Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at|http: //books. google .com/l
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books . google .coiril durchsuchen.
liiiinn
D0016098U
W9\
Hliiiiii
}ooi6oesu
Die
KRANKHAFTEN GESCHWÜLSTE.
Dreissig Vorlesungen,
gehalten
wikreod des Winlersemesters i862 — i863 an der l'Diversilil ly Berlin
▼on
RUDOLF VntCHOW,
ad. oft Profestor der pathologischen Anatomie, der allgemeinen Pathologie und Therapie, Direotor
des pathologischen Institutes, dirigirendem Ante an der Charit^ and Mitgüede der wissen-
schaftlichen Deputation für das Medicinalwesen.
Erster Band.
Mit 107 Flolzschnitten and einem Titelkupfer.
Berlin, 1863.
Verlag von August Hirschwald.
Unter den Linden No. 6S.
Vorwort.
Als das letzte Wintersemester beginnen sollte, waren die Aussichtenf
für mich, irgend eine grössere wissenschaftliche Arbeit bis zur Ver-
öffentlichung durchführen zu können, sehr gering. Das politische Amt,
welches mir durch das Vertrauen der Wähler fibertragen war, erfor-
derte mindestens eine solche Hingabe, dass ich nicht daran denken
durfte, neben der Erfüllung meiner gewöhnlichen anglichen Verpflich-
tungen noch eine neue literarische Aufgabe, welche besondere Vor-
bereitungen und Mussestunden erforderte, übernehmen zu können.
Cnter diesen Umständen reifte der Entschluss, in ähnlicher Weise,
wie es früher bei der Cellularpathologie geschehen war, eine Reihe
Ton Vorlesungen nach stenographischer Aufzeichnung zu publiciren.
Ich wählte dazu ein öffentliches Colleg über Geschwülste, welches
ich schon wiederholt gelesen und für welches ich zahlreiche Präparate
seit Jahren gesammelt hatte. Bei dieser Wahl leitete mich insbeson-
dere die Erwägung, dass einerseits unsere Literatur eingehender Dar-
stellungen über die auf dem Felde der Onkologie vorliegenden Erfah-
nmgen in wirklich empfindlicher Weise entbehrt und auch die fremde
Literatur diese Lücke nicht ganz zu decken vermag, dass aber ande-
rerseits die Richtung meiner Untersuchungen seit fast zwei Jahrzehn-
ttt und ein grosses Material mich in die Lage versetzt haben, alle
Haoptformen der Geschwülste durch eigene Untersuchung und Beob-
achtung genauer kennen zu lernen, und über die fremden Erfahrungen
ein unabhängigeres Urtheil zu gewinnen.
Es gelang mir, die Aufgabe, welche ich mir zunächst gestellt
hatte, in dreissig, während der Monate November bis März gehaltenen
Vorlesungen zu lösen. Das den einzelnen Vorlesungen vorgesetzte
Datum wird denen, welche sich dafür interessiren , zeigen, dass ich
auch an solchen Tagen, an welchen wichtige Verhandlungen des Hau-
ses der Abgeordneten stattfanden, meiner Pflicht als Lehrer nachge-
kommen bin. Zur Beruhigung meiner Freunde kann ich hinzusetzen,
dass die stille und so oft unbemerkte Arbeit des Gelehrten einen
VI Vorwort.
grösseren Aufwand an Kraft und Anstrengung erfordert, als die ihrer
Natur nach geräuschvollere und daher meist dankbarere Thätigkeit
des Politikers, welche mir wenigstens häufig wie eine Erholung er-
schienen ist.
Bei der Redaction der stenographischen Aufzeichnungen habe ich
von vornherein die form der Rede, welche ich in der ersten Ausgabe
der Cellularpathologic beibehalten hatte, gemildert und dafür durch
sofortige Aufnahme der wichtigsten Citate, sowie durch den Hinweis
auf die einschlagenden Präparate der Sammlung des pathologischen
Instituts der Darstellung einen strengeren Charakter gegeben. Es
schien mir das nothwondig zu sein, weil der dogmatische Habitus,
welcher dem Uni versitäts- Vortrage mehr oder weniger anhaftet, gerade
in einem Gebiete, welches so sehr über die Erfahrung des Einzelnen
hinausgreift, gan^ und gar verwerflich ist.
Durch diese Bearbeitung hat der ursprüngliche Text, namentlich
in einzelnen Vorlesungen (z. B. der 13ten, loten und lOten) zahl-
reiche Aenderungen und besonders Erweiterungen erfahren. Dies war
schon deshalb nothwendig, weil weder alle Präparate, welche in den
Vorlesungen vorgezeigt wurden, in bildlicher Darstellung wiedergege-
ben, noch alle Zeichnungen, durch welche der Vortrag erläutert wurde,
im Text wiederholt werden konnten. Hier musste nothwendig eine
sparsame Auswahl getroffen werden, und dabei schien es mir wegen
der überwiegend praktischen Bedeutung der Arbeit wichtiger, makro-
skopische Bilder zu geben, als die histologischen Eigenthümlichkeiten
durch Zeichnungen zu erläutern. Zum Theil glaubte ich dem Hedürf-
niss mikroskopischer Anschauung durch Hinweisung auf die entspre-
chenden Theile der Cellularpathologie zu genügen; andererseits liegen
gerade für diese Seite zahlreiche und im Ganzen leicht zugängliche
Arbeiten von Zeitgenossen vor. Ohnehin hat die Zahl der beigefügten
Holzschnitte ein Maass erreicht, welches nicht wohl überschritten wer-
den konnte, wenn der Preis des Buches nicht zu hoch werden sollte.
Um so mehr Sorgfalt ist auf die Abbildungen verwendet worden. So-
wohl die Original - Zeichnungen, als auch die Holzschnitte und Kupfer-
stiche sind unter meiner steten Aufsicht ausgeführt worden, die
ersteren fast sämmtlich durch Herrn Dworzaczeck, die anderen theils
durch die Herren Link, A. und Fr. Müller hier, theils in den x>lo-
graphischen Anstalten von Brockhaus in Leipzig, Bürckncr in Dres-
den und Mezger in Braunschweig. Ich glaube dadurch gerade für
Vorwort VH
das praktische VerständDiss eine wesentliche Erleichterung herbeige*
fuhrt zu haben.
Meine Auffassung der Geschwülste weicht in vielen Stücken von
der hergebrachten ab. Sie beruht zunächst auf den Grundsätzen, welche
ich in der Cellularpathologie des Näheren entwickelt habe, und sie ver-
stösst in Hauptpunkten gegen uralte humoralpathologische Ueberliefe-
nmgen. Aber ich gebe mich der Hoffnung hin, dass sowohl in der
Pathogeuie und Aetiologie, als auch in der Prognose die von mir vertre-
tene Richtung eine fruchtbare sein werde, und dass der Versuch einer
leuen Ordnung des onkologischen Wissens nicht bloss für die unmit-
telbare Anwendung nützliche Anhaltspunkte gewähren, sondern auch
eäen starken Anstoss zu neuen und geregelten Beobachtungen geben
werde.
Dem Bestreben Vieler, gerade in diesem Gebiete Praxis und Theo-
rie als unvereinbar hinzustellen, setze ich den Versuch entgegen, beide
ii die innigste Verbindung zu bringen, indem ich den genetischen
Standpunkt als den entscheidenden festhalte. Für die Entwickelungs-
geschichte der Geschwülste meine ich, wenn auch keinesweges einen
Abschluss, so doch einen ganz sicheren Boden gewonnen zu haben, auf
welchem jede neue Beobachtung sofort sicher angelegt werden kann. Für
die Aetiologie habe ich mich bemüht, statt verzweifelnder Ausrufe über
die Unmöglichkeit eines wirklichen Verständnisses, in möglich grösster
Vollständigkeit die sicher ermittelten Thatsachen zusammenzutragen und
den Hergang nach der Analogie anderer, genau bekannter
und ergründeter pathologischer Processe zu betrachten. Die
Prognose habe ich ausschliesslich nach empirischen Ergebnissen ge-
lehildert und die theoretische Deutung, welche ich denselben gebe, in
eiaer für Jedermann leicht erkennbaren Weise von der nackten Erfah-
mog gesondert.
S09 denke ich, wird sich die praktische Benutzung des gegebe-
nen Stoffes leicht ergeben, und wenn ich im Allgemeinen darauf ver-
zichtet habe, eingehende Besprechungen über die Behandlung der ein-
zelnen Geschwulstarten hinzuzufügen, so habe ich doch die nöthigen
Hinweise an den zweifelhaften Stellen nicht verabsäumt. Weiter zu
gehen, verbot die Rücksicht auf die Ausdehnung des Werkes, welches
keinen specifisch chirurgischen Charakter erhalten sollte oder durfte,
welches vielmehr allen Zweigen unserer grossen Wissenschaft zu die-
nen bestimmt ist. Denn gerade das betrachte ich als einen Vorzug
meiner Darstellung, dass sie sich über die Grenzen der Specialität
VUI Vorwort
erheben darf, und dass sie, indem sie sowohl innere, wie äussere Or-
gane, eigentlich chirurgische und medicinische, wie ophthalmologische,
dermatologische, gynäkologische Gegenstände in ihr Bereich zieht, all-
gemeine Gesichtspunkte gewinnt und scheinbar auseinanderliegende
Fragen einer gleichmässigen Behandlung unterzieht.
Ich übe damit das schöne Vorrecht der pathologischen Anatomie
und der allgemeinen Pathologie (pathologischen Physiologie), welches ihr
allmählich von den mehr specialistischen Disciplinen eingeräumt wird.
Aber ich übe es mit aller Anerkennung vor diesen Disciplinen, deren
Anspruch, in ihren Gebieten entscheidende Urtheile zu fällen, ich in
keiner Weise angreife. Es liegt auf der Hand, dass meine Darstellung
vom Standpunkte jeder einzelnen Disciplin aus unvollständig erscheinen
muss, da es nicht möglich ist, alle Einzelerfahrungen aus so vielen
Gebieten zu sammeln und zu verwerthen. Erst durch die vereinte Ar-
beit Vieler kann es geschehen, dass die Casuistik, welche nirgends
eine solche Bedeutung und einen solchen Umfang hat, wie gerade hier,
allmählich zusammengezogen und richtig verwendet wird. Ich selbst
habe mich bemüht, alle wichtigeren Beobachtungen an den Original-
quellen zu prüfen und zusammenzufassen; aber ich bin mir doch auch
bewusst, dass Lücken genug geblieben sind, welche dem Auge des
Specialisten nicht entgehen werden.
Trotz dieser Mängel wage ich zu hoffen, dass auch strenge Kriti-
ker mir das Zeugniss nicht versagen werden, dass ich eine ehrliche
Arbeit vorlege, in welcher das Streben nach Wahrheit, nach Unbefan-
genheit und nach Gerechtigkeit vorwaltet. Wo ich mich für befugt
hielt, mein persönliches Recht zu betonen, da habe ich es ohne Ueber-
hebung zu thun versucht, und wenn ich dabei das Recht eines Anderen
verletzt haben sollte, so kann ich wenigstens versichern, dass es un-
absichtlich geschehen ist. Jedenfalls habe ich das Recht der Erfah-
rung über alles andere Recht gestellt, und die Ueberzeugung, dass die
Beobachtung auf richtig gestellte Fragen jedesmal eine Antwort erge-
ben muss, hat mich doch niemals verfährt, die Antwort vor der
Beobachtung zu versuchen. Möchten recht viele die Richtigkeit meiner
Angaben an der Hand der Erfahrung prüfen! Dauu wird sicherlich
für beglaubigtes und geordnetes Wissen ein neues Gebiet erobert sein.
Berlin, am 26. September 1863.
Rvd^ir Virrhow.
Übersicht der Abbildungen.
Seile
Titel kupf er: Fibroma molluscum multiplex. Erklärung 325
Fig. 1. Penetrirender Krebs der Vena cava inferior, von den Lnnibal-
drusen ausgehend 43
. 2. Secundäre multiple Kankroidknoten der Leber 49
, 3. Schematische Darstellung des Geschwnlstwachsthums: Gollek-
tivknoten mit circulären Zonen acccssorischer Knötchen ... 50
, 4. Krebs der LymphgeiUsse au der Lungenoberfläche 52
» 5. Disseminirter Krebs des Peritonäum nach primärem Krebs des
Magens 54
. 6. Schema der Zellentheilung und Granulation 89
« 7. Schema der Bindegewebswucherung 93
. 8. Schematische Darstellung der Differenzirung von Granulations-
zellen zu specifischen Gewebszellen (Cy linder- und Pflaster-
epithel und Bindegewebe) 94
. 9. Schema der organoiden Eutwickelung: Eiu Maschennetz von
Bindegewebe 95
« 10. Senkrechter Durchschnitt durch ein Kephalämatom 130
. 11. Ein aufgeschnittenes Kephalämatom 132
, 12. Obere Fläche eines ossificirenden Kephalämatoms 133
, 13. Othämatom 135
, 14. Grosses, altes Hämatom des Musculus iliacus eines Bluters 144
15. Grosses polypöses Hämatom des Uterus nach einem Abortus
im zweiten Monate 146
16. Polypöse Her vorstülpung der Piacentars teile 148
17. Alte Hydrocele mit höckeriger Sklerose der Albuginea testis
und compressiver Atrophie des Nebenhodens 160
18. Alte Hydrocele. Periorchitis chronica mit narbiger Einziehung
und Verdickung der Albuginea am unteren Hodensegment . 161
19. Periorchitis prolifera 162
20. Freier Körper der Scheidenhaut 163
21. Ulceröse Sklerose der Tunica vaginalis propria nach wieder-
holten Jodinjectionen in einer gemeinen Hydrocele 165
n
M
t»
X Uebersicht der Abbildungen.
Fig. 22. Hydrocele heroiosa 167
» 23. Ein neugebornes Kind mit Spina bifida lumbalis 179
u 24. Längsdurchschnitt der Spina bifida in Fig. 23 180
., 25. Spina bifida sacralis, von hinten her geöffnet 181
», 26. Hydrocele cystica yentriculi quarti bei Lähmung des Facialis 183
„ 27. Ilydrencephalocele palatina von einem Neugebornen 188
„ 28. Mnltiloculäres Ganglion an der Sehne des Musculus semi-
membranosus am Knie 200
.. 29. Uniloculäres Ganglion an der Sehne des Musculus extensor
digiti secnndi pedis 201
» 30. Hygroma cysticum patellare superficiale 205
.» 31. Freie Körper aus einem Doppelganglion der Flexoren am
Handgelenk 207
n 32. Ilaematoma (Hygroma haemorrhagicum) praepatellare .... 209
» 33. Einfaches Atherom vom behaarten Kopftheil 227
„ 34. Zusammengesetztes Atherom von Wallnussgrösse, unter der
Kopfhaut gelegen 229
.> 35. Schleimcysten der Magenschleimhaut nach chronischer Gastritis 235
, 36. Acne indurata colli uteri 239
» 37. Blasenpolypen des Collum uteri, aus dem Orificium externum
her? orhängend 240
» 38. Endometritis chronica cystica polyposa 241
„ 39. Colitis cystica polyposa 243
» 40. Grosser Blasenpolyp der Oberkieferhöhle 246
» 41. Blasenpolyp des Larynx, aus der Murgagni'schen Tasche
hervortretend 246
., 42. Tiefsitzeude Schleimcyste der Vagina 247
. 43. Gallengangscyste an der Leberoberfläche 257
„ 44. Hydrops follicularis ovarii 258
, 45. Cysten der Ala vespertilionis 263
H 46. Hydronephrosis mit fast vollständiger Granularatrophie der
Nierensubstanz 268
ji 47. Hydrops renum cysticus congenitus 270
, 48. Rannla pancreatica 276
« 49. Spermatocele cystica 279
» 50. Haematocystis composita mamroae 284
„ 51. Zasammengesetztes , proliferirendes Cystoid der weiblichen
Bmst mit serösem Inhalt 285
» 52. Elephantiasis dura cruris 308
53. Elephantiasis dura comea apostematosa cniris 310
,. 54. Hyperostosis et synostosis ossium cruris et pedis nach Ele-
phantiasis 312
, 55. Elephantiasis dura ulcerosa pedis 314
« 56. Elephantiasis verraeosa tuberosa labii majoris 320
« 57. Fibroma molluscam 326
Debersicht der Abbiidungen. XI
Seite
Fig. 58. Fibroma inoUascum. Zwei accessorische Hantknoten, inmit-
ten der Cutis entwickelt 327
„ 59. Fibrome der Nieren bei diffuser interstitieller Nephritis . . . 333
. 60. Ein StQck der Synovialhaut des Schultergclenks , bedeckt
mit zottigen Vegetationen 338
. 61. Fibroma papilläre der Gallenblase einer Kuh 340
. 62. Fibroma papilläre intracanalicnlare mammae 342
. 63. Condyloma acuminatnm lobulare, vom Scheideneingang . . . 345
, 64. Naevus papillaris progressivus von der Haut der Ünterkiefer-
gegend eines Mannes 346
. 65. Polypus fibrosus (Fibroma polyposum) vulvae 347
. 66. Fibroma lobulare fasciculatnm aus der Gesässgegend .... 352
. 67. Fibroma heteroplasticum petrificum, aus der Markhöhle des
Unterkiefers hervorgegangen 361
, 68. Lipoma multilobnlare molle 368
« 69. Durchschnitt durch das Lipom in Fig. 68 370
. 70. Lipoma nnilobnlare snbmucosum ventriculi 372
, 71. Lipoma capsnlare mammae scirrhosae 376
. 72. 73. Lipoma polyposum pendulum cutis 380 381
, 74. Lipoma polyposum jejuni 382
. 75. Lipoma epiploicum coli 383
. 76. Lipoma epiploicum arborescens coli 383
, 77. Freier Fettkörper der Bauchhöhle 384
. 78. Freier Körper der Bauchhöhle 385
, 79. Heteroplastisches Lipom aus der Rinde der Niere 386
„ 80. Myxoma cystoides multiplex der Chorion-Zotten (Blasenmole) 406
„ 81. Myxoma fibrosum eines Placentar-Cotyledon 415
„ 82. Myxoma lipomatodes femoris areolare 419
„ 83. Myxoma polyposum racemosum der grossen Schamlippe . . . 421
„ 84. Myxoma fibrosum cystoides aus dem Wirbelkanal 424
„ 85. Myxoma lobulare cystoides des Nervus ulnaris 426
86. Myxoma intracanaliculare arborescens diffusum mammae . . . 428
87. Myxoma multiplex recurrens ulcerosum nervorum antibrachii 431
88. Myxoma lipomatodes malignum des Nervus saphenus major 433
„ 89. Ecchondrosis multiplex trachealis 442
90. „ prolifera spheno-occipitalis perforans 445
91. „ ossea des 10. linken Rippen knorpels 448
92. Corpus mobile articulationis genu (Gelenkmaus) 451
93. Arthritis chronica deformans prolifera coxae 455
94. Corpus mobile conglomeratum articulationis genn 458
„ 95. Aus einem Enchondrom der Fusswurzelknochen. Mikrosco-
pische Abbildung 465
„ 96. Einzelne Knorpelkörperchen aus dem Gallert - Enchondrom
Fig. 99 468
„ 97. Ulceröses Enchondrom des Humerus 486
»»
»»
Xn Uebereicht der Abbildungen.
Fig. 98. Tbeil der Durchschnittäfläche eines lappigen (areolären) er-
weichenden (multiloculären) Enchondroms der fieckenknochen 487
*J9. Cjstisches, erweichendes albuminöses Bnchondrom der Sca-
pula 494
100. Mikroskopischer Schnitt von Fig. 99 495
„ 101. Innere Oberfläche des Cystencnchondroms von Fig. 99 496
f, 102. Hartes, lappiges, ossificirendes Enchondrom der Submaxillaris r)02
„ 103. 104. Enchondroma durum multiplex idiopathicum pulmonis. 508
104. Die Knoten des oberen Einschnittes 509
„ 105. Enchondroma liporoatosum telangiectodes aus dem Wirbel-
kanal 514
,, lO^j*. Metastatische Enchondromc der Lungen von einer Hündin mit
knorpeliger Masse in den Lymphgc fassen 525
„ 107. Osteoidchondrom der Tibia 529
Erste Yorlesung.
8. November 1862.
B^ffsbestimmiiiig und Eintheiluiig der Geschwülste.
Verschiedene Anvendnngsweise des Ausdruckes „Oeschwtilst". Die entzündlichen An»chwelliuiKen,
die rsendoplasmen, die rystischen Geschwülste. Der geuotioche Grundgedanke einer wisien-
schafUichen Systematik. Classification. Das anatomische und das physiologi^tche Princip. Gut-
artigkeit und Bösartigkeit: Lupus, Cancer. Gestalt und Consistenz als Eintheilungsgrund :
Carcinom, Tuberkel, Polyp, Fuugus, Blumenkuhlgewächs, Perlgoschwulst; — Hygrom, Mcliceris,
Colloid, Atherom, Skirrhus, Steatom. Aehnlichkett mit Korpertheilen : Pancreas- und Brust-
drnsenarüges Sarkom. Vergleichung mit Geweben.
Das Gebiet der pathologischen Dinge, welche man mit dem Namen
der Geschwülste belegt, ist keinesweges ein streng wissenschaft-
Hch abgegrenztes*). Im Gegentheil, es ist vollständig unmöglich,
wenn man die verschiedenen Dinge, welche in den verschiedenen
Zweigen der Medicin als Geschwülste bezeichnet werden, zusam-
mennimmt, zu sagen, was eigentlich ihr gemeinsames Gharakte-
risticum ist, wodurch sie sich von anderen Dingen unterscheiden.
Dieselben Schwierigkeiten, die wir in unserer Sprache haben, in-
dem wir den Ausdruck „Geschwulst" anwenden, finden sich auch
in anderen Cultur- Sprachen wieder, wo man in der Regel den
lateinischen Ausdruck Tumor oder eine Ableitung davon ge-
braucht. Das Wort Geschwulst, Tumor, hat ursprünglich einen
*) Yergl. mein Archiv für path. Auatomie und Pliysiol. und für klin. Me-
dicin. 1847. Bd. I., S. 223, sowie mein Handbuch der speciellen Pathologie
und Therapie. Erlangen, 1854. Bd. L, S. 334 folg., wo überhaupt die Grund-
lagen der allgemeinen Anschanung für dieses Gebiet entwickelt sind.
Virchow, Geschwülste. 1. 1
2 Er>te Vorlesung.
^])fi\ SO allgemeinen Sinn, wie da< griechische Wort oyxoq (lat
uncus), und noch im heutigen Sprachgebramh ist es keineswegei
beschrankt auf diejenigen Dinge, welche man meint, wenn mai
von ^Geschwülsten" im engeren Sinne spricht. Die Entzündungs
g<'S<hwulst, der Tumor inflammatorius, den doch noch alle Wel
zulässt*), wird gegenwärtig fast allgemein von dem Gebiet de;
Geschwülste ausgeschlossen. Nur Küss**)hat ihn unter den
Namen des Phlogoms wieder in seine Stelle zu setzen gesucht.
Früherhin war es freilich anders, und einzelne Erinnerungei
an den alten Gebrauch haben sich noch erhalten, <lenn das Ge-
biet der Geschwülste hat sich im Laufe der Zeiten bald erweitert
bald verengert, je nachdem das augenblickliche Bedürfniss es mi
sich brachte. Es ist dabei namentlich bestimmend gewesen das
Bedürfnis» der Chirurgen, weil be^creiflicher Weise gerade äussere
Dinge es sind, nach denen man zunächst diese Bezeichnung wählt.
Es würde Niemanden einfallen, einen Hydrothorax oder überhaupt
eine Affection, welche die ganze Pleura betrifft un<l wobei in ihren
Sack eine Flüssigkeit ergossen wird, eine Geschwulst zu nennen,
während man doch an der Tunica vaginalis des Hodens dasselbe
eine Geschwulst nennt, nehmlich die Hydrocele. So bestimmt
also rein die Oertlichkeit, ilass man das eine Geschwulst nennt,
<las andere nicht. Auch in einzelnen anderen Fällen hat sich
eine Tradition aus derjenigen Zeit, wo man noch nicht die Ge-
Kchwülste in unserer Weise abgrenzte, erhalten, indem man die
Gesammtvergrösserung einzelner bestimmter Organe Tumor nennt
So spricht man noch heut zu Tage viel von Milztumoren, wobei
man doch nichts anderes im Sinne hat, als eine das ganze Organ
betreffende VergrOsserung, die man an anderen Organen als Hy*
pertrophie oder genauer Hyperplasie bezeichnen würde. Milztu-
mor bedeutet also nicht eine Geschwulst in der Milz, sondern eine
geschwollene Milz. Einen einfach vergrösserten Hoden pflegt man
nicht einen Hodentumor zu nennen; wenn man von einem Hoden-
tumor spricht, so meint man, das in dem Hoden etwas von dem
Hoden verschiedenes vorhanden ist, was in der Kegel nur einen
Tlieil des Organes einnimmt, gelegentlich auch wohl die ganze
*) llior und da hat man, und K^swintt nicht ohne Nutzen, zwibohcn der
<*iufM*hen Antichwellunfi: (Intumcscontla) uml der Ge^chwul^t (Tumor)
im iMißvriMi äinno xu unterscheiden aii{;(*fan}:;cn.
**) K. KOMM de la voAouhmti* et de Thiflaromatitiu. Strasb. 184G. p. 40.
Begriff der Qesclrwuldt. 3
Sabstanz ersetzen kann, aber doch auf alle Fälle etwas anderes
ist als Hodensabstanz. So verschieden äussert sich der Sprach-
gebrauch.
Wollte man auch Jemand auf das Blut pressen, dass er sagen
sollte, was Geschwulste eigentlich seien, so glaube ich nicht,
dass man irgend einen lebenden Menschen finden würde, der in
der Lage wäre, dies sagen zu können. Es ist sehr wichtig,
von vorn herein festzustellen, dass Geschwülste nicht eine
ihrer Natur und ihrem Wesen nach abgegrenzte Gruppe
von Dingen sind, sondern dass man sie abgrenzt einfach nach
dem praktischen Bedürfniss, nach der durch die jeweilige
Lage der angewendeten Wissenschaft gebotenen Zweckmässigkeit.
Es liegt daher sehr wesentlich in der Hand des Einzelnen, ob er
ein gevnsses Ding als Geschwulst anerkennen oder es aus diesem
Gebiete hinaus werfen will. Der Sprachgebrauch allein, die Tra-
dition ist nicht entscheidend. Wenn man nur bis in den Anfang
des vorigen Jahrhunderts zurückgeht, so wird man finden, dass
damals der Begriff der Geschwülste sich sehr weit über das Maass
dessen hinausdehnte, was man jetzt darunter versteht, dass ins-
besondere eine grosse Masse von entzündlichen Anschwellungen
in diese Gruppe hineingerechnet wurden, z. B. der Garbunkel,
der Anthrax, der Furunkel, das Oedem*), — eine Reihe von
Dingen, die man heut zu Tage nicht abzuhandeln pflegt in der
Reihe dieser Bildungen. Wir werden später sehen, dass ein in-
nerer Grund für die Scheidung der Geschwülste von den entzünd-
lichen Anschwellungen in der That nicht vorliegt. Unzweifelhaft
könnte man einen Abscess, der eine gewisse Grösse erreicht hat,
eben so gut einen Tumor nennen , wie man einen Krebs so be-
nennt. Allein man hat es für bequemer erachtet, den Abscess
auszuscheiden, weil bei ihm in der Regel diagnostische Schwierig-
keiten von Erheblichkeit nicht bestehen und das praktische Bedürf-
niss es nur erfordert, dass man diejenigen Dinge in der Kategorie
der Geschwülste zusammenfasst, bei denen die Gefahr diagnosti-
scher Irrthümer nahe liegt. So ninmit man am Hoden die Hy-
drocele mit in die Reihe der Geschwülste auf, weil sich sehr
*) Bei Hippocrates bedeutet Oedema eigentlich jede Art von An-
schwellung oder Geschwulst, nnd erst die Späteren unterschieden von dem-
selben die Phlegmonen und Skirrhen. Galen, in Hb. Hippocr. de iis quae
in medicatrina nunt Gomm. lib. 3., sect. 30.
4 Erste Vorlesung.
häufig die Frage aufwirft: Ist es eine Hydrocele? oder ist es eine
Geschwulst des eigentlichen Hodens (Sarcocele)? oder eine Com-
bination von beiden? Deshalb erschien es zweckmässig, die Hy-
drocele neben der Sarcocele abzuhandeln, während kein solches
Bedfirfniss vorlag, den Hydrothorax abzuhandeln neben einem
wirklichen Gewächs der Pleura, z. B. einem Sarkom.
Nach diesem diagnostischen Bedürfniss hat sich in den ver-
schiedenen Zeiten die Eintheilung gerichtet. In dem Maasse,
als man über die eigentlich entzündlichen Anschwellungen klarer
geworden ist, als man näher liegende Kriterien gewonnen hat,
sie zu unterscheiden, hat man sie aus der Reihe der Geschwülste
hinausgeworfen, während früher, wo die Diagnose auf schwächeren
Füssen stand, es zweckmässig war, sie mit in diese Gruppe hin-
einzunehmen*).
Weil nun eben nach diesem rein äusserlichen Bedürfniss die
Zahl der Dinge, welche in diesem Capitel zusammenstehen sollen,
aneinander gereiht werden, so ist es begreiflichei'weise auch
nicht zulässig, dass man den Ausdruck der Geschwülste, der
Tumoren, durch einen andern Ausdruck, der schon einen ganz
bestimmten genetischen Gesichtspunkt enthält, ersetzt. Wenn man
z. B. statt „Geschwülste'^, wie dies in der neueren Zeit sehr
vielfach geschehen ist, sagen wollte „Pseudoplasmen^, so trifft
diese Bezeichnung auf eine ganze Reihe von Geschwülsten nicht
zu. Eine Hydrocele ist an sich kein Pseudoplasma, denn es
handelt sich dabei zunächst nicht um einen Bildungs Vorgang,
sondern um anomale Absonderung, wodurch Flüssigkeit angehäuft
wird, um einen mehr secretorischen Vorgang. — Das gilt
nicht blos für die Hydrocele, sondern für eine ganze Reihe von
anderen Dingen, welche Niemand Bedenken trägt in die Kategorie
der Geschwülste zu setzen, und welche auch diejenigen, die von
Pseudoplasmen sprechen, ganz einfach dahin rechnen, namentlich
von vielen cystischen Bildungen. Eine solche Verwirrung ist unzu-
lässig. Vielmehr, wenn wir diese verschiedenen pathologischen
Erzeugnisse mit einander vergleichen, so lässt sich eine sehr
durchgreifende Scheidung machen, indem man diejenigen Bildun-
*) Im gej^ebeiien einzelnen Falle verschieben sich die Grenzen ieduch
fortwährend in eanz natürlicher WeiBC. Man vergleiche nur solche Arbeiten,
welche die Geachwaiste einer bestimmten Region behandeln z. li. Schuster,
lieber TboraxgeschwOlste. Erlangen, 1851.
Der genetische Grundgedanke der Classification. 5
gen, welche wirklich durch einen anomalen plastischen Vor-
gang erzeugt werden, in eine besondere Gruppe zusammenfasst
und sie von den übrigen durch einen grossen Strich trennt. Diese
Gruppe kann man als Pseudoplasmen bezeichnen. Da handelt es
sich in der That um Bildungs Vorgänge, durch welche gewisser-
massen falsche Gewebe, Telae spuriae erzeugt werden. In dem
Rest, welcher Übrig bleibt, nachdem man diese Produkte anoma-
ler Plastik abgelöst hat, kann der plastische Vorgang höchstens
als ein secundarer und accidenteller erscheinen, und das Haupt-
gewicht für die Anschauung muss nothwendig auf denjenigen
Vorgang fallen, durch welchen die Geschwulst eigentlich entsteht,
z. B. auf die Secretion. Es versteht sich daher von selbst, dass
der Grundgedanke eines jeden Systems der Geschwülste, man
mag ihr Gebiet nun so weit stecken oder so sehr beschränken,
wie man will, der genetische sein muss. Wie entsteht die
Geschwulst? Das ist die erste und wichtigste Frage.
Leider hat man daran wenig gedacht. In der Regel ist man
von dem Gesichtspunkt ausgegangen, dass die ganze Masse der
Geschwülste wirklich eine in sich 7Aisammengehörige Reihe von
Bildungen darstelle. Dem entsprechend hat man natürlich auch
ihre Classification einfach in der Weise angelegt, dass man
dieses gesammte Gebiet sofort in ünterabtheilungen und die Un-
terabtheilungen wieder in kleinere Gruppen zerlegte. Dabei hatte
man immer nur die Wahl zwischen zwei Principien, dem anato-
mischen und dem physiologischen. Entweder nehmlich konnte
man die anatomischen Eigenschaften, die äusseren und inneren
Merkmale des Gebildes in den Vordergrund stellen und danach
den Versuch der Classification machen, oder man konnte gleich-
sam die lebendigen Eigenschaften des Gebildes, die Relation des-
selben zu dem übrigen Körper, die Wechselwirkungen, welche
zwischen der Geschwulst und dem Individuum bestehen, in den
Vordergrund schieben.
In früheren Zeiten hat man sich im Allgemeinen, entsprechend
dem unbefangeneren Standpunkt der älteren Aerzte, mehr an das
Anatomische gehalten, freilich nicht an das Fein -anatomische,
sondern an die grobe Erscheinung. Man war um so mehr in
der Lage dazu, als man die entzündlichen Geschwülste mit in
dieses Gebiet hineinzog, und als bei diesen kein Zweifel darüber
^in kann, dass derselbe Vorgang unter umständen eine sehr
(} Erste Vorlesung.
Hchlimtne, unter aDderen Umständen eine relativ gute Wendung
nehmen kann, dass also die Richtung, in welcher der Process
Hich entwickelt, das eine Mal gleichsam zum Verderben fuhren
muss, das andere Mal keine, wie man zu sagen pflegt, y,Nei-
gung^ zeigt, einen verderblichen Charakter anzunehmen, da^s es,
um gleich die entscheidenden Worte zu gebrauchen, Entzündungen
giebt, welche, ohne in sich selbst ursprünglich verschieden zu
sein, doch bald einen gutartigen, bald einen bösartigen
Verlauf nehmen: Inflammatio benigna und Inflammatio maligna.
Die Alten waren an die Vorstellung gewöhnt, dass unter Um-
ständen derselbe Process bald diese, bald jene Richtung nehmen
könne.
Späterhin dagegen hat man um der praktischen Bequemlich-
keit wiUen es für nützlich erachtet, diese „Neigungen" der Ge-
schwülste, diese Tendenz auf das Gutartige oder auf das Bösartige
in den Vordergrund zu stellen und die Geschwülste überhaupt
danach einzutheilen. Es ist dies ein an sich sehr natürliches
Bestreben, denn der praktische Arzt wird jedesmal, sobald er eine
Geschwulst erblickt, sofort daran denken, welche Bedeutung sie
für den Kranken haben kann und haben muss, und in welcher
Weise sein eigenes praktisches Verfahren danach bestimmt wer-
den wird. Indess, so natürlich dies ist, so ist damit noch nicht
entschieden, ob es auch das zweckmässigste ist, mit dieser Frage
zu beginnen, ob man also gleich von vom herein seine Einthei-
lung der Geschwülste so machen muss, dass sofort mit dem Namen
der Geschwulst auch die Bcant^ortimg jener Frage gegeben ist.
Es ist dies eine Streitfrage, welche bis auf den heutigen Tag
nicht ausgetragen ist, und über welche gelegentlich jedes Jahr,
bald in Schrillen, bald in akademischen Discussionen die mannich-
faltigston Ansichten vorgetragen werden. Wissenschaftlich aufge-
fasst kann über die Beantwortung dieser Frage, glaube ich, kein
Zwrifol sein. Pa unzweifelhaft die Geschwülste mindestens
Naturprodukte sind, so haben sie zunächst, wie jede Erschei-
nung dieser Welt, das Recht und den Anspruch, objectiv beur-
theilt zu worden n.ich ihrem Wesen, nach ihren Eigenschaften;
dir Dodeutung, welche sie für andere Erscheinungen, also insbe-
HondiTo fnr andere Thoile des Körpers oder den ganzen Körper
hnb«Mi, muss ftlr die Untersuchung f^in zweiter, ein secundärer
Punkt Hoin. Km verhält sich in der Pathologie ebenso, wie in
Bösartigkeit. 7
den anderen Naturreiclien. Es lässt sich keinen Augenblick be-
zweifeln, dass es sehr wichtig ist, in der Botanik die Nutzpflan-
zen und die Giftpflanzen genau zu kennen; aber es würde eine
sehr schlimme wissenschaftliche Methode sein, wenn man for-
dern wollte, es solle sich die Forschung des Botanikers zunächst
darauf wenden, festzustellen, welche Pflanzen nützliche und welche
schädliche seien, und danach solle die Classification des botani-
schen Systems gemacht werden. Wir wissen ja, dass in dersel-
ben Klasse, in demselben Genus von Pflanzen beiderlei vor-
konmit, Nutzpflanzen und Giftpflanzen; ja wir wissen, dass an
derselben Pflanze ein Theil giftig, der andere nahrhaft ist, dass
wir also im höchsten Grade in das Ungewisse gerathen würden,
welchen Theil oder welche Species wir für die Classification als
bestimmend ansehen sollten. Gewiss hatte es einen gewissen prak-
tischen Werth, eine grössere Gruppe von fressenden Bildungen
Lupus zu nennen. Das waren die Wölfe, die fressenden Raub-
thiere der Pathologie. Den Alten kam es hinterher sehr wenig
darauf an, bb das, was sie unter dem Namen Lupus oder dem
Namen Cancer zusammenfassten , gerade wissenschaftlich zusam-
mengehörte. Ja es ist gar nicht so lange her, da war Cancer
einmal ein Krebs, ein Carcinom; dann gab es wieder einen Cancer,
das ist unser heutiger Schanker, das syphilitische Geschwür, wel-
ches mit dem Carcinom nicht das Leiseste gemein hat; dann
hatte man wieder den Cancer aquaticus, den Wasserkrebs, den
wir heut zu Tage Noma nennen, eine gangränöse Entzündungs-
form. Auf den ersten Blick mag es sehr nützlich erscheinen,
diese verschiedenen Dinge unter dem Namen Cancer zusammen
zu fassen; dann weiss man gleich: es frisst, und wer das noch
besonders hervorheben will, der sagt, es sei ein Esthiomenos.
Aber ob damit etwas Wesentliches gewonnen ist für die An-
schaimng oder gar für die Behandlung des Falles oder endlich
für die Richtung, in welcher etwa die weitere Untersuchung zu
leiten ist, das darf doch wohl nach aller Erfahrung bezweifelt
werden.
Die wirkliche Wissenschaft in diesen Dingen hat erst von
dem Augenblick an begonnen, wo man die Dinge auseinander
gelöst hat, ohne irgend eine Rücksicht auf ihre fressenden oder
räuberischen Eigenschaften. Gewiss hat man damit ebenso recht
gethan , wie man in der Zoologie Recht hat, dass man nicht alle
g Erste Vorlesung.
Raubthiere in eine Gruppe zusammenthut, sondern dass man die-
jenigen Raubthiere, welche zu den Säugethieren gehören, zu den
Säugethieren, die, welche zu den Vögeln gehören, zu den Vö-
geln, und die, welche zu den Fischen gehören, zu den Fischen
stellt, und dass man sie auch nicht innerhalb dieser Klassen zu
besonderen Abtheilungen zusammenfasst, sondern sie da unter-
bringt, wo sie ihrer Organisation, ihrem Wesen nach hingehören.
Aehnlich verhält es sich auch mit den Menschen. Wenn man
sagt: das ist ein räuberischer Stamm, das eine räuberische
Nation, so mag das auf den ersten Blick und im Grossen eine
sehr treffende Bezeichnung sein; aber wenn man annehmen
wollte, dass alle Individuen dieses Stammes oder dieser Nation
sich eines gleichen Grades von räuberischen Eigenschatten zu
erfreuen hätten, so würde das unzweifelhaft falsch sein. So
verhält es sich auch mit den Geschwülsten.
Während ich also vollständig anerkenne, dass man von jeder
einzelnen Geschwulstart wissen muss, welche Eigenschaften
sie besitzt in Beziehung auf andere Theile des Körpers und auf
den Gesammtkörper, welche Einwirkungen sie darauf ausüben
kann, und ob diese Einwirkungen in einem hohen oder in einem
geringen Maasse nachtheilige sind, so läugne ich doch, dass man
davon ein wissenschaftliches Eintheilungsprincip herleiten könne
und dass es nützlich sei, diesen Gesichtspunkt obenan zu stellen.
Vielmehr halte ich es für ganz unmöglich, irgend einen befriedi-
genden Gesichtspunkt der Classification aufzufinden, der nicht in
der inneren Natur der Geschwülste selbst begründet ist, der nur
von ihren äusseren Beziehungen, nicht von ihrer inneren Einrich-
tung und ihrer Entstehung ausgeht. Da wir nun aber unglücklicher
Weise weder durch die Chemie noch durch die Physiologie Anhalts-
punkte haben, welche über diese inneren Verhältnisse und die
Entstehungsgeschichte vollständigen Aufschluss geben, da wir
wesentlich auf die Anatomie angewiesen sind, so liegt es nahe,
dass man sich gegenwärtig zunächst auf den anatomisch-
genetischen Standpunkt stellt und von diesem aus die Ein-
theilung versucht. Wenn man sich übrigens erinnert, dass dieser
Standpunkt in allen übrigen Naturwissenschaften sich als nützlich
erwiesen hat, dass die gesamn^te Zoologie und Botanik auf dieser
Basis allmählich in die moderne Form übergeführt worden sind,
so wird man sich im Voraus trösten lassen, wenn man nicht so-
Die Gestalt als EintbeilaDgsgrund. 9
fort durch die ersten Anfänge des Classiiicirens in die eigentliche
Praxis geführt wird.
Fruherbin, man kann sagen, bis in den Anfang dieses Jahr-
hnnderts, hat man sich bei der Untersuchung der anatomischen
Eigenschaften, des Baues und der Structur der Geschwülste in
der Regel an sehr wenige Merkmale gehalten. Entweder legte
man einen überwiegenden Werth auf das Aussehen und die
äussere (jestalt, in welcher sich das Ding darstellte, oder
man nahm wesentliche Rücksicht auf die Gonsistenz oder
den Grad von Resistenz, den die Geschwulst beim Finger-
dmck darbot.
Das Aussehen war bestimmend für die Wahl des Namens
Carcinom. Namentlich an der weiblichen Brust sieht man diese
Geschwulst nicht selten als einen harten Körper, um welchen
herum die Blutgefässe Ausstrahlungen bilden, wie die Füsse
eines Krebses*). Aber manche nicht carcinomatöse Geschwulst
hat dieselbe Zeichnung und man würde sich arg tauschen, wenn
man alle gleich gezeichneten Formen identificiren wollte. Was die
äussere Gestalt anbetrifit, so sprach man z. B. von einem Knote ni,
Tuberculum, oder von einem Polypen, oder von einem Fungus.
Das waren drei Verschiedenheiten, welche beurtheilt wurden allein
nach der äusseren Gestalt. Wenn das Ding sich einfach rundlich über
die Oberfläche erhob, dann sagte man Tuberculum, ein Knötchen**).
Gerade so wie man in der Osteologie ein Tuberculum majus und
minus und verschiedene Tubercula anonyma und innominata hat,
so sollte in der Pathologie Tuberkel zunächst nichts anderes be-
deuten, als irgend einen Knoten. Schon die Alten waren sich
bewusst, dass diese Form kein eigentlicher Eintheilungsgnmd sein
könne; im Gegentheil, sie waren überzeugt, dass es verschiedene
Arten von Tuberkeln gäbe, und dass erst die inneren Eigen-
schaften darüber entscheiden müssten, zu welcher Art von Tuber-
♦) In mamillis saepe vidimus tumorem forma ac figura cancro animali ex-
quisite consimilem. Nam quemadmodum in isto pedes ex utraque parte sunt
corporis, ita in hoc morbo venae distenduntur, ac figuram omnino similem
cancro repraesentant. Galen, de art. curat, ad Glaucon. üb. 2., cap. 10. Vergl.
Actuarius lib. 2. ni^i Siayv. nud^, cap. 35., der noch die Schwierigkeit der
EnÜemung hinzufügt.
•♦) Griechisch Phyma. Potissimum eos tumores hoc nomine yocant, qui
extra corporis superficiem extuberant: verum ob nominis alterius inopiam
interdnm et latos pauloque naturalibus partibus elatiores hoc nomine appel-
lant Galen, in ubr. 6. Hippocr. de morb. Tulg. comm. 1. sect. 13.
10 Erste Vorlesung.
kein das gerade vorliegende Ding gehörte. Sie sprachen einmal
von einem Tuberculum scirrhosum, das war nach unserer heuti-
gen Bezeichnung ein Krebs; ein anderes Mal von einem Tuber-
culum scrophulosum , das war wenigstens zuweilen der heut zu
Tage sogenannte specitische Tuberkel.
Ebenso verhält es sich mit dem Polypen. So nannte man
ursprünglich die Geschwülste der Nasenhöhlen, welche sich in
Form grösserer Zapfen, wo möglich gestielt, über die Ober-
fläche erheben. Die Anforderung, dass sie viele Füsse haben soll-
ten, hat man frühzeitig fahren lassen und sich an die Vergleichung
mit den bekannten Thieren*) gehalten, von denen manche fest
sitzen, gerade wie die pathologischen Polypen. — Wenn das Ding
endlich über einer dünneren Basis eine umgestülpte, schwamm-
oder pilzähnliche Anschwellung bildete, so nannte man es Fungus.
Aber wie es eben in der Welt geht, obwohl dies äusserliche
Bezeichnungen waren und man sich durch die Beobachtung leicht
hätte überzeugen können, dass dasselbe Ding einmal als Tuberkel,
das andere Mal als Polyp, das dritte Mal als Fungus vorkommen
kann, ja, obwohl nicht selten an der Hautoberfläche dieselbe Ge-
schwulstart in diesen drei verschiedenen Formen sich gleich-
zeitig darstellt, zuweilen ganz dicht neben einander, so ist es doch
dahin gekommen, dass man wirklich eine durchgreifende Schei-
dung gemacht hat und dass wir Special -Abhandlungen nicht blos
über Tuberkel, sondern auch über Polypen und über Fungen be-
kommen haben, gleichsam als ob das vollständig auseinander lie-
gende Dinge wären. Dem gegenüber müssen wir vor Allem fest-
stellen, dass die äussere Form keineswegs immer noth-
wendig mit dem inneren Wesen zusammenhängt**).
Es giebt freilich gewisse Geschwülste, welche regelmässig in
einer bestimmten Form vorkommen, und für diese wird es sich
allerdings empfehlen, eine entsprechende Bezeichnung zu wählen.
Ein Theil desjenigen, was man heut zu Tage in der Pathologie
Tuberkel nennt, kommt wirklich immer in der Form von Knötchen
vor; daher hat sich ganz natürlicher Weise allmählich aus dem
•) Polypus tumor est praeter naturaro in naribus oboriens, ex marini
polypodis similitudine nomen sortitus, tarn quod iliius carnem repraesentet,
tum qnod suo complexu qnemadmodum ille captantes nlciscitiu-, nares ipso-
mm comprehendens. Aeg. lib. 6. cap. 25.
•*) CeUnlarpaihologie 3. Ana. S. 432.
Morphologische Bezeichnung. 1 1
CoUectivbegriff »Tuberkel** der Begriff des specifi sehen Tuber-
kels abgesondert, und wir verstehen jetzt unter diesem Worte eine
ganz besondere Art von Knoten, nur eine der früher unter diesem
Namen zusammengefassten Bildungen.
Dagegen hat man in der neueren Zeit eine besondere Geschwulst-
form unter dem Namen des Blumenkohlgewächses (Tumor
cauliflorus) beschrieben, weil die Oberfläche derselben eine grosse
Aehnlichkeit mit der Oberfläche einer Blumenkohlblüthe hat. Diese
Bezeichnung ist an sich ganz zutreffend; aber wenn man glauben
wollte, es wäre das Blumenkohlgewächs eine in sich vollständig
abgeschlossene Art, die als selbständige neben den anderen Ge-
gchwulstarten aufgefasst werden müsste, so täuscht man sich; es
ist blos eine der Erscheinungsformen, in der gelegentlich die
Warze oder das Cancroid auftreten können, welche ein anderes Mal
in vollkommen flacher Gestalt erscheinen. Es ist also die Blu-
menkohlgeschwulst eine Unter - Abtheilung der Warze oder des
Cancroids, und ftr diese Unter -Abtheilungen kann man den Na-
men ganz zweckmässig beibehalten.
Hinwiederum haben wir rein von der äusseren Form und Erschei-
nung her eine Geschwulstart, wo die einzelnen Theile in der
Gestalt von Perlen erscheinen, Perlgeschwulst genannt. Es
ist dies eine bezeichnende und glückliche Ausdrucksweise, die in
der That einer besonderen Art von Geschwulst beigelegt werden
kann und dieselbe von anderen Arten sehr leicht unterscheidet.
Aus diesen Beispielen ist ersichtlich, dass man sowohl für
Arten als far Unter- Arten der Geschwülste solche von der äusseren
Form hergenommene Ausdrücke anzuwenden berechtigt ist. Aber
damit darf man sich nicht genügen lassen; immer muss man erst
untersuchen, in wie weit die äussere Form aus dem inneren Wesen
resultirt, wie es bei der Perlgeschwulst, bei dem Tuberkel der
Fall ist, oder in wie weit sie blos durch accidentelle Verhältnisse
der Localität bestimmt wird, wie es bei Schwämmen, bei Blumen-
kohlgewächsen der Fall zu sein pflegt*).
Aehnlich verhält es sich mit den Namen, die von der Consi-
stenz hergenommen sind**). Eine grosse Menge von Ausdrücken,
die wir noch heut zu Tage anwenden, basiren ursprünglich auf
•) In dieselbe Kategorie gehören die Bezeichnungen des Ganglion, Mol-
loftcum, Condvloma, Cheloid u. s. w.
•♦) Cellufarpathologie, 3. Aufl. S. 430.
12 Erst« Vorlesung.
der Vergleichung , die man zwischen Geschwülsten und anderen
bekannten Objecten anstellte ; ja es sind diese Bezeichnungen noch
bis in die neuere Zeit hinein vermehrt worden. Man sprach schon
lange von einer Wassergeschwulst, einem Hygroma, weil der
Inhalt eine vollkommen wässrige Beschaffenheit hat. Es versteht
sich von selbst, dass er kein reines Wasser ist, indess ist er eben
so dünnflüssig wie Wasser. Weiterhin sprach man von einer
Honiggeschwulst, Meliceris, weil der Inhalt dieselbe dickliche,
leicht fadenziehende Beschaffenheit, wie wir sie am Honig kennen,
vielleicht auch die Färbung des Honigs hat. In der neueren Zeit
hat man eine Geschwulstform aufgestellt, wo der Inhalt eine grosse
Aehnlichkeit darbietet mit der gallertartigen Beschaffenheit, welche
gewöhnlicher Tischlerleim (CoUa) zeigt, wenn er aus dem flüssigen
in den festen Zustand übergeht; in dieser Zeit erstarrt bekanntlich
der Leim zu einer Gallerte, die anfänglich noch hin und her be-
wegt werden kann und beim Anstossen leicht zittert; davon hat
man gewisse Geschwülste, die eine ähnliche Beschaffenheit des
Inhalts darbieten, Colloidgeschwülste genannt. So stammt
der Name des Atheroms von dem breiigen, grützartigen Inhalt
mancher Geschwülste, der in der That daran erinnert, wie wenn
man gewöhnliche Hafer- oder Gerstengrütze etwas dick eingekocht
sieht, wo einzelne noch zusammenhaltende Körner in der gleich-
massig gewordenen Gnmdmasse eingelagert sind.
Die Bezeichnungen des Hygroms, der Meliceris, des Colloids,
des Atheroms kann man noch heut zu Tage anwenden und man
wendet sie an; aber man hat sich doch allmählich klar gemacht,
wie der Inhalt eigentlich zu Stande kommt, wie er zusammenge-
setzt ist, wie er gebildet wird, wie das Ganze entsteht, und
wir können nicht mehr jede beliebige Geschwulst, welche einen
breiigen Inhalt hat, Atherom nennen, weil einmal a^/prj Grütze
bedeutet. Es giebt Krebs- und Cancroidformen, wo in einem ge-
wissen Stadium der Entwickelung der Inhalt atheromatös wird,
vollständig breiartig sich darstellt ; aber es würde sehr falsch sein,
wenn wir diese Form des Krebses (Cancer pultaceus) zum Athe-
rom rechnen wollten. Im Gegentheil, wir haben gegenwärtig eine
gewisse, in sich abgeschlossene Art von Geschwülsten, auf welche
dieser Name beschränkt wird; und es mögen noch so viele an-
dere Geschwülste vorkommen, die gelegentlich auch einen
breiigen Inhalt bekommen, wir sondern sie von dem Atherom ab.
Consistenz als Eintheilangsgrund. 13
Dieses allmähliche Trennen scheinbar gleichartiger, aber ihrer
Entstehung und Bedeutung nach ganz verschiedenartiger Dinge
ist allerdings eine Operation von oft sehr grosser Schwierigkeit,
die deshalb in der Geschichte der Medicin sich über sehr lange
Perioden erstreckt und die noch jetzt in vielen Stücken fortgeht
Denn vrenn wir die moderne Form des CoUoids ins Auge fassen,
so ist darin der Process der Scheidung noch nicht vollendet, es
wird noch immer daran gearbeitet, in wie viele Gruppen diese
scheinbar einfache Geschwulstart zertheilt werden muss und wo
die einzelnen, durch die Zertheilung gewonnenen Objecte hinge-
than werden sollen. Erst von dem Augenblicke an, wo wir einen
colloiden Krebs, ein coUoides Enchondrom und eine colloide Binde-
gewebsgeschwulst haben, wo „colloid** zum Adjectiv geworden ist,
beginnt die wirkliche, auch praktisch brauchbare Erkenntniss. So
lange vrir weiter nichts wissen, als dass die Geschwulst eine
gallertartige Beschaffenheit hat und deshalb CoUoid genannt wer-
den muss, so lange können wir praktisch damit nichts anfangen,
80 lange wissen wir nicht, welche Bedeutung das Ding für den
Kranken haben kann. Es genügen solche äusseren Aehnlichkeiten,
welche man von der Vergleichung der Consistenz mit anderen be-
kannten Objecten hergenommen hat, in keiner Weise. Ob das
Ding sehr hart ist und man es deshalb in früheren Zeiten einen
Skirrhus genannt haben würde, oder ob es weniger hart ist
und deshalb ein Steatom*) heissen könnte, das entscheidet
nicht mehr über die Wesenheit der Geschwulst. Was die Alten
ein Steatom im Uterus nannten, ist etwas ganz Anderes, als
was sie am Nerven ein Steatom hiessen, und unter dem Begriffe
der Skirrhen hat man zu verschiedenen Zeiten so verschiedenartige
Dinge zusammen geworfen, z. B. einfache Indurationen und wirk-
liche Krebse, dass es einer der wichtigsten Fortschritte gewesen
ist, als man sich daran gewöhnte, den Namen Skirrh zu beschrän-
ken auf eine bestimmte Form des Krebses. Früher war Skirrh
etwas besonderes und Colloid etwas besonderes; heut zu Tage
haben wir einen skirrhösen Krebs und einen colloiden Krebs.
*) Ursprünglich bedeutet Steatoma offenbar eine mit Fett gefüllte Balg-
eeschwulst, denn es steht immer parallel mit Atherom und Meliceris (vgl.
Galen, de tarn, praet. nat. cap. 5. Meth. medendi lib. 14. cap. 12.). Später
hat man darunter gerade gewisse Formen der Vollgeschwülste verstanden
z. B. Fibrome der Haut, Osteosarkome, Neurome, kurz feste Gleschwülste mit
„speckiger" Consistenz.
]4 Erste Vorleson^.
Mit Tollem Reehte daher ist man später einen grossen Schritt
weiter gegangen, als man sieh der Ceberzeagong nicht mehr ver*
schliessen konnte, dass gewisse Geschwülste Uebereinstim-
mongen darbieten mit gewissen Theilen des Körpers.
Indem man diese Geschwülste auch mit Namen belegte, welche
den analogen Theilen des Körpers entsprachen, so gewann man
dadurch zuerst den Eingang in eine verstandigere Auffassnng und
Bezeichnung. Als man erfuhr, dass es eine Form von Geschwül-
sten gebe, die aus Fettgewebe bestehen, und als man diese Fettge-
schwülste nannte, da hatte man eine unmittelbare Beziehung zwi-
schen dem normalen Fettgewebe und der pathologisch neugebildeten
Fettgeschwulst Als man sich überzeugte, dass der Körper an sei-
ner Oberfläche mit einer hornigen Lage von Epidermis überzogen
ist, was man früher nicht wusste, da verstand es sich von selbst,
dass die hornigen Auswüchse auf der Haut angesehen wurden als
„Wiederholungen^ oder „Nachahmungen^ der Epidennis und als
etwas aus ihr Hervorgegangenes. So kam man Schritt für Schritt
weiter, und schon am Ende des vorigen Jahrhunderts hat ein in
der Anatomie wohlerfahrener Chirurg, Abernethy hervorgehoben,
dass es Geschwülste gebe, welche zusammengesetzteren Theilen
des Körpers ähnlich seien. Er sprach, freilich ohne die völlige
Identität des Gewebes zu behaupten, von einem pancreasartigen,
von einem brustilrüsenartigen Sarkom *) und näherte auf diese
Weise auch die zusammengesetzteren Geschwulstfonnen den zu-
sammengesetzteren Theilen des Körpers.
Alle diese Untersuchungen aber führten zu keinem endgültigen
und bleibenden Itesultat, weil die Basis fehlte, auf der überhaupt
derartige Untersuchungen nur geführt werden können, nehmlich die
Kenntniss der menschlichen Gewebe und ihrer Entwickelung (Hi-
stologie und Embryolo;zie). Erst als Bichat die allgemeine
Anatomie begründete, wurde es möglich, die Vergleichung auf ein-
zelne Geweihe zu lieziehen. Aber die Gewebe von Bichat**) ge-
nfigten noch nicht für die Begründung einer eigentlichen Gowebs-
lehre, da sie sich zumeist auf äusserliche Eigenschaften l>egrün-
tU'U'ti; nie genügten el)enso wenig, wie die Embryologie von Haller
üfül John Hunter die hinreichende Einsicht in die Histo-
*; JhU. Aberuethy, MediciniHch-chirurgiöche Beobachtungen. DeuUch
«4^ / K Hp4M. Halle. 1809. S. 24, 81.
•♦/ rvilnUriiatlioIoi^io. S. 27.
Histologische Grundlagen. 15
genie gewährte. Erst nachdem aus der Schule von Döllinger
eine Reihe bahnbrechender Untersuchungen über die Entwicke-
lungsgesehichte hervorgegangen war und sodann durch Schwann
und Johannes Müller die feineren Bestandtheile sowohl der
Gewebe als der Geschwülste Gegenstand der wissenschaftlichen
Untersuchung wurden, erst von da an hat sich, obwohl lange nicht
mit der Schnelligkeit, wie man ursprünglich gehofft und erwartet
hatte, die Kenntniss der Geschwülste so weit festgestellt, dass man
gegenwärtig, nahezu wenigstens, eine Classification auf anato-
misch-genetischer Grundlage aufstellen kann. Ich sage
nahezu, denn noch heut zu Tage giebt es einzelne Gebiete, inner-
halb deren eine weitergehende Scheidung nothwendig sein wird,
und wo die Parallele zwischen der Geschwulstbildung und den
normalen Gewebszustanden erst durch genauere Erfahrungen bis in
das Einzelne festgesetzt werden kann.
Zweite Vorlesung.
15. November 1862.
ll«M«l«gie Mfi H^rtlofie der Cfsdiwnkte.
MI«IhI«kI«<-Hi« Btseichnung der Oeschwülsto. Sarkom. Accident«lle Neubildangen und Bildungen
■iil H^iitifU. Parasitismus: Auffassung der (leschwülste als entosoi^cber Wesen. Acepha-
|Mt<)ali<ii. Iloiuooplasie und lleteroplasie. Euplastische und Icakoplastische Stoffe. Besiehung
Nitf lUs (Jrfisssystem: (ieschwülste mit peripherischer und centraler Circulation. Cheraltche
Tiitarsuchung: specifische Stoffe fermentartige Substansen. Mikroskopische Untersuchung:
■|iPi-|llsche Kiemeute. Die Geschwülste als Theile des Körpers. Genauere Bentimraiing von
Homologie und Iletorologie. Praktischer Werth dieser Unterscheidung.
Irli hatte das letzte Mal zu zeigen versucht, dass jede geord-
nete Kcnntniss der Geschwülste*) zunächst beruhen niuss auf einer
Konaucn anatomisch -genetischen Grundlage, ähnlich wie es in
d«n anderen Zweigen der organischen Naturwissenschaften der Fall
int. Ich hatte femer angeführt, dass diese Erkenntniss sich Bahn
gebrochen hat seit der Zeit, wo die allgemeine Anatomie und Em-
bryologie begründet und die Gewebelehre wenigstens in ihren An-
fingen aufgestellt worden ist. Bis zu jener Zeit hin begnügte man
Mich, wenn man Yergleichungen der Substanz der Geschwülste mit
irgend welchen Theilen des Körpers anstellte, gewohnlich mit den
idlerrohesten und gröbsten Yergleichungen; man begnügte sich
*) Kr« int hit^r ht^sondon« xu bemerken, dass sich die Betrachtungen die-
m«r Vtirh'Huni;, sowie die der dnn folgenden wesentlich auf die neoplasti-
Mcheti Arten ( P**<'ti<l<U*l'^^''^*^iO hinziehen und daher nicht die ganze Frage
einrh'i|if«Mi; die Nechrtte Vorlesung wird dies erganzen.
Accidentelle NeubildangeD und Bildungen sui generis. 17
yielfach damit, nur die ganz harten Geschwülste und die ganz
oder nahezu flüssigen weiter einzutheilen, während man ziemlich
alles, was dazwischen lag, die ganze Gruppe der weicheren Bil-
dungen in der Regel mit dem nichtssagenden und seit jener Zeit
noch immer in Misscredit stehenden Namen der Sarkome oder
Fleischgeschwülste bezeichnete, wodurch nur gesagt sein sollte,
dass sie mit dem, was man Fleisch zu nennen beliebt, irgend eine
Aehnlichkeit hätten. Wenn man aber Alles, was im Körper weich
ist, Fleisch nennt, so ist dies ein grosses Gebiet der Vergleichung,
und so ist auch die Reihe der Sarkome eine ungebührlich grosse
geworden.
Als nun die einzelnen Gewebe, so weit sie sich ohne feinere
Untersuchung der Elementartheile abgrenzen Hessen, auseinander-
gelegt wurden, da hatte das auf die Auffassung der Geschwülste
einen wesentlichen, und für eine grosse Gruppe derselben einen
völlig bestimmenden Einfluss. Von Bichat selbst sind uns nur
sehr kurze allgemein -pathologisch -anatomische Bemerkungen er-
halten, allein schon darin sind die Grundlagen für jene An-
schauung gelegt, die nachher fast ein halbes Jahrhundert hindurch
fortbestanden hat, und die meines Wissens zuerst von Dupuytren*)
schärfer formulirt worden ist , wonach man die Geschwülste in
zwei grössere Gruppen zerlegte: solche, welche mehr bekannten
Körperbestandtheilen analog seien, und solche, welche eine beson-
dere, von der Natur und Zusammensetzung der normalen Körper-
bestandtheile abweichende Beschaifenheit darzubieten schienen. Die
ersteren brachte man gewöhnlich in eine Gruppe mit anderen Neu-
bildungen zusammen, die in der französischen Terminologie mei-
stens als accidentelle Neubildungen bezeichnet worden sind.
Die anderen bezeichnete man als Bildungen sui generis, und
man kam auf den Gedanken von Harvey**) zurück, dass sie ganz
nach Art parasitischer Gebilde, wie man sie besonders im Pflanzcn-
•) Bulletin de PEcole de Medecine de Paris. An 13 (1805). No. II.
p. 15 — 17.
•♦) Guilelm. Harvey Exercitationes de generatione animalium. Ara-
stel. 1651. p. 113. Nachdem er das selbständige Leben des Ovulum be-
sprochen hat, föhrt er fort: Ad hunc pariter modum vivunt fungi arborum
et plantae supercrescentes. Quinetiam experimur saepius in corporibus uostris
eancros, sarcoses, melicerides aliosque id genus tnmores, quasi propria
anima vegetativa nutriri et crescere, dum interea genuinae partes ex-
tenuantur et marcescunt.
Vircbow, Geschwülste. 1. 2
18 Zweite Vorlesung.
reich kennt, an dem Körper sich entwickelten, ein eigenes Leben lehr-
ten und unabhängig von dem Körper lebten, an welchem sie zehrten.
Die Betrachtung von der parasitischen Natur mancher
Geschwülste hat mehrfach auf die Vermuthung gefuhrt, dass das
eigene Leben derselben mehr bedeute, als man es von dem Stand-
punkte derjenigen aus zugestehen wollte, welche die Geschwülste
doch noch als Theile des Körpers betrachteten. Manche gingen
so weit, dass sie in der That glaubten, in den Geschwülsten
Wesen eigener Art, nach Art etwa der Entozoen, zu erkennen,
ja es hat mehrere, ganz erfahrene Gelehrte gegeben, welche die
Geschwülste geradezu für Entozoen und namentlich für Ilydatiden
erklärten, die später sich füllten und an Stelle der Flüssigkeit
das entwickelten, was als Körper der Geschwulst erschiene.
So ist noch in unserem Jahrhundert von ein Paar englischen
Aerzten, Adams*) und Baron**) (und in manchen Stücken
haben sich französische Beobachter ihnen angeschlossen), eine
ganze Reihe von Geschwulstarten in die Reihe der entozoi-
sehen Bildungen hineingerechnet worden. Man begreift, wie solche
Vorstellungen Raum gewinnen konnten, wenn man sich erinnert,
dass zu damaliger Zeit eine ganze Reihe von Bildungen, welche
man früher als Balggeschwülste betrachtet hatte, als wirkliche
Entozoen erkannt wurden. Als man die Entozoa cystica, die
Blasenwünner, unterscheiden lernte von den Tumores cystici, den
Blasen- und Balggeschwülsten, da war es natürlich, dass man
eine Zeit lang sehr unsicher wurde, wo denn eigentlich die Grenze
zwischen beiden läge. Es gab eine bestimmte Kategorie (Cysti-
cerken, Echinococcen, Coenuren), von denen man erkannt hatte,
dass es wirklich belebte Thiere seien, obwohl einzelne weder einen
Kopf noch eine specielle Organisation erkennen Hessen; letztere
fasste man unter dem Namen der Acephalocysten zusammen.
Nun konnte die Vorstellung entstehen, dass andere Cysten und
Säcke, deren Wesen man noch nicht ermittelt hatte, auch solche
Acephalocysten seien, die für sich lebten und als Parasiten im
*} Adams. On the cancerous breast Loudon.
**) lu seinem späteren Werk (Delineations of the origin and progress
of varioas changes of stracture which occnr in man and some ot the in-
ferior animaUi. Lond. 1828. p. 15.) hat Baron allerdings einen mehr un-
befangenen Standpunkt eingenommen, indem er die Frage von der Thier-
natar der H^datiden, aas welchen er Tnberkeln und andere Geschwülste
ableitet, dahingestellt sein Hess.
Parasitismus. ig
KOrper existirten, und es konnte sich Jemand sehr leicht vor-
stellen, dass im Innern einer solchen Blase durch eine fortschrei-
tende Organisation Fleisch sich bilde, und dass selbst manche
festeren Geschwülste , deren Natur sehr schwer zu begreifen war,
durch und durch entozoische Bildungen seien*).
Allen diesen Betrachtungen liegt der an sich ganz richtige
Gesichtspunkt des Parasitismus**) zu Grunde, der nicht blos
aus der Erfahrung, unmittelbar, sondern auch theoretisch sehr wohl
zu demonstriren ist und auf den ich speciell zurückkommen
werde. Aber es war ein Miss verständniss , sofort bis auf beson-
dere Thierspecies zurückzugehen, um die doch immer nur relative
Selbständigkeit der Geschwülste zu erklären, und man überzeugte
sich davon auch bald, als man etwas genauer in die Kenntniss
des inneren Baues derselben eindrang. Jedenfalls waren darin
alle Beobachter einig, dass es eine grosse Reihe von Geschwulsten
gäbe, welche sui generis seien, mit den Körpertheilen nicht über-
einstimmten, sondern höchstens eine gewisse Aehnlichkeit mit
ihnen hätten. Wie weit dies Gebiet auszudehnen wäre, darüber
waren die verschiedenen Beobachter sehr zweifelhaft. Während
noch Laennec eine gewisse Zahl von Geschwülsten mit dem
Namen der encephaloiden bezeichnete, weil sie ein Aussehen wie
Gehimsubstanz hatten, aus einem ähnlichen Grunde Maunoir die
Hedullarsarkome als Anhäufungen von ausgetretener Nervenmasse
betrachtete, ja noch viel später Ehrenb erg die Identität der mikro-
skopischen Elemente beider darzuthun bemüht war, so war doch die
grosse Mehrzahl der üntersucher der Ansicht, dass diese Aehnlich-
keit nur eine äusserliche sei und nicht in einer Art von Reproduc-
tion wirklicher Nervenmasse beruhe. Man blieb daher schliess-
lich dabei stehen, dass in einer beträchtlichen Reihe von Geschwulst-
bildungen durchaus fremde, eigenartige Erzeugnisse vorlägen.
Man bemühte sich dann innerhalb dieser zwei Gruppen (der
accidentellen Neubildung und der sui generis Bildung) Unterab-
theilungen festzustellen, je nachdem die einzelnen Formen sich
durch besondere Charaktere unterscheiden liessen.
*) Diese Vorstellung hat historisch einen besonderen Werth, weil darauf
die so oft besprochene Theorie Hodgkin 's von der cystischen Natur der
verschiedenartigsten Geschwülste, z. B. auch des Krebses beruht, und weil
selbst die Theorie Rokitansky 's von der Cyste und den Maschenwerken
ohne diese Vorgänger vielleicht nicht enstanden wäre.
♦♦) Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 427.
2*
20 Zweite Vorlesung.
Iq dieser Art der Untersuchung sind es besonders die un-
mittelbaren Schüler von Bichat und seine nächsten Nachfolger
gewesen, welche das Gebiet unserer Kenntnisse erheblich erwei-
terten, unten'hnen insbesondere Dupuytren, Laennec, Cru-
ve 11 hier, und einer der verdienstvollsten, Lob stein, der Strass-
burger Kliniker und pathologische Anatom, der, durch die Lage
seiner Lehranstalt gleichsam in die Mitte zwischen Frankreich
und Deutschland gestellt, auch am meisten die Vermittelung zwi-
schen uns und unsem westlichen Nachbarn übernommen hat. Er
hat zugleich das Verdienst, die beiden Reihen scharf bezeichnet
und dadurch für die Anschauung zugänglicher gemacht zu haben,
indem er die erstere mit dem Namen der Homoeoplasie be-
legte, insofern hier den Körpertheilen gleiche oder ähnliche Bil-
dungen erzeugt würden, und die andere mit dem Namen der
Heteroplasie, insofern hier von dem Körper abweichende,
eigenthümliche Produkte entstünden.
Während auf diese Weise eine Art von Einigung über die
Eintheilung erzielt wurde, so schloss man sich, in Beziehung auf
die Bildung selbst, auf die Entstehung der Geschwülste, im All-
gemeinen denjenigen Anschauungen an, welche schon in den älteren
Zeiten derMedicin herrschend gewesen waren, und welche namentlich
durch die englischen Physiologen seit Hewson eine allgemeinere
Verbreitung gefunden hatten, nämlich dass der Ernährungssaft, die
plastische Lymphe, an gewissen Orten aus den Gefilssen austrete,
und aus ihr die neuen Bildungen entstünden. — Lobstein ging
einen Schritt weiter. Er meinte, man müsse in Beziehung auf den
Bildungsstoff zweierlei Arten unterscheiden: eine, welche die Grund-
lage der homoeoplastischen Gebilde würde, und welche sich von
vorn herein durch bessere Beschaffenheit auszeichne, die er des-
halb euplastische nannte, und eine andere, welche von vom
herein eine schlechtere Beschaffenheit besitze, und die er deshalb
als diekakoplastische bezeichnete*). Damit führte diese Lehre
natürlich in das Gebiet der Humoralpathologie hinein, denn wenn
man zuletzt auf das Blut und die Bildungssäfke zurückkam, so
war man im Wesentlichen auf dem alten humoralpathologischen
Gebiet, und die Entstehung und besondere Natur der Geschwülste
•) J. F. Lobstein. Traite d'aoat patholog. Paris. 1829. Tom. I.
p. 365. 473.
HomÖoplasie und Heteroplasie. 21
wurde wieder abhängig von der Natur der Säfte, welche aus dem
Blut heraus geliefert wurden und welche in ihm mehr oder weni-
ger praeformirt enthalten sein mussten. Diese himioralpatliolo-
gische Auffassung hat Lob stein freilich sehr beschränkt, indem
er die Lehre von der Bildungskraft, wie sie von Blumenbach
ausgebildet war, mit hinein nahm, indess kann man nicht leugnen,
dass dies nur ein philosophischer Beisatz war, während doch die
Grundlage der ganzen Auffassung humoralpathologisch blieb.
Dieser Richtung, wonach man einen Theil der Geschwülste
den Körpergeweben annäherte und den anderen davon schied, ist
man zunächst auch in Deutschland gefolgt. Diejenigen, welche
am meisten die französische Doctrin aufnahmen, wie Heusin-
ger*), noch jetzt Professor in Marburg, und Joh. Fr. Meckel**),
haben diese Scheidung als selbstverständlich angenommen und
ihre nächste und wesentliche Aufgabe darin gesucht, die Beweise
für die üebereinstimmung der homoeoplastischen Bildungen mit
den normalen Geweben so sicher als möglich zu stellen; es ge-
lang ihnen nicht, tiefer in das Wesen der Heteroplasie einzudringen.
Nur ein einziger Beobachter, so viel ich weiss, leugnete diese
Differenz. Fleischmann***) erklärte geradezu, die Tumoren
„seien nur Kopien normaler organischer Theile eben desselben
Leibes, in welchem sie hervorgehen und bestehen." Namentlich
machte er den Versuch, gewisse Schleimhautpolypen als Nachbil-
dungen der Lymphdrüsen darzustellen. Allein Meckel wies den
Versuch herbe zurück, und seine Autorität entschied.
Während in dieser Art gewissermassen die Schule von
Bichat sich bei uns ausbreitete, so kam eine etwas andere Auf-
fassung in diese Angelegenheit durch die englischen Beobachter
hinein, seitdem JohnHunter durch die Entwickelungsgeschichte
des Hühnchens, die er auf die pathologischen Neubildungen an-
wandtet), insbesondere den Gesichtspunkt von der Bedeutung
♦) Carl Fr. Heu sin ger. System der Histologie. Eisenach. 1822.
I. S. 88.
♦•) Joh. Fr. Meckel. Handbuch der pathol. Anatomie. Leipzig. 1818.
U. 2. S. 115.
♦♦♦) Gottfr. Fleischmann. Leichenöffnungen. Erlangen. 1815. S. 111.
t)John Hunter. A Treatise on the blood, inflammation and guu-
shot wounds. Lond. 1812. Vol. L p. 162. VoL H. p. 56. 63. Ever.
Home Some obserrations on the loose cartilages found in joints. Transact.
of the Society for the improvement of medical and chirurgical knowledge.
Lond. 1793. p. 230.
"l'l Zweite- Vorlt^simg.
der G«5fa^8e in d«n Vorderprund ireschoben hade. Man muss sich
liiHf £uua<'lif$t eriimeni. dast> maD mxi H aller die Bfldmig des
GrfaNb>yh'temH. ^emi niciit al^ dat- Erste, f*o doch ak das Wich-
ti^su- bei der Enibfronalbildung aTiTiahm. I^ Panctmii salieiis,
di«. erKt4^ Anlage det^ Herren^: und der Gefiisfie war fir die alteren
itiuiirvolugeD der Anfang der Organisation: ja man dachte sich
di«' gautt weitere Entwickelung wesentücb dadurch bedingt, dass
iü dah Blahiem hinein Geias^e entstünden« welche überall und
iiniuerfort die Pioniere der Organisaöon seien. Nur wo Geßsse
beii-u. kOüoe eine Organisation eintreten^ und das Material dazu
lielere entweder coagulirtes Blut oder ergossene ^plastische
lAmpbe^*}. Da^ ibt eine gleichfalls auf humoralpathologischem
Grunde ruhende; aber nacb anderer Richtung hin entwickelte
l>o<;trin-
l>iese Aufliatisung führte an die genauere Betrachtung über
di«; Yertbeilung der Gefisse und über den Reichtlium an Gefassen
in d<-r eiozeluen Geschwulst Sie griff namentlich bei den Chi-
rurgen Platz, l>ei denen ja die Frage nach dem Gefassreichthum
einer Ge}<chwulHt und nach der Verbindung ihrer Gelasse mit dem
Mutt4>rbo<l^m an t«ich eine grössere Bedeutung hat wegen des ope-
rativen Kingreifens. Alan glaubte, dass sich hier wesentliche
IJnti^rKrhie^k nia<!ben lassen, theils in Beziehung auf die Gelasse
Helb})t, theilri auf ihren Zusammenhang mit dem Mutterboden.
WaH die Vertlieilung anlangt, so wurde namentlich in unserer
diMjlHcbi'fj HyHtr*inatiHchen Chirurgie, wie sich das am allerbesten
in di^ii I>ilire» des früheren Directors der Charite, Kluge**),
'u*\^\fi*^ ünterHchiedeii, indem man einen Theil der Geschwülste als
Holclie mit peripherischem Lcbenshccrd, d. h. mit peripherischer
iüniilation, und andere mit centralem Lebensheerd oder centra-
l«r (üriiiliition aufstellte. Bei den ersteren sollte das Gefass-
Hyhtem auHHcn um die Geschwulst herum in einer Art häutiger
AunhrcituiiK licj^cn, und die Gcfiissc nach innen eine Mjisse ab-
hondciii, die mehr oder woniger organisirt, mehr oder weniger
b^wenürh, vinll(Mcht ganz flüssig war. Das war die Klasse der
HOKi^imunten Sack- oder Balggcschwülste, wobei man soweit
•) Aborntitliv Ä. a 0. S. 7. 74.
**) iMt^Ht^lbou miimI nit»4)i*r|{olc);t in der Dissertation von C. A. F. Hasse
(hfl fuiigo imMhillari. Ilerliii. Wl\.\ und in einem Auszuge ans derselbea
von Uctschlor (Hunt*» MuKuxin Bd. .\V1. Heft 2. S. 191. 211.)
GefaBseinrichtung. 23
ging, dass man nicht blos die Hygrome, Atherome und Meliceris
in diese Kategorie rechnete, sondern auch gewisse Steatome und
Lipome, bei denen man in der Geschwulst wenig oder gar keine
Gefasse fand, während aussen ein reichliches Geiassnetz und eine
dickere, membranöse Hülle erschien. Anders dagegen betrachtete
man die soliden oder Vollgeschwülste, bei denen die Ge-
fasse im Innern der Geschwulst selbst vorhanden seien, sich dort
verbreiteten und eine reichliche Circulation unterhielten, wie in
Skirrhen, Polypen, Warzen, am meisten aber in dem viel
discutirten Blutschwamm (Fungus haematodes) der Fall sei. Diese
Geschwülste wüchsen von innen nach aussen und stürben von der
Peripherie zuerst ab, weil die von der Mitte kommende Lebens-
strömung hier am schwächsten sei.
Allein zugleich dachte man sich, dass diese Gefasse keines-
weges von Anfang an, und häutig auch späterhin nicht, in einer
permanenten Verbindung und offener Communication stünden mit
den Gefässen des Körpers überhaupt, sondern dass in ähnlicher
Weise, wie beim Hühnchen die Area vasculosa sich selbständig
aus dem früher vorhandenen Stoff bildet, so auch die Gefasse der
Geschwulst aus dem Bildungsmaterial, aus dem ausgeschwitzten
organischen Stoff als etwas Selbständiges entstünden*), und sich
also gleichsam ein Herz und eine Circulation auf eigene Faust in
der Geschwulst entwickelten, die dann später in irgend eine Ver-
bindung mit der alten Circulation treten könnte. Das so entstan-
dene Gefässsystem sei dann so „zwischen die Endingnngen des
Blutgefasssystems der befallenen Gebilde eingeschoben, wie das
Pfortadersystem zwischen die Enden der Abdominalarterien und
die Vena cava inferior." Ich hebe dies hervor, weil, wie nachher
anzuführen ist, von einigen der ausgezeichnetsten Untersucher der
neueren 2^it, in manchen Richtungen wenigstens ganz ähnliehe
Vorstellungen unterhalten worden sind und wir gegenwärtig noch
nicht sagen können, dass sie vollständig überwunden sind.
Man begreift, dass von dieser Auffassung aus die innere Zu-
sammensetzung der Geschwülste, so weit sie sich nicht auf die
Gefasse bezog, ein Gegenstand von secundärer Bedeutung wurde
und dass man das Hauptgewicht gerade darauf legte, zu unter-
•) F. J. F. Meyen. Untersuchungen über die Natur parasitischer Ge-
schwülste im menschlichen Körper, insbesondere über den Mark- und Blut-
ichwamm. Berlin. 1826. S. 37.
24 Zweite Vorlesung.
suchen: wie verhält sich das Gefässsystem ? Trotzdem war man
überzeugt, dass, im Grossen wenigstens, die Klasse der Geschwülste
mit einem inneren, selbständigen Gefasssystem auch die mehr ab-
weichenden, die mehr parasitischen oder bösartigen enthalte, wäh-
rend die anderen im Allgemeinen die Klasse der gutartigen oder
unschuldigen Geschwülste bildeten. Demnach entspricht auch in
dieser Aufstellung, wie in der vorher angeführten, die eine Reihe
mehr den dem Körper verwandten, den Körpertheilen näher stehen-
den, die andere den dem Körper femer stehenden oder ganz und
gar durch eigene selbständige Natur ausgezeichneten Geschwülsten.
Erwägt man, dass schon seit längerer Zeit der grössere Theil
deijenigen Geschwülste, die der letzteren Gruppe angehören, als
der Ausdruck einer tiefen Veränderung des Körpers überhaupt und
insbesondere einer weitgreifenden Veränderung des Blutes, einer
Kakochymie, einer besonderen Dyscrasie betrachtet worden
war, so kann man sich leicht vorstellen, dass weiter und weiter
die Ueberzeugung auch durch diese Untersuchungen sich befestigte,
dass wir hier etwas ganz Ungewöhnliches, ja eine Leistung der
Krankheit hätten, welche dem physiologischen Leben diametral
entgegengesetzt sei. Als nun, in den dreissiger Jahren insbeson-
dere, man sich immer mehr bemühte, durch Anwendung des
Mikroskops und der chemischen Hülfsmittel die Kenntniss der Ge-
schwülste zu erweitem, da erwartete alle Welt, es werde gelingen,
sowohl auf chemischem Wege besondere Stoffe, z. B. einen beson-
deren KrebsstoflF, so ein Carcinomatin, oder irgend eine andere ähn-
liche Substanz zu isoliren, als auch durch die mikroskopische
fJnti*Tsuchung ganz besondere morphologische Bildungen zu er-
mitteln, welche zugleich als diagnostische Merkmale die-
nen könnten.
Die chemische Untersuchung war schon vielfach, namentlich
in Paris und auch in Strassburg versucht worden. Man hatt« alle
möj<lirlien Geschwülste chemisch, man kann wohl sagen, maltraitirt;
tttK'r, obwohl sehr berühmte Chemiker, wie Thenard, Vauquelin,
Lfft^Hait^ne, sich an die Aufgabe gemacht hatten, so muss man
4m U r«a((<*n, dann das Resultat ihrer Bestrebungen ein ungleich ge-
tiimt'ft'M war, als es selbst nach dem damaligen Standpunkt er-
wurfi'i wifrd<«ji konnte. Man verstand noch nicht, die Fragen
tyUUyi, m ¥iU*\V*\\. Jedenfalls fand man nichts, was als specifi-
f «Jiir hiolT, HJH i*igenthümliche Geschwulstsubstanz hatte bezeich*
Specifische Stoffe. 25
net werden können; man kam zuletzt darauf hinaus^ das8, je
schlimmer die Geschwulst, um so mehr eiweissartige Bestandtheile
darin enthalten seien, während gerade besondere StoflFe vielmehr in
den homoeoplastischen Geschwülsten sich fanden, aus denen man
Leim, besondere Fette der verschiedensten Art, sowohl flüssige,
als krystallinische u. s. w. gewinnen konnte. Die gutartigen
gaben mehr Ausbeute als die bösartigen, begreiflicher Weise, weil
m^ da auf bekanntere Gewebsformen stiess, die man nach ihrer
Zusammensetzung schon besser kannte.
Nur so wird man es begreiflich finden, dass selbst ein Mann
wie Rokitansky*) auf die Vorstellung kommen konnte, dass
die kakoplastische Substanz eigentlich im Eiweis zu suchen sei
und dass gerade im „erkrankten" Albumen die Urquelle der
schlimmsten Localbildungen beruhe, welche im Körper vorkommen.
Hat doch selbst Joh. Müller sehr viel gekocht und extrahirt an
den Geschwülsten, indess auch seine Erfolge kamen über das Ge-
biet des Leims und Eiweisses nicht viel hinaus.
Seitdem hat man eigentlich aufgehört, die Geschwülste che-
misch viel zu untersuchen, und in der That giebt es auch noch
heut zu Tage nur wenig Anhaltspunkte, aus denen man schliessen
könnte, dass etwa ganz absonderliche Geschwulstalkaloide entdeckt
und so in den Geschwülsten die wesentlichen Bestandtheile er-
mittelt werden könnten. Vielmehr gehen alle unsere Vorstellungen
dahin, dass diejenigen Substanzen, welche die Hauptwirksamkeit
besitzen, Stoffe von keiner fixen Beschaffenheit sind, sondern sich
auf dem Wege der Umsetzung finden, dass sie auf diesem Wege
gewisse Stadien haben, in welchen sie eine verschiedene Wirksam-
keit ausüben können, ähnlich allerlei Fermentsubstanzen.
Auch bei diesen begnügen wir uns ja vor der Hand, die Qualität
der Substanz zu bezeichnen, nicht so sehr nach ihrer chemischen
Constitution, sondern nach ihrer speciellen Wirksamkeit, so dass
wir die verschiedenen Fermente vielmehr nach den Körpern, auf
welche zu wirken sie im Stande sind, unterscheiden, als nach ihrer
atomistischen Zusammensetzung. Ich will damit in keiner Weise
davon abschrecken, sich auf den Weg der chemischen Untersuchung
*) Carl Rokitansky. Handbuch der allgemeinen patholog. Anatomie,
^ien. 1846. S. 530.
26 Zweite Vorlesung.
der Geschwülste zu begeben; im Gegentheil, es wird gewiss sehr
nützlich sein, wenn das vielfach und mit gründlichen Kenntnissen
geschieht; nur möchte ich glauben, dass das Forschen nach speci-
iischen Stoffen, welche als fixe und permanente Bestandttieile
der Geschwulst vermuthet werden könnten, ebenso erfolglos sein
dürfte, wie wenn man die Eier darauf untersuchen wollte, ob die
Bestandtheile des erwachsenen Menschen etwa in ihnen schon ent-
halten sind. Wenn man erwägt, dass der menschliche Körper
nicht blos während des Wachsthums, sondern auch in den fort-
währenden Veränderungen des Alters immer neue Veränderungen
seiner Theile zeigt, dass im Ei etwas ganz anderes enthalten ist
als im Fötus, und im Fötus wieder etwas anderes als im Greis,
so muss man sich auch bei den Geschwülsten daran erinnern, dass
sie nicht während ihrer ganzen Lebensdauer inmier denselben StoflF
enthalten können, sondern dass die Stoffe in den verschiedenen
Perioden der Entwickelung und Rückbildung der Geschwülste ganz
verschieden sein werden, und dass sie kurz nach ihrer Erzeugung
eine gewisse Wirksamkeit haben können, die sie verlieren, wenn
sie über diese Zeit hinauskommen.
In Bezug auf die morphologischen Bestandtheile verlangte alle
Welt zu sehen, wie die Dinge beschaffen seien, die eine so
schlimme Einwirkung auf den Körper ausübten, und man erwartete
von den Mikroskopikem nichts zuverlässiger, als dass sie speci-
fiKchc Krebszellen, specifische Sarkomzellen, specifische Tuberkel-
zivilen aufweisen sollten. Bekanntlich, wenn man etwas recht
kat^^gorisch verlangt, giebt es auch Leute, die sich auf die Bahn
liegelmn, den Auftrag auszurichten, und so haben die Mikroskopi-
krr der vergangenen Zeit mit dem besten Willen sich diesem
allgf^meinen Drange gefügt. Es ist dann in der That dahin ge-
kommen, dass man nicht blos specifische Elemente beschrie-
b#»n hat, sondern auch wieder durch diese specifischen Elemente
di« het<ToplAHtiHchen Geschwülste von den homoeoplastischen zu
ffnt4*rH4'heiden sich bemühte.
Zu Khrcn der Mikroskopikcr muss ich bemerken, dass sie
m* Ui HO xi'hlimm waren, als man ihnen nachgesagt hat. Manche
(>Mi«^. fUu\ beim ärztlichen Publikum in den Geruch der Specifi-
Ifil «''kornm^'n, welche von den Untersuchen! keineswegs als solche
h*^/AUhH*'i worden sind. So war es eine Zeit lang Mode zuglau-
Specifische Elemente. 27
ben, dass die geschwänzten Körper besondere specifische Elemente
der Krebsgeschwülste seien, obwohl, wie ich glaube, man vergeb-
lich nach irgend einem Mikrographen suchen wird, der ursprüng-
lich diese Behauptung aufgestellt hat. Es war vielmehr ein Dogma,
das sich in der Masse der Aerzte gebildet hat, und von dort
aus wieder in die Wissenschaft zurückgeströmt ist; nachdem es
sich aber einmal consensu omnium festgesetzt hatte, so ist es
sehr schwierig gewesen, es aus der Wissenschaft wieder heraus
zu schaffen. Da die Krebse der Zoologen Schwänze haben, so,
scheint es, hat man geglaubt, müssten auch die Krebse der Pa-
thologen durch derartige Anhänge ausgezeichnet sein.
Am vollständigsten und schnellsten hat sich die Lehre von
den specifischen Elementen in Frankreich ausgebreitet, und zwar
zunächst auf Grundlage der Anschauungen unserer deutschen
naturhiötorischen Schule, insbesondere durch die Vermittelung von
Lebert*), einem Schüler Schönleins. Von dem Standpunkt
dieser Schule aus war allerdings eine solche Auffassung ganz
correct. So gut, wie man an den einzelnen Pflanzen und Thiercn
besondere Eigenschaften ihres Baues wahrnahm, so setzte man
voraus, dass auch jede eigene Geschwulstart etwas ganz Beson-
deres repräsentire, und dass sie, als ein Naturobject, neben jedem
anderen analogen Naturobjecte ebenso unabhängig stehe, wie eine
Pflanze neben einer andern Pflanze. Das ist begreiflich, wenn
man sich in den Gedanken des Parasitismus hineinlebt, wenn man
die Geschwulst als etwas vom Körper Getrenntes und nur äusser-
lich mit ihm Zusammenhängendes ansieht, was auch neben dem
Körper seine Geltung hat, und als ein neues Object der Schöpfung
zu betrachten ist.
Noch heut zu Tage hält die Pariser Schule in vielen ihrer
Hitglieder sehr fest an dieser Lehre von den specifischen Ele-
menten, die auch in England manche Anhänger gefunden hat. In
Deutschland hat sie von Anfang an wenig Vertretung gehabt und
gegenwärtig ist sie wohl ganz und gar verlassen. Ich selbst habe
mich von der ersten Zeit meiner Wirksamkeit an bemüht, diesem
Irrthum auf das Entschiedenste entgegen zu arbeiten**), und ich
*) Lebert Physiologie pathologique. Paris. 1845. T. II. p. 254.
•*) Archiv f. pathol. Anat u. Ph^siol. u f. klin. Medicin. 1847. I. S. 104.
28 Zweite Vorlesung.
glaube, dass wir gegenwärtig in der Lage sind, überall zeigen zu
können, dass eigentlich specifische Geschwulst-Elemente, welche
gar keine Analogie hätten mit etwas, was sonst am Körper vor-
kommt, überhaupt gar nicht existiren. Man muss nur immer
festhalten, dass die Geschwulst, sie mag so parasitisch sein wie
sie will, doch immer ein Bestandtheil des Körpers ist,
der unmittelbar aus dem Körper hervorgeht und sich nicht
etwa aus einem beliebigen Saft an irgend einer Stelle des Körpers
unabhängig durch eigene Kräfte der Substanz entwickelt. Die
Annahme einer solchen Entstehung de novo war zulässig in einer
Zeit, wo man glaubte, dass auch die Entozoen sich in dem Kör-
per aus irgend einem Safte oder aus irgend einer Unreinigkeit
selbständig bildeten durch Generatio aequivoca, als man noch gar
keine Vorstellung hatte, wie ein Cysticercus mitten in den Leib
hineinkommen und da sich entwickeln und wachsen könnte.
Für die damaligen Aerzte blieb allerdings kein anderer Gedanke
übrig, als dass aus thierischem Stoffe, sei es aus den Geweben
selbst, sei es aus der Saburra des Darmes oder anderen Cruditä-
ten, Entozoen entstanden. Heut zu Tage, wo es bekannt ist, dass
die Entozoen immer von aussen in den Körper hineingelangen,
wenn auch oft auf wunderbarem, so doch immer auf natürlichem
Wege, fallt diese Art der Analogie vollständig aus. Insbesondere
aber, seitdem wir wissen, dass in freien Exsudaten keine neuen
Elemente entstehen, dass vielmehr die Elemente auch im Körper
von Vater und Mutter her legitim gebildet werden*) (oder ich
will lieber sagen, von Vater oder Mutter her, denn es giebt ja
hier eine Parthenogenesis) , so müssen wir den Gedanken voll-
ständig aufgeben, dass eine Geschwulst als unabhängiges Ding im
Körper entstehen könne. Sie ist ein.Theil des Körpers;
sie hängt nicht blos mit ihm zusammen, sondern sie geht auch
aus ihm hervor und ist seinen Gesetzen unterworfen. Die Ge-
setze des Körpers beherrschen auch die Geschwulst
Daher ist diese kein Naturobject, was man neben den Körperbe-
standtheilen betrachten kann, sondern man hat sie innerhalb der
einmal gegebenen Grenze des Körpers aufzufassen.
Von diesem Gesichtspunkte aus wird man logisch kein Be-
•) Ccllularpathologie. S 22.
Tjpns der Entwickeln Dg. 29
dfirfniss haben, specifische Elemente zu finden, sondern man wird
sich sagen, dass die Zahl der Möglichkeiten für die Bildung im
Körper überhaupt eine beschränkte sein muss. So wenig wie Je-
mand glauben wird, dass der menschliche Körper Kirschkerne
oder Pflaumensteine in sich erzeugt, oder dass irgend ein pflanzliches
Gebilde aus einer besonderen Abweichung des thierischen Körpers
hervorgeht, so bestimmt man voraussetzen muss, dass, was der
Mensch producirt, immer etwas menschliches sein wird, und was
das Thier producirt, immer etwas thierisches, so wird man auch
nicht die Ueberzeugung hegen können, dass ein Ding sui generis
aus dem menschlichen Körper hervorgehen solle, was generisch
von den Theilen dieses Körpers verschieden sei. Es kann ein
Haar an einem Orte entstehen und wachsen, wo wir gar nicht
erwarten, dass Haare vorkommen. Aber Niemand wird erwarten
und sich vorstellen, dass im menschlichen Körper eine Feder
wachsen könne. Nun giebt es Geschwülste mit Haaren im Men-
schen, und gelegentlich findet man, wenn man eine Gans zerlegt,
in ihr eine Geschwulst mit Federn. Das ist begreiflich; das liegt
innerhalb des Typus des Individuums. Aber wenn einmal ein
Mensch eine Geschwulst mit Federn erzeugte, oder eine Gans eine
Geschwulst mit Haaren, so würde dies eine Art von Sui-generis-
production sein, weil das Product abweichen würde von dem,
was in dem Individuum einmal typisch niedergelegt ist. Der
Typus, der überhaupt maassgebend ist für die Ent-
wickelung und Bildung im Körper, ist auch maass-
gebend für die Entwickelung und Bildung der Ge-
schwülste. Einen anderen, einen neuen, unabhängigen Typus
giebt es nirgend.
Was sich auf diese Weise logisch feststellen lässt, das ergiebt
sich auch empirisch durch die unmittelbare Untersuchung der
Geschwülste selbst. Denmach leugne ich, dass eine Heterologie
in dem Sinne existirt, wie er seit Bichat festgehalten worden
ist, wie er gewissermaassen schon vor ihm in den Köpfen der
Leute steckte, dass nehmlich die Geschwulst nach einem ganz
neuen Plane, nach einem ganz neuen Gesetz in dem Körper sich
bilde und existire. Vielmehr finde ich, das jede Art der Geschwulst-
bildung, sie mag sein, wie sie will, im Wesentlichen übereinstimmt
mit bekannten typischen Bildungen des Körpers, und dass der
gQ Zweite Vorlesung.
wesentlichste Unterschied der verschiedenen Geschwülste unter sich
darin beruht, das« Gewebe des Körpers, die an sich normal sind,
bald in Form von Geschwülsten entstehen inmitten von Stellen,
welche dieses Gewebe im Normalzustande enthalten, bald dagegen
an Stellen, welche dieses Gewebe normal nicht enthalten. Das erste
nenne ich Homologie, das zweite Heterologie*).
Wenn also ein normales Gewebe an einem Ort entsteht, wo
vorher schon ein ähnliches vorhanden war, wo also das neue mit
dnm alten übereinstimmt, der Typus der neuen Bildung dem Typus
(Ibh alten Gewebes entspricht, so ist das homolog; wenn dagegen
iUr Typus des neuen mit dem des alten nicht übereinstimmt, wenn
ili*,r Typus des neuen eine Abweichung zeigt von dem hrüheren,
urnprOnglichen und normalen Typus des Ortes, so ist das Hetero-
logie. Aber auch diese hat eine Analogie im Körper,
nur in einem andern Theile. In dem Fall, den ich vorher
erwähnte, dass ein Haar z. B. am Magen oder in der Harnblase
itiitHtünde, besteht Heterologie. Wenn Epidermis am Gehirn sich
bildet, so ist das Heterologie. Dabei kann das Haar, es kann die
Epidermis eben so beschaflen sein, wie irgend ein Haar an seinem
normalen Orte an der Oberfläche des Körpers oder wie irgend eine
Kpidermislage an der wirklichen Cutis es ist. Trotzdem ist dies
die äusserste Heterologie.
Es kann also meiner Ansicht nach eine Unterscheidung der
Geschwülste nach den Geweben nicht in der Weise gemacht wer-
<len, dass Geschwülste, die gewisse Gewebe entlialten, in die ho-
moeoplastische, und Geschwülste, welche gewisse andere Grewebe
enthalten, in die heteroplastische Reihe geworfen werden; im
Gegentheil, dieselbe Geschwulstart kann unter Umstän-
den homolog, unter anderen heterolog sein. Dieselbe
Geschwulst kann einmal an einem Orte vorkommen, wo sie nichts
weiter darstellt, als eine massenhafte Entwickelung des diesem
Orte normal zukommenden Gewebes, ein anderes Mal an einer
Stelle, wo dieses Gewebe gar nicht hingehört und wo es auf eine
ganz abnorme, krankhafte W^eise erzeugt ist. Um einen bestimmi
ien Fall zu wählen, so kann Knorpel eine Geschwulst bilden. Die
Koorpelgeschwulst ist homolog, nicht indem sie aus Knorpel be-
*) Ollularpatbologie S. GO, 412.
Homologie und Heterologie. 31
steht, sondern nur, wenn sie aus Knorpel hervorgeht, wenn an
der Stelle vorher schon Knorpel vorhanden war. So kann aus
einem Rippenknorpel eine sehr umfangreiche Knorpelgeschwulst
entstehen; das ist eine Homologie. Aber es kann auch eine
Knorpelgeschwulst entstehen im Hoden, wo absolut gar kein
Knorpel hingehört, wo gar keiner sein soll, wo die Bildung der
natürlichen Einrichtung des Organs zuwider ist. Da ist dieselbe
Bildung eine Heterologie.
Das sind, wie ich glaube, ganz natürliche und aus der Er-
fahrung abgeleitete Begriffe. Man kann dieser Bezeichnung nicht
den Einwand machen, dass sie irgend wie erkünstelt sei. Mag
immerhin in meinem Sinne Homologie und Heterologie etwas an-
deres sein als im Sinne der Früheren, so weiss ich es doch nicht
anders auszudrücken. Die Sprache hat gewisse Grenzen, über
die man nicht hinaus kann, und wenn mir zum Vorwurf gemacht
worden ist, dass ich diese Worte in einem ungebräuchlichen Sinne
anwende, so ist dies in Betreff der Termini wohl richtig, aber
nicht in Bezug auf das wirkliche Verständniss der Sache. Denn
nur in dem von mir bezeichneten Sinne haben diese Ausdrücke
einen thatsächlichen Inhalt.
Eine solche Trennung hat aber auch einen praktischen Werth,
insofern die homologen Geschwülste im Allgemeinen alle in die
Klasse der Hyperplasien, der blossen Wucherungen des normalen
Gewebes hineingehören, und daher das Praejudiz der Gutartigkeit
an sich tragen. Es entspricht also allerdings diese
Gruppe im Grossen dem, was man unter dem Namen
der gutartigen Geschwülste bezeichnet hat. Andrerseits
entspricht auch im Grossen der Begriff der Bösartigkeit der
heterologen Gruppe; nur nicht so, dass diese Geschwülste alle in
gleicher Weise bösartig seien, sondern so, dass man innerhalb
dieser Gruppe eineScala der Bösartigkeit, der Schädlichkeit
aufstellen muss, und dass auf den untersten Stufen derselben Ge-
schwülste stehen, die nur in dem allerunerheblichsten Maasse bös-
artig sind, so dass man sie allenfalls mit in die Reihe der gut-
artigen hinüber rechnen könnte. Hat man aber einmal eine
Scheidung, wo man weiss, dass auf der einen Seite überwiegend'
solche Geschwülste stehen, von denen man keine ungewöhnlich
schädliche Einwirkung auf den Körper zu besorgen hat, während
32 Zweite Vorlesung.
die andere Seite von vorn herein einen gewissen Verdacht der
Gefährlichkeit erregt, so hat man damit die erste Grundlage ge-
wonnen f&r eine praktische Benrtheilung der Geschwülste, und
insofern hat diese Art der anatomischen Scheidung, welche ja
zugleich dem genetischen Moment volle Rechnung trägt, auch
eine physiologische Bedeutung und einen unmittelbar prak-
tischen Werth.
Dritte Vorlesung.
22. November 1862.
Allgenebe Physielegie der Gcschwaktf.
11einaiig8Terscliied«Dheit der Beobachter über Heterologie. Die Gegner der Specificitit der Oe<
»cbwulsteleroente. Vergleicbung mit entsundlicheii Bildungen. Ursachen der Geschwülste:
örtliche Veraulaüsiing, Prädisposition, Dyslcrasie. Constitutionalismus. Humoralpathologische
Lehre. If altiplicit&t : Exostosen, Krebse, Warzen, Lipome. Die Dyslcrasie als deuteropathi<
scbes Phänomen. Verbreitung durch Lymph- und Blutgefässe. Der llutterknoten als In-
fectionsheerd. Die Geschwulst als Secretionsorgan. Die Tochterknoten. Latente Erkran-
kaugen. Recidire und Generalisation. Ueerdweises Wachsthum durch Bildung accessorischer
Knötchen: Infection der Nachbarschaft. Zellen als Träger der Infection: Dissemination.
ich hatte das letzte Mal die Betrachtung über Homologie und
Heterologie bis zu dem Punkte vorgeführt, wo ich meine eigene
Ansicht entwickeln konnte, welche dahin geht, dass Homologie
bedeuten muss, dass die Neubildung nach dem Typus des Ortes,
oder, genauer gesagt, des Muttergewebes (Matrix), aus welchem
sie hervorwächst, gebildet wird, dass dagegen Heterologie den Fall
bezeichnet, wo das neue Gewächs von dem Typus dieses Mutter-
gewebes, aus dem es hervorgeht, abweicht. Ich glaube, dass mit
dieser Auflassung die grossen Schwierigkeiten ausgeglichen werden,
an denen früher alle Versuche, die Heterologie der schlimmeren
Geschwülste morphologisch irgendwie nachzuweisen, gescheitert sind.
Meh^re unserer besten Beobachter waren längst zu dem Re-
sultat gekommen, dass an sich in der Einrichtung, in dem Bau,
ia den Elementen der Geschwülste nichts von dem Typus des Kör-
pers absolut Abweichendes, also kurz gesagt, nichts Heterologes
liege. Niemand hat dies so scharf ausgesprochen, als schon vor
VIrcbow, Geschwülste. 1. 3
34 Dritte Vorlesung.
länger als 20 Jahren Joh. Müller*), der auf das allerpräciseste
erklärte, dass überhaupt in der Structur dieser Neubildungen nichts
Heterologes liege, dass insbesondere die Formelemente auch der
krebshaften Geschwülste entweder normalen Formelementen des
Körpers analog seien, oder, wie er sich ausdrückt, embryonischen
Formationen entsprechen, also jenen Gewebstheilen , die in der
Entwicklung begriffen sind, dass aber neben diesen, den alten
oder den embryonischen analogen Elementen überhaupt nichts
Heterologes vorkomme.
Wenn ein solcher Satz schon damals, als man eben erst an-
gefangen hatte, die genauere mikroskopische Analyse der Ge-
schwülste zu machen, mit einer solchen Schärfe aufgestellt werden
konnte, so hätte man glauben sollen, dass die Fragen über Ho-
mologie und Heterologie in einer früheren Zeit zur Lösung kom-
men würden. Trotzdem haben wir gerade nach Müller die Pe-
riode gehabt, wo die Lehre von den specitischen Elementen mit
der grössten Energie verfochten wurde und sich am schnellsten
ausgebreitet hat. Diejenigen, welche von specitischen Bildungen
nichts wissen wollten, kamen deshalb in eine etwas üble Lage,
weil, obwohl sie im Wesentlichen daran fest hielten, dass vom
anatomischen Standpunkt aus eine Scheidung gemacht und die
einzelnen Geschwülste bestimmt werden müssten, sie doch nicht
recht ermitteln konnten, woran man denn das Kriterium suchen
sollte, dafür, ob gewisse Geschwülste in die eine oder die an-
dere Gi*uppe gehörten. Müller sagt ganz einfach, man müsse
die einzelnen Geschwülste darauf studiren, man müsse Thatsachen
sammeln, nach denen mau die Gutartigkeit oder Bösartigkeit jeder
besonderen Form bestimme. Er Hess sich überhaupt gar nicht
darauf ein, allgemeine Kriterien zu suchen, aus denen man im
Voraus bestimmen könne, ob eine Geschwulst in die eine oder
andere Reihe gehöre, noch sprach er über den Grund, warum sie
bösartig wäre ; sondern er meinte, mau müsse Merkmale sammeln,
um durch die Ertahrung für jede einzelne Gescbwulstform, wie für
jede einzelne Giftpflanze, festzustellen, ob sie bösartig sei. Trotzdem
theilte er die Geschwülste ein in krebshafte und nicht krebshafte,
*) Johannes Müller, lieber den feineren Bau und die Formen der
kraokliafteD (JeächwüUte. Berlin 1838. S. 8.
Irritative Natur der Geschwülste. 35
in solche, die ihrer Natur nach bösartig, und solche, die es
nicht seien.
Auf der andern Seite ist es leicht zu begreifen, wie radicale
Köpfe, wenn sie einmal zu der Ueberzeugung gekommen sind,
dass eine Geschwulst nichts an sich Heterologes enthält, sehr bald
dahin gelangen, die ganze Bildung ohne Weiteres mit anderen
krankhaften Vorgängen zusammen zu werfen. Macht man sich
nun klar, dass in all diesen Fällen, wo eine productive Thätigkeit
des Organismus vorliegt, wo der Körper oft in kurzen Zeiträumen
erhebliche Massen von neuem Gewebe und zwar offenbar durch
eine gesteigert« formative Thätigkeit erzeugt, irgend ein besonderer
Anreiz zu einer solchen Thätigkeit, ein Irritament vorhanden
sein muss, dass der Process also ein irritativer ist, so wird
man leicht weiter schliessen, dass die ganze Erscheinungsreihe an-
deren irritativen Vorgängen angereiht werden müsse.
Allerdings ist in der neuesten Zeit Niemand so weit gegan-
gen, als John Bums*), der den Markschwamm als spongoide
Entzündung beschrieb, ja als noch vor etwa 40 Jahren die phy-
siologische Schule in Frankreich, namentlich Broussais**) selbst,
welcher die Geschwulstbildung geradezu als eine Form der chro-
nisch-entzündlichen Processe betrachtete und die eigentlichen Ge-
schwulstnamen lieber ganz streichen wollte, indem z. B. Skirrh
nicht zu unterscheiden sei von einer entzündlichen Induration,
demnach kein Grund vorliege, ein besonderes Capitel für Skirrh
zu machen. Ungefähr eben dahin kam Carl Wenzel***), wel-
cher Skirrh und Induration ganz und gar identiücirte und das
Carcinom als die Entzündung in indurirten Theilen ansah. Wenn
man aber auch nicht so weit gehen darf, jede Art von Geschwül-
sten geradezu für ein Product der Entzündung zu nehmen, so
hegt es doch nahe, dass man sie an die entzündliche Neubildung
annähert, weil in der That in entzündlichen Fällen irgend ein Reiz,
eine äussere oder innere Einwirkung die Veranlassung für forma-
tive Processe wird, welche oft so massenhafte Neubildungen er-
zeugen, dass wir sie, wenn sie nicht gerade aus bekannten Ent-
*) John Burns. Dissertation on ioflammation. Glasg. 1800.
**) Broussais. Histoire des phlegmasies cbroniques. Ed. 4me. Paris.
1826. T. I. p 24—32.
***) Carl Wenzel, lieber die Induration und das GeschwOr in indu-
rirten Theilen. Mainz. 1815. S. 75. 96.
3*
36 Dritte YorlesuDg.
züQdungsproducten beständen, ohne Weiteres in die eigentliche
Geschwulstreihe hineinrechnen würden. Hei gewissen Geschwülsten
aber, und das ist schon seit Galen*) anerkannt, ist der entzünd-
liche Ursprung unzweifelhaft, nur erscheint das Product so begrenzt
und selbständig, dass es sich als etwas von dem Anfangsprocess
ganz Geschiedenes darstellt. Die Grenze zwischen diesen wirklich
entzündlichen Geschwülsten und den übrigen ist überhaupt nicht
scharf zu ziehen, eben weil ein Irritationszustand**) allen neopla-
stischen und nicht wenigen exsudativen und secretorischen Ge-
schwülsten zu Grunde liegt.
Diese Richtung der Untersuchung führt schliesslich immer zu
der Betrachtung der Aetiologie und Genese der Geschwülste,
und hier bieten sich, je nach den besonderen Neigungen, die etwa
die eine oder die andere Schule verfolgt, sehr verschiedene Mög-
lichkeiten der Erklärung dar, die wir um so mehr einer Bespre-
chung unterziehen müssen, als die allgemeine Eintheilung und
Auflassung der Geschwülste sehr wesentlich dadurch mit bestimmt
werden kann.
Im Allgemeinen sind bei dieser Betrachtung dreierlei Momente
zu berücksichtigen. Erstlich die örtliche Veranlassung,
Causa occasionalis, welche die Entstehung einer Geschwulst an
einer bestimmten Stelle bedingt; denn da bekanntlich das Gesetz
der Causalität in der ganzen lebenden Natur gilt***), so wird man
zugestehen müssen, dass ein bestimmter Grund vorhanden sein
muss, warum an einem bestimmten Theil eine Geschwulst entsteht
Daran schliesst sich unmittelbar die zweite Frage, die nach der
begünstigenden Einrichtung der Stelle, an welcher die Einwirkung
statt gefunden hat, nach der Causa praedisponens, oder technisch
gesprochen, der Praedisposition des Theiles, vermöge welcher
er gerade zu dieser Art der Erkrankung disponirt ist. Drittens
endlich die allgemeine Veranlassung, welche man sich denken
kann und welche Viele sich denken als beruhend in einer beson-
*) Wenigstens von den Nasenpolypen sagt Galen (de tu moribus praeter
naturam. cap. 17.), »ie entständen entweder aus Entzündung:, oder aus einem
Knoten (Pliyma), oder aus irgend einem Keirostoff (Bhistema).
**) Phil/v. Walt her. Ueber Yerbärtuog, Skirrhus, harten u. weichen
Krebs, Medullarsarkom, Blutschwamm. Telangiecta^iie u. Aneurysma per ana-
stomosin. Gräfe u. v. Walther Journ. der Chir. und Augenheilk. 1823.
Bd. V. S. 20d.
•••) Virchow. Vier Reden über Leben u. Kranksein. Berlin. 1862 S. IS.
Gonstitationalismas. 37
deren Substanz oder in einer besonderen Veränderung von Sub-
stanzen, welche sich in den thierischen Flüssigkeiten befinden,
also in der Regel eine Veränderung, die man sich ausgehend
denkt vom Blute und die man schliesslich zurückfuhrt auf eine
Dyskrasie. Dies sind die drei Dinge, welche bei der Frage
von der Entstehung der Geschwülste und dem Werth der einzel-
nen hauptsächlich discutirt worden sind: veranlassende örtliche
Ursache, Praedisposition und Dyskrasie.
Für Manche fallen nun allerdings je zwei dieser Momente zu-
sammen. Für eine gewisse Zahl von Aerzten ist Praedisposition
und Dyskrasie identisch, und es würde nach ihnen nur einer be-
sonderen Dyskrasie oder, wie Chelius sagt, einer Diathesis occulta
bedürfen, um auf eine bestimmte Veranlassung an einer bestimm-
ten Stelle eine Geschwulst hervorzurufen. Nach Anderen wieder
bedarf es keiner besonderen veranlassenden Ursache, um bei be-
stehender Dyskrasie eine bestimmte Stelle zur Erkrankung zu brin-
gen, sondern nur der Praedisposition. Man sagt: Tritt im Blut
eine besondere Veränderung ein und findet sich im Körper ein
praedisponirter Ort, so wird das kranke Blut auf den praedispo-
nirten Ort (Locus minoris resistentiae) wirken und die Erkrankung
hervorrufen. Die locale Praedisposition würde dann zugleich die
Veranlassung sein, warum am bestimmten Orte die Störung her-
vorträte. Je mehr man sich aber einen Process dyskrasisch denkt,
je mehr man ihn abhängen lässt von allgemeinen Veränderun-
gen der Blutmasse, um so mehr wird er natürlich die Vermuthung
eines gefährlichen oder bösartigen an sich tragen, während
in demselben Maasse, als er mehr abhängig ist von Praedisposi-
tionen einzelner Theile oder von örtlichen veranlassenden Ursachen,
er auch als ein an sich beschränkter und örtlicher, als ein
wenigstens relativ unschuldiger und gutartiger aufgefasst wer-
den kann. Indess muss man dann auch über die allgemeine oder
örtliche Natur des Processes völlig im Reinen sein.
Der Ausdruck „Constitutionen", welcher hier sehr viel
gebraucht wird, ist in der Regel ein unklarer. Constitutionen
kann sich beziehen auf eine dauernde h um orale Veränderung,
wobei das Blut als der anhaltende Träger bestimmter Eigenschaften
gedacht wird; es kann aber eben so gut gedacht werden als eine
an einer gewissen Zahl von Körpergeweben si<*h erhaltende
Besonderheit und Eigenthümlichkeit, welche gerade diese Gewebe
38 Dritte Vorlesung.
zu besonderen Veränderungen praedisponirt und so die Möglich-
keit mit sich bringt, dass gleichzeitig oder hinter einander an ver-
schiedenen Punkten des Körpers analoge Störungen auftreten.
Dass man diese zwei Dinge nicht genau unterscheidet, und dass
man theoretisch sowohl diejenigen Zustände, die man sich als
dyskrasische denkt, und diejenigen, die man auf Veränderungen
einer gewissen grösseren Reihe von einzelnen Körpergeweben
zurückfiihrt, zusammenwirft in den Begriff des „Constitutionellen",
ist für die Auffassung sehr schädlich gew^orden. Denn danach ist
häufig promiscue eine ganze Gruppe in die eine oder in die andere
Kategorie geworfen worden. Gerade in der neueren Zeit, in den
Discussionen der letzten fünf Jahre, ist es sehr auffallig hervorge-
treten, wie schwer es für eine Reihe von Pathologen wird, sich
hier einen unbefangenen Standpunkt zu wahren.
Denke man sich, wir sähen eine Reihe von gleichartigen
Geschwülsten im Körper, sei es gleichzeitig, sei es in einer kür-
zeren Zeitfrist hinter einander, entstehen. Die grosse Zahl dieser
Geschwülste, die an verschiedenen Stellen des Körpers auftreten,
macht den Eindruck, dass es sich um eine constitutionelle Störung
handelt. Diese schliesst aber für gewisse Pathologen unmittelbar
den Begriff der humoralen Grundlage ein; folglich sagen sie: weil
an verschiedenen Stellen des Körpers in einer relativ kurzen Zeit
gleichartige Geschwülste auftreten, so ist mit Nothwendigkeit auf
eine ursprüngliche Veränderung des Blutes zu schliessen. Dieser
Schluss erweist sich aber immer als ein sehr bedenklicher, sobald
diese verschiedenen Bildungen, sie mögen noch so zahlreich sein,
in Geweben oder Theilen auftreten, die zu einem und dem-
selben System gehören*). Wenn dagegen in sehr (iifferen-
ten Theilen analoge Bildungen sich zeigen, so kann allerdings
nicht mehr das System als solches, nicht mehr die besondere
örtliche Praedisposition angeschuldigt werden; denn es handelt
sich allerdings wahrscheinlicher um eine allgemeine Ursache, die
wir uns am leichtesten im Blut denken. Nehmen wir den Fall,
dass Jemand an fast allen Knochen des Skelets Geschwülste glei-
cher Art bekäme, so werden wir deshalb nicht berechtigt sein zu
schliessen, dass dieser Process auf eine specifische Veränderung
•) Mein Archiv Bd. XIV. S. 44. James Paget, Lectures on surgica]
pathology. Lond. 1853 Vol. II. p. 15.
Multiplicität. 39
des Blutes bezogen werden muss; es kann ja sein, dass an allen
diesen Knochen sich irgend eine bestimmte Veränderung von früher
her schon erhalten hat, die zu einer gewissen späteren Zeit zur
Aeusserung kommt und die Geschwülste erzeugt. Es giebt Fälle,
wo an fast allen grossen Knochen des Skelets sich Knochenaus-
wüchse bilden: multiple Exostosen. Die blosse Multiplicität der-
selben setzt nicht voraus, dass es sich um eine Dyskrasie handelt;
es kommt vielmehr zuweilen darauf an, ob die Exostosen sich
nicht daraus erklären lassen, dass sie alle auf gleichmässige Weise
aus einem Rückstand von Störungen hervorgegangen sind, die in
einer früheren Zeit des Lebens die ganze Knochenbildung be-
troffen haben. Dasselbe aber, was für Exostosen gilt, dasselbe
gilt für multiple Krebseruptionen, wenn sie nur in Knochen vor-
kommen, wo möglicherweise an 20 verschiedenen Stellen des
Körpers Krebse auftreten, aber nur in Knochen und nicht in einem
anderen Theile.
An der äusseren Oberfläche des Körpers finden sich ganz
analoge Vorgänge. Manchmal entstehen an vielen Stellen der
Haut Warzen. Sollen wir nun gleich schliessen, dass es eine
warzige Dyskrasie giebt, wobei etwa Verrucin im Bhite enthalten
ist und alle die Dinge hervorbringt? Andermal bilden sich an vie-
len Stellen des Körpers Fettgeschwülste , Lipome, im Unterhaut-
gewebe, ja es kann eine sogenannte Lipomatosis universalis sich
herausstellen. Sollen wir nun schliessen, dass in diesen Fällen
gerade eine lipomatöse Dyskrasie da war? Wenn man so vor*
wärts geht, so kommt man zuletzt zu reinen Absurditäten.
Denn wenn wir diesen Fall festhalten, so ist das Fett, wel-
ches im Lipom ist, chemisch gar nicht verschieden von dem Fett,
welches im benachbarten Fettgewebe sich findet; es ist dieselbe
Art von Fett. Wäre nun in der That sehr viel Fett in der Blut-
masse, wäre eine Lipämie vorhanden und würde dieses Fett in
die Theile abgesetzt und machte es die Anschwellungen, so liegt es
doch nahe, zu vermuthen, dass die Anschwellung auch alles Fett-
gewebe betreffen würde, dass es eine allgemeine Fettsucht geben
wird, und wir können uns vorstellen, dass auf diese Weise Poly-
sarcie entsteht. Aber dass auch eine besondere Dyskrasie be-
stehen muss, wenn nur an einer bestimmten Stelle des Fettge-
webes, oder allenfalls an fünf und mehr verschiedenen Stellen
Fettgeschwülste vorkommen, das kann doch nicht einfach einer
40 Dritte Vorlesung.
vermehrten Quantität von Fett im Blute zugeschrieben werden.
Ja, wenn wir sehen, dass bei einem Menschen, der im Allgemei-
nen abmagert und bei dem das Fett im Fettgewebe an Masse
abnimmt, trotzdem ein Lipom sich bildet, welches sich immer
mehr mit Fett füllt, so können wir nicht sagen, es sei die Folge
einer allgemeinen Dyskrasie, sondern wir werden sagen, dass ein
locales Moment vorhanden sein muss. Geschieht aber an vielen
Stellen des Fettgewebes etwas Aehnliches, so liegt es näher an-
zunehmen, dass die Ursache imFettgewebe liegt, als in dem Fett,
welches im Blut vorhanden ist. Wäre dies der Fall, so geriethe
jeder von uns nach einer reichlichen Mahlzeit in die Gefahr,
Lipome zu bekommen. Wenn man viel Butterbrod isst, so könnte
sich eine lipomatöse Dyskrasie herausstellen, und jeder Säugling
wäre dieser Gefahr ausgesetzt, weil er regelmässig mit jeder
Mahlzeit reichlich Fett zu sich nimmt und gleichsam in einer
chronischen Lipämie sich befindet.
Also aus dem blossen Umstand, dass eine Multiplicität von
Geschwülsten, eine grössere Zahl von Eruptionsstellen an ver-
schiedenen Theilen des Körpers besteht, können wir um so we-
niger mit Bestimmtheit schliessen, dass eine dyskrasische Grund-
lage vorhanden ist, als sich durch die Beobachtung erweist, dass
in der übergrossen Anzahl solcher Fällen ein bestimmtes System
oder Gewebe der Ausgangspunkt dieser Veränderungen ist. Man
wird zugestehen, dass es dabei an sich gleichgültig ist, ob die
Eruptionsstellen weit von einander entfernt sind oder nahe bei-
einander liegen. Denn wenn Jemand an jedem Finger einer
Hand eine Geschwulst bekömmt, wie es bei Knorpelgeschwülsten
nicht selten geschieht, so sind doch diese Knochen von einander
eben so sehr getrennt, sowohl was die Circulation, als was an-
dere Gewebsverhältnisse angeht, wie wenn die eine Geschwulst
an der Phalanx, die zweite am Vorderarm, die dritte an der Cla-
viiula sässe. Ob die Knochen ein wenig näher oder entfernter
von einander liegen, muss an sich gleichgültig sein; aber wenn
es immer wieder Knochen sind, dann werde ich den Fall zunächst
darauf prüfen müssen, was in den Knochen gewesen sein kann,
das die besondere Ursache abgegeben hat. Wenn man also ge-
rade in der neueren Zeit öfters Fälle mitgetheilt hat, wo schein-
bar ohne irgend eine besondere Veranlassung in den verschieden-
sten Theilen des Körpers Geschwülste gleicher Art entstanden
Dyskrasiscbe Gruodlage. 41
sind, — in den verschiedensten Abtheilungen, nicht Organen, —
so bat man Unrecht gehabt, wenn man sofort diese Fälle ange-
führt bat als einen Beweis für die dyskrasische Natur derselben.
Ich für meinen Theil trage nicht das mindeste Bedenken, die
Nothwendigkeit zuzugestehen, bei dem jetzigen Stande unserer
Kenntnisse für manche Geschwulstbildungen eine Veranlassung
durch das Blut, also eine dyskrasische Grundlage herzuleiten.
Ich weiss wenigstens nicht, wie man sonst eine gewisse Zahl
von Erkrankungen, z. B. die syphilitischen, viele krebsigen,
erklären sollte. Allein diese Erkrankungen sind unter sich ver-
schieden aufzufassen. Zuweilen, wie bei den leukämischen Tu-
moren, bei den Strumen im engeren Sinne des Wortes, besteht
kaum ein Zweifel darüber, dass die Dyskrasie in Beziehung auf
die Geschwülste ein Früheres ist. In einer wahrscheinlich sehr
viel beträchtlicheren Zahl von Fällen dagegen muss die Verän-
derung des Blutes, die Dyskrasie, welche die Eruption neuer
Geschwülste bedingt, offenbar betrachtet werden als ein deute-
ropathisches Phaenomen, nicht hervorgegangen aus irgend
einer „spontanen^ Umwandlung, die im Blute stattgefunden und
auf einem wunderbaren Wege in dem Blute specifische chemische
Stoffe erzeugt hat, sondern vielmehr hervorgegangen aus der Ab-
sorption, aus der Aufnahme von Stoffen aus einer schon bestehen-
den Geschwulst, aus einem Geschwulstheerde, der aber seinerseits
nicht wieder abgeleitet zu werden braucht vom Blut.
Besteht an einer bestimmten Stelle des Körpers ein patho-
logischer Tumor, welcher energisch wächst, welcher also aus dem
Blute eine Reihe von Stoffen anzieht, die er in sich umsetzt, so
versteht es sich ganz von selbst, dass auch aus dem Tumor wie-
der grössere Quantitäten von Stoffen in die allgemeine Circulation
zurückkehren können. Diese Rückfuhr erfolgt bekanntermaassen
durch Lymphgefasse oder durch Venen.
Geht die Rückfuhr durch Lymphgefasse, — und wir
wissen nach den Untersuchungen von Schröder van der
Kolk*), dass selbst im Krebs zahlreiche Lymphgefasse vor-
kommen, — so haben wir wenigstens an den meisten Punkten des
*) A. F. H. de Lespinasse. Specimen anat. path. de vasis Dovis pseudo-
merobraoaram tarn arteriosis et venosis quam lyrophaticis. Daventr. 1842.
p. 41. — F. R. West hoff. Mikroskopische oDderzoekingen over de ontaar-
diDg van äderen en zennwen in kanker. Utrecht. 1860. Bl. &3.
42 Dritte VorlesoDg.
Körpers die Einrichtung, dass die Lymphgefasse sich zunächst
auflösen in Lymphdrüsen, innerhalb der Lymphdrüsen aufhören,
als besondere, selbständige Gefasse zu existiren, und nachher aus
der Drüse sich wieder sammeln, um als wirkliche Kanäle fortzu-
gehen*). Dass nun in der That ein materieller Transport aus der
Geschwulst stattfindet, das sehen wir in der allerevidentesten
Weise daran, dass in einer Reihe von Fällen gerade diejenige
Lymphdrüse, welche zunächst die aus der Geschwulst kommenden
Lymphgefasse aufnimmt, auch der nächste Sitz der neuen Erkran-
kung wird. Es wäre vollständig absurd, wenn wir uns vorstellen
wollten, die Erkrankung der Lymphdrüse wäre die Folge einer
allgemeinen Dyskrasie. Es hat z. B. eine Frau einen Tumor
mammae, welcher vielleicht Monate lang für sich besteht; dann,
in dem Maasse, als er anfängt stärker zu wuchern, bemerkt sie,
dass die Axillardrüsen schwellen. Nach einer gewissen Zeit
steigt die Schwellung. Erst sind es diejenigen Drüsen, welche
der Brust zunächst liegen; dann kommt die nächst« Reihe, und
wenn die Person etwa stirbt, so finden wir, dass die Erkran-
kung sich gradatim in der Kette der Lymphdrüsen nach in-
nen fortsetzt. Oder wenn Jemand eine Geschwulst am Magen
hat, so ist sie zuweilen, wenn die Bildung noch nicht sehr
w^eit vorgerückt ist, beschränkt auf die Wand des Magens. Ist
sie aber schon etwas weiter vorgerückt, so werden fast jedesmal
epigastrische Lymphdrüsen afficirt; und je rapider das Wachs-
thum ist, um so mehr können wir verfolgen, wie eine epi-
gastrische Drüse nach der andern erkrankt, wie die Drüsen
des Mediastinum posticum in die Erkrankung eintreten, wie end-
lich die Jugulardrüsen, die an der Mündung des Ductus thoracicus
liegen, ergriffen werden. Genug, es ist dasselbe, wie wir es bei
dem Transport von Flüssigkeiten in entzündlichen Processen fin-
den: erst kommt die krankhafte Flüssigkeit zur ersten Drüse, dann
erkrankt diese, dann kommt sie zu einer zweiten, diese erkrankt,
und so geht es weiter. Hier bleibt in der That keine andere
Vermuthung übrig, als dass irgend eine materielle Substanz von
dem Orte der ersten Erkrankung in die Lymphgefasse aufgenom-
men wird und nun, indem sie zu der nächsten Lymphdrüse ge-
bracht wird, durch eine wirkliche Metastasis, in dieser die neue
*) GellttUrpatbok>gie. S. 163, 173.
lofectioD.
48
Erkrankung hfirTorbringt, und so fort*). Endlich wird natürlich
der Eall eintreten, dass sokhe Drfltien aflicirt sind, auR denen
LymphgefSsse hervorgehen, welche nicht wieder durch Lymph-
drüsen passiren, sondern welche ihre Lymphe in die gemeinschaft-
liche Bahn der Cirenlation eigiessen. So wird endlich der schäd-
liche Stoff in die gcsammte Circulation gerathen, und dann muss
nothweniligerweise die Dyskrasie eintreten.
An den Venen ist es allerdings sehr viel schwieriger, eine
ähnliche Beweisführung zn liefern, weil wir an ihnen keine solche
Einrichtungen haben, wie die Lymphdrüsen sind, die nna gleich-
sam als Reagentien auf die dyskrasische Substanz dienen.
Wir wissen, dass Venen ans den Geschwülsten hervortreten.
Wir wissen ferner, dass nicht gans selten Geschwulstmasse
bis in die Venen hineinwächst**), so das« sie unmittelbar mit
dem strömenden Blate in Contact kommt, dass die Geschwulst-
masse in Form von Excrescenien in das
'^»- '■ Lumen des Geßsses hangt und die unmit-
telbarsten Beziehungen zum Blute eintreten,
gerade solche Beziehungen , wie sie in der
Placenta zwischen den Zotten des Kindes
und dem Blute der Mutter bestehen , wo der
Stoffaustausch bekanntlich ein sehr rapider ist.
Es ist an sich sehr wahrscheinlich, dass un-
ter solchen Verhältnissen Geschwulstbestand-
theile in die Circulation gerathen, und zwar
können es sowohl einfach flfissige sein, als
auch unter Umständen Partikeln von Ge-
weben, vielleicht Zellen. Dass auf diesem
Wege ähnliche Affectionen entfernterer Theile,
ähnliche Metastasen sich bilden, wie wir
sie in der Lymphcirculation ganz unmit-
telbar vor uns sehen, das wird wenigstens
in einem hohen Maasse wahrscheinlich ge-
macht durch solche Fälle, wo längere Zeit hindurch eine Ge-
Pig. 1. Penetrirender Krebs der Vena cava inferior, tod den Lumbat-
Mkd aasgehend, a- eine krebsig geschwollene Lymphdrüse, mit der Venen-
vand Terwkchsen itnd dieselbe nach innen drüngend b eine fihnlicbe durch-
leschnitten: von da aus ein zackiger Auswuchs in die Vene hereinhingeod.
') 0. Baring. Ceber d. Hurkschvanini der Hoden. GOtt. 1833 S. 165.
**) Vgl. mein Archi* I. S. 112. Gesammelte Abbandlungen znr wissen-
44 Dritte Vorlesung.
schwulst an einem bestimmten Orte besteht, und dann dasjenige
Organ erkrankt, welches in der Richtung der Girculation am näch-
sten folgt, wie es am häutigsten an der Leber vorkonunt.
Ihre Einrichtung steht ja in Beziehung auf die venöse Gircu-
lation der Einrichtung der Lymphdrüsen verhältnissmässig am
nächsten. Ist irgend wo an einem Organe der Bauchhohle, des-
sen Venen sich in die Pfortader ergiessen, eine bösartige Ge-
schwulstbildung vorhanden, so wird, wenn von da aus schäd-
liche Substanz in das Blut gelangt, die Leber dasjenige Organ
sein, welches von diesen schädlichen Theilen zunächst berührt
wird, mit ihnen in unmittelbare Berührung kommt. In der That
ist sie das Organ, welches bei allen malignen Erkrankungen, die
ursprünglich innerhalb des Pfortadergebietes vorkommen, deutero-
pathisch am ersten erkrankt, während sie keine grosse Neigung
zur Erkrankung zeigt bei denjenigen Affectionen, welche ursprüng-
lich ausserhalb des Pfortadergebietes bestehen. Ja, die Disposi-
tion der Leber zu diesen Erkrankungen ist so gross, dass noch
heut zu Tage sehr häufig bei Autopsien die ursprüngliche Quelle
der Erkrankung übersehen wird, und dass man sowohl in der
Klinik als auf dem Leichentisch manchen Fall für einen Fall von
blossem Leberkrebs nimmt, wo sich bei genauerer Untersuchung
herausstellt, dass die Leber nur secundär afScirt, der Leberkrebs
nur ein deuteropathisches Phaenomen ist, welches parallel steht
der Lymphdrüsenerkrankung, wie sie in so vielen anderen Fällen
vorkonmat.
Solche Erfahrungen sprechen in einem hohen Maasse daf&n
dass die erste Geschwulst ein Infectionsheerd ist*),
ein Heerd, von welchem aus bestimmte schädliche Stoffe verbrei-
tet werden, um nach anderen Orten hinzugelangen. Ja, diese
Schlussfolgerung ist so natürlich und nothwendig, dass selbst
solche Autoren, welche schon der ersten „Ablagerung** der Ge-
schwulstsubstanz irgend eine, aus dem Blute mitgebrachte Beson-
derheit zuschreiben, wie Scarpa**), annehmen, es entwickele sich
in der abgelagerten Substanz, die sich Anfangs in einem gewissen
schaftl. Medicin. Frankfurt. 185G. S. 551. P. Sick. Beiträge zur Lehre
vom Veoenkrebs. Tübing. 1862. 11 Q 11 mann. Monographia de carcinomate
renum. Diss. inaug. Hai. 1847.
^) Mein Handbuch der spec. Pathologie u. Therapie. I. S. 340.
**) Antonio Scarpa. Sullo scirro e sul cancro. Pavia. 1825. p. 15*17.
Eliminative Eigenschaften der Geschwfilste. 45
Zustande der Ruhe befände, nachher das „Gift^ durch eine ört-
liche Elaboration und wirke in diesem Zustande auf den Körper.
Aber der Beweis dieser ursprünglichen Besonderheit fehlt. Man
hat allerdings bei der Discussion dieser Fragen sich sehr häufig
auf eine Thatsache berufen, die als besonders beweiskräftig be-
trachtet wurde far die ursprünglich constitutionelle oder dyskra-
sische Natur. Man sagte nehmlich : es kommt sehr häufig vor, dass
eine bösartige Geschwulst an irgend einer Stelle durch Operation
entfernt wird, und zwar vielleicht dauerhaft entfernt wird. Aber
dann entsteht die Gefahr, dass sich an einem anderen Theile des
Körpers, vielleicht an einem inneren Organe, eine neue Geschwulst
ahnlicher Art bildet*). Daraus hat man geschlossen, dass doch
die eigentliche Ursache fortbestehen müsse im Körper, wenngleich
der Heerd, den man unmittelbar vor sich sah, entfernt ist; und
man hat weiterhin gefolgert, dass man eigentlich unrecht handle,
die erste Geschwulst zu entfernen, die vielleicht an einem äusse-
ren, wenig Gefahr drohenden Orte sich fand, und so das Blut
gleichsam zu zwingen, ein anderes Organ zu wählen, an welchem
es seine bösen Lüste kühlen könne und welches nun das Recep-
tionsorgan für die bösen Säfte werden müsse**).
Einer der geistreichsten modernen Pathologen, John Simon f),
hat auf solche Betrachtungen eine an sich sehr anziehende Doc-
trin von der Bedeutung dieser Geschwülste gegründet. Er be-
trachtet die Krebsgeschwulst als eine Drüse, als ein neugebildetes
Secretionsorgan, welches dazu bestimmt sei, oder welches wenig-
stens das Resultat habe, aus dem Körjper, oder genauer gesagt,
aus den circulirenden Säften die schädlichen Stofie anzuziehen und
so das Blut zu depuriren. Aehnlich wie etwa die Nieren den
Harnstoff, diese an sich so schädliche Substanz, aus dem Blute an-
heben und durch diese Anziehung das Blut vom Harnstoff befreien,
so, meinte Simon, würde die Geschwulst gewisse schädliche Stoffe,
die im Blute enthalten sind, an sich ziehen, dieselben sich gleichsam
incorporiren, aber dadurch auch zugleich das Blut reinigen und an-
*) Quiboscunqae occulti cancri fiunt, eos non curare melius est; cu-
rat! enim citius moriuntur; si vero non curentur, multum tempus perdurant.
Hippocrates. Aphor. sect. 6, 38.
^*) Omninro autorum Bententia, quod scilicet Cancer in aliqua parte avul-
SOS. in altera progressu teroporis suboriatur. Pet de Marchettis. Obsery.
med. Chirurg., obs. 29.
t) J. Simon. General pathology« Lond. ISöO. p. 152.
46 Dritte Vorlesung.
dere Organe schützen vor der Einwirkung dieser schädlichen Sub-
stanzen. Würde nun eine solche Geschwulst endlich gax aufbrechen
und ulceriren, also wirklich absondern, dann würde gewissermaassen
ein offenes Secretionsorgan geschaffen, durch welches die schäd-
lichen Substanzen aus dem Körper entleert und die Dyskrasie
wenigstens zeitweise beseitigt werde. Von diesem Gesichtspunkt
aus würde begreiflicherweise die Exstirpation einer „eliminativen^
Geschwulst eben so schädlich sein, wie etwa die Exstirpation einer
Niere. Das unglückliche Individuum, welches das für seinen Zu-
stand gerade geeignete Eliminationsorgan verlöre, müsste in die
grösste Gefahr gerathen, da die relativ physiologischen Zustande,
welche sich mühsam hergestellt hatten, gewaltsam perturbirt
würden.
So viel nun sowohl in den vorhandenen allgemein physiolo-
gischen Thatsachen, als in manchen pathologischen Erfahrungen
für eine solche Doctrin spricht, so ist doch schon in der Argu-
mentation ein sehr grosser Zweifel gegeben. Die Gefahr, welclie
durch die Exstirpation der Geschwulst eintritt, besteht nicht in der
steigenden Infection der Blutmasse, nicht in einem mit der auf
Nephrotomie folgenden Urämie vergleichbaren Zustande, sondern
in der Reproduction der Geschwulst, also in einem Ereignisse,
welches nach Nephrotomie in der Wiedererzeugung der Nieren
bestehen würde. Indess davon kann man absehen. Wenn man
aber weiter sagt: sobald ich eine Geschwulst exstirpire, dann ent-
stehen in der Nähe oder an entfernten Punkten andere ähnliche
Geschwülste, so setzt man voraus, dass diese anderen nach der
Exstirpation entstehen. Das ist der Punkt, der in dieser Theorie
eine Petitio principü enthält. Wir wissen gegenwärtig, dass zur
Zeit der Exstirpation von Geschwülsten sehr häutig andere Theile
schon erkrankt, aber noch keineswegs so sehr verändert sind, dass
sie für die gröbere chirurgische Betrachtung ein erkennbares Ob-
jeet darstellen.
Diese schon bestehenden, aber noch latenten Erkrankungen
finden sich manchmal in der unmittelbaren Umgebung einer Ge-
schwulst. Der Chirurg glaubt, er operire im gesunden Gewebe,
er schneide die Geschwulst ganz und gar heraus, aber wenn man
die Sache genauer ansieht, so findet man, was übrigens die bes-
seren Chirurgen seit länger als hundert Jahren, wussten, dass
das stehengebliebene Gewebe schon erkrankt ist. Bis wie weit
SecundärerkrankuQgen vor der Operation. 47
diese Erkrankung der Nachbarschaft zuweilen in das scheinbar
gesunde Gewebe reichen kann, wie sie sich namentlich in die be-
nachbarten Muskeln, Nerven u. s. w. hinein fortsetzt, das hat na-
mentlich Schröder van der Kolk*), mit besonderem Hinweis
auf die operative Bedeutung dieser Thatsache, in vortrefflicher
Weise dargethan.
Oder es wird vielleicht in loco die Geschwulst vollständig
exstirpirt; die nächsten Lymphdrüsen werden befühlt, man erkennt
noch nichts Besonderes an ihnen, sie erscheinen nicht erheblich
vergrössert, höchstens vielleicht ein wenig angeschwollen, wie bei
allen Reizungszuständen. Man lässt sie drinnen, und nach kurzer
Zeit fangen sie an zu wachsen und bilden eine selbständige Ge-
schwulst; ja sie können einen grösseren Umfang erreichen als die
ursprünglichen Geschwülste. Ich habe den Fall (wiederholt) erlebt,
dass man Jemand den Penis amputirte wegen eines sogenannten
Carcinoma penis, das den Umfang eines massigen Apfels hatte,
zu einer Zeit, wo noch gar keine weiteren Veränderungen an einem
anderen Theilc zu existiren schienen. Nach einiger Zeit kam der
Mann wieder in das Hospital wegen einer Inguinalgeschwulst,
welche die Grösse eines Kindeskopfes hatte. Als sie aufgebrochen
war, gab sie ein Geschwür von jauchiger Beschaffenheit und enor-
mem Umfang. Niemand wird daraus den Schluss machen, dass
die Dyskrasie, welche am Penis ihren £ruptionsort verloren hatte,
sich nun gerade die Inguinaldrüsen gewählt hatte. Im Gegen-
theil, wir können nicht anders schliessen, als dass zu der Zeit,
wo der Penis abgeschnitten wurde, die Inguinaldrüsen schon er-
krankt waren, und dass sie, wenn der Penis nicht abgeschnitten
worden wäre, gewachsen wären, wie jetzt, wo der Penis ent-
fernt war.
So verhält es sich nicht selten auch mit inneren Organen.
Wenn man Personen, die scheinbar blos eine äussere Geschwulst
haben, secirt, so ist es gar nichts Ungewöhnliches, an mehreren
inneren Organen, deren Erkrankung man bei Lebzeiten des Kranken
gar nicht vermuthet hatte, Geschwülste zu finden. Man trifft Ge-
schwülste in den Lungen, Geschwülste in den Nieren, Geschwülste
in der Leber, von denen man keine Ahnung hatte, weil sie keine
*) Schröder van der Kolk. Over de vormiog en verspreiding vao
kaBkerceUen in deu omtrek van kanker en bet gewigt hiervan bij het doen
eener operatie. NederL Lancet. 1&53—1854. Bl. 129.
48 Dritte Vorlesung.
Protuberanzen bildeten, die Function des Organes nicht sichtlich
beeinträchtigten, für die also keine Symptome existirten. Das
beobachten wir Alles, während die ursprünglichen Geschwülste
bestehen. Wenn ich nun den Fall habe, dass eine Person, der
eine äussere Geschwulst exstirpirt wird, einige Zeit nach der Ex-
stirpation stirbt, und ich finde auch in den inneren Organen Ge-
schwülste, so kann ich nicht einfach annehmen, dass die Ge-
schwülste sich erst nach und wegen der Exstirpation gebildet
haben. Ich selbst habe es erlebt, dass einer Person die Brust
abgeschnitten wurde, und sie nachher eine spontane Fractnr des
Oberschenkels erlitt, weil sich da eine ähnliche Geschwulst befand,
welche sich erst nach der Exstirpation gebildet haben sollte. Ein
solcher Fall würde ganz beweisend sein, wenn nicht dieselben Ge-
schwülste, dieselben spontanen Fracturen bei Personen vorkämen,
an denen nichts exstirpirt worden ist. In allen diesen Fällen ist
es viel natürlicher, viel begreiflicher, mehr entsprechend dem,
was wir sonst in physiologisch-anatomischen Dingen wissen, an-
zunehmen, dass zur Zeit, wo die Exstirpation gemacht wurde,
schon das Secundärgebilde existirte, aber in kleiner Form, und
dass es einer gewissen Zeit bedurft hat, um so zu wachsen, dass es
eine erkennbare Störung, ein Symptom hervorbringen konnte.
Daher betrachte ich weder die sogenannten Recidive, das
heisst, das Wiederhervorwachsen von Geschwulstmassen an dem
Orte der Operationsstelle, noch das Auftreten von ähnlichen Ge-
schwülsten in entfernten Organen, das, was man in der neueren
Zeit gewöhnlich die Generalisation genannt hat, als Ereig-
nisse, welche unabhängig von der ersten Geschwulst, als das Re-
sultat der Einwirkung einer Dyskrasie auf diese Theile zu be-
trachten wären. Gerade bei den localen Recidiven sehen wir auf
das allerbestimmteste, wie sie zu Stande kommen durch eine
Erkrankung, welche sich von dem Orte der ersten Bildung schritt-
weise in die Nachbarschaft fortsetzt und welche auch ohne irgend
einen operativen Eingriff in gleicher Weise fortschreitet Es ist
dies ein Vorgang, den man genau kennen muss, wenn man über-
haupt das Wachsthum der meisten Geschwülste begreifen will.
Gewöhnlich stellt man sich vor, dass, wenn in irgend einem
Theil eine Geschwulst sich bildet, dieselbe von sich aus wachse.
Manche denken sich, dass immer wieder neue Exsudate abge-
lagert und daraus neue Geschwülste gebildet werden. Andere
Vachsthum der GeiohnOIste. 49
nehmen an, dass die Geechwalst immer neue Bestandtheile in sich
«afainimt und so durch Intussusception weiter wächst. Das ist an
sich gleichgültig; denn darin stimmt die Mehrzahl überein, dass
sie sich denkt, die Geschwulst wachse, indem sie sich von sich
ans vergrÖBsere, und in dem Maasse, als sie sich vei^rössert,
würden die Naehbartheile verschoben und durch den Druck der Ge-
schwulst lur Atrophie, znm Schwinden gebracht. Sitzt eine Ge-
schwulst unmittelbar an einer Oberfläche, so weiss man freitich,
dass sie in der Regel nicht nach allen Seiten gleichmässig
wächst, sondern dass hauptsächlich die im Organ liegende Partie
imnier mehr zunimmt. Aber auch hier stellt man sich vor, dass
das Wachsthum von innen nach aussen gehe. Das ist im Allge-
meinen unrichtig. Höchstens für einzelne gutartige, mehr unschul-
dige Formen trifft eine solche Vorstellung lu, aber sie wird um
so mehr unrichtig, je entschiedener die Malignität der Neubildui^
ist Im letzteren Falle nehmlich kann man sieb bestimmt Über-
lengen, dass nicht die alte Geschwulst, nicht das zu einer ge-
Fig. 3. SeeoadSre multiple Kiokroidknoten der Leber sowohl von der
OberflSche, sie von der Scfanittfläcbe aus gesehen. Bei c, e gaoi kleine frische
Bwrde. Die grOsieren Knoten a, b aus zahlreichen kleinereD KDÖtchen
tammnengeaetit ; d. eine durchscbnitteoe Vene.
Tlieks«, GMckwUii*. I. 4
50 Dritte VorlesuDg.
wissen Zeit bestehende Ding in sich oder von sich aus w&chst,
sondern dass sich immer wieder neue accessorische Heerde
in der Nachbarschaft bilden, durch deren Anschluss die Ge-
schwulst wächst, und dass also der grosse Knoten, den man zu-
letzt hat, eine Summe, einMultiplum von kleinen Heer-
de n*) ist, die sich miteinander vereinigen, miteinander zusam-
menfliessen und so schliesslich einen scheinbar einfachen Körper
repräsentiren.
Das Wachsthum also erfolgt so, dass der zuerst bestehende
kleine Knoten oder, wie ich ihn nennen will, der Mutterkno-
ten**) nur bis zu einer gewissen Grösse wächst; nachher hört er
auf zu wachsen. Inzwischen bilden sich aber in seiner Umgebung
neue Knoten, gleichsam eine Zone von neuen Heerden. Diese
neuen Heerde können endlich so gross werden, dass sie eioander
berühren und sowohl unter einander, als
mit der Hauptmasse zusammentreten.
Dann bildet sich wieder eine neue Zone,
und zwar liegen, wie ich besonders be-
merken will, die accessorischen Knötchen
nicht etwa immer im unmittelbarsten Zu-
sammenhange mit den alten, sondern
nicht selten befindet sich eine gewisse
Distanz dazwischen, welche von altem Gewebe eingenommen ist.
Dieses heerdweise Wachsthum zeigt ganz bestimmt, dass
von dem Mutterknoten aus eine bestimmende Anregung auf die
Nachbartheile ausgeht, wodurch diese zu einer analogen Erkran-
kung veranlasst werden, wodurch in den Nachbartheilen ein ähn-
licher Process hervorgerufen wird, wie der ProcesS war, durch
den die erste Bildung geschah. Denn die Beobachtung ergiebt
unmittelbar, dass die accessorischen Knoten aus einer Wucherung
Fig. 3. Schematiäche Darätelluog dos Geschwulstwachsthums. A. Eio
an der Oberfläche eines Organs gelegener Knoten: a, der älteste Tbeil
(Mutterknoten), h. die nächst alte Schicht der Secundärknötcben , c. die
vorletzte, d, die jüngste Schicht. B. Ein ähnlicher Collektivknoteo im Innern
eines Organs mit circulären Zonen accessorischer Knötchen.
^) Cellularpathologie. S. 425.
*^) Dieser Ausdruck, welcher längst beim russischen Landvolk fQr den
ersten Milzbrand-Knoten im Gebrauche war (vgl. mein Handbuch der spec.
Path. u. Therap. II. Zoonosen. S 399.), passt auch für die Geöchwäute
in ausgeseichDeter Weise und verdient allgemein in die TermiDologie anf-
genommen zu werden.
Inficirende Säfte. 51
der Gewebselemente der Umgebung, und nicht, wie man noch vor
Kurzem annahm, aus Exsudat oder ausgeschwitztem Blastem her-
vorgehen. Diese Anregung, die inmitten fester Gewebe erfolgt,
kanu nicht wohl anders gedacht werden, als durch die Yermittelung
von Flüssigkeiten, von Säften, — von Säften, die in dem
Mutterknoten erzeugt worden sind, die von da aus auf dem Wege
der Imbibition in die Nachbarschaft eindringen und in dieser
die neuen Störungen erregen*).
Es verhält sich damit ganz ähnlich wie mit der Propagation
mancher Entzundungsprocesse. Man sehe sich ein Erysipelas an :
der Process kriecht hier von Ort zu Ort, eine Stelle erkrankt
nach der andern, und wir kOnnen nicht umhin anzunehmen, dass
die Erkrankung der späteren Stelle eine Folge der Erkrankung
der früheren Stelle ist, dass die später erkrankte Stelle von der
ersteren zu einer ähnlichen Erkrankung bestimmt wurde. Oder,
es bildet sich an der Oberfläche des Körpers eine Eiterpustel mit
etwas scharfem Secret, das Secret fliesst in dieNachbarschaft hin-
über und es entstehen dort ähnliche Pusteln. Erinnere man sich
nur an manche syphilitische Affectionen, z. B. die breiten Con-
dylome (Plaques muqueuses), wo sich von Ort zu Ort die Störung
fortpflanzt. Auch in vielen Fällen von Geschwulstbildung lässt
sich nicht wohl ein anderer Modus der Verbreitung denken als
der, dass ein schädlicher Saft, ein Succus oder Humor in dem
Theil erzeugt wird, der in die Nachbarschaft eindringt, in dieser
als neuer Anreiz zu analoger Bildung dient, und so den neuen
Heerd hervorruft. Wie will man anders jene scheusslichen For-
men von Skirrh erklären, wo die Haut in immer grösserer Aus-
dehnung, zuweilen in über Quadratfuss grossen Flächen, im Um-
fange eines zuerst ganz beschränkten Heerdes erkrankt (Cancer
en cuirasse)?
Meiner Ansicht nach ist gerade das Studium der localen
Vergrösserung der Knoten einer der entschiedensten Beweise für
die infectiöse Natur der Stoffe, welche in der Geschwulstsubstanz
entstehen; und die Bildung dieser neuen Heerde, oder, was man
*) Zum erstenmal habe ich diese, meiner Ansicht nach Überaus wichtige,
Doctrin an der Geschichte des Enchondroms entwickelt, wo ich zugleich
dartbat, dass die Imbibition der inficirenden Säfte durch die Anastomosen
der Bindegewebselemente erfolgte und die neuen Geschwulstheerde von letz-
teren aasgiogen. (Mein Archiv. 1853. Bd. V. S. 245.).
4»
5-2 tiritt« VorleBung.
kurzweg dag Wachsthuni der Geschwulst geniinnt hat, das ist fllr
raifh genau dasselbe, wie die Erkrankung der Lymphdrüsen und
entfernter Organe im Laufe der Generalisation- In allen drei
F&llen liaben wir eine Ansteckung, eine Art von Contagion,
wo ein Ansteckungstoll', eine infectiöse Substanz, ein „Miasma"*)
von dem Orte der ersten Bildung aus sich verbreitet, theilet auf
dem Wege der direeten Imbibition, der einfachen Endosmose in
die Nachbarschaft, theils auf dem Wege der Lymphströmung lu
den nächsten Lymphdrüsen**), theils auf dem Wege der fijuti^ir-
culation durch die Venen.
Ob dabei nur Saft aufgenommen wird, das ist eine Frage,
die sehr viel schwieriger zu beantworten ist, und ich läugne nicht,
dass die Möglichkeit vorliegt, ja, in manchen Fällen eine gewisse
Wahrscheinlichkeit besteht, dass nicht blos Säfte, sondern auch
morphologische Bestandtheile, namentlich Zellen, mit in Bewegung
gesetzt, werden und gleichsam als Inoculationsmittel dienen.
Zunächst nehmlich ist es nicht ungewöhnlich, die Lymph-
gefässe selbst mit Geschwulstmasse, zuweilen auf sehr lange
Strecken, crfiillt zu linden. Das kommt nicht bloss bei Krebs und
Kankroid, sondern auch bei anderen Geschwülsten, z. B. Enchon-
drom vor. Die Geschwulst sendet auf diese Weise innerhalb der
V i s. 4. KreÜH der Lymphge^se so der LungeDob«rfl&cbe. a. ein
I.uDgeiiTäppcheD mit volInlSiidiger lofiltratiuii des grossen RandgelSaaM ood
mit beginnender FQIIung der kleineren CenlralueUe. b. eiu grCsserea LuDgen-
ia[)pchen mit fast vollatändiger POlluog des ganieu Lymphgeftss neues.
c TülUliudige FUlluog aaä xunehmeode Erweiterung des NaUet. NstQrticbe
*) llaodbui'h der spee. Patli. u. Therap. 1. S. 216, »71. Oedui«elta
Abbnndlungen S. ftü. /iiuriustDÜcio, ich verunreinige.
"j CelluUrpMhoIoeifl. S 203 ff.
GeschwolstmasBen in Lymph- und Blutgefässen. 53
Ljmphgefasse gleichsam Aeste und Zweige aus, wie ein Baum,
mid es kommt vor, dass die Aeste endlich die Wand der Lymph-
gefasse sprengen, das umgebende Gewebe durchbrechen und frei
zu Tage treten. Einer der ausgezeichnetsten Fälle dieser Art,
die ich sah*), betraf ein breiiges Kankroid des Uterus, wo
die Lymphgefässe des Bauchfells und, von den erkrankten Bron-
chialdrüsen aus, auch die Lymphgefässe der Lungen weithin mit
Kankroidzapfen gefällt waren und wo sowohl frei in die Bauch-
höhle, als in die Bronchien wurmförmige Massen ausgetre-
ten waren, welche ganz aus Geschwulstzellen bestanden. Es
giebt also zwei Möglichkeiten, wie zellige Elemente durch die
Lymphgefässe verbreitet werden können: eine, indem sich von
den Enden der in die Lymphkanäle hineingewachsenen Zapfen
Zellen ablösen, die mit dem Lymphstrom fortgeführt werden ; eine
zweite, indem die Zapfen durchbrechen und sich frei in die
Höhlen und Kanäle des Körpers entleeren. Aber ich kann mich
nicht überzeugen, dass der eine oder der andere dieser Wege für
die Bildung der Metastasen der regelmässige wäre; in der Mehrzahl
der Fälle sind die Lymphgefässe zwischen Geschwulst und Lymph-
drüsen offen und nur mit Flüssigkeit gefällt.
Nicht selten findet man aber auch, wie ich schon sagte, in
den Venen hineinwachsende Geschwulstmassen, die sehr brüchig
sind und von denen sehr leicht Ablösungen geschehen können.
Manche Beobachter haben behauptet, in dem Blute selbst solche
Zellen gesehen zu haben**). Ich will das nicht absolut bestrei-
ten, denn es ist immer sehr misslich, etwas, was Jemand positiv
gesehen haben wiD, mit Bestimmtheit zu bestreiten; indessen
giebt es eine Menge von Fehlerquellen***). Es kommt vor,
dass man grössere zellige • Elemente im Blut findet ; diese
brauchen aber nicht gerade Geschwulstelemente zu sein. In Lei-
chen löst sich Epithel von der Oberfläche der Gefasse ab und
geräth in das Blut. Wahrscheinlich gerathen auch von der Milz
•) Virchow Trois observations de tumeurs epitheliales g^neralisees.
Gaz. med. de Paris. 1855. p. 212—213.
••) Andral. Hematologie pathol. 1843. p. 179. Heller. Arohiv für
Mikroskopie u. Chemie. 1846. Hft. 1. Wernher. Zeitschr. für rat. Medicin.
Neue Folge. 1854. Bd. V. S. 109. Rokitansky. Allg path. Anat. 1846.
S. 553.
•••) Virchow. Medic. Zeitung d. Vereins f. Heilk. in Preussen. 1846.
No. 35. S. 165. Gesammelte Abhandl. S. 163.
54
DrittB VorlesODg.
aus grössere Elemente ins Blut, welche für GeschwulstzeUen an-
gesehen werden können. Hierin muss man sehr vorsichtig gein.
Aber ich selbst habe uniweifelhafte Fälle gesehen, wo ganie
Geschwulstfragmente in schon mit blossem Auge zu erUennentter
Grösse aus Venenkrebsen losgelöst und in die Lungenarterien ge-
langt waren. Auch in der Lymphe des Ductus thoracicns sind
Elemente beobachtet worden, welche wenigstens den krebsigen
im höchsten Maasse ähnlich waren*).
Das macht es mir allerdings sehr wahrscheinlich, dass unter
Umständen ein Transport morphologischer Partikel statttinden
kann. Ja, es giebt einen Fall, wo eine derartige Verbreitung
sehr viel wahrscheinlicher ist als die durch blosse Säfte ; das ist
die Verbreitung, wie sie namentlich in grösseren serösen Höhlen
vorkommt, wo von einem bestimmten Organ aus die Erkrankung
sich fortpflanzt. Besteht z. B. ursprünglich ein Magenkrebs, der
bis auf die Serosa reicht, so sieht man nicht selten eine multiple
Krebsoniption über das Peritonaeum auftreten, aber nieht gleieh-
massig, sondern oft an sehr entfernten Punkten, und zwar gerade
an soklion, welche geeignet sind, Stoffe, die auf den glatten Ober-
flachen der Bauchwand heruntergleiten, aufzufangen, z. B. in der
Gegend der Ligamenta vcsicae lateralia, in der Excavatio recto-
Fic. .'i. nisscniinirter Krebs des Peritonaeum nach primärem Krebs
de« Hagenn. Um die kleini-ren Knttlelien Pigmenthcre.
•) A. ßuei. Du Cancer eidestcurabiliU. Paris. 1860. p. 59. PI III. Fig. 1.
Dissemination. 55
Tesicalis, recto- uterina oder utero- vesicalis. An diesen Orten
bilden sich neue kleine Geschwulstinseln, Tochterknoten,
gerade wie wenn ein Sem in iura*) ausgestreut wäre, welches
hier und dahin gefallen wäre und gekeimt hätte. Ich. kann diese
Erscheinung nicht besser vergleichen, als wenn an einem Berg-
abhang hier und da ein Baum oder ein Strauch sich findet, von
denen man annehmen muss, dass sie auf bestimmte Weise durch
Samen dahin verpflanzt sind, und dass etwa durch Herunterfallen
von oben her auf jedem Vorsprung einzelne Samenkörner sich
festgesetzt und Wurzel getrieben haben.
Das sind keine absoluten Beweise, aber sie bestimmen mich,
über die Art der Verbreitung selbst ein limitirtes Urtheil abzu-
geben, in der Weise, dass ich die Möglichkeit nicht bestreite,
dass Gewebstheile abgelöst und fortgeführt werden und dass von
ihnen die neue Erkrankung ausgeht**). Ich halte es aber für
unwahrscheinlich, dass diese Möglichkeit häufig verwirklicht wird
oder dass eine Verbreitung durch versetzte Gewebstheile die Regel
ist. Gera de in ausgezeichneten Fällen von Venen -oder
Lymphgefässkrebs finden sich oft garkeine odersehr
wenige und kleine metastatische Knoten, während umge-
kehrt bei sehr ausgesprochener Multiplicität der Metastasen solche
Affectionen ganz und gar fehlen können. Man sollte sich daher
sehr hüten, hier aus einzelnen Fällen aUgemeine Regeln abzuleiten.
Wahrscheinlich kommen beide Arten der Contagion vor, aber ich
halte die rein humorale doch für die wichtigere. Da die zelligen
Elemente innerhalb der Geschwulst selbst als diejenigen betrach-
tet werden müssen, welche die schädlichen Säfte produciren, so
werden sie freilich auch Träger sein können, welche diese
Säfte fortfuhren an entferntere Punkte. Das kann man durch die
Beobachtung sicher feststellen, dass nicht etwa ein solches aus-
gestreutes Zellen -Seminium aus sich selbst die neuen Ge-
schwülste hervorbringt, dass nicht etwa die neuen Knoten aus
den versetzten Zellen selbst hervorwachsen, sondern dass an
Ort und Stelle wieder die vorhandenen Gewebe er-
kranken***) und aus ihnen erst durch örtliche Wucherung die
•) Cellularpathologie. S. 205.
**) GeBammelte Abhandlungen. S 53.
♦♦•) Cellularpathologie. S. 205.
56 Dritte Vorlesung.
sogenannten Metastasen, die Tochterknoten erzeugt werden. Es
handelt sich also immer um eine Infection, die von dem abge-
lösten Theil auf das locale Gewebe ausgeübt wird, und selbst
die Dissemination durch Geschwulstelemente fuhrt uns auf
die Nothwendigkeit, diese Elemente nur als Träger und Erzeuger
eines Ansteckungsstoffes zu betrachten, der seinerseits nicht an
die Elemente gebunden ist
Vierte Vorlesung.
22. November 1862.
Aetiolojpe der HeoplastisdieH Gfsdiwiilste.
Dyskrtsie and Kachexie. Nenropathologische Ansichten. Oertliche Disposition der Gewebe.
Erblichkeit: congenitale Geschwülste, Pr&di^posltion (Schw&che). Voran f gegangene StSrnngen:
Karben, aagebome Missbiidongen , Entanndungen. Lage, Einrichtung und Function der Or-
gane. Mechanische Verletzungen. Retention der Hoden. Pradilectionsstellen und Immn-
Dititen. Verschiedenartige Disposition fnr Prim&r- und fiecund&rgeschwiilste (Metastasen).
Constitutionelle Diatbese. Oertliche Ursachen und homologe Oeschwulstbiidong bei speci-
fischer Dyskrasie.
Die Merkmale, welche man, wie gesagt, för die Heterologie einer
Geschwulst anzuführen pflegt, sind folgende:
1) die locale Progression, das Wachsthum durch Bildung
neuer accessorischer Heerde im Umfange des Mutter-
knotens, das, was man, wenn die Geschwulst ulcerös
wird, das Fressen nennt, und worauf seit dem Mittelalter
der Name Cancer besonders hinweist. Denn Cancer im
mittelalterlichen Sinne bedeutet das Fressen des ge-
schwnrig gewordenen, nicht das des geschlossenen
Tumors.
2) die Recidivirung in loco nach der Exstirpation,
3) die Erkrankung der Lymphdrüsen,
4) die Bildung der metastatischen Heerde in entfern-
ten Organen, die Generalisation.
Alle diese Eigenschaften, haben wir gesehen, erklären sich
viel natürlicher durch eine secundäre Infection, als durch eine
oreprüngliche Dyskrasie. Denn was das Recidiviren nach einer
5g Vierte Vorlesung.
Operation betrifft, so begreift sich dieses leicht aus der Erfah-
rung, dass sehr häufig die Exstirpation nicht rein geschieht*).
Wenn ich eine Geschwulst ausschneide und nun in der Voraus-
setzung lebe, ich habe die ganze Geschwulst erwischt, während
eine Zone von Erkranktem bestehen bleibt, die noch sehr wenig
vorgeschritten sein mag, die aber, wenn ich die Wundränder an
einander fuge und eine Vernarbung erziele, zu den Seiten der
Narbe sitzt, so ergiebt sich ja von selbst, dass von dieser Stelle
aus auch die Bildung einer neuen Geschw ulst mit grosser Leich-
tigkeit vor sich gehen kann und vor sich gehen wird. Das ist,
wie schon erwähnt (S. 46), nicht eine blosse Argumentation,
sondern ein directes Resultat der Beobachtung, w^as man mit
grosser Leichtigkeit prüfen kann, wenn man jedesmal die Schnitt-
rftnder des exstirpirten Theils sorgfältig untersucht.
Ist nun aber die Verbreitung aller dieser neuen Erkrankun-
gen, die Bildung der Tochterknoten viel natürlicher zu erklären
durch eine secundäre Infection als durch eine primäre Dyskrasie,
dann steht es auch misslich um die primäre Dyskrasie als Er-
klärungsgrund für die erste Geschwulst. Denn mit der Erklärung
der Tochterknoten fallen eigentlich alle diejenigen Gründe weg,
die uns bestimmen könnten, für die erste Geschwulst eine Dys-
krasie zu statuiren. Man beruft sich allerdings häufig noch auf
eine andere Erscheinung, die aber ganz und gar missverstanden
ist: auf die Kachexie, auf das üble Aussehen der Kranken, auf
den Verfall ihrer Ernährung, auf die Verminderung der rothen Blut-
körperchen (Anämie, Oligämie), auf die Störungen der D gestion
und wer weiss was sonst noch alles. Das kommt alles vor, das
ist gar kein Zweifel; aber es ist eben so unzweifelhaft, dass es
Fälle der ausgemacht bösartigsten Geschwulstbildnng giebt, wo
von allen diesen Dingen nichts zu sehen ist. Prüfen wir die
Fälle, in denen die Kachexie besteht, so ergiebt sich wieder, dass
ein grosser Theil davon eben in Folge des localen Geschwulst-
verlaufes eintritt, der mitunter mit grossem Stoffverbrauch, mit be-
trächtlichen Blutungen, mit starken Säftevorlusten, mit fauligen Zu-
ständen verbunden ist, die auf den Körper zurückwirken. Wenn
eine Person eine maligne Geschwulst am Uterus bekommt, so ist
^) John Pearson. Pract. obs. on cancerou9 coroplainta. Lond. 1793.
Pf. 83.
Kachexie. 59
sie zu der Zeit, wo die Geschwulst sich einstellt, in der Regel
nicht kachektisch; und daher ist man erst in neuerer Zeit, wo
man angefangen hat, locale Untersuchungen mit grösserer Sorg-
falt und Häufigkeit anzustellen, auf die frühesten Entwickelungs-
zustände der üteringeschwülste gekommen. Bildet sich nun aber
später eine Verschwärung, welche weiter und weiter frisst und mit
starken Blutungen und Absonderungen verbunden ist, dann sehen
wir jene kachektischen Zustände sich ausbilden, — Zustände, die
bei vielen anderen ulcerösen Processen in gleicher Weise bestehen
und in keiner Weise etwas specifisch krebsiges haben.
In einzelnen Fällen hat man sich freilich darauf berufen, dass
solche Personen ein ganz besonderes (gelbliches oder erdfahles)
C^lorit bekommen. Das lässt sich nicht läugnen. Aber man
wurde grosse Schwierigkeiten haben, wenn man auf Grund dieses
Merkmals Krebse diagnosticiren wollte. Es finden sich in der
Regel bei solchen Fällen, wo die Digestionsorgane, namentlich der
Magen, vielleicht die Leber mit afficirt sind, ausser den allge-
meinen und örtlichen Emährungs- Störungen, die man leicht be-
greift, zumal wenn man an die so häufige Mitleidenschaft der
epigastrischen und mesenterialen Lymphdrüsen denkt, allerlei
Farbenveränderungen*). Aber das sind mehr accidentelle Er-
scheinungen, die keineswegs unmittelbar aus der Dyskrasie hervor-
gehen**). Wenn man gelegentlich ein ganz florides Individuum
sieht, das mit den reinsten Farben ausgestattet ist und doch seine
maligne Geschwulst hat, da wird man von der Untrüglichkeit die-
ses Merkmals auf die Dauer kurirt.
Es würde indess sehr gewagt sein, wenn man nach diesen
Praemissen die Behauptung aufstellen wollte, der Zustand der
Säftemasse sei ganz gleichgültig für die Entstehung von Ge-
schwülsten, sie seien immer nur zu erklären aus örtlichen Ver-
andeningen. Das will ich in keiner Weise sagen. Dass durch
eine allgemeine Stönmg der Ernährung in dem Körper gewisse
Dispositionen geschaffen werden, dass gewisse Organe durch
*) Auf einen besonderen Fall der Kachexie komme ich noch in der
sechsten Vorlesung zurßck.
**) Phil. T. Walt her behauptete, es gebe nicht nur eine eigenthümliche
Rrebsphysiognomie , sondern diese sei bei den verschiedenen Krebsen z. B.
bei dem Magen-, Fruchthalter-, Mastdarm-, Gesichtskrebs überall eine andere
(Gräfe u. Walther Journal V. S. 218.). Wäre dies richtig, so würde es na-
türlich erst recht für die deuteropathische Bedeutung dieses Zeichens sprechen.
so Vierte Yorlesong.
solche allgemeine Störangen mehr za Erkrankungen disponirt
werdea, da« igt eine allgemein bekannte Erfahrung ; und dass un-
ter Umstanden irgend eine voraufgegangene Krankheit, welche in
dem Körper eine Veränderung der Ernährung überhaupt, eine
Veränderung der Blutmiscbung oder eine Veränderung einzelner
Theile hervorgebracht hat, die Bedeutung einer praedisponirenden
haben könne, das halte ich ffir durchaus zulässig. Aber es ist
ein grosser Unterschied, ob man diese Zustände von Dyskrasie
und Emährungstörung nur als praedisponirende betrachtet, oder ob
man sie geradezu als die Causa essentialis, als den eigentlichen
Grund hinstellt. Die praktische Auffassung stellt sich danach
wesentlich verschieden.
Gegenüber den humoralpathologischen Doctrinen hat man
eigentlich neuropathologische in Beziehung auf die Ge-
schwülste nie mit grosser Consequenz durchgeführt Freilich hat es
einzelne enthusiastische Neuropathologen gegeben, welche geglaubt
haben, gerade in den Beziehungen des Nervenapparates den näch-
sten Grund Ittr irgend welche Geschwulstbildung zu finden. Ins-
besondere ist es nicht schwer, wenn man sich mit der Special-
literatur der Geschwülste beschäftigt, zahlreiche Autoritäten für
die Ansicht zu ermitteln, dass deprimirende moralische Einflüsse,
wie Sorgen und Kummer, dass unmittelbare Verletzungen der Ner-
ven oder schwere fieberhafte Störungen Veranlassung zu Ge-
schwulstbildungen gegeben hätten. Am meisten ist diese Art von
Ursachen beim Magenkrebs angeführt worden*), aber die Gründe
dafQr sind sehr schwach, und gewiss hat Barras**) nicht Unrecht,
wenn er meint, dass viele der sogenannten nervösen Vorläufer
schon Symptome des Magenkrebses selbst seien. Andererseits er-
giebt die Statistik, dass sowohl Krebs überhaupt, als Magenkrebs
insbesondere bei Wohlhabenden häufiger ist, als bei Armen •**),
und man könnte daraus ableiten, dass die mehr nervösen Schich-
ten der Bevölkerung mehr ausgesetzt sind. Aber diese Deutung
ist an sich sehr bedenklich; ganz unzutreffend wird sie, wenn man
•J Rene Prus. Neue Uotersuch. über die Natur und die Behandlung
deB Magenkrebse». Aus dem Franz. von Balling. WOrzbarg. 1829. 8. 64.
••) Barras. Precis analytique sur le cancer de Testomac. Pari«. 1842.
|>ag. 14.
***) Walter Ha3rle Walsbe. Tbe natnre and treatment of Cancer.
Und. 1846. p. 159. Marc d' Espin e dans TEcho medical. Neach. 1868.
T. II. p. 322.
Nervöse Störaogen. 61
nicht blo8 den Krebs, sondern auch andere Geschwülste mit in
Betracht zieht. Auf alle Fälle könnte die Einwirkung der Ner-
ven nicht weiter gehen, als dass dadurch eine Schwächung des
Körpers gesetzt würde, welche eine ähnliche Bedeutung haben
könnte, wie die nutritiven Störungen, nehmlich eine praedispo-
nirende*).
Unter den neueren Beobachtern ist es nur ein einziger ge-
wesen, der eine mehr plausible Theorie für die neuropathologisehe
Auffassung aufgestellt hat; das war der kürzlich verstorbene
Schröder van der Kolk. Schon vor einer Reihe von Jahren
war bei Versuchen, die unter seiner Leitung über die Regenera-
tion von Knochen nach Fracturen angestellt wurden**), der Fall
vorgekommen, dass bei einem Kaninchen, welchem nach Durch-
schneidnng der Schenkelnerven das Bein gebrochen war, statt
eines regelmassigen Gallus sich jederseits aus der Markhöhle der
Tibia eine weiche Geschwulst hervorbildete, von der Schröder
meinte, es wäre Fungus medullaris. Ich habe das Praeparat
selbst in Utrecht gesehen, weil es mich in hohem Grade inter-
essirte; allein ich habe nichts daran wahrnehmen können, was
mich bestimmt hätte, die Veränderung für Krebs zu halten. Ganz
ähnliche Veränderungen kann man bei Kaninchen leicht hervor-
bringen, wenn man ihnen den Unterkiefer in der Mitte bricht.
An dieser Stelle kommen natürlich erhebliche Nervenverletzungen
nicht vor, da die Nerven von beiden Seiten herantreten; bricht
man in der Mitte durch, so kann eben nicht viel von ihnen
verletzt werden. Aber die gebrochenen Knochen verschieben
sich fortwährend an einander; wenn das Kaninchen die Kiefer
bewegt, so reiben sich die Bruchstücke gegen einander, es
entsteht ein dauernder Reiz und es bildet sich eine Art von
Tumoren. Aber das sind entzündliche Tumoren, welche nichts
weiter enthalten, als in gewissen Richtungen Bindgewebszüge, in
welche auch wohl Knochen eingeht, und zwischen ihnen Eiter
uod Granulationen, aber nichts weniger als Krebse, am wenig-
sten Krebse, deren Bösartigkeit festgestellt wäre. Ja, wenn
man Geschwülste erzeugt hätte, die nachher Metastasen ge-
*) Cellularpathologie. S. 292. Handbuch der spec. Path. u. Therapie.
I. S. 276.
**) Jaous Wittop KoDiog. De vi oervoram in ossium regeneratione.
Diss. inaug. Triyecti ad Rh. 1834. p. 60.
62 Vierte Vorlesung.
macht hätten, dann wollte ich mich allenfalls fugen; indess so
kann ich nicht umhin, zu sagen, dass nach meiner Ueberzeugung
der Fall missverstanden worden ist, und dass damit die Noth-
wendigkeit wegfallt, ihn zu deuten. Schröder*) meinte, da in
seinem Falle sich ein Krebs gebildet habe, so liesse sich das
nicht anders denken, als dass, weil der Nerveneinfluss fehlte, in
dem regenerativen Processe an der Bruchstelle die regulatorische
Kraft fehlte, die er dem Nervensystem zuschrieb, so dass die
neuen Gewebselemente auf eigene Faust wie parasitische Existen-
zen sich entwickelten, sich nicht nach dem typischen Gesetz des
Körpers zu Gallus formirten, sondern als Zellen weiter wucherten
und so eine Art von verlornen Söhnen darstellten, welche das
Resultat eben nicht zu Stande brächten, für welches sie ursprüng-
lich angelegt waren. Aber es war dies ein einziger Versuch,
und dieser ist meiner Ueberzeugung nach nicht beweisend. Im
Gegentheil, wir haben eine so grosse Zahl von Experimenten, wo,
nachdem die Nerven durchschnitten waren, bei allen möglichen
Arten von Thieren an den Extremitäten alle möglichen Insulta-
tionen, auch Fracturen hervorgebracht sind, dass sicherlich einmal
ein Krebs entstanden sein müsste, wenn gerade der aufgehobene
Nerveneinfluss das entscheidende Moment wäre.
Wenn man demnach weder im Blute noch im Nervenapparat
den gesuchten Ursprung der Geschwülste überhaupt auffinden
kann, so kommt man ganz natürlich auf die Gewebe
selbst, aus welchen die Geschwülste durch continuirlicbe Wu*
cherung hervorgehen. In dieser Beziehung ist vor Allem eine
sehr wichtige Thatsache zu erwähnen, welche für die Geschichte
der Geschwülste eine überaus grosse Bedeutung hat, nehmlich
die örtliche Disposition zu Geschwülsten. Hier steht obenan
die hereditäre Uebertragung, eine Erfahrung, welche f&r die
verschiedensten Geschwulstformen, theils durch genaue Ge-
schlechtsregister für einzelne Familien, theils durch grössere
statistische Zusammenstellungen sicher gestellt ist, so dass man
sie als unzweifelhaft betrachten kann. Innerhalb dieser Zahl
giebt es aber wieder verschiedene Kategorien.
*) AanteekeDiDgen van de Sectie-VergaderiDg van het Prov. DtrecbL
Geoootacbap. 29. Junij 1847.
Erblichkeit 68
Die erbliche Anlage äussert sich zu'vs'eilen sehr frühzeitig,
so dass die Neubildung sich schon bei der Geburt vorfin-
det, also im engeren Sinne con genital ist. Das gilt nament-
lich von einer Reihe kleinerer Geschwulstformen, die man unter
dem Namen der Naevi bezeichnet In manchen Familien sind
Naevi erblich, so dass an bestimmten Gegenden des Körpers
ähnliche kleine Geschwulstbildungen vorkommen *). Diese Naevi
sind in der Regel keine bösartigen Bildungen, aber sie sind zu-
weilen mehrfach oder vielfach an demselben Individuum. In wie
weit sie in inneren Organen vorkommen, ist natQrlich schwer
auszumachen; an der Oberfläche des Körpers sind sie nicht nur
häufig, sondern auch sehr mannichfaltig, wie schon die Bezeich-
nungen (Naevus verrucosus, pilosus, pigmentosus, vasculosus,
lipomatodes) lehren. Ihnen zunächst stehen die erblichen Epi^er-
moidalgeschwülste und Fibrome, lauter Geschwülste, die an ganz
bestimmte Gewebe geknüpft sind und keinen Verdacht dyskra-
sischer Grundlage gewähren. Fast nur die Syphilis lässt in ein-
zelnen ihrer congenitalen Formen einen solchen zu.
Die andere, viel wichtigere Reihe von erblichen Geschwül-
sten enthält solche Fälle, wo die Krankheit zwar erbt, aber
erst nach der Geburt oder in einer späteren Periode
des Lebens zur Erscheinung und zur Entwickelung
kommt*^), wo dreissig und mehr Jahre vergehen können, ehe
die Erkrankung ausbricht. Dahin gehören die erblichen Ge-
schwulstbildungen der Brustdrüse und des Uterus, der Haut und
des Magens, der Lymphdrüsen und der Lungen. Von allen die-
sen ist es ja bekannt, dass sie in gewissen Familien sich viel-
fach wiederholen. Tuberculose und Scrophulose, Aussatz, Mela-
nose, Krebs und Kankroid geben Beispiele dazu ab. Hier besteht
unzweifelhaft nur eine Praedisposition. Das, was erbt, ist die
Praedisposition , nicht die Krankheit; denn wenn die Krankheit
selbst erbte, dann müsste früher schon etwas davon nachweisbar
sein. Aber wir sehen, dass erst nach einer gewissen Lebensdauer,
oft in bestimmten Perioden, z. B. bei Frauen mit den Abschnit-
ten des Sexuallebens, mit dem Eintreten der Menstruation oder des
Puerperiums oder den klimakterischen Jahren, sich die Erkrankung
*) A pisis Pisones, ciceribus Cicerones, leotibus Lentalos appellatos esae.
**) Gesammelte AbhaodlaDgeD. S. öl.
64 Vierte Vorlesung.
einstellt. In diesen Fällen müssen wir nothwendig schliessen,
dass die Gewebe, welche einen bestimmten Theil des Körpers zu-
sammensetzen, nicht ganz glücklich gebildet sind, dass sie in der
Weise eingerichtet sind, dass sie bei gewissen äusseren Einwir-
kmigen, bei gewissen Störungen, die sie erfahren, nicht wieder in
vollkommen ordnnngsmässiger Weise ihre Störungen ausgleichen,
ihren Zustand reguliren können. Eine solche Unvollkommenheit
hat man öfters als Schwäche bezeichnet und damit sofort auf
das physiologische Gebiet verwiesen. Unzweifelhaft muss es aber
einen anatomischen oder, wie man gewöhnlich sagt, einen orga-
nischen Grund dafür geben, und dieser kann nur in dem fei-
neren Bau der Theile gesucht werden*). In der Regel handelt
es sich dabei um bestimmte Organe, wie die Lungen, die Haut,
dift Schleimhäute gewisser Gegenden, oder um bestimmte Systeme,
wie das Skelet, das ürogenitalsystem , das Gefässsystem. Bei
den Hausthieren liegen die am besten beobachteten Thatsachen
darüber vor, z. B. bei der Perlsucht (Franzosenkrankheit) und
der Melanose, welche später genauer besprochen werden wird.
Hier mag es genügen , auf die besondere Erkrankungs - Neigung
(Praedisposition , Vulnerabilität) der weissen Thiere hinzn-
weisen**).
Eine solche Unvollkommenheit kann aber auch erworben
sein. Manche schwerere Krankheiten, insbesondere solche mit
Nutritionsstörungen, wirken in hohem Maasse praedisponirend.
Das lehrt vor Allem die Geschichte der Tuberculose. Aber selbst
ohne besondere Krankheiten bringt ein höheres Lebensalter
im natürlichen Ablauf der Dinge eine immer steigende Summi-
rung der Störungen, welche die Gewebe in eine steigende Prae-
disposition versetzen. Die grosse Praevalenz der Kankroide in
der zweiten Hälfte des Lebens ist bekannt genug und wir werden
sie später noch zu besprechen haben.
Damit stimmen andere Erfahrungen sehr gut überein, zuerst
die, dass an Stellen, welche vorher der Sitz einer wirk-
*") Weitläufiger habe ich diesen Gegenstand erörtert bei Gelegenheit
einer Abhandlung Ober die Verschiedenheit von Phthise und Taberkuloae
(WOrzburger Verb. 1852. Bd. III. S. 101), sowie in meinem Handbuche der
spec. Path. u. Therapie. I. S. 341.
**) Kreutzer. Grundriss der gesammten Veterinärmedizin. Erlangen.
1868. S. 37. Erdt Der Albinismus der Thiere. Pommersche landwirthsch.
Monatsschr. 1861. S. 250. 273.
Entzündlicher Ursprung von GeschwOI&ten. 65
•
liehen Krankheit des Individuums gewesen sind, spä-
terhin Geschwulst - Entwickelungen eintreten. So steht es fest,
dass Narben unter gewissen Verhältnissen der bestimmte Aus-
gangspunkt von Geschwulstbildung (Cheloid, Gummigewächs) sind.
Eine Narbe aber besteht aus einem Gewebe, welches in der Regel
unvollkommen gebildet ist, denn gewöhnlich entspricht die Narbe
in ihrer Textur nicht vollständig der typischen Einrichtung des
Theils, sie giebt nicht in aller Vollständigkeit die Bildung wie-
der, welche eigentlich an Ort und Stelle sein sollte. Das ist
also ein ganz bestimmter Fall, wo die ün Vollkommenheit des
vorhandenen Gewebes den Grund zu der Geschwulstbildung
abgiebt
Sodann haben wir einen bestimmten Fall in den Naevi, in
diesen congenitalen Missbildungen, die als solche offenbar eine
Abweichung von der typischen Einrichtung des Theiles anzeigen.
Naevi können in der späteren Zeit des Lebens der Sitz einer
weiter gehenden Geschwulstbildung werden und dann gewöhnlich
in einer sehr malignen Art. Ebenso verhält es sich mit anderen
Warzen, sowie mit allen den Geweben und Organen,
welche ihre volle Ausbildung und Entwickelung erst
in einer späteren Zeit des Lebens erlangen. Dahin
gehören die Gelenkenden der Knochen, die Milchdrüse, der Ute-
rus, der Eierstock und die Hoden.
Femer wissen wir, dass an Schleimhäuten am häufigsten die
Geschwülste gerade an solchen Stellen vorkommen, welche
vorher der Sitz einfach entzündlicher Erkrankungen
waren, die ausreichten, um nach und nach die natürliche
Structur der Theile zu verändern. Aus der einfach entzündlichen
Hyperplasie des chronischen Katarrhs geht die Bildung von Po-
lypen hervor und die Polypen können später wieder der Sitz
krebsiger oder kankroider Entwickelung werden. Beim Magen-
krebs finden sich im Umfange der Geschwüre chronisch-katarrha-
lische Veränderungen, die erst nach und nach in die besondere
Bildung des Krebses übergehen. Exostosen, Warzen, Elephantia-
sis, Scropheln geben zahlreiche Belege des unmittelbar entzünd-
lichen Ursprunges, und von den Tuberkeln ist es bekannt, wie
gern sie in chronisch - entzündeten Schleim- und serösen Häuten,
ja in Pseudomembranen und Indurationen entstehen.
Virehow, Getchwulttc. 1. 5
66 Vierte Vorlesung.
Endlich kann man in diese Reihe noch diejenigen Fälle hin-
einziehen, wo eine bestimmte Region des Körpers durch ihre
besondere Lage oder Einrichtung oder Function häu-
figen Insulten oder Störungen ausgesetzt ist, wo gerade
auf diesen Theil öfter schädliche Eiirwirkungen stattfinden, als auf
andere Theite. Ein solcher Theil wird natürlich zu Erkrankun-
gen überhaupt mehr disponirt sein. Dahin gehören vor allen die
so häufigen Erkrankungen des Magens, der Sexualorgane, der
Knochen und der Haut. Dahin gehört ferner die überaus grosse
Disposition der Ränder der verschiedenen Orificien des
Körpers*). Wenn wir die malignen Bildungen zusammennehmen,
so findet sich, dass eine überwiegend grosse Zahl gerade an den
Rändern der Orificien vorkommt, und zwar wieder in der Reihen-
folge, dass diejenigen Orificien, welche am meisten Insultationen
ausgesetzt sind, auch am häufigsten erkranken, und je gröbere Ein-
wirkungen stattfinden, je rauhere Insulte erfolgen, um so leichter die
Erkrankung eintritt. So sind unter allen Orificien diejenigen des
Digestionsapparates, wo die verschiedenen engen Stellen sich immer
wieder als neue Orificien darstellen, auch diejenigen, welche am
häufigsten ergrifien werden; und dies ist ganz begreiflich, weil
die gröberen, mechanisch viel mehr angreifenden, auch durch ihre
chemische und thermische Beschaffenheit häufig viel mehr ein-
wirkenden Substanzen, welche durch sie hindurchgehen, viel stär-
ker verletzend auf die Theile wirken, als es an anderen Orificieo
vorkommt, wo, wie in den Respirationswegen, nur Lufk, oder wie
an anderen Oiien, nur Flüssigkeiten passiren. Wenn wir diese
Fälle ins Auge fassen und die nicht kleine Zahl an sich sehr gut
beobachteter Fälle hinzunehmen, wo die erste Entstehung einer
Geschwulst ganz unzweifelhaft hervorgerufen wird durch einen
bestimmten, grob mechanischen Insult,**) wo durch eine
ganz entschieden nachv;eisbare Verletzung sehr schwerer Art,
z. B. einen Schlug oder Stoss, an einem Orte die ersten Grund-
lagen zur Geschwulstbildung gelegt werden, dann ist es in der
That überaus schwer, sich der Anschauung zu verschliessen, dass
in den besonderen örtlichen Zuständen der Gewebe ein Haupt-
*) liHndbucli der »pec. Path. u. Ther. I. S. 344.
••) Ebenda». 1. S 338.
Retention der Hoden. 67
moment für die Entstehung der Geschwülste gelegen ist. Wir
werden später wiederholt darauf zurückkommen müssen.
Ich kann schliesslich noch ein besonders charakteristisches Bei-
spiel anschliessen , das für mich immer als ein sehr augenfälli-
ges erschienen ist, nemlich die Häufigkeit der Geschwulstbil-
dang, welche retinirte Hoden*) zeigen. Wenn der Hoden
nicht vollständig bis ins Sero tum herabsteigt, wenn er also unter-
wegs irgendwo liegen bleibt, was an sehr verschiedenen Stellen
geschehen kann, bald innerhalb der Bauchhöhle, bald im Canalis
inguinalis oder in besonderen Aussackungen desselben, so tritt
jedesmal eine gewisse Störung in seiner Entwickelung ein. Ge-
wiss ist es aber sehr bezeichnend, dass gerade diejenigen Fälle,
wo die Hoden zwischen den Bauchwandungen liegen bleiben, in
ganz vorwiegender Häufigkeit zu malignen Geschwulstbildungen
(Sarkomen, Krebsen, Kystomen u. s. w.) Veranlassung geben, viel
häufiger als die Fälle, wo der Hode in der Bauchhöhle retinirt
wurde, und sehr viel häufiger, als wo der Hode aus dem Lei-
stenkanal hervortrat. Wo die Hoden aber innerhalb der sehnigen
Ausbreitungen, die in der Inguinalgegend liegen, zurückgehalten
werden, da sind sie vielfachen Tractionen und Frictionen ausgesetzt,
und, da sie zugleich in solchen Fällen nicht vollkommen zur Aus-
bildung zu kommen pflegen, so ergiebt sich, dass durch die Zu-
rückhaltung die Prädisposition in einer doppelten Richtung be-
günstigt wird.
Wenn man in dieser Art die Geschichte der einzelnen Ge-
schwnlstformen mustert, so findet man überaus häufig Speciali-
täten, welche einem ein Bild geben, wie gerade an diesem oder
jenem Orte durch besondere örtliche Bedingungen Praedispositionen
geschaffen werden. Ich denke, das Mitgetheilte wird im Grossen
genügen, um darzuthun, dass es nicht ohne Grund ist, wenn man
auf die örtliche Beschaffenheit der Theile einen überwiegend hohen
Werth legt. Ich will aber nochmals besonders hinzusetzen, dass
es sich von selbst versteht, dass, wenn ein einzelner Theil in Zu-
stände gerathen ist, wo seine regulatorischen Fähigkeiten abge-
nommen haben, diese Wirkung um so stärker hervortreten muss,
wenn zugleich der allgemeine Zustand des Körpers ein
*) £. Godard. Recherchcs sur les pionorchides et les cryptorcbides
chez rbomme. Paris. 1856. pag. 25. Etudes sur les mon et les crypt
Paris. 1857. p. 96.
5*
6g Vierte Vorlesaog. '
ungünstiger ist, wenn namentlich- das filut eine schlechte
Mischung zeigt, wenn die Ernährung im Ganzen miserabel ist,
wenn vielleicht noch allerlei psychische oder andere nervöse Afiecte
hinzukommen, welche auf die Circulation, auf die Digestion
n. 8. w. einwirken. Solche Umstände werden natürlich Verstärkungs-
momente abgeben, aber die locale Praedisposition wird uns doch
in der Regel als das Wesentliche erscheinen müssen, was für die
Natur des aus dem Gewebe hervorspriessenden Gebildes in hohem
Maasse entscheidend sein und die Richtung der Entwickelung um
80 mehr bestimmen wird, als sich — und das ist noch ein Haupt-
grund f&r eine mehr localisirende Doctrin — zeigt, dass gewisse
Organe zu gewissen Erkrankungen überwiegend dis-
ponirt sind.
Nicht jede Art von Geschwulst kann in gleicher Weise
in allen Organen zur Ausbildung kommen; bei jeder Geschwulst-
art wissen wir vielmehr, dass es besondere Praedilections-
stellen für sie giebt, Stellen, die keinesweges etwa durch besondere
physiologische Functionen sich unterscheiden, sondern die in der
Regel durch ihre anatomische Einrichtung, ihre Lagerung oder
Form etwas Besonderes darbieten und bei denen dann der Typus
der Bildung des Organs selbst in einem gewissen Maasse bestim-
mend wirkt auf die Natur dessen, was aus ihm hervorgehen
wird. Wenn wir die einzelnen Geschwülste im Detail durchgehen,
werde ich das noch genauer hervorzuheben haben. Man wird sich
dann überzeugen, dass in gewissen Organen gewisse Geschwülste
fast niemals gesehen werden, während in denselben Organen an-
dere Geschwülste, die wieder in anderen Organen fast nie vor-
kommen, ungemein häutig sind. Man denke nur an die Schild-
drüse, den Eierstock, die permanenten Knorpel u. s. w. Der
Praedilection steht »Iso eine gewisse Immunität gegenüber. Wie
wollen wir das anders erklären, als dass im Bau, in den Gewe-
ben dieses oder jenes Organs ein besonderer Bestimmungsgrund ftr
die Art der Entwickelung liegt, die nachher folgt? Schon der
normale anatomische Bau ist ein gewisses Praedis-
positionsmoment für die besondere Häufigkeit und
Kirhtung, in welcher Geschwulstbildungen an den einzelnen
Thfilon des Körpers eintreten.
Dass diese Betrachtungen sich vorzugsweise auf die ersten
KruptioriHStellen, auf die von mir früher als Mutterknoten bezeich-
PraedilecUon uod Immanität. 69
neteii PrimargeschwülBte beziehen, versteht sich von selbst. Denn
die Natur der Secundärgeschwülste ist mehr oder weniger
abhängig von der Natur der Primärgeschwulst. Indess ganz ohne
Bedeutung ist doch auch hier die locale Einrichtung des Theils
nicht. So sind die Nieren diejenigen Organe, welche nach den
Lungen und der Leber am häufigsten der Sitz metastatischer
Eruptionen werden. Leukämische Tumoren und Tuberkel, weisse
und schwarze Sarkome, Kankroide und Krebse treten gerade hier
mit besonderer Vorliebe auf. Und doch sind die Nieren dem Zu-
strom infectiöser Massen nicht mehr ausgesetzt, als andere Drü-
sen, als z. B. die weibliche Brust. Wer aber sieht Krebs- oder
Sarkom-Metastasen in diesem letzteren Organe? Und doch, wenn
gerade die weibliche Brust für die Krebsdyskrasie , für die Dia-
thesis oeculta so empfindlich sein soll, wie man so häufig an-
nimmt, warum sollte sie es nur für die primäre und nicht für die
secundäre Dyskrasie oder Diathese sein? Oder nehmen wir den
Hoden, warum wird er so häufig der Sitz secundärer Tuberkulose
und so ausnahmsweise der Sitz secundärer Carcinose? Offenbar
lässt sidti diese Verschiedenheit durch locale Dispositon leichter
erklären, als durch allgemeine Dyskrasie oder Diatbese.
Dass die älteren Beobachter auf dieses eigenthümliche Ver-
hältniss nicht aufmerksam geworden sind, erklärt sich aus dem
Umstände, dass sie so wenig Autopsien veranstalteten. Aber auch
die neueren Geschwulstforscher, welchen doch eine reichere pa-
Üiologisch-anatomische Erfahrung zur Seite stand, hatten es über-
sehen. Und doch kann man fast so weit gehen, zu sagen, dass
fast alle diejenigen Organe, welche eine grosse Nei-
gung zu protopathischer Geschwulstbildung zeigen,
eine sehr geringe Neigung zu metastati^cher darbieten,
und umgekehrt. Die häufigsten Metastasen finden sich in den
Lungen, der Leber, den Nieren, den serösen Häuten, und gerade
diese Theile werden ungemein selten von Primärgeschwülsten be-
fallen. Die äussere Haut und die Schleimhäute, das Auge, die
Nase, die Sexualdrüsen sind der gewöhnlichste Sitz der Primär-
geschwülste und der durch directe Contagion der Nachbartheile
entstehenden Tochter knoten, aber sehr selten der Sitz von Meta-
stasen. Die Lymphdrüsen, das Gehirn, die Muskeln und die
Knochen stehen in der Mitte zwischen beiden Gruppen, indem die
70 Vierte Vorlesaog.
Lymphdrüsen ganz überwiegend zu secnndären, die Knochen er-
heblich zu primären Geschwulstbildungen neigen , jene aber auch
primäre, diese sehr oft secundäre Eruptionen darbieten.
Alles dieses zusammengenommen, führt mit grosser Wjdir-
scheinlichkeit zu dem Schlüsse, dass selbst bei den bösartigsten
Geschwülsten die Mutterknoten nicht aus der Dyskrasie henror-
gehen; zum mindesten müsste dies eine ganz andere Dyskrasie
sein, als diejenige, welche die metastatischen Knoten hervorruft,
und über deren Bestehen so ziemlich alle Beobachter überein-
stimmen. Nur muss man die blosse Multiplicität nicht
mit Metastase zusammenwerfen. Multiplicität in gleich-
artigen Geweben bedeutet nur eine grössere Ausdehnung der Dis-
position, und wenn sie sich über grosse Abschnitte des Körpers
verbreitet, so kann man diese Disposition als eine constitu-
tionelle Diathese*) bezeichnen, muss dieselbe aber im soli-
darpathologischen Sinne verstehen. So wird der erbliche Aus-
satz, die erbliche Melanose die grösste Multiplicität der Kno-
ten mit sich bringen können, ohne dass wir desshalb das Blut
oder das Nervensystem als die dauerhaften Träger der Diathese
betrachten dürfen.
Selbst in den Fällen, wo eine specifische Dyskrasie nicht
wohl zu bezweifeln ist, wie in der Syphilis, im Rotz, in der Leu-
kämie, haben wir kein Recht, die einzelnen Eruptionen als ein-
fache Folge der Dyskrasie, als sogenannte spontane Erschei-
nungen aufzufassen. Denn wir sehen bald dieses, bald jenes
Organ leidend, obwohl der dyskrasische Zustand an sich derselbe
ist. Gerade bei der Syphilis müssen wir auf die örtlichen Ur-
sachen, seien es occasionelle , seien es praedisponirende, zurück-
gehen, und die „Zufälligkeit" der Localisation rechtfertigt sich,
wie ich gezeigt habe**), durch die Zufälligkeit der Gelegenheiten
(Stoss, Erkältung, Zerrung) und der Dispositionen (Vulnerabilität,
Narbenzustand, vielleicht Hydrargyrose). Erst so gewinnen wir
eine Einsicht darüber, wamm bei bestehender Dyskrasie gerade
dieses und nicht jenes Organ ergriffen wird.
Eine grosse Zahl von neoplastischen Geschwülsten bietet aber
überhaupt niemals einen Grund zur Annahme einer besonderen
*) Mein Handbuch der spec. Patb. a. Tber. I. S. 341.
••) Mein Archiv. Iöö8. XV. S. 256. 269. 290. 306.
GoDstitutionelle Diathese. 71
Dyskrasie, sei sie primär, sei sie seciindär, dar. Dahin gehören
die meisten hyperplastischen Formen, wenngleich, wie die Syphi-
lis und der Krebs lehren, keineswegs alle. Homologie der Ge-
websbildung schliesst den dyskrasischen Charakter des Grund-
leidens nicht aus. Aber allerdings handelt es sich dabei in der
Regel um ganz locale und daher gutartige Bildungen, für welche
in den Zuständen und Verhältnissen des Erkrankungsortes der
zureichende Grund gefunden werden muss.
Fünfte Vorlesung.
29. November 1862.
Path^enie der neoplastisdien Geschwnlstf«
Entwickelungsgeschichte : die Geschwulst als ein Werdendes. 1) Irritatlves Stadium. Dyskra-
sische Reize (Scharfen): S>philit(, Tuberkulose, Krebs. Nichtspecifische Producte einer Dys-
krasie. Transitorische Natur der Blutveranderung; Abhängigkeit von dem Productiunsheerde.
Aeussere Reiie und ihre Bedeutung: statistische Belege. Vergleich mit der entzündlichen
Reizung: homologe Geschwülste. Richtung der Entwickelung, bestimmt durch das Semininra
und das Muttergewebe (Matrix). Inoculations- Versuche. 2) Granulations-Stadium. r>ie
indifferenten Bildung'*- (Primordial-) Zollen. Hervorgehen derselben aus dem Muttergewebe.
Natur der Matricc«. Continuirlicher Uebergang der (leschwulst in das Muttergewebe. 3) Diffe-
renziru ngs-Stadium. Einfache Differenzinmg: histioide GeschwnUte. Mehrfache Diffe-
renzirung: organühnliche Geschwülste. Vielfache Differenzirung: Aberrationen oder teratoide
Geschwülsle. Diagnostische Bedeutung der Gesammtanordnung der Geschwulsttheile. 4) Flo-
rcscenz-Stadiura. Typische Entwickelungshöhe. Transitorische und petroanente Bestaod-
theile. Verschiedene Lebensdauer der Elemente und der Geschwülste. DestrucUve Tcndena.
5) Regressives Stadium: Ausgänge.
Ich hatte das letzte Mal die üreachen, aus welchen Geschwülste
hervorgehen können, etwas näher zu bezeichnen gesucht, und
zwar hielt ich dabei die eigentlichen Pseudoplasinen und unter
ihnen die heteroplastischen Formen zunächst im Auge, insofern
diese bei allen derartigen Betrachtungen begreiflicherweise im
Vordergrund stehen. Ich nuiss daher noch besonders hervor-
heben, dass bei der Unsicherheit, die der Begriff „Geschwulst**
an sich hat, das, was ich angeführt habe, nicht für alle und jedo
„Geschwulst** gelten kann, sondern dass es sich bei den Be-
trachtungen, die ich anstellte, allein um diejenige Klasse von
Geschwülsten handelte, welche wesentlich durch eine Neubildung
von Gewebsbestandtheilen hervorgebracht werden, keineswegs um
solche Formen, welche etwa unmittelbar durch Anhäufung irgend
welcher Flüssigkeiten oder Absonderungen an gewissen Stellen
Pathogeoie der Afiergewächse. 73
des Körpers entstehen können. Auch beziehen sich, im Grossen
wenigstens, die Betrachtungen, die man gewöhnlich über Aetio-
logie der Geschwülste anstellt, zunächst nur auf die im engeren
Sinne so zu nennenden Pseudoplasmen, die eigentlichen Afterge-
wächse, also auf diejenigen Geschwülste, die durch einen activen
Wucherungsvorgang erzeugt werden. Mein Bestreben ging na-
mentlich dahin, die Aufmerksamkeit auf die localen Bedingun-
gen für die Erzeugung von Geschwülsten hinzulenken.
Das, was ich noch hinzuzufügen habe, um die Pathogenese
der neoplastischen Geschwülste überhaupt zu erläutern, soll haupt-
sächlich dazu dienen, ein etwas klareres Bild von dem Gange, den
die Geschwulst -Entwickelung überhaupt zu nehmen pflegt, zu
liefern. Ich halte das um so mehr für nothwendig, weil noch
gegenwärtig eine Art der Anschauung überaus gebräuchlich ist,
welche meiner Ueberzeugung nach mit am meisten dazu beige-
tragen hat, die Lösung der Fragen über Geschwulstbildung zu
erschweren, und die Untersucher von dem richtigen Gesichtspunkt
abzukehren. Man hat allerdings theoretisch meistentheils aner-
kannt, dass es wichtig sei, die Entwickelungsgeschichte einer
Geschwulst zu kennen, aber factisch ausgeübt hat man diese
Untersuchung früher fast gar nicht; insbesondere hat man sich
darum fast gar nicht gekümmert, wie denn die Geschwülste wirk-
lich entstehen, wie dieselbe Geschwulst, je nach den Besonder-
heiten der Lokalität, je nach den besonderen Bedingungen, unter
denen sie sich bildet, verschiedene Formen der Erscheinung an-
nehmen, gleichsam Varietäten darbieten kann, — Varietäten,
die zuweilen so bedeutend sind, dass ganz neue Arten von Ge-
sehwülsten sich uns darzustellen scheinen. Man hat ferner die
mögliehen Umwandlungen, welche im Innern der entstandenen
Geschwulst stattfinden können, keineswegs so sorgfältig ins Auge
gefasst, dass man die verschiedenen Richtungen, welche insbe-
sondere die regressiven Processe nehmen, genau von einander
unterschieden hat; und zum Theil daraus resultirt die Scheidung
vieler Geschwulstarten, welche bei genauerer Untersuchung nur
als verschiedene Entwickelungsstadien einer und derselben Ge-
schwulst zu betrachten sind.
Man muss eine Geschwulst niemals betrachten als etwas,
was in einem bestimmten Augenblick vollständig fertig sei und
was nun mit constanten Merkmalen sich uns darbiete. Man konnte
74 FfiDfte YorlesuDg.
das so lange wohl für möglich erachten, als man sich die Ge-
schwülste dachte als Ablagerungen, als blosse Depositionen von
Stoffen, die im Blute enthalten seien und von demselben an ein-
zelnen Punkten abgesetzt würden. Sobald man aber von dieser
ursprünglichen Vorstellung abging, sobald man die Ueberzeugung
gewann, dass an Ort und Stelle eine selbständige Bildung und
Entwickelung geschehe, da war es natürlich auch noth wendig,
dass man sich daran erinnerte, dass die Geschwulst eigent-
lich in jedem Augenblick etwas Werdendes ist und dass,
selbst wenn sie endlich bis zur Akme ihrer Entwickelung ge-
kommen ist, sie nicht auf dieser Akme, in dem einmal gewon-
nenen Zustande zu verharren pflegt, sondern dass auch über die
Akme hinaus immer neue Veränderungen eintreten. Die Lebens-
geschichte der Geschwulst zeigt einen fortwährenden Wechsel,
der viel grösser ist als der Wechsel, den wir im gesammten
Körper oder in einzelnen Organen desselben beobachten. Wir
werden nachher noch darauf zurückkommen müssen, wie inner-
halb der Geschwülste die einzelnen Theile sich wieder ver-
schieden verhalten, eine verschiedene Lebensdauer, eine verschie-
dene Entwickelungsgeschichte haben ; hier ist es zunächst wichtig,
hervorzuheben, dass ohne Vorstellung von dem Immer-Neuwerden
der Geschwulst wir kein Bild ihrer Entwickelung gewinnen
können.
Schon früher habe ich erwähnt, dass die Geschwülste in
ihrer Mehrzahl, — denn man kann hier diejenigen, welche wesent-
lich durch exsudative Processe bedingt werden, zum grossen Theil
mit einschliessen, — hervorgehen aus activenProcessen, welche
in dem Körper Platz greifen, — Processen, welche entweder auf
eine vermehrte Secretion oder Exsudation, oder auf eine wirkliche
Formation hinausgehen, Processen also, welche auch nach unse-
rer Vorstellung von den Bedingungen, durch welche derartige Thä-
tigkeiten im Körper erweckt werden, wesentlich als irritative*)
betrachtet werden müssen. Die Geschichte einer Geschwulst
sollte daher meiner Ansicht nach beginnen mit der Feststellung
dieses Irritationsstadiums, innerhalb welches die Gewebe
*) Mein Archiv. 1858. Bd. XIY. S. 39. Haoabucb 4er gpec. Path. nod
Tbnapie. 1854. I. 8. 336,
IrritatiooB-Stacliiiiii. 75
gereizt werden, sei es zu vermehrter Exsudation oder Secretion
oder Formation.
Nnn kann begreiflicherweise der Reiz ein äusserer sein, von
aussen her dem Körper zukommen; er kann auch ein innerer
sein. Wiederum, wenn er ein innerer ist, so steht an sich nichts
entgegen, dass er auch ein, wie man sagt, constitutioneller, oder
um es noch mehr nach der herrschenden Doctrin auszudrücken,
dass er ein dyskrasischer sei. Denn Dyskrasie kann hier nur
heissen, dass im Blute eine Substanz enthalten sei, welche auf
Theile des Körpers erregend, ihre Thätigkeit bestimmend einwirkt,
und welche man eben dieser ihrer Eigenschaft wegen in früherer
Zeit geradezu als eine scharfe Substanz oder als eine Schärfe
(Materies acris, Acrimonia) zu bezeichnen pflegte.*) Freilich habe
ich schon zu zeigen versucht, dass in der Geschichte der bös-
artigen Geschwülste es an sich viel naturgemässer ist, die spe-
cifische Dyskrasie als ein secundäres Phänomen aufzufassen, und
dass, wenn man die grosse Mehrzahl der auf eine Dyskrasie etwa
zu beziehenden Vorgänge als deuteropathische und die Dyskrasie
selbst als eine Folge der Muttergeschwulst fasst, damit zugleich
ein Hauptgrund weggenommen ist, weshalb man die erste Ge-
schwulst als aus einer Dyskrasie hervorgegangen betrachtet. Es
ist aber noth wendig, hier eine andere Erfahrung einzuschalten,
welche für die Betrachtung gerade dieser Art von Erregungen
von höchster Wichtigkeit ist.
Gewöhnlich setzt man voraus, dass eine specifische Dyskra-
sie, d. h. eine Veränderung des Blutes durch Aufnahme einer
ganz besonderen Substanz, auch specifische, das heisst ganz be-
sondere, nur dieser Dyskrasie eigenthümliche Producte hervor-
bringe, und so schliesst man wiederum aus specitischen Produc-
ten rückwärts auf das Bestehen einer speciflschen Dyskrasie.
Jene Voraussetzung ist aber, wie schon erwähnt, erfahrungs-
gemäss falsch, denn gerade in denjenigen Fällen, wo wir
am meisten Grund haben, auf das Bestehen einer solchen allge-
meinen Störung zu schliessen, sind ausserordentlich ihäuflg die
Producte nicht specitische; ja es können aus einer solchen Dys-
krasie heraus neben einander sowohl specifische als nicht-
specifische Producte entstehen.
^) Handbuch der spec. Path. a. Ther. I. S. 275.
76 natu YorkMBg.
Da« am meii^n charakteristisehe Beispiel, das wir dafür
be^itz^n, bietet aos wohl die Geschichte der Syphilis, welche
hier oai ifo mehr io Betracht zu ziehen ist, als bekanntermassen
im Laufe der Lues wirkliche Geschwülste entstehen, die onter
Umiftanden überaus schwer za unterscheiden sind von anderen
Geschwülsten, daher nicht ganz selten Yeranlassong xu fiedschen
Diagnosen geben und aach leicht za einem falschen praktischen
Handeln führen können.
Wenn man die verschiedenen Geschwülste, welche im Laufe
der Syphilis vorkommen können, miter einander vergleicht*), so
erhellt es sehr einfach, dass sie sehr grosse Yerschiedenheiten
ontereinander darbieten. £ine gewisse Zahl von ihnen ist ein-
fach hyperplastischer Natur, d. h. es entstehen neue Gewebs-
massen, welche mit dem Muttergewebe, aus welchem sie hervor-
gehen, vollkommen übereinstimmen. Eine syphilitische Exostose
besteht aus Knochengewebe, welches keine besonderen Merkmale
darbietet, wodurch wir es von anderem, pathologisch neu erzeug-
tem oder auch von altem Knochengewebe einfach unterscheiden
könnten. Ein syphilitischer Hautknoten (Tuberkel) oder eine
syphilitische Lymphdrüsengeschwulst (Bubo) kann in der in-
neren Zusammensetzung die grösste Uebereinstimmung darbie-
ten mit einfach entzündlichen Haut- und Drüsengeschwülsten, so
dass wir, wonn wir das Ding vor uns sehen und es auch mikro-
skopisch noch HO genau untersuchen, eine charakteristische Diffe*
renz keineswegs in allen Fällen mit Sicherheit herausfinden
können. An iliesen verschiedenen Theilen erscheint das syphi-
litische Product oder die syphilitische Geschwulst als das Resul-
tat einer einfachen Reizung, welche eben nur zur Bildung ho-
mologer Gewebe Veranlassung giebt.
Nun giebt es aber eine zweite Reihe von syphilitischen Ge-
schwülsten, <las sind die gummösen Formen, die in der That
abweichen von d<Mn Typus des Muttergewebes, aus welchem sie
sich hervorbilden. Eine Guromigeschwulst der Dura mater wird
Niemand für eine blosse Verdickung oder für eine blosse Hyper-
plasie der Dura erachten; eine Gummigeschwulst des Gehirns
zeigt sich uns sofort als etwas von der Himsubstanz Verschiede-
*) Yttl. meine Ablmndhini; Über die Natur der constitatiooell-syphiliti-
Nchfn Afroctioiivn. Archiv. 1S58. Bd. XY. S. 8^.
Specifische und nicht specifische Prodncte. 77
nes, als etwas Heterologes ; eine Gummigeschwulst des Hodens ist
verschieden von einer einfachen Induration desselben. Alles das
sind heteroplastische Formen. Ich will hier nicht davon sprechen,
was diese gummösen Formen iiir Gebilde sind. Es giebt ein-
zelne Syphilidologen, welche glauben, dass sie* wirkliche Tuberkel
seien. Gesetzt, es wäre das richtig, obwohl ich es für falsch
halte, 80 ist doch kein Zweifel, dass der Tuberkel ein heterologes
Prodact ist
Wenn daher aus einer gleichen Quelle homologe und hetero-
loge Producte hervorgehen können, so ist es unzweifelhaft nicht
zulässig, aus der Natur der einzelnen Producte einen Rückschluss
zu machen auf die besondere Qualität der Dyskrasie. Denn wenn
ich die syphilitische Exostose als Yergleichungspunkt nehme, so
müsste ich eine Art von knöcherner Dyskrasie construiren, welche
die Grundlage der Exostose wäre. Nehme ich die Bubonen als
Grundlage meiner Betrachtung, welche der Hauptmasse nach aus
lymphatischen Zellen sich aufbauen, dann müsste ich eine Art
von lymphatischer, zelliger Dyskrasie annehmen. Nehme ich die
Warzen, so finde ich Bindegewebsproductionen mit Epidermis,
und nehme ich die gummösen Productionen , so bekomme ich
wieder etwas, was ganz davon verschieden ist.
Das Beispiel von der Syphilis lehrt uns also, dass bei einem
ganz ausgesprochen constitutionellen Grunde, bei einer vorausge-
setzt specifischen Dyskrasie, der Charakter des einzelnen Pro-
ductes, welches daraus entsteht, nicht einfach bestimmt wird durch
den Charakter der Dyskrasie, sondern dass auch hier der Cha-
rakter des Ortes, in welchem es entsteht, einen ganz entschei-
denden Einfluss ausübt, und dass erst bei einer gewissen Höhe
(Energie) der specifischen Erregung an verschiedenen Orten gleich-
artige Producte sich bilden. Der Knochen producirt bei gerin-
gerer Reizung Knochen, das Bindegewebe erzeugt Bindegewebe,
die Drüse bringt neue Drüsensubstanz hervor; jedes dieser Ge-
webe geräth in eine Thätigkeit, die seiner Natur entspricht; der
Reiz, den es von der Dyskrasie aus empfängt, wirkt in jedem
Tlieile nach der Art, wie der Theil an sich eingerichtet ist. Es
bedarf einer gewissen Grösse, einer gewissen Ener-
gie der specifischen Substanz, um specifische Pro-
ducte zu erzeugen. Erst dann sehen wir sowohl im Kno-
78 FUdk» ToriesoBg.
eben, wie ia der Hant^ wie in der Drüse, gmnmSse, also speci-
fische Produete entsteheB.
Ganz ähaKcb Terkalt es sich auch mit anderen, sogenannten
Dyskrasien. Ich erianere andieTnbereuIose^bci der freilich die
Dvskrasie nicht unmittelbar nachweisbar ist, wo ihr Bestehen
aber weni^tens nach einer Art Ton Consensas omnium als selbst-
verständlich angenommen wird. Zwar schliesst man "Vielfach Tu-
berkeln im engeren Sinne des Wortes von der Betrachtung der
GeschwiUte aiiSw Will man aber die heteroplastischen Geschwülste
im Garnen betrachten, so kann man nicht umhin, die Tuberkeln
mit hineiniuiiehen. Nun^ in der Geschichte der Tuberculose ist
nichts hantiger, als dass wir bei einem Individuum, bei welchem
sich die Tubenrulose in hohem Maasse findet, in dessen Familie
sie vielleicht seit einer Reihe von Generationen heredit&r ist, ne-
ben den tuberculOsen Processen einfache Reizungszustände finden,
wo es nicht zur Bildung von Tuberkeln kömmt, sondern wo eine
Neubildung von Geweben geschieht, welche homolog ist dem alten
GcNvebe^ wo der Vorgang h(khstens einen entzündlichen Charakter
annimmt, wo daher neben den Tuberkeln Entzundungsproducte
erscheinen, oder neben Entzundungsproducten Tuberkel, wo aber
doch keineswegs Alles, was entsteht, einen besonderen, specifi-
schen Charakter hat.
Gaiu genau eben so verhalten sich die allerschlimmsten For-
nieu, die Krebse*). Bei den Krebsen, die in einer grossen Zahl
diHHcuuuirt werden an gewissen Organen, z. B. bei den Krebsen
der HcrOseu Hiiute, ist nichts häufiger, als dass an einzelnen Stel-
Ini wirkliche Krcbskuoten sich bilden, an anderen Stellen Knoten,
in W(*lchon wir bei einer sehr minutiösen mikroskopischen Unter-
HurhuiiK noch die Einrichtung von Krebsen, namentlich kleine, zellen-
|i(rfinito Alveolen, entdecken können, welche aber doch überwiegend
UMH lllMÖHcr Masse bestehen; noch weiter kommen wir endlich an
fioU Im Knoten, welche gar keine specifische Einrichtung mehr zei-
giMi, Hondcrn sich einfach als indurative darstellen. Trotzdem wird
Nii*niHiMl Ittugnen können, dass diese indurativen Knoten ans einer
Ahiilii Ih'ii Hcixung hervorgegangen sind, wie die specifischen Krebs-
knntcn. Wir können uns den Unterschied nicht gut anders er-
*) MmIii Archiv. XIV. S. 41. Handbuch der spec. Path. u Therapie.
H. nmi.
Transitoriscber Charakter der Dyskrasie. 79
klären, als dass in dem einen Falle die Reiznng eine mehr ener-
gische gewesen ist, dass in dem anderen Falle sie eine geringere,
weniger energische war; dass daher in diesem letzteren Falle der
Reiz sich auch nicht in seiner Besonderheit geltend machen
konnte, sondern dass erst bei einer gewissen Starke der Einwir-
kung die besondere Richtung, welche durch die Natur der reizen-
den Substanz bestimmt wird, auch in dem örtlichen Process zur
Gellung gelangt.
Aus solchen Erfahiningen schliesse ich, dass selbst in den-
jenigen Fällen, wo wirklich eine im Körper Terbreitete Substanz,
eine das Blut verunreinigende, specifische Materie vorhanden ist,
welche die Fähigkeit hat, auf einzelne Theile eine irritirende, und
durch die Irritation eine formative Wirkung auszuüben, die ört-
lichen Verhältnisse, die Grösse der Reizung, die Natur der Ge-
webe, welche von dem Reiz getroffen werden, entscheidend ffir
den Gang sind, den nachher die Entwickelung nehmen wird. Wei-
ter nehme ich an, dass die Dyskrasie als solche, ohne eine ganz
besondere örtliche Veranlassung, überhaupt nicht zu einer Wirk-
samkeit gelangen wird. Ich f&ge endlich hinzu, dass, wenn es
sich um die Frage handelt, ob überhaupt die Dyskrasie bei dem
gegenwärtigen Zustande der Wissenschaft noch gedacht werden
darf als eine permanente, als eine fortdauernde, die gelegentlich
durch ganze Generationen hindurch sich erblich erhalten soll, ich
in der That gar keine Thatsache anzuführen wOsste, welche dafär
spräche. Ich halte die Lehre von den permanenten Dyskra-
sie n, welche gerade in Beziehung auf den Krebs schon Scarpa*)
zurückgewiesen hat, für eine vollkommen verwerfliche**). Das
Blut mit dem ewigen Wechsel seiner Bestandtheile ist dazu gimz
ungeeignet, indem Stoffe, die seiner Mischung fremd sind, auf
irgend eine Weise im Laufe der Zeiten entfernt werden, sei es
nach aussen durch die Colatorien der Secretionsorgane, sei es da-
durch, dass irgend ein Gewebe diese Stoffe anzieht und in sich
aufnimmt Für mich kann daher eine dauerhaftere Dyskrasie,
wie man sie hier voraussetzt, nur bestehen, wenn an irgend einem
Punkte des Körpers ein Productionsheerd existirt, der fort
*) Scarpa. SuUo scirro e sul cancro. p 17.
*•) Cellularpathologie. S. 125. Würzburger Verhandl. 1852. Bd. 111.
S. 102. Gesaminelte Abhandl. S. 53.
80 Fünfte Vorleeong.
und fort denselben Stoff wieder dem BInte zufahrt, und auf diese
Weise eine anhaltende Verunreinigung desselben unterhält. Dann
ist aber eben die Dyskrasie abhängig von dem einseinen
Ort und sie bildet ein Secundärphaenomen, welches
hervorgeht aus der ursprünglich localen Äffection. Die Ge-
schwulst verhält sich dabei wie ein Secretionsorgan , aber nicht
in dem Sinne von John Simon (S. 4b.) j dass sie aus dem
Blute heraus schädliche Stoffe absondert, sondern gerade umge-
kehrt so, dass sie in das Blut hinein schädliche Stoffe absondert.
Sie verhält sieb nicht wie die Nieren, sondern wie die
Lymphdrusen oder die Milz.
Gesetzt nun, es sei auf die eine oder andere Weise, wie ich es
früher auseinandersetzte, die locale Irritation zu Stande gekom-
men, so wird sie natürlich da am ausgiebigsten wirken, da das
grOsste Resultat herbeifuhren, wo zugleich die günstigsten örtlichen
Verhältnisse für die Reizung bestehen, oder wo die Reizung sich
am häutigsten wiederholt Ist der Reiz gering, so wird es eben
auch nur die einfacheren Folgen der Reizung geben, wie wir sie
unter dem Namen Entzündung, chronische Entzündung, Hyper-
trophie, Hyperplasie, bezeichnen. Erst bei einer besonderen Ge-
Htaitung und Energie des Reizes wird es dahin kommen, dass
0p4»citische Formen entstehen. Nun lehrt die Erfahrung, dass
g(*rade die bösjirtigsten Formen der Geschwülste ganz überwiegend
häufig an solchen Organen vorkommen, welche äusseren Rei-
zen um meisten ausgesetzt sind, welche exponirte Oberflächen
b«*.Hitz(fn, und dass gegenüber diesen alle andern Organe ganz und
gar in den Hintergrund treten.
Eh ist das ein Gesichtspunkt, der sich, wenn man eine chi-
rurgische Klinik durchgeht, allerdings nicht leicht ergiebt, weil in
einer Klinik oder einem Hospital die exceptionellen Fälle zusam-
iwuHirCmwih Das giebt kein Bild von der Gesammtheit der Vor-
(Cäng«', die in einer Bevölkerung existiren, und für einen Kliniker
(94U'r llospitalant verwischt sich daher sehr leicht die Vorstellung
ton d<*r Fn*quenz der einzelnen Bildungen. Anders gestaltet sich
tUt^m* Frage, wenn man sie an der Statistik einer ganzen Bevöl-
ktrituy^ prüft. Wir besitzen solche grosse Statistiken für die bös-
t9ftty[t'h G(*Hchwülste gerade nicht in einem solchen Umfang, wie
i'K mifiiUvU wäre, wenn sich die Aerzte im Allgemeinen mehr da-
mh l><'fichäftigten , ihre Erfahrungen zu sammeln, und wenn sie
Statistik der Geschwülste. 81
die Bedeutung der Statistik für die Pathogenie mehr in Betracht
zögen. Indess kann ich einzelne Thatsachen mittheilen, die an
verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten gesammelt sind
und die im Grossen so sehr übereinstimmen, dass, wie ich
glaube, die Hauptsache dadurch vollstängig erledigt wird.
Ein französischer Arzt, Tanchou*), hat aus den Civilregi-
Stern des Seine-Departements die Mortalitätstabellen für die Jahre
1830—40 zusammengestellt. Es handelt sich um die Leute, die
an bösartigen oder krebsartigen Geschwülsten gestorben und als
solche in den Registern aufgeführt waren. Die Zahl dieser Fälle
ist 9118. Unter diesen beträgt die Zahl der am Uterus vorkom-
menden Geschwülste 2996, d. h. 32,8 pCt, also allein den drit-
ten Tbeil der Gesammtsumme. Dann kommen unmittelbar die
Affectionen des Magens, 2303 an der Zahl, d. h. 25,2 pGt., also
ein Viertel. Für die anderen Organe bleibt nun nicht mehr viel
übrig. Zunächst kommt die Milchdrüse mit 12,6, dann die Leber
mit 6,9, der Mastdarm mit 2,4, die übrigen Därme mit 1,6 pCt.
Erwägt man nun, dass die Leberaifectionen überwiegend als se-
cundäre zu betrachten sind, und dass in der Regel primärer Mast-
darm- oder Magenkrebs zugegen ist, wo in der Liste Leberkrebs
steht, so ergiebt sich, dass die Krebse des Digestionskanals eine
ganz überwiegende Samme darstellen, denn sie geben allein über
36 pCt. Nehmen wir dazu die 32 pCt. für den Uterus und die
12 pGt für die Brust, so macht das zusammen über 80 pCt. der
Gesammtzahl der tödtlichen Fälle aus.
Gegen diese Statistik von Tanchou hat man vielfach einge-
wendet, sie sei auf oberflächlichen Grundlagen errichtet worden.
Das kann gewiss nicht von der Arbeit gesagt werden, welche
Marc d'Espine**) für die Mortalität im Ganton Genf in den
Jahren 1838 — 55 zusammengestellt hat, und welche eine der
besten ist, die in dieser Richtung existiren, weil die Genfer Mor-
talit&ts-Statistik gerade unter der Leitung dieses Mannes eine der
musterhaftesten geworden ist. Die Zahl der Todesfälle durch
Krebs betrug 889.
*) J. Tanchoa. Recbercbes sur le traitement medical des tumeurs da
sein. Paris. 1844. p. 258.
^*) Statistiqae mortuaire du canton de Geneve pendant les ann^es 1838
a 1855. Echo mödical. 185<5. T. II. p. 305 — 32G.
Vircbow, QetcbwüUt». 1. 6
82 Fünfte Vorlesung.
Von einzelnen Organen waren erkrankt:
Magen 399 Mal = 45 pCt
Uterus 139 - =15 -
Leber u. a 93 - =12 -
Milchdrüse 76 = 8,.'> -
Dünn- und Dickdarm 30 - = 3,3 -
Mastdarm 25 - = 3 -
Es ist leicht ersichtlich, dass diese wenigen Organe die Haupt-
samme, fast 87 pCt. repräsentiren.
Ich selbst*) habe die Mortalitats-Statistik der Stadt Würzburg
für die Jahre 1852 — 1855 auf einer, wie ich glaube, so exacten
Basis festgestellt, wie sie bis dahin wenigstens noch nirgend er-
reicht sein mochte, da durch die sehr grosse Ausdehnung, in der
auch die Autopsien der Privattodten veranstaltet worden sind, eine
viel genauere Grundlage, als irgendwo sonst gewonnen ist. In Würz-
burg betrug während dieser Zeit die Mortalität au bösartigen Ge-
schwülsten 5,3 pCt. der Gesammt- Mortalität, und die Scala der
Iläutigkeiten stellte sich so heraus: Es kamen unter 100 Todes-
fällen durch bösartige Geschwülste auf
Magen 34,9 pCt.
Uterus, Scheide u. s. w. 18,5 - **)
Dick- und Mastdarm . . 8,1 -
Leber u. a 7,5 -
Gesicht und Lippen . . 4,9 -
Milchdrüse 4,3 -
in Summa 78,2 pCtT
oder mit anderen Worten, es machten die bösartigen Erkrankun-
gen des abdominalen Abschnittes des Digestionskanals etwas über
die Hälfte (50,5 pCt.)? die der weiblichen Genitalien ohne die
Eierstocke beinatie ein Viertel (22,8 pCt.) der Gesammtzahl aus,
was etwas unter den Zahlen von Marcd'Espine (63,3 u. 23,5 pCt)
bleibt. Alles, was nachher kommt, sind sehr kleine Zahlen. Hierin
ist natürlich das Leichen-Material einer chirurgischen Klinik und
*) Hoiträ^e zur Statistik der Stadt WQrzburg. Verhandlungen der WQrx-
hnrK«T »h^yHikalisrh-mcdicinischcn Gesellschaft. 1859. Bd. X. S. 66.
**) H«*i dieser Zahl ist iu meiner Arbeit ein Versehen untergelanfen, in-
^ftn tVtf Krtwjuenz der Uteri nkrobse zu geriug angegeben ist Statt 2t soll-
!#•» X\ Mtf'hfMi; dies giebt 18 pCt. und mit HinzurochnuDg des Kankroids
4^r fkunnfren Oouitalieu 18,5 pOt.
Oertliche ReizoDg. 83
der Hospitäler mit versteckt, so dass die Zahl der malignen Fälle
etwas grösser ausfallt, als sie sonst für die Bevölkerung an sich
sein würde.
An diesen, in den einzelnen Positionen nicht ganz vollständig
übereinstimmenden Zahlen, wo das eine Mal der Magen etwas
höher steht, das andere Mal der Uterus, erkennt man doch leicht,
dass an so ganz verschiedenen Orten Beobachter, welche ganz un-
abhängig von einander sind, im Grossen dasselbe Resultat gewin-
nen, nehmlich dass diejenigen Organe, welche eine weiche Ober-
fläche besitzen, die mit den fremden Theilen in Contact kommt,
angleich mehr Geschwülste hervorbringen, als diejenigen, welche
im Innern der Höhlen abgeschlossen liegen, nur in geringem Maasse
nach aussen hin Berührungen oder Communicationen haben, und
directeren Einwirkungen seltner ausgesetzt sind. Vergleicht man
weiterhin die einzelnen Abschnitte dieser Organe (S. 66.), dann
sieht man noch mehr, dass gerade die Stellen am häufigsten be-
fallen werden, welche vermöge ihrer Lage am meisten Insulta-
tionen und Reizungen, sei es durch äussere Körper, sei es durch
Secretstoffe ausgesetzt sind*).
Ich weiss sehr wohl, dass eine solche Auffassung noch jetzt
auf sehr viel Widerwillen stösst und dass ein grosser Theil unserer
besten Chirurgen sich noch immer weigert, auf eine Betrachtung
dieser Art einzugehen; ja dass es noch immer einzelne giebt, die
eine Art von innerem Drang haben, die Sache unerklärlich zu
machen, sie unseren Interpretationsregeln zu entziehen und auf
irgend ein X zurückzuführen, dem man gar nicht beikommen
kann and von dem man sich gelallt zu sagen, man werde ihm
auch nie beikommen. Gewiss wird man ihm nie beikommen auf
die Weise , wie es gewöhnlich geschieht. Wenn man aber die
Fragen mehr praecisirt, wenn man die Fälle nach allen Rich-
tungen hin zusammenstellt, dann müssen noth wendigerweise
diese localen Irritamente am Ende einmal klar gelegt werden.
Wir werden Gelegenheit haben, bei den einzelnen Formen noch spe-
ciellere Betrachtungen dieser Art anzustellen; besonders bei der
Geschichte der Kankroide haben wir die mannigfaltigsten An-
knüpfungen, z. B. bei dem Lippen krebs, dem Schomsteinfeger-
krebs, wo diese Fragen mehr Gegenstand allgemeiner Discussion
*) MeiQ ArchW. XIV. S. 45.
84 FOnfte Vorlesang.
geworden sind, und wo, wie ich hoffe, nicht lange Zeit mehr
vergehen wird, bis man wird festgestellt haben, wie die Sache
vor sich geht.
Wenn ich also auch nicht angeben kann, in welcher speciel-
len Weise die Irritation stattfinden muss, durch welche gerade in
einem gegebenen Fall eine Geschwulst hervorgerufen wird, wäh-
rend in einem anderen Falle vielleicht unter scheinbar ähnlichen
Verhältnissen nur eine einfache Entzündung erregt wird, so habe
ich doch eine ganze Reihe von Thatsachen mitgetheilt (S. 65.),
welche lehren, dass in der anatomischen Zusanmiensetzung ein-
zelner Theile gewisse bleibende Störungen existiren könoen, welche
das Zustandekommen regulatorischer (oder, wie Philipp von
Walt her sagte, reactiver) Processe hindern und welche bei einem
Reiz, welcher an einem anderen Orte nur eine einfache entzünd-
liche Affection zu Stande gebracht haben würde, eine Reizung er-
zeugen, aus welcher die specifische Geschwulst hervorgeht
Fassen wir die homologen Geschwülste ins Auge, so lässt
sich sogar eine bestimmte Grenze gegen die entzündlichen An-
schwellungen nicht aufstellen. Wir werden, namentlich wenn wir
die Geschichte der elephantiastischen Geschwülste durchgehen,
wenn wir die fibrösen, die epithelialen Gewächse betrachten,
finden, dass man in der That in die grösste Verlegenheit kommt,
zu entscheiden, wo man anfangen soU» eine Affection zu den Ge-
schwülsten zu rechnen. Namentlich bei den hyperplastischen Ge-
schwülsten, welche im Innern mancher Organe vorkommen, z. B.
bei den fibromusculären , giebt es keine absolute Grenze, wo
man sie trennen könnte von einfachen Hyperplasien dieser Or-
gane. Es ist eben nur die Form, die Gestalt der Bildung,
die uns berechtigt, sie in die Geschwulstreihe zu setzen. Den
Vorgang selbst trägt Niemand Bedenken, als das Resultat einer
chronischen Irritation, einer Entzündung allenfalls, zu bezeich-
nen; aber wenn ein Knoten daraus wird, dann bekommt jeder
einen Schreck und fragt sich, ob derselbe auch noch so nn-
iM'iangen betrachtet werden könne. Wenn ein Uterus sich in sei-
nen Wandungen verdickt, dann sagt man : das ist eine chronische
MHritiH, eine Hypertrophie ; aber wenn sich Knoten bilden, mögen
h'm Miü'li eben ho zusammengesetzt sein, wie die verdickte Wand,
^iM44$$ Ui *tH ein Fibroid. Hier verschliesst man offenbar seine
Semioien. g5
Augen vor den am allerklarsten liegenden pathologischen That-
sachen.
Die Natur der Reizung ist verschieden, je nachdem eine
besondere chemische Substanz, eine „Schärfe" einwirkt, wie wir
sie bei den Infectionen des Körpers, bei den dyskrasischen Zu-
ständen voraussetzen , oder je nachdem mehr mechanische Irri-
tamente wirken. Die Richtung, in welcher in Folge die-
ser Reizung die Entwicklung der neuen Gewebe statt-
findet, ist wiederum verschieden, einmal, je nachdem die Gre-
webe selbst verschieden sind, an welchen die Reizung stattfindet,
zum andern, je nachdem die Substanz, welche einwirkt, eine ganz
besondere chemische Einwirkung hat, vermöge welcher, ähnlich
wie bei der Einwirkung des Samens auf das Ei, dem gereizten
Gewebe ganz besondere Qualitäten beigebracht werden.
Es ist allerdings eine sehr eigenthümliche Sache, zu erklären,
in welcher Weise der Samen und solche pathologische Semi nien*)
im Stande sind, die oft so complicirten Erscheinungen der späte-
ren Entwickelung hervorzurufen; aber im Grunde sind es doch
parallele Erscheinungen, und weil sie parallel sind, so berechtigen
sie uns auch, einen gemeinschaftlichen oder gleichen Grund an-
zunehmen. Wir wissen, dass in manchen Familien gewisse Or-
gane die erbliche Eigenschaft zeigen, an gewissen Orten geschwulst-
artige Producte hervorzubringen. Ich will nicht von den Familien
sprechen, wo an gewissen Stellen die Epidermis in besondere
homartige Massen auswächst, den Familien der Stachelschwein-
menschen, obwohl man sie mit Recht hier angereiht hat; aber
wir linden z. B. entschieden erbliche Disposition zur Bildung von
fibrösen Geschwülsten in der Haut, die sich von Geschlecht zu
Geschlecht fortpflanzt. In der Geschichte der Tuberkulose zeigt
sich die Erblichkeit auf die allerpraegnanteste Weise. Sie über-
trägt sich häufig vom Vater auf das Kind; sie kann also nicht
gut anders als durch den Samen übertragen werden.
Ganz ebenso werden gewisse Eigenthümlichkeiten, welche eine
Geschwulst durch die Oertlichkeit, aus der sie sich entwickelt,
gewinnt, nachher übertragen auf neue Geschwülste, die an ande-
ren Stellen des Körpers auftreten, welche nicht dieselbe ur-
Bprünglicbe Richtung der Entwickelung besitzen. Es bildet sich
*) Mein Archiv. XIV. S. 40. Gellularpathologie. S. 205.
86 Fünfte YorlesoDg.
z. B. eine gefärbte Geschwulst, eine Melanose an einem Theil, der
von Natur eine Fähigkeit zur Pigmentbildung hat, an der Cbori-
oides des Auges oder an der äusseren Haut Wenn nach Mo-
naten o<ler vielleicht nach Jahren sogenannte Metastasen eintreten,
daim werden auch die metastatischen Geschwülste gefärbt, schwarz
oder braun. Oder es bekommt Jemand ursprunglich eine Ge-
fMrliwulst am Knochen, in welche der Knochen mit seinen Knochen-
mai^ffen hineinwächst, so dass also eine zum Theil knöcherne
GefM'hwulst sich bildet; wenn diese Geschwulst bösartig wird,
and wenn sich an anderen Orten, ich will einmal sagen, in der
I^unge neue Geschwülste entwickeln, so ossificiren sie gleichfalls,
es entstehen möglicherweise grosse Knochengeschwülste in der
Lunge.
In solchen Fällen wird man nicht umhin können, wie das
wrhon seit langer Zeit anerkannt ist*), die besondere Natur der
ersten Geschwulst abzuleiten von der Besonderheit des Gewebes,
in welchem sie sich entwickelt**). Dass die Geschwulst in der
('horioides oculi pigmentirt wird, dass eine Geschwulst am Ober-
ffchenkel knöchern wird, das kann mau sich doch wohl nicht
anders vorstellen, als dass die immanente, angebome Eigen-
tiifimlichkeit der Chorioides zur Pigmentbildung, des Femur zur
Kmichenbildung sicli auch auf die Geschwulst überträgt, welche
darauH hervorwächst. Aber wenn nachher eine melanotische Ge-
Hchwulst sich entwickelt in einer Lymphdrüse oder im Gehirn,
\%\ der I^'ber oder im Eierstock, eine knöcherne Geschwulst in
i»fner Lymphdriise oder in der Lunge, dann werden wir nicht
wolil anders können, als diese secundären Bildungen zu betrach-
ti'n, wie eine zweite Generation, auf welche die Eigenthümlich-
ki*itcn der ersten durch ein gewisses Seminium übertragen sind,
HO wi«; der Vater seine Eigenthümlichkeiten durch den Samen
auf die Eizelle und auf das Kind überträgt. Das, was befruchtet
wini, wns also in dieser pathologischen Erregung dem Ovulum
Kh*ichHt4*ht, das wissen wir jetzt ganz genau, das ist ein be-
üllninites Muttergowebe, eine Matrix***).
«••) lUfidbucb der spec Pathologie u. Therapie. L S. 833.
Bfatricalargewebe. g7
Fräberhin, wo man sich vorstellte, dass alle Neubildung auf
dem Wege der fixsudation beginne und dass sich erst aus den
Exsudaten die neuen Gewebe gestalteten, da war man in nicht
geringen Schwierigkeiten, die vielerlei Exsudationen nachzuweisen,
die bei dieser Voraussetzung bestehen müssten, die aber gar nicht
zu finden waren. Jetzt, wo wir wissen, dass jedes neue Gewächs
aus einem bestehenden Gewebe durch Proliferation hervorgeht,
jetzt bieten uns schon die verschiedenen Muttergewebe einen hin-
reichenden Grund für die Erklärung mannigfacher Differenzen der
Tochtergewebe, und was dann noch unerklärt bleibt, das ist auf
die Verschiedenartigkeit der Erregungen und der äusseren Bedin-
gungen der weiteren Entwickelung zu beziehen. In allen diesen
Stücken stehen die Matriculargewebe vollständig dem
Ovulum parallel.
Man hat in der neueren Zeit die Versuche, welche früher
wiederholt gemacht worden sind, Geschwülste durch Impfung,
gleichsam durch Befruchtung zu übertragen, wenig fortgesetzt, da
sie sich beim Menschen begreiflicherweise nicht gut vornehmen
lassen*) und da die Thiere gerade in Bezug auf Geschwulstbil-
dungen sehr viele Eigenthümlichkeiten darbieten, die daraus sich
sehr leicht erklären, dass sie ihren besonderen Typus der Bildung
haben. So wenig als der Same eines Thiergenus fruchtbar ist für
ein anderes Genus, ebenso wenig würde man aus dem negativen
Erfolg einer Inoculation von menschlichen Geschwulstsäften auf
Thiere etwas Definitives schliessen können.
Indess sind die bisherigen Versuche keinesweges mit so vielen
Cautelen gemacht worden, dass man sie als maassgebend betrach-
ten könnte. Meist hat man sich darauf beschränkt, Injectionen von
Geschwulstmassen, sei es von blossen Säften, sei es von zerrie-
benen Geschwulsttheilen, in das Blut von Thieren zu machen.
Man hat in der Regel keine Resultate bekommen (Dupuytren,
Valentin, J. Vogel, ich selbst). Der erste, welcher ganz be-
stimmte Resultate angegeben hat, 'war Hr. B. Langenbeck**);
*) Die älteren Angaben über zufällige Uebcrtragong des Krebses von
einem Menschen auf einen anderen sind theils unsicher, theils unzuliissig.
Man sehe darfiber die einsichtsvollen Bemerkungen von John Pearsou
(Practical observations on cancerous complaints with an account of soroe
diseases which have been confonnded with the cancer. Lond. 1793. p. 20).
**) Schmidt 's Jahrbücher. Bd XXV. S. 99. Ich habe selbst die Zeich-
Dungen des Herrn Langenbeck von der mikroskopischen Zusammensetzung
aus einer
injicirt hatte,
4r Herren Follin
^on Bmstkrebs-
j^ JcaaEs- -wmer ^mmst- m mm Henm and der Leber
•*f!«Br» -viiiuLBEn. MMBak »lauLKiii a werden und
Ausdeh-
wörden.
*:!i ir !i»r*£iMt. TfjKH au» iaa> v -flOK 4bi i h ■■ j gerechtfertigte
^^rtnanx:. ^r 'nprsttiimaei 3b- «üzr Jceec aKser der alteren Beob-
^iiiattu. •»« ^ * ~* '-!•* a«^ -fÄ -^aatamr ^skkütfes Ergebniss vor,
*»-*•• !i»?-^ "fcrr * TU.Hrr^"' -ifz»*lB- & äqidrte in die Scben-
X ••Hin? -*!»•!- IfupA.'^r- i*««5**sar ok- -^uam Sarfcirkvamm des Ober-
^>r«<rs J9«. tni:rfflF ;n»H*i ^jat uMraiiiÄf Xas^ davon nnter die
laut. Ji>f«~ ni*ift*'f -«est jt *> Toai «n» äKiaiwtse Geschwulst
?!■« iKr J-2Suit*JEtfr!K*>^«£iiBK -*»e^ San&s«-«waBBBk Fieflich ist dies
lur -•« *»itiv«Ärr y*tL M^r ,?*w!:» Mn ^«ar k«iKffkenswerther, und
«-•^i-«n:ui2- s.!i^uii :r^ air s:*ivu y%a sx^bsäm^ infiw.hmen^ dass die
*i> 4 ' " ,'*>^. inK^ 1^.^' i:^«ii»*ai«a Safte anf gewisse
V-* * l^^^- jt-f i:*i ir r>i^i ^ :•# «iii S«»iniam**^.
ir>»r n:!<iiM»icr>^ii^ 2iir«!i !itfim&c :s«ibK^ m fikien einiehien Stadien
äf<>« si'j ^•'^^•i^:ira;L ^ »ih^auiuc ^nait tk^r^ben. Die Schwie-
r^.v if i^c? «x^ii lur :n ier ^•fii:ib«aaii ätiologischen Unter-
su« iian;jL. ^ac> i:^ .VjaoMni><*(iH Mtlaog:%^ :so ist das voUkommea
kiar, «Vi V'wm -ittfi»-*ai»?a Prtnkse« w»? dae solche Reizung statt-
iiaL»i*:f€. Stilett ^T. iat^ Ler G:i3x -i^r Dinge zunächst in der-
^^Ib^iL W:f :>^ :?r:'.»lx;^ wi^ '>^i ^nttindlichen Reizungen.
Eine tr^i»:' Es>a»Lin«.'a. «^tne N«?dlHUu]ig in freiem Cytoblastem,
wi^ oi^in >i*e c>ii> wcs: aUfCvm^füi aiui^noaunen hatte, findet nicht
Statt; di^ CtrmibiiAce d^r Eatwickehug sind die zelligen Elemente
der Lun^enkiKtcen seihen. Sie hab«^• ai«^ Aehnlichkeit mit spontanen
Krobälformen, wie ich ^^ie aihrh bei Hinden ■otersncbt habe, als mit mensch-
lichen Krebse lementen.
*) Lebert. Traite pratiqu« des maladie« canceieuses. Paris. Id51. p. 136.
^*) C. 0. Weber. Chirurciscbe Erfahningen o. Untereachnncen. Berlin.
1869. S. 289.
♦••) Virchow. Die Einheitsbestrebnngen in der wissenschaftL Medicin.
Hnrlin. 1849. 8. 39. Gei»ammelte AbhandL S. ifx Handbuch der soec
Pafh. u. Ther. 1. S. 278. 339. Archiv. XIV. S. iO.
GranulatioDsstadiam. g9
der Mottergewebe. Alle Versuche, die Histogenese der Geschwülste
auf eine andere Grundlage zurückzuführen, sind vergeblich; selbst
die neuere Theorie von Rokitansky*) beruht auf einem prin-
cipiellen Missverstandniss, wie die ältere von Hodgkin**).
Die Gewebe, welche der Sitz der Geschwulstbildung werden
sollen, vergrössern sich, ihre Elemente nehmen mehr Material in
sich auf, sie schwellen an. Gewöhnlich sehr bald beginnt dann
eine Theilung der Kerne (Nucleation), es folgt eine Vermehrung
der Zellen (Cellulation). Geht diese schnell vorwärts, erreicht
sie einen hohen Grad und werden die Zellen in dem Maasse, als sie
an Zahl zunehmen, an Umfang immer kleiner, so geräth das Gewebe
in einen Zustand, den ich im Ganzen Granulationszustand
genannt habe, weil er ganz ähnlich ist dem, welchen wir an
Wundflächen sehen, wo man seit alten Zei-
ten die jungen Gewebsmassen mit dem
Namen der Wundgranulationen bezeichnet
hat***). In diesem Zustand ist das Ge-
webe eigentlich indifferent; es ist ver-
gleichbar den embryonalen Zuständen,
welche in der ersten Zeit nach der Be-
fruchtung im Ei eintreten, wo eine Masse
von Zellen erzeugt wird, denen man es bekanntlich auch noch
nicht ansehen kann, was aus ihnen im Einzelnen werden wird.
Die Zellen, aus denen Gehirn werden wird, sehen eben so aus,
wie die, aus denen Muskeln, und die, aus denen Bindegewebe
werden wird, eben so wie die, aus denen Epithel werden wird.
So ist es auch im Granulationszustande; es ist das ein indifferen-
tes Stadium, wo in der Regel kleine, runde Zellen existiren, die
Fig. 6. Schema der Zellentheilung und Granulation, a einfache Kern-
zelle, b Theilung der Rernkörperchen in der vergrösserten Zelle, c weitere
Vergrösserung der Zelle und Theilung des Kerns, d Theilung der Zelle selbst,
e weitere Theilung der Kernkörperchen und Kerne in den neu entstandenen
Zellen, / weitere Theilung der neu entstandenen Zellen selbst, g noch weitere
Theilunp:, immer kleinere Elemente mit dem Charakter der Granulationszellen.
• *) Rokitansky. Ueber die Entwickelung der Krebsgerüstc mit Hin-
blick auf das Wesen u. die Entwickelung anderer Maschenwerke. Sitzungsbe-
richte der math. naturw. Classe der k. Akademie der Wissensch. zu Wien.
1852. Bd. VII. S. 391.
*^ Hodgkin. On the anatomical characters of some adventitious struc-
tores. Med.-chirurg. Transactions. 1829. Vol. XV.
•••) Archir. XIV. S. 62. Cellularpathologie. S. 379, 410.
90 Finfte Yorksug.
einen Kern und im besten Falle einen Nucleolos besitzen und
meist einen schwach körnigen Inhalt haben.
Diese Bildangszellen^ kennt man schon ziemlich lange;
sie sind schon von Valentin und Maller, also seit beiläufig
mehr als 20 Jahren beschrieben; aber man nahm früher immer
an, dass sie vermöge einer Generatio aequivoca in den exsudirten
Massen, in dem sogenannten Blastem entstanden, dass sie also
eine de novo vor sich gehende Bildung darstellten, welche an die
alten Bildungen in keiner Weise anknüpfte. Allein man kann
sich mit der grössten Bestimmtheit überzeugen, dass diese neuen
Elemente aus den alten Elementen des Theiles hervorgehen; die
alten Elemente sind ihre Matrices.
Nun ist freilich nicht jedes Element des Körpers, soweit wir
bis jetzt wissen, im Stande, der Ausgangspunkt einer solchen Bil-
dung zu werden, und insbesondere sind dazu alle diejenigen Ele-
mente nicht im Stande oder wenig geeignet, welche zu einer spe-
cifischen Höhe der physiologischen Entwickelung gekommen sind,
welche also über ein gewisses Niveau der Bildung hinaus zu voll-
endeten, eigentlich animalischen Formen sich entwickelt haben.
Ein rothes Blutkörperchen hat keine Fähigkeit zur Proliferation;
eine Ganglienzelle des Nervenapparats, soweit wir wissen, ebenso
wenig. Drusenzellen von ausgemachtem Drüsencharakter sind nicht
mehr im Stande, eine diflerente Brut zu erzeugen und wenn die
meisten früheren Schriftsteller seit Friedr. Hoffmann und Boer-
haave den Krebs als eine Drüsenkranklieit bezeichnet haben, so
muss man wenigstens festhalten, dass es nicht das eigentliche, speci-
fische Drüsenparenchym ist, sondern das interstitielle Gewebe,
welches die Geschwulstmasse gebiert. Fertige, vollständige Epi-
dcnniszellen haben keine genetische Bedeutung mehr. Ja, ich fiir
meinen Theil muss sogar sagen, dass es mir nicht möglich gewesen
ist, mich zu ül>erzeugen, dass in einem Muskelprimitivbündcl
oder in einer Nervenfaser eine weitere Entwickelung von solcher
Höhe stattfinden könne. Indess haben verschiedene neuere Beob-
achter die positive Behauptung aufgestellt, dass es vorkonune,
und da ich gegen die Möglichkeit an sich nichts einwenden kann,
so kann ich nur sagen, dass es mir bis jetzt nicht gelungen ist,
*) Handbuch der spcc. Patb. u. Tberap. I. S. 331.
Indifferente Gewebe. 91
mich davon zu überzeugen, und ich möchte daher wenigstens leug-
nen, dai^s das ein irgendwie häufiger Vorgang wäre.
Nicht jedesmal schlägt die Neubildung diesen Umweg durch
das Granulationsstadium ein; es kann die Theilung der Elemente
auch sofort zu einer Bildung bestimmter, typischer Formen fuhren.
Dies ist bei den directen Hyperplasien der Fall, wo die
neuen Elemente von Anfang an den vollständigen Habitus der
alten besitzen. Aber dies kommt bei der Geschwulstbildung
am 80 weniger vor, je massenhafter und schneller die Entwicke-
lang erfolgt; dann schiebt sich selbst bei einfachen Hyperplasien
ein indifferentes Zwischenstadium ein. Wächst dagegen die Ge-
schwulst langsam und allmälig, so kann sie ihren Höhepunkt
erreichen, ohne jemals den Typus des Muttergewebes einzubüssen;
gie kommt gleichsam per primam intentionem zu Stande*).
Manche Gewebe, welche zur Granulationsbildung nicht geschickt
sind, z. B. das glatte Muskelgewebe, das Drüsenepithel, liefern
durch directe Theilung ihrer Elemente beträchtliche Geschwulst-
massen, ohne dass dabei jemals „ Bildungszellen ^^ vorkommen.
Aber für die grosse Mehrzahl der Geschwülste lässt sich das
Granulationsstadium nicht übersehen, und daher knüpfen wir unsere
Betrachtungen zunächst an diesen gewöhnlicheren Fall.
Mit Zuversicht kann man hier sagen: es sind die mehr
indifferenten Gewebe, welche am häufigsten der Aus-
gangspunkt solcher neuen Entwickelungen werden.
Wenn wir die Epithelialformationen ins Auge fassen, so sind
es immer die jüngsten Schichten, welche noch keine specitische
Entwickelung erreicht haben, namentlich die Elemente des Rete
Malpighii, die in solche Wucherung gerathen und durch Theilung
aas sich die neuen Elemente hervorbringen können. In der Binde-
gewebsgruppe sind es wiederum diejenigen Gewebe, welche
am wenigsten eine charakteristische Höhe erreicht haben, insbe-
sondere das gewöhnliche Bindegewebe, das Schleimgewebe und
das rothe Mark der Knochen, während das Knorpelgewebe und
das vollständige Knochengewebe eine verhältnissmässig viel ge-
ringere Neigung zeigen, und das Knorpelgewebe noch wieder eine
^iel geringere als das Knochengewebe, in sofern bekanntlich das
Knorpelgewebe viel mehr ein Gewebe sui generis ist als das
^) Gellnlarpathologie. S. 61, 68.
92 Ffinfte Yoriesang.
Knochengewebe, welches sich an das gewöhnliche Bindegewebe
ziemlich unmittelbar anreiht. Selbst das Fettgewebe wuchert nicht
als solches, sondern es wird, wie das Knochen- und Knorpel-
gewebe, in der Regel erst in ein weiches, mehr schleimiges Ge-
webe transformirt, und genau genommen ist es erst dieses, wel-
ches proliferirt. Unter den Geweben, welche eine mehr spe-
cifische Ausbildung erreicht haben, erkranken am häufigsten die-
jenigen, welche zum Gefasssystem gehören, sowohl die zum Blut-,
wie namentlich die zum Lymphgef&ssapparat zu rechnenden
Theile (Lymphdrüsen, Milz u. s. w.).
Unzweifelhaft ist aber das eigentliche Bindegewebe
der häufigste Ausgangspunkt der Geschwulstbildung.
Schon frühere Beobachter waren durch die grob - anatomische
Untersuchung zu diesem Resultat gekommen. Schon vor länger
als einem Jahrhundert suchte Grashuis*) zu zeigen, dass Fungen
und Sarkome, Skirrhe und Carcinome, sowie andere fungöse Ge-
schwülste, wie Ficus, Epulis ihren eigentlichen Sitz in der Mem-
brana cellulosa haben und aus ihr hervorgehen. Kluge**) er-
klärte ganz bestimmt, dass jeder Parasit aus dem Zellstoff (der
damalige Name für Zell- oder Bindegewebe) und den ihm
zunächst stehenden Häuten seinen Ursprung nehme, und dass der
Skirrh der Drüsen nicht aus^der Substanz der Drüsen, sondern
immer aus dem die einzelnen Acini verknüpfenden Zellgewebe
hervorgehe. Meine mikroskopischen Untersuchungen haben diesen
Satz endlich festgestellt, und zahlreiche neuere Beobachter haben
ihn bestätigt. —
Vor dem Stadium, wo die Matriculargewebe die indifferenten
BildungKzellen erzeugen, liegt also schon das Stadium der Irri-
tation; das ist ein noch früheres. Wenn wir die gewöhnlichste
und am häutigsten vorkommende Reihe der Entwickelungsvor-
gänge betrachten, wie sie am Bindegewebe geschieht, und wenn
wir den einfachsten Fall setzen, dass wir eine einzelne Spin-
didzelle vor uns haben, so sehen wir, dass sie an Grösse
siiinimmt, dass ihr Kern sich vergrössert; dann theilt sich der
Knrn und sehr bald theilt sich gewöhnlich auch die Zelle« Das-
*) Joann. (irashuis. Exercitatio med. chirurg. de scirrho et cmrcioo-
mai**, in M"^ (^tiam fungi et sarcomaU pertractantur. Amstel. 1741. p. 67,
77. m.
••) KuNt'» Magaziu. 1824. Bd. XYI. S. 213.
Orenie der OeschwnlBt. 93
selbe wiederholt sich an den neuen Zellen und
so geht es weiter; die Theilungen folgen sich
schnell, und sehr bald sind Reihen fertig, in
welchen hintereinander, wie Semmeln anein-
ander gesetzt, die kleinen £leniente liegen.
Vor dem Stadium der Bildung dieser Bildungs-,
oder wie man wohl auch gesagt hat, Pri-
mordialzellen ist also eine gimze Reihe
von EntwickeluDgen vorhergegangen, und die
Geschwulst ßngt nicht da an, wo die Bildungszellen liegen, son-
dern da, wo die erste Veränderung im Muttergewebe erfolgt Mag
Dun dasselbe irritirt sein durch mechanische oder chemische Ein-
wirkung, mag es eine Praedisposition gehabt haben oder nicht,
der Gai^ der Entwickelung ist ein übereinstimmender bis sn dem
Stadium, wo die Granulationszellen (Bildungs- oder Primordial-
lellen) vorhanden sind.
Man ersieht schon daraus, dass eine eigentliche Grenze
der Geschwulst gegen das Muttergewebe an sich nicht
vorhiuiden ist; ursprünglich hängt die Geschwulst mit dem Mutter-
Gewebe vollständig und innig zusammen. Aber in dem Maasse,
als neue Zellen aus der fortschreitenden Theilung und Wucherung
der alten hervorgehen, in dem Maasse treten in der Consistenz
des Theils, in dem Znstande der Gelasse, in der ehemischen Be-
schaffenheit der Gewebe wesentliche Verschiedenheiten ein, und
man wird dann immer einen gewissen Punkt finden, wo man
sagen kann: hier ist schon Geschwulst, liier beginnt sie sichtlich.
Das ist dann der Punkt, den die Chirurgen als die Grenze der
Geschwulst bezeichnet haben. Wenn wir aber über diesen Punkt
hiuaus in das scheinbar gesunde Gewebe hineingehen und dieses
onlersucheo , dann findet sich hier die Beihe der jüngsten Bil-
dungen, und das ist eben der Grund, warum nach Exstir-
pationen so häufig Recidive in loco erfolgen. Nur zu oft bleibt
schon proliferirendes Gewebe zurück , welches man für normal
b<, obwohl es das Seminium in sich hat und sogm* in den An-
bog der Entwickelung eingetreten ist.
Fiß. 7. Schema der Biadegewebavrucherung. a. eiofacbe Spindelzelle
d«i Bindegewebe«, b einfache Ver^rCaaeriiDg deraelbea (II j'pertrophie),c. KerD-
tbeilaag, d. ZelleuÜieilDng, ä, weitergehende Theilung o. fiitdnng roD rundeo
OnuiuUioiuiellen, /. weitergehende Theilnog der letiterra.
94
FBnfte Vorlesong.
Bis zn der Zeit, wo die indiffereDten Granulations-
zellen gebildet sind, ja selbst in dieser Zeit, kann man
ett unmöglich den Elementen angeheD, was daraus wer-
den wird. Ein Krebs sieht in diesem Stadium ebenso aus wie
ein Tuberkel; eine syphilitische Gummtgeschwulst des Periosts
wie eine spfltere Exostose. Ich sage damit nicht, dass die Zellen
ganz und gar indifferent sind, aber sie erscheinen uns so; sie
haben keine Merkmale, an denen wir ihre Besonderheit erkennen
können; sie verhalten sich wie die embryonalen Zellen, von denen
wir ja auch annehmen mfissen, dass in den einzelnen schon etwas
Besonderes enthalten ist, was ihre spätere Entwickelung bedingt,
an denen wir es aber nicht erkennen können.
Nach dieser Zeit beginnt die Differenzirung; von da aus
gestalten sich die einzelnen Gewebe verschieden, und zwar nicht
blos in der Art verschieden, dass in der einen Geschwulst dieses
Gew<^be erzeugt wird und in der anderen jenes, sondern auch io
der Weise verschieden, dass in derselben Geschwulst die eine
l'artie das eine, die andere Partie ein underes Gewebe erzeugt
Von dieser Differenzirung ab, wo die Geschwülste ihren beson-
i]vTi:n Charakter annehmen, können wir zwei grössere Gruppen
von einander trennen.
Die eine Gruppe erzeugt überwiegend eingehe Gewebe,
HU dasH die Geschwulst in allen ihren Theilen ziemlich gleich-
artig zusammengesetzt ist. So giebt es Geschwülste , welche
V'ip,. 8. Srfaematische Darstellnag der Differeniinng tob Oruinlktioiis-
Kfllpn zu Npfcifigchen Gewebszclleo.
A. Differenzirung von Granalationszelleo a in CytiDderepithehellea b;
H. DMieibe fDr PflasteTepithel;
V. iiiffereniimng von OrKDolationsgawebe a id BiDde^eweba d. B«i
h ADMcbeidnns Ton IntercellaUrsobBtaDi, bei e DnbiMaiiK der n»>
d«ii UXin in Spiitdeliellen.
Uistioide und orgknoide OeschwOlste. 95
lauter epitheliale Elemente hervorbringen. In diesem Falte wird
ans einer einfachen kngeligen Bildnngszelle allmählich eine deut-
liche Cylinder- oder Pflaeterzelle. Wenn eine solche Fortentwicke-
long an allen Bildungszellen der Geschwulst erfolgt, so wird
das GrannlationBgewebe im Ganzen in eine epilheKale oder epi-
dermoidale Formation Qbergehen. 0<ler, wenn die einnelnen Bil-
dungszellen anßtngen , sich nach einzelnen Richtungen weiter zu
entwickeln, ond wenn sie dabei zugleich eine gewisse Quantität
von latercellularsubstanz ausscheiden, so kann daraus ein Binde-
gewebsstack werden; so weit die Granulationsschicht reichte, so
weit wird nachher Bindegewebe vorhanden sein. Das sind Ge-
schwülste mit einem ganz einfachen Gewebscharakter, wo an allen
Theilen so ziemlich dieselbe Zusammensetzung sich wiederfindet;
vielleicht ist die eine Stelle etwas älter, die andere etwas jQnger,
die eine etwas dichter, die andere etwas loser, aber im Wesent-
lichen besteht die Geschwulst überall aus demselben Gewebe.
Ich nenne*) sie gewebeartige, histioide Geschwülste.
In einer anderen Gruppe dagegen werden aus denselben Bil-
duDgselementen nach verschiedenen Richtungen hin verschiedene
Dinge erzeugt; z. B. ein Theil der Zellen entwickelt sich zu Binde-
gewebe, ein zweiter zu Epithel. Dann kann nachher die Ge-
schwulst ang Zügen von Bindegewebe und aus vielen in dieselben
eingeschlossenen Heerden oderAlveolen mit Epithel zusammengesetzt
y. g sein. In das Bindegewebe hinein kOnnen sich Ge-
y tissa gestalten; es kann so nach nnd nach das
Ganze einen complexen Bau bekommen, welcher
nicht mehr der Bau eines Gewebes ist, sondern
' welcher dem Bau eines Organes entspricht. Ja
diese pathologischen Organe, diese Ge-
schwulst-Organe oder diese organähnliche
Geschwülste erreichen zuweilen eine solche Grüsse
und innere Mann^altigkeit, dass sie die grosseste
Aehnlii^keit darbieten mit gewissen physiologischen
Organen, namentlich mit Drüsen, mit unseren gewöhnlichen phy-
nologiscbwa Drüsen.
Fig. 9. Sdiema der organoiden Eotwickelnng: Ein Maschenoetz vqd
Undegewebe wonn bei o ein Getjüs enthulteu ist, umschliestt einen mit
epitbeli^ea Zellen gefQllteo Ranm.
•) <MlilupMhäogi«. B. 60.
96 FQofte Yorlesnng.
Es ist das selbst in der äusseren Erscheinung so auffallend,
dass schon die älteren Schriftsteller von dem drüsenartigen Bau
mancher Geschwülste reden, und unzweifelhaft ist für eine sehr
grosse Zahl von Geschwülsten die Drüsentextur das physiologische
Paradigma. Handelt es sich hier also um pathologisch neugebil-
dete Organe, so wird man daran leicht den weiteren Gedanken
anknüpfen, den ich schon früher (S. 80j) erwähnte, dass diese
Organe wirkliche pathologische Secretionsorgane seien.
Aber auf diese Möglichkeit beschränkt sich die Sache nicht,
sondern es giebt Fälle, wo die innere Mannigfaltigkeit und Zu-
sammenordnung von verschiedenen Geweben und organartigen
Theilen so mannigfaltig wird, dass die Geschwulst mit einem
System des Körpers Aehnlichkeit bekommt, dass sie z. B. eine
Uebereinstimmung mit der äusseren Haut darbietet, nicht blos
mit dem Bindegewebe derselben und mit ihrer Epidermis, son-
dern sie kann auch Drüsen besitzen. Seh weiss- und Talg-
drüsen, ja sogar Haare und allen sonstigen Zubehör der Haut
Eine solche Geschwulst ist nicht mehr ein blosses Organ, denn
die Schweissdrüsen, die etwa da sind, sind Organe; sie ist ein
völlig entwickeltes System. So wunderbar nun auch diese, ganzen,
zusammengesetzten Systemen des Körpers entsprechenden Bildun-
gen sind, die man deshalb als Naturspiele, Lusus naturae,
als Verirrungen der Bildungskraft, als Aberrationen
der plastischen Kraft bezeichnet hat, so sind sie doch nicht
schwerer zu begreifen, als die einfach histioiden und organoiden
Formen. Dean wenn überhaupt ein Stadium vorhanden ist, in
welchem indifferente Elemente gegeben sind, die sich nach ver-
schiedenen Richtungen hin entwickeln können, so ist es ebenso
begreiflich, dass sie einmal sich in einer, und ein anderes Mal
in zwei, wie dass sie ein drittes Mal in fünf und sechs Richtun-
gen sich entwickeln. Das ist nicht wunderbar; das Wunder liegt
vielmehr darin, dass ein indifferentes Ding, welches keine Kri-
terien an sich wahrnehmen lässt, aus denen man schliessen könnte,
wozu es eigentlich bestimmt ist, nach so verschiedenen Richtun-
gen hin sich entwickeln kann. Ich will diese Formen kunweg
teratoide nennen. —
In der neueren Zeit, wo man so viel nach specifischen Be-
utandtbeilen gesucht hat, ist man häufig von der Vorstellung ans-
gegAngen, das» das Wesen der einzelnen Geschwnlat ia den ein-
Florescenz - Stadium. 97
seinen Elementen gesucht werden müsse und dass jedes einzelne
Element das Charakteristische in sich enthalten müsse. Das war
ein Irrthum. Sehr häufig ist das Charakteristische eben nur in
der besonderen Art der Gesammtanordnung, welche die
Geschwulst hat, begründet, und wir sind nur im Stande, die Ge-
schwülste von einander zu trennen, indem wir die Entstehung
und Ordnung ihrer Theile zugleich ins Auge fassen. Es werden
natürlich diejenigen Geschwülste, welche gleichartige Gewebe in
sich enthalten, einander näher verwandt sein ; wir werden sie ein-
ander anreihen müssen, aber sie zusammenzuwerfen, deshalb weil
sie gleichartige Bestandtlieile enthalten, das würde ein Irrthum
sein. Bei der Beurtheilung einer Geschwulst haben wir jedesmal
zunächst zu prüfen, wie sie sich in ihrer Gesammtheit darstellt.
Wir haben zweitens die Frage aufzuwerfen, wie sie sich zu dem
Huttergewebe verhält, aus welchem sie hervorging, inwieweit sie
in ihrer späteren Entwickelung übereinstimmt mit dem Typus,
welcher an dem Orte geltend war, aus dem sie hervoi*wuchs.
Nach der Beantwortung dieser zwei Fragen bestimmt sich haupt-
sächlich der Werth, die Bezeichnung und das Urtheil über die
Geschwulst.
Wenn die Geschwulst bis zur Bildung bestimmter, wohl
charakterisirter Gewebe gekommen ist, dann ist sie da, wo
eine Pflanze ist, wenn sie blüht. Es ist das Stadium flo-
rescentiae, wo die einzelnen Bestandtheile überall eine ge-
wisse, typische Höhe, die Akme ihrer Vollendung erreicht haben.
Bei jeder einzelnen Geschwulst haben wir daher auch zu unter-
suchen, wie weit in ihr die Entwickelung der einzelnen Elemente
gehen kann, welche Entwickelungshöhe in ihr die Theile regel-
mässig erreichen. Ofk bestimmt sich dadurch allein unser Urtheil
über die Natur einer Geschwulst; denn wenn wir eine solche
finden, welche in ihrer Entwickelung gar nicht weit über das
Granulationsstadium hinausgeht, so schneiden wir damit far die
Diagnose sofort alle diejenigen Geschwulstarten ab, welche eine
weiter gehende Entwickelung besitzen.
Nun fragt es sich, wonach bestimmt man diese typische
Entwickelungshöhe? Dafar haben wir zwei Merkmale. Das
eine ist die Uebereinstimmung der Elemente mit bekannten, ty-
pischen, vollständig entwickelten Elementen des Körpers. Das ist
aber oft ein nicht ganz entscheidendes und unsicheres Kriterium.
VIrchow, OtMhwiUit«. 1. 7
98 ¥%mile Vorie&ug.
Viel sicherer ist, wenn wir ans dem weiteren Gange der Geschwulst
den Nachweis fahren können, dass die Elemente, wenn sie bis
zu einer gewissen Höhe gekonmien sind, sich nicht weiter ent-
wickeln. Hier unterscheiden sich aber sowohl die einfachen
(histioiden) Geschwülste, als die einzelnen Theile der zusammen-
gesetzten Geschwülste dadurch, dass die eine Reihe einen durch-
aus transitorischen Charakter hat, nur eine relativ
kurze Lebensdauer besitzt, während die andere Reihe einen
bleibenden, dauerhaften Charakter gewinnt und ihre
Producte daher auch als permanente Bestandtheile in
die Zusammensetzung des Körpers eingefügt werden
können. Diese Unterscheidung, deren allgemeine Bedeutung fär
die gesammte Organisation und deren besonderen Werth für die
Geschichte der Geschwülste ich zuerst dargelegt habe*), hat
gerade für die praktische Beurtheilung eine ganz durchgreifende
Bedeutung. Je mehr eine Geschwulst an dauerhaften Elementen
enthält, um so mehr kann sie auch ein permanenter Bestandtheil
des Körpers werden; es kann Jemand möglicherweise sein ganzes
Leben lang eine solche Geschwulst mit sich tragen. Je mehr
aber eine Geschwulst reich ist an hinfalligen Elementen, welche
nur eine beschränkte Lebensdauer haben, um so gewisser ist es,
dass auch die Geschwulst als solche nicht ein permanenter Be-
standtheil des Körpers bleiben wird, dass wenigstens nicht die
alten Theile der Geschwulst dauern werden. Die Geschwulst im
(j rossen und Ganzen kann dauerhaft sein, insofern sie sich durch
neue Heerde vergrössert, insofern sich neben dem ursprünglichen
Knoten neue Anwüchse bilden. Die alte Geschwulst aber muss, wenn
nie wesentlich aus transitorischen Elementen besteht, zu Grunde
gehen, sie kann sich nicht erhalten; nur die neuen Anwüchse
geben ilir den Anschein der Dauer.
Wenn wir einen Krebs nehmen, so enthält er regelmässig
einen grossen Theil solcher transitorischen Bestandtheile. Daher
int (*H ganz und gar unmöglich, dass Jemand einen Krebs von
^.iut'T bestimmten Grösse etwa sein ganzes Leben oder auch nur
lOJahn^ lang trägt. Wenn er wirklich 10 Jahre lang einen Krebs
bal, HO wissen wir ganz bestimmt, dass die Krankheit während
*) Archiv 1847. I. S. 195, 222. Handbuch der spec. Path. o. Therapie.
r H. ad2.
Rückgängige Metamorphosen. 99
dieser Zeit fortschreitet, dass sich neben dem alten Knoten neue
Knoten bilden. Die Geschwulst ist dann scheinbar permanent,
aber sie erhält sich nur durch Nachwuchs, nur durch neue Gene-
rationen, etwa wie ein Volk, welches allerdings dauerhaft sein
kann, aber in dem doch die einzelnen Individuen, die einzelnen
Bestandtheile wechseln, so dass das Ganze nur durch den Nach-
wuchs den Anschein des Dauerhaften erregt. Sobald wir die ein-
seinen Bestandtheile ins Auge fassen, so sind sie vergänglich, ja
oft ausserordentlich vergänglich.
Die verschiedenen, mit vergänglichen Bestandtheilen ver-
sehenen Geschwülste unterscheiden sich wiederum dadurch, dass
die Lebensdauer der Elemente in ihnen eine verschiedene ist*).
In manchen bestehen die Elemente nur eine ganz kurze Zeit und
gehen dann wieder zu Grunde, in anderen können dieselben sich
länger erhalten und eine gewisse Zeit lang den Eindruck der
Dauerhaftigkeit machen. So sterben die Elemente eines Tuberkels
frühzeitig ab. Ein Krebs zeigt schon eine längere Dauer der Ele-
mente, so dass wir immer für einen gewissen Zeitabschnitt die
Geschwulst in einer Art von Unveränderlichkeit ftnden. Ein Kan-
kroid dauert in der Regel noch länger; da sind die Elemente viel
mehr entwickelt, viel mehr charakteristisch, viel mehr dauerhaft
Aber in allen dreien gehen sie endlich zu Grunde. Während also
die Geschwulst ursprünglich aus einer productiven Thätigkeit des
Organismus, aus einer wirklichen activen Wucherung hervorge-
gangen ist, so enthält sie doch, weil ihre Elemente keine Dauer
gewinnen, weil es hinfällige Bestandtheile sind, von vorn herein
die Tendenz der Destruction. Denn das, was neu erzeugt
wird, geht immer wieder zu Gmnde, es hat keine Dauer, keinen
Bestand, keinen bleibenden Werth für den Körper.
Es muss daher im Innern einer solchen Geschwulst ein fort-
dauernder Zerfall, eine fortdauernde Auflösung, eine rückgängige
Metamorphose stattfinden. Alle Geschwülste, welche hintallige
Elemente in grösserer Anzalil enthalten, bieten uns von der Zeit
ihrer Florescenz ab eine Reihe von passiven Rückbildungen,
^on regressiven Metamorphosen, von verschiedenen, wie
man zu sagen pflegt, Ausgängen dar. Dahin gehören insbe-
sondere die Fettmetamorphose, die Erweichung, die Eindickuug,
*) Cellularpathologie. S. 422.
100 Fflnfte Vorlesung.
die Verkalkung. Bei den permanenten Geschwülsten können Aus-
gänge in gleicher Weise eintreten, aber es ist dieses nicht der
regelmässige Fall; meist verharren sie auf einer gewissen Höhe
oder wachsen weiter. Bei den mehr vergänglichen Geschwülsten
dagegen bilden die rückgängigen Metamorphosen die Regel, und
da sie bei den einzelnen Arten ausserordentlich variiren, so ent-
steht dadurch eine Menge von scheinbaren Varietäten. Gerade
diese späten Stadien sind es gewesen, von denen die früheren
Beobachter bei der Classification oft ausgegangen sind und auf
welche hin sie ihre diagnostischen Unterscheidungen basirt haben.
Den Tuberkel untersuchte man gewöhnlich, wenn er längst todt
war, wenn seine Masse längst wieder in andere Zustände über-
gegangen war. Fand man eine ähnliche veränderte Masse im
Krebs, dann nannte man sie auch Tuberkel; man sagte, es wäre
ein Tuberkel im Krebs, während man sich doch hätte überzeugen
sollen, dass es nur dieselbe Art der Rückbildung des Krebsgewebes
war, wie sie am Gewebe des Tuberkels regelmässig vorkommt.
Ebenso hat man die verschiedenen Arten der ülceration
als wesentliche Kriterien genommen, um darnach die Geschwülste
zu unterscheiden, wie das namentlich in der altern Darstellung
vom Krebs der Fall ist. Das geht nicht. Die Untersuchung
muss sich auf die Zeit beziehen, in welcher frische
Elemente vorhanden sind. Sind die Elemente einmal in
Zerfall übergegangen, sind irgend welche Ausgänge an der Ge-
schwulst bemerkbar, dann muss man sich im äussersten Maasse
hüten, aus der Art dieser Ausgänge einen ganz bestimmten Schluss
auf die Natur der Geschwulst zu machen. Man muss vielmehr
an jeder Geschwulst, wenn man sie feiner diagnosticiren will, die
Punkte aufsuchen, wo etwa noch unversehrte Reste des alten
Gewebes existiren. Es sind dies manchmal nur sehr kleine Theile ;
es kann sein, dass eine Geschwulst so vollständig zerstört ist,
dass man die grösste Möhe hat, an ihrem Umfange einen Punkt
zu ünden, der noch intact ist; aber dieser kleine Punkt giebt
die eigentliche Entscheidung über die Bedeutung ab.
Das ist das, was wir jetzt Entwickelungsgeschichte oder über-
haupt Geschichte der Geschwülste nennen und was ich zuerst,
freilich auch unter manchen Irrthümern, fär den Krebs ^) und das
•) Archiv. 1847. I. S. 94.
EntwickelungBgeschichte. 101
Eierstocks-Colloid *), später mit besserem Verständniss für das En-
chondrom**), das Cholesteatom***) und eine grosse Zahl anderer
Geschwülste durchzuführen versucht habe. Wir verfolgen ihre Ele-
mente von dem Zeitpunkt der ersten Irritation durch die Periode
der indifferenten Granulation in die Richtungen, welche die weitere
Entwnckelung nehmen wird, bis dahin, wo sie ihre volle Ausbil-
dung erreichen, und wiederum von da ab in die Ausgänge, welche
ihr letztes Schicksal bestimmen.
Thut man das, so wird man wenigstens gesichert sein vor
manchem falschen Wege, welchen die früheren Beobachter betre-
ten haben und welchen noch heut zu Tage sehr viele Aerzte ein-
schlagen. Aber man wird auch die Schwierigkeiten begreifen,
die es macht, jede einzelne Art an den oft so verschiedenen
Localitäten, an welchen sie vorkommt und welche ihre Erschei-
nung im Einzelnen modificiren, auf ihren besonderen Werth zurück-
zuführen.
*) Verhandl. der Gesellsch. für Geburtshulfe zu Berlin. 1848. Bd. III.
S 197
••)' Archiv. 1853. V. S. 216.
•♦•) Archiv. I8öö. VIII. S. 371.
Sechste Vorlesung.
6. December 1862.
Grmdlagei eiier systenatisclm Ordnag der Ceschwiblf.
Auttcblumt der bloi»»«a Intamescenzen, der unproductiven Cysten, der Blasenwärmer (Cystieercoi,
Kchinorocrus, Coenartit). Parasitisrnns als allgemeioe Eigenscba/t aller wacbenKfen Ge-
schwülste und als Folge der Autonomie ihrer E lernen tartheile , nicht als Folge einer eigea-
tbüiuUrbeii Krnahrungs- Einrichtung. Die Circalation in den Geschwülsten: Störung des
trnösen Htroros in den alten Gef&sien. Recrementitielle Rtoffe der Geschwülste: scbidlicbe
Kinwirliang derselben. KyphiliSf Krebs, Tnbercnlose, Rots. Jodisraus und Kropf. Locale
oder constitutionelle Natur der Geschwülste.
(««•netlsrhe Grundlage einer Systematik der Geschwülste: 1) Entstehung ans Blotbestandi heilen:
Extravasations- und Exsudationsgeschwülste. 2) Entstehung aus Seeretstoffen: Dilatations-
oder Ri>t4>ntlonnKe8chwni9te. 3) Entstehung aus proliferirenden Geweben : Gewfichse, Psendo-
plasmen, Proliferations-Geschwülste. Unterabtheilungen derselben: histioide, organoide, tera-
tolde (ieschwiilNte. 4) Corobinations-Geschwülste.
HVitere Zerlegun({ der Proliferations-Geschwülste in zwei parallele Reihen , Je nach ihrer Homo-
loKie und Hetoroloßic (ErhaltuuK oder Verlust des Eigengewebes des Theiles). B5cart1gfceit
nur Huf einou Thell der heterologen Formen beschränkt und abhängig von dem Reichthan
drr Geschwulst an H&flen und Gefassen.
IN ach den Auseinandersetzungen, welche ich über die verschic-
doiu>n Versuche, die Geschwfilste in ihrem Wesen zu erkennen,
gemacht habe, wird es jetzt an der Zeit sein, dass wir uns ge-
nauer oriciitireii, wie man sich denn eigentlich das ganze Gebiet
abzii^^renzen und oinzutheilen hat.
In ersteror Beziehung mache ich noch einmal auf das auf-
merksam, was ich schon früher hervorgehoben habe, dass der
moderne He^^riff des Tumors, der Geschwulst nicht vollständig
dem jdten entspriiht, insofern gegenwärtig eine Menge von ent-
zündliclien, liypertropliischen und hyperplastischen Anschwellungen
ausm'selilosson wenlen, die man wohl Intumescenzen (in frü-
Prodactive Natur der Geschwülste. ' 103
herer Zeit aach wohl Physkonien), aber mit Ausnahme ein-
zelner Organe, wie der Milz, in der Regel nicht Tumoren nennt.
Es wird vielmehr in der Regel vorausgesetzt, dass das, was man
als Geschwulst bezeichnet, in einer gewissen Weise ausgelöst, ab-
gegrenzt von den übrigen Geweben des Körpers sei, dass es sich
in einer gewissen Besonderheit, in einer gewissen Abgeschlossen-
heit, man möchte fast sagen, Individualität darstelle.
Wir haben gleichfalls früher schon besprochen, zu welchen
Schlussfolgerangen diese Vorstellung von der Abgeschlossenheit
«nd Besonderheit der Geschwülste gefuhrt hat; ich habe insbe-
sondere hervorgehoben (S. 18, 22), wie zunächst gerade diejenigen
Geschwülste, welche durch eine besondere Membran von dem
übrigen Körper gleichsam getrennt sind, die sogenannten Balg-
geschv^ste oder cystischen Geschwülste, die Aufmerksamkeit ge-
fesselt haben. Dabei muss man sich aber sofort erinnern, dass
das, was man heut zu Tage Cyste nennt, nicht vollständig dem
alten Begriff der Balggeschwulst, des Tumor cysticus entspricht.
Denn es giebt eine Reihe von Dingen, die man cystische oder
cystoide nennt, von denen es aber Niemand einfällt, sie zu den
Geschwülsten zu zählen. Wenn z. B. in dem Gehirn an einer
Stelle, wo vorher ein grosses Blutextravasat war, sich nachher
eine Höhle findet, welche eine Flüssigkeit enthält, und welche
vielleicht in ihrem Umfange eine gewisse membranartige Schicht
von Bindegewebe besitzt, so nennt man das wohl eine apoplek«
tische Cyste, aber Niemand denkt daran, diese Cyste auch eine
Geschwulst zu benamsen, und zwar deshalb, weil sie ganz einfach
eine Lücke der früher vorhanden gewesenen Hirnsubstanz dar-
stellt, ohne etwas Selbständiges an ihre Stelle gesetzt zu haben.
Es ist eben so viel Himsubstanz untergegangen, als Höhlenraum
vorhanden ist, und dfe Höhle erscheint daher nicht als etwas Po-
sitives, was sich neben dem Gehirn entwickelt hat, sondern als
ein Defect, als ein Mangel, ein Verlust, welcher an Stelle von
Gehimsubstanz besteht. Nur diejenigen Cysten, Säcke und Höhlen
werden also in die Geschwulstreihe hineingerechnet, welche den
Eindruck erzeugen, dass sie als etwas relativ Unabhängiges neben
d^ Theilen vorhanden sind, dass sie nicht einfach einen blossen
Mangel, einen blossen Defect ausdrücken; es ist immer die Vor-
stellung dabei, dass etwas Productives in der Geschwulst ge-
geben ist
104 Sechste Yorleeong.
Andererseits habe ich erwähnt, wie jene Yorstellung von der
Individaalitat der Gesehwülste zu der Meinung geführt hat, dass
es sich hier um wirklich entozoische Bildungen handle, dass ins-
besondere die cystischen Tumoren Acephalocysten, wirkliche
Blasenwürmer seien (S. 18). Ich habe keinen Grund, bei dem
doch schon ziemlich ausgedehnten Gebiet, welches uns noch vor-
liegt, specieller auf die Geschichte der Blasenwürmer einzu-
gehen, welche an sich mehr der allgemeinen Pathologie ange-
hört. Ich will jedoch kurz erwähnen, dass die gewOholichen
geschwulstartigen Säcke, welche durch Blasenwürmer bedingt
werden, entweder dem Cysticercus (telae) cellulosae oder
dem Echinococcus hominis angehören.
Wenn der Sack einen grösseren Umfang erreicht, so können
wir immer schliessen, dass es ein Echinococcus ist, w&hrend,
wenn er klein ist, wir als wahrscheinlich annehmen können, dass
es ein Cysticercus sei. Die Grösse einer Cysticercusblase ist im
besten Fall die einer Kirsche; häufig erreicht sie nur die Grösse
eines starken Kirschkerns. Ihre Gestalt ist kugelig, ändert sich
aber insofern, als in manchen Theilen das Wachsthum des Thieres
durch den Widerstand der Gewebe nicht gleichmässig vor sieh
gehen kann. In der Pia mater cerebralis wird die Blase oft höcke-
rig oder buchtig, indem die derberen Stränge des Bindegewebes
sie einschnüren; in den Muskeln verlängert sie sich durch den
Druck der umliegenden Faserbündel, so dass wir statt eines runden
einen länglichen, dattelförmigen Körper antreffen. Die Echinococken
dagegen werden viel grösser ; man bemerkt sie meist erst zu einer
Zeit, wo sie etwa die Grösse einer Wallnuss erreicht haben. Sie
können faustgross werden und darüber.
Alle Blasenwurm-Geschwülste haben das Charakterische, dass,
wenn man sie aufsehneidet, man immer eine doppelte Mem-
bran findet; eine äussere nehmlich, welche aus einem mehr oder
weniger gerässreichen Bindegewebe besteht und aus der irntativen
Thätigkeit des Organs hervorgeht, und eine innere, die eigentliche
Thierblase, die sich innen dicht an den Organsack anschliesst
Oeffnet man die Gesammt-Cyste vorsichtig, so kann man, nach-
d«9m man den Organsack angeschnitten hat, die Thierblase noch
iinviTNehrt zu Tage treten sehen. Zugleich unterscheiden sich die
UMm lilasen durch ihre feinere Zusammensetzung, indem die
HijMNifrn eben ein gewöhnlicher bindegewebiger Sack ist, der mög*
filasenwflrmer. 105
licherweise auch wohl eine festere, knorpel- oder knochenartige
Beschaffenheit annehmen kann, während die innere Blase aus der
specifischen Substanz des Thieres besteht und entweder die mehr
weiche, zarte, gallertige Beschaffenheit des Cysticercus oder die
eigenlhümlich derbe, elastische Beschaffenheit der Echinococcus«
blase zeigt.
Eine dritte Art von Blasenwürmern ist bis jetzt mit Sicher-
heit nicht darzuthnn gewesen, und wir haben demnach für das,
was man früher noch neben den beiden erwähnten als Acephalo-
cysten aufAhrte, kein weiteres Genus oder Species. Indess ist es
nicht ganz sicher, ob wirklich mit den zweien schon di6 Reihe der
Möglichkeiten erschöpft ist. Wenigstens habe ich einige Male an
den Hirnhäuten grosse blasige Bildungen gefunden, die sich in
sehr beträchtlichem Umfange in der Pia mater verzweigten, in alle
Vertiefungen Fortsätze und nach aussen scheinbar gestielte Aus-
stülpungen sendeten. Sie machten ihrem ganzen Bau nach den
Eindruck entozoischer Säcke und boten in ihrer Membran eine
grosse Uebereinstimmung mit dem Goenurus cerebralis dar*).
Freilich ist dieser beim Menschen noch nicht mit Sicherheit con-
statirt, während er bei Schafen und beim Rindvieh häufig genug
vorkommt, wo er die bekannte Drehkrankheit erzeugt. Indess
entscheidet dies nicht. Jedenfalls ist es nicht unmöglich, dass
diese Traubenhydatiden der Pia mater entozoische Gebilde
sind, und entweder dem Goenurus selbst oder einer ihm nahe
verwandten Species angehören.
Auf diese Arten**) beschränkt sich, was wir von wirklich
entozoischen Balggeschwülsten, wenn man so sagen will, beim
Menschen kennen. Trotzdem hat sich der Begriff des Parasi-
tismus f&r eine grosse Zahl von anderen Geschwülsten immer
rege erhalten. In der That, wenn man sich erinnert, wie selb-
ständig, wie unabhängig in ihrer ganzen Entwickelungsgeschichte
viele Gresch Wülste sich darstellen, wie sehr sie verschieden sind
von der Natur der Nachbargewebe, wie sie allen Einwirkungen
welche man auch therapeutisch auf sie stattfinden lässt, Wider-
stand leisten, so lässt sich nicht läugnen, dass sie in hohem
Haasse den Begriff der Autonomie erwecken, der zunächst zu
•) Archiv. 1860. XVIII. S. 528.
**) Die Trichinen-Gysteo sind stets mikroskopisch.
lOfi Sechste Vorlesuiig.
dem Schlüsse auf ihre parasitische Natur gef&hrt hat*). Das gilt
aber am meisten von den nicht cystischen Geschwülsten. Diese
bieten in einem viel höheren Haasse als die cystischen, das Bild
der Autonomie, der Unabhängigkeit von den Nachbartheilen und
von dem übrigen Körper dar, und daher ist auch gerade auf sie
in der neueren Zeit am meisten die Aufmerksamkeit gerichtet
gewesen.
Nach der Anschauung, die man noch bis in die letzten Jriire
von den krankhaften Vorgängen in den Geweben und Organen
hatte, wo man die meisten dieser Vorgänge als nutritive betrach-
tete und wiederum die Nutrition als wesentlich abhängig erschei-
nen liess von den Gefässen und von der Circulation, war es na-
türlich, dass man sich auch immer zunächst die Frage stellte,
ob denn nicht diese Geschwülste in ihrer Ernährung etwas so
ganz Eigenthümliches darböten, dass sich eben daraus die Unab-
hängigkeit ihrer Ernährung begreifen Hesse. Ich habe schon
früher bemerkt (S. 23), dass man in dieser Beziehung sich be-
müht hat, in den sogenannten Vollgeschwülsten ein selbständiges
centrales Gefässsystem nachzuweisen, und dass man die Vorstel-
lung hatte, dass sie in sich selbst, wie das bebrütete Ei, ein un-
abhängiges Gefässsystem nebst Blut erzeugten und sich so ^eich-
sam ihren eigenen Emährungsapparat bildeten.
Allerdings haben auch noch in der neueren Zeit manche die
selbständige Entwickelung von Gefässen und von Blut innerhalb
von Geschwülsten zugelassen**). Allein wenn man sorgfältige
Injectionen macht, so kann man sich auf das Bestimmteste über-
zeugen, dass die Gefässe der Geschwülste mit den alten Gefässen
der Nachbarschaft in ununterbrochener Verbindung stehen, dass
sie als unabhängige, neben denselben entstehende Gebilde nicht
vorhanden sind. Aber allerdings zeigen diese Injectionen eine
eigenthümliche Schwierigkeit, die am meisten dazu beigetragen
hat, die älteren Vorstellungen von dem besonderen Emährungs-
verhältniss dieser Parasiten zu unterhalten. Es ist nehmlich ver-
hältnissmässig am schwierigsten, die Gefässe von den Venen
•) Archiv. IV. S. 390. Handbuch der spec. Path. u. Ther. I. S. 834.
Cellularpathologie. 8. 427.
**) Rokitansky. Lehrbuch der path. Anat. Wien. 1855. Bd. I. S. 196.
Bernh. Beck. Klinische Beiträge zur Histologie u. Therapie der Pseado-
plasmen. Freibarg i. Br. 1857. S. 84.
Gefiteseinncbtiing« 1 07
ans za fällen, während es ziemlich leicht gelingt, die kleineren,
selbst die kleinsten Gefässe der Geschwulst zu füllen von den
Arterien aus.
Deijenige, welcher diesen Punkt am meisten verfolgt hat,
war der überaus verdiente Schröder van der Kolk*). Auf
Grund seiner Injectionen glaubte er, die Geschwülste nach ihrer
GefSlsseinrichtnng in zwei vollständig getrennte Gruppen zerlegen
zu können. Die eine habe eine gewöhnliche Gefässeinrichtung,
wo das Blut durch Arterien hineinkomme, in Capillaren über-
gehe und durch Venen zurückgefTihrt werde; diese betrachtete er
mehr als hypertrophische Gebilde, die sich der gewöhnlichen
Organisation des Körpers anschlössen. Eine andere Reihe da-
gegen hat nach seiner Ansicht die Einrichtung, dass das Blut
durch Arterien einströmt und in Capillaren übergeht, aber dass
diese sich wieder in Arterien sammeln, welche in die Arterien
des Hanpttheiles zurückkehren. Er verglich dieses Yerhältniss
mit dem der Pfortader, welche zwischen zwei venöse Netze ein-
geschoben ist; noch mehr würde man es der Einrichtung der
sogenannten Wundemetze, Retia mirabilia, anreihen können, wie
man sie bei manchen Thieren an verschiedenen Orten findet,
nnd vrie auch beim Menschen in den Malpighischen Körpern der
Niere etwas Aehnliches vorkommt. Die Möglichkeit einer Circu-
lation würde dabei bestehen, und es ist daher seine Anschauung
nicht ein&ch widersinnig, wie manche Schriftsteller behauptet
haben. Einzelne namentlich haben gemeint, Schröder habe
den pursten Unsinn behauptet und ein Yerhältniss aufgestellt,
wobei überhaupt eine Girculation unmöglich sei. Sein Gedanke
ist aber an sich correct, und Einrichtungen dieser Art giebt es
anzweifelhaft in der thierischen Organisation; es fragt sich nur,
ob sie hier bestehen. Der holländische Forscher stützte sich auf
seine unmittelbaren Erfahrungen. Er besass eine Reihe von Ge-
sehwülsten, insbesondere üterustibroide und Krebse verschiedener
Organe**), wo es ihm nicht gelungen war, von den Venen aus
*) Schröder vau der Kolk. Observationes anatomico-pathologici et
pnctici argumenti. Amstel. 182G. Fase. I. p. 46. Aanteekeniogen van de Sectie-
Vergadering van de Prov. Utrecht. Genootschap 1847. Bl. 27. Nederlandsch
Uncet 1853-54. III. 3. Bl. 146. Not.
**) Eine genauere Beschreibung der einzelnen Fälle findet sich bei
Viesthoff 1. c p. 17-46.
108 Sechste Yorleanng.
Injectioasmasse hineiozubringen , wo aber voq den Arterien aus
ein entwickeltes Gapillarnetz injicirt war. Eine ähnliche Beob-
achtung war schon von Berard*) in einem Fall von Encepha-
loidgeschwulst am Halse gemacht worden.
Das Falsche ist nun eben in diesen Fällen die Erfahrung
gewesen. Wenn man die Einrichtung mancher Geschwülste sta-
dirt, so ergiebt sich allerdings, dass gerade diejenigen Y^eu,
welche die Arterien, von denen aus die Injection gelingt, beglei-
ten und welche sonst mit ihnen immer zusammengehen, nicht
mehr unmittelbar in die Geschwulst hineinfuhren, sondern dass
die venösen Verbindungen nach ganz anderen Richtungen hin er-
öffnet sind; ja es zeigt sich nicht selten, dass gerade durch die
Entwickelung der Geschwulst, und zwar um so mehr, je grösser
dieselbe ist, die Hauptvenenstämme wesentliche Yeranderungen
erfahren. Man sieht schon äusserlich an vielen Geschwülsten,
dass der Yenenstrom in einem hohen Maasse durch die Ge-
schwulst behindert wird, und das ist in so fem eine sehr be-
merkenswerthe Erscheinung, als das Aussehen vieler Geschwülste
dadurch in einem hohen Maasse charakteristisch wird, — so sehr
charakteristisch, dass, wie früher (S. 9.) erwähnt, der Krebs
davon seinen Namen erhalten hat und dass bei der chirurgischen
Diagnose dieses Yerhältniss als ein wichtiges Kriterium für die
Bösartigkeit der Geschwülste benutzt worden ist. Man betrachtet
eine Geschwulst, über welcher die Haut ungewöhnlich entwickelte
venöse Netze zeigt, noch jetzt sehr oft als suspect, als möglicher
Weise bösartig, und die Erfahrung lehrt in der That, dass gerade
bei den bösartigen Formen die Oberflächen ganz ungewöhnlich
breite und dichte Yenenäste zeigen.
In der Regel sind die Yenen, welche sich über und um eine
solche Geschwulst verbreiten, dadurch ausgezeichnet, dass sie sehr
platt sind, so dass, wenn man einen Durchschnitt durch sie
macht, sie ni<*ht ein rundes Lumen darbieten, sondern ein abge-
plattetes. Sie sehen aus, wie Säbelscheiden, — ein Umstand, der
beweist, dass sie unter einem starken Druck liegen. Diese Er-
scheinung ist nun allerdings an sich keine specifische, welche
bestimmt zu erkennen gäbe, dass die Geschwulst malign ist, aber
sie beweist in einem hohen Maasse, wie gross die Circulations-
•) Dict. de medicioe. T. VI. p. 274.
Venöse Girculation. 109
Störung im Umfange und häufig auch im Innern der Geschwulst
ist. Der Grund dieser Störung kann ein verschiedener sein.
Manchmal ist es wesentlich nur der Druck, den die Geschwulst
durch ihr fortwährendes Wachsthum gegen die Wandungen der
Grefasse ausübt, — ein Druck, dem die Arterien viel leichter
Widerstand leisten, weil ihre Wandungen bekanntlich viel dicker
und kräftiger sind, und weil der Seitendruck des Blutes, welches
in ihnen strömt, ein viel höherer ist als der, welcher im Venen-
system besteht.
Weiterhin geschieht es aber sehr häufig, dass gerade bei
den schlimmeren Geschwülsten, wie ich schon ausgeführt habe
(S. 53.), die Geschwulst in die Venen hineinwächst. An den
Arterien kommt so etwas nicht vor, im Gegentheil erhalten sie
sich zuweilen inmitten der grössten Zerstörungen ganz, intact*).
An den Venen dagegen entwickelt sich nicht selten Geschwulst-
masse in der Wand selbst, und es bilden sich zunächst kleine
Protuberanzen nach innen, flache Hügel (Fig. 1. a. S. 43.). Diese
werden grösser und grösser, zugleich verengt sich in demselben
Haasse die Gefässlichtung. Endlich kann es vorkommen, dass
die Masse durchwächst und in das Innere so hineindringt, dass
die Geschwulst in einem mehr oder weniger grossen Umfang das
Lumen fQllt. Manchmal wird das Gefäss ganz und gar verstopft.
Dann kann natürlich durch diese Venen nichts zurückströmen,
und es bleibt nichts übrig, als dass sich coUaterale Bahnen er-
öfihen, durch welche die Girculation erfolgt. Macht man nun die
Injection von einer solchen verschlossenen Vene aus, so wird
nichts in die Geschwulst hineindringen, während, wenn man von
einer anderen Seite her den Versuch wiederholt, man allerdings
die Capillaren fiillen kann. — Endlich ist eine dritte Möglichkeit
vorhanden; das ist die, wo sich in den Venen Thromben, Ge-
rinnungen des Blutes bilden, welche oft in sehr grosser Ausdeh-
nung sich vorfinden und selbst sehr grosse Stämme vollständig
verlegen.
Das ist die Erklärung, warum man von den Venen aus nicht
in der Weise, die man nach dem normalen Gefässverlauf vor-
aussetzt, Injectionsmasse in die Geschwülste hineinbringen kann.
*) Mao sehe ein sehr bemerkenswerthes Beispiel iq meinem Archiv. I.
S. 277. Gesammelte Abbandlangen. S 384.
110 Sechste Vorl es Q Dg
©•
Auf irgend eine Weise aber gelingt es immer. Ich selbst habe
Injei'tionsversuche dieser Art gerade bei den allerschlimm-
^ten Geschwülsten gemacht^) und meine Erfahrungen stimmen
mit den positiven Ergebnissen von Robin und Lebert**) und
von Ger lach***) überein. In der blossen An- oder Abwesen-
heit von Venen liegt also kein Unterscheidungsmerkmal zwischen
verschiedenen Geseh wulstarten , und wenn man auf Grund der
Erfahrungen von Schröder van der Kolk geschlossen hat, dass
das beste Heilmittel die Unterbindung der Arterien sei, weil da-
durch auf einmal die ganze Circulation aufgehoben würde, so ist
das ein Irrthum, da gerade, je grösser eine Geschwulst wird, sie
um so zahlreichere Anastomosen nach allen Seiten hin eröffnet
und die Unterbindung eines Stammes oder einiger Stämme gar
nicht genügt, die Blutzufuhr zu ihr überhaupt aufzuheben.
Trotzdem dass die Circulation innerhalb der Geschwülste in
derselben Weise vor sich geht, wie in dem übrigen Körper, und
dass die Gefasse der Geschwulst mit den Gefassen des übrigen
Körpers continuirlich zusammenhängen, so halte ich doch den
Gedanken von der parasitischen Natur für einen vollkommen be-
gründeten; nicht deshalb, weil die Geschwulst an sich in ihrer
Ernährung etwas ganz Eigenthümliches hätte, sondern deshalb,
weil alle einzelnen Elemente, aus denen sie sich zu-
sammensetzt, und welche bei grossen Geschwülsten
eine kolossale Zahl erreichen, eine besondere Selb-
ständigkeit besitzen. Freilich verhält sich jeder Geschwulst-
theii dabei im Grossen nicht anders, als jeder einzelne Theil des
Körpers überhaupt f). Jeder einzelne Theil des Körpers hat ja
eine Art von parasitischer Existenz innerhalb der Gesammtheit.
Aber in der Geschwulst tritt dieser Charakter in einem viel hö-
heren, viel mehr autTallenden Maasse hervor, weil jeder wuchernde
*) WeHthoff (I.e. p. l(j.) erzählt, ich hätte an Schröder Tan der
Kolk die Mittheiluii^ gemacht, da»» ea mir bei Fuugu» medullaris der Leber
uur gelungen Hei, die Arterien mit Injectionsmasse zu fQlIen. Schröder
nelbftt hat eine ähnliche Angabe (Nederl. Lancet 1853—54. Bl. 14<i). Ich
eriooere mich nicht, auf welcher Mittheilung diese Angabe beruht; jeden&llä
ist e» mir gerade bei Leberkrebs gelungen, auch von den Venen aus die
QeschwQlste zu injiciren.
••) Lebert. Traite pratique des mal. canc. p. 39.
***) Jos. Ger lach. Der Zottenkrebs und das Osteoid. Mains. I85i S. 26.
t) Mein Archiv. 1852. Bd. IV. S. 390.
Schädliche Natur der recremeDtitiellen Stoffe. 1 1 1
Theil eine yiel grössere Fähigkeit besitzt, nutritive Stoffe an sich
zu ziehen und in sich festzuhalten; und da die meisten gerade
der bösartigen GeschwQlste in einem besonderen Maasse wuchernde
Eagenschaften haben, in einem fortwährenden Wachsthum sich
befinden, so werden sie auch dieses attractive Yerhältniss, wo-
durch eben Nutritionsmaterial in einem ungewöhnlich hohen
Maasse in sie hineingenommen und in ihnen assimilirt wird, in
viel stärkerer Weise zeigen als irgend ein gewöhnlicher Theil des
Körpers. Daraus erklärt sich der sonderbare Umstand, dass viele
Geschwülste sich auf das Beste erhalten, ja sogar üppig wuchern,
während der ganze übrige Körper abmagert, dass sich selbst ho-
mologe Geschwülste, wie Lipome, nicht in dem Maasse zurück-
büden, wie ihre Nachbargewebe, die doch durchaus gleichartig
sind, schwinden, endlich dass Entziehungskuren erfahrungsgemäss
einen so geringen Einfluss auf die meisten Geschwülste ausüben.
Parasitisch ist demnach an sich jede Art von wuchernder
Geschwulst, und wenn eine Geschwulst überdies, wie wir in der
letzten Vorlesung (S. 98) gezeigt haben, aus einer sehr grossen
Zahl von Elementen besteht, welche eine blos transitorische Be*
deutnng im Körper haben und nach einiger Zeit wieder zu Grunde
gehen, zerfallen, resorbirt oder durch Yerschwärung nach aussen
entfernt werden, dann wird natürlich auch damit immerfort ein
Verlost für den Körper, eine Abzehrung (Consumptio) gegeben
sein. Die Substanzen, welche dem Körper entzogen werden, wer-
den nicht zu bleibenden Körperbestandtheilen umgeformt, sondern
sie gehen verloren; sie werden in der Geschwulst allerdings zuerst
assimilirt, aber nachher zerfallen sie wieder, es entsteht daraus
Detritus, und dieser Detritus ist für die Zwecke des Körpers nicht
mehr brauchbar. Im Gegentheil, man wird, im Allgemeinen we-
nigstens, zugeben müssen, dass dieser Detritus, dieses zer-
setzte Material, diese aus der Zerstörung der Ele-
mente hervorgegangenen recrementitiellen Stoffe eine
schädliche Einwirkung haben.
Wie weit diese Schädlichkeit geht, ist bis jetzt nicht genau
ermittelt. Manche Beobachter haben auf Grund gewisser Erfah-
rungen geglaubt, dass gerade in diesen Stoffen eine infectiöse
Substanz gegeben sei, welche, indem sie nachher wieder in die
Circnlation zurückkehre, die Säfte verunreinige und an verschie-
denen Theilen des Körpers nachtheilige Einwirkungen hervorbringe.
112 Sechste Vorlesung.
Ja, einzelne sind so weit gegangen, dass sie diese Stoffe sogar als
die contagiösen betrachtet haben, durch welche in dem übrigen
Körper die Neigung zu metastatischen Geschwulstbildungeu her-
vorgerufen werde. Diese Auffassung stützt sich auf Beobach-
tungen, die man bei verschiedenen Zuständen gemacht hat.
In syphilitischen Geschwülsten zerfallen nach einer gewissen
Zeit die ältesten Theile und es bildet sich daraus ein eigenthüm-
licher Brei. Dieser ist unzweifelhaft resorptionsfähig, da er aus
flüssigem Fett und anderen löslichen, wie es scheint, eiweissartigen
Stoffen besteht; die unmittelbare Erfahrung lehrt auch, dass solche
Geschwülste durch Resorption sich verkleinern und verschwinden
können. Herr Michaelis*), ein Wiener Militairarzt, der sich
sehr viel mit Syphilis beschäftigt hat, will durch directe Impf-
versuche nachgewiesen haben, dass, wenn man aus einem Bube
oder Schanker diesen Stoff herausnehme und ihn impfe, gerade
er die Infection, die neue Erkrankung hervorrufe. Einen ganz
ähnlichen Vorgang der Rückbildung, insbesondere der fettigen
Metamorphose sieht man in krebsigen Geschwülsten, und Herr
Busch**) in Bonn knüpft an die Mittheilung einiger Fälle, wo
Krebse der Milchdrüse in diesem Stadium bei Frauen exstirpirt
wurden und nachher secundäre Eruptionen an anderen Orten auf-
traten, die Betrachtung, ob nicht gerade in diesem Stadium die
Geschwülste besonders gefahrlich seien. Dittrich in Erlangen,
der kürzlich verstorbene Kliniker und pathologische Anatom, hatte
die sichere Ueberzeugung , dass der Anfang der Tuberculose in
vielen Fällen davon abzuleiten sei, dass Detritus von verschiedenen
Punkten aus in die Circulation zurückkehre, indem theils normale
Körper-, und namentlich Blutbestandtheile, theils exsudative oder
neugebildete Massen sich zurückbildeten und dadurch, dass ihr
Detritus ins Blut käme, Tuberkeln hervorgerufen würden; er schloss
das aus den zahlreichen Fällen, wo tief greifende regressive Me-
tamorphosen stattfinden, insbesondere wo in den späteren Stadien
chronischer Prozesse in dem Körper Stoffe liegen geblieben sind,
welche sich weiter umsetzen, und wo schliesslich tuberculose Er-
♦) Zeitschrift der Gesellschaft der Aerite zu Wien. 1856. S. 418. 1857.
S. 791.
••) W. Busch. Chirurgische Beobachtungen, gesammelt in der k. chirurg.
Unirersitäts-Klinik zu Berlin. 1864.
Specifische uDd nicht specifische InfectioD. 113
krankungen eintreten und die Personen phthisisch zu Grunde
gehen*).
Diese Thatsachen sind sämmtlich basirt auf die gewiss rich-
tige Beobachtung, dass auch die Rückbildung krankhafter Erzeug-
nisse, also ein scheinbar zur Heilung führender Vorgang, sich
nicht selten mit schädlichen Zufällen verbindet Ich gehe aber
nicht so weit, dass ich behaupten möchte, die RückbildungsstofTe
seien die speciüschen Infectionsstofle, sondern es scheint mir, dass
man unterscheiden muss zwischen der specifischen Infection (oder
Gontagion), welche nur analoge Erkrankungen hervorruft, und
der allgemeinen Infection (Verunreinigung), welche allerlei allge-
meine Störungen bedingt. In solchen Fällen, wo überhaupt eine
sehr energische Infectionssubstanz vorhanden ist, mag sie sich
freilich auch noch in einer späteren Zeit erhalten. Ich kann das
allerdings, abgesehen von der schon erwähnten Syphilis, nur durch
ein Beispiel erläutern. Es giebt eine Affection, welche eine Art
von Geschwülsten bildet, die allerdings nicht sehr gross werden,
die aber doch als gesonderte Dinge hervoilreten; das ist die bei
Pferden so häutige Rotz- und Wurmkrankheit. Hier besteht
die specifische Bildung in kleinen Knoten, die den Tuberkeln sehr
ähnlich sind. Die Affection überträgt sich sehr leicht und giebt
zu einer der gefährlichsten Erkrankungen Veranlassung, die den
Menschen treffen können. Gewöhnlich treten im Laufe derselben
immer wieder neue Knoten gleicher Art an den verschiedensten
Theilen des Körpers auf. Sicherlich besteht hier ein ausgemachtes
Infectionsverhältniss. Nun, die Impfung haftet in sehr verschie-
denen Zeiten, und ich selbst habe Rückimpfungen vom Menschen
auf das Pferd mit vollständigem Erfolge zu Stande gebracht zu
einer Zeit, wo die Knoten schon im Zerfall waren **). Aber ebenso
unzweifelhaft ist es, dass die Impfung auch gelingt zu einer Zeit,
wo die Knoten noch nicht im Zerfall sind, und mir scheint es
daher viel natürlicher, dass man schliesst, dass die schädliche
Substanz auch durch die Umsetzungen, welche in der Geschwulst
entstehen, nicht vollständig getilgt, nicht zerstört wird.
*) Oarl Martius. Die Combinations Verhältnisse des Krebses und der
Tuberkulose. Erlangen. 1853. S. 25.
**) Virchow. Handbuch der speciellen Pathologie u. Therapie. Erlangen.
1H55. Bd. ir. S. 411. Note.
Vircbow, Geschwülste. 1. 8
114 Sechste YorlessBg.
Indess will ich die Frage Yoa der Schädlichkeit der recremen-
titiellen Stoffe keineswegs als eine solche ansehen, welche durch
diese, immerhin noch sehr spärlichen Erfahnmgen anch nm* an-
nähernd zur Lösung gebracht wäre. Aber das möchte ich be-
haupten, dass die Anfinahme grosser Quantitäten solcher Ruck-
bildungsstoffe aus umfangreichen Geschwülsten nicht ohne Nach-
theil für den Körper geschehe. In dieser Beziehung möchte ich
namentlich auf einen Fall aufmerksam machen, der in der neuesten
Zeit wieder zur Discussion gekommen ist, und der eine sehr
grosse Bedeutung gerade für die praktische Medicin hat Das ist
eine Erfahrung, die man bei der Rückbildung grösserer Kropf-
knoten gemacht hat
Kröpfe sind eigenthümliche hyperplastische Yergrösserungen
der Schilddrüse, die zuweilen einen sehr grossen Umfang erreichen.
Schon seit Coindet (1820) ist es bekannt, dass Jod einen sehr
erbeblichen Einfluss auf ihre Yerkleinemng hat« und vielfache
ErCadining hat es bestätigt, dass es zuweilen gelingt, sei es durch
inneren Gebrauch des Jods, sei es durch äussere Anwendung
dirsselben^ Kröpfe nicht bloss in relativ kurzer Zeit zu einer be-
deutenden Verkleinerung, sondern sogar zu vollständigem Schwunde
zu bringen. Unter solchen Verhältnissen hat man wiederholt sehr
schwere Zufälle eintreten gesehen, die man gewöhnlich als eine
Wirkung des Jods betrachtete und als eine Arzneikrankheit, als
Jodismus bezeichnete*). Die allgemeine Aufmerksamkeit ist na-
mentlich durch einen der verdienstvollsten Genfer Aerzte, den
kürzlich verstorbenen Rill iet**), angeregt worden. Allein schon
vorher hatte Herr Röser***), ein erfahrener würtem bergischer
Praktiker, diese Zufälle verfolgt, und er war auf den Gedanken
gekonmien, dass sie keineswegs dem Jod, sondern der Resorption
der in der Struma vorhandenen Substanzen zuzuschreiben seien.
In der That lässt sich nicht läugnen, dass fast alle Erfahrungen,
welche man über diesen sogenannten Jodismus besitzt, sich auf
Fälle beziehen, wo unter der Einwirkung des Jods schnelle Re-
^) Gerade bei Kropf sind solche Beobacbtuneen schon sehr frflh ce-
inAcht z. B. von Suttinger und Schmidt (Rast*8 Magazin. 1824. Bd. XYL
8. 112. 430).
**) P. Rilliet Memoire sur riodisme constitntionnel. Paris. 1860.
^*^) WOrtemberg. medic Correspondenzblatt. 1844. S. 241. 1860. Nr. 83.
Archiv f. phjiiol. Heilk. 1848. S. 74. 1859. S. 494.
Jodismas und Kropfkachexie. 115
Sorption beträchtlicher Quantitäten von Kropfmasse stattfand.
Eine solche Resorption setzt natürlich voraus, dass die Bestand-
tfaeile des Kropfs in einen löslichen Zustand gerathen. Zellen
und feste Steife können ja nicht resorbirt werden; sie müssen
aufgelöst werden, zerfallen und Detritus liefern. Dann erst wer-
den die löslichen, recrementitiellen Steife, und zwar unter solchen
Verhältnissen in grossen Mengen, in die Circulation gerathen.
Wie nun andere recrementitielle Stoffe einen schädlichen Einfluss
auf den Körper haben, so ist theoretisch nichts dagegen einzu-
wenden, dass auch diese eine nachtheilige Einwirkung ausüben.
Die Erfahrung lehrt aber die merkwürdige Thatsache, dass wäh-
rend der Rückbildung der Strumen die grössten Störungen zu
Stande kommen, dass insbesondere eine extreme Beschleunigung
des Pulses, oft mit tiefer Depression der Nervencentren und ge-
wöhnlich mit der grössten und schnellsten Abmagerung verbunden,
kurz, eine Art von Abzehrung sich einstellt, welche den Verän-
derungen an der Struma nicht parallel geht, sondern ihnen folgt.
Nimmt man nun hinzu, dass Herr Röser ganz ähnliche Zufälle
auch ohne Jodgebrauch bei schneller Verkleinerung von Kröpfen
hat eintreten sehen, so rouss man wohl zugeben, dass die Re-
sorption, und nicht das Jod, dabei von vorwiegender Bedeutung
ist, und dass der Name der Kropfkachexie dem des Jodismus
vorzuziehen ist.
Als die Beobachtungen von Rilliet, welche übrigens nur
den Zweck hatten, auf die Gefahren des Jodgebrauches hinzu-
weisen, in der französischen Academie (1859) zur Discussion kamen,
hat man von allen Seiten her seine Angaben fast mit Spott auf-
genommen, allein es sind seit jener Zeit manche analoge Beob-
achtungen hinzugekommen*). Ich selbst habe wenigstens einen
sehr überraschenden Fall gesehen» wo bei einem sehr grossen
Kröpfe nach einem ganz geringen Jodgebrauch acuter Marasmus
bei grosser Pulsfrequenz und Neigung zu Seh weissen eintrat, der
Monate lang bis zum Tode anhielt, und ich bin daher allerdings,
im Zusammenhalt mit den schon vorhandenen sonstigen That-
sachen, geneigt anzunehmen, dass selbst in Rückbildungsfällen
durch die recrementitiellen Substanzen der Geschwülste eine er-
*) Lebert Die Krankheiten der Schilddrüse and ihre Behandlung.
Breslaa. 1862. S. 229.
8*
116 Sechste Vorieeung.
hebliche AllgemeinsWnmg herbeigef&hrt werden kann. Ob die
Kachexie, welche wir so häufig bei den schlimmeren Ge-
schwülsten in ihren späteren Stadien, ja selbst bei ausgedehnter
Drüsenscrophulose wahrnehmen, ob jene oft den ganzen Körper
treffenden Störungen, welche mit mangelhafter Blutbildung, mit
mangelhafter Ernährung der Muskeln und vieler innerer Organe
zusammenzufallen pflegen, daraus hervorgehen, das ist wieder eine
andere Frage, welche erst durch viel exactere Untersuchungen
wird entschieden werden können, als wir sie bis jetzt über den
Verlauf der Geschwülste besitzen.
Denn so viel die Chirurgen auch über die Bedeutung der
Geschwülste discutirien, eine genauere klinische Beobachtung über
den Gesammtverlauf, über den Gonstitutionalismus der Geschwülste
besitzen wir bis jetzt noch nicht. Das alles ist erst zu machen,
und erst von dem Augenblicke an, wo darüber bestimmtere That-
sachen vorliegen, wird man die angedeuteten Fragen mit Ueber-
zeugung entscheiden können. Auf alle Fälle ist aber der Ge-
sichtspunkt festzuhalten, dass gerade diejenigen Geschwülste,
welche sehr viel transitorische, hinfällige Elemente enthalten, wo
also viel Substanz zurückgebildet wird, ungleich schädlicher zu
sein pflegen und daher auch ungleich mehr den Eindruck des
Parasitismus machen, als diejenigen, welche mehr bleibende Be*
standtheile, mehr Dauergewebe enthalten, in welchen also auch
regressive Vorgänge wenig stattfinden, welche sich vielmehr in
ihren Ernährungsverhältnissen den gewöhnlichen Theilen des Kör-
pers anschliessen.
Der Kliniker kann freilich, wenn er die constitutionellen Be-
ziehungen der Geschwülste prüft, ausserordentlich weit gehen.
Liest man z. B. die ihrer Zeit sehr hoch geschätzten Lehrsätze
von Rust*) nach, so findet man, dass bei ihm alle möglichen
Dinge Constitutionen waren. Er hatte eine solche Antipathie gegen
die locale Auffassung der Geschwülste, dass er auch die aller-
unschuldigsten Dinge in den Geruch des Gonstitutionalismus brachte.
Für ihn war natürlich ein Krebs ein nothwendig constitotionelies
iJebel; er sagte geradezu: wenn Jemand einen Krebs exstirpirt
* f Job. Nep. Rust. Aufsätze uod Abhandlungen aus dem Gebiete der
%^^%^in, Chirurgie u. Staatsarznei künde. Berlin. 1836. II. S. 445. (Deber
«Nf^ *##KAnAante örtliche Krankheitsformen, die keine örtlichen Krank-
Gonstitutioiialismas und Parasitismus. 117
sa haben glaubt und das Individuum lebt nach drei Jahren noch,
dann war es kein Krebs, dann war die Diagnose falsch; es muss
Jedermann innerhalb dreier Jahre an diesem Uebel zu Grunde ge-
hen. Aber ebenso Constitutionen war für ihn eine Balggeschwulst,
ja eine Hydrocele, und eine Reihe von Warzen und Naevi. Das
waren alles keine localen^ es waren coustitutionelle Uebel, wo
man sich immer erst dreimal bekreuzigen musste, ehe man an
eine Operation schritt, und wo man eher alles andere versuchen
musste, um durch Veränderung des Ernährungszustandes des Kör-
pers das Uebel zu modificiren.
Fasst man den Constitutionalismus in der Weise auf, dass
man sagt, ein gewisser Localzustand hat gewisse Beziehungen zu
dem übrigen Körper, dann ist allerdings nichts local, denn alles,
was im Körper besteht, hat gewisse Beziehungen zu dem gesamm-
ten Körper. Eine vollständige Isolirung, so dass das Ding gleich-
sam vrie auf einer Insel lebte, kommt überhaupt gar nicht vor.
Von diesem Gesichtspunkte aus ist unzweifelhaft auch eine Hy-
drocele ein constitutionelles Uebel, denn die Flüssigkeiten, welche
im Hydrocelesack sind, werden immer auf die eine oder andere
Weise mit den Flüssigkeiten des übrigen Körpers in einem ge-
wissen Wechselverhältniss stehen, und dieses Verhältniss kann
rieh nach den verschiedensten Richtungen hin wirksam machen.
Aber das ist eine ganz andere Art von Constitutionalismus, wie
derjenige, welchen man discutirt, wenn man parasitische Ge-
schwülste im Auge hat. Eine Hydrocele einfach zusammenstellen
mit Krebs, das heisst ungefähr so viel, wie wenn man einen Na-
gel in Vergleichung stellen will mit einer Niere. Der Nagel steht
auch unzweifelhaft in einem bestimmten Verhältniss zum Körper,
er ist auch nicht ein Ding, was einen blos localen Grund und
eine blos locale Bedeutung hat, was blos bis zu der G ranze seines
ebenen Bestandes hin bemerkbare Wirkungen hervorbringt. Trotz-
dem wäre es eine sonderbare Physiologie, wenn man die Bezie-
hungen eines Nagels zum Körper ebenso veranschlagen wollte,
wie die einer Niere, welche der Sitz eines enormen Stoffwechsels
igt und zur Ernährung des ganzen Körpers in einem hochwich-
tigen und ganz besonderen Verhältniss steht.
Die parasitischen Beziehungen, welche eine Geschwulst hat,
sind zunächst ihr eigen und nicht ein Ausfluss allgemeiner Zu-
stände des Körpers. Sie besitzt sie auf Grund der Autonomie,
118 Sechste VorleBung.
welche jedes zellige, jedes lebende Element im Körper hat, und
welche mit um so grösserer Wirkung hervortreten muss, je wAl-
reichere und mit je grösserer Wirkungsfähigkeit versehene Ele-
mente an einem Orte vereinigt sind. Die Natur und Th&tigkeit
dieser Elemente entscheidet zugleich über die Bedeutung der Ge-
schwulst für den Gesammtorganismus, dessen Theil sie ist Man
kann daher sagen, dass eine jede aus einer Wucherung von Ele-
menten hervorgegangene Geschwulst einen parasitischen Charakter
in besonders hohem Grade besitzt. Damit ist aber nicht ausge-
drückt, dass sie aus einer Dyskrasie hervorgeht, oder dass sie
eine primär constitutionelle Bedeutung habe; sie kann trotzdem
ein durchaus locales Uebel sein.
Ich lehne also, wenn es sich um eine Eintheilung der Ge-
schwülste handelt, den Gesichtspunkt des Parasitismus eben so voll-
ständig ab, als die immer von Neuem und noch vor wenigen Jahren
mit so grosser Zuversicht von Billroth*) wiederholte Forderung,
dass die klinische Anschauung das leitende Princip sein müsse.
Man kann nur in der Weise den Grund zu einem Systeme der
Oncologie legen, dass man, von der Genesis ausgehend, die ana-
tomische Geschichte der Geschwülste so sicher als möglich dar-
stellt. Erst an diese Geschichte lässt sich die klinische Beobach-
tung in einer zuverlässigen Weise anknüpfen und gewiss ist eine
vollständige Physiologie der Geschwülste ohne die klinische Beob-
achtung unmöglich. Aber es ist unnütz, ja schädlich, das Spätere
zum Früheren zu machen, und der Umstand, dass die reinen Ana-
tomen, insbesondere die unerfahrenen Mikrographen viele falsche
Behauptungen aufgestellt und viel Verwinning angerichtet haben,
kann die Tbatsache nicht vergessen machen, dass die Praktiker,
namentlich die Chirurgen aus der Verwirrung nie herausgekom-
men sind.
Der anatomisch -genetische Standpunkt bringt es mit sich,
dass man zunächst diejenigen Geschwülste, welche durch wirk-
lich formative Prozesse, durch Neubildungen hervorgehen, welche
also durch ein eigentliches Wachsthum aus dem Körper sich bil-
den, von denjenigen trennt, welche nicht auf diese Weise ent-
*) Tb. Billroth. Die Eintheilung, Diagnostik u. Prognostik der Ge-
Bchwülsie vom chirurgisch-klinischen SUndpuncte. Deutsche Klinik. 1859.
No. 40.
AllgemeiDe EintheilaDg. 119
stehen. Diese letzteren entsprechen zu einem nicht unerheblichen
Theil dem, was man früher Balggeschwülste, Tumores
cy stiel genannt hat Die anderen dagegen, die, welche durch
wirkliches Wachsthum hervorgehen, sind die eigentlichen
Psendoplasmen, die Aftergebilde, oder, wie man noch
viel zweckmässiger sagen kann, die Gewächse. Denn hier ist
gerade der alte Ausdmck der Gewächse vollständig an seinem
Ort, und ich nehme ihn mit Bewusstsein und in dem Sinne wieder
auf, dass damit nicht blos das Hervorwachsen aus dem alten
Gewebe, sondern auch die Umwandlung dieses Gewebes, die Er-
setzung, die Substitution desselben durch neues, falsches Gewebe
bezeichnet werden soll. Lange Zeit war diese Auffassung verpönt,
da man nach der Exsudat- Theorie die Geschwulst neben dem
alten Gewebe entstehen und dieses nur durch Druck atrophiren
liess*). Nachdem ich die Exsudat-Theorie durch die Proliferations-
Theorie ersetzt habe und die Analogie der thierischen Wucherungs-
vorgänge mit den pflanzlichen sicher erkannt ist, kann auch die
Bezeichnung der krankhaften Gewächse in aller Form wieder
eingei&hrt werden.
Was nun die Gruppe der nicht aus Wachsthum hervorgehen-
den Geschwülste anlangt, die überwiegend einen cystischen Cha-
rakter an sich tragen, so können sie wiederum auf verschiedene
Weise entstehen. Entweder nehmlicb handelt es sich bei ihrer
Entstehung um die Anhäufung von Stoffen, welche unmittelbar
aas dem Blute stammen, oder sie verdanken ihre Existenz
der Anhäufung solcher Stoffe, welche auf eine besondere
Weise secernirt worden sind, wo also irgend ein Secretions-
organ eine Specialwirkung auf die Zusammensetzung ausge-
übt bat
Diejenigen Stoffe, welche aus dem Blute kommen, sind im
Wesentlichen dreierlei Art: entweder Blut in Substanz, Extra-
vasat; oder blos seröse Ausscheidung, wo überwiegend das
Wasser, die Salze und ein gewisser Theil der Albuminate des
Blutsemms mit austritt, Transsudat; oder endlich, es ist mit
diesen Flüssigkeiten noch ein gewisses Quantum von Fibrin ge-
mischt, das ich hier nach altem Gebrauche mit anfahre, obwohl
♦) Phil. V. Walt her. System der Chirurgie. Berlin. 1833. S. 380.
120 Sechste Vorlesung.
meiner Ansicht*) nach das Fibrin aus den Geweben, nicht aas
dem Blute stammt, Exsudat. Weiterhin kommen Fälle vor, wo
sich diese Producte unter einander compliciren, so dass zugleich
ein Extravasat und ein Exsudat unter der Form eines hämor-
rhagischen Exsudates erscheint, oder dass in sehr viel serö-
ser Flüssigkeit eine kleine Quantität von fibrinösem Stoff vorhan-
den ist, seröses Exsudat. Das bedingt indess keine sehr
grosse Verschiedenheit.
Diese Abtheilung hat in sich eine gewisse Verbindung, und
sie unterscheidet sich ganz wesentlich von der anderen Abthei-
lung, wo AbsonderungsstoiTe, Stoffe, deren Natur von der Be-
schaffenheit der secemirenden Oberfläche oder des Secretionsorgans
mit bestimmt wird, abgelagert werden. Die Secretstoffe sind
wiederum insofern verschieden, als sie in manchen Fällen über-
wiegend flüssig sind, in anderen überwiegend organisirte
Theile enthalten, und in einer dritten Reihe ein Gemisch von
beiden darstellen.
Finden wir eine Cyste mit reinem Schleim, der doch ein
Secretstoff ist, insofern er nicht im Blut praeexistirt, in grösserer
Menge angehäuft, so haben wir ein pures Secret, worin weiter
gar keine Formelemente vorzukommen brauchen. Das ist ein
Beispiel für die reine Secretform. Treffen wir dagegen einen Sack,
der mit Zellen gefüllt ist, welche von einer normal absondernden
Oberfläche abgelöst wurden, z. B. mit secemirter Epidermis,
so werden wir eine solche feste Epidermisgeschwnlst in die
zweite Reihe zählen. Wenn aber von irgend einer Drüse her
Drüsenzellen sich ablösen und sich mischen mit einer wässrigen
Substanz, welche vom Blute aus transsudirt, dann haben wir ein
Beispiel für die dritte Reihe. Das ist bei Samencysten der Fall,
wo sich die Zellen der Samenkanälchen oder die aus ihnen her-
vorgegangenen Samenfäden (Spermatozoiden) in einer transsudirtea
Flüssigkeit vorfinden.
Diese Cysten, wo wir entweder einfach amorphe, oder ein-
fach geformte, oder gemischte Secrete antreffen, bilden eine be-
sondere Abtheilung von Geschwülsten, welche dadurch entstehen,
dass die Absonderungsstoffe, statt entfernt oder entleert zu wer-
•) Cellolarpathologie. S. 154, 367. Spec. Pathol. n. Ther. Bd. I. S. 75.
Geßaroroelte Abhandl. S. 135 - 137.
Allgemeine Eintheilong. 121
den, sich in Form eines Tumors anhäufen. Die Anhäufung muss
begreiflicherweise immer geschehen in einem praeexistirenden
Raum; in dem Maasse, als die Anhäufung der Secrete geschieht,
wird es eine Dilatation, eine Ektasie des vorhandenen Raums
geben. Man kann daher, nach unserer gewöhnlichen pathologisch-
anatomischen Art zu sprechen, alle diese Geschwülste auch Ek-
tasien nennen; es ist nur nicht die reine Ektasie, sondern Ektasie
plus dem retinirten Secret, und wenn man das bezeichnen will,
so sind es Dilatations- oder Retentionsgeschwülste.
Die Geschwülste der ersten Abtheilung, wo wir überwiegend
Blntbestandtheile (Extravasate, Transsudate oder Exsudate) vor-
finden, können möglicherweise in einem praeexistirenden Raum
entstehen, aber sie brauchen es nicht nothwendigerweise, sondern
sie können auch frei oder in einem neu entstandenen Raum vorkom-
men. Dieser Raum kann wiederum auf die allerverschiedenste Weise
zu Stande kommen, entweder durch blos mechanische Einwirkung
( Zerreissung , Bruch u. s. w.), oder durch organische Processe,
die Yoraafgegangen sind, so dass die Entstehung dieser Geschwülste
sich anscbliesst an andere pathologische Processe, welche erst die
Höhlen erzeugen, in welche hinein die Massen sich absetzen.
Dies sind also nicht immer blosse Dilatationsgeschwülste, sondern
manchmal wirkliche Neubildungen; das Charakteristische aber liegt
nicht in der Neubildung, sondern wesentlich in dem Austreten der
Blntbestandtheile, und man wird sie also alsExtravasations-
und Exsudationsgeschwülste unterscheiden können.
Auf diese Weise gewinnen wir (mit Ausschluss der Entozoen
und blossen Intumescenzen) drei grössere Gruppen oder Abthei-
langen, von welchen den bekannten pathologischen Processen am
nächsten stehen die eben besprochenen Exsudations- und Extra-
vasationsgeschwülste. Dann käme die Gruppe der Ektasien, der
Dilatations - und Retentionsgeschwülste, und als dritte Gruppe
die eigentlichen, aus Proliferationen hervorgehenden
Pseudoplasmen oder Neoplasmen, die Gewächse im
engsten Sinne des Wortes.
Von diesen letzteren haben wir überwiegend in den früheren
Vorlesungen gehandelt. Ich habe da schon die Hauptgesichts-
punkte aufgeführt, nach denen die Gewächse zunächst zu classi-
ficiren sind. Wir haben gesehen, dass in einer gewissen Zahl
von Fällen sich eine solche Geschwulst aus einem einfachen Ge-
122 Sechste Vorlesung.
webe zuBammensetzt und in ihrer Zusammensetzung irgend einem
bekannten Gewebe des Körpers entspricht: die einfach histioide
Geschwulst. In anderen und sehr zahlreichen Fällen zeigt die
Geschwulst keine so einfache Zusammensetzung, sondern 68 gehen
mehrere Gewebe in ihre Zusammensetzung ein; es tritt ein com-
plicirterer Bau auf, oft mit einer bestimmten typischen Anordnung
der Theile. Die Geschwulst gleicht dann einem bestimmten Organ
des Körpers, sie hat einen vollständig organoiden Charakter.
Eine dritte Gruppe ist noch complicirter; da treten verschiedene
Organe zusammen und entsprechen in ihrer Zusammenfögung einem
ganzen System des Körpers, wenn dasselbe auch nur sehr unvoll-
ständig das normale System reproducirt Das ist die systema-
toide oder besser teratoide Geschwulst. Ja, ich kann gleich hin-
zufügen, dieses Systemartige kann unter Umständen so weit gehen,
dass es uns den Eindruck macht, als hätten wir ein unvollständiges
menschliches Individuum vor uns, und dass in einzelnen Fällen
ernsthaft discutirt worden ist, ob nicht ein Foetus in Foetu vor-
liege, da scheinbar ein ganzer Körper in einer etwas rudimentären,
aber doch nach verschiedenen Richtungen hin angelegten Form
vorhanden ist.
In diese drei Hauptabtheilungen zerfisJlen die Proliferations-
geschwülste oder Pseudoplasmen. Nun kann man aber leider auch
damit nicht die Classification beenden. Denn, wie schon Lob-
stein*) sehr richtig hervorgehoben hat, es giebt manche Ge-
schwülste, in welchen mehrere Geschwulstformen mit einander sich
combiniren: Combinationsgeschwülste**), Masses dissimi-
laires, Productions mixtes. Hier ist der Charakter in den ver-
schiedenen Theilen ein verschiedener und es lässt sich nicht das
Ganze auf eine einfache Formel reduciren. Diese Combinations-
geschwülste sind unter Umständen ausserordentlich schwierig zo
entwirren, und zwar um so mehr, als die Combination nicht blos
zwischen verschiedenen Formen der eigentlichen Pseudoplasmen,
der im engeren Sinne so zu nennenden Gewächse stattfindet, son-
dern weil auch Combinationen mit den vorher genannten Kate-
^) Lob stein. Trait^ d'anat {lathol. 1829. T. L p. 456, 47a
**) Virchow. Ueber Gorabinations- und Uebergangsföbigkeit krankhafter
GeschwObte. Würzburger Verb. 1850. Bd. I. S. 184.
Combinationsgeachwülste. 123
gorien, nehmlich mit Exsndation8- und Extravasationsformen, mit
Ektasien und zum Theil neugebildeten Säcken vorkommen.
Diese letztere Möglichkeit tritt in doppelter Weiso hervor.
Es kann sein, dass die Wand einer Balggeschwulst, eines Reten-
tionssackes anfängt, der Sitz besonderer Processe zu werden.
Manchmal liefert sie blos Transsudate: wenn es z. B. eine Ge-
schwulst war, welche durch Anhäufung von Drüsensecret entstand,
so kann sich von der Wand her zu dem Drüsensecret einfaches
Transsudat aus dem Blute mischen. Andere Male aber entzündet
sich die Wand; dann kommen Exsudate, unter Umständen hämor-
rhagische Ergüsse in einen Sack, der ursprünglich ein Retentions-
sack von Drüsensecret war. Unter anderen Verhältnissen aber
gehe« von der Wand Gewächse hervor, wirkliche Proliferationen;
es entsteht also gleichsam ein Pseudoplasma aus der Wand einer
Retentionscyste, und es kann vorkommen, dass dieses Pseudo-
plasma mit der Zeit die ganze Cyste füllt. Das ist dann die
vollständigst denkbare Combination der beiden Formen — ein
Fall, wie ihn Hodgkin bei seiner viel besprochenen Theorie von
der cystischen Entstehung vieler Geschwülste vor Augen gehabt,
aber weit über die zulässigen G ranzen hinaus als maassgebend
hingestellt hat. — Umgekehrt kommt es wieder nicht ganz selten
vor, dass, wenn an einem Secretionsorgan, an irgend einer Drüse
eine Proliferation geschieht, gewöhnlich von dem interstitiellen
Gewebe aus, und sich ein Pseudoplasma entwickelt, durch die
mechanischen Wirkungen dieses Pseudoplasmas die Drüsenkanäle
stellenweise gedrückt und verschoben werden, dass sie sich er-
weitern, Ektasien bilden, dass in den Ektasien sich entweder
Drüsensecret oder exsudative oder hämorrhagische Massen an-
häufen und so inmitten der Geschwulst die erweiterten Kanäle
wie besondere cystische Bildungen sich darstellen.
Die beiden letzteren Reihen können unter Umständen sich
sehr ähnlich werden. Ich meine die Reihe, wo zuerst eine Cyste
besteht und von ihrer Wand das Gewächs hervorgeht, und die
zweite Reihe, wo zuerst die Geschwulst vorhanden ist, von der
Geschwulst die Dilatation bedingt wird und möglicher Weise
späterhin in die gebildeten Cysten noch wieder Geschwulstmassen
hineinwachsen. Vielleicht wird man sagen, es sei ganz gleich-
gültig, ob man das unterscheide, ob man darauf einen Werth lege.
124 Sechste Vorlesung.
diese zwei Reihen von einander zu trennen. Aber das ist oft von
dem allerhöchsten Werth, denn es kann sein, dass zwei schein-
bar ganz ähnliehe Formen vollkommen verschieden von einander
sind. Wenn man z. B. die Geschichte des Cystosarkoms ins Auge
fasst, so findet man bei den Untersuchen! fortwährend eine Ver-
wechselung dieser beiden Reihen, insofern in allen Geschwülsten
dieser Art sich Exsudat und Gewächs vereinigt findet Nun er-
weist sich aber die eine Reihe als sehr bösartig, während die
andere von sehr unschuldiger, localer Bedeutung ist. Da wird
man zugestehen müssen, dass es sehr wichtig ist, diese beiden
Reihen von einander zu trennen, die eine, welche nur locale Af-
fectipnen hervorbringt, und die andere, welche mit zu den aller-
ßchädlichsten Dingen gehört, die überhaupt im Körper vorkommen
können.
Es ist überaus wichtig, sich von vorn herein zu erinnern,
dass bei einer Corabinationsgeschwulst die zufälligen Möglichkei-
ten, welche eintreten, für den Beobachter im höchsten Haasse
verwirrend werden können, und dass gerade da eine Einsicht in
den genetischen Gang der Entstehung, in das eigentliche
Wesen der Geschwulst viel mehr entscheidet, als die allervor-
trefflichste Kenntniss der besonderen Gestaltungen, welche etwa
darin vorkommen. Manche, die mehr das Malerische der Ge-
schwülste im Auge hatten, haben allerdings an den oft höchst
wunderbaren Gestalten, die dabei beobachtet werden, ihre Be-
schreibung erschöpft. Damit ist nichts geleistet. Hier handelt
es sich um die Genesis, und wenn man nicht herausbringen kann,
was das Primäre, das Wesentliche ist, so bringt man auch die
Bedeutung der Geschwulst nicht heraus, denn diese folgt allein
aus der Kenntniss ihrer Entwickelung.
Wenn man auf diese Art ein Grundschema gewonnen hat
fQr die Eintheilung der Geschwülste überhaupt, ein Schema, das
wirklich auf genetischer Basis beruht, so muss man nicht die
Vorstellung hegen, dass man nun ohne Weiteres jeder einzelnen
Geschwulst, je nachdem man sie in die eine oder andere Gruppe
gebracht hat, nachsagen kann, ob sie gut- oder bösartig sei.
Im Gegentheil, man muss dann wiederum die einzelnen Ge-
schwülste der Proliferationsreihe zerlegen, und diejenigen, welche
homolog sind, von denjenigen scheiden, welche heterolog sind.
Homologie und Heterologie. 125
Aber man darf dann nicht, wie es noch Jul. Vogel*) und fast
alle neueren französischen Mikrographen gethan haben, die alten
Begriffe über Homologie und Heterologie festhalten, wonach Ho-
mologie als Wiederholung bekannter Körpertheile und Heterolo-
gie als Erzeugung eigenartiger, der Zusammensetzung des Kör-
pers fremder Gebilde betrachtet und weiterhin Homologie = Gut-
artigkeit, Heterologie = Bösartigkeit gesetzt wird. Seitdem ich
nachgewiesen habe **), dass auch das scheinbar fremdartigste Ge-
schwulst-Erzengniss, die Krebszelle, einer normalen Formation,
der epithelialen, entspricht, war die alte Lehre nicht mehr
haltbar.
Man wird sich erinnern, dass meine Auffassung von Homo-
logie und Heterologie darauf hinausgeht, dass dasjenige homolog
ist, was in dem Typus seiner Entwickelung dem Typus seines
Muttergewebes, seiner Matrix, entspricht, und das heterolog, was
von dem Typus der Matrix abweicht (S. 30.). Wenn ich also
eine einfache histioide Geschwulst vor mir habe, in der
nichtH weiter als eine einzige Art von Gewebe vorhanden ist^ so
wird diese Geschwulst, wenn sie auch noch so sehr einem Ge-
webe des Körpers entspricht, doch heterolog sein, wenn sie an
einem Orte vorkommt, wo dieses Gewebe nicht hingehört. Joh.
Müller***), der die Heterologie läugnete, hat doch diesen Punkt
in der Geschichte der bösartigen Geschwülste ganz genau be-
zeichnet, indem er als erstes Kriterium der Bösartigkeit den Ver-
lust des Eigengewebes des Ortes aufstellte. Allerdings,
wenn eine Geschwulst ein anderes Gewebe enthält, als dasjenige,
aus welchem sie hervorwächst, dann ist sie heterolog, dann ist
sie suspect. Die homologen Geschwülste, sie mögen noch so
bedeutend sein durch ihre Lage, Grösse, Verbindung, Einwirkung,
sind an sich doch unschuldige Productionen, die man im Grossen
gutartig nennen kann. Sondern wir daher die heterologen For-
men aus, 80 bekommen wir die sichere Reihe der gutartigen For-
men, zu denen sich im Allgemeinen die Retentions- und Ex-
sttdationsformen hinzugesellen. Alles Uebrige sind suspecte
Formen.
*) Jul. Vogel. Pathologische Anatomie des menschlichen Körpers.
Leipzig. 1845. I. S. 171.
♦♦) Mein Archiv. 1847. I. S. 104.
') Job. Müller. Ueber den feineren Bau u. b. w. S. 10.
•♦•>
126 Sechste Vorlesung.
Nicht jede heterologe Geschwulst ist bösartig; es
giebt eine ganze Menge davon, die ohne alle Beschwerde ertra-
gen werden, und die sich in iliren Wirkungen ganz an die gut-
artigen anreihen. Die Bösartigkeit geht durch eine gewisse
Scala der heterologen Geschwülste hindurcli von Art zu Art,
und wir können nachweisen, wie sie namentlich nach zwei Rich-
tungen immer stärker und stärker hervortritt. Zunächst unter-
scheidet sich die Heterologie selbst dem Grade nach. Die
Gewebe der Bindesubstanz sind unter einander näher verwandt,
als mit den Epithelialge weben oder mit den specifisch-animaleo
Geweben*). Wenn also eine Knorpel- oder Knochengeschwulst
im Bindegewebe, eine Schleimgeschwulst im Fettgewebe entsteht,
80 ist das lange nicht so heterolog, als wenn eine Epidermoidal-
geschwulst im Bindegewebe oder eine Gylinderepithelgeschwulst
in einer Lymphdrüse sich bildet. Heterolog ist auch eine Knor-
pelgeschwulst, die im Binde- oder im Knochengewebe hervor-
wächst, aber sie ist es nicht in dem Grade, wie eine Epithelial-
oder eine Muskelgeschwulst es an derselben Stelle sein würde.
Noch viel wichtiger aber ist das Verhältniss, in welchem die
Geschwülste flüssige Stoffe erzeugen**), welche in Form
eines Saftes ausgedrückt werden können. Das ist der viel be-
sprochene Humor oder Succus der Geschwulst.
Dieser Parenchymsaft ist zuweilen an die Zellen, zuweilen
an die Intercellularsubstanzen geknüpft und darnach in Form
bald eines intracellularen , bald eines intercellularen Fluidnms,
als Zelleninhalt oder als Zwischenflüssigkeit^ gleichsam als Serum
vorhanden. Jedesmal, wo die Geschwulst vielen Saft enthält,
tritt sie auch mit schlimmeren Eigenschaften auf und besitzt in
höherem Maasse die Fähigkeit der Infection. Eine trockene Epi-
dermoidalgeschwulst ist viel weniger gefährlich, als eine feuchte;
ein weicher Krebs ist viel bedenklicher, als ein harter. Diese
Infection ist wiederum verschieden, je nachdem manche Ge-
schwülste nur die Nachbargewebe inticiren, mit denen sie in Be-
rührung stehen, andere dagegen die Wirkung ihrer Producte Aber
einen grossen Verbreitungsbezirk und auf entfernte Organe ent-
*) Cellolarpatbologie. S. 66.
**} Handbuch der ttpec. Pathol. u. Therapie. I. S. 340. CeUalarnatbo-
logie. S. 208, 460.
Parenchymsäfte. 127
falten. Zo eiaem erheblichen Theil ist diese Verschiedenheit der
Infectionsfilhigkeit offenbar abhängig von der Energie (Virulenz)
der Parenchyms&fte , welche in dem Gewächs erzeugt werden;
sehr bedeutend bestimmt aber aacli die Gefässeinrichtung. Je
ärmer eine Geschwulst an Gefässen ist, um so mehr
wird sie nur die Nachbarschaft inficiren; je reicher
sie aber an Blut- und Lymphgefässen ist, je mehrBlut
und Lymphe hindurchströmt, je mehr das Blut in Be-
rührung kommt mit den Parenchymsäften, um so
leichter wird die Infection eine allgemeinere werden
können.
Das ist eine Interpretation, die ich mache, aber sie entspricht
der Erfahrung. In dem Maasse als die Geschwülste reicher an
Gefässen werden und neben den Gefässen reiches flüssiges Ma-
terial vorhanden ist, in dem Maasse wird auch ihre Contagiosi-
tät stärker. Jedes weiche, saftreiche Gewächs ist suspect, um
80 mehr, je mehr Gefässe es hat und je mehr Zellen es besitzt.
Je mehr der Saft intercellular vorhanden ist und ein gefässhal-
tiges Stroma von Bindegewebe berührt, um so mehr treten die
schlimmen Eigenschaften desselben in immer neuer Erregung zu
fortschreitender Geschwulstbildung hervor.
Mehr habe ich über diese Fragen im Allgemeinen nicht zu
sagen. Ich sollte freilich noch sprechen über die Natur dieser
Säfte, indess weiss ich nichts Besonderes darüber beizubringen.
Denn was die Chemiker darüber herausgebracht haben, das ist
vollkommen werthlos. Hier ist das Feld für den Forschergeist
eröffnet, und ich will hoffen, dass spätere Untersucher es mit Er-
folg unternehmen, nach dieser Richtung hin ihre Schritte zu len-
ken. Auch eine genauere klinische Beobachtung wird noch sehr
viele Fragen, die hier vorliegen und die vom höchsten Werthe
sind f&r die Geschichte der Geschwülste und för die praktischen
Haassregeln, die etwa gegen die Geschwülste anzuwenden sind,
zur Erledigung bringen müssen. Aber dies setzt eine eben so
umfieissende, als eingehende Beobachtung voraus, wie sie in den
Kliniken and Honpitälern nur selten angestellt worden ist, wie
sie aber die bessere Methode der jüngeren Schule hoffentlich
erreichen wird.
Siebente Vorlesung.
13. December 1862.
Die Blulgfsehwdlste (Hämatome).
Drei Hauptfonnen der Uimatome:
1. Die cystischen Formen. Mechanische Entstehung durch traumatische oder spontan«
Continuit&tsstörongen. Kephalimatom: Bildung der HSble, dM KnochenrisgM , der
Knochenschaale , Heilung. Oth&raatbom: Beziehung su Geisteskrankheiten, Bildung der
HShle, traumatische Entstehung, das Ohr der Pankratiasten, Yorg&nglge Erkrankung der Knorpel
Heilung. H&matom der Dura mater: apoplektisehe Bedeutong, Besleboag s« Q^etee-
krankheiten, Bildung der Höhle, Pachymcuingttis chrpnica. Aneurysma dissecana: Aorta,
kleinere Arterien. Muskel-HSmatom: Rectus abdominis; HSmophilie.
2. Die festen, nicht cystischen Formen. H&matome der Henklapp«n, de« OchirAt, dei
Eierstocks, der Vulva. «
3. Die polypöse Form. Polypöses Hämatom des Uterus (fibrinöser Polyp): Bil-
dung, Beziehung sur Placentarstelle , Einfluss anf Metrorrhagien. Secnnd&r« HimatonsbUdoif
im Innern anderer Oeschwüi.ite. Hamatoma patellare. H&matocele. H&matoma retro-
uterinum: secundire Natur der Blutung, partialte Peritonitis, Besiehung tur Menstrualioa
und Ovulation, Annahme der extraperi ton aalen Lage. Hftmatocyatldea.
Mögliche Abschnurung venöser Gef&sse. Extracranielle Blutcysten.
Wir wollen heute die Detailgeschichte derjenigen Geschwülste,
welche wir in die er^^te Abtheilung, die der Extravasationsformen,
gerechnet haben, die Geschichte der Hämatome, Blntbeulen
oder Blutgeschwülste, vornehmen.
Hämatom ist eine Bezeichnung, die namentlich durch P.
Frank in Gebrauch gekommen ist und die gegenwärtig eine
siemliche Verbreitung gefunden hat. Freilich kann man sagen,
dass diese Bezeichnung f&r die allermannichfaltigsten Geschwülste,
welche sich durch starken Blutgehalt auszeichnen, angewendet
worden ist, z. B. für cavernöse Angiome, für telangiectatische
Krebse und Sarkome, und noch heutigen Tages kommt dasjenige,
Blutbeulen. 129
was man mit diesem Namen bezeichnet, nur in dem einen Punkte
überein, dass extravasirtes Blut, Blut, welches aus seinen Gefäss-
kanälen ausgetreten ist, sich in der Form einer Geschwulst an-
häuft, also gewissermaassen ein Gewächs simulirt. In Beziehung
auf die einzelnen Formen, die man unterscheidet, stellt sich als-
bald eine ziemlich grosse Verschiedenheit heraus, insofern nehm-
lich an manchen Orten das Blut, welches die geschwulstartige
Masse bildet, geronnen ist, während es an anderen flüssig bleibt ;
und wiederum insofern, als es an einzelnen Stellen in besonderen
Höhlen oder Säcken liegt, also in Form einer Balggeschwulst
auftritt, in andern dagegen mehr in die Theile infiltrirt, also
gleichmässiger zwischen den Gewebsbestandtheilen verbreitet ist,
in noch anderen Fällen endlich freiliegt, so dass es von keiner
besonderen Haut oder Gewebsschicht bekleidet ist. Danach kann
sich derselbe Vorgang ausserordentlich verschieden darstellen.
Aber nicht immer handelt es sich um denselben Vorgang, und
es ist sehr nöthig, dass der Natur des Processes nach die ver-
schiedenen Hämatome wohl von einander unterschieden werden.
So lange es sich um innere Theile handelt, wählt man die Be-
zeichnung in der Regel ungleich präciser; dagegen je mehr nach
aussen gelegen die Stellen sind, um so schwieriger wird es, sich
in dem einzelnen Falle zurechtzufinden, weil man da alle mög-
lichen Dinge unter demselben Namen zusammen fasst.
Die einfachste und verhältnissmässig am besten ausgeprägte Art
der Hämatome und zwar gerade der mehr äusseren entsteht dadurch,
dass auf traumatischem Wege oder wenigstens auf mecha-
nische Weise irgendwo innere Zerreissungen oder Continuitäts-
trennangen zu Stande kommen und diese Stellen Sitz der Blutung
werden. Es geschieht in der Regel, während sich die Continuitäts-
trennung bildet, auch zugleich eine Zerreissung von Gefässen ; aus
diesen zerrissenen Gefässen tritt das Blut in grösseren oder klei-
neren Quantitäten zwischen die Bruchstücke des auseinanderwei-
chenden Gewebes und bildet hier die Geschwulst. Wenn man
sich ein recht prägnantes Beispiel dafür vorstellen will, so kann
man die gewöhnliche Knochenfractur nehmen. Wo ein Kno-
chen auseinanderbricht, da wird eine gewisse Zahl von Gefässen
mit zerrissen; aus diesen entsteht eine Blutung und das Blut la-
gert sich zwischen die Bruchenden. Ist es sehr viel Blut, so
muss eine grosse Schwellung entstehen und man könnte es ein
VIrehow, GafchvAUt«. 1. 9
130 Siebente VorlesDOg.
Hämatom nennen; man nennt es jedoch nicht so, weil die Blat-
raaäsen meistens »ohr in der Tiefe liegen und nicht deutlich ab-
gegrenzte Beulen darstellen. Denkt man sich aber etwas gans
Äehnliches mehr oberflächlich, so das» eine mit Blut gelullte
Lücke am Knochen mehr äus!^e^lich sich bildet, dann wählt man
gcradesweges den Namen des Hämatoms.
Die bekannteste unter diesen Formen und die am meisten
besprochene ist das von Nägele*) so genannte Kephalaema-
tom, der Tumor cranü sanguineus, die Kopfblntgeschwalst, —
eine Form, welche am häufigsten unmittelbar nach der Geburt
bei Neugebornen vorkommt und welche darin besteht, dass
an der Obcritärlie des Schridels, gewöhnlich an einem von Mus-
keln nicht bedeckten Theile desselben, am häutigsten am rech-
ten Parietalbein'*), eine riacli rundliche Geschwulst sich erhebt,
die im Verlauf einiger Tage, gewöhnlich bis zum dritten Tage
zunimmt, bis sie sich als ein ziemlich starker, praller Höcker
Ober die Oberfläche erhebt. Das Blut, welches die Geschwulst bil-
det (denn es ist wesenilich Blut, welches die Masse, das Volumen
der Geschwulst ausmacht), liegt sehr regelmässig eingeschlossen
in eine Art von Cyste. Man muss von aussen her durch eine derbe
Fi];. 10. S^nkri^hlor DurHischnitt durch ein G ^Yo<:h«Il kltes Kephi-
llmatom de« Srheiti'lbeiiiii (Präpurot No. 131. der Samminng; 6es pktholo-
Ci^hen Instituts lu Borlin). Mnn sieht in nateret einen Theil d«r b«bldet-
hChle, ilarübfr das Os parietale, weli-hea, besonders nkch links hin, ivei
dDirh sponiiiüse Substanz getrennte Kindeulagen erbennen lisat. D«rilb«T
die lU'ihie des llüroatoms, durch d.u abgehobene Perieraniuni f:racUtMsea.
An den Seilen die fuTt sehreit ende Anbildung neuer KnoehenschichteQ (Kno-
ehrnrinK).
*) C. Zeller. I>e cepliaUematomile sen sangiiineo rrsaii tasor« ncta»
natuTiim atmnientatio lleidelb. IHä-J.
") Job Aug. Burehard. He toroore rrmnü rec«iis Batonn Baagniieo
«ymbolM lOi). inilul.) Vratial. IM?, p. 12.
Kephalämatom. 131
Haut durchschneiden, um zu dem Blute zu kommen; eben-
so ist nach innen die Höhle geschlossen. Die äussere Be-
grenzung ist das Pericranium, welches erhoben ist; die untere
Begrenzung ist der regelmässig fortlaufende, jedoch oft von einer
faserstofligen Lage leicht bedeckter Knochen. Das Blut liegt
also in einer Höhle zwischen Pericranium oder, wenn man will,
Periost und Knochen.
Es unterscheidet sich diese Form von der gewöhnlichen Kopf-
geschwulst (dem Caput succedaneum), wie sie während der Geburt
bei Kindern so häutig entsteht, dadurch, dass bei letzterer in Folge
des Druckes der Geburtswege zuerst seröse Flüssigkeit, späterhin
auch etwas Extravasat in die Weichtheile des Schädels, und nament-
Hch in d:is subcutane oder subaponeurotische Bindegewebe ergossen
wird. Bei dem Kephalämatom liegt die Masse des Blutes wesent-
lich unter dem Pericranium. Es kann wohl sein, dass gleichzeitig
auch noch eine ödematös- hämorrhagische Kopfgeschwulst über
dem Pericranium sich findet; diese muss man aber unterscheiden
von dem, was in der Tiefe ist. Will man sie gleichfalls Kephal-
ämatom nennen, so muss man sie mit Bruns*) besonders be-
zeichnen (Kephalaematoma epicranii , Epicraniaematoma). Die
eigentlichen Hämatome sind aber von viel erheblicherer Bedeu-
tung und sie haben immer am meisten die Aufmerksamkeit der
Aerzte auf sich gezogen, weil sie oft scheinbar ohne Veranlas-
sung entstehen und sich meist sehr langsam zurückbilden, so dass
sie Wochenlang wie eine selbständige Geschwulst fortbestehen.
Das Kephalämatom entsteht, indem das Pericranium sich von
den Schädelknochen ablöst und aus den Gefässen, welche in
grosser Zahl aus dem Pericranium in die noch jungen Knochen
hinübertreten, und welche durch die Ablösung des Pericranium
zerrissen werden, das Blut sich frei in die entstandene Lücke
ergiesst. Die Ablösung geschieht während der Geburt selbst
durch den Druck der mütterlichen Theile auf den Kindskopf; die
Blutung folgt gewiss immer sofort, aber sie geht auch nach der
Geburt fort und daher kommt es, dass die Geschwulst nicht selten
erst einige Stunden oder Tage nach der Geburt bemerkt wird.
Jedenfalls erreicht sie ihre grösste' Höhe erst in den nächsten
Tagen und sie erscheint dann als eine plattrundliche, sehr pralle
*} Bruns. Handbuch der praktischen Chirurgie. 1. 8.391.
9*
13-2
Siebente Vorleaong.
Beule von beträcbtlichem Umfange. Am häufigsten hl sie eiQ-
(acli; zuweilen findet sie sich symmetriscli auf beiden Scheitel-
beinen ; mancLmal ist sie mehrfach, indem auch andere Sch&det-
knochen mitbetheitigt werden.
Besteht sie suhon eine gewisse Zeit, so fühlt man rings md
umfange der Geschwulst eine harte Erhebung, da, wo das abge-
löste Fcricranium sieh an den Schädel ansetzt; dieser Rand wird
allmälig dicker und dicker, in der Art, dasä, wenn man von oben
her die Theile betastet, man rings um die Geschwulst wie einra
harten Knochenring fDhlt Bei noch längerem Bestände schiebt
sich diese knOcherne Substanz weiter und weiter vor und es bildet
sich allmälig eine Art von knOchemer Schale fiber die Blnt-
blase. Während diese Schalenbildung fortschreitet, verkleinert
sich in der Kegel die Geschwulst, sie sinkt etwas i
Fig 11. £ia aufge«chDittenes Kepbalio)>tom des rechten Oa bref-
mati« TOD einem lö Tage sltcu Knaben, das am C. Tage Dach der Gebort
Btirfcer herTorgetr«tea war, am 12ten aber einen Slillstand f^maeht hatte.
(PriMtat No. 1213.). RiogauuUcr da, wo die inrOckgeschlageDen L)i|^>ei
de« PericraDium sich an die Koochea ausetien, ist der stark heiTortrvteade
KDOcheoriog xd sehen.
KepbalSmKtom.
133
nnd flacht sich ab. Die Ossificationen, welche man dann findet,
sind gewöhnlicli in Form von Bl&tteru oder Schuppen an die
innere Seite der äusseren Membraa angesetzt; nach und nach
versrOisern und vermehren sie sich so, dass eine fast zasammen-
hängende Lage solcher Schüppchen sich vorfindet Die Schale
b«8teht dann gleichsam aus lauter Worm'schen KnOchelchen.
Diese Erscheinoog bat vielfach das Erstaunen der Beobachter
erregt, bis man sich in der neueren Zeit, wo die Entwickelungs-
geschichte der Knochen überhaupt bekannter geworden ist, leicht
überzeugt hat, wie die Bildung vor sich geht. Bekanntlich ist es
das Pericraninm, aus welchem die neuen Knochenschichten gebil-
det werden, welche sich beim Wachsthum des Schädels auf die
slten Knochen absetzen. Meine Untersuchungen*) haben darge-
than, dass es nicht ein Exsudat oder ein amorphes Blastem,
sondern eine Proliferation der inneren Periostschichteh ist, aus
Fig. 13. Obere Fläche des \a Figur 10. tuf dem Durchschnitt abge-
bildeten UBnutoniH. Die äassere Knocbenschale tat fast vollBtändig geschlos-
MD; nur an einer Stelle iet noch eine ganz bSutige Stelle und nm dieselbe
eine mebr onregelmäsBige, blltterige Ossification.
*} Hein Archiv. 1853. Bd. V. S. 438 ff.
|34 Siebente VorlesnDg.
welcher die neaen Knochenlagen hervorgehen. Wird nun das
Pericranium durch Blut vom Knochen getrennt, so hört es nichts
dentoweniger nicht auf, neue Schichten von Knochensubstanz zu
erzeugen, nur da.«s diese sich nicht unmittelbar auf den alten
Knochen auflagern können, weil das Blut dazwischen ist. Nur
am Kunde, wo die Membran sich anschliesst, fugen sich auch die
neuen Schichten unmittelbar an die alten an, und so entsteht der
erste Ring. Indem die Ossification weiter fortschreitet, so bildet
sich die blasige Knochenschale.
Das OsHificiren der wuchernden Periostlagen ist also eine
ganz natürliciio Erscheinung. Trotzdem überrascht die Eigen-
tiiiimliiiikeit der Geschwulst gerade in dem Stadium, wo der so-
g(*naniitc Knochenring existirt. Man bekommt dann leicht den
Killdruck, als habe der Schädel an der Stelle der Geschwulst ein
Loch. Rings umher fühlt man einen harten, vorstehenden Rand;
wtMin man aber gegen die Mitte eindrückt, so kommt man auf
die (^twas weiche, iluctuirende Blutcyste, aber nicht bis auf die
Kiioclionoberflftche. So entsteht das Gefühl, als ob ein ganzes
Stück dos Knochens fehlte und als ob man in den Sch&del hinein-
drückon kOnnte.
Kino andere Besonderheit, welche die Kephalämatome dar-
hioton, ist die, dass das Blut in iiinen ungewöhnlich lange flussig
bleibt; liiW'hstens dass sich an den Wandungen ein geringer Fi-
brinbosohlag absetzt. Ich habe Gelegenheit gehabt, zn wieder-
holton Malen solches Blut zu untersuchen, nachdem es vier bis
sechs NYochon in solchen Beulen gesteckt hatte*); jedesmal war es
noch flüssig *^^ und zugleich noch mit ziemlich wohlerhtltenen Blut-
körpon hcn vei^ehon. Es ist d;is insofern ein sehr gfinstiges Ver-
hältnisse weil dadurch die spfitere Anfügung der änsseren Knochen-
K'i^e an die alten Knochen möglich wird; denn wenn sich ein
dicko)i iVi^ilum dazwischen legte« so würde es überhaupt nicht
m(^);lich sota« dass die iH'iden Knochenblitier wieder aneinander
*> M«^in Vrxhi^. ISIT B«l !. S. 44;l. B<4 G^k^^Mt einer Diskussion
Älv« Koi\hAUmAti^m m iWr Siuuni: der ^eburtj^hülfl. Gesellschaft aun 21». Fe-
SrnAT iSn^l tktrU mir im Trv^^^ioU dü^ Aipd^e tttireiücknebeB, dass das Blot
«W KitMn» »ehr fa>«*t>U^ffvt^k sei vVefliaadi«»^:«« d«r Gc«. f. CtetMitsh. \u
hfHkm ISi^ Xl\ S ft\ Pk^s ist eta Mi^vYn^iadsis»: gvrade da« Um-
IteieliHo ist 4^r 1^*11
** X^l II ^re. IV tiii«i^%re ctaMi nwe«» ■atorm saapusco •! eiterao
H laurcHv IH». lajtiii:. B<i\4. I:!^M. ^. ±1
Othamatom. 135
kSmen. Aber so kOnneo, nachdem das Blut atif dem Wege einer
lan^ameD Resorption entleert ist, die Höhlen Wandungen sich an-
einanderlegen und es kann die unmittelbare Application des
äusseren Knochenblattes auf das alte Lager erfolgen. Eine künst-
liche Entleerung des Blutes ist in der Regel nicht nöthig, viel-
mehr oft schädlich, da die Blutung sich leicht erneuert. Geduld
führt meist zu einem erwünschten Erfolge*), und selbst wenn dies
langsamer geschieht, so ist doch der Anschluss der periostealen
Knochenschichten in gleichen Zeiträumen vollständiger bei nicht
eröflnetem Hämatom, als bei eröfl'netem. Betschier**) hat dies
durch vergleichende Beobachtung bei doppelseitigem, aber ver-
schieden behandeltem Hämatom sicher nachgewiesen.
In sehr seltenen Fällen entstehen auch auf der inneren Seite
Ewischen Dura mater und Schädel Ablösungen und Blutaustre-
tangen***). unter diesen Verhältnissen kann es vorkommen, dass
ein gewisser Theil des Schädeldaches seiner Blutzufuhr beraubt
wird und das Stück abstirbt. Das ist aber ein überaus seltenes
Ereigniss, und es kann daher als Regel angenommen werden,
dass der Verlauf dieser Tumoren ein günstiger ist. —
Eine zweite Hämatomform, welche sich der eben besprochenen
sehr nahe anschliesst und welche gerade in der letzten Zeit eine
Fif. 13. gewisse Berühmtheit erlangt hat , ist
die Ohrblutgeschwulst, Haematoma
auriculae, Othaematoma — eine Ge-
schwulst, welche an dem äusseren Ohr sich
in einer ganz ähnlichen Weise zeigt, wie
das Kephalaematom am Schädel. Sie Hn-
det sich gewöhnlich an der inneren Seite
der Olirmuschel so, dass an der Stelle der
Vertiefungen sich eine rundliche Ausfül-
lungsmasse hervordrängt, die meist ein
deutliches Gefühl von Fluctuation giebt, und
Fig. 13. Ein »on der inneren Fläche der Ohrmuschel aus durch einen
senkrechtea Schnitt erüffnetes Othämatom. Von einem Gciütesk ranken, trau-
matiach entstanden (Präparat No. 3. vom Jahre 1862). / das Ohrläppchen,
ganz frei, m Meatiis auditoriiis externus. t abgerissenes Knorpelatüek, noch
am Pericbondrium festsiuend.
*) James Y. Simpson. Obstetrie memoirs and contriüutions. Edinb.
1856. Vol. II. p. 463.
••) J. W.BetBchler. Klin. Beilrägc iitr Gvnäkol. Breslau. 1862. 1.S. 120.
♦") H«re. p. 58.
136 Siebente Vorlesang.
die, wenn man sie einschneidet, mit einem in der Regel flftssigen
Blute erfüllt ist.
Die hauptsächlichsten Beobachtungen über das Vorkommen
dieser Form, auf welche zuerst Bird*) in Siegborg die Aufimerk-
samkeit lenkte, sind lange Jahre hindurch bei Geisteskranken ge-
macht worden, und namentlich bei solchen Geisteskranken, welche
sich in den späteren Stadien einer zum Blödsinn führenden Geistes-
krankheit befanden, selten bei solchen, welche in einem hohen
Maasse aufgeregt oder fiiribund waren. Am meisten fand man sie
bei Leuten, die der sogenannten progressiven Paralyse verfallen
waren, wo also neben der sinkenden Geistesthätigkeit auch zu-
gleich lähmungsartige Erscheinungen an den musculösen Theilen
des Körpers hervortraten. Begreiflicherweise hat man aus diesem
häufigeren Vorkommen geschlossen, dass gerade der Zustand der
Fatuität oder der progressiven Paralyse ein Zustand der Prae-
disposition far das Othaematom sei, und man fragte nur noch,
wie bei dieser Praedisposition der Process wirklich zu Stande käme.
Hat man Gelegenheit, frische Fälle zu beobachten, so fin-
det man nicht selten das Ohr geröthet, die Temperatur ge-
steigert, die Theile auch wohl schmerzhaft, jedenfalls, wie schon
erwähnt, geschwollen, also eigentlich alle Gardinalsymptome eines
entzündlichen Zustandes. Ja die Anschwellung hat oft eine so
teigige Beschaffenheit, dass man die vorausgesetzte entzündliche
Affection mit dem Namen des Erysipelas auriculae**) bele^. Man
dachte sich, dass bei einem disponirten Individuum ein Erysipel
entstände und unter der Hyperämie, die dabei stattfände, und bei
der bestehenden Allgemeinveränderung des Körpers die Hämor-
rhagie erfolgte, welche eine Trennung des Perichondrioms von
dem Knorpel erzeugte. Denn die Natur dieser Blutcyste ist
dieselbe, wie beim Kephalaematom , indem das Perichondrium
vom Knorpel abgelöst ist. Nur darin liegt eine durchgrei-
fende Verschiedenheit beider Formen, dass beim Othäm<*itom
gewöhnlich an gewissen Stellen des abgelösten Perichondrinms
^) Journal der Chirurgie u. Augenheilkunde von Gräfe und Weither.
1833 Bd. XIX. S. 631.
^^) Nach Alt (De haematonatc auriculae. Diss. inaug. Halis. 1849. p. 8.)
btammt dieser Name vonNeuroann, während nach Leubuscher (Mitthei-
lungen über (las sogenannte Ervbipelas auriculae bei Irren. Allg. Zettachrift
f. Psychiatrie. Bd. III. S. 447.)'^ der Name Hämatom von Weiss io Coldits
vorgeschlagen iat.
Othämatom. 137
Knoq[)elstücke haften, manchmal sogar grössere zusammenhän-
gende Knorpelplatten.
Früherhin, wo man im Ganzen nur wenige Fälle dieser Art
anatomisch genauer untersucht hatte, entstand die Vermuthun;,
dass diese Knorpelmassen neugebildet seien, und namentlich die
ünterauchungen von Heinr. Meckel*) und Schrant**) schienen
diese Anschauung in hohem Maasse zu bestätigen. Es würde dann
allerdings eine noch grössere Analogie mit dem Kephalaematom
herausgekommen sein, indem, wie dieses an seiner äussern Schale
Knochen bildet, hier das Perichondrium Knorpel erzeugte. Die
älteren Resultate, wie sie insbesondere Leubuscher zusammen-
gefasst hat, gingen in der That darauf hinaus, dass bei einer be-
sonderen Fraedisposition des Körpers entzündliche Prozesse ery-
sipelatöser Natur Platz griffen, in deren Folge sich ein hämor-
rhagischer Erguss und durch diesen eine Trennung des Perichon-
drioms vom Knorpel bildete, und dass nachher an der abgelösten
Haut allerlei Organisationsvorgänge stattfänden, die unter Um-
standen Knorpel und Knochen erzeugten.
Die neueren Untersuchungen haben dagegen mit Bestimmt-
heit dargethan, dass auch diese Form auf einer mechanischen,
und zwar traumatischen Trennung der Theile beruht, und dass
auf ähnliche Weise, wie das Kephalaematom mit dem mechanischen
Durchtreiben des Kindskopfes durch die Geburtswege zusammen-
hängt, 80 das Othaematom mit gewaltsamen Einwirkungen auf die
Ohrrnnschel zusammenfällt. Einwirkungen dieser Art sind ja nicht
selten; Schläge, Ohrfeigen, Zerrungen an den Ohren können sehr
leicht vorkommen, und dass sie gerade bei paralytischen Blöd-
sinnigen häufiger vorkommen als bei anderen, das scheint sich
eben aus der Natur dieser Kranken und der Beschaffenheit ihrer
Wärter zu erklären. Man hat dagegen auch immer nur einwen-
den können, dass, wenn das wahr wäre, sich doch dieselben Ohren
gelegentlich auch bei anderen Leuten vorfinden müssten.
Nun, für diesen Punkt hat gerade in der neuesten Zeit einer
unserer einsichtsvollsten Irrenärzte, Herr Gudden***) in Werneck
sehr schöne Belege geliefert, indem er darauf aufmerksam ge-
^) Bei Leubuscher a. a. 0.
**) Sehrant. Prijsverhandeling over de goed- en kwaadaardige gezwelleo.
iLasterd. 1851. Bd. 1. Bl. 187.
•♦•) AUg. Zeitschr. f. Psychiatrie. 1860. Bd. XVlll. 2. S. 121.
138 Siebente Vorlesung.
macht bat, dass schon in der alten Sculptur die ausgedehntesten
Belege für dieses Vorkommen sich finden. Er hat zuerst in der
Glyptothek in München ein paar Herkulesköpfe mit derartigen
Ohren aufgefunden und beim weiteren Nachforschen entdeckt, dass
insbesondere Winkelmann auf diese eigentbümlicben Ohren
weitläufiger aufmerksam gemacht hat. Nacb diesem erprobten
Alterthumskenner sind missgestaltete Ohren das typische Zeichen
der alten Faust- und Ringkämpfer. Diese Faustkämpfer, die Pan-
kratiasten, die ihre Hände mit ledernen Riemen umwanden und
damit auf einander losgingen, bearbeiteten sich die Ohren so voll-
ständig, dass beim Herkules, beim Pollux und verschiedenen an-
deren typischen Kämpferfiguren das verunstaltete Ohr ein regel-
mässiges plastisches Ornament geworden ist. Durch die Ver-
gleichung der alten Schriftsteller hat sich ferner ergeben,
dass auch manche andere historische Persönlichkeiten, z, B.
Hektor, mit Ohren dargestellt wurden, welche durch Haematom
verändert waren. Es ist das eine in den Sammlungen von An-
tiken so häufige Sache, dass sich überall die Beweise vorfinden.
Gudden schliesst aus diesen Erfahrungen und aus der an-
deren Thatsache, dass man künstlich durch gewaltsame Einwir-
kungen auch bei einer Leiche noch solche Ablösungen hervor-
bringen kann, dass das Phänomen überhaupt nur traumatischer
Natur sei, und dass alles, was man über Praedisposition gesagt
hat, ein Irrtlium sei. Das scheint mir nun wieder etwas za
weit gegangen zu sein, denn wenn das der Fall wäre, so meine
ich doch, dass die Verunstaltung häufiger gefunden werden müsste.
So gewaltsame Einwirkungen, wie sie bei den alten Pankratiasten
stattgefunden haben, werden gegenwärtig auf dem Continent frei-
lich nicht häutig vorkommen; höchstens in England könnte man
vielleicht Gelegenheit finden, diese Beobachtung bei Boxern
zu ergänzen*). Wenn man aber die Knorpel untersucht, so
zeigt sich in der That eine Reihe von Veränderungen, auch bei
sehr frischen Othaematomen. Man findet nehmlich, wie schon
•) Nach der An{];abe von Wilde (Praktische Bemerkungen über Ohren-
heilkundp. Au» dem Engli»cheu von E. v. Ilaselberg. 1855. S. 201.) wörde
dies freilich auch nicht der Kall sein, iiidess käme es auf genauere Verfol-
gung des Gegenstandes an. Denn Wilde selbst giebt die Abbildung einer
Ohrmuschel, die wahrscheinlich einem früheren Hämatom angehört, unter
der Beieichnung einer Cyste (S. 200.).
Othämatom. 139
FranzFischer*) richtig bemerkt hat, gar nicht selten in dem
Knorpel einzelne, schon bei schwachen Vergrösserungen erkenn-
bare Erweichungsstellen, welche parallel der Oberfläche, aber
unter derselben liegen, ähnliche, wie man sie auch in den Rippen-
knorpeln nicht selten antriflü;, wo die hyaline Grundsubstanz ein-
schmilzt, die Zellen zu Grunde gehen und eine mit einer visciden
Flüssigkeit gefüllte Spalte entsteht. Dass nun solche Stellen zu
späteren Trennungen in hohem Maasse disponiren müssen, liegt
auf der Hand; und wenn unter bestimmten Verhältnissen durch
allgemeinere Ernährungsstörungen**) oder durch frühere locale Ein-
wirkungen auf die Knorpel derartige Erweichungsprozesse hervor-
gerufen werden, so können diese als praedisponirende Momente
far die späteren Zertrummungen auftreten. Denn die Knorpel-
stücke, welche dem Perichondrium ansitzen, sind nicht neuge-
bildet, sondern ausgerissene Stücke. Der Knorpel bricht so aus-
einander, dass, wo die erwähnten Spaltbildungen sich finden, mit
der Innern Platte des Perichondriums Stücke des Knorpels mit
abgerissen werden. Andere Male reisst der Knorpel wohl auch
mitten durch.
Auch die Othämatome bilden sich zurück, indem das Blut
allmälig zur Resorption gelangt oder durch eine Pnnction entleert
wird und die Oberflächen sich wieder aneinanderlegen. Hier ist
aber das Blut in der Regel nicht so vollständig flüssig, wie bei
dem Kephalaematom, sondern es bilden sich gallertartige Goagula,
welche sich an die Oberfläche innig anlegen, und, wie bei Knochen-
fractnren, einen zarten Ueberzug über die getrennten Theile bil-
den, welcher nachher als ein Verklebungsmittel für die getrennten
Oberflächen dient. Die endliche Heilung erfolgt, abgesehen von
den seltenen Fällen, wo eine Vereiterung eintritt, in der Regel
in der Art, dass eine leichte reactive Entzündung sich bildet,
dass die Weichtheile, das Perichondrium insbesondere, sich ver-
dicken und in dem Maasse als sie sich wieder anlegen an die
Knorpel, eine Retraction entsteht. Dadurch erlangt das Ohr eine
•) Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie. 1848. Bd. V. Heft 1.
••) Die Bedeutung dieser Ernährungsstörungen ist in letzter Zeit nament-
lich TOD Laycock (Med. Times and Gaz. 1862 March. p. 289.) und II u t-
chiosou (ibid. Dec. p. G0.3.) verthcidigt worden und letzterer bringt zu-
gleich einen Fall von doppeltem Hämatom bei einer nicht geisteskranken
Frao.
]40 Siebente Yorleeang.
dauernde Deformität. Die Ohrmuschel zieht sich namentlich von
oben nach unten und i^on aussen nach innen zusammen, wölbt
sich dabei an gewissen Stellen starker, faltet sich an anderen
und bekommt so eine eigenthümliche, wie zusammengekrochene
Beschaffenheit. Und gerade so haben die alten Bildhauer das Ohr
der Pankratiasten dargestellt. —
In ganz ähnlicher Weise, wie in diesen zwei Formen die
Hämatome sich als eigentliche Blutcysten darstellen, finden wir
eine solche Bildung an der inneren Fläche der Dura mater wie-
der vor. Die Hämatome der Dura mater*) haben inso-
fern ein gewisses Specialinteresse im Vergleich mit der letzter-
wähnten Form, als sie gleichfalls häutiger bei Geisteskranken und
bei solchen Personen, welche nach längeren Gehirnleiden zu Grunde
gehen, sich vorfinden. Meistentheils hat man für die Bezeichnung
dieses Zustandes aber einen anderen Namen gewählt, entsprechend
demjenigen, den man für Hämorrhagien in der Schädelhöhle über-
haupt anzuwenden pflegt, nehmlich den der Apoplexie. Dieser
Name hat eine gewisse Begründung, weil ein Theil dieser Per-
sonen wirklich auf apoplektische Weise, das heisst durch plötz-
liche, schlagartige Vernichtung der Hirnfunctionen zu Grunde geht,
mindestens aber jeder neue Anfall mit Störungen der Bewegungen
verbunden zu sein pflegt**). Zum Unterschiede von der eigent-
lichen Hirnapoplexie hat man diese als Apoplexia meningea
oder intermeningea bezeichnet, indem man annahm, dass der
Bluterguss zwischen die Hirnhäute erfolgte, und zwar zwischen
die Dura mater und das supponirte Parietalblatt der Arachnoides.
Es haben dagegen französische Beobachter, namentlich Baillar-
ger, schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass das Blut,
wenn man die allerersten Zeiten ins Auge fasse, entschieden auf
der freien Oberfläche läge, und man hat seitdem vielfach ange-
nommen, dass die Haut, welche das Blut nach innen, also in der
Richtung gegen das Gehirn hin überzieht, eine aus dem Blute
selbst neugebildete Schicht sei***).
*) Virchow. Das Hämatom der Dura mater. Würzburger Verhandl.
1856. Band Yll. S. 134.
••) Fred. A.C. Weber. De riiemorrhagie des meninges cerebralea. These
de Strasb. 1852. p. 26.
***) Schuberg. Das Häroatoma durae matris bei Erwachsenen. Mein
Archiv. 1859. Bd XVI. S. 464. Bd. XX. S. 301. Lancereaux Dea he-
Hämatom der Dura mater. 141
üatersucht man eine grössere Zahl von HämatomfaUen und
vergleicht man sie mit anderen, wo noch keine ausgemachte
Hämatombildung vorliegt, so kommt man unzweifelhaft zu der
Ueberzeugung, dass es sich in der Regel um neugebildete Häute
handelt, also um Pseudomembranen; dass aber keineswegs diese
Pseudomembranen aus dem Blute selbst entstehen, welches ex-
travasirt, etwa in der Art, dass erst das Extravasat, und aus
diesem die Pseudomembran sich bilde. Es verhält sich vielmehr
umgekehrt: erst ist die Pseudomembran da, und dann entsteht
das Extravasat, um das bestimmter zu übersehen, muss man
diesen Zustand zusammenstellen mit Vorgängen, die, wenn man
blos das Blut im Auge hat, damit gar keinen Zusammenhang zu
haben scheinen, nehmlich mit der chronischen Entzündung der
Dura mater überhaupt, der von mir so genannten Pachymeningitis
chronica, einem Zustand, der bei manchen Geisteskrankheiten,
die zur Dementia f&hren, sehr ausgeprägt vorhanden ist.
Die Pachymeningitis chronica tritt gewöhnlich in Anfällen
au^ welche sich im Verlauf von Jahren öfters wiederholen, und
wo jeder neue Anfall, jede Recrudescenz eine neue Schicht von
Bindegewebe oder, anders ausgedrückt, eine neue Pseudomem-
bran erzeugt. Diese Pseudomembranen entstehen an der inneren
Oberfläche der harten Haut. Es bildet sich eine erste, dann eine
zweite Pseudomembran, und so fort; ja in einigen Fällen von
Blödsinn, der aus frühester Kindheit herstammte, habe ich bis zu
6 und 7 Strata übereinander gezählt. Diese Strata können ent-
stehen unter sehr heftigen Hyperaemien, unter einer starken Wal-
lung des Blutes; es können sich dabei kleinere oder grössere
Extravasate schon im Anfange bilden (Pachymeningitis haemorrha-
gica), aber das sind nicht diejenigen Extravasate, welche die
Haematome machen, sondern sie geben höchstens der sich bil-
denden Pseudomembran ein gewisses Quantum von Pigment.
Erst nachdem die Pseudomembranen eine gewisse Stärke erreicht
haben and insbesondere, nachdem sich in dieselben hinein Ge-
fässe entwickelt haben, eine wirkliche Vascularisation derselben
eingetreten ist, erfolgt die Blutung, und zwar so, dass das Blut
morrhagies m^iogees, consideröes principalement dans leurs rapports avec
les neomembranes de la dure-mere cranieDne. Archiv, gön^r. lo62. Nov.
F. 536.
146
Siebeote VorleanDg.
richtig geBchehen, weil Thrombus notbwendigerweise fest gewor-
denes, coagnlirtes Blut bedeutet und gerade auf die Eephalüma-
tome diese Bezeiclmung am allerwenigsten anwendbar ist. Was
die jetzt zu besprechende Form betrifiit, so denke ich dabei nicht
an die Thromben, welclie in Blutgefässen, namentlich ia Venen,
entstehen, obwohl es in varicösen Venen woht vorkommeD kaon,
dass, wenn sie ganz mit Thromben geftillt werden, sie sieh in
Form harter Knoten darstellen, wie das namentlich bei den Hi-
roorrhoidaltutnoren zuweilen der Fall ist.
Indessen giebt es, wie m den Ger&»8en, auch anderswo freie
Thromben, und ein besonders ausgezeichnetes Beispiel bildet das
Fig. 15. Gtohbp!) polypöMOä Hämatom des Uterus oub einem Aborti»
im iweiteii Honat, von tiner An Cholera leidenden Penon. (Prtp. No. 139.
vom Jahre 1857). a Henorgeiogeiier Tbeil der PlacenU naterna und der
UteruBtrand ; b Rente der Placenta foe talig, instMsODdere Cborionaottni ;
PolypOMS H&maton) des Ut«niB. \4^
freie polypöse Hämatom des UteruB, oder, wie ee von
Velpeau*) und Kiwincb **), die zuerst darauf aufmerksam ge-
macht haben, genannt worden ist, der fibrinöse Uteruspo-
lyp. Han tindet zuweilen in derselben Art, wie andere grosse
Dteruspolypen sieh darstelleo, GeschwQlste, welche die Utenis-
bOble ausdehnen und an einem bald breiteren, bald engeren Stiele
ritxen, welche, wenn sie wachsen, sich allmählich in das Collum
ateri und selbst aus dem Orificinm externum uteri hervorschie-
ben, dabei den Hals des Uterus auf das Aeusserste ausdehnen
und endlich in Form eines grossen, rundlichen Tumors in die
Scheide hervorragen. Der Fundus eines solchen Uterus hat ge-
wöhnlich einen massigen Umfang-, der Körper and Hals gehen
bis zu dem Oriticium externum hin trichterlSrmig auseinander,
Dud es hängt daraus ein mehr oder weniger grosser rundlicher
Körper hervor, der nach oben festaitxt***). In der Regel ist so-
wohl die Entwickelang einer solofa«i) Geschwulst, als auch ihr
Fortbestand mit grossen Blutungen Terbonden, und gerade da-
durch wird diese Form leicht geftlirlicher als manche andere
eben so grosso polypöse Bildungen des Geb&rorganes. Schneidet
man eine solche Ifosse durch, so findet man zuweilen eine äus-
sere derbere Schicht, gleichsam eino Hembrtn, während innen
mehr dankelfoth«, blutige Hissen, oft deutlich stratiticirt, Schicht
um Scliiclit gelagert sind.
Die Hauptfrage war nun, nnter was filr Verhältnissen sirh
diese Dinge bilden und wif sie sich befestigen können. Denn
wenn eine einfache Blutung in die ROhle des Uterus erfolgt, so
kann daraus allerdingH ein Gerinnsel werden; das GerinuKcl kann
die Form des Uterus annehmen, es kann den Uterus ausdehnen,
^er es kann sich doch nicht «o fixiren, dass es in Form einer
polypösen GM^wuIst festsitzt Der Gedanke liegt daher sehr nahe,
dass bei dem polypOaen Hämatom eine besondere Stelle den Aus-
gangspunct bildete, mid insbesondere, dass eine Placentarstelle
•) Ve!pe«o. TniU d« mMeciDe op^ratoire. 1837. T. IV. p. 382.
*•) Kiwiscb. Die Krankheiten der Gebärroutter. 1845. S. 4^0. Klioische
Vortfiea Aber apec. Pathol. n. Ther. der Krankheilen dea weiblichen Oe-
Kblechts. Abth. 1. & Aufl. 1851. S. 472.
***) Lose Blitgenaneel , auch wenn sie die F'orm des Uterue haben, ge-
boren nicbt hierter, and es ist wohl nur ein HisBverstSndniss , wenn Carl
Uirieh (Deber Hietologie a. Formen der Uternapolj'peD. Inaag. Diss. GiesBen.
ISU. S. 43.) ein solcbefl ala Beispiel fOr den Potj-pua fibrinoeus beschreibt.
I4S
Siebente VorlcBQDg.
die Basis der Geschwulst und die Bedingung ihrer BUdnng würde.
In der That findet man auch zuweilen ähnliche Polypen bei
Puerpern, unmittelbar nach einem Wochenbett*); allein Kiwisch
hatte sie bei Personen beobachtet, bei denen scheinbar nnr copiöse
Menstruationen vorausgegangen waren. Hier lässt sich im ein-
zelnen Falle nicht immer mit Sicherheit darthun, welcher Nalnr
diese nMenstruatio nimia" war, namentlich wenn man nur wäh-
rend des Lebens untersuchen kann, indess ist es nach den Beob-
achtungen von Scanzoni**) doch sehr wahrscheinlich, dass ia
der Kegel ein Abortus vomusging. Auch gehOrt von dem, was
*) Viri'liow. NutJi Über librinase PoIvpcD. WQribiirger Verk»(ll. Itt51.
Bd. II. S. Slö.
**} Scanxooi. Die Gi'n«se der übrioGsea oder Bin tpolvpcD dM Uterua.
WOnbiirg. V«-rliundl. ItiTil. Bd. II. S. 30.
Fig. t<>. l>oly{>dsi' llvrvorütalpuDg diT PUrentftratelle Mier Frai,
wrli'h« im 7. Miiiiat iiioilcr):e kommen und an Verblutnne gestorben wtr
(PT3|uirat Nu. Mi.). Auf der Phi-entarstelle aitit nneh ein grosses, sehr
dicbteit StDi-k lüuleu Uulti-rkuehenit , iu welchem die Zotten sehr deutlkh
!■ erkennen sind. Seine OberSüehe ist abcegUltet und tod einer dOnnea
baet«irrfaik{[i»fheu Litte überdcikt. Natarliebe Urüsae.
Polvpöses Hämatom des Uterus. 149
in der Literatur unter dem Namen der Placentar- Retentionen
beschrieben ist*), manches in diese Kategorie. Post mortem
finde ich, dass die Basis immer eine Placentarstelle ist, theils so,
dass Reste von der fötalen Placenta zurückgeblieben sind, und
über diese Reste sich die hervorquellenden Blutmassen nieder-
schlagen (Fig. 15, 16); theils so, dass nach vollständiger Ablö-
sung der Nachgeburt das aus den zerrissenen Gefassen hervor-
quellende Blut sich auf die höckerige Oberfläche der mütterlichen
Placentarstelle ansetzt. Das erstere dürfte wohL das häufigere
sein. Je länger aber die Masse v^äclist, je grösser sie sich her-
vorschiebt, je mehr sie den Uterus ausdehnt, um so mehr wird
sie zu allerlei Beschwerden Veranlassung geben, zu unangenehmen
Empfindungen, zu krampfhaften Zufallen; namentlich unterhält sie
die Neigung zu Blutungen, weil sie immer mehr die Theile aus-
weitet und die einmal blutenden Stellen auseinanderzerrt. Zu-
gleich gewinnt die Befestigung, wenn sie gerade auf einer zurück-
gebliebenen Placentarmasse erfolgt, eine ungewöhnliche Derbheit,
und es ist daher in einem solchen Fall ein unmittelbares Ein-
greifen zur Entfernung dieser Massen durchaus erforderlich, um
die Neigung zu Blutungen zu beseitigen. —
Was man ausser den angeführten Formen noch Hämatome
genannt hat^ dss sind zum grossen Theil Geschwülste, welche in
andere Kategoiien hineingeboren, insbesondere Formen, welche
der nächst za besprechenden Abtheilnng der Exsudationsgeschwülste
angehören, iafiofmi dabei in der Regel eine schon bestehende
Geschwnlrt siok in einem späteren Stadium mit einer Hämorrhagie
complicirt. Aus einem Hygrom der Patella kann später ein
Hämatoms ^atellare werden, indem in den schon gebildeten
grossen Sack Blutaastretungen geschehen. Dadurch entsteht eine
Modification des Hygroms, welche man immerhin Hämatom nennen
mag; nur ist das nicht eine unabhängige Form für sich. Ebenso
wird aus einer Hydrocele eine Hämatocele, indem in den
durch Wasseranhäufung gebildeten Sack nachher Blutaustretungen
erfolgen.
Wenn man in der neueren Zeit auch bei der Frau von einer
Hämatocele gesprochen hat, so ist das freilich etwas anderes, als
*) A. Hegar. Pathologie und Therapie der PlaceutarreteDtionen. Berlin.
Ib62. S. 86 folg.
150 Siebente Yorleeung.
eine blutige Anhäufung in dem (ja auch beim Weibe unter Um-
standen vorhandenen) Processus vaginalis peritonaei; es ent-
spricht das aber auch nicht genau dem Begriff des Hämatoms.
Denn man versteht darunter die Anhäufung von hämorrhagischen
Substanzen in der Excavatio recto - uterina , so dass durch die
Menge der angehäuften Blutgerinnsel an dieser Stelle eine ge-
schwulstartige Masse entsteht, die sich gegen das hintere Scheiden-
gewölbe herabsenkt, die den Uterus verschiebt und die man von
der Scheide und vom Rectum aus als eine derbe Geschwulst f&hlen
kann. Es ist das die von Nelaton so genannte Hämatocele
retro-uterina oder, wie Aran*) sagt, der Tumor sangnineus
periuterinus. Meiner Erfahrung nach handelt es sich dabei immer
um eine Anhäufung von hämorrhagischem Material in der Bauch-
höhle selbst, wenngleich dasselbe nicht immer ganz offen liegt
Die Anhäufung selbst erklärt sich dadurch, dass alle möglichen
Substanzen, welche überhaupt in der Bauchhöhle frei werden, also
auch ausgetretenes Blut, sich nach dem Gesetz der Schwere in
die Excavationen des Beckens herabsenken. Ausserdem ist es
nicht selten, dass, wenn in diesen Excavationen entzündliche
Processe Platz greifen und in Folge derselben eine pathologische
Yascularisation zu Stande kommt, locale Hyperaemien und Hä-
morrhagien entstehen, die sich von Zeit zu Zeit wiederholen und
allmälig zu reichlichen Anhäufungen Veranlassung geben. In diesem
letzteren Falle kann es geschehen, dass die Peritonitis retro-
uterina, ähnlich wie die Pachymeningitis, Pseudomembranen er-
zeugt und dass das Extravasat, welches aus den Gef&ssen der
Pseudomembran erfolgt, zwischen die Blätter derselben abgesetzt
wird und so ein geschlossenes (enkystirtes) Hämatoma retro-
uterinum (H. pelvicum s. periuterinum Simpson) entsteht
Aehnliches sieht man zuweilen bei Männern in der Excavatio recto-
vesicalis. Die entzündliche Genese, welche schon Yoisin klinisch
genau festgestellt hat, kann hier nicht bezweifelt werden, und die
Analogie mit dem Hämatom der Dura mater findet nur in einem
Punkte keine Anwendung, darin nehmlich, dass die Prognose im
Allgemeinen keine ungünstige ist und die Resorption des Extra-
vasats oft überraschend schnell erfolgt Man findet dann bei der
*) Aran. Le(;on8 cliniques sur les maladies de rot^ms et de ees an-
nexes. Paris. 1858. p. 751.
Hfimatocele retrouteriDa. 151
Autopsie abgekapselte, schmierige, bräunliche oder schwärzliche,
platte Anhäufungen an der Stelle der früheren Geschwulst.
Manchmal geht die hämorrhagische Masse aber auch in Er-
weichung über und es bildet sich im Umfange derselben eine
Eiterung, welche endlich Durchbrüche in die Nachbartheile , zu-
mal in den Mastdarm und die Scheide erzeugt *) und die Entleerung
der Massen auf diesem Wege möglich macht. Freilich tritt dadurch
nicht immer Heilung ein ; fortdauernde Entleerungen von Eiter und
Blut können die Kranken so erschöpfen, dass der Tod in Folge
davon eintritt.
Einige Autoren haben ausser dieser intraperitonaealen Häma-
tocele noch eine besondere extraperitonaeale Form beschrieben,
welche in der Basis der breiten Mutterbänder oder zwischen den
Blättern derselben oder wenigstens unter dem Peritonaeum liegen
soll**). Ich möchte glauben, dass hierbei Irrthümer untergelaufen
siDd. Eine primär extraperitonaeale Hämatombildung habe ich, ab-
gesehen von puerperalen und traumatischen Fällen, niemals an der
Leiche gesehen. Es kann sein, dass eine Parametritis ***) oder,
wie Simpson sagt, eine Gellulitis pelvica in der Umgebung des
Uterus Eiterhöhlen erzeugt, in welche später eine Blutung erfolgt;
indess möchte es sich nicht empfehlen, dies ein Hämatom zu nennen.
Meist ist die für das Peritonaeum angesehene Membran wohl eine
neugebildete Haut, welche, wie die pachy meningitischen Pseudo-
membranen bei den Hämatomen der Dura mater, auf die alte Haut
adigelagert ist und unter welche die Blutung so erfolgt, dass sie
allerdings dadurch abgekapselt ist. Weniger wahrscheinlich ist
es, dass, wie Tyler Smith f) glaubt, das Extravasat selbst se-
condär von einer peritonitischen Pseudomembran überkleidet wird.
Ich halte dsa um so weniger für wahrscheinlich, als ich die An-
sieht der meisten Schriftsteller nicht theile, wonach das ganze
Extravasat aus dem Uterus, dem Eierstock oder den Tuben her-
stammen soll. Aus den Tuben erfolgen grössere Blutungen fast
*) Bernuti et Oonpil. Cliniqae med. sur les maladieg des femmes.
Paris. 1860. T. I. p. 220. Madge. TransactioDs of the obstetrical society of
London. 1862. Vol. UF. p. 79. PL II. und 111.
••) Puech. Gaz. m^d. de Paris. 1858. p. 164, 444. Simpson. Med.
Times and Gaz. 1859. Aug. p. 153, 155.
^••) Mein Archiv. 1862. Bd. XXill. S. 425.
t) Transactions of the obst. soc. of Lond. Vol. III. p. 101.
152 Siebente Vorlesoog
o*
nur, wenn dieselben in Folge von Tuben-Schwangerschaft ber-
sten *), und ich halte es nicht Ar unmöglich, dass einzelne Fälle
dieser Art für blosse Hämatocelen genommen worden sind.
Grössere Blutungen aus den Eierstöcken aber sind noch viel
seltener. Nur wenn ulcerative Processe an den Tuben und
Eierstöcken bestehen, kommen Blutungen öfter vor, und das ist
namentlich bei manchen Fällen von Hydrops tubae sangninolentus
und von hämorrhagischen Cysten des Eierstocks der Fall. Für
gewöhnlich stammt meiner Ansicht nach das Blut ganz oder
grossentheils aus den neugebildeten Gefassen partiell - peritoni-
tischer Schichten der Excavationen.
Der allerdings sehr bemerkenswerthe Umstand, welchen
alle Beobachter einmüthig hervorheben, dass die Geschwulst ge-
wöhnlich mit einer Menstruation plötzlich beginnt und mit den
folgenden Katamenial-Perioden anfallsweise wächst, spricht nicht
gegen eine solche Erklärung. Freilich scheint es bequemer, mit
Lau gier**) das gesammte Blut direct aus dem bei der Ovolation
geborstenen Graafschen Follikel abzuleiten, allein die Erfahrung hat
diese Auffassung so wenig bestätigt, dass gerade manche Beobach-
ter, welche Gelegenheit zu Autopsien hatten, zu der Ueberzeugung
gefährt sind, eine Ruptur grösserer Gefässe in den Ligamenta lata
sei die Ursache der Hämorrhagie gewesen. Auch ist es ja nicht
zu bezweifeln, dass die menstruale Fluxion sich nicht auf die
Gefisse der Graafschen Follikel oder der Tuben beschränkt,
sondern sämmtliche Gefasse der Nachbarschaft mit betriffi, und
wenn daher im Douglas'schen Raum eine ungewöhnliche Vascu-
larisation, sei es des Peritonaeum selbst, sei es neugebildeter
Pseudomembranen besteht, so kann es hier ebenso leicht zur Hä-
morrhagie kommen, wie am Eierstock oder den Trompeten. Der
von den früheren Beobachtern übersehene Umstand, dass auch
bei Männern ähnliche Zustände, wenngleich nicht in so hohem
Grade vorkommen, spricht entschieden zu Gunsten der von mir
aufgestellten Ansicht, bei welcher übrigens die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen ist, dass die besprochene partielle Peritonitis unter
Umständen durch Stoffe hervorgerufen wird, welche aus dem Eier-
*) Vgl. die von mir initgetheilten Fälle in den Wärzburger Verband].
1850. Bd. I. S. 298. 1852. Bd. III. S. 349. Gesammelte AbbaadL S. 792 ff.
••) Gaz. med. de Pari». 1855. p. 151.
Hämatocystides. 153
stock oder der Trompete ausgetreten sind. Bernntz hat für die
Existenz dieser, wie er sagt, Pelvi-peritonitis haemorrhagica men-
strualis eine Reihe beachtenswerther Thatsachen beigebracht. —
Weiterhin giebt es noch eine Reihe von Blutcysten, Hae-
matocystides, wo man in glattwandigen Höhlen Blut, und
zwar flüssiges oder verändertes Blut findet. Indess auch diese
Formen gehören in der Regel zu nachweisbaren Geschwulsten
anderer Abtheilungen. Cystische Dilatationen von Drüsengängen,
wie in der Milchdruse der Frau oder im Pankreas, können sich
sehr bedeutend ausdehnen, so dass sie die Grösse eines Bors-
dorfer Apfels oder selbst einer kleinen Faust erreichen; wenn
man sie anschneidet, so findet man sie nicht selten voll von
hämorrhagischen Massen. Aber hier ist es nicht das Blut, wel-
ches die Dilatation gemacht hat, sondern es ist immer die Di-
latation das Primäre und die Terminologie Bestimmende, und erst
dazu gesellt sich nachher die Hämorrhagie.
Die einzige Form, welche in einem erheblichen Maasse
zweifelhaft ist, betrifft das Vorkommen von Blutcysten, welche
ongefähr in der Richtung bekannter grösserer Gefäss-
stämme liegen; bei ihnen spricht mancherlei dafür, dass es
abgeschnürte Theile von Gefässen seien. Es finden sich in der
Literatur verschiedene solche Mittheilungen. Eine der am meisten
charakteristischen Beobachtungen steht bei Paget*). Sie bezieht
rieh auf eine Mittheilung des englischen Chirurgen Lloyd, der
in der Richtung der Vena saphena eine solche Geschwulst fand,
welche eine glatte innere Wand hatte und auf derselben, was
besonders charakteristisch ist, Klappen zeigte. Indess konnte mau
die Exstirpation des Gebildes vornehmen, ohne dass man eine
grössere Vene zu verletzen brauchte, so dass man annehmen
musste, dass der Sack sich in ähnlicher Weise durch eine or-
ganische Abschnürung aus der Vene isolirt habe, wie gelegentlich
Harnkanälchen sieh abschnüren und in einzelne Cysten zerfallen.
Es ist das an sich etwas unwahrscheinlich, indess habe ich ein-
mal etwas Aehnliches gesehen an der Jugularis , wo , freilich in
Verbindung mit Krebsbildungen, ein Sack, der in der Richtung
der Jugularis lag, nach unten hin geschlossen endigte und auch
nach oben abgegrenzt war. Auf die sehr zweifelhaften extra-
*) James Paget. Lectures on surgical pathology. 1853. Vol. IL p. 50.
154 Siebente Vorleeang.
thyreoidealen Blutcysten am Halse, die Yon Mich au x so genannte
Haematocele colli will ich nicht näher eingehen, da es an
anatomischen Untersuchungen darüber fehlt*); nur das will ich
erwähnen, dass J. P. Frank gerade für eine solche Form den
Namen Hämatom eingeführt hat**).
Die Möglichkeit, dass unter Umständen eine cystische Ab-
schnürung aus Gefässen erfolgen könne, scheint mir nicht aus-
geschlossen zu sein. Gollateralwege haben wir bei den Venen so
Kahlreich, dass Nebenbahnen und eine Regulation des Kreislaufes
leicht gefunden werden, und wenn der Abschnürung varicöse Er-
weiterungen voraufgehen, von denen wir wissen, dass oft der
Yarix nur durch eine engere Verbindung mit dem Stamme des
Gefässes zusammenhängt, so lässt sich wohl an eine endliche
vollständige Abtrennung denken. Die Schwierigkeit liegt nur
darin, dass das Blut sich in einem solchen abgeschnürten Sack
länger erhalten sollte, und sie lässt sich nur so lösen, dass man
das Fortbestehen einer Communication durch sehr feine CoUate-
ralgefässe, welche in den Sack münden, annimmt. Letzteres ist
in der That der Fall bei den oft sehr grossen Blutsäcken, welche
in Folge traumatischer Einwirkungen entstehen und welche dem
Aneurysma spurium traumaticum analog sind. Solche Beispiele
sind namentlich am Schädel bekannt, wo diese extracraniel-
len Blutcysten bald mit den Sinus, bald mit einzelnen klei-
neren Venen durch zuweilen ganz feine, wie fistulöse Oefinungen
communiciren***). Auch vom Handrücken hat Lobsteinf), vom
Halse der jüngere Pauli ff) einen ähnlichen Fall beschrieben.
^) Man vergleiche E. Gurlt. Ueber die Cvstengeschwfllste des Halses.
Berlin. 18ö5. S. 249.
**} J. P. Frank. Discuraus acad. obs. de haematomate exhibens. Opusc.
med. arg. Lips. 1780. p. 118.
^**) Dufour. Sur une variete nouvelle de tumeur sangnine de 1a Yoüte
du cri^ne, suitc de l^sion traumatique. M^m. de la See. de Bioi. T. lU. p. 15&.
Bruns. Uandbucb der pract. Chirurgie. Abth. I. 1654. S. 188. Herrn.
Demme. Ueber ex tracranielle, mit den Sinus durae matris communicirende
Blutcysten. Mein Archiv. 1862. Bd. XXIII. S. 48.
t) Lobstein. Lehrb. der pathol. Anat. 1. S. 284.
tt) Pauli. Yerhandl. des Vereins pfülzischer Aerxte. 1864. S. 88.
Achte Vorlesung.
13. JDecember 1862.
Wassergeschwälste, insbesoiidere Hydrtcele testis.
Dm Hygrooa«. Uiitw«cb«ldwig derMlbt b, Je naehdt u die üdhlen DttnzUebe oder nengebildete sind.
Die Uydrocele «Is Beispiel. Hydrocele coogeaiU. Irritetive Natur der gewöhnlichen Hydrocele:
Periorchitis. Chemische Beschaffenheit des Inhaltes. Hydrops lymphaticns. Beschaffenheit
der 8eheideshjiot: paieive Erweiterung and VerdfinBoag. Atrephie des Hodea«. Fettige und
bai^morrhagische Abscheidn ngen. Hämatocelo. Active Processe: Sklerose und Cartilaginescena
des Bmcktty SyDechie, Oseifieation, Proliferation Periorchitis prolifera. Auswfichse: Die 11 or-
gasBl'folM Hy^ktide. . Die fraton K6iper der SelMidenhaiit. Pralitieelie Bedeattag dieeer -?er-
scbiedenen Zust&nde: unprodactive Beschaffenheit und Vulnerabilität der slüerosirten Tbeile.
Hydroecle eystiea Ainieuli spermatici.
Hyd»oe«le liantoaa.
i/ie zweite grössere Geschwnlstgruppe, die wir aufgestellt hatten,
umfasste die trans- and exsudativen Geschwülste. Ich
meine dabei nicht Formen, wo etwa durch eine transsudirte oder
absorbirte Masse, die in das Parenchym eines Theiles eintritt,
eine Aufbl&hiuig desselben entsteht, denn das sind entzündliche
oder ödematöse Anschwellungen, sondern ich meine solche, wo
ein Transsudat oder Exsudat an irgend einer begrenzten Stelle
sich so anh&uft, dass es eine besondere, neben den Gewebsbe-
standtheilen des Ortes frei und isolirt liegende Masse bildet und
als eine selbständige Geschwulst erscheint.
Diese Formen kommen zunächst darin überein, dass sie mehr
oder weniger klare und wässrige Flüssigkeiten enthalten und dass
diese Flüssigkeiten in geschlossenen Säcken vorhanden sind. Im
Allgemeinen begreift man sie seit einiger Zeit unter dem Namen
156 A«hte Vorlesung.
der Hygrome oder Wassergeschwülste, womit natürlich nie
reines Wasser, sondern immer eine „seröse" Flüssigkeit bezeichnet
werden soll. Zieht man es vor, den in der neueren Zeit erfun-
denen Namen der „Serocysten*^ dafür £o gebraoehen, so wird
er ungefähr dasselbe bedeuten. Indess ist der Name deshalb nicht
sehr zweckmassig, weil nicht immer blos Serum darin ist, sondern
manchmal noch andere Dinge hinzukommen, und ich denke daher,
dasK man bei dem älteren Namen der Hygrome bleiben kann.
Unter den Hygromen lassen sich ihrer Entstehung nach
zweierlei Formen unterscheiden: solche nehmlich, bei denen die
RÄume, in welche die Flüssigkeit eintritt, natürliche Höhleo
sind, die zu der typischen En Wickelung des Körpers als solcher
gehören, und solche, bei denen die Höhlen neugebildete siod,
die im Laufe irgend einer physiologischen Störung oder eines
krankhaften Processes Entstanden sind.
Als Beispiel für die erste Form, wo wir es nur mit der
eigentlichen, ursprünglichen Höhle zu thnn haben, wähle ich die
llydrocele, den Wasserbruch (Hernia aquosa) des Hodensackes-
I)enn Cele oder Kele bedeutet bei den Neueren*) so viel wie
llernia. Das Wasser befindet sich bei der eigentlichen Hydro-
<'ele (es giebt mehrere ganz verschiedene Arten von Hydrocele) in
dem Smk Avr Tunica vaginalis propria des Hodens, jener Haut,
welche aus dem Processus vaginalis des Peritonaeums entsteht und in
der Hegel nach dem Descensus des Hodens in ihrem oberen Theile
ullmülig obliterirt**). Es kann daher unter Umständen eine Hydro-
cele geben, welche wirklich ein reiner Wasserbruch ist; wenn nehm-
lich dor ProcesHUH vaginalis offen bleibt, dann kann in der That Flüs-
Higkeit aus 4ler Bauchhöhle in den Sack der Scheidenhaut herunter-
treten un<l ebenso umgekehrt wieder zurücktreten***), wie das bei
AHciti'H manchmal der Fall ist (Hydrocele congenita s. ad-
natn). In der Regid versteht man aber unter Hydrocele den Fall,
wo dio Tunioa vaginalis nach oben geschlossen ist.
^) Niivh dein Zeuguiüse (Uleu'» (De tamoribus praeter natunin cap. 15.)
uauntou »u ii«>inor Zeit „dio Neueren* jede Geschwuut der Hodeo eine Kele.
*^) Un der Prooe^9us vaginalis peritoDaei ursprünglich auch im weibli-
ehen 0«iM*hlei'ht vorhanden ist, »o kann eine Hydrocele gelegentlich aack
bei der Frau vurkmumeii, wenn die AusiStQlpung des Bauchfells lum Tbeil
fortbeftteht.
••♦) Medie. Reform. X^VX Nik 48. S. 23Ä.
Hydrocele. 157
Gewöhnlich rechnet man die Hydrocele za den Hydropsien.
AUein gerade bei Hydrops universalis findet man sehr wenig
Flüssigkeit in der Scheidenhaut, selbst wenn das Oedem des
Scrotums einen sehr hohen Grad erreicht, und wenn man die £nt»
stehung der Hydrocele und die ganze Art der Gewebszustände,
welche dabei vorkommen, ins Auge fasst, so muss man sich über-
zeugen, dass sie fast jedesmal, wo sie eine gewisse Grösse er-
reicht, ein irritatives Ereigniss darstellt. Man kann sie nicht
in allen Fällen geradezu entzündlich nennen, da die charakteristi-
schen Erscheinungen eines entzündlichen Verlaufes oft fehlen, aber
irritativ, aus einer Reizung hervorgegangen ist der Process un-
zweifelhaft, und wie alle irritativen Processe, kann er bei einer
gewissen Höhe der Reizung unmittelbar in eine Entzündung über-
gehen, 80 dass wir geradezu von einer Yaginalitis, Perior-
chitis oder Orchitis serosa sprechen können. Grenzen sind
da nicht zu ziehen; es giebt eine Reihe von Uebergängen von
der einfachsten Hydrocele bis zu der acut entzündlichen Form,
wie sie bei Tripper und Quetschungen des Hodens vorkommt.
Dieser Charakter tritt bei längerer Dauer anatomisch mehr und
mehr hervor; je länger und älter eine Hydrocele wird, um so
mehr werden entzündliche Veränderungen der Gewebe bemerkbar.
Da8 muss man wohl im Auge behalten, wenn man die verschie-
denen operativen Methoden kritisiren will, welche empfohlen sind,
denn „nicht alles passt sich ja für alle^ ; und eine Tunica vagi-
nalis, welche sich nur in einem sehr leichten Reizungszustand
befindet, zeigt ganz andere Eigenschaften, als eine solche, welche
in den entzündlichen Reizung*szustand eingetreten ist, oder als
eine, welche durch eine Reihe derartiger Reizungen beträchtlich
verändert ist.
Schon der Umstand hätte die Beobachter überzeugen sollen,
dass es sich bei der Hydrocele in der Regel nicht um einen ein-
gehen, sondern um einen initativen Hydrops handelt, dass die
Zusanunensetzung der Flüssigkeit sich unterscheidet von der einer
gewöhnlichen hy dropischen Flüssigkeit, indem sie sehr reich an
Albuminaten ist und in einer grossen Anzahl von Fällen Fibrin,
vielleicht in allen Fällen eine tibrinogene Substanz enthält. Selten
findet schon innerhalb des Sackes eine Gerinnung statt, meist ist
die Masse allerdings vollkommen flüssig, aber nachdem sie ent-
leert worden ist, gerinnt sie an der Luft, bald nach kürzerer.
158 Achte Vorlesung.
bald nach längerer Zeit, bald auf ein Mal, bald in mehreren Ab-
sätzen. Das ist der Zustand, den ich fibrinogen genannt habe*},
wo eine Substanz in der Flüssigkeit vorhanden ist, die sich in
Fibrin umsetzt. Nun bat schon vor längerer Zeit Bnchanan**)
in Glasgow beobachtet, dass, wenn man Hydrocele-Flüssigkeit mit
Blutbestandtheilen zusammenbringt, eine Gerinnung stattfindet,
auch wenn die reine Flüssigkeit an der Luft nicht gerinnt, und
Alexander Schmidt***) hat in den letzten Jahren, diese Beob-
achtung erweiternd, gefunden, dass eine solche „spontane*^ Ge-
rinnung hervorgerufen werden kann, wenn man Blutkörperchen
oder Hämatokrystallin in die Flüssigkeit hineinbringt Die Ein-
wirkung beider Körper ist eine coagulirende; es tritt dann in der
Flüssigkeit, die sonst ganz klar und wässrig ist, eine oft reich-
liche Gerinnung ein. Ausser diesen coagulirenden Bestandtheilen
enthält die Hydrocelenflüssigkeit gewöhnlich so starke Mengen
von Salzen und Albuminaten, dass manchmal ein ähnliches
Mischungsverbältniss, wie das des Liquor sanguinis oder der
Lymphe erreicht wird, was in einfachen Hydropsien niemals und
nirgend vorkommt Es handelt sich hier also um jene Art der
Erkrankung, die ich früher mit dem Namen des Hydrops lym-
phaticus s. phlegmaticus bezeichnet habef)-
Indem die Flüssigkeit sich in dem Sack der Scheidenhaut
anhäuft, so dehnt sie ihn und die Theile, welche ihn nmgeben,
mehr und mehr aus; die Tunica vaginalis propria verdünnt sich,
der Hode wird comprimirt, und wenn der Zustand lange dauert,
dann treten allmälig atrophische Zustände sowohl am Hoden
(Fig. 17.), als auch am Cremaster ein. Es ist daher auch in dieser
Beziehung f&r den Einzelnen nicht gleichgültig, wie lange Zeit hin-
durch er eine grosse Hydrocele trägt. Für manche Leute wenig-
stens hat es ein Interesse, die Function des Hodens erhalten eu se-
hen, und es kann das immerhin eine Rücksicht sein, die der Arzt
dem Patienten gegenüber in Rechnung ziehen muss. Manchmal wird
der Hode so platt gedrückt und auf ein so kleines Maass zurück-
gebracht, dass man Mühe hat, ihn am Umfang des Sackes auf-
zufinden.
*) Mein Archiv. 1847. I. S. 572. Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 152.
**) Proceedings of the Phil. Soc. of Glasgow. 1845. Febr,
•♦♦) Reichert und Du-Bois. Archiv. 1801. S. 555, 563, 689, 695. 715.
t) Uandbneh der fipecielleu Patbol. u. Tberap. 1854. 1. 206. 216.
Hydrocele. 159
Bei längerem Bestände des Uebels geratben gewöhnlich von
der Oberfläche des Sackes allerlei z^ige Partikeln in die Flüs-
sigkeit, welche die fettige Metamorphose durchmachen und so
nach und nach in die Flüssigkeit Quantitäten von fettigen Theilen
(Eörnchenzellen und Körnchenkugeln, freies Fett) bringen. Später
gehen aus diesen wieder Krystallisationen hervor, in manchen
Fällen die schon dem blossen Auge sichtbaren, im Lichte spie-
gelnden Täfelcben von Cholestearin, in anderen faser- oder nadel-
fSrmige Abscheidungen eines festen Fettes, das in sehr schönen
gebogenen oder geschwungenen Figuren vorkommt.
Weiterhin geschieht es nicht selten, dass hämorrhagische Bei-
mischungen erfolgen. Wenn Jemand eine grosse Anschwellung
zwischen den Beinen hat, so ist diese allen möglichen Insultationen
ausgesetzt; dadurch und durch die Vascularisation der gereizten
Häute wird wohl die Neigung zu Blutungen in den Sack bedingt.
Sind sie gering, so bilden sich an der Oberfläche des Sackes
zuerst blutige Beschläge, in denen das Blutroth allmälig in Pig-
ment übergeht und bräunliche, gelbliche, manchmal schwarzbraune
Färbungen der Membran erzeugt Ist die Extravasation reich-
licher, dann nimmt die Flüssigkeit Blut auf, die Blutkörperchen
vertheilen sich in derselben, geben ihren Farbestoft* an dieselbe
ab, und diese nimmt davon eine gelbliche oder bräunliche, manch-
mal ganz chocoladenartige Farbe an. Ist das Blut sehr reichlich,
dann wird natürlich auch die Gonsistenz der Flüssigkeit verän-
dert, indem eine mehr dicke, manchmal sogar fast breiige Masse
entsteht In dieser Art wird die Uydrocele übergefQhrt in die
Hämatocele. Es kann allerdings bei beträchtlicher mechanischer
Einwirkung eine Hämatocele auch von Anfang an und auf einmal
zu Stande kommen, in der Regel aber ist sie das Product lange
fortgesetzter Insultationen, welche immer wieder von Neuem auf
den Theil eingewirkt haben.
Während in dieser Art der Inhalt des Sackes sich ändert,
80 gebt gewöhnlich parallel damit eine zunehmende Veränderung
der Oberflächen. Diese können entweder im Ganzen, gleichmässig,
diffus, oder mehr fleck- und heerdweise erkranken. Am häufigsten
ist es die Oberfläche des Hodens selbst oder des Nebenhodens,
Boweit sie in die Höhle der Scheidenhaut hineinragt, also die
^buginea, welche sich verändert (Fig. 1 7). Diese Veränderungen
bestehen in der Regel zunächst in einer hyperplastischen
160 Arlite Vortesnng.
Verdickung; das Bindegewebe fängt an zu wuchern, die Häute
werden dicker, und bei längerer Dauer auch dichter, so dass sich
zuletzt ein Zustand von Sklerose entwickelt. Ist dieselbe gleich-
massig (diffus), BO wird die ganze Vaginalis in eine lederartige
Schwarte verwandelt, an der man zuweilen eine Reihe von
Schichten, eine deutliche Stratifieation unterscheiden kann, lat
dagegen der Process ungleichmtei^tig, heerdweise — und da» ist
das häufigere — dann treten die sklerotischen Stellen wie knor-
pelartige Massen an der Oberfläche hervor. Wie gesagt, ge-
schieht das namentlich sehr häufig an der Albuginea des Hoden:»,
welche an sich eine sehr derbe Haut bildet Aber auch die freie
Seite, das sogenannte Parietalblatt wird in gleicher Weise er-
griffen. Die Oberfläche wird dabei h&okerig; eB entwickeln
sieb aus ihr Knoten und Platten, wie sie ganz ftbnUch in ausge-
sprochener Weise an der Milz bei Perisplenitis chronica vor-
kommen. Diese sehen wie Knorpel aus, besteben aber aus einem
sehr dichten Bindegewebe, dessen IntercellularBnbstanx eine sehr
Pig. 17. Alte H^drocele mit liCckeriger Sklorog« der Albnfinva testit
und comprewiver Atrophie des Nebenhodeua (Pr&parftt No. 80S.).
Synechie und Osei6catioD der Scheideahsiit. 161
derbe, nicht lockige, eondeni mehr steife, fibriliäre BeschaJFeD-
beit hat
Mit diesen Verdickungen vergesellschaften sich niclit selten
kdhäsWe Zustände, Synechien, wie man sie gew^ihnlkh nach
eutzündlichea Processen ntrifft. Diese erstrecken sich zuweilen
Aber grössere Abschnitte der Vaginalhfthle, so dass neben der
Hydrocele eine partielle Obltteratiou der Scheiden-
haut bestehen kann. Dadurch wird die Gestalt der Hydrocele-
Geschwulst eigeathämlich verändert. Seltener wird die Höhle der
Scheidenhaut durch pseudoligamentöse Scheidewände getheilt und
eine gleichsam bi- oder multiloculäre Hydrocele gebildet. Am
häufigsten beginnen diese Processe an den Seiten des Neben-
hodens, da wo sich das Parietalblatt auf denselben herfiberschlägt,
setzen sich aber leicht über ganze Abschnitte der freien Hoden-
Oberfläche fort, am leichtesten über das untere Segment des
Hodens. Das giebt die nach unten spitzen, nach oben weiten
Eydrocelen.
Fig. 18. Alte Hydrocele. Periorehitis tlirouira mit narbiger Eio/iehung
m Verdicknng der Albaginea ara uuteren Hodeuaegment. Partielle Sj-
necbie im Umfange des Nebenhodeas. Sklerose und balkige OssiGcation der
Tnuc* nginaiia propria. (Prftparat No. 308, vom Jahre 1S&9 ).
viieko«, GMütoGUM. 1. 11
IG'2 Acbte VoriesuDg.
Werden die slderotischea Massen sehr dick and bestehen sie
lange Zeit, so geschieht hier dasselbe, was wir an anderen se-
rösen [läuten, namentlich am Pericardium, znweilea in grosser
Ausdehraing wahrnehmen. Das Gewebe verkalkt nnd es entsteht
so eine Art von Scbeideuhaut-Knochen, die je nach der
Gestalt der ursprünglichen Sklerosen bald aJs blosse Platten, bald
als grosse Balken und verästigte Figuren an und in der Ober^
flficbe liegen.
In anderen Fällen wiederum findet an der Oberflftcbe der
Häute, und zwar namentlich an demjenigen Theil, der dem Hoden
und dem Nebenhoden angehört, eine partielle ProUferatioD
statt, wie sie freilich auch ohne gleichzeitige Hydrocele nicht gani
selten vorkommt. Es erheben sieb von der Oberfläche kleine Aus-
wüchse, Exorescenzcn. Diese bilden entweder Sache ProtnberanieB,
die allmälig grösser und höckerig werden, oder es sind von Anfang an
wurzige Erhobungen, welche eine unregelmässige, lappige Oberfläche
habe», oder endlich, es sind mehr gestielte, polypöse Bildungen.
Geriide in diesen Auswüchsen erfolgt oft schon frühzeitig eine
Ablagerung von Kalksalzeu und dunit ein Stillstand. Andere Male
aber wachsen sie stärker hervor und bilden mehr und mehr frei
Vi, ,u. heraushäogende Papillen nnd Zotten, welehe
j^^^ wiederum ästig Bein können, so dass an
^1^^^^ einem grosseren AoHwachs wieder eine
^^Vj^^^W • Keihe von kleinen sitit — eine Art von
HJ^^F^^^ dendritischer Vegetation, die gerade nicht
^HUF4r^^B'' sehr grosse Aeste treibt, aber daf&r oft
^|H|^^^V eine ziemlich grosse Zahl kleiner Aeste
^^^^^^F abgiebt Dag ist eine Periorchitis pro-
lifera.
\m\ dioseni abuonnen Auswüchsen oivaa man nnn aber wohl
uutenn'lii'ideii den normalen Anbang, der am Kopf des Neben-
hoilcns sii'h regelmässig vorfindet, die sogenannte Ho[^;agniVhe
Itlaso (itler Hydatide, einen kleinea Rcflissreicfaen Körper, von
dem man gi-wöhnlioh annimmt., dw» Morgagni ihn zuerst be-
^ ' ein* in «r TWt
licttmili' Lli'nic C>*ti' de» NctKnhixl^as. r «b polvpOser Aosvachs der
kH<ir|M>U|ti>ii KOnrni (rrtpant No. 61 vo« Jahr* I859i).
Freie Körper der Sche^enhaut. 163
schrieben habe*). Manche haben das anch f&r einen krankhaften
Auswnchs gehalten und einen besonderen Werth darauf gelegt,
ihn abzuschneiden. Das folgt nicht gerade aus der Natur dieses
Anhanges. Aber es kommt vor, dass an diesem normalen An*
hange ein irritatiTer Process Platz greift und an seiner Oberfläche
pathologische Auswüchse entstehen, wie sie sonst an anderen
Orten der Hodenoberfläche vorkommen. Alle diese Auswüchse
haben die Neigung, sich an ihren Spitzen zu verdicken; sie wer-
den kolbig, die Kolben bekommen eine knorpelige Härte und ein
entsprechendes Aussehen, und nicht selten gestalten sie sich zu
kleinen gestielten Kugeln um. Diese vergrössem sich, indem
sich immer neue concentrische Schichten ansetzen und sie ge-
winnen so nach und nach einen beträchtlichen Umfang. Später-
hin kann der Stiel, an dem sie befestigt sind, dünner und dünner
werden und endlich abreissen, so dass die Kugeln frei in die
Mh\e der Scheidenhaut gerathen.
Das sind die freien Körper der Scheidenhaut**), die
ursprünglich als Excrescenzen anfangen. Sie finden sich häufiger
bei geringeren Graden der Hydrocele
?or. Gerade bei grossen Hydrocelen ^^s-^o.
sind sie am allerseltensten ; ja sie kom- jl g
men in einzelnen Fällen vor, ohne dass
eine nennenswerthe Menge von Flüssig-
keit zugegen ist. Man fühlt sie äusser-
lich leicht durch; manche entschlüpfen,
wie die Gelenkmäuse, dem Finger, legen
sich wohl in einen Winkel des Sackes und kommen später wieder
zum Vorschein. Ihr Umfang geht von der Grösse eines Stecknadel-
kopfs bis zu der einer Flintenkugel. Schneidet man einen solchen
grösseren Körper durch, so findet man ihn gewöhnlich in seinen
äusseren Tbeilm aus ähnlichen halbknorpeligen Schichten zusam-
Fig. 20. Freier Körper der Scheidenbaut. NatQrlicbe Grösse: A Auf-
«cht, B DurcbBchnitt , innen die verkalkte Masse, aussen die concentriscb-
geschicbtete, knorpelartige Schale (Präparat Nr. 164. vom Jahre 1857.).
^) Lewin. (Stndien Aber Hoden. S. 7. Separat-Abdr. aus der Deutscheu
Klinik. 1861. No. 24. ff.) hat durch AnfQhrung zahlreicher Stellen dargethau,
dass Morgagni nicht eine, sondern eine ganze Reihe von Hydatiden und
twar Hiebt an einer bestimmten Stelle des Nebenhodens, sondern an ver-
schiedenea Stellen des Hodens und Nebenhodens beschrieben hat.
**) Astlej Co o per. Die Bildung und Krankheiten des Hodens. Aus
d. Engl. Weimar. 1832. S. 112.
164 Achte Yorie«iiig.
niengenetzt, wie die sklerotisehen Platten der Albuginea selbst;
innen zeigt er meist sehr vollständige Verkalkang, so dass in
nicht Meltenen Fällen, wenn der ganie Körper die GrOsse eines
KirMchsteinM besitzt, die innere kalkige Masse die Grösse eines
KifMchkernM, die cartilaginöse Hülle nur die Dicke der Schale er-
mvhL I5(;tra(!htet man in solchen Fällen die Oberfläche des Ho-
dens genau, ho findet man Prominenzen oder Depressionen, ent-
sprechend den Stellen, wo die Körper früher gestielt ansassen.
Alle diese Vorgänge sind Folgen der Irritation; sie gehörea
zum Thoil der secretorisclien, zum Theil der formativen Gruppe
der Irritationsphänomene an. Je mehr das formative Moment
hervortritt, um so mehr nähert sich eine solche Geschwulst der
neophiMtischen Gruppe, den eigentlichen Gewächsen; ja in dem
Falle, wo si^lir wenig Wasser, dagegen die Proliferation, die Bil-
dung von Auswüchsen und freien Körpern überwiegend vorhao-
diMi int, da kann man zweifelhaft sein, ob m&n die Hydrocele
nicht iiIh eine den neoplastischeu Bildungen angehörige Geschwulst
bolruchton soll. Indess ist das mehr ein Aosnahmsfall. Der
AnrauK IVoilich ist immer der eines aus Reizung hervorgegange-
non i^*oco>sos, alxM* den geschwulstartigen Habitus nimmt der-
Holho orst mit dor steigenden Anhäufung der Flüssigkeiten ao,
und iloshalh wird man die Hydrocele zu den Transsudations- und
KxsudationsgeschwAlsten rechnen und von den P^eudoplasmen
ahthMineu müssen« bei welchen die Wucherung der Gewebs-
olonionto das Woscntliiho ist
Kür die Prov:nose und Bohaudlung ist es von nirht geringer
Wichtigkeit« dass man die ver^^chiedeuen Zustände der Scheideu-
haut selbst« die dabei vorkommen, im Auge behält. Ist die
S^'hoidouhaut in die oartihiginösen Oiler besser iu die cartilagi-
uosciivudcn /u>täudo eingetreten« so ist ihr Gewebe immer aus-
soiAM\lontUch aielassinu. In solrhe Theile treten fast gar keine
iuM\^»o ein, l^,iher boNtoht dann lu denjenigen Proressen,
\^oUho eine jiwn>ti^oiv prwluiiixe Entwiokelung an der Oberfläche
\\\\% Mch biin^^MU al>o nawenllk^h lu adliisivea. aat^erordentlich
x\oni^ IWt^hiiiun^; und %xonn man« ^ie dies in neuerer Zeit viel-
iWli «y'vvhehen M« die Fli^^sicieit ^jilWrt nad reiiende Ein-
>piitmni^^n« r K nut JM« in di^ HiVhle uAcht, om dadurch
Kv^t^i^ndun« mU \^hbierjiiH>n der S«^Kle»luHit liertieuafihren, so
k%MMMil «vx «1^ M sehon xvwr. d^s^ maa >lirk«r( MtxiiidUcbe Pro-
SkldTose der Scheidenhant
165
cesse hervorruft, die mit Erweichung und Eiterung der Ober-
fläche verbunden sind. Da ist denn natürlich von einem regel-
m&SBigen Heilungsmodus nicht die Rede; die Wahrscheinlichkeit
ist nngleich grlteser, dass die entzfindlichen Processe einen un-
productiven Gang einschlagen und die Gestaltung von bleibendem
Gevrebe an der OberflÄehe nicht erreicht wird. Bleibende Ge-
webe bilden eich wohl im Parenchym der Haut; diese wird
dicker ond dicker, aber ihre Oberfläche zeigt keine Neigung zur
Agglutination. Man muss sich das ungefähr so vorstellen, wie
wenn an der Oberfläche der Cutis ein Geschwür in indurirtem
Gewebe liegt, wie das am Unterschenkel so hButig vorkommt.
Ein solches Geschwür heilt sehr schwer und schlecht, weil die
oberflächlichen Gewebe allerdings vulnerabel genug sind, um ein-
tuschmelzen und eine gewisse Absonderung, gewöhnlich eine fet-
Fig. 21. DlcerÖBe Sklerose der Tunica vaginalis propria nach wieder-
bolten Jodinjektionen in einer gemeinen Hydrocele (Prüparat No. 189. vom
iahre 1860.}. d SmueiiBtraDB mit sehr verdickter Scheide, e Theile der
Epididymis in dem altlerosirlea Bindegevrebe, darUber der DuTchechnilt des
flodeoa. « eine nlcerOBe Stelle des Unterhsutgewebes.
166 Achte Vorlesung.
tige Erweichung zu liefern, aber nicht geeignet, nm eine Neubil-
dung zu Stande zu bringen, die den Process dauerhaft beendet
In solchen Fällen ist es selbst an der Oberfläche des Körpers,
noch mehr aber an der Scheidenhaut, bei der grössten Sorgfalt
oft nicht möglich , einen Verlauf zu erzielen , welcher zu dauer-
hafter Heilung führt. Hier hat man es ala die Aufgabe der The-
rapie zu betrachten, Massen zu entfernen, die dem Kranken un-
nütz sind, ja die immer einen so grossen Grad Ton Vulnerabili-
tät behalten und so grosse Unbequemlichkeiten mit sich bringen,
dasH die Beseitigung des Organs vortheilhafter erscheint, als die
Erhaltung von Zuständen, welche nun einmal nicht zu bes-
sern sind.
Schliesslich bemerke ich noch, dass es einzelne Fälle giebt,
wo die Entwickelung einer Hydroeele nicht so einfach vor sich
geht, wie ich sie bisher dargestellt habe. Manchmal ist weder
der Processus vaginalis im Ganzen, noch die Tunica vaginalis
propria für sich der Sitz der FUlisigkeit. Es ist dies die soge-
nannte Hydroeele cystica, — eine Form, welche auf ver-
schiedene Weise entstehen kann. Wir werden sehr bald Gelegen-
heit haben, auf ganz besondere ModalMlten derselben, die Hydro-
eele spennatica und die cystoiden Entartungen des Nebenhodens,
zurückzukommen; hier will ich nur diejenige Form erwähnen, wo
eine geschlossene Hydroeele im Verlauf des Funiculus spermaticus
entsteht, indem der Processus vaginalis, der ursprünglich aus der
Bauchhöhle bis an das untere Ende des Hodens herunterreicht,
nicht, wie gewöhnlich, in seiner ganzen Länge obliterirt und blos
am unteren Ende oflen bleibt, sondern zugleich in seinem Ver-
laufe irgendwo offen bleibt, dagegen unter und über dieser Stelle
obliterirt. Der so gebildete Sack oder, wenn man will, die Cyste
ist nicht der Processus vaginalis als solcher; sie gehört auch nicht
der Tunica vaginalis propria an, und doch geht sie aus derselbe
Peritonäalausstülpung, dem Processus vaginalis hervor, wie die
Scheidenhaut. Begreiflicher Weise kann es unter umstanden vor-
kommen, dass eine solche cystische Abschnürung des Processus
vaginalis mehrfach geschieht, oder dass gleichzeitig eine gemeine
Hydroeele der Tunica vaginalis propria und eine derartige cystische
Hydroeele des Samenstrangs übereinander sitzen.
Nur will ich gleich darauf aufmerksam machen, dass nicht
jedesmal, wo wir Cysten am Samenstrang finden, sie auf diese
Hydrocele hernioaa.
167
Weise entstanden sein müesten, daes es vielmehr ganz ähnliche
Fonnen giebt, die anf andere Weise entstehen. So kann die
Hjdrocele cyetica fnniciili spermatici unter Umständen grosse
Aehnlichkeit haben und leicht verwechselt werden mit einer an-
deren Form, welche mit ihr genetisch gar nichts gemein hat,
nehmlich mit derjenigen, welche hervorgeht aus einem alten
Brachsack: Hydrocele herniosa. Bei inguinalen, zuweilen
auch bei emralen Brüchen *) kann der Bruchsack , welcher ja
auch aus einer Ausstülpung des Feritonäums besteht, wie der
Processus vaginalis, sowohl im Ganzen, als tbeilweise obliteriren.
Fig 22. (Priparat No. 806. des pftth. Instituts). A Hydrocele vnlgaris,
dirin der Hoden and der Nebenboden mit der gestielten Hjdatide. A' der
Dich oben abgeschnDrte Brnchsack (Hjdrocele herniosa) mit sehr verdickten
Waodungen. h" eine kleine Cjste iwischen beiden (Hvdrocele eystica).
Gleichzeitig bestand Elephantiasis scroti und Eiterung im subcutanen Gevebe.
*) Znr vergleichenden Diagnose bemerke ich, dass eine Cystocele (Hernia
veiicM nrinanae) nnter sehr eigentbOrolichen Verhiltnbsen vorkommen
kun I.B. als Perio&al- Geschwulst, im unmittelbaren Anscbluss an das Scrotnm.
168 Achte Vorlesung.
Insbesondere verwächst nicht selten die Bmchpforte. Am häufig-
sten sind solche in der Pforte obliterirten Säcke einfach collabirt,
gefaltet, die Wandungen liegen aufeinander, der Sack ist leer;
aber unter Umständen kommt es vor, dass sie sich mit Flüssig-
keiten füllen, in ähnlicher Weise wie der Saccus vaginalis testis,
und dann entsteht etwas, was der gemeinen Hydrocele in vielen
Dingen ähnlich ist. Nur liegt es nicht an der Stelle des alten
Processus vaginalis, sondern daneben. Der Hauptunterschied be-
steht darin, dass der Sack immer viel näher der Bauchwand liegt,
aus der er herausgetreten ist, denn die Brüche, welche sich so
cystisch umwandeln, sind gewöhnlich kleinere; sie haben keinen
grossen Sack, und dieser findet sich mehr oder weniger nahe am
äusseren Inguinal- oder Cruralring, meist von einer reichlichen
Menge Fett umgeben, so dass man, wenn man einschneidet, zuerst
eine äussere Fettschale und dann erst die innere Wasserblase er-
reicht, was in dieser Weise bei einfachen Hydrocelen nicht vor-
kommt. Zuweilen schnüren sich aber anch ganz grosse, bis zum
Hoden herabreichende Bruchsäcke so ab, und unsere Sammlung be-
sitzt ein besonders interessantes Präparat (Fig. 22.), wo beideri?eits
eine Hydrocele herniosa mit einer Hydrocele communis verbunden
ist. Auf der einen Seite ist zugleich der Sack der Hydrocele herniosa
ausserordentlich verdickt, fast knorpelartig hart, nach innen run-
zelig und höckerig, und nach aussen mit dem weichen Binde-
gewebe der Umgebungen auf das Innigste verwachsen.
Neunte Vorlesung.
20. Deceraber 1862.
Hydürecdei des Kopfes und Rückens.
Rydroe«!« eoUi.
H7<lroetl« capitis et doni. Spin» bifida. Tnmores cranii cystici congenita Hydrocephalus ex-
ternns tt intemns. Hydrorrhaehis externa et interna. Bau der Arachnoides; ihr sogenannter
8sek. Bydrocsphaliu neningens : eystiscbes Oedem der Arachnoides. Hygronia durae raatrit.
Freier Hydrocepbalas externus. Hydromeningocele cerebralis etspinalis. Adh&sion
mit den Eih&uten. Die gewöhnliche Spina bifida lumbalis oder Ininbo-sacralis:
Terlulten des RiekeBmarks, der Nerren und Knochen. —
Hydrops der Höiileii der Centralnervenspparate. Cystische Obliteration der Hirn- und Rücken»
markshohlen. Hydrocele comu posterioris Tentricnli lateralis. Hydrocele des Tierten Ven-
trikels, der HShIe des Septam pellacidnm und der Glandula pinealis. Hydrorrhaelüs interna
cystica: Ektasie des Centraleanals Tom Rnckenmark. Hydromyeiocele und Hydren-
cephalocele. Hydrocele sacralis. Ruptur und Entleerung der Sacke. Anencephalie und
Amyelie. Pieadencephalon , Fangut cerebri. Heilung der Spina bifida. Hydrocele duplex
cjstiea oecipitalis.
-4ch habe die Geschichte der Hydrocele etwas weitläufiger ent-
"^ickelt, weil sie besonders geeignet ist, überhaupt den Typus
^eijenigen Geschwulstarten genauer darzulegen, welche in präexi-
^tirenden Säcken durch einen exsudativen Process erzeugt werden.
^8 kommt ja nicht darauf an, ob der eine oder andere die Hy-
drocele zu den Geschwülsten rechnen will oder nicht; factisch
"Vrird sie gewöhnlich dazu gerechnet, und jedenfalls ist sie das
Vieste Beispiel, nach welchem sehr viele analoge Geschwulst-
*V)nnen beurtheilt werden können. Bei keiner anderen gewinnt
^an 80 bequem eine Uebersicht über die ganze Reihenfolge der
^ttseinander hervorgehenden Zustände.
1 70 Neunte Vorlesung.
Der Name Hydrocele ist daher auch von einzelnen Aatoren
ausgedehnt worden auf eine Reihe anderer Tumoren, welche nur
darin übereinkommen, dass eine Anhäufung von wässeriger Flüs-
sigkeit in einem grösseren geschlossenen Sack stattfindet So-
viel ich wenigstens aus den verschiedenen Werken ersehen kann,
hat man oft keinen anderen Grund für diese Bezeichnung gehabt,
als eine gewisse Grösse der Cyste. Waren die Säcke klein, so
hat man sie gewöhnlich Hygrome genannt; waren sie dagegen
recht gross, dann sprach man von Hydrocele. Dahin gehören
insbesondere die Hydrocele colli, die Hydrocele capitis.
Es ist, glaube ich, nicht gerade sehr zweckmässig, solche Be-
zeichnungen einfach zu acceptiren, und namentlich für Bildungen,
bei denen man nicht einmal sicher ist, dass die Flüssigkeit sich
in einem präexistirenden Sack befindet. Gerade die vielfach er-
wähnte Hydrocele colli ist ein überaus zweifelhaftes Gebilde, von
dem es höchst wahrscheinlich ist, dass der Sack meistentheils
ein neu entstandener ist, und dass es sich dabei überhaupt nicht
wesentlich um die Anhäufung von Flüssigkeit, sondern vielmehr
um die Bildung des Sackes handelt, aus welchem die Flüssigkeit
transsudirt. Will man daher die Bezeichnung Hydrocele verall-
gemeinern, dann muss man sie viel genauer präcisiren, und es
ist jedenfalls zweckmässig, nur in solchen Fällen das Wort zu
gebrauchen, wo es sich wirklich um eine Kele, um eine Hemia
handelt, wo also der betreifende Sack durch Erweiterung oder
Ausstülpung einer vorhandenen, normalen Höhle entstanden ist
Nun giebt es in der That eine Reihe von Geschwülsten,
welche in diese Kategorie vollständig hineinpassen; das sind die-
jenigen, welche an den verschiedenen Abschnitten der grossen
nervösen Axengebilde vorkommen, und welche genetisch mit einer
sehr beträchtlichen Zahl anderer pathologischer Zustände znsam-
mengehören. Diese alle zusammengenommen bieten eine so grosse
Mannichfaltigkeit in ihrer äusseren Erscheinung dar, dass, wäh-
rend einzelne von ihnen in keiner Weise in das Gebiet der Ge-
schwülste hineingezogen werden können, andere vollständig nnter
dem Habitus von Geschwülsten auftreten und unter Umständen
auch so schwer zu erkennen sind, dass es nicht zu umgehen ist,
ihrer bei der vergleichenden Diagnostik gewisser Geschwülste a
gedenken.
Hydrocele dorsi et capitis. 171
Es handelt sich hier wesentlich um die Hydrocele capitis
und um die Hydrocele dorsi, also um Hernien mit wässrigem
Inhalt, welche hervorgehen entweder aus der Sehädelhöhle oder
aus dem Wirbelkanal. Es liegt aber auf der Hand, dass aus die-
sen Höhlen keine herniösen Geschwülste hervorgehen können,
wenn nicht ungewöhnliche Oeffnungen in den einschliessenden
Har^ebilden oder in den die letzteren verbindenden Bändern,
Nähten u. s. w. vorhanden sind, wenn also nicht, wie man ge-
wöhnlich zu sagen pflegt, ein Loch oder eine Spalte im Schädel
oder in der Wirbelsäule ist. Von diesem Umstand hat man die
Bezeichnung für die Wasserbrüche hergenommen, welche an der
Wirbelsäule vorkommen, indem man sie seit Tulpius mit dem
Namen der Spina bifida belegt hat. Für die am Kopf vorkom-
menden Formen hat man dagegen einen ähnlichen Namen nicht
gewählt, obwohl man ebenso gut Cranium bitidum hätte sagen
können. Ja man hat überhaupt keinen allgemein gültigen Namen
für sie. Durch diese Verschiedenartigkeit der Bezeichnung ist die
deutliche Parallele, welche zwischen den, an verschiedenen Orten
vorkommenden, sonst identischen Geschwülsten besteht, sehr in den
Hintergrund gedrängt worden. Einzelne Formen, wie sie nament-
lich congenital am Kopf vorkommen, hat man geradezu unter
dem Namen von Balggeschwülsten, Tumores cystici conge-
niti. beschrieben; andere dagegen hat man als Hernia cerebri
oder als Hydrencephalocele (Hydrocele cerebralis) angeführt;
wieder andere sind, je nachdem die Säcke sich in verschiedenen
Zuständen weiterer Veränderung befinden, wieder mit anderen
Namen belegt worden, so dass namentlich unter den Missbildungen
eine sehr grosse Reihe coordinirter Zustände aufgezählt wird, unter
denen ich hier nur kurz erwähnen will die Acranie, die Hemi-
cephalie, die Anencephalie und die Pseudencephalie.
Es sind dies Formen, die ganz eigentlich der Teratologie ange-
hören, und auf die ich hier nur in so weit eingehe, als für die
Geschichte der Spina bifida, welche dasselbe an der Wirbelsäule
ist, was diese Zustände am Gehirn und Schädel sind, die
Vergleichung mit ihnen nothwendiger Weise festgehalten werden
mnss.
Gewöhnlich beginnen diese Vorgänge mit der Anhäufung von.
Flüssigkeiten, welche, wie bei der Hydrocele testis, nicht zu
betrachten sind als blos hydropische Ausscheidungen, als ein-
172 Neunte Vorlesang.
fach seröse Transsudate, welche vielmehr immer auf einen
mehr oder weniger irritativen Habitus des Processes hinweisen.
Zum mindesten lässt sich immer durch gewisse Eigenthümlich-
keiten an dem begrenzenden Gewebe erkennen, dass ein activer
Reizungszustand besteht. Es handelt sich also um Processe, welche
dem entzündlichen wenigstens ausserordentlich nahe stehen; ja in
manchen Fällen müssen sie geradezu als entzündliche bezeich-
net werden. Wie man den Hydrocephalus acutus infantum seit
Formey als eine Entzündungsform auffasst, so muss man auch
die wässrigen Ausscheidungen, welche beim Fötus vorkommen,
als entzündliche Erzeugnisse ansehen.
Nun unterscheidet man am Gehirn zwei Formen, den Hy-
drocephalus externus, wo man annimmt, dass die Flüssig-
keit im Umfange des Gehirns, namentlich in dem sogenannten
Sack der Arachnoides befindlich sei*), und den Hydrocepha-
lus internus, wo die Flüssigkeit sich innerhalb der Höhlen des
Gehirns befindet. Ganz entsprechend kann man am Rückenmark
zwei Formen aufstellen: eine Hydrorrhachis externa, wo
die Flüssigkeit sich innerhalb der Arachnoides spinalis befindet,
und eine Hydrorrhachis interna, wo die Flüssigkeit in dem
Centralkanal des Rückenmarks enthalten ist. Dieser Kanal ist
bekanntlich sehr eng, so dass man ihn kaum mit blossen Augen
sehen kann, existirt aber doch, wie man jetzt allgemein überzeugt
ist, ebenso continuirlich , wie die Ventrikel des Gehirns, und er
hängt mit dem vierten Ventrikel an dem Calamus scriptorias un-
mittelbar zusammen **).
Was den Hydrocephalus externus anlangt, so muss ich be-
kennen, dass ich trotz der vielen Versicherungen, welche sich in
der Literatur über das Vorkommen freier Flüssigkeit im Umfange
des Gehirns vorfinden, im Allgemeinen zu den Skeptikern gehöre.
^) Bis in die noucro Zeit nannte man nur die wassersOchtigen Aohfinfun-
fcen ausserhalb des Schädels Hydrocephalus externus, und demgem&ss alle
Formen von Wasseranhäufung innerhalb des Schädelraums H. internus (vgl.
van Swieten Comraent. T. IV. p. 119. Portal Hydropisie. T. II. p. 22,
Kgf;crt. Wassersucht. S. 250). In den letzten Jahren ist es mehr und mehr
(Gebrauch co worder, d;ui Anasarca capitis von dem Hydrocephalus xu trennen,
womit on in der That f^ar keine Beziehungen hat, und den letiteren Namen
Miglicli für die im Scbädclraum vorkommenden oder aus ihm herrorgehea-
d(>n HydropHien zu ««"brauchen.
•') 0<*llularp«thologie. 8. 247.
Hydrocephalus externos 173
Ein geschlossener Sack der Arachnoides cerebralis, wie man ihn
gewöhnlich annimmt, indem man ein parietales und ein viscerales
Blatt voraussetzt, existirt überhaupt nicht*). Arachnoides oder
Pia mater ist die Haut, welche auf dem Gehirn, Dura mater die-
jenige, welche auf dem Knochen liegt. Dazwischen ist zwar ein
Raum, aber dieser ist nicht von einer Haut ausgekleidet, welche
einen Sack bildete, und von einer Anhäufung von Flüssigkeiten,
welche vergleichbar wäre mit den Flüssigkeits-Anhäufungen, welche
gelegentlich in anderen serösen Säcken sich finden, kann (mit Aus-
nahme des später zu erwähnenden congenitalen Falles) gar nicht
die Rede sein. Der Raum verhält sich eben nicht wie ein seröser
Sack, und Transsudationen in ihn geschehen in der Regel nicht
Wenn an der Arachnoides ein transsudativer Zustand besteht, so
bildet sich ein Oedem in ihr, aber nicht eine freie, über die Ober-
fläche hinausgehende Exsudation. Die Haut kann sich dabei zu
grösseren ödematösen Massen erheben, die sogar zuweilen eine
Art cystischer Beschaffenheit annehmen und blasige Räume dar-
stellen, und die, wenn sie bei der Eröffnung der Dura mater zu-
fallig angeschnitten werden, ihren Inhalt ergiessen, gleichsam als
ob derselbe nicht in der Haut, sondern in der von ihr begrenzten
Höhle befindlich gewesen wäre. Dieses Oedem kann man Hydro-
cephalus meningeus**) nennen.
Ausserdem giebt es noch einen Fall, der bei nicht sehr
sorgfaltiger Beobachtung den Eindruck einer freien Transsudation
machen kann, und den man allenfalls auch mit dem. Namen des
Hydrocephalus meningeus- belegen mag. Das ist ein Zustand, der
ganz vergleichbar ist dem Haematom der Dura mater, welches ich
das letzte Mal beschrieben habe (S. HO), und welches ich deshalb
auch lieber mit Duncan***) ein Hygrom der Dura mater nen-
nen würde. Hier entstehen an der inneren Seite der Dura mater
durch voraufgegangene pachymeningitische Processe Pseudomem-
branen, deren Blätter nicht durch Blut, wie beim Haematom, son-
dern durch wässrige Flüssigkeit auseinander getrieben werden, so
dass die Flüssigkeit sicli in freien Räumen zwischen den neu-
*) Würzburger Verhandl. Bd. VII. S. 135.
**) Rokitaosky (Pathol. Anat. 1856. Bd. IL S. 408) gebraucht dieseo
Namen fQr den freien Wassererguss in den »Sack^ der Arachnoides, was mir
nicht zweckmässig za sein scheint.
0 Hooper. Morbid anatomy of the human braio. Lond. 1828. p. 29.
174 Nennte Vorlesung.
gebildeten Schichten anhäuft. Dieser Fall ist allerdings sehr selten,
denn obwohl ich manche Section gemacht und gesehen habe*, so
ist es mir doch nur zweimal vorgekommen, einen solchen Sack
zu finden, ein Mal über den Grosshim-Hemisphären in Würzburg,
ein zweites Mal hier, entsprechend dem Kleinhirn, an den Hinter*
hauptsgruben. Als ich diesen Znstand das erste Mal bei einer
alten Frau *) traf, und als ich, während ich die Dura mater spal-
tete, eine Menge von Wasser hervorstrOmen sah, glaubte ich im
ersten Augenblick, dass meine, bis dahin von mir f&r absolut
richtig gehaltene Ansicht, es gebe keinen freien Hydrocephiüns
externus, irrig sei, allein sehr bald erschien, nach Abhebung der
Dura mater, eine zweite Haut, die lose auf der Oberfläche des
Gehirns, also über der Arachnoides lag, und die ringsum mit der
Dura mater zusammenhing. Zwischen dieser anomalen Haut und
der Dura hatte sich das Wasser befunden, welches bei dem An-
schneiden der letzteren ausgeströmt war.
Ebenso deutlich zeigte sich dies Yerhältniss in dem zweiten
Falle**) bei einem 62jährigen Manne, wo gar kein Zweifel bleiben
konnte, dass es sich nicht um eine Ablösung des Parietalblattes
der Arachnoides handelte, sondern dass ausgedehnte pachymenin-
gitische Pseudomembranen an mehreren Stellen zu grossen Blasen
auseinandergeschoben waren. Zahlreiche Adhäsionen liefen an die-
sen Stellen zu der Oberfläche der Pia mater herüber, so dass der
Sack der Arachnoides im Umfange des Kleinhirns eigentlich ganz
obliterirt war.
Ausser dem Hygrom der Dura mater und dem möglicher
Weise blasigen Oedem der Pia mater (Arachnoides) giebt es end-
lich, wie ich mich neuerlich überzeugt habe, noch den Fall des
freien Hydrocephalus externus, wo die Flüssigkeit zwischen
Dura und Pia in dem sogenannten Sack der Arachnoides sich
befindet***). Aber diese Form ist meiner Erfahrung nach stets
congenital; ich habe sie nur gesehen bei ursprünglicher Mangel-
•) Wüncburger Verhandlangen. 185C. Bd. VU. S. 142.
••) Präparat No. 21., c und d vom Jahre 1859.
^^^) Ich kann noch hinzufDgen, dass es eine Art von cystischer Degene-
r;ition (zolliger Atrophie oder Erweichung) der Hirnsubstanz giebt, weiche
M un vorftirhtiger Lröffnung der Dura mater ebenfalls leicht mit ange-
nthn\M9»u werden und FlOssigkeit ergiessen kann. Aber hier liegt die Plus-
•iftk'-it nntor der Pia mater an der Stelle von Hirnsubstanz seibat, and obwoki
41« DngifoeratioB snweilen bis an die UimveDtrikel reieht, so besteht dock
Hydrorrhachis externa. 175
haftigkeit, Aplasie des Gehiras, z. B. Mikrencephalie , Cy-
clopie u. s. w., wo über dem nicht hinreichend entwickelten
Gehirn allerdings eine gewisse Quantität freier Flüssigkeit vor-
handen war. Bednar*) beschreibt einen einzigen solchen
Fall, der in der Wiener Findelanstalt während eines Zeitraumes
von 4 Jahren unter fast 30,000 Neugebornen beobachtet wurde.
Anders verhält sich die Sache am Rückenmark. Hier exi-
stirt überhaupt kein offener Sack, sondern die Arachnoides bildet
ein lockeres, maschiges Gewebe, welches sich unmittelbar an die
Dura mater und das Rückenmark anlegt. £s ist daher überhaupt
keine einfache Höhle vorhanden, sondern es giebt nur die gross-
maschigen Räume der Arachnoides zwischen Dura und Rücken-
mark. Das, was wir am Gehirn Oedem der Pia mater (Arach-
noides) nennen, ist genau dasselbe, was wir am Rückenmark als
Hydrorrhachis **) externa bezeichnen, aber es stellt sich am Rücken-
mark allerdings so dar, dass die Flüssigkeit in dem maschigen
Gewebe gleichsam frei enthalten ist, und bis unmittelbar an die
Dura mater reicht. In sofern liegen die Verhältnisse also wesent-
lich verschieden, je nachdem wir das Gehirn oder das Rücken-
mark ins Auge fassen.
Nun giebt es gewisse Fälle, in welchen sich bald am Kopf,
bald am Rücken geschwulstartige Hervortreibungen der Oberfläche
vorfinden, welche, wenn man sie drückt, einen weichlichen Inhalt
la enthalten scheinen, welche sich auch zuweilen etwas verklei-
nem lassen durch Druck, indem die Flüssigkeit wirklich ins
Irmere zurückzupressen ist. So ist e§ namentlich bei Kindern
der Fall, wo die Schädelknoehen und die einzelnen Wirbel noch
mehr von einander zu entfernen sind. In manchen dieser Fälle
findet man, wenn man die Geschwülste eröffnet, dass Gehirn
oder Rückenmark nicht betheiligt sind bei der Bildung, und hier
keine regelmässige Gommunication mit denselben. Hescbl (Prager Viertel-
iabrsscbrift. 1859. Bd. I. S. 68. 1861. Bd. IV. S. 102.) bat diesen Zustand
unter dem Namen Porencepbalie bescbrieben.
^) A. Bednar. Die Krankbeiten der Neugebornen und Säuglinge. Wien.
1851. Bd. 11. S. 48.
**) leb bemerke ausdrQeklicb, dass Hydrorrbacbis nicbt, wie mancbe
Aotorea angenommen baben, identiscb mit Spina bifida ist Hydrorrhacbis
kann ohne alle Veränderung des Wirbelkanals und ohne alle Gescbwulst be-
stehen, und Egbert (lieber die Wassersucht. Leipzig. 1817. S. 839.) unter-
scheidet daher Hydrorrhachis (oder, wie er sagt, Hydrorbachitis ) dehiscens
3B Spina bifida von H. incolumis.
176 Neunte Yorlepang.
hat man eben angenommen, dass eine solche Ausweitong ent-
standen sei, indem an irgend einer Stelle sich eine Anhäufung
von Flüssigkeit ausserhalb des Gehirns und Rückenmarkes in dem
Arachnoidealsacke gebildet habe. Herr Spring in Lütticb hat
sehr zweckmässig für diese Formen den Namen Meningocele
vorgeschlagen *), weil nur die Meningen, die Häute in den Sack
ausgehen und ausser ihnen nur noch Flüssigkeit vorhanden ist:
also Meningocele oder besser Hydromeningocele cerebralis
und spinalis. Allein es würde sehr schwer zu verstehen seio,
wenn in dem sogenannten Sack der Arachnoides cerebralis sich
Flüssigkeit anhäufte, warum z. B. gerade an der hintern seitlichen
Fontanelle, die am Zusammenstoss von Parietal-, Occipital- und
Temporalknochen liegt, oder mitten durch die Squama occipitaUs
sich der Sack herausschieben sollte; man begreift nicht, wenn
im ganzen Sack Flüssigkeit ist, warum nur an der einen Stelle
die Flüssigkeit sich hervordrängt. Bei dem Rückenmark Hesse
sich das allenfalls begreifen, weil, hier die Flüssigkeit in dem
maschigen Gewebe der Arachnoides liegt, und diese Maschen in
einer früheren Zeit sich erweitern und ausdehnen können, ohne
dass nothwendiger Weise der ganze Raum von oben bis unten
daran Theil nimmt.
Herr Cruveilhier **) hat für die Spina bifida eine Erklä-
rung aufgestellt, welche allerdings das locale Hervortreten solcher
Geschwülste begreiflich macht. Schon Geoffroy St Hilaire,
der Vater, hatte eine ganze Reihe fötaler Anomalien auf m'sprüug-
liche Adhärenzen des Futus mit seinen Eihäuten lurückgeführt
Auf denselben Grund bezieht Cruveilbier auch die mangel-
hafte Schliessung der Wirbelsäule, welche denn ihrerseits wi^er
die partielle Ausdehnung des Sackes der Dura mater begünstigen
würde. Für diese Auflassung lässt sich das sagen, dass, wie ich
selbst dunli eine gewisse Z:ü)l von Fällen beweisen kann, sowohl
bandförmige, als auch iiäeheuartige Synechien des Kopfes und des
Rückens mit der Placonta oder dem Amnios ebenso Acranie,
Hernia cerebralis, Anenoephalie, als Spina bifida bedingen. Aber
in der Mehrzahl der Fälle ist von einer solchen Synechie keine
^) Soriii^. Monujrraphie de la heroie du cerveao et de quelques lesioos
voittine». Bruxelleti. 18&£x p. 7.
^^) Craveilhier. Atlas d'anat. pathologiqne. üvr. XVL PL 4. p. 2.
H^dromeningocele. 177
Spur zu sehen, und wenn ich auch zugestehe, dass solche Spuren
sich verwischen können, so gilt dies doch mehr f&r die höheren
Grade der genannten Zustände, insbesondere für die Spina bifida
mit partieller Adennie und namentlich mit allgemeiner oder par-
tieller Amyelie. Im hohen Maasse zweifelhaft ist eine solche Ent-
stehung jedoch in den Fällen , wo die Haut ganz unverletzt ist,
oder wo gar die Ausstülpung sich zwischen den Wirbeln, die selbst
unverletzt sind, hervorschiebt. Dasselbe gilt von einer grossen
Zahl herniöser Ausstülpungen am Schädel, welche zum Theil ziem-
lich tief unter den unverletzten Weichgebilden verborgen liegen.
Ganz genaue Untersuchungen über die Entstehung dieser For-
men liegen bis jetzt keineswegs vor. Es scheint mir aber kaum
zweifelhaft, dass ein Hygrom der Dura mater, welches sich schon
in früherer Zeit entwickelt, wo das äussere Schädelgewölbe noch
keine Festigkeit hat, oder ein blasiges Oedem der Pia mater sich
80 vergrössem kann, dass es in Form einer Geschwulst nach
aussen hervortritt Ich kann dafür namentlich den Umstand an-
fahren, dass zuweilen selbst bei Erwachsenen am Schädeldach
durch partielle blasige Oedeme der Pia mater über den Grosshirn-
m
Hemisphären Atrophien der Glastafel, ja selbst tiefe Aushöhlungen
der Knochen mit entsprechender Hervorwölbung der äusseren Rinde
entstehen. In einem Präparate unserer Sammlung*) ist dadurch
eine blasige Hervorwölbung des einen Scheitelbeins neben der
Pfeilnaht entstanden, welche sich von aussen wie eine starke
Exostose anf&hlte, und an welcher der Knochen bis auf eine
ganz dünne Schale geschwunden ist. Auch in dem einen Falle
von Hygrom der Dura mater waren die Knochen im Umfange des
Sackes, ebenso wie die Oberfläche des Kleinhirns, sichtbar
atrophirt
Am Rücken giebt es eine Hydromeningocele, welche nament-
lich an dem unteren Theile der Wirbelsäule, in der Lumbal- und
Sacralgegend vorkommt, derjenigen Partie, aus welcher das Rücken-
mark schon sehr früh zurückweicht. Denn bekanntlich reicht ur-
sprünglich das Rückenmark durch die ganze Ausdehnung des Wir-
belkanals. Es wächst später aber nicht in gleichem Maasse mit
der Wirbelsäule, und sein unteres Ende entfernt sich daher mehr
und mehr von seiner ursprünglichen Localität. Diese untere Region,
^ Präparat No. 19. vom Jahre 1858.
Virehow, OMehwfiltU. 1. 12
178 Neunte Vorlesnng.
wo später die Gauda equina, ganz lose von dem sehr lockeren
Gewebe der Aracbnoides umhüllt, liegt, ist die häufigste Stelle,
wo wir eine einfache Hydromeningocele spinalis (Spina bifida)
als congenitalen Zustand antreffen. Wenn wir sie aufschneiden,
so zeigen sich darin ausser dem Wasser nur die Häute, also ein
Theil der Dura mater und der Aracbnoides, mit der dann aller-
dings nicht selten einige Nerven der Cauda equina mit heraus-
gebogen werden, an deren Bildung aber die Nerven doch nicht
unmittelbar betheiligt sind.
Allein solche einfache Hydromeningocelen sind keineswegs
so häufig, wie manche Schriftsteller annehmen, und am wenigsten
sind sie der gewöhnliche Fall. Selbst die gemeine Spina bifidi
lumbalis oder lumbo-sacralis ist in der Regel anders gebildet
Schon der älteste Autor, welcher die Spina bifida benannt, beschrie-
ben und abgebildet hat, Tulpius *), gedenkt der grossen Zahl
von Nerven, welche durch den Sack zerstreut zu sein pflegen.
Allein sehr bald zeigte sich, dass auch das Rfickenmark selbst
in den Sack eintritt und sich an die äussere Wand desselben inse-
rirt. Morgagni **), welcher solche Beobachtungen von Apinus,
Mauchart und Treu auffährt, bezweifelt noch die Richtigkeit ihrer
Deutung, jedoch mit Unrecht. Die Beschreibung von Natorp**^,
sowie die vortrefflichen Abbildungen, welche Crnveilhierf) m^
V. Ammonft) geliefert haben, lassen darfiber keinen Zweifel,
und das Bedenken Morgagni's, dass die Hydrocele spinalis an
Stellen vorkommt, wo beim Erwachsenen nur noch Cauda eqnint
liege, erledigt sich einfach dadurch, dass die Missbildang schon
in einer so frühen Zeit des Lebens beginnt, dass das Rficken-
mark noch bis zum Ende des Wirbelkanals reicht
Häufig zeigt der an der Lenden- oder Kreuzgegend herror-
tretende Sack schon äusserlich eine Vertiefung, welche zuweilen
tief trichterförmig ist (Fig. 23, 24, 25). Ich finde dieselbe scb»
*) Nie. Tulpius. Observationes medicae. Amstel. 1652. p. 843.
**) Jos. Bapt. Morgagni. De sedibus et causis morbomai. Ebrod.l??' |^
üb. I. Ep. 12. Art. 11.
^**) Natorp. De spina bifida. Diss. inaog. Berol. 1838.
t) Cruveilhier. 1. c. pl 4. fig. 3'. et 4'. p. 3.
t+) V. Ammon. Angeborne chirurgische Krankheiten des !!«■•«•••
Taf. XIV. Fig. 1.
in einzelnen frOberen Abbildungen *) deutlich angegeben , jedoch
hat man ihr nicht den Werth beigelegt, welchen sie besitzt. Denn
wenn man den Sack eröffnet, so zeigt sich, dass gerade au
dieser Stelle das Ende des Rückenmarks sich inserirt (Fig, *24, %'.
Fig. 25, c). Manchmal ist dasselbe ganz fein ausgezogen und gleicht
dem Filnm terminale (Fig. 24); andere Mal dagegen bleibt es
ziemlich stark und erweitert sich sogar gegen die Insertions-
Btelle (Fig- 25.).
Fig. SS. Ein Deagebornes Kind mit Spia» bifidn lambalia. Au dem
obcreo Umfange des Sackes die trichterförmige Vertiefung, welche der In-
WTtioD des Spinaktranges entspricht. (Präparat No. 372.).
•) Proriep. OiimrgiBChe Kopfertafeln. Weimar. 1822. Taf. LXVI. Fig. 4.
Uach dem Lona. med. and phys. Jonroal. 1822. Februar. No. 276. p. 106).
12»
Dabei findet sich aber mgleich eia sehr eigenthfiinlichps
Verbaltea der Nerven. Schon Job. Fr. Heckel*) hat darauf
hingewieeen, doch ist seine Beschreibung nicht leicht verstÄDil-
licli. Auf den ersten Blick sieht es nehnlieli so ans, als ob die
Nerven ganz unregelm&saig durch die HOhle des Sackes ausge-
spannt seien, oder gar so, als ob sie von vorn her in den Sack
einträten und durch denselben rtckw&rts gegen die Haut hin-
liefen. Bei genauerer Untersuchung ei^iebt sich aber, dass sie
in vollstfindigster Regelmässigkeit angeordnet sind und simmtlicli
von der Insertionsstellc des Rfickenmarks ausgehen. Von da ans
Fig. 24. L3ngsdurchBchnilt der Spina bifida ia Fig. 23. o Cutis, b Untw-
li au t Fettgewebe; c Faseie; d Miislceln und Dornfortaltie; t Dura mater npi-
naliii , welche «ich in e' mr Süsseren Haut d«r Ilydrocele spinilis b«piebl
und mit ilerselbeu verwaohsen ist: / Arachnoides spiDalifl. welche innerfaaib
ili'ü Sarke!« mit der Uun t' eine besondere abgeschlossene Kinun^r (Heningo-
ri'Ii') bildet; g Rackenmark , welches bei g' au die inssere Üaut tritt und
liier einp feine OfToung besitzt; n. n SpinalnerTen , «-eiche von g" komm«
und Hirh tu dem Torderen Umfange des Sackes begeben, um hier di« Wand
■u durrhbrerheu und in ihrer normalen Austritts! teile am de« WirbeJkaaal
tu gclansen.
*) Heckel. Handbuch der pathoL Aiatoaie. Leiuig. 1819. Bud L
S. SS5. 306.
SpiDK bifida lumbosacniUB.
181
verlaofen einzelne (Fig. 24,n, n) eine kurze Strecke an der
äDSseren Wand des Sackes, biegen dann am und gehen mitten
dar«h den Sack zurück gegen den vorderen Umfang des Sackes;
andere (Fig. 24, g'n) bilden ganz gerade und lange Schlingen, deren
Biegung der äusseren Wand anliegt, und machen dann denselben
Verlauf nach vom. Zuweilen kommt es sogar vor (Fig. 25,«'),
dasB einzelne dieser Nerven an dem Rückenmark selbst zurück-
Uofen, um endlich die vordere Wand des Sackes zu erreichen.
Fig. 2ü. Spina bifida gacraÜB, von hinten her geCffoet Die Dorofort-
dtie der S nächstoberen Wirbel sind weggenommeD , der Sack der L&nge
■ach Dsben der Mittellioie aufgegcboitten und die HSIften zurDckgeschlagen.
Du Rflckenmark geht bei e mit einem dick trieb terfCrmigen Ende an die
eiBgMogane Stelle des Sackea und von hii <- r, .
LombalnerveD zurück. Die Nerven s, a und
gckUrCD «igentlich der rechten Seite an und
Mfnang dea Sackes auf die linke Seite gekor
begen die ADstrittsstelleo der Nerven der rechten Seite, von denen einer bei
3 mit seinem Ganglion geieicbnet ist (Präparat No. 620.).
i steigen die Sacral- und
e zunächst darunter gelegenen
ind nur durch die laterale Er-
Von s' beruDterge rechnet
182 Nennte Vorleeang.
Hier durchbohren sie in zwei Reihen die Dura mater, um jeoeeits
derselben in regelmässiger Weise ihre Ganglien zu bilden (Fig. 25, g).
Dabei ergiebt eine Yergleichung dieser Nerven mit den oberen nor-
malen Nervenwurzeln , dass sie in hohem Grade nicht blos ver-
längert, sondern auch yerdickt sind, also eine Art von Hyper-
trophie erfahren haben.
Es erhellt aus dieser Darstellung, dass die Spina bifida lumbo-
saoralis keineswegs so einfach ist, wie man gewöhnlich sich vor-
stellt. Das Rückenmark selbst ist daran betheiligt, und es kann
sogar fraglich erscheinen, ob sein Gentralkanal ursprünglich am
Ende nicht mitgelitten hat. Jedenfalls befindet sich der grösste
Theil des Wassers innerhalb der Arachnoides um das Rücken-
mark und die Nervenwurzeln; nur zuweilen bildet die Dura mater
daneben noch besondere abgeschlossene Wassersäcke (Fig. 24, eO-
In der Regel sind die Processus spinosi an der betreifenden
Stelle nicht geschlossen oder ganz und gar unvollkommen. Sel-
tener sind auch die Wirbelkörper doppelt*) oder geradezu ge-
spalten**), so dass zugleich eine Spina bifida anterior (Fissnra
vertebralis) besteht. Ausnahmsweise tritt der Sack durch einen
Intervertebralraum hervor •**).
Wesentlich anders verhält es sich mit den Formen, wo die
Flüssigkeit ursprünglich enthalten ist in den Höhlen, sei e.s
des Gehirns, sei es des Rückenmarks. Das, was man schlecht-
hin Hydrocephalus nennt, ist eine Affection, die gewöhnlich mehr
gleichmässig sich in den HimhöUen verbreitet, die allerdings
am auffälligsten in den SeitenhOhlen hervortritt, aber doch auch
in der dritten und vierten Höhle vorkonunt, und sich als eine
gleichmässige, in keiner Weise geschwulstartige Afiection darstellt
Ist sie sehr reichlich, so wird das Gehirn sich ausdehnen, und
wenn der Schädel noch in seinen Nähten nachgiebig ist, so wird
auch er wachsen und eine Art von Makrocephalie entstehen. Aber
nicht immer sind alle Höhlen in gleicher Weise, sondern einzelne
*) Cruveilhier. 1. c. Livr. VI. PI. 3. Flg. 3-4. Heinrich Meckel.
(harit^Annalen. 1857. Jahrg. VIII. S. 48. Taf. II. Fig. 1. Rindfleisch.
In meinem Archiv. Bd. XXVIl. 8. 137. Taf. IV. Präparat nnserer Sammlnoe
No. M)9.
*^) Tulpius. 1 c. p. S43. Tab. XI. Joh. Fr. Meckel a. a. 0. S. 869.
Ornvfilhier. l. c. Livr. XIX. PI. 5—6. Rindfleiech. In meiiieiii Aithiv.
Bd. XIX. 8. M«.
♦•♦) Cruveilhier. I.e. Livr. XXXIX. PL 4. p. 6.
fljdrocele leotriculorum cer«bri. ISS
Abschnitte Sberwiegend betheiligt. Das geBchieht insbesondere
dann, wenn die Communication zwischen den verschiedenen Ab-
schnitten unterbrochen wird. So ist es überaus gewöhnlich, dass
das Coma poeterins der Seitenventrikel entweder in seiner ganzen
Ausdehnung oder in einem Theile obliterirt. In dem letzteren Falle
tritt leicht dasselbe ein, was bei der Hydrocele fnniculi spermatici
geschieht (S. 166.). Wenn wir einen Durchschnitt machen, so
finden wir mitten in dem Hinterlappen des Gebims nicht die ein-
fache, fortlaufende Hßhle des Com« posterius, sondern an ihrer
Stelle nur noch eine Linie, welche den Verlauf der alten Hfihle
anzeigt, und an ihrem Ende einen abgeschlossenen, wie oyeti-
Bchen Sack (Hydrops cyeticus cornu posterioris), wel-
cher scheinbar ohne Verbindung mit der übrigen Höhle ist und
natürlich selbständig der Sitz pathologischer Processe werden
kann*).
In einem Präparate unserer Sammlung kann man eine solche
selbständige Entwickelung noch aufiallender sehen; da ist eine
partielle Erweiterung von dem vierten Ventrikel angegangen. Die-
Fig. 26. (Pr&puat No. 18. vom Jabre 1669). Hydrocele cyatica ven-
tiKBli qDarti mit LUniuDg des rechten Facialis. In der Tiefe dra Sackes
mkl mao Doch Regte des Plexus cboroides quartue. Zugleich bestand eine
Byfwrpluie des Pona VarolÜ und der KleinhirDbeniiapbäre auf der linken Seite,
Als dem St Hedwi n kranken bau b.
•) Virchow. Geaammelte Abhandlangen. 1866. S. 890-891.
184 Nennte Vorlesung.
•
ser erstreckt sich norma] nicht blos nach hinten gegen die Mednih
ohlongata, sondern er schiebt sich auch seitlich etwas um dieselbe
herum, und schickt jederseits eine Verlängerung aus, welche zwi-
schen Medulla und Kleinhirn gelegen ist. An dieser Stelle siebt
man in dem Präparat eine Art von Cyste, die etwa kirschkem-
gross ist und deutlich über die Oberfläche hervortritt. Sie ist nichts
anderes als eine Ausstülpung der vierten Höhle, welche sich so
QJnem sackförmigen Knoten umgestaltet hat, unmittelbar gegen die
Nervenfäden drückte und eine Paralyse der Facialis erzeugt hatte.
Das ist also eine Hydrocele des vierten Ventrikels. Wenn
man nicht genau auf die genetischen Verhältnisse Obacht giebt,
so könnte man glauben, eine selbständige Geschwulst vor sich
zu haben.
Bei der Höhle des Septum pellucidum, die bekanntlich
mit den anderen Hirnventrikeln nicht in Verbindung steht, ist es
natürlich, dass jedesmal, wo sich ein wässeriger Ergass in die-
selbe bildet, eine Erweiterung dieses Ventrikels für sich zu Stande
kommt*). In der Regel macht dieser Hydrops aber keine ge-
pchwulstartige Erscheinung. Dagegen ist dies in hohem Grade der
Fall hei dem Hydrops cysticus glandulae pinealis, wo das
Wasser sich in der Höhle der Zirbel ansammelt und diese so aus-
dehnt, dass das Organ bis zu einem über wallnussgrossen Tumor
anwachsen und durch seinen Druck auf die Vierhügel und die
Vena magna Galeni die gefährlichsten Zustände herbeiführen kann.
An dem Rückenmarkskanal sind hydropische Partial-
Ektasien ungleich häufiger, und das hängt wohl damit zusammen,
dass derselbe so ausserordentlich eng ist, dass seine Wandungen
sich heinahe berühren, sobald er einmal gebildet ist. Der Kanal
liegt normal so, dass, wenn wir einen Querdurchschnitt durch das
Rückenmark machen, er etwas hinter dem hinteren Ende der Fis-
sura longitudinalis anterior als ein kleiner, feiner, hellgrauer Punkt
erscheint. Erst bei einer massigen Vergrösserung erkennt man
ilarin ein Lumon. Allein nicht selten bleibt in einzelnen Theilen
dos Rückenmarks der Kanal weit oder wird geradezu ektatisch **).
*) Vcrga. Heir »ppanito ventricoUre de! setto laeido et dell» volta a
tro pilüHtri. 1H66. p. 13.
**) Morgagni. Advornaria anatomica sexta. Lngd. Bat 1723. ÄDimadv.
XIV p. 18. Portal. Momoir« 8ur la natare et le traitement de plasieare
mAlatliofi. rnrir«. 1S<X>. T. I. p. 54. Ot>8ervatioos Bor la natore et le traite-
mi»nt do rhvdr<>pi«i(!>. Taris. 1824. T. II. p. 68.
Hydrorrbachis interna cystica. 185
Wenn man ihn in einem solchen Falle von oben nach unten ver-
folgt, so zeigt sich, dass auf eine gewisse Strecke die Wandungen
fast unmittelbar aneinander liegen ; dann kommen Stellen, wo eine
Erweiterung sich findet oder wo selbst rosenkranzförmig mehrere
Erweiterungen hintereinander folgen; dann läuft er wieder einfach
fort. Zuweilen kommt es auch vor, dass der Kanal in der Mittel-
linie obliterirt und an den Seiten offen bleibt; es sieht dann auf
einem Querschnitte aus, als ob in jeder Hälfte des Marks ein
besonderer Kanal enthalten wäre. Ein solches Yerhältniss hat
schon Gall*) beschrieben; v. Ammon**) sah es bei Spina
bifida; neuerlich hat J. Wagner***) es auch mikroskopisch ge-
nauer erläutert Ich habe es in Verbindung mit partieller Ektasie
einige Mal gesehen.
Sind diese Ektasien massig, so kann der Zustand bestehen,
ohne dass der Wirbelkanal eine Erweiterung erfährt und ohne dass
erhebliche functionelle Störungen daraus hervorgehen. Nament-
lich im Gervicaltheile fand ich öfters ein solches Verhältniss, ohne
dass die Nervenmasse irgendwie alterirt zu sein schien. Aber
andere Mal werden die partiellen Erweiterungen grösser, sie fül-
len sich mit Flüssigkeit, und es erfolgt endlich dasselbe am
Rückenmark, was wir unter ähnlichen Umständen am Gehirn
sehen: mit der Ausweitung der Höhle afcrophirt allmählich das
Rückenmark, und wenn die Höhle bedeutend wächst, so wird es
an diesen Stellen ganz und gar unterbrochen. Eine solche Hy-
drorrbachis interna cystica konmit in der fötalen Entwicke-
long nicht ganz selten vor, und bildet gelegentlich eine Spina
bifida, welche sich von der früher erwähnten meningealen sehr
wesentlich dadurch unterscheidet, dass das Mark jedesmal er-
heblich mitleidet !)• Hydromyelocele (Hydrocele medullae
spinalis).
Als Beispiel wähle ich ein Präparat ff) unserer Sammlung,
welches den selteneren Fall einer Spina bifida dorsalis lateralis
leigt. Es sind gleichzeitig zahlreiche Veränderungen der entspre-
*) Gall et Spurzheim. Anat. et physiol. du Systeme nerveux. Paris.
1810. p. 51.
••) V. AmmoD. a. a 0.
•••) Joh. Wagner. Reichert's u. Du-Bois* Archiv. 1861. S. 735.
t) A. Förster. DieMissbilduDgen d. Menschen. Jena. 1861. Taf.XVl. Fig. 6.
tt) Präparat No. 47. vom Jahre 1860. Deutsche Klinik. 1860. S. 881.
186 Neunte Vorlegang.
oheaden Seite (Verkrümmung, Synostose der Rippen, Aplasie d»
Niere n. s. w.) vorhanden. Hier fand sich nach Entleernng des
Wa:!^ers im Grunde des hühnereigrossen Sackes das Räckenmark,
und ich konnte deutlich die Gommunication der Höhle des Sackes
mit der H^hle des Centralkanals constatiren. Der Sack machte
aber geradezu eine Unterbrechung zwischen dem oberen und im-
teren Stück des Rückenmarks, so dass das Centralnerrensystem
«hulur\^h in iwei Abschnitt zerlegt wurde, fast so vollst&ndig, als
ob man e:!^ durch einen Schnitt getheilt hätte.
iiani ähnliche Zust&nde kommen auch am Gehirn vor, io-
dem ^iich einzelne erweiterte Theile der Ventrikel mit der sie
umgebenden Himmasse nach aussen hervordringen und die Schlies-
sung des Schädelgewölbes entweder bindern, oder durch Druck
allmählich eine Oeflfnung im Knochen erzeugen, so dass sie in
Form von Hernien nach aussen treten: Hydrencephalocele
l^Hvdrwele cerebri). Sie kann mit Atrophie der betreffenden Ge-
hirntheiie verbunden sein: doch ist diess sehr hiufig nicht der
Fall und e^i können sehr beträchtliche Theile von Himsubstans
mit hervortreten. Auch ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass
neben der Ausstülpung der Ventrikel und der sie umgebenden
Hirnsulvstanz noch eine Meningocele zugleich vorhanden ist
Die gewöhnliche Lage der Hydrencephalocelen ist eine me-
{\m\K\ so dass sie der gemeinen Form der Spina bifida entspre-
chen. Auch nähern sie sich darin derselben, dass sie am häufigsten
HU der SquHum occipitalis (dem Processus spinosus des Occipital-
wirbels) vorkommen, ja dass nicht selten eine Hydrencepbalo*
cele occipitalis mit einer Spina bifida atlantica oder cervicalis
xusununenfällt und das Loch im Hinterhaupt unmittelbar mit der
Wirbelspalte zusammenhängt*). Nächstdem findet sich eine grosse
Zahl von ähnlichen Fällen an den vorderen Schädelwirbeln, je-
docii ungleich seltener am Stirnbein, wo die Gegend an der Ni-
senwurzel **) mehr ausgesetzt ist, als die Mitte der Stimnaht**^).
*) C. F. F. KUttner. Diss. inau^. sistens bydrencephaloceles casus
ftingularem. Herol. lHd2. Surtng. 1. c. verschiedene Abbüdungen. Perb.
AtiHwah] einiger Boltener udq lehrreicher Fälle. Dresden. 1868. Taf. 1. ■. II-
**) DctitHohber};. hissert. inaug. de tumoribus nonnallts congeniti»*
Vratisl. 1822. Tab. I.
*^*) Weniel Gruber. Bfissbildungen. Erste Srnrnmlung. St Petersbors.
1869. S. 10. Taf. I. Fig. 2,
Hydrencephalocele. 187
Noch viel seltener sind die neben der Medianlinie gelegenen*)
oder ganz lateralen Hydrencephalocelen. Meist sind es Stellen,
wo normal geschlossene Knochensubstanz liegen sollte; Nähte und
Fontanellen werden ungleich weniger getroffen.
Die Geschwulst tritt ziemlich häufig als eine fast gestielte
über die Oberfläche hervor; andermal hat sie eine breitere Basis;
in jedem Falle kann sie sich in Form eines grossen Klumpens
ausdehnen. Wenn wir sie einschneiden, so finden wir aussen die
Haut, das Unterhautgewebe, die Fascie; unter diesen kommt die
Dura und Pia mater, die oft mit dem äusseren Sack innig ver-
wachsen und mit besondern Wassersäcken versehen sind, dar-
unter die wirkliche Gehirnsubstanz, und zuletzt innen die erwei-
terte und mit Wasser gefüllte Höhle.
Auf diese Weise verhalten sich die Hydrocele-Säcke am Kopf
nnd Rucken in der ersten Zeit ihrer Bildung. Je mehr sie sich
vergrössern, um so mehr atrophiren die verschiedenen Theile in
ihnen und verwachsen untereinander. Man kann später nicht
mehr die Haut von dem ünterhautgewebe, nicht mehr das Unter-
hautgewebe von der Fascie, oder die Fascie von der Dura mater
deutlich unterscheiden; alle verwachsen so unter sich, dass man
scheinbar nur eine einzige Haut vor sich hat. Je früher diese
Verwachsung im Fötalleben eintritt, um so stärker wird die be-
deckende Haut vascularisirt; sie erscheint als ein blutrother Hü-
gel, der ganz dicht mit breiten Gefässen besetzt ist und mehr
das Aussehen einer stark gereizten Schleimhaut, als der Cutis
hat. Bildet sich der Sack an meiner Stelle, wo sehr viele Theile
darüber liegen, befindet er sich z. B. nicht in der Medianlinie
des Schädels, wo bekanntlich keine Muskeln existiren, liegt er
am Rücken nicht in der Richtung der Processus spinosi, die ja
auch dicht unter der Haut sich befinden, tritt er seitlich hervor
an den Schläfen, am Nacken, oder seitlich an den Wirbeln, wo
er mehr von Weichtheilen bedeckt ist, dann wird die Haut nicht
so roth und feucht; er erscheint vielmehr als einfache Geschwulst,
welche sich unter der Haut hervorwölbt. Dies gilt am meisten
von solchen Fällen, wo eine Hydrocele cerebralis sich von der
£asis des Schädels her entwickelt und gegen das Gesicht heran-
*) Billroth. Archiv für klinische Gbinirgie. 1862. Band III. S. 398.
Taf. ik
18
Nennte VorlesRng.
drängt; ila kann Hie an irgend einer Stelle als eine grosse Ge-
schwulst hervortreten, ohne das» in»n eine Ahnung hat, dass sie
aus der SchädeUiöhle stammt. Sie macht viel mehr den Ein-
druck, ak sei sie eine unabhängige Geschwulst der Knocbeo des
n NeogeboiDen. Ana des
Fig. 27 Hvdrencephalocele paUtiDa von e _
klaffenden (lunde rn)i:t eine unregelmfisBige, hOckerige, klein apfelgroM«
GeHcbwulst hervor, welche am harten Gaumeo befestigt in sein gcfaeint
Auf einem Durchnchnitt zeigt airh, dass eoirohl der harte Gaumen, eis der
Vomer durch die Gefirhwul»t nach vom und oben gencbobeo sind nnd dau
die Geschwulst selbst aus der Schadelb^hle mit einer breiten Oeffnnag ber-
vortrilt, welche unmitlelbar vor dem Keilbein und hinter dem noch knor-
peligen Siebbein lie-;!. Das vordere Keilbein iat durch die Geschwulst gaai
dislocirt, und iwar nach unten und hinten; seine Vei1)indun^ mit dem Vo-
mer Ist unterbrofhen , indem letzterer nur an das Siebbein sich anscblieut.
Der vordere Tbeil des Sailtes besteht aus einer von der Dura mater ansge-
kleiileten. glattwaodigeD Mühle. Narh unten und binteD srhliessea sieb daru
mehrere kleine, un regelmässige HOblen; nach oben folgt Hiramasse, welche
sich continulrlich in den Schildelraum fortsetzt und mit dem GroBsfaini in-
sammcnliängl. Lc^titeres ist sehr tu s.inimcn gedrängt an die Grundflichr,
während der Kf^^scre Thcil des oberen Kaumes mit FlOesigkeit erfllllt ist,
welche in einem grossen, von einer dicken Membran tbeilweue nmechloMenn
Raum liegt (l'rflparat No. 33. vom Jahr 1862).
HydromeDingocele sacralis. 189
Gesichts oder der Sch&delbasis , denn sie zeigt sich, wie ein un-
abhängiges Gew&chs, sei es an der Nasenwurzel, sei es in der Na-
senhöhle oder gar in der Handhöhle (Fig. 27.), bedeckt von un-
veriLnderter Haut oder Schleimhaut.
Es ist begreiflicherweise für die Geschichte der Spina bifida
und Hydrocele cerebri von sehr grosser Bedeutung, zu wissen,
ob es sich blos um die Häute des Rackenmarks und Gehirns han-
delt, oder ob die Centralnervenapparate selbst mit hineingehen,
ob also blos Meningocele, oder ob zugleich Encephalocele und
Hyelocele vorhanden ist. Denn in dem ersten Fall kann man hof-
fen, dass man durch Entleerung der Flüssigkeiten den normalen
Zustand herstellen kann, während man im andern die schwerste
Verletzung erwarten darf. Aber auch abgesehen von der Be-
handlang, seigt sich in den Symptomen eine ausserordentlich
grosse Verschiedenheit. Eine Spina bifida mit Hydrorrhachis in-
terna und namentlich mit Atrophie oder Unterbrechung des Rük-
kenmarkes bringt natürlich unheilbare Paralysen mit sich, wäh-
rend die blosse Hydrorrhachis externa ganz locale Störungen be-
dingt oder scheinbar ganz ohne Folgen bleibt.
. Diess ist nam'entlich dann der Fall, wenn die Geschwulst
von der Haut und anderen Weichtheilen fortwährend bedeckt
bleibt. Einzelne Formen dieser Art werden ohne Nachtheil bis
in ein spätes Alter getragen*). Die günstigste Stelle dafür ist
begreiflicherweise die, wo am wenigsten Nervenmasse existirt,
die Sacralgegend. Da giebt es eine Hydromeningocele sa-
cralis et coccygea, oder, wenn man lieber will, eine Spina
bifida sacralis und coccygea, welche sich in der Kreuz- oder Ge-
sässgegend hervorschiebt, und zuweilen ganz indolenter Natur ist.
Ich habe selbst einen solchen Fall bei einem 23 Jahre alten
Franenzimmer untersucht, wo der Sack die grössten Insultationen
erlitten hatte; es war eine Puella publica in Würzburg, welche
ihr V^esen auf den ViTällen trieb und bei der Gelegenheit einmal
in den Festangsgraben heruntergestürzt war. Sie starb, nachdem
die bis Kindskopf gross gewordene Geschwulst wiederholt punc-
thrt worden war. Bis dahin aber hatte der Sack keinen an-
*) Eine Zosammenstellaoe solcher Fälle hat Otto (Lehrbuch der patho-
logiseben Anatomie, ßerlin. 1830. Bd. I. S. 446. Note 13.) geliefert. Yergl
ueh Lebert Trait^ d*aoat path. Paris. 1861. T. II. p. 94.
190 Neunte VorleBang.
dauernden Einfluss auf ihr Gesammtbefinden ausgeübt *) , and es
begreift sich das, wenn man erwägt, wie wenig wichtige Theile
in dieser Gegend gelegen sind. Alle Formen der Spina bifida,
welche zwischen dem Steissbein und der Gegend des untereo
Endes des Rückenmarks vorkommen, gehören in diese günstigere
Kategorie, während, je höher nach oben der Sack liegt, es am
so bedenklicher ist, da man bei der Spina bifida cervicalis und
dorsalis in der Regel voraussetzen kann, dass sie nicht einfache
Hydromeningocelen, sondern Hydromyelocelen sind.
Ist der andere Fall vorhanden, dass sehr frühzeitig schon die
bedeckenden Theile unter einander verwachsen und sich zu einer
gemeinschaftlichen gefässreichen Membran umgestalten, so kommt
es nicht selten vor, dass eine Ruptur entsteht. Diese erfolgt za-
weilen spontan, sogar schon bei dem Fötus innerhalb des Mut-
terleibes und zwar manchmal sehr frühzeitig, ohne dass man äus-
sere mechanische Einflüsse constatiren könnte. Jedoch ist es
nicht ganz unmöglich, dass auch auf den Fötus ein Stoss, eine
Erschütterung einwirkt. Der Sack collabirt dann gewöhnlich auf
die Fläche, und man findet nachher an dieser Stelle einen gefal-
teten, unregelmässigen Klumpen oder Höcker. War die Wasser-
^) Der von der Geburt an bestehende Tumor, welcher frfiher mehr seit-
lich gesessen haben sollte, war von d'Outrepoot und Textor fär eine
Hernia vesicae ischiadica gehalten worden. Später, wo derselbe sich ver-
grössert hatte und mehr die Mittellinie in der Gegend des Steissbeins ein-
nahm, wurde er von Herrn Rinecker als Spina bifida diagnosticirt Schwicbe
der Unterextremi taten und unvollständige Incontinenz des Harns waren die
Haupterscheinungen. Eine zweimalige Niederkunft wurde gut ertragen; nach
der letzten , etwa 7 Monate vor dem Tode erfolgten Niederkunft wuchs die
Geschwulst schnell, während die Kräfte verfielen und die Kranke kaum im
Stande war, durch das Zimmer zu gehen. Es wurden nun im Laufe vot
7 Wochen 4 Punktionen gemacht, nach welchen jedesmal heftiger Nieren-
schmerz und Kolikanfälle auftraten, obwohl bei den beiden letzten Malet
nur die Hälfte des vollständig wasserklaren, und zuletzt gelblich gefärbten
Inhalts entleert wurde Vier Tage nach der letzten Panktion AustriUifeln
von Flüssigkeit aus der Stichwunde, acht Tage danach Anafluss pumlenter
Flüssigkeit und missfarbige Stellen an dem Sack, die sich später abstossen»
während der Sack zusammensinkt. Zugleich Fieber, nameotlich Frösteln,
Schmerz im Kopfe und am Rücken, Abmagerung. In den letzten 8 Tagen
Dyspnoe und Brustschmerzen, in den letzten 3 Tagen suffocatorisclie Erschei-
nungen. Bei der Autopsie fand ich auf der hinteren Fläche^ des Krettsbeins
einen Kindskopfgrossen Sack, welcher durch einen 1— 1|" im Durchmesser
haltenden, kurzen und hohlen Stiel in den Sack der Dura mater spinal»
Oberging. Vom 2. Kreuzbein wirbel an nach unten fehlten die Bogen und
die rechten Hälften der Wirbelkörper; das Steissbein war mit der Spitze
nach rechts gebogen. Eine Skizze des Beckens hat Herr FOrater in aeuMi
Atlas der Missbildungen Taf. XXVI. Fig. 22. und 93. gegeben.
Fongns cerebri. 191
ansmimlang verhUtnissmässig sehr stark, die H&ate sehr verdfinnt
«nd namentlich Hydrencephaloeele oder Hydromyelocele vorhan-
den, so kann damit die Zerstörung der ganzen betheiligten Hark-
masse verbunden sein. So entstehen die allgemeine oder par-
tielle Anencephalie und Ämyelie. Waren dagegen die be-
deckenden Theile nur massig verdünnt, aber in grosser Ausdeh-
nung unter einander verwachsen, so dass weder die Haut, noch
das Fettgewebe oder die Muskeln zu einer richtigen Entwicke-
lang gekommen sind, dann ist der zurückbleibende Klumpen im-
mer sehr gefässreich und sieht manchmal ganz dunkel schwarz-
roth aus. Sehr gewöhnlich kommt diess am Kopf der sogenann-
ten Pseudencephalen vor, wo statt des Gehirns nur ein lok-
kerer Lappen von gefässreichem Bindegewebe vorhanden ist
(Cerebrum spurium, Pseudencephalen). Das ist einer der häutig-
sten Ausgänge der fötalen Hydrencephaloeele, aber er gehört
ganz in die Kategorie der Missbildungen, in die Teratologie, denn
derartige Kinder sind natürlich nicht lebensfähig.
An der Wirbelsäule dagegen führt dieser Vorgang unmittel-
bar zur Heilung, wenn es sich um Hydromeningocele ohne er-
hebliche Betheiligung des Rückenmarkes handelt. Wenn nament-
lich an einer Hydrocele am untern Theil der Wirbelsäule die
Berstung geschieht, der Sack zusammensinkt und nachher in sich
zusammenschrumpft, so kann das ein dauerndes Verhältniss ab-
geben, indem sich eine Art von wulstiger Narbe bildet. Das-
selbe, was man an einem Pseudencephalus, oder, wie man auch
wohl sagt, Acranius einen Fungus cerebri genannt hat, das-
selbe sieht man an der geheilten Spina bifida eines Neugebomen
als rothen, geschrumpften, zusammengerunzelten Körper in der
Haut des Rückens. Später verschwindet die Röthung und es
bleibt nur eine geschwulstartige Erhebung zurück *). Aber ein
Ihfilicher Vorgang kann auch nach der Geburt, und selbst in
späteren Lebensjahren eintreten. Es giebt eine Reihe von Beob-
achtungen, wo der Sack, spontan geborsten ist, zuweilen nach
voraufgegangener Gangränescenz **) und doch eine Heilung er-
folgte. In anderen Fällen fahrten Functionen, sei es für sich.
*) ▼. ßftren8_pruog. Journal für Kinderkrankheiten. Bd. VIIL Heft 5.
^*) Siehe die Fälle bei Joh. Fr. Meckel (a. a. 0. S. 376.). Sehr in-
tereBrant ist die Beobachtang von Herrn. Wendt De spina bifida. Dies.
iD&Qg. 6«ro1. lB58. p. 18.
192 Neunte Vorlesung.
sei es in Verbindung mit Jodinjection *), Ligaturen u. s. w. diess
günstige Resultat herbei. In jedem Falle kann aber die Heilung
natürlich nur auf dem Wege des CoUapsus und der Retractioa
erfolgen, und es wird schliesslich eine Narbe übrig bleiben. Der
Vorgang an sich ist am Schädel und Gehirn derselbe; während
er aber bei den teratologischen Hydrocelen des Kopfes zu einer
Zerstörung des Gehirns fahrt, bedingt er an der Spina bifida un-
ter Umständen die Heilung.
Nach dem, was ich vorher gesagt habe über die partielle
Obliteration der Hirn-Ventrikel und des Rückenmarks-Kanals und
über das Bilden von abgeschlossenen cystischen Säcken aus ein-
zelnen Theilen derselben, ist es an sich nicht unwahrscheinlich,
dass, wenn eine Hydrocele des Kopfes oder Rückens sich durch
eine feine Oeffnung hervorstülpt, möglicherweise gans abgeschlos-
sene Gystenbildungen, welche mit den Hirnhöhlen oder dem Rük-
kenmarkskanal oder den Häuten gar nicht mehr communiciren,
an den äusseren Theilen hervortreten könnten. Das ist aller-
dings iur die Hydrencephalocele und die Hydromyelocele nicht
ganz festgestellt, dagegen kann es für die Hydromeningocele nicht
bezweifelt werden. Am häufigsten entsteht dadurch eine Form
cystischer Sacralgeschwulst, welche mit der Höhle der Arach-
noides spinalis nicht mehr zusammenhängt **). Dahin gehört wahr-
scheinlich ein von Schiildler operirter und geheilter Fall***),
von welchem der abgeschnürte Sack sich noch in unserer Samm-
lung befindet f). Aehnliche Beispiele beschreibt Cruveilhier ff)
unter dem Namen von congenitalen Arachnoideal- Cysten der
Kreuzgegend. Auch ein Fall des Hrn. Schuh ftt) dürfte hierher
zu rechnen sein, obwohl in demselben keine angebome Ge-
schwulst bemerkt worden ist. Aber gerade am Os sacrum giebt
es ganz tief sitzende, äusserlich nicht zu bemerkende, sehr kleine
Hydrorrhachis - Säcke. Werden diese später durch einen Fall,
^) Chassaignac. Gaz. des h6p. 1851. 26. Mars.
**) W. Braune. Die Doppelbildungen und aDgebornen GeschwQlste der
Kreuzbeingegend. Leipzig. 1862. S. 72.
***) Schindler. Deutsche Klinik. 1853. No. 19. Mein Archiv. 1858.
Bd. XIII. S. 192.
t) Präparat No. 1077.
tt) Cruveilhier. Traite d'anat. path. g^ndrale. Paris. 1856. T. III. p. 46L
fH) Schuh. Pathologie a. Therapie der Pseudoplasmeii. Wien. 1854.
9* 19o.
Hjdrocele cenricalis. 193
Stoss oder sonstwie gereizt, so beginnen sie za wachsen und sich
über die Oberfläche zu erheben, gleichsam als ob es neugebildete
Cysten wären. Freilich ist es bis jetzt nicht möglich , scharf die
Grenze zwischen diesen Spinal-Hydrocelen und den eigentlichen
Sacnü-Kystomen oder, wie andere sagen, Hygromen anzugeben.
Dazu sind noch viel genauere pathogenetische Untersuchungen
nöthig.
Herr Spring^ hat ferner in seiner Monographie über die
Hernien des Gehirns den Gedanken Himly's wieder in Erinne-
ning gebracht, dass eine Reihe von Fällen in der Literatur, wo
man symmetrisch gelegene seröse Säcke unmittelbar am Hinter-
haupt beobachtet hat, auf abgeschnürte und in reine Cystenfor-
men übergeffihrte Hydromeningocelen zu beziehen sei. Bestätigt
rieh diese Ansicht, so würde man, ganz analog der Hydrocele
scroti, dieee Form als Hydrocele cervicalis bezeichnen kön-
nen. Wie weit sie aber in das Gebiet der im Eingange der Vor-
lesung erwähnten Hydrocele colli congenita hineingreifen dürfte,
ist Ar jetzt nicht zu sagen.
^ Spring. L c. p. 26.
▼irckow, QMChwilste. 1. |g
Zehnte Vorlesung.
20. December 1862.
HygnHie, CaMglmi.
Hygrome d«T Sehnenscheiden und Schielmbeutel. YencUedene Theorien. Iljrdropi
Ruptar der Scheiden, Ganglion herniotnin, Follicular-Cfsten, Neubildung der Siehe.
Yariabilitit und anatomische Einrichtung der Schleimbeutel und Sehnenscheiden. Bursa patel-
laris. Nengebildete SchleimbeuteL Entstehung von Schleimbeuteln nnd 8ehn«n«dMidem.
Atrophie des Bindegewebes. Multi- und uniloculare Ganglien; Conluens. Sp&iere Coautemi-
cation der Schleimbeutel mit Gelenlchohlen. Inhalt der Ganglien: eigenthOmliches SecreU
Meliceris. Sehnige Verdiclcung der Wand.
Hygroma praepatellare. Mechanische Entstehung.
Beschaffenheit der Saclcmembran. Duplicatnren und Fettlappen; Fettpoljrpen und freie Fettkorper.
Hyjjovaä proliferum: warzige und polypöse Excrescenxen. Freie Korper. Das proliferirend«
Ganglion der Handwursel.
Irritative Entstehung der Hygroroe. Umwandlung in Him.itome.
liehen wir nun zu der Betrachtung der bekannteren and häu-
figer vorkommenden hygromatösen Geschwülste im engeren
Sinne des Wortes über, die wir nach ähnlichen Grundsätzen be-
urtheilen müssen, wie die bisher besprochenen Formen der Was-
sergeschwülste, so sind das insbesondere diejenigen, welche mto
häufig seit alten Zeiten unter dem Namen der Ganglien oder
Ueberbeine bezeichnet hat: Hygroma gangliodes, Tumor
synovialis.
Ganglion bedeutet ursprünglich nicht das bestimmte nervöse
Gebilde, wie es jetzt in der deutschen technischen Nomenclttur
gebräuchlich ist, sondern einen pathologischen Knoten, der to
einer Sehne entstanden ist. Denn obwohl die Definition Galen's
sich auf Nerven als Sitz des Uebels bezieht, so mass man sich
doch erinnern, dass bei ihm Nerv und Sehne noch dieselbe Be-
Ganglion. 195
deatung haben*). Sp&ter ist der Name des Ganglions noch mehr
verallgemeinert worden, und wie die Franzosen noch heut zu
Tage die Lymphdrusen Ganglien nennen, so hat man viele an-
dere Dinge gleichfalls Ganglien genannt. In der deutschen Phy-
siologie bedeutet Ganglion immer einen Nervenknoten, in der
Pathologie dagegen eine specielle Hygromform, welche an Seh-
nenscheiden oder Schleimbeuteln oder sonst im Umfange
von Gelenken vorkommt. Unter den ersteren sind am läng-
sten bekannt**) und ihrer Häutigkeit wegen oft zu constatiren
diejenigen Ganglien, welche an dem Handrücken und Handteller,
sowie am Fussrücken vorkommen. Von daher sind die meisten
Beschreibungen hergenommen. Unter den Schleimbeuteln ist
es namentlich der grosse Sack zwischen Patella und Haut,
welcher den Schilderungen zu Grunde gelegt worden ist. Aber
freilich kannte man diese Formen längst, ehe man sie zu deuten
wusste. Die Kenntniss der Sehnenscheiden und Schleimbeutel
lät aber bekanntlich nicht sehr alt; sie datirt eigentlich erst aus
der Mitte des 18ten Jahrhunderts von Duverney, Winslow
und Albin***), und erst von da an konnte man auf die Vor-
stellung kommen, dass diese Geschwülste damit in Verbindung
ständen.
Aber auch nach dieser Zeit ist es nicht gelungen, eine ein-
fache Formel für die Genese und Bedeutung der Ganglien zu fin-
den; im Gegentheil ist man nach und nach dahin gekommen,
vier, auch wohl fünf verschiedene Formen zu unterscheiden. Er-
stens nahm man eine einfache Hydropsie an: Hydrops bur-
sarum mucosarum, H. vaginarum tendinum, wo eine
blos wässrige Ausscheidung stattfinden sollte. — Schon von El-
ler ist die zweite Hypotliese eingeführt worden, dass die Seh-
nenscheide zerrisse und die in ihr enthaltene Flüssigkeit in das
umliegende Zellgewebe austräte und darin eine Aushöhlung er-
zeugte. Nach dieser Auffassung würde das Ganglion eigentlich
*) Ganglion est nervi collectio praeter naturam, quae in corpore con-
creTit Oalenus in Def. med.
^) Ganglion nervi est concretio, ex ictu vel labore proficiscens ; plerum-
qae vero in manus junctura, qua cum brachio committitur, talo et articula-
nentis mbsolvitar, qnamquam in aliia quoque partibus proveniat. Aegin.
IIb. 6. cap. 39.
***) Gar. Hart Koch. Dntersuchnng des natfirlichen Banes und der
Krankbcitett der Scbleimbeotel. Nürnberg. 1795. S. 4.
IQ*
196 Zehnte Voriesung.
die durch die Ruptur bediDgte Aushöhlung in dem umgebenden
Zellgewebe bedeuten. — Dann nahm man eine dritte Form an:
das Ganglion herniosum, wo mansich vorstellte, dass der
erweiterte Sack der Sehnenscheide oder des Schleimbeutels in
einer Stelle eine Ausweitung bekäme und seine Membran durch
die äusseren derberen Schichten gleichsam eine Art von Bruch
bildete. Dieselbe Deutung ist vielfach für die Articnlar- oder
Synovialganglien angenommen worden, bei denen eine Aus-
stülpung der articulären Synovialmembran und eine endliche Ab-
schnürung derselben wahrscheinlich ist. Eine solche, mit Flüs-
sigkeit gefüllte und abgeschnürte Synovial - Hernie wäre also im
eigentlichen Sinne eine Hydrocele articularis. — Weiterhin
hat Gössel in*) gewisse subsynoviale Follikel oder Krypten be-
schrieben: kleine, hirsekorn- bis erbsengrosse Säcke, welche ur-
sprünglich blindsackförmige Ausstülpungen der Synovialhant dar-
stellten und normale Gebilde seien. Aus ihnen würden die Ar-
ticular-Ganglien in ähnlicher Weise entstehen, wie manche andere
cystische Körper aus den Drüsen der Schleimhäute oder den Fol-
likeln der äusseren Haut, bald als frei communicirende, bald als
abgeschlossene und isolirte Ektasien. Wir können diese Form
Follicular-Ganglien nennen. — Endlich eine letzte Ansicht
geht dahin, — wie ja alles in unserer Wissenschaft sehr sorg-
fältig discutirt ist — , dass die Entwickelung des Hygrom-Sackes
unmittelbar neben dem Schleimbeutel oder der Sehnenscheide
oder der Gelenkhöhle geschehe, ohne dass beide einen Zusam-
menhang hätten. Damach wäre also das Ganglion eine wahre
Neubildung**).
In der That lassen sich nicht alle Formen auf ein einziges
Schema zurückführen. Es giebt gewisse neugebildete Ganglien,
an deren Stelle keine präexistirende Höhle bestand. Ich werde
sie zum Theil später in dem Kapitel von den Kystomen zu er-
wähnen haben. Aber sicherlich sind nicht alle Ganglien und am
allerwenigsten alle Hygrome zu den Kystomen zu zählen. Viele
entwickeln sich aus bestimmten vorher bestehenden, wenngleich
vielleicht erst im späteren Leben entstandenen Höhlen oder Säk-
*) Oofmelin. Recherches sur les kystes synovianx de la maio et da
poliini*t. M<^m. (1o l^Acad. de ro^d. Paris. 1852. t. XVI. p. 367.
^*) L. Teich mann. Zur Lehre Ton den OangHeo. Inaug. Diee. Göttiag.
IHbtl II. K. Knorr. De gangliis synovialibas. Dias, ioaug. Berol. 1866.
Variabilitftt der Schleimbeatel und Sehaenscheidea. 197
ken, and es handelt sich hier darum, wie sie daraus entstehen
oder damit zusammenhängen. In der Diskussion dieser Fragen
hat man sich auf allerlei Momente berufen. Zunächst auf die
Entstehung: weil man manchmal diese Dinge sehr schnell ent-
stehen sah, z. B. nach einer gewaltsamen Einwirkung, einem
Stoss, einer Verstauchung, so könne man sich nicht anders
denken, als dass eine Ruptur eingetreten sei. Andere Male hat
man sich mehr gestützt auf den Inhalt, indem man hervorhob,
es sei ein grosser Unterschied zwischen einem Hydrops bursa-
mm und einem Ganglion; der Inhalt eines Ganglion sei häufig
sehr zähe und consistent, während der Hydrops sehr dünnflfissig
sei; daher seien das zwei verschiedene Dinge.
Es ist aber, wenn man in diesen Verhältnissen sich orien-
tiren will, zunächst nothwendig, sich daran zu erinnern, dass es
sich bei den Schleimbeuteln und Sehnenscheiden, ja selbst bei
den Gelenkhöhlen um Theile von grosser Variabilität und Unbe-
ständigkeit handelt, um Theile, die nicht blos sehr unbeständig
sind in Beziehung auf Bau, Grösse und Gestalt, sondern zum
Theil sogar unbeständig in Beziehung auf ihr Vorkommen. Die
zahlreichen und sorgfältigen Arbeiten von Wenzel Gruber
haben dieses genügend dargethan. Sehnenscheiden und Schleim-
beutel sind allerdings an gewissen Orten nahezu typisch, aber doch
auch eben nur nahezu, und selbst die gewöhnlich grössten können
doch anter Umständen einmal nicht vorhanden sein, während es
hinwieder geschieht, dass die allerausgezeichnetsten Bildungen
dieser Art unter ganz besonderen Verhältnissen entstehen, wo
sie sonst nicht vorkommen, und sich dann so bedeutend entwickeln,
dass sie es mit den bestgebildeten normalen aufnehmen können.
Wenn wir z. B. den berühmten Schleimbeutel zwischen Haut
and Patella, die Bursa mucosa patellaris oder praepatellaris be-
trachten, 60 sind selbst darüber grosse Discussionen gefuhrt wor-
den, ob an dieser Stelle nur ein solcher Sack liegt. Ganz ge-
wichtige Stimmen erheben sich dafür, dass da mindestens zwei
liegen, einer unmittelbar unter der Haut, und einer unmittelbar
über dem Knochen *). Man wird aber vielleicht einmal nur einen
finden, und wieder ein anderes Mal nicht zwei, sondern noch aus-
*) Lasehka. Die Bursa mucosa patellari» profunda. MüUer's Archiv.
1860. S. &20.
198 Zehnte Yorlesmig.
ser dem oberflächlichen und dem tiefen einen dritten, snbfascia-
len *) oder intermediären. Nun denkt man sich nach dem be-
kannten B ich at^ sehen Schema anter einem Schleimbeutel einen
kleinen serösen Sack, innen bekleidet mit Epithel; er sondere
ab, und es sei Flüssigkeit in seiner Höhle. Aber von allen die-
sen Dingen ist zuweilen nichts vorhanden; da ist keine Mem-
bran, kein Epithel, keine Flüssigkeit; da ist vielleicht nur eine
Lücke, ein Loch, welches allerdings begrenzt ist, aber nicht
durch eine Membran, sondern durch irgend welche zottige Masse.
Einmal ist es gross, ein anderes Mal klein; einmal sehr omfang-
reich, ein anderes Mal findet man es kaum. Stellt es sich das
eine Mal dar, wie ein seröser Sack, so erscheint es ein anderes
Mal als ein blosser Defect.
Nehmen wir nun einen anderen Fall. Man denke sich, dass
Jemand einen Knochen bricht, dass das eine Knochenende schief
an das andere anheilt, dass von dem einen Ende ein Vorspmng
bis dicht unter die Haut geht, ein Vorsprung, welcher sich zur
Haut so verhält, wie ungefähr die Patella oder das Olecranon,
so dass die Haut genöthigt ist, über den Vorsprung bei den
Bewegungen des Körpers immer hin- und herzugleiten. Es werden
einige Jahre vergehen, und man findet dann an der Stelle eine
Bursa mucosa praeossea. So hat Lobstein**) die Ent-
wickelung von Schleimbeuteln an Amputationsstümpfen beobachtet,
und es ist leicht, ähnliche Beobachtungen bei KlumpfÜssen, bei
Verkrümmungen der Wirbelsäule und allen den Veränderungen des
Skelets zu machen, wo Knochen an ungewöhnlichen Stellen an die
Haut oder einen anderen der Bewegung und Zerrung häufig aus-
gesetzten Theil stossen.
Diese Bildungen sind also weniger begründet in dem ursprüng-
lichen Plan der Körperanlage ; sie gehen nicht, wie Peritonäum oder
Pleura oder Pericardium, aus der Entwickelung des Organismus
selbst als ein noth wendiges Resultat hervor; sie finden in der Ent-
wickelungsgeschichte als solcher keineswegs ihre Begründung, son-
dern sie verdanken ihre Entstehung oder wenigstens ihre Ausbil-
dung dem Gebrauch, der Bewegung der Theile. Es verhält sich
*) Li n hart lieber die Entzündungen der Bursae macoeae patellares.
Würzburger Verhandl. 1858. Bd. VIII. S. 1?9.
**) Lobstein. Lehrbuch der pathoL Anat. Deutsch Ton Neurohr. Stattf;.
1834. I. 268. Traite d*anat. path. T. L p. 310.
Nenbildnog tod SebBenscheideB ond SchleimbeDteln. 199
damit, wie mit einer grossen Anzahl Ton Knochenvorsprüngen,
welche Mnskelinsertionen entsprechen. Auch diese Yorsprünge
sind zuweilen nicht vorhanden, und andere Male wieder sehr aus*
gebildet Wenn man die betreffenden Leute bei Lebzeiten gekannt
bat, dann weiss man auch den Grund ; es ist der Gebrauch, wel-
cher die Ausbildung mit sich bringt Ebenso verhält es sich
mit den Sehnenscheiden und Schleimbeuteln; es sind keineswegs
regelrechte seröse S&cke, welche aus einem inneren Entwicke-
Inngsgesetz des Körpers hervorgingen, sondern es sind Stellen,
wo das ursprünglich in continuo vorhandene Bindegewebe durch
einen Act der Atroph irung Lücken bildet, und wo diese Lücken
im Laufe der Zeit zu selbständigen Cavitäten umgestaltet werden
können.
Nehmen wir z. B. die Stelle, welche für die in Rede stehende
Erkrankung bei den Sehnenscheiden gerade sehr wichtig ist, die
Flexoren am Handgelenk, welche unter dem Lig. carpi volare hin-
durchgehen*). Wenn man sie präparirt, so findet man ein Mal
lange zusammenhängende Scheiden, wo auch zuweilen zwei und
mehr Sehnen in einer Höhle liegen; ein anderes Mal sieht man
das gar nicht, sondern man findet die Sehne von lockerem Binde-
gewebe umhüllt, worin hier und da ein Loch, eine Masche ist,
aber die Löcher communiciren nicht untereinander; andere Male
endlich findet man gar kein Loch. Freilich hat man sich darauf
berufen, dass schon beim Neugebomen die Sehnenscheiden exi-
stiren. Das ist nicht ganz richtig. Sie können existiren; der
Fötus macht ja Bewegungen im Mutterleibe, und es kann sehr
frühzeitig eine Atrophie stattfinden. Aber jedenfalls sind sie weder
so zahlreich, noch so gross beim Fötus, wie beim Erwachsenen **).
Es giebt einen Zeitraum, wo, wenn man ein solches Ding
aufmacht, gleichviel ob es ein Schleimbeutel oder eine Sehnen-
scheide ist, an der Stelle eines früher durch Bindegewebsbalken
gebildeten continuirlichen Gewebes sich ein Loch findet, in dessen
Umfang noch die freien Enden der Balken vorhanden sind. Es
ist eine Unterbrechung innerhalb der Balken oder Faserzüge ein-
*) Virchow. üeber die körperhaltigen Cysten an den Sehnenscheiden
der Handwarzel. Medicin. Zeitung des Vereins f. Heilk. in Preussen. 1846.
No. 3. S. 10.
**) Villermö. Bullet de la Soc. m^d. d'^mulation. 1821. Ayril. Lob-
stein. Trait^. I. p. 309.
200
getreten, di« mit euer &weidiiiiig, eiaer SAmtbmaf, eiaeT Colli-
qoatioo rta^ttaiea war. Ja nicht gau Betten fade ich gerade
an d^r Bursa mucosa praepatellaria nnd nlbst in dgm Hygroma
palfsibre mitten durch die H(Müe Balken bei Teriaafend and «eh
in ihr veriittelnd (Fig. 30.). Das »Uirt ncfa aag dem Dmetande,
dawi die HiMn Janggam durch eine Atrophirang des Gewebes ent-
fil^tht. Ek üind das Balken, wie in den Lungen bei Emphysem, wo
die feKteren Theile länger resistirea als die weniger festen.
An den Sehnenscheiden ist anfin^ich nnd oft noch bis io
Kp&te I^liensperioden nur ein sehr loses, weiches nnd missig ge-
l&HHlialtige« Bindegewebe vorhanden. Sp&terfain, und namentlich
in dem Maasse, sIk die S^hne viel gebraucht wird, ab sie dem-
gftmfiHH Ktarke Verschiebungen und Excursionea macht, rveficiit
Hich dicHes Gewebe ; en entsteht eine Reihe von Lficken nnd da-
KwiHchen bleiben gewisse Faserzfige (die von den Mhemn Schrift-
Htollern aU Filumenta oder Habenolae bezeichneten B&lkchen)
oder Sclicidewftnde stehen. Selbst in aasgebildeten Hygromen der
Sehnen sind diese Filamente und Septa nicht sdten noch sichtbar,
Ki|[. IM. MullilocuUm Ganglion an der Sehne des Mnscnliu srnii-
niPniliraiKwua am Kniv. l>i<^ ursprtulichcii Schridaviada in Muela«
Karainrni ^m(t min Thfil bis auf i»olirt« Balkrn od«r blosse L«iateB ^eacbvoa-
<len vl'rt^rat Nfi. Tll.'i. NaiSrIkhe UiOose. Rechta PlicbeuaaKht, liak*
DuTvhki-hnitt.
Haiti- nad nniloculire Guglien.
201
nad es ist keineswegs ungewöhnlich, multiloculäre Ganglien
za fiaden, wo die Flässigkeit in einzelnen Kanunem vorhanden
ist. Erst nach and nach usuriren sich die Scheidewände; die ein-
lelnen Kammern eröffnen sich durch anfangs enge, später weitere
Löcher in einander (Fig. 28). Wenn diese sich endlich so sehr ver-
grOssert haben, dass die Höhle ganz und g&i
Fig^». uniloculär erscheint, so kann man doch bei
genauerer Betrachtung der Wand noch gewisse
Lficken und Hervorragungen als letzte Ceber-
reste der früheren Balken und Scheidewände
auffinden. Nur hei den sehr kleinen Deber-
beinen, wie sie namentlich am Fussrücken und
an den Sehnen des Unterschenkels vorkom-
men, pflegt die innere HOhlenwand eine ebe-
nere Beschaffenheit zu besitzen.
Einen Unterschied scheinen nur diejeni-
gen Schleimbeutel zu machen, welche unmit-
telbare Ausstülpungen von Gelenkhohlen dar-
stellen, wo also die Synovialhant vom Gelenk
aus in einer mehr continuirlichen Weise sich
nach aussen bervorscbiebt. Aber es giebt
auch da grosse Unterschiede, indem bald
Scbleimbeutel, welche zuerst ausserhalb der
Gelenkhöhle liegen, sich nachher mit ihr
lereißigen, bald die Gelenkhfihle successiv sich erweitert und
Fortsetzungen zwischen die umliegenden Muskeln binein-
Khiebt. Der Fall, dass ganz kleine Krypten der Synovialhant,
*ie Gosselin sie schildert, der Ausgangspunkt cystischer Er-
veitening und Ausstülpung werden, scheint mir nicht so häutig
III sein. Gewiss sind manche lacunäre Atrophien im Umfange
der Gelenke und Sehnenscheiden für abgeschnürte Krypten oder
FoUikel genommen worden.
Das alles muss man in Betracht ziehen und sich namentlich
triunem, dass sehr grosse Säcke, welche ursprünglich getrennt
lind, späterhin ein Continunm bilden können. Ueber dem Knie,
Fig. 29. Uailocoläres GanglioD an der Sehne des MuscaloB eitenaor
vfiti gecundi, mit blinden Forteätien bis au das Periost des Os eaneiforme
{nnnm reichend and mit der Fascia dorsalis pedis iu Verbindung (Pr&puat
Ho. 1208.). NfttOrliche GrttBse.
202 Zehnte YorieBiiBg.
unter fler gemeinmrhaftlicben Strecksehne, liegt ein sehr grosser
Scbleimbeutel, der bei Erwaehseoeo fast immer coKiiniiiriich mit
der Gelenkbohle zai^ammenhäDgt, in der Regel so weit, dass man
die alte Scbeidewand katun sieht Dasselbe kommt auch anderswo
vor*). So babe ich erst neulich einen Fall ootersoclit, wo am
Scbultergelenk die sehr dicke Scheidewand, welche den Sehleim-
beutel, der unmittelbar über dem Gelenk liegt, von der Gelenk-
b^ble trennen soll, durchbrochen war, und der Schleimbeotel in
offenem Zusammenhange stand mit der Gelenkhöhle. Auf solche
Variationen muss man gefasst sein, dann begreift man diese
Sachen ziemlich leicht, und man versteht es, dass an denselben
Gegenden des Körpers scheinbar ganz gleiche Hygrome vorkom-
men, die doch einen verschiedenen Ursprung haben. An dem-
selben Gelenk können Ganglien der Sehnenscheiden and Hydro-
cclen der Synovialhaut, oder, wie Demarquay**) ganz gut sagt,
t<enoHynoviale und arthrosynoviale Ganglien sich zeigen, die in ihrer
äusseren Erscheinung die grösste Debereinstimmung darbieten.
Die Anhäufung von Flüssigkeit, mag sie nun eine wässrige
oder eine mehr gallertartige sein, ist immer ein späterer Zustand,
welcher erst folgt auf das Vorhandensein einer Gavität. Die Ca-
vität wiederum kann eine neugebildete sein, die eben erst ent-
standen ist, kurz bevor die Ausscheidung geschieht. Aber es
kann umgekehrt dieselbe viele Jahre vorhanden sein, ehe eine
Ausscheidung erfolgt.
In sofern kann man allerdings sagen, es giebt auch nach
Ausschluss der Kystome Ganglien, welche aus neugebildeten
Säcken entstehen, und solche, weichein den alten, gleichsam
typischen Säcken vorhanden sind. Darin stimme ich den frfi-
horen Beobachtern ganz bei. Auch gestehe ich zu, dass es Gan-
glien giebt, welche durch herniöse Ausweitung und Abschnürung
eines vorhandiMien Svnovialsackes sich bilden und wahre Artico-
lar-Ilydrocelon darstellen. Aber dass es Ganglien giebt, die durch
Ruptur entstehen, wie Klier und viele nach ihm angenommen
haben, das ist ganz unwahrscheinlich, denn es ist eine bekannte
Oporationsmethode . dass man den Sack einfach zerquetscht oder
suWutan punctirt, und den Inhalt einfach zur Extravasation bringt
*) Foueher. Mem. »iir les kvstes de b re^ion poplitee. Arch. g^*
ii»i. dw hiNpiuui. 1SI6. No. 7.
•♦^ 1'.
Meliceris. 203
In diesem Falle bleibt die Masse, welche austritt, nicht liegen;
sie bildet keine dauerhafte Geschwulst, sondern sie wird resorbirt,
sie Terschwindet Man sieht daher nicht ein, warum, wenn die
Ruptur spontan vorkommt, sich eine dauerhafte Geschwulst bilden
sollte. Es kommen in der That spontane Rupturen vor, aber
damit wird die Geschwulst in der Regel beseitigt.
Was nun den Inhalt anlangt, so ist das allerdings kein ein-
facher Hydrops, sondern es verhält sich damit wie mit den früher
besprochenen Wassergeschwülsten. Ganglien sind immer irritative
Bildungen, deren Entstehung von den einfachsten Graden der Rei-
zung bis zu wirklichen Entzündungen hin sich verfolgen lässt
In sofern ist es sehr schwer, eine positive Grenze zwischen einem
Gaoglion und der Entzündung einer Bursa mucosa aufzustellen.
Wenn der Vorgang sehr acut ist, wenn eitrige Producte auftreten,
80 wird man es eine Entzündung nennen; hat er metv Bestand,
ist er chronisch, dann nennt man es ein Ganglion oder ein Hj-
grom. und so ist es auch mit den Inhaltsmassen; diese sind in
der Regel nichts anderes als eine Vermehrung desjenigen Secretes,
welches sich auch sonst in diesen Säcken ündet. Das ist nun
allerdings ein sehr eigenthümliches gallertartiges, zähes Secret,
weldies mit den bekannten chemischen Substanzen wenig über-
einstimmt. Ich habe es früher einmal zum Gegenstand meiner
specielleren Untersuchungen gemacht *). Es hat die grösste Aehn-
liehkeit mit der weichen Substanz, welche sich in den Interver-
tebralknorpeln bei Kindern vorfindet, wo die centrale Masse zu
einer Art von Gallerte einschmilzt. Es ist in der Regel weder
ein eiweissartiger, noch ein leimartiger Körper, er steht gleichsam
zwischen beiden, eine synoviale Substanz, wenn man will, eine
Art von Golloid. Dieser Inhalt findet sich schon bei gewöhn-
lichen Zuständen dieser Säcke, wo wir noch gar nicht von Gang-
hen oder Hygromen sprechen. Nun kann es aber sein, dass bei
Erweiterung der Säcke diese Substanz die ganze Ausfüllungsmasse
bildet, und das ist eine der Formen, welche man Meliceris,
Honiggeschwulst genannt hat. Ob sie süss schmeckt, hat,
^) VIrchow. Die Gallerte aus Sehnenscheiden und Intervertebralknor-
n. Wftnb. Verh. 1851. Bd. II. S.281. vgl. Herrn. Köhler, üeber das che-
iiische Verhalten der Flüssigkeit aus einem sogenannten Ueberbeine. Hallesche
Zeitschrift für die gesammte Naturwissenschaft. 1855. Juni. S. 437. Knorr.
L c pi 1& Frerichs. üeber Gallert- oder Colloidgeschwülste. S. 42.
204 Zehnte Vorieeang.
glaube ich, noch keiner versucht; sonst hat sie keine Aehnlich-
keit mit Honig als die Consistenz. Ändere Male ist die Flüssig-
keit sehr viel dünner, v^ässriger, und die specifischen Stoffe sind
in feinerer Yertheilung darin enthalten.
In jedem Falle verdickt sich allmählich, in dem Maasse als
das Ding einen dauerhaften Charakter annimmt, die Wand und
gestaltet sich aUmählich immer selbständiger, so dass sie als ein
zusammenhängendes^ festes Stratum auftritt; ja es kann vorkom-
men, dass bei langer Dauer die Haut zu einer schv^ieligen Dicke
sich entwickelt, und eine Balggeschwulst der vollkonunensten Art
entsteht.
Es ist das nirgends so deutlich, wie bei dem seit Schreger
sogenannten Hygroma patellare. Bei diesem wird, wie man
sehr leicht beobachten kann, der Schleimbeutel von Zeit zu Zeit
der Sitz entzündlicher Processe: das Knie fühlt sich heiss an, es
sieht roth aus, die Leute haben Schmerz und Geschwulst Solche
Zufälle folgen auf mechanische Insulte. In England ist der Zu-
stand bekannt unter dem Namen des Housemaid knee, weil er
bei Dienstmädchen durch das Rutschen auf dem nassen und kal-
ten Fussboden leicht hervorgebracht wird. Andere Male sind die
Leute gefallen, haben sich gestossen u. s. w. Unter solchen Insul-
tationen vergrössert sich die Geschwulst, wird zuweilen faustgross,
und es verdickt sich der Balg mehr und mehr, so dass F&Ue vor-
konmien, wo der Balg eine Dicke von vier, fünf, sechs Linien
erlangt, also ähnliche Veränderungen eingeht, vrie wir sie bei der
Hydrocele besprochen haben (S. 160, 165.).
Nun kann es leicht sein, dass der Sack sich inzwischen voll-
ständig geglättet hat, dass die Oberfläche wie eine seröse Haat
sich darstellt; in diesem Falle finden wir auch jedesmal, dass die
innere Oberfläche mit einem Pflasterepithel überzogen int Von
dem Epithel kann sich etwas ablösen, in den Sack hineinkommen,
und sich der etwa vorhandenen Flüssigkeit beimengen, welche
dadurch ein trübes Aussehen annimmt Aber es giebt auch Säcke
(Fig. 30.), wo die Wandungen keineswegs ganz glatt werden, son-
dern wo selbst bei beträchtlicher Grösse der Säcke Yorsprünge,
leisten, Scheidewände, Fetzen und andere Reste von den Binde-
gewebs-Balken zurückbleiben, ja wo das subcutane Fett sich
no<;h in grösseren hervorragenden oder gestielten Lappen yor-
findet Diese Yorsprünge können wieder der Sitz besonderer
H^roma patelbr«.
TeifndeningeB Verden. Manchmal wnchera sie, werden ein&ch
dicker, ohne ihre sonstige BeechafFenheit zn Sndem; andere Male
dagegen werden sie mehr sehnig, derb, hart, sklerotisch, und
mhinen selbst eine knorpelartigs BeschafTenbeit an. Solche
ZostSnde moss man wohl nnterscheiden von eigentlichen E:i-
creBcenzen, die sich von der Wand in den Sack hineinhilden,
denn bei ihnen huideh es sich blos nm Reete des Mher vor-
banden gewesenen und nor znm Theil eingeschmolzenen Gewebes.
Die wirklichen Answfichee, welche nicht selten vorkommen,
lind anderer Art. In der Regel entstehen sie erst, wenn die Hant
des Sackes sich vollst&ndig consotidirt und geschlossen hat. Unter
ihnen mnss num wieder zweierlei unterscheiden. Sehr häufig sind,
wie in den Gelenkhfihlen, Dnplicaturen der Hant, welche nach
Vig. 30. H^roma cysticnm patellare superficiale. Die HOblen wand üt
ridit g^lUtet, londeni zeigt in der Form vod Balken, Kolben and NeUen
Hcb lahlreiche Ueberreate des froheren Binde- nnd Fettgevebea (Präparat
No. 1981.). NatOrliche GrSBse.
2Wi
inn^n bin \ffn^rtn$^(^, Falten, Leisten biUem*^. «ad in welche
n^.hr ^Hmi}hn\u:h Fett und Gefisse eiBtrH^s. Solehe^ Dinge nannte
msLft frfili#;r an den Gelenken Haversisebe Drifea« weQ Clopton
Uayf.rn**) im KncN^henmark besondere I>ra««n angenommen
liatU*., welche iUm MarkGl absonderten. Die Gelenksduniere (Ax-
an«ia h. unKnen articnlornm) hielt man aber allgemein far Fett
wi<e die WaKenHcbmiere, nnd somit nahm man aneh diese Fettlap-
ptfen für DrüHen, welche die Sebmiere absoaderten. Sie sind,
wenn auch nehr hftnfige, so doeb anfUlige Gebilde, deren Zahl
und (ImfanK von dem EmShmngsznstande des IndiYidoams ab-
lifinKiff int. Hei Kehr fett^^n Leuten kommt es Tor, dass grosse Fett-
wnlni«*. HJch in die Schleimbeutel hineinschieben nnd förmliche
poiypAHe VornprOnge bilden, welche sich sogar ablösen und frei
worden kennen***). Das ist die eine, man kann sagen, mehr
pliyniologiMche Form von Excrescenz, welche nur durch Hyper-
ploHio einen pathologischen Charakter annimmt
Davon muss eine Reihe von eigentlich pathologischen Aus-
wUcliHon unterHchieden werden, die in ähnlicher Weise hier vor-
konunon, wici \m den Hydrocelen. Diese Form kann man als
1 1 y g r 0 ni u p r o 1 i fo r u ni bezeichnen. An gewissen Stellen wächst
die Monibran, Htntt sich sonst gleichmSssig zu verdicken, in ein-
Kleinen MoHsen hervor, und es erzeugen sich in ftluilicher Weise,
win IUI der Schoidenhuut dos Hodens, kleine, knorpelartige Körper,
woIcIm' xuerMt von der Oberfläche als rundliche Knötchen hervor*
wucliHon, dann aber allmählich grOsser nnd grOssv werden, a<^
Siiolon hi^iubhAngi^n, und lulotat, nachdem die Stiele sich getrennt
IihInmi, froi in die Cavität gerathen. Bei der Hydrocele, habei^
wir gi'Hohon, kAmien diese KOrper eine betrichtliohB GrOsse et"
roirhou« o{4 nind ihn^r aber gewöhnlich nicht sehr viele. Dagege^
in don iiaiigUon wird mam^hmal eine colossale Masse erzeugt, urm^
tlor Ki>i^8si'n> Thoil der Höhle (ikllt sich mit ihnen. Wenn mm^
nun bodonkU dasH an »ich g^^rade diejenigen SchMmbeutel, welcta^
violfaoh miH'hanis^ohicn Insultationen aasgeselak sind, der Sitz d^^
UauHÜi'u wortk^tt« nnd dass« wenn eine groese ZaU solcher KOrp^^
%\\\\\\ m^bomnllandor in eino Höhle hineinhängt, durch gegeif
Mv^üiitt^u l>i^'k da.< Abroi$$on von der Wand begünstigt wird, ec
•^ K%x<^K A. Äs O ii «^.
*^ lU^t^r* iKhsxWin ih^^m. FVukx^L H Uhu 1698. m. 190, S09.
n^groma proliferam. 207
muss man es begreiflich finden, dass unter Umständen Hunderte,
ja Tansende von solchen losen Körpern in einem Sack sieh finden*).
An den Sehnenscheiden kommen diese Formen, meint noch
mechanischen Einwirkungen, ziemlich häuKg vor, und unter ihnen
sind es die an der Handwurzel, welche die grösste Disposition
dazu zeigen, vor allen die Scheiden der Flexores digitorum. Im
letzteren Falle entsteht an der Volarseite der Hand in der Re-
gel eine doppelte , zwerchsackiormige Geschwulst, deren eine
Hälfte am Vorderarm, die andere in der Handfläche liegt, so dass
beide unter dem Lig. carpi volare mit einander communiciren.
Drückt man auf die eine Seite, so spaziren die kleinen Körper
durch die enge OelTnung hindurch auf die andere Seite, und mau
kann die Geschwulst gleichsam hin- und herschiebea. Die Kör-
per erzeugen dabei ein eigenthümlich crepitirendes GefQhl, wie
ein Beutel mit Schrot, den man zwischen den Fingern hin-
und herdrückt. Wegen ihrer Form hat man die Körper
(Fig. 31.) als birnkernartige oder rei^kornartige bezeichnet:
Pig. 31. Freie KOrperaus einem DoppelgaoglioD der Flexoreo am Haod-
ItIcDk. Einzelne von ihnen (bei **) Doi:h mit feinen Stielen versehen (Prä-
innt No. 67. vom Jahre 1861.)- Natflrliche QrCgge.
*) Jules Clocquet. Note aur leg caagliona. Arcb. gen^r .1824. T. ]V.
P232.
208 Zehnte Vorlesung.
Corpuscula pyriformia, oryzoidea. Indess ist die Form
ausserordentlich variabel. Sie kommen nur darin überein, dass
sie aus einer knorpelartig dichten Bindesubstanz bestehen, welche
eine concentrische Schichtung zeigt. Aus diesem Grunde hat
man sie eine Zeit lang für Entozo^n gehalten. Später ist die
Ansicht von Velpeau*) vielfach getheilt worden, wonach es ur-
sprünglich Extravasatmassen seien, welche sich entfärbten und
durch die Bewegung in kleinere Stücke sich zerlegten. Ich selbst
liabe sie früher mehr für concentrische Gerinnsel gehalten, welche
durch allmähliche Niederschläge von Faserstoff entstünden^*),
indess habe ich mich überzeugt, dass es meist wirkliche Aus-
wüchse, Excrescenzen sind, und obwohl es möglich ist, dass zu
ihrer Vergrösserung allerlei fibrinöse Deposita wesentlich beitra-
gen, ähnlich wie bei den Yenensteinen (Phlebolithen), so ist doch
das Wesentlichste, dass sie hervorgehen aus partiellen Wuche-
rungen der Wand, wie Warzen an der Oberfläche des Körpers
oder wie Pacehionische Granulationen an der Arachnoides. Was
diese körperhaltigen Hygrome noch besonders auszeichnet, ist der
relativ geringe flüssige Inhalt Gerade wenn freie Körper in grosse-
rer Zahl vorhanden sind, findet man meist nicht tM Flüssigkeit,
ähnlich wie an der Scheidenhaut der Hoden, wo die grössere Zahl
der freien Körper nicht mit den stftrkeren Formen der Hydro-
cele zusammentrifft.
Jedenfalls wird man aus dieser üebersicht ersebw, dass alle
hygromatösen und hydrocelenartigen Formen in aick eine gewisse
Analogie, ja eine Verwandtschaft, darbieten, und dJM van sie ioo
Grossen alle von einem gemeinschaftlichen GoeiGfalq^unkte aus
beurtheilen muss. Immer handelt es sich dabei um irri-
tative Processe. Aber diese erreichen eine TenMshiedene Höhe.
Sind sie leichter, so bedingen sie nur die Ausscheidnng von Flüs-
sigkeit; wird die Reizung stärker, so ruft sie wirkliche Proli-
ferationserscheinungen der Wand hervor. Aber anch diese letzte-
ren unterscheiden sich wieder nach dem Grade der Reizung, und
wir können eine gewisse Reihenfolge 'der formativen Producte
von den blossen Sklerosen und Excrescenzen der Wand bis zur
eigentlichen Eiterung unterscheiden. Eine bestimmte Grenze zwi-
*) Velpean. Gaz. des böp. 1846. Sept. No. 106.
^^) A. a. 0. Medic. Zeitung. 1B46. S. 10.
Verh<niss tod Iljgrom und EotzÜndoDg. 209
scfaen Hygrom und Entzündung bestebt weder im ätiologischen,
noch im genetiechen Sinne; dasselbe Trauma kann je nach seiner
SUrke und der Disposition des Individuums ein Mal Flfissigkeits-
•QSScheiduDg mit Bindegewebsbildung, ein anderes Mal Transsuda-
tion mit Eiterung hervorrufen. Gerade am Handgelenk kann man
dies sehr gut sehea. Hier kommen zuweilen multiple Eiterslicke,
■amentlicb an der Vorderseite vor, welche sehr schwer von
Ganglien der Sehnenscheiden zn diagnosticiren sind *). Ich habe
iwei Fälle dieser Art auf meiner Abtheilung behandelt, bei wel-
chen eine leichte Verstauchung die Ursache der Entzündung ge-
wesen war , und bei denen die einzelnen Heerde so tief lagen,
dass sie eine gewisse Zeit lang als Ganglien behandelt waren.
Die Heilung war eine sehr langsame, da jeder Sack eröffnet
Fig. 33. HfteiDatoma (Hygroma haemorrbagicum) praepatelUre. a, a
"ut, c Fucie. Der sehr auggedehnte Sack ist xum [;rossen Tbeil mit festen,
liMkeDeD , zum Tbeil ganz knorpelartig ausgehenden Blutgerinnseln erflillt,
■tlche an sleichfalU eebr verdickten, sklerotischen Wandungen sehr innig
»hifteo- Bei b ist die Haut ukerirt und es führt ein unregelmSssiger Gang
^on da io die Tiefe, rings umgeben von erweichten und entfärbten Blutmas-
>ei. Die HChle war ursprOnglich nicht glattwandig , sondern mit man-
cherlei Balken und Scheidewänden durchzogen. Die Wand ist stellenweise
in mehrfacbe BlStter spaltbar und vou äusserster Härte (Präparat No. 135.
'Dm Jahre 1858.). NstQrliehe Grösse. Bei Lebzeiten eistirpirt.
*) Layiii. Die Ueberbeine mit Einbegriff der Schleimbegtel-Anachwel*
ungcn. Inang. Dias. ErUagen. 1839. S. lä.
210 Zehnte Vorlesung.
werden musste, und in jedem sich jene schlechte, schlaffe Gra-
nulation fand, welche man von der Nachbehandlung grosser ope-
rirter Ganglien her genugsam kennt*).
Schliesslich will ich noch erwähnen, dass auch wirkliche
Extravasirungen in die Höhle hygromatöser Geschwülste erfolgen
können. Es geschieht dies entweder in Folge heftiger mechani-
scher Verletzungen, welche ein schon bestehendes Hygrom treffen,
z. B. bei einem Hygroma patellare durch einen Fall auf das
Knie, oder in Folge starker und wiederholter Entzündungen,
welche eine vermehrte Yascularisation der Wand hervorrufen.
Zuweilen bleibt das Extravasat flüssig oder bildet nur weiche,
gallertförmige oder klumpige Niederschläge, welche nach und
nach in einen schmutzig braunrothen oder graubraunen Brei über-
gehen**). Manchmal dagegen wird der Sack ganz und gar mit
einer vollkommen festen Thrombusmasse ausgefüllt, welche später
fast trocken, hart und brüchig wird, und gleichsam eine feste
Vollgeschwulst darstellt. So entsteht zuweilen aus einem mit
flüssigem Inhalt gefüllten Hygrom der Patella ein ganz festes
Häm atom (Fig. 32). Aber das Hämatom ist immer ein Späteres,
welches aus dem hygromatösen Zustand heraus sich entwickelt, in-
dem erst die Bildung einer grösseren Höhle and einer stärkeren,
gefassreichen Wand nöthig ist, ehe die hämorrhagischen Massen
ausgeschieden werden.
^) Velpeau. Klinische Vorlesungen, flbersetxt Ton Kmpp. 1842. S. 32:^.
Virchow a. a. 0. S. 11.
^*) Gruveilhier. Tratte d*anat path. g^n^r. T. III. p. 521. Hvgroma
hematiqae.
i^
.,.
i
Eilfte Yorlesung.
7. Januar 1863.
Follicidar-Cysteii
Bttentioaagesehwulste ub«rhaapt. Zwei Arten derselben: Reteution dea Secretes am 8e-
eretioneorte oder an einer entfernten Stelle. Entstehung aus pruexistireuden offenen Räumen :
cTStiscbe Ectasie von Kanälen. Zustand der Orificien: Atre>ie und Obliteration oder blosse
Verlegung (Obatmetion, Compreaiion, Dialoeation) derselben. Verbindung mit Irritation. Ver-
änderlichkeit des Cysteninhalta in verschiedenen Stadien. Bedeutung dea Initialstadiums.
Atherome (Brei- oder Grütsgeschwülste). Entwickelung ans Ilaarbalgen. Anordnung und Ab-
•ondemng der letzteren: Epidermis nnd Schmeer. Comedonen. Milium s. Qrutum. Bethei-
lignng der Scbmeerdrusen. Acne. Molluscum contagiosum und non contagiosum. Akrochor-
don. Naevas follicularis. Das eigentliche Atherom. Das atheroraatöse Dermoid (Kystom).
Stmctar de« Atheroms. Meliceris, Sieatom. Verkreidnng, Aufbruch, Heilung.
Schleimcysten (Hydatiden). Entwickelung aus Schleimdrusen. Wechsel der Theorien über
Hydatiden. Verachiedenartigkeit der Schleimdrüsen. Offene nnd geschlossene Orificien. Wie-
derholung der Comedo-f Miliam-, Acne-, Molluscum- nnd Akrochordon-Form. Verschiedenheit
des Inhaltes. Confluenz. Polypi cystici s. hydatidosi. — Weiblicher Sexualapparat: Ovula
Nabothi, Acne orificii externi, Blasenpolypen des Collum und Corpus uteri , Schleimcysten der
Utemsbohle. Neigung «u Fluor nnd Metrorrhagie. — Magen- und Colon -Schleimhaut: Co-
litis cystlca polyposa. Antruro Highmori. Retrotrachealdrusen. Blasenpolypen des Laryux.
Schleimcysten der Vagina.
"ie letzte grössere Gruppe der Balggeschwülste, und zwar gerade
diejenige, welche die gewöhnlichsten Arten derselben enthält, bil-
len nach der früher gegebenen Eintheilung (S. 121) die Ret cn-
^ionsgeschwülste. Ich verstehe darunter diejenigen, bei wel-
chen irgend ein besonderes Secret, nicht ein blosses Ausschwitzuugs-
E^roduet aus dem Blute, sondern ein Erzeugniss oder wenigstens
^in Ergebniss der Gewebsthätigkeit das ursprüngliche An-
bftufungs - Material bildet. Freilich haben wir auch schon bei
^n zuletzt besprochenen hygromatösen und hydrocelischen Arten
ij *
212 EUfte Vorlesung.
Gewebsproducte unter den Stoffen, welche die Geschwulst erfüllen,
kennen gelernt, aber als Regel muss doch bei ihnen betrachtet
werden, dass der grössere und namentlich der wesentliche Antheü
Transsudationsproduct ist. Bei den RetentionsgeschwQlsten ist da-
gegen das Wesentliche und Bestimmende zunächst nur die An-
häufung von Secretstoffen.
Diese können jedoch eine doppelte Beziehung zu dem Sack
haben, in welchem man sie angehäuft findet Entweder sind sie
von der Membran dieses Sackes selbst abgesondert, also örtliche
Erzeugnisse, welche nur nicht, wie sie eigentlich sollten, von
dem Orte ihrer Entstehung entfernt, fortbewegt worden sind. Die-
ser Fall tritt ein, wenn das Secret einer bestimmten Drüse in den
feineren Kanälen der Drüse selbst zurückgehalten wird. Oder die
Secretstoffe sind an einem anderen Orte abgesondert, als
wo sie »ich nachher finden; sie sind von dem Orte ihrer Ent-
stehung fortbewegt, <iber nicht, wie sie sollten, ganz und gar ans
dem Körper oder aus dem betreffenden Apparat entfernt worden.
Dieser Fall liegt vor, wenn das Secret einer bestimmten Drüse
nicht in den Drüsenkanälen selbst, sondern in den Ansf&hnuigs-
gängen zurückgehalten wird.
In beiden Fällen sind präexistirende offene Räume,
und zwar in der Regel Kanäle, der Sitz der Anhäufung, und die
Geschwulst gewinnt ihren cystischen Charakter durch die Erwei-
terung (Dilatation, Ektasie) des Kanals zu einem Sack. Dieser
Sack kann ganz geschlossen sein, und dann ist es oft schwer xu
ermitteln, ob derselbe aus einem früheren Drüsen- oder sonstigen
Kanal entstanden oder ganz und gar neugebildet ist. Ein grosser
Theil der Streitigkeiten über die Entstehung der Cysten erklirt
sich eben aus dieser Schwierigkeit. Ich behalte es mir vor, auf
die allgemeine Theorie der Cysten später zurückzukommen, wenn
ich von der Neubildung derselben in der Reihe der Proliferations-
Geschwülste (Gewöchse) zu handeln haben werde. Hier hebe ich
nur hervor, dass es zu grossen Irrthümem fQhrt, wenn man die
Cyste als eine bestimmte histologische oder organologische Er-
Hchoinung schlechthin betrachtet und eine allgemein gültige Formel
für ihre. Entstehung sucht Gerade die Mannich<igkeit der EiU-
Nti'hiuig orgiebt sich aus der genaueren Untersuchung versckie-
di^fii*r <*yHtenbildungen, und es kommt daher nicht selten vor,
wiü Mchun die nächsten Betrachtangen uns lehren werden, daas
Theorie der FoUienlarcysteD. 213
an derselben Localität scheinbar ganz analoge Cysten
Ton ganz Yerschiedener Entstehung und demnach auch
Yerschiedener Bedeutung vorkommen.
In der Geschichte der Wissenschaft ist durch die Verkennung
dieser Wahrheit eine unaufhörliche Verwirrung herbeigeführt worden.
Schon in der Schule von Boerhaave*) war die Thatsache, dass
aus der Resention von Secretstoffen bestimmte Geschwulstformen
hervorgehen, klar erkannt. Gerard van Swieten**) spricht
sieh darüber in der bestimmtesten Weise aus. Allein die Vor-
stellung von der maschigen Anordnung des Zellgewebes, und die
Erfahrung von dem Vorkommen ganz analoger Geschwülste an
Stellen, welche kein Secret dieser Art liefern, führte zu der
gerade entgegengesetzten Lehre, welche seit Bichat ***) völlig
festgestellt schien. Die Räume (Zellen) des Zellgewebes stellten
sich als die natürlichen Erzeugungsstätten der verschiedensten
Absonderungen dar, und man brauchte sie nur sich erweitem und
das umgebende Gewebe sich verdichten zu lassen, so war der
„Balg** fertig und der Tumor cysticus gegeben. Erst unter den
mannichfaltigsten Schwankungen, und selbst jetzt noch nicht ohne
vielfachen Widerspruch, ist die Lehre von der verschiedenen
Natur scheinbar identischer Formen der Balggeschwülste begrün-
det worden.
Entsteht eine ganz geschlossene Cyste aus einem früher offe-
nen Kanal, so dass die Kanalwand zur Gystenwand wird, so setzt
dies eine Verschliessung der Mündung oder eines Theils des Ka-
nals, eine Atresie oder eine Obliteration voraus. Dieser Vor-
gang kann unmittelbar durch eine wirkliche Verklebung und Ver-
schmelzung der Oberflächen (Agglutination) erfolgen, wenn
die Oberflächen in einen veränderten, wunden oder adhäsiven
*) Rays eh (Advers. anat. med Chirurg. Amstel. 1727. Dec. I. no. IV.
p. 12.) theilt die Ansicht von Boerhaave selbst genauer mit.
^^) 0. van Swieten. Commentaria in Ilermanni Boerhaave Aphorismos.
Logd. Bat. 1746. T. I. p. 165. Numeroeissimae in variis locis corporis sunt
tapullae sive folliculi; tota cutis externa, interior superficies oris, oesophagi,
▼entrieuli, intestinomm etc. similibus folliculis obsidetur undique. Si jam
t quacunque causa obstmatur emissarium talis folliculi , non potent evacuari
contentos in cavo folliculi liquor, augebitur copia liquidi retenti et disten-
detur folliculus, sie ut ex invisibili parvitate in molem aliquot librarum ali-
({lando excrescat. — Haec jam est communis idea ampuUosomm tumorum:
Md Tariaat ratione materiae contentae.
*^) Xav. Bichat Traite des membranes Paris. 1802. p. 165. Anatomie
S^ttMe, id. de Blandin. Paris. 1830. T. I. p. 132.
214 Silfta Voriesng.
•
Zustand gerathen sind. Viel hfinfiger tritt zunächst in den Wan-
dungen oder in ihrer nächsten Umgebung eine Verdichtung mit
Schrumpfung (Retraetion) ein; dadurch bildet sich eine Ver-
engerung (Strictur, Stenose), welche inmier enger wird und
schliesslich zur Annäherung der Flächen f&hrt, so dass die voll-
ständige Versehliessung erst nach langer Zeit eintritt.
Häufig hält man aber den Sack für ganz geschlossen, wo
eben nur eine äusserste Strictur vorhanden ist, oder wo die Ent-
leerung der Secretstoflfe durch einen anderen Umstand gehindert
winL Nicht selten wird durch den Druck einer Geschwulst oder
eines vergrOsserten Nachbarorgans eine theilweise Comp res sion
der Kanäle hervorgebracht Oder das Secret selbst bildet durch
seine zähe Oiler trockene Beschaffenheit eine Verstopfiang (Obstruc-
tion) der Mundung oder eines Abschnittes des Kanals. Oder endlich
die Mündung oder der Kanal selbst wird durch irgend eine Verschie-
bung, Zerrung, Faltung der Wand undurchgängig; nicht ganz selten
entsteht namentlich ein klappenartiges Hinderniss, indem
die eine Hälfte der Wand sich gegen die andere anlegt
Die eigentliche Atresie und Obliteration setzen immer einen
entzündlichen oder wenigstens einen irritativen Charakter des
localen Processes voraus, da ohne ihn eine so vollständige Ver-
wachsung und Verschmelzung niemals zu Stande kommt Com-
prossion, Obstruction, klappenartige Hindemisse dagegen können
ohne alle Reizung bestehen, indess sind auch sie erfahrungsgemit^s
H«4ir oft damit verbunden. Jedenfalls kann dieselbe Art von cysti-
Hcher oder sackiger Dilatation der Kanäle auf beide Weisen ent-
Htehen, denn da die Retention der Secretstoffe die Hauptsache
JMt, HO ist es gleichgültig, ob der dilatirte Kanal bloss verstopfe
oder compriinirt, oder ob er ganz obliterirt ist
Mit Recht hat man daher bei der Untersuchung dieser G^
m hwülsto immer einen grossen Werth auf die chemische Erfo«'
Mrhniig des Inhaltes gelegt Denn die verschiedene Natur A*^
HfM'retHtoiTe muss natüriich den Inhalt dieser Cysten sehr v^^'
«rhli'^len erscheinen lassen. Aber man kann sich hier auch s^*^^
MtUi tlhiHchen, und man hat sich häufig getäuscht, indem
von (lor Voraussetzung ausging, der Inhalt sei unveränderli
l'Jim Hpricheh'yste sollte Speichel, eine Gallencyste Galle, e '^^
^WiriMMM'VHtr Samen enthalten, gleichviel vrie viel Monate oder J;
r
»ijit HiM li bcNtehen mochte. Die Erfahrung hat gelehrt, daas c»'^
VerändeniDg des GjBteainhalts. 215
ein Irrthum war, dass gerade im Gegentheil der Cystenin-
halt 8ehr veränderlich ist. Nicht nur ändern sich die ur-
sprünglich retinirten SecretstofTe in ihrer Zusammensetzung, zu-
weilen so sehr, dass kein unveränderter Rest mehr von ihnen
übrig bleibt, sondern sie werden auch wohl ganz und gar resor-
birt. Zugleich mischen sich neue, sei es secretorische, sei es
transsudatorische oder hämorrhagische Producte von der Wand
bei, und es kann so geschehen, dass im Laufe der Zeit der
ursprüngliche Charakter des Cysteninhaltes ganz und
gar verloren geht. Man kann wässerigen Inhalt finden, wo
früher gallertartiger war; gefärbten, wo früher farbloser existirte;
zelligen, wo ursprünglich nur amorphe Stoffe lagen.
£& ist daher nothwendig, im Laufe dieser Geschwulstbildung
verschiedeneStadien zu unterscheiden. Nur im Initialstadium
sind die specifischen Secrete in ihrer Reinheit vorhanden, welche
den eigentlichen Grund zur Geschwulstbildung legten. Eine Unter-
suchung in späteren Stadien zeigt oft ganz andere und neue Stoffe,
die theils aus der Zersetzung der früheren hervorgegangen, theils
von der Wand nachträglich geliefert sind. —
Wir beginnen mit den Retentionsgeschwülsten, welche durch
Anhäufung des Secretes an Ort und Stelle seiner Bildung bedingt
werden. Hier steht obenan diejenige Form, welche in neuerer
Zeit oft als die Balggeschwulst (Tumor cysticus s. follicularis)
schlechthin bezeichnet worden ist, diejenige, welche seit alter Zeit
wegen der Consistenz ihres Inhaltes Atherom (Brei- oder Grütz-
geschwulst, Grützbeutel) genannt worden ist*). Denn a^i^ oder
d^d^a bedeutet Pultum, Massa pultacea, Brei. Sie kommt sehr
häniig an der äusseren Haut vor, und entsteht durch die An-
häufung der natürlichen Secrete derselben innerhalb der natür-
lichen oder krankhafter Weise gebildeten Einstülpungen der Ober-
fläche.
In der R^gel, und zwar bei den grösseren Formen immer,
idnd es die Haarbälge, welche den Sitz der Retention darstellen.
Hikroskopische Retentionen finden sich freilich auch mehr an der
Oberfläche, z. B. zwischen verlängerten Papillen der Cutis oder
^) Plattdeatdch Wäne, hoUäodisch Wen, englisch ebenso. Vielleicht ver-
wandt mit Finoe. Französisch loupe, in ganz spätem Latein lupia.
216 Silft« Vorleaiiiig.
zwischen den vertieften Leisten des Nagelbettes, wo nach meinen
Untersuchungen*) sogar die später zu besprechenden perlartigen
Gebilde sehr gewöhnlich sind. Hier kommt es jedoch znn&chst
nur darauf an, die eigentlichen Atherome zu erörtern, da jene
anderen Zustande mehr den epidermoidalen Geschwülsten zuzu-
rechnen sind.
Die Haarbälge (folliculi pilorum) sind bekanntlich Einstül-
pungen der Haut, deren Oberfläche mit Epidermis bekleidet ist,
und aus deren Grunde die Haare, gleichsam Verlängerungen der
Epidermis, hervorwachsen. Das Secret der Oberfläche ist hier
also Epidermis. Dazu kommt in sehr verschiedenen Mengen Fett
oder Schmeer aus den Talg- oder Schmeerdrüsen der Haut, deren
Ausführungsgänge in den Haarbalg einmünden **). Das Fett kann
frei oder noch in Zellen eingeschlossen sein. Seine Menge ist
natürlich sehr verschieden, nicht blos je nach der Art der Rei-
zung, sondern auch je nach der Zahl und Grösse der Talgdrüsen,
welche in einen Haarbalg münden, und je nach der grösseren
oder geringeren Höhe, innerhalb deren sich die Anhäufung in
dem Haarbalg bildet. Manchmal fehlt die fettige Beimischung fast
ganz; jedenfalls überwiegt in der Mehrzahl dieser Geschwülste
der epidermoidale Charakter, und er ist es, welcher die breiige
Beschaffenheit des Inhaltes bedingt. Mag daher auch in man-
chen Fällen die jetzt in England gebräuchliche Bezeichnung der
Schmeerbälge (sebaceous cysts) zutreffen, so erscheint doch
der alte Name der Atherome, schon weil er kein bestimmtes
Präjudiz über die Entstehung einschliesst, weit vorzüglicher.
In dem Maasse, als die Anhäufung geschieht, erweitert sich zu-
nächst der Haarbalg. Die geringsten Anfange davon stellen die Gri-
nonen oder Gomedonen,die sogenannten Mitesser oder Finnen,
dar. Es sind dies epidermoidale, mit etwas Fett durchsetzte Gylinder,
welche gewöhnlich um den Haarschaft herumliegen, und sich in
Form von länglichen, wurmförmigen Körpern hervordrücken lassen.
An ihrer Spitze haben sie meist einen schwärzlichen oder bräun-
lichen, durch Schmutzfärbung hervorgebrachten Theil***), and so
gleichen sie allerdings kleinen Würmchen (Yermicelli) nicht wenig.
•) Würzburger Verhandl. Bd. V. S. 86.
^^) Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 313. Fig. 116.
**') Daher scheiDt der französische Name tanne su stammen, denn Un
bcdt utet Gerberlohe und t«Dn^ lohfarben.
GomedoneD. 217
Aber sie haben damit nichts zu thun. Nicht einmal die Ent-
deckung der Acari folliculorum durch Gustav Simon hat in
dieser Auffassung irgend etwas geändert. Denn die Milben kom-
men an vielen Stellen vor, wo nichts weniger als ein Gomedo
besteht) und umgekehrt findet man Gomedonen, ohne dass Acari
ödere andere Parasiten vorhanden wären. Es kann also von
irgend einer thierischen oder parasitischen Natur der Gomedonen
im engeren Sinne durchaus nicht die Rede sein*).
Wenn die Epidermis- und Schmeer -Anhäufungen reichlicher
werden, so ist natürlich das Resultat, dass der Haarbalg, welcher
normal einen nach unten allmählieh etwas weiter werdenden, ge-
schlossenen Kanal darzustellen pflegt, an den Stellen, wo die
hauptsächliche Anhäufung geschieht, sich mehr und mehr erwei-
tert. Es kann dies in seiner ganzen Ausdehnung der Fall sein;
es kann aber auch geschehen, dass die Erweiterung dicht unter
der Oberfläche liegt und der Balg nach unten hin noch seine ge-
wöhnliche Weite behält; häufiger dagegen ist der obere Theil
mehr frei und die Anhäufung geschieht mehr in der Tiefe. Das
richtet sich sehr wesentlich nach der Dicke der Gutis und der
Länge der Haarbälge, die an verschiedenen Stellen des Körpers
ausserordentlich verschieden ist. Die Gesichtshaut, namentlich an
den Augenlidern und in ihrer nächsten Umgebung, ist überaus
fein, die Haut am behaarten Theil des Kopfes und am Rücken
dagegen sehr dick ; letztere ist häufig um das Vierfache und noch
mehr stärker, als die erstere. Diese aber führt nur Wollhaar
(Lanugo), dessen Bälge nicht durch die Gutis hindurchgehen,
sondern ganz in ihr enthalten, also sehr kurz sind; am behaar-
ten Theil des Kopfes aber und an andern Stellen, wo stärkere
Haare liegen, treten die Haarbälge durch die Gutis bis in das
Unterhantgewebe hindurch. Hier geschieht es daher häufig, dass
im unteren Theil des Balges die Retention erfolgt, während der
obere, an sich engere Theil, der sogenannte Hals des Balges,
entweder seine normale Weite behält oder gar durch irgend ein
Moment zusammengedrückt wird. Letzteres tritt namentlich dann
leicht ein, wenn in der Haut selbst irgend ein pathologischer Pro-
cess besteht, durch welchen die Haut - Oberfläche anschwillt oder
*) Boerhaave bei Ruysch. 1. c. p. 12. Hall er. Eleroenta phjsiologiae.
Üb. XII. Sect. I. §. 20. (Laosannae. 1763. T. V. p. 41.).
218 Eilte Vorimmg.
sich in sich retrahirt, zusammeDscbmiDpft. Während in dem Binde-
gewebe ein irritatiTer^ zomai ein formativer Process stattfindet,
wuchert auch die Epidermis des Haarbalges; ja ich habe sogar
neue^ drösenartige Ausstülpungen aus dem Haarbalge beobachtet.*)
Es ergiebt sich hieraus adsbald eine verschiedene Art der
Entstehung der Anhäufung, insofern einmal die Zustände der Catis
selbst die Bedingungen abgeben, wodurch eine Verengerung er-
zeugt und die Lumina der Haarbälge in ihrem oberen Theile von
aussen her zusammengedrückt werden, andere Male hingegen die
Obstniction durch die sich anhäufende Masse selbst geschieht
Wenn in dem Haarbalg in kurzen Zeiträumen grosse Mengen
trockener Epidermis gebildet und abgestossen werden, wie es
namentlich bei allerlei irritativen Processen vorkommt, so kann
dadurch unmittelbar eine Obstruction entstehen. Das sind ver-
schiedene Modi, wo in dem einen Falle die Mündung enger ist
oder ganz und gar verschwindet, in dem andern Falle weiter
ist, aber durch die in ihr enthaltene Masse verstopft wird. Co-
medonen nennt man eigentlich nur diesen letzteren Fall, sowie
den, wo der Haarbalg in dem grössern Theil seiner Ausdehnung
mit reichlicherem Secret erfüllt ist, während, wenn die Mündung
gar nicht sichtbar oder doch nicht erweitert ist, wenn ferner nur
in dem tieferen Theil eines kurzen Haarbalges die Anhäufung
geschieht und mehr eine rundliche Form annimmt, das soge-
nannte Milium oder Grutum entsteht.**)
Beide Zustände kann man daher nicht selten an demselben
Individuum neben einander sehen. Milien kommen verhältniss-
mässig am häufigsten an den Stellen vor, welche die kürzesten
Haarbälge und die feinsten Lanugohaare besitzen, daher beson-
<l(^rH an der Haut der Augenlider und den nächst anstosaenden
Wungontheilon, wo sie sich bei manchen Leuten in so grosser
Zahl finden, dass die Haut ein weissgesprenkeltes Aussehen be-
kommt oder figurirte Gruppen entstehen (Herpes miliaris)^
wähnend gegen die Wangen hin, da wo der Backenbart kommt,
wenn auch die Leute keinen Backenbart haben, sich die Come-
dof'orm findet.
In dem ersteren Fall erscheint die Haut etwas emporgehoben
•) Mein Archiv. Bd. VL S. 552. Bd. YIII. S 418.
••) Kbeiida». 1H55. Bd. Ylll. S. 394.
Milium. 219
und unter ihr zeigt sich ein weissliches Korn; in dem andern
Fall ist die Stelle auch etwas angeschwollen, aber man sieht
an ihr gewölinlicii eine festere Masse, die bis an die Oberfläche
reicht und hier ein gefärbtes Aussehen zeigt. In beiden Fällen
besteht in der Regel die grössere Masse der Anhäufung nicht,
wie manche angenommen haben, aus Schmeer, sondern vielmehr
aus um - und übereinander geschichteten Blättern von platten Epi-
dermiszellen. Diese haben bei den Comedonen eine cylindrische,
dem Haarschafte parallele Lagerung; bei den Milien finden sie
sieh in der Anordnung, dass eine Art von zwiebeiförmigem Bau
entsteht, indem um einen, oft etwas excentrischen Mittelpunkt die
Schichten über einander gelagert sind. Diese Form ist insofern
von besonderem Interesse, als sie eine Structur wie eine Perle
hat und durch die Uebereinanderlagerung der einzelnen Blätter
nicht selten ein wirklich ))erlartiges Aussehen entsteht, nament-
lich jener matte, silberähnliche Glanz, der wahre Perlen auszeich-
net Es ist dieselbe Bildung, die wir später kennen lernen wer-
den bei der so viel besprochenen Perlgeschwulst, und der Bau
der einzelnen Körner stimmt in der concentrischen Anordnung
der Blätter wirklich mit dem der Perlen überein*).
Ausser den Epidermoidalmassen findet sich häutig eine mehr
oder weniger grosse Quantität von Fett, was davon abhängt, ob
kleinere oder grössere Talgdrüsen mit betheiligt sind. Es kann
sehr wohl vorkommen, dass der obere Theil des Follikels, in
den die Talgdrüsen einmünden, freibleibt und die Retention in
einer tieferen Abtheilung sieh macht. Handelt es sich aber um
Körperstellen, wo die Haare sehr klein, die Talgdrüsen dagegen
verhältnissmässig sehr gross sind, wie um die Nasenflügel, die
äusseren Genitalien, so kann das Fett überwiegen. Wie schon
erwähnt, findet es sich entweder noch innerhalb der Zellen, in
welchen es gebildet ward, oder es sind blosse membranlose Körn-
ehenkugeln, ähnlich den Colostrumkörperehen, oder sie sind schon
zerflossen und das Fett in Tropfen und Tröpfchen zertheilt. Nicht
selten kommen Abscheidungen von Cholestearintafeln vor, manch-
mal so reichlich, dass sie schon für das blosse Auge einen ge-
wisssen glimmerartigen Glanz bedingen. Manchmal aber sind die
•) Th. V. Hcssling. Die Perlenmuscheln und ihre Perlen. Leipzis. 1859.
S. 293.
220 E^ilfte Vorlesung.
Tafeln so fein, dass sie einen solchen Lichteffect nicht machen
und selbst bei der mikroskopischen Untersuchung zu Verwechse-
hingen Hihren können und geführt haben.
Während nehmlich das Gholestearin meistens grosse, rhom-
l)ische Tafeln bildet, deren Breite nur um ein Geringes kleiner
ist, als die Länge, so kommt es namentlich in Milien nicht selten
vor, dass die Tafeln nadeiförmig und schmal, ja manchmal so
fein sind, dass man kaum noch ihre Krystallform bemerkt und
dass sie, wenn sie zu vielen hinter einander liegen, eine nicht
geringe Aehnlichkeit mit manchen Fadenpilzen haben, womit sie in
der That verwechselt worden sind.*) Davon sind sie aber leicht
chemisch zu unterscheiden, denn abgesehen davon, dass sie in
Alkohol und Aether löslich sind, zeigen sie ganz characteristiscbe
Farbenveränderungen durch Einwirkung von Schwefelsäure. **)
Die fettigen Substanzen werden also in sehr verschiedenem
Maasse angehäuft, und es kann sein, wenn sehr yiel flüssiges
Fett da ist, dass die Geschwulst eine honigartige Gonsistenz be-
kommt und sich eine Meliceris bildet. Jedoch kommt dies
selbst an solchen Stellen, wo die Haare gegen die Talgdrüsen
ganz in den Hintergrund treten, wie an der Nase, doch nur in
geringerem Grade vor. Bei einer massigen Grösse der Anhäufung
gewinnt die Epidermis regelmässig die Oberhand, und obgleich
derselben so viel Gholestearin beigemischt sein kann, dass manche
Beobachter die Form als Gholesteatom bezeichnet haben, so
int doch selbst in diesen Fällen das Gholestearin der Masse nach
nicht der überwiegende Bestandtheil. Ich kann es daher schon
HUH diesem Grunde nicht billigen, diese Bezeichnung hier in An-
wiffidung zu bringen.***)
I)ie vermehrte Epidermisbildung ist an sich immer ein Rei-
znrigHphfinomen. Zuweilen geschieht sie unter den Erscheinungen
t^nt*r diffusen P^ntzündung in einer grösseren Ausdehnung. Einen
iH^rn^frkffnMwerthen Fall der Art, wo nach Erysipel am behaarten
tiff\ff, am (iesicht und Hals eine Unzahl kleiner Geschwülste etit-
tilüfulj berichtet Po r tat) ^^ seiner ausgezeichneten Monograpl>ie.
A^H*r nuvM dann, wenn die Retentionen ohne bemerkbare Entzün-
') MmIii Arrhiv. 1857. Bd. XII. S. 101. Taf. IV. Fig. B. d.
, Ci'lliilfirpnthologie. 3. Aufl. S. 331.
, Mirin Arrhiv. Bd. VIII. S. 392.
f/ Liiif(i Porta. Dei tumori folliculari sebacei. MiUoo. 1856. p. S2.
Acne uod Mollascnm. 221
dang zu Stande gekommen sind, machen sich häufig im Umfange
des Haarbalges irritative Vorgänge, bald in Form wirklicher Ent-
zündung, bald in einer mehr schleichenden Weise, als einfache
Wucherungen bemerkbar. Sind die entzündlichen Erscheinungen
prävalirend, so entstehen die verschiedenen Formen, welche man
seit Will an in der Dermatologie gewöhnlich unter dem Namen
der Acne*) zusammengefasst hat. Je nachdem die verstopften
und gefüllten Haarbälge der einen oder der anderen Reihe ange-
hören, kann sich auch die Acne sehr verschieden darstellen.
Erscheinen die Verstopfungen an der Oberfläche in der Form
von Ciomedonen, so giebt das die Acne punctata; liegen sie tiefer
und ist zugleich das Nachbargewebe geschwollen, die Gefässe er-
weitert und varicös, erheben sich zeitweise Pusteln an der Ober-
fläche, so hat man die Acne rosacea (Gutta rosacea, Couperose),
wie sie sich so oft an der „Kupfernase^ zeigt; verdickt sich die
benachbarte Haut, so entsteht die Acne indurata. Dabei wird
zugleich vorausgesetzt, dass die Affection sich über eine grössere
Fläche verbreitet und eine grössere Zahl von Follikeln betrifft.
Andere Male sind die Anschwellungen sehr langsamer Art;
man bemerkt an ihnen keinen entzündlichen Charakter, aber es
bildet sich allmählich um den epidermoidalen Tumor eine aus
dem umgebenden Bindegewebe hervorgehende hyperplastische An-
schwellung. Diese wird sich verschieden darstellen, je nachdem
die Comedo* oder die Miliumform existirte. Bei der Come-
doform finden wir eine über die Oberfläche sich erhebende
Anschwellung, welche in oder neben der Mitte eine mehr oder
weniger weite Oeifnung hat, durch welche man in den Sack ge-
langt; die Anschwellung ihrerseits aber stellt zum grossen Theil
eine Neubildung von hinzugewacbsener Bindesubstanz dar. Haben
wir die Miliumform, so werden wir in der Tiefe eine feste Epi-
dermiskugel oder eine mehr melicerisartige Masse abgeschlossen
linden. Beide Arten von Anschwellungen können ganz blass aus-
sehen; nicht selten sind sie aber an der Oberfläche der Sitz von
gelblichen oder bräunlichen Pigmentirungen. Seit Bäte man hat
man sie zusammengefasst unter dem Namen der Mollusken.
Dieser Name ist früherhinkeinesweges sehr scharf definirt worden**).
*) Bei deo Alten lonthos oder Varus.
**) Debrigens sagt schon Plenck Doctr. de roorbis cutaneis. Viennae.
1776. p. 87. Verruca carnea seil mollusca est tuberculum molle, senaile,
222 Eilfte Vorlesung.
aber mao hat sich seit einer sehr berühmt gewordenen, aber mei-
ner Meinung nach falsch gedeuteten Beob<iehtung von Tiiesius
mehr und mehr daran gewöhnt, ihn auf diese Form zu be-
schränken.
Mollusken dieser Art erscheinen auf den ersten Blick wie
gewöhnliche weiche Warzen (Verrucae moUes), und eine Menge
von kleinen Geschwülsten, die man mit dem Namen Warzen kurz-
weg bezeichnet, sind eben solche Mollusken. Es sind kleine Tu-
moren, oft nur von Stecknadelkopfgrösse, die jedoch zu umfang-
reichen Gebilden anwachsen und die Grösse einer Wallnuss uud
darüber erreichen können. Viele historische Warzen in den Ge-
sichtern älterer Männer gehören in diese Kategorie. Unter ihnen
hat man vielfach eine weitere Unterscheidung gemacht, indem
man sie in zwei Unter- Abtheilungen zerlegte: in die contagiö-
sen und nicht contagiösen. Bateman war der erste, uud
ihm folgten verschiedene andere englische Beobachter, welche auf
die Thatsache aufmerksam wurden, dass nicht allein bei demsel-
ben Individuum nicht selten eine grosse Zahl solcher Mollusken
sich bildet, sondern dass sie auch in gewissen Familien sieh
häutig tinden, dass insbesondere bei Kindern dergleichen Mollus-
ken sich entwickeln, nachdem sie vorher bei Dienstboten bestan-
den. Daraus hat man geschlossen, dass aus dem Inhalte der
Säcke etwas nach aussen sich entleere und Träger eines An-
steckungsstofTes würde. In der That könnte man sich eine solche
Contagiosität leicht denken, wenn es wahr wäre, dass Thiere,
wie der Acarus foUiculorum, oder Pilze, wie man sie im Grutum
zu finden glaubte, darin enthalten wären, allein bis jetzt ist es
nicht gelungen, etwas der Art zu entdecken.
Andererseits kann man nicht zugestehen, dass die Deutung
jener Beobachtungen eine unzweifelhafte ist. Schon Wilson*)
hat mit Recht darauf hingewiet en, dass es sich nur um das zahl-
reiche und gleichzeitige Auftreten einer nicht ungewöhnlichen
AiFection bei denselben oder bei verschiedenen Individuen handelt,
und dass möglicherweise nur Coincidenz, nicht ein ursächlicher
Zusammenhang vorliegt. Die Frage ist experimentell nicht ent-
cuti concolor vel rubens, saepe pilosum. In naso et facie ut plurirnum io*
venitur. Videtur admodum magna j^landula cutanea quasi esse.
^) ErasmuB Wilson. Die Krankheiten der Haut Aus dem Engl too
Schröder. IböO. S. 600.
Mollascam contagiosum und Akrochordon. 223
schieden. Durch Inocalation, wie sie Henderson und Paterson
vorgenommen haben, ist es nicht gelungen, ähnliche Neubildungen
hervorzurufen, wie das auch vorauszusehen war, da es sich um
die Haarbälge handelt und man den Stofl* nicht direct in dieselben
gebracht hat. Ein genetischer Unterschied zwischen Mollus-
cum contagiosum und non contagiosum ist jedenfalls nicht be-
kannt ; man könnte höchstens die mit geschlossenen Ausfuhrungs-
gängen fär nicht contagiös, und die mit offenen Ausführungsgän-
gen für contagiös erklären.
Ich halte es übrigens nicht für unwahrscheinlich, dass, wenn
aus einem Molluscum Secrete in einen normalen Haarbalg hinein-
gerathen, ein ähnlicher Process in demselben entstehen und die
Bildung ähnlicher Gebilde begünstigt werden könnte. Ein alter
Ausdruck sagt, dass solche Personen süchtig seien und das Volk
meint, dass durch Berührung Follicular - Entzündungen über-
tragen werden können. Aber, wenn dieses der Fall ist, so würde
es sich doch keineswegs um eine specifische Ansteckung handeln ;
man könnte nur annehmen, dass, wenn reizende Stoffe in einen
Haarbalg gelangen, sie einen Reiz setzen und durch diesen ähn-
liche Bildungen hervorgerufen werden. Wenn eine Magd in sehr
särtliche Berührung mit einem Kinde kommt, welches sie pflegt,
so liesse sich wohl denken, dass der Schmeer, der auf ihrem
Gesiebte abgesondert wird, in die Orificien der Haarbälge des
Kindes geriethe und hier einen ähnlichen Reizungszustand setzte,
wie er an ihren eigenen Drüsen und Follikeln bestand. —
Ein anderer Fall der Comedo-Umwandlung ist der, dass die
geschwollenen Follikel, namentlich da, wo die Haut dünn ist und
wo die Follikel keine grosse Tiefe haben, sich über die Ober-
fläche bervorschieben und eine steilere Prominenz bilden. Das
giebt eine Art von polypöser Bildung, und je nachdem die Mün-
dung offen oder geschlossen ist, einen Comedo oder ein Milium
pendulum s. polyposum. Werden diese Dinge sehr lang, so kön-
nen sie weit über die Oberfläche hervorhängen, und wenn nament-
lich irgend ein mechanischer Grund vorhanden ist, der das begün-
stigt, so können sie allmählich sich in Form von sehr langen,
schon von Galen unter dem Namen des Akrochordon bezeich-
neten Gebilden erheben. Diese Form kommt am häufigsten am
Halse und am Umfange der Augenlider, bis an die Schläfengegend
heran, vor. Namentlich bei Frauen habe ich mehrmals bemerkt,
224 Eüfte Vorlesung.
dass die kleinen Kinder, die sie auf dem Arm oder Schoose ha-
ben, daran ziehen und so der Hautpolyp allmählich länger und
länger wird. In dem Akrochordon kann späterhin an der Spitze
eine Entleerung des Inhaltes eintreten und der leere Sack zu-
sammenfallen, so dass man scheinbar einen einfachen Hautpolypen
vor sich hat.
Wie bei den Akrochorden ein einzelner erweiterter Follikel
mit dem ihn umgebenden wuchernden Bindegewebe sich über die
Oberfläche erhebt, so geschieht dies zuweilen mit ganzen Gruppeu
von Follikeln. Die Anschwellung kann auch hier mehr polypös
sein ; meist jedoch ist sie flacher, platter und zugleich mehr höcke-
rig, wie man gewöhnlich sagt, warzig. Dahin gehört namentlich
eine gewisse Art angeborner Hautanschwellungen, Naevus fol-
licularis. Jedoch kommen ganz ähnliche Formen auch als er-
worbene vor, und namentlich Porta*) hat die lehrreichsten Fälle
davon mitgetheilt. —
Von diesen Formen, die alle niedrigere Entwickelnngs-
Zustände ausdrücken, giebt es endlich den Uebergang zu den
eigentlichen Atheromen, die sich von ihnen hauptsächlich
unterscheiden durch die Grösse, welche die in ihnen angehäufte
Epidermismasse erreicht. Denn das ist das einzige Kriterium,
wonach man den Namen auswählt. Erreicht ein Milium oder ein
Comedo die Grösse einer Erbse, so beginnt man schon von einem
Atherom zu sprechen, und wenn die Geschwulst die Grösse einer
Kirsche oder einer Wallnuss oder gar einer Faust erreicht, so
trägt Niemand Bedenken, die klassische Bezeichnung Atherom in
Anwendung zu bringen.
Auch in diesen grossen Formen kann die Mündung des Fol-
likels noch offen sein, und wenn man die trefflichen Arbeiten von
Astley Cooper**) und Luigi Porta und die Abbildungen
dazu ansieht, so kann man sich leicht überzeugen, dass die An-
sicht von dem Entstehen dieser Geschwülste aus Haarfollikeln gant
unzweifelhaft ist. Die einzige Schwierigkeit könnte entstehen,
wenn der Zusammenhang des Tumors mit der Oberfläche nicht
mehr recht nachzuweisen ist. Hier muss man sich zunächst er-
•) Porta. 1. c. p. 37, 42, 49. Tab. I. Fig. 15. Tab. II. Fig. 1. Tab. Ifl.
Figur 1.
^^) AHtley Cooper and Benjamin Travers. Surgtcal Essays. Lond.
18SI0. T. II. p. 229. Plal. &
Neoplastbche und follicalare Atherome. 225
innern, dass in der That nicht alle Dinge, die man Atherome
nennt, in dieselbe Kategorie gehören, dass es insbesondere auch
dermoide cystische Neubildungen giebt. Ich werde die-
selben in dem Kapitel von den Kystomen genauer behandeln, und
bemerke daher für jetzt nur, dass die meisten Beobachter der
neueren Zeit diese zwei Formen anerkannt haben, und der Haupt-
streit über die Gebietsgrenzen zwischen den beiden gefuhrt wor-
den ist Während nehmlich einzelne nur für die Atherome der
mneren Organe die neoplastische Natur zugestanden, nahmen
andere auch mehr oder weniger viel von den Atheromen der
äusseren Oberfläche des Körpers für dieses Gebiet in Anspruch.
Gewöhnlich wird A. Co o per als der erste Entdecker des
follicularen Ursprungs der cutanen Balggeschwülste angeführt.
Allein ziemlich gleichzeitig mit ihm stellte B^clard*) dieselbe
Lehre auf, und noch früher hatte Cruveilhier **) die ersten
Grundlagen derselben ausgesprochen. Indess sind diese Priori-
täts-Ansprüche sämmüich ohne Bedeutung, da, wie schon erwähnt
(S. 213), Boerhaave ganz klar in der Sache war, und sein
grosser Schüler van Swieten***) die Formel durchaus so auf-
stellte, wie sie noch gegenwärtig lauten muss, und wie eine grosse
Zahl neuerer Beobachter f) sie gleichfalls aufstellten. Gegen die
folliculare Entstehung der Balggeschwülste, obwohl er sie in einem
gewissen Maasse anerkannte, erhob sich zuerst Philipp v. Wal-
ther tt)i indem er darthat, dass häufig Atherome in der Tiefe der
Organe vorkämen und einen ganz verschiedenen Inhalt führten.
*) Vgl. seine Note za Bichat Anat. gener. ed. de Blandiu. Paris. 1830.
T. IV. p 434.
**) GruYeilhier. Essai snr Tanat. pathol. en genöral. Paris. 1816. T. I.
p. 327.
***) Tan Swieten. Gommentarii in Boerhaave Aphor. Lngd. Bat 1745.
T. I. p. 111'. In cnte externa folliculi, emissario obstructo, tumeutes, nova
^ge8ta materia, nee evacuata, toties in hos tumores (meliceris, steatoma,
itheroma) degenerant. In internis et nasci posse similia, docuerunt obser-
^ationes medicae.
t) Ribbentrop. Rust's Magazin 1845. Bd. 64. S. 3. Lebert. Physio-
logie pathologique. Paris. 1845. T II. p. 49. Abhandlungen aus dem Gebiete
der praktischen Chirurgie u. pathol. Physiol Berlin. 1848. S. 91. Gust.
Simon. Die Hautkrankheiten. Berlin. 1851. S. 268, 351. v. Bärensprung.
Beiträge xur Anat. u. Path. der menschl. Haut. Leipzig. 1848. S. 85.
tt) Jonrnal f&r Chirurgie u. Augenheilkunde von Gräfe u. v. Walther.
1822. Bd. IV. S. 379.
Virchow, Geichwülate. 1. 15
226 Eilfte Vorlesung.
Ihm schlöss sich eine Reihe der besten Beobachter *) an, so dass
für den unbetheiligten Zuschauer leicht der Eindruck entstehen
konnte, als ständen sich hier zwei diametral entgegengesetzte An-
sichten gegenüber. Und doch besteht keine andere Verschieden-
heit zwischen den Beobachtern, als die über die Frequenz der
einen oder der anderen Form, und zwar auch nur, insofern es
sich um die äussere Haut handelt. Denn alle der Tiefe der Or-
gane angehörigen Atherome sind unzweifelhaft heterologe Neubil-
dungen ; nur an der Mundschleimhaut, zumal am harten Gaumen,
habe ich die folliculare Miliumform noch beobachtet **). Die athe-
romatösen Kystome der Haut aber mus& man durch Specialanalyse
kennen lernen und aus der vorliegenden Betrachtung ausscheiden.
Aber freilich geht in manchen Fällen auch von wahrem Athe-
rom die Haut ganz glatt über die Oberfläche der Geschwulst hin-
weg, und es entsteht daher leicht der Eindruck, als habe man es
mit einem neoplastischen Sack zu thun. Wenn man jedoch fein
präparirt^ so findet man, dass der Tumor durch einen feinen Stiel
mit der Haut in Verbindung steht, und zwar manchmal gerade
an einer, schon äusserlich etwas eingezogenen oder anders ge-
färbten Stelle. Dieser Stiel ist meistens nicht hohl, sondern ge-
schlossen. Das Verhältniss ist demnach wie bei jenen Milien,
wo wir die Mündung auch nicht mehr wahrnehmen. Aber man
kann sich in einer Reihe von Fällen überzeugen, wie die Oblite-
ration zu Stande kommt, und diese aus der genetischen Erkennt-
niss der Bildung hergenommene Ueberzeugung hilft über viele
Scrupel bei anderen Fällen hinweg. Wenn man die Ränder alter
Geschwüre an den Unterschenkeln betrachtet, so findet man zu-
weilen eine grosse Reihe von perlartig glänzenden Milien, welche
zum Theil noch in den deutlich erkennbaren Haarfollikeln stecken.
Sie entstehen, indem durch die Verziehung der Narbe und durch
das Hineingreifen der Narbenbildung in das umgebende Gewebe
eine Verengerung oder gar ein Verschluss der Mündungen der
in diesem enthaltenen Haarbälge zu Stande kommt
An jedem grösseren Atherom findet man zuerst eine Binde-
*) Zeis. Beobaohtungon ii. Erfahrongen ans dem Stadtknokeiihaase lO
l)rosdon. Heft II. Dresden. 1853. S. 1. Paget. Lect. on sorgicml patb.
Vol. 11. p. 8H. Wernher. In meinem Archiv. 1856. Bd. VIII. S. 221. Hart-
man n. KbiMiila.s. 1^.*»7. Bil. \11. S. 430.
♦•) Mein Anhiv. 1855. Bd. Vlll. S. 384.
StructuT der Atherome. 227
gewebsmembran (Pericy stium), welche aussen herumgeht und
eine geringe Zahl von Geissen trägt; sie ist auseerordent-
lich fein und zart *) , und keineswegs zu verwecliseln mit dem,
was die älteren Schriftsteller gewöhnlich die Membran genannt
haben. Denn das ist vielmehr die äusserste Schiclit von com-
pacter Epidermis, welche freilieb wie eine dicke Kapsel erscheinen
kann gegenüber dem Centrum, welches in
der Regel zusammengesetzt ist aus brüchi- ">- ^*'
gen, mürben Massen von lockerer und er- \\\i \ ,^ ,
weichter Epidermis, untermischt mit Fett. ''j/m jMj^'
Namentlich findet sich fast jedesmal viel - ^^— ■
krystallinisches Cbolestearin , selbst dann,
wenn flfiaeiges Fett fast ganz fehlt, und ge-
wöhnlich in 80 grossen Tafeln, dass es dem
Brei ein glitzerndes Aussehen giebt. Ist
fiel flässiges Fett vorbanden, dann ist die
äussere , festere Epidermistage sehr dünn , das Centrum sehr
weich, und in der bonigartigen Masse desselben bemerkt man
weissliche Blätter, welche Aehnlichkeit mit den Blättern des so-
genannten Cholesteatoms haben, womit sie aber nicht verwech-
Belt werden dürfen. — Anderemal bat die Masse ganz das Aus-
sehen von festem, stearinartigeni Fett, so dass nai;h der alten
Terminologie der Name Steatom zutreffen würde, jedoch findet
man in solchen Fällen bei genauerer Untersuchung viel weniger
Fett, aJe man erwartet hatte. Dagegen wird man oft über-
rascht durch eine gewisse Zahl feiner Lanugo-llärchen, welche
durch die breiige Inbaltsmasse zerstreut sind. Ihr Vorkom-
men erklärt sich aus der natürlichen Einrichtung gewisser Fol-
likel, welche mehrere Haarwurzeln enthalten. — Endlich, wenn
die Epidermisbildung ganz rein ist, so kann auch bei grossen
Gefichwalsten ein regelmässig zwiebelfOrmiger Bau vorkommen,
indem sie aus concentrisch übereinander gelagerten, sehr dich-
ten Schichten ganz dünner Epidermisblätter zusammengesetzt
Pig. 33. Einfaches Atherooi vom behaarten Kopftheil. Die Cyste liegt
im Cnt«rhautfett, die Cutis geht Ober sie hinweg. Mnii unterscheidet ao
ihr das breiige Centrum , die dicke Epidermoidalachale und die sehr feine
Follikelhaot (Pericyslinm). Natürliche GrJigae. Durchschnitt.
*) Crnveilbier. Traite d'auat. patb. gener. T. 11!. p. MÜ.
16*
228 Silfte VorlesuDg.
sind. Alle diese Formen *) begreifen sich sehr leicht, wenn man
die verschiedenen Möglichkeiten, die aus der verschiedenen Ein-
richtung der Haarfollikel und Talgdrüsen hervorgehen, in Er-
wägung zieht; ihre innere Zusammensetzung gestattet wiederum
rückwärts eine Anschauung darüber, von welcher Abtheilung des
Sackes aus die Bildung geschehen, insbesondere ob dabei mehr
die Wand des Haarfollikels oder mehr die Talgdrüsen bethei-
ligt sind.
Der Grund des Wachsthums einer solchen Geschvnilst ist
natürlich vor Allem die fortgehende Absonderung neuer Epidermis
an der Oberfläche des Sackes. Denn die äussersten Schichten
des Inhaltes sind immer die jüngsten, die innersten die ältesten.
Der zweite Grund des Wachsthums ist je nach Umständen die
Hinzuf&gung von neuem Talg. Aber bei einer gewissen Grösse
des Sackes wird die Talgabsonderung sistirt, theils durch den
Druck, den die Geschwulst auf die dicht neben dem Haarbalg
gelegenen Talgdrüsen ausüben muss, theils dadurch, dass die Talg-
drüsen mehr und mehr in den sich ausdehnenden Sack mit auf-
gehen. Daher nehmen, je grösser die Geschwülste werden, die
Absonderungen von Talg ab, und wenn man grössere Säcke
findet, welche überwiegend mit Talg oder mit honigartigem Schmeer
gefüllt sind, so kann man in der Regel annehmen, dass es nea-
gebildete Dermoide sind.
Am häufigsten ist das Atherom solitär. Namentlich die grösse-
ren W^änen am behaarten Kopftheil, welche sich allmählich als
grosse Geschwülste (Talpae), und dann gewöhnlich mit nackter, oft
glänzender Oberfläche, über die Haut erheben, pflegen ganz verein-
zelt zu sein. Manchmal aber konunen sie in grosser Zahl am Körper
vor, und einzelne Regionen, wie das Scrotum, sind zuweilen ganz
übersäet damit. In solchen Fällen hat man aus der Multiplicität
wiederum auf die Gonstitutionalität dieser Balggeschwülste ge-
schlossen. Man kann dies in einer gewissen Weise zugestehen.
Eine gewisse Veränderung der Absonderung muss hier in grösse-
*) Galen US. Method. medendi üb. 14. cap. 12: freNquentissima kojiis
morbi sunt tria genera, quorum singula propriam appellationem graece sont
fiortita: ea sunt Atheroma, Stentoma et Meliceris, a similitudlne eontentinia
in tumoribus substantiarum dicta. Est enim aliod eomm Telati mthid,
aliud vcluti mel, aliud pulticulae quam atheram vocaot, simile. (cf. Galea.
l)e tumoribus praeter naturam cap. 5.).
Atherome. 229
rer AuBdebnuog bestehen, indem entweder reichlichere Mengen
TOQ Epideimis an der Wand der Haarb&lge erzeugt, oder gerin-
gere Mengea von Schmeer abgesondert, und daher die natQrliche
Beweglichkeit der EpidennisEellen gegeneinander vermindert wird,
oder endlich der Schmeer in einer zu zähen, man mOchte sagen,
zu harten Form auftritt. Das kann man anerkennen. Aber wenn
man aus der Constitutionalität sofort auf eine Dyskraeie schliesRen
will, so ist dies jedenfalls sehr willkürlich und gewiss meist falsch.
Die CoDstitutionalitit ist hier eine durchaus Ortliche Eigenschaft
der Haut oder vielleicht nur der Haarbälge.
Besteht eine Hultiplicitfit, so können die Atherome so dicht
hegen, dass sie sich berühren, Ja doss sie wie zu einer einzigen
Geschwolst zusammentreten. Die gros-
sere nnd ältere comprimirt dann die ^«- ^■
kleineren und jüngeren, sie nimmt sie
gleichsam in ihre Wand auf, und es
kann leicht so scheinen, als seien sie
iu dieser Wand neu entstanden. Mei-
ner Meinung nach sind diese zusam-
mengesetzten Formen mehrfach mit
atheromatfisen Dermoiden verwech-
selt worden, von denen sie sich genetisch ganz und gar unter-
scheiden.
Wa« dMi Verlauf des Atheroms betrifft, so macht es manch-
mal einen Stillstand in seiner Entwickelung, und wird dann, zumal
wenn es klein ist, ohne weitere BelSstigungen ertragen. Gew(}bn-
lich finden dann später Verkalkungen der Epidermiszellen statt,
bald mehr äusserlicb, so d^s sich eine Art von Schale bildet,
bald innerlich, indem entweder nur an einzelnen Stellen Kalk-
kOmer entstehen nnd der Inhalt eine mörtelartige Beschi^enheit
umimmt, oder der ganze Inhalt in eine kreidige Masse verwan-
delt wird. So ist in einem Präparate unserer Sammlung das
Scrotnm mit haufkom- bis erbsengrossen, kreidigen Atheromen
Fig. 31. Zusunmea gesetztes Atberom von WallnussgrOtise, unter der
Kopfh&at gelegeo. Es besieht fast ganz aus dichter, nur in gewissen Ricb-
tBDge'n brttckUg gewordener nnd icrklQfteter Epidermismasse. Neben der
grossen Geschwolat sieht man auf dem Durchschnitt, und zwar zwischen ihr
und der Haut, eine kleinere, flach-linsenfCrmige mit ganz dichtem, und zam
Theil verkreidetem Inhalt, Dor durch einen dOnnen Bnlkenzug getrennt. (Frä-
fvtX No. 212. Tom Jahre 1656.).
230 ^Ifte Yorlesiiog.
übersäet*). — Werden die Geschwülste dagegen immer grösser, so
können sie durch ihre Prominenz an der Oberfl&che und durch
den Druck nach innen der Ausgangspunkt für weitere Störungen
werden. An ihrer Oberfläche, wo sie vielfachen Reibungen, mecha-
nischen Stössen und anderen Gewalten ausgesetzt sind, entstehen
sehr häufig entzündliche Processe, welche möglicherweise den Auf-
bruch des Gebildes im Gefolge haben oder endlich das Indivi-
duum zwingen, eine Operation vornehmen zu lassen.
Man weiss seit langer Zeit, dass der blosse Aufbruch und
ebenso das blosse Aufschneiden und Entleeren des Inhaltes keine
vollständige Heilung zu bringen pflegt, indem die Epidermis ab-
sondernde Fläche zurückbleibt, und erst mit der Zerstörung dieser
Fläche eine wirkliche Heilung erzielt werden könne. Indess ist
man, wie ich glaube, in vielen chirurgischen Handbüchern zu
exclusiv gewesen; ich habe selbst Fälle gesehen, wo bei spon-
tanem Aufbruch Heilung eintrat, nachdem ein entzündlicher Pro-
cess in grösserem Umfange zu Stande gekommen war, der die
Narbenbildung begünstigte. Ebenso hat man durch wieder-
holte Entleenmg, durch Auspressen der Massen die Heilung er-
zielt, wie sie ja bei Milien und Akrochorden nicht selten spontan
eintrilt, indem schliesslich eine starke Hautdepression zurück-
bleibt. Aber es ist viel sicherer und schneller, den Sack mit zu
entfernen, und wenn auch die Erfahrung gelehrt hat, dass die
Exstirpation der Atherome am behaarten Theil des Kopfes leicht
ein Erysipelas von grosser Gefahr hervorruft, so gilt dies doch
nicht für andere Localitäten, und ist auch nicht von solcher Häufig-
keit, dass es davon abhalten könnte, die Operation überhaupt vor-
zunehmen. Nur mahnt es zur Vorsicht und zur Schonung klei-
nerer Geschwülste.
Andererseits ist der Druck, den die Geschwülste nach innen
ausüben, unter Umständen von sehr nachtheiliger Art, namentlich
am Kopf, wo verhältnissmässig die grössten Formen am häufig-
sten vorkommen, begreiflicherweise deshalb, weil die Cutis so
dick ist, in demselben Follikel oft mehrere Haare stehen, und die
Massen in dem Theil des Follikels sich anhäufen, der im sub-
cutanen Gewebe steckt. Unter dem anhaltenden Druck auf den
♦) Präparat No. 640.
Schleimcysten. 231
Schädel atropbiren allmählich die Knochen, und es giebt Beispiele
in der Literatur, wo die Atrophie bis zu einer wirklichen Durch-
bohrung des Knochens fortgeschritten war*). —
Wenn man nun die Parallelerscheinung zu den Atheromen
an den Schleimhäuten aufsucht, so bietet sich diese in ganz
zutreffender Weise in einer gewissen Reihe von sogenannten
Schleimcysten dar, welche alle die verschiedenen Modifica-
tionen von dem Comedo und Milium an bis zu den vollendeten
Formen des Atheroms darbieten. Obwohl schon in der (S. 213)
erwähnten Auffassung Boerhaave^s von den ampullösen Ge-
schwülsten diese Analogie mit wissenschaftlicher Treue festgehal-
ten war, und obwohl von manchen besseren Beobachtern der
neueren Zeit**) immer wieder auf die Nothwendigkeit hingewiesen
ist, die Krankheiten der „allgemeinen Decken^ zusammenzufassen,
80 hat man sich doch leider bei der ausserordentlichen Einseitig-
keit, mit der man die Dinge behandelt und von einander trennt,
dieser lehrreichen Vergleichung vielfach enthoben.
Mancherlei Umstände haben dazu beigetragen. Die immer
tiefer greifende Trennung zwischen Chirurgie und innerer Me-
dicin, die Ablösung der Anatomie von der Klinik, die Absonde-
rung der Geschwülste von den übrigen pathologischen Dingen
waren an sich schon sehr hinderlich. Dazu kam, dass gerade
bei diesen Cysten die Gebietsgrenzen und die Definitionen im
Laufe der Jahrhunderte den tiefsten Schwankungen unterlegen
haben, und dass durch die Vereinigung ganz heterogener Dinge
in dieselbe Gruppe die dogmatische Formel den grössten Aende-
rangen ausgesetzt war, je nachdem dieses oder jenes Ding zur
Grundlage der Doctrin gewählt wurde. Der ursprünglich***) auf
eine gewisse „Fettgeschwulst unter dem obern Augenlide, welche
bewirkt, dass die Augen laufen,^ also möglicherweise auf ein
Leiden der Thränenorgane beschränkte Name der Hydatis (Aquula)
•) Roaget. Compt. rend. de la Societe de Biologie. T. II. p. 121.
Lebert. Bulletin de la Soc. anat. 1850. p. 236.
**) Raver. Traite theorioue et pratique des maladies de la peaa. Paris.
1B27. T. IT. p. 591. Hodgkin. Lectures on the morbid anatomy of the
seroas and mucous membranes. Lond. 1840. Vol. II. P. I. p. 2.
•*•) Galen US. Defenit. med.
232 Eilfte Yorleaiing.
hatte sich allmählich so sehr erweitert, dass Charles le Pois*)
im 17. Jahrhundert allerlei scabiöse und miliare Bläschen der
äusseren Haut mit darunter begriff. Die Blasenwürmer worden
natürlich in dieselbe Kategorie gerechnet. Dazu kamen die
eigentlichen Follicularcysten , die cystischen Erweiterungen yod
Drüsengängen, das blasige Oedem, und es war daher nicht xu
verwundern, dass man endlich in dem Hydrops saccatus s. cysticus
den generischen Ausdruck gefunden zu haben glaubte. Die grosse
Autorität von R u y s c h **), der sich hauptsächlich auf seine Unter-
suchung der Hydatidenmole stützte, brachte sodann die Theorie
zur Geltung, dass die Bildung der Hydatiden in der Zellhaut der
Blutgefässe vor sich gehe, während Nu ck und andere ***) auf die
Lymphgefässe zurückgingen. Keine dieser Theorien hat zu irgend
einer Zeit alle Stimmen auf sich vereinigt, und mit Recht Denn
es giebt keine allgemeine Theorie der Hydatide oder, wie man in
der neuesten Zeit zu sagen pflegt, der Cyste. Die verschiedenen
Cysten müssen in ganz verschiedene Abtheilungen der Geschwülste
gesetzt werden, und jede besondere Art von Cyste muss nach
einer anderen Theorie beurtheilt werden. Hier sollen uns nur die
aus follicularen Gebilden hervorgehenden Formen beschäftigen.
Die verschiedenen, an den Schleimhäuten vorkommenden Ein-
stülpungen der Oberfläche bieten an sich eine grosse Verschieden-
heit dar. An manchen Schleimhäuten, wie der Harnblase, der
Ureteren, der Gallengänge, finden wir mehr flache Vertiefungen,
sogenannte Krypten, welche manchmal kaum eine engere Oeffnung
haben, als ihre Ausweitung beträgt, und welche ganz flach in der
Schleimhaut liegen; an anderen Theilen, wie an dem Hals des
Uterus, erreichen diese Krypten oder Schleimfollikel schon eine
etwas grössere Tiefe. Dann kommen die längeren, jedoch ein-
fachen schlauchförmigen Drüsen, wie wir sie an der Darm- und
Uterusschleimhaut treffen; dann die verästelten, traubigen Drüsen,
welche tiefer und tiefer gehen, wie an der RespirationsBchleim-
haut. Ja es kann endlich vorkommen, dass die Drüsen als selb-
*) Car. Piso. Selectioram observationum et consilioram Liber singvL
Lugd. Bat. 1733. p, 439.
**) Frid. Ruysch. Tbesaaras anatomicas. VI. Amstel. 1705. p. 71.
Adversaria anatomica. Decas. 1. Amstel. 1717. p. 7.
♦♦*) van Swieten. CommenUr. T. IV. p. 168. cf. T. I. p. 166.
Inhalts - Retention der Schleimdrüsen. 233
ständige Gebilde neben dem Schleimhautkanal erscheinen, wie an
der hinteren Wand der Trachea, wo die Drüsen durch die ganze
Dicke der Trachealwand hindurchgehen und sich ausserhalb der
Wand als grössere Anhänge frei gegen den Oesophagus hin er-
strecken.
Es versteht sich daher von selbst, dass an diesen verschie-
denen Stellen, wo ebenso grosse, ja sogar grössere Verschieden-
heiten stattfinden, wie an den Haarfollikeln verschiedener Gegenden
der äusseren Haut und den Hautdrüsen, auch alle jene DilTerenzen
vorhanden sein werden, wie wir sie an der äusseren Haut kennen
gelernt haben. Wenn in den einfachen Krypten der Harnblase
oder in so einfachen und niedrigen Drüsen, wie die Lieberkühn^-
schen am Dickdarm es sind, eine Retention stattfindet, so liegt
es sehr nahe, dass dieselbe in der grossen Mehrzahl der Fälle
nicht so leicht mit einem Verschluss der Ostien verbunden
sein vnrd, als wenn eine ähnliche Retention in den sehr viel
längeren Drüsen des Magens oder Uterus, oder gar in den weit
nach aussen reichenden Ausstülpungen der Retrotrachealdrüsen
sich bildet. Kommt in Folge der Retention eine Ausweitung zu
Stande, entsteht eine cystische Dilatation, so wird der Sitz der
Cyste ganz verschieden sein. In dem einen Falle wird sie ganz
oberflächlich, im zweiten Falle wird sie in der Tiefe, im dritten
ganz ausserhalb der Schleimhaut liegen.
Nun sind natürlich Retentionen bei offenen Orificien verhält-
nissmässig an den Schleimdrüsen viel seltener als an den Haar-
follikeln, weil das Secret viel weicher, viel beweglicher ist, un-
gleich leichter entleert werden kann, und wenn es in grösserer
Menge vorhanden ist, schon durch seine Menge sich herausdrückt.
Indess kommt Retention mit offenen Mündungen doch öfters vor,
und wir finden Comedonen der Schleimhäute, wie der äusseren
Haut. In der Harnblase und Urethra ist es öfters der Fall, dass
kteinere schleimige Massen oder wirkliche Concretionen sich auf-
häufen, während wir die Mündungen noch offen finden*). Das-
selbe habe ich wiederholt an der Dickdarmschleimhaut beobach-
tet**), wo die Grösse der in den einzelnen Lieberkühn'schen
♦) Mein Archiv. 1853. Bd. V. S. 403.
♦♦) Verhandlungen der Berliner Geburtehalfl. Gcsellsch. 1848. Bd. III.
S. 204.
234 £üfte Yorksang.
Drüsen enthaltenen Schleimcomedonen so beträchtlich wird, dass
man die Orificien sehr bequem vom blossen Auge erkennen kann.
Am bäutigsten sind aber die Mündungen nicht in sichtbarer
Weise offen. Ich will damit nicht sagen, dass sie wirklich jedes
Mal verwachsen oder obliterirt sind; sie sind vielleicht nur ver-
schoben, indem eine Art klappenartiger Einrichtung entsteht, und
je weiter sich die Ektasie ausbreitet, um so mehr die Mündung
verengt wird, so dass man sie nicht so leicht findet. In anderen
Fällen kommen aber wirkliche Atresien der Mündungen vor, wie
bei chronischen Katarrhen, welche mit Wucherung und Ver-
dichtung der Schleimhautoberiläche und mit Zusammenziehung
(Schrumpfung) derselben verbunden sind.
Auf diese Art bilden sich die Cysten bald oberflächlich, bald
tief. Es kann sein, dass eine Schleimhaut^ die viele Drüsen hat,
wie der Magen, mit Schleim -Milien, die wie kleine Perlen oder
Thautropfen aussehen, oder, wie wir das an dem Collum uteri
mittelst des Speculum unmittelbar beobachten können, mit den
Ovula Nabothi wie übersäet erscheint. Denn diese Ovula sind,
wie schon Ruysch*) gegen Naboth**) und EttmüUer***)
dargethan hat, Schleirocysten, und sie kommen so häufig vor,
dass selbst die reinen Anatomen sie seit langer Zeit wie normale
Bestandtheile zu beschreiben pflegen. Bereits Morgagni f) hat
eine vortreffliche Darstellung des Verhältnisses geliefert
Wenn man die einzelnen Formen betrachtet, so ersieht man,
dass bei demselben Process mehr oberflächliche oder mehr tiefe
Cysten vorkommen können, je nachdem der obere oder untere
Theil der Drüse oder Krypte erweitert wird. Am Magen liegen in
der Mehrzahl die Cysten so oberflächlich, dass sie als feine, klare
Hervorragungen sofort gesehen und als härtliche, runde Körnchen ge-
fühlt werden können. Aber zuweilen bemerkt man an demselben
mikroskopischen Schnitt an einer Stelle eine Cyste, welche ganz
oberflächlich liegt, ja über die Oberfläche heraustritt, an einer aodem
eine Cyste, welche ganz in der Tiefe der Schleimhaut, neben den
verdrängten Nachbardrüsen sich findet. Ja es kommt vor, dass
*) Ruysch. Adversaria anatomica. Dec. I. p. 4.
**) Martin Naboth. Diss. de sterilitate roalierum. Lips. 1707.
^**) EttmUller. Epistola problematica de ovario novo. Amatel. 1715.
t) Morgagni. Advers, anaf. I. Lugd. Bat. 1723. p. 47,
Cysten der Ukgenschleimhaat.
mehrere Bolche cystische Bildungen übereinander liegen, dass also
in rergchiedenen Theilen desselben Drüsenschlanches sich eine
mehrfache Entwickelung macht*), ähnlich wie es an den Harn-
kanälchen nicht selten ist, dass an ein und demselben Kanäle,
indem er sidi zu kleinen Säcken ausweitet, allmlhlich varicOse
Erweiterungen und Abschnüningen entstehen, wodurch der Kanal
Fig. 36. Schleimcysteo der Hagenscblelmhaat nach chronischer Ga-
strilis. HikroBkopiecher Durchschnitt. VergrCsseniog 150. Man siebt in
Unterst Tbeile der SubTiiu:;osa, dann die ganze Dicke der Schleimhaut mit
traabigen Drüsen und nach aussen hin zwei rundliche Schleimsäcke, welche
die Oherfläche empordrängen und die benachbarten DrUgen verschieben.
*) Wilson Fox. Contributions to the pathology of the glandulär struc-
tnres of tbe stomach. Med. chir. Traneact. 1858. Vol. XLI. p, 376. PI. I.
Bg. 7-9.
236 £>l^te Vorlesoog.
in eine Reihe übereinander gelegener Säcke umgewandelt wird*).
Solche Säcke werden natürlich nach den verschiedenen Organen
und nach der ursprünglichen Grösse der Gebilde, aus denen sie
hervorgehen^ sehr verschieden gross sein. Ovula Nabothi beginnen
in der Regel als beträchtlichere Anhäufungen, die in ihren klei-
neren Dimensionen Hanfkorngrösse erreichen, während die analo-
gen Gebilde am Magen höchstens miliare, oft für das blosse Auge
kaum sichtbare Punkte darstellen.
Was den Inhalt anlangt^ so ist er gewöhnlich ein doppelter;
man findet nehmlich meistentheils nebeneinander epitheliale Ele-
mente und reinen Schleim, der im Anfange eine zähe, gal-
lertartige, wie man wohl sagt, colloide Masse darstellt Das
Epithel ist dabei nicht immer vollkommen übereinstimmend mit
dem Epithel, welches vorher vorhanden war. Je mehr der Sack
sich ausweitet, um so mehr ändert sich nicht selten die Beschaffen-
heit des Epithels, und während man ursprünglich in dem Sack das-
selbe Epithel findet, wie es ursprünglich vorhanden war, Pflaster-
epithel, wenn es Pflasterepithel war, Gylinderepithel , wenn es
Cylinderepithel, Flimmerepithel, wenn es Flimmerepithel war, so
kann es nachher vorkommen, dass man nur Pflasterepithel findet,
während vorher Cylinder- oder Flimmerepithel vorhanden war.
Die Nabothseier enthalten manchmal Flimmer-, manchmal ein-
faches Cylinderepithel, manchmal aber sehr wunderbare Formen,
platte, ausgerandete, mit Fortsätzen versehene Zellen von beträcht-
licher Grösse**), welche leicht einen ungeübten Beobachter ver-
anlassen können, an ein Cancroid zu denken.
Je länger die Cyste besteht, um so mehr lösen sich Epitbe-
lien von der Wand ab und gerathen frei in den Raum der Balg-
geschwulst. Hier erhalten sie sich aber nicht, wie in den Milien
und Atheromen, sondern sie zerfallen, indem sie entweder fettige
Metamorphosen durchmachen, oder, was gewöhnlicher ist, direct
erweichen und zerfliessen, wobei nicht selten Reste von ihnen,
frei gewordene Kerne und dergleichen zurückbleiben. An man-
chen Orten bilden sich in dem Maasse, als der Zerfall vorschreitet,
*) 0. Beckmann. Ueber Nierencysten. Mein Archiv. 1866. Band IX.
S. 221. Bd. XI. S. 121.
**') Carl Hennig. Der Katarrh der inneren weiblichen Oesehlechts-
theile. Leipzig. 1862. S. 63. Taf. V. Fig. 47.
Hjdatiden. 237
eigeDthfimliche halbweiche Gallertkömer, bald von einfachem, bald
Yon geschichtetem Bau. Auch dies ist besonders häufig an den
Nabothseiern*); nirgends aber entstehen dadurch sonderbarere
Gebilde, als in den Erweiterungen der Schleimbälge der Harn-
blase und Urethra der Frau, welche die grösste Uebereinstimmung
mit Prostata - Goncretionen zeigen**). In diesen letzteren Fällen
hat der Gysteninhalt gewöhnlich eine dickliche, fadenziehende oder
gallertartige Gonsistenz. An manchen Orten erhält sich dieselbe
selbst in sehr grossen Säcken. An anderen dagegen verflüssigt
. sich die Masse früher, theils vielleicht durch eine von Anfang an
mehr wässerige Transsudation von der stets gefässhaltigen Wand,
theils durch eine fortschreitende chemische Zersetzung. So bilden
sich mit der Zeit scheinbar seröse Säcke, die Hydatiden im
engeren Sinne des Wortes, die, wenn man sie anschneidet, eine
ganz dünne Flüssigkeit ergiessen.
Ist das Epithel sehr reichlich, so wird der Schleim oder die
Flüssigkeit natürlich dadurch ein trübes Aussehen annehmen; der
Inhalt des Sackes sieht entweder gefleckt aus, oder er wird im
Ganzen mehr grau, und wenn, was nicht ganz selten vorkommt,
die zellige Absonderung nicht blos eine epitheliale ist, sondern
sich höhere Reizungszustände einstellen, so können sich Schleim-
nnd endlich Eiterkörperchen dem Inhalt beimengen, und ihm ein
weissliches oder gelbliches, geradezu purulentes Aussehen geben.
Mit diesen Vorgängen vergesellschaftet sich häufig, wie in der
Haut, eine Reihe von irritativen Zuständen, und zwar auch hier
die beiden Formen, die wir dort unterschieden haben: wirklich
entzündliche Zustände, die man hier Katarrh zu nennen pflegt —
die Acneform***), oder langsame Wucherungen — die MoUus-
kenform. Anderemal dagegen tritt bei einer gewissen Höhe der
Anhäufung eine Verdünnung und Atrophie der Wand und der
umgebenden Theile ein, welche entweder zu einer Berstung und
ErOflfhung der Säcke nach aussen und zu einer Entleerung des
Inhaltes führt, oder welche, wenn mehrere erweiterte Drüsengänge
nebeneinander liegen, zu einer allmählichen Confluenz derselben
*) E. Wagner. Archiv f. physiologische Heilkunde. 1856. S. 504.
•♦) Mein Archiv. Bd. V. S. 40i.
•••) Hodgkin. 1. c. p. 38.
238 Eilfte Vorlesung.
Veranlassung giebt. Tritt dieser Zustand zu einer Zeit ein, wo
die Cysten ganz abgeschlossen sind, so verwandelt sich eine
gewisse Zahl kleiner Cysten nach und nach in eine einzige grosse.
Hat dagegen die Anhäufung der Secrete bei oflenen Orificien statt-
gefunden, so kann möglicherweise ein grösserer Abschnitt der
Schleimhaut in zusammenhängender Weise in eine gallertartige
Masse umgewandelt werden. Vor längerer Zeit habe ich einen
solchen Fall beschrieben*), wo zahlreiche Theile der Dick- und
Mastdarm Schleimhaut, zuweilen in dem Umfange eines Thaler-
stückes, in zitternde Gallertmassen verwandelt waren, indem die.
Lieberkühn^schen Drüsen sich mit Schleim gefüllt hatten, erweitert
und endlich confluirt waren. —
Möglicherweise können sich, wie wir noch sehen werden,
beide Zustände, die irritativen und die atrophischen, combiniren.
Zunächst betrachten wir die ersteren für sich. Auf die acute
Form des Katarrhs habe ich hier keinen Grund speciell einzu-
gehen. Es ist aber wichtig sich daran zu gewöhnen, diese
Beziehung festzuhalten. Was dagegen die chronischen Formen
betrifft, so sind sie von besonderer Bedeutung, weil man ihre
letzten Producte seit längerer Zeit schon als Polypen zu bezeich-
nen pflegt, und zwar, weil diese Polypen Schleimcysten enthal-
ten, als Blasenpolypen (Polypi cystici oder hydatidosi).
Während an der äusseren Haut in der Regel nur einzelne Follikel
sich hervorschieben, so ist an den Schleimhäuten der Fall häufiger,
dass eine solche Erhebung mit einer ganzen Reihe von Cysten be-
setzt ist. Anfangs sitzen diese Bildungen flach und breit auf, und
haben eine plattrundliche Oberfläche, genau wie die Acne und
die folliculären Mollusken. Später schieben sie sich allmählich
über die Oberfläche weiter und weiter hervor, indem sich aus
der wuchernden Schleimhaut ein leicht gefässhaltiger Stiel heraus-
zieht, und so erscheinen sie endlich als gestielte Polypen mit
kolbigem Ende. Dies geschieht namentlich dann, wenn die Cysten
mehr der Oberfläche und weniger dem tieferen Gewebe angehören.
Sind sie einfach, so bieten sie das Bild des Akrochordons dar,
welchem sie auch darin parallel stehen, dass die Cysten an der
*) Verhandlungen der Gesellschaft für (jebiirtbbQlfe in Berlin. \M^
Bd. III. S. 205.
Acne uteri. 239
Oberfi&cbe bersten und sich entleeren , und dass der scheinbar
eiofache Polyp, wenn man genau sucht, oben eine Einstülpung
oder Tasche hat. Sind die Cysten vielfach und zahlreich, so
könnea mit der Zeit lange, gestielte Polypen entstehen, welche
voll von ihnen stecken.
Nii^ends haben diese Formen eine grossere Häutigkeit und
eine griJssere Bedeutung als an der Schleimhaut der weiblichen
Sexualorgane, wo man manchmal alle erwähnten Zustände
Debeneinaoder sehen kann.
Am Oriticium extemum, wo die Haut an sich derber ist,
trifft man insbesondere nicht selten die Formen, welche man an
äusseren Theilen Acne nennen würde, und zwar in allen Ueber-
gängen von den einfachsten Formen der Acne punctata bis zu
den Formen der Acne hypertrophica und rogacea, welche, wie
an der Burgundema^e , mit den stärksten Gefäaserweiterungen
Mbr starke, fut pilzförmige Anschwellung, welche sich sowubl auf die V«.
ginalportioD, als auf die Cervik:ilhOhle erstreckt und mit zahlreichen, tbeil«
Schleim-, theils Eit erhaltenden Nabnthgeiern besetzt isL (Präparat No. 193.
Toro Jabre 18e0).
240 Bil^ VorlMüDg.
verbunden sein kann. Denke man sich eine Burgandeniase an
das Collnm uteri gesetzt, statt der Comedonen und Milien Schleim*
und Eiter- haltende Nabothseier, und diese inmitten einer geschwol-
lenen, mit variedsen Gefössen durchsetzten Umgebung, so hat man,
was ich eine Acne hyperplastica colli uteri nennen würde.
Gewöhnlich nennt man das einen Infarctus uteri, oder eine folli-
culare Entzündung, oder einen follicularen Katarrh, oder eine Endo-
metritis mit Hypertrophie oder wie sonst Es ist im Wesentlichen
immer derselbe Vorgang, aber ein Vorgang von der grQssten Be-
deutung fDr den Zustand und die Verrichtungen des Organs und
für das Befinden der leidenden Frau. Herr Carl Mayer*) hat
die klinische Geschichte desselben zugleich durch die trefflichsten
Abbildungen erläutert, insbesondere die einzelnen Grade in ihrer
Entwickelung aus einander erläutert, und es wird nunmehr ein so
wichtiges Gebiet, das früher vielfach in die allgemeine Sympto-
matologie des Fluor albus oder der Leukorrhoea untergebracht
wurde, für das Verständniss der Aerzte gesichert sein.
Etwas höher, im Kan^ des Collum, ist die gewöhnlichste
Bildungsstätte für die Akrochordonform. Da sieht man, oft neben
zahlreichen wandständigen Nabothseiern, die feingetttielten Polypen
Flg. IT. häufig, welche entweder blos eine Cyste,
oder auoh wohl eine puue Reibe in sich
tragen. Meist erreichen eie einen sehr
geringen Dmhng. Das ist die Form,
welche so h&ntig, wenn man in dag
Speculum hineinsieht, aus dem Orificium
uteri extemum heraus in Gestalt einer
kleinen Blase oder eines feinen, rothen
KOlbchens hervortritt. Ihrelnsertionsstelle
ist in sehr verschiedener Hohe, meist nicht
sehr weit über dem Orificium extemum, zuweilen jedoch ganz dicht
am Orificium internum.
Die breite Molluskenform, worin eine grössere Zuhl von
Cysten gemeinschaftlich enthalten ist, findet sich am b&ufig^rten
Fig. 37. Blaueupolypen des Collum uteri, aas dem Orificium eitwaia
hervorhangend. Durch du Speculum gesehen. Nteh einer Zeichatmg iet
Henn Carl Mayer.
*) Carl Hayer. Klioiache Mittbeilungen aus dem Gebiete dei Gyil-
kologle. Heft 1. Berlin. 1861. Taf. Tl.
CystUche Hollusken dea Uterua. 241
an den Auswüchsen, welche von der Schleimhaut des Gebär-
mutterkjjrpers, der eigentlichen Cavitas uteri, ausgehen. Cystoide
Erweiterungen mit Atresie der Mündungen kommen an den Utri-
Fig. 38. EndometritJa clironita i:v8tica poljposa. Das Oriftciam ei-
terouiu ist trichturfBrmig erweitert und die beiden Lippen sehr betrichtlich
aagescbwollen. Zahlreiche, luoi Theil vereinzelte, lum Theil gmppirte Na-
botbseier erbeben sieh aus dem geschwollenen und hyperlmiscben Gewebe
(Acne). Rechte an dem Durchschnitt sieht man, dass diese Schleimcysten
Dicht blou der Oberflilcbe angehören, sondern beträchtlich in die Tiefe rei-
chen. Weiter nach oben im Cervikallianal treten die Plicse palmatae sehr
stark hervor and von ihnen erhebt sich eine ganze Reihe theils solider, theils
Blasen pojy pen , namentlich links ein grosserer, gestielter, kolbiger, der bis
nahe an das OriSciuni externum reicht. Einzelne kleinere Scbleimcysten
Gndea sich noch im Orificium interouni. Darauf folgt die etwas erweiterte
Hehle des Uteruakörpera, die mit PlDssigkeit gefüllt und dereu Schleimhaut
|eellttet war (Q^drometra levU). Nahe über dem OriSciuni internum sitit
liaka ein grOaeeres, mit Seh leime jrsten durchsprengtes Uolluscum flach der
Wand an. m, welches bei geschlossenem Uterus das Orificium internum h»t
faai verlegte. Weiter nach oben bei m' sitzt ein kleineres, ähnliches, nahe
er einen TubenfifFnung. Die Uteruswand im Ganzen ist eher verdünnt; aber
bei / und /* finden sich in ihr interstitielle Mjome (Pibroide) von geringer
Grosse. Ein drittes, etwas grCsserea bedingt die durch eine lichte Stelle
bezeichnete Hervorragung der nicht angeschnittenen hinteren Wand. (Prä-
parat No. 26. vom Jahre 1863).
Vlrehe«, a>Kk»lil«. 1. 16
242 Eilfte Vorlesung.
culardrüsen des Uterus nicht selten vor. Es giebt eine Form der
chronischen Endometritis, welche, ganz analog der früher erwähn-
ten foUiculären Gastritis, zahlreiche kleine perlartige Cysten in
der Oberfläche der Schleimhaut erzeugt*), während zugleich die
ganze Schleimhaut sich verdichtet und in sich retrahirt, so dass
sie das Aussehen einer serösen Haut annimmt. Dabei kommt es
möglicherweise zu gar keiner Hervorwucherung. Diese tritt ge-
wöhnlich dann ein, wenn nur an einzelnen Stellen gruppenweise
die Drüsen sich erweitern und das interfoUiculare Gewebe zugleich
in Proliferation gertth. Je höher hinauf diese partiellen Wuche-
rungen sitzen, um so mehr pflegen daraus breitaufsitzende und
mit grösseren, hanfkorn- bis erbsengrossen Cysten durchsetzte
Mollusken hervorzugeben. Wenn man den Uterus aufschneidet, so
sieht man sie als flache, weiche Erhebungen vor sich, deren
Oberfläche gewöhnlich sehr gefässreich ist. Wachsen sie stärker,
so treten sie allmählich mehr über die Fliehe hervor, nehmen
eine pilzförmige Gestalt an oder werden in wirkliche gestielte Po-
lypen ausgezogen, welche mehr und mehr gegen das Orificium
internum und den Hals des Uterus herabsteigen.
Der pathologische Wertb dieser Gebilde ist ein viel grösse-
rer, als der ihrer Analoga an der insBeren Haat Während eine
Burgundernase dem Träger vielleicht manehe Isthetische Unbe-
quemlichkeit erzeugt, aber selten mehr, so haben diese Formen
in (ier Regel eine recht grosse Bedeutong; insbesondere dadurch,
dass die erweiterten Gefasse an ihrer Oberfläche der Sitz von
Secretionen und Blutungen werden, und so eine Disposition zu
Fluoren und Metrorrhagien erzeugt wird, welche f&r die Gesund-
heit, ja das Leben der Kranken sehr bedrohlich werden kann.
Es ist daher besonders bemerkenswerth, dass die Neigung zu
Blutungen zu der Zahl von Gefässen, welche in den Stiel ein-
treten, scheinbar in keinem Verhältniss steht, und dass auch die
Exstirpation dieser Polypen nicht so starke Blutungen hervorzu-
rufen pflegt, wie man nach der Dauer, Hartnäckigkeit und Grösse
der früheren Metrorrhagien erwarten sollte. Es erklärt sich dies
dadurch, dass die Gefasse an der Oberfläche zahlreiche, weite
und dünnwandige Verästelungen bilden, im Stiel dagegen einfach
und mit starken, contractilen Wandungen versehen sind.
*) E. Wagner. Archiv für ph^siul. Ueilkonde. 1856. S. 2d9.
Colitis polypoaa.
243
Ganz ähnliche Formen wie im Uterus kommen insbesondere
an derjenigen Schleimhaut vor, welche ihrer ganzen Einrichtung
nach die grÖ6Ste Aebnlichkeit mit der Uterinecbleimhaut hat, an
der Magenschleimhaut. Ich werde späterhin, wenn wir an
die epithelialen Drüsengeschwülste kommen, diese Zustande
wieder erwähnen. Dagegen will ich ein sehr lehrreiches Präparat
vom Colon kurz besprechen, welches die wichtigsten Verände>
rangen in der allerauegezeichnetsten Art zeigt Man sieht daran
miota ein&che Schleimfahiseo, als auch die damit zusammen-
hingeoden Mollusken und Polypen in der zahlreichsten Ver-
breitung. Diese Form ist verschieden von der gewöhnlichen Co-
litis polyposa, von der Luschka*) undLebert**) Abbildungen
gelief«! haben, und welche mehr den hyperplastischen Geschwulst-
Fifr 39. Colitis cystica polypoaa. (Präparat JJo. I69a. vom Jahre 1869).
*) Laschka. Üeber polypöse Vegetationen der gesammten Diclfdarm-
Kbleimtwut Hein AcchiT. imi. Bd. XX. S. 133.
**} Lebett. Traite d'aDat patb. T. U. p. 316. Atlu PI. CXXll. fig.1-2.
16*
244 Eüfte Vorlesung.
formen angehört. Indess ist sie damit nahe verwandt, da in
der Regel wenigstens auch bei den Hyperplasien die Drüsen stark
betheiligt sind. Ausserdem stehen sie sich ätiologisch sehr nahe.
Schon in der meines Wissens ältesten Beobachtung dieser Art,
welche Menzel*) veröffentlicht und durch Abbildungen erläutert
hat, handelte es sich um recurrirende Dysenterie; auch in allen
späteren ist entweder von Dysenterie, oder von chronischen, blu-
tigen Diarrhoen die Rede. Der in Fig. 39. abgebildete Darm
stammt von einem 15jährigen Burschen, der gleichfalls an chro-
nischer Dysenterie, Lebercirrhose und Hydrops zu Grunde ge-
gangen war. Man sah daran eine grosse Zahl flachrundlicher,
blasiger Hügel von fast floctuirender Beschaffenheit; viele der-
selben waren mit rundlidien oder buchtigen, kleinen oder grossen
Oeifnungen versehen, aus welchen eine gallertartige Schleimmasse
hervorsah, und auch die geschlossenen Hügel zeigten beim An-
schneiden Höhlungen von verschiedener Weite, welche mit Schleim
gefüllt waren. Auf und zwischen den Hügeln sassen zahlreiche,
theils einfache, theils verästelte, meist dfinngestielte Anhänge auf,
welche ihrerseits wieder mit Schleimcysten durchsetzt waren. Die
feinere Untersuchung ergab überall, dass die Erkrankung von einer
Schleimanhäufung in den Lieberkühn'scheu Drüsen ausging, und
zwar namentlich von einer Anhäufung in ihren tieferen Abschnitten.
Unter der Anhäufung atrophirte die Zwischenaubstanz, und die
Schleimmassen verschiedener Drüsenschläuche vereinigten sich
unter der Oberfläche zu grösseren Klumpen, in denen man die
alte Trennung noch durch feine weissliche, ans Epithel -Resten
gebildete Streifen erkennen konnte. Die Erweiienmg der Schleim-
cysten geschah also theils durch Ektasie, theils durch Confluenz,
am meisten aber durch letztere. —
Es giebt keine einzige Schleimhaut, wo nicht unter Umständen
die Bildung foUiculärer Cysten und Polypen vorkommen kann,
und es würde eine sehr weitläufige Sache sein, wenn wir alle
diese einzelnen Fälle im Detail durchgehen wollten. Ich erwähne
daher nur noch solche Localitäten, wo die Entwickelung einen
besonderen Charakter annimmt oder eine hervorragende Bedeu-
tung erreicht. Dahin gehört die Highmorshöhle, wo diese
Bildungen relativ häufig sind und sich in allen den Formen beob-
*) Mentel in den Acta medic. Berol. Vol. IX. BeroL 1791. ^ 68. fig. 1.
Cysten der Oberkiorerhfihle. 245
achten lassen, welche die Nabothsbildungen des Uterus zeigen.
Mao findet znerst in der Wand manchmal einzelae, manchmal
zahlreiche Blasen, welche mit klarem oder getrübtem Schleim,
oder mit eitriger oder epithelialer Masse gefüllt siad*). Nach
und nach schieben sich diese Blasen über die Oberfläche her-
vor, geben in Mollusken- und Polypenformen über**), und end-
lich kOnoen diese Polypen eine solche GrSsse erreictien, dass sie
die ganze Hohle füllen. Diese grösseren Blasen haben in der
Regel keinen so zShen Inhalt mehr; der Schleim ist erweicht und
bildet eine mehr wässerige, dünne Flüssigkeit. Wächst das Ding
mehr und mehr, so reicht zuweilen das Äntnim nicht mehr aus,
den Sack zu fassen, and es erfolgt eine Erweiterung desselben
mit Ätrophirung des Enocheos. Dieses scheint der Zustand zu
sein, den man hlLu% unter dem Namen Hydrops antri be-
schrieben hat; wenigstens existirt keine beweisende Beobachtung,
dass ein freier Hydrops im Antnim in so grosser Ausdehnung
vorkommt, und ich halte es für wahrscheinlich, was zuerst von
Herrn GiraldÄs***) ausgesprochen ist, dass hier in der Regel
Fig. 40. Grosser BlaseDpolvp der OberkieferhChte. Natürliche GrJtese.
(Prlpant No. 6&S.).
*} Luschka. Ueber Sehleimpolypen der OberkieferhJSfalen. Mein Archiv.
1855. Bd. VIII. S. 423.
**) Billroth. Ueber deo Bau der Seh leimpol vpen. Berlin. 1855. S. 14.
Ut. IL Fi|. 7.
***) J. A. Oirfttd^B. Des kystes mnqoeax dn ainue maxilUire. Hirn, de
U Soc de chir. de Psrie. 1863. Heio Archiv. 1866. Bd. IX. S. 468.
246 BiMte VorieBnng.
eine Verwechselung vorgekommen ist. Wenn ein 80 stark aus-
gedehnter Polyp existirt, so kann man sogleich beim ErOlTnen
des Antrum in die Höhle des Polypen kommen, ohne zu merken,
dass die Flüssigkeit in einer besonderen Blase enthalten war,
ähnlich wie man beim Anschneiden eines Echinococcussackes
gleich in die Thierblase mit hineinschneidet.
Unter den Drüsen, welche an sich eine grossere Entwickelun^
haben, nenne ich die Retrotrachealdrüsen. Man tindet diese
grossen Gebilde bei der Abtrennung der Trachea hinter ihr, tn
Jedoch , dass die Orificien in die Hohle der Luflrßhre mQnden.
Bäuft sich in einem solchen Sack eine grössere Quantität
von Secret an, so kann, selbst wenn das Orificium noch nicht
vollkommen unwegsam ist, der Eindruck entstehen, als läee
zwischen Trachea und Oesophagua eine selbständige Cyste. Spä-
terhin können dort Eitenloke o. b. w. sich bilden, die wie selb-
ständige Abscesse erscheinen. — Andere Follicularcysten sind an
den Respirationswegen selten. Die vollkommenste Form ist die-
jenige, welche an den Morgagni'schen Taschen vorkommt und zu-
weilen Gelegenheit zur Bildung blasiger Larynxpotypen
gibt. Diese schieben sich flach über die Schleimhantfiäche
hervor, anfangs den Nabothseiem vergleichbar, wölben sich all-
mählich mehr hervor, bleiben :;ber fast immer breit aufsitzend.
Sie unterhalten eine anhaltende Reizung der Nachbarschaft.
fif.-. 41.
tortrilend. Von einem Slterfn Manne neben ei genthQm liehen Verkrflm]
v-n <l>rr Lar^oxkDorpel. (Pr¶t No. 218a. rom Jabre 1869).
Schleimcysteo der Vagioa. 247
Zuweilen finden sich SchleimcyBten grösserer Art an der Va-
gina vor, besonders in ihrem äusseren Drittel. Ihre Entwicke-
Flg. 4».
Inng ist bis jetzt kemesneges borgfaltig studirt worden, und es
kann daher nicht mit Sicherheit ausgesagt werden, ob sie aus Fol-
likeln entstehen Jedoch ist ihre Lage und ihr Inhalt so vollkom-
Den übereinstimmend mit denen anderer Schleimcysten, namentlich
Fig. 42 TiefBitzeode Scbleimcyste der Vagma \n eiaem Falle, wo an
der hinteren und vorderen Scheidenwand noch beträchtliche LingBn-Qlste,
ib Rudimente der früheren Duplicität des Scheideakanals bestanden. Letz-
teres VerhlUtDiBa ist unten auf einem Querschnitt der Scheide schematisch
dargestellt. Der dickere ftulst entspricht der vorderen Wand. l[Präparat
Na 364b. vom Jahre 1858) Es var gleichzeitig eine multilocuUre Eierstocks-
Bescbmilst Torhanden
248 Bil^ Vorlesang.
den tiefsitzenden Nabothseiern, dass ich es für wahrscheinlich er-
achten mu8B, dass sie aus Drüsen hervorgegangen sind. Ich habe
sie bis Wallnussgross gesehen, und zwar sowohl dicht unter der
Oberfläche, als in einiger Tiefe.
Eine noch grössere Zahl von Localitäten vorzuführen, halte
ich für überflüssig. Ich erwähne nur, dass an dem Orificium ext
urethrae femininae, an der Schleimhaut der Nase, der Lippen, der
Ureteren bald diese, bald jene der besprochenen Formen in sehr
ausgezeichneter Weise vorkommt. Das gegebene Schema lässt
sich überall mit Leichtigkeit anwenden, wo an Schleimhäuten
Drüsen oder Schleimbälge vorhanden sind, und es wird keine
S<!hwierigkeiten machen, die verschiedenen Formen zu deuten,
wenn man einmal den Entwickelungsgang überhaupt erkannt hat.
Zwölfte Vorlesung.
10. Januar 1863.
Retentions - Cysten der grösseren Kanftle.
Cystiacbe Entartung des Processus vermiformis als Muster.
Verschiedeubeit der Retentions -Cysten, Je nachdem der Inhslt mehr Pnisen- oder mehr Flächen-
Becret ist: A. Einfache Reteotion der Fl&chenabsonderung. AUm&bliebe Ver>
inderung des Inhaltes: Zerfall der seiligen Theile, Umwandlung des Schleims in Natronalbu-
minat, wässerige Transsudation aas der Wand, hämorrhagische Beimischungen. Umbildung
Ton Scbleimcysten in seröse und Blutcysten. Stärkere Irritation der Wandungen: eitarlge
Absonderung, Verdickung, Pericystitis. Bronchiekta sie: k&sige Eindickung des Inhaltes,
Verwechselung mit Tuberkel. B. Gemischte Formen, entstanden aus Anh&ufung
TOD Drnsen- und Flachensecret. Als Beispiel die Gallen-Retention. Primire
Gallcncysten: Anbaufang der Galle, Eindickung, Krystallisation uud Concretion. Hydrops
cystidis felleae : Resorption oder Sedimentirung der Galle, Anhäufung von Schleim, Resolution
desselben, wasserige Ausschwitsnng. Cysten der Oallenwege: Schleim- und seröse Cysten.
^'«ibliche Genitalien: 1. Hydrops folliculorum ovarii. Vorkommen vor der Puber-
tät. Verschiedenheit von der gewöhnlichen Eierstockswassersucbt. Verhaltniss sum Ovulum.
Katarrhalische Natur des Zustandes. 2. Hydrops tubarum. Atresie des Ostiuro abdo-
minale. Wechselnder Zustand des Ostium uterinum. Hämorrhagische Ergüsse. Lage der
Oeschwölste. Möglicher Abfluss des Inhaltes durch den Uterus; Perforation In Nachbartheile.
3. Cysten der Ligamenta lata. Die End-Hydatiden des Müllerschen und WolfTschen
Ganges. Cysten des Parovariuros. Neugebildete Cysten der Ligamente. 4. Hydro metra
(Hydrops uteri). Beziehung xu Katarrh und Flexion.
^oftwege: eystiscbe Bronchiectasis und Tracheetasis.
^trnwege: 1) Harnblase: Divertikelbildung. 3) Ureteren und Nierenbecken: Hydro-
oephrose. Congenitale und erworbene Formen. Ursachen. Atrophie der Niere. Aenderung
des Inhaltes. Diagnose. Compensatoriscbe Hyperplasie dsr anderen Niere. Gefahr der
Urämie. 3) Harnkanälchen: Hydrops reuum cysticus, Renes bydatidosL Hamcysten.
Congenitale Form. Atresie der Papillen. Cysteunieren der Erwachsenen: Abschnfirnng der
Harnkanälchen, albuminöser Inhalt, Coniluens.
^PtieheldrJisen: Ranula subungualis. Verschiedene Hypothesen. Chemische Natur des Inhalts.
Ranala parotidea und pancreatica: cylindrische und sackige Form. Ptyalectasis und Ptyalo-
cele. Dermoide Form.
Boden: Spermatocele (Hydroeele spermatica). Samenfäden in freier Hydrocele - Flüssigkeit.
Samencysten. Behauptete Neubildung derselben. Entwickeiung ans rudimentären Theilen des
Wolf sehen Körpers. Vas aberrans und Corpus innominatum. Die Hydatiden am Nebenhoden.
Weibliche Brust: Milchcysten. Allmählige Umwandlung in Gallert- und Blutcysten. Butter-
cysten. Galactocele.
250 Zwöfte Vorlesung.
Wir haben im Verfolg unserer Betrachtung der Retentionsge-
schwülste jetzt diejenigen Arten ins Auge zu fassen, welche von
grösseren Kanälen ausgehen. Sie schliessen sich in ihrer Ent-
stehung und weiteren Geschichte vielfach unmittelbar an die zu-
letzt besprochene Reihe der cystischen Bildungen an, welche aus
kleineren Drüsenkanälen hervorgehen.
Es giebt einen Körpertheil, welcher in Beziehung auf cy-
stische Dilatation im Grossen gleichsam dasjenige wiederholt,
was eine einzelne schlauchförmige Drüse innerhalb einer Schleim-
haut im Kleinen hervorbringt, das ist der Processus vermi-
formis*). Die Einrichtung des Wurmfortsatzes, der als ein
langer, cylindrischer, am Ende geschlossener und an seiner inneren
Oberfläche absondernder Kanal von dem Coecum ausgeht, und
sein Secret in das letztere entleert, ist ja im Grossen dieselbe,
wie die einer Drüse, nur mit dem Unterschiede, dass in seiner
Wand wiederum Drüsen allerlei Art enthalten sind. Wenn der
Wurmfortsatz absondert, so sondert er in der Regel eine schlei-
mige Masse ab; er verhält sich also auch in dieser Beziehung,
wie eine grosse Schleimdrüse. Wenn diese Masse in seinem
Kanal sich anhäuft, wenn sie ihn allmählich ausdehnt, so wird
ttUM dem einfachen Cylinder ein rundlicher Sack. Dabei kann
die Mündung bloss verengert sein oder obliteriren, jedoch giebt
es auch Fälle, wo die Verengerung oder die Obliteration weiter
nach hinten hin geschieht. In diesem Falle kann die Mündung
und ein Theil des Kanals noch frei sein, so dass eine Sonde eine
Strecke weit bis zu dem Punkt dringt, wo — in der Regel durch
einen Entzündungsprocess in der Wand oder in der Umgebung —
der Kanal verengert oder verschlossen ist. Erst hinter dieser
Stelle, welche zuweilen schon von aussen durch eine Art von
Einschnürung sichtbar ist, findet sich die Aussackung, welche als
eine pendulirende Cyste an einem relativ dünnen Stiel in die
Bauchhohle hineinhängen kann. Ich habe einen Fall beobachtet.
*) In noch grösserem Maassstabe findet man solche Schlei mcysten bei
d<fO congenitalen, oft vielfachen Atresien des Darmes, wo die eiozelnen Ab-
^boOrungen sich zu gi essen, mit Schleim gefällten Sftcken ausveiten.
Gystische Entartung des Wurmfortsatzes. 251
wo die cystiBche Erweiterung die Grösse einer starken Faust er-
reichte. Meistentheils bleibt die Cyste auf einer gewissen Stufe
des Wachsthums stehen, weil sich in ihrem Umfange eine partielle
adhäsive Peritonitis (Perityphlitis) entwickelt, welche zugleich mit
Verdickungen des serösen üeberzuges verbunden ist. Nur selten
fand ich die Wand in dem Maasse verdünnt, als die Ausweitung
grösser war.
Der so gebildete Sack ist im Anfange ganz und gar erfüllt
mit zähem, glasigem Schleim, der so compakt ist, wie der be-
kannte Schleimpfropf, welcher sich in der Cervix uteri bei Schwan-
geren vorfindet; man kann ihn mit der Pincette fassen und mit
der Scheere schneiden. Hier kann wegen der compakten Beschaf-
fenheit des Schleimes leicht die Vorstellung entstehen, dass es
eine solide Geschwulst sei, die in die Kategorie der GoUoide ge-
höre*); allein es handelt sich um nichts weiter, als um eine ein-
fache Schleimcyste, die aus der Dilatation und partiellen Oblite-
ration des Wurmfortsatzes hervorgegangen ist**). —
In ähnlicher Weise entstehen an vielen anderen Orten cy-
stische Bildungen, die eine längere Zeit hindurch in der Natur
ihres Secretes vollständig das Zeichen ihres Ursprunges an sich
tragen. Unter sich sind dieselben natürlich sehr verschieden
(S. 120), da nicht blos die besondere Absonderung der Wand
der Cyste dabei bestimmend ist, sondern auch das etwaige Drü-
sensecret, welches von weiterher kommt, sich anhäuft und mit
den localen Absonderungsproducten sich vermischt. Allein wie
ich schon das letzte Mal erwähnt habe (S. '237), die Beschaflfen-
heit des Inhaltes bleibt nicht immer dieselbe, und zwar weder
die chenodsche, noch die morphologische. Nehmen wir z. B. den
einfachsten Fall, den einer Schleimcyste. Wenn lange Zeiträume
über dem Bestehen der Retention verlaufen, so gehen die zelligen
Bestandtbeile allmählich zu Grunde, indem sie sich entweder ein-
fach verflüssigen, oder durch Fettmetamorphose auflösen und
freies Fett ds Residuum hinterlassen. Zugleich beginnt der
Schleim sich zu zersetzen. Sein gewöhnliches Zersetzungsproduct
ist dasselbe, was wir auch bei künstlicher Digestion aus Schleim
*) Ein von Gähtgens (Turooris colloidis casas singularis. Diss. inaug.
Doipat. 1853.) beschriebener Fall scheint dieser Art gewesen zu sein.
**) Rokitansky. Lehrbuch der pathol. Anat. 1861. Bd. III. S. 184.
252 Zwölfte Vorlesang.
erzielen können : Natronalbuminat neben allerlei unbekannten Ex-
tractivstoifen. In dem Maasse als diese Umwandlung der schlei-
migen Masse in alkalische albuminöse Substanzen stattfindet,
schmilzt der gesammte Gysteninhalt, und an die Stelle der vor-
her so zähen, scheinbar coUoiden Masse tritt eine sehr donne,
wässerige Flüssigkeit.
Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Da die Absonde-
rung gewöhnlich keine ganz normale, sondern mehr oder weniger
eine katarrhalische ist, so muss in der Regel vorausgesetzt werden,
dass die Wand sich in einem anhaltenden Reizungszustande be-
findet. Dieser wird durch die Retention unterhalten und durch
die Zersetzung der Retentionsstoife gesteigert. Somit wächst die
Absonderung im Verhältnisse der Retention und damit auch die
Ausweitung des Sackes. Je weiter aber diese fortscjireitet , um
so mehr verdünnt sich in der Regel auch die Schleimhaut; sie
nimmt nach und nach eine glatte, einer serösen Haut ähnUehe
BeschaflFenheit an ; die tieferen Gefässe treten näher an die Ober-
fläche, und zwar in dem Maasse mehr, als die Wand ausgespannt
wird. Damit scheint sich in der späteren Zeit eine Aenderong
in der Secretion einzustellen, indem kein Schleim mehr in jener
zähen Form abgesondert wird, sondern eine wässerige, seröse
Flüssigkeit, der wohl kleine Quantitäten von flüssigem Schleim
beigemengt sein können, die aber im Ganzen den serösen Trans-
sudaten gleicht.
Nicht selten gesellen sich diesen serösen Flüssigkeiten, na-
mentlich an solchen Stellen, wo der Gefässreichthum ein erheb-
licher ist oder wo noch besondere Zustände der Hyperaemie von
Zeit zu Zeit auftreten, hämorrhagische Ergüsse hinzu , so dass
die ursprüngliche Schleimcyste, welche nachher eine seröse
Cyste wurde, endlich sich wie eine Blutcyste (S. 153) dar-
stellen kann. Dieses Blut ist natürlich im Anfang roth; dann
treten allmählich die bekannten Veränderungen ein*): das Hae-
matin difliindirt sich in der Flüssigkeit, diese nimmt ein braun-
rothes Aussehen an, manchmal, bei geringerem Gehalt an Hae-
matin, ein gelbliches, manchmal ein schwärzliches, und es können
untor Umständen Säcke gefunden werden, die mit einer dinten-
Ahnlich<^n Flüssigkeit gefüllt sind; wenigstens triflfl man sie so
•) Mein ArchiT. Bd. 1. S. 3di.
Secundäre Veränderungen der Retentionscjsten. 253
in den Leichen, wo wahrscheinlich cadaveröse Gase auf die Farbe
eine Einwirkung geübt haben. Das aufgelöste und veränderte
Haematin durchdringt weiterhin die in der Flüssigkeit enthaltenen
festen Körper und die Wandungen des Kanals, tränkt sie und
erzeugt an und in ihnen allerlei gelbe, braune, rothe und schiefe-
rige Pigmente.
Endlich kann es auch geschehen, dass die Wand des Sackes
der Sitz stärkerer Irritationen wird, dass Eiterabsonderungen statt-
finden, dass purulente Massen sich beimischen und der Flüssig-
keit ein trübes, manchmal gelbweisses Aussehen geben. Ist die
ursprüngliche Flüssigkeit an sich zu Zersetzungen geneigt, so
beschleunigen und compliciren sich diese unter der Einwirkung
des Eiters, und wenn gar eine Eröffnung der Cysten und ein
Eintritt von Luft in dieselben erfolgt, so giebt es gewöhnlich
sehr schnelle faulige Umsetzungen. — Hyperplastische Prolifera-
tionen, welche in Form von Verdickungen und Auswüchsen her-
vortreten, sind an der Schleimhaut selten. Dagegen verbindet
sich mit den stärkeren Reizungen der inneren Fläche sehr gewöhn-
lich eine zunehmende fibröse, oft schwielige Verdickung der gan-
zen Wand, nicht selten auch eine eigentliche Perizystitis, welche
Verdickungen, Auswüchse und Verwachsungen an den äusseren
Theilen des Sackes hervorbringt.
Das ist im Grossen der Gang, den die cystischen Processe
an den meisten Stellen nehmen, — ein Gang, der natürlich sehr
modificirt wird durch die ursprüngliche Beschaffenheit der Ober-
fläche und durch die Art der Absonderungen, mit denen der
Process anfing. So wird an manchen Schleimhäuten im Anfang
viel häufiger purulente Ma^e abgesondert, als schleimige; es be-
stehen mehr eitrige als schleimige Katarrhe, wie so häufig am
Respirationsapparat. Die bekannten Erweiterungen der Luftwege,
die Bronchiektasien, füllen sich, wenn ihr Inhalt stagnirt,
gewöhnlich mit Eiter. Späterhin verdichtet sich derselbe all-
mählich, er dickt sich ein und geht in käsige oder, wie man
sagt, tuberkelartige Masse über*). Es hängt jedoch sehr von
den Localitäten, wo sich diese Dinge bilden, und von der Auf-
fassung über ihre Entstehung ab, ob man sie Geschwülste nennen
will oder nicht. Bis jetzt ist es nicht üblich gewesen, die
*) Mein Archiv. 1847. Bd.I. S. 175.
254 Zwölfte Vorlesung.
Bronchiektasien schlechthin Geschwülste zu nennen, aber es
muss doch bemerkt werden, dass namentlich die käsige Ein-
dickung des bronchiektatischen Inhaltes sehr häufig Veranlassung
gegeben hat, solche Dinge für Tuberkel*), also für wirkliche
Geschwülste zu halten. Man mag daraus wieder ersehen, wie
unsicher überhaupt der Begriff der Geschwülste ist. Je weniger
bekannt die Entwickelungsgeschichte einer bestimmten Anhäufung
ist, je mehr die Vorstellung sich erhebt, dass der Sack auf selb-
ständige Weise entstanden ist, um so mehr wird man immer ge-
neigt sein, ihn eine Geschwulst zu heissen. —
Viel schwieriger, als die bisher besprochenen Fälle, sind die-
jenigen, wo nicht sowohl die örtlichen Absonderungsstoffe eines
Kanals sich aufhäufen, sondern wo der Kanal Ausführungsgang
einer Drüse ist und die Retention zunächst das specifische Drüsen-
secret trifft. Hier mischen sich nach und nach örtliche Absonde-
rungsstoffe der Kanalwand zu dem Drüsensecret, und es enUttehea
oft sehr complicirte Zersetzungsverhältnisse, welche sich sehr ver-
schieden gestalten, je nachdem die Drüsensecretion fortdauert
oder nicht, und je nachdem die örtliche Absonderung stark oder
schwach ist.
Ich will einige dieser Fälle etwas specieller durchgehen, theils
diejenigen, welche besonders charakteristische Anhaltspunkte ge-
währen für die Betrachtung der hier vorkommenden pathologi-
schen Verhältnisse überhaupt, theils solche, welche gerade als
Geschwülste eine gewisse Berühmtheit und Wichtigkeit erlangt
haben.
In Beziehung auf die Umwandlungszustände des Inhaltes
haben wir keine Localität, welche so charakteristische Gesicbts-
puncte lieferte, wie die verschiedenen Abschnitte der Gailen-
wege. Eine Ektasie der Gallenwege, namentlich wenn sie einen
cystischen Charakter annimmt, wird natürlich im Anfange mit
Galle gef&llt sein; sie bildet eben eine Gallencyste**). Ob sie
aber als solche fortbestehen wird, das hängt davon ab, dass die
Zufuhr von Galle andauert, dass immer wieder neue Galle in deo
Sack eingefQhrt wird. Ist das der Fall, so vergrössert sich die
Ektasie mehr und mehr, aber zugleich dickt sich allmählich die
•) Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 170, 439.
**} CroTeilhier. Anat. path. Li?r. Xll. fig. 1--3.
GalleDcysten. 255
darin stagnirende Galle ein, wie etwa der Eiter in den käsig
werdenden Bronchiektasien , indem die wässerigen Bestandtheile
zur Resorption gelangen und die festen Tbeile sich sedimentiren.
Manchmal entstehen so in der Leber, namentlich gegen die Ränder
oder Oberflächen derselben hin, liaselnus8grosse bis wallnussgrosse
Säcke, die mit einer ganz dicken, schmierig -breiigen Galle an-
gefüllt sind. Sehr häutig erfolgen aus der stagnirenden und sich
zersetzenden Galle*) nachher Niederschläge und Krystallisationen,
namentlich von Cholestearin, Bilifulvin und Hämatoidin. In ein-
zelnen Fällen setzt sich sogar der grössere Theil des Inhaltes
aus solchen krystallinischen Massen zusammen. Ich habe wall-
nussgrosse Cysten gefunden, die fast nur Cholestearin in grossen
Krystallen, untermischt mit Pigment enthielten. Anderemal über-
wiegt auch in den einfachen Gallencysten das Hämatoidin, ganz ähn-
lich, wie es in alten Echinococcus-Säcken der Leber vorkommt, —
ein Ereigniss, welches für die Geschichte des Hämatoidins von gros-
ser Bedeutung gewesen ist, weil es die einzige Localität war, wo-
raus ich selbst**) und Hr. Rob in***) grössere Mengen gewonnen
haben, welche das Mittel zu einer genaueren Untersuchung des Stof-
fes darboten. Unter solchen Verhältnissen verändert sich die Farbe
des Sackes; anfangs ist der Inhalt ein brauner oder gelbbrauner;
in dem Maasse als Hämatoidin ausgeschieden wird, tritt die
mennig- oder rubinrothe Farbe ein, welche seine Anwesenheit
schon f&r das blosse Auge charakterisirt.
Viel häufiger wird aber die Zufuhr von Galle unterbrochen,
and es entsteht zu einer gewissen Zeit ein Abschluss des Sackes.
Das kommt verhältnissmässig am häufigsten an der Gallenblase
vorf). Wenn Gallensteine sich im Ductus cysticus festsetzen, oder
wenn eine narbige Schrumpfung an der Mündung der Blase, na-
mentlich von aussen her, stattfindet, dann bleibt die Galle, welche
in dem Augenblick der Verschliessung vorhanden war, zunächst
da; manchmal kommen noch Niederschläge, Krystallisationen und
kleine, namentlich aus reinem Cholestearin gebildete Steinbil-
dongen zu Stande, allein in der Mehrzahl der Fälle verschwindet
•) Wfirzbarger Verhandl. 1^50. Bd. I. S. 311.
••) Mein Archiv. 1847. Bd. I. S. 427.
*••) Gas. m4d. de Paris. 1855. No. 44. p. 684.
t) Rokitansky, a. a. 0. Bd. IlL S. 28L Gruveilhier. Aoat
pathol Uvr. XXIX. PI. 4.
256 Zwölfte Vorlesung.
die Galle spurlos, die Flüssigkeit wird immer heller, die Farbe
verliert sich und endlich zeigt sich ein vollständig farbloses
Fluidum. Während diese offenbar durch Absorption der Galle
bedingte Entfärbung stattfindet, geschieht fortwährend eine Secre-
tion von der Wand, und zwar zunächst wieder eine schleimige,
so dass zuweilen die verschlossene Blase ganz und gar mit einem
ähnlichen, wenn auch nicht so consistenten Schleim erfüllt wird,
wie die Cysten des Processus vermiformis. Dann kommt das
Stadium, wo dieser Schleim sich wieder verflüssigt und zu einer
albuminösen, scheinbar einfach serösen Substanz sich umwandelt,
und zugleich beginnt eine einfach seröse Transsudation von der
Wand. Nun dilatirt sich der Sack mehr und mehr, die Gallen-
blase wird immer grösser, sie schiebt sich unten am Leberrand
hervor, sie erweitert sich im Querdurchmesser, und unter Um-
ständen kann sie eine Geschwulst bilden, die schon bei Lebzeiten
am unteren Rand der Leber wie ein faustgrosses Gebilde hervor-
tritt und durch die harte Spannung ihrer Wand eine Verwechse-
lung mit einer Vollgeschwulst veranlassen kann. Diesen Zustand
nennt man gewöhnlich Hydrops cystidis felleae, indem man
davon ausgeht, dass von Anfang an eine seröse Ausscheidung
stattgefunden habe, wie man sie bei Hydrocele und bei Hygromen
(Hydrops bursarum) vorausgesetzt hat. Allein es handelt sieh
keineswegs um einen dem Wesen nach hydropischen Vorgang;
der Hydrops ist vielmehr ein sogenannter spurius*), er ist be-
dingt zunächst durch die Verflüssigung des Schleims, sodann
durch die später folgende, also secundäre seröse Absonderung,
welche ihrem Wesen nach eine irritative Frscheinung und den
serösen Katarrhen zuzurechnen ist.
Ganz ähnliche Vorgänge, wie an der Gallenblase, finden sich
auch an den Ductus biiiferi**), wo eine cystoide Degeneration
vorkommt, welche den genauen Eindruck einer unabhängigen
Cystenbildung hervorbringt. Auch diese Säcke entstehen, wie
die Gallencysten, in der grossen Mehrzahl der Fälle nahe der
Oberfläche des Organs in den mehr peripherischen Gängen. Mit
^) Jul. Vogel. Pathol. Anatomie. I. S. 85.
^*) In einem Falle, vo ^^^ Herren Kölliker und H. Müller bei eintm
Hunde den Gallengang unterbunden hatten, sah ich nach liogerer Zeit
•iamtliche Ductus biliieri innerhalb der Leber stark erweitert und mit gans
farbloten, zähem Schleim erfüllt.
OalleBgangBcyBteii. 257
dieser Lage hängt es wohl zusammen, da&s die Zufuhr von neuer
Galle so hänfig aafhOrt, indem derjenige Abschnitt der Leber,
welcher in den betreffenden Gallengang seine Galle liefern sollte,
durch den Druck des Sackes atrophisch wird. Erreicht nehmlich
die Ektasie eiae gewisse Grtisse, so atropbirt jedesmal das um-
Ijegende Parenchym; die Cyste liegt dann an einer prominenten
Stelle unmittelbar unter der Leberkapsel, und es ist kein Paren-
chym mehr zwischen Cyste und Albuginea, welches in den Sack
hinein secemiren k6nnte.
Die Säcke erreichen nicht selten die GrOsse einer Kirsche,
einer Wallnuss, und es kann dann auf den ersten Blick ganz so
aussehen, als hätte man kleine Echinococcussäcke vor sich. Von
diesen lassen sie sich indess leicht unterscheiden, weil sie keine
membranSsen Theile enthalten, die dem Blasenwurm entsprächen
(S. 104), sondern in der Regel nur eine einfache Flüssigkeit, welche
bei j&ngeren Bildungen eine bräunliche oder schmutzig grünliche
Färbung zeigt, bei älteren ganz klar und wasserhell ist. Besonders
eluracteristisch sind solche Cysten, in welchen ein Niederschlag
der GaUenbeatandtheile, eine ConcretioQS- und Steinbitdung (Fig. 43)
stattgefunden hat, weil bei ihnen die
Frage Ober die Ableitung der Cyste aus ^"' *^'
abgeschnürten, erweiterten Tbeilen der Gal-
Imgänge am wenigsten zweifelhaft sein
kann. Manchmal erhält sich nach der Re-
sorption oder Sedimentirung der Gallen-
aotheile die natürhche Absotiderung der
Schleimhaut längere Zeit und man findet
die Cysten, bald mit einer mehr schleimi-
gen, bald mit einer gallertigen, colloiden
Masse erfUlt*). Diese Formen gleichen,
um&l wenn sie klein sind, in hohem Maasse den Säcken abgestor-
Fig. 43. GkUeDgaogBCTste an der Leberoberfläcbe vod einem Geistes-
knaken, der sogleich tricbinds war. Sie lag am rechten Lap)>eD dicht
atbta dem Ligam. suBpensoriom an einer etwas deprimirten , schwielig aus-
MhMden Stelle, hatte Ober J Zoll im DuTcbmeaser und enthielt in einer
Kbr derben, Bbrösen Kapsel eine b räu n liehe- Pili asigkeit mit kleinen, orange-
GvbeDen, ganz ans ÜiniBtoidin und Cholegtearin bestehenden Brückein. (Pr9-
pant No. 259b. vom Jahre 1658).
*) Siehe die genauere Beschreibung des Inhaltes einer solchen C^ste
ia neiBWi Archiv, fid. 1. S. 114. Note; die einer anderen mit Flimmerepithel
von Priedreieh, ebendaselbst, Bd. XL S. 467.
Vlrckow, GMibaGUlt. 1. ]7
258 Zwölfte VortesaDg.
bener und verglaster Echinococcen, aber vergeblich Bucht man in
ihnen Haken, Kalkkßrper oder geschichtete Häute, wie in alten
EchinococcuB-Säcken. Es ist nur eine amorphe, hfichsteDB mit epi-
thelialen Elementen von der Wand untermischte Gallerte vorbanden.
Diese Beispiele sind insofern fSr die ganze hier in Betradit
kommende Gruppe von Wichtigkeit, als wir drei ganz ver-
schiedene, aber aus einander hervorgehende Stadien
in der Bildung unterscheiden können: eines der Gallenretention,
eines der Schleimsecretion und eines der serösen tfaeüs tfetamor-
phose theils Seeretion. Wenn man diese Verhältnisse im Auge be-
hält, so wild man sehr vorsichtig bei der Deutung von Cysten, welche
nicht denjenigen Inhalt haben, den man nach Haassgabe der ur-
sprünglichen Secretion erwartete. —
Ganz ähnliche Vorgänge finden sich flberaus häutig an den
weiblichen Sexualapparaten, und zwar an den verschie-
densten Abschnitten derselben. Es giebt einen Hydrof» foUicn-
lorum ovarii, einen Hydrops tubarum und einen Hydrops uteri oder
Hydrometra, wo also, je nach dem Fall, entweder die Follikel
des Eierstocks, oder eine Tuba ganz oder zum Theil, oder die
Höhle des Uterus in Cysten verwandelt werden.
Der Hydrops folliculorum ovarii beginnt «weilen
ausserordentlich frühzeitig. Schon bei neugebornen Mädchen fin-
det man solche Cysten, und jedenfalls können sie vor der Puber-
tät in sehr grosser Zahl vorhanden sein. Unsere Sammlung besitzt
ein characteristisches Beispiel dieser Art von
einem zehnjährigen Mädchen, wo eine gante
Keihe von Follikeln in zum Theil Kirsch-
kerngrosse Säcke umgewandelt ist Dies«
Form darf aber nicht verwechnelt werden
mit demjenigen Zustande, den man gewöhn-
lich Hydrops ovarii nennt Bei ihr han-
delt es sich wesentlich um eine allmälige
Dilatation existirender Follikel, abo eier-
führender Räume, denn jeder Follikel ist ja ursprfinglicb eineier-
trugonder Kaum; das Ei gehört genetisch notbweodig dain. Höch-
ntiiuH lii;i dem congcnitalcn Follicalarhydrops kann man davon
Kill. U. iivdrops folliculariB otuü von «inea lOjUriget HMckea.
(Prlpkrkt No. 6I&.}. Ntbein natarlicb« QrOM«.
Hydrops ovarii follicularis. 259
abseben, insofern vor der Gebart mehr die Anlagen, als die voll-
standig aasgebildeten Einrichtungen vorhanden sind. Aber schon
bei sehr jangen Kindern findet man Tausende von Eiern im
Ovarium *).
Der gewöhnliche Hydrops ovarii fallt in eine andere
Kategorie, insofern es sich da um Neoplasien bandelt, die einer
ganz anderen Entwickelungsreihe angehören. Das Characteristi-
»che des wahren Hydrops follicularis **) ist daher, dass man we-
nigstens im Anfang in der Flüssigkeit noch das Ovulum antrifft.
Denn die Bildung geschieht in der That so, dass in einem
Graafschen Raum, welcher die gewöhnliche Zellenmasse der
Membrana granuiosa und ein Ei enthält, eine stärkere Quantität
von albuminöser Flfissigkeit sich anhäuft, die hier von Anfang
an wässerig und nicht schleimig ist. Späterhin geht das Ei zu
Grande. Man kann deutlich sehen, wie es zerfällt: es löst sich
zuerst der äussere Theil, die Protoplasmamasse, in eine weichere
Substanz aaf, die sich sehr leicht zerdrückt, und die endlich ganz
und gar zerfliesst. Dann hat man nichts weiter als einen einfa-
chen serösen Sack.
Gelegentlich kommt eine solche cystoide Entartung der Eier-
stocksfollikel ganz solitär vor, und im Grossen kann man zugestehen,
dass der primär uniloculäre Hydrops ovarii wirklich ein folliculärer
ist Aber ich habe dargethan, dass nicht wenige Eierstockswasser-
sachten, welche ursprünglich multiloculär sind, secundär durch Con-
flaenz zusammengehen und einfache Säcke bilden. Hier ist selbst
anatomisch die Diagnose sehr schwierig**'*'). Ich werde später
bei den Kystomen darauf zurückkommen, und hebe hier nur her-
vor, dass man am sichersten bei den kleinen Cysten, welche in ge-
ringerer Anzahl vorhanden sind, die foUiculäre Natur voraussetzen
darf. Diese Zustände finden sich in späteren Lebensaltern unter
gewissen Umstanden häufig, namentlich wird bei Schwangeren
und Puerpem nicht selten eine grössere Zahl von Follikeln hydro-
pisch, wo man beim Anstechen eines jeden derselben, wenn man
die Flüssigkeit vorsichtig auffängt, das Ovulum gewinnen kann.
•) G rohe in meinem Archiv. 1863. Bd. XXVI. S. 283, 297.
♦•) Virchow. üeber chronische Affektionen des Uterus und der Eier-
Mcke. Wieoer med. Wochenschrift. 1856. No. 12. S. 180.
***) Yirchow. Das EierstockscoUoid. Geburtshülfl. Yerhandl. Berlin.
Bd. lU. 8. 220-234.
17*
260 Zwölfte VorlesoDg.
Zustande dieser Art fallen sehr gewöhnlich mit starken katarrha-
lischen (leukorrhoischen) Erkrankungen der Sexualapparate zu-
sammen, treten auch wohl unter dem Bilde der Menstruation, und
mit Blutungen auf (Pseudomenstruation) und man kann sie geradezu
als Katarrhe der Graafschen Follikel bezeichnen*). Der Hy-
drops ist also auch hier wieder ein irritativer. —
Was nun die Tuben angeht, so kann natürlich eine cysti-
sche Umbildung ihres Kanals nur vorkommen, wenn das Ostium
abdominale verschlossen ist. Eine solche Atresie setzt wiederam
einen Verwachsungsprocess, und dieser eine Perimetritis, wenn
auch eine sehr beschränkte, voraus. Nach der Uterinseite hin
ist die Tuba an sich sehr eng, und ein Verschluss derselben kann
schon durch eine klappenartige Faltung, oder durch eine Schwel-
lung der Schleimhaut und der übrigen Wandbestandtbeile, oder
durch Anhäufung von Schleim zu Stande kommen, am leichtesten
innerhalb des eigentlichen Ostium uterinum, zuweilen auch schon
vor demselben. Robert Froriep **) unterschied daher zwei
Formen des Hydrops tubarum, diejenige, wo die Uterinmondong
offen ist und man bei starkem Druck Flüssigkeit aus dem Tubar-
sack in den Uterus durchpressen kann (H. tubae apertae), und
diejenige, wo auch das Uterin-Ostium ganz verschlossen ist (H. t. oc-
clusae). Cruveilhier***) hat diesen Unterschied bestätigt. Die
vollständige Atresie scheint nach Froriep das seltenere zu sein.
Im Beginn der Störung häuft sich zunächst ein schleimig
epitheliales Secret an; dieses verflüssigt sich später, es entsteht
ein Hydrops cysticus tubae. In der Flüssigkeit findet man
viele zellige Theile, namentlich runde Schleimkörperchen, denn
die Tuben sondern zu allen Zeiten viel zelliges Material ab. Dau-
ert der Zustand länger, so kommen fast immer hämorrhagische
Producte hinzu, und es entsteht ein Hydrops tubae sanguinolentus.
Unter diesen Vorgängen dehnt sich der Kanal mehr und mehr
aus. Ist es die ganze Tuba, so entsteht ein darmartig gewun-
dener Sack; ist es nur ein Theil derselben, so kann es eine runde
('yHto sein, welche unter Umständen faustgross und darüber wer-
den kann.
•♦
*) OpHammelte Abhandlangen. S. 767—768.
'*) Hob. Froriep. Pathol.-anat. Abbildungeo ans der KSnigi Cbmrit^
ll<t)UniiUli zu Borlin. Lief. I. Weimar. 1836. Taf. IIL n. IV.
***/ Cr u voll hier. Trait^ d'anat path. g^nör. T. IIL p. 871.
Hydrops tnbae Faloppianae. 261
Die Erscheinimg bringt danach einen sehr mannichfaltigen
Eindruck hervor, zumal da auch die Lagerung der Tuba unter
solchen Verhältnissen eine ausserordentlich mannichfaltige ist.
Weil sehr häufig eine Perimetritis der Anfang dieser Veränderun-
gen ist, so wird auch die Tuba in der Regel irgendwo adhärent,
am häufigsten am Eierstock. Manchmal liegt sie ganz zurück-
geschlagen hinter dem Uterus, manchmal krümmt sie sich über
ihn hinweg, selten liegt sie nach vorn, am häufigsten liegen die
Cysten nach der Seite und nach hinten. Den allmälich wachsen-
den Sack kann man schon bei Lebzeiten durchfühlen, besonders
in der Gegend des Eierstocks in der Seite oder hinter dem Ute-
rus, so dass man leicht daran denken kann, es handle sich um
einen Hydrops ovarii oder um Cysten des Uterus selbst.
Unter Umständen scheint es vorkommen zu können, dass,
wenn keine wirkliche Verschliessung des Ostium uterinum besteht,
wenn blos durch die Anwesenheit von verstopfenden schleimigen
Massen der Kanal unterbrochen ist, durch den Druck der Flüs-
sigkeiten nachher die Mündung wieder eröffnet, forcirt wird. Es
giebt wenigstens Fälle, wo man durch die Geschlechtswege grosse
Quantitäten von Flüssigkeit aus einem Sack dieser Gegend sich
hat entleeren sehen. Blasius*) hat einen Fall dieser Art als
Hydrops ovarii profluens beschrieben. Auch Ad. Richard und
Cruveilhier**) erzählen ähnliche Fälle. Jedoch haben schon
Froriep und Job. Müller darauf aufmerksam gemacht, dass
dies an sich weniger wahrscheinlich sei und dass, wo keine
Autopsie den Beweis lieferte, vielmehr ein Hydrops der Tuben
vorausgesetzt werden müsse.
Andererseits ist es nicht selten, dass die sich ausdehnende
Tuba nicht allein mit dem Uterus, sondern auch mit anderen
Theilen verwächst, namentlich mit Darmtheilen, und zwar häufig
mit Schlingen des Dünndarms oder mit tieferen Abschnitten des
Dickdarms. An diesen Stellen bilden sich leicht, wahrscheinlich
durch die Zerrungen, welche sie erfahren, heftigere entzündliche
Processe, welche eine Perforation nach sich ziehen. Dann kann
die Flüssigkeit aus der Tuba in den Darm eintreten, aber es tritt
dann auch gewöhnlich Gas oder Darminhalt in den Tubensack
*) C. Blasius. Comment. de hydrope ovariorum profluente. Hai. 1834.
*} Cruveilhier. L c. p. 372.
262 Zwölfte Vorlesung.
ein, und daraus entstehen allerlei ungunstige , lange anhal-
tende, jauchige Eiterungen, welche mit grosser Schmerzhaftigkeit
und mit fortschreitenden entzündlichen Processen in der Umge-
gend verbunden sind und für die Kranken nicht blos überaus
quälend, sondern auch in hohem Maasse gefährlich werden kön-
nen. —
Von diesem eigentlichen Hydrops tubae muss man wohl un-
terscheiden die cystischen Bildungen, welche nicht selten
an dem abdominalen Ende der Tuben vorkommen. Es
finden sich hier allerlei gestielte und flach aufsitzende Blasen, die
meisten klein, von der Grösse eines Hanfkoms bis zur Grösse
einer starken Kirsche. Auch diese Cysten sind wieder verschie-
dener Natur, und einzelne derselben sind bis jetzt in Beziehung
auf ihre Entstehung keineswegs vollständig aufgeklärt.
Eine Art davon, welche weniger constant ist, lässt sich zu-
rückführen auf die fötale Entwicklung. Seit Kobelt hat man
sich gewöhnt, eine sehr häufig vorkommende gestielte Cyste an
dem Abdominalende der Muttertrompete als das Analogen der so-
genannten Mo r gagn i' sehen Hydatide am Nebenhoden za betrach-
ten. Dies ist jedoch meiner Meinung nach nicht für alle Fälle
richtig. Tuba und Vas deferens entwickeki sich aus ursprünglich
verschiedenen Kanälen oder Gängen. Die Tuba entsteht aus
dem sogenannten Müller 'sehen Faden oder Gange, welcher
blind endigt. Während sich in einiger Entfernung vor dem Ende
das Ostium abdominale mit den Fimbrien entweder einfach oder
auch mehrfach eröffnet, bleibt das kolbige Ende erhalten, ent-
wickelt sich zu einer Cyste, während sein Stiel atrophirt, und
überragt die Fimbrien. Diese gestielte Hydatide entspricht aller-
dings der am Nebenhoden vorkommenden, indem beim Manne der
Müll er 'sehe Faden in seiner ganzen Ausdehnung verschwindet
und nur der Saeculus prostaticus und die Endhydatide von ihm
übrig bleibt. Ganz verschieden davon ist eine zweite gestielte
Cyste, welche sehr oft neben der ersten vorkommt and sich in der
Gegend des früheren Wolff sehen Körpers, des sogenannten
Nebeneierstocks oder Rosenmüller'schen Organs an das breite
Mutterband inscrirt. Diese erklärt sich auf folgende Weise: Der-
jenij^e Kanal, welcher dem Vas deferens des Mannes entspricht,
der ursprüngliche Ausführungsgang des Wolff sehen Körpen«,
geht beim Weibe seinem grösseren Theile nach, wie der Wolff-
CjBten der HntterUnder. 263
Bche Körper selbst, frfibzeitig zu Grunde, eo dass höchstens ein
im Gewebe des Ligameatom latum verschwindender Faden ata
letzter Rest davon sich findet, dessen Endstfick in Form einer
Cyste hervortritt Diese sitzt tiefer, als die zuerst genannte und
befestigt sich nicht an die Fimbrien, sondern ganz ausserhalb der
Tuba an die Ala vespertilionis. Beide Arten von Cysten errei-
chen keine beträchtliche Grösse. Im besten Falle werden sie
kirechengroes und haben deshalb mehr ein genetisches Interesse,
als dass sie in patholc^ischer oder therapeutischer Beziehung
Bedeutung erlangten.
Ausser diesen grösseren Cysten findet sich häutig ganz
in der Nähe noch eine Art meist sehr kleiner, hanfkorn- bis
erbsengroaser Blasen*). Eio Tbeil derselben entspricht sei-
nem Sitze nach ziemlich genau der Stelle, wo das Rosen-
mfiller'Bche Organ, das Parovarium liegt, zwischen Ova-
rium und Tuba. Bei Kindern fand ich die kleinen Bh'ndsäcke
dieses ursprünglich Wolff'schen Körpers noch hohl uod mit
Gylinderepithel geffllU"); bei Erwachsenen waren sie, soweit ich
sehen konnte, immer obliterirt. Theils an der Stelle, wo später
vespertilionis. o der etwas geschrumpfte
Tuba mit ihren Fimbrien/, in deren ^äho
die Eodfa^datide h ansitzt, r ilas KosenmQller'sche Organ ( Neben ei erst ork,
^OTariam, Rest des WolfTschen Körpers) c, c,c kleine geschlossene Cvsten,
theils am (Überzüge der Tuba, tbeils an der Ala selbst, theils an dem Neben-
üentoek. p,p ein Paar Venensteine (Phlebolithen) in einer f^eschlSognlten
Vei» owialis. MatOrtiche Grösse. (Präparat No. 30. vom Jahre 1863).
■) Job. Fr. Heckel. Path. Anat. II. 2. S. 145.
•*) BerliDer geburtshOlfl. Verhandl. 1M8. Bd. HI. S. 210.
264 ZwOHte Yorlesung.
ihre unvollständigen Reste liegen, theils dicht daneben kommen
Cysten von verschiedener, jedoch meist geringer Grösse vor, bei
denen es nahe liegt, sie aus cystischen Dilatationen der Kanäle
des alten Wol ff sehen Körpers abzuleiten. Ich habe diese Frage
wohl zuerst (1847) aufgeworfen, musste sie aber nach meinen
Untersuchungen verneinen, da ich einen wirklichen Zusammen-
hang aufzufinden nicht im Stande war. Nachher haben verschie-
dene Beobachter die Frage bejahend beantwortet *•*) und einzelne
sind so weit gegangen, alle kleinen Cysten dieser Gegend auf
das Parovarium zurückzufahren. Dies scheint mir nicht richtig
zu sein. Wenn ich auch die Möglichkeit zugebe, dass gewisse
Cysten wirklich durch Anhäufung von Secret in den Blindsäckchen
des Wol ff 'sehen Körpers entstehen mögen, so giebt es doch zahl-
reiche Fälle, wo die Bläschen sehr weit von dem Nebeneierstock
entfernt liegen, z. B. am äusseren Umfange der Tuba, also an Stellen,
wo man kein solches Vorgebilde hat. — Diese sind wahrschein-
lich als Neugebilde zu betrachten, zumal da sie oft Flimmerepi-
thcl enthalten, von dem man nicht weiss, dass irgend einer dieser
Theile normal damit ausgestattet ist. —
Die letzte Kategorie von cystischen Dilatationen an den weib-
lichen Sexualapparaten bildet die Hydro metra, ein Zustand,
der überwiegend dem höheren Lebensalter angehört und als eine
Art von Involutionszustand betrachtet zu werden pflegt Der
gewöhnliche Sitz der Dilatation ist der eigentliche Körper des
Uterus, die Gegend vom Oriticium internum bis zum Fundus. Re-
gelmässig handelt es sich dabei um Zustände, welche mit allmäli-
cher Verengerung und endlichem Verschluss des Orificium internum
verbunden sind. Diese Verengenmg ist die Folge eines chronisch
entzündlichen Processes (Endometritis, Catarrhus chronicus), der
in der Schleimhaut ein sich retrahirendes Gewebe erzeugt Nicht
selten entwickeln sich gleichzeitig in dem Orificium internum
Nabothscysten, welche den Verschluss begünstigen, zumal wenn
sich damit, wie es oft genug der Fall ist, eine Flexion des Uterus
verbindet**). Dann häufen sich die Secrete in der Höhle des
*) Follin. Recherches sar les corps de Wolff. These de Paris. 1860.
Rroca. Bulletin de la societe anatomique de Paris. 1852. p. 45, 47S. Ro-
kitansky. Lehrbuch der path. Anat. Wien. 1861. Bd. DI. S. 484, 442.
**) Berliner GeburtshQlfl. Yerhandl. 1849. Bd. IV. S. 82. Gesmmmelt«
Abhandlungen. S. b20.
Cystiflche Trachectasis- 265
üterns an, die Wandungen dilatiren sich und die platte Cavität
verwandelt sich in einen rundlichen Sack, welcher durch das
verengte oder verschlossene Orificium intemum von dem offenen
Cervicalkanal abgegrenzt wird. Das Secret ist stets ein flüssiges,
ganz verschieden von der zähen, schleimigen Absonderung der
Cervicalschleimhaut, welche bei Verengerungen des Orificium ex-
ternum zuweilen sehr erhebliche Dilatationen der Cervicalhöhle
herbeif&hrt. —
Alle diese Processe gehören in eine einzige, in sich zusam-
menhängende Gruppe, und wenn man nur eben einen Fall davon
recht genau kennen gelernt hat, so hat es nachher keine beson-
deren Schwierigkeiten, die anderen zu deuten. Ich will unter
den analogen Formen anderer Localitäten namentlich eine noch
erwähnen, welche freilich zu den seltneren gehört, die aber höchst
charakteristisch ist. Das sind die Schleim Cysten, die sich aus den
Luftwegen in ganz abgeschlossener Weise entwickeln. Meistens
sind die Ektasien der Luftwege mit eitrigen Sccreten erfüllt
(S. 253), zuweilen aber kommt es vor, dass sie mit einem eben
so zähen, dicken und compacten gallertartigen Schleim vollge-
stopft sind, wie die vorher erwähnten Schleimcysten des Wurm-
fortsatzes und der Gallengänge. Manchmal zeigt sich diess an
den Bronchien selbst, so dass man mitten in der Lunge einen
mndiichen Sack findet, der eine sehr dünne Wand hat und
sich dadurch von den gewöhnlichen sackigen Bronchiekta-
sien unterscheidet, die meistens dicke Wände haben. Hier
dagegen ist die Wandung zuweilen so dünn, dass es schwer ist,
sie von dem anstossenden Lungenparenchym zu unterscheiden.
Derselbe Zustand kommt aber auch an der Trachea vor, und
während die 'cystischen Bronchiektasien im Lungenparenchym
keine erhebliche Bedeutung haben, so können die cystischen
Trachektasien selbst zu operativen Eingriffen Veranlassung
geben. Ihr gewöhnlicher Sitz ist an demjenigen Theil der Luft-
röhre, welcher etwas über und hinter dem Manubrium stemi
liegt Die Erweiterungen gehen meistens von der hinteren Wand
aus, welche am wenigsten geschützt ist, weil sie keine Knorpel-
ringe besitzt und weil auch das elastische Gewebe an ihr nur
massig stark entwickelt ist. Die sonst gleichmässig fortlaufende
Trachea bekommt zuerst eine Reihe von flachen Ausstülpungen
oder Vertiefungen, welche sich aneinanderschliessen. Allmählich
266 Zwölfte Vorlesung.
weitet sich das mehr und mehr zu einer gemeinschaftlichen Bucht
aus. Nach hinten kann die Ausweitung nicht sehr weit vor-
schreiten, weil durch den Oesophagus und die Wirbelsäule der Raum
verschränkt ist Dagegen schiebt sie sich seitlich mehr hinaus
und tritt unter Umständen als ein wirklicher Tumor über der
Clavicula, unter und hinter der Glandula thyreoides und neben
der Trachea hervor. Man kann dann leicht auf die Vermuthung
kommen, einen tiefsitzenden Kropf (Struma) oder eine ganz neu-
gebildete Cyste vor sich zu haben. Einen solchen Fall hat
Textor mit Erfolg operirt*); ich habe einige ähnliche an der
Leiche untersucht und mich überzeugt, dass die Säcke von der
Trachea ausgingen. Indem die Ektasie zuerst wie eine Hernie
(Bronchocele) hervortritt, kann sie sich später wirklich ge-
stielt aus der Trachea hervorstülpen und schliesslich abschnüren,
indem eine Atresie des Ostiums entsteht Dann hat man einen
mit zähem, klarem Schleim gefüllten Sack neben der Trachea. —
Diese Formen werden genügen, um Beispiele für die durch
reine Flächenabsonderung gebildeten Sackgeschwülste der grösse-
ren Kanäle zu liefern. Es bleibt noch die andere Gruppe von
Retentionsgesch Wülsten zu besprechen, wo wir nicht wesentlich
die Absonderungsproducte der Fläche vor uns haben, sondern
wo das Secret von einer grösseren Drüse geliefert wird und sich
in dem Ausführungsgange anhäuft. Ich habe allerdings insofern
etwas incorrect gehandelt, als die vorher geschilderten Cysten der
Gallenwege eigentlich in diese Kategorie gehören; ich habe es
nur fiir zweckmässig gehalten, dieses Beispiel vorau&unehmen,
weil es für die Gesammtanschauung eine so grosse Bedeutung hat
Wenn in einem Drüsengang das Secret, welches die Drüse,
nicht der Gang selbst abgesondert hat, sich anhäuft, so versteht
es sich von selbst, dass wir zuerst das Secret als den Stoff finden,
welcher die Dilatation macht Nehmen wir die Harnwege, so
liegt es auf platter Hand, dass jede durch Retention gebildete
Erweiterung der Ausfuhrungsgänge zuerst Harn enthalten, dass
OH eine Harncyste sein wird. Nun kann die Erweitemog
^) Ka wnr diess der Sack, aus welchem Herr Scherer den Schleim er-
hhU. Mn woli'hciii er seine bekannten chemischen Untersuchungen Ober die-
••H nUtft nnntellte (Annalen der Chemie und Pbamacie. Bd* 67. S. 19SX
Harncysten. 267
an den Terschiedensten Abschnitten vorkommen. Es giebt Ekta-
sien an der Harnblase, an den üreteren, an Pelvis und Galices
renales, endlich an den Harnkanälchen selbst und namentlich an
den geraden Harnkanälchen der Marksubstanz. Die Erweiterung
kann eine gleichmässige sein (die Harnblase z. B. kann sich im
Ganzen ausdehnen); aber sehr häufig ist sie eine sehr ungleich-
massige, so dass sie nach einer Seite hin stärker wird, oder dass
sie geradezu nur an einzelnen Stellen eintritt, und dass sackige
Ektasien entstehen. Diese können sich, je weiter sie sich ent-
wickeln, durch die Wand herausschieben, sie können wie herniöse
Bildungen nach aussen hervortreten, ja sie können förmliche
Nebensäcke liefern.
An der Harnblase stellen sie die sogenannten Divertikel-
bildungen dar, die oft ganz enge Mündungen haben, während sich
der Sack selbst ziemlich stark ausweitet. Das Divertikel kann
anfangs noch in der Wand enthalten sein; wird es grösser, so
schiebt es sich an die Oberfläche und endlich über die Ober-
fläche hinaus, indem es einen kleinen besonderen Tumor neben
der Blase bildet Solche Divertikel schnüren sich nun allerdings
nicht vollständig ab, aber sie können doch sehr leicht zu Ver-
wechselungen mit cystischen Geschwülsten Veranlassung geben.
Manchmal entwickeln sie sich so weit gegen die Seite hin, dass
man sie durch das Rectum deutlich fühlen kann. Zuweilen schie-
ben sie sich nach ganz ungewöhnlichen Regionen vor. In einem
Falle sah ich ein Divertikel in Form einer cystischen Geschwulst
am Perinaeum sich hervorwölben (S. 167. Note); ein anderes Mal
fand ich eines in der Richtung gegen das Foramen obturatorium
hin entwickelt, so dass es sich mit einer Hernia for. obtur.
complicirte.
An den üreteren und noch weiter hinauf am Nieren-
becken kommen vollständige Abschnürungen vor, so dass die
eine Niere gar keinen Harn mehr nach der Blase und nach
aussen entleeren kann und die andere Niere, falls sie unversehrt
bleibt, allein das Secretionsgeschäft übernehmen muss, und Aus-
gleichungen nothwendig sind. Diese Zustände fasst man zusammen
unter dem Namen der Hydronephrose*) zum Unterschied von
Hydrops renum cysticus, den man in das eigentliche Parenchym
*) Ray er. Trait^ des maladies des reins. Paris. 1841. T. IIL p. 476.
268 ZvOlfte VorkBong.
der Niere zu Tereetzen pflegt Die Hydrooepbrose ist in der
Regel überwiegend vorhanden an den Calices, an der Pelvis and
am Ureter. Manchmal ist es der ganze Ureter, wenn die Mün-
dung verschlossen ist; manchmal liegt das Hindemiss hoch hinauf,
und es entstehen Säcke, welche sich blos auf den oberen Ab-
schnitt beschränken. Zuweilen sind sie intrauteriaen Ursprungs*),
in der Regel entstehen sie später. Am gewOhnlicbstea sind es
Geschwülste, namentlich krebsige und kankroide Affectionen des
Uterus, sowie Nierensteine, welche sie herbeiführen. Nicht selten
sind sie die Folge von Dislocationen des Uterus, insbesondere
von ProlapsuB**). Am sonderbarsten sind jene Fälle, wo der
Ureter offen ist und doch eine extreme Hydronephrose vorhanden
ist Ich habe solche Fälle mehrmals untersucht; es fand sich
jedesmal ein klappenartiges Hindemiss, bedingt durch eine Fal-
tung der Wajid in Folge eines schiefen Ursprungs des Ureters
aus dem Nierenbecken.
Je mehr die Erweiterung zunimmt, um so mehr atrophirt
natürlich das Parenchym der Niere, indem die Nierensubstanz
tlieils in Folge des Druckes, theils in Folge entzündlicher, nament-
Fig. 46. Hydronephrosis mit fast vollstSodieer Gr&Dulantrophi« d«
KkrcnaubBtanc, OleichieitiK best^od eine stark compenutoriBcbe lljpec-
plutin der anderen Niere. {Präparat No. lOu. vom Jahr« 18G0}.
•) Kayer 1. c p. 4«, 5a3. Cruveilhier. Traite d'apat patb. geiiM-
T. III. p. 'af'i'J. Meine gesammelteD AbhanilluDgen. S. 874. Tb. 0. Hea-
tin^'-t. Kin fall von angeborner BlaseoDiere. Harburg. 1862.
*', IWliner Reburtuhnifl. Vcrbaiidl. 1846. Bd. 11. S. S09. Geumm.
'■ '■ a. 814.
Hydrooephrosis. 269
lieh interstitieller Processe schrumpft, dünner und dünner wird,
und zuletist gar nichts mehr davon übrig bleibt, als ein etwas
derber, fibröser, mehrkammeriger oder buchtiger Sack. Dann
hört die Secretion der Drüse auf, während, so lange noch Paren-
chym vorhanden ist, der Secretionsdruck, wie die Erfahrung
lehrt, gross genug ist, immer neuen Stoif in die Säcke zu führen.
Der Harnstoff, der darin enthalten ist, zersetzt sich nachher; man
kann schon durch den Geruch erkennen, dass eine Zersetzung
in kohlensaures Ammoniak erfolgt. Von dieser Zeit an treten
Secrete der Wand in grösserer Menge in die Höhle: epitheliale,
eitrige, schleimige Absonderungen. So erklärt es sich, dass Säcke,
die recht lange bestanden haben, fast gar keine nachweisbaren
Harnbestandtheile mehr fahren, sondern fast nur eine katarrha-
lische, oft eitrige oder fötide Flüssigkeit enthalten. Sie können
sehr gross werden, namentlich wenn der Ureter mit betheiligt
ist; ja, zuweilen erreichen sie einen solchen Umfang, dass man
sie sehr bequem von aussen durchfühlen kann. In diesem Falle
geben sie sehr leicht zu Irrthümern in der Diagnose Veranlassung.
Ich habe selbst solche Fälle anatomisch untersucht*), wo man
früher an Milztumoren oder an Eierstockscysten gedacht hatte.
Solche Verwechselungen begreift man, wenn man bedenkt, wie
stark die Spannung wird, welche die Wand des Sackes durch
das aufgehäufte Secret erfährt; sie erzeugt unter Umständen eine
wirkliche Härte, so dass man an die Consistenz der Milz er-
innert wird. Auch entspricht die Lage dieser Säcke manchen
Formen von Ovarialtumoren so sehr, dass sehr leicht die Ver-
muthung entstehen kann, man habe einen solchen vor sich.
«Einseitige Hydronephrosen werden oft sehr lange, fast ohne
Störung ertragen. Es erklärt sich dies aus der compensato-
rischen Hyperplasie der anderen Niere, welche die Secretion
für die unbrauchbar gewordene mit übernimmt. Anders verhält
es sich mit den doppelten Hydronephrosen, wie sie namentlich
bei Uteruskrebs und anderen Beckengeschwülsten nicht selten
sind, sowie mit den Fällen, wo bei einseitiger Affection die andere
Niere später der Sitz einer anderweitigen Erkrankung wird. Dann
tritt sofort die Rückwirkung auf die gesammte Oekonomie hervor;
^) M. Nagel. De hydronephrosi. Diss. inaug. Berol. 1847. p, 18.
Vgl Kayer 1. e. p. 48a
270
Zwülfu Vorlesung.
efi entwickelt sich jener Coinplex von Störungen, den man früher
als Febris urinoKS, gegenwärtig als Urämie zu bezeichnen pflegt,
und der sehr gewöhnlich zum Tode führt. —
Innerhalb der Niere selbst eind cy^tische Bildungen ausser-
ordentlich häutig, und lange Zeit war es in hohem Maasse zwei-
felhaft, auf welche Weise sie eigentlich entstehen. Wirkliche Harn-
cysten in der Niere sind sehr selten. Icli habe bei Terschiedeaen
Gelegenheiten allerdings unzweifelhafte Harncystea gefandeo, io
denen auch krystallintsche Niederschläge von Harnbestandtheilen
in grosserer Menge vorhanden waren, z. B. Harnsäure, oxalsaurer
Kalk, selbst in einem Falle Cystin*), allein die Regel ist, daes
keine Harnbestandtheile, sondern nur die Bestandtheile einer
serösen Flüssigkeit zugegen sind.
Verfolgt man die Entwickelung dieser Cysten, so ergiebt
tiich, dass sie allerdings in der Regel hervorgehen aus den Harn-
kanälchen, und zwar in einer doppelten Weise. Manchmal be-
ginnt der Process mit Atresien der Kanälchen; das ist nament-
lich bei den fötalen cystoiden Degenerationen**) der
Fall, wo wir eine Atresie der Papillen finden. Dieser Zustand
Fig 47. Ilvdrops renum rvstkus cong«DitDs. Pripamt So. 109«. tob
Jahn! 1K%9, (iosihenk des llr.'KaDiow iu S.birellKin. Der FaU bt ii
(li>n Vcrhandlu 11^011 der GesclUihari fQr lu'burUliQlfe in Berlia. 1860. Xll.
S. "ii. penaaer besrhriel>cn. Die Niereo varen hv\ dem a«neeborneii Kiadc
«&'," laoK, 4" breit und 3\" dirk und wogeu inaaitiDi«ii 9 Pfand 141 ijoA.
adelkDopf- bis erbäeiigro.ise Cvstfu uabmeD die ganie Substanx ei», mai
an d>>r Stell« der Cilires renales (and sieh ein missig dichtes Biadc^«r«be.
*) Genanimelle Abhnndl. S. 871. 0. Beckmann in meinem Anhi«.
M. IX. S. 2-.»e. Bd. XI. S. 127.
*') Kayer 1. c. p. älA. Yirchow in den BerUner «burtshUn. Ver-
lianaiungcn. IM7. Bd. 11. S. 170. Ueaanmelte AbbaaA S. 8S2.
Cy&toide Degeneration der Nieren. 271
ist gar nicht so selten. Ich selbst habe eine ganze Reihe solcher
FlUe untersucht und als Regel eben diese, wahrscheinlich auf eine
fötale Entzündung zu beziehende Atresie der Papillen gefunden,
so dass gar keine Gommunication zwischen den Harnkanälchen
und Nierenkelchen bestand*). Unter solchen Verhältnissen bilden
sich Cysten in so grosser Menge aus, dass zuweilen die ganze
Niere davon durchsetzt wird und dadurch zu einer Geschwulst
von solchem Umfang anschwillt, dass, wenn dieselbe Veränderung
an beiden Nieren stattfindet, sie die ganze Bauchhöhle des Fötus
erf&llen und so ausdehnen, dass die Geburt dadurch erschwert
wird. Wird die Geburt ohne Verletzung vollendet, so gehen die
Kinder bald nachher zu Grunde, weil durch die grosse Ausdeh-
nung der Nieren die Thäiigkeit des Zwerchfells behindert wird;
die Kinder können nicht athmen, und das Leben hört somit
auf. In der Cystenflüssigkeit fand ich harnsaure Salze, Hippur«
säure u. s. w.. und ich trage daher um so weniger Bedenken an-
zunehmen, dass wir es hier mit ursprünglichen Hamcysten zu
thun haben, als auch die mikroskopische Untersuchung die fort-
schreitende Ektasie der Harnkanälchen klar nachweist**).
Bei Erwachsenen wird die Sache schwieriger. Allerdings
giebt es auch hier Fälle von cystischer Degeneration, wo die
Nieren ganz und gar mit Cysten durchsetzt sind. Begreiflicher-
weise kann es sehr wohl sein, dass eine partielle fötale Dege-
neration sich bis in das spätere Leben erhält, und es ist denkbar,
dass nachher in den Cysten die Harnsecretion aufhört und an die
Stelle andere Abscheidungen treten. Allein der gewöhnliche Gang
der Kntwickelung ist vielmehr der, dass die Cystennieren der Er-
wachsenen überhaupt mit einer Hamretention gar nichts zu thun ha-
ben, sondern dass sie in Folge einer chronischen interstitiellen Ne-
phritis entstehen, welche sich verbindet mit einer Abscheidung von
festen Albuminaten in das Innere von Harnkanälchen. Die Harnka-
nälchen dilatiren sich durch diese Anfullung mit Albuminaten, den-
selben, welche im Morbus Brightii mit dem Harn nach aussen
kommen und unter dem irrthümlichen Namen der Fibrincylinder
bekannt sind. Ein Harnkanälchen, welches sonst ganz glatt fort-
•) WUrzbarger Verhandl. Bd. V. S. 447. Gesammelte Abhandl S. 8G4.
Berliner GeburtshOlfl. Yerh. 1860. XII. S. 22.
^*) A. Förster. Spec. pathol. Aoat. S. 357. Atlas der mikroskopischen
pitb. Anat Taf. XVllL S. 3.
272 Zwölfte Vorleaang.
läuft, wird verwandelt in eine Reihe von varicösen Ausbuchtungen
oder Säckchen, welche hintereinander liegen; in der Mitte eines
jeden Sackes liegen neben dem Epithel Körper aus eiweissartigen
Stoffen. Das Aussehen der kleinen Säckchen ist so, dass man
sie für neugebildete Theile halten könnte, indess ist nach den
sehr sorgsamen Untersuchungen des verstorbenen Prof. Beck-
mann*) kein Zweifel übrig, dass sie Abschnürungen von Ham-
kanälchen sind.
In diesen Säcken erhält sich der gallertige Inhalt oft sehr
lange; auch giebt es Fälle, wo immer wieder neue Massen der
Art gebildet werden. Anderemal dagegen finden wir späterhin
eine seröse Flüssigkeit, welche, wie die anderen, reich an Albu-
minaten und Leucin ist. Bestehen viele Säcke nebeneinander,
80 tritt später eine Confluenz ein. Es ist das ein etwas coropli-
cirter Gang, wodurch manche Verbindung wieder hergestellt wird,
welche durch den früheren Verlauf unterbrochen war. Zuerst
erweitem sich die Kanäle stellenweise, sie schnüren sich ab, es
bilden sich hintereinander liegende Cysten, und nachher fliessen
dioso wieder zusammen durch Atrophie ihrer Scheidewände. Allein
in der Kegel gehören die Collectivsäcke nicht einem einzigen
früheren Ilamkanälchen an, sondern es tritt Confluenz zwischen
Säcken ein, die ursprünglich getrennten Harnkanälchen angehör-
tini. So entstehen nach und nach grössere Säcke, welche an der
inneren Oberfläche noch Reste von Scheidewänden in Form von
lH)iHten oder Balken zeigen, in der Richtung, wo früher die Tren-
nung bestand.
In der Regel sind die Cysten in den Nieren der Erwachsenen
nu^hriach, so jedoch, dass sie nur kleinere Theile des Organs
einnehmen und dass also neben ihnen die Hamsecretion unge-
ntörttm Fortgang haben kann. Selbst sehr grosse und zahhreiche
Hii^ke dieser Art haben daher oft keinen erkennbaren Einfluss
mt djiM Allgemeinbefinden, und es ist erstaunlich zu sehen, dass
iKtHmt bei allgemeinerer hydatidöser Degeneration doch immer
fiiM'li Harn abgesondert wird**). Aber die Geschichte dieser Bil-
lUiuiii'ti int insofern von grossem Interesse f&r die allgemeine
*; Ifiirkmann. Ueber Nierencysten. Mein Archiv. IX. S. SSL Rd. XI.
««/(inAiinimoUo Abhandl. S. 874.
Ranula 273
Theorie cystischer Formationen, als sie in besonders deutlicher Weise
zeigt, wie bei multipler Cystenbildung späterhin Confluenz entsteht
(S. 201, 238.), so dass zuletzt ein einfacher Sack an die Stelle einer
grossen Zahl kleinerer Bläschen tritt. In der Niere wird ein Sack,
der auf diese Weise entsteht, zuweilen grösser als die Niere
?orher war; ja es kann aus einem Theil der Niere ein Sack
hervorwachsen, der umfangreicher ist, als die ganze Niere es
war. Das setzt natürlich eine fortgehende Abscheidung vor-
aus, und in diesen grösseren Säcken finden wir in der That
eine flüssige, seröse Masse, die von der Wand durch Transsudation
geliefert ist. In den kleineren Säcken dagegen kommt eine ausser-
ordentlich grosse MannichfaUigkeit des Inhalts vor: es giebt solche,
die sich mit Extravasat füllen, andere, wo gallertartige Producte
oder weiche, melicerisartige Massen sich finden, die zahlreiche
kleine, sonderbar aussehende, concentrisch geschichtete und zu-
gleich radiär gestreifte Körperchen enthalten *). Grössere Säcke
können einen solchen Umfang erreichen, dass die Geschwulst
schon von aussen bemerkbar wird, und man darf daher nicht ver-
gessen, dass ein Nierentumor existiren kann, der aus nichts, als
einem solchen cystischen Sack besteht. —
Wenn wir uns bei der weiteren Besprechung mehr an äussere
Gebilde halten, welche der chirurgischen Praxis zugänglicher sind,
80 zeigt sich, dass die hier in Rede stehende Art von Cysten-
bildung an allen möglichen grösseren äusseren Drüsen vorkommen
kann. Am längsten und am meisten eingehend ist der Streit geführt
worden bei den Speicheldrüsen, wo insbesondere die bekannte,
mit dem Namen Ranula (Fröschleingeschwulst) bezeichnete Bil-
dung in Frage kommt. Mit diesem Namen bezeichnet man eine
Cystenbildung, welche unter der Zunge sich findet, gewöhnlich
auf einer Seite des Frenulum und ungefähr in derjenigen Rich-
tung, in welcher die Ausfährungsgänge der Speicheldrüsen, na-
mentlich der Submaxillaris liegen. Woher der Name „Ranula^
ursprünglich kommt, ist nicht ganz klar**), aber der entsprechende
Name Batrachos hypoglossios findet sich schon bei den alten
Schriftstellern, namentlich Aetius. Die Venen, welche in dieser
*) Würzburger Verhandlangen. Bd. II. S. 52.
**) Stalpart van der Wiel (Observ. rariorura med. anat. cbir. Cent. I.
Leidae. 1727. p. 87. Obs. XX) sagt: Sub liugua tumor nonnunquam oritur
Ranula dictas, qood eo laborantes tanquam ranae coaient.
Virekow, GMchwOlaU. 1. 18
274 Zwölfte Vorlesung.
Gegend liegen, heissen bekanntlich Venaie raninae. Ob das eine
oder das andere das frühere ist, und woher diese Namen stam-
men, wage ich nicht zu entscheiden, doch glaube ich nach den
mir bekannten anatomischen Quellen schliessen zu müssen, dass
der Name „Vena ranina" der spätere ist. Einer unserer älteren
Anatomen, Gerhard Blasius, der die Anatomie des Vesling*)
mit Noten versehen hat, macht die Bemerkung, der Name der Venen
komme daher, dass sie wie die Frösche im Tiefen und Feuchten
Sassen. Genug, der Name der Banula ist recipirt, und er ist um so
zweckmässiger, als man nicht einig darüber ist, was die Geschwulst
sei. Die Meinungen sind bis jetzt noch wesentlich verschieden**).
Früher discutirte man mehr darüber, ob es sich um einen
neugebildeton Sack handelt oder um eine Ektasie des Whar-
ton^schen Ganges. Zu diesen beiden Auffassungen, die im Ein-
zelnen noch manche Modificationen erlitten haben, ist in der
neueren Zeit, zuerst von Fl ei seh mann***) in Erlangen, die An-
sicht hinzugekommen, dass der Sack nicht neugebildet, sondern
ein Hygrom sei, hervorgegangen aus einem Schleimbeutel am
Musculus genioglossus. Endlich ist auch die Meinung aufgetaucht,
es handele sich dabei um blosse Schleimcysten, welche aus den
Schleimdrüsen der Mundhöhle hervorgehen. Jedoch sind das
keine so grossen Säcke, und bis jetzt hat es Niemand plausibel
machen können, dass die grossen Formen der Rannla aus den
kleinen Schleimcysten hervorgehen, die allerdings am Boden der
Mundhöhle öfter vorkommen.
Was nun den Schleimbeutel anlangt, so ist das Böse daran,
dass seine Existenz an sich noch immer nicht ganz unzweifelhaft ist
Ich selbst bin ebenso unglücklich gewesen, wie manche andere,
sorgfältige Untersucher f). Es ist mir nie geglückt, einen solchen
Schleimbeutel darstellen zu können, und obwohl ich ja selbst
hervorgehoben habe (S. 197), dass Schleimbeutel sehr variable
Bildungen sind, so würde es doch wünschenswerth sein, zunächst
die etwas häutigere Existenz dieses Gebildes demonstrirt au sehen.
*) Joanii. Vesling. Syntagma anatomicam ilL aOer. Blasio. Am»teL
UM\{\. p. 172. Not.
*•) C. 0. Wober in meinem Archiv. Bd. VI. S. 511. Frerichs. Ueber
(Jiillort- odor CoIIoidgeschwaLste. Aus den Göttinger Stadien. 1847. S. 37.
***) KleiMchmanu. Do novis sub lingaa bursis Norimb. 1841.
t) K. Teichmann. Zur Lehre von den Ganglien. Inaag.-Di88. G6ttiiif.
1N50. H. Tl. Note. Birkctt Guys Hospital Reports. 1859. 8er. IlL VoL V.
p. tftm. (or citirt noch Bertherand. Th^e de Strasb. 1846).
Ranula. 275
Bei den Discussionen über die Entstehung der Ranula hat
man sich zun&chst an die chemische Constitution des Inhaltes ge-
halten, und da hat sich gezeigt, dass der Inhalt sich keinesweges
als unzweifelhafter Speichel erweist. Früher hat man freilich
manche Verwechselungen gemacht, indem man von der Voraus-
setzung ausging, dass der Speichel überall derselbe sei, während
in der neueren Zeit, namentlich zuerst von Herrn Gurlt an un-
serer Thierarzneischule , später von Herrn Cl. Bernard gezeigt
worden ist, dass gerade die Submaxillardrüse eine zähe, schlei-
mige Absonderung liefert, welche sich von dem Absonderungs-
product der Parotis unterscheidet, das eine ganz wässerige Be-
schaffenheit hat. Eine solche zähe, schleimige Beschaffenheit hat
aber gerade auch die Ranula-Flüssigkeit. Es sind femer die ein-
zelnen Stoffe des Speichels keinesweges so characteristisch und
bis jetzt so genau bekannt, dass man sagen könnte, die chemische
Analyse böte an sich ein bequemes Hülfsmittel dar. Nachdem
man die Anwesenheit des Rhodankaliums im Speichel erkannt
hatte, hat man sich bemüht, die Anwesenheit dieses Stoffes, der
mit Eisenoxydsalzen eine characteristisch rothe Färbung giebt, nach-
zuweisen; aber das ist, so viel ich weiss, bis jetzt noch nicht gelun-
gen, und ich selbst habe mich vergeblich bemüht, die Reaction zu
erhalten *). Aber man weiss, dass der Submaxillarspeichel nicht
in allen Fällen diesen Stoff fuhrt**). Dazu kommt, dass man
die Ranula immer nur untersucht, wenn sie eine gewisse Grösse,
z. B. die einer Wallnuss und darüber erreicht hat, wenn sie
also schon längere Zeit besteht; und so wenig als man Galle in
einer nrspünglichen Gallencyste und Harnstoff in einer ursprüng-
lichen Harncyste findet, ebenso gut kann es sein, dass Rhodan-
kalium, welches ursprünglich vorhanden war, später verschwindet.
Was die anderen Stoffe angeht, das Ptyalin und was man sonst
noch angeführt hat, so sind das alles so ungenau gekannte Körper,
dass man mit keiner Sicherheit die Untersuchung darauf hat rich-
ten können. Auf die chemischen Untersuchungen muss man daher
keinen besonderen Werth legen, und ich will nur erwähnen, dass
bis jetzt als Hauptbestandtheil der Ranula-Flüssigkeit Natronalbu-
minat gefunden ist.
♦) Mein Archiv. Bd. VI. S. 514. Note.
•♦) KöUiker u. H. Müller. Würzburger Verh. Bd. V. S. 217.
18»
276
Zwölfte Vorleanne.
Anatomisch urgirte maa vor Älleni, es sei eine solche Bil-
dung nicht wohl möglich ia dem AnsfQhruagsgange ; der TV'har-
toa'sche Gang kjjnne eich nicht in der Weise dilatirea, und
wenn das der Fall wäre, so mü!<sto es aach an anderen Speichel-
driisen vorkommen. Diener Einwand basirt auf einer mangel-
haften Kenntniss der Literatur und aufuu-
vollkommener Erfahrung. In der That kom-
men ähnliche Formen an anderen Speichel-
drüsen vor. Wenn man das vortrefTliche
Werk von Bruns*) über Chirurgie an-
sieht, so wird man eine Masse von Fäl-
len zusammengetragen finden, wo eine
ähnliche Speichelgeschwulst (Tumor sa-
livalis, Ranula parotidea) am Stensoo-
sclien Gang, dem Ausfühningsgang der Pa-
rotis, vorkam, und ich kann aus meinen
Erfahrungen anführen, dasa es dieselben Er-
krankungen am Pankreas giebt: RanaU
pancreatica. Die Fälle an den Mundspei-
cheldrüscn ^ind meist nur chirurgisch unter-
' sucht; aber von den Fällen am Pankreas
kann ich aussagen, dass fie unter zwei sehr
wesentlich verschiedenen Formen vorkom-
men: eine, wo der Gang in seiner ganzen
Ausdehnung sich ausweitet und eine ge-
wöhnlich rosenkranzfSrmige Ektasie ent-
steht"); die andere, wo der Ausffthrungs-
gang an seiner Ausmflndungsstelle sich ver-
stopft und davor sich cystisch erweitert,
leb habe Säcke bis sur Grosse einer Faust
gesehen, welche aus einer solchen Verstopfung hervorgegangeo
Fig. 48 RiDuU pancre^iticit (PrBparat No. 80b. von Jkhn 19BS). S«kr
bedeiitundc, lum Tlieil garkige Krweitcrung des DdcL Wirenogiftous in Fole>
dir Verschlicssiing des OdtiuiDs durch eine weiche, lottige Duodeoal-O«-
Brlin-iilitt. Gleichzeitii; var eine sehr ausgedehnte Ektuie der UaDeogiog*
mit Arrnphie der Lebur vorhanden.
*) Itnin». Handbuch der prabt. Chirurgie Tflbing. 1859. Abth. H
Hd, 1. S. IIHI.
**i KIn I'nar Ühnlkhc Fülle beachreibt Crnveilhier. Tnute d'aoiL
Mth. K''ii<r. T. III. p. 365. Vgl. RokitKOskr. Lebit. dtf patboL AuL
IWI. Bd. 111. S. 8t4.
Ranala. 277
waren *). Gewöhnlich sind narbige Retractionen oder der Druck
von Geschwülsten die Veranlassung. In diesen Säcken kommt
nun keinesweges das einfache pankreatische Secret vor, sondern
wenn der Sack eine gewisse Grösse erreicht hat, so finden sich
darin allerlei schleimige und hämorrhagische Substanzen. Ja es
ist nicht selten, dass man darin auch Steinbildungen trifft, Pan-
kreassteine, welche die grösste Aehnlichkeit haben mit den Stein-
bildungen, welche man in der Ranula hypoglossis gefunden hat.
Letztere sind Speichelsteine und bestehen überwiegend aus Erd-
salzen, namentlich Kalkverbindungen. Ich kann daher sagen,
dass der angeführte Grund mich nicht nur nicht abschreckt, die
gewöhnliche Ranula für eine Speichelcyste zu halten, sondern
dass ich durch die Analogie eher in dieser Auffassung bestärkt
werde.
Die grösste Schwierigkeit besteht aber darin, dass viele
Chirurgen behaupten, sie hätten den Wharton'sehen Gang neben
der Ranula wegsam gefunden, sie hätten mit einer feinen Sonde
eingehen können und wären neben der Cyste vorbeigekommen.
Diese Beweisführung ist, weil sie nur am Lebenden vorge-
nommen wurde, nicht ganz stringent, da wir bei allen solchen
Gängen gewisse Varietäten finden, so dass unter Umständen dop-
pelte Orificien, doppelte Ausführungsgänge vorhanden sind, von
denen vielleicht nur der eine kleinere cystisch entartet war.
Das sind Scrupel, die gewiss Berücksichtigung verdienen. In-
dess haben wir einige sehr vollwichtige Zeugnisse, welche
gegen die Betheiligung des Wharton'schen Ganges sprechen. Gl.
Bernard**) erzählt nehmlich, dass er in drei Fällen von
wenig entwickelter Ranula die Mündung des Submaxillarganges
frei und Speichel entleerend gesehen habe; er entleerte die Ge-
schwülste, cauterisirte sie mit Höllenstein und erzielte vollständige
Heilung. Trotzdem spricht er sich dafür aus, dass es sich um
Speichelgangscysten gehandelt habe; nur leitet er sie von einer
Dilatation der kleinen Läppchen der Subungualis in Folge einer
Obstruction der Rivinischen Gänge ab. Beim Pferde, sagt er,
habe er eine auf diese Weise entstandene Ranula beobachtet.
♦) Mein Archiv. Bd. VIII S. 360, 361.
**) Claude Bernard. Le<;ons de physiologie exp^rimentalc Paris.
1866. T. U. p. 87.
278 Zwölfte Vorlesung.
Auch Birkett*) fand den Wharton^schen Gang regelmässig offen
und sah Speichel aus demselben fliessen. Er spricht sich ebenfalls,
und wie es scheint, unabhängig für die Entstehung der Ranula aus
den Rivini'schen Gängen aus und stützt sich dabei hauptsächlich
auf die Angaben von Kölliker**) über Bau und Inhalt der
Drüsen, aus welchen diese Gänge sich zusammensetzen und welche
Kölliker als besondere Rivinische von der Subungualis unter-
scheidet. Gewiss hat diese Ansicht Alles für sich, nur ist es
dann nicht nöthig, die Ranula in die Reihe der blossen Schleim-
cysten zu setzen. Mag man die Rivini^schen Drüsen zur Sab-
lingualis rechnen als sie für sich betrachten, so bleiben sie doch
immer Speicheldrüsen und die Ranuls eine Speichelcyste. Für
die Geschwulst bedeutet diess nur einen Ortswechsel und viel-
leicht darf man annehmen, dass er nicht für alle Fälle gilt, wenn
man z. B. die durch Autopsie bestätigte Beobachtung von
Riebet***) erwägt, welche ganz bestimmt für die Submaxillaris
spricht.
Manche haben sich dadurch zu helfen gesucht, nament-
lich Fried. Paulif), der in neuester Zeit eine sorgfältige
Arbeit über die Ranula geliefert hat, dass sie zwei wohl za
unterscheidende Stadien annehmen: eines, wo der Grang ausge-
weitet wird, Ptyalektasisft), und ein zweites, wo der Gang eine
Ruptur bekommt und die Flüssigkeit in die Umgebung austritt, so
dass der Sack dann eigentlich in dem umgebenden Bindegewebe
läge, Ptyalocele. Diese Ansicht stützt sich namentlich auf die
klinische Beobachtung, dass in manchen Fällen, nachdem der Sack
eine Zeit lang bestanden hat, er ganz plötzlich seine Gestalt ver-
ändert, dass namentlich, während die Geschwulst Monate lang
nur am Boden der Mundhöhle existirte, sie mit einem Male auch
unter dem Unterkiefer am Halse hervortritt, was eben den Zeit-
punkt der Ruptur bezeichnen soll. Es ist dies dieselbe Ansicht,
•) Birkett Guys Hosp. Rep. Ser. 111. Vol. V. 1859. p. 271. PI. II.
fig. 2.
**) Kölliker. Handb. der Gewebelehre. 1859. S. 878.
•••) Bei Cruveilhier. I. c. T. 111. p. 365.
t) P.iuli. Archiv für klinische Chirurgie. 1862. Bd. 11. S. 14.
tl) l)io Mögiliohkeit einer solchen Entstehung hat Pauli durch die Unter-
bindung des Ganges beim Hunde dargethan. A. a. 0. S. 28. Vgl. fier-
nnrd I. r. p. bO.
SpAnnalocele.
279
die wir schon bei den Ganglien besprochen haben, und ich muss
sagen : ebensowenig als ich mir vorsteUen kann, dass beim Gan-
glion eine solche ausgetretene Inhaltsmasse liegen bleiben sollte,
ebengowenig halte ich es bei der Ranula für richtig; jedeofalla
würde sie eur Resorption gelangen.
Ich willschliesBÜch noch hinzufügen, dags an derselben Localität,
wo wir die Ranula finden, auch neugebildete Säcke unzweifelhaft
Yorkommen, und dass, wenn man diese ebenso nennen will, man
Ewei verschiedene Arten der Ranula unterscheiden mus. Ich habe
selbst Gelegenheit gehabt, ein von Herrn Linhart exstirpirtee
Dermoüd von dieser Stelle zu untersuchen*), welches in keiner Weise
in Parallele gestellt werden konnte mit der gewöhnlichen Ranula.
AebDliche Beobachtungen besitzen wir schon aus älterer Zeit,
welche ganz correct sind und eben wieder beweisen, dass man
an bestimmten Localit&ten sich nicht auf eine bestimmte Ueinung
steifen moss, sondern die verschiedenen Möglichkeiten neben ein-
ander wohl ins Auge fassen muss. —
Eine ähnliche Reihe von Streitigkeiten, die aber in einer
positiveren Weise sich lösen lassen, hat die cystische Ausweitung
einzelner Abschnitte der Hodenkanäle
veranlasst, eine Form, die man früher
gewöhnlich mit der einfachen Hydrocele
cystica verwechselt hat, mit der sie in
der Tbat dem Sitz und der Erscheinung
nach eine grosse Aehnlichkeit besitzt,
namentlich mit der Hydrocele funiculi
spennatici (S. 166). Man hat neuerlich
meist den Namen Hydrocele sperma-
tica oder Spermatocele dafür ange-
wendet. Die ersten Beobachtungen,
welche auf etwas dieser Art hindeuteten,
wurden von englischenChirui^en gemacht,
Fig. 49. Spennatocele cystka (Präparat No. 1003.). Man sieht neben
und hinter dem Kopf des Nebenhodene die etwas unebene, blasige Geschstilst,
jn wekber der Samen enthalten war. Sie hatte sich theils in den Samen-
ttrang hinauf-, theils ge^^ea die Hühle der Scheidenhant herabgeschoben,
*ar sehr dünnwandig und enthielt nur wenige Sanien^den.
•) Wfinbnfger Verhandl. (ItiöB). Bd. VII. S. XLIX.
2$0 Zwölfte forlmiBe.
nameritiidi Ton Li 8 ton (1843) und Llojd^, wdcbe in ent-
\(thrit*r Hydrocele-FlQssigkeit Samenfäden Luiden. In der ersten
Zffit glaubte man, es könnten Samenkaoile der Oberfläche des
HodenM m'\\ erweitem und durch Ergoss ihres Inhaltes in die
S(!heid<mhaut die Hydrocele erzeugen. Später hat man sich durch
directe anatomische Untersuchnng*^) überzengt, dass die Sperma-
tocele nicht in der Scheidenhaut des Hodens, in der Tnniea vagi-
naÜH propria, sondern in besonderen Säcken Hegt, welche sich
in (l<'r Mehrzahl der Fälle am oberen Ende des Hodens, am lieber-
gange zum Nebenhoden und zum Theil fiber demselben finden
und Hich von da allerdings in die Höhle der Scheidenhant hinein-
Hiülpen, wo sie blasige Vorsprünge bilden. Nun ist es nicht
Hclton, cbisH gleichzeitig Hydrocele tunicae vaginalis und Sper-
matocele besteht, dass sie wirklich cotncidiren, und mir kommt
OH noch immer sehr wahrscheinlich vor, dass, wenn man eine
()perHtion macht und in den Sack mit dem Troicart einsticht oder
durch i*ine Incision denselben spaltet, man sehr leicht die beiden
SAcke auf einmal anstechen oder anschneiden kann, so dass erst
dunh die Operation das Gemisch der Samenflüssigkeit mit
der eigentlichen Hydroceleflüssigkeit entsteht. Indess behauptet
Luschka*^**"**), einmal auch an der Leiche die Samenfaden in der
Flüssigkeit gefunden zu haben, und schliesst daher auf eine Rup-
tur, wogegen sich allerdings nichts einwenden lässt. Ich selbst
habe keine Gelegenheit gehabt, Samenfäden in freien Hydrocelen-
flüssigkeiten, sei es an der Leiche, sei es nach der Entleerung
am Lebenden« tu sehen.
l>ie Samencysten können bis zu Wallnassgrösse und darü-
ber unNVHohsen, Die Flüssigkeit« welche sie enthalten, unter-
scheidet sich im Wesentlichen von der gewöhnUchen Hydro-
celentlttssigkeit dadun^h, da^s sie ein weissKches, milchiges,
undur\*hsichtigi's Aussehen hat. In manchen Fällen findet man
das S|H'rma darin vollständig in Ordnung, so dass die Samen-
t^vlon in lebhat'kor Bewegung sind. In anderen Fällen zeigt es sich
' Mcai V chin&n;Kal TrAa»actkMM. Vol. XXYL pc »6 «nd 366. YergL
Tuilin^ K4:u^ «K^aiUU Jo«riL 1:>I:^ $«pt. MacdoielL Load. Med. Giz.'
\x4 li Nvx UM
'* Vii^.M V^U vkir rnft^o:. V,^ XXYIL pL 39i9L Ucl. oa »orgical
Spermatocele. 281
ia Zersetzung, die Samenfäden haben ihre Fortsätze, die soge-
nannten Schwänze verloren, man findet nar noch kleine rundlich-
ovale, scheinbar einfache Kömer, die, wenn man sie genauer be-
trachtet, die bekannte Gestalt der„Köpfe^ zeigen, und daneben aller-
lei zellige Elemente, wie man sie als Muttergebilde der Samenfäden
kennt. Nach der Analogie anderer Cysten lässt sich erwarten,
dass auch diese, wenn sie lange bestehen, ihren spermatischen
Gharacter verlieren, und ich halte es f&r wahrscheinlich, dass
manche Gysten, die wie einfache seröse Säcke erscheinen und
an derselben Stelle vorkommen, denselben Ursprung haben.
Die Hauptfrage bleibt natürlich : wie entstehen diese sonder-
baren Bildungen? Paget*) hat zuerst die Vermuthung aufgestellt,
dass hier eine wirkliche Neubildung von Säcken stattfinde, auf
deren Wand sich Drüsenzellen bildeten, welche dann, wie ge-
wöhnlich, die Samenfäden lieferten. Es hängt dies zusammen
mit einer Theorie, auf welche wir noch häufig zu sprechen kom-
men müssen, und welche sich auf eine Reihe von Drüsenbildungen
bezieht, wo Rokitansky und Paget die Meinung vertreten
haben, dass es sich um Neubildung von Drfisensubstanz neben
der Drüse handele, dass also wirkliche Neoplasien entständen,
welche den alten Drüsen gleichen, aber nicht in unmittelbarer
Anastomose oder Gontinuität mit ihnen sich befinden. Das ist,
wie ich glaube, im Grossen insofern nicht richtig, als eine voll-
ständige Wiederholung der Drüsen wohl kaum jemals vorkommt,
es sei denn in gewissen, später zu besprechenden teratoiden Ge-
schwülsten. Ich gestehe vollkommen zu, dass eine Art von Re-
production des Drüsentypus als eine neoplastische gefunden wird;
nur habe ich kein Motiv zu glauben, dass eine wirkliche Drüsen-
secretion dabei zu Stande kommt und noch weniger, dass Samen-
fäden in den Epithelien solcher neugebildeten Säcke erzeugt
werden können.
Alle Untersuchungen der neueren Zeit, die ziemlich zahlreich
von Gössel in**), Luschka u. A. angestellt sind, sprechen dafür,
dass es sich um die cystische Erweiterung präexistirender Kanäle
handelt Nur dass ist sonderbar, dass die Cysten fast ausschliess-
lich an dieser Stelle vorkommen. Das seheint sich daraus zu
•) Medico-chir. Transact. 1844. Vol. XXVII. p. 898.
♦•) Arch. g^^r. 1848. T. XVI. p. 24.
282 Zwölfte YorleBimg.
erklären, dass gerade in dieser Gegend die grösste Unregelmässig-
keit in der Bildung des Hodens stattfindet Der Hoden entsteht
bekanntlich als ein unabhängiges Drüsenorgan neben dem Wolff'-
sehen Körper, und die Kanäle des letzteren, dieselben, die wir
vorher bei dem Rosenmüller'schen Organ besprochen haben (S. 263),
treten erst später in Verbindung mit den Kanälen des Hodens.
Ursprünglich sind sie eben Blindsäcke, die nur mit dem gemein-
schaftlichen Ausführungsgang zusammenhängen. Nicht alle diese
Kanäle treten aber in Verbindung mit Hodenkanälchen , wie
man ja seit langer Zeit das von Hall er entdeckte Vas aberrans
kennt, welches tiefer unten im Nebenhoden eingeschlossen liegt,
sich aber in den gemeinschaftlichen Kanal des Vas deferens
entleert. So scheint es, dass auch am oberen Ende des Hodens
einzelne Blindsäcke übrig bleiben, die sich nicht mit Samen-
kanälen verbinden.
Wir wissen ausserdem, dass in dieser Gegend noch andere
besondere Bildungen bestehen, die gleichfalls auf gewisse Eigen-
thümlichkeiten der Entwickelung hinweisen ; sie sind noch keines-
wegs genau im Einzelnen verfolgt worden. So hat erst neuerlich
Girald^s an diesem Punkt einen scheinbar unabhängigen drü-
sigen Körper entdeckt, Corps innominä, welcher zwischen den
anderen Theilen gelegen ist und möglicherweise zu einzelnen
cystischen Bildungen dieser Gegend, wenn auch nicht spermati-
sehen, Veranlassung geben mag.
Man muss ebenso diese Säcke wohl trennen von den kleinen
cystischen Anhängen, welche sich an der Oberfläche des Hodens
vorfinden, die wir schon bei Gelegenheit der Hydrocele (S. 162)
und der Tubarcysten (S. 262) mit besprochen haben. Eines
dieser Gebilde ist ziemlich constant und findet sich allerdings
an einer ganz ähnlichen Localität , wie die Tuben-Hydatide, nehm-
lich am Kopf des Nebenhodens, wo es bald vollständig gestielt,
bald mehr flach aufsitzend hervortritt. Es ist das Ende desjenigen
fötalen Ganges, welcher der Tuba des Weibes entspricht, das
Ende des obliterirten , schon frühzeitig untergegangenen Müller'-
schen Fadens. Dieses blindsackige Ende bleibt gewöhnlich
bcHtohen und bildet jene cystische Hervorragung, die man,
nit*ht mit grossem Recht, Morgagnisehe Hydatide genannt hat
In ihr iindi't sich niemals spermatische, sondern nur seröse
KlnimlKkeit, und daher muss man sie, und ebenso gewisse kleine
Milcbcjsten. 283
cystische Bläschen des Nebenhodens (Fig. 19*), ganz bei
Seite lassen, wenn man die Spermatocele behandelt. Die
Lage der letzteren macht es sehr wahrscheinlich, dass sie ein
cystisch erweiterter Blinddarm des Wolflf' sehen Körpers ist, in
dem die Samenfäden nicht gebildet sind, sondern in den sie von
dem gemeinschaftlichen Ausfuhrungsgang aus rückwärts hinein-
gelangt sein müssen durch eine Art von Deviation der Leitung,
welche ihrerseits wahrscheinlich meist durch Verengerungen oder
Verstopfungen des Vas deferens bedingt sein mag*).
Was den Hoden selbst anlangt, so kommt es zuweilen vor,
dass darin cystische Bildungen entstehen, die sich auf die eigent-
lichen Samenkanäle zurückfuhren lassen. Wir werden Gelegenheit
haben, bei den Sarkomen darauf zurückzukommen. —
Zum SchlusB wül ich noch die Milchgänge erwähnen,
welche ein ausserordentlich häufiger Ort für Dilatation und Cysten-
bildung sind. Die sehr exponirte Lage derselben nach aussen
hin macht natürlich gerade diese Cysten zu einem besonders
häufigen Object der operativen Chirurgie und zu einem Gegen-
stande von unmittelbar praktischer Wichtigkeit. Allein das Zu-
sammenwerfen dieser Geschwülste mit Cystosarkomen und Hyda-
tidenkrankheit (Kystom) hat vielfache Verwirrung herbeigeführt,
und man muss wohl unterscheiden zwischen den Fällen, wo es
sich ursprünglich um cystische Ektasie der Milchgänge handelt **),
und wo erst secundär allerlei Erkrankungen des umliegenden
Gewebes hinzukommen, und denjenigen, wo die Ektasie nur eine
zufällige Complication anderer Geschwulstbildung ist, oder wo die
Cysten überhaupt nichts mit den Milchgängen zu thun haben.
Denn es kommen in der Milchdrüse nicht bloss Echinococcen
(Acephalocysten) vor, sondern auch häufig genug Neubildung von
Cysten in dem interstitiellen Gewebe.
In der grossen Mehrzahl der Fälle sind es an der Milch-
drüse nicht die kleinen Terminalkanäle, welche in die Drüsen-
bläschen hineinführen, sondern die grösseren Gänge, welche die
Milch aus den verschiedenen Drüsenläppchen gesammelt haben
*) LewiD. Stadien Ober Hoden. S. IG.
**) Birkett. The diseases ofthe breast and their treatment. Lond. 1850.
p. 65. Rokitansky. Lehrbuch der path. Anat. Ib61. Bd. III. S. 529. Ben-
jamio in meinem Archiv. Bd. IX. S. 299. Billroth ebendas. Bd. XVIII.
S. 52. Paget. Lect on surg. pathol. Vol. II. p. 41.
284 Zwölfte VorlesDDg.
und die sich nun allmählich immer mehr vereinigen, um zuletzt
in die Sinus lactei überzugehen. Manchmal sind es diese letz-
teren, an sich weiteren Theile, die der Warze zuidcbst gelegenen
Abschnitte, welche sich dilatiien; manchmal aber gehen die DiU-
tationen ziemlich weit in den Ductus lactiferi rückwärts. Die
einzelnen Fälle unterscheiden sieh wesentlich dadurch, dass wir
mant-hmal nur einzelne Ektasien, anderemal eine grossere Zahl
von Krwoitcnnigon durch die ganzeDrÜse zerstreut finden, Formen,
ganz Ähnlich dorn Hydrops renum cysticus. Diese Säcke enthalten
im Anfiingi' Milrh, allein späterhin Terscbwindet auch hier der
un<|)rnngli('ht> «.'Imrakter, und es tritt an die Stelle der Milch eine
einfiichi' npr«m' Flfiiisigkcit oder eine dicke colloide Masse, oder
CS mi'ugt'n sich hämorrhagische Bestandtheile hinzu. So kommen
hier dit< KOiiili^rbamtcn Färbungen vor, denn das Gemisch von
BuIhT, Itlut tmd andiTon Bestandtheilen giebt die wundersamsten
fjuancirungon. zumal wenn es noch durch partielle Resorption
eingedickt ist Am häutigsten findet sich dies bei kleineren
Cysten, die namentlich l>ei älteren Frauen in der Involntions-
Fic. fiO lllmk(i)<-ysti:i rom|>osit» manunae (PrSpuat No. 140. von
J»hn> IM').). \ou i'iiior ällcron Frxu exstirpirt. a die VVarie; h ein Gbrte
indurirtiT iitul (irschrunipfior Thi>il der Drüse; c noch erhalteoes, ibfr ai
den mri»ieii Stolli-n mit t>T» i'iierten ülisrlien Terschenee DrQBengevebe. un
«reiche» herum nnil in «etiliem <lio rvsti^chen Höhlen, theila als froMe,
nindliohe «(Teno Slike. tlieil« »1» feinel Itncliehe Smiten IteRen. Der Inhall
wireine hriunlirbe KlQssitiLeit. ans drr »ich Qbcrall auf die Wand lafalreiehe
MKlUrbene Nii-der>rhli]:e aliceseiit haben Aueb aof mikroskopischen Srbait-
lon Klehl m>n Hhlrei>-he, kAniifi', bnune PifmeniMnapreoguBEen in de«
lum Vhell knnr|ielBrti|[ »kleroürlea Wwdgewebe d«r grtMem Sicka.
HilcbcysteD. £85
Periode bkofigeraind und nicht zu einer solchen Ausdehnung
gelangen, dass sie zu einer operativen Behandlung Veruüassung
geben. Es sind auf einzelne Gänge oder Abschnitte von Gängen
beschränkte Abschnürungen, und sie liegen meist nach der Tiefe
hin. Zuweilen weitet sich auch ein Gang so aus, dass er eine
gewundene dannartige Beschaffenheit bekommt und dass, wenn
man einschneidet, man Vorsprünge und Leisten findet, welche
wie unvollständige Septa in das Innere gehen. An der Wand dieser
Säclie treten theils dirrch papilläre Wucherung, theils durch Ein-
Etülpung normaler oder hyperplastischer Drüsensubstanz allerlei
rauhe, warzige oder höckerige Stellen hervor (Fig. 51., c), an
denen die breite glatte Wand durchbrochen erscheint. Auch ist
es nicht selten, Confluenz benachbarter HGlilcnräiime zu grösseren
Säcken zu finden. Das übrige DrQsenparenchym und das Nach-
bargewebe atropbirt in der Regel, so dass die Cysten allmäblich
dicht unter die Haut zu liegen kommen, indess entwickelt sich
Fig. 51. Zu sa mmeD gesetzt es , proliferirendea Cyatoid der weiblichen
Brust mit serOsem Inhalt (Präparat No. iiäli.) Mao sieht auf einem senk-
recht TOD der Haut o hereingcfühvCen Durchscfinitt drei grC^sere Säcke, weiche
mit fortschreitender Usur ihrer Scheidewände contluirt bind. Mehrere leis-
tenartige VorsprOnge der Wand weisen darauf hin, dass auch diese drei
frDher ans mehreren kleineren Süekcn zusammengeflossen sind ßei g und
!^ sind noch Reste der alten Drüse, freilich sehr zusammengedrückt und in-
dorirt; bei </" insbesondere finden sich noch gewisse Reste von DrQsenpa-
rennhym, welches zum Thcil bis in die benachbarten Säcke reicht nnd in dlc-
■elbeo träi c,e hineinragt
286 Zwölfte Vorlesung.
andere Mal auch eine schleichende, interstitielle Entzündung mit
Induration um dieselben.
Unter Umstanden geschieht aber auch die Dilatation in schnel-
ler Weise, so dass namentlich während der Lactation an einzel-
nen Stellen grosse Säcke entstehen. Diesen Zustand nennt man
Galaktocele*), obwohl keine eigentliche Hernia existirt. Die in
den Säcken enthaltene Milch betrug manchmal fünf bis sechs Unzen,
ja in einem Falle von Scarpa sogar 10 Pfund. Hier kann es
später vorkommen, dass die Wand erweicht, das die Milch extra-
vasirt; dann entstehen in der Regel entzündliche Processe, welche
meist mit Verschwärung endigen. Wenn indessen der Sack ge-
schlossen bleibt, so verändert sich der Inhalt mehr und mehr,
und wir finden im Innern butterartige, seröse oder hämorrhagische
Flüssigkeit. Was man unter dem Namen von Blutcysten**) u. s. w.
an der Mamma beschrieben hat, das gehört meist in diese Ka-
tegorie, obwohl begreiflicherweise jede Art von Höhlcnbildung mit
Extravasation verbunden sein kann. Ob es Milchcysten in neu-
gebildeten Drusenknoten (Adenoid) giebt, ist mir wenigsteos sehr
zweifelhaft; Birkett***) nimmt dies in solchen Fällen an, wo
schon vor der Lactationszeit ein Knoten in der Brust bestand. —
Damit schliesse ich dieses Kapitel, indem ich manche analoge
Cystenform, z. B. den Dacryopsf)? den Hydrops sacculi
prostatici, übergehe.
*) Velpeau. Traite des nialadies du sein. Paris. 1854. p. 297. Bir-
kett 1. c. p. 198. Guys Hosp. Rep Ser. III. Vol. VII. I8ül. p. 344. Scan-
zoni im 3. Bande von Kiwisch's Klinischen Vorlesungen. Prag. 1855. S. %.
^*) Velpeau. 1. c. p. 332. Siering. De mammae haeroatocysti, addita
obscrv. cliniea. Diss. inaug. Berol. 1860.
***) Birkett. Transactions of the Patbolog. See. of London. 1858.
Vol. IX. p. 386.
t) A. V. Gräfe. Archiv f. Ophthalmologie. Bd. VII. Abtb. 2.
Dreizehnte Yorlesung.
14. Januar 1863.
FibroMe.
Di« Prolifarationt-Qetehwfiltte (Gew&etaM) uberhanpt. IrritetiTe Bntttehang. Clatti-
fieation und Termioologie. Uebergangs/ormen.
Familie dar bindegewebigen Oeschwülste.
Gattang dar Fibrome (Pibroide, Deamoide, Steatoroe). Nothvendiglieit, die Myome, Neurome,
und manche andere Tnmoret afibrosi', sowie die mit Bindegewebsbildang complicirten Balg-
geachwulste aasiascbeiden. Unsichere Grenze gegen die warzigen Epithelialgeschwülste and
gegen die diffnsan chronisch • entiundliehen Processe. Elephantiasis. Irritative Natnr aller
Fibrome. Die drei Hanptformen ; Combination und Uebergang derselben unter und in einander.
1. Elephantiasis. Sporadische, eongenitale nnd endemische Formen. Pr&dilectionsstellen.
Elephantiasis nnd Lepra; historische Entwickelung ; Verwechselung. Elephantiasis Arabum
= Pachydermla, Hypersarcosis , nrüsenkrankheit, Rosenbein. Erysipelas sclerematodes s.
lymphaticum s. gelatinosom. Das secundire Erysipel: Phlegmatia alba, Tumor albus. Fort-
•ehraitenda Hyperplasie des Bindegewebes. Elephantiasis laevis s. glabra, papillaris s. terru-
cosa, tnberosa (tubercalosa) s. nodosa. Verhalten der Epidermis : Elephantiasis nigra et cornea.
Verhalten des Bindegewebes: E. dura et mollis. Die Specksubstans. Hyperostose: E. ossificans.
Die Lymphdrüsen. Blephantiasiii ulcerosa. — Die weichen Formen: E. congenita simpIex,
telangiectodes , cystica. Die Elephantiasis der äusseren Genitalien: E. scroti et penis, labil
majoris et clitoridis, mammae. Collonema. Pachydermia lactiflua und Lymphorrhoe. Ua-
dnra-Fuflt.
1 Mollnscam (Elephantiasis mollusca, Steatoraa, Speckgeschwulst). Multiple Form. Leontiasis.
1 Fibroma diffusum. Milchdrüse: Induratio benigna, Elephantiasis dura, Cirrhosis. Ana-
logie mit Sldrrh. Zwei Stadien. Lobnlftre Fibrombildnng: Corps fibreux. Fibrom der männ-
lichen Brust. Eierstock. Niere: interstitielle knotige Nephritis. Entsündliche Ent-
stehung.
i. Fibroma papilläre s. terrueosum (Papillär- oder Zottengeschwulst): Hyperplastisehe
Vergrösaerung pr&exisUrender Papillen oder Zotten und Neubildung derselben. Geschichte
der Knospen- und Astblldang. Vergleich mit der Placenta fStalis. Pacchionische Grano-
latiooeB (Drüsen). Verhalten der Geflssa. Zellenwucherung: Granulation, Fleisch wärsehen.
Gelasjilose, gefiasarme und gefässreiche Papillen: Siphonoma. Vegetationen, Papillonut. Die
intracanalicnlären Papillargeschwülste : Gallenwege, Condyloma sobcutaneum s. follicu-
lare, Fibroma papilläre intracanalicnlare mammae. Warsen der äusseren Haut: Akro-
cbordon, Clatus, Akrothymion s. Thymos, Myrmecia s. Formica. Condyloma latum et acu-
minatum. Pormm. Hautpolypen.
^ Fibroma tnberosnm: Unterschied ron Tubereulose. Combinations - und Uebergangifihig-
keit, De^naration. Aeussere Haut: hereditäre und multiple Form. Fa seien: Fibroma
lobulare, mneosum et ossificans. Periost. Retropharyngealgesehwulst, Nasen-Rachenpolypen.
Allgemabia Bodantong dar Fibrome. Constitutionelle Beziehung. Pridisposition : Örtliche , allge-
maioa nnd arbliche. Syphilis. GuUrtigkeit.
Betcroplastisehes Fibrom. Kieferknochen. Ossiflcirende und petrificirende Formen.
288 Dreizehnte Vorlesang.
Wir wollen heute zu der Betrachtung der Proliferationsge-
8ch Wülste oder der Gewächse im engeren Sinne des Wor-
tes (S. 121) übergehen, Sie unterscheiden sich von den bisher be-
trachteten hauptsächlich dadurch, dass die Erzeugung neuen
Gewebes bei ihnen nicht ein Ereigniss einer späteren Zeit,
irgend ein Accidens ist, welches die Geschwulstbildung complicirt,
sie gewissermaassen vervollständigt, sie zu einer schwereren macht,
sondern dass sie von vorn herein die Geschwulst bedingt, also
auch das eigentliche Wesen derselben ausmacht. Alle anderweiti-
gen Veränderungen, welche etwa zu besonderen Exsudationeo
oder Hämorrhagien oder Retentionen Veranlassung geben und
also auch unter Umständen zur Bildung von Cysten in oder neben
diesen Gewächsen führen können, sind im Verhältniss zu der
Neubildung accidentell, secundär. Denn die Neubildung geht un-
mittelbar von den alten Geweben aus, welche als Matrices dienen
(S. 8G). Somit handelt es sich hier um eine grosse Reihe forma-
tiver Vorgänge, welche unzweifelhaft alle einen acti-
ven, productiven, irritativen Charakter an sich tra-
gen, und welche von den einfachsten, wie man zu sagen pflegt,
entzündlichen Formen an bis zu den extremsten heterologen und
malignen hin sich erstrecken.
Innerhalb dieser grossen Abtheilung kann man, wie ich das
früher schon ausgeführt habe (S. 1*22), wiederum einzelne Gruppen
unterscheiden, je nachdem das Gewächs mehr einfach oder mehr
zusammengesetzt ist, also mehr einem einzelnen Gewebe oder
einer Zusammenfassung verschiedener Gewebe zu einem gemein-
schaftlichen, organartigen oder in den höheren Entwickelungen
geradezu systemartigen Gebilde entspricht Auch hier lassen sich
Grenzen überaus schwer ziehen, so dass man nicht zn minntiOs
sein darf in der Classification des Einzelnen. Wenn man etwa
nach Art der Botaniker und der Zoologen jede kleine Abweichung
aufzeichnen und daraus eine besondere Gescbwulstform machen
wollte, so würde das zu einer enormen VervielAItigang unserer
Terminologie Veranlassung geben. Wir werden gleich im Anfange
schon, dass es nicht einmal möglich ist, vollkommen scharf die
Grenzen zwischen den eigentlich gewebsartigen, einfach histioldea
Kriterien f&r die Bezeichnung der Gewächse. 289
und den mehr zusammengesetzten organoiden Gewächsen zu ziehen.
Wir sind häa% genöthigt, f&r die praktische Betrachtung die Dinge
etwas mehr zusammenzunehmen und die Gruppen nach den Haupt-
charakteren, nach den wesentlichen Merkmalen zu bilden, durch
welche die Erscheinung und der Verlauf des Gewächses haupt-
sächlich bestimmt wird.
Wie schwer eine solche Scheidung ist, das wird leicht er-
hellen, wenn man in Erwägung zieht, dass der grösste Theil der
Bildungen, um die es sich hier handelt, nahe verwandte Mutter-
gewebe oder Matrices hat. Die grosse Mehrzahl der Prolifera- .
tionsgeschwülste geht hervor aus den bindegewebigen Grundlagen
des Körpers, wozu wir ausser dem eigentlichen Bindegewebe
noch Knorpel, Knochen, Fett, Mark, Neuroglia und manches An-
dere rechnen*). Indess stehen sich diese Gewebe doch verhält-
nissmässig nahe, ja sie gehen in einander über, und so geht auch
innerhalb der einzelnen Geschwülste das eine Gewebe in das an-
dere über. Dann ist es ausserordentlich schmerig, in manchen
Fällen zu sagen, ob wir die Geschwulst nach diesem oder jenem
ihrer Bestandtheile benennen sollen. Eine Geschwulst enthält
Knorpel und Knochen; sollen wir sie eine Knochen- oder Knorpel-
geschwulst nennen? Ein anderes Mal enthält sie vielleicht Binde-
gewebe, Knorpel und Knochen; dann geräth man natürlich in noch
grössere Verlegenheit, in welche Gruppe man sie rechnen soll;
ist es eine fibröse, eine cartilaginöse oder eine Knochenge-
sehwnlst? Hier muss man die alte Regel festhalten: A potiori
fit denominatio. Dasjenige, was den Hauptcharakter ausmacht,
was den wesentlichen Antheil darstellt, was die physiologische
und pathologische Bedeutung der Geschwulst für den ganzen Kör-
per bedingt, das muss uns bestimmen, ihr den Namen zu geben.
Der Name kann also nicht immer hergenommen werden von dem
Theile, der die grösste Masse bildet, sondern oft nur von dem Theil,
der die grösste Dignität hat. Wenn eine Geschwulst Muskeln
und Bindegewebe fuhrt, so werden wir sie niemals eine Binde-
gewebsgeschwulst nennen, weil die Entwickelung der Muskeln das
Höhere 9 das Charakteristischere, das für den Geschwulsttypus
Wichtigere ist, wenn auch der Masse nach vielleicht das Binde-
gewebe pr&valirt
*) CellohuiMithologie. 3. Aufl. S. 88, 66, 257, 888.
VIrekow, GMchwUft«. 1. 19
290 Dreizehnte Vorlesung.
Diese Mannichfaltigkeit muss uns vielmehr veranlassen, die
einzelnen Geschwulstspecies in eine Reihe von .Unterarten und Va-
rietäten zu zerlegen*). Da findet dann derjenige Charakter, der
innerhalb der einzelnen Geschwulstform als etwas Besonderes her-
vortritt, seinen Ausdruck. Nehmen wir eine Muskelgeschwulst,
ein Myom. Ist es mit sehr viel Fasergewebe versehen, so wer-
den wir es eine fibromusculäre Geschwulst, ein Myoma fibrosam
nennen. Haben wir ein Gewächs, welches seiner wesentlichen
Bedeutung nach eine Knorpelgeschwulst ist, welches sich also
verhält wie permanenter Knorpel, so mögen wir es ein Enchon-
drom nennen. Hat es eine Neigung zur Verknöcherung, so nen-
nen wir es Enchondroma ossiticans, denn es hört durch die
theilweise Yerknöcherung nicht auf, eine Knorpelgeschwulst zo
sein, ebenso wenig als die Rippenknorpel, wenn sie anEangen zo
verknöchern, dem Namen nach aufhören, Rippenknorpel zu sein.
Schreitet dagegen ein Gewächs frühzeitig zur Knochenbildnng, so
ist es eine Knochengeschwulst**), und nimmt diese eine besondere
Modalität an, so dass z. B. in dem Knochen grosse Quantitäten
von Mark oder von Gefässen sich entwickeln, so werden wir
von diesen Umständen her die Knochengeschwulst als eine mark-
reiche, medulläre oder als eine gefässf&hrende , vascal&re, telan-
giectatische, bezeichnen können.
Dies sind die allgemeinsten Gesichtspunkte f&r die Trennung
und Bezeichnung der Proliferationsgeschwülste, und man darf sich
nicht wundern, wenn bei den verschiedenen Arten allerlei Ueber-
gangsstadien hervortreten, wenn es sich gelegentlich herausstellt,
dass man eine gewisse Geschwulst sowohl in diese, wie in jene
Gruppe hineinrechnen kann. Die grossen Streitigkeiten, welche
in den beschreibenden Naturwissenschaften in der neuesten Zeit
namentlich über den Begriff der Species geführt worden sind, und
die in der Darwin' sehen Theorie***) eine bis jetzt so streitige
Lösung gefunden haben, existiren f&r die Pathologie ganz und gar
nicht. Wir haben keine Species, welche sich in einer so scharfen
^) Verneuil. Quelques propositions sur leg fibroraes ou tomem« hr-
m^es par las elements du tissu cellulairej avec des remarques sur la nomen-
clatnre des tumeurs. Gaz. m^d. de Paris. 1S56. No. 5. p. 69. No. 7. p. 16.
**) Virchow. üeber ossificirende Geschwülste. Deutsche KKnik. 1S6&
Dec. No. 49.
***) Virchow. lieber Erblichkeit. Deutsche Jahrbflcber fOr Politik o.
Literatur. 1863. Bd. VI. S. 339.
Fibroma. 291
and ausschliesslichen Erblichkeit fortpflanzen, wie man das in der
pflanzlichen und thierischen Welt vorausgesetzt hat, sondern wir
haben entschieden Yerwandftschaten , so dass eine Species der
Geschwülste in die andere Species unmittelbar übergehen kann. —
Wir wollen unsere Einzelbetrachtungen beginnen mit der
Reihe (Familie) derjenigen Geschwülste, welche ihrem Hauptan-
theile nach eines der Gewebe der Bindesubstanz enthalten.
Innerhalb dieser Geschwülste, die eine nähere Verwandtschaft
unter sich, als mit den Geschwülsten einer anderen Reihe haben,
kann man so viele Gattungen oder Species unterscheiden, als wir
verschiedene Gewebe der Bindesubstanz haben, und da diese Ge-
webe an verschiedenen Stellen manche grosse Verschiedenheiten
darbieten, so begreift man, dass auch noch jede einzelne Ge-
schwulst je nach den Localitäten und Special Verhältnissen wieder
eine Reihe von Eigenthümlichkeiten darbieten kann, welche eine
Reihe von Unterarten aufzastellen gestattet.
Das bekannteste unter den Geweben dieser Gruppe ist das
früherhin sogenannte Zellgewebe, oder, wie wir gegenwärtig sagen,
Bindegewebe, und die Geschwulst, welche wesentlich daraus zu-
sammengesetzt ist, wird man also Zellgewebsgeschwulst,
Bindegewebsgeschwulst, fibröse Geschwulst, Tumor
fibrös US nennen können. Vielfach hat man auch Fibroid ge-
sagt und Joh. Hüller *) hat für die festeren Formen, welche man
im vorigen Jahrhunderte und im Anfange des gegenwärtigen ge-
wöhnlich S t eat 0 m e nannte, den Namen D e s m o i d , sehnige Faser-
geschwttlst, vorgeschlagen. Zweckmässiger ist vielleicht als all-
gemeiner Gattungsname der wenn auch etymologisch schlecht
gebildete Ausdruck, der von Herrn Verneuil**) aufgestellt
ist: Fibroma. Wir haben in der alten griechischen Anatomie
keinen bestimmten Ausdruck far das Gewebe, um welches es sich
hier handelt, und wir können wohl auch in dieser Beziehung
dem Vorbild der Chemiker folgen und unsere Namen aus der
Sprache bilden, in der uns die bequemsten Grundlagen geboten
lind. Mit dem Bewusstsein also vollständigster etymologischer
^ M&ller. Ueber den feineren Bau der GeschwQlste. S. 60.
^*) VerneaiL 1. c. p. 60.
19*
292 Dreizehnte Yorlesung.
Ketzerei empfehle ich den Namen des Fibroms, weil ich keinen
besseren weiss.
In dieser Kategorie hat man bis vor nicht sehr langer Zeit
eine grosse Masse von Geschwülsten zusammengebracht, welche
sich allerdings ihrem äussern Aussehen nach so nahe stehen, dass
es ohne genauere Kenntniss der Oertlichkeit, von woher sie ge-
nommen sind, vom blossen Auge kaum möglich ist, eine Unter-
scheidung zu machen. Gerade diejenige Art, welche man als
den Typus der Bindegewebsgeschwülste, der Tumores fibrosi oder
Fibroide aufgestellt hat, und welche auch Joh. Müller vorzüg-
lich im Auge hatte, nehmlich die am Uterus vorkommenden, die
„Corps iibreux^ der Franzosen« hat sich bei der genaueren Un-
tersuchung als eine zusammengesetzte, mit Muskelelementen reich-
lich versehene Bildung erwiesen, so dass sie aus dieser Gattung
ausgeschieden werden muss. Liest man die gebräuchlichen Hand-
bücher über Geschwülste nach, so muss man sich wohl daran
erinnern, dass gerade von diesen, nicht hierher gehörigen Ge-
wächsen die gangbare Darstellung der Geschichte der Fibrome
abgeleitet worden ist. Aehnlich verhält es sich mit einer andern
Art, die man als eine Hauptform der Fibrome betrachtete, nehm-
lich mit den in den Nerven vorkommenden, häufig unter dem
Namen der Neurome bezeichneten Knoten, die wir gegenwärtig
auch aus dieser Kategorie ausscheiden müssen.
Es verkleinert sich also die Gattung in dieser Richtong um
einen ziemlich erheblichen Theil. Wenn man hinznnimmt, dass,
wie ich im Laufe der voraufgegangenen Vorlesungen vielfach ge-
schildert habe, eine Menge von Geschwülsten, welche ursprünglich
reine Cysten sind und theils den Retentions*, theils den Exsu-
dationsformen angehören, sich in einer späteren Zeit ihres Beste-
hens mit Bindegewebsbildung compliciren, indem ihre Wandangea
sich verdicken und aus ihnen bindegewebige Gebilde, Excres-
cenzen allerlei Art in die Höhle hervorwachsen, also Bindegewebs-
geschwülste aus Bildungen hervorgehen, die von Anfang an keine
Bindegewebsgeschwülste sind, so bleibt uns Ar das Fibrom nir
ein relativ kleiner Bestand übrig. So weit das Bindegewebe aa
sich im Körper verbreitet ist und so viele Organe sich anch finden,
in welchen eine Geschwulstbildung durch einfiache Hyperplasie aus
diesem Bindegewebe erfolgen könnte, so zeigt doch die &fkhrung,
Grenien der Fibrome. 293
dass die grosse Mehrzahl der Organe keine besondere Disposition
besitsi, gerade diese Geschwulstart hervorzubringen.
Wenn wir nachforschen, wo die gewöhnlichen Entwickelungs-
Stätten dieser Geschwülste liegen, so ergiebt sich, dass es nament-
lich die grosseren dichten and derben Bindegewebsausbreitungen
sind, welche in Form von Häuten auftreten, vor allen die äussere
Hant mid die Fascien, dann die Beinhäute, die Schleimhäute,
die serSsen Hänte, die Synovialhäute. Es sind aber wiederum
diejenigen Gesehwülste, welche unmittelbar der Oberfläche ange-'
hören, in einer sehr grossen Zahl von Fällen nicht einfach, in-
aofern die bedeckenden epidermoidalen und epithelialen Strata
bei ibr^ Bildung nicht unerheblich mitbetheiligt werden. Ja, in
aieht seltenen Fällen erreichen diese epidermoidalen oder epi-
thelialen Bekleidungen eine solche Mächtigkeit, dass sie einen
grösseren Antheil an der Geschwulst ausmachen, als die binde-
gewebige Grundlage. Hier ist der Zweifel gerechtfertigt, ob man
eine solche Bildung eine Binde gewebsgeschwulst, ob man sie
nicht Yielmehr eine epidermoidale oder epitheliale Geschwulst
nennen soll. Eine Scheidung lässt sich hier allerdings in-
sofern machen, als es manche Gewächse giebt, bei welchen die
Bindegewebsbildung so sehr in den Hintergrund tritt, dass man
sie nnr mit Mühe nachweisen kann ; diese lassen sich sehr pas-
send in die Reihe der epidermoidalen Geschwülste hineinrechnen,
während man diejenigen, wo noch ein sehr erkennbarer und er-
heblicher Theil von Bindegewebe sich findet, in die Reihe der
Bindegewebsgeschwfilste zählen sollte.
Man ist begreiflicherweise am längsten bekannt mit den-
jenigeB Fibromen, welche an der Oberfläche der äusseren Haut
vorkommen und zum grossen Theil in das Gebiet der Dermato-
logie hineingehören; auch ist man im Allgemeinen immer mehr
geneigt gewesen, eine Reihe von Dingen an der Oberfläche des
Körpers zu den Geschwülsten zu zählen, welche eine mehr dif-
fase Ansdehnnng haben, während man dieselben Formen, wenn
sie in inneren Theilen vorkommen, nicht Geschwülste zu
nennen pflegt Dahin gehört ein grosser Theil der elephan-
tiastischen Bildungen an der äusseren Haut, Bildungen,
die allerdings in manchen Fällen in Form der allerausge-
xeichnetsten Geschwülste sich darstellen, so dass man nicht
umhin kann, ihrer^bei den Geschwülsten zu gedenken, während
294 Dreizehnte Yorieenng.
wiederum andere Fälle Yorkommen, wo die Yeriadeningeii so
sehr über grosse Flächen gleichmässig verbreitet sind, dass der
Charakter einer eigentlichen Geschwulst ganz in den Hinter-
grund tritt.
Solche elephantiastischen Zustände, die mit reicher, fort-
schreitender Bindegewebsbildung und Induration der Theile ein-
hergehen, kommen in vielen inneren Organen vor; da rechnet
man sie aber ganz einfach in die Kategorie der entzündlichen
Processe. Wenn ein solcher Process in der Longe vorkommt,
so nennt man ihn eine chronische Pneumonie ; kommt er an der
Leber vor, so nennt man ihn eine interstitielle Hepatitis oder
eine Hypertrophie oder auch wohl eine Cirrhose, obwohl es
sich um dieselben Zustände handelt. Man nennt sie nicht Ge-
schwülste, weil möglicherweise zu keiner Zeit das Bindegewebe
in einzelnen Heerden sich so entwickelt, dass es relativ selb-
ständige Knoten bildet. Kommt aber derselbe Zustand an einem
mehr nach aussen gelegenen Organ, z. B. an der Milchdrüse
vor, dann ist sofort die Neigung vorhanden, ihn als Geschwulst
aufzufassen. Kämen die gewöhnlichen Indurationen der Lungen-
spitzen an der Milchdrüse oder den Hoden vor, so würden daraus
alsbald Corps fibreux oder Fibroide werden.
Die elephantiastischen Formen gehen so unmerklich in die
entzündlichen über oder so entschieden aus entzündlichen Zu-
ständen hervor, dass man über den Charakter ihrer Anfangs-
stadien keinen Zweifel haben kann. Allein auch bei ande-
ren Bildungen, bei denen uns manchmal die unmittelbare
Beobachtung ihres Anfanges entgeht, kann doch kein Zweifel
sein, dass sie mehr oder weniger den chronisch entzündlichen
Processen analog sind, und wenn wir nachher die einzelnen
Formen durchmustern, wird sich mehrfach Gelegenheit bieten, zu
zeigen, wie bestimmt sich dieser irritative Ursprung der
Bindegewebsgeschwülste zu erkennen giebt —
Die Fibrome erscheinen im Allgemeinen in drei Hauptformeo,
nehmlich entweder in der mehr diffusen, elephantiasti-
schen Form, oder in der mehr begrenzten, knotigeot
tuberösen, oder, wie man gewöhnlich in der Dermatologie
sagt, tuberculösen Form, oder endlich in der Form von papii*
liren Auswüchsen, in der eigentlichen WarzenforoL Diese
letztere ist es besonders, bei welcher die Epidermis- mid Epi-
Elephantiasis. 295
ttielialbUdangen hiufig eine so grosse Bedeutung gewinnen, dass
man einen Thefl der Warzen in die Gruppe der Epidermoidal-
geschwftlste setzen und eine bestimmte Scheidung zwischen
den verschiedenen Arten von Warzen in dieser Richtung
vornehmen muss. Andererseits darf man nicht erwarten, die
vorher angegebene Eintheilung genau durchfahren zu können.
Vielmehr ist es nicht ganz selten, dass alle drei Hauptformen
in einem und demselben Falle zusammen vorkommen, dass ins-
besondere auf einer diffusen Elephantiasis sich knotige und war-
zige Auswüchse der Oberfläche erheben. Auch ein einzelner
Knoten kann warzig sein. Genug, die eine Form verbindet sich
mit der anderen und geht in sie über.
Wenn wir mit den elephan'tiastischen Formen beginnen,
80 handelt es sich da um einen, auch bei uns ziemlich häufigen
Process, der bald auf sehr kleine Punkte des Körpers beschränkt
Torkonunt, bald in einer sehr grossen Verbreitung nicht bloss
ganze Extremitäten, sondern noch grössere Abschnitte des Kör-
pers überzieht. Seine Entstehung ist begreiflicherweise, je mehr
sie sich über grosse Abschnitte des Körpers verbreitet, immer
mehr allgemeinen Einflüssen zuzuschreiben, und so sehen wir
denn auch, dass gerade die am meisten diffusen Formen nicht
bloss als erworbene und sporadische, sondern auch als congeni-
tale nnd namentHch als endemische vorkommen.
Was die congenitalen anbelangt, so wird in manchen
Fällen eine ganze Extremität davon getroffen; in anderen
zeigt sich das gleiche Leiden an sehr vielen Stellen der Körper-
oberfläche, bald in Form von gleichmässigeren Anschwellungen,
die einen Theil der Extremitäten oder des Rumpfes treffen, bald
in Form von wirklichen Tumoren, welche an der Oberfläche der
Haut in kleineren und grösseren Massen hervortreten. Es giebt
einzelne Beispiele, wo eine ganze Menge von bald soliden, bald
mystischen Geschwülsten dieser Art über verschiedene Stellen des
Körpers hervortritt*).
*) Ed. Sandifort Observationes aoatomico - pathologicae. Lib. lY.
Ugd. Bat. 1781. p 21. Tab. IV. et Y. Veit. Berliner gebnrth. Verhandl.
19^. VI. S. 173. Schuh. Pathologie u. Therapie der Pseudoplasmen. Wien.
1864. S. 252. Friedberg. Deutsche Klinik. 1856. No. 7. Lotzbeck in
Misem Archiv. 1868. Bd. XY. S. 383. Ward. Med. Times and Qaz. 1860.
Y<^ L p. 496.
296 Dreiiehote VorleBong.
Was die endemischen*) angeht, so sind es insbesondere
die tropischen und subtropischen Zonen sowohl in d^ alten
wie in der neuen Welt, wo sie ausserordentlich verbreitet vor-
kommen, und wo sie sowohl die Eingebomen als auch die
Einwanderer, aber allerdings in einem ganz besonderen Maasse
die Eingebornen zu treffen pflegen. Am häufigsten leiden dabei
die Unterextremitäten , und daher findet man anch je nach den
einzelnen Territorien, wo diese Zustände häufiger sind, davon die
Bezeichnungen hergenommen: Barbadosbein, Cochinbein. Nächst
den unteren Extremitäten sind am meisten ausgesetat die äusseren
Genitalien, und zwar am meisten das Scrotum beim Manne, die
Brüste und die Labia majora bei der Frau, in einigen Fällen auch
die weiteren Oberflächen, das Praeputium und die Haut des Penis
beim Manne, bei der Frau die Clitoris und die kleinen Nymphen.
Weiterhin findet man diese Zustände an den Oberextremitäten,
zuweilen am Gesicht und Rumpf.
Der Name Elephantiasis ist aber in mancher Beziehung sehr
trügerisch **), indem die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes,
wie es sich bei den älteren griechischen Autoren vorfindet, sich
nicht sowohl auf diese Affection bezieht, als vielmehr auf dieje-
nige, welche man im Deutschen am deutlichsten mit dem Namen
des Aussatzes belegt. Ich ziehe letzteren Ausdruck allen anderen
vor, da er am wenigsten missverstanden werden kann. Man meint
damit dieselbe Affection, die sonst vielfach unter dem Namen
Lepra oder, wie das in neuerer Zeit in England ganz zweck-
mässig Sitte geworden ist, der Leprosy bezeichnet worden ist
Lepra bedeutet in der alten, griechischen Terminologie ein sqna-
möses Exanthem, wie es denn auch späterhin wieder durch Wil*
lan und Bateman in die allgemeine dermatologische Sprache
eingeführt worden ist. Als aber während der früheren Zeiten des
Mittelalters die directe Tradition der alt-griechischen Medicin ver-
loren war und die Yermittelung nur durch die Araber erhalten
*')Joh. Prid. Cartheuser. De morbis endemiis über. Francof. ad
Viadr. 1771. p. 258. J. Gh. M. Boudin. Traite de göograpbie et de sta-
tistique roedtcales et des maladies endemiques. Paris. 1867. T. U. p. 445.
Dachassaing. Etudes sur T Elephantiasis des Arabes et sar la spiloplaiie.
Arch. pener. 1854. Oct — Dec. 1865. Janv.
^*) Petr. Petit Commentarii et animadversiones in ocio Aretmei Cap-
padocis libros. (Aretaei Opera, ed. Kühn. Lips. 1828. p. 548). Bierlioi:.
Disp. inaug. de Elepbantiasi. Argentorati. 16B5. Cartheuser L c. p. S8&,
259, 265.
Elephantiasis and Lepra. 297
wurde, als dann die Eenntniss der griechischen Autoren durch
Rückübersetzungen aus dem Arabischen vermittelt wurde, so machte
sidi durch allerlei Missverständnisse der Gebrauch, dass man die
alte Elephantiasis, den Aussatz, in den neuen üeborsetzungen
aus dem Arabischen Lepra nannte. Daraus ging natürlich eine
sehr nahe liegende Gefahr zur Verwechselung hervor und es wurde
mehr und mehr Sitte, zur genaueren Bezeichnung zu sagen : Elephan-
tiasis Graecorum und Elephantiasis Arabum, Lepra Graecorum
und Lepra Arabum, wobei Elephantiasis Graecorum gleichbedeu-
tend mit Lepra Arabum oder zu deutsch Aussatz ist. Das soll
heissen, dass die Elephantiasis der griechischen Schrift-
steller identisch ist mit der Lepra der aus dem Arabischen
übersetzenden Schriftsteller, nicht etwa, dass die Lepra
in Arabien identisch wäre mit der Elephantiasis in Griechenland.
Lepra Graecorum ist das squamöse Exanthem, was die Derma-
tologen noch heut zu Tage mit diesem Namen belegen. Für Ele-
phantiasis Arabum (das ist eben der Zustand, mit dem wir uns
in diesem Augenblicke beschäftigen) giebt es in der alten grie-
chischen Literatur gar keinen bestimmten Ausdruck, und es ist
daher nicht ganz unwahrscheinlich, dass, wie es auch heut zu
Tage nicht selten geschieht *), die beiden Affectionen miteinander
verwechselt worden sein mögen.
Eine solche Verwechselung liegt überall da sehr nahe, wo
beide Krankheiten neben einander vorkommen, wie es in den mei-
sten wärmeren Ländern der Fall ist. Ja, nach einzelnen Mitthei-
longen zuverlässiger Beobachter**) scheint es sogar, dass beide
bei demselben Individuum auftreten können, und es ist gewiss zu
entschuldigen, wenn daraus eine innere Beziehung beider abge-
leitet, eine Verwandtschaft derselben gefolgert wird***). Im
Norden, wo die Elephantiasis Arabum höchstens sporadisch er-
*) Vgl, DanielssenetBoeck. Tratte de la spedalttkb ed ou Elephantiasis
des Grecs. Paris. 1848. p. 4. Kjerulf. Mein Archiv. 1853. Bd. V. S. 25.
^*) Landre io Bijdragen tot de Bevordering van de kennis der Neder-
landsche ^Veet-Indische kolonien. D. II. Afl. d. BI. 228. A. van Hassel aar.
Besckrljving der in de kolonie Suriname voorkomende Elephantiasis en Lepra
(Melaatscbeid). Amsterd. 1835. Bl. 11. J. F. terBeek. De elepbantiasi So-
rioaneosL Lugd. Bat. 1841. p. 31.
^^) Berncastle. The Lancet. 1851. Sept. p. 257. Hasselaar. L c
Andr. Verga. Sulla lebbra. Milano. 1846. p. 55. Scbönfeld. Verhande-
liag over de lepra in' t algemeen en de Elephantiasis tuberculosa in't bij-
loadM'. Inaog. diss. Groningen. 1857. BI. 2, 15.
398 Dreizehnte Voriesmig.
seheint, während die Lepra Arabum in verschiedenen kalten L&ndem
endemisch ist, tritt die Frage der Beziehung beider zu einander
kaum an die Beobachter heran, und wo beide selten oder die
eine von ihnen gar nicht gesehen werden, wie in Mitteleuropa,
da kommen selbst die besten Autoren leicht dahin, die Namen
durch einander zu werfen. So hat noch neuerlich Carl Heck er*)
in seiner Monographie alles hierher gehörige Material zusammen-
geworfen, so hat selbst Duchassaing in Westindien F&Ue von
Lepra anaesthetica f&r Elephantiasis Arabum genommen, und ähn-
liche Irrthümer habe ich in meinen Jahresberichten öfter zu be-
merken gehabt**). Am meisten bezeichnend ist aber wohl die
Thatsache, dass noch heutigen Tages in Aussatzhäusem (Lepro-
serien) Kranke sowohl mit Elephantiasis Arabum ***), als auch solche
mit Lepra Graecorum****) neben den Aussätzigen gefunden werden.
Fuchst) hat neuerlich vorgeschlagen, fär die Elephan-
tiasis Arabum zu sagen Pachydermie, indess ist die Elephan-
tiasis keinesweges eine blosse Verdickung der Haut, sondern ein
Process, der sehr viel tiefer greift. Auch der von MasonGoodft)
gewählte Name der Bucnemia hat wenig Beifoll gefunden, und
ebenso die von K ä m p f e r fff) gebrauchte Bezeichnung der H y p e r-
sareosis. Und wenn man den Ausdruck Elephantiasis ids sol-
chen betrachtet, so muss man sagen, dass er imi allerzweck-
mässigsten für diese Form in Anwenduag kommt Manche haben
allenlings die Deutung gegeben, dass der Name Elephantiasis, Ele-
phantia oder kurzweg Elephas gewählt sei, weil Aussatz die grösste
Krankheit^ wie der Elephant das grösste Thier sei; sie sei gleich-
sam der Klephant unter den Krankheiten. Daher auch der Name
der herenlischen Krankheit ffff). Indess ist es sehr unwahrschein-
*^ 0»rlFr Hecker Die Elephstotiasis oder Lepn vmbk^ Uhr. 185a
••^ V^ik^tatf » J^re^i^benchl filr 1S58L Bd. IV. S, 276, flr 186a Bd. IV.
^ «*^ KckeTerri» m Balleli» de lAead. de Med. T. XYL Ko. 17. Arne-
|:li«k lUit. «ed. iuL SiaUi SArdL IMX No^ :^ p^ 2IS.
^^^^ $»n»riide«« Xoiuie ed ««»erTuiMii jmtitke »torao alU eleCua-
liftM. <Mte««le e fkmrai« »ell^ bob di Leste. ShmboIL Ittü. m. li.
i^ i\ H. F«rli». Die kiMikkftfte« VcrtAdervacea der Haat.
H^ J%%lia Ma^o« Gciod. TVe 5t«dT «f wdicwe. Ed. IL Load. 1825.
Ht^ K Impf er. Aaw>e«it«te$ ei«ktiinie. Fwc IIL «ke^ a pc Söfi.
tfH^ A reime«» Ca»fad*i. IW cmbi» H «ifab iitiTO ■mtMina.
lÜL II cnfi i;i Ahi Mflmm Httcahw »mmmi, fiT"'^in ülo mUw
Elephantiasis and Lepra. 299
lieh, dass man ursprünglich davon ausgegangen ist. Wenn man
ein solches Bein betrachtet, so liegt gewiss der Gedanke sehr
nahe, dass es nicht wie das eines Menschen, sondern wie das
eines Elephanten aussieht *). Es verliert fast ganz seine ftussere
Gestalt, es bekommt das plumpe, walzenförmige Aussehen eines
Elephantenbeins , der Fuss kriecht in den höheren Graden des
üebels so sehr in die Dicke des Beines zurück, dass er gleich-
sam nur die Platte eines unförmlichen Ständers bildet, welcher
auf dem Boden steht. Bei dem Aussatz findet sich nichts Aehn-
liches. Man darf daher nie vergessen, dass alle die Discussionen
über Elephantiasis tuberculosa und anaesthetica (Lepra Arabum)
sich auf ganz andere Zustände beziehen, und man muss sich,
wenn man etwas über diese Sachen liest, erst genau orien-
tiren, was der Einzelne meint In der deutschen Literatur be-
zeichnet Elephantiasis seit Jahrhundert'^ **) die mehr loca-
Icn oder wenigstens beschränkten, besonders an den Gliedern vor-
kommenden Anschwellungen, Lepra dagegen einen in der Regel
als Constitutionen betrachteten Gesammtprocess. In diesem Sinne
werde auch ich die Bezeichnungen gebrauchen, und ich halte mich
dazu fiir berechtigt, weil offenbar in früherer Zeit auch die
Elephantiasis Arabum unter dem gemeinschaftlichen Namen der
Elephantiasis mit dem Aussatz (Lepra Arabum) zusammengefasst
worden ist, und weil an solchen Orten, wo gegenwärtig beide
Krankheiten zusammen vorkommen, wie in den holländischen Co-
lonien, der Name Elephantiasis durch allgemeines Einverständniss
und auf ganz natürliche Weise fär die hier in Rede stehende fibro-
matöse Form, Lepra dagegen für Aussatz in Gebrauch gekom-
men ist***).
Die Elephantiasis im Sinne der Araber, die Pachydermie, mit
der wir uns hier zu beschäftigen haben, ist ein Zustand, der,
major sit aot validior. — Aemilias Macer. Lib. de viribas herbaram.
cap. 14.: Est leprae species Elephantiasisque vocatur, quae cunctis morbis
major sie esse videtur, ut major cunctis elephas animaDtibas exstat.
*) Aretaens 1. c. Prosper Alpin us. De medicina Aegyptiorum.
Yenet 1591. p. 25 vers. G. G. Schilling. De lepra commentationes. Lngd.
Bat 177& p. 17.
**) Paracelsus. Chirurgische Bacher u Schrifften. Aasg. von Haber.
Straasbnrg. 1618. S. 601. Hebra. Allg. Wiener Medic. Zeitung. 1857. No. 42.
S. 206. No. 47. S. 231.
***) Rob Easton. Diss. inaug. de nonnalHs morbis cataneis, qai in Indiis
occidentalibas ioTeniuntur. Lugd. Bat. 1834. p. 42. Hasselaar I.e. Bl. 11.
800 Dreizehnte Yorleemig.
wenn man seine Entwickelung verfolgt, regelmässig beginnt mit
entzündlichen Vorgängen, welche in der Regel den Charakter des
Erysipels an sich tragen*), das heisst, welche gewöhnlich durch
einen Fieberanfall eingeleitet werden, schnell von dem ersten Orte
ihres Auftretens aus sich verbreiten, fortkriechen, über grosse
Strecken wandern, welche femer von vom herein mit einer nur
m&ssigen Röthung der Oberfläche verbunden zu sein pflegen und
eine mehr tief sitzende, derbe, ödematöse Anschwellang der
Tbeile setzen. Diese Anschwellung begreift sich, Yfeaa man be-
denkt, dass meistentheils sehr frühzeitig der Lymphgefässapparat
mit betheiligt ist, dass insbesondere in der Richtung der Lymph-
gef&sse sich rothe, heisse, empfindliche, oft harte Streifen zeigen
( Lymphangioitis , Angioleucitis ) und dass die Lymphdrüsen der
Gegenden, an welchen sich die Erkrankung macht, in eine be-
trächtliche, acute Anschwellung gerathen. So erklärt es sich, dass
Hendy **) den Namen der Drüsenkrankheit dafür einzn-
fthren suchte, einen Namen, der jedenfalls schlechter ist, als der
in der holländischen Colonie Surinam gebräuchliche Roos oder
Roosbeen***), welcher auf die Entstehung deutlich hinweist
Schneidet man die geschwollenen Theile ein, so entleert sich
aus ihnen spontan oder bei leichtem Drack eine klare, gelbliche
Flüssigkeit, welche kurze Zeit, nachdem sie ausgedrückt ist, spon-
tan gerinnt und deutliche Fibrinmassen (das Phlegma, die Pituits
der Alten) abscheidet Es ist eine ähnliche Flüssigkeit, wie
wir sie in der Lymphe selbst kennen f): eine fibrinogene
Flüssigkeit, die, so lange sie innerhalb der Theile selbst abge-
schlossen von der atmosphärischen Luft ist, nicht coagnlirt, son-
dern flüssig bleibt. Wie es kommt, dass diese Substanz sich in-
nerhalb der Theile in grosser Menge anhäuft, das erklärt sich
wohl auf eine doppelte Weise; zunächst nehmlich dadurch, dass
sie, wie ich wenigstens glaube, innerhalb der Theile selbst erzeugt
wird in Folge der inritativen Vorgänge, welche die Gewebe tref-
*) Mein llaadbuck der spec. Pmth. und Tbermpie. Bd. 1. S. 918— S19.
DaUob, The Uoeel. 1^6, Oet 11. 17. F. Prüfer. Die Knakbettea des
OrieDts. KrUn^en. 1^7. S 326. Raver. Traite de« mmL de U peao. 1827.
T. U. 1^ Ü4.
**) J. Uendv and J Rolla Die Drikaenknuikbeit von Barhadoe. Am
^tm Edi^I. Pnnkf. 1788.
^•) ler Beek l e. Lasdre l c BL Sü. Mole 2.
t) QeeaaMtIte Abka»dhi«seA. S. 111.
Das eiysipelatOse Stadiam der Elephantiasis. 801
fen, ditss also innerhalb der Theile ein grösseres Quantnm von
anderweitigem Material in fibrinogene Substanz umgewandelt wird;
dann aber auch daraus, dass diese Substanz, welche im normalen
Zustande als Bestandtheil der Lymphe fortbewegt werden sollte,
in den Theilen liegen bleibt, weil die Lymphgef&sse frühzeitig
nicht mehr leiten. Dieses Aufhören der Leitung durch die Lymph-
gef&sse erklärt sich wiederum durch die Anschwellung der Lymph-
drüsen, welche ihrerseits durch eine Vermehrung der zelligen
Theile im Innern der Drüse bedingt ist; es scheint, dass durch
das rasche Wachsthum der Drüsenmasse der Durchgang der Lymphe
gehemmt und dadurch wieder die Lymphe rückwärts angestaut
wird. Wir finden daher frühzeitig eine Erweiterung der Lymph-
gefässe, welche sich, wie Teichmann*) gezeigt hat, bis in
die Papillen der Haut fortsetzen kann, welche aber keinesweges
constant ist und bald nur die kleinen, bald nur die grösseren
Gefässe trifft.
Es kommt also wahrscheinlich sehr viel weniger auf die
Lymphgefässe an , als auf die Lymphdrüsen , welche durch ihre
Zustände die Fortleitung der Lymphe hindern und so eine Lymph-
staaung innerhalb der Theile mit sich bringen. Es ist das kein
gewöhnliches Oedem, wie es in solchen Theilen besteht, welche
im Zustande des Hydrops anasarca sind, sondern eine Leuko-
phlegmatie**), Phlegmatia alba, Hydrops pituitosus
oder genauer ein lymphatisches Oedem***), welches sich
schon dadurch von dem gewöhnlichen Oedem unterscheidet, dass
die davon befallenen Theile nicht die teigige, leicht eindrückbare
Consistenz haben, wie ödematöse, sondern dass sie in der Regel
*) L. Teich mann. Das Saugadersystem. Leipzig. 1861. S. 62. Taf. VI.
Fig. 4.
^) DiekusdtfitVeXfvxdvqtXi/fAu, Xivxo^Xf/fiuifac, XfvxoipXty/AutovvTfg
kommen achoo bei Hippocrates (Coacae prognoees. Ed. KOhn. I. p. 814.
I>e morbis Tulgar. Lib. 111. Sect III. Bd. KQhn. III. p 491. De aere, aqnis
et locis, ibid. I. p. 533) vor, aber eine genauere Bestimmang gegenüber dem
Anasarca haben erst Aretaeus (I. c. Lib. II. cap. I.) a. Galen us (Coroment
m. in lib. III. Hippocr. de morb. vulg. 70.) gegeben. Indess blieb doch
auch bei ihnen noch vieles dunkel, da der Begriff der Icnkopblegmatischen
Gomatitution sich mit dem des lenkophlegraatiscben Zastandes vielfach ver-
miechte, während doch nur der letztere die besondere Art des Hydrops be-
leiehneliim den es sich hier handelt £rst van Swieten (Ck>mmeni I
p. 102. IV. p. 158) hat die Unterschiede sicherer festgestellt.
*^ Mein Archiv. 1847. Bd. I. S. 581. Handbuch der spec. Path. n. Ther.
Bd. L S. 184, 205, 216. Gesammelte Abhandl. S. 108.
302 Dreiiehnte VorkssBS-
sich h&rter und derber anfühlen, dem Fiogerdmck einen stärkeren
Widerstand leisten, und demnach mehr den Habitus des S k le-
rem s*) an sich haben. Auch von dem Erysipelas oedemato-
sum**) der Autoren unterscheidet sich diese Form, insofern sie
nicht eine rosenartige Entzündung schon vorher wassersüchtiger
Theile ist, sondern das Oedem sich erst mit der Entzündung ein-
stellt Nur in einem Falle ist es schwer, diese zwei Zustande lu
scheiden, nehmlich bei derjenigen Elephantiasis, welche sich nach
Obstruction oder Unterbrechung des Venenstroms so häufig ein-
stellt Hier geht häutig ein lange bestehendes Oedem dem Skle-
rem vorauf, aber es lässt sich doch die blos ödematöse Periode
*) Das Wort Sklerem ist erst in unserem Jahrhundert in die medi-
ciniscnc Nomenklatur eingeführt worden, und zwar Ton Ghaussier, um
die sogenannte Induratio telae cellulosae neonatorum zu bezeichnen. Das
Wort ist auch gegenüber dem alten Ausdrucke des Oedems ganz gut ge-
wählt, zumal da die in der pseudogalenischeu Isagoge Cap. 15. erwähnte
Skloriasis sich auf einen ganz fthnlichen Zustand bezieht Denn es heiast tod
ihr: Est tumor palpebrae cum rubore doloreque, difficulter aboletur, dunt
magis quam inflammatio. Ich halte den Vorschlag, lieber Sklerom zu sa-
gen, in ktMner Weise fUr zweckmässig. Letzteres Wort wird in den gseado-
SaleniNchen Deiinitiones medicae als eine härtliche, aus chronischer Entzün-
ung hervorgegangene Geschwulst des Uterus erläutert Um so weniger dürfte
daher gerade jetzt ein Wort mit dieser Endigung, welche wir für die eigent-
lichen (iesch wulstarten anzuwenden uns gewöhnt haben, fQr eine allge-
meine Verdichtung der Haut passen. Schon Alibert (Nosologie natu-
relle ou les maladies du corps humain distribu^es par families. Paria (1817}
IHBH. p. 4iM.) beschreibt unter dem Namen der Skleremie nicht bloss die
Zellgewebsverhärtung der Neugebomen und gewisse partielle iDdorationeD
der Haut, sondern er giebt auch einige Fälle von »Skleremie der Erwachse-
nen**. ludoHH, diese Beobachtungen sind ziemlich unbemerkt geblieben und
erst durch die Mittheilungen von Thirial, Bouchut und Gillette ist
dif) allgemeine Aufmerksamkeit auf die sondertHire Krankheit der Erwach-
«euen gelenkt worden. Nun will ich gern zugestehen, dass nach den ver-
gleichenden Arbeiten von Nor dt (Ueber das einfache Sklerom der Haut.
Inaug.-Diss. Giesseu. 1^»1.\ Arning (Würzburger med Zeitschrift. 1861.
Hd. II. S. 1840 und Mosler (Mein Archir. 1862. Bd. XXÜI. S. 167) Zwei-
fel darüber entsitehen kiinnen, ob dies^e llautaffektion mit dem Sklerem der
NeugeU^riien wirklich identisch ist« da fast in allen FUlen der Ijnpha-
liache llvdropa dabei nicht beobachtet ist, und ea wird daher Tielleicht
aweckwäsfriger »ein, da;s( alte Wort der Skleriasia <^er das tteye der Skle-
i^erwia filr die Krankheit der Erwachsenei aazQwenden, na aicht Yor-
•eilig eine l'eber^in^limmung anstnsprechen , welche »oeh nicht gast er-
wieaen iat Ihua aber «owohl diese Skleriaaia, mls aseh das Skterem der
Neugehoraen« weWhe» m ho» von des ersten dentsches Beohachtora dem Ery*
ai|>el angereiht wnrde (t^l W\ Winlerswjk Kalach Dies. inMif. de erj-
aipeUle «h^aatomm ei iadaratioae lelae eeUnlosse. Groräg. 18 16^ p.6.),
des ele|4aatiaati»ches P^^rmes »ehr sähe atehem, ksmi sieht hsaveüeh wmes.
**^ Galess^ Melhod. medesdi Hb. IIV. «p. S, 4. Reit Deber die
KHmstmfe» ssd i>ir der Heher, Bd. 11. Hslku 1799l S. S». Meis Hsod*
hsch der $|m<. fsthot s. Th«s^ I. S. XU.
Erjdipelas Ijmphaticom. 303
Yon der sklerematösen oder, wie man auch gesagt hat, skirrhö-
sen*) deutlieh unterscheiden.
Dass in den Theilen selbst schon von Anfang an ein irrita-
tiver Zustand besteht, das sehen wir nicht allein aus der Röthung
und Temperatursteigerung, den Zeichen der bestehenden Hyper-
aemie, sondern man findet auch die Elementarzellen des Binde-
gewebes vergrössert und häufig in Kemwucherung, in Theilung,
in Vermehrung. Diese Vermehrung lässt sich in manchen Fällen
auch sehr deutlich in den Anfängen der Lymphgefässe erkennen,
so dass man neben den wuchernden Bindegewebselementen die
kleinen Lymphgänge unterscheidet, welche mit einem sehr reichen,
ungewöhnlich dichten Epithelialstratum ausgekleidet sind.
Unsere deutschen Schriftsteller der früheren Zeit begrifien
diese Art der Rose mit unter dem vielsagenden Namen des Ery-
sipelas nothum s. spurium, welches auch wohl die Bezeich-
nung des scorbutischen erhielt. So berichtet Friedrich Hoff-
mann ^*) von dem häufigeren Vorkommen einer hartnäckigen,
chronischen, selbst ulcerirenden Rose in Westphalen, indem er
zugleich beifügt, dass dort das Aderlassblut eine Cuticula gelati-
nosa zeige, wie sonst bei Pleuritis. Dadurch nähert sich diese
Form dem Sklerem der Neugebomen, bei welchem Chevreul***)
gefunden hat, dass das Blutserum, wie es nach Abscheidung des
gewöhnlichen Faserstoffes aus der Leiche gewonnen wird, noch
wieder spontan coagulirt, sowie der tropischen Elephantiasis, von
der Mazae Az6maf) auf der Insel Reunion berichtet, dass
sie mit chylösem Harn, sowie mit Dilatation oberflächlicher Lymph-
gei&sse und spontanem Erguss von Lymphe zusammenfalle. Später
hat man die Grundkrankheit Erysipelas gelatinosum genannt,
Eom Unterschiede von dem gewöhnlichen, einfachen oder legiti-
men Erysipel. Das sollte bedeuten, dass die Theile eine mehr
gallertartige Beschaffenheit bekämen, und in der That, wenn man
sie anschneidet, so sieht es auf den ersten Augenblick aus, als
*) Gabr. Faloppius. Libelli duo, alter de ulceribus, alter de tumo-
ribos. Yenet. 1503. p. 93. Reil a. a. 0. S. 346.
^^) Frid. Hoffmanni. Medicinae rationalis aystematicae T. IV. Hai.
1784. p. 304, 819.
***) Oh e VF 80 1. GonBiddrations g^nerales sur I'analyse organique et sur
66« applieatioBs. Paris. 1824. p. 218. Billard. Arcb. g^D^i. 1827. T. XIII.
^810.
t) Gas. med. de Paris. 1858. No. 2.
304 Dreizehnte VorleBiing.
ob die ganze Masse, namentlich des ünterhautgeweb^, von einer
Gallerte durchsetzt sei. Es ist das die lymphatische Flüssigkeit,
welche die Theile tränkt.
In vielen Fällen geht dieses Erysipel nach einiger Zeit anter
Desquamation vorüber, ohne dass es einen erheblichen Rückstand
hinterlässt Anderemal verschwindet es nicht ganz, sondern hin-
terlässt eine gewisse Härte und Anschwellung der Theile, die mit
Röthung verbunden sein kann. Aber selbst eine gewöhnliche
Rose kann solche Indurationszustände (Scirrhositas der Alten) zu-
rücklassen, zumal wenn sie neuen Reizen ausgesetzt wird. Schon
früher habe ich darauf hingewiesen, dass nach unrichtiger, reizen-
der Behandlung z. B. mit heissen Umschlägen ein solcher Aus-
gang vorkommt*). Indess ist dies wohl der seltnere Fall; meist
ist es eben kein einfaches, sondern ein lymphatisches Erysipel,
welches die Grundlage bildet. Dieses mag einmal und mehrmal zu-
rückgehen, aber die Theile bleiben in einem Zustand von grosser
Vulnerabilität, und es geschieht daher nicht selten, dass sich an
demselben Orte nach kürzerer Zeit wiederum ein analoges Ery-
sipel entwickelt.
Wie die meisten Formen der Rose, so entsteht auch diese
^spontan'^, d. h. auf w enig bemerkbare Reize. In den endemischen
Formen werden am häutigsten Erkältungen angeschuldigt, jedoch
setzen diese, um eine solche Rose hervorzurufen, wiederum eine
ganz besondere Prädisposition voraus. Auf eine solche deutet ins-
besondere die erbliche Disposition hin, welche freilich von
manchen bestritten ist, für welche wir aber ein sehr charakte-
ristisches, mehrfach beschriebenes Beispiel**) besitzen. Man könnte
sich nun dabei beruhigen, diese in einem besonderen Zustande
der Haut zu suchen, indess entspricht es mehr der homoralpaftho-
logischen Tendenz der meisten Aerzte, sie in einem besonderen
Allgemeinzustande zu suchen. So ist schon seit den ältesten
Zeiten für das Erysipel überhaupt ein gewisser biliöser Zustand
als Grund angenommen worden, und die entschieden gelbliche
*) Mein Handbuch der Bpec. Path. u. Ther. I. S. 2t9.
**) L. Hüpner. Elephantiasis exemplum memorabile. Diss. inaug. Berol.
1846. p. 12. Lebert. Abhandlungen aus dem Gebiete der prakt. ^imrgie
und der pathol. Physiol. Berlin. 1848. S. 77. Beruh. Brandis. De byper-
trophiae cutis specie vulgo Elephantiasis Arabum nominatae. Diss. inmag.
Bonn. 1849. p. 4.
Aetiologie der Elephantiasis. 305
Färtmog der in den geschwollenen Theilen enthaltenen Lymphe
fuhrt die^e Yorstellong immer wieder nahe. Andere haben
sich auf gewisse Schädlichkeiten der Nahrung oder des Ge-
tränkes bezogen, und einzelne sind so weit gegangen, geradezu
einen scorbutischen Zustand vorauszusetzen. Diese Fragen lassen
sich wissenschaftlieh sehr schwer behandeln, zumal da es nicht
bezweifelt werden kann, dass die Blutmischung secundär durch
die erysipelatösen Localprocesse und durch die Ueberf&hrung der
in den gereizten Theilen gebildeten Stoffe in die Circulation bedeu-
tende Veränderungen erfahren muss. Dahin möchte ich insbe-
sondere die l3rmphatische (iibrinogene) Beschaffenheit des Blut-
serums rechnen, mit welcher auch der im Süden vorkommende
spontan coagulable Harn zusammenhängen mag. Freilich findet
sich dieser auch ohne Elephantiasis und Erysipel, aber gerade
das scheint darauf hinzudeuten, dass es (lymphatische) Consti-
tutionen giebt, bei denen die Vorgänge im Lymphgefässapparat
und den Theilen, aus welchen er sich zusammensetzt, eine unge-
wöhnliche Lebhaftigkeit erreichen, und bei denen entsprechend
auch eine grössere Vulnerabilität dieser Theile besteht.
Für eine solche Auffassung spricht insbesondere diejenige
Art von Elephantiasis, welche sich erst secundär in einem
Theile entwickelt, in welchem der Lymphstrom besonders belastet
ist Dahin gehören insbesondere die nach Venenverstopfung und
Dach Fussgeschwüren auftretenden Formen der Phlegmatia alba,
zu denen nach Rigler*) auch die Elephantiasis nach eiternden
Bubonen zu zählen sein möchte. Freilich sind manche Autoren
nicht geneigt, diese Formen zur eigentlichen Elephantiasis zu
rechnen, allein im endlichen Ergebniss stimmen beide ganz überein.
Dies gilt insbesondere von den im Umfange chronischer ülceratio-
nen der Unterschenkel, namentlich unterhalb der sogenannten chro-
nischen Fussgeschwüre vorkommenden Skleremen. Hier wird zuerst,
sei es durch die Ausdehnung der Ulceration, welche viele venöse
und lymphatische Gefasse zerstört, sei es durch die Narben-
schrumpfung die Circulation am Fusse, namentlich die oberfläch-
liche, beeinträchtigt. Oft ist dies schon vor der Verschwärung
der Fall, indem durch zahlreiche Varicen die meisten oberfläch-
^) L. Rigler. Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien.
1866. XL
▼ Irekow, QMchwfiUt«. 1. 20
306 Dreizehnte YorlesuDg.
liehen Venen verunstaltet sind. Diese venöse Stauung ffihrt dem-
nächst von der venösen Hyperämie zum Oedem und damit zu
einer gesteigerten Lymphströmung oder, wie man gewöhnlich
sagt, zu einer vermehrten Thätigkeit der Lymphgeßsse *). Die
letzteren erweitern, ihre Drüsen vergrössern sich. Innerhalb der
ödematösen Stellen entstehen dann bei leichten mechanischeD oder
anderen Irritationen nicht selten erysipelatöse Entzündungen, wie
ja ödematöse Theile zu derartigen Entzündungen in hohem Maasse
disponiren. Ist der Reiz stark, so nimmt dieses Erysipel gern
den phlegmonösen Charakter an und geht in schlechte Eiterung
oder Brand über. Bei geringerer Reizung dagegen geschieht etwas
ähnliches**), wie in den primär und urspi*ünglich mit Erysipel
auftretenden Formen.
Es wäre hier endlich noch eine Art von elephantiastiscber
Anschwellung zu erwähnen, welche sich im Umfange eiternder
Stellen, insbesondere um cariöse und nekrotische Knochen ent-
wickelt. Es gehört in diese Kategorie manches von dem, was
man gewöhnlich unter dem Namen der weissen Geschwulst
(Tumor albus) zusammenfasst***). Hier entsteht unter wiederholten
Entzündungen nach und nach eine Reihe von Veränderungen,
welche denen der Elephantiasis ganz vollkommen gleichen kön-
nen f ). Liegt der Process an einem Gelenk oder ist die primäre
Knochenaflfection bekannt, so wird man freilich nicht leicht den
Zustand als Elephantiasis bezeichnen, weil er zu wenig von einem
„Gewächs'^ au sich hat. Ist er aber mehr umschrieben, betriflit
er einen kleineren Knochen, ist die KnochenaflfectioD selbst latent
oder scheinbar gegenüber der grossen Veränderung der Weich-
theile unbedeutend, so liegt es nahe, den Namen der Elephan-
tiasis anzuwenden ft). In der Veterinärmedicinfff) ist dies viel-
*) Handbuch der spec. Path. u. Therapie. I. S 203.
**) Andral. Grundriss der path. Anat Deutsch von F. W. Becker. Leipz.
1»29. Bd. 1. S. 129. Cru veilhier. Traite d'anat path. g^n^r. T. 11. p. 3&3.
Wedl. Grundzüge der path. Histologie. S. 460.
^**) Alard. De IMnflamroation des vaisseaux absorbans - l^mphatiques
dermoides et sous-cutanes. Paris. 1824. p. 292. J. Grocq. Traite des tn*
meurs blauches des articulations. Bruxelles. 1854. p. 76, 106.
t) Lob stein. Traite d*anat. path. I. p. 392.
tt) Kämpfer qannte umgekehrt die Elephantiasis (Perical) von Ifalabar
eine Paedartnrocace.
ttt) E. F. Gurlt Lehrbuch der pathoL Anat der Haoasiagethiere.
Berlin. 1831. Th. 1. S. 45, 110. J. M. Kreutzer. GrondriM der geMUBBt«
Uebergang der Erysipelas in Elephantiasis. 307
fach geschehen. Ich selbst habe einigemal beim Rindvieh und
beim Schwein ausgedehnte nekrotische Garies am Unterkiefer ge-
sehen, um welche herum die stärksten, knotigen Schwielen be-
standen*), welche ätiologisch offenbar eine ganz andere Bedeu-
tung hatten, als der bei Pferden durch veraltete Mauke entstehende
,,Elephanten- oder Igelfuss'*, oder die gleichfalls beim Pferde von
mir gesehene „spontane^ Elephantiasis**). Aber auch in der
scheinbar spontanen, nicht osteopathischen Elephantiasis, wie ich es
sowohl am Unterschenkel (Fig. 5*2.), als an den grossen Schamlip-
pen beobachtet habe, stösst man beim Einschneiden auf grosse, alte
Eitersäcke, und es ist noch keineswegs ausgemacht, dass diese
durchgängig secundärer Entstehung, Folgen des Erysipelas sind;
im Gegentheil spricht ihr Vorkommen in tropischen Formen***)
dafür, dass sie ein erregendes oder wenigstens begQnstigendes
Moment für Erysipel sind.
Wiederholen sich solche Zufalle im Laufe der Zeit, was in
Folge äusserer localer Reize geschehen kannf), so entsteht,
gleichviel ob das Erysipel primär oder secundär^ war, allmählich
eine bleibende Verdichtung und Verdickung des Gewebes, und
damit beginnt dann die Elephantiasis im engeren Sinne des
Wortes. Unter den Tropen nimmt man vielfach an, dass mit
dem dritten Anfalle der Process confirmirt sei. Auch diese näch-
sten Anfalle sind gewöhnlich noch fieberhaft; mit der fortschrei-
tenden Verdichtung wird die Krankheit mehr continuirlich, iieberlos,
behält aber sehr häufig noch den progressiven Charakter.
Die Verdichtung selbst hat, je nach den einzelnen Fällen, eine
sehr verschiedene Ausdehnung. Manchmal beschränkt sie sich
auf die Oberfläche, zuweilen blos auf das äusserste Stratum der
Cutis. In anderen Fällen greift der Process sehr frühzeitig in
die Tiefe, und es wird nicht blos die Cutis, sondern auch das
Unterhaotgewebe, das Fettgewebe mitbetheiligt, die Fascien ge-
Yeterinärmedicin. Erlang. 1853. S. 649. Roll. Lehrb. der Path. u. Therapie
der nutzbaren Hausthiere. Wien. 1856. S. 662.
*) Präparat unserer Sammlung No. 60. vom Jahr 1857.
^^) Priparat No. 5. vom Jahr 1862.
•••) L' Herminier. Gaz. m^d. de Paris. 1850. No. 3.0. Ray er et Da-
vaine. Ifem. de la Soc.deßiol. T. 11. p. 67. Vgl. Heyfelder a a.O.S.347.
t) Rud. Martini. Dias, inaug. rariorem crysipelatis exitum elephan-
tiaalo aiaakateai sisteos. Lips. 1824. p. ö.
20*
Dreizehnte VorlesoDg.
Fig. 52,
rathen in deaselben ReizunKs-Zustand, ja der Process geht unter
die Fascien in Abs inteminBculäre Bindegewebe, entwickelt sich
um die Geisse und Nerven herum und greift häufig auf das Periost
der Knochen über, um liier Veränderungen zu erzeugen, wie wir
sie bei periostitischen Zuständen kennen.
Je nachdem di?r Process sieh nach der einen oder anderen
dieser Richtungen hin entwickelt, gestaltet sich auch seine äussere
Erscheinung gewöhnlich etwas verschieden. Ist «r mehr ober-
flächlich, dann wird auch in der Regel die Oberfläche ungleich,
indem die Papillen sich überwiegend vergrOssera und die
äussere Erscheinung des geschwollenen Theiles die einer Pa-
pillarhyperplasie wird*). Ist dagegen der Process mehr in
der Tiefe , so kaim die Oberfläche möglicherweise ganz glatt
bleiben und der Theil nur im Ganzen anschwellen und ver-
härten. In dem letzteren Falle entsteht eine Elephantiaaici
laevis a. glabra, in dem anderen eine Elephantiasis pa-
pillaris 8. verrucosa. Dazu kommt femer, dass die Verände-
rung Hich zuweilen gans gleichmässig, diffus und continnirlicti
über die befallenen Siellen erstreckt, anderenutl dagegen ungleich-
massig fortschreitet, entweder so, dass auf einer difiiis erkrankten
Stelle einzelne Punkte sich stärker erbeben und in Form von
Knoten oder Höckern hervortreten, oder dass fiberhaupt die
Erkrankungcstellen discontinuirlich liegen und die eintelaen
Knuten sich aus einer fibrigens normal erscheinenden Haut er-
Fig. 53. ElephaDtiuü dura cruru. Ausgedehnte Sklerose, welche von
der Haut imnii^r tiefer in du U nt erb antfettge webe , endlich in die Fasrie,
die Munkeln und die fielohaut greift. Bei a normaler Znatand, bei b Ver-
dickung der Cutis und beginnende interstitielle Induration in den Pannica-
lus, bei c ausgebildeter Zustand mit einigen kleitwo Abseeseen. (frionnt
No. 9S. vom Jahre 1863).
*} Th.Chey»lier.Hed.chir.TnnMGtVoLXI. p.«8. L'HeraiBierLc.
Verhalten der Oberfläche bei der Elephantiasis. 309
heben. Das giebt eine Elephantiasis tuberosa (tubercu-
lo8a) 8. nodosai welche insbesondere dem knotigen Aussatz
höchst ähnlich ist. Die einzelnen Knoten (Tuberkel) können
wiedemm eine glatte oder eine warzige*) Oberfläche haben.
Die Stellen des Körpers sind dabei von keiner entscheidenden
Bedeutung. An denselben Regionen können je nach Umständen
die Terschiedensten Formen vorkommen; ja man findet nicht
selten bei demselben Individuum am Umfange der erkrankten
Stellen die glatte (Fig. 52.), im Centrum derselben die warzige oder
knotige Form (Fig. 53.). Der Process selbst bleibt immer der-
selbe, so verschieden er sich auch äusserlich darstellen mag.
Ist die papilläre Form überwiegend, so bleibt auch das Rete
Malpighii und die Epidermis, welche den Theil bedeckt, nicht
frei. Sehr häufig nimmt das Rete allmählich eine dunklere Pig-
mentirung, namentlich ein bräunliches, bronzefarbenes und zuletzt
schwärzliches Aussehen an**). In dieser Elephantiasis fusca
et nigra hat die Farbe wesentlich ihren Sitz in den Zellen des
Rete ; nur in untergeordnetem Maasse und sehr viel seltener neh-
men die Bindegewebszellen daran Antheil. Der Grad und das
Vorhandensein der Pigmentirung wechselt aber nach den ein-
zelnen Fällen: bei gleichem Grade der Papillenbildung zeigt sich
bald diese, bald jene Färbung, ja es kann bei einer Elephantiasis
laevis dunkle Pigmentirung, bei einer Elephantiasis verrucosa oder
papillaris helle Färbung sich finden.
Auch die Dicke des Epidermislagers über den elephantiasti-
schen Stellen ist sehr verschieden. Zuweilen zeigt es kaum eine
Abweichung vom Normalen, und das ist meiner Erfahrung nach
hauptsächlich bei den weicheren Formen der Fall. Anderemal
dagegen erreicht es eine sehr beträchtliche Dicke. Ist der Pa-
pillarkörper nur massig entwickelt, so bildet die Epidermis einen
glatten Ueberzug über demselben, der in den höchsten Graden
entweder eine dichte, hornartige oder eine mehr lockere, blätte-
rige Beschaffenheit annimmt. Wachsen die Papillen stark und
verästeln sie sich, so folgt auch die Epidermis ihren Erhebungen:
*) Rob. Frank el. De Arabum elephantiasi in partibus geDitalibus
obeenrationes duae maxime roemorabiles, addita analysi microscopica. Diss.
inaug. VratisL 1857. p. 36, 44.
*^) C. J. Hille. Diss. inaug. rarioris morbi elephantiasi partiali similis
hiatoriam aiatena. Ups. 1828. p. 7. Tab. — Präparat No. 69. Tom Jahre 1860.
Dreiuhnte VoricMiiig.
VH cntstolit ein warziges AuKselien, und wenn die Epidermislage
Hclir titark und dicht ist, eine hat stachelige BeschafTeDheit der
OliertllU-lie, wiu bei der U-hthyostä cornea acuminata *). Ich habe
Pftit« Kct^i'licni wo diese hornigen Auswüchse eine Hohe von
8 — 3 Linien lialton und einzelne Stellen ganz dicht damit besetit
waren (Fig.A.'Kb). Maverirtman diese Massen in Wasser, so lOstsieb
der HormlherKug selir leicht üb, und man sieht die theils einfach
verlHiiserlen, llieils verästelten Papillen in grosser Zahl nackt
Einmal \m einem allen Mnnno (in der Praxis des Herrn Dr.
Albrechl) habe ich den gr^issten Theil beider Unterschenkel
mit gelben, durvht^cbeinenden Doniplalten von 2 — 3 Linien Dicke
und I - I ! Zoll im l^urchniesi^er Itesetzt gesehen, so da.«s si6 eioe
nicht gerintie Aehnlichkeit mit der Ichthyosis comea congenita
halici). I>»s ToIh'! war ein erworbenes, die elephantiastische
Anschwellung sehr tH><)ou(end und die starke Betheiligang der
Hantdrilsen an dem rn.H-e^ machte sieb nicht jmr darch die
^■itiiic IVirnischung i» den IlompUticn. sondern auch durch einen
Iif>clisi wid<i>rlichcn und peneiRuiien G«ruch bemerkbar.
Allo di<«<> Vcrimlerungen der Ober^cbe sind ab« unter-
M iff ti«f<r*«l A<s tV«Xvl>r«k«s IS« »fM-tev StlrfM« iMrkt tief dafrk
A» l'V<;(v«'r4>' b*s «nkr t« i>r KMvh<w. biiK mW d> »i«4 ■och «isBrltf
»v^-.K'^Vii. IV ll.ci -.r^Cr.! >urt, ivr^xki ««J <«■ nwM Sluf:n Gt-
k«rx«*U<*- MM Wi->i^f Kjiaji^tiw.. - tiftw^ig .l-rfakfwü» ra««««'^. Du
Ibm lkk|)«c^* lUii r«twr«nn. \mi *<m»»** !■* lAiw. vic np SA:
- IR*>*i nMir An» Ml. 4r li r**. tSf;. r U. ^ 430. «.BSrea-
»r«*»». IJM(M««a«i.VMN«wk.rv»^4MWM*U.ikM. Ufa. iai& S. «■
Elephantiasis dura. 311
geordneter Natur; die Hauptsache bleibt die Entwickelung von
immer neuen und immer reichlicher werdenden Bindegewebs-
mansen, welche im Innern der Theile, der Cutis oder des sub-
cutanen Gewebes u. s. w. entstehen und aus einer fortschreitenden
Hj^rplasie des präexistirenden Bindegewebes hervorgehen. Das *
ist das Wesentliche des Processes, weshalb wir ihn eben bei den
Fibromeo besprechen. Die Beschaffenheit des neugebildeten Binde-
gewebes ist aber nicht immer dieselbe, und man kann im Groben
nach der grösseren oder geringeren Dichtigkeit zwei verschiedene
Erscheinungsformen der Krankheit unterscheiden: Elephantia-
sis dura und Elephantiasis moUis.
In den höheren Graden der ersteren findet -man auf Durch-
schnitten durch die erkrankten Theile von der Obei*fläche bis auf
den Knochen hindurch oft nur eine einzige, zusammenhängende,
harte, fibröse Schwiele von jener Consistenz, welche man nach
einem alten Sprachgebrauch als speckig zu bezeichnen pflegt.
Daher geben die früheren Schriftsteller*) geradezu an, das Ge-
webe sei in Specksubstanz (substance lardacee) umgewandelt.
Diese Substanz ist nichts anderes, als sklerotisches, mit klarem,
ausdrückbarem, an runden Zellen sehr reichem***) Serum durch-
tränktes Bindegewebe. In demselben kann man kaum noch die ein-
zelnen früheren Gewebe unterscheiden; theils gehen sie zu Grunde,
wie namentlich das Fett- und Muskelgewebe, theils verwachsen sie
unter sich in einer innigen Weise und bilden einen einzigen Kör-
per. Je mehr dieser sich verdichtet, um so mehr wird durch den
Druck der harten Masse eine Atrophie der noch übrig gebliebe-
nen, eingeschlossenen Gewebe erzeugt; inbesondere die musku-
lösen und nervösen Theile leiden in manchen Fällen sehr erheb-
lich, nnd so kann es wohl vorkommen, dass unvollkommene
paralytische und anästhetische Zustände und damit eine neue
Aehnlichkeit mit dem Aussatz eintreten. Indess ist mir kein
Fall vorgekommen, wo namentlich die Anästhesie einen so hohen
Grad erreicht hätte, wie es bei dem wahren Aussatz der Fall ist.
Schreitet der Process bis auf den Knochen fort, so ist es
überaus häufig, dass aus den tieferen Lagen des Periostes, welche
unmittelbar auf dem Knochen liegen, allmählich neue Knochen-
bchichten sich erzeugen, dass also die Bindegewebsbildung sich
*) Lobstein. Trait^ d'anat. path. I. p. 392.
^) Vulpian. M6m de laSoc. de Biologie. 1857. S^r.ll. T. UL p.809,313.
812
Dreiiebnte Vorieanig.
Pii. i*.
complicirt mit einer wahrhaften KnochenbUdnng, dass sie gleich-
»atn eine knOcherne BaeiB bekommt. Diese KDOcbeDbildnng«n
zeigen dieselben Verachiedeaheiten, die wir an der ftiuseren Haut
besprochen haben, in maDchen Fällen ündet eich eine glatte Pe-
riostose, in anderen eine unregelmässig warzige, ja stachelige Bil-
dung von dem sonderbu'steD Anssehen. FOr die Geschichte der
pathologischen Ossilication flberhsnpt sind
diese Processe von nicht geringem Interesse,
insofern als man sich nberzeogen kann, wie
ich es auch in anderen Fällen bewiesen
habe*), dass die Knochenbildung sich nicht
anf das Periost beschränkt, sondern weit in
die extraperiostealen Schichten, hier in die
elephantiastJBchen Schwielen hineingreiß. In
höheren Graden verschmelzen die hervor-
wachsenden Knochenmaasen untereinander
und es entstehen dadurch Synostosen,
welche benachbarte Knochen miteinuid^r
in Verbindung setzen. Bei der harten Ele-
phantiasis des Unterscbenkels ist es gaoi
gewöhnlich, dass Tibia und Fibula sich an
verschiedenen Stellen nntereinander verei-
nigen, dasB Galcaneus und Astragalas zb
einer gemeinschaftlichen Masse verschmel-
zen (Fig. 54,).
Während dieise Verändemngen an den
befallenen Stellen, namentlich den Glied-
matten, i^ich ausbilden, te^o aacb die
*<nt$prcclienden Lymphdrüsen ähnliche Ver-
andeningen. So findet man namentlich an
den hi^isen der Kniekehle und der Lei-
stengegend betmchtiiche Anschwellangt4i,
welche in der tnt»a Zeit ans einer Wo-
Ki;^. M. HvpiFnwtwi» «< STsmlfisis cnwivB cmm et pedi« nach Ek-
ElianlUM». JMt VMvhca »iad flWndl nil tb«üs phitca. tä«ila stMitcligci
\iKlii»«>n b««»»i, im (iaarn ifnürkl. Bei +.+ iuA TibU ind Fibab ii
Wl irr \t\ll <)t.-hl fttM-r tteiu Sprup^ifiiftirak. IWi + + findft »kk nn« Svm-
•Iw» ■«istffa«-» T»Ib und L'akawru. v^tApan* N*- 4S9.).
*) M«U Arckiv. L & 191. Oilbh^Mhilipi. S. Atä. & 4M.
Zustand der Knochen und des Lj^mphi4>parats in der Elephantiasis. 313
cherung der Lymphkörperchen bestehen, später jedoch mehr und
mehr eine ähnh'che fibröse oder geradezu fibromatöse Induration
erfahren, wie sie in dem Parenchym der Glieder selbst besteht*).
Ungleich seltener und mehr den heftigeren tropischen Formen
eigenthümlich ist die Vereiterung der Lymphdrüsen, wie sie
schon Hendy beschrieben hat. An den grösseren Lymphgefässen
selbst findet sich in der Regel keine erhebliche Verdickung der
Wandungen; im Gegentheil geht mit der Erweiterung derselben
öfters eine entsprechende Verdünnung einher. Dagegen leiden
nicht selten die Nerven in grosser Erstreckung an einer, von
ihren Hüllen und ihrem interstitiellen Gewebe ausgehenden, zu-
weilen ungleichmässigen imd knotigen fibrösen Verdickung**),
welche über die Grenzen der zunächst befallenen Region hinaus-
reicht. Auch die Wandungen und Scheiden der Venen fand ich
mehrfach in ähnlicher Weise verändert.
Wenn man absieht von den vorher berührten Fällen, die frei-
lich bei uns sehr häufig vorkommen, dass in der Umgebung und
namentlich unterhalb alter Fussgeschwüre, im Umfange kranker
Knochen oder alter Abscesse elephantiastische Indurationen sich
entwickeln, so ist die Elephantiasis in der Regel ein nicht ulce-
röser Process, der ausserordentlich fortschreiten und enorme An-
schwellungen der Theile erzeugen kann, während die Oberfläche
im Wesentlichen unversehrt bleibt. Es kann auch der Gebrauch der
Theile immer noch in einem ziemlich vollständigen Maasse statt-
finden, da nur durch die grosse Last, durch die Schwere, durch
die Steifheit der Articulationen eine Behinderung eintritt. Gele-
gentlich triift man Leute mit solchen dicken Beinen, welche da-
mit nmherwandem , und was die Thiere anlangt^ so sah ich im
vorigen Herbst, als ich durch die Pfalz reiste, in Oggersheim ein
Pferd, welches das eine ganze Hinterbein zu einem mehr als ele-
phantenbeindicken Ständer umgewandelt hatte, dabei aber ganz
munter seinen Wagen zog.
Dadurch unterscheidet sich die Elephantiasis sehr wesentlich
von dem Aussatz, bei dem alle grösseren Anschwellungen in ulce-
*) Lud. Höfer. De Elephantiasi Arabum adjecta historia morbi. Diss.
inaog. Gryphiae. 1851. p. 36.
••) Chelius.
^) Chelius. Heidelberger klinische Annalen. Bd. II. S. 359. Metten-
heim er. Archiv des Vereins für gemeinsch. Arbeiten zur Förderung der
wiaseDBch. Heilkunde. Götting. 1854. Bd. I. S. 88. Hecker a. a. 0. S. 12.
▼gl. Höfer L c. p. 39.
Dreizehnte Vorlesong.
pflegen.
Indessen kommen doch zuweilen
iiHch bei uns, viel h&ofiger in dea
tropischen Gegenden Fälle vor, wo
neben gleicbmässigen Anschwellnn-
gen, namentlich der Unterextremi-
läten und innerhalb der geschwolle-
nen Region Knoten oder Einrisse ent-
!itehen, welche in Ulcera übergehen.
Hier handelt es sich a):^o nicht, wie
Hm häutigsten, um priraire Ge-
schwüre mit secundärer Elephan-
tiasis, gondem um primäre Ele-
phantiasis mit secnndären Geschwö-
i-en. Diese Form ist es namentlich,
l«i der die Möglichkeit eioer Unter-
scheidung von den Aassatzformen
überaus schwer wird, und wo ge-
wiss sehr häutig selbst in Aussatz-
litndern Verwechselungen in der
Diagnose vorkommen. Wie ich
glaube, muss das wesentlichste
Kriterium darin gesucht werden.
tlass die Elephantiasis (Arabuo)
L'in mehr localer Process zu sein
l^rtegt, der gewöhnlich nur einen
oder einige bestimmte Tfaeile be-
tällt, w&hrend der Aussatz, wenn
r zu einer einigermaassen vollstin-
iigen AusbUdung kommt, stets als
'ine Constitutionskrankeit mit viel-
fachen Emptionsstellen eracbeint
Fi);. M. Elephantiasis <tuni ulcerosa pedie. Ampntirt bei einen 17jlh-
ligen. in »dner fcanien Rolwickeliing sehr lurackgebliebenen Hensrhen tob
<lcm (lesundbrunnen bei ttcrlin, der sfit seinem 3. Lebensjahre an niancber-
lei Knoehen- und Gele nkenliQn düngen (Ana n. a. w.^ gelitten hatte. Ein
Geschwür an der vorderen Fliehe des unteren Theila des CDtererhenkeli,
«elrhes lingere Zeit bestanden hatte, war 4 Jahre Tor der Ampotalion ge-
heilt. Bin halbes Jahr spUer VerstMchung des Fnugelealcw , aeitdea u-
Elephaotiadia nlceroä». 315
Diese Elephantiasis ulcerosa entsteht nicht immer auf
gleiche Art. Manchmal geben äussere Verletzungen oder auch
therapeutische Anlässe, z. B. die Anwendung von Blasenpflastern
auf die erkrankten Stellen die Gelegenheitsursache ab. Andere-
mal kommt sie mehr spontan zu Stande. Zuweilen bilden sich,
wie bei der Mauke der Pferde, Blasen, welche platzen, ihren In-
halt ergiessen und eine excoriirte Stelle hinterlassen, welche nach
und nach geschwürig wird. Anderemal entstehen an der sehr
harten und steifen Oberfläche in Folge der Bewegungen, nament-
hch an den Füssen, Sprünge (Rhagaden, Fissuren), aus welchen
zunächst Flüssigkeit aussickert, welche aber allmählich in eine
schlechte Suppuration gerathen. Anderemal endlich ist es eine
Elephantiasis tuberosa oder tuberculosa, bei welcher inmitten der
ausgedehnteren Erkrankung einzelne Knoten entstehen, erweichen
und endlich aufbrechen. Einen ausgezeichneten Fall dieser Art*)
habe ich erst in diesem Winter untersucht. Schneidet man die
Knoten an, so findet man in ihnen eine Wucherung der zelligen
Elemente; das Bindegewebe wandelt sich in Granulationsgewebe
um, und dieses schmilzt, indem es theils in fettige Metamorphose
theils in Eiter übergeht. Diese Geschwüre in den verdichteten
Theilen bestehen gewöhnlich sehr lange fort, erweisen sich als sehr
refractär gegen alle Behandlung, sondern eine dünne, wässerige
Masse ab und fressen nach und nach im Umfange und in die Tiefe
nebmende Anschwellung und Verdickung. Seit 2 Jahren vor der Operation
Aufbruch und Ulceration. Die Anschwellung beginnt eine Hand breit unter
dem Knie nnd nimmt von da abwärts schrittweise zu, um ihre grösste Aus-
bildoof am Fussrücken und an den Zehen zu iiuden. Letztere sind zu un-
förmlichen, höckerigen Körpern angewachsen, indem sich die geschwollenen
ond von unten platt gedrückten Wcichtheile neben den übrigens gesunden
Nigelo in Form dicker knotiger Wülste hervordrängen. Am grossen Zehen
liegt ein grosses Geschwür mit glattem, hartem Gruude und bis zu 4 u. 5 Li-
nien hoch aufsteigenden schwieligen Rändern. Ein grosses buchtiges Ge-
schwür mit etwas mehr unet>enero , aber gleichfalls speckigem Grunde und
noch viel starker aufgeworfenen und verhärteten Rändern bedeckt den gross-
ten Theil des Fussrückens. Am inneren Knöchel und an der äusseren Seite
des unteren Abschnittes des Unterschenkels liegt noch je ein altes, flaches,
harte« Geschwür mit zugeschärften und verheilenden Rändern. Schon von
der Mitte des Unterschenkels an verschwindet der Panniculus adiposus in
einer weissen, knorpclharten Schwiele, welche von der Haut bis zu den Kno-
chen reicht. Die Hautoberflächc ist im Allgemeinen hügelig, aber glatt;
nur am Fussrücken und um den äusseren Knöchel herum erheben sich aus
der difiTascD Geschwulst einzelne grössere, flachrundliche Knoten. Am obe-
ren Theil des Unterschenkels hat die Haut überall ein ungewöhnlich glattes,
wie Djurbenartiges Aussehen. (Präparat No. 148. vom Jahre 1861).
*) Pr¶t No. 42. vom Jahre 1862.
316 Dreizehnte Vorlesiing.
fort. Es sind wahre Ulcera rodentia (Esthiomenos). Das ist ein
anderer wesentlicher Unterscheidungspunkt von den eigentlichen
Aussatzgeschwüren, welche ziemlich leicht heilen und sehr bald
in Narbenbildung übergehen. Eine ganze Masse von Beispielen,
die als sporadischer Aussatz in den letzten Jahrhunderten be-
schrieben worden sind, gehört, glaube ich, in diese Kategorie der
ulcerösen Elephantiasis hinein. —
Die bisherige Darstellung bezog sich überwiegend auf die
harte, sklerotische Elephantiasis, wie sie hauptsächlich an den un-
teren Extremitäten, gewöhnlich von der Knöchelgegend und dem
Fussrücken heraufsteigend, vorkommt. Ihr zunächst st-eht die sehr
viel seltenere Elephantiasis der Oberextremität, welche zuweilen
gleichzeitig mit ihr vorkommt*), in der Regel aber für sich be-
steht und auch nur an einer Seite vorkommt. Verhältnissmässig
häufig erscheint sie in der tuberösen Form**), meist so, dass die
Hand mit den Fingern den Hauptsitz des Leidens darstellt.
Dem gegenüber haben wir jetzt noch die theils congenitaIeD,
theils erworbenen Formen der weichen Elephantiasis zu be-
trachten.
Was nun zunächst die congenitalen Formen angeht, so
kommen sie zuweilen in einer fast allgemeinen Ausbreitung über
den ganzen Körper vor. Dies ist namentlich bei acephalen und
aniden Missgeburten der Fall, wo die unvollkommene Circulation
vielleicht das prädisponirende Moment abgiebt***). Etwas Aehn-
liches findet sich auch bei anderen lebensunfthigen Neugebore-
nen t). Diejenigen Fällen von congenitaler Elephantiasis, welche in
das spätere Leben hineingetragen werden, sind stets partielle.
Ein ausgezeichnetes Präparat der Art von der ünterextremität be-
sitzt unsere Sammlung ff)* In fast allen derartigen Fällen ist eine
solche speckige, sehnige Härte, eine solche Sklerose des Gewebes,
wie sie bei den bisher besprochenen erworbenen Zuständen vor-
kommt, nicht vorhanden.
••'
*) Ray er. Traite des mal. de la peau. 1827. T. 11. p. 488.
^) H eV f e 1 d e r in den Nova Acta Acad. Caes. Leop. oat curios. Vol. XiX.
P. II. p. 345. Tab. LXII. G. Schonten. Diss. inaug. ezhibens obeerTatio-
nein de Elephantiasi. Traj. ad Rhen. 1841. L' Herminier I. c. Ray er et
Davaine 1. c
***) Vgl. den von mir beobachteten Fall allgemeiner LjmphgeftMerwei-
teruDg nach Thrombose der Vena jugularis beim Kalb. Archiv. VII. S. 130.
t) Präparat No. 51. rom Jahre 18tö, Oberaendet toh Dr. KOss to Rogaaes.
tt) Pr¶t No. 142. vom Jahre 1860.
Elephantiasis mollis. 317
Es erklärt sich dies vielleicht daraus, dass der Hauptsitz der
Veränderung im Unterhautgewebe zu sein pflegt. Je nachdem
der krankhafte Vorgang früher oder später während des Intrau-
terinlebens beginnt, ist auch das Resultat ein etwas verschiedenes.
Beginnt er später, zu einer Zeit, wo schon das Fett im ünter-
hautgewebe ausgebildet ist, so hat die ganze Erscheinung mehr
den Habitus einer Polysarcie. Tritt er dagegen sehr früh ein, wo
noch Schleimgewebe unter der Haut liegt, so bleibt auch später
ein mehr lockeres, weiches, zuweilen gallertartiges, ödematöses
Gewebe fortbestehen, welches die Hauptmasse der Anschwellung
darstellt. In ihm findet sich in der Regel eine Reihe von ande-
ren Eigenthümlichkeiten , die in dem Maasse nicht bei der er-
worbenen Elephantiasis vorkommen. Es sind namentlich hyper-
plastische Entwickelungen der in das Bindegewebe einge-
lagerten Theile, und zwar insbesondere der Gefässe, häufig auch
der Nerven, ja zuweilen auch der Muskeln und Knochen.
Was die Gefässe angeht, so unterscheiden sich wieder die
einzelnen Fälle darin, dass manchmal die Blutgefässe, und ins-
besondere die Venen eine colossale Ausbildung zeigen, anderemal,
jedoch viel seltener, die Lymphgefasse. Die Formen, unter wel-
chen sie sich vergrössern, sind in beiden Fällen dieselben; die
Vergrösserung findet sowohl der Länge wie der Dicke nach statt,
und daher bilden die erweiterten Blutgefässe ein dichtes, variköses
Netz, in welchem die einzelnen Gefässe gewöhnlich rosenkranz-
fftrmig erweitert sind und eine Grösse erreichen, dass die ganze
Substanz wie cavernös erscheint: Elephantiasis telangiec-
todes. Diese Formen vergrössern sich auch nach der Geburt,
80 dass sie nach und nach stärker hervortreten und dadurch
die Veranlassung zu operativen Eingriffen werden. Man findet
ein ausserordentlich schönes Beispiel davon in der mit vortreff-
lichen Abbildungen ausgestatteten Abhandlung des Prof. Heck er
in Freiburg*). Von der lymphatischen Form, welche ganz ähn-
liche Zustände an den Lymphgefässen darbietet, ist der bekann-
teste Fall die sogenannte Makroglossie, auf welche ich bei den
Angiomen zurückkommen werde.
Nächstdem kommt es nicht selten vor, dass man cystische
Bildungen in den congenitalen Elephantiasisknoten antrifft.
*) Hecker a. a. 0. Taf. I.
318 Dreizehnte Vorlesung.
Man kann sie nicht mit Deutlichkeit verfolgen in L3rmpligefisse :
sie erscheinen wie abgeschlossene Säcke, die mit einer klaren,
meist gerinnbaren Flüssigkeit gefüllt sind. Es ist allerdings nicht
unwahrscheinlich, dass sie aus Lyinphgefassen hervorgelien; ja es
ist wohl möglich, dass sie in manchen Fällen noch durch feine
Oeffnungen mit Lymphgefassen communiciren, was schwer nach-
zuweisen ist; jedenfalls machen sie den Eindruck, als ob es ab-
geschlossene Lymphräume wären. —
An diese congenitalen Formen schliessen sieh die circum-
scripten, weichen elephantiastischen Bildungen an, welche mehr
den Geschwulstcharnkter im engeren Sinne des Wortes darbieten.
Unter ihnen sind die verhältnissmässig häufigsten diejenigen,
welche sich an den äusseren Genitalien entwickeln.
Bei uns sind dieselben beim Manne sehr selten und dann
oft nicht ganz rein. So besitzt unsere Sammlung ein Präparat
vom Scrotum*), welches über einem alten Scrotalbruch sich ent-
wickelt liat und mehr der harten Form angehört. Anders verhält
es sich in tropischen Gegenden, wo die Elephantiasis scroti der
Frequenz nach unmittelbar hinter dem Elephantenbein kommt
Früher hat man sie datier häufig als endemische Hydrocele^*)
beschrieben, was zu eben so vielen Verwechselungen Veranlas-
sung giebt, wie die Bezeichnung von ProsperAlpinus ***) und
Larrey t)? welche sie eine Ilernia carnosa oder Sarc^cele
nannten. Allerdings handelt es sich auch hier um eine An-
schwellung, welche unter rosenartigen Zufällen mit einem harten
Oedom beginnt, und die wassersüchtige Infiltration erhält sich
noi'h lange Zeit, nachdem schon die Bindegewebs -Wucherung
einen höheren Grad erreicht hat. Wesentlich sitzt auch hier die
Affection in dem 'Unterhautgewebe, und die Haut selbst pflegt
nur in geringerem Maasse betheiligt zu sein. Warzige und kno-
tige Erhebungen sind nicht ungewöhnlich ff), aber sie bilden mehr
eine Ausstattung der in der Tiefe bestehenden Anschwellung. Das
♦) Präparat No. 473.
♦*) Kämpfer I. c.
•••) Pros per Alpinus I. c. p. 2«5.
t) D. J. Larrey. Meinoires de Chirurgie militaire et campagnes Paris.
Iftl2. T. II. p. 88. 110.
. tt) G. Wiedel. Drei B<H>barhtuiigen Qber Klephantiasis scroti mit Er-
9««muQg Ivrophatischer FIQäsigkeit. Inaug. Diss. WOrzburg. 1837. Abbildoog.
Jl-J- Redlich. De Elephantia^ii äcroti, addita morbi hiätorii. Dias, inaag.
»*roL 1838. Tab. 1. et 111 Ueyfelder l.c, Tab. LXllL Prftnkel 1. c p.«7.
Elephantiasis scroti et penis. 319
ünterhautgewebe des Hodensackes enthält bekanntlich im nor-
malen Zustande fast kein Fett; es ist ein an sich lockeres,
saftreiches, maschiges Bindegewebe, und die elephantiastische
Vergrösserung desselben gelangt daher in der Regel nicht zu
jenen harten, fast faserknorpeligen Härtegraden, wie sie das ge-
wöhnliche Unterhautfettgewebe der Extremitäten darbietet. Dafür
ist aber auch die Anschwellung um so stärker. Gewöhnlich um-
fasst sie das ganze Scrotum und erzeugt daran eine solche Ver-
grösserung, dass es in manchen Fällen, zumal unter endemischen
Verhältnissen, als ein enormer Körper zwischen den Beinen bis
zu den Knien, ja manchmal noch weiter herabhängt. Man hat
solche von 100 (Clot-Bey), ja bis 165 (Titley) Pfund Schwere
beobachtet. In Aegypten, wo nun schon seit längerer Zeit
die europäische Chirurgie ihre Siege feiert, ist das eine ziemlich
häutige Sache, und die Exstirpation solcher Geschwulste gehört
dort zu den gewöhnlicheren Erscheinungen. Die angegebene
Schwere dieser Hassen wird (ur die Kranken eine Ursache grosser
Unbequemlichkeiten. Je tiefer das Scrotum hinabsinkt, um so
mehr zieht es die Haut des Penis mit sich; der Penis selbst
kriecht gleichsam in die Geschwulst hinein, und nur eine exco-
riirte Rinne zeigt noch den Weg, den der Harn nach seinem
Austritt aus dem Oriticium cutaneum urethrae durch die Geschwulst
hindurch zu nehmen hat*).
Zuweilen setzt sich die Elephantiasis auf den Penis selbst
fort, und verwandelt ihn in einen unförmlichen, gewundenen
Körper**), der über das geschwollene Scrotum gelagert ist.
Anderemal ist der Penis unabhängig der Sitz der Erkrankung.
Am häufigsten wird die Vorhaut ergriffen, welche bei einer
gewissen Enge so vielen Reizungen ausgesetzt ist. In dem ein-
zigen Fall, den ich davon untersucht habe, war das Gewebe ver-
hältnissmässig derb und von einer Weisse, welche durch die
schwärzliche Färbung des Rete noch mehr gehoben wurde. Das
Mikroskop zeigte in dem Gewebe eine ganz unglaublich grosse
•) Larrey 1. c. PI. IX. Pruner a. a 0. S. 327. Fig. IV. Clot-Bey
in Alibert's Vorlesangen über die Krankheiten der Haut Aus dem Franz.
Upsig. 1837. Th. IL S. 210.
••) Ketwig bei Alard L c. p. 208. PI. IL fig. 3. Heyfelder 1. c.
U.349. Tab. LXIIL Pruner a. a. 0. Fränkel I. c. p. 27. A. Krämer,
lieber CoDdylome und Warzen. Göttingen. 1847. S. 60. Taf. IL Fig. 6.
320 Dreizehnte VorleaDDg.
Zahl elastiBcher Fasero, mehr als ich jemals in einer Geacbwnlst
gesehen habe. Es entspricht diess einer längeren Dauer and
einer gewissen Consolidation des Gewächses, welches als solches
sich dauernd erhält.
Bei dem weiblichen Geschlecht waren ähnliche Geschwülste
der äusseren Genitalien früher kaum bekannt, was wohl nur von
dem Mangel unmittelbarer Untersuchungen abhängig war. In der
neueren Zeit hat sich die Zahl der Beobachtungen schnell ge-
mehrt*), und ich 'selbst habe ziemlich oft Gelegenheit gehabt.
derartige Geschw&lste zu untersuchen. Am häufigsten sind es die
Labia uiajora**), welche in ganz ähnlicher Weise anschwellen,
Fig. 66. Elepbaiitii&ia veTnicoui tuberös* Ubii mi^orU. Bin« Kindt-
kopfgro8se im Ganien ruadliclie Geärbwuiat, welche mit einor schmkleB
Bisis ftufsMa. Ihre Oberfläche i^t in grübere nnd reinere Lappen «inf;ethei)t
und jeder L«ppej «kder mit warzi};en Erhebangen iMsetit, loa denen ein-
lelne fiani fein und »rt, andere dick und kotbig aind. Der Gpidermis-
Qberiug ist überall von m&>sjger Stärke; der innere Theil der Geachwul»!
aaa lieraliih derbem, filiigem, ödeniatjigem Bindegewebe gebildet (Pripanl
No. ÜTI. Von nrn. jQngben 1851 exatirpirt).
*) Kiwiscb. Klinische Vorträge aber sp«c. Path. n. Tber^iie der Krank-
heilen dea weibiicbeü GeschlechU. Prag. 1863. Tb. 11. S. 499. Priakel
I. c. p. 30. Fig. 3. et 3. C. A. Martin. Gai. hebdom. da mM. et de cbir.
1861. T. VIII. No. 17. p. 26i. No. 19. p. 293.
••) Larrey I. c p. 127. PL X.
Elephantiasis labiornm et mammae. 321
wie das Scrotam beim Manne. Nächstdem das Praeputium clito-
ridis and die ganze Clitoris, von welcher Dal ton angiebt eine
6 üozen schwere Geschwulst entfernt zu haben. Auch die innere
BeschaiFenheit dieser Formen stimmt mit den skrotalen überein;
es ist ein sehr reichliches, von Flüssigkeit durchtränktes, massig
gefässreiches Bindegewebe, welches sich in immer grösserer Anhäu-
fung unter der Haut entwickelt. Diese selbst bleibt zuweilen ganz
glatt, und auch der epidermoidale Ueberzug zeigt keine andere
Veränderung, als eine dunklere, bronzefarbene Pigmentirung*).
Anderemal dagegen nimmt die Haut selbst einen reichlicheren
Antheil; ihre Oberfläche erhebt sich in einzelne Höcker, diese
besetzen sich wiederum mit vergrösserten Papillen, und die
äussere Erscheinung gewinnt mehr und mehr eine oft täuschende
Aehnlichkeit mit spitzen Condylomen (Fig. 56). Diese Aehnlichkeit
erhöht sich noch dadurch, dass die Geschwulst sehr häufig nur par-
tiell hervorwächst, und dass die Basis, mit welcher sie aufsitzt, sich
mehr und mehr verdünnt und am Ende sogar stielförmig wird. Statt
der gewöhnlichen, diifusen, kaum in der Gestalt eines Tumors
auftretenden Elephantiasis findet sich hier ein scheinbar ganz
umgrenztes Gewächs, welches im höchsten Maasse allen Erfor-
dernissen eines Tumors entspricht**). Manchmal verlängert und
verdünnt sich der Stiel so sehr, dass ein förmlicher Polyp von der
Nymphe herabhängt***). Dieser Umstand erhöht das allgemeine
Interesse dieser Form in hohem Maasse. Wir sehen hier, wie ein
diffuser Reizungsvorgang in immer engere Grenzen eingeengt und
sein Erzeugniss mehr und mehr den „parasitischen^ Gewächsen
ähnlich wird. Wir gewinnen damit einen Uebergang zu anderen
Formen der Elephantiasis, welche meist ihre richtige Stellung
nicht gefunden haben, weil man sie zu sehr isolirt betrachtete.
Es ist endlich zu erwähnen, dass auch an der weiblichen
Brust ähnliche elephantiastische Zustände existiren. Sie sind
gewöhnlich mit einer Reihe anderer Geschwülste unter dem Namen
der Hypertrophia mammae abgehandelt worden f), und es ist
*) Präinnit No.672. (Krieger. Caspers Wocbenschr. 1851. No. 22.).
**) Vgl. die Abbildung von Martin. Gaz. hebd. 1861. p. 293.
•••) Präparat No. 197. vom Jahre 1860.
t) Alard I. c. p. 242. A. Gooper. Krankheiten der Brost. Aus dem
Engl Weimar. 1836. S. 29. Velpeau. Trait^ des maladies du sein. 1854.
p. 232. Veit in meinem Handb. der spec. Path. n. Tber. Bd. VI. Abth. IL
S. 874.
Yireiiow, GwebvQlate. 1. 21
322 Dreisehnte YorieBaiig.
iu der That sehr schwer, ihre Grenzen genau zu ziehen. Zunächst
ist zu bemerken, dass es sich bei ihnen nicht um die Haut und
das Unterhautgewebe, sondern um das interstitielle Bindegewebe
der Drüse selbst bandelt. Damit entfernt sich diese Form von
der gewöhnlichen Elephantiasis, welche wesentlich der Oberfläche
angehört, und es wird ein weiterer Uebergang gewonnen zu ana-
logen Erkrankungen innerer Organe, welche man kurzweg als
chronische Entzündungen zu bezeichnen pflegt, z. B. zu den ent-
zündlichen Hyperplasien der Eierstöcke, die ebenso gut Elephan-
tiasis heissen können. Aber ein gewisser Unterschied liegt darin,
dass auch hier das neugebildete, gewöhnlich milchweisse Binde-
gewebe sehr saftreich und verhältnissmässig weich ist. Allerdings
kommen auch an der Brust Formen vor, welche der harten Ele-
phantiasis verwandt sind, wie wir noch später sehen werden,
aber diese bringen in der Regel keine so beträchtlichen Vergrösse-
rungen mit sich, wie der in Rede stehende Vorgang. Denn hier
sind Fälle bekannt, wo das Gewicht der Brfiste bis zu 60 Pfund
betrug, und wo sie über den Unterleib bis zu den Knieen herab-
reichten.
Manche haben versucht, feinere Unterschiede zwischen den
verschiedenen Formen zu machen, und namentlich Birkett*)
hat sehr sorgfältig zwischen wahrer und falscher Hypertrophie
unterschieden. Bei jener sollte das Drüsengewebe (die mit Epithel
gefüllten Kanäle) mit vergrössert sein, bei dieser nur das inter-
stitielle und umgebende Gewebe leiden. Allein es finden sieb
hier ähnliche Differenzen, wie an der Oberfläche in Beziehung auf
das Rete Malpighii und die Epidermis: die interstitielle Eteizang
verbindet sich sehr oft mit epithelialer, und die falsche oder un-
vollständige Hyperplasie geht unmerklich in die wahre oder voll-
ständige über. Die ersten Anfänge davon sieht man bei chloro-
tischen Mädchen nicht ganz selten; die höheren Grade finden sich
sowohl neben endemischer Elephantiasis, als auch sporadisch,
jedoch überwiegend bei jüngeren Personen. —
Fast alle genannten Zustände der Generationsorgane unter-
scheiden sicli also von der gewöhnlichen Elephantiasis der Extre-
mitäten, namentlich der unteren, in der Regel dadurch, dass daü
consiituirende Gewebe eine weichere Beschaffenheit besitzt. Zu-
*) Hirktftt. Dideadet of tbe brezdt. 1850. p. 106, 119, 146.
Elephantiasis lymphorrhagica. 323
weilen verharrt dasselbe fast ganz in dem gallertartigen Zustande,
in dem Zustande des Erysipelas gelatinosum, und es kommt vor,
dass die Geschwülste schon äusserlich ein mehr durchscheinendes
Aassehen zeigen. Diese Form hat man in der neueren Zeit
vielfach Collonema genannt, — ein Name, der zuerst von
Joh. Müller*), aber freilich für eine ganz andere Gruppe
Yon Geschwülsten, nehmlich für einen Theil der von mir als
Myxome bezeichneten, aufgestellt worden ist. Andere meinen da-
mit eine Bindegewebsgeschwulst, welche sich dadurch auszeichnet,
dass das Bindegewebe voll von albuminöser Flüssigkeit steckt,
dass also die Masse, wenn man sie anschneidet, einen reichlichen
Saft austreten lässt, der, wenn man drückt, sich vollständig ent-
leert; sie verhält sich also nahezu wie einfach ödematöses
Gewebe. Nicht selten kopamt es dabei vor, dass einzelne grös-
sere Maschenräume des lockeren Bindegewebes, wie Cysten, in
der gallertig aussehenden Masse hervortreten und beim An-
schneiden grössere Mengen von Flüssigkeit entleeren**).
Vielleicht hängt dieser Zustand mit der Störung der Lymph-
circnlation zusammen. Denn gerade an derartigen weicheren
Elephantiasisformen ist eine besondere Eigenthümlichkeit mehr-
fach beobachtet worden, welche mit der Lymphrelention in Zu-
sammenhang steht, nehmlich ein anhaltender Ausfluss lymphati-
scher, zuweilen chylöser Säfte. Gewöhnlich erheben sich über
der Oberfläche zunächst Blasen, welche bersten und eine excoriirte
Fläche zurücklassen, von der manchmal ganz unglaubliche Mengen
von Flüssigkeit hervorquellen. In einem Falle***) wurden in einer
Nacht 70 Unzen Flüssigkeit gesammelt. Dabei zeigt der ausge-
tretene Saft zuweilen eine milchige Farbe, und Löwig fand darin
alle wesentlichen Bestandtheile der Milch, nehmlich Butter, Käse
und Milchzucker t). Die meisten Fälle dieser Art, welche von
Fuchs tt) unter dem Namen der Pachydermia lactiflua zu-
sammengefasst sind, betreifen die Elephantiasis des Scrotums.
Indess hat man meist übersehen, dass Cannobio fff) auch in der
•) Malier. Archiv f. Anat, Phys. u. wiss. Medicin. 1836. S. CCXIX.
**) Gesammelte Abhandlungen. S. 463.
•••) Wiedel a. a. 0. S. 10.
t) F. Koller.Diss.iiiaug.de lactisescroto secretione anomala. Turici.1833.
tt) Fachs. Die krankhaften Veränderungen der Haut. S. 707.
ttt) Jonra. de Ghimie et de Pbarmacie. 3 s^r. T. VIII. p. 123. Chemisches
Ceatialblatt. 1846. Na 6.
21 •
324 Dreizehnte Vorlesnog.
Flüssigkeit aus dem Oberschenkel einer säugenden, an vernach-
lässigter Phlegmatia alba dolens leidenden Frau Butter, Lactin,
Casein nachgewiesen hat, und dass Pohl und Höfer*) in den
erweiterten Lymphgefassen eines elephantiastischen Beines selbst
eine milchige Flüssigkeit fanden. Mehrere neue Beobachtungen
von Carter**) beweisen übrigens den Zusammenhang dieser Form
mit Chylurie.
Diese Fälle schliessen sich sehr genau an eine gewisse Reihe
von Beobachtungen***) über Lymphorrhoe an, wobei entweder gar
keine Anschwellung der Haut stattfand oder doch nur kleinere
Geschwülste vorhanden waren, wobei aber die chemische Unter-
suchung neben den Albuminaten gleichfalls Fett und Zucker als
regelmässige Bestandtheile nachwies. Seitdem man weiss, dass
Zucker zu den gewöhnlichen Vorkommnissen in der Lymphe ge-
hört, haben diese Fälle viel von ihrem Auffallenden verloren; sie
sind aber besonders werthvoll, weil sie die lymphatische Natur
der elephantiastischen Flüssigkeit noch genauer darthun.
Bei der harten Elephantiasis sind die Sfifte, welche in den
Theilen enthalten sind und sich zuweilen auch an der Oberfläche,
namentlich wenn Geschwüre vorhanden sind, entleeren, noch nicht
in gleicher Weise untersucht. Die oberflächlichen Absonderungen,
die meist sehr spärlich sind, zersetzen sich sehr schnell und ver-
lieren ihre besonderen Qualitäten. Unter diesen Verhältnissen
scheinen zuweilen parasitische Entwickelungen in den Geschwüren
vor sich zu gehen. Wenigstens haben wir in der letzten Zeit aus
Ostindien eine gewisse Zahl von Beobachtungen über den soge-
nannten Madura-Fuss f ) mitgetheilt erhalten , bei denen pflanz-
liche Parasiten in grosser Zahl in den Geschwuren gefunden
wurden. Mir scheint die ganze AiFektion zu der Elephantiasis
ulcerosa zu gehören und die Pilzbildung nur secundär zu sein.
Die chemische Natur der Flüssigkeit muss ihre Entwicklung ja
im höchsten Maasse begünstigen. —
Es bleibt mir jetzt noch übrig, eine gewisse Gruppe von
Fällen zu besprechen, welche ich kein Bedenken trage, der Ele-
♦) Höfer 1. c. p. 37.
♦*) Carter. Med. chir. Transact. 1862. Vol. XLV. p. 189. PI. Ilf.
***) Vgl. die Zusammenstellung von Lebert in meiDem Handbuch der
spec. Path. u. Ther. Bd. V. Abth. II. S. 134.
t) Vgl. die Zusammenstellung von A. Hirsch in meinem Archiv. 1863.
Bd. XXV U. S.98. Carter. Brit and for. med. chir. Review. 186S. J«lj. p.1«.
Molluscum. 325
phantiasis Arabum anzureihen, obwohl sie von den erfahrensten
Beobachtern bald in diese, bald in jene Kategorie herüberge-
zogen sind. Ich rechne dahin zunächst eine Reihe von Er-
krankungen, welche selbst von solchen Beobachtern, die in
Aussatzgegenden gelebt haben, zu der Elephantiasis Graecorum
(Lepra Arabum) gezählt worden sind*). Ferner zähle ich da-
hin den schon früher (S. 222) erwähnten Fall von Tilesius**),
welcher von vielen neueren Autoren als Molluscum contagiosum
gedeutet wird. Endlich ist unzweifelhaft eine gewisse Zahl von
Fällen des Steatoms, der Speckgeschwulst***) dieser Gruppe
beizufügen.
Die hier in Betracht kommenden Fälle haben das Eigen-
thümliche, dass in der Regel eine viel grössere Körperregion, zu-
weilen sogar der ganze Körper befallen wird dass femer die
entstehenden Geschwülste vielfach, ja häufig so vielfach sind,
dass daraus das Vorurtheil einer besonderen Dyskrasie hervorgeht,
und endlich dass sie ganz überwiegend häufig am Rumpf und Ge-
sicht vorkommen, also an Stellen, wo die gewöhnliche Elephan-
tiasis sehr selten ist. Dabei gehören sie fast ohne Ausnahme der
weichen Art an, bestehen überwiegend aus einer fortschreitenden
Hyperplasie des ünterhautgewebes, erreichen eine colossale Grösse,
bis zu 40 Pfund und darüber, und sind an ihrer Oberfläche meist
glatt, zuweilen aber auch mit zahlreichen Secundärknoten besetzt.
Sie haben daher die grösste Aehnlichkeit mit den elephantias ti-
schen Scrotalgeschwülsten.
Ein ausgezeichneter Fall dieser Artf) gab mir Gelegenheit,
die Einzelnheiten genau zu verfolgen. Eine 47jährige Frau trug
auf ihrem ganzen Körper zerstreut eine grosse Masse kleinerer
und grösserer Gewächse, welche sich seit Jahren langsam ent-
wickelt hatten. Viele von ihnen waren ganz klein, erbsen- bis
kirschkemgross, rund und von glatter Haut bedeckt; andere waren
grösser, wallnussgross und darüber, übrigens von gleicher Be-
*) Hey mann. Ein Fall von Lepra tuberculosa s. nodosa. Mein Archiv.
1859. Bd. XVI. S. 176. Taf VII.
*^) (Tilesins) Historia pathologica singularis cutis turpitudinis. Praef.
Chr. Frid. Ludwig. Lips. 1793. p. 10.
***) J. P. Weidmann. Annotatio de steatomatibus. Maguntiaci. 1817.
Tab. f., III. et IV. Cerutti. Pathologisch -anatomisches Museam. Leipzig.
1823. Jahrg. I. Heft 4. S. 33. Taf. XX.— XXIII.
t) Vgl das Titelkupfer dieses Bandes.
326 Dreizelmte VorlesoDg.
BchaflTeDheit. Das grOsHte sass links in der nnteren Rippengegend
mit breiter Basis auf; es hatte 48 Zoll im Ümfadfc und erstreckte
sich von der Linea alba bis etwa 2 Zoll vom Rückgraht. Es hing
von da tief nach unten über die Höfte herab. An seiner Ober-
fläche nn'l in seinem Umfange trug es mehrere kleine SecundSr-
knoten: im Ganzen war die es bedeckende Haut aber glatt und
verh&ttnjssmässig dünn. Dabei fühlte e;^ sich weich, fast flnktn-
irend an. Nachdem es (von Herrn Kreisphysikus Dr. Heyland
in Guben) exstirpirt war, wog es 3'1\ Pfund. Neun Jahre früher
war es Kindskopfgross gewesen.
Die Untersuchung ergab auch hier wieder ein sehr saftreiches,
im Allgemeinen nur wenig gefössreiches , lockeres Bindegewebe,
welches hauptsächlich die Region des alten Pannicnlus adiposas
einnahm. Aus ihm Hess sich eine grosse Menge gelblicher, eiweiss-
reicher Flüssigkeit mit Leich-
^*'- ■" tigkeit ausdrficken. Das Ge-
webe selbst seigte schon för
das blosse Auge eine gewisse
Ungleichmässigkeit. Derbere,
weissliche Züge, in welchen
etwas grössere Gefasse verlie-
fen , umschrieben gr<}sspre
Räume (Areolen), welche ih-
rerseits wieder von einem fein-
maschigen Fasemetz dnrchto-
gen waren und, von demselben umschlossen, den ausdrflckbaren Saft
enthielten Bei einer schwachen Vei^rßsserung zeigte sich diese An-
ordnung überaus deutlich (Fig 57.). Die feineren Fasemetze gingen
mit breiteren Ansätzen aus den dichteren und breiteren Faserzügen
der Umgebung hervor, und es entstand so eine Art von lappiger
Anordnung, welche auf die Entstehung dieser Maschen ans den
früheren Fettlappen hinwies. Bei stärkerer Vei^rösserang fand sirh
nur Bindegewebe mit beträchtlich gewachsenen Kfirperehen vor.
Fig, 51. Fibroma moltusuiim. Von dem auf dem Titelkupfer ab-
gebildeten Falle-, ein bei ^Ofacher VeTgrCssernog eezeichnfter DarcbscbDitt
aus der iDoereo Suträlaoz der grossen, h So gea den Geschwulst. a,a grOsserc
Balken mit GeHseen; dazwischen dae naschige Fisemeti von bald dkhterffl
und breiteren, bald feineren und weiteren Balken. (Prlparat No. 33. tob
Jahre 1862).
Fibroma moUascam. 327
Die kleineren Knoten der Oberfläche ergaben sich bei Ein-
schnitten als ganz unabhängige, mit den grossen Gewächsen in
gar keinem Zusammenhange stehende Gebilde. Sie lagen theils
in der Tiefe, zum grossen Theil aber ganz oberflächlich in der
Cutis selbst. Manche gingen oflenbar „. ^^
von der äussersten Schicht der Cutis aus,
denn sie berührten beinahe das übrigens
unveränderte Rete Malpighii, während
sie von dem ünterhautfettgewebe noch _
durch ^ine gewisse Derma-Lage getrennt ^ ' "^"
waren (Fig. 58). Sie hatten frisch ein blassgelbröthliches, wei-
ches und feuchtes Ansehen; das Mikroskop zeigte darin ein zellen-
reiches, in voller Wucherung begriffenes Granulationsgewebe.
Vergleicht man diese Bildung mit der Elephantiasis der Ge-
nitalien, so leuchtet die Analogie ein, nur stimmt der in der
Regel ganz fieber- und entzündungsfreie Verlauf nicht. Denn die
Entwickelung erfolgt meist ganz langsam und unmerklich. Trotz-
dem lässt sich eine Grenze nicht ziehen, da auch die Elephan-
tiasis vulvae nicht selten in ähnlicher Weise verläuft. Nichts-
destoweniger habe ich nichts dagegen einzuwenden, wenn man
diese Form abtrennen will; der passende Name würde dann
Fibroma moUuscum sein.
Zu dieser Varietät gehört eine der interessantesten und mit
am meisten discutirten Erscheinungen, nehmlich die schon von
Galenus undAretaeus erwähnte Leontiasis. Ich will damit
nicht sagen, dass es nicht auch eine Aussatzform gebe, welche
in der Erscheinung der Leontiasis auftreten könne; im Gegen-
theil, ich habe sie in Norwegen oft genug gesehen. Aber gerade
die grösste Difibrmität, und zwar in der Regel ohne Ulceration,
gehört dem Fibroma molluscum oder der Elephantiasis moUusca
an. Mit Recht hat Alard*) daher die natürliche Zusammen-
gehörigkeit wieder hergestellt. Pruner**) schildert einen sol-
chen Fall aus Aegypten, und die Präparate von einem anderen
Fig. 58. Fibroma molluscum. Zwei accessorische Hautknoteo, io-
mitten der Cutis entwickelt. Natftrliche Grösse. Von demselben Fall
vie Flg. 67.
•) AUrd 1. c p. 242. PL 1.
♦♦) Pruoer a. a. 0. S. 333. Fig. III.
328 Dreizehnte Yorlesong.
finden sich in der Würzburger Sammlung *); Kjernlf hat sie
neuerlich untersucht und beschrieben**). Hier bestand neben
zahlreichen kleineren Knoten ein speckiger Answochs der Wange
von solcher Grösse, dass er durch seinen Druck die eine ünter-
kieferhälfte ganz atrophirt hatte. —
Bevor wir aber die warzigen und knotigen Fibromfonnen,
zu welchen diese Mollusken einen natürlichen Uebergang bilden,
weiter verfolgen, wird es gerathen sein, noch einige mehr difiuse
Formen zu besprechen, welche der Elephantiasis näher stehen.
Unter den davon befallenen äusseren Organen ist fär chirurgische
Zwecke keines so wichtig, wie die weibliche Brust Es giebt
ein Fibroma mammae diffusum, oder, man kann auch wohl
sagen, eine Elephantiasis mammae dura, oder, endlich, wie
die älteren Chirurgen sagten, eine Induratio benigna, Reiche
in dem interstitiellen Gewebe der Brust sich entwickelt, und
welche sich von der Elephantiasis mollusca dadurch unterscheidet,
dass sie ein derbes, zur Retraction geneigtes und die Drüsen-
structur mehr und mehr vernichtendes Gebilde darstellt In der
Regel beginnt der Process unter entzündlichen Erscheinungen,
namentlich unter einer schmerzhaften Anschwellung. Dieselbe
kann sehr lange Zeit fortbestehen, und dabei Perioden der Recni-
descenz und der Ruhe haben, bis allmählich eine immer derbere
und dickere Masse entsteht. Im Grunde ist das derselbe Process,
den wir in den Lungen, in der Leber, in den Nieren unter dem
Namen der interstitiellen Entzündung kennen; aber wenn die Brust
davon befallen wird und ein harter Knoten sich ausbildet, so macht
das den Eindruck eines selbständigen Tumors. Nicht wenige
Knoten der Art werden als scirrhöse betrachtet und mit grossem
Glück exstirpirt, so dass man allerdings, wie Rust***) sehr richtig
bemerkt hat, aus dem Resultat sehr oft schliessen kann, dass das
Exstirpirte kein Krebs, sondern eine gutartige Verhärtung war.
Man muss indess bedenken, dass die anhaltende Schmerzhaftigkeit,
^) A. K. Hcsselbach. Beschreibung der pathologischen Pripante,
welche in der KOnigl. anatomischen Anstalt zu WQrzburg aufbewahrt wer-
den. Giessen. 1824. S. 4, 309, 405.
♦♦) Kjerulf. Mein Archiv. V. S. 25.
**^) J. N. Rust Aufsätze und Abhandlungen ans dem Gebiete der Ne-
dicin, Chirurgie und Staatsarzneikunde. Berlin. 1886. Bd. IL S. 447. vgl
Bd. 1. S. 281.
Fibroma mammae. 329
welche durch kein äusseres Mittel zu besänftigen ist, die Indi-
viduen ängstlich und es in der That für sie äusserst wünschens-
wertb macht, die Exstirpation vorgenommen zu sehen.
Manchmal schrumpft dieses Gewebe, wenn es eine gewisse
Zeit lang bestanden hat, in einer ähnlichen Weise zusammen,
verdichtet und retrahirt sich, wie das bei inneren Organen der
Fall ist. Wie man den zuerst auf die Leber angewendeten Aus-
druck der Girrhose später auf andere Organe übertragen hat,
z. B. auf die Lungen, so hat Wem her*) diesen Namen auch
für die Mamma vorgeschlagen. Ich halte denselben nicht für
glücklich gewählt, weil Girrhosis einen gelben Zustand (Status
flavus) bedeutet, wovon hier gar nicht die Rede sein kann; so-
dann weil auch der granuläre Zustand, den wir in neuerer
Zeit an der Leber mit diesem Namen bezeichnen, in der
Brust gewöhnlich nicht vorhanden ist, indem entweder die ganze
Brust einen einzigen grossen Knoten bildet, oder einzelne Theile in
besondere, meist kugelige Knoten umgewandelt werden. Ich be-
merke übrigens, dass diese Form insofern noch ein besonderes
Interesse hat, als es manchmal kaum möglich ist, zu entscheiden,
ob das, was man vor sich hat, ein ursprüngliches Fibrom oder
ein rückgängiger Krebs, ein Garcinoma regressivum ist, bei
welchem solche Verdichtungen ebenfalls vorkommen**). Gru-
veilhier***), welcher die Möglichkeit einer Verwechselung voll-
kommen anerkennt, glaubt doch, dass durch das Ausdrücken von
Krebssaft sich jedesmal die anatomische Diagnose leicht herstellen
lasse. Ich kann dies nicht anerkennen. Auch bei den blossen
Fibromen lässt sich zuweilen ein zelliger Saft ausdrücken, indem
die noch vorhandenen, manchmal sogar hyperplastischen Drüsen-
säckchen ihr Epithel und etwas flüssigen Inhalt über die Schnitt-
fläche ergiessen. Selbst die mikroskopische Untersuchung dieses
Saftes genügt nicht immer, da auch die Krebszellen einen ganz
epithelialen Bau haben können; nur die' Verfolgung der Drüsen-
eackchen im Zusammenhange mit den Milchgängen oder der Nach-
weis abgeschlossener Areolen mit zelligem Inhalt entscheiden. In-
dess kann ich hinzufügen, dass bei dem atrophischen Krebs in
•) Zeitschrift für rationelle Medicin. 1851. Bd. X. S. 153. Taf. IV. 1854.
Neue Folge Bd. V. S. 29. Taf. 1.— III.
••) Mein Archiv. I. S. 187, 190. Taf. I. Fig. V. u. VI.
^*) Gr o Teil hier. Traite d'anat. path. gÖDÖr. T.
UI. p. 605.
330 Dreizehnte YorlesoDg.
der Regel die nächsten Lymphdrüsen und andere Nachbartheile
die besten Anhaltspunkte für die Diagnose darbieten.
Im Verlaufe dieser Geschwülste muss man zwei Stadien wohl
auseinanderhalten. In dem ersten, eigentlich entzündlichen Sta-
dium ist neben dem wuchernden Bindegewebe die eigentliche
Drüsensubstanz (Milchkanäle und Terminalbläschen mit Epithel)
nicht blos vollständig vorhanden, sondern zuweilen sogar in ver-
grössertem Maasse, indem namentlich das Epithel reichlicher wird.
In dem zweiten* Stadium retrahirt sich das Bindegewebe und in
demselben Maasse leidet die Drüsensubstanz. Zuweilen bilden
sich dabei partielle Ektasien der Milchkanäle (S. 284), und es
entstehen allerlei cystische Einsprengungen. Sehr häufig aber
atrophirt das Drüsenepithel oder geht fettige (milchige) Meta-
morphosen ein, um später zu zerfallen und resorbirt zu werden.
Dann verschwinden allmählich die Terminalbläschen und die fei-
neren Milchkanäle, und es bleiben nur die grösseren Milchgänge
und Sinus, jedoch oft auch in einem comprimirten und ge-
schrumpften Zustande übrig. Sowohl durch die Retraction des
interstitiellen Gewebes, als durch die Atrophie der Drüsensub-
stanz verkleinert sich die Geschwulst, die Warze zieht sich ein,
un<l die ganze Drüse kann endlich kleiner werden, als sie im
normalen Zustande war, so dass man genau genommen eher von
einer Atrophie, als von einer Geschwulst sprechen sollte.
Ausser der diffusen Fibrombildung oder, wie Velpeau*)
sagt, Induration chronique en masse giebt es nicht ganz selten
eine partielle, welche in einzelnen Theilen der Drüse, besonders
gegen ihren Umfang, besondere, harte, knotige Geschwülste her-
vorbringt. Sie sind zuweilen solitär, zuweilen multipel, sehr häutig
schmerzhaft, meist beweglich, und erregen um so leichter den
Venlacht eines krebsigen Ursprunges, als sie nach der Exstirpa-
tion wiederkehren können. Es ist namentlich das Verdienst
Cruveilhier's **), der ihnen den Namen der Corps fibreux bei-
gelegt hat, und der sie mit den Uterusfibroiden vergleicht, sie
bestimmt unterschieden zu haben. Später hat man sie mit den par-
tiellen Hyperplasien der Brustdrüse, den Adenoiden Yelpeao'^
•"^ Velpeau. I. c. p. 25;\
**' BuUetin de lAcad de med. Farid. Ib44. T. Ui. p. 390.
Fibroma mammae. 331
znsamm eDgeworfen. Allein mit Recht besteht Cruveilhier*)
noch jetzt darauf, sie als etwas besonderes aufrecht zu erhalten.
Er gesteht zu, dass sie namentlich in der ersten Periode ihres
Bestehens regelmässig Drusengewebe enthalten, und dass sich
Theile desselben sehr lange erhalten können, aber dieses Gewebe
bildet nicht den Hauptantheil und noch weniger den bestimmenden,
den gleichsam activen Antheil der Geschwulst. Freilich ist der
verdiente Forscher andererseits zu weit gegangen, indem er nicht
nur die partiellen Hyperplasien (Hypertrophien) in den Hinter-
grund gedrSngt hat, sondern auch Formen, welche der cystoiden
Degeneration, dem Myxom und dem Colloidkrebs angehören, mit
ihnen zusammengeworfen Int. Allein die Thatsache bleibt doch
bestehen, dass es Geschwülste in der Milchdrüse giebt, welche
überwiegend aus hartem, zuweilen knorpelartigem Bindegewebe be-
stehen und durch seine Zunahme wachsen, dass diese Geschwülste
ohne Gefahr Decennien, ja das ganze Leben hindurch getragen
werden können, und dass, wenn sie nach der Exstirpatiou wieder-
kehren, dies mehr ihrer Multiplicität, als ihrer Reproduction zu-
zuschreiben ist.
Offenbar handelt es sich dabei ursprünglich um eine Mastitis
interstitialis, welche einzelne Lappen oder Läppchen der Drüse
betrifft (Fig. 50, b) und den Kanälen und Bläschen derselben folgt.
Sie hat deshalb selbst eine lappige Form und besitzt gewisser-
maassen einen Stiel. Zu der diffusen Form verhält sie sich, wie
sich die Elephantiasis tuberosa zu der Elephantiasis laevis s.
diffusa verhält, und es ist gerade in Beziehung auf diese Ver-
gleichung nicht ohne Interesse, dass, wie wir bald sehen werden,
auch eine der Elephantiasis papillaris analoge Form vorkommt.
Ist dieses Fibroma mammae tuberosum s. lobulare ganz
beschränkt, so sind die Knoten natürlich leicht beweglich, und
sie hängen nur an dem Theil der Drüse fest an, wo- die aus
ihnen hervortretenden Milchgänge sich zu den grösseren Stämmen
begeben. Ist es dagegen mit einer diffusen Fibrombildung gerin-
geren Grades combinirt, gleichsam eine blosse Theilerscheinung
davon, so adhärirt es seinen Umgebungen inniger, ist fixirt und
erscheint dann besonders leicht als ein verdächtiger Skirrh.
•) Cruveilhier. Traite d'anat. path. gener. T. 111. p. «8, 715. Atlas
iinat path. Livr. XXVI. Fl. 1. Vgl. Billroth. Mein Archiv. XVIIl. S. 56.
332 DreizehBle Voricang.
Auch diese Formen sind einer ähnlichen, wenngleich nicht so be-
trächtlichen Schrampfiing und Rückbildiuig fiüiig, wie das difiiise
Fibrom, nnd sie erreichen schliesslich eine fast steinerne Härte,
indem nicht nur ihr Gewebe einen dichten, sehnigen Filz dar-
stellt, sondern aoch wirkliche Verkalkungen in ihrem Innern vor
sich geben.
Aehnliche Processe kommen aoch an der männlichen
Brost vor, nur sind sie fsCBi nie tuberös, sondern über das ganze
Organ ausgebreitet. Geringere Grade davon finden sich, wenn man
einigermassen darauf achtet, namentlich bei jugendlichen Individuen
nicht selten*). Zu einer bedeutenden Grösse wachsen sie aller-
dings, wie es wenigstens nach dem Schweigen der meisten
Schriftsteller scheint, ziemlich selten an. Nur Cruveilhier erwähnt
den Fall eines 2 5 jährigen Mannes, dessen rechte Brust das mitt-
lere Maass einer weiblichen Milchdrüse erreichte. Yelpeau
schildert diese Form als sehr gleichgültig und leicht durch Be-
handlung zu beseitigen. Ich erkenne dies für die Mehrzahl der
Fälle an, aber ich habe selbst einmal bei einem 18jährigen Men-
schen die Brust amputiren müssen, nachdem er Monate lang ver-
geblich allen möglichen antiphlogistischen und derivatorischen
Behandlungen unterwarfen gewesen war, und die grosse Schmerz-
haftigkeit der Geschwulst sich in keiner Weise änderte. Die
Brust hatte Durchmesser von 2^ Zoll und bestand überall aas
dem dichtesten, ganz weissen Bindegewebe**).
An die Betrachtung der Brustfibrome Hesse sich eine ähn-
liche Darstellung fibröser Hyperplasien des Eierstockes an-
knüpfen. An demselben giebt es ebenfalls einen Zustand, den
man als Cirrhosc oder Granulardegeneration bezeichnen kann;
es giebt eine allgemeine interstitielle Hyperplasie, und es kom-
men Corpora fibrosa vor, indem die Wand der Graafschen Fol-
likel sich mehr und mehr verdickt und verdichtet***). Allein alle
diese Zustände rechnet man gewöhnlich zu der chronischen Oopho-
ritis und nicht zu den Tumoren.
Wie sehr aber solche Formen den Uebergang zu eigentlichen
*) Yelpeau 1. c. p. 708. Cruveilhier. I. c. T. III. p.*54. Berthe-
rand. Ann. med. de U FUndre occid. 1856. (Canst Jahresber. für 1^7-
Bd. IV. S. 309).
^•) PriiMmt No. 135. Tom Jahre 1860.
*^*) Wieaer med. WocheDechria. 1856. Nc 12. S. 182, 183.
Fibrome der Niere.
tuberftseo Geschwalsteo bilden kßnnen, dafür haben wir ein be-
sonders günstiges Beispiel an einem inneren Organ, wo die Com-
plicatioQ des mehr difTusen Processes mit dem mebr tuberösen
in der allerklarsten Weise beobachtet werden kann; das ist die
Niere. Es giebt eine interstitielle Nephritis, die gewöhnliche,
welche sich über mehr oder weniger grosse Theile des Organs
diflfus verbreitet. Es giebt aber auch eine Nephritis intersti-
tialis tuberosa, welche sich blos auf kleine Bezirke beschi^nkt
und iü diesen tibröse Geschwülste erzeugt, welche durch fort-
schreitende Hyperplasie des interstitiellen Gewebes mit allmäh-
licher Atrophirung der in diesen Theilen enthaltenen Harakanäl-
chen sich entwickeln. Betrachtet
man den mikroskopischen Durch
schnitt eines solchen Knotens
in der Richtung vom Rande ge-
gen das Centrun), so kann man
sehr deutlich sehen, wie die
Harnkanäleben, die am Umfange
noch gross sind, während das
Zwischengewebe schon erheblich
verdickt ist, allmählich kleiner
und kleiner werden, ihre Epithel
verlieren und zuletzt vollständig
verschwinden. Sie verbalten sich
also ganz ebenso wie die Fibrome
der Brust, nur erreichen sie
selten eine beträchtliche GrOsse
Meist überschreiten sie nicht den
Umgang einer Erbse oder eines
KirachkemB, und wenn man sie
sie leicht mit Tuberkeln verwechseln. Man findet sie gewöhnlich
mitten in der Niere, und zwar am häufigsten in den Goni medul-
läres gegen ihre äussere Grenze hin, wo sie als ganz isolirte,
harte, grauweisse, etwas durchscheinende Knoten hervortreten*).
nicht genau ansielit, so mag man
Fie. 69. Fibrome der Nieren
pmt No. 37». Tom Jahre 1861).
bei diffuser interstitieller Nephritia. (Pr&-
*) Rftrer. Trait^ des mal'adiea des reios. Paria. 1841. T. Itl. p. 606.
Atlas PI. XXXTI. flg. 5. A. Beer. Die BindesubaUoE der menscnlicbeo
Niere im geannden und kraakbafteii Zustaade. Berlio. 1S59. S.. 43.
334 Dreiiehote YorlegoDg.
Häufig erscheint die übrige Nierensabstanz ganz uDverändert;
aaderemal findet sieh eine Hasse solcher Knoten inmitten einer
über das ganze Organ verbreiteten diffusen interstitiellen Nephritis.
Trotz ihres oft isolirten Vorkommens ist man gewiss be-
rechtigt, diese Knoten auch für uephritische Bildungen zu
halten; sie sind nichts weiter als ein Excess der interstistielleu
Bindegewebswucherung , welche in der ganzen Niere vor sich
gehen kann. Indem aber dieser Excess stattfindet, so geht das
eigentliche Nierenparenchym zu Grunde, und es bleibt nichts
anderes übrig, als die fibröse Neubildung. Dann haben wir eine
ganz unzweifelhafte Geschwulst vor uns, aber eine entzündliche
Geschwulst. —
Wenden wir uns nun zu den papillären, warzigen oder
zottigen Fibromen, so finden wir sie hauptsächlich an der Ober-
fläche häutiger Theile, namentlich solcher, welche schon im nor-
malen Zustande Papillen oder Zotten tragen. Allein die Papillar-
bildung ist nicht etwa blos eine Hypertrophie, wie man gewöhn-
lich sagt, oder ein Excess der normalen Papillenbildung, so etwa
dass jedesmal die pathologische Papille aus einer präexistirendeu
physiologischen hervorgegangen wäre, sondern jede Oberfläche
kann auch unabhängig für sich Papillen hervorbringen, sogar
an Orten, wo vorher keine Papillen existirten*). Es kommt daher
au sich sehr wenig darauf an, was für eine Oberfläche man ur-
sprünglich hat, und ich glaube, es ist in dieser Beziehung von
keiner Bedeutung, wenn man sich bemüht, an allen Stellen, ^o
krankhafter Weise Papillen vorkommen, auch normale Papillen
oder Zotten zu finden. So meint Luschka**), die Arachnoideft
des Gehirns wäre rogelniässig an gewissen Stellen der Oberfläche
mit kleinen Zotten besetzt. Andere haben an allen möglicbeo
Schleim- und serösen Häuten Papillen gesucht Darauf kommt
in der That nichts an, denn es entstehen sicherlich Papillen an
Orten , wo normal absolut keine vorhanden sind. Wir haben ja
*) Man sehe meine Bemerkungen gegen Rokitansky in Cau^tattV
Jahrebbericht für 1Ö52. Bd. IV. S. 304. Vgl. Bruch. Arthiv. für phvsiol.
Heilk. 1855. XIV. S. 103.
♦*) Luschka. Müller'» Archiv. 1852. S. 101. Taf. IV. Mein Anbir.
im). Bd. XVllI. S. 160. Die Adergeflechte des menschl. Gehirns, fierlifi.
1865. S. 66.
PapilUlre Fibrome. 335
gesdien (S. 162, 208), dass selbst neagebildete oder iu den ver-
schiedenen Formen der cystischen Bildung erst sich ausweitende
Höhlen an ihrer inneren Oberfläche warzige Auswüchse, Papillen
hervorbringen; und wenngleich nicht bezweifelt werden kann, dass
eine Haut, welche normal Papillen oder Zotten besitzt, einen
günstigeren Boden für die Papillarhyperplasie abgiebt, so wäre
es doch nicht richtig, wenn man glauben wollte, dass alle
solche Häute der häutigste Sitz derartiger Processe wären. Die
Darmschleimhaut hat eine Masse von Zotten, und trotzdem kom-
men derartige Processe äusserst selten an ihr in solcher Ausdehnung
vor, dass Geschwülste dadurch gebildet werden. Die Schleimhaut
der Harnblase, der Gallenblase, die Synovialhäute sind nur wenig
mit Papillen besetzt, und trotzdem werden sie die allerwichtigsten
Bildungsstätten für solche Excrescenzen. Man muss also wohl im
Auge behalten, dass Warzen an jeder beliebigen Oberfläche, mag
sie eine alte oder neue sein, entstehen können, wenn die Haut nur
bindegewebiger Natur ist; ja selbst diese Beschränkung ist mit
einer gewissen Vorsicht auszusprechen, da es knorpelige Warzen
giebt, die an Knorpelflächen hervorwachsen.
Das Wesentliche bei der Papillarbildung bleibt, dass das ober-
flächliche Gewebe durch Wucherung*) irgendwie eine Masse er-
zeugt, die in der Regel zuerst als ein kleiner, rundlicher Knopf,
oder als eine kleine, flache Erhebung an der Oberfläche hervortritt.
Wie ich schon vor längerer Zeit nach Untersuchungen an der äusse-
ren Haut und an der Albuginea des Eierstockes gefunden habe**),
sind die ersten Auswüchse ganz kleine, amorphe, kömige oder
homogene Knospen, in denen erst später Zellen sichtbar werden.
Nach und nach wachsen sie unter Vermehrung der Zellen, und
allmählich können sie sich zu grossen Papillen oder Zotten er-
heben. Dasselbe, was an einer ebenen Haut vorkommt, kann
aber auch an einer präexistirenden Papille geschehen. Die Pa-
pillen können selbst wieder Knospen treiben, diese können sich
Tergrössern, und es können so endlich ästige Papillen entstehen.
Auch neugebildete Papillen können Knospen treiben, Anschwel-
*) Von einer Exsudation ist auch hier nicht die Rede. Damit föllt ein
Haopteinwand Luschka 's gegen die pathologische Entstehung solcher Ge-
bilde.
••) Würzburger Verhandl. 1851. Bd. II. S. 31ö.
336 Dreizehnte Vorlesung.
luDgen und Auswüchse bekommen, und zuletzt in ganz grosse
vielästige Vegetationen übergehen.
Der ganze Vorgang hat die grösste Aehnlichkeit mit dem-
jenigen, welcher regelmässig an der Oberfläche des Chorions
beim menschlichen und Säugethier-Ei stattfindet und zur Bildung
der Placenta foetalis führt*). Der zottige Theil des Cho-
rions ist das physiologische Beispiel für die Papillarhyper-
plasie, denn man kann gewissermassen die Placenta foetalis
als eine grosse Papillargeschwulst betrachten, und sie den unter
diesem Namen beschriebenen Neubildungen parallel stellen^ welche
man unter krankhaften Verhältnissen an anderen Oberflächen an-
trifft Wie ähnlich diese Dinge sich werden können, das be-
weisen namentlich die warzigen Entwickelungen, die so häufig an
der Oberfläche der Arachnoides gefunden werden**), und die man
so lange Zeit unter dem Namen der Pacchionischen Drüsen
bezeichnet hat, weil der italienische Anatom, der sie beschrieb***),
sie für Drüsen hielt, ungefähr so, wie Havers die kleinen Fett-
läppchen im Knochenmark für Fettdrüsen ansah (S. 206). Eine
Pacchionische Drüse oder besser Granulation ist eben nur eine
Papilläres crescenz, eine Warze, welche in Folge einer leichten
Reizung an der Oberfläche der Pia entsteht und einen soliden
Bindegewebszapfen mit schönen, meist sternförmigen Zellen dar-
stellt f)* Sie gehen regelmässig von der Pia mater (Arachnoides)
aus , und ihre Menge und Entwickelung steht jedesmal in einem
gewissen Verhältniss zu der voraufgegangenen Reizung, welche
sich nicht selten diffus an der Pia verbreitet und sehnige Trü-
bungen derselben bedingt. Sie sind daher wesentlich pathologi-
scher Natur tt). Indem sie stärker anwachsen, drängen sie die
Dura mater auseinander und erzeugen die bekannten Gruben an
der inneren Schädelfläche. Diejenigen aber, welche in der Nähe
der Sinus liegen, wachsen allmählich durch die Dura mater
und die Gefässwand in dieselben hinein, und erscheinen darin
*) Virchow. Ueber die Bildung der Placenta. WQrzb. Verbandl. 18^.
Bd. IV. S. 370. Gesammelte Abhandlungen. S. 779.
**) Haller. Elementa pb^siologiae. Laus. 1762. T. IV. p. 104.
***) Pacchioni. Diss. epistol. ad L. SchrGkinm de glandulia donif
matris humanae indeque ortis lymphaticis ad piam matrem productis. Ronae.
t) Würzburger Verhandl. (1851) Bd. II. S. 158.
tt) Ludw. Meyer. Mein Archiv. 1860. Bd. XIX. S. 175, 288, 308.
Papilläre Wucherung. 337
mit freien Enden, genau so, ^ie die Zotten der Placenta foetulis
in die Placentarsinus der Mutter hineinwachsen*).
Manche haben nun geglaubt, das Wesentliche bei jeder war-
zigen Bildung sei die Ausstülpung der oberflächlichen Gefasse**).
Namentlich die Capillaren der Haut, besonders die der Papillen
erweiterten und verlängerten sich, und schöben allmählich die
Theile weiter hinaus. Das ist entschieden unrichtig, ebenso un-
richtig für die pathologische Papillarbildung, wie für die Chorion-
zotten. Denn wenn man sie einigermassen genau studirt, so findet
man immer, dass vor der Anwesenheit des Gefässes eine Binde-
gew ebsentwickelung, manchmal auch eine stärkere Epidermisbil-
düng vorhanden ist, und dass das Gefass sich immer erst nachher
ausbildet Untersucht man kleinere Papillen, wie z. B. die Pacchio-
nischen Granulationen, die knotigen und warzigen Excrescenzen,
die sich an der Oberfläche der Leber, des Eierstockes, der Hoden
bilden, die an den Herzklappen, an der Synovialhaut der Gelenke,
80 ist immer das erste die Bindegewebswucherung, und viele von
ihnen, wie namentlich die Warzen der Pia mater, erhalten nie-
mals Gefässe. Ueberall findet an den Stellen, wo das Ding am
meisten wächst, eine Vermehrung der Kerne und Zellen statt;
ja bei den grossen dendritischen Excrescenzen, wo ganze Büschel
herauswachsen, wie an den Synovialhäuten und Herzklappen, kann
man nicht selten wahrnehmen, dass an ihrer Spitze, am letzten
Ende die Wucherung geschieht, und dass, während an der Basis
die Elemente in weiterer Entfernung liegen, die Spitze fast ganz
aus zelligen Theilen zusammengesetzt ist, genau so, wie ich es
von den Chorionzotten nachgewiesen habe***).
Jede Papillenbildung wird durch eine Vermehrung der zelli-
gen Theile oder der Intercellularsubstanz eingeleitet. Die Zellen-
bildung kann so reichlich werden, dass ein wirklicher Granula-
tionszusland sich ausbildet, in derselben Weise, wie wenn von
der Oberfläche einer Wunde aus die kleinen Fleischwärzchen
(Canmculae) d. h. das wuchernde Bindegewebe in Form von
Granulationen und Papillen hervorschiessen, und, wenn sie sich
noch stärker entwickeln, sogenannte fungöse Auswüchse bilden.
*) Jo. Dom. Santoriui. Observatioues anatomicae. Yenet. 1724. p. 52.
.Virchow. Archiv 1851. Bd. III. S. 450.
*^) De la Mettrie. Oeuvres de medecioe. Berlin. 1755. p. 252.
*^*) Gesammelte Abhaudl. S. 789.
Vlrrhow, 0«tcbvulst«. 1. 22
338 Dreizehnte Vorlegnag.
Zuweilen ist es ausserordentlich schwierig, dieses wncbemde Ge-
webe von dem Rete Malpighii zu trennen, welches fiber ihm liegt,
und dies mag bei manchen die Vorstellung erzeugt haben, die
Gefasse schoben sich in das Rete Malpighii selbst hinein. Unter-
sucht man genau, so kann man die Grenze sehr wohl fiuden, und
man überzeugt sich, dass anfangs nur ein solider Zapfen aus Binde-
gewebe vorhanden ist. Erst wenn dieser eine gewisse Grösse
erreicht bat, entwickelt steh von unten her in ihn hiaein eine
GefSssschlinge, oder, wenn die Papille an ihrem Ende anschvnlit
und kolbig wird, auch wohl ein vollständiges capillares Netz, wie
man es an den zottigen Vegetationen vieler GelenkbSute in der
prachtigsten Weise beobachten kann.
An den einzelnen Orten zeigen sich in Beziehung auf dieses
Verh&Itniss der Gefasse zu dem Bindegewebe sehr grosse Diffe-
renzen. Manche Papillen und Zotten behalten auch in späterer
Zeit ihren überwiegend bindegewebigen Charakter, ja es kommi
vor, dass sie ein ungewöhnlich dichtes, derbes, sklerotiscije!:
^ ^^ Bindegewebe darstellen, und dass hier
und da sogar Uebergänge in Knorpel
vorkommen, wie es namentlich an
' manchen Auswachsen der Synovi»!-
häute an den Gelenken der Fall i^t.
Ebenso sind die sehr ähnlichen Vege-
tationen an den Herzklappen bei
Kndocarditis verrucosa, papillaris el
villosa*) in der Mehrzahl ganz ge-
fSsslos. — In anderen Fällen nehuieQ
die Gefässe einen sehr wesentlichen
Theil des Zapfens in Anspruch, uod
es ist dann schon schwer, das klei-
nere Stück von Bindegewebe, welchem
sie wie eine Membran umgiebt, u
unterscheiden. Ja es kommt vur.
Fig. GO. Eid Stück der Sjrnovialliaut des Schaltergelenki, bedeckt mit
xotti);en Vegetationen. Die meisten
Blättern, welche von der Synovialis :
Viele der Vegetationen sind Ist ig
Jahre löüa).
*) Gesaramelte Abhaudlangeu.
8. 360. Fig. 129.
^on ihnen sitsen auf achmalen, bok"
sgehen und lum Theil knorpeJis ii»i-
nd geflsBloB. (Prtpvkt No. 6. rvia
ötO. CeUatarpatholoKie. 3. Aal.
Gef&ssreiche Papillargeschwfil&te. 339
dass das Geftss so gross wird, dass es überall bis dicht unter
die Oberfläche reicht, und dass der ganze Auswuchs nur eine Ge-
^sausstülpung zu sein scheint. Ist nun das Ding von Epithel oder
Epidermis überzogen, so schliessen sich die Epithelialzellen un-
mittelbar an, und wenn man einzelne Schlingen herausreisst, so
kann es scheinen, als wenn die Epithelien direct auf der Wand
des Gapillargefasses aufsassen. Aber wenn man die Theile spe-
cieller ins Auge fasst und namentlich ihre Entwickelung studirt,
so ergiebt sich, dass ein feines Stratum, eine Art von Adventitia
aus Bindegewebe immer noch persistirt, und dass« ein wirkliches
Herausschieben von Gefässen in das Epithel, so dass das Epithel
selbst vascularisirt wäre, nicht vorkommt.
Ist das Epithel sehr weich, wie namentlich an Schleimhäuten,
so können natürlich diese sehr weiten und dünnen Gefässe ausser-
ordentlich exponirt sein*). Wenn namentlich die Zotten sehr weit,
einen halben oder ganzen Zoll über die Oberfläche hervorragen, so
sind sie allerhand Insultationen ausgesetzt, und es erfolgen oft überaus
hartnäckige Blutungen, welche sogar das Leben durch ihre Dauer
bedrohen können, und welchen oft sehr schwer beizukommen ist,
weil in ganz zurückgelegenen Organen derartige Entwickelungen
stattfinden können. So giebt es Papillargeschwülste der Harn-
blase, welche gar keine maligne Natur haben, welche aber
mit solchen Capillaren versehen sind, wo immer wieder Blutun-
gen eintreten, und wo dann die Diagnose leicht auf ein malignes
Uebel, auf einen sogenannten Zottenkrebs gestellt wird**). Solche
Bildungen können leicht missverstanden werden, indem sie mit
gewissen Geschwülsten grosse Aehnlichkeit haben, für welche
Henle ***) den Namen Siphonoma, Röhrengeschwulst, er-
funden hat Nicht selten findet man die Gefässe leer, das Blut
geht heraus, oder wird bei der Untersuchung durch Wasser auf-
gelöst, und man findet nur Röhren, welche durch die Geschwulst hin-
durchgehen, und neben welchen sich Zellen finden. Aber dies sind
die Gefässröhren, und das Siphonoma der Oberfläche ist entweder
eine Form der vasculären Warze f) oder ein wirklicher Krebs ft)-
*) Würzburger VerhandiuugeD. Bd. II. S. 26.
**) Oellalarpathologie. 3. Aufl. S. 434. Bruch a. a. 0. S. 106.
***) Zeitschrift für rationelle Medicin. 184ö. Bd. 111. S. 130.
t) Lehm kahl. De tumore villoso vesicae urinariae. Diss. inaug. Dor-
pit 1866.
tt) Kamen. De Biphonomate vesicae. Dias, inaug. Wirceb. 1848.
22*
340 Dreizehnte Vorieanng.
Es erhellt also, dass alle diese BilduDgen, mOgen sie nun
viel oder wenig Bindegewebe enthalten, doch wesentlich binde-
gewebiger Natur sind und als Auswüchse des pr&ezistireaden
Bindegewebes zu betrachten sind. Dieser Charakter ist so angea-
i&l\\g, daes man gerade sie seit lauger Zeit mit dem Namen der
Vegetationen belegt hat. Neuerlich hat man auf die papill&re
Form einen besonderen Werth gelegt und nach dem Vorgang
von Krämer*) sie als Papillome bezeichnet. Dies ist einmal
Fig. Ol. Fibroma pApilhre der GalleaUue einer Kuh. Die Wandung'*'
der Blase Rind etelleoweise 4 — öLinieo dick, g«ni schwielig and eebni^'
ihre innere OberflBche besetit mit groMco, bolbigen, inm Theil TeriUteil«'*'
Rxcresrenien, von deneo manche eine weirhere, mehr darchacbeJnende, »ndef^
eine liarte, derbe Bi'sfhsffenheit besitien. (Pripar»t No. 121. vom J«br« 105)*?*
■) Krimer n. *. 0. S. 4, (>5.
Feste Papillar-Vegetationen. 841
überflüssig, weil man Bezeichnungen genug für die einzelnen For-
men besitzt ; zum andern falsch, weil die Geschwulst ihrem Wesen
nach bindegewebig ist und nur in papillärer Form auftritt. Der
generische Name muss also Fibroma sein und das papilläre kann
nur als adjectivischer Zusatz gebraucht werden, wie die Geschichte
der Elephantiasis uns ja deutlich genug gelehrt hat (S. 295, 308).
Ein Fibroma papilläre kann weiterhin mit Gefässen oder Epithel-
bekleidung reichlich versehen sein und darnach in eine besondere
TJnterabtheilung gehören; seinem eigentlichen Wesen nach bleibt es
immer ein Fibroma und diejenigen Formen sind die am meisten
typischen, wo beinahe nur Bindegewebe darin enthalten ist. Da-
für besitzt unsere Sammlung ein klassisches Beispiel von der Gal-
lenblase einer Kuh (Fig. 61). Auf der sehr verdickten Wand sitzt
eine so grosse Menge theils zottiger, theils cylindrischer, solider
Auswüchse auf, dass die Schleimhautfläche in einer gewissen Zone
ganz verschwunden zu sein scheint Zugleich sind die einzelnen
Vegetationen so gross, dass sie für das blosse Auge ein Bild ge-
währen, wie wir es sonst nur unter dem Mikroskop zu sehen
pflegen. Beim Menschen kommen papilläre Auswüchse der Gal-
lenblase nicht selten vor, aber sie sind gewöhnlich ganz klein
und so mit Fett infiltrirt, dass sie ein ganz anderes Aussehen
darbieten.
In dieselbe Kategorie von festeren Warzen gehört ein gros-
ser Theil der kleinen Auswüchse, welche in den feineren Kanälen
des Körpers vorkommen. Manche Formen davon haben wir schon
bei den eystischen Geschwülsten mit abgehandelt, namentlich die-
jenigen, wo die Vegetationen in eine mit Flüssigkeit oder sonsti-
gen Secreten ausgefüllte Höhle hineinwachsen. Hier haben wir
nur noch diejenigen zu besprechen, welche, indem sie sich in den
Kanälen aosbreiten, dieselben vollständig ausfüllen, so dass schein-
bar solide Geschwülste gebildet werden.
Der einfechste Typus für diese Bildungen ist das sogenannte
Condyloma subcutaneum, oder, wie man richtiger sagen
sollte, C. folliculare. In den Haarbälgen geschieht es nemlich
öfters, dass von der Wand eine Excrescenz hervorwächst, welche
den Follikel ausdehnt, ihn aber zugleich so füllt, dass er sich
wie ein fester Körper in oder unter der Oberfläche darstellt.
Drückt man ihn von unten her, so kann man die kleine Warze
342 Dreiiehnt« Torlesanf.
Über die Oberfläche herTorspringen lassen.*) Solche Bildungen
findet man nicht selten an den Schenkeln, aber auch iw anderen
Punkten. Ich habe z. B. einen Fall gesehen, wo die Follikel am
Halse eines Kindes fast alle in solche Bildungen übergegangen
waren, ja einige von ihnen eine Art von Akrochordon bildeten.**)
Ganz ähnliche Excrescenzen kennen nun aber in allen
möglichen Gängen vorkommen. Wie jene Gallenblase der Knh
(Fig. 61) fast ganz mit zottigen und blättrigen Auswachsen gefüllt i^t,
so sieht man auch beim Menschen solche Zotten- Geschwülste,
jedoch nicht in der Gallenblase, sondern in den Gallenwegen.
Ich habe wiederholt Gelegenheit gehabt, Fälle zu untersuchen,
wo dieselben den Ductus choledochus vollständig füllten und die
Ursache eines tödtlichen Ikterus geworden wnren.
Nirgends ist eine solche Bildung häufiger als an der weib-
lichen Brust. Von der Wand der Milchgänge erheben sich
Warzen in oft sehr grosser Zahl, und indem sie immer reich*
licher und reichlicher in die Gänge htneinwuchern, dehnen sie
dieselben mehr und mehr aas. Obwohl sie also eine Ektasie er-
zeugen, so macht die Geschwulst doch den Eindruck, nicht einer
cystischen, sondern einer soliden, weil die Warzen so dicht neben-
Flu- «3- einander liegen und den Gang
so voltständig ausfüllen, dass
man erst, wenn man sie auf-
blättert, ihre einzelnen Aeste
und Knospen erkennt. ***)
' Das ist also eine ganz beson-
dere Art yon Bindegewebs-
geschwalst der Brost, ein pa-
Fig. 62. Fibroma papilläre intraraniiUcakre mammae. Ein tod Herrn
WiliDs ej$tir))irlcr Knoten der Brust, der ein gani festes, dichtes, lappieea
Aussehen dnrbielet. Letzteres ist durrh fibrOae Streifen bedingt, die sirh
von einem bestimmten Funkte a aus durch die Snbgtani verbreiten. Die
einzelnen Lnppen haben hier und da ein feinkfirniges AnsBeüeo. bediogl
durrh die in den MiKhkanllchen liegenden Papillar-Vegetationen. Bei 6 «lud
einzelne der Vegetationen herausgetogen und freigelegt Aurb bei c »igt
siL-h eine feinnaritige Stelle. (Präparat No. 47. Tora Jahre 1858).
*) llaui-k. Med. Zeitung des Vereins fDr Heilk. in Preuuen. 1840.
No. 51. V. Barensprniig. BeitrSge lur AnaL u. Patb. der menacbL Hast
S. 4i>, m. Taf. 11. Fig. 12. Krämer a. a. 0. S. 42. Gaat. Simon. Die
Hautkrankheiten. Berlin. 1851. S. 341.
•*) Siehe bei Simon a. a. 0. S. 242. Note.
"•) Cruveilhier. Traite d'anat. path. pöner. T. III. p. 722. ßirkett.
GujB Hosp. Rep. Vol. VII. P. II. p. 306.
Intracanaücnlftre Pi^illarfibrome. 348
pill&resintracanaliculäres Fibrom, ganz und gar verschie-
den von den elephantiastischen Fibromen, die ich vorher (S. 328)
geschildert habe, obwohl zuw^eilen damit combinirt. Freilich bildet
es ganz ähnliche, lobuläre Anschwellungen von ganz beträchtli-
cher Härte und meist rundlicher oder rundlich -ovaler, jedoch zu-
weilen auch höckeriger Form. Schneidet man es durch (Fig. 62.),
so sieht man zuweilen keine Spur von Höhlung oder Gang, son-
dern nur ein dichtes weisses Gewebe, das theils sehnige Faser-
züge in vielfacher Verflechtung, theils durchschnittene rundliche
und lappige Einlagerungen besitzt. Letztere sind die Excrescen-
zen, erstere stellen eine interstitielle Induration dar.
Der Hauptsitz der festeren Warzen ist aber die äussere Haut,
wo man schon seit den ätlesten Zeiten dieselben auf das sorgfältigste
zu klassificiren bemüht war. Wir finden bei Celsus, zum Theil
schon bei Galen die Gewohnheit, die verschiedenen Warzen in
vier Gruppen zu zerlegen, wobei man nicht sowohl die Consi-
stenz, als namentlich die Erscheinung im Grossen ins Auge fasste.
Celsus*) unterscheidet ausser der schon neulich (S. 223) berührten
Form, dem Akrochordon, noch drei andere, nehmlich den Clavus,
das Akrothymion und die Myrmecia oder Formica.
Clavus hat man in der neueren Zeit gewöhnlich blos das
Hühnerauge genannt; dem Namen nach bedeutet es eine harte,
nagelartige Masse, und es kann das der älteren Terminologie
nach auch eine Warze sein, welche über die Oberfläche hervor-
steht. In diesem Falle bedeutet der Ausdruck dasselbe, was man
in der neueren Zeit eine harte (hornige) Warze genannt hat.
Diese aber ist ihrem Hauptantheil nach epidermoidal, und gehört
also eigentlich nicht in diese Kategorie hinein, wenngleich sie
öfter mit einer stärkeren Entwickelung der Papillen und ihrer
Gef&sse verbunden ist.
Akrothymion, oder, wie man kurz gesagt hat, Thymos,
bedeutet eine Warze, welche an der Oberfläche eine Menge von
einzelnen kleinen Hervorragungen hat, also zum Theil dasjenige,
was man in der neueren Zeit unter dem Namen eines Blumen-
kohlgewächses (Tumor cauliflorus) bezeichnet. Man bezieht sich
dabei auf die Vergleichung mit den Blüthen des Thymian, an wel-
chen bekanntlich eine Menge von dicht an einander gedrängten
*) A. Cornelius Celsus. Medicinae Lib. V. 14.
344 Dreizehnte VoTlesiing.
«
Knöpfchen zu sehen sind. Eine Vergleichung damit lag um so
mehr nahe, als diese Warzen nicht selten eine braunliche oder
schwärzliche Färbung besitzen.
Myrmecia oder Formica, Ameisenwarze, ist eine Bezeich-
nung, welche im Laufe der Zeit vielfach streitig geworden ist und
daher in der neueren Literatur meistens nicht mehr erwähnt wird.
Warum sie diesen Namen trägt, das wird auch verschieden ange-
geben; im Allgemeinen aber scheint es, d«ass man es auf eine
gewisse Hyperaesthesie bezogen hat, welche dieser Warze eigen-
thümlich ist, und wodurch sie bei Temperaturwechsel oder nach
Anderen bei der Exstirpation eine Empfindung erzeugen soll, wie
wenn der Mensch von einer Ameise gebissen sei. Das erstere
ist wohl die wahrscheinlichere Deutung. Später, seit Plenck*),
hat man angenommen, dass die Myrmeciae feuchte Warzen seien,
welche an ihrer Oberfläclie etwas absondern. Da nun die Ab-
sonderungen weniger der Oberfläche der Haut als den Drüsen zu-
zurechnen sind, so würde man solche Formen dahin zu rechnen
haben, in welchen die Tfilg- und Schweissdrösen sich in einem
Reizungszustande befinden.
In Bezielumg auf diese Terminologie ist heut zu Tage weder
unter den Dermatologen, noch unter den Schriftstellern verschie-
dener Länder eine Uebereinstimmung. Dies ist nicht einmal bei
den so häufigen Formen der Fall, für welche man den Namen
der Feigwarze, Ficus, Condyloma zu gebrauchen pflegt.
In Deutschland hält man daran fest, zwei Arten von Condylomen
zu trennen: das spitze (C. acuminatum), wo die einzelnen Pa-
pillen in Form von Spitzen oder Kömchen zu Tage treten, wurde
die Akrothymionform sein, das breite (C. latum), welches ein
nässendes ist (Verruca madida, feuchte Warze) wurde in manchen
Beziehungen sich der Myrmecia anschliessen. In Frankreich i>t
die Bezeichnung des breiten Condyloms nicht gebräuchlich; weil
man seit langer Zeit schon die Ueberzeugung gewonnen hM-
dass diese Art ein specifisch syphilitisches Product ist, so hat
man sich daran gewöhnt, sie auch als syphilitische GeschwuHt
unter dem Namen des Schleimtuberkels (Schleim papel. Tu-
bercule muqueux) von der andern zu trennen. Auch mir scheint
*) Plenck. Doctriua de morbis cutaneis. p. 88.
Condylom. 345
es zweckmässig, sie nicht in diese Gruppe hineinzumengen und
ich werde daher später darauf zurückkommen.
Das acuminirte Condylom ist gewöhnlich aus einzelnen Ver-
ästelungen zusammengesetzt, von denen jede in eine besondere
Spitze ausgeht. Ist es, wie gewöhnlich, klein, so ist die Basis,
mit welcher es aufsitzt, sehr schmal und das Ganze gleicht einer
kleinen Beere (daher Ficus). Manchmal wird es aber, zumal an
dem Praeputium penis oder den Schamlippen sehr gross und bildet
wallnuss - oder apfelgrosse Gewäclise von blumenkohlartiger Ober-
fläche und breiterer Basis. Kommt
es noch dazu gruppirt vor, so
ist die Grenze gegen die Ele-
phantiasis vermcosa (S. 308, 320)
mit Sicherheit kaum festzustellen.
1 Im Allgemeinen muss man sich
■ an die innere Zusammensetzung
halten. Bei der Elephantiasis ist
I das Bindegewebe stets der vor-
wiegende Äntheil; bei dem Con-
dylom tritt es mehr in den Hin-
tergrund. Allerdings besitzt jeder
Ast (Papille) einen innern Grundstock von Bindegewebe*), in wel-
chen in der Reget Capillargetasse bis hoch hinauf reichen, aber
dieser Grundstock ist an sich verhaltnissmässig sehr fein, während
die um ihn herum gelagerte Epidermis oft das 10 - 20 fache an
Masse beträgt. Nimmt man dazu, dass von dem innern Raum
des Grundstocks (der eigentlichen Papille) wieder das Capillar-
gefäse den grüsten Theil hinwegnimmt, so erhellt leicht, dass
das Bindegewebe kaum in Betracht kommt und das Gewächs fast
mit mehr Recht zu den Epidermoidalgeschwulsten gerechnet wer-
den kann. Der fibromatose Grundstock bestimmt nur die äussere
Form, denn er treibt die neuen Knospen und Aeste, welche die
zunehmende Unebenheit der Oberfläche und die Ausbreitung des
Gewächses über seine Basis liinaus bedingen.
Ganz ähnlich verhält sicli eine Reihe anderer Warzen, welche
Fig. G3 Condyloma »cuiniDatum lobulare, vom Sc beiden ein ging. (Prt-
parat No. 147. vom Jahre 1860).
■) Celli) krpathologie. 3. Aufl. S. 229. Fig. 91. Die dort gegebene
Zeichnang ist von demselben Pr¶t, wie obige Fig 63.
346 Dreiiebnte Vorleanog.
«ich oft vielfach zerstreut an der Oberfläche des Köqwre fiDtlen,
aber mehr flach der Haut ansitzen*). Bei dem Condylom settt
man immer voraus, dass es sich von seiner Basis ans frei ober die
Oberfläche erhebt; bei diesen anderen Formen dagegen mag sich
immerhin die Oberfläche papillär oder ästig erbeben, das Ganie
bleibt flach und platt. Diese Art hat man häufig als Por ron (Pomun
oder Porrus) bezeichnet •*), weil ihre Oberfläche eine gewisse Aehn-
lichkeit mit den BlüthenkOpfchen von
Lauch (Pomim) hat, nur dass sie nicht
gestielt sind. Viele Porren haben einen
I langen Bestand und Neignng zur Ver-
' grössening"*); viele sind angeboren, ge-
boren also in die Kategorie des Naevus,
Häufig ist ihre Oberfläche stark pigmeotirt
und die Epidermis häuft sich zwischen
den Papillen in grossen Klumpen an.
Aehnliche Bildungen können auch an Schleimh&uten vorkom-
men, nur sind dann die Uebenüge nicht aas einem so derben,
trocknen und anhaftenden Epidermoldalstratum gebildet, wie bei
Condylomen und Porren, sondern aus einem leicht abstreifbaren
Epithel zusammengesetzt. Nur an den Üebergangsstellen, wo die
Haut in Schleimhaut übergeht, finden wir noch die eigentliche
Gondylomform, so an der Vagina der Frau, an den Lippen, »a
der Conjunctiva des Auges; je weiter nach innen, um so
weicher werden die Epithelialstrata, um so mehr bildet das
Ganze eine weiche Masse, die sich sehr leicht zertrOmmert und
ganz aus Epithel besteht. Auf die einzelnen Fälle dieser Art
wollen wir daher hier nicht näher eingehen, da bei den Epitbelial-
geschwülsten ihrer Erwähnung geschehen soll.
Andere sind »chon angeführt, so insbesondere die papillären
Pig, <)4. Natviis pnpillaris prngresstvuB von der Haut Her Bruatg«g»d
eines Mannas. Congenita!, aber wachsend. In eigeDtbQmlichen Streifen und
7jü]:eu. ]pt;.tere wieder io parallele WQIste mit feinrunzeliRer OberB&cbe ab-
getbeilt. DaH Ganze von hellgraubrSiinlicber Farbe. Auf dem Durchsebniii
mOesige Verdickong der Cutis, starke, verästelte PapillemtDchernng, dickrr
EpidirmisOberzug. (Präparat No. 85 vom Jahre 1863).
*) Asrhersou, CaMier-s Woehensi'hr. 1835. S 513. G.Simon, Hüller'i
Arthiv. 1810. S. 169.
**) Vernira seitsilis «eu porniio est verraca coti immerea aen vii eitn
cuten promiDcnH. Plenck. p. 8T.
*") A.Wernher, Zeitseb. f. ration. Med. 1855. Neos Folge. Bd.VLS.10&
Tuberffse Fibrome. 347
Proliferationen der serösen Häute und die Corpora Hbera, welche
&h die letzten Stadien solcher Erseu^nisse sich darstellen. Es
mag daher gen&geo, noch da- tir. «s.
rauf tiinzuweisen, dasa in selte-
neren F&Uen sowohlan der äusse-
ren, als an inneren Häuten ein-
zelne stärkere und nicht ver-
ästelte Papillaraus wüchse vor-
kommen, welche schon mehr
den Uebergang zu tuberf^sen und
polypösen Formen bilden. Ein
besonders günstiger Punkt da-
für ist die Vulva und die Um-
gebung alter, tislulöser Narben.
Dem Ausgehen nach sind diese
Bildungen von Akrochorden
kaum zu unterscheiden. — -
Es bleiben jetzt noch die
eigentlich tuberösen Formen
übrig, diejenigen, die, wenn
sie an Oberflächen eri-cheinen,
in Form von Tuberkeln, oder,
wie man zweckmässiger sagt,
um Verwechselungen rait der eigentlichen Tuberculose vorzubeugen,
in Form von Tuhera auftreten. Tuberculum ist ein kleines Tuber,
und da diese Knoten in der That manchmal sehr gross werden,
m ist es um so mehr zu empfehlen, tuberös zu sagen, weil da-
durch die Verwechselung mit der wahren Tuberculose, welche bei
den Tuberkeln der Dermatologen gar nicht in Betracht kommt, ver-
mieden werden kann. Wir werden später bei der Betrachtung der
eigentlichen Tuberkel auf diese Verschiedenheit zurückkommen,
und ich bemerke daher hier nur, dass das tuberöse Fibrom die
Acme seiner Entwickelung in der Erzeugung von Bindegewebe,
Fig. 65. Polypus Gbrosug (Fibroma pol^posum) vulvae. Narbige Ste-
nose dee Introitus raginae (iiach Diplitheritis?) bei alter Perimetritis, Ante-
fleiioD und SteinbilduDg im Nierenbecken. Der Pol^p sitzt dicht unter dem
Orif. urethrae, das seibat durch eine kleine Vegetation verengt ist. (Prl-
pant No. 82t>.).
348 Dreisehnte Vorlesong.
der Tuberkel dagegen in der Erzeagong lympboider Zellen findet,
und dass demnach die Hauptverschiedenbeit darin liegt, dass das
erstere ein Gewäcbs von permanentem, das letztere ein solches
von transitorischem Charakter darstellt.
Manches von den tuberösen Fibromen hatte ich schon bei
Gelegenheit der elephantiastischen und entzündlichen Formen er-
wähnt. Auf sie namentlich bezog sich meine Bemerkung (S. 294),
dass eine Reihe von Bindegewebs - Geschwülsten unmittelbar an
gewisse Entzündungsformen angereiht werden müssen. Rechnet
man sie hier ab, so bleibt nur noch ein verhaltnissmässig kleiner
Theil von mehr selbständigen Fibromen übrig, und ich will
nicht einmal sagen, ob nicht dieser Theil hier und da noch eine
Verkleinerung erfahren kann, wenn man genauer, als es bis jetzt
geschehen ist, unterscheidet. Bei der grossen Unsicherheit der
Beschreibungen ist nichts schwieriger, als sich aus der Literatur
ein Urtheil über das Vorkommen und die Bedeutung der Fibrome
zu bilden. Nicht nur sind, wie ich schon hervorhob (S. 29*2),
die meisten Myome und Neurome hierher gezählt worden, son-
dern namentlich auch zahlreiche Fälle von Sarcomen und Skir-
rhen, was sich zum Theil aus den früher sehr mangelhaften Üd-
tersuchungsmethoden, zum Theil aus der sehr langsam fortschrei-
tenden Erkenntniss der normalen Histologie, zum Theil aber auch
aus der ungemein häufigen Combination des Fibroms mit
anderen Goschwulstarten erklärt. Denn keinerlei Combi-
nation ist häufiger, als diese, und nichts gibt leichter zu Miss-,
Verständnissen und Täuschungen Veranlassung, als der Umstand.
dass gewisse Theile einer Geschwulst ganz und gar aus Binde-
gewebe zusammengesetzt sind, während andere eine ganz nb-
weichende Struktur besitzen. Beschränkt man sich bei der
Untersuchung darauf, nur bestimmte, kleine Punkte des Gewäch-
ses einer genaueren Prüfung zu unterwerfen, so kann es leicht
sein, dass man nur die einen oder die anderen der constituirenden
Theile zu Gesicht bekommt und danach den Character der Ge-
schwulst bestimmt. Ist dies gerade der bindegewebige Antheil ^^
wird man natürlich im Allgemeinen günstig über die Natur de>
Gewäolises urtheilen, in der Regel günstiger, als man getban ha-
ben würde, wenn man auf die anderen Theile gestos^en wäre.
Mir selbst ist dies begegnet, und ich habe mich zum Theil erst
dann von meinem Irrthum überzeugt, wenn ich durch ein Recidiv
Coinbinations- und Debergangsföhigkeit der Fibrome. 349
auf den suspecten Charakter des Prozesses aufmerksam wurde.
So erinnere ich mich insbesondere eines „recurrirenden Fibroms"
der Infraorbitalgegend, bei dessen erster Exstirpation durch Ca-
jetan v. Textor ich eine einfache Bindegewebsgeschwulst dia-
gnosticirte; als ein Recidiv eintrat, fand ich kankroide Struktur,
und als ich nun die in Alkohol aufbewahrte erste Geschwulst von
Neuem untersuchte, so zeigte sich, dass ganz kleine Stellen darin
den kankroiden Bau besassen, während fast der ganze übrige
Tumor fibromatös war.
Solche Fälle sind es auch zum Theil gewesen, welche einer-
seits wegen der falschen prognostischen Auffassung, andererseits
wegen der Widersprüche verschiedener üntersucher über dieselbe
Geschwulst die Mikrographie bei manchen Praktikern in so gros-
sen Misskredit gebracht haben. Sehr wesentlich fallt dabei in
das Gewicht, dass auch die Grenzen der tuberösen Fibrome ge-
gen andere Geschwülste, besonders gegen das Sarkom, nicht
scharf sind, indem wirkliche Uebergangsformen*) bestehen.
Es bedarf nur einer zunehmenden Entwickelung des zelligen An-
theils des Gewebes in der Art, dass die Zellen nicht bloss zahl-
reicher, sondern auch grösser und selbständiger werden, während
die Intercellularsubstanz in gleichem Maasse zurücktritt, um das
Fibrom zu einem Sarkom zu machen. Wo hier die Grenze zu
ziehen ist, das wird immer mehr oder weniger der Willkür der
einzelnen Beobachter überlassen bleiben, und es wird wahrschein-
lich niemals möglich sein, ein allgemeines Kriterium zu finden,
um das faserige Sarkom von dem weichen Fibrom zu scheiden.
Die »fibrocelluläre" und die „tibroplastische" Geschwulst werden
immer streitige oder neutrale Grenzgebiete darstellen. Meine An-
sicht über die Demarkationslinie werde ich bei der Besprechung
der Sarkome genauer darlegen.
Bei diesen Uebergangsformen handelt es sich um genetisch
ganz verschiedene Dinge. Zunächst konmit die meiner Meinung
nach nicht zweifelhafte Degeneration der Geschwülste in Be-
tracht, wie sie von den älteren Beobachtern vielfach, namentlich
ffir Polypen in Anspruch genommen, von den meisten neueren
dagegen geleugnet wurde. Gerade die fibromatösen Geschwülste
*) Virchow. Combinations - und Uebergangsfäbigkeit krankhafter Ge-
schwülste. WOrzb. Verhandl. Bd. I. S. 134. vgl. Archiv (1849) Bd. III. S. 223.
350 Dreizehnte Vorlesung.
sind zu einer solchen Degeneration besonders geeignet*), weil
sie aus demselben Gewebe zusammengesetzt sind, welches, wie
wir gesehen haben (S. 92), die gewöhnlichste Matrix der Afier-
gewächse ist. In diesen Fällen ist also zuerst das Fibrom vorhan-
den und dies wird erst secundär krebsig, knorpelig, cystisch u. s. w.
— Anderemal ist die Bildung des fibrösen Antheils gleichzeitig
mit der Bildung des krebsigen, knorpeligen u. s. w., so dass die
Geschwulst sofort als eine zusammengesetzte er-
wächst. Von mehreren gleichartigen, neben einander gelegenen
Theilen erzeugt der eine diese, der andere jene Neubildung.
Namentlich ist es sehr gewöhnlich, dass die peripherischen Theile
mehr die fibröse, die inneren mehr die specifische Entwickelung
erfahren, dass also die Geschwulst gewissermaassen eine fibröse
Hülle, einen Balg, bekommt. Frühere Autoren haben aus die-
sem Grunde manche Lipome, Enchondrome u. s. w. als Balgge-
schwülste (Tumores cystici) beschrieben. Diese Erscheinung er-
klärt sich aus der geringeren Reizung der peripherischen Theile,
ganz ebenso, wie die Entstehung kleiner fibröser Knoten, welche
als unvollständige Aequivalente für tuberkulöse, skirrhöse und
syphilitische Bildungen betrachtet werden müssen, aus der ver-
hältnissmässig unzureichenden Intensität oder Menge des Infek-
tionsstoffes (S. 77). In diesem Falle simulirt demnach die
fibröse Geschwulst eine mehr gutartige Natur, während sie aetio-
logisch in eine ganz andere Reihe hineingehört, und man kauii
daher z. B. von einem syphilitischen **) Fibrom sprechen , was
wohl zu unterscheiden ist von der im engeren Sinne so zu neu-
nenden syphilitischen Geschwulst.
Nach diesen Bemerkungen wird es nicht mehr aufMeo.
wenn ich in meiner Darstellung viel weniger von fibrösen Ge-
schwülsten spreche, als es Gebrauch ist, und wenn ich mich zu-
gleich mehr darauf beschränke, die Ergebnisse meiner eigenen
Beobachtung zusammenzufassen und nur in sehr bedingter Weise
auf die Erfahrungen anderer zurückgreife.
Was zunächst die Fibrome der Haut und des Unterhaut-
gewebes anlangt, so habe ich zu dem, was ich bei Gelegenheit
•) C. 0. Weber. Chirurgische Erfahrungen und üntersuchungeo. Ber-
lin. 1859. S. 291, 295.
**) Senft leben im Archiv fOr klinische Chimrgte. 186L Bd. I. & lO?-
Tuberöse Fibrome der Haut. 351
der Elephantiasis, des Molluscum und der Papillargescbwülste er-
wsUint habe, nur wenig hinzuzufügen. Die meisten der Fälle,
welche als Fibroide oder fibröse Geschwülste der Haut beschrie-
ben worden sind, und namentlich diejenigen, bei denen eine aus-
gezeichnete Multiplicität beobachtet worden ist*), gehören zum
Molluscum oder zur knotigen Elephantiasis (S. 309, 327). Letzteres
gilt insbesondere von den congenitalen Formen, bei welchen eine
anfangs kleine Geschwulst sich nach und nach immer weiter im
Umfange und in der Fläclie ausbreitet. **) Zuweilen sind freilich
auch diese Formen ganz beschränkt, solitär und nach einer ge-
wissen Zeit stationär, aber dies ist nicht das Gewöhnliche, und
es begreift sich daher leicht, dass man darauf geführt worden
ist, eine Art von constitutioneller Begründung zu suchen. Diese
Vorstellung wird noch mehr dadurch begünstigt, dass Fälle von
ausgemachter erblicher Uebertragung fibromatöser Dispositionen
vorkommen. Ich habe einen jungen Mann gesehen***), dessen
Körper ganz übersäet war mit Knoten von der Grösse eines
Stecknadelknopfs bis zu der von Taubeneiern, und in dessen Fa-
milie diese Besonderheit schon in der dritten Generation in erb-
licher Weise vorhanden war.
Manche dieser Knoten sind mehr weich und elastisch anzu-
fühlen; manche dagegen bestehen aus einem ausserordentlicli
dichten, vielfach verfilzten Fasergewebe, welches an manchen
Orten so dicht wird, dass es eine beinahe knorpelartige Consi-
stenz annimmt, am meisten vergleichbar mit der Beschaffenheit,
welche die sogenannten Cartilagines semilunares im Kniegelenk,
die keine eigentlichen Knorpel sind, sondern nur Bandscheiben f),
besitzen. Man hat sie deshalb früher ebenfalls Speckge-
schwülste (Steatome) oder auch wohl Chondroide oder Skle-
rome genannt. Diese härteren Formen haben gewöhnlich eine
♦) 0. Simon. Hautkrankheiten. S. 235. Taf V. Fig. 2. u. 3. v. Bä-
ren sprang. Observationes microscopicae de penitiore tumorum nonnullorum
structura. Diss. inaug. Halis. 1844. p. 27. Lebert. Traite d'anat. pathol.
T. I. p. 171. PI. XX. fig. 13. et 14. Sangalli. Storia cliuica ed anatonMca
dei tumori. Pavia. 1860. T. II. p. 150. Busch. Lehrbuch der allg. Cbi-
rorgie. Berlin. 1857. S. 157. fig. 53.
^*) Lebert Abhandlungen aus dem Gebiete der Chirurgie und path.
Phys. S. 76. Senftleben a. a. 0. S. 95. V. Mott. Med. cbir. Transact.
1854. Vol XXXVII. p. 158. Bruns. Prakt. Chirurgie. 1. S. 91. II. S. 134.
•♦♦) Mein Archiv. 1847. Bd. I. S. 226.
t) Cellnlan^athologie. 3. Anfl. S. 84.
352
DreiiebDte Vorir^aa^
indoleat« B«seluff«iib«it; sie wachsen meUtMts langsam, wisen
überhaapt kein^ Nei|niiig zd einem sehr weit for^chreitenden
Wacbüdinm odi^r znr Verschwänrns;, bleiben gewöhnlich anf einer
KCwixeeD Gr6»HH stationär und erlialten sich als bleibende Bestan«]-
theile des Theiles. an dem sie sitzen. Da sie ans Bindesewebe
mit viel IntercellalarsubstaoE and wenig Zellen bestehen, welches
an Kicb nicht sehr zn spontanen Veränderungen neigt, so besreifi
eit sich leicht, dass sie als bleibende Bestandtheile der Haut in-
corporirt, von derselben ernährt und so das ganxe Leben hin-
durch getragen werden können. Die Mehrzahl von ihnen giebt
daher za einem operativen Eingreifen keine unmittelbare Veran-
lassung.
Ein anderer Hauptsitz der Fibrome sind die Fascien. wo
sie sich oft zu beträchtlicher Grösse ausbilden. In der Re^el
sitzen sie mit einem gewissen Theil ihres Umfanges der Fast-i«
auf, während der grOssere Theil mehr lose in das umgebende
Bindegewebe dringt. Sie entsprechen daher der von Crnveil-
hier*) unter dem Namen der Fibrophytes parasitaires implantes
aufgeführten Form. Ihre
"i '^ Gestalt ist im Allgemeinen
rundlich und ihre Einricli-
tung lappig. Zuweilen
sind sie nnilobulär unil
dann zeigen sie ein sebr
gleichförmiges, wenig gf-
fässhaltiges , weisses oder
röthlichweisses Geweiw-
Meist jedoch sind sie
niultilobulär (Fig. 6ii.)
und durch derbere, welss-
liche Faserzfige, an denen
die einzelnen Lappen auf-
sitzen, abgetheilt. Jetlcr
Pig. 6G. Fibroma loUutnrc fimnrulatnm ins der Ges&aegegeod, tob
H«nn Wilms eititirpirt. Man sieht von «iaem Punkte »us die AuBstnhlun;
Hehni;:» PasfriOtne, na welihe »ich die einielnen Uippen BnBeliliessen, d^ren
FuermaHsen reRelmÜHHif; gef>en die l'eripberie aaBstrablen. (Priparal Nu. 35.
*) Craveilbiir Traik- d'anat pKth. g^ner. T. III. p. 610, 77a
Fibroma mucosum et ossificum. 353
Lappen für sich hat gewöhnlich wieder einen radiären und fasci-
culären Bau, indem die einzelnen Faserzüge sich verbreiternd
gegen den Umfang ausstrahlen. An der Oberfläche des Körpers
würde daraus die Form eines Fungus hervorgehen, aber meist
erreichen sie die Oberfläche gar nicht. Viele wachsen von der
Fascie nach innen zwischen die Muskeln oder gar gegen die
Gelenke hin*).
Man kann sie nach ihren inneren Eigenschaften in drei Unter-
abtheilungen bringen. Neben dem einfachen, gewöhnlichen Fibrom,
das ganz ähnlich ist dem vorher beschriebenen harten Fibrom der
Haut, kommt eine Abart vor, welche sich ihrer Zusammensetzung
nach mehr den Schleimgeschwülsten annähert: Fibroma mu-
cosum. Seine Consistenz ist gewöhnlich nicht so hart, ja es
bietet oft eine leicht fluctuirende Beschaftenheit dar; auf dem
Durchschnitt tritt eine sehr schlüpfrige, dem Hühnereiweiss ähnliche
Masse hervor, die bei der chemischen Untersuchung die Eigen-
schaften des Mucins, des wirklichen Schleims darbietet. Dieser
Schleim durchdringt die Intercellularsubstanz, aber er ist nicht so
überwiegend, dass man berechtigt wäre, die Geschwulst geradezu
eine Schleimgeschwulst zu nennen. Diese Fornä ist mehr zum
Wachsen geneigt; sie enthält auch in der Regel mehr GefUsse
als die andere. Sie bedingt daher öfters das operative Eingreifen,
und wenn die Beseitigung an Ort und Stelle nicht ganz voll-
ständig geschieht, so folgen sehr leicht locale Recidive. Manche
Fälle davon werden unter dem Namen des Sarkoms (S. fasci-
culare) beschrieben, weil allerdings die zelligen Elemente eine
stärkere Entwicklung erreichen und die ganze Zusammensetzung
sich durch die weichere Beschaftenheit des intercellularen Gewebes
von der gewöhnlichen fibrösen Geschwulst entfernt.
Eine dritte Unterart bilden die ossificirenden und petri-
ficirenden Fibrome, die sich von den eigentlichen Osteomen
dadurch unterscheiden, dass die Ossification keine vollständige zu
werden pflegt, sondern dass die Kalkmasse in einzelnen Körnern und
Säulen durch die Geschwulst hindurch abgelagert wird. In Folge
dessen fühlt diese sich hart an, schneidet sich schwer, aber auf dem
Schnitt erscheinen nur einzelne Punkte, Linien oder Knoten, welche
vollständig verkalkt sind, während dazwischen eine mehr oder
^ Senftleben a. a. 0. S. 104.
Virchow, Gesehwfilst«. 1. 23
354 Dreizehnte VorleBnng.
weniger grosse fibröse Masse vorhanden ist Sie bleiben meist klein
und stören nur in dem Maasse, als sie etwa an Stellen sitzen, wo
sie durch Druck häufiger getroffen werden, und ihrerseits auf die
unterliegenden Theile einen analogen Druck ausüben, z. B. am
Fussrücken*), wo sie in Wahrheit „Ueberbeine^ darstellen. —
An die fascialen Fibrome schliessen sich unmittelbar die des
Periosts**), die keineswegs häufig sind, aber zuweilen recht
gross werden. Gewöhnlich entwickeln sie sich gegen die Weich-
theile hin, so dass der Knochen entweder ganz intact bleibt, oder
eine flache Depression, eine grubige Atrophie erfährt, die aber
keineswegs einen hohen Grad zu erreichen pflegt Dies gilt aber
nur f&r die Knochen, von denen sie ausgehen ; auf andere können
sie einen solchen Druck ausüben, dass die ausgedehntesten Zer-
störungen dadurch hervorgerufen werden. Auch bei ihnen kann
man ähnliche Unterscheidungen wie an den Fascien machen;
namentlich sind ossificirende Formen nicht selten. Sie können
einen sehr erheblichen Umfang erreichen, so dass sie von aussen
betrachtet leicht den Eindruck einer Periostose oder Hyperostose
machen, wovon sie sich aber dadurch unterscheiden, dass die Ge-
schwulst auf der Oberfläche des Knochens etwas verschiebbar ist,
wenngleich sie sonst so gleichmässig von dem Knochen hervorgebt,
dass sie wie eine unmittelbare Production desselben erscheinen mag.
Von manchen und zwar gerade den schlimmsten Formen der
Fibrome bleibt es oft zweifelhaft, ob man sie mehr zu den fascialen
oder zu den periostealen rechnen soll. Dies gilt namentlich von
einer gewissen Zahl derjenigen, welche an der vorderen Seite
der cerebralen und spinalen Wirbelkörper vorkommen.
Ja, zuweilen bleibt es sogar unentschieden, ob nicht die Knochen
primär ergriffen sind, da ihre Zerstörung einen sehr hohen Grad
erreicht Cruveilhier***) erwähnt einen Fall, wo die Geschwulst
gestielt am Körper des zweiten Rückenwirbels sass; ich habe einen
ganz ähnlichen beobachtet f). Der gewöhnlichste Sitz ist aber die
^) Präparat unserer Sammlung No. 370. vom Jahre 1858. vgl Cro-
veilbier I. c. p. 775.
^*) Job. MO 11 er in seinem Archiv. 1843. S. 436. Stanley. A iittüit
00 diseases of the bones. Lond. 1849. p. 179. Cr u veilbier 1. c. T. 111-
p. 639. Demarquay. Trait^ des tomeurs de Torbite. Paria. 1860. p.4^
•♦•) Cruveilbier 1. c. T. 111. p. 641.
t) Im Dccember 1845 fand icb bei der Autopsie einer alten, an Gao-
graena senilis gestorbenen Frau in der Bmatböhle Ober den Körpern de»
Nasen - Rachenpolypen. 355
obere Hals- und die Basilargegend , und das Gewächs erscheint
dann entweder als Retropharyngealgeschwulst*), oder in
der so gef&rchteten Form des Nasen-Rachenpolypen, oder
endlich als eine mehr verborgene Anschwellung des Halses**), der
Orbital-, Temporal- oder Sphenopalatinalgrube. Offenbar ist die
polypöse Form die bei Weitem wichtigste *, sie hat zugleich das
historische Interesse, dass es sich hier um die Polypen ocar
f^oxnv (S. 10) handelt, und dass dieselben hier nicht nur viel-
ästig, sondern auch wirklich vielfussig sind, d. h. mit mehrfachen
Wurzeln festsitzen.
Die vor einigen Jahren in der chirurgischen Gesellschaft zu
Paris gepflogenen Discussionen ***) über diese so schwer zu ope-
rirenden Formen und die späteren Beobachtungen f) haben auch
zugleich die anatomische Kenntniss erweitert. Insbesondere wies
Robert darauf hin, dass diese Geschwulste von der Aponeurose
am Foramen lacerum anterius ausgingen; andere ff) überzeugten
sich, dass sie zuweilen an dem ganzen Os tribasilare und selbst
noch an dem Atlas und den oberen Halswirbeln anhingen, von
wo sie sich in den Schlund, die Nase u. s. w. hervordrängen.
Lebertftt) hat mehrere der damals discutirten Fälle in seinem
grossen Atlas abbilden lassen. Ob einer oder der andere dem
Sarkom näher stehen dürfte, möchte man vermuthen, da die Schä-
delknochen zum Theil ganz zerstört waren. Ebenso verhält es sich
3. und 4. Räckenwirbels nach der linken Seite hin eine Höbnereigrosse,
haute, runde Geschwobt, welche den Knochen etwas atrophirt hatte, mit
dem Intervertebralknorpel nicht zusammenhing, von dem Ligam. longit. ant.
bedeckt wurde und damit zusamnienfloss. Durchschnitten zeigte sie sich ans
einer Menge grösserer Lappen zusammengesetzt, welche aus sehr hartem
Paeergewebe bestanden.
♦) Syme. The Lancet 1856. No. 2. Berr. Bayrisches ärztliches Intel-
ligenzblatt 1861. S. 419.
**) MaisoDDenve. Gaz. des h6p. 1854. No. 69.
♦♦•) Giraldes. Gaz. des höp. 1850. No. 46. p. 183. Forget. l'ünion
m^ 1850. No. 149. Robert et Gerdy. TUnion med. 1852. No. 25. p. 105.
Ungnier. Gaz des hdp. 1852. No. 32. p. 127.
t) Scbnh. Pseudoplasmen. 1854. S. 105. d'Ornellas. Des polypes
fibreox de Ift base du cräne. These de Paris. 1854. Middeldorpf. Die
Galvanokaastik. Breslau. 1854. S. 146. Th. John. De polypis narium
eorumqoe diversis operandi methodis. Diss. inaug. Vratisl. 1855. p. 4.
ff) N^latoo. Gaz. des hdp. 1853. No. 5. Michaux ibid. No. 13.
ttt) L«bert Trait^ d'anat path. T. I. p. 172. PI. XX. fig. 18. PI. XXI.
fig. 1 — 3.
23 •
356 Dreizehnte Vorlesung.
mit einigen späteren Fällen*). Indess moss die polypöse Form
im Grossen den Fibromen zugezahlt werden. —
An den meisten anderen bindegewebigen Theilen des Körpers
kommen tuberöse Fibrome entweder gar nicht vor, oder wenig-
stens ganz vereinzelt, wie z. B. am Herzen**), oder sie sind so
klein, dass man sie mit ebenso viel Grund zu den papillären
rechnen kann. Dahin gehören insbesondere die fibrösen Poly-
pen des Larynx ***), welche am gewöhnlichsten an den derben
Theilen der Stimmbänder sitzen, und bald mehr die eigentliche
Condylomform tragen, bald als einfache, solide Auswüchse hervor-
treten. Sie haben verhältnissmässig viel Aehnlichkeit mit den
Excrescenzen der serösen und Synovialhäute. —
Alle diese Formen sind im Wesentlichen hyperplastische, also
vollständig homologe, oder, wie man sonst wohl sagte, hypertro-
phische, die auch in den Fällen, wo an denselben Theilen, z. B.
an der Haut, sehr viele vorkonmien, doch nicht einfach auf eine
besondere fibromatöse Dyskrasie bezogen werden dürfen. Viele
erklären sich genügend aus einem besonderen, veränderten Zu-
stande des Gewebes, in welchem sie entstehen. Man muss sieb
nur erinnern an das typische Beispiel, das ich von der Niere
(S. 333) geschildert habe, wo neben einer leichten interstitiellen
Nephritis, welche durch das ganze Organ geht, an gewissen Stellen
Fibrome bestehen, die in jedem Markkegel zu einzelnen oder
mehreren vorkommen. Das ist genau derselbe Fall, wie wenn
Jemand die äussere Haut mit solchen Geschwülsten durchsetzt
hat. An den serösen Häuten kommt es manchmal vor, dass mau
an einer derselben einen ganzen Haufen grösserer und kleinerer
fibröser Knoten findet. Jedermann betrachtet sie als den Aus-
druck einer entzündlichen Reizung, die über die ganze Fläche
verbreitet war, wenngleich dieselbe nicht an allen Stellen dasselbe
♦) C. 0. Weber a. a. 0. S. 384. Taf. IV. fig. 11. E. Nöggeratb.
Spioilegium casuura nonnullorum. Diss. inaug. Bonn. 1852. H. R. Arndt.
De specimine quodam polypi narium fauciumque. Diss. ioaug. Berol. IK')!)-
♦♦) Albers. Atlas der path. Anat. Bd. III. Tif. 10. Fig. 1-2. Laschk»
in meinem Archiv. Bd. Vlll. S. 343. Kottmeier. fibendas. Bd. XXIU.
S. 434. Taf. IV. Fig. 3.
**♦) Khrmanii. Histoire des polvpes du laryax. Strasb. 1850. Roki-
tansky. Zeitschr. Wiener Aerzte. IHal. Mai. S. 1(16. M iddeldorpf. Oal
vanokaustlL. S. I7(i. G. Lew in. DcuUche Klinik. 1862. No. 12. ff.
GoDstitationelle BeziehaDgen der Fibrome. 357
Resaltat herrorbringt. Bei einer chronischen Perisplenitis ist nichts
gewöhnlicher, als dass Knoten sich bilden; es kommt vor, dass
kleine knorpelartige Fibrome, manchmal zu Hunderten, auf der
Oberfläche einer Milz vertheilt sind, ohne dass eine gleichmässige
Verdickongs - Schicht sich bildet.
Diese Fälle beweisen, dass innerhalb einer grösseren häutigen
oder bindegewebigen Ausbreitung ein Zustand von Vulnerabilität,
von Yerletzbarkeit bestehen kann, der unter verhältnis^^mässig
leichten Einwirkungen isolirtc Eruptionen hervorbringt. Die
knotigen, tuberösen Fibrome stehen darin vollständig parallel
den warzigen, welche sehr häufig multipel sind und nicht
allein an den Händen in grosser Zahl hervorwachsen, sondern
auch am übrigen Körper in grosser Verbreitung sich finden. Man
kann da nicht ohne Weiteres auf eine warzige Dyskrasie oder
eine warzige Constitution des Körpers im Ganzen schliessen, denn
nur die Haut nimmt an dieser Disposition Theil. Studiren wir
aber diese Fälle genauer, so ergiebt sich, dass an den Händen
die Gelegenheitsursachen immer in äusseren Reizen bestehen, und
dass solche Personen, welche wenigen Reizen ausgesetzt sind,
auch wenige oder keine Warzen haben. Es ist ja kein Zweifel,
dass diejenigen Klassen des Volkes, welche mit ihren Händen
nicht gerade sehr schwierige Arbeiten zu verrichten haben, auch
sehr wenig an Warzen leiden, während Köchinnen, Kutscher,
Handwerker, Arbeitsleute oft in hohem Maasse davon geplagt
sind. Das ist offenbar die Wirkung ihrer besonderen Beschäfti-
gung, und jeder andere Theil des Körpers kann unter gewissen
Verhältnissen ähnliche Dispositionen erleiden. Vor einigen Jahren
habe ich hier einen jungen Menschen vorgestellt, der mit conge-
nitalem Defecte der Arme zur Welt gekommen war; dieser hatte
sich mit den Füssen zu allerlei Dingen exercirt, welche sonst
mit den Händen gemacht werden, z. B. Nähen, Schreiben. Bei
ihm waren die Füsse ebenso mit Warzen bedeckt, wie bei anderen
Leuten die Hände es sind. Es ist dies um so mehr charakte-
ristisch, als sonst gerade die Ffisse ausserordentlich wenig von
Warzen leiden, da sie nicht jenen beschränkten, feinen, oft wieder-
holten Reizen ausgesetzt sind, wie sie bei vielen Handarbeiten
vorkommen.
Es zeigt sich weiterhin darin eine grosse Verschiedenheit,
358 Drendute
das» das eine IndiTidmim vitter ^^eieh^ TeffUldusseii Warzen
erzeugt, rlas andere nicht ja dass ancfa bei dcmselbea IndiTidaum
in gewisi^en Zeiträumen leichter Warzen prodatirt werden. Da^
lehrt uns, dass in den Geweben, weiche der Sitz einer solchen
Wucherung werden, eine variable Disposition bestebt. Diese
muss in dem Zoi^tande der Thede als sokber be^rlndet sein, da
sie ja auf bestimmte äussere Reize Terschiedene Leistongen her-
vorbringen. Wird die Störung, welche stattgefunden hat. leicht
ausgeglichen, dann wird sie auch ohne ResoHat Toinbergehen.
Daher glaube ich, dass man in allen diesen Fallen zoniehst auf
eine locale Prädisposition zurückgewiesen wird« nnd das.s
damit au<'h die Multiplicitat dieser Geschwülste sich vollständig
erklärt. Will man aber consequent im Sinne der Hamoralpatho-
logen vorwärts gehen, dann kommt man za dem Resultat , was
heut zu Tage noch im Volke viel&ch lebt, dass die Wanen an-
stecken, und dass das Ansteckende im Blute liegt Es ist ja ein
altes Vorurtheil, dass, wenn man eine Warze abschneidet und
Blut davon auf die Haut kommt, eine neue Warze entsteht. Da.<
ist eine Folge der alten, im Volke steckenden homoralpatholo-
gischen Doctrinen, die consequenter Weise nicht anders durch-
gebildet werden können, als dass man auch das Blnt in der
Warze als den eigentlichen Träger des Contagiums und der
Dyskrasie ansieht (S. 39).
Für die örtliche Prädisposition sprechen femer jene zahl-
reichen Fälle von congenitalen Fibromen, welche aof geringe
Reize in vermehrtes Wachsthum gerathen und sich zn grossen
Geschwülsten ausbilden. Es sprechen daf&r die freilich viel selte-
neren erblichen Formen, die sich erst nach der Gebort entwickeln
und deren Multiplicitat sich immer auf ein einziges System be-
schränkt. Es sprechen endlich dafQr die zahlreichen Fälle, wo
geringe Traumen die veranlassende Ursache für die Elntwickelung
von Fibromen abgeben, oder wo die eigentliche Geschwnlstbil-
(lung, wie das bei der Elephantiasis so scharf hervortritt, auf
einem durch voraufgegangene Krankheitsprocesse pridisponirten
Boden stattfindet.
Zu wiederholten Malen habe ich hervorgehoben (S. 41.
<i(), 75), dass ich damit die Frage nach einem dyskrasischen
Grunde nicht ausschliesse, ja dass ich nicht einmal die specifische
Heteroplastiflche Fibrome. 359
Natur einer solchen Dyskrasie leugne. Die Syphilis dient hier
als bestes Beispiel. Sowohl bei den spitzen, als breiten Condy-
lomen hat man sie herangezogen. Von den breiten ist es un-
zweifelhaft, dass sie der constitutionellen Lues angehören, und
wir werden darauf zurückkommen. Von den spitzen ist es un-
zweifelhaft, dass ein unreiner Beischlaf sehr häufig die Veran-
lassung dazu abgiebt. Sind sie deshalb syphilitisch? Gewiss
nicht Irgend ^in scharfes Secret, mag es nun syphilitisch sein
oder nicht, dient als örtlicher Reiz, und es entsteht eine Binde-
gewebsgeschwulst, wie ein anderes Mal eine „syphilitische*
Exostose sich bildet, die doch als nicht specifisches Ergebniss
einer schwachen Reizung einer specifischen Dyskrasie erscheint.
Der specifische Stoff, das besondere Virus wirkt hier nicht als Spe-
cificum, sondern als allgemeines Acre.
Mag daher auch eine Dyskrasie der Träger des Reizes sein,
so ist das Fibrom wesentlich als ein Gebilde von durchaus
localer Bedeutung, und daher im gewöhnlichen Sinne als gut-
artig zu betrachten. Mag es auch wachsen und sich ausbreiten,
so hat es doch wenig Neigung zu ulceriren und noch weniger
zu inficiren. Im Gegentheil, viele der hier in Betracht kom-
menden Gebilde, namentlich Warzen und Condylome, jedoch
auch die leichteren elephantiastischen Formen (Scleriasis, Fibrome
der Brust) bilden sich häufig spontan zurück, indem sie einer
langsamen Atrophie und Resorption unterliegen. —
Ausser den hyperplastischen Formen giebt es endlich noch
eine, freilich sehr viel kleinere Gruppe von Fibromen hetero-
plastischer Natur, — heteroplastisch nicht in dem Sinne des
Bösartigen genommen, sondern im Sinne einer Entwickelung, welche
einen anderen Typus hervorbringt, als das Muttergewebe besitzt
Allerdings ist diese Heteroplasie nur eine niederen Grades, indem
das neu entstehende Bindegewebe nicht aus Bindegewebe, sondern
aas einem anderen, verwandten Gewebe der Bindesubstanz-Gruppe
hervorgeht Immerhin ist es keine Hyperplasie.
Diese Form findet sich verhältnissmässig am häufigsten in
den Knochen, hervorgehend entweder aus dem Knochengewebe
selbst, oder aus dem Mark, also aus verwandten Geweben, die
aber doch wesentlich vom Bindegewebe verschieden sind. Unter
360 Dreizehnte Vorlesung.
den Knochen, welche der Sitz einer solchen Bildung werden,
sind es die Kieferknochen, welche sich durch ihre grosse
Neigung zu heteroplastischen Formationen vor allen anderen
Bestandtheilen des Skelets auszeichnen. Sowohl im Ober- als
im Unterkiefer kommen solche Fibrome in sehr grosser Ausdeh-
nung vor*).
Aehnlich wie die Fibrome der Fascien und des Periosts be-
stehen auch diese meistentheils aus einem sehr dichten, vielfach
verflochtenen sehnigen Gewebe, welches, indem es sich nach
allen möglichen Richtungen durcheinanderschlingt, kleinere Kno-
ten bildet, die sich miteinander zu dem grossen Gesammttumor
zusammensetzen. Der grosse Tumor besteht also eigentlich aus
einer Reihe von Lappen oder von einzelnen kleineren Tumoren,
und jeder kleinere Tumor wiederholt in sich dasselbe filzige
Geflecht, welches die anderen charakterisirt. In diesem filzi|;en
Geflecht findet sich in der grossen Mehrzahl der Fälle eine ge-
wisse Zahl von harten, beim Schneiden grossen Widerstand lei-
stenden Stellen, die, wenn der Schnitt geschehen ist, dem Finger
wie eine Einsprengung von Sand oder Kieselstückchen erscheinen.
Isolirt man sie, so ergiebt sich, dass sie bald längere Balken
bilden, die untereinander in Verbindung treten, bald isolirte kleine
Körner oder Stäbchen, kurze Cylinder, oder auch wohl unrcgel-
mässig gestaltete, oft sehr spitzige Massen sind. Sic erweisen
sich in manchen Fällen als einfache Verkalkungen des Gewebes,
in anderen als wirkliche partielle Ossiticationen.
Auch hier ist man nicht berechtigt, die Geschwulst eine
Knochengeschwulst zu nennen, denn sie kann eine sehr bedeu-
tende Grösse erreichen, ohne dass erhebliche Theile von ihr ossi-
ficiren. Ossificirt sie ganz und gar, dann ist sie natürlich zu den
Osteomen zu rechnen. Aber gewöhnlich findet sich nur eine zer-
streute Zahl von kleinen Kalk- und Knochen-, auch wohl Knorpel-
inseln, welche den fibrösen Gesammthabitus der Geschwulst nicht
*) Paget. Lecturos on sargical path. II. p. 145. Stanley. Diseases
of bones. p. 281. A. Borchert. Nonnulla de excisione maxillae superiori«
totali. Dis8. iiiaug. Ro»t. 1847. p. 18. Schuh a. a. 0. S. 149. Billroth.
Deutsche Klinik. 1855. No.25. Senft leben a. a. 0. S. 100. Maisonneuvc.
(lax. mod. 1856. No. 21 p. 322. Rissmann. De resectiouibns ac duobu»
re^ectionis utriusque maxillae superioris exemplis. Diss. inang;. Berolini. 1867.
p. iü. C.O.Weber. Die Knochengeschwülste. Abth. I. S. 94. Taf. II. Fig. J.
Heteroplaatitcbe FibTome der Rnorhen. 361
verändern. Man mass letztere also den auflgesprochenen Grund-
»ätzen gemäss al» Fibroma ossificum und petrificum be-
zeichnen.
Die Bildung dieBer Fibrome geht nicht aus von einer binde-
gewebigen Hatrin, sondern von dem Mark und Knochengewebe;
liiese verschwinden, und an ihre Stelle tritt die fibrCse Masse.
Anfangs substituirt sie einfach die früheren Gewebe, bald aber
wird sie viel grOsser als die frühere KnochenmasHe war. Dann
wölbt sie sich allmählich an der Oberfläciie hervor, und „treibt
den Knochen auf." Je nach der LocalitSt kann sich die äussere
Beschaffenheit verschieden gestalten.
Entstehen die Geschwülste central, und erhält sich das Periost
an ihrer Oberfläche längere Zeit intact, so bildet es immer wieder
Fig. ST.
an der Oberfläche neue Knochcnscbichten, wie beim wachsenden
Knochen; die Geschwulst bleibt dann nach aussen umhüllt von
einer knöchernen Schale, — ein Verhältniss, welches früher ge-
wöhnlich so gedeutet wurde, dass man annahm, es dehne die
Geschwulst den Knochen einfach mechanisch aus, und schiebe die
äusseren Schichten nach aussen. Diese Deutung ist um des
Fig. l>7. Fibroma licleroplasticiim petrificum, au» der M»rkhöhle des
Unterkiefers herrortEegan^eD. Fnustgrosse Geschwulst von derbem, filzigem
Bau. Ar vielen Stellen sind die F»i>crbalken verkalkt. Die Oberfläehe lappig,
nk'ht uIceTös, keine KDoehennchale. Von Ilerro Wilma rebetirt. Durrhitchnill.
(Präparat No. 55. vom Jabre 1857).
362. Dreixehnte Yorlesuiig.
ümstandes willen zurückzuweisen, weil die Ausdehnung dieser
Geschwülste so gross ist, dass bei einer blossen Auseinander-
treibung die Knochenschale nicht mehr vollständig geschlossen
bleiben könnte. Es geschieht yielmehr eine Neubildung von Kno-
chensubstanz an den Oberflächen aus dem Periost, ganz nach Art
der Apposition neuer Schichten auf den wachsenden Knochen.
Sitzen die Geschwülste dagegen mehr oberflächlich, so dass
sie frühzeitig an das Periost herankommen, und dass dieses stark
gespannt wird, dann fehlt die Knochenschale. Das ist am Ober-
kiefer oft der Fall, wo die Geschwülste sich nach der Highmors-
höhle hin besonders leicht entwickeln und diese ausfällen, weil
nach dieser Richtung kein grosser Widerstand besteht*). Auf
diese Weise kann es geschehen, dass die Höhle ganz obliterirt,
und der Oberkiefer in eine compakte dicke Masse verwandelt
wird. Es ist dies eine der derbsten Geschwulstformen, die es
überhaupt giebt. Daher hat man sie früher häufig Osteostea-
toma genannt.
Ausser in den Knochen gehören Fibrome in solchen Theilen,
wo normaler Weise kein Bindegewebe existirt, zu den grössten
Raritäten. Ueberhaupt ist das Fibrom unter allen heteroplasti-
schen Gewächsen relativ das seltenste und zugleich das unschul-
digste, denn selbst die ausgeprägtesten Fälle von heteroplastischem
Fibrom der Kiefer geben bei vollständiger Exstirpation oder Re-
section die günstigste Prognose.
Indess giebt es auch in der Geschichte der Fibrome einen
düsteren Punkt. Paget**) hat zuerst die Aufmerksamkeit auf
einzelne Fälle von malignen fibrösen Geschwülsten gelenkt, wo
theils Recidive an den Narben, theils innere Metastasen, nament-
lich in den Lungen und an der Pleura nach der Exstirpation vor-
kamen. Insbesondere schildert er einen solchen Fall von der
weiblichen Bnist, einen von dem Schulterblatt. Richard Volk-
mann ••*) hat ein paar ähnliche beschrieben, wo die Extremitäten-
•) Indess giebt es auch fibroide Geschwülste der Oberkieferhöh k
welche in ihr selbst entstehen. N^Iaton. Compt rend. de U Soc. de Bio-
logie. T. III. p. 43. W. Lesenberg, üeber Geschwülste der Oberkiefer
höhle. Inaug. Diss. Rostock. 1856.
♦♦) Paget. Lectures on surg. path. II. p. 151.
♦*•) R. Volkmann. Bemerkungen über einige vom Krebs lu trennendf
Geschwülste. (Aus dem 4. Bande der Abhandl. der Natarf. Ges. zu Halle)
1858. S. 8.
Maligne Fibrome. 363
knochen der primäre Sitz des Ucbels waren. Auch unsere Samm-
lung besitzt ein Präparat*) , wo neben einem ungeheuren Tumor
des Uterus zahlreiche Secundärgeschwülste des Bauchfelles, des
Netzes, des Gekröses, der Pleura vorhanden sind. Einige dieser
Fälle schliessen sich dem Sarkom« andere dem Chondrom sehr
nahe an, und ich werde darauf zurückkommen; eine genaue Dar-
stellung derselben ist bei der geringen Zahl der bekannten Beob-
achtungen noch nicht ausführbar.
♦) Präparat No. 1270. vom Jahre 1853.
Vierzehnte Vorlesung.
17. Januar 1863.
Lipo
UnEwerkinädtfigkeit den Namens Steatnm. Unterschied der Lipome von talgartigen Atberomca
Cbolestearincysten, fetthaltigen Kystomen und Cholesteatomen. Zusammensetzung.
Das hypcrplastische Lipom. Vcrhältniss zur Polysarcie (Obesitas). Lappiger Bau. Vahe
täten: L. raoUe s. vulgare, L. durum s fibrosum, L. teleangiectodes , L. ossifirura et pftri-
ficum, L. gelatinosum s. cuUoides, L. rysticum. Neubildung im Vergleich zur Fötalentwirkr-
lung. Irritativer Ursprung. Vorkommen: subcutan, subfa^cial und intennascalar, intraorbital.
subseroH und Mub^ynovial, subraucös.
Verschiedene Formen :
1. Lipoma simplex tuberosum. Aeusserer Balg. Wurzel oder Stiel.
2. Lipoma capsulare. Auge. Herz. Nieren: Verhältniss zur Nierenschrumpfung. W(>ib
liebe Brust: gewöbuliches und capsulares Lipom. Verh<niss des letzteren zu Skirrk
und interstitiellor Nfastitiü. Hernien: Omentallipom , Hernia lipomatos«, Lipoma hfr-
niosnm capsulare, Complication mit Hydrocele heruiosa. Lymphdrüsen.
3. L polyposuiH. Physiologische Beispiele: Appendices epiploicae, 8ynoviairort>itif.
L. arboresceus: Gelenke, Schleimbeutel. Hautpolypen: Ortsverinderung. Ma((«a
und Darm. Seron e und Synovialhäute: Ablösung des Stiels, halbknorpelige Nek-
rose, Petrificatiun, Schmelzung des Fettes. Freie Körper der Bauchhöhle, der Srblcim-
beutel und (ielenke.
Das heteroplastischc Lipom. Nieren. Hirn- und Rückenmarkshaute. Transformation \oa
Knorpel, Bindegewebe u. ». w. in Fettgewebe. Lipome der Conjunctiva balbi, des Scroton»
und der Schamlippen. Discontinuirliche Lipome.
Multiple Lipome. Dyskrasie. Locale Irritatiou. Prädisposition: congenital iftid erblich, tt
worben.
Spätere (ieschict^o der I^ipome: Mangelhafte Rückbildung, Verhärtung, Verkmlkung, VerschväntRi:.
Abscessbildung, Erweichung.
Lipome der Wangen. Corpus adiposum malae.
Als zweite Art der Gewächse, welche aus einem Gewebe der
Bindesubstanzreihe bestehen, wollen wir die Lipome oder Fett-
gewächse besprechen.
Man hat sich in der neueren Zeit viele Mühe gegeben, neben
den Lipomen noch eine besondere Kategorie von Fettgewächsen
Steatom. . 365
unter dem alten Namen Yon Steatomen festzuhalten. Ich halte
es nicht für nöthig und noch weniger für zweckmässig, dass man
einen Namen wieder ins Leben ruft, der auf die allerverschieden-
artigsten Geschwülste angewendet worden ist. Während nehm-
lich bei Galen eine Form des Atheroms, die mit talgartigem
Inhalt, als Steatom bezeichnet wird (S. 13), so hat man später-
hin den Namen auf eine Menge von Geschwülsten ausgedehnt,
welche, wie man sich ausdrückte, eine speckige Gonsistenz hatten,
ohne doch so marmorhart zu sein, wie die Skirrhen. So ist in
den letzten Jahrhunderten Steatom (Speck geschwulst, Tumor lar-
dac«us) eine Bezeichnung geworden, die bald auf fibröse Ge-
schwülste (S. 325), bald auf wirkliche Carcinome, auf Enchon-
drome und alles Mögliche angewendet worden ist. Die Bezie-
hung auf Fett ist dabei bald festgehalten, bald aufgegeben worden ;
immerhin hielt man sich häutiger an die derbe Gonsistenz, als an
die fettige Natur. Auf alle Fälle war es ein Fortschritt, als
Littre*) den Namen des Lipoms vorschlug, und damit die
eigentliche Fettgeschwulst mit Bewusstsein von dem Steatom
trennte. Freilich hat es lange genug gedauert, ehe die neue
Bezeichnung allgemein verstanden wurde, und noch ein Jahrhun-
dert später berichtet Meckel**), dass man damit Geschwülste
ganz verschiedener Art belegt habe. Indess hat sich doch das
Verständniss mehr und mehr geklärt, und es liegt jetzt am wenig-
sten ein Grund vor, noch wieder eine neue Bezeichnung einzu-
führen, und das Lipom nunmehr ein Adipom zu nennen, wie
Cruveilhier***) will. Kein Name schützt an sich vor Irrthümern,
wenn er niclit genau definirt ist und von ununterrichteten Leuten
angewendet wird. Diese Definition ist aber vorhanden, wenn man
unter dem Namen des Lipoms nur ein aus Fettgewebe be-
stehendes Gewächs versteht, und nicht eine beliebige Geschwulst,
welche überhaupt Fett enthält, also namentlich nicht die talg-
artigen Atherome, die einfachen Cholestearincysten und die fett-
haltigen Dermoidcysten (Kystome).
Auch noch in der neueren Zeit haben viele Chirurgen fort-
gefahren, das Lipom als eine Balggeschwulst (Tumor cysticus)
♦) Littr^. Hist de TAcad. Royale des Sciences. Ann. 1709. Observ.
••) Job. Fr. Meckel. Pathol. Anat. 1818. IL 2. S. 119. Note.
♦♦•) Cruveilhier. Traite d'anat. path. T. 111. p. 302.
366 Vierzehnte Vorlesong.
za betrachten, und selbst M ecke I ist Yor der Verwechselung des-
selben mit Kystomen nicht geschützt geblieben. Daher sind die
älteren Beschreibungen mit grosser Vorsicht zu benutzen^ und es
liegt ein neuer Grund darin, durch die Wiedererweckung des
Steatoms die Verwirrung in der Literatur nicht noch mehr za
steigern. Job. Müller hat es versucht, wenigstens in dem Cho-
lesteatom eine Form, die wirklich mit Fett etwas zu thun habe^
zu sichern. Allein auch dies ist keine glückliche Bezeichnung,
indem das Cholesteatom eine Epidermisgeschwulst und das Che-
lestearin, welches dariü vorkommt, mehr accidentell ist*). Die
von Fürstenberg**) als Cholesteatom beschriebene Geschwulst
aus den Plexus choroidei der Pferde ist noch wieder verschieden
von dem Cholesteatom Müller^s; ich habe sie wiederholt unter-
sucht und darin weder Epidermis, noch Fettzellen gefunden.
Sie muss daher auch von den Lipomen getrennt werden. End-
lich sind Einige der Meinung gewesen, dass eine Form von Lipom,
welche sich durch ihre Härte von den übrigen unterscheide, welche
insbesondere eine grössere Quantität von Bindegewebe enthalte,
Steaiom zu nennen sei***). Ich meine, dass man besser thut,
wenn man diese Form als eine Varietät unterscheidet, und sie
Lipoma fibrosum s. durum (Fibrolipoma) oder mit Müllerf)
Lipoma mixtum nennt. Der Name Steatom würde eine neue Gat-
tung schaffen, die in nichts Charakteristischem von den Lipomen
unterschieden wäre.
Die eigentliche Fett ge web sgeschwnlst, um die es sich hier
handelt, besteht also aus wirklicher Tela adiposaff). Sie enthält
beim Menschen ein Fett von mehr flüssiger, öliger Beschaffenheit,
und verdankt diesem Umstände ihre verhältnissmässig weiche,
bewegliche und nachgiebige Beschaffenheit Allerdings ist das
Fett manchmal mehr talgig, und nähert sieh der Consistenz der
festeren, margarinreicheren Fette, aber niemals ist es stearinreich,
wie Hammel- oder Ochsentalg. Dieses Fett ist in wirklichen
•) Mein Archiv. Bd. VIII. S. 414.
**) FOrstenberg. Die FettgeschwfilBte and ihre Metamorphose. B^rlio.
1851. S. 29.
♦♦•) Gluge. Atlas der pathol. Anat. Jena. 1843. Lief. 8. S. 3. J. Vogel
Fathol. Anat. 1845. S. 179. Schrant. Goed- en kwaadaardige gezw<>lleD.
1851. Bl. 221.
t) Joh. Maller. Ueber den feineren Bau u. s. w. S. 50.
tt) Cellularpathologie. 3. AuO. S. 43, 801. Fig. 112A.
Lipom und Polysarcie. 367
Zellen mit Membranen und Keraen enthalten, welche im Allge-
meinen mit den Zellen des gewöhnlichen Fettgewebes überein-
stimmen, aber in der Regel um ein Beträchtliches grösser sind,
als die Zellen des benachbarten Fettgew^ebes *).
In der Regel ist das Lipom ferner eine hyperplastische Ge-
schwulst, welche aus präexistirendem Fettgew^ebe hervorgeht und
sich als eine excessive Vermehrung des Fettgewebes innerhalb
einer gewissen Localität darstellt, oder, wie Morgagni**) von
dem gewöhnlichen Lipom sagte, eine Excrescentia membranae
adiposae. Es ist also im Kleinen, was die sogenannte Polysarcie
oder Obesitas im Grossen ist. Betrachtet man z. B. den Durch-
schnitt der vorderen Bauchwand von einem sehr fetten Manne
und denkt man sich, dass ein magerer Mensch an einem kleinen,
beschränkten Theil der vorderen Bauchwand eine gleiche Ver-
mehrung des Fettgewebes bekäme, so würde das ein Lipom sein.
Während bei Polysarcie eine zuweilen 2 — 3 Zoll und mehr dicke
Schicht von Fett im Unterhautgewebe liegt und subperitonäal
wieder eine 1 — 2 Zoll dicke Fettschicht folgt, so finden sich bei
Lipom nur an einzelnen beschränkten Stellen solche Anschwel-
lungen, sei es nach innen, sei es nach aussen, subcutan oder sub-
peritonäal. Das Lipom verhält sich demnach zur Poly-
sarcie, wie das Fibrom zur Elephantiasis, und schon
aus dieser Analogie begreift es sich, wie man dazu gekommen
ist, Lipom und Fibrom unter dem Namen des Steatoms mitein-
ander zn vereinigen, oder, genauer gesagt, zu verwirren.
Die ausgemachten Lipome sind immer Neubildungen. Klei-
nere lipomatöse Zustände scheinen aber kaum etwas anderes zu
sein, als sehr reichliche Anfullungen der vorhandenen Fettzellen
mit Fett, eine Art von partieller Hypertrophie, wodurch die Fett-
zellen sehr viel grösser werden und die Läppchen des Gewebes
anschwellen. Denn das gewöhnliche Fettgewebe besteht aus
Läppchen, welche dicht nebeneinander liegen und von denen
jedes wieder aus einer grösseren Zahl von Fettzellen zusammen-
gesetzt ist. Zwischen diesen Läppchen befindet sich eine gewisse
Quantität von Bindegewebe; darin liegen Gefasse, welche sich im
Umfange der einzelnen Lobuli verästeln, so dass ein jeder Lobulus
♦) V er neu iL Gaz, med. de Paris. 1864. No. 16. p. 242.
**) Morgagni. De sedibus etc. Lib. lY. Epist. 1. Art. 24, 25.
Dreitebnte Vorlegang.
wie in einer gefassreiclieu Bind«gewebt!kapscl eingeschlossen ist.
Dieses Verhältnis^ wiederiiolt sich im Grossen bei jedem Lipom,
denn jedes Lipom ist lappig*), es besteht aus einer Kribe
von Fettlappen, zwischen welchen Bindegewehe mit GeHssfii
liegt
Die Varietäten gestalten sich nach dem VerhäÜtniss der ein-
eelnen constituirenden Theile zu einander. In einzelnen Flillea
ist das Fett so überwiegend vorhanden, dass man von dem BinJe-
gewebe und den Gcfussen fast gar nichts wahrnimmt. Das i^^t das
gewfihnliche Lipoma molle. In anderen Fällen ist das Bimle-
gewebe sehr reichlich, es bildet in einzelnen Richtungen sehr breite
Ki};. i>8. Uprima multilobuUn' inolli>. Auü der tinti-Thftut einer fd
rficben Fniu, nuf und in der F^i'i:i siiperficiaÜH, nelH'n dem Huseuius rr
tus. GiDzflni^ grCssire, znlilri'iitii- kleiinTf Lappi-n. Bti a und li li-iih
VerbärtuD);. (PrSpirat No. 1131.)-
') Phil. V. Walther. System der Cbimrgie. Berlin. 1833. S. 393.
Variet&teD des Lipoms. 869
und feste Zuge, während die Fettlappen klein und unerheblich sind.
Dann fühlt sich die Geschwulst natürlich sehr hart an: das ist das
vorher besprochene Lipoma fibrosum (Tumeur adipo-fibreuse
Cruveilhier). Unter Umstanden kommt es auch vor, dass,
namentlich in dem congenitalen Nacvus lipomatodes, an einzelnen
Stellen die Gefasse sich sehr stark entwickeln, so dass sie die
Ueberhand bekommen über das Bindegewebe. Dann haben
wir ein Lipoma telangiectodes *). Endlich kann das Binde-
gewebe der Sitz von Verkalkungen und Verknöcherungen werden :
Lipoma ossificum oder petrificum**). Dazu kommen noch
gewisse Formen, wo das Bindegewebe allmählich übergeht in
Schleimgewebe, und wo die interstitielle Bindegewebsmasse eine
weiche, gallertartige Beschaffenheit annimmt. Das giebt die
Form, die Gluge unter dem Namen Lipoma gelatinosum oder
colloides beschrieben hat***). Was in der Literatur unter
diesem Namen aufgeführt ist, gehört aber meiner Ansicht nach
mehr in das Genus des Myxoms hinein; ich werde dort darauf
zurückkommen. Dagegen ist hier noch dos selteneren Vorkommens
eines Lipoma cysticum zu erwähnen, welches, wie das Fi-
broma cysticum, congenital ist und sich dem MoHuscum nähert.
Vergleicht man die Grösse dieser Geschwülste mit dem
Umfange des Fettgewebes, aus welchem sie hervorgehen, so kann
man darüber nicht in Zweifel sein, dass es in der Regel nicht
blosse Hypertrophien sind, dass nicht bloss die präexistirenden
Fettzellen sich vergrössern, sondern dass eine wirkliche Neubil-
dung die Grundlage wird. Es sind in der That Wucherungs-
processe, welche den Vorgang einleiten, und es müssen neben
den alten Fettzellen neue Zellen, neben den vorhandenen Fett-
lappen neue Lappen sich bilden. Diese Neubildung geht zum
Theil von den Fettzellen selbst aus, zum Theil von dem be-
nachbarten Bindegewebe, in welchem sieh ein Reizungszustand
*) Gössel ID. Bullet, de la Societe anatomiquo. 1H42 p. 208. Lebert.
Abhandlungen. S. 84. 0. 0. Weber. Müller*» Archiv. 1851. 8. 74. Schub.
Pseudoplasmen. S. 132. Prat. ConsidtTations 8ur \ea turoeurs graisseuseg
en general et les lipdmes en particulier. The^.e de Strasb. 1858.
*^) Bou teil 1er. Bulletins de la Soe. anat. 1849. p.24. FQrstenber,«^
a. a. 0.- S. .56. Cruveilhier. Traite d*anat. path. T. III. p. 320. B. Beck.
Mein Archiv. 1858. Bd. XV. S. 153. Paget. Lectures II. p. 100.
•*«) Ginge a. a. 0. S. 4, 6. Anat. mikr. Unters. Jena. 1838. I. S. 132.
II. 1841. S. 187.
Virehow, QMekwiltto. 1. 24
370
Vierzehnte Vorlesnog.
entwickelt In Folge dessen nimmt die Zahl der zelligen Elc-
meote gruppenweise zu, und in diese Elemente geschieht die Fett-
ablagerung, nie bei der fötalen Entwicketang Das fötale Fett-
gewebe entsteht aus Scbleimgewehe, die Elemente des Schleim-
gewebea wuchern, und wenn
man einen FOtns ans jüngeren
Zeiten nntersncbt, so findet
man an Stellen, wo nachher
Fettläppchen hegen , nichts
anderes, als Gnippen von klei-
nen runden Zellen*). Ein sol-
cher Haufen geht hervor au»
einer ursprünglichen Schleioi-
zelle In diese Zellen lagert
sich das Fett zuerst in kleine-
ren, dann in grfisgeren Tropfen
ab, diebe fliessen zusammen,
und nach einer gewissen Z«Jt
findet man die einzelnen Zel-
ten vergrJJbsert und mit Feil
vollst&ndig gefüllt ••). Jcd«
einzelne Fettlappen enlsprichi
also genetisch einer eiazigeD
Zelle, er ist das Frodact einer
prolifenrenden Zelle. Es ha-
ben aber die Lipome die gsni
durchgehende Eigenthümlicb-
keit (S 367), dass ihre Zellen
ein viel betrScbtlicheres Uaa^^
von GrOsse zu erreichen pfle-
Fig. 63. Durcliachnitt durch das Lipom in Fig. GS. io der RicbtuDi.
«eiche dort durch die Buchalabeo a, b und e angedeuMt ist. H»d siehl,
daxN ionerlich die Lappen viel zahlreicher sind, >U der iussere Aoscbein
ergab. Znischea a und b die derbere Stelle, von wo sich festere FaseraOg*
iiacb innen begeben. Die dunkleren Stellen zum Tbeil pigineDtirt, tomTbeil
Gtig erweicht
*) Vircho«-. IJiKi'rsucbungea Ober die Entwickelung des Sebidplgrun-
dt-s, Berlin. 11*57. S. «.
") Virrhow Archiv. 1K55. Bd.VIll. S. SM. t. Wittich. Hein Arrhi»-
185U. Bd. IX. S. 194. A. Förster. Ebendaselbst IBÖT. Bd. XIL S. 803.
Taf. VIII. Fig. 4, 8.
Subserdses und submucöses Fettgewebe. 371
gen, als die Zellen des benachbarten Fettgewebes. Daraus schon
allein begreift es sich, dass die Lappen des Lipoms um so viel
grösser sind, als die Lappen des gewöhnlichen Fettgewebes.
Es muss also an diesen Stellen irgend ein Irritament vor-
handen sein, welches die Zellen zu einer stärkeren Entwickelung
anregt, ein Irritament, welches an sich ein kräftigeres Wachsthum
begünstigt. Wie anhaltend dieses ist, das sieht man am besten
bei atrophischen Zuständen. Wenn ein Mensch, der Lipome be-
sitzt, der Abmagerung verfallt, so magern die Lipome nicht etwa
in demselben Maasse ab, wie das übrige Fettgewebe, und wollte
man die Lipome beseitigen durch Hungerkuren, so kann man sicher
sein, dass man eher den ganzen Menschen auslaugt, als dass man
die Lipome aushungert. Diese scheinen das Fett, was sie einmal
haben, mit einer Zähigkeit zurückzuhalten, welche in dem übrigen
Fettgewebe gar keine Analogie findet.
Wenn nun die Bildung des Lipoms inmitten des existirenden
Fettgewebes geschieht, so muss man sich zunächst daran erinnern,
dass ein zur Fettaufnahme prädisponirtes Gewebe an sehr vielen
Stellen des Körpers in ähnlicher Weise wie unter der Haut ver-
breitet ist, wo man jedoch nicht gewöhnt ist, daran zu denken.
Ich will nicht davon sprechen, dass auch unter den Fascien,
zwischen den Muskeln, in der Augenhöhle, reichliche Mengen
von Fettgewebe vorkommen, aus dem Lipome hervorwachsen
können; aber ich muss kurz erwähnen, dass viele innere Ein-
geweide unter ihrem serösen Ueberzuge Fett tragen. Auf
dem Herzen liegt subpericardiales Fett in grosser Menge; an der
Pleura findet sich wenigstens an vielen Stellen subpleurales Fett;
vom Peritonäum ist das Gleiche bekannt; bekannt ist endlich
das subsynoviale Fett, welches sehr häufig an der Oberfläche
Hervorragungen bildet, welche in die Cavität einer Gelenkhöhle
oder eines Schleimbeutels hineinhängen (S. '206).
Allein es sind nicht blos die subserösen und subsynovialen
Schichten, sondern auch die submucösen, in denen wir an
vielen Orten in derselben Art eine Disposition der Bindegewebs-
zellen zur Fettaufnahme finden, so dass man sie als Parallel-
gewebe oder Aequivalente*) für das Unterhautfettgewebe betrach-
ten muss. Freilich besteht an diesen Stellen normal niemals ein
*) Gellularpathologie. 3. Aufl. S. GG.
24
372 Vienehnte Vorlesung.
zui^ammenhängeades Fettlager; aber bei etwas gut genährten Indi-
viduen findet man doch gewöhnlich einzelne Fettläppchen. So ist
die SubmucoHa des Magens und Darms, wie die der Trachea und
der Bronchien, eine Hant mit der Möglichkeit der Fetterzeugung,
und man wird niemals ein gut genährtes Individuum untersuchen,
ohne an gewissen Stellen derselben Fettzellen zu linden. Daher
ist es leicht begreiflich, dass unter pathologischen Verhältnissen
Fettgewebe an allerlei Stellen reichlich vorkommen kann, wo man
PI j^ es vielleicht nicht erwartet, und
dass diese Arten von Lipomen mil
dem Eindruck heteroplastischer Bil-
dungen sich darstellen, während sie
doch ebenso hyperplastischer Natur
sind, wie die des Unterhautgewehea.
Unter ihnen sind diejenigen de?
Digestions - Kanales und nament-
lich des Magens und oberen Theile?
des Dünndarms die häufigsten *}.
Lebert") bildet ein submacOses
Lipom der Unterlippe ab; Mar-
jolin***) sah ein submucöses Li-
pom am Boden der Mundhöhle, Aas
eine Ranula simulirte; Job. Fr. Meckel erwähnt eines vom
unteren Ende der Speiseröhre; Rokitanskyf) eines aus einem
Bronchialast.
Eine weitere Abtheilung der zur Fettbildung prädisponirten
Gewebe bildet das interstitielle Bindegewebe der Mus-
keln, welches bei fetten Menschen und Tbieren an so vielen
Orten in wahres Fettgewebe umgewandelt wirdft)- Manche
Muskeln sind besonders geneigt dazu, so vor allen die Zungen-
und Herzmuskeln. Freilich ist dies in der Regel eine diffuse
Fig. 70. Lipoma unilobulare eubmucosum veatriculi. Nahe xm fyla-
HUB, haselniiBHgross. Natürliche Gr&se. (PrSparat No. 85. vom Jahr« 1S69)-
*} Joh. Fr. Meekel. Fathol. Anat. II. 3. S. 124. Hodgkin. Lectam
uD llif morbid anatomy of Ihc siroug and mucooi membranes. Lond. l^C-
II. 1. p. 3-2-2. Rokitansky. Path. Aiiat. 18Ö1. Bd. III. S. 171, 231.
*•) Lebert. Aoat. patü. Tl. p. 128. PI. XVI. Fig. 4.
■••) Cruviilhipr I r. p. 3!3 Vgl. Paget. Lect od surg. path. II. p.W.
t) RokitaoBkj a. a. 0. S. 25.
tt) Cellularpatbologie. S. 303. Fig. 113.
Vorkommen und Bau der Lipome. 373
„lofiltration^, eine Obesität (Mästung), allein zuweilen kommen
doch auch wirkliche Lipome vor. Solche der Zunge erwähnen
Paget*) und Bastien**). Am Herzen sind kleine Fettlappen
sowohl zwischen der Muskulatur, als an ihrer inneren Oberfläche,
subendocardial ***), nicht selten, jedoch hat Albers f) auch ein
grösseres, fibröses Lipom in der Herzsubstanz selbst gefunden.
Diesen Formen entspricht ein Theil der tiefsitzenden intermuscu-
lären Lipome, welche so vielfach am Rumpf und den Extremitäten
beobachtet sind, und von welchen Cruveilhier und Pag et ff)
grössere Zusammenstellungen gegeben haben. Sie bieten bei der
Operation wegen der Gefahr der Verletzung wichtiger Theile
manchmal grosse Schwierigkeiten dar. — Ob man dieser Lipom-
form das von Lebertftf) einmal beobachtete Vorkommen einer
fibrösen Fetl^eschwulst im Uterus zurechnen darf, muss vor der
Hand dahingestellt bleiben, da das interstitielle Gewebe der glat-
ten Muskulatur sonst nicht als ein zur Fettaufnahme prädispo-
nirtes bekannt ist.
Nach der Art der weiteren Entwickelung kann man die Li-
pome wieder in mehrere, der äusseren Erscheinung nach differente
Formen eintheilen. Zunächst haben wir das einfache tube-
röse Lipom, welches in dem Fettgewebe, in welchem es sich
entwickelt, sich gleichmässig ausdehnt, die benachbarten Theile
allmählich dislocirt, wenn es an der Oberfläche sitzt, eine flache
Geschwulst bildet, im Uebrigen seinen Ort nicht wesentlich ändert
und besondere Beziehungen mit anderen Organen nicht eingeht.
Es sitzt verhältnissmässig lose in seinen Umgebungen, lässt sich
daher leicht hin- und herschieben, bei der Operation leicht aus-
schälen, und erscheint, wenn es bloss gelegt ist, von einer dünnen
Bindegewebshülle mit Geftssen (Balg) bedeckt. Sehr selten ist
diese Hülle verdickt und mit der Nachbarschaft fest verwachsen.
Damit darf aber der Fall nicht verwechselt werden, wo das Lipom
aus der Tiefe hervorgewachsen ist und wo Fortsetzungen des-
selben noch bis an den Ursprungsort reichen. So kann ein Li-
*) Paget. Lect. on surg. patb. II. p. 98.
*^) Bastien. Bullet, de la Soc. anat. de Paris. 1854. Nov.
***) Klob a. a. 0.
t) Albers. Mein Arcbiv. Bd.X. S. 215.
tt) Cruveilbier. Trait^ d'anat. patb. T. III. p. 306. Paget. Lectures
IL p.98.
ttt) Lebert. Atlas d'anat. patb. PI. XVI. Fig. U. T.I. p. 128.
874 Vierzehnte Vorlesung.
pom des Beckens aus der Incisura ischiadica an das GeFäss, ein
Lipom des vorderen Mediastinums an die vordere Brustwand her-
vortreten, was für die Exstirpation wohl zu beachten ist.
In diese erste Kategorie gehört das gewöhnliche Lipom
der Unterhaut, welches an solchen Orten, wo das Fett am
lockersten ist, sich am häufigsten vorfindet, namentlich wo die
Haut mehr sehlaflf ist, z. B. an dem Umfange der Achsel und
Schulter, am Gesäss, an den Oberschenkeln, welches indess
möglicherwoiso an allen fetthaltigen Theilen vorkommen kann.
Je straffer die Haut ist, um so mehr hindert ihr Druck die
Entwickelung des Lipoms. Daraus erklart sich wohl die ausser-
ordentliche Seltenheit desselben in der Hohlhand und Fuss-
sohle, sowie am Kopf. Ist die Haut dagegen locker, so ist das
Wachsthum ein oft sehr starkes, und man hat einzelne Beispiele
von Lipomen, welche mit die grössten Geschwülste geliefert
haben, die überhaupt *am Menschen beobachtet sind, 20 — 40 Pfund
schwer und noch darüber. — Dieselbe, zuweilen überaus umfang-
reiche Bildung geschieht aber auch in der Tiefe, unter den Fascien,
namentlich der Extremitäten (L. subfasciale s. subaponeuroticum).
Eine andere Kategorie bilden die Formen, wo das Fett im
Umfange eines bestimmten Organes sich ganz besonden^
entwickelt und dadurch scheinbar eine Geschwulst bildet, welche
dem Organ als solchem anzugehören scheint: Lipoma capsu-
lare. Am häutigsten sehen wir dies am Auge, wo das intraorbi-
tale Fettpolster sowohl partielle, als allgemeine Hyperplasie er-
leiden kann*), sowie an inneren Theilen, wo die Hyperplasie des
Fettes freilich weniger den Eindruck einer eigentlichen Geschwulst
hervorbringt, z. B. am Herzen, welches zuweilen ganz und gar
von einem grossen zusammenhängenden Fettklumpen umgeben
wird^ und noch häutiger an den Nieren, wo die Dicke der Fett-
kapsel ebenso stark sein kann, wie die Dicke der Niere selbst.
Ks kommt diese sonderbare Bildung manchmal bei allgemeiner
IVlysarcie ohne spocioUe Erkrankung oder gar mit Vergrösserung
der Nieren vor: sehr viel häutiger als ein particulares Ereigniss
Wi Nierenschrumpfung, Hydronephrose . Nierenstein n. s. w. •*).
P' m:ir.|UÄy. Tniito «lt> tumour^ dt* Torbite. Paris. 1860. p. IT,*». 3ö9.
' K^>. r. Trjit»- «It > nuladit^ dt*s n^ins. T 111. p. 614. Cruv»«illiier.
lS:iS. All. Atrophv, VI I. fis. 4, ,\
Lipoma capsulare maroroae. 375
Am sonderbarsten erscheint es, wenn die Felthyperplasie nur
partiell ist, wie in einem interessanten Falle von Godard*),
wo nur das Fett des Nierenbeckens und des unteren Endes der
einen Niere die Veränderung erfahren hatte.
Von den äusseren Theilen bietet namentlich die weibliche
Brust häufiger eine ganz analoge Veränderung dar. Ich meine
damit nicht den sehr seltenen Fall, dass sich in einem beschränk-
ten Theile des die Drüse umgebenden Fettgewebes ein Lipomknoten
bildet**). Vielmehr spreche ich von der allgemeinen Zunahme
des ganzen, die Milchdrüse umgebenden Fettes. Dadurch entsteht
eine der grössten Anschwellungen der gesammten Brust, die man
wohl nach ihrem äusseren Ansehen als Hypertrophia mammae
bezeichnet, die aber in Wahrheit eine Polysarcie der
Mamma ist. Auch diese Form kommt, wie die Polysarcie der
Nieren, in zwei Varietäten vor. Entweder ist neben einer unge-
heuren Vergrösserung der Fettkapsel die Drüse selbst unverän-
dert oder gleichfalls vergrössert ***). So amputirten Robert und
Amussatf) beide Brüste einer 21jährigen Dame, die eine 30 J,
die andere 20| Pfund schwer; das Körpergewicht betrug nach
der Operation 101 Pfund. Oder die Hyperplasie des Fettgewebes
trifft mit einer erheblichen Erkrankung der Brust selbst zusammen.
Die beiden dabei in Betracht kommenden Fälle habe ich schon in
der letzten Vorlesung (S. 329) erwähnt: es sind die an sich so
schwer zu unterscheidenden skirrhösen und fibromatösen Formen.
Was den Skirrh betrifft, so ist es gar nicht ungewöhnlich,
dass bei gutgenährten Frauen mit der Ausbreitung der in seinen
späteren Stadien so häufigen Schrumpfung das umgebende Fett-
gewebe sich in colossaler Weise vermehrt. Während die Drüse
einschrumpft, die Warze sich zurückzieht, die Haut sich verdickt,
drängen sich grosse Fettlappen von den Seiten her zwischen die
einzelnen Drüsenlappen hinein. Diese verkleinern sich bis auf
schmale, sehnige Züge, welche wie Wurzeln in die Nachbarschaft
*) E. Godard. Recherches sur la Substitution graisseuse du rein.
Paris. 1859. p. 25. Fl. II. et III.
**) Velpeani. Trait6 des raaladies du sein. 1854. p. 249. Sangalli.
Storia dei tumori. II. p. 298.
♦♦*) A. C 00 per. Illustrations of the diseases of the breast. Lond. 1829.
p. 67, 68. John Warren. Surgical observations on tumours. Boston. 1848.
p. 228. Rostan. TUnion med. 1851. Mai.
t) rUnion möd. 1851. Mai.
VienebDta VorinHog.
aiiBBtrahlen, und es entsteht eia Bild, welches der nächst tu be-
schreibenden Form sehr ähnlich ist. Diagnostisch wichtig isl,
datis in der Regel die Basis der Drüse der Faseie und den Mus-
keln adh&rent wird, und dass sich sehr gewöhnlich sowohl in der
Haut, als in den interstitiellen Bindegewebezfigen , welche siili
durch die Fettkapse) fortsetzen, einzelne krebsige Heerde er-
kennen lassen. Selbst in den Fettl&ppen selbst kommen sie ver-
einzelt vor, aber sie sind zuweilen so klein, dass nur die auf-
merksamste Betrachtung sie erkennen lisst.
Die zweite, zum Verwechseln ähnliche Form ist die Compli-
cation des capsulftren Lipoms mit einer chronischen inter-
stitiellen Mastitis. Das Fett füllt auch hier die Interstitiell
zwischen den indurirten und geschrumpften Lappen der Drüse,
welche auf einen verhäUnissmässig kleinen Raum zurflckgeführt
ist. Zwischen den Drfisenkanälen besteht die Entsändung des
interstitiellen Bindegewebes, welches durch seine Zunahme die
einzelnen Züge der Milchgänge stärker bervortreten lässt, und
zuweilen eine Art von librOser Geschwulst (S. 328) hervorbringt,
weiches aber später eine Verdichtung und innere Retraction er-
leidet. Neben dif>ser Entwirkelung beginnt zugleich die Hyper-
plasie lies umliegendt^n Fettgewebes, welche die Brust mehr und
¥iK- Tl. Lipoma capauUre mammae acirrhosM. a die tnchterfBrmig
eiiiK(<x(>t;pne Warte, b die h^rperp.lMtischen Fettlsp)>eD, iwiscben deaen Ober-
»II (ii-liiii|ie, hitT und da mit skirrbÜstD KnOtch«)! besetzte ZQge rerUnfen
Hei (' fentcre SobstaDi, in welcher mikroBkopiach noch Sparen ron lellign
KiiiUK<'riiDR zu »eben sind. Um t rerkleinert (Prtoaral Nu. 373. tob
J»br* l»r>ö}.
Lipoma cspetilare mammae. 377
mehr in die Höhe drängt und so eine wirkliche „Hypertrophie,,
der Drüse simulirt. Daher kommt es vor, dass in dem Maasse, als
die Anschwellung wächst, die Warze sich einzieht; sie erscheint
zurückgezogen oder trichtei*f5rmig eingesenkt, und die ganze Brust
gleicht einer grossen Halbkugel. Auf dem Durchschnitt sieht man
zwischen grossen Fettlappen die strahlige Figur der veränderten
Mamma. In der fibrösen Masse geht die eigentlich drüsige
Structur zu Grunde; die Terminalbläschen atrophiren, die Milch-
secretion hört auf, und es entsteht eine ganz wichtige Geschwulst-
form, die nichts weniger als eine 5ypertrophie der Brustdrüse ist.
Im Gegentheil, in Bezug auf den zelligen Theil der Drüse ist es
eine Atrophie; die Vermehrung betrifft nur Theile, welche functio-
nell werthlos sind.
Wird die Geschwulst sehr gross, so kann sie durch ihre Last
far das Individuum in hohem Maasse unbequem sein. Andererseits
wird aber auch zuweilen durch die chronische Mastitis leichtes
Fieber oder anhaltende Schmerzhaftigkeit hervorgebracht; letztere,
in Verbindung mit der Anschwellung, kann leicht zu der An-
schauung fahren, man habe einen Krebs vor sich. In der That
ist das eine Verwechselung, die nicht selten vorkommt, so dass
öfters unter dieser Voraussetzung die Amputation vorgenommen
wird. Gerade die Schmerzhaftigkeit wird ja von vielen Chirurgen
als ein pathognomonisches Zeichen des Carcinoms betrachtet und
zur Unterscheidung von anderen Arten von Tumoren ausserordent-
lich hoch angeschlagen. Zuweilen entstehen ausserdem noch an
einzelnen Stellen cystoide Abschnürungen der Milchgänge, Reten-
tionscysten (S. 283), die, indem sie sich mit den schon bestehenden
Zustunden zusammensetzen, eine Geschwulst herstellen, die für
einen nicht erfahrenen Beobachter die grössten Schwierigkeiten in
der Deutung bedingt. Ich mache um so mehr darauf aufmerksam,
als in der Literatur genauere Angaben über diese Form überhaupt
fast ganz fehlen. Velpeau*) beschreibt einen Fall davon, ohne
ihn in Beziehung auf die chronische Mastitis richtig zu deuten.
Cruveilhier**) lässt die Drüse einfach durch Atrophie ver-
schwinden. —
Zu dieser Geschwulstform, wo das Lipom an ein bestehendes
*) Velpeau 1. c. p. 247.
•♦) Cruveilhier 1. c. T. III. p. 299.
378 Vierzehnte Vorlesaag.
Organ sieb anschliesst, so dass es gleichsam einen Körper damit
bildet, gehört noch ein anderer Fall, der ebenfalls za Irrthümem
in der Diagnose Veranlassung geben kann; das ist dasLipoma
herniosam. Darunter hat man Verschiedenes verstanden*).
Nicht selten wird ein gewöhnlicher Bmch, z. B. ein Inguinal-
bruch, von einem Theil des Omentum erfallt Es kann sein, dass
dieses sehr fettreich ist, ja dass sich geradezu ein lipomatöser
Zustand darin ausbildet, so dass das Bruchcontentum ein 0 men-
tal] ipom ist. Anderemal bildet sich ohne Bruch, jedoch in der
gewöhnlichen Richtung der Bruchsäcke, eine Fettgeschwulst**).
Am häutigsten und grössten wird sie am Nabd, am Inguinalkaual
und am Samenstrang***), doch habe ich sie auch am Cruralriog
und am Foramen obturatorium gesehen. Diesen Zustand hat man
wohl Hernia lipomatosa genannt. Davon verschieden ist der
Fall, den ich im Sinne habe, wo sich um einen Bruchsack herum
eine lipomatöse Wucherung bildet. Das geschieht namentlich an
alten Bruchsäcken f), besonders an solchen, die an ihrer Mündung
zum Theil oder ganz verheilen, und wo um den sehr klein ge-
wordenen Bruchsack äusserlich herum eine grosse Fettkugel ent-
steht, so dass man beim Einschneiden erst sehr tief auf den sehr
kleinen Bruchsaek kommtft). Dieser Sack kann aber auch der
Sitz einer wässerigen Anhäufung, einer Hydrocele (S. 167) werden,
und dann hat man die Complication von Hydrocele herniosa mit
peripherischem Lipom fff).
♦) Morgagni. De scdibus. Lib. III. Episi 43. No. 10. Monfalcon.
Dict. des sc. med. 1818. T. XXIX. p. 82. Art. Loupe.
**) Jules Cloquct. Rechcrches sur les causes et Panatomie des her-
nie.s abdominales. These de eoncours. Paris. 1819. p. 25, 26.
**♦) Unsere Sammlung enthält ein von Herrn Wilms 185i exstirpirtes,
194 Pfd. schweres, stelleuweise ulcerirtes Lipom des Samenstranges (Präp.
No'. 1137).
t) Scarpa. Suir ernie. Milano. 1809. p.9. Note 3.
■K) Cloquet 1. c. p. 121 — 123.
tft) Im Juni 1846 sah ich Herrn Jüngken einen solchen Fall operiren.
Eine 3Gjährtge Dienstmagd war mit einer stark faustgrosseo , m&ssig wei-
chen, etwas fluktuirenden Geschwulst, welche Qber dem Ligam. Poupartii
und dem Ansätze des rechten Musculus rectus abd. bis gegen die Scham-
lippe hin lag, in die Charite gekommen. Nach ihrer Aussage hatte sie vor
fast 20 Jahren wegen eines Bruches ein Bruchband getragen und später eine
Wallnussgrosse Geschwulst au derselben Stelle gehabt Plötzlich sei dieje
schmerzhaft geworden und stark angeschwollen. Bei der Untersuchung fand
sich rin;:sum eine grosse Schmemhaftigkeit, die sich auch auf den inneren
Umfang des Os pubis und ischii erstreckte. Beim Bioschoeiden kam man anter
einem starkeu Fettlager in einen glattwandigen Sack, aus dem 6— srniea
Polypöse und arborescirende Lipome. 379
Endlich sind von Organen, die bei den capsulären Lipomen
in Frage kommen, noch die Lymphdrüsen zu erwähnen, die
allerdings seltener der Gegenstand chirurgischer Verwechselung
werden, da dieser Zustand meist nur bei inneren Lymphdrüsen
vorkommt. Aber es giebt an ihnen einen Zustand, welcher der
MilchdrüsenaflFection ganz analog ist, wo mit einer Adenitis lympha-
tica, welche anfangs eine Vergrösserung, später eine Schrumpfung
der Drüse mit sich bringt, eine Fettmasse im Umfange sich aus-
bildet, die oft reichlicher und grösser wird, als die durch die
Schrumpfung verkleinerte Drüse vor ihrer Schrumpfung war. —
Eine dritte Kategorie bilden die polypösen Lipome, wo
das Fettgewächs anfangs eine flache Protuberanz erzeugt, sich
allmählich immer mehr hervordrängt, und endlich an einem Stiele
hervorhängt. Diese Form ist an gewissen Orten physiologisch. Wir
finden sie ganz regelmässig an der serösen Oberfläche des Colon,
wo die Appendices epiploicae nichts anderes sind als poly-
pöse, ursprünglich flache, subseröse Fettmassen. Es ist dieselbe
Form, die ich früher (S. 206) von den Synovialhäuten erwähnte,
wo sie unter dem Namen der Haversischcn Drüsen bekannt
war. Diese sind nichts weiter, als vorgeschobene Fettmassen,
welche ursprünglich subsynovial lagen.
Die gestielten Lipome können unter Umständen Hypertro-
phien oder Hyperplasien dieser normalen Gebilde sein, welche
mehr und mehr hervorwachsen. Statt eines kleinen minutiösen
Fettanhanges entstehen ganz dicke Kolben, die möglicherweise
wieder an ihrer Oberfläche neue kleine Protuberanzen bekommen,
wieder Polypen erzeugen. So entsteht das, was man nach Joh.
Müller*) gewöhnlich mit dem Namen des Lipoma arbores-
cens bezeichnet, wo also eine fortschreitende Multiplication an
dem schon bestehenden Tumor auftritt. Diese Massen haben in
der Regel keine erhebliche Bedeutung; indessen giebt es einen
einer klaren, gelblichen, alkalischen Flüssigkeit ohne Ilarngeruch ausflössen.
Am oberen Umfange des Sackes traten mehrere Hasel- bis Wallnussgrosse,
aus dichten Fettlappen bestehende, kugelige, glatte Hervorwölbungen hervor,
\on denen die eine noch einen cylindrischen, dicken Fortsatz in den Sack
aussendete. Der Sack liess sich zum Thoil ausschälen, nach oben und innen
in der Gegend der Fettknoten sass er jedoch sehr fest auf. Nachdem der
grösste Theil des Sackes und die Knoten ausgeschnitten waren, erfolgte
vollständige Heilung.
*) Müller, üeber den feineren Bau der Geschwülste. S. 50.
I
380 Vierzehote Vorleanng.
Fall, wo ijie Irrlhümer in der Diagnose veranlassen kOnoeo. Das
ist eben der Fall, wo sie sieb zuerst snbsynovial entwickelt haben
und in die bestellenden Gelenkhfihlen oder Schleitnbentel hinein-
wachsen. Es kann dadarch eine Gelenkgescbwulst oder eine
SchleimbeutelgeBcliwulbt entstehen. Unter den Schleimbenteln ist
es namentlich einer, wo iUm nicht selten eintritt Es ist der unter
dem Ligamentum patellare über dem Kopf der Tibia gelegene*).
Wachsen diese Massen sehr stark, so kann sich der Sack sehr
stark ausdehnen, aber durch das Nachwachsen der LipommasEeo
beinahe ganz solide ausgefDllt werden.
Aehnliehe Formen, wie wir sie an diesen gleichsam normalen
Theiten haben, kommen aber auch an anderen Oberflächen vor,
wo es keineswegs solche normalen Appendices giebt. Das ist in
sehr grossem Mnas^stabe zuweilen selbst an der äusseren H&nt
der Fall. Ein Lipom der Unterbaut kann
sidi zu einem liponiatCsen Hantpo-
lypen umgestalten. Man findet diese
^^■•r»-^ ^H^ '" '^^^ verschiedensten GrOssen und ao
_-*^ *'^HF den verschiedensten Theilen des KOrpers.
Manchmal sind sie glatt und kugelig,
manchmal haben sie eine lappige, hüge-
lige oder knotige Beschaffenheit (Fig. 7-*).
Die Haut, welche über sie fortläuft, ist
meist blas», dünn und glänzend. In der
Regel sitzen sie an einem engen Stiel,
durch welchen die Ernährungtjgefässe in massiger Menge und
Grösse eintreten. Den grOssten Theil ihrer Masse macht das ge-
wucherte Fettgewebe aus, welches gewöhnlich noch continuirlich
mit dem Pannicuhis adiposus, aus dem es hervorgewachsen ist, tu-
sammenhüngt (Fig. 73). Zuweilen bildet sich aber auch eine Unter-
brechung, und dtT Stiel entliält nichts anderes, als Bindegewebe.
Diese allmülilielie Dislocation eines ursprünglich snbcutaoen
Tumors, der sich gleichsam aus der Haut hervorstülpt, findet in
der Geschichte des Akrochordon (S. 223) und der polypösen
Fif. 72. Lipoma polyposum peadutnm cutis. Bine mit eDgem Sli«i
»US der Haut herrorhftngeDde, stark Üppige GescbwalBt Natürlich« OrOaw-
(Präparat No. 6. vom Jahre 1636).
*) Maleaigne. Journ. de chir. laU. Hai.
PoIypdBe Lipome der Hiiut. 3ftl
Fibrome (S.3'21) ihre Analogie. Die ^ ,^
Schwere des Gewächses begünstigt
natQrlich die Ortsverändeninp erheb-
\icb. Zuerst hängt die Geschwulst
einfach herab (Fig. 7'2); nach und
nach rückt sie tiefer hinab. Paget *)
hat mehrere Fälle zusammengestellt,
wo das Gewächs fCrmlich wanderte.
Von Lloyd wurde ein polypöses
Lipom am Perinäum, zwisclien Scro-
tum und Oberschenkel , exstirpirt,
welches nach Aussage des Kranken
10 Jahre früher in der Leistengegend sass. Lyford entfernte
ein Lipom Tom oberen und inneren Theil des Oberschenkels, das
an der Bauchwand, mitten zwischen Spina ilium und Schambein,
angefangen hatte.
Allein die erste Hervorstülpung hat mit der Schwere nichts
zn thun. Der Grund davon Hegt in den Spannungsverhältntssen
der Theile. Polypose Lipome finden sich besonders liäufig an
Stellen, wo die Haut verhältnissmässig straff und wenig ver-
schiebbar ist. Der kleine Theit der Haut, welcher die Geschwulst
bedeckt, verdünnt sich allmählich und lässt die Geschwolst fiber
die Oberfläche hervortreten. Es sind das, mit Ausnahme des
Molluscum und des Myxoms, die verhältnissmässig grössten For-
men, die wir Oberhaupt von Hautpolypen haben. Kommen wall-
nass- und faustgrosse gestielte Geschwülste, namentlich mit etwas
lockerer Gonsistenz, an der Haut vor, so kann man ziemlich
sicher darauf rechnen , dass es solche Bildungen sind. Die
grosse Beweglichkeit der Fettmasse, die manchmal den Ein-
druck einer fluctuirenden Beschalt'enbeit giobt, kann möglicher-
weise zu der Vermutbung einer Cyste führen.
Ganz ähnliche Formen finden sich auch am Magen und
Darm. Ich erwähnte schon, dass es submucöse Lipome des
Fig. 73. Diiri-h»i:liiittt von t'if;. Vi. Man siulit die etw.is verdQDiite
Hkut Ober den gaozen folypen fortlaufeii uriij von da derbere, etwas seh-
nige Zage iviecheo die Lappeo dee Ltpoma eintreten. Letztere waren beträcht-
lich TJel grosser, als die stark .itrophischeti , getbbr&unlich gefSrbten Läpp-
chen der üaterbant, mit deuen sie durch den Stiel der Genchwulst conti-
nnirlich znsammeDhingen. NatDrliche Graese.
*} Paget Lectnres. IL p. 97.
Vierzehnte Vorles
Magens, des Jejunums und des
Colons giebt (S. 37*2), und aach
hier können sie Polypen bilden.
Namentlieb die grossen Polypen
des Jejunums (Fig. 74) sind ge-
wöhnlich gestielte Lipome, die
sieh aus der Schleimhaut hervor-
drängen und manchmal zolllang
in den Darm hineinragen. Sic
sind an sich nnschädlich, künuep
aber unter Umständen sehr unao-
genehm werden, wenn sie sieb so
sehr verlängern, dass der Darm
bei seinen peristaltischen Bewe-
gungen sie fasst; die sieh contrü-
hirende untere Darmpartie zerrt
den Polypen herunter, und il;i.<
giebt zu Diijlocationen und Rti-
zutigen Anlass, die neue Bo"<-
gungen auslösen. Sangalli';
erzälilt sogar einen Fall, wo im
Colon (lescendens zwei subiiiu-
cösc Lipome sassen, eines hühiier-
cigrose und gestielt, und wo dadurch Invagination und schliey:^-
lieh ProlapsuB erfolgt war.
Sind lipomatöse Polypen sehr lang gestielt, sieben sie slrli
immer mehr aus der Haut heraus, unter welcher sie cntwieki-li
waren, so kommt hier endlich dasselbe vor, was wir schon früluT
wiederholt bei Excresccnzen anderer Art gesehen haben (S. IUI,
206), nehmlich dass der Stiel sich mehr und mehr verdünnt, und
dass endlich das Lipom abfallt. An der äusseren Haut und aui
Darm, wo die Stiele gewöhnhch eine dickere Bescbalfenbeit haben.
ist das allerdings weniger der Fall, aber an den serösen uml
Synovialhäuten ist es eben keine Seltenheit, und man kann da
Schritt fiir Schritt verfolgen, wie der Stiel sich in einen leiot-n
-. S'ic- 74. Lipoma polyposi
NatBrlirbe lirüsHC.
•) Ssngalli I. c, p.247.
ni j^juni. (Pripuat No. 35. rom J»br* 1»M).
PoIjpCae Lipome des Bau cli feil es.
383
Faden auszieht. Bei der wechselnden Lage
der Theile dreht sich der Stiel um seine Axe
(Fig. 75), ja zuweilen verschlingt er sich mit
anderen benachbarten, und dies trägt zur end-
lichen Atrophie und vollständigen Lösung das
seioige bei. I
Gleichzeitig tritt gewöhnlich an der Ober-
fläche dieser sich abschnürenden Lipomknoten
eine wesentliche Veränderung ein, nehinlich
eine knorpeiartige Sklerose. Die anfangs ganz dünne Haut
verdickt sich allmählich und nimmt eine knorpelartige Consistenz
an, während zugleich eine Art Stratification der Haut entsteht,
so dass man Schicht um Schicht von ihr ablösen kann. Manch-
mal kann man glauben, einen wirklich knorpeligen Anhang zu
sehen (Fig. 76, a) Während diese Veränderungen stattfinden,
atrophiren die Gefässc, welche friilier durch den Stiel des Lipoms
Fig. 76. Lipomü epiploii-uin coli. Kin flach nufsiticuder subäerSser
Fettlappea und bei a ein gestielt her vorhäng ender. Der Stiel zweimal um
Mine Axe gedreht und ganz dünn. (Präparat No. 74. vom Jahre 1859).
Fig. 76. Lipoms epiploicum arborescens coli. Zahlreiche vergrösserte, mit
neuen Fettaus wüchsen versehene Appeodices eptploicae. Bei a ein grosser Kno-
ten mit halb knorpeligem, sehr glattem üeberzu^e und stark verdrehtem Stiel.
Bei 6 eine grosse Zahl kleiner VegetAtienen mit gleichfalls sklerosirtem
Ceberznge. Von demselben Falle wie Fig. 1!>. Natürliche Grösse.
384 Vierzehnte Vorlesang.
in seinen Körper eintraten, mehr und mehr, und wenn sie
zu Grunde gegangen sind, so zerfallt das Fett im Innern, die
Fettzellen lösen sich auf, das Fett wird frei, und wenn man ein-
schneidet, so hat man scheinbar eine mit flüssigem Fett gefüllte
Cyste vor sich. Später kann diese Masse verkalken. War viel
flüssiges Fett vorhanden, so entstehen allerlei seifenartige Ver-
bindungen, namentlich fettsaure Kalksalze. War dagegen weniger
Fett und mehr knorpelartige Masse da, so giebt das harte Petri-
flcationen ab, die sehr umfangreich werden können. Solche Bil-
dungen lösen sich nachher ab und fallen frei in die Cavität, in
welche sie hineinhängen. Das geschieht am
Fig. 77. häutigsten am Peritonäum. Die freien Körper
der Bauchhöhle sind meistens abgeschnürte
und sklerosirte Lipome (Fig. 77), jedoch giebt
es auch ziemlich grosse Gebilde der Art (Fig. 78),
welche fast ganz aus einer wie Faserknorpel aus-
sehenden, geschichteten Masse und einem stei-
nigen Kern bestehen*). Nächstdem sind es die Schleimbeutel,
zuweilen auch die Gelenkhöhlen, in welchen dies stattKndet, denn
ein Theil der freien Körper in den Schleimbeuteln und der Gelenk-
mäuse gehört allerdings in diese Kategorie hinein**). Wir werden
späterhin bei den Knorpelgeschwülsten sehen, dsiss dies nicht
die gewöhnliche Art der Gelenkmäuse ist, und daher haben die-
jenigen im Allgemeinen Recht gehabt, welche behaupteten, dass
die Gelenkmäuse nicht auf diese Weise entstehen; aber ebenso
haben sie Unrecht gehabt, wenn sie behaupteten, dass Gelenk-
mäuse auf diese Weise nicht entstehen können.
Unter Umständen können diese abgelösten Lipome sonderbare
Schwierigkeiten erzeugen. Ein solcher Körper (Fig. 77), weUli^'r
im Innern mit Kalkseifen erfüllt und ziemlich hart war, wurde in
Fig. 77. Freier Fottkörper der Bauchhöhle. Durchschnitt. Von Herrn
Riese geschenkt. (Präparat No. 9. vom Jahre 1862). Aussen eine derhe
Schale, innen eine körnige, halb verkalkte Fettmasse. Natürliche Grösse.
*) Littr^. Mero. de TAcad. Roy. des scieooes. An. 1703. hist. p. 4G.
Andral. Grundriss der pathol. Anaf. Deutsch von Becker. Leipzig. 18^23.
1. S. 225 Lebidois. Arch. gener. 1824. T. IV. p. 579. Hodgkin. Lee-
tures ou the morbid anatomy of tlie serous and mucous membranes Vol. 1.
p. 160. Laveran. Gaz. des hop. 1845. Oct. No 119.
**) Hyrtl. Med. Jahrb. des österr. Staates. 1842. Bd. 39. 8. 261.
K. Gurlt. Beiträge zur vergl. pathol. Anatomie der OeleDkkraokheiteB.
Berlin 1853. S. 54.
Freie LipomkOrper. 385
der Bauchhöhle gefunden in einem Fall, wo der Tod unter peri-
tonitiscben Erecheinungen erfolgt war, und die Verrnnthung vorlag,
tlass der Körper aus dem Procexsue vermiformis stamme. Aber es
war kein Kothstein, wie gewöhnlich, dagegen war der Wnrmfort-
gfttz mit lipomatösen Appendice» besetzt, und an seiner Spitse
fand sich ein kleinerer atrophirter und verkalkter Körper, so
ilass wahrscheinlich auch der grössere freie Körper von da her-
stammte. — Anderemal findet man Körper, welche so aus-
sehen, als wären sie an dem Organ entstanden, wo sie gerade
angetioffen werden, während sie sich nur dislocirt haben, wie
die Gelenkmäuse, und endlich an dieser Stelle
lixirt worden sind. Ich habe solche mehrmals
an der Oberfläche der Leber gefunden. Charakte-
ristisch ist für sie das seifenartige, fettige oder 1
steinerne Centrnm und die concentrisch-sclialige
Umhüllung. Diese braucht nicht immer kugelig
tu sein; je nach der Gestalt des Auswuchses
kann es auch ein platter, linsenförmiger oder ein unregelmässiger,
höckeriger, warziger Körper sein (Fig. 78). —
Alle bisher besprochenen Lipomtbrmen sind einfach hyper-
plastische Bildungen. Aliein es bilden sich ähnliche zuweilen
auch an Orten, wo Fettgewebe oder ein xur Fettansammlung an-
gelegtes Gewebe nicht als präesistirend angenommen werden kimn,
also heteroplastische Formen. Wo man ihre Entwickelung
deutlicher verfolgen kann, da entstehen sie allerdings auf die-
selbe Art wie Fettgewebe überhaupt, nehmlich so, dass in dem
Bindegewebe zuerst eine zellige Wucherung stattfindet, und dass
der Deugebildete kleine Zellenbaufen sich durch Aufnahme von
Fett in das Innere der Zellen in einen Fettlappen verwandelt.
So kommen bis kirschengrosse Fettknoten an der Niere,
namentlich an der Rinde vor*). Sie bestehen aus vollkommen
entwickeltem, massig gefässreichem , zuweilen tappigem Fett-
Fig. 78. Freier KOrper der Bauch h Oh lu, faat gam knorpeUrtig, aussen
mit bOtkerigen VorsprÜDgen , inoen verkalkt. NatDrliihe Grösse. (Präparat
No. 4. lom J. 1862).
*) Craveilbier. Atlae d'anat. path. Livr. XXXVI. fig. 2, et 2'. Hooel.
UMinal d'anst. pkthol. Paris. 1«Ö7. p.5»6. Godard. I.e. p.21 ^Beobach-
tuDg von Robio}. A. Beer. Die BindeBubstaDi der mensch liehen Niere.
BerUD. 1869. S. 88.
ViTtktB, OhcIiwEIiU. I. 25
Vierzehnte VorlesuDg.
gewebe. Regelmässig liegen sie innerhalb der Nierensnbstaai
dicht unter der Albuginea, nicht, wie die groBsen Fettmassen der
Polysarcie, ausserhalb der Albuginea. Das Fett ist in dem eigent-
lichen Parenchym, und zwar aus dem interstitiellen Bindegewebe,
so entwickelt, dass es einen lockeren, weichen Tumor bildet, der
einen Theil des Parenchyms ersetzt. Nun wissen wir bestimmt,
dasB niemals unter physiologischen Verfa<nisBen in der Snbatsni
der Niere Fettgewebe vorkommt; es ist dies :dso eine unzweifel-
haft heteroplastische Lipomform.
An anderen Orten kanu es zweifelhaft sein, in welche Kate-
gorie ein solches Ding gehOrt. Das ist bei manchen Lipomen
der Fall, die am Gehirn vorkommen. Meckel*) beschreibt einen
Fall, wo sich unter der Vereinigungsstelle der Sehnerven, dicht
TOT dem Hirnanhange, eine in einem zarten Balge enthaltene
Fettgeschwulst von der Grösse einer Haselnnss gebildet hatte.
Bei einem 48 Jahre alten Geisteskranken fand ich ein erbsen-
grosses Lipom dicht vor dem linken Corpus mamillare (April 1845).
Klob**) Bebildert ein bohnengrosses Lipom, welches bei einem
schwerhörigen Atanne zwischen dem Pons und der linken Klein*
hirn- Hemisphäre sass, gerade oberhalb der linken Olive begann
Fig. 79. Heteroplastisch es Lipom tas der Rinde der Niere. A Aaf-
Bicht der Rinde nach Abiug der Kapsel, S Durchschnitt N«tDrliche Grtee-
(Pcilparat No. 7. vom Jahre 18<i2). Von einem Oeistetkrankea, der in der
Unterhaut nnd im Bauch viel Fett hatte. Leichte Oruiolaratrophie der
Nieren. Die Lipome erbaen- bis kirschengross, »a der Oberfliche aiemlich
geßssreich, innen gelbweiasiich , sehr weich und leicht aascuUJMn.
■) J. Pr. Meckel. Handb, der path. Anat. 1818. Bd. IL Abth. S. & 136.
Derselbe Fall wird <om MOIler (Ücber d. feineren Ban u. >. w. S. aO) nnd
von Siegert (De steatomate ante gbodulani pitaitariam cer^ri aito. Üia.
inaug. Berol. 1849. p. 28) erwShnL — Hooper citirt «iaen Fall tob Uira-
lipom aus Wenzel de penitiori structura cerebri. p. 104.
**) Klob. Zeiuchr. der Wiener Aente. 1869. No. 48.
Heteroplastische Lipome. 387
and sich l&ngs des Acusticus and Facialis, welche davon beinahe
amschlossen waren, bis zam Meatus aaditorius internus erstreckte.
Die kleine Geschwulst am Pons, welche Sangalli*) bei einem
blödsinnigen Epileptischen antraf, scheint ein Myxolipom gewesen
zu sein. Cruveilhier**) erwähnt einer kleinen Fettgeschwulst
der Pia mater von der Medulla oblongata in der Nähe der Olive;
Obre***) einer umschriebenen Fettanhäufung innerhalb der Rücken-
markshäate bei einem 3jährigen Kinde.
Alle diese Fälle gehören im Wesentlichen der Pia mater
(Arachnoides) an. Nur in einer, übrigens sehr merkwürdigen
Beobachtang vonAthol Johnson f) fand sich unter dem Bilde
der Spina bifida bei einem neugeborenen Kinde am Rücken ein
Lipom, welches durch ein I^ch im Kreuzbein bis auf die Dura
mater reichte. Dies begreift sich aber leichter, wenn man sich
erinnert, dass die Dura mater spinalis den Knochen nicht eng
anliegt, sondern durch eine Schicht von (extra- oder submenin-
gealem) Fett davon getrennt ist. Dieses Fett war offenbar die
Matrix der Geschwulst. Allein nach Eröffnung der Dura mater
fand sich auch innerhalb der Höhle derselben eine rundliche, ein-
gekapselte Fettmasse, welche das Rückenmark comprimirte. Diese
siebt den vorher erwähnten Formen ganz parallel, und um sie zu
erklären, müsste man auch die Pia mater oder das Subarachnoideal-
Gewebe für eine Art von unvollständigem Panniculus erklären. So
wenig dies sonst den bekannten Erfahrungen entspricht, so muss
ich doch erwärmen, dass es am Gehirn eine Region giebt, wo,
wie es scheint, Fett ohne besonders grosse Abweichung öfters vor-
kommt: das ist die Rhaphe des Corpus callosum und die
des Fornix ff). In einem unserer Präparate fff) liegt ein magerer,
fettig-fibröser Streifen in der Rhaphe des Corpus callosum. Wenn
dagegen eine stärkere Entwickelung stattfindet, so kann da-
durch eine lipomatöse Geschwulst entstehen, wie wir ein solches
*) Sangalli. Storia clin. ed anat. dei turnori. 1860. Vol. II. Punt. I.
p. 248.
••) CruTeilhier. Traite d'anat. path. T. III. p. 312.
♦••) Traosactions of the London Patholog. Society. 1851—1852. Vol. III
p. 248.
t) British medical Journal. 1857. VII. XII. (Canstatt's Jahresbericht fQr
1867. Bd. IV. S. 287).
tt) B. Reinhardt Pathologisch-anatomische Untersuchungen, heraus-
gegeben ▼OD LeoboBcher. Berlin. 1852. S. 10.
ftt) Pripanit Mo. 1222. (von einem 20jährigen Mädchen).
25*
388 Vierzehnte Vorleaung.
Präparat*) besitzen, wo längs des Fornix ein dicker Fettwulst
liegt. Rokitansky **) erwähnt ein erbsengrosses Lipom in dem
„Ependym des Balkens nächst dem Wulste '^ aus der Wiener
Sammlung. Aehnliches haben Wall mann und Häckel***) an
den Plexus choroidei gesehen.
Diese Fälle sind indessen trotz ihrer Heterologie nicht als
malign aufzufassen. Sie erklären sich vollständig, wenn man
erwägt, dass die zelligen Elemente aller derjenigen Gewebe,
welche mit der Bindesubstanz verwandt sind, die Fähigkeit be-
sitzen, Fett aufzunehmen. Knorpelzellen können so viel Fett auf-
nehmen, dass sie geradezu in Fettzellen verwandelt werden, und
wenn die chondrinhaltige Intercellularsubstanz erweicht oder faserig
wird, so entsteht manchmal unmittelbar aus dem Knorpelgewebe
Fettgewebe. In den Larynxknorpeln verwandelt sich nicht selten
ein Theil des Knorpelgewebes in fetthaltiges Mark, dessen Zellen
dieselben Elemente sind, die vorher Knorpelzellen waren. Dass
also einmal unter solchen Verhältnissen ein Lipom entstehen kann,
ohne dass eine grosse Abweichung in der Bildung geschieht, ist
begreiflich. Wenn sich in dem subconjunctivalen Bindegewebe
des Auges ein Feltläppchen (Pinguecula) oder gar eine Fett-
geschwulst f) entwickelt, während wir sonst kein Fett dort finden,
so kann man zweifelhaft sein, ob man das geradezu eine hetero-
plastische Form nennen soll.
Noch viel mehr tritt dieses Bedenken bei den Lipomen des
Scrotums hervor, welche zuweilen eine sehr beträchtliche Grösse
erreichen, und bald von der Scheidenhaut der Hoden, bald von
der Tunica dartos ausgehen ff). Diese Häute sind normal fettlos
und bestehen eigentlich nur aus Bindegewebe, welches unter der
Haut ein sehr lockeres und weiches Polster bildet Allein dieses
Polster steht sowohl genetisch, als anatomisch vollkommen parallel
dem Panniculus adiposus; es ist ein nicht in Fettgewebe umge-
wandelter Rest des ursprünglichen, subcutanen Schleimgewebes,
und es verhält sich zu den daraus hervorgehenden Lipomen, wie
•) Präparat No. 556.
♦♦) Rokitansky. Path. Anat. 1856. Bd. II. S.468.
*^*) Wallmano. Mein Archiv. Bd. XIV. S. 385. £. Hickel. Mein Artbir.
1859 Bd XVI S 272
t) A. V. Gräfe. Archiv für Ophthalmologie. 1860. Bd«U. Abtii. II. S.6.
tt) J. Fr. Meckel. Path. Anat. IL 2. a 126. Oraveilbier. Traite
d'anat. path. T. 111. p. 311. A. Förster. Meia Archin M. XIL S. 905.
MoltipHcität der Lipome. 389
die permanenten Knorpel zu den möglicherweise aus ihnen ent-
stehenden Knochen. Dasselbe gilt von den Lipomen der Scham-
lippen*). . Genau genommen ist hier allerdings Heterologie vor-
handen, aber eine sehr untergeordnete, gleichsam physiologische
Heterologie, nicht viel mehr, als wenn ein mageres und fettarmes
Netz (Omentum) sich über und über mit Fett erfüllt.
Paget**) hat diese Verschiedenheit der Lipome, wenngleich
nicht deutlich und zutreffend, dadurch angedeutet, dass er sie in
Fettauswüchse oder continuirliche Gewächse und Fettgeschwülste
oder discontinuirliche Gewächse zerlegt. Seine Eintheilung ist nicht
scharf, weil er eigentlich alle deutlich abgegrenzten Lipome, auch
die subcutanen, als discontinuirliche Bildungen betrachtet. Wollte
man einmal eine solche Scheidung aufrecht erhalten, so müsste man
nur die durch wirkliche Heterologie***) ausgezeichneten Formen
zum Lipom rechnen. Diese haben in der That mit vielen malignen
Bildungen eine grosse Aehnlichkeit, und sie sind es namentlich,
welche eine ausgesprochene Neigung zu Combinationen mit anderen
Geschwulstarten, namentlich mit Myxom darbieten, und welche
zuweilen in den sonderbarsten Verbindungen in teratoiden Ge-
schwülsten auftreten. Bei ihnen liegt die Frage nach einer
besonderen Dyskrasie wenigstens eben so nahe, wie bei einer
grossen Zahl wirklich bösartiger Geschwülste.
Allein die crassen Humoralpathologen sind damit nicht zu-
frieden gewesen. Wie ich schon früher erwähnte (S. 39), haben
sie für alle Lipome einen dyskrasischen Ursprung mit mehr oder
weniger Bestimmtheit angenommen, und geradezu von einer lipo-
matösen Dyskrasie gesprochen. Diese Auffassung stützt sich auf
nichts weiter, als auf die Multiplicitätf) vieler Lipome.
Es kann dasselbe Individuum 4, 5, 6, 10, ja Hunderte von Li-
pomen haben, gerade wie das bei den Fibromen der Fall ist.
Das beweist weiter gar nichts, als dass im Fettgewebe ein irrita-
tiver Zustand, vielleicht sehr leichter Art, besteht, der nicht an
allen seinen Theilen in gleicher Weise existirt. Wie das Colon
nur an einzelnen Stellen Appendices entwickelt, so bilden sich
♦) Gluge. Atlas der path. Auat. Lief.VlIL Taf. I. Fig. 1. C.O.Weber.
Ghimrgisehe Erfahrungen und Untersuchungen. S. 394.
♦♦) Paget Lectures II. p. 92.
♦♦♦) OUularpathologie. 3. Aufl. S.60.
t) D. Craigie. Elements of general and pathological anatomy. Ediob.
1848. p. 71. Paget. Lectures IL p. 96. Cruveilhier l. c. T. III. p. 325.
390 Yierzehate Vorlesong.
auch am Unterhaut^ewebe nur einzelne Lappen weiter ans. Dies
geschieht manchmal gleichzeitig, manchmal dagegen successiv, in
der Art, dacss längere Zeit nur ein Knoten besteht, nach und nach
aber immer mehrere folgen. Auch yergrössem sich die einzelnen
Geschwülste offenbar dadurch, dass in ihrem Umfange neue Ix>buli
entstehen, welche sich der CoUectivgeschwulst anschliessen und
sie verstärken. Dabei treten aber nicht etwa Lipome in der
Lunge •), oder in der Leber, oder in irgend einem der Organe
auf, wo sonst maligne Geschwülste ihre Metastasen machen.
Freilich kommen sie bei ihrer Vervielfältigung nicht blos im
P;uinicultts adiposus subcutaneus vor, sondern sie entwickeln sieh
auch zugleich subserOs, submueös, intermusculär, so dass sie in
diesem Punkte von den Fibromen eine gewisse Verschiedenheit
darbieten, aber immerhin pflegen sie sich doch auf gewisse prä-
destinirte Gewebe zu beschranken. Es ist also kein Zweifel,
ilass diese Art von Multiplicität eine ganz andere ist als die
Multiplicitüt« welche wir bei malignen Geschwülsten und bei
infectii^ser Dyskrasie treffen.
Gerade für die strengere Unterscheidung dieser in sich so
verschieilonon Fälle ist das multiple Lipom ein ebenso vor-
treffliches Beispiel wie die Warzen, denn mit derselben Bestimmt-
heil ki^nnen wir darthun, dass bald in einem gewissen Bezirk
des K(^q>or^. l^d um ein bestimmtes Org^m herum, bald in
einer grosseren Verbreitung über verwandte Organe sich Rei-
iuu4;:^£ustände festsetzen. Wir wissen auch, dass manche dieser
Können gaut unmittelbar bedingt werden durch einen localen
entzündlichen Provess. Die Verdickung der Fettkapsel der Niere
ÜMx ebenso häutig zusammen mit einer chronischen interstitiellen
*' Vtrschü^one Sol.nft^;^2lO^ berufen skb aof Rokitauaky, als hab«
rr «ijus Vorkommen \on Lipomen in der Longe behsnptet Dies ist anrichtig.
An xUt Ix^tn^ffenden Steile ^Patli. Aut. 1861. Bd.llL S.80) ist nur von sob-
l^lcnnlon Fct:.App<n der Lun^onoberfliehe die Rede, die vokl sweckmSssiger
%n oinor ar.doron Stelle hStten er^rihnt verden sollen. Wirkliches Lipom in
«ier l.unio ist mt-:n«>s \^is>en$ beim MensclMa ftr sick nie beobachtet worden.
KlKn>i^ kAv.n d:o BeioiohDisn^: gern isser Anhlnfuigca fetthmltiger Zellen in
»tor ciirhotisohfn L^^er a«::^ Lipom .Ebend. S. d£»l) nnr Venrirmng enengeD.
Uior h»n«io: es >Kh eicfaih um FeinnfilintioB der Torhandenen Leberzellen
vXi^l. r(il.tiAriva:ho^\^io. ^. Aufl. S. 3i^\ Viel »ekr könnte man berechtigt
Noin. «'.Dt' £o«i:s5^ lobuUre Fettinfiltration in sonst normalen
I . o b 1" rn . « oK ho « irkliv h ein ge$chvnktiitige« Ansseif enengt, als Lipom
>ii Uo9( lohnrn In%i^5 Tr.»<« msn immer daran fusttoiten, dnns das Lipom
aum KVtt^<^mebe bestehen ;k>11 nnd da» fett^dillte Ltbcmllen noch lange
ttWhi Feiifeirebsteilen
Aetiologie der Lipome. 391
Nephritis, die zur Granalaratrophie f&hrt, wie die capsuläre Lipom-
bildung um die Glandula mammaria zusammenfällt mit chronischer
interstitieller Mastitis. Da haben wir in diesem irritativen Ver-
hältniss auch den nächsten Grund zur Lipombildung.
Ganz ähnlich verhält es sich mit der capsulären Lipombildung
um alte Bruchsäcke, sowie mit der lipomatösen, manchmal 4
bis 5 Pfund schwer werdenden Wucherung des Netzes in chro-
nischer Epiplocele, von der schon H es selb ach *) erwähnt, dass
sie auch bei mageren Personen entsteht. Wie oft findet sich zu-
gleich eine ganze Reihe von Spuren entzündlicher Reizung! Ver-
dickungen, Verwachsungen, Zottenbildungen der verschiedensten
Art zeigen sich an den entsprechenden Theilen der Serosa.
Cruveilhier**), der kein Bedenken findet, für die multiplen
Lipome eine Art von Diathese zuzugestehen, hält es doch far
ebenso augenfällig, dass die solitären Lipome häufig die Folge
einer Contusion oder eines massigen, habituellen oder sich wieder-
holenden Druckes sind. Er fuhrt eine Reihe von Beispielen an,
wo der Druck enger Kleidungsstücke, namentlich der Kopf-
bedeckung, oder das Tragen von Lasten die Veranlassung der
Geschwulstbildung abgab. Diese Fälle lassen sich leicht ver-
mehren, und gegen ihre Beweiskraft ist nur das anzuführen, dass
in vielen anderen solche Ursachen nicht aufzufinden sind. Auch
hier muss meines Erachtens der Grundsatz gelten, dass man von
den bekannten Thatsachen zur weiteren Aufklärung der noch un-
bekannten fortschreiten soll, und nicht umgekehrt.
Jede Lipombildung muss eine örtliche Ursache haben. Diese
kann sehr unerheblich scheinen und doch grosse Wirkungen er-
zeugen, wenn die Prädisposition (Diathese) sehr ausgebildet
ist. Eine solche Prädisposition kann congenital, sie kann
erblich sein, wie dies von der Polysarcie hinlänglich anerkannt
ist. Murchison***) berichtet von einer Familie, wo der Vater
und zwei Töchter an nahezu entsprechenden Theilen der Arme
Lipome hatten; bei der einen Tochter war das erste Lipom im
16., bei der anderen im 20. Lebensjahre bemerkt worden. In
dem früher erwähnten Fall von Johnson (S. 387) hatte der Vater
*) A. K. Hesse] ba eh. Die Erkenntniss und Behandlung der Eingeweide-
brüche. Nfirnb. 1840. S. 25.
♦♦) CruTeilhier L c. T. III. p. 328.
***) Mnrchison. Edinb. med. Journ. 1857. Juni.
892 Vierzehnte Yorletang.
gleichfalls ein Lipom der Rückengegend gehabt Die congeni-
talen Lipome hat Phil. v. Walther^) in seiner bekannten
Monographie unter dem Namen des Naevus lipomatodes be-
schrieben.
Allein die Prädisposition kann auch eine erworbene sein,
und dann mag sie immerhin durch eine Dyskrasie bedingt sein.
Dahin gehört sicherlich der Einfluss der Nahrung auf die Zustände
des Fettgewebes, und zwar nicht bloss der Einfluss einer sehr
fettreichen Nahrung, sondern auch der des Biers und Brantweins.
Nichts ist gewöhnlicher, als bei Säufern die Appendices epiploicae
in stattliche Lipome umgewandelt, die Fettkapseln der Nieren zu
umfangreichen Geschwulsten angewachsen zu sehen. Vermindert
sich nachher wieder das Fett, wie es ja nach dem Zeugnisse von
Huss **) im chronischen Alkoholismus der Fall zu sein pflegt, und
hält ein Theil in Folge eines localen Reizes dasselbe zurück, so
wird dieser Theil von selbst wie ein Lipom erscheinen; jedenfalls
bleibt aber das sich zurückbildende Fettgewebe in einem Zustande
der Reizbarkeit. Es lässt sich darftber bis jetzt wenig Bestimmtes
sagen, obwohl eine Eigenthümlichkeit des Lipoms besonders darauf
hinweist, in dieser Richtung genauer zu untersuchen. Das ist der
Umstand, wodurch sich das Lipom so sehr von manchen anderen
Geschwülsten, z. B. dem Enchondrom, unterscheidet, dass es im
kindlichen Alter verhältnissmässig selten vorkommt, vielmehr
recht eigentlich eine Geschwulst der mittleren oder höheren
Altersklassen ist. Schon dieser Umstand sollte ausreichen, um
die Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass die Disposition häufiger
eine erworbene ist. —
Wir haben nun noch ein paar Worte hinzuzufügen in Bezie-
hung auf die weitere Geschichte des Lipoms. An sich ist das
Fettgewebe ein permanentes Gewebe. Es kann also ein Lipom
möglicherweise beliebig lange existiren, so lange als das andere
Fettgewebe oder das Individuum. Manchmal unterliegt aber das
Lipom gewissen Verjinderungen. Unter diesen ist die erwönsch-
teste die spontane Rückbildung. Leider ist diese, wenn sie
überhaupt vorkommt, gewöhnlich nur eine theilweise; die Ge-
*^ rhil. V. Walt her. lieber die mDgeboroen Fettbantgeschwälste und
aiHlorv Bildungsfehler. Landshut. 1814.
**) Magnus Huss. Chronische Alkobolknuikheit Ans dem Schwe-
dischon von G. v. d. Busch. Stockh. und Leips. 186S« S. SO.
Yerhirtnng und Verkalkung der Lipome. 393
Hchwolst Yerkleinert sich etwas, aber sie verschwindet nicht.
Selbst bei Phthisischen, wo alles Fett verloren gebt, behalten
die Lipome ihren Turgor, und man kann namentlich bei poly-
pösen Lipomen (Fig. 73) zuweilen sehr deutlich sehen, wie in
dem Stiel derselben der hypertrophische Zustand des Lipoms in
den atrophischen des Panniculus übergeht.
laicht selten kommt es bei denjenigen Lipomen, die stark an
der Oberfläche hervortreten, vor, dass sich allerlei irritative Pro-
cesse, zuerst an der bedeckenden Haut, später auch in der
Geschwulst selbst ausbreiten, davon abhängig, dass an diesen
Stellen durch die Prominenz der Geschwulst eine Menge von
lasnltationen stattfindet, insbesondere durch die Reibung an den
Kleidungsstücken, durch die Berührung mit äusseren Gegenständen.
Wenn Jemand z. B. am Gesäss ein solches Gewächs hat, auf wel-
ches er sich immer setzen muss, so erfährt dasselbe eine stärkere
Reizung, als die Umgebungen. Diese kann sich zu einer wirk-
lichen Entzündung steigern, und gerade auf die.<e Art verwandelt
sich nicht selten ein weiches Lipom in ein hartes, indem die
zwischen den Fettlappen vorhandenen Bindegewebszüge sich ver-
dicken, und endlich auch einzelne Fettlappen sich induriren. Mög-
licherweise kann nach der Verhärtung die Verkalkung eintreten.
Was die Verkalkung angeht, so kommt diese in zwei For-
men vor. Manchmal entsteht eine melir bröcklige, mörtelartige
Hasse, indem das Fett sich verseift, die entstandenen Fettsäuren
sich mit Kalk und Natron verbinden, und ausserdem noch phos-
phorsaure Erden in grösserer Menge abgelagert werden. Dabei
entstehen, wie namentlich Fürstenberg*) bei Thieren genauer
dargethan hat, nicht selten einzelne Höhlen, die mit flüssigem
oder zum Theil verseiftem Fett gefiillt sind. Anderemal dagegen
geschieht eine derbe, mehr knochenartige Verkalkung von grosser
Härte und Dichtigkeit, in welcher jedoch das Mikroskop keine
Knochenkörperchen nachweist. Dies ist namentlich der Fall bei
harten, fibrösen Lipomen, am häufigsten an äusseren Theilen, die
viel gereizt sind. Jedoch habe ich in unserer Sammlung ein vor-
zügliches Präparat**) aufgestellt, wo ein mehrlappiges Lipom an
der kleinen Curvatur des Magens im Omentum minus sitzt, das
•) Pfirstenberg a. a. 0. S. 58.
♦♦) Präparat No. 84. vom Jahr 1863.
394 Vierzehnte YorlesnDg.
ganz harte, gelbliche Knoten von flachrundlieher Form bis zu
einem Durchmesser von 1 \ Zoll besitzt. Hier geht die Verkalkung
durch die ganze Dicke, während in der Mehrzahl der Fälle sie
entweder mehr peripherisch ist und eine Art von Schale bildet,
oder mehr balkenartig mit den Bindegewebszügen in das Innere
dringt und ein inneres Skelett des Lipoms darstellt. Mit der Ver-
kalkung ist natürlich ein Stillstand, zuweilen eine deutliehe Ver-
kleinerung der Geschwulst gegeben.
Anderemal kommt es zur Versch wärung. Erwägt man,
dass die Circulation in der bedeckenden Haut in Folge der
Spannung sich erschwert, ferner dass gerade die Haut den
äusseren Angriffen am meisten ausgesetzt ist, so begreift man,
dass ulcerative und unter Umständen gangränescirende Processe
entstehen können. Diese erzeugen leicht den Eindruck einer
malignen UIceration, um so mehr, wenn man es mit der
telangiektatischen Abart zu thun hat. Der Process kann dann
durch Absonderung, Blutung, Sepsis sehr gefährlich werden. Aber
ein Uebergehen in eigentlich maligne Formen, wovon man viel
gesprochen hat, kommt hier doch wohl kaum jemals vor, es
müsste denn sein, dass die Geschwulst ursprünglich nicht ein
reines Lipom, sondern eine Combinationsgeschwulst war. Selbst
die grössten Lipome werden doch nur bedenklich durch die
schlechten Ernährungsverhältnisse, die, wenn ihr Inneres eiunial
der Luft exponirt ist^ stattfinden.
Zuweilen bilden sich in Lipomen in ganz ähnlicher Weise,
wie in Fibromen (S. 307), Abscesse aus*). Diese liegen
mitten in der Geschwulst und enthalten regelmässigen Eiter.
Man muss davon einen anderen Fall wohl unterscheiden. Wenn
nehmlich eine Geschwulst dieser Art sehr gross wird und die
Fettlappen einen sehr beträchtlichen Umfang erlangt haben, so
kommt es vor, dass in Folge der mehr und mehr erschwerten
Circulation in einzelnen Lappen das Gewebe abstirbt, ähnlich wie
das in den freien Körpern stattfindet. Dann tritt eine Erwei-
chung ein (Fig. 69 bei'+): die Zellmembranen gehen zu Grunde,
das Fett wird frei, und wenn man einschneidet, so kommt man in
*) Michon Gaz. des h6p. 1846. Janv. Hebert. These sur rinflam-
matioD du lipöme. ParU. 1841). p. 11. Broca. Bulletin de la Soc. aoit
de Paris. 1652. p. 2^4. Birkett. Guys Hospital Rep. 1651. p. 298. Vgl
oben S. 378. Note *♦♦.
FettkOrper der Wange. 395
eine Gavität, die mit Oel gefallt ist. Unter Umständen kann diese
Fonn Veranlassung zur Verwechselung mit anderen cystischen
Geschwülsten geben; man kann sie insbesondere verwechseln
mit Meliceris und anderen Fettcysten, namentlich mit Dermoid-
kystomen. Allein in der Regel findet die Erweichung nur in ein-
zelnen Abschnitten der Geschwulst statt, und die Hauptmasse
bleibt im unveränderten Zustande, so dass die Diagnose nicht zu
schwierig ist.
Schliesslich will ich, anknüpfend an ein Präparat unserer
Sammlung^), noch den besonderen Fall hervorheben, der öfters
zu Verwechselungen Veranlassung giebt, dass sich nehmlich aus
einem bestimmten Fettgebilde, das nicht besonders beschrieben
zu werden pflegt, ein solches Gewächs entwickelt. Es giebt in
der Wange eine besondere Fettmasse, welche beim Erwachsenen
in der Segel weniger hervortritt, als bei Kindern, namentlich
neugebomen, eine Fettmasse, welche von der Fossa canina
sieh wie gestielt in die Dicke der Wange fortsetzt, und welche
schon Heister (1741) u. A. beschrieben haben, welche aber
immer vricder vergessen worden ist. Sie trägt den Namen
des Fettkörpers der Wange, Corpus adiposum malae**).
Dieser Körper entwickelt sich zuweilen zu einer lipomatösen
Geschwulst, die sich dann in der Wange bald mehr nach vom,
bald mehr nach hinten hervordrängt, und, wie man aus der Zu-
sammenstellung, die Bruns***) über diese Fälle geliefert hat,
ersehen kann, nicht selten Veranlassung gegeben hat, sie mit
Parotisgeschwülsten zu verwechseln. Indem das Gewächs von
hinten her die Parotis hervorschiebt, so ist es manchmal nicht
wohl möglich, die Drüse davon zu unterscheiden. Sehr leicht
kann man daher eine solche Bildung als eine Parotisgeschwulst
behandeln, und bei der Exstirpation die Parotis selbst unnöthiger-
weise mit entfernen.
♦) Präparat No. 122. vom Jahre 1861.
^^) Gehewe. De corpusculo quodam adiposo in hominum genis obvio.
Diss. inaug. Dorpat. 1853.
***) V. V. BruDs. Handbuch der praktischen Chirurgie. Abth II. Bd. I.
S. 146, 1134. Vgl. Gant The Lancet. 1856. Vol. II. No. 23.
Fünfzehnte Vorlesung.
21. Januar 1863.
Myx«Me«
Verschiedenheit der Myxome Ton Scbleimcytten und Scbleimkyttomen. ZutammenseUnng m
Schloimgewebe. Natur und Vorkoromen desselben: Nsbelstrang. Verhiltolss sam Biad«
und Fettgewebe. Perststenx im entwickelten Körper, RAekbUdnng aas Fetlg«w«be (coIioi<l«
Metamorphose). Besiehung cur Nearoglia und tum PeriueuriunL Homologe ood heterolog«
Myxome. Beschaffenheit der intercellularen Flfissigkeit, der faserigen nnd Belügen Bestand
tbeile.
Varietiten: Myxoms hyalinum s. gelatiuosum, M. medulläre s. cellutare, M. lipomatodea, M. cj*t«i
des, M. fibrosum, M. cartilagineura, If. telangiectodes.
Aeltere Terminologie: Colloid, CoUonema. Sarooroa gelatlnusam t. hyalinum, Carrinoma coUoMei
s. gelatinosum.
Das Myxom der Choriou sotten (Blasen- oder Tranbenmole). Bescbreibang und Theorie.
Ausgang von den Chorionxotten : Hyperplasie des priexisttrenden Scbleinsgewebea. Verhih-
niss der Zellen und Gefasse au der Wucherung. Zustand der Frucht: leere Eier, atrophilclM
Embryonen. Verb<niRS xwischen der Zottenerkrankung und dem Absterben des Embrro.
Allgemeine und partielle Hyperplasie der Zotten : placeatares Myxon. Rateatioii der Plaoeati.
Beaiehnng der Blasemnole xur Endometritis. Partielles fibröses Placentar-MyxoB:
Tuberkel und 8kirrh der Placenta. Hfiraatom, Apoplexie und Thrombose.
Congenitale Myxome.
Myxome der Erwachsenen: Hubcutane und intramusculire Formen. Das Myxom des Ob«r-
scbenkels. Polypöse Myxome der Brust und Schamlippen. Myxom des Vierenbeckens. Ujt*m
der Knochen.
Heteroplastisches Myxom: Gehirn, Rückenmark, Nerfen. Das falsch« Menrom; soK4«
nnd cystoide Form. Weibliche Brost: Cystosareoma. Tuberöse nnd diftase Form. Pa*
intracanalicul&re polypöse Myxom: Aufbruch. — Hoden, Lange, 8p«lcb«ldri«eii.
Bedeutung der Myxome. Gutartigkeit der hyperplastischen Formen: Örtliche Störoagen, Ulcera-
tion, Recidivining. Bösartigkeit der heteroplastiseben Formen: das maligne Nevroai. Cl-
reration, MnItipliritSt, Metastase.
In der Reihe der Proliferationsgewächse schliesst sich jetzt gans
natürlich diejenige Geschwulst an, welche wesentlich aus Schleim-
gewebe, diesem Sowohl dem Binde-, als dem Fettgewebe so nahe
verwandten Gliede der Bindesubstanzreihe, besteht. In der Tbat
Schleimgewebe. 397
bildet das Schleimgewebe eine besondere Art von Geschwülsten, wie
das Fettgewebe Fettgeschwülste, das Bindegewebe Bindegewebs-
gesch Wülste bildet. Ich habe dafür den Namen der Schleim-
gewebsgeschwülste oder kurzweg Schleimgeschwülste,
Tumores mucosi, Myxome vorgeschlagen*).
Von vorn herein warne ich davor, diese Species nicht zu
verwechseln mit Schleimcysten (S. 231 ) und Schleimkystomen,
wo Schleim nicht als Gewebe, sondern als Secret die Geschwulst
bildet. Im Myxom ist der Schleim Gewebsbestandtheil, er gehört
zu der Intercellularsubstanz eines Gewebes, welches sich in seinen
wesentlichen Structurverhältnissen der grossen Reihe der Binde-
substanzen anschliesst**). Bis vor verhältnissmässig kurzer Zeit
war es überhaupt unmöglich, diese Geschwulste in ihrer Stellung
genau zu erkennen, weil man die eigenthümliche Art von Gewebe,
um die es sich hier handelt, überhaupt nicht genauer ins Auge
gefasst hatte. Freilich ist der Name Schleimgewebe kein
neuer, denn er ist schon im vorigen Jahrhundert von einer Reihe
von Schriftstellern gebraucht worden als Ausdruck für die weiche-
ren Bindegewebsmassen überhaupt. Das zeigt namentlich das
seiner Zeit ziemlich berühmte Buch von Bord eu ***). Allein in
dem Maasse, als man die Doctrin des „ Zellgewebes ** ausbildete,
woraus später das Bindegewebe wurde, trat die Vorstellung von
dem homogenen, schleimigen Wesen des Gewebes in den Hinter-
grund, und man betrachtete die weichen Bindegewebsmassen ent-
weder als eine blosse Abart, wie sie von Köllikerf) unter
dem Namen des gallertigen oder sternförmigen Binde-
gewebes unterschieden wurde, oder als ein nicht vollkommen
ausgebildetes, junges oder auch wohl als älteres, aber unreifes
Bindegewebe, als ein Entwickehingsstadium von Bindegewebe,
welches nicht zu voller Ausbildung gekommen sei.
Erst als meine Untersuchungen über die einzelnen Einrich-
tungen des Bindegewebes einen gewissen Boden geschaffen hatten,
wurde meine Aufmerksamkeit auf diese Substanz gefesselt, zu-
^) Mein Archiv. 1857. Bd. XL S. 286. Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 444.
♦♦) Oellalarpathologie. 3. Aufl. S. 43, 93.
♦*♦) Th^ophile de Borde u. Recherches sur le tissu muqueux ou Tor-
gane cellulairc. Paris. 1791.
t) KGlliker. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. 1849. Bd. I. S. 54. Note.
Würzburger Verhandl. (1851.) Bd. III. S. 2.
398 Ffinfzehote Vorleflung.
nächst durch die Eigenthumlichkeit, dass sie Schleim (Hncin),
der sonst als Secret vorkommt, in sich enth<, und es trat
namentlich ein Gebilde sofort in den Vordergrund, welches diese
Beschaffenheit in einem besonders hohen Maasse an sich trägt,
nehmlich das Gewebe des Nabelstrangs, — die sogenannte Wh ar-
ton'sche Sülze oder Gallerte*). Diese besteht aus einer
verhältnissmässig starken Anhäufung von Schleimgewebe, welches
als subcutanes Polster auftritt und seiner Lage nach genau dem
Unterhaut -Fettgewebe entspricht. Auch an anderen Orten findet
sich Schleimgewebe beim Fötus überaus verbreitet, aber in seinen
ausgesprochenen Formen keineswegs als die Vorstufe zu Binde-
gewebe, nicht als unreifes Bindegewebe, sondern besonders häutig
an solchen Stellen, wo nachher Fettgewebe vorhanden ist. Eher
könnte man es daher unreifes Fettgewebe nennen. Denn
in der That wandelt es sich in der Mehrzahl der Fälle späterhin
in Fettgewebe um, indem seine Zellen entweder einfach Feit auf-
nehmen, oder, wie ich schon neulich hervorhob (S. 370), zuerst
wuchern und dann Fettlappen bilden. Trotzdem kann man das
Schleimgewebe nicht einfach zum Fettgewebe rechnen. Es steht
zu demselben in dem gleichen Verhältniss, wie Knorpel £o Kno-
chen, aber es hat auch dieselbe Selbständigkeit, wie Knorpel-
gewebe, und daher muss es als eine besondere Art von Gewebe
unterschieden werden **).
An einzelnen Orten bleibt die urspröngliche Beschaffenheit
einigermassen erhalten, wie am Glaskörper des Auges, von
dem ich nachgewiesen habe***), dass er in dieselbe CJewebs-
Kategorie hineingehört und seiner Entwickelungsgesehichte nach
subcutanes Gewebe ist. Auch finden sich kleinere Anbäufiingen
an der inneren Herzeinrichtung, namentlich an den Herzklappen f)*
An den meisten Orten, wo es nicht zu Fettgewebe wird, atrophirt
es späterhin, und nur an den äusseren Genitalien geht es in ein
mehr bindegewebiges, lockeres Unterhautpolster über (S. 388).
Man muss daher zugestehen, dass im entwickelten und gut ge-
♦) Würzburger Verhaodl. 1851. Bd. IL S. 160, 317. Mein Archiv. 18M.
Bd. V. S. 593.
*^) WQrzb. Verhandl. (1852.) Bd. lU. Sitznngsber. S. V. GanstaU's Jah-
resbericht für 1852. Bd. IV. S. 316. Mein Archiv. 1859. Bd. XVI. S. 14.
^**) WQrzb. Verhandl. 1851. Bd. II. S. 317. Mein Archiv. 1868. Bd. IV.
S. 468. 1853. Bd. V. S. 278. 1854. Bd. VII. S. Ö6I. OeliuUrpathoi. S. 96.
t) Gesammelte Abhandln ngen. S. 509, vgl. S. 600.
Verhältniss von Schleim- und Fettgewebe. 899
nährten KOrper allerdingg äusserst wenig Schleiragewebe vor-
handen ist, selbst wenn raan gewisse Schleimhäute diesem Ge-
webe annähern wollte, die doch in vielen Stücken davon ver-
schieden sind.
Nun ist es aber sehr häufig, dass ebenso wie Schleimgewebe
sich zu Fettgewebe umbildet, auch ohne besondere Krankheit
das Fettgewebe sich wiederum in Schleimgewebe
zur fick bildet, dass also das Fettgewebe geradezu wieder
Schleimgewebe wird*). Das geschieht im Laufe vieler einfacher
Abmagerungszustände, zuweilen in so grosser Ausdehnung, dass
man die gallertartigen Massen dieses Gewebes wie eine lose
Schleimlage antrifft. Diese Zustände sind meistentheils verkannt
worden; man hat sie entweder für blosse Oedeme gehalten, oder
für coli oi de Umwandlungen angesehen. In dieser Weise sieht
man an dem subpericardialen Fett an der Oberfläche des Herzens,
an dem Fett, welches im Hilus der Niere liegt, an dem Fett,
welches ausserhalb der Dura mater im Canalis vertebralis ge-
legen ist, an die Stelle der gelben Fettläppchen eine durch-
scheinende, gallertartige, zitternde Substanz treten, welche einen
erheblichen Bestandtheil Schleim enthält**). Am aller deut-
lichsten ist dies aber am Mark der Röhrenknochen, wo die
ganze Masse des gelben Fettgewebes zuweilen in ein durch-
scheinendes Gallertgewebe sich umbildet***). Hier tritt also das
alte Gewebe gleichsam wieder in Kraft, und man kann gewisser-
massen sagen, dass Schleimgewebe und Fettgewebe Pa-
rallelzustände desselben Gewebes sind, welches sich je
nach Umständen in der einen oder in der anderen Form darstellt.
Insofern findet sich dann auch nicht selten im erwachsenen Körper
an vielen Stellen Schleimgewebe vor, nehmlich in Abmagerungs-
zttst&nden, und dieses kann von sich aus in ähnlicher Weise eine
Schleimgewebsgeschwulst erzeugen, wie das sonst vorhandene Fett-
gewebe eine Fettgewebsgeschwulst. Diese Formen haben daher
im Allgemeinen einen homologen Typus, und weisen sich als
♦) Mein Archiv. Bd. XVI. S. 15.
♦*) Schrant erwähnt (Good- en kwaadaardige gez wellen. Bl. 256),
dass Ali Cohen eine CoUoidlage im Wirbelkanal beschrieben habe. Dies
war offenbar nichts, als das metamorphosirte, extramcningeale Fettgewebe.
^*) WahrBcheinlich gehört hierher manches von dem, was Ginge (Atlas
der path. Anat Lief. II.) als Osteophyton gelatinosuro schildert.
ll«l
i'i-'i :-~ -L* ucv^cc^ücBff« aas vorhandenem S<jhleim-
I:i'ia vrr^riieütii. i<*: üe laveilea sehr aasgesprochene
;-~--i f^* Ijl-¥i:ü*lxiii:£ i-£*l Sdileimgewebe an Orten, wo
vr ^.tiisrc iii:j& Ute An 4Ftn>Fa, sbiI wo es aus irgend einem
äiiiu:f^a . i^r Biniineev-tätsTfinfe lueMrigen Gewebe hervorgeht.
In i:f?<<r 3«f£i«aan;£ 3iii:s!' ic^ Miirmlich auf einen Punkt auf-
ii»fri.sim niiL'jea . m naa iZjerdi&ss zweifelhaft sein kann in
5^£ifaaxiu iaruir. lu ':t^ töcsl sb eine homologe oder heterologe
Firn iitaii»:-.r. Iti£f> sdl ö* NerveDeinricbtungen. Ueherail
i«M]iiLii:ii. sj Villi, la ü» «r^ma^ilappanien, als an den periphe-
r2>:uija X->o-.a^ iniüiC ^»ri «m eigentliämliche interstitielle Sub-
<;ia^ »ir. v-«ü:a>! i*ia i^x Bäi«cewebe and dessen bekannteren
AfÄ^i. <i.*!acea si:a uLtifrinfM-iiec. Sie erreicht ihre grösste und
utt lifbcea >a*!«:'tib<ai* ExiwxlLelBnä; am Gehirn und Räcken-
soj^. -V7 i.-'i or hin SuL^m Nearoglia beigelegt habe*). Sie
ijpi-ic ?ii:ü x?««r x^'ö. ^^oX'-i ;■ e:was derberer Weise, zwischen
i-jtt ?r3iii.*:bc^r» -ifc xripMri$chen Nerven**), wo sie von
Rv^:i l*i!L NxiM'T I«^ PeriBeiriums bekommen hat. Sie
>c i:;it ^caViar^i-^^ice 121 eAzeren Sinne des Wortes, aber eie
>c«c: iies^zL is sic-is^cea. Die Nearoglia ist eine weiche Sub-
>Ci:u. I^e '•^vi:; r^ »nirickea mnd xu lertrfimmern ist, und m
maa>:i^a ^.V:-^::. «:*? i!n Oalamos soriptorias, eine äusserst tarte
and r^: ^l-fr:jkrt.*«^ Be^cbaäenheit annimmt. Sie ist ein be-
>oa^er> :ä.iiLcrr FntwickeluD^ort für wirkliches pathologisches
Sv*hlT»:ai^ew^ii-e. I^ib^i nnd^t freilich eine Veränderung in dem
Ivpas siäs:, ^< i>; e:was Hecerologes« aber es steht doch verhält-
ni>^iuJb'>igC nicht >ehr weit von dem Normalen. Es verhält i^ioli
d;imit uncetBthr so. wie wenn im permannten Knorpel Knochen.
oder im Knochen Knor|^l ent^^telic, was auch an sich heteroloi^
ist, aber doch nicht eine solche Heterologie ausdräckt, wie vir
sie bei den epithelialen Neubildungen kennen.
Alle Schleimgewebsgeschwttlste« mögen sie homolog oder
heterolog entstanden, hyperplastische oder hetertfplastische For-
men sein, haben das Gemeinschaftliche an sich, dass sie sich
durch grosse Weichheit und Zartheit auszeichnen, dass sie häutig
*) Gesammelte AbhaDdl. S. 890. CellnUrpathologie. 3. Anl. S. ^7
^*) CelluUrpathologie. S. 216, 260.
Mucingehalt der Myxome. 401
floctuiren, wie weno man eine blosse Flüssigkeit oder eine
cystische Geschwulst vor sich hätte; dass, wenn man sie an-
schneidet, sie eine manchmal ganz gallertartige, manchmal etwas
mehr derbe, manchmal aber fast flüssige Gonsistenz zeigen, und
dass man durch Druck von den Schnittflächen eine sehr schlüpf-
rige Flüssigkeit entleeren kann, welche fadenziehend ist, wie ge-
wöhnlicher Schleim oder Hühnerei weiss, und welche entweder
ganz farblos oder leicht gelb gefärbt ist.
Diese Flüssigkeit verhält sich chemisch, wie Schleimflüssigkeit.
Sie enthält gewöhnlich einen gewissen Antheil von eiweissärtigen
Körpern und trübt sich daher beim Zusetzen derjenigen Substanzen,
welche Eiweiss lallen, und beim Kochen. Charakteristisch ist aber,
dass sie, wie die Gallerte des Nabelstranges, eine sehr bedeu-
tende Quantität von Mucin führt, welches sich leicht vom Ei-
weiss unterscheiden lässt. Wenn man die Fällung durch starken
Alkohol vornimmt, so bekommt man einen Niederschlag von
Eiweiss, welcher sich beim Zusatz von Wasser nicht wieder auf-
löst, namentlich wenn der Alkohol längere Zeit damit in Berüh-
rung war, während der gleicBfalls gefällte Schleim sich wieder
auflöst und in den gequollenen oder gelösten Zustand zurück-
kehrt. Die Niederschläge, welche Alkohol in dem Schleim er-
zeugt, sind nicht körnig und flockig, wie die des Eiweisses, sondern
fadenförmig oder membranös; es bildet sich wie ein Netz durch
die Flüssigkeit, so dass die Gerinnung mehr Aehnlichkeit mit der
des Fibrins hat und sich wesentlich von der der gewöhnlichen
Albuminate unterscheidet. Es ist ferner diese Substanz sehr leicht
fällbar durch den Zusatz organischer Säuren, und die Gerinnungen
erfolgen auch dann in membranöser Form. Im Ueberschuss die-
ser Säuren lösen sie sich nicht auf, sondern ziehen sich noch
mehr zusammen, während umgekehrt, wenn wir Mineralsäuren
nehmen, eine geringe Quantität derselben eine Fällung erzeugt,
welche sich im Ueberschuss der Säure löst, ohne dass eine Er-
hitzung nöthig ist, wodurch sich ein bedeutender Unterschied von
den eiweissärtigen Körpern ausspricht. Es Hessen sich noch viele
andere charakteristische Eigenschaften hervorheben, aber die ge-
nannten sind schon hinreichend. Nur muss man sich immer
erinnern, dass der Schleimstoflf ein ausserordentlich starkes Quel-
lungsvermögen besitzt und dass daher sehr geringe Quantitäten
Virehow, QMchwülaU. 1. 26
^
400 Fünfzehnte Vorlesung.
hyperplastische Entwickelungen aus vorhandenem Schleim-
gewebe aus.
Davon verschieden ist die zuweilen sehr ausgesprochene
heterologe Entwickelung von Schleimgewebe an Orten, wo
wir sonst nichts der Art kennen, und wo es aus irgend einem
anderen, der Bindegewebsreihe zugehörigen Gewebe hervorgeht.
In dieser Beziehung muss ich namentlich auf einen Punkt auf-
merksam machen, wo man allerdings zweifelhaft sein kann in
Beziehung darauf, ob es sich um eine homologe oder heterologe
Form handelt. Das sind die Nerveneinrichtungen. Ueherall
nehmlich, sowohl an den Centralapparaten, als an den periphe-
rischen Nerven, findet sich eine eigenthümliche interstitielle Sub-
stanz vor, welche von dem Bindegewebe und dessen bekannteren
Aequivalenten sich unterscheidet. Sie erreicht ihre grösste und
am meisten specifische Entwickelung am Gehirn und Rucken-
mark, wo ich ihr den Namen Neuroglia beigelegt habe*). Sie
findet sich aber auch, jedoch in etwas derberer Weise, zwischen
den Primitivfasern der peripherischen Nerven**), wo sie von
Robin den Namen des Perineuriums bekommen hat. Sie
ist kein Schleimgewebe im engeren Sinne des Wortes, aber sie
steht diesem am nächsten. Die Neuroglia ist eine weiche Sub-
stanz, die leicht zu zerdrücken und zu zertrümmern ist, und an
manchen Orten, wie am Calamus scriptorius, eine äusserst zarte
und fast gallertartige Beschaffenheit annimmt. Sie ist ein be-
sonders häufiger Entwickelungsort für wirkliches pathologisches
Schleimgewebe. Dabei findet freilich eine Veränderung in dem
Typus statt, es ist etwas Heterologes, aber es steht doch verbält-
nissmässig nicht sehr weit von dem Normalen. Es verhält sich
damit ungefähr so, wie wenn im permannten Knorpel Knochen,
oder im Knochen Knorpel entsteht, was auch an sich heteroloi?
ist, aber doch nicht eine solche Heterologie ausdrückt, wie wir
sie bei den epithelialen Neubildungen kennen.
Alle Schleimgewebsgeschwülste, mögen sie homolog oder
heterolog entstanden, hyperplastische oder heter(^plastiscbe For-
men sein, haben das Gemeinschaftliche an sich, dass sie sieb
durch grosse Weichheit und Zartheit auszeichnen, dass sie häutig
#«
*) Gesammelte Abhandl. S. 890. Gellularpathologie. 3. Aull. S. 257.
) Gellularpathologie. 8. 216, 260.
Mucingehalt der Myxome. 401
floctuiren, wie wenn man eine blosse Flüssigkeit oder eine
cystische Geschwulst vor sich hätte; dass, wenn man sie an-
schneidet, sie eine manchmal ganz gallertartige, manchmal etwas
mehr derbe, manchmal aber fast flüssige Gonsistenz zeigen, und
dass man durch Druck von den Schnittflächen eine sehr schlüpf-
rige Flüssigkeit entleeren kann, welche fadenziehend ist, wie ge-
wöhnlicher Schleim oder Hühnerei weiss, und welche entweder
ganz farblos oder leicht gelb gefärbt ist.
Diese Flüssigkeit verhält sich chemisch, wie Schleimflüssigkeit.
Sie enthält gewöhnlich einen gewissen Antheil von eiweissärtigen
Körpern und trübt sich daher beim Zusetzen derjenigen Substanzen,
welche Eiweiss i&llen, und beim Kochen. Charakteristisch ist aber,
dass sie, wie die Gallerte des Nabelstranges, eine sehr bedeu-
tende Quantität von Mucin fuhrt, welches sich leicht vom Ei-
weiss unterscheiden lässt. Wenn man die Fällung durch starken
Alkohol vornimmt, so bekommt man einen Niederschlag von
Eiweisa, welcher sich beim Zusatz von Wasser nicht wieder auf-
löst, namentlich wenn der Alkohol längere Zeit damit in Berüh-
rung war, während der gleicBfalls gefällte Schleim sich wieder
auflöst und in den gequollenen oder gelösten Zustand zurück-
kehrt. Die Niederschläge, welche Alkohol in dem Schleim er-
zeugt, sind nicht körnig und flockig, wie die des Eiweisses, sondern
fadenförmig oder membranös; es bildet sich wie ein Netz durch
die Flüssigkeit, so dass die Gerinnung mehr Aehnlichkeit mit der
des Fibrins hat und sich wesentlich von der der gewöhnlichen
Albuminate unterscheidet. Es ist ferner diese Substanz sehr leicht
fiUlbar durch den Zusatz organischer Säuren, und die Gerinnungen
erfolgen auch dann in membranöser Form. Im Ueberschuss die-
ser Säuren lösen sie sich nicht auf, sondern ziehen sich noch
mehr zusammen, während umgekehrt, wenn wir Mineralsäuren
nehmen, eine geringe Quantität derselben eine Fällung erzeugt,
welche sich im Ueberschuss der Säure löst, ohne dass eine Er-
hitzung nöthig ist, wodurch sich ein bedeutender Unterschied von
den eiweissärtigen Körpern ausspricht. Es liessen sich noch viele
andere charakteristische Eigenschaften hervorheben, aber die ge-
nannten sind schon hinreichend. Nur muss man sich immer
erinnern, dass der Schleimstofl^ ein ausserordentlich starkes Quel- /
lungsvermögen besitzt und dass daher sehr geringe Quantitäten /
Virehow, QMchwiltt«. 1. 26 /
402 FQufzehDte Yorleanng.
genügen, um grosse Mengen von Flüssigkeit fadenziehend oder
gar gallertig zu machen. Die Deutlichkeit der chemischen Reac-
tionen steht natürlich in einem gewissen Yerhältniss zu der Menge
des vorhandenen Schleimes, und sie fällt zuweilen nicht so grob
aus, wie mancher es erwartet*).
Ausser dieser Flüssigkeit, welche in dem Gewebe als Inter-
cellularflüssigkeit vorhanden ist, findet sich gewöhnlich noch ein
gewisser Antheil von faseriger Grundsubstanz vor, welche in
manchen Fällen sich beim Kochen in Leim auflöst, (also ein
bindegewebiger Antheil), in anderen Fällen aber der Einwirkung
des Kochens Widerstand leistet und sich also nicht wie die ge-
wöhnlichen leimgebenden Substanzen verhält. Diese Fasern oder
Fibrillen sehen aus wie Bindegewebstibrillen, sind aber sehr locker
und überall von der mucinhaltigen Flüssigkeit durchtränkt.
Die Intercellularsubstanz umschliesst zellige Elemente in sehr
verschiedener Menge. In den einfachsten Formen sieht man ganz
vereinzelte spindelförmige, sternförmige oder runde Zellen; das
wechselt je nach den Entwickelungszuständen. Je jünger das
Gewebe ist, um so mehr sind ruAde Zellen (Schleimkörperchen)
vorhanden; je älter es ist, um so mehr zeigen sich spindel-
oder sternförmige, welche letztere mitunter anastomosiren und
einen maschigen oder areolären Bau erzeugen, in dessen Maschen-
räumen nicht selten noch runde Elemente persistiren oder sogar
fortwuchern.
So lange diese zelligen Elemente in geringer Zahl vorbanden
sind, so lange hat das ganze Gewebe eine durchscheinende, klare
Beschaffenheit und gleicht in der That manchmal der Substanz
des Glaskörpers im vollsten Maasse: Myxoma hyalinum s.
gelatinosum. Werden die zelligen Elemente reichlicher, so
trüben sie die Substanz, und wenn namentlich sehr viele Zellen
vorbanden sind, wie das manchmal vorkommt, wo Wucherungen
der Zellen eintreten, dann wird die Substanz weisslich, ja sie
erlangt an manchen Stellen ein markiges, medulläres Ausseben:
Myxoma medulläre. Nehmen die Zellen Fett auf und ver-
*) Ich bemerke dabei, dass nach einer Untersnchnng von Köberle
(G. Pfeiffer. Etudo auat path. sur une tumeur du genre collooema. Strasb.
iB58. p. G) auch eine Gallertgeschwulst vor^iu kommen scheint, welche io
Beziehung auf ihre Reactionen mehr Aehnlicbkeit mit der Gallerte der Seh-
ncDscheiden (vgl. S. 203), aU mit gewöhnlichem Macio beeitat.
Varietäten des Myxoms. 403
wandeln sie sich endlich in wirkliche Fettzellen, während doch
noch die gallertige Zwischenmasse sich erhält, so bekommt die
Schnittfläche ein fleckiges, gesprenkeltes oder figurirtes Aussehen
and einen mehr gelblichen Ton, der stellenweise in ein reines
dichtes Gelbweiss übergehen kann: Myxoma lipomatodes.
Aber auch die Intercellularsubstanz zeigt sehr häufig weitere Ver-
schiedenheiten. Nicht selten wird sie so weich und beweglich,
dass das Gewebe fast wie eine reine Flüssigkeit erscheint, und
dass man nicht eine zusammenhängende Structur, sondern eine
Höhle oder Cyste mit gallertigem Inhalt zu sehen glaubt. Auch
gehen die Zellen zuweilen zu Grunde, und es tritt eine wirkliche
Verflüssigung ein: Myxoma cystoides. Manchmal dagegen
wird die Intercellularsubstanz strichweise oder in ganzen Ab-
schnitten reicher an faserigen Bestandtheilen, welche ihrerseits
wieder elastische Elemente enthalten können ; so entstehen derbere,
fibröse Züge oder Maschennetze, die mehr und mehr den Habitus
von dichtem Bindegewebe annehmen: Myxoma fibrosum.
Wieder in anderen Formen finden wir Uebergänge zu knorpel-
artigen Structuren, wo die Grundsubstanz sich verdichtet, die
Zellen sich einkapseln, und das Ganze ein mehr enchondroma-
töses Aussehen zeigt: Myxoma cartilagineum. Zu diesen
Bestandtheilen kommen noch Gefässe hinzu, in manchen Fällen
sehr reichlich und zugleich sehr weit, so dass sie in einzelnen
Abschnitten eine geradezu telangiektatische Beschaffenheit an-
nehmen: Myxoma telangiectodes.
Das ist das Hauptsächlichste, was von der äusseren Erschei-
nung dieser Geschwulstart zu sagen ist. Gewiss ist es wunderbar,
dass man diese an sich sehr charakteristische Form nicht schon
länger festgestellt hat. In der That hat man sie vielfach unter-
schieden, aber weil man den eigentlichen Typus ihres Gewebes
nicht kannte, weil man ihre Beziehung zu dem normalen Schleim-
gewebe nicht beurtheilen konnte, da man dieses Gewebe über-
haupt nicht unterschied, so machte man daraus theils besondere
Geschwulstarten, theils besondere Varietäten anderer Geschwulst-
arten.
Wahrscheinlich gehört gerade in diese Kategorie diejenige
Form hinein, für welche Laennec zuerst den Namen Golloid
aufgestellt hat, denn das war eben eine Geschwulst oder, wenn
man will, ein Gewebe, und nicht eine blosse Substanz, wie di<
26*
404 Fünfzehnte Vorlesnng.
späteren Beobachter gewöhnlich angenommen haben*). Er hat
den Namen CoUoid gewählt, weil die zitternde, weiche, gallert-
artige Beschaffenheit ihn an das Aussehen von halb erstarrtem
Leim (Colla) erinnerte. Es gehört femer hierher diejenige
Geschwulst (S. 323), welche Joh. Müller unter dem Namen
der Gallertgeschwulst oder des Gollonema beschrieben
hat**). Unter den zwei von ihm erwähnten Fällen aus der
Sammlung von Pockels in Braunschweig befand sich eine Hirn-
geschwulst; das andere Präparat stammte von der weiblichen
Brust. Allein der Ausdruck Gollonema wurde sehr vielfach
missverstanden***), und namentlich auf weiche Fibrome, Mol-
lusken u. s. w. angewendet. Müller selbst trug etwas zu der
Verwirrung bei, indem er später dieselbe Geschwulst unter dem
Namen des gallertigen Sarkoms erwähnte und abbildetet). So
ist es gekommen, dass hierher gehörige Gallertgeschwülste unter
dem Namen des Sarcoma gelatinosum oder hyalinumft)
aufgeführt sind. Ja es ist möglich und bei dem Schweigen der
meisten, selbst specialistischen Schriftsteller über die Gallert-
*) Andral. Grundrids der pathologischen Anatomie. Deutsch von
Becker. Th. I. S. Sil. Seh ran t. Goed - en kwaadaardige gezwellen. Bl. 255.
Tijdschrift der Nederl. Maatschappij. 1852. Jan. p. 3. July p. 253.
•♦) Müller in seinem Archiv. 1836. Jahresbericht S. CCXIX. Vgl.
Frerichs. Ueber Gallert- oder Colloidgeschwülste. Götting. 1847. S. 13.
***) Müller sagt: »Die Geschwulst besteht aus einem ausserordentlich
weichen, wie Gallerte aussehenden Gewebe, welches bei der Berührung zit-
tert. Die organisirte Grundlage bilden sehr sparsame Bündel von Fasern
und Geissen. Die Hauptmasse besteht aus grauen Kugeln, die zum Theil
viel grösser als Blutkörperchen sind. Durch die ganze Geschwulst liegeo
kristallinische Nadeln zerstreut.** Diese Krystalle, welche wahrscheinlich
Cholestearin - oder Fett -Nadeln waren, nahm Müller für das Charakte-
ristische, und dadurch wurde seine Aufmerksamkeit auf eine falsche Bahn
gelenkt, denn wenn er frische Präparate und nicht ausschliesslich solche,
die schon im Spiritus gesteckt hatten, untersucht bfttte, so würde er diese
Krystalle vielleicht gar nicht gesehen haben. Ich habe schon früher (Ber-
liner geburtsh. Verhandl. 1848. Bd. III. S. 202) mich darüber genauer aas-
gesprochen. Was die »nicht krvstallisirte, thierische Masse* des Gollonema
betrifft, so wurde das durch Kochen Gelöste von der Uirngeschwulst von
Gerbstoff, Weingeist, Mineralsäuren, Essigsäure, GyaneiseDKaliuro , Alaao,
schwefelsaurem Eisenoxyd, essigsaurem Bleiozyd, Chlorquecksilber nicht ge-
fällt und stimmte daher am meisten mit Speichelstoff oder dem soge-
nannten Mucus der englischen Schriftsteller; aas Decoct von der Brustge-
schwulst dagegen enthielt sehr wenig Käsestoff. — Ans dieser Beschreibung
erhellt wenigstens, dass man kein Recht hat, gewöhnliche leimgebende
Bindegewebsgeschwülste Colloneme zu nennen.
t) Müller. Ueber den feineren Bau u. s. w. Taf. III. Fig. 12. und 13.
tt) Rokitansky. Lehrb der pathol. Anat. Wien. 1855. Bd. L S. 167.
A. Förster. Lehrb. der allg. path. Anat. Leipz. 1855. S.21M. Senftleben.
Archiv für klinische Chirurgie. Bd. I. S. 130.
Myxom der Placenta. 405
geschwülste des Gehirns sogar wahrscheinlich, dass manche
Formen, die man als Krebs bezeichnet hat, hierher gehören,
und es ist dies immerhin verzeihlich, da, wie wir bei den Krebsen
sehen werden, eine Abart vorkommt, welche sich geradezu hier
anschliesst, derColloid- oder Gallertkrebs. Endlich Paget*)
nennt unsere Geschwulst kurzweg die fibrocelluläre.
Keiner von diesen Namen deckt aber vollständig das, was
wir hier zu bezeichnen haben, eben weil keiner von allen ganz
scharf und genau definirt worden ist. Gerade deshalb habe ich
es für zweckmässig erachtet, einen neuen Namen einzuführen und
nicht einen alten zu restauriren, weil damit die bestehende Ver-
wirrung schwerlich gehoben worden wäre. Auch ist die Bezeichnung
der Schleim- (gewebs-) Geschwulst, des Myxoms sehr schnell in
die Literatur aufgenommen worden, ohne besonders befürwortet
zu sein, — ein Umstand, der wenigstens zeigt, dass der Name
einem Bedürfniss entsprach. Missverständlich, wie der Name der
Gallertgeschwulst, ist er nicht, weil er an einen bestimmten
chemischen Körper und an eine bestimmte histologische Grund-
lage anknüpft.
Das am meisten typische Beispiel für eine Geschwulstbildung
dieser Art findet sich schon bei der ersten Entwickelung des
Fötus, und zwar an den Eihäuten. Man könnte freilich sagen,
diese Form gehöre nicht in die Oncologie, sondern in die Tera-
tologie. Allein gerade das gewöhnliche Myxom der Placenta
ist nicht blos für die Schleimgeschwulst, sondern auch für die
Geschwülste überhaupt von höchster Bedeutung, und wir würden
uns des lehrreichsten Beispieles berauben, wenn wir diese Form
auslassen wollten. Ich meine diejenige, die man gewöhnlich unter
dem Namen der Trauben- oder Blasenmole (Mola hydati-
dosa, vesicularis, cystica, botryoides s. racemosa) aufführt**).
•) Paget. Lect. on surg. path. Vol. II. p. 106.
*•) Der Aasdruck Mola {(ivirQ bezieht sich ursprunglich nur auf eiuen
der gegenwärtig darunter begriffenen Zustände, nehmlicb auf die soge-
nannte Mola carnosa (Galen, de usu part. lib. 14. cap. 7. Aristoteles.
De geoeratione animantium lib. 4. cap. 7). Die hier in Betracht kommende
Form der Blasenmole scheint zuerst von A^tius (Tetrabibl. 4. Serm. 4. c. 79)
als eine Art von Hydrops uteri beschrieben zu sein, jedoch führt sie schon
Schenck von Grafenberg (Observ. med. rarior. Lib. IV. Francof. 1665.^
p. 620) in dem Kapitel der Molen auf, und Tulpius (Obs. med. Amstel
1652. p. 246) erklärt geradezu, dass manche Schriftsteller sie Molaaquor
nennten.
406
FODbehote Vorlesapg.
Fast ohne AuBiiahme findet eich dieser Znstand an mensch-
lichen Früchten bei einem Abortus, seltener bei der Geburt vor;
innerhalb des Uterus treibst ist er kaum gesehen worden, denn
fast alle älteren Beobachtungen der Art*) lassen andere Deu-
tungen zu. Dass gerade die menschliche Frncht zur Molenbildang
überhaupt vorzugsweise geneigt ist, war schon lange bekannt**),
und die Beobachtungen über Mola vesicularis beim Runde sind
nicht ganz zweifellos ***). Der gewöhnlichste Fall beim Menschen
Fij. so.
Fig. tlO. M^ioma cystoides multiplex der GhorioD-Zotlen. Nktflriicbe
GrfisBe.
•) Schenk vod Grafenberg I.e. p. 621— 622. BklUr. Eiern, phv».
Tom. VIII Lil). XXIX. J. XXIII. p. 232.
**) Aristoteles 1. c. (Pünf Bucber von der Zeugung ond EDtwivkeluns
der Tliiore, Obersetit und erläutert ron Aubert und Wintnier. Leipi. 1860.
S. 343). Härder. Apiarium. Basil. 1Ü87. p. 3«.
*") UoTcagni. De sodibus et »usis morb. Üb. III. EfüsL 48. tri 14-
et 15. Er citirt ausserdem ValliBoeri.
Blasenmole. 407
ist der, dass ein grosser Klumpen geboren wird, welcher auf den
ersten Blick aus nichts als aus einem Gemenge von Blut und
Blasen der verschiedensten Grösse zu bestehen scheint. Löst man
die Blutgerinnsel ab, so zeigen sich zahllose Blasen zu Trauben
zusammengesetzt, in der Art, dass jede Blase einen Stiel hat und
dass an der Oberfläche der grösseren Blasen wieder kleinere auf-
sitzen, die ebenfalls gestielt sind und gewöhnlich wieder neue
Blasen tragen. Grosse Quaste oder Trauben von solchen Blasen
sitzen schliesslich durch stärkere Stiele dem Chorion an, und
zwar manchmal im ganzen Umfange desselben, häutig nur an der
Placentarstelle.
Der Gedanke, dass diese Blasen wirkliche Entozoen, Blasen-
würmer seien, ein Gedanke, welcher bei den früheren Helmin-
thologen*) öfters wiederkehrt, widerlegt sich leicht durch den
unzweifelhaften organischen Zusammenhang dieser Gebilde mit
der häutigen Ausbreitung des Chorion**). In der That ist es von
dem Augenblick an, wo man die Placentarzotten kennen gelernt
hat, kaum noch zweifelhaft gewesen, dass es sich bei der Hyda-
tidenbildung um Entartungen dieser Zotten handelt. Lange haben
sich die besten Beobachter fBr die Ansicht von Ruysch***) er-
klärt, dass die Blasen aus einer Veränderung der Gefässe hervor-
gingen. Allein diese Ansicht hatte nur Bedeutung, so lange man
an den Zotten fast nichts weiter kannte, als die Geiasse; als das
Parenchym bekannt wurde, begann man auch, in ihm den Sitz
der Veränderung zu suchen. Wie es scheint, bezog zuerst
Grashuisf) die Blasen auf das „Zellgewebe^; die neueren
Beobachter haben vielfach geschwankt, ob sie die Entartung
♦) Göze. Versuch einer Naturgeschichte der Eingeweidewürmer thie-
rischer Körper. Blankenb. 1782. S. 196. Bremser. Ueber lebende Vi^ürmer
im lebenden Menschen. Wien. 1819. S. 253. (Auf dem Titelblatt ist aller-
dings eine solche Traube unter den Pseudohelminthen abgebildet). Ginge.
Atlas der püth. Anat. Jena. 1843. Lief. IV. S. 5.
•*) Marc. Malpighi. Opera posthuma Amstel. 1698. p. 116. Tab. XI.
fig. 6. Tgl. die älteren Beschreibungen bei Stalpart van der Wiel. Obs.
rar. Cent. I. Obs. 70. (Tab. 5).
♦♦•) Fred. Ruysch. Advers. anat. prima p. 7. Thos. anat. VI. No. 102-104.
Tab. V. fig. 3—6. Alb. Hall er. Opuscula pathologica. Laus. 1768. p. 130.
Wrisberg. Nov. Comment. Götting. T. IV. p. 73. Ed. Sandifort. Obs.
anat. path. Lib. IL cap. 8. p. 89. Tab. VI. Oruveilhier. Atlas d^anat.
path. 1829. Livr. L PI. 1. et II. Traite d'anat. path. T. III. p. 481. An-
dral. Path. Anat. übersetzt von Becker. Tb. IL S. 421.
t) J. Grashais. De natura, sede et origine hydatidum disquisitio p. 77.
(citirt bei Sandifort Obs. anat pathoL Lib. IL cap. IIL p. 87 Not. (/.).
408 Fünfzehnte Yorlesuog.
mehr dem Grundstock der Zotte oder ihrem üeberzuge zu-
schreiben sollten, und im ersteren Falle, ob sie mehr die zelli-
gen Theile oder das ganze Gewebe als Ausgangspunkt ansehen
sollten.
Velpeau*) scheint der erste gewesen zu sein, der sich
ganz entschieden gegen die Gefässtheorie erhob; zugleich wies
er nach, dass die sogenannten Hydatiden keine Blasen in dem
gewöhnlichen Sinne seien, dass vielmehr der Zustand der Zotten
mehr dem eines mit Flüssigkeit getränkten Schwammes gleiche.
Er betrachtete das Ganze daher mehr als eine besondere Miss-
bildung. Joh. Müller**) erklärte geradezu, dass er keine Cysten,
sondern nur solide Anschwellungen der Zotten finde. Gierse
und H. Meckel***) wiesen genauer nach, dass eine Hypertrophie
der Zotten mit Oedem stattfinde; letzteres betrachteten sie als
secundär und verglichen es mit dem gewöhnlichen blasigen Oedem
des Anasarca. Dagegen glaubte Heinrich Müller f) den An-
fang der Erkrankung in dem äusseren üeberzuge der Zotten, dem
sogenannten Exochorion zu finden, welches sich verdicke und in
sich Höhlen erzeuge, welche nachträglich von einer faserigen
Schicht des Endochorion überzogen würden. Mettenheimer ff)
endlich suchte den Anfang der Blasen gerade umgekehrt in einer
Umbildung der in dem Innern der Zotten enthaltenen Zellen zu
Cysten, und in Auswüchsen der letzteren sah er den Grund der
späteren traubigen Zusammenhäufung. Pagetftt) schloss sich
dieser Anschauung an.
Die vielen Widersprüche in diesen Angaben erklären sich
zum grossen Theil aus der mangelhaften Eenntniss des Baues
der Chorionzotten. Ich wies zuerst nach, dass sowohl die nor-
malen Zotten, als auch die hypertrophirten Zotten der Mola hyda-
tidosa aus einer Fortsetzung desselben Schleimgewebes bestehen,
welches die Gallerte des Nabelstranges bildetet). Ferner zeigte
*) Velpeau. Revue medicale. 1827. Sept. p. 508. £mbrvologie uod
Ovologie des Menschen. Deutsch von Schwabe. Ilmenau. 1834. S. 18.
**) Müller in seinem Archiv. 1843. S. 441. Note.
***) Gierse und H. Meckel in den Berliner geburtsbfllil. Verhandlungen.
1847. Bd. II. S. 133.
t) H. Malier. Abhandlung Qber den Bau der Molen. WQnbarg. 1847.
S. 41, 46.
tt) Mettenheimer in MQller's Archiv. 1850. S. 424. Taf. IX. n. X.
ttt) Paget. Lectures on surg. path. II. p. 64.
♦t) Würzburger Verhandl. Iböl. Bd. II. S. 161.
Blasenroole. 409
ichy insbesondere gegenüber den Angaben von Goodsir und
Schröder van der Kolk, dass die Zotten nur aus zwei wesent-
lichen Tbeilen bestehen, einem epithelialen üeberzuge (Exocborion)
und einem schleimgewebigen Grundstock (Endochorion), der zuerst
gefässlos ist, später Gefässe erhält*). Wucherungen des Epithels,
wie sie Heinr. Müller als Anfang der Cystenbildung ansah,
fand ich als regelmässigen Anfang jedes, auch des normalen
Wachsthums; ihnen folgt nach einiger Zeit das knospenartige Her-
vorwachsen des Grundstockes (der Papille oder Zotte). Allein nur
in der letzteren, und nicht in dem Epithel, findet die besondere
Veränderung statt, welche zu der Molenbildung führt.
Schon ältere Beobachter haben davon gesprochen, dass auch
an anderen Tbeilen der EihüUen eine ähnliche Cystenbildung statt-
finden könne. Insbesondere Ruysch berichtet von einem Nabel-
strang, der wie eine Kette von Blasen ausgesehen habe. Ich selbst
habe Haufen kleiner Blasen an der fötalen Seite der Placenta in
der Nähe der Insertion des Nabelstranges gesehen**). Diese Fälle
sind wohl zu unterscheiden von jenen, wo die Erkrankung sich
ausserhalb der Placentarstelle findet, aber doch an Chorionzotten.
Ursprünglich ist das ganze Ei mit Zotten besetzt. Von diesen
entwickeln sich jedoch nur die an der Placentarstelle unter nor-
malen Verhältnissen weiter, während die anderen stehen bleiben
oder sich zurückbilden. Tritt aber schon sehr frühzeitig d. h. im
ersten Schwangerschaftsmonat ein krankhafter Zustand ein, so
kommt es vor, dass sämmtliche Zotten in Wucherung gerathen
und hyperplastisch werden. In der Regel erfolgt dann Abortus,
aber es kann auch sein, dass die Wucherung fortschreitet und
das ganze Ei ringsum mit „Hydatiden^ besetzt wird. Anderemal
dagegen entwickelt sich gerade umgekehrt die Placenta normal, aber
irgend ein ausser ihr gelegener Zottenbaum wird „hydatidös" ***).
Dies ist freilich ~^ehr selten. Viel gewöhnlicher ist es, dass sich
die Erkrankung auf die Placentarstelle beschränkt oder innerhalb
derselben sogar nur einen oder einige Cotyledonen betrifft.
In allen diesen Fällen beginnt der Prozess als ein irritativer
•) Würzbarger Verhandluugen. 1853. Bd. IV. S. 375. Gesammelte Ab-
haodl. S. 784.
♦•) Präparat No. 136. vom Jahre 1858.
^*) Michael in Beale^s Archives of medicine. Vol. I. p. 320. Fl. XXX.
fig. i.
410 FOnfzehnte Vorlesung.
mit Kern- und Zellenvennehning. Gleichviel, ob es bei einer
einfachen Hyperplasie bleibt, oder ob ein hydatidöser Zustand
eintritt, in jedem Falle ist nichts gewöhnlicher, als einzelne
Zellen mit hellen, blasenförmigen Räumen versehen zu finden.
Es sind dies Zellen, wie ich sie unter dem Namen der physa-
liphoren beschrieben habe*). Man findet sie sowohl in dem
Epithel, wie H. Müller angiebt, als auch in dem Parencfaym der
Zotten, wie Mettenheimer und Wedl**) es darstellen. Aber mit
Recht hat schon Schröder van der Kolk ***) bemerkt, dass sie
zu häufig sind, um in eine besondere Beziehung zur Blasenmole
gesetzt zu werden, und Hewittf) hat gezeigt, dass die eigent-
liche Vergrösserung der Zotten ausserhalb dieser Zellen besteht.
Allerdings entspricht der Vorgang dem, was man an anderen
Orten als Schleimmetamorphose von Zellen beschrieben hat, und
ich will nicht in Abrede stellen, dass manche Zelle auf diese
Weise zu Grunde gehen und sich gleichsam in Schleim auflösen
mag. Aber anderemal gehen die Zellen durch Fettmetamorphose
unter, anderemal endlich persistiren sie in grosser Zahl, und die
Hauptmasse der Schleimanhäufung findet in der Intercellular-
substanz statt. Ueberall da, wo die Intercellularsubstanz ihrem
grössten Theile nach aus Schleim besteht, nimmt das Gewebe
das Ansehen einer cystischen, relativ flüssigen Masse an ; wo da-
gegen eine grössere Menge faseriger Theile bestehen bleibt oder
sich zubildet, da erscheint mehr eine einfache Hypertrophie oder
richtiger Hyperplasie.
Auf diese Weise verwandeln sich die einzelnen, sonst sehr
feinen Zotten der Placenta in wirkliche Geschwülste, und es ent-
steht in der Regel ein multiples Myxom, welches am meisten
vergleichbar ist gewissen Condylomen der äusseren Haut oder
Zottengeschwülsten der Schleimhaut. Eine Zotte, die normal viel-
leicht kaum den Durchmesser einer halben Linie hat, mag dabei
den Durchmesser von einem halben Zoll und darüber gewinnen.
Je grösser sie wird, um so mehr tritt der Charakter des Schleim-
♦) Cellalarpathologie. 3. Aufl. S. 130. Fig. 131.
•♦) Wedl. Grundzüge der pathologischen Histologie. Wien. 1854. S. 202.
Fi^. 31. und 32
***) Schröder van der Kolk. VYuarnemingen over het maaksel vao
de roenbchdijke placeuta. Amstord. 1851. p. 49. Taf. V. fig. 96.
t) Qraily llewltt InTraosactioDs of the obetetrical Society of Loodoo.
1860. Vol. 1 p. 264.
Blasenmole. 4 1 1
gewebes deutlicher hervor. Sie bekommt eine gallertartige, klare,
durcbBcheinende Beschaffenheit, und wenn man sie ansticht, so ent-
leert sieh eine schlüpfrige Flüssigkeit, welche die Reactionen des
Mucins darbietet Das blasenförmige Aussehen rührt also haupt-
sächlich von der Zartheit des mit Flüssigkeit erfüllten Gewebes
her, welches man etwa vergleichen kann mit dem zarten Pfianzen-
parenchjm an manchen Früchten, z. B. an Weintrauben, wenn
sie recht reif sind und die Haut recht dünn ist.
Diese Entwickelung ist an die Anwesenheit von Gefässen
nicht gebunden. Allerdings sind diese in der Regel vorhanden,
wenn die Erkrankung erst in einer späteren Periode der Schwan-
gerschaft eintritt; ja es kommt vor, dass sogar eine ganz unge-
wöhnlich reiche Ausbildung des Gapillarnetzes in den Zotten ein-
tritt Gierse und Meckel*) haben diesen Zustand, der sich
leicht mit Anasarca des Fötus verbindet, als Wassersucht der
Placenta von der Blasenmole unterschieden. In der Regel fehlen
aber die Geiasse, zumal an den Eiern aus den ersten Schwanger-
schaftsmonaten, wo sehr gewöhnlich zugleich Hydrops amnii
stattfindet und der Embryo selbst unter dem Process atrophirt
und abstirbt, damit also jede Circulation aufgehoben wird.
Dieses Verhältniss des Embryo hat schon lange die Aufmerk-
samkeit der Aerzte auf sich gezogen, und es ist gewiss ein Ereig-
niss von dem höchsten Interesse. Schon die älteren Beobachter**)
kannten sogenante leere Eier (ova inania), in welchen jede Spur
des Fötus fehlte. Anderemal fand man in dem Ei noch einen
zapfenförmigen, zuweilen in Blasen auslaufenden Anhang, dem
Nabelstrang vergleichbar***). Anderemal endlich hing an einem
kurzen, aber dicken und blasigen, zuweilen auch längeren, aber
dann gewöhnlich varicösen Nabelstrang ein Fötus, der entweder
zu klein im Verhältniss zu der Grösse der Eihäute und zu der
Dauer der Schwangerschaft erschien, oder der ausserdem noch
♦) Berliner Geburtshülfl. Verband!. Bd. II. S. 161. Taf. IL Fig. 7. Taf. III.
Fig. 10.
♦♦) Die Literatur bei Hai 1er. Elera. phvsioL T. VIII. p. 65. und bei
Sandifort. Obs. path. anat. Lib. IL p. 77. Vgl ferner Ruysch. Tbes. anat.
VL No. 39 — 41. Tab. L fig. 4. n. 5. H. Müller a. a. 0. S. 36. Barnes.
British and foreign med. cbir. Review. 1855. Jan. p. 169. Hewitt L c.
p.253. PLL fig. 1.
••♦) Sandifort L c. p. 79-81. Tab. VL fig. 3-4. Wedl a. a 0. S.206.
fig. 33. Otto. Seltene Beobachtungen zur Anat PUya. n. Path. lUft L
Breslau. 1816. S. 136.
412 FQDfzehnte Vorlesung.
allerlei Diiformitäten darbot*). Es liegt auf der Hand, dass diese
Zustände, welche jedoch nicht immer mit hydatidöser Vergrösse-
rung der Zotten verbunden sind, Gradationen einer und derselben
Störung darstellen, welche von einfachen Defectbildungen bis
zur vollständigen Auflösung von Embryo und Nabelstrang fort-
schreitet.
Hier wirft sich nun die Frage auf, ist die Veränderung der
Eihäute Folge oder Ursache der Embryostörung? Die meisten
der neueren Beobachter haben sich für die Priorität der Eihaut-
Erkrankung erklärt und den Fötus secundär in Mitleidenschaft
gerathen lassen. Hewitt**) dagegen ist auf die ältere, eigent-
lich schon von Aristoteles vertretene Meinung zurückgegangen,
dass der Fötus zurerst absterbe und die Eihäute dann noch eine
gewisse Zeit, möglicherweise Monate lang im Uterus zurückge-
halten würden und selbständig fortwüchsen. Es stimmt das mit
der Ansicht derjenigen, welche meinten, dass die Placenta oder
ein Theil derselben nach der Geburt des Kindes im Uterus zurück-
gehalten werden und cystisch entarten könne***).
Allein gewichtige Gründe sprechen dagegen. Niemand hat
bis jetzt dargethan, dass Placenten, welche nach der Geburt des
Kindes zurückgehalten werden, noch fortwachsen. Bei den Hä-
matomen habe ich solche Fälle beschrieben, wo die Zotten sich
unverändert erhalten (S. H8); dasselbe habe ich bei Extrauterin-
schwangorsohaften gesehen, namentlich in einem Falle, wo ich
die Placenta '25 Jahre nach dem Ablauf der Schwangerschaft noch
in der Bauchhöhle fandf). Ruysch selbst bildet sogenannte
Pseudomolen ab, welche nach seiner Meinung zurückgehaltene
und oomprimirte Mutterkuchen sein sollenff), und er meint, da^s
sie bei Aborten von *J — 4 monatlichen Früchten entständen, wäh-
rend bei 7 monatlichen und älteren Früchten die zurückgebliebene
♦) Ruvsch 1. i\ No. 45, 47. Tab. II. fig. 3, 5. Obs. anat, chir. Cen-
turi», An)8t. 1691. p. i>0 fig. 15. Ssndifort Obs. Lib. III. p. 91. Tab. VI 11.
fi):. 4-r>. Wodl a. a. 0. S. :^>7. fig. 34. Cruvcilhier. Atlas d'aoat patb.
l-iTF. 1. ri. II fip. 1. Otto a a, 0. S. 135.
••) HiMvitt l. c, p. l>58. ibid. Vol. II. p. 112.
♦••^ Kuv5ch. Obs. anat, chir. Cent, Obs. 20. et 33. Amst 1691. p. 34
et 43 vSandifort I. o. p. 81.
t^ Würzb. Verhandlungen. 1850 Bd. I S. 104. Gesammelte Abhaodl.
S, 790.
ff) Ruvsch. Ol£>, anat chir. Cent Fig. :^6^27. Blosse Blotgemmsel
aus dem l'terus teichnet er in Fig. 2d— 29,
Blaaenmole. 4 1 3
Placenta hydatidös werde. Allein schon Hall er hat dagegen
bemerkt, was die tagliche Beobachtung bestätigt, dass selbst bei
2 monatlichen Früchten die hydatidöse Degeneration vorkomme.
Andererseits kommt dieselbe Compression der retinirten Placenta
bei 7 monatlicher Schwangerschaft vor (vergl. S. 146 flF., Fig. 15
u. 16), wie sie Ruysch von 2 — 4monatlicher abbildet. Auch hat
Morgagni sehr richtig daraufhingewiesen, dass Hydatidenmolen
neben wohlausgebildeten und ausgetragenen Früchten als Zwil-
lingsformen vorkommen und dass die Mole erst einige Zeit nach
dem ausgebildeten Kinde geboren werden kann. Dadurch wird
sehr leicht die Vermuthung erregt, dass die Mole aus retinirten
Theilen des normalen Mutterkuchens entstanden sei, während sie
doch coexistirte.
Femer spricht gegen Hewitt der Umstand, dass die er-
wähnten Zustände des Fötus und des Nabelstranges sich ebenso
bei Fleisch- oder Blutmolen, wie bei Blasenmolen finden. Aller-
dings ist es nicht ganz selten, dass an einer Fleisclimole einzelne
Zotten zugleich myxomatös sind*); es ist aber ungleich wahrschein-
licher, dass nicht die Myxombildung das secundäre Ereigniss ist,
sondern die Hämorrhagie, welche die sogenannte Fleischmole
bildet. Denn nichts ist bei Blasenmolen-Schwangerschaft gewöhn-
licher, als anhaltende, Monate lang fortgehende Blutungen. End-
lich, und das ist ein Hauptgrund, giebt es partielle Myxome
der Placenta bei gut ausgebildeten, erst in späteren Schwanger-
schaftsmonaten abgestorbenen Kindern. Ich habe ein ausgezeich-
netes Präparat dieser Art in der Würzburger Sammlung aufge-
stellt und kann für die geringeren Anfänge eine ganze Reihe von
Abortiveiern aufweisen. Ruysch hatte schon dieselbe Beob-
achtung gemacht**). Diese Fälle lassen sich nicht durch die
Betrachtung beseitigen, welche Hewitt gegen Michael an-
wendet, dass ein Theil der Chorionzotten nicht in die Placentar-
bildung aufgenommen sei, denn ich sah die myxomatösen Zotten-
bäume mitten in der Placenta.
Da nun aber der ganze Process offenbar ein irritativer ist,
so liegt es gewiss näher, den Grund desselben in einer von der
•) Präparat No. 166 vom Jahre 1858, 203 vod 1859, No. 179 von 1860.
**) Rnysch. Obs. anat. chir. Centuria. Obs. 93. Amst. 1691. p. 43.
fig.84. ^
414 Fünfzehnte Vorlesung.
Uterusfläche oder von dem mütterlichen Blute direct übertragenen
Reizung zu suchen. Daßr spricht namenflich die Erfahrung, dass
manche Frauen mehrmals hintereinander Blasenmolen gebären,
und dass die Decidua deutliche Sporen entzündlicher Verdickung
trägt, ja, wie ich gesehen habe, suweilen sogar mit kleinen poly-
pösen Auswüchsen besetzt ist Besteht aber eine Endometritis
in mehr oder weniger grosser Ausdehnung, so kann die Entwicke-
lung der mütteriichen GeOsse sehr frühzeitig in ungewöhnlicher
Ausdehnung erfolgen, und so der ganzen Oberfl&che des Eis ein
stärkerer Reiz zum Wachsthmn zukommen, während er gewöhn-
lich nur an der späteren Placentarstelle, der sogenannten Decidua
serotina stattfindet. Nimmt die Wachemng der Zotten zu einer
Zeit, wo der Embryo noch sehr klein ist, eine grosse Mächtig-
keit an, bildet sich aus jeder eine wirkliche Geschwulst, so wird
diese auch den selbständigen, parasitischen Charakter gewinnen,
welcher alle Geschwulstbildung bezeichnet (S. 18, 104). Nicht nur
werden dann die Zotten dem Embryo das Ernährungsmaterial vor-
enthalten, das sie ihm normal überliefern sollten, das sie aber
jetzt in sich selbst verwerthen, sondern sie können auch als
lebende Theile fortbestehen, nachdem der Embryo selbst zerstört
ist. Denn, ich halte es nach der Kleinheit vieler Embryonen im
Verhältniss zur Schwangerschaftsdauer allerdings nicht fiir un-
wahrscheinlich, dass die Zotten auch nach dem Tode des Embryo
wirklich fortwachsen. Jedenfalls stellen sie in höchster Vollendung
das Muster einer wahrhaft parasitischen, dem Mutterkör-
per selbst fremdgewordenen, heterologen und doch
aus ihm hervorgegangenen Geschwulst dar.
Dieser Geschwulst- Habitus tritt für die äussere Erscheinung
noch mehr hervor in solchen Fällen, wo die Zotten zu grossen
und mehr harten Knollen anwachsen. Die Anfänge dieses Zu-
standen, die man als einfache Hypertrophie der Zotten zu be-
zeichnen pflegt, sind in Abortiveiern nicht selten, und für mich
waren sie insofern immer besonders charakteristisch, als ich
gerade in solchen Fällen die entzündliche Verdickung der Decidua
(Endometritis decidua) am deutlichsten fand. Von dem
hölinren Grade habe ich nur einen einzigen, aber auch einen im
hörliHt<^n Maasse überraschenden Fall gesehen. Herr Dr. von
t'i't/.rr überschickte mir im Jahre 1858 die Placenta eines im
7/ Hcliwangerschaftsmonate, unter starken Blutungen gebomeo,
Hyxoma fibrosam placentae,
ng. si.
übrigens wohl ausgebildeten Kindes, an welcher mitten zwisclien
dem losen Zottenparenchym eine geuis^e Zahl glatter, rundlicher
und derber Knoten hervortrat, welche zusammen einen fast fau!<t-
grossen Tumor bildeten Bet genauerer Betrachtung ergab sich,
dass ein Gotyledon mitten aus der sonst normalen Piacenta heraus
sieb als eine scheinbar heterologe Geschwulst entwickelt hatte
(Fig. 81, ()• Die Vergrösserung erstreckte sich über alle Theile
des Cotyledons, denn einerseits reichte sie bis unmittelbar an das
Chorion, andererseits waren auch die secundären und tertiären
Aeste davon betroffen, so dass auf den mehr centralen, bis taubenei-
grossen Knoten an dickeren und dünneren Stielen wieder neue
baselnussgrosse und endlich hanfkorngrosse Knoten aufsassen.
Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass im Innern ziemlich
grosse und starkwandige Gefässe in grösserer Zaiil enthalten
waren, was schon das rothe Aussehen der Knoten andeutete, dass
Fig. 61. Myxoma librosuni eines Pbceutar- Gotyledon t, aus welchem
Terschiedene gestielte und verfistelte kleinere Knoten herauahfingen. ^ der
Nabelstrang, cc das gefaltete und ausgebreitete Cliorion. p ein };ewObnlicher,
an der Oberfläche massig gktter Cotyledou; p' ein eben eoleher, von ver-
dickter Decidua überzogen. Bei ( liegt die OberflSche des myxomatOsen
KaoteoB frei, ohne Decidua-Ueberzug vor. Die zwischenliegenden rauhen
Stellen sind gewöhnliche Zotten, welche von dem erkrankten Gotyledon aat-
gehen. (Präparat No. 133. vom Jahre 1858). Halbe GrCase.
416 FQnfzehnte Vorlesnng.
aber die Hauptmasse aus einem dichten, areolären, hie und da
mit runden Kernzellen sehr dicht erf&llten Gewebe bestand,
welches mit den mehr peripherischen Tbeilen des Nabelstranges
die grösste Aehnlichkeit hatte.
Diesen sonderbaren Zustuid mnss man wohl unterscheiden
von den Hämatom-Knoten, die sich so oft in der Placenta finden
und durch partielle Thrombosen bedingt sumL Wie es scheint,
haben die älteren Beobachter manches hierher gehörige gesehen
und unter dem Namen TOn Tuberkeln und Skirrhen der Placenta
beschrieben*). Freilich sind diese Beschreibungen so unsicher,
dass es kaum su entscheiden sein möchte, welche Fälle hierher
gehören und welche nicht. Manche neuere Beobachter, insbe-
sondere Simpson**) haben es daher Ar wahrscheinlicher ge-
halion, die älteren Fälle auf Blutcoagnla, namentlich verdichtete
und vorfllrbte Gerinnsel zu beziehen, und vielfach hat man ganz
nilgemein dieso. Zustände als Apoplexien der Placenta gedeutet.
Irh leugno nicht, dass wirkliche hämorrhagische Gerinnsel, nament-
lir.h an der mütterlichen Seite des Mutterkuchens, vorkommen,
aber ich habe schon darauf hingewiesen, dass der gewöhnliche
Kall vielmehr eine Thrombose der mütterlichen Placentar - Sinus
int***). Wie ähnlich diese, wenn sie in einer gewissen Beschrän-
kung und multipel vorkommt, der eben beschriebenen Myxom-
bildung sein kann, habe ich namentlich in einem Falle von
Transposition der Eingeweide gesehen f). Aber es wird jetzt
nicht mehr gestattet sein, alle Fälle von Knoten, selbst wenn
diese roth oder röthlich sind, als Hämatome aufzufassen, und
wenn auch wirkliche Tuberkel und Skirrhen an der Placenta
kaum vorkommen dürften, so muss doch in jedem Falle wohl
unterschieden werden, ob es sich um Gerinnnngsknoten oder um
hyperplastische Myxomknoten handeUft). —
*) Troll. De placentae morbis. Diss. inang. Berol. 1835. p. 28, 89.
^*) James Y. Simpson. Obstetric memoirs and contributionn. Edinb.
1856. Vol. II. p. 409.
^**) Gesammelte Abhandlungen. S. 599.
t) Mein Archiv. Bd. XXII. S. 431. Präparat No. 1166. vom Jahre 1861.
ff') Ich mache bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, dass zuweilfn
unvollHtAndig entwickelte Zwillinge in der Form der soeenannten Aniden
am Nabelittrang kun gestielt aufsitzen, welche leicht für Myxomknoten ge-
nommen werden können. Vgl. die Fälle von Ramsbotham. IVansact of
Ihn I^indon Path. Society. Vol. IL p. 87.
Vorkomnien der Myxome. 417
Gehen wir von diesen Schleimgeschwülsten der Eihüllen zu
denen des Körpers selbst über, so kann ich in Beziehung auf
congenitale Formen wenig aussagen. Ich halte es allerdings nicht
für unwahrscheinlich, dass manche Formen von umschriebener Ele-
phantiasis, namentlich von cystischer (S. 317), sich hier anreihen.
Es kommt ja nur darauf an, dass bei der weiteren Entwickelung
des Körpers einzelne Theile des Schleimgewebes sich unverändert
erhalten, wie ich das früher von dem Kamm unserer Haushähne
nachgewiesen habe*). Allein es fehlt zu sehr an genauen Be-
schreibungen, und ich selbst habe in neuerer Zeit keine Gelegen-
heit gehabt, die Sache weiter zu verfolgen. Von besonderem Inter-
esse scheinen mir aber die Beobachtungen von C. 0. Weber**),
der dreimal Myxome untersuchte, welche aus der Nabelnarbe
von Kindern exstirpirt waren. Schuh***) exstirpirte ein ange*
bomes Gollonema bei einem 5 Monate alten Kinde in der Gegend
des Unterkieferwinkels und der Ohrspeicheldrüse.
Beim Erwachsenen sind Schleimgeschwülste verhältnissmässig .
nicht häufig, nicht einmal in dem atrophischen und in Schleim-
gewebe zurückgebildeten Fett. Zuweilen kommen sie freilich in
ausserordentlicher Grösse vor und erzeugen Gewächse von der
größsten Wichtigkeit. Nachdem ich vor nicht langer Zeit diese
Form unterscheiden gelehrt habe, ist auch von anderen Beob-
achtern t) schon eine gewisse Zahl neuer Fälle bekannt geworden, *
und es steht wohl sicher zu erwarten, dass dieselbe sich in der
Folge beträchtlich vermehren wird. Nur darf man nicht, wie
Billroth tt), Kropf, Eierstockscolloid und Gallertsarkome in
diese oder überhaupt in dieselbe Kategorie zusammennehmen. Am
schwierigsten ist die Trennung von den wahren Gallert- oder
Schleimsarkomen, jedoch muss man sich daran halten, nur das
Myxom zu nennen, was wirklich bekannte Formen des Schleim-
gewebes reproducirt.
*) Würzburger Verhandlungen. Bd. II. S. 318.
♦*) Weber. Chirurgische Erfahrungen. S. 388.
♦♦♦) Schuh. Pseudoplasmen. 1854. S. 25?.
t) A. Förster. Mein Archiv. Bd. XU. S. 207. B. Beck. Klinische
Beiträge zur Histologie u. Therapie der Pseudoplasmen. Freib. 1857. S. 14.
Senftleben. Mein Archiv. Bd. XV. S.339. Billroth. Mein Archiv. Bd. XII.
S. 358. Die Eintheilung, Diagnostik und Prognostik der Geschwülste. Berl.
1869. S. 57. G. G. Weber. Chirurgische Erfahrungen und Untersuchungen.
1859. S. 888. K Neumaun. Mein Archiv, Bd. XXIV. S. 316.
tt) Billroth. Eintheilung u. s. w. der Geschwaiste. S. 18.
Virehow, G«sehwfiltt«. 1. 27
4 IS Fünfzehnte Vorlcsnng.
Ich selbst habe Schleimgeschwülste am häufigsten Ton sol-
chen Stellen gesehen, wo grössere Fettlager oder sehr lockere
Bindegewebsmassen präexistiren, namentlich vom Oberschen-
kel, vom Rücken, von der Hand und von den Wangen. Die
grösste Disposition scheint der Oberschenkel zu besitzen, denn nicht
nur habe ich fünfmal grosse Geschwülste untersucht, welche in
dieser Gegend gewachsen waren, sondern auch die meisten anderen
Beobachtungen, namentlich die von Förster, Köberle, Beck
und eine von Weber beziehen sich auf diese Localität. Dabin
gehören femer drei ältere Fälle von Gluge, die als Lipoma col-
loides beschrieben sind*), ebenso vier von Paget**) als fibro-
cellulär aufgeführte, sowie wahrscheinlich ein von Blasius***)
als Collonema, ein von Lebert f) und ein von Verneuil ff) alj^
CoUoid bezeichnetes Gewächs. Auch haben fast alle das gemein-
schaftlich, dass sie gewissermaassen einen Rückfall des Schleim-
gewebes in Fettgewebe darstellten, d. h. dass die Zellen sich stark
mit Fett füllten. Der erste Fall dieser Art, welcher mir vorkam,
betraf einen 68 Jahre alten Hacker von Ochsenfhrt, der im März
1855 wegen einer stark faustgrossen Geschwulst am rechten Ober-
schenkel in das Juliusspital zu Würzburg kam, dasselbe aber
bald wieder verliess. Die Geschwulst wuchs dann sehr schnell,
brach auf, sonderte viel Blut und Jauche ab, wurde über Manns-
kopf gross und wog, als im December der Tod eintrat, 10 bis
12 Pfund. Auf dem Durchschnitt bestand sie aus zahlreichen,
bis taubeneigrossen Lappen von sehr weicher Beschaffenheit, so
dass ich sie anfangs für eine Geschwulst der Lymphdrüsen hielt
Manche Lappen waren ganz gallertartig, durchscheinend, gelblich,
zitternd, andere hatten ein trüberes, weisslich gelbes, mascbiges
Aussehen ; viele enthielten grosse und zahlreiche Gefässe, so dass
sie fast caveniös erschienen. Die feinere Untersuchang ergab, dass
die gallertigen Stellen ganz aus Schleimgewebe bestanden, die gelben
dagegen reichliche Bildung von Fettzellen erkennen Hessen ff t)-
*) (iluge. Anat. mikrosk. Untersuchungen. MiDden. 1838. Heft I.
M. VW, 132, 134. Atlas der pathol. Anat. Lief. VIII. Taf. I. Fig. 3—5.
♦♦) Paget. Lect. II. p. 110. 117, 118 (Fille von Lawrence, Stanley,
Ihintor und Skey).
***) liludius Deutsche Klinik. 1852. No. 28.
|) Lobort. Phvsiol. pathologique. T. II. p. 203.
If) Vorneu iL 'Hüllet, de la Soc. aoat 1852. p. 4U.
III) Virohow. Untersuchungen Ober die EntwickeluDg des Schidel-
gMiiidoH. Ilerlin. 1857. S. 49.
M,,<
i des Oberecheakela.
419
Auch die später von mir untersnchten Fälle hattea sämmt-
lich eiaea ausgezeichnet lappigen Bau. Eine Geschwulst, welche
Hr. Wilma exstirpirt h&tte, war so fettreich, dass man sie mit
fast ebenso viel Recht ein Lipoma myxomatodes nennen konnte*).
Eine andere weit fiber Slannskopfgrosse war so getUsareich dass
sie fast ganz emer cavemflsen Bildung glich **) £me vierte von
Hrn. Berend openrte war von der grOssten Zartheit und dem
höchsten Scbleimgehalte Sie bebtand aus sehr ungleiclien Lappen
oder Knoten «eiche durch ein weiches Z\\ ischcngewebe zusam-
mengehalten wurden und welche m ihrem Innern wiederum eine
fein- und grobmaschige weisslicbc Zeichnung erkennen liessen.
Letztere war zum grossen Theil durch die in gewiatien Zügen
reichlicher werdende Fettzellenbildung bedingt (Fig 8>) Ein
fünftes, halb fibrCses halb cystisch hämorrhagisches Myxom***)
war binnen <> Jahren an dem Oberschenkel einer SOjähngen Fra^v
bis zur FaustgrOsse angewachsen.
Eine andere, wie es scheint, ziemlich häufig befallene Region
Fig 82. Hyioma lipomntodes femoris ireolare. Die ireissen Stellen
oben und rechts fast ganz lipomaUis, die übrigen mehr schleimig. Das
Ganze grosslappig, mit starken Septi-<. [PrSparat No. 161. vom Jahre 1861).
Die Zeichnung giebt in natQrlicher Grösse einen Abschnitt der UaDOskopf-
grossen Geschwnlst wieder.
*) Pr^arat Mo. 125 vom Jahre 18&7.
'■) PT&iiarat No. 183(i vom Jahre 1667.
■**} Präparat No. 1250 vom Jahre 1858.
420 FfiDfzehnte Vorlesoog.
ist der Hals, insbesondere die Umgebung des Kieferwinkels*);
ausserdem finde ich Fälle vom Vorderarm**), vom Gesäss***),
der Unterlippe t) und der Orbita ff). Nicht selten sind es Miscb-
formen, insbesondere mit Enchondrom und Osteoidchondrom, wie
ich in dem entsprechenden Kapitel weiter ausführen werde.
Der Ausgangspunkt dieser Geschwülste ist nicht selten ein
sehr tiefer, subfascialer oder geradezu intramusculärer. Indess
kommen doch auch solche öfters vor, deren Sitz rein subcutan
ist. Indem sie bald sehr langsam, bald, zumal wenn sie sehr
gefassreich sind, schnell wachsen, wölben sie sich aus dem Unter-
hautgewebe oder zwischen den Muskeln hervor, drängen allmählich
nach aussen und bilden grosse rundliche Anschwellungen, welche,
wenn sie weicher sind, mehr an Lipome oder geradezu an Cysten,
wenn sie fester sind, mehr an fibröae Geschwülste erinnern.
Liegen sie an Stellen, wo die Haut nicht nachgiebig ist, so kann
es sein, dass die Geschwulst sich nach und nach hervordrängt,
die Oberfläche erreicht, ja endlich in Form einer polypösen
Geschwulst sich herausschiebt. Das merkwürdigste Beispiel davon
sah ich von der weiblichen Brust. Das Myxom hatte sich
bei einem 21jährigen Bauermädchen unmittelbar an der linken
Brustwarze aus einer warzenartigen Erhöhung binnen 2 Jahren
entwickelt und bildete, als Hr. Yogelsang in Minden es exstir-
pirte, einen Kleinkinderfaustgrossen Tumor, der pendulirend an
der Haut der Brust ansassfff). Ein sehr ähnliches Präparat
erhielt ich von Hrn. Hoogeweg in Gumbinnen, der es bei einer
Schwangeren von der Schamlippe abgetragen hatte (Fig. 83).
Es war namentlich dadurch ausgezeichnet, dass die an einem
ziemlich dünnen Stiel hängende Geschwulst äusserlich eine Menge
durchscheinender, weinbeerenähnlicher Lappen besass^f)- Diese
Fälle schliessen sich an die Beobachtungen von Paget**t)i sowie
•) Gluge. Atlas. Lief. XVII. Taf. II. Fig. 1-4. (Lipom» colloider.).
W. Adams. Transact. of the London Path. Soc. Vol. I. p. 344. (Colloidkivb>V
Ilaynes Walton ibid. p.340. (Colloid). Schuh s. oben S. 417.
••) Pati;et. Lact IL p. IlO (Fall von G»y).
**•) Delore. Revue möd. Iöö5. Juin.
t) Frerichs a.a.O. S. 15.
ti) Pa-et Lcct. IL p. 118.
ttt) Präparat No. G5 vom Jahre 1860.
*t) Berliner Geburtsh. VerhandL (1857) Heft X. S. 196.
••t) Paget. Lect. IL p. 112, 115.
TOB BlaainB, der das Collonema am häafigeten an den BrDsten,
den groBBea Schamlippen und dem Scrotnm ge&ehen haben wiU.
Zuweilen bilden sich anch an inneren Theilen ähnliche Ge-
Bchwfilste, namentlich an Stellen, wo normal Fettgewebe liegt,
das eine grosse Neigung zu der Umbildung in Schleimgewebe
besitzt, wie am Nierenbecken. Besonders bemerkenswerth sind
die gans tief sitzenden, wegen der Gefahr der Operation besonders
wichtigen epiperitonäalen Formen*).
An den Knochen kommen Myxome in der mannichfaltigsten
Weise vor. Insbesondere sind es die Kiefer, in welchen sich
oft sehr betr&chtliche Geechwfilste dieser Art entwickeln**). Es
gehSren hierher offenbar viele Fälle von sogenanntem Gallert-
earkom nnd Osteosteatom; wenige Schriftsteller sind so vorsichtig
gewesen, wie Stanley*"), der einfach von Knochengeschwfllsten
spricht, die aus weicher Gallertsnbstanz gebildet seien. Aber die
Grenzen sind gerade bei diesen Geschwülsten sehr schwer za
Fig. 83. Uyxoma polyposum botryoideH der groesen Schamlippe.
(Priparat No. 100. vom Jabre tg5T). Nahezu natürliche Grfisse.
*) Santesson. FOrbaadliDgar vid Svenska Lükare-Sällskapets Samman-
koroater. Stockh. 1854. p. 12. Hygiea läfi5. April, p- 225. LaDgeobeck.
Arcbi» f. klin. Chir. Bd. I. S. 105,
••) G. Valentin. Repert för Anat. und Phvs. 1837. Bd. H. S. 275.
Heyfelder. Mein Archiv. Bd. XI. S. 520. "Billroth. Beiträge zoi
pathol. Histologie. Berlin. 1858. S. 94, Deutsche Klinik. 18^5. Ericbsen.
St. Peterabareer med- Zeitschrift. Bd. I. Heft 11. Taf. VI.
***) Staaley. DiaeaseB of the bones. p. 181.
422 Fünfzehnte Vorlesung.
ziehen, da ausserordentlich viele üebergänge und Mißchformen
vorkommen. Insbesondere die knorpeligen Myxome vermischen
sich so unmerklich mit den weichen Enchondromen, dass es zu-
weilen ziemlich willkürlich ist, wohin man den einzelnen Fall
rechnen soll. Eine derartige Geschwulst von der Phalanx eines
Fingers, welche dem Myxom näher steht, weil nirgends die
Zellen inkapsulirt waren, habe ich früher beschrieben*); vor-
treffliche Beispiele der mehr zum Enchondrom gehörigen Form
haben Valentin und Richard Yolkmann**) geschildert. Ich
werde auf diese Mischgeschwulst bei den Enchondromen zurück-
kommen, zumal da in den Weichtheilen derartige üebergänge und
Vermischungen noch viel häufiger und wichtiger sind.
Das reine Myxom der Knochen ist eine weiche, leicht zer-
drückbare Geschwulst, welche gewöhnlich aus der inneren Sub-
stanz hervorgeht und indem sie sich vergrössert, Auftreibungen
des Knochens erzeugt, die anfangs noch von einer harten Schale
umgeben sind, später aber dieselbe verlieren und als weiche
Massen hervorwuchern. Hier und da finden sich im Innern der,
meist aus mehreren Lappen bestehenden Knoten noch einzekc
Reste des früheren Knochengewebes in Form von Balken, Netzen
und dgl. Das Aussehen der Geschwulst ist hellgrau, weisslich
oder schwach gelblich, wie Austernfleisch oder wie die Gallert-
scheibe der Medusen***); Gefösse finden sich in sehr wechselnder
Masse vor und geben je nach Umständen der Geschwulst eine
hellrosige oder dunkelrothe Färbung.
Der gewöhnliche Ausgangspunkt scheint das Mark zu sein,
welches so häufig aus Schleimgewebe besteht (S. 399). Aber
ich bin nicht im Stande nachzuweisen, dass diess jedesmal der
Fall ist und namentlich nicht, ob der Knochen bloss durch die
wachsende Geschwulst absorbirt wird; möglicherweise handelt es
sich in manchen Fällen auch um heteroplastische Entwickelungf)
aus dem Knochengewebe oder der Beinhaut, und eine weiter-
•) Mein Archiv. Bd. V. S. 240.
**) Valentin a. a. 0. S 277. R. Yolkmann. Deutsche Khnik. lö^.
No. 51.
•♦•) Mein Archiv. 1854. Bd. VII. S. 668.
t) Vgl. den Fall von Bickersteth bei Paget, Lecturea. II. p. 187, sowie
den von Denonvilliers, wo eine fast 20 Pfund schwere Geschwulst de«
Oberschenkels äusserlich mit dem Knochen in VerbiDduiig itaad, jedoch »och
innen vorkam (Topinard. Bullet de la soo. aoat 1867. p.8S).
Myxome der NerTencentrcn. 428
gehende Untersuchung wird vielleicht darthun, dass das Myxom
auch in dieser Beziehung nahe Verwandtschaft mit dem Enchon-
drom besitzt. Jedenfalls muss man sich davor hüten, spongiöse
Osteome mit schleimigem Mark in die Kategorie der Myxome
zu beziehen, was ich später noch genauer darlegen werde. —
Die Reihe der heteroplastischen Myxome ist verhältniss-
mässig, so weit man bis jetzt übersehen kann, die häufigere, und
hier, wie ich schon erwähnt habe (S. 400), ist es namentlich die
Neuroglia und das Perineurium, in welchen sie sich öfters ent-
wickeln. Ein nicht unerheblicher Theil insbesondere der Gehirn-
geschwülste gehört in diese Kategorie, und, soweit meine
Erfahrungen reichen, namentlich solche an den Grosshimhemi-
sphären. Es sind das weiche Bildungen *), welche zu sehr um-
fangreichen Geschwülsten bis zur Grösse einer Mannsfaust oder
noch darüber anwachsen, welche oft so zarte, durchscheinende,
gallertartige Beschaffenheit haben, dass sie ganz cystisch erschei-
nen, ja welche sogar unter Umständen einen wirklich cystischen
Charakter annehmen, indem an einzelnen Stellen die Zellen alro-
phiren, die Grundsubstanz zerfliesst, und Höhlungen entstehen,
welche mit einer schleimigen Flüssigkeit gefüllt sind. In diese
Kategorie gehört der eine von J oh. Müller **) beschriebene und
abgebildete Fall; ferner die Beobachtung von E. Wagner***)
sowie wahrscheinlich eine von Rokitansky f) und möglicher-
weise eine von Leubuscher ft)- Auch hier dürfte eine conge-
nitale Entstehung wenigstens zuweilen anzunehmen sein. Ein Prä-
parat unserer Sammlung ftt)? wo ein grosses Myxoma cystoides
des Vorderlappens mit einer Knochengeschwulst des Stirnbeins
direct zusammenhängt, lässt kaum eine andere Deutung zu.
Aehnliche Formen kommen auch an den Häuten vor. Roki-
tansky erwähnt ein fibröses Collonema der Dura mater um den
Perus acusticus. In einem von mir untersuchten Falle *t) von
der Arachnoides spinalis (Fig. 84) hatte das Myxom durch Druck
^) Präparat No. 129 vom Jahre 1861.
^*) Joh. Müller in seinem Archiv. 1836. Jahresber. S. CCXIX. Ueber
den feineren Bau der Geschwülste. Taf. III, Fig. 12-13.
♦♦♦) E Wagner. Mein Archiv. Bd. VIII. S. 532.
t) Rokitansky. Pathol. Anat 1855. Bd. I. S. 167.
ff) Leubusche r. Mein Archiv. Bd. XIII. S. 494.
ttt) Pr¶t No. 129 vom Jahre 1860.
*t) Annalen des Gharite- Krankenhauses zu Berlin. Bd. IX. Hft 2. S. 151-
FBnfiehiite VorlMDOg.
Lähmnng der Extremititen eizevgL
Levrat-Perroton*) hat eioe Col-
loidgeschwuUt des vierten VeDtrikels,
die voQ dem Flexas choroides ug-
gegangen sein soll uod die Glycosurie
bedingte, beschrieben.
Aa den peripherischen Nenen
gellt die Geschwulst gewöhnlich nicht
aus dem Neurilem, ans der Nerren-
Bcheide, sondern ans der intersti^ellea
Substanz, dem Perinearinm herror,
und tritt nnter der Form des soge-
nannten Neuroms auf. Wir werden
später sehen, dass das Neurom im
engeren Sinne des Wortes etwas an-
deres ist. Hier handelt es sieh um
ein falsches Neuron), welches aber
unter ganz ähnlichen Formen auf-
tritt, wie die wirklichen Neurome:
der Nerv, der davon befallen wird,
treibt an einer Stelle spiodelfönnig
auf, oder er schwillt mehr kugelig
Pig. 84. Myxoma fibrosam cyatoidea kqs dem WirfaelkaoaJ. A in
eröffnete Sack der Dura mater apiaalU mit dem Rücke amu'k , velchea kon
oberhalb der LumbalaaschwelluDg comprimirt und atropbirt ist. Es aata hier
gallertartif; aus und zeigt« mikroBkopisch marklose KerTenfüem und Fett-
degeneratioo der Meurogliaiellen. Die Geschwulst ist über hftselnusegrau,
mit etwas hOgelißer Oberfläche, riogsum an die Pia mater und die Neriro-
wurzelu angewachsen , insbesondere mit der Dar« mater in der Hohe de^
10. und 11. Brustwirbels ii;aDi fest verwachsen, lo dau es nicht aniweifel-
haft ist, von welchen Thcilen sie ausgebt. Nur dsa RQckenmark ist geneti^b
unbetheiligt. Auf dem Durchschnitt li nnteracheidet man einen festen, weiM-
lieben, hier und da gelblichen Kern, von dem dicke Balken strabli^ aus-
gehen, uro sich in eine ziemlich derbe Rindenschicbt zu verlieren. ZwiscbvD
den Balken ist graues, theils gallertiges Gewebe, tbeils HOhlnageo mit
schleimiger FlÜNsigkeit. Uier und da finden sich rothe Stellen, in welchen
da» Mikroskop aneurtsmatiscb erweiterte, sehr dickwandige, kleine Arterien
zeigti an anderen Stellen liegt gelbes und braunes kOmigcs Pigment in
kteinen Haufen. Das Mikroskop zeigt in den derben Stellen mit Schleim
infiltrirle FascrzOge mit zahlreichen, runden Kemiellen, die offenbar in der
Wucherung begriffen sind; hier und da auch Stellen mit vorgesch ritten er
Fettmctamorphose. Die gallertigen Hassen sind arm an Zellen und hat gaui
auH schlcimigtT Grundsubstanz znaammengesetiL Aussen geht um da»
UanEi- eine derbere, peßssreiche, mit der Arachnoidea xusammeDhinEendi'
Halle. (Priparat No. 111. vom Jahre 1861)- NatBrlicbe Grösse.
i.i'."''*''*'^'''"'*'"''- Quelques coDsiderstiona snr nn caa dejElvco)-
nne. Th*se de Pari«. 1869. p. 14.
'^m
Mjiome der Nerven. 426
oder knotig an. Ausgezeichnete Beispiele dieser Art habe ich am
Opticus innerhalb der Orbita*) und an einem oberflächlichen Aste
des MaxUlaris inferior gesehen**). In der Regel ist der Bau
lappig, die einzelnen Lappen aber wenig abgegrenzt und das
Ganze Ton durchscheinender, oft gallertartiger Beschaffen-
heit Die netzförmige Anordnung der zelligen Theile tritt bei
der mikroskopischen Untersuchung zuweilen wundervoll hervor.
Anderemal kommt gerade die Form des lipom&hnlichen Myxoms
in der vollendetsten Weise vor***). Jedenfalls ist die Consistenz
eine verhältnissmässig weiche, und daher kann sehr leicht die
Vorstellung entstehen, dass man es mit einer cystischen Bildung
zu thun hat, während sich bei dem Anschneiden eine feste Ge-
schwulst findet. Ich selbst hielt einmal eine solche Geschwulst,
die ganz unschmerzhaft war und am Unterschenkel sass, für ein
Hygrom und stach sie mit einem Troicart an; als aber keine
Flüssigkeit sich entleerte und ich mich daran machte, sie zu
exstirpiren, zeigte sich, dass sie am Nervus peronaeus ansass.
Es gelang, diesen zu erhalten und die Heilung ging günstig von
Statten.
Eine Reihe von Beispielen ist in der Literatur früher be-
sehrieben worden\unter dem Namen des Neuroma cysticumf).
Diese gehören wahrscheinlich alle zu den Myxomen. Da aber
in der That cystische Schmelzung der Substanz an den grossen
Myxomen des Gehirns vorkommt, so halte ich es nicht für un-
möglich, dass auch an den Nerven eine wirkliche Höhlenbildung
vorkommt Wahrscheinlich ist aber die Höhlenbildung in der Mehr-
zahl nur scheinbar, bedingt durch die Anwesenheit weicher, zarter
Stellen, welche sich von aussen weich anfühlen, auch beim An-
schneiden Flüssigkeit entleeren und dann eine Gavität oder wenig-
stens eine Vertiefung zeigen. So hatte Herr Wilms ein „Neu-
rom^ des Ulnaris exstirpirt, welches eine länglich ovale, fast
spindelförmige Gestalt besass und äusserlich eine so deutliche
Fluctuation und zugleich eine hügelige, stellenweise durchschei-
nende Oberfläche zeigte, dass man bestimmt an Cysten denken
*) Im Jahre lb63 von HerrD v. Gräfe exstirpirt Vgl. den Fall von
fireschet bei Ginge. Anat. mikr. Unters. II. S. 133.
♦♦) Präparat No. 1209. Mein Archiv. Bd. XIII. S. 262.
***) Mein Archiv. Bd. XI. S. 281. Schnöder. Schweizer Monatsschrift
f&r praktische Medicin. 1859. No. 4.
t) Houel in den Möm. de la Soc. de chir. de Paris. T. IIL p. 259.
426
mosste. Nacbden das Pripmt in Oiroui-
sänre gebirtet md dann darchscbnjtteD
war (Fig. 85.), sah man wohl eine
grosse Zahl von kkinereo nnd grösserea
MasclienränmeD mit gallertigui Massen
gefüllt, aber keine eigentlichen HöhleD,
HonderD eine Continaitit des Gewebes. —
Eine scheinbar noch mehr hetero-
l plastische Form entwickelt sich in drü-
I sigen Organen aus dem ioteretitiellen
' Bindegewebe, welches sonst viel mehr
Neigung zu tibrOsen Bildungen besitzt
Unter diesen ist obenan ta erwAboen
die weibliche Brust Hier findet sieb
ein Myxom, das verfailtnissm&ss^ am
bäuägsten in die Sarkomreihe gestellt
worden ist und namentlich eine Haupt-
form des sogenannten Cystosarcoms
dariiteUt. Schon Johannes Müller kannte in seiner ersten
Mittheilung über das CoUonema einen higher gehörigen Fall:
zwei unalogc führt Rokitansky unter demselben Namen auf;
bIh Myxoina liponiatodes hat E. Neumann einen dritten be-
Muhricben. In der früheren Literatur ist es natürlich zweifelhaft,
wie woit man die einzelnen Beobachtungen hierher ziehen darf,
indesg glaube ich nicht fehl zu gehen, wenn ich die Fälle voo
FibrocoUoid bei Lebert*) und die von Cystosarcoma phyllodes
bei Mettonhcimer"), Heinr. Meckel**') nnd Harpeckt)
als Myxome auffasse. Sehr wahrscheinlich gilt dies auch für einige
von Bruch tt) hIs Cystosarkome, sowie für eine gewisse Zahl der
Fip, 85. Myxom» lobulare c.ystoides des N. nlnari«. M»n sieht gröfsert
uLd klfincre l.ob'uli, in dtr Mitte die grCBserea uad Kllercii, im Cmbiip
dip kiKinPrt'ii und i(lng>'ron. Letztere entwirkelo sieb, wie «m UmfmS*
dealtieh bftaerkbar i«t, »elbsUndie neben den frQheres Knoten. (Prtpaiii
No. 31. vom Jahre lHü'i). NMadiche GrOsse.
•) Leben. !'ath. phva. T. IL p. 198. Atlas d'aiiat. patb. PI. CXLIV.
vt (XLV. Fil!. 6-7.
**) Mettenheimer. MQIler's Archir. ISSa S. 417.
**'t IL MerkeL Manchener illustr. med. Zeitung. IHH. Heft S. S. HL
t) llarpeek in den Studien des physioL lostiliits in Br«s1an, berau-
Uejtehen v
1 Reirher
i. S. 100.
8, 101. MtKluift nir latioBrile Medkin. 1849. 1
. 13&
IMT.
Myxoma mammae. 427
von Schuh*) als gallertige Cystosarkome und Bündelkrebse be-
schriebenen Formen. Da es aber auch wirkliche gallertige Cysto-
sarkome, einfache Gallertsarkome und Gallertkrebse an der Brust-
drüse giebt, so darf man hier nicht zu leicht entscheiden.
Die Entwickelung des Schleimgewebes erfolgt aus dem inter-
stitiellen Gewebe, welches die Milchgänge und zum Theil die
Trauben der Terminalbläschen umgiebt und von einander trennt,
und welches normal ein ziemlich derbes und dichtes Gewebe ist.
In Beziehung auf den Ausgangspunkt stimmt das Myxom also mit
dem Fibrom (S. 328) überein, welches an denselben Stellen ent-
steht. Auch wird nicht selten das gesammte interstitielle Gewebe
der Brustdrüse auf dieselbe Weise verändert, und die Brust schwillt
zu einem überaus grossen diffusen Tumor an. Anderemal werden
nur einzelne Abschnitte oder Lappen befallen, so dass einzelne
rundliche Knoten entstehen. Es erfüllt sich dabei der Raum
zwischen den Milchgängen und Drüsenläppchen mit einer gallertig
aussehenden Masse, die freilich selten jene Zartheit und Weich-
heit erlangt, welche die Gehirnmyxome zeigen, die aber zuweilen
doch so leicht zerdrückt werden kann, dass, wenn man ein Stück
massig quetscht, dasselbe einem unter den Fingern zergeht. Die
innere Anordnung der Masse ist seltener die maschige; in der
Regel sah ich die Gewebszüge in der Richtung von innen nach
aussen radiär gestellt, und es liess sich das Gewebe in dieser
Richtung leicht in einzelne Abtheilungen zerreissen. Sind bloss
einzelne Knoten vorhanden, so ist diese Einrichtung weniger deut-
lich, ja das Ganze erscheint dann wohl als ein lappiges Gallert-
gewächs, dessen Beziehungen zu der Drüse auf so kleine Theile
beschränkt sein können, dass man in Zweifel geräth, ob es nicht
überhaupt ganz und gar ausserhalb der Drüse, in dem umgebenden
Fettgewebe, seinen Ursprung genommen hat.
Manchmal, namentlich bei der Entwickelung einzelner Knoten
und bei sehr weicher Beschaffenheit der Geschwulstmasse geht
die alte Drüsenstructur in der Wucherung ganz verloren. Sehr
viel häufiger dagegen, zumal bei den diffusen Myxomen der ganzen
Brust, persistiren die Milchgänge nicht nur, sondern sie werden
ektatisch. Manchmal erweitern und verlängern sie sich einfach,
so dass sie eine Art von varicöser Schlängelung erfahren, und
*) Schuh. Pseudoplasmen. 1854. S. 447.
4'Zti
FSoftebate Vsrienag.
aal d«Di ItarclittcbnJtt l>al<l bie, bild da tm S^itk. -na üna al<
HMtlti hervortritt Anderemal entetebco virkückc crHÜdK Ai^
tM:bnfiniD|{«tn, j«doeb Mehr fiel seltener, als mam im der Zm i>-
lUtlirn, wo (Iftr Name de» Cystosarkonu aafgeeallt via^ Fast
obni; Aniirmbine sind die Cysten die alten, jedoch <
diitloeirten Csvitftten der Sinns und Ductus bctei.
Am luoiMton vora'irrcnd ßlr die Beobacbter ist ea gewesen, da^«
tlin iiiyxomHlfls<> Mii^MO »dir oH in Form von Aoswüchsen in ias
liiiiiT» «l«r Mili')it;lln({o liiiiu in wuchst, und alsMyxoma polypo-
:x
ttTAi'Knalicular« «rboresceiu düfuaum ii
ir|>itt. Die Zoii-hnuof( f;ii<bt in natQrlicher GrOs«e p
n Kiii(l>kupf):ri>s(H'n U^rbwulitt wieder. Der Dotere Tbtil
nl iiMii« tlu'lii iiikI Mtliii tu M<iii, doch t^iki'Bnt maD darin gewisse ]»p-
^'i^iinn, »>>tr)i<- il<'m lAmh^clinitl der in die Uiteb^Df^e hioeingc-
laniioii und tlioüi'llii'ii K<to* »usfDlIvDden (imchwalstnasseti entsprerbci.
I i>lii<ii *i>iKi>ii >iAt i^rCitiKori' Spalti'o iwiacheD den Wnndungen der Hikb-
n Kk(n>ii>ii tiittl lU'ti inirai'dulirulSr^n Exomrenieni letitere treten denl-
T nIh i<i>)i-hi> und in ihri'ni 7.uiiMn)nenhui|:e nit dem Gewebe in Viiti
»[. A»i ^>tll■r1■ll rii>lnii):i> IaI i'iiii< pKiMierr Ektasie offen fielegt und dir
broin Kiidi' »nriiuvit Au^wUch»«' ntebr isolirt (Prliwrat No. 106. tob
• IWl).
Myxoroa mamroae. 429
snm, proliferum, phyllodes oder arborescens die Gänge
erfallt, in ganz ähnlicher Weise, wie ich es von dem ganz nahe ver-
wandten intracanaliculären papillären Fibrom gezeigt habe (S. 342).
Das intracanaliculäre Myxom unterscheidet sich nur dadurch, dass
seine Proliferationen gewöhnlich sehr viel mächtiger und schneller
wachsen. Die Drusengänge werden dabei so erweitert und schlän-
geln sich in so vielfacher Weise, dass, wenn man einen Durch-
schnitt macht, man niemals den ganzen Verlauf derselben auf
einmal zu sehen bekommt. Indem die aus den Wänden hervor-
wachsenden Massen die Höhlungen in manchen Fällen ganz und
gar ausfüllen, so entsteht ein ausserordentlich buntes Bild, am
häufigsten ein solches, dass man eine solide Geschwulst mit allerlei
krummlinigen Spalten und Klüften vor sich erblickt. Schneidet
man die Spalten auf, so gelangt man in communicirende, buchtige
Räume, aus welchen man grosse, bald kolbige und glatte, bald
verästelte und warzige oder zottige Excrescenzen herausheben
kann, welche irgendwo, bald an einem dünnen Stiele, bald mit
einer breiten Fläche der Wand aufsitzen und in das interstitielle
Geschwulstgewebe continuirlich übergehen (Fig. 86). Aber immer
behält die Masse, welche hineinwächst, ihren mucösen Charakter,
ja derselbe tritt gerade an den Excrescenzen zuweilen deutlicher
hervor, als an dem mehr fibrösen Interstitialgewebe.
Sind es die oberflächlichen Gänge, welche davon betroffen
werden, so geschieht es nicht selten, dass sie sich in Form von
Knoten nach aussen hervorwölben, namentlich in der Nähe der
Warze. Wächst dann von der Wand Geschwulstmasse in immer
grösserer Masse in sie hinein, so drängt sie allmählich immer
mehr gegen die Oberfläche hin, vergrössert den Tumor, verdünnt
durch die Spannung die Bedeckungen und kann endlich an der
Oberfläche durchbrechen. So entstehen Löcher, durch welche die
Auswüchse zu Tage treten und durch welche man eine Sonde tief
in das Innere der Geschwulst einfuhren kann. Diese Form hat
man früher für sehr malign gehalten, weil sie nach der gewöhn-
lichen Vorstellung fungös ist, und weil, sobald die Gewebs-
massen an die Luft und mit äusseren Theilen in Berührung
kommen, sie der Sitz stärkerer Hyperämien werden, ulceriren,
an ihrer Oberfläche zerfallen und eine ichoröse Absonderung her-
vorbringen. So können sie leicht den Eindruck einer sarkoma-
tösen oder krebsigen Bildung machen.
430 Fünfzehnte Vorlesung.
Eine ganz ähnliche Geschwulstform kommt am Hoden vor*)
und bildet eine der mit dem Namen der Sarcocele bezeichneten
Formen. Auch in der Lunge habe ich Myxomknoten gesehen.
Weniger rein sind die besonders von Billroth**) beschriebenen
Schleimgeschwülste der Speicheldrüsen, auf welche ich bei den
Enchondromen zurückkommen werde. —
Was schliesslich die Bedeutung der Myxome anbelangt, so
muss man die verschiedenen Localitäten unterscheiden. Erscheint
die Geschwulst mehr als eine hyperplastische, so wird sie von
vom herein als ein Ding von mehr loealer Bedeutung sich dar-
stellen, und in Beziehung auf die Operation wird man selten in
Zweifel sein, dass man mit der Entfernung der Geschwulst das
Uebel vollständig beseitigen kann. Eine grosse Gefahr bringen
sie in der Regel nicht mit sich; ihre Neigung zur Ulceration ist
ebenfalls gering. Sie sitzen meist so tief, dass sie, während sie
allmählich weiter und weiter anwachsen, doch nur durch ihre
Grösse, ihren Druck u. s. w. beschwerlich werden. Allein ihre
Bedeutung ändert sich, wenn sie der Sitz einer reichen Wucherung
und namentlich einer starken Vascularisation werden. Alsdann
wachsen sie schnell hervor und selbst die an der Haut sitzenden
können in Ulceration übergehen. Es kommt dazu, dass die
Grenze zwischen hyperplastischen und heteroplastischen Formen
sehr schwer zu ziehen ist. Die intramuscnlären Myxome stehen
auf einer solchen Grenze, und es ist nicht zu übersehen, dass
selbst Blasius, der sonst für die absolute Gutartigkeit des Gol-
lonema stimmt, doch wiederholte Recidive zugeben muss, und
dass in den meisten Fällen um die Muttergeschwulst eine Reihe
accessorischer, offenbar erst nachträglich entstandener Knoten zu
sitzen pflegen. Nichts desto weniger muss man festhalten, dass
secundäre myxomatöse Drüsenerkrankungen und Metastasen kaum
vorkommen, die Geschwulst also in dem gewöhnlichen Sinne eine
gutartige ist.
Anders verhält es sich mit den heteroplastischen Formen.
Diese zeigen nicht selten eine sehr grosse Neigung sich auszu-
breiten und innerhalb des Theiles, der einmal befallen ist, zu
recidiviren. Dahin gehört namentlich, wie ich gezeigt habe***)
*) Lebert. Atlas d'anat patb. PI. CXLIX. Fig. 3-8. (Fibrocolloid).
••) Billroth. Mein Arcbiv. Bd. XVH. S. 364.
•••) Deutöche Klinik. 18G0. No. 39. S. 381.
MiilignP Myxome. 431
und wie ans den Beobachtung«!! von Blasius und Richard
Volkmann*) hervorgeht, ein gewisser Theil der peripherischen
Menrome, welche an den Nerven, wo sie vorkommen, zu grossen
Geschwflisten sich entwickeln können und unter Umständen den
Fig. 87. Hyioma multiplex recurreus ulcerosum nerTorum sntibrarhiL
Die GescbwuUt stammt von eiocm bSjäbrigen Arzte, der 1(^47 zuerst »d
der Hitte Beiaes rechten Vorderarmes ein etwas empfiodlichea, nadelkopf-
groasea KnOtcbeu bemerkte. Dasselbe wucbs allmälilich und brach 1850,
QKbdem es wallDussgross geworden war, auf. Es eutleerle sich diclfes,
sehr schleimiges Blut. Die Gcschnulst wurde eistirpirt, es blieben allerlei
stechende EmpfiDduDgen zurQck und 1854 fand sich am untereo Eode der
NkrtM eine neue Geschwulst, welche noch niebr unangenehme Oefflhle er-
xeagte. 1857 erschienen am oberen Umfange der Narbe neben einander zwei
Knoten, die schnell wnchsen und von denen einer aufbrach. Im December
wurde das Ganze Ton Herrn Blasius eistirpirt und von Herrn R Volk-
maun (Bemerkungen Ober einige vom Krebs zu trennende GcschwDlste.
Adb dem 4. Bande der Abhandl. der naturf. Ges. lu Halle. 1858. 3.43) all
Hjrxom erkannt. Nach der Heilung bestanden die Empfindlichkeit odo die
spontanen Schmerzanßlle fort und schon nach \ Jahre erschien am unteren
Wink«! der Narbe ein neues RoStchen, das schnell «uchs und im PrObjahr
*) R. Volkmann. Observ. anatomicae et cbimrg. Lips. 1857. p. 3.
Tab. I. Hein Archiv. Bd. Xn. S. 27.
432 FQnfzehnte Yorlesong.
vollen Habitus maligner Geschwülste annehmen, indem sie nicht
blos Ortlich zerstören, sondern namentlich an vielen Nervenästen
gleichzeitig oder nacheinander auftreten. Da zugleich gerade diese
Form oft mit schweren Neuralgien verbunden ist, die heftigsten
lancinirenden Schmerzen hervorruft, so hat sie sowohl diagnostisch
als prognostisch die höchste Bedeutung. In einem solchen Falle
(Fig. 87), wo die Geschwulst von den Armnerven ausgegangen war,
hatte sich zuerst eine Verwachsung mit der Haut gebildet, allmäh-
lich war die Haut durchbrochen, der Tumor trat an der Oberfläche
frei hervor und war hier ulcerirt. Diese ülceration kann den
Charakter annehmen wie eine wirklich pilzförmige, fungöse Masse.
Exstirpirt man nun ein solches Ding und kommt nach einiger Zeit
ein ähnliches wieder, das nochmals exstirpirt wird und von Neuem
wieder kommt, so muss fast die Vorstellung entstehen, dass man
einen krebsigen Tumor vor sich habe. Trotzdem handelt es sich
hier in der Regel um die Disposition eines bestimmten Gewebes;
es sind immer wieder Nerven, und zwar die Nerven einer be-
stimmten Localität, von denen die Entwickelung ausgeht. Der
ganze peripherische Theil des Plexus brachialis kann in eine
solche myxomatöse Disposition gerathen, und wenn wir den
einen Tumor abschneiden, so kann von dem nächsten Aste die
Geschwulstbildung von Neuem ausgehen.
Allein diese locale Multiplicität, die man ja immerhin
als eine Art von Bösartigkeit bezeichnen kann, erschöpft die Ge-
fahr nicht vollständig. Es giebt in der That maligne Myxome,
welche in verschiedenen Theilen des Körpers vorkommen können,
und durch dieses vielfache Vorkommen an differenten Geweben
und Theilen eine wirkliche Malignität im vollendetsten Sinne des
Wortes ausdrücken. Ich beobachtete dies zuerst in einem sehr
1859 die Grösse einer Walin uss erreicht hatte. In dieser Zeit zeigten sich
auch ober- und unterhalb neue Knoten, der ältere brach bald auf, im An-
fange 1860 folgten auch die anderen und es wuchsen neue hinzo, so diss
Herr Blasius (Archiv fQr klin. Chirurgie. Bd. II. S. 200) sich zur Ampn-
tation des Oberarms entschloss. Er hatte die Qüte, mir denselben ii
schicken, und es zeigte sich, dass sSmmtliche Geschwülste too Terschiedeoen
Nervenfäden ausgingen, sich aber wie einfache Myxome verhielten (Deutsche
Klinik 18G0. No. 39). Die Zeichnung, welche um mehr als die Hälfte ver-
kleinert ist, zeigt theils den Durchschnitt des Arms, tbeils die Oberfläche.
Die Geschwülste waren vielfach unter sich und mit den Nachbartheilen ver-
wachsen, drängten sich knotig und lappig an der Hautoberflftche hervor,
wurden zum Theil .fungös" und ulcerirten, indem die Haut sieh verdflnote
und die GeschwQlste wirklich aufbrachen. (Präp. No. 45^. vom Jahre 1860).
Ifaligne Myiome.
433
aasgezeichneten Falte von Myxoma lipomatodee, wo die Haupt-
geschwulst sich am Nervus cruralis entwickelt hatte*). Gleich-
zeitig fanden steh ganz ähnliche Geschwülste an der Dura mater
cerebralis und spinalis. Die der Dura mater spinalis waren durch
die Intervertebrallöclier in die Bauchhöhle hervorgewachsen und
Fig. 88. Hyioma lipomatodes malignum des NerTog gapfaenns m^or
(Archi*. XL S. 382). A Durchschnitt. B ftuHsere Ansicht. Die Geschwulst
war 5,5 Centm. hoch, 4,5 breit und 3,5 dick. Man sieht in B ao der grosse-
ren, etwas höckerigen GeschwulHt noch eine zweite kleinere nngefQgt, die an
einem besonderen Nervenast anhSngt (Auch an dem N. saphenus minor
sasB eine selbständige, 4 Gm. hohe und 3 Cm. dicke Geschwulst gleicher
Art]. In A sieht man den grosseren Tbeil der Nervenfasern 3usserlicb an
die Oeschwalet herantreten, welclie jedoch ganz von dem Neurilcm urabüllt
war. Innen eine grossere Zahl von LSppchen, 1— SHIllim. im Durchmesser,
von gallertigem, etwas trObem, weissUcaem Ausseben. (Präparat No. llSu.
vom Jahre 1857).
*) Hein Archiv. 1857. Bd. XI. S. 281.
434 FOnfzehDie YorlesDOg.
hatten hier ziemlich erhebliche Tomoren neben der Wirbelsäule
gebildet. Immerhin waren es auch hier im Grossen die Umhül-
lungen des Nervenapparates, an denen die Knoten hervortraten,
also wenigstens immer noch dasselbe System.
Allein es scheint auch eine wirkliche Mnltiplicität im
bösartigsten Sinne vorzukommen. So habe ich einen Fall
gesehen, wo die erste Gallertgeschwulst in der Wange sass,
exstirpirt wurde, recidivirte, und endlich der Tod eintrat, nachdem
an einer grossen Zahl innerer Theile, namentlich im Darm, die
Entwickelung ähnlicher, meist polypöser Gallertgeschwülste statt-
gefunden hatte. Indess kann ich über die Bedeutung dieses Falles
weniger sicher urtheilen, da er mir in einer Zeit vorkam, wo
meine Aufmerksamkeit auf diese Geschwulstart noch nicht ge-
richtet war; ich muss es daher für zweifelhaft erachten, ob erder
Sarkomreihe angehört. Aehnlich verhält es sich mit dem inter-
essanten Falle von Gust. Simon*), wo zuerst an einer Scham-
lippe bei einem ISjälirigen Mädchen eine cystische Geschwulst
entstand, welche exstirpirt wurde, mehrfach wiederkehrte und
zuletzt Metastasen in den Leistendrüsen, der Leber, der Clavicnla
und dem Hnistbein machte. Die weitere Erfahrung wird hier erst
aufklaren müssen, da auch die Fälle von sogenanntem Colloid-
krebs genauer zu prüfen sein dürften.
*) Monatsschrift fQr Qeburtsk. 1859. Bd. XlII. S. 68.
Sechszehnte Vorlesung.
24. Januar 1863.
Chondrome«
Verschiedene Beseichunng : Tnmor cartiUginosus, Chondroid, Spina ventoM, Osleosteatom, Osteo-
sarkom, Carcinumf Exostose. Verwechselung mit Fibromen und FibromuscuUr - Qewictisen.
Bintheilnng in Eechondrosen und heteroplastische Chondrome (Enchondrome und Osteoidchon-
drome) Je nach der Homologie oder Heterologie (Homoo- oder Heterotopie). Neutrales Ge-
biet: Gewächse ans transitorischem Knorpel.
Ecchondrosis. Vorkommen an Rippenknorpeln, Synchondrosen , permanenten Knorpeln der
Respiratiousorgane. Varietäten: E. ossifica, E. amyloides, E. prolifera ■• physaliphora. La-
ryngeal- und Trachealknorpel: Eechondrosen und Exostosen des Larynx; warxige und
gitterfSrmige Eechondrosen der Trachea. Synchondrosen: Symphysis pubica. Synchon-
drosis spheno-occipitalis: Ecchondrose, Exostose, Phy saliden-Beere ; Perforation der Dura
roater ; Verhältniss zur Chorda üorsalis. Synchoudroses intervertebrales. Rippenknorpel:
solitare und multiple Form. Gelenke: Geicukmause, Corpora mobilia. Functionelle Störungen.
Zahl, Gestalt und Bau der Gelenkkörper« Einfache und maulbeerforraige Korper. Ossifica-
tion und Petrification (Arthrolithen). Entstehung derselben: Absplitterung von Bruchstucken
des Gelenkendes und Neubildung. Feinere und gröbere Auswüehse der Synovialhaut, des
subsynovialen Periosts und der Knorpelrander. — Flache, gestielte und freie Formen (Arthro-
phyten). Verhlltniss zur Knotengicht (Arthritis deformans). Necrose und Exfoliation der
Knorpel. Irritativer Ursprung: locale Reise. Uebergang zu heteroplastischen Knorpel -Ge-
wächsen.
Enchondrom und Osteoidchondrom. Grenzen derselben. Knorpel in Mischgeschwulsten
and Teratomen. Die fibrocartilaginose Geschwulst: Osteoid. Der sogenannte Hautknorpel
und das osteoide Gewebe: Vorkommen bei dem Periostwachsthum. Osteoid - oder Desmochon-
drom. Der permanente Knorpel des harten Enehondroms: Hyalin-, Faser- und Netz-
knorpel. Beschaffenheit der Intercellularsubstans und der Zellen. Verschiedene Entwickelung :
ans Granulations- (indifferentem) oder ans Bindegewebe. Genauere Definition von Knorpel-
korperchen, Zelle und Kapsel. Die ästigen und beweglichen Knorpelzellen. Das weiche
oder Gallert-Enchondrom: 1) E. mueosum. Unterschied desselben von sehleimig er-
weichten (regressiven) Enchondromen und von den Mischgeschwülsten (E. myxoraatodes, Myxoma
cartilagiuenm, Stemknorpelgeschwnlst). 2) B. albnminosum. — Der Haut- oder Knochen-
koorpel det osteoidenChondroms: Aehnlichkeit mit Pibroid, Verwandtschaft mit Sarkom.
Die Miteh formen: Enchondroma et Chondroma osteoides mixtum. Vorkommen des Knor-
pels in Form zerstreuter Inseln und in besonderen Abtheilungen. Combination mit Krebs
28*
436 Sechszehnte Yorlesang.
und Sarkom , abhangig von progressiver Zellenwachening. B«si«hang sar Taacolariaatioa :
E. telangiectodes. Verkallcung und Verknochenmg: B. petrificum et ossificam.
Regressive Metamorphose, Erweichung und Verschm-iniog : B. crttoides et alcerosum.
Aetiologie. Heterologe Natur des Enchondroms in Knoehen und in Weichtbeilea. Uia&gk«st
im Jagendlichen Lebensalter: congenitale und erbliche Fille. Bexiehangen an mangelhafter
Knochenbildung: Rachitis, die spat ossiBcirenden STncboadrosen and latermediärknorpeL
Retention der Hoden. Beziehungen tu dem Geschlecht. Tranmatis«he Yeraalassangen : Frac-
turcn der Knochen. Chronisch-entsundlicbe Processe.
Enchondrome der Knochen. Frequena-Scala. Innere (eentrale, medallire) and inssere
(peripherische, periosteale) Form. Das innere Enchondrom: Latens • Periode. TerscUe-
dene Matrices. Knochenschale. Lappiger Bau (areoUre Anordnoii^ : Mntterknoten und acces-
sorische Knoten. Das Enchondrom als Conglomerat oder Mnltiplaa: DUsenniiiadon. Molti-
plicitat in verschiedenen, benachbarten oder von einander entfernten Knocheiw Infection der
Weichtheile. Septa der einzelnen Lappen. Das iussere Bnchondrom (Periehondroa).
Verhältniss zur Beinhaut. Vorkommen. Ausginge des Enchondroms: Erwdchaag aad
cystoide Umbildung: Fall von der Scapula; Yerschwimng. Vwkalkang und Verkn&cheniBg.
Geringe Vulnerabilit&t der harten Formen, relativ grosse der weiebea. Infectiöse Katar
des Knochen-Enchondroms. Erkrankung der Weichtheile, der LymphgeflLste und Lymphdrüfea.
Multi|)licit&t. Metastasen : secnndare Erkrankung der Lungen. Maligne Enchondrome.
Enchondrome der Weichtheile: Diffuse und knotige Formen. Reine and MiachgeschvüUte.
Natur des KnorpeU, Uebergang in Schleim* und Bindegewebe. Erweichung, VerknöcheniBfc
und Verkreidung. Entstehung aus Bindegewebe; irritativer Ursprung. Die Torenchondroiai-
töse Periode: chronische interstitielle Orchitis und Parotitis. Directe and indirecte Knorptl-
bildung. Lungen: multiple Enchondrome, Entstehnng ans der Capanla commania nnd den
subpleuralcn Rindegewebe. Die halbknorpeligen Fibrome. Unterbaut und Fascien: rüac
und gemischte Formen. Die Enchondrome der Parotisgegead. Die Combination mit Lipua
und Myxom. Wirbelkanal: congenital.
Enchondrom der Drusen: Thränendruse. Niere. SpeicbeldrSten: SabBMxillaris, Paroti«.
Diffuse und lobuläre Form. Verh<niss zur Drnsensnbstans nnd snm Interttitialgewebe. Ver-
bindung mit DrQsen-Hyperplasic, Myxom, Fibrom, Krebt nnd Kankroid, Telangiectaaie. C)Ü8-
drom. Sexualdrüsen: Eierstock, weibliche und minnliche Bmst, Hoden. VerliiltBiss d«<
Hoden -Enchondroms zu den Lymphriumen.
Infectiöse Natur des Enchondroms der Weichtheile: Mischformen. Metastasen der reinen Fonacs :
Brust, Hoden. Maligne Natur.
Osteoid-Chondrom (bösartiges Osteoid, Osteoidkrebs , Otteoidaarkom ). Knochen: iasü^re
Erscheinung, innerer Bau. Ossification, Erweichung. Prognoae. Fibroma enchoadro-
matosum: Mischform von beiden Gewebstypen. Weichtheile: my»omat6aea Osteoid-
chondrom.
uchon seit vielen Jahren hat man eine Reihe von Gewächsen anter
dem Namen von knorpelartigen oder geradezu Knorpel-
Geschwülsten beschrieben. Man bezeichnete sie in der ge-
lehrten Literatur als Tumores cartilaginosi*). Von Heu-
Hinger **) erhielten sie den Namen der Ghondroide. Indess war
man doch zu keiner vollständigen Klarheit gelangt, insofern man
wirklii'he Knorpelgeschwülste, die unzweifelhaft diesem Genus
unKi*hOr<)n, in ganz andere Genera brachte, ja manchmal gerade
*; KiiMT dnr ältostcii und zugleich am besten beachriebeneii F&IIe bei
i(M VNi'li. KpUt. aimt. problemat. XIV. Amst 1714. p. 5» 18. Tab. XVI^XVUl.
^^ Carl Kr. Ilf^udiuger. System der Histologie. Tb. L Kiseo. I82i
W« Vi«
Frohere Bezeichnungen der Chondrome. 437
die am meisten charakteristische Form in eine andere Reihe setzte,
während man umgekehrt viele Geschwülste, welche nur eine knor-
pelartige Härte oder ein im Allgemeinen knorpelartiges Aussehen
hatten, Chondroide nannte, die ganz und gar nicht in diese
Gruppe hineinpassen. Man kann sagen, dass bis auf Johannes
Müller*), der das Verdienst gehabt hat, zuerst den histolo-
gischen Gesichtspunkt als den maassgebenden aufzustellen, eine
scharfe Grenzlinie überhaupt nicht gezogen werden konnte. Indess
ist es auch ihm noch nicht gelungen, das ganze Gebiet klar zu
legen, so dass erst im Laufe der letzten Jahre die Geschichte
dieser Geschwulst nach verschiedenen neuen Richtungen hin fest-
gestellt ist und noch bis auf diesen Augenblick gewisse Lücken
bestehen.
um vor Irrthümern zu bewahren, in welche man leicht ge-
rathen kann, wenn man auf die frühere Literatur zurückgeht, will
ich noch erwähnen, dass gerade diejenigen Formen, auf welche
Müller am meisten Gewicht gelegt hat, und welche mit Recht
als die Typen der Knorpelgeschwülste betrachtet werden, nehm-
lich diejenigen der Knochen, in früherer Zeit unter ganz anderen
Namen bezeichnet worden sind. Ein Theil von ihnen ging mit
unter dem Namen der Spina ventosa, der jedoch nicht, wie
manche in der neueren Zeit geglaubt haben, imm^r auf Enchon-
drom, sondern viel häufiger auf cariöse und nekrotische Processe
der spongiösen Substanz zu beziehen ist, welche mit starker
Wucherung der äusseren Schichten des Knochens verlaufen. Ein
anderer Theil wurde als Osteosteatom oder Osteosarkom**),
ja selbst als Garcinom aufgeführt. Manche unzweifelhafte Bei-
spiele finden sich noch in unserem Jahrhundert unter dem Namen
von Exostosen mit allerlei Zusätzen, knorpelige, bösartige,
weiche, fimgöse Exostosen geschildert. Während so eine ganze
Reihe von Bildungen, die dem Enchondrom zugehören, nicht mit
dem histologischen Namen, den sie in Anspruch nehmen können,
belegt worden ist, so hat man, wie schon erwähnt, eine ganze
Reihe von anderen als knorpelig betrachtet, die gar keinen An-
spruch auf diesb Bezeichnung haben. Ein Theil dieser iaischlich
sogenannten Chondroide gehört in die Reihe der Fibrome hinein.
*) J. Müller. Rede zur Feier des 42. Stiftungstages des K. med.-chir.
Fried. Wilhelma-Iostitutes. Berlin. 1836.
^) Job. Fr. Meckel. Patb. Anat Bd. II. 1. S.272.
438 Sechazebnte Yorletvng.
insbesondere die früher beschriebenen (S. 338) harten, fibrösen
Formen von knorpelartiger Gonsistenz and knorpelartigem Aus-
sehen, bei denen in der That zuweilen ausgezeichnete Gombina-
tionen mit wirklicher Knorpelbildung vorkommea. Nächstdem
sind zusammengesetzte Geschwülste, wie die fibromusculären
Gewächse des Uterus, noch vor wenigen Decennien als Ghon-
droide bezeichnet worden.
Die Knorpelgeschwulst im modernen Sinne des Wortes um-
fasst demnach ein Gebiet, dem keiner der alten Namen vollständig
entspricht. Seitdem Joh. Müller den Vorschlag machte, sie mit
dem Namen des Enchondroms oder Ghondroms zu belegen,
ist man meistentheils dem ersteren Vorschlage gefolgt und hat
die ganze Gruppe als Enchondrome zusammengefasst. Dies ist,
wie ich glaube, nicht sehr zweckmässig, weil sich bei einer
genaueren Untersuchung der Entwickelungsgeschichte der Knor-
pelgewächse eine durchgreifende Verschiedenheit nachweisen lässt.
Ein Theil besteht aus einfach hyperplastischen Formen. Diese
lassen sich so allmählich verfolgen in andere pathologische Zu-
stände der Knorpel, welche man nicht wohl den Geschwülsten
anreihen kann, dass ich es vorgezogen habe, sie als Ecchon-
drosen zu bezeichnen*). Ich unterscheide also innerhalb der
Tumores cartilaginei oder Chondrome die kleinere Abtheilung der
Ecchondrosen und die grössere der Enchondrome. Enchondrom
bezeichnet in diesem Sinne jedesmal eine heterologe (hetero-
plastische) Geschwulst, welche nicht aus präexistirendem Knorpel,
sondern durch eine Aenderung in dem Bildungstypus aus einer
nicht knorpeligen Matrix entsteht, während Ecchondrose die
homologe (hyperplastische) Bildung von Knorpelmassen aus be-
stehendem Knorpel bedeutet
Ich muss freilich bekennen, dass ein nicht geringer Scrupel
bei dieser Trennung ist, insofern als der erste Anfang der von
mir als Enchondrome bezeichneten Gewächse eigentlich niemals
beohaohtet ist, und, wie ich noch näher auseinandersetzen werde,
allerdings gewisse Umstände daf&r sprechen, dass ein Theil von
ihnen aus ursprünglichem Knorpel hervorgeht Indess bleibt doch
immor der Unterschied fest stehen, dass Ecchondrose den unzwei-
*^ Virchow. rnt^r^uchungen Ober die Eatwickelong des Scb&del-
«rundfe. Berlin. 1657. S. 6S.
Ecchondrosen. 43g
feihaften Ausgang aus legitimem Knorpel bezeichnet, aus Knorpel,
der das Recht hat, an der Stelle zu sein, wo er zu einer Ecchon-
drose wächst, während auch in dem Falle, dass der Ursprung
eines Theiles der Enchondrome aus präexistirendem Knorpel nach-
gewiesen werden sollte, dieser Knorpel eigentlich nicht an dieser
Stelle sein sollte, also eine gewisse Abweichung von der typischen
Entwickehmg ausdrücken würde. Es lässt sich das vielleicht
noch klarer so ausdrücken, dass in der Regel die Ecchondrose
aus permanentem Knorpel hervorgeht, während die zweifel-
haften Fälle, wo etwa ein Enchondrom aus Knorpel entsteht,
transitorischem Knorpel angehören würden, der nicht zur
rechten Zeit in Knochen umgewandelt ist.
Die Ecchondrose ist in Beziehung auf die Grösse ihrer
Entwickelung gegenüber dem Enchondrom meistentheils eine nicht
gerade erhebliche Geschwulstform. Entweder stellt sie eine
mehr gleichmässige Anschwellung des Knorpels dar, welcher in
grösseren Abschnitten seiner Peripherie eine zusammenhängende
Vergrösserung erfahrt, oder sie ist ganz partiell. Im letzteren
Falle erreicht sie selten eine bedeutende Grösse.
Unter allen permanenten Knorpeln sind es diejenigen der
Rippen, welche nach meiner Erfahrung die grössten Geschwülste
dieser Art erzeugen. Den Anfang dieser Veränderung sieht man
in der Art, dass in der vorhandenen Knorpelmasse an einzelnen
Stellen, in der Regel dicht unter der Oberfläche, Wucherungen
entstehen, wo die Knorpelzellen sich theilen, zwischen sich neue
Intercellularsubstanz abscheiden, sich wieder und wieder theilen
und die Stelle sich allmählich an der Oberfläche als höckeriger
oder hügeliger Knoten hervorschiebt*). Der Knorpel wächst hier
in ganz vegetativer Weise, etwa wie wenn ein Baum irgendwo
einen neuen Trieb, einen neuen Zweig, einen neuen Knollen her-
vortreibt Kleine Ecchondrosen sind ausserordentlich häufig an
Rippenknorpeln. Wenn man bei älteren Leuten die Oberfläche
der Rippenknorpel genauer betrachtet, so sieht man sie oft in
grosser Zahl, die Knorpelrinde erscheint manchmal geradezu
warzig (S. 335). Aber dass sie in Form von eigentlichen Ge-
schwülsten hervortreten, ist ein seltener Fall, und auch dann
*) Gellularpathologie. 3. Aufl. S. 24. Fig. 14.
440 Sechszehnte Vorlesung.
erreichen sie meistentheils keine viel beträchtlichere Grösse als
etwa die eines kleinen Apfels.
Sehr viel häuüger sind stärkere knorpelige Auswüchse an
den Synchondrosen. unter diesen leiden verhältnissmässig
am häufigsten diejenigen des Beckens, und unter ihnen die
Symphysis pubica. Diese treibt an ihrer hinteren Fläche Aus-
wüchse hervor, welche gegen die Bauchhöhle hin in Gestalt eines
Wulstes hervortreten. In ganz ähnlicher Art kommen solche Aus-
wüchse an den Intervertebralknorpeln vor, manchmal nach
aussen und manchmal gegen den Wirbelkanal *). Endlich treffen
wir dieselben, obwohl in einer mehr umschriebenen Weise, an
der Grundfläche des Schädels, und zwar insbesondere an der
Synchondrosis spheno-occipitalis, also an dem Knorpel,
welcher zwischen der Pars basilaris ossis occipitis und dem Keil-
bein, oder genauer zwischen dem Körper des Occipitalwirbels und
dem des zweiten oder mittleren Wirbelkörpers des Schädels liegt.
Schliesslich sind zu erwähnen die permanenten Knorpel
der Respirationsorgane, welche nicht selten mehr gleich-
massige Auftreibung, allgemeinere Vergrösserung, zuweilen aber
auch ganz partielle wirkliche Auswüchse zeigen, die als ganz
circumscripte Knoten aus ihnen hervortreten.
Vergleicht man diese Fälle unter sich, so ergiebt sich, dass
die Formen, unter denen die Ecchondrose auftritt, je nach den
einzelnen Bedingungen erheblich variiren, und dass sie sich an
den verschiedenen Localitäten und namentlich nach ihrem Alter
und ihrer Grösse sehr verschieden darstellen. Zunächst hat man
allerdings überall einen einfachen knorpeligen Auswuchs, eine
Ecchondrosis vera simplex. Nach einer gewissen Zeit
gehen darin Metamorphosen vor, nach welchen man eine Reihe
von Varietäten unterscheiden kann **). In sehr vielen FäUen ge-
schieht an ihnen später eine wirkliche Ossification, in ähnlicher
Weise, wie an den permanenten Knorpeln selbst Dann haben
wir eine Ecchondrosis ossifica; ja es kann sein, dass die
ganze Ecchondrose ossificirt, so dass wir schliesslich eine £x-
*) Letztere Hind nicht zu verwechseln mit den tranroatischen Zerqoet-
schungen und „Extravasationen" der Zwischenwirbelscheiben, wovon ich einen
sehr charakteristischen Fall erwähnt habe (Entwickelung des Schftdelgrundes.
S. 53. Note).
**) Entwickelung des Schädelgrundes. S. 57.
VeränderuDgen der EccbondroseD. 441
ostose finden, aber eine Exostose, die aus Knorpel hervor-
gewachsen ist. — Der zweite Fall ist der, dass die vergrösserte
Masse sich in einer mehr regressiven Weise umbildet, und da
geschehen namentlich manchmal in grosser Ausdehnung amyloide
Veränderungen, indem sowohl in der Knorpelgrundsubstanz, als
auch in den zelligen Theilen eine ähnliche Umwandelung geschielit,
wie wir sie bei amyloiden Entartungen der inneren Organe ein-
treten sehen, Ecchondrosis amyloides. Endlich kann die
Wucherung sich noch weiter fortsetzen, indem der Auswuchs von
seinem knorpeligen Stadium aus noch weitere Entwickelungen
macht, und da sieht man namentlich an einer Localität, an der
schon erwähnten Synchondrosis spheno - occipitalis sehr sonder-
bare Umgestaltungen. Im Innern der Zellen entstehen allerlei
blasige Gebilde, Physaliden *) , entweder zu mehreren, oder so,
dass die ganze Zelle sich in eine einzige Blase verwandelt. Durch
die Wucherung der Knorpelzellen, ihre innere Umgestaltung und
die gleichzeitige Erweichung der Intercellularsubstanz entsteht am
Ende ein Gebilde, das beinahe vollständig aus diesen Blasenzellen
besteht und eine fast schleimige Consistenz annimmt. Das ist die
eigentliche Ecchondrosis physaliphora oder prolifera.
Diese verschiedenen Ausgänge können gelegentlich an der-
selben Localität vorkommen, indess zeigt sich doch an den ver-
schiedenen Localitäten die eine oder die andere dieser Formen
überwiegend häufig. Wir wollen, damit man einen Ueberblick
bekomme, einzelne derselben kurz durchgehen. Darnach wird
man leicht einzelne vorkommende Beispiele klassificiren können.
An den Respirationsorganen kommen besonders die Knorpel
des Larynx und dej* Trachea in Betracht. Die an ihnen ent-
stehenden Knorpelauswüchse sind bald mehr difFiis und platt, bald
mehr beschränkt und knotig. Am Larynx ist es manchmal der
Ringknorpel (Cartilago cricoides), manchmal der Schildknorpel
(Cartilago thyreoides), von welchen die Entwickelung ausgeht,
und' zwar in der Regel nach innen, gegen die Höhle des Larynx.
Rob. Froriep **) hat einen sehr merkwürdigen Fall von „Ghon-
*) EDtwickeluDg des Schädelgrundes. S. 58. Taf. VI. Fig. 16. und 17.
Gellalarpathologie. 3. Aufl. S. 376.
**} R. Froriep. Pathol. anat AbbildnngeD aus der Sammlung der K.
Charite-Heilanstalt zu Berlin. Lief. II. Weimar. 1837. Taf. IX. Er erwähnt
noch einen Fall von Macilwain. Edinb. med. and aurg. Joum. 1831.
442 Sechaiehnte Torieaang.
droma laryngis " beobachtet, wo von dem Schildknorpel drei,
meist flache, aber siemlicli umfangreiche, zam Theil verknöcherte
Geschwülste aasgingen, welche eine starke Verengerung der
Larynxhöhle erzeugt hatten. Gintrac*) hat eine freilich nicht
ganz unzweifelhafte „ concentrische Hypertrophie dea Ringknor-
pels" beschrieben. Ich selbst habe nur partielle Auswüchse ge-
sehen, welche rundliche, allmählich immer spitziger werdende
Protuberanzen bildeten. Am Kingknorpel fand ich"*) eine 2 Linien
hohe, an der Basis ziemlich ebenso breite Ecchondrose an der
hinteren, am Schildknorpel eine noch gr&ssere tut der vorderen
Hälfte des inneren Umfange. In dem letzteren Falle war der
Auswuchs verknöchert und bildete eine wirkliche Exostose, unter
welcher der Mutterknorpel sich intact erhalten hatte***). Sieht
man von aussen in einen solchen Larynx hinein, so kann man
einen Polypen vor sich zu haben glauben, da der Auswuchs nocli
von Schleimhaut überzogen ist. £s ist das hent zu Tage, wo man
die Larynxbildungen mit so grossem Interesse studirt, ein beson-
ders bemerk enswerther Fall, da die Derbheit und H&rte dieser
Dinge natürlich ein etwaiges Operiren von oben her volbtfindig
unmöglich machen würde.
Die Trachealknorpel sind, wenn nicht häufiger, so doch in
viel grösserer Ausdehnung solchen Auswüchsen ausgesetztf ). Die-
Ki(. M. selben zeigen sich da in einer noch viel mehr
eigenthümlichen Weise, indem nicht hlos an
demselben Knorpeiring die Auswüchse ofl mehr-
fach sind, sondern auch viele oder alle Knor-
pelringe gleichzeitig in gleicher Art leiden. So
entstehen kleine, harte, oft gmppirte Knoten,
welche die Schleimbaut leicht vor sich her-
schieben und die Fläche nneben machen
(Fig. 89). Manchmal gehen die Auswüchse
Fig. 89. Ecchoodrosis multiplex trachealis. Die Tnchea ist i^its
Richtung von vorn nach hinten senkrecht durch scbnitten; muD siebt in die
Aushöhlung der einen Hälfte, auf der eine Reibe tbeils solitirer, theila
pruppirter, bis hanfkorngroueer Knoten hervorspringt. Bei a ist die grfls»t«
Gruppe, den Knorpelringen der vorderen Wand aogehfirig. Der Knorpel iat
hvalin und netifOrmig, an den meiatcn Stellen versteinert Mittftrliche Grflea^
(Präparat No. 199. Tom Jahre 1858).
•) Cruveilhier. Traitä d'anat. path. 1862 T. II. p. 971.
") Priparat No. 127. ». J. 1861.
■•*) Deutsche Klinik. 1860. No. 46. S. 463.
t} Entwickelang des Scbidelgrondes. S. 63.
Ecchondroaen der Trachealknorpel. 448
weniger von der Fläche, als von dem oberen oder unteren
Rande der Knorpel aus, und es findet von den über einander
liegenden Knorpelringen ein Gegeneinanderwachsen statt. Einige-
mal habe ich gesehen, dass, wenn die Auswüchse an correspon-
direnden Stellen lagen, sie endlich dicht aneinander stiessen
und eine Art von Gitter unter der Schleimhaut entstand, indem
die Trachealknorpel scheinbar auch in der Richtung von oben
nach unten miteinander zusammenhingen.
Die Wucherung, welche diese Bildungen erzeugt, liegt ganz
peripherisch, ja sie geht zuweilen von den tieferen Perichondrium-
schicbten aus. Indem sie stärker wird, schiebt sich das ent-
stehende Knorpelkorn aus dem Perichondrium hervor, seine Ver-
bindung mit dem früheren Knorpel wird immer schmaler und
feiner, also gleichsam polypös, nur treten diese Polypen nicht
frei über die Oberfläche der Schleimhaut heraus, sondern sie
sitzen in ihr, grossentheils eingehüllt in das Nachbargewebe. Ja,
manchmal ist ihre Verbindung mit dem Mutterknorpel so gering,
dass es scheint, als wären sie neben demselben frei in der
Schleimhaut entwickelt. Haben sie eine gewisse Grösse erreicht,
so bilden sich um die gewöhnlich grossen Knorpelzellen in der
anfangs hyalinen Intercellularsubstanz zahlreiche feine, varicöse
Fasern, es entsteht gleichsam neuer Netzknorpel, und das neu-
gebildete Korn sieht wie eine Nachbildung der Santorinischen
Knorpel aus. Noch später ossificiren sie, und wenn gleichzeitig
an den Tracheairinges selbst eine Verknöcherung eintritt, so bildet
sich ein wirklich knöchernes Gitter. Daraus muss begreiflicher-
weise eine allmählich zunehmende Starrheit der Trachea folgen,
und es könnte wohl vorkommen, dass selbst bei einer Beobach-
tung von oben her diese Auswüchse wahrgenommen würden, ob-
wohl, so viel ich weiss, eine laryngoskopische Entdeckung dieser
Art noch nicht gemacht worden ist.
Was die Synchondrosen angeht, so kann man an der
Symphysis ossium pubis leicht den gewöhnlichen Gang dieser
Wucherung constatiren. Die Hauptveränderungen geschehen regel-
mässig am hinteren Umfange der Schoosfuge, wo schon normal
eine gewisse Prominenz besteht. Der Knorpel wuchert hauptsäch-
lich von den hinteren Rändern der beiden Schambeine, entweder
so, dass man zwei getrennte, nebeneinander sich ausbildende Vor-
444 SechBzehote Voriesang.
Sprünge findet*), oder dass die Wachemng unter der Faserkapsel
continuirlich fortgeht. Handelt es sich um ossificirende Ecchon-
drosen, so bilden sich nach hinten hin entweder harte Wülste
oder eine knöcherne Scheibe, also auch wieder eine Art von
Exostose, welche über den Knorpel herübergreift und eine Syn-
ostose der beiden Ossa pubis erzeugen kann. Ist es dagegen ein
mehr regressiver und namentlich amyloider Process, so tritt
meistens eine Art von Zerbröckelung ein. Auf DurchschnitteQ
sieht man Spalten und Klüfte im Innern: das Ganze hat ein mehr
gelbliches oder bräunliches oder weisslich- fleckiges Aussehen,
und man findet Abscheidungen von fettigen Theilen, namentlich
von Cholestearin , während an anderen Stellen die Masse noch
zusammenhängt , aber mit Jod und Schwefelsäure die bekannten
Amyloidreactionen giebt**).
Viel eigenthümlicher und unter Umständen zu sehr sonder-
baren Erscheinungen Veranlassung gebend ist die von mir zuerst
b(3schri ebene***) Ecchondrosis spheno-occipitalis. Ihre
Erscheinung ist um so mehr auffallend, als die Knorpelscheibe zwi-
schen dem Occipital- und dem hinteren Sphenoidalwirbel gewöhn-
lich schon in der Pubertätsperiode vollständig verknöchert, so
dass die ganze Basis cranii nachher ein Stück (das von mir so-
genannte Os tribasilare) darstellt. Allein diese Ossification geschieht
immer sehr unregelmässig, nicht in der Weise, wie sonst wohl von
zwei benachbarten Knochenkemen aus, die durch Knorpel getrennt
sind, immer neue Strata der Knorpel in gleichmässig fortschrei-
tender Weise in Knochen verwandelt werden, sondern gewöhnlich
so, dass die Grenzlinie zwischen den ossificirenden Massen eine
zackige istf). Bei dieser Zackenbildang habe ich einigemale
beobachtet, dass einzelne Stücke des Knorpels geradezu abge-
schlossen werden, gleichsam liegen bleiben, während die Knochen-
linie vorrückt; ja zuweilen fand ich isolirte Knorpelstücke hinter
der 0: sificationslinie mitten im Knochen. Gewöhnlich schlies.<t
sich die Knorpelfuge durch Knochen an ihrem unteren Umfange
schon vollständig, während der obere, dem Schädel zugewandte
*) Luschka Die Halbgelenke des menschl. Körpers. Berlin. 1858.
Inf. VI. Fig. 3. und 5.
^^ Mein Archiv. Bd. Vlll. S.364. Wlinbarger Verhaodl. Bd. YU. S. 227.
*'*) Würzburger Verhandl. (1856) Bd. VII. Sitzaogsber. S. XXIV.
t) Entwickelung des Sch&delgrundes. S. 33. Tai. II. Fig. 3. u. 4. Taf. VI.
K)g. la.
EcchoDdrosis sphenooccipiUlia. 445
Theil noch knorpelig ist und anter der Dura inater frei liegt.
Hier wächst die Dcchondrose so heraus, dass sie an dem bloss
gelegten oder m&cerirten Knochen tod der Schädelhfthle aus als
ein Vorsprung auf der Fläche des Clivus erscheint*). An dieser
Stelle spannt sich die Dura mater etwas lose Qber den Clivus,
hänfig durch ein gefässreiches Marklager von dem Knochen ge-
trennt, und es kann daher eine Hervorragung scheinbar ohne
Protaberanz vorhanden sein, weil die Dura sie noch vollständig
deckt Späterhin ossiticirt die Knorpelfuge vollständig und die
Knochen bilden ein Continuum, während das herausgewachsene
Stück noch knorpelig fortbesteht. Behält es eine gewisse, massige
Grosse, so scheint es auch seinerseits später immer zu ossiticiren,
und dann tritt der Fall ein, den man oft genug an dem Clivus
sehen kann, dass an dieser Stelle eine wirkliche Exostose sitzt
Wird aber das Wachsthum an diesem Auswuchs reichlicher,
dann durchbohrt er regelmässig die Dura mater; es entsteht ein
Loch in der letzteren (Fig. 90), und
wenn das einmal entstanden ist und das
Ding noch weiter wächst, dann breitet
es sich knopffßrmig auf der freien Seite
der Dura mater aus. Auch in diesen
Fallen verknöchert manchmal der grösste
Theil von der Basis her; nur findet man
dann die Oberfläche gewöhnlich bedeckt
von einer Knorpelschicht, ähnlich dem
Gelenkende eines Knochens. Geht das
Wachsthum aber weiter fort, dann breitet
sich der Auswuchs zu einem rundlichen
Tumor ans, der, je mehr er wächst, um so mehr eine gallert-
artige oder schleimige Consistenz annimmt, welche wesentlich da-
Fif. 90. EcchoDdrosis proUfera spheno-occipitalis perfonas. Man sieht
den GltTUB Blameobachii vod der Sattellebne « bis lara Foraraenmagmim/.
Etwft I Zoll UDterbalb des Epbippium ist die Dun mater DoregeErnftstitg
dnrchbrocheD durch eine Uppi^e Knorpelmasae , welche auf dem Knochea
io dtr Oegeud der Synostosis spheno-occipitalia aufsitzt und an welcher
frisch ein erbaengroaees Gallertkoro anhing. Natürliche Cirßsge. (Präparat
No. 89. vom Jahre 11)60).
■) Entwickelung dea Schade Igrundea. S. ^1. Taf. VI. Fig. 14. und 15.
Lasch ka. Mein Arcbi*. Bd. XI. S. 8. Taf 1. Fig. 3. Hasse. Ebandaa.
Bd.XI.S.39ö. Zenker. Ebeudas. Bd. XII. S. 108. Sangalli. Auo.univ.
di medicina. Vol. CLXIV. 1858. Aprile.
446 SechBzehnte Yorlesang.
durch bedingt wird, dass die Zellen die eigenthümliche Physali-
denentwickelung zeigen und die Grundsubstanz zu einer zarten,
fast flüssigen Masse mit wirklichem Mucingehalt erweicht*).
Dieser Körper pflegt im besten Falle die Grösse einer Erbse
zu erreichen, und je grösser er wird, um so mehr ein blasen-
oder cystenförmiges Aussehen anzunehmen. Er hat zuweilen die
grösste Aehnlichkeit mit einer einzelnen Beere einer Blasenmole,
ist aber ebenso wie diese, ein im Wesentlichen solides, nur sehr
weiches Gebilde (S. 408). Er liegt natürlich an einer sehr constanten
Stelle. Da, wo er hervortritt, liegt innen der Pons Varolii an; der
Auswuchs stösst also immer gegen denselben, und zwa? je nachdem
er genau in der Mitte oder etwas mehr nach rechts oder nach links
hervortritt, liegt er gewöhnlich entweder rechts oder links an
der Arteria basilaris. Gewöhnlich bildet sich hier eine leichte
Verwachsung zwischen dem Körper und der Pia mater, so dass,
wenn man etwas unvorsichtig das Gehirn abzielt, die scheinbare
Blase abreisst und am Pons sitzen bleibt, gleichsam als wäre sie
unabhängig aus der Pia mater (Arachnoides) hervorgewachsen.
Achtet man aber beim Abziehen der Hirnbasis vom Schädelgrund
darauf, so findet man immer, dass dieser Körper an dem extra-
meningealen Stiel aufsitzt, und dass er genetisch nicht za dem
Pons, sondern zu dem Os tribasilare gehört.
In Beziehung auf die Deutung seiner Entwickelungsgeschichte
ist namentlich durch die eigenthümlich blasige Beschaffenheit der
zelligen Elemente ein gewisser Zweifel entstanden. Ich selbst
hatte schon auf die Aehnlichkeit derselben mit den Zellen der
Chorda dorsalis und des Gallertkemes der Intervertebralknorpel
hingewiesen**). HeinrichMüUer***) hat dann die Frage auf-
geworfen, ob das Gebilde nicht wirklich mit der alten Chorda
dorsalis in genetischer Verbindung stehen und eine Abschnüning
des cerebralen Endes derselben darstellen könne. Nach den
Untersuchungen Müller' s erstreckt sich die Chorda allerdings
noch durch den Wirbelkörper des Hinterhauptsbeins (die Pars
basilaris) hindurch bis in den Sphenooccipital- Knorpel, reicht
*) Kntwiclcelung dos Schftdelgrundes. S. 127. Note.
♦♦; KbondaM. 8.57.
*^^ II. MUllor. Zeitschr. fDr raUooelle Medicin. 1858. Dritte Reibe.
HA. II. H. ^J^
Beiiehnng der Chorda dorsalis zur Schädelbasis- Bcchondrose. 447
aber nicht mehr in das Keilbein hinein*). Es entspricht also
allerdings der Sitz der Ecchondrose dem vorderen Ende der
Chorda, und da nun die Chorda ihrerseits auch aus sehr grossen,
hellen, blasigen Zellen zu bestehen pflegt, so lag die Yermuthung
nahe, dass man hier eine aus ihr hervorgegangene pathologische
Bildung vor sich habe, üebersieht man aber die ganze Reihe
von Zustanden, die wir von der Ecchondrose kennen, so wird
es eher unwahrscheinlich, dass es sich um eine blos chordale
Hyperplasie handelt. Die Chorda selbst ist kein knorpeliges
Gebilde, da sie keine Intercellularsubstanz besitzt, und obwohl
Gegenbaur**) bei gewissen Fischen und Amphibien Umbil-
dungen der Chordasubstanz zu Knorpel gesehen hat, so ist doch
nichts der Art von den höheren Wirbelthierklassen und vom
Menschen bekannt. Gerade bei der Ecchondrose des Clivus zeigt
sich eine entschiedene Continuität des Auswuchses mit dem Knorpel
der Synchondrose , und es kommen so viele Fälle vor, wo man
gar nichts von blasigen Zellen, sondern nur Knorpel oder Knochen
findet, dass es mir wenigstens nicht sehr wahrscheinlich vorkommt,
dass wir hier wesentlich einen Chorden- Auswuchs vor uns haben.
Man musste denn zwei Fälle unterscheiden, einen, wo blos eine
Ecchondrose besteht, und einen anderen, wo mit der Ecchondrose
zugleich eine Ectopie eines Chordenrestes verbunden ist. Dafür
lässt sich der Umstand anführen, dass nach den Angaben von
Müller die an anderen Theilen der Wirbelsäule vorkommenden
Chordenreste dieselben Physaliden enthalten, welche ich in den
Ecchondrosen des Clivus fand und welche von den gewöhnlichen,
einfachen Zellen der Chorda ganz und gar verschieden sind.
Auch spricht dafür der andere Umstand, dass Luschka***) ein
paar Male im Wirbelkanal an dem hinteren Umfange der lum-
balen Zwischenwirbelscheiben, bedeckt von dem Ligamentum
longitudinale posticum, Knorpelauswüchse fand, welche mit dem
Nucleus pulposus der Zwischenknorpel zusammenhingen. Aber
freilich enthielten sie keine physaliphoren Zellen. Man wird
daher vorläufig die Ecchondrose für sicher, das „Chordoma" für
zweifelhaft halten müssen. —
♦) H. Müller a. a. 0. Taf. III. Fig. I, iL, XV.
**) C. Gegenbaur. Uotersuchungen zor vergleichenden Anatomie der
Wirbelflänle bei Amphibien und Reptilien. Leipz. 1862. S. 60, 65.
***) Luschka. Halbgelenke. S. 67. Taf. Taf. II. Fig. 8. u. 9.
448
Secbaiehate Vorlesnog.
VoD den Ecchondrosen der Rippe nknorpel besitzt unsere
Sammlung ein sehr charakteristisches Beispiel. An dem Knorpel
der zehnten (falschen) Rippe sitzt eine Geschwulst tob mehr ab
WallnuMsgrösse, welche dentlich aus der Uitte des RippenknorpeL''
'h
hervorgeht (Fig. 9M). Sie hat eine leicht hügelige Oberfläche,
enthält wenig hyalinen Knorpel und ist fast ganz knOchero
(Fig. i)l/J)> so dasB sie eine kugelige Exostose des Rippen-
knorpels darstellt ~- Auch Dufour*) sah bei einem ISjähri-
gen Kinde an mehreren Rippen aus dem Knorpel, gerade da
wo er sich an die Rippe ansetzt, knorpelige Auswüchse her-
vortreten, welche nach innen vorsprangen. Der Fall von
KJiE. 91. Kccbondrosis osse» des lOteo liaken Rippenkaorpels. Yob
»inem ittorrn, an procresafver Pwalyse rMtorbeneD Manoe ans dar Pmia
der Herrn C. UitBcherlicb undQuincko. (Prftparat No. 176a. v.J. 1867).
Pid rtoru Uppjgo O^schwuUt, IV l*i>8t «twu Ober t" breit nod dkk,
nitit breit dem Rippenknorpel anf und ist mit der Spitie des letaten Rippen-
kooriH'ls dicht Terwarhsen. B eia der Rinm paralleler Durchschaitt dn
Oeschwulfl : innen ein ^rob gpongiöser, mit llarkfett erfDUter Theil, velcher
narh innen hin faxt bis an die Oberftiche der Gesehwolst reicht: aussen
dichter, elfen bei neroer Knochen, der jedocb ublreicke GeflUse entUll
und in t^bripen dichte ].aniel1ensjsleine leigt. Zu iussert «eicbprc,
■um Theil noch knnrpelifie Hallen. 'Auf einem (hier nicht abgebildetes)
Uur\-h»'hniti, d>>r »enkn^hl auf die Rippe geftkhrt iai, siebt man die etna
Jelblirhe, lu innt'ral wei»sliche ^obstani der Rippe ^t ohne Abweichung
rr (inWc: lon ihrem unteren Rande aber gebt innichst eine Knorpel-
«ucheruaf; der Kandsubslant su». welche sieh weiterhin in die pihfÖraig
daraus hetvur^hende Knochenausse fortaetit
*^ Dufour. BulU de U Soc. auL Ana. 9fi. •. 8& l.«berL Tiaiti
dnaat. palhol. T.l. p.:U&.
Gelenk-Ecchondrosen. 449
W.Busch*), sowie die von Fou eher**) mitgetheüte Beobach-
tung Gintrac's über ein Gostal-Enchondrom lassen in Betreff des
genetischen Verhältnisses einigen Zweifel, obwohl innere Bezie-
hungen zu den Rippenknorpeln offenbar vorhanden waren. —
An diese Reihe von Ecchondrosen schliesst sich eine chirur-
gisch sehr interessante Form von Bildungen an, welche frei-
lich nicht ganz vollständig damit zusammenfällt, insofern wir
gerade an ihr gleichsam den üebergang einer blos hyperplasti-
schen Knorpelbildung zu der heteroplastischen vor uns haben.
Das sind die Ecchondrosen an den Articulationen,
welche in ihrer weiteren Entwickelung zur Bildung der schon seit
Pare (1558) und Pechlin (16i)l) bekannten Gelenkmäuse
(Mures articulares) oder Gelenkkörper (Corpora libera s. mo-
bilia art.) fuhren und dadurch zu einer der wichtigsten chirurgischen
Krankheiten Veranlassung geben***). Wir haben schon früher
mehrfach (S. 163, 206, 384) auf freie Körper einzugehen Gelegen-
heit gehabt und haben namentlich zwei Formen derselben kennen
gelernt, die mehr fibrösen, welche als einfache Excrescenzen aus
der Oberfläche der Häute hervorgehen, und die Lipome, welche
sich gestielt über die Oberfläche herausschieben und endlich
sich ablösen. Hier kommen wir zu einer dritten Gruppe und
zwar zur wichtigsten, insofern es die typische Form der Gelenk-
mäuse ist und sie die grössten und umfangreichsten Störungen
erzeiiigt
Solche Körper, wie man sie besonders im Kniegelenk in oft
sehr bedeutender Zahl und der allerbeträchtlichsten Grösse antrifft,
können vermöge ihrer Derbheit und ümfänglichkeit für den Zu-
stand des Gelenks eine ausserordentlich grosse Bedeutung haben,
ja anter Umständen die Function ganz und gar hindern, indem
sie entweder die Bewegung überhaupt unmöglich machen, oder
inmitten der Arbeit, des Gehens u. s. w. so plötzlich sich zwi-
schen die Gelenkflächen einschieben, dass dadurch die grössten
Unbequemlichkeiten in Beziehung auf den Gebrauch entstehen.
♦) W. Busch. Chirurgische Beobachtungen. S. 98.
*•) Fou eher. L'ünion med. 1859. No. 103. p. 409.
•♦•) Joh. Fr. Meckel Path. Anat. Bd. II. Abth. II. S. 206. A. E. de
Camp. De arthrolithis et arthrophytis sive rouribus articulorura. Diss.
inaag. Gryph. 1843. Heinr. MeckeL Mikrogeologie. Berlin. 1856. S. 235.
E. Gorlt Gelenkkrankheiten. Berlin. 1853. S. 83, 431, 558 u. s. w. Gru-
Y eil hier. Traite d'anat. patb. T. II. p. 133.
Virctaow, GetcbwüUte. 1. 29
450 Sechszehnte Vorlesung.
Insbesondere rufen sie zuweilen so heftige und plötzliche Sehmerx-
anrälle hervor, dass eine momentane Lähmung des Theils eintritt.
Den Namen der Gelenkmäuse tragen sie, weil sie häufig überaus
beweglich sind (Corpora mobilia) und unter dem Finger des
Beobachters plötzlich entschlüpfen, indem sie sich an irgend einen
entfernteren, der Untersuchung w^eniger zugänglichen Theil des
Gelenkes lagern. Dies ist liauptsächlich dann der Fall, wenn
sie solitär sind. Manchmal sind ihrer aber so viele und so grosse
vorhanden, dass fast gar keine Verschiebbarkeit besteht, die Gelenk-
kapsel auf das Aeusserste gespannt und die Beweglichkeit fast ganz
aufgehoben wird. Daraus erklärt sich die schon von Cruveilhier
hervorgehobene Differenz, dass die Ghirui^en meistentheils nur
einen oder ein paar Gelenkkörper finden, während die Anatomen
viel häufiger mehrere oder sehr viele antreffen. Ich selbst habe
im Kniegelenk einmal über 60 freie und eine gewisse Zahl ange-
wachsener gefunden; Morgagni*) beschreibt ihrer etwa 26,
Haller aus dem Kiefergelenk 20 u. s. f.
Die solitären Gelenkkörper oder die Gelenkmäuse im engeren
Sinne des Wortes haben gewöhnlich eine mehr regelmässige
Gestalt, am häufigsten sind sie concav - convex , wie die Patella,
oder plattrundlich, oder eiförmig, oder geradezu rundlich. Die
multiplen dagegen sind oft sehr unregelmässig, höckerig, warzig,
knollig. Manchmal sind sie unter sich sehr ungleich an Grösse
und Gestalt, anderemal dagegen erscheinen sie einander angepasst
mit entsprechenden Gelenkflächen, wie die kleinen Knochen der
Handwurzel oder des Mittelfusses. Dabei bemerkt man an vielen
faden- oder stielförmige Anhänge oder feine Zotten oder eine
faserige Umhüllung; manche jedoch sind ringsum ganz glatt.
Wenn man untersucht, wie solche freie Körper zusammen-
gesetzt sind, so muss man zunächst zugestehen, dass einzelne von
ihnen lipomatöser oder fibromatöser**) Natur sein können. Auch
Uisst sich nicht in Abrede stellen, dass f&r manche die Erklä-
rung John Hunter 's zutreffen mag, dass die freien Körper
amorphe Concretionen aus geronnenen extravasirten oder eisu-
^) Morgagni. De sedibus et causis morbomm. Epist LVIL art 14.
ff Uk
**) Daliin gehört wahrscheinlich der von Bidder (Zeitschr. f. ratiooelle
Mcdiiiii. 1845. Bd. III. S. 102) vom Kniegelenk beachriebeDe Fall
Gelenk miage. 451
dirten Massen seien*). Nur muss man nicht die barnsauren Con-
cretionen der wahren Gicht, die sogenannten Tophi artbritici,
damit verwechseln. Wenn nun einzelne, namentlich der älteren
Autoren nur auf eine dieser Bildungsweisen eingegangen sind,
80 nwig das für einzelne Fälle richtig sein; es ist aber nicht
richtig för die Mehrheit und noch weniger für die Hauptform,
um die es sich hier handelt. In Beziehung auf diese stellt sich
vielmehr als Regel heraus, dass die Gelenkmäuse gewöhnlich zu
einem nicht unerheblichen Theil knorpelig und zu einem gewissen
Theil knOchem sind. Je nach Umständen ist mehr Knorpel und
weniger Knochen, oder umgekehrt mehr Knochen und weni-
ger Knorpel vorhanden; in manchen Fällen endlich sind sie
ganz knOcfaem. Wenn ich kurzweg sage HknGchern", so
meine ich dies jedoch nicht im histologischen Sinne, denn in
einer fiberwiegend grossen Zahl von Fällen finde ich vielmehr
blosse Verkalkungen**) (Versteinerungen), häufig in einer solchen
Ausdehnung, dass die verkalkte Masse im Grossen den Eindmck
von Knochen macht Es sind dies gerade die härtesten, fast
marmorartigen GelenkkOrper, die also in der Tbat den Namen
der Artbrolithen verdienen.
Es zeigt sich auch darin wieder eine Ver-
schiedenheit, dass in manchen Fällen der Knor-
pel innen liegt und die Knochenmasse mehr
aussen (Fig. 93, a), so dass erst, wenn man die
Knocbenschale durchschneidet, man innen auf
denKnorpelstCsst; anderemal findet sich aussen
Knorpel und innen die knöcherne Substanz.
Fig. 93. Corpus mobile articnlationis geou (Gelcnkmaus). Von Herrn
Jfingken bei Prot. Lacbmana entferDt. DnR-bachnitt, parallel den breiten
Klieheu. Dw i" breite, { " lange and darehscbnittücb J — J " ^'i^lte Körper
ist auf der einen Seite fast ganz glatt und knorpelig; nur tritt hier ringsum
ein wallartiger Saam von scheinbarer Knochensuüstani hervor, der die Rän-
der nod die andere Ft&che des Körpers ganz überzieht. Nur hier und da
ist er von Knorpel unterbrochen , und im Ganzen von einer feinen Schicht
weicher Masse überzogen. Auch auf dem Durchschnitt besteht der grössere
Theil ans b Unlieb -weissem Knorpel; nur in den peripherischen Schichten fin-
det sich bis auf eine Tiefe von J", [" und darüber eine ganz dichte, elfen-
beinerne Hasse.^ Mikroskopisch sieht man aussen ringsumher einen üeberzug
von Perichondrium , der hier und da in mehr ausgebildeten Knorpel Über-
*) J. Rüssel. Ueber die Krankheiten des Koieeeleoks. Aus dem Engl,
von Ooldhagen. Halle. 1817. S. Gü. il. Meckel. Hikrogeologie. S. 239.
**) U. Friedllnder. De malo coiae seuiti nonnnlla. Diss. Jnaug.
Vratisl. 1856. p. 13. Tab. 11. Fig. II.
29*
452 SechszehDte Vorlesuog.
Am sonderbarsten sind die Formen, wo Knorpel und Kno-
chen vielfacli durcheinander gelagert sind. Gewöhnlich haben
dieselben schon äusserlich ein unebenes, höckeriges, warziges
oder drusiges Aussehen ; manche sehen wie Himbeeren oder Maul-
beeren aus, indem eine Menge kleiner, rundlicher Läppchen
aneinander gefugt sind *). Einzelne dieser Lappchen sind weich,
durchscheinend, bläulich weiss, also knorpelig, andere dagegen
hart, undurchsichtig, Vireiss, also kalkig. Ich sage kalkig, denn
gerade an diesen Körpern fand ich trotz der grossen Härte und
Dichtigkeit fast nur Versteinerung (Petrification). Jedes einzelne
Läppchen besteht aus einer sehr zierlichen Knorpelwucherung,
in welcher man mikroskopisch noch die aus der Wucherung der
einzelnen Knorpelzellen hervorgegangenen Zellengruppen, umgeben
zunächst von hyaliner Intercellularsubstanz und weiterhin von
einer trüberen, faserig-streifigen Hülle, erblickt, so dass jedes
makroskopische Läppchen wieder als ein Aufbau aus mehreren
mikroskopischen Läppchen erscheint. In diesen letzteren beginnt
die Verkalkung in ähnlicher Weise, wie es Rokitansky**)
vom Enchondrom abbildet, vom Centrum aus, so dass zuerst
die Kapseln der am meisten gegen den Mittelpunkt gelegenen
Zellen incrustiren und jedes mikroskopische Läppchen einen un-
durchsichtigen, gleichsam steinernen Kern bekommt Dieser ver-
grössert sich nach und nach, indem immer mehr Kapseln und
später auch die Intercellularsubstanz incrustiren, und zuletzt schrei-
tet die Verkalkung über ganze Läppchen fort, indem sie ähnliche
Zustände erzeugt, wie wir sie von den Gelenkknorpeln kennen ***).
In diesen Läppchen ist der Knorpel hyalin. Allein dies gilt
hauptsächlich von den am stärksten gewucherten Punkten. Sonst
ist in den Gelenkkörpern sehr oft Faserknorpel vorhanden. Was
den Knochen betrifft, so ist derselbe, wenn man die marmor-
geht Die innere Knorpelmasse hat alle EigenthOmlicbkeiten des Gelenk-
knorpols: eine etwas körnige, gelbliche Grundsubstaoz, in welcher io ver-
hültnis.smässij; grossen Abständen wuchernde Zellen liegen. Hier und da
zei^t die Intercellularsubstanz eine fast netzförmige, jedoch nicht streifige
oder fibrillUre Anordnung. Die scheinbare Knocheuma&se ist theils einfach
vtTsteinort, theils bildet sie Knorpelknochen mit rundlich - eckigen Körper-
chon fast ohne Fortsätze. (Präparat No 867.). •
*) Präparat unserer Sammlung No. 1265. vom Jahre 1861. Von dem
in Fi«. 93. abgebildeten Falle.
•♦) Rokitansky. Path. Anat. 1855. Bd.I. S. 177. Fig. 68-
♦•♦) Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 3iö. Fig. 125.
Baa und Entstehung der Gelenkmäuse. 453
artige Yerkalkang abrechnet, häutiger spongtös als compakt. In
den grösseren Gebilden tindet man gewöhnlich die Oberfläche
mil einer compakten Rinde versehen, über welche sich eine
Knorpellage fortsetzt, welche alle Eigenschaften des Gelenk-
knorpels darbietet, namentlich an der Oberfläche eine dich-
tere Anordnung mehr platter, paralleler Zellen und in der Tiefe
grössere, runde, nicht selten wuchernde Körperchen. Dann folgt
zunächst eine Verkalkungszone, welche nach innen manchmal in
wirklichen, spongiösen Knochen übergeht, häufiger jedoch nur
eine zusammenhängende Versteinerung, gewissermaassen Knor-
pelknochen bildet. Im letzteren Falle folgt unter dieser Lage
nicht selten wieder Knorpel und dann wieder Inseln oder Zungen
von Verkalkungsschichten (Fig. 92, a.). Wo wirklicher spongiöser
Knochen gebildet ist, da tindet man die Balken des Knochen-
gewebes stark und die Räume zwischen ihnen manchmal noch
mit Markfett gefüllt. Gerade diese Formen beweisen am aller-
auffMligsten, dass früher eine ausgiebige Verbindung der Gelenk-
körper mit anderen Theilen des Gelenkes stattgefunden haben
moss, denn eine solche Markbildung setzt stets eine starke Vas-
cularisation voraus.
In welcher Weise findet aber diese ursprüngliche Verbindung
statt? Es bleiben hier nur zwei Möglichkeiten: entweder, wie
man früher häufiger angenommen hat, dass wirklich Theile der Ge-
lenkenden des Knochens sich ablösen, dass also eine gewalt-
same Trennung, eine Absplitterung oder Zerklüftung an dem
Gelenkende stattfände, ein Theil der Oberfläche abgelöst würde
und nnn sowohl der Knorpel als der Knochen in die Gelenkhöhle
gelangten; oder aber, dass es sich um eine eigentliche Neubildung
handelt.
Die zuerst von Reimar aufgestellte Annahme, dass blos
eine Absplitterung oberflächlicher Theile geschehe, hat man in
der neueren Zeit häufig ganz zurückgewiesen. Das scheint nicht
richtig zu sein, denn man findet nicht nur in der früheren Lite-
ratur sehr charakteristische Fälle*), sondern man hat auch in der
•) Abernethy. Med. chirurg. Beobachtuugon. Deutsch von J. F.
Meckel. Halle. 1809. S. 187. Schreger. Ueber die beweglichen Concre-
mente in den Gelenken. Erlangen. 1815. Cruveilhier. Arch. gener. 1826.
T. IV. p. 165.
454 Sechszehnte Vorlesong.
neuesten Zeit einzelne Beispiele gesammelt*), wo entweder bei
violenten Einwirkungen auf das Gelenk, zuweilen unter einem
deutliclien Krachen eine schmerzhafte Empfindung eintrat und
man bald nachher freie Körper fand, oder wo ohne bekannte
Veranlassung bei der Autopsie an gewissen Stellen ein Substanz-
verlust, eine Vertiefung an der Gelenkfl&che entdeckt wurde, in
welche das abgelöste Stück mehr oder weniger genau hinein-
passte. Fälle der letzteren Art habe ich selbst mehrmals be-
obachtet. Freilich sind sie nicht ganz beweisend, da möglicher-
weise die Depression erst secundär durch den Druck des freien
Körpers entstanden sein kann, indess entsprechen sich die Flä-
chen manchmal so vollständig und sind so tief, dass man kaum
ihre ursprüngliche Zusammengehörigkeit wird ablehnen können.
In den Fällen, die ich sah, war aber offenbar schon eine Gelenk-
erkrankung vorhergegangen, und ich möchte diese, wie ich nach-
her noch genauer ausführen werde, als die eigentlich prädispo-
nirende betrachten.
Aber selbst, wenn man für diese Fälle die Möglichkeit einer
Absplitterung zulässt, so hat eine solche Erklärung keine Rich-
tigkeit für die Melirzahl der Fälle; da handelt es sich gani
sicher um eine Neubildung, und es kann nur zweifelhaft sein,
von wo sie ausgeht, ob von den Knorpeln, so dass die freien
Körper gewöhnliche Ecchondrosen wären, oder von etwas An-
derem, so dass sie heteroplastische Bildungen darstellen.
Die Erfahrung lehrt, dass Beides vorkommt **), sowohl dass
der vorhandene Knorpel wuchert und Auswüchse bildet, als aucli,
dass namentlich von dem Periost und der Synovialhaut her
solche Auswüchse stattfinden. Ersteres kommt in allen möglichen
Formen vor. Luschka***) hat namentlich die Aufmerksamkeit
auf die feineren, zottigen und buschigen Auswüchse gelenkt, welche
vom Knorpel ausgehen und in die Höhlen der Gelenke und
*) Richet. Anuales de la Chirurgie. 1841. T. I. p.63. Stromeyer.
Handbuch der Chirurgie. Freiburg i. Br. 1844. Bd. I. S. 523. Deville,
Bullet, de la 8oc. anat. 1851. p. 109. Broca. Denkschrift zur Feier des
lOjälirigi'n Stiftungsfestes des Vereins deutscher Aerzte in Paris. 1854. !>. 3i<.
Schuh. Pseudoplasmen. 1854. S. 84. H. Meckel. Mikroseologie. S. '236.
F. Forstmann. De niuribus articularibus. Diss. iuaug. Berol. iSbl. p. 25.
♦♦) A. Förster. Handbuch der pathol. Anat Leipi. 1855 8. 118.
•♦•) Luschka. Mein Archiv. Bd. VII. S. 309. Taf. III. Fig. 5—7. Die
Halbgelenke. Taf. 111. Fig. 8-9. Taf. VI. Fig. 7-8.
Deformirende Arthritis. 455
Halbgelenke hineinhängen. Diese haben jedoch für die Ge*
sdiichte der Gelenkkörper geringere Bedeutung, als die rund-
lichen und knolligen Auswüchse, welche am häufigsten längs des
äusseren Randes aus dem Knorpel hervorwachsen und sehr bald
vom Grunde aus verknöchern. An diese Formen schliessen sich
gleichsam als Uebergangsstufe gewisse Knorpel- und Knochen-
bildongen an, welche in der Nähe des Knorpelrandes, jedoch
unter der Synovialhaut , aus dem Periost entstehen, ganz nach
Art des zuweilen vorkommenden knorpeligen Callus nach Fractur.
Genetisch unterscheiden sie sich noch von den eigentlichen Syno-
vialknorpeln , deren Hauptsitz gerade an der Stelle ist, wo sich
die Synovialhaut von der äusseren Fläche des Gelenkes auf den
Knochen umschlägt und wo schon normal gewisse Falten und
Zotten liegen*). Von hier aus entwickeln sich pathologische
Excrescenzen , bald einfach, bald verästelt in Form der nament-
lich von Rokitansky**) geschilderten dendritischen Vegeta-
tionen, in deren mehr und mehr kolbig werdenden Enden die
Cartilaginescenz stattfindet. Allein die papilläre Wucherung be-
schränkt sich nicht auf diese kleine Stelle. An manchen Ge-
lenken insbesondere, wie am Schultergelenk, bilden sich, auch in
dem parietalen Blatt der Synovialis sklerotische Platten und Aus-
wüchse, welche verknorpeln und verknöchern.
Die entstehenden Knorpel und Knochen sitzen bald mehr
flach auf, bald hängen sie an langen Stielen in das Gelenk
hinein (Fig. 93., a). Im letzteren Falle werden sie bei den Be-
wegungen des Gelenkes hin- und hergeschoben, können schon,
so lange sie noch festsitzen, grosse Beschwerden verursachen,
lösen sich aber endlich ab, um frei in die Gelenkhöhle zu fallen.
Häufig bilden sich schon vorher, in dem Maass6, als sie wachsen,
gewisse Taschen, Ausbuchtungen, Divertikel der Synovialhaut, in
welchen sie versteckt liegen (Fig. 93., b) und in welche sie auch,
nachdem sie lose geworden sind, leicht wieder zurückrutschen.
Auch können sie ganz und gar darin abgekapselt werden***).
Sitzen dagegen die Auswüchse mehr breit auf, was nament-
*) Kölliker. Mikroskopische Anatomie. 1850. Bd. II. Erste Hälfte.
S. 323.
♦•) Rokitansky. Zeitschr. Wiener Aerzte. 1851. Jan. S. 2.
♦♦♦) Friedländer 1. c. p. 12—13. Cruveilhier. Traite d'anat. path.
T. U. p. 135.
456 Secbuebnte VorleBODg.
lieb von den periostealen (Fig. 93., c) und auch tod den eigent-
lichen Ecchondrosen gilt, so können sie eine sehr beträchtliche
Grösse erreichen, ohne lose zu werden. JedeofoUs verunstalteo
sie das Gelenk in hohem Maasse , und erzeugen oamentlich
am Knorpelrande Hervorragungen, welche die Bewegung er-
schweren, gegenseitige Reibungen bedingen, oder geradezu aof-
einander slossen können. Unter solchen Verhältnissen mag es
Fig. 93 Arthritii chronica defonnans prolifera eoxM {V^to. No. I^
vom Jahre ISlil). Der Kracke, eio 34 Jahre alter Meäserschmidt , war in
der Klinik des Herrn Traube gestorben. Die Autopsie ergab chroni»cbt
Lues, amjloide Erkrankung de» Darms und der Hill, laterstitielle N«phntii
und eine eigenthOmjiche, durch Einlagerung fremder Tbeile bedingte Lan-
den alfektion. Das rrchte Hüftgelenk mit dickem, käaigem Eiter gefallt, ent-
hielt 3 fffie Körper, von denen der grCsate etwas Qber haeelDassfroes var,
eine maullieerfürmige Oberfläcbe besasa nnd aus einem Gemisch von reinen
und verkalkten KnorpelkOrnem bestand. Der Oelenkkopf starfe defonnirt,
am Rande tief abgerieben, grossentheils vom KaorpelOberang eDtt)U>ssl, mit
rauher, cariOaer OI>erlIäche. Ebenso die Oberfl&cho der P^oe. Gelenkkapsel
unverletzt, sehr derb, missfarbig, mit vielen taschenfaraigen Aoabuchtongea
am Ansätze und mit 8 jirOasercn, meist steinernen Oelenkkflrpem besetzt,
von denin linzeliie (a) gestielt, andere {b^b) flach nnd in Tascaen versteckt
aufsaesen. Kiniis um den Rand des Schenkelkopfea ein« wallutig« Kutcb«-
Wucherung (c). Auch in der lurisur suaen GeleokkOrper xaL
Traumatische Entstehung der Gelenkmäuse. 457
wohl vorkommen, dass sie bei gewaltsamen äusseren Einwir-
kungen abbrechen und erst durch die Absplitterung frei werden*).
Jedenfalls scheint mir das die wahrscheinlichste Erklärung der
meisten Fälle, wo nach violenten Einwirkungen plötzlich freie
Körper bemerkt wurden und wo die nachträgliche anatomische
Untersuchung ausserdem allerlei andere Veränderungen am Gelenk
nachwies.
Die Ansicht, dass von einem gesunden Gelenkende Stücke
abbrechen und als Gelenkmäuse auftreten, muss jedenfalls anato-
misch ungleich genauer geprüft werden, als es bis jetzt geschehen
ist. Würde z. B. vom Rande eines gesunden Knochens ein Stück
abgesplittert, so mtisste man doch erwarten, dass die ursprüng-
liche Oberfläche allein überknorpelt wäre, dagegen die Fraktur-
oder Fissurfläche entweder blos compacten oder spongiösen Kno-
chen, oder höchstens eine Umlagerung desselben durch fibrinöse
Niederschläge zeigte. Allein ich fand selbst an Gelenkkörpern
der am meisten auffälligen Gestalt **) fast über die ganze Ober-
fläche einen Knorpelüberzug, und der scheinbare Knochen erwies
sich grossentheils als blos verkalktes Knorpelgewebe. Dieser
Befund stimmt wohl mit der Annahme, dass ursprünglich flache
Ecchondrosen von dem Gelenkende des Knochens hervorwuchsen,
welche sich den gegenüberliegenden Gelenkflächen anpassten und
dadurch eine der Articulation entsprechende Gestalt annahmen,
dann theilweise versteinerten und endlich innerhalb des Knorpels
abbrachen, aber er lässt sich nicht wohl vereinigen mit der Vor-
aussetzung, dass der Knochen selbst zertrümmert wurde. Es
stimmt ferner dieser Befund mit der schon von Sander***) be-
haupteten Erfahrung, dass ein nachträgliches Zerbrechen der
Gelenkmäuse vorkomme.
Im Allgemeinen kann man demnach als ausgemacht annehmen,
dass die freien Gelenkkörper, wie schon Laennec t) gelehrt hat,
•) Brodle. Med. chir. Transact Vol. IV. p. 276. Ecker. Archiv für
phys. Heilkunde. 1B43. S. 244. Note.
**) Dahin gehört namentlich ausser dem in Fig. 92. abgebildeten Kör-
per eine von Herrn Jüngken aus dem Kniegelenk exstirpirte Gelenkmaus
(Präparat No. 99. vom Jahre 18G1). Es ist dies ein l\'* langer, V* breiter und }"
dicker, scheinbar ganz knöcherner, einerseits concaver, andererseits convexer
Körper, neben welchem sich noch ein zweiter, kleinerer, ebenfalls concav-
convexer und scheinbar knöcherner befand.
♦♦*) Sander in v. Siebold's Chiron. Bd. II. S. 361.
t) Laennec. Dict. des sciences med. T. IV. p. 121,
Sechszehate VorlesDog.
Fig. 94. Corpus mobile coDglomemtDin ftrticDUtionis genn. (Pri|nnl
No. (>0c. vom Jahre 1858). Natürliche GrCase. Von einer TorettBischen LeJcb«.
Der grosse ConglomeratkOrper iat etTA 3" lang, 1^ — 14" breit and t— I"
dick. Er hat im Grossen eine Patella -ihn liehe Gestalt, ist an einem Ends
fast spiti, am aotlereD breit, concav-convex, jedoch überall hOgelig, höcke-
rig oder geradezu knollig. An der concaven Seite ist eise grOseere, insani-
menhängend mit Knorpel überaogene Stelle, sonst ersrheinen nnr die stir-
keres Höcker mit knorpeliger Decke, nährend dazwischen ein cartes Faser-
gewebe liegt, welches an der conrexen Seite viele ^elbbraane Pigment-
kOrner trägt (a). Letztere leigt sehr wenig deatlicben Knorpel, ist
aber viel stärker hCrkerig. Ad einer Stelle (i) eine grSsitere, vertiefte, wie
narbig nu»sehende Fläche. Am Rande lahlreiche, zata Theil lose Terbandene
kleinere Einielkörper (c,c) und an einem Pnokte ein langer, fadenf&rmifEfi'
Anhang (d). Innen zeigt der KCrper zum Theil spongiCse, sehr grob-
maschige Substanz — Ausserdem befanden sich in dem Gelenk Doch beinahe
50 kleinere, freie Kürper und ein Paar Dutzend adh&rente, in allerlei Seiten-
iHHchen befindllcbe. Letztere nahmen hauptsächlich den hinteren Umfang
der (ielenkhChle ein, wo sie so dicht gedrängt lagen, dass sie ganz onbe-
wegltch waren und grosse Ausbuchtungen hinter den Gondylen des Ober-
srhi-iikelü und an der hinteren Fliehe der Tibia erzeugt hatten. Diese KOrper,
sowohl die freien , als die adhärenten waren von sehr Terscbiedenartiger
Grßsse und (.iestalt, einzelne klein, rundlich und erbsengroM, andere grCsser,
ei'kig, mit ecbeinbar articulirenden Flächen, an GrOsse und Gestalt den Haod-
und FnsMwurzelknochen vergleichbar, andere endlich noch grAaaer und deat-
lich ronglomcrjrt. Uraunes Pigment fand sich an mehreren Yor. Knorpel-
llbcrdlgK und radcnffirniipo Anh&oge besassen sehr riele. Manche waren an
Fäden aufgehängt, die gleichsam durch sie bindnrcbgiagen nnd beiderseits
festaasafln. Auch von deo kleineren hatten nuche aposgUla^ Bh, andere
Knorpelige Vegetationen der Gelenke. 45g
accideatelle Knorpel sind, und für die Mehrzahl derselben ist seine
Angabe richtig, dass sie ursprünglich als gestielte Auswüchse der
SynoYialhaut anhingen. Diese sind in ihrer Art ziemlich dasselbe,
was die Kolben des Lipoma arborescens (S. 379) oder die Beeren
der Blasenmole (S. 405) darstellen, denen sie auch darin gleichen,
dass zuweilen mehrere an gemeinschaftlichen Stielen hängen oder
dass der Stiel des einen auf dem Körper des anderen aufsitzt.
Manchmal findet man auch mehrere, wie durch einen Sutur, dicht
miteinander vereinigt; ja es kommen zuweilen grosse Gonglome-
rate (Fig. 94.), ähnlich der Nagelflue, vor, wo eine grosse Menge
kleinerer Körper durch eine lose Verbindungsmasse zusammen-
gehalten ist. Wahrscheinlich sind dies secundäre Verklebun-
gen, bedingt durch fibrinöse Niederschläge oder Gerinnungen.
Wenigstens sah ich braune und gelbe Pigmente daran, als Zeichen
hämorrhagischer Gomplication. — Es ist ferner für einen Theil der
Gelenkkörper, nehmlich die periostealen, auch richtig, dass sie, -wie
Laennec annahm, ursprünglich ausserhalb der Synovialis liegen
und sich erst allmählich vorschieben. Diese finden ihre Analogie
in den früher beschriebenen Ecchondrosen der Trachealknorpel.
Andere dagegen entstehen primär in den Auswüchsen selbst,
welche ihrerseits knorpelig oder bindegewebig sein können.
Nachdem die Körper abgelöst sind und frei in der Höhle
des Gelenkes liegen, scheinen sie wenig Veränderungen zu er-
fahren. Vielleicht darf man manche Petriticationen als secundäre,
gleichsam posthume betrachten. Manche Beobachter*) der frühe-
waren mehr steinern oder marmorartig. ■— Das Gelenk sehr verändert. Die
Synovialbaut überall mit zahlreichen, meist kleinen, kolbigen, zuweilen ästi-
gen Vegetationen besetzt, die voll von gelbbraunem Pigment waren. Zumeist
erreichten sie eine Länge von 3— 6 Linien; viele enthielten Kett. Dabei war
die ganze Synovialbaut verdickt, besonders wo die Taschen lagen. Eine der
bedeutendsten, welche den grossen, in der Zeichnung wiedergegebenen Kör-
per enthielt, lag unter dem Lig. patellare; sie war mit einer stark grubigen
Ausbuchtung des Knochens verbunden. Die Ligam. interarticularia, zumal
die semilunaria etwas verdickt und rauh. Die Gelenkfiächen mit starken
Scblifflinien und -flächen: die an der Tibia fast ganz von Knorpel entblösst,
etwas zottig; die am Os femoris mit im Allgemeinen verdicktem Knorpel-
überznge, der namentlich vor der Ineisur und längs der Ränder starke,
knollige, vom Grunde her verkalkte und verknöcherte Auswüchse zeigte.
Einzelne dieser Auswüchse am Rande sassen lose oder waren wenigstens
durch ein dichtes Bindegewebe von dem Knorpel geschieden: an einigen
Stellen sah man den aus schwammartig umgelegten, die Nachbarfläcbe
Oberragenden Osteochondrophyten zusammengesetzten Rand durch scheinbar
narbige Flächen unterbrochen.
*) James Rüssel a. a. 0. S. 66.
460 Sechszehotc Vorlesung.
ren Zeit haben freilich gemeint, die Körper wüchsen auch im
freien Zustande noch fort. Cooper*) hat dies entschieden be-
stritten. Es ist schwer, darüber zu urtheilen. Man darf nicht
übersehen, dass die freien Körper durch Umlagerung von Exsudat-
oder Blutgerinnseln sich leicht vergrössem können. Auch kann
durch die eben erwähnte Conglomeratbildung an die Stelle mehrerer
kleiner ein grosser Körper treten, welcher dann den Eindruck eines
schnell gewachsenen macht. Endlich aber ist theoretisch nichts
gegen die Möglichkeit zu sagen, dass in den abgetrennten Knor-
peln und Knochen mindestens eine Vita minima, vielleicht sogar
ein regerer Lebenszustand fortbestehen und dass sie aus der
Synovia gewisse Säfte aufnehmen und nicht nur sich ernähren,
sondern möglicherweise auch wachsen können. Denn in der
That sind die Stiele, so lange sie überhaupt befestigt sind,
auch gewöhnlich gefassarm, wenn auch nicht immer gefässlos,
und doch wachsen die Körper.
In jedem Falle sind sie ein Erzeugniss irritativer Processe.
Diese können die Form einer wirklichen Gelenkentzündung an-
nehmen, und so finden wir sie am häufigsten bei der sogenannten
Knotengicht (Arthritis nodosa, Rheumatismus nodosus, Malam
articulorum senile) neben zahlreichen anderen Veränderungen, ins-
besondere neben partieller üsur der Gelenkknorpel, Abschleifung
und Verkleinerung der Knochenenden (Fig. 93.), Ebumation und
Periostose, Verdichtung und Vascularisation der Synovialhaut**).
Sie sind dann selbst als Theilerscheinung des entzündlichen Vor-
ganges zu betrachten, denn ein solcher liegt hier unzweifelhaft
vor***). Broca ist noch einen Schritt weitergegangen, indem er
neben dieser Entzündung (der von ihm sogenannten Arthritis
sicca) eine bald oberflächliche, bald tiefe Nekrose and Elimina-
tion der Knorpel annimmt und die freien Körper als Producte
dieses Eliminationsprocesses erscheinen lässtf). Freilich gesteht
er zu, dass die gewöhnliche Art der Bildung die durch Excrescenz
sei, aber er meint doch eine besondere Form der freien Körper
*) Cooper. Diseases of the joints. Lond. 1807. p. 94.
**) Cruveilhier. Atlas d*anat. path. Livr. IX. PI. VI. fig. 11. de Camp.
I. ('. p. 2b. Ecker a. a. 0. S. 244. A. Wem her. Beiträge zur Kenntoi»
di*r Krankheiten des Hüftgelenks. Giessen. 1847. S. 89. X. Schöroaoo.
Da« Mulum coxae senile. Jena. 1851. S. 73. Fried linder ].c Taf. 1.-11.
•♦♦) Mein Archiv. 1852. Bd. IV. S. 295.
t) Broca a. a. 0. S. 38.
GelenkmSase und deformirende GelenkentzuDdoDg. 461
aus der Enorpelnekrose ableiten zu können, und Lebert*)
schliesst sich ihm sogar für die knotige Form an.
Man muss hier wohl unterscheiden. Es giebt eine Ablösung
und Exfoliation**) der Gelenkknorpel, die sowohl bei acuter Ent-
zündung der Synovialhäute und der Gelenkenden der Knochen,
als auch bei der chronischen, knotigen oder deformirenden Ent-
zündung vorkommt. Aber hier lösen sich Knorpelblätter ab,
flache Stücke und nicht jene dicken Körper, wie man sie bei der
Betrachtung der freien Gelenkkörper im Auge hat. Letztere ent-
stehen an den Stellen am wenigsten, wo die Exfoliation statt-
findet, nehmlich an der eigentlichen Articulationsfläche, sondern
da, wo auch die anderen Wucherungsvorgänge der deformirenden
Entzündung am stärksten vor sich geh«n, am Umfange des Gelenk-
knorpels, an Bein- und Synovialhaut. Weiterhin muss man sich
aber wohl hüten, die hauptsächlich nach klinischen Symptomen
zusanmiengefasste Knotengicht oder gar das Malum senile, welche
so oft viele Gelenke treffen und als constitutionelle Krankheit
erscheinen, als die einzige Ursache der Gelenkmausbildung anzu-
sehen ; die deformirende chronische Gelenkentzündung kommt auch
ohne alle „Gicht", ohne Störungen der sensitiven Nerven, bei
langen Personen und ganz partiell auf kleine Stellen des Ge-
lenkes beschränkt, vor. Diese Form ist es, welche der Bildung
der solitären Gelenkkörper zum Grunde liegt. In wie weit sie
durch locale Reize bestimmt wird, ist bis jetzt nicht genau zu
übersehen; ich erinnere jedoch an einen Fall von Shaw ***), der
bei einem 17jährigen Dienstmädchen einen freien Knorpelkörper
aus dem Kniegelenk entfernte, in dessen Innern sich eine Höhle
von yV — TT Zoll Länge und in dieser ein harter metallischer
KOrper fand; letzterer wurde als eine abgebrochene Nadelspitze
erkannt Hier handelt es sich um einen ganz localen, vom
Standpunkte der Onkologie aus gutartigen Vorgang.
Aber freilich gehört derselbe nicht mehr einfach in das
Gebiet der hyperplastischen, sondern er ist schon heteroplastisch,
insofern das einfache Bindegewebe der Bein- oder Synovialhaut
der Sitz einer Knorpelentwickelung wird. Aber auf der anderen
♦) Lebert. Traitö d'anat path. T. II. p. 600. PL 179. fig. 9, 10.
**) Ga^ (Transact. of the patbol. soc. of London. Vol. VI. p. 298) nennt
sie Shedding of cartilage.
*♦♦) Shaw. Transact. of the Lond. path. soc. 1855. Vol. VI. p. 331.
462 Sechszehnte Vorlesung.
Seite stehen diese Formen den reinen Ecchondrosen doch ganz
nahe, mit welchen sie so oft zusammen vorkommen. Denn sie
gehen aus Geweben hervor, von denen wir wissen, dass sie an
vielen Stellen sehr leicht Knorpel erzeugen. Namentlich die Bein-
haut zeigt diese Fähigkeit nicht blos bei Fracturen, sondern noch
sehr viel häufiger und ausgezeichneter bei der Veränderung der
alten und der Bildung neuer Articulationsflächen, von deren phy-
siologischem Wechsel Hüter*) so viele und interessante Belege
geliefert hat. Immerhin stehen diese Formen auf der Grenzo
zwischen der hyperplastischen und heteroplastischen Knorpel-
geschwulst. —
Das heteroplastiscite Chondrom, zu dessen Betrachtung
wir uns jetzt wenden, ist nach dem Vorgange von Joh. Müller
immer definirt worden als ein Gebilde, dessen wesentlichen Antheil
wahres Knorpelgewebe ausmacht. Freilich ist man in der Praxis
von dieser Definition i^elfach abgewichen, indem man von Enchon-
dromen auch da sprach, wo der Knorpel nicht den wesentlichen
Bestandtheil bildete. Man weiss längst, dass in vielen Geschwülsten
dieses Gewebe mit anderen Gewebsarten oft in der mannichfaltig-
sten Mischung vorkommt, und in manchen derselben tritt der
Knorpel so sehr in den Hintergrund, dass man ihn nur als eine
Beigabe oder als eine reichere Ausstattung betrachten kann. Dies
gilt nicht blos von gewissen Mischgeschwülsten, sondern nament-
lich von vielen der später zu betrachtenden teratoiden Geschwülste.
Wenn man in dieser Richtung das Gebiet des Enchondroms etwas
zu weit ausgedehnt hat, so scheint es mir, dass man in einer
anderen Richtung gegenüber den älteren Schriftstellern einen
Rückschritt gemacht hat, nehmlich darin, dass man eine sehr
beträchtliche Kategorie, die sogenannten fibrocartilaginösen
Geschwülste, zum grossen Theil ausgeschlossen hat. Müller
selbst rechnete viele von ihnen theils zu seinem Osteoid, tlieils
zu seinem Dcsmoid**); die späteren Schriftsteller sind ihm zum
Theil gefolgt, zum Theil haben sie einzelne dieser Fälle zum
Enchondrom gezogen, andere wieder zum Sarkom oder Kreb*?
gestellt. Auf diese Weise ist eine grosse Verwirrung entstanden,
*) C. Hüter. Mein Archiv. Bd. XXV. S. 572. Bd. XXVI. S. 484.
**) Müllers Archiv. 1843. S. 396.
Heteroplastische Chondrome. 463
welche sich allerdings begreift, wenn man die oft so grosse Bös-
artigkeit, das gleichsam krebshafte Wesen dieser Gewächse ins Auge
fosst, und wenn man zugleich zugestehen muss, dass gerade diese
Art die allerhäufigsten Uebergänge zu Sarkom macht. Man kann
daher auch nicht behaupten, dass alle beschriebenen Fälle von
Osteoid, Osteoidkrebs , Osteoidsarkom, Desmoid hierher gehören,
aber ebenso wenig ist man meiner Ansicht nach berechtigt, alle
Fälle davon hier auszuscheiden.
In der Anatomie hat man schon lange, ja schon geraume
Zeit vor der Einfuhrung des Mikroskops als anatomischen
Hülfsmittels, den eigentlichen Knorpel unterschieden von dem
dem sogenannten Hautknorpel, demjenigen, welcher die „Ver-
knöcherung aus Membranen '^ vermittelt. Allerdings ist dieser
Haatknorpel ganz verschieden von dem gewöhnlichen Knorpel
und auch von dem gewöhnlichen Faserknorpel. Ich glaube seine
Eigenthümlichkeit zuerst erkannt zu haben, als ich die Bildung
der inneren Osteophytlagen der Schädelknochen schilderte*).
Später fand ich seine Beziehungen zu dem Bindegewebe**) und
insbesondere seine Entstehung aus wuchernden Schichten des
Periosts ; ich wies nach, dass das Dickenwachsthum der Röhren-
knochen wesentlich auf der Erzeugung junger, aus dem Periost
hervorgehender und der Knochenstructur ähnlicher Massen beruht,
welche ich deshalb osteoide nannte***). Aehnliche Massen sah
ich freilich auch aus gewöhnlichem Knorpel hervorgehen f), indess
ist dies doch ein seltenerer Fall.
Man kann nun freilich darüber in Zweifel sein, ob man über-
haupt diese osteoide Masse zum Knorpel rechnen soll. Allein
abgesehen davon, dass eine grosse Zahl von Beobachtern sie
geradezu knorpelig nennen, so hat sie in der normalen Entwicke-
lungsgeschichte eine ähnliche Stellung zu dem werdenden Kno-
chen, vrie der Knorpel; sie ist ein Vorgebilde des Knochens
und stellt insofern geradezu ein Aequivalent des Knorpels
dar. Bei der Callusbildung geht sie vielfach in wirklichen Knorpel
über ff). Andererseits ist sie kein gewöhnliches Bindegewebe, da
♦) Mein Archiv. 1847. Bd. I. S. 135.
♦•) Würzburger Verhandl. Bd. IL S. 158.
••♦) Mein Archiv. Bd. V. S. 439 ff. S. 457.
t) Ebendas. S. 434.
ff) Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 399.
464 Sechszehnte YorleBung.
vielmehr die Intercellularsubstanz des Bindegewebes, wenn die
osteoide Masse erzeugt wird, sich verdichtet, sklerosirt oder car-
tilagincscirt. Man müsste deshalb sowohl für dieses Gewebe, als
für die daraus hervorgehenden Geschwülste, einen besonderen
Namen wählen, und ich würde in letzterer Beziehung den Namen
des Osteoids jedem anderen vorziehen, wenn nicht dadurch eine
meiner Meinung nach unüberwindliche Schwierigkeit in die Dar-
stellung der Knorpelgeschwülste käme.
Auch ist^ seitdem sich die Ansichten über die suspecte Natur
des Enchondroms allmählich festgestellt haben, der Hauptgrund,
welcher zu der gesonderten Aufstellung des Osteoids Veranlassung
gab, nehmlich die Rücksicht auf seine Bösartigkeit, weggefallen,
und ich trage daher kein Bedenken, die aus wirklichem osteoiden
Gewebe oder Hautknorpel (Knochenknorpel) gebildeten Gew&chse
den Chondromen unmittelbar anzureihen. Es würden demnach
neben den hyperplastischen Chondromen oder Ecchondrosen einer-
seits die Enchondrome im engeren Sinne des Wortes,
andererseits die osteoidenChondrome (Desmochondrome) als
die beiden Hauptgruppen der heteroplastischen Chondrome zu
unterscheiden sein.
Die Grenze zwischen diesen beiden Gruppen ist aber, wie
die Erfahrung gelehrt hat, keineswegs leicht anfkufinden. Freilich
giebt es von jeder derselben gewisse reine Formen, welche leicht
erkannt werden ; zwischen ihnen steht aber eine grosse Reihe von
Misohformen, in welchen entweder die verschiedenen Typen des
cartilaginösen Gewebes nebeneinander verwirklicht sind, und die
Geschwulst im Ganzen keinen praevalirenden Typos erkennen Usst,
oder wo die Hauptmasse allerdings einem bestimmten Typas folgt,
an gewissen Stellen aber ein Uebergang in Gewebe eines ver-
wandten Typus stattfindet
Wais den eigentlichen Enchondromknorpel anbetrifit,
so entspricht seine innere Zusammensetxiuig im Allgemeinen den
bekannten Formen des permanenten Knorpels. Wie in diesem«
80 tindon sich auch im Enchondrom die drei Yarietitea des
Hyalin-. Faser- und Netiknorpels*). Aber man darf hier
nicht zu strenge si^heiden« und am wenigsten erwarten, die^e drei
Yarioiäten in ekni so vielen entsprechenden Enchondromarten
•\
iVnuUqMlhoki^ie. 3. kuA. S. 42.
Das Knorpelgevebe des Eocbondroros. 465
wiederholt zu finden. Nichts ist häufiger, als in derselben Ge-
schwulst alle drei Erächeinung»rormen des permanenten Knorpels
sich darstellen zu sehen. An gewissen Stellen ist die Intercellular-
substanz durchau» gleichmässig und erscheint daher in dGnnen,
mikroskopischen Schnitten fast wasseiklar (hyalin). Aber diese
BeHchaffenheit ändert sich nicht nur im Alter, so dass wirkliche,
kleinere oder grössere, eckige, gallertige (colloide) Kömer, oder
eigentiiümliche steife oder rauhe Fasern, die auf dem Querschnitt
wie KOrner oder Punkte aussehen, in der IntercellularsubstanE
auftreten, sondern schon sehr früh kommen allerlei feine Fasern
vor, welche zwischen den Zellen und Zellenhaufen theils einzeln,
theils in Bündeln, bald in derselben Kichtung, bald sich gegen-
seitig durchkreuzend und verflechtend hinziehen*). Diese Fasern
verhalten sich zuweilen gegen Reagentien, wie wirkliche elastische
Fäden; anderemat sind sie ungleich zarter, sehen mehr wie Streifen
als wie Fasern aus, und leisten den Reagentien wpnig Widerstand.
Fig. 95. Aus eiaem Rnchoiidrom der Fiissnurzelknoehen. SOOmalige
VergrOäDGrUDg. A. Einzelne isoHrte jQngere (o) und ältere (i) Kiiorpel-
lellen mit Kern, Kernkürperclien und körnigem farendiyni. U. Kiu Durch-
schnitt, um die Bildang der Läppchen mit hyaliner Subslnuz und die Faner-
iQge daswiscben zu seigen. Zienilith grosse Zelten, von Ueiien eine bei a
angefangen hat, sich in eine dichtere Masse zusammeniiuziclien , während
die bei b ganz geschrumpft ist. c, e die Anlage der areolüren FaserzQge,
welche die Knorpelkijrner umgrenzen.
•) C. 0. Weber. Die KnochengeschwOlste, Abth. 1. Taf. III. Fig.Ö.,».
Taf. IV. Fig. &, S. Lebert. Atlaa. Fl. XXIX. Fig. 3. et 16.
466 Sechazehnie Vorlesung.
Jedenfalls gleichen diese Zustände im hohen Maasse dem nor-
malen Zustande des Faser- und Netzknorpels. Ausgebildeter Netz-
knorpel, wie ich ihn Ton den Ecchondrosen der Trachealknorpel
erwähnt habe (S. 442), ist allerdings seltener, indess doch nicht
so selten, wie H. Meckel*) annahm, der ihn nur in kleinen
Knorpelgeschwülsten der Ohrmuschel und des Flügelfortsatzes vom
Keilbein**) gesehen zu haben scheint. Ich finde ihn in ganz
grossen Enchondromen der verschiedensten Theile, jedoch meist
nur strichweise. Ungleich häutiger dagegen ist ein Faserknorpel,
welcher mikroskopisch am meisten übereinstimmt mit dem nor-
malen Knorpel der Synchondrosen des Beckens und der Wirbel-
säule, und welcher manchen Ecchondrosen derselben sogar täa-^
sehend ähnlich sein kann. Denn in diesen letzteren finden sieb,
wie in vielen Enchondromen, abwechselnd Inseln oder Zöfice voo
Hyalinknorpel , mit Balken oder Maschen von Faserknorpel ab-
wechselnd. Jene erscheinen schon dem blossen Auge als hellere,
mehr durchscheinende, bläulichweisse , diese dagegen als dichtere,
derbere, mehr weissliche und sehnige Stellen.
Dieser wechselnde Zustand der Intercellularsubstanz entspricht
auch einem verschiedenen Zustande der zelligen Theile. In dem
Hyalinknorpel sind durchschnittlich die Zellen grösser, häufig auch
zahlreicher und mehr gehäuft, so dass sie ein grösseres Volumen
einnehmen; im Faserknorpel sind sie meist kleiner, durch breitere
Lagen von Intercellularsubstanz getrennt oder wenigstens im Yer-
hältniss zur Intercellularsubstanz untergeordnet. Zugleich sind die
Zellen des Hyalinknorpels regelmässig in runden Kapseln ent-
halten und ursprünglich selbst rund, wenngleich ihre Gestalt sich
bei der Präparation sehr oft in eine eckige, h!^ckerige, zuweilen
geradezu stachelige umwandelt. In dem Faserknorpel ist die
Kapsel dagegen gewöhnlich viel dünner, kaum doppelt contourirt,
zuweilen sieht man sie gar nicht und die Zelle scheint nackt in
der Intercellularsubstanz zu liegen. Zugleich verwandelt sich die
runde Form in eine länglich -ovale, spindelförmige oder stern-
förmige, und während die Zellenkörpor häufig sehr klein sin«!,
gehen nach den Seiten von ihnen feine, selbst anastomosirende
Fortsätze aus. Genug, das gesammte Slructurverhältniss gleicht
*) 11 Merkel. Charite-AnDalen. Bd VII. 2. S. d3.
••) Präparat No. 1303.
Entwickelung des Enchondromknorpels. 467
demjenigen des Faserringes (Annulus fibrosus) der Synchon-
drosen*), an welchen es mir zuerst gelang**), den üebergang
von dem eigentlichen Knorpelbau zu dem Bindegewebsbau nach-
zuweisen.
Wenn demnach der faserknorpelige Bau verhältnissmässig viel
hänfiger in Enchondromen yorkommt, als man gewöhnlich annimmt,
BO ist die Frage nicht ohne Interesse, ob der hyalinknorpelige
oder der faserknorpelige Zustand der frühere ist. Meiner Erfah-
rung nach ist das chronologische Verhältniss nicht immer das-
selbe. Es hängt dies damit zusammen, dass das Enchondrom
sich nicht immer in derselben Weise entwickelt. Zu-
weilen nehmlich entsteht an der Stelle, wo sich später ein
Enchondrom - Knoten befinden wird, zuerst ein einfacher Zellen-
haufen, in welchem die einzelnen, kleinen, runden, indifferenten
Zellen ohne Intercellularsubstanz dicht zusammenliegen***). Diesen
Granulationszustand (S. 89) habe ich am schönsten bei einem
Parotis-Enchondrom gesehen. Scheiden die Zellen nachher Inter-
cellularsubstanz aus, so ist sie gewöhnlich ganz gleichmässig und
es entsteht sofort Hyalinknorpel. Aber dies scheint nicht der ge-
wöhnliche Gang zu sein. Sehr häufig beginnt die Knorpelbildung,
wie ich zuerst bei knorpeligen Tumoren des Oberkiefers f) j der
Brust tt), des Schulterblattes ftt) und des Hodens *t) fand, damit,
dass vorhandene, sei es alte, sei es neugebildete Bindegewebs-
lager sich verdicken, dass ihre Intercellularsubstanz zunimmt und
sklerotisch wird, und dass ihre Zellen sich allmählich vergrössern
und vermehren. Es entsteht dann zunächst ein der Hornhaut **t)
Uinliches Aussehen. Manchmal geht dieses Gewebe unmittelbar
in Hyalinknorpel über, indem die Intercellularsubstanz ganz dicht
and homogen, die Zellen gross und rund werden und sich incap-
suliren. Anderemal dagegen wird die Intercellularsubstanz nur
zum Theil homogen, zum Theil erhält sich das fibrilläre Aussehen,
gerade so, wie man es so häufig bei der Knorpelbildung im
«•'
♦) Franz Jos. Kaufmann. Mein Archiv. Bd. VI. S. 412.
•) Würzburger Verh. (1851) Bd. II. S. 153.
♦•♦) A. Förster. Atlas der niikrosk. path. Anat. Taf. XIX. Fig. II.
t) Archiv. (1849) Bd. III. S. 224.
tt) Würzburger Verhandl. Bd. I. S. 137.
ttt) Archiv. Bd. V. S. 234.
♦t) Archiv. Bd. VIII. S. 402 Taf. IX. Fig. 12.
♦♦t) Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 1*1. Fig. 45-46.
i'Jii '*j*^'.u>fur.iaMr ^onesBa^.
h^,t/*A*'> u.^^%Uf% ^/i^^l^fj. A'>3r anoL HSr dtBipai ?-i
y^/fi /Ji %kw\ m^'Uf hWiHtttt^u blldfai. und dier««^ a
^/^^7 S(f/>trK^r<^ Iru^^ln von Hyaliokfior}»«^ iiefr«^ 7j£. ^3
/Im- iU'^i'Uiuuif; tU't NariMrn ^Knorpelkorjiercittiij*^ auL
'At\U'^ <'twHh unnii^tM'T war. Ich aubeTMÜued ssoeoBR:**
voIImmI/'M'M Kfior|Htlkörperclien die äasHert Si^gri^^I.
iiiim hM <liiliin ^cwOlinlirJi aln Membniii iui£:eiibiHsi iubh^ «vte
y,t:\\t*^ }S(*Mut die HOLlDng dto* ILagiMi fiSt
'"^ " w<'I('Im; iiiHii alK Kern oder L5<:iis»5iiF iü§
/«flh'ninliuli uuf/.ufassf'n pflegte. Ihei4^
iill<u'<liii((H H<*lir häufig in den für dsts^
'/Mhi'mUdo.ii OUy^i'Utn nicht meiir ihrf- naite F<
HoiMh'i'ii t'Jiic unnt^elmässige, brxktai». 4dc
IV)riiiiK<'. , ja in Kndiondromen sogau* sSt^dKä
htiili, w<*Hhalb viele der ältereii Btobhciaee
iliiH HplUtM'c Knor.henkörpercben prüc«nnin i
l'iiMHMi HhnihtPH. Schon Kolli ker hatte gezeigt. da5>
iiMMliitn <ii<M(iil(.nn Hind, woIcJm'. einer Schnunpfuig ode-r
Mi< M/.liOiiinK (IrM iVllher die Höhlung erfüllenden Gebildes
M'JMillH'M Mln<l. in der Thut sind diese Zellen so empn^iü^
|\^t^f^ i||i> kitIukmIimi KinwirknuK^m hinrcicheD, sie so den <OD^r-
hiHclen (ieMltilLvrianilerunRen m veranlassen.
Mtiii niMK <lnhei' immerhin das gcsammte Gebilde Knoq»?.'-
I'ij! tin l'lii/i'luo Kuoij^olknrptMvhiMi aus dem Gallert - EBfhoBdrnB
KiH IMI M.ni hh'lil ine.»»»Mi iho tluko, ^»leu'hinüsHige Ka(>t(«l und inu«-n J''
Khiiniliilcii y.i'lllHU|iiM iiui »Muom o<lor »wei Kernen, welolu- wi*^^r K*""-
k«n|»rn lull iMUM. Iilii«. ..»II. lu /v\t'i /iollon Fotttropfen. Verjiröstj^roni So*'-
*» W.'.ll r.ulinl lh-,inl.iK"^ S r»?J. Fij:. 124fj. .
••^ Mrhi Ahlih vl^l'.»^ IM. Hl. S. 1»12. l.'l7. Hd. V. S. 418. Note. Wb"P
Noihuuitl. Md. II S tiiU. lVUulnr|mtholo|;ic. 3. Aufl. 8. 7. Fig. 3.
Zellen des Enchondroms. 469
rperchen nennen, so ist doch festzuhalten, dass die wirkHchen
llen nur der innere Theil davon sind und dass die Kapseln
Bsere Abscheidungsproduete derselben darstellen, welche von der
wohnlichen Intercellularsubstanz sowohl morphologisch, als che-
sch verschieden sind, welche aber durch allmähliche Metamor-
osen derselben ähnlich werden und schliesslich mit derselben
rechmelzen können*). Doch kommt es auch vor, und zwar
rade bei Enchondromen in der allerdeutlichsten Weise, dass
5ht blos eine Kapsel gebildet wird, sondern mehrere, eine in
r anderen. Es geschieht dies zuweilen um einzelne Knorpel-
Uen, zumal in alten Enchondromen, regelmässig aber, wenn
\ firüher einzige Zelle innerhalb des Kapselraumes sich theilt
d vermehrt, wo dann jede neue Zelle ihre besondere Umkapse-
ig innerhalb der alten erzeugt.
Meine Auffassung von der zelligen Natur des inneren Körpers
irde wesentlich dadurch gestützt, dass es mir gelang, die Iden-
It desselben mit gewissen sternförmigen, leicht isolirbaren und
jht selten miteinander anastomosirenden Zellen nachzuweisen,
Jche sich in gewissen Enchondromen vielfach finden**). Die-
ben Gebilde hatten schon die Aufmerksamkeit von Joh.
aller***), Schaffner t) und Queckettff) auf sich gezogen;
iter haben namentlich Pagetftt) und Wedl*f) vortreflfliche
>bildungen davon geliefert. Aber man achtete wenig auf die
«iehung dieser offenbar zelligen Körper zu den in den Kapseln
Ibst enthaltenen Gebilden und entzog sich dadurch eines der
sten Kriterien für die histologische Deutung beider. Lach-
ann**t) hat später das gesammte Verhältniss der Zellen bei
ichondrom eingehend geprüft und meine Angaben bestätigt.
1 muss aber dabei bemerken, dass man auch hier gewisse
istaltsveränderungen der Zellen, welche durch Contraction und
•) Archiv. Bd. V. S. 432-433.
♦♦) Würzb. Verhandl. 1850. Bd. I. S. 195.
♦♦♦) Müller. Ueber den feineren Bau der Geschwülste. S. 35. Taf. 111.
ig. ».
+) AI. Schaffner, üeber das Enchondrora. Inaug. Abh. Würzb. 1845.
ig. 5.
tt) Queckett. Catalogiie of the histological series in the Museum ofthe
oyal College of Surgeons. Vol. Lp 111.
tH-) Paget. Lect. on snrg. path. II. p. 177, 188. fig. 24, 25, 27.
*t) Wedl. Pathol. Histologie. S. 580.
••t) Lachraann. Müller's Archiv. 1857. S. 15. Taf. U.
470 SechsKchute Vorlesung.
Aussenden von langen, zuweilen verästelten Fortsätzen entstehen,
wohl unterscheiden muss. Bei ganz frisch exstirpirten oder ampu-
tirten Enchondromen habe ich unter meinen Augen diese Gestalts-
veränderung vor sich gehen und von den Zellen Fortsätze sich
hervorschieben sehen, welche über das ganze Gesichtsfeld des
Mikroskops fortliefen. Ich bin daher der Meinung, dass gewisse
Enchondrom-Zellen eine ganz bedeutende Beweglichkeit besitzen*).
Diejenigen Enchondromo, welche wesentlich grössere, stern-
förmige Zellen enthalten, oder diejenigen Theile von Enchon-
dromen, in welchen sie sich hauptsächlich finden, zeichnen sich
gewöhnlich durch eine grössere Weichheit aus: Enchondroma
moUe s. gelatinosum **). Sie pflegen zugleich viel Feuchtig-
keit zu enthalten und frisch eine eigenthümlich schlüpfrige, dem
Hühnereiweiss ähnliche Beschaffenheit der Schnittfläche zu zeigen.
Chemisch weisen sie meistcntheils einen beträchtlichen Schleini-
gehalt nach, so dass man sie als eine besondere Unterart, als
Enchondroma mucosum bezeichnen muss. Wenigstens theil-
weise gehört in diese Kategorie, was Wattmann als weich-
knorpeligen Parasiten und Schuh***) als Steatom beschrieben
haben. Sie sind wohl zu unterscheiden von den später zo be-
sprechenden Formen, wo unter regressiven Metamorphosen der
Zellen Erweichungen stattfinden und die Chondrinhältige Grund-
substanz sich in Schleim verwandelt. Möglicherweise ist das
essentielle schleimige Enchondrom eine Umwandelung aus einem
ursprünglich hyalinen oder faserknorpeligen. Wenigstens faod
ich schon bei der Umwandelung des rachitischen Knorpels io
Markgewebe, dass dieses sich wie eine Art Schleimgewebe ver- *
hältf). Aber es kommt auch sicher vor, dass Schleim- und
Knorpelgewebe primär neben einander entstehen, in der Art, dass
ein Theil einer grösseren Geschwulst nur aus Schleimgewebe, ein
anderer aus reinem Knorpel besteht (S. 420). Dies zeigt sich am
häutigsten in gallertigen Enchondromen der Weichtheile, namentlich
der Ohrspeicheldrüse, wo gewisse Abschnitte der Geschwulst gani
und gar den Charakter des Myxoms an sich tragen. In ihnen
•) Mein Archiv. Bd. XXVIll. S. 23«.
•♦) C. 0. Weber. Kiiocbonjroschwülste. 1. S. 70. Lambl. xVus de«
Franz-Josef-Kinderspital. IVag. I8G0. I. S. 200. Tat*. 13.
*♦♦) Schnh. Deutsehe Klinik. 1850. No. 14.
t) Mein Archiv. Bd. V. 8. 424.
Das schleimige und albuminöse Enchondrom. 471
findet man namentlich die zierlichsten Zellennetze, nicht selten
eingeschlossen in derbe, maschige Faserzüge*) und umgeben von
reichlichem Schleim, so dass das vollendetste Bild des areolären
Schleimgewebes entsteht. H. Meckel**) hat diese Form als
Sternknorpelgeschwulst bezeichnet. Andere haben sie ihres
Aussehens wegen als Golloid, Golloidsarkom, Gallertgeschwulst
u. 8. w. beschrieben. Ich nenne sie, wenn der Knorpel überwiegt,
Enchondroma myxomatodes, dagegen, wenn das Schleim-
gewebe vorwaltet, Myxoma cartilagineum (S. 403). Die
Grenze dieser Formen gegenüber dem Enchondroma mucosum ist
darin zu suchen, dass sie gemischte oder Gombinationsgeschwülste
sind, während dieses eine einfache Geschwulst darstellt, an der
nur in gewissen Theilen die gewöhnliche Ghondrinhältige Grund-
substanz mit Mucin vermischt oder darin verwandelt ist.
Freilich legte Müller grosses Gewicht darauf, dass das
Enchondrom beim Kochen Chondrin gebe und er betrachtete
dies als eine Art von Kriterium. Allein er selbst erhielt aus
einer Geschwulst der Parotis, die er doch Enchondrom nennt,
kein Chondrin, sondern sehr viel gclatinirenden Leim***). (Schleim
ist natürlich durch Kochen nicht zu extrahiren). Es mag daher
immer sehr wichtig sein, sich durch Kochen von dem Chondrin-
gehalt einer Geschwulst zu überzeugen, zumal seitdem wir durch
Dondersf) wissen, dass auch Faserknorpel Chondrin giebt,
aber entscheidend kann diese Untersuchung nicht sein. Ich selbst
fand in einem gallertartigen Enchondrom der Scapula, das ich
eben dieser Beschaffenheit wegen zuerst als knorpelartiges Sarkom
bezeichnete tt), eine eiweissartige Grundsubstanz, die kein Chon-
drin gab, die aber durch spontane Erweichung in Schleim über-
ging. Dies ist also eine zweite Form des weichen Enchondroms,
die man als Enchondroma albuminosum bezeichnen kann.
Von allen diesen Formen unterscheidet sich das vorher (S.462)
erwähnte osteoide Chondrom sowohl durch seine Zusammen-
setzung, als seinen Bau. Müller fff) hat wenigstens für gewisse
Fälle dargethan, dass sein Gewebe beim Kochen nicht Chondrin,
*) Paget. Lectures. II. p. 203. fig. 30.
••) Charite-Annaleii. VlI. 2. S. 8ö. fig. 1.
•••) Müller, üeber den feineren Bau. S. 40
t) Don der 8. Holländische Beiträge. Bd. I. S. 205.
tt) Würzburger Verb. Bd. 1. S. 137. Archiv. Bd. V. S. 223.
ttt) Müllers Archiv. 1Ö43. S. 403.
472 Secbszehnte Vorleenng.
Hondem gewöhnlichen Leim giebt, sich also dem Binde- und
Kno(;hengewebe anschliesst. Ausgedehntere Untersuchungen in
dieser Richtung liegen bis jetzt nicht vor. Aber auch morpho-
logisch gehört dieses Chondrom einer anderen Kategorie, dem
Haut- oder Knochenknorpel, an. Seine Zellen sind regelmässig
nicht incapsulirt, sondern liegen frei in der Intercellularsubstaoz.
Sie sind zuweilen rund, aber meist länglich, spindelförmig oder
linsenförmig, nicht selten mit Fortsätzen versehen, und gewöhn-
lich verhältnissmässig klein. Die Intercellularsubstanz erscheint
freilich sehr dicht, zuweilen leicht streifig, aber doch nicht fibrillir,
sondern wirklich „knorpelig.'^ Aber sie bildet keine gleichm&ssig
zwischen den Zellen ausgebreitete Masse, sondern sie erscheint
in Form von Blättern, Balken oder Netzen, welche oft so dicht
liegen, dass man die Zellen dazwischen kaum erkennt, und dies
man an ihrer Stelle nur Spalten oder Lücken zu sehen glaobt
Das Ganze stellt daher eine mehr lamellöse, trabekuläre oder
geradezu filzige Masse dar, und die Aehnlichkeit mit den ik
Fibroid oder Desmoid geschilderten Geschwülsten kann bis xnm
Verwechseln gross werden. Ja, ich trage kein Bedenken m
behaupten, dass einzelne Fälle dieser Art gerade als typijK-he
Fibroidfälle geschildert worden sind. Die Intercellularsubstani
überwiegt bedeutend die Zellen. Nehmen diese an Grösse nnd
Zahl sehr bedeutend zu, so wird daraus ein Sarkom und gerade
dieses Sarkom bildet einen starken Bruchtheil in der als bös-
artiges Osteoid beschriebenen Gruppe.
Es ist leicht vorzustellen, wie gross die Schwierigkeit werdcB
kann, die oft so feinen Grenzlinien der Chondrome sieber abxa-
messen. Sowohl die chemische, als die morphologische Unter-
suchung des Gewebes zeigen ein gewisses Schwanken und Ueber-
gänge zu den so nahe verwandten Formen des Binde- und Schleini-
gowebos. Es kommt dazu, dass, wie zum Theil schon erwähnt,
sowohl das wahre Enchondrom, als auch das osteoide Chondrom
in wirklicher Combination mit anderen Gewebsformen vorkommt
und dieselbe Geschwulst in verschiedenen ihrer Theile versohle-
diMU'n Entwickelungstypen entspricht: Enchondroma etChon-
droma osteoides mixtum. Namentlich die Enchondronie d^r
WtMihtheilo zeigen solche Combinationen in der allergrössten
Manniohfaltigkeit, wie ich schon lange für die der Hoden naih-
Gemischte Knorpelgeschwülstc. 473
gewiesen habe*). Sehr selten kommt dies an Knochen- Enchon-
dromen vor. Am häufigsten findet man in solchen Combi na-
tions-Geschwülsten kleine Knorpelstücke inselförmig zer-
streut in einer Gewebsmasse ganz anderer Art, entweder so, dass
ein verwandtes Gewebe z. B. Binde- oder Schleimgewebe die Haupt-
masse bildet, oder dass ganz heterologe Gewebe z. B. epitheliale
in Form von Krebs- oder Kystombildungen hinzutreten. Andere-
mal dagegen nimmt die Knorpelbildung grössere, zusammen-
hängende Theile der Geschwulst ein, während der Rest eben-
falls zusammenhängend aus anderen Gewebsmassen zusammen-
gesetzt ist. Dabei ist immer wieder zu unterscheiden der Fall
der primären Combination, wo die verschiedenen Gewebstypen
gewissermaassen unabhängig neben einander zur Erscheinung
kommen, von dem Fall des secundären Ueberganges des einen
Gewebes in das andere, so dass entweder das Enchondrom schlei-
mig oder markig oder knöchern wird, oder dass umgekehrt schlei-
mige oder bindegewebige Geschwülste cartilaginesciren.
Am wichtigsten ist in dieser Beziehung die Combination mit
den eigentlich malignen Geschwülsten, wie sie das Enchondrom
am häufigsten mit Krebs, das Osteoid-Chondrom mit
Sarkom zeigt. Beide beruhen in der Regel auf vermehrter Zellen-
wucherung. Allerdings kommt Zellenwucherung auch bei dem
gewöhnlichen Wachsthum der Knorpelgeschwulst vor, zumal wenn
es sehr schnell erfolgt. Insbesondere in dem Enchondrom ist
nichts häufiger, als dass einzelne Elemente so stark wuchern
(S. 468), dass aus ihnen ganze Haufen neuer Zellen, man kann
geradezu sagen, ganze Läppchen neuer Geschwulstmasse hervor-
gehen. Allein so lange der Charakter der Geschwulst selbst
nicht geändert wird, so lange scheiden die neuen Zellen auch
immer wieder neue Intercellularsubstanz um sich ab. Nimmt
dies dagegen ab oder hört es, wie bei den krebsigen Formen
bis etwa auf einen gewissen flüssigen Saft, ganz und gar auf, so
ist auch eine Aenderung des Gewebstypus, ein Uebergang zu
einem neuen Typus gegeben, und es bedarf nur einer weiteren
Entwickelung der jungen Zellen zu epithelialen Formen, um ein
Kankroid oder einen wahren Krebs zu erzeugen.
Diesen progressiven Metamorphosen stehen einige
•) Würzb. Verh. Bd. I. S. 135.
474 Secbszehote VorleBung.
andere Veränderungen zur Seite, die freilich nicht ganz constant
sind. Die wichtigste darunter dürfte wohl die Vase ularisation
sein. Wir wissen schon durch eine Injection von M. J. Weber*),
dass in dem Enchondrom die Gefässe sich mehr im Umfange der
Knorpelmassen oder in gewissen Scheidewänden zwischen ihnen
verbreiten. Das umgebende Gewebe kann sehr gefössreich sein**),
aber der eigentliche Knorpel ist ebenso gefässlos, wie der normale
permanente Knorpel. Anders verhält es sich mit dem Osteoid-
Chondrom. Dieses besitzt manchmal eine Gefasseinrichtung,
welche die höchste Aehnlichkeit mit derjenigen des eigentlichen
Knochengewebes***) hat. Immerhin ist aber auch hier die Zahl
der Gelasse eine geringere. Dies ändert sich schon in den wei-
cheren, namentlich den schleimigen Formen, und es kommt hier
vor, dass eine wirklich telangiectatische Entwickelung der Gefasse
erfolgt: Enchondroma telangiectodes.
Dieser Fall ist aber sehr selten. Meist verbindet sich die
Gefassentwickelung mit einer Aenderung des Gewebstypus. Der
häufigste Fall ist der, dass eine wirkliche Ossifikation ein-
tritt. Diese ist in dem Osteoid - Chondrom sehr einfach, da die
gsmze Einrichtung der Substanz gleichsam für die Knochenbildung
vorgebildet ist und es nur der Ablagerung der Kalksalzc in die
Intercellularsubstanz bedarf, um wirklichen Knochen ganz unmit-
telbar zu erzeugen. Bei dem Enchondrom ist der Gang weit-
läufiger, mannichfaltigerf).
Vieles von dem, was man Verknöcherung genannt hat, ist
wie bei den Gelenkmäusen (S. 452) nichts weiter als Verkal-
kung (Petrification, Incrustation). Ganz ebenso wie bei dem
verkalkenden Epiphysenlcnorpel ff), geschieht hier zunächst die
•) Philipp V. Walther. Gräfe's and Walther's Journal. Bd. XIU.
S. 351, 374.
♦♦) Lebert. Atlas d'anat. path. PI. XXIX. fig 13., 14. C. 0. Weber.
Knochengcsch Wülste. I. Taf. 1. Fig. 1., 2.
•♦♦) Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 76, 79. Fig. 3G., 38.
+) Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 3W. Fig. 133., 134.
If) Wir haben He»chrcibungeii der Enchondrom -Ossifikation von Roki*
tansky(Zcitschr. der Wiener Aer^te. 1848-1849. Jahrg. I. S. (5. Fig.G.-lO.),
DuMKeau (Verbandclingen der cerste Klasse van het NederUndsch Institut.
III Keeks. 111 Deel. BI. 134.), Scholz (De enchondromate Diss. inaug.
Vratibl. 1855. p. 28, 41. Tab. I.-II.), A.Förster (Allg. pathol Anat. 1855.
S. 125. Atlas der mikrosk. path. Anat. Taf. III. Fig. 1.) und C. 0. Weber
(a. a. 0. 8. 90.). »Sie leiden meist an einiger Unklarheit, da die Grenzen
zwischen Verknöcherung und blosser Verkalkung damals noch nicht geom
genug festgestellt waren.
PetrificatioD und Ossification. der £achoadroine. 475
Ablagerung der Kalksalze in die Kapseln der Knorpelzellen; es
bilden sich Kalkringe um dieselben, und was bei oberflächlicher
Betrachtung wie Knochen aussieht, das erweist sich bei genauerer
Analyse oft als nichts anderes, denn als ein Haufen runder, kal-
kiger Körner oder Nüsse, den vollständig incrustirten Kapseln
entsprechend. Freilich kann nach und nach auch die zwischen-
gelegene Intercellularsubstanz sich mit Kalk erfüllen und so eine
Verschmelzung der einzelnen Kalkringe oder Kömer zu einer
homogenen Masse erfolgen, in welcher nur die alten Höhlungen
der Kapseln als rundliche oder leicht eckige Löcher erscheinen,
wie es auch bei verkalkendem Gelenkknorpel*) stattfindet. So
erklären sich die Platten, welche man zuweilen auf mikroskopi-
schen Durchschnitten findet und welche auf den ersten Blick wie
wirkliche Knochenplattcn ausssehen, sich aber dadurch unter-
scheiden, dass sie mehr rundliche Löcher ohne Fortsätze ent-
halten, also im Ganzen siebförmig erscheinen. Löst man die
Kalksalze durch Säuren auf, so ist wieder Knorpel da.
Allein neben der blossen Verkalkung kommt doch auch
wahre Verknöcherung vor. Zuweilen liefert diese den schön-
sten spongiösen Knochen: Balken von Diploe mit eingelagertem
Mark. Ich habe dies selbst in Enchondromen der Weichtheile,
am schönsten in einer grossen Geschwulst der Submaxillar-
Speicheldrüse gesehen. Anderemal entsteht ganz harte, compacte
Substanz, zuweilen von elfenbeinerner Festigkeit. Indess ist dies
seltener und es geschieht mehr bei gewissen langsam wachsenden
Knorpelgeschwülsten an Knochen, bei denen meist so wenig
Knorpel vorhanden ist, dass es mir zweckmässiger erscheint,
diese Form zum Osteom zu rechnen, wo ich darauf zurück-
kommen werde. Denn nur die Fälle verdienen zum Enchondrom
gerechnet zu werden, bei denen der Charakter des perma-
nenten Knorpels vorherrscht, bei denen also auch die Ossifika-
tion nur in kleineren Abschnitten oder sehr spät eintritt. —
Gerade entgegengesetzt der Verknöcherung und sehr viel
häufiger ist die regressive Metamorphose, welche in ihrem
Fortschreiten zur Erweichung und zur Ulceration zu führen
pflegt. Sie beginnt meist mit einer Fettmetamorphose der Zellen,
welche nicht in dem Kern, wie so oft fälschlich behauptet ist,
•) Cellularpathologie. 3. Aufl. S. 345. Fig. 125.
476 Sechszehote Vorlesung.
sondern neben dem Kern in dem Zellenkörper Platz greift*).
Während die Zellen sich in Fettkömchenzellen und Kömchen-
kugeln umwandeln, beginnt die Erweichung der Intercellularsub-
stanz, welche zu einer anfangs dickeren, später dünneren gallert-
artigen, fadenziehenden, höchst schlüpfrigen Masse von reichem
Mucingehalt zerfliesst. Einzelne festere Massen, jedoch in der
Regel schon mit entarteten Zellen versehen, lösen sich im Zu-
sammenhange ab und schwimmen in der Flüssigkeit. Gleich-
zeitig zerreissen nicht selten die Gefässe der Scheidewände und
ergiessen Blut in die Flüssigkeit, welches sich in derselben in
Pigment umwandelt und ihr eine rothe, bräunliche oder gelbliche
Färbung giebt. So entstehen Höhlungen, fluctuirende Stellen,
Cysten in der früher harten Masse, und entweder sticht ein
unvorsichtiger Chirurg in sie hinein und bildet so ein fistulöses
Geschwür, oder die Stelle bricht, wenn sie näher unter der Haut
liegt, von selbst auf und entleert ihren Inhalt nach aussen.
Dieses fistulöse Enchondrom-Geschwür **), aus wel-
chem möglicherweise Theile der noch bestehenden Geschwulst
„fungös" hervordringen, ist wohl zu unterscheiden von der ober-
flächlichen Verschwärung, welche sich bei sehr nahe an der Haut
gelegenen Enchondromen z. B. denen an den Fingern so leicht ,
bilden, wenn durch das starke Wachsthum der Geschwulst die
umgebenden Weichtheile immer mehr gespannt werden und an
ihnen endlich erodirte oder gangränescirende Stellen entstehen.
Dies sind Geschwüre von sehr geringer Absondemng, in deren
Grunde die feste Geschwulstmasse sehr lange Widerstand leistet
Auch die Erweichung findet in der Geschichte der perma-
nenten Knorpel ihre Analogie (S. 139). Insbesondere an den
Rippenknorpeln alter Leute kann man ganz ähnliche Vorgänge,
freilich sehr im Kleinen sehen. Gewöhnlich scheint eine Reizung
vorherzugehen, welche die Knorpelzellen zum Wachsthum und zur
Wucherung anregt. Der Gerässzufuhr beraubt, zerfallt aber die
Masse, da sie sich in ihrem vergrösserten Zust^mde mit dem
gewöhnlichen, nur spärlich zuströmenden Ernährungsmaterial nicht
zu erhalten vermag. So ist es auch bei den Enchondromen.
•) Mein Artliiv. Bd. 1. S. 147.
*•) (iluge. Anatomisch -mikroskopibcbc Uutersucbungeu zur PaUiologie.
Jena. 1Ö41. Heft 11. JS. 155.
Vorkommen der Enchondrome. 477
Die Erweichung beginnt mit Wucherung und zwar central,
gewöhnlich mitten in grösseren Knorpelstücken. —
Das wirkliche Enchondrom entsteht an Orten, wo eigent-
lich kein Knorpel vorhanden sein sollte, oder, wie Müller*)
gesagt hat, wo er nicht nöthig ist. Allerdings ergiebt die Erfah-
rung, dass die grosse Mehrzahl dieser Gewächse im Knochen vor-
kommt; das Knochenenchondrom ist die gemeinste Form, und
daher hat sie in der Regel als Beispiel für die Beschreibung
gedient. Aber gerade die gewöhnlich knorpeligen Theile des
Knochens, die Gelenkoberflächen, sind es nicht, welche das
Enchondrom erzeugen; dieses findet sich vielmehr in der Conti-
nuität der Knochen**). Ja, schon Müller hat auf die sehr
charakteristische Erscheinung aufmerksam gemacht, dass in der
Regel, selbst wo ein ganzer Knochen enchondroraatös wird, die
Gelenkflächen intact bleiben, also der permanente Knorpel sich
an dem Process nicht betheiligt. Andererseits kommen Enchon-
drome auch in Weichtheilen, also gewiss heterolog vor. Nach
dem, was man bis jetzt weiss, kommt ungefähr auf 8 — 4 Fälle von
Knochenenchondrom ein Enchondrom der Weichtheile***), und hier
findet es sich immer an solchen Stellen, wo wir gar keinen Knorpel
als präexistirend kennen, am häufigsten in Drüsen, namentlich in
den Speichel- und Sexualdrüsen (Hoden und weibliche Brust).
Dabei ist ein Umstand sehr bemerkenswert!! , welcher die
Möglichkeit andeutet, dass wenigstens bei den Knochenenchon-
dromen unter Umständen ein knorpeliger Anfang gegeben sein
kann, dernehmlich, dass sie ungewöhnlich häufig in frühen
Lebensaltern entstehen. In einzelnen Fällen wurde das Enchon-
drom angeboren beobachtetf); in der grossen Mehrzahl zeigt
*) Joh. Müller. Ueber den feineren Bau der Geschwülste. S. 41.
**) Hier liegt nur Beinhaut (Periost), Mark oder eigentliches Knochen-
gewebe (Tela ossea), welches bekanntlich nicht, wie man früher annahm, au»
verkalktem Knorpel (Knochenknorpel) besteht, sondern dem Bindej^ewebe in
seiner Zusammensetzung näher steht (Cellularpath. 3. Aufl. S. 346).
•**) Das Verhältniss hat sich mehr und mehr zu Gunsten der Enchon-
drome der Weichtheile p;e«ändert, in dem Maassc als die Untersuchungen ge-
nauer geworden sind. Müller kannte noch so wenige Fälle davon, dass
sich bei ihm das Verhältniss =1:9 stellte. C. 0. Weber (Die Knochen-
geschwülste. Abth. I. Die Exostosen und Enchondrome. Bonn. 1856. S. 112)
zählt in seiner statistischen Zusammenstellung 237 bekannte Enchondrome
der Knochen 'sos^en 67 Enchondrome der Weichtheile.
f) Ruysch Epist. anat. probl. XIV. p. 9. (Hände und Füsse). Mur-
ison. ßdinb. monthly Journ. 1852. Mai. p. 491. (Finger). Syme. The
478 Sechszehnte Vorlesung.
es sich in den ersten Decennien des Lebens. Freilich kommen
die wenigsten Fälle in dieser Zeit zur Behandlung, allein wenn
man die Krankengeschichten verfolgt, so ergiebt sich, dass die
meisten Enchondrome, die späterhin zur Operation kommen, schon
eine Reihe von Jahren hindurch bestanden hatten, oft schon
zwanzig Jahre und noch mehr, und dass der Beginn des Leidens
sehr früh bemerkt wurde. Nach einer von Weber*) aus 94 Fällen
von Knochen-Enchondromen entworfenen Statistik wurde der Ein-
tritt der Geschwulstbildung bei mehr als der Hälfte der Fälle in
den ersten beiden Decennien des Lebens, bei fast einem Dritttheil
bis zum Alter von 10 Jahren beobachtet. Für die Enchondrome
der Weichtheile gilt vielfach dasselbe. Dazu kommt endlich,
dass auch einige Beispiele von erblicher Uebertragung der
Enchondrome bekannt sind, nehmlich ausser der Beobachtung
von Dalrymple**) der sehr charakteristische Fall der fransd-
sischen Familie Pellerin, den man früher auf eine maligne Krebs-
form bezog, der aber durch genauere Untersuchungen in der
neueren Zeit als chondromatös erkannt worden ist. Hier ist
durch drei Generationen hindurch eine multiple Enchondrombil-
düng an verschiedenen Skelettheilen, namentlich den Schienbeinen,
den Rippen und dem Oberarm beobachtet worden***).
Es scheinen diese Erfahrungen darauf hinzuweisen, dass schon
in der ersten Entwickelung (Prima formatio) der Knochen gewisse
Unregelmässigkeiten vor sich gehen, welche die Prädisposition u
der späteren Geschwulstbildung legen. Wenn ich die mOglichei
Formen solcher Entwickelungsstörungen erwäge, so möchte ich
es für sehr wahrscheinlich halten, dass gelegentlich in den
wachsenden Knochen einzelne Fragmente von der ursprünglichen
Knorpelanlage un verknöchert übrig bleiben, welche später der
Ausgangspunkt der Geschwulstentwickelung werden. Früher, als
Lancet. 1855. Vol. I. p. 116. (Finger). G. Hennig und R. Wagner. Mein
Archiv. 1856. Bd. X. S. 209. 0. Hennig. Mein Archiv. 1858. Bd. XHl-
S. 505 (Schädel). E. Wagner. Archiv f. Heilkunde. 1861. S. 283. (Bodei
der Mundhöhle). Hierher gehört auch wahrscheinlich ein Enchondrom d<
Wirbelkanals (Präparat unserer Sammlung No. 521. vom Jahre 1860). Aac^
schliessen sich manche Fälle von gemischten Enchondromen und Teratome
an, z. H. manche der sogenannten Sacral-llygrome und ein Naevos enrhoi
dromatosus corneae von A. v. Graefe.
•) G. 0. Weber a. a. 0. S. 136.
**) Paget. Lectures on surg. path. II. p. 207.
***) Vgl. die Zusammenstellung von G. 0. Weber a. a. 0. S. 139. knc^
der Fall von Lambl in der folgenden Note ist von Belang.
Aetiologie der Eocboodrome. 479
man noch mehr auf die allgemeinen Dyskrasien gab, ist man bei
der Untersuchung über die Entstehung der Knochengeschwülste
häufig auf andere Knochenkrankheiten zurückgegangen, z. B. auf
Eachitis. Später hat man das zurückgewiesen, und es lässt
sich nicht leugnen, dass gerade bei Enchondromatösen ein aus-
gemachter Rachitismus nur in wenigen Fällen constatirt ist*).
Nichtsdestoweniger kann ich nicht umhin, nach meinen Beobach-
tungen über die Einzelheiten des rachitischen Processes**) auf
die Möglichkeit, dass dieser oder ein ihm ähnlicher Störungs-
vorgang wirklich die Prädisposition schafüt;, besonders hinzuweisen.
Die Ossifikation während des Bestehens eines rachitischen Leidens
geschieht nehmlich an allen möglichen Theilen mit einer ähnlichen
Unregelmässigkeit***), wie ich sie früher als ein gewöhnliches Vor-
kommniss an den Synchondrosen geschildert habe (S. 444). Die
Ossifikationslinie rückt nicht gleichmässig, sondern zackig vor;
sie schiebt sich mit einzelnen Zacken oder Ausläufern von Mark-
und Knochensubstanz in den Knorpel hinein. Wie bei den spät
*) Dahin gehört der in mehrfacher Beziehung merkwürdige Fall von
Gräfe, den Bail (De ossium liixuriatione. Di-ss. inaug. Berol. 1820.
p. 16. Fig. IV.) als Ilyperostosis und als Aualogon der Elephantiasis Ara-
bom beschrieben, und den später Joh. Müller (Uober den feineren Bau.
S. 46. Taf. IV. Fig. 3.) als Enchondrom erkannt hat. Der Kranke wurde
im ersten Lebensjahre von Rachitis ergriffen und litt daran 12 Jahre lang.
Kurz nach dem Anfange dieser Krankheit wurde an dem Kleinfinger der
Beginn der nach etwa 27 Jahren operirten Geschwulst bemerkt. — Eben-
falls hierher gehörig ist ein Fall von Lenoir, den Lebert (Traitö d'anat
path. T. I. p. 230. PI. XXVIII. fig. 10., 11. PI. XXIX. fig. 7-12.) veröffent-
licht hat. Der Kranke war zur Zeit der Operation 26 Jahre alt, trug die
Zeichen einer alten rachitischen Affektion und nach seiner Angabe hatte
einer der Brüder seines Vaters ein ähnliches Uebel gehabt. Er hatte mul-
tiple Enchondrome der Metakarpalknochen und Phalangen beider Hiinde,
der Metatarsalknochen des einen Fusses und der entsprechenden Tibia, im
Ganzen 15. Das Uebel war im Alter von 3 Jahren bemerkt worden, hatte
nach 8 Jahren sich sehr gesteigert und war seit dem 16ten stationnär ge-
blieben. Cruveilhier (Trait^ d*anat. path. T. III. p. rf03), welcher den
klinischen Verlauf des Falles genauer mittheilt, macht auf den Rachi-
tismus besonders aufmerksam und bemerkt, dass er und Lenoir das
Enchondrom als eine Art von localem Rachitismus betrachten. Ich brauche
wohl nicht auseinanderzusetzen, dass diese Ansicht von der meinigen sehr
wesentlich verschieden ist. — Endlich erwähne ich noch eine Beobachtung
von Lambl (Aus dem Franz-Josef-Kinderspital. Prag. 1860. Th. I. S. 205):
Eine 32jäbrige Frau, seit ihrer Jugend kyphotisch, bemerkte vor einem Jahre
eine kleine Geschwulst des unteren Endes der Tibia, welche anfangs langsam,
in der letzten Zeit rasch wuchs, Kindskopfgross wurde und sich später als
Gallert-Enchondrom auswies. Dabei wird bemerkt, dass der Vater der Kranken
in Folge einer Geschwulst in der rechten Ohrgegend gestorben sein soll.
♦♦) Mein Archiv. 1853. Bd. V. S. 409.
•♦•) Ebendas. S. 425, 434, Taf. IV. Fig. 2. u. 3.
480 Secbszehnte Vorlesung.
OBsificirenden Synchondrosen , so findet man bei der Rachitis an
den verschiedensten Theilen hinter schon fertigem Knochen noch
Knorpel, ja es kommen ganz isolirte Knorpelstücke abgeschlossen
in der spongiösen Substanz des Knochens vor.
Gewiss liegt die Vermuthung nahe, dass ein solches abge-
schlossenes Knorpelfragment, wenn es sich weiter entwickelt, der
Ausgangspunkt einer Geschwulst werden kann, etwa wie ein im
Kiefer eingeschlossenes Zahnsäckchen der Ausgangspunkt der häufig
um Jahre nachher erst eintretenden weiteren Zahnentwickelung.
Die auffallende Erscheinung, dass mit so grosser Häutigkeit schon
der Beginn des geschwulstartigen Wachsthums bis in die früheren
Lebensalter zu verfolgen ist und dass gerade diejenigen Kno-
chenthoile, welche normal spät ossificiren, nächstdem
auHgesetzt sind, lässt sich am leichtesten begreifen, wenn mio
ein solches Verhältniss der Prädisposition annimmt. Aber kh
hebe ausdrücklich hervor, es ist das nur eine Vermuthung lon
mir. Ich habe nie beobaK^htet, dass ein solcher abgeschlosseDer
Tlieil der Ausgangspunkt einer weiteren Entwickelung geworden
wäre, und es ist sicher, dass in manchen Fällen die Geschwulst-
bildung in die höchsten Lebensalter lallt, ohne dass vorher etwas
davon bemerkt worden wäre. Ja, wir werden später sehen, dass,
selbst wenn für den ersten Ausgangspunkt etwas der Art nach-
gewiesen werden sollte, damit die unzweifelhafte Thatsache nicht
zurückgewiesen werden könnte, dass das Enchondrom in seinen
weiteren Wachsthum vollkommen heterolog ist. Aber man darf
nicht übersehen, dass die Heterologie der späteren Zeit nicht
einfach für die Heterologie des Anfanges spricht. Gewiss ist es
ein sehr auffallendes Ding, dass die Enchondrome zuweilen bei
relativ jungen Individuen vielfach sind, wie wir noch später
genauer sehen werden. Morton *) berichtet von einem 16jährigen
Burschen, der an beiden Händen Phalangen und Metakarpalknochen
voller Enchondrome hatte, die zum Theil schon lange stationnir
waren, und der behauptete, nach der geringsten Quetschung folge
nach einiger Zeit eine neue Geschwulst. Erwägt man ferner, dass
nach den Tabellen von Weber die Enchondrome der Hand gani
unj^ewöhnlich häufig in dem ersten Decennium des Lebens sind,
während im zweiten, dritten und vierten Jahrzehnt die der anderen
*) Morton. Trausact. Path. See. London. Vol. II. p. 118«
Aetiologie der Enchondrome. 481
Knochen mehr hervortreten, so steht auch das in einem gewissen
Verhältniss zu dem Ossifications- Vorgange überhaupt. Gerade die
Stellen, wo die Ossification spät und unregelmässig eintritt, wie
die Umgebungen der Synchondrosis spheno-occipitalis, ilio-pubica,
sacroiliaca, nächstdem an den Röhrenknochen die Umgebungen
der sogenannten Epiphysen- (richtiger Diaphysen-) oder Inter-
mediär-Knorpel*), also die Gelenkenden zeigen die grösste Prä-
disposition zur Enchondrombildung. Alles das macht mich sehr
geneigt, die Bedeutung der unregelmässigen Knochen-
bild an g sehr hoch anzuschlagen, und ich möchte dabei noch
besonders erinnern, dass Verkrümmungen kein nothwendiges
Attribut der Rachitis sind, dass vielmehr sehr schwere Fälle
von Rachitis bei geraden Knochen vorkommen.
Für die Geschichte der Enchondrome der Weichtheile fehlen
uns genauere Anhaltspunkte in dem Zustande der Gewebe noch
mehr. Ich kann nur auf das schon früher (S. 67) im Allge-
meinen berührte Beispiel von der Retention der Hoden ver-
weisen, welches wenigstens für die teratoide Enchondrombildung
Bedeutung hat**). Auch scheint es mir nach einer freilich nicht
ganz genau durchgeführten Statistik, dass gewisse Enchondrome
der Weichtheile, z. B. die des Unterhautgewebes, beim weiblichen
Geschlecht relativ häufig sind, während die Enchondrome der
Knochen beim männlichen Geschlecht vorwiegen***).
Da wir die Aetiologie eben besprochen haben, so kann ich
noch eines hinzufügen, welches für die Onkologie überhaupt von
Werth ist, nehmlich dass wir bei keiner Geschwulst eine so grosse
Zahl von Einzelßillen wie beim Enchondrom kennen, bei denen
der Anfang der Geschwulst nach Angabe der Kranken auf trau-
matische Einwirkung zurückzuführen ist, und zwar nicht auf
ganz beliebige Einwirkungen, wie Fichte f) gemeint hat, son-
*) Zeis (Beobachtungen und Erfahrungen aus dem Stadtkrankenhause
zu Dresden. Heft II. 18ö3. Fig. 5.) bildet ein mehr corticales Enchondrom
von der ersten Phalanx des 4. Fingers eines 17jährigen Burschen ab, wel-
ches nach der Zeichnung mit dem Intermedifirknorpel continuirlich zusammen-
hing. Fichte (Ueber das Enchoudrom. S. 80) beschreibt ein Enchondrom
der Nagelphalanx des Daumens eines 13jährigen Knaben, wo die central
gelegene Masse der Geschwulst an einer Stelle mit dem Epiphysenknorpel
verschmolzen war.
••) Senftleben. Mein Archiv. Bd. XV. S. 344, 349.
••♦) C. 0. Weber a. a. 0. S. 135.
t) Eduard Fichte. Ueber das Enchondrom. Tfibiogen. 1850. S. 24.
Virebow, Qetebwfilfto. 1. 31
482 Sechszehnte Vorlesung.
dem auf sehr concrete Verletzungen*), unter diesen Bcheinea
mir namentlich die wirklichen Frakturen von grossem Interesse
zu sein. Nelaton**) erzählt von einem Manne, der zufällig das
Bein brach, nach 2 Monaten vollslandig geheilt war, aber nach
einem halben Jahre heftige Schmerzanfalle an der Stelle bekam.
Darauf bei einer geringen Anstrengung ein neuer Bruch, der in
2 Monaten heilte, aber schmerzhaft blieb. Es begann sieh eine
Geschwulst zu entwickeln, die mehr und mehr anwuchs und end-
lich aufbrach. Der Mann ging im fünften Jahre nach dem ersten
Bruch an Erschöpfung zu Grunde; die Autopsie zeigte ein Enchon-
*) Zur ßeurtheilung dieses Verhältnisses mag es genügen, einzelne sokke
Fälle aufzuführen: .1) Ein 22jähriger Mann wurde von einem Pferde auf
den Fuss getreten; danach bildeten sich langsam 2 Geschwülste der 4. Zehe
(Scholz. De enchondromate. Diss. inaug. Vratisl. 1855. p. 35). 2) Ein
35jähriger Mann hatte durch einen Stoss den kleinen Finger luxirt nnd das
Leiden vernachlässigt; der Finger wurde amputirt. Ein halbes Jahr nach-
her fand sich unter der geschlossenen Narbe ein seit 6 Wochen l>emerkteB
Enchondrom des Metakarpalknochens (IL Meckel. Charite - Annalen. VE
2. S. 84). 3) Ein 39jähriger Mann erlitt durch zwei zusammenstosseode
Fässer eine Quetschung der Hand; Anschwellung und leichter Sehmen
wurden durch spirituöse Einreibungen zerstreut, aber ein halbes Jahr nicli-
her kehrte der Schmerz zurück und fixirte sich in dem Ringfinger, der all-
mählich ein Enchondrom entwickelte (J. Herz. De enchondromate. ErUog'
1843. p. 7). 4) Ein 19 jähriger Mann wurde 1824 von einem Pferde anf die
innere Seite des rechten Fusses getreten. Heftiger Schmerz, der sich Jahre
lang fortsetzte. 1828 erschien an der schmerzhaften Stelle eine Geecbwolit,
die langsam wuchs, so dass sie 1842 Taubeneigross war. 1846 endlich
wurde ein Enchondrom des ersten Metatarsalknochens entfernt, das den Um-
fang zweier Fäuste hatte (N^laton. Gaz. des h6p. 1855. No. 10. p. 38).
5) Ein 14 jähriger Knabe erhielt einen Faustschlag in die Parotis -Gegend;
darnach trat eine heftige, die ganze linke Gesichtshälfte einnehmende An-
schwellung auf, die erst nach 14 Tagen beseitigt ward. Seitdem Ton Zeit
zu Zeit zuckende Schmerzen in der Gegend; 2 Jahre später wird zuerst eise
flache, Sechsergrosse Verhärtung bemerkt, die unter wiederholten Schmenen
wächst Nach einer Erkältung, 7 Jahre nach der ersten Verletxung lebhaftes
Fieber mit reissenden Schmerzen der linken Gesichtshälfte, welche 8 Tige
dauerten. Seitdem schnelleres Wachsthum. Im nächsten Jahre EzstirpatioD
eines pflaumengrossen Enchondroms (H. Fried berg. Chirurgische Klinik.
Jena. 1855. Bd. 1. S. 247). — Die Geschichte der Hoden-Enchondrome bie-
tet die zahlreichsten analogen Beispiele dar. — Ich bemerke schliesslich,
dass Fichte selbst (S. 58 seines Werkes) einen Fall von Enchondrom der
Beckenknochen bei einem 58jährigen Manne beschreibt, der als Soldat einen
Stich in den Unterleib erhalten hatte. Er legt diesem Stiche keine Bedei-
tung bei, indess wäre die Sache wohl genauer zu untersuchen gewesen.
Ginge (Atlas der path. Anat. Lief. XVIL Taf. IH. Fig. 15-17. S. 3. Hieto-
logie S. G7. Note 6.) beschreibt wenigstens ein recurrirenden EBcboadro«
der Orbita von einem 53jährigen Manne, der 30 Jahre zuvor einen Bajoanett*
stich erhalten hatte, welcher in die Augenhöhle drang, und der .seitdem"
die Geschwulstbildung bemerkte.
*^) Gas. des hdp. 1855. No. 17.
Enchondrome an gebrocheoea Knochen. 488
drom. Otto*) berichtet von einem Frauenzimmer, das 2 Jahre
vor seinem Tode einen Oberarmbruch erlitt, der geheilt wurde,
aber sehr schmerzhaft blieb und stark misshandelt wurde; darauf
Bildung der Geschwulst (die übrigens offenbar ein Osteoidchon-
drom war) zu einem cölossalen Umfange. Ducluzeau**) ent-
fernte ein Enchondrom aus der Rippe eines Mannes, welches
sich seit einem Bruche derselben seit mehreren Jahren entwickelt
hatte. Laügenbeck***) exarticulirte den Oberarm eines 23jäh-
rigen Mannes wegen einer Geschwulst, die ich als Osteoidchon-
drom erkannte, und die 1 } Jahr nach einem durch Fall bedingten
Brache begann. Man kann hier natürlich die Frage aufwerfen, ob
nicht die Frakturen vielmehr durch das Bestehen von Enchondro-
men bedingt waren f), indess ist dies an sich unwahrscheinlich, da
das Enchondrom keine weiche Geschwulst ist, wenigstens nicht
weicher als die Rippenknorpel, die doch nicht so leicht brechen.
Aach liegt es gewiss sehr nahe, wenn man überhaupt noch eine
Aetiologie zulässt, gerade einen Process, wie die Callusbildung,
als Ausgangspunkt der Geschwulst anzuerkennen, von dem wir
wissen, dass er an sich mit Neubildung von Knorpel verbunden
ist Liesse sich ein solcher Ausgangspunkt sicher feststellen,
80 würde damit auch für die Fälle von einfacher Quetschung eine
bestimmtere Grundlage gewonnen werden.
Freilich bleibt daneben eine grosse Zahl von anderen Fällen,
wo, nachdem eine Reihe von Jahren verlaufen ist, die Kranken
nichts mehr über die Ursache anzugeben wissen. Aber ich meine,
dass deshalb jene so vielfachen Erfahrungen nicht gering ange-
schlagen werden können. Aus der sehr sorgfältigen Statistik,
welche Karl Otto Web er ff) in seinem Enchondrombuch ge-
*) Otto. Seltene Beobachtungen zur Anatomie, Physiologie u. Patho-
logie. Heft I. Breslau. 1816. S. 83. Taf. II Fig. IX.
♦•) Lebert Trait^ d'anat. path. T. I. p. 230. PI. XXVIII. fig. 12., 13.
•••) Deutsche Klinik. 1860. S. 217.
t) C. 0. Weber (a. a. 0. S. 120) ist geneigt, diess für den Fall von
Otto nach Analogie eines anderen, von Stanley abgebildeten anzunehmen,
aber der letztere ist möglicherweise gar kein Enchondrom - , sondern ein
Myxomfall. Auch Lebert hält für den Fall von Ducluzeau die Priorität
des Enchondroms vor dem Bruch für wahrscheinlich. Sehr entscheidend wäre,
wenn er anatomisch genauer beschrieben wäre, der Fall von W. Adams
(Transact. Lond. Path. Soc. Vol. I. p. 344), wo eine aus Colloid, Enchondrom
und Cysten zusammengesetzte Geschwulst sich am Arme eines 66jährigen
ManneB fand, der vor 25 Jahren den Arm gebrochen und vor 6 Jahren ver-
renkt hatte, und seit 4 Jahren die Geschwulst bemerkte.
tt) Weber a. a. 0. S. 138.
31*
484 Sechszehote Vorlesoog.
liefert hat, ergiebt sich, dass von allen Fällen, wo überhaupt eine
Anamnese existirte, die Hälfte auf traumatische Ursachen zurück-
geführt werden konnte.
Daran darf man dann noch jene Fälle reihen, wo das Enchon-
drom an den Gelenkenden von Röhrenknochen neben chro-
nisch-entzündlichen Processen besteht, Fälle, welche Tiel-
leieht viel häufiger sind, als man bis jetzt annimmt Ich habe
zweimal derartige Enchondrome ganz zufällig gefunden, als ich
bei sogenanntem Tumor albus genu jugendlicher Individuen die
Knochen durchsägte ; man hatte eine specifische Geschwnlstbildong
in keiner Weise erwartet. Oft werden aber die Knochen gar nicht
durchschnitten und die Geschwulst, welche in der spongiösen Sub-
stanz, in der Gegend des intermediären Knorpels (zwischen Dia-
und Epiphyse) liegt, bleibt dann verborgen. — Was die Enchon-
drome der Weichtheile betrifft, so werden wir später noch sehen,
dass sie sehr gewöhnlich mit chronischen Entzündungen, zunul
des interstitiellen Gewebes zusammenhängen, und diese wieder
gehen sehr oft aus traumatischen Veranlassungen hervor. —
Betrachten wir nun im Einzelnen die Enchondrome der
Knochen, so finden wir hier zunächst eine ganz ungewöhnliche
Prädisposition gewisser Skeletabtheilungen, und zwar vor allem
der Extremitäten, also wieder derjenigen Theile, welche am
meisten traumatischen Einwirkungen exponirt sind. Auch geht
hier die Scala der Häufigkeiten, wie bei der Rachitis, von der
Peripherie gegen das Gentrum, so dass die Knochen der Hände
und Füsse, namentlich die Phalangen der Hände und die Meta-
tarsalknochen die am häufigsten befallenen Theile sind. Dann
kommen die grossen Röhrenknochen der Extremitäten, der Ober-
arm ungleich häufiger als der Vorderarm, die Tibia und der Ober-
schenkel in ziemlich gleichem Verhältniss, die Fibula sehr viel
seltener. Unter den Rumpfknochen stehen obenan die Kiefer,
die Beckenknochen und die Scapula; dann folgen die Rippen
und die Schädelknochen, namentlich die der Basis; am alier-
seltensten leiden die Wirbel, das Schlüssel- und Brustbein.
Die Bedeutung der einzelnen Form ist von dieser Frequenx-
Scala natürlich ganz unabhängig. Die Enchondrome der Finger
bringen fast niemals wirkliehe Gefahren für das Leben; sie
sind mehr lästige, unbequeme Gebilde, welche den Gebrauch der
Thoile hindorn. Gerade manche seltenere Formen haben eine
Enchondrome der Knochen. 485
ungleich grössere Bedeutung. So sind die Enchondrome der
Beckenknochen als Geburtshindernisse von sehr schwerem Ein-
flüsse, und die allerseltenste Form, das Enchondrom der Schädel-
basis *) hat die allerhöchste Wichtigkeit, da durch die Entwicke-
lung des Knorpels gegen das Gehirn und die Nerven die schwer-
sten Zufälle hervorgerufen werden können.
Die grosse Mehrzahl der Enchondrome, die aus dem Knochen
hervorgehen, entsteht in dem eigentlichen Körper des Knochens;,
eine geringe Zahl beginnt äusserlich, manchmal deutlich aus dem
Periost, manchmal so, dass wenigstens die Wahrscheinlichkeit
grösser ist, dass das Periost der Ausgangspunkt gewesen ist.
Diese beiden Formen, die inneren (centralen) und die äusse-
ren (peripherischen), unterscheiden sich m ihrer ganzen Ent-
wickelung, und man kann gewisse Unterschiede zwischen ihnen
auffinden. Allein eine scharfe Grenze existirt nicht. Namentlich
die aus der Knochenrinde hervorwachsenden (corticalen) Knorpel-
gewülste lassen sich bei einer gewissen Höhe der Ausbildung
von den periostealen nicht mehr genau absondern.
Entsteht das Enchondrom aus dem Innern des Knochens, so
kann es sehr lange ganz latent bleiben. £ä vnrd gewöhn-
lich erst entdeckt, wenn es anfängt, an der Oberfläche des Kno-
chens eine Hervorragung zu erzeugen. Letztere ist gewöhnlich
noch von Knochensubstanz gedeckt. In einzelnen dieser Fälle
ist unzweifelhaft der Ausgangspunkt des Enchondroms in der
Marksubstanz**), und das Gewächs ist daher als eine heteropla-
stiscbe Entwickelung aus dem Markgewebe zu betrachten. Andere-
mal mögen liegengebliebene Knorpelreste die Matrix abgeben.
Anderemal endlich ist es zweifelhaft, ob nicht aus der eigent-
lichen Tela ossea, der compacten Rindensubstanz die Entwickelung
anhebt; wenigstens habe ich öfters gesehen, dass neben Enchon-
dromen der Marksubstanz eben solche isolirte in der Rindersub-
stanz vorkamen (Fig. 97.). Es ist auch die unmittelbare Metamor-
phose von Knochengewebe in Knorpelgewebe im Enchondrom von
Weber***) direct verfolgt worden.
•) Joh. Müller, lieber den feineren Bau n. s. w. S. 34,49. (Derselbe
Fall bei Stanley. Diseases of the boues. p. 148. Illustrations. PI. XIII.
fig.4. XVII. fig.3. sowie bei Paget Lectures. II. p. 195,210). Hirschfeld.
Compt. rend. de l:i Soc. de Biologie. 1862. T. III. p. 94. T. Holmes.
Transact of tbe Lond. Path. Soc. 1859. Vol. X. p. 250. PL VI.
♦•) Mein Archiv. Bd. V. S. 248.
•••) C. 0. Weber a. a. 0. S. 83.
486
Secheiehnte Vorlesung.
Je grösser die Geschwulst wird, um so starker wird natür-
lich dif äussere Frotuberanz des Knochens, aber nicht dadurch,
dass, wie noch in der neueren Zeit Viele angenommen haben,
die Knochenrindc einfach ausein andei^eschoben wörde, sondero,
wie das schon Astley Cooper*) vor vielen Jahren bei derTon
ihm sogenannten inneren oder medullären knorpeligen Ex-
ostose geschildert hat und wie ich es von den Fibromen der
Fig. 91. Knochen erwähnt habe (S. 361), dadurch,
dass von »usBen aus der Beiobaut nea«
Knochenschichten üich hemmlegen, in dem
Maasse, als von innen durch das Wachsen
der Geschwulst eine Vermindeiung des
Knochengewebes stattfindet. So entsteheo
die von Müller sogenannten „EnchoD-
drome mit knöcherner Schale." Bei weite-
rem Wachsthum wird freilich die SchaJe
immer dünner; endlich fehlt sie an einzel-
nen Stellen, so dass man nur noch Scher-
ben und Platten von Knochensubstanz über
die Oberfläche zerstreut antrifft. Dieser
periostealen Schalenbildung entspricht zu-
weilen eine innere, medulläre OssUicaticiD,
weklie im Umfange der entstehenden £n-
chondrom knoten mehr und mehr neue, to-
weilen geradezu sklerotische Knochenmassen
und eine Obliteration der Markhöhle bedingi
(Fig. 97), Einen specifischen Unterschied,
wie Müller ihn verlangt hat, von £ochoo-
dromen mit knöcherner und solchen ohne
knöcherne Sehale kann man jedenfalls nicht aufetelleo, denn end-
Fiß. 97. Ukeröses Enchondrom des Humerus. Han sieht auF den
Diirehschnitt die einzelnen, haufenweise gruppirten Lappen aonohl in iti
Riclitung der Markhöhle und der Rinde den alren Knöchern, als auch at>«i
die lelzlere hinauscehcn. An IcUtercr Stelle war diis Präparat erveicbt
und zum Thei] bei dem DurrhaS^cn verletit; sonst »Qrde eine noch neiter
hervortretende Knorpel niasiic sichtbar sein. Ringsum die Knorpelkiioten m-
wohl in der UarkhOhle, als an der Oberflilche dca Knochens sehr dichte, nea-
£ebildete Knocbemtubstanz. Nach einer von Herrn L Maj'er entworfenn
Zeichnung, ura die Hälfte verkleinert. PrSparat Ko. 2115. Abtheifung VL
{127 vom Jahre I8a2) der Wßreburger Sammlunc.
•) A. Cooper and B. Travers. Surgical easays. Und. 1818. P. '■
p. 173.
Lappiger Ban des EncboDdroms. 487
Itch wird jedes grossere Enchondrom schatenlos. Diejenigen aber,
die ureprünglich keine Schale haben, bekommen auch späterhin
keine.
Untersucht man ein inneres Enchondrom der Knochen ge-
nauer, nachdem es eine gewisse Grösse erreicht hat, so ergiebt
sich als Regel, dass es sich nicht als Einheit darstellt, sondern
das8 es aus einer gewissen Zahl von kleineren Abtheilungen,
Knoten, oder wenn man will, Lappen besteht, ähnlich wie ein
Fibrom, Lipom oder Myxom (Fig. 97 u. 98). Es unterscheiden sich
die einzelnen Abarten nur dadurch, dass die Abgrenzungen bei ein-
zelnen deutlicher, bei anderen undeutlicher sind. Letztere zeigen
eine mehr homogene Schnittfläche, wo man sehr genau znsehen
muss, wenn man die einzelnen Abschnitte erkennen will, während
bei den anderen sich das lappige Wesen gleich auf den ersten
Blick zu erkennen giebt.
C. 0. Weber und Cruveilhier haben danach eine Unter-
scheidung gemacht, indem sie diejenigen Formen, welche die
Abtheilungen deutlicher zeigen und bei welchen jede Abtheilang
ihre weiteren Veränderungen mehr unabhängig durchmacht, mit
dem Namen der areolären oder auch wohl der cystischen
Fig. 98. Theil der DurchschnittsflSche eines HaDDBkopfgrosaen, lappi-
gen (areolären) tirweichendeii (multiloctilären) Rncliondroms der Beclcen-
knochen. Man sieht die Abtbeilungen der einzelnen Läppchen und die cen-
trale Erreichung der letzteren. (Präparat No. 139.).
488 Sechszehnte Vorlesung.
belegt haben. Diese Unterscheidung ist meiner Ansicht nach
nicht haltbar. Eine vollständige Trennung der Unterarten lässt
sich gar nicht machen; jedes Enchondrom ist in gewissem Sinne
areolär*), oder, wie man wohl besser sagt, lappig (lobulär), es
besteht aus einem Multiplum von Knoten, und jeder einzelne
Knoten ist eine Entwickelung für sich, jeder einzelne bat einen
unabhängigen Ausgangspunkt. Mit anderen Worten, jedes grössere
Enchondrom wächst nicht aus einem Heerde hervor, der sich
excentrisch vergrössert, sondern es wächst dadurch, dass sich
neben einem schon bestehenden Heerde (Knoten, Lappen)
neue Heerde bilden, sich concentrisch dem ersten Heerde
anschliessen und jeder dieser neuen allmählich von innen heraus
bis zu einer gewissen Grösse anwächst. Es kann dabei zugleich
inmitten der neugebildeten Knorpelmasse wiederum die Bildung
neuer Heerde und Knoten stattfinden, indem einzelne Zellen oder
Zellengruppen zu wuchern beginnen und die umgebende Enchon-
drommasse auseinanderdrängen. Aber das Wachsthum eines jeden
Knotens ist ein beschränktes; es ist nicht ungemessen. In der
Regel erreicht der einzelne Knoten höchstens die Grösse eines
Kirschkerns bis zu der einer Kirsche, selten mehr, oft weniger.
Erwägt man nun, dass die Enchondrome nicht selten bis
zur Grösse eines Kindskopfs wachsen, zuweilen noch viel grösser
werden, so kann man leicht ermessen, dass ein solcher Umfang
nur erreicht werden kann, indem an den Mutterknoten (S. 50)
immer mehr accessorische Knoten sich anfügen, von denen jeder
neue wiederum hervorgeht entweder aus einer Zelle, oder aus
wenigen, unter sich zusammenhängenden Zellen des Muttergewebes.
Unzweifelhaft ist also jedes grössere Enchondrom ein
Multiplum, so sehr es sich auch als eine Einheit dar-
stellen mag. Die Untersuchungen über die Multiplicität haben
schon hier zu beginnen, und die erste Frage ist wiederum, ob
die Secundärknoten abhängig sind von dem Mutterknoten. Meiner
Meinung nach muss man hier wohl unterscheiden. Bei gewissen
Secundärknoten habe ich keinen Zweifel, dass ihre Bildung schon
eine Dissemination in die Nachbarschaft voraussetzt, also
eine Art von Ansteckung, von Contagion der Nachbarge-
webe darstellt. Ich meine das so: Gesetzt, wir hätten einen Röhren-
•) Medicinischc Reform. 1849. No. öl. S. 271.
Matter- und Nebeoknoten des Enchondroms. 489
knoehen mit einer dicken Rinde und es entstünde die erste
Geschwulst, der Mutterknoten in der Markhöhle, so entwickeln
sich die folgenden (accessorischen) zum Theil in der Markhöhle,
zum Theil in dem compacten Gewebe der Rinde. Je mehr neue
Knoten entstehen, um so mehr wird die Geschwulst lappig, sie
dehnt sich immer mehr aus, es geht immer mehr Mark- und
Knochengewebe in Knorpelgewebe über, und nur dadurch, dass
sich aussen aus dem Periost neue Knochensubstanz ansetzt, kann
die Schale erhalten werden.
Dass die Bildung der Secundärknoten von selbständigen
Heerden ausgeht, das ist augenfällig, da die einzelnen zuweilen
ganz von einander getrennt sind durch unverändertes oder höch-
stens entzündlich (irritativ) verändertes Muttergewebe. Es kann
also nur der Punkt in Frage kommen, ob die Nebenknoten nicht
ganz und gar unabhängig sind von dem Mutterknoten. Denn
dieselbe Multiplicität, welche den lappigen Bau des Enchondroms
bedingt, äussert sich auch in dem Auftreten unabhängiger Heerde
in benachbarten Knochen. Am bekanntesten ist in dieser Bezie-
hung das Erkranken mehrerer oder vieler Knochen der Hand
und des Fusses, wobei crfahrungsgemäss die aneinanderstossenden,
wenngleich durch ein Gelenk getrennten Knochenenden besonders
ausgesetzt sind*). Dasselbe wiederholt sich am Kniegelenk, wo
die Gelenkenden des Femur und der Tibia von der enchondro-
matösen Wucherung ergriffen werden. Man kann nun freilich ein-
wenden, dass auch hier die Erkrankung nur aus einer gemein-
schaftlichen Prädisposition hervorgehe. Indess ist doch fast immer
die Geschwulstbildung an dem einen Knochen ungleich weiter
vorgerückt, also dem Anschein nach älter und früher, als an
dem anderen; ja zuweilen zeigt sich in dem einen höchstens der
kleinste Keim, während in dem anderen die vollständigste Ent-
faltung vorhanden ist. Allerdings entscheidet dies nicht, und man
muss zugestehen, dass der Weg einer etwa anzunehmenden Infec-
tion schwer anzugeben ist Denn die Gelenkknorpel bleiben fast
immer ganz unversehrt und nur zuweilen kommt es vor, dass das
Enchondrom von aussen her dieselben umwuchert und in das
Gelenk eindringt.
*) C. 0. Weber a. a. 0. Taf. I. Fig. 2. Gluge. Atlas der path. Anat.
Lief. Y. Taf. V.
490 Sechszebnie VorlesuDg.
Wenn daher dieser Punkt wenig geeignet ist, die Frage tod
den contagiösen Eigenschaften des Enchondroms zn erledigen, 80
bleibt nur die Berücksichtigung der umgebenden Weichtheile übrig.
Lange hat man geglaubt, dass das Enchondrom niemals die Grenzen
des Organs überschreite, in welchem es sich entwickelt. Man wies
darauf hin, wie die Sehnen, die Nerven und Gefässe neben dem
Enchondrom, ohne mit ihm Verbindungen einzugehen, vorüber-
laufen, ja wie sich zuletzt an der Oberfläche der Geschwulst tiefe '
Rinnen und Furchen bilden, indem das Enchondrom die genannten
Theile um wuchert, immer von dem Periost überzogen. Dies ist
unzweifelhaft richtig, aber nicht für alle Fälle. Schon Range*)
berichtet von einem Enchondrom des Fingers, wo die Enchon-
drommasse die Fascie durchbrochen und sich zwischen ihr ond
der Haut entwickelt hatte. Er betrachtet dies freilich als ein
Hinauswachsen der Geschwulst, aber seine Zeichnung zeigt, dass
auch die zwischen Haut und Fascie gelegene Masse aus einzelnen
Knoten bestand. Graf**) beobachtete bei einem Enchondrom
des Os ilium bestimmt das Vorkommen von Knorpelzellen in
dem umgebenden Bindegewebe und den Muskeln. Ich habe dann
an einem Enchondrom des Schulterblattes gezeigt***), dass die
Erkrankung sich auf die Weichtheile selbst ausbreitete, auf Hals
und Oberarm überging und hier nicht blos zwischen den Muskeln,
sondern auch am Knochen neue Eruptionsstellen erzeugt hatte.
Die Fortleitung des Processes geschah hier in dem Bindegewebe,
wie es später in anderen Fällen ganz ähnlich gesehen ist und
wie es sich bei den Enchondromen der Weichtheile regelmässig
in grosser Deutlichkeit beobachten lässt. Wenn ich es also auch
dabin gestellt sein lasse, ob nicht die Multiplicit&t in mehreren
getrennten Knochen als ein Ausdruck weit verbreiteter Disposition
aufzufassen ist, so halte ich doch die Infection in continuirlich
verbundenen Theilen für ausgemacht, und somit gelten mir aach
die accessorischen Knoten innerhalb des Knochens als Erzeug-
nisse einer von dem Mutterknoten ausgehenden Infection.
Betrachten wir nun die Zusammensetzung eines aus ursprünf:-
lichen und accessorischen Knoten gebildeten Gonglomerates,
*) G. Range. De enchoDdromate. Dies, inaug. Halis. 1848. p. 12. 6g. ^
**) Ed. Graf. De enchondromate. Diss. inaug. Grypb. 1851. p. 17.
♦♦♦) Mein Archiv. I8f)3. Bd. V. S. 230.
AeuBsere und innere Enchondrome der Knochen. 491
das wir kurzweg EDchondrom nennen, genauer, so ergiebt sich
Folgendes :
Zwischen einzelnen Knoten, die aus Knorpelgewebe bestehen,
finden sich Septa, eine Art von Netz- oder Maschenwerk, wel-
ches wiederum in den einzelnen Fällen verschieden ist, indem
es manchmal blos aus einem derberen fibrösen Gewebe, manchmal
aus Knochensubstanz besteht. Diese Septa sind es, welche die
Gefasse enthalten; die eigentlichen Knoten sind vollkommen ge-
f&sslos (S. 474). Die Septa sind zum Theil das alte, nicht
enchondromatös gewordene Gewebe, der Rest des früher vorhan-
denen Parenchyms; zum Theil bestehen sie aus neuen, mehr
hyperplastisch entwickelten Geweben, die neben und mit der
Enchondrombildung zu Stande kommen. Je geringer diese Zwi-
schenmasse ist, um so mehr wird der Durchschnitt eine glatte
Fläche darstellen; je loser und reichlicher die Zwischenlage ist,
um so deutlicher sieht man die einzelnen Knoten von einander
getrennt (S. 487). —
Bis hierher habe ich mich in meiner Darstellung wesentlich
an die primär inneren Enchondrome der Knochen gehalten. Es
erübrigt, einige Bemerkungen über die äusseren hinzuzufügen.
Sie unterscheiden sich von den ersteren dadurch, dass ihnen so-
wohl das Latenzstadium, als die knöcherne Schale fehlt. Indess
kann das letztere Zeichen nicht als ein eigentliches Unterschei-
dungsmerkmal dienen, da auch innere Enchondrome frühzeitig
das Periost erreichen und seine Fähigkeit zur Ossification unter-
brechen können. Die ursprüngliche Eintheilung A. Cooper's
in medulläre und periosteale Formen wäre jedenfalls vor-
zuziehen, wenn es sicher wäre, dass die inneren immer vom
Mark und die äusseren von der Beinhaut ausgingen. Besser ist
die von Jul. Vogel*) gebrauchte Eintheilung in centrale und
peripherische, obwohl auch gegen den Ausdruck central sich
einwenden lässt, dass er nicht immer genau ist. Cruveilhier **),
welcher die letzteren früher Osteochondrophyten nannte, hat
jetzt den Namen der Perichondrome dafür vorgeschlagen.
Beide Bezeichnungen scheinen mir nicht zulässig zu sein, die
*) Jul. Vogel. Pathol. Anat. S. 195.
♦♦) Cruveilhier. Anat. path. Livr. XXXI V. PI. 4 — 5. Trait4 d'anat.
path. T. III. p. 781.
492 Sechs zehnte Vorlesung.
erstere schon deshalb nicht, weil sie in Beziehung auf den Zusatz
Osteon einen unzulässigen Doppelsinn einschliesst, beide aber
deshalb nicht, weil das äussere Enchondrom seinem Wesen nach
dieselbe Geschwulstform ist, wie das innere. Man muss nur das
Osteoidchondrom nicht damit zusammenwerfen, wie es wohl öfters
geschehen ist. Ich ziehe es daher vor, äusseres oder peri-
pherisches Enchondrom zu sagen.
Die Voraussetzung, dass die Beinhaut der regelmässige Aus-
gangspunkt desselben sei, hat allerdings viel Wahrscheinlichkeit
für sich, indess ist der Beweis häufig nicht scharf zu fuhren, und
manche äussere Enchondrome sind überhaupt nicht als periosteale,
sondern als corticale Geschwülste der Knochen selbst
aufzufassen. In der Regel ist die Basis der Geschwulst mit dem
Knochen selbst innig verbunden, und Gruveilhier hat ganx
richtig bemerkt, dass man häufig drei verschiedene Schichten
unterscheiden kann : eine äussere, knorpelige, darunter eine krei-
dige und zu Unterst eine knöcherne, welche ebenso fest mit dem
Knochen zusammenhängt, wie die äussere, knorpelige mit dem
noch erhaltenen Periost. Zuweilen sitzt die Geschwulst sogar
durch einen knöchernen Stiel am Knochen an*). Die Markhöble
des Knochens kann ganz frei oder durch innere Verknöchenmg
obliterirt sein, jedoch giebt es auch Fälle von ganz überwiegend
nach aussen entwickeltem Enchondrom, wo der Knochen inner-
lich, selbst in der Markhöhle, gleichfalls neugebildete Knorpel-
knoten enthält**). In diesem Falle fehlt gewöhnlich die knöcherne
Basis der Geschwulst, ja sogar jede ausgiebigere Verknöcherung
und Verkalkung, und in mehreren Fällen fand sich in besonders
grosser Ausdehnung cystoide Erweichung.
Rechnet man die Ecchondrosen ab, so scheint sich das peri-
pherische Enchondrom von dem inneren wesentlich dadurch lu
unterscheiden, dass es in späteren Lebensjahren zur Entwicklung
kommt. Damit stimmt überein, dass auch die Prädilections-
stellen nicht dieselben sind. Ein besonders häufig leidender Tbeil
ist das Becken***), welches von unzweifelhaft inneren Enchon-
•) Gluge. Atlas. Lief. IV. Taf. I. fig. 10., 11. S. 9. Rouyer. Bullet
de la JSoc. anat. 1857. p. 50.
••) Pa{:;et. Lectures. II. p. 193.
***) John Hughes Bennett. On cancerons and cancroid growtbs.
Kdinb. 1849. p. 110. Fichte a. a. 0. S. 58 (Abbildung). Ed. Grat De
Peripherische Enchondrome der Knochen. 493
dfomen *) sehr selten heimgesucht wird. Sehr umfangreiche
Geschw&lste bilden sich hier, allerdings am häufigsten an den
Stellen, welche den Synchondrosen und früheren Knorpelfugen
entsprechen, nehmlich am hinteren Umfange des Darm- und
Kreuzbeines, am horizontalen Aste des Schambeines u. s. w.
Aehnlich verhält sich das Schulterblatt**). Die kleinen Knochen
der Hand und des Fusses leiden ungleich seltener an dieser Form,
doch sind sie nicht ganz frei davon***). Was die grösseren Röhren-
knochen f) betrifft, so ist es vielfach zweifelhaft, ob die an ihnen
beschriebenen peripherischen Enchondrome nicht mehr der osteoiden
Varietät angehören. Ebenso bin ich zweifelhaft über die Enchon-
drome der Gesichtsknochen, unter denen namentlich der Oberkiefer
zu erwähnen istft). Oscar Heyfelder ftt) hat eine Reihe von
Fällen zusammengestellt; darnach könnte es scheinen, dass es
ein von der Oberkieferhöhle ausgehendes peripherisches Enchon-
drom giebt.
Alle peripherischen Knorpelgeschwülste kommen darin überein,
dass sie sich weit über die Knochenfläche erheben, dass sie nach und
nach die Knochen umwachsen, sie zum Theil durch Druck atro-
phiren und nach verschiedenen Richtungen hin Auswüchse, Fort-
sätze oder Knollen aussenden*t). Das gilt von den eben erwähnten
Geschwülsten der Oberkiefer, welche gegen die Nasen- und Augen-
höhle hin sich fortschieben. Das merkwürdigste Beispiel jedoch
erzählt Paget**t) von einem Enchondrom im Museum des St. Bar-
enchondromate. p. 17. Oruveilhier. Traitc d'anat. path. T. 111. p. 792.
H. Meckel. Gbarite-Annalen. Yll. 2. S. 70. H. Hildebrandt. De enchon-
dromate quodam in pelvi observato. Diss. inaug. Regiom. 1856. A. Förster.
Wiener Med. Wochenschrift. 1858. No. 22. S. 381.
*) Dolbeau. Bullet, de la Soc. anat. 1859. Dec. p. 338.
♦♦) Ginge. Atlas. Lief. IV. Taf. I. fig. 1-9. S. 8. Rouyer. Mon.
des höp. 1856. No. 137. (gestielte Geschwulst).
♦♦♦) Oruveilhier. Traite d'anat. path. T. 111. p. 787, 793. C. 0. We-
ber. Knochengeschwülste. 1. 8. 73. Gray. Transact. of the Lond. Path.
Soc. Vol. II. p. 114.
t) Bransby Cooper. Med. Times. 1852. Febr. p. 213. Paget. Lec-
turea. II. p. 191. Busk. Transact. of the Lond. Path. Soc. 1857. Vol. VIII.
p. 378. PI. IX. Schuh. Pseudoplasnien. S. 137.
ff) B. Beck. Histologie u. Therapie der Pseudoplasmen. S. 39.
ttt) 0. Heyfelder. Mein Archiv. Bd. XL S. 524. Taf. VII Fig. IL
♦f) 0. Heyfelder (Mein Archiv. Bd. XUL S. 99) beschreibt einen sehr
charakteristischen Fall vom Hunde, wo die Rippen der Ausgangspunkt
waren •
••f) Paget. Lectures. IL p. 196.
494 Secbszehnte Vorlesung;.
tholomews Hospital, welches von den Rippenköpfchen ausging und,
indem es durch die Intervertebrallöcher in den Wirbelkanal ein-
drang, Compression des Rückenmarks und Paralyse erzeugte. —
Die spätere Geschichte der Knochenenchondrome
entspricht dem, was ich schon im Allgemeinen bemerkt habe
(S. 474 — 476). Verhältnissmässig häufig ist gerade bei ihnen zu
Flg. 99. beobachten, wie der einzelne, vorher ganz feste Knoten
central erweicht und sein innerster Kern sich in eine
Flüssigkeit verwandelt (Fig. 98, 99). Der Knoten
wird zu einer Art von Cyste**). Dies kommt so-
wohl bei den harten, als den weichen Enchondro-
men vor, doch neigen gerade die letzteren, sowohl
in ihrer schleimigen, als albuminösen Form (S.471) verhältnissmäs-
sig mehr dazu. Dabei kann man mikroskopisch beobachten, wie
die zelligen Elemente die fettige Metamorphose eingehen, während
die Intercellularsubstanz faserig oder streifig wird, und zuletzt sich
in zähe, schleimige Flüssigkeit verwandelt, welche, wenn sie fertig
ist, die Charaktere von wirklichem Schleim darzubieten pflegt,
also eine mucinöse Erweichung***). Kommt diese an vielen
Knoten zu Stande, so entsteht ein multiloculäres Cystoid.
Diese Form ist früher unzweifelhaft, wie man aus den Beschrei-
bungen nachweisen kann, als eine blos cystische Krankheit, wohl
auch als Cystosarkom beschrieben worden. Zwei Präparate unserer
Sammlung, ein Enchondrom vom Mittelfuss und ein anderes von
den Beckenknochen zeigen dies ipi grössten Umfange f).
Wenn diese Erweichung fortschreitet, so schmilzt nach und
nach immer mehr von dem Knorpelgewebe ein, und es kommt
dann zuweilen vor, dass fast die ganze Masse einzelner Lobuli
in eine schleimige Flüssigkeit verwandelt wird. Endlich erreicht
Fig. 99. Gystischcs erweichendes albuminöses Enchondrom der Sci-
pula (vgl. mein Archiv. Bd. V. S. 226. Taf. I. Fig. 6.). Ein accessorischer,
in der Nachbarschaft des alten, mitten im Muskelgewebe gebildeter Knoteo
mit centraler, schleimiger Erweichung. An der Wand unterscheidet man
eine bindegewebige Hülle (Kapsel, Pericjstium) und die noch harte Knorpel*
masse, welche nach innen eine zellige Obcrfiäche besitzt. Zeichnung too
A. Mayer.
•) Mein Archiv. Bd. V. S. 231, 244, 247.
••) Einen ausgezeichneten Fall der Art beschreiben Wedl (Path. Histo-
logie S. 577), Schuh (Pseudoplasmen. S. 138) u. 11. M ecket (Cbarite-
Annalen. VIl. 2. S. 83)
***) Präparat No. 59. vom Jahre 1855. und No. 739.
Erweichung der Encboodrome.
die nengebtldete Höhle das Septnm, welt/hes den Lobulus umgiebt,
uad weon nun an mehreren, neben einander gelegenen Lobulis die-
selbe VerändeniDg vollendet wird, dann lOsen sich späterhin auch
die Septa anf und es entsteht eine Conflueni Ewischen den Höhlen
im Innern
Während diese Emschmelzung vor sich gebt, kann sehr wohl
im Umfange der Geschwulst immer noch ein weiterer Nachschub
Flg. 100 MiLroskopisiber Srbnitt aus dem ii fig 99. abgebildeteD
Kall (Archiv Bd V Tnf II Fig 1) 350ma] ge VergrCaseruag. Bei a die
mit grossea Ivernen und FetttrCpfchen verseheoeD blasseo Zellen in hyaliner
tirandaubsUnz ohne Kapseln Bei b beginnende Fett metamorph ose der Zel-
len und fasenge Umbildong der IntercellulaTsubstani Bei e vollatSndlge
FettmeUmoipboae der Zellen Zuoshme des faserigen Aussehens. Bei d
Hangel »n Zellen Verscbwinden des Fettes Zeichnung von Herrn C. Ge-
genbftur.
496 Sechazehnte Vorlesung.
stattfinden. Da bitdeo sich vielleicht wieder neue Knoten, und
so enteteben grosse Geschwülste, welche in ihrem Innern manch-
mal ganz zerklüftet erscheinen, indem die lleberreste der früheren
Septa als fetzige Massen in die HOhle hereinhängen , zum Theil
mit Knorpelresten bekleidet, während im Umfange eine junge,
lobuläre Masse sich findet. Die Hoble selbst pflegt mit einer
fadenziehenden , zuweilen gallertigen, synoviaartigeo , oft dorch
hämorrhagische Beimischungen gefärbten Flüssigkeit erfüllt zn
sein, in welcher mehr oder weniger zahlreiche, durclischeinende,
wie aufgequollene SagokSrner aussehende Bruchstücke des Knor-
pels schwimmen. Diese Form bat man nicht mit Unrecht mit
dem Namen des Enchondroma cysticum (Cystenchondroma]
bezeiclinet. Oft gehört eine sehr sorgfältige Untersuchung dazu,
um einer solchen Geschwulst anzusehen, was sie ursprünglich
gewesen ist. Man kann sehr leicht auf die Vermutbung kommen,
irgend eine andere Cystengeschwulst vor sich zu sehen, ein
Hygrom, ein Cystosarkom, wo doch ein ganz exquisites Enchou*
drom vorliegt.
Die erste Geschwulst, bei der es mir gelungen ist, diese Ent-
Wickelung für das Enchondrom genauer nachzuweisen, Ja über*
haupt die erste Geschwulst, wo ich die Entwickelung pathologisch
heterologer Gewebsmasse aus Bindegewebe darthun koonte, die
also für die Geschwulstdoctrin eine gewisse Bedeutung gehabt
Fig. 101. Innere Oberfläclie d(?8 in Fig. 90. und 100. beliuiddM
CysteDclioudroms der Scapula. Aus dem Mutterkooten. Die Torliegeide
Flftthe ist zum Theil glatt und voo Knorpel entblOast, mm Ttieil mit hlktt-
rigeo Knollen und Leisten begetit, welche mit Knorpel (dem noch nicht er-
weichten Ueberreist der frUher Goliden Masse) beUeidet siad. Zeichnaag
Ton Herrn Louis Hayer.
Ulceration der EnchoDdrome. 497
hat, war eine von Hrn. T e x t o r resecirte, recurrirende Geschwulst
der Scapula *) , deren ich schon vorher ( S. 47 1 ) gedachte. Die
Anschwellung wölbte sich nach beiden 'Seiten hin aus der Platte
der Scapula zwerchsackförmig hervor und bildete eine unregel-
mässige Doppelcyste, die mit einer klebrigen Flüssigkeit gefüllt
und innerlich mit allerlei Leisten, Strickwerk und Franzen be-
setzt war (Fig. 101). Allerdings fanden sich an diesen letzteren
gewisse Stellen, die an Knorpel erinnerten, aber doch keines-
wegs so, dass man mit Bestimmtheit sagen konnte, es sei Knor-
pel. Erst nach längerer Zeit, als sich ein Recidiv bildete neben
der Narbe der früheren Exstirpation , ergab sich, dass in der
Nachbarschaft überall neue Knoten hervorwuchsen, die grösser und
grösser wurden, im Centrum cystisch erweichten und jeder für
sich eine kleine Cyste bildeten (Fig. 99). Indem mehrere von
ihnen zusammenflössen, entstanden grössere Säcke. Je weiter
ich diese Bildungen genetisch verfolgte, um so mehr kam ich
auf immer kleinere und kleinere Punkte zurück, bis zuletzt der
üebergang in das Bindegewebe und damit die neue Erkenntniss
von der Transformation physiologischer Gewebe in pathologische
Gewebe mit heterologem Charakter festgestellt war.
Diese cystoiden Formen können späterhin, wenn sie sich
sehr vergrössern, aufbrechen, sie können ihren Inhalt entleeren,
es kann eine zottige Cavität zurückbleiben, deren Inhalt faulig
wird, und welche ein sehr unangenehmes Geschwür bildet.
Dann liegt die Verwechselung mit malignen krebsigen Geschwüren,
mit schlimmen Fungen sehr nahe. Die festeren Formen dagegen,
welche in grösseren Röhrenknochen und Phalangen sich ausbilden,
bestehen meist sehr lange Zeit, indem sie langsam anwachsen
und ihre mehr compacte Beschafl'enheit bewahren. Sie sind es
auch, von denen ausgesagt worden ist, dass das Enchondrom sich
unschmerzhaft entwickelte und keine anderen Zufalle mit sich
brächte, als diejenigen, welche durch die Grösse und den Druck
der Geschwulst bedingt würden. Erst durch die genauere Kennt-
niss der cystischen und ulcerösen Formen, die viel schneller
wachsen, hat sich ergeben, dass Schmerzlosigkeit und Gutartig-
keit keine allgemeinen Eigenschaften der Enchondrome sind.
•) Mein Archiv. 1853. Bd. V. S. 216. Taf. I. Fig. 6., 7. Taf. IL Dazu
gehören auch die in den gegenwärtigen Text aufgenommenen Fig. 99—101.
Virchow, Oetchwnltt«. 1. 32
498 Sechszehnte Vorlesung.
Manchmal entwickeln sie sich unter so grosser Schmerzhaftigkeit
und mit so üblen Einwirkungen auf den ganzen Körper, dass sie
auch in dieser Beziehung 'an sehr maligne Geschwülste sich an-
schliessen.
Die festeren Formen zeigen mehr Neigung zur Verkalkoog
und Yerknöcherung. Man muss hier die blosse PeMfiea-
tion (Incrustation) einzelner Abschnitte sowohl von der wirk-
lichen Verknöcherung einzelner Geschwulsttheile und von der
periostealen Auflagerung, welche die Schale bildet, als auch von
den Resten des alten Knochens, welche sich als Septa in den
Knoten finden*), unterscheiden. Die eigentliche Verknöcherung
ist bei den reinen Enchondromen im Allgemeinen eine beschränkte.
Es finden sich allerdings in der Literatur nicht wenige Beispiele
von Knochengeschwülsten aufgeführt, wo man berichtet, das
sie aus Knorpelgeschwülsten hervorgegangen seien; ja es wirf
von manchen Autoren behauptet, dass die Exostosis ebumei
regelmässig daraus hervorginge. Ich habe mich darüber schoi
früher ausgesprochen und rechne diese Formen nicht zn den
Enchondromen (S. 475). Das wirkliche Enchondrom ossificiit
in der Regel, auch wenn es zwanzig und dreissig Jahre lang n
seinem Wachsthum gebraucht, doch nur partiell, wie denn über-
haupt die harten Formen zu weiteren Veränderungen sehr wenig
neigen. Selbst schwere Verletzungen werdon oft sehr gut ertra-
gen. Das beweist der sehr charakteristische Fall von Dieffen-
bach**), wo im Laufe der Zeit bei einer schwer zu operireodci
Geschwulst des Unterkiefers immer nur Bruchstücke exstirpiit
wurden, ohne dass eine erhebliche Veränderung des Restes oder
ein stärkeres Wachsthum erzeugt worden wäre. Je weicher und
gefassreicher die Geschwulst ist, um so grösser pflegt auch ihre
Vulnerabilität zu sein, und die Geschichte der Chirurgie entbllt
eine grosse Zahl von Beispielen, wo Enchondrome, welche
neuen Insultationen ausgesetzt wurden oder eine reizende Behand-
lung erfuhren, in beschleunigtes Wachsthum geriethen. —
Gerade das Enchondrom der Knochen ist nach dem Vor-
gange von Job. Müller lange als eine unbedingt gutartige Ge-
schwulst betrachtet, die mit aller Sicherheit exstirpirt werden
*) A. Baur. Reichert* uud du Bois' Archiv 1859. S. 291.
**) Dieffenbacb. Operative Chirurgie. Bd. U. S. 62.
Maligne Enchondrome. 499
könne und nach der Operation, wenn sie ganz exstirpirt ist, nie
wiederkehre. Die Erfahrung der neuesten Zeit hat in sehr em-
pfindlicher Weise gezeigt, dass das ein Irrthum war. Wir haben
schon gesehen (S. 490), dass das Enchondrom, wie es seiner
heteroplastischen Natur und seinem oft sehr beträchtlichen Saft-
reichthum nach wahrscheinlich war, zu den infectiösen Ge-
wächsen gehört, die, wenn sie einmal bestehen, einen ähn-
lichen Proc:iss in anderen, selbst entfernten Theilen wach rufen
können. Glücklicher Weise ist dies nicht häufig; man findet es
überwiegend bei den weichen, gallertigen, saftreichen Formen.
Aber es kommt doch vor. Allerdings beschränkt sich in der Mehr-
zahl der Fälle die Ansteckung auf die nächste Umgebung, und
die Geschwulst greift nur local weiter, aber die Folge davon ist
denn doch, dass eine Geschwulst, die ursprünglich im Knochen
sass, allmählich in die Weichtheile übergeht und dass sich selb-
ständige Enchondromknoten in den Weichtheilen neben und ausser
dem Knochen ausbilden.
Bei dieser Verbreitung in die Weichtheile ist in sehr sel-
tenen Fällen eine Eigenthüralichkeit beobachtet, die jedoch viel-
leicht häufiger ist, als man darauf geachtet hat, nehmlich die
Bildung von enchondromatöser Masse in den Blut-
und Lymphge fassen. Die ersten Beobachtungen dieser Art
wurden ziemlich gleichzeitig von Paget*) und mir**) gemacht,
von dem berühmten englischen Chirurgen an einem Enchondrom
des Hodens, von mir an einem von der Fibula, wo lange, cylin-
drische, glatte Enchondromzapfen lose in die stark erweiterten,
dünnhäutigen Gefässe der Nachbarschaft hineingingen und sich
in denselben fortgeschoben hatten. Sie verhielten sich am Um-
fange wie embryonaler Knorpel oder wie Schichten von Peri-
chondrium und gingen an gewissen Stellen continuirlich in das
umliegende Bindegewebe über.
Weiterhin können die entsprochenden Lymphdrüsen en-
chondromatös erkranken. Es ist alich das freilich eine bis
jetzt nur selten beobachtete Erscheinung. In dem Fall, den ich
vorhin citirt habe, von der Scapula, habe ich***) zuerst neben einer
ausgedehnten Verbreitung auf die Weichtheile die umfangreichste
♦) Paget. Med. cliir. Transact. Vol. XXXVIII. 1855. PI. I.-V.
♦♦) Mein Archiv. 1855. Bd. VIII. S. 404.
•♦•) Mein Arcliiv. Bd. V. S. 230.
500 Seehszehnte Vorlesung.
Enchondrombildung in den Lymphdrüsen am Halse gefunden.
Förster*) beschrieb einen Fall von peripherischem Enchon-
drom des Darmbeins, wo an der Stelle der Lumbardrüsen eine
grössere Geschwulst lag, welche freilich nur wenige deutlich
knorpelige Stellen enthielt und mehr einen schleimig -markigen
Charakter hatte.
Aber die mögliche Malignität beschrankt sich nicht daraaf,
sondern wir wissen gegenwärtig, dass auch Erkrankungen an
entfernteren Knochen vorkommen können. Von diesen ist
allerdings ein Theil insofern zweifelhaft, als man nur die Mul-
tiplicität der Enchondrome in verschiedenen Skelettheilen, aber
nicht die successive Entstehung constatiren kann. Davon gibt
es eine Menge von Beobachtungen. Zuerst kennt man schon
seit ein paar Jahrhunderten Fälle, wo bei denselben Tndividoei
alle Phalangen einer Hand, oder beider Hände, oder auch nofk
die Fusswurzel- oder die Zehenknochen zu gleicher Zeit oder
hintereinander ergriffen wurden. Ich fand gleichzeitig Enchon-
drome in der Markhöhle des Oberschenkels und in den Fuss-
wurzelknochen**). Wedl***) schildert einen Fall, wo gleich-
zeitig im untern Ende des Femur und der Tibia, sowie im Mit-
telfussknochen und der ersten Phalanx der grossen Zehe dersel-
ben Extremität Enchondrome vorkamen. Dolbeauf) amputirte
das Bein einer 25jährigen Frau wegen Enchondrom der Tibia
und fand, als kurz darauf der Tod eintrstt, ein Enchondrom des
Darmbeins. In allen diesen Fällen kann man eine ähnliche E^
klärung suchen, wie bei den Warzen, Lipomen u. s. w. (S. 39),
indem man annimmt, dass eine krankhafte Disposition der Ge-
webe von früh besteht. Ja wenn, wie in dem Fall von Schuh ttX
alle Knochen eines 12jährigen Mädchens mit Ausnahme der Schä-
del- und Wirbelknochen befallen waren, so bleibt nichts anderes
übrig, als auf eine ursprüngliche Anlage zurückzugehen.
Anders verhält es sich aber, wenn derselbe Process innere
Organe befallt, und, wie jetzt durch, wie ich glaube, fünf oder
•) A. Förster. Wiener Med. Wochenschrift. 1858. No. 22.
*♦) Mein Archiv. Bd. V. S. 247.
*♦♦) Wodl. Pathol. Histol. S. 577-579. V«;l. den Fall von Lenoir
oben S. 479. Note.
t) Dolbeau. Bullet, de la soo. anat. 1859. Nov. p. 296, 338.
tt) Schuh. Pseudoplasmen. 1854. S. 135.
Metastatische Enchondrome. 501
sechs Beobachtungen sicher festgestellt ist, wenn neben einer
enchondromatösen Entwickelung an peripherischen Theilen me-
tastatische Entwickelungen an den Lungen vorkommen. Ich
habe den ersten Fall beobachtet, wo neben einem sehr grossen
Enchondrom der Rippe ein kleines Enchondrom der Lunge der-
selben Seite sich gebildet hatte*). Dann ist von Riebet in
Paris ein ausgezeichneter Fall beschrieben worden **), wo zuerst
ein gallertartiges Cystenchondrom der rechten Scapula (sehr ähn-
lich dem von mir beschriebenen malignen Enchondrom) bestand
und die Autopsie gegen 30 hirsekorn- bis wallnussgrosse ähnliche
Geschwülste an der Oberfläche und in der Tiefe der rechten
Lunge nachwies. Weiterhin veröffentlichte Richard Volk-
mann***) eine Beobachtung, wo ein myxomatöses Enchondrom
des Metacarpus operirt wurde und als der Kranke bald darnach an
Leberabscessen, Milzinfarct u. s. w. zu Grunde ging, 16 — 20 erbsen-
grosse, mehr gallertartige Enchondrome auf und in den Lungen ge-
funden wurden. Sodann ist ein von Mulertf) beschriebener Fall
bekannt geworden, wo zuerst ein grosses gallertiges Enchondrom
am Schambein bestand und ohne dass eine Operation gemacht
wurde, in der Milz ein nussgrosser Knorpelknoten sich vorfand.
Ferner hat Förster in dem schon erwähnten Falle von Enchon-
drom des Darmbeins in den Lungen mehrere bis wallnussgrosse
Knoten beobachtet, welche seiner Beschreibung nach den Ha-
bitus der von mir als Enchondroma myxomatodes bezeichneten
Mischform besassen. Endlich haben Wilh. Baum und C. 0. We-
berft) einen Fall mitgetheilt, wo bei einer 37jährigen Frau der
linke Unterschenkel wegen eines ossificirenden Enchondroms der
Fibula amputirt wurde, nach einem halben Jahre eine ähnliche
Geschwulst des Mittelfussknochens der fünften Zehe rechts ent-
stand und nach dem Tode in den Lungen mehrere bis linsen-
grosse Knoten erschienen. Hier ist es schwer daran zu zweifeln,
dass es sich um wirkliche Metastasen handelte, dass eine Infection,
•) Gaz. hebdom. de Paris. 1855. T. II. No. 7. p. 125.
t) Mulert. Diss. inaug. enchondromatis casuni rariorem sistens. Lips.
1852.
ff) Baum. De carcioomate osteoide. Diss. ioaug. Bonn. 1858. G. 0.
Weber. Chirurgische Erfahrungen. S. 300.
502
Seehszehrite Vorlesnn
wie wir sie bei malignen Gescliwülsten kennen, sich gebildet
hatte. Glücklicher Weise ist die Zahl (lieser Beobaclitongea »hr
klein*), und, idi kann noch liinziifügen, trotz der enormeD
Grftsso und des Alters mancher der Enchondrome, die zneret lo
peripherischen Knochen vorhanden waren, sind meiBtcoB die mct»-
statischen Knoten sehr klein, demnach auch wob! sehr jung ge-
wesen. Eine besondere Neigung zur Metastisc besteht daher im
Enchondrom nicht, und es gehört sicherlich zu den weniger
ächädliclien GeschwfllBton. Aber unzweifelhaft kann es die ex-
tremste Malignität eines Krebses erlangen, und wenn man alle
malignen Geschwülste Krebse nennen wollte, so mflsstc man
diese Knorpelkrebs nennen und man könnte es mit eben so fiel
Recht, als m-in die Osteoidchondrome vielfach g inz und gar unter
die Kreböo ufg nom en 1 dt —
Wai nun Ic E 1 o 1 om der We 1 the le angeht, 5i
können w r uns n Bei el un^, a f hre Stru tur Verl altnisse Ür-
Fig. 102. Hartes, lappiges, osstliciroDdes Enuhondrom der Submaiillaiw
aua der Klinik dus Hi-rrii Jüngkcn. (fräparat No. 18». vom Jahre 1«5T].
Die jüiinze GeaeliwulAt ivt pUttruiidlit'h , fast faustgross, äusserlicli sUit
liückcrig. selir hart anzuriiliirn. Auf dem Diirohmhnilt uiiterscbeidel oM
Rpwisse grübere Kauere üge , den alli-n DrUseugän;:cD entoprcchend , und dit
l/tppcn doa Rnchondroms, von dt'nun vii'lo ecntnil verkalkt oder in spongiüsfii
Hiim-li.-n vcrwaiidi'lt sind. NatQrlicIie Grösse.
*) Die si-taon oben cilirte Bi-ubnchtung Otto's vod wahreeheiDlicIi
oütciiiili'in Chondrom de» Oberarms, «'oU'h<> Wt-ber gloivhrall« als ein Bi-i-
spii'l dir Mvcistase auffuhrt, ^i'htlrl wohl niiht hierher. Der uiblSraip
Auswiii'hs dcri Eicr.itoi'kü und die faaerknorpeliiio Masse in dem Kropf k^-
nen ohne wi'iteroo Bcwoia iitiht als Ohoodrome angesprochen werden.
Gnchondrome der Weich theile. 503
zer fassen. Dieselben Formen und Ausgänge, die ich von den
Knochen geschildert habe, können auch an den Weichtheilen vor-
kommen. Allein die meisten Enchondrome der Weichtheile sind
nicht reine Formen. Allerdings kann ein ganzes Organ enchon-
dromatös werden, welches vorher ganz weich war. Wir besitzen
in der Sammlung eine faustgrosse Geschwulst der Submaxillar-
drüse (Fig. 102.), wo diese ganz in einem compacten, ossifici-
renden Enchondrom untergegangen ist. Anderemal tritt die Ge-
scbwulstbildung mehr in einzelnen, jedoch reinen Knoten im Pa-
renchym weicher Organe auf, und zwar dann selten als solitäre,
sondern gewöhnlich als multiple. Dies ist namentlich der Fall
in der Parotis, im Hoden, in der Brust und in den Lungen*).
Aber das ist nicht die Regel; in der Mehrzahl der Fälle, und
zwar gerade in den Drüsen, sind es gemischte oder Gombi-
nations-Geschwülste oder geradezu Teratome, in der Art,
dass zuweilen in demselben Organ neben einander vier, fünf,
sechs verschiedene Gewebe sich entwickeln und die daraus her-
vorgehende Geschwulst an verschiedenen Stellen einen ganz ver-
schiedenen Habitus darbietet. Ziemlich häufig ist dabei die
Combination mit markigen Geweben, besonders mit Krebs.
Die Beschaffenheit des Knorpels ist nicht abhängig von der
reinen oder gemischten Natur der Gesammtgeschwulst. Auch
hier ist er immer lappig oder knotig. Ist die Geschwulst rein,
so ist sie, wie das Enchondrom der Knochen, ursprunglich ein
einziger Knoten (unilobulär) und wenn sie grösser wird, ein Con-
glomerat von Knoten (multilobulär), wie das Präparat von der
Unterkieferdrüse (Fig. 102.) deutlich zeigt. Ist sie gemischt, so
finden sich am häufigsten einzelne Knoten oder Läppchen durch
die Gesammtgeschwulst zerstreut, oft in sehr kleinen Stücken
und an sehr entfernt von einander gelegenen Punkten. Doch
kommt auch die Anordnung vor, dass ein gewisser Theil der
Gesammtgeschwulst zusammenhängend aus einem Conglomerat von
Knorpelstücken besteht, während die ganze übrige Masse eine
andere Zusammensetzung zeigt.
*) Was die früheren Schriftsteller als Chondrom des Gehirns beschrie-
ben, ist niemals durch mikroskopische Untersuchung als solches bestätigt
worden Vgl. Hooper. The morbid anatomy of the human brain. London.
1826. p 14, 21 y 31, 38. Craigie. Elem. of gen. and path. anat. Edinb.
1848. p. 344. Jedoch sind einzelne Angaben, z. B. die von Monro (Morbid
anat, of the brain. Vol. I. p. 194) sehr positiv.
504 Sechszehnte VorlesoDg.
Das neugebildete Knorpelgewebe kommt auch hier in der
harten und weichen (gallertartigen) Varietät vor. Letztere ist es
besonders, welche sehr oft unmittelbare Uebergänge in andere,
weiche Gewebe, namentlich in Schleimgewebe (S. 420, 470), macht,
und nicht wenige der als gallertige Enchondrome beschriebenen Ge-
schwülste der Weichtheile*) sind entweder myxomatOse Enchon-
drome, oder auch wohl geradezu Myxome. Die Uebergänge sind
ganz unmerklich. Die Intercellularsubstanz wird weich, die Zellen
verlieren ihre Kapseln und bleiben entweder rund, oder gehen in
eckige, häufig sternförmige Elemente über. Aber auch das Schleim-
gewebe seinerseits geht ebenso unmerklich in Bindegewebe über,
indem die Intercellularsubstanz fibrillär wird, der Schleim ver-
schwindet, die Zellen sich verkleinern. Insbesondere an den
Ohrspeicheldrüsen gehören solche fibromyxomatösen Enchon-
drome zu den gewöhnlichsten Befunden. Sie bind für das Sie*
dium der histologischen Aequivalente von höchstem Wertlie, den
nicht selten geht der lappige Bau durch die ganze Gesehwnk,
aber der eine Lappen ist knorpelig, der andere schleimig, d«
dritte bindegewebig.
Der harte Knorpel ist zuweilen in ausgezeichneter Weii»e
hyalin, anderemal netzig oder faserig. Er bildet Geschwukt-
körper von einer eigenthümlich elastischen Härte, welche sich
durch ihr bläulichweisses, dichtes Aussehen von dem benachbarten
Weichgewebe auf das schärfste absetzen. In seinem Inneren ge-
schehen späterhin ähnliche Veränderungen, wie wir sie früher in
Allgemeinen besprochen haben (S. 474). Jedoch ist die reine Er-
weichung sonderbarer Weise an diesen Enchondromen der Weich-
theile sehr viel seltener und auch dann gewöhnlich sehr viel
mehr beschränkt, als bei denen der Knochen. Dagegen sind
Verkalkungen und Verknöcherungen bei einigermaassen grossen,
manchmal sogar schon bei sehr kleinen, fast mikroskopischen
Knoten überaus häufig; mehr jedoch in den reinen, als in den
gemischten Fällen. Die Verknöcherung erfolgt hier zuweilen in
der allervollkommensten Gestalt. Wie schon erwähnt (S. 475), fand
ich gerade in dem Submaxillar-Enchondrom (Fig. 10'2.) eine
•) Paj^et. Lect. II. p. ?03. C. 0. Weber. Knochenf^eschwüMe. I.
S. 79. Chirurßischü Erfahrungen und Untersuchungen. S. 373. Taf. VII.
Fig. 19. II. Meekel, Charite- Annalen VII. 2. S. Ö8.
Irritativer Anfang des Enchondroms der Weichtheile. 505
grosse Menge von Stellen mit vollständiger, Fettmark enthalten-
der, spongiöser Substanz. Aber nicht selten findet man auch an
solchen Punkten, welche für das blosse Auge wie feinporöser
Knochen, gewöhnlich durch etwas gelblichweisses Aussehen be-
zeichnet, hervortreten, nichts anderes als einfache Verkalkung
bis zu dem früher erwähnten (S. 453) siebformigen Knorpel-
knochen, von dem, wie es mir scheint, Uebergänge zu wirkli-
chem Knochen stattfinden. Namentlich in Lungen-Enchondromen
(Fig. 103.), wo die Verkalkung ganz gewöhnlich ist, sah ich
die in dem „Knorpelknochen" ganz runden oder etwas eckigen,
jedoch stets sehr breiten, mit Zellen gefüllten Höhlen (Lacunen)
nach und nach sich mit Strahlen und Ausläufern besetzen, so
dass das Bild gewöhnlicher Knochenplatten entstand.
Was die Entwickelung des Knorpels anlangt, so habe ich
zuerst bei dem Hoden - Enchondrom seine successive Hervorbil-
dang aus dem interstitiellen Bindegewebe nachgewiesen*).
Ich bemerke dabei, dass dieses Bindegewebe sehr häufig schon
vorher in Reizungszustande geräth, in Folge deren es sich so-
wohl vermehrt, als verdichtet und dass erst das zum Theil neu-
gebildete Bindegewebe die Metamorphosen in Knorpel erfährt
Wir erkennen darin denselben Vorgang, der bei der Bildung von
Knorpelcallus bei Fracturen im Periost erfolgt und sehen darin
zugleich einen wichtigen Beweis für den entzündlichen oder
wenigstens irritativen Ursprung des Enchondroms. Es
ist das eine Auffassung, welche auch durch Anamnese und Krank-
heitsverlauf auf das Beste unterstützt wird. Denn gerade die
Hoden-Enchondrome bilden sich in der Regel auf bestimmt nach-
weisbare traumatische Einwirkungen, namentlich Quetschungen,
unter lebhafter und anhaltender Schmerzhaftigkeit und dem Bilde
chronischer Entzündung aus. Allein auch bei anderen Enchondro-
men der Weichtheile, namentlich bei denen der Ohrspeicheldrüse,
ist der entzündliche Ursprung**) und die vor - enchondroma-
töse Periode, das Initial-Stadium der scheinbar nicht specifi-
schen Reizung (S. 74, 88) überaus deutlich zu erkennen. In dieser
Zeit ist die Drüsensubstanz (die mit Epithel versehenen Gänge
und Terminalbläschen) noch vollkommen vorhanden, ja sie ist
♦) Mein Archiv. Bd. VJIT. S. 402. Taf. IX. Fig. 12.
♦•) \S'. Busch. Chirurg. Beobachtungen. S. 57.
506 Sechszehnte Vorlesung.
zuweilen so stark entwickelt, dass man an eine blosse Hyper-
trophie denken kann. Dazwischen aber, in dem sonst so lockeren
interstitiellen Bindegewebe bildet sich eine mit Induration ver-
bundene Anschwellung, welche die Drüsenkanäle umgiebt, die
Entfernungen zwischen ihnen vergrössert und dem Theil zuweilen
eine knorpelartige Härte giebt. Bei der mikroskopischen Unter-
suchung siebt man nichts anderes, als das Bild einer chroni-
schen interstitiellen Parotitis: ein dichtes, sehniges Binde-
gewebe mit relativ kleinen, meist spindel- od^r sternfArmigeo
Zellen.
Dieses, zum Theil wenigstens neugebildete Binde-
gewebe ist die Matrix des späteren Enchondroms^)
und in den Combinationsformen zugleich des Myxoms, Fibroms
oder was sonst für eine Bildung daraus hervorgeht**). Die
zelligen Elemente des Bindegewebes vergrössern sich, theileo flick
und theilen sich wieder. Manchmal geht die iissipare WuclMnaf
80 weit, dass, wie schon erwähnt, Gruppen von jungen, indiffena-
ten Zellen entstehen, aus welchen später durch Wachsihum der
einzelnen Zellen, Abscheidung von Intercellular- und Capsularsob-
stanz Enchondromknoten werden (S. 468). Gewöhnlich aber
kommt diese haufenweise Entwicklung neuer Elemente nicht so
Stande, vielmehr beschränkt sich die Zellentheilung auf ein ge-
ringeres Maass, es folgt bald eine Zunahme und Verdicbtang der
Intercellularsubstanz, Bildung von Zellkapseln und damit die Cob-
stituirung des Knorpels. An der Stelle, wo der Knorpel sick
ausbreitet, wird die eigentliche speciiische Drüsensubstanz tbeik
auseinandergeschoben, theils atrophirt, und es zeigen sich mittet
in der Drüse einzelne, ganz reine Knorpelstücke.
Ob jemals eine vollständige Atrophie des Drüsengewebes
vorkomme, weiss ich nicht; ich habe sie niemals gesehen. Selbst
in dem scheinbar ganz reinen, faustgrossen Enchondrom der Sab-
maxillaris (Fig. 102.) finde ich auf Durchschnitten überall Reste
der alten Drüsensubstanz. In den Septis zwischen den einzeluen
Enchondromlappen sehe ich noch deutlich die Drüsengänge mit
♦) Deutsche Klinik. 1858. No. 49. S 481.
•*) Schon früher habe ich nachgewiesen, dass bei der eiterif^eo Parotiü»
zuerst eil) katarrhalisches, sodann ein interstitiell-suppiiratives Stadiaro be-
steht, bei welchem letzteren der Eiter aus dem interstitiellen BindegewflK
hervorgeht. (Charite-Annalen. 18ö8. Jahrg. Vlll. Heft 3. S. b).
Eachondrome der Lungen. 507
ihren Verästelungen; an einzelnen Stellen, namentlich aber am
Umfange der Geschwulst liegen bald in grösseren, bald in klei-
neren Gruppen die mit zum Thcil vergrösserten Zellen gefüllten
Endläppchen der Drüse*).
Die Enchondrome der Drüsen stehen also darin den Enchon-
dromen des gewöhnlichen freien Bindegewebes gleich, dass sie
eine bindegewebige Matrix haben, und dass sie unter
den sichtbaren Erscheinungen einer, der entzünd-
lichen gleichen Reizung entstehen. Es bleibt gewiss sehr
auffallend, dass gerade das interstitielle Bindegewebe der Drüsen
so häufig der Ausgangspunkt einer solchen Geschwulstbildung
wird, und es kann als ein Gegenstand der weiteren ätiologischen
Forschung bezeichnet werden, zu entdecken, worin der Grund
davon liegt; allein der Prozess im Grossen verliert doch in dem
Augenblicke manches von seinem aufTallenden Charakter, wo es
klar wird, dass er sich der chronischen Entzündung anreiht.
Nirgend ist das Vorkommen des Enchondroms so auffallend,
wie in den Lungen**), nicht bloss, weil in einem so weichen, an
Parenchym so armen, an Hohlräumen so reichen Organe so harte
and feste Knoten entstehen, sondern noch mehr deshalb, weil in
scheinbar ganz gesunden Lungen nicht selten eine grössere Menge
von kleineren und grösseren Knoten vorkommt (Fig. 103.). Auch
zeichnen sich die Lungcn-Enchondrome dadurch aus, dass sie in
der Regel ungewöhnlich rein sind und den Charakter des per-
manenten Knorpels in der klarsten Weise an sich tragen. Aller-
dings zeigen sie nicht selten Verkalkungen und Verknöcherungen
(Fig. 103., f) in der schon beschriebenen Weise ; die Verkalkung
kann den grössten Theil von ihnen einnehmen***), die Verknöcherung
kann spongiöse Knochen mit Mark erzeugen f). Aber auch das
sind ja Veränderungen, die im permanenten Knorpel bei höherem
♦) V^l. einen Fall von (iosselin (Bullet, de la soc. de Chirurgie de
Paris. 18ö<J. T. VI. p. 11)5).
♦*; l-icbert. Abhandl. aus dem Gebiete der prakt. Chirurgie und der
path. Phvs. S. 1D4. rhy»iül. pathol. T. II. p. 213. PI. XVll. fig. 1-3.
Dlauhy, Präger Viertoljahrssihrift 184<>. 111. Liter. Anzeiger 8.27. Roki-
tansky. Pathol. Anat. 18G1. Bd. III. S. 80. Paget. Lect. Vol. II. p. 179.
S. Wilks. Transact. of the Lond. Pathol. Society. 18<>2. Vol. XIII. p. 27.
E Wagner. Archiv für Heilkunde. 18H1. S. 280.'
♦♦*) A. Förster. Mein Archiv. Bd. Xlll. JS. 106 Lambl. Aus dem
Franz-Jogef-Kinder-Spital in Prag. 18Ü0. S. 215.
f) Lebcrt. Abbandlungen. S. 194.
Sechst chnte VorlesuD^
Alter nicht selten vorkommen, und ich finde darin, sowie in des
Umstände, dass diese Enchondrome gewöhnlich ganz zufällig bei
der Autopsie gefunden werden, nur einen Beweis, dass sie eine
relativ lange Dauer haben und vielleicht auch schoa ans früher
Zeit des Lebens herstammen.
Ich bemerke dabei, dass ich hier zunächst nur von d«a
idiopathischen Enchondromcn der Lunge spreche, indem ich
es mir vorbehalte, auf die metastatische Form, welche ich schu
erwähnte (S. 501), noch später zurückzukommen. Die idiopathi-
schen Formen sitzen am häufigsten an der Wurzel der Lunge
oder in ihrer Nähe. Allerdings beschränken sie sich nicht dar-
auf; sie können auch mitten im Parenchym (Fig. 103 a.) ond
ganz obertlächlich an der Pleura vorkommen (Fig. 103, e') nnil
Fig. 103. EachondroDift durum multiplex idiopathicDm puImoDts. IK«
Lunge eines Kindes, b der eintretende Bronchus, daneben Aruri;« und Veu
pulmonAlia. ip ein Stiii:k de» Fori cardi ums. Darunter in einem Kinschoitt'
ein gTOHBur, lu dem l'nrenuhjm gelegener Emhondrom knoten von lappipen
bau: unter dieaem bei e ein ziemlicli oberllärhlii-h unter der I'leura jEele^mer.
im Innern verkalkender Knoten, e' ein flaeli-pol)'p^i<es Enrhondrani d«
Fleura. Üben ein zweiter Einschnitt, in dessen Grunde niehrtre kleinrrt
und grössere Knchondromknotcn. dicht an den ßroncbien o, a' gele^
(Ptiparat No. UVi). Katürliche Gr^sae.
Idiopathische Bncbondroine der LnDgeo. 509
im letzten Falle sich sogar leicht polypös über die Oberfi&che
Torscliieben. Aber die gewöhnlichste Stelle und zugleich der
Ort der grösaten Knoten pflegt doch die Gegend der Lungen-
Wurzel zu sein. Freilich erreichen sie selten eine beträchtliche
Grösse; wallnuBsgrosse Knoten gehören schon zu den seltneren.
Aber diese Grösse genügt doch, um nicht allein eine gewisse
Partie von Lungengewebe zu erfüllen, sondern auch die grösse-
ren Kanäle dieser Gegend zu betheiligen. In der Regel findet
man sowohl Bronchien, als Blutgefässe von ihnen umschlossen,
BO dass auf Durchschnitten (Fig. 103, a a', Fig. 104.) die Ln-
rnina derselben als stark verengte OefTnungen mit gewöhnlich
verdickter Wand sichtbar werden. Auch trifll
man auf solche Stellen, wo die ersten, in "■■ "*■
Form kleiner Körner auftretenden Enchon- ^
dromknötchen in unmittelbarstem Anschluss an
einzelne Bronchien (Fig. 104, a'.) erscheinen,
and die Vennuthung liegt nahe, dass die pa-
thologische Knorpelbildung von den normalen
Knorpeln der Bronchien ausgehe. Allein ich
habe mich, wie Wilks, niemals von einem
eontinuirlichen Zusammenhange beider überzeugen können. Viel-
mehr ist es auch hier das interstitielle Bindegewebe, die Capsula
communis, von welcher die Entwickelung ausgeht, und es begreift
eich , dass auch das interlobuläre und subpleurale Bindegewebe,
welches ja mit der Capsula communis unmittelbar zusammen-
hängt, in gleicher Weise der Sitz einer unabhängigen £nt-
wickelung werden kann. Die Multiplicität steht daher auf einer
Linie mit derjenigen, wo mehrere Knochen selbständig £n-
chondrome hervorbringen.
Von den Knchondromen auszuschliessen sind die ziemlich
häutig vorkommenden, sowohl an der Pleura, als in der Cap-
sula communis sich bildenden harten Fibromknötchen (S. 338),
welche namentlich die französischen Autoren seit Laennec so
häufig als accidentelle Knorpel und halbknorpelige Producte be-
Fig. 104. Die Knoten des oberen Einschnittes aus Fi^. 103. leicht
vergrOHsort, im das Verhältniss zu den Bronchien und der Capsula com munis
XU zei(;en. Der Knoten a umgibt den Bronchus, ea jedoch, dasa man des-
sen Wand deutlich erkennen kann. Bei a' sieht man in der Capaula com-
monis, dicht am Bronchus, die Knorpelbildung, die sich in kleinen Groaa-
lationen in das benacbb.'ute Alveolar-Parenchj'm fortsetzt.
510 Sechszebnte Vorlesung.
zeichnet haben. Gruveilhier*) ist noch neuerlich in den Fehler
verfallen, nicht bloss an der Lunge, sondern auch an der Mili,
Leber u. s. w. solche Dinge Chondrome zu nennen. Sie sind
nur in der einen Beziehung von Interesse für unseren Gegen-
stand, als sie ein verwandtes, in gleicher Localität and Multipli*
cität sich ausbildendes Gewebe betreifen, welches von anderen Auto-
ren eben so sehr mit Unrecht in die Geschichte der Tuberkulose
verflochten ist. Nach der anderen Seite hin ist zu erwähnen,
dass das Myxom, das doch in der Lunge vorkommt (S. 430)
und das sonst so grosse Neigung zur Combination mit Enchondrom
zeigt, meines Wissens an dieser Stelle noch nie in einer Miseih
form mit Knorpel beobachtet ist. —
Nächst den Lungen sind vielleicht als Hauptsitz reiner Ed-
chondrombildung das ünterhautgewebe und die Fascien**)
zu nennen. Auch ist das submucöse Gewebe nicht ganz frei ii-
von***). Im Ganzen sind dies seltnere Vorkommnisse und &
Geschwülste erreichen gewöhnlich keine beträchtliche Gröaae.
Sie sind als sehr verschieden beschrieben: einige hart und Ofifii*
iicirt, andere weich, andere cystisch und verkalkt. Ihre ZaU
würde sich freilich erheblich vergrössern, wenn man die EnckoB-
drome der Speicheldrüsen, wie es von mehreren Chirurgen ge-
schieht, nicht aus der Drüse selbst, sondern aus deren Umgebnng
♦) Cruveilhier. Traite d'anat path. T. III. p. 826.
**) Job. Müller, lieber den feineren Bau der Geschwülste. S. 49. No2L
(Unterbaut). Adams. The Lancet. 1847. May I. p. 18 (Kieferwinkel, ScheÜi
der Carotis). Paget, Lectures. II. p. 179 (Unterbaut von der Brust )w
A. Förster. Allg. path. Anat. 1855. S. 132 (Zellgewebe der Kreuzgegeod).
Lebert. Abhandl. S. 195 (Nasenflügel). C. 0. Weber. KnochengesehwuktCL
I. S. 97 (Stirn). Atbol Johnson. Transact of the Lond Path. See. ISSä
Vol. VI. p. 335. PI. XVI. fig.3-5. (Oberarm). II. Meckel. Charite-Annalei,
VII. 1. S. 92 (Vorderarm). Cruveilhier. Traite d'anat. path. T. IIL p,812
(äussere Seite des Unterschenkels). Birkett L'Union m^d. 1858. Der.
No. 146. p. 57G (hintere Seite des Oberschenkels, stark verknöchert, zu*
Theil submscial). Secourgcon. Gaz. des h6p. 1859 No. 139. p. 545 (FTaod,
über dem 5. Metacarpalknochen, bis in die Muskeln reichend).
*♦♦) Dofbeau (Bullet, de la sog. anat. 1860. Janv. p. 6) beschreibt eil
Enchondrom des Kectums, das bei einem 27jährigen Manne dicht Ober
dem Anus sass und diesen in sich einschloss. E. Wagner (Der G(*blr-
muttcrkrebs. Leipz. 1858. S. 129) schildert eine sehr eigenthQmliche Clce-
ration dos Uterus, wobei sich von der inneren Wand knollige Massen er-
hoben, die seiner Beschreibung nach theils faserig, theils hyalin -knorpelig
waren. Möglicherweise sind hier die subcoi\junctivalen Enchondrome aoxtt*
Hchliessen, von denen Demarqua^ (Tumeurs de Torbite. p. 365) eine Zo-
sammcnstellung gibt; bei den meisten ist jedoch die Untersachnng nicht
genau genug, um ihre Natur zu bestimmen.
Enchoodrome des ünterBcheokels. 511
entstehen lässt Das Ergebniss meiner eigenen Untersuchungen,
sowohl von der Parotis, als von der Submaxillaris habe ich schon
dargelegt; ich fand jedesmal den Ausgang im interstitiellen Bin-
degewebe, und nur in einem Falle, wo ein Wallnussgrosser Kno-
ten bei einem jungen Mediciner am Winkel des Unterkiefers
enucleirt war, habe ich Reste von Drüsensubstanz nicht be-
merkt. Indess war diess zu einer Zeit, wo ich die Frage nach
den Matriculargeweben weniger ins Auge gefasst hatte, sondern
mehr die ersten Entwickelungszustände aufsuchte, und ich kann
daher nur sagen, dass ich in diesem Falle die jungen Knötchen
neben der älteren Masse der Geschwulst im Bindegewebe (S. 467)
fand.
Paget*), der sich im Ganzen sehr vorsichtig ausdruckt
und nur im Allgemeinen sagt, dass diese Geschwülste „in der
Nähe^ der Speicheldrüsen entstehen, lässt auch die schon von
Velpeau für die Parotisgeschwülste behauptete Möglichkeit zu,
iass sie aus Lymphdrüsen hervorgehen. Dolbeau**) berichtet
einen Fall, der diese Entstehung direkt darthun soll, indem bei
einem, an Follicularentzündungen des äusseren Gehörganges lei-
denden 1 1jährigen Kinde eine Lymphdrüse über der Spitze des
Zit£enfoii;satzes sich wiederholt entzündete, endlich geschwollen
blieb und zu einem Enchondrom wurde. Von den unter dem
Unterkiefer gegen seinen Winkel hin gelegenen Enchondromen
nimmt er an, dass sie meist den Lymphdrüsen angehören. Mei-
ner Meinung nach beweist der gedachte Fall nichts sicher, und
man wird die Ansicht von der enchondromatösen Erkrankung der
Lymphdrüsen so lange wohl als zweifelhaft betrachten müssen,
als nicht ganz bestimmte Gründe aus dem anatomischen Bau bei-
gebracht sind. Meines Wissens beschränkt sich die Enchondrom-
bildung in den Lymphdrüsen auf sehr seltene Fälle secundärer
Erkrankung (S. 499) ; von einer Primär- und namentlich Solitär-
erkrankung derselben ist mir kein Beispiel bekannt.
Cruveilhier***) unterscheidet die Chondrome der Parotis
von den subauriculären Knorpelkörpern, die er auch Tumeurs
p^riparotidiennes nennt. Er lässt sie ganz ausserhalb der Drüse,
•) Paget Lect. IL p. 201, 204.
••) Dolbeau. Gaz. hebdom. ISöö. No. 42. p, 720. No. 44. p. 752.
♦♦♦) Cruveilhier. Traite. T.lll. p. 808.
512 Sechszehnte Vorlesung.
aber auch getrennt von dem Ohrläppchen, dem Antitragos, der
Haut und dem Zitzenfortsatz entstehen. Auch Förster*), der
sie aus Bindegewebe ableitet, unterscheidet Enchondrome in der
Drüse und solche oberhalb derselben; H. Me ekel**) beschreibt
gerade umgekehrt eine reine „Sternknorpelgeschwulst^, also wahr-
scheinlich ein Myxom, im Zellgewebe unter der membrauartig
abgeplatteten Parotis, und Bruns***), der sich für dea extragUn-
dulären Ursprung eines Theils der sogenannten Parotis-Enchon-
drome erklärt, nimmt gerade für die subauriculärea Enchoadrame
den Ausgang von der Drüse in Anspruch. Möglicherweise werdeo
sich diese Widersprüche dahin lösen, dass in der Thai manche
Enchondrome dieser Gegend extraglandulär und andere intn-
glandulär entstehen. Es sprechen dafür nicht bloss bestimmte
Angaben der Autoren f), sondern auch namentlich der Umstaod,
dass dieselbe Region ein Lieblingsplatz für subcutane MyxoK,
Fibrome und Kystome ist. Jedenfalls ist es nach meinen Giter*
suchungen unzweifelhaft, dass die intraglanduläre Bildui^ des
Enchondroms gerade in den Speicheldrüsen in vollkommensler
Weise vorkommt.
Von den subcutanen Enchondromen gibt es' aber noch eine
besondere Varietät, nehmlich die gemischten. Es ist hier
nicht ganz leicht, zu sagen, wo man die Grenzen zwischen den
blossen Miscbformen und den eigentlichen Teratomen ziehen soll
Dies gilt namentlich für solche Fälle, wo zugleich cystiscfae
Cavitäten vorkommen. Indess muss man wohl diejenigen Ge-
schwülste noch als bloss gemischte betrachten, in denen ver-
wandte Gewebe vorhanden sind. Diess gilt namentlich von der
so überaus merkwürdigen Combination mit Lipom undMy*
xom, wo zuweilen nur das eine oder das andere mit dem En-
Chondrom zusammentritt, zuweilen aber in verschiedenen Ab-
schnitten derselben Geschwulst alle drei Gewebsformen theils
rein, theils in Uebergängen (Myxoma lipomatodes, Enchondroma
mucosum) vorkommen. Ausserdem finden sich als weitere Ent-
•) A. Förster. Allg. path. Anat. 1855. S. 129.
•♦) H. Meckel. Charitt-Annalen. Vll. 2. S. 91. vgl. S. 105.
•••) Bruns. Prakt. Chirurgie. Bd. II. S. 159, 1149.
t) Bennett. On cancerous and cancroid growths Edinb. 1849. p. 8^-
Solly. The Lant et. 1850. Vol. 1. p. 487. C.O.Weber. KnochengeÄchwölste.
I. S. 79. Dolbeau. I.e. p. 718. Bullet, de la soc. anat. 1860. p. 45<>.
Labbe. ibid. p. 353.
Gemischte Enchondrome der Unterbaut. 513
Wickelungen Knochen und Gefasse in manchmal beträchtlicher
Anhäufung.
In diese Kategorie gehört ein von Gluge*) beschriebener
Fall von Lipoma colloides, welches Fett- und Gallertgewebe,
Knorpelstücke und steatomartige Masse (Fasergewebe?) enthielt
und einer 64jährigen Frau aus dem Zellgewebe der oberen Hals-
gegend exstirpirt w<'ir, wo es vom Ohr bis zum Kinn und Zun-
genbein reichte. Sodann ein sehr merkwürdiger Fall von De-
nonvilliers**), wo eine aus Lipom, reinem und verknöcher-
tem Enchondrom bunt zusammengesetzte Kindskopfgrosse Ge-
schwulst sich bei einer 61jährigen Frau unterhalb der Inguinal-
gegend aus der Tiefe der Weichtheile des Oberschenkels binnen 18
Monaten entwickelt hatte. Ich selbst habe einen ähnlichen Fall, den
ich bei dem Osteoid-Chondrom besprechen werde (S. 533), von der
Rückengegend untersucht. Paget***) bildet eine von Savory unter
dem Tensor vaginae femoris bei einem 38jährigen Manne exstirpirte,
wahrscheinlich grösstentheils myxomatöse Geschwulst ab, welche
an einem Ende mit einer Kappe von Knorpel und spongiösem
Knochen und längs eines interlobulären Faserzuges mit Knötchen
von Enchondrom besetzt war. Ganz ähnlich verhielt sich eine
von Stanley aus der Fusssohle eines 41jährigen Mannes ent-
fernte Geschwulst t). In einer unter dem Gastronemius ausge-
schnittenen Geschwulst, die Pagetft) ^^s ein Gemisch von
fibrocellulärem und Fettgewebe beschreibt, die also wohl ein
Myxoma lipomatodes war, zeigten sich reichlich eingebettet Knöt-
chen von Knorpel. Endlich eine der von Savory erwähnten
ähnliche Geschwulst des Oberschenkels hatte eine dünne, aber
vollständige Knochenschale ftt)- Vielleicht ist auch die Be-
obachtung Schuh's*t) hier anzureihen, der aus dem Gewebe des
Musculus latissimus dorsi eine Geschwulst ausschälte, in welcher
ein theilweise verknöcherndes Fibroid, ein Lipom und ein Schwell-
*) Gluge. ADatomisch-mikrosk. Untersuchungen. Jena. 1841. II. S. 187.
*♦) Gaz. des höp. 18r)2. No. 32. p. 128. No. 35. p. 130. Lebert Traite
a'anat. path. T. 1. p.231. PI. XXX. Fig. 1 - ^»- PI- XXXI. Fi?:. 1. Denselben
Fall bespricht, jedoch mit Unrecht als eine Geschwulst des Schambeins,
Crnveilhier, Traite d^anat. path. T. III. p. 791.
♦•♦) Paget. Lectures on surg. Path. Vol. II. p. 109, 117. Fig. 10.
t) ibid. p. 118.
tt) ibid. p. 210.
ttt) ibid. p. 109.
*t) Schuh. Pseudoplasmen. 1854. S.92.
Vircbow, Geschwülste. 1. 33
5U
Sechszehnte Vorleanng.
gewcbe durch dichten Zellstoff verbuDden waren. Dieser Fall
bildet gleichsam den Uebergang zu gewissen Formen des NaevoK
lipomatodes , namentlich des Lipoma teleangiectodes (S. 369).
Sehr nahe steht auch der Fall von Enchondroma lipoma-
tosum, den Weber*) aus der Zunge eines 15jährigen Mäd-
chens nach Gjährigem Beistände exstirpiren sah, sowie der von
A. V. Gräfe"), wo ein Naevus enchondromatosus an der Cor-
nea sass.
Ich ffige hier einen Kehr nierkwQrdtgen, wahrscheinlich conge-
nitalen (S. 478) Fall von gemischtem Enchondrom ans dem
Fig. 105. Enchondroma lipoma tos um teLin^itictadca aas dem Wirbel-
kanal. A. Die l.nge der GesrliwulHt in dem ernffiiolen Wirt>elkaiial. im Hf-
dulb cpinalis, bei a ÜMtch die Cieschwulüt comprimirt, unterhalb bei «
atrophisch, d tl Dura mater, nn «oIiIkt die Geaf^liwuUt ansitzt, die sodf-
renieits anrh nn der vorderen Seite der I'roceitRns Kpinosi fest »nhiagt.
}i ein gcwühnlicher Dornrort»utz, p' der durch Versehmelzung ^oa Kveiet
eiilntandene, iiiigGwühntii'h !;rosse. Ji ein Duri?hsehnitt der Geschwulst
in der duri-h eine punktirte Linie in A bezeichneten Kiehtung: die hellerei
Stellen sind die linorpeliffeii , die anderen entsprechen den fettigen b ad
fibrC!>en Theilen. (Pr.lparat No. 521. vom Jahre mUO). NatQrl. GrGsse.
•) C. Ü. Weber. KnudiengeH.'hwülste. I. S. 114.
") V. Gräfe. Anliiv f. Ophthalmologie. Bd. VII. 2. S.5. Tif.l. Fif.2.
Gemischte EnchoDdrome des Wirbelkanals. 515
Wirbelkanal an. Die etwa Hasel nussgrosse Geschwulst sass
zwischen der Dura mater spinalis und den Domforts&tzen und
hatte das Rückenmark so coniprimirt (Fig. 105, A, a), dass Läh-
mungserscheinungen der unteren Körperhälfte eingetreten waren.
Allerdings datirte der Mann, ein früherer Soldat, sein Leiden
yon einer durch Liegen auf feuchter Erde erzeugten Erkältung
und der schleichende, durch acutere Episoden unterbrochene Ver-
lauf der Krankheit, selbst nachdem er in das Invalidenhaus auf-
genommen war, hatte den behandelnden Arzt, Herrn Abel bestimmt,
an eine Erkrankung der Häute zu denken. Die Autopsie zeigte
nur die Geschwulst als störendes Moment. Dieselbe war einer-
seits mit der Dura mater (d, d), andererseits mit dem Processus
spinosus (p') innig verwachsen; erstere hing wieder mit der
Oberfläche des Rückenmarkes (m s) zusammen, letzterer erwies
sich als aus zweien verschmolzen, jedoch so gleichmässig, dass nur
noch eine seichte Einbiegung (bei p') die alte Trennungsstelle
andeutete. Dieser Umstand wies auf eine sehr frühe, wahrschein-
lich congenitale Synostose hin, welche durch die innere Zusam-
mensetzung des Knotens noch wahrscheinlicher wird. Auf einem
Durchschnitt (Fig. 105, B) fand sich nehmlich auch zunächst ein
grosser Theil der Geschwulst aus derbem, hyalinem Knorpel gebil-
det. Dieser ging namentlich gegen den Umfang der Geschwulst in
ziemlich dichtes Fasergewebe über, in welchem sehr weite und
geschlängelte Gefässe verliefen und welches zum Theil stark
gelb gefärbt war. An einzelnen Stellen aber ging der Knorpel
ganz unmittelbar in Fettgewebe über, indem die Zellen sich mit
Fett füllten und die Intercellularsubstanz bis auf einen Minimaltheil
schwand. Von wo die Entwickelung angefangen hatte, liess sich
nicht mehr bestimmen, jedoch lag die Geschwulst ihrem grössten
Theile nach unzweifelhaft in dem Fettgewebe, welches den Zwi-
schenraum zwischen Dura mater und Knochen auszufüllen pflegt. —
Was nun die Enchondrome der Drüsen anbetrifi*t, so
habe ich darüber schon zu wiederholten Malen gesprochen. Wie
erwähnt, sind namentlich die Speichel- und Geschlechtsdrüsen
ausgesetzt, während andere, wie die Leber, gar nicht, andere,
wie die Thränendrüse*) und die Nieren**) wenigstens sehr selten
ergriffen werden.
•) W. Busch. Chirurgische Erfahrungen. S. 1.
♦♦) Gluge (Atlas der path. Anat. Lief. XIX. Taf. V. Fig. 8-9. S. 1)
13*
516 Sechszehnte Vorlesung.
Auch unter den Speicheldrüsen zeigt sich eine grosse
Verschiedenheit. Von der Bauchspeicheldrüse ist kein einziger
sicherer Fall bekannt. Ich habe allerdings sonderbare Cysten-
bildungen mit fast faserknorpeliger Wand in dem Pancreas onJ
um dasselbe gesehen, welche sich nicht auf Ranula (S. 276) be-
ziehen Hessen, aber ich bin nicht sicher, ob sie aus Enchondro-
men entstanden waren. Dagegen sind die Mundspeicheldrüseo
ganz besondere Prädilectionsstellen und zwar namentlich die Sub-
maxillaris*) und die Parotis**). Einer Mundspeicheldrüse
scheint auch der congenitale Fall von E. Wagner (S. 478 Note)
anzugehören. So wenig ich die Möglichkeit in Abrede stelle, dass
das Nachbargewebe der Drüsen der Ausgangspunkt solcher Er-
krankungen werde (S. 510), so habe ich doch keinen sicheren
Fall davon gesehen. Allerdings ist ein Umstand sehr geeignet,
zu Verwechselungen in dieser Beziehung Veranlassung zu geben.
Das Enchondrom kommt nämlich entweder als diffuses, über
die ganze Drüse ausgebreitetes, oder als lobuläres, nur auf
einzelne Drüsenlappen oder Gruppen von Lappen beschränktes
war. Letzteres schiebt sich leicht über den Körper der Drib>e
hervor***) und scheint dann extraglandulär zu liegen, während
es doch aus dem interstitiellen Bindegewebe seinen Ursprung
nahm. Ich will damit den Fall nicht ausschliessen , dass auch
die Capsel der Drüse der Ausgangspunkt wird und die Geschwulst
daher von vorn herein peripherisch liegt, jedoch habe ich auch
dits nicht gesehen.
Das diffuse Enchondrom kommt sehr selten an der Parotis
vor, während es die gewöhnliche Erkrankungsform der Sub-
maxillaris ist. Es ist zugleich ein hartes, hyalines und nur un-
deutlich lappiges Gebihle (Fig. 102.), in welchem sehr hautig
ausgedehnte Ossificationen erfolgen. Die lobuläre oder tuberöse
Form ist dagegen die gewöhnliche Form der Parotis-Erkrankung,
spricht von einem Falle von Combination der Hydronephrose mit EnchoD-
drom.
♦) Stromoyer. Ilandb. dor Chirurgie. 1844. S. 254. Schoh. Pe
cnchondromate. p. 23.
•♦) Joh. Müllor. Uober den feineren Bau. S. 32, 48. Quockett. Ili.-tol
Catalogiie. I. p. 111. Paget. Lectures. IL p.201. Dolbcan. («az. hebdi^ni.
1858. p. r,H7, 717, 7r)2, 804, H8G. Bullet, de la soc. anat 1860. Der. p.4M.
Billroth. Mein Archiv. lHr>i). Bd. XVll. 8. 359. Bruns. Prakt Chirurgie.
H. S. ir)9, 1148.
0 Verneail. Bullet, de la hoc. anat. 18G0. Jan?, p.7.
♦♦♦"
Enchondrom der Speicheldrüsen. 517
und da die Ohrspeicheldrüse eine sehr grosse Ausdehnung hat,
so findet sich das Enchondrom bald am oberen, bald am hinteren,
bald am unteren Umfange derselben, also unter dem Jochbein,
vor oder unter dem Ohr, am Kieferwinkel, oder auch mitten in
dem Körper der Drüse. Nicht selten sind mehrere Knoten gleich-
zeitig vorhanden, oder sie entwickeln sich nach einander, ohne
dass sie sich gerade gegenseitig bedingen müssen. So entsteht
auch hier, wie an den Lungen, eine auf das Organ beschränkte
Multiplicitat, welche die Häufigkeit der localcn Recidive nach
partieller Exstirpation der Drüse erklärt.
Zuweilen ist die übrige Drüse dabei vergrössert, indem die
Drüsenzellen vermehrt, die Läppchen also geschwollen, und die
interstitiellen Bindegewebszüge etwas verdickt sind (S. 506).
Ungemein häutig aber finden sich andere Erkrankungen daneben,
manchmal in so grosser Ausdehnung, dass die übrige Drüse da-
durch ganz und gar vernichtet wird. Unter diesen sind gerade
in der Parotis die myxomatösen Formen die häufigsten, ja
das Myxom hat oft so sehr das Uebergewicht, dass das Enchon-
drom nur als ein beiläufiger Bestandtheil erscheint (S. 430). Un-
mittelbare Uebergänge von einem Gewebe zum anderen sind sehr
gewöhnlich. In einem Falle hat Bobin*) eine Mischform von
Enchondrom mit w^eichem Lipom gesehen. Das Myxom pflegt
sehr rein zu sein, höchstens dass die faserigen Bestandtheile in
reichlicherer Menge auftreten und hie und da wirkliche Ueber-
gänge zu fibromatösen Stellen vorkommen. Dabei finde
ich eine schon von Robin und Billroth**) erwähnte Eigen-
thümlichkeit hier in sehr auffallender Weise: Bei der mikrosko-
pischen Untersuchung trifft man nehmlich auf gewisse dichtere
Stellen, welche sich auf Querschnitten als rundliche Inseln oder
AVirbel, auf Längsschnitten als feste Cylinder oder Balken dar-
stellen und von welchen nach allen Seiten sonnenartig Strahlen
von Fasern ausgehen, welche sich in das umgebende Gallert-
gewebe verlieren, indem sich zwischen sie Schleim und Zellen
einschieben. Mit Essigsäure worden diese Inseln und Balken hell,
*) Bericht von Dolbeau (Gaz. hcbdom. 1858. p. 806) über eine von
Nelaton exstirpirte Geschwulst.
*♦) Robiü. I/Ünionmed. 1857. No. 100. p. 409. Billroth. Mein Archiv.
Bd.XVH. S.361. Taf.VII. Fig. 4.
518 Sechszehnte Vorlesung.
fast hyalin und glänzend, und man sieht darin eckige Höhleo
für feine Zellen, wie in osteoidem Gewebe.
Auch in diesen Fällen ist der Bau der Geschwulst in der
Regel lappig und die einzelnen Lappen sind von oft sehr derben
Hüllen und Scheidewänden umgeben. Je weicher die Substant
des Lappens selbst ist, um so mehr entsteht dadurch der An-
schein einer cystischen Bildung; ja in manchen Fällen ist das
lappige Myxom vom blossen Auge kaum von einem Schlcim-
kystom zu unterscheiden. Die fibrösen Hüllen hängen mit dem
Nachbargewebe, namentlich öfter mit dem N. facialis so innig
zusammen, dass die Abtrennung äusserst schwierig oder geradezu
unmöglich wird, — ein Umstand, der die Gefahr der Operation
der mehr centralen Knoten sehr steigert. Die eigentliche Myxom-
substanz sieht gallertartig, gelblich oder grünlich durchscheinend
aus, fühlt sich sehr schlüpfrig an und lässt fadenziehenden, klaren
Saft ausdrücken.
Weiterhin sind auch Gombinationen mit Krebs und Kao-
kroid*) nicht selten. Meistentheils sind es nicht reine Enchon-
drome, sondern myxomatöse, zuweilen auch reine Myxome, welche
in diese Gombination eingehen. Man sieht dann schon vom blossen
Auge einzelne Abschnitte der Geschwulst von einer mehr undurch-
sichtigen, weisslichen, mjirkigcn Beschaffenheit; diese Theile sinJ
relativ weich, leicht zerdrückbar, sie entleeren beim Druck milchige
oder schmierige Flüssigkeit, und erscheinen zuweilen schon für
das blosse Auge feinmaschig oder schwammig. Die mi'xrosko-
pische Untersuchung zeigt stets ein ungewöhnlich deutliches
Maschengewebe, dessen Balken bald mehr übrös, bald mehr
schleimig, bald geradezu knorpelig sind, und dessen Maschenraume
von einer dichten Anhäufung epithelialer Zellen ausgefüllt werden.
Diese Zellen hängen nach Art der kankroiden nicht selten in langen
Zügen oder Zapfen zusammen und ahmen in hohem Maasse die
drüsenartige Anordnung nach**). Aus diesem Grunde rechnen die
meisten französischen Mikrographen nach dem Vorgange Robin's
sie zu der Heteradenie***), während wiederum Billrothf) die
•) II. Friedberg. Chirurg. Klin. Jena. 1855. Bd. 1. S. 237. v. Bruns.
Prakt. Chirurg. II. S. 1153. Lotzbcck. DeutscheKIinik. 1858. No. 12. S. 118.
**) Paeet. Loci. 11. p. 204.
♦♦•) Robiu! I/Ünion med. 1857. No. 100. p. 40D. NtfUton. Cliniqoe
europeennc. 1859. No. 20. p. 205.
t) ßillroth. Mein Archiv. Bd. XYII. S. 3C3.
Gemischte Eochondrome der Speicheldrüsen. 519
Bildung als eine papilläre auffasst, wo die Zellen, wie bei den
Processus choroidei, um bindegewebige oder schleimige Grund-
stöcke entwickelt seien. Ich finde keine Eigenthümlichkeiten,
wodurch sich diese Bildung von Kankroid oder Krebs unter-
scheidet und ich halte es für einen Irrthum, wenn Velpeau
diese Art von Parotisgeschwülsten unter dem Namen der Adenoide
als gleichsam homologe Formen auft'asst. Auch sehe ich densel-
ben Entwickelungsgang, wie beim Kankroid. DieZellen des Knorpels,
des Binde- oder Schleimgewebes vergrössern und theilen sich, es
entstehen durch ihre Wucherung kleine Gruppen oder Heerde von
Zellen, diese fliessen nach und nach zusammen und so entstehen
grössere, oft cylindiische oder verästelte Maschenräume. Dabei kön-
nen noch sehr lange Zeit ein gewisser Theil des Gewebes oder ein-
zelne Lappen das ursprüngliche Gepräge beibehalten, und man findet
entweder das kankroide oder krebsige Gewebe vonEnchondrom- und
Myxomknoten durchsetzt, oder einzelne Abschnitte der Geschwulst
sind im Zusammenhang knorpelig oder schleimig, während der
ganze übrige Rest die epitheliale Hetoroplasie erfahren hat.
Endlich ist es nicht selten, dass in diesen weicheren Ge-
schwülsten eine starke Vascularisation vorkommt. Solche telan-
giektatischen Formen haben eine grosse Neigung, zu er-
weichen, Höhlen zu bilden und der Sitz innerer Extravasationen zu
werden. Der Zustand der Gefasse kann sehr verschieden sein:
Luys*) fand ihre Wandungen verdickt; anderemal dagegen
sind sie sehr dünn und zahlreiche Ektasien varicöser oder bla-
siger Natur finden sich an ihnen. Dahin rechne ich gewisse der
von Billroth**) unter dem Namen des Cylindroms beschrie-
benen Zustände. —
Bei den Sexualdrüsen findet sich eine ähnliche Verschie-
denheit, wie bei den Speicheldrüsen. Im Ganzen sind die weib-
lichen Sexualdrüsen ungleich weniger ausgesetzt, als die männ-
lichen. Vom Eierstock kenne ich nur ein Beispiel***) von
reinem Enchondrom; einige andere betreffen kystomatöse und
*) Demarqoay. Gaz. des hop. 1861. No. 46. p. 181.
♦♦) Billroth. Mein Archiv. Bd. XVII. S. 364. Taf. VlII. Fig. 7., 10.
Taf. IX. Fig. 11., 12.
♦♦♦) Dlauhy. Prag. Viertelj. 1846. III. Lit. Anz. S. 27. Ri wisch. Klini-
sche Vorträge. Prag. 1852. il. S. 189. (Der eine seiner beiden Fälle scheint
nur eine knorpelartige Verdickung der Albuginca zu betreffen).
520 Sechszehnte Vorlesang.
teratoide Formen. Auch an der weiblichen Brust ist die reine
Knorpelgeschwulst sehr selten. Die meisten Autoren beschränken
sich darauf, unsichere Beobachtungen aus älterer Zeit*) zu citiren,
die sich ihrer Mehrzahl nach auf „skirrhöse^^ und „knöcherne^^
Gewächse beziehen. Ziemlich sicher ist der Fall A. Cooper's**),
von einem, seit 14 Jahren bestehenden, halb knorpeligen und
halb knöchernen Tumor bei einem 32jährigen Weibe. Auch
Nelaton und Cruv eil hier***) scheinen wirkliche Knorpel-
knoten aus der Brust gesehen zu haben. Oefter kommt das
Enchondrom combinirt mit malignen Geschwülsten vor. Warrenf)
sah 3 Fälle von Combination mit Skirrh; E. Wagnerft) be-
schreibt weitläufiger einen Fall, in dem, wie es scheint, Enchon-
drom, Myxom und Krebs (Kankroid?) gemischt waren, von einer
53jährigen Frau. Ungewöhnlich häufig sind knorpelige Brust-
geschwülste bei Hunden, wo sie zuweilen an einer Milchdrüse,
zuweilen an einer ganzen Reihe derselben vorkommen, bis Faust
gross werden und schliesslich ulceriren. Ein der Beschreibung nach
reines, ossificirendes Enchondrom vom Hunde aus der Hallescheo
Sammlung erwähnt Joh. Müllerftt). Ich habe mehrere Fälle da-
von gesehen; gewöhnlich war das Centrum knöchern, die darauf
folgende Schicht faser- oder hyalinknorpelig, der Umfang zellen-
reich und fast sarkomatös *t). Einen ganz ähnlichen Fall hat
Lebert**t) beschrieben. An der männlichen Brust glaubt
Foucher***t) ein Enchondrom beobachtet zu haben. Die Ge-
schwulst sass bei einem 35jährigen Manne unter der Brust und
hing mit dem Pectoralis zusammen. Die mikroskopische Unter-
suchung lässt den Fall zweifelhaft erscheinen.
Anders verhält es sich mit den Hoden. Allerdings ist
•) Dahin gehören die Fälle von Morgagni (De scdibus etc. Rpist L
Art. 41.) und Reil (Archiv, f. die Physiologie. 1799. Bd. HI. S.447).
**) A. Cooper. Krankheiten der Brustdrüse. Aus d. Engl. Weimar.
18:m. S.27. THf.VIlI. Fig. 10.
••♦) Cruveilhier. Traite d'anat. path. T.III. p. 824.
t) Warren. Surg. obs. oii tuniours. Boston. 1848. p. 213.
tt) E. Wagner. Archiv f. Heilkunde. 1861. S.275.
ttt) Müller. Debcr den feineren Bau. S. 48. No. 13.
♦t) Würzb. Yorhandl. Bd. 1. S. 137.
♦♦t) Lcbert. Traitc d'anat. path. T. I. p. 231. PI. XXIX. fig. 7-12.
Vgl. auch Paget, Lecturea II. p. 172.
***t) Pouch er. LTnion med. 1859. No. 103. p.404.
Rnchondrom des Hodens. 521
auch hier das Enchondrom gewöhnlich gemischt*) mit allerlei
aaderen Geschwulstarten, insbesondere mit cystischen For-
men, mit Sarkom, Margaritom, Kankroid nnd Krebs. Aber
diese Geschwülste sind wenigstens sehr häutig und von den cy-
slischen Formen ist es sehr wahrscheinlich, dass wenigstens ein
Theil von ihnen erst consecutiver Natur ist und das Enchondrom
daher als die wesentliche Geschwulst betrachtet^ werden muss.
Dafür spricht das sehr eigenthümliche Verhalten der reineren
Erkrankungsformen.
Hogg**) fand in einer nur aus Enchondrom und Cysten be-
stehenden, 4^ Pfd. schweren Hodengeschwulst, die bei einem
30jährigen Manne nach einem Stosse auf den Sattelknopf ent-
standen war, varicös erweiterte und mit Enchondrommasse ge-
füllte Kanäle. Dasselbe beobachtete Queckett***): die Knorpel-
zapfen lagen lose im Innern von Kanälen, welche als Samen-
kanälchen und als Bildungsstätten des Knorpels angenommen
wurden. Ich zeigte dem gegenüber f), dass der Knorpel nicht
frei in Kanälen gebildet wird, sondern continuirlich aus dem in-
terstitiellen, vorher verdickten Bindegewebe hervorwächst; ich wies
dabei zugleich auf meine Beobachtung von dem Hineinwachsen des
Enchondroms in Blut- oder Lymphgefasse hin. Billrothft) t^^^t
♦) Wardrop. Observ. on funjriis haematodes. Edinb. 1809. p. 132, 138.
Baring. lieber den Markschwamm der Hoden. Gott. 1833. S. 55, 223. Taf. 11.
A. Cooper. Die Bildung und Krankheiten des Hodens. Weimar. 1832.
S. 77. Joh. Müller. Ueber den feineren Bau u. s w. S. 48. A. Schaffner.
Ueber das Enchondrom. Inaug. Abh. Würzb. 1845. 8. 2.3. Fig. 7—9. Range.
De enchondromate. p. 14. Gobee. Kliniek. Jaarg. IV. Bl. 133. Glujje. Atlas
der path. Anat. Lief. XX. Taf. IV. Fig. 3-4. Queckett. Histol. Catalogue.
P. 111. Virchow. Würzb. Verh. Bd. 1. S. 135. Archiv. VIII. S. 399. Le-
ber t. Traite des maladies cancereuses. 1851. p. 401. Traite d*anat. path.
T. 1. p. 231. PI. XXIX. fig. 13-20. Curling. Med. chir. Transact. 1853.
Vol. XXXVI. p. 451. Paget. Lectures. II. p. 172, 208. Wedl. Path. Hist.
S. 585. C hei ins. Handb. der Chirurgie. 7. Aufl. II. S. 4HG. A. Förster.
Münchner ill. Zeitung. Bd. III. S. 126. Cruv eil hier. Traite d*anat. path.
T. III. p. 825. Billroth. Mein Archiv. 1855. Bd. VHI. S. 435. C. 0.
Weber. Knochengeschwülste. 1. S. 114. Chirurgische Erfahrungen und
Untersuchunjiion. S. 206. Jouon. Bullet, de la soc. anat. 1859. Mai. p. 161.
Wilks. Lectures on path. anatomy. Lond. 1859. p. 386. Riebet. l'Union
med. 1861. No. 21. p. 333. Deraarquay ibid. 1862. No. 28. p. 447.
♦♦) Hogg. Transact. of the Lond. Pathol. Soc. 1853. Vol. IV. p. 182.
PI. VL fig. 8., 9.
♦♦♦) Curling. Med. chir. Transact. 1853. Vol. XXXVL p. 451.
t) Mein Archiv. 1855. Bd. VIII. S. 402. Taf. IX. Fig. 12.
tt) Billroth. Ebendas. S. 437. Taf. Xll. Fig. 3., 5., 6.
522 Sechszehnte Vorlesung
D*
gleichzeitig dar, dass von der Wand der Cysten kolbige Ans-
vYÜchse hervorgehen, welche in ihren Enden Knorpel erzeugen.
Paget*) endlich fand in einem äusserst wichtigen Falle, dass
die Knorpelmasse, deren Entwickelung er genau so, wie Bill-
roth, in papillären Kolben beobachtete, in Lymphgefasse hin-
einwuchs. Es ist dies zugleich einer der reinsten Enchondrom-
fälle, welche bekannt sind. Der Hoden stammte von einem
37jährigen Manne und das Uebel datirte offenbar von wiederhol-
ten Quetschungen des Organs. Die Geschwulst hatte Durchmesser
von 3 und 2^ Zoll und bestand auf einem Durchschnitte fast ganz
aus gewundenen, wurmförmigen, sich vielfach durchsetzenden Kör-
pern, die schliesslich in die sehr erweiterten Lymphgef&sse des
Samenstranges übergingen. Die gleichzeitig vorhandenen Cysten
schienen nichts anderes, als Varicositäten verstopfter Lymphge-
fasse zu sein.
Man darf aus dieser merkwürdigen Beobachtung nicht schlies-
sen, dass alle Fälle von Cystenbildung im Hoden aus Lympfa-
gefässen hervorgehen; ich werde bei den Kystomen zeigen, dass
wirkliche Neubildungen vorkommen, und andererseits trage ich
kein Bedenken, manche Cysten auf Erweiterung der Samen-
kanälchen zurückzufiihren. Man muss also von jetzt ab diese
Formen genauer scheiden, als es bis dahin geschehen ist. Dass
aber gerade der Hoden zur Bildung von Lymphsäcken sehr ge-
eignet ist, das wissen wir gegenwärtig sehr genau aus den Un-
tersuchungen von Ludwig und Tomsa**), welche durch Beob-
achtungen des Herrn Tommasi im hiesigen pathologischen In-
stitute ergänzt werden und welche darthun, dass zwischen den
Samenkanälchen äusserst zahlreiche und weite Lymphränme ent-
halten sind.
Nach der Uebereinstimmung fast aller Beobachter ist der ge-
wöhnliche Sitz sowohl der cystischen, als der knorpeligen Bildun-
gen das Rete testis, von wo sich allerdings die Erkrankung sa-
weilen in die Substanz des eigentlichen Hodens hinein fortsetzt
Gewöhnlich wird aber ein grosser Theil der Hodensubstanz com-
primirt und atrophirt, und man findet seine Reste am äusseren
♦) Paget. Med. chir. Transact. 1855. Vol. XXXVIII. p. 428. Pl.I-V.
**) C. Ludwig und W. Tomsa. Sitzungsberichte der k. Akad. dff
Wissensch. zu Wien. 1862. Bd. XLVI.
Enchondrom des Hodens. 523
Umfange der Geschwulst. Durch die Entwickelung im Rete
moss aber das Entstehen von Hemmungen des Lymphstroms und
die Bildung von Erweiterungen sehr begünstigt werden, und
wenn einmal Varicositaten gegeben sind, so kann ein Hinein-
wachsen des Knorpels in die Geisse oder Lymphräumc sehr leicht
erfolgen.
In diese Kategorie der Enchondrome der Lymphräume
gehört offenbar eine Beobachtung von L'Honneur*), der bei
einem 24jährigen Soldaten den der Angabe nach in Folge einer
Verletzung bei gymnastischen Uebungen stark geschwollenen
Hoden exstirpirte und neben zahlreichen kleineren, isolirten Knor-
pelstücken eine Unzahl kleiner, verästelter, leicht auslösbarer
^Pyramiden" fand. Ebenfalls gehört hierher ein Fall von Be-
rn arquay**) : Ein 34jähriger Mann erlitt eine Quetschung des
Hodens durch den Hufschlag eines Pferdes, und als der Hoden
15 Monate später exstirpirt wurde, wog er etwa 2 Pfd. Es
zeigte sich ausser einer mit Blutgerinnsel gefüllten Cyste eine
grosse Masse von Knorpel, theils kleine, in einem sehr gefass-
reichen, fibrösen Gewebe zerstreute Stücke, theils grössere, aus
nnregelmässigen , in verschiedenen Richtungen gewundenen Säu-
len bestehend. —
Es ergiebt sicli aus dieser Uebersicht der Enchondrome der
Weichtheile, dass sie in einer ganz ungemein wechselnden Weise
vorkommen. Allerdings hat uns sowohl das anamnestische, als
das anatomische Studium gelehrt, dass namentlich die Enchon-
drome der Drüsen sehr häufig einen irritativen oder auch geradezu
entzündlichen Ursprung haben, und es liegt daher nahe, ihnen
auch eine bloss örtliche Bedeutung zuzuschreiben. Die Erfah-
rung stimmt damit insofern überein, als sehr viele Fälle von
dauerhafter Heilung nach der Operation bekannt sind. Allein
nichtsdestoweniger ist das Enchondrom der Weichtheile eine
entschieden heteroplastische und schon insofern sn-
specte Geschwulst, und wenn sie auch ursprünglich rein
local ist, so beweist doch schon ihre Vergrösserung durch Bil-
dung accessorischer Knoten ihre Fähigkeit zur Infection.
Früher glaubte man alle solche Fälle auf die Mischformen
*) L'Honnenr. TUnion med. 1861. No. 134. p. 269.
•*) Demarquaj. rUnion inedicale. 1862. No. 2H. p. 447.
524 Sechszchnte Vorlesung.
zurück beziehen zu müssen, insbesondere auf die Verbindungen
mit Krebs (Markschwamm). In der That sind solche Fälle nicht
ganz selten. Ich selbst habe eine colossale Geschwulst der Pa-
rotis beobachtet, welche in ihrem oberen Theil eineu hühnerei-
grossen, fast ganz aus Knorpel bestehenden Knoten enthielt und
auch sonst an verschiedenen Stellen zerstreute Knorpelstücke
zeigte. Allein der grössere Theil bestand aus areolärem Gewebe,
wo in einem knorpelartigen Stroma Massen von epithelialen Zellen
eingelagert waren, deren Entwickelung aus Knorpelzellen sehr be-
quem zu verfolgen war. Die nächsten Lymphdrüsen am Unter-
kieferwinkel waren ganz und gar in dieses areoläre Gewebe ver-
wandelt und im Schädel fand sich eine Geschwulst der Rinde
des Kleinhirns, welche mit der Dura mater innig verwachsen
war und welche genau dieselbe areoläre Struktur zeigte. För-
ster*) hat einen anderen Fall beschrieben, wo nach der Exstir-
pation eines gemischten (myxomatösen) Enchondroms der rech-
ten Parotis secundäre Geschwülste des linken Felsenbeins (unter
der Dura mater) und der Lungen gefunden wurden, welche frei-
lich die knorpeligen Elemente mehr und mehr zurückdrängten.
Allein auch die reineren Formen machen Metastasen.
Den ersten bekannt gewordenen Fall dieser Art habe ich**) bei
einer Hündin beobachtet, die ein grosses ossihcirendes Enchon-
drom der Mamma hatte. Hier fand ich im Netz eine sehr grosse
Geschwulst, welche innen cystisch erweicht und mit Natron-
Albuminat - Flüssigkeit gefüllt war, sowie zahlreiche kleine
Knoten an beiden Lungen. Der grösste Theil derselben sass an
der Pleura, und zwar nicht bloss an dem eigentlichen Ueber-
zuge der Lungen, sondern auch an den zum Mediastinum
gehenden Falten (Duplicaturen Fig. 106., A, p). Sie begain-
nen meist als ganz kleine Puncte in dem tiefen Bindegewebe
der Pleura, griffen aber bei weiterer Vergrösserung in die Sub-
stanz der Lungen selbst über. Auch fanden sieb einzelne im
Parenchym. Das Interessanteste aber ist, dass von vielen die-
ser Knoten Fortsätze ausgehen, die sich verästeln und unter ein-
ander netzförmig verbinden, und die sich leicht als Ausfüllungen
von Lymphgefössen erkennen lassen (Fig. 106, B). Die feinere
*) A. Förster. NViener Med. Wochenschr. lÖöS. No. 27.
♦♦) Würzb. Verhandl. IböO. Bd. 1. S. 137.
Untersuchung lehrt, <lass die Knoten aus hyalin-faswigfr Knor-
pelsubstanz bestehen und sobald sie <'ine massige GrOHce erreicht
haben, sofort vom Ceiitrum aus verkalken. Die Massi^n in den
Lympliget^ssen enthalten in der Mitte schon deutlich knorpelige
Theile, Zellen mit hyaliner tntercoilularsubstanz, während im Um-
fange dicht gedrängte Zellenmassen ohne Zwischensubstanz liegen.
Noch viel mehr aulTallcnd waren die Metastasen in dem von
Paget (S. 55-2) beobaiihteten Fall von lymphatischem Enclion-
droni des Hodens. l>er Kranke hatte nach der Heilung seiner
Wunde das Hospital verlassen, war aber sirhon nach zwei Mo-
Daten in einem Zustande von grosser Abmagerung, Schwäche
und Athemnoth zurückgekehrt. Er starb ziemlieh plOtzh'ch, nach-
dem die Respiration immer beschwerlicher geworden war. Die
Autopsie zeigte, dass beide Lungen mit zahlreichen, 1 Linie bis
1^ Zoll im Durctime^ser haltenden Knorpelknoten besetzt waren
Fi--- lOG. Mo tas tatische ELuliotidrome der Lungen von einer UQiidin,
nach Euch Dil drnm der Mamma entstanden. A Annicht der ÜberflSche eines
Lungenlappens in niitürliclier Cin'iNSC; p eine mit kleinen KnorpeUtücken üe-
«rt/te Falte der fU'uni. Die [.linse iüt st.irk pismenlirt. fl ein Tbeil der
CHMTfläihe, leirlit vergnissert, um das von den Knoten ausgebendp Lyrapb-
eetünfiM-iz, «elihrs mit nnrhondrommasN<' gefQltt int, zu leigen. (Präparat
No. ir«. vom Jahre l»r>4.}
526 Sechszehnte Vorlesang.
und zusammen 11^ Pfd. wogen. In manchen Aesten der Lun-
genarterie fanden sich kleine knorpelige Auswüchse der Wand.
Die Analogie mit wahrem Krebs wurde aber noch grosser
dadurch, dass zwischen den Hoden und den Lungen noch we-
sentliche Verbindungsglieder entdeckt wurden. Von der Narbe
aufwärts liessen sich neben der Vena spermatica zwei mit Knor-
pelzapfen erfüllte, erweiterte und gewundene Lymphgefässe bis
nahe zur V. renalis verfolgen, wo sie in eine Drüse eintraten,
welche hühnereigross war, zahlreiche Höhlungen mit klarem,
flüssigem Inhalte umschloss und durch faserige und knorpelige
Scheidewände getheilt war. Oberhalb war der Lymphapparat
frei. Allein die erwähnte Drüse und das Ende der erkrankten
Lymphgefässe adhärirten innig an der Wand der V. cava inferior
und hier fand sich frei in die Höhlung des Gefässes hineinragend
ein V' lioher, ästiger Knorpelauswuchs. Ein Paar kleinere Knor-
pelstücke hafteten an der inneren Venenwand in der Nähe. —
Nach diesen Erfahrungen*) kann es nicht mehr zweifelhaft
sein, dass der schöne Traum von der absoluten Gutartigkeit des
Enchondroms zu Ende ist. Die Warnung, welche ich schon vor
1 0 Jahren ausgesprochen habe**), ist nur zu sehr bestätigt Die
Enchondrome, sowohl der Knochen, als der Weichtheile besitzen
infektiöse Eigenschaften, und es wird daher in der Regel wohl-
gethan sein, derartige Geschwülste, wo sie zugänglich sind, so
frühzeitig und so vollständig als möglich zu entfernen. Bis jetzt
lässt sich eine Grenze zwischen infektiösen und nicht infektiösen,
zwischen gut- und bösartigen Enchondromen nicht ziehen. Aller-
dings sind die weichen Formen im Allgemeinen gefährlicher, ab
die harten, aber der Unterschied ist nicht ganz scharf. Vielmehr
scheint die Natur des befallenen Organs von Bedeutung zu sein,
und namentlich sein Reichthum an Blut und Lympbgeßssen
(S. 41, 127), ein Umstand, der gerade bei den Hoden in das heUste
Licht tritt. —
*) loh habe den schon erwähnton (S. 510 Not.) Fall von E. NVagner, in
W(*lohom auoh in den Lunj^en mehrere der Uternsgeschwulst analoge KDotei
K(*finMl(Mi wurden, hier nicht mit anfgefDhrt, weil die Beschreibuog nicht
liinnMchnid deutlich ist, um die Ueberzeugung za geben, dass ea sich ob
ri'hn'H Knchondrom handelte.
**) Srhou 1840 habe ich darauf hingewiesen, dass EnchoDdronie sowohl
nniti (Irr Kxhtirpation, als ohne dieselbe an vielen Punctea nach eiDaoder
nuflrrliMi k^hincn und in Combinationen mit Cholesteatom, Krebs, SarkoB
u. «. w. vorkommiMi (Medicin* Reform. No. 51. S. 271).
Osteoidchondrom. 527
In der Specialdarstellung habe ich absichtlich vermieden,
j Osteoidchondrom (S. 462, 471) unmittelbar mit in die Be-
chtung zu ziehen. Nach dem Vorhergegangenem wird es aber
ht mehr so auffällig erscheinen, wenn ich einen Theil des „bös-
igen Osteoids" von Joh. Müller, des „Osteoidkrebses" anderer
toren hier anreihe. Das bösartige Enchondrom oder, wenn
in lieber will, der Knorpelkrebs lullt die scheinbar so grosse
cke, welche früher in der Anschauung zwischen Enchondrom
i Osteoid bestand. Aber man wird mir diese Neuerung ver-
hen, wenn ich hinzufuge, dass ich mindestens so viel, als
h dem Enchondrom an Bösartigkeit beilege, ja noch
dhr als das, dem Osteoid an Bösartigkeit abnehme.
IS Osteoid ist eine sehr suspecte Geschwulst, aber es giebt
eh viele Fälle dauerhafter Heilung nach der Operation, und
mn man etwas schärfer scheidet zwischen Osteoidchondrom
lerseits, Osteoidsarkom und ossificirendem Carcinom anderer-
its, so kann man sagen, dass das erstere auch physiologisch
d prognostisch dem Enchondrom sehr nahe steht*) So erst
Jen sich die grossen Schwierigkeiten, welche bisher die prak-
che Erfahrung gegen die herrschende Lehre von dem Osteoid
lieben hat.
Eine genauere Besprechung dieser Differenzen behalte ich
r für das Kapitel von dem Sarkom vor; hier führe ich nur
viel an, als für das Verständniss der chondromatösen Form
tbig ist.
Die Osteoidchondrome bilden zum Theil die umfangreichsten
Lochengeschwülste. Im Anfange haben sie eine nicht geringe
Ähnlichkeit mit dem peripherischen Enchondrom, indem sie sich
j flach ansteigende Anschwellungen über die Oberfläche erhe-
n. Ihre grosse Festigkeit kann unter Umstanden zu Yerwech-
langen mit blosser Hyperostose Veranlassung geben. Später-
1 wachsen sie allmählich so sehr an, dass sie die gewöhn-
;he Grösse der Enchondrome weit hinter sich lassen. Dabei
legen sie aber eine ziemlich gleichmässige Oberfläche zu be-
llten, die freilich kleinere Unebenheiten und Höcker, aber in
*) Yirchow. Ueber ossificirende GeschwQlbte. Deutsche Klinik. 1858.
». 49. S. 481. Vgl. die DtHciission Ober Osteoid ia der Sitznng der Ge-
ILsrhafc für wiss. Medicin zu Berlin v. 16. April 18G0. Dentscbe Klinik.
CO. No. 22. S. 217, 218.
528 Secliszehnte Vorlesung.
der Regel keine grossen Abweichungen darbietet Sehr häufig
umgeben sie den ganzen Knochen und unterscheiden sich aack
dadurch von den gewöhnlich an einer mehr beschränkten Stelle
aufsitzenden Enchondromen. Ihr Lieblingssitz sind die langen
Röhrenknochen und zwar mehr die Enden derselben, vor allen
die Kniegelenkenden des Femur und der Tibia. Während aber
die Enchondrome hier häutig kugelige und, wenn sie erweichen,
blasige Anschwellungen machen, so erzeugen die Osteoidchoa-
drome meist kolbige Auftreibungen, welche in der Richtung tob
der Mitte der Diaphyse gegen das Gelenkende spindcl- oder
keulenförmig zunehmen.
Schneidet man sie ein, so erweisen sie sich als ohne knö-
cherne Schale. Anfangs bildet das Periost ihre Grenze und ihren
Ueberzug*); später durchbrechen sie dasselbe und wachsen mit
flachen Knoten in die Nachbartheile hinein, welche unter der
Entwickelung der neuen Masse zu Grunde gehen. Dann sind sie
gewöhnlich noch lange Zeit von den Fascien eingeschlossen. Naob
innen hängen sie innig mit dem Knochen zusammen, dessen Rinde
gewöhnlich gewisse, mit Geschwulstmasse gefüllte Lücken dar-
bietet oder geradezu durchbrochen ist. Die Markhöhle ist in der
Mehrzahl der Fälle unter ihnen obliterirt**), indem statt der Mark-
substanz ein festes, durch trüberes Aussehen und gröbere Kuo-
chenkörperchen unterschiedenes***) Knochengewebe vorhanden ist.
Jedenfalls kann man fast immer den alten Knochen noch durch
die Geschwulst hindurch nachweisen (Fig. 107.).
Die charakteristische Masse der Neubildung findet sich dem-
nach zwischen dem alten Knochen und der, sei es intra-, sei es
extraperiostealen Oberfläche der Geschwulst. In einzelnen Fällen
lässt sie sich mit dem Messer schneiden, sei es, dass sie nur
sehr lose mit Kalksalzen erfüllt ist, sei es, dass das Gewebe nocb
ganz frei davon ist. Allein meist geschieht die Ablagerung der
Kalksalzc ziemlich schnell, und man muss die Säge zu Hül(^
nehmen, um die Geschwulst spalten zu können. Man sieht äIj;-
•) Müller (Archiv. 1843. S. 437) kannte diese Formen und unterschini
«io von seinen Osteoiden unter dem Namen der gutartigen, o.ssificirend|*n
DcHmoide. Er sah da» Kritoriura darin, dass die benachbarten Weichtb<»il»'
nicht verändert wurdon, während die» bei dem Osteoid geschehe. AImt
dies ist nur ein zeitiger Unterschied.
**) A. Co Dp er. Surgical essavs. P. I. p. 189, 195.
♦*♦) Wurzb. Verhandl. Bd. 1. S. 197. Deutsche Klinik. 1860. S. 2ia
k eoidcbondrom der Tibia von einem I3jnhri}ien Knaben,
n Halle amputirt, srhicf durrhschnitten, so dshs an dem
'^ioclii>n liemlirh in der Hitte soapalteD ixt^ während nach
ini aniigerhalb des KnorhepH liegt. Hier »iebl man die
r Neubildung sehr put, während weiter nach oben ein
530 SecUazebiite Vorlesang.
dann auf der Sägefläche in grosser Ausdehnung knöcherne Stellen,
welche gegen die Oberfläche oft vereinzelt liegen, gegen die
Basis aber immer dichter aneinander rücken und stellenweise
eine continuirlich mit dem alten Knochen zusammenhängende
Masse bilden. Anfangs locker, porös und leicht zu schneiden,
wird die knöcherne Substanz immer fester und widerstands-
fähiger.
Das noch nicht ossificirte Gewebe hat die Härte und du
Aussehen von Faserknorpel, wechselt aber, wie dieser, von mehr
hyalinen und gleichmässigen bis zu deutlich fasciculären , lamel-
lösen oder retici^ären, schon für das blosse Auge unterscheidbaren
Zuständen. Zuweilen ist die Richtung der Lamellen der Ober-
fläche des alten Knochens parallel, häutiger stehen die Fas-
cikel, namentlich gegen die Peripherie hin, radiär auf der
Richtung des alten Knochens. Der deutlich lappige Bau des
Enchondroms fehlt ihnen, und daher sind sie gerade sehr häufig
als blosse Fibroide oder Desmoide, früher als Osteo-
steatome oder Osteosarkome bezeichnet worden.
Was die feinere Einrichtung betrifft, so habe ich schon er-
wähnt (S. 472), dass sie im Wesentlichen mit der des sogenannten
Haut- oder Knochen- (Osteoid-) Knorpels übereinstimmt. Die
Zellen pflegen keine Kapseln zu besitzen und kleiner, als die
gewöhnlichen Knorpelzellen zu sein; sie unterscheiden sich
andererseits von Bindegewebskörperchen dadurch, dass sie eine
mehr gedrungene, sich der ovalen oder rundlichen annähernde
Gestalt und weniger deutliche Ausläufer oder Fortsatze haben.
Die Intercellularsubstanz ist dicht, wenig streifig, nicht eigentlich
fibrillär, wie sklerotisch, aber nicht so reichlich, wie im Enchon-
drom. Nur hie und da kommen Uebergänge zu Hyalinknorpel
und Kapselbildungen um die Zellen vor. Gefässe treten in die
Substanz selbst ein, und auch das ist ein wesentlicher Unterschied
von dem Enchondrom. Scheidewände zwischen der Masse sind
mehr lappiger Bau hervortritt. Am Knie um wuchert die Geschwnbtmasse
den Gelenkknorpe] und bildet an ihrer Oberfläche gleichsam neue ArtienU-
tionnflächen für die Aufnahme der Condylen des Femur. Der innere Knocheii
verdichtet durch neue Knochenmasse; der Intermediärknorpel noch stellcB*
weise erhalten. In der Geschwulst sehr zahlreiche Ossificatiooakenie. (Pii-
parat No. 6. vom Jahre 18(>0).
Osteoid Chondrom. 531
eigentlich nicht za sehen. Somit ist das ganze Gewebe zu
der Ossifikation gleichsam fertig: es bedarf nur der Ab-
lagerung der Kalksalze, um den Knochen herzustellen, und wenn
trotzdem grosse Theile der Geschwulst frei von dieser Ablagerung
bleiben, so ist das der Hauptgrund, dieselbe nicht den Osteomen
einfach zuzurechnen. Andererseits ist die Ossifikation so voll-
standig, dass sie sich dadurch wesentlich von den petrificirenden
und ossificirenden Fibromen (S. 353, 360) unterscheiden.
Die Ossification ist demnacli der regelmässige Ausgang.
Doch kommt auch Erweichung vor. In einer colossalen Ge-
schwulst am Oberarm, welche Herr Langenbeck*) entfernte,
entleerte sich eine grosse Höhle, welche beiläufig 4 Quart Flüs-
sigkeit enthalten hatte. Jedoch scheint dies sehr selten zu sein.
Mir ist wenigstens kein anderer, ganz sicherer Fall bekannt ge-
worden ; jedoch ist es möglich, dass manche von den sogenannten
Cystofibroiden der Knochen hierher gehören. Mit dieser Sel-
tenheit der Erweichung hängt auch die geringe Neigung zur Ulce-
ration zusammen. Fast alle Geschwülste dieser Art wachsen zu
einer immer beträchtlicheren Grösse, ohne die äussersten Weich-
theile zu durchbrechen. Nicht selten sind aber Uebergänge zu
Sarkom, indem die zelligen Theile sich vergrössem und ver-
mehren, ohne den Charakter der Zellen der Bindesubstanz zu
verlieren. Diese Formen sind es besonders, welche sowohl
nlceriren, als metastasiren.
Das reine Osteoidchondrom giebt allerdings keine unge-
trübte Prognose. Denn es kann nicht bezweifelt werden, dass
es auf Weichtheile und auf andere Knochen übergeht und trotz sei-
nes ursprünglich fast homologen Charakters heteroplastisch wächst
In einem Falle von Osteoidchondrom der Tibia (Fig. 107.) war
die Geschwulstmasse nicht nur in die umgebenden Weichtheile
übergegangen, sondern sie hatte auch den Gelenkknorpel um-
wuchert und war von den Ligamenta cruciata her in die hintere
Fläche des Os femoris zwischen den Condylen eingedrungen.
Die Geschwulst recidivirt daher leicht in loco und es konmit vor,
*) Langenbeck. Deutsche Klinik. 1860. S. 217. Senftleben. Archiv
für klinische Chirurgie. Bd. 1. S. 157. Der Fall hat sonst viel Aehnlichkeit
mit dem schon erwähnten (S. 483) Fall von Otto, der offenbar in diese
Kategorie gehört. Beidemal datirte die Geschwulst von einem Arrobruche.
34*
532 Sechszehnte Vorlesang.
dass sie entfernte Metastasen, namentlich in den Lungen macht
Aber ich habe andererseits aach die Ueberzeugung, dass die
Prognose nicht absolut schlecht ist. Cutting*) rettete einem
Kranken, der eine 1 1 Pfund schwere, harte, den ganzen Knochen
umgebende und grösstentheils aus Knorpel bestehende Geschwulst
des Oberarms nach einer mechanischen Verletzung bekommni
hatte, durch Exarticulation das Leben. In einem Falle, wo
Herr Berend die Amputation des Oberschenkels wegen ein«
Osteoid Chondroms gemacht und ich selbst die Geschwulst unter-
sucht hatte, ist der Kranke noch nach 13 Jahren ganz gesund**).
Ob das Osteoidchondrom am Knochen nur peripherisch Yo^
kommt, oder ob es sich auch aus dem Innern desselben entwickelt,
ist bei der Schwierigkeit, die in der Literatur vorhandenen Fälle n
benutzen, eine für mich im Augenblick nicht zu erledigende Frage.
Unsere Sammlung besitzt nur ein Präparat***), welches wenigsten«
der hier in Frage stehenden Form sehr nahe steht; es ist eine
Geschwulst der Kieferknochen der Ziege. Aber sie zeichnet sich
zugleich durch das Vorkommen grosser, vielkemiger Zellen (der
sogenannten Myeloplaxes von Robin) aus, und ich will daher
nicht zu viel Werth auf sie legen. Die meisten Fälle , die tb
fibrocartilaginöse beschrieben sind, gehören auch nicht hierherf),
sondern entweder zum reinen oder zum gemischten Enchondron.
oder gar zum Sarkom. Am meisten ähnlich ist eine Mischform,
die ich als Fibroma enchondromatosum bezeichne, wo in
gewöhnlichem, festem Bindegewebe Enchondromknoten vorkom-
men. Wir besitzen davon ein ausgezeichnetes Präparat vom Ober-
kiefer ft)» wo förmliche Lappen von zum Theil vollständig ver-
kalktem, jedoch fast nirgends ossificirtem Enchondrom dnrch
das Fibrom, welches seinerseits nicht die geringste Neigung zar
Verkalkung zeigt, zerstreut liegen. Schon der eminent lobuläre
♦) Cutting. Med. chir. Transact. Vol. 11. n. XXIV.
*♦) Deutsche Klioik. 1860. S. 217.
**♦) Präparat No. 157. vom Jahre 1857. Es ist in der Cellularpatbologie
3. Aufl. S. 400. Fig. 138—139. als weiches Osteom aufgeführt.
t) Unter anderen möchte ich als Fall von innerem Osteoidchondrom die
Beobachtung von Lentin (Loder's chir. Zeitschr. 1797. Bd. I. S. GO, genauer
beschrieben bei Herz De enchondromate. p. 12. und bei J. Vogel. Path.
Anat. S. 198) ansehen, wo die Massen genau wie bei Enchondrom in den
Phalangen sassen.
tt) Präparat No. 50. vom Jahre 1858.
Gemischtes Osteoidchondrom. 533
Bau der Geschwulst entfernt sie ganz und gar Yon dem Osteoid-
chondrom.
Was mich insbesondere geneigt macht, das Vorkommen des
Osteoidchondroms nicht auf die Knochenoberfläche zu beschränken,
das ist die Thatsache, dass es auch primär in Weichtheilen
vorkommt. Ich habe dasselbe zuerst in ausgezeichneter Weise in
einer Mischgeschwulst, die ich als myxomatöses Osteoid-
chondrom bezeichnen muss, beobachtet*). Dieselbe wurde beim
Erwachsenen von Herrn Wilms am Rücken exstirpirt. Es war
eine 7" lange und 4" dicke Geschwulst, welche äusserlich einen
groblappigen Bau zeigte. Viele dieser Lappen fühlten sich ganz
weich an und hatten theils ein durchscheinendes, graugelbliches,
theils ein undurchscheinendes, w eissgelbliches Aussehen, und sie
wiesen sich theils als reines, theils als lipomatöses Myxom aus.
An verschiedenen Stellen lagen ganz deutliche Knorpelmassen
und zwar theils in ganz kleinen Stücken, theils in grossen,
zusammenhängenden Knollen. Sie hatten das dichte, bläulich-
weisse Aussehen von Hyalinknorpel, und wenn man feine Schnitte
davon nahm, so sah die Masse so gleichmässig aus, wie Fisch-
knorpel, z. B. vom Stör. Mikroskopisch aber erwies sie sich
als ausgezeichneten Osteoidknorpel, so zwar, dass manche Schnitte
den Eindruck machten, als hätte man wirklichen Knochen vor sich,
dem durch vorsichtige Anwendung von Säuren die Kalksalze ent-
zogen seien. Man sah zahlreiche, sich verästelnde und anastomo-
sirende Markkanäle, welche aus einer fibrösen, dem Perichondrium
ähnlichen Hülle in die Geschwulst eintraten und innerhalb einer
faserigen, ziemlich dicken Adventitia die Gefasse trugen. Um
sie herum lagen an manchen Orten sehr regelmässige Lamellen-
systeme mit parallel geordneten, sternförmigen Zellen, und weiter-
hin zusammenhängende, nicht lamellöse Züge von übrigens glei-^
chem Bau.
Die Geschwulst recidivirte sehr bald und wuchs beinahe zu
ihrer früheren Grösse heran. Die neue Geschwulst wurde mit
dauerndem Erfolg exstirpirt und zeigte gewisse Verschiedenheiten
von der früheren. Knorpel war sehr wenig darin, doch fanden
sich mehrere Stücke davon. Der myxomatöse Antheil war
♦) Präparat No. 113. vom Jahre 1861.
534 Sechäzehnte Vorlesung.
sehr viel reichlicher. Ausserdem aber gab es Stellen mit voll-
ständig cavernösem Bau und andere mit cystoider Erweichung,
Virelche gegen die Mitte der Geschwulst eine grosse Höhle mit
unregelmässig zottiger Wand erzeugt hatte.
Die Analogie dieser Mischgeschwulst mit den früher erwähnten
(S. 512) ist sehr augenfällig. Um so mehr Bedeutung hat sie aber
für die Lehre von dem Osteoidchondrom und für die Begründoog
der Zusammengehörigkeit desselben mit den Enchondromen.
N a ch t r a g.
In der letzten Zeit habe ich durch die Güte des Herrn Wilms
noch die Präparate*) von einem neuen, in Bethanien vorgekom-
menen Falle erhalten, welcher meiner Meinung nach zum Osteoid-
chondrom zu rechnen ist. Dieser Fall ist sowohl für die Lehre
von dem Osteoid, als auch für die Prognose von besonderem
Interesse.
Ein älterer Mann stellte sich mit einer, fast zwei Fiast^
grossen, harten Geschwulst des Brustkorbes vor, welche scheiii*
bar von den Rippen ausging. Bei dem tiefen Sitze und der knö-
chernen Härte derselben beschränkte man sich darauf, dieselbe
möglichst nahe an ihrer Basis abzusägen. Es entwickelte sich aber
ein Erysipel, Fieber u. s. w. und der Mann starb bald nach der
Operation. Bei der Autopsie fanden sich zahlreiche, gleichfalls
knöcherne Knoten an der Pleura, und zwar nicht nur an der
costalen, sondern auch an der diaphragmatischen, sowie in dea
Lungen. Nach ihrer Grösse und Entwicklungshöhe konnte man
deutlich schliessen, dass sie schon zur Zeit der Operation vor-
handen gewesen sein mussten.
Die genauere Untersuchung zeigte, dass alle diese Geschwülste,
sowohl die grosse ursprüngliche, als auch die kleineren secun-
dären, aussen von einer ziemlich derben Hülle umgeben waren,
welche an einzelnen nur lose der inneren, knöchernen Masse an-
lag. An der grossen Geschwulst bildete die letztere eine leicht
•) Präparat No. i'Ja — c vom Jahre lbG3.
:a=
Malignes Osteoidchondrom. 535
höckerige Oberfläche, deren Vertiefungen von einer stellenweise
knorpelig aussehenden, bläulich-weissen, jedoch nicht ganz homo-
genen, sondern theils streifigen, theils netzigen Masse erfüllt wa-
ren. Das Mikroskop zeigte darin den charakteristischen Bau des
Osteoidknorpels. Aussen ging das Bindegewebe ganz in dersel-
ben Weise, wie bei der Periost-Ossification, zuerst in Wucherung
(Granulation) und dann in osteoides Gewebe über. Letzteres
nahm hier und da freilich einen rein knorpeligen Charakter an,
indem die anfangs eckigen und sternförmigen, sehr kleinen Zellen
sich vergrösserten und mehr rund wurden, ohne jedoch deutlich
incapsulirt zu werden. Diese Transformation erfolgte in gewissen
Zügen oder Balken, wie die periostitische. Sehr bald geschah
dann eine Verkalkung und ohne Umweg die Metamorphose des
Knorpelknochens in regelmässigen Knochen.
In den kleineren Knoten der Pleura, z. B. noch in kirschen-
oder wallnussgrossen, blieb der Knochen mehr faserig oder balkig
(trabeculär) ; ein Durchschnitt, welcher parallel den Balkenzügen
lag, sah aus, als ob eine Menge feiner Stäbchen dicht an einan-
der gedrängt seien. In den Hauptknoten dagegen wurde der
Knochen ganz dicht und scheinbar sklerotisch, so dass die Schnitt-
fläche ganz glatt und homogen erschien. Nur sah man überall
zahlreiche, schon vom blossen Auge leicht kenntliche, langge-
streckte Gefässe. Versuchte man, mit einem Messer Schnitte zu
machen, so ergab sich sofort, dass das Gewebe mehr gleichmässig
als dicht war, denn fast überall Hessen sich feine Schnitte ohne
grosse Anstrengung ausfahren, wie es bei jungem Knochen an
anderen Orten ja auch der Fall ist. Das Mikroskop zeigte aber
deutliche Knochenstruktur : Markkanäle, Lamellensysteme, eckige
und anastomosirende Knochenkörperchen.
Nirgends fand sich , soweit ich sehen konnte, irgend eine
andere, sarkomatöse oder krebsige Bildung. Alle Theile stellten
nur die Entwickelung von Osteoidknorpel zu Knochen, den Ueber-
gang von Osteoidchondrom zu einem elfenbeinernen Osteom dar.
Vielleicht wäre es richtiger, die ganze Form zu dem Osteom zu
stellen; vor der Hand jedoch schliesst sie sich mehr an das
ossiticirende Osteoidchondrom an, und sie kann als ein höchst
prägnantes Beispiel der malignen Form desselben betrachtet wer-
den. Denn eine schlimmere Art von Dissemination kömmt
auch beim Krebs nicht vor.
636 Nachtrag.
Was mich aber am meisten überraschte, war die Entdeckung,
dass die Geschwulst nirgends mit einer Rippe unmittelbar zu-
sammenhing. Vielmehr trat sie aus einem Intercostalraum her-
vor, breitete sich dann aber sofort pilzartig über die benachbarten
Rippen aus und war so innig an dieselben angelegt, zugleich audi
so zwischen sie eingeklemmt, dass sie einen Körper damit aus-
zumachen schien. In Wirklichkeit war sie aber eine Geschwulst
der intercostalen Weichtheile und es konnte kein Zweifel darüber
sein, dass von ihr, als dem Mutterknoten aus^, zunächst die Bil-
dung accessorischer Knoten im subpleuralen Gewebe der nächsten
Nachbarschaft angeregt war. Denn gerade hier fanden sich die
meisten acccssorischen Knoten, welche eine Reihe unregelmäs-
siger Hügel und Vorsprünge gegen den inneren Brastraum bil-
deten, und von da aus schien auch die weitere Dissemination
ausgegangen zu sein. Der Augenschein sprach wenigstens dafür,
zwei Wege der Dissemination anzunehmen, einen durch das Blut
zu dem Parcnchym der Lungen, einen durch die pleuralen Flüs-
sigkeiten zu der inneren Fläche der Pleura, insbesondere des dia-
phragmatischen Antheils.
Einzelne in der Literatur aufgezeichnete Fälle von Enchon-
drom der Brustwand sind dem hier mitgetheilten in hohem Ma«s$e
ähnlich, soweit es sich um die locale Entwickelung handelt
Möglicherweise gehören sie alle in das Gebiet der Osteoidchoü-
drome und ich kann daher denjenigen, welche grössere Samm-
lungen zu ihrer Verfügung haben, nur die Bitte an das Hen
legen, die betrefienden Geschwülste einer erneuten Untersuchuog
unterziehen zu wollen.
Inhalt.
Seite
Vorwort V
Uebersicht der Abbildungen IX
Erste Vorlesung. Begriffsbestimmung und Eintheilung der Geschwülste 1
Verschiedene Anwendunftswcise des Ausdrnckes |,Geschwol8t*. Die enfifindliehen An-
schwellmigeji, die PseudoplMinen, die cystiichen Geschwolste. Der genetische Ornnd-
gedanko einer wissenschaftlichen Systematik. Classification. Das anatomische und
das physiologische Princip. Gutartigkeit und Bösartigkeit: Lnpns, Cancer. Gestalt
und Cousisteuz als Eintheilungsgrund : Carcinora, Taberkel, Polyp, Fangus, Blumen-
kohlgewÄchs, Perlgeschwulst; — Hygrom, Ifeliceris, CoUold, Atherom, Skirrhus, Stea-
tom. Aehnlichkeit mit Korpcrtheilcn : Pancreas- und Brustdrüsenartiges Sarkom.
Vergleichung mit Gewcbeu.
Zweite Yorlesiing. Hernologie und Heterologie der Geschwülste . . 16
Histologische Bezeichnung der Geschwülste. Sarkom. Accidentelle Neubildungen und
Bildungen sui generis. Parasitismus: Auffassung der Geschwülste als entotoischer
Wesen. Acephalocysten. HomÖoplasie und Heteroplasie. Suplastische und kakopla-
stische Stoffe. Beziehung auf das Gefisssystem : Geschwülste mit peripherischer und
centraler Circnlation. Chemische Untersuchung: specifische Stoffe, fermentartige Sub-
stanzen. Mikroskopische Untersuchung: specifische Elemente. Die Geschwülste als
Thcile des Körpers. Genauere Bestimmung von Homologie und Heterologie. Prakti-
scher Werth dieser Unterscheidung.
Britte Vorlesmg. Allgemeine Physiologie der Geschwülste .... 33
Meinungsverschiedeuheit der Beobachter über Heterologie. Die Gegner der Specificitit
der Geschwulstelemente. Vergleichung mit entzündlichen Bildungen. Ursachen der
(;eschwülste : Örtliche Veranlassung, Pridisposition, Dyskrasie. Constitationalismus.
Hu moralpathologische Lehre. Multiplidtat : Exostosen, Krebse, Warzen, Lipome. Die
Dyskrasie als denteropathisches Phänomen. Verbreitung dorch Lymph- und Blutge-
fässe. Der Mutterknoten als Infectionsheerd. Die Geschwulst als Socretionsorgan.
Die Tochterknoten. Latente Erkrankungen. Recidire und Generalisation. Heerdwei-
ses Wachsthum durch Bildung accessorischer Knötchen: Infection der Nachbarschaft.
Zellen als Tr&ger der Infection: Dissemination.
Vierte Vorlesung. Aetiologie der neoplastischen Geschwülste ... 57
Dynkrasie und Kachexie. Neuropathologische Ansichten. Oertliche Disposition der Gewebe.
Erblichkeit: congenitale Geschwülste, Pridisposition (Schwäche). Voraafgegangene Sto-
nuiKen: Narben, angebome MissbUdnngen, Entzündungen. Lage, Einrichtung und
Function der Organe. Mechanische Verletzungen. Retention der Hoden. Prädilections-
stellen und Immunitäten. Verschiedenartige Disposition l&r PHmEr- nnd B«eiiiidir-
(;c8chwülste ( Metastasen). ConstitutioneUe Diathese. Oertliche Ursachen nnd homo-
loge Geschwnlstbildung bei specifiacher Dyskraflie.
538 Inhalt.
Seite
Vinfle T«rles««g. Pathogenie der neoplastischen GeschwQlste ... 72
Entvickelnngsgeschichte : die Geschwulst als ein Werdendes. I)lrritatives8tadinni.
DyskrMische Reise (Sch&rfen). Syphilis, Tuberkulose, Krebs. Nichtspecifische Pro-
ducte einer Dyskrasie. Transitorische Natur der Blutveränderung; Abh&ngij^keit tod
dem Prodnctioniheerde. Aenssere Reise und ihre Bedeutung: statistische Belege. Ver-
gleich mit der entxnndlichen Reisung : homologe Geschwülste. Richtung der Entwicke-
iung, bestimmt durch das Seminium und das Ifuttergewebe (Matrix). Inocnlations-
Versuche. 2) Granulations -Stadium. Die indifTerenton Bildungs- (Primordial-)
Zellen. Hervorgehen derselben ans dem Muttorgewebe. Natur der Matrices. Conti»
nnirlicher Uebergang der Geschwulst in dasf Mutt^rgewebe. 3) Differensirungs-
Stadium. Einfache Differensirung: histioide Geschwülste. Mehrfache Differensirnng :
organähnliche Geschwülste. Vielfache Differenzirnng: Aberrationen oder teratoide Ge-
schwülste. Diagnostische Bedeutung der Gesammtanordnung der Geschwulsttbeile.
4) Florescenz-Stadium. Typische Entwickehingshöhe. Transitorische und per-
manente Bestandtheile. Verschiedene Lebensdauer der Elemente und der Geschwülsle.
Destmctive Tendens. 5) Regressives Stadium: Ausg&nge.
Sechste T«rlesanf;. Grundlageo einer systematischen Ordnung der
Geschwülste 103
Ausschluss der blossen Intumescensen , der unprodactiven Cysten, der Blasenwärmer
(Cysticercus, Echinococcus, Coenams). Parasitismas als allgemeine EigensebafI aller
wuchernden Geschwülste und als Folge der Autonomie ihrer Elementartheile , nicht
als Folge einer eigeathfimHchen Em&hmngt • Einrichtung. Die Cireulation in den Ge-
schwülsten: Stfining des yenösen Stroms in den alten GelKssen. Reoreroentitielle Stoffe
der Geschwülste: schidliche Einwirkung derselben. Syphilis, Krebs, Tnberculose, Rots.
Jodismus und Kropf. Locale oder constitutionelle Natur der Geschwülste. — Genetische
Grundlage einer Systematik der Geschwülste: 1) Entstehung aus Blutbestandtbeileo :
Extravasations • nnd Exsudationsgeichwülste. 2) Entstehung aus Secretctoffen : ÜUa-
tations- oder RetentionsgeschwAlste. S) Entstehang aus proliferirenden Geweben: Ge-
w&chse, Pseudoplasmen , Proliferations -Geschwülste. Unterabtheilungen derselben:
histioide, organoide, teratoide Geschwülste. 4) Combinationsgeschwülste. — Weitere
Zerlegung der Proliferations-Geschwülste in swei parallele Reihen, je nach ihrer Ho-
mologie nnd Heterologie (Erhaltung oder Verlust des Eigengewebes des Theiles). Bös-
artigkeit nur auf einen Theil der heterologen Formen beschrankt nnd abh&ngig Ton
dem Relcbthnm der Geschwulst an S&ften und Gefissen.
Sieheate Vorlesung. Die ßlutgeschwülste (Hämatome) \2^
Drei Hauptformen der Hämatome: 1) Die cystischen Formen. Mechanische Entstehung
durch traumatische oder spontane Continuit&tsstörungen. Kephal&matom: Bildung
der Höhie , des Knochenringes, der Knochenschale, Heilung. Oth&matom: Be-
ziehung SU Geisteskrankheiten, Bildung der Höhle, tranmatisehe Entstehung, das Ohr
der Pankratiaaten , vorgingige Erkrankung der Knorpel, Heilung. H&matom der
Dura mater: apoplectische Bedentnng, Betiehnng so Geisteskrankheiten, Bildung der
Höhle, Pachyroeningitis chronica. Aneurysma dissecans: Aorta, kleinere Arterien.
Muskel- Hfimatoro: Rectns abdominis; Hämophilie. 2) Die festen, nicht oystischen
Formen. HAmatome der Hersklappen, des Gehirns, des Bierstocks, der Vulva. X) Die
polypösen Formen. PolypÖsesHnmntom desUterus (fibrinöser Polyp): Bildung,
Bexiehung zur Placentarstelle, Einflus« auf Metrorrhagien. Scrundirc Hamatombildung
im Innern anderer Geschwülste. Hämatome patellare. Hamatoccle. H&matoma re-
tronterinum: secundfire Natur der Blutung, partielle Peritonitis, Beziehung inr
Monstniation und Ovulation, Annahme der extraperitouaalen Lage. Hamatocystides.
— Mögliche Abschnürung venöser Gef&sse. Extraeranielle Blutcysten.
Achte V^rlesiiig. WassergeschwüUte, insbesondere ll^droccle testis. 15'>
Die Hygrome. Unterscheidung derselben, Je nachdem die Höhlen natürliche oder neo-
lebildete sind. — Die Hydrocele als Beiqiiel. Hydrocele congenita. Irritative Na-
Inhalt 589
Seit«
tur der gewöbnlicben Hydrocele: PeriorrbitU. Cbemiscbe Beschaffeobeit des Inhalte«.
Hydrop;) lymphaticus. ReBohaffenbeit der Scheidenhaut; f.nsMiveRrweiterung nnd Ver-
düunang. Atrophie des Hodens. Fettige und haeniorrhagische Abscheidnngen. Hä-
matocele. Active Processe: Sklerose and Cartilaginescenz des Sacliejt, Synechi«, Ossi-
fication , Proliferation. Periorchitis prolifera. AuswAchse : Die Morgagnl'sche Hyda-
tide. Die freien Körper der Scheidenhaat. Praktische Bedentong dieser Terschledenen
Zast&nde: unproductive Beschaffenheit nnd Vulnerabilit&t der sklerosirten Theüe. —
Hydrocele cystica funicali sperroatici. — Hydrocele herniosa.
Nemtf Y«rlc8iiig. Ilydrocclen des Kopfes und Rückens 1 G9
Hydrocele colli. — Hydrocele capitis et dorsi. Spina bifida. Tumores cranii cystici
congenita Hydroeephalus extemns et internus. Hydrorrhachis externa et interna. B»a
der Arachnoides; ihr sogenannter Sack. Hydroeephalus meningeas: cystisches Oedem
der Arachnoides. Hygronia durae matris. Freier Hydroeephalus extemus« Hydro-
roeningoeele cerebralis et spinalis. AdbSslon mit den Eih&nten. Die ge-
wöhnliche Spina bifida Inmbalis oder lumbo-sacralis: Verhalten des Rücken-
marks, der Nerven und Knochen. — Hydrops der Hölilen der Centralnenrenapparate.
Cystisehe Obliteration der Hirn- und Bückenmarkshöhlen. Hydrocele cornu posterio-
ri« ventriculi lateralis. Hydrocele des vierten VenirikelSf der Höhle des Septum pel-
lucidtim und der Glandula pinealis. Hydrorrhachis interna cystica : Ektasie des Central-
cannls vom Rückenmark. Hydromy elocele nnd Hy drencephalocele. Hydro-
cele sacralis. Ruptur und Entleerung der Säcke. Anencephalie und Amyelie. Psen-
dencepbalon, Fungus cerebri. Heilung der Spina bifida. Hydrocele duplex cystica
occipitalis.
lehnte Verlesung, Ilygrome, Ganglien 11)4
Hygrome der Sehnenscheiden und Schlei mbentel. Verschiedene Theorien. — Hydrops,
Ruptur der Scheiden, Ganglion hemiosnm, Neubildung der SScke. — VariabllitSt nnd
anatomische Einrichtung der Schleimbeutel und Sehnenscheiden. Bursa patellaris.
Neugebildete Schleimbeutel. Entstehnng von Schleimbenteln und Sehnenscheiden. Atro-
phie des Bindegewebes. Spätere Communicatlon mit Gelenkhöhlen. Inhalt: eigen-
thumliches Secret. Meliceris, Sehnige Verdickung der Wand. — Hygroma praepatel-
lare. Mechanische Entstehung. — Beschaffenheit der Sackmembran. Duplicaturen und
Fettlappen; Fettpolypen und freie Fettkörper. Hygronia prolifernm: warzige und
polypöse Excrescenzen. Freie Körper. Das proliferirendc Ganglion der HandwurseL
Irritative Entstehung der Hygrome. Umwandlung in Hämatome.
RIftc T«rlesnng. Follicular- Cysten 211
Retentionsgeschwnlste überhaupt. Zwei Arten derselben: Retention des Secretes
am Secretionsorte oder an einer entfernten Stelle. Entstehung aus präaxistirenden
■
offenen Räumen: cystische Ektasie von Kanälen. Zustand der Orificien: Atresie
und Obliteration oder blosse Verlegung (Obstruction , Compression, Dislocation) der-
selben. Verbindung mit Irritation. Veränderlichkeit des Cysteninhalts in verschiedenen
Stadien. Bedeutung dos Initialstadiums. Atherome (Brei oder Grützgeschwülste).
Entwickelung aus Haarbälgen. Anordnung und Absonderung der letzteren : Epidermis
und Schmeer. Comedonen. Milium s. Grutum. Betheiligung der Schmeerdrfiscn.
Acne. Molluscum contagiosum und non contagiosum. Akrochordon. Naevus follicu-
laris. Das eigentliche Atherom. Das atheromatöse Dermoid (Kystom). Structur des
Atheroms. Meliceris, Steatom. Verkreidung, Aufbruch, Heilung. — Schleim Cysten
(Hydatiden). Entwickelung aus Schleimdrüsen. Wechsel der Theorien über Hydatiden.
Versehiedenartigkeit der Schleimdrüsen. Offene und geschlossene Orificien. Wieder-
holung der Comedo-, Milium-, Acne-. Molluscum- nnd Akrochordon -Form. Verschie-
denheit des Inhalte!. Confluens. Polypi cystici s. hydatidosi. — Weiblicher Sexaal-
apparat: OTola Nabotbi, Acne orificii extemi, Blasenpolypen des Collnm nnd Corpus
uteri, Scbleiracysten der Uterushdble. Neigung zu Flaor «nd Mctrorrha^e. —^ Uafjfm-
538 Inhalt.
8cHc
Vinftc TorleSMg. Pathogenie der neoplastiscben Geschwülste ... 72
Entwickelungsgeschiehte : die Geschwulst als ein Werdendes. l)IrritativeR Stadium.
Dyslirasische Reize (Scharfen). Syphilis, Tuberkulose, Krebs. Nichtspeclfische Pro-
ducte einer Dyskrasie. Transitorische Natur der Blutveränderung; Abhängigkeit von
dem Prodnctioniheerde. Aeussere Reize und ihre Bedeutung: statistische Belege. Ver-
gleich mit der entzündlichen Reizung: homologe Geschwülste. Richtung der Entwicke>
hing, bestimmt durch das Semininm und das Muttergewebe (Matrix). Inoculations-
Versuche. 2) Grauulations- Stadium. Die indifferenten Bildungs- (Primordial-)
Zellen. Hervorgehen derselben aus dem Mutiergewebe. Natur der Matrices. Conti-
nuirlicher Uebergang der Geschwulst in das Muttergewebe. 3) Dif fereuzirungs -
Stadium. Einfache Differenzirung: histioide Geschw^ülste. Mehrfache Differenzining :
organlihnliche Geschwulste. Vielfache Differenzirung: Aberrationen oder teratoide Ge-
schwülste. Diagnostische Bedeutung der Gesammtanordnung der Geschwulsttheiie.
4) Florescenz - Stadium. Typische Entwickelungshohe. Transitorische und per-
manente Bestandtheile. Verschiedene Lebensdauer der Elemente und der Geschwulst«.
Destnictive Tendenz. 5) Regressives Stadium: Ausgange.
Seehste T«rle8«ng. Grundlagen einer systematischen Ordnung der
Geschwülste 102
Ausschluss der blossen Intumescensen , der unprodactiven Cysten, der Blasen würmer
(Cysticerms, Echinococcus, Coennrus). Parasitismus als allgemeine Rigenscbaft aller
wuchernden G«srhwäl8te und als Folge der Autonomie ihrer Elementartbeile, nicht
als Folg« einer elgenthümlichen Emührungs - Einrichtung. Di« Cirenlation in den Ge-
schwülsten: Störung des venösen Stroms in den alten GefiUsen. Recreroentitielle Stoffe
der Geschwülste: sch&dliche Einwirkung derselben. Syphilis, Krebs, Tubercnloxe, Rotx.
Jodismus und Kropf. Locale oder constitutionelle Natur der Geschwülste. — Genetiiurhe
Grundlage einer Systematik der Geschwülste: 1) Entstehung aus Bhitbcstandtbeileo :
Extravasations - und Exsudationsgeschwülste. 2) Entstehung aus SecretstofTen : Dila-
tations* oder Retentionsgeschwülste. 3) Entstehung aas proliferirenden Geweben: G«-
w&chse, Pseudopiasmen , Proliferations -Geschwülste. Unterabtheiinngen derselben:
histioide, organoide, teratoide Geschwulst«. 4) Combinationsgeschwfilste. — Weitere
Zerlegung der Proiiferations-Geschwälste in zwei parallele Reihen, je nach ihrer Ho-
mologie und Heterologie (Erhaltung oder Verlust des Eigengewebes des Theiles). Bös-
artigkeit nur auf einen Theil der beterologen Formen beschränkt und abh&ngig tob
dem Reicbthum der Geschwulst an S&ften und Gefissen.
Siebente Vorlesing. Die Blutgeschwülstc (Hämatome) läS
Drei Hauptformen der Hämatome: 1) Die cystischen Formen. Mechanische EntstehnuK
durch traumatische oder spontane ContinuitätsstÖrungen. Kephalämatom: Bildnog
der Höhle, des Knochenringes, der Knochenschale, Heilung. Othämatom: Be-
ziehung zu Geisteskrankheiten, Bildung der Höhle, tiaumatische Entstehung, das Ohr
der Pankratiaaten , vorginglge Erkrankung der Knorpel, Heilnng. Hämatom der
Dura mater: apoplectische Bedeutung, Beziehung zu Geisteskrankheiten, Bildung der
Höhle, Pachymeningitis chronica. Aneurysma dissecans: Aorta, kleinere Arterien.
Mnskel-Hämatom: Rectns abdominis; Hämophilie. 2) Die festen, nicht cysüschtn
Formen. Hämatome der Herzklappen, des Gehirns, des Eierstocks, der Vulva, ^) Die
polypösen Formen. Pol y pöses HHmatom des Uterus (fibrinöser Polyp) : BUdnng,
R<'ziehung zur Placentarstclle, Einfluss auf Metrorrhagien. Sccunrtäre Hämatombildung
im Innern anderer Geschwülste. Hämatoma patellare. Hämatocele. Hämatomare-
troutcrinum: secundäre Natur der Blutung, partielle Peritonitis, Resiehnng zar
Meiistmatitm und Ovulation, Annahme der extraperitonäalen Lage. H ämatocystides.
— Mögliche Abschnürung venöser Qefässe. Extracranielle Blutcysten.
Achte Y«rle8llig. Waüsergcschwülste, insbesondere Il^drocele tc&tis. 15^')
Die Hygrome. Unterscheidung derselben. Je nachdem die Höhlen natnrllcbe oder nea-
febildete sind. — Die Hydrocele als BeitpieL Hjrdrocel« congenita. Irritaüv« Na-
Inhalt 589
Seite
(ur der gewöhnlichen Hydroccie: Periurebiti». ChemiHcbe Beschaffenheit des Inhaltes.
Hyilrops Ijinphaticu». Beschaff'enheit der Scheidenhaut; f-as«ive Erweiterung nnd Ver-
dünnung;. Atrophie des Hodens. Fettige und haeniorrhagische Abscheidungon. Hä-
niAtorele. Active Processe : Sklerose und Cartilaginescenz des Sackes, Synechie, Oasi-
rtcation , Proliferation. Periorchitis prolifcra. Auswüchse: Die MorgagnI'sche Hyda-
tide. Die freien Körper der Scheidenhant. Praktische Bedeutung dieser Terschledenen
Zustände: unproductive Beschaffenheit und Vulnerabilit&t der sklerosirten Theile. —
Hydrocele cystica funiculi sperroatici. — Hydrocele berniosa.
Neunte Yorlesung. Ilydrocclen des Kopfes und Rückens 169
Hydrocele colli. — Hydrocele capitis et dorsi. Spina bifida. Tumores cranü cystlci
coni^eniti. Hydrocephalus extemus et intenius. Hydrorrhachis externa et interna. Bau
der Arachnoides ; ihr sogenannter Sack. Hydrocephalus meningeus: cystisches Oedem
der Arachnoides. Hygroma durae matris. Freier Hydrocephalus extemus« Hydro-
meningocele cerebralis et spinalis. AdhSsion mit den Eih&uten. Die ge-
wöhnliche Spina bifida Inmbalis oder lumbo-sacralis: Verhalten des Rücken-
marks, der Nerven und Knochen. — Hydrops der Höhlen der Centralnervenapparate.
Cystische Obliteration der Hirn- und Bückenmarkshöhlcn. Hydrocele cornu posterio-
ris ventriculi lateralis. Hydrocele des vierten Ventrikels, der Hohle des Septum pel-
luridnm und der Glandula pinealis. Hydrorrhachis interna eystica: Ektasie des Centrat-
cannis vom Rückenmark. Hydromyelocele und Hy drencephalocele. Hydro-
ce\o sarrnlis. Ruptur und Entleerung der Säcke. Anencephalio und Amyelie. Psen-
deiicephalon, Fungus cerebri. Heilung der Spina bifida. Hydrocele duplex cystica
occipitalis.
Lehnte Vorlesung. Hygrome, Ganglien 11)4
Hygromc der Sehnenscheiden und Schleimbentel. Verschiedene Theorien. — Hydrops,
Ruptur der Scheiden, Ganglion hemiosum, Neubildung der Säcke. — Variabilität und
anatomische Einrichtung der Schleimbeutel und Sehnenscheiden. Bursa patellaris.
Nougebildete Schleimbeutel. Entstehung von Schleimbenteln und Sehnenscheiden. Atro-
phie des Bindegewebes. Spatere Communication mit Gelenkhöhten. Inhalt: eigen-
tliiimliches Seeret. Meliceris, Sehnige Verdickung der Wand. — Hygroma praepatel-
lare. Mechanische Entstehung. — BeschaflTenheit der Sackmembran. Duplicaiuren und
Fettlappen; Fettpolypen und freie Fettkörper. Hygroma proHfernm: wanige und
polypöse Excrescenten. Freie Korper. Das proliferirendc Ganglion der Handwurzel.
Irritative Entstehung der Hygrome. Umwandlung in Hämatome.
Klfte Vorlesung. FoIIicular- Cysten 211
Re tenti onsge seh w niste überhaupt. Zwei Arten derselben: Retention des Sccretes
am Secretionsorte oder an einer entfernten Stelle. Entstehung aus prä^xistirenden ,
offenen Räumen: cystische Ektasie von Kanälen. Zustand der Orificien: Atresle
und Obliteration oder blosse Verlegung (Obstmctlon, Compression, Dislocation) der-
selben. Verbindung mit Irritation. Veränderlichkeit des Cysteninhalts in verschiedenen
Stadien. Bedeutung des Initial Stadiums. Atherome (Brei oder Grüttgeschwfilste).
Eutwickelung aus Haarbälgcn. Anordnung und Absonderung der letsteren : Epidermis
und Schmeer. Comedonen. Milium s. Grutum. Betheiligung der Schmeerdrüsen.
Acne. Molluscum contagiosum und non contagiosum. Akrochordon. Naevus follicu-
laris. Das eigentliche Atherom. Das atheromatöse Dermoid (Kystom). Structur des
Atherom». Meliceris, Steatom. Verkreidnng, Aufbruch, Heilung. — Schleimcysten
(Hydatiden). Entwickchiug aus Schleimdrüsen. Wechsel der Theorien über Hydatiden.
Verschiedenartipkcit der Schleimdrüsen. Off'ene und geschlossene Orificien. Wieder-
holung der Comedo-, Milium-, Acne-. Molluscum- und Akrochordon- Form. Verschie-
deaheit des Inhalte!. ConiltteBx. Polypi cysticl s. taydatidotl. — Weiblicher 8«xiia1-
apparat: Ovola Nabothl, Acne wificii extomi, MMenpolypen dct CoUam md Oorpas
uteri, Schleimcysten der Utenwhdhle. Ntlgon^ xa Flnor «nd MetrorrlM^ie. — Ut^u-
540 Inhalt
und Colon - Schleimhaut: Colitis rystica polypös«. Antrum Highmori. Betrotracheal-
drusen. Blasenpolypen des Larynx. Schieimcysten der Vagina.
Seit
Zwölfte TwlesHiig. Retentions - Cysten der grösseren Kanäle . . . 24!
Cystische Entartung des Processus ▼ermiformis als Muster. — Verschiedenheit
der Retentions-Cysten , Je nachdem der Inhalt mehr Drüsen- oder mehr Flächensecret
ist: A. Einfache Retention der Flächenabsonderung. Allmähliche Ver-
änderung des Inhaltes: Zerfall der zelligen Theile, Umwandlung des Schleims in
Natronalbuminat, wasserige Transsudation ans der Wand, hfimorrhagische Bei-
mischungen. Umbildung von Schieimcysten in ser5se und Blntcysten. St&ricere
Irritation der Wandungen: eiterige Absonderung, Verdickung, Perieystitis. Bron-
chiektasie: kEsige Eindickung des Inhaltes, Verwechselung mit Tuberkel. B. Ge-
mischte Formen, entstanden aus Anhäufung vonDrüsen- undFlachen-
secret. Als Beispiel die Oallen-Retention. Primäre Gallencysten : Anhio»
fung der Qalle, Eindickung, Krystallisation und Concretiou. Hydrops cystidis fel-
leae: Resorption oder Sedimentirung derGalle, Anhäufung von Schleim, Resolution
desselben, wässerige Ausschwitsung. Cysten der Gallenwege: Schleim- und seröse
Cysten. — Weibliche Genitalien: 1. Hydrops folliculorum ovariL Vor-
kommen vor der Pubertät. Verschiedenheit von der gewöhnlichen Eierstocks wa«ser^
sucht Verhältniss cum Ovulum. Katarrhalische Natur des Zustandes. 2. Hydrops
tu bar um. Atresie des Ostium abdominale. Wechselnder Zustand de« Oatiam
uterinum. Hämorrhagische Ergüsse. Lage der Geschwülste. Möglicher Abflnss des
Inhaltes durch den Uterus; Perforation in Nachbartheile. 3. Cysten der Liga-
menta lata. Die End-Hydatiden des Mülier'scheu und WolfiT^chen Ganges. Cysten
des Parovariums. Neugebildete Cysten der Ligamente. 4. Hydrometra (Hydrops
uteri). Beziehung zu Katarrh und Flexion. — Luftwege: cystische Bronchiectasis
und Trachcctasis. — Harnwege: 1) Harnblase: Divertikelbildung. 2) Uretersn
und fNierenbecken: Hydronephrose. Congenitolc und erworbene Formen. Ur-
Kachen. Atrophie der Niere. Aenderung des Inhaltes. Diagnose. Compensatorisch«
Hyperplasie der anderen Niere. Gefahr der Urämie. 3) Ilarnkanälchen: Hy-
drops renum cysticus, Renes hydatidusi. Harncysten. Cungenitale Form. Atresie
der Papillen. Cystennieren der Erwachsenen: Abschnürung der Harnkanälchen, albu-
roinöser Inhalt, Confluenz. — Speicheldrüsen: Ranula subungualis. Verschiedene
Hypothesen. Chemische Natur des Inhalts. Kanula parotidea und pancreatica: cylin-
drische und sackige Form. Ptyalectasis und Ptyalocelc. Dermoide Form. — Ho-
den: Spermatocele (Hydroeele spermatica). Samenfäden in freier Hydrocele-Flüssig-
keit. Samencysten. Behauptete Neubildung derselben. Entwickelung aus rudimentä-
ren Thellen des WolflTschen Körpers. Vas aberrans und Corpus innominatum. Die
Hydatiden am Nebenhoden. — Weibliche Brust: Milchcysten. Allmählige Um-
wandlung in Gallert- und Blutcysten. Buttercysten. Galactocele.
Ireiiehnte T«rle8«ng. Fibrome 2^7
Die Prolife rations- Geschwülste (Gewächse) überhaupt. Irritative Entstehung.
Classification und Terminologie. Uebergangsformen. — Familie der bindegewe-
bigen Geschwülste. — Gattung der F i b r u m e (Fibroide, Desmoide, Steatorae).
Nothwendigkeit, die Myome, Neurome und manche andere Tumores .fibrosi* , sowie
die mit Bindegewebsbildung complicirten Balggeschwülste auszuscheiden. Unsichere
<irense gegen die warzigen Epithelialgeschwülste und gegen die diffuhen chronisch-
( ntzündlichen Processe. Elephantiasis. Irritative Natur aller Fibrome. Die dr^i
Hanptforraen; Combination und Uebergang derselben unter und in einander. ]. Ele-
phantiasis. Sporadische, congenitile und endemische Formen. Prädilectionsstellen.
l-^Iephantiasis und Lepra; historische Entwickelung; Verwechselung. Klephantia5i9
Arabum = Pachydermia, Hypersarcosis , Drüsenkraukheit , Boscnbein. Krytipclas
^rlerematodes s. lymphaticum s. gelatloosum. Das secnndäre Erysipel: Phlegmatia
ttlba, Tumor albus. Fortsc hreitsude Hyperplasie des Bindegewebes. Elephantiasi*
iaevis s. glabra, papillaris s. verrucosa, tubsrosa (tnberculosa) s. nodosa. Varhalteo
InhftUi 541
Seite
der Epidermis: Elephanüasli nigra et comea. Verhalten des Bindegewebes: E. dara
et niollis. Die Specksnbstant. Hyperostose: B. ossifiea. Dfe Lymphdrüsen. Ble-
pliantiasi« ulcerosa. — Die weichen Formen: E. congenita simplex, telangiectodes,
cystica. Die Elephantiasis der Süsseren Genitalien: E. scroti et penis, labii majo-
ris et clitoridiSf mammae. Collonema. Pachydermia lactiina nnd Lymphorrhoe.
Madura-Fuss. 3. Molluscum (Elephantiasis mollnsea, Steatoma, Speokgeschwulst).
Multiple Form. Lcontiasis. 3. Fibroma dlfftisum. Ifilchdrfise: Induratio
betiigna, Elephantiasis dura, Cirrhosls. Analogie mit Sklrrh. Zwei Stadien. Lobu-
läre Fibrombildung: Corps fibreux. Fibrom der mSnnliehen Brust. Bierstock.
Niere: interstitielle knotige Nephritis. Entifindliche Entstehung. — 4. Fibroma
papilläre s. verrueosum (Papillär- oder Zottengeschwnlst) : Hyperplastiache
Vergrosserung präexistirender Papillen oder Zotten und Neubildung derselben. Ge-
schichte der Knospen- nnd Astbildung. Vergleich mit der Placenta fStalis. Pacchio-
nische Granulationen (Drüsen). Verhalten der GefSsse. Zellen wuehenng: Granula-
tion, Fleischwärxchen. Qefasslose, geflissarme nnd gefSssreiche Papillen: Siphonoma.
Ve^etationen , Papilloma. Die intracanaliculSren PapiUargeschwfilste : Gallen-
wege, Condyloma snbcutaneum s. foUieulare, Fibroma papilläre intraeanallculare mam-
uiaei Warxen der äusseren Haut; Akrochordon, ClaTus, Akrothymion s. Thy-
mos, Mynnecia s. Formica. Condyloma latum et acnminatum. Porrum. Hautpolypen.
5. Fibroma tuberosum: Unterschied Ton Tuberenlose. Combinations- and
Uebergangsfähigkeitf Degeneration. Aeussere Haut: hereditSre und multiple Form.
Fascien: Fibroma lobulare, mneosum et ossificum. Periost. Retropharyngealge-
schwnlst, Nasen-Rachenpolypen. Allgemeine Bedeutung der Fibrome. CoastitatioBelle
Beziehung. Prädisposition: ortliche, allgemeine und erbliche. Syphilis. Gutartigkeit.
— Heteroplastisches Fibrom. Kieferknochen. Ossiflcirende und petrificirende
Formen.
Herzehnte V^rlesiiDg. Lipome 364
'UnZweckmässigkeit des Namens Steatom. Unterschied der Uporoe Ton talgartigen
Atheromen, Cholestearincysten, fetthaltigen Kystomen nnd Cholesteatomen. Znsam-
inensetcung. Das hyperplastische Lipom. VerhUtniss sur Polysarcie (Obesi-
t&H). Lappiger Bau. Varietäten : L. moUe s. vulgare, L. durum s. fibrosura , L. telan-
gioctodes, L. ossificum et petrificum, L. gelatlnosum s. colloides, L. cystieum. Neu-
bildung im Vergleich inr FÖtalentwickeInng. Irritativer Ursprung. Vorkommen: aub-
ratau, subfascial und intermusculär, intraorbital, subserSs und subsyuovial, submucSs. —
VerHchiedene Formen : 1. Lipoma Simplex tuberosum. Aeusserer Balg. Wor-
xel oder Stiel. 2. Lipoma capsulare. Ange. Hers. Nieren: VerhUtniss tur
Nierenschrumpfuug. Weibliche Brust: gewohnliches nnd capsuläres Lipom. Ver-
hältniss des letxteren su Sklrrh und interstitieller Mastitis. Hernien; Omentallipora,
Hernia lipomatosa, Lipoma herniosnm capsolare, Complicatlon mit Hydrocele her»
niusa. Lymphdrü(ion. 3. L. polyposnm. Physiologische Beispiele: Appendlees
epiploicae, Synovialfortsätte. — L. arborescens: Gelenke, Sdilelmbentel. Haut-
polypen: Orts Veränderung. Magen nnd Darm. SerSse nnd Synovialhäuta:
Ablosuug des Stiels, halbknorpelige Sklerose, Petrification , Schmeltnng des Fettes.
Freie Korper der Bauchhöhle, der Schlcimbentel nnd Gelenke. — Das hetero-
plastische Lipom. Nieren. Hirn - nnd Bnckenmarkshfiote. Transformation von
Knorpel, Bindegewebe u. s. w. in Fettgewebe. Lipome der Conjnnctiva bulbl, des
Scrotums und der Schamlippen. Discontinuirliche Lipome. — Multiple Lipome.
Dyskrasie. Locale Irritation. PrSdisposition : congenital und erblich, erworben. —
Spätere Geschichte der Lipome: Mangelhafte Rfickbildung, Verhärtung, Verkalkung,
Verschwärung, Abscessbildung, Erweichung. — Lipome der Wangen. Corpus adipo-
Rum raalae.
Pinfzehnte Torlesung. Myxome 396
Verschiedenheit der Myxome von Schleimoyatea nnd Schleimkystomea. Zasanmen-
sctsung aus Schleimgewebe. Natnr nnd Vorkommen deaaelbaa? Nabelatranf. Ver-
542 Inbsat
Seit«
hältnias com Bind«- und Fettgewebe. Persittens im entwickelten Korper, Rückbil-
dung ana Fettgewebe (oolloide Metamorphose). Besiefaung sur Meuroglia und sam
Periueurinm. Homologe und heterologe Myxome. Beschaffenheit der intercellulareu
Flüssigkeit, der faserigen und zeliigen Bestandthcile. — Varietäten: Myxoma hyali-
num 8. gelatiuosum, M. medulläre s. cellulare, M. lipomatodes , M. cystoides, M. fibro-
suiu, M. cartilagineum, M. telangiectodes. — Aeitere Terminologie: Colloid, CoUu-
nema, Sarooma gelatinosum a. hyalinum, Carcinoma colloides s. gelatinosum. — Dan
Myxom der Ohorionsotten (Blasen- oder Traubenmole). Beschreibung und
Theorie. Ausgang von den Choriousotteu : Hyperplasie des präexistirenden Schleim-
gewebes. Yerh<ni&s der Zellen und Gefasse xn der Wucherung. Zustand der Fmcht :
leere Eier, atrophische Embryoneu. Verhältniss xwiscben der Zottenerkrankung und
dem Absterben des Embryo. Allgemeine und partielle Hyperplasie der Zotten: pla-
ceutarea Myxom. Retention der Placenta. Besiehuug der BUsenmole sur Endometritis.
Pnrtielles fibröses Placentar-Myxom: Tuberkel und Skirrh der Placenta.
Hämatom, Apoplexie und Thrombose. — Congenitale Myxome. — Myxome der Er-
wachsenen: 8ul>cntane und intramusculare Formen. Das Myxom des Oberschen-
kels. Polypöse Myxome der Brust und Schamlippen. Myxom des Nierenbeckens
Myxom <ler Knochen^ — Heteroplastisches Myxo ro: Gehirn, Rückenmark, Ner-
ven. Das falsche Neurom: solide und cystoide Form. Weibliche Brust:
Cystosarcoroa. Tuberöse und diffuse Form. Das iutracanaliculare polypöse Myxom:
Aufbruch. — Hoden, Lunge, Speicheldrusen. — Bedeutung der Myxome. Gutartigkeit
der hyperplastiscben Formen: örtliche Störungen, UIceratiou, Recidivimng. Bösar-
tigkeit der heteroplastiacheu Formen: das maligne Neurom. UIceration, Multipli-
citat, Metaataae.
Serhsifhnte T^rlesiiag. Chondrome 435
Verschiedene Bexeichnung: Tumor cartilaginosus, Chondroid, Spina ventosa , Osteo-
stoatom, Osteosarkom, Carcinom, Exostose. Verwechselung mit Fibromen und Fibro-
muscuiar- Gewachsen. Eintheilung in Ecchondrosen und beteroplastische Chondrome
(Enchondrome und Osteoidchondrome) Je nach der Homologie oder Heterologie (Uo-
möo- oder Heterotopie). Neutralea Gebiet: Gew&rhse aus transitorischem Knorpel.
— Ecchondroais. Vorkommen an Rippenknorpeln, Synchondroseu , permanenten
Knorpeln der Respirationaorgan«. Varietäten: E. oasifica, "R, amyloidea, E. prolifera
s. physaliphora. Laryngeal- und Trachealkuorpel: Ecchondrosen und Exostosen
des Larynx ; warsige und gitterförmige Ecchondrosen der Trachea. Synchondroseu:
Symphysis pubica. Synebondrosis spheno-occipitalis : Ecchondrose, Exostose, Phy-
saliden-Beere; Perforation der Dura mater; Verhaltniss sur Chorda dorsalis. Syncbon-
druscs intervertebrales. Rippenknorpel: solit&re und multiple Form. Gelenke:
Gelenkmiuae, Corpora mobilia. Functionelle Störungen. Zahl, Gestalt und Bau der
Gelenkkörper. Einfache und maulbeerförmige Körper. OssificatSon und Petrification
(Arthrolithen). Entstehung derselben: Absplitterung von Bruchstücken des Gelenken-
des und Neubildung. Feinere und gröbere Auswüchse der Synovialhant, des snb-
synovialen Periosts und der Knorpelrinder. — Flache, gestielte und freie Formen (Ar-
throphyten). Yerb<niss sur Knotengicht (Arthritis deformans). Necrose und Ex-
foliation der Knorpel. Irritativer Ursprung: locale Reise. Uebergang sn beleru-
plastiscben Knorpel- Gaw&chsen. — Euch ondrom und Osteoidchondrom. Gren-
cen derselben. Knorpel in Mischgeschwfilsten und Teratomen. Die fibrocartilaginöse
Geschwulst: Osteoid. Der sogenannte Hantknorpel und das osteoide Gewebe: Vor-
kommen bei dem Perioatwachathnm. Osteoid- oder Desmochondrom. Der permanente
Knorpel des harten Encbondroms: Hyalin-, Faser- und Netxknorpel. Beschaf-
fenheit der Intercellularsnbstanx nnd der Zellen. Verschiedene Entwickelnng : aus Gra-
nulations- (indifferentem) oder aus Bindegewebe Genauere Definition von Knorpel*
kurperchen, Zelle und Kapsel. Die ästigen und beweglichen Knorpelxellen. Das
weiche oder Gallert-Enchondrom: 1) E. mucosum. Unterschied desselben
von schleimig erweichten (regressiven) Euchondromen und von den Mischgeschwülsten (B.
myxomatodaa, Myxoma cartilaginenm, StamksorpeJgeseh wulst). 9) B. albuninosna.
— Der Haut- odar KnoelMiiknorpal das osteoiden Chondroms: Aehalicli-
Inhalt. 543
Seite
keit mit Fibroid, VerwaudtachAft mit Sarkom. Di« Iflscb formen: Bncbondroma et
Chondroma osteoides mixtum. Vorkommen des Knorpels in Form serstreuter Inseln
und in beaüuderen Abtbeilungen. Combination mit Krebs und Sarkom, abb&ngig
vun progressiver Zellenwucherung. Betiehung lur VascularisaUon : B. telangiec-
tudes. Verkalkung und Verknöcberuug: E. petrificnitf et ossificnm. Re-
gressive Metamorphose, Erweichung und Verschwarung : E. cystoides et ulcero-
sum. - Aetiologie. Heterologe Natur des Euchondroms in Knochen und in Weich'
theilen. Häufigkeit im Jugendlichen Lebensalter: eongenitale und erbliche Fälle. Be-
ziehungen SU mangelhafter Kuochenbildung : Kacbitis, die spat ossificirenden 8yn-
cbundrosen und Interwediärknorpel. Retention der Hoden. Besiehungen su dem Ge-
schlecht. Traumatische Veranlassungen: Fracturen der Knochen. Chronisch-ents&nd-
liche Processe. — Enchoudrome der Knochen. Frequens-Scala. Innere (cen-
trale, medulläre) uud äussere (peripherische, periosteale) Form. Da« innere En-
chondrom: Latens • Periode. Verschiedene Ifatrices. Knochenschale. Lappiger Bau
(areoläre Anordnung): Mutterkuoten und accessorische Knoten. Das Euchondrom als
Cunglomerat oder Ifultiphim: Dissemination. Ifultiplicltät in verschiedenen, benach-
barten oder von einander entfernten Knochen. Infection der Weichthelle. Septa der
einzelnen Lappen. Das äussere Enchondrom (Perichondrou). Verhältniss cur
Beinbaut. Vorkommen. Ausgänge des Enc hondroms: Erweichung nnd cystoide
Umbildung: Fall von der Scapula; Verschwarung. Verkalkung und Verknocherung.
(ieringe Vulnerabilität der harten Formen, relativ grosse der weichen. Infectiöse
Natur des Knochon-Enchondroms. Erkrankung der Weichthelle, der Lymphgefisse
und Lymphdrüsen. Multiplicität. Metastasen : secundäre Erkrankung der Lungen. Ma-
ligne Knchondrome. — Enchoudrome der Weichthelle: Diffuse und knotige
Formen. Reine uud Mischfesobwfllsta. Natnr des Knorpel«, Uebergang in Schleim -
und Bindegewebe. Erweichung, Verknocherung und Verkreidnng. Entstehung aus
Bindegewebe; irritativer Ursprung. Die vorenchondromatose Periode: chronische in-
terstitielle Orchitis und Parotitis. Directe nnd indirecte Knorpelbildung. Lungen:
multiple Enchondrome, Entstehung aus der Capsula communis und dem snbpleuralen
Bindegewebe. Die halbknorpeligen Fibrome. Unterhaut und Fascien: reine uud
Keuiischte Formen. Die Enchondrome der Parotisgegend. Die Combination mit Li-
pom und Myxom. Wirbelkanal: congenital. — Enchondrom der Drüsen:
Thränendrüse. Niere. Speicheldrüsen: Submaxillaris, Parotis. Diffuse und lobu-
läre Form. Verhältniss sur Drüsensubstans und sum Interstitlalgewebe. Verbindung
mit Drüsen -Hyperplasie, Myxom, Fibrom, Krebs und Kankrold, Telangiectaale. Cylin-
drum. Sexualdrüsen: Eierstock, weibliche und männliche Brust, Hoden. Verhält-
niss des Hoden-Enchondroms su den Lymphräumen. — Infectiöse Natur des Euchon-
droms der Weichtheile: Mischfurmen. Metastasen der reinen Formen: Brust, Hoden.
Maligne Natur. — Osteoid-Chondrom (bösartiges Osteoid, Osteoidkrebs, Osteoid-
sarkom). Knochen: äussere Erscheinung, innerer Bau. Ossification, Erweichung.
Prognose. Fibroma enchondromatosum: Mischform von beiden Gewebatypen.
Weichtheile: myxomat5ses Osteoidchondrom.
Nachtra«;: Ein Fall von malignem Osteoidcbondrom der Brustwand mit Dissemina-
tion auf Lungen und Pleura 5.*J4
Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin.