste  Beispiel  davon 
sah  ich  von  der  weiblichen  Brust.  Das  Myxom  hatte  sich 
bei  einem  21jährigen  Bauermädchen  unmittelbar  an  der  linken 
Brustwarze  aus  einer  warzenartigen  Erhöhung  binnen  2  Jahren 
entwickelt  und  bildete,  als  Hr.  Yogelsang  in  Minden  es  exstir- 
pirte,  einen  Kleinkinderfaustgrossen  Tumor,  der  pendulirend  an 
der  Haut  der  Brust  ansassfff).  Ein  sehr  ähnliches  Präparat 
erhielt  ich  von  Hrn.  Hoogeweg  in  Gumbinnen,  der  es  bei  einer 
Schwangeren  von  der  Schamlippe  abgetragen  hatte  (Fig.  83). 
Es  war  namentlich  dadurch  ausgezeichnet,  dass  die  an  einem 
ziemlich  dünnen  Stiel  hängende  Geschwulst  äusserlich  eine  Menge 
durchscheinender,  weinbeerenähnlicher  Lappen  besass^f)-  Diese 
Fälle  schliessen  sich  an  die  Beobachtungen  von  Paget**t)i  sowie 


•)  Gluge.    Atlas.    Lief.  XVII.  Taf.  II.  Fig.  1-4.    (Lipom»  colloider.). 
W.  Adams.   Transact.  of  the  London  Path.  Soc.  Vol.  I.  p.  344.  (Colloidkivb>V 
Ilaynes  Walton  ibid.  p.340.  (Colloid).    Schuh  s.  oben  S.  417. 
••)  Pati;et.    Lact  IL  p.  IlO  (Fall  von  G»y). 
**•)  Delore.    Revue  möd.  Iöö5.  Juin. 
t)  Frerichs  a.a.O.  S.  15. 
ti)  Pa-et    Lcct.  IL  p.  118. 
ttt)  Präparat  No.  G5  vom  Jahre  1860. 

*t)  Berliner  Geburtsh.  VerhandL  (1857)  Heft  X.  S.  196. 
••t)  Paget.    Lect.  IL  p.  112,  115. 


TOB  BlaainB,  der  das  Collonema  am  häafigeten  an  den  BrDsten, 
den  groBBea  Schamlippen  und  dem  Scrotnm  ge&ehen  haben  wiU. 

Zuweilen  bilden  sich  anch  an  inneren  Theilen  ähnliche  Ge- 
Bchwfilste,  namentlich  an  Stellen,  wo  normal  Fettgewebe  liegt, 
das  eine  grosse  Neigung  zu  der  Umbildung  in  Schleimgewebe 
besitzt,  wie  am  Nierenbecken.  Besonders  bemerkenswerth  sind 
die  gans  tief  sitzenden,  wegen  der  Gefahr  der  Operation  besonders 
wichtigen  epiperitonäalen  Formen*). 

An  den  Knochen  kommen  Myxome  in  der  mannichfaltigsten 
Weise  vor.  Insbesondere  sind  es  die  Kiefer,  in  welchen  sich 
oft  sehr  betr&chtliche  Geechwfilste  dieser  Art  entwickeln**).  Es 
gehSren  hierher  offenbar  viele  Fälle  von  sogenanntem  Gallert- 
earkom  nnd  Osteosteatom;  wenige  Schriftsteller  sind  so  vorsichtig 
gewesen,  wie  Stanley*"),  der  einfach  von  Knochengeschwfllsten 
spricht,  die  aus  weicher  Gallertsnbstanz  gebildet  seien.  Aber  die 
Grenzen  sind  gerade   bei  diesen  Geschwülsten   sehr  schwer  za 


Fig.  83.  Uyxoma  polyposum  botryoideH  der  groesen  Schamlippe. 
(Priparat  No.  100.  vom  Jabre  tg5T).    Nahezu  natürliche  Grfisse. 

*)  Santesson.  FOrbaadliDgar  vid  Svenska  Lükare-Sällskapets  Samman- 
koroater.  Stockh.  1854.  p.  12.  Hygiea  läfi5.  April,  p- 225.  LaDgeobeck. 
Arcbi»  f.  klin.  Chir.    Bd.  I.  S.  105, 

••)  G.  Valentin.    Repert  för  Anat.  und  Phvs.    1837.    Bd.  H.    S.  275. 
Heyfelder.     Mein    Archiv.    Bd.  XI.    S.  520.     "Billroth.     Beiträge   zoi 
pathol.  Histologie.   Berlin.  1858.  S.  94,    Deutsche  Klinik.  18^5.    Ericbsen. 
St.  Peterabareer  med-  Zeitschrift.  Bd.  I.  Heft  11.  Taf.  VI. 
***)  Staaley.    DiaeaseB  of  the  bones.  p.  181. 


422  Fünfzehnte  Vorlesung. 

ziehen,  da  ausserordentlich  viele  üebergänge  und  Mißchformen 
vorkommen.  Insbesondere  die  knorpeligen  Myxome  vermischen 
sich  so  unmerklich  mit  den  weichen  Enchondromen,  dass  es  zu- 
weilen ziemlich  willkürlich  ist,  wohin  man  den  einzelnen  Fall 
rechnen  soll.  Eine  derartige  Geschwulst  von  der  Phalanx  eines 
Fingers,  welche  dem  Myxom  näher  steht,  weil  nirgends  die 
Zellen  inkapsulirt  waren,  habe  ich  früher  beschrieben*);  vor- 
treffliche Beispiele  der  mehr  zum  Enchondrom  gehörigen  Form 
haben  Valentin  und  Richard  Yolkmann**)  geschildert.  Ich 
werde  auf  diese  Mischgeschwulst  bei  den  Enchondromen  zurück- 
kommen, zumal  da  in  den  Weichtheilen  derartige  üebergänge  und 
Vermischungen  noch  viel  häufiger  und  wichtiger  sind. 

Das  reine  Myxom  der  Knochen  ist  eine  weiche,  leicht  zer- 
drückbare Geschwulst,  welche  gewöhnlich  aus  der  inneren  Sub- 
stanz hervorgeht  und  indem  sie  sich  vergrössert,  Auftreibungen 
des  Knochens  erzeugt,  die  anfangs  noch  von  einer  harten  Schale 
umgeben  sind,  später  aber  dieselbe  verlieren  und  als  weiche 
Massen  hervorwuchern.  Hier  und  da  finden  sich  im  Innern  der, 
meist  aus  mehreren  Lappen  bestehenden  Knoten  noch  einzekc 
Reste  des  früheren  Knochengewebes  in  Form  von  Balken,  Netzen 
und  dgl.  Das  Aussehen  der  Geschwulst  ist  hellgrau,  weisslich 
oder  schwach  gelblich,  wie  Austernfleisch  oder  wie  die  Gallert- 
scheibe der  Medusen***);  Gefösse  finden  sich  in  sehr  wechselnder 
Masse  vor  und  geben  je  nach  Umständen  der  Geschwulst  eine 
hellrosige  oder  dunkelrothe  Färbung. 

Der  gewöhnliche  Ausgangspunkt  scheint  das  Mark  zu  sein, 
welches  so  häufig  aus  Schleimgewebe  besteht  (S.  399).  Aber 
ich  bin  nicht  im  Stande  nachzuweisen,  dass  diess  jedesmal  der 
Fall  ist  und  namentlich  nicht,  ob  der  Knochen  bloss  durch  die 
wachsende  Geschwulst  absorbirt  wird;  möglicherweise  handelt  es 
sich  in  manchen  Fällen  auch  um  heteroplastische  Entwickelungf) 
aus   dem   Knochengewebe  oder  der  Beinhaut,   und  eine  weiter- 


•)  Mein  Archiv.    Bd.  V.  S.  240. 

**)  Valentin  a.  a.  0.  S  277.    R.  Yolkmann.   Deutsche  Khnik.   lö^. 
No.  51. 

•♦•)  Mein  Archiv.     1854.    Bd.  VII.    S.  668. 
t)  Vgl.  den  Fall  von  Bickersteth  bei  Paget,  Lecturea.  II.  p.  187,  sowie 
den  von  Denonvilliers,  wo  eine  fast  20  Pfund  schwere  Geschwulst  de« 
Oberschenkels  äusserlich  mit  dem  Knochen  in  VerbiDduiig  itaad,  jedoch  »och 
innen  vorkam  (Topinard.  Bullet  de  la  soo.  aoat  1867.  p.8S). 


Myxome  der  NerTencentrcn.  428 

gehende  Untersuchung  wird  vielleicht  darthun,  dass  das  Myxom 
auch  in  dieser  Beziehung  nahe  Verwandtschaft  mit  dem  Enchon- 
drom  besitzt.  Jedenfalls  muss  man  sich  davor  hüten,  spongiöse 
Osteome  mit  schleimigem  Mark  in  die  Kategorie  der  Myxome 
zu  beziehen,  was  ich  später  noch  genauer  darlegen  werde.  — 

Die  Reihe  der  heteroplastischen  Myxome  ist  verhältniss- 
mässig,  so  weit  man  bis  jetzt  übersehen  kann,  die  häufigere,  und 
hier,  wie  ich  schon  erwähnt  habe  (S.  400),  ist  es  namentlich  die 
Neuroglia  und  das  Perineurium,  in  welchen  sie  sich  öfters  ent- 
wickeln. Ein  nicht  unerheblicher  Theil  insbesondere  der  Gehirn- 
geschwülste  gehört  in  diese  Kategorie,  und,  soweit  meine 
Erfahrungen  reichen,  namentlich  solche  an  den  Grosshimhemi- 
sphären.  Es  sind  das  weiche  Bildungen  *),  welche  zu  sehr  um- 
fangreichen Geschwülsten  bis  zur  Grösse  einer  Mannsfaust  oder 
noch  darüber  anwachsen,  welche  oft  so  zarte,  durchscheinende, 
gallertartige  Beschaffenheit  haben,  dass  sie  ganz  cystisch  erschei- 
nen, ja  welche  sogar  unter  Umständen  einen  wirklich  cystischen 
Charakter  annehmen,  indem  an  einzelnen  Stellen  die  Zellen  alro- 
phiren,  die  Grundsubstanz  zerfliesst,  und  Höhlungen  entstehen, 
welche  mit  einer  schleimigen  Flüssigkeit  gefüllt  sind.  In  diese 
Kategorie  gehört  der  eine  von  J oh.  Müller  **)  beschriebene  und 
abgebildete  Fall;  ferner  die  Beobachtung  von  E.  Wagner***) 
sowie  wahrscheinlich  eine  von  Rokitansky  f)  und  möglicher- 
weise eine  von  Leubuscher ft)-  Auch  hier  dürfte  eine  conge- 
nitale Entstehung  wenigstens  zuweilen  anzunehmen  sein.  Ein  Prä- 
parat unserer  Sammlung  ftt)?  wo  ein  grosses  Myxoma  cystoides 
des  Vorderlappens  mit  einer  Knochengeschwulst  des  Stirnbeins 
direct  zusammenhängt,  lässt  kaum  eine  andere  Deutung  zu. 

Aehnliche  Formen  kommen  auch  an  den  Häuten  vor.  Roki- 
tansky erwähnt  ein  fibröses  Collonema  der  Dura  mater  um  den 
Perus  acusticus.  In  einem  von  mir  untersuchten  Falle  *t)  von 
der  Arachnoides  spinalis  (Fig.  84)  hatte  das  Myxom  durch  Druck 


^)  Präparat  No.  129  vom  Jahre  1861. 

^*)  Joh.  Müller  in  seinem  Archiv.  1836.  Jahresber.  S.  CCXIX.    Ueber 
den  feineren  Bau  der  Geschwülste.  Taf.  III,  Fig.  12-13. 
♦♦♦)  E    Wagner.    Mein  Archiv.  Bd.  VIII.  S.  532. 
t)  Rokitansky.    Pathol.  Anat  1855.  Bd.  I.  S.  167. 
ff)  Leubusche r.    Mein  Archiv.  Bd.  XIII.  S.  494. 
ttt)  Pr&parat  No.  129  vom  Jahre  1860. 
*t)  Annalen  des  Gharite- Krankenhauses  zu  Berlin.  Bd.  IX.  Hft  2.  S.  151- 


FBnfiehiite  VorlMDOg. 

Lähmnng  der  Extremititen  eizevgL 
Levrat-Perroton*)  hat  eioe  Col- 
loidgeschwuUt  des  vierten  VeDtrikels, 
die  voQ  dem  Flexas  choroides  ug- 
gegangen  sein  soll  uod  die  Glycosurie 
bedingte,  beschrieben. 

Aa  den  peripherischen  Nenen 
gellt  die  Geschwulst  gewöhnlich  nicht 
aus  dem  Neurilem,  ans  der  Nerren- 
Bcheide,  sondern  ans  der  intersti^ellea 
Substanz,  dem  Perinearinm  herror, 
und  tritt  nnter  der  Form  des  soge- 
nannten Neuroms  auf.  Wir  werden 
später  sehen,  dass  das  Neurom  im 
engeren  Sinne  des  Wortes  etwas  an- 
deres ist.  Hier  handelt  es  sieh  um 
ein  falsches  Neuron),  welches  aber 
unter  ganz  ähnlichen  Formen  auf- 
tritt, wie  die  wirklichen  Neurome: 
der  Nerv,  der  davon  befallen  wird, 
treibt  an  einer  Stelle  spiodelfönnig 
auf,    oder  er  schwillt  mehr  kugelig 

Pig.  84.  Myxoma  fibrosam  cyatoidea  kqs  dem  WirfaelkaoaJ.  A  in 
eröffnete  Sack  der  Dura  mater  apiaalU  mit  dem  Rücke amu'k ,  velchea  kon 
oberhalb  der  LumbalaaschwelluDg  comprimirt  und  atropbirt  ist.  Es  aata  hier 
gallertartif;  aus  und  zeigt«  mikroBkopisch  marklose  KerTenfüem  und  Fett- 
degeneratioo  der  Meurogliaiellen.  Die  Geschwulst  ist  über  hftselnusegrau, 
mit  etwas  hOgelißer  Oberfläche,  riogsum  an  die  Pia  mater  und  die  Neriro- 
wurzelu  angewachsen ,  insbesondere  mit  der  Dar«  mater  in  der  Hohe  de^ 
10.  und  11.  Brustwirbels  ii;aDi  fest  verwachsen,  lo  dau  es  nicht  aniweifel- 
haft  ist,  von  welchen  Thcilen  sie  ausgebt.  Nur  dsa  RQckenmark  ist  geneti^b 
unbetheiligt.  Auf  dem  Durchschnitt  li  nnteracheidet  man  einen  festen,  weiM- 
lieben,  hier  und  da  gelblichen  Kern,  von  dem  dicke  Balken  strabli^  aus- 
gehen, uro  sich  in  eine  ziemlich  derbe  Rindenschicbt  zu  verlieren.  ZwiscbvD 
den  Balken  ist  graues,  theils  gallertiges  Gewebe,  tbeils  HOhlnageo  mit 
schleimiger  FlÜNsigkeit.  Uier  und  da  finden  sich  rothe  Stellen,  in  welchen 
da»  Mikroskop  aneurtsmatiscb  erweiterte,  sehr  dickwandige,  kleine  Arterien 
zeigti  an  anderen  Stellen  liegt  gelbes  und  braunes  kOmigcs  Pigment  in 
kteinen  Haufen.  Das  Mikroskop  zeigt  in  den  derben  Stellen  mit  Schleim 
infiltrirle  FascrzOge  mit  zahlreichen,  runden  Kemiellen,  die  offenbar  in  der 
Wucherung  begriffen  sind;  hier  und  da  auch  Stellen  mit  vorgesch  ritten  er 
Fettmctamorphose.  Die  gallertigen  Hassen  sind  arm  an  Zellen  und  hat  gaui 
auH  schlcimigtT  Grundsubstanz  znaammengesetiL  Aussen  geht  um  da» 
UanEi-  eine  derbere,  peßssreiche,  mit  der  Arachnoidea  xusammeDhinEendi' 
Halle.     (Priparat  No.  111.  vom  Jahre  1861)-    NatBrlicbe  Grösse. 

i.i'."''*''*'^'''"'*'"''-  Quelques  coDsiderstiona  snr  nn  caa  dejElvco)- 
nne.  Th*se  de  Pari«.    1869.  p.  14. 


'^m 


Mjiome  der  Nerven.  426 

oder  knotig  an.  Ausgezeichnete  Beispiele  dieser  Art  habe  ich  am 
Opticus  innerhalb  der  Orbita*)  und  an  einem  oberflächlichen  Aste 
des  MaxUlaris  inferior  gesehen**).  In  der  Regel  ist  der  Bau 
lappig,  die  einzelnen  Lappen  aber  wenig  abgegrenzt  und  das 
Ganze  Ton  durchscheinender,  oft  gallertartiger  Beschaffen- 
heit Die  netzförmige  Anordnung  der  zelligen  Theile  tritt  bei 
der  mikroskopischen  Untersuchung  zuweilen  wundervoll  hervor. 
Anderemal  kommt  gerade  die  Form  des  lipom&hnlichen  Myxoms 
in  der  vollendetsten  Weise  vor***).  Jedenfalls  ist  die  Consistenz 
eine  verhältnissmässig  weiche,  und  daher  kann  sehr  leicht  die 
Vorstellung  entstehen,  dass  man  es  mit  einer  cystischen  Bildung 
zu  thun  hat,  während  sich  bei  dem  Anschneiden  eine  feste  Ge- 
schwulst findet.  Ich  selbst  hielt  einmal  eine  solche  Geschwulst, 
die  ganz  unschmerzhaft  war  und  am  Unterschenkel  sass,  für  ein 
Hygrom  und  stach  sie  mit  einem  Troicart  an;  als  aber  keine 
Flüssigkeit  sich  entleerte  und  ich  mich  daran  machte,  sie  zu 
exstirpiren,  zeigte  sich,  dass  sie  am  Nervus  peronaeus  ansass. 
Es  gelang,  diesen  zu  erhalten  und  die  Heilung  ging  günstig  von 
Statten. 

Eine  Reihe  von  Beispielen  ist  in  der  Literatur  früher  be- 
sehrieben worden\unter  dem  Namen  des  Neuroma  cysticumf). 
Diese  gehören  wahrscheinlich  alle  zu  den  Myxomen.  Da  aber 
in  der  That  cystische  Schmelzung  der  Substanz  an  den  grossen 
Myxomen  des  Gehirns  vorkommt,  so  halte  ich  es  nicht  für  un- 
möglich, dass  auch  an  den  Nerven  eine  wirkliche  Höhlenbildung 
vorkommt  Wahrscheinlich  ist  aber  die  Höhlenbildung  in  der  Mehr- 
zahl nur  scheinbar,  bedingt  durch  die  Anwesenheit  weicher,  zarter 
Stellen,  welche  sich  von  aussen  weich  anfühlen,  auch  beim  An- 
schneiden Flüssigkeit  entleeren  und  dann  eine  Gavität  oder  wenig- 
stens eine  Vertiefung  zeigen.  So  hatte  Herr  Wilms  ein  „Neu- 
rom^  des  Ulnaris  exstirpirt,  welches  eine  länglich  ovale,  fast 
spindelförmige  Gestalt  besass  und  äusserlich  eine  so  deutliche 
Fluctuation  und  zugleich  eine  hügelige,  stellenweise  durchschei- 
nende Oberfläche  zeigte,  dass   man    bestimmt   an   Cysten   denken 


*)  Im  Jahre  lb63  von  HerrD  v.  Gräfe  exstirpirt     Vgl.  den  Fall  von 
fireschet  bei  Ginge.   Anat.  mikr.  Unters.  II.  S.  133. 
♦♦)  Präparat  No.  1209.    Mein  Archiv.  Bd.  XIII.  S.  262. 
***)  Mein  Archiv.  Bd.  XI.  S.  281.     Schnöder.  Schweizer  Monatsschrift 
f&r  praktische  Medicin.  1859.  No.  4. 

t)  Houel  in  den  Möm.  de  la  Soc.  de  chir.  de  Paris.  T.  IIL  p.  259. 


426 


mosste.  Nacbden  das  Pripmt  in  Oiroui- 
sänre  gebirtet  md  dann  darchscbnjtteD 
war  (Fig.  85.),  sah  man  wohl  eine 
grosse  Zahl  von  kkinereo  nnd  grösserea 
MasclienränmeD  mit  gallertigui  Massen 
gefüllt,  aber  keine  eigentlichen  HöhleD, 
HonderD  eine  Continaitit  des  Gewebes.  — 
Eine  scheinbar  noch  mehr  hetero- 
l  plastische  Form  entwickelt  sich  in  drü- 
I  sigen  Organen  aus  dem  ioteretitiellen 
'  Bindegewebe,  welches  sonst  viel  mehr 
Neigung  zu  tibrOsen  Bildungen  besitzt 
Unter  diesen  ist  obenan  ta  erwAboen 
die  weibliche  Brust  Hier  findet  sieb 
ein  Myxom,  das  verfailtnissm&ss^  am 
bäuägsten  in  die  Sarkomreihe  gestellt 
worden  ist  und  namentlich  eine  Haupt- 
form  des  sogenannten  Cystosarcoms 
dariiteUt.  Schon  Johannes  Müller  kannte  in  seiner  ersten 
Mittheilung  über  das  CoUonema  einen  higher  gehörigen  Fall: 
zwei  unalogc  führt  Rokitansky  unter  demselben  Namen  auf; 
bIh  Myxoina  liponiatodes  hat  E.  Neumann  einen  dritten  be- 
Muhricben.  In  der  früheren  Literatur  ist  es  natürlich  zweifelhaft, 
wie  woit  man  die  einzelnen  Beobachtungen  hierher  ziehen  darf, 
indesg  glaube  ich  nicht  fehl  zu  gehen,  wenn  ich  die  Fälle  voo 
FibrocoUoid  bei  Lebert*)  und  die  von  Cystosarcoma  phyllodes 
bei  Mettonhcimer"),  Heinr.  Meckel**')  nnd  Harpeckt) 
als  Myxome  auffasse.  Sehr  wahrscheinlich  gilt  dies  auch  für  einige 
von  Bruch  tt)  hIs  Cystosarkome,  sowie  für  eine  gewisse  Zahl  der 


Fip,  85.  Myxom»  lobulare  c.ystoides  des  N.  nlnari«.  M»n  sieht  gröfsert 
uLd  klfincre  l.ob'uli,  in  dtr  Mitte  die  grCBserea  uad  Kllercii,  im  Cmbiip 
dip  kiKinPrt'ii  und  i(lng>'ron.  Letztere  entwirkelo  sieb,  wie  «m  UmfmS* 
dealtieh  bftaerkbar  i«t,  »elbsUndie  neben  den  frQheres  Knoten.  (Prtpaiii 
No.  31.  vom  Jahre  lHü'i).    NMadiche  GrOsse. 

•)  Leben.  !'ath.  phva.  T.  IL  p.  198.  Atlas  d'aiiat.  patb.  PI.  CXLIV. 
vt  (XLV.    Fil!.  6-7. 

**)  Mettenheimer.     MQIler's  Archir.  ISSa  S.  417. 
**'t  IL  MerkeL     Manchener  illustr.  med.  Zeitung.  IHH.  Heft  S.  S.  HL 

t)  llarpeek  in  den  Studien  des  physioL  lostiliits  in  Br«s1an,  berau- 


Uejtehen  v 


1  Reirher 


i.  S.  100. 


8,  101.    MtKluift  nir  latioBrile  Medkin.  1849.  1 


.  13& 


IMT. 


Myxoma  mammae.  427 

von  Schuh*)  als  gallertige  Cystosarkome  und  Bündelkrebse  be- 
schriebenen Formen.  Da  es  aber  auch  wirkliche  gallertige  Cysto- 
sarkome, einfache  Gallertsarkome  und  Gallertkrebse  an  der  Brust- 
drüse giebt,  so  darf  man  hier  nicht  zu  leicht  entscheiden. 

Die  Entwickelung  des  Schleimgewebes  erfolgt  aus  dem  inter- 
stitiellen Gewebe,  welches  die  Milchgänge  und  zum  Theil  die 
Trauben  der  Terminalbläschen  umgiebt  und  von  einander  trennt, 
und  welches  normal  ein  ziemlich  derbes  und  dichtes  Gewebe  ist. 
In  Beziehung  auf  den  Ausgangspunkt  stimmt  das  Myxom  also  mit 
dem  Fibrom  (S.  328)  überein,  welches  an  denselben  Stellen  ent- 
steht. Auch  wird  nicht  selten  das  gesammte  interstitielle  Gewebe 
der  Brustdrüse  auf  dieselbe  Weise  verändert,  und  die  Brust  schwillt 
zu  einem  überaus  grossen  diffusen  Tumor  an.  Anderemal  werden 
nur  einzelne  Abschnitte  oder  Lappen  befallen,  so  dass  einzelne 
rundliche  Knoten  entstehen.  Es  erfüllt  sich  dabei  der  Raum 
zwischen  den  Milchgängen  und  Drüsenläppchen  mit  einer  gallertig 
aussehenden  Masse,  die  freilich  selten  jene  Zartheit  und  Weich- 
heit erlangt,  welche  die  Gehirnmyxome  zeigen,  die  aber  zuweilen 
doch  so  leicht  zerdrückt  werden  kann,  dass,  wenn  man  ein  Stück 
massig  quetscht,  dasselbe  einem  unter  den  Fingern  zergeht.  Die 
innere  Anordnung  der  Masse  ist  seltener  die  maschige;  in  der 
Regel  sah  ich  die  Gewebszüge  in  der  Richtung  von  innen  nach 
aussen  radiär  gestellt,  und  es  liess  sich  das  Gewebe  in  dieser 
Richtung  leicht  in  einzelne  Abtheilungen  zerreissen.  Sind  bloss 
einzelne  Knoten  vorhanden,  so  ist  diese  Einrichtung  weniger  deut- 
lich, ja  das  Ganze  erscheint  dann  wohl  als  ein  lappiges  Gallert- 
gewächs, dessen  Beziehungen  zu  der  Drüse  auf  so  kleine  Theile 
beschränkt  sein  können,  dass  man  in  Zweifel  geräth,  ob  es  nicht 
überhaupt  ganz  und  gar  ausserhalb  der  Drüse,  in  dem  umgebenden 
Fettgewebe,  seinen  Ursprung  genommen  hat. 

Manchmal,  namentlich  bei  der  Entwickelung  einzelner  Knoten 
und  bei  sehr  weicher  Beschaffenheit  der  Geschwulstmasse  geht 
die  alte  Drüsenstructur  in  der  Wucherung  ganz  verloren.  Sehr 
viel  häufiger  dagegen,  zumal  bei  den  diffusen  Myxomen  der  ganzen 
Brust,  persistiren  die  Milchgänge  nicht  nur,  sondern  sie  werden 
ektatisch.  Manchmal  erweitern  und  verlängern  sie  sich  einfach, 
so  dass  sie  eine  Art  von  varicöser  Schlängelung  erfahren,  und 


*)  Schuh.    Pseudoplasmen.  1854.  S.  447. 


4'Zti 


FSoftebate  Vsrienag. 


aal  d«Di  ItarclittcbnJtt  l>al<l  bie,  bild  da  tm  S^itk.  -na  üna  al< 
HMtlti  hervortritt     Anderemal  entetebco  virkückc  crHÜdK  Ai^ 

tM:bnfiniD|{«tn,  j«doeb  Mehr  fiel  seltener,  als  mam  im  der  Zm  i>- 
lUtlirn,  wo  (Iftr  Name  de»  Cystosarkonu  aafgeeallt  via^  Fast 
obni;  Aniirmbine  sind  die  Cysten  die  alten,  jedoch  < 
diitloeirten  Csvitftten  der  Sinns  und  Ductus  bctei. 


Am  luoiMton  vora'irrcnd  ßlr  die  Beobacbter  ist  ea  gewesen,  da^« 
tlin  iiiyxomHlfls<>  Mii^MO  »dir  oH  in  Form  von  Aoswüchsen  in  ias 
liiiiiT»  «l«r  Mili')it;lln({o  liiiiu  in  wuchst,  und  alsMyxoma  polypo- 


:x 


ttTAi'Knalicular«  «rboresceiu  düfuaum  ii 
ir|>itt.     Die  Zoii-hnuof(  f;ii<bt   in  natQrlicher  GrOs«e  p 


n  Kiii(l>kupf):ri>s(H'n  U^rbwulitt  wieder.  Der  Dotere  Tbtil 
nl  iiMii«  tlu'lii  iiikI  Mtliii  tu  M<iii,  doch  t^iki'Bnt  maD  darin  gewisse  ]»p- 
^'i^iinn,  »>>tr)i<-  il<'m  lAmh^clinitl  der  in  die  Uiteb^Df^e  hioeingc- 
laniioii  und  tlioüi'llii'ii  K<to*  »usfDlIvDden  (imchwalstnasseti  entsprerbci. 
I  i>lii<ii  *i>iKi>ii  >iAt  i^rCitiKori'  Spalti'o  iwiacheD  den  Wnndungen  der  Hikb- 
n  Kk(n>ii>ii  tiittl  lU'ti  inirai'dulirulSr^n  Exomrenieni  letitere  treten  denl- 
T  nIh  i<i>)i-hi>  und  in  ihri'ni  7.uiiMn)nenhui|:e  nit  dem  Gewebe  in  Viiti 
»[.  A»i  ^>tll■r1■ll  rii>lnii):i>  IaI  i'iiii<  pKiMierr  Ektasie  offen  fielegt  und  dir 
broin  Kiidi'  »nriiuvit  Au^wUch»«'  ntebr  isolirt  (Prliwrat  No.  106.  tob 
•  IWl). 


Myxoroa  mamroae.  429 

snm,  proliferum,  phyllodes  oder  arborescens  die  Gänge 
erfallt,  in  ganz  ähnlicher  Weise,  wie  ich  es  von  dem  ganz  nahe  ver- 
wandten intracanaliculären  papillären  Fibrom  gezeigt  habe  (S.  342). 
Das  intracanaliculäre  Myxom  unterscheidet  sich  nur  dadurch,  dass 
seine  Proliferationen  gewöhnlich  sehr  viel  mächtiger  und  schneller 
wachsen.  Die  Drusengänge  werden  dabei  so  erweitert  und  schlän- 
geln sich  in  so  vielfacher  Weise,  dass,  wenn  man  einen  Durch- 
schnitt macht,  man  niemals  den  ganzen  Verlauf  derselben  auf 
einmal  zu  sehen  bekommt.  Indem  die  aus  den  Wänden  hervor- 
wachsenden Massen  die  Höhlungen  in  manchen  Fällen  ganz  und 
gar  ausfüllen,  so  entsteht  ein  ausserordentlich  buntes  Bild,  am 
häufigsten  ein  solches,  dass  man  eine  solide  Geschwulst  mit  allerlei 
krummlinigen  Spalten  und  Klüften  vor  sich  erblickt.  Schneidet 
man  die  Spalten  auf,  so  gelangt  man  in  communicirende,  buchtige 
Räume,  aus  welchen  man  grosse,  bald  kolbige  und  glatte,  bald 
verästelte  und  warzige  oder  zottige  Excrescenzen  herausheben 
kann,  welche  irgendwo,  bald  an  einem  dünnen  Stiele,  bald  mit 
einer  breiten  Fläche  der  Wand  aufsitzen  und  in  das  interstitielle 
Geschwulstgewebe  continuirlich  übergehen  (Fig.  86).  Aber  immer 
behält  die  Masse,  welche  hineinwächst,  ihren  mucösen  Charakter, 
ja  derselbe  tritt  gerade  an  den  Excrescenzen  zuweilen  deutlicher 
hervor,  als  an  dem  mehr  fibrösen  Interstitialgewebe. 

Sind  es  die  oberflächlichen  Gänge,  welche  davon  betroffen 
werden,  so  geschieht  es  nicht  selten,  dass  sie  sich  in  Form  von 
Knoten  nach  aussen  hervorwölben,  namentlich  in  der  Nähe  der 
Warze.  Wächst  dann  von  der  Wand  Geschwulstmasse  in  immer 
grösserer  Masse  in  sie  hinein,  so  drängt  sie  allmählich  immer 
mehr  gegen  die  Oberfläche  hin,  vergrössert  den  Tumor,  verdünnt 
durch  die  Spannung  die  Bedeckungen  und  kann  endlich  an  der 
Oberfläche  durchbrechen.  So  entstehen  Löcher,  durch  welche  die 
Auswüchse  zu  Tage  treten  und  durch  welche  man  eine  Sonde  tief 
in  das  Innere  der  Geschwulst  einfuhren  kann.  Diese  Form  hat 
man  früher  für  sehr  malign  gehalten,  weil  sie  nach  der  gewöhn- 
lichen Vorstellung  fungös  ist,  und  weil,  sobald  die  Gewebs- 
massen  an  die  Luft  und  mit  äusseren  Theilen  in  Berührung 
kommen,  sie  der  Sitz  stärkerer  Hyperämien  werden,  ulceriren, 
an  ihrer  Oberfläche  zerfallen  und  eine  ichoröse  Absonderung  her- 
vorbringen. So  können  sie  leicht  den  Eindruck  einer  sarkoma- 
tösen  oder  krebsigen  Bildung  machen. 


430  Fünfzehnte  Vorlesung. 

Eine  ganz  ähnliche  Geschwulstform  kommt  am  Hoden  vor*) 
und  bildet  eine  der  mit  dem  Namen  der  Sarcocele  bezeichneten 
Formen.  Auch  in  der  Lunge  habe  ich  Myxomknoten  gesehen. 
Weniger  rein  sind  die  besonders  von  Billroth**)  beschriebenen 
Schleimgeschwülste  der  Speicheldrüsen,  auf  welche  ich  bei  den 
Enchondromen  zurückkommen  werde.  — 

Was  schliesslich  die  Bedeutung  der  Myxome  anbelangt,  so 
muss  man  die  verschiedenen  Localitäten  unterscheiden.  Erscheint 
die  Geschwulst  mehr  als  eine  hyperplastische,  so  wird  sie  von 
vom  herein  als  ein  Ding  von  mehr  loealer  Bedeutung  sich  dar- 
stellen, und  in  Beziehung  auf  die  Operation  wird  man  selten  in 
Zweifel  sein,  dass  man  mit  der  Entfernung  der  Geschwulst  das 
Uebel  vollständig  beseitigen  kann.  Eine  grosse  Gefahr  bringen 
sie  in  der  Regel  nicht  mit  sich;  ihre  Neigung  zur  Ulceration  ist 
ebenfalls  gering.  Sie  sitzen  meist  so  tief,  dass  sie,  während  sie 
allmählich  weiter  und  weiter  anwachsen,  doch  nur  durch  ihre 
Grösse,  ihren  Druck  u.  s.  w.  beschwerlich  werden.  Allein  ihre 
Bedeutung  ändert  sich,  wenn  sie  der  Sitz  einer  reichen  Wucherung 
und  namentlich  einer  starken  Vascularisation  werden.  Alsdann 
wachsen  sie  schnell  hervor  und  selbst  die  an  der  Haut  sitzenden 
können  in  Ulceration  übergehen.  Es  kommt  dazu,  dass  die 
Grenze  zwischen  hyperplastischen  und  heteroplastischen  Formen 
sehr  schwer  zu  ziehen  ist.  Die  intramuscnlären  Myxome  stehen 
auf  einer  solchen  Grenze,  und  es  ist  nicht  zu  übersehen,  dass 
selbst  Blasius,  der  sonst  für  die  absolute  Gutartigkeit  des  Gol- 
lonema  stimmt,  doch  wiederholte  Recidive  zugeben  muss,  und 
dass  in  den  meisten  Fällen  um  die  Muttergeschwulst  eine  Reihe 
accessorischer,  offenbar  erst  nachträglich  entstandener  Knoten  zu 
sitzen  pflegen.  Nichts  desto  weniger  muss  man  festhalten,  dass 
secundäre  myxomatöse  Drüsenerkrankungen  und  Metastasen  kaum 
vorkommen,  die  Geschwulst  also  in  dem  gewöhnlichen  Sinne  eine 
gutartige  ist. 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  heteroplastischen  Formen. 
Diese  zeigen  nicht  selten  eine  sehr  grosse  Neigung  sich  auszu- 
breiten und  innerhalb  des  Theiles,  der  einmal  befallen  ist,  zu 
recidiviren.     Dahin   gehört  namentlich,  wie  ich  gezeigt  habe***) 


*)  Lebert.    Atlas  d'anat  patb.   PI.  CXLIX.   Fig.  3-8.    (Fibrocolloid). 
••)  Billroth.     Mein  Arcbiv.  Bd.  XVH.  S.  364. 
•••)  Deutöche  Klinik.  18G0.  No.  39.  S.  381. 


MiilignP  Myxome.  431 

und  wie  ans  den  Beobachtung«!!  von  Blasius  und  Richard 
Volkmann*)  hervorgeht,  ein  gewisser  Theil  der  peripherischen 
Menrome,  welche  an  den  Nerven,  wo  sie  vorkommen,  zu  grossen 
Geschwflisten  sich  entwickeln  können  und  unter  Umständen  den 


Fig.  87.  Hyioma  multiplex  recurreus  ulcerosum  nerTorum  sntibrarhiL 
Die  GescbwuUt  stammt  von  eiocm  bSjäbrigen  Arzte,  der  1(^47  zuerst  »d 
der  Hitte  Beiaes  rechten  Vorderarmes  ein  etwas  empfiodlichea,  nadelkopf- 
groasea  KnOtcbeu  bemerkte.  Dasselbe  wucbs  allmälilich  und  brach  1850, 
QKbdem  es  wallDussgross  geworden  war,  auf.  Es  eutleerle  sich  diclfes, 
sehr  schleimiges  Blut.  Die  Gcschnulst  wurde  eistirpirt,  es  blieben  allerlei 
stechende  EmpfiDduDgen  zurQck  und  1854  fand  sich  am  untereo  Eode  der 
NkrtM  eine  neue  Geschwulst,  welche  noch  niebr  unangenehme  Oefflhle  er- 
xeagte.  1857  erschienen  am  oberen  Umfange  der  Narbe  neben  einander  zwei 
Knoten,  die  schnell  wnchsen  und  von  denen  einer  aufbrach.  Im  December 
wurde  das  Ganze  Ton  Herrn  Blasius  eistirpirt  und  von  Herrn  R  Volk- 
maun  (Bemerkungen  Ober  einige  vom  Krebs  zu  trennende  GcschwDlste. 
Adb  dem  4.  Bande  der  Abhandl.  der  naturf.  Ges.  lu  Halle.  1858.  3.43)  all 
Hjrxom  erkannt.  Nach  der  Heilung  bestanden  die  Empfindlichkeit  odo  die 
spontanen  Schmerzanßlle  fort  und  schon  nach  \  Jahre  erschien  am  unteren 
Wink«!  der  Narbe  ein  neues  RoStchen,  das  schnell  «uchs  und  im  PrObjahr 

*)  R.  Volkmann.  Observ.  anatomicae  et  cbimrg.  Lips.  1857.  p.  3. 
Tab.  I.    Hein  Archiv.  Bd.  Xn.  S.  27. 


432  FQnfzehnte  Yorlesong. 

vollen  Habitus  maligner  Geschwülste  annehmen,  indem  sie  nicht 
blos  Ortlich  zerstören,  sondern  namentlich  an  vielen  Nervenästen 
gleichzeitig  oder  nacheinander  auftreten.  Da  zugleich  gerade  diese 
Form  oft  mit  schweren  Neuralgien  verbunden  ist,  die  heftigsten 
lancinirenden  Schmerzen  hervorruft,  so  hat  sie  sowohl  diagnostisch 
als  prognostisch  die  höchste  Bedeutung.  In  einem  solchen  Falle 
(Fig.  87),  wo  die  Geschwulst  von  den  Armnerven  ausgegangen  war, 
hatte  sich  zuerst  eine  Verwachsung  mit  der  Haut  gebildet,  allmäh- 
lich war  die  Haut  durchbrochen,  der  Tumor  trat  an  der  Oberfläche 
frei  hervor  und  war  hier  ulcerirt.  Diese  ülceration  kann  den 
Charakter  annehmen  wie  eine  wirklich  pilzförmige,  fungöse  Masse. 
Exstirpirt  man  nun  ein  solches  Ding  und  kommt  nach  einiger  Zeit 
ein  ähnliches  wieder,  das  nochmals  exstirpirt  wird  und  von  Neuem 
wieder  kommt,  so  muss  fast  die  Vorstellung  entstehen,  dass  man 
einen  krebsigen  Tumor  vor  sich  habe.  Trotzdem  handelt  es  sich 
hier  in  der  Regel  um  die  Disposition  eines  bestimmten  Gewebes; 
es  sind  immer  wieder  Nerven,  und  zwar  die  Nerven  einer  be- 
stimmten Localität,  von  denen  die  Entwickelung  ausgeht.  Der 
ganze  peripherische  Theil  des  Plexus  brachialis  kann  in  eine 
solche  myxomatöse  Disposition  gerathen,  und  wenn  wir  den 
einen  Tumor  abschneiden,  so  kann  von  dem  nächsten  Aste  die 
Geschwulstbildung  von  Neuem  ausgehen. 

Allein  diese  locale  Multiplicität,  die  man  ja  immerhin 
als  eine  Art  von  Bösartigkeit  bezeichnen  kann,  erschöpft  die  Ge- 
fahr nicht  vollständig.  Es  giebt  in  der  That  maligne  Myxome, 
welche  in  verschiedenen  Theilen  des  Körpers  vorkommen  können, 
und  durch  dieses  vielfache  Vorkommen  an  differenten  Geweben 
und  Theilen  eine  wirkliche  Malignität  im  vollendetsten  Sinne  des 
Wortes  ausdrücken.     Ich  beobachtete  dies  zuerst  in  einem  sehr 


1859  die  Grösse  einer  Walin uss  erreicht  hatte.  In  dieser  Zeit  zeigten  sich 
auch  ober-  und  unterhalb  neue  Knoten,  der  ältere  brach  bald  auf,  im  An- 
fange 1860  folgten  auch  die  anderen  und  es  wuchsen  neue  hinzo,  so  diss 
Herr  Blasius  (Archiv  fQr  klin.  Chirurgie.  Bd.  II.  S.  200)  sich  zur  Ampn- 
tation  des  Oberarms  entschloss.  Er  hatte  die  Qüte,  mir  denselben  ii 
schicken,  und  es  zeigte  sich,  dass  sSmmtliche  Geschwülste  too  Terschiedeoen 
Nervenfäden  ausgingen,  sich  aber  wie  einfache  Myxome  verhielten  (Deutsche 
Klinik  18G0.  No.  39).  Die  Zeichnung,  welche  um  mehr  als  die  Hälfte  ver- 
kleinert ist,  zeigt  theils  den  Durchschnitt  des  Arms,  tbeils  die  Oberfläche. 
Die  Geschwülste  waren  vielfach  unter  sich  und  mit  den  Nachbartheilen  ver- 
wachsen, drängten  sich  knotig  und  lappig  an  der  Hautoberflftche  hervor, 
wurden  zum  Theil  .fungös"  und  ulcerirten,  indem  die  Haut  sieh  verdflnote 
und  die  GeschwQlste  wirklich  aufbrachen.    (Präp.  No.  45^.  vom  Jahre  1860). 


Ifaligne  Myiome. 


433 


aasgezeichneten  Falte  von  Myxoma  lipomatodee,  wo  die  Haupt- 
geschwulst sich  am  Nervus  cruralis  entwickelt  hatte*).  Gleich- 
zeitig fanden  steh  ganz  ähnliche  Geschwülste  an  der  Dura  mater 
cerebralis  und  spinalis.  Die  der  Dura  mater  spinalis  waren  durch 
die  Intervertebrallöclier  in  die  Bauchhöhle  hervorgewachsen  und 


Fig.  88.  Hyioma  lipomatodes  malignum  des  NerTog  gapfaenns  m^or 
(Archi*.  XL  S.  382).  A  Durchschnitt.  B  ftuHsere  Ansicht.  Die  Geschwulst 
war  5,5  Centm.  hoch,  4,5  breit  und  3,5  dick.  Man  sieht  in  B  ao  der  grosse- 
ren, etwas  höckerigen  GeschwulHt  noch  eine  zweite  kleinere  nngefQgt,  die  an 
einem  besonderen  Nervenast  anhSngt  (Auch  an  dem  N.  saphenus  minor 
sasB  eine  selbständige,  4  Gm.  hohe  und  3  Cm.  dicke  Geschwulst  gleicher 
Art].  In  A  sieht  man  den  grosseren  Tbeil  der  Nervenfasern  3usserlicb  an 
die  Oeschwalet  herantreten,  welclie  jedoch  ganz  von  dem  Neurilcm  urabüllt 
war.  Innen  eine  grossere  Zahl  von  LSppchen,  1— SHIllim.  im  Durchmesser, 
von  gallertigem,  etwas  trObem,  weissUcaem  Ausseben.  (Präparat  No.  llSu. 
vom  Jahre  1857). 

*)  Hein  Archiv.     1857.    Bd.  XI.  S.  281. 


434  FOnfzehDie  YorlesDOg. 

hatten  hier  ziemlich  erhebliche  Tomoren  neben  der  Wirbelsäule 
gebildet.  Immerhin  waren  es  auch  hier  im  Grossen  die  Umhül- 
lungen des  Nervenapparates,  an  denen  die  Knoten  hervortraten, 
also  wenigstens  immer  noch  dasselbe  System. 

Allein  es  scheint  auch  eine  wirkliche  Mnltiplicität  im 
bösartigsten  Sinne  vorzukommen.  So  habe  ich  einen  Fall 
gesehen,  wo  die  erste  Gallertgeschwulst  in  der  Wange  sass, 
exstirpirt  wurde,  recidivirte,  und  endlich  der  Tod  eintrat,  nachdem 
an  einer  grossen  Zahl  innerer  Theile,  namentlich  im  Darm,  die 
Entwickelung  ähnlicher,  meist  polypöser  Gallertgeschwülste  statt- 
gefunden hatte.  Indess  kann  ich  über  die  Bedeutung  dieses  Falles 
weniger  sicher  urtheilen,  da  er  mir  in  einer  Zeit  vorkam,  wo 
meine  Aufmerksamkeit  auf  diese  Geschwulstart  noch  nicht  ge- 
richtet war;  ich  muss  es  daher  für  zweifelhaft  erachten,  ob  erder 
Sarkomreihe  angehört.  Aehnlich  verhält  es  sich  mit  dem  inter- 
essanten Falle  von  Gust.  Simon*),  wo  zuerst  an  einer  Scham- 
lippe bei  einem  ISjälirigen  Mädchen  eine  cystische  Geschwulst 
entstand,  welche  exstirpirt  wurde,  mehrfach  wiederkehrte  und 
zuletzt  Metastasen  in  den  Leistendrüsen,  der  Leber,  der  Clavicnla 
und  dem  Hnistbein  machte.  Die  weitere  Erfahrung  wird  hier  erst 
aufklaren  müssen,  da  auch  die  Fälle  von  sogenanntem  Colloid- 
krebs  genauer  zu  prüfen  sein  dürften. 

*)  Monatsschrift  fQr  Qeburtsk.    1859.  Bd.  XlII.  S.  68. 


Sechszehnte  Vorlesung. 

24.  Januar  1863. 


Chondrome« 


Verschiedene  Beseichunng :  Tnmor  cartiUginosus,  Chondroid,  Spina  ventoM,  Osleosteatom,  Osteo- 
sarkom, Carcinumf  Exostose.     Verwechselung  mit  Fibromen  und  FibromuscuUr  -  Qewictisen. 

Bintheilnng  in  Eechondrosen  und  heteroplastische  Chondrome  (Enchondrome  und  Osteoidchon- 
drome) Je  nach  der  Homologie  oder  Heterologie  (Homoo-  oder  Heterotopie).  Neutrales  Ge- 
biet: Gewächse  ans  transitorischem  Knorpel. 

Ecchondrosis.  Vorkommen  an  Rippenknorpeln,  Synchondrosen ,  permanenten  Knorpeln  der 
Respiratiousorgane.  Varietäten:  E.  ossifica,  E.  amyloides,  E.  prolifera  ■•  physaliphora.  La- 
ryngeal-  und  Trachealknorpel:  Eechondrosen  und  Exostosen  des  Larynx;  warxige  und 
gitterfSrmige  Eechondrosen  der  Trachea.  Synchondrosen:  Symphysis  pubica.  Synchon- 
drosis  spheno-occipitalis:  Ecchondrose,  Exostose,  Phy saliden-Beere ;  Perforation  der  Dura 
roater ;  Verhältniss  zur  Chorda  üorsalis.  Synchoudroses  intervertebrales.  Rippenknorpel: 
solitare  und  multiple  Form.  Gelenke:  Geicukmause,  Corpora  mobilia.  Functionelle  Störungen. 
Zahl,  Gestalt  und  Bau  der  Gelenkkörper«  Einfache  und  maulbeerforraige  Korper.  Ossifica- 
tion  und  Petrification  (Arthrolithen).  Entstehung  derselben:  Absplitterung  von  Bruchstucken 
des  Gelenkendes  und  Neubildung.  Feinere  und  gröbere  Auswüehse  der  Synovialhaut,  des 
subsynovialen  Periosts  und  der  Knorpelrander.  —  Flache,  gestielte  und  freie  Formen  (Arthro- 
phyten).  Verhlltniss  zur  Knotengicht  (Arthritis  deformans).  Necrose  und  Exfoliation  der 
Knorpel.  Irritativer  Ursprung:  locale  Reise.  Uebergang  zu  heteroplastischen  Knorpel -Ge- 
wächsen. 

Enchondrom  und  Osteoidchondrom.  Grenzen  derselben.  Knorpel  in  Mischgeschwulsten 
and  Teratomen.  Die  fibrocartilaginose  Geschwulst:  Osteoid.  Der  sogenannte  Hautknorpel 
und  das  osteoide  Gewebe:  Vorkommen  bei  dem  Periostwachsthum.  Osteoid  -  oder  Desmochon- 
drom.  Der  permanente  Knorpel  des  harten  Enehondroms:  Hyalin-,  Faser-  und  Netz- 
knorpel. Beschaffenheit  der  Intercellularsubstans  und  der  Zellen.  Verschiedene  Entwickelung : 
ans  Granulations-  (indifferentem)  oder  ans  Bindegewebe.  Genauere  Definition  von  Knorpel- 
korperchen,  Zelle  und  Kapsel.  Die  ästigen  und  beweglichen  Knorpelzellen.  Das  weiche 
oder  Gallert-Enchondrom:  1)  E.  mueosum.  Unterschied  desselben  von  sehleimig  er- 
weichten (regressiven)  Enchondromen  und  von  den  Mischgeschwülsten  (E.  myxoraatodes,  Myxoma 
cartilagiuenm,  Stemknorpelgeschwnlst).  2)  B.  albnminosum.  —  Der  Haut-  oder  Knochen- 
koorpel  det  osteoidenChondroms:  Aehnlichkeit  mit  Pibroid,  Verwandtschaft  mit  Sarkom. 
Die  Miteh formen:  Enchondroma  et  Chondroma  osteoides  mixtum.  Vorkommen  des  Knor- 
pels in  Form  zerstreuter  Inseln  und  in  besonderen   Abtheilungen.    Combination  mit  Krebs 

28* 


436  Sechszehnte  Yorlesang. 

und  Sarkom ,  abhangig  von  progressiver  Zellenwachening.  B«si«hang  sar  Taacolariaatioa : 
E.  telangiectodes.  Verkallcung  und  Verknochenmg:  B.  petrificum  et  ossificam. 
Regressive  Metamorphose,  Erweichung  und  Verschm-iniog :  B.  crttoides  et  alcerosum. 

Aetiologie.  Heterologe  Natur  des  Enchondroms  in  Knoehen  und  in  Weichtbeilea.  Uia&gk«st 
im  Jagendlichen  Lebensalter:  congenitale  und  erbliche  Fille.  Bexiehangen  an  mangelhafter 
Knochenbildung:  Rachitis,  die  spat  ossiBcirenden  STncboadrosen  and  latermediärknorpeL 
Retention  der  Hoden.  Beziehungen  tu  dem  Geschlecht.  Tranmatis«he  Yeraalassangen :  Frac- 
turcn  der  Knochen.     Chronisch-entsundlicbe  Processe. 

Enchondrome  der  Knochen.  Frequena-Scala.  Innere  (eentrale,  medallire)  and  inssere 
(peripherische,  periosteale)  Form.  Das  innere  Enchondrom:  Latens •  Periode.  TerscUe- 
dene  Matrices.  Knochenschale.  Lappiger  Bau  (areoUre  Anordnoii^ :  Mntterknoten  und  acces- 
sorische  Knoten.  Das  Enchondrom  als  Conglomerat  oder  Mnltiplaa:  DUsenniiiadon.  Molti- 
plicitat  in  verschiedenen,  benachbarten  oder  von  einander  entfernten  Knocheiw  Infection  der 
Weichtheile.  Septa  der  einzelnen  Lappen.  Das  iussere  Bnchondrom  (Periehondroa). 
Verhältniss  zur  Beinhaut.  Vorkommen.  Ausginge  des  Enchondroms:  Erwdchaag  aad 
cystoide  Umbildung:  Fall  von  der  Scapula;  Yerschwimng.  Vwkalkang  und  Verkn&cheniBg. 
Geringe  Vulnerabilit&t  der  harten  Formen,  relativ  grosse  der  weiebea.  Infectiöse  Katar 
des  Knochen-Enchondroms.  Erkrankung  der  Weichtheile,  der  LymphgeflLste  und  Lymphdrüfea. 
Multi|)licit&t.     Metastasen :  secnndare  Erkrankung  der  Lungen.    Maligne  Enchondrome. 

Enchondrome  der  Weichtheile:  Diffuse  und  knotige  Formen.  Reine  and  MiachgeschvüUte. 
Natur  des  KnorpeU,  Uebergang  in  Schleim*  und  Bindegewebe.  Erweichung,  VerknöcheniBfc 
und  Verkreidung.  Entstehung  aus  Bindegewebe;  irritativer  Ursprung.  Die  Torenchondroiai- 
töse  Periode:  chronische  interstitielle  Orchitis  und  Parotitis.  Directe  and  indirecte  Knorptl- 
bildung.  Lungen:  multiple  Enchondrome,  Entstehnng  ans  der  Capanla  commania  nnd  den 
subpleuralcn  Rindegewebe.  Die  halbknorpeligen  Fibrome.  Unterbaut  und  Fascien:  rüac 
und  gemischte  Formen.  Die  Enchondrome  der  Parotisgegead.  Die  Combination  mit  Lipua 
und  Myxom.    Wirbelkanal:  congenital. 

Enchondrom  der  Drusen:  Thränendruse.  Niere.  SpeicbeldrSten:  SabBMxillaris,  Paroti«. 
Diffuse  und  lobuläre  Form.  Verh&ltniss  zur  Drnsensnbstans  nnd  snm  Interttitialgewebe.  Ver- 
bindung mit  DrQsen-Hyperplasic,  Myxom,  Fibrom,  Krebt  nnd  Kankroid,  Telangiectaaie.  C)Ü8- 
drom.  Sexualdrüsen:  Eierstock,  weibliche  und  minnliche  Bmst,  Hoden.  VerliiltBiss  d«< 
Hoden -Enchondroms  zu  den  Lymphriumen. 

Infectiöse  Natur  des  Enchondroms  der  Weichtheile:  Mischformen.  Metastasen  der  reinen  Fonacs : 
Brust,  Hoden.    Maligne  Natur. 

Osteoid-Chondrom  (bösartiges  Osteoid,  Osteoidkrebs ,  Otteoidaarkom ).  Knochen:  iasü^re 
Erscheinung,  innerer  Bau.  Ossification,  Erweichung.  Prognoae.  Fibroma  enchoadro- 
matosum:  Mischform  von  beiden  Gewebstypen.  Weichtheile:  my»omat6aea  Osteoid- 
chondrom. 


uchon  seit  vielen  Jahren  hat  man  eine  Reihe  von  Gewächsen  anter 
dem  Namen  von  knorpelartigen  oder  geradezu  Knorpel- 
Geschwülsten  beschrieben.  Man  bezeichnete  sie  in  der  ge- 
lehrten Literatur  als  Tumores  cartilaginosi*).  Von  Heu- 
Hinger  **)  erhielten  sie  den  Namen  der  Ghondroide.  Indess  war 
man  doch  zu  keiner  vollständigen  Klarheit  gelangt,  insofern  man 
wirklii'he  Knorpelgeschwülste,  die  unzweifelhaft  diesem  Genus 
unKi*hOr<)n,  in  ganz  andere  Genera  brachte,  ja  manchmal  gerade 

*;  KiiMT  dnr  ältostcii  und  zugleich  am  besten  beachriebeneii  F&IIe  bei 
i(M  VNi'li.  KpUt.  aimt.  problemat.  XIV.  Amst  1714.  p.  5»  18.  Tab.  XVI^XVUl. 
^^  Carl  Kr.  Ilf^udiuger.    System  der  Histologie.  Tb.  L  Kiseo.  I82i 
W«  Vi« 


Frohere  Bezeichnungen  der  Chondrome.  437 

die  am  meisten  charakteristische  Form  in  eine  andere  Reihe  setzte, 
während  man  umgekehrt  viele  Geschwülste,  welche  nur  eine  knor- 
pelartige Härte  oder  ein  im  Allgemeinen  knorpelartiges  Aussehen 
hatten,  Chondroide  nannte,  die  ganz  und  gar  nicht  in  diese 
Gruppe  hineinpassen.  Man  kann  sagen,  dass  bis  auf  Johannes 
Müller*),  der  das  Verdienst  gehabt  hat,  zuerst  den  histolo- 
gischen Gesichtspunkt  als  den  maassgebenden  aufzustellen,  eine 
scharfe  Grenzlinie  überhaupt  nicht  gezogen  werden  konnte.  Indess 
ist  es  auch  ihm  noch  nicht  gelungen,  das  ganze  Gebiet  klar  zu 
legen,  so  dass  erst  im  Laufe  der  letzten  Jahre  die  Geschichte 
dieser  Geschwulst  nach  verschiedenen  neuen  Richtungen  hin  fest- 
gestellt ist  und  noch  bis  auf  diesen  Augenblick  gewisse  Lücken 
bestehen. 

um  vor  Irrthümern  zu  bewahren,  in  welche  man  leicht  ge- 
rathen  kann,  wenn  man  auf  die  frühere  Literatur  zurückgeht,  will 
ich  noch  erwähnen,  dass  gerade  diejenigen  Formen,  auf  welche 
Müller  am  meisten  Gewicht  gelegt  hat,  und  welche  mit  Recht 
als  die  Typen  der  Knorpelgeschwülste  betrachtet  werden,  nehm- 
lich  diejenigen  der  Knochen,  in  früherer  Zeit  unter  ganz  anderen 
Namen  bezeichnet  worden  sind.  Ein  Theil  von  ihnen  ging  mit 
unter  dem  Namen  der  Spina  ventosa,  der  jedoch  nicht,  wie 
manche  in  der  neueren  Zeit  geglaubt  haben,  imm^r  auf  Enchon- 
drom,  sondern  viel  häufiger  auf  cariöse  und  nekrotische  Processe 
der  spongiösen  Substanz  zu  beziehen  ist,  welche  mit  starker 
Wucherung  der  äusseren  Schichten  des  Knochens  verlaufen.  Ein 
anderer  Theil  wurde  als  Osteosteatom  oder  Osteosarkom**), 
ja  selbst  als  Garcinom  aufgeführt.  Manche  unzweifelhafte  Bei- 
spiele finden  sich  noch  in  unserem  Jahrhundert  unter  dem  Namen 
von  Exostosen  mit  allerlei  Zusätzen,  knorpelige,  bösartige, 
weiche,  fimgöse  Exostosen  geschildert.  Während  so  eine  ganze 
Reihe  von  Bildungen,  die  dem  Enchondrom  zugehören,  nicht  mit 
dem  histologischen  Namen,  den  sie  in  Anspruch  nehmen  können, 
belegt  worden  ist,  so  hat  man,  wie  schon  erwähnt,  eine  ganze 
Reihe  von  anderen  als  knorpelig  betrachtet,  die  gar  keinen  An- 
spruch auf  diesb  Bezeichnung  haben.  Ein  Theil  dieser  iaischlich 
sogenannten  Chondroide  gehört  in  die  Reihe  der  Fibrome  hinein. 


*)  J.  Müller.    Rede  zur  Feier  des  42.  Stiftungstages  des  K.  med.-chir. 
Fried.  Wilhelma-Iostitutes.    Berlin.  1836. 

^)  Job.  Fr.  Meckel.   Patb.  Anat  Bd. II.  1.  S.272. 


438  Sechazebnte  Yorletvng. 

insbesondere  die  früher  beschriebenen  (S.  338)  harten,  fibrösen 
Formen  von  knorpelartiger  Gonsistenz  and  knorpelartigem  Aus- 
sehen, bei  denen  in  der  That  zuweilen  ausgezeichnete  Gombina- 
tionen  mit  wirklicher  Knorpelbildung  vorkommea.  Nächstdem 
sind  zusammengesetzte  Geschwülste,  wie  die  fibromusculären 
Gewächse  des  Uterus,  noch  vor  wenigen  Decennien  als  Ghon- 
droide  bezeichnet  worden. 

Die  Knorpelgeschwulst  im  modernen  Sinne  des  Wortes  um- 
fasst  demnach  ein  Gebiet,  dem  keiner  der  alten  Namen  vollständig 
entspricht.  Seitdem  Joh.  Müller  den  Vorschlag  machte,  sie  mit 
dem  Namen  des  Enchondroms  oder  Ghondroms  zu  belegen, 
ist  man  meistentheils  dem  ersteren  Vorschlage  gefolgt  und  hat 
die  ganze  Gruppe  als  Enchondrome  zusammengefasst.  Dies  ist, 
wie  ich  glaube,  nicht  sehr  zweckmässig,  weil  sich  bei  einer 
genaueren  Untersuchung  der  Entwickelungsgeschichte  der  Knor- 
pelgewächse eine  durchgreifende  Verschiedenheit  nachweisen  lässt. 
Ein  Theil  besteht  aus  einfach  hyperplastischen  Formen.  Diese 
lassen  sich  so  allmählich  verfolgen  in  andere  pathologische  Zu- 
stände der  Knorpel,  welche  man  nicht  wohl  den  Geschwülsten 
anreihen  kann,  dass  ich  es  vorgezogen  habe,  sie  als  Ecchon- 
drosen  zu  bezeichnen*).  Ich  unterscheide  also  innerhalb  der 
Tumores  cartilaginei  oder  Chondrome  die  kleinere  Abtheilung  der 
Ecchondrosen  und  die  grössere  der  Enchondrome.  Enchondrom 
bezeichnet  in  diesem  Sinne  jedesmal  eine  heterologe  (hetero- 
plastische) Geschwulst,  welche  nicht  aus  präexistirendem  Knorpel, 
sondern  durch  eine  Aenderung  in  dem  Bildungstypus  aus  einer 
nicht  knorpeligen  Matrix  entsteht,  während  Ecchondrose  die 
homologe  (hyperplastische)  Bildung  von  Knorpelmassen  aus  be- 
stehendem Knorpel  bedeutet 

Ich  muss  freilich  bekennen,  dass  ein  nicht  geringer  Scrupel 
bei  dieser  Trennung  ist,  insofern  als  der  erste  Anfang  der  von 
mir  als  Enchondrome  bezeichneten  Gewächse  eigentlich  niemals 
beohaohtet  ist,  und,  wie  ich  noch  näher  auseinandersetzen  werde, 
allerdings  gewisse  Umstände  daf&r  sprechen,  dass  ein  Theil  von 
ihnen  aus  ursprünglichem  Knorpel  hervorgeht  Indess  bleibt  doch 
immor  der  Unterschied  fest  stehen,  dass  Ecchondrose  den  unzwei- 


*^  Virchow.     rnt^r^uchungen   Ober   die  Eatwickelong   des    Scb&del- 
«rundfe.    Berlin.  1657.  S.  6S. 


Ecchondrosen.  43g 

feihaften  Ausgang  aus  legitimem  Knorpel  bezeichnet,  aus  Knorpel, 
der  das  Recht  hat,  an  der  Stelle  zu  sein,  wo  er  zu  einer  Ecchon- 
drose  wächst,  während  auch  in  dem  Falle,  dass  der  Ursprung 
eines  Theiles  der  Enchondrome  aus  präexistirendem  Knorpel  nach- 
gewiesen werden  sollte,  dieser  Knorpel  eigentlich  nicht  an  dieser 
Stelle  sein  sollte,  also  eine  gewisse  Abweichung  von  der  typischen 
Entwickehmg  ausdrücken  würde.  Es  lässt  sich  das  vielleicht 
noch  klarer  so  ausdrücken,  dass  in  der  Regel  die  Ecchondrose 
aus  permanentem  Knorpel  hervorgeht,  während  die  zweifel- 
haften Fälle,  wo  etwa  ein  Enchondrom  aus  Knorpel  entsteht, 
transitorischem  Knorpel  angehören  würden,  der  nicht  zur 
rechten  Zeit  in  Knochen  umgewandelt  ist. 

Die  Ecchondrose  ist  in  Beziehung  auf  die  Grösse  ihrer 
Entwickelung  gegenüber  dem  Enchondrom  meistentheils  eine  nicht 
gerade  erhebliche  Geschwulstform.  Entweder  stellt  sie  eine 
mehr  gleichmässige  Anschwellung  des  Knorpels  dar,  welcher  in 
grösseren  Abschnitten  seiner  Peripherie  eine  zusammenhängende 
Vergrösserung  erfahrt,  oder  sie  ist  ganz  partiell.  Im  letzteren 
Falle  erreicht  sie  selten  eine  bedeutende  Grösse. 

Unter  allen  permanenten  Knorpeln  sind  es  diejenigen  der 
Rippen,  welche  nach  meiner  Erfahrung  die  grössten  Geschwülste 
dieser  Art  erzeugen.  Den  Anfang  dieser  Veränderung  sieht  man 
in  der  Art,  dass  in  der  vorhandenen  Knorpelmasse  an  einzelnen 
Stellen,  in  der  Regel  dicht  unter  der  Oberfläche,  Wucherungen 
entstehen,  wo  die  Knorpelzellen  sich  theilen,  zwischen  sich  neue 
Intercellularsubstanz  abscheiden,  sich  wieder  und  wieder  theilen 
und  die  Stelle  sich  allmählich  an  der  Oberfläche  als  höckeriger 
oder  hügeliger  Knoten  hervorschiebt*).  Der  Knorpel  wächst  hier 
in  ganz  vegetativer  Weise,  etwa  wie  wenn  ein  Baum  irgendwo 
einen  neuen  Trieb,  einen  neuen  Zweig,  einen  neuen  Knollen  her- 
vortreibt Kleine  Ecchondrosen  sind  ausserordentlich  häufig  an 
Rippenknorpeln.  Wenn  man  bei  älteren  Leuten  die  Oberfläche 
der  Rippenknorpel  genauer  betrachtet,  so  sieht  man  sie  oft  in 
grosser  Zahl,  die  Knorpelrinde  erscheint  manchmal  geradezu 
warzig  (S.  335).  Aber  dass  sie  in  Form  von  eigentlichen  Ge- 
schwülsten hervortreten,  ist  ein  seltener  Fall,   und  auch  dann 


*)  Gellularpathologie.    3.  Aufl.    S.  24.  Fig.  14. 


440  Sechszehnte  Vorlesung. 

erreichen  sie  meistentheils  keine  viel  beträchtlichere  Grösse  als 
etwa  die  eines  kleinen  Apfels. 

Sehr  viel  häuüger  sind  stärkere  knorpelige  Auswüchse  an 
den  Synchondrosen.  unter  diesen  leiden  verhältnissmässig 
am  häufigsten  diejenigen  des  Beckens,  und  unter  ihnen  die 
Symphysis  pubica.  Diese  treibt  an  ihrer  hinteren  Fläche  Aus- 
wüchse hervor,  welche  gegen  die  Bauchhöhle  hin  in  Gestalt  eines 
Wulstes  hervortreten.  In  ganz  ähnlicher  Art  kommen  solche  Aus- 
wüchse an  den  Intervertebralknorpeln  vor,  manchmal  nach 
aussen  und  manchmal  gegen  den  Wirbelkanal  *).  Endlich  treffen 
wir  dieselben,  obwohl  in  einer  mehr  umschriebenen  Weise,  an 
der  Grundfläche  des  Schädels,  und  zwar  insbesondere  an  der 
Synchondrosis  spheno-occipitalis,  also  an  dem  Knorpel, 
welcher  zwischen  der  Pars  basilaris  ossis  occipitis  und  dem  Keil- 
bein, oder  genauer  zwischen  dem  Körper  des  Occipitalwirbels  und 
dem  des  zweiten  oder  mittleren  Wirbelkörpers  des  Schädels  liegt. 

Schliesslich  sind  zu  erwähnen  die  permanenten  Knorpel 
der  Respirationsorgane,  welche  nicht  selten  mehr  gleich- 
massige  Auftreibung,  allgemeinere  Vergrösserung,  zuweilen  aber 
auch  ganz  partielle  wirkliche  Auswüchse  zeigen,  die  als  ganz 
circumscripte  Knoten  aus  ihnen  hervortreten. 

Vergleicht  man  diese  Fälle  unter  sich,  so  ergiebt  sich,  dass 
die  Formen,  unter  denen  die  Ecchondrose  auftritt,  je  nach  den 
einzelnen  Bedingungen  erheblich  variiren,  und  dass  sie  sich  an 
den  verschiedenen  Localitäten  und  namentlich  nach  ihrem  Alter 
und  ihrer  Grösse  sehr  verschieden  darstellen.  Zunächst  hat  man 
allerdings  überall  einen  einfachen  knorpeligen  Auswuchs,  eine 
Ecchondrosis  vera  simplex.  Nach  einer  gewissen  Zeit 
gehen  darin  Metamorphosen  vor,  nach  welchen  man  eine  Reihe 
von  Varietäten  unterscheiden  kann  **).  In  sehr  vielen  FäUen  ge- 
schieht an  ihnen  später  eine  wirkliche  Ossification,  in  ähnlicher 
Weise,  wie  an  den  permanenten  Knorpeln  selbst  Dann  haben 
wir  eine  Ecchondrosis  ossifica;  ja  es  kann  sein,  dass  die 
ganze  Ecchondrose  ossificirt,  so  dass  wir  schliesslich  eine  £x- 


*)  Letztere  Hind  nicht  zu  verwechseln  mit  den  tranroatischen  Zerqoet- 
schungen  und  „Extravasationen"  der  Zwischenwirbelscheiben,  wovon  ich  einen 
sehr  charakteristischen  Fall  erwähnt  habe  (Entwickelung  des  Schftdelgrundes. 
S.  53.  Note). 

**)  Entwickelung  des  Schädelgrundes.    S.  57. 


VeränderuDgen  der  EccbondroseD.  441 

ostose  finden,  aber  eine  Exostose,  die  aus  Knorpel  hervor- 
gewachsen ist.  —  Der  zweite  Fall  ist  der,  dass  die  vergrösserte 
Masse  sich  in  einer  mehr  regressiven  Weise  umbildet,  und  da 
geschehen  namentlich  manchmal  in  grosser  Ausdehnung  amyloide 
Veränderungen,  indem  sowohl  in  der  Knorpelgrundsubstanz,  als 
auch  in  den  zelligen  Theilen  eine  ähnliche  Umwandelung  geschielit, 
wie  wir  sie  bei  amyloiden  Entartungen  der  inneren  Organe  ein- 
treten sehen,  Ecchondrosis  amyloides.  Endlich  kann  die 
Wucherung  sich  noch  weiter  fortsetzen,  indem  der  Auswuchs  von 
seinem  knorpeligen  Stadium  aus  noch  weitere  Entwickelungen 
macht,  und  da  sieht  man  namentlich  an  einer  Localität,  an  der 
schon  erwähnten  Synchondrosis  spheno  -  occipitalis  sehr  sonder- 
bare Umgestaltungen.  Im  Innern  der  Zellen  entstehen  allerlei 
blasige  Gebilde,  Physaliden *) ,  entweder  zu  mehreren,  oder  so, 
dass  die  ganze  Zelle  sich  in  eine  einzige  Blase  verwandelt.  Durch 
die  Wucherung  der  Knorpelzellen,  ihre  innere  Umgestaltung  und 
die  gleichzeitige  Erweichung  der  Intercellularsubstanz  entsteht  am 
Ende  ein  Gebilde,  das  beinahe  vollständig  aus  diesen  Blasenzellen 
besteht  und  eine  fast  schleimige  Consistenz  annimmt.  Das  ist  die 
eigentliche  Ecchondrosis  physaliphora  oder  prolifera. 

Diese  verschiedenen  Ausgänge  können  gelegentlich  an  der- 
selben Localität  vorkommen,  indess  zeigt  sich  doch  an  den  ver- 
schiedenen Localitäten  die  eine  oder  die  andere  dieser  Formen 
überwiegend  häufig.  Wir  wollen,  damit  man  einen  Ueberblick 
bekomme,  einzelne  derselben  kurz  durchgehen.  Darnach  wird 
man  leicht  einzelne  vorkommende  Beispiele  klassificiren  können. 

An  den  Respirationsorganen  kommen  besonders  die  Knorpel 
des  Larynx  und  dej*  Trachea  in  Betracht.  Die  an  ihnen  ent- 
stehenden Knorpelauswüchse  sind  bald  mehr  difFiis  und  platt,  bald 
mehr  beschränkt  und  knotig.  Am  Larynx  ist  es  manchmal  der 
Ringknorpel  (Cartilago  cricoides),  manchmal  der  Schildknorpel 
(Cartilago  thyreoides),  von  welchen  die  Entwickelung  ausgeht, 
und'  zwar  in  der  Regel  nach  innen,  gegen  die  Höhle  des  Larynx. 
Rob.  Froriep  **)  hat  einen  sehr  merkwürdigen  Fall  von  „Ghon- 


*)  EDtwickeluDg  des  Schädelgrundes.    S.  58.   Taf.  VI.  Fig.  16.  und  17. 
Gellalarpathologie.  3.  Aufl.  S.  376. 

**}  R.  Froriep.  Pathol.  anat  AbbildnngeD  aus  der  Sammlung  der  K. 
Charite-Heilanstalt  zu  Berlin.  Lief.  II.  Weimar.  1837.  Taf.  IX.  Er  erwähnt 
noch  einen  Fall  von  Macilwain.  Edinb.  med.  and  aurg.  Joum.  1831. 


442  Sechaiehnte  Torieaang. 

droma  laryngis "  beobachtet,  wo  von  dem  Schildknorpel  drei, 
meist  flache,  aber  siemlicli  umfangreiche,  zam  Theil  verknöcherte 
Geschwülste  aasgingen,  welche  eine  starke  Verengerung  der 
Larynxhöhle  erzeugt  hatten.  Gintrac*)  hat  eine  freilich  nicht 
ganz  unzweifelhafte  „ concentrische  Hypertrophie  dea  Ringknor- 
pels"  beschrieben.  Ich  selbst  habe  nur  partielle  Auswüchse  ge- 
sehen, welche  rundliche,  allmählich  immer  spitziger  werdende 
Protuberanzen  bildeten.  Am  Kingknorpel  fand  ich"*)  eine  2  Linien 
hohe,  an  der  Basis  ziemlich  ebenso  breite  Ecchondrose  an  der 
hinteren,  am  Schildknorpel  eine  noch  gr&ssere  tut  der  vorderen 
Hälfte  des  inneren  Umfange.  In  dem  letzteren  Falle  war  der 
Auswuchs  verknöchert  und  bildete  eine  wirkliche  Exostose,  unter 
welcher  der  Mutterknorpel  sich  intact  erhalten  hatte***).  Sieht 
man  von  aussen  in  einen  solchen  Larynx  hinein,  so  kann  man 
einen  Polypen  vor  sich  zu  haben  glauben,  da  der  Auswuchs  nocli 
von  Schleimhaut  überzogen  ist.  £s  ist  das  hent  zu  Tage,  wo  man 
die  Larynxbildungen  mit  so  grossem  Interesse  studirt,  ein  beson- 
ders bemerk enswerther  Fall,  da  die  Derbheit  und  H&rte  dieser 
Dinge  natürlich  ein  etwaiges  Operiren  von  oben  her  volbtfindig 
unmöglich  machen  würde. 

Die  Trachealknorpel  sind,  wenn  nicht  häufiger,  so  doch  in 
viel  grösserer  Ausdehnung  solchen  Auswüchsen  ausgesetztf ).    Die- 
Ki(.  M.  selben  zeigen  sich  da  in  einer  noch  viel  mehr 

eigenthümlichen  Weise,  indem  nicht  hlos  an 
demselben  Knorpeiring  die  Auswüchse  ofl  mehr- 
fach sind,  sondern  auch  viele  oder  alle  Knor- 
pelringe gleichzeitig  in  gleicher  Art  leiden.  So 
entstehen  kleine,  harte,  oft  gmppirte  Knoten, 
welche  die  Schleimbaut  leicht  vor  sich  her- 
schieben und  die  Fläche  nneben  machen 
(Fig.  89).     Manchmal   gehen   die    Auswüchse 

Fig.  89.  Ecchoodrosis  multiplex  trachealis.  Die  Tnchea  ist  i^its 
Richtung  von  vorn  nach  hinten  senkrecht  durch scbnitten;  muD  siebt  in  die 
Aushöhlung  der  einen  Hälfte,  auf  der  eine  Reibe  tbeils  solitirer,  theila 
pruppirter,  bis  hanfkorngroueer  Knoten  hervorspringt.  Bei  a  ist  die  grfls»t« 
Gruppe,  den  Knorpelringen  der  vorderen  Wand  aogehfirig.  Der  Knorpel  iat 
hvalin  und  netifOrmig,  an  den  meiatcn  Stellen  versteinert  Mittftrliche  Grflea^ 
(Präparat  No.  199.  Tom  Jahre  1858). 

•)  Cruveilhier.   Traitä  d'anat.  path.  1862  T.  II.  p.  971. 
")  Priparat  No.  127.  ».  J.  1861. 
■•*)  Deutsche  Klinik.  1860.  No.  46.  S.  463. 

t}  Entwickelang  des  Scbidelgrondes.    S.  63. 


Ecchondroaen  der  Trachealknorpel.  448 

weniger  von  der  Fläche,  als  von  dem  oberen  oder  unteren 
Rande  der  Knorpel  aus,  und  es  findet  von  den  über  einander 
liegenden  Knorpelringen  ein  Gegeneinanderwachsen  statt.  Einige- 
mal habe  ich  gesehen,  dass,  wenn  die  Auswüchse  an  correspon- 
direnden  Stellen  lagen,  sie  endlich  dicht  aneinander  stiessen 
und  eine  Art  von  Gitter  unter  der  Schleimhaut  entstand,  indem 
die  Trachealknorpel  scheinbar  auch  in  der  Richtung  von  oben 
nach  unten  miteinander  zusammenhingen. 

Die  Wucherung,  welche  diese  Bildungen  erzeugt,  liegt  ganz 
peripherisch,  ja  sie  geht  zuweilen  von  den  tieferen  Perichondrium- 
schicbten  aus.  Indem  sie  stärker  wird,  schiebt  sich  das  ent- 
stehende Knorpelkorn  aus  dem  Perichondrium  hervor,  seine  Ver- 
bindung mit  dem  früheren  Knorpel  wird  immer  schmaler  und 
feiner,  also  gleichsam  polypös,  nur  treten  diese  Polypen  nicht 
frei  über  die  Oberfläche  der  Schleimhaut  heraus,  sondern  sie 
sitzen  in  ihr,  grossentheils  eingehüllt  in  das  Nachbargewebe.  Ja, 
manchmal  ist  ihre  Verbindung  mit  dem  Mutterknorpel  so  gering, 
dass  es  scheint,  als  wären  sie  neben  demselben  frei  in  der 
Schleimhaut  entwickelt.  Haben  sie  eine  gewisse  Grösse  erreicht, 
so  bilden  sich  um  die  gewöhnlich  grossen  Knorpelzellen  in  der 
anfangs  hyalinen  Intercellularsubstanz  zahlreiche  feine,  varicöse 
Fasern,  es  entsteht  gleichsam  neuer  Netzknorpel,  und  das  neu- 
gebildete Korn  sieht  wie  eine  Nachbildung  der  Santorinischen 
Knorpel  aus.  Noch  später  ossificiren  sie,  und  wenn  gleichzeitig 
an  den  Tracheairinges  selbst  eine  Verknöcherung  eintritt,  so  bildet 
sich  ein  wirklich  knöchernes  Gitter.  Daraus  muss  begreiflicher- 
weise eine  allmählich  zunehmende  Starrheit  der  Trachea  folgen, 
und  es  könnte  wohl  vorkommen,  dass  selbst  bei  einer  Beobach- 
tung von  oben  her  diese  Auswüchse  wahrgenommen  würden,  ob- 
wohl, so  viel  ich  weiss,  eine  laryngoskopische  Entdeckung  dieser 
Art  noch  nicht  gemacht  worden  ist. 

Was  die  Synchondrosen  angeht,  so  kann  man  an  der 
Symphysis  ossium  pubis  leicht  den  gewöhnlichen  Gang  dieser 
Wucherung  constatiren.  Die  Hauptveränderungen  geschehen  regel- 
mässig am  hinteren  Umfange  der  Schoosfuge,  wo  schon  normal 
eine  gewisse  Prominenz  besteht.  Der  Knorpel  wuchert  hauptsäch- 
lich von  den  hinteren  Rändern  der  beiden  Schambeine,  entweder 
so,  dass  man  zwei  getrennte,  nebeneinander  sich  ausbildende  Vor- 


444  SechBzehote  Voriesang. 

Sprünge  findet*),  oder  dass  die  Wachemng  unter  der  Faserkapsel 
continuirlich  fortgeht.  Handelt  es  sich  um  ossificirende  Ecchon- 
drosen,  so  bilden  sich  nach  hinten  hin  entweder  harte  Wülste 
oder  eine  knöcherne  Scheibe,  also  auch  wieder  eine  Art  von 
Exostose,  welche  über  den  Knorpel  herübergreift  und  eine  Syn- 
ostose der  beiden  Ossa  pubis  erzeugen  kann.  Ist  es  dagegen  ein 
mehr  regressiver  und  namentlich  amyloider  Process,  so  tritt 
meistens  eine  Art  von  Zerbröckelung  ein.  Auf  DurchschnitteQ 
sieht  man  Spalten  und  Klüfte  im  Innern:  das  Ganze  hat  ein  mehr 
gelbliches  oder  bräunliches  oder  weisslich- fleckiges  Aussehen, 
und  man  findet  Abscheidungen  von  fettigen  Theilen,  namentlich 
von  Cholestearin ,  während  an  anderen  Stellen  die  Masse  noch 
zusammenhängt ,  aber  mit  Jod  und  Schwefelsäure  die  bekannten 
Amyloidreactionen  giebt**). 

Viel  eigenthümlicher  und  unter  Umständen  zu  sehr  sonder- 
baren Erscheinungen  Veranlassung  gebend  ist  die  von  mir  zuerst 
b(3schri ebene***)  Ecchondrosis  spheno-occipitalis.  Ihre 
Erscheinung  ist  um  so  mehr  auffallend,  als  die  Knorpelscheibe  zwi- 
schen dem  Occipital-  und  dem  hinteren  Sphenoidalwirbel  gewöhn- 
lich schon  in  der  Pubertätsperiode  vollständig  verknöchert,  so 
dass  die  ganze  Basis  cranii  nachher  ein  Stück  (das  von  mir  so- 
genannte Os  tribasilare)  darstellt.  Allein  diese  Ossification  geschieht 
immer  sehr  unregelmässig,  nicht  in  der  Weise,  wie  sonst  wohl  von 
zwei  benachbarten  Knochenkemen  aus,  die  durch  Knorpel  getrennt 
sind,  immer  neue  Strata  der  Knorpel  in  gleichmässig  fortschrei- 
tender Weise  in  Knochen  verwandelt  werden,  sondern  gewöhnlich 
so,  dass  die  Grenzlinie  zwischen  den  ossificirenden  Massen  eine 
zackige  istf).  Bei  dieser  Zackenbildang  habe  ich  einigemale 
beobachtet,  dass  einzelne  Stücke  des  Knorpels  geradezu  abge- 
schlossen werden,  gleichsam  liegen  bleiben,  während  die  Knochen- 
linie vorrückt;  ja  zuweilen  fand  ich  isolirte  Knorpelstücke  hinter 
der  0:  sificationslinie  mitten  im  Knochen.  Gewöhnlich  schlies.<t 
sich  die  Knorpelfuge  durch  Knochen  an  ihrem  unteren  Umfange 
schon  vollständig,  während  der  obere,  dem  Schädel  zugewandte 

*)  Luschka      Die  Halbgelenke  des  menschl.  Körpers.    Berlin.    1858. 
Inf.  VI.  Fig.  3.  und  5. 

^^  Mein  Archiv.  Bd.  Vlll.  S.364.    Wlinbarger  Verhaodl.  Bd.  YU.  S.  227. 
*'*)  Würzburger  Verhandl.  (1856)  Bd.  VII.  Sitzaogsber.  S.  XXIV. 
t)  Entwickelung  des  Sch&delgrundes.  S.  33.  Tai.  II.  Fig.  3.  u.  4.  Taf.  VI. 

K)g.  la. 


EcchoDdrosis  sphenooccipiUlia.  445 

Theil  noch  knorpelig  ist  und  anter  der  Dura  inater  frei  liegt. 
Hier  wächst  die  Dcchondrose  so  heraus,  dass  sie  an  dem  bloss 
gelegten  oder  m&cerirten  Knochen  tod  der  Schädelhfthle  aus  als 
ein  Vorsprung  auf  der  Fläche  des  Clivus  erscheint*).  An  dieser 
Stelle  spannt  sich  die  Dura  mater  etwas  lose  Qber  den  Clivus, 
hänfig  durch  ein  gefässreiches  Marklager  von  dem  Knochen  ge- 
trennt, und  es  kann  daher  eine  Hervorragung  scheinbar  ohne 
Protaberanz  vorhanden  sein,  weil  die  Dura  sie  noch  vollständig 
deckt  Späterhin  ossiticirt  die  Knorpelfuge  vollständig  und  die 
Knochen  bilden  ein  Continuum,  während  das  herausgewachsene 
Stück  noch  knorpelig  fortbesteht.  Behält  es  eine  gewisse,  massige 
Grosse,  so  scheint  es  auch  seinerseits  später  immer  zu  ossiticiren, 
und  dann  tritt  der  Fall  ein,  den  man  oft  genug  an  dem  Clivus 
sehen  kann,  dass  an  dieser  Stelle  eine  wirkliche  Exostose  sitzt 

Wird  aber  das  Wachsthum  an  diesem  Auswuchs  reichlicher, 
dann  durchbohrt  er  regelmässig  die  Dura  mater;  es  entsteht  ein 
Loch  in  der  letzteren  (Fig.  90),  und 
wenn  das  einmal  entstanden  ist  und  das 
Ding  noch  weiter  wächst,  dann  breitet 
es  sich  knopffßrmig  auf  der  freien  Seite 
der  Dura  mater  aus.  Auch  in  diesen 
Fallen  verknöchert  manchmal  der  grösste 
Theil  von  der  Basis  her;  nur  findet  man 
dann  die  Oberfläche  gewöhnlich  bedeckt 
von  einer  Knorpelschicht,  ähnlich  dem 
Gelenkende  eines  Knochens.  Geht  das 
Wachsthum  aber  weiter  fort,  dann  breitet 
sich  der  Auswuchs  zu  einem  rundlichen 
Tumor  ans,  der,  je  mehr  er  wächst,  um  so  mehr  eine  gallert- 
artige oder  schleimige  Consistenz  annimmt,  welche  wesentlich  da- 


Fif.  90.  EcchoDdrosis  proUfera  spheno-occipitalis  perfonas.  Man  sieht 
den  GltTUB  Blameobachii  vod  der  Sattellebne  «  bis  lara  Foraraenmagmim/. 
Etwft  I  Zoll  UDterbalb  des  Epbippium  ist  die  Dun  mater  DoregeErnftstitg 
dnrchbrocheD  durch  eine  Uppi^e  Knorpelmasae ,  welche  auf  dem  Knochea 
io  dtr  Oegeud  der  Synostosis  spheno-occipitalia  aufsitzt  und  an  welcher 
frisch  ein  erbaengroaees  Gallertkoro  anhing.  Natürliche  Cirßsge.  (Präparat 
No.  89.  vom  Jahre  11)60). 

■)  Entwickelung  dea  Schade Igrundea.  S.  ^1.  Taf.  VI.  Fig.  14.  und  15. 
Lasch  ka.  Mein  Arcbi*.  Bd.  XI.  S.  8.  Taf  1.  Fig.  3.  Hasse.  Ebandaa. 
Bd.XI.S.39ö.  Zenker.  Ebeudas.  Bd.  XII.  S.  108.  Sangalli.  Auo.univ. 
di  medicina.    Vol.  CLXIV.  1858.  Aprile. 


446  SechBzehnte  Yorlesang. 

durch  bedingt  wird,  dass  die  Zellen  die  eigenthümliche  Physali- 
denentwickelung  zeigen  und  die  Grundsubstanz  zu  einer  zarten, 
fast  flüssigen  Masse  mit  wirklichem  Mucingehalt  erweicht*). 

Dieser  Körper  pflegt  im  besten  Falle  die  Grösse  einer  Erbse 
zu  erreichen,  und  je  grösser  er  wird,  um  so  mehr  ein  blasen- 
oder  cystenförmiges  Aussehen  anzunehmen.  Er  hat  zuweilen  die 
grösste  Aehnlichkeit  mit  einer  einzelnen  Beere  einer  Blasenmole, 
ist  aber  ebenso  wie  diese,  ein  im  Wesentlichen  solides,  nur  sehr 
weiches  Gebilde  (S.  408).  Er  liegt  natürlich  an  einer  sehr  constanten 
Stelle.  Da,  wo  er  hervortritt,  liegt  innen  der  Pons  Varolii  an;  der 
Auswuchs  stösst  also  immer  gegen  denselben,  und  zwa?  je  nachdem 
er  genau  in  der  Mitte  oder  etwas  mehr  nach  rechts  oder  nach  links 
hervortritt,  liegt  er  gewöhnlich  entweder  rechts  oder  links  an 
der  Arteria  basilaris.  Gewöhnlich  bildet  sich  hier  eine  leichte 
Verwachsung  zwischen  dem  Körper  und  der  Pia  mater,  so  dass, 
wenn  man  etwas  unvorsichtig  das  Gehirn  abzielt,  die  scheinbare 
Blase  abreisst  und  am  Pons  sitzen  bleibt,  gleichsam  als  wäre  sie 
unabhängig  aus  der  Pia  mater  (Arachnoides)  hervorgewachsen. 
Achtet  man  aber  beim  Abziehen  der  Hirnbasis  vom  Schädelgrund 
darauf,  so  findet  man  immer,  dass  dieser  Körper  an  dem  extra- 
meningealen  Stiel  aufsitzt,  und  dass  er  genetisch  nicht  za  dem 
Pons,  sondern  zu  dem  Os  tribasilare  gehört. 

In  Beziehung  auf  die  Deutung  seiner  Entwickelungsgeschichte 
ist  namentlich  durch  die  eigenthümlich  blasige  Beschaffenheit  der 
zelligen  Elemente  ein  gewisser  Zweifel  entstanden.  Ich  selbst 
hatte  schon  auf  die  Aehnlichkeit  derselben  mit  den  Zellen  der 
Chorda  dorsalis  und  des  Gallertkemes  der  Intervertebralknorpel 
hingewiesen**).  HeinrichMüUer***)  hat  dann  die  Frage  auf- 
geworfen, ob  das  Gebilde  nicht  wirklich  mit  der  alten  Chorda 
dorsalis  in  genetischer  Verbindung  stehen  und  eine  Abschnüning 
des  cerebralen  Endes  derselben  darstellen  könne.  Nach  den 
Untersuchungen  Müller' s  erstreckt  sich  die  Chorda  allerdings 
noch  durch  den  Wirbelkörper  des  Hinterhauptsbeins  (die  Pars 
basilaris)  hindurch  bis  in  den  Sphenooccipital- Knorpel,   reicht 

*)  Kntwiclcelung  dos  Schftdelgrundes.    S.  127.  Note. 
♦♦;  KbondaM.  8.57. 

*^^  II.  MUllor.     Zeitschr.   fDr  raUooelle  Medicin.   1858.   Dritte  Reibe. 
HA.  II.  H.  ^J^ 


Beiiehnng  der  Chorda  dorsalis  zur  Schädelbasis- Bcchondrose.      447 

aber  nicht  mehr  in  das  Keilbein  hinein*).  Es  entspricht  also 
allerdings  der  Sitz  der  Ecchondrose  dem  vorderen  Ende  der 
Chorda,  und  da  nun  die  Chorda  ihrerseits  auch  aus  sehr  grossen, 
hellen,  blasigen  Zellen  zu  bestehen  pflegt,  so  lag  die  Yermuthung 
nahe,  dass  man  hier  eine  aus  ihr  hervorgegangene  pathologische 
Bildung  vor  sich  habe,  üebersieht  man  aber  die  ganze  Reihe 
von  Zustanden,  die  wir  von  der  Ecchondrose  kennen,  so  wird 
es  eher  unwahrscheinlich,  dass  es  sich  um  eine  blos  chordale 
Hyperplasie  handelt.  Die  Chorda  selbst  ist  kein  knorpeliges 
Gebilde,  da  sie  keine  Intercellularsubstanz  besitzt,  und  obwohl 
Gegenbaur**)  bei  gewissen  Fischen  und  Amphibien  Umbil- 
dungen der  Chordasubstanz  zu  Knorpel  gesehen  hat,  so  ist  doch 
nichts  der  Art  von  den  höheren  Wirbelthierklassen  und  vom 
Menschen  bekannt.  Gerade  bei  der  Ecchondrose  des  Clivus  zeigt 
sich  eine  entschiedene  Continuität  des  Auswuchses  mit  dem  Knorpel 
der  Synchondrose ,  und  es  kommen  so  viele  Fälle  vor,  wo  man 
gar  nichts  von  blasigen  Zellen,  sondern  nur  Knorpel  oder  Knochen 
findet,  dass  es  mir  wenigstens  nicht  sehr  wahrscheinlich  vorkommt, 
dass  wir  hier  wesentlich  einen  Chorden- Auswuchs  vor  uns  haben. 
Man  musste  denn  zwei  Fälle  unterscheiden,  einen,  wo  blos  eine 
Ecchondrose  besteht,  und  einen  anderen,  wo  mit  der  Ecchondrose 
zugleich  eine  Ectopie  eines  Chordenrestes  verbunden  ist.  Dafür 
lässt  sich  der  Umstand  anführen,  dass  nach  den  Angaben  von 
Müller  die  an  anderen  Theilen  der  Wirbelsäule  vorkommenden 
Chordenreste  dieselben  Physaliden  enthalten,  welche  ich  in  den 
Ecchondrosen  des  Clivus  fand  und  welche  von  den  gewöhnlichen, 
einfachen  Zellen  der  Chorda  ganz  und  gar  verschieden  sind. 
Auch  spricht  dafür  der  andere  Umstand,  dass  Luschka***)  ein 
paar  Male  im  Wirbelkanal  an  dem  hinteren  Umfange  der  lum- 
balen Zwischenwirbelscheiben,  bedeckt  von  dem  Ligamentum 
longitudinale  posticum,  Knorpelauswüchse  fand,  welche  mit  dem 
Nucleus  pulposus  der  Zwischenknorpel  zusammenhingen.  Aber 
freilich  enthielten  sie  keine  physaliphoren  Zellen.  Man  wird 
daher  vorläufig  die  Ecchondrose  für  sicher,  das  „Chordoma"  für 
zweifelhaft  halten  müssen.  — 


♦)  H.  Müller  a.  a.  0.    Taf.  III.  Fig.  I,  iL,  XV. 

**)  C.  Gegenbaur.    Uotersuchungen  zor  vergleichenden  Anatomie  der 
Wirbelflänle  bei  Amphibien  und  Reptilien.  Leipz.  1862.  S.  60,  65. 
***)  Luschka.    Halbgelenke.    S.  67.  Taf.  Taf. II.  Fig.  8.  u.  9. 


448 


Secbaiehate  Vorlesnog. 


VoD  den  Ecchondrosen  der  Rippe nknorpel  besitzt  unsere 
Sammlung  ein  sehr  charakteristisches  Beispiel.  An  dem  Knorpel 
der  zehnten  (falschen)  Rippe  sitzt  eine  Geschwulst  tob  mehr  ab 
WallnuMsgrösse,  welche  dentlich  aus  der  Uitte  des  RippenknorpeL'' 


'h 


hervorgeht  (Fig.  9M).  Sie  hat  eine  leicht  hügelige  Oberfläche, 
enthält  wenig  hyalinen  Knorpel  und  ist  fast  ganz  knOchero 
(Fig.  i)l/J)>  so  dasB  sie  eine  kugelige  Exostose  des  Rippen- 
knorpels darstellt  ~-  Auch  Dufour*)  sah  bei  einem  ISjähri- 
gen  Kinde  an  mehreren  Rippen  aus  dem  Knorpel,  gerade  da 
wo  er  sich  an  die  Rippe  ansetzt,  knorpelige  Auswüchse  her- 
vortreten,   welche    nach    innen    vorsprangen.      Der    Fall    von 


KJiE.  91.  Kccbondrosis  osse»  des  lOteo  liaken  Rippenkaorpels.  Yob 
»inem  ittorrn,  an  procresafver  Pwalyse  rMtorbeneD  Manoe  ans  dar  Pmia 
der  Herrn  C.  UitBcherlicb  undQuincko.  (Prftparat  No.  176a.  v.J.  1867). 
Pid  rtoru  Uppjgo  O^schwuUt,  IV  l*i>8t  «twu  Ober  t"  breit  nod  dkk, 
nitit  breit  dem  Rippenknorpel  anf  und  ist  mit  der  Spitie  des  letaten  Rippen- 
kooriH'ls  dicht  Terwarhsen.  B  eia  der  Rinm  paralleler  Durchschaitt  dn 
Oeschwulfl :  innen  ein  ^rob  gpongiöser,  mit  llarkfett  erfDUter  Theil,  velcher 
narh  innen  hin  faxt  bis  an  die  Oberftiche  der  Gesehwolst  reicht:  aussen 
dichter,  elfen  bei  neroer  Knochen,  der  jedocb  ublreicke  GeflUse  entUll 
und  in  t^bripen  dichte  ].aniel1ensjsleine  leigt.  Zu  iussert  «eicbprc, 
■um  Theil  noch  knnrpelifie  Hallen.  'Auf  einem  (hier  nicht  abgebildetes) 
Uur\-h»'hniti,  d>>r  »enkn^hl  auf  die  Rippe  geftkhrt  iai,  siebt  man  die  etna 

Jelblirhe,  lu  innt'ral  wei»sliche  ^obstani  der  Rippe  ^t  ohne  Abweichung 
rr  (inWc:  lon  ihrem  unteren  Rande  aber  gebt  innichst  eine  Knorpel- 
«ucheruaf;  der  Kandsubslant  su».  welche  sieh  weiterhin  in  die  pihfÖraig 
daraus  hetvur^hende  Knochenausse  fortaetit 

*^  Dufour.  BulU  de  U  Soc.  auL  Ana.  9fi.  •.  8&  l.«berL  Tiaiti 
dnaat.  palhol.  T.l.  p.:U&. 


Gelenk-Ecchondrosen.  449 

W.Busch*),  sowie  die  von  Fou  eher**)  mitgetheüte  Beobach- 
tung Gintrac's  über  ein  Gostal-Enchondrom  lassen  in  Betreff  des 
genetischen  Verhältnisses  einigen  Zweifel,  obwohl  innere  Bezie- 
hungen zu  den  Rippenknorpeln  offenbar  vorhanden  waren.  — 

An  diese  Reihe  von  Ecchondrosen  schliesst  sich  eine  chirur- 
gisch sehr  interessante  Form  von  Bildungen  an,  welche  frei- 
lich nicht  ganz  vollständig  damit  zusammenfällt,  insofern  wir 
gerade  an  ihr  gleichsam  den  üebergang  einer  blos  hyperplasti- 
schen Knorpelbildung  zu  der  heteroplastischen  vor  uns  haben. 
Das  sind  die  Ecchondrosen  an  den  Articulationen, 
welche  in  ihrer  weiteren  Entwickelung  zur  Bildung  der  schon  seit 
Pare  (1558)  und  Pechlin  (16i)l)  bekannten  Gelenkmäuse 
(Mures  articulares)  oder  Gelenkkörper  (Corpora  libera  s.  mo- 
bilia art.)  fuhren  und  dadurch  zu  einer  der  wichtigsten  chirurgischen 
Krankheiten  Veranlassung  geben***).  Wir  haben  schon  früher 
mehrfach  (S.  163,  206,  384)  auf  freie  Körper  einzugehen  Gelegen- 
heit gehabt  und  haben  namentlich  zwei  Formen  derselben  kennen 
gelernt,  die  mehr  fibrösen,  welche  als  einfache  Excrescenzen  aus 
der  Oberfläche  der  Häute  hervorgehen,  und  die  Lipome,  welche 
sich  gestielt  über  die  Oberfläche  herausschieben  und  endlich 
sich  ablösen.  Hier  kommen  wir  zu  einer  dritten  Gruppe  und 
zwar  zur  wichtigsten,  insofern  es  die  typische  Form  der  Gelenk- 
mäuse ist  und  sie  die  grössten  und  umfangreichsten  Störungen 
erzeiiigt 

Solche  Körper,  wie  man  sie  besonders  im  Kniegelenk  in  oft 
sehr  bedeutender  Zahl  und  der  allerbeträchtlichsten  Grösse  antrifft, 
können  vermöge  ihrer  Derbheit  und  ümfänglichkeit  für  den  Zu- 
stand des  Gelenks  eine  ausserordentlich  grosse  Bedeutung  haben, 
ja  anter  Umständen  die  Function  ganz  und  gar  hindern,  indem 
sie  entweder  die  Bewegung  überhaupt  unmöglich  machen,  oder 
inmitten  der  Arbeit,  des  Gehens  u.  s.  w.  so  plötzlich  sich  zwi- 
schen die  Gelenkflächen  einschieben,  dass  dadurch  die  grössten 
Unbequemlichkeiten  in  Beziehung  auf  den  Gebrauch   entstehen. 


♦)  W.  Busch.  Chirurgische  Beobachtungen.  S.  98. 
*•)  Fou  eher.  L'ünion  med.  1859.  No.  103.  p.  409. 
•♦•)  Joh.  Fr.  Meckel  Path.  Anat.  Bd.  II.  Abth.  II.  S.  206.  A.  E.  de 
Camp.  De  arthrolithis  et  arthrophytis  sive  rouribus  articulorura.  Diss. 
inaag.  Gryph.  1843.  Heinr.  MeckeL  Mikrogeologie.  Berlin.  1856.  S.  235. 
E.  Gorlt  Gelenkkrankheiten.  Berlin.  1853.  S.  83,  431,  558  u.  s.  w.  Gru- 
Y eil  hier.   Traite  d'anat.  patb.  T.  II.  p.  133. 

Virctaow,  GetcbwüUte.    1.  29 


450  Sechszehnte  Vorlesung. 

Insbesondere  rufen  sie  zuweilen  so  heftige  und  plötzliche  Sehmerx- 
anrälle  hervor,  dass  eine  momentane  Lähmung  des  Theils  eintritt. 
Den  Namen  der  Gelenkmäuse  tragen  sie,  weil  sie  häufig  überaus 
beweglich  sind  (Corpora  mobilia)  und  unter  dem  Finger  des 
Beobachters  plötzlich  entschlüpfen,  indem  sie  sich  an  irgend  einen 
entfernteren,  der  Untersuchung  w^eniger  zugänglichen  Theil  des 
Gelenkes  lagern.  Dies  ist  liauptsächlich  dann  der  Fall,  wenn 
sie  solitär  sind.  Manchmal  sind  ihrer  aber  so  viele  und  so  grosse 
vorhanden,  dass  fast  gar  keine  Verschiebbarkeit  besteht,  die  Gelenk- 
kapsel auf  das  Aeusserste  gespannt  und  die  Beweglichkeit  fast  ganz 
aufgehoben  wird.  Daraus  erklärt  sich  die  schon  von  Cruveilhier 
hervorgehobene  Differenz,  dass  die  Ghirui^en  meistentheils  nur 
einen  oder  ein  paar  Gelenkkörper  finden,  während  die  Anatomen 
viel  häufiger  mehrere  oder  sehr  viele  antreffen.  Ich  selbst  habe 
im  Kniegelenk  einmal  über  60  freie  und  eine  gewisse  Zahl  ange- 
wachsener gefunden;  Morgagni*)  beschreibt  ihrer  etwa  26, 
Haller  aus  dem  Kiefergelenk  20  u.  s.  f. 

Die  solitären  Gelenkkörper  oder  die  Gelenkmäuse  im  engeren 
Sinne  des  Wortes  haben  gewöhnlich  eine  mehr  regelmässige 
Gestalt,  am  häufigsten  sind  sie  concav - convex ,  wie  die  Patella, 
oder  plattrundlich,  oder  eiförmig,  oder  geradezu  rundlich.  Die 
multiplen  dagegen  sind  oft  sehr  unregelmässig,  höckerig,  warzig, 
knollig.  Manchmal  sind  sie  unter  sich  sehr  ungleich  an  Grösse 
und  Gestalt,  anderemal  dagegen  erscheinen  sie  einander  angepasst 
mit  entsprechenden  Gelenkflächen,  wie  die  kleinen  Knochen  der 
Handwurzel  oder  des  Mittelfusses.  Dabei  bemerkt  man  an  vielen 
faden-  oder  stielförmige  Anhänge  oder  feine  Zotten  oder  eine 
faserige  Umhüllung;  manche  jedoch  sind  ringsum  ganz  glatt. 

Wenn  man  untersucht,  wie  solche  freie  Körper  zusammen- 
gesetzt sind,  so  muss  man  zunächst  zugestehen,  dass  einzelne  von 
ihnen  lipomatöser  oder  fibromatöser**)  Natur  sein  können.  Auch 
Uisst  sich  nicht  in  Abrede  stellen,  dass  f&r  manche  die  Erklä- 
rung John  Hunter 's  zutreffen  mag,  dass  die  freien  Körper 
amorphe  Concretionen  aus  geronnenen  extravasirten  oder  eisu- 

^)  Morgagni.    De  sedibus  et  causis  morbomm.    Epist  LVIL    art  14. 
ff  Uk 

**)  Daliin  gehört  wahrscheinlich  der  von  Bidder  (Zeitschr.  f.  ratiooelle 
Mcdiiiii.  1845.  Bd.  III.  S.  102)  vom  Kniegelenk  beachriebeDe  Fall 


Gelenk  miage.  451 

dirten  Massen  seien*).  Nur  muss  man  nicht  die  barnsauren  Con- 
cretionen  der  wahren  Gicht,  die  sogenannten  Tophi  artbritici, 
damit  verwechseln.  Wenn  nun  einzelne,  namentlich  der  älteren 
Autoren  nur  auf  eine  dieser  Bildungsweisen  eingegangen  sind, 
80  nwig  das  für  einzelne  Fälle  richtig  sein;  es  ist  aber  nicht 
richtig  för  die  Mehrheit  und  noch  weniger  für  die  Hauptform, 
um  die  es  sich  hier  handelt.  In  Beziehung  auf  diese  stellt  sich 
vielmehr  als  Regel  heraus,  dass  die  Gelenkmäuse  gewöhnlich  zu 
einem  nicht  unerheblichen  Theil  knorpelig  und  zu  einem  gewissen 
Theil  knOchem  sind.  Je  nach  Umständen  ist  mehr  Knorpel  und 
weniger  Knochen,  oder  umgekehrt  mehr  Knochen  und  weni- 
ger Knorpel  vorhanden;  in  manchen  Fällen  endlich  sind  sie 
ganz  knOcfaem.  Wenn  ich  kurzweg  sage  HknGchern",  so 
meine  ich  dies  jedoch  nicht  im  histologischen  Sinne,  denn  in 
einer  fiberwiegend  grossen  Zahl  von  Fällen  finde  ich  vielmehr 
blosse  Verkalkungen**)  (Versteinerungen),  häufig  in  einer  solchen 
Ausdehnung,  dass  die  verkalkte  Masse  im  Grossen  den  Eindmck 
von  Knochen  macht  Es  sind  dies  gerade  die  härtesten,  fast 
marmorartigen  GelenkkOrper,  die  also  in  der  Tbat  den  Namen 
der  Artbrolithen  verdienen. 

Es  zeigt  sich  auch  darin  wieder  eine  Ver- 
schiedenheit, dass  in  manchen  Fällen  der  Knor- 
pel innen  liegt  und  die  Knochenmasse  mehr 
aussen  (Fig.  93,  a),  so  dass  erst,  wenn  man  die 
Knocbenschale  durchschneidet,  man  innen  auf 
denKnorpelstCsst;  anderemal  findet  sich  aussen 
Knorpel  und  innen  die  knöcherne  Substanz. 

Fig.  93.  Corpus  mobile  articnlationis  geou  (Gelcnkmaus).  Von  Herrn 
Jfingken  bei  Prot.  Lacbmana  entferDt.  DnR-bachnitt,  parallel  den  breiten 
Klieheu.  Dw  i"  breite,  {  "  lange  and  darehscbnittücb  J  —  J "  ^'i^lte  Körper 
ist  auf  der  einen  Seite  fast  ganz  glatt  und  knorpelig;  nur  tritt  hier  ringsum 
ein  wallartiger  Saam  von  scheinbarer  Knochensuüstani  hervor,  der  die  Rän- 
der nod  die  andere  Ft&che  des  Körpers  ganz  überzieht.  Nur  hier  und  da 
ist  er  von  Knorpel  unterbrochen ,  und  im  Ganzen  von  einer  feinen  Schicht 
weicher  Masse  überzogen.  Auch  auf  dem  Durchschnitt  besteht  der  grössere 
Theil  ans  b  Unlieb -weissem  Knorpel;  nur  in  den  peripherischen  Schichten  fin- 
det sich  bis  auf  eine  Tiefe  von  J",  ["  und  darüber  eine  ganz  dichte,  elfen- 
beinerne Hasse.^  Mikroskopisch  sieht  man  aussen  ringsumher  einen  üeberzug 
von  Perichondrium ,  der  hier  und  da  in  mehr  ausgebildeten  Knorpel  Über- 

*)  J.  Rüssel.  Ueber  die  Krankheiten  des  Koieeeleoks.  Aus  dem  Engl, 
von  Ooldhagen.  Halle.  1817.  S.  Gü.     il.  Meckel.  Hikrogeologie.  S.  239. 

**)  U.  Friedllnder.  De  malo  coiae  seuiti  nonnnlla.  Diss.  Jnaug. 
Vratisl.  1856.  p.  13.  Tab.  11.  Fig.  II. 

29* 


452  SechszehDte  Vorlesuog. 

Am  sonderbarsten  sind  die  Formen,  wo  Knorpel  und  Kno- 
chen vielfacli  durcheinander  gelagert  sind.  Gewöhnlich  haben 
dieselben  schon  äusserlich  ein  unebenes,  höckeriges,  warziges 
oder  drusiges  Aussehen ;  manche  sehen  wie  Himbeeren  oder  Maul- 
beeren aus,  indem  eine  Menge  kleiner,  rundlicher  Läppchen 
aneinander  gefugt  sind  *).  Einzelne  dieser  Lappchen  sind  weich, 
durchscheinend,  bläulich  weiss,  also  knorpelig,  andere  dagegen 
hart,  undurchsichtig,  Vireiss,  also  kalkig.  Ich  sage  kalkig,  denn 
gerade  an  diesen  Körpern  fand  ich  trotz  der  grossen  Härte  und 
Dichtigkeit  fast  nur  Versteinerung  (Petrification).  Jedes  einzelne 
Läppchen  besteht  aus  einer  sehr  zierlichen  Knorpelwucherung, 
in  welcher  man  mikroskopisch  noch  die  aus  der  Wucherung  der 
einzelnen  Knorpelzellen  hervorgegangenen  Zellengruppen,  umgeben 
zunächst  von  hyaliner  Intercellularsubstanz  und  weiterhin  von 
einer  trüberen,  faserig-streifigen  Hülle,  erblickt,  so  dass  jedes 
makroskopische  Läppchen  wieder  als  ein  Aufbau  aus  mehreren 
mikroskopischen  Läppchen  erscheint.  In  diesen  letzteren  beginnt 
die  Verkalkung  in  ähnlicher  Weise,  wie  es  Rokitansky**) 
vom  Enchondrom  abbildet,  vom  Centrum  aus,  so  dass  zuerst 
die  Kapseln  der  am  meisten  gegen  den  Mittelpunkt  gelegenen 
Zellen  incrustiren  und  jedes  mikroskopische  Läppchen  einen  un- 
durchsichtigen, gleichsam  steinernen  Kern  bekommt  Dieser  ver- 
grössert  sich  nach  und  nach,  indem  immer  mehr  Kapseln  und 
später  auch  die  Intercellularsubstanz  incrustiren,  und  zuletzt  schrei- 
tet die  Verkalkung  über  ganze  Läppchen  fort,  indem  sie  ähnliche 
Zustände  erzeugt,  wie  wir  sie  von  den  Gelenkknorpeln  kennen  ***). 

In  diesen  Läppchen  ist  der  Knorpel  hyalin.  Allein  dies  gilt 
hauptsächlich  von  den  am  stärksten  gewucherten  Punkten.  Sonst 
ist  in  den  Gelenkkörpern  sehr  oft  Faserknorpel  vorhanden.  Was 
den  Knochen  betrifft,    so  ist  derselbe,    wenn  man  die  marmor- 


geht  Die  innere  Knorpelmasse  hat  alle  EigenthOmlicbkeiten  des  Gelenk- 
knorpols:  eine  etwas  körnige,  gelbliche  Grundsubstaoz,  in  welcher  io  ver- 
hültnis.smässij;  grossen  Abständen  wuchernde  Zellen  liegen.  Hier  und  da 
zei^t  die  Intercellularsubstanz  eine  fast  netzförmige,  jedoch  nicht  streifige 
oder  fibrillUre  Anordnung.  Die  scheinbare  Knocheuma&se  ist  theils  einfach 
vtTsteinort,  theils  bildet  sie  Knorpelknochen  mit  rundlich  -  eckigen  Körper- 
chon  fast  ohne  Fortsätze.     (Präparat  No  867.).  • 

*)  Präparat  unserer  Sammlung  No.  1265.  vom  Jahre  1861.    Von  dem 
in  Fi«.  93.  abgebildeten  Falle. 

•♦)  Rokitansky.    Path.  Anat.  1855.  Bd.I.  S.  177.  Fig.  68- 
♦•♦)  Cellularpathologie.    3.  Aufl.  S.  3iö.  Fig.  125. 


Baa  und  Entstehung  der  Gelenkmäuse.  453 

artige  Yerkalkang  abrechnet,  häutiger  spongtös  als  compakt.  In 
den  grösseren  Gebilden  tindet  man  gewöhnlich  die  Oberfläche 
mil  einer  compakten  Rinde  versehen,  über  welche  sich  eine 
Knorpellage  fortsetzt,  welche  alle  Eigenschaften  des  Gelenk- 
knorpels darbietet,  namentlich  an  der  Oberfläche  eine  dich- 
tere Anordnung  mehr  platter,  paralleler  Zellen  und  in  der  Tiefe 
grössere,  runde,  nicht  selten  wuchernde  Körperchen.  Dann  folgt 
zunächst  eine  Verkalkungszone,  welche  nach  innen  manchmal  in 
wirklichen,  spongiösen  Knochen  übergeht,  häufiger  jedoch  nur 
eine  zusammenhängende  Versteinerung,  gewissermaassen  Knor- 
pelknochen bildet.  Im  letzteren  Falle  folgt  unter  dieser  Lage 
nicht  selten  wieder  Knorpel  und  dann  wieder  Inseln  oder  Zungen 
von  Verkalkungsschichten  (Fig.  92,  a.).  Wo  wirklicher  spongiöser 
Knochen  gebildet  ist,  da  tindet  man  die  Balken  des  Knochen- 
gewebes stark  und  die  Räume  zwischen  ihnen  manchmal  noch 
mit  Markfett  gefüllt.  Gerade  diese  Formen  beweisen  am  aller- 
auffMligsten,  dass  früher  eine  ausgiebige  Verbindung  der  Gelenk- 
körper mit  anderen  Theilen  des  Gelenkes  stattgefunden  haben 
moss,  denn  eine  solche  Markbildung  setzt  stets  eine  starke  Vas- 
cularisation  voraus. 

In  welcher  Weise  findet  aber  diese  ursprüngliche  Verbindung 
statt?  Es  bleiben  hier  nur  zwei  Möglichkeiten:  entweder,  wie 
man  früher  häufiger  angenommen  hat,  dass  wirklich  Theile  der  Ge- 
lenkenden des  Knochens  sich  ablösen,  dass  also  eine  gewalt- 
same Trennung,  eine  Absplitterung  oder  Zerklüftung  an  dem 
Gelenkende  stattfände,  ein  Theil  der  Oberfläche  abgelöst  würde 
und  nnn  sowohl  der  Knorpel  als  der  Knochen  in  die  Gelenkhöhle 
gelangten;  oder  aber,  dass  es  sich  um  eine  eigentliche  Neubildung 
handelt. 

Die  zuerst  von  Reimar  aufgestellte  Annahme,  dass  blos 
eine  Absplitterung  oberflächlicher  Theile  geschehe,  hat  man  in 
der  neueren  Zeit  häufig  ganz  zurückgewiesen.  Das  scheint  nicht 
richtig  zu  sein,  denn  man  findet  nicht  nur  in  der  früheren  Lite- 
ratur sehr  charakteristische  Fälle*),  sondern  man  hat  auch  in  der 


•)  Abernethy.  Med.  chirurg.  Beobachtuugon.  Deutsch  von  J.  F. 
Meckel.  Halle.  1809.  S.  187.  Schreger.  Ueber  die  beweglichen  Concre- 
mente  in  den  Gelenken.  Erlangen.  1815.  Cruveilhier.  Arch.  gener.  1826. 
T.  IV.  p.  165. 


454  Sechszehnte  Vorlesong. 

neuesten  Zeit  einzelne  Beispiele  gesammelt*),  wo  entweder  bei 
violenten  Einwirkungen  auf  das  Gelenk,  zuweilen  unter  einem 
deutliclien  Krachen  eine  schmerzhafte  Empfindung  eintrat  und 
man  bald  nachher  freie  Körper  fand,  oder  wo  ohne  bekannte 
Veranlassung  bei  der  Autopsie  an  gewissen  Stellen  ein  Substanz- 
verlust, eine  Vertiefung  an  der  Gelenkfl&che  entdeckt  wurde,  in 
welche  das  abgelöste  Stück  mehr  oder  weniger  genau  hinein- 
passte.  Fälle  der  letzteren  Art  habe  ich  selbst  mehrmals  be- 
obachtet. Freilich  sind  sie  nicht  ganz  beweisend,  da  möglicher- 
weise die  Depression  erst  secundär  durch  den  Druck  des  freien 
Körpers  entstanden  sein  kann,  indess  entsprechen  sich  die  Flä- 
chen manchmal  so  vollständig  und  sind  so  tief,  dass  man  kaum 
ihre  ursprüngliche  Zusammengehörigkeit  wird  ablehnen  können. 
In  den  Fällen,  die  ich  sah,  war  aber  offenbar  schon  eine  Gelenk- 
erkrankung vorhergegangen,  und  ich  möchte  diese,  wie  ich  nach- 
her noch  genauer  ausführen  werde,  als  die  eigentlich  prädispo- 
nirende  betrachten. 

Aber  selbst,  wenn  man  für  diese  Fälle  die  Möglichkeit  einer 
Absplitterung  zulässt,  so  hat  eine  solche  Erklärung  keine  Rich- 
tigkeit für  die  Melirzahl  der  Fälle;  da  handelt  es  sich  gani 
sicher  um  eine  Neubildung,  und  es  kann  nur  zweifelhaft  sein, 
von  wo  sie  ausgeht,  ob  von  den  Knorpeln,  so  dass  die  freien 
Körper  gewöhnliche  Ecchondrosen  wären,  oder  von  etwas  An- 
derem, so  dass  sie  heteroplastische  Bildungen  darstellen. 

Die  Erfahrung  lehrt,  dass  Beides  vorkommt  **),  sowohl  dass 
der  vorhandene  Knorpel  wuchert  und  Auswüchse  bildet,  als  aucli, 
dass  namentlich  von  dem  Periost  und  der  Synovialhaut  her 
solche  Auswüchse  stattfinden.  Ersteres  kommt  in  allen  möglichen 
Formen  vor.  Luschka***)  hat  namentlich  die  Aufmerksamkeit 
auf  die  feineren,  zottigen  und  buschigen  Auswüchse  gelenkt,  welche 
vom    Knorpel    ausgehen    und    in   die   Höhlen   der  Gelenke  und 


*)  Richet.  Anuales  de  la  Chirurgie.  1841.  T.  I.  p.63.  Stromeyer. 
Handbuch  der  Chirurgie.  Freiburg  i.  Br.  1844.  Bd.  I.  S.  523.  Deville, 
Bullet,  de  la  8oc.  anat.  1851.  p.  109.  Broca.  Denkschrift  zur  Feier  des 
lOjälirigi'n  Stiftungsfestes  des  Vereins  deutscher  Aerzte  in  Paris.  1854.  !>.  3i<. 
Schuh.  Pseudoplasmen.  1854.  S.  84.  H.  Meckel.  Mikroseologie.  S. '236. 
F.  Forstmann.  De  niuribus  articularibus.  Diss.  iuaug.  Berol.  iSbl.  p.  25. 
♦♦)  A.  Förster.  Handbuch  der  pathol.  Anat  Leipi.  1855  8.  118. 
•♦•)  Luschka.  Mein  Archiv.  Bd.  VII.  S.  309.  Taf.  III.  Fig.  5—7.  Die 
Halbgelenke.  Taf.  111.  Fig.  8-9.  Taf.  VI.  Fig.  7-8. 


Deformirende  Arthritis.  455 

Halbgelenke  hineinhängen.  Diese  haben  jedoch  für  die  Ge* 
sdiichte  der  Gelenkkörper  geringere  Bedeutung,  als  die  rund- 
lichen und  knolligen  Auswüchse,  welche  am  häufigsten  längs  des 
äusseren  Randes  aus  dem  Knorpel  hervorwachsen  und  sehr  bald 
vom  Grunde  aus  verknöchern.  An  diese  Formen  schliessen  sich 
gleichsam  als  Uebergangsstufe  gewisse  Knorpel-  und  Knochen- 
bildongen  an,  welche  in  der  Nähe  des  Knorpelrandes,  jedoch 
unter  der  Synovialhaut ,  aus  dem  Periost  entstehen,  ganz  nach 
Art  des  zuweilen  vorkommenden  knorpeligen  Callus  nach  Fractur. 
Genetisch  unterscheiden  sie  sich  noch  von  den  eigentlichen  Syno- 
vialknorpeln ,  deren  Hauptsitz  gerade  an  der  Stelle  ist,  wo  sich 
die  Synovialhaut  von  der  äusseren  Fläche  des  Gelenkes  auf  den 
Knochen  umschlägt  und  wo  schon  normal  gewisse  Falten  und 
Zotten  liegen*).  Von  hier  aus  entwickeln  sich  pathologische 
Excrescenzen ,  bald  einfach,  bald  verästelt  in  Form  der  nament- 
lich von  Rokitansky**)  geschilderten  dendritischen  Vegeta- 
tionen, in  deren  mehr  und  mehr  kolbig  werdenden  Enden  die 
Cartilaginescenz  stattfindet.  Allein  die  papilläre  Wucherung  be- 
schränkt sich  nicht  auf  diese  kleine  Stelle.  An  manchen  Ge- 
lenken insbesondere,  wie  am  Schultergelenk,  bilden  sich,  auch  in 
dem  parietalen  Blatt  der  Synovialis  sklerotische  Platten  und  Aus- 
wüchse, welche  verknorpeln  und  verknöchern. 

Die  entstehenden  Knorpel  und  Knochen  sitzen  bald  mehr 
flach  auf,  bald  hängen  sie  an  langen  Stielen  in  das  Gelenk 
hinein  (Fig.  93.,  a).  Im  letzteren  Falle  werden  sie  bei  den  Be- 
wegungen des  Gelenkes  hin-  und  hergeschoben,  können  schon, 
so  lange  sie  noch  festsitzen,  grosse  Beschwerden  verursachen, 
lösen  sich  aber  endlich  ab,  um  frei  in  die  Gelenkhöhle  zu  fallen. 
Häufig  bilden  sich  schon  vorher,  in  dem  Maass6,  als  sie  wachsen, 
gewisse  Taschen,  Ausbuchtungen,  Divertikel  der  Synovialhaut,  in 
welchen  sie  versteckt  liegen  (Fig.  93.,  b)  und  in  welche  sie  auch, 
nachdem  sie  lose  geworden  sind,  leicht  wieder  zurückrutschen. 
Auch  können  sie  ganz  und  gar  darin  abgekapselt  werden***). 

Sitzen  dagegen  die  Auswüchse  mehr  breit  auf,  was  nament- 


*)  Kölliker.     Mikroskopische  Anatomie.    1850.    Bd.  II.    Erste  Hälfte. 
S.  323. 

♦•)  Rokitansky.    Zeitschr.  Wiener  Aerzte.  1851.  Jan.  S.  2. 
♦♦♦)  Friedländer  1.  c.  p.  12—13.    Cruveilhier.  Traite  d'anat.  path. 
T.  U.  p.  135. 


456  Secbuebnte  VorleBODg. 

lieb  von  den  periostealen  (Fig.  93.,  c)  und  auch  tod  den  eigent- 
lichen Ecchondrosen  gilt,  so  können  sie  eine  sehr  beträchtliche 
Grösse  erreichen,  ohne  lose  zu  werden.  JedeofoUs  verunstalteo 
sie  das  Gelenk  in  hohem  Maasse ,  und  erzeugen  oamentlich 
am  Knorpelrande  Hervorragungen,  welche  die  Bewegung  er- 
schweren, gegenseitige  Reibungen  bedingen,  oder  geradezu  aof- 
einander  slossen  können.     Unter  solchen  Verhältnissen  mag  es 


Fig.  93     Arthritii  chronica  defonnans  prolifera  eoxM    {V^to.  No.  I^ 

vom  Jahre  ISlil).  Der  Kracke,  eio  34  Jahre  alter  Meäserschmidt ,  war  in 
der  Klinik  des  Herrn  Traube  gestorben.  Die  Autopsie  ergab  chroni»cbt 
Lues,  amjloide  Erkrankung  de»  Darms  und  der  Hill,  laterstitielle  N«phntii 
und  eine  eigenthOmjiche,  durch  Einlagerung  fremder  Tbeile  bedingte  Lan- 
den alfektion.  Das  rrchte  Hüftgelenk  mit  dickem,  käaigem  Eiter  gefallt,  ent- 
hielt 3  fffie  Körper,  von  denen  der  grCsate  etwas  Qber  haeelDassfroes  var, 
eine  maullieerfürmige  Oberfläcbe  besasa  nnd  aus  einem  Gemisch  von  reinen 
und  verkalkten  KnorpelkOrnem  bestand.  Der  Oelenkkopf  starfe  defonnirt, 
am  Rande  tief  abgerieben,  grossentheils  vom  KaorpelOberang  eDtt)U>ssl,  mit 
rauher,  cariOaer  OI>erlIäche.  Ebenso  die  Oberfl&cho  der  P^oe.  Gelenkkapsel 
unverletzt,  sehr  derb,  missfarbig,  mit  vielen  taschenfaraigen  Aoabuchtongea 
am  Ansätze  und  mit  8  jirOasercn,  meist  steinernen  Oelenkkflrpem  besetzt, 
von  denin  linzeliie  (a)  gestielt,  andere  {b^b)  flach  nnd  in  Tascaen  versteckt 
aufsaesen.  Kiniis  um  den  Rand  des  Schenkelkopfea  ein«  wallutig«  Kutcb«- 
Wucherung  (c).    Auch  in  der  lurisur  suaen  GeleokkOrper  xaL 


Traumatische  Entstehung  der  Gelenkmäuse.  457 

wohl  vorkommen,  dass  sie  bei  gewaltsamen  äusseren  Einwir- 
kungen abbrechen  und  erst  durch  die  Absplitterung  frei  werden*). 
Jedenfalls  scheint  mir  das  die  wahrscheinlichste  Erklärung  der 
meisten  Fälle,  wo  nach  violenten  Einwirkungen  plötzlich  freie 
Körper  bemerkt  wurden  und  wo  die  nachträgliche  anatomische 
Untersuchung  ausserdem  allerlei  andere  Veränderungen  am  Gelenk 
nachwies. 

Die  Ansicht,  dass  von  einem  gesunden  Gelenkende  Stücke 
abbrechen  und  als  Gelenkmäuse  auftreten,  muss  jedenfalls  anato- 
misch ungleich  genauer  geprüft  werden,  als  es  bis  jetzt  geschehen 
ist.  Würde  z.  B.  vom  Rande  eines  gesunden  Knochens  ein  Stück 
abgesplittert,  so  mtisste  man  doch  erwarten,  dass  die  ursprüng- 
liche Oberfläche  allein  überknorpelt  wäre,  dagegen  die  Fraktur- 
oder Fissurfläche  entweder  blos  compacten  oder  spongiösen  Kno- 
chen, oder  höchstens  eine  Umlagerung  desselben  durch  fibrinöse 
Niederschläge  zeigte.  Allein  ich  fand  selbst  an  Gelenkkörpern 
der  am  meisten  auffälligen  Gestalt  **)  fast  über  die  ganze  Ober- 
fläche einen  Knorpelüberzug,  und  der  scheinbare  Knochen  erwies 
sich  grossentheils  als  blos  verkalktes  Knorpelgewebe.  Dieser 
Befund  stimmt  wohl  mit  der  Annahme,  dass  ursprünglich  flache 
Ecchondrosen  von  dem  Gelenkende  des  Knochens  hervorwuchsen, 
welche  sich  den  gegenüberliegenden  Gelenkflächen  anpassten  und 
dadurch  eine  der  Articulation  entsprechende  Gestalt  annahmen, 
dann  theilweise  versteinerten  und  endlich  innerhalb  des  Knorpels 
abbrachen,  aber  er  lässt  sich  nicht  wohl  vereinigen  mit  der  Vor- 
aussetzung, dass  der  Knochen  selbst  zertrümmert  wurde.  Es 
stimmt  ferner  dieser  Befund  mit  der  schon  von  Sander***)  be- 
haupteten Erfahrung,  dass  ein  nachträgliches  Zerbrechen  der 
Gelenkmäuse  vorkomme. 

Im  Allgemeinen  kann  man  demnach  als  ausgemacht  annehmen, 
dass  die  freien  Gelenkkörper,  wie  schon  Laennec  t)  gelehrt  hat, 

•)  Brodle.    Med.  chir.  Transact  Vol.  IV.  p.  276.    Ecker.  Archiv  für 
phys.  Heilkunde.  1B43.  S.  244.  Note. 

**)  Dahin  gehört  namentlich  ausser  dem  in  Fig.  92.  abgebildeten  Kör- 
per eine  von  Herrn  Jüngken  aus  dem  Kniegelenk  exstirpirte  Gelenkmaus 
(Präparat  No.  99.  vom  Jahre  18G1).  Es  ist  dies  ein  l\'*  langer,  V*  breiter  und  }" 
dicker,  scheinbar  ganz  knöcherner,  einerseits  concaver,  andererseits  convexer 
Körper,  neben  welchem  sich  noch  ein  zweiter,  kleinerer,  ebenfalls  concav- 
convexer  und  scheinbar  knöcherner  befand. 
♦♦*)  Sander  in  v.  Siebold's  Chiron.  Bd.  II.  S.  361. 
t)  Laennec.    Dict.  des  sciences  med.  T.  IV.  p.  121, 


Sechszehate  VorlesDog. 


Fig.  94.  Corpus  mobile  coDglomemtDin  ftrticDUtionis  genn.  (Pri|nnl 
No.  (>0c.  vom  Jahre  1858).  Natürliche  GrCase.  Von  einer  TorettBischen  LeJcb«. 
Der  grosse  ConglomeratkOrper  iat  etTA  3"  lang,  1^  —  14"  breit  and  t— I" 
dick.  Er  hat  im  Grossen  eine  Patella -ihn  liehe  Gestalt,  ist  an  einem  Ends 
fast  spiti,  am  aotlereD  breit,  concav-convex,  jedoch  überall  hOgelig,  höcke- 
rig oder  geradezu  knollig.  An  der  concaven  Seite  ist  eise  grOseere,  insani- 
menhängend  mit  Knorpel  überaogene  Stelle,  sonst  ersrheinen  nnr  die  stir- 
keres  Höcker  mit  knorpeliger  Decke,  nährend  dazwischen  ein  cartes  Faser- 
gewebe liegt,  welches  an  der  conrexen  Seite  viele  ^elbbraane  Pigment- 
kOrner  trägt  (a).  Letztere  leigt  sehr  wenig  deatlicben  Knorpel,  ist 
aber  viel  stärker  hCrkerig.  Ad  einer  Stelle  (i)  eine  grSsitere,  vertiefte,  wie 
narbig  nu»sehende  Fläche.  Am  Rande  lahlreiche,  zata  Theil  lose  Terbandene 
kleinere  Einielkörper  (c,c)  und  an  einem  Pnokte  ein  langer,  fadenf&rmifEfi' 
Anhang  (d).  Innen  zeigt  der  KCrper  zum  Theil  spongiCse,  sehr  grob- 
maschige Substanz  —  Ausserdem  befanden  sich  in  dem  Gelenk  Doch  beinahe 
50  kleinere,  freie  Kürper  und  ein  Paar  Dutzend  adh&rente,  in  allerlei  Seiten- 
iHHchen  befindllcbe.  Letztere  nahmen  hauptsächlich  den  hinteren  Umfang 
der  (ielenkhChle  ein,  wo  sie  so  dicht  gedrängt  lagen,  dass  sie  ganz  onbe- 
wegltch  waren  und  grosse  Ausbuchtungen  hinter  den  Gondylen  des  Ober- 
srhi-iikelü  und  an  der  hinteren  Fliehe  der  Tibia  erzeugt  hatten.  Diese  KOrper, 
sowohl  die  freien ,  als  die  adhärenten  waren  von  sehr  Terscbiedenartiger 
Grßsse  und  (.iestalt,  einzelne  klein,  rundlich  und  erbsengroM,  andere  grCsser, 
ei'kig,  mit  ecbeinbar  articulirenden  Flächen,  an  GrOsse  und  Gestalt  den  Haod- 
und  FnsMwurzelknochen  vergleichbar,  andere  endlich  noch  grAaaer  und  deat- 
lich  ronglomcrjrt.  Uraunes  Pigment  fand  sich  an  mehreren  Yor.  Knorpel- 
llbcrdlgK  und  radcnffirniipo  Anh&oge  besassen  sehr  riele.  Manche  waren  an 
Fäden  aufgehängt,  die  gleichsam  durch  sie  bindnrcbgiagen  nnd  beiderseits 
festaasafln.   Auch  von  deo  kleineren  hatten  nuche  aposgUla^  Bh,  andere 


Knorpelige  Vegetationen  der  Gelenke.  45g 

accideatelle  Knorpel  sind,  und  für  die  Mehrzahl  derselben  ist  seine 
Angabe  richtig,  dass  sie  ursprünglich  als  gestielte  Auswüchse  der 
SynoYialhaut  anhingen.  Diese  sind  in  ihrer  Art  ziemlich  dasselbe, 
was  die  Kolben  des  Lipoma  arborescens  (S.  379)  oder  die  Beeren 
der  Blasenmole  (S.  405)  darstellen,  denen  sie  auch  darin  gleichen, 
dass  zuweilen  mehrere  an  gemeinschaftlichen  Stielen  hängen  oder 
dass  der  Stiel  des  einen  auf  dem  Körper  des  anderen  aufsitzt. 
Manchmal  findet  man  auch  mehrere,  wie  durch  einen  Sutur,  dicht 
miteinander  vereinigt;  ja  es  kommen  zuweilen  grosse  Gonglome- 
rate (Fig.  94.),  ähnlich  der  Nagelflue,  vor,  wo  eine  grosse  Menge 
kleinerer  Körper  durch  eine  lose  Verbindungsmasse  zusammen- 
gehalten ist.  Wahrscheinlich  sind  dies  secundäre  Verklebun- 
gen, bedingt  durch  fibrinöse  Niederschläge  oder  Gerinnungen. 
Wenigstens  sah  ich  braune  und  gelbe  Pigmente  daran,  als  Zeichen 
hämorrhagischer  Gomplication.  —  Es  ist  ferner  für  einen  Theil  der 
Gelenkkörper,  nehmlich  die  periostealen,  auch  richtig,  dass  sie,  -wie 
Laennec  annahm,  ursprünglich  ausserhalb  der  Synovialis  liegen 
und  sich  erst  allmählich  vorschieben.  Diese  finden  ihre  Analogie 
in  den  früher  beschriebenen  Ecchondrosen  der  Trachealknorpel. 
Andere  dagegen  entstehen  primär  in  den  Auswüchsen  selbst, 
welche  ihrerseits  knorpelig  oder  bindegewebig  sein  können. 

Nachdem  die  Körper  abgelöst  sind  und  frei  in  der  Höhle 
des  Gelenkes  liegen,  scheinen  sie  wenig  Veränderungen  zu  er- 
fahren. Vielleicht  darf  man  manche  Petriticationen  als  secundäre, 
gleichsam  posthume  betrachten.    Manche  Beobachter*)  der  frühe- 


waren  mehr  steinern  oder  marmorartig.  ■—  Das  Gelenk  sehr  verändert.  Die 
Synovialbaut  überall  mit  zahlreichen,  meist  kleinen,  kolbigen,  zuweilen  ästi- 
gen Vegetationen  besetzt,  die  voll  von  gelbbraunem  Pigment  waren.  Zumeist 
erreichten  sie  eine  Länge  von  3— 6  Linien;  viele  enthielten  Kett.  Dabei  war 
die  ganze  Synovialbaut  verdickt,  besonders  wo  die  Taschen  lagen.  Eine  der 
bedeutendsten,  welche  den  grossen,  in  der  Zeichnung  wiedergegebenen  Kör- 
per enthielt,  lag  unter  dem  Lig.  patellare;  sie  war  mit  einer  stark  grubigen 
Ausbuchtung  des  Knochens  verbunden.  Die  Ligam.  interarticularia,  zumal 
die  semilunaria  etwas  verdickt  und  rauh.  Die  Gelenkfiächen  mit  starken 
Scblifflinien  und  -flächen:  die  an  der  Tibia  fast  ganz  von  Knorpel  entblösst, 
etwas  zottig;  die  am  Os  femoris  mit  im  Allgemeinen  verdicktem  Knorpel- 
überznge,  der  namentlich  vor  der  Ineisur  und  längs  der  Ränder  starke, 
knollige,  vom  Grunde  her  verkalkte  und  verknöcherte  Auswüchse  zeigte. 
Einzelne  dieser  Auswüchse  am  Rande  sassen  lose  oder  waren  wenigstens 
durch  ein  dichtes  Bindegewebe  von  dem  Knorpel  geschieden:  an  einigen 
Stellen  sah  man  den  aus  schwammartig  umgelegten,  die  Nachbarfläcbe 
Oberragenden  Osteochondrophyten  zusammengesetzten  Rand  durch  scheinbar 
narbige  Flächen  unterbrochen. 

*)  James  Rüssel  a.  a.  0.  S.  66. 


460  Sechszehotc  Vorlesung. 

ren  Zeit  haben  freilich  gemeint,  die  Körper  wüchsen  auch  im 
freien  Zustande  noch  fort.  Cooper*)  hat  dies  entschieden  be- 
stritten. Es  ist  schwer,  darüber  zu  urtheilen.  Man  darf  nicht 
übersehen,  dass  die  freien  Körper  durch  Umlagerung  von  Exsudat- 
oder Blutgerinnseln  sich  leicht  vergrössem  können.  Auch  kann 
durch  die  eben  erwähnte  Conglomeratbildung  an  die  Stelle  mehrerer 
kleiner  ein  grosser  Körper  treten,  welcher  dann  den  Eindruck  eines 
schnell  gewachsenen  macht.  Endlich  aber  ist  theoretisch  nichts 
gegen  die  Möglichkeit  zu  sagen,  dass  in  den  abgetrennten  Knor- 
peln und  Knochen  mindestens  eine  Vita  minima,  vielleicht  sogar 
ein  regerer  Lebenszustand  fortbestehen  und  dass  sie  aus  der 
Synovia  gewisse  Säfte  aufnehmen  und  nicht  nur  sich  ernähren, 
sondern  möglicherweise  auch  wachsen  können.  Denn  in  der 
That  sind  die  Stiele,  so  lange  sie  überhaupt  befestigt  sind, 
auch  gewöhnlich  gefassarm,  wenn  auch  nicht  immer  gefässlos, 
und  doch  wachsen  die  Körper. 

In  jedem  Falle  sind  sie  ein  Erzeugniss  irritativer  Processe. 
Diese  können  die  Form  einer  wirklichen  Gelenkentzündung  an- 
nehmen, und  so  finden  wir  sie  am  häufigsten  bei  der  sogenannten 
Knotengicht  (Arthritis  nodosa,  Rheumatismus  nodosus,  Malam 
articulorum  senile)  neben  zahlreichen  anderen  Veränderungen,  ins- 
besondere neben  partieller  üsur  der  Gelenkknorpel,  Abschleifung 
und  Verkleinerung  der  Knochenenden  (Fig.  93.),  Ebumation  und 
Periostose,  Verdichtung  und  Vascularisation  der  Synovialhaut**). 
Sie  sind  dann  selbst  als  Theilerscheinung  des  entzündlichen  Vor- 
ganges zu  betrachten,  denn  ein  solcher  liegt  hier  unzweifelhaft 
vor***).  Broca  ist  noch  einen  Schritt  weitergegangen,  indem  er 
neben  dieser  Entzündung  (der  von  ihm  sogenannten  Arthritis 
sicca)  eine  bald  oberflächliche,  bald  tiefe  Nekrose  and  Elimina- 
tion der  Knorpel  annimmt  und  die  freien  Körper  als  Producte 
dieses  Eliminationsprocesses  erscheinen  lässtf).  Freilich  gesteht 
er  zu,  dass  die  gewöhnliche  Art  der  Bildung  die  durch  Excrescenz 
sei,  aber  er  meint  doch  eine  besondere  Form  der  freien  Körper 

*)  Cooper.    Diseases  of  the  joints.  Lond.  1807.  p.  94. 
**)  Cruveilhier.  Atlas  d*anat.  path.  Livr.  IX.  PI.  VI.  fig.  11.  de  Camp. 
I.  ('.  p.  2b.    Ecker  a.  a.  0.  S.  244.    A.  Wem  her.  Beiträge  zur  Kenntoi» 
di*r  Krankheiten   des  Hüftgelenks.    Giessen.   1847.   S.  89.      X.  Schöroaoo. 
Da«  Mulum  coxae  senile.  Jena.  1851.  S.  73.    Fried  linder  ].c  Taf.  1.-11. 
•♦♦)  Mein  Archiv.  1852.  Bd.  IV.  S.  295. 
t)  Broca  a.  a.  0.  S.  38. 


GelenkmSase  und  deformirende  GelenkentzuDdoDg.  461 

aus    der   Enorpelnekrose   ableiten   zu   können,    und   Lebert*) 
schliesst  sich  ihm  sogar  für  die  knotige  Form  an. 

Man  muss  hier  wohl  unterscheiden.  Es  giebt  eine  Ablösung 
und  Exfoliation**)  der  Gelenkknorpel,  die  sowohl  bei  acuter  Ent- 
zündung der  Synovialhäute  und  der  Gelenkenden  der  Knochen, 
als  auch  bei  der  chronischen,  knotigen  oder  deformirenden  Ent- 
zündung vorkommt.  Aber  hier  lösen  sich  Knorpelblätter  ab, 
flache  Stücke  und  nicht  jene  dicken  Körper,  wie  man  sie  bei  der 
Betrachtung  der  freien  Gelenkkörper  im  Auge  hat.  Letztere  ent- 
stehen an  den  Stellen  am  wenigsten,  wo  die  Exfoliation  statt- 
findet, nehmlich  an  der  eigentlichen  Articulationsfläche,  sondern 
da,  wo  auch  die  anderen  Wucherungsvorgänge  der  deformirenden 
Entzündung  am  stärksten  vor  sich  geh«n,  am  Umfange  des  Gelenk- 
knorpels, an  Bein-  und  Synovialhaut.  Weiterhin  muss  man  sich 
aber  wohl  hüten,  die  hauptsächlich  nach  klinischen  Symptomen 
zusanmiengefasste  Knotengicht  oder  gar  das  Malum  senile,  welche 
so  oft  viele  Gelenke  treffen  und  als  constitutionelle  Krankheit 
erscheinen,  als  die  einzige  Ursache  der  Gelenkmausbildung  anzu- 
sehen ;  die  deformirende  chronische  Gelenkentzündung  kommt  auch 
ohne  alle  „Gicht",  ohne  Störungen  der  sensitiven  Nerven,  bei 
langen  Personen  und  ganz  partiell  auf  kleine  Stellen  des  Ge- 
lenkes beschränkt,  vor.  Diese  Form  ist  es,  welche  der  Bildung 
der  solitären  Gelenkkörper  zum  Grunde  liegt.  In  wie  weit  sie 
durch  locale  Reize  bestimmt  wird,  ist  bis  jetzt  nicht  genau  zu 
übersehen;  ich  erinnere  jedoch  an  einen  Fall  von  Shaw  ***),  der 
bei  einem  17jährigen  Dienstmädchen  einen  freien  Knorpelkörper 
aus  dem  Kniegelenk  entfernte,  in  dessen  Innern  sich  eine  Höhle 
von  yV  —  TT  Zoll  Länge  und  in  dieser  ein  harter  metallischer 
KOrper  fand;  letzterer  wurde  als  eine  abgebrochene  Nadelspitze 
erkannt  Hier  handelt  es  sich  um  einen  ganz  localen,  vom 
Standpunkte  der  Onkologie  aus  gutartigen  Vorgang. 

Aber  freilich  gehört  derselbe  nicht  mehr  einfach  in  das 
Gebiet  der  hyperplastischen,  sondern  er  ist  schon  heteroplastisch, 
insofern  das  einfache  Bindegewebe  der  Bein-  oder  Synovialhaut 
der  Sitz  einer  Knorpelentwickelung  wird.    Aber  auf  der  anderen 


♦)  Lebert.    Traitö  d'anat  path.  T.  II.  p.  600.  PL  179.  fig.  9,  10. 
**)  Ga^  (Transact.  of  the  patbol.  soc.  of  London.  Vol.  VI.  p.  298)  nennt 
sie  Shedding  of  cartilage. 
*♦♦)  Shaw.  Transact.  of  the  Lond.  path.  soc.  1855.  Vol.  VI.  p.  331. 


462  Sechszehnte  Vorlesung. 

Seite  stehen  diese  Formen  den  reinen  Ecchondrosen  doch  ganz 
nahe,  mit  welchen  sie  so  oft  zusammen  vorkommen.  Denn  sie 
gehen  aus  Geweben  hervor,  von  denen  wir  wissen,  dass  sie  an 
vielen  Stellen  sehr  leicht  Knorpel  erzeugen.  Namentlich  die  Bein- 
haut zeigt  diese  Fähigkeit  nicht  blos  bei  Fracturen,  sondern  noch 
sehr  viel  häufiger  und  ausgezeichneter  bei  der  Veränderung  der 
alten  und  der  Bildung  neuer  Articulationsflächen,  von  deren  phy- 
siologischem Wechsel  Hüter*)  so  viele  und  interessante  Belege 
geliefert  hat.  Immerhin  stehen  diese  Formen  auf  der  Grenzo 
zwischen  der  hyperplastischen  und  heteroplastischen  Knorpel- 
geschwulst. — 

Das  heteroplastiscite  Chondrom,  zu  dessen  Betrachtung 
wir  uns  jetzt  wenden,  ist  nach  dem  Vorgange  von  Joh.  Müller 
immer  definirt  worden  als  ein  Gebilde,  dessen  wesentlichen  Antheil 
wahres  Knorpelgewebe  ausmacht.  Freilich  ist  man  in  der  Praxis 
von  dieser  Definition  i^elfach  abgewichen,  indem  man  von  Enchon- 
dromen  auch  da  sprach,  wo  der  Knorpel  nicht  den  wesentlichen 
Bestandtheil  bildete.  Man  weiss  längst,  dass  in  vielen  Geschwülsten 
dieses  Gewebe  mit  anderen  Gewebsarten  oft  in  der  mannichfaltig- 
sten  Mischung  vorkommt,  und  in  manchen  derselben  tritt  der 
Knorpel  so  sehr  in  den  Hintergrund,  dass  man  ihn  nur  als  eine 
Beigabe  oder  als  eine  reichere  Ausstattung  betrachten  kann.  Dies 
gilt  nicht  blos  von  gewissen  Mischgeschwülsten,  sondern  nament- 
lich von  vielen  der  später  zu  betrachtenden  teratoiden  Geschwülste. 
Wenn  man  in  dieser  Richtung  das  Gebiet  des  Enchondroms  etwas 
zu  weit  ausgedehnt  hat,  so  scheint  es  mir,  dass  man  in  einer 
anderen  Richtung  gegenüber  den  älteren  Schriftstellern  einen 
Rückschritt  gemacht  hat,  nehmlich  darin,  dass  man  eine  sehr 
beträchtliche  Kategorie,  die  sogenannten  fibrocartilaginösen 
Geschwülste,  zum  grossen  Theil  ausgeschlossen  hat.  Müller 
selbst  rechnete  viele  von  ihnen  theils  zu  seinem  Osteoid,  tlieils 
zu  seinem  Dcsmoid**);  die  späteren  Schriftsteller  sind  ihm  zum 
Theil  gefolgt,  zum  Theil  haben  sie  einzelne  dieser  Fälle  zum 
Enchondrom  gezogen,  andere  wieder  zum  Sarkom  oder  Kreb*? 
gestellt.    Auf  diese  Weise  ist  eine  grosse  Verwirrung  entstanden, 


*)  C.  Hüter.    Mein  Archiv.  Bd.  XXV.  S.  572.  Bd.  XXVI.  S.  484. 
**)  Müllers  Archiv.  1843.  S.  396. 


Heteroplastische  Chondrome.  463 

welche  sich  allerdings  begreift,  wenn  man  die  oft  so  grosse  Bös- 
artigkeit, das  gleichsam  krebshafte  Wesen  dieser  Gewächse  ins  Auge 
fosst,  und  wenn  man  zugleich  zugestehen  muss,  dass  gerade  diese 
Art  die  allerhäufigsten  Uebergänge  zu  Sarkom  macht.  Man  kann 
daher  auch  nicht  behaupten,  dass  alle  beschriebenen  Fälle  von 
Osteoid,  Osteoidkrebs ,  Osteoidsarkom,  Desmoid  hierher  gehören, 
aber  ebenso  wenig  ist  man  meiner  Ansicht  nach  berechtigt,  alle 
Fälle  davon  hier  auszuscheiden. 

In  der  Anatomie  hat  man  schon  lange,  ja  schon  geraume 
Zeit  vor  der  Einfuhrung  des  Mikroskops  als  anatomischen 
Hülfsmittels,  den  eigentlichen  Knorpel  unterschieden  von  dem 
dem  sogenannten  Hautknorpel,  demjenigen,  welcher  die  „Ver- 
knöcherung aus  Membranen '^  vermittelt.  Allerdings  ist  dieser 
Haatknorpel  ganz  verschieden  von  dem  gewöhnlichen  Knorpel 
und  auch  von  dem  gewöhnlichen  Faserknorpel.  Ich  glaube  seine 
Eigenthümlichkeit  zuerst  erkannt  zu  haben,  als  ich  die  Bildung 
der  inneren  Osteophytlagen  der  Schädelknochen  schilderte*). 
Später  fand  ich  seine  Beziehungen  zu  dem  Bindegewebe**)  und 
insbesondere  seine  Entstehung  aus  wuchernden  Schichten  des 
Periosts ;  ich  wies  nach,  dass  das  Dickenwachsthum  der  Röhren- 
knochen wesentlich  auf  der  Erzeugung  junger,  aus  dem  Periost 
hervorgehender  und  der  Knochenstructur  ähnlicher  Massen  beruht, 
welche  ich  deshalb  osteoide  nannte***).  Aehnliche  Massen  sah 
ich  freilich  auch  aus  gewöhnlichem  Knorpel  hervorgehen  f),  indess 
ist  dies  doch  ein  seltenerer  Fall. 

Man  kann  nun  freilich  darüber  in  Zweifel  sein,  ob  man  über- 
haupt diese  osteoide  Masse  zum  Knorpel  rechnen  soll.  Allein 
abgesehen  davon,  dass  eine  grosse  Zahl  von  Beobachtern  sie 
geradezu  knorpelig  nennen,  so  hat  sie  in  der  normalen  Entwicke- 
lungsgeschichte  eine  ähnliche  Stellung  zu  dem  werdenden  Kno- 
chen, vrie  der  Knorpel;  sie  ist  ein  Vorgebilde  des  Knochens 
und  stellt  insofern  geradezu  ein  Aequivalent  des  Knorpels 
dar.  Bei  der  Callusbildung  geht  sie  vielfach  in  wirklichen  Knorpel 
über  ff).   Andererseits  ist  sie  kein  gewöhnliches  Bindegewebe,  da 


♦)  Mein  Archiv.  1847.  Bd.  I.  S.  135. 
♦•)  Würzburger  Verhandl.  Bd.  IL  S.  158. 
••♦)  Mein  Archiv.  Bd.  V.  S.  439  ff.  S.  457. 

t)  Ebendas.  S.  434. 
ff)  Cellularpathologie.    3.  Aufl.  S.  399. 


464  Sechszehnte  YorleBung. 

vielmehr  die  Intercellularsubstanz  des  Bindegewebes,  wenn  die 
osteoide  Masse  erzeugt  wird,  sich  verdichtet,  sklerosirt  oder  car- 
tilagincscirt.  Man  müsste  deshalb  sowohl  für  dieses  Gewebe,  als 
für  die  daraus  hervorgehenden  Geschwülste,  einen  besonderen 
Namen  wählen,  und  ich  würde  in  letzterer  Beziehung  den  Namen 
des  Osteoids  jedem  anderen  vorziehen,  wenn  nicht  dadurch  eine 
meiner  Meinung  nach  unüberwindliche  Schwierigkeit  in  die  Dar- 
stellung der  Knorpelgeschwülste  käme. 

Auch  ist^  seitdem  sich  die  Ansichten  über  die  suspecte  Natur 
des  Enchondroms  allmählich  festgestellt  haben,  der  Hauptgrund, 
welcher  zu  der  gesonderten  Aufstellung  des  Osteoids  Veranlassung 
gab,  nehmlich  die  Rücksicht  auf  seine  Bösartigkeit,  weggefallen, 
und  ich  trage  daher  kein  Bedenken,  die  aus  wirklichem  osteoiden 
Gewebe  oder  Hautknorpel  (Knochenknorpel)  gebildeten  Gew&chse 
den  Chondromen  unmittelbar  anzureihen.  Es  würden  demnach 
neben  den  hyperplastischen  Chondromen  oder  Ecchondrosen  einer- 
seits die  Enchondrome  im  engeren  Sinne  des  Wortes, 
andererseits  die  osteoidenChondrome  (Desmochondrome)  als 
die  beiden  Hauptgruppen  der  heteroplastischen  Chondrome  zu 
unterscheiden  sein. 

Die  Grenze  zwischen  diesen  beiden  Gruppen  ist  aber,  wie 
die  Erfahrung  gelehrt  hat,  keineswegs  leicht  anfkufinden.  Freilich 
giebt  es  von  jeder  derselben  gewisse  reine  Formen,  welche  leicht 
erkannt  werden ;  zwischen  ihnen  steht  aber  eine  grosse  Reihe  von 
Misohformen,  in  welchen  entweder  die  verschiedenen  Typen  des 
cartilaginösen  Gewebes  nebeneinander  verwirklicht  sind,  und  die 
Geschwulst  im  Ganzen  keinen  praevalirenden  Typos  erkennen  Usst, 
oder  wo  die  Hauptmasse  allerdings  einem  bestimmten  Typas  folgt, 
an  gewissen  Stellen  aber  ein  Uebergang  in  Gewebe  eines  ver- 
wandten Typus  stattfindet 

Wais  den  eigentlichen  Enchondromknorpel  anbetrifit, 
so  entspricht  seine  innere  Zusammensetxiuig  im  Allgemeinen  den 
bekannten  Formen  des  permanenten  Knorpels.  Wie  in  diesem« 
80  tindon  sich  auch  im  Enchondrom  die  drei  Yarietitea  des 
Hyalin-.  Faser-  und  Netiknorpels*).  Aber  man  darf  hier 
nicht  zu  strenge  si^heiden«  und  am  wenigsten  erwarten,  die^e  drei 
Yarioiäten   in    ekni  so  vielen  entsprechenden  Enchondromarten 


•\ 


iVnuUqMlhoki^ie.    3.  kuA.  S.  42. 


Das  Knorpelgevebe  des  Eocbondroros.  465 

wiederholt  zu  finden.  Nichts  ist  häufiger,  als  in  derselben  Ge- 
schwulst alle  drei  Erächeinung»rormen  des  permanenten  Knorpels 
sich  darstellen  zu  sehen.  An  gewissen  Stellen  ist  die  Intercellular- 
substanz  durchau»  gleichmässig  und  erscheint  daher  in  dGnnen, 
mikroskopischen  Schnitten  fast  wasseiklar  (hyalin).  Aber  diese 
BeHchaffenheit  ändert  sich  nicht  nur  im  Alter,  so  dass  wirkliche, 
kleinere  oder  grössere,  eckige,  gallertige  (colloide)  Kömer,  oder 
eigentiiümliche  steife  oder  rauhe  Fasern,  die  auf  dem  Querschnitt 
wie  KOrner  oder  Punkte  aussehen,  in  der  IntercellularsubstanE 
auftreten,  sondern  schon  sehr  früh  kommen  allerlei  feine  Fasern 
vor,  welche  zwischen  den  Zellen  und  Zellenhaufen  theils  einzeln, 
theils  in  Bündeln,  bald  in  derselben  Kichtung,  bald  sich  gegen- 


seitig durchkreuzend  und  verflechtend  hinziehen*).  Diese  Fasern 
verhalten  sich  zuweilen  gegen  Reagentien,  wie  wirkliche  elastische 
Fäden;  anderemat  sind  sie  ungleich  zarter,  sehen  mehr  wie  Streifen 
als  wie  Fasern  aus,  und  leisten  den  Reagentien  wpnig  Widerstand. 


Fig.  95.  Aus  eiaem  Rnchoiidrom  der  Fiissnurzelknoehen.  SOOmalige 
VergrOäDGrUDg.  A.  Einzelne  isoHrte  jQngere  (o)  und  ältere  (i)  Kiiorpel- 
lellen  mit  Kern,  Kernkürperclien  und  körnigem  farendiyni.  U.  Kiu  Durch- 
schnitt, um  die  Bildang  der  Läppchen  mit  hyaliner  Subslnuz  und  die  Faner- 
iQge  daswiscben  zu  seigen.  Zienilith  grosse  Zelten,  von  Ueiien  eine  bei  a 
angefangen  hat,  sich  in  eine  dichtere  Masse  zusammeniiuziclien ,  während 
die  bei  b  ganz  geschrumpft  ist.  c,  e  die  Anlage  der  areolüren  FaserzQge, 
welche  die  Knorpelkijrner  umgrenzen. 

•)  C.  0.  Weber.  Die  KnochengeschwOlste,  Abth.  1.  Taf.  III.  Fig.Ö.,». 
Taf.  IV.  Fig.  &,  S.    Lebert.  Atlaa.  Fl.  XXIX.  Fig.  3.  et  16. 


466  Sechazehnie  Vorlesung. 

Jedenfalls  gleichen  diese  Zustände  im  hohen  Maasse  dem  nor- 
malen Zustande  des  Faser-  und  Netzknorpels.  Ausgebildeter  Netz- 
knorpel, wie  ich  ihn  Ton  den  Ecchondrosen  der  Trachealknorpel 
erwähnt  habe  (S.  442),  ist  allerdings  seltener,  indess  doch  nicht 
so  selten,  wie  H.  Meckel*)  annahm,  der  ihn  nur  in  kleinen 
Knorpelgeschwülsten  der  Ohrmuschel  und  des  Flügelfortsatzes  vom 
Keilbein**)  gesehen  zu  haben  scheint.  Ich  finde  ihn  in  ganz 
grossen  Enchondromen  der  verschiedensten  Theile,  jedoch  meist 
nur  strichweise.  Ungleich  häutiger  dagegen  ist  ein  Faserknorpel, 
welcher  mikroskopisch  am  meisten  übereinstimmt  mit  dem  nor- 
malen Knorpel  der  Synchondrosen  des  Beckens  und  der  Wirbel- 
säule, und  welcher  manchen  Ecchondrosen  derselben  sogar  täa-^ 
sehend  ähnlich  sein  kann.  Denn  in  diesen  letzteren  finden  sieb, 
wie  in  vielen  Enchondromen,  abwechselnd  Inseln  oder  Zöfice  voo 
Hyalinknorpel ,  mit  Balken  oder  Maschen  von  Faserknorpel  ab- 
wechselnd. Jene  erscheinen  schon  dem  blossen  Auge  als  hellere, 
mehr  durchscheinende,  bläulichweisse ,  diese  dagegen  als  dichtere, 
derbere,  mehr  weissliche  und  sehnige  Stellen. 

Dieser  wechselnde  Zustand  der  Intercellularsubstanz  entspricht 
auch  einem  verschiedenen  Zustande  der  zelligen  Theile.  In  dem 
Hyalinknorpel  sind  durchschnittlich  die  Zellen  grösser,  häufig  auch 
zahlreicher  und  mehr  gehäuft,  so  dass  sie  ein  grösseres  Volumen 
einnehmen;  im  Faserknorpel  sind  sie  meist  kleiner,  durch  breitere 
Lagen  von  Intercellularsubstanz  getrennt  oder  wenigstens  im  Yer- 
hältniss  zur  Intercellularsubstanz  untergeordnet.  Zugleich  sind  die 
Zellen  des  Hyalinknorpels  regelmässig  in  runden  Kapseln  ent- 
halten und  ursprünglich  selbst  rund,  wenngleich  ihre  Gestalt  sich 
bei  der  Präparation  sehr  oft  in  eine  eckige,  h!^ckerige,  zuweilen 
geradezu  stachelige  umwandelt.  In  dem  Faserknorpel  ist  die 
Kapsel  dagegen  gewöhnlich  viel  dünner,  kaum  doppelt  contourirt, 
zuweilen  sieht  man  sie  gar  nicht  und  die  Zelle  scheint  nackt  in 
der  Intercellularsubstanz  zu  liegen.  Zugleich  verwandelt  sich  die 
runde  Form  in  eine  länglich -ovale,  spindelförmige  oder  stern- 
förmige, und  während  die  Zellenkörpor  häufig  sehr  klein  sin«!, 
gehen  nach  den  Seiten  von  ihnen  feine,  selbst  anastomosirende 
Fortsätze  aus.     Genug,   das  gesammte  Slructurverhältniss  gleicht 


*)  11    Merkel.     Charite-AnDalen.  Bd    VII.    2.    S.  d3. 
••)  Präparat  No.  1303. 


Entwickelung  des  Enchondromknorpels.  467 

demjenigen  des  Faserringes  (Annulus  fibrosus)  der  Synchon- 
drosen*),  an  welchen  es  mir  zuerst  gelang**),  den  üebergang 
von  dem  eigentlichen  Knorpelbau  zu  dem  Bindegewebsbau  nach- 
zuweisen. 

Wenn  demnach  der  faserknorpelige  Bau  verhältnissmässig  viel 
hänfiger  in  Enchondromen  yorkommt,  als  man  gewöhnlich  annimmt, 
BO  ist  die  Frage  nicht  ohne  Interesse,   ob  der  hyalinknorpelige 
oder  der  faserknorpelige  Zustand  der  frühere  ist.    Meiner  Erfah- 
rung nach  ist  das  chronologische  Verhältniss  nicht  immer  das- 
selbe.    Es  hängt  dies  damit  zusammen,  dass  das  Enchondrom 
sich  nicht  immer  in  derselben  Weise  entwickelt.     Zu- 
weilen   nehmlich    entsteht    an    der   Stelle,    wo    sich    später    ein 
Enchondrom  -  Knoten  befinden  wird,  zuerst  ein  einfacher  Zellen- 
haufen, in  welchem  die  einzelnen,  kleinen,  runden,  indifferenten 
Zellen  ohne  Intercellularsubstanz  dicht  zusammenliegen***).  Diesen 
Granulationszustand  (S.  89)    habe  ich  am   schönsten  bei  einem 
Parotis-Enchondrom  gesehen.    Scheiden  die  Zellen  nachher  Inter- 
cellularsubstanz aus,  so  ist  sie  gewöhnlich  ganz  gleichmässig  und 
es  entsteht  sofort  Hyalinknorpel.    Aber  dies  scheint  nicht  der  ge- 
wöhnliche Gang  zu  sein.    Sehr  häufig  beginnt  die  Knorpelbildung, 
wie  ich  zuerst  bei  knorpeligen   Tumoren  des  Oberkiefers  f)  j  der 
Brust tt),  des  Schulterblattes  ftt)  und  des  Hodens  *t)  fand,  damit, 
dass  vorhandene,  sei  es  alte,  sei  es  neugebildete  Bindegewebs- 
lager  sich  verdicken,  dass  ihre  Intercellularsubstanz  zunimmt  und 
sklerotisch  wird,  und  dass  ihre  Zellen  sich  allmählich  vergrössern 
und  vermehren.  Es  entsteht  dann  zunächst  ein  der  Hornhaut **t) 
Uinliches  Aussehen.     Manchmal  geht  dieses  Gewebe  unmittelbar 
in  Hyalinknorpel  über,  indem  die  Intercellularsubstanz  ganz  dicht 
and  homogen,  die  Zellen  gross  und  rund  werden  und  sich  incap- 
suliren.     Anderemal  dagegen   wird   die  Intercellularsubstanz  nur 
zum  Theil  homogen,  zum  Theil  erhält  sich  das  fibrilläre  Aussehen, 
gerade  so,    wie    man   es  so   häufig   bei  der  Knorpelbildung  im 


«•' 


♦)  Franz  Jos.  Kaufmann.     Mein  Archiv.  Bd.  VI.  S.  412. 
•)  Würzburger  Verh.  (1851)  Bd.  II.  S.  153. 
♦•♦)  A.  Förster.     Atlas  der  niikrosk.  path.  Anat.  Taf.  XIX.  Fig.  II. 

t)  Archiv.  (1849)  Bd.  III.  S.  224. 
tt)  Würzburger  Verhandl.  Bd.  I.  S.  137. 
ttt)  Archiv.  Bd.  V.  S.  234. 
♦t)  Archiv.  Bd.  VIII.  S.  402  Taf.  IX.  Fig.  12. 
♦♦t)  Cellularpathologie.    3.  Aufl.  S.  1*1.  Fig.  45-46. 


i'Jii  '*j*^'.u>fur.iaMr  ^onesBa^. 


h^,t/*A*'>  u.^^%Uf%  ^/i^^l^fj.     A'>3r  anoL  HSr  dtBipai  ?-i 

y^/fi  /Ji  %kw\  m^'Uf  hWiHtttt^u  blldfai.  und  dier««^  a 

^/^^7  S(f/>trK^r<^  Iru^^ln  von  Hyaliokfior}»«^  iiefr«^    7j£.    ^3 

/Im-  iU'^i'Uiuuif;  tU't  NariMrn  ^Knorpelkorjiercittiij*^    auL 
'At\U'^    <'twHh   unnii^tM'T   war.     Ich   aubeTMÜued  ssoeoBR:** 
voIImmI/'M'M  Kfior|Htlkörperclien  die  äasHert  Si^gri^^I. 
iiiim  hM  <liiliin  ^cwOlinlirJi  aln  Membniii  iui£:eiibiHsi  iubh^  «vte 

y,t:\\t*^  }S(*Mut  die  HOLlDng  dto*  ILagiMi  fiSt 
'"^  "  w<'I('Im;  iiiHii  alK  Kern  oder  L5<:iis»5iiF  iü§ 
/«flh'ninliuli  uuf/.ufassf'n  pflegte.  Ihei4^ 
iill<u'<liii((H  H<*lir  häufig  in  den  für  dsts^ 
'/Mhi'mUdo.ii  OUy^i'Utn  nicht  meiir  ihrf-  naite  F< 
HoiMh'i'ii  t'Jiic  unnt^elmässige,  brxktai».  4dc 
IV)riiiiK<'. ,  ja  in  Kndiondromen  sogau*  sSt^dKä 
htiili,  w<*Hhalb  viele  der  ältereii  Btobhciaee 
iliiH  HplUtM'c  Knor.henkörpercben  prüc«nnin  i 
l'iiMHMi  HhnihtPH.  Schon  Kolli ker  hatte  gezeigt.  da5> 
iiMMliitn  <ii<M(iil(.nn  Hind,  woIcJm'.  einer  Schnunpfuig  ode-r 
Mi<  M/.liOiiinK  (IrM  iVllher  die  Höhlung  erfüllenden  Gebildes 
M'JMillH'M  Mln<l.  in  der  Thut  sind  diese  Zellen  so  empn^iü^ 
|\^t^f^  i||i>  kitIukmIimi  KinwirknuK^m  hinrcicheD,  sie  so  den  <OD^r- 
hiHclen  (ieMltilLvrianilerunRen  m  veranlassen. 

Mtiii   niMK   <lnhei'   immerhin  das  gcsammte  Gebilde  Knoq»?.'- 

I'ij!  tin  l'lii/i'luo  Kuoij^olknrptMvhiMi  aus  dem  Gallert  -  EBfhoBdrnB 
KiH  IMI  M.ni  hh'lil  ine.»»»Mi  iho  tluko,  ^»leu'hinüsHige  Ka(>t(«l  und  inu«-n  J'' 
Khiiniliilcii  y.i'lllHU|iiM  iiui  »Muom  o<lor  »wei  Kernen,  welolu-  wi*^^r  K*""- 
k«n|»rn  lull  iMUM.  Iilii«.  ..»II.     lu  /v\t'i  /iollon  Fotttropfen.     Verjiröstj^roni  So*'- 

*»  W.'.ll      r.ulinl    lh-,inl.iK"^  S   r»?J.  Fij:.  124fj.  . 

••^  Mrhi  Ahlih   vl^l'.»^  IM.  Hl.  S.  1»12.  l.'l7.  Hd.  V.  S.  418.  Note.  Wb"P 
Noihuuitl.  Md.  II    S    tiiU.     lVUulnr|mtholo|;ic.  3.  Aufl.  8.  7.  Fig.  3. 


Zellen  des  Enchondroms.  469 

rperchen  nennen,  so  ist  doch  festzuhalten,  dass  die  wirkHchen 
llen  nur  der  innere  Theil  davon  sind  und  dass  die  Kapseln 
Bsere  Abscheidungsproduete  derselben  darstellen,  welche  von  der 
wohnlichen  Intercellularsubstanz  sowohl  morphologisch,  als  che- 
sch  verschieden  sind,  welche  aber  durch  allmähliche  Metamor- 
osen derselben  ähnlich  werden  und  schliesslich  mit  derselben 
rechmelzen  können*).  Doch  kommt  es  auch  vor,  und  zwar 
rade  bei  Enchondromen  in  der  allerdeutlichsten  Weise,  dass 
5ht  blos  eine  Kapsel  gebildet  wird,  sondern  mehrere,  eine  in 
r  anderen.  Es  geschieht  dies  zuweilen  um  einzelne  Knorpel- 
Uen,  zumal  in  alten  Enchondromen,  regelmässig  aber,  wenn 
\  firüher  einzige  Zelle  innerhalb  des  Kapselraumes  sich  theilt 
d  vermehrt,  wo  dann  jede  neue  Zelle  ihre  besondere  Umkapse- 
ig  innerhalb  der  alten  erzeugt. 

Meine  Auffassung  von  der  zelligen  Natur  des  inneren  Körpers 
irde  wesentlich  dadurch  gestützt,  dass  es  mir  gelang,  die  Iden- 
It  desselben  mit  gewissen  sternförmigen,  leicht  isolirbaren  und 
jht  selten  miteinander  anastomosirenden  Zellen  nachzuweisen, 
Jche  sich  in  gewissen  Enchondromen  vielfach  finden**).  Die- 
ben Gebilde  hatten  schon  die  Aufmerksamkeit  von  Joh. 
aller***),  Schaffner t)  und  Queckettff)  auf  sich  gezogen; 
iter  haben  namentlich  Pagetftt)  und  Wedl*f)  vortreflfliche 
>bildungen  davon  geliefert.  Aber  man  achtete  wenig  auf  die 
«iehung  dieser  offenbar  zelligen  Körper  zu  den  in  den  Kapseln 
Ibst  enthaltenen  Gebilden  und  entzog  sich  dadurch  eines  der 
sten  Kriterien  für  die  histologische  Deutung  beider.  Lach- 
ann**t)  hat  später  das  gesammte  Verhältniss  der  Zellen  bei 
ichondrom  eingehend  geprüft  und  meine  Angaben  bestätigt. 
1  muss  aber  dabei  bemerken,  dass  man  auch  hier  gewisse 
istaltsveränderungen  der  Zellen,  welche  durch  Contraction  und 


•)  Archiv.  Bd.  V.  S.  432-433. 
♦♦)  Würzb.  Verhandl.  1850.  Bd.  I.  S.  195. 
♦♦♦)  Müller.     Ueber  den  feineren  Bau   der  Geschwülste.   S.  35.  Taf.  111. 

ig.  ». 
+)  AI.  Schaffner,    üeber  das  Enchondrora.     Inaug.  Abh.  Würzb.  1845. 

ig.  5. 

tt)  Queckett.    Catalogiie  of  the  histological  series  in  the  Museum ofthe 
oyal  College  of  Surgeons.  Vol.  Lp    111. 
tH-)  Paget.     Lect.  on  snrg.  path.  II.  p.  177,  188.  fig.  24,  25,  27. 

*t)  Wedl.     Pathol.  Histologie.  S.  580. 

••t)  Lachraann.    Müller's  Archiv.  1857.  S.  15.  Taf.  U. 


470  SechsKchute  Vorlesung. 

Aussenden  von  langen,  zuweilen  verästelten  Fortsätzen  entstehen, 
wohl  unterscheiden  muss.  Bei  ganz  frisch  exstirpirten  oder  ampu- 
tirten  Enchondromen  habe  ich  unter  meinen  Augen  diese  Gestalts- 
veränderung vor  sich  gehen  und  von  den  Zellen  Fortsätze  sich 
hervorschieben  sehen,  welche  über  das  ganze  Gesichtsfeld  des 
Mikroskops  fortliefen.  Ich  bin  daher  der  Meinung,  dass  gewisse 
Enchondrom-Zellen  eine  ganz  bedeutende  Beweglichkeit  besitzen*). 
Diejenigen  Enchondromo,  welche  wesentlich  grössere,  stern- 
förmige Zellen  enthalten,  oder  diejenigen  Theile  von  Enchon- 
dromen, in  welchen  sie  sich  hauptsächlich  finden,  zeichnen  sich 
gewöhnlich  durch  eine  grössere  Weichheit  aus:  Enchondroma 
moUe  s.  gelatinosum  **).  Sie  pflegen  zugleich  viel  Feuchtig- 
keit zu  enthalten  und  frisch  eine  eigenthümlich  schlüpfrige,  dem 
Hühnereiweiss  ähnliche  Beschaffenheit  der  Schnittfläche  zu  zeigen. 
Chemisch  weisen  sie  meistcntheils  einen  beträchtlichen  Schleini- 
gehalt  nach,  so  dass  man  sie  als  eine  besondere  Unterart,  als 
Enchondroma  mucosum  bezeichnen  muss.  Wenigstens  theil- 
weise  gehört  in  diese  Kategorie,  was  Wattmann  als  weich- 
knorpeligen  Parasiten  und  Schuh***)  als  Steatom  beschrieben 
haben.  Sie  sind  wohl  zu  unterscheiden  von  den  später  zo  be- 
sprechenden Formen,  wo  unter  regressiven  Metamorphosen  der 
Zellen  Erweichungen  stattfinden  und  die  Chondrinhältige  Grund- 
substanz sich  in  Schleim  verwandelt.  Möglicherweise  ist  das 
essentielle  schleimige  Enchondrom  eine  Umwandelung  aus  einem 
ursprünglich  hyalinen  oder  faserknorpeligen.  Wenigstens  faod 
ich  schon  bei  der  Umwandelung  des  rachitischen  Knorpels  io 
Markgewebe,  dass  dieses  sich  wie  eine  Art  Schleimgewebe  ver-  * 
hältf).  Aber  es  kommt  auch  sicher  vor,  dass  Schleim-  und 
Knorpelgewebe  primär  neben  einander  entstehen,  in  der  Art,  dass 
ein  Theil  einer  grösseren  Geschwulst  nur  aus  Schleimgewebe,  ein 
anderer  aus  reinem  Knorpel  besteht  (S.  420).  Dies  zeigt  sich  am 
häutigsten  in  gallertigen  Enchondromen  der  Weichtheile,  namentlich 
der  Ohrspeicheldrüse,  wo  gewisse  Abschnitte  der  Geschwulst  gani 
und  gar  den  Charakter  des  Myxoms   an  sich  tragen.     In  ihnen 


•)  Mein  Archiv.  Bd.  XXVIll.  S.  23«. 

•♦)  C.   0.   Weber.     Kiiocbonjroschwülste.    1.    S.   70.     Lambl.    xVus  de« 
Franz-Josef-Kinderspital.  IVag.   I8G0.  I.  S.  200.  Tat*.  13. 
*♦♦)  Schnh.     Deutsehe  Klinik.  1850.  No.  14. 
t)  Mein  Archiv.  Bd.  V.  8.  424. 


Das  schleimige  und  albuminöse  Enchondrom.  471 

findet  man  namentlich  die  zierlichsten  Zellennetze,  nicht  selten 
eingeschlossen  in  derbe,  maschige  Faserzüge*)  und  umgeben  von 
reichlichem  Schleim,  so  dass  das  vollendetste  Bild  des  areolären 
Schleimgewebes  entsteht.  H.  Meckel**)  hat  diese  Form  als 
Sternknorpelgeschwulst  bezeichnet.  Andere  haben  sie  ihres 
Aussehens  wegen  als  Golloid,  Golloidsarkom,  Gallertgeschwulst 
u.  8.  w.  beschrieben.  Ich  nenne  sie,  wenn  der  Knorpel  überwiegt, 
Enchondroma  myxomatodes,  dagegen,  wenn  das  Schleim- 
gewebe vorwaltet,  Myxoma  cartilagineum  (S.  403).  Die 
Grenze  dieser  Formen  gegenüber  dem  Enchondroma  mucosum  ist 
darin  zu  suchen,  dass  sie  gemischte  oder  Gombinationsgeschwülste 
sind,  während  dieses  eine  einfache  Geschwulst  darstellt,  an  der 
nur  in  gewissen  Theilen  die  gewöhnliche  Ghondrinhältige  Grund- 
substanz  mit  Mucin  vermischt  oder  darin  verwandelt  ist. 

Freilich  legte  Müller  grosses  Gewicht  darauf,  dass  das 
Enchondrom  beim  Kochen  Chondrin  gebe  und  er  betrachtete 
dies  als  eine  Art  von  Kriterium.  Allein  er  selbst  erhielt  aus 
einer  Geschwulst  der  Parotis,  die  er  doch  Enchondrom  nennt, 
kein  Chondrin,  sondern  sehr  viel  gclatinirenden  Leim***).  (Schleim 
ist  natürlich  durch  Kochen  nicht  zu  extrahiren).  Es  mag  daher 
immer  sehr  wichtig  sein,  sich  durch  Kochen  von  dem  Chondrin- 
gehalt  einer  Geschwulst  zu  überzeugen,  zumal  seitdem  wir  durch 
Dondersf)  wissen,  dass  auch  Faserknorpel  Chondrin  giebt, 
aber  entscheidend  kann  diese  Untersuchung  nicht  sein.  Ich  selbst 
fand  in  einem  gallertartigen  Enchondrom  der  Scapula,  das  ich 
eben  dieser  Beschaffenheit  wegen  zuerst  als  knorpelartiges  Sarkom 
bezeichnete  tt),  eine  eiweissartige  Grundsubstanz,  die  kein  Chon- 
drin gab,  die  aber  durch  spontane  Erweichung  in  Schleim  über- 
ging. Dies  ist  also  eine  zweite  Form  des  weichen  Enchondroms, 
die  man  als  Enchondroma  albuminosum  bezeichnen  kann. 

Von  allen  diesen  Formen  unterscheidet  sich  das  vorher  (S.462) 
erwähnte  osteoide  Chondrom  sowohl  durch  seine  Zusammen- 
setzung, als  seinen  Bau.  Müller fff)  hat  wenigstens  für  gewisse 
Fälle  dargethan,  dass  sein  Gewebe  beim  Kochen  nicht  Chondrin, 

*)  Paget.     Lectures.  II.  p.  203.  fig.  30. 

••)  Charite-Annaleii.  VlI.  2.  S.  8ö.  fig.  1. 
•••)  Müller,    üeber  den  feineren  Bau.  S.  40 

t)  Don  der 8.  Holländische  Beiträge.  Bd.  I.  S.  205. 

tt)  Würzburger  Verb.  Bd.  1.  S.  137.    Archiv.  Bd.  V.  S.  223. 
ttt)  Müllers  Archiv.    1Ö43.  S.  403. 


472  Secbszehnte  Vorleenng. 

Hondem  gewöhnlichen  Leim  giebt,  sich  also  dem  Binde-  und 
Kno(;hengewebe  anschliesst.  Ausgedehntere  Untersuchungen  in 
dieser  Richtung  liegen  bis  jetzt  nicht  vor.  Aber  auch  morpho- 
logisch gehört  dieses  Chondrom  einer  anderen  Kategorie,  dem 
Haut-  oder  Knochenknorpel,  an.  Seine  Zellen  sind  regelmässig 
nicht  incapsulirt,  sondern  liegen  frei  in  der  Intercellularsubstaoz. 
Sie  sind  zuweilen  rund,  aber  meist  länglich,  spindelförmig  oder 
linsenförmig,  nicht  selten  mit  Fortsätzen  versehen,  und  gewöhn- 
lich verhältnissmässig  klein.  Die  Intercellularsubstanz  erscheint 
freilich  sehr  dicht,  zuweilen  leicht  streifig,  aber  doch  nicht  fibrillir, 
sondern  wirklich  „knorpelig.'^  Aber  sie  bildet  keine  gleichm&ssig 
zwischen  den  Zellen  ausgebreitete  Masse,  sondern  sie  erscheint 
in  Form  von  Blättern,  Balken  oder  Netzen,  welche  oft  so  dicht 
liegen,  dass  man  die  Zellen  dazwischen  kaum  erkennt,  und  dies 
man  an  ihrer  Stelle  nur  Spalten  oder  Lücken  zu  sehen  glaobt 
Das  Ganze  stellt  daher  eine  mehr  lamellöse,  trabekuläre  oder 
geradezu  filzige  Masse  dar,  und  die  Aehnlichkeit  mit  den  ik 
Fibroid  oder  Desmoid  geschilderten  Geschwülsten  kann  bis  xnm 
Verwechseln  gross  werden.  Ja,  ich  trage  kein  Bedenken  m 
behaupten,  dass  einzelne  Fälle  dieser  Art  gerade  als  typijK-he 
Fibroidfälle  geschildert  worden  sind.  Die  Intercellularsubstani 
überwiegt  bedeutend  die  Zellen.  Nehmen  diese  an  Grösse  nnd 
Zahl  sehr  bedeutend  zu,  so  wird  daraus  ein  Sarkom  und  gerade 
dieses  Sarkom  bildet  einen  starken  Bruchtheil  in  der  als  bös- 
artiges Osteoid  beschriebenen  Gruppe. 

Es  ist  leicht  vorzustellen,  wie  gross  die  Schwierigkeit  werdcB 
kann,  die  oft  so  feinen  Grenzlinien  der  Chondrome  sieber  abxa- 
messen.     Sowohl   die  chemische,  als  die  morphologische  Unter- 
suchung des  Gewebes  zeigen  ein  gewisses  Schwanken  und  Ueber- 
gänge  zu  den  so  nahe  verwandten  Formen  des  Binde-  und  Schleini- 
gowebos.     Es  kommt  dazu,  dass,  wie  zum  Theil  schon  erwähnt, 
sowohl  das  wahre  Enchondrom,  als  auch  das  osteoide  Chondrom 
in  wirklicher  Combination  mit  anderen  Gewebsformen  vorkommt 
und  dieselbe  Geschwulst  in  verschiedenen  ihrer  Theile  versohle- 
diMU'n  Entwickelungstypen  entspricht:  Enchondroma  etChon- 
droma  osteoides  mixtum.    Namentlich  die  Enchondronie  d^r 
WtMihtheilo    zeigen    solche  Combinationen    in    der   allergrössten 
Manniohfaltigkeit,  wie  ich  schon  lange  für  die  der  Hoden  naih- 


Gemischte  Knorpelgeschwülstc.  473 

gewiesen  habe*).  Sehr  selten  kommt  dies  an  Knochen- Enchon- 
dromen  vor.  Am  häufigsten  findet  man  in  solchen  Combi na- 
tions-Geschwülsten  kleine  Knorpelstücke  inselförmig  zer- 
streut in  einer  Gewebsmasse  ganz  anderer  Art,  entweder  so,  dass 
ein  verwandtes  Gewebe  z.  B.  Binde-  oder  Schleimgewebe  die  Haupt- 
masse bildet,  oder  dass  ganz  heterologe  Gewebe  z.  B.  epitheliale 
in  Form  von  Krebs-  oder  Kystombildungen  hinzutreten.  Andere- 
mal  dagegen  nimmt  die  Knorpelbildung  grössere,  zusammen- 
hängende Theile  der  Geschwulst  ein,  während  der  Rest  eben- 
falls zusammenhängend  aus  anderen  Gewebsmassen  zusammen- 
gesetzt ist.  Dabei  ist  immer  wieder  zu  unterscheiden  der  Fall 
der  primären  Combination,  wo  die  verschiedenen  Gewebstypen 
gewissermaassen  unabhängig  neben  einander  zur  Erscheinung 
kommen,  von  dem  Fall  des  secundären  Ueberganges  des  einen 
Gewebes  in  das  andere,  so  dass  entweder  das  Enchondrom  schlei- 
mig oder  markig  oder  knöchern  wird,  oder  dass  umgekehrt  schlei- 
mige oder  bindegewebige  Geschwülste  cartilaginesciren. 

Am  wichtigsten  ist  in  dieser  Beziehung  die  Combination  mit 
den  eigentlich  malignen  Geschwülsten,  wie  sie  das  Enchondrom 
am  häufigsten  mit  Krebs,  das  Osteoid-Chondrom  mit 
Sarkom  zeigt.  Beide  beruhen  in  der  Regel  auf  vermehrter  Zellen- 
wucherung. Allerdings  kommt  Zellenwucherung  auch  bei  dem 
gewöhnlichen  Wachsthum  der  Knorpelgeschwulst  vor,  zumal  wenn 
es  sehr  schnell  erfolgt.  Insbesondere  in  dem  Enchondrom  ist 
nichts  häufiger,  als  dass  einzelne  Elemente  so  stark  wuchern 
(S.  468),  dass  aus  ihnen  ganze  Haufen  neuer  Zellen,  man  kann 
geradezu  sagen,  ganze  Läppchen  neuer  Geschwulstmasse  hervor- 
gehen. Allein  so  lange  der  Charakter  der  Geschwulst  selbst 
nicht  geändert  wird,  so  lange  scheiden  die  neuen  Zellen  auch 
immer  wieder  neue  Intercellularsubstanz  um  sich  ab.  Nimmt 
dies  dagegen  ab  oder  hört  es,  wie  bei  den  krebsigen  Formen 
bis  etwa  auf  einen  gewissen  flüssigen  Saft,  ganz  und  gar  auf,  so 
ist  auch  eine  Aenderung  des  Gewebstypus,  ein  Uebergang  zu 
einem  neuen  Typus  gegeben,  und  es  bedarf  nur  einer  weiteren 
Entwickelung  der  jungen  Zellen  zu  epithelialen  Formen,  um  ein 
Kankroid  oder  einen  wahren  Krebs  zu  erzeugen. 

Diesen    progressiven    Metamorphosen    stehen    einige 


•)  Würzb.  Verh.  Bd.  I.  S.  135. 


474  Secbszehote  VorleBung. 

andere  Veränderungen  zur  Seite,  die  freilich  nicht  ganz  constant 
sind.  Die  wichtigste  darunter  dürfte  wohl  die  Vase ularisation 
sein.  Wir  wissen  schon  durch  eine  Injection  von  M.  J.  Weber*), 
dass  in  dem  Enchondrom  die  Gefässe  sich  mehr  im  Umfange  der 
Knorpelmassen  oder  in  gewissen  Scheidewänden  zwischen  ihnen 
verbreiten.  Das  umgebende  Gewebe  kann  sehr  gefössreich  sein**), 
aber  der  eigentliche  Knorpel  ist  ebenso  gefässlos,  wie  der  normale 
permanente  Knorpel.  Anders  verhält  es  sich  mit  dem  Osteoid- 
Chondrom.  Dieses  besitzt  manchmal  eine  Gefasseinrichtung, 
welche  die  höchste  Aehnlichkeit  mit  derjenigen  des  eigentlichen 
Knochengewebes***)  hat.  Immerhin  ist  aber  auch  hier  die  Zahl 
der  Gelasse  eine  geringere.  Dies  ändert  sich  schon  in  den  wei- 
cheren, namentlich  den  schleimigen  Formen,  und  es  kommt  hier 
vor,  dass  eine  wirklich  telangiectatische  Entwickelung  der  Gefasse 
erfolgt:  Enchondroma  telangiectodes. 

Dieser  Fall  ist  aber  sehr  selten.  Meist  verbindet  sich  die 
Gefassentwickelung  mit  einer  Aenderung  des  Gewebstypus.  Der 
häufigste  Fall  ist  der,  dass  eine  wirkliche  Ossifikation  ein- 
tritt. Diese  ist  in  dem  Osteoid  -  Chondrom  sehr  einfach,  da  die 
gsmze  Einrichtung  der  Substanz  gleichsam  für  die  Knochenbildung 
vorgebildet  ist  und  es  nur  der  Ablagerung  der  Kalksalzc  in  die 
Intercellularsubstanz  bedarf,  um  wirklichen  Knochen  ganz  unmit- 
telbar zu  erzeugen.  Bei  dem  Enchondrom  ist  der  Gang  weit- 
läufiger, mannichfaltigerf). 

Vieles  von  dem,  was  man  Verknöcherung  genannt  hat,  ist 
wie  bei  den  Gelenkmäusen  (S.  452)  nichts  weiter  als  Verkal- 
kung (Petrification,  Incrustation).  Ganz  ebenso  wie  bei  dem 
verkalkenden  Epiphysenlcnorpel  ff),  geschieht  hier  zunächst   die 


•)  Philipp  V.   Walther.     Gräfe's   and    Walther's   Journal.    Bd.  XIU. 
S.  351,  374. 

♦♦)  Lebert.    Atlas  d'anat.  path.  PI.  XXIX.  fig   13.,  14.     C.  0.  Weber. 
Knochengcsch Wülste.  I.  Taf.  1.  Fig.  1.,  2. 
•♦♦)  Cellularpathologie.     3.  Aufl.  S.  76,  79.  Fig.  3G.,  38. 
+)  Cellularpathologie.    3.  Aufl.  S.  3W.  Fig.  133.,  134. 

If)  Wir  haben  He»chrcibungeii  der  Enchondrom -Ossifikation  von  Roki* 
tansky(Zcitschr.  der  Wiener  Aer^te.  1848-1849.  Jahrg.  I.  S.  (5.  Fig.G.-lO.), 
DuMKeau  (Verbandclingen  der  cerste  Klasse  van  het  NederUndsch  Institut. 
III  Keeks.  111  Deel.  BI.  134.),  Scholz  (De  enchondromate  Diss.  inaug. 
Vratibl.  1855.  p.  28,  41.  Tab.  I.-II.),  A.Förster  (Allg.  pathol  Anat.  1855. 
S.  125.  Atlas  der  mikrosk.  path.  Anat.  Taf.  III.  Fig.  1.)  und  C.  0.  Weber 
(a.  a.  0.  8.  90.).  »Sie  leiden  meist  an  einiger  Unklarheit,  da  die  Grenzen 
zwischen  Verknöcherung  und  blosser  Verkalkung  damals  noch  nicht  geom 
genug  festgestellt  waren. 


PetrificatioD  und  Ossification.  der  £achoadroine.  475 

Ablagerung  der  Kalksalze  in  die  Kapseln  der  Knorpelzellen;  es 
bilden  sich  Kalkringe  um  dieselben,  und  was  bei  oberflächlicher 
Betrachtung  wie  Knochen  aussieht,  das  erweist  sich  bei  genauerer 
Analyse  oft  als  nichts  anderes,  denn  als  ein  Haufen  runder,  kal- 
kiger Körner  oder  Nüsse,  den  vollständig  incrustirten  Kapseln 
entsprechend.  Freilich  kann  nach  und  nach  auch  die  zwischen- 
gelegene Intercellularsubstanz  sich  mit  Kalk  erfüllen  und  so  eine 
Verschmelzung  der  einzelnen  Kalkringe  oder  Kömer  zu  einer 
homogenen  Masse  erfolgen,  in  welcher  nur  die  alten  Höhlungen 
der  Kapseln  als  rundliche  oder  leicht  eckige  Löcher  erscheinen, 
wie  es  auch  bei  verkalkendem  Gelenkknorpel*)  stattfindet.  So 
erklären  sich  die  Platten,  welche  man  zuweilen  auf  mikroskopi- 
schen Durchschnitten  findet  und  welche  auf  den  ersten  Blick  wie 
wirkliche  Knochenplattcn  ausssehen,  sich  aber  dadurch  unter- 
scheiden, dass  sie  mehr  rundliche  Löcher  ohne  Fortsätze  ent- 
halten, also  im  Ganzen  siebförmig  erscheinen.  Löst  man  die 
Kalksalze  durch  Säuren  auf,  so  ist  wieder  Knorpel  da. 

Allein  neben  der  blossen  Verkalkung  kommt  doch  auch 
wahre  Verknöcherung  vor.  Zuweilen  liefert  diese  den  schön- 
sten spongiösen  Knochen:  Balken  von  Diploe  mit  eingelagertem 
Mark.  Ich  habe  dies  selbst  in  Enchondromen  der  Weichtheile, 
am  schönsten  in  einer  grossen  Geschwulst  der  Submaxillar- 
Speicheldrüse  gesehen.  Anderemal  entsteht  ganz  harte,  compacte 
Substanz,  zuweilen  von  elfenbeinerner  Festigkeit.  Indess  ist  dies 
seltener  und  es  geschieht  mehr  bei  gewissen  langsam  wachsenden 
Knorpelgeschwülsten  an  Knochen,  bei  denen  meist  so  wenig 
Knorpel  vorhanden  ist,  dass  es  mir  zweckmässiger  erscheint, 
diese  Form  zum  Osteom  zu  rechnen,  wo  ich  darauf  zurück- 
kommen werde.  Denn  nur  die  Fälle  verdienen  zum  Enchondrom 
gerechnet  zu  werden,  bei  denen  der  Charakter  des  perma- 
nenten Knorpels  vorherrscht,  bei  denen  also  auch  die  Ossifika- 
tion nur  in  kleineren  Abschnitten  oder  sehr  spät  eintritt.  — 

Gerade  entgegengesetzt  der  Verknöcherung  und  sehr  viel 
häufiger  ist  die  regressive  Metamorphose,  welche  in  ihrem 
Fortschreiten  zur  Erweichung  und  zur  Ulceration  zu  führen 
pflegt.  Sie  beginnt  meist  mit  einer  Fettmetamorphose  der  Zellen, 
welche   nicht   in   dem  Kern,  wie  so  oft  fälschlich  behauptet  ist, 


•)  Cellularpathologie.    3.  Aufl.  S.  345.  Fig.  125. 


476  Sechszehote  Vorlesung. 

sondern  neben  dem  Kern  in  dem  Zellenkörper  Platz  greift*). 
Während  die  Zellen  sich  in  Fettkömchenzellen  und  Kömchen- 
kugeln umwandeln,  beginnt  die  Erweichung  der  Intercellularsub- 
stanz,  welche  zu  einer  anfangs  dickeren,  später  dünneren  gallert- 
artigen, fadenziehenden,  höchst  schlüpfrigen  Masse  von  reichem 
Mucingehalt  zerfliesst.  Einzelne  festere  Massen,  jedoch  in  der 
Regel  schon  mit  entarteten  Zellen  versehen,  lösen  sich  im  Zu- 
sammenhange ab  und  schwimmen  in  der  Flüssigkeit.  Gleich- 
zeitig zerreissen  nicht  selten  die  Gefässe  der  Scheidewände  und 
ergiessen  Blut  in  die  Flüssigkeit,  welches  sich  in  derselben  in 
Pigment  umwandelt  und  ihr  eine  rothe,  bräunliche  oder  gelbliche 
Färbung  giebt.  So  entstehen  Höhlungen,  fluctuirende  Stellen, 
Cysten  in  der  früher  harten  Masse,  und  entweder  sticht  ein 
unvorsichtiger  Chirurg  in  sie  hinein  und  bildet  so  ein  fistulöses 
Geschwür,  oder  die  Stelle  bricht,  wenn  sie  näher  unter  der  Haut 
liegt,  von  selbst  auf  und  entleert  ihren  Inhalt  nach  aussen. 

Dieses  fistulöse  Enchondrom-Geschwür  **),  aus  wel- 
chem möglicherweise  Theile  der  noch  bestehenden  Geschwulst 
„fungös"  hervordringen,  ist  wohl  zu  unterscheiden  von  der  ober- 
flächlichen Verschwärung,  welche  sich  bei  sehr  nahe  an  der  Haut 
gelegenen  Enchondromen  z.  B.  denen  an  den  Fingern  so  leicht  , 
bilden,  wenn  durch  das  starke  Wachsthum  der  Geschwulst  die 
umgebenden  Weichtheile  immer  mehr  gespannt  werden  und  an 
ihnen  endlich  erodirte  oder  gangränescirende  Stellen  entstehen. 
Dies  sind  Geschwüre  von  sehr  geringer  Absondemng,  in  deren 
Grunde  die  feste  Geschwulstmasse  sehr  lange  Widerstand  leistet 

Auch  die  Erweichung  findet  in  der  Geschichte  der  perma- 
nenten Knorpel  ihre  Analogie  (S.  139).  Insbesondere  an  den 
Rippenknorpeln  alter  Leute  kann  man  ganz  ähnliche  Vorgänge, 
freilich  sehr  im  Kleinen  sehen.  Gewöhnlich  scheint  eine  Reizung 
vorherzugehen,  welche  die  Knorpelzellen  zum  Wachsthum  und  zur 
Wucherung  anregt.  Der  Gerässzufuhr  beraubt,  zerfallt  aber  die 
Masse,  da  sie  sich  in  ihrem  vergrösserten  Zust^mde  mit  dem 
gewöhnlichen,  nur  spärlich  zuströmenden  Ernährungsmaterial  nicht 
zu  erhalten   vermag.     So    ist   es   auch   bei  den  Enchondromen. 


•)  Mein  Artliiv.  Bd.  1.  S.  147. 

*•)  (iluge.  Anatomisch -mikroskopibcbc  Uutersucbungeu  zur  PaUiologie. 
Jena.    1Ö41.  Heft  11.  JS.  155. 


Vorkommen  der  Enchondrome.  477 

Die  Erweichung    beginnt   mit  Wucherung   und   zwar    central, 
gewöhnlich  mitten  in  grösseren  Knorpelstücken.  — 

Das  wirkliche  Enchondrom  entsteht  an  Orten,  wo  eigent- 
lich kein  Knorpel  vorhanden  sein  sollte,  oder,  wie  Müller*) 
gesagt  hat,  wo  er  nicht  nöthig  ist.  Allerdings  ergiebt  die  Erfah- 
rung, dass  die  grosse  Mehrzahl  dieser  Gewächse  im  Knochen  vor- 
kommt; das  Knochenenchondrom  ist  die  gemeinste  Form,  und 
daher  hat  sie  in  der  Regel  als  Beispiel  für  die  Beschreibung 
gedient.  Aber  gerade  die  gewöhnlich  knorpeligen  Theile  des 
Knochens,  die  Gelenkoberflächen,  sind  es  nicht,  welche  das 
Enchondrom  erzeugen;  dieses  findet  sich  vielmehr  in  der  Conti- 
nuität  der  Knochen**).  Ja,  schon  Müller  hat  auf  die  sehr 
charakteristische  Erscheinung  aufmerksam  gemacht,  dass  in  der 
Regel,  selbst  wo  ein  ganzer  Knochen  enchondroraatös  wird,  die 
Gelenkflächen  intact  bleiben,  also  der  permanente  Knorpel  sich 
an  dem  Process  nicht  betheiligt.  Andererseits  kommen  Enchon- 
drome auch  in  Weichtheilen,  also  gewiss  heterolog  vor.  Nach 
dem,  was  man  bis  jetzt  weiss,  kommt  ungefähr  auf  8  —  4  Fälle  von 
Knochenenchondrom  ein  Enchondrom  der  Weichtheile***),  und  hier 
findet  es  sich  immer  an  solchen  Stellen,  wo  wir  gar  keinen  Knorpel 
als  präexistirend  kennen,  am  häufigsten  in  Drüsen,  namentlich  in 
den  Speichel-  und  Sexualdrüsen  (Hoden  und  weibliche  Brust). 

Dabei  ist  ein  Umstand  sehr  bemerkenswert!! ,  welcher  die 
Möglichkeit  andeutet,  dass  wenigstens  bei  den  Knochenenchon- 
dromen  unter  Umständen  ein  knorpeliger  Anfang  gegeben  sein 
kann,  dernehmlich,  dass  sie  ungewöhnlich  häufig  in  frühen 
Lebensaltern  entstehen.  In  einzelnen  Fällen  wurde  das  Enchon- 
drom  angeboren   beobachtetf);   in  der  grossen  Mehrzahl  zeigt 


*)  Joh.  Müller.    Ueber  den  feineren  Bau  der  Geschwülste.    S.  41. 
**)  Hier  liegt  nur  Beinhaut  (Periost),  Mark  oder  eigentliches  Knochen- 
gewebe (Tela  ossea),  welches  bekanntlich  nicht,  wie  man  früher  annahm,  au» 
verkalktem  Knorpel  (Knochenknorpel)  besteht,  sondern  dem  Bindej^ewebe  in 
seiner  Zusammensetzung  näher  steht  (Cellularpath.  3.  Aufl.  S.  346). 

•**)  Das  Verhältniss  hat  sich  mehr  und  mehr  zu  Gunsten  der  Enchon- 
drome der  Weichtheile  p;e«ändert,  in  dem  Maassc  als  die  Untersuchungen  ge- 
nauer geworden  sind.  Müller  kannte  noch  so  wenige  Fälle  davon,  dass 
sich  bei  ihm  das  Verhältniss  =1:9  stellte.  C.  0.  Weber  (Die  Knochen- 
geschwülste. Abth.  I.  Die  Exostosen  und  Enchondrome.  Bonn.  1856.  S.  112) 
zählt  in  seiner  statistischen  Zusammenstellung  237  bekannte  Enchondrome 
der  Knochen  'sos^en  67  Enchondrome  der  Weichtheile. 


f)  Ruysch    Epist.  anat.  probl.  XIV.  p.  9.  (Hände  und  Füsse).     Mur- 
ison.   ßdinb.   monthly  Journ.  1852.  Mai.  p.  491.  (Finger).    Syme.    The 


478  Sechszehnte  Vorlesung. 

es  sich  in  den  ersten  Decennien  des  Lebens.  Freilich  kommen 
die  wenigsten  Fälle  in  dieser  Zeit  zur  Behandlung,  allein  wenn 
man  die  Krankengeschichten  verfolgt,  so  ergiebt  sich,  dass  die 
meisten  Enchondrome,  die  späterhin  zur  Operation  kommen,  schon 
eine  Reihe  von  Jahren  hindurch  bestanden  hatten,  oft  schon 
zwanzig  Jahre  und  noch  mehr,  und  dass  der  Beginn  des  Leidens 
sehr  früh  bemerkt  wurde.  Nach  einer  von  Weber*)  aus  94  Fällen 
von  Knochen-Enchondromen  entworfenen  Statistik  wurde  der  Ein- 
tritt der  Geschwulstbildung  bei  mehr  als  der  Hälfte  der  Fälle  in 
den  ersten  beiden  Decennien  des  Lebens,  bei  fast  einem  Dritttheil 
bis  zum  Alter  von  10  Jahren  beobachtet.  Für  die  Enchondrome 
der  Weichtheile  gilt  vielfach  dasselbe.  Dazu  kommt  endlich, 
dass  auch  einige  Beispiele  von  erblicher  Uebertragung  der 
Enchondrome  bekannt  sind,  nehmlich  ausser  der  Beobachtung 
von  Dalrymple**)  der  sehr  charakteristische  Fall  der  fransd- 
sischen  Familie  Pellerin,  den  man  früher  auf  eine  maligne  Krebs- 
form  bezog,  der  aber  durch  genauere  Untersuchungen  in  der 
neueren  Zeit  als  chondromatös  erkannt  worden  ist.  Hier  ist 
durch  drei  Generationen  hindurch  eine  multiple  Enchondrombil- 
düng  an  verschiedenen  Skelettheilen,  namentlich  den  Schienbeinen, 
den  Rippen  und  dem  Oberarm  beobachtet  worden***). 

Es  scheinen  diese  Erfahrungen  darauf  hinzuweisen,  dass  schon 
in  der  ersten  Entwickelung  (Prima  formatio)  der  Knochen  gewisse 
Unregelmässigkeiten  vor  sich  gehen,  welche  die  Prädisposition  u 
der  späteren  Geschwulstbildung  legen.  Wenn  ich  die  mOglichei 
Formen  solcher  Entwickelungsstörungen  erwäge,  so  möchte  ich 
es  für  sehr  wahrscheinlich  halten,  dass  gelegentlich  in  den 
wachsenden  Knochen  einzelne  Fragmente  von  der  ursprünglichen 
Knorpelanlage  un verknöchert  übrig  bleiben,  welche  später  der 
Ausgangspunkt  der  Geschwulstentwickelung  werden.     Früher,  als 


Lancet.  1855.  Vol.  I.  p.  116.  (Finger).    G.  Hennig  und  R.  Wagner.  Mein 
Archiv.    1856.    Bd.  X.    S.  209.     0.  Hennig.    Mein  Archiv.   1858.   Bd.  XHl- 
S.  505  (Schädel).     E.  Wagner.   Archiv  f.  Heilkunde.   1861.  S.  283.  (Bodei 
der  Mundhöhle).     Hierher  gehört  auch  wahrscheinlich  ein  Enchondrom  d< 
Wirbelkanals  (Präparat  unserer  Sammlung  No.  521.  vom  Jahre  1860).  Aac^ 
schliessen  sich  manche  Fälle  von  gemischten  Enchondromen  und  Teratome 
an,  z.  H.  manche  der  sogenannten  Sacral-llygrome  und  ein  Naevos  enrhoi 
dromatosus  corneae  von  A.  v.  Graefe. 
•)  G.  0.  Weber  a.  a.  0.  S.  136. 

**)  Paget.     Lectures  on  surg.  path.  II.  p.  207. 

***)  Vgl.  die  Zusammenstellung  von  G.  0.  Weber  a.  a.  0.  S.  139.   knc^ 
der  Fall  von  Lambl  in  der  folgenden  Note  ist  von  Belang. 


Aetiologie  der  Eocboodrome.  479 

man  noch  mehr  auf  die  allgemeinen  Dyskrasien  gab,  ist  man  bei 
der  Untersuchung  über  die  Entstehung  der  Knochengeschwülste 
häufig  auf  andere  Knochenkrankheiten  zurückgegangen,  z.  B.  auf 
Eachitis.  Später  hat  man  das  zurückgewiesen,  und  es  lässt 
sich  nicht  leugnen,  dass  gerade  bei  Enchondromatösen  ein  aus- 
gemachter Rachitismus  nur  in  wenigen  Fällen  constatirt  ist*). 
Nichtsdestoweniger  kann  ich  nicht  umhin,  nach  meinen  Beobach- 
tungen über  die  Einzelheiten  des  rachitischen  Processes**)  auf 
die  Möglichkeit,  dass  dieser  oder  ein  ihm  ähnlicher  Störungs- 
vorgang wirklich  die  Prädisposition  schafüt;,  besonders  hinzuweisen. 
Die  Ossifikation  während  des  Bestehens  eines  rachitischen  Leidens 
geschieht  nehmlich  an  allen  möglichen  Theilen  mit  einer  ähnlichen 
Unregelmässigkeit***),  wie  ich  sie  früher  als  ein  gewöhnliches  Vor- 
kommniss  an  den  Synchondrosen  geschildert  habe  (S.  444).  Die 
Ossifikationslinie  rückt  nicht  gleichmässig,  sondern  zackig  vor; 
sie  schiebt  sich  mit  einzelnen  Zacken  oder  Ausläufern  von  Mark- 
und  Knochensubstanz  in  den  Knorpel  hinein.     Wie  bei  den  spät 


*)  Dahin  gehört  der  in  mehrfacher  Beziehung  merkwürdige  Fall  von 
Gräfe,  den  Bail  (De  ossium  liixuriatione.  Di-ss.  inaug.  Berol.  1820. 
p.  16.  Fig.  IV.)  als  Ilyperostosis  und  als  Aualogon  der  Elephantiasis  Ara- 
bom  beschrieben,  und  den  später  Joh.  Müller  (Uober  den  feineren  Bau. 
S.  46.  Taf.  IV.  Fig.  3.)  als  Enchondrom  erkannt  hat.  Der  Kranke  wurde 
im  ersten  Lebensjahre  von  Rachitis  ergriffen  und  litt  daran  12  Jahre  lang. 
Kurz  nach  dem  Anfange  dieser  Krankheit  wurde  an  dem  Kleinfinger  der 
Beginn  der  nach  etwa  27  Jahren  operirten  Geschwulst  bemerkt.  —  Eben- 
falls hierher  gehörig  ist  ein  Fall  von  Lenoir,  den  Lebert  (Traitö  d'anat 
path.  T.  I.  p.  230.  PI.  XXVIII.  fig.  10.,  11.  PI.  XXIX.  fig.  7-12.)  veröffent- 
licht  hat.  Der  Kranke  war  zur  Zeit  der  Operation  26  Jahre  alt,  trug  die 
Zeichen  einer  alten  rachitischen  Affektion  und  nach  seiner  Angabe  hatte 
einer  der  Brüder  seines  Vaters  ein  ähnliches  Uebel  gehabt.  Er  hatte  mul- 
tiple Enchondrome  der  Metakarpalknochen  und  Phalangen  beider  Hiinde, 
der  Metatarsalknochen  des  einen  Fusses  und  der  entsprechenden  Tibia,  im 
Ganzen  15.  Das  Uebel  war  im  Alter  von  3  Jahren  bemerkt  worden,  hatte 
nach  8  Jahren  sich  sehr  gesteigert  und  war  seit  dem  16ten  stationnär  ge- 
blieben. Cruveilhier  (Trait^  d*anat.  path.  T.  III.  p.  rf03),  welcher  den 
klinischen  Verlauf  des  Falles  genauer  mittheilt,  macht  auf  den  Rachi- 
tismus besonders  aufmerksam  und  bemerkt,  dass  er  und  Lenoir  das 
Enchondrom  als  eine  Art  von  localem  Rachitismus  betrachten.  Ich  brauche 
wohl  nicht  auseinanderzusetzen,  dass  diese  Ansicht  von  der  meinigen  sehr 
wesentlich  verschieden  ist.  —  Endlich  erwähne  ich  noch  eine  Beobachtung 
von  Lambl  (Aus  dem  Franz-Josef-Kinderspital.  Prag.  1860.  Th.  I.  S.  205): 
Eine  32jäbrige  Frau,  seit  ihrer  Jugend  kyphotisch,  bemerkte  vor  einem  Jahre 
eine  kleine  Geschwulst  des  unteren  Endes  der  Tibia,  welche  anfangs  langsam, 
in  der  letzten  Zeit  rasch  wuchs,  Kindskopfgross  wurde  und  sich  später  als 
Gallert-Enchondrom  auswies.  Dabei  wird  bemerkt,  dass  der  Vater  der  Kranken 
in  Folge  einer  Geschwulst  in  der  rechten  Ohrgegend  gestorben  sein  soll. 

♦♦)  Mein  Archiv.     1853.  Bd.  V.  S.  409. 

•♦•)  Ebendas.  S.  425,  434,  Taf.  IV.  Fig.  2.  u.  3. 


480  Secbszehnte  Vorlesung. 

OBsificirenden  Synchondrosen ,  so  findet  man  bei  der  Rachitis  an 
den  verschiedensten  Theilen  hinter  schon  fertigem  Knochen  noch 
Knorpel,  ja  es  kommen  ganz  isolirte  Knorpelstücke  abgeschlossen 
in  der  spongiösen  Substanz  des  Knochens  vor. 

Gewiss  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  ein  solches  abge- 
schlossenes Knorpelfragment,  wenn  es  sich  weiter  entwickelt,  der 
Ausgangspunkt  einer  Geschwulst  werden  kann,  etwa  wie  ein  im 
Kiefer  eingeschlossenes  Zahnsäckchen  der  Ausgangspunkt  der  häufig 
um  Jahre  nachher  erst  eintretenden  weiteren  Zahnentwickelung. 
Die  auffallende  Erscheinung,  dass  mit  so  grosser  Häutigkeit  schon 
der  Beginn  des  geschwulstartigen  Wachsthums  bis  in  die  früheren 
Lebensalter  zu  verfolgen  ist  und  dass  gerade  diejenigen  Kno- 
chenthoile,  welche  normal  spät  ossificiren,  nächstdem 
auHgesetzt  sind,  lässt  sich  am  leichtesten  begreifen,  wenn  mio 
ein  solches  Verhältniss  der  Prädisposition  annimmt.  Aber  kh 
hebe  ausdrücklich  hervor,  es  ist  das  nur  eine  Vermuthung  lon 
mir.  Ich  habe  nie  beobaK^htet,  dass  ein  solcher  abgeschlosseDer 
Tlieil  der  Ausgangspunkt  einer  weiteren  Entwickelung  geworden 
wäre,  und  es  ist  sicher,  dass  in  manchen  Fällen  die  Geschwulst- 
bildung in  die  höchsten  Lebensalter  lallt,  ohne  dass  vorher  etwas 
davon  bemerkt  worden  wäre.  Ja,  wir  werden  später  sehen,  dass, 
selbst  wenn  für  den  ersten  Ausgangspunkt  etwas  der  Art  nach- 
gewiesen werden  sollte,  damit  die  unzweifelhafte  Thatsache  nicht 
zurückgewiesen  werden  könnte,  dass  das  Enchondrom  in  seinen 
weiteren  Wachsthum  vollkommen  heterolog  ist.  Aber  man  darf 
nicht  übersehen,  dass  die  Heterologie  der  späteren  Zeit  nicht 
einfach  für  die  Heterologie  des  Anfanges  spricht.  Gewiss  ist  es 
ein  sehr  auffallendes  Ding,  dass  die  Enchondrome  zuweilen  bei 
relativ  jungen  Individuen  vielfach  sind,  wie  wir  noch  später 
genauer  sehen  werden.  Morton  *)  berichtet  von  einem  16jährigen 
Burschen,  der  an  beiden  Händen  Phalangen  und  Metakarpalknochen 
voller  Enchondrome  hatte,  die  zum  Theil  schon  lange  stationnir 
waren,  und  der  behauptete,  nach  der  geringsten  Quetschung  folge 
nach  einiger  Zeit  eine  neue  Geschwulst.  Erwägt  man  ferner,  dass 
nach  den  Tabellen  von  Weber  die  Enchondrome  der  Hand  gani 
unj^ewöhnlich  häufig  in  dem  ersten  Decennium  des  Lebens  sind, 
während  im  zweiten,  dritten  und  vierten  Jahrzehnt  die  der  anderen 

*)  Morton.    Trausact.  Path.  See.  London.  Vol.  II.  p.  118« 


Aetiologie  der  Enchondrome.  481 

Knochen  mehr  hervortreten,  so  steht  auch  das  in  einem  gewissen 
Verhältniss  zu  dem  Ossifications- Vorgange  überhaupt.  Gerade  die 
Stellen,  wo  die  Ossification  spät  und  unregelmässig  eintritt,  wie 
die  Umgebungen  der  Synchondrosis  spheno-occipitalis,  ilio-pubica, 
sacroiliaca,  nächstdem  an  den  Röhrenknochen  die  Umgebungen 
der  sogenannten  Epiphysen-  (richtiger  Diaphysen-)  oder  Inter- 
mediär-Knorpel*),  also  die  Gelenkenden  zeigen  die  grösste  Prä- 
disposition zur  Enchondrombildung.  Alles  das  macht  mich  sehr 
geneigt,  die  Bedeutung  der  unregelmässigen  Knochen- 
bild an  g  sehr  hoch  anzuschlagen,  und  ich  möchte  dabei  noch 
besonders  erinnern,  dass  Verkrümmungen  kein  nothwendiges 
Attribut  der  Rachitis  sind,  dass  vielmehr  sehr  schwere  Fälle 
von  Rachitis  bei  geraden  Knochen  vorkommen. 

Für  die  Geschichte  der  Enchondrome  der  Weichtheile  fehlen 
uns  genauere  Anhaltspunkte  in  dem  Zustande  der  Gewebe  noch 
mehr.  Ich  kann  nur  auf  das  schon  früher  (S.  67)  im  Allge- 
meinen berührte  Beispiel  von  der  Retention  der  Hoden  ver- 
weisen, welches  wenigstens  für  die  teratoide  Enchondrombildung 
Bedeutung  hat**).  Auch  scheint  es  mir  nach  einer  freilich  nicht 
ganz  genau  durchgeführten  Statistik,  dass  gewisse  Enchondrome 
der  Weichtheile,  z.  B.  die  des  Unterhautgewebes,  beim  weiblichen 
Geschlecht  relativ  häufig  sind,  während  die  Enchondrome  der 
Knochen  beim  männlichen  Geschlecht  vorwiegen***). 

Da  wir  die  Aetiologie  eben  besprochen  haben,  so  kann  ich 
noch  eines  hinzufügen,  welches  für  die  Onkologie  überhaupt  von 
Werth  ist,  nehmlich  dass  wir  bei  keiner  Geschwulst  eine  so  grosse 
Zahl  von  Einzelßillen  wie  beim  Enchondrom  kennen,  bei  denen 
der  Anfang  der  Geschwulst  nach  Angabe  der  Kranken  auf  trau- 
matische Einwirkung  zurückzuführen  ist,  und  zwar  nicht  auf 
ganz  beliebige  Einwirkungen,  wie  Fichte f)  gemeint  hat,  son- 


*)  Zeis  (Beobachtungen  und  Erfahrungen  aus  dem  Stadtkrankenhause 
zu  Dresden.  Heft  II.  18ö3.  Fig.  5.)  bildet  ein  mehr  corticales  Enchondrom 
von  der  ersten  Phalanx  des  4.  Fingers  eines  17jährigen  Burschen  ab,  wel- 
ches nach  der  Zeichnung  mit  dem  Intermedifirknorpel  continuirlich  zusammen- 
hing. Fichte  (Ueber  das  Enchoudrom.  S.  80)  beschreibt  ein  Enchondrom 
der  Nagelphalanx  des  Daumens  eines  13jährigen  Knaben,  wo  die  central 
gelegene  Masse  der  Geschwulst  an  einer  Stelle  mit  dem  Epiphysenknorpel 
verschmolzen  war. 

••)  Senftleben.    Mein  Archiv.  Bd.  XV.  S.  344,  349. 
••♦)  C.  0.  Weber  a.  a.  0.  S.  135. 

t)  Eduard  Fichte.    Ueber  das  Enchondrom.  Tfibiogen.  1850.  S.  24. 

Virebow,  Qetebwfilfto.    1.  31 


482  Sechszehnte  Vorlesung. 

dem  auf  sehr  concrete  Verletzungen*),  unter  diesen  Bcheinea 
mir  namentlich  die  wirklichen  Frakturen  von  grossem  Interesse 
zu  sein.  Nelaton**)  erzählt  von  einem  Manne,  der  zufällig  das 
Bein  brach,  nach  2  Monaten  vollslandig  geheilt  war,  aber  nach 
einem  halben  Jahre  heftige  Schmerzanfalle  an  der  Stelle  bekam. 
Darauf  bei  einer  geringen  Anstrengung  ein  neuer  Bruch,  der  in 
2  Monaten  heilte,  aber  schmerzhaft  blieb.  Es  begann  sieh  eine 
Geschwulst  zu  entwickeln,  die  mehr  und  mehr  anwuchs  und  end- 
lich aufbrach.  Der  Mann  ging  im  fünften  Jahre  nach  dem  ersten 
Bruch  an  Erschöpfung  zu  Grunde;  die  Autopsie  zeigte  ein  Enchon- 


*)  Zur  ßeurtheilung  dieses  Verhältnisses  mag  es  genügen,  einzelne  sokke 
Fälle  aufzuführen:  .1)    Ein   22jähriger  Mann  wurde  von  einem  Pferde  auf 
den  Fuss  getreten;  danach  bildeten  sich  langsam  2  Geschwülste  der  4.  Zehe 
(Scholz.   De  enchondromate.   Diss.  inaug.   Vratisl.   1855.   p.   35).     2)  Ein 
35jähriger  Mann  hatte  durch  einen  Stoss  den  kleinen  Finger  luxirt  nnd  das 
Leiden  vernachlässigt;  der  Finger  wurde  amputirt.    Ein   halbes  Jahr  nach- 
her fand  sich  unter  der  geschlossenen  Narbe  ein  seit  6  Wochen  l>emerkteB 
Enchondrom  des  Metakarpalknochens   (IL  Meckel.   Charite - Annalen.  VE 
2.  S.  84).    3)  Ein  39jähriger  Mann    erlitt   durch  zwei   zusammenstosseode 
Fässer  eine   Quetschung   der   Hand;   Anschwellung   und  leichter   Sehmen 
wurden  durch  spirituöse  Einreibungen  zerstreut,  aber  ein  halbes  Jahr  nicli- 
her  kehrte  der  Schmerz  zurück  und  fixirte  sich  in  dem  Ringfinger,  der  all- 
mählich ein  Enchondrom  entwickelte  (J.  Herz.  De  enchondromate.  ErUog' 
1843.  p.  7).    4)  Ein  19 jähriger  Mann  wurde  1824  von  einem  Pferde  anf  die 
innere  Seite  des  rechten  Fusses  getreten.    Heftiger  Schmerz,  der  sich  Jahre 
lang  fortsetzte.  1828  erschien  an  der  schmerzhaften  Stelle  eine  Geecbwolit, 
die   langsam   wuchs,   so   dass   sie   1842  Taubeneigross  war.     1846  endlich 
wurde  ein  Enchondrom  des  ersten  Metatarsalknochens  entfernt,  das  den  Um- 
fang zweier  Fäuste  hatte  (N^laton.  Gaz.  des  h6p.  1855.  No.  10.  p.  38). 
5)  Ein  14  jähriger  Knabe  erhielt  einen  Faustschlag  in  die  Parotis -Gegend; 
darnach  trat  eine  heftige,  die  ganze  linke  Gesichtshälfte  einnehmende  An- 
schwellung auf,  die  erst  nach  14  Tagen  beseitigt  ward.    Seitdem  Ton  Zeit 
zu  Zeit  zuckende  Schmerzen  in  der  Gegend;  2  Jahre  später  wird  zuerst  eise 
flache,  Sechsergrosse  Verhärtung  bemerkt,  die  unter  wiederholten  Schmenen 
wächst    Nach  einer  Erkältung,  7  Jahre  nach  der  ersten  Verletxung  lebhaftes 
Fieber  mit  reissenden  Schmerzen  der  linken  Gesichtshälfte,  welche  8  Tige 
dauerten.    Seitdem  schnelleres  Wachsthum.    Im  nächsten  Jahre  EzstirpatioD 
eines  pflaumengrossen  Enchondroms  (H.  Fried berg.  Chirurgische  Klinik. 
Jena.  1855.  Bd.  1.  S.  247).  —  Die  Geschichte  der  Hoden-Enchondrome  bie- 
tet die  zahlreichsten  analogen  Beispiele  dar.  —  Ich  bemerke  schliesslich, 
dass  Fichte  selbst  (S.  58  seines  Werkes)  einen  Fall  von  Enchondrom  der 
Beckenknochen  bei  einem  58jährigen  Manne  beschreibt,  der  als  Soldat  einen 
Stich  in  den  Unterleib  erhalten  hatte.     Er  legt  diesem  Stiche  keine  Bedei- 
tung   bei,   indess   wäre  die  Sache  wohl  genauer  zu  untersuchen  gewesen. 
Ginge  (Atlas  der  path.  Anat.  Lief.  XVIL  Taf.  IH.  Fig.  15-17.  S.  3.    Hieto- 
logie  S.  G7.  Note  6.)  beschreibt  wenigstens  ein  recurrirenden  EBcboadro« 
der  Orbita  von  einem  53jährigen  Manne,  der  30  Jahre  zuvor  einen  Bajoanett* 
stich  erhalten  hatte,  welcher  in   die  Augenhöhle  drang,  und  der  .seitdem" 
die  Geschwulstbildung  bemerkte. 
*^)  Gas.  des  hdp.  1855.  No.  17. 


Enchondrome  an  gebrocheoea  Knochen.  488 

drom.  Otto*)  berichtet  von  einem  Frauenzimmer,  das  2  Jahre 
vor  seinem  Tode  einen  Oberarmbruch  erlitt,  der  geheilt  wurde, 
aber  sehr  schmerzhaft  blieb  und  stark  misshandelt  wurde;  darauf 
Bildung  der  Geschwulst  (die  übrigens  offenbar  ein  Osteoidchon- 
drom war)  zu  einem  cölossalen  Umfange.  Ducluzeau**)  ent- 
fernte ein  Enchondrom  aus  der  Rippe  eines  Mannes,  welches 
sich  seit  einem  Bruche  derselben  seit  mehreren  Jahren  entwickelt 
hatte.  Laügenbeck***)  exarticulirte  den  Oberarm  eines  23jäh- 
rigen  Mannes  wegen  einer  Geschwulst,  die  ich  als  Osteoidchon- 
drom  erkannte,  und  die  1 }  Jahr  nach  einem  durch  Fall  bedingten 
Brache  begann.  Man  kann  hier  natürlich  die  Frage  aufwerfen,  ob 
nicht  die  Frakturen  vielmehr  durch  das  Bestehen  von  Enchondro- 
men  bedingt  waren  f),  indess  ist  dies  an  sich  unwahrscheinlich,  da 
das  Enchondrom  keine  weiche  Geschwulst  ist,  wenigstens  nicht 
weicher  als  die  Rippenknorpel,  die  doch  nicht  so  leicht  brechen. 
Aach  liegt  es  gewiss  sehr  nahe,  wenn  man  überhaupt  noch  eine 
Aetiologie  zulässt,  gerade  einen  Process,  wie  die  Callusbildung, 
als  Ausgangspunkt  der  Geschwulst  anzuerkennen,  von  dem  wir 
wissen,  dass  er  an  sich  mit  Neubildung  von  Knorpel  verbunden 
ist  Liesse  sich  ein  solcher  Ausgangspunkt  sicher  feststellen, 
80  würde  damit  auch  für  die  Fälle  von  einfacher  Quetschung  eine 
bestimmtere  Grundlage  gewonnen  werden. 

Freilich  bleibt  daneben  eine  grosse  Zahl  von  anderen  Fällen, 
wo,  nachdem  eine  Reihe  von  Jahren  verlaufen  ist,  die  Kranken 
nichts  mehr  über  die  Ursache  anzugeben  wissen.  Aber  ich  meine, 
dass  deshalb  jene  so  vielfachen  Erfahrungen  nicht  gering  ange- 
schlagen werden  können.  Aus  der  sehr  sorgfältigen  Statistik, 
welche  Karl  Otto  Web  er  ff)  in  seinem  Enchondrombuch  ge- 


*)  Otto.    Seltene  Beobachtungen  zur  Anatomie,  Physiologie  u.  Patho- 
logie. Heft  I.  Breslau.  1816.  S.  83.  Taf.  II   Fig.  IX. 

♦•)  Lebert    Trait^  d'anat.  path.  T.  I.  p.  230.  PI.  XXVIII.  fig.  12.,  13. 

•••)  Deutsche  Klinik.  1860.  S.  217. 
t)  C.  0.  Weber  (a.  a.  0.  S.  120)  ist  geneigt,  diess  für  den  Fall  von 
Otto  nach  Analogie  eines  anderen,  von  Stanley  abgebildeten  anzunehmen, 
aber  der  letztere  ist  möglicherweise  gar  kein  Enchondrom  - ,  sondern  ein 
Myxomfall.  Auch  Lebert  hält  für  den  Fall  von  Ducluzeau  die  Priorität 
des  Enchondroms  vor  dem  Bruch  für  wahrscheinlich.  Sehr  entscheidend  wäre, 
wenn  er  anatomisch  genauer  beschrieben  wäre,  der  Fall  von  W.  Adams 
(Transact.  Lond.  Path.  Soc.  Vol.  I.  p.  344),  wo  eine  aus  Colloid,  Enchondrom 
und  Cysten  zusammengesetzte  Geschwulst  sich  am  Arme  eines  66jährigen 
ManneB  fand,  der  vor  25  Jahren  den  Arm  gebrochen  und  vor  6  Jahren  ver- 
renkt hatte,  und  seit  4  Jahren  die  Geschwulst  bemerkte. 

tt)  Weber  a.  a.  0.  S.  138. 

31* 


484  Sechszehote  Vorlesoog. 

liefert  hat,  ergiebt  sich,  dass  von  allen  Fällen,  wo  überhaupt  eine 
Anamnese  existirte,  die  Hälfte  auf  traumatische  Ursachen  zurück- 
geführt werden  konnte. 

Daran  darf  man  dann  noch  jene  Fälle  reihen,  wo  das  Enchon- 
drom  an  den  Gelenkenden  von  Röhrenknochen  neben  chro- 
nisch-entzündlichen Processen  besteht,  Fälle,  welche  Tiel- 
leieht  viel  häufiger  sind,  als  man  bis  jetzt  annimmt  Ich  habe 
zweimal  derartige  Enchondrome  ganz  zufällig  gefunden,  als  ich 
bei  sogenanntem  Tumor  albus  genu  jugendlicher  Individuen  die 
Knochen  durchsägte ;  man  hatte  eine  specifische  Geschwnlstbildong 
in  keiner  Weise  erwartet.  Oft  werden  aber  die  Knochen  gar  nicht 
durchschnitten  und  die  Geschwulst,  welche  in  der  spongiösen  Sub- 
stanz, in  der  Gegend  des  intermediären  Knorpels  (zwischen  Dia- 
und  Epiphyse)  liegt,  bleibt  dann  verborgen.  —  Was  die  Enchon- 
drome der  Weichtheile  betrifft,  so  werden  wir  später  noch  sehen, 
dass  sie  sehr  gewöhnlich  mit  chronischen  Entzündungen,  zunul 
des  interstitiellen  Gewebes  zusammenhängen,  und  diese  wieder 
gehen  sehr  oft  aus  traumatischen  Veranlassungen  hervor.  — 

Betrachten  wir  nun  im  Einzelnen  die  Enchondrome  der 
Knochen,  so  finden  wir  hier  zunächst  eine  ganz  ungewöhnliche 
Prädisposition  gewisser  Skeletabtheilungen,  und  zwar  vor  allem 
der  Extremitäten,  also  wieder  derjenigen  Theile,  welche  am 
meisten  traumatischen  Einwirkungen  exponirt  sind.  Auch  geht 
hier  die  Scala  der  Häufigkeiten,  wie  bei  der  Rachitis,  von  der 
Peripherie  gegen  das  Gentrum,  so  dass  die  Knochen  der  Hände 
und  Füsse,  namentlich  die  Phalangen  der  Hände  und  die  Meta- 
tarsalknochen  die  am  häufigsten  befallenen  Theile  sind.  Dann 
kommen  die  grossen  Röhrenknochen  der  Extremitäten,  der  Ober- 
arm ungleich  häufiger  als  der  Vorderarm,  die  Tibia  und  der  Ober- 
schenkel in  ziemlich  gleichem  Verhältniss,  die  Fibula  sehr  viel 
seltener.  Unter  den  Rumpfknochen  stehen  obenan  die  Kiefer, 
die  Beckenknochen  und  die  Scapula;  dann  folgen  die  Rippen 
und  die  Schädelknochen,  namentlich  die  der  Basis;  am  alier- 
seltensten  leiden  die  Wirbel,  das  Schlüssel-  und  Brustbein. 

Die  Bedeutung  der  einzelnen  Form  ist  von  dieser  Frequenx- 
Scala  natürlich  ganz  unabhängig.  Die  Enchondrome  der  Finger 
bringen  fast  niemals  wirkliehe  Gefahren  für  das  Leben;  sie 
sind  mehr  lästige,  unbequeme  Gebilde,  welche  den  Gebrauch  der 
Thoile  hindorn.      Gerade   manche  seltenere  Formen  haben  eine 


Enchondrome  der  Knochen.  485 

ungleich  grössere  Bedeutung.  So  sind  die  Enchondrome  der 
Beckenknochen  als  Geburtshindernisse  von  sehr  schwerem  Ein- 
flüsse, und  die  allerseltenste  Form,  das  Enchondrom  der  Schädel- 
basis *)  hat  die  allerhöchste  Wichtigkeit,  da  durch  die  Entwicke- 
lung  des  Knorpels  gegen  das  Gehirn  und  die  Nerven  die  schwer- 
sten Zufälle  hervorgerufen  werden  können. 

Die  grosse  Mehrzahl  der  Enchondrome,  die  aus  dem  Knochen 
hervorgehen,  entsteht  in  dem  eigentlichen  Körper  des  Knochens;, 
eine  geringe  Zahl  beginnt  äusserlich,  manchmal  deutlich  aus  dem 
Periost,  manchmal  so,  dass  wenigstens  die  Wahrscheinlichkeit 
grösser  ist,  dass  das  Periost  der  Ausgangspunkt  gewesen  ist. 
Diese  beiden  Formen,  die  inneren  (centralen)  und  die  äusse- 
ren (peripherischen),  unterscheiden  sich  m  ihrer  ganzen  Ent- 
wickelung,  und  man  kann  gewisse  Unterschiede  zwischen  ihnen 
auffinden.  Allein  eine  scharfe  Grenze  existirt  nicht.  Namentlich 
die  aus  der  Knochenrinde  hervorwachsenden  (corticalen)  Knorpel- 
gewülste  lassen  sich  bei  einer  gewissen  Höhe  der  Ausbildung 
von  den  periostealen  nicht  mehr  genau  absondern. 

Entsteht  das  Enchondrom  aus  dem  Innern  des  Knochens,  so 
kann  es  sehr  lange  ganz  latent  bleiben.  £ä  vnrd  gewöhn- 
lich erst  entdeckt,  wenn  es  anfängt,  an  der  Oberfläche  des  Kno- 
chens eine  Hervorragung  zu  erzeugen.  Letztere  ist  gewöhnlich 
noch  von  Knochensubstanz  gedeckt.  In  einzelnen  dieser  Fälle 
ist  unzweifelhaft  der  Ausgangspunkt  des  Enchondroms  in  der 
Marksubstanz**),  und  das  Gewächs  ist  daher  als  eine  heteropla- 
stiscbe  Entwickelung  aus  dem  Markgewebe  zu  betrachten.  Andere- 
mal  mögen  liegengebliebene  Knorpelreste  die  Matrix  abgeben. 
Anderemal  endlich  ist  es  zweifelhaft,  ob  nicht  aus  der  eigent- 
lichen Tela  ossea,  der  compacten  Rindensubstanz  die  Entwickelung 
anhebt;  wenigstens  habe  ich  öfters  gesehen,  dass  neben  Enchon- 
dromen  der  Marksubstanz  eben  solche  isolirte  in  der  Rindersub- 
stanz vorkamen  (Fig.  97.).  Es  ist  auch  die  unmittelbare  Metamor- 
phose von  Knochengewebe  in  Knorpelgewebe  im  Enchondrom  von 
Weber***)  direct  verfolgt  worden. 

•)  Joh.  Müller,  lieber  den  feineren  Bau  n.  s.  w.  S.  34,49.  (Derselbe 
Fall  bei  Stanley.  Diseases  of  the  boues.  p.  148.  Illustrations.  PI.  XIII. 
fig.4.  XVII.  fig.3.  sowie  bei  Paget  Lectures.  II.  p.  195,210).  Hirschfeld. 
Compt.  rend.  de  l:i  Soc.  de  Biologie.  1862.  T.  III.  p.  94.  T.  Holmes. 
Transact  of  tbe  Lond.  Path.  Soc.  1859.  Vol.  X.  p.  250.  PL  VI. 
♦•)  Mein  Archiv.  Bd.  V.  S.  248. 
•••)  C.  0.  Weber  a.  a.  0.  S.  83. 


486 


Secheiehnte  Vorlesung. 


Je  grösser  die  Geschwulst  wird,  um  so  starker  wird  natür- 
lich dif  äussere  Frotuberanz  des  Knochens,  aber  nicht  dadurch, 
dass,  wie  noch  in  der  neueren  Zeit  Viele  angenommen  haben, 
die  Knochenrindc  einfach  ausein andei^eschoben  wörde,  sondero, 
wie  das  schon  Astley  Cooper*)  vor  vielen  Jahren  bei  derTon 
ihm  sogenannten  inneren  oder  medullären  knorpeligen  Ex- 
ostose geschildert  hat  und  wie  ich  es  von  den  Fibromen  der 
Fig.  91.  Knochen  erwähnt  habe  (S.  361),  dadurch, 

dass  von  »usBen  aus  der  Beiobaut  nea« 
Knochenschichten  üich  hemmlegen,  in  dem 
Maasse,  als  von  innen  durch  das  Wachsen 
der  Geschwulst  eine  Vermindeiung  des 
Knochengewebes  stattfindet.  So  entsteheo 
die  von  Müller  sogenannten  „EnchoD- 
drome  mit  knöcherner  Schale."  Bei  weite- 
rem Wachsthum  wird  freilich  die  SchaJe 
immer  dünner;  endlich  fehlt  sie  an  einzel- 
nen Stellen,  so  dass  man  nur  noch  Scher- 
ben und  Platten  von  Knochensubstanz  über 
die  Oberfläche  zerstreut  antrifft.  Dieser 
periostealen  Schalenbildung  entspricht  zu- 
weilen eine  innere,  medulläre  OssUicaticiD, 
weklie  im  Umfange  der  entstehenden  £n- 
chondrom knoten  mehr  und  mehr  neue,  to- 
weilen  geradezu  sklerotische  Knochenmassen 
und  eine  Obliteration  der  Markhöhle  bedingi 
(Fig.  97),  Einen  specifischen  Unterschied, 
wie  Müller  ihn  verlangt  hat,  von  £ochoo- 
dromen  mit  knöcherner  und  solchen  ohne 
knöcherne  Sehale  kann  man  jedenfalls  nicht  aufetelleo,  denn  end- 

Fiß.  97.  Ukeröses  Enchondrom  des  Humerus.  Han  sieht  auF  den 
Diirehschnitt  die  einzelnen,  haufenweise  gruppirten  Lappen  aonohl  in  iti 
Riclitung  der  Markhöhle  und  der  Rinde  den  alren  Knöchern,  als  auch  at>«i 
die  lelzlere  hinauscehcn.  An  IcUtercr  Stelle  war  diis  Präparat  erveicbt 
und  zum  Thei]  bei  dem  DurrhaS^cn  verletit;  sonst  »Qrde  eine  noch  neiter 
hervortretende  Knorpel niasiic  sichtbar  sein.  Ringsum  die  Knorpelkiioten  m- 
wohl  in  der  UarkhOhle,  als  an  der  Oberflilche  dca  Knochens  sehr  dichte,  nea- 
£ebildete  Knocbemtubstanz.  Nach  einer  von  Herrn  L  Maj'er  entworfenn 
Zeichnung,  ura  die  Hälfte  verkleinert.  PrSparat  Ko.  2115.  Abtheifung  VL 
{127  vom  Jahre  I8a2)  der  Wßreburger  Sammlunc. 

•)  A.  Cooper  and  B.  Travers.  Surgical  easays.  Und.  1818.  P. '■ 
p.  173. 


Lappiger  Ban  des  EncboDdroms.  487 

Itch  wird  jedes  grossere  Enchondrom  schatenlos.  Diejenigen  aber, 
die  ureprünglich  keine  Schale  haben,  bekommen  auch  späterhin 
keine. 

Untersucht  man  ein  inneres  Enchondrom  der  Knochen  ge- 
nauer, nachdem  es  eine  gewisse  Grösse  erreicht  hat,  so  ergiebt 
sich  als  Regel,  dass  es  sich  nicht  als  Einheit  darstellt,  sondern 
das8  es  aus  einer  gewissen  Zahl  von  kleineren  Abtheilungen, 
Knoten,  oder  wenn  man  will,  Lappen  besteht,  ähnlich  wie  ein 
Fibrom,  Lipom  oder  Myxom  (Fig.  97  u.  98).  Es  unterscheiden  sich 
die  einzelnen  Abarten  nur  dadurch,  dass  die  Abgrenzungen  bei  ein- 
zelnen deutlicher,  bei  anderen  undeutlicher  sind.  Letztere  zeigen 
eine  mehr  homogene  Schnittfläche,  wo  man  sehr  genau  znsehen 
muss,  wenn  man  die  einzelnen  Abschnitte  erkennen  will,  während 
bei  den  anderen  sich  das  lappige  Wesen  gleich  auf  den  ersten 
Blick  zu  erkennen  giebt. 

C.  0.  Weber  und  Cruveilhier  haben  danach  eine  Unter- 
scheidung gemacht,  indem  sie  diejenigen  Formen,  welche  die 
Abtheilungen  deutlicher  zeigen  und  bei  welchen  jede  Abtheilang 
ihre  weiteren  Veränderungen  mehr  unabhängig  durchmacht,  mit 
dem  Namen  der  areolären  oder  auch   wohl  der  cystischen 


Fig.  98.  Theil  der  DurchschnittsflSche  eines  HaDDBkopfgrosaen,  lappi- 
gen (areolären)  tirweichendeii  (multiloctilären)  Rncliondroms  der  Beclcen- 
knochen.  Man  sieht  die  Abtbeilungen  der  einzelnen  Läppchen  und  die  cen- 
trale Erreichung  der  letzteren.     (Präparat  No.  139.). 


488  Sechszehnte  Vorlesung. 

belegt  haben.  Diese  Unterscheidung  ist  meiner  Ansicht  nach 
nicht  haltbar.  Eine  vollständige  Trennung  der  Unterarten  lässt 
sich  gar  nicht  machen;  jedes  Enchondrom  ist  in  gewissem  Sinne 
areolär*),  oder,  wie  man  wohl  besser  sagt,  lappig  (lobulär),  es 
besteht  aus  einem  Multiplum  von  Knoten,  und  jeder  einzelne 
Knoten  ist  eine  Entwickelung  für  sich,  jeder  einzelne  bat  einen 
unabhängigen  Ausgangspunkt.  Mit  anderen  Worten,  jedes  grössere 
Enchondrom  wächst  nicht  aus  einem  Heerde  hervor,  der  sich 
excentrisch  vergrössert,  sondern  es  wächst  dadurch,  dass  sich 
neben  einem  schon  bestehenden  Heerde  (Knoten,  Lappen) 
neue  Heerde  bilden,  sich  concentrisch  dem  ersten  Heerde 
anschliessen  und  jeder  dieser  neuen  allmählich  von  innen  heraus 
bis  zu  einer  gewissen  Grösse  anwächst.  Es  kann  dabei  zugleich 
inmitten  der  neugebildeten  Knorpelmasse  wiederum  die  Bildung 
neuer  Heerde  und  Knoten  stattfinden,  indem  einzelne  Zellen  oder 
Zellengruppen  zu  wuchern  beginnen  und  die  umgebende  Enchon- 
drommasse  auseinanderdrängen.  Aber  das  Wachsthum  eines  jeden 
Knotens  ist  ein  beschränktes;  es  ist  nicht  ungemessen.  In  der 
Regel  erreicht  der  einzelne  Knoten  höchstens  die  Grösse  eines 
Kirschkerns  bis  zu  der  einer  Kirsche,  selten  mehr,  oft  weniger. 
Erwägt  man  nun,  dass  die  Enchondrome  nicht  selten  bis 
zur  Grösse  eines  Kindskopfs  wachsen,  zuweilen  noch  viel  grösser 
werden,  so  kann  man  leicht  ermessen,  dass  ein  solcher  Umfang 
nur  erreicht  werden  kann,  indem  an  den  Mutterknoten  (S.  50) 
immer  mehr  accessorische  Knoten  sich  anfügen,  von  denen  jeder 
neue  wiederum  hervorgeht  entweder  aus  einer  Zelle,  oder  aus 
wenigen,  unter  sich  zusammenhängenden  Zellen  des  Muttergewebes. 
Unzweifelhaft  ist  also  jedes  grössere  Enchondrom  ein 
Multiplum,  so  sehr  es  sich  auch  als  eine  Einheit  dar- 
stellen mag.  Die  Untersuchungen  über  die  Multiplicität  haben 
schon  hier  zu  beginnen,  und  die  erste  Frage  ist  wiederum,  ob 
die  Secundärknoten  abhängig  sind  von  dem  Mutterknoten.  Meiner 
Meinung  nach  muss  man  hier  wohl  unterscheiden.  Bei  gewissen 
Secundärknoten  habe  ich  keinen  Zweifel,  dass  ihre  Bildung  schon 
eine  Dissemination  in  die  Nachbarschaft  voraussetzt,  also 
eine  Art  von  Ansteckung,  von  Contagion  der  Nachbarge- 
webe darstellt.  Ich  meine  das  so:  Gesetzt,  wir  hätten  einen  Röhren- 


•)  Medicinischc  Reform.  1849.  No.  öl.  S.  271. 


Matter-  und  Nebeoknoten  des  Enchondroms.  489 

knoehen  mit  einer  dicken  Rinde  und  es  entstünde  die  erste 
Geschwulst,  der  Mutterknoten  in  der  Markhöhle,  so  entwickeln 
sich  die  folgenden  (accessorischen)  zum  Theil  in  der  Markhöhle, 
zum  Theil  in  dem  compacten  Gewebe  der  Rinde.  Je  mehr  neue 
Knoten  entstehen,  um  so  mehr  wird  die  Geschwulst  lappig,  sie 
dehnt  sich  immer  mehr  aus,  es  geht  immer  mehr  Mark-  und 
Knochengewebe  in  Knorpelgewebe  über,  und  nur  dadurch,  dass 
sich  aussen  aus  dem  Periost  neue  Knochensubstanz  ansetzt,  kann 
die  Schale  erhalten  werden. 

Dass  die  Bildung  der  Secundärknoten  von  selbständigen 
Heerden  ausgeht,  das  ist  augenfällig,  da  die  einzelnen  zuweilen 
ganz  von  einander  getrennt  sind  durch  unverändertes  oder  höch- 
stens entzündlich  (irritativ)  verändertes  Muttergewebe.  Es  kann 
also  nur  der  Punkt  in  Frage  kommen,  ob  die  Nebenknoten  nicht 
ganz  und  gar  unabhängig  sind  von  dem  Mutterknoten.  Denn 
dieselbe  Multiplicität,  welche  den  lappigen  Bau  des  Enchondroms 
bedingt,  äussert  sich  auch  in  dem  Auftreten  unabhängiger  Heerde 
in  benachbarten  Knochen.  Am  bekanntesten  ist  in  dieser  Bezie- 
hung das  Erkranken  mehrerer  oder  vieler  Knochen  der  Hand 
und  des  Fusses,  wobei  crfahrungsgemäss  die  aneinanderstossenden, 
wenngleich  durch  ein  Gelenk  getrennten  Knochenenden  besonders 
ausgesetzt  sind*).  Dasselbe  wiederholt  sich  am  Kniegelenk,  wo 
die  Gelenkenden  des  Femur  und  der  Tibia  von  der  enchondro- 
matösen  Wucherung  ergriffen  werden.  Man  kann  nun  freilich  ein- 
wenden, dass  auch  hier  die  Erkrankung  nur  aus  einer  gemein- 
schaftlichen Prädisposition  hervorgehe.  Indess  ist  doch  fast  immer 
die  Geschwulstbildung  an  dem  einen  Knochen  ungleich  weiter 
vorgerückt,  also  dem  Anschein  nach  älter  und  früher,  als  an 
dem  anderen;  ja  zuweilen  zeigt  sich  in  dem  einen  höchstens  der 
kleinste  Keim,  während  in  dem  anderen  die  vollständigste  Ent- 
faltung vorhanden  ist.  Allerdings  entscheidet  dies  nicht,  und  man 
muss  zugestehen,  dass  der  Weg  einer  etwa  anzunehmenden  Infec- 
tion  schwer  anzugeben  ist  Denn  die  Gelenkknorpel  bleiben  fast 
immer  ganz  unversehrt  und  nur  zuweilen  kommt  es  vor,  dass  das 
Enchondrom  von  aussen  her  dieselben  umwuchert  und  in  das 
Gelenk  eindringt. 


*)  C.  0.  Weber  a.  a.  0.  Taf.  I.  Fig.  2.    Gluge.  Atlas  der  path.  Anat. 
Lief.  Y.  Taf.  V. 


490  Sechszebnie  VorlesuDg. 

Wenn  daher  dieser  Punkt  wenig  geeignet  ist,  die  Frage  tod 
den  contagiösen  Eigenschaften  des  Enchondroms  zn  erledigen,  80 
bleibt  nur  die  Berücksichtigung  der  umgebenden  Weichtheile  übrig. 
Lange  hat  man  geglaubt,  dass  das  Enchondrom  niemals  die  Grenzen 
des  Organs  überschreite,  in  welchem  es  sich  entwickelt.  Man  wies 
darauf  hin,  wie  die  Sehnen,  die  Nerven  und  Gefässe  neben  dem 
Enchondrom,  ohne  mit  ihm  Verbindungen  einzugehen,  vorüber- 
laufen,  ja  wie  sich  zuletzt  an  der  Oberfläche  der  Geschwulst  tiefe  ' 
Rinnen  und  Furchen  bilden,  indem  das  Enchondrom  die  genannten 
Theile  um  wuchert,  immer  von  dem  Periost  überzogen.  Dies  ist 
unzweifelhaft  richtig,  aber  nicht  für  alle  Fälle.  Schon  Range*) 
berichtet  von  einem  Enchondrom  des  Fingers,  wo  die  Enchon- 
drommasse  die  Fascie  durchbrochen  und  sich  zwischen  ihr  ond 
der  Haut  entwickelt  hatte.  Er  betrachtet  dies  freilich  als  ein 
Hinauswachsen  der  Geschwulst,  aber  seine  Zeichnung  zeigt,  dass 
auch  die  zwischen  Haut  und  Fascie  gelegene  Masse  aus  einzelnen 
Knoten  bestand.  Graf**)  beobachtete  bei  einem  Enchondrom 
des  Os  ilium  bestimmt  das  Vorkommen  von  Knorpelzellen  in 
dem  umgebenden  Bindegewebe  und  den  Muskeln.  Ich  habe  dann 
an  einem  Enchondrom  des  Schulterblattes  gezeigt***),  dass  die 
Erkrankung  sich  auf  die  Weichtheile  selbst  ausbreitete,  auf  Hals 
und  Oberarm  überging  und  hier  nicht  blos  zwischen  den  Muskeln, 
sondern  auch  am  Knochen  neue  Eruptionsstellen  erzeugt  hatte. 
Die  Fortleitung  des  Processes  geschah  hier  in  dem  Bindegewebe, 
wie  es  später  in  anderen  Fällen  ganz  ähnlich  gesehen  ist  und 
wie  es  sich  bei  den  Enchondromen  der  Weichtheile  regelmässig 
in  grosser  Deutlichkeit  beobachten  lässt.  Wenn  ich  es  also  auch 
dabin  gestellt  sein  lasse,  ob  nicht  die  Multiplicit&t  in  mehreren 
getrennten  Knochen  als  ein  Ausdruck  weit  verbreiteter  Disposition 
aufzufassen  ist,  so  halte  ich  doch  die  Infection  in  continuirlich 
verbundenen  Theilen  für  ausgemacht,  und  somit  gelten  mir  aach 
die  accessorischen  Knoten  innerhalb  des  Knochens  als  Erzeug- 
nisse einer  von  dem  Mutterknoten  ausgehenden  Infection. 

Betrachten  wir  nun  die  Zusammensetzung  eines  aus  ursprünf:- 
lichen  und  accessorischen  Knoten  gebildeten  Gonglomerates, 


*)  G.  Range.  De  enchoDdromate.  Dies,  inaug.  Halis.  1848.  p.  12.  6g.  ^ 
**)  Ed.  Graf.    De  enchondromate.  Diss.  inaug.  Grypb.  1851.  p.  17. 
♦♦♦)  Mein  Archiv.  I8f)3.  Bd.  V.  S.  230. 


AeuBsere  und  innere  Enchondrome  der  Knochen.  491 

das  wir  kurzweg  EDchondrom  nennen,  genauer,  so  ergiebt  sich 
Folgendes : 

Zwischen  einzelnen  Knoten,  die  aus  Knorpelgewebe  bestehen, 
finden  sich  Septa,  eine  Art  von  Netz-  oder  Maschenwerk,  wel- 
ches wiederum  in  den  einzelnen  Fällen  verschieden  ist,  indem 
es  manchmal  blos  aus  einem  derberen  fibrösen  Gewebe,  manchmal 
aus  Knochensubstanz  besteht.  Diese  Septa  sind  es,  welche  die 
Gefasse  enthalten;  die  eigentlichen  Knoten  sind  vollkommen  ge- 
f&sslos  (S.  474).  Die  Septa  sind  zum  Theil  das  alte,  nicht 
enchondromatös  gewordene  Gewebe,  der  Rest  des  früher  vorhan- 
denen Parenchyms;  zum  Theil  bestehen  sie  aus  neuen,  mehr 
hyperplastisch  entwickelten  Geweben,  die  neben  und  mit  der 
Enchondrombildung  zu  Stande  kommen.  Je  geringer  diese  Zwi- 
schenmasse ist,  um  so  mehr  wird  der  Durchschnitt  eine  glatte 
Fläche  darstellen;  je  loser  und  reichlicher  die  Zwischenlage  ist, 
um  so  deutlicher  sieht  man  die  einzelnen  Knoten  von  einander 
getrennt  (S.  487).   — 

Bis  hierher  habe  ich  mich  in  meiner  Darstellung  wesentlich 
an  die  primär  inneren  Enchondrome  der  Knochen  gehalten.  Es 
erübrigt,  einige  Bemerkungen  über  die  äusseren  hinzuzufügen. 
Sie  unterscheiden  sich  von  den  ersteren  dadurch,  dass  ihnen  so- 
wohl das  Latenzstadium,  als  die  knöcherne  Schale  fehlt.  Indess 
kann  das  letztere  Zeichen  nicht  als  ein  eigentliches  Unterschei- 
dungsmerkmal dienen,  da  auch  innere  Enchondrome  frühzeitig 
das  Periost  erreichen  und  seine  Fähigkeit  zur  Ossification  unter- 
brechen können.  Die  ursprüngliche  Eintheilung  A.  Cooper's 
in  medulläre  und  periosteale  Formen  wäre  jedenfalls  vor- 
zuziehen, wenn  es  sicher  wäre,  dass  die  inneren  immer  vom 
Mark  und  die  äusseren  von  der  Beinhaut  ausgingen.  Besser  ist 
die  von  Jul.  Vogel*)  gebrauchte  Eintheilung  in  centrale  und 
peripherische,  obwohl  auch  gegen  den  Ausdruck  central  sich 
einwenden  lässt,  dass  er  nicht  immer  genau  ist.  Cruveilhier  **), 
welcher  die  letzteren  früher  Osteochondrophyten  nannte,  hat 
jetzt  den  Namen  der  Perichondrome  dafür  vorgeschlagen. 
Beide  Bezeichnungen   scheinen   mir  nicht  zulässig  zu  sein,    die 


*)  Jul.  Vogel.     Pathol.  Anat.  S.  195. 
♦♦)  Cruveilhier.    Anat.  path.  Livr.  XXXI V.  PI.  4  —  5.    Trait4  d'anat. 
path.  T.  III.  p.  781. 


492  Sechs  zehnte  Vorlesung. 

erstere  schon  deshalb  nicht,  weil  sie  in  Beziehung  auf  den  Zusatz 
Osteon  einen  unzulässigen  Doppelsinn  einschliesst,  beide  aber 
deshalb  nicht,  weil  das  äussere  Enchondrom  seinem  Wesen  nach 
dieselbe  Geschwulstform  ist,  wie  das  innere.  Man  muss  nur  das 
Osteoidchondrom  nicht  damit  zusammenwerfen,  wie  es  wohl  öfters 
geschehen  ist.  Ich  ziehe  es  daher  vor,  äusseres  oder  peri- 
pherisches Enchondrom  zu  sagen. 

Die  Voraussetzung,  dass  die  Beinhaut  der  regelmässige  Aus- 
gangspunkt desselben  sei,  hat  allerdings  viel  Wahrscheinlichkeit 
für  sich,  indess  ist  der  Beweis  häufig  nicht  scharf  zu  fuhren,  und 
manche  äussere  Enchondrome  sind  überhaupt  nicht  als  periosteale, 
sondern  als  corticale  Geschwülste  der  Knochen  selbst 
aufzufassen.  In  der  Regel  ist  die  Basis  der  Geschwulst  mit  dem 
Knochen  selbst  innig  verbunden,  und  Gruveilhier  hat  ganx 
richtig  bemerkt,  dass  man  häufig  drei  verschiedene  Schichten 
unterscheiden  kann :  eine  äussere,  knorpelige,  darunter  eine  krei- 
dige und  zu  Unterst  eine  knöcherne,  welche  ebenso  fest  mit  dem 
Knochen  zusammenhängt,  wie  die  äussere,  knorpelige  mit  dem 
noch  erhaltenen  Periost.  Zuweilen  sitzt  die  Geschwulst  sogar 
durch  einen  knöchernen  Stiel  am  Knochen  an*).  Die  Markhöble 
des  Knochens  kann  ganz  frei  oder  durch  innere  Verknöchenmg 
obliterirt  sein,  jedoch  giebt  es  auch  Fälle  von  ganz  überwiegend 
nach  aussen  entwickeltem  Enchondrom,  wo  der  Knochen  inner- 
lich, selbst  in  der  Markhöhle,  gleichfalls  neugebildete  Knorpel- 
knoten enthält**).  In  diesem  Falle  fehlt  gewöhnlich  die  knöcherne 
Basis  der  Geschwulst,  ja  sogar  jede  ausgiebigere  Verknöcherung 
und  Verkalkung,  und  in  mehreren  Fällen  fand  sich  in  besonders 
grosser  Ausdehnung  cystoide  Erweichung. 

Rechnet  man  die  Ecchondrosen  ab,  so  scheint  sich  das  peri- 
pherische Enchondrom  von  dem  inneren  wesentlich  dadurch  lu 
unterscheiden,  dass  es  in  späteren  Lebensjahren  zur  Entwicklung 
kommt.  Damit  stimmt  überein,  dass  auch  die  Prädilections- 
stellen  nicht  dieselben  sind.  Ein  besonders  häufig  leidender  Tbeil 
ist  das  Becken***),  welches  von  unzweifelhaft  inneren  Enchon- 


•)  Gluge.  Atlas.  Lief.  IV.  Taf.  I.  fig.  10.,  11.  S.  9.  Rouyer.  Bullet 
de  la  JSoc.  anat.  1857.  p.  50. 

••)  Pa{:;et.     Lectures.  II.  p.  193. 

***)  John  Hughes  Bennett.  On  cancerons  and  cancroid  growtbs. 
Kdinb.  1849.  p.  110.    Fichte  a.  a.  0.  S.  58  (Abbildung).    Ed.  Grat  De 


Peripherische  Enchondrome  der  Knochen.  493 

dfomen  *)  sehr  selten  heimgesucht  wird.  Sehr  umfangreiche 
Geschw&lste  bilden  sich  hier,  allerdings  am  häufigsten  an  den 
Stellen,  welche  den  Synchondrosen  und  früheren  Knorpelfugen 
entsprechen,  nehmlich  am  hinteren  Umfange  des  Darm-  und 
Kreuzbeines,  am  horizontalen  Aste  des  Schambeines  u.  s.  w. 
Aehnlich  verhält  sich  das  Schulterblatt**).  Die  kleinen  Knochen 
der  Hand  und  des  Fusses  leiden  ungleich  seltener  an  dieser  Form, 
doch  sind  sie  nicht  ganz  frei  davon***).  Was  die  grösseren  Röhren- 
knochen f)  betrifft,  so  ist  es  vielfach  zweifelhaft,  ob  die  an  ihnen 
beschriebenen  peripherischen  Enchondrome  nicht  mehr  der  osteoiden 
Varietät  angehören.  Ebenso  bin  ich  zweifelhaft  über  die  Enchon- 
drome der  Gesichtsknochen,  unter  denen  namentlich  der  Oberkiefer 
zu  erwähnen  istft).  Oscar  Heyfelder  ftt)  hat  eine  Reihe  von 
Fällen  zusammengestellt;  darnach  könnte  es  scheinen,  dass  es 
ein  von  der  Oberkieferhöhle  ausgehendes  peripherisches  Enchon- 
drom  giebt. 

Alle  peripherischen  Knorpelgeschwülste  kommen  darin  überein, 
dass  sie  sich  weit  über  die  Knochenfläche  erheben,  dass  sie  nach  und 
nach  die  Knochen  umwachsen,  sie  zum  Theil  durch  Druck  atro- 
phiren  und  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  Auswüchse,  Fort- 
sätze oder  Knollen  aussenden*t).  Das  gilt  von  den  eben  erwähnten 
Geschwülsten  der  Oberkiefer,  welche  gegen  die  Nasen-  und  Augen- 
höhle hin  sich  fortschieben.  Das  merkwürdigste  Beispiel  jedoch 
erzählt  Paget**t)  von  einem  Enchondrom  im  Museum  des  St.  Bar- 


enchondromate.  p.  17.  Oruveilhier.  Traitc  d'anat.  path.  T.  111.  p.  792. 
H.  Meckel.  Gbarite-Annalen.  Yll.  2.  S.  70.  H.  Hildebrandt.  De  enchon- 
dromate  quodam  in  pelvi  observato.  Diss.  inaug.  Regiom.  1856.  A.  Förster. 
Wiener  Med.  Wochenschrift.  1858.  No.  22.  S.  381. 

*)  Dolbeau.    Bullet,  de  la  Soc.  anat.  1859.  Dec.  p.  338. 
♦♦)  Ginge.    Atlas.    Lief.  IV.   Taf.  I.    fig.  1-9.  S.  8.     Rouyer.    Mon. 
des  höp.  1856.  No.  137.  (gestielte  Geschwulst). 

♦♦♦)  Oruveilhier.  Traite  d'anat.  path.  T.  111.  p.  787,  793.  C.  0.  We- 
ber. Knochengeschwülste.  1.  8.  73.  Gray.  Transact.  of  the  Lond.  Path. 
Soc.  Vol.  II.  p.  114. 

t)  Bransby  Cooper.  Med.  Times.  1852.  Febr.  p.  213.  Paget.  Lec- 
turea.  II.  p.  191.  Busk.  Transact.  of  the  Lond.  Path.  Soc.  1857.  Vol.  VIII. 
p.  378.  PI.  IX.    Schuh.  Pseudoplasnien.  S.  137. 

ff)  B.  Beck.  Histologie  u.  Therapie  der  Pseudoplasmen.  S.  39. 

ttt)  0.  Heyfelder.    Mein  Archiv.  Bd.  XL  S.  524.  Taf.  VII   Fig.  IL 

♦f)  0.  Heyfelder  (Mein  Archiv.  Bd.  XUL  S.  99)  beschreibt  einen  sehr 
charakteristischen  Fall  vom  Hunde,  wo  die  Rippen  der  Ausgangspunkt 
waren  • 

••f)  Paget.    Lectures.  IL  p.  196. 


494  Secbszehnte  Vorlesung;. 

tholomews  Hospital,  welches  von  den  Rippenköpfchen  ausging  und, 
indem  es  durch  die  Intervertebrallöcher  in  den  Wirbelkanal  ein- 
drang, Compression  des  Rückenmarks  und  Paralyse  erzeugte.  — 
Die  spätere  Geschichte  der  Knochenenchondrome 
entspricht  dem,  was  ich  schon  im  Allgemeinen  bemerkt  habe 
(S.  474  —  476).  Verhältnissmässig  häufig  ist  gerade  bei  ihnen  zu 
Flg.  99.  beobachten,  wie  der  einzelne,  vorher  ganz  feste  Knoten 
central  erweicht  und  sein  innerster  Kern  sich  in  eine 
Flüssigkeit  verwandelt  (Fig.  98,  99).  Der  Knoten 
wird  zu  einer  Art  von  Cyste**).  Dies  kommt  so- 
wohl bei  den  harten,  als  den  weichen  Enchondro- 
men  vor,  doch  neigen  gerade  die  letzteren,  sowohl 
in  ihrer  schleimigen,  als  albuminösen  Form  (S.471)  verhältnissmäs- 
sig mehr  dazu.  Dabei  kann  man  mikroskopisch  beobachten,  wie 
die  zelligen  Elemente  die  fettige  Metamorphose  eingehen,  während 
die  Intercellularsubstanz  faserig  oder  streifig  wird,  und  zuletzt  sich 
in  zähe,  schleimige  Flüssigkeit  verwandelt,  welche,  wenn  sie  fertig 
ist,  die  Charaktere  von  wirklichem  Schleim  darzubieten  pflegt, 
also  eine  mucinöse  Erweichung***).  Kommt  diese  an  vielen 
Knoten  zu  Stande,  so  entsteht  ein  multiloculäres  Cystoid. 
Diese  Form  ist  früher  unzweifelhaft,  wie  man  aus  den  Beschrei- 
bungen nachweisen  kann,  als  eine  blos  cystische  Krankheit,  wohl 
auch  als  Cystosarkom  beschrieben  worden.  Zwei  Präparate  unserer 
Sammlung,  ein  Enchondrom  vom  Mittelfuss  und  ein  anderes  von 
den  Beckenknochen  zeigen  dies  ipi  grössten  Umfange  f). 

Wenn  diese  Erweichung  fortschreitet,  so  schmilzt  nach  und 
nach  immer  mehr  von  dem  Knorpelgewebe  ein,  und  es  kommt 
dann  zuweilen  vor,  dass  fast  die  ganze  Masse  einzelner  Lobuli 
in  eine  schleimige  Flüssigkeit  verwandelt  wird.    Endlich  erreicht 


Fig.  99.  Gystischcs  erweichendes  albuminöses  Enchondrom  der  Sci- 
pula  (vgl.  mein  Archiv.  Bd.  V.  S.  226.  Taf.  I.  Fig.  6.).  Ein  accessorischer, 
in  der  Nachbarschaft  des  alten,  mitten  im  Muskelgewebe  gebildeter  Knoteo 
mit  centraler,  schleimiger  Erweichung.  An  der  Wand  unterscheidet  man 
eine  bindegewebige  Hülle  (Kapsel,  Pericjstium)  und  die  noch  harte  Knorpel* 
masse,  welche  nach  innen  eine  zellige  Obcrfiäche  besitzt.  Zeichnung  too 
A.  Mayer. 

•)  Mein  Archiv.  Bd.  V.  S.  231,  244,  247. 

••)  Einen  ausgezeichneten  Fall  der  Art  beschreiben  Wedl  (Path.  Histo- 
logie S.  577),  Schuh  (Pseudoplasmen.  S.  138)  u.  11.  M ecket  (Cbarite- 
Annalen.  VIl.  2.  S.  83) 

***)  Präparat  No.  59.  vom  Jahre  1855.  und  No.  739. 


Erweichung  der  Encboodrome. 


die  nengebtldete  Höhle  das  Septnm,  welt/hes  den  Lobulus  umgiebt, 
uad  weon  nun  an  mehreren,  neben  einander  gelegenen  Lobulis  die- 
selbe VerändeniDg  vollendet  wird,  dann  lOsen  sich  späterhin  auch 
die  Septa  anf  und  es  entsteht  eine  Conflueni  Ewischen  den  Höhlen 
im  Innern 

Während  diese  Emschmelzung  vor  sich  gebt,  kann  sehr  wohl 
im  Umfange  der  Geschwulst  immer  noch  ein  weiterer  Nachschub 


Flg.  100  MiLroskopisiber  Srbnitt  aus  dem  ii  fig  99.  abgebildeteD 
Kall  (Archiv  Bd  V  Tnf  II  Fig  1)  350ma]  ge  VergrCaseruag.  Bei  a  die 
mit  grossea  Ivernen  und  FetttrCpfchen  verseheoeD  blasseo  Zellen  in  hyaliner 
tirandaubsUnz  ohne  Kapseln  Bei  b  beginnende  Fett  metamorph  ose  der  Zel- 
len und  fasenge  Umbildong  der  IntercellulaTsubstani  Bei  e  vollatSndlge 
FettmeUmoipboae  der  Zellen  Zuoshme  des  faserigen  Aussehens.  Bei  d 
Hangel  »n  Zellen  Verscbwinden  des  Fettes  Zeichnung  von  Herrn  C.  Ge- 
genbftur. 


496  Sechazehnte  Vorlesung. 

stattfinden.  Da  bitdeo  sich  vielleicht  wieder  neue  Knoten,  und 
so  enteteben  grosse  Geschwülste,  welche  in  ihrem  Innern  manch- 
mal ganz  zerklüftet  erscheinen,  indem  die  lleberreste  der  früheren 
Septa  als  fetzige  Massen  in  die  HOhle  hereinhängen ,  zum  Theil 
mit  Knorpelresten  bekleidet,  während  im  Umfange  eine  junge, 


lobuläre  Masse  sich  findet.  Die  Hoble  selbst  pflegt  mit  einer 
fadenziehenden ,  zuweilen  gallertigen,  synoviaartigeo ,  oft  dorch 
hämorrhagische  Beimischungen  gefärbten  Flüssigkeit  erfüllt  zn 
sein,  in  welcher  mehr  oder  weniger  zahlreiche,  durclischeinende, 
wie  aufgequollene  SagokSrner  aussehende  Bruchstücke  des  Knor- 
pels schwimmen.  Diese  Form  bat  man  nicht  mit  Unrecht  mit 
dem  Namen  des  Enchondroma  cysticum  (Cystenchondroma] 
bezeiclinet.  Oft  gehört  eine  sehr  sorgfältige  Untersuchung  dazu, 
um  einer  solchen  Geschwulst  anzusehen,  was  sie  ursprünglich 
gewesen  ist.  Man  kann  sehr  leicht  auf  die  Vermutbung  kommen, 
irgend  eine  andere  Cystengeschwulst  vor  sich  zu  sehen,  ein 
Hygrom,  ein  Cystosarkom,  wo  doch  ein  ganz  exquisites  Enchou* 
drom  vorliegt. 

Die  erste  Geschwulst,  bei  der  es  mir  gelungen  ist,  diese  Ent- 
Wickelung  für  das  Enchondrom  genauer  nachzuweisen,  Ja  über* 
haupt  die  erste  Geschwulst,  wo  ich  die  Entwickelung  pathologisch 
heterologer  Gewebsmasse  aus  Bindegewebe  darthun  koonte,  die 
also  für  die  Geschwulstdoctrin    eine  gewisse  Bedeutung  gehabt 


Fig.  101.  Innere  Oberfläclie  d(?8  in  Fig.  90.  und  100.  beliuiddM 
CysteDclioudroms  der  Scapula.  Aus  dem  Mutterkooten.  Die  Torliegeide 
Flftthe  ist  zum  Theil  glatt  und  voo  Knorpel  entblOast,  mm  Ttieil  mit  hlktt- 
rigeo  Knollen  und  Leisten  begetit,  welche  mit  Knorpel  (dem  noch  nicht  er- 
weichten Ueberreist  der  frUher  Goliden  Masse)  beUeidet  siad.  Zeichnaag 
Ton  Herrn  Louis  Hayer. 


Ulceration  der  EnchoDdrome.  497 

hat,  war  eine  von  Hrn.  T  e  x  t  o  r  resecirte,  recurrirende  Geschwulst 
der  Scapula  *) ,  deren  ich  schon  vorher  ( S.  47 1 )  gedachte.  Die 
Anschwellung  wölbte  sich  nach  beiden  'Seiten  hin  aus  der  Platte 
der  Scapula  zwerchsackförmig  hervor  und  bildete  eine  unregel- 
mässige Doppelcyste,  die  mit  einer  klebrigen  Flüssigkeit  gefüllt 
und  innerlich  mit  allerlei  Leisten,  Strickwerk  und  Franzen  be- 
setzt war  (Fig.  101).  Allerdings  fanden  sich  an  diesen  letzteren 
gewisse  Stellen,  die  an  Knorpel  erinnerten,  aber  doch  keines- 
wegs so,  dass  man  mit  Bestimmtheit  sagen  konnte,  es  sei  Knor- 
pel. Erst  nach  längerer  Zeit,  als  sich  ein  Recidiv  bildete  neben 
der  Narbe  der  früheren  Exstirpation ,  ergab  sich,  dass  in  der 
Nachbarschaft  überall  neue  Knoten  hervorwuchsen,  die  grösser  und 
grösser  wurden,  im  Centrum  cystisch  erweichten  und  jeder  für 
sich  eine  kleine  Cyste  bildeten  (Fig.  99).  Indem  mehrere  von 
ihnen  zusammenflössen,  entstanden  grössere  Säcke.  Je  weiter 
ich  diese  Bildungen  genetisch  verfolgte,  um  so  mehr  kam  ich 
auf  immer  kleinere  und  kleinere  Punkte  zurück,  bis  zuletzt  der 
üebergang  in  das  Bindegewebe  und  damit  die  neue  Erkenntniss 
von  der  Transformation  physiologischer  Gewebe  in  pathologische 
Gewebe  mit  heterologem  Charakter  festgestellt  war. 

Diese  cystoiden  Formen  können  späterhin,  wenn  sie  sich 
sehr  vergrössern,  aufbrechen,  sie  können  ihren  Inhalt  entleeren, 
es  kann  eine  zottige  Cavität  zurückbleiben,  deren  Inhalt  faulig 
wird,  und  welche  ein  sehr  unangenehmes  Geschwür  bildet. 
Dann  liegt  die  Verwechselung  mit  malignen  krebsigen  Geschwüren, 
mit  schlimmen  Fungen  sehr  nahe.  Die  festeren  Formen  dagegen, 
welche  in  grösseren  Röhrenknochen  und  Phalangen  sich  ausbilden, 
bestehen  meist  sehr  lange  Zeit,  indem  sie  langsam  anwachsen 
und  ihre  mehr  compacte  Beschafl'enheit  bewahren.  Sie  sind  es 
auch,  von  denen  ausgesagt  worden  ist,  dass  das  Enchondrom  sich 
unschmerzhaft  entwickelte  und  keine  anderen  Zufalle  mit  sich 
brächte,  als  diejenigen,  welche  durch  die  Grösse  und  den  Druck 
der  Geschwulst  bedingt  würden.  Erst  durch  die  genauere  Kennt- 
niss  der  cystischen  und  ulcerösen  Formen,  die  viel  schneller 
wachsen,  hat  sich  ergeben,  dass  Schmerzlosigkeit  und  Gutartig- 
keit   keine   allgemeinen    Eigenschaften    der  Enchondrome   sind. 


•)  Mein  Archiv.     1853.  Bd.  V.  S.  216.   Taf.  I.  Fig.  6.,  7.  Taf.  IL   Dazu 
gehören  auch  die  in  den  gegenwärtigen  Text  aufgenommenen  Fig.  99—101. 

Virchow,  Oetchwnltt«.    1.  32 


498  Sechszehnte  Vorlesung. 

Manchmal  entwickeln  sie  sich  unter  so  grosser  Schmerzhaftigkeit 
und  mit  so  üblen  Einwirkungen  auf  den  ganzen  Körper,  dass  sie 
auch  in  dieser  Beziehung 'an  sehr  maligne  Geschwülste  sich  an- 
schliessen. 

Die  festeren  Formen  zeigen  mehr  Neigung  zur  Verkalkoog 
und  Yerknöcherung.  Man  muss  hier  die  blosse  PeMfiea- 
tion  (Incrustation)  einzelner  Abschnitte  sowohl  von  der  wirk- 
lichen Verknöcherung  einzelner  Geschwulsttheile  und  von  der 
periostealen  Auflagerung,  welche  die  Schale  bildet,  als  auch  von 
den  Resten  des  alten  Knochens,  welche  sich  als  Septa  in  den 
Knoten  finden*),  unterscheiden.  Die  eigentliche  Verknöcherung 
ist  bei  den  reinen  Enchondromen  im  Allgemeinen  eine  beschränkte. 
Es  finden  sich  allerdings  in  der  Literatur  nicht  wenige  Beispiele 
von  Knochengeschwülsten  aufgeführt,  wo  man  berichtet,  das 
sie  aus  Knorpelgeschwülsten  hervorgegangen  seien;  ja  es  wirf 
von  manchen  Autoren  behauptet,  dass  die  Exostosis  ebumei 
regelmässig  daraus  hervorginge.  Ich  habe  mich  darüber  schoi 
früher  ausgesprochen  und  rechne  diese  Formen  nicht  zn  den 
Enchondromen  (S.  475).  Das  wirkliche  Enchondrom  ossificiit 
in  der  Regel,  auch  wenn  es  zwanzig  und  dreissig  Jahre  lang  n 
seinem  Wachsthum  gebraucht,  doch  nur  partiell,  wie  denn  über- 
haupt die  harten  Formen  zu  weiteren  Veränderungen  sehr  wenig 
neigen.  Selbst  schwere  Verletzungen  werdon  oft  sehr  gut  ertra- 
gen. Das  beweist  der  sehr  charakteristische  Fall  von  Dieffen- 
bach**),  wo  im  Laufe  der  Zeit  bei  einer  schwer  zu  operireodci 
Geschwulst  des  Unterkiefers  immer  nur  Bruchstücke  exstirpiit 
wurden,  ohne  dass  eine  erhebliche  Veränderung  des  Restes  oder 
ein  stärkeres  Wachsthum  erzeugt  worden  wäre.  Je  weicher  und 
gefassreicher  die  Geschwulst  ist,  um  so  grösser  pflegt  auch  ihre 
Vulnerabilität  zu  sein,  und  die  Geschichte  der  Chirurgie  entbllt 
eine  grosse  Zahl  von  Beispielen,  wo  Enchondrome,  welche 
neuen  Insultationen  ausgesetzt  wurden  oder  eine  reizende  Behand- 
lung erfuhren,  in  beschleunigtes  Wachsthum  geriethen.  — 

Gerade  das  Enchondrom  der  Knochen  ist  nach  dem  Vor- 
gange von  Job.  Müller  lange  als  eine  unbedingt  gutartige  Ge- 
schwulst betrachtet,    die    mit  aller  Sicherheit  exstirpirt  werden 


*)  A.  Baur.    Reichert*  uud  du  Bois'  Archiv  1859.  S.  291. 
**)  Dieffenbacb.    Operative  Chirurgie.    Bd.  U.  S.  62. 


Maligne  Enchondrome.  499 

könne  und  nach  der  Operation,  wenn  sie  ganz  exstirpirt  ist,  nie 
wiederkehre.  Die  Erfahrung  der  neuesten  Zeit  hat  in  sehr  em- 
pfindlicher Weise  gezeigt,  dass  das  ein  Irrthum  war.  Wir  haben 
schon  gesehen  (S.  490),  dass  das  Enchondrom,  wie  es  seiner 
heteroplastischen  Natur  und  seinem  oft  sehr  beträchtlichen  Saft- 
reichthum  nach  wahrscheinlich  war,  zu  den  infectiösen  Ge- 
wächsen gehört,  die,  wenn  sie  einmal  bestehen,  einen  ähn- 
lichen Proc:iss  in  anderen,  selbst  entfernten  Theilen  wach  rufen 
können.  Glücklicher  Weise  ist  dies  nicht  häufig;  man  findet  es 
überwiegend  bei  den  weichen,  gallertigen,  saftreichen  Formen. 
Aber  es  kommt  doch  vor.  Allerdings  beschränkt  sich  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  die  Ansteckung  auf  die  nächste  Umgebung,  und 
die  Geschwulst  greift  nur  local  weiter,  aber  die  Folge  davon  ist 
denn  doch,  dass  eine  Geschwulst,  die  ursprünglich  im  Knochen 
sass,  allmählich  in  die  Weichtheile  übergeht  und  dass  sich  selb- 
ständige Enchondromknoten  in  den  Weichtheilen  neben  und  ausser 
dem  Knochen  ausbilden. 

Bei  dieser  Verbreitung  in  die  Weichtheile  ist  in  sehr  sel- 
tenen Fällen  eine  Eigenthüralichkeit  beobachtet,  die  jedoch  viel- 
leicht häufiger  ist,  als  man  darauf  geachtet  hat,  nehmlich  die 
Bildung  von  enchondromatöser  Masse  in  den  Blut- 
und  Lymphge fassen.  Die  ersten  Beobachtungen  dieser  Art 
wurden  ziemlich  gleichzeitig  von  Paget*)  und  mir**)  gemacht, 
von  dem  berühmten  englischen  Chirurgen  an  einem  Enchondrom 
des  Hodens,  von  mir  an  einem  von  der  Fibula,  wo  lange,  cylin- 
drische,  glatte  Enchondromzapfen  lose  in  die  stark  erweiterten, 
dünnhäutigen  Gefässe  der  Nachbarschaft  hineingingen  und  sich 
in  denselben  fortgeschoben  hatten.  Sie  verhielten  sich  am  Um- 
fange wie  embryonaler  Knorpel  oder  wie  Schichten  von  Peri- 
chondrium  und  gingen  an  gewissen  Stellen  continuirlich  in  das 
umliegende  Bindegewebe  über. 

Weiterhin  können  die  entsprochenden  Lymphdrüsen  en- 
chondromatös  erkranken.  Es  ist  alich  das  freilich  eine  bis 
jetzt  nur  selten  beobachtete  Erscheinung.  In  dem  Fall,  den  ich 
vorhin  citirt  habe,  von  der  Scapula,  habe  ich***)  zuerst  neben  einer 
ausgedehnten  Verbreitung  auf  die  Weichtheile  die  umfangreichste 


♦)  Paget.     Med.  cliir.  Transact.  Vol.  XXXVIII.  1855.  PI.  I.-V. 
♦♦)  Mein  Archiv.  1855.  Bd.  VIII.  S.  404. 
•♦•)  Mein  Arcliiv.     Bd.  V.  S.  230. 


500  Seehszehnte  Vorlesung. 

Enchondrombildung  in  den  Lymphdrüsen  am  Halse  gefunden. 
Förster*)  beschrieb  einen  Fall  von  peripherischem  Enchon- 
drom  des  Darmbeins,  wo  an  der  Stelle  der  Lumbardrüsen  eine 
grössere  Geschwulst  lag,  welche  freilich  nur  wenige  deutlich 
knorpelige  Stellen  enthielt  und  mehr  einen  schleimig -markigen 
Charakter  hatte. 

Aber  die  mögliche  Malignität  beschrankt  sich  nicht  daraaf, 
sondern  wir  wissen  gegenwärtig,  dass  auch  Erkrankungen  an 
entfernteren  Knochen  vorkommen  können.  Von  diesen  ist 
allerdings  ein  Theil  insofern  zweifelhaft,  als  man  nur  die  Mul- 
tiplicität  der  Enchondrome  in  verschiedenen  Skelettheilen,  aber 
nicht  die  successive  Entstehung  constatiren  kann.  Davon  gibt 
es  eine  Menge  von  Beobachtungen.  Zuerst  kennt  man  schon 
seit  ein  paar  Jahrhunderten  Fälle,  wo  bei  denselben  Tndividoei 
alle  Phalangen  einer  Hand,  oder  beider  Hände,  oder  auch  nofk 
die  Fusswurzel-  oder  die  Zehenknochen  zu  gleicher  Zeit  oder 
hintereinander  ergriffen  wurden.  Ich  fand  gleichzeitig  Enchon- 
drome in  der  Markhöhle  des  Oberschenkels  und  in  den  Fuss- 
wurzelknochen**).  Wedl***)  schildert  einen  Fall,  wo  gleich- 
zeitig im  untern  Ende  des  Femur  und  der  Tibia,  sowie  im  Mit- 
telfussknochen  und  der  ersten  Phalanx  der  grossen  Zehe  dersel- 
ben Extremität  Enchondrome  vorkamen.  Dolbeauf)  amputirte 
das  Bein  einer  25jährigen  Frau  wegen  Enchondrom  der  Tibia 
und  fand,  als  kurz  darauf  der  Tod  eintrstt,  ein  Enchondrom  des 
Darmbeins.  In  allen  diesen  Fällen  kann  man  eine  ähnliche  E^ 
klärung  suchen,  wie  bei  den  Warzen,  Lipomen  u.  s.  w.  (S.  39), 
indem  man  annimmt,  dass  eine  krankhafte  Disposition  der  Ge- 
webe von  früh  besteht.  Ja  wenn,  wie  in  dem  Fall  von  Schuh ttX 
alle  Knochen  eines  12jährigen  Mädchens  mit  Ausnahme  der  Schä- 
del- und  Wirbelknochen  befallen  waren,  so  bleibt  nichts  anderes 
übrig,  als  auf  eine  ursprüngliche  Anlage  zurückzugehen. 

Anders  verhält  es  sich  aber,  wenn  derselbe  Process  innere 
Organe  befallt,  und,  wie  jetzt  durch,  wie  ich  glaube,   fünf  oder 


•)  A.  Förster.    Wiener  Med.  Wochenschrift.  1858.  No.  22. 
*♦)  Mein  Archiv.     Bd.  V.     S.  247. 

*♦♦)  Wodl.    Pathol.    Histol.    S.   577-579.     V«;l.   den  Fall   von   Lenoir 
oben  S.  479.  Note. 

t)  Dolbeau.     Bullet,  de  la  soo.  anat.  1859.  Nov.  p.  296,  338. 
tt)  Schuh.    Pseudoplasmen.  1854.  S.  135. 


Metastatische  Enchondrome.  501 

sechs  Beobachtungen  sicher  festgestellt  ist,  wenn  neben  einer 
enchondromatösen  Entwickelung  an  peripherischen  Theilen  me- 
tastatische Entwickelungen  an  den  Lungen  vorkommen.  Ich 
habe  den  ersten  Fall  beobachtet,  wo  neben  einem  sehr  grossen 
Enchondrom  der  Rippe  ein  kleines  Enchondrom  der  Lunge  der- 
selben Seite  sich  gebildet  hatte*).  Dann  ist  von  Riebet  in 
Paris  ein  ausgezeichneter  Fall  beschrieben  worden  **),  wo  zuerst 
ein  gallertartiges  Cystenchondrom  der  rechten  Scapula  (sehr  ähn- 
lich dem  von  mir  beschriebenen  malignen  Enchondrom)  bestand 
und  die  Autopsie  gegen  30  hirsekorn-  bis  wallnussgrosse  ähnliche 
Geschwülste  an  der  Oberfläche  und  in  der  Tiefe  der  rechten 
Lunge  nachwies.  Weiterhin  veröffentlichte  Richard  Volk- 
mann***) eine  Beobachtung,  wo  ein  myxomatöses  Enchondrom 
des  Metacarpus  operirt  wurde  und  als  der  Kranke  bald  darnach  an 
Leberabscessen,  Milzinfarct  u.  s.  w.  zu  Grunde  ging,  16 — 20  erbsen- 
grosse,  mehr  gallertartige  Enchondrome  auf  und  in  den  Lungen  ge- 
funden wurden.  Sodann  ist  ein  von  Mulertf)  beschriebener  Fall 
bekannt  geworden,  wo  zuerst  ein  grosses  gallertiges  Enchondrom 
am  Schambein  bestand  und  ohne  dass  eine  Operation  gemacht 
wurde,  in  der  Milz  ein  nussgrosser  Knorpelknoten  sich  vorfand. 
Ferner  hat  Förster  in  dem  schon  erwähnten  Falle  von  Enchon- 
drom des  Darmbeins  in  den  Lungen  mehrere  bis  wallnussgrosse 
Knoten  beobachtet,  welche  seiner  Beschreibung  nach  den  Ha- 
bitus der  von  mir  als  Enchondroma  myxomatodes  bezeichneten 
Mischform  besassen.  Endlich  haben  Wilh.  Baum  und  C.  0.  We- 
berft)  einen  Fall  mitgetheilt,  wo  bei  einer  37jährigen  Frau  der 
linke  Unterschenkel  wegen  eines  ossificirenden  Enchondroms  der 
Fibula  amputirt  wurde,  nach  einem  halben  Jahre  eine  ähnliche 
Geschwulst  des  Mittelfussknochens  der  fünften  Zehe  rechts  ent- 
stand und  nach  dem  Tode  in  den  Lungen  mehrere  bis  linsen- 
grosse  Knoten  erschienen.  Hier  ist  es  schwer  daran  zu  zweifeln, 
dass  es  sich  um  wirkliche  Metastasen  handelte,  dass  eine  Infection, 


•)  Gaz.  hebdom.  de  Paris.  1855.  T.  II.  No.  7.  p.  125. 


t)  Mulert.    Diss.  inaug.  enchondromatis  casuni  rariorem  sistens.  Lips. 
1852. 

ff)  Baum.    De  carcioomate  osteoide.     Diss.   ioaug.  Bonn.  1858.    G.  0. 
Weber.  Chirurgische  Erfahrungen.  S.  300. 


502 


Seehszehrite  Vorlesnn 


wie  wir  sie  bei  malignen  Gescliwülsten  kennen,  sich  gebildet 
hatte.  Glücklicher  Weise  ist  die  Zahl  (lieser  Beobaclitongea  »hr 
klein*),  und,  idi  kann  noch  liinziifügen,  trotz  der  enormeD 
Grftsso  und  des  Alters  mancher  der  Enchondrome,  die  zneret  lo 
peripherischen  Knochen  vorhanden  waren,  sind  meiBtcoB  die  mct»- 
statischen  Knoten  sehr  klein,  demnach  auch  wob!  sehr  jung  ge- 
wesen. Eine  besondere  Neigung  zur  Metastisc  besteht  daher  im 
Enchondrom  nicht,  und  es  gehört  sicherlich  zu  den  weniger 
ächädliclien  GeschwfllBton.  Aber  unzweifelhaft  kann  es  die  ex- 
tremste Malignität  eines  Krebses  erlangen,  und  wenn  man  alle 
malignen  Geschwülste  Krebse  nennen  wollte,  so  mflsstc  man 
diese  Knorpelkrebs  nennen  und  man  könnte  es  mit  eben  so  fiel 
Recht,  als  m-in  die  Osteoidchondrome  vielfach  g  inz  und  gar  unter 
die  Kreböo     ufg  nom    en  1  dt    — 

Wai  nun    Ic  E    1  o   1  om     der  We     1  the  le   angeht,  5i 
können  w  r  uns    n  Bei  el  un^,  a  f  hre  Stru  tur  Verl  altnisse  Ür- 


Fig.  102.  Hartes,  lappiges,  osstliciroDdes  Enuhondrom  der  Submaiillaiw 
aua  der  Klinik  dus  Hi-rrii  Jüngkcn.  (fräparat  No.  18».  vom  Jahre  1«5T]. 
Die  jüiinze  GeaeliwulAt  ivt  pUttruiidlit'h ,  fast  faustgross,  äusserlicli  sUit 
liückcrig.  selir  hart  anzuriiliirn.  Auf  dem  Diirohmhnilt  uiiterscbeidel  oM 
Rpwisse  grübere  Kauere üge ,  den  alli-n  DrUseugän;:cD  entoprcchend ,  und  dit 
l/tppcn  doa  Rnchondroms,  von  dt'nun  vii'lo  ecntnil  verkalkt  oder  in  spongiüsfii 
Hiim-li.-n  vcrwaiidi'lt  sind.    NatQrlicIie  Grösse. 

*)  Die  si-taon  oben  cilirte  Bi-ubnchtung  Otto's  vod  wahreeheiDlicIi 
oütciiiili'in  Chondrom  de»  Oberarms,  «'oU'h<>  Wt-ber  gloivhrall«  als  ein  Bi-i- 
spii'l  dir  Mvcistase  auffuhrt,  ^i'htlrl  wohl  niiht  hierher.  Der  uiblSraip 
Auswiii'hs  dcri  Eicr.itoi'kü  und  die  faaerknorpeliiio  Masse  in  dem  Kropf  k^- 
nen  ohne  wi'iteroo  Bcwoia  iitiht  als  Ohoodrome  angesprochen  werden. 


Gnchondrome  der  Weich  theile.  503 

zer  fassen.  Dieselben  Formen  und  Ausgänge,  die  ich  von  den 
Knochen  geschildert  habe,  können  auch  an  den  Weichtheilen  vor- 
kommen. Allein  die  meisten  Enchondrome  der  Weichtheile  sind 
nicht  reine  Formen.  Allerdings  kann  ein  ganzes  Organ  enchon- 
dromatös  werden,  welches  vorher  ganz  weich  war.  Wir  besitzen 
in  der  Sammlung  eine  faustgrosse  Geschwulst  der  Submaxillar- 
drüse  (Fig.  102.),  wo  diese  ganz  in  einem  compacten,  ossifici- 
renden  Enchondrom  untergegangen  ist.  Anderemal  tritt  die  Ge- 
scbwulstbildung  mehr  in  einzelnen,  jedoch  reinen  Knoten  im  Pa- 
renchym  weicher  Organe  auf,  und  zwar  dann  selten  als  solitäre, 
sondern  gewöhnlich  als  multiple.  Dies  ist  namentlich  der  Fall 
in  der  Parotis,  im  Hoden,  in  der  Brust  und  in  den  Lungen*). 
Aber  das  ist  nicht  die  Regel;  in  der  Mehrzahl  der  Fälle,  und 
zwar  gerade  in  den  Drüsen,  sind  es  gemischte  oder  Gombi- 
nations-Geschwülste  oder  geradezu  Teratome,  in  der  Art, 
dass  zuweilen  in  demselben  Organ  neben  einander  vier,  fünf, 
sechs  verschiedene  Gewebe  sich  entwickeln  und  die  daraus  her- 
vorgehende Geschwulst  an  verschiedenen  Stellen  einen  ganz  ver- 
schiedenen Habitus  darbietet.  Ziemlich  häufig  ist  dabei  die 
Combination  mit  markigen  Geweben,  besonders  mit  Krebs. 

Die  Beschaffenheit  des  Knorpels  ist  nicht  abhängig  von  der 
reinen  oder  gemischten  Natur  der  Gesammtgeschwulst.  Auch 
hier  ist  er  immer  lappig  oder  knotig.  Ist  die  Geschwulst  rein, 
so  ist  sie,  wie  das  Enchondrom  der  Knochen,  ursprunglich  ein 
einziger  Knoten  (unilobulär)  und  wenn  sie  grösser  wird,  ein  Con- 
glomerat  von  Knoten  (multilobulär),  wie  das  Präparat  von  der 
Unterkieferdrüse  (Fig.  102.)  deutlich  zeigt.  Ist  sie  gemischt,  so 
finden  sich  am  häufigsten  einzelne  Knoten  oder  Läppchen  durch 
die  Gesammtgeschwulst  zerstreut,  oft  in  sehr  kleinen  Stücken 
und  an  sehr  entfernt  von  einander  gelegenen  Punkten.  Doch 
kommt  auch  die  Anordnung  vor,  dass  ein  gewisser  Theil  der 
Gesammtgeschwulst  zusammenhängend  aus  einem  Conglomerat  von 
Knorpelstücken  besteht,  während  die  ganze  übrige  Masse  eine 
andere  Zusammensetzung  zeigt. 


*)  Was  die  früheren  Schriftsteller  als  Chondrom  des  Gehirns  beschrie- 
ben, ist  niemals  durch  mikroskopische  Untersuchung  als  solches  bestätigt 
worden  Vgl.  Hooper.  The  morbid  anatomy  of  the  human  brain.  London. 
1826.  p  14,  21  y  31,  38.  Craigie.  Elem.  of  gen.  and  path.  anat.  Edinb. 
1848.  p.  344.  Jedoch  sind  einzelne  Angaben,  z.  B.  die  von  Monro  (Morbid 
anat,  of  the  brain.  Vol.  I.  p.  194)  sehr  positiv. 


504  Sechszehnte  VorlesoDg. 

Das  neugebildete  Knorpelgewebe  kommt  auch  hier  in  der 
harten  und  weichen  (gallertartigen)  Varietät  vor.  Letztere  ist  es 
besonders,  welche  sehr  oft  unmittelbare  Uebergänge  in  andere, 
weiche  Gewebe,  namentlich  in  Schleimgewebe  (S.  420,  470),  macht, 
und  nicht  wenige  der  als  gallertige  Enchondrome  beschriebenen  Ge- 
schwülste der  Weichtheile*)  sind  entweder  myxomatOse  Enchon- 
drome, oder  auch  wohl  geradezu  Myxome.  Die  Uebergänge  sind 
ganz  unmerklich.  Die  Intercellularsubstanz  wird  weich,  die  Zellen 
verlieren  ihre  Kapseln  und  bleiben  entweder  rund,  oder  gehen  in 
eckige,  häufig  sternförmige  Elemente  über.  Aber  auch  das  Schleim- 
gewebe seinerseits  geht  ebenso  unmerklich  in  Bindegewebe  über, 
indem  die  Intercellularsubstanz  fibrillär  wird,  der  Schleim  ver- 
schwindet, die  Zellen  sich  verkleinern.  Insbesondere  an  den 
Ohrspeicheldrüsen  gehören  solche  fibromyxomatösen  Enchon- 
drome zu  den  gewöhnlichsten  Befunden.  Sie  bind  für  das  Sie* 
dium  der  histologischen  Aequivalente  von  höchstem  Wertlie,  den 
nicht  selten  geht  der  lappige  Bau  durch  die  ganze  Gesehwnk, 
aber  der  eine  Lappen  ist  knorpelig,  der  andere  schleimig,  d« 
dritte  bindegewebig. 

Der  harte  Knorpel  ist  zuweilen  in  ausgezeichneter  Weii»e 
hyalin,  anderemal  netzig  oder  faserig.  Er  bildet  Geschwukt- 
körper  von  einer  eigenthümlich  elastischen  Härte,  welche  sich 
durch  ihr  bläulichweisses,  dichtes  Aussehen  von  dem  benachbarten 
Weichgewebe  auf  das  schärfste  absetzen.  In  seinem  Inneren  ge- 
schehen späterhin  ähnliche  Veränderungen,  wie  wir  sie  früher  in 
Allgemeinen  besprochen  haben  (S.  474).  Jedoch  ist  die  reine  Er- 
weichung sonderbarer  Weise  an  diesen  Enchondromen  der  Weich- 
theile  sehr  viel  seltener  und  auch  dann  gewöhnlich  sehr  viel 
mehr  beschränkt,  als  bei  denen  der  Knochen.  Dagegen  sind 
Verkalkungen  und  Verknöcherungen  bei  einigermaassen  grossen, 
manchmal  sogar  schon  bei  sehr  kleinen,  fast  mikroskopischen 
Knoten  überaus  häufig;  mehr  jedoch  in  den  reinen,  als  in  den 
gemischten  Fällen.  Die  Verknöcherung  erfolgt  hier  zuweilen  in 
der  allervollkommensten  Gestalt.  Wie  schon  erwähnt  (S.  475),  fand 
ich    gerade    in    dem    Submaxillar-Enchondrom   (Fig.  10'2.)   eine 


•)  Paj^et.  Lect.  II.  p.  ?03.  C.  0.  Weber.  Knochenf^eschwüMe.  I. 
S.  79.  Chirurßischü  Erfahrungen  und  Untersuchungen.  S.  373.  Taf.  VII. 
Fig.  19.     II.  Meekel,  Charite- Annalen  VII.  2.  S.  Ö8. 


Irritativer  Anfang  des  Enchondroms  der  Weichtheile.  505 

grosse  Menge  von  Stellen  mit  vollständiger,  Fettmark  enthalten- 
der, spongiöser  Substanz.  Aber  nicht  selten  findet  man  auch  an 
solchen  Punkten,  welche  für  das  blosse  Auge  wie  feinporöser 
Knochen,  gewöhnlich  durch  etwas  gelblichweisses  Aussehen  be- 
zeichnet, hervortreten,  nichts  anderes  als  einfache  Verkalkung 
bis  zu  dem  früher  erwähnten  (S.  453)  siebformigen  Knorpel- 
knochen, von  dem,  wie  es  mir  scheint,  Uebergänge  zu  wirkli- 
chem Knochen  stattfinden.  Namentlich  in  Lungen-Enchondromen 
(Fig.  103.),  wo  die  Verkalkung  ganz  gewöhnlich  ist,  sah  ich 
die  in  dem  „Knorpelknochen"  ganz  runden  oder  etwas  eckigen, 
jedoch  stets  sehr  breiten,  mit  Zellen  gefüllten  Höhlen  (Lacunen) 
nach  und  nach  sich  mit  Strahlen  und  Ausläufern  besetzen,  so 
dass  das  Bild  gewöhnlicher  Knochenplatten  entstand. 

Was  die  Entwickelung  des  Knorpels  anlangt,  so  habe  ich 
zuerst  bei  dem  Hoden  -  Enchondrom  seine  successive  Hervorbil- 
dang  aus  dem  interstitiellen  Bindegewebe  nachgewiesen*). 
Ich  bemerke  dabei,  dass  dieses  Bindegewebe  sehr  häufig  schon 
vorher  in  Reizungszustande  geräth,  in  Folge  deren  es  sich  so- 
wohl vermehrt,  als  verdichtet  und  dass  erst  das  zum  Theil  neu- 
gebildete Bindegewebe  die  Metamorphosen  in  Knorpel  erfährt 
Wir  erkennen  darin  denselben  Vorgang,  der  bei  der  Bildung  von 
Knorpelcallus  bei  Fracturen  im  Periost  erfolgt  und  sehen  darin 
zugleich  einen  wichtigen  Beweis  für  den  entzündlichen  oder 
wenigstens  irritativen  Ursprung  des  Enchondroms.  Es 
ist  das  eine  Auffassung,  welche  auch  durch  Anamnese  und  Krank- 
heitsverlauf auf  das  Beste  unterstützt  wird.  Denn  gerade  die 
Hoden-Enchondrome  bilden  sich  in  der  Regel  auf  bestimmt  nach- 
weisbare traumatische  Einwirkungen,  namentlich  Quetschungen, 
unter  lebhafter  und  anhaltender  Schmerzhaftigkeit  und  dem  Bilde 
chronischer  Entzündung  aus.  Allein  auch  bei  anderen  Enchondro- 
men  der  Weichtheile,  namentlich  bei  denen  der  Ohrspeicheldrüse, 
ist  der  entzündliche  Ursprung**)  und  die  vor  -  enchondroma- 
töse  Periode,  das  Initial-Stadium  der  scheinbar  nicht  specifi- 
schen  Reizung  (S.  74,  88)  überaus  deutlich  zu  erkennen.  In  dieser 
Zeit  ist  die  Drüsensubstanz  (die  mit  Epithel  versehenen  Gänge 
und  Terminalbläschen)   noch   vollkommen   vorhanden,  ja  sie  ist 


♦)  Mein  Archiv.     Bd.  VJIT.  S.  402.  Taf.  IX.  Fig.  12. 
♦•)  \S'.  Busch.    Chirurg.  Beobachtungen.    S.  57. 


506  Sechszehnte  Vorlesung. 

zuweilen  so  stark  entwickelt,  dass  man  an  eine  blosse  Hyper- 
trophie denken  kann.  Dazwischen  aber,  in  dem  sonst  so  lockeren 
interstitiellen  Bindegewebe  bildet  sich  eine  mit  Induration  ver- 
bundene Anschwellung,  welche  die  Drüsenkanäle  umgiebt,  die 
Entfernungen  zwischen  ihnen  vergrössert  und  dem  Theil  zuweilen 
eine  knorpelartige  Härte  giebt.  Bei  der  mikroskopischen  Unter- 
suchung siebt  man  nichts  anderes,  als  das  Bild  einer  chroni- 
schen interstitiellen  Parotitis:  ein  dichtes,  sehniges  Binde- 
gewebe mit  relativ  kleinen,  meist  spindel-  od^r  sternfArmigeo 
Zellen. 

Dieses,  zum  Theil  wenigstens  neugebildete  Binde- 
gewebe ist  die  Matrix  des  späteren  Enchondroms^) 
und  in  den  Combinationsformen  zugleich  des  Myxoms,  Fibroms 
oder  was  sonst  für  eine  Bildung  daraus  hervorgeht**).  Die 
zelligen  Elemente  des  Bindegewebes  vergrössern  sich,  theileo  flick 
und  theilen  sich  wieder.  Manchmal  geht  die  iissipare  WuclMnaf 
80  weit,  dass,  wie  schon  erwähnt,  Gruppen  von  jungen,  indiffena- 
ten  Zellen  entstehen,  aus  welchen  später  durch  Wachsihum  der 
einzelnen  Zellen,  Abscheidung  von  Intercellular-  und  Capsularsob- 
stanz  Enchondromknoten  werden  (S.  468).  Gewöhnlich  aber 
kommt  diese  haufenweise  Entwicklung  neuer  Elemente  nicht  so 
Stande,  vielmehr  beschränkt  sich  die  Zellentheilung  auf  ein  ge- 
ringeres Maass,  es  folgt  bald  eine  Zunahme  und  Verdicbtang  der 
Intercellularsubstanz,  Bildung  von  Zellkapseln  und  damit  die  Cob- 
stituirung  des  Knorpels.  An  der  Stelle,  wo  der  Knorpel  sick 
ausbreitet,  wird  die  eigentliche  speciiische  Drüsensubstanz  tbeik 
auseinandergeschoben,  theils  atrophirt,  und  es  zeigen  sich  mittet 
in  der  Drüse  einzelne,  ganz  reine  Knorpelstücke. 

Ob  jemals  eine  vollständige  Atrophie  des  Drüsengewebes 
vorkomme,  weiss  ich  nicht;  ich  habe  sie  niemals  gesehen.  Selbst 
in  dem  scheinbar  ganz  reinen,  faustgrossen  Enchondrom  der  Sab- 
maxillaris  (Fig.  102.)  finde  ich  auf  Durchschnitten  überall  Reste 
der  alten  Drüsensubstanz.  In  den  Septis  zwischen  den  einzeluen 
Enchondromlappen  sehe  ich  noch  deutlich  die  Drüsengänge  mit 


♦)  Deutsche  Klinik.    1858.  No.  49.  S    481. 
•*)  Schon  früher  habe  ich  nachgewiesen,  dass  bei  der  eiterif^eo  Parotiü» 
zuerst  eil)  katarrhalisches,  sodann  ein  interstitiell-suppiiratives   Stadiaro  be- 
steht, bei  welchem  letzteren  der  Eiter  aus  dem  interstitiellen  BindegewflK 
hervorgeht.    (Charite-Annalen.  18ö8.  Jahrg.  Vlll.  Heft  3.  S.  b). 


Eachondrome  der  Lungen.  507 

ihren  Verästelungen;  an  einzelnen  Stellen,  namentlich  aber  am 
Umfange  der  Geschwulst  liegen  bald  in  grösseren,  bald  in  klei- 
neren Gruppen  die  mit  zum  Thcil  vergrösserten  Zellen  gefüllten 
Endläppchen  der  Drüse*). 

Die  Enchondrome  der  Drüsen  stehen  also  darin  den  Enchon- 
dromen  des  gewöhnlichen  freien  Bindegewebes  gleich,  dass  sie 
eine  bindegewebige  Matrix  haben,  und  dass  sie  unter 
den  sichtbaren  Erscheinungen  einer,  der  entzünd- 
lichen gleichen  Reizung  entstehen.  Es  bleibt  gewiss  sehr 
auffallend,  dass  gerade  das  interstitielle  Bindegewebe  der  Drüsen 
so  häufig  der  Ausgangspunkt  einer  solchen  Geschwulstbildung 
wird,  und  es  kann  als  ein  Gegenstand  der  weiteren  ätiologischen 
Forschung  bezeichnet  werden,  zu  entdecken,  worin  der  Grund 
davon  liegt;  allein  der  Prozess  im  Grossen  verliert  doch  in  dem 
Augenblicke  manches  von  seinem  aufTallenden  Charakter,  wo  es 
klar  wird,  dass  er  sich  der  chronischen  Entzündung  anreiht. 

Nirgend  ist  das  Vorkommen  des  Enchondroms  so  auffallend, 
wie  in  den  Lungen**),  nicht  bloss,  weil  in  einem  so  weichen,  an 
Parenchym  so  armen,  an  Hohlräumen  so  reichen  Organe  so  harte 
and  feste  Knoten  entstehen,  sondern  noch  mehr  deshalb,  weil  in 
scheinbar  ganz  gesunden  Lungen  nicht  selten  eine  grössere  Menge 
von  kleineren  und  grösseren  Knoten  vorkommt  (Fig.  103.).  Auch 
zeichnen  sich  die  Lungcn-Enchondrome  dadurch  aus,  dass  sie  in 
der  Regel  ungewöhnlich  rein  sind  und  den  Charakter  des  per- 
manenten Knorpels  in  der  klarsten  Weise  an  sich  tragen.  Aller- 
dings zeigen  sie  nicht  selten  Verkalkungen  und  Verknöcherungen 
(Fig.  103.,  f)  in  der  schon  beschriebenen  Weise ;  die  Verkalkung 
kann  den  grössten  Theil  von  ihnen  einnehmen***),  die  Verknöcherung 
kann  spongiöse  Knochen  mit  Mark  erzeugen  f).  Aber  auch  das 
sind  ja  Veränderungen,  die  im  permanenten  Knorpel  bei  höherem 


♦)  V^l.  einen  Fall  von  (iosselin   (Bullet,   de   la  soc.  de  Chirurgie   de 
Paris.  18ö<J.  T.  VI.  p.  11)5). 

♦*;  l-icbert.  Abhandl.  aus  dem  Gebiete  der  prakt.  Chirurgie  und  der 
path.  Phvs.  S.  1D4.  rhy»iül.  pathol.  T.  II.  p.  213.  PI.  XVll.  fig.  1-3. 
Dlauhy,  Präger  Viertoljahrssihrift  184<>.  111.  Liter.  Anzeiger  8.27.  Roki- 
tansky. Pathol.  Anat.  18G1.  Bd.  III.  S.  80.  Paget.  Lect.  Vol.  II.  p.  179. 
S.  Wilks.  Transact.  of  the  Lond.  Pathol.  Society.  18<>2.  Vol.  XIII.  p.  27. 
E    Wagner.    Archiv  für  Heilkunde.  18H1.  S.  280.' 

♦♦*)  A.  Förster.     Mein  Archiv.    Bd.   Xlll.    JS.  106       Lambl.    Aus  dem 
Franz-Jogef-Kinder-Spital  in  Prag.  18Ü0.  S.  215. 
f)  Lebcrt.    Abbandlungen.    S.  194. 


Sechst  chnte  VorlesuD^ 


Alter  nicht  selten  vorkommen,  und  ich  finde  darin,  sowie  in  des 
Umstände,  dass  diese  Enchondrome  gewöhnlich  ganz  zufällig  bei 
der  Autopsie  gefunden  werden,  nur  einen  Beweis,  dass  sie  eine 
relativ  lange  Dauer  haben  und  vielleicht  auch  schoa  ans  früher 
Zeit  des  Lebens  herstammen. 

Ich  bemerke  dabei,  dass  ich  hier  zunächst  nur  von  d«a 
idiopathischen  Enchondromcn  der  Lunge  spreche,  indem  ich 
es  mir  vorbehalte,  auf  die  metastatische  Form,  welche  ich  schu 
erwähnte  (S.  501),  noch  später  zurückzukommen.  Die  idiopathi- 
schen Formen  sitzen  am  häufigsten  an  der  Wurzel  der  Lunge 
oder  in  ihrer  Nähe.  Allerdings  beschränken  sie  sich  nicht  dar- 
auf; sie  können  auch  mitten  im  Parenchym  (Fig.  103  a.)  ond 
ganz  obertlächlich  an  der  Pleura  vorkommen  (Fig.  103,  e')  nnil 


Fig.  103.  EachondroDift  durum  multiplex  idiopathicDm  puImoDts.  IK« 
Lunge  eines  Kindes,  b  der  eintretende  Bronchus,  daneben  Aruri;«  und  Veu 
pulmonAlia.  ip  ein  Stiii:k  de»  Fori cardi ums.  Darunter  in  einem  Kinschoitt' 
ein  gTOHBur,  lu  dem  l'nrenuhjm  gelegener  Emhondrom knoten  von  lappipen 
bau:  unter  dieaem  bei  e  ein  ziemlicli  oberllärhlii-h  unter  der  I'leura  jEele^mer. 
im  Innern  verkalkender  Knoten,  e'  ein  flaeli-pol)'p^i<es  Enrhondrani  d« 
Fleura.  Üben  ein  zweiter  Einschnitt,  in  dessen  Grunde  niehrtre  kleinrrt 
und  grössere  Knchondromknotcn.  dicht  an  den  ßroncbien  o,  a'  gele^ 
(Ptiparat  No.  UVi).    Katürliche  Gr^sae. 


Idiopathische  Bncbondroine  der  LnDgeo.  509 

im  letzten  Falle  sich  sogar  leicht  polypös  über  die  Oberfi&che 
Torscliieben.  Aber  die  gewöhnlichste  Stelle  und  zugleich  der 
Ort  der  grösaten  Knoten  pflegt  doch  die  Gegend  der  Lungen- 
Wurzel  zu  sein.  Freilich  erreichen  sie  selten  eine  beträchtliche 
Grösse;  wallnuBsgrosse  Knoten  gehören  schon  zu  den  seltneren. 
Aber  diese  Grösse  genügt  doch,  um  nicht  allein  eine  gewisse 
Partie  von  Lungengewebe  zu  erfüllen,  sondern  auch  die  grösse- 
ren Kanäle  dieser  Gegend  zu  betheiligen.  In  der  Regel  findet 
man  sowohl  Bronchien,  als  Blutgefässe  von  ihnen  umschlossen, 
BO  dass  auf  Durchschnitten  (Fig.  103,  a  a',  Fig.  104.)  die  Ln- 
rnina  derselben  als  stark  verengte  OefTnungen  mit  gewöhnlich 
verdickter  Wand  sichtbar  werden.  Auch  trifll 
man  auf  solche    Stellen,    wo    die  ersten,     in  "■■  "*■ 

Form  kleiner  Körner  auftretenden  Enchon-  ^ 
dromknötchen  in  unmittelbarstem  Anschluss  an 
einzelne  Bronchien  (Fig.  104,  a'.)  erscheinen, 
and  die  Vennuthung  liegt  nahe,  dass  die  pa- 
thologische Knorpelbildung  von  den  normalen 
Knorpeln  der  Bronchien  ausgehe.  Allein  ich 
habe  mich,  wie  Wilks,  niemals  von  einem 
eontinuirlichen  Zusammenhange  beider  überzeugen  können.  Viel- 
mehr ist  es  auch  hier  das  interstitielle  Bindegewebe,  die  Capsula 
communis,  von  welcher  die  Entwickelung  ausgeht,  und  es  begreift 
eich ,  dass  auch  das  interlobuläre  und  subpleurale  Bindegewebe, 
welches  ja  mit  der  Capsula  communis  unmittelbar  zusammen- 
hängt, in  gleicher  Weise  der  Sitz  einer  unabhängigen  £nt- 
wickelung  werden  kann.  Die  Multiplicität  steht  daher  auf  einer 
Linie  mit  derjenigen,  wo  mehrere  Knochen  selbständig  £n- 
chondrome  hervorbringen. 

Von  den  Knchondromen  auszuschliessen  sind  die  ziemlich 
häutig  vorkommenden,  sowohl  an  der  Pleura,  als  in  der  Cap- 
sula communis  sich  bildenden  harten  Fibromknötchen  (S.  338), 
welche  namentlich  die  französischen  Autoren  seit  Laennec  so 
häufig  als  accidentelle  Knorpel  und   halbknorpelige  Producte   be- 

Fig.  104.  Die  Knoten  des  oberen  Einschnittes  aus  Fi^.  103.  leicht 
vergrOHsort,  im  das  Verhältniss  zu  den  Bronchien  und  der  Capsula  com munis 
XU  zei(;en.  Der  Knoten  a  umgibt  den  Bronchus,  ea  jedoch,  dasa  man  des- 
sen Wand  deutlich  erkennen  kann.  Bei  a'  sieht  man  in  der  Capaula  com- 
monis,  dicht  am  Bronchus,  die  Knorpelbildung,  die  sich  in  kleinen  Groaa- 
lationen  in  das  benacbb.'ute  Alveolar-Parenchj'm  fortsetzt. 


510  Sechszebnte  Vorlesung. 

zeichnet  haben.  Gruveilhier*)  ist  noch  neuerlich  in  den  Fehler 
verfallen,  nicht  bloss  an  der  Lunge,  sondern  auch  an  der  Mili, 
Leber  u.  s.  w.  solche  Dinge  Chondrome  zu  nennen.  Sie  sind 
nur  in  der  einen  Beziehung  von  Interesse  für  unseren  Gegen- 
stand, als  sie  ein  verwandtes,  in  gleicher  Localität  and  Multipli* 
cität  sich  ausbildendes  Gewebe  betreifen,  welches  von  anderen  Auto- 
ren eben  so  sehr  mit  Unrecht  in  die  Geschichte  der  Tuberkulose 
verflochten  ist.  Nach  der  anderen  Seite  hin  ist  zu  erwähnen, 
dass  das  Myxom,  das  doch  in  der  Lunge  vorkommt  (S.  430) 
und  das  sonst  so  grosse  Neigung  zur  Combination  mit  Enchondrom 
zeigt,  meines  Wissens  an  dieser  Stelle  noch  nie  in  einer  Miseih 
form  mit  Knorpel  beobachtet  ist.  — 

Nächst  den  Lungen  sind  vielleicht  als  Hauptsitz   reiner  Ed- 
chondrombildung  das  ünterhautgewebe  und  die  Fascien**) 
zu  nennen.    Auch  ist  das  submucöse  Gewebe  nicht  ganz  frei  ii- 
von***).     Im  Ganzen  sind  dies  seltnere   Vorkommnisse   und  & 
Geschwülste    erreichen    gewöhnlich    keine   beträchtliche    Gröaae. 
Sie  sind  als  sehr  verschieden  beschrieben:  einige  hart  und  Ofifii* 
iicirt,   andere  weich,  andere   cystisch   und  verkalkt.     Ihre  ZaU 
würde  sich  freilich  erheblich  vergrössern,  wenn  man  die  EnckoB- 
drome  der  Speicheldrüsen,  wie   es  von  mehreren  Chirurgen  ge- 
schieht, nicht  aus  der  Drüse  selbst,  sondern  aus  deren  Umgebnng 


♦)  Cruveilhier.  Traite  d'anat  path.  T.  III.  p.  826. 
**)  Job.  Müller,  lieber  den  feineren  Bau  der  Geschwülste.  S.  49.  No2L 
(Unterbaut).  Adams.  The  Lancet.  1847.  May  I.  p.  18  (Kieferwinkel,  ScheÜi 
der  Carotis).  Paget,  Lectures.  II.  p.  179  (Unterbaut  von  der  Brust )w 
A.  Förster.  Allg.  path.  Anat.  1855.  S.  132  (Zellgewebe  der  Kreuzgegeod). 
Lebert.  Abhandl.  S.  195  (Nasenflügel).  C.  0.  Weber.  KnochengesehwuktCL 
I.  S.  97  (Stirn).  Atbol  Johnson.  Transact  of  the  Lond  Path.  See.  ISSä 
Vol.  VI.  p.  335.  PI.  XVI.  fig.3-5.  (Oberarm).  II.  Meckel.  Charite-Annalei, 
VII.  1.  S.  92  (Vorderarm).  Cruveilhier.  Traite  d'anat.  path.  T.  IIL  p,812 
(äussere  Seite  des  Unterschenkels).  Birkett  L'Union  m^d.  1858.  Der. 
No.  146.  p.  57G  (hintere  Seite  des  Oberschenkels,  stark  verknöchert,  zu* 
Theil  submscial).  Secourgcon.  Gaz.  des  h6p.  1859  No.  139.  p.  545  (FTaod, 
über  dem  5.  Metacarpalknochen,  bis  in  die  Muskeln  reichend). 

*♦♦)  Dofbeau  (Bullet,  de  la  sog.  anat.  1860.  Janv.  p.  6)  beschreibt  eil 
Enchondrom  des  Kectums,  das  bei  einem  27jährigen  Manne  dicht  Ober 
dem  Anus  sass  und  diesen  in  sich  einschloss.  E.  Wagner  (Der  G(*blr- 
muttcrkrebs.  Leipz.  1858.  S.  129)  schildert  eine  sehr  eigenthQmliche  Clce- 
ration  dos  Uterus,  wobei  sich  von  der  inneren  Wand  knollige  Massen  er- 
hoben,  die  seiner  Beschreibung  nach  theils  faserig,  theils  hyalin -knorpelig 
waren.  Möglicherweise  sind  hier  die  subcoi\junctivalen  Enchondrome  aoxtt* 
Hchliessen,  von  denen  Demarqua^  (Tumeurs  de  Torbite.  p.  365)  eine  Zo- 
sammcnstellung  gibt;  bei  den  meisten  ist  jedoch  die  Untersachnng  nicht 
genau  genug,  um  ihre  Natur  zu  bestimmen. 


Enchoodrome  des  ünterBcheokels.  511 

entstehen  lässt  Das  Ergebniss  meiner  eigenen  Untersuchungen, 
sowohl  von  der  Parotis,  als  von  der  Submaxillaris  habe  ich  schon 
dargelegt;  ich  fand  jedesmal  den  Ausgang  im  interstitiellen  Bin- 
degewebe, und  nur  in  einem  Falle,  wo  ein  Wallnussgrosser  Kno- 
ten bei  einem  jungen  Mediciner  am  Winkel  des  Unterkiefers 
enucleirt  war,  habe  ich  Reste  von  Drüsensubstanz  nicht  be- 
merkt. Indess  war  diess  zu  einer  Zeit,  wo  ich  die  Frage  nach 
den  Matriculargeweben  weniger  ins  Auge  gefasst  hatte,  sondern 
mehr  die  ersten  Entwickelungszustände  aufsuchte,  und  ich  kann 
daher  nur  sagen,  dass  ich  in  diesem  Falle  die  jungen  Knötchen 
neben  der  älteren  Masse  der  Geschwulst  im  Bindegewebe  (S.  467) 
fand. 

Paget*),  der  sich  im  Ganzen  sehr  vorsichtig  ausdruckt 
und  nur  im  Allgemeinen  sagt,  dass  diese  Geschwülste  „in  der 
Nähe^  der  Speicheldrüsen  entstehen,  lässt  auch  die  schon  von 
Velpeau  für  die  Parotisgeschwülste  behauptete  Möglichkeit  zu, 
iass  sie  aus  Lymphdrüsen  hervorgehen.  Dolbeau**)  berichtet 
einen  Fall,  der  diese  Entstehung  direkt  darthun  soll,  indem  bei 
einem,  an  Follicularentzündungen  des  äusseren  Gehörganges  lei- 
denden 1 1jährigen  Kinde  eine  Lymphdrüse  über  der  Spitze  des 
Zit£enfoii;satzes  sich  wiederholt  entzündete,  endlich  geschwollen 
blieb  und  zu  einem  Enchondrom  wurde.  Von  den  unter  dem 
Unterkiefer  gegen  seinen  Winkel  hin  gelegenen  Enchondromen 
nimmt  er  an,  dass  sie  meist  den  Lymphdrüsen  angehören.  Mei- 
ner Meinung  nach  beweist  der  gedachte  Fall  nichts  sicher,  und 
man  wird  die  Ansicht  von  der  enchondromatösen  Erkrankung  der 
Lymphdrüsen  so  lange  wohl  als  zweifelhaft  betrachten  müssen, 
als  nicht  ganz  bestimmte  Gründe  aus  dem  anatomischen  Bau  bei- 
gebracht sind.  Meines  Wissens  beschränkt  sich  die  Enchondrom- 
bildung  in  den  Lymphdrüsen  auf  sehr  seltene  Fälle  secundärer 
Erkrankung  (S.  499) ;  von  einer  Primär-  und  namentlich  Solitär- 
erkrankung  derselben  ist  mir  kein  Beispiel  bekannt. 

Cruveilhier***)  unterscheidet  die  Chondrome  der  Parotis 
von  den  subauriculären  Knorpelkörpern,  die  er  auch  Tumeurs 
p^riparotidiennes  nennt.     Er  lässt  sie  ganz  ausserhalb  der  Drüse, 


•)  Paget    Lect.   IL  p.  201,  204. 
••)  Dolbeau.    Gaz.  hebdom.  ISöö.  No.  42.  p,  720.    No.  44.  p.  752. 
♦♦♦)  Cruveilhier.   Traite.  T.lll.  p.  808. 


512  Sechszehnte  Vorlesung. 

aber  auch  getrennt  von  dem  Ohrläppchen,  dem  Antitragos,  der 
Haut  und  dem  Zitzenfortsatz  entstehen.  Auch  Förster*),  der 
sie  aus  Bindegewebe  ableitet,  unterscheidet  Enchondrome  in  der 
Drüse  und  solche  oberhalb  derselben;  H.  Me ekel**)  beschreibt 
gerade  umgekehrt  eine  reine  „Sternknorpelgeschwulst^,  also  wahr- 
scheinlich ein  Myxom,  im  Zellgewebe  unter  der  membrauartig 
abgeplatteten  Parotis,  und  Bruns***),  der  sich  für  dea  extragUn- 
dulären  Ursprung  eines  Theils  der  sogenannten  Parotis-Enchon- 
drome  erklärt,  nimmt  gerade  für  die  subauriculärea  Enchoadrame 
den  Ausgang  von  der  Drüse  in  Anspruch.  Möglicherweise  werdeo 
sich  diese  Widersprüche  dahin  lösen,  dass  in  der  Thai  manche 
Enchondrome  dieser  Gegend  extraglandulär  und  andere  intn- 
glandulär  entstehen.  Es  sprechen  dafür  nicht  bloss  bestimmte 
Angaben  der  Autoren  f),  sondern  auch  namentlich  der  Umstaod, 
dass  dieselbe  Region  ein  Lieblingsplatz  für  subcutane  MyxoK, 
Fibrome  und  Kystome  ist.  Jedenfalls  ist  es  nach  meinen  Giter* 
suchungen  unzweifelhaft,  dass  die  intraglanduläre  Bildui^  des 
Enchondroms  gerade  in  den  Speicheldrüsen  in  vollkommensler 
Weise  vorkommt. 

Von  den  subcutanen  Enchondromen  gibt  es'  aber  noch  eine 
besondere  Varietät,  nehmlich  die  gemischten.  Es  ist  hier 
nicht  ganz  leicht,  zu  sagen,  wo  man  die  Grenzen  zwischen  den 
blossen  Miscbformen  und  den  eigentlichen  Teratomen  ziehen  soll 
Dies  gilt  namentlich  für  solche  Fälle,  wo  zugleich  cystiscfae 
Cavitäten  vorkommen.  Indess  muss  man  wohl  diejenigen  Ge- 
schwülste noch  als  bloss  gemischte  betrachten,  in  denen  ver- 
wandte Gewebe  vorhanden  sind.  Diess  gilt  namentlich  von  der 
so  überaus  merkwürdigen  Combination  mit  Lipom  undMy* 
xom,  wo  zuweilen  nur  das  eine  oder  das  andere  mit  dem  En- 
Chondrom  zusammentritt,  zuweilen  aber  in  verschiedenen  Ab- 
schnitten derselben  Geschwulst  alle  drei  Gewebsformen  theils 
rein,  theils  in  Uebergängen  (Myxoma  lipomatodes,  Enchondroma 
mucosum)  vorkommen.     Ausserdem  finden  sich  als  weitere  Ent- 


•)  A.  Förster.    Allg.  path.  Anat.  1855.  S.  129. 

•♦)  H.  Meckel.    Charitt-Annalen.  Vll.  2.  S.  91.  vgl.  S.  105. 
•••)  Bruns.    Prakt.  Chirurgie.  Bd.  II.  S.  159,  1149. 

t)  Bennett.  On  cancerous  and  cancroid  growths  Edinb.  1849.  p. 8^- 
Solly.  The  Lant  et.  1850.  Vol.  1.  p.  487.  C.O.Weber.  KnochengeÄchwölste. 
I.  S.  79.  Dolbeau.  I.e.  p.  718.  Bullet,  de  la  soc.  anat.  1860.  p.  45<>. 
Labbe.  ibid.  p.  353. 


Gemischte  Enchondrome  der  Unterbaut.  513 

Wickelungen   Knochen  und  Gefasse  in    manchmal    beträchtlicher 
Anhäufung. 

In  diese  Kategorie  gehört  ein  von  Gluge*)  beschriebener 
Fall  von  Lipoma  colloides,  welches  Fett-  und  Gallertgewebe, 
Knorpelstücke  und  steatomartige  Masse  (Fasergewebe?)  enthielt 
und  einer  64jährigen  Frau  aus  dem  Zellgewebe  der  oberen  Hals- 
gegend exstirpirt  w<'ir,  wo  es  vom  Ohr  bis  zum  Kinn  und  Zun- 
genbein reichte.  Sodann  ein  sehr  merkwürdiger  Fall  von  De- 
nonvilliers**),  wo  eine  aus  Lipom,  reinem  und  verknöcher- 
tem Enchondrom  bunt  zusammengesetzte  Kindskopfgrosse  Ge- 
schwulst sich  bei  einer  61jährigen  Frau  unterhalb  der  Inguinal- 
gegend  aus  der  Tiefe  der  Weichtheile  des  Oberschenkels  binnen  18 
Monaten  entwickelt  hatte.  Ich  selbst  habe  einen  ähnlichen  Fall,  den 
ich  bei  dem  Osteoid-Chondrom  besprechen  werde  (S.  533),  von  der 
Rückengegend  untersucht.  Paget***)  bildet  eine  von  Savory  unter 
dem  Tensor  vaginae  femoris  bei  einem  38jährigen  Manne  exstirpirte, 
wahrscheinlich  grösstentheils  myxomatöse  Geschwulst  ab,  welche 
an  einem  Ende  mit  einer  Kappe  von  Knorpel  und  spongiösem 
Knochen  und  längs  eines  interlobulären  Faserzuges  mit  Knötchen 
von  Enchondrom  besetzt  war.  Ganz  ähnlich  verhielt  sich  eine 
von  Stanley  aus  der  Fusssohle  eines  41jährigen  Mannes  ent- 
fernte Geschwulst  t).  In  einer  unter  dem  Gastronemius  ausge- 
schnittenen Geschwulst,  die  Pagetft)  ^^s  ein  Gemisch  von 
fibrocellulärem  und  Fettgewebe  beschreibt,  die  also  wohl  ein 
Myxoma  lipomatodes  war,  zeigten  sich  reichlich  eingebettet  Knöt- 
chen von  Knorpel.  Endlich  eine  der  von  Savory  erwähnten 
ähnliche  Geschwulst  des  Oberschenkels  hatte  eine  dünne,  aber 
vollständige  Knochenschale  ftt)-  Vielleicht  ist  auch  die  Be- 
obachtung Schuh's*t)  hier  anzureihen,  der  aus  dem  Gewebe  des 
Musculus  latissimus  dorsi  eine  Geschwulst  ausschälte,  in  welcher 
ein  theilweise  verknöcherndes  Fibroid,  ein  Lipom  und  ein  Schwell- 


*)  Gluge.  ADatomisch-mikrosk.  Untersuchungen.  Jena.  1841.  II.  S.  187. 

*♦)  Gaz.  des  höp.   18r)2.  No.  32.  p.  128.  No.  35.  p.  130.    Lebert   Traite 

a'anat.  path.  T.  1.  p.231.   PI.  XXX.  Fig.  1  -  ^»-  PI-  XXXI.  Fi?:.  1.     Denselben 

Fall   bespricht,   jedoch   mit  Unrecht  als  eine  Geschwulst  des  Schambeins, 

Crnveilhier,  Traite  d^anat.  path.  T.  III.  p.  791. 

♦•♦)  Paget.    Lectures  on  surg.  Path.  Vol.  II.  p.  109,  117.  Fig.  10. 

t)  ibid.  p.  118. 
tt)  ibid.  p.  210. 
ttt)  ibid.  p.  109. 
*t)  Schuh.   Pseudoplasmen.  1854.  S.92. 

Vircbow,  Geschwülste.    1.  33 


5U 


Sechszehnte  Vorleanng. 


gewcbe  durch  dichten  Zellstoff  verbuDden  waren.  Dieser  Fall 
bildet  gleichsam  den  Uebergang  zu  gewissen  Formen  des  NaevoK 
lipomatodes ,  namentlich  des  Lipoma  teleangiectodes  (S.  369). 
Sehr  nahe  steht  auch  der  Fall  von  Enchondroma  lipoma- 
tosum,  den  Weber*)  aus  der  Zunge  eines  15jährigen  Mäd- 
chens nach  Gjährigem  Beistände  exstirpiren  sah,  sowie  der  von 
A.  V.  Gräfe"),  wo  ein  Naevus  enchondromatosus  an  der  Cor- 
nea sass. 

Ich  ffige  hier  einen  Kehr  nierkwQrdtgen,  wahrscheinlich  conge- 
nitalen    (S.  478)    Fall  von  gemischtem  Enchondrom  ans    dem 


Fig.  105.  Enchondroma  lipoma  tos  um  teLin^itictadca  aas  dem  Wirbel- 
kanal.  A.  Die  l.nge  der  GesrliwulHt  in  dem  ernffiiolen  Wirt>elkaiial.  im  Hf- 
dulb  cpinalis,  bei  a  ÜMtch  die  Cieschwulüt  comprimirt,  unterhalb  bei  « 
atrophisch,  d  tl  Dura  mater,  nn  «oIiIkt  die  Geaf^liwuUt  ansitzt,  die  sodf- 
renieits  anrh  nn  der  vorderen  Seite  der  I'roceitRns  Kpinosi  fest  »nhiagt. 
}i  ein  gcwühnlicher  Dornrort»utz,  p'  der  durch  Versehmelzung  ^oa  Kveiet 
eiilntandene,  iiiigGwühntii'h  !;rosse.  Ji  ein  Duri?hsehnitt  der  Geschwulst 
in  der  duri-h  eine  punktirte  Linie  in  A  bezeichneten  Kiehtung:  die  hellerei 
Stellen  sind  die  linorpeliffeii ,  die  anderen  entsprechen  den  fettigen  b ad 
fibrC!>en  Theilen.    (Pr.lparat  No.  521.  vom  Jahre  mUO).    NatQrl.  GrGsse. 

•)  C.  Ü.  Weber.    KnudiengeH.'hwülste.  I.  S.  114. 
")  V.  Gräfe.    Anliiv  f.  Ophthalmologie.  Bd. VII.  2.  S.5.  Tif.l.  Fif.2. 


Gemischte  EnchoDdrome  des  Wirbelkanals.  515 

Wirbelkanal  an.  Die  etwa  Hasel nussgrosse  Geschwulst  sass 
zwischen  der  Dura  mater  spinalis  und  den  Domforts&tzen  und 
hatte  das  Rückenmark  so  coniprimirt  (Fig.  105,  A,  a),  dass  Läh- 
mungserscheinungen der  unteren  Körperhälfte  eingetreten  waren. 
Allerdings  datirte  der  Mann,  ein  früherer  Soldat,  sein  Leiden 
yon  einer  durch  Liegen  auf  feuchter  Erde  erzeugten  Erkältung 
und  der  schleichende,  durch  acutere  Episoden  unterbrochene  Ver- 
lauf der  Krankheit,  selbst  nachdem  er  in  das  Invalidenhaus  auf- 
genommen war,  hatte  den  behandelnden  Arzt,  Herrn  Abel  bestimmt, 
an  eine  Erkrankung  der  Häute  zu  denken.  Die  Autopsie  zeigte 
nur  die  Geschwulst  als  störendes  Moment.  Dieselbe  war  einer- 
seits mit  der  Dura  mater  (d,  d),  andererseits  mit  dem  Processus 
spinosus  (p')  innig  verwachsen;  erstere  hing  wieder  mit  der 
Oberfläche  des  Rückenmarkes  (m  s)  zusammen,  letzterer  erwies 
sich  als  aus  zweien  verschmolzen,  jedoch  so  gleichmässig,  dass  nur 
noch  eine  seichte  Einbiegung  (bei  p')  die  alte  Trennungsstelle 
andeutete.  Dieser  Umstand  wies  auf  eine  sehr  frühe,  wahrschein- 
lich congenitale  Synostose  hin,  welche  durch  die  innere  Zusam- 
mensetzung des  Knotens  noch  wahrscheinlicher  wird.  Auf  einem 
Durchschnitt  (Fig.  105,  B)  fand  sich  nehmlich  auch  zunächst  ein 
grosser  Theil  der  Geschwulst  aus  derbem,  hyalinem  Knorpel  gebil- 
det. Dieser  ging  namentlich  gegen  den  Umfang  der  Geschwulst  in 
ziemlich  dichtes  Fasergewebe  über,  in  welchem  sehr  weite  und 
geschlängelte  Gefässe  verliefen  und  welches  zum  Theil  stark 
gelb  gefärbt  war.  An  einzelnen  Stellen  aber  ging  der  Knorpel 
ganz  unmittelbar  in  Fettgewebe  über,  indem  die  Zellen  sich  mit 
Fett  füllten  und  die  Intercellularsubstanz  bis  auf  einen  Minimaltheil 
schwand.  Von  wo  die  Entwickelung  angefangen  hatte,  liess  sich 
nicht  mehr  bestimmen,  jedoch  lag  die  Geschwulst  ihrem  grössten 
Theile  nach  unzweifelhaft  in  dem  Fettgewebe,  welches  den  Zwi- 
schenraum zwischen  Dura  mater  und  Knochen  auszufüllen  pflegt.  — 
Was  nun  die  Enchondrome  der  Drüsen  anbetrifi*t,  so 
habe  ich  darüber  schon  zu  wiederholten  Malen  gesprochen.  Wie 
erwähnt,  sind  namentlich  die  Speichel-  und  Geschlechtsdrüsen 
ausgesetzt,  während  andere,  wie  die  Leber,  gar  nicht,  andere, 
wie  die  Thränendrüse*)  und  die  Nieren**)  wenigstens  sehr  selten 
ergriffen  werden. 

•)  W.  Busch.    Chirurgische  Erfahrungen.  S.  1. 
♦♦)  Gluge   (Atlas  der  path.  Anat.   Lief.  XIX.  Taf.  V.   Fig.  8-9.  S.  1) 


13* 


516  Sechszehnte  Vorlesung. 

Auch  unter  den  Speicheldrüsen  zeigt  sich  eine  grosse 
Verschiedenheit.  Von  der  Bauchspeicheldrüse  ist  kein  einziger 
sicherer  Fall  bekannt.  Ich  habe  allerdings  sonderbare  Cysten- 
bildungen  mit  fast  faserknorpeliger  Wand  in  dem  Pancreas  onJ 
um  dasselbe  gesehen,  welche  sich  nicht  auf  Ranula  (S.  276)  be- 
ziehen Hessen,  aber  ich  bin  nicht  sicher,  ob  sie  aus  Enchondro- 
men  entstanden  waren.  Dagegen  sind  die  Mundspeicheldrüseo 
ganz  besondere  Prädilectionsstellen  und  zwar  namentlich  die  Sub- 
maxillaris*)  und  die  Parotis**).  Einer  Mundspeicheldrüse 
scheint  auch  der  congenitale  Fall  von  E.  Wagner  (S.  478  Note) 
anzugehören.  So  wenig  ich  die  Möglichkeit  in  Abrede  stelle,  dass 
das  Nachbargewebe  der  Drüsen  der  Ausgangspunkt  solcher  Er- 
krankungen werde  (S.  510),  so  habe  ich  doch  keinen  sicheren 
Fall  davon  gesehen.  Allerdings  ist  ein  Umstand  sehr  geeignet, 
zu  Verwechselungen  in  dieser  Beziehung  Veranlassung  zu  geben. 
Das  Enchondrom  kommt  nämlich  entweder  als  diffuses,  über 
die  ganze  Drüse  ausgebreitetes,  oder  als  lobuläres,  nur  auf 
einzelne  Drüsenlappen  oder  Gruppen  von  Lappen  beschränktes 
war.  Letzteres  schiebt  sich  leicht  über  den  Körper  der  Drib>e 
hervor***)  und  scheint  dann  extraglandulär  zu  liegen,  während 
es  doch  aus  dem  interstitiellen  Bindegewebe  seinen  Ursprung 
nahm.  Ich  will  damit  den  Fall  nicht  ausschliessen ,  dass  auch 
die  Capsel  der  Drüse  der  Ausgangspunkt  wird  und  die  Geschwulst 
daher  von  vorn  herein  peripherisch  liegt,  jedoch  habe  ich  auch 
dits  nicht  gesehen. 

Das  diffuse  Enchondrom  kommt  sehr  selten  an  der  Parotis 
vor,  während  es  die  gewöhnliche  Erkrankungsform  der  Sub- 
maxillaris  ist.  Es  ist  zugleich  ein  hartes,  hyalines  und  nur  un- 
deutlich lappiges  Gebihle  (Fig.  102.),  in  welchem  sehr  hautig 
ausgedehnte  Ossificationen  erfolgen.  Die  lobuläre  oder  tuberöse 
Form  ist  dagegen  die  gewöhnliche  Form  der  Parotis-Erkrankung, 

spricht  von  einem  Falle  von  Combination  der  Hydronephrose  mit  EnchoD- 
drom. 

♦)  Stromoyer.     Ilandb.  dor  Chirurgie.    1844.    S.  254.      Schoh.    Pe 
cnchondromate.  p.  23. 

•♦)  Joh.  Müllor.  Uober  den  feineren  Bau.  S.  32,  48.  Quockett.  Ili.-tol 
Catalogiie.  I.  p.  111.  Paget.  Lectures.  IL  p.201.  Dolbcan.  («az.  hebdi^ni. 
1858.  p.  r,H7,  717,  7r)2,  804,  H8G.  Bullet,  de  la  soc.  anat  1860.  Der.  p.4M. 
Billroth.  Mein  Archiv.  lHr>i).  Bd.  XVll.  8. 359.  Bruns.  Prakt  Chirurgie. 
H.  S.  ir)9,  1148. 

0  Verneail.   Bullet,  de  la  hoc.  anat.  18G0.  Jan?,  p.7. 


♦♦♦" 


Enchondrom  der  Speicheldrüsen.  517 

und  da  die  Ohrspeicheldrüse  eine  sehr  grosse  Ausdehnung  hat, 
so  findet  sich  das  Enchondrom  bald  am  oberen,  bald  am  hinteren, 
bald  am  unteren  Umfange  derselben,  also  unter  dem  Jochbein, 
vor  oder  unter  dem  Ohr,  am  Kieferwinkel,  oder  auch  mitten  in 
dem  Körper  der  Drüse.  Nicht  selten  sind  mehrere  Knoten  gleich- 
zeitig vorhanden,  oder  sie  entwickeln  sich  nach  einander,  ohne 
dass  sie  sich  gerade  gegenseitig  bedingen  müssen.  So  entsteht 
auch  hier,  wie  an  den  Lungen,  eine  auf  das  Organ  beschränkte 
Multiplicitat,  welche  die  Häufigkeit  der  localcn  Recidive  nach 
partieller  Exstirpation  der  Drüse  erklärt. 

Zuweilen  ist  die  übrige  Drüse  dabei  vergrössert,  indem  die 
Drüsenzellen  vermehrt,  die  Läppchen  also  geschwollen,  und  die 
interstitiellen  Bindegewebszüge  etwas  verdickt  sind  (S.  506). 
Ungemein  häutig  aber  finden  sich  andere  Erkrankungen  daneben, 
manchmal  in  so  grosser  Ausdehnung,  dass  die  übrige  Drüse  da- 
durch ganz  und  gar  vernichtet  wird.  Unter  diesen  sind  gerade 
in  der  Parotis  die  myxomatösen  Formen  die  häufigsten,  ja 
das  Myxom  hat  oft  so  sehr  das  Uebergewicht,  dass  das  Enchon- 
drom nur  als  ein  beiläufiger  Bestandtheil  erscheint  (S.  430).  Un- 
mittelbare Uebergänge  von  einem  Gewebe  zum  anderen  sind  sehr 
gewöhnlich.  In  einem  Falle  hat  Bobin*)  eine  Mischform  von 
Enchondrom  mit  w^eichem  Lipom  gesehen.  Das  Myxom  pflegt 
sehr  rein  zu  sein,  höchstens  dass  die  faserigen  Bestandtheile  in 
reichlicherer  Menge  auftreten  und  hie  und  da  wirkliche  Ueber- 
gänge zu  fibromatösen  Stellen  vorkommen.  Dabei  finde 
ich  eine  schon  von  Robin  und  Billroth**)  erwähnte  Eigen- 
thümlichkeit  hier  in  sehr  auffallender  Weise:  Bei  der  mikrosko- 
pischen Untersuchung  trifft  man  nehmlich  auf  gewisse  dichtere 
Stellen,  welche  sich  auf  Querschnitten  als  rundliche  Inseln  oder 
AVirbel,  auf  Längsschnitten  als  feste  Cylinder  oder  Balken  dar- 
stellen und  von  welchen  nach  allen  Seiten  sonnenartig  Strahlen 
von  Fasern  ausgehen,  welche  sich  in  das  umgebende  Gallert- 
gewebe verlieren,  indem  sich  zwischen  sie  Schleim  und  Zellen 
einschieben.    Mit  Essigsäure  worden  diese  Inseln  und  Balken  hell, 


*)  Bericht  von  Dolbeau   (Gaz.  hcbdom.   1858.  p.  806)  über  eine  von 
Nelaton  exstirpirte  Geschwulst. 

*♦)  Robiü.   I/Ünionmed.  1857.  No.  100.  p.  409.    Billroth.  Mein  Archiv. 
Bd.XVH.  S.361.  Taf.VII.  Fig.  4. 


518  Sechszehnte  Vorlesung. 

fast  hyalin  und  glänzend,    und    man    sieht    darin  eckige  Höhleo 
für  feine  Zellen,  wie  in  osteoidem  Gewebe. 

Auch  in  diesen  Fällen  ist  der  Bau  der  Geschwulst  in  der 
Regel  lappig  und  die  einzelnen  Lappen  sind  von  oft  sehr  derben 
Hüllen  und  Scheidewänden  umgeben.  Je  weicher  die  Substant 
des  Lappens  selbst  ist,  um  so  mehr  entsteht  dadurch  der  An- 
schein einer  cystischen  Bildung;  ja  in  manchen  Fällen  ist  das 
lappige  Myxom  vom  blossen  Auge  kaum  von  einem  Schlcim- 
kystom  zu  unterscheiden.  Die  fibrösen  Hüllen  hängen  mit  dem 
Nachbargewebe,  namentlich  öfter  mit  dem  N.  facialis  so  innig 
zusammen,  dass  die  Abtrennung  äusserst  schwierig  oder  geradezu 
unmöglich  wird,  —  ein  Umstand,  der  die  Gefahr  der  Operation 
der  mehr  centralen  Knoten  sehr  steigert.  Die  eigentliche  Myxom- 
substanz  sieht  gallertartig,  gelblich  oder  grünlich  durchscheinend 
aus,  fühlt  sich  sehr  schlüpfrig  an  und  lässt  fadenziehenden,  klaren 
Saft  ausdrücken. 

Weiterhin  sind  auch  Gombinationen  mit  Krebs  und  Kao- 
kroid*)  nicht  selten.  Meistentheils  sind  es  nicht  reine  Enchon- 
drome,  sondern  myxomatöse,  zuweilen  auch  reine  Myxome,  welche 
in  diese  Gombination  eingehen.  Man  sieht  dann  schon  vom  blossen 
Auge  einzelne  Abschnitte  der  Geschwulst  von  einer  mehr  undurch- 
sichtigen, weisslichen,  mjirkigcn  Beschaffenheit;  diese  Theile  sinJ 
relativ  weich,  leicht  zerdrückbar,  sie  entleeren  beim  Druck  milchige 
oder  schmierige  Flüssigkeit,  und  erscheinen  zuweilen  schon  für 
das  blosse  Auge  feinmaschig  oder  schwammig.  Die  mi'xrosko- 
pische  Untersuchung  zeigt  stets  ein  ungewöhnlich  deutliches 
Maschengewebe,  dessen  Balken  bald  mehr  übrös,  bald  mehr 
schleimig,  bald  geradezu  knorpelig  sind,  und  dessen  Maschenraume 
von  einer  dichten  Anhäufung  epithelialer  Zellen  ausgefüllt  werden. 
Diese  Zellen  hängen  nach  Art  der  kankroiden  nicht  selten  in  langen 
Zügen  oder  Zapfen  zusammen  und  ahmen  in  hohem  Maasse  die 
drüsenartige  Anordnung  nach**).  Aus  diesem  Grunde  rechnen  die 
meisten  französischen  Mikrographen  nach  dem  Vorgange  Robin's 
sie  zu  der  Heteradenie***),  während  wiederum  Billrothf)  die 

•)  II.  Friedberg.  Chirurg.  Klin.  Jena.  1855.  Bd.  1.  S.  237.     v.  Bruns. 
Prakt.  Chirurg.  II.  S.  1153.  Lotzbcck.  DeutscheKIinik.  1858.  No.  12.  S.  118. 
**)  Paeet.    Loci.  11.  p.  204. 

♦♦•)  Robiu!    I/Ünion  med.    1857.  No.  100.  p.  40D.    NtfUton.   Cliniqoe 
europeennc.   1859.  No.  20.  p.  205. 

t)  ßillroth.    Mein  Archiv.  Bd.  XYII.  S.  3C3. 


Gemischte  Eochondrome  der  Speicheldrüsen.  519 

Bildung  als  eine  papilläre  auffasst,  wo  die  Zellen,  wie  bei  den 
Processus  choroidei,  um  bindegewebige  oder  schleimige  Grund- 
stöcke entwickelt  seien.  Ich  finde  keine  Eigenthümlichkeiten, 
wodurch  sich  diese  Bildung  von  Kankroid  oder  Krebs  unter- 
scheidet und  ich  halte  es  für  einen  Irrthum,  wenn  Velpeau 
diese  Art  von  Parotisgeschwülsten  unter  dem  Namen  der  Adenoide 
als  gleichsam  homologe  Formen  auft'asst.  Auch  sehe  ich  densel- 
ben Entwickelungsgang,  wie  beim  Kankroid.  DieZellen  des  Knorpels, 
des  Binde-  oder  Schleimgewebes  vergrössern  und  theilen  sich,  es 
entstehen  durch  ihre  Wucherung  kleine  Gruppen  oder  Heerde  von 
Zellen,  diese  fliessen  nach  und  nach  zusammen  und  so  entstehen 
grössere,  oft  cylindiische  oder  verästelte  Maschenräume.  Dabei  kön- 
nen noch  sehr  lange  Zeit  ein  gewisser  Theil  des  Gewebes  oder  ein- 
zelne Lappen  das  ursprüngliche  Gepräge  beibehalten,  und  man  findet 
entweder  das  kankroide  oder  krebsige  Gewebe  vonEnchondrom-  und 
Myxomknoten  durchsetzt,  oder  einzelne  Abschnitte  der  Geschwulst 
sind  im  Zusammenhang  knorpelig  oder  schleimig,  während  der 
ganze  übrige  Rest  die  epitheliale  Hetoroplasie  erfahren  hat. 

Endlich  ist  es  nicht  selten,  dass  in  diesen  weicheren  Ge- 
schwülsten eine  starke  Vascularisation  vorkommt.  Solche  telan- 
giektatischen  Formen  haben  eine  grosse  Neigung,  zu  er- 
weichen, Höhlen  zu  bilden  und  der  Sitz  innerer  Extravasationen  zu 
werden.  Der  Zustand  der  Gefasse  kann  sehr  verschieden  sein: 
Luys*)  fand  ihre  Wandungen  verdickt;  anderemal  dagegen 
sind  sie  sehr  dünn  und  zahlreiche  Ektasien  varicöser  oder  bla- 
siger Natur  finden  sich  an  ihnen.  Dahin  rechne  ich  gewisse  der 
von  Billroth**)  unter  dem  Namen  des  Cylindroms  beschrie- 
benen Zustände.    — 

Bei  den  Sexualdrüsen  findet  sich  eine  ähnliche  Verschie- 
denheit, wie  bei  den  Speicheldrüsen.  Im  Ganzen  sind  die  weib- 
lichen Sexualdrüsen  ungleich  weniger  ausgesetzt,  als  die  männ- 
lichen. Vom  Eierstock  kenne  ich  nur  ein  Beispiel***)  von 
reinem  Enchondrom;    einige    andere   betreffen    kystomatöse  und 


*)  Demarqoay.    Gaz.  des  hop.  1861.  No. 46.  p.  181. 
♦♦)  Billroth.    Mein  Archiv.    Bd.  XVII.    S.  364.    Taf.  VlII.   Fig.  7.,  10. 
Taf.  IX.  Fig.  11.,  12. 

♦♦♦)  Dlauhy.  Prag.  Viertelj.  1846.  III.  Lit.  Anz.  S.  27.  Ri  wisch.  Klini- 
sche Vorträge.  Prag.  1852.  il.  S.  189.  (Der  eine  seiner  beiden  Fälle  scheint 
nur  eine  knorpelartige  Verdickung  der  Albuginca  zu  betreffen). 


520  Sechszehnte  Vorlesang. 

teratoide  Formen.  Auch  an  der  weiblichen  Brust  ist  die  reine 
Knorpelgeschwulst  sehr  selten.  Die  meisten  Autoren  beschränken 
sich  darauf,  unsichere  Beobachtungen  aus  älterer  Zeit*)  zu  citiren, 
die  sich  ihrer  Mehrzahl  nach  auf  „skirrhöse^^  und  „knöcherne^^ 
Gewächse  beziehen.  Ziemlich  sicher  ist  der  Fall  A.  Cooper's**), 
von  einem,  seit  14  Jahren  bestehenden,  halb  knorpeligen  und 
halb  knöchernen  Tumor  bei  einem  32jährigen  Weibe.  Auch 
Nelaton  und  Cruv  eil  hier***)  scheinen  wirkliche  Knorpel- 
knoten aus  der  Brust  gesehen  zu  haben.  Oefter  kommt  das 
Enchondrom  combinirt  mit  malignen  Geschwülsten  vor.  Warrenf) 
sah  3  Fälle  von  Combination  mit  Skirrh;  E.  Wagnerft)  be- 
schreibt weitläufiger  einen  Fall,  in  dem,  wie  es  scheint,  Enchon- 
drom, Myxom  und  Krebs  (Kankroid?)  gemischt  waren,  von  einer 
53jährigen  Frau.  Ungewöhnlich  häufig  sind  knorpelige  Brust- 
geschwülste bei  Hunden,  wo  sie  zuweilen  an  einer  Milchdrüse, 
zuweilen  an  einer  ganzen  Reihe  derselben  vorkommen,  bis  Faust 
gross  werden  und  schliesslich  ulceriren.  Ein  der  Beschreibung  nach 
reines,  ossificirendes  Enchondrom  vom  Hunde  aus  der  Hallescheo 
Sammlung  erwähnt  Joh.  Müllerftt).  Ich  habe  mehrere  Fälle  da- 
von gesehen;  gewöhnlich  war  das  Centrum  knöchern,  die  darauf 
folgende  Schicht  faser-  oder  hyalinknorpelig,  der  Umfang  zellen- 
reich und  fast  sarkomatös *t).  Einen  ganz  ähnlichen  Fall  hat 
Lebert**t)  beschrieben.  An  der  männlichen  Brust  glaubt 
Foucher***t)  ein  Enchondrom  beobachtet  zu  haben.  Die  Ge- 
schwulst sass  bei  einem  35jährigen  Manne  unter  der  Brust  und 
hing  mit  dem  Pectoralis  zusammen.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung lässt  den  Fall  zweifelhaft  erscheinen. 

Anders    verhält   es   sich    mit   den    Hoden.     Allerdings  ist 


•)  Dahin  gehören  die  Fälle  von  Morgagni  (De  scdibus  etc.  Rpist  L 
Art.  41.)  und  Reil  (Archiv,  f.  die  Physiologie.  1799.  Bd.  HI.  S.447). 

**)  A.  Cooper.     Krankheiten   der  Brustdrüse.    Aus  d.  Engl.    Weimar. 
18:m.  S.27.  THf.VIlI.  Fig.  10. 

••♦)  Cruveilhier.    Traite  d'anat.  path.  T.III.  p.  824. 

t)  Warren.  Surg.  obs.  oii  tuniours.    Boston.  1848.  p.  213. 
tt)  E.  Wagner.    Archiv  f.  Heilkunde.  1861.  S.275. 
ttt)  Müller.   Debcr  den  feineren  Bau.   S.  48.  No.  13. 

♦t)  Würzb.  Yorhandl.  Bd.  1.  S.  137. 
♦♦t)  Lcbert.     Traitc  d'anat.   path.  T.  I.   p.  231.    PI.  XXIX.    fig.  7-12. 
Vgl.  auch  Paget,  Lecturea  II.  p.  172. 
***t)  Pouch  er.    LTnion  med.  1859.  No.  103.  p.404. 


Rnchondrom  des  Hodens.  521 

auch  hier  das  Enchondrom  gewöhnlich  gemischt*)  mit  allerlei 
aaderen  Geschwulstarten,  insbesondere  mit  cystischen  For- 
men, mit  Sarkom,  Margaritom,  Kankroid  nnd  Krebs.  Aber 
diese  Geschwülste  sind  wenigstens  sehr  häutig  und  von  den  cy- 
slischen  Formen  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  wenigstens  ein 
Theil  von  ihnen  erst  consecutiver  Natur  ist  und  das  Enchondrom 
daher  als  die  wesentliche  Geschwulst  betrachtet^  werden  muss. 
Dafür  spricht  das  sehr  eigenthümliche  Verhalten  der  reineren 
Erkrankungsformen. 

Hogg**)  fand  in  einer  nur  aus  Enchondrom  und  Cysten  be- 
stehenden, 4^  Pfd.  schweren  Hodengeschwulst,  die  bei  einem 
30jährigen  Manne  nach  einem  Stosse  auf  den  Sattelknopf  ent- 
standen war,  varicös  erweiterte  und  mit  Enchondrommasse  ge- 
füllte Kanäle.  Dasselbe  beobachtete  Queckett***):  die  Knorpel- 
zapfen lagen  lose  im  Innern  von  Kanälen,  welche  als  Samen- 
kanälchen  und  als  Bildungsstätten  des  Knorpels  angenommen 
wurden.  Ich  zeigte  dem  gegenüber f),  dass  der  Knorpel  nicht 
frei  in  Kanälen  gebildet  wird,  sondern  continuirlich  aus  dem  in- 
terstitiellen, vorher  verdickten  Bindegewebe  hervorwächst;  ich  wies 
dabei  zugleich  auf  meine  Beobachtung  von  dem  Hineinwachsen  des 
Enchondroms  in  Blut-  oder  Lymphgefasse  hin.  Billrothft)  t^^^t 


♦)  Wardrop.  Observ.  on  funjriis  haematodes.  Edinb.  1809.  p.  132,  138. 
Baring.  lieber  den  Markschwamm  der  Hoden.  Gott.  1833.  S.  55,  223.  Taf.  11. 
A.  Cooper.  Die  Bildung  und  Krankheiten  des  Hodens.  Weimar.  1832. 
S.  77.  Joh.  Müller.  Ueber  den  feineren  Bau  u.  s  w.  S.  48.  A.  Schaffner. 
Ueber  das  Enchondrom.  Inaug.  Abh.  Würzb.  1845.  8.  2.3.  Fig.  7—9.  Range. 
De  enchondromate.  p.  14.  Gobee.  Kliniek.  Jaarg.  IV.  Bl.  133.  Glujje.  Atlas 
der  path.  Anat.  Lief.  XX.  Taf.  IV.  Fig.  3-4.  Queckett.  Histol.  Catalogue. 
P.  111.  Virchow.  Würzb.  Verh.  Bd.  1.  S.  135.  Archiv.  VIII.  S.  399.  Le- 
ber t.  Traite  des  maladies  cancereuses.  1851.  p.  401.  Traite  d*anat.  path. 
T.  1.  p.  231.  PI.  XXIX.  fig.  13-20.  Curling.  Med.  chir.  Transact.  1853. 
Vol.  XXXVI.  p.  451.  Paget.  Lectures.  II.  p.  172,  208.  Wedl.  Path.  Hist. 
S.  585.  C  hei  ins.  Handb.  der  Chirurgie.  7.  Aufl.  II.  S.  4HG.  A.  Förster. 
Münchner  ill.  Zeitung.  Bd.  III.  S.  126.  Cruv  eil  hier.  Traite  d*anat.  path. 
T.  III.  p.  825.  Billroth.  Mein  Archiv.  1855.  Bd.  VHI.  S.  435.  C.  0. 
Weber.  Knochengeschwülste.  1.  S.  114.  Chirurgische  Erfahrungen  und 
Untersuchunjiion.  S.  206.  Jouon.  Bullet,  de  la  soc.  anat.  1859.  Mai.  p.  161. 
Wilks.  Lectures  on  path.  anatomy.  Lond.  1859.  p.  386.  Riebet.  l'Union 
med.  1861.  No.  21.  p.  333.    Deraarquay  ibid.  1862.  No.  28.  p.  447. 

♦♦)  Hogg.     Transact.   of  the  Lond.  Pathol.  Soc.   1853.  Vol.  IV.  p.  182. 
PI.  VL  fig.  8.,  9. 

♦♦♦)  Curling.    Med.  chir.  Transact.  1853.  Vol.  XXXVL  p.  451. 
t)  Mein  Archiv.  1855.  Bd.  VIII.  S.  402.  Taf.  IX.  Fig.  12. 

tt)  Billroth.    Ebendas.  S.  437.  Taf.  Xll.  Fig.  3.,  5.,  6. 


522  Sechszehnte  Vorlesung 


D* 


gleichzeitig  dar,  dass  von  der  Wand  der  Cysten  kolbige  Ans- 
vYÜchse  hervorgehen,  welche  in  ihren  Enden  Knorpel  erzeugen. 
Paget*)  endlich  fand  in  einem  äusserst  wichtigen  Falle,  dass 
die  Knorpelmasse,  deren  Entwickelung  er  genau  so,  wie  Bill- 
roth,  in  papillären  Kolben  beobachtete,  in  Lymphgefasse  hin- 
einwuchs. Es  ist  dies  zugleich  einer  der  reinsten  Enchondrom- 
fälle,  welche  bekannt  sind.  Der  Hoden  stammte  von  einem 
37jährigen  Manne  und  das  Uebel  datirte  offenbar  von  wiederhol- 
ten Quetschungen  des  Organs.  Die  Geschwulst  hatte  Durchmesser 
von  3  und  2^  Zoll  und  bestand  auf  einem  Durchschnitte  fast  ganz 
aus  gewundenen,  wurmförmigen,  sich  vielfach  durchsetzenden  Kör- 
pern, die  schliesslich  in  die  sehr  erweiterten  Lymphgef&sse  des 
Samenstranges  übergingen.  Die  gleichzeitig  vorhandenen  Cysten 
schienen  nichts  anderes,  als  Varicositäten  verstopfter  Lymphge- 
fasse zu  sein. 

Man  darf  aus  dieser  merkwürdigen  Beobachtung  nicht  schlies- 
sen,  dass  alle  Fälle  von  Cystenbildung  im  Hoden  aus  Lympfa- 
gefässen  hervorgehen;  ich  werde  bei  den  Kystomen  zeigen,  dass 
wirkliche  Neubildungen  vorkommen,  und  andererseits  trage  ich 
kein  Bedenken,  manche  Cysten  auf  Erweiterung  der  Samen- 
kanälchen  zurückzufiihren.  Man  muss  also  von  jetzt  ab  diese 
Formen  genauer  scheiden,  als  es  bis  dahin  geschehen  ist.  Dass 
aber  gerade  der  Hoden  zur  Bildung  von  Lymphsäcken  sehr  ge- 
eignet ist,  das  wissen  wir  gegenwärtig  sehr  genau  aus  den  Un- 
tersuchungen von  Ludwig  und  Tomsa**),  welche  durch  Beob- 
achtungen des  Herrn  Tommasi  im  hiesigen  pathologischen  In- 
stitute ergänzt  werden  und  welche  darthun,  dass  zwischen  den 
Samenkanälchen  äusserst  zahlreiche  und  weite  Lymphränme  ent- 
halten sind. 

Nach  der  Uebereinstimmung  fast  aller  Beobachter  ist  der  ge- 
wöhnliche Sitz  sowohl  der  cystischen,  als  der  knorpeligen  Bildun- 
gen das  Rete  testis,  von  wo  sich  allerdings  die  Erkrankung  sa- 
weilen  in  die  Substanz  des  eigentlichen  Hodens  hinein  fortsetzt 
Gewöhnlich  wird  aber  ein  grosser  Theil  der  Hodensubstanz  com- 
primirt  und  atrophirt,  und  man  findet  seine  Reste  am  äusseren 


♦)  Paget.    Med.  chir.  Transact.  1855.  Vol.  XXXVIII.  p.  428.  Pl.I-V. 
**)  C.  Ludwig   und  W.  Tomsa.     Sitzungsberichte   der  k.  Akad.  dff 
Wissensch.  zu  Wien.  1862.  Bd.  XLVI. 


Enchondrom  des  Hodens.  523 

Umfange  der  Geschwulst.  Durch  die  Entwickelung  im  Rete 
moss  aber  das  Entstehen  von  Hemmungen  des  Lymphstroms  und 
die  Bildung  von  Erweiterungen  sehr  begünstigt  werden,  und 
wenn  einmal  Varicositaten  gegeben  sind,  so  kann  ein  Hinein- 
wachsen des  Knorpels  in  die  Geisse  oder  Lymphräumc  sehr  leicht 
erfolgen. 

In  diese  Kategorie  der  Enchondrome  der  Lymphräume 
gehört  offenbar  eine  Beobachtung  von  L'Honneur*),  der  bei 
einem  24jährigen  Soldaten  den  der  Angabe  nach  in  Folge  einer 
Verletzung  bei  gymnastischen  Uebungen  stark  geschwollenen 
Hoden  exstirpirte  und  neben  zahlreichen  kleineren,  isolirten  Knor- 
pelstücken eine  Unzahl  kleiner,  verästelter,  leicht  auslösbarer 
^Pyramiden"  fand.  Ebenfalls  gehört  hierher  ein  Fall  von  Be- 
rn arquay**) :  Ein  34jähriger  Mann  erlitt  eine  Quetschung  des 
Hodens  durch  den  Hufschlag  eines  Pferdes,  und  als  der  Hoden 
15  Monate  später  exstirpirt  wurde,  wog  er  etwa  2  Pfd.  Es 
zeigte  sich  ausser  einer  mit  Blutgerinnsel  gefüllten  Cyste  eine 
grosse  Masse  von  Knorpel,  theils  kleine,  in  einem  sehr  gefass- 
reichen,  fibrösen  Gewebe  zerstreute  Stücke,  theils  grössere,  aus 
nnregelmässigen ,  in  verschiedenen  Richtungen  gewundenen  Säu- 
len bestehend.  — 

Es  ergiebt  sicli  aus  dieser  Uebersicht  der  Enchondrome  der 
Weichtheile,  dass  sie  in  einer  ganz  ungemein  wechselnden  Weise 
vorkommen.  Allerdings  hat  uns  sowohl  das  anamnestische,  als 
das  anatomische  Studium  gelehrt,  dass  namentlich  die  Enchon- 
drome der  Drüsen  sehr  häufig  einen  irritativen  oder  auch  geradezu 
entzündlichen  Ursprung  haben,  und  es  liegt  daher  nahe,  ihnen 
auch  eine  bloss  örtliche  Bedeutung  zuzuschreiben.  Die  Erfah- 
rung stimmt  damit  insofern  überein,  als  sehr  viele  Fälle  von 
dauerhafter  Heilung  nach  der  Operation  bekannt  sind.  Allein 
nichtsdestoweniger  ist  das  Enchondrom  der  Weichtheile  eine 
entschieden  heteroplastische  und  schon  insofern  sn- 
specte  Geschwulst,  und  wenn  sie  auch  ursprünglich  rein 
local  ist,  so  beweist  doch  schon  ihre  Vergrösserung  durch  Bil- 
dung accessorischer  Knoten  ihre  Fähigkeit  zur  Infection. 

Früher  glaubte  man  alle  solche   Fälle  auf  die  Mischformen 


*)  L'Honnenr.    TUnion  med.  1861.  No.  134.  p.  269. 
•*)  Demarquaj.    rUnion  inedicale.  1862.  No.  2H.  p.  447. 


524  Sechszchnte  Vorlesung. 

zurück  beziehen  zu  müssen,  insbesondere  auf  die  Verbindungen 
mit  Krebs  (Markschwamm).     In  der  That  sind  solche  Fälle  nicht 
ganz  selten.     Ich  selbst  habe  eine  colossale  Geschwulst  der  Pa- 
rotis beobachtet,  welche  in  ihrem  oberen  Theil  eineu  hühnerei- 
grossen,  fast  ganz  aus  Knorpel  bestehenden  Knoten  enthielt  und 
auch    sonst   an    verschiedenen    Stellen    zerstreute    Knorpelstücke 
zeigte.    Allein  der  grössere  Theil  bestand  aus  areolärem  Gewebe, 
wo  in  einem  knorpelartigen  Stroma  Massen  von  epithelialen  Zellen 
eingelagert  waren,  deren  Entwickelung  aus  Knorpelzellen  sehr  be- 
quem zu  verfolgen  war.     Die  nächsten  Lymphdrüsen  am  Unter- 
kieferwinkel waren  ganz  und  gar  in  dieses  areoläre  Gewebe  ver- 
wandelt und  im  Schädel  fand   sich  eine  Geschwulst  der  Rinde 
des  Kleinhirns,   welche   mit  der  Dura  mater  innig  verwachsen 
war  und  welche  genau   dieselbe  areoläre  Struktur  zeigte.     För- 
ster*) hat  einen  anderen  Fall  beschrieben,  wo  nach  der  Exstir- 
pation  eines  gemischten  (myxomatösen)  Enchondroms  der  rech- 
ten Parotis  secundäre  Geschwülste  des  linken  Felsenbeins  (unter 
der  Dura  mater)  und  der  Lungen  gefunden  wurden,  welche  frei- 
lich die  knorpeligen  Elemente  mehr  und  mehr  zurückdrängten. 

Allein  auch  die  reineren  Formen  machen  Metastasen. 
Den  ersten  bekannt  gewordenen  Fall  dieser  Art  habe  ich**)  bei 
einer  Hündin  beobachtet,  die  ein  grosses  ossihcirendes  Enchon- 
drom  der  Mamma  hatte.  Hier  fand  ich  im  Netz  eine  sehr  grosse 
Geschwulst,  welche  innen  cystisch  erweicht  und  mit  Natron- 
Albuminat  -  Flüssigkeit  gefüllt  war,  sowie  zahlreiche  kleine 
Knoten  an  beiden  Lungen.  Der  grösste  Theil  derselben  sass  an 
der  Pleura,  und  zwar  nicht  bloss  an  dem  eigentlichen  Ueber- 
zuge  der  Lungen,  sondern  auch  an  den  zum  Mediastinum 
gehenden  Falten  (Duplicaturen  Fig.  106.,  A,  p).  Sie  begain- 
nen  meist  als  ganz  kleine  Puncte  in  dem  tiefen  Bindegewebe 
der  Pleura,  griffen  aber  bei  weiterer  Vergrösserung  in  die  Sub- 
stanz der  Lungen  selbst  über.  Auch  fanden  sieb  einzelne  im 
Parenchym.  Das  Interessanteste  aber  ist,  dass  von  vielen  die- 
ser Knoten  Fortsätze  ausgehen,  die  sich  verästeln  und  unter  ein- 
ander netzförmig  verbinden,  und  die  sich  leicht  als  Ausfüllungen 
von  Lymphgefössen  erkennen  lassen  (Fig.  106,  B).     Die  feinere 


*)  A.  Förster.     NViener  Med.  Wochenschr.  lÖöS.  No.  27. 
♦♦)  Würzb.  Verhandl.  IböO.  Bd.  1.  S.  137. 


Untersuchung  lehrt,  <lass  die  Knoten  aus  hyalin-faswigfr  Knor- 
pelsubstanz  bestehen  und  sobald  sie  <'ine  massige  GrOHce  erreicht 
haben,  sofort  vom  Ceiitrum  aus  verkalken.  Die  Massi^n  in  den 
Lympliget^ssen  enthalten  in  der  Mitte  schon  deutlich  knorpelige 
Theile,  Zellen  mit  hyaliner  tntercoilularsubstanz,  während  im  Um- 
fange dicht  gedrängte  Zellenmassen  ohne  Zwischensubstanz  liegen. 
Noch  viel  mehr  aulTallcnd  waren  die  Metastasen  in  dem  von 
Paget  (S.  55-2)  beobaiihteten  Fall  von  lymphatischem  Enclion- 
droni  des  Hodens.  l>er  Kranke  hatte  nach  der  Heilung  seiner 
Wunde  das  Hospital  verlassen,  war  aber  sirhon  nach  zwei  Mo- 
Daten  in  einem  Zustande  von  grosser  Abmagerung,  Schwäche 
und  Athemnoth  zurückgekehrt.  Er  starb  ziemlieh  plOtzh'ch,  nach- 
dem die  Respiration  immer  beschwerlicher  geworden  war.  Die 
Autopsie  zeigte,  dass  beide  Lungen  mit  zahlreichen,  1  Linie  bis 
1^  Zoll  im  Durctime^ser  haltenden  Knorpelknoten  besetzt  waren 


Fi---  lOG.  Mo tas tatische  ELuliotidrome  der  Lungen  von  einer  UQiidin, 
nach  Euch  Dil  drnm  der  Mamma  entstanden.  A  Annicht  der  ÜberflSche  eines 
Lungenlappens  in  niitürliclier  Cin'iNSC;  p  eine  mit  kleinen  KnorpeUtücken  üe- 
«rt/te  Falte  der  fU'uni.  Die  [.linse  iüt  st.irk  pismenlirt.  fl  ein  Tbeil  der 
CHMTfläihe,  leirlit  vergnissert,  um  das  von  den  Knoten  ausgebendp  Lyrapb- 
eetünfiM-iz,  «elihrs  mit  nnrhondrommasN<'  gefQltt  int,  zu  leigen.  (Präparat 
No.  ir«.  vom  Jahre  l»r>4.} 


526  Sechszehnte  Vorlesang. 

und  zusammen   11^   Pfd.  wogen.     In  manchen  Aesten  der  Lun- 
genarterie  fanden  sich  kleine  knorpelige  Auswüchse  der  Wand. 

Die  Analogie  mit  wahrem  Krebs  wurde  aber  noch  grosser 
dadurch,  dass  zwischen  den  Hoden  und  den  Lungen  noch  we- 
sentliche Verbindungsglieder  entdeckt  wurden.  Von  der  Narbe 
aufwärts  liessen  sich  neben  der  Vena  spermatica  zwei  mit  Knor- 
pelzapfen erfüllte,  erweiterte  und  gewundene  Lymphgefässe  bis 
nahe  zur  V.  renalis  verfolgen,  wo  sie  in  eine  Drüse  eintraten, 
welche  hühnereigross  war,  zahlreiche  Höhlungen  mit  klarem, 
flüssigem  Inhalte  umschloss  und  durch  faserige  und  knorpelige 
Scheidewände  getheilt  war.  Oberhalb  war  der  Lymphapparat 
frei.  Allein  die  erwähnte  Drüse  und  das  Ende  der  erkrankten 
Lymphgefässe  adhärirten  innig  an  der  Wand  der  V.  cava  inferior 
und  hier  fand  sich  frei  in  die  Höhlung  des  Gefässes  hineinragend 
ein  V'  lioher,  ästiger  Knorpelauswuchs.  Ein  Paar  kleinere  Knor- 
pelstücke hafteten  an  der  inneren  Venenwand  in  der  Nähe.  — 

Nach  diesen  Erfahrungen*)  kann  es  nicht  mehr  zweifelhaft 
sein,  dass  der  schöne  Traum  von  der  absoluten  Gutartigkeit  des 
Enchondroms  zu  Ende  ist.  Die  Warnung,  welche  ich  schon  vor 
1 0  Jahren  ausgesprochen  habe**),  ist  nur  zu  sehr  bestätigt  Die 
Enchondrome,  sowohl  der  Knochen,  als  der  Weichtheile  besitzen 
infektiöse  Eigenschaften,  und  es  wird  daher  in  der  Regel  wohl- 
gethan  sein,  derartige  Geschwülste,  wo  sie  zugänglich  sind,  so 
frühzeitig  und  so  vollständig  als  möglich  zu  entfernen.  Bis  jetzt 
lässt  sich  eine  Grenze  zwischen  infektiösen  und  nicht  infektiösen, 
zwischen  gut-  und  bösartigen  Enchondromen  nicht  ziehen.  Aller- 
dings sind  die  weichen  Formen  im  Allgemeinen  gefährlicher,  ab 
die  harten,  aber  der  Unterschied  ist  nicht  ganz  scharf.  Vielmehr 
scheint  die  Natur  des  befallenen  Organs  von  Bedeutung  zu  sein, 
und  namentlich  sein  Reichthum  an  Blut  und  Lympbgeßssen 
(S.  41,  127),  ein  Umstand,  der  gerade  bei  den  Hoden  in  das  heUste 
Licht  tritt.  — 


*)  loh  habe  den  schon  erwähnton  (S.  510  Not.)  Fall  von  E.  NVagner,  in 
W(*lohom  auoh  in  den  Lunj^en  mehrere  der  Uternsgeschwulst  analoge  KDotei 
K(*finMl(Mi  wurden,  hier  nicht  mit  anfgefDhrt,  weil  die  Beschreibuog  nicht 
liinnMchnid  deutlich  ist,  um  die  Ueberzeugung  za  geben,  dass  ea  sich  ob 
ri'hn'H  Knchondrom  handelte. 

**)  Srhou  1840  habe  ich  darauf  hingewiesen,  dass  EnchoDdronie  sowohl 
nniti  (Irr  Kxhtirpation,  als  ohne  dieselbe  an  vielen  Punctea  nach  eiDaoder 
nuflrrliMi  k^hincn  und  in  Combinationen  mit  Cholesteatom,  Krebs,  SarkoB 
u.  «.  w.  vorkommiMi  (Medicin*  Reform.  No.  51.  S.  271). 


Osteoidchondrom.  527 

In  der  Specialdarstellung  habe  ich  absichtlich  vermieden, 
j  Osteoidchondrom  (S.  462,  471)  unmittelbar  mit  in  die  Be- 
chtung  zu  ziehen.  Nach  dem  Vorhergegangenem  wird  es  aber 
ht  mehr  so  auffällig  erscheinen,  wenn  ich  einen  Theil  des  „bös- 
igen Osteoids"  von  Joh.  Müller,  des  „Osteoidkrebses"  anderer 
toren  hier  anreihe.  Das  bösartige  Enchondrom  oder,  wenn 
in  lieber  will,  der  Knorpelkrebs  lullt  die  scheinbar  so  grosse 
cke,  welche  früher  in  der  Anschauung  zwischen  Enchondrom 
i  Osteoid  bestand.  Aber  man  wird  mir  diese  Neuerung  ver- 
hen,  wenn  ich  hinzufuge,  dass  ich  mindestens  so  viel,  als 
h  dem  Enchondrom  an  Bösartigkeit  beilege,  ja  noch 
dhr  als  das,  dem  Osteoid  an  Bösartigkeit  abnehme. 
IS  Osteoid  ist  eine  sehr  suspecte  Geschwulst,  aber  es  giebt 
eh  viele  Fälle  dauerhafter  Heilung  nach  der  Operation,  und 
mn  man  etwas  schärfer  scheidet  zwischen  Osteoidchondrom 
lerseits,  Osteoidsarkom  und  ossificirendem  Carcinom  anderer- 
its,  so  kann  man  sagen,  dass  das  erstere  auch  physiologisch 
d  prognostisch  dem  Enchondrom  sehr  nahe  steht*)  So  erst 
Jen  sich  die  grossen  Schwierigkeiten,  welche  bisher  die  prak- 
che  Erfahrung  gegen  die  herrschende  Lehre  von  dem  Osteoid 
lieben  hat. 

Eine  genauere  Besprechung  dieser  Differenzen  behalte  ich 
r  für  das  Kapitel  von  dem  Sarkom  vor;  hier  führe  ich  nur 
viel  an,  als  für  das  Verständniss  der  chondromatösen  Form 
tbig  ist. 

Die  Osteoidchondrome  bilden  zum  Theil  die  umfangreichsten 
Lochengeschwülste.  Im  Anfange  haben  sie  eine  nicht  geringe 
Ähnlichkeit  mit  dem  peripherischen  Enchondrom,  indem  sie  sich 
j  flach  ansteigende  Anschwellungen  über  die  Oberfläche  erhe- 
n.  Ihre  grosse  Festigkeit  kann  unter  Umstanden  zu  Yerwech- 
langen  mit  blosser  Hyperostose  Veranlassung  geben.  Später- 
1  wachsen  sie  allmählich  so  sehr  an,  dass  sie  die  gewöhn- 
;he  Grösse  der  Enchondrome  weit  hinter  sich  lassen.  Dabei 
legen  sie  aber  eine  ziemlich  gleichmässige  Oberfläche  zu  be- 
llten,   die  freilich  kleinere  Unebenheiten   und  Höcker,  aber  in 


*)  Yirchow.  Ueber  ossificirende  GeschwQlbte.  Deutsche  Klinik.  1858. 
».  49.  S.  481.  Vgl.  die  DtHciission  Ober  Osteoid  ia  der  Sitznng  der  Ge- 
ILsrhafc  für  wiss.  Medicin  zu  Berlin  v.  16.  April  18G0.  Dentscbe  Klinik. 
CO.  No.  22.  S.  217,  218. 


528  Secliszehnte  Vorlesung. 

der  Regel  keine  grossen  Abweichungen  darbietet  Sehr  häufig 
umgeben  sie  den  ganzen  Knochen  und  unterscheiden  sich  aack 
dadurch  von  den  gewöhnlich  an  einer  mehr  beschränkten  Stelle 
aufsitzenden  Enchondromen.  Ihr  Lieblingssitz  sind  die  langen 
Röhrenknochen  und  zwar  mehr  die  Enden  derselben,  vor  allen 
die  Kniegelenkenden  des  Femur  und  der  Tibia.  Während  aber 
die  Enchondrome  hier  häutig  kugelige  und,  wenn  sie  erweichen, 
blasige  Anschwellungen  machen,  so  erzeugen  die  Osteoidchoa- 
drome  meist  kolbige  Auftreibungen,  welche  in  der  Richtung  tob 
der  Mitte  der  Diaphyse  gegen  das  Gelenkende  spindcl-  oder 
keulenförmig  zunehmen. 

Schneidet  man  sie  ein,  so  erweisen  sie  sich  als  ohne  knö- 
cherne Schale.  Anfangs  bildet  das  Periost  ihre  Grenze  und  ihren 
Ueberzug*);  später  durchbrechen  sie  dasselbe  und  wachsen  mit 
flachen  Knoten  in  die  Nachbartheile  hinein,  welche  unter  der 
Entwickelung  der  neuen  Masse  zu  Grunde  gehen.  Dann  sind  sie 
gewöhnlich  noch  lange  Zeit  von  den  Fascien  eingeschlossen.  Naob 
innen  hängen  sie  innig  mit  dem  Knochen  zusammen,  dessen  Rinde 
gewöhnlich  gewisse,  mit  Geschwulstmasse  gefüllte  Lücken  dar- 
bietet oder  geradezu  durchbrochen  ist.  Die  Markhöhle  ist  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  unter  ihnen  obliterirt**),  indem  statt  der  Mark- 
substanz ein  festes,  durch  trüberes  Aussehen  und  gröbere  Kuo- 
chenkörperchen  unterschiedenes***)  Knochengewebe  vorhanden  ist. 
Jedenfalls  kann  man  fast  immer  den  alten  Knochen  noch  durch 
die  Geschwulst  hindurch  nachweisen  (Fig.  107.). 

Die  charakteristische  Masse  der  Neubildung  findet  sich  dem- 
nach zwischen  dem  alten  Knochen  und  der,  sei  es  intra-,  sei  es 
extraperiostealen  Oberfläche  der  Geschwulst.  In  einzelnen  Fällen 
lässt  sie  sich  mit  dem  Messer  schneiden,  sei  es,  dass  sie  nur 
sehr  lose  mit  Kalksalzen  erfüllt  ist,  sei  es,  dass  das  Gewebe  nocb 
ganz  frei  davon  ist.  Allein  meist  geschieht  die  Ablagerung  der 
Kalksalzc  ziemlich  schnell,  und  man  muss  die  Säge  zu  Hül(^ 
nehmen,  um  die  Geschwulst  spalten  zu  können.     Man  sieht  äIj;- 


•)  Müller  (Archiv.  1843.  S.  437)  kannte  diese  Formen  und  unterschini 
«io  von  seinen  Osteoiden  unter  dem  Namen  der  gutartigen,  o.ssificirend|*n 
DcHmoide.  Er  sah  da»  Kritoriura  darin,  dass  die  benachbarten  Weichtb<»il»' 
nicht  verändert  wurdon,  während  die»  bei  dem  Osteoid  geschehe.  AImt 
dies  ist  nur  ein  zeitiger  Unterschied. 

**)  A.  Co  Dp  er.    Surgical  essavs.  P.  I.  p.  189,  195. 
♦*♦)  Wurzb.  Verhandl.  Bd.  1.  S.  197.    Deutsche  Klinik.  1860.  S.  2ia 


k  eoidcbondrom  der  Tibia  von  einem  I3jnhri}ien  Knaben, 
n  Halle  amputirt,  srhicf  durrhschnitten,  so  dshs  an  dem 

'^ioclii>n  liemlirh  in  der  Hitte  soapalteD  ixt^  während  nach 
ini  aniigerhalb  des  KnorhepH  liegt.  Hier  »iebl  man  die 
r  Neubildung  sehr  put,  während  weiter  nach  oben  ein 


530  SecUazebiite  Vorlesang. 

dann  auf  der  Sägefläche  in  grosser  Ausdehnung  knöcherne  Stellen, 
welche  gegen  die  Oberfläche  oft  vereinzelt  liegen,  gegen  die 
Basis  aber  immer  dichter  aneinander  rücken  und  stellenweise 
eine  continuirlich  mit  dem  alten  Knochen  zusammenhängende 
Masse  bilden.  Anfangs  locker,  porös  und  leicht  zu  schneiden, 
wird  die  knöcherne  Substanz  immer  fester  und  widerstands- 
fähiger. 

Das  noch  nicht  ossificirte  Gewebe  hat  die  Härte  und  du 
Aussehen  von  Faserknorpel,  wechselt  aber,  wie  dieser,  von  mehr 
hyalinen  und  gleichmässigen  bis  zu  deutlich  fasciculären ,  lamel- 
lösen  oder  retici^ären,  schon  für  das  blosse  Auge  unterscheidbaren 
Zuständen.  Zuweilen  ist  die  Richtung  der  Lamellen  der  Ober- 
fläche des  alten  Knochens  parallel,  häutiger  stehen  die  Fas- 
cikel,  namentlich  gegen  die  Peripherie  hin,  radiär  auf  der 
Richtung  des  alten  Knochens.  Der  deutlich  lappige  Bau  des 
Enchondroms  fehlt  ihnen,  und  daher  sind  sie  gerade  sehr  häufig 
als  blosse  Fibroide  oder  Desmoide,  früher  als  Osteo- 
steatome  oder  Osteosarkome  bezeichnet  worden. 

Was  die  feinere  Einrichtung  betrifft,  so  habe  ich  schon  er- 
wähnt (S.  472),  dass  sie  im  Wesentlichen  mit  der  des  sogenannten 
Haut-  oder  Knochen-  (Osteoid-)  Knorpels  übereinstimmt.  Die 
Zellen  pflegen  keine  Kapseln  zu  besitzen  und  kleiner,  als  die 
gewöhnlichen  Knorpelzellen  zu  sein;  sie  unterscheiden  sich 
andererseits  von  Bindegewebskörperchen  dadurch,  dass  sie  eine 
mehr  gedrungene,  sich  der  ovalen  oder  rundlichen  annähernde 
Gestalt  und  weniger  deutliche  Ausläufer  oder  Fortsatze  haben. 
Die  Intercellularsubstanz  ist  dicht,  wenig  streifig,  nicht  eigentlich 
fibrillär,  wie  sklerotisch,  aber  nicht  so  reichlich,  wie  im  Enchon- 
drom.  Nur  hie  und  da  kommen  Uebergänge  zu  Hyalinknorpel 
und  Kapselbildungen  um  die  Zellen  vor.  Gefässe  treten  in  die 
Substanz  selbst  ein,  und  auch  das  ist  ein  wesentlicher  Unterschied 
von   dem  Enchondrom.     Scheidewände  zwischen  der  Masse  sind 


mehr  lappiger  Bau  hervortritt.  Am  Knie  um  wuchert  die  Geschwnbtmasse 
den  Gelenkknorpe]  und  bildet  an  ihrer  Oberfläche  gleichsam  neue  ArtienU- 
tionnflächen  für  die  Aufnahme  der  Condylen  des  Femur.  Der  innere  Knocheii 
verdichtet  durch  neue  Knochenmasse;  der  Intermediärknorpel  noch  stellcB* 
weise  erhalten.  In  der  Geschwulst  sehr  zahlreiche  Ossificatiooakenie.  (Pii- 
parat  No.  6.  vom  Jahre  18(>0). 


Osteoid  Chondrom.  531 

eigentlich  nicht  za  sehen.  Somit  ist  das  ganze  Gewebe  zu 
der  Ossifikation  gleichsam  fertig:  es  bedarf  nur  der  Ab- 
lagerung der  Kalksalze,  um  den  Knochen  herzustellen,  und  wenn 
trotzdem  grosse  Theile  der  Geschwulst  frei  von  dieser  Ablagerung 
bleiben,  so  ist  das  der  Hauptgrund,  dieselbe  nicht  den  Osteomen 
einfach  zuzurechnen.  Andererseits  ist  die  Ossifikation  so  voll- 
standig,  dass  sie  sich  dadurch  wesentlich  von  den  petrificirenden 
und  ossificirenden  Fibromen  (S.  353,  360)  unterscheiden. 

Die  Ossification  ist  demnacli  der  regelmässige  Ausgang. 
Doch  kommt  auch  Erweichung  vor.  In  einer  colossalen  Ge- 
schwulst am  Oberarm,  welche  Herr  Langenbeck*)  entfernte, 
entleerte  sich  eine  grosse  Höhle,  welche  beiläufig  4  Quart  Flüs- 
sigkeit enthalten  hatte.  Jedoch  scheint  dies  sehr  selten  zu  sein. 
Mir  ist  wenigstens  kein  anderer,  ganz  sicherer  Fall  bekannt  ge- 
worden ;  jedoch  ist  es  möglich,  dass  manche  von  den  sogenannten 
Cystofibroiden  der  Knochen  hierher  gehören.  Mit  dieser  Sel- 
tenheit der  Erweichung  hängt  auch  die  geringe  Neigung  zur  Ulce- 
ration  zusammen.  Fast  alle  Geschwülste  dieser  Art  wachsen  zu 
einer  immer  beträchtlicheren  Grösse,  ohne  die  äussersten  Weich- 
theile  zu  durchbrechen.  Nicht  selten  sind  aber  Uebergänge  zu 
Sarkom,  indem  die  zelligen  Theile  sich  vergrössem  und  ver- 
mehren, ohne  den  Charakter  der  Zellen  der  Bindesubstanz  zu 
verlieren.  Diese  Formen  sind  es  besonders,  welche  sowohl 
nlceriren,  als  metastasiren. 

Das  reine  Osteoidchondrom  giebt  allerdings  keine  unge- 
trübte Prognose.  Denn  es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  dass 
es  auf  Weichtheile  und  auf  andere  Knochen  übergeht  und  trotz  sei- 
nes ursprünglich  fast  homologen  Charakters  heteroplastisch  wächst 
In  einem  Falle  von  Osteoidchondrom  der  Tibia  (Fig.  107.)  war 
die  Geschwulstmasse  nicht  nur  in  die  umgebenden  Weichtheile 
übergegangen,  sondern  sie  hatte  auch  den  Gelenkknorpel  um- 
wuchert und  war  von  den  Ligamenta  cruciata  her  in  die  hintere 
Fläche  des  Os  femoris  zwischen  den  Condylen  eingedrungen. 
Die  Geschwulst  recidivirt  daher  leicht  in  loco  und  es  konmit  vor, 


*)  Langenbeck.  Deutsche  Klinik.  1860.  S.  217.  Senftleben.  Archiv 
für  klinische  Chirurgie.  Bd.  1.  S.  157.  Der  Fall  hat  sonst  viel  Aehnlichkeit 
mit  dem  schon  erwähnten  (S.  483)  Fall  von  Otto,  der  offenbar  in  diese 
Kategorie  gehört.    Beidemal  datirte  die  Geschwulst  von  einem  Arrobruche. 

34* 


532  Sechszehnte  Vorlesang. 

dass  sie  entfernte  Metastasen,  namentlich  in  den  Lungen  macht 
Aber  ich  habe  andererseits  aach  die  Ueberzeugung,  dass  die 
Prognose  nicht  absolut  schlecht  ist.  Cutting*)  rettete  einem 
Kranken,  der  eine  1 1  Pfund  schwere,  harte,  den  ganzen  Knochen 
umgebende  und  grösstentheils  aus  Knorpel  bestehende  Geschwulst 
des  Oberarms  nach  einer  mechanischen  Verletzung  bekommni 
hatte,  durch  Exarticulation  das  Leben.  In  einem  Falle,  wo 
Herr  Berend  die  Amputation  des  Oberschenkels  wegen  ein« 
Osteoid  Chondroms  gemacht  und  ich  selbst  die  Geschwulst  unter- 
sucht hatte,  ist  der  Kranke  noch  nach  13  Jahren  ganz  gesund**). 

Ob  das  Osteoidchondrom  am  Knochen  nur  peripherisch  Yo^ 
kommt,  oder  ob  es  sich  auch  aus  dem  Innern  desselben  entwickelt, 
ist  bei  der  Schwierigkeit,  die  in  der  Literatur  vorhandenen  Fälle  n 
benutzen,  eine  für  mich  im  Augenblick  nicht  zu  erledigende  Frage. 
Unsere  Sammlung  besitzt  nur  ein  Präparat***),  welches  wenigsten« 
der  hier  in  Frage  stehenden  Form  sehr  nahe  steht;  es  ist  eine 
Geschwulst  der  Kieferknochen  der  Ziege.  Aber  sie  zeichnet  sich 
zugleich  durch  das  Vorkommen  grosser,  vielkemiger  Zellen  (der 
sogenannten  Myeloplaxes  von  Robin)  aus,  und  ich  will  daher 
nicht  zu  viel  Werth  auf  sie  legen.  Die  meisten  Fälle ,  die  tb 
fibrocartilaginöse  beschrieben  sind,  gehören  auch  nicht  hierherf), 
sondern  entweder  zum  reinen  oder  zum  gemischten  Enchondron. 
oder  gar  zum  Sarkom.  Am  meisten  ähnlich  ist  eine  Mischform, 
die  ich  als  Fibroma  enchondromatosum  bezeichne,  wo  in 
gewöhnlichem,  festem  Bindegewebe  Enchondromknoten  vorkom- 
men. Wir  besitzen  davon  ein  ausgezeichnetes  Präparat  vom  Ober- 
kiefer ft)»  wo  förmliche  Lappen  von  zum  Theil  vollständig  ver- 
kalktem, jedoch  fast  nirgends  ossificirtem  Enchondrom  dnrch 
das  Fibrom,  welches  seinerseits  nicht  die  geringste  Neigung  zar 
Verkalkung  zeigt,  zerstreut  liegen.    Schon  der  eminent  lobuläre 


♦)  Cutting.    Med.  chir.  Transact.  Vol.  11.  n.  XXIV. 
*♦)  Deutsche  Klioik.  1860.    S.  217. 

**♦)  Präparat  No.  157.  vom  Jahre  1857.    Es  ist  in  der  Cellularpatbologie 
3.  Aufl.  S.  400.  Fig.  138—139.  als  weiches  Osteom  aufgeführt. 

t)  Unter  anderen  möchte  ich  als  Fall  von  innerem  Osteoidchondrom  die 
Beobachtung  von  Lentin  (Loder's  chir.  Zeitschr.  1797.  Bd.  I.  S.  GO,  genauer 
beschrieben  bei  Herz  De  enchondromate.  p.  12.  und  bei  J.  Vogel.  Path. 
Anat.  S.  198)  ansehen,  wo  die  Massen  genau  wie  bei  Enchondrom  in  den 
Phalangen  sassen. 

tt)  Präparat  No.  50.  vom  Jahre  1858. 


Gemischtes  Osteoidchondrom.  533 

Bau  der  Geschwulst  entfernt  sie  ganz  und  gar  Yon  dem  Osteoid- 
chondrom. 

Was  mich  insbesondere  geneigt  macht,  das  Vorkommen  des 
Osteoidchondroms  nicht  auf  die  Knochenoberfläche  zu  beschränken, 
das  ist  die  Thatsache,  dass  es  auch  primär  in  Weichtheilen 
vorkommt.  Ich  habe  dasselbe  zuerst  in  ausgezeichneter  Weise  in 
einer  Mischgeschwulst,  die  ich  als  myxomatöses  Osteoid- 
chondrom bezeichnen  muss,  beobachtet*).  Dieselbe  wurde  beim 
Erwachsenen  von  Herrn  Wilms  am  Rücken  exstirpirt.  Es  war 
eine  7"  lange  und  4"  dicke  Geschwulst,  welche  äusserlich  einen 
groblappigen  Bau  zeigte.  Viele  dieser  Lappen  fühlten  sich  ganz 
weich  an  und  hatten  theils  ein  durchscheinendes,  graugelbliches, 
theils  ein  undurchscheinendes,  w eissgelbliches  Aussehen,  und  sie 
wiesen  sich  theils  als  reines,  theils  als  lipomatöses  Myxom  aus. 
An  verschiedenen  Stellen  lagen  ganz  deutliche  Knorpelmassen 
und  zwar  theils  in  ganz  kleinen  Stücken,  theils  in  grossen, 
zusammenhängenden  Knollen.  Sie  hatten  das  dichte,  bläulich- 
weisse  Aussehen  von  Hyalinknorpel,  und  wenn  man  feine  Schnitte 
davon  nahm,  so  sah  die  Masse  so  gleichmässig  aus,  wie  Fisch- 
knorpel, z.  B.  vom  Stör.  Mikroskopisch  aber  erwies  sie  sich 
als  ausgezeichneten  Osteoidknorpel,  so  zwar,  dass  manche  Schnitte 
den  Eindruck  machten,  als  hätte  man  wirklichen  Knochen  vor  sich, 
dem  durch  vorsichtige  Anwendung  von  Säuren  die  Kalksalze  ent- 
zogen seien.  Man  sah  zahlreiche,  sich  verästelnde  und  anastomo- 
sirende  Markkanäle,  welche  aus  einer  fibrösen,  dem  Perichondrium 
ähnlichen  Hülle  in  die  Geschwulst  eintraten  und  innerhalb  einer 
faserigen,  ziemlich  dicken  Adventitia  die  Gefasse  trugen.  Um 
sie  herum  lagen  an  manchen  Orten  sehr  regelmässige  Lamellen- 
systeme mit  parallel  geordneten,  sternförmigen  Zellen,  und  weiter- 
hin zusammenhängende,  nicht  lamellöse  Züge  von  übrigens  glei-^ 
chem  Bau. 

Die  Geschwulst  recidivirte  sehr  bald  und  wuchs  beinahe  zu 
ihrer  früheren  Grösse  heran.  Die  neue  Geschwulst  wurde  mit 
dauerndem  Erfolg  exstirpirt  und  zeigte  gewisse  Verschiedenheiten 
von  der  früheren.  Knorpel  war  sehr  wenig  darin,  doch  fanden 
sich    mehrere    Stücke   davon.      Der   myxomatöse   Antheil  war 


♦)  Präparat  No.  113.  vom  Jahre  1861. 


534  Sechäzehnte  Vorlesung. 

sehr  viel  reichlicher.  Ausserdem  aber  gab  es  Stellen  mit  voll- 
ständig cavernösem  Bau  und  andere  mit  cystoider  Erweichung, 
Virelche  gegen  die  Mitte  der  Geschwulst  eine  grosse  Höhle  mit 
unregelmässig   zottiger  Wand  erzeugt  hatte. 

Die  Analogie  dieser  Mischgeschwulst  mit  den  früher  erwähnten 
(S.  512)  ist  sehr  augenfällig.  Um  so  mehr  Bedeutung  hat  sie  aber 
für  die  Lehre  von  dem  Osteoidchondrom  und  für  die  Begründoog 
der  Zusammengehörigkeit  desselben  mit  den  Enchondromen. 


N  a  ch  t  r  a  g. 


In  der  letzten  Zeit  habe  ich  durch  die  Güte  des  Herrn  Wilms 
noch  die  Präparate*)  von  einem  neuen,  in  Bethanien  vorgekom- 
menen Falle  erhalten,  welcher  meiner  Meinung  nach  zum  Osteoid- 
chondrom zu  rechnen  ist.  Dieser  Fall  ist  sowohl  für  die  Lehre 
von  dem  Osteoid,  als  auch  für  die  Prognose  von  besonderem 
Interesse. 

Ein  älterer  Mann  stellte  sich  mit  einer,  fast  zwei  Fiast^ 
grossen,  harten  Geschwulst  des  Brustkorbes  vor,  welche  scheiii* 
bar  von  den  Rippen  ausging.  Bei  dem  tiefen  Sitze  und  der  knö- 
chernen Härte  derselben  beschränkte  man  sich  darauf,  dieselbe 
möglichst  nahe  an  ihrer  Basis  abzusägen.  Es  entwickelte  sich  aber 
ein  Erysipel,  Fieber  u.  s.  w.  und  der  Mann  starb  bald  nach  der 
Operation.  Bei  der  Autopsie  fanden  sich  zahlreiche,  gleichfalls 
knöcherne  Knoten  an  der  Pleura,  und  zwar  nicht  nur  an  der 
costalen,  sondern  auch  an  der  diaphragmatischen,  sowie  in  dea 
Lungen.  Nach  ihrer  Grösse  und  Entwicklungshöhe  konnte  man 
deutlich  schliessen,  dass  sie  schon  zur  Zeit  der  Operation  vor- 
handen gewesen  sein  mussten. 

Die  genauere  Untersuchung  zeigte,  dass  alle  diese  Geschwülste, 
sowohl  die  grosse  ursprüngliche,  als  auch  die  kleineren  secun- 
dären,  aussen  von  einer  ziemlich  derben  Hülle  umgeben  waren, 
welche  an  einzelnen  nur  lose  der  inneren,  knöchernen  Masse  an- 
lag.    An   der  grossen  Geschwulst  bildete   die  letztere  eine  leicht 

•)  Präparat  No.  i'Ja  —  c  vom  Jahre  lbG3. 


:a= 


Malignes  Osteoidchondrom.  535 

höckerige  Oberfläche,  deren  Vertiefungen  von  einer  stellenweise 
knorpelig  aussehenden,  bläulich-weissen,  jedoch  nicht  ganz  homo- 
genen, sondern  theils  streifigen,  theils  netzigen  Masse  erfüllt  wa- 
ren. Das  Mikroskop  zeigte  darin  den  charakteristischen  Bau  des 
Osteoidknorpels.  Aussen  ging  das  Bindegewebe  ganz  in  dersel- 
ben Weise,  wie  bei  der  Periost-Ossification,  zuerst  in  Wucherung 
(Granulation)  und  dann  in  osteoides  Gewebe  über.  Letzteres 
nahm  hier  und  da  freilich  einen  rein  knorpeligen  Charakter  an, 
indem  die  anfangs  eckigen  und  sternförmigen,  sehr  kleinen  Zellen 
sich  vergrösserten  und  mehr  rund  wurden,  ohne  jedoch  deutlich 
incapsulirt  zu  werden.  Diese  Transformation  erfolgte  in  gewissen 
Zügen  oder  Balken,  wie  die  periostitische.  Sehr  bald  geschah 
dann  eine  Verkalkung  und  ohne  Umweg  die  Metamorphose  des 
Knorpelknochens  in  regelmässigen  Knochen. 

In  den  kleineren  Knoten  der  Pleura,  z.  B.  noch  in  kirschen- 
oder  wallnussgrossen,  blieb  der  Knochen  mehr  faserig  oder  balkig 
(trabeculär) ;  ein  Durchschnitt,  welcher  parallel  den  Balkenzügen 
lag,  sah  aus,  als  ob  eine  Menge  feiner  Stäbchen  dicht  an  einan- 
der gedrängt  seien.  In  den  Hauptknoten  dagegen  wurde  der 
Knochen  ganz  dicht  und  scheinbar  sklerotisch,  so  dass  die  Schnitt- 
fläche ganz  glatt  und  homogen  erschien.  Nur  sah  man  überall 
zahlreiche,  schon  vom  blossen  Auge  leicht  kenntliche,  langge- 
streckte Gefässe.  Versuchte  man,  mit  einem  Messer  Schnitte  zu 
machen,  so  ergab  sich  sofort,  dass  das  Gewebe  mehr  gleichmässig 
als  dicht  war,  denn  fast  überall  Hessen  sich  feine  Schnitte  ohne 
grosse  Anstrengung  ausfahren,  wie  es  bei  jungem  Knochen  an 
anderen  Orten  ja  auch  der  Fall  ist.  Das  Mikroskop  zeigte  aber 
deutliche  Knochenstruktur :  Markkanäle,  Lamellensysteme,  eckige 
und  anastomosirende  Knochenkörperchen. 

Nirgends  fand  sich ,  soweit  ich  sehen  konnte,  irgend  eine 
andere,  sarkomatöse  oder  krebsige  Bildung.  Alle  Theile  stellten 
nur  die  Entwickelung  von  Osteoidknorpel  zu  Knochen,  den  Ueber- 
gang  von  Osteoidchondrom  zu  einem  elfenbeinernen  Osteom  dar. 
Vielleicht  wäre  es  richtiger,  die  ganze  Form  zu  dem  Osteom  zu 
stellen;  vor  der  Hand  jedoch  schliesst  sie  sich  mehr  an  das 
ossiticirende  Osteoidchondrom  an,  und  sie  kann  als  ein  höchst 
prägnantes  Beispiel  der  malignen  Form  desselben  betrachtet  wer- 
den. Denn  eine  schlimmere  Art  von  Dissemination  kömmt 
auch  beim  Krebs  nicht  vor. 


636  Nachtrag. 

Was  mich  aber  am  meisten  überraschte,  war  die  Entdeckung, 
dass  die  Geschwulst  nirgends  mit  einer  Rippe  unmittelbar  zu- 
sammenhing. Vielmehr  trat  sie  aus  einem  Intercostalraum  her- 
vor, breitete  sich  dann  aber  sofort  pilzartig  über  die  benachbarten 
Rippen  aus  und  war  so  innig  an  dieselben  angelegt,  zugleich  audi 
so  zwischen  sie  eingeklemmt,  dass  sie  einen  Körper  damit  aus- 
zumachen schien.  In  Wirklichkeit  war  sie  aber  eine  Geschwulst 
der  intercostalen  Weichtheile  und  es  konnte  kein  Zweifel  darüber 
sein,  dass  von  ihr,  als  dem  Mutterknoten  aus^,  zunächst  die  Bil- 
dung accessorischer  Knoten  im  subpleuralen  Gewebe  der  nächsten 
Nachbarschaft  angeregt  war.  Denn  gerade  hier  fanden  sich  die 
meisten  acccssorischen  Knoten,  welche  eine  Reihe  unregelmäs- 
siger  Hügel  und  Vorsprünge  gegen  den  inneren  Brastraum  bil- 
deten, und  von  da  aus  schien  auch  die  weitere  Dissemination 
ausgegangen  zu  sein.  Der  Augenschein  sprach  wenigstens  dafür, 
zwei  Wege  der  Dissemination  anzunehmen,  einen  durch  das  Blut 
zu  dem  Parcnchym  der  Lungen,  einen  durch  die  pleuralen  Flüs- 
sigkeiten zu  der  inneren  Fläche  der  Pleura,  insbesondere  des  dia- 
phragmatischen Antheils. 

Einzelne  in  der  Literatur  aufgezeichnete  Fälle  von  Enchon- 
drom  der  Brustwand  sind  dem  hier  mitgetheilten  in  hohem  Ma«s$e 
ähnlich,  soweit  es  sich  um  die  locale  Entwickelung  handelt 
Möglicherweise  gehören  sie  alle  in  das  Gebiet  der  Osteoidchoü- 
drome  und  ich  kann  daher  denjenigen,  welche  grössere  Samm- 
lungen zu  ihrer  Verfügung  haben,  nur  die  Bitte  an  das  Hen 
legen,  die  betrefienden  Geschwülste  einer  erneuten  Untersuchuog 
unterziehen  zu  wollen. 


Inhalt. 


Seite 

Vorwort V 

Uebersicht  der  Abbildungen IX 

Erste  Vorlesung.    Begriffsbestimmung  und  Eintheilung  der  Geschwülste  1 

Verschiedene  Anwendunftswcise  des  Ausdrnckes  |,Geschwol8t*.  Die  enfifindliehen  An- 
schwellmigeji,  die  PseudoplMinen,  die  cystiichen  Geschwolste.  Der  genetische  Ornnd- 
gedanko  einer  wissenschaftlichen  Systematik.  Classification.  Das  anatomische  und 
das  physiologische  Princip.  Gutartigkeit  und  Bösartigkeit:  Lnpns,  Cancer.  Gestalt 
und  Cousisteuz  als  Eintheilungsgrund :  Carcinora,  Taberkel,  Polyp,  Fangus,  Blumen- 
kohlgewÄchs,  Perlgeschwulst;  —  Hygrom,  Ifeliceris,  CoUold,  Atherom,  Skirrhus,  Stea- 
tom.  Aehnlichkeit  mit  Korpcrtheilcn :  Pancreas-  und  Brustdrüsenartiges  Sarkom. 
Vergleichung  mit  Gewcbeu. 

Zweite  Yorlesiing.     Hernologie  und  Heterologie  der  Geschwülste   .    .       16 

Histologische  Bezeichnung  der  Geschwülste.  Sarkom.  Accidentelle  Neubildungen  und 
Bildungen  sui  generis.  Parasitismus:  Auffassung  der  Geschwülste  als  entotoischer 
Wesen.  Acephalocysten.  HomÖoplasie  und  Heteroplasie.  Suplastische  und  kakopla- 
stische  Stoffe.  Beziehung  auf  das  Gefisssystem :  Geschwülste  mit  peripherischer  und 
centraler  Circnlation.  Chemische  Untersuchung:  specifische  Stoffe,  fermentartige  Sub- 
stanzen. Mikroskopische  Untersuchung:  specifische  Elemente.  Die  Geschwülste  als 
Thcile  des  Körpers.  Genauere  Bestimmung  von  Homologie  und  Heterologie.  Prakti- 
scher Werth  dieser  Unterscheidung. 

Britte  Vorlesmg.    Allgemeine  Physiologie  der  Geschwülste  ....       33 

Meinungsverschiedeuheit  der  Beobachter  über  Heterologie.  Die  Gegner  der  Specificitit 
der  Geschwulstelemente.  Vergleichung  mit  entzündlichen  Bildungen.  Ursachen  der 
(;eschwülste :  Örtliche  Veranlassung,  Pridisposition,  Dyskrasie.  Constitationalismus. 
Hu  moralpathologische  Lehre.  Multiplidtat :  Exostosen,  Krebse,  Warzen,  Lipome.  Die 
Dyskrasie  als  denteropathisches  Phänomen.  Verbreitung  dorch  Lymph-  und  Blutge- 
fässe. Der  Mutterknoten  als  Infectionsheerd.  Die  Geschwulst  als  Socretionsorgan. 
Die  Tochterknoten.  Latente  Erkrankungen.  Recidire  und  Generalisation.  Heerdwei- 
ses  Wachsthum  durch  Bildung  accessorischer  Knötchen:  Infection  der  Nachbarschaft. 
Zellen  als  Tr&ger  der  Infection:  Dissemination. 

Vierte  Vorlesung.    Aetiologie  der  neoplastischen  Geschwülste   ...       57 

Dynkrasie  und  Kachexie.  Neuropathologische  Ansichten.  Oertliche  Disposition  der  Gewebe. 
Erblichkeit:  congenitale  Geschwülste,  Pridisposition  (Schwäche).  Voraafgegangene  Sto- 
nuiKen:  Narben,  angebome  MissbUdnngen,  Entzündungen.  Lage,  Einrichtung  und 
Function  der  Organe.  Mechanische  Verletzungen.  Retention  der  Hoden.  Prädilections- 
stellen  und  Immunitäten.  Verschiedenartige  Disposition  l&r  PHmEr-  nnd  B«eiiiidir- 
(;c8chwülste  (  Metastasen).  ConstitutioneUe  Diathese.  Oertliche  Ursachen  nnd  homo- 
loge Geschwnlstbildung  bei  specifiacher  Dyskraflie. 


538  Inhalt. 

Seite 

Vinfle  T«rles««g.    Pathogenie  der  neoplastischen  GeschwQlste  ...       72 

Entvickelnngsgeschichte :  die  Geschwulst  als  ein  Werdendes.  I)lrritatives8tadinni. 
DyskrMische  Reise  (Sch&rfen).  Syphilis,  Tuberkulose,  Krebs.  Nichtspecifische  Pro- 
ducte  einer  Dyskrasie.  Transitorische  Natur  der  Blutveränderung;  Abh&ngij^keit  tod 
dem  Prodnctioniheerde.  Aenssere  Reise  und  ihre  Bedeutung:  statistische  Belege.  Ver- 
gleich mit  der  entxnndlichen  Reisung :  homologe  Geschwülste.  Richtung  der  Entwicke- 
iung,  bestimmt  durch  das  Seminium  und  das  Ifuttergewebe  (Matrix).  Inocnlations- 
Versuche.  2)  Granulations -Stadium.  Die  indifTerenton  Bildungs-  (Primordial-) 
Zellen.  Hervorgehen  derselben  ans  dem  Muttorgewebe.  Natur  der  Matrices.  Conti» 
nnirlicher  Uebergang  der  Geschwulst  in  dasf  Mutt^rgewebe.  3)  Differensirungs- 
Stadium.  Einfache  Differensirung:  histioide  Geschwülste.  Mehrfache  Differensirnng : 
organähnliche  Geschwülste.  Vielfache  Differenzirnng:  Aberrationen  oder  teratoide  Ge- 
schwülste. Diagnostische  Bedeutung  der  Gesammtanordnung  der  Geschwulsttbeile. 
4)  Florescenz-Stadium.  Typische  Entwickehingshöhe.  Transitorische  und  per- 
manente Bestandtheile.  Verschiedene  Lebensdauer  der  Elemente  und  der  Geschwülsle. 
Destmctive  Tendens.    5)  Regressives  Stadium:   Ausg&nge. 

Sechste  T«rlesanf;.    Grundlageo   einer  systematischen    Ordnung    der 

Geschwülste 103 

Ausschluss  der  blossen  Intumescensen ,  der  unprodactiven  Cysten,  der  Blasenwärmer 
(Cysticercus,  Echinococcus,  Coenams).  Parasitismas  als  allgemeine  EigensebafI  aller 
wuchernden  Geschwülste  und  als  Folge  der  Autonomie  ihrer  Elementartheile ,  nicht 
als  Folge  einer  eigeathfimHchen  Em&hmngt  •  Einrichtung.  Die  Cireulation  in  den  Ge- 
schwülsten: Stfining  des  yenösen  Stroms  in  den  alten  GelKssen.  Reoreroentitielle  Stoffe 
der  Geschwülste:  schidliche  Einwirkung  derselben.  Syphilis,  Krebs,  Tnberculose,  Rots. 
Jodismus  und  Kropf.  Locale  oder  constitutionelle  Natur  der  Geschwülste.  —  Genetische 
Grundlage  einer  Systematik  der  Geschwülste:  1)  Entstehung  aus  Blutbestandtbeileo : 
Extravasations  •  nnd  Exsudationsgeichwülste.  2)  Entstehung  aus  Secretctoffen :  ÜUa- 
tations-  oder  RetentionsgeschwAlste.  S)  Entstehang  aus  proliferirenden  Geweben:  Ge- 
w&chse,  Pseudoplasmen ,  Proliferations -Geschwülste.  Unterabtheilungen  derselben: 
histioide,  organoide,  teratoide  Geschwülste.  4)  Combinationsgeschwülste.  —  Weitere 
Zerlegung  der  Proliferations-Geschwülste  in  swei  parallele  Reihen,  je  nach  ihrer  Ho- 
mologie nnd  Heterologie  (Erhaltung  oder  Verlust  des  Eigengewebes  des  Theiles).  Bös- 
artigkeit nur  auf  einen  Theil  der  heterologen  Formen  beschrankt  nnd  abh&ngig  Ton 
dem  Relcbthnm  der  Geschwulst  an  S&ften  und  Gefissen. 

Sieheate  Vorlesung.     Die  ßlutgeschwülste  (Hämatome) \2^ 

Drei  Hauptformen  der  Hämatome:  1)  Die  cystischen  Formen.  Mechanische  Entstehung 
durch  traumatische  oder  spontane  Continuit&tsstörungen.  Kephal&matom:  Bildung 
der  Höhie ,  des  Knochenringes,  der  Knochenschale,  Heilung.  Oth&matom:  Be- 
ziehung SU  Geisteskrankheiten,  Bildung  der  Höhle,  tranmatisehe  Entstehung,  das  Ohr 
der  Pankratiaaten ,  vorgingige  Erkrankung  der  Knorpel,  Heilung.  H&matom  der 
Dura  mater:  apoplectische  Bedentnng,  Betiehnng  so  Geisteskrankheiten,  Bildung  der 
Höhle,  Pachyroeningitis  chronica.  Aneurysma  dissecans:  Aorta,  kleinere  Arterien. 
Muskel- Hfimatoro:  Rectns  abdominis;  Hämophilie.  2)  Die  festen,  nicht  oystischen 
Formen.  HAmatome  der  Hersklappen,  des  Gehirns,  des  Bierstocks,  der  Vulva.  X)  Die 
polypösen  Formen.  PolypÖsesHnmntom  desUterus  (fibrinöser  Polyp):  Bildung, 
Bexiehung  zur  Placentarstelle,  Einflus«  auf  Metrorrhagien.  Scrundirc  Hamatombildung 
im  Innern  anderer  Geschwülste.  Hämatome  patellare.  Hamatoccle.  H&matoma  re- 
tronterinum:  secundfire  Natur  der  Blutung,  partielle  Peritonitis,  Beziehung  inr 
Monstniation  und  Ovulation,  Annahme  der  extraperitouaalen  Lage.  Hamatocystides. 
—  Mögliche  Abschnürung  venöser  Gef&sse.     Extraeranielle  Blutcysten. 

Achte  V^rlesiiig.     WassergeschwüUte,  insbesondere  ll^droccle  testis.      15'> 

Die  Hygrome.  Unterscheidung  derselben,  Je  nachdem  die  Höhlen  natürliche  oder  neo- 
lebildete  sind.  —  Die  Hydrocele  als  Beiqiiel.    Hydrocele  congenita.    Irritative  Na- 


Inhalt  589 

Seit« 
tur  der  gewöbnlicben  Hydrocele:  PeriorrbitU.  Cbemiscbe  Beschaffeobeit  des  Inhalte«. 
Hydrop;)  lymphaticus.  ReBohaffenbeit  der  Scheidenhaut;  f.nsMiveRrweiterung  nnd  Ver- 
düunang.  Atrophie  des  Hodens.  Fettige  und  haeniorrhagische  Abscheidnngen.  Hä- 
matocele.  Active  Processe:  Sklerose  and  Cartilaginescenz  des  Sacliejt,  Synechi«,  Ossi- 
fication  ,  Proliferation.  Periorchitis  prolifera.  AuswAchse :  Die  Morgagnl'sche  Hyda- 
tide.  Die  freien  Körper  der  Scheidenhaat.  Praktische  Bedentong  dieser  Terschledenen 
Zast&nde:  unproductive  Beschaffenheit  nnd  Vulnerabilit&t  der  sklerosirten  Theüe.  — 
Hydrocele  cystica  funicali  sperroatici.  —  Hydrocele  herniosa. 

Nemtf  Y«rlc8iiig.     Ilydrocclen  des  Kopfes  und  Rückens 1 G9 

Hydrocele  colli.  —  Hydrocele  capitis  et  dorsi.  Spina  bifida.  Tumores  cranii  cystici 
congenita  Hydroeephalus  extemns  et  internus.  Hydrorrhachis  externa  et  interna.  B»a 
der  Arachnoides;  ihr  sogenannter  Sack.  Hydroeephalus  meningeas:  cystisches  Oedem 
der  Arachnoides.  Hygronia  durae  matris.  Freier  Hydroeephalus  extemus«  Hydro- 
roeningoeele  cerebralis  et  spinalis.  AdbSslon  mit  den  Eih&nten.  Die  ge- 
wöhnliche Spina  bifida  Inmbalis  oder  lumbo-sacralis:  Verhalten  des  Rücken- 
marks, der  Nerven  und  Knochen.  —  Hydrops  der  Hölilen  der  Centralnenrenapparate. 
Cystisehe  Obliteration  der  Hirn-  und  Bückenmarkshöhlen.  Hydrocele  cornu  posterio- 
ri« ventriculi  lateralis.  Hydrocele  des  vierten  VenirikelSf  der  Höhle  des  Septum  pel- 
lucidtim  und  der  Glandula  pinealis.  Hydrorrhachis  interna  cystica :  Ektasie  des  Central- 
cannls  vom  Rückenmark.  Hydromy elocele  nnd  Hy drencephalocele.  Hydro- 
cele sacralis.  Ruptur  und  Entleerung  der  Säcke.  Anencephalie  und  Amyelie.  Psen- 
dencepbalon,  Fungus  cerebri.  Heilung  der  Spina  bifida.  Hydrocele  duplex  cystica 
occipitalis. 

lehnte  Verlesung,     Ilygrome,  Ganglien 11)4 

Hygrome  der  Sehnenscheiden  und  Schlei mbentel.  Verschiedene  Theorien.  —  Hydrops, 
Ruptur  der  Scheiden,  Ganglion  hemiosnm,  Neubildung  der  SScke.  —  VariabllitSt  nnd 
anatomische  Einrichtung  der  Schleimbeutel  und  Sehnenscheiden.  Bursa  patellaris. 
Neugebildete  Schleimbeutel.  Entstehnng  von  Schleimbenteln  und  Sehnenscheiden.  Atro- 
phie des  Bindegewebes.  Spätere  Communicatlon  mit  Gelenkhöhlen.  Inhalt:  eigen- 
thumliches  Secret.  Meliceris,  Sehnige  Verdickung  der  Wand.  —  Hygroma  praepatel- 
lare.  Mechanische  Entstehung.  —  Beschaffenheit  der  Sackmembran.  Duplicaturen  und 
Fettlappen;  Fettpolypen  und  freie  Fettkörper.  Hygronia  prolifernm:  warzige  und 
polypöse  Excrescenzen.  Freie  Körper.  Das  proliferirendc  Ganglion  der  HandwurseL 
Irritative  Entstehung  der  Hygrome.    Umwandlung  in  Hämatome. 

RIftc  T«rlesnng.    Follicular- Cysten 211 

Retentionsgeschwnlste  überhaupt.  Zwei  Arten  derselben:  Retention  des  Secretes 
am   Secretionsorte    oder    an   einer   entfernten   Stelle.    Entstehung  aus  präaxistirenden 

■ 

offenen  Räumen:  cystische  Ektasie  von  Kanälen.  Zustand  der  Orificien:  Atresie 
und  Obliteration  oder  blosse  Verlegung  (Obstruction ,  Compression,  Dislocation)  der- 
selben. Verbindung  mit  Irritation.  Veränderlichkeit  des  Cysteninhalts  in  verschiedenen 
Stadien.  Bedeutung  dos  Initialstadiums.  Atherome  (Brei  oder  Grützgeschwülste). 
Entwickelung  aus  Haarbälgen.  Anordnung  und  Absonderung  der  letzteren :  Epidermis 
und  Schmeer.  Comedonen.  Milium  s.  Grutum.  Betheiligung  der  Schmeerdrfiscn. 
Acne.  Molluscum  contagiosum  und  non  contagiosum.  Akrochordon.  Naevus  follicu- 
laris. Das  eigentliche  Atherom.  Das  atheromatöse  Dermoid  (Kystom).  Structur  des 
Atheroms.  Meliceris,  Steatom.  Verkreidung,  Aufbruch,  Heilung.  —  Schleim  Cysten 
(Hydatiden).  Entwickelung  aus  Schleimdrüsen.  Wechsel  der  Theorien  über  Hydatiden. 
Versehiedenartigkeit  der  Schleimdrüsen.  Offene  und  geschlossene  Orificien.  Wieder- 
holung der  Comedo-,  Milium-,  Acne-.  Molluscum-  nnd  Akrochordon -Form.  Verschie- 
denheit des  Inhalte!.  Confluens.  Polypi  cystici  s.  hydatidosi.  —  Weiblicher  Sexaal- 
apparat: OTola  Nabotbi,  Acne  orificii  extemi,  Blasenpolypen  des  Collnm  nnd  Corpus 
uteri,  Scbleiracysten  der  Uterushdble.    Neigung  zu  Flaor  «nd  Mctrorrha^e.  —^  Uafjfm- 


538  Inhalt. 

8cHc 

Vinftc  TorleSMg.     Pathogenie  der  neoplastiscben  Geschwülste  ...        72 

Entwickelungsgeschiehte :  die  Geschwulst  als  ein  Werdendes.  l)IrritativeR  Stadium. 
Dyslirasische  Reize  (Scharfen).  Syphilis,  Tuberkulose,  Krebs.  Nichtspeclfische  Pro- 
ducte  einer  Dyskrasie.  Transitorische  Natur  der  Blutveränderung;  Abhängigkeit  von 
dem  Prodnctioniheerde.  Aeussere  Reize  und  ihre  Bedeutung:  statistische  Belege.  Ver- 
gleich mit  der  entzündlichen  Reizung:  homologe  Geschwülste.  Richtung  der  Entwicke> 
hing,  bestimmt  durch  das  Semininm  und  das  Muttergewebe  (Matrix).  Inoculations- 
Versuche.  2)  Grauulations- Stadium.  Die  indifferenten  Bildungs-  (Primordial-) 
Zellen.  Hervorgehen  derselben  aus  dem  Mutiergewebe.  Natur  der  Matrices.  Conti- 
nuirlicher  Uebergang  der  Geschwulst  in  das  Muttergewebe.  3)  Dif  fereuzirungs - 
Stadium.  Einfache  Differenzirung:  histioide  Geschw^ülste.  Mehrfache  Differenzining : 
organlihnliche  Geschwulste.  Vielfache  Differenzirung:  Aberrationen  oder  teratoide  Ge- 
schwülste.  Diagnostische  Bedeutung  der  Gesammtanordnung  der  Geschwulsttheiie. 
4)  Florescenz  -  Stadium.  Typische  Entwickelungshohe.  Transitorische  und  per- 
manente Bestandtheile.  Verschiedene  Lebensdauer  der  Elemente  und  der  Geschwulst«. 
Destnictive  Tendenz.    5)  Regressives  Stadium:    Ausgange. 

Seehste  T«rle8«ng.    Grundlagen    einer   systematischen    Ordnung    der 

Geschwülste 102 

Ausschluss  der  blossen  Intumescensen ,  der  unprodactiven  Cysten,  der  Blasen würmer 
(Cysticerms,  Echinococcus,  Coennrus).  Parasitismus  als  allgemeine  Rigenscbaft  aller 
wuchernden  G«srhwäl8te  und  als  Folge  der  Autonomie  ihrer  Elementartbeile,  nicht 
als  Folg«  einer  elgenthümlichen  Emührungs  -  Einrichtung.  Di«  Cirenlation  in  den  Ge- 
schwülsten: Störung  des  venösen  Stroms  in  den  alten  GefiUsen.  Recreroentitielle  Stoffe 
der  Geschwülste:  sch&dliche  Einwirkung  derselben.  Syphilis,  Krebs,  Tubercnloxe,  Rotx. 
Jodismus  und  Kropf.  Locale  oder  constitutionelle  Natur  der  Geschwülste.  —  Genetiiurhe 
Grundlage  einer  Systematik  der  Geschwülste:  1)  Entstehung  aus  Bhitbcstandtbeileo : 
Extravasations  -  und  Exsudationsgeschwülste.  2)  Entstehung  aus  SecretstofTen :  Dila- 
tations*  oder  Retentionsgeschwülste.  3)  Entstehung  aas  proliferirenden  Geweben:  G«- 
w&chse,  Pseudopiasmen ,  Proliferations -Geschwülste.  Unterabtheiinngen  derselben: 
histioide,  organoide,  teratoide  Geschwulst«.  4)  Combinationsgeschwfilste.  —  Weitere 
Zerlegung  der  Proiiferations-Geschwälste  in  zwei  parallele  Reihen,  je  nach  ihrer  Ho- 
mologie und  Heterologie  (Erhaltung  oder  Verlust  des  Eigengewebes  des  Theiles).  Bös- 
artigkeit nur  auf  einen  Theil  der  beterologen  Formen  beschränkt  und  abh&ngig  tob 
dem  Reicbthum  der  Geschwulst  an  S&ften  und  Gefissen. 

Siebente  Vorlesing.     Die  Blutgeschwülstc  (Hämatome) läS 

Drei  Hauptformen  der  Hämatome:  1)  Die  cystischen  Formen.  Mechanische  EntstehnuK 
durch  traumatische  oder  spontane  ContinuitätsstÖrungen.  Kephalämatom:  Bildnog 
der  Höhle,  des  Knochenringes,  der  Knochenschale,  Heilung.  Othämatom:  Be- 
ziehung zu  Geisteskrankheiten,  Bildung  der  Höhle,  tiaumatische  Entstehung,  das  Ohr 
der  Pankratiaaten ,  vorginglge  Erkrankung  der  Knorpel,  Heilnng.  Hämatom  der 
Dura  mater:  apoplectische  Bedeutung,  Beziehung  zu  Geisteskrankheiten,  Bildung  der 
Höhle,  Pachymeningitis  chronica.  Aneurysma  dissecans:  Aorta,  kleinere  Arterien. 
Mnskel-Hämatom:  Rectns  abdominis;  Hämophilie.  2)  Die  festen,  nicht  cysüschtn 
Formen.  Hämatome  der  Herzklappen,  des  Gehirns,  des  Eierstocks,  der  Vulva,  ^)  Die 
polypösen  Formen.  Pol  y  pöses  HHmatom  des  Uterus  (fibrinöser  Polyp) :  BUdnng, 
R<'ziehung  zur  Placentarstclle,  Einfluss  auf  Metrorrhagien.  Sccunrtäre  Hämatombildung 
im  Innern  anderer  Geschwülste.  Hämatoma  patellare.  Hämatocele.  Hämatomare- 
troutcrinum:  secundäre  Natur  der  Blutung,  partielle  Peritonitis,  Resiehnng  zar 
Meiistmatitm  und  Ovulation,  Annahme  der  extraperitonäalen  Lage.  H  ämatocystides. 
—  Mögliche  Abschnürung  venöser  Qefässe.     Extracranielle  Blutcysten. 

Achte  Y«rle8llig.     Waüsergcschwülste,  insbesondere  Il^drocele  tc&tis.      15^') 

Die  Hygrome.     Unterscheidung  derselben.  Je  nachdem  die  Höhlen  natnrllcbe  oder  nea- 
febildete  sind.  —  Die  Hydrocele  als  BeitpieL    Hjrdrocel«  congenita.    Irritaüv« Na- 


Inhalt  589 

Seite 
(ur  der  gewöhnlichen  Hydroccie:  Periurebiti».  ChemiHcbe  Beschaffenheit  des  Inhaltes. 
Hyilrops  Ijinphaticu».  Beschaff'enheit  der  Scheidenhaut;  f-as«ive Erweiterung  nnd  Ver- 
dünnung;. Atrophie  des  Hodens.  Fettige  und  haeniorrhagische  Abscheidungon.  Hä- 
niAtorele.  Active  Processe :  Sklerose  und  Cartilaginescenz  des  Sackes,  Synechie,  Oasi- 
rtcation  ,  Proliferation.  Periorchitis  prolifcra.  Auswüchse:  Die  MorgagnI'sche  Hyda- 
tide.  Die  freien  Körper  der  Scheidenhant.  Praktische  Bedeutung  dieser  Terschledenen 
Zustände:  unproductive  Beschaffenheit  und  Vulnerabilit&t  der  sklerosirten  Theile.  — 
Hydrocele  cystica  funiculi  sperroatici.  —  Hydrocele  berniosa. 

Neunte  Yorlesung.     Ilydrocclen  des  Kopfes  und  Rückens 169 

Hydrocele  colli.  —  Hydrocele  capitis  et  dorsi.  Spina  bifida.  Tumores  cranü  cystlci 
coni^eniti.  Hydrocephalus  extemus  et  intenius.  Hydrorrhachis  externa  et  interna.  Bau 
der  Arachnoides ;  ihr  sogenannter  Sack.  Hydrocephalus  meningeus:  cystisches  Oedem 
der  Arachnoides.  Hygroma  durae  matris.  Freier  Hydrocephalus  extemus«  Hydro- 
meningocele  cerebralis  et  spinalis.  AdhSsion  mit  den  Eih&uten.  Die  ge- 
wöhnliche Spina  bifida  Inmbalis  oder  lumbo-sacralis:  Verhalten  des  Rücken- 
marks, der  Nerven  und  Knochen.  —  Hydrops  der  Höhlen  der  Centralnervenapparate. 
Cystische  Obliteration  der  Hirn-  und  Bückenmarkshöhlcn.  Hydrocele  cornu  posterio- 
ris  ventriculi  lateralis.  Hydrocele  des  vierten  Ventrikels,  der  Hohle  des  Septum  pel- 
luridnm  und  der  Glandula  pinealis.  Hydrorrhachis  interna  eystica:  Ektasie  des  Centrat- 
cannis  vom  Rückenmark.  Hydromyelocele  und  Hy drencephalocele.  Hydro- 
ce\o  sarrnlis.  Ruptur  und  Entleerung  der  Säcke.  Anencephalio  und  Amyelie.  Psen- 
deiicephalon,  Fungus  cerebri.  Heilung  der  Spina  bifida.  Hydrocele  duplex  cystica 
occipitalis. 

Lehnte  Vorlesung.     Hygrome,  Ganglien 11)4 

Hygromc  der  Sehnenscheiden  und  Schleimbentel.  Verschiedene  Theorien.  —  Hydrops, 
Ruptur  der  Scheiden,  Ganglion  hemiosum,  Neubildung  der  Säcke.  —  Variabilität  und 
anatomische  Einrichtung  der  Schleimbeutel  und  Sehnenscheiden.  Bursa  patellaris. 
Nougebildete  Schleimbeutel.  Entstehung  von  Schleimbenteln  und  Sehnenscheiden.  Atro- 
phie des  Bindegewebes.  Spatere  Communication  mit  Gelenkhöhten.  Inhalt:  eigen- 
tliiimliches  Seeret.  Meliceris,  Sehnige  Verdickung  der  Wand.  —  Hygroma  praepatel- 
lare.  Mechanische  Entstehung.  —  BeschaflTenheit  der  Sackmembran.  Duplicaiuren  und 
Fettlappen;  Fettpolypen  und  freie  Fettkörper.  Hygroma  proHfernm:  wanige  und 
polypöse  Excrescenten.  Freie  Korper.  Das  proliferirendc  Ganglion  der  Handwurzel. 
Irritative  Entstehung  der  Hygrome.    Umwandlung  in  Hämatome. 

Klfte  Vorlesung.    FoIIicular- Cysten 211 

Re tenti onsge seh w niste  überhaupt.  Zwei  Arten  derselben:  Retention  des  Sccretes 
am    Secretionsorte    oder    an    einer    entfernten  Stelle.    Entstehung  aus  prä^xistirenden  , 

offenen  Räumen:  cystische  Ektasie  von  Kanälen.  Zustand  der  Orificien:  Atresle 
und  Obliteration  oder  blosse  Verlegung  (Obstmctlon,  Compression,  Dislocation)  der- 
selben. Verbindung  mit  Irritation.  Veränderlichkeit  des  Cysteninhalts  in  verschiedenen 
Stadien.  Bedeutung  des  Initial  Stadiums.  Atherome  (Brei  oder  Grüttgeschwfilste). 
Eutwickelung  aus  Haarbälgcn.  Anordnung  und  Absonderung  der  letsteren :  Epidermis 
und  Schmeer.  Comedonen.  Milium  s.  Grutum.  Betheiligung  der  Schmeerdrüsen. 
Acne.  Molluscum  contagiosum  und  non  contagiosum.  Akrochordon.  Naevus  follicu- 
laris. Das  eigentliche  Atherom.  Das  atheromatöse  Dermoid  (Kystom).  Structur  des 
Atherom».  Meliceris,  Steatom.  Verkreidnng,  Aufbruch,  Heilung.  —  Schleimcysten 
(Hydatiden).  Entwickchiug  aus  Schleimdrüsen.  Wechsel  der  Theorien  über  Hydatiden. 
Verschiedenartipkcit  der  Schleimdrüsen.  Off'ene  und  geschlossene  Orificien.  Wieder- 
holung der  Comedo-,  Milium-,  Acne-.  Molluscum-  und  Akrochordon- Form.  Verschie- 
deaheit  des  Inhalte!.  ConiltteBx.  Polypi  cysticl  s.  taydatidotl.  —  Weiblicher  8«xiia1- 
apparat:  Ovola  Nabothl,  Acne  wificii  extomi,  MMenpolypen  dct  CoUam  md  Oorpas 
uteri,  Schleimcysten  der  Utenwhdhle.    Ntlgon^  xa  Flnor  «nd  MetrorrlM^ie.  —  Ut^u- 


540  Inhalt 


und  Colon  -  Schleimhaut:    Colitis  rystica  polypös«.    Antrum  Highmori.    Betrotracheal- 
drusen.    Blasenpolypen  des  Larynx.    Schieimcysten  der  Vagina. 


Seit 


Zwölfte  TwlesHiig.    Retentions  -  Cysten  der  grösseren  Kanäle     .    .     .      24! 

Cystische  Entartung  des   Processus  ▼ermiformis  als  Muster.    —    Verschiedenheit 
der  Retentions-Cysten ,  Je  nachdem  der  Inhalt  mehr  Drüsen-  oder  mehr  Flächensecret 
ist:     A.    Einfache  Retention  der   Flächenabsonderung.    Allmähliche  Ver- 
änderung  des    Inhaltes:    Zerfall   der   zelligen  Theile,   Umwandlung   des  Schleims    in 
Natronalbuminat,    wasserige     Transsudation    ans    der     Wand,    hfimorrhagische    Bei- 
mischungen.   Umbildung        von  Schieimcysten  in   ser5se  und  Blntcysten.      St&ricere 
Irritation   der   Wandungen:    eiterige  Absonderung,   Verdickung,   Perieystitis.     Bron- 
chiektasie:  kEsige  Eindickung  des  Inhaltes,  Verwechselung  mit   Tuberkel.    B.  Ge- 
mischte Formen,  entstanden  aus  Anhäufung  vonDrüsen-  undFlachen- 
secret.      Als    Beispiel   die    Oallen-Retention.     Primäre     Gallencysten :     Anhio» 
fung   der  Qalle,  Eindickung,    Krystallisation    und  Concretiou.     Hydrops   cystidis  fel- 
leae:    Resorption   oder  Sedimentirung  derGalle,   Anhäufung   von  Schleim,  Resolution 
desselben,  wässerige  Ausschwitsung.    Cysten   der   Gallenwege:    Schleim-   und   seröse 
Cysten.  —  Weibliche  Genitalien:  1.   Hydrops  folliculorum  ovariL     Vor- 
kommen vor  der  Pubertät.    Verschiedenheit  von   der  gewöhnlichen  Eierstocks wa«ser^ 
sucht    Verhältniss  cum  Ovulum.     Katarrhalische  Natur  des  Zustandes.    2.  Hydrops 
tu  bar  um.      Atresie    des    Ostium    abdominale.      Wechselnder  Zustand    de«    Oatiam 
uterinum.     Hämorrhagische  Ergüsse.     Lage  der  Geschwülste.    Möglicher  Abflnss  des 
Inhaltes  durch  den   Uterus;  Perforation  in   Nachbartheile.     3.     Cysten  der  Liga- 
menta lata.    Die  End-Hydatiden  des  Mülier'scheu  und  WolfiT^chen  Ganges.     Cysten 
des  Parovariums.     Neugebildete  Cysten  der  Ligamente.    4.     Hydrometra  (Hydrops 
uteri).    Beziehung  zu  Katarrh  und    Flexion.  —   Luftwege:   cystische   Bronchiectasis 
und  Trachcctasis.  —  Harnwege:  1)  Harnblase:  Divertikelbildung.    2)  Uretersn 
und  fNierenbecken:    Hydronephrose.      Congenitolc    und  erworbene  Formen.     Ur- 
Kachen.    Atrophie  der  Niere.    Aenderung  des  Inhaltes.    Diagnose.     Compensatorisch« 
Hyperplasie   der  anderen   Niere.     Gefahr  der  Urämie.      3)  Ilarnkanälchen:    Hy- 
drops  renum   cysticus,   Renes   hydatidusi.     Harncysten.     Cungenitale  Form.       Atresie 
der  Papillen.    Cystennieren  der  Erwachsenen:  Abschnürung  der  Harnkanälchen,  albu- 
roinöser  Inhalt,  Confluenz.  —  Speicheldrüsen:  Ranula  subungualis.    Verschiedene 
Hypothesen.    Chemische  Natur  des  Inhalts.    Kanula  parotidea  und  pancreatica:  cylin- 
drische  und  sackige  Form.    Ptyalectasis    und   Ptyalocelc.    Dermoide  Form.    —   Ho- 
den: Spermatocele  (Hydroeele  spermatica).    Samenfäden  in  freier  Hydrocele-Flüssig- 
keit.     Samencysten.    Behauptete  Neubildung  derselben.    Entwickelung  aus  rudimentä- 
ren Thellen  des  WolflTschen  Körpers.    Vas   aberrans   und  Corpus  innominatum.     Die 
Hydatiden  am   Nebenhoden.   —    Weibliche   Brust:   Milchcysten.     Allmählige   Um- 
wandlung in  Gallert-  und  Blutcysten.     Buttercysten.     Galactocele. 

Ireiiehnte  T«rle8«ng.    Fibrome 2^7 

Die  Prolife rations- Geschwülste  (Gewächse)  überhaupt.  Irritative  Entstehung. 
Classification  und  Terminologie.  Uebergangsformen.  —  Familie  der  bindegewe- 
bigen Geschwülste.  —  Gattung  der  F i b r u m e  (Fibroide,  Desmoide,  Steatorae). 
Nothwendigkeit,  die  Myome,  Neurome  und  manche  andere  Tumores  .fibrosi*  ,  sowie 
die  mit  Bindegewebsbildung  complicirten  Balggeschwülste  auszuscheiden.  Unsichere 
<irense  gegen  die  warzigen  Epithelialgeschwülste  und  gegen  die  diffuhen  chronisch- 
( ntzündlichen  Processe.  Elephantiasis.  Irritative  Natur  aller  Fibrome.  Die  dr^i 
Hanptforraen;  Combination  und  Uebergang  derselben  unter  und  in  einander.  ].  Ele- 
phantiasis. Sporadische,  congenitile  und  endemische  Formen.  Prädilectionsstellen. 
l-^Iephantiasis  und  Lepra;  historische  Entwickelung;  Verwechselung.  Klephantia5i9 
Arabum  =  Pachydermia,  Hypersarcosis ,  Drüsenkraukheit ,  Boscnbein.  Krytipclas 
^rlerematodes  s.  lymphaticum  s.  gelatloosum.  Das  secnndäre  Erysipel:  Phlegmatia 
ttlba,  Tumor  albus.  Fortsc hreitsude  Hyperplasie  des  Bindegewebes.  Elephantiasi* 
iaevis  s.  glabra,  papillaris  s.  verrucosa,  tubsrosa  (tnberculosa)  s.  nodosa.    Varhalteo 


InhftUi  541 

Seite 
der  Epidermis:  Elephanüasli  nigra  et  comea.  Verhalten  des  Bindegewebes:  E.  dara 
et  niollis.  Die  Specksnbstant.  Hyperostose:  B.  ossifiea.  Dfe  Lymphdrüsen.  Ble- 
pliantiasi«  ulcerosa.  —  Die  weichen  Formen:  E.  congenita  simplex,  telangiectodes, 
cystica.  Die  Elephantiasis  der  Süsseren  Genitalien:  E.  scroti  et  penis,  labii  majo- 
ris  et  clitoridiSf  mammae.  Collonema.  Pachydermia  lactiina  nnd  Lymphorrhoe. 
Madura-Fuss.  3.  Molluscum  (Elephantiasis  mollnsea,  Steatoma,  Speokgeschwulst). 
Multiple  Form.  Lcontiasis.  3.  Fibroma  dlfftisum.  Ifilchdrfise:  Induratio 
betiigna,  Elephantiasis  dura,  Cirrhosls.  Analogie  mit  Sklrrh.  Zwei  Stadien.  Lobu- 
läre Fibrombildung:  Corps  fibreux.  Fibrom  der  mSnnliehen  Brust.  Bierstock. 
Niere:  interstitielle  knotige  Nephritis.  Entifindliche  Entstehung.  —  4.  Fibroma 
papilläre  s.  verrueosum  (Papillär-  oder  Zottengeschwnlst) :  Hyperplastiache 
Vergrosserung  präexistirender  Papillen  oder  Zotten  und  Neubildung  derselben.  Ge- 
schichte der  Knospen-  nnd  Astbildung.  Vergleich  mit  der  Placenta  fStalis.  Pacchio- 
nische  Granulationen  (Drüsen).  Verhalten  der  GefSsse.  Zellen wuehenng:  Granula- 
tion, Fleischwärxchen.  Qefasslose,  geflissarme  nnd  gefSssreiche  Papillen:  Siphonoma. 
Ve^etationen ,  Papilloma.  Die  intracanaliculSren  PapiUargeschwfilste :  Gallen- 
wege, Condyloma  snbcutaneum  s.  foUieulare,  Fibroma  papilläre  intraeanallculare  mam- 
uiaei  Warxen  der  äusseren  Haut;  Akrochordon,  ClaTus,  Akrothymion  s.  Thy- 
mos,  Mynnecia  s.  Formica.  Condyloma  latum  et  acnminatum.  Porrum.  Hautpolypen. 
5.  Fibroma  tuberosum:  Unterschied  Ton  Tuberenlose.  Combinations-  and 
Uebergangsfähigkeitf  Degeneration.  Aeussere  Haut:  hereditSre  und  multiple  Form. 
Fascien:  Fibroma  lobulare,  mneosum  et  ossificum.  Periost.  Retropharyngealge- 
schwnlst,  Nasen-Rachenpolypen.  Allgemeine  Bedeutung  der  Fibrome.  CoastitatioBelle 
Beziehung.  Prädisposition:  ortliche,  allgemeine  und  erbliche.  Syphilis.  Gutartigkeit. 
—  Heteroplastisches  Fibrom.  Kieferknochen.  Ossiflcirende  und  petrificirende 
Formen. 

Herzehnte  V^rlesiiDg.    Lipome 364 

'UnZweckmässigkeit  des  Namens  Steatom.  Unterschied  der  Uporoe  Ton  talgartigen 
Atheromen,  Cholestearincysten,  fetthaltigen  Kystomen  nnd  Cholesteatomen.  Znsam- 
inensetcung.  Das  hyperplastische  Lipom.  VerhUtniss  sur  Polysarcie  (Obesi- 
t&H).  Lappiger  Bau.  Varietäten :  L.  moUe  s.  vulgare,  L.  durum  s.  fibrosura ,  L.  telan- 
gioctodes,  L.  ossificum  et  petrificum,  L.  gelatlnosum  s.  colloides,  L.  cystieum.  Neu- 
bildung im  Vergleich  inr  FÖtalentwickeInng.  Irritativer  Ursprung.  Vorkommen:  aub- 
ratau,  subfascial  und  intermusculär,  intraorbital,  subserSs  und  subsyuovial,  submucSs.  — 
VerHchiedene  Formen :  1.  Lipoma  Simplex  tuberosum.  Aeusserer  Balg.  Wor- 
xel  oder  Stiel.  2.  Lipoma  capsulare.  Ange.  Hers.  Nieren:  VerhUtniss  tur 
Nierenschrumpfuug.  Weibliche  Brust:  gewohnliches  nnd  capsuläres  Lipom.  Ver- 
hältniss  des  letxteren  su  Sklrrh  und  interstitieller  Mastitis.  Hernien;  Omentallipora, 
Hernia  lipomatosa,  Lipoma  herniosnm  capsolare,  Complicatlon  mit  Hydrocele  her» 
niusa.  Lymphdrü(ion.  3.  L.  polyposnm.  Physiologische  Beispiele:  Appendlees 
epiploicae,  Synovialfortsätte.  —  L.  arborescens:  Gelenke,  Sdilelmbentel.  Haut- 
polypen: Orts  Veränderung.  Magen  nnd  Darm.  SerSse  nnd  Synovialhäuta: 
Ablosuug  des  Stiels,  halbknorpelige  Sklerose,  Petrification ,  Schmeltnng  des  Fettes. 
Freie  Korper  der  Bauchhöhle,  der  Schlcimbentel  nnd  Gelenke.  —  Das  hetero- 
plastische Lipom.  Nieren.  Hirn  -  nnd  Bnckenmarkshfiote.  Transformation  von 
Knorpel,  Bindegewebe  u.  s.  w.  in  Fettgewebe.  Lipome  der  Conjnnctiva  bulbl,  des 
Scrotums  und  der  Schamlippen.  Discontinuirliche  Lipome.  —  Multiple  Lipome. 
Dyskrasie.  Locale  Irritation.  PrSdisposition :  congenital  und  erblich,  erworben.  — 
Spätere  Geschichte  der  Lipome:  Mangelhafte  Rfickbildung,  Verhärtung,  Verkalkung, 
Verschwärung,  Abscessbildung,  Erweichung.  —  Lipome  der  Wangen.  Corpus  adipo- 
Rum  raalae. 

Pinfzehnte  Torlesung.   Myxome 396 

Verschiedenheit   der  Myxome   von   Schleimoyatea   nnd   Schleimkystomea.     Zasanmen- 
sctsung  aus  Schleimgewebe.    Natnr  nnd  Vorkommen  deaaelbaa?    Nabelatranf.    Ver- 


542  Inbsat 

Seit« 
hältnias  com  Bind«-  und  Fettgewebe.  Persittens  im  entwickelten  Korper,  Rückbil- 
dung ana  Fettgewebe  (oolloide  Metamorphose).  Besiefaung  sur  Meuroglia  und  sam 
Periueurinm.  Homologe  und  heterologe  Myxome.  Beschaffenheit  der  intercellulareu 
Flüssigkeit,  der  faserigen  und  zeliigen  Bestandthcile.  —  Varietäten:  Myxoma  hyali- 
num  8.  gelatiuosum,  M.  medulläre  s.  cellulare,  M.  lipomatodes ,  M.  cystoides,  M.  fibro- 
suiu,  M.  cartilagineum,  M.  telangiectodes.  —  Aeitere  Terminologie:  Colloid,  CoUu- 
nema,  Sarooma  gelatinosum  a.  hyalinum,  Carcinoma  colloides  s.  gelatinosum.  —  Dan 
Myxom  der  Ohorionsotten  (Blasen-  oder  Traubenmole).  Beschreibung  und 
Theorie.  Ausgang  von  den  Choriousotteu :  Hyperplasie  des  präexistirenden  Schleim- 
gewebes. Yerh&ltni&s  der  Zellen  und  Gefasse  xn  der  Wucherung.  Zustand  der  Fmcht : 
leere  Eier,  atrophische  Embryoneu.  Verhältniss  xwiscben  der  Zottenerkrankung  und 
dem  Absterben  des  Embryo.  Allgemeine  und  partielle  Hyperplasie  der  Zotten:  pla- 
ceutarea  Myxom.  Retention  der  Placenta.  Besiehuug  der  BUsenmole  sur  Endometritis. 
Pnrtielles  fibröses  Placentar-Myxom:  Tuberkel  und  Skirrh  der  Placenta. 
Hämatom,  Apoplexie  und  Thrombose.  —  Congenitale  Myxome. —  Myxome  der  Er- 
wachsenen: 8ul>cntane  und  intramusculare  Formen.  Das  Myxom  des  Oberschen- 
kels. Polypöse  Myxome  der  Brust  und  Schamlippen.  Myxom  des  Nierenbeckens 
Myxom  <ler  Knochen^  —  Heteroplastisches  Myxo  ro:  Gehirn,  Rückenmark,  Ner- 
ven. Das  falsche  Neurom:  solide  und  cystoide  Form.  Weibliche  Brust: 
Cystosarcoroa.  Tuberöse  und  diffuse  Form.  Das  iutracanaliculare  polypöse  Myxom: 
Aufbruch.  —  Hoden,  Lunge,  Speicheldrusen.  —  Bedeutung  der  Myxome.  Gutartigkeit 
der  hyperplastiscben  Formen:  örtliche  Störungen,  UIceratiou,  Recidivimng.  Bösar- 
tigkeit der  heteroplastiacheu  Formen:  das  maligne  Neurom.  UIceration,  Multipli- 
citat,  Metaataae. 

Serhsifhnte  T^rlesiiag.   Chondrome 435 

Verschiedene  Bexeichnung:  Tumor  cartilaginosus,  Chondroid,  Spina  ventosa ,  Osteo- 
stoatom,  Osteosarkom,  Carcinom,  Exostose.  Verwechselung  mit  Fibromen  und  Fibro- 
muscuiar- Gewachsen.  Eintheilung  in  Ecchondrosen  und  beteroplastische  Chondrome 
(Enchondrome  und  Osteoidchondrome)  Je  nach  der  Homologie  oder  Heterologie  (Uo- 
möo-  oder  Heterotopie).    Neutralea   Gebiet:  Gew&rhse  aus  transitorischem    Knorpel. 

—  Ecchondroais.  Vorkommen  an  Rippenknorpeln,  Synchondroseu ,  permanenten 
Knorpeln  der  Respirationaorgan«.  Varietäten:  E.  oasifica,  "R,  amyloidea,  E.  prolifera 
s.  physaliphora.  Laryngeal-  und  Trachealkuorpel:  Ecchondrosen  und  Exostosen 
des  Larynx ;  warsige  und  gitterförmige  Ecchondrosen  der  Trachea.  Synchondroseu: 
Symphysis  pubica.  Synebondrosis  spheno-occipitalis :  Ecchondrose,  Exostose,  Phy- 
saliden-Beere;  Perforation  der  Dura  mater;  Verhaltniss  sur  Chorda  dorsalis.  Syncbon- 
druscs  intervertebrales.  Rippenknorpel:  solit&re  und  multiple  Form.  Gelenke: 
Gelenkmiuae,  Corpora  mobilia.  Functionelle  Störungen.  Zahl,  Gestalt  und  Bau  der 
Gelenkkörper.  Einfache  und  maulbeerförmige  Körper.  OssificatSon  und  Petrification 
(Arthrolithen).  Entstehung  derselben:  Absplitterung  von  Bruchstücken  des  Gelenken- 
des und  Neubildung.  Feinere  und  gröbere  Auswüchse  der  Synovialhant,  des  snb- 
synovialen  Periosts  und  der  Knorpelrinder.  —  Flache,  gestielte  und  freie  Formen  (Ar- 
throphyten).  Yerb&ltniss  sur  Knotengicht  (Arthritis  deformans).  Necrose  und  Ex- 
foliation der  Knorpel.  Irritativer  Ursprung:  locale  Reise.  Uebergang  sn  beleru- 
plastiscben  Knorpel- Gaw&chsen.  —  Euch ondrom  und  Osteoidchondrom.  Gren- 
cen  derselben.  Knorpel  in  Mischgeschwfilsten  und  Teratomen.  Die  fibrocartilaginöse 
Geschwulst:  Osteoid.  Der  sogenannte  Hantknorpel  und  das  osteoide  Gewebe:  Vor- 
kommen bei  dem  Perioatwachathnm.  Osteoid-  oder  Desmochondrom.  Der  permanente 
Knorpel  des  harten  Encbondroms:  Hyalin-,  Faser-  und  Netxknorpel.  Beschaf- 
fenheit der  Intercellularsnbstanx  nnd  der  Zellen.  Verschiedene  Entwickelnng :  aus  Gra- 
nulations- (indifferentem)  oder  aus  Bindegewebe  Genauere  Definition  von  Knorpel* 
kurperchen,  Zelle  und  Kapsel.  Die  ästigen  und  beweglichen  Knorpelxellen.  Das 
weiche  oder  Gallert-Enchondrom:  1)  E.  mucosum.  Unterschied  desselben 
von  schleimig  erweichten  (regressiven)  Euchondromen  und  von  den  Mischgeschwülsten  (B. 
myxomatodaa, Myxoma  cartilaginenm,  StamksorpeJgeseh wulst).    9)  B.  albuninosna. 

—  Der  Haut-    odar    KnoelMiiknorpal    das  osteoiden    Chondroms:     Aehalicli- 


Inhalt.  543 

Seite 
keit  mit  Fibroid,  VerwaudtachAft  mit  Sarkom.  Di«  Iflscb formen:  Bncbondroma  et 
Chondroma  osteoides  mixtum.  Vorkommen  des  Knorpels  in  Form  serstreuter  Inseln 
und  in  beaüuderen  Abtbeilungen.  Combination  mit  Krebs  und  Sarkom,  abb&ngig 
vun  progressiver  Zellenwucherung.  Betiehung  lur  VascularisaUon :  B.  telangiec- 
tudes.  Verkalkung  und  Verknöcberuug:  E.  petrificnitf  et  ossificnm.  Re- 
gressive Metamorphose,  Erweichung  und  Verschwarung :  E.  cystoides  et  ulcero- 
sum.  -  Aetiologie.  Heterologe  Natur  des  Euchondroms  in  Knochen  und  in  Weich' 
theilen.  Häufigkeit  im  Jugendlichen  Lebensalter:  eongenitale  und  erbliche  Fälle.  Be- 
ziehungen SU  mangelhafter  Kuochenbildung :  Kacbitis,  die  spat  ossificirenden  8yn- 
cbundrosen  und  Interwediärknorpel.  Retention  der  Hoden.  Besiehungen  su  dem  Ge- 
schlecht. Traumatische  Veranlassungen:  Fracturen  der  Knochen.  Chronisch-ents&nd- 
liche  Processe.  —  Enchoudrome  der  Knochen.  Frequens-Scala.  Innere  (cen- 
trale, medulläre)  uud  äussere  (peripherische,  periosteale)  Form.  Da«  innere  En- 
chondrom:  Latens •  Periode.  Verschiedene  Ifatrices.  Knochenschale.  Lappiger  Bau 
(areoläre  Anordnung):  Mutterkuoten  und  accessorische  Knoten.  Das  Euchondrom  als 
Cunglomerat  oder  Ifultiphim:  Dissemination.  Ifultiplicltät  in  verschiedenen,  benach- 
barten oder  von  einander  entfernten  Knochen.  Infection  der  Weichthelle.  Septa  der 
einzelnen  Lappen.  Das  äussere  Enchondrom  (Perichondrou).  Verhältniss  cur 
Beinbaut.  Vorkommen.  Ausgänge  des  Enc hondroms:  Erweichung  nnd  cystoide 
Umbildung:  Fall  von  der  Scapula;  Verschwarung.  Verkalkung  und  Verknocherung. 
(ieringe  Vulnerabilität  der  harten  Formen,  relativ  grosse  der  weichen.  Infectiöse 
Natur  des  Knochon-Enchondroms.  Erkrankung  der  Weichthelle,  der  Lymphgefisse 
und  Lymphdrüsen.  Multiplicität.  Metastasen :  secundäre  Erkrankung  der  Lungen.  Ma- 
ligne Knchondrome.  —  Enchoudrome  der  Weichthelle:  Diffuse  und  knotige 
Formen.  Reine  uud  Mischfesobwfllsta.  Natnr  des  Knorpel«,  Uebergang  in  Schleim - 
und  Bindegewebe.  Erweichung,  Verknocherung  und  Verkreidnng.  Entstehung  aus 
Bindegewebe;  irritativer  Ursprung.  Die  vorenchondromatose  Periode:  chronische  in- 
terstitielle Orchitis  und  Parotitis.  Directe  nnd  indirecte  Knorpelbildung.  Lungen: 
multiple  Enchondrome,  Entstehung  aus  der  Capsula  communis  und  dem  snbpleuralen 
Bindegewebe.  Die  halbknorpeligen  Fibrome.  Unterhaut  und  Fascien:  reine  uud 
Keuiischte  Formen.  Die  Enchondrome  der  Parotisgegend.  Die  Combination  mit  Li- 
pom und  Myxom.  Wirbelkanal:  congenital.  —  Enchondrom  der  Drüsen: 
Thränendrüse.  Niere.  Speicheldrüsen:  Submaxillaris,  Parotis.  Diffuse  und  lobu- 
läre Form.  Verhältniss  sur  Drüsensubstans  und  sum  Interstitlalgewebe.  Verbindung 
mit  Drüsen -Hyperplasie,  Myxom,  Fibrom,  Krebs  und  Kankrold,  Telangiectaale.  Cylin- 
drum.  Sexualdrüsen:  Eierstock,  weibliche  und  männliche  Brust,  Hoden.  Verhält- 
niss des  Hoden-Enchondroms  su  den  Lymphräumen.  —  Infectiöse  Natur  des  Euchon- 
droms der  Weichtheile:  Mischfurmen.  Metastasen  der  reinen  Formen:  Brust,  Hoden. 
Maligne  Natur.  —  Osteoid-Chondrom  (bösartiges  Osteoid,  Osteoidkrebs,  Osteoid- 
sarkom).  Knochen:  äussere  Erscheinung,  innerer  Bau.  Ossification,  Erweichung. 
Prognose.  Fibroma  enchondromatosum:  Mischform  von  beiden  Gewebatypen. 
Weichtheile:    myxomat5ses    Osteoidchondrom. 

Nachtra«;:     Ein  Fall  von  malignem  Osteoidcbondrom  der  Brustwand  mit  Dissemina- 
tion auf  Lungen  und  Pleura 5.*J4 


Gedruckt  bei  Julius  Sittenfeld  in  Berlin.